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IM
B 3 743 iSl
I
UNIVTRSITY OF CALIFORNIA
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER
LIBRARY
I
JLLBRECHT VON GR^FE'8
ARCHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE,
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. TH. LEBER prof. H. SATTLER
IN HXIDXLBBKO IM LSIPZIO
UND
PROF.H.SNELLEN
IN UTRECHT
REDIGIRT VON
PROF. TH. LEBER und Prof. A.WAGEN MANN
IH HBIDBLBERG Iti JENA.
BAND XLIX.
MIT 19 TAFELN UND 20 FIGUREN IM TEXT.
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
. « . . : :1000. . ^
• *•
Inhalt des iieimnndYierzigsten Bandes.
1. Abtheilaxig.
AuBgegeben am 20. Oktober 1899.
Seit«
X. Heine, Die Anatomie des accommodirten Auges. (Mit Tafel I,
Fig. 1—5 und 2 Figuren im Text.) 1
IC, Baüountz, Zur Kenntnis der Homhautzellen des Menschen und
der Wirbelthiere. (Mit Tafel II und III.) 8
5 iS^. OcHowiny Untersuchungen über das spezifische Gewicht des
Kammerwassers. (Mit 1 Figur im Text.) 27
A. CruUstrand, lieber die Bedeutung der Dioptrie 46
JE. Pawel, Beitrag zur Lehre von den Ghorioidealsarkomen. ... 71
JE. Hertel, lieber die Wirkung von kalten und warmen Umschlftgen
auf die Temperatur des Auges. (Mit 1 Figur im Text) . . 125
M. SaJzmanny Das Sehen in Zerstreuungskreisen und die scheinbare
Accommodation der Aphakischen insbesondere. (Mit 4 Figuren
im Text.) 168
A. BietH, Anatomische Untersuchungen über die Regeneration der
Giliamerven nach der Neurectomia optico-ciliaris beim Menschen.
(Mit Tafel IV— V, Figur 1—4.) 190
i. Bach, Erwiderung auf die Bemerkungen zu L. Bach's Arbeit:
ffZvLT Lehre von den Augenmuskellähmungen etc.^' des Herrn
Dr. St. Bemheimer. (v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. Bd. XLVIII.
Abth. 2. S. 463.) 233
2. Abtheilnng.
Ausgegeben am 15. December 1899.
C. Best, Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodation slehre V. .241
L. Bach, Weitere Untersuchungen über die Kerne der Augenmuskel -
nerven. (Mit Tafel VI, Fig. 1—10.) 266
F. Peppmiüler, Ein epibulbärer syphüitiBcher Pseudotumor von typisch
tuberculöser Structur. (Mit Tafel VII— VIII, Fig. 1—2, und
1 Figur im Text) . 303
Dr. Strzeminski, Ein Fall von Polypen des Thränensackes. . . . 339
H. Vervoorty Die Reaction der Pupille bei der Accommodation und
der Gonvergenz und bei der Beleuchtung verschieden grosser
Flächen der Retina mit einer constanten Lichtmenge. (Mit
5 Figuren im Text.) 348
E. Praun u. Fr. PrÖscher, Ein weiterer (III.) Fall von Akromegalie
und Untersuchungen über den Stoffwechsel bei dieser Krankheit.
(Mit Tafel IX, Fig. 1-5.) 376
Ä. Snli, Ueber einen merkwürdigen Fall von Haarbildung unter der
Conjunctiva des Oberlides. (Mit 1 Figur im Text.) .... 380
A, V. Hippel^ Ueber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. . 387
IV
Seite
Ä, Dötsch, Anatomische und bakteriologiBdie Untersuchungen über
infantile Xerosis und Keratomalacie , sowie Bemerkungen über
die Yerhomung des Bindehaut- und Homhautepitheis. (Mit
Tafel X, Fig. 1 u. 2.) ,405
E. HerUl, üeber die Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale
Bupremum bei jungen Thieren 430
TF. Kotier Gen., Zur Untersuchung der Elaaticit&t der Sklera. (Mit
1 Figur im Text.) 448
3. Abtheilung.
AoBgegebeo am 20. Mlfs 1900.
A, OUendorff, Ueber die Rolle der Mikroorganismen bei der Ent-
stehung der neuroparalytischen Keratitis. (Mit Tsdfel XI,
Fig. 1 und 2) 455
G IsdireYt, Ueber die elastischen Fasern in der Sklera des Menschen. 512
X. Bach, Die Localisation des Musculus sphincter pupillae und des
Musculus ciliaris im Oculomotoriuskemgebiet. (Mit 3 Figuren
im Text.) 519
W. Koster Gzn., Eine Methode zur Bestimmung der Aenderungen,
welche in der Gestalt des Auges bei Aenderung des intraocu-
laren Druckes auftreten. (Mit Tafel XII, Figur 1—5.) ... 533
W. UMhoff, Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der
Skleritis. (Mit Tafel XIII— XV, Figur 1—5.) 539
X. Segdcke, Zur pathologischen Anatomie der Echinocokkener-
krankung der Augenhöhle. (Mit Tafel XVI, Figur 1—4.) . . 561
H Feikhenfeld, Beobachtungen an einem Fall ?on Linsenverletzung.
(Mit 1 Textfigur.) 574
E. V. Hippelf Sind die markhaltigen Nenenfasem der Retina eine
angeborene Anomalie? . 091
VeJhagen, Eine sehr seltene Form von Netzhautablösung und Irido-
cyklitis. (Mit Tafel XVII, Figur 1 u. 2.) 599
E. Vogel, Beitrag zu den experimentellen Untersuchungen über das
Eindringen gelöster Substanzen durch Diffusion in's Augen-
innere nach subconjunctivaler Injection 1510
V. Grönholm, Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung
des Eserins auf den Flüssigkeitswechsel und die Girculation
im Auge. (Mit Tafel XVIU— XIX, Curven I— XL) .... 620
F. Oetwalt, Bemerkungen zu Prof. Dr. GuUstrand's Arbeit: „üeber
die Bedeutung der Dioptrie", (v. Graefe*s Arch. Bd. XLIX.
Abth. 1. S. 146.) , 712
E. Bockt Zu „Coloboma lentis congenitum. Von Dr. Richard Kaempffer,
z. Z. Specialarzt für Dermatologie in Hamburg." (v. Graefe^s
Arch. Bd. XVIU, Abth. 3. S. 558.) 717
E. Kaempffer, Erwiderung auf die Erklärung des Herrn Dr. Bock 718
Rogman, Bemerkungen zu Herrn Dr. R. Kaempffers Arbeit: Coloboma
Lentis congenitum. (v. Graefe's Arch. Bd. XLVIII, S. 558.) . 719
Die Anatomie des accommodirten Anges.
Mikroskopische
Fixirung des Accommodationsactes.
Von
Dr. L. Heine,
Privatdocenten in Breslau.
Hierzu Taf. I, Fig. 1 — 5 und 2 Figuren im Text.
(Aus der Universitätsaugenklinik zu Marburg i. H.)
Der Wunsch ,,Durchschnitte in situ vom accommo-
dirten sowie ruhenden Auge zu gewinnen" und so „am
besten über den Vorgang der Accommodation eine defini-
tive Vorstellung zu erlangen", wurde zuerst von Hensen
und Völckers (1868) ausgesprochen. Mit den Worten
jener beiden Autoren leitete ich meine „physiologisch-ana-
tomischen Untersuchungen über die Accommodation des
Vogelauges" ein^). Es war mir gelungen, das Vogelauge
im Zustande der Accommodation zu fixiren und so der
mikroskopischen Untersuchung zugänglich zu machen. War
somit die Methodik der Untersuchung ausgebildet, so musste
von Neuem der Wunsch lebhaft werden, auch vom Menschen-
auge die entsprechenden Schnitte zu erhalten. Der einzige
Weg, der hier vielleicht zum Ziele führen könnte, scheint
mir der zu sein, Verbrechern, welche zum Tode verurtheilt
sind, Atropin bezw. Eserin zu instilliren und sofort post
executionem beide Bulbi zur Fixirung zu enucleiren. Hier-
zu dürfte jedoch vom Justizministerium die Erlaubniss nicht
zu erhalten sein. Aber selbst wenn dieser Versuch ge-
») V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLV. 3. S. 469.
T. Onefe*B Axchir Ar Ophthalmologie. XLIX. 1. 1
2 L. Heine.
gestattet werden sollte, so ist es immerhin fraglich, ob die
dicke menschliche Sklera die Fixationsflüssigkeit schnell
genug eindringen lässt. Es ist vielleicht zu fürchten, dass
die Binnenmuskulatur bereits in eine Cadaverstellung über-
gegangen ist, bevor die Flüssigkeit genügend eingedrungen
ist. Den Bulbus zu eröffnen und so die Fiidrung zu be-
schleunigen halte ich für principiell falsch.
So versuchte ich es nun mit Neugeborenen. Es stan-
den mir mehrere Neugeborene durch die Güte des Herrn
Geheimrath Ahlfeld zur Verfügung, deren einer soeben
abgestorben war, deren anderer durch Perforation abgetödtet
und entwickelt werden musste. Durch heisse Tücher hielt
ich die kleinen Leichen möglichst lauge warm, instillirte
einerseits Eserin, andererseits Atropin und bekam so wohl
noch eine geringe Pupillendifferenz, doch keine Accommo-
dation. Anatomische Verschiedenheiten beider Augen er-
wartete ich demnach nicht und fand sie auch nicht. Gleich-
wohl kann man sich skiaskopisch leicht überzeugen, dass
Neugeborene bereits über ein ausgiebiges Accommodations-
vemiögen verfügen (Hess, Entw. und gegenwärtiger Stand
der Lehre von der Kurzsichtigkeit, Marburg 1898. S. 3).
Hunde, Katzen und Kaninchen gaben ebenfalls ein
durchaus negatives Resultat. Da diese Thiere nach den
Untersuchungen von Hess und mir*) nur ein ganz rudi-
mentäres Accommodationsvermögen besitzen, so ist das
nicht befremdlich.
Für Experimente in der gedachten Richtung blieben
also nur Affen übrig.
Bei diesen Thieren, welche über ein sehr ausgiebiges
Accommodationsvermögen verfügen •), ist es mir nach eini-
gen Mühen in der That gelungen, den Status accommoda-
tionis zu fixiren.
Dabei ging ich folgendermaassen vor: der Affe (im
») V. Graefe's Arch. f. Ophtlialm. XLVI. S. 243.
*) Hess und Heine loc. cit.
Die Anatomie des accommodirten Auges. 3
Falle, von dem die abgebildeten Präparate stammen, ein
2 bis Sjähriger Jayaaffe) wurde durch Aether narkotisirt
und dann die Refraction der Augen skiaskopisch bestimmt
Sie betrug beiderseits geringe Hyperopie von ca. 1 D.
Nun wurde L. Eserin, R. Atropin in den für den
Menschen üblichen Concentrationen (Eserin V>*^/o^g> Atro-
pin l®/oig) instillirt. Nach 5 Minuten wurde zum zweiten
Mal, nach wieder 5 Minuten zum dritten Mal je ein Tropfen
der Alkaloidlösung in den Conjunktivalsack eingebracht. Nach
ca. ^/, Stunde war die Atropinpupille erhebÜch erweitert,
wenn sie auch bei den Aflfen selten relativ solche Dimen-
sionen annimmt wie beim Mensclien. Die Refraction blieb
dabei annähernd dieselbe. Die Eserinpupille verengerte sich
stark, doch ebenfalls nicht in dem Maasse wie beim Men-
schen, so dass beim Affen mit Leichtigkeit noch 10, 12
ja 14 D Accommodation nachgewiesen werden konnten.
Nun wurden beide Bulbi mit möglichster Geschwindig-
keit nach Resection der Lider enucleirt, in körperwarme
Flemming'sche Mischung gebracht und hierin 24 Stun-
den im Biütofen belassen. Nach einigen Stunden Ver-
weilen in der Fixation sflüssigkeit blättert die Sklera gern
ab, was indess die Form des Bulbus nicht zu verändern
braucht, da die Chorioidea zusammen mit den Skleral-
resten oft genügt, die Formen zu erhalten.
Nicht immer gelingt es, die äussere Form so zu con-
serviren, dass auch die weiteren zur Celloidineinbettung
nöthigen Proceduren glücklich überwunden werden. Die
Bilder die man an solchen Präparaten erhält, sind daher
nicht so überzeugend, wie die, bei denen keine Verknickungen
stattgefunden haben; von letzteren Präparaten stammen die
gegebenen Abbildungen. Die Bulbi wurden in Horizontal-,
die letzteren zwei in Verticalserien geschnitten. Die mitt-
leren Schnitte enthalten gleichzeitig Opticus und Pupille,
entsprechen sich also durchaus und sind unmittelbar mit.
einander zu vergleichen.
4 L. Heine.
Zeichnet man bei Loupenvergrösserung mit dem
Edinger'schen Apparat den vorderen Bulbusabschnitt des
Atropinauges und schiebt man dann an Stelle des ge-
zeichneten Präparates den entsprechenden Schnitt des Eserin-
auges, ohne das Geringste in der Einstellung zu ändern,
so decken sich die Corneae und die Querschnitte des
Schlemm 'sehen Canals nasal und temporal (bezw. oben
und unten) genau.
Fig. 1. Pigmencontour.
— <-^— aocommodlrt, nicht accommodirt.
Auch die Linsenform lässt, abgesehen von einer ge-
ringen Abstumpfung des Aequatorwinkels im Eserinauge
keine durchgreifenden Unterschiede erkennen, im Speciellen
steht vorderer und hinterer Pol im Atropin- und Eserin-
auge ah genau derselben Stelle. Auch hier zeigt sich also
wieder, wie ich schon "früher bemerkt habe, die Unzuver-
lässigkeit unserer Härtungsmittel für die Fixation der Linse.
Anders Corpus ciliare und Iris:
Die Pupille des Eserinauges ist 2,5 mm, die des Atropin-
auges 4 mm. Die Iris ist im Atropinauge dementprechend
etwas dicker.
Die Anatomie des accommodirten Auges. 5
In der Form des Corpus ciliare (cf. Textfigur 1 und
Taf. I, Fig. 1 bis 4) fällt sofort in die Augen die Ver-
schiebung nach vom und innen, im gleichen Sinne ver-
schiebt sich auch die Iriswurzel. Dadurch wird der Fon-
tana'sehe Balkenraum entfaltet und das Lumen des
Schlemm 'sehen Canals zugängUcher gemacht, während
im Atropinauge der Balkenraum coUabirt ist (cf. Taf. I,
Fig. 1 und 2). Die Processus cihares rücken dem Linsen-
Flg. 2. Muskelcontour.
— — occominodirty nicht accommodirt.
äquator und zugleich der Linsenvorderfläche näher. Dieses
Verhalten ist ein durchgreifendes: Zeichnet man im Edin-
g er' sehen Apparat nach der oben angegebenen Methode
die ganze Serie der Pupillenschnitte, so ist von sämmt-
lichen Schnitten des Eserinauges der Kranz der Processus
ciliares concentrisch verengt gegenüber denen des Atropin-
auges. Dadurch ist ausgeschlossen, dass in einem Schnitt
aus dem Atropinauge zufälUg ein Spalt zwischen zwei Pro-
cessus, im Eserinauge dagegen die First eines Processus
getroffen sein könnte, was eine ähnhche Verschiebung des
Ciharkörpers vortäuschen könnte.
6 L. Heine.
Der Eserinmuskel endlich selbst zeigt in den dem
Schlemm'schen Canal zunächst gelegenen Parthieen durch-
weg weniger längs getroflfene Fasem (cf. Fig. 1 und 2 auf
Taf. I), als der Atropinmuskel. Es erklärt sich dieses
daraus, dass auch die sogenannten „Sagittal^^fasem zum
grossen Theil nicht eigentlich genau sagittal, sondern in
einem Bogen verlaufen, der vorn am ComeoskleralUmbus
bezw. am Lig. pect, zwar sagittal beginnen kann, dann
aber bald mehr oder minder schräge Richtung annimmt;
oder umgekehrt kann eine Faser am Aequator des Bulbus
sagittal verlaufen, dann aber im weiteren Verlauf nach vom
etwas nach rechts oder links abweichen. Für das Tauben -
äuge, welches im gelähmten Zustand nur „Sagittal"fasem
zu führen scheint, habe ich a. a. 0. diese Verhältnisse aus-
führlich darzulegen versucht. Ferner zeigt der eserinisirte
CiUarmuskel in den dem Linsenäquator benachbarten Theilen
mehr Querschnitte als der Atropinmuskel. Der Muskel-
bauch ist nach vorn und innen verschoben. Ausdrück-
lich betont sei, dass dieses Verhalten durchweg in der
ganzen Serie der mittleren Schnitte beobachtet wurde, dass
es also nicht eine „zufälUge" Differenz zweier Schnitte ist
Man beachte die Aehnlichkeit des Atropinmuskels mit
dem sogenannten myopischen und die AehnHchkeit des
Eserinmuskels mit dem sogenannten hyperopischen Ciliar-
muskel (Iwanoff).
Es liegt auf der Hand, dass sich die geschilderten Ver-
hältnisse, zumal die Differenzen zwischen atropinisirtem und
eserinisirtem Muskel nur im Sinne der von v. Helmholtz
zuerst aufgestellten Accommodationsiheorie verstehen lassen.
Einiges Interesse dürfte noch Bild 5, Taf. I erwecken:
das Auge war eserinisirt und wurde sofort bei der Enu-
cleation durch einen Schnitt am Bulbusäquator eröffnet, so
dass etwas Glaskörper abfloss, es wurde also eine aus-
giebige Sclerotomia posterior gemacht. Der Effect ist sehr
interessant: die Linse ist nach hinten gerückt, die Iris ge-
Die Anatomie des accommodirten Auges. ^
fältelt und ebenfalls rückwärts verlagert. Der Ciliarmuskel
lässt nur noch wenig „Sagittal^^fasem, dafür aber um so
mehr rings- und schrägverlaufende Fasern erkennen, die
Form ist die eines extrem contrahirten Muskels, die Fon-
tana'schen Balken sind gespreizt, der Schlemm'sche Canal
klaffend weit, die zugehörige Skleralparthie nach dem Bul-
businnem zu prominent Diese interessante Gestaltsver-
änderung des Muskels darf indess nicht, wie man geneigt
sein könnte anzunehmen, als directe Eserinwirkung aufge-
fasst werden, denn das Experiment, mit einem Atropin-
muskel wiederholt, gab das gleiche Resultat Wie diese
Gestaltsveränderung des Ciliarrauskels zu erklären ist, bezw.
durch welche Kräfte sie im sklerotomirten Auge hervor-
gerufen wird, muss erst durch weitere Experimente unter-
sucht werden. Da der Skleralschnitt nicht gross war, son-
dern nur eben lang genug gemacht wurde, so dass ein
Theil Corpus austreten konnte, so kann der Einwand nicht
erhoben werden, dass durch den Schnitt etwa die Inser-
tion des Muskels am Aequator zum grossen Theil durch-
trennt und die Muskelmasse dadurch nach vorn zusammen-
geschoben sei.
Die günstige Wirkungder Sclerotomia posterior
bei gewissen Formen des Glaukoms dürfte dieses Bild
gut veranschaulichen, während die oben beschriebenen Ver-
änderungen den günstigen Einfluss der normalen^
bezw. der Eserinaccommodation auf dasselbe Leiden
zu demonstriren geeignet erscheinen.
Herrn Professor Hess danke ich vielmals für seine
freundhche Unterstützung bei den Versuchen sowie für das
kostbare Material.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. I.
Die Abbildungen sind nach Mikrophotogrammen angefertigt.
Znr Kenntniss der Homhautzellen des Menschen
und der Wirbel thiere').
Von
Dr. med. E. Ballowitz,
ausserord. Prof. der Anatomie und Prosector an der Universität
Greifswald.
Hierzu Tafel II und III.
Bei meinen Studien über Zellsphären und Central-
körper*) wurde ich darauf geführt, auch die Homhaut-
zellen der Wirbelthiere und des Menschen zu untersuchen.
Ich dachte mir, dass gerade diese Zellen ein sehr günsti-
ges Object für den Nachweis der Centralkörper im Ruhe-
zustande der Zelle sein müssten. Denn sie bilden stark
abgeplattete Elemente, welche mit ihrem dünnen, verästig-
*) Bezügliche Präparate wurden auf der XII. Versammlung der
anatomischen Gesellschaft in Kiel, 17.— 'zO. April 1898, demonstrirt
Siehe den Demonstrationsbericlit in den Verhandlungen der anato-
mischen Gesellschaft zu Kiel 1898. 'S. 267.
*) E. Ballowitz, lieber Sichelkerne und Riesensphären in
ruhenden Epithelzellen. Anatomischer Anzeiger. Bd. XIII. 1897.
Nr. 21/22. — Ueber Sichtbarkeit und Aussehen der ungefärbten Cen-
troBomen in ruhenden Gewebszellen. Zeitschr. für wissenschaftliche
Mikroskopie und für mikroskopische Technik. 1897. Bd. XIV. —
Notiz über die oberflächliche Lage der Centralkörper in Epithelien.
Anatomischer Anzeiger. Bd. XIV. 1898. Nr. 14. — Ueber Kernfor-
men und Sphären in den Epidermiszellen der Amphioxuslarven.
Anatomischer Anzeiger. Bd. XIV. 1898. Nr. 15. — Zur Kenntniss
der Zellsphäre. Eine Zellenstudie am Salpenepithel. Archiv für Ana-
tomie und Physiologie. Anat. Abtheilung. 1898.
Zur Eenntniss der Hornhautzellen des Menschen etc. g
ten Zellenleibe parallel den Oberflächen der Cornea zwischen
den Bindegewebslamellen in den Saftlücken ziemlich in
einer Ebene ausgebreitet sind. In Tangentialschnitten durch
die Hornhaut parallel ihren Flächen kann man daher die
fixen Zellen^) in ihrer ganzen Ausdehnung überbhcken
und ihre feinere Zusammensetzung in Folge der Dünnheit
ihres Protoplasmaleibes auf das genaueste feststellen.
Die Untersuchung bestätigte denn auch in der That
meine Voraussetzungen und lieferte mir in den fixen Horn-
hautzellen ein ganz prächtiges Object für die Demonstra-
tion der Centralkörper in einer jeden ruhenden Zelle. Diese
Thatsache dürfte auch für die Pathologie der Hornhaut
im Hinblick auf das hohe Interesse, welches die Ent-
zündungserscheinungen in der Cornea bei den pathologischen
Anatomen stets gefunden haben, von einigem Werthe sein.
Hierdurch wurde ich veranlasst, die Centralkörper und
ihr Verhalten zum Protoplasma und zum Kern in den
Hornhautzellen einem eingehenden Studium zu unterwerfen.
In der vorUegenden Abhandlung soll über die erhaltenen
Eesultate berichtet werden.
Bei der Untersuchung bediente ich mich der folgenden
Methoden. Kleine, dem frisch getödteten Thiere entnommene
Homhautstücke, bei den kleinen Thieren auch die ganzen
Hornhäute, wurden in concentrirter, wässeriger Lösung von
Sublimat oder Eisessigsublimat (fünf Theile Eisessig auf
100 Theile Sublimatlösung) fixirt; auch die Hermann'sche
und die Flemming'schen Lösungen kamen zur Anwendung.
Ganz hauptsächlich aber wurden die Sublimatlösungen be-
nutzt, welche sich vorzüglich bewährten. Nach der üblichen,
von schwachem zu starkem Procentgehalt allmählich an-
steigenden Alkoholhärtung und nach Jodbehandlung wur-
den die in Paraffin eingebetteten Stücke mikrotomirt, mit
*) Die Wanderzellen der Hornhaut bleiben in dieser Abhand-
lung unberücksichtigt.
10 £. Ballowitz.
destillirtem Wasser aufgeklebt und nach dem von M. Heiden -
h a i n ausgebildeten Eisenhaematoxylinverfahren gefärbt.
Dass die Schnitte besonders dünn angefertigt werden, ist
nicht erforderlich, vielmehr thut man gut, sie nicht zu dünu
zu machen, damit man die Zellen in ganzer Ausdehnung
erhält Ich wählte daher eine Schnittdicke von 10^. Bei
entsprechender Entfärbung der überfärbten Schnitte giebt
die fibrilläre Zwischensubstanz die Farbe fast ganz wieder
ab, so dass sie auch bei der angegebenen Schuittdicke
durchaus nicht stört. Ebenso enttärbt sich das Protoplasma
der Homhautzelleü und zwar derart, dass es in seiner
Hauptmasse meist eben noch augedeutet und zu erkennen
ist. Scharf gefärbt bleiben allein nur die Kerne, besonders
die Kernkörperchen, und die Centralkörper *). Nachfärbung
der Schnitte mit Eosin fand ich sehr vortheilhafb.
Die Figuren der beiden beigefügten Tafeln sind nach
derartigen Präparaten als einfache Contourzeichnungen der
Kerne und Mikrocentren gezeichnet, was zur Demonstration
der mitzutheilenden Befunde ausreicht Die Randbegren-
zung der Zellkerne soll aber nicht der Kemmembran ent-
sprechen, sie wäre dafür zu dick. Die Kernkörperchen
sind schwarz gehalten, ebenso die Centralkörper. Wo in
den Kernen keine Kernkörperchen angegeben sind, waren
die Kerne im Präparat noch zu intensiv gefärbt, so dass
die Kernkörperchen nicht unterschieden werden konnten.
Alle Figuren wurden nach den Zeiss' sehen homogenen
Immersionen, Apochr. 1,5 mm Apert 1,30 und Apochr.
2,0 mm Apert 1,40, Compensationsocular Nr. 12, unter
Anwendung concentrirter künstlicher Beleuchtung (Auer-
licht) gezeichnet Die Vergrösserung ist nicht bei allen
genau in dem gleichen Verhältniss gehalten, insbesondere
sind die Figuren 45 — 81 der Tafel II meistens im Ver-
hältniss etwas grösser ausgefallen als die übrigen.
') Bisweilen hatten sich die Hornhautner>'en streckenweise mit-
geßirbt.
Zur Kenntniss der Hornhautzellen deff Menschen etc. H
Als Studienobject wählte ich anfangs die Katze, weil
mir gerade von diesen Thieren eine grössere Anzahl zur
Verfügung stand. Bald dehnte ich meine Untersuchungen
aber auf zahlreiche Wirbelthiere aller Klassen (ausschliess-
lich der Amphibien) und auch auf den Menschen aus.
Ich bemerke ausdrückUch, dass von allen Species nur
ganz ausgewachsene, alte Thiere genommen wurden. Alle
mitzutheilenden Beobachtungen gelten nur für diese; Em-
bryonen und jugendliche Thiere (Kalb und Taube ausge-
nommen) wurden hier nicht berücksichtigt Eine Ausnahme
macht das menschliche Material insofern, als auch Horn-
häute von Neugeborenen zur Untersuchung kamen.
Selbstverständlich handelt es sich hier nur um ganz
normale Hornhäute.
Für die Schilderung meiner Befunde dürfte es wohl
das Zweckmässigste sein, wenn ich systematisch vorgehe
und die einzelnen Wirbelthierklassen gesondert behandle.
Mensch ^).
Vom Menschen konnte ich die unmittelbar nach der
Decapitation mit Rabl'scher Pikrinsäuresublimatlösung fixirte
Cornea eines in Güstrow in Mecklenburg im vorigen Jahre
Hingerichteten untersuchen, welche ich der Freundlichkeit
des Herrn Prof. Dr. Barfurth und des Herrn Privat-
docenten Dr. Reinke in Rostock verdanke*).
Ausserdem erhielt ich durch freundUche Vermittelung
des Herrn Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Pernice in
Greifswald und des Herrn Privatdocenten Dr. Gebhard
in Berlin eine Anzahl sogleich nach dem Tode mit Subli-
^) Präparate der menschlichen Cornea wurden am 26. Okt. 1898
im Greifswalder medicinischen Verein demonstrirt. Siehe die Vereins-
beilage der Deutschen medicinischen Wochenschrift 1898.
•) Die in toto fixirte Cornea war mit der Linse zunächst an
Herrn Prof. Dr. Rabl in Prag gesandt. Herr College Rabl hatte
die Liebenswürdigkeit, das Präparat nach der üblichen Alkoholhärtung
vorzüglich conservirt mir zuzuschicken.
12 • E. Ballowitz.
mat und Eisessigsublimat, sowie mit Flemming' scher
Lösung fixirter Hornhäute von Neugeborenen und Kindern
im Alter bis zu acht Tagen.
Berücksichtigen wir zuerst die Cornea des Erwachsenen!
Vgl. Kg. 1—40 auf Taf. IL
Sogleich in den ersten Präparaten fiel mir eine ausser-
ordentUche Polymorphie der Zellkerne auf.
ElUptische, ovale oder mehr kreisrunde Formen, wie
sie gewöhnUch fiu* die Kerne der Hornhautzellen angegeben
werden, sind recht selten. Durchaus vorherrschend sind
dagegen die unregelmässigen Formen. Die Kerne können
dreieckig oder viereckig sein, am häufigsten aber finden
sich die länghchen Formen; bisweilen sind sie zu langen,
schmalen, bandförmigen Gebilden (Fig. 17) ausgezogen.
An der Peripherie der Kerne I)efinden sich kleinere oder
grössere Ausbuchtungen, nicht selten in grösserer Anzahl,
so dass ganz bizaire Gestalten entstehen. Sichelförmige
und nierenförmige Kerne sind auch nicht selten. Die Ein-
buchtungen sind ebenso, wie die Vorsprünge und Kern-
enden, abgerundet; nur selten kommt ein mehr spitzer Kem-
vorsprung zur Beobachtung. Ein Blick auf die Figuren 1 — 40
der Tafel II illustrirt diese Kernpolymorphie am besten.
Im Uebrigen sind die Kerne, ebenso wie die Zellen
selbst, platt und dünn ausgewalzt, mit zwei bis vier, seltener
mehr, gewöhnlich ungleich grossen und etwas unregelmässig
geformten Kemkörperchen. Das Chromatingerüst des Kernes
ist sehr fein und dicht.
Die geschilderte Polymorphie der Kerne ist von den
normalen Histologen, wenn nicht übersehen, so doch wenig
beachtet worden. Jedenfalls ist sie nicht in dem Maasse
betont und hervorgehoben, wie sie es mit Rücksicht auf die
Pathologie der Hornhaut verdient.
So finden sich in den Lehr- und Handbüchern der
normalen Histologie von A. v. Kölliker, Stöhr, Böhm
und von Davidoff, Schenk und Anderen keine Angaben
Zur Kenntniss der Hornhautzellen des Menschen etc. 13
über die Form der Kerne der Homhautzellen, welche in
dem Lehrbuche der Gewebelehre von Toldt (1884, S. 588)
sogar als ,,eiförmig oder kreisrund'' bezeichnet wird.
A. Rollett (Stricker's Handbuch der Lehre von den Ge-
weben, Bd. II, 1872, 8. 1098) beschreibt die Homhaut-
zellen dagegen schon als „glashelle Platten mit ovalem,
länghchem oder unregelmässig eingebuchtetem einfachen
selten doppelten Kerne". Auch Schwalbe erwähnt in
seinem Lehrbuche der Anatomie der Sinnesorgane (1887,
S. 160), dass „der Kern verhältuissmässig gross, abgeplattet
und oft von unregelmässigem Umriss ist, nämlich mit Ein-
schnürungen oder Einbuchtungen versehen".
Die genaueste Schilderung der Kempolymorphie der
Homhautzellen vom Menschen habe ich in dem klassischen
Handbuch der Anatomie des Menschen von Henle, Bd. II,
Eingeweidelehre, S. 598, gefunden. Sie lautet: „Die Kerne
sind platt, scharf contourirt, von äusserst wechselnder Form,
rund, viereckig, keulen- oder biscuitförmig, die meisten je-
doch stark und nach verschiedenen Richtungen in die
Länge gezogen, bis 0,04 mm lang auf 0,005 bis 0,01 mm
Breite". Vgl. auch 1. c. auf S. 595 die Figiur 453, welche
die polymorphen Zellkeme in dem Fragment einer in Chrom-
Bäure erhärteten Cornea bei Flächenansicht darstellt
In jeder Horahautzelle befindet sich nun neben dem
Kern je ein Centralkörperpärchen; beide Centralkörper sind
durch eine Zwischensubstanz mit einander verbunden, so
dass hier eine typische Centrodesmose im Sinne von
M. Heidenhain*) besteht. Schon bei einer guten mittel-
starken Vergrösserung, z. B. Zeiss Apochr. 8,0 mm, Apert.
0,65 Compensationsocular Nr. 12, sind die Körperchen als
kleiner, schwarzer Punkt sehr gut sichtbar. Ist die Fär-
bung sehr intensiv, so lässt sich die Zwischensubstanz oft
') M. Heidenhain, Neue Untersuchungen über die Central-
körper und ihre Beziehungen zum Kern und Zellenprotoplasma.
Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 43. 1894.
14 E. Ballowitz.
nicht deutlich abgrenzen ; die ganze Bildung kann dann wohl
als einfacher Centralkörper imponiren. Bei richtiger Diffe-
renzirung sind die beiden Körperchen von der etwas weni-
ger gefärbten Zwischensubstanz aber stets gut zu unter-
scheiden. Wird das Präparat sehr stark entfärbt, so
schwindet die Tinction der Zwischensubstanz, die beiden
Centralkörper erscheinen dann isolirt gefärbt
M. Heidenhain ^) hat die Centralkörper und die sie
verbindende Zwischenmasse als „Mikrocentrum" der Zelle
bezeichnet, weil es ihm (bei den Leukocyten) gelungen ist,
eine Centrirung der Fadenmasse des Zellprotoplasmas gegen
diese Stelle hin nachzuweisen. Der BequemUchkeit halber
werde ich diesen Ausdruck bei meiner Schilderung der
Zellstructur mehrfach gebrauchen, betone aber ausdrück-
lich, dass ich in den Hornhautzellen eine Centrirung des
Morphoplasmas •) gegen dieses „Mikrocentrum" hin nicht
zu erkennen vermochte.
In erster Linie fesseln die Lage der Centralkörper
und ihr Verhalten zum Kern die Aufmerksamkeit. Sie
befinden sich stets im Zellprotoplasma ausserhalb des Kern-
bezirkes, so dass sie in Flächenansichten der Zelle, von
denen hier immer nur die Rede ist, neben den Kern zu
liegen kommen. Sie sind daher in dem aufgehellten, dünnen
Zellprotoplasma leicht aufizufinden. In gut gelungenen
Präparaten habe ich sie in keiner Zelle vermisst. Nur
einige höchst wenige, ganz vereinzelte Male habe ich sie
unter den vielen Tausenden von Zellen, welche ich unter-
suchte, im Kembezirk angetroffen, natürlich ausserhalb des
Kernes selbst, entweder oberhalb oder unterhalb desselben,
in der Nähe seiner Peripherie dicht an der Kemmembran.
*) Loc. cit.
•) Morplioplasma habe ich die geformte Substanz des Zellproto-
plasraas genannt, im Gegensatz zu dem Hyaloplasma, Vgl. Archiv
für Anatomie und Physiologie, anatomische Abtheilung, 1898, S. 140
und 141, Anmerkung.
Zur Kenntniss der Homhautzellen des Menschen etc. 15
Alsdann kann es, besonders bei noch intensiverer Färbung
des Kenies, schwer, wenn nicht unmöglich sein, sie in der
Zelle aufzufinden, da sie durch den Kern verdeckt werden.
Das ist aber, wie hervorgehoben, nur äusserst selten der Fall.
Ihre Lage mit Bezug auf den Kern wechselt nun sehr
und ist anscheinend ganz regellos. Die vereinigten Körper-
chen können in der Nähe des Kernes, selbst ganz dicht
am Kemrande, sitzen; letzteres ist aber selten. Sie können
sich dabei an den LÄngsseiten des Kernes an wechselnder
Stelle oder an den Kernenden oder in der Nähe der letz-
teren befinden. Sehr oft entfernen sie sich aber auch mehr
oder weniger weit vom Kern, so dass sie nicht selten um
die Länge des Querdurchmessers des Kenies, seltener noch
weiter, von dem Kenie abgerückt sind.
Höchst interessant ist das Verhalten der Centralkörper
zu den Einbuchtungen des Kernes.
Flemming*) hat zuerst an den Leukocyten von Sa-
lamandra gezeigt, dass, wenn der Kern eine Einbuchtung
besitzt, Mikrocentrum und Sphäre in diese hinein zu liegen
kommen. Besonders an halbmondförmigen Kernen fand
Flemraing die Centralkörper immer in der Bucht des
Halbmondes. Bei auseiuandergezogenen Kernen waren sie
in der Nähe der bald gröberen, bald feineren Verbindungs-
brücken zwischen den beiden Kemlappen zu finden.
Die Befunde von Flemming wurden von M. Heiden*
ha in*) für die Leukocyten der Säugethiere (Kaninchen)
bestätigt. Ausnahmen kamen allerdings vor.
Das Gleiche konnte ich als ganz typisches Verhalten
an den Zellen des Salpenepithels ') und den Epithelzellen
') W. Flemming, UeberTheilung und Kernformen bei Leuko-
cyten und über deren Attractionssphären. Arch. f. mikroskop. Ana-
tomie. Bd. 37. 1891. S. 284.
•) Loc. cit. S. 490 u. ff.
') Vergl. Archiv f. Anatomie u. Physiologie, anatomische Ab-
theilung. 1898. Taf. VIII— XI.
16 £. Ballovitz.
an der Hinterfläche der Cornea gewisser Wirbelthiere M
nachweisen.
Ganz andere Befunde erhielt ich nun bei den Horn-
hautzellen, eine Mahnung, wie sehr mau sich hüten muss,
an einzelnen Zellenarten gemachte Erfahrungen zu ver-
allgemeinern.
In den Homhautzellen ist nämHch die Lage der Cen-
tralkörper auch in Bezug auf die Kemeinbuchtuugen eine
ganz willkürliche und anscheinend regellose. Allerdings
wird das Mikrocentrum nicht selten in den Kemeinbuch-
tungen selbst angetroffen (Fig. 8, 25, 27, 28, 35, 37, 38)
und zwar innerhalb der Einbuchtung in centrischer Lage
(z. B. Fig. 37 und 38); häufiger aber liegt es eiccentrisch.
Das wird am auffälligsten an den ausgeprägten Nieren-
und Sichelformen. Noch häutiger aber werden die Central-
körper ganz ausserhalb der Kemeinbuchtung gefunden
(Fig. 7, 12, 13, 15, 16, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 26, 29,
30, 31, 32, 33, 36, 39), oft weit davon ab (z. B. Fig. 12)
oder sogar, bei Sichelkernen, an der convexen, der Kern-
einbuchtung entgegengesetzten Kemseite (z. B. Fig. 39).
Die beiden Centralkörper hegen gewöhnlich nebenein-
ander in der Ebene der Zellplatte, so dass man beide bei
derselben Einstellung scharf sichtbar erhält Seltener be-
finden sie sich in verschiedenen Ebenen zu einander oder
auch senkrecht über einander.
Von Wichtigkeit ist der Befund in zwei- (bis mehr)-
kernigen Homhautzellen, wie sie in normalen Hornhäuten
bisweilen zur Beobachtung kommen. Hier konnte ich im
Umkreise eines jeden Kernes stets ein Mikrocentrum nach-
weisen, so dass eine derartige Zelle ebenso viele Mikro-
centren als Kerne besitzt Vergleiclie Fig. 32, in welcher
ein Stück Zellenleib mit zwei Kernen und zwei Mikro-
centren dargestellt ist
^) Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft zu Kiel 1898.
S. 267.
Zur Eenntniss der Homhautzellen des Menschen etc. 1 7
Eine ähnliche Beobachtung hat K. W. Zimmermann^)
kürzlich in dem Epithel des Nierenbeckens vom Kaninchen
gemacht. Auch dieser Autor sah in einigen Zellen mit
zwei Kernen bestimmt zwei Centralkörperpaare, von denen
jedes der Lage nach je einem entsprechenden Kerne zu-
gehörte.
Untersucht man die Form des Mikrocentrums und
seiner Centralkörper näher, so ergeben sich mannigfache
Verschiedenheiten und bemerkenswerthe EigenthtimUchkeiten.
Oben wurde von mir hervorgehoben, dass das Mikro-
centrum von zwei Centralkörpem gebildet wird. Nur selten
schien noch ein drittes vorhanden zu sein, wie z. ß. in Fig. 11.
Die Form der Centralkörper glich meist kleinen, un-
regelmässig gestalteten, im Allgemeinen mehr rundUchen
Kömchen, von denen das eine oft deutUch etwas grösser
erschien als das andere. Auf diese Grössendifferenz der
beiden Centralkörper eines Mikrocentrums hat Flemming
bei den Leukocyten zuerst aufmerksam gemacht Beide
Kömchen lagen stets dicht aneinander, so dass nur wenig
Verbindungssubstanz erforderhch war, um die Centralkörper
zum Mikrocentrum zusammenzuschUessen. Die Verbindungs-
brücke spannte sich in der Weise zwischen den Kömchen
aus, dass das Ganze biscuitförmig, noch häufiger aber hantel-
oder börsenförmig aussah. Das nahe Aneinanderhegen mid
das Vorhandensein der Zwischensubstanz bedingen, dass es
oft recht schwierig ist, über die Form der Centralkörper
etwas Bestimmtes zu eruiren.
Sehr, oft vermochte ich festzustellen, dass die Central-
körper die Form kleiner, länghcher Schollen oder auch
Stäbchen annahmen. Dabei wurde oft eine Formdifferenz
zwischen den beiden Körperchen sehr auffallig, insofern.
') K.W. Zimmermann, Beitrftge zur Kenntniss einiger Drüsen
und Epithelien. Archiv f. mikroskop. Anatomie und Entwicklungs-
geschichte. Bd. 52. 1898. S. 672.
T. Graefe*! AicbiT Ar Ophthalmologie. XLIX. 1. 2
18 £. Ballowitz.
als das eine Körperchen etwas kürzer und dicker als das
andere erschien. Das längere Stäbchen stellte sich dabei
senkrecht auf die Mitte des kurzen ein, so dass das Mikro-
ceutrum das Aussehen eines winzigen Ausrufezeichens oder
auch eines Petschaftes erhielt Vgl. die Mikrocentren in
den Figuren 8, 14, 20, 24, 30, 31, 32 (links).
Die beiden Stäbchen konnten sich auch neben einander
legen (Fig. 15, 27, 32 (rechts), 37) oder unter einem Winkel
V-förmig zusammenstellen (Fig. 33).
An dem längeren Stäbchen oder an beiden erschienen
bisweilen die Enden verdickt (z. B. in Fig. 32 rechts).
Hierdurch können drei bis vier Centralkörper in einem
Mikrocentrum vorgetäuscht werden. Hierauf möchte ich
auch Bilder, wie in Fig. 14 und 16, zurückführen.
Die Verbindungslinie der beiden Centralkörper eines
Mikrocentrums ist in den Zellen ganz verschieden zum
Kern gerichtet, was mit meinen Befunden am Salpenepi-
thel in Uebereinstimmung steht. Der kürzere Centralkörper
kann dem Kern zu- oder abgewandt sein.
Eine eigentUche, gut ausgeprägte und von dem übrigen
Zellprotoplasma scharf abgesetzte, das Mikrocentrum ein-
schliessende Zellsphäre wurde in den Homhautzellen von
mir stets vermisst Des öfteren sah ich indessen in geringer
Entfernung von dem Mikrocentrum eine etwas hellere Zone,
welche nach aussen von einem unvollständigen Kreise sehr
feiner, kleinster Kömchen umgeben sein konnte. Dieser
Befund war indessen durchaus nicht constant; die Kömchen
habe ich deutlich auch nur wenige Male gesehen. Immer-
hin scheint diese Beobachtung darauf hinzuweisen, dass das
Mikrocentram auch bei den Homhautzellen vrahrscheinlich
in einer Zone modificirten Protoplasmas liegt. Das Gleiche
gilt für die von mir untersuchten Säugethiere.
Im Uebrigen habe ich in dem Zellprotoplasma selbst, wie
oben schon angedeutet, keine bemerkenswerthen Stmcturen
wahrnehmen können. Vor Allem habe ich in ihm keine
Zur Eenntniss der Hornhautzellen des Menschen etc. 19
Centrirung gegen das Mikrocentnim hin irgend wie mit
Sicherheit zu erkennen vermocht, was mit Bezug auf die
von mehreren Autoren behauptete, auf Reiz in die Er-
scheinung tretende Contractilität der Hornhautzellen her-
Yorzuheben ist Dass eine Centrirung bestehen kanu, wird
durch diesen negativen Befund natürhch nicht absolut aus-
geschlossen. In meinen Präparaten erschien das Morpho-
plasma der Zellen stets in der Form eines sehr feinen,
zarten, feinstmaschigen Mitoplasmas.
In den Hornhäuten der Neugeborenen und Kinder
erhielt ich im Wesentlichen den gleichen Befund (Fig.
41 — 44 der Tafel II). Nur war hier die Polymorphie der
Kerne noch nicht so ausgesprochen. Ovale, elliptische oder
auch im Umriss mehr rundhche Kerne herrschten vor;
unter den unregelmässigen waren die länglichen am häufigsten.
Auch bot das Mikrocentrum weniger Abweichungen
dar, es erschien gewöhnhch von Hantel- oder Biscuitform
und auch etwas kleiner als bei dem Erwachsenen. Die
Form der Centralkörper schien regelmässiger zu sein, sie
machten mehr den Eindruck von rundhchen Gebilden.
Säugethiere.
Von Säugethieren untersuchte ich Katze, Hund, Stein-
marder, Pferd, Schwein, Hammel, Kalb, Kaninchen und
Eichkätzchen. Von der Katze wurde eine ganze Anzahl
von Individuen benutzt.
Bei allen Säugern fand ich ziemlich dieselben Ver-
hältnisse, wie sie oben vom erwachsenen Menschen ge-
schildert wurden. Das gilt vor allem in Bezug auf die
Zusammensetzung des Mikrocentrums, seine Lage im Proto-
plasma und sein Lageverhältniss zum Kern, wie ein Blick
auf die Figuren 45—81 (Katze), 82 (Hammel) und 83—86
(Steinmarder) am besten zeigt.
Die Polymorphie der platten, dünnen Kerne war über-
2*
20 £• Ballowitz.
all ausgesprochen, bei manchen Arten mehr, bei anderen
etwas weniger. So wurden in der Cornea des Pferdes die
ganz regelmässig ovalen und elliptischen Kerne häufiger
gefunden als bei den anderen Säugern. Die Figuren 45—85
zeigen eine beliebige Auswahl dieser oft recht bizarren
Formen, die sich unschwer vergrössem liesse. Die läng-
lichen, bandartigen Kerne konnten leicht spirahg gedreht
sein. Besonders hinweisen möchte ich noch auf Kerne, wie
sie in Fig. 71, 77 (Katze) und 82 (Hammel) dargestellt sind.
Diese Kerne erscheinen durch einen tiefen Einschnitt in
zwei Lappen getrennt, die nur durch eine schmale Ver-
bindungsbrücke zusammenhängen. In Fig. 71 und 77 liegt
das Mikrocentrum ausserhalb der Einbuchtung und weit ab
von ihr. In Fig. 82 befindet es sich in derselben, aber ex-
centrisch. Ob hier, besonders in Fig. 77, eine amitotische
Kernzerschnürung im Gange war, lasse ich dahin gestellt
Ich möchte nur hervorheben, dass ich bei meinen ausgedehnten
Untersuchungen an normalen, gesunden Hornhäuten in den
fixen Homhautzellen niemals karyokinetische Kemtheilungs-
figuren angetroffen habe, während man zwei ruhende Kerne
in einer Hornhautzelle nicht gar zu selten findet
In Bezug auf die Form der Centralkörper gilt das-
selbe, was oben von der Cornea des erwachsenen Menschen
berichtet wurde. Die Stäbchenform der Centralkörper und
petschafbartigen Mikrocentren wurden bei den einen häufiger,
bei anderen Arten seltener gefunden. Am regelmässigsten traf
ich sie in der Cornea des Steinmarders an (Fig. 83 und 84).
In Fig. 86 habe ich unter a— f eine Anzahl von ver-
schiedenen Mikrocentren aus sechs Zellen dieses Raubthieres
isolirt dargestellt Bisweilen sah ich von dem freien Ende
des längeren Centralkörpers eines petschaftförmigen Mikro-
centrums ein feines, kurzes, nicht leicht wahrnehmbares, im
Protoplasma sich verlierendes Fädchen ausgehen (Fig. 86 a)
wie es ähnlich von K. W. Zimmermann*) am Mikrocentnim
*) Loc. cit
Zur Kemitniss der Homhantzellen des Menschen etc. 21
der Epithelzellen in der Schilddrüse des Menschen, in den
Ansführungsgängen des menschlichen Pankreas und besonders
in der Kaninchenniere als „Innenfaden'' beschrieben ist
Auch bei den Säugethieren sah ich nur selten eine
Sphäre angedeutet (vgl. oben).
Centralkörper von der Form kleiner Stäbchen sind
kürzlich auch von K. W. Zimmermann^) in gewissen
Epithelzellen des Menschen und der Säugethiere gefunden
worden. Der genannte Autor beobachtete sie besonders im
Epithel des menschlichen Ureters, des Nierenbeckens des
Kaninchens und der Thränendrüse des Menschen. Die
Stäbchen, welche auch „in Folge Verdickung ihrer Enden
vielfach angedeutet hanteiförmig'' erschienen, sind hier, nach
den Abbildungen zu urtheilen, ziemlich gleich gross, bilden
stets einen, wenn auch variablen Winkel mit einander und
lassen eine Centrodesmose vermissen. Die Stäbchenlänge
betrug etwa das Drei- oder Vierfache der Stäbchenbreite.
Hierher gehört auch die Beobachtung von Meves"), wel-
cher im Lepidopterenhoden V-förmige Mikrocentren nach-
gewiesen hat
VögeL
Aus dieser Wirbelthierklasse wurden von mir unter-
sucht: Haushahn, Haustaube, Buchfink (Fringilla caelebs L.),
Waldschnepfe (Scolopax rusticola L.), Sturmmöve (Larus
canus L.), Zwergseeschwalbe (Stema minuta L.).
Die Cornea vieler Vögel ist bekanntlich sehr dünn und
zellenarm. Die Zellen befinden sich gewöhnlich nur zwischen
den vorderen und hinteren Lamellenlagen. Das gilt unter
den von mir untersuchten Vögeln für den Buchfinken, die
Waldschnepfe, Larus und Stema.
Die Zellkerne sind kleiner als bei den Säugern, ebenso
das Mikrocentrum.
*) Loa cit
*) Meves, Ueber Centralkörper in männlichen Geschlechtszellen
von Schmetterlingen. Anatom. Anzeiger. 1897. Bd. XIV. Nr. 1.
22 ^' Ballowitz.
Wie bei deu Säugern, waren die Kerne bei allen von
mir untersuchten Species poljrmoiph. Vgl. Fig. 87 bis 90
vom Buchfinken.
Besonderes Interesse boten die Homhautzellen von
jungen, eben flügge gewordenen Tauben. Euer besitzen die
Kerne nicht selten einen Eindruck, welcher sich derart ver-
tiefen kann, dass ein Loch in der Substanz des Kernes
entsteht Hieraus resultiren typische Lochkeme mit je einem
Loch. Das letztere ist am häufigsten nur klein und liegt
centrisch oder auch excentrisch. Nicht selten wird das
Loch ziemlich gross, so dass daraus ausgeprägte, mehr oder
weniger unregelmässige Ringkeme hervorgehen. Diese Loch-
und Ringkeme sind durchaus nicht selten, man sieht bis-
weilen bei mittelstarken Vergrösserungen im Gesichtsfelde
mehrere gleichzeitig. Li Fig. 91 — 98 habe ich eine kleine
Auswahl dieser Formen dargestellt*).
In einer jeden Zelle der Vogelhornhaut trefien wir
nun wieder neben dem Kern ein Mikrocentrum, welches
sich aus zwei in Centrodesraose befindlichen, dicht neben
einander liegenden Centralkörpem zusammensetzt und Biscuit-
oder Hantelform zeigt. Bei der Kleinheit dieser Central-
körper lässt sich über ihre Form nicht viel Bestimmtes
aussagen, sie machen den Eindruck unregelmässiger kleiner
Kügelchen.
Hinsichtlich der Lage des Mikrocentiiiras und seines
Lageverhältnisses zum Kern erhielt ich dieselben Befunde,
wie bei den Säugern.
In den Zellen mit Loch- und Ringkernen bei der
Haustaube war ich sehr überrascht, das Mikrocentrum nie-
mals in dem Keniloch oder dem Ringlumen anzutrefien.
^) Vgl. E. Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und
Vermehnmg. Biologisches Centralblatt. 1898. Bd. XVIII. Nr. 8.
In der Aufzählung der bis jetzt in den verschiedenen Geweben der
Thiere beobachteten Kingkern formen ist dieser in der Hornhaut der
Tauben nachträglich gemachte Befund nachzutragen.
Zur Kenntniss der Homhaiitzellen des Menschen etc. 23
Vielmehr befanden sich die Oentralkörperchen stets ausser-
halb desselben in geringerer oder grösserer Entfemong von
der äusseren Kemperipherie. Dieses Verhalten ist um so
auffälliger, als ich an dem Salpenepithel ^) in den dort
häufigen Bingkemen das Mikrocentrum stets innerhalb des
Binglumens gefunden habe; das letztere wurde hier von der
grossen Zellsphäre mit ihren Centralkörpem sogar ganz
ausgefüllt. Das Gleiche fand ich auch im Epithel der
A mphioxuslarven.
Reptilien.
Von ReptiUen konnte ich frisch fixirte Hornhäute der
Sumpfschildkröte (Emys lutaria MarsiK) berücksichtigen.
Vgl. Rg. 99—101 auf Taf. m.
In allen Zellen wurde neben dem polymorphen Kern
je ein Mikrocentrum gefunden, welches wiederum von zwei
in Centrodesmose befindlichen kleinen Centralkörperchen
gebildet wurde. Die Lage des Mikrocentrums war in Be-
zug auf den Kern, wie bei den Säugethieren, anscheinend
ganz regellos.
Fische.
In den Hornhäuten der von mir untersuchten Knochen-
fische, Abramis blicca Ag. und Leuciscus rutilus L., waren die
Zellen sehr reichlich, ihre Zellkerne verhältnissmässig klein.
Die Form der Kerae erschien nicht ganz so vielgestaltig,
wie bei den Säugern, längliche und abgerundete Formen
herrschten vor. Im Kern befand sich gewöhnlich ein grosses,
etwas unregelmässiges Kernkörperchen, seltener zwei bis drei.
In gut gelimgenen Präparaten Hess sich auch hier in
jeder Zelle ein Centralkörperpärchen nachweisen, welches
mit der verbindenden Substanz ein kleines IVIikrocentrum
bildete. Die rundlichen, kleinen Centralkörperchen Hessen
sie meist deutHch abgrenzen; das eine schien nicht selten
etwas grösser zu sein als das andere. Ihre Lage war
*) Loc. cit, vgl. Taf. VIII— X. Siehe auch Biolog.Centralbl. loc. cit.
24 ^' Ballowitz.
auch bei den Fischen sehr variabel, bisweilen konnten
sich die Centralkörper ziemlich weit vom Kem entfernen
(Fig. 102 und 103).
Aus der obigen vergleichenden Untersuchung geht her-
vor, dass bei dem Menschen und allen Wirbelthieren in
einer jeden Homhautzelle ein Mikrocentrum liegt, welches
sich fast immer aus zwei in Centrodesmose befindlichen
Centralkörpem zusammensetzt. Ihr Nachweis gelingt bei
den einen Thieren leichter, bei anderen schwieriger. Die
besten Demonstrationsobjecte lieferten mir die Cornea des
Menschen und der Säugethiere. Hier konnte nicht selten
eine Stabchenform der Centralkörper und eine ausgespro-
chene Form- und Grössendüferenz der beiden Centralkörper
eines Mikrocentrums deutUch erkannt werden. Auch die
Form des ganzen Mikrocentrums diflFerirte hier.
Eine Sphäre konnte bei dem Menschen und den Säuge-
thieren höchstens nur in Andeutungen wahrgenommen
werden. Eine Centrirung des Morphoplasmas gegen das
Mikrocentrum hin war nicht zu erkennen.
Die Polymorphie der Kerne bestand in der Hornhaut
erwachsener Exemplare bei allen Wirbelthieren, bei den
einen mehr, bei den anderen weniger ausgesprochen. Am
auffälligsten wurde sie bei dem Menschen (Erwachsener),
den Säugethieren und Vögeln. Ringkeme kamen nur bei
den letzteren zur Beobachtung.
Die Lage des Mikrocentrums zum Kerne war bei allen
Wirbelthieren eine sehr wechselnde und anscheinend regel-
lose. Vor allem erschien sie nicht an die Einbuchtungen
des Kernes, resp. bei den Bingkernen an das Einglumen
gebunden.
Die mitgetheilten Befunde involviren erhebliche Unter-
schiede des feineren Baues der Hornhautzellen von dem
der Leukocyten, wie der letztere durch die Untersuchungen
von Flemming und M. Heidenhain festgestellt ist Diese
Zur KenntniBS der Homhautzellen des Menschen etc. 25
Antoren fanden in dem Protoplasma der Leukocyten (Säuge-
thiere und Amphibien) auch stets ein von zwei, seltener
mehr, in Centrodesmose befindlichen Centralkörpem ge-
bildetes Mikrocentnim, welches aber stets von einer deut-
lichen, relativ grossen Sphäre umgeben ist; die letztere wird
durch ein van Beneden'sches Eömerstratum vom Zell-
protoplasma abgegrenzt Das Morphoplasma selbst ist gegen
die Sphäre und in derselben gegen das Mikrocentrum hin
radiär centrirt Auch hegt nach den genannten Autoren
das Mikrocentrum in den Leukocyten gewöhnlich in den
Kemeinbuchtungen, resp. in oder an dem Binglumen der bei
den Leukocyten in noch höherem Grade polymorphen Kerne.
Diese Structuren sind allerdings in den Leukocyten
der Amphibien (Salamandra) erhebUch deutlicher, als bei
den Säugern. M. Heidenhain*) sagt hierüber: „Auch
beim Kaninchen wird das van Beneden 'sehe Mikrosomen-
stratum ab und zu einmal sichtbar. Freilich an den
Biondi 'sehen Präparaten wird man sich bei den Lymph-
zellen eines Säugers schwer von seiner Gegenwart über-
zeugen können; dagegen haben die Eisenfärbungen die
Eigenthümlichkeit, dass sie in einer Minderzahl von Fällen
(namentlich an unterdiflferenzirten Schnitten) an der Grenze
der Sphäre bald ein, bald zwei oder auch mehrere van
Seneden'sche Mikrosomen in intensiver Schwärzung oder
Bräunung aufweisen. Von der internen Strahlung der
Sphäre war bei Säugethierleukocyten in den meisten Fällen
nichts zu sehen. Die Sphäre hebt sich hier aber gewöhn-
lich bei den mit Protoplasmafarbstoffeu behandelten Ob-
jecten als ein dunkleres Scheibchen von ihrer Umgebimg
ab, auch ohne diese stärkere Färbung ist übrigens ihre Ab-
grenzung gegen das Zellenprotoplasma hin oft zu sehen'^
Weitere Untersuchungen mögen lehren, ob diese Unter-
schiede der Hornhautzellen von den Leukocyten praktisch
verwerthbar sind, um bei dem Studium der Entzündungs-
*) Loc cit S. 497.
26 £• Ballowitz, Zur Kenntniss der Homhautzellea des Menschen etc.
Vorgänge in der Cornea Yielleicht die beiden Zellenarten
mehr, als bisher möglich war, auseinander halten zu können,
was für die Klarstellung der so auseinander gehenden An-
sichten über die intimeren Vorgänge der Zellvermehrung
und Zelleinwanderung in der gereizten Hornhaut gewiss
von Werth sein würde.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. II und III,
Fig. 1—103.
Vorbemerkung.
Alle Figuren stellen Contourzeichnungen der Kerne von Horn-
hautzellen dar, in deren Umgebung die Mikrocentren in ihrem Lage-
verhältniss zum Kern angegeben sind. Kftm körperchen und Central-
körper sind schwarz gehalten. Die Randbegrenzung der Zellkerne
soll nicht die Kernmembran bedeuten, dafür wäre sie zu dick. Die
Figuren wurden nach den Z ei ss 'sehen homogenen Immersionen,
Apochr. 1,5 mm, Apert. 1,30, und Apochr. 2,0 mm, Apert. 1,40, Com -
pensationsocular Nr. 12, unter Anwendung concentrirter künstlicher
Beleuchtung (Auerlicht) gezeichnet, jedoch ist die Vergrösserung nicht
bei allen in genau gleicliem Vcrhältniss gehalten, insbesondere sind
die Figuren 45 — 81 auf Taf. II im Verhältniss meistens etwas grösser
als die übrigen gehalten. Alle Abbildungen dienen zur Erläuterung der
verschiedenen Kernformen, der verschiedenen Form und Grösse derCen-
tralkörper, der verschiedenen Foiin, Grösse und Lage der Mikrocentren.
Tafel IL
Fig. 1 — 40. Aus der Cornea vom erwachsenen Menschen (Hingerichteter).
In Fig. 8, 14. 20, 23, 24, 30, 31, 32 (links) ausgesprochene Pet-
schaflform des Mikrocentrums.
Fig. 32. Zwei Kerne und zwei Mikrocentren in einer Zelle.
Fig. 41 — 44. Aus der Cornea von Neugeborenen.
Tafel in.
Fig. 45 — 81. Aus der Cornea erwachsener Katzen.
Fig. 82. Aus der Cornea vom Hammel.
Fig. 83—86. Aus der Cornea vom Steinmarder (Mustela foina Briss),
erwachsenes Weibchen. In Fig. 83—84 Petschaftform des Mikro-
centrum.
Fig. 86 a—f. Sechs isolirt gezeichnete Mikrocentren aus sechs Zellen,
um die verschiedene Form der Centralkörper und der Mikrocentren
zu zeigen. In a ist der längere Centralkörper mit einem feinen,
fadenartigen Fortsatz versehen
Fig. 87 — 90. Aus der Cornea erwachsener Buchfinken (Fring. caelebsL ).
Fig. 91—98. Aus der Cornea eben ^xx^^e gewordener Haustauben.
Loch- und Ringkerne; das Mikrocentrum stets ausserhalb des Loches
und Ringlumens.
Fig. 99—101. Aus der Cornea einer erwachsenen Emys lutariaMarsili.
Fig. 102 — 103. Aus der Cornea erwachsener Blicken ( Abramis bliccaAg).
Untersuchungen über das speciflsche Gewicht
des Kammerwassers.
Von
Dr. S. S. Golowin,
Privatdocenten der Augenheilkunde und I. Assistenten an der
Universitäts-Augenkiinik zu Moskau.
Mit 1 Figur im Text.
Die Vorderkammer de8 Auges und die Vorgänge in
derselben haben schon längst die Aufmerksamkeit der
Forscher erregt; das Interesse für dieses Gebiet hat auch
in unserer Zeit nicht nachgelassen, wie eine ganze Reihe
neuerdings erschienener gründlicher Arbeiten beweist, welche
die Diffusion in der Vorderkammer und die Secretion und
Filtration des Kammer wassers u. s. w. behandeln. (Leber,
Nikati, Bellarminow, Dolganow, Bentzen, Nies-
namow u. A.). Die Menge der Bearbeitungen findet ihre
Berechtigung darin, dass wir von der Erforschung der
Kammer und ihres Inhalts nicht nur theoretisches Wissen,
sondern auch die Erklärung pathologischer Processe, z. B.
des Glaukoms, zu erwarten haben.
Es finden sich aber auf diesem Gebiet noch Details,
welche bis jetzt noch nicht die Aufmerksamkeit auf sich
gezogen haben. Hierher gehört unter anderem auch das
specifische Gewicht des Kammerwassers.
Man kann natürlich nicht darauf rechnen, dass die
Untersuchungen über diese Frage sogleich zu praktischen
Resultaten führen; dafür ist es aber erlaubt zu hoffen, dass
28 S- S. Golowin.
die Schwankungen des specifischen Gewichtes einigermassen
als Zeugen des Stoffwechsels im Auge dienen können. In
jedem Falle sind unsere Kenntnisse von den möglichen
Veränderungen der Concentration des Humor aqueus zu
gering und bilden eine Lücke in der Physiologie und Patho-
logie der Vorderkammer.
Diese Gründe haben mich bewogen, mich mit der Fest-
stellung des specifischen Gewichtes des Eammerwassers in
den Augen verschiedener Thiere, sowohl unter normalen,
wie auch unter pathologischen Bedingungen zu beschäftigen.
In der mir zugänglichen Literatur habe ich keine Ar-*
beit gefunden, die sich spedell mit dieser Frage beschäftigt
Einzelne Bestimmungen des specifischen Gewichtes sind von
einigen Autoren sozusagen im Vorübergehen, bei Unter-
suchungen der chemischen Zusammensetzung des Kammer-
wassers, gemacht worden. Ich begnüge mich mit der Hin-
weisung auf die neueste Forschung, in welcher zugleich
auch ältere Bestimmungen benutzt sind.
In der Arbeit von Prof. Michel und Dr. Wagner*)
sind ' einige Data, welche wir hier in folgender Ordnung
gegenüberstellen:
Das specifische Gewicht des Kammerwassers:
des Ochsen = 1,0038 (Chenevix),
1,0076 — 1,0086 (die Autoren),
des Kalbes = 1,0030 (Lohmeyer),
1,0030 — 1,0070 (Kletzinsky),
1,0090 (Cahn),
des Schweines = 1,0058 — 1,0084 (die Autoren),
des Schafes = 1,0090 (Chenevix),
des Menschen = 1,0053 (Chenevix).
*) Physiologisch-chemische Untersuchungen des Auges, v. Graefe's
Arch. f. Ophthalm. Bd. XXXU. 2. (1886.) S. 168-169.
Untersachungen fiber das specifische Gewicht des Kammerwassers. 29
Hieraus kann man ersehen, dass die normalen Schwan-
kungen des specifischen Gewichtes sich in ziemUch weiten
Grenzen bewegen. Hierüber bemerken die Autoren: „Die
Schwankungen in dem specifischen Gewichte scheinen
grösstentheib von der Zeit abzuhängen, in welcher das
Auge post mortem oder nach Entfernung aus dem Körper
untersucht wurde'*; gleich hernach weisen die Autoren auf
die Bestimmungen Kletzinskys hin, die eine allmähhge
Erhöhung des specifischen Gewichts in dem Zeiträume von
4—48 Stunden nach dem Tode fesstellen. In der Folge
müssen wir nochmals zu dieser Frage zurückkehren, jetzt
nur die Bemerkung, dass die eben angeführte Bemerkung
uns das Becht giebt anzunehmen, dass die Umstände, bei
denen diese Untersuchungen vorgenommen wurden, nicht
normal waren: das Kammerwasser wurde nur nach dem
Tode des Thieres oder nach der Entfernung des
Auges entnommen.
In den Handbüchern und Monographieen trifft man
noch kürzer gefasste Bemerkungen; so ist z. B. bei
0. Hammarsten^) gesagt, dass das Kammerwasser (es
ist nicht angegeben von welchem Thiere) ein specifisches
Gewicht von 1,003 bis 1,009 hat; nach H. Vierordt*) ist
das specifische Gewicht des Kammerwassers des Menschen
= 1,0052. Ebenso bringt 0. Becker') nichts neues zur
Kenntniss.
Es ist mir nicht bekannt, auf welche Weise diese
Berechnungen gemacht worden sind. Möglich, dass einige
Autoren die nöthige Quantität des Kammerwassers aus
mehreren Augen entnommen haben: bekanntUch verfahren
^) Lehrbuch der physiologischen Chemie. 3. (deutsche) Auflage.
1895. S. 171.
*) Anatomische, physiologische und physikalische Daten und
Tabellen. 2. Aufl. 1893. S. 38.
') Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse. (Wiesbaden
1883. Chemismus des Glaskörpers und Kammerwassers, S. 103.)
30 S. S. Golowin.
die physiologischen Chemiker in dieser Weise, wenn sie
von einem Thiere die zu untersuchende Flüssigkeit nicht in
genügender Quantität bekommen können'). Meine Aufgabe
war es, das specifische Gewicht des Humor aqueus von
einem und demselben Auge zu bestimmen, und dazu musste
man eine möglichst einfache aber zugleich vollkommen ge-
naue Methode wählen. Ich benutzte mehrere bekannte
Methoden für die Bestimmung des specifischen Gewichtes
von Flüssigkeiten, die man nicht in grösseren QuantilÄten
erhalten kann.
Die von mir angewendeten Methoden sind folgende:
1. Die Methode von Ch. Roy, die er zur Bestimmung des
specifischen Gewichtes des Blutes anw^endete, 2. die von
Hammerschlag*), welche auf eine gleiche Idee basirt
ist; 3. die von B. Schmaltz^), welche in der Wägung
eines Tropfens Blut in einer Glasröhre, dem sogenannten
„Capillarpycnometer", besteht; 4. die von Tschasownikow*),
der für die Bestimmung des specifischen Gewichtes der
Hexenmilch sich des Pycnometers mit einem capillaren
Canal in dem Tropfen bediente.
Die Vorversuche zur Bestimmung des specifischen Ge-
wichtes von Kochsalzlösungen nach Hammerschlag miss-
langen mir. Die Tropfen der Lösung zerstäubten oder
Wieben an den Wänden oder dem Boden des Gefasses
hängen, — in solchen Fällen war die Bestimmung des spe-
cifischen Gewichtes, wie es auch der Autor selbst eingesteht,
unmöglich.
Das Capillaq^ycnometer von Schmaltz ist sehr unbe-
^) In den Analysen C. Lohmeyer' s (Zeitschr. f. ration. Med.,
N. F.. Bd. V) findet man z B. Mengen des Kammerwassers von mehr
als 9,0 angegeben.
«) Zeitschr. f. klin. Medicin. 1892. Bd. 20. S. 444.
«) Deutsches Arch. f. klinische Medicin. Bd. 47. (1890—1891.
S. 145).
*) Die Acta des physiolog. Instituts der kaiserl. Universität zu
Moskau. Bd. V. H. 1. S. 46. 1896. (Russisch.)
Untersuchangen über das spedfische Gewicht des Kammerwassers. 31
quem, besonders was das Beinigen anbetrifft, darum muss
man öfters neue Instrumente in Gebrauch nehmen; dieser
Umstand nimmt den Wiederholungen der Versuche die
Identität der Bedingungen.
Das Pycnometer mit einem Kanal im Pfropfen, welches
Tschasownikow benutzte ^ giebt, ohne von andern Un-
bequemlichkeiten zu reden, einen merklichen Gewichtsver-
lust durch Verdunstung; ich constatirte im Verlaufe einer
Stunde einen Verlust von 0,0040 — 0,0045 gr. Die Unter-
suchung konnte daher mit dieser Methode vor zufälligen
Irrthüniem nicht sicher gestellt werden.
II.
Die Bekanntschaft mit den oben genannten Methoden
nöthigte mich zuletzt, mich für den Typus des einfachen
Pycnometers zu entschliessen ; nur musste ich
einen für meine Zwecke dienlichen Apparat her-
stellen lassen.
Die Firma Alvergniat*) fertigte auf meine
Bestellung einige solche Pycnometer, deren ich
mich bei meinen Untersuchungen bediente.
Jedes derselben stellt ein kugelförmiges FläBch-
chen ans festem klarem Glase dar; die Kugel geht
in einen langen Hals über, welcher mit einer coni-
schen Erweiterung endet, deren Oeffiiung durch einen
sorgfältig eingepassten gläsernen Stöpsel geschlossen
wird. Am Halse befindet sich ein feiner, genau aus-
geführter Strich. Das Volumen bis zum Strich und folglich
auch die äussere Grösse der Kugel ist bei verschiedenen
Pycnometem verschieden. Welche Grösse die hand-
lichste ist, darauf werde ich später zurückkommen; in ^^^^^^'
dem kleinsten war das Volumen ungefähr 0,15ccm« Die
obere Erweiterung des Halses ist so lang, dass man das Pyc-
nometer während der Arbeit daran fassen kann. Die innere
^) Maison Alvergniat-firöres (V. Ghabaut, succ), Paris, 10,
nie de la Sorbonne.
32 S. S. Golowin.
Fläche der Em^eitening geht allmählich in den Hals über,
damit die Rüssigkeit ohne Hindemiss herabfliessen kann. Die
Weite des Canals des Halses beträgt ungefähr 1 V* — 1 */i mm.
Ein engerer Canal wäre unbequem zum Reinigen und Anfüllen,
und dann würde sich die Capillarattraction zu sehr äussern. Dieser
Canal wird von regelmässigen gradlinigen Wänden gebildet
Die Technik der Anwendung dieses Pycnometers zerfällt in
folgende Theile:
1. Die Vorbereitung und Reinigung des Pycno-
meters. Die innere Fläche muss sorgfältig ausgewaschen und
dann getrocknet werden. Da die Flüssigkeit nicht von selbst
durch den engen Canal des Halses drmgen kann, so ist das
einfachste zum Auswaschen , sich einer gläsernen Pipette mit
einer langgestreckten , fast capillaren Spitze zu bedienen; die
Spitze muss so fein sein, dass sie bis auf den Grund des Pycno-
meters dringen kann. Mit Hilfe solcher Pipetten wäscht man
den Apparat nach einander mit destiliirtem Wasser, absolutem
Alkohol und Aether. Um diesen letzteren zu entfernen, kann
man das Pycnometer einer Hitze von 100^ aussetzen, oder —
w^as einfacher ist — man wendet eine Wasserpumpe an. Das
constante Gewicht, als Resultat zweier Wägungen, muss zeigen,
dass der Apparat vollkommen befriedigend getrocknet ist.
2. Die Füllung des Pycnometers mit der zu unter-
suchenden Flüssigkeit Das Kammerwasser, welches man in
die Spritze gesammelt hat, muss man sogleich und durch dieselbe
Nadel in das Pycnometer entleeren. Am besten ist es, Spritzen
solchen Systems zu benutzen, bei dem der aufsaugende Tbeil
des Apparates (z, B. der Pumpenstengel) von dem Cylinder ab-
gesondert ist, wodurch die Möglichkeit einer Verunreinigung der
Flüssigkeit durch den Pumpenkolben ausgeschlossen ist (Die
Spritzen von Stroschein, Koch u. A.) Dieser Cylinder muss
ebenso wie das Pycnometer jedes Mal ausgespült und getrocknet
werden. Das Pycnometer wird mit der zu untersuchenden Flüssig-
keit so weit gefüllt, dass dieselbe 2 — 3 mm über dem Strich
steht, dann wird die Innenseite des Halses rasch ausgewischt
und das Pycnometer mit dem Stöpsel geschlossen. Zum Aus-
wischen dienen Stückchen von Blumenpapier, die man zu dünnen
Stäbchen zusammengedreht hat. Dann untersucht man den Ap-
parat durch die Loupe und entfernt etwaige in der Flüssigkeit
vorhandene Luftbläschen durch vorsichtiges Klopfen an die Kugel.
Dann schreitet man zur Bestimmung des Volumens der Flüssig-
keit bei beständiger Temperatur, am besten bei 0^: man fasst
Untei'suchungen ober das specifische Gewicht des Kammerwassers. 33
das Pycnometer am Hals und versenkt es bis zum Strich in ein
Gefäfls mit schmelzendem Schnee oder Eis, wo es '/^ Stunde
bleiben muss. Dann öffnet man vorsichtig den Stöpsel, entfernt
die tiberstehende Flüssigkeit, — wozu man sich einer feinen
Pipette bedient, — und stellt unter Gontrole der Loupe den
Rand des Meniscus auf den Strich ein; dann wischt man noch-
mals die Innenfläche des Halses mit dem Papierstäbchen aus.
Nachdem man den Stöpsel festgeschlossen hat, nimmt man das
Pjcnometer aus dem Schnee, spült es von aussen mit destillirtem
Wasser und trocknet es mit gutem (nicht faserndem) Filtrir-
papier und legt es auf die Waage, wobei man es nicht mit den
Fingern, sondern mit einer Pincette fasst.
3. Die Wägung muss sehr sorgfältig ausgeführt werden,
mit allen Yorsichtsmaassregeln, die für solche Arbeiten gebräuch-
lich sind: man lässt das Pycnometer einige Minuten unter der
Glasglocke der Waage zui' Regulirung der Temperatur; vor
jeder Wägung muss man die Schwingungen des Waage-
baiken regutiren, immer ein und dieselben Gewichte benutzen
u. s. w. Die Waage muss so genau sein, dass man 0,1 mgr fest-
stellen kann').
Zur Feststellung des specifischen Gewichtes gehören
also drei Data: 1. das Gewicht des leeren Pyenometers,
2. das Gewicht des Pyenometers mit destillirtem Wasser,
und 3. das Gewicht des Pyenometers mit der zu unter-
suchenden Flüssigkeit, d. h. mit Kammerwasser.
Es muss bemerkt werden, dass die Genauigkeit der
Feststellung hauptsächlich von der letzten Grösse beein-
flusst wird: das Gewicht des trockenen Pyenometers wird
in gleicher Weise von den beiden letzten Grössen abge-
zogen und hat, in den Grenzen möglichen Irrthums, keinerlei
*) Den ersten Theil der vorliegenden Arbeit (die Controle der
Pycnometer) habe ich mit Hilfe der neuen Waage von Sartorius
in dem Privatlaboratorium des Herrn W. J. Bredihin ausgeführt;
bei döm zweiten Theil (dem experimentellen^ benutzte ich die Waage
von Westphal in dem hygienischen Laboratorium der Moskauer
Universität mit der liebenswürdigen Erlaubniss des Herrn Professor
S. F. Bubnow.
T. Grsefe's Archiv für Ophthalmologie. XLIX. 1. 3
34 S. S. Golowin.
Einfluss auf das specifische Gewicht, wie man sich bei den
Berechnungen leicht überzeugen kann. Das Gewicht des
Pycnometers mit destillirtem Wasser hat grosse Bedeutung,
aber man kann dieses Gewicht im Durchschnitt von einer
ganzen Keihe einzehier Wägungen nehmen. Daher ist für
die Genauigkeit des Experiments nur das Gewicht des mit
Kammerwasser gefüllten Pycnometers von Wichtigkeit, und
es muss mit grösster Sorgfalt festgestellt werden.
unsere mit allen ebengenannten Vorsichtsmaassregeln
gemachte Untersuchung ist doch weit entfenit von den
ideal genauen Bestimmungen des specifischen Gewichtes durch
die Physiker; aber auch die hier beschriebene Methode
giebt für unsere Zwecke hinreichend genaue Resultate, um
so mehr, da uns nur die relativen Veränderungen des spe«
cifischen Gewichts interessiren.
Hier folgt das Beispiel einer Bestimmung und zwar
mit dem kleinsten Pycnometer:
Das Gewicht des trockenen Pycnometers 3,240G
Das Gewicht des mit Wasser gefüllten Pycnometers 3,3801
Das Gewicht des Pj'cnometers mit der zu untersuchen-
den Flüssigkeit gefüllt (Kochsalzlösung von unge-
rälirl«/o) 3,3812
Das Gewicht des Wassere allein 0,1395
Das Gewicht der zu untereuchenden Flüssigkeit 0,1406
Das specifische Gewicht = ~^- = 1,00788
Um die Genauigkeit solcher Bestimmungen zu ermitteln
und den Umfang der Abweichungen zu erkennen, habe ich^
ehe ich Experimente mit den Augen der Thiere vornahm,,
eine grössere Anzahl von Messungen gemacht, w^obei ich
Kochsalzlösungen benutzte. Dabei stellte ich zuerst das
specifische Gewicht mit einem grossen Pycnometer fest
(25 ccm Kubikinhalt), und dann mit meinen kleinen Pycno-
raetem von verschiedener Grösse.
Hier folgen einige Beispiele:
Untenuchungen über das specifische Gericht des Kammerwassers. 35-
Der Prctcent- Die Bestimmung Die fiestim-
fcehalt der | des BpeeifiMheo mung mit
Krichsalz- Gewichtes mit dem kleinen
lösung unge- dem grcosen Pycnometer
geflLhr Pycnometer Nr. I
Die Abwei- Die Bestim-
ebung gegen 'mung mit dem
das grosse kleinen Pycno-
Pycnometer' meter Nr. 11
V.
1
2
1,0038
1,0073
1,0149
I
1,0047
1,0079
1,0140
+ 0,0009
+ 0,0006
— 0,0009
1,0042
1,0083?
1,0152
Die Abwei-
chung gegen
das grosse
Pycnometer
+ 0,0004
+ 0,0010
+ 0,0003
Aus dergleichen Experimenten gewann ich die Ueber-
zeugung, dass der Unterschied unter den Messungen mit
dem grossen und dem kleinen Pycnometer nur in einzelnen
Fällen 0,001 tiberstieg. Ein solche Abweichung ist durch-
aus zulässig und man rechnet mit ihr in analogen Arbeiten.
Viel wichtiger war es mir, mich zu überzeugen, dass
die wiederholten Bestimmungen (3 bis 4 Mal) des specific
sehen Grewichtes irgend einer Flüssigkeit mit einem und
demselben kleinen Pycnometer gemacht, sehr oft ein und
dasselbe Gewicht ergaben, oder nur eine sehr kleine Ab-
weichung zeigten (nicht mehr als 0,0005 — 0,0007). Daraus
konte ich den Schluss ziehen, dass da, wo man zwei zu
vergleichende Untersuchungen auszuführen hat,
man sich durchaus eines und desselben Pycno-
meters bedienen muss, um die möglichste Identität
der Bedingungen zu wahren (ein Vorzug vor dem
„Capillarpycnometer** von Seh mal tz). Dessen ungeachtet,
beschloss ich aus Vorsicht bei allen folgenden Unter-
suchungen, als Grenze der Abweichung 0,001 an-
zunehmen und nur diejenigen Veränderungen des specifi-
schen Gewichtes in Beobachtung zu ziehen, die diese Grenze
überschreiten,
III.
Ehe man sich anschickt, das Experiment an einem
Thiere vorzunehmen, muss man sich mit einem Pycnometer
von passender Grösse im Verhältniss zu der Quantität des
Kammerwassers versehen.
3*
38 S. S. Golowin.
Prof. Bellarminowi) fand bei 18 Experimenten, dass
das Volumen des Kammerwassers bei Kaninchen zwischen
0,20— 0,35 ccm schwankt
E. Niesnamow*) nimmt die Quantität des Kammer-
wassers bei dem Menschen zu 150 cmm, bei dem Kanin-
chen zu 250, bei dem Hunde zu 850, bei der Katze zu
1300 cmm an.
Ich erhielt grösstentheils von Kaninchen 0,3 ccm
Kammerwasser; von Hunden 0,8 — 0,9 bis 1,0 ccm, je
nach der Grösse des Thieres; von Katzen (jungen) 0,7
— 0,8; vom Menschen aus glaukomatösen Augen (drei Fälle)
ungefähr 0,2 ccm.
Bei der Wahl des Pycnoraeters muss man natürlich
mit den kleinsten Mengen rechnen, da es durchaus unstatt-
haft ist, alles Kammerwasser aus dem Auge zu ziehen imi
nicht gewisse CompUcationen, z. B. Hämorrhagieen, hervor-
zurufen. Daher sind folgende drei Typen von Pycnometem
am zweckmässigsten : 1. von einem Volumen nicht mehr
als 0,15 ccm (für den Menschen und für kleine Kaninchen),
2. von einem Volumen von 0,25 ccm (grösstentheils für
Kaninchen), und 3. von einem Volumen von 0,5 ccm und
sogar etwas grösser (für Katzen und Hunde). Die aus-
gewählten Pycnometer werden in verdeckten Gläseni auf-
bewahrt; für jeden von ihnen muss die constante Grösse
bestimmt sein, d. h. das Gewicht im trockenem Zustande
und das Gewicht, mit destiUirtem Wasser.
Bei den Experimenten wurden die an den Tisch ge-
bundenen Thiere nicht anaesthesirt, was vollkommen über-
flüssig ist. Das Auge wurde mit der Pincette fixirt, mit
der Nadel der Spritze wurde die Hornhaut durchstochen,
meistens im oberninnern Quadranten. Dann sammelte man
in die Spritze eine genügende Menge von Kammerwasser,
*) V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXXIX. 3.
«) V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XIJI. 4.
Untersuchungen über das specifische Gewicht des Kammerwassers. 37
welches möglichst rasch und vorsichtig in das Pycnometer
übergegossen wurde. In einigen Fällen füllte ich die er-
haltene Quantität Kammerwasser nicht in einen entsprechen-
den Pycuometer, sondern in zwei kleinere und erhielt auf
diese Weise zwei paralelle Bestimmungen.
Die unten folgenden Experimente habe ich gemacht,
um die Norm des specifischen Gewichtes bei Thieren fest-
zustellen:
Experiment I. Ein Hund 18,8 Kilo. Aus dem rechten
Auge ungefähr 0,7 cem Kammer^asser erhalten. Die Flüssigkeit
— ferblos, durchsichtig — in zwei verschiedene Pycnometer aus-
geleert. Das specifische Gewidit festgestellt:
Nr. I =r 1,0080. Nr. II = 1,0082.
Zwei Stunden später aus dem Unken Auge ungefähr 0,9 ccm
farbloses Kammerwasser genommen; specifisches Gewicht:
Nr. I = 1,0088. Nr. II = 1,0089.
Experiment IL Ein weisses Kaninchen, Weibchen, 1,5 Kilo.
Aus dem rechten Auge ungefähr 0,3 ccm Kammerwasser genommen.
Specifisches Gewicht = 1,0096. Das Experiment mit dem
linken Auge gelang nicht.
Experiment III. Ein Kater, 2,3 Kilo. Aus dem rechten
Auge ungefähr 0,7 ccm Kammer^iasser.
Specifisches Gewicht = 1,0096.
Aus dem linken Auge ungefälir 0,5 ccm:
Specifisches Gewicht = 1,0096.
Bei beiden Bestimmungen wurden ein und dasselbe Pyc-
nometer benutzt.
ExperimentlV. Schwarze Katze, 1,85 Kilo. D.d. — 0,5ccm
Kammerwasser genommen; specifisches Gewicht = 1,0089.
0. s. 0,5 ccm Kammerwasser genommen; specifisches Gewicht
= 1,0080. Bei beiden Feststellungen verschiedene Pycnometer.
Experiment V. Graue Katze, 2,25 Kilo. 0. d. —
0,5 ccm Kammerwasser genommen; specifisches Gewicht = 1,0082.
0. 8. Die gleiche Quantität; specifisches Gewicht = 1,0088
(Verschiedene Pycnometer.)
Ausser diesen Experimenten, die ich speciell vorge-
nommen habe, um das normale specifische Gewicht zu er-
fahren, musste ich in den folgenden Untersuchungen auch
das normale specifische Gewicht in dem einen Auge des
38 S. S. Golowin.
Thieres feststellen, um ein Kriterium für die Veränderungen
zu haben, die im anderen Auge vorgegangen sind. Daher
werde ich die Durchschnittsgrössen am Schluss anführen;
jetzt gehe ich zu den Schwankungen des specifischen Ge-
wichtes bei den einfachsten pathologischen Pro-
cessen über.
Experiment VI. Weisses Kaninchen, Weibchen. ^ Aus
dem rechten Auge ca. 0,3 ccm farbloses Kammerwasser. Speci-
fisches Gewicht = 1,0081. 45 Minuten später aus demselben
Auge, an derselben Stelle des Stiches, eine Portion des neuge-
bildeten Kammerwassera entnommen; das Auge gab in dieser
Zeit schwache Zeichen von Reizung, die Pupille war massig er-
weitert, Haemorrhagie in die Kammer war nicht eingetreten. Die
neue Portion des Kararaenjvassers leicht gelblich gefärbt, klebt
an den Fingern, es haben sich aber keine Gerinnsel gebildet.
Specifisches Gewiclit = 1,0 IGO. (Dasselbe Pycnometer, wie bei
der ersten Bestimmung.)
Experiment VII. Schwarze Hündin, 12,5 KUo. 0. d.
ca. 0,7 ccm Kammerwasser, das in zwei verschiedene Pycnometer
gefüllt wurde; das specifisdie Gewicht: I. == 1,0089 ; IL = 1,0096.
Nach zwei Stunden aus demselben Auge eine neue Pordon
Kammerwasser entnommen, von gelblicher Farbe und von didi-
terer Consistenz, dasselbe wurde in eines der früher benutzten
Pycnometer gefüllt; specifisches Gewicht: Nr. I =1,0167.
Experiment VIII. Ein Hund; derselbe, der für das Ex-
periment Nr. I benutzt wurde. Das specifische Gewicht des
Kammenvasser 0. s. war: Nr.I. =1,0088; Nr. IL =1,0089.
Nach 24 Stunden angemerkt: 0. s. unbedeutende Heizung der
Bindehaut; gelinge Trübung der Hornhaut an der Stelle des
Stiches; die Iris getrübt, doch reagirt die Pupille gegen das Licht;
in der Kammer ein Blutgerinnsel.
Das leicht opalisirende Kammerwasser entnommen und in
eines der fiiiher benutzten Pycnometer gefüllt. Das spedfische
Gewicht der Poi-tion (wie schon ])emerkt, 24 Stunden nach dem
ersten Stich entnommen) = 1,0096. (Pycnometer Nr. IL)
Experiment IX. Weisses Kanindien, Weibchen (Gewicht
nicht bestimmt). 0. s. specifisches Gewicht = 1,0082. Nadi
48 Stunden das Auge gereizt, die Iris injicirt, eine Portion
Kammer^asser entnommen, die äusserlich sich nicht von nor-
malem unterschied. Spedfisches Gewicht = 1,0096.
Untersuchungen über das specifische Gewicht des Kammerwassers. 39
Experiment X. Ein Hund. (Gewicht nicht festgestellt.)
O. d. speeifisches Gewicht = 1,0088.
0. 8. Die Lider durch Fäden auseinander gehalten. Der
hierdurch ausgeweitete Bindehautsack wurde mit 5^/^ Kochsalz-
lösung gefüllt^ die man 10 Minuten darin Hess. Dann der Binde-
hautsack möglichst rasch mit destillirtem Wasser ausgewaschen
und mit Watte trocken ausgewischt; hierauf 0,7 ccm Kammer-
wasser entnommen und in dasselbe Pycnometer gefilllt Specific
fiches Gewicht = 1,0096.
Experiment XL Eine Hündin von 16,35 Kilo. 0. d.
Speeifisches Gewicht =1,0081.
0. s. Von der ganzen Hornhaut das Epithel abgeschabt.
Dann in den auseinandergezogenen Bindehautsack (wie in dem
vorhergehenden Experiment) 5 °/o Kochsalzlösung gefüllt und
zehn Minuten darin gelassen. Nach der Auswaschung und dem
Trocknen des Auges das Kammerwaaser entnommen und in
dasselbe Pycnometer gefüllt, das zur Feststellung des spedfi-
sehen Gewichtes des 0. d. diente; es ergab sich: speeifisches
Gewicht = 1,0103.
Experiment XH. Graues Kaninchen (Männchen) von
1,70 Kilo. 0. d.: ca. 0,2 ccm Kammerwasser extrahirt; spedfi-
sdies Gewicht =1,0096.
0. s : an drd Stellen unter der Bindehaut eine halbe
Spritze voll 5^7o Kochsalzlösung eingespritzt; nach 15 Minuten
ungefähr 0,2 ccm Kammerwasser entnommen und in dasselbe
Pycnometer gefüllt. Speeifisches Gewicht = 1,0096.
Experiment XHL Weisses Kaninchen (Gewicht nicht fest-
gestellt). 0. d.: speeifisches Gewicht = 1,0082.
0. s.: mit glühendem Eisen das Gentrum der Hornhaut
cauterisirt; die angebrannte Stelle ist von runder Form, ca. 3 mm
gross und reicht durch die ganze Dicke der Hornhaut.
Nach iVj Stunden 0,3 ccm Kammerwasser entnommen und
in dasselbe Pycnometer gefüllt Spedfisches Gewicht = 1,0081).
Experiment XIV. Kleine Hündin. Während des Rxirens
auf dem Tische trat ans unbekannten Gründen der Tod des
Thieres ein; zehn Minuten nach dem Tode wurde aus dem linken
Auge, dessen Medien noch vollkommen durchsichtig waren, das
Kammerwasser entnommen. Speeifisches Gewicht = 1,0048.
Experiment XV. Hund, der schon für eines der vorhei*-
gehenden Experimente gedient hatte. Vor fünf Wochen war
das spedfisdie Gewicht festgestellt worden = 1,0089.
Es sind keine Spuren des fi-üheren Experimentes geblieben.
40 S. S. Golowin.
Der Hund wurde durch Chloroform und einen Indudionsstrom,
der durch Nadeln in's Herz geleitet wurde, getödtet. Zehn
Minuten nach dem Tode wurde aus demselben Auge das Kanmier-
Wasser entnommen und in das Pycnometer gefüllt. (Dieselbe
N. wie bei der ersten Feststellung.) Specifisches Gewicht = 1,0067.
Experiment XVI. Der Hund ist durch Chloroform und
einen inductiven Strom in's Herz getMtet 0. d.: 15 Minuten
nach dem Tode; specifisches Gewicht = 1,0088.
0. s.: 45 Minuten nach dem Tode; specifisches Gewidit
= 1,0065.
Zu den Untersuchungen des Kammerwasssers beim
Menschen übergehend muss ich die Bemerkung voraus-
schicken, dass ich nicht in die Lage gekommen bin, das
Normalgewicht desselben in vivo zu bestimmen: man könnte
dies machen, wenn z. B. ein normales Auge -wegen einer
Neubildung in der Augenhöhle entfernt werden müsste, ein
solcher Fall ist mir aber in letzter Zeit nicht vorgekommen.
Ich musste mich daher auf die Untersuchung von drei
Augen mit absolutem Glaukom beschränken. Die Opera-
tion, die selbstverständlich mit einer sterilisirten Spritze
ausgeführt wurde, konnte dem Auge keine Gefahr bringen;
mau konnte im Gegentheil einen gewissen Nutzen von
derselben erjvarten, wegen der Herabsetzung des intraocu-
laren Druckes. Im vierten Falle musste ein Auge zugleich
mit einer Geschwulst entfernt werden, wobei das Auge
schon erheblich afiticirt war.
1. Fall. 65jähriger Mann. 0. d.: Glaucoma chron. absolut
r-j-l* 1^16 Kammer rein, die Iris zeigt keine bemerkbaren
Veränderungen, die Pupille reagirt. Die Medien sind durchsiditig,
Fundus ist zu sehen.
Kammerwasser zwei Theiie der Spritze entnommen. Speci-
fisches Gewicht = 1,0064. (N. B.: Aller £i*wartung nach war
das Kammerwasser in diesem Fall in seinen Eigenschaften der
Norm am nächsten.)
IL Fall. 60jähriger Mann. 0. d.: Glaucoma absolut in
stadio inflammat T + 2. Pericomeale Injection, starke Er-
weiterung der episklei-alen Venen. Die Homliaut triibe, die Farbe
Untersuchungen über das specifische Gewicht des Kammerwassers. 41
der Iris verändert, die Pupille reagirt nicht, Fundus ist nicht zu
sehen. Das Kammerwasser war schon dem Aussehen nach
dichter, als im vorhergehenden Falle. Gerinnsel niclit vorhanden.
Specifisches Gewicht =1,0139.
III. Fall. 62jähriger Mann. 0. s.: Glaucoma chronicum
absolutum. T + 2. Die Kammer rein, die Pupille reagirt schwach.
Gataract. Specifisches Gewicht =1,0080.
IV. Fall. 5 5 jähriger Mann. 0. d.: Grosses Ulcus rodens,
beide Lider bis auf das innere Drittel zerstört. Die Knochen
des äusseren Randes der Augenhöhle blossgelegt. Die Neu-
bildung ist in die Augenhöhle gedrungen. Der Augapfel unbe-
weglich. Die Sklera im äusseren-unteren Theil in bedeutender
Ausdehnung usurirt. In der benachbarten Parthie der Hornhaut
ein tiefgehendes 3 mm giosses Geschwüi*. Die Pupille reagirt
gut. Fundus ist normal.
Es wurde beschlossen die vollständige Exent er atio orbitae
auszuführen. Vor dieser Operation entnalim ich aus dem Auge
das Kammerwasser. Man konnte hier, in Anbetracht der be-
deutenden Affection des Augapfels, schon im Voraus kein nor-
males specifisches Gewicht ei'warten und in der That erhielt ich
eine relativ hohe Ziffer: das specifische Gewicht war =1,015.
IV.
Die von mir ausgeführten Versuche sind nicht genügend,
um die angeregten Fragen als gelöst zu betrachten. Sie
wurden hauptsächlich zu dem Zwecke vorgenommen, um
die Schwankungen des specifischen Gewichtes, den Charakter
und den Umfang derselben festzustellen; ich musste mich
damit für den Anfang begnügen, zumal die Arbeit durch
die Wahl und die Controle der Methode erschwert wurde.
Es erhebt sich aber, ausser den im Vorhergehenden
angeregten, eine ganze Reihe neuer Fragen. So z. B. wäre
es interessant die Veränderungen zu bestimmen, die durch
Medicamente hervorgerufen werden, den Einfluss der ver-
schiedenen Nerven auf das specifische Gewicht und so-
mit auf die Concentration des Kammerwassers kennen zu
lernen u. s. w.
Es ist zweifellos, das in vielen Fällen die Feststellung
42 S- S. Golowin.
des specifischen Gewichtes sich als einfachere und brauch-
barere Untersuchungsmethode erweisen wird, als die che-
mische Analyse des Kammerwassers.
Zum Schluss bleiben mir nur einige allgemeine Ergeb-
nisse meiner Experimente anzuführen:
1. Das normale specifische Gewicht stellt augenschein-
lich eine recht constante Grösse dar; dies gilt namentlich
für Thiere einer und derselben Gattung (wenigsten der von
mir untersuchten).
a) Das specifische Gewicht des Kammerwassers
des Hundes (fünf normale Augen von vier Thieren)
schwankte zwischen 1,0080 und 1,0096; das arithmethische
Mittel aller Bestimmungen betrug 1,0086.
b) Das specifische Gewicht des Kammerwassers
des Kaninchens (fünf Augen von vier Thieren) betrug
1,0081 — 1,0096; Mittel: 1,0087.
c) Das specifische Gewicht des Kammerwassers der
Katze (sechs Augen von drei Thieren) war 1,0080 bis
1,0096; Mittel: 1,0088.
Man kann somit das specifische Gewicht bei allen
diesen Thieren in Kürze, — wenn man die letzte Decimale
weglässt, durch die Zahl 1,008 — 1,009 ausdrücken.
Folglich ist das Kammerwasser eine der leichtesten
Flüssigkeiten des thierischen Organismus. Bei NaCl-Lö-
sungen entsprach ein solches specifisches Gewicht einem
Salzgehalt von etwas mehr als 1%. Und wirklich enthält
das Kammerwasser annähernd einen solchen Procentgehalt
fester Bestondtheile: nach Hammarsten*) 1,3^/q, nach
R. Neumeister«) l,2«/o.
In Bezug auf einen Zusammenhang mit dem Körper-
gewicht ergeben meine Experimente keine bestimmten Re-
sultate.
*) Hammarsten loc. cit., S. 171.
*) R. Neumeister, Lehrbuch der phys. Chemie. 2 Theil.
1895. S. 81.
Untersuchungen über das specifische Grewicht des Kammerwassers. 43
2. Das Kammerwasser; das sich nach der EnÜeenrng
wieder ansammelt, hat ein bedeutend höheres specifisches
Gewicht als das normale. Bald nach der Entleerung er-
reicht der Zuwachs des specifischen Gewichtes 0,0070 bis
0,0080. (Experiment VI und VII.) Allmählich wird die
Concentration schwächer und nach 24 — 48 Stunden zeigt
es uns eine kleine Abweichung von der Norm. (Experi-
ment VIII und IX.)
Diese Erscheinung stimmt vollkommen mit dem fest-
gestellten Factum überein, dass die Flüssigkeit, die sich
nach Paracentese der Kammer bildet, eine andere Zu*
sammensetzung hat, als die normale. (Deutschmann
und Andere.)
Dem specifischen Gewichte nach nähert sich die neu-
gebildete Flüssigkeit den serösen Transsudaten. Wie man
voraussetzen kann, hängt das von dem Umstände ab, dass
Dank der Verminderung des Druckes in der Kammer dort-
hin aus den Gefässen Flüssigkeit filtrirt, die eine grös-
sere Menge fester Bestandtheile enthält; für den Kampf
des Organismus mit dem Trauma ist diese Veränderung
von besonderem Nutzen, da sie zur schnellen Verklebung
der Oeflfhung dient
Die Ansicht Deutschmanu's *), dass die Veränderung
des Kammerwassers bis zu einem gewissen Grade auf die
Filtration von Flüssigkeit aus dem Glaskörper zurückzu-
führen sei, scheint mir nicht ganz richtig: der Glaskörper
hat kein hohes specifisches Gewicht (vergl. Michel und
Wagner, 1. c, S. 189).
3. Die Osmose*) von 5^/^ Kochsalzlösung aus dem
Sindehautsack brachte fast keine Veränderung in dem spe-
') V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXV. 1. S. 114.
*) Diener Ausdruck scheint mir passender, als der von einigen
Autoren gebrauchte Ausdruck: „DifTusion". In der Physik bezeichnet
„Diffusion" vorzugsweise die Vermischung von Flüssigkeiten oder
Gasen, die nicht durch eine Membran getrennt sind.
44 S. S. Golowin.
cifischen Gewichte hervor in dem X. Experiment Der
Versuch mit Entfernung des Epithels der Hornhaut zeigte,
dass die Osmose unter diesen Bedingungen das specifische
Gewicht erhöhen kann (Experiment XI). Diese Erhöhung
des Gewichtes kann man jedoch nicht nur der Verwundung
der Hornhaut zuschreiben: das Trauma der Hornhaut im
Experiment XIII rief nur eine geringe, in den Grenzen
der Abweichung liegende Erhöhung hervor.
Folghch erklärt sich die Erhöhung des specifischen
Gewichtes im Experiment XI eher durch die Ausgleichung
der Concentrationen, welcher nach den Gesetzen der Os-
mose die Flüssigkeiten unterworfen sind, die sich während
des Experiments auf beiden Seiten der Hornhaut befinden,
wobei das compacte Epithel der Hornhaut die Vorgänge
der Osmose zurückhält, was auch schon von mehreren
Autoren angegeben ist (z. B. von Prof. Bellarminow).
4. Die Einspritzung von b^j^ Lösung von NaCl in das
subconjunctivale Gewebe im Experiment XII ergab keine
bemerkbare Veränderung des specifischen Gewichtes des
Kammerwassers, da das Salz natürlicher Weise in die
Lymphgefässe drang und nicht in die Kammer.
5. Unmittelbar nach dem Tode des Thieres fällt das
specifische Gewicht (Experiment XIV, XV, XVI); diese
Abnahme ist aber relativ gering: ungefähr 0,0030 im Laufe
der ersten Stunde.
Wie man voraussetzen muss, wird in dem lebenden
Auge die Concentration des Kammerwassers aufi*echt er-
halten Dank der beständigen Blutcirculation in den Ge-
fässen, aus denen eine sich immer erneuernde Quantität
fester Theile in die Kammer gelangt. Nach dem Tode hört
der Blutzufluss auf, und der Druck in den Gefässen sinkt;
während einiger Zeit jedoch setzt sich die Filtration der
Flüssigkeit in die Kammer fort, jedoch mit geringerem Ge-
halt von festen Theilen in Folge der Verringerung des
Druckes in den Gefässen.
Untersuchungen über das speciiische Gewicht des Kammerwassers. 45
Längere Zeit nach dem Tode muss das specifische
Gewicht zweifellos schon anderen Veränderungen unter-
worfen sein; und meine Experimente stehen mit den Unter-
suchungen von Kletzinsky nicht im Widerspruch (siehe
die Arbeit von Michel und Wagner, I.e., S. 169), welcher
im menschUchen Auge 4—48 Stunden nach dem Tode eine
Erhöhung des specifischen Gewichtes von- 1,0034 — 1,0060
fand. Es ist selbstverständlich, dass in dieser Zeit die
Austrocknung des Auges sich progressiv entwickelt; damit
¥rird natürlich auch das Kammerwasser concentrirter.
6. Bei chronischem Glaukom, wenn es ohne be-
merkbare Veränderungen in der Kammer verläuft, hat das
Kammerwasser ein specifisches Gewicht, das dem normalen
Werth bei Thieren nahesteht; bei dem acut entzündlichen
Glaukom ist dagegen das specifische Gewicht bedeutend
erhöht
lieber die Bedentnng der Dioptrie.
Von
Prof. Dr. A. Gull Strand
in üpsala.
Wenn man in der gewöhnlichen Linsenformel die Ab-
stände sowohl des leuchtenden Punktes wie des Bildpunktes
vom optischen Centrum der Ldnse in der Bewegungsrich-
tung des Lichtes positiv rechnet und demnach die Formel
in folgender Weise schreibt:
wo also f die Brennweite der Linse, a und b die Abstände
des leuchtenden Punktes bezw. des Bildpunktes vom opti-
schen Centrum bedeuten, so ergiebt sich ohne Weiteres,
dass der reciproke Werth der Bildpunktdistanz durch eine
constante, nur von /*, das ist nur von den Eigenschaften
der Linse abhängige Vermehrung oder Verminderung —
je nach dem Zeichen von f — des entsprechenden Werthes
für den leuchtenden Punkt erhalten wird. Die reciproken
Werthe von Distanzen, welche in dieser einfachen Ad-
ditionsformel einander gegenüber stehen, müssen commen-
surabel sein, oder mit anderen Worten die Brechkraft der
Linse, welche durch den reciproken Werth der Brennweite
gemessen wird, kann in einer und derselben Einheit aus-
gedrückt werden, wie die Convergenz des einfallenden bezw.
gebrochenen Strahlenbündels, welche durch den reciproken
Werth des entsprechenden Abstandes gemessen wird. Das
Üeber die Bedeutung der Dioptrie. 47
Maass der Convergenz eines Strahlenbündels in einem ge-
gebenen Punkte, durch den reciproken Werth des Abstandes
des Convergenzpunktes ausgedrückt, ist aber nichts An-
deres als das Maass der Krümmung einer durch den ge-
gebenen Punkt gehenden, auf sämmtlichen Strahlen senk-
rechten Fläche — der sogenannten Wellenfläche — in
einem Normalschnitte. (Nach der in der Analyse ge-
bräuchlichen Definition des Krümmungsmaasses einer Fläche
als des Productes aus den Krümmungen der beiden Haupt-
normalschnitte ist eine in genannter Weise ausgedrückte
Convergenz nicht mit einer Flächenkrümmung, sondern mit
der Krümmung einer Curve oder eines Flächenschnittes
bezw. mit einer Flächenhauptkrümmung commensurabel.)
Es leuchtet also ein, dass die Dioptrie, welche als Einheit
nichts anderes ist, als der reciproke Werth des Meters,
zum Messen sowohl der Brechkraft einer Linse wie nament-
lich auch der Convergenz eines Strahlenbündels in einem
gegebenen Punkte und der Hauptkrümmung einer Fläche
dienen kann.
Will man nun diese Rechnung mit Dioptrieen auf die
Brechung in anderen optischen Systemen als unendlich
dünnen Linsen anwenden, so geschieht dies ohne die ge*
ringste Schwierigkeit, so lange es sich nur um in Luft be-
findliche Systeme handelt Man hat nur die Abstände a
und 6 der Linsenformel von den betreffenden Hauptpunkten
zu rechnen anstatt vom optischen Centrum der Linse oder,
was dasselbe ist, die Convergenz des einfallenden und des
gebrochenen Strahlenbündels in den betreffenden Haupt-
punkten in Rechnung zu ziehen. Wenn man demnach
nnter Brechkraft des optischen Systems den reciproken Werth
des Abstandes des betreffenden Hauptbrennpunktes vom
Hauptpunkte und unter Convergenz des einfallenden bezw.
gebrochenen Strahlenbündels den reciproken Werth des
Abstandes des betreffenden Conjugatfocus vom Hauptpunkte
versteht, so besteht das Brechungsgesetz unverändert fort:
48 A. Gullstrand.
die Convergenz des gebrochenen Strahlenbündels ist gleich
der Convergenz des einfallenden + der Brechkraft des
Systems.
Für den allgemeinen Fall aber, in welchem die beiden
Brennweiten eines optischen Systems nicht gleich zu sein
brauchen, ist es meines Wissens bisher nicht gelungen, die
durch die Dioptrierechnung erzielbare Vereinfachung zu
schaffen. Die für diesen Fall gültige Formel, welche, wenn
die Abstände wie oben positiv gerechnet werden, in folgen-
der Weise geschrieben wird:
F F
0 a
ergiebt nämlich, dass die Convergenz des gebrochenen
Strahlenbündels durch die Brechung in einem gegebenen
optischen Systeme keinen constanten Zuwachs erhält, son-
deni bald vermehrt, bald vermindert wird, bald wieder un-
verändert bleibt. Der Versuch von Hällsten^), dieses
Hinderniss zu umgehen, indem er die optischen Abstände
von denjenigen conjugirten Punktepaaren rechnen wollte,
für welche die Abstände von den betreffenden Hauptbrenn-
punkten gleich sind, musste daran scheitern, dass der er-
haltene Werth für die Brechkraft: — - -^— - nicht unraittel-
yF,F„
bar bei Berechnung der Bildgrösse Anwendung finden
konnte, woraus also z. B. resultirte, dass keine Ueberein-
stimmung zwischen Brechkraft und Loupenvergrösserung
vorhanden wäre.
Aber auch für den allgemeinen Fall lässt sich die
Dioptrierechnung vorzügUch anwenden. Wenn wir die
Brechungsindices des ersten und letzten Medium mit n,
und n,, bezeichnen, so kann die bezüghche Formel in fol-
genden zwei Weisen dargestellt werden:
*) Die dioptrische Fähigkeit etc. Arch. f. Phys. u. Anat. Phys.
Abth. Jahrg. 1880. S. 115.
(Jeber die Bedeutung der Dioptrie. 49
6 ~ a^ F,~ a '^ F„'
woraus sofort ersichtlich ist, dass der reciproke Wel*th . der
durch den betreffenden Brechungsindex diridirten ersten
Conjugatfocaldistanz bei der Brechung einen nur von den
optischen Eigenschaften des brechenden Systems abhängigen
Zuwachs erhält, um nach der Brechung gleich dem reci-
proken Werthe der durch den bezüghchen Brechungsindex
dividirten zweiten Conjugatfocaldistanz zu sein. Da eine
Division der Conjugatfocaldistanz einer Multiplication der
Convergenz gleichkommt, so ergiebt die Formel in dieser
Gestalt ein einfaches Additionsverhältniss zwischen den
beiden mit den bezüglichen Brechungsindices multiplicirten
Convergenzwerthen und einer constanten, nur von den op-
tischen Eigenschaften des brechenden Systems abhängigen
Grösse.
Nun ist es aber von vornherein einleuchtend, dass ein
Abstand eines leuchtenden Punktes oder eines Bildpunktes
in einem bestimmten brechenden Medium nicht ohne Wei-
teres mit einem ähnlichen Abstände in einem anderen
brechenden Medium verglichen* werden kann, oder mit
anderen Worten, dass ein Convergenzwerth oder eine Brech-
kraft zuerst auf Luft reducirt werden muss, bevor man sie
mit der Dioptrie, welche als Einheit den reciproken Werth
des Abstandes von 1 m in Luft darstellt, zu messen ver-
sucht Dass der einzige Weg für eine solche Reduction,
der zum Ziele fiihren könnte, die MultipUcation des Con-
vergenzwerthes, bezw. die Division des Abstandes mit dem
betreffenden Brechungsindex ist, das geht ohne Weiteres
aus den gegebenen Darstellungen hervor. Wenn nämlich
das erste Medium Luft ist, n, mithin gleich 1, so ist
— - ein Dioptrieen werth, und die übrigen Quantitäten müssen
auch in Dioptrieen gerechnet werden, wenn anders die
Formel eine Additionsformel zwischen commensurablen
r, Graefe*B ArchiT fOr Ophthalmologie. XX.IX. 1. 4
50 ^' GuUstrand.
Grössen sein soll. Aber auch aus rein physikalischem Ge-
sichtspunkte ist die auf genannte Weise bewerkstelligte
Beduction auf Luft die einzige entsprechende. Aus der
Linsenformel ersehen wir, dass eine Linse, deren beide
Flächen eben sind, eine unendlich grosse Brennweite und
die Brechkraft Null hat In derselben Weise muss, felis
überhaupt die Dioptrierechnung angewendet werden soll,
auch eine einzige brechende Fläche, welche eben ist und
folgUch unendlich grosse Brennweiten hat, der Brechkraft
Null entsprechen. Die B.eduction auf Luft muss also der
Veränderung entsprechen, welche eine gegebene Convergenz
bei Uebergang aus dem betreifenden Medium in Luft durch
Brechung in einer ebenen Fläche erlährt, und welche, durch
1 »
die Formel — = — dargestellt, nichts anderes ist als der
d 0
Ausdruck für die oben geforderte Keduction. Wenn wir
also folgende Bezeichnungen einführen:
a b F, F„
und die Abstände aiF, F„ in Meter messen, so geben Ay
B, D in Dioptrieen die Maasse der reducirten Convergenz
des einfallenden und des gebrochenen Strahlenbündels, bezw.
die Brechkraft des brechenden Systems, und das allgemein
gültige Brechgesetz lautet einfach:
B =A + D
oder in Worten: Die reducirte Convergenz eines.
Strahlenbündels wird durch die Brechung in einem
beliebigen optischen Systeme um den Betrag der
Brechkraft des Systems vermehrt, wobei wir uns nur
zu erinnern haben, dass die Convergenzwerthe sich auf die
betreffenden Hauptpunkte beziehen. Dass bei divergenten
Strahlenbündeln die Convergenz negatives Zeichen hat, und
dass bei negativer Brechkraft des Systems eine Vermin-
derung der reducirten Convergenz eintritt, indem das Wort
„vermehrt" im Sinne einer algebraischen Addition genommen
lieber die Bedeutung der Dioptrie. 61
werden muss, darauf brauche ich wohl hier nicht aufmerk-
sam zu machen.
Wird der Krümmungshalbmesser einer brechenden
Fläche mit r bezeichnet und in demselben Sinne vde die
Conrergenz positiv gerechnet, so dass eine solche Fläche
positive Krümmung besitzt, wenn ihre Concavität nach der
Seite gerichtet ist, nach welcher sich das lacht bewegt, so
ergiebt sich nach dem oben Gesagten:
wenn man sich der Ausdrücke:
r
F =— **'-^-— F =- ^"^
n„ — n, n„ — n,
erinnert.
Bei der Zusammensetzung von verschiedenen brechen-
den oder spiegelnden Flächen zu einem optischen Systeme
kann durch Einführung der Dioptrirechnung ebenfalls eine
bedeutende Vereinfachung für die numerische Berechnung
gewonnen werden. Wenn wir nämlich auch die Abstände
der brechenden, bezw. spiegelnden Flächen von einander
durch Division mit dem betreffenden Brechungsindex auf
Luft reduciren — ich brauche für die auf diese Weise er-
haltenen Abstände, bezw. Convergenzwerthe einfach den
Ausdruck reducirt — so verschwinden sofort alle Brechungs-
indices aus der weiteren Rechnung. Die bekannten For-
meln für die beiden Brennweiten eines aus zwei bekannten
optischen Systemen zusammengesetzten Systems:
jP %ff jp _ ^ff fff
in welchen /) f„ 9?, (p„ F, F„ die vordere, bezw. hintere
Brennweite des ersten, bezw. zweiten, bezw. des aus beiden
zusammengesetzten Systems und d den Abstand zwischen
dem zweiten Hauptpunkte des ersten und dem ersten
Hauptpunkte des zweiten Systems bedeuten, werden mit
der Dioptriebezeichnung, wenn wir mit d, den reducirten
4*
52 A. Gulhtrand.
Abstand d bezeichnen, in folgender einfacher Weise ge-
schrieben :
wobei Di2 D, D„ die Brechkraft des zusammengesetzten,
bezw. des ersten und zweiten einfachen Systems bedeuten.
Diese Formel ist auch allgemeingültig, die einzelnen Systeme
mögen einfache brechende Flächen sein oder wieder aus zu-
sammengesetzten optischen Systemen bestehen.
Um ein aus zwei bekannten Systemen zusammenge-
setztes System zu kennen, ist es aber nicht hinreichend,
dass die Brechkraft gegeben ist; man muss auch die Oerter
der Hauptpunkte berechnen können. Dies geschieht z. B.
nach V. Helmholtz durch die Formeln:
in welchen h, den Abstand des ersten Hauptpunktes des
ersten einfachen Systems von demjenigen des zusammenge-
setzten und h„ den Abstand des zweiten Hauptpunktes des
zusammengesetzten Systems vom zweiten Hauptpunkte des
zweiten einfachen Systems bedeuten, beide in der Be-
wegungsrichtung des Lichtes positiv gerechnet Wir fuhren
die Bezeichnungen H'^^ ^'12 ^^^ entsprechenden reducir-
ten Abstände ein und reclmen sie positiv, wenn die Haupt-
punkte des zusammengesetzten Systems auf der Bahn des
Lichtes weiter nach vorn liegen als die entsprechenden
Hauptpunkte des bezüglichen einfachen Systems, und er-
halten für die Dioptrierechnung:
„, _ 6,D„ „„ _ 6,1),
-^12 -*^12
Bei dieser einfachen Proc/cdur ist es eine leichte Sache,
die nöthigen Formeln für weitere Zusammensetzungen an-
zugeben. Gesetzt, wir haben ein System von brechenden
Flächen mit den Krümmungshalbmessern r, r„ r,„ ,
welche brechende Medien von einander abgrenzen, deren
Brechungsindices n, n„ n,„ njy , , . sind, so dass n, dem-
Ueber die Bedeutung der Dioptrie. 53
jenigen Medium angehört, das vor der Fläche r, liegt, und
da88 die Abstände der brechenden Flächen yon einander
längs der optischen Achse d, d„ , . . . sind, wobei d, der
Abstand zwischen den Flächen r, und r„ ist, so wollen
wir das aus den zwei ersten Flächen zusammengesetzte
System mit dem Index 12 bezeichnen, das aus* den drei
ersten mit 13 und allgemein das aus den m ersten Flächen
zusammengesetzte System mit Im. Dies gilt nicht nur für
die "Werthe D fl' und B!\ sondern auch für die Werthe
(J, Während also z.B. 8,„ den reducirten Abstand zwischen
den Flächen t,„ und riv bedeutet, verstehen yrir unter d^
den reducirten Abstand zwischen dem zweiten Hauptpunkte
des aus den drei ersten Flächen zusammengesetzten Systems
und der Fläche rjf. Es gilt also allgemein:
Oj m — — vm •" im
und speciell: . j.
^J« = ^n — -S", j = 8n + n
und wir haben demnach zuerst die Werthe Djg H.\^ ^'\%
und dj, des Systems 12 gefunden. Bei Hinzufiigung der
folgenden Fläche t,„ haben wir die Formeln:
A» = A. + !>., - rf« A. A» fl'is = -^^^
-ö 18 = /) 0,3 == C),,, + - T) —
-«-'iS -^18
und auf diese Weise gehen wir von Fläche zu Fläche fort,
bis wir schliesslich für das System Im folgende Werthe
erhalten:
2)j„, = Di(w - 1) + Dm <'i(m - 1) ^l(OT — 1) -Dm
TT' d|(m-l)^m TT" <^l(w-l) A(w--l)
-"im j\ -O. im ^
J^l m -^1 ni
Während nun fl"i„, den reducirten Abstand des zwei-
ten Hauptpunktes von der letzten Fläche angiebt, ist der
reducirte Abstand des ersten Hauptpunktes von der ersten
Fläche gleich:
54 A. GullBtrand.
Sollte eine der Flächen durch Spiegelung wirken an-
statt durch Brechung; wenn es sich also z. B. darum han-
delt, das in der vorderen Linsenfläche entstandene Spiegel-
bild zu untersuchen, so hat man nur alle Brechungsindices
derjenigen Medien, welche das Licht nach erfolgter Spie-
gelung durchläuft, negativ zu setzen. Alle Krümmungs-
halbmesser und Abstände sind in der Bewegungsrichtung
des einfallenden Lichtes positiv zu rechnen, und die de-
ducirten Formeln sind auch für solche Fälle unverändert
gültig. Mögen wir die Rechnung am gewählten Beispiele
demonstriren. Wir bezeichnen den Brechungsindex des
Kammerwassers mit n, die Krümmungshalbmesser der
Hornhaut und der vorderen Linsenfläche mit B, bez, R„
und den Abstand zwischen Hornhautscheitel und vorderem
Linsenpol mit d. Wir haben also die vier Brechungindices
n,= l n„=n n„, = — n und niy = — 1, die drei Flächen
r, = R, r„ = B„ und r,„ = r, = B,y denen die dioptrischen
Werthe D, = — — , A,= -p -, -Dm = ^p^— = 2),
li, JK„ jK,
entsprechen, sowie endhch die zwei reducirten Abstände
d,= — und ö„ = = d,. Gemäss den oben deducirten
n — n
Formeln erhalten wir unmittelbar:
- A (rf. A, + cf, A) = (Dl, + A) (1 - c), A) =
= (2D, + D„ - 6, B,D„) (1 - d,D,h
a^' ^12 As rf,^At + cf,A^
- '''• A3 ~ i-cJ,A'
Da nun ein solches System nur einen Hauptpunkt
hat, ist keine weitere Berechnung nöthig. Es ist aber
leicht zu zeigen, dass die reducirte erete Hauptpunkts-
distanz denselben Werth mit entgegengesetztem Zeichen
hat, was dem Umstände entspricht, dass die erste und
lieber die Bedeutung der Dioptrie. 55
letzte Fläche in diesem Falle eine und dieselbe, und der
Brechungsindex des letzten Mediums gleich dem des ersten
mit umgekehrten Zeichen ist Wir finden nämlich unter
Berücksichtigung, dass
ist, den Werth:
Den Ort des Hauptpunktes erhalten wir übrigens am
einfachsten unter Berücksichtigung, dass der Hauptpunkt
des ganzen Systems und der vordere Linsenpol in Bezug
auf die Hornhaut conjugirte Punkte sind, durch die Formel:
Den oben angegebenen Weg habe ich eben nur befolgt
um die Anwendbarkeit der Methode auch für diejenigen
Fälle zu demonstriren, wo eine der Flächen durch Spie-
gelung anstatt durch Brechung wirkt.
Das Gebiet der Dioptrierechnung erstreckt sich aber
viel weiter. So lange überhaupt die Brechungsebene des Leit-
strahles imd ein Hauptmeridian des einfallenden Strahlen-
bündels mit einem Hauptmeridiane der brechenden Fläche
zusammenfallen, ist auch die durch die Dioptrierechnung
erzielbare Vereinfachung zu erhalten, die brechenden Sy-
steme mögen centrirt sein oder nicht, die Incidenz recht-
winkelig oder schief, die Flächen sphärisch oder astigma-
tisch sein. Die einzige Einschränkung wäre, wenn die
Hauptmeridiane des einfallenden Strahlenbündels und der
brechenden Fläche, sowie bei schiefer Incidenz die Brechungs-
ebene des Leitstrahles nicht zusammenfallen, aber diese
Einschränkung ist nur scheinbar: die Dioptrierechnung
bringt auch hier die gleiche Vereinfachung, aber bei der
56 A. Gullstrand.
complicirteren Rechnung durch Auflösung der drei in sol*
chen Fällen erforderlichen Gleichungen spielt diese Verein-
fachung nur eine untergeordnete Rolle.
Bei der Brechung von astigmatischen Strahlenbündeln
oder in astigmatischen Flächen hat man nämlich, wenn die
genannte Bedingung erfüllt ist, nur die Werthe^l' J."D'2)"
S B" der beiden Hauptmeridiane besonders in Rechnung
zu ziehen; und die für die Brechung bei schiefer Incidenz
gültigen Formeln:
n,f cos* i„ n, cos* i, n„ cos i„ — n, cos i,
^,f Wf , n„co8i„ — n, cosi,
^" — *>" 1^ I?" '
q p M
in welchen p'q'R die conjugirten Brennweiten bezw. den
Krümmungshalbmesser der brechenden Fläche in den be-
züglichen mit der Brechungsebene des Leitstrahles zu-
sammenfallenden Hauptmeridianen imd p"q'*R' die ent-
sprechenden Werthe für die auf der Brechungsebene senk-
rechten Hauptmeridiane, sowie i, und i„ Einfalls- bezw.
Brechungswinkel darstellen, lassen sich ohne Schwierigkeit
in die Form
B'=Ä'+D' und B"=A' + D''
überführen. Für die auf der Brechungsebene senkrechten
Hauptmeridiane geUngt dies ohne Weiteres durch Ein-
setzen von
^ = Ä", 1^ = B" und J?,cosi --n.cosi ^^.^
p q B
wqbei der Incidenzpunkt Hauptpunkt ist, mithin E! = H" == 0,
und die Abstände längs dem bei Brechung unter schiefer
Incidenz an der Stelle der optischen Achse tretenden Leit-
stra^e zu messen sind. Dagegen müssen wir für die mit
der Brechungsebene zusammenfallenden Hauptmeridiane
einen anderen Weg einschlagen. Zwar lässt sich die aa-
geführte Formel in ähnlicher Weise auf die Form
Ueber die Bedeutung der Dioptrie. 57
q p
bringen, wobei
Q'^ n^^_co8Hr B| ^^^ p, ^ n, cos* i, JJ'
w,, cos »„ — n, cos I, w„ cos t,, — n, cos t,
erhalten wird, aber da hier Q' und P sich nicht wie w„
und n, verhalten, so ist der Incidenzpunkt an der Fläche
nicht bei der Brechung in diesem Meridiane Hauptpunkt,
sondern entspricht einem in gewissen Systemen mit ge-
trennten Hauptpunkten existirenden Punkte, welcher sich
selbst conjugirt ist Nun muss nach der bekannten Brenn-
punktsgleichung für conjugirte Punkte das Product aus den
Abständen dieses Punktes von den beiden Hauptbrenn-
punkten gleich dem Producte aus den beiden Hauptbrenn-
weiten sein, mithin
^, p, w„cos*v.ü' n,cos*«, .JS'
n„ cos i„ — n, cos i, ' n„ cos i,, — n, cos i,
— ^ ^*L
~ D' ' 1)' '
woraus wir
j., n„ cos i„ — n, cos i,
Kcosi„cosi,
erhalten. Die Oerter der Hauptpunkte finden wir am ein-
fachsten durch Subtraction der Hauptbrennweiten von deu
Abständen der betreffenden Hauptbrennpunkte vom Incidenz-
punkte. Es ergiebt sich:
n,\D I n, \D cos *„ D /
1 cos f„ — cos i,
D' cos %„
?
n„\^ ty) n„\ cosi, 2)' Dv
l cos i„ — cos i,
jy cos i,
für die reducirten Abstände der bezüglichen Hauptpunkte
58 A. Gullstrand.
vom Incidenzpunkt, welche positiv gerechnet werden, wenn
jene auf der Bahn des Lichtes weiter vom liegen als dieser.
Nachdem nunmehr die Werthe D' //' J3" auch für
die Brechung in den mit der Brechungsebene zusammen-
fallenden Hauptmeridiane bekannt sind, ist die Dioptrie-
rechnung auch bei schiefer Incidenz in sphärischen oder
astigmatischen Flächen nach den Formeln
B'=Ä + D' und B"=A"+D"
dieselbe wie bei Brechung in einer in Luft befindlichen
Linse, und man kann z, B. die Brechung bei schiefem
Durchgange durch ein centrirtes System von n Flächen,
dessen Achse vom Leitstrahl oder dessen Verlängerung ge-
schnitten wird, ohne weiteres nach den für Zusammen-
setzung von optischen Systemen oben gegebenen Formeln
durch die zw^ei Gleichungen
B\^ = A\n + D\u und J5"i„ = J."ih + ^"i,.
berechnen, indem die Werthe Di„ 2/'i„ H'\n für beide
Hauptmeridiane bekannt sind. Dass die Abstände zwischen
den einzelnen brechenden Flächen hierbei nicht längs der
optischen Achse des Systems, sondern längs dem Leitstrahle
zu messen sind, brauche ich hier wohl nicht besonders zu
erwähnen.
Wir haben also bisher gefunden, dass für alle Be-
rechnungen der Brechung oder Spiegelung in optischen
Systemen die Dioptrierechnung eine bedeutende Verein-
fachung bringt, wenigstens wenn die Hauptmeridiane mit
der Brechungsebene zusammenfallen, — unter der still-
schweigend gemachten Annahme, dass H' und H" end-
liche Werthe haben. Dass aber diese Annahme keine
Einschränkung bedeutet, oder mit anderen Worten, dass
auch bei den sogenannten afocalen Systemen dieselben Vor-
theile durch die Dioptrierechnung gewonnen werden können,
wird sogleich gezeigt werden.
Zuerst wollen wir aber untersuchen, wie sich diese
Rechnung den Abbildungsproblemen gegenüber verhält. Wir
Ueber die Bedeutung der Dioptrie. 59
können ans ja nicht im Allgemeinen damit begnügen, die
Lage eines Bildpunktes nach der Brechung kennen zulernen;
die gewöhnliche Rechnung giebt uns auch die Grösse der
Bilder, und wir müssen erwarten, dass die Dioptrierech-
nung auch bei dieser Berechnung ebenso allgemein anwend-
bar sei und womöglich auch ähnliche Vereinfachungen dar-
biete. In der That ist dies der Fall.
Wenn wir die lineare Grösse des Gegenstandes bezw.
Bildes mit a bezw. ß bezeichnen, so nimmt die gewöhnUche
Hauptpunktsgleichung für die Bildgrösse, welche in ver-
schiedenen Weisen deducirt werden kann und auch vor-
übergehend bei V. Helmhol tz vorkommt, nach Uebersetzung
in die Dioptriesprache und mit Berücksichtigung der Sich-
tung, in welcher wir die Abstände positiv rechnen, folgende
Form an:
ßB = aA,
wobei gleiche Zeichen für a und ß directe, ungleiche aber
umgekehrte Abbildimg anzeigen. Diese einfache Formel
gut also zunächst für alle Fälle von Brechung oder Spie-
gelung in centrirten optischen Systemen, nur muss man
Object und Bild von derselben Seite hin ansehen. Mit
anderen Worten, die Formel giebt nicht nur die Bildgrösse,
sondern durch das Zeichen von ßj verglichen mit dem von
«, auch die Art der Abbildung an; die gewöhnliche Ab-
bildung im Planspiegel ist z. B. einfach direct, wenn man
sich nur das Object als durchscheinend vorstellt und in
derselben Bichtung ansieht wie das Spiegelbild; die Ab-
bildung eines Gegenstandes durch ein positives System in
der Camera ist umgekehrt, das Bild muss aber auf der
durchleuchtenden Mattscheibe, nicht auf einem Schirme
aufgefangen werden, oder im letzterwähnten Falle muss
das Object von hinten angesehen werden, falls die Abbildung
umgekehrt sein soll.
In astigmatischen Systemen kann von einer einheit-
lichen Abbildung im gewöhnlichen Sinne nicht die Rede
60 A. GuUstruid.
sein. Aber Liniensysteme, welche den Hauptmeridianen
parallel sind, werden durch solche Systeme in den be-
treffenden conjugirten Brennebenen, welche, wo Leitstrahl
und optische Achse nicht zusammenfallen, auf jenen senk-
recht stehen, nach denselben Regeln abgebildet. Hierbei
kann es vorkommen, dass die Abbildung in einem Meri-
diane direct, im anderen aber umgekehrt ist, was aus dem
Zeichen von ^' bezw. ^' in den beiden Gleichungen
^'B' = oLÄ und ß"B" = a"Ä"
hervorgeht.
Die Frage nach der optischen Abbildung kann in fol-
gender Weise formulirt werden: wie verhält sich die Ver-
änderung des Brechungswinkels zu derjenigen des Incidenz-
winkels, wenn dieser bei unverändertem Incidenzpunkte um
ein ünendlichkleines verändert wird? Die Differentialrech-
nung giebt uns die Antwort: wie w, cosi, sich zu n„cosf,^
verhält
Für die Abbildung auf der Brechungsebene des Leit-
strahles senkrechter Liniensysteme, d. h. für die Abbildung
mittelst Strahlen, die in demjenigen Hauptmeridiane ver-
laufen, welcher mit dieser Ebene zusammenfällt, ergiebt sich
demnach mit den oben eingeführten Bezeichnungen:
ß' a
-7 : -T = n, cos t, : n„ cos %„ .
q p
Unter Berücksichtigung der Identitäten:
n,, , ^„ n„cosi{D' — B') + n„ cos i„B'
q=-^r + n„H = WF^i]
n, . „, n,cofii„{D''^Ä') — n,coBiÄ'
Ä AD cos t„
erhalten wir auch in diesem Falle für die Abbildung un-
sere einfache Formel:
ß'B'=aÄ\
"Wenn es sich um die Abbildung von zur Brechungs-
ebene parallelen Liniensystemen handelt, ergiebt sich die
üeber die Bedeutang der Dioptrie. 61
Gültigkeit dieser Formel aus denselben Gründen wie bei
rechtwinkeliger Incidenz, wenn man den BrechungSYorgang
durch die Projection auf eine gegen die Brechungsebene
senkrechte Ebene untersucht Dass wiederum eine solche
Formel, wenn sie für ein einfaches System gültig ist, auch
bei Zusammensetzung von Systemen ihre Gültigkeit nicht
verliert, das wird auf dieselbe Weise bewiesen, wie man
nach der gewöhnlichen Darstellung beweist, dass die für
die Abbildung durch eine einfiache linse geltenden Formeln
auch für zusammengesetzte Linsensysteme gelten. Die Ab-
bildungsformel hat also eine ebenso allgemeine Gültigkeit
wie die Brechungsformel, d. h. sie gilt für alle einfachen
oder zusammengesetzten Systeme von sphärischen oder astig-
matische^ Flächen bei centraler oder schiefer Incidenz, wo-
fern nur sämmtliche Hauptmeridiane mit der Brechungs-
ebene zusammenfallen bezw. auf ihr senkrecht stehen, und
die Hauptpunkte des Systems in endlicher Entfernung ge-
legen sind.
Wenn aber bei der Zusammensetzung von zwei opti-
schen Systemen die Summe D,-^D„ — ö,D,D„ gleich
Null wird, so kann es entweder vorkommen, dass die
Werthe H' und H" unendlich gross werden, oder dass sie
die Form — annehmen. In beiden Fällen handelt es sich
um sogenannte afocale Systeme, aber während im ersten
Falle die gegebenen Formeln nicht mehr anwendbar sind,
behalten sie im letzten Falle ihre volle Gültigkeit bei. —
Bei der Ableitung der Eigenschaften der afocalen Systeme
geht man am bequemsten von den bekannten Brennpunkts-
gleichungen der Conjugatbrennweiten und der Bildgrösse
aus. Wenn l, und l„, in der Bewegungsrichtung des Lich-
tes positiv gerechnet, die Abstände des Gegenstandes bezw.
des Bildes von dem ersten bezw. zweiten Hauptbrennpunkte
eines einfachen Systems mit den Hauptbrennweiten /) und
f„ bedeuten, so gilt bekanntüch:
62 A. GulUtrand.
'"- i, ' ü- 1;- 7;,
Für ein zweites System mit den Hauptbrennweiten g),
und q>„, dessen erster Hauptbrennpunkt mit dem zweiten
des ersten Systems zusammenfällt, was der Bedingung
D, -f- D„ — 6,D,D„ = 0 entspricht, gilt wiederum:
1 9VJP/f ß 9^ hff
woraus sich für das zusammengesetzte System ergiebt:
7 _7 ^ff^^' ^ _ ^'
AVährend nun die letzte dieser Formeln eine von den
Conjugatbrenn weiten ganz unabhängige Relation zwischen
der Grösse des Bildes und derjenigen des Gegenstandes
giebt, so ))ezieht sich die Formel für die conjugirten Brenn-
weiten auf zwei im afocaJen Systeme conjugii-te Punkte,
welche mit dem ersten Hauptbrennpunkte des ersten und
dem zweiten Hauptbrennpunkte des zweiten Systems iden-
tisch sind. Wenn wir aber die Abstände von Gegenstand
und Bild von zwei anderen conjugirten Punkten rechnen
wollen, deren Abstände von jenen m, und m,,, sein mögen,
so haben wir:
und folglich:
JfJtt
Irin
d. h. die Relationen zwischen den conjugirten Brennweiten
sind davon unabhängig, auf welche conjugirten Punkte die
Abstände von Gegenstand und Bild bezogen werden. Für
die Dioptrierechnung erhalten wir also folgende einfache
Formehl für ein afocales System:
lieber die Bedeutung der Dioptrie. 63
wobei die reducirten Convergenzen sich auf beliebige con-
jugirte Punkte beziehen. Der Factor Ä, welchen wir Ver-
grössenmgscoefficient nennen, da er in den als Fernrohren
bekannten afocalen Systemen das Maass der Vergrösserung
angiebt, ist also zusammen mit den Brechungindices des
ersten und letzten Mediums und den Oertem von zwei be-
hebigen conjugirten Punkten ausreichend, um das System
zu kennzeichnen, und die absolute Grösse von D, und D„
ist vollkommen gleichgültig. Wenn wir die Oerter derjenigen
conjugirten Punkte, von welchen aus wir die bezügUchen
x\bstände rechnen wollen, mit K^^ bezw. -ff"ia bezeichnen,
so dass diese Werthe die reducirten Abstände der be-
treffenden Punkte von dem ersten Hauptpunkte des ersten
bezw. von dem zweiten Hauptpunkte des zweiten einfachen
Systems darstellen, so haben wir einfach:
in welchen Ausdrücken x eine beliebige Grösse darstellt
Wenn 7; = 1 ist, werden die Formeln mit denen iden-
tisch, die für gewöhnhche Systeme gelten, wenn in ihnen
D = 0 gesetzt wird. In diesen Fällen kann ein jeder
Punkt als Hauptpunkt dienen, und, wenn noch dazu n„ = n,
ist, so ist der gegenseitige Abstand von Object und Bild
immer dem Hauptpuuktsinterstitium gleich. Ein solches
afocales System bietet z. B. eine planparallele Glasplatte
dar oder mein aus drei Linsen bestehendes Optometer,
wenn es für Emmetropie eingestellt ist. Ein solches ent-
steht auch, wenn man zwei ähnliche afocale Systeme sym-
metrisch zusammensetzt, z. B. durch Zusammensetzung von
zwei ähnlichen für unendlichen Abstand und emmetropische
Augen eingestellten Fernröhren zu einem symmetrischen
Systeme.
Ebene Flächen stellen immer afocale Systeme dar, in
welchen der Tncidenzpunkt sich selbst conjugirt ist, aber
nur bei centraler Incidenz und für den auf der Brechungs-
64 A* GuUfitrand.
ebene senkrechten Hauptmeridian, bei schiefer Incidenz ist
er Hauptpunkt. Wenn wir uns die ebene Fläche als durch
Streckung einer krummen vorstellen, so finden wir, dass
bei Abnahme der Krümmung in den beiden genannten
Fällen nur der Brennpunkt, für den mit der Brechungs-
ebene zusammenfallenden Hauptmeridian aber auch der
Hauptpunkt in die Feme rückt Dies giebt also ein Bei-
sfHel dafür ab, dass eine einzige Fläche in gewisser Hin-
sicht ein afocales System ohne Hauptpunkte bilden kann.
cos i
Hier ist k= / , und wir finden demnach für die Bre-
cos i„
chung in einer ebenen Trennungsfläche:
B' = Ä' -^'4' , ß'= a - ^^4" , 5"= Ä", ß"= a\
co8*e„ cost,
Selbstverständlich ist, wenn Spiegelung anstatt Bre-
chung stattfindet, n„ = — n, sowie i„ = — i, und cosi„ =
= cosi, zu setzen, was auch bei sphärischen und astigma-
tischen Flächen gilt. Bei Spiegelung unter schiefer Inci-
denz in einer ebenen Fläche ist folglich i = 1 und der In-
cidenzpunkt wieder Hauptpunkt.
Wenn bei der Zusammensetzung von drei oder mehr
optischen Systemen das erste und zweite zusammen ein
afocales System bildet, so könnte man wohl bisweilen durch
Fortschreiten in entgegengesetzter Richtung die Schwierig-
keiten überwinden, aber es kann geschehen, dass man auch
hierbei auf ein afocales System stösst. Es ist also nöthig,
die Regeln für die Zusammensetzung von afocalen Syste-
men nicht nur mit einander, sondern auch mit gewöhn-
lichen kennen zu lernen. Wir gehen von unserer Formel
A B + ^fff — ^1 s A 8 A/; = A s ^^s und ersetzen, da Di ^ = 0-
6^2 ^l>^r unendlich gross ist, dia-Dji durch das äquivalente
d,D,-}- 6„D^2' Falls nun das dritte System nicht afocal
ist, mithin d„ einen endlichen Werth hat, ist d„2)i,=0,
und wir finden: Di^ = D„, — d,D,D„,. Die Bedingung da-
Ueber die Bedeutung der Dioptrie. 65
für, dass D^ ein afocales System ist, nämlich d,== L^ ''
giebt uns:
^^^- AT""*"'
und wir finden auf ähnliche Weise für den Ort des zweiten
Hauptpunktes:
"~ A. ~ Ä7~ AÄ„ ~ D,„ •
Diese beiden Werthe sind also ganz unabhängig vom
Abstände zwischen dem afocalen und dem dritten einfachen
Systeme. Nicht so der Ort des ersten Hauptpunktes. Bei
seiner Herleitung könnten wir auf ähnliche Weise verfahren
wie oben, aber die Discussion der unter der Form -^ auf-
tretenden Werthe ist bei dieser Rechnung umständUcher,
weshalb sich für die Wiedergabe hier folgende Rechnung
besser eignet Vom afocalen Systeme brauchen wir ausser
dem VergrÖsserungscoefficienten nur die Oerter von zwei
beliebigen conjugirten Punkten zu kennen. Die reducirte
Distanz A wird zwischen dem zweiten dieser Punkte und
dem ersten Hauptpunkte des dritten Systems gerechnet,
und wir suchen den reducirton Abstand H.^^ des ersten
Hauptpunktes des Gesammtsysteras von dem ersten der
genannten Punkte. Die Gleichung für conjugirte Punkte
im afocalen, bezw. im dritten oinfachen System:
^ nf
geben unter Berücksichtigung, dass -^ — =^ V ^ ist,
-^it Äff
nach Einsetzung von - — -' und an die Stelle von
1 — K -" IS
B,„ und -4^, folgenden Wertl):
Noch viel einfacher gestaltet sich die Zusammensetzung
▼. Gnefo'B AxcblT Ar Ophthalmologie. MJX. 1. 5
66 A. GuUstrand.
von zwei afocalen Systemen. Wenn wir die bezüglichen
VergrÖsserungscoefficienten mit Ä,, Ä„ und h^^ und den
redudrten Abstand zwischen dem zweiten von zwei belie-
bigen conjugirten Punkten des ersten und den ersten von
zwei ebensolchen Punkten des zweiten Systems mit J be-
zeichnen, so suchen wir zuerst den im Gesammtsystem dem
ersten bekannten Punkte des ersten Systems conjugirten
Punkt, indem wir:
1l\, = 0 und ^"„=_^
setzen, wonach wir für die bezügUchen Systeme schreiben:
Da nun B, = Ä„ und ß, = a„ ist, so ergiebt sich der
Vergrösserungscoefficient des zusammengesetzten Systems
einfach als das Product derjenigen der beiden primären
afocalen Systeme:
Wenn ich, um bessere UebersichtUchkeit zu gewinnen^
die oben gegebene Darstellung in Kürze zusammenfassen
darf, so will ich zuerst daran erinnern, dass ich, von der
gewöhnhchen Definition der Dioptrie als der Brechkraft
einer in Luft befindlichen linse von 1 Meter Brennweite
ausgehend, auf Grund der Forderung, dass nur unter ein-
ander coramensurable Grössen Gegenstand einer Addition
sein können, die Identität dieser Definition mit der folgen-
den bewiesen habe:
Die Dioptrie ist die Einheit des reciproken
Werthes einer durch Division mit dem betreffen-
Brechungsindex reducirten, in Meter gemessenen
Haupt- oder Conjugatbrennweite.
Weiter haben wir gefunden, dass die beiden Gesetze
B=A + D ßB^aA
üeber die Bedeafung der Dioptrie. 67
für die Lage und Grösse des Bildes allgemeingiltig
sind, die Systeme mögen einfach oder zusammengesetzt
sein, die Brechung oder Spiegelung in sphärischen oder
astigmatischen Flächen stattfinden, bei rechtwinkeliger oder
schiefer Inddenz, sobald nur immer ein Hauptmeridian mit
der Brechungsebene zusammenfällt, und D von Null ver-
schieden ist
In den afocalen Systemen aber, welche durch die Gleichung
D = 0 charakterisirt sind, erfolgt die Abbildung nach den
Gesetzen: t> 7«^ ^ «
h
Für eine einfache brechende Fläche ist bei cen-
traler Incidenz:
7) — ^^>~^/
und bei schiefer Incidenz in dem auf der Brechungsebene
senkrechten Hauptmeridiane:
j. n„ cos i„ — n, cos i,
^~ R„ '
wobei der Incidenzpunkt Hauptpunkt ist. In dem mit der
Brechungsebene zusammenfallenden Hauptmeridiane hat sich
, T^ w„ cos i„ — n, cos i,
ergeben : D = ~A= — '—, — '—, — '-
Ä, cost^cost,
und für die reducirten Abstände der Hauptpunkte vom In-
cidenzpunkt:
„, 1 cos i„ — cos i, „„ 1 cos i„ — cos i,
D co8t„ D cosi,
Eine ebene Fläche bildet ein afocales System, in
welchem der Incidenzpunkt sich selbst conjugirt, und in
welchem bei centraler Incidenz, sowie bei schiefer Incidenz
in dem auf der Brechungsebene senkrechten Hauptmeridian,
k = 1 ist, während für den mit der Brechungsebene zu-
sammenfallenden Hauptmeridian derVergrösserungscoefficient
folgenden Werth hat:
, cost,
cosi„
68 A. Gnllstrand.
Bei der Zusammensetzung von optischen Syste-
men gelten unter den oben für die allgemeinen Abbildungs^
gesetze angeführten Bedingungen folgende Formeln:
^ 1« = — ~n
Wenn hierbei D|, =0 gefunden wird, ist das zusam-
mengesetzte System afocal und derVergrösserungscoefficient:
In solchen Systemen werden die den Dioptrienwerthen Ä
und B entsprechenden Abstände von zwei beliebigen con^
jugirten Punkten gerechnet, deren Oerter durch die Relationen:
ir,. = -^- + x und K'\,= -^- + -^
gegeben sind, in welchen Ä',2 und K'\^ die reducirten
Abstände von den bezüglichen Hauptpunkten der einfachen
Systeme und x eine beliebige Grösse darstellen.
Für dieZusammensetung eines afocalenSystems
2),, = 0, dessen Vergrösserungscoefficient i ist, mit einem
anderen D,„ gelten folgende Formeln:
^'^ k ^*» D„, ^^^
Wenn zwei afocale Systeme zusammengesetzt
werden, so ist:
Ajjj = k,k„
und die den Dioptrienwerthen Ä und B entsprechenden
Abstände sind von den durch die Relationen:
/T'i, ==0 jr'\, = — ^-
gegebenen oder von zwei anderen beliebigen conjugirten
Punkten zu rechnen.
Wenn in einem Systeme eine oder mehrere Flächen
durch Spiegelung wirken anstatt durch Brechung, so be-
üeber die Bedeutung der Dioptrie. 69
halten sämmtliche Gesetze ihre Giltigkeit bei, und man hat
sämmiliche Krümmungshalbmesser und Abstände in der
Sichtung des einfallenden Lichtes positiv zu rechnen, aber
die Srechungsindices derjenigen Medien , welche das licht
nach einer ungeraden Anzahl von Reflexionen passirt, ne-
gativ zu setzen.
Diese einfache Darstellung der Dioptrik ist nur durch
die Dioptrierechnung ermöghcht worden und erfordert, wie
wir gesehen haben, nicht die geringste Aenderung, sondern
nur eine Erklärung der gebräuchlichen Definition der
Dioptrie. Allerdings wird der Begriff des redudrten Ab-
standes, bezw. der reducirten Convergenz angewendet, aber
so äusserst einfach, wie dieser Begriff ist, wird wohl seine
Anwendung kaum als eine Belästigung empfunden werden
können, oder diese Belästigung wird wohl jedenfalls gegen-
über der gewonnenen Vereinfachung nicht in Betracht
kommen. In der oben gegebenen Darstellung ist der stricte
Beweis sämmtUcher Sätze nur für diejenigen erbracht,
welchen die bisher bewiesenen Sätze der Dioptrik geläufig
sind. In der That war es unmöglich, die Beweise so voll-
ständig zu geben, dass jeder ohne Vorkenntnisse der Dar-
stellung hätte folgen können, oder der kleine Aufsatz hätte
auf ein beträchtliches Volumen anschwellen müssen.
Der eigentliche Gewinn, den diese Vereinfachung der
Ophthalmologie bringt, ist wohl die grössere Leichtigkeit,
mit den Brechungsvorgängen im Auge zu rechnen, und die
Klärung der Begriffe. Dass nämUch eine Klärung der Be-
griffe sehr von nöthen war, das ist leicht einzusehen, wenn
man bedenkt, wie die „Glaskörperdioptrieen" in der litte-
ratur gespukt haben, wie es ernstlich vorgeschlagen worden
ist, den ophthalmometrisch gefundenen Hornhautastigmatis-
mus unter Zugrundelegung der hinteren Brennweite in
Dioptrieen zu rechnen, wie lange es gedauert hat, bis man
den Unterschied zwischen der durch Extraction der linse
70 A. GulUtrand, lieber die Bedeutung der Dioptrie.
erhaltenen constanten Brechkraftsverminderung des optischen
Systems und der ßefractionsverminderung des Auges ver-
standen hat, und endlich wie sich Nagel selbst zu einer
Anwendung der Dioptrierechnung auf das Auge gestellt
hat Er sagt nämlich im betreffenden Kapitel des Graefe-
Saemi seh 'sehen Handbuchs S. 260, nachdem er den re-
dprokenWerth der Brennweite einer Linse als ihre Brech-
kraft bezeichnet hat: „Für eine einfache brechende Fläche
giebt es keinen so einfachen Ausdruck, den man als ihre
Brechkraft bezeichnen könnte" und später: „Spricht man
also von der Brechkraft des Auges in dem Sinne wie von
der Brechkraft einer Linse, so kann das nur die Bedeutung
eines Vergleiches haben," und dennoch hat er, wie aus den
folgenden Zeilen ersichtlich ist, eingesehen, dass diese
Brechkraft derjenigen einer Linse gleich kommt, deren
Brennweite der vorderen Brennweite des Auges gleich ist
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen.
Von
Dr. E. Pawel,
Assistenzarzt am St. Elisabeth-Krankenhaus in Halle a/S.
(Aus der Üniversitäts-Augenklinik in Halle a/S.)
Nachdem in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts
auf dem Gebiete der intraocularen Tumoren noch die grösste
Verwirrung geherrscht hatte, begann mit der Erfindung des
Augenspiegels und mit der Anwendung der Vir cho waschen
Geschwulstlehre auf die Premdbildungen des Auges eine
neue Epoche. Erst jetzt war man in der Lage, diese Tu-
moren in ihren Anfängen und ihrem weiteren Verlaufe zu
beobachten, und, was noch wichtiger, sich auf Grund der
Eenntniss ihres anatomischen Baues über ihre Eintheilung
und ihre Prognose zu verständigen. Schon die im Jahre
1868 fast gleichzeitig erschienenen grundlegenden Arbeiten
von V. Graefe ') und Knapp *) hoben die Thatsache her-
vor, daßs, im Gegensatz zu den früher geltenden Anschau-
ungen fast ausschliessUch zwei Arten von malignen Tu-
moren im Auge vorkommen: Gliome, welche von der Netz-
haut, und Sarkome, welche vom Uvealtractus ihren Ausgang
nehmen; von dem kUnischen Bilde der letzteren, die uns
hier näher beschäftigen sollen, geben beide Autoren bereits
eine eingehende, überaus naturgetreue Darstellung, und
seither haben zahlreiche weitere Veröffentlichungen die mit-
getheilten Beobachtungen bestätigt. Mit der im Jalire
1882 publicirten Monographie von Fuchs*), die auf einer
») y. Gr'aefe's Arch. f. Ophthalm. XIV. Bd. 2. Abth. S.lOl ff. 1868.
•) H. Knapp, Die intraocularen Geschwülste. Karlsruhe 1868.
») E. Fuchs, Das Sarkom des Uvealtractus. Wien 1882.
72 E. Pawel.
Sammlung von 259 genauer beschriebenen Fällen basirte^
lässt sich die Lehre von dem klinischen Verlauf des üveal-
Sarkoms im Allgemeinen als abgeschlossen bezeichnen, und
der Schwerpunkt neuerer casuistischer IVIittheilungen ist
daher nicht mehr in der Schilderung der Krankheitssym-
ptome, sondern vorzugsweise in Berichten über die Vor-
geschichte der Erkrankung und die ferneren Schicksale der
Patienten zu suchen. Beides sind Capitel, welche von
Seiten der älteren Bearbeiter vielfach eine allzu geringe
Berücksichtigung erfahren haben und erst später in ihrer
Bedeutung voll gewürdigt worden sind. Von neueren Ar-
beiten, welche speciell wertvolle ätiologische Studien ent-
halten, seien hier nur die Aufsätze von Leber und Krahn-
stöver^) und Ewetzky*) genannt. Was die Frage nach
der Prognose anlangt, so führt schon Fuchs über die
Lücken des Materials in dieser Hinsicht gerechtfertigte
Klage. In vielen Fällen fehlt eine Weiterbeobachtung der
Patienten gänzlich, oder dieselbe erstreckt sich nur auf
A. Sarkome der Iris.
' Si
V- I Name und ' i ^. fe & » ^, v -r. ^ i Status praeseos »ur Zelt '
IStA ^ *""' """ ,i Ji 5 I » AnaxnneatiBche Daten , ^ ^ .,
Jahr O^, :^ * ^ der Operation '
1. IB. 1882.
[cf.H. Sauer.;
,, Beitrüge
zurCasuIstik
der Iriraar-
kome'M.D.
I HaUe 881.
L. iTnmorvor4MonatenalB KleinbohnengroBBerTomor von HL
' rOthUche Geschwulst grauröthllcher Farbe ragt aus,
I an der naaalen Saite i der Lidspalte hervor. Cornea
! der Iris entstanden,' abgeflacht und getrübt. >
I füllte bald die vordere i
Kammer aus. Seit 4, '
Wochen extrabulbftr,! .
an der nasalen Come-' I
oakleralgrense. j j
^) „Ueber die bei Aderhautsarkomen vorkommende Phthisis des
Augapfels und über die Bedeutung von Verletzungen bei der Ent-
stehung dieser Geschwülste." v. Graefe' s Arch. f. Ophthalm. XLV. Bd.
1. Abth. S. 164 ff.
*) „Weitere Studien über intraoculare Sarkome** (II. Sarkome
in atrophischen Augen), v. Graefe*s Arch. f. Ophthalm. XLV. Bd.
3. Abth. S. 563 ff. 1896.
Beitrag zur Lehre Yon den Chorioidealsarkomen. 73
kurze Zeit nach der Operation, während Fuchs auf Grund
seiner Erfahrungen eine Beobachtungszeit yon mindestens
fünf Jahren ak sicheres Kriterium dauernder Heilung verlangt
Von weiteren Fragen, denen sich die Aufinerksamkeit der
Autoren in den letzten Jahren in höherem Grade zuge-
wandt hat, sind das Vorkommen von Phthisis bulbi bei
Aderhautsarkom, das Verhältniss dieser £[rankheit zur sym-
pathischen Ophthalmie, die Dauer der Krankheit resp. ihrer
einzelnen Stadien, sowie das Verhalten der Leukosarkome
zu erwähnen. Selbstverständlich lassen sich dieselben nur
auf Grund einer grösseren Statistik erörtern. In Folgen-
dem sei es gestattet, die Beobachtungen der hiesigen Kli-
nik *), die sich auf 100 Fälle beziehen und einen Zeitraum
von mehr als 25 Jahren umfassen, zu diesem Zwecke zu
verwenden. Zur Erleichterung der Uebersicht schicken wir
eine Tabelle vorauf und schhessen uns weiterhin so weit
als thunlich der Darstellungsweise von Fuchs an.
A. Sarkome der Iris.
T, , Seh- _ ^, Anatomische lind histologlBche « ,, -^t »__. ,..
Tension • , , Operation- „ ^ ^ ^ ,. ^ ^ Spätere Nachrichten
Termögen I Beschaffenheit des Tumors ' "^
O. Enndeation {Massenhafte Riesenseilen in .Nach 16 Jahren gesund.
I Bundzellen mit feinem Beti-
culum eingebettet. Spärliche '
(physiologische) Pigmentsellen,
weite dOnnwandige Gef&sse.
I i 1
^) Die ältesten Fälle unserer Statistik entstammen der im Jahre
1885 erschienenen Dissertation von W. Martin, „Beiträge zur Pro-
gnostik der Uvealsarkome'^; ein Theil derselben konnte von uns bis
heute, resp. bis zu ihrem Tode weiter verfolgt werden, über einen anderen
Teil waren spätere Mittheilungen nicht mehr zu erhalten. Acht der
nachstehenden Beobachtungen hat Herr Geheimrath y. H i p p e 1 mir gütigst
aus der Zeit seiner Thätigkeit in Giessen überwiesen.
74
E. Pawel.
Name und li-g S-'ß,!. .^^.
^i^-. TU 'ii ^ ! I" Anunnesliscfae Daten
1 J»hr OS' ^ j < ;
SUtas praesens rar Zeit
der Operation
B. 1892.
[et. K. Oeni-I
lsch,„üeber
das Sarkom
der Begen-
boftenhaut*',
I.D. Haile.
92].
42 B. |Vor 5 Vi Jahren ein Im untersten Teil der Iris dun- II.
I I dunkelbrannes PQnkt- kelgefib'bter Tumor, der bis an
I : eben im untern Innern die Cornea heranreicbt und
Quadranten der Iris etwa Erbsen-Grösse hat.
entdeckt, das langsam
wuchs. Vor 1 Jahr
Blutung in die Tor-|
dere Kammer, seitdem!
schnellereeWachsthnro
der Geschwulst. i
B. Sarkome des Ciliarkörpers und der Chorioidea.
I. Stadium.
__ I Name und . « fc & ! . ., ^ ^ .
Nr. _, ««; 5 , §> Anamnestische Daten
Statns praeeens xur Zeit der
Operation
St. 1874.
L. 1875.
B. 1876.
6. I Cl. 1878.
w. i 30
23
N. 1882. I w,
8. E. 1882.
R. I
I
53
28
65
60
I Dicht an der Papille eine Ton der
Netshaut Aberzogene, aiemlich
genau abgegrenzte Geschwulst.
? 'SehstOrungen seit einigen' Ophthalmoskopisch Tumor.
I Monaten. |
B. (Bemerkt seit Vt JahrGcslchtsfelddefekt nach unten
I GeslchtsfeldeiDschittn- i innen. Der rothe Beflez des
, kung und Abnahme des' Augenhlntergrundes fehlt oben
Visus. I aussen.
Fast totale Netahautablteung, an
einer Stelle eine besondere auf-
fiülende YorstÜlpung.
iSeit 6 Monaten Vermin- Zarte hintere Synechleen an der
I derung des SehTermO-l nasalen Seite der Pupille; oph-
Sans, ab und sn
menen.
thalmoskopisch nach unten ein
scharf abgegrenster dunkler
Buckel sichtbar.
SehstOrung erst seit eini- Bothbraune Geschwulst Ton inneu
gen Wochen. 1 her bis cur Augenaxe, etwa
kuglich herrorragend. Gedchts-
I fem nach aussen und oben be-
I schränkt.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen.
75
Tension
Seh-
renndgen
Operation
6/9.
iTldakt.
AnatomlBche und histologische
Beschaffenheit des Tumors
Spfttere Kachzichten
Splndelxellensaikom mit splr-iNach 7 Jahren gesund.
Uchem Pigment und starken'
Gefilssen.
B. Sarkome des Ciliarkörpers und der Chorioidea.
I. Stadium.
Tension
Seh-
TeitDögen
Operation
+
r
Enucleatlon.
+
?
Enudeation.
-
mit +i/a
mühsam
Von'"'
Enucleatlon.
-*-
Kalender
zahlen auf
Enudeation.
4-
0.
Enudeation.
+
mit + V%^
zahlen auf
6m.
Enudeation.
Anatomische und histologische
Beschaffenhdt des Tumors
Spitere Kadulchten
Plgmentirtes Chorieldealsar- Nach IV^ Jahren an
kom, flach in der Nfthe des) GenerausaÜon des
Opticus entspringend, mit Tumors ohne örtliches
erbsengroBsem Hocker. Spln-1 BeddiT f.
ddsellen. 1
Plgmentirtes Sarkom der Chori-
oidea, brdtbasig Im hinteren
Bulbusabschnitt autUtsend,
Spindelzellen.
Klelnbohnengrosses Melano-
Sarkom dicht am Opticus,
dessen Faserung es si
mendrflngt. Bundzellen
In der Gegend des Aequators
sitzendes, erbsengrosses , un-
geiftrbtes Sarkom der Ader-
haut, mit dnem kugligen Vor-
sprang in der Mitte der Ober-
flilche. Spinddzdlen. Bddi-
liche Yascularisation.
Wenig plgmentirtes, aber stark
Taskulaxisirtes Chorioldealsar-
kom, mit sdner brdten Basis
denOpticusgrOsstenthells über-
deckend. Rundzellen.
Schwach plgmentirtes Chorlol-
dealsarkom. Spindelzellen,
Nach 10 Jahren gesund.
Nach 9 Jahren gesund.
Nach 12 Jahren an
,. Uteruskrebs** er-
krankt, 1 Jahr spAter
trotz Totalexstirpa-
tion f.
Nach 8Vt Jahren
Magensarkom f.
Nach 6 Jahren an Leber-
und Magenmeta-
stasen f.
76
E. Pawel.
Nr.
I *•
Name und , -g I ^
Jahr
10.
Kr. 1888.
K. 1888.
«< I
Aoamnestische Daten
Status praesens aar Zeit der
Operation
11. B. 1888.
12. ! B. 1889.
I
13. ; 8ch. 1889.
14. P. 1890.
15. , B. 1892.
16.
17.
18.
ü. 1892.
G. 1892.
8p. 1898.
61
I
m. 58
I
m. ' 62
L. ;Sebst0tung seit 4— 6 Mo-
i naten.
Seit Ober 1 Jahr Abnahme
I des Sehvermögens.
R. Verschlechterung des
Sehens seit 10 Monaten
Geslchtsfeldbescbrän-
kung.
m. I 4,7 ! R. Sehstöning seit a/« Jahr.
m. ; 39
67
44
43
64
L. Seit 4 Monaten SehstA
I rang, sowie Flinunern
j Yor dem Auge.
I
L. {Seit Jahren Amaurose.
R. jEommt nur wegen Brille,
hat nichts bemerkt.
K.
R.
Seit 6 Monaten Vermin-
derung des Sehvermö-
gens.
Kugllche ablatio von aussen her,
die Pupille wird angefikhr halblrt
beim Blick gerade aus. Der Rand
des Opticus ist eben noch ku
sehen. Focal gelbliche
unter der Netzhaut.
Etwa die ganse untere Netahaat-
hXlfte abgelöst , schwapp^id .
Uöckriger, brauner Tumor focal
zu sehen. Gesichtsfeld nur im
untersten Drittel erhalten.
Fokal gelbgi-au schimmernde pro-
minirende Scheibe an der äus-
seren Netzhauthalfte. Ophthal-
moskopisch ablatio. Vordere
Kammer leicht abgeflacht, Pu-
pille starr.
Zwei grössere and ein kleinerer
Knollen In der Tiefe zu seban,
Oberzogen von der adhirenten
Netzhaut. Pupille erweitert,
starr.
Ablatio retinae. Unter der abge-
lösten Netzhaut Geftsse auf einem
dankelgrauen Hintergrund.
Ezcessive Myopie. Dunkelgeflrbte
ablatio. Habitus glaucomatosus.
Nach innen von der Papille dunkle
Prominenz mitGeflkssen, von der
adhftrenten Netzhaut Oberzogen.
Tumor im Fundus sichtbar.
Seit 1 Jahr Abnahme des Änsserllch nichts Abnormes bla
Visus, seit 5 Monaten
Amaorose. Niemals
Schmerzen oder £ntzOn-
dnng
Sehstörung seit 7Monaten.
Vor Vs Jahr ablatio ge-
funden, Tumor vormutet .
auf eine etwas flache vordere
Kammer. Ophthalmoskopisch
Tumor.
Auge reizlos, grosse ablatio Da-
runter dunkel durchschimmern-
der Tumor.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen.
77
Tension
8ehf , - ^ lADatomische und hiBtologiadie „ _^ *r i. . ,.x
Operation _ v - w ,^ ^ ^ Spitere Nftchiichten
Twmftson '^ ! Beschaffenheit des Tumors. '^
Handbewe- Enncleation.
gungenpcn-;
pher (nnr
Kleines angeftrbtes Spindel
seUensarkom, nach aussen Tom
Eintritt des Sehnerren.
swi-
■eben n,
nnd +
Zählt
Finger.
(nur unten).
Enudeatlon . Melanosarkom am hinteren Pol .
Nach IQi/a Jahren
gesund.
Nach 6Va Jahren an
Metastasen in Leber
und Lunge f.
Handbewe- Enudeatlon. Pigmentirtes Chorioldealsar-
gangen , kom, an der ftusseren Bulbus
(nur
ausen).
Finger in
2,6D.*~
2m
Enndeation.
Enudeatlon.
Enudeatlon.
mit +1/45 Enndeation.
Enudeatlon.
Handbewe-
gungen in
der unteren
Oedchts-
fddhilfte.
Enndeation.
Eandeation.
hilfte Ton der ora serrata
nach hinten ziehend.
Melanotisches Sptnddzellensar-
kom der Chorioidea.
Mdanosarkom im oberen Bol-
busabschnitt.
Pigmentirtes Chorioidealsar-
kom.
Kleines pigmentirtes Sarkom,
innen Tom Opticus sitsend.
Pigmentirter Chorioldealtttmor.
Melanotisches Chorloidealsar-
kom, im untern Aussem Qua<
dranten des vorderen Abschnit-
tes sitzend. QeClssrdch. Spin-
ddzellen.
Klrschkemgrosses Mdanosar-
kom nahe dem Opticuseintritt,
Nach 7 Jahren (an
HerslAhmung) f.
Nach 2Vfl Jahren an
Oenerallsatlon f.
Nach 5 Jahren an
Oenerallsatlon f-
Nach IVi Jahren an
Leber- und Magen-
metastasen f.
Nach 7 Jahren gesund.
Nach 6 Jahren mit
gutem Erfolg wegen
Lebermelanosarkom
operirt. */4 Jahr spä-
ter noch gesund.
Nach *U J*^ gesund.
78
E. Pawel.
Nr.
Name and
Jahr
ä^
H
AniunnesUsche Daten
Status praesens cur Zeit der
Operation
19.
E. 1861.
20. Q. 1878.
I
21.
22.
28.
26.
26.
27.
W. 1874.
H. 1874.
Seh. 1874.
U. 1874.
K. 1875.
G. 1875.
K. 1876.
II. Stadium.
68 I L. Vor 2 Jahren Netchant-
ablösung diaguosticirt,
seit 10 Monaten glauko-
matöse Anfiüle mit hef-
tigen Schmenen.
52
26
55
39
60
51
60
UefÜge Beianng, Bild des acuten
Glaukomanfalls.
R. Sehstdrungen u. Schmer- Ausgftnge Ton Irido-Chorioiditis.
len seit einiger Zeit.
B.
L. Seit 1/2 Ja^r Sehstö-
rungen.
Ophthalmoskopisch eine brlun-
liehe Tumormasae unter der ab-
gelösten Netzhaut tu erkennen.
Iritis
NetzhantablOsung; etwas gUuko-
matOser Habitus. AbUtio scharf
begrenst, an ihrer OborllAehe
Blutungen und gedehnte .Qefiaae.
Vor 1 Jahr bereits Seh- Schon bei focaler Beleuchtons
Störungen und Verdacht Tumor sichtbar,
auf Tumor. Operation
damals abgelehnt.
Tumor Im Fundus erkennbar.
L. I Bereits vor 'U Jahr Tu-
I mordlagnose.
Cataract. Dahinter Tnmor bei
focaler Beleuchtung durchschira-
memd.
Hintere Synechieen. Schwira-
lieber Tumor focal sichtbar.
Beitrag zur Lehre von den Cborioidealsarkomen.
79
8eh-
TensioD _ | Operation
Termogen ,
Anatomische und histologische
Beschaffenheit des Tumors.
Spätere Nachrichten
Enncleatlon.
zahlt
Finger aof
i»;,m.
Mlt+i/„
Jg. J9.
Enodeation.
Enndeation.
Enndeation.
Enucleatlon.
I
IL Stadium.
Plgn^entirtes Chorioidealsar-
kom.
Nach der Enndeation
29 Jahre gesund; im
80. [1890] Melanosar-
kom der Orbit«, Tom
Enndeatlonsstumpf
aasgehend Exent.
orblt. Der Sehnerv ist
bis zum For. opt.
schwars. Rechts keine
Oesichtsfeldbesehrin-
kung. Weitere Nach«
richten fehlen.
Pigmentirtes, breitbasig aufsit^
sende« Choxioidealsarkom Ton
Haseln ussgrösse mit einer Ein-
schnQrung In der Mitte Spin-
delscUcn.
Cborioidealsarkom , bohnen-
gross, bis an den Opticus
heranreichend, nur teilweise
pigmentirt, Spindelzellen.
Cborioidealsarkom mit Torzugs-
weise centraler Plgmentirnng,
sich kegelförmig erhebend
Spindelzellen.
Pigmentirtes Cborioidealsar-
kom Ton Haselnussgr&sse mit
einem ungefllrbten kleineren
Vorsprang. Kleine Spindel-
zellen.
Kalender-
zahlen in
3 m.
Enndeation . | Schwach pigmentirtes nussgros-
ses Cborioidealsarkom, bis ao
{ die Linse heranreichend. Spin-
delzellen.
Enndeation.
Enndeation.
Bobnengrosses, breitbasig auf-
sitzendes Cborioidealsarkom
mit geringer Pigmentirung
und centraler Verfettung.
Spindelzellen.
Pigmentirtes Chorioidealsar-
kom, füllt den hinteren Bul-
. busabschnitt. Spindelzellen.
Enndeation. 1 Kirscbkemgrosses Melanosar-
I kom der CiliarkOrpergegend,
I die Sklera am Cornealfalz her-
1 vordriingend. Spindelzellen.
Nach 3 Jahren an
Generalisation f.
Nach lOVs Jahren
gesund.
Nach 11 Jahren gesund.
Nach 11 Jahren gesund.
Nach 1 Jahr wegen ört-
lichen BeddiTs Ez?is-
cer.mitWegnahme des
Periostes V« Jahr da-
rauf an Generalisa-
Uon f.
Nach 3 Jahren an
Generalisation f.
Nach 10 Jahren gesund.
Nach 6 Jahren an
Magenleiden f.
80
E. Pawel.
Nr.
I Name und
I Jahr
^1
28.
B. 1876.
w.
29.
H. 1876.
w.
80.
C. 1877.
w.
81.
W. 1877.
m.
32.
L. 1878.
m.
88.
Seh. 1878.
w.
84.
Fr. 1879.
m.
86.
H. 1879.
m.
86.
Fr. 1880.
m.
87.
D. 1880.
m.
65
24
52
49
D ,
ADamnestische Daten
Status praesens aor Zelt der
Operation
E. 1880. 1 w.
78
41
22
56
42
L. iSeit 6 Monaten Sehstft-i Habitus des Süsseren Auges ganz
rung bemerkt.
B.
B.
Sehstfinmgen u. Schmer-
zen seit Monaten.
B.
B.
dem Bilde einer Episkleritis ent-
sprechend Aufhebung der vor-
deren Kammer, brechende
Medien undurchsichtig.
Iritis mit CatarscU indp. Er-
hebliche Gesichtsfeldbeschiftn-
kung nach oben rechts. Peri-
pher diffuse Chorioidealrertode-
rungen.
Tumor opthalmoakopisch sichtbar.
Seknndtrglankom. Dichte Glas-
körpertrQbungen.
Vor i/s J<^r merltte Pat. in den Glaskörper hinein ragt ein
sufklUg, dass er mit dem deutlich abgrensbarer Tumor mit
rechten Auge nur nach] grauer OberiUche. Flottirende
derAussenseite, nnddiej Netxhantabldsuog. Qesichtsfeld-
Hand soeben noch sehen beschrankung oben und inn«i.
konnte. Schmenen erst
in leUter Zeit.
Bei Durchleuchtung GeAsse des
Tumors sichtbar. Gesichtsfeld
nach aussen und oben besdirünkt.
L. Sehstdrung seit 8 Mo- XetxhauUbl&iung, darunter Tu-
naten. mor. Opticus halb Terdeckt. Ge-
sichtsfeld fehlt oben und innen.
L.
Bulbus in allen Darduneasem
Yorgrössert und in der Aequa-
torialgegend mitnnregelmlssigen
Buckeln versehen. Cataracta
calcarea.
Tumor schon bei seitlicher Be-
leuchtung sichtbar.
Verletaung in einem
Eisenbeiigwerk, wonach
Amaurose, Tor 7 Jahren.
Seit 8 Jahren VergrOs-
serung des Auges. Nie
Schmerzen , bis erst in
der leteten Zelt.
iVor 2 Monaten Hufschlag I Bulbus verkleinert, vordere
auf das Auge. Darauf Kammer flach. Unmittelbar hinter
I Amaurose, Phthisis, der Linse graugelber Beflex.
Schmerzen. A tropin erweitert die Pupille
nicht, löst aber einen Bchmers-
anfall aus.
L. I Unter heftigen Kopf- Starke Ciliarinjectlon. Vordere
schmerzen seit 5 Jahren, Kammer aufgehoben, Myosis.
erblindet. Verlauf unter' Vorgebuckelte PuriUarmembran.
zunehmender Einengung
des Gesichufeldes. i
Beitrag zur Lehre von den Choiioidealsarkomen.
81
Tension <
Seh-
Kalender-
sahlen in
2 m.
ZAhlt mtth-
sam Finger
auf 1 m.
Zihlt
Finger auf
Grosse
Zahlen in
2 m.
Operation
EnudeaUon.
Enncleation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Operation
Terweigert
Enudeation.
lAnatomisdie und histologladie
I Beschaffenhdt des Tumors,
Spätere Naduichten
Flach ausgedehntes pigmentir- Nadi 9 Jahren gesund«
tes Sarkom der Chorioidea,
bis an den CiUarkOrper rdchend,
Btellenweis bis an die Iris,
Spindel- und BundxeUen.
Sehr wenig pigmentirtes Cill-
arkörpersarkom. Spindelzellen.
Fast den ganzen Bulbus ans- Nach 22 Jahren gesi^d.
flUIendes Chorioldealsarkom
mit starker Pigmentirung.
Spinddzellen.
Melanosarkom der Chorioidea,|Nadi 8 Jahren gesund,
bohnengross, mit einem Ende'
den Opticus überdeckend. 1
Splndeixellen. '
Spirlich pigmentirtes Spindel- Nadi 7 Jahren gesund.
Zellensarkom der Chorioidea.
Bohnengrosses melanotisches
Sarkom. Spindelzellen.
Schwach pigmentirtes Chorioi- Nach 20 Jahren gesund,
dealsarkomf noch klein, Ton
der unteren Opticusgrenze
ausgehend. Spinddzellen.
Pigmentirtes Sarkom des Corpus Nach 6 Jahren gesund,
dllare, innen oben. 1
Pigmentirtes Chorioidealsar- .Nach 19 Jahren gesund,
kom, am Äusseren Abschnitt
die Sklera Torbuckelnd.
Nach 3 Jahren an
mehrmonatiicher
Lungenerkrankung -j-.
Schwach pigmentirtes Ciliar-jTod durch Sdbstmord
körpersarkom, in das Pupillar- nach 5V4 Jahren ; bis
gebiet hinein wuchernd. Lux-
Irte Linse, ExcaTation des
Opticus. Spindelzellcn.
T. Graefe*s Archir f&r Ophthalmologie. XLIX. 1.
dahin gesund.
82
E. Pawel.
Nr.
Name und
Jahr
dm, ^
O
-< I
Aoamnestiscbe Daten I
Status praesena rar Zeit der
Operation
S. 1881.
40. < Seh. 1881.
41.
42.
43.
46.
4G.
W. 1882.
W. 1882.
H. 1882.
Gr. 1883.
H. 1883.
D. 1884.
47. ' S. 1884.
48. , St. 1884.
m. 64 I L. '
Infolge Ton Netshant-, Heftige Reizung des Auges mit
blutungen soll vor 2. unregelm&ssiger Papillarerwel-
w. I 27 1 L.
28
46
62
Seit 2i,'( Jahr Sebstftning, Secundftrglaakom, heftige
Tor 1/2 Jahr Auftreten Schnienen. Vordere Skieral>
L.
R.
Jahren das SehvennOgen
gescbwundwi sein.
Sehmeraen seit 2 Mo-
naten.
terung. Acutes Secundirglankom.
Ton Iritis. FrQber Ablatio
retinae diagnosticirt.
Vor 4 Jahren Netchaut-
abl&sung constatirt; Tor
2 Jahren soll nach hef-
tigem Erbrechen plötzlich
Amaurose eingetreten !
sein. Schmerzen erstj
in letzter Zeit. i
ektasie.
Aufgehobene vordere
Pupillarrand rareficirt.
Druckern pfiodlichkeit .
Kammer.
Cataract,
SeltVaJA^fS^bB^ruDKCD- ^iL^^^us glaucomatosus. Atro-
phischer Opticus Ewisciien 2 hüg-
ligen Bildungen. Ciliaiinjection.
I Schmerzen.
Schmerzen seit einigen, Nasal gelegene, getigerte Ge-
Wochen, schwulst, blasige Netzhaotab-
I lösuDg. Beim Blick nach oben
i normaler Reflex. Äusserlich ge-
I ringe Reizung.
60 I R, Iseit Vs ^»ia Scbstörung, Starke FüUimg der CUlarrenen,
58
, I 31
64
seit 2 Monaten EntzQn- seicbte vordere Kammer, weite
duüg und Schmerzen., reactionslose Pupille. Aus der-
Sehen fkrbiger Ringe. I selben graugrüner Reflex.
L. Schmerzlose Entwiche- iBlasenfbrmig vorgetriebenes kug-
! lung, Sehstörung erst; liges Gebilde, auf welchem Reti-
vor ö Wochen bemerkt.! nalgeRIsse und Blutungen sieht-
I bar sind, im äusseren llieii des
Augenhintergrundes.
R.
L.
m. 50 I L.
I
I I
Vor 1/2 Jahr ärztlicher- 1 Dicht am oberen Rand des Opticus
seits Cysticercus ver-j beginnende Ablatio. Nach obeu
muthet. Sehr elnge- , innen eine aullhlleude Vorbucke-
schränktes Gesichtsfeld, lung derselben.
seit längerer Zeit.
Seit 1 Jahr VenuinderuDg Habitus glaucomatosus. Bei fo-
des Visus. In deo letzten' caler BeleuchUing wie bei durch-
14 Tagen heftige Kopf- fallendem Liebt eine schwars
schmerzen. gefleckte Prominent unten aussen.
Seh»tnruDg seit 3 Jahren, 1 Bräunliche Masse nicht weit hinter
BeKinn mit Ausfall der der Liuse. Geringe Reiwrschei-
nasalen Gesichtsfeld- nungen.
hbirte.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen.
83
TemaioD
Seh-
rermögtQ
Operation
Anatomische und histologlKhe
Beschaffenheit des Tomon
Spätere Naduichten
I,
0 EnacIeaÜon. Haselnosegrosses plgmentirtes Naeh 2^4 Jahren
I Sarkom im hinteren Bulbus- plötzlich (anHenspara-
' abschnitt. Sj^delsellen. lyse?) f-
Enudeation. {2 stark pigmenti rte, zusammen- Nach TV« Jahren an
hängende Knollen im hinteren Lebermetaatasen f.
I Augenabschnitt. Vorwiegend
Rundzellen.
0 I Enodeation. Stark plgmentirtes Chorioideal- Nach 6Vs Jahren an-
I I sarkom, Tom inneren hinteren Metastasen in den Ab-
, iTheil derAderhaut ausgegangen, dominaloiganen f-
I fDlIt das Bulbusinnere aus.
Spindelzellen.
quant.
-I- Etwas
Lichtschein
aber falsche
Projection.
Ezcentrisch
nach aussen
werden
Finger ge-
zahlt.
Handbe-
wegnngen
. und lidit-
I schein nur
nach aussen
, und olien.
EnnckaÜon. Gerade im hinteren Pol des
Auges ein erbsengrosses,
glattes, rundes Melanosarkom
(8 mm DmK Trichterförmige
Ablatio. Bundzellen,
Enudeation. pigmentirtes Sarkom Tom in
neren Aequator aus in die
Ciliarkörpergegend hineinge-
wuchert. Spindelaellen,
Enudeation. Chorioidealsarkom.
EnudeaÜon. Haselnussgrosses Leukosarkom
im äusseren Augenabschnitt,
rdcht bis an die Linse heran.
Vorwiegend Bundzellen.
Enudeation. Stark pigmentiertes Chorioi-
dealsarkom, den oberen Theil
des Opticus überdeckend. Rund-
zellen, wenig Spindelzellen.
Enudeation. lUnten aussen, dicht an den
Opticus heranreichend , ein
melanotisches, fast haselnuss-
grosses Sarkom. Rundzellen,
Enudeation. Nach aussen gelegener Chorioi
dealtumor, dessen eine Hälfte,
dunkelpigmentirt und spindel-
zeUig, Ton der anderen, unge-
färbten und aus Rundzellen be-
stehenden, scharf getrennt ist
Nach 16Vs Jahren
gesund.
Nach 5 Jahren an lang-
dauernder Lungenent-
zündung f.
Nach 11/4 Jahr an
Lebermetastasen f.
Nach IVt Jahr gesund.
Nach 16 Jahren gesund.
84
E. Pawel.
Anamnestische Daten
Status praesens aar Zeit der
Operation
49.
60.
51.
52.
53.
64.
53.
H. 1881.
K. 1886.
Seh. 1886.
H. 1886.
H. 1886.
8p. 1887. w
P. 1888.
56. B. 1888.
57. ' B. 1888.
I
58. ' T. 1888.
ui).
Br. 1888.
m.
36
w.
28
m.
46
w.
51
m.
56
w.
62
w.
57
w.
63
m.
72
m.
57
w.
.34
L.
I
L.
Seit 11 Jahren Beein- Cataract,
trftehtigung der Sehkraft,' ektasie.
angeblich in Folge eines!
Karbunkels am Orbitsl-{
rand. Seit 8 Jahren
Amaurose, seit einigen
Monaten Schmerzen.
Amaurose , Skleral-
Iridochorioiditis , SecandArglau-
kom. Dunkler Reflex aus der
Pupille. Schmerlen.
SehTcrmÖgen seit 1 Jahr Bauchiger Reflex ans der weiten,
sehr schlecht. BeicEu-| trttg rangierenden Pupille. Durch-
stand erst seit kurser leucntung unmöglich. Schmenen«
Zeit.
Nach Strohhalmstoss
(vor 3 Jahren) langsam
entstandene Erblindung
ohne Schmerzen.
Seit längerer Zeit Seh
Störung. Schmerzen erst
seit einigen Tagen.
Ausgftnge von lridoc7clitis,Secur>
dSj^laukom.
Iritis. Ophthalmoskopisch auspec-
ter Reflex vom Fundus auf der
lateralen Seite.
Tumor focal erkennbar.
Seit 2 Jahren langsame Sedusio pupillae, SecundArglau-
Abnahme des Visus ohne I kom.
Schmercen. Erst seit 3
Monaten Schmerzen,
Schwindel und Erbrechen.
L. Seit 1 Jahr Cataracta Starke entzQndliche Erschei-
indp. Seit 6 Monaten' nungen. Glaukom.
Ablatio retinae und I
Amaurose. Inderletaten
Zeit Schmerzen.
SehstOrung seit längerer, Bei focaler Beleuchtung braun-
heftige Kopfschmerzen rother Reflex dicht hinter der
in leuter Zeit. | Linse.
\
Vor 4 Wochen Regen- Bild des acuten Glaukomanfalls
bogenfarben, seit 8 Tagen' in Verbindung mit Intraocularer
Schmerzen und Schwel- j Hämorrhagie.
lung. I
, iVor 3/^ Jahr Beschrttn- Oedem der Ck>iOunctiva bnlbl et
I kung des Gesichtsfeldes palpebrarum. DerChemose ent-
I bemerkt. Schmerzen , spricht in ihrem Sita (roraug«*
I erst seit einem Tage. ] weise links unten) eine Ketz-
hautablösung.
I
Beitrag znr Lehre von den Chorioidealsarkomen.
85
Tension
I Seh-
I Tcnnfigen
+
+
Nor noch
Lichtschein,
aber
schlechte
Locali-
aation.
qnant.
EtWM
Idchtachein.
+ 3.
(Kur in der
unteren
HSlfte des
Gesichts-
feldes)
Finger auf
2 m.
Anatomische und histologische
BeschaiTenheit des Tumors
Enudeation.
Enudeation.
Enucleatlon.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation
Enudeation.
EnucleatioD.
Eoucleation.
Mdanosarkom der Chorioldea.
Pigmentirtes Chorioidealsar-
kom.
Pigmentirtes Choiicidealsar-
kom.
Sarkom der Chorioldea.
Mdanosarkom.
Pigmentirtes Sarkom der
Chorioldea.
Melanotlscher Chorioidealsar-
kom.
Pigmentsarkom der Chorioldea.
Melanosarkom.
Pigmentirtes Sarkom der
CUiflrkOrpergegend.
Pigmentsarkom im hinteren
Pol des Auges.
Spätere Nachrichten
Nach I Jahr gesund.
Nttch 11 Jahren an
„Magenkrebs" f.
Nach 13 Jahren gesund.
Nadi 13 Jahren gesund.
Nach 91/2 Jahren plöta-
lich (an Apoplexie 7) f.
Nach 7 Jahren an
Lebersarkom f.
Lebt nach 11 Jahren.
Seit 1/2 Jahr magen-
leidend.
Nadi 6 Jahren (an
Altersschwftche?) f-
Nach 11 Jahren gesund.
Nach 7 Jahren an
Lebermetastasen f.
Nach lOVsJfthren
gesund.
86
E. Pawel.
Nr.
60.
61.
62.
63.
64.
66.
Name und
Jabr
5l
Anamnestische Daten
Status praesens aar Zeit der
Operation.
F. 1889.
B. 1890.
K. 1890.
M. 1890.
L. 1891.
J. 1891.
66. ' Gl. 1891.
67.
68.
P. 1891.
W. 1892.
, I F. 1892.
70.
St. 1892
n».
»
w.
29
m.
47
..
7
L.
Sehstörnng nicht be-
merkt. Seit einigen
Tagen plötcUch Schmer-
sen und linkseitlge Mi-
grftne.
I
iMJUaige Injection, vordere Kam-
mer aufgehoben, weite, starre
Pupille. Cornea leicht getrftbt.
Durchleuchtung unmOgUdi. Bei
seitlicher Beleuchtung 2 kujg^che
Erhabenheiten an der
Seite sichtbar.
L. I Tumor bereits tot ^/g JahriCUiarinJectlon, Ektasie der ror-
I im I. Stadium diagnos-j deren Bulbushftlfte oberhalb de«
! tidrt, Operation da-| horizontalen Meridians. Iria
nials abgelehnt. Seit, hämorrhagisch TerflLrbt, maximal
einigen Tagen heftige, dilatirte Pupille, Einblick onmdg-
Schmerzen. lieh. Amaorotisches Kataenange.
Seit Ober 1 Jahr Seh- Starke Reizung. Iris Torgetrieben
Störung, seit 1,4 Jahr und fast der Cornea anliegend.
Amaurose, seit 3 Wochen I Seichte Tordere Kammer. Bei
Schmerzen In der ganzen i focaler Beleuchtung grauer Re-
linken KopfhAlfte. I flex aus dem Hintergrund, Ton
einer kugligen Masse ausgehend.
Beginn vor Vi J«hr.
w. I 66
m. I 26
m. 33
m. , 39
45
m. ' &4
60
R.
Injection der eplskleralen Venen
in der unteren Bulbusbilfke. Glau-
komatöse Erscheinungen, Ablatio.
Unten in der dliarkörpergegend
mehrere Knoten sichtbar.
Vordere Kammer tief, ringförmige
Synechie. Grauer Reflex hinter
der Linse.
B. I Hochgradige Amblyopie, Hämorrhagische
I und Dlrergcnzstellung' trische Pupille
seit Kindheit, seit G
Monaten völlige Erblin-
dung, seit einigen
Wochen Schmerzen.
Iritis, excen-
Fundns nicht
deutlich zu erkennen. Eine Vor-
buckelung der Sklera naialw&rts.
!
R. Alte Amaurose, seit eini- Conjunctivale Injection, Staphy-
I gen Wochen Reizzustand, loma solerae. Prominenz nasal
I I bei seitlicher Beleuchtung.
R. iScit 2 Jahren Amaurose' Vollständige Netzhautoblösung.
mit Kopfschmerzen, ror' Nach innen seitlich eine promi-
Vli Jahr Ablatio nach nirende Stelle derselben mit
unten gefunden. ' graugelblichem Schimmer.
R. |Seit 2 Monaten Erblin- Caiaract. Weite renogene Pu-
düng unter subjectivcn> pille, sehr enge vordere Kanuner.
Lichter»cheinungen. In Hinter der Linse aussen oben
jQngster Zeit Schmerzen ein verdachtiger Reflex,
im Kopf und Auge.
— EntzQndlicher Zustand, Habitus
gUucomatosus. Retina in scharf
geknickten Falten aa die Hinter-
flttche der Linse g^^sst.
Abnahme des Visus seit Glaukomatöser Habitus. Dunkle
I 2 Jahren. . Prominenzen in den GlaakÖrper-
I I räum hineinragend
Beitrag zur Lehre von den Ghorioidealsarkomen. g?
Teosion >
Seh-
+ 3
Operation
Anatomische und histologiacbe
I Beschaffenheit des Tumors
Spitere Nachrichten
Enudeation. Melanotiscbea Sarkom Im seit-
lichen inneren Bnlbosabschnitt,
Enudeation.
Leukotisches Ciliarkörpersar-
kom.
Enudeation. Gefsissreiohes , flaches Melano-
snrkom der Chorioidea, vom
lateralen Papillenrande bis
ungefShr zum Aequator
reichend. Spindelzellen.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
Enudeation.
0 Enudeation.
Enudeation.
Nach 9Va Jahren
gesund.
Nach SVi Jahren an
Lnngenmetaatasen -f*.
Nach 8 Jahren gesund.
Sehwach pigmentirtes Sarkom, Nach 1 Jabr an Leber-
vom CiUarkOrper nach hinten metastasen f.
reichend.
Kleines Melanosarkom.
Seitlich nach innen sitzendes,
pigmentirtes Chorioldealsar-
kom.
Pigmeotirtes Sarkom des
Ciliarkörpers.
Pigmentirtes Chorioidealsar-
kom etwas nasalwärts im
liinteren Abschnitt gelegen.
Sarkom der Chorioidea.
Melanotischee Chmrioidealsar-
kora«
Melanosarcoma chorioideae.
Nach 8 Jahren gesund.
Nach 6 Jahren gesund.
Nach 7Vi Jahren
gesund.
Nadi 7 Jahren gesund.
Naeh 4i/a Jahren f*
88
£. Fftwel.
AnamDestiBche Daten
Status pTmesmss aar Zeit der
Opermtlon
72. H. 1896.
78.
74.
76.
76.
St. 1896.
Ä. 1896.
K. 1886.
K. 1897. w.
77. ; B. 1897.
n.
68
m.
68
m.
68
m.
61
w.
70
w.
48
m.
64
Jf,
,6eit 2 Jahren Almahme' Starke Injeetlon, Irisaehlottem,
I des SehvemiOgens ; Tor| Lazatio lentis. Secandifi^Iaakom.
14 Tagen Schmenanfkll
vnd Amaurose.
L.
L.
L. Seit 1 Jahr SehstOrung,
Schmerzen seitSWvchen.
B. Seit 6 Jahren Amaurose,
I seit 8 Tagen glaukoma-
töse Schmerzen.
Sehstörung seitiMonaten ,
Schmerzen und Entzün-
dung seit 6 Wochen.
Bild de« acuten Glaukoms. Druck-
empflndllchkeit des Corpus
dUare.
Vordere Kammer aofgehohen ,
Pupille weit, starr. Dicht hinter
der Linse eine reflectirNide,
dunkle Prominenz.
Ezcentrische reactionsloae Pu-
pille. Im Hintngrund Tumor
mit Geflkssnetz sichtbar.
Unter heftigen linksseitl- Auge reislos , starre mitldwelte
gen KopfiBchmerzen all-' Pupille. Cataract. Atrophische
mShlige Abnahme des
Visus seit 2 Jahren.
i
iSehstOrung seit 1 Jahr.
seit4 Wochen Schmerzen.
Iris. Amaurose. Diagnose :
Glaucoma absolotum.
Starke Injection, Tordere Kammer
fast aufgehoben. Pupille weit,
Tersogen , reaetlonsloe. Durch-
leuchtung unm&glich.
Strohhalmrerletzung Tor Bulbus stark rerkleinert, Cornea
4 Jahren, danach Aman
rose und Phthisis. Seit
14 Tagen Schmerzen.
Tftlllff abgeflacht und grau getr&bt
Einblick in das Augeninnere un-
möglich. Druckempflndlichkeit.
78 .
79.
80.
81.
Dr. 1869.
Z. 1872.
St. 1874.
Br. 1875.
w.
49
m.
47
w.
46
w.
'
III. Stadium.
Seit 2 Jahren Staphyloma
racemosum
Vor 10 Jahren Cataracta
moliis complicata mit
I glaukomatösem Habitus.
Cornea theils rorgebuckdt, teils
bereits durchbrochen Ton einem
melanotlsehen Tumor.
Retina abgelöst und in Falten su-
sammengedrfickt. Bulbus seitlich
an einer kleinen Stelle durch-
brochen.
Phthisis mit staphylomatOeer Ek-
tasie. Der Tumor perfoHrt die
Sklera.
Habitus glaucomatosns.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen.
89
Tension
Seh-
▼ermOgen
Operation
Anatomische and histol<^ache
BescbaffiBnheit des Tumors
Spatere Nachilcliten
I Undcberer
'Licbtsehein,
i keine Pro-
, Jection.
I '
+ 3 j
Enncleation.
EnuGleatlon.
Enncleation.
Enadeation.
Iridektomie
und Cataract-
eztraction
Enadeation.
Enadeation.
Lateral neben dem Opticnsein
tritt entspringendes baselnusB-
grosses Spindelzellensarkom
mit rdchlicber Pigmentirung.
Cborioidealsarkom .
Sarkom der Cborioidea.
Stark pigmentirtes Spindel-
xellensarkom im hinteren Bol-
basabschnitt , sum gr&ssten
Theil lateral Tom Opticusein-
tritt. Eine kleine flache Er-
hebung auf der nasalen Seite
der Papille.
Stark pigmentirtes Sarkom,
demllch den gansen hinteren
Balbttsabschnitt auaflUlend
Spindelsellen.
Gemischt pigmentirtes Spl
delzellensarkom, das mit seiner
Basis Tom lateralen Papillen-
rande bis zur Aeqnatorgegend
reicht.
Nach SVt Jahren
gesund.
Nach V« J^f gesund.
Nach S^/i Jahren ge-
sund.
Nach 8Vt Jahren ge-
sund.
Nach 6 Tagen plötz-
licher Tod an Apo-
plexie. Section ergiebt
Sarcoma chorloideae.
Nach IVfl Jahren ge
Bund.
Das ganze Bulbosinnere Ton'Nach IVt Jahren ge-
einem spirllch pfgmontirten' sund.
Cborioidealsarkom erf&llt. 1
Rand- und Spindelzellen. |
III. Stadium.
Enndeation I Mftssig stark pigmentirtes
mit part. I Chorioldealssrkom , welches
Exent. Orbit. , den Torderen Bulbusabschnitt
^ ausfüllt und am inneren Cor-
, nealxand durchgebrochen ist.
Grosse Spindel- and Bundzellen.
Nach 6 Jahren an Gene-
ralisation f. (Multiple
Hautsarkome).
Enudeation
mit theilw.
Exent. orbit.
Enadeation.
Enadeation
und part.
ExTisc. orbit.
Melanosarkom der Cborioidea. 'Nach
Spindel und Rundzellen.
Jahr Örtliches
Reddir: Exent. mit
Wegnahme des Peri-
ostes, -j- bald darauf.
Nach Vi J(^' ohne
Ortliches Reddir an
Generallsation f.
Bohnengrosses Chorioidealsar- Nach einigen Monaten
kpm, melanotisch, dicht am an Generallsation f.
Opticus entstanden und da-
selbst den Bulbas perforirend
Spindelzdien.
Pigmentirtes Cborioidealsar-
kom. Spindelzellen.
90
E. Pawel.
Nr.
Name und
Jahr
< I <
I ^
9> I AoaniDestlsche Daten
Status praesens rar Zeit der
Operation
82.
83.
84.
86.
88.
87.
88.
89.
90.
K. 1876.
D. 1880. [cf.
A.Wiegand,
J.DOiessen
83. FaU II.]
P. 1880.
34
Br.l880. [cf.
A.Wiegand,
I.e. Fallni.J
E. 1880.
J. 1882.
Kr.-C. 1888.
K. 1884.
M. 1885.
? I
NetahantablOsung , darunter
dunkler Tumor.
67
68
64
3ö
24
61
I I
, Vor 6 Jahren Trauma. Erhebliche Protrusion , Habitus
I Seit 2 V2 Jahren Schmer- i glaucomatosus. Catanct.
I zen, ülntzQndung und,
I Abnahme des Sohver-
I mflgens. Seit 7 Wochen
I Exophthalmus. |
jVor 17 Jahren plötzliche' Grosse bl&uliche Geschwulst im
Erblindimg ohne nach- oberen Theil der Orbita, von
ConJuncUra bedeckt. Mit ihr
zusammenhängend und nach
unten gedringt der phthisische
Bulbus , der mitsammt der Ge-
schwulst noch etwas in der Or-
biU verschlebUch ist.
Seit 7 Jahren Erblindung Exophthalmus. Der Bulbus in
gewieaene Ursache. Seit
7 Jahren Phthiais. Seit
^li Jahr schmerzlos
wachsender Tumor in
der Augenhohle.
unter Schmerzen und
entzOndlchen Zustanden.
Seit 8 Wochen heftige
SchmerzantUle.
OesichUfeldbeschrftn-
kung seit mehreren
Jahren.
L.
L. I
Seit4Vi Jahren Gesichts-
feldbeschrftnkung nach
oben, die in Folge eines
Stosses Tor das Auge
auftrat. Bald darauf
Glaukom und Cataract.
L. jSehstdrung seit 2 Jahren.
I Keine Schmerzen.
K Seit >/4 Jahr Amaurose.'
, : Beginn der SehstOrungl
I ' I Tor mindestens 2 Jahren.
I I
eine unregelmftssige , zum Theii
ulcerlerte Tumormasse verwan-
delt, die eine starke Vasculari-
sation und schwärzliche Färbung
zeigt. Beweglichkeit etwas be-
schränkt.
Opticusexcavation bds. L. Xetz-
hautablOsung , an einer um-
schriebenen prominenten Stelle
von eigenthOmUch dunklem Aus-
sehen.
Staphyloroa sclerae nach innen
von der Cornea. Zwischen dieser
und dem Staphylom noch ein
kleiner subconjunctivaler pig-
mentirter Buckel. Schmerzen.
Hochgradig desoi^anlslrtes Auge.
Totale Ablatio, SUerektasieen,
Exophthalmus. Beweglichkeit
besonders nach oben hin sehr
behindert.
Unregelmässig verzerrte Pupille,
vordere Kammer flach. Auf-
fallende Injection epiakleraler
GefSsse nach unten zu.
Vollkommene Protmaio bolbi.
Orbitaltumor, besonders vom
untern Rande der Augenh&hle
aus fühlbar. Medien klar, Pu-
pille sichtbar, wenig Stauung.
Faltenförmige Ablatio, in der
Gegend der Macula dunkle un-
regelmlssige Buckel mit reich-
lichen kleinen Hämorrhagieen.
Beitrag zur Lehre von den Chorioideal8arkoinen.
91
TenBion
Seh-
Termögen
Operation
Anatomische und histologische'
I Beschafienbeit des Tumors ,
Spätere Nachrichten
Enueleation Melanosarkom, das den hinteren, Nach 9Vs Jahren ge-
' mit pari. Bulbusabschnitt ausfüllt, miti sund.
I Exent. orbit. , Unsengrossen extnbulbftren |
I { Knoten nach innen Tom Op-)
I ticus. Spindelzellen. i
Exent. orbit. ' Pigmentirtes Chorioidealsar- Nach ^/j Jahr in Folge
I kom am hinteren Pol mit Recidivs f.
Propagationauf den Sehnerven, i
, Vorwiegend Bundzellen. |
I
Exent. orbit.
t nach 2Va Jahren
etwas -h'
Liest grosse
Zahlen in
5 m.
1
qoant.
Sp&rllch pigmentirtes , zell- |
reiches Chorioidealsarkom mit,
Perforationen nach hinten (blsi
zum For. opt. Tumormassen) ,
und durch dleComdi. Rund-
zellen. I
Enueleation , Ungleichmissig pigmentirtes Nach 1 Jahr an Gene-
mit part. Chorioidealsarkom , das den| ralisatlon f.
Exent. orbit. . ganzen Bulbus llkllt. Perfo-|
I rationen am vorderen Pol und
an der inneren Seite des Aug-
I apfels. Bund- und Spindel-
zellen.
Enueleation. 'Wenig pigmentirtes Spindel- Nach 14 Jahren an
I Zellensarkom mit seitlicher, acuter Pneumonie f.
Perforation der Sklera an einer
I kleinen Stelle.
Enueleation. .Stark pigmentirter Chorloideal-
tumor mit episkleralen Knöt-
chen. Bund- und Spindelzellen.
Enueleation
mit part.
Exent. orbit.
Theilweise pigmentirtes Chori-
oidealsarkom, breitbasig am
hinteren Pole aufsitzend, mit
extrabulbAren wallnussgrossen
Knoten an dieser Stelle. Bund-
und Spindelzellen. |
Nach 8 Jahren an
Generallsation f.
Becidiv nach 2 Jahren.
Vi Jahr darauf an
Himsarkom -f-.
Enndeatlon. Kirschkemgrosses Melanoaar- Nach 13 Jahren an acu-
kom im hinteren Augenab-| ter LungenentsQn-
schnitt mit beginnender Per- düng f.
foration. Spindelzellen. 1
Exeot. orbit.
Melanotisdies Sarkom der Nadi 1/4 Jahr an Hirn-
Chorioidea und Orbita. I sarkom f.
92
E. Pawel.
Nr.
Name und
Jahr
Ananmestiscbe Daten
91.
92.
81. 1888.
8ch. 1888.
94.
95.
0. 1889.
E. 1889.
M 1890.
96.
97.
98.
99.
100.
K. 1892.
L. 1892.
A. 1895.
K. 1897.
F. 1898.
60 R.
52 L.
65
L.
49 L.
67
56
56
20
37
40
L.
R.
R.
Status praeaena zur Zelt der
Operation
Starke entxandliche Beixong des
Auges. Comealrand durch»
brcxmen ron einem kleinen,
dunkelpigmentirten Zapfen.
Amaurose.
Dunkelrothert schiefrlger Tumor
umgiebt einen TheU der Bulbna-
Peripherie. Cornea intact und
durchsichtig. Beichte Tordere
Kammer, Iris Tenrachsen.
Vor 14 Jahren ausge-
dehnte HantTerbrennnng.
Nach der Genesung plötz-
lich linksseitige Amau-
rose entdeckt, als deren
Ursache sich eine Ablatio
retinae fknd. Seit 6 Mo-'
naten Entzündung, seitj
8 Wochen Vergr5sserung'
des Auges und Schmer
xen. I
Seit 11 Jahren Ablatio
retinae. 1
Seit 8 Jahren schmerz-, Hochgradige Protmaion und Dia-
lose Erblindung. locaUon des Bulbus durdi einen
' dunkel pigmentirten Tumor. Im
' Innern des Auges prominente
I Geschwulstmaaaen.
Seit 10 Jahren Erblin-' Bedeutender Exophthalmua ; in-
düng ohne nachweisliche' traocularer Tumor.
Ursache. Seit 8 Monaten,
Protrusion und
Schmerzen.
Erblindung seit 80 Jahren .
Focal-Tumor
Sehstörang seit Vs J^hr. Brtunllcher Tumor in der Gegend
des Corpus ciliare unter der ab-
I gelösten Netshaut sichtbar.
Amaurose Tor l Jahr zu-' Exophthalmus. Vordere !
fällig entdeckt. Seit I flach, reactionslose Pupille. Oph-
9 Wochen Schmerzan- I thalmoskopisch Ablatio und da-
flUle, seit 8 Tagen i runter Tumor. S extrabnlbAre
Protrusion. | Knoten.
Seit 8 Jahren Schlechter- Kleinapfelgrosser Tumor in der
werden des Sehvermö- Lidspaite bedeckt zum Theil den
gens. In letzter Zeit mit ihm zusammenhingenden,
Protrusion. vergrOsserten Bulbus. Amaaroae
Schmerzen sdt 'Z« Jahr. Reizzustand des Auges, weite re-
Seit 3 Monaten Abnahme actionslose Pupille. Eigentham-
der Sehkraft bis zu lieber Reflex aus derselben.
Tölliger Amaurose. Durchleuchtung nicht mflglich.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen.
93
Seh- Anatomiflche und histologische
▼ermögen i | Beschaffenheit des Tumors
Spätere Nachrichten
I Enudeatlon.
Enudeation.
Am Comealrand perforlreades'Nach 8 Jahren f. Ur-
Melanosarkom. sache unbekannt.
Stark pigmentlrtes Chorioideal-I Nach i/« Jahr an
sarkom mit wallnussgrossem, Becldir t.
extrabulbftrem Knoten. '
quant.
Enudeation.
Exent. orbit.
PIgmentirtes Chorioidealsar- jNach 2 Monaten Exent.
kom mit kleiner Perforaüons- orbit wegen Reddirs in
stelle.
Nasal entstandenes melano-
tiscbes Chorioldealsarkom mit
breitem Burchbruch in die
Orbita.
Exent. orbit. Melanotisches Chorioidealsar-
[Da melano- kom, das den hinteren Ab
tische Massen schnitt des Bulbus f&llt und
bereits in den auf den Opticus resp. die
Knochen ge- Orbita Qbergegrlffen hat.
wuchert sind,
Opticusdn-
eintritt nicht
ganz reinj.
Enudeation. i PIgmentirtes CiliarkOrpersar-
kom mit mehreren episkleralen
Perforationen.
Enudeation Haselnussgrosses Melanosarkom
mit part. | des Ciliarkörpers mit einem
Exent. orbit. ! linsengrossen episkleralen
Knoten am Aequator. Spin-
> delzellen.
Enudeation. ;Zum Theil pigmentlrtes Chori-
oldealsarkom im hinteren
' Abschnitt.
i
Exent. orbit. Chorioldealsarkom mit Durch-
I bruch in die Orbita, die es bis
zum Foramen opticum ausfüllt.
Exent. orbit. Chorioldealsarkom. An der
temporalen Seite neben dem
, Aequator eine Perforation.
I
der OrbiU. f 3 Monate
spftter an Himsarkom.
Nach IVs Jahren an
Magenmetastasen f.
Nach >/4 Jahr i
Himsarkom f.
Nach 1 Jahr gesund.
Nach iV« Jahren ge-
sund.
Nach Vs Ji^r ^
Generallaation f.
Nach 1 Jahr gesund.
94 E. Pawel.
I. Vorkommen und Einteilung der Uvealsarkome.
Das Sarkom des Uvealtractus ist eine relativ seltene
Erkrankung, die sich nach der Berechnung von Fuchs
bei etwa 0,066 Proc. aller Augenkranken findet, Fuchs')
hält diesen Procentsatz eher für zu niedrig gegriffen, weil
manche Fälle bei der Schwierigkeit der richtigen Diagnose
in gewissen Stadien unter anderen Namen zur Registrirung
kommen; eine vergleichende Zusammenstellung verschiede-
ner grösserer poliklinischer Berichte ergiebt folgende Zahlen :
Gesammtsabl ,
Zahl
Klinik
der 1
poliklin. Patienten ,
67 795
der Sarkome
Procentaatz
Hallenser Uni V.-
Augen klinik -)
47
0,07
Leber»). . .
57 190
24
0,04
Cohn*) . . .
58 481
72
0,12
Fuchs») . . .
54 673
27
0,05
Jany») . . .
49 227
33
0,07
Knappt). . .
22 973 ;
13
0,06
Ilirschberg**)
21 440
13
0,06")
Holmes»). . .
20000 1
19
0,10
Summe . . .
~~351779 ;
248
0,07
«) 1. c. p. 230.
') Bezieht sich auf einen Zeitraum von 14 Jahren, vom 1. April
1885 bis 1. April 1899.
•) Freudenthal, v. Graefe's Arch. f. Ophtlialm. XXXVII.Bd.
1. Abth. 1891. Nach Leber und Krahnstöver, 1. c. p. 198, er-
klärt sich die Kleinheit dieses Procentsatzes aus der Thatsache, dass
nur die operirten Fälle zu seiner Ermittelung verwandt wurden. Bei
Berücksichtigung aller Fälle kommt Leber zu der Zahl 0,05.
*) Rückblicke. Breslau 1897.
») 1. c. p. 229 (von 1863 bis 1876).
») Jahresbericht über die Augenklinik von 1875 bis 1888. Von
1886 bis 1887 fortgeführt von Wolf fb erg. Breslau.
') Alt, Klinischer Bericht über die Knapp' sehe Augenheil-
anstalt. Knappes Arch f. Augen- u. Ohrenheilkunde, VIT. S. 395fr.
«) Zur Prognose des Aderhautsarkoms. Virch.Arch.XC.S.lff. 1882.
«») Knapp' s Arch. VH. Bd 2. Abth S. 301. 1868.
^^) Hirschberg hat hier die Zahl 0,05; doch ergebt die Be-
rechnung, dass es 0,06 heissen muss.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 95
Die aus den Beobachtungen der hiesigen Klinik be-
rechnete Ziffer ist also mit dem gefiindenen durchschnitt-
lichen Procentsatz identisch.
Die Erkrankung findet sich vorzugsweise im höheren
Alter, wenngleich einzelne Fälle auch bei Kindern be-
schrieben sind. Namentlich disponirt sind, wie aus unserer
Statistik hervorgeht, das 5. und 6. Lebensdecennium. Es
fielen in die Jahre: -
1-10
1 Fall
11 — 20
1 „
21-30
1
13 Fälle
31—40
11 „
41—50
19 .,
bl — 60
33 „
61 — 70
18 „
71 — 80
2 „
Unbekannten Alters |
2 „
Summe 1
100 Fälle
Das mittlere Lebensalter, aus allen Beobachtungen
berechnet, beträgt 48,7 Jahre; das jüngste Individuum un-
serer Tabelle (Fall 1) war 7, das älteste (Fall 33) 73 Jahre
alt. Zu ähnlichen Resultaten kommen Fuchs und Hirsch-
berg. Der erstere hat ein Durchschnittsalter von 44,2,
Freudenthal ein solches von 49,4 Jahren; Lawford*)
giebt hierfür die ziemlich hohe Zahl 58 an.
Beide Geschlechter sind annähernd gleichmässig be-
vtheiligt, wir finden unter den mitgeteilten Fällen 47 Männer
und 53 Frauen. Die meisten älteren Statistiken lassen
umgekehrt die Anzahl der männlichen Patienten überwiegen;
Fuchs ermittelt von 259 Beobachtungen nur 116 =
44,75 Proc. weiblichen Geschlechts, Lawford von 19
Fällen nur 5 = 26,3 Proc, Freudenthal*) sogar nur
*) Gases of intraocular Sarcoma. Ophth. hosp. rep. XI, 4.
p. 400.
*) 1. c. p. 136.
96 E. Pawel.
20,4 Proc. Bri^re^) hat geglaubt, daraus eine besondere
Dispositou des männlichen Geschlechtes zum Uvealsarkom
ableiten zu können, eine Behauptung, die jedoch schon
Fuchs*) entschieden zurückgewiesen hat.
Fast ausnahmslos tritt die Erkrankung einseitig auf,
ohne besondere Bevorzugung des rechten oder linken Auges.
Bei unseren Fällen war
das recht« Auge 43 mal,
das linke „ 48 „ betroffen.
Eine Angabe der befallenen Seite
fehlt in 9 Fällen.
Summe 100
Von den fünf doppelseitigen Fällen, deren Fuchs
(S. 232) Erwähnung thut, beanstandet er selbst bereits
zwei (Carter und Schiess), bei denen es sich wohl über-
haupt nicht um Sarkom, sondern um eine entzündhche
Hyperplasie, bezw. eine Iristuberkulose gehandelt hat. Die
anderen drei (Landesberg, Dixon und Hirschberg)
sind nicht vöUig sichergestellt, am wahrscheinlichsten er-
scheint noch der letztgenannte:
Eine 56 jährige, durchaus gesunde Bäuerin hatte vor
7 Jahren zufälHg entdeckt, dass ihr rechtes Auge blind
geworden war, und sich dasselbe, als es vor einem Jahre
begann sich zu vergrössem und hervorzutreten, enucleiren
lassen. Die Untersuchung ergab ein weiches melanotisches
Sarkom. Ein Jahr nach der Operation begann nun das
linke Auge schlechter zu werden. Ophthalmoskopisch wie
bei seitlicher Beleuchtung war in ihm eine grosse, gelb-
liche, mit stark injicirten Blutgefässen überkleidete Geschwulst
sichtbar, die, vom nasalen Theil des Ciliarkörpers ausgehend,
*) L^on Bri^re, Etüde clinique et anatomique sur les sar-
comes de la choroide et sur la melanose intraocul. Th^se de Paris
1873. p. 223.
«) 1. c. p. 231.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 97
buckelförmig iu den Glaskörperraum prominirte. Einen
Monat später erblindete die Frau vollständig; eine Ope-
ration, sowie eine anatomische Untersuchung dieses Auges
fand nicht statt. (Hirschberg, Knapp's Arch. X. Bd.
S. 61, Fall V.)
Der Ausgangspunkt des Tumors ist weitaus am häufig-
sten die Chorioidea, seltener der Ciharkörper, am seltensten
die Iris. Von Irissarkomen finden sich bisher nur 61 Fälle
in der Literatur beschrieben, welche Ewetzky („Weitere
Studien über intraoculare Sarkome" IV., v. Graefe's
f. Ophthalm. XLV. Bd. 3. Abth.) unter Zugrundelegung
der 16 von Fuchs und 19 von Oehmisch^) gesammelten
Fälle zusammengestellt hat. Unsere Beobachtungen ver-
theilen sich auf die drei Abschnitte der Uvea in der Weise,
dass zwei der Regenbogenhaut, 10 dem Corpus ciliare, die
übrigen 88 der Aderhaut angehören.
Was den anatomischen Bau betriflft, so sei hier nur
kurz erwähnt, dass, wenn auch ziemlich alle Sarkomvarie-
täten in einzelnen Beobachtungen in der Uvea beschrieben
worden sind, das Hauptcontingent von den spindel- und
rundzelligen Formen gestellt wird. Die Pigmentirung, auf
welche besonders von den älteren Autoren der grösste Werth
bei der Classificirung intraoculärer Geschwülste gelegt
wurde, gilt seit Vir chow nicht mehr als das erste, wesent-
hchste Unterscheidungsmerkmal; Virchow*) hat dargelegt,
dass allein der histologische Bau die Natur einer Neubil-
dung bestimme, und der Pigmentgehalt erst secundär zur
weiteren Charakterisirung in Betracht kommen kann. Im-
merhin ist es zweckmässig, die Eintheilung in gefärbte und
ungefärbte Sarkome beizubehalten, weil die letzteren manche
Eigenthümlichkeiten und Besonderheiten aufweisen^).
*) K. Oemisch, Ueber das Sarkom der Regenbogenhaut. Inaug.-
Diss. Halle 1892.
«) R. Virchow. Die krankhaften Geschwülste. II. Bd. S. 185.
*) Sie sind auch für die Bestimmung derjenigen Schicht der
▼. Graefe'8 ArcbiT fQr Ophthalmologie. XLIX. 1. 7
98 E- Pawel.
Schon bezüglich des Ortes der EDtstehuiig ergiebt sich
ein bemerkenswerther Unterschied, den bereits Fuchs her-
vorhebt; während nämlich die Mehrzahl der Sarkome sich
im hinteren Abschnitt der Uvea zu entwickeln pflegt
(Fuchs, 1. c. S. 166), bevorzugen die ungefärbten oder
schwach pigmentirten die vorderen Theile derselben. So
betrafen von den mitgeiheilten 100 Fällen
die Iris ....
den Ciliarkörper .
gl (vordere Hälfte
js"^ I hintere „
Unbestimmt . . .
I Spärlich oder gar nicht L, , ^, . « .
I pigmenürte Sarkome Mdlanoliache Swrkome
1 I 1
I Vi '
5 ! 10
; 3 I 29
I 7 I 34
, 20 ; 80
also eine ganz evidente Affinität der Leukosarkome zum
vorderen, der Melanosarkome zum hinteren Augenabschnitt.
Während femer bei den Melanosarkomcn die Spindel-
zellen weitaus überwiegen, halten sich bei den ungefärbten
Sarkomen die spindelzelUgen und rundzelligen Formen un-
gefähr das Gleichgewicht. Fuchs zählt:
SpindelzelleDsarkotue , Rundzcllensarkome
unter 229 Melanosarkomcn .1 62 1 39
„ 30 Lcukosarkomen . I 13 12
Unsere Zahlen, die zwar zu klein sind, um als be-
weisend zu gelten, schliessen sich diesem Verhalten voll-
Aderhaut, aus welclier die Sarkome ihren Ursprung nehmen, voa
Bedeutung geworden. Wiüirend Fuchs alle Sarkome aus den tiefen
Lagen der Chorioidea entstehen lässt, hat Schieck (v. Graefe's-
Arch. f. Ophthalm. XLV.Bd. 2. Abth. S.433) durch seine Untersuchungen
für die von Knapp und Bri^re aufgestellte Vermuthung, dass die
Leukosarkome der Choriocapillaris entstammten, den anatomischen
Beweis erbracht.
Beitrag zur Lehre von den Ghorioidealsarkomen. 99
ständig an; von 88 Melanosarkomen enthalten 30 Spindel-
zellen und nur 8 sind Kundzellensarkome, dagegen sind
unter den 5 mn letikotischen Tumoren der Tabelle 2 Spin-
delzellen- und 2 Rundzellensarkome. Besonders lehrreich
ist in dieser Beziehung Fall 45, bei welchem sich die eine
dunkelpigmentirte Hälfte der Geschwulst scharf von der
anderen, ungefärbten, abhob. Die erstere erwies sich unter
dem Mikroskop als aus Spindelzellen bestehend, die letz-
tere zeigte dichtgedrängte kleine Rundzellen.
Eine weitere EigenthümUchkeit der Leukosarkome ist
ihr Vorkommen in relativ jugendlichem Lebensalter. Wäh-
rend das durchschnittliche Alter unserer gesammten Fälle
48,7, das unserer Melanosarkome 49,4 Jahre beträgt, er-
giebt sich für die fünf ungefärbten Geschwülste ein Mittel
von 34,6 Jahren. Unter den letzteren befinden sich femer
3 Patienten unter 30 Jahren, also mehr als die Hälfte,
unter den 74 Melanosarkomen mit bekanntem Alter da-
gegen nur 10, d. h. noch nicht der siebente Theil. Dar-
aus folgt zugleich, dass gerade die Sarkome der vorderen
XJvealtheile, die ja, wie oben betont, häufig leukotischer Natur
sind, bei relativ jugendlicheren Personen beobachtet werden
müssen, als die im hinteren Bulbusabschnitte sich entwickeln-
den, und in der That hat schon Fuchs (S. 231) für die
Sarkome der Iris ein durchschnittliches Alter von 31 Jahren
ermittelt.
Bezüglich des Geschlechts theilen sich unsere Falle
folgendermaassen ein:
Mflnner Frauen
Leukosarkome 1
Melanosarkome 35
4
40
Bei der geringen Zahl unserer Beobachtungen lässt
sich jedoch dieses ungewöhnliche Vorwiegen des weiblichen
Geschlechts unter denLeukosarkomen wohl als zufällig deuten,
100 E. Pawel.
zumal daandere Statistiken dasselbe nicht bestätigen. Wohl aber
wird übereinstimmend von allen Autoren über Irissarkome ein
ähnliches Mehrheitsverhältniss der weiblichen Fälle ange-
geben; indess scheint es bisher nicht am Platze ^ daraus
irgend welche Schlüsse zu ziehen.
n. Aetiologie.
Wie die Entstehungsursache der Geschwülste über-
haupt, liegt die Aetiologie der Aderhautsarkome bisher
noch vöUig im Dunkeln; mit verschwindenden Ausnahmen
lassen sich für ihr Auftreten gar keine stichhaltigen Ver-
anlassungen anführen.
Eine Vererbung, wie sie für manche Geschwulstarten
seit langem bekannt ist, ist hier noch in keinem einzigen
Falle constatirt worden, trotz eingehender Nachforschungen
namentlich von Seiten englischer Autoren. Dagegen liess
sich bei manchen Patienten eine „individuelle Disposition"
annehmen, indem entweder anderweitige PigmentiinomaUeen
an irgend einer Körperstelle vorhanden waren, oder die
Sarkome sich direct aus lange bestehenden, zum Theil an-
geborenen Pigmentflecken der Iris entwickelten. Von
diesem letzteren Vorkomniss erwähnt Oemisch in seiner
Dissertation^) 8 Beobachtungen, für die damals bekannten
35 Fälle von Irissarkom also einen immerhin bemerkens-
werthen Procentsatz. Diese Angaben, die sich gewiss bei
sorgfältiger Nachforschung noch vermehren und fernerhin
bestätigen lassen, sind in der Tliat sehi- geeignet, die Frage
nach der Entstehung der Uvealsarkome im Cohnheim-
sehen Sinne dahin zu beantworten, dass mindestens ein
Theil dereelben aus präexistirenden Keimen, also besonderen
embryonalen Geschwulstanlagen, seinen Ursprung nimmt,
in manchen Fällen angeregt durch irgend welche gelegent-
hch auf sie einwirkenden Reize.
• •; . H Loc..«it. ^^ "l^^ . .
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 10 1
Unter solchen Gelegenheitsursachen, welche den An-
stoss zur Saxkomentwickelung geben können, nehmen lang-
dauernde Entzündungen die erste Stelle ein. Schon Vir-
chow statuirt zwischen beiden Processen einen causalen
Zusammenhang, indem er sagt*): „Aber sicher muss doch
ein krankhafter Beiz der Geschwulstbildung vorangegangen
sein, und dass dieser in vorausgegangenen entzündlichen
Vorgängen gesucht werden darf, erscheint mir im Zusam-
menhalt aller ätiologischen Erfahrungen wohl berechtigt."
Es sind denn auch in der Folge eine ganze Anzahl von
Fällen beschrieben worden, die das Auftreten von Ader-
hautsarkom nach heftigen Entzündungen, meist einer Irido-
cyclitis mit Ausgang in Atrophie des Bulbus beweisen
soUten. Da es indess heut keinem Zweifel mehr unterliegen
kann, dass in manchen dieser Beobachtungen umgekehrt
ein anfangs unbemerkt gebliebener Tumor die Veranlassung
zu einer scheinbar spontanen Iridocyclitis mit nachfolgen-
der Atrophie gewesen und erst nach Ablauf dieser Vor-
gänge zur Entdeckung gekommen war, wird man zur Be-
weisführung nur solche Fälle zulassen dürfen, in denen ein
derartiges Verhalten absolut auszuschliessen und eine that-
sächUche anderweitige Ursache der primären Entzündung
mit Sicherheit nachzuweisen ist Esv liegt auf der Hand,
dass es sich dabei so gut wie ausschliesslich um Verletzun-
gen handeln wird, und von diesem Moment an fällt daher
die Frage mit der Hypothese von der traumatischen Ent-
stehung der Geschwülste zusammen. Man hat früher die
Bedeutung von Traumen in dieser Hinsicht stark über-
schätzt, indem man annahm, dass sie als alleinige Ursache
zur Entwickelung von Tumoren geführt hätten. Spräche
nicht der ganze Zusammenhang des Capitels dagegen, so
könnte man beinahe glauben, dass auch Fuchs sich dieser
Meinung anschlösse, wenn er zu obigem Thema folgendes
*) Loc. cit. II. Bd. S. 249.
102 E. Pawel.
bemerkt: „Auf welche Weise führt eine Verletzung zur
Entwickelung eines Sarkoms? Die nächste Folge der Ver-
letzung ist in der Regel eine heftige Entzündung, welche
mit reichlicher zelliger Infiltration des üvealtractus einher-
geht und sehr oft mit Phthise des Bulbus endigt Da
solche Entzündungen sehr lange zu dauern pflegen und
häufige Nachschübe machen, so bleibt auch die zeUige In-
filtration der Augenhäute durch lange Zeit bestehen und
kann endhch zu einer dauernden Verbildung derselben —
einer Hyperplasie führen. Man findet die Aderhaut so
reichhch von Rundzellen und aus diesen hervorgegangenen
Spindelzellen durchsetzt, dass die Aehnlichkeit mit einer
diffusen, sarkomatösen Entartung eine vollkommene ist In
der That sind ja auch Verwechselungen zwischen beiden
Zuständen vorgekommen. Anatomisch ist nun von der ent-
zündUchen Hyperplasie zum Sarkom nur ein ganz kleiner
Schritt" (1. c. p. 236.)
Die oben präcisirte Anschauungsweise erhielt einen
Vertreter, der es unternahm, sie durch statistische Belege
zu stützen, in Boll. Derselbe^) fand unter 344 in der
Langenbeck* scheu Klinik operirten Carcinomen 42 =
12 Proc. traumatischen Ursprungs, und betrachtete diese
Feststellung als einen Beweis für die angeführte Theorie.
Auch Cohnheim*) berechnete von den in der Berliner
Klinik innerhalb eines Jahrzehnts beobachteten Geschwülsten
14,3 Proc. als nach Verletzung entstanden, aber im Gegen-
satz zu Boll folgerte er daraus nicht, dass Traumen die
vomehmhchste Ursache der Geschwulstentwickelung dar-
stellten, sondern dass sie im Gegentheil bei diesem Vor-
gang eine höchst untergeordnete Rolle spielen müssten, da
die eigens darauf gerichtete Untersuchung in 85,7 Proc
nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein voraufgegangenes
*) Princip des Wachsthums. Berlin 1876.
«) Vorlesungen über Allg. Pathologie. Berlin 1877. Bd. I. S. 632.
Beitrag zur Lehre von den Chonoideaisarkomen. 103
Trauma hatte erbringen können. Berechnet man gar statt
des Procentsatzes der traumatischen Geschwülste den ver-
schwindenden Bruchtheil der Verletzungen, nach welchen
in der Folgezeit ein Tumor sich bildete, so wird man un-
bedingt mit Cohnheim noch weitere ätiologische Momente
neben dem Trauma verlangen, denn anderenfalls wäre es
in der That nicht einzusehen, warum gerade in diesen sel-
tenen Ausnahmefällen die Verletzung eine Neubildung ver-
ursacht haben soll, in zahllosen anderen und schwereren
Fallen degegen nicht. Auf Grund dieser Erwägungen wird
man den Traumen bei der Entstehung der Geschwülste nur
die Bedeutung eines veranlassenden Momentes beilegen
können, ein Standpunkt, dem sich noch neuerdings Flit-
ner*) in seiner Arbeit über die vorUegende Frage ange-
schlossen hat Dass ein solcher Zusammenhang zwischen
Verletzungen einerseits und Neubildungen andererseits that-
sächlich existirt, dafür sei auf die beweisenden Fälle der
genannten Arbeit, sowie auf den Aufsatz von Pfingst*)
(Melanosarkom der Comeoskleralgrenze und Sarkome der
Thränendrüse nach Traumen) neben vielen anderen Ab-
handlungen ^u diesem Thema verwiesen.
Von der Ueberzeugung ausgehend, dass man nicht
berechtigt sei, alle diese die Körperoberfläche betreffenden
ErÜEihrungen ohne Weiteres auf die im Bulbusinnem in
geschützter Lage betindliche Chorioidea zu übertragen,
haben Leber und Krahnstöver*) neuerdings die Frage
nach der ätiologischen Bedeutung der Verletzungen für die
Aderhautsarkome in Angriff genommen und die in der
Literatur beschriebenen 34 Falle*) angeblich traumatischen
Ursprungs einer sehr eingehenden Kritik unterzogen. Sie
^) F. Flitner, Ein Beitrag zur Lehre vom traumatiBchen
Sarkom. Halle 1896.
«) v. Zehender'8 Monatsblätter XXXIII. Bd. S. 252 — 263.
») V. Graefe'8 Arch. f. Ophthalm. XLV. Bd. 1. Abth. S. 164 ff.
*) Davon stammen 30 von Pouchs, 4 von Lawson.
104 E. Pawel.
scheiden von ihnen zunächst 6 Beobachtungen aus, bei
denen es sich nicht mit Sicherheit um wirkliche Sarkome^
sondern meist wohl nur um entzündliche Gewebsneubildun-
gen handelte, und die zum Theil bereits Fuchs") bean-
standet hat Es bleiben somit von den 34 traumatischen
Fällen der Literatur noch 28 übrig, gegen deren sarkomatose
Natur sich keine Einwendungen erheben lassen. Von diesen
trennen Leber und Krahnstöver wiederum eine Gruppe
von 12 ab, bei denen der Beginn der Sarkomentwickelung
mit grosser Wahrscheinlichkeit bereits vor dem Einwirken
des Traumas angenommen werden muss. Von den 16 Be-
obachtungen, die restiren, machen sie noch einen Abzug
von 7 Fällen, in denen das Trauma ohne direkte nachweisbare
Folgen geblieben war. Hier fehlten also die entzündhchen
und hyperplastischen Processe, wie sie Virchow*) und
Fuchs*) als Bindeglied zwischen der Verletzung einerseits
und der Geschwulstentwickelung andererseits aufgestellt haben.
Leber und Krahnstöver sind daher geneigt, anzunehmen,
dass hier das Trauma vielleicht nur in Ermangelung sonst-
iger ätiologischer Momente überhaupt herangezogen worden
ist. So bleiben nur noch 9 Fälle, in denen ein Trauma
zu pathologischen Veränderungen oder gar zum Untergang
des Auges geführt und später ein Aderhautsarkom in dem-
selben sich entwickelt hatte. Die Verletzung bestand ent-
weder in einer mit grösserer Gewalt einwirkenden Contusion
oder in perforirenden Traumen. Aber auch von diesen
Fällen lassen die genannten Forscher ö nicht als beweis-
kräftig gelten, weil ihnen der Zeitraum zwischen der statt-
gehabten Verletzung und dem Auftreten des intraocularen
Tumors zu gross erscheint, um einen ursächUchen Zusam-
menhang zwischen beiden wahrscheinlich zu machen. Die an-
gegebenen Zwischenzeiten, in denen das verletzte Auge ohne jede
*) Loc. cit. S. 157 und 235.
«) Loc. cit. II. Bd. S. 249.
») Loc. cit. S. 236.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 105
weitere Veränderung geblieben sein soll, betragen in drei
Fällen mehr als ein Jahrzehnt, darunter einmal 17, ein
andermal sogar 25 Jahre. Der kürzeste Zeitraum zwischen
Verletzung und Entwickelung des Sarkoms war in dieser
Gruppe 8 Jahre. Mit ihrer Anschauung setzen sich die
Autoren in Gegensatz zu Fuchs, der mit Boy er und
Roux für einen Fall von Chorioidealsarkom noch eine vor
40 Jahren erfolgte schwere Verletzung des Auges verant-
wortlich macht, während Virchow (1. c. IL Bd. S. 249)
seinerseits hierbei Zweifel bezüglich des causalen Zusam-
menhangs äussert. Die Anzahl der wirklich stichhaltigen
Fälle ist damit auf 4 zusammengeschmolzen, in denen einer-
seits die Verletzung eine eingreifende war, andererseits die
zeitliche Aufeinanderfolge eine gewisse Beziehung zwischen
der Tumorentwickelung und dem voraufgehenden Trauma
wahrscheinlich macht. Bei der Kleinheit dieser Zahl gegen-
über der Menge der bekannten Fälle von Uvealsarkom und
gegenüber der Häufigkeit gleicher Verletzungen ohne nach-
folgende Sarkomerkrankung wird man auch hier in dem
Trauma höchstens eine Veranlassung zur Geschwulstbildung,
nicht aber ihre eigentliche Ursache erblicken.
Gehen wir schliesslich daran, die Methode von Leber
und Krahnstöver auf unsere Fälle anzuwenden, so finden
wir unter diesen überhaupt nur 10"), bei denen die Anamnese
irgend welche positiven ätiologischen Angaben enthält. Da-
von fallen 2 von vornherein aus dem Rahmen der Erör-
terung heraus, in denen einmal (Fall 49) ein Carbunkel
des Orbitalrandes seit 11 Jahren eine Abnahme des Seh-
vermögens bis zu völliger Amaurose und schliessUch die
Entstehung eines Chorioidealsarkoms herbeigeführt haben
soll, ein andermal (Fall 65) in dem seit Kindheit amblyopi-
schen Auge eines 26 jährigen Mannes ein Sarkom zur Be-
obachtung gelangte. Das angegebene Alter schliesst in dem
«) Fall 2, 36, 37, 49, 53, 65, 77, 83, 87, 92.
106 E. Pawel.
letzteren Falle den Gedanken, dass etwa der Tumor schon
die Veranlassung der bestehenden Amblyopie gewesen sein
könnte, ebenso aus, wie den, dieser .Amblyopie eine causale
Bedeutung für die Geschwulstentwickelung zuzuschreiben.
Zum Uebcrfluss lässt auch die Anamnese (seit 6 Monaten
Amaurose, seit einigen Wochen Schmerzen) einen erst seit
Kurzem zu datirenden Beginn derselben mit grösster Wahr-
scheinhchkeit annehmen. In den übrig bleibenden 8 Fällen
war siebenmal ein Trauma als Ursache des später entdeck-
ten Sarkoms angeschuldigt worden; dabei handelte es sich
zweimal um eine Contusion *), viermal um eine perforirende
Verletzung durch Eisensplitter*), Hufschlag*) und Stroh-
halmstoss*) und einmal um eine ausgedehnte Hautverbren-
nung, aber ohne Läsion des Bulbus*). Im achten Fall^)
bestand der Tumor bereits vor dem Trauma, durch welches
er nur zu schnellerem Wachsthum angeregt wurde.
Was die erstgenannte Gruppe anlangt, so ist für den
Fall 83 ein Causalnexus zwischen Trauma und Neubildung
allerdings stark anzuzweifeln. Der vor 6 Jahren erlittene
Schlag auf das Auge scheint nur zu einer vorübergehenden
Schwellung der umgebenden Weichtheile geführt zu haben,
wie sie ja an den Lidern oft schon nach leichten Contu-
sionen in beträchtlicher Ausdehnung zu beobachten ist.
Von einer nachweisbaren Schädigung des Bulbus selbst
oder einer Störung des Sehvermögens verlautet nichts, und
auch die geschilderte Schwellung der Umgebung ging bald
zurück. AVährend der nächsten 3*/^ Jahre war das Auge
völlig gesund. Folgen des Traumas waren also in keiner
Weise zurückgebUeben. Erst nach diesem Zeitraum (2V2 J-
») Fall 83 u. 87.
«) Fall 36.
») Fall 37.
*) Fall 53 u. 77.
») Fall 92.
•) Fall 2.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 107
vor der Operation) stellte sich unter Entzündungserschei-
nungen und Schmerzen eine Abnahme des Sehvermögens
ein, als deren Ursache ärztlicherseits eine Netzhautablösung
erkannt wurde. Es ist ausser allem Zweifel, dass diese
bereits als erstes Symptom des sich entwickelnden Tumors
zu deuten ist, und da dessen Sitz, wie die spätere anato-
mische Untersuchung ergab, gerade die Gegend des hin-
teren Poles war, also schon frühzeitig das centrale Sehen
in Mitleidenschaft gezogen werden musste, wird man nicht
fehlgehen, den Beginn der Neubildung nicht allzuweit vor
der Entdeckung der Sehstörung zu datiren. Somit lässt
sich zwischen der Contusion und dem ersten Beginn
des Sarkoms eine völlig normale Zwischenzeit von etwa
3 Jahren constatiren, eine Thatsache, die einen Zusammen-
hang zwischen beiden Vorgängen zum mindesten unwahr-
scheinUch macht
Sehr viel näher hegt eine solche Verknüpfung in dem
zweiten Falle (87 der Tabelle). Hier trat im Anschluss
an einen Stoss vor das bis dahin gesunde Auge eine Gesichts-
feldbeschränkung nach oben auf, der im ophthalmoskopischen
Bilde eine hämorrhagische Ablösung der unteren Netzhauthälfte
entsprach. Noch im Verlauf eines Jahres kam es zu glaukoma-
tösen Anfällen und Amaurose und der Fall begann verdächtig
zu werden, als sich in den folgenden 3 Jahren allmähUch
unter Schmerzanfällen subconjunctivale Vorbuckelungen der
Sklera ausbildeten. Die Enucleation des Auges ergab denn
auch ein Aderhautsarkom, das bereits einige kleine epi-
sklerale Knötchen geliefert hatte. In der That vermag der
ganze Verlauf dieser Beobachtung den Anschein zu er-
wecken, als ob hier das Trauma, und nur dieses allein, die
Ursache der Geschwulstbildung gewesen sei; nach den Aus-
führungen von Leber und Krahnstöver können wir in
ihm jedoch höchstens eine Gelegenheitsursache, einen An-
stoss zur Entstehung der Neubildung sehen, und für diese
Deutung giebt uns ein Vergleich mit dem letzten der ci-
108 E. Pawel.
tirten Fälle (2 der Tabelle) eine recht brauchbare Illustra-
tion. Derselbe betrifft ein Sarkom, welches sich aus einem
kleinen Pigmentfleck der Iris entwickelt hatte; derselbe
wurde 5^, Jahre vor der Operation zufällig entdeckt, be-
stand aber, wie die Patientin zugiebt, wahrscheinlich schon
längere Zeit vorher. Sein Wachsthum war ein äusserst
geringfügiges, Beschwerden oder Sehsttirung verursachte es
4^2 Jahre lang in keiner Weise. Dieses Bild änderte sich
mit einem Schlage, als Patientin nach Ablauf dieser Zeit
einst beim Bücken über einen Kessel mit siedendem Wasser
unvermuthet von heissen Dämpfen getroffen wurde, worauf
sofort eine Blutung in die Vorderkammer erfolgte. Die
unmittelbare zeitliche Aufeinanderfolge dieser beiden Er-
eignisse lässt an ihrem causalen Zusammenhang keinen
Zweifel aufkommen. Von diesem Tage an begann ein
sclmelleres Wachsthum der Geschwulst, es traten Schmerzen
und Drucksteigerung hinzu, und das anfangs durch den
Bluterguss völlig aufgehobene Sehvermögen stellte sich auch
nach dessen Resorption nicht mehr im alten Maassstabe
wieder her. Auch hier finden wir also, ganz analog dem
Falle 87, einen intraocularen Bluterguss als Folge des
Traumas, dem sich innerhalb des nächsten Jahres zuneh-
mende Sehstörung und glaukomatöse Erscheinungen an-
schUessen; auch hier würde sicherlich dieses Trauma zur
Ursache des vorhandenen Tumors gestempelt worden sein,
wenn nicht sein Sitz in der Iris im Gegensatz zu den cho-
rioidealen Sarkomen bereits vorher die Entdeckung seiner
ersten Entstehung im frühesten Stadium ermöglicht hätte.
Eine gewisse äusserliche Beziehung zu dieser Beob-
achtung besitzt hinsichtlich des in Frage kommenden Trau-
mas der Fall 92 , bei welchem eine ausgedehnte Hautver-
brennung mit kochendem Wasser 14 Jahre vor der Ent-
fernung des sarkomatös erkrankten Auges stattgefunden
hatte. Nach seiner Genesung entdeckte der Patient plötz-
lich eine Erblindung seines linken Auges und führt die-
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 109
selbe auf das erlittene Trauma zurück^ obwohl dieses zwar
die Umgebung des Auges, nicht aber den Bulbus selbst
getroflFen hatte. Als Ursache der Erblindung fand sich
eine weit vorgedrängte Netzhautablösung, äusserlich bot das
Auge nichts Abnormes.
Dass die Verletzung in diesem Falle eine schwere
war, geht aus der langen Dauer der Bettlägerigkeit (5 Mo-
nate) zur Genüge hervor, da aber der Bulbus dabei keine
.Läsion erfahren hatte, ist ein Zusammenhang zwischen ihr
und der Erblindung, resp. der letzterer zu Grunde hegen-
den Netzhautablösung nicht recht zu erklären. Trotzdem
das Auge nun fast 14 Jahre ohne Veränderungen bUeb, und
erst nach dieser Zeit ein rasch wachsendes Sarkom beob-
achtet wurde, muss man die Netzhautabhebung mit Wahr-
scheinhchkeit als Folge eines sich entwickelnden Tumors
auffassen. Das zeitliche Zusammentreffen der Ablösung
und des Traumas, das vielleicht nur ein scheinbares ist,
indem die einseitige Erblindung möglicher Weise schon
vorher bestand und dem Patienten erst in dieser Zeit
zum Bewusstsein kam, wird man nicht anders als ein zu-
fäUiges deuten können; ein Causalnexus zwischen beiden,
resp. zwischen Trauma und Sarkom, ist schwerlich auf-
recht zu erhalten.
Das Gleiche gilt von dem Fall 37 der zweiten Gruppe,
bei welchem 8 Wochen nach einer Verletzung durch Huf-
schlag auf das Auge ein Aderhautsarkom im zweiten Sta-
dium zur Beobachtung kam. Das Trauma hatte in kür-
zester Frist zu Amaurose und Phthisis bulbi geführt; dass
aber in der angegebenen Zeit ein Chorioidealsarkom als
Folgezustand entstanden und sogar bereits in das zweite
Stadium eingetreten sein sollte, ist nach allem, was wir
von der ersten Entwickelung und der Dauer des Anfangs-
stadiums der Uvealsarkome wissen, zum mindesten sehr
unwahrscheinlich. Viel eher wäre es denkbar, dass die
Verletzung auch hier wieder nur den Anstoss zu schnellerem
110 E. Pawel.
Wachsthum einer bis dahin unbemerkt gebliebenen Ge-
schwulstanlage gegeben hat, doch lassen sich für eine
sichere Beurtheilung des Falles weder aus der Anamnese,
noch aus dem Status hinreichende Anhaltspunkte erbringen.
Da eine Operation und anatomische Untersuchung des
Bulbus nicht stattgefunden hat, scheidet die Beobachtung
übrigens an und für sich schon aus der Reihe der beweis-
kräftigen Fälle aus. Die letzten 3 Fälle (36, 53, 77) haben
das Gemeinsame, dass eine perforirende Verletzung ent-
weder unmittelbar oder allmählich eine völlige Erblindung
des betroffenen Auges zur Folge hatte, und nach einer
Keihe von Jahren die Enucleation des sarkomhaltigen Bul-
bus vollzogen wurde. In der erstgenannten Beobachtung
hatte das Trauma 7 Jahre vor der Operation sofort die
Aufhebung des Sehvermögens herbeigeführt, doch fehlen
genauere Angaben über den damals erhobenen Befund.
Nachdem sich in den nächsten 4 Jahren keine weiteren
Veränderungen gezeigt hatten, bemerkte der Patient von
dieser Zeit an eine allmählich zunehmende Vergrössening
des verletzten Auges, als deren Ursache ein Aderhautsarkom
vermuthet und bei der Section des enucleirten Auges auch
gefunden wurde. Obwohl es in Folge der durch das jugend-
liche Alter des Patienten bedingten Nachgiebigkeit der
Bulbushüllen erst kurze Zeit vor der Operation zu glauko-
matösen Erscheinungen, also zum Eintritt des zweiten Sta-
diums gekommen war, muss der Beginn der intraocularen
Neubildung dennoch mindestens 3 Jahre zurückdatirt werden,
derselbe rückt also dem Zeitpunkt des Traumas höchst-
wahrscheinlich recht nahe. Noch ausgeprägter ist dieses
zeitliche Verhalten in den beiden folgenden Beobachtungen,
in denen 3 resp. 4 Jahr vor der Enucleation eine Sü'ohhalm-
verletzung die Erblindung des Auges herbeigeführt hatte.
Während sich dieselbe im Fall 53 unter dem Bilde
einer schleichenden Iridochorioiditis langsam vollzog, stellte
sich in dem anderen Falle (77 der Tabelle) rasch eine
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. Hl
PanOphthalmie mit PHthisis dolorosa ein; in beiden Fällen
enthielt der im zweiten Stadium enucleirte Bulbus ein
Aderhautsarkom. In allen diesen drei Beobachtungen,
namentlich in der letzten ist ein Zusammenhang des
Traumas mit der Sarkomerkrankung sehr gut denkbar,
nur sehen wir in ihm nach der aus Fall 2 gezogenen
Lehre nicht die eigentliche zu Grunde liegende Ursache
der Neubildung, sondern nur einen Anstoss, ein veran-
lassendes Moment zu ihrer Entwicklung.
m. Verlauf.
Der klinische Verlauf der Sarkomerkrankung der Uvea
ist bereits von Knapp *) in vier Stadien zerlegt worden,
und diese Eintheilung hat sich in prognostischer Hinsicht als
zweckmässig bewährt. Sie liegt daher auch unserer obigen
Tabelle zu Grunde. Da die bekannten Erscheinungen des
Uvealsarkoms einer Darstellung nicht mehr bedürfen, sei
es gestattet, hier nur einige Abweichungen vom gewöhn-
lichen Verlaufe kurz zu erwähnen.
In seltenen Fällen verläuft das zweite Stadium der
Chorioidealsarkome unter dem Bilde einer heftigen, plastischen
Iridocyclitis, die zuweilen schliesslich zu einer vollkomme-
nen Ati-ophie des Bulbus führt. Als Ui-sache einer solchen
Phthisis bei Aderhautsarkom nahm v. Graefe eine voran-
gehende Zerstörung der Cornea an, der eine Panophthal-
mie folgen sollte. Die Erfahrung hat aber gelehrt, dass
dies nur selten der Fall ist, und die Atrophie vielmehr
durch eine Schrumpfung der iridocyclitischen Exsudate im
Augeninnem herbeigeführt wird.
Die Phthisis bulbi nach Aderhautsarkom ist in neue-
rer Zeit der Gegenstand eingehender Forschungen von-
seiten verschiedener Autoren gewesen. Ewetzky*) und
«) Loc. cit. S. 178 ff.
*) Ewetzky, lieber Sarkome in atrophischen Augen. Apergu
de Facti vite du cercle ophtlialm. de Moscou. Söance du 7. Oct. 1896,
112 E. Pawel.
Th. Leber*) haben ungefähr gleiößzeitig und unabhängig
von einander durch anatomische Untersuchungen nach-
gewiesen, dass diese Fälle von Sarkom, welche zu Ent-
zündungen des Uvealtractus und zu Atrophie des Auges
geführt hatten, sich durch eine ausserordentUche Verbrei-
tung degenerativer und nekrotischer Processe auszeichnen,
wie sie bei den gewöhnlichen, mit Drucksteigerung einher-
gehenden Fällen sich nicht in dieser Weise findet '). E wetzky
ist der Meinung, dass diese Entzündungen durch die Stoff-
wechselproducte der in Zerfall gerathenden Massen hervor-
gerufen würden, und führt diesen Zerfall selbst wieder auf
eine mangelnde Ernährung (z. B. in Folge von Endarte-
riitis) zurück. Leber und Krahnstöver sind dagegen
geneigt, die Entzündung auf eine Infection zurückzuführen
und die Bedeutung der Nekrose mehr darin zu suchen,
dass sie günstige Bedingungen für die Ansiedelung von
pathogcnen Mikroorganismen setzt, ohne sich aber in dieser
Beziehung mit voller Bestimmtheit auszusprechen.
Li naher Beziehung zu diesen unter dem Bilde einer
Iridocyclitis verlaufenden Fällen steht die Frage nach dem
im Druck erschienen zum Ib. Aug. 1897. Die ausführlichere Arbeit
erschien erst am 17. Juni 1898: „Weitere Studien über intraoculare
Sarkome. II. Sarkome in atrophischen Augen." v. üraefe's Arch.
f. Ophthalm. XLV. Bd., 3. Abth. S. 5lJ3 ff. (1898).
*) Th. Leber, Ueber die Combination von intraocularen Ge-
schwülsten mit Phthisis bulbi. Sitzungsber. d. ophthalm. Ges. Sitz.
V. 7. Aug. 18^7, im Druck erschienen 1898.
Th. Leber und A. Krahnstöver, Ueber die bei Aderhaut-
sarkomen vorkommende Phthisis des Augapfels u. über die Bedeutung
von Verletzungen bei der Entstehung dieser Goschwülste (Schluss).
V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLV. Bd. 2. Abth. Ausgegeben am
3. Mai 1898.
*) In der Mehrzahl der Fillle handelte es sich um Bulbi, die
sich bereits in atrophiscliem Zustande befanden, doch liegen auch
Befunde von früheren Stadien vor, in denen es noch nicht so weit
gekommen war oder der Uebergang in Atrophie sich zunächst nur
durch Herabsetzung dos intraocularen Druckes ankündigte.
Beitrag zur Lehre von den Ghorioidealsarkomen. HB
Zusammenhang von sympathischer Ophthalmie und Ader-
hautsarkom. Schirmer ^) hat dargethan, dass ein Zu-
sammentreffen beider Affectionen als ein recht seltenes
Ereigniss betrachtet werden muss und nur in den Fällen
zu erwarten ist^ wo sich das Sarkom im sympathisirenden
Auge mit einer Entzündung der Uvea complicirte. Der
Weg, auf dem diese CompHcation. erfolgte, ist in allen den-
jenigen Beobachtungen unzweifelhaft, bei welchen es zu
einer Eröffnung der Bulbuskapsel entweder durch operative
Eingriffe oder durch spontane Perforation des Tumors ge-
kommen war; hier handelte es sich mit grösster Wahr-
scbeinhchkeit um eine ektogene Infection mit den bisher
unbekannten Erregern der sympathischen Ophthalmie.
Unter 14 Fällen von letzterer bei Aderhautsarkom, welche
Leber und Krahnstöver zusammengestellt haben, fand
sich ein solches Verhalten achtmal'); der angegebene Weg
ist also unstreitig der häufigere. Schwieriger ist die Frage
in den Fällen, in welchen eine nachweisliche Eröffnung des
Bulbusinnem nicht stattgefunden hat; wir haben bereits
erwähnt, dass Ewetzky die Stoffwechselproducte der in
derartigen Sarkomen sich findenden Degenerationsheerde
als die Ursache der Iridocyclitis ansieht, während Leber,
von der parasitären Theorie der sympatliischen Entzündung
ausgehend, für diese Fälle eine vermuthlich endogene In-
fection voraussetzen muss, für deren Entstehung die De-
generation des Tumors die Wege ebnete. Möglich wäre
in diesen Fällen aber auch, dass kleine, der Wahrnehmung
entgangene Continuitätstrennungen der Gewebe zur Ein-
wanderung der pathogenen Organismen von aussen her
Gelegenheit gegeben hätten. Ein Analogon bietet sich
z. B. in dem Verhalten der subconjunktivalen ßulbusrup-
*) 0. Schirmer, Klinische und pathologisch-anatomische Unter-
suchungen zur Pathogenese der sympathischen Augenentzündung.
V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXXVIII. Bd. 4. Ahth.
•) Loc. cit. S. 267,
T. Onefe's Archir fOr Ophthalmologie. XLIX. 1. 3
114 E. Pawel.
turen, nach denen zuweilen sympathische Ophthahnie zur
Beobachtung kam. Dass die ausgedehnten nekrotischen
Processe, wie sie für die obige Gruppe von Sarkomen be-
schrieben worden sind, immerhin bei der Ansiedelung der
Krankheitserreger eine bedeutende Rolle spielen, ergiebt
sich aus der relativen Häufigkeit, mit der gerade diese
Fälle zu sympathischer Entzündung des zweiten Auges ge-
führt haben. Leber und Krahnstöver fanden eine solche
siebenmal unter 44 mit Phthisis bezw. Hypotonie einher-
gegangenen Beobachtungen von Chorioidealsarkom, = 16 ^/o
der Fälle, während sie bei den typisch verlaufenen Sarkom-
fällen ebenfalls nur siebenmal, also in einem ganz ver-
schwindenden Bruchtheil auftrat und auch hier ausnahmslos
nach vorangegangener spontaner oder operativer Eröffnung
der Bulbuskapsel.
Unter unseren Fällen wurde sympathische Ophthalmie
nur einmal angetroffen (Fall 76 der Tabelle). Es handelte
sich um eine 43jährige Frau, die unter den Erscheinungen
des entzündlichen Glaukoms in die Klinik kam und bei
der eine diffuse Trübung der brechenden Medien die oph-
thalmoskopische Untersuchung des Augenhintergrundes un-
möglich machte. Es wurde iridektomirt, und als keine
Besserung eintrat, 6 Wochen später die Enucleation des
schmerzhaft- amaurotischen Auges vollzogen. Nach einer
Woche, also 7 Wochen nach der Iridektomie, brach auf
dem zweiten. Auge eine heftige plastische Iridocyclitis aus,
die trotz aller therapeutischer Anstrengungen einen malig-
nen Ausgang nahm: es kam zu Erblindung und vollstän-
diger Atrophie. Der zeitliche Eintritt, sowie der ganze
Verlauf und der Ausgang dieser Entzündung lassen über
ihre Natur keine Zweifel zu. Die Beobachtung gehört in
die erste der oben aufgestellten beiden Gruppen, da eine
Eröffnung des sympathisirenden Auges voraufging.
Von den 4 Fällen unserer Tabelle, in denen Phthisis
bulbi neben Sarkom bestand, ist in zweien (Fall 37 und
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 115
77) die Phthise durch ein Trauma veranlasst worden, sa
dass diese beiden Beobachtungen hier bei der Besprechung
ausscheiden. In den anderen beiden Fällen (80 und 84),
welche sich durch eine sehr lange Verlaufedauer auszeich-
nen, muss man die. Atrophie als Folge eines primären
Chorioidealsarkoms auffassen, da das letztere unzweifelhaft
bereits vorher bestand, und eine anderweitige Ursache für
sie nicht vorlag. Beide Male machte sich der Beginn der
Tumorentwicklung durch eine plötzhch eintretende Netz-
hautabhebung mit Erblindung bemerkbar, ohne dass das
Auge äusserhch in den nächsten Jahren irgend welche
Abnormitäten gezeigt hätte. Erst nach dieser Zeit, im
Fall 84 erst nach 10 Jahren, begann das Auge atrophisch
zu werden; im Fall 80 kam es weiterhin zu Partialektasie
der Sklera. Beide Fälle kamen erst im dritten Stadium,
als die Neubildung bereits die Sklera perforirt hatte, zm*
Beobachtung, so dass über die Natur der Erkrankung kein
Zweifel mehr obwalten konnte; in früheren Stadien kann-
indess die Diagnose eine überaus schwierige, ja völhg un~
möghche sein.
Da der erste Beginn der Sarkomerkrankung in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht diagnosticirt und
femer bald nach der Entdeckung des Tumors die Enu-
cleation ausgeführt wird, lässt sich über die eigentliche
Dauer der Krankheit zumeist nichts Sicheres angeben.
Immerhin ist jedoch eine ganze Reihe von Fällen bekannt,
die über die zweifellos lange Gesammtdauer der Erkrankung
eine genügende Aufklärung gewähren; Leber und Krahn-
stöver*) geben folgende Tabelle:
Dauer Fttlle
6 — 8 Jahre 1
7 „ 1
8 „ 1
9 „ 1
Loc. cit. S. 185.
8*
116 E. Pawel.
Dftiier Fille
10 Jahre 2
12 „ 1
13 „ 1
17 „ 3
20 , 1»)
Auch unter den von mir mitgetheilten Beobachtungen,
vorzugsweise natürlich bei den im dritten Stadium der
Krankheit operirten Patienten, finden sich ähnliche Zeit-
angaben, so
1 Fall (73) von Gjähriger Dauer
1 „ (85) „ 7 „
1 » (99) „ 8 „
2 Fälle (80 u. 95; „ 10 „
1 Fall (93) „ 11 „
1 „ (92; „ 14 „
1 ,, (84) „ 17 „
In den meisten dieser Beobachtungen raarkirte sich
der Beginn der Tumorentwicklung durch eine plötzhch auf-
tretende Netzhautabhebung; in einem Fall (96), in dem
30 Jahre vor der Entfernung des sarkorjihaltigen Bulbus
im dritten Stadium sich Erblindung eingestellt haben soll,
ohne dass über die Natur derselben nähere Angaben vor-
Uegen, muss man wohl die Frage nach einem Zusammen-
hang derselben mit der Geschwulstbildung unentschieden
lassen. Dass für die Irissarkome verhältnissmässig häufig
derartige lange Entwicklungszeiten berichtet werden, wird
nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass gerade bei
ihnen schon der erste Anfang der Neubildung zur Beob-
achtung kommen kann; in unsern beiden Fällen sind die
angegebenen Zeiten indes relativ klein, obwohl sie erst im
zweiten resp. dritten Stadium zur Operation gelangten.
Schwieriger zu berechnen ist die Dauer der einzelnen
Stadien, speciell des ersten. Hierzu ist einmal die Bestim-
*) E. V. Hippel, Loc. cit.
Beitrag zur Lehre yon den Chorioidealsarkomen. 117
mung des ersten Beginns der Erkrankung erforderlich, und
zweitens auch die des Anfangs des zweiten Stadiums; die
Patienten müssen also später als im ersten Stadium ope-
rirt worden sein. Aus 24 geeigneten Fällen der Tabelle
ergiebt sich als Dauer des ersten Stadiums ein Zeitraum
▼on 2 Jahren und drei Monaten, während Fuchs 21 Mo-
nate gefunden hat Sicherlich sind alle diese Zahlen zu
niedrig, da der Beginn der Geschwulstentwickelung wohl
in der Kegel weiter zurück liegt, als die Angaben besagen.
Damit stimmt die Thatsache überein, dass sich unter un-
seren 24 Beobachtungen nicht weniger als sechs mit längerer
Dauer vorfinden, nämlich:
1
(48)
3
mit
3 jähriger
1
(41)
»
4
99
1
(38)
1»
5
»
1
(73)
»
6
99
2
(84 n.
96)
99
10
99
Dauer des ersten Stadiums.
Für das zweite Stadium ergiebt sich ein Zeitraum von
2 Jahren und 1 Monat (aus 4 Fällen berechnet); Fuchs
giebt ebenfalls 21 Monate an und erwähnt bereits, dass
das zweite Stadium mitunter völlig übersprungen wird, in-
dem es im Anschluss an das erste reizfreie Stadium schon
zu episkleralen Knoten kommt ^). Für das dritte und vierte
Stadium lassen sich keine bestimmten Zeitangaben machen.
IV. Prognose.
L
Da das Sarkom des Uvealtractus einer spontanen
Heilung nicht fähig ist, vielmehr in jedem nicht durch
Operation behandelten Falle unbedingt zum Tode führt,
muss die Prognose als absolut infaust bezeichnet werden.
Unter den mitgetheilten Beobachtungen befindet sich eine,
») cf. Fall 89 und 94.
118 E. Pawel.
in welcher der Patient die Operation ablehnte (Fall 37 der
Tabelle): derselbe starb nach drei Jahren an einer mehr-
monatHchen Lungenentzündung (Lungenmetastasen ?), ohne
dass genauere Angaben über die Todesursache und das
weitere Verhalten des sarkomatösen Auges in Erfiahrung
zu bringen waren. Nimmt man an, dass das als Ursache
angeschuldigte Trauma wirklich den Beginn der Tumor^
entwicklung darstellt, so hätte der Gesammtverlauf wenig
über 3 Jahre gedauert; wahrscheinhch ist dieser Zeit-
raum jedoch zu niedrig gegriffen. In drei Beobach-
tungen nicht operirter Patienten, welche von Beginn an
bis zum Tode verfolgt werden konnten, hat Fuchs die
Gesammtdauer der Kranklieit zu 5^,, 3*/^ und l*/j Jahren
gefunden. (1. c. p. 272.)
n.
Die operirten Fälle von Irissarkomen geben eine rela-
tiv günstige Prognose, da sie in der Regel früh zur Dia-
gnose und zur Operation kommen. Nach Fuchs blieben
von acht längere Zeit beobachteten Fällen sieben frei von
Recidiven; davon drei, in denen die Geschwulst durch Iri-
dektomie entfernt worden war. Metastasen sind noch nicht
constatirt worden. Von den beiden Irissarkomen unserer
Tabelle wurde das erste im dritten Stadium durch Enu-
cleatio bulbi entfernt; die Patientin ist nach 16 Jahren
noch gesund. Im zweiten Falle kam nur die Iridektomie
in Anwendung, und auch diese Patientin kann nunmelir nach
Ablauf von 7 Jahren als definitiv geheilt angesehen werden,
IIL
Sarkome der Chorioidea und des Ciliarkörpers.
Von den 98 hierher gehörigen Fällen müssen 8 ') wegen
Mangels weiterer Angaben über die Schicksale des Patienten,
») 11, 29, 33, 44, 48, 64, 69, 96.
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. . 119
sowie 1 *) bei welchem keine Operation stattfand, von vorn-
herein ausgeschieden werden.
Unter den 89 verbleibenden Fällen stellte sich neun-
mal, also in 10 Proc, ein locales Becidiv ein.
Bezüglich der Zeit, in welcher das geschah, giebt fol-
gende Zusammenstellung Aufschluss:
Zwischen dem 1. und 6. Monat \ o ! 4 Falle
>j >j "• « -12. ,) Iß 3 ,,
„ 1. „ 2. Jahre }t 1 Fall
»» >» 2. „ 4. „ I ■ ! 0 „
Im 30. „ ^ ^ ...... j 1 „
Summe: | 9 Fälle
In den ersten sechs Monaten nach der Operation ist
also die Gefahr des localen Recidivs am grössten und fallt
mit der Zunahme des recidivfreien Zeitraums nach ihr,
Ausnahmsweise tritt es aber auch wesenüich später auf.
So berichtet Fuchs über Kecidive nach 7, resp. 9 Jahren,
Wecker von einem Fall, in dem nach 9 Jahren das
erste Recidiv, nach 16 Jahren ein zweites auftrat. Freuden-
thal, der eine ungewöhnlich hohe Zahl von Recidiven
anführt (6 unter 24 = 25 Proc), sah ein solches noch
nach 10 Jahren, am merkwürdigsten erscheint jedoch der
Fall 19 unserer Tabelle, bei welchem im 30. Jahre nach
der Enucleatio bulbi wegen Chorioidealsarkoms ein Melano-
sarkom der Orbita, das vom Enucleationsstumpf ausging,
zur Beobachtung kam. Diese Fälle beweisen, dass selbst
noch nach Jahrzehnten scheinbarer Heilung die Gefahr der
Recidive vorhanden sein kann; bei ihrer grossen Seltenheit
können sie aber die Prognose nicht wesentlich beeinträch-
tigen. Im Allgemeinen kann man einen Patienten, der
4 Jahre hindurch recidivfrei geblieben ist, mit grösster
Wahrscheinhchkeit als geheilt betrachten; in unsem Fällen
traten acht von den beobachteten neun Eecidiven bereits
innerhalb der ersten 2 Jahre au£
») S. 37.
120
E» Pawel
Von grösster Bedeutung für das Vorkommen Ton
Becidiven ist das Stadium, in welchem die Operation statt-
fand, wie aus nachstehender Tabelle hervorgeht:
■ — =
Stadlam
o«MiniDtBaa
der Fälle
Zahl
der BeddlTe
Proeenteato
L
IL
in.
15
52
22
0 0
2 4
7 1 32
Summe:
89
9
10
Zu ähnlichen Resultaten gelangt auch Fuchs (1. c.
p. 275);
Ist einmal ein Recidiv aufgetreten, so ist von der Ope-
ration desselben in der Regel- keine dauernde Heilung mehr
zu erwarten. Von unseren neun Becidiven wurde in vier
Fällen eine Exenteratio orbitae ausgeführt, zwei der Patien-
ten starben bald darauf an Himsarkom, ein dritter an Ge*
neralisation des Tumors; über den vierten waren weitere
Nachrichten nicht erhältlich.
Weit häufiger als die lokalen Becidive sind Meta-
stasen der Geschwulst in entfernten Organen. Unter den
89 Fällen, in welchen Nachrichten über das spätere Er-
gehen der Patienten vorUegen, wurde 27 mal ss 30 Proc.
das Auftreten von Metastasen beobachtet
Dasselbe führte zum Tode in 26 Fällen, und zwar:
Zwischen dem 1. und 6. Monat in 8 Fällen
6.
f%
12.
9»
»
2
1.
♦»
2.
Jahre
91
7
2.
n
3.
>j
W
2
B.
»
4.
f»
>»
2
4.
»»
5.
>»
1}
4
5.
»»
8.
n
»>
6
26 Fälle
In der Mehrzahl der Fälle erfolgte also innerhalb der
ersten fünf Jahre der Tod, eine Heilung der Metastasen
Beitrag zur Lehre von den ChorioidealBarkomen. 121
galt bis in die neueste Zeit hinein für unmöglich. Die
moderne Chirurgie hat nun auch hier den Versuch unter-
nommen, diesen Metastasen operativ entgegen zu treten,
und, wie es bisher scheint, in einzelnen Fällen nicht ohne
Erfolg. Ein Beispiel ist der Fall 17 unserer Tabelle, in
welchem sechs Jahre nach der Enucleation des sarkom-
haltigen Auges ein circumskripter Tumor der Leber sich
ausgebildet hatte. Es kam zur Exstirpation desselben, wo-
bei er sich als ein metastatisches Lebei-melanosaxkom er-
wies; die Heilung verhef gut, und die Patientin ist jetzt
\ Jahr nach dieser Operation, noch am Leben und bei
zufriedenstellender Gesundheit
In zwei Beobachtungen, in welchen eine Reihe von
Jahren nach der Operation der Tod in Folge von Er-
krankung an malignen Tumoren eintrat, handelte es sich
wahrscheinhcher Weise nicht um eine Metastasirung des
Aderhautsarkoras, sondern um primäre, von letzterem unab-
hängige Neubildungen. Der eine Fall (6 der Tabelle) be-
trifft eine Patientin, die 12 Jahre nach der Enucleation an
einem Uterustumor erkrankte und trotz ausgeführter Total-
exstirpation starb. Die kUnische Diagnose war auf Carci-
noma uteri gestellt worden, eine histologische Untersuchung
des Präparates hat nicht stattgefunden. Da es sich bei
dieser Beobachtung um ein ungefärbtes Sarkom bei einer
relativ jugendlichen, noch nicht im Carcinomalter stehenden
Patientin handelte, wäre der Gedanke an Metastasenbildung
nicht von der Hand zu weisen, wenn nicht die lange Dauer
der völlig normalen Zwischenzeit — 12 Jahre — denselben
doch recht unwahrscheinUch erscheinen Uesse.
AehnUch verhält es sich mit dem zweiten Fall (50 der
Tabelle). Hier stellte sich 10 Jahre nach der Operation
ein Magenleiden ein, als dessen Ursache ein Carcinoma
ventriculi diagnosticirt wurde. Die Patientin starb noch
im Verlauf des Jahres, eine anatomische Diagnose liegt
nicht von
122 E. Pawel.
Bezüglich der Häufigkeit der Metastasen je nach dem
Stadium, in welchem die Operation ausgeführt wurde, er-
giebt sich folgende Tabelle:
Gesammtzabl Zahl
SUdlom ! -7,-¥ifr- i aerMe'Siusen • P«-°t..U
i. 1 16 : 8
II. I 52 12
IIL 22 I 7
53
23
Ueberraschender Weise findet sich also der höchste
Procentsatz der Metastasen für die mitgetheilten Fälle ge-
rade bei den fiühzeitig, noch im ersten Stadium ausgeführ-
ten Operationen, ein Beweis, dass im Gegensatz zu dem
Verhalten der Recidive, selbst eine frühzeitige Operation
nicht im Stande ist, Metastasen mit Sicherheit zu verhin-
dern. Sobald Geschwulstzellen in den Kreislauf gerathen
sind, können sie eben zu Metastasen Veranlassung geben,
ohne Beziehung zu der Grösse oder dem Entwicklungs-
stadium der Muttergeschwulst.
Von Recidiven und Metastasen wurden unter unsem
89 Fällen insgesammt 35 Patienten befallen = 39 Proc.,
während die übrigen 54 = 61 Proc. von beiden verschont
blieben. Dieses Verhältniss ist jedoch unstreitig zu günstig,
da auch die Fälle jüngeren Datums bei der Berechnung
Verwendung fanden. Schaltet man diese letzteren aus
und verwerthet nur diejenigen, in welchen die Beobach-
tungszeit mehr als 5 Jahre beträgt, so erhält man auf
69 Fälle 34 mal ein Auftreten von Metastasen und Reci-
diven = 49 Proc. Todesfälle, die definitiven Heilungen
belaufen sich somit auf 51 Proc. Die Prognose ist daher
nach den heutigen Erfahrungen durchaus nicht so ungün-
stig zu stellen, als es in früheren Zeiten, wo man in der
Regel erst spät diagnosticirte und operirte, geschehen ist.
Am Schlüsse dieser Arbeit ist es mir eine fipeudige
Pflicht, Herrn Geheimrath v. Hippel für die gütige Ueber-
weisung des Themas und das jederzeit gewährte wohl-
Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen. 123
wollende Interesse meinen ehrerbietigsten Dank auszu-
sprechen.
Herrn Dr. Schieck, Assistenzarzt der Klinik, bin
ich für manche liebenswürdige Anleitung zu verbindUchem
Danke verpflichtet.
Literaturverzeichniss.
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Knapp's Arch. f. Augen- u. Ohrenheilk. VIL S. 395 ff.
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124 ^* Pawel, Beitrag zur Lehre von den Chorioidealsarkomen.
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Diss. Halle 1885.
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DiBS. Würzburg 1889.
22) Nie den, lieber sympathische Entzündung in Folge von Sarkom
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23) Oemisch K., Ueber das Sarkom der Regenbogenhaut Inaug.-
Diss. Halle 1892.
24) Pfingst, Zwei interessante, durch Trauma entstandene Tumoren
des Auges, v. Zehender's M. Bl. XXXIII, S. 252 — 263.
25) Sauer H., Beitrag zur Casuistik der Irissarkome. Inaug.-Diss.
Halle 1883.
26) Schi eck F., Ueber die Ursprungsstätte und die Pigmentirung
der Chorioidealsarkome. v. Graefe' s Arch. f. Ophthalm. XLV. Bd.
2. Abth., S. 433 ff.
27) Schirm er 0., Klinische und pathologisch - anatomische Unter-
suchungen zur Pathogenese der sympathischen Augenentzündung.
V. Graefe's Arch. f Ophthalm. XXXVIII. Bd. 4. Abth.
28) Virchow K., Die krankhaften Geschwülste. II. Bd.
29) Wiegan d A., Casuistische Beiträge zur Kenntniss der melano-
tischen Neubildungen des Auges. Inaug.-Diss. Giessen 1883.
TJeber die Wirkmig Yon kalten und warmen
Umschlägen auf die Temperatur des Auges,
Von
Dr. E. Hertel,
Privatdocenten und I. Assistenten der Jenaer Augenklinik.
Mit 1 Figur im Text.
(Aus der Jenaer Augenklinik.)
Thermische Einwirkungen in Form von warmen und
kalten Umschlägen haben in der augenärztlichen Therapie
seit alters eine ausgedehnte Verwendung gefunden. Durch
die Erfolge, die sich durch richtige Application dieser an
sich so einfachen Maassnahmen erzielen lassen, haben sich
dieselben überall ihre klinische Berechtigung neben den
anderen Zweigen der Therapie gesichert
Es musste mir daher bei einer zusammenhängenden
Bearbeitung der hydrotherapeutischen Maassnahmen am
Auge, welche ich für Matthes's Lehrbuch der Hydrothera-
pie') übernommen hatte, auffallen, dass über die physio-
logischen Grundlagen der Wirkungsweise von warmen
und kalten Umschlägen auf das Auge so wenig exacte
Untersuchungen vorliegen.
Ich fand in der Literatur überhaupt nur zwei Arbeiten,
die sich mit dieser Frage näher beschäftigen, und beide
stehen sich in den Hauptpunkten diametral gegenüber. Die
erste stammt von Silex (1) aus dem Jahre 1893. Derselbe
') Jena, Verlag von G. Fischer.
126 E- Hertel.
prüfte mit dem thermoelektrischen Strome an einer Eeihe
von erkrankten Augen den Einfluss der therapeutisch ver-
ordneten Umschläge und kam zu dem Resultate, „dass
Umschläge auf die Augen in der von uns Augenärzten
gewöhnlich verordneten Form, z. B. dreimal täglich V4 bis
Vi Stunde lang von Temperaturgraden geringer als die
umgebende Luft eine Erhöhung, und solche von höheren
Graden eine Erniedrigung der Temperatur des Con-
junctivalsackes herbeifiihren. Und dieses dadurch, dass die
in einem labilen Zustande befindlichen Gefässe der Haut
bei Einwirkung von Temperaturen, die niedriger sind als die
angrenzende Luftschicht, verengt und die Blutmasse nach
dem Centrum getrieben, und dass bei den umgekehrten
Verhältnissen dieselben erweitert und dadurch Blut von
dem Centrum, id est Conjunctivalsacke, nach der Haut hin
geleitet wird. Und abgesehen von der centripetalen und
centrifugalen Fluxion in dem einen oder anderen Falle
fällt bei der Kälte dann noch die reflectorisch erhöhte
Wärmeproduction bei verminderter Abgabe in 's Gewicht,
während bei der Wärme die Wärmeproduction beschränkt
und die Abgabe durch Erweiterung der Hautgefässe und
Dehnung der Haut vergrössert ist. Beide Factoren, Fluxion
und reflectorische Beeinflussung der Wärmeproduction, er-
zeugen demnach jenseits der Haut, hier also im Conjunc-
tivalsacke, bei Kälte Erhöhung, bei Wärme Verminderung
der Temperatur, ganz, wie es die Versuche experimentell
ergeben hatten."
Die Ergebnisse der Silex' sehen Untersuchungen wur-
den durch Giese (2) im Jahre 1894 nachgeprüft. Auch
Giese bediente sich zur Messung der Thermoelemente und
studirte den Einfluss der Umschläge im wesenüichen an
erkrankten Augen. Die Besultate, die er erhielt, stimmten
mit denen von Silex durchaus nicht überein, vielmehr
konnte er den Satz aufstellen: Kalte Umschläge erniedrigen
die Temperatur des Conjunctivalsackes, warme erhöhen die-
üeber die Wirkung von kalten and warmen Umschlftgen etc. 127
selben. Den theoretischen Ausführungen, zu denen sich
Sil ex auf Grund seiner Experimente berechtigt glaubte,
hält Giese vor allem entgegen, dass bei denselben ein
Moment der Wärmeabgabe oder Wänneaufiiahme ganz ver-
nachlässigt sei, nämlich das der Leitung quer durch das
Gewebe hindurch. Und dieses käme gerade bei der ober-
flächlichen Lage des Conjunctivalsackes ganz besonders in
Betracht
Da keine von diesen beiden sich schroff gegenüber-
stehenden Anschauungen auf Grund von neuen Experimen-
ten eine Bestätigung erfahren hat, habe ich selbst eine
grössere Reihe von Messungen an-
gestellt, durch welche ich über die
Art und das Zustandekommen
des Einflusses von warmen und
kalten Umschlägen auf die
Temperatur am Auge Auf-
schluss erhalten wollte.
Zur Ausführung meiner Mes-
sungen bediente ich mich durch-
weg Thermometer, welche ich nach
meinen Angaben von dem Glas-
techniker Haack-Jena anfertigen
liess. Nach mehrfachem Auspro-
biren fand ich beistehende Form
(cf Figur) als die geeignetste:
Ein 2 cm langer, 4 mm im Durch-
messer habender Quecksilbercylinder
wird in den unteren Conjunctivalsack
eingelegt, der Cylinder ist leicht nach
der Bulbusfoi-m gekrümmt, um sich
besser anzulegen. An dem der Nase
zugekehrten Ende setzt sich etwa unter einem Winkel von
ca. 45 ® nach oben und vom gerichtet eine Vg cm lange dünne
Röhre an — der Anfang des Steigrohres für den QuecksUber-
faden. Dieser dünne Anfangstheil läuft in einen allmählich dicker
werdenden, 2 cra langen, fast horizontal nach vom gehenden
128 E. Hertel.
Schenkel ans, der seinerseits schliesslich in den verticai laufenden,
die Milchglasscala tragenden Theil umbiegt.
Als ich später bei genauerer Durchsicht der einschlä^-
gen Literatur das von Dohnberg (3) angegebene Modell
fand, liess ich mir genau nach seinen Angaben Thermo-
meter herstellen. Doch glaube ich, dass meinem Modell ent-
schieden der Vorzug vor dem Dohnberg 'sehen gebührt.
Einmal benutzt Dohnberg eine Quecksilberplatte — es ist
das entschieden zu verwerfen, weil platte Quecksilberthermo-
meter viel mehr durch den Druck der Gewebe zum Steigen
veranlasst werden, als cylindrische. Femer lässt Dohn-
berg die Steigröhre am äusseren Lidwinkel hoch gehen.
Viele Patienten, denen ich beide Arten der Thermometer
einlegte, versicherten mir, dass sie bei den Dohnberg' sehen
aussen ein allerdings nur leises Druckgefühl hätten, wäh-
rend sie bei den anderen — von mir angegebenen — nichts
spürten. Ich habe mich bei gelegentlichen Controlmessungen
an mir selbst überzeugen können, dass in der That mein
Thermometer bequemer sitzt. Es rührt das wohl daher,
dass der Lidschluss innen nicht so fest ist als aussen: innen
laufen die Lidkanten ein wenig gebogen und sind dem
Bulbus nicht mehr anliegend; die dünne Anfangsröhre
kann demnach an der Carunkel vorbei leicht nach aussen
gelangen, während am äusseren Lidwinkel das untere Lid
ein wenig abgedrängt werden muss. Daher kommt es auch,
dass meine Quecksilbercylinder bei leichtem Lidschluss —
und nur hei diesem wurde gemessen — vollkommen in einer
geschlossenen Höhle lagen, ohne Comraunication nach aussen.
Ich brauclie wohl nicht zu erwähnen, dass ich mög-
lichst dünne Capillaren verwenden liess, um die Thermo-
meter recht empfindlich zu machen. In zwei Minuten war
der höchste resp. tiefste Punkt stets erreicht. Allerdings
wurde die Dauer der Messungen meist auf mindestens vier
Minuten ausgedehnt, um ganz siclier zu gehen.
Die Scala zeigte Centigrade, war aber so weit gezeich-
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlfigen etc. 129
net, das3 man ohüe Mühe ^/, und '/^ Centigrade noch
schätzen konnte.
Zwar war ich mir wohl bewusst, dass man mit den
Thermoelementen noch viel feinere Temperaturunterschiede
bestimmen kann als mit den Thermometern. Und doch
blieb ich bei den letzteren.
Denn einmal kommen Differenzen kleiner als Centi-
grade gar nicht in Betracht, weil sich nicht entscheiden
lässt, wieviel von denselben innerhalb der unvermeidbaren
Beobachtungsfehler hegt, ganz abgesehen davon, dass man
im Allgemeinen ja alle Temperaturbestimmungen am Kör-
per höchstens nur bis auf Centigrade normirt.
Femer ist anerkannter Maassen die Handhabung der
Thermoelemente ausserordenthch schwierig, und es laufen
selbst bei grösserer Uebung gar nicht selten unbewusst
Fehler unter. Denn es ist durchaus nicht leicht, alle auf
die hochempfindUchen Instrumente einwirkenden für den
Versuch aber ganz belanglosen Feuchtigkeits- und Ver-
dnnstungsverhältnisse auszuschalten; femer erwächst die
Schwierigkeit, die indifferente Löthstelle auf einer wirklich
coustanten Temperatur zu erhalten, schUesslich die Um-
ständUchkeit, dass man nach jeder Messung — wenn man
wenigstens wirklich correct sein will -^ den Apparat von
Neuem mit einem Thermometer vergleichen muss. Und dazu
kommt noch, dass — wie Sil ex und auch Giese zugestehen
— die Patienten das Einlegen der indifferenten Löthstelle
unangenehm empfinden, dass leicht ßeizerscheinungen auf-
treten. Umstände, die bei der grossen Empfindlichkeit
der Apparate sicher nicht ohne Einfluss bleiben können.
Dem gegenüber steht das so bequem anzuwendende Thermo-
meter; dasselbe wird, wie schon gesagt, sehr gut vertragen,
80 dass ich es ohne Weiteres selbst kleineren Kjndem
einlegen konnte, ohne dass dieselben irgend eine Abwehr-
bewegung gemacht hätten. Eine Beeinflussung durch Ver-
dunstung, wie sie Silex fürchtete, war bei der Anwendung
V. Graefe'B ArchiT lür Ophthalmologie. XLIX. 1. 9
130 E- Hertel.
meiner Thermometer ausgeschlossen, weil der Conjunctival-
sack durch die Lider ganz abgeschlossen war. Zu all'
dem, glaube ich, hat es immer etwas für sich, Messungen
wenn möglich mit verschiedenen Methoden vorzunohmen^
weil dadurch eventuell erzielte gleiche Resultate an Werth
nur gewinnen können.
Zu den Umschlägen liess ich Compressen verwenden,
welche alle dieselbe Grösse und Dicke besassen. Sie be-
standen aus 6 qcm grossen Cambricläppchen, welche in
zwölffacher Lage übereinandergelegt und zusammengenäht
waren. Diese Compressen wurden in die Flüssigkeit von
bekannter Temperatur eingelegt, dann, wenn sie sich gut
voll gesaugt hatten, massig ausgedrückt, so dass sie nicht
mehr tropften, auf die geschlossenen Lider appUcirt Ein
Eindringen von warmer oder kalter Flüssigkeit in den Con-
junctivalsack war somit ausgeschlossen. Die Compressen
wurden mindestens zweimal, meist drei bis vier Mal in der
Minute gewechselt Um diesen Wechsel möglichst regel-
mässig bewerkstelligen zu können, waren stets für jedes Auge
zwei oder mehr Compressen zur Verfügung, so dass die ge-
brauchte beim Ablegen sofort durch eine neue ersetzt werden
konnte, welche inzwischen genügend Zeit gehabt hatte, die
Temperatur der XJmschlagsflüssigkeit anzunehmen.
Als solche verwendete ich Wasser, 'dem ein ganz ge-
ringer Zusatz von Borsäure — höchstens bis 2^/o — bei-
gegeben war, und zwar in drei verschiedenen Temperaturen :
einmal als Eiswasser, ferner etwa -f- 15 ® ^^^ + 55 ^ Celsius
haltend.
Durch Thermometer, die ich zwischen den Lagen der
Compressen befestigte, überzeugte ich mich in einer grossen
Reihe von Fällen, dass die Temperaturen der Compressen
gleich nach der Herausnahme aus der Flüssigkeit thatsäch-
lieh dieselben waren, wie die der letzteren. Auf das Auge
appUcirt aber veränderten sich dieselben ziemlich schnelL
Am schnellsten bei den Heisswasserumschlägenj hier war nach
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 131
höchstens 5 Secunden schon ein deutUches Sinken der Tem-
peraturen zu bemerken, und nach etwa 30 Secunden langem
Aufliegen konnte ich eine Abnahme der Temperatur in den
Compressen bis zu 4,5 ^ beobachten. Bei den Eiswassercom-
pressen begann die Temperatur im Mittel etwa 10—15 Secun-
den nach Auflegen auf das Auge zu steigen, um nach 30 Se-
cunden 1^/4^—2® von der Anfangstemperatur zu differiren.
Bei Umschlägen mit Wasser von 15® waren die Compressen
nach 30 Secunden im Mittel um 1 */« ^ wärmer geworden.
In einigen Fällen liess ich absichthch die Compressen län-
ger hegen; es veränderte sich dann die Temperatur der-
selben sehr schnell weiter: so waren die Heisswassercom-
pressen nach 5 Minuten langem Liegen bis zu 19,5 ® kühler
als die Umschlagsflüssigkeit, die Eiswassercompressen da-
gegen um ca. 14** und die Kaltwassercompressen um 8®
wärmer als ursprünghch.
Daraus ergiebt sich, wie wichtig der häufige und regel-
mässige Wechsel der Compressen war. Ich habe daher
alle Umschläge unter strengster Controle und Aufeicht aus-
führen lassen, damit ich möghchste Garantie hatte, dass
die Compressentemperaturen nur innerhalb der angeführten,
geringen Werthe von den Temperaturen der ümschlags-
flüssigkeiten differirten.
Alle Messungen und Experimente habe ich in Räumen
vorgenommen, welche mittelst Centralheizung constant auf
einer Temperatur von 18® — 20® Celsius gehalten wurden.
Die Dauer der Umschläge war verschieden, wie aus
den einzelnen Tabellen leicht ersichtlich ist.
In den Tabellen I— III sind die Zahlen der ersten
Serie von Messungen wiedergegeben. Ich habe bei den-
selben zunächst stets die Temperatur im Conjunctivalsack
vor Apphcation der Umschläge bestimmt, dann die Um-
schläge verschieden lange Zeit einwirken lassen und schUess-
lich sofort nach Ablauf der in den Tabellen angegebenen
Fristen wiederum die Temperaturen gemessen. Und zwar
132
£. Hertel.
habe ich dabei die Thermometer vorher auf die vor der
Application gefundenen Temperaturgrade erwärmt
In allen Fällen dieser ersten Messungsserie habe ich
gleichzeitig die Körpertemperatur in der Achselhöhle be-
stimmt
Tabelle I.
Umschläge mit Wasser von ca. 55* Celsius.
Zelt der
Mcasangen
Dauer
der Um-
■chlftge
Körper-
tempe-
ratur
I Temperatur im
' ConjunctlTalBaok
I ^ Iglelch
IT?' ^;?° n%ch d,
Uxnschl.lumschl.
Diffe-
renz
Temperatur nach Slstirung
der UmschlAge
5 Min.
10 Min. 15 Min.
Abends
Morgens
Morgens
Morgens
Abends
Abends
Morgens
Abends
Abends
r
Min. I
10
10
nach
weiteren
20
30
30
30
37,4
87
36,4
37
36,9
30 I 37,1
45
45
60
37
37,5
37,2
36,1
37
35,5
36,5
36,9
35,3
36,8
35,5
37,1
35,6
37,05
35,8
36,9
35,45
36,9
86,0
37,0
36,8
37,2
0,9
1,0
1,4
1,5
1,6
1,35
1,1
1,45
1,00
1,4
86,35
36
36,2
36,4
86,4
35,6
35,6
35,55
35,7
36
35,5
86,2
86
36,00
85,5
85,3
35,5
35,7
35,7
86
86,7
Tabelle H.
Umschläge mit Wasser von ca. 15^ Celsius.
Zeit der
MesBongen
Dauer
der Um-
Bchlikge
Körper-
tempe-
ratur
Temperatur im
ConJ unctivalsack
gleich
vor den
Umscbl.
Min.
Morgens
10
36,7
35,5
Morgens
10
36,3
35,6
Abends
15
37
36,0
Morgens
15
36,9
35,4
Morgens
30
36,8
35,6
Morgens
60
36,5
35,5
Morgens
60
36,4
35,6
Abends
60
37,1
35,8
nach d.
Um sohl.
33,6
34,9
34,8
34,8
34,6
33,9
33,8
34,5
Temperaturnach Sistinmg
der ümschUge
Diire-
renx
5 Min.
10 Min.
15 Min.
1,9
34,9
35,6
0,7
85,5
35,65
1,2
35,65
35,95
85,9
0,6
35,3
35,45
35,4
1,0
35,4
36,6
1,6
85,3
35,4
35,4
1,8
34,7
35»6
35,6
1,3
35,4
35,75
35,7
Ueber die Wirkung von kalten und wannen umschlagen etc. 13S
Tabelle IIL
Umschläge mit Eiswassercompressen.
Zeit der
Daaer
der Um-
BchULge
Körper-
tempe-
ratur
Temper
Conjunc
▼ or den
ümschl.
Rtur im
Üralsack
gleich
nach d.
Umschl.
DUfc-
renx
Temperatur nach Sistirong
der TJmBchllge
I
5 Min. 10 Min. 15 Min.
Min.
Abends
5
nach
weiteren
5
37
35,7
33,5
32,6
8,2
3,1
nach
abermals
5
31,8
3,9
34,3
35,45
35,7
Morgens
5
36,7
35,4
33,2
2,2
nach
weiteren
10
31,6
3,8
35,0
35,3
35,5
Abends
10
37,5
35,8
31,5
4,3
34
35,1
35,8
Abends
10
37,2
35,75 ; 32,6
3,25
35,7
35,7
Abends
60 •
37,4
35,9
31,2
4,7
34,6
35»2
36,0
Aus den Tabellen erhellt iunächst, dass die Temperatur
des normalen Conjunctivalsackes zwischen 35,25® und 36,25**
schwankt. Als Mittel ergiebt sich aus allen Messungen
eine Temperatur von 35,65®, während das Mittel aus den
Körpertemperaturen derselben Individuen bei 36,97® hegt>
wir haben also eine Differenz von 1,32®, um welche die
Temperatur des Conjunctivalsackes hinter der Körpertem-
peratur zurückbleibt
Diese Zahlen stimmen sehr gut mit denen anderer Be-
obachter tiberein, namentlich mit denen von Giese (1. c).
Derselbe fand als Mittel von 30 Messungen die Tempera-
tur des normalen Conjunctivalsackes 35,72® bei einer mitt-
leren Körpertemperatur von 37,18® — also eine Differenz
von 1,46®. Silex (1. c.) giebt die mittlere Temperatur des
Conjunctivalsackes auf 35,55® an und fand sie um 2®
niedriger als die Körpertemperatur (im Rectum gemessen).
Dohnberg (1. c.) erhielt einen etwas höheren Weiih
134 E. Hertel.
für die Conjunctivalteraperatur nämlich 36,4® und Gale-
zowski(4) im Mittel sogar 36,5— 36,7 ^ Aber auch diese
Autoren stimmen darin überein, dass die Temperatur des
Conjunctivalsackes nonnaUter niedriger ist als die übrige
Körpertemperatur. Es ist das sehr erklärlich, da gerade
am Auge reichlich Gelegenheit zu AVärmeverlust vorhan-
den ist: einmal durch Verdunstung der Thränenflüssigkeit,
femer durch directe Einwirkung der umgebenden atmo-
sphärischen Luft bei geöffnetem Auge. Dass dieselben aber
auch bei geschlossenen Lidern von Einfluss auf die Con-
junctivaltemperatur ist, konnte ich in einfacher Weise durch
eine Reihe von Messungen feststellen.
Ich bestimmte bei fünf Leuten mit normalen Augen
die Conjuuctival- und Körpertemperatur in verschieden
temperirten Räumlichkeiten, in welchen sich die liCute
gleich lange — 15 Minuten — , ohne irgend eine Thätig-
keit auszuüben, aufgehalten hatten. Und zwar betrug die
Temperatur des I. Raumes 20® Celsius — entsprach also
etwa der Zimmertemperatur, bei welcher ich sonst alle
Messungen vorgenommen habe, die des II. Raumes 6® und
die des dritten 33^ Während nun die Körpertemperatur
in allen Räumen fast dieselben Werthe darbot, zeigte die
Conjunctivalsacktemperatur gegenüber den im I., 20grädigen,
Räume gefimdenen Werthen in dem Räume mit 6® eine
entschiedene Verminderung, welche zwischen 0,4^ und 1,4*
schw^ankte, in dem Räume mit 33® dagegen eine Ver-
mehrung in einem Spielraum von 0,6® bis 1,2®. Man sieht
daraus, wie richtig es war, alle Messungen in Räumlich-
keiten vorzunehmen, die möglichst gleichmässig auf der-
selben Temperaturhöhe gehalten waren.
AehnHch wie bei den Körpertemperaturen fand ich
ferner ziemlich regelmässig morgens etwas niedrigere Tem-
peraturen im Conjunctivalsack als abends. Und zwar ergab
sich als Mittel aus allen Morgenmessungen 35,47® bei einer
mittleren Köq)ertemperatur von 36,73®; die mittlere Abend-
üeber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 135
temperatur betrug im Conjunctivalsack 35,82®, in der
Achselhöhle 37,2 1^
Vergleichen wir nun die gefundenen Temperaturwerthe
vor und nach der Application derUmschläge, so lässt
sich leicht feststellen, dass durch die Einwirkung ^erheissen
Umschläge (Tabelle I) constant eine Erhöhung der Tem-
peraturen erzielt wurde, während die kalten Umschläge
^Tabelle II) und die Eiscompressen (Tabelle III) die Tem-
peraturen stets herabsetzten.
Und zwar finden wir bei Verwendung von warmen
Umschlägen eine Erhöhung, welche von 0,9® im Minimum
bis zu 1,6® im Maximum schwankt. Ob die Länge der
Zeit, während welcher die Umschläge gemacht wurden, von
wesentlichem Einfluss auf die Temperatursteigerung ge-
wesen ist, lässt sich aus der Tabelle nicht sicher erkennen.
Allerdings finden wir bei den nur zehn Minuten lang
dauernden Umschlägen die niedrigsten Steigerungswerthe
(0,9® und 1,0®). Doch betrug auch bei 45 Minuten dauern-
den Umschlägen die Erhöhung einmal nur 1,0®. Stets
sanken die Temperaturen sehr schnell wieder, so dass schon
zehn Minuten nach Wegnahme der Umschläge kaum noch
eine Erhöhung gegenüber der Ausgangstemperatur festge-
stellt werden konnte.
Bei den kalten Umschlägen haben wir die stärkste
Herabsetzung der Temperatur in den Fällen, in denen Um-
schläge mit Eiswassercompressen gemacht wurden; wir
finden gegenüber der Ausgangstemperatur Differenzen zwi-
schen 2,2® und 4,7®, während die Herabsetzung der Tem-
peratur durch die Wasserumschläge von 15® zwischen 0,6®
und 1,9® schwankten. Auch hier war die Dauer der
Wirkung der Umschläge auf die Temperatur eine kurze,
gleichgültig, wie lange die Umschläge applicirt worden
waren. Bei den Wasserumschlägen von 15® war dieselbe
schon nach ca. zehn Minuten fast verschwunden, während
sich bei den Umschlägen mit Eiscompressen um diese Zeit
136 E. Hertel.
in einigen Fällen wenigstens noch deutliche Verminderung
der Temperatur feststellen liess, welche erst nach circa
15 Minuten geschwunden war. Femer liess sich, wie schon
bei den warmen Umschlägen, ein sicherer Zusammenhang
zwischen der Dauer der Umschläge und dem Grade der
Beeinflussung der Ausgangstemperatur durch dieselben nicht
constatiren.
Um darüber womöglich Aufschluss zu bekommen, und
zugleich auch das Nachlassen der Wirkung der Umschläge
nach ihrer Entfernung zeitlich genauer yerfolgen zu können,
stellte ich eine andere Versuchsreihe an, welche durch die
Tabellen IV — VI yeranschauUcht werden soll. Bei diesen
Messungen legte ich zunächst das Thermometer in den
Conjunctivalsack und bestimmte die Temperatur desselben.
Dann appücirte ich die Umschläge von den angegebenen
Temperaturgraden, ohne dabei das Thermometer aus dem
Cotgunctivalsack zu entfernen. Ich konnte so sofort den Ein-
tritt einer Wirkung der Umschläge constatiren, ebenso war
es mir nach Sistirung derselben möglich, ein Nachlassen
der Wirkung sogleich zu registriren.
In allen Fällen machte sich der Einfluss der Um-
schläge innerhalb der ersten Minute geltend, ja ich konnte
meist schon wenige Secunden nach Auflegen derselben ein
Steigen und Fallen der Quecksilbersäule beobachten. Am
ausfallendsten war der schnelle Eintritt der Wirkung bei
den Eiswassercompressen, welche die Temperatur innerhalb
der ersten Minute im Maximum bis auf 2^ herabsetzten,
während in derselben Zeit bei den Kaltwasserumschlägen
das Maximum der Temperaturänderung 1® und bei den
Heiss Wasseraufschlägen nui* 0,8® betrug. Schon nach wenigen
Minuten — zwischen sieben und zehn — war eine deutliche
weitere Beeinflussung der Temperatur nicht mehr zu con-
statiren; wir finden nach 15 Minuten im Durchschnitt noch
dieselben Grade notirt wie bei zehn Minuten.
Es stimmt das sehr gut damit überein, dass wir bei
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlagen etc. 137
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138 E- Hertel.
der ersten Messungsreihe eine wesentlich stärkere Beein-
flussung der Temperaturen selbst durch stundenlange Um-
schläge nicht fanden. Dagegen war in den Versuchen, in
welchen die Eiswassercompressen nur fünf Minuten gelegen
hatten, nur eine Temperaturabnahrae von ca. 2,2 ** zu con-
statiren, während bei weiterer zehn Minuten langer Ein-
wirkung die Temperatur um 3,9^ gesunken war. Also auch
hier deutUche Zunahme des Einflusses bis etwa auf circa
zehn Minuten. Dann aber ziemliche Constanz der Tempe-
ratur, wie wir es in exacterer Weise an der IL Messungs-
reihe gefunden hatten.
Fast ebenso schnell wie die Wirkung der Umschläge
eingetreten, war sie aber auch wieder verschwunden. Wir
können an der Hand der Tabelle IV — VI genau verfolgen,
wie bereits innerhalb der ersten Minute nach Sistirung
der Umschläge eine ganz bedeutende Aenderung sich
geltend machte, welche meist schon ^4 — Va Minuten nach
Wegnahme der Compressen begann. Im Verlaufe der fol-
genden Minuten vei-schwand die Nachwirkung der Um-
schläge mehr und mehr, und nach ca, sechs Minuten war
bei Heisswasserumschlägen, nach ca. sieben Minuten bei
Kaltwasserumschlägen nahezu die Ausgangstemperatur wieder
erreicht, während die Eiscompressenwirkung durchschnitt-
lich länger anhielt, so dass erst nach ca. elf Minuten die
ursprünglichen Werthe wiedergekehrt waren. Die noch einige
Zeit fortgesetzten Messungen hielten sich dann in den
Grenzen der Ausgangstemperaturen.
Vergleichen wir das mit den Resultaten von Tabelle I
bis III, so finden wir auch dort eine schnelle Abnahme der
Wirkung, wenn auch eine Verfolgung derselben nicht so exact
mögUch war, wie bei den an zweiter Stelle angeführten Ver-
suchen. Nach ca. 15 Minuten war aber von einer deut-
lichen Beeinflussung der Temperatur des Conjunctivalsackes
auch in der I. Messungsreihe nicht mehr die Rede, selbst
dann nicht, wenn stundenlang Umschläge gemacht waren.
üeber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 139
Dieses schnelle Nachlassen der Wirkung der Umschläge
erklärt es übrigens auch, warum wir bei der IL Messungs-
reihe meist stärkere Erhöhung, resp. Herabsetzung der
Temperaturen fanden als bei der I. Versuchsreihe. Denn
die Zeit, die das Quecksilber bei der letzteren gebrauchte,
um die jeweihge Temperatur des Conjunctivalsackes anzu-
nehmen, genügte schon, um ein Nachlassen der Wirkung
der Umschläge möglich zu machen. Bei der II. Versuchs-
anordnung wurde diese Zeitversäumniss gespart und die
volle Wirkung der Umschläge konnte zur Geltung kommen.
Die Wirkung der Umschläge tritt demnach sehr
schnell ein, erreicht nach wenigen Minuten ihrMaxi-
mum, um dann nach Wegnahme der Umschläge
ebenso schnell wieder zu verschwinden, ganz un-
abhängig davon, wie lange die Umschläge appli-
cirt waren, und zwar wird im normalen Conjunc-
tivalsack die Temperatur unter kalten Umschlägen
herabgesetzt und unter warmen gesteigert
Wir kommen nun zu der Frage, auf welchem 'Wege
kommt diese Wirkung zu Stande. Bekanntlich kommen da
nach unseren heutigen Kenntnissen im allgemeinen zwei
Wege in Betracht: einmal kann die applicirte Wärme oder
Kälte direct auf die Gewebe einwirken durch die Leitung, rein
nach physicalischen Gesetzen, indem die Temperatur Schicht
für Schicht quer das Gewebe durchdringt, oder aber indirect
vermittelst Beeinflussung der Circulationsverhältnisse, indem
Kälte die Gefässe contrahirt, Wärme dilatirt und der ver-
änderte Blutgehalt eine Veränderung der Temperatur des
Gewebes herbeiführt.
Betrachten wir mit Rücksicht darauf die aus unseren
Tabellen IV bis VI hervorgehenden Resultate, so ergeben
sich zunächst eine Reihe von Momenten, welche unzweifel-
haft dafür sprechen, dass bei unseren Versuchen die Wärme
resp. Kältewirkung nach physicalischen Gesetzen, also durch
Leitung erfolgt ist
140 E. Hertel.
Vor allem können wir leicht erkennen, dass der Einfluss
der Umschläge auf die Temperatur des Conjunctivalsackes
ein um so grösserer ist, je grösser die Temperaturdifferenz
zwischen den Umschlägen und der Ausgangstemperatur des
Conjunctivalsackes ist. Es entspricht das der physiologisch
feststehenden Thatsache, dass die Temperatur des thierischen
Körpers durch das umgebende Medium um so mehr durch
Leitung beeinflusst wird, je grösser die Temperaturdifferenz
zwischen beiden ist, vorausgesetzt, dass die Leitungsfähigkeit
und Wärmecapacität die gleiche bleibt Und das letztere war
ja bei meinen Messungen, welche immer im Conjunctivalsack,
also an derselben Stelle, vorgenommen wurden, der FalL
Wir sahen bei den Umschlägen mit Wasser von 15®
im Mittel eine Herabsetzung der Temperatur von 2,0®,
mit Eiswasser dagegen von 4,5®, also etwa um das doppelte.
Es ist das erklärlich, wenn wir berücksichtigen, dass die
Differenz zwischen der mittleren Conjunctivalsacktemperatur
von 35,65® und dem lögrädigen Wasser rund 20® betrug,
während sie bei dem Eiswasser von 0 Grad, 35,65® — also
nahezu noch einmal soviel — ausmachte. Die geringen
Aenderungen, welche, wie erwähnt, die Temperatur der
Compressen beim Auflegen auf das Auge erfuhr, bringen
in diesem Verhältnis keine bemerkenswerte Verschiebung,
weil sie ja bei beiden Arten von Compressen ziemlich über-
einstimmende Werthe darboten.
Dagegen muss man sie doch wohl in Rechnung ziehen
bei einem Vergleich der Wirkungsweilhe der kalten und
der heissen Umschläge. Denn bei letzteren sahen wir
innerhalb V« Minute die Compressentemperatur sich im
Mittel um 4® ändern, also viel schneller und intensiver als
z. B. bei den Eiswassercompressen, die in derselben Zeit
im Mittel etwa nur um 1,5® von der Ausgangstemperatur
differirten. Reduciren wir die Compressentemperaturen um
diese Werthe, so haben wir zwischen der Temperatur des
Conjunctivalsackes und der der Heisswassercompressen eine
lieber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 141
Differenz von 15,3ö^ gegenüber der etwas über doppelt so
grossen, nämlich 34,15^ betragenden bei den Eiswassercom«
pressen. Dem ungefähr entsprechend war die Wirkung der Eis-
Wasserumschläge etwas über doppelt so gross — 4,5® Erniedri-
gung — wie die der Heisswasserumschläge — 1,8® Erhöhung,
Bei den Heisswasser- und Kaltwasserumschlägen von
ca. 15® dagegen waren die Differenzen gegenüber der Con-
junctivalsacktemperatur annähernd die gleichen und deshalb
auch die Wirkung auf dieselben zahlen massig ganz ähnhch.
Ferner glaube ich, dass auch die ausserordentUche
Schnelligkeit, mit welcher die Wirkung der Umschläge ein-
trat und nach ihrer Entfernung wieder verschwand, auf
eine Wirkungsweise durch Leitung hinweist. Berücksich-
tigt man die geringe Dicke des ganzen Lides, ferner die
Dünnheit der Epidermis und den gänzlichen Mangel an
Fettgewebe, wodurch die Leitung von Wärme und Kälte
quer durch das Gewebe nach der Arbeit von Klug (8)
sehr erleichtert wird, so wird man verstehen, wie die Com-
pressen fast unmittelbar nach dem Auflegen die Tempera-
tur im Conjunctivalsacke beeinflussen konnten, und zwar
um so mehr, je stärker wieder diese sich von der der Com-
pressen unterschied. Wir haben daher die grösste Beein-
flussung in der ersten Minute bei den Eiswassercompressen
— 2®, während sie bei den weniger differenten Kaltwasser-
und Heisswassercompressen nur 1® und 0,8® betrug.
Nach Wegnahme der Umschläge konnte sich dagegen
das anders temperirte Medium der Luft wieder bemerkbar
machen, w^il wiederum die anatomischen Verhältnisse einen
schnellen Ausgleich der Temperatur gestatteten. Bei den Eis-
wassercompressen, die vorher die grösste Beeinflussung erzielt
hatten, dauerte naturgemäss dieser Ausgleich am längsten:
wir fanden erst etwa nach elf Minuten die Anfangstempe-
raturen wieder, während bei Kaltwasser schon nach sieben
Minuten und bei Heisswasser etwa nach sechs Minuten die
Normaltemperatur zurückgekehrt war.
142 E. Hertel.
Wenn diese aus den Tabellen gezogenen Folgerungen
nun entschieden für eine Wirkung der Umschläge durch
Leitung sprechen, so fehlte es doch auch andererseits nicht
an Zeichen, welche auf eine Mitbetheihgung der Circula-
tion hin zu deuten schienen.
Allerdings aus den Messungsresultaten konnte ich in
dieser Hinsicht nichts entnehmen, wohl aber schien das
Aussehen der Augen dafür zu sprechen. Ich habe das-
selbe bisher nicht erwähnt und möchte das jetzt kurz nach-
holen. Ich konnte, wie vorauszusehen war und ja auch
allgemein bekannt ist, bei Auflegen von Kälte entschieden
eine Abblassung der Conjunctiva der Lider und des Bul-
bus constatiren, welche bei Eisumschlägen ganz besonders
hochgradig war. An den Netzhautgefässen war eine deut-
liche Differenz gegeimber der anderen Seite nicht zu be-
merken. Bei den warmen Umschlägen dagegen zeigte sich eine
ganz ausgesprochene Hyperämie der Conjunctivalgefässe und
der Gefässe der Lidhaut Bei den besonders lang dauern-
den Umschlägen waren auch die Papillen etwas hyperämisch
und die Netzhautgefässe entschieden etwas mehr ausgedehnt.
Bei diesem augenscheinlichen Einfluss der Umschläge
auf die Circulationsverhältnisse der Augen einerseits und
bei den oben aus einander gesetzten, auf die physicaUsche
Wirkung durch Leitung hindeutenden Momenten andererseits,
lag es nahe, beide Factoren bezüglich der Stärke ihres Ein-
flusses genauer zu analysiren.
Ich glaubte das dadurch erreichen zu können, dass ich
versuchte, den einen der beiden Factoren — die Circulation
— willkürlich zu verändern oder auszuschalten. Aus den
dadurch entstehenden Aenderungen in der Wirkungsweise
der Umschläge gegenü])er den früheren normalen Verhält-
nissen, ergab sich die Rolle, welche die Circulationsverhält-
nisse bei dem Zustandekommen der Um Schlags Wirkung
spielten. Und nach deren Abzüge blieb das, was wir auf
Rechnung der Leitungsverhältnisse zu setzen haben.
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 143
Es war aus nahe liegenden Gründen schwer, am
Menschen Aendenuigen in der Circulation oder gar deren
Ausschaltung herbeizuführen ohne Gefahren für das Auge.
Zwar versuchte ich, durch Cocain eine möglichst hoch-
gradige Anämie der Conjunctivalgefasse zu bewerkstelligen,
was auch bis zu einem gewissen Grade gelang. Ich fand
nach Instillation von zehn Tropfen einer 5% igen Cocain-
lösung innerhalb von ca. zehn Minuten eine deutUche Ab-
blassung der Schleimhaut. Die Temperatur war im Mittel,
gewonnen an 24 Messungen, um 0,65® herabgesetzt Ich
liess nun in je acht Fällen Umschläge von den drei bis-
her in Betracht gezogenen Temperaturgraden machen und
stellte die Messungen in ähnlicher Weise an, wie bei den
in Tabellen IV bis VI enthaltenen. Die Resultate waren
ganz ähnlicher Natur wie bei den Versuchen ohne Cocain.
Ich fand ähnliche Maximalwerthe, ferner dasselbe schnelle
Eintreten und Nachlassen der Wirkung, so dass man also
schliessen musste, die Circulation kommt bei der Umschlags-
wirkung überhaupt nicht in Betracht. Doch schienen mir
diese Versuche wenig beweisend zu sein, denn einmal hess
natürlich die Cocainwirkung während der Zeit der Appli-
cation der Umschläge mehr und mehr nach, und dann fehlte
auch die Möglichkeit des Controlversuches : nämlich der
Messungen an Augen mit Hyperämie, ohne dass an
diesen pathologische Veränderungen gespielt hätten.
Deshalb entschloss ich mich, diese Versuche an
Thieren weiter fort zu führen, und zwar an Kaninchen.
Zunächst stellte ich bei einer Reihe derselben von an-
nähernd gleichem Körpergewicht — dasselbe schwankte
von 1450 g bis 1600 g — Messungen bei intacten Circu-
lation s Verhältnissen an. Und zwar verjfiihr ich dabei so
wie bei den menschlichen Augen in der IL Vei-suchsreihe
(Tabelle IV — VI). Ich legte also die Thermometer zunächst
in den Conjunctivalsack ein, bestimmte dessen Temperatur
und applicirte dann erst die Umschläge.
144 £• Hertel.
Die Resultate der Messungen sind in den Tabellen VII
und VIII niedergelegt.
Aus den angeführten Zahlen ergiebt sich als mittlere
Temperatur des Conjunctivalsackes unserer Kaninchen 36,81®
bei einer mittleren Körpertemperatur von 38,83** (im Rec-
tum), also eine Differenz von 2,02®. Silex fand dieselbe
höher, nämlich 3,2^ In den Messungen von Michel (5),
welcher an Kaninchen die Temperaturtopographie der Augen
studirte, finden sich nur Angaben über die Temperaturen
innerhalb des Bulbus selbst, die des Conjunctivalsackes sind
nicht genannt
Aus den Tabellen geht femer hervor, dass wir auch
bei den Kaninchen durch die kalten Umschläge constant
eine Abkühlung und durch die warmen ein Steigen der
Conjunctivaltemperatur erzielten. Und zwar betrug im Mittel
die Verminderung bei Eis 6,02®, die Erhöhung durch Heiss-
wasseruraschläge dagegen 3,54®.
Die Wirkung trat am schnellsten ein bei den Eiswasser-
compressen, etwas langsamer bei den heissen Umschlägen.
Nach Weglassen der Umschläge sahen wir ein fiast momen-
tan beginnendes Ausgleichen der Temperatur, so dass nach
einigen Minuten die Anfangstemperatur nahezu wieder er-
reicht war, bei Eis nach ca. sieben Minuten, bei Heiss-
wasser nach ca. fünf Minuten.
Wir haben also, abgesehen von den Differenzen in den
absoluten Zahlenwerthen, bei Kaninchen mit normaler
Circulation eine ganz ähnliche Wirkungsweise der Um-
schläge wie bei den Menschen.
Um nun ihre Wirkungsweise bei veränderter Cir-
culation kennen zu . lenien , erzeugte ich mir bei einer
Reihe von Thieren eine ausgesprochene Hyperaemie durch
Durchschneidung des Halssympathicus und beobach-
tete dann die Temperaturänderungen, welche die Umschläge
herbeiführten.
üeber die Wirkung von kalten und wannen ümschiflgen etc. 145
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▼. Graefe's Archiv fQr Ophthalmologie. XLIX 1 .
10
146
E. Hertel.
Bei anderen Thieren stellte ich mir eine Anämie her^
indem ich nach Durchschneidung des Sympathicus
den Kopftheil desselben reizte: auch hier wurden
dann Umschläge gemacht und die Temperatur notirt Ich
verfuhr bei dieser Experimentenreihe stets so, dass ich mir
zunächst den Sympathicus aufsuchte imd isolirte, dann die
Temperatur des Conjunctivalsackes bestimmte; darauf erfolgte
die Durchschneidung des Nerven eventuell mit nachfolgender
Reizung des centralen Endes, wobei an dem im Conjuncti-
valsack verbliebenen Thermometer etwa eintretende Tem-
peraturschwankungen abgelesen werden konnten. Erst nach-
dem die Temperaturen wieder nahezu constant geworden
waren, wurden die Umschläge applicirt
Die Resultate waren folgende:
Tabelle IX.
Umschläge bei Kaninchen nach Sympatbicusdurchschneidung.
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.i^*!» |i ^ 3:5] '"Z I k<^er UiDschlftge, nach ^ und zwar
itfU<Sl
El
1 Min. I 5 Mio. ' 7 Min. , 1 Min. 5 Min.
7 Min 10 Min.
37,0 37,(5 0 I 34,8
37,3 I 38,0 ' 0 i' 36,4
36.0 36,45 4- 55 1! 37,6
37.1 I 37,7 -h 55 1| 38,5
30,5
32,05
39,3
39,7
30,6 ; 32,3
31,9 ,1 33,4
40,0 I 39
40,3 ;! 39,4
36,5 1 37,4
36.8 I 37,9
36,4 I 36,5
37.9 37,7
37,3
37,9
36,5
37,8
Tabelle X.
Umschläge bei Kaninchen bei Sympathicusreizung.
Isrtiß ^elS Temp.d.Conjunctlyal-l Temperatur des ConjuncÜTal-
'^ « ' ßJ^ ' .31 2 sacks wftitrend der 1 sacka nach den Umschlagen»
g*^ d^« S'iÜ , *^^ Umschläge, nach und zwar nach
II 1^1 ^^ 'HP iMln.lsMlu.' 7Min. 1 Min. j 5 Min.' 7 Min. 10 Min.
36,5 ' 37,0 1. 36,0 1 0 i 34,9
37,2 37,8 ' 36,3 , 0 ., 35,0
37,0 37,5 L3G,2| -f55 38,0
38,0; 38,2 i 37,6ll + 55 38,9
31,0 1 31,1 32,5 35,76
30,8 30,6 32,0 136,2
39,6 . 41,1 39,8 138,1
39,4 1 39,9 39,3 |38,l
36,15
36,3
36,4
37,6
36,0
36,4
36,4
37,5
Aus den Tabellen ersieht man zunächst, dass die durch
einfache Sympathicusdurchschneidung erzeugte Hyperämie
lieber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 147
eine entschiedene Erhöhung der Temperatur des Con-
junctivalsackes herbeiführte: wir fanden im Mittel von
acht Messungen eine Zunahme von 0,56®.
Die in vier Fällen erfolgte Beizung des Kopfendes
des Sympathicus mit consecutiver Anämie bewirkte ein
Herabsinken der Temperatur, welches zwischen 0,4® und
0,9® schwankte.
Auf die Wirkung der Umschläge aber schien weder
die Hyperämie noch die Anämie einen Einfluss ausgeübt
zu haben. Denn wenn wir die Resultate der beiden Ta-
bellen untereinander und mit denen der fiüheren Tabellen
(Vn und VIII) vergleichen, so können wir keinerlei auf-
fälligeren Unterschied wahrnehmen. Wir haben wieder bei
Einwirkung von Kälte Herabsetzung, bei der von Wärme
Elrhöhung der Temperatur; und zwar entsprechen die ge-'
fundenen Werthe nach Einwirkung der Umschläge durch-
aus denen, die wir bei normalen Circulationsverhältnissen
schon constatiren konnten.
Femer sehen wir dasselbe schnelle Eintreten der Wir-
kung und das schnelle Verschwinden nach Sistirung der
Umschläge. Die Temperaturbeeinflussung ist am stärksten
und intensivsten bei Eiswassercompressen, geringer bei den
übrigen Umschlägen, gleichgültig, ob Anämie oder Hyper-
ämie im Conjunctivalsack vorhanden war.
Ich habe zur Controle die Versuche noch an einigen
Thieren wiederholt, dabei aber eine andere Reihenfolge der
einzelnen Proceduren eingeschlagen. Ich suchte mir zu-
nächst wieder den Sympathicus auf und isohrte ihn; be-
stimmte dann die Temperatur im Conjunctivalsack und appli-
cirte nun, ohne dass ich den Nerven lädirte, die Umschläge.
Nach Einwirkung derselben von etwa zehn Minuten wurde
die Temperatur genau notirt und unter Fortsetzung der Um-
schläge der Sympathicus bei zwei Thieren einfach durch-
schnitten, bei zwei Thieren durchschnitten und nachher am
Kopfende gereizt.
10*
148 E- Hertel.
Es konnte keinerlei Einfluss dieser Maassnahmen auf
die Temperatur im Conjunctivalsack gesehen werden: es
blieb dieselbe durch die Eisumschläge wie vorher herabge-
setzt und durch die Heisswasserumschläge erhöht, ohne
dass Schwankungen nach der Nervenläsion eingetreten
wären.
Weiter stellte ich Messungen an bei Thieren, denen
ich während der Umschläge die Carotis interna compri-
mirte. Zunächst legte ich mir die Carotis frei und über-
zeugte mich nach Einlegen des Thermometers in den Con-
junctivalsack, dass eine Compression derselben eine hoch-
gradige Anämie des ganzen Auges und gleichzeitig eine
Herabsetzung der Temperatur herl)eifuhrte. Ich fand im
Mittel von fünf Messungen eine Verminderung um 0,78®
bei einer Maximalcompressionsdauer von drei Minuten.
Gleich nach dem Nachlassen des Druckes verschwand die
Anaemie und machte einer geringen Hyperämie Platz. Die
Temperatur stieg, allerdings langsam, und zwar etwas über
die Ausgangstemperatur hinaus, im Mittel betrug der Ueber-
stieg etwa 0,14®, sodass also die Zunahme nach Freilassen
der Arterie im ganzen 0,92® ausmachte.
Ich applicirte nun bei zwei Thieren nach Freilegung
der Carotis, doch vor ihrer Compression Eiscompressen
und bei zwei anderen heisse Umschläge. Als die Tem-
l)eratur etwa nach sieben Minuten die grösste Erniedrigung
resp. Erhöhung erreicht hatte, wurde unter Fortsetzung
der Umschläge die Carotis ca. drei Minuten lang compri-
niirt, und dabei die Thennometer sorgfältigst beobachtet.
Es war mir nicht möglich, eine Aenderung der Tempera-
turen zu erkennen, weder gleich nach der Compression,
noch nach dem Nachlassen derselben.
Aus diesen Versuchen geht also hervor, dass durch
Anwendung gleich teraperirter Umschlagsflüssig-
keiteii in derselben Zeit dieselben Maximalwir-
kungen auf die Temperatur des Conjunctivalsackes
üeber die Wirkung von kalten und warmen UmschlSgen etc. 149
erzielt werden können, gleichgültig, ob die Gircu-
lationsTerhältnisse am Auge normal oder verändert
sind. Sind andererseits diese Wirkungen einge-
treten, 80 haben nachträglich herbeigeführte Cir-
culationsveränderungen keinen Einfluss mehr auf
dieselben.
Thatsache bleibt allerdings, dass bei warmen Um-
schlägen eine Hyperämie und bei kalten eine Anämie des
Gewebes eintritt, Thatsache ist femer — nach den ange-
führten Experimenten — , dass durch Hyperämie die Tem-
peratur im Conjunctivalsack gesteigert, durch Anämie ver-
ringert wird. Doch ist dieser Einfluss bei der Zartheit und
SpärUchkeit der Oelässe im Yerhältniss zur Oberflächen-
ausdehnung des Gewebes nur gering, wie auch aus den
angeführten kleinen Differenzen hervorgeht. Deshalb kommt
derselbe bei der Wirkung der ziemhch differenten Um-
schläge, wie ich sie bei meinen Experimenten benutzte,
und wie sie meist auch in praxi verwendet werden, mess-
bar gar nicht in Betracht
Etwas anders gestalten sich die Verhältnisse bei der
gänzlichen Ausschaltung der Circulation. Dazu
stellte ich Versuche an getödteten Thieren an, und zwar
zunächst an zwei Thieren sofort nach eingetretenem Exitus,
den ich durch Schlag hinter die Ohren schnell herbeiführte.
Bei dem ersten Thier war die Conjunctivalsacktempe-
ratur sofort nach dem Exitus 35,8^. Sogleich applidrte
Eisumschläge hatten eine rasche Abkühlung von nahezu
7® in fünf Minuten zur Folge. Nach Sistirung der Um-
schläge stieg die Temperatur schnell wieder bis auf 35,4^
Das gleichzeitig in dem anderen Conjunctivalsack, auf den
keine Umschläge gemacht waren, eingelegte Thermometer
zeigte um diese Zeit 35,6®.
Bei dem zweiten Thier betrug die Temperatur sofort
nach dem Exitus 36® im Conjunctivalsack. Aufgelegte
heisse Umschläge (55®) bewirkten eine unmittelbare Er-
150 E. Hertel.
höhung von 3,6® in fünf Minuten. Wegnahme der Um-
schläge Hess die Temperatur ziemhch schnell bis auf 35,9**
sinken, das Gontrolthermometer der anderen Seite stand
um diese Zeit auf 35,75^.
Bei einem dritten Thier erzielte ich vier Stunden post
mortem durch aufgelegte Eiswassercompressen in fünf Mi-
nuten einen Temperaturabfall von fast 17®, und bei dem
vierten Thier schliesslich durch vier Stunden post mortem
applicirte heisse Umschläge (55®) eine Temperaturerhöhung
von nicht ganz 26®.
Es dififerirten also, die bei diesen vier getödteten Thieren
erhaltenen Werthe sehr stark sowohl gegen die fiüheren
Resultate als auch unter sich. Und zwar finden wir, dass
bei allen vier Thieren die Temperaturbeeinflussung eine viel
stärkere war, als bei den bisherigen Versuchen, trotzdem
die Umschläge dieselbe Temperatur hatten, wie früher.
Am auffallendsten war dieser Unterschied bei den beiden
Thieren, bei denen die Messungen erst einige Stunden post
mortem gemacht wurden: es differirten hier die am Thermo-
meter im Conjunctivalsack abgelesenen Werthe nur um
wenige Grade von den Temperaturen der Umschlagsflüssig-
keit, resp. der Compressen.
Diese viel intensivere Wirkung der Umschläge auf
die Temperatur im Conjunctivalsack bei den getödteten
Thieren kann, da ja hier die Circulation vollständig und
dauernd ausgeschaltet war, nur die Folge sein von der Fort-
leitung der Wärme, resp. Kälte quer durch das Gewebe
des Lides hindurch.
Aus dieser viel stärkeren Wirkung am völlig circula-
tionslosen Gewel)e und aus der schwächeren bei blutdurch-
strömtem Gewebe bei Anwendung gleichartig temperirter
Umschlagsflüssigkeiten, ergiebt sich der Schluss, dass die
am lebenden Thier gemachten Umschläge nicht rein nach
physicalischen Gesetzen gewirkt haben können, wie am todten
Thier, sondern, dass die Wirkung durch die vorhandene
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 151
Circulation eine Modification erlitten hat. und diese be-
stand, wie aus den Versuchen weiter hervorgeht, darin, dass
am lebenden Thier durch bestimmte Temperaturgrade nur
eine gewisse Maximalbeeinflussung der Conjunctivaltempe-
ratur erzielt werden konnte, die viel niedriger war, als am
todten Thier, bei welchem die Circulation fortfiel und die
physikahsche Wirkung allein zur Geltung kommen konnte.
Es beruht das darauf, dass bei dem lebenden Gewebe
das circuUrende uud fortwährend sich erneuernde Blut
durch die aufgelegten Umschläge mit erwärmt, resp. mit
abgekühlt werden muss. Es wird durch den Blutstrom
dauernd ein Theil der aufgelegten Wärme, resp. Kälte auf-
genommen und raitgeführt, so dass er der Localtemperatur
im Conjunctivalsack nicht zu Gute kommen kann: wir
werden also mit bestimmten Temperaturen am
lebenden Gewebe eine gewisse Maximalwirkung
nicht überschreiten können. Fehlt der Blutstrom
dauernd und gänzlich, so kann diese Maximal-
wirkung höher sein.
Nehmen wir dieses aus den vier letzten Versuchen
sich ergebende Resultat zu den früher erhaltenen hinzu, so
müssen wir uns nach meinen Experimenten das Zustande-
kommen der Wirkung der Umschläge auf das Auge
so vorstellen, dass die applicirte Wärme, resp. Kälte
durch Leitung quer durch das Gewebe, für welche
die anatomischen Verhältnissesehr günstig sind, sich
fortpflanzt und die Temperatur im Conjunctivalsack
entsprechend beeinflusst. Die bei der Erwärmung
stattfindende Ausdehnung der Gefässe und umge-
kehrt die Verengerung derselben bei Abkühlung
haben ebensowenig wie die durch Beeinflussung
der Gefässnerven oder durch Gefässcompression
herbeigeführten Aenderungen der Circulation einen
Einfluss auf das Zustandekommen dieser Wirkung:
die dadurch hervorgerufenen, nachweisbaren Tem-
162 E. Hertel.
peraturänderungen sind zu gering, als dass sie
neben der begünstigten Leitung in Betracht kom-
men könnten. Nur in sofern läset sich ein Einfluss
der Circulation constatiren, als durch die dauernde
Absorption von Wärme, resp* Kälte durch den vor-
handenen Blutstrom die Leitungswirkung begrenzt
wird, so dass sie niedriger ist als man nach rein
physikalischen Gesetzen erwarten könnte.
Diese an Kaninchen gewonnenen Besultate können wir
wohl ohne Bedenken auch auf den Menschen anwenden:
denn die anatomischen Verhältnisse sind, soweit sie hier in Be-
tracht kommen nicht wesentlich verschieden. Zudem sahen
wir schon, dass die Wirkung der Umschläge bei intacter
Circulation eine ganz ähnliche war. Da wir nun aber bei
den Kaninchen, unbeschadet der Wirkung der Umschläge
diese Circulation in verschiedenster Weise ändern konnten,
wodurch wir zu dem Schluss auf die Wirkung durch Lei-
tung kamen, werden wir auch für den Menschen dieselbe
Wirkungsweise annehmen dürfen, zumal wir ja schon eine
B^he aus den Tabellen (I — III) sich ergebender Thatsachen
dafür geltend^ machen konnten.
Nachdem ich mir über die Wirkung der Umschläge
auf das Auge unter physiologischen Verhältnissen Rechen-
schaft zu geben versucht hatte, ging ich dazu über, Mess-
ungen anzustellen an Augen, welche in verschieden-
artigster Weise erkrankt waren und mit Umschlägen
behandelt wurden.
Ich maass, soweit die Erkrankung nicht doppelseitig
war, zunächst stets das gesunde Auge, dann das kranke
und liess erst dann die Umschläge unter strenger Controle
auflegen. Die näheren Zahlen finden sich in den Tabellen
XI und XIL
Aus den gegebenen Zahlen erhellt zunächst, dass wir
bei AfFectionen des Auges, welche mehr oder weniger aus-
gesprochene entzündliche Erscheinungen am vorderen Bul-
üeber die Wirkung von kalten nnd warmen Umschlägen etc. 163
Tabelle XI.
Umschlage mit Wasser von ca. 56*^ Celsius an erkrankten Augen.
Diagnose
Temperatur im
ConjonctiralBack de«
Dormalenl kranken
Auges: Auges
II
Sa
s c S
CO«
H Od
II
Acuter SchwellungB-l|
katarrh. Lidoedem. j
Iridocyclitis nach 1
Trauma perf. /
Irit. acut lueüc.
Schwere Iridocyclitis |
nach Trauma mit>
Chemosis J
Acutes Glaukom
Keratitis parenchym.^
vasculosa
t
Keratitis parenchym
Iritis acut.
37,2'
37,0|
36,9,
37,1 !
I
36,8
I
37,2
37,3;
37,1
Iridocyclitis sympa-VIogg'
thica jij * ,
Hypopyonkeratitis , 37,0
Hypopyonkeratitis I 37,5
PanOphthalmitis |! 37,3
Phlyct. Randkeratitis I 37,5
Phlyct. Ulcus corneae ,. 37,4
35,9
85,8
35,7
35,7
36
36,0
85,7
36,1
35,7
35,95
36,0
35,9
35,6
35,9
86,8
36,7
36,4
37,0
86,4
36,5
36,4
36,5
36,7
36,65
37,0
37,1
35,95
36,5
0,9
0,9
0,7
1,3
0,4
0,5
0,7
0,4
1,0
0,7
1,0
1,2
mn.
20
37,0
40
87,1
30
37
40
87,1
25
36,8
30
86,9
30
30
86,8
37,2
16
37,05
0,35 20 I 86,9
0,6 j 20 I 36,8
0,2
0,4
0,6
0,1
0,4
0,4
0,4
0,7
0,35
36,90 !o,35
87,0 ! —
37 J0,l
1,05
0,3
busabschnitt verursachen, eine deutliche Erhöhung der Tem-
peratur gegenüber der normalen Seite haben. Und zwar
schwankt die Differenz zwischen 0,35® und 1,3^
Die höchsten Temperaturen finden wir bei schwerer
infectiöser Iridocyclitis mit Chemosis conjunctivae, bei Panoph-
thalmitis, femer noch im chemotischen Bindehautsack nach
Exenteratio bulbi, also bei Processen, die mit einer ausge-
sprochenen Röthung, Schwellung oder Chemosis der Binde-
haut einhergehen. Das stimmt sehr gut mit den Beobach-
tungen Giese's (1. c.) zusammen, welcher ebenfalls bei der-
artigen Aflfectionen die grösste Erhebung der Temperatur
finden konnte, so bei Schwellungskatarrh, Panophthalmitis
154
E. Hertel.
Tabelle XII.
Kalte Umschläge an erkrankten Augen.
Diagnose
Temperatur | »
I V
des des ' ^
normalen! kranken i ^
Auges
I
Starke Chemosis l
conjunctivae 37 9 35 «
nachExenterat. '
bulbi '■
Katarrh und Da-| '3g 9 353 I
cryocystit. / ' 1 1
Follicularis 37,3, (35,65)
Trach. acut. 37,2 35,82
Trach. chronic. 36,8! (35,65)
I
Trach. chronic. Vq7^ «ß '
mit Pannus / '^''*, "^^ 1
Geringer Katarrh 37 35,8
Conjunct. acut. 36,9 (35,65)
Conjunct. phlyct., 37,31 35,7
Auges
36,7
36,5
36,9
36,1
36,0
36,0
36,75
36,0
36,3
36,8
35,9
36,1
36,2
S I
Art der
Umschlftge
1,05 Eiswasser-
0,95 compressen
1,1
I Wasser von
15'>
0,2
Wasser von
15«
0,35 1 W^asser von
0,35 15°
0 93 ^''^'
»* compressen
0,35 Wasser von
0,65 15°
^Q I Wasser von
^ - Wasser von
0,1 j5g
0,45 Wasser von
!0,55| 15°
36,1 0,4
Wasser von
15°
'^1 «f ' A
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Min.
20 '31»3 5,4
^ 31,4 5,1
60 36 Ofi
I I
15 ,34,9 ;i,2
30 35,2 !0,8
I
15 32,1 4,6.)
.. 35,3 ,0.7
^^ 35,2 |1,1
30 35,5 11.3
I
15 35,4 !0,5
Oft 34,9 '1,2
"^ 34,7 ,1,5
I I
30 35,45 0,65
und am ausgesprochensten im stark geschwollenen chemo-
tischen Bindehautsack nach der Enucleation.
Silex (1. c.) und vor ihm Dohnberg (1. c.) fanden bei
Iritis die süirkste Zunahme der Temperatur und erklärten
das mit dem bei dieser Erkrankung anzunehmenden starken
Stoflfwechsel. Ich konnte bei Iritiden ebenfalls eine ganz be-
trächtliche Temperaturstoigerung finden, welche aber die
bei Hornhautprocessen z. B., welche ohne stärkere Mitbethei-
ligung der Schleimhaut verliefen, nicht überstieg. Nehmen
wir ferner für die Blennorrhoea neonat, bei welcher die Er-
*) Bei doppelseitiger Erkrankung ist zum Vergleich der gefundene
Mittelwerth der Conjunctivalsacktemperatur in Klammern angeführt.
üeber die Wirkung von kalten und wannen Umschlfigen etc. 155
krankung doppelseitig war, als Vergleichswerth die Durch-
schnittstemperatur des normalen Conjunctivalsackes mit 35,65*^
an, so ergiebt sich daraus, dass die durch die starke Schleim-
hautaffection veranlasste Temperaturzunahme die von uns bei
den Iritiden beobachtete, wenn auch nur um weniges, über-
tritt: also gerade im Gegensatz zu Sil ex. Immerhin sind
die Temperaturen bei entzündlichen Processen nicht ohne
weiteres vergleichbar, da man je nach dem Stadium der
Erkrankung, in welchem die Messung vorgenommen wird,
sehr verschiedene Resultate bekommen wird.
Dass aber die Beschaffenheit der Bindehaut sicher
einen grossen Einfluss auf die pathologischen Temperatur-
steigerungen hat, geht aus einem Fall von Xerosis conjunc-
tivae hervor.
Bei einem hochgradig pädatrophisehen Kind fand ich eine
Körpertemperatur von 36,3^. An beiden Augen war die Con-
junetiva buibi und der Lider ausserordentlich stark xerotisch ver-
ändert, ganz anaemisch, pergamentai-tig. An der einen Hornhaut
bestand ein kleines Infiltrat, das Auge war blass; die Temperatur
im Conjunctivalsack betrug 35,1". Die andere Hornhaut zeigte ein
grosses Geschwür, es waren deutliche Ciiiarinjectionund Zeichen
von Iritis vorhanden, die Temperatur im Conjunctivalsack betrug
35,3*^. Unter der angewendeten Therapie erholte sich das Kind
wieder sehr gut. Die Körpertemperatur betrag 36.5^. Die
Bindehautxerose war beiderseits vollständig verschwunden, die
Schleimhaut zeigte normale Gefässfüllung. Das Hornhautinfiltrat
war glatt geheilt, das Auge blass, die Conjunctivaltemperatur be-
trug 35,6*. Auf der anderen Seite bildete sich ein adhaerentes
I^ukom auS; der Bulbus war noch deutlich injicirt. Die Con-
junctivaltemperatur betrug 35,75®.
Wir haben also bei der hochgradig anaemischen,
xerotischen Bindehaut deutlich niedrigere Temperaturen im
Conjunctivalsack als zu einer Zeit, in welcher die Schleim-
haut normale Blutfüllung zeigte. Die auf der einen Seite
bestehende Ciliarinjection hatte aber weder bei den ersten,
noch bei den zweiten Messungen einen wesentlichen Ein-
fluss auf die Gesammttemperatur gehabt, wie aus einem
Vergleich der beiderseitigen Werthe leicht hervorgeht.
156 E Hertel.
Vergleichen wir schliesslich die bei den erkrankten
Augen gefundenen Temperaturen mit den Körpertempera-
turen der betreffenden Patienten, so ergiebt sich in Ueber-
einstimmung mit allen bisher vorliegenden Messungen
(Dohnberg, Silex, Giese u. A.), dass die Localtem-
peratursteigerung stets hinter der Temperatur des Körpers
zurückblieb, dass wir also niemals ein locales Fieber con-
statiren konnten.
Sehen wir uns die Veränderungen an, welche durch die
Umschläge in den Conjunctivaltemperaturen herbeigeführt
wurden, so finden wir, dass diese auch hier im allgemeinen
durch die kalten Umschläge herabgesetzt, durch die warmen
dagegen erhöht wurden.
Und zwar haben wir die grösste Beeinflussung da,
wo die Differenz zwischen der Umschlagstemperatur und
der Conjunctivaltemperatur am beträchtlichsten war: also
bei den Eiswassercompressen, durch welche eine Herabsetzung
bis zu 5,4® erzielt wurde. Geringer war die Verminderung
bei den Wasserumschlägen von 15®: sie betrug hier im
Maximum 2,2®. Am geringsten war die Wirkung bei den
heissen Umschlägen, welche sich auch am wenigsten von
der pathologisch erhöhten Conjunctivaltemperatur unterschie-
den: die höchsten erzielten Steigerupgen der Temperatur
überstiegen 1,05® nicht; in einigen Fällen, in denen die
Temperatur an den erkrankten Augen schon an sich sehr
hoch war, konnte man so gut wie keine weitere Steigerung
durch die Umschläge beobachten. Wir haben also auch
hier eine Wirkung der Umschläge, welche auf ein Zustande-
kommen nach physikalischen Gesetzen schliessen lässt
Dass die durch die pathologischen Processe oft sehr
hochgradig veränderten Circulationsverhältnisse nicht von
Einfluss auf die Wirkungsweise der Umschläge gewesen
ist, geht daraus hervor, dass die durch die Abkühlung,
resp. durch die Emvärmung erreichten Temperaturen ganz
ähnliche Werthe zeigten, wie wir sie an normalen Augen,
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 157
welche wir in derselben Weise gemessen hatten (cf. Ta-
belle I — III), beobachten konnten.
Andererseits zeigen uns aber die den firüher gefundenen
gleichenden Maximalwerthe, dass auch unter pathologischen
Verhältnissen der circuhrende Blutstrom die Leitungswirkung
der Umschläge begrenzte. Die durch die krankhaften Pro-
cesse bedingte stärkere Blutfülle des Gewebes vermochte
eine Aenderungin dieser regulatorischen Thätigkeit des Blut-
stromes ebenso wenig herbeizuführen, als die früher beschrie-
benen, experimentell herbeigeführten Gewebshyperaemieen.
Besonders instructiv für diese Verhältnisse dürfte der
schon erwähnte^ in den Tabellen aber nicht mit angeführte
Fall von Xerosis der Augen sein, an welchen ich Mes-
sungen über die Wirkung der Umschläge anstellte. Ich
fstnd in dem schon geschilderten Höhepunkt der Erkran-
kung nach halbstündigen Umschlägen mit Wasser von
-f- 55® Geis, eine Temperatur von 36,9 im Conjunctivalsack
(Mittelwerth von drei Messungen). Eisumschläge, die ich in
diesem Stadium appUcirte, verursachten nach zehn Minuten
eine Verminderung der Temperatur bis auf 32® (Mittel aus
zwei Messungen). Nach Abheilung des Processes, habe ich
dann wiederum die entsprechend temperirten Umschläge
von derselben Zeitdauer gemacht und fand bei den Um-
schlägen von 55® als Mittel von drei Messungen 37,05®,
bei den von 0® als Mittel von zwei Messungen 32,2^.
Es stimmen also die entsprechenden Werthe als Aus-
druck der Wärme-, resp. Kältewirkung auf die Conjunctival-
temperatur fast überein. Und doch wurden sie bei so ganz
verschiedenen Circulationsverhältnissen vorgenommen, welche,
wie schon erwähnt,- die Conjunctivalteraperatur vor den
Umschlägen deuthch beeinflusste. Die Wirkung der Um-
schläge aber war an dem hochgradig anaemischen und
xerotisch veränderten Auge nicht anders als später an dem
geheilten mit normalen Circulationsverhältnissen. Aus einem
Vergleich der gefundenen Werthe mit denen bei den anderen
158 E. Hertel.
Messungen ergiebt sich schliesslich, dass die Circulation
auch auf dem Höhepunkt der Erkrankung hingereicht
hatte, um ein Uebersteigen einer gewissen Maximalwirkimg
zu verhindern: obgleich unter peinUchster Controle V» Stunde
Umschläge gemacht wurden, waren die gefundenen Maximal-
werthe in beiden Stadien nicht wesentUch verschieden.
Wir haben also durch die an pathologischen
Augen vorgenommenen Messungen eine wesent-
liche Bekräftigung unserer Ansicht über die Wir-
kung der Umschläge auf's Auge.
Nach allen diesen Messungen, die unter den verschie-
densten Bedingungen vorgenommen wurden und stets sich
gleichende Resultate ergaben, glaube ich in Bestätigung
der Ansicht von Giese (1. c), die Behauptung von Silex
(1. c), dass warme Umschläge auf das Auge apphcirt die
Temperatur im Conjunctivalsack herabsetzen, kalte dieselbe
erhöhen, als widerlegt betrachten zu dürfen.
Vielleicht wurde Silex durch Fehler, welche sich bei
der comphcirten Messmethode, welche er anwendete, leicht
einschleichen können, in seinen Beobachtungen getäuscht
imd kam so zu seinen überraschenden Resultaten.
Sicher war es nach meiner Ansicht ein Fehler, dass
Silex (I.e.) die indifferente Elektrode seiner Thermoelemente
in den Mund des betreffenden Patienten gelegt hat Denn
es ist längst erwiesen, dass die Mundtemperatur für der-
artige feine Messinstrumeute nicht constant genug ist: der
wechselnde Speichelgehalt, die vorüberstreichende Athmungs-
luft sind von Einfluss. Giese hat das vermieden, indem
er unter sorgfältigsten Cautelen sich einen Oelthermostaten
herstellte.
Ferner erwähnt Silex nicht, ob er seine Kupferdrähte
genügend vor dem Einfluss der Feuchtigkeit der Umgebung,
bei Berührung u. s. w. gesichert hat, wie es Giese durch
Ueberzug mit Lack gethan hat SchUesslich muss man,
um wirklich exact mit Thermoelementen zu arbeiten, vor
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlagen etc. 159
jeder Messung die Grösse des Ausschlages der Magnet-
nadel für eine bekannte Temperaturdiiferenz bestimmen und
nicht, wie es Silex gethan hat, nur „mehrmals am Tage".
Aus air dem erklärt es sich wohl, dass die Besultate
von Silex sehr schwankend waren.
Aber auch abgesehen davon, muss mau sich wundem,
wie Silex auf Grund seiner Versuche zu seiner angeführten
Anschauung über die Wirkung der Umschläge kommen
konnte. Denn betrachtet man sich die Versuche genauer,
so erzielte er durch Eiscompressen in zwei von drei Fällen
eine Verminderung der Temperatur, sogar einmal bis
4,8"; nur in einem Falle beoachtete er sofort eine Steige-
rung von 2,24 •. Auch von den vier angeführten Versuchen
mit warmen Umschlägen scheidet, nach meiner Ansicht,
einer aus: denn die Wirkung eines feuchten Sublimat-
verbandes ist doch nicht ohne weiteres dem eines warmen
XJmsclilages gleichzusetzen und die nachher notirte durch
den nachträghch gemachten Umschlag von 38® herbeige-
führte Herabsetzung von 0,03® liegt zu sehr im Bereich
der unumgänglichen Fehlerquellen, als dass man diesen
Fall als beweisend anführen könnte; nimmt man dazu noch
die Bemerkung von Silex, dass er in einigen nicht genauer
geschilderten Versuchen die „gegentheiligen Resultate" bcr
kommen habe, also durch Wärme eine Erhöhung, durch
Kälte eine Herabsetzung der Temperatur, so muss man
sich unwillkürlich fragen, wie kommt Silex dazu, nun ge-
rade die wenigen noch bleibenden Fälle als gut gelungene
und beweiskräftige Versuche in's Feld zu führen, die noch
dazu für die kalten Umschläge wenigstens in der Minder-
zahl gewesen sein müssen? SchUesslich möchte ich noch
erwähnen, dass Silex wohl selbst etwas misstrauisch
gegen seine Resultate gewesen ist, denn er schreibt: „Sind
diese Versuche richtig, — die Schwierigkeit der Exactität
erhellt aus ihnen selbst, — so kommen wir zu dem Schluss,
dass Umschläge auf die Augen .... von Temperaturgraden
160 E. Hertel.
geringer als die umgebende Luft eine Erhöhung der Tem-
peratur des Conjunctivalsackes herbeiführen und umgekehrt"
Ich glaube, diese Ansicht durch meine Experimente
endgültig widerlegt zu haben und möchte das um so mehr
betonen, als gerade die Resultate von Sil ex in weiteren
Kreisen bekannt geworden sind. Sie sind vor Allem in
den neueren Arbeiten von Strasser (6) und Kowalski (7),
in denen die Wirkungsweise der Umschläge auf den Kör-
per im allgemeinen geschildert wird, als gegeben hingenom-
men worden und haben sogar, weil sie mit den bisher be-
stehenden Anschauungen über die Wirkung von Wärme- und
Kälteapplication im Widerspruch standen, zu compUcirten
Deutungsversuchen und theoretischen Schlüssen Veran-
lassung gegeben, ohne, dass etwa Strasser oder Kowalski
die Resultate auf ihre Richtigkeit geprüft hätten. Ja, die
schon im Jahre 1894 veröflFentlichten Messungen Giese's
(1. c.) welche doch zum wenigsten darauf hindeuten mussten,
dass die Silex'schen Versuche mit Vorsicht aufeunehmen
seien, sind in beiden Arbeiten vollkommen unerwähnt ge-
bUeben. Es war das wohl nur daher möglich, dass die
Silex'schen Versuche ausser in dem Knapp-Schweigger-
schen Archiv, auch in der Münchener medic. Wochen-
schrift (1893, No. 4) publicirt und so weiter bekannt
wurden, als die Giese 'sehen, welche nur den ophthalmolo-
gischen Fachkreisen zugängig waren.
Da nun aber, wie oben gezeigt, die Resultate von
Silex nicht als zurecht bestehend angesehen werden dürfen,
so sind naturgemäss auch die Schlüsse aus denselben über
die Wirkung der Umschläge am Auge nicht richtig. Silex
schreibt, die Wirkung kommt zu Stande dadurch, ,,dass
die in einem labilen Zustande befindlichen Gefässe der
Haut l)ei Einwirkung von Temperaturen, die niedriger als
die angrenzende Luftschicht, verengt und die Blutmasse
nacli dem Centrum getrieben, und dass bei den umgekehrten
Verhältnissen dieselben erweitert und dadurch Blut von
Ueber die Wirkung Yon kalten und warmen Umschlägen etc. 161
dem Centnim i. e. Conjunctivalsack nach der Haut hin-
geleitet wird. Und abgesehen von der centripetalen und
centrifugalen Fluxion fällt bei der Kälte dann noch die
reflectorisch erhöhte Wärmeproduction bei verminderter Ab-
gabe in's Gewicht, während bei der Wärme die Wärme-
production beschränkt und die Abgabe durch Erweiterung
der Hautgefässe und Dehnung der Haut vergrössert ist".
Dass dem nicht so ist, glaube ich mit einiger Sicherheit
durch meine Experimente und Messungen nachgewiesen zu
haben. Die Umschläge wirken eben durch Leitung quer
durch das Gewebe, einen Factor, den Sil ex überhaupt
nicht erwähnt, woraus ihm schon Giese (1. c.) mit Recht
einen Vorwurf gemacht hat
Aber auch die Erklärung, die Kowalski (1. c.) für
die Silex' sehen Resultate giebt, können wir nicht aner-
kennen. Allerdings betont er auf Grund seiner Experimente
die Wichtigkeit der Leitung durch das Gewebe bei der
Wirkung der Umschläge auf die Körperorgane. Er schreibt:
„Das Verhalten der Temperatur in den inneren Organen
unter dem Einflüsse von Flüssigkeiten hängt also von zwei
Pactoren ab, d. h. von der Wirkung des Umschlages auf
dem Wege der Wärmeleitung und den von ihm hervorge-
rufenen reflectorischen Circulationsveränderungen. Diese
zwei Factoren sind einander jedoch in ihrer Wirkung ganz
entgegengesetzt, und zwar steigern heisse Umschläge durch
die Wärmeleitung die Temperatur und drücken sie durch
das gleichzeitige Dilatiren der Gefässe herab; umgekehrt
drücken kalte Umschläge durch die Wärmeleitung die Tem-
peratur herab und steigern sie durch die Contraction der
Gefässe; so ist denn die jeweilige Temperatur der inneren
Organe von der Intensität dieser einzelnen Factoren ab-
hängig und entspricht der stärkeren Wirkung des momen-
tan überwiegenden Factors." Zu untersuchen, wie weit diese
Auffassung der Wirkungsweise der Umschläge für die inneren
Organe richtig ist, kann meine Aufgabe nicht sein. Nur
T. Graefe*B Archir für Ophthalmologie. XLIX. 1. 11
162 E. Hertel.
soviel kann ich auf Grund meiner Experimente behaupten,
dass sie nicht zur Erklärung der Wirkung auf den Con-
junctivalsack herangezogen werden kann, wie Kowalski
nach seiner Arbeit will. Denn er erklärt die Resultate
von Silex; von denen er allerdings zugiebt, dass sie mit
denen aller Experimentatoren im Widerspruch stehen, da-
durch, dass bei den Silex 'sehen Beobachtungen der Cir-
culationseinfluss das Uebergewicht hatte und so zu den
den Gesetzen der Wärmeleitung widersprechenden Resultaten
führte. Auch diesen Erklärungsversuch muss ich nach
meinen Experimenten als unhaltbar betrachten.
Am gewagtesten schliessUch erscheinen mir die Folge-
rungen, die Strasser (loc. cii) aus den Resultaten von
Silex zieht Strasser huldigt der Anschauung, dass durch
Hyperaemie der Q^fässe in den Körperorganen eine Tem-
peraturerhöhung, durch Anaemie eine Erniedrigung erzielt
werde. Aus den gegentheiligen Resultaten von Silex folgert
er nun, dass es denkbar sei, „dass in der Gegend der
Augen die Blutvertheilung an der Oberfläche und in
massiger Tiefe mehr physikalischen Gesetzen unterworfen
ist, d. h. eine Contraction der periphersten Blutgefässe
(der Lidhaut) eine Verdrängung des Blutes gegen die Tiefe,
und eine Erweiterung derselben eine Anaemisirung der
tiefer hegenden Schichten bewirkt." Er scheut sich alsa
nicht, aus den Sil ex 'sehen Versuchen für die Gefässe des
Auges und seiner Umgebung eine exceptionelle Stellung
abzuleiten.
Dass das durchaus nicht nötig war, ist aus meinen
Nachimtersuchungen klar ersichtlich. Denn die Wirkung der
Umschläge am Auge basirl gar nicht auf einer Aenderong
der Circulationsverhältnisse, sondern auf der Leitung durch
das Gewebe. Man kann also auch aus der Wirkung der
Umschläge nicht einen Rückschluss auf Eigenschaften der
Gefässe machen. Ausserdem hat sich bei meinen Experi-
menten herausgestellt, dass thatsächlich entsprechend der
üeber die Wirkung von kalten und warmen Umschlfigen etc. 16$
Anschauung Strasser's am Auge erzeugte Hyperaemie
eine Erhöhung, und Anaemie eine Herabsetzung der Tem-
peratur zur Folge hat, ohne dass ich damit etwa für die
inneren Organe, für die bekanntlich diese Frage z. Z. noch
discutirt wird, irgend etwas präjudiciren will oder kann.
Ich möchte nur zum Schluss noch bemerken, dass ich
auch in der Orbita hinter dem Bulbus Messungen ange-
stellt habe, um zu sehen, wie sich die Wirkung der Um-
schläge hier gestaltet. BegreifHcher Weise konnte ich das
nur an Thieren ausführen, und zwar benutzte ich wieder
Xaninchen.
Ich Uess mir zu dem Zweck Thermometer anfertigen ^
deren unteres Ende einfach gebogen verlief derartig, dass^
ich das Quecksilber um den Bulbus herum nach hinteu
bringen konnte.
Ich tenotomirte einen Muskel, meist den Bectus inferior,,
führte das Thermometer dicht am Bulbus entlang hinter
denselben; da das Quecksilberreservoir nur das äusserste
"Ende des Bogens einnahm, und die Conjunctiva bulbi wie
auch das Lid über dem dicht dem Bulbus anliegenden
Thermometer die Höhle sehr gut abschloss, so war eine
Beeinflussung der Quecksilbersäule von der Oberfläche her
aus geschlossen, und ich erhielt mit grosser Genauigkeit
die Orbitatemperaturen in nächster Nähe des Bulbus.
. Tabelle XIH.
Orbitatemperaturen bei Umschlägen mit Eiswasser.
1 g gl OrbUatemp. wÄhrend der ' g
S'^':: ' UmschUge, bei einer Dauer tod ' t
Orbltatemp. nach Sistirong
i-l
der Umschl., u. zwar nach
ä|
j|.S 2Min.
3 Min.
bMin.l2Min. Q
3 Min 4 Min.
6MlD.|15Mln.
38,1
38,1
37,9
36,4
33,4
33,1
5,0
33,7
34,9
35,6
38
38,9
38,7
38,0
36,1
34,3
34,2
4,5
34,5
35,3
36,1
38,5
38,3
38,0
37,9
37,0
32,6
32,6
6,4
33,1
34,6
38,1
38,0
38,0
37,6
33,9
33,8
4,2
33,9
35,0
36,0
38,0
38,8
38,6
38,1
37,4
33,7
33,4
5,1
33,9
35,4
36,2
38,4
11*
164
E. Hertel.
Tabelle XIV.
Orbitatemperaturen bei Umschlagen mit Wasser von 56* Celsius.
S g bfi Orbitatemp. wShrend der . c
■2 -o S Umschlftge, bei einer Dauer von ' Si
X>3 ,3 Min. 4 Min. 8Min.liMin. fi
Temperaturen nach Sistirung
' der Umschl., u. zwar nach
, 2 Mini 3 Min.l 5 Mln.jiomn.
_L
38,7 'I
37,9 I
38,6
38,6
38,7
38.4 38,9
37,9
38,2 ;
38.5 ' 38,7
38,1 .
39,4
38,3
38,4
39,0
38,2
39,7 40 !i 1,6 1 1 39,8
38,9 38,3
39,0
39,3 1,3 39,0 38,7
38,1 38,0
38,8
39,1 ; 0,9 ,, 39,0 38,6
38,3 38,2
39,9
40,1 1,6 ,i 39,0
38,8 ' 38,6
38,9
39,2 1,1 ll 39
U 1
38,6 1 38,0
Aus den Zahlen der Tabellen und aus den bei später
noch zu erwähnenden Messungen erhaltenen Werthen er-
giebt sich eine Mitteltemperatur von 38,3^ für die Gegend
am hinteren Augenpol; die Körpertemperatur bei diesen
Thieren betrug im Mittel 38,51, so dass wir also nahezu
dieselben Werthe haben.
Die aufgelegten Compressen erzielten auch hier eine
deuthche Beeinflussung der Temperatur, und zwar wurde
dieselbe durch Eiswasser bedeutend herabgesetzt, durch
Wasser von +55^ Celsius dagegen erhöht Das Maxi-
mum der Herabsetzung betrug 5,4°, der Erhöhung 1,6^.
Der Eintritt der Wirkung erfolgte im Mittel nach ca. drei
Minuten bei Eisumschlägen, nach vier Minuten bei Heiss-
wasserumschlägen. Stets konnte ich aber nach Ablauf
dieser Fristen ein sofortiges Steigen, resp. Fallen des Queck-
silbers beobachten, je nachdem ich Heisswasser oder Eis-
wasser auflegte.
Die Wirkung * hielt nach Sistirung der Umschläge
noch einige Zeit an, bei Eisumschlägen im Maximum bis
zu etwa zwei bis fünf Minuten. Dann erfolgte ein Au-
steigen der Temperatur, nach etwa 12 bis 15 Minuten
war die Ausgangstemperatur fast immer wieder erreicht
Bei den Heisswnsserumschlägen hielt die Wirkung nur bis
zu ca, ein bis zwei Minuten nach Entfernung der Um-
schläge an, und nach etwa zehn Minuten war die ursprüng-
liche Temperatur wieder vorhanden.
Ueber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 165
Ich habe dann bei einigen Thieren nach Feststellung
der Temperaturen, während der Einwirkung der Umschläge
Circulationsstörung, resp. Aufhebung hervorgerufen in ähn-
licher Weise, wie ich es schon geschildert habe. Ich
will nicht alle die Zahlen wieder angeben, sondern mich
damit begnügen, zu erwähnen, dass ich weder von der ein-
fachen Sympathicusdurchschneidung, noch von der Reizung
der Kopfenden desselben Nerven, noch von der Compression
der Carotis irgend einen Einfluss auf die unter der Herr-
schaft der Umschläge stehende Quecksilbersäule gesehen habe.
Ich glaube daraus den Schluss machen zu können,
dass auch für das Zustandekommen der Wirkung der
Umschläge in der Tiefe der Orbita die Circulation
nicht in Betracht kommt. Es kann das nicht Wunder
nehmen, wenn man bedenkt, wie spärUch im Verhältniss
zum Volumen des Gewebes die Gefässe im Bulbus und in
der Orbita vertheilt sind.
Dagegen scheint mir der grosse, voluminöse, wasser-
reiche Bulbusinhalt ganz besonders dazu geeignet, an ihn
herangebrachte Temperaturen schnell aufnehmen und weiter-
geben zu können. Dass dem so ist, ergeben schon die
Experimente MicheTs (loc. cit), die später im ganzen von
Silex bestätigt worden sind. Michel fand im Bulbus die
Temperatur am niedrigsten in der vorderen Kammer (:j 1,9^)
und erklärt das durch die Möglichkeit der starken Abküh-
lung an der Vorderfläche des Auges und durch die relativ
wenig in der Nähe hegenden Blutgefässe. In der Mitte
des Glaskörpers war die Temperatur höher — 36,1^ —
als in der vorderen Kammer, aber noch niedriger als die
Körpertemperatur, weil eben hier noch immer sehr die Ab-
kühlungsmögUchkeit in Betracht kam. Um wieviel muss
das der Fall sein, wenn die Temperatur an der Vorder-
fläche der Augen künsthch herabgesetzt oder im anderen
Falle erhöht wird, wie wir es bei unseren Experimenten
gethan haben? Wir flnden daher auch die Wirkung der
166 E- Hertel.
Umschläge auf die Gegend direct hinter dem Bul-
bus durchaus den physikalischen Gesetzen der Fort-
leitung durch das Gewebe entsprechend. Stets wird
durch Kälte die Temperatur herabgesetzt, durch Wärme
erhöht Die Beeinflussung der Temperatur war bei den
Eiscompressen viel grösser als bei den heissen Umschlägen,
da bei ersteren die Difierenz der Temperatur gegenüber der
mittleren Orbitatemperatur reichlich noch einmal so viel
betrug als bei letzteren. Aus demselben Ginmde trat auch
bei ersteren die Wirkung schneller ein als bei letzteren
und war nachhaltiger.
Dass bei beiden der Einfluss auf das Quecksilber sich
aber entschieden langsamer geltend machte, als bei den
im Conjunctivalsack angestellten Messungen, ist bei der
verschiedenen Dicke der trennenden Gewebsschichten physi-
kaUsch durchaus verständlich, denn die Wirkung wird
um so intensiver sein, je dünner die isohrende Schicht ist
Umgekehrt werden wir aber bei der schon erwähnten leichten
Abkühlbarkeit, resp. Erwärmbarkeit des Bulbus verstehen,
dass die Wirkung auch in der Tiefe der Orbita im Ganzen
eine nicht sehr nachhaltige sein konnte, da ein Ausgleich
mit der Aussentemperatur nach Wegnahme der Umschläge
bei dem guten Leitungsvermögen des Bulbusgewebes bald
eintreten konnte.
Dass schliesslich auch in der Orbita mit Umschlägen
von bestimmten Temperaturen nur gewisse Maximalwir-
kungen auf die Orbitatemperatur erzielt werden können,
geht aus den Tabellen leicht hervor. An getödteten Thieren
konnte ich mich überzeugen, dass man mit denselben Tem-
peraturen viel grössere Maximalwirkungen erzeugen kann,
ähnUch wie bei den früheren Experimenten. Ich fand in
der Orbita bei Eiswasserumschlägen nach zwölf Minuten
eine Herabsetzung der Temperatur bis auf 11^ und bei
Heisswasseruraschlägen eine Erhöhung bis auf 46^. Es
folgt also auch hier das todte Gewebe besser den Gesetzen
üeber die Wirkung von kalten und warmen Umschlägen etc. 167
der Wärmeleitung als das lebende, weil, wie schon aus-
einandergesetzt, dem ersteren der die Umschlagswirkung
begrenzende Einfluss des am lebenden Gewebe vorhandenen
Blutstromes fehlte.
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Professor Wagen-
mann, bin ich für die Ueberlassung des Materiales zu
der Arbeit und für das ihr entgegengebrachte Interesse zu
grossem Danke verpflichtet.
Literaturverzeichniss.
1) Sil ex, Zur Temperaturtopographie des Auges und über warme
und kalte ümschlÄge. Arch. f. Augenheilk. 1893. S. 141.
2) R. Giese, Temperaturmessungen im Goi\junctivalsack des Men-
schen. Arch. f. Augenheilk. 1894. S. 292.
S) H. Dohnberg, Die Temperatur am Auge unter physiologischen
und pathologischen Verhältnissen. Inaug.-Dissertat 1876. Dorpat.
4) Galezowski, De la thermometrie en ophtalmologie. Recueil
d»Ophtalm. 1873.
5) V. Michel, Die Temperaturtopographie des Auges, v. Graefe's
Arch. f. Ophthalm. 1886. XXXII. 1.
6) A. Strasser, üeber Umschläge, ihre Wirkungs- und Anwen-
dungsweise. Wiener Klinik. 1896. II.
7) E. Kowalski, Untersuchungen über das Verhalten der Tempe-
ratur und der Circulation in den Bauchhöhlenorganen unter dem
Einfluss von Umschlägen. Blätter f. klin. Hydrotherapie. Wien.
1898. Nr. 5—8.
8) Klug, Das Wärmeleitungsvermögen der menschlichen Haut.
Zeitschrift f. Biologie. Bd. X. S. 73—83.
Das Sehen in Zerstrennngskreisen
nnd die scheinbare Accommodation der Aphaki-
sehen insbesondere.
Von
Dr. Maximilian Salzmann,
Docenten der Augenheilkunde in Wien.
Mit 4 Figuren im Text.
Die Arbeit von Schonte') über die scheinbare Accom-
modationsfähigkeit in aphakischen Langaugen giebt mir
Veranlassung, abermals auf das Sehen in Zerstreuungs-
kreisen zurückzukommen und meine früheren Mittheilungen 'j
über dieses Thema nach dieser Richtung hin zu ergänzen.
Gleichzeitig benutze ich die Gelegenheit, die ganze Lehre
von den Zerstreuungskreisen von einem möglichst allge-
meinen Gesichtspunkte aus zu recapituliren, sie der herr-
schenden Terminologie in Bezug auf die Blendenwirkung
anzupassen und die Identität meiner Formeln mit denen
anderer Autoren nachzuweisen.
Es ist gewiss verdiensthch, dass Schonte die Unhalt-
barkeit der Erklärung Thier's*) nachgewiesen hat; aber
das B^sultat war vorauszusehen und ist eigentlich schon
in meiner ersten Arbeit (XXXIX. 2, S. 95) enthalten,
wo ich, freiUch nur für einen vereinfachten Fall, die Pro-
portionalität von Zerstreuungskreis und Achsenlänge nach-
gewiesen habe.
*) Dieses Arch. XLVIII. S. 438.
«; Dieses Arch. XXXIX. 2. S. 83 und XL. 5. S. 102.
•) Wiener klinische Wochenschrift. 1894. Nr. 22.
Das Sehen in Zerstreuungskreisen etc. 169
Auf jeden Fall aber halte ich es für einen principiellen
Fehler, bei der Grösse der Zerstreuungskreise stehen zu
bleiben; nur das Verhältniss zwischen den Zerstreuungs-
kreisen und dem Netzhautbilde vermag Aufschluss über
die Grösse der Sehleistung zu geben. Für diese letztere
aber lassen sich, wie ich damals gezeigt habe und auch
jetzt wieder zeigeii werde, sehr einfache Formeln aufstellen,
die ganz wohl als Grundlage für fernere Untersuchungen
dienen können.
Ich habe in meiner zweiten Arbeit gezeigt, dass man
bei der Erklärung des Sehens in Zerstreuungskreisen nicht
auf dem Boden der Gauss 'sehen Theorie (der Theorie der
Nullstrahlen) stehen bleiben darf, dass hier alle jene com-
plicirten optischen Verhältnisse in Betracht kommen, die
man gemeiniglich als Fehler eines optischen Systems an-
sieht. Die Beobachtungen BulTs') bestätigen dies in er-
freuhcher Weise; sie zeigen, welcher Unterschied zwischen
dem Zerstreuungsbild einer photographischen Camera (dieses
repräsentirt gewissermaassen die Wirkung der reinen Null-
strahlen) und dem Zerstreuungsbild des menschUchen Auges
besteht Bei letzterem tritt eine Vervielfältigung (meistens
Verdreifachung) des Bildes auf, die auf die sectorenförmige
Anordnung der Linsensubstanz zurückzuführen ist Diese
Form der Polypie scheint von weiter, wenn nicht vielleicht
von allgemeiner Verbreitung zu sein; sie ist mir von meinen
Untersuchungen über Zerstreuungskreise her wohl bekannt
und findet sich auch von Donders') in seiner Abhandlung
über die scheinbare Accommodation der Aphaki sehen erwähnt
Leider lassen sich diese complicirten Verhältnisse, von
der sphärischen Aberration aUenfalls abgesehen, nicht rech-
nerisch behandeln. Wir sind also schon deshalb gezwungen,
immer wieder von den Nullstrahlen auszugehen. Wenn wir
aber schon für die mit Nullstrahlen construirten Zerstreu-
') Tranaact. of the ophth. Soc. of the Un. Kingdom. XVI. p. 200.
*) Dieses Arch. XIX. 1. S. 56.
170 M. Salzmann.
ungskreise unter Umständen verschiedene Sehleistungen be-
rechnen können, dann werden solche Umstände wohl auch
bei den wirkUchen Zerstreuungskreisen denselben Einfiuss,
oder doch wenigstens einen Einfluss in derselben Sichtung
äussern müssen. Ueber die Berechtigung, die Lehre von
den Zerstreuungskreisen zunächst vom Standpunkte der
Gauss 'sehen Theorie zu bearbeiten, kann also wohl kein
Zweifel sein; doch müssen wir uns immer gegenwärtig
halten, dass die wirkliche Sehleistung die theoretisch ge-
fundene weit übertriffl;.
Von all den Blenden^), die in einem optischen Systeme
vorhanden sind, und dazu sind auch die Ränder der ein-
zelnen Bestandtheile zu rechnen, wird nur eine für die
Oeffiiung des gebrochenen Strahlenbüschels maassgebend
sein. Im Auge ist diese Blende die Pupille. Die Pupille
liegt aber innerhalb des optischen Systems; sie begrenzt
das Strahlenbüschel auf seinem Wege von der Hornhaut
zur Linse. Vor der Brechung durch die Hornhaut muss
dieses Strahlenbüschel das Homhautbild der Pupille zur
Basis gehabt haben, nach der Brechung durch die Linse
hat es das Linsenbild der Pupille zur Basis. Das erstere
wird als Eintrittspupille bezeichnet und ist, allgemein
ausgedrückt, das Bild der Blende vom Objectraume ge-
sehen, das letztere hcisst Austrittspupille und ist das
Bild der Blende vom Bildraume aus gesehen. Die Ein-
trittspupille begrenzt also das wirksame Strahlenbüschel im
Objectsraume, die Austrittspupille im Bildraum. Die bei-
den Pupillen sind conjugirte Bilder in Bezug auf das
ganze System.
Bei der Berechnung der Zei*streuungskreise geht man
am bequemsten von den Dimensionen im Bildraume aus-
Die Fig. 1 stellt den Bildraum des Auges dar. Es
*) Vgl. Müller-Pouillot, Lehrbuch der Physik und Metero-
logie. IL Bd. Optik, XIL Cap.
Das Sehen in Zerstreuungskreisen etc.
171
ist zur linken von der hinteren Hauptebene (H^) zur
Rechten von der Netzhaut (RB^) begrenzt Pj ist der
Mittelpunkt der (virtuellen) Austrittspupille, ihr Abstand
von der hinteren Hauptebene ist SfP2 =^27 ^^^ Durch-
messer ist NN'=p^] B ist ein auf der optischen Achse
gelegener Bildpunkt Sein Abstand von der hinteren
Hauptebene H^B^^h ist also die Bildentfemung; die con-
jugirte Objectentfemung sei a. Der Mittelpunkt des vom
Fig. 1.
Punkte B entworfenen Zerstreuungskreises ist 0, sein
Durchmesser CG' = e. Endlich sei noch die Entfernung
der Netzhaut von der hinteren Hauptebene {H^O = l) als
Achsenlänge bezeichnet.
Dann berechnet sich die Grösse z wie folgt:
l — h
g\p^=zl — 5:6 — dj, z =Pi'
l — d.
(1)
Wenn mm ein zweiter Bildpunkt B' eine solche Lage
hat, dass der von ihm entworfene Zerstreuungskreis O'C"
(nut dem Mittelpunkte (X) den Zerstreuungskreis des Punktes
B gerade berührt, so wäre der herrschenden Theorie ge-
mäss (/(/' das kleinste Netzhautbild, dass unter diesen
Umständen wahrgenommen werden könnte. Der Mittel-
punkt des Zerstreuimgskreises liegt aber auf der VisirUnie
(die durch den Mittelpunkt der Austrittspupille geht), also
auf der Linie P,J5'. Demnach ergiebt sich die Proportion:
Oa:BB' = l
■d^ih — (^2 •
172 M. Salzmann.
BB^ ist das deutliche Bild und nach Formel III (XXXIX. 2,
eh
S. 98) = , wobei e den Abstand der zu B und B^ gehörigen
na
conjugirten Objectpunkte von einander, also die Object-
grosse y n das Brechungsverhältniss des letzten zum ersten
Medium bedeutet.
Damit sich die beiden Zerstreuungskreise gerade be-
rühren, muss der Abstand ihrer Mittelpunkte gleich dem
Durchmesser eines Kreises sein:
oa=z.
Durch Einsetzen dieser Werthe in die obige Proportion
erhalten wir:
Pi'T—j-' =l — d^:b—df und =, V.— ,— (2)
* b — dj na ' " a l — d^ b '
b kann durch die conjugirte Entfernung a ausgedrückt
werden, und ebenso l durch die damit conjugirte Entfernung
Uq (den Fempunktsabstand):
l^^J 1
b g>^ na ^
1 ^J. 1
l ~ <p^ na^ '
wobei gp, die hintere Hauptbrennweite bedeutet.
Durch Subtraction erhält man:
1 _ 1 ^1 __1_.
- - b t na^ na '
ist aber der Einstellungsfehler, also =2); man
erhält so: -, y = — und durch Umformung:
1 — ^ — ^l
b n
Setzt man nun diesen Werth in der Gleichung 2 ein
und nimmt man gleichzeitig den reciproken Werth der
beiden Seiten dieser Gleichung, so erhält man:
J?L __L_ ^~^« /Q^
Das Sehen in Zerstreuungskreisen etc. 173
— ist aber die Cotangente des Gesichtswinkels, also der
reciproke Wert der Tangente und somit der Sehleistung
proportional, ja man kann sagen - istderWerth der Seh-
leistung selbst, nur ist sie diesmal nicht in dem übUchen
Maasse, sondern in Cotangenten des Gesichtswinkels aus-
gedrückt. Die Umrechnung in das gewöhnUche Maass
kann mit Hilfe der I.e. S. 101 und 102 gegebenen Zahlen
leicht ausgeführt werden. Für das Folgende wäre eine
solche Umrechnung bedeutungslos, da es sich mir nur um
die Feststellung der Verhältnisse der Sehleistung handelt
Die Formel enthält jene Grössen, die man gewöhn-
lich zur Berechnung des Zerstreuungskreises verwendet und
ist also den von Schanz, Schonte und vielen Anderen
verwendeten Formeln analog. Sie ist jedoch meines Er-
achtens nicht praktisch, weil sie mit Ausnahme des Ein-
stellungsfehlers lauter Grössen enthält, die im Bildraume
liegen und somit nicht gemessen werden können.
Nun ist es aber ein Leichtes, an Stelle dieser dem
Bildraume angehörigen Grössen die conjugirten Grössen des
Objectraumes in die Formel einzuführen.
Das Verhältniss von Ein- und Austrittspupille zur wirk-
lichen Pupille, sowie zu den Haupt- und Knotenpunkten
stellt Fig. 2 nach den Werthen des schematischen Auges
Ton V. Helmholtz in zehnfacher Vergrösserung dar. Cq
ist der Homhautscheitel, H^H^ sind die beiden Haupt-
ebenen, K^K^ die beiden Knotenpunkte; JJ' ist die wirk-
liche Pupille, ihr Centrum ist P; MM'=p^ ist das Hom-
hautbild der Pupille (also die Eintrittspupille), NN'=p^
das Idnsenbild der Pupille (also die Austrittspupille).
Da Ein- und Austrittspupille conjugirte Bilder in Be-
zug auf das ganze System sind, so muss zwischen dem Ab-
stände der Eintrittspupille von der vorderen Hauptebene
jETj Pi = dl und dem Abstände der Austrittspupille von
174
M. Salzmann.
der hinteren Hauptebeue H^P^ = d^ folgende Beziehung
herrschen:
-j- = 1 — ,— , denn dj ist als Objectentfemung
negativ zu setzen. Zieht man davon die Gleichung
— = ab, so erhält man:
j 1 "T
d.
na^
nd^
oder
l-d^ _ d, ao + ij
/
ndj
r.
M
JV
/
I
"'
\
K, K,
M'
JV'
Fig. 2.
Das Grössenverhältniss der beiden PupiUen zu einan-
ist nach Formel III (1. c):
^ = ^- also -^- = -;^.
Durch Einsetzen dieser neugewonnenen Werthe in die
Formel 3 erhält man, da die Grössen nd, und d^ wegfallen
^——-^ ^0 + ^1 US
Diese Formel ist im Allgemeinen dieselbe, die ich im
zweiten Theil, (dieses Archiv XL, 5, S. 111), entwickelt
Das Sehen in Zerstrenungskreisen etc. 175
habe und sie ist, wie aus der Rechnung hervorgeht, nur
eine andere, aber allerdings bequemere Form der Formel 3.
Sie ist bequemer, weil sie mit Ausnahme der Grösse d^
lauter Grössen enthält, die leicht gemessen v/erden können.
Auch die Messung von dj würde z. ß. beim aphakischen
Auge keine Schwierigkeiten bereiten, da es hier identisch
mit der scheinbaren Kammertiefe ist Beim linsen-
haltigen Auge allerdings wäre zur genauen Bestimmung
von d^ auch die Kenntniss des Ortes des vorderen Haupt-
punktes nöthig, aber gerade in diesem Falle ist d^ sicher-
lich so klein, dass es für praktische Zwecke gar nicht in
Betracht kommen kann.
Ich kann nicht umhin, hier abermals mit Nachdruck
zu betonen, dass die eben entwickelte Formel 4 weder die
Acbsenlänge, noch die Brennweite, noch das Brechungs-
verhältniss enthält Da wir uns bei der Ableitung der
Formel keine Beschränkungen auferlegt haben, so gilt
Formel 4 nicht bloss für alle Augen ohne Unterschied des
Baues, sondern auch für andere Systeme, z. B. die Com-
bination des Auges mit einem Brillenglase.
Wir können also ganz im Allgemeinen sagen, dass
vom Standpunkte der geometrischen Optik (d. h. im Sinne
der punktweisen Abbildung und ohne Berücksichtigung der
Aberrationserscheinungen) die Sehleistung zunächst von
der Grösse der Eintrittspupille und vom Einstel-
lungsfehler abhängig ist (beiden Grössen ist sie um-
gekehrt proportional). Aber weder der optische Bau
des Auges (ob Achsen-, Krümmungs- oder Indexarae-
tropie, ob das Auge accommodirt ist oder nicht) noch der
Umstand, ob der Einstellungsfehler ein natürlicher
oder durch Brillen künstlich erzeugter, bezw. ver-
änderter ist, haben an sich einen Einfluss auf die
Sehleistung, sondern nur insofern, als sie die Ein-
stellung des Auges oder die Lage und Grösse der
Eintrittspupille bestimmen.
176 M. Salzmann.
Ich will mich nicht weiter in allgemeine Auseinander-
setzungen einlassen, sondern gehe sofort zu der Frage über:
können wir aus Formel 4 eine üeberlegenheit des aphald-
schen Auges ableiten?
Vergleichen wir zunächst das aphakische Auge mit
dem linsenhaltigen (Voll-)Auge von gleicher Refraction.
dl ist beim aphakischen Auge entschieden grösser; setzen
wir die Kammertiefe zu 4 mm an, so ergiebt sich mit den
Zahlen des schematischen Auges von v. Helmhol tz die
scheinbare Kammertiefe zu 3,46 mm; das ist aber d^. Im
Vollauge beträgt bei einer wahren Kammertiefe von 3,6
die scheinbare Kammertiefe 3,05, und da hiervon der Ab-
stand des vorderen Hauptpunktes vom Homhautscheitel
= 1,75 abzuziehen ist, wird 0^ = 1,3.
Gleichwohl kann dieser Unterschied nicht besonders
in's Gewicht fallen; wenn nämHch aQ = oc ist, d. h. wenn
wenn wir zwei emmetropische Augen (ein normales und
ein durch Myopieoperation emmetropisch gewordenes) mit-
einander vergleichen, so fällt der Bruch ^"t-J. ganz fort,
da er =1 wird. Es ist überhaupt die Lage der Ein-
trittspupille gleichgiltig, wenn das Auge für un-
endliche Entfernung eingestellt ist. d, kann sich
nur bemerkbar machen, wenn üq einen endhchen Werth
hat, und wird natürhch um so mehr in's Gewicht fallen, je
kleiner a„, also je höher die Ametropie wird. Bei schwa-
chen Ametropieen wird der Werth des Bruches — -
nicht so viel von 1 verschieden sein, dass er für die Seh-
leistung einen messbaren Ausschlag gäbe.
Höchstens bei sehr hohen Graden von Ametropie könnte
(selbstverständhch handelt es sich jetzt nur um uncomgirte
Augen) sich ein gewisser Unterschied bemerkbar machen,
und zwar bei Myopie zum Vortheil des aphakischen, bei
Hypernietropie zum Vortheil des Vollauges.
Das Sehen in Zentreuungskreisen etc. 177
Wir haben dabei die Eintrittspapilie als gleich voraus-
gesetzt; das ist nun eine Voraussetzung, die wohl selten
zutreffen wird. Auch wenn die wirkliche Pupillenweite die
gleiche ist, müsste die Grösse der Eintrittspupille verschie-
den sein, da ja ihre Lage verschieden ist. Aber auch
Aenderungen in der wirklichen Pupillenweite können vor-
kommen und scheinen thatsächlich häufig zu sein. Wenn
2. B. aphakische Augen durchschnittlich engere Pupillen
hätten als gleichaltrige Yollaugen, so wäre dadurch eine
gewisse Ueberlegenheit des aphakischen Auges in Bezug
auf Sehleistung gewährleistet
Die Möglichkeit solcher Aenderungen der Pupillen-
weite in Folge des Verlustes der Idnse erschwert es sehr,
die physikalischen Verhältnisse des aphakischen Auges
gegenüber denen des Vollauges abzuschätzen. Jedenfalls
aber können wir sagen, wenn thatsächUch eine Ueberlegen-
heit des aphakischen Auges über das Vollauge in Bezug
auf Sehleistung besteht, so kann sie ihren Grund nur in
den secundären Veränderungen haben, die der Verlust der
linse mit sich bringt, i. e. in der grösseren Kammertiefe
und in der Veränderung des Pupillendurchmessers selbst
Nun möchte ich aber eine zweite Frage aufwerfen:
Wie verhält sich die Sehleistung eines aphakischen Auges
mit seiner Staarbrille zu der eines aphakischen Langauges,
das ohne Brille für Leseentfernung eingestellt ist?
Diese Frage lässt sich unbedingt weit schärfer präci-
siren. Wir denken uns in beiden Augen gleiche optische
Systeme, nehmen also an, dass die Verschiedenheit der
Achsenlänge den unterschied in der Einstellung der beiden
Augen bedinge; Vir wollen für das eine Auge ca. 10 D
S., für das andere, das Langauge, ca. 4DM. annehmen;
das erstere braucht also + 14 D, um sich für 25 cm einzu-
steUen, während das letztere in dieser Entfernung ohne
GlÄs sehen kann. Wir denken uns ferner in beiden Fällen
gleich tiefe vordere Kammern (sqheinbare Tiefe 8,46) und
T. Graefe*! Archir für Ophthalmologie. XLIX. 1. 12
178 ^* Salzmann.
gleich grosse Pupillen. Wir haben also in der Formel 4
Gq = 250, rfi = 3,46 zu setzen und erhalten für das
Langauge :
«=.J 250 + 3^^ 1 .
e p^D 250 p^D
Für das mit -^l^tD bewafihete Auge ist aber die
Eintrittspupille jenes Bild der wirkUchen tupille, das durch
die Hornhaut und die vorgesetzte linse entworfen wird.
Das Homhautbild der Pupille kennen wir: es ist /)|, und
sein Abstand vom Homhautscheitel ist 3,46 mm. Wenn
nun das Correctionsglas 12 mm vor dem Homhautscheitel
steht, so ergiebt sich als! Abstand des Correctionsglases vom
Homhautbilde der Pupille 15,46 mm und daraus, so wie
aus der Brennweite des Correctionsglases zu 71,43 mm er-
giebt sich als Abstand der Eintrittspupille vom Corrections-
glase 19,73.
Nun haben wir noch den Ort der vorderen Haupt-
ebene zu berechnen; es ergiebt sich nach bekannter Formel,
dass diese 10,36 mm hinter dem vorderen Hauptpunkt der
Correctionslinse und, wenn man das Hauptpunktsinterstitium
dieser linse vernachlässigt, 9,37 mm vor der Eintrittspupille
liegt (dj.
Das Homhautbild der Pupille wird aber auch durch
die Correctionshnse vergrössert, und zwar in demselben Ver-
hältnisse, in dem der Abstand der Eintrittspupille zu dem
des Homhautbildes der Pupille von der Correctionshnse
steht Wenn also das Homhautbild der Pupille p^ ist, so
ist die Eintrittspupille:
Die Sehleistung berechnet sich also für dieses Auge zu:
^___l_ a50 + 9,37_ 1
e ~ 1,21 p^D' 250 —p,i)"'
Fig. 3 dient zur Illustration dieser Verhältnisse: LL'
ist die Correctionslinse (-f- 14 D), C, der Homhautscheitel;
Das Sehen in Zentrauungskreisen etc.
179
JJ' ist die wirkliche Pupille, zugleich Austrittspupille des
aphakischen Auges, MM! ist die Eintrittspupille des unbe-
waffiieten aphakischen Auges, in unserem Falle also die
des aphakischen Langauges von 4D Myopie. Qi^ ist die
Eintrittspupille des combinirten Systems, also die des apha-
kischen Nonnalauges mit einem Correctionsglase yon 4- 14 D,
dessen vordere Hauptebene H^ ist
Das Verhältniss der Sehleistungen dieser beiden Augen
stellt sich also in runden Zahlen wie 1 : 0,8 oder wie 5 : 4.
I3as ist ein Unterschied, der sich bei der khnischen Mes-^
sung der Sehleistung wohl fühlbar machen könnte.
L
1 ■
Q
I
i
Co
r
Flg. 3.
Ich brauche wohl nicht darauf aufmerksam zu machen,
dass sich das alles nur auf die Sehleistung, i. e. die
Distinctionsfähigkeit von Zerstreuungsbildern bezieht und
nicht auf die Sehschärfe. Es fällt mir also keineswegs
ein, etwa die auffallende Verbesserung der Sehschärfe, die
man oft durch die Myopieoperation erzielt, auf dieselbe
Weise erklären zu wollen. Aber wenn das aphakische
Auge in Entfernungen sehen soll, für die es nicht genau
eingestellt ist, so ist es im Allgemeinen um so besser
daran, je schwächere Convexgläser es braucht
Was eben für das aphakische Auge nachgewiesen
worden ist, lässt sich in ganz analoger Weise für das Voll-
12*
180 M. Salzmann.
aage nachweisen. Man kommt also auf diesem Wege zu
dem bemeiicenswerthen Schlüsse:
Convezgläser verschlechtern die Sehleistang,
und zwar um so mehr, je stärker sie sind.
Das umgekehrte muss natürhch für Concavgläser
gelten: sie verbessern die Sehleistung; und zwar um
so mehr, je stärker sie sind.
Es ist auffaUend, dass der Einfluss der Corrections-
gläser auf die Sehleistung gerade das Gegentheil von dem
auf die Sehschärfe ist. Denn Convexgläser vergrossem
das Netzhautbild und verbessern dadurch die Sehschärfe.
Natürlich tritt auch bei Zerstreuungsbildem eine ent-
sprechende Vergrösserung des Bildes ein, aber die Zer-
streuungskreise werden unverhältnissmässig mehr vergrössert,
und dadiu-ch sinkt die Sehleistung.
Die Vergrösserung des Netzhautbildes beruht auf einer
Verschiebung des hinteren Knotenpunktes nach vorne.
Diese Verschiebung hat zur Folge, dass sich auch der Zer-
streuungskreis in demselben Sinne und demselben Aus-
maasse verändert (vergl. XXXIX, 2, S. 101). Die Seh-
leistung könnte also dadurch nicht verändert werden. Sie
wird hauptsächlich dadurch schlechter, dass das Convex-
glas die Eintrittspupille vergrössert
Aus dem Einflüsse, den Brillengläser auf die Seh-
leistung haben, kann man die theoretische Folgerung ab-
leiten, dass die subjective Bestimmung der Hypermetropie
sicherere Resultate als die der Myopie geben müsse. Denn
bei der ersteren kommen Convexgläser zur Verwendung und
je grösser die Eintrittspupille ist, desto geringer wird der
mögliche Einstellungsfehler (1. c. S. 115), desto genauer
also ist die subjectiv bestimmte Refraction.
Nun im Allgemeinen wird die Hypermetropie nicht
geeignet sein, diesen Satz zu erweisen, da sich hier die
Accommodation störend bemerkbar machen kann und ihr
Einfluss, wo er überhaupt vorhanden, sicher überwiegt.
Das Sehen in ZerBtreuungskreisen etc. 181
Anders ist die Sache bei hochgradiger Myopie. Hier
müssen zur Befractionsbestimmung starke Concavgläser yer««
wendet werden, die Eintrittspupille wird erheblich verkleinert^
der mögliche Einstellungsfehler wird grösser, die subjecüve
Refractionsbestimmung daher weniger genau.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass man hochgradige
Myopien bei der Gläserprobe sicher nicht zu hoch, sondern
eher zu niedrig bestimmt. In dem kürzlich erschienenen
„Bericht über 50 von Prof. Ha ab ausgeführte Myopieope-
ratiouen')" findet diese Thatsache ihren ziffemmässigen
Ausdruck. Dort sind die subjectiv bestimmten Myopiegrade
den objectiv bestimmten gegenüber gestellt, und dabei zeigt
sich, dass bei der subjectiven Bestimmung die niedrigeren,
bei der objectiven die höheren Grade überwiegen.
Bei einigen hochgradigen Myopien, die ich selbst zu
anderen Zwecken genauer untersucht habe, belief sich diese
Differenz zwischen der subjectiven Bestimmung (Gläser-
probe) und der objectiven (Schattenprobe) auf 1,5— 2 D.
Da bei beiden Methoden mit ProbirbriUen gearbeitet wurde,
kann diese Differenz nicht etwa durch Verschiedenheit im
Glasabstande bedingt sein. Ich bin geneigt, sie hauptsäch-
lich durch die Verbesserung der Sehleistung (i. e. Ver-
kleinerung der Eintrittspupille), die das starke Concavglas
herbeiführt, zu erklären. Vergleicht man nämlich die Seh-
leistungen des freien Auges mit der eines mit — 20 D in
der gewöhnUchen Entfernung corrigirten Auges, so ergiebt
sich ein Verhältniss etwa von 3 : 4. und ich glaube, das»
sich eine solche Differenz besonders dann bemerkbar machen
wird, wenn die Sehschärfe einen Werth hat, der auf der
Sehprobentafel nicht enthalten ist, z. B. zwischen ^j^^
und «/lg.
Dieses Beispiel zeigt, dass auch beim Vollauge die
scheinbare Accommodation nicht vernachlässigt werden darf,.
*) Romana Klinkowstein, Inattg.-Diss. Zürich 1899.
182 , M. Salzmann.
denn sie ist hier wie beim aphakischen Auge vorhanden,
wie schon Donders seinerzeit gezeigt hat (1. c). Ueber-
hanpt ist scheinbare Accommodation eine allgemeine Eigen-
schaft optischer Systeme, die z. B. auch beim photographi-
schen Objectiv vorhanden ist und dort als „Tiefe" bezeichnet
wird; d. h. der Objectabstand kann bei allen optischen
Systemen in gewissem Grade variiren, ohne dass sich eine
Undeutlichkeit des Bildes bemerkbar macht Diese „Tiefe"
fällt uns eben beim aphakischen Ange am meisten auf,
weil uns unsere Vorstellung vom Accommodationsmecbanis-
mus zwingt, hier einen völligen Mangel der Accommodation
vorauszusetzen.
Die Theorie des Sehens in Zerstreuungskreisen ver-
mag also nicht nachzuweisen, dass das aphaJdsche Auge
dem Vollauge in Bezug auf Sehleistung überlegen sei.
Wohl aber lässt sich zeigen, dass das aphakische Lang-
auge darin dem aphakischen Normal äuge überlegen ist,
und die Ursache ist, dass das aphakische Langauge eben
viel schwächere (oder gar keine) Concavgläser braucht
Wenn die scheinbare Accommodationsfahigkeit eines
aphakischen Auges untersucht werden soll, so wird der
Untersuchte anzugeben haben, wie weit er eine bestimmte
Druckschrift über den Punkt, für den das Auge eingestellt
ist, hinaus entfernen, und wie weit er sie in der anderen
Richtung annähern kann, ohne dass ihre Lesbarkeit leidet;
man wird also den scheinbaren Fernpunkt und den
scheinbaren Nahepunkt zu bestimmen haben. Da, wie
wir gesehen haben, die Sehleistung durch das Verhältniss
der Objectentfemung zur Objectgrösse ausgedrückt werden
kann, so folgt daraus, dass für den scheinbaren Nahepunkt
eine geringere Sehleistung erforderlich ist als für den schein-
baren Fempunkt Dieser geringeren Sehleistung entsprechend
wird der Einstellungsfehler bei der Annäherung der Probe
grösser werden können als bei der Entfernung.
Das Sehen in Zerstreuungskreisen etc. 183
Bi^it anderen Worten heisst das: Wenn ich die Probe
annähere, wachsen die Zerstreuungskreise und die Netz-
hautbilder; wenn ich sie entferne, wachsen die Zerstreu-
ungskreise, aber die Netzhautbilder werden kleiner. Es ist
also klar, dass bei der Annäherung grössere Zerstreuungs-
kreise vertragen werden als bei der Entfernung. Da nun
Zerstreuungskreis und Einstellungsfehler einander proportio-
nal sind, wird bei der Annäherung ein grösserer Einstellungs-
fehler vertragen als bei der Entfernung.
Es wäre also falsch, wenn z. B. der scheinbare Fem-
punkt und der scheinbare Nahepunkt gegeben sind und
der wirkliche Einstelluugspunkt zu suchen ist, das dioptri-
sche Mittel zwischen beiden Punkten zunehmen, sondern der
wirkliche Einstellungspunkt muss, in Dioptrieen ausgedrückt^
dem scheinbaren Eempunkt näher hegen, als dem schein-
baren Nahepunkt
An der Hand der oben entwickelten Formeln lässt
sich indessen eine andere, äusserst einfache Beziehung
zwischen diesen drei Pupkten, dem scheinbaren Fempunkt,
dem wirkUchen Einstellungspunkt (er ist ja im aphakischen
Auge nur ein Punkt, also weder Fem- noch Nahepunkt)
und dem scheinbaren Nahepunkt ableiten:
Das Auge sei für die Entfernung a^ eingestellt, das
zur Prüfung verwendete Object (Dmckprobe) sei e. Kann
nun das Object noch bis in die Entfemung a^ > a^ gebracht
werden, ohne dass der Druck unleserlich wird, so ist
a^ der Abstand des scheinbaren Fempunktes und die Seli-
leistung in diesem Punkte ist --• Wenn ich nun den
c
hierbei eintretenden Einstellungsfehler mit D^ bezeichne, so
ergiebt sich für die Sehleistung nach der Formel 4:
«h \ ^0 + ^1
Bei der Annähemng der Probe erreicht man in
a, <1 »0 ^^^ scheinbaren Nahepunkt, die Sehleistung in
184 M. SaluDAim.
diesem Punkte ist also — , und dabei besteht der Ein-
e
atellungsfehler 2)|. Für die Sehleistung im scheinbaren
Nahepunkt erhalte ich also die Gleichung:
«1 ^ 1 ap + di
e p^D^ ao
Durch Division dieser beiden Gleichungen erhält man:
a, - A '
Nun ist aber seiner Definition gemäss:
Setzt man diese Werthe in die obige Gleichung ein,
so ergiebt sich:
_?i. _ K — g2)«o^t ^ig^ ^0—^2 _i
a.2 (a^ — «o) ^2^0 «i — ®o
und 2ao =a, + a^. (5)
Der wirkliche Einstellungspunkt liegt also in
der Mitte zwischen dem scheinbaren Fernpunkt
und dem scheinbaren Nahepunkt, und das scheinbare
Accommodationsgebiet ist um den vorklichen Einstellungs-
punkt symmetrisch angeordnet.
Demgemäss müssen auch die mit Proben von verschie-
dener Grösse aufgenommenen und daher auch verschieden
grossen scheinbaren Accommodationsgebiete alle um denselben
Punkt symmetrisch angeordnet sein.
Soweit die Theorie. Was ergiebt nun die Beobachtung?
Man braucht nur einen Bück auf die von Förster*) und
Donders") gegebenen Zahlen zu werfen, um zu erkeimen,
dass hier Theorie und Praxis nicht stimmen. Die für ver-
schiedene Schriftproben bestimmten Nahe- und Fempunkte
sindnämhch nicht um einen in der Mitte gelegenen Punkt
symmetrisch ; höchstens für die kleinsten Schriftproben, die also
^) Klin. Monatsbl f, Augenheilk. 1872, April.
•) Loc. cit.
Das Sehen in Zerstreaungskreisen etc. 185
auch nur kleine Zerstreuungskreise und demzufolge kleine
Einstellungsfehler vertragen, lässt sich bei einigen Beobach-
tungen eine solche Symmetrie erkennen. Daraus geht aber
mit Nothwendigkeit hervor, dass unsere Theorie falsch ist,
dass bei dem Sehen in Zerstreuungskreisen in Wirkhchkeit
noch andere, in der Theorie nicht bcrücksichtigt-e Factoren
mit spielen. Und vor allem geht aus dieser Asymmetrie
hervor, dass diese Factoren nicht constant sein können,
denn sonst hätten sie wegfallen müssen, so wie andere con-
stante Grössen bei der obigen Rechnung weggefallen sind.
Es hat meines Erachtens keinen Sinn, sich in weitere
theoretische Speculationen einzulassen, denn SpeculatioDCn
bleiben es doch. Nur die Untersuchung der Zerstreuungs-
figuren bei verschiedenen Einstellungsfehlem könnte einen
Aufschluss darüber geben, wovon die Sehleistung aphaki-
scher Augen abhängt. Die früher erwähnte Form von
Polyopie, die für das Unsenhaltige Auge so charakteristisch
zu sein scheint, dürfte man beim aphakischen Auge jeden-
falls nicht erwarten. Vielleicht spielen hier andere Aber-
rationserscheinungen eine Rolle.
Ich möchte hier nur ganz im allgemeinen auf die Be-
deutung der sphärischen Aberration für das Sehen in Zer-
streuungskreisen hinweisen, ohne indessen damit etwas be-
stimmtes für das aphakische Auge aussprechen zu wollen.
Bekanntlich werden die von einer sphärischen Fläche ge-
brochenen Strahlen nicht genau in einem Punkte vereinigt,
sondern die Strahlen schneiden die optische Achse um so
näher an der brechenden Fläche, je weiter peripheriewärts
sie eingefallen sind. Dadurch erhält das gebrochene Strahlen-
bündel seine grösste Helligkeit in einer Fläche, die die Ge-
stalt eines Kegels mit concaven Seiten hat und deren Spitze
im Brennpunkte F Hegt (siehe Fig. 4) und die als Brenn -
fläche bezeichnet wird (CFC). Trägt man sich in eine
solche Zeichnung das geradlinig begrenzte Strahlenbtischel
ein, wie es die Construction nach der Theorie der Null-
186
M. Salzmann.
strahlen ergiebig so erhält man die (gestrichelten) Linien
AF und ÄF\ man ersieht sofort, dass bis zu den Punkten
2> und B\ wo die periphersten Strahlen zum zweiten Male
die caustische Fläche scheiden, der wirkUche Zerstreuungs-
kreis, d. h. der Querschnitt der Brennfläche erheblich kleiner
als der berechnete ist Von den Punkten D und D' an
ist allerdings der Zerstreuungskreis im ganzen grösser als
der Querschnitt der Brennfläche, und auch in der hinteren
Brennebene (jener Ebene, die senkrecht auf der optischen
Achse durch F geht) ist ein beträchtlicher Zerstreuungs-
kreis vorhanden. Aber dieser Zerstreuungskreis stört nicht
die Schärfe des Bildes. Wie man sich leicht überzeugen
Flg. 4.
kann (man braucht nur mit der zur seitlichen Beleuchtung
verwendeten Linse einmal das Bild einer entfernten Licht-
flamme, das andere Mal ein flächenhaftes Bild, etwa vom
gegenüberliegenden Fenster auf einem Schirme zu entwerfen),
erzeugt dieser Zerstreuungskreis nur eine leichte Ver-
schleienmg des Bildes, wodurch die HelUgkeitsdifferenzen
vermindert werden, aber die Schärfe der Contouren nicht leidet
Aehnhches gilt für die hinter dem Punkte F ent-
worfenen Zerstreuungskreise. Sie enthalten einen hellen
Kern, der von den durch den Punkt F gehenden Null-
strahlen (den Kernstrahlen) heiTührt, während der B^st des
Zerstreuungskreises von den Randstrahlen gebildet wird
und sehr viel geringere Helligkeit besitzt Dieser helle
Das Sehen in Zerstreuungskreisen etc. 1S7
Kern des Zerstreuungskreises bleibt noch auf eine ziemliche
Strecke hin wesentlich kleiner als das von den Yerlänge-
rongen der Linien AF und ÄF eingeschlossene Feld, das
dem theoretischen (berechneten) Zerstreuungskreise ent-
spricht Auch mit solchen Zerstreuungskreisen muss das
Bild trotz der absoluten Grösse des einzelnen Zerstreuuugs-
kreises noch wesentlich besser sein, als die Bechnung er-
giebt, da auch hier wiederum die ündeutlichkeit der Con-
touren bloss von der Zerstreuung der Kemstrahlen beein-
flusst wird und der zarte Lichtnebel, den die fiandstrahlen
erzeugen, nicht weiter stört
Ich verwahre mich ausdrücklich dagegen, auf diese
Weise alle Vorgänge beim Sehen in Zerstreuungskreisen
erklären zu wollen ; aber man wird mir auf jeden Fall
zustimmen müssen, wenn ich sage, dass die sphärische
Aberration geeignet ist, das Sehen in Zerstreuungs-
kreisen zu unterstützen. Der Oeffiiungswinkel im Bildraume
des Auges (^ ÄFÄ) ist keineswegs so gering, dass man
ihn vernachlässigen darf, und jedenfalls wird sich die Aber-
ration um so mehr bemerkbar machen müssen, je weiter
die Pupille ist
Eine gute Methode, die Gestalt des gebrochenen
Strahlenbüschels im eigenen Auge zu sehen, istvonTscher-
ning^) angegeben worden. Wennman das bekannte Young -
sehe Optometer ohne Spalten, blos mit der Linse verwendet,
sieht man die Linie in einen Doppelkegel aufgelöst, der
ein getreues Abbild des gebrochenen Strahlenbüschels im
eigenen Auge ist In Ermangelung des genannten Opto-
meters kann man den Versuch in folgender Weise an-
stellen: Man zeichnet sich eine gerade schwarze Linie auf
weissem Carton und visirt derart über die Linie hinweg,
als wollte man prüfen, ob sie auch wirklich gerade sei.
^) L'optom^tre de Young et son emploi. Arch. de Physiol.
5. Serie. VI. S. 909.
Igg M. Salzmann.
Ist man nicht myopisch, so hält man sich eine Convex-
Unse vor, die stark genug ist, um den Einstellungspunkt
etwa auf die Mitte der Linie zu verlegen. Ich sehe bei
diesem Versuche sehr deutlich, wie sich die Linse in den
entfernten Theil des Zerstreuungsbildes noch eine Strecke
weit, wenn auch verwaschen und weniger schwarz, fortsetzt.
Man sieht das Auftreten und die Ausdehnung der Polyopie,
die chromatische Aberration, kurz alle jene Vorgänge, die
die feineren Details im gebrochenen Strahlenbüschel be-
stimmen und meiner Ansicht nach für das Sehen in Zer-
streuungskreisen maassgebend sind. Noch präciser wird das
Bild, wenn man sich eine stenopäische Spalte vorsetzt, die
mit der Ebene des Cartons parallel steht Man kann auf
diese Weise gewissermaassen jeden beliebigen Längsschnitt
des gebrochenen Büschels erzeugen, z. B. den horizontalen,
wenn man Spalte und Carton horizontal richtet, den ver-
ticalen, wenn man beide vertical hält
Ich habe also bis jetzt keinen Grund, von den An-
sichten, die ich in meinem „Sehen in Zerstreuungskreisen,
II. Theil", ausgesprochen habe, wesentUch abzuweichen.
Ich sehe die Ursache für die auffallend gute Sehleistung
nach wie vor in den sogenannten Fehlem des optischen
Systems, i. e. in den Aberrationserscheinungen im weite-
sten Sinne. Das Zerstreuungsbild im Auge ist weit
besser, als man nach der Theorie erwarten sollte.
Triepel hat in seinen beiden Arbeiten über die Sehleistung
bei Myopie *) den psychischen Act in den Vordergrund ge-
stellt Ohne das psyschische Moment unterschätzen zu
wollen, kann ich mich indessen doch nicht ganz mit
TriepeTs Ansichten befreunden. Die psychische Thätig-
keit ist ja unbedingt nothwenig für das Sehen, das beweist
der operirte Blindgeborene, der auch mit dem schärfsten
Netzhautbild gar nichts anzufangen weiss und sich zunächst
») Dieses Arch. XI. 5. S. 50 und XLI. 3. S. 159.
Das Sehen in ZerstreuungskreiBen etc. 189
noch so blind geberdet wie vor der Operation. Ich habe
auf diese absolut nothwendige und selbstverständliche Thätig-
keit weiter keine Rücksicht genommen. Aber andererseits
kann einer mit reifer seniler Cataract auch nicht sehcD^
obwohl die psychische Eignung hierzu vorhanden ist, weil er
eben kein Netzhautbild hat Ebenso wenig kann ich mir
vorstellen, dass einer mit einem undeutlichen Netzhaut-
bilde scharf sehen kann. Die oberste Grenze für die Seh-
leistung kann meiner Ansicht nach nur durch die Bild-
güte bestimmt sein. Es kann einer weniger sehen, wenn
er nicht geübt ist| aber es ist nicht denkbar, dass es einer
durch psychische Thätigkeit dahin bringen kann, mehr zu
sehen, als ihm die physikalisch -optischen Einrichtungen
seines Sehorgans gestatten.
Anatomische üntersuchangen
über die Begeneration der Giliamenren nach der
Nenrectomia optico-ciliaris beim Menschen.
Von
Dr. Amilcare Bietti,
Privatdocenten in Parma.
Hierzu Taf. IV— V, Fig. 1—4.
(Aus dem Laboratorium der Universitäts-Augenklinik zu Rostock.)
Die klinische Erfahrung hat bewiesen, dass die Neu-
rectomia optico-ciliaris, auch wenn ein Vj^ cm langes
Stück des Opticus herausgenommen w^ird, nicht genügt^
um das Ausbrechen der sympathischen Ophthalmie zu ver-
hüten. Gegen die ersten Fälle, welche in der Literatur
erschienen sind, hat man allerdings mit Recht eingewendet^
dass sie nicht ausreichend sind, um die Unwirksamkeit der
Operation zu beweisen. So sagte Deutschmann (5), be-
züglich des Falles von Clausen(21), dass die kurze Zeit
von 13 Tagen, die zwischen der Resection und den ersten
Erscheinungen der sympathischen Erkrankung liegt, durch-
aus dafür spricht, dass die Infectionsträger schon vor der
Operation in die Sehnervenbahnen eingedrungen waren.
In diesem Falle hatte jedenfalls die Krankheit des anderen
Auges innerhalb eines Zeitraumes begonnen, in welchem
sie auch nach der Enucleation auftreten konnte.
Der Fall von Scheffers(20), bei welchem nur eine
Entfernung von einem V« ^^ langen Stücke möglich war,
ist mehr den Nichterfolgen der einfachen Neurotomie zu-
zuschreiben.
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Giliamerven etc. 19]
Bezüglich des Patienten von Ohlemann(14) hält der
Verfasser selbst die sympathische Natur der Iritis serosa
nicht für erwiesen.
Nicht sympathisch war nach Schirm er (21) die Ent-
zündung im Falle Kohmers(18). Die sympathische Iritis
bestand nämUch vor der Resection und wurde durch die-
selbe ebenso wenig wie durch die später folgende Enucleation
beeinflusst
Bei den Fällen von Trousseau (21) und vonSchmidt-
Rimpler(22) sind aber keine von diesen Einwendungen
mögUch. Bei dem Falle von Trousseau betrug das
resecirte Nervenstück 4 bis 5 mm, und die ersten Erschei-
nungen der sympathischen Ophthalmie traten zwölf Wochen
nach der Operation auf. Bei dem Falle von Schmidt-
Kimpier war das resecirte Opticusstück nach länger(15 mm),
und die Erkrankung im anderen Auge war 1^/, Jahre nach
der Besection ausgebrochen. Diese Beobachtungen be-
weisen also, dass auch die Herausnahme eines langen Opti-
cusstückes nicht genügt, um die sympathische Ophthalmie
zu vermeiden.
Angesichts dieser klinischen Erfahrung wollte man
durch Thierversuche feststellen, wie die centralen und
peripheren Nervenstümpfe nach der Resection sich verhalten.
Mit diesen Untersuchungen wollte man bestimmen, ob eine
Verwachsung der beiden Nervenstücke und eine Wieder-
herstellung der Lympbbahnen stattfinden könnte und ob die
Migration der Mikroorganismen nach der Neurectomia
optico-ciliaris noch möglich wäre.
Die Untersuchungen Deutschmann's schienen zuerst
nachgewiesen zu haben, dass zwischen den durchschnittenen
Nervenenden ein Yerbindungsstrang sich bildet, der mit den
Scheidenräumen des Nervus opticus central und peripher
in Communication bleibt, sodass der Lymphstrom vom Ge-
hirn aus durch denselben ohne wesentliche Schwierigkeiten
zum Bulbus gehen kann. Aus diesen Untersuchungen
192 A. BiettL
flchliesst Deutgchmann, dass die Mikroorganismen durch
die neugebildeten Ljrmphbahnen des Yerbindungsstranges
in den centr Jen Opticusstumpf eindringen können.
Die experimentellen Untersuchungenvon Velhagen (25),
Bach (2) und Zimmermann (26) beweisen aber im Gregen-
theily dass eine Strangbildung zwischen den Opticusenden
nicht stattfindet Die Entfernung der beiden Nerven-
stümpfe Ton einander entspricht nach diesen Beobachtern
immer dem durch die Besection entfernten Stücke. Die
Narbe hat keine Neigung, die Nervenenden zusammen zu
ziehen. Auch nach der Cauterisation der Nervecstümpfe
(Wagenmann) hat Zimmermann keinen Yerbindungs*
Strang, wie ihn Deutschmann beschreibt, beobachtet
Aus diesen Untersuchungen kann man aber, wie Axen-
feld (la) betont, noch nicht schUessen, dass ohne Ver-
bindungsstrang eine Durchwanderung von Mikroorganismen
von dem kranken zu dem gesunden Auge sicher unmög-
lich sei, weil die Mikroorganismen als Lebewesen auch
in's Narbengewebe, welches zwischen den beiden Stümpfen
sich bildet, eindringen und das centrale Opticusende er-
reichen könnten, ohne besonderen neugebildeten Lymphbahnen
zu folgen. Ob sie das freilich wirklich thun, ist unbewiesen.
Es ist nun von Interesse zu wissen, wie sich beim
Menschen bezüghch der Narbe nach der Neurectomie
diese Verhältnisse gestalten. Es hegen darüber in der
Literatur keine genaueren Mittheilungen vor. In dem ein-
zigenanatomisch untersuchten neurectomirten Auge (S chmidt-
Bimpler) hat gerade über diese Verhältnisse nichts Näheres
ermittelt werden können, weil das Auge dicht an der Sklera
abgeschnitten war. Die Resultate beim Thier stimmen jedoch
mit meinem anatomischen Befunde beim Menschen, wie wir
später sehen werden, überein. Es liegt in meinen Präpa-
raten auf dem Opticusstumpfe, wie ein Deckel, eine dichte
zur I^ngsriclitung des Ner^^en senkrechte gefaserte Narben-
masse (Fig. la). Ist demnach eine Tendenz zur Annähe-
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Giliamerven etc. 193
ning der Opticusstümpfe nicht beobachtet worden, so können
wir nach Analogie denken, dass auch die durchschnittenen
Giliamerven von der Narbe nicht zusammengezogen werden.
Diese Thatsache ist von besonderer Wichtigkeit, um die
Regeneration von diesen Nerven zu erklären. Auf diese
Frage werden wir später zurückkommen. — .
Von der Regeneration der Giliamerven nach ihrer ein-
fachen Durchschneidung hat man schon vor einigen Jahren
gesprochen. lieber Regeneration nach der Resection handelt
dagegen bisher nur die Arbeit von Schmidt-Rimpler.
Die klinische Erfahrung hatte bereits gezeigt, dass
einige Monate nach der Neurectomia optico-ciHaris die Em-
pfindlichkeit des Auges, wenn auch nur bis zu einem ge-
wissen Grade, wieder hergestellt sein konnte. Leber (12)
sagt, z. B., dass bei einem von seinen Fällen die SensibiU-
tät der Hornhaut nach Verlauf eines Jahres bis auf eine
erhebUchere Empfindlichkeitsherabsetzung im unteren Ab-
schnitt völlig hergestellt war. In anderen Fällen kehrt sie
noch schneller wieder (cf. die Discussion auf dem intemat.
Gongress in Mailand 3880, ref. Gentralbl, Seite 320).
Bezüglich der anatomischen Untersuchung fand Kuhnt
(4) in einem neurotomirten Auge zwei Giliamerven von an-
nähernd normalem Aussehen. In einem anderen Falle war
nur ein derartiger aufzufinden. „Alle anderen, schreibt er,
zeigten sich in solchem Grade an Volumen und Farbe
verändert, dass sie entweder gar nicht als Nervenzweige
imponirten, oder doch nur so wenig, dass erst das Mikro-
skop darüber Aufklärung gab."
„Die drei schon makroskopisch als annähernd normal
anzusprechenden Nerven wurden sorgfältig isolirt, mit ver-
schiedenen Färbemitteln tingirt und dann zum grösseren
Theile möglichst fein zerzupft, zum kleineren für Querschnitte
verwandt Beide Methoden ergaben, dass die in Rede
stehenden Nervenbahnen aus feinen und besonders feinsten
Nervenfasern bestanden, die nur spur- und stückweise Mark-
T. Graefe's ArchiT f&r Ophthalmologie. XLIX. l. 13
194 A. Bietti.
scheiden besassen und auffallend viele charakteristische
Kerne führten. Der Gesammteindruck war der, als handle
es sich um regenerirte Fasern, die aber noch nicht vöUij^
mit ihren Markmänteln, resp. mit noch zu dünnen, ver-
sehen sind, sich also wahrscheinlich noch, trotzdem sie be-
reits leitungsfähig geworden, im Stadium der Regeneration
befinden."
„Die übrigen, wie erwähnt, nur schwer mit der Loupe
als ehemalige Ciharnerven ansprechbaren Gebilde, erwiesen
« sich bei starker Vergrösserung als vorwiegend aus den
peri- resp. epineuralen Scheiden bestehend und theilweise er-
füllt mit äusserst feinen, unregelmässigen, längsparallelen
Fasern, die ich auf dem Wege der Ausschliessung nur für
die letzten Reste der degenerirten Nervenfasern halten kann,
obschon die hierfür zu fordernden Beweise wegen der Be-
handlung nicht mehr zu erbringen sind."
Da aber diese Nerven nur in je zwei resp. einer Stelle
in jedem Bulbus zu sehen waren, bezweifelt Kuhnt, dass er
sich um eine wirkliche Regeneration handelte. Da gar keine
Controle bestand, um zu beweisen, ob alle Nerven durch-
schnitten worden waren, meint er, dass jene im Bulbus
noch vorhandenen Nerven in Folge dessen nur vorüber-
gehend leistungsunfähig und nur gequetscht worden waren.
Demnach hätte es sich also überhaupt nicht um Re-
generation, sondern um unvollständige Durchtrennung ge-
handelt. Ausserdem hat er diese Nerven nur im hinteren
Theil des Bulbus beobachtet. Ueber andere und über ab-
norm inserirende Ciharnerven war damals noch nichts
Sicheres bekannt.
Hirsch berg und Vogler (10) fanden, dass in einem
zweimal neurotomirten Auge die Ciliamerven im Bulbus
histologisch normal waren.
Poncet (27) und Redard (16) haben mit experimen-
tellen Untersuchungen beweisen wollen, dass auch eine
Regeneration des Nervus opticus stattfinden kann! „Sur
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliarnerven etc. 195
plusieurs nerfs optiques qui s'etaient aussi reunis", schreibt
Redard (16, Seite 334) „que le Dr. Poncet a bien voulu
examiner sur une demande, 11 existait une veritable re-
gen 6 ration". Die Myelintröpfchen werden, nach Poncet,
resorbirt, kleiner und seltener. Gleichzeitig bildet sich die
Faser des Sehnerven wieder durch Wiederherstellung des
kleinen Achsencylinders und durch dessen Einhüllung
in ein neues Protoplasma. Wir halten diese angebliche
Regeneration des Opticus für ganz zweifelhaft und unrichtig,
es würde der erste Beweis dafür sein, dass das centrale
[Nervensystem überhaupt regenerationsfähig ist Poncet
und Redard sprechen auch von der Regeneration der
Ciliamerven nach ihrer einfachen Durchschneidung, aber
nur in ihrem extraocularen Theil.
Es ist daraus als besonders wichtig hervorzuheben,
dass die neugebildeten Fasern alle Zwischenstufen darbieten
von der völlig ausgebildeten Nervenfaser bis zum Achsen-
cylinder ohne Mark, Fasern, wenig reich an Mark, schwach
mit Osmiumsäure sich färbend, von kleinem Durchmesser,
bis zu groben Fasern von breitem Durchmesser, die stark
und gleichmässig schwarz werden. Man triflft nicht selten
unter gut regenerirten Fasern eine Lücke, wo die Entwick-
lung des Myehns langsamer vor sich gegangen ist, wo die
Fasern plötzlich dünner, blässer sind, aber die Achsen-
cylinder deutlich hervortreten, „der Nervenstrom kann also
hindurch gehen." Die Neurotomie war in diesen Fällen
vor zwei bis drei Monaten gemacht. Es geht aus diesen
Untersuchungen die für uns wichtige Thatsache her-
vor, dass in der Regeneration ein Stadium existirt, wo trotz
Bildung der Achsencylinder die Markumkleidung noch
mangelhaft ist, und wo die Weigert'sche Färbung deshalb
unvollständig oder gar nicht gelingt, ohne dass man doch
hier von Atrophie reden dürfte. Wie lange dieses Stadium
der unvollkommenen Markumkleidung dauert, wissen wir
allerdings nicht Wenn aber auch in unserem Falle nach
13*
196 A. Bietd.
sechs Jahren marklose Fasern sich fanden, so ist es nicht
ganz sicher, ob die von Schmidt-Rimpler nach 1*/« Jahren
gefundenen Verhältnisse (s. u.) wirkhch eine Atrophie und
nicht doch vielleicht eine noch unvollständige Eegeneration
darstellen.
Femer hat Krause (II) an vier neurotomirten Augen
eine Regeneration der durchschnittenen Cihamerven beob-
achtet Ausser den gewöhnUchenKemfärbemethoden (Haema-
toxyün, Carminalaun) und der Färbung mit Carminammo-
niak mit oder ohne vorherige Behandlung mit Palladium-
chlorid wandte er noch die von Leber angegebene Methode
der Vergoldung an. Er spricht nicht von Regeneration
der Cihamerven im vorderen Theil des Bulbus. Zahlreiche
neugebildete Nerven hat er hinten in der Sklera gefunden.
In diesem Falle hat er ihren Verlauf ein Stück weit auch
im retrobulbären Bindegewebe verfolgt Nach seinen Unter-
suchungen treten die von dem centralen Nervenstumpf
herausgewachsenen Fasern in die Sklera hinein. Die neu-
gebildeten Nervenfasern wuchern in den Bahnen der alten
Cihamerven vorwärts und erreichen daher auch in ihrer
Vereinigung zu einem Nerven den Durchmesser eines nor-
malen Cihamerven. Sie halten sich aber nicht ausschhess-
lich an die alten Nervenbahnen, sondern die Primitivnerven-
fasern können in den Bulbus hineinwachsen und hierbei
die Wege einschlagen, auf denen sie am leichtesten vor-
wärts laufen können. Sie vereinigen sich nicht immer zu
grossen Aesten, wie bei normalen Cihamerven, sondern
streben vielmehr in kleinen Gruppen vorwärts. Nach zwei
Monaten ist nach Krause die Regeneration so weit vor-
geschritten, dass man die neugebildeten, auffallend kem-
reichen Nerven in der Sklera nachweisen kann. Nach
3^2 Monaten sah er überall neugebildete Nerven, die zum
Theil alle Attribute der normalen Fasern besassen. Die
Markscheiden erschienen an Glycerinpräparaten weniger
undurchsichtig als in der Norm, und nicht alle unter ihnen
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 197
wiesen einen Achsencylinder auf. Eine Vermehrung der
Nervenkeme war nach P/3 Jahren noch deutlich, aber in
geringerem Maasse vorhanden. Nach zwei Jahren konnte
man die neugebildeten Nerven in keiner Weise von den
normalen unterscheiden. — .
Gegenüber diesen Erfahrungen nach der Neurotomie
hat die Resection allerdings eine wesentliche Verzögerung
der Rückkehr der Sensibilität ergeben, aber auch keinen
sicheren Schutz. Noch nach 1 ^/j Jahren und danach kann
die Empfindung wiederkehren.
Vor sieben Jahren untersuchte Schmidt-Rimpler(22)
ein sympathisirendes Auge, das P/4 Jahre nach der Re-
sectio optico-ciUaris enucleirt worden war, und welches
wieder ausgesprochene Schmerzhaftigkeit zeij^te. Er nimmt
an, dass trotz dieser Operation eine Regeneration von sen-
sibeln Nerven stattgefiinden habe.
Schmidt- Rimpler hat nur wenige markhaltige Nerven-
fasern in seinen Präparaten gefunden. Querschnitte, die
noch etwas rückwärts von dem Opticusreste das anhaftende
Gewebe trafen, zeigten Ciliamerven, die wie auch in den
dem Bulbus näher hegenden Schnitten „atrophisch" waren.
Ihre Querschnitte waren durch Carmin gleichmässig roth
gefärbt: nirgends traten Markscheide und Achsencylinder
scharf hervor. Mit der Weigert 'sehen Färbung konnte man
gelegentiich in einzelnen Markscheiden eine dunkelbläuUche
Färbung beobachten; doch war sie weniger intensiv als in
den normalen Nervenfasern*). Grössere Aeste der Ciliar-
nerven, welche aus dem Suprachorioidealraum entnommen
waren, zeigten in den mit Carmin (bezw. Gentianaviolett)
gefärbten Präparaten zahlreiche langgestreckte Zellenkeme
zwischen den atrophischen Fasern; die Weigert'sche Fär-
*) Nach Poncet' 8 Untersuchungen könnte das einer unvoll-
ständigen Regeneration entsprechen. Auch Stroebe fand die Mark-
scheiden anfangs sehr zart.
198 A. Bietti.
bung trat in diesen Aesten nur hier und da andeutungs-
weise hervor. Auf Querschnitten des Corpus cihare fand
sich jedoch an einzelnen wenigen Nervenfasern eine inten-
sive Färbung, so dass hiemach eine normale Beschaffenheit
derselben anzunehmen war. Es sassen die betreffenden
Fasern besonders unmittelbar dicht unter der Sklera in
dem von zahlreichen Blutzellen infiltrirten Suprachorioideal-
gewebe^ aber einzelne gut gefärbte Nervenfasern, selbst zu
kleinen Fasern vereint, lagen auch zwischen den angren-
zenden Muskelfibrillen des Ciliarkörpers. Einzelne erhal-
tene Nervenfasern fanden sich gleichfalls in der Cornea;
sie lagen vorzugsweise in der Peripherie, von wo sie mit
den Gefässen in die bindegewebig entartete Hornhaut
bündelweise hineingezogen wurden.
Es sind also nach Schmidt-Kimpler nur einzelne
Nervenfasern und ganz kleine Bündel, und zwar nur im
vorderen Theil, gefunden worden, welche im Ciüarkörper
oberflächlich lagen und zum Theil in die Hornhaut über-
gingen. Ich möchte gleich hier hervorheben, dass diese
spärhchen Fasern ausschliesslich normale, nicht durch-
schnittene vordere Ciliamerven sein könnten, da letztere
schon physiologisch sich in dieser geringen Menge finden.
Für irgend eine Vermehrung und Regeneration von vom ist
der Schmidt-Rimpler'sche Befund nicht sicher beweisend,
wenn auch die Möglichkeit nicht bestritten werden kann,
dass besonders die Hornhautsensibilität theilweise von hier
aus regenerirt sein könnte. Diese markhaltigen Homhaut-
nerven sind ja sicher nicht physiologisch, doch können sie
sicher nur zum kleinen Theil die Cornea sensibel gemacht
haben. Eine vicaiürende Vermehrung im Ciliarkörper ist
dagegen nicht nachgewiesen, und es erscheint etwas zweifel-
haft, ob der Druckschmerz durch die nachgewiesenen mark-
haltigen Nervenfasern erklärt wird.
Wir müssen uns fragen, ob nicht doch die als atro-
phisch bezeichneten hinteren Ciliarnerven zum Theil wieder
Anat UnterBuch. üb. die Regeneration der Ciliarnerven etc. 199
leitungsfähig gewesen siod, oder (wenn in dem vorderen
Theil des Bulbus neugebildete, d. h. vermehrte Nerven-
fasern nicht zu sehen waren, und wenn wir nicht mit
Schmidt- Rimpler die intrabulbären hinteren Ciliamerven
wirklich als atrophisch ansehen wollen), ob dann nicht doch
mehr rückwärts hinter dem Auge eine ßegeneration statt-
gefunden hatte. Vielleicht waren die Druckschmerzen, an
welchen der Patient Utt, nicht den bulbären Fasern zuzu-
schreiben, sondern Nerven, welche vom centralen Stumpfe
herauswachsen, wie es bei Amputationsneuromen der Fall
ist, und wie es nach meinen eigenen anatomischen Unter-
suchungen auch bei den Ciliamerven der Fall sein kann.
Solche Nerven hat Schmidt-Eimpler nicht beobachten
können, weil wahrscheinUch der von ihm untersuchte Bul-
bus ganz dicht an der Sklera abgeschnitten war, und weil
die Nervenstümpfe sich in der Orbita zurückziehen.
Um festzustellen, ob eine ausgesprochene Nervenrege-
neration im Augapfel selbst nach der Resectio optico-
ciliaris stattfindet, und wie dieselbe sich im Einzelnen voll-
zieht, habe ich einen neurotomirten menschlichen Bulbus,
welcher nach sechs Jahren wieder ausgesprochen schmerz-
haft geworden war, in eine vollständige Schnittserie zer-
legt und sämmtliche Schnitte (610) nach der Weigert-
Pal' sehen Methode gefärbt. Diese mühsame Methode war
deshalb unentbehrlich, weil nur auf diesem Wege ein voll-
ständiges Urtheil gewonnen werden kann.
Die Neurektoraie hatte im Jahre 1888 Herr Prof.
Schmidt-Rimpler in der Marburger Augenklinik ausge-
führt, und das Auge ist im Jahre 1894 von Herrn Prof.
Uhthoff in derselben KUnik enucleirt worden, nachdem
mein verehrter Chef Herr Prof Axenfeld mit Rücksicht
auf die von ihm beabsichtigte anatomische Untersuchung
eine genaue SensibiUtätsprüfung vorgenommen hatte. Die
Krankengeschichte, deren Benutzung Herr Prof. Uhthoff
freundlichst gestattet hat, ist folgende:
200 A. Bietti.
H. H., 14 Jalire alt, Schüler, aus Witt^nstein, hat froher
Augenerkrankungen nicht durchgemaeht; er ist auch sonst stets
gesund gewesen. Am Abend des 2. VI. 1883 wurde ihm aus
Unvorsichtigkeit die Spitze einer Bolmenstange in das linke Auge
hineingestossen von einem Spielkameraden: es floss ziemlich viel
Blut aus und eine klebrige Flüssigkeit; gegen 9 Uhr Abends
wird Patient der Klinik in Marburg zugeführt und aufgenommen.
Status praesens: Am rechten Auge weder äusserh'ch
noch ophthalmoskopisch ein pathologischer Befund.
Links: Auf der sonst klai'en Hornhaut findet sich nahezu
den unteren äusseren Quadranten umzeichnend eine ziemlich scharf-
geschnittene, die ganze Hornhaut perforirende Wunde, welche an
beiden Enden vielleicht 2 mm in die Sklera hineinragt, am un-
teren Wundwinkel noch eine geringe Menge schwarzen Pigmentes.
In der vordei'en Kammer eine grosse Menge Blutes, so dass
man nur die oberen Irisparthleen erkennen kann; doch seheint
es wahrscheinlich, dass auch die Iris an beiden Seiten perforirt
ist. Pupillargebiet von gilinlicher Farbe; Durdileuchtung ist un-
möglich ; Tension bedeutend herabgesetzt ; es besteht geringe
Druckempfindlichkeit; spontaner Schmerz nur gering. Amaurose.
30. VI. 88. Rechts: E. S=*''/5. Punctum proximum in
8 cm. Links: Geringe Bulbusinjection. Hornhaut klar nur
mit einer ziemlich weiss erscheinenden Narbe versehen, mit wel-
cher die Iris verwachsen ist Pupillargebiet grünlich getrübt,
dodi stärker in der centralen Parthie, weniger in der Peripherie.
Durchleuchtung ist nicht möglich. Grosse Lampe bei unsicherer
Projection, die sich jedoch gegen frühere Untersuchungen etwad
gebessert zu haben scheint.
3. VIII. 88. Status idem; nur fällt auf, dass die Trübung
der linse sowohl als auch des Irisgewebes selbst eme etwas
gi*augrünliche Verfärbung angenommen hat. Entlassen.
Patient stellte sich noch wiederholt der Poüklinik mit nor-
malem Befunde am rechten Auge vor, während das linke an-
dauernd geringe Injection und beginnende Phthisis zeigte; bd
einer Voratellung am 5. IX. 1888 findet sich jedoch eine etwas
stärkere pericomeale Injection, massige Druckempfindlichkeit des
Corpus ciliare; in Folge dessen eine das reclite Auge schützende
Operation angezeigt erscheint Patient wird zu dem Zweck auf-
genommen.
Status praesens: 6. IX. 1888. Im allgemeinen Status
keine Aenderung. Am rechten Auge kein abnormer Befund.
Links ist die Conjunctiva palpebralis nur in ganz geringem
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliarnerven etc. 201
Grade fencht durchtränkt. Conjonctiva bulbi ebenfalls feucht
durchtränkt und lebhaft injicirt; hier ist es zur Ausbildung eines
ziemlieh dichten pericomealen Gefässnetzes gekommen, welches
die Homhautgrenze jedoch nicht nennenswerth überschreitet. Die
Hornhaut ist in bedeutendem Grade verkleinert und abgeflacht,
zeigt in der unteren Parthie die tiefe eingezogene Narbe, mit
welcher die der Hornhaut ganz anUegende Iris verwachsen ist;
die Iris selbst sieht nicht wesentlich verändert aus Der ganze
Bulbus ist entschieden verkleinert, so dass auch das Oberlid
etwas herabhängt, sehr weich und auf Druck in massigem Grade
empfindlich. L. S. Grosse Lampe bei fehlender Projection.
6. IX. 1888. Links: Neurectomia optico-ciliaris
unter Chloroformnarkose. Nach Tenotomie des ßectus internus,
dessen centripetales Ende durch eine Seitennaht fixirt wird, wird
m die Tiefe eingegangen und der Opticus durehtrennt: nach
Entfernung des Elevators Blutstillung durch Gompression; da-
nach wird der Bulbus stark nach aussen gedreht. Nach Locke-
rung des Gew-ebes in der liefe stellt sich der durchschnittene
Sehnerv in die Wunde ein und kann in einer Länge von 3 mm
dicht an der Skleralkapsel abgetrennt werden. Die umgebende
Sklera wird frei präparirt. Nach Reposition des Bulbus wird
der Rectus internus wieder angeheftet, die Schleimhautwunde
durch eine Naht geschlossen.
16. IX. 1888. Entfernung der Nähte. Lider ohne Schwel-
lung noch blaugrün' vei*färbt. Conjunctiva bulbi Im Allgemeinen
ziemlich lebhaft injicirt, aber frei von Chemosis. Hornhaut ab-
solut unempfindlich. Stellung und Beweglichkeit des Auges ist
eine äusserst günstige.
8. VIII. 1894. Wiederaufnahme: Patient weiss nicht,
wann sein linkes phthisisches Auge wieder empfindlich geworden
ist Zur Zeit seines Abiturientenexamens Ostern 1894 hat er
jedenfalls sehr heftige Schmerzen spontan und bei Druck ver-
spürt, die er hinter das Auge localisirt. Auch besteht rechts
Lichtscheu und Flimmern (sympathische Reizung). Seitdem sind
in wechselndem Grade mit unregelmässigen Zwischenräumen ähn-
liche aber weniger starke Anfälle wiedergekehrt, stets mit In-
jection und Schmerz hauptsächlich unten. Rechts in letzter
Zeit nichts Abnormes.
Status praesens: Rechtes Auge ganz normal. E.S = ^Jq
Punctum proximum 10 cm; Gesichtsfeld frei. — Linkes Auge
stark phthisisch ^ beginnende Packetform. Conjunctiva bulbi zur
202 A. Bietti.
Zeit nur unten innen ein klein wenig injicirt in der Umgebung
einer etwas eingezogenen Narbe, die ca. vom Aequator unten
innen zwischen Rectus inteiiius und inferior meridional zum
Hombautrand läuft und von da bogenförmig (Gonvexität) nadi
oben quer über die Cornea, etwa in deren horizontalen Meridian.
Die dadurch gebildeten oberen unteren Hälften der Cornea sind
ungleich gross; die untere noch erheblich stärker verkleinert, als
die ebenfalls ganz abgeflachte, geschrumpfte obere Hälfte. Comeal-
reste, abgesehen von der Narbe, noch durchscheinend, ihnen
dicht anliegend die ganz atrophische Iris. Bulbus — T^, keine
deutliche Knochenschale; auf Druck oben am Limbus sehr em-
pfindlich, unten weniger; auch wird der Schmerz, auch bei
Druck, unten oben hin localisirt. Das Auge nimmt dabei inten-
sive ciliare Injection an, die erst nach längerer Zeit nachlässt.
Maasse des Auges: Breite der Cornea dicht oberhalb der
Narbe 7 bis 8 mm; grösster Durchmesser von oben nach unten
6 mm. lünge der ganzen Narbe etwa 1 1 mm.
Sensibilität: Berührung mit kleinen Papierstreifen auf der
ganzen Cornea überall empfunden, desgleichen der Conjunctiva
bulbi und palpebrae doch verachieden deutlich:
1. Obere Comealhälfte fählt lebhafter als die untere und
die unmittelbare Gegend der Narbe. An der letzteren ganz leise
Berühnmgen öfter gar nicht empfunden.
2. Gegend der Carunkel und der Plica semilunaris besser
sensibel (normal\, während die ganze Conjunctiva palpebrae und
bulbi unten weniger fein fühlt In der Mitte öfters keine Em-
pfindung bei leiser Berührung. Obere Conjunctiva ähnlich; didit
an der oberen Comealgrenze paraesthetische Stelle, darüber wie-
der besser'). Befund in dieser Hinsicht etwas wechselnd, wegen
Reizzustand des Auges. Nach Berührung der oberen Comeal-
hälfte starkes Thränen. Auch häufig die Empfindung, dass die
Berührung andauert oder sich wiederholt, nachdem sie längst
aufgehört hat
Temperatursinn: Berührung mit kaltem Sondenknopf wird
als kalt nicht gefühlt in der unteren Comealhälfte und den mitt-
leren Theilen der der Uebergangsfalte zu gelegenen Conjunctiva pal-
pebrae et bulbi. Sonst prompte Empfindung am besten in der
oberen Comealhälfte.
Schmerzgefühl: Massiger Dmck auf die Sklera mit der
*) Nach den Untersuchungen NagcTs kommen in der Con-
junctiva bulbi paraesthetische Stellen auch physiologisch vor.
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 203
Sonde giebt in dem Bereiche der Lader keinen Schmerz , femer
nicht aussen unten in der vor dem Aequator bis zum Ciliar-
körper reichenden Sklera. Dagegen unten innen und oben schon
bei Druck auf die prääquatoriale Gegend unangenehmes Druck-
gefOhl, daa nach dem Limbus hin zunimmt; lebhafte Schmerz-
haftigkeit aber am oberen Limbus mit dem ausgesprochenen
Punctum maximum etwa 1,5 mm aussen von seiner Mitte. Bei
Berührung dieser Stelle deutliches Zurückzucken, lebhaftes Thränen,
und Injection, das mehrere Minuten anhält Rechts dabei keine
Empfindung. Narbe selbst^ besonders mitten auf der Hornhaut,
äusserst druckempfindlich. Bei längeren Versuchen wird
vom Patienten spontan angegeben, dass er rechts einen
kleinen Druck über der Pupille fühlt
7. VIII. 1894. Links: Enucleation in Chloroformnarkose
in der gewöhnliche Weise. Ausschälung innen und hinten, wegen
narbigen Verwachsungen schwierig, aber ohne Zwischenfälle. —
Reizlose Heilung.
16. Vm. 1894. Rechts: normale Verhältnisse. S «/g. Ge-
heilt entlassen.
Anatomischer Befund.
Der Bulbus ist von vom nach hinten stark zusammen-
gedrückt; die Entfernung von der Hornhaut zur hinteren Sklenü-
fläche beträgt 9 mm und der Querdurchmesser 19 mm. Der
Hinterfläche haftet ein dichtes von 3 bis 4 mm Narbengewebe
an, an welchem etwas orbitales Fettgewebe hängt
Der Bulbus wird zuerst in Zenker 'scher Flüssigkeit fixirt
nnd dann in die Müll er 'sehe übertragen, worin er drei Jahre
blieb. Die gesammten Schnittserien sind, wie ich schon sagte,
mit der Weigert- PaTschen Methode behandelt worden und mit
Alauncarmin nachgefärbt Mit einer schwachen Vergrösserung
kann man sehen^ dass die Sklera etwas faltig und hinten durch
die Contraction um das Doppelte verdickt ist Das Augen-
innere ist völlig organisirt. Die Ghorioidea ist in der Aequa-
torialgegend abgehoben (Flg. 1 a\ Der centrale Theil hat die
normale Lage; der periphere ist, wie der hintere Theil des
Ciliarkörpers, von der Sklera abgerissen, in der Weise, dass
zwisdien ihr und der Aderhaut ein lockeres Bindegewebe aus-
gespannt ist Die Aderhaut ist atrophisch: hier und da kann
man umschriebene Infiltrationsstellen beobachten. Im Ciliar-
körper sind die Muskelfasern noch deutlich zu erkennen. Sie
204 A. Bietti.
Bind aber atrophisch und mit Bindegewebsbündeln vennischt
Der periphere Theil des Ciliarkörpers ist von der Iris durdi eine
Narbe getrennt. Diese Narbe, welche der Verletzung entspricht,
setzt sich in die Sklera fort. Die Iris ist mit dieser Narbe und
mit der Hornhaut zum Theil verwachsen. Das Irisgewebe ist
auch atrophisch und das Pigment hier und da unregelmässig
zerstreut. Der centrale Theil des Hornhautrestes ist von
einer normalen Epithelschicht bedeckt. Die Bowman'sche Mem-
bran ist hier noch vorhanden. An den peripheren Theiien ist
die Epitlielschicht unregelmässig und dicker als im nonnalen Zu-
stande. Das Hornhautgewebe ist von Gefässen durchsetzt. Die
Descemet 'sehe Membran haftet noch zum Theil an der hinteren
Fläche; grösstentheils ist sie aber gefaltet; die Endothelzellen sind
nicht mehr zu sehen. Die Retina und der Glaskörper sind
völlig degenerirt und zu einer unförmlichen Masse verschmolzen.
Diese besteht aus Bindegewebe, das mit der Narbe verwachsen
ist, und Pigmentflocken, Ossificationsknoten und Cholestearin-
krystalle entliält. Letztere sdieinen in dieser Masse wie incrustirt
zu sein. Hinter der Iris ist ausserdem noch die Linsenkapsel
zu erkennen. In einigen Präparaten sieht sie wie ein Knäuel
aus, in welchem man noch einige Epitlielzellen beobachten kann.
Der vollständig ati'ophische Opticus enthält keine mark-
haltigen Nervenfasern mehr. Sein grösster Querdurchmesser be-
trägt nur 2^/2 mm. Er ist hinten durch zu seiner Längs-
richtung quer verlaufende Bindegewebsmassen völlig
verschlossen*). Dieselben werden zunächst von den über dem
Nei-venstumpf zusammen geschlagenen in verwachsenen Resten
der Sehnervenscheide gebildet; es scheint deren Verbindung
mit der Schnittnarbe des Opticus eine lockere zu sein; in man-
chen Präparaten findet sich ein querer Spaltraum. Unmittelbar
mit der verschliessenden Scheide steht die retrobulbäre diclite^
ebenfalls quergefaserte Narbe in Verbindung. — .
Das interessanteste in diesem Bulbus sind nun die Ciliar-
nerven. In dem retrobulbären Bindegewebe sind sie so zahlreich,
dass man von einem wirklichen Narbenneurom sprechen kann.
Auffallend ist hier auch die Grösse mancher neugebildeter Nerven-
stämmchen, welche 350 fi erreichen kann. Diese sind dem Aussehen
nach sehr mannigfaltig. Die neugebildeten Fasern sind meistens
marklialtig: hier und da treten aber auch marklose Fasern her-
vor. Zum Theil vereinigen sie sich zu dicken Aesten (Fig. 2a),
») Fig. 1.
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 205
welche grösser als normal erscheinen. Daneben kann man auch
dünnere Stämmchen beobachten und ausserdem massenhafte
einzelne Fasern, welche kein Bündel bilden. Letzere laufen
wie die Nenrenstämrae geschlängelt nach der Sklera; sie ver-
flechten und kreuzen sich mit diesen und unter einander, so dass
man an einigen Stellen ein wirkliches Knäuel beobachten kann.
Die Nervenstämme sind quer, schräg und längs getrofifen. Einige
theilen sich in ihrem Verlauf in zwei Aeste, welche einen
grossen Nervenstamm umfassen. In einzelnen Schnitten habe
ich 25 bis 30 von ihnen gesehen. Diese Anzahl erklärt sich
freilich theilweise durch^ die Verlaufsart Es ist möglich, dass
die Zahl derselben nicht ganz so gross ist, da dieselben Stämm-
chen in derselben Ebene mehrmals getroffen sein können.
Viele von diesen Nervensiämmchen treten in den Bulbus
ein. Die einzelnen Fasern gehen aber nicht so weit; die
meisten erreichen die Sklera, dringen aber nicht hinein. Nur
an einzahlen Stellen habe ich diese Fibrillen in die Sklera ein-
treten sehen. Sie hören dann aber gleich nach einem kurzen
Verlauf auf und erreichen nicht die Aderhaut. Die grossen Nerven,
80 weit sie in den Bulbus eintreten, verlaufen in den Bahnen,
welche denen der früheren entsprechen. Gewöhnlich findet man
nur einen Nerv in einer alten Bahn: ich habe aber auch deren
zwei in derselben Bahn gefunden (Fig. 3) und einmal zwei
kleine Aeste neben einem grossen gesehen. Von diesen grossen
Nerven habe ich sieben bis in das Innere des Bulbus verfolgt
Den einen von diesen habe ich in ununterbrochener Serie bis
zum Ciliarkörper verfolgt, die anderen nehmen ebenfalls ihren
Weg nach vom und geben gemeinschaftliche ausserordenthch zahl-
reiche Aeste ab. Die Nerven durchbohren aber nicht in schräger
Richtung die Lederhaut, sondern wegen der Contraction derselben
senkrecht zu ihr.
Ausser diesen grossen Nerven kann man, wie ich sagte,
noch kleinere Stämmchen finden. Diese liegen z.T. neben den
grossen in einem und demselben Canale; z. T. aber scheinen sie
einen neuen Weg genommen zu haben ^). Im hinteren Theil
der Sklera finden sich nämlich noch an solchen SteUen Nerven-
bündel, wo im normalen Zustande keine gefunden werden. In einigen
Schnitten sind bis zu zehn von diesen Nerven zu sehen : in anderen
sind sie dagegen selu' selten. Man kann annehmen, dass es sich
wie beim Narbenneurom nur um Nerven handelt, welche wegen
^) Dasselbe hat Krause nach der Neurotomie gefunden.
206 A. Bietti.
ihres wellenförmigen Verlaufs in derselben Ebene mehrmals ge-
troffen worden sind. Das kann man sehr leiclit an einigen 1^-
paraten beobachten, wo die Nerven in ihrem Verlauf auf kurze
Strecken unterbrochen zu sein scheinen. In der Sklera kommen
auch mark lose Nervenfasern vor. Meist übei'wiegen aber auch
hier bei weitem die marklialtigen.
In dem Theil der Suprachorioidea, wo die Aderbaut der
Sklera noch anhaftet, laufen diese verschieden starken Nerven wie
unter normalen Verhältnissen. Auch an den Stellen, wo wegen
der Trennung der Aderhaut von der Sklera das Suprachorioideal-
gewebe lockerer geworden ist, kann man in vielen Präparaten
grosse Nervenstämme, welche zum Ciliarkörper laufen, sehen.
In den Schnitten, welche auch den Opticus enthalten, sind diese
Nerven meistens längs oder schräg getroffen. Im Gegensatz zu
jenen, welche wir in den neuromartigen Wucherungen der
Ciliamerven hinter dem Bulbus beschrieben haben, sind sie nicht
geschlängelt, sondern viel mehr geradlinig. Nur am Aequator
kann man wegen der Abplattung des Bulbus gebogene Aeste
finden. Einige Stämme sind von einer rundzelligen Infilti-ation
umgeben.
In dem atrophischen Ciliarkörper sind die Nerven
ausserordentlich zahlreich (Fig. 4a). An einigen Stellen ver-
flechten und kreuzen sie sich wie beim Neurom und scheinen dicker
als normal zu sein. Ihr Durchmesser beträgt nämlich bis 250//.
In den Ciliarkörper dringen aber auch einige kleine Nerven
von dem vorderen Theil der Sklera hinein. Von diesen vorderen
Ciliarnerven habe ich fünf in meinen Präparaten gefunden.
Nur drei sind aber etwas stärker (70 //); die anderen sind viel
dünner (15 bis 20//). Sie sind meistens markhaltig. Die mark-
losen Fasern sind aber hier zalilreicher als am hinteren Theil des
Bulbus. Der Nerv, welcher in Fig. 3 a gezeichnet ist, vertheilt
sich zuerst in zwei Aeste. Einer von diesen läuft sehr schräg
noch eine Strecke in der Sklera, um dann in den Ciliarkörper
einzuti-eten; der andere durchbohrt dagegen die Sklera fast senk-
recht und theilt sich noch wieder in zwei andere Zweige.
In einigen lYäparaten kann man sehr deutlich erkennen,
dass diese vorderen Nerven in dem Ciliarköiper mit den hinteren
eine Verbindung eingehen. Diese perforirenden Aeste habe
ich aber nicht als geschlossene Stämmchen bis zur
äusseren Fläche der Sklera verfolgen können. In einigen
Schnitten kann man sehen, dass zu diesen Nerven einzelne Fasern
zusammenlaufen, welche neben kleinen skleralen und episkleralen
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 207
Gefässen liegen. Die Richtung dieser Fasern ist sehr verschie-
den, so dass in den nächsten Serienschnitten nur wenige zu
sehen sind, weil die quergetroffenen einzehien Fasern nicht scharf
hervortreten. Manchmal verlassen sie die Gefässe, nachdem sie
den Nervenast erreicht haben. Manchmal kommt es aber auch
vor, dass die GefSsse das Nervenbündel bis in das Augeninnere
begleiten.
Auch in der Hornhaut sind einzelne markhaltige Nerven-
fasern zu erkennen und zwar in der durch die Verletzung ent-
standenen Narbe. Sie laufen besonders mit den neugebildeten
Gefassen und lassen sich bis in den Ciliarkörper verfolgen.
Von diesem Befund ist also die ausserordentlich
starke Nervenregeneration das auffallendste. Von wo
ist dieselbe ausgegangen?
Wie weit sind die bei der Operation jedenfalls nicht
oder unvollständig durchschnittenen vorderen Ciliamerven
die Ursprungsstelle? „Es ist naheliegend" sagt Schmidt-
Kimpler (22, S. -17), „dass von hier aus, d. h. von vorn
nach Durchschneid ung der hinteren CiUaräste eine neue
Versorgung einer Parthie des Cori)us ciliare mit Nerven-
fasern eintreten kann." Deshalb räth Schmidt-Rimpler
bei der Resectio optico-ciliaris in einiger Entfernung von
der Cornea vor den Sehnen -Ansätzen subconjunctival eine
ausgiebige Scarification vorzunehmen. Die Nerven, von
denen Schmidt-Rimpler spricht, und welche er mit dieser
Scarification zerstören wilP), sind aber nicht jene, welche wir
beschrieben haben, die sich in der Sklera bilden, sondern
sind wirkhche perforirende Aeste. Obwohl in den Lehr-
büchern letztere gewöhnlich keine Erwähnung finden, haben
schon verschiedene Beobachter von ihnen gesprochen. Da
diese Verhältnisse sehr comphcirt, aber für unsere Sache
von principieller Wichtigkeit sind, sei ein etwas genaueres
Keferat über dieselben hier gegeben.
') Solch eine Scarification dürfte überhaupt sensible Nerren
nur fOr kurze Zeit ausser Function setzen.
208 A. Bietti.
In der bisherigen anatomischen Literatur ist, nach der
Zusammenstellung von Prof. Axenfeld(l) folgendes ent-
halten:
Mit „superficiel" bezeichnet Boucheron(3), die im epi-
skieralen Gewebe unter der Conjunctiva bulbi gelegenen feinsten
Zweige der orbitalen Nerven, deren tiefeter Plexus mit den in
den oberflächlichen Skleralscliichten laufenden, von innen nacli
aussen eingedrungenen Aestchen der eigentlichen Ciliamerven
(„profonds'O f^^^^ Anastomose eingeht Durch diese Anasto-
mosen betheiligen sich die subconjunctivaien Nerven an der Inner-
vation der oberflächlichen Schichten der äussersten Homhautpeii-
pherie. Stärkere Aeste, die vom von aussen her bis in die Uvea
eindringen, hat Boucheron nicht gefunden; er betont nur die
Möglichkeit, dass einzelne Fasern auch in's Innei*e eintreten könnten.
Auf diese feinsten Anastomosen soll sich beim Menschen die Tlidl-
nähme der subconjunctivaien Nerven an der Innervation des
Augeninnem beschränken. Irrtliümlicherweise hat in das neue
Lehrbuch von Panas die Abbildung Boucheron's Aufnahme
gefunden, welche einem Pi-äparat von Meerschweinchen entnom-
men ist. Bei diesem treten aus dem Orbitalgewebe ziemlicli
dicke Nervenstämme unmittelbar durch die Sklera in die üvea
ein; bei Menschen aber sind solche von Boucheron nidit be-
obachtet.
Nach Boucheron sind die „8uperficiel8''die„ant^rieur8*'
und die „profond8"die„po8t6rieurs". Diesesvorn und hinten
bezieht sicli also auf die Stelle derSkleralperforation; von welchen
Nerven diese beiden Arten herstammen, ist eine zwate JYage.
Nach Boucheron werden allerdings die superficiels oder
ant^rieurs von der Neurotomia optico-ciliaris nicht berührt;
darin liegt, dass die vorne perforirenden Nerven nicht dem Gang-
lion etc. entstammen, sondern den seitliclien orbitalen Nerven.
Allein bei genauerer Durchsicht der Literatur und besonders nadi
den üntersuchunjren von Axenfeld finden sich nodi Verhältnisse,
welche die Identificirung der ant^rieurs und superficiels im
Sinne Boucheron's nicht ratlisam ei*scheinen lassen; die super-
ficiels gehören zu den ant^rieurs, sind aber nicht die einzigen
anterieurs. Wir stossen überhaupt bezüglich der Existenz und
Art sogenannter vorderer Ciliarnerven auf die schärfsten Wider-
sprüche.
Andere Beobachter hatten schon früher von vorderen Ciliar-
nerven in noch anderem Sinne gesprochen. So sagt Cruveil-
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliarnerven etc. 209
hier, dass nachdem die Ciliamerven zur Sklera gekommen sind,
sie diese mehr oder weniger schräg mit Ausnahme von zwei oder
drei durchbohren^ die sich nach vom begeben, wo sie „au
voisinage de Finsertion des muscles^^ in die Sklera eintreten.
Cruveilhier hält das für einen constanten Befund. Henle
sagt, dass ein Nerv sich von dem anderen trennt, um in der
vorderen Hälfte das Auge zu perforiren. E. Meyer giebt in
seinem Lehrbuch an, dass er zu der von aussen her gefflhrten
Neurectomia optico-ciliaris die Tenotomie des Rectus internus mit
Scarification der Umgebung hinzugefügt, weil einige, „längere"
(= weiter von sicli inserirende) Ciliamerven häufig unter dieser
Sehne verlaufen sollen.
Femer schreibt Claude Bernard (16), dass man ausser den
„nerfs ciliaires directs'* beim Hunde auch „nerfs ciliaires
indirects" findet, welche in einer vom Opticus entfernten Stelle
und meistens unter dem Rectus extemus und superior, die Sklera
durchbohren. Auch Dor(G) meint, dass die Durchschneidung in
einem seiner Fälle nicht vollständig gewesen sei, weil die Pupille
sich noch bewegte nach der Operation, wenn das Licht in das
gesunde Auge fiel. „Das," schreibt Dor, „soll uns nicht wundern,
weil die „nerfs directs" zum Theil noch erhalten waren
und die reflectorischen PupiUarbewegungen wie früher stattfinden
konnten.^ Es ist das aber ein Irrthum, da die „directs^^, d. h.
die direct vom Nasocäliaris ausgehenden Aeste sicher von der
Operation getroffen werden.
Aus der nicht ganz übereinstimmenden Darstellung der ge-
nannten Autoren geht nun hervor, dass mindestens die Zahl dieser
Nerven schwankt Axenfeld hat Nachprüfungen durch Präparation
von vier Augenhöhlen vorgenommen.
„Bei zweien dieser Augenhöhlen, schreibt er, habe ich die
Ueberzeugung, nichts übersehen oder zerrissen zu haben. Es fanden
sieh nur einmal ein, das andere Mal zwei feine Aestchen, die
von Ciliamerven von da abgegeben wurden, wo dieselben hinten
die Sklera perforirten. Diese Aestchen liefen, dicht der Sklera
anliegend, nach vom und verloren sich hier in dem die Muskeln
umgebenden Gewebe der Ten on 'sehen Kapsel und im benach-
barten Fett; es war bei ihrer Feinheit nicht möglich, sie in die
Sklera zu verfolgen, und ich weiss nicht, ob sie wirklich in die-
selbe eintraten. Wir gehen wohl nicht fehl, in diesen feinen
episkleralen Stämmchen, deren nervöse Natur ich durch mikro-
skopische Untersuchung erhärtet habe, die von Cruveilhier und
Henle gememten f^den zu erkennen^ man bezeichnet sie aber
T. Graefe's Archlt tta Ophthalmologie. XLIX. 1. 14
210 A. Bietti.
wohl zweckmässiger als episklerale Aeste der Giliarnerven;
dann ist die irrthümliche Auffassung ausgeschlossen, dass schon
fiiiher etwa am Ganglion diese Nerven sich von den ando^n
trennen, um etwa entlang einem Muskel und weit entfernt vom
Opticus zu verlaufen; ausgeschlossen ist auch die ebenfalls irr-
thümliche Ansicht, dass diese Nerven, deren Beziehungen zum
Augeninneren zudem bis jetzt zweifelhaft und jedenfalls inconstant
sind, herangezogen werden, wenn trotz der legalen Neurotomie
keine vollständige Anaesthaesie eintritt, da sie von der Operation
jedenfalls mit ausser Action gesetzt werden. Ich erlaube mir zur
Illustration die Skizze eines solchen Nerven herumzugeben, indem
ich gleichzeitig auf einen abnormen directen'Ast hinweisen
möchte, der vorn vom Nasociliaris abgeht. Dieser letzte Nerv
würde ebenso wie der von Svitzer abgebildete I^crimalisast schon
eher für einen unvollständigen Operationserfolg angesprochen
werden können^); wenigstens ist es durchaus denkbar, dass eine
Neurotomie von aussen her ohne Umwälzung und Kesection, wie
sie de Wecker ja noch 1891 als ausreichend bezeichnet hat,
einen derartigen Nerven ganz verfehlt; die Resection dagegen
wird bei genauer Präparation auch ihn wahrscheinlich entfernen".
Um die letzten Endigungen der feinen nach vom gehenden
episkleralen Stämmchen darzustellen, war die mikroskopische
Öerienunter suchung noth wendig. Durch die Freundlichkeit
des Herrn Prof. Axenfeld habe idi Gelegenheit gehabt, die
Präparate und die Tafeln, welche er auf dem Congress zu Heidel-
berg im Jahre 189;") gezeigt hatte, zu untersuclien. In drei von
ihm untersuchten Fällen war, wie er schon in seiner Arbeit aus-
geführt hat, der Befund ein sehr auffälliger. Es findet sich
nämlich in dem ersten Fall vor dem Sehnen ansatz wahr-
scheinlich des Rectus internus ein 1^/2 mm dicker Nerv, der
senkrecht die Sklera perforirt, sich im Suprachorioidealraum
in zwei Aeste theilt, um in der Uvea sich auszubreiten. Dieser
Nerv ist also erheblich stärker als die oben genannten epi-
skleralen, er ist auch stärker, wie die hinteren Ciliamerveu.
Der starke Ramus recurrens ist auch besonders auffallend, da die
anderen Ciliamerven nur feinste rückläufige Fasern abzugeben
') Solch ein von der Operation nichtgetroflFener Nerv muss die
Ursache gewesen sein, wenn in dem Falle von Lainati (Congress
Mailand 1880, Discussion) schon 14 Tage nach der Neurektomie die
Schmerzen wiederkehrten. Eine Regeneration in dieser Zeit ist aus-
geschlossen.
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliarnerven etc. 211
pflegen. Neben diesem starken Nerven kann man einen zwei-
ten, der quergetroffen ist, beobachten. Ueber die Herkunft und
Entstehung dieses Nerven lässt sich eine sichere Angabe nicht
geben, weil das umgebende Gewebe nicht mit herausgenommen
war. Fast dieselben Verhältnisse bietet der zweite Fall dar,
der für die Häufigkeit dieses Befundes nicht unwichtig ist. In
dem dritten Falle findet sich kein vom perforirender Nerv von
gleicher Stärke, wohl aber an mehreren Stellen in nahen Be-
ziehungen zu den Gefässen kleinere Nerveneinsenkungen. Solche
Nerven lassen sich nicht als Stämmchen aus der Sklera heraus
verfolgen. Sie machen mehr den Eindruck, als sammelten sie sich
erst in der Sklera zu einem Stämmchen aus einzelnen zusammen-
laufenden FaseiD. Es ist denkbar, dass dies sympathische
Fasern sind; manches wüi-de, nach Axenfeld, wohl dazu passen:
die ausgehnte Markloslgkeit ^), die intimen Beziehungen zu den Ge-
fässwanderungen, die bekannte Tliatsache, dass die sympathische
Wurzel des Ganglion ciliare so auffallend fein und äusserst arm
an Nervenfasern ist.
Dass diese vorderen Ciliaruerven, wenn auch in wechseln-
dem Grade, im menschlichen Bulbus vorhanden sind, ist
also eine Thatsache. Sie können in perforirende im wahren
Sinne des Wortes und in nicht perforirende eingetheilt
werden. Bezüglich der letzteren stimmen die, welche wir in
unserem Falle gefimden haben, mit den kleineren, die von
Axenfeld beschrieben sind, überein. Meine Präparate be-
weisen ausserdem, was Axenfeld, wenigstens für die klei-
neren — grosse sind in meinem Präparat nicht vorhanden
gewesen — , vorausgesetzt hatte, d. h. dass diese Nerven in
der Sklera sich bilden, durch eine Vereinigung von den
mit den Gefässen laufenden Fibrillen.
Es verdient von neuem hervorgehoben zu werden, dass
damit ein neurologisches Factum festgelegt ist, für welches
wir an keiner anderen Stelle des Körpers ein Bei-
spiel finden. Wenn wir wegen des innigen Anschlusses
') Wie ich mich jetzt überzeugt habe, überwiegen doch die
markhaltigen Fasern. Näheres über fortgesetzte Untersuchungen dieser
Nerven cf. die Verhandlungen des intemat. Ophthalm. Gongresses in
Utrecht 1899. Axenfeld.
14*
212 A. Bietti.
an die Gefässbahneü die einzelnen Nervenfasern dieser Art
mit Wahrscheinlichkeit für sympathische halten, so ist ausser-
dem noch merkwürdig, dass sie markumkleidet sind, wäh-
rend die sympathischen Nervenfasern der kleineren Gefässe
dies im allgemeinen nicht sind. Ein abschUessendes TJrtheil
über diese complicirten Verhältnisse ist zur Zeit noch nicht
möglich.
Diese Nerven waren in meinen Präparaten bis 10 (i
/ dick; sie sind nichts desto weniger in Grösse wie in Anzahl
gegenüber den hinteren Ciliarnerven viel zu klein, um die
Faserregeneration, wie wir sie beobachtet haben, zu erklären,
wenn man auch voraussetzen will, dass im Ciliarkörper eine
Anastomose zwischen den hinteren und den vorderen Ner-
ven eintritt
AVenn die vorderen Ciliarnerven hier überhaupt die
Regeneratoren wären, so müsste bei ihrer geringen Faser-
zahl jeder Achsencylinder sich in eine grosse Menge neuer
Achsencylinder gespalten haben. Et giebt nun ohne Zweifel
eine wirkliche Regenerationshypertrophie in diesem
Sinne, indem Stroebe mit einwandfreien Achsencylinder-
färbungen eine Theilung sicher nachgewiesen hat; ebenso
lassen die w^eiter unten citirten wichtigen Angaben von
Marenghi (13) es als noth wendig erscheinen, dass die
Fasern des Cruralis sich bei den Versuchsthieren getheilt
haben. Schhesslich ist von den Chinu*gen das Vorkommen
einer vicarürenden Regeneration, so häufig beim Menschen
beobachtet, dass an der MögUchkeit einer Faservermehrung
nicht gezweifelt werden kann. In welch enormem Grade
durch solche vicariirende Regeneration selbst Neuralgieen
wiederkehren können, beweist besondei*s die interessante Be-
obachtung von Garrö^), der selbst nach Exstirpation des
GangUon Gasseri vom Glossopharyngeus aus Gesichtsneur-
algieen mehrfach wiederkehren sah mit Neubildung dicker
>) Arch. f. klin. Chirurgie, 59. Bd, Heft 2, 1899, und Verhand-
lungen des Chirurgencongresses.
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 213
Nervenstämme. Ich lasse wegen der besonderen Wichtig-
keit dieser chirurgischen Erfahrungen zunächst eine kurze
Tebersicht derselben folgen.
Nach der Darstellung von Schede (19) beweist die Her-
stellung der Sensibilität allein nach der primären Naht eines sen-
siblen oder gemischten Nerven überhaupt nicht ohne Weiteres,
dass eine Regeneration vom centralen Stumpf aus erfolgt ist.
Zunächst wird in manchen Fällen im Gebiet der durdischnittenen
Nerven von vornherein eine wesentliche Herabsetzung der Sen-
sibilität überhaupt vermisst, in anderen ist sie nur undeutlich;
auch verhalten sich die verscliiedenen Berührungsqualitäten nicht
selten von vornherein verschieden. Dann aber sind zweifellose
Beobachtungen vorhanden, nach denen im Gebiete des durch-
schnittenen Nerven die anfangs erloschene oder stark herabge-
setzte Sensibilität zurückkehren kann, ohne dass die Ner^^en-
enden irgend welche Verbindung gewinnen. Ferner kann nach
Durchschneidung eines gemiscliten Nerven die Sensibilität völlig
zurückkehren, ohne die Motilität. Aus alledem geht, wie
Schede sagt, hervor, dass nur die Rückkehr der Motilität, nicht
aber die der Sensibiütät an die Vereinigung der durchschnittenen
Nervenendigungen gebunden ist. Schede führt ein besonders
prägnantes Beispiel dieser Art an, wo trotz Misslingens der
Ner\'ennaht und obwohl das centrale Ende frei in der Wunde
flottirte, die Sensibilität in dem betreffenden Bezirk wiedergekehrt
war. Schon Tillmanns hat 1881 eine ganze Anzahl solcher
Fälle zusammengestellt
Wir müssen also an den sensiblen Nerven etwas der Ent-
wicklung eines Collateralkreislaufes nach Arterienunterbindung
Analoges haben.
Es kommen in Betracht:
1. Gröbere Anastomosen, die z. B. zwischen Medianus und
Ulnaris sich öfters finden.
2. Die in das reiche Nervennetz der Haut eintretenden
Achsencylinder vermischen sich nach Sigmund Mayer innig mit
einander.
3. Es hat Schuh zuerst auf die Möglichkeit verwiesen, dass
aus der gesunden Umgebung Nervenfasern in die gelälimte Par-
thie hineinwachsen können.
Hierzu fügt Schede noch den Hinweis, dass auch Mit-
erschütterungen intacter Endkörperchen in Frage kommen, wäh-
rend die von Bruns und Sigmund Mayer hervorgehobene
214 A. Bietti.
Möglichkeit, dass von vornherein eine feine, vicarürende zweite
Innerwation schon vorher ausgebildet sein könnte, weniger walir-
scheinlich ist.
Auch ist die Thatsache bemerkenswerth, dass bei ausblei-
bender Leitung de^ durchtrennten Nerven das anaesthetische Gel)iet
sidi ganz allmählich von den Seiten her verkleinert, und dass
die dauernd anaesthetisch bleibenden Stellen die von den Nadibar-
gebieten am schwersten zu erreichenden sind.
Auch im Gesiclit können ebenso wie an den Extremitäten
vicariirende Leitungen an die Stelle der alten sensiblen Nerven
treten. So hat unter Anderen Lossen einen besonders mar-
kanten Fall beschrieben, bei welchem von der Unterlippe her
das anacstlietische Oebiet des entfernten Nervus infraorbitalis all-
mälilich wieder empfindlich wurde. Aehnliche Vorkommnisse sind
nicht selten.
Beim Thiere sind vicariirende Innervationen und zwar so-
wohl motorischer, wie sensibler Natur von Marenghi be-
schrieben. Er hebt sogar hen'or — und das würde von den
Erfahrungen bei Menschen sich wesentlich unterscheiden — , dass
die Motilität früher zurückkehrte. In dem peripheren Stumpf des
Nervus ischiadicus konnte er nach Durchschneidung des Nerven in
verschiedenen Abständen von der Wunde Bündelchen von Nerven-
fasern ausserhalb des Stammes, welclie den degenerirten Nerven
darstellten, beobachten und ausserdem Bündel, die sicli demselben
annäheilcn, in ihn eindrangen und in seinem Inneren an der Seite
der degenerirten Fasern fortliefen. Mit Hilfe der vollständigen
Schnittserien konnte er aber sich überzeugen, dass diese Bündel
ihren Ureprung nicht im centralen Stumpf hatten, und dass
es keine Bündel waren , die aus der Wunde hervorgingen.
Diese Thatsache fand eine Erklärung in der elektrischen Reiz-
barkeit des peripheren Stumpfes, weil die Reaction ausblieb,
wenn die Elektroden an der Wunde oder am centralen Stumpfe
angewandt worden waren.
Die Function würde also durch collaterale Nervenbahnen
wieder hergestellt. Es bleibt, nach Marenghi, ausgeschlossen,
dass im speciellen Fall des Ischiadicus solche collaterale Ner>*en-
bahnen aus dem centralen Stumpf herrühren.
Um den Ureprung dieser Bahnen festzustellen, hat Marenghi
andere physiologische Experimente angestellt. Bekanntlich ist es
unmöglich, beim Hunde die paralytischen Erscheinungen, welche
auf die Durchschneidung des Ischiadicus folgen, mit denjenigen
zu verwechseln, die durch den Schnitt des Cruralis hervorgerufen
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 215
werden. Nun hat Maren ghi sich überzeugen können, dass,
wenn einem vom Sdinitt des Ischiadicus vollkommen geheilten
Hunde der Cruralis durchschnitten wird, sich die der Durch-
schneidung des Ischiadicus entsprechenden Erscheinungen wieder-
holen und ausserdem die durch Verletzung des Cruralis hervor-
gerufenen paralytisdien Symptome. Er meint deshalb, dass eine
der Quellen der collateralen Nervenbahnen für den Ischiadicus
eben der Cruralis ist; er schliesst aber nicht die Möglichkeit an-
derer collateraler Nervenbahnen aus.
Wir haben unter diesen Umständen besondere Veran-
lassung, auch für unseren Fall eine vicariirende Inner-
vation in Ueberlegung zu ziehen. AVie oben hervorge-
hoben, erscheint es mir jedoch zweifellos, dass bei unserem
Falle sich die intraocularen Nervenfasern sicher nicht auf
diese Weise gebildet haben, wenigstens ihrer grössten Haupt-
meuge nach. Die starken, hinten perforirenden Nerven-
stämmchen, welche sich weiter vorne in dünnere Aeste
theilen, sind nur mit einer Regeneration von hinten ver-
einbar. Die zahlreichen einzelnen Fasern und kleinsten
Bündel an dieser Stelle, die auch noch zum Theil in die
Sklera eintreten, der Befund des „Narbenneuroms" auf
der hinteren Circumferenz des Bulbus beweisen unmittel-
bar, dass hier das Centrum und die Quelle der Regeneration
gelegen ist.
Die Zahl und Stärke der von hinten perforirenden
neugebildeten Nerven ist ausserdem so bedeutend, dass die
im Ciliarkörper und überhaupt im Augeninneren gefundenen
Fasern, abgesehen von den spärlichen Aesten der vorderen
Ciliarnerven, aus ihnen vollständig abgeleitet werden können.
Femer, wenn die Regeneration von den Anastomosen
der vorderen Cihanierven angefangen hätte, so hätten die
neugebildeten Fasern die alten Bahnen in der Sklera sehr
leicht finden müssen, und wir könnten uns nicht erklären,
warum viele kleine Nervenbündel sich einen neuen Weg
bilden oder mit den grossen Nerven in eine gemeinsame
alte Bahn zusammen eindringen. Wenn wir im Gegentheil
216 A. Bietti.
jedoch annehmen, dass die neugebildeten Nerven aus dem
centralen Stumpfe herauswachsen, so können wir verstehen,
wie sie die alten Bahnen, welche sie ohne Vermittelung
irgend welcher verbindender Stränge aufsuchen mussten,
zum Theil nicht gefunden haben oder in eine Bahn ein-
getreten sind, welche schon von einem anderen Nerven zum
Theil besetzt war.
In meinen Präparaten habe ich sieben grosse Nenen
gefunden, welche die Sklera hinten durchbohren und in's
Innere des Auges eindringen. Die neugebildeten Nerven
stanmien also vom centralen Stumpf ab, sowohl die auf den
alten Bahnen in's Auge eintretenden Stämmchen, als die auf
neuen Wegen eine kurze Strecke in die Sklera eindringen-
den Fasern, als auch die gar nicht perforirenden Fasern
des Neuroms. Eine Einschränkung muss ich allerdings
machen: Die neugebildeten Markfasem in der Hornhaut,
die mit Gefässen zusammen eintreten, sind zweifellos
vicariirend gebildet, soweit sie sich aus der Conjunctiva
und dem episkleralen Gewebe ableiten lassen. Die Horn-
haut verhält sich hier also analog den oben angeführten
Beobachtungen an der äusseren Haut. Ob allerdings auf
diesem Wege die ganze Hornhautsensibilität sich wieder-
gebildet hat, ist. wegen der sehr kleinen Zahl und Aus-
dehnung dieser Nennen un\^ahrscheinlich. Da die marklosen
Hoinhautfasern sich der Beobachtung entziehen, ist diese
Frage überhaupt nicht zu entscheiden.
Inwieweit findet nun unsere Auffassung, dass trotz
Resection die Regeneration der intraocularen Aeste vom
centralen Stumpfe aus erfolgt sei, eine Stütze in den Er-
gebnissen der experimentellen Anatomie? Ich bringe für
die Fachcollegen ein kurzes Referat der neuesten anatomi-
schen Arbeiten über Nervenregeneration, bei deren Zu-
sammenstellung ich mich des werthvollen Rathes des auf
diesem Gebiete so besondei^s bewanderten Prof. Barfurth
zu erfreuen hatte.
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliaraerven etc. 217
Eine ausgezeichnete üebersicht über die diesbezüglichen Foi^
sehungen giebt das erschöpfende Sammelreferat von Stroebe(23).
Es ist zunächst allgemein anerkannt, dass die Durchschneidung
eine unmittelbare traumatische Degeneration der Schnittenden
veranlasst, welche im centralen Stumpf bis zum zweiten Ran vi er-
sehen Schnürring verläuft. In dem peripheren Stumpf schliesst
sich daran ein foilschreitender Zerfall der Nervenfasern der Art,
dass die allermeisten Autoren ein völliges Zugrundegehen der-
selben bis in ihre Enden annehmen. Die vereinzelt dastehenden
Angaben von Gluck, wonach unmittelbar nach der Nervennaht,
wie durch prima intentio, die Leitung wieder hergestellt worden
sei, werden von den meisten neueren Untersuchen! angezweifelt.
Eine gewisse Persistenz wird von Remak und Erb den Achsen-
cylindem anerkannt, indem letztere sich erhalten und mit den
regenerirten Fasern des centralen Stumpfes angeblich in Ver-
bindung treten soUen: doch ist das keineswegs erwiesen. Die
feineren Vorgänge dieser Degeneration, die verschiedenen An-
sichten über ihr Fortschreiten und ihren Verlauf übergehe ich
hier, indem ich auf die Stroebe'sclie Arbeit verweise.
Die Zellen der Schwann 'sehen Scheide bleiben dagegen
erhalten, und während die Markscheide und wahrscheinlich auch
der Achsencylinder zerfällt, beginnen ihre Kerne karyokinetisch
zu wuchern, so dass auch den früheren Nerven lange längs-
gerichtete Zellbänder entstehen. Für eine grosse Zahl von Autoren,
besonders in Deutschland, waren bisher die gewucherten Zellen
der Schwann 'sehen Scheide der Ausgangspunkt einer selbstän-
digen Ner\'enregeneration aucli in dem peripheren Theile (Beneke,
Tizzoni, Cattani Leegard, Korybutt-Daskiewicz, Han-
ken, Torre). Es ist dies die Vorstellung von der disconti-
nnirlichen Regeneration der Nerven, welche mit der beson-
ders von den Franzosen ausgegangenen Theorie der continuir-
licben Regeneration (Ran vier, Vanlair, Barfurth, Stroebe)
in lebhafter Discussion gestanden hat. Andere Autoren (Hjelt,
Wolberg, V. Frankl) lassen auch andere Bindegewebszellen,
Hertz sogar Leukocyten (?) als discontinuirliche Regeneration
wirken; Neumann, Eichhorst und S. Mayer glauben, dass
aus der Scheide und dem Cylinder eine Masse confluire, welche
als Basis der neuen Faser diene. Ueber die Zeit und Ausdeh-
nung der discontinuirlichen Regeneration, die Art ihrer Verbin-
dung mit dem centralen Stumpf lauten die Angaben verechieden.
Nach von Büngner sollten die proliferirten Zellen der
Schwann 'sehen Scheide eine zarte fibrilläre Längsrichtung an-
218 A. Bietti.
nehmen, welche die erste Anlage des jnngen, sich neu bildenden
Achsencvlinders darstellt; er bezeichnet die Zellen deshalb als
^Neuroblasten^. Um ein centrifugal gerichtetes Auswachsen
neugebildeter Fasern aus dem centralen Stumpfe handelt es sicli
nach seiner Meinung nicht , sondern es ist von vornherein ein
continuirlicher Zusammenhang zwischen den in ganzer Länge des
Nerven entstehenden jungen Fasern vorhanden. An das obere
Ende der sich conisch zuspitzenden Faser oberhalb der Schnitt-
stelle schliessen sich eine oder mehrere junge Fasern an.
Einen nur wenig abweichenden Standpunkt vertreten Ho-
well und Huber, während v. Notthafft, Kolster und be-
sonders Stroebe für die continuirliche Regeneration, d. h. das
ausschliesshche Auswachsen der Fasern des centralen Stumpfes
in die Peripherie hinein sdiwerwiegende Beweise erbracht haben.
Stroebe speciell berichtet durch specifische Färbung der Achsen-
cylinder mit Anilinblau und Differenzirung mit alkalischem Al-
kohol sich mit Sicherheit davon überzeugt zu haben, dass der
centrale Achsencylinderetumpf in die Peripherie hineinwächst, nidit
selten unter deutlicher Theilung, und dass die Zellbänder der
proliferirten Schwann 'sehen Zellen nur den Weg darstellen, auf
welchem die Fasern weiterziehen. Es ist das die ^Neurotisa-
tion'* Vanlair's. Nach Stroebe sollen übrigens schon die
ganz jungen Achsen cylinder eine, wenn audi zunächst sehr zarte
Markscheide tragen.
Eine neuere Arbeit von Galeotti und Levi tritt wiederum
für V. Büngner's Ansichten ein.
So verschieden also der Ncrvenregenerationsprocess
von den experinientt^llen Anatomen und Pathologen beur-
theilt wird, so stimmen sie doch alle darin überein, dass
ohne Coaptatioii der Nervenenden oder verbindenden Röhren
(Gluck, Vanlair, Fassmann) und Fäden (Gluck, Anaky).
an welch' letzteren die Fasom sich quasi entlangranken,
eine licitung sich nicht wieder einzustellen pflegt; die Pro-
liferation am centralen Stumpf führt alsdann in der Eegel
nur zur Bildung eines „Neuronis", welche den bekannten
Amputaticmsneuromen zu entsi)rechen pflegt. Die Regene-
ration grösserer Nervenstücke kommt nur dann leicht zu
Stande, wenn ihnen Weg und Richtung gewiesen wird.
Wir müssen demnach die exacte Coaptation der Nerven-
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 219
Stümpfe als eine fast unentbehrliche Bedingung beim Thier-
experiment betrachten. Die klinischen Erfahrungen der
Chirurgie zeigen jedoch bereits, dass für den Menschen die
experimentellen Regeln jedenfalls nicht ausnahmslos zu-
treflfen^). Das gilt sowohl im positiven, wie im negativen
Sinne. Schede (19, S. 1038) sagt auf der einen Seite:
„Die Resultate der experimentellen Forschung an
Thiereu über die Folgen der Nervendurchschneidungen,
über die Hergänge des Zerfalls und der Degeneration auf
der einen und der Neubildung und Regeneration auf der
anderen Seite sind nicht ohne Weiteres auf den Menschen
zu übertragen, bei dem auch unter den günstigsten Um-
ständen die Regeneration weder an Schnelligkeit noch in
der Regel an Vollständigkeit das erreicht, was sich als
Resultat des Thierexperiments ergiebt Das allgemeine Ge-
setz, dass das Regenerationsvermögen mit der höheren Ent-
wicklungsstufe abnimmt, wiederholt sich also auch hier.
Für die Herstellung der Leitung genügt nicht nur die Ver-
einigung der Nervenstümpfe überhaupt, sondern eine glatte
Prima intentio ist die fast unerlässliche Bedingung für
einen befriedigenden Erfolg, und die Interposition einer
Schicht des derberen Narbengewebes, wie es die Heilung
durch Granulationsbildung liefeit, erweist sich in der Regel
als ein schwer zu überwindendes, fast unübersteighches
Hinderniss für die Wiedervereinigung der Achsencyhnder."
Während so die Grenzen für den Menschen sehr eng
gezogen werden , liegen in der chirurgischen Literatur
andererseits Beispiele vor, welche zeigen, dass in Ausnahme-
fallen eine Rückbildung eintreten kann, welche die durch-
schnittUche Leistung beim Versuchsthier weit übertrifft.
Tillmanns (24) erwähnt bereits die Beobachtungen von
^) Ich schliesse mich in dieser Hinsicht den Ausführungen der
neuesten Auflage von Tillmanns' Lehrbuch an und besonders der
eingehenden Erörterungen Schede 's in der zweiten Auflage der
speciellen Therapie von Pentzold und Stint zing. Bd. V. 1898.
220 ^- Bietti.
Weir, Mitchell, Morehouse und Keen, Notta,
V. Langenbeck, Letierant und Anderen, aus welchen
hervorgeht, dass in seltenen Ausnahmefällen, trotz ausge-
dehnter Nerven Verletzungen, Heilungen vorkommen, auch
wenn die Nervenstümpfe durch die Naht nicht vereinigt
w^orden waren. Tiedemann legte bei einem Hunde im
August 1827 das Armnervengeflecht in der Achselhöhle
bloss und excidirte aus einzelnen Nerven ein Stück von
2 bis 2 Vg cm. Es erfolgte eine vollständige Lähmung des
Gefühls- und Bewegungsvermögens in der betreffenden Ex-
tremität; im Laufe der Jahre 1827 und 1828 waren aber
diese Functionen wieder hergestellt. Im Juni 1829 bewies
der anatomische Befund, dass die Nen^enenden durch mark-
haltige Nervenfasern verwachsen waren. Bei einem Hunde,
bei welchem ein 5 cm langes Stück des Nervus vagus ve-
naesecirt worden war, beobachtete Schiff nach einigen Mona-
ten Wiederherstellung der Leitung, ohne dass die Nerven-
stümpfe durch Naht vereinigt waren. Eine Wiederherstellung
der Leitung nach Zerreissung des Plexus prachialis be-
schreiben V. Langenbeck und Hueter bei einem preussi-
schen Officier, der 1864 durch eine Kartätschenkugel ver-
wendet worden war. Die Hnke Lunge war in ausgedehnter
Weise verletzt, die erste Rippe zersplittert, desgleichen
zum Theil Clavicula und Scapula. Nach 1 ^/, Jahren stellte
sich unter elektrischer Behandlung die Function des Armes
wieder her, so dass der Patient an dem Kriege von 1866
theilnahm.
Diese spontanen Heilungen an den Nerven des Stammes
und der Extremitäten müssen jedoch als seltene Ausnahmen
betrachtet werden, wie die chirurgischen Handbücher über-
einstimmend hervorheben, und eben aus diesem Grunde hat
die Nervennaht und Nervenplastik allgemeine Anwendung
gefunden. Bei solchen seltenen Fällen von Regeneration
der Function ohne vorherige Adaptation müssen ausserdem
alle jene oben eingehend erörterten Umstände ausgeschlossen
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliarnerven etc. 221
werden, welche die gar nicht seltene vicariirende In-
nervation betreflfen.
Dieser grossen von den Chirurgen betonten Seltenheit
gegenüber haben wir besonders zu überlegen, wie sich nach
dem vorliegenden Material die Verhältnisse nach der Neu-
rectomia optico-ciliaris gestalten. Nach allgemeiner ophthal-
mologischer Erfahrung ist nach der Resection der Ciliar-
nerven eine Rückkehr der SensibiUtät die Regel, derart,
dass wir vor der Neurectomia optico-ciliaris den Patienten
auf die vorübergehende Wirkung des Eingriffes hinzu-
weisen pflegen und die Operation im allgemeinen nur vor-
nehmen, wenn die Enucleation nicht ausführbar ist Ist
unter diesen Umständen etwa eine principielle Verschieden-
heit der CSliamerven von den übrigen peripheren Nerven
annehmbar und wie erklären sich diese merkwürdigen Diffe-
renzen ?
Es wird zunächst die Länge des entfernten Stückes
nicht ohne Bedeutung sein, und wir müssen der Tbatsache
Rechnung tragen, dass die Ciliamerven sich höchstens in
einer Länge von ca. 1,5 cm bei der übUchen Methode ent-
fernen lassen; sehr häufig ist das Stück nicht so gross, und
in unserem Falle ist, nach der Grösse des nur 3 mm langen
Opticusstückes zu urtheilen, die Länge der remirten Ciliar-
nervenstücke sicher nicht über Vs cm gross gewesen.
Aber man hat hier Folgendes zu berücksichtigen: Der
IN^ervus opticus, mit dessen Scheiden die CiUarnerven durch
lockere Bindegewebsfasern in Verbindung stehen, zieht sich
bekanntUch nach seiner Durchschneidung ziemlich tief in
die Orbita zurück, wie man nach Enucleationen immer be-
obachten kann. Es kommt femer in Betracht, dass die
retrobulbäre Blutung die Wundenden auseinander drängt.
Schon der Theil der retrobulbären Narbe in unserem Falle,
welcher bei der Enucleation am Bulbus haften blieb,
ist länger als 3 mm, und das beweist, dass die Nerven-
stümpfe nach der Resection zurückgezogen waren. Die
222 A. Bietti.
Entfernung zwischen den centralen und peripheren Nerven-
strecken entspricht also nicht dem excidirten Stücke, sondern
ist grösser geworden. Ausserdem beweist das umfangreiche
Narbenneurom, dass die regenerirenden Nervenfasern er-
hebliche Widerstände zu überwinden hatten. Ich hebe auch
hervor, dass sämmtliche Nerven in einem dichten, zur Or-
bitalachse quer verlaufenden fibrösen Narbengewebe liegen.
Von einer Adaption oder irgend Verbindung hat jedenfalls
nicht die Rede sein können.
Es würde freilich sehr falsch sein, wenn man sich vor-
stellen wollte, die regenerirenden Fasern hätten ein Gewebe
zu überwinden gehabt, so wie wir es jetzt in der Narbe
vor uns sehen. Diese dicht fibrösen Massen stellen das
letzte Stadium der Narbenbildung dar, und es ist sehr wohl
möglich, dass eine Durchdringung eingetreten ist, als das
Gewebe lockerer war. Es können sich je nach dem zeit-
lichen Zusammentreffen der Prozesse, der Art der Verhei-
lung imd etwaiger entzüpdlicher Erscheinungen wahrschein-
lich in ein und derselben Narbe die Verhältnisse verschieden
gestalten, wie wir überhaupt weit entfernt sind, aus unserem
Falle zu schliessen, dass es in jedem anderen genau eben-
so sein müsste. Wir halten es auch nicht für unmöghch,
dass in dem Falle von Schmidt-Rimpler, der ein erheb-
lich längeres Stück excidirte, die Regeneration von hinten
her in der That viel grössere Schwierigkeiten gefunden hat
Wie Pflüger (27) hervorhebt, ist in seinen Fällen bei
Durchschneidung ganz hinten in der Orbita die Empfindung
nicht wiedergekehrt; es ist aber nicht angegeben, wie lange
die Beobachtung dauerte. Sie kann, da die Neurektomie
erst 1878 bekannt wurde, nicht über zwei Jalu"e gedauert
haben, und eine Regeneration scheint deshalb doch noch
nicht unmöglich.
Es schafft jedenfalls die Neurectomia optico-ciliaris
Verhältnisse, welche nach dem Ergebniss der Thierexperi*
mente eine Neurotisation (Vanlair) der Peripherie zu ver-
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 223
hindern pflegen und welche an den übrigen Körperstellen
nach den bisherigen chirurgischen Erfahrungen eine Re-
generation nur ausnahmsweise zulassen.
Weshalb in unserem Falle es den regenerirenden Fasern
gelungen ist, die Skleralcanäle trotzdem wiederzufinden, ist
schwer zu sagen. Die Wachsthumsmechanik wird im All-
gemeinen dadurch bestimmt, dass die Richtung des gering-
sten Widerstandes eingeschlagen wird, resp. bereits vor-
handene Bahnen beschritten werdeü. Daher die Wichtigkeit
einer Coaptation der Nervenenden, daher der Einfluss, den
z. B. ein zwischen zwei Nervenenden ausgespannter Seiden-
faden oder ein Strohhalm ausübt, an welchem entlang die
Nervenfasern wachsen, daher der grosse Einfluss präfor-
mirter Knochencanäle, welche für die anderen Zweige des
Trigeminus sehr in Frage kommen. For8smann(7) hat je-
doch gezeigt, dass ausserdem — nach seiner Ansicht sogar in
überwiegender Weise — „Chemo tropismen" von Bedeutung
sind. Er glaubt, dass die zerfallende Substanz des peripheren
Nervenendes chemotaktisch die aus dem centralen Stumpf
hervortretenden jungen Fasern anlockt Eine Reihe sinn-
reicher Experimente dienen zur Stütze dieser Auffassung;
sogar Gehirnsubstanz übte eine ähnliche Wirkung aus.
Brachte er vor den centralen Nervenstunipf ein leeres und
ein mit zermalmter Hirnmasse gefülltes Röhrchen, so wuchsen
die Nervenfasern vorwiegend in das letztere hinein, ob-
wohl das erstere ihnen einen geringeren Widerstand ent-
gegensetzte.
Dass etwa an den Ciliamerven solche Chemotropismen
besonders wirksam sein sollten, ist gänzlich zweifelhaft
Mehr Gewicht dürfte den räumUchen Verhältnissen der
Orbita zuzuschreiben sein. Man muss bedenken, dass der
Bulbus die Oefifnung der Augenhöhle fast völUg versperrt.
Seine nach hinten gerichtete Oberfläche wird die pinselartig
nach vom strebenden Fasern geradezu auffangen; die zahl-
reichen Emissarien der Sklera haben dabei alle Aussicht,
224 A. Bietti.
eine oder die andere dieser Fasern aufzunehmen. In dieser
Hinsicht liegen die Verhältnisse relativ günstiger, als z. B.
bei irgend einem peripheren Nerven, nach dessen Besection
gerade nur der eine Nervenstumpf getroffen werden muss.
Sind aber einzelne Fasern zum Ziele gekommen, so können
an ihnen, entsprechend den Experimenten mit Seiden-
fäden etc., andere sich entlang ranken.
Immerhin fordern diese Verhältnisse dazu auf, an den
Ciliarnerven selbst die Frage experimentell zu studiren.
Sind doch die Cihamerven nach den neueren Untersu-
chungen von Retzius, Michel, Holzniann sympathischer
Natur und deshalb von anderen peripheren Nerven ver-
schieden. Nicht zu vergessen ist auch die Nähe des Gang-
lion ciliare, das auf die Ernährung, das „trophische"
Verhalten der Fasern nicht ohne Einfluss sein dürfte. Eine
Betheiligung der eingestreuten Ganglienzellen (Peschel,
Axenfeld), speciell des von Axenfeld als nahezu con-
stant bezeichneten accessorischen episkleralen Ganglions (la)
ist dagegen für unseren Fall auszuschUessen, da in der
ganzen Serie solche Zellen nicht zu finden wären. Sie sind
jedenfalls bei der Operation zerstört worden.
Zu erörtern ist ferner die naheliegende Frage, wie weit
die Erscheinungen an den Ciliarnerven übereinstimmen mit
den so oft operirten anderen Trigeminusästen. Dass die
einfache Durschneidung derselben keinen dauernden Schutz
gegen Trigeminusneuralgie liefert, kann ausser Acht bleiben,
da nach einer solchen der Neurotisation nichts im Wege
steht; wir wollen viel mehr das Verhalten nach derResection
in Vergleich ziehen.
Unmittelbai' nach der Resection oder Herausreissung von
Trigeminusästen pflegt, wie Schede hervorhebt, die Neuralgie in
den nächsten Tagen noch einige Mal zu kommen, um dann zu
erlöschen; die Ursache dieser Erscheinung ist offenbar die trau-
matische Reaction der weiter central gelegenen Nerventheile. Von
diesen vorübergehenden Schmerzen wollen wir hier absehen.
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 225
Ist der Erfolg kein vollkommener , so sind, abgesehen von
diagnostischen Irrthümem und ganz abnormem Nervenveriauf, fol-
gende Möglichkeiten zu berücksichtigen:
1. Es kann sich um echte Regeneration trotz Entfernung
grösserer Stücke handeln, und zwar besonders bei Spätreddiven
wird man daran denken. Wenn solche Regenerationen an den
Trigeminusästen relativ häufiger vorkommen, als an anderen peri-
pheren Nerven, so liegt das zum Theil an der erheblichen Be-
günstigung durch das Vorhandensein von Knochencanälen, welche
den Fasern den Weg weisen. Wir möchten hinzufügen, dass
auch die Nähe der Ganglien nicht ohne Einfluss sein dürfte.
2. Es kann sich um vicariirende Innervation handeln.
Cianz bekannt ist das nach Transplantationen und plastischen
Operationen. Schede citirt besonders einen Fall von Lossen,
wo unter Fortbestehen der Analgesie das Tastgefühl nach Re-
section des Nervus infraorbitalis sich ganz allmählich von der
Oberlippe vollkommen wiederherstellte. Nach der bisherigen
Literatur kann jedoch durch eine solche vicariirende Innervation
allein eine Rückkehr der Neuralgieen im Hautgebiet des
Trigemmus nicht zu Stande kommen. Die oben schon erwähnte
neue Arbeit von Garrfe beweist aber, dass dies doch möglich
ist Es ist das für uns von Wichtigkeit für die Frage, wie weit
die erneute Schmerzhaftigkeit des Bulbus durch vicariirende In-
nervation denkbar ist.
3. Die Ursache der Neuralgie kann noch weiter central-
wärts liegen, als die obere Durchtrennungsstelle des Nerven;
dann wird natürlich ein Recidiv erfolgen können, welches in die
Peripherie projicirt wird. Wenn auch in solchen . Fällen trotz-
dem zunächst ein Aufhören der Schmerzen vorkommen kann, so
muss man nach Schede daran denken, dass die Entfernung der
peripheren Ausbreitung den Krankheitsheerd wenigstens eine Zeit
lang hinderte, in der Form einer Neuralgie in die Erscheinung
zu treten, ohne jedoch dauernd deren Wiederkehr verhindern zu
können.
4. Es kann sich an dem centralen Nervenstumpf ein schmerz-
haftes Neurom gebildet haben.
Schede schliesst seine Uebersicht mit den Worten: 7, Ent-
steht also (nach Resection oder Herausreissung) ein Recidiv, so
werden wir uns zu sagen haben: entweder liegt eine Erkrankung
des centralen Nervenstumpfes vor, oder es hat von vornherein
der eigentiiche Erkrankungsheerd jenseits der Stelle unseres ope-
rativen Eingriffes gesessen.^ Für den Chirurgen hat hierin be-
T. Gnefe'B Archiv fOr Ophthalmologie. XLIX. 1. 15
226 A. Bietti.
kanntlich der Antrieb gelegen, immer höher central die Operation
vorzunehmen und das Gasser'sdie Ganglion zn exstirpiren.
Es würde von Interesse sein festzustellen, wie oft in der
That in diesen F^len von Recidiv nach der Herausreissnng der
Nerv später in alter Stärke wiedergefunden ist. Wn* konnten
darüber keine bestimmten Angaben finden.
Die Häufigkeit der Neuralgie -Recidive nach der Re-
section oder Herausreissung der Trigeminusäste wird ver-
schieden angegeben; nach einer Statistik Angerer's trat
sie unter 27 Fällen sieben Mal ein; Andere, besonders
Krause, berichten, dass in fast der Hälfte der Fälle der
Erfolg vorübergehend war. Für die Neurectomia opti-
co-ciliaris liegt aber die Prognose zweifellos viel
ungünstiger. Wir haben also nicht allein an die oben
gegebenen, der Orbita eigenthümlichen räumlichen Umstände
zu denken! Es besteht vielmehr zwischen den Trigeminus-
resectionen und der Neurectomia optico-ciliaris der schwer-
wiegende principielle unterschied, dass die Ciliamerven
selbst nicht primär krank sind, dass nicht von ihnen
die Schmerzen im letzten Grunde verursacht werden,
sondern dass die Entzündung des Augapfels die eigentliche
causa nocens darstellt, welche demnach im Körper zurück-
bleibt Bei den Trigeminusästen haben wir in der Regel
oder wem'gstens häufig doch anzunehmen, dass eine Ent-
zündung derselben, z. B. eine Perineuritis die Ursache ist.
Ein Analogon mit dem Auge wüide nur vorliegen, wenn
z. B. jemand, der an einer Zahncaries litte, nach Resec-
tion des Infraorbitalis bei wiederkehrender Sensibilität von
neuem Zahnsclinierzen bekäme, oder wenn z. B. in dem be-
treffenden Knochencanal eine Periostitis fortbestände. Wenn
also die SensihiUtät des Auges, sei es direct oder vicariirend,
sich überhaupt wieder einstellt, so würden die Schmerzen sofort
wiederkommen köimen, es sei denn, dass inzwischen die Ent-
zündung abgelaufen ist Die Aussicht, dass die Anaesthesie
sich verUert ohne Rückkehr der Schmei-zen, ist also für die
Ciliamerven von vornherein wesentlich schlechter. In unserem
Anat untersuch, üb. die Regeneration der Ciliar nerven etc. 227
Bulbus speciell haben wir auf solche nicht erloschenen en1>-
zündlichen Vorgänge einen Theil der Schmerzen jedenfalls
zu schieben, wenn wir auch das retrobulbäre Neurom als
solches für befähigt halten müssen, lebhafte Schmerzen zu
erzeugen. Ob aber das Neurom ohne Entzündung weh
thun muss, wird sich erst entscheiden lassen, wenn ein
zwar sensibles, aber nicht schmerzhaftes neurektomirtes Auge
zur Untersuchung gekommen ist Dass die Sensibilität ohne
Schmerzen sich regeneriren kann, ist bereits von Rey-
mond (27), (der überhaupt zum ersten Mal die Neuro-
tomia optico-ciUaris ausgeführt hat, [3, 17]) hervorgehoben
worden.
Immerhin macht die £ast regelmässige Eückkehr der
Empfindung und meist auch der Schmerzen trotz der Re-
section die Annahme noth wendig, dass neue Nervenfasern
sich regelmässig bilden. Wir müssen in der That gespannt
sein, ob dies stets hinten durch die Selera geschieht; denn
dann würden die Ciliamerven eine ganz merkwürdige Sonder-
stellung einnehmen.
Auch eine andere EigenthümUchkeit unseres Befundes
scheint mit den Resultaten der neuesten experimentellen
Untersuchungen im Widerspruch zu sein. Stroebe meint
nämlich, dass ein Attribut der neugebildeten Nervenfasern
die Markscheide ist Er sagt aber, dass diese manchmal
so dünn ist, dass sie schwer zu erkennen ist. In unserem
JFalle haben wir gesehen, dass die neugebildeten Nerven-
fasern meistens markhaltig sind. Wir haben aber ebenso
in dem retrobulbären Neurom als in dem Bulbus selbst
einige Aeste beobachtet, die zum Theil marklos waren.
Auch mit der Immersionslinse war hier die Markscheide
nicht zu erkennen.
Bezüglich der marklosen Nervenstämme, die im hinteren
Theil des Bulbus enthalten sind, könnte man einwenden,
dass die marklosen Fasern den alten degenerirten entsprechen,
und was die vorderen Ciliarnerven, die nicht neugebildet
15*
228 ^- Bietti.
zu sein scheinen, anbetrifit, könnte man einwenden, dass
nach Gutmann'8(9) Untersuchungen die Ciliarnerven beim
Menschen überhaupt nicht ganz Tollständig markhaltig
sind. Keine Ton diesen Einwendungen ist aber für die in
dem Neurom sich findenden Aeste möglich. Hier sind
nämlich die neugebildeten Nerven nicht in alten Bahnen
enthalten, und man kann deshalb nicht von degenerirten
alten Fasern sprechen. Ausserdem überwiegen in einigen
der besagten Nenenstämme im Gegensatz zu den Befunden
Gutmann's die marklosen Fasern die markaltigen. Wenig-
stens beim Menschen können also die neugebildeten
Nerven zum Theil auch marklos sein. Das stimmt
auch mit dem Befunde von Kuhnt überein.
Unser mikroskopischer Befund ist lehrreich nicht nur
für die Nervenregeneration im Augeninnem, sondern auch
für die retrobulbäre Neurombildung, von der meines
Wissens kein Beispiel in der Literatur vorliegt Dieses
Neurom kann die Schmerzen erklären, an welchen unser
Patient weniger im Inneren des Auges als hinter dem-
selben litt, und vielleicht gilt diese Erklärung auch für den
Fall von Schmidt-Rimpler, wenn wir nicht alle Nerven,
welche im vorderen Theil des Bulbus hier vorhanden waren,
als neugebildete betrachten wollen. Zwar spricht Schmidt-
B-impler von intrabulbären Schmerzen. Diese könnten
aber auch Neuromfasem zugeschrieben werden, weil nach
bekannten physiologischen Erfahrungen die Neu-
romschmerzen von dem Patienten sehr wohl falsch
localisirt werden können. Solche Beispiele liefern uns
jene, denen ein Glied amputirt worden ist und die über
Schmerzen in den Gelenken klagen, welche sie nicht mehr
besitzen.
Unsere anatomischen Untersuchungen beweisen also,
dass trotz der Resection der CiUamerven eine Regeneration
derselben bis in den Bulbus eintreten kann. Auf eine
Verwerthung dieser Befunde für die Pathogenese der sym-
Anat. Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliarnerven etc. 229
pathischen Ophthalmie verzichte ich, weil die verschiedenen
Theorieen auf diesem Wege nicht entschieden werden.
Ich fasse deshalb meine ^Resultate kurz dahin zu-
sammen:
1. Nach der Neurectomia optico-ciliaris kann von dem
centralen Stumpf eine ausgedehnte und reichliche Neu-
bildung von Nervenstämrachen geschehen, welche, trotz
fehlender Coaptation, die Sklera in den alten und theil-
weise neuen Bahnen dmrchsetzen und einen sehr ausgiebigen
zum Theil übergrossen Nervenreichthum im Augeninnem
hervorrufen kann, besonders auch im Corpus ciliare. Es
geht daraus hervor, dass im Gegensatz zu den Thierexperi-
menten auch ohne Coaptation beim Menschen die resecirten
Ciliamerven den Weg in ihr Endorgan finden können,
2. Ausserdem kann sich ein retrobulbäres „Narben-
neu rom'^ bilden, dessen zahllose ünregelmässig und meist
getrennt verlaufende Fasern nicht in die Sklera eintreten;
es ist diese Erscheinung dem bekannten Narbenneurom an
Amputationsstümpfen, sowie den Beobachtungen über ex-
perimentelle Nervenregeneration analog. Es können diese
ciliaren oder retrobulbären Narbenneiirome an den recivi-
renden Schmerzen betheiligt sein; dabei ist eine Locahsa-
tion in die Peripherie möglich. Es finden also nicht alle
regenerirten Fasern den Weg in den Bulbus.
3. Eine vicariirende Innervation von Seiten vor-
derer Ciliarnerven in's Augeninnere konnte nicht nach-
gewiesen werden, obwohl solche Nerven an mehreren Stellen
in normaler Stärke nachgewiesen werden. Principiell möch-
ten wir eine vicariirende Innervation nicht für unmögHch
halten. Für die Cornea kann sie zweifellos theilweise
stattfinden.
4. Den Opticusstumpf verschliessend, fand sich eine
quer zu seiner Längsrichtung verlaufende völlig dicht fibröse
und abschliessende Narbenmasse.
Weitere vollständige Serienuntersuchungen derartiger
230 A. Bietti.
Objecte mittels markfärbender Methoden sind wünschens-
werth, um über die eigenartigen Verhältnisse der Ciliar-
nerven ein abschliessendes Urtheil zu ermöglichen und be-
sonders um festzustellen wie weit solche von der Regene-
rationslehre abweichenden Bilder hier die Regel sind, wie
dies das klinische Verhalten in der That nahe legt
Zum Schluss ist es meine Pflicht, meinem verehrten
Chef, Herrn Prof. Axenfeld, für die Anregung zu dieser
Arbeit, die Ueberlassung des Materials und für die freund-
Uche Unterstützung meinen besten Dank auszusprechen.
Ebenso danke ich Herrn Prof. Barfurth verbindlichst für
seinen freundhchen Rath.
Verzeichniss der benutzten Literatur.
1) Axenfeld, lieber sogenannte vordere Ciliarnerven. Bericht üb.
die XXIV. Versammlung der ophthalm. Gesellschaft in Heidel-
berg 1895.
la) Axenfeld, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLII. 1896. An-
merkung zu der Arbeit von Goh.
2) Bach, Experimentelle Studien über die sympathische Ophthalmie.
— Bericht über die XXIV. Versammlung der ophthalm. Gesell-
schaft in Heidelberg 1895 und v. Graefe's Arch. f. Ophthalm.
XLH. 1.
3) Bouchcron, Nerfs de TH^misph^re ant^rieur de l'Oeil. Comp-
tos rendues de la Societö de Biologie 1890.
4) Bunge, Zur sympathischen Ophthalmie. Inaugural -Dissertation.
Halle 18S0.
5) D e u t s c h m a n n , Fortgesetzte Versuche und Untersuchungen über
die Ophthalmia migratoria. Beiträge zur Augenheilkunde. X. Heft
1893.
(5) Dor, Section du nerf optique et des nerfs ciliaires postärieurs. —
2. Rapport annuel de la Clinicpie ophthalm. 1878.
7) Forssmann, lieber die Ursachen, welche die Wachathumsrich-
tung der peripheren Nervenfasern bei der Regeneration bestim-
men. Inaug.-Dissert. Jena 1898.
8) Gonella, Contribuzione alla neurotomia ottico- ciliare. Giomale
della R. Accjidemia di Medicina di Torino. — Fascicolo 8. —
Agosti 1882.
8a;(iarr^, Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Chinygie.
Berlin 1899.
9) Gutmann, Zur Histologie der Ciliarnerven. Arch. f. mikrosk.
Anatomie. Bd. 49. 1897.
9a) Hahn, W., Untersuch, über den histolog. Bau d. Ciliamenen.
Wiener klin. Wochenschr. 1897. S. 714.
Anat Untersuch, üb. die Regeneration der Ciliamerven etc. 231
10) Hirschberg und Vogler, üeber Fremdkörper im Augeninnem,
nebst gelegentlichen Bemerkungen über Neurotomia optico-ciliaris.
Arch. f. Augenheilk. Bd. IX. S. 318.
11) Krause, Ueber die anatomischen Veränderungen nach der Neu -
rotomia optico-ciliaris. Arch. f. Augenheilk. Bd. XL 1882.
12) Leber, Zur Neurotomia optico-ciliaris. v. Graefe*8 Arch. f.
Ophthalm. Bd. XXVII. 1.
13) Marenghi, La rigenerazione delle fibre nervöse in seguito al
taglio dei nervi. Rendiconti del R. Ist. Lomb. di Scienze e lettere.
Serie IL Vol. XXXI. 1898.
14) Ohlemann, Die perforirenden Augenverletzungen mit Rücksicht
auf das Vorkommen der sympathischen Ophthalmie. Arch, f. Augen-
heilk. XXIL 1891.
15) Peschel, üeber das Orbitalnervensystem des Kaninchens, mit
specieller Berücksichtigung der Ciliarnerven, v. Graefe's Arch.
f. Ophthalm. Bd. XXXIX, 2,
16) Redard, Recherches exp^ri mental es sur la section des nerfs ci-
liaires et du nerf optique. Arch, d'Ophtalm. Tom. 1. 1881.
17) Reymond, Gazzetta delle Cliniche. Vol. 10. No. 4. 1874.
18) Rohm er, La resection du nerf optique d'apr^s le procödö de
M. de Wecker dans TOphthalmie sympathique. Ann. d'Ocul. CVIl.
p. 249. 1892.
19) Schede, Chirurgie der peripheren Nerven und des Rückenmarks,
im Handbuch der speciellen Therapie innerer Krankheiten von
Pentzold und Stintzing, Bd. V. 1898.
20) Scheffels, Teber die Sehnervenresection. Klin. Monatsbl. f.
Augenheilk. Bd. XXVIII, 1890.
21) Schirm er, Klinische und pathologisch-anatomische Studien zur
Pathogenese der sympathischen Augenentzündung, v. Graofe's
Arch. f. Ophthalm'. XXXVIII. 4.
22) Schmidt-Rimpler, Beitrag zur Aetiologie und Prophylaxe
der sympathischen Ophthalmie, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm.
Bd. XXXVIIL 1.
22a) Schweigger, Neurectomia optico-ciliaris. Arch. f. Augenheilk. XV.
23) Stroebe, Die allgemeine Histologie der degenerativen und re-
generativen Processe im centralen und peripheren Nervensystem
nach den neuesten Forschungen. Centralbl. f. allgem. Pathologie
und pathol. Anatomie. 15. Dec. 1895.
24) T i 1 1 m a n n 8 , Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Leipzig. 1893.
S. 401,
25) Velhagen, Experimentelle und anatomische Untersuchungen
über die Heilungsvorgänge bei der Neurectomia optica des Ka-
ninchens. Arch. f. Augenheilk. XXIX, 1894.
26) Z i m m e rm an n , Experimentelle und anatomische Untersuchungen
über die Fettigkeit der Opticusnarben nach Resection und Re-
section verbunden mit Cauterisation, nebst Bemerkungen über den
Transport geformter Elemente in den Bahnen dos Sehnerven.
v. Graefe's Arch f. Ophthalm. Bd. XLIL 2.
27) Bericht über den intemation. ophthalm. Congress in Mailand 1880.
Centralbl. f. Augenheilk. 1880. S. 320.
232 -A.. Bietti, Anat. Unters, üb. d. Regeneration d. Ciliarnerven etc.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IV und V,
Fig. 1—4.
Fig. la. Uebersichtsbild, 23 fache Vergrösserung. Querer Ver-
schluss des Opticusstumpfes. Zahlreiclie grössere Nerren-
stAmmchen in den alten Skleralbahnen und in der Supra-
chorioidea, dem CiliarkÖrper; ausserdem kleinere Nerven in
neuen Skleralbahnen. Theile des retrobulbären Karben-
neuroms in der Narbe. Markhaltige Nen'enfasem, in der
Hornbautperipberie. In der Suprachorioidea zwei kleine
entzündliche Ueerde.
Fig. 2a. Retrobulbäres Narbenneu rom. Ausser stärkeren
Stämmchen zahllose einzelne und vereinigte Fasern von
geschlängeltem, zum Theil quergerichtetem Verlauf, sich ver-
schlingend und bei a ein dichtes Knäuel bildend. Kein
Uebergang in die Sklera. 70 fache Vergrösserung.
Fig. 3a. Regenerirte Nervcnstämmchen in der Sklera zu
mehreren in ein und demselben Canal liegend. 115fache
Vergrösserung.
Fig. 4a. Starke regenerative Ner\enbypertrophie im Corpus ciliare
und der atrophischen Chorioidea. Ein kleinerer vor-
derer Ciliamerv, zu dessen Bildung mehrere feine Skleral-
nerven zusammentreten, ohne Verbindung mit der Ober-
fläche. An einer Stelle ein entzündlicher Heerd. 70fache
Vergrösserung.
Erwiderung anf die Bemerkungen zu L. Bach's
Arbeit: „Zur Lehre von den Augenmuskelläh-
mungen etc," des Herrn Dr. St. Bemheimer.
(v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. Bd.XLVIII. Abth. 2. S. 463.)
Von
Dr. Ludwig Bach
in Würzburg.
Die letzten Bemerkungen Bernheimer^s zu meiner obigen
Arbeit machen es mir zur Pflicht^ Einiges zu erwidern:
Auf die frohere thatsächliche Berichtigung Bernheimer's
brauche ich nicht weiter einzugehen, denn hätte Bernheim er das
Erscheinen der zweiten Hälfte meiner Arbeit abgewartet, so hätte
er auf Seite 554 die Wiedergabe der thatsächüchen Verhältnisse
vorgefunden.
Bezüglich der kleinzelligen Mediankerne beim Kanin-
chen bleibe ich vollkommen auf dem Standpunkte, den ich
in meiner Arbeit eingenommen habe, und erlaube mir den Leser
auf die von dem Zeichner L. Stierhof naturgetreu angefer-
tigten Abbildungen zu verweisen, sowie auch auf die Abbildung 3
der Arbeit von van Biervliet*).
Man braucht nur etwas genauer meine Abbildungen und
die Bernheimer's in seiner Monographie*) über das Wurzel-
gebiet des Oculomotorius , unter denen auch „Wenzl pinx."
steht, zu betrachten, um sich rasch darüber klar zu werden.
*) J. van Biervliet, Noyau d'origine du nerf oculomoteur
commun du lapin. „La Cellule**, t. XVI. I. fascicule.
') Bemheimer, St., Das Wurzelgebiet des Oculomotorius beim
Menschen. J. F. Bergmannes Verlag. 1894.
234 L- Bach,
wessen Abbildungen naturgetreu und wessen Abbildungen etwas
schematisirt sind. Ich halte es geradezu für meine Pflidit, den
leider verstorbenen, hoclibegabten Zeichner Stierhof, der mit
colossaler Sorgfalt in durchaus selbständiger Weise meine Ab-
bildungen herstellte, in Schutz zu nehmen. Seine Originale stehen
zur Verfügung.
Die Zellabbildungen, die Bernheim er seinen experimen-
tellen Untersuchungen*) über das Kemgebiet des Affen glaubte
beigeben zu sollen, kann ich keineswegs gut finden, auch muss
ich die sub Plg. 4 und 8 abgebildeten Degenerationstypen als
normale Zellen bezeichnen.
In einer vorläufigen Mittheilung*) experimenteller ünter-
suclmngen über das Oculomotoriuskemgebiet des Kaninchens sagt
Bernheimer, dass keine Veränderungen im Kemgebiet auf-
treten, wenn ein vom Oculomotorius innervirter Muskel bloss
durchschnitten oder nicht vollkommen exsürpirt werde. Nur
bei vollständig exstirpirten, ausgerissenen Muskeln fin-
den sich Veränderungen in den Ganglienzellen. Weiter sagt er,
dass nach Exstirpation der vier äusseren vom Oculomotorius ver-
sorgten Muskeln in den proximalsten Schnitten keine Ver-
änderungen mehr zu sehen seien.
Thatsache ist, dass die Durchschneidung des Muskels
vollkommen genügt, dass darnach stets Veränderungen im
Kemgebiet auftreten, dass das Ausreissen des Muskels durch-
aus unzweckmässig ist, dass bei der Durchschneidung der
vier äusseren vom Oculomotorius versorgten Augenmuskeln in
den proximalsten Schnitten eine grosse Zahl veränderte*
Zellen zu sehen ist.
Ich tiberlasse es dem Leser zu entscheiden, ob der Um-
stand, dass die Befunde Bernheim er^s in einer vorläufigen
Mittheilung niedergelegt sind, solch grobe Irrthümer zu entschul-
digen vennag.
Bezüglich der von Bernheimer behaupteten vollständi-
gen Uebereinstiramung des Kemgebietes des Affen mit dem
des Menschen bleibe ich gleichfalls vollkommen bei meinen
*) Experimentelle Studien zur Kenntnis« der Innervation der
inneren und äusseren vom Oculomotorius versorgten Muskeln des
Auges. V. Graefe's Arch. f. Ophtlialm. XLIV Bd. 2. Abth. S. 481.
*) Zur Kenntniss der Localisation im Kemgebiet des Oculomo-
torius. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 5. 1896.
Erwiderung an Herrn Dr. St. Bemheimer. 235
Ansfühmngen. Bei der von mir untersnchten Affenart (Hapale
Jacchus) bestand keine vollständige Uebereinstimmung^ die Ueber-
einstimmong zwischen dem Kemgebiet des Menschen und der
Katze war sogar eine grössere. Uebrigens habe icli durcliaus
nicht in Zweifel gezogen, dass diese üebereinstimmung des Kern-
gebietes bei der von Bernheimer untersuchten Affenart (Rhe-
sus) besteht
Bernheimer sagt, dass er seine Erfalirungen über das
Kemgebiet des Mensehen durch das Studium von zwölf Ge-
hirnen menschlicher Früchte gesammelt habe. Demgegenüber liege
von mir die eigne Serie eines erwachsenen Menschen vor.
In meiner Arbeit steht nun S. 363 und 364 oben: „Es
liegen mir zwei eigene Serien nach Weigert von Erwachsenen,
eine lückenlose und eine nicht ganz lückenlose Serie vor, femer
zwei Golgi-Serien menschlicher Embryonen, ausserdem
^vurden mir zwei Serien von menschlichen Embryonen nach
Weigert und Pal behandelt von Excellenz v. Koelliker gütigst
zur Durchsicht überlassen. Des Weiteren wurden mir von Herm
Prof. Rieger drei allerdings ziemlich unvollständige Serien durch
das Kemgebiet Erwachsener zur Verfügung gestellt"
Es ist daraus klar ersichtlich, dass Bernheimer's obige
Angabe unrichtig ist
Weitere Erfahrungen haben mir übrigens meine früheren
Befunde nur bestätigen können.
Die gegen meine Methode gemachten Einwände muss
ich als durdiaus unbegründet und unrichtig auf das ent-
schiedenste zurückweisen; ich kenne auch die NissTsche Me-
thode aus eigener Erfaluting und muss bei dem, was ich in
meiner Arbeit Seite 558 gesagt habe, bleiben. Von mehreren
competenten Anatomen werden die trefflichen Resultate, die
man mit den von mir angewandten Methoden erhält, eigens
hervorgehoben.
Giebt es übrigens ein glänzenderes Zeugniss für die
Brauchbarkeit meiner Methoden als die von zwei Seiten mit
zwei verschiedenen Methoden erfolgte vollkommene Be-
stätigung meiner Resultate? Schwabe') ist mit der von
Held angegebenen Erythrosin-Methylenblaudoppelfärbung, van
*) Schwabe, lieber die Gliederung des Oculomotoriushaiipt-
kemes and die Lage der den einzelnen Muskeln entBprechenden Ge-
biete in demselben. Neurolog. Centralbl. 1897. Nr. 17. S. 792.
236 L. Bach.
Biervliet^) mit der NiBsrschen Methode zu den gleichen
Ergebnissen gekommen^ wie ich mit der Thionin- und Tolnidin*
blaufärbung.
Für die in seiner vorläufigen Mittheilung niedergelegten
Ergebnisse seiner Experimente beim Kaninchen scheint Bern*
heim er selbst nicht mehr ganz einstehen zu wollen^ hingegen
ti-itt er voll und ganz ein für die Ergebnisse seiner £Ixperi>
mente am Affen.
Soweit nun bis jetzt die Ergebnisse Bernheimer^s
am Affen controlirt wurden — es ist dies bezüglich
der interioren Muskulatur der Fall — fanden sie keine
Bestätigung.
Marina') hat nacli einer grösseren Anzahl von Evisce-
rationen des Bulbus, die College Cofler ausführte, ich selbst
nach einer solchen Operation keine Veränderungen im Kem-
gebiet gesehen, Bern heim er hmgegen hat ganz ausgespro-
chene, unzweideutige Veränderungen in dem kleinzelligen
Mediankem gesehen, und hervorragende und competente Mikro-
skopiker, deren Urtheil Bern heim er Alles gilt, waren bei der
Durchmusterung der Serien ausnahmslos im Stande anzugeben,
auf welcher Seite der degenenrte, kleinzellige Mediankem sieh
befand. Ein gewiss schwerwiegendes Moment, denn diese Herrn
waren durdi nichts voreingenommen und hatten keine Ahnung,
auf welcher Seite operirt worden war.
Es ist dies in der Tliat auü^lig; nur schwer könnte man
die Sache verstehen, wenn nidit Bern heim er in so liebens-
würdiger Weise die Erklärung dafür zwischen den Zeilen geben
würde, weshalb Marina und ich keine Veränderungen gesehen
haben. Ich erlaube mir hier zu bemerken, dass ich persönlidi
in dieser Frage vorher in keiner Weise engagirt war, für mich
konnte und musste es ganz gleichgültig sein, ob Veränderungen
nach der Evisceratio bulbi im kleinzelligen Mediankem auftreten
oder nicht, hingegen war Bernheimer vorher in dieser Frage
engagirt, da er bereits 1894 entschieden die Ansicht aussprach,
dass der kleinzellige Mediankem zum Oculomotoriuskem gehört,
eine Anschauung, die von den allerverschiedensten Seiten be-
') Loc. cit.
*) Marina, Das Neuron des Ganglion ciliare und die Centxa
der Pupillenbewegnngen. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. XIV.
1899. S. 356.
Erwiderung an Herrn Dr. St. Bemheimer. 237
kämpft wurde. — Ich mass weiterhin hier bemerken, dass in
der uns hier beschäftigenden Frage nur der ein competentes
Urtheil haben kann und um ein Urtheil überhaupt angegangen
werden darf, welcher an der Hand zahlreicher normaler Serien
ffir die betreffende Zellart eingearbeitet ist, wie ich bereits in
meiner Arbeit betonte, femer dass es sich gar nicht, wie Bern-
heim er sagt, um degenerirende , sondern um vorübergehend
kranke Zellen vornehmlich handelt, wie Bemheimer aus den
Reaultaten meiner und Anderer Versuche von langer Dauer
wissen sollte.
Nimmt Bemheimer immer noch die kleinzelligen Median-
keme für die Schliessmuskeln der Pupille und den unpaaren
grosszelligen Gentralkem für die Accommodationsmuskehi in An-
spruch, so muss ich wiederholt fragen: was für eine Bedeutung
soll der grosse Unterschied der Zellen haben V
Was soll eine solclie Masse mächtiger Ganglienzellen an den
minimalen Binnenmuskehi zu innerviren haben, wendet Edinger ^)
bei der Besprechung der von Bemheimer angenommenen Be-
deutung des grosszelligen Mediankemes ein?
Mit fast noch melir Recht glaube ich dieselbe Frage stellen
zu können bezüglich der kleinzelligen Mediankeme, besonders
wenn man den kleinzelligen Lateralkem als dorsolaterale Aus-
buchtung desselben betrachtet, wie dies Bemheimer thut und
wogegen ich auf Grund meiner Befunde nichts einzuwenden habe.
In gleicher Weise wie die Versuche an Kaninchen und
Affen haben auch die vorgenommenen Bulbuseviscerationen bei
den Katzen, die Bemheimer ganz ignorirt, und Marina^s^)
Versuche an Hunden ein für die Behauptungen Bernheimer's
negatives Resultat ergaben. Der Einwand der mangelhaften
Pupillarreaction fällt hier weg, auch sollte man meinen, dass
wegen der mangelhaften Pupillarreaction beim Kaninchen nur
weniger, nicht aber gar keine Zellen eine Veränderung er-
leiden.
Diejenigen Leser, welche sich für die Localisation der
interioren Muskulatur im Kerne näher interessiren, erlaube ich
mir femer auf die pathologisch-anatomischen Untersuchungen von
') Edinger, Bericht über die Leistungen auf dem Gebiete der
Anatomie des Gentralnervensystems während der Jahre 1897 und
1898. Schmidts Jahrbücher der gesammtenMedicin. Bd. CGLXII.
*) Loc. cit
238 L- Bach.
Schiff*) und Cassirer*), von Panegrossi*), von Siemer-
ling*) und Boedecker*) zu verweisen, welche alle mehr min-
der gegen die Aufifassung Bernheimer's sprechen.
Bernheim er 's Einwände gegen meine Decapitationa-
versuche sind durchaus nichtig und tangiren eigentlich meine
Versuche gar nicht — Da ich annehmen muss, dass er fiher
meine Versuchsanordnung im Unklaren ist, gehe ich kurz auf
meine Versuche hier ein.
Zu allen Versuchen wurden nur kräftige, gesunde Thiere
verwendet.
Zuerst wurde festgestellt, dass nach einfacher Decapita-
tion (Dauer 1 bis 2 Secunden) stets die PupiUarreaction noch
vorhanden ist, gleichzeitig wurde bei diesen Versuchen bestimmt,
wie lange mindestens die PupiUarreaction noch nachweisbar ist
Hierauf wiu*de festgestellt, dass bei der sofort nach der De-
capitation vorgenommenen Zerstörung des Bttckenmarkes bis
nahe an die MeduUa oblongata heran (Dauer mit Decapitation
durchschnittlich 10 Secunden) die PupiUarreaction erloschen ist
Drittens wurde festgestellt, dass nach der Decapitation und
und der sidi anschliessenden Zerstörung des Rückenmarkes nur
bis ca. 2 cm an die MeduUa oblongata heran die PupUlenreaction
noch vorhanden ist
Diese Versuche sind in grosser Zahl mit übereinstim-
mendem Ergebniss unter Controle mehrerer GoUegen gemacht,
und ich glaube auch heute noch nichts anderes aus denselben
schUessen zu dürfen, als ich gethan.
Ich habe späterhin das Rückenmark ganz oben zu beiden
Seiten der MedianUnie durchschnitten, die Thiere blieben noch
einige Zeit (bei einem Versuch bis 17 Stunden) am Leben, auch
hierbei waren die Pupillen ganz starr, dodi möchte idi aus hier
nicht weiter zu erörternden Gründen diesen Versuchen eigenthdi
weniger Beweiskraft, wie obigen Decapitationsversuchen beimessen.
Meine von Bernheimer ebenfalls angegriflfenen ünter-
suchungsergebnisse über das Ganglion ciliare halte ich gleich-
*) Beiträge zur Pathologie der chronischen Bulbärerkrankungen.
Obersteiner's Arbeiten. Bd. IV. Wien 1896.
*j Contributo allo studio anatomico - fisiologico dei centri dei
nervi oculomotorii deir uomo. Rom 1898. Gekrönte Preisschrift. Tip.
Fratelli Palotta.
■) Chronische fortschreitende Augenmuskellähmung u. 8. w. Arch.
f. Psychiatrie u. s. w. XXIX. 3. S. 420, 1897.
Erwiderung an Herrn Dr. St Bemheimer. 239
&ll8 in jeglicher Hinsicht aufrecht und erwähne hier nur
noch kurz, dass in der Zwischenzeit Mittheilungen von Marina
über das Ganglion ciliare des Hundes und des Affen erschienen
sind, worin Marina ebenso wie Bemheimer und ich die Mög-
lichkeit zugiebt, dass das Ganglion ciliare ein gemischtes
Ganglion ist, jedoch übereinstimmend mit mir betont, dass
es der Hauptsache nach in anatomischer Hinsicht als ein
sympathisches Ganglion (in functioneller Hinsicht also als
motorisches Ganglion) und nicht als ein sensorisches Gang-
lion, wie Bemheimer mehr anzunehmen geneigt ist, anzusehen sei.
Im Hinblick auf den von Bemheimer so warm ver-
theidigten Befund im Ganglion ciliare nach der Cauterisation
der Hornhaut, erwähne ich, dass auch Marina darnach nur
spärliche Veränderungen im Ganglion ciliare sah („in einzelnen
Schnitten kaum zwei bis drei veränderte Zellen^), während
Bemheimer „keinen Augenblick im Zweifel war und ist^, dass
zahlreiche degenerirte Zellen sich nach der Cauterisation im
Ganglion ciliare fanden. — Trotz Bernheimer's kategorischer
Verneinung behaupte ich auf das Bestimmteste, dass nach der
Cauterisation der Hornhaut bei der Katze und beim Kaninchen
(beim Affen wird es schwerlidi anders sein) eine Iritis auftritt,
wovon sich auch Bemheimer überzeugen wird, wenn er ein
bis drei Tage nach der Cauterisation das Auge mikroskopisch
untersucht
Bemheimer betont in seiner Entgegnung, dass auch er
häufig Zellen im Ganglion ciliare fand, bei deren Aussehen man
versucht sein konnte, an degenerirte Zellen zu denken. Es ist
interessant, im Hinblick darauf seine Ausführungen auf S. 529
u. die folg. seiner Arbeit über das Ganglion ciliare') zu vergleichen.
Zum Schlüsse seiner meine Arbeit betreffenden Ausführungen
^Uiubt Bemheimer erklären zu müssen, dass er zuerst darauf
hingewiesen habe, dass die das Kemgebiet verlassenden Wurzel-
bündel bis zur Himbasis getrennt verlaufen etc. Ich kann
dies, soweit ich orientirt bin, nicht bestreiten, ich glaube nur be-
streiten zu können, dass ich irgendwo für mich die Priorität in
Anspruch genommen hätte.
In der Zwischenzeit habe ich eine grosse Zahl weiterer
Untersuchungen ausführen können, dieselben sind theU weise in
^) Bemheimer, Ein Beitrag zur Eenntniss der Beziehungen
zwischen dem Ganglion ciliare und der Pupillarrcaction. v. Graefe's
Archiv f. Ophthalm. XLIV. Bd. 2. Abth. S. 526.
240 L. Bach, Erwiderung an Herrn Dr St. Bemheimer.
den Sitzungsberichten der Würzburger phyBikallsch-medicinisefaen
Gesellschaft') u. *) vorläufig veröffentlicht, sie werden bald zu-
sammen mit weiteren Ergebnissen ausftthrlidi niedergeschrieben
werden. Es wird sich dabei Gelegenheit geben, genauer auf die
strittigen Punkte einzugehen, als dies im Rahmen einer Erwide-
rung gestattet ist
Ich will zum Schlüsse nicht unterlassen zu bemerisen, dass
ich hier und in Frankfurt meine Präparate vorlegte und dass
ich sehr gerne bereit bin, denjenigen GoUegen, welche sich für
die strittigen Punkte interessiren, meine Serien zu demonstriren.
5. Juli 1899.
') Weitere vergleichend anatomische und experimentelle Unter-
suchungen für die Augenmuskelkerne. Sitzung vom 2. M&rz 181^9.
StaheFscher Verlag in Würzburg.
*) Experimentelle und pathologisch -anatomische Untersuchungen
über die Pupillarreilexbahn. — Sehnen^enbefund bei doppelseitiger
reflectorischer Pupillenstarre. Ibidem,
Druck Ton POsehel A Trept« in Ldpiig.
Arbeiten
aus dem Gebiete der Accommodationslehre.
V. Untersaohungen über den Nahepnnkt.
Von
Prof. C. Hess
in Marburg.
Aus meinen firtiher mitgetheilten Beobachtungen über
den Accommodationsvorgang (dieses Arch. XLII. 1. S. 288
und XLni. 3. S. 477) ergiebt sich eine veränderte Be-
trachtungsweise für eine Reihe wichtiger Fragen aus der
Accommodationslehre. Von diesen sollen einige in den
folgenden Aufsätzen erörtert werden. In erster Linie waren
meine neuen Untersuchungen auf die Ermittelung des Zu-
sammenhanges zwischen Accommodation und Convergenz
gelichtet Es zeigte sich aber bald, dass zu diesem Zwecke
eingehendere Untersuchungen als bisher über den Nahe-
punkt unter physiologischen und abnormen Bedingungen
erforderlich waren.
I. Ueber den wirklichen und den scheinbaren
Nahepunkt
Als Nahepunkt im strengen Sinne ist derjenige Punkt
im Baume zu bezeichnen, von welchem bei maximaler
Wölbung der Linse ein scharfes Bild auf der Netzhaut
zu Stande kommt Er möge kurz als wirklicher Nahe-
punkt bezeichnet werden. Nach der allgemein gebräuch-
lichen Definition soll der Nahepunkt demjenigen Punkte
T. Gnefe'B Archiv (Or Ophthalmologie. XLIX. 3. 16
242 C. Hess.
entsprechen, auf welchen das Auge bei maximaler Ciliar-
muskelcontraction eben einstellen könne. Diese letztere De-
finition ist, wie ich gezeigt habe, nicht genügend: Das
Auge hat im Allgemeinen nicht entfernt maximale Cihar-
muskelcontraction nöthig, um der linse die grösstmögUche
AVölbung zu geben. Die Nothwendigkeit einer Aenderung
der Definition im obigen Sinne ergiebt sich auch aus dem
Folgenden.
Bei fast allen praktischen und vielen wissenschafUichen
Nahepunktsbestimmungen geht man so vor, dass man ein
feines Object dem Auge nähert, bis es merklich unscharf
erscheint Man bestimmt also eigentlich nur die Grenze
der Sichtbarkeit kleinster Zerstreuungskreise. Der ent-
sprechende Punktj den wir als scheinbaren Nahepunkt*)
bezeichnen können, fällt im Allgemeinen nicht mit dem
wirklichen zusammen, sondern liegt dem Auge merklich
näher, als dieser. Die Differenz zwischen wirklichem und
scheinbarem Nahepunkt kann bei verschiedenen Beobach-
tungsbedingungen sehr verschieden gross sein. Sie hängt,
bei gleicher Leistungsfähigkeit der percipirenden Elemente,
u. A. ab von der relativen Grösse des Sehobjectes, von
dem Helligkeitsunterschiede zwischen Object und Grund,
von den kleinen Unregelmässigkeiten des dioptrischen Ap-
parates, vor Allem aber auch von der Pupillen weite. In-
dem man die unter verschiedenen äusseren Bedingungen
gemessenen Werthe ohne Weiteres zu einander in Beziehung
brachte, wurde man mehrfach zu iirigen Ansichten geführL
Die erwähnten Nachtheile lassen sich zum grossen
Theile vermeiden bei Messungen nach dem Princip des
Scheiner'schen Versuches (Porterfield - Young'sches^
Stampfer^sches Optometer u. A.) Es ist in der Regel
leichter anzugeben, wann ein genügend feines Object eben
*) Diese Bezeichnung sowie hi erb ergehörige Erörterungen findet
man auch in der Arbeit von Salzmann, „Ueber das Sehen in Zer-
streuungskreisen" (dieses Arch. XLIX. 1. S. 115 fF.),
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. V. 243
doppelt gesehen wird, oder wann ein kleines, durch zwei
punktförmige Oefihungen gesehenes punktförmiges Object
nicht mehr kreisrund, sondern in die Länge oder Breite
gezogen erscheint (siehe unten), als zu bestimmen, wann
es nicht mehr mit scharfen Contouren gesehen wird. Vor
Allem aber sind solche Messungen innerhalb viel weiterer
Grenzen unabhängig von der Pupillenweite, (was bei der
gewöhnlichen Bestimmungsmethode mittels enger Blenden etc
meist nur unvollkommen erreicht werden kann). Der mit
Optometern nach dem Princip des Scheiner'schen Ver-
suches bestimmte Nahepunkt wird also im Allgemeinen dem
wirklichen näher liegen, als der mit der üblichen Methode
gefundene, und es können bei Messungen, die mit ver-
schieden weiten Pupillen angestellt sind, eher vergleich-
bare Besultate erhalten werden. Die Nothwendigkeit, für
die meisten solcher Messungen die Accommodation will-
kürlich zu beherrschen, steht einer ausgedehnten Anwendung
der Methode in der Praxis im Wege.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie weit
die mit beiden Methoden gewonnenen Ergebnisse von ein-
ander abweichen können, stellte ich einige vergleichende
Messungen in folgender Weise an:
Das Sehobjeet war auf einem runden, mit Mülimeterein-
theilnng versehenen Metallstabe, der an seinem einen Ende eine
Vorrichtung zum Einbeissen der Zähne hatte, verschieblich an-
gebracht Zur Anstellung des Scheiner'schen Versuches wurde
dicht vor den Augen ein Gestell mit zwei gegeneinander ver-
schieblichen Blenden angebracht. Die Blende für das eine
Auge hatte zwei Löclier von je circa 0,5 mm Durchmesser und
circa 1,5 mm Mittelpunktsabstand, die andere Blende diente in
vielen Versuchen nur zum Verdecken des zweiten Auges, für
besondere Zwecke (siehe unten) üess sich m ihr eine kleine, kreis-
mnde OeflBiung verschieblich anbringen.
Als Fixirobject benutzte ich bei Anstellung des Scheiner'-
schen Versuches eine feinste punktförmige Oeffhung in einer
gleichmässig schwarzen, von rückwärts beleuchteten Fläche. Ich
fand es so ziemlich leicht, die Grenze des Einfach- bezw. Doppelt-
16*
244 C. Hess.
Sehens des punktförmigen Objeetes anzugeben. Führt man die
Blende mit den zwei Oeffnungen in kleinen Bewegungen in der
Richtung der Verbindungslinie der Löcher vor der Pupille hin
und her, so erscheint bei nicht genauer Einstellung des Auges
der Punkt bald einfach, bald, wenn eben beide Löcher gleich-
zeitig vor der Pupille liegen, doppelt Nähert man sich der ge-
nauen Einstellung, so fliessen die beiden Punkte zunächst zu
einem kurzen hellen Striche zusammen, wenn beide Löcher vor
der Pupille liegen. Je näher man der richtigen Einstellung
kommt, um so kürzer wird dieser Strich^ bei genauer Einstellung
sieht man einen feinen runden Punkt Ich bestimme hier also
nicht die Stelle, wo der vorher einfach gesehene Punkt doppelt
gesehen wird, sondern jene, wo der vorher kreisrund gesehene
Punkt eben merklich elliptisch erscheint Es ist ersichtlich, daas
man so dem wirklichen Nahepunkte noch näher kommt, als bei
der gewöhnlichen Bestimmung des Doppeltsehens des Punktes.
Die kleinen Bewegungen mit der Blende erleichtem die Er-
mittelung eben dieses Punktes durch die Möglichkeit, das durch
nur ein Loch entworfene Punktbild mit dem durch beide ent-
worfenen zu vergleichen.
Der für die Pupillarstrahlen in Betracht kommende Theil
des dioptrischen Apparates hat bekanntlich meist nicht an allen
Stellen genau gleiche Refraction. Wenn also nicht besondere
Vorkehiningen getroffen sind, dass stets ungefähr die gleidie
Stelle des dioptrischen Apparates untersucht wird (s. u.), so be-
stimme ich bei der geschilderten Messungsweise (Bewegung der
Blende mit den beiden Löchern vor der Pupille) den Nahepunkt
für die relativ am schwächsten brechenden Stellen des dioptri-
schen Apparates. Der so gemessene Naliepunkt dürfte im All-
gemeinen nur um eine sehr geringe Grösse von dem "nirkUchen
abweichen. Wir wollen im Folgenden annehmen, dass diese
Messungen den wirklichen Nahepunkt selbst anzeigten. Zur
Messung des Nahepunktes nach den in praxi gebräuchlichen Me-
tlioden benutzte ich theils Jäger Nr. I oder, um bei Messungen
in verschiedenen Abständen möglichst gleichmässige Beleuchtung
zu haben, auf Glas photographirte und von hinten beleuchtete
Druckschrift von ca. 0,34 mm Buchstabenhöhe, theils die käof-
liclien sogenannten v. Graefe' sehen Dralitoptometer.
Die in allen Bücheni zu lesende Angabe, eine genaue
Nahepunktsbestimmung sei sehr schwer, weil „das Maximum
der Accommodationsspannung sehr von der Hebung ab-
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. Y. 245
hängig sei und nur für einen kurzen Moment eingehalten
werden könne", ist heute nicht mehr aufrecht zu halten.
Das Maximum der Accommodationsspannung, (womit hier
maximale Ciliarmuskelcontraction gemeint ist), ist ja bei der
Nahepunktsbestimmung nicht entfernt erforderlich.
Zahlreiche vergleichende Messungen ergaben mir für
mein rechtes, angenähert emmetropisches Auge (8 = ^/4),
dass der mit der üblichen Methode bestimmte Nahepunkt
von dem nach dem Seh ein er 'sehen Principe bestimmten
um Grössen im dioptrischen Werthe von ca. ID verschie-
den sein kann, d. h. bei gleicher Fempunktslage würde meine
Accommodationsbreite bei der gewöhnlichen Messungsweise
um ca. 1 D grösser erscheinen, als bei der letzteren. Wenn
dies auch für viele praktische Zwecke nicht sehr in's Ge-
wicht fällt, so ist doch ersichtlich, dass für wissenschaft-
liche Untersuchungen die übliche Identificirung von schein-
barem und wirklichem Nahepunkt nicht zulässig ist
H. Einfluss des Eserins auf die Accommodations-
breite.
Der Einfluss des Eserins auf die Lage des Nahepunktes
ist früher von einer grossen Zahl von Forschem systema-
tisch untersucht worden, so von Donders und Hamer,
V. Graefe, Krenchel, v. Zehender, Lang und Barrett
u. A. Die Genannten haben sämmtlich mit der üblichen
Methode der Annäherung feiner Objecte (Drähte, Pimkt-
systeme u. s. w.) untersucht. Bis auf v. Zehender kommen
Alle zu dem Ergebnisse, dass Eserin die Accommodation
stark beeinflusse und insbesondere auch den Nahepunkt
dem Auge merklich annähere. Nur v. Zehender giebt
von Vi */oigem salicylsaurem Physostigmin an, dass seine
Einwirkung auf die Accommodation „in Abrede genommen,
oder mindestens, im Hinblick auf einige die Reinheit des
Versuches störende Momente als zweifelhaft und wieder-
holter Prüftmg bedürftig hingestellt werden" müsse.
246 C. Hess.
Ueber den Grad der Refractionserhöhung durch Herein-
rücken des Nahepunktes gehen die Angaben weit auseinander.
Mehrere Autoren verzeichnen eine Annäherung des Nahepunktes
im dioptrischen Werthe von 1 — 3D, dagegen finden Lang und
Barrett eine solche bis zu einem Werthe von 13,89 D bei
j'ugendlidien, ja bis zu mehr als 18 D bei presbyopisdien Augen,
während nach v. Graefe gerade „bei Presbyopie das ganze
AcGommodationsphänomen sich auffallend gering und vollends bei
senilen Accommodationsbreiten, unter ^/jc, völlig defect erwies **.
Ich habe in einer Mheren Abhandlung die an meinem
Auge nach Eserin mit der üblichen Methode gemessene
Annäherung des Nahepunktes im Werthe von ca. 1,5 D aus-
drücklich nur als eine scheinbare, lediglich durch Pupillen-
verengerung bedingte bezeichnet
Von späteren Angaben möge erwähnt werden, dass
Reddingius bemerkt, er habe bei Messung mit der von
V. Helmholtz angegebenen (gleichfalls von der Pupillen-
weite wesentlich unabhängigen) Methode keine Aenderung
des Nahepunktes nach Anwendung kleiner Eserinmengen
gefunden. Doch betont er ausdrücklich die Möglichkeit,
dass er eine Annäherung bei. Gebrauch stärkerer Lösungen
vielleicht gefunden haben würde. Tscherning giebt an,
mit Eserin die Accommodationsbreite etwas grösser als bei
spontanem Accommodiren gefunden zu haben.
Dieser üeberbUck über so vielfach einander wider-
sprechende Angaben forderte zu einer erneuten Untersuchung
der Frage auf. Nach Einträufeln von Eserin bestimmte
ich wiederholt in kleinen Zwischenpausen nach den ver-
schiedenen, oben angegebenen Methoden meinen Nahepunkt.
Ich verzichte auf die Wiedergabe der ausführlichen Ta-
bellen und gebe nur kurz die Resultate: In dem Maasse,
als die Pupille enger wurde, rückte der mit Leseproben
gemessene Nahepunkt an das Auge heran, so dass bei
engster Pupille die scheinbare Refractionszunahme fast 1,5 D
betrug. Der nach dem Scheiner'schen Princip ge-
messene Nahepunkt dagegen blieb die ganze Zeit
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. Y. 247
merklich genau an der gleichen Stelle, wie vor der
Eserinisirung. (Hierbei wurden thunlichst die den mittleren
Fupillentheilen entsprechenden Parthieen des dioptrischen
Apparates untersucht) Dass etwa zu wenig Eserin einge-
träufelt worden sei, ist u. A. schon dadurch ausgeschlossen,
dass mein Ciliarmuskel sich längere Zeit in einem Zustande
dauernder, hochgradiger Contraction befand. Entsprechende
Ergebnisse erhielt ich mit einem Young' sehen Optometer
(in der von Tscherning angegebenen Form). Um eine
Vorstellung darüber zu gewinnen, ob wirklich die Pupillen -
Verengerung allein ausreicht, um die Annäherung des schein-
baren Nahepunktes durch Verkleinerung der Zerstreuungs-
kreise zu erklären, kann man folgende Berechnung anstellen,
bei welcher die von v. Helmholtz für das schematische,
accommodirende Auge gegebenen Zahlen zu Grunde gelegt
werden mögen. (Phys. Optik, II. Aufl. S. 140.)
Dieses Auge entspricht einer Accommodationsleistung
von etwa 6,5 D bei Einstellung auf einen ca. 154,3 mm
vor dem ersten Hauptpunkte gelegenen Punkt. Stellt dieser
den wirklichen Nahepunkt dar, und hegt der mit Lese-
proben gemessene Nahepunkt wieder wie bei den obigen
Messungen an meinem Auge um so viel näher dass die
Differenz zwischen beiden einem dioptrischen unterschiede
von ca. 1 D entspricht, so wird der scheinbare Nahepunkt
133,4 mm vor dem ersten Hauptpunkte, also ca. 119,4 mm
vor dem vorderen Brennpunkte liegen. Der Ort des zu-
gehörigen Bildes berechnet sich nach der Formel V =^-4-;
daraus würde sich nach bekannter Berechnungsweise bei einer
Pupillenweite von 3 mm für den Durchmesser des eben merk-
lichen Zerstreimngskreises eines Bildpunktes ein Werth von
ca. 0,048 mm ergeben. Nehmen wir an, dass auch bei ver-
engerter Pupille und einer geringen Annäherung desObjectes
Zerstreuungskreise von gleicher Grösse den Gegenstand eben
merkhch verwaschen erscheinen lassen, so lässt sich leicht be-
248 C. Hess.
rechnen, wie weit die Spitze des Strahlenkegels hinter der
Netzhaut liegen muss, damit der Zerstreuungskreis auf der
Netzhaut ebenso gross sei, als vorher bei weiterer Pupille. Ist
z. B. der Pupillendurchmesser von 3 mm auf 1 mm zurück-
gegangen, so wird der Zerstreuungskreis auf der Netzhaut
den gleichen Durchmesser wie vorher haben, wenn die Spitze
des Strahlenkegels ca. 1 mm hinter der Netzhaut liegt.
Daraus berechnet sich ein Objectsabstand = 105,2 mm vor
dem vorderen Hauptpunkt, was einer Befraction von 9,5 D
entspricht Es würden also in diesem Falle bei einem
Pupillendurchmesser von 1 mm die Zerstreuungskreise einer
Sehprobe, welche mit einem dioptrischen Fehler von ca. 3 D
gesehen wird, nicht grösser sein, als bei 3 mm weiter Pupille
die Zerstreuungskreise einer Sehprobe, die mit einem diop-
trischen Fehler von 1 D gesehen wird und dabei eben anfängt
merklich unscharf zu erscheinen. Für einen Pupillendurch-
messer von 1,5 mm würde sich unter sonst gleichen Verhält-
nissen ein Objectsabstand von 117 mm vor dem ersten Haupt-
punkte ergeben, entsprechend einer Relraction von ca. 8,5 D.
Die in meinem Auge durch Eserin bedingte PnpiUenver-
engemng bestimmte ich in der folgenden Weise: Im vorderen
Brennpunkte des Auges brachte ich eine feinste, punktförmige
Oefihung an, fixirte den Kopf durch eine Vorrichtung zum Ein-
beissen der Zähne in einem Abstände von 40 cm von einer
senkrecht zur Gesichtslinie aufgestellten Glastafel und maass auf
dieser den scheinbaren Pupillendurchmesser einmal bei stärkstem
^lUkttrlichem Accommodiren, das zweite Mal bei Eserinmiose. Der
wkkliche Durchmesser berechnet sich danach in bekannter Wdse.
Als Mittel fand ich bei starker Accommodation einen Pnpilien-
durchmesser von 3,2 bis 3,5 mm, bei Eserinmiose einen solchen
von 1,5 bis 1,6 mm. Das Ergebniss einiger objectiver Messungen
(mittels Femrohr und Ocularmikrometer) steht hiermit gut in
Uebereinslimmung. Dass es sich bei solchen Messungen selbst-
verständlich nur um Näherungswertiie handeln kann, die auf
mathematische Genauigkeit nicht Anspruch machen, möchte ich
nur zu thnnlichster Vermeidung von Missdeutungen betonen.
Die angeführten Beispiele können uns eine Vorstellung
davon geben, in welchem Umfange etwa unter bestimmten
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. Y. 249
Yoranssetzungen eine Erhöhung der Accommodationsbreite
durch Pupillenverengerung yorgetäuscht werden kann, Sie
zeigen, dass die an meinem Auge nach Eserineinträufelung
gefundene scheinbare Sefractionserhöhung bei Messung mit
Leseproben thatsächUch ohne die Annahme einer vermehrten
linsenwölbung zu erklären ist Mit grosser Wahrschein-
keit gilt diess auch für die Mehrzahl der in der Literatur
aufgeführten Zahlen. Völlig unverständUch sind nur die
von Lang und Barrett angeführten Werthe. (Diese Autoren
stellen übrigens die Möglichkeit eines Einflusses der Pupillen-
verengerung auf die Nahepunktslage bei der üblichen Mes-
sungsweise ganz in Abrede.)
Eine einzige Angabe in der Literatur steht mit meiner Auf-
fassung anscheinend in Widerspruch: v. Graefe fand nach Eserin
ein Heranrücken des Nahepunktes auch bei dem bekannten Pa-
tienten mit traumatischer Aniridie, bei welchem also die PupiUen-
verengerung nicht in Betracht kommen konnte. Diese Zunahme
war aber erstens sehr gering, (der Nahepnnkt rückte von 5,5
auf 4,74 Zoll) herein, und ausserdem war während der Eserin-
wirknng die Sehschärfe von über ^/^ auf */3 gesunken, wodurch
die in gewöhnlicher Weise vorgenommenen Nahepunktsbestim-
mungen erschwert waren und mit den bei besserer Sehschärfe
gefundenen Werthen nicht mehr vergleichbar sind. Femer ist
nicht angegeben, ob die Möglichkeit einer geringen Verengerung
der Lidspalte genügend ausgeschlossen war, die bei der bekann-
ten Wirkung des Eserins auf den Orbicularis besonders nahe
liegt Auch möge erwähnt sein, dass in dem v. Graefe' sehen
Falle während der Eserinwirkung keinerlei Aenderung in der
Lage der CDiarfortsätze constatirt werden konnte, während wir
heute wissen, dass diese in der Regel sogar recht beträchtlich
nach vorn und cornealwärts vorrücken (vgl. meine erste Ab-
handlung über Accommodation). Hjort giebt in einem analogen
Falle ein geringes Hereinrücken des Nahepunktes an, betont
aber ausdrücküch , dass die Nahepnnklsbestimmnng „weniger
sicher^ war, weU Accommodationsversuche viel Schmerz verur-
saditen. Danach kann man in diesen beiden Angaben keinen
Beweis für ein Hereinrücken des wirklichen Nahepunktes nach
Eserineinträufelung in Augen ohne Iris erblicken.
250 C. Hess.
Die Erklärung für das Hereinrücken des scheinbaren
Nahepunktes wird von allen Forschern , auch vor den
Anhängern der v. Helmholtz 'sehen Accommodations-
theorie, in einer vermehrten Contraclion, einer „Stärkung"
des Ciliarmuskels gesehen. So sagt v. Graefe (Archiv
f. Ophthalm. IX. 3. S. 107): „Ich stelle mir überhaupt
vor, dass mit dem Augenblick, wo die Anrückung des
Pernpunktes ihre Höhe erreicht hat, auch die Maximum-
veränderung im Tensor entwickelt ist. Der contrahirte
Muskel wird in diesem veränderten Zustande der Willkür
allmählich noch zugängiger, sei es durch Uebung, sei es
durch nachlassende Irritation der Empfindungsnerven, und
deshalb wird der Nahepunkt noch näher angerückt" Die
stärkere Zusammenziehung des Muskels soll nach der herr-
schenden Meinung eine vermehrte Wölbung der Linse zur
Folge haben. Vom Standpunkte der v. Helmholtz'schen
Theorie Hesse sich solches nur nach der früher wohl allgemein
giltigen und auch heute noch vielfach als zutreffend ange-
sehenen Annahme erklären, dass die Zonula unter allen
Umständen sich in einem gewissen Spannungsgrade befinde,
und dass innerhalb sehr weiter Grenzen jede in Folge ac-
commodativer Ciharmuskelcontraction eintretende Entspan-
nung augenblickUch wieder durch entsprechende Wölbuugs-
zunahme der Linse ausgeglichen werde, es also nie zu
völliger Erschlaffung der Zonula komme. Diese Auf-
fassung ist aber heute nicht mehr haltbar. Da die Zonula-
fasem, wie wir jetzt wissen, schon bei willkürüchem star-
kem Accommodiren so vollständig entspannt werden, dass
die linse der Schwere nach herunter fällt, so ist schwer
zu verstehen, wie eine noch weiter gehende Entspannung
der Zonula die Gestalt der Linse merklich beeinflussen
könnte. Die Linse kann tiefer herunterfallen (wie ich es in
der That gefiinden habe), aber sie kann sich nicht mehr
stärker wölben.
So ist also nach unseren jetzigen Kenntnissen a priori
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. V. 251
zu erwarten, dass Eserin keinen merklichen Einfluss auf
die Lage des wirklichen Nahepunktes haben kann.
Bei maximalem willkürlichem Accommodiren sinkt die Linse
ungefähr ^4 ™°^ herunter, nach Eserin werden die Ciliarmuskel-
contractionen so viel stärker, dass die Linse um ca. ^/^ mm herunter-
sinken kann. Es wird also im zweiten Falle der im PupiUar-
gebiete sichtbare Theil der Linsenfiächen nicht genau der gleiche
sein, wie im ersten. Hat dieser Theil zufällig einmal eme merk-
lich andere Wölbung, so ist denkbar, dass dadurch gelegentlich
kleine Differenzen in der Lage des wirklichen Nahepunktes auf-
treten können. Es wäre aber zu erwarten, dass diese bei Unter-
suchung einer grösseren Zalil von Fällen nicht bei allen in einer
Annäherung, sondern bei manchen auch in einer Entfernung des
Nahepunktes sich kund gäben, wenn man nicht die wenig walir-
Bcheinliche Annahme machen will, dass in allen Augen die Stelle
der stärksten Linsenwölbung bei aufrechter Kopfhaltung ca. V4 nim
nach oben von der Mitte der miotischen Pupille liege.
Ebenso könnten gelegentlich bei völlig erschlaffter Zonula
die kleinen Verschiebungen der Linse in der Richtung nach vom
oder hinten bei geringem Senken oder Heben des Kopfes eine
kleine, hier aber kaum in Betracht kommende Veränderung der
Refraction ohne veränderte Wölbung der Linse bedingen. In
keinem Falle könnten solche Verschiedenheiten der Nahepunkts-
lage aus einer vermehrten Linsenwölbung durch stärkere Ciliai*-
muskelcontraction erklärt werden.
Das Ergebmss der vorstehend mitgetheilten Versuche
ist folgendes: Die bisherigen Untersuchungen über Eserin-
warkung enthalten keinerlei Beweise für die herrschende
Annahme, dass die vermehrte Ciliarrauskelcontraction nach
Anwendung dieses Mittels eine stärkere Linsenwölbung
hervorrufen könne, als die, welche durch starkes willkür-
liches Accommodiren hervorgerufen wird. Die Untersuchung
mit einwandfreieren Methoden hat an meinem Auge keine
nachweisliche Annäherung des wirklichen Nahepunktes
auch bei sehr starker Eserinwirkung ergeben, wiewohl gleich-
zeitige Prüfung mit den üblichen Methoden ein beträchtliches
Hereinrücken des scheinbaren Nahepunktes ergeben hatte.
Diese Thatsache ist nach unseren heutigen Kenntnissen vom
Accommodationsvorgang unmittelbar verständlich.
262 C. Hess.
Bemerkungen über die Accommodationsbreite
der peripheren Linsentheile.
Young fand bei seinen Untersuchungen mit dem Opto-
meter, dass die peripheren Theile seines Pupillargebietes
eine merklich geringere Accommodationsbreite hatten, als
die centralen (4,2 D peripher gegen 9,8 D central nach
Tscherning). Young giebt aber an, dass in dem Auge
von Wo 11 as ton ein gleiches Verhalten nicht nachzuweisen
gewesen sei, und betont ausdrücklich, dass ein solcher
„Fehler" nicht wohl allgemein gefunden werden dürfte.
Auch y. Helmholtz fand an seinen Augen nicht die
von Young beobachtete Verkrümmung eines Systemes
von geraden, sich kreuzenden Linien bei der Accommo-
dation, die auf eine geringere Accommodationsbreite der
peripheren Linsentheile bezogen wird. Tscherning fand
bei seinen Untersuchungen, dass die Accommodationsbreite
bei Messung mit dem Young 'sehen Optometer, wenn der
gegenseitige Abstand der Spalte 5 mm betrug, nur „halb so
gross oder noch kleiner" war, als die der centralen Parthieen.
Er bezieht diese Erscheinung auf eine Abflachung des peri-
pheren Theiles der vorderen Linsenfläche während der Ac-
commodation. Es sei dies „das wesentiiche Phänomen" bei
der Accommodation und mache „in erster Linie die v. Helm-
holtz'sehe Theorie unannehmbar*^ (Auf dem letzten Oph-
thalmologencongress in Utrecht versuchte Tscherning*) [in-
dem er meine einschlägigen Beobachtungen überging] noch
*) In den Autoreferaten seines ütrechter Vortrages polemisirt
Tscherning gegen meine Arbeiten, ohne meinen Namen zu nennen.
Dort findet sich unter Anderem der Satz: „II me semble aussi, que
la plupart des ph^nomönes, desquels on a voulu condure k un trem-
blement du cristallin pendant 1' accommodation maxima s'expliquent
ainsi (sc. par des petites excursions de roeuil) ais^ment." Eine
Widerlegung dieser und ähnlicher Behauptungen Tscherning' s halte
ich nicht für nöthig, da sie sich für den aufmerksamen Leser meiner
Arbeiten von selbst erledigen.
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. Y. 253
einmal, seine Theorie zu vertheidigen. Er gab eine weitere
[skiaskopische] Methode an, um die geringere Accommoda-
tionsbreite der peripheren Linsentheile zu untersuchen.)
Den Umstand, dass bei Wollaston und v. Helmholtz
die oben erwähnten Erscheinungen sich nicht zeigten, versucht
Tscherning durch die Annahme zu erklären,* dass beide
schon zu alt gewesen seien und zu geringe Accommodations-
breite gehabt hätten, y. Helmholtz hatte zur Zeit der
Versuche noch eine Accommodationsbreite von 6D, Wolla-
ston, (der bei den Versuchen höchstens 34 Jahre alt sein
konnte^), hatte nach Tscherning's eigener Angabe noch
6,6 D Accommodationsbreite. Nun führt aber Tscherning
unter den Beweisen für die Richtigkeit seiner Auffassung
an, dass er an seinen Augen bei einer centralen Accom-
modationsbreite von nur 3 D eine periphere Abnahme bis
auf 1,25 D, bei einer Dame mit 6,7 D centraler Accommo-
dationsbreite eine periphere Abnahme bis auf 3,8 D gefunden
habe. Führt er aber diese Fälle als Beweis für seine An-
sicht an, so darf er die entgegenstehenden Angaben von
V. Helmholtz und Wollaston nicht einfach nüt der Be-
gründung zu geringer Accommodationsbreite eliminiren.
Ich habe an meinen Augen wiederholt derartige Ver-
suche angestellt und bin stets zu dem Ergebnisse gekom-
men, dass bei mir auch die periphersten Theile der Linse,
die nach Homatropinisirung eben noch zum Sehen benutzt
werden können, merklich genau gleich grosse Accommo-
dationsbreite haben, wie die centralen. Dies ist der Fall
sowohl so lange meine Accommodationsbreite durch Hom-
atropin verringert ist, als auch wenn sie nach Eserinisirung
bei noch sehr weiter Pupille wieder ihr Maximum erreicht hat.
Um mögUchst gleiche Versuchsanordnung wie Tscher-
ning selbst zu haben, Hess ich mir das nach seinen An-
gaben angefertigte Young'sche Instrument kommen und
verfuhr genau nach seiner Vorschrift (Optique physioL p. 160).
*) Geboren 1766; Young's Mittheilung erschien 1800.
254 C. Hess.
„Man misst die centrale Accommodation mit den nahe neben-
einander stehenden Spalten, die man möglichst in die Pa-
pillenmitte bringt, und die periphere Accommodation mit
dem dreieckigen Einsätze, den man so weit vorschiebt, dass
man die beiden Linien eben noch sieht" Mein Pempunkt
liegt, mit diesem Instrument gemessen, central wie peri-
pher nahezu in unendhcher Entfernung. Nach der Nahe-
punktsbestimmung würde mit diesem Instrument meine Ac-
commodationsbreite bei einem gegenseitigen Abstände der
Spalte von ca. 1 mm gemessen, ca. 5,8 D betragen, merkhch
ebenso gross ist sie nach Vorschieben des dreieckigen Ein-
satzes bis zu einer Breite von 5 mm.
Wenn nun bei völlig gesunden Augen mit einer dem
Alter entsprechenden Accommodatiousbreite eine Abnahme
der letzteren in der Linsenperipherie nur in einer gewissen
Zahl von Fällen gefunden wird, in anderen dagegen fehlt, so
beweist dies, wenn es auch noch so selten vorkäme, dass jene
Abnahme kein wesentUches, sondern nur ein accidentelles
Phänomen sein kann, wie auch Young selbst es nur als
einen „Fehler** seines Auges betrachtet hat Für die Theorie
der Accommodation kann die Erscheinung schon deshalb
nicht mehr in dem von Tscherning gewollten Sinne
verwerthet werden. Aber selbst wenn diese periphere Ab-
nahme der Accommodationsbreite eine ausnahmslos zu
beobachtende Erscheinung wäre, so würde dies doch nicht
das Geringste für die T seh erning' sehe Accommodations-
theorie beweisen können. Für die mit meinen fiüheren
Untersuchungen über den Accommodationsvorgang bekannten
Leser bedarf dies keiner besonderen Erörterung.
Dass in dem Verlialten der Accommodation der peripheren
LinsentheUe so grosse individuelle Differenzen vorkommen, ist bei
der untergeordneten Bedeutung, die diese Theile für das Sehen
haben, leicht veretändlich ; finden wir doch auch sonst viel-
fach besonders grosse Variationen in der Thätigkeit solcher
Organe, deren Functionen für den Organismus von geringerem
Wertlie sind.
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. Y. 265
Da bei derartigen Versuchen vielfach auch Cocain als
Mydriacum angewendet wird, so möge hier eine unzutreffende
Angabe Tscherning's bezüglich der Wirkung des Cocain
:iuf die Accommodation kurz besprochen werden. Tscher-
ning sagt (Phys. Optik, S. 184): „Das Cocain in 5%iger
Lösung erweitert die Pupille, wirkt aber nicht auf die Ac-
commodation. Wenigstens konnte ich an meinem Auge
keine Wirkung constatiren." Tschern ing glaubt, die ab-
weichenden Ergebnisse Anderer „theils auf individuelle
Differenzen, theils auf die Verwendung differenter Präpa-
rate" beziehen zu können. Aus der folgenden Darstellung
geht hervor, dass in erster Linie andere Momente für diese
Verschiedenheiten maassgebend sind. Tscherning's Ac-
commodationsbreite betrug zu der Zeit, als er den ange-
führten Satz schrieb, nach seinen Angaben nur noch ca. 3 D.
Es ist nun aber, wie ich früher (v. Graefe's Archiv
f. Ophthalm. XLIII. 3. S. 532) ausführlich auseinander-
gesetzt habe, unzulässig, aus einer normalen Nahepunkts-
lage auf normale „Accommodation" zu schliessen. Ich habe
dort unter directem Hinweise auf die Wirkung der Arznei-
mittel die einschlägigen Verhältnisse an dem Beispiele einer
Accommodationsparese erörtert: „Findet man am erkrank-
ten Auge den Nahepunkt da, wo er beim Normalen glei-
chen Alters gefunden wird, so pflegt man vielfach ohne
Weiteres die Accommodationsfähigkeit als normal zu be-
zeichnen und eine Störung des Ciliarmuskels für ausge-
schlossen zu halten. Dies ist aber durchaus irrig. Es
kann schon in der zweiten oder dritten Lebensdekade eine
nicht imbeträchtliche Parese des Ciliarmuskels bestehen,
ohne dass dieselbe manifest würde. Der objective Nach-
weis einer Ciliarmuskelparese ist erst dann mög-
lich, wenn die Parese grösser ist, als die latente
Accommodationsbreite."
Wenn ein Siebzigjähriger sagen wollte: „Das Atropin er-
weitert die Pupille, wirkt aber nicht auf die Accommodation,
256 C. Hess.
wenigstens habe ich an meinem Auge keine Wirkung auf die-
selbe wahrgenommen^'; so wird, trotz der Richtigkeit des Nach-
satzes, niemand den hieraus gefolgerten Vordersatz für richtig
halten. Wir wissen, dass Atropin den CiUarmuskel lähmt, ob-
schon bei alten Leuten ein Einfluss auf die Accommodation
nicht nachweisbar ist Ganz analog ist der Irrthum Tscher-
ning's. Bei einer Accommodationsbreite von nur 3 D ist die
„latente" Accommodationsbreite schon so gross, dass erst bei
hochgradiger Parese des Ciüarmuskels der Nahepunkt lün-
auszurücken beginnt Das Cocain kann also in Tscher-
ning's Auge eine ganz erhebliche Parese des Ciliarmuskels
hervorgerufen haben, ohne dass Tscherning einen Ein-
fluss auf seine manifeste Accommodationsbreite wahrnehmen
konnte. Je jünger die Versuchsperson, je kleiner also die
latente Accommodation, um so eher muss ceteris paribas
nach unseren heutigen Kenntnissen vom Accommodations-
vorgange eine CiUarmuskelparese durch Hinausnicken des
Nahepunktes nachweisbar werden. Eine Reihe hierhergehöriger
Beobachtungen hat vor zwei Jahren Herr Dr. Treutier
in meinem Laboratorium angestellt (Klin. Monatbl. f.
Augenheilk. 1897).
IIL Ueber „monocularen" und „binocularen"
Nahepunkt
Der BegriflF des binocularen und des monocularen Nahe-
punktes ist, so weit ich sehe, zuerst von Donders in die
Physiologie eingeführt worden. Es gilt allgemein als fest-
stehend, dass der Nahepunkt bei monocularem Sehen dem
Auge näher hege, als bei binocularem, weil bei dem Seheji
mit einem Auge eine grössere Convergenz und damit eine
grössere Cihjirmuskelcontraction aufgebracht werden könne,
welche letztere in Vemiehrung der Linsenwölbung und
Hereinrücken des wirklichen Nahepunktes zum Ausdruck
komme. Auch diese Auffassung geht von der Voraussetzung
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodalionslehre. V. 267
aus, dass die Nahepunktseinstellung einer maximalen Con-
traction des Ciliarmuskels entspreche. Da diese sich als
irrig erwiesen hat, so erschien eine erneute Prüfung des
Gegenstandes geboten.
Zunächst war zu untersuchen, ob die Bedingungen, unter
welchen monoculare und binoculare Nahepunktsbestimmung
vorgenommen worden sind, unter einander genügend überein-
stimmen, um die Ergebnisse ohne Weiteres mit einander
vergleichen zu können. Bei der bisher allgemein üblichen
Bestimmungsweise ist dies nicht der Fall. (Die folgenden
Untersuchungen beziehen sich zunächst nur auf das normale
emmetropische Auge.)
Den binocularen Nahepunkt bestimmen wir bei einer
gegebenen Convergenz und damit verknüpften Ciliarmuskel-
contraction und entsprechender Pupillen weite, den monocu-
laren dagegen bei im Allgemeinen viel grösserer Convergenz,
entsprechend stärkerer Ciliarmuskelcontraction und (ceteris
paribus) engerer Pupille. Es fehlt der Beweis, dass diese
grössere Ciliarmuskelcontraction auch eine vermehrte Wölbung
der Linse zur Folge hat Es war ja wohl denkbar, dass die
zu maximaler Linsenwölbung nöthige Ciliarmuskelcontraction
schon bei viel geringerer Convergenz aufgebracht werden
könnte, und dass eine weitere, mit grösserer Convergenz ver-
bundene Ciliarmuskelcontraction vollständig in dem von mir
als „latentes" bezeichneten Accommodationsgebiete vor sich
ginge. Diese würde dann keinen Einfluss auf die Linsen-
wölbung, also auf die Lage des wirkUchen Nahepunktes
haben, wohl aber noch mit einer entsprechenden Verenge-
rung der Pupille verknüpft sein und daher eine Annäherung
des scheinbaren Nahepunktes bei der üblichen Messungs-
weise zur Folge haben können.
Thatsächlich sind alle einschlägigen Messungen bisher
durch Annäherung feiner Objecto an die Augen vorgenom-
men worden: feine Drähte, „kleine Löcher in einer schwar-
zen Metallplatte, auf mattem Glase dem Tageslichte zuge-
▼. Qraefe'a Archiv für Ophthalmologie. XLIX. 2. 17
258 C. Hess.
wendet, oder feine auf schwarzem Sammet ausgestreute
Quecksilberkügelchen" (D o n d e r s).
Bei letzterer Beobachtungsweise wird leicht der Fall ein-
treten können, dass die mit den Fehlerquellen nicht vertraute
Versuchsperson ein nicht genau in der Medianebene gelegenes Kügel-
chen beobachtet, dessen Abstand von beiden Augen dann nicht
mehr genau der gleiche ist. Beobachtet sie z. B. mit dem rech-
ten Auge ein etwas links von der Medianebene gelegenes Kügel-
chen monocular und bringt es in den Nahepunkt dieses Auges,
so wird es bei binocularer Betrachtung dem linken Auge etwas
näher liegen und, wenn dieses gleiche Reiraction mit dem an-
deren Auge hat, von den Augen entfernt werden müssen, um
binocular scharf gesehen zu werden. Dieser Umstand könnte
wenigstens in einer Gruppe von Fällen den binocularen Nahe-
punkt den Augen ferner erscheinen lassen, als den monocularen.
Eine weitere, in gleichem Sinne, wie die erst erwähnte
markende Fehlerquelle ist folgende: Die von einem punkt-
förmigen Objecte auf der Netzhaut bei nicht völlig scharfer
Einstellung entstehenden Zerstreuungsfiguren sind bekannt-
lich in beiden Augen desselben Beobachters im Allgemeinen
merklich verschieden (siehe z. B. v. Helmholtz, Physiol.
Optik, II. Aufl. S. 170, wo die beiden Zei-streuungsfiguren
leicht oval mit in beiden Augen verschieden gerichteten
Achsen sind). Versucht man diese miteinander binocular
zu verschmelzen, so werden ihre einzelnen Theile nicht alle
auf identische Netzhautstellen fallen können, das haplosko-
pisch gesehene Zerstreuungsbild muss also im Allgemeinen
eine etwas grössere Fläche der Netzhaut decken, daher bei
Annäherung des Objectes über den wirklichen Naliepunkt
früher zu einer merklichen Verundeutlichung des Bildes
führen, als das monoculare. Auch aus diesem Grunde wird
bei der üblichen Prüfungsweise der binoculare Nahepunkt
im Allgemeinen in grösserem Abstände vom Auge gefunden
werden, als der monoculare. Innerhalb der physiologischen
Grenzen werden beträchtliche individuelle Schwankungen
hinsichtlich dieser Verechiedenheiteii zu erwarten sein. Zur
Yeranschaulichung dieser Fehlerquelle eignet sich gut der
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. Y. 259
folgende Versuch. Ein genügend weit entfernter leuchten-
der Punkt — z. B, ein heller Stern — erscheint mir mit
jedem meiner angenähert emmetropischen Augen allein ge-
sehen als eine sehr kleine, fast punktförmige helle- Scheibe
mit einer Reihe feinster, in verschiedenen Bichtimgen ver-
laufender Strahlen; diese Strahlen sind aber in beiden
Augen merklich von einander verschieden; so sehe ich
unter anderen mit meinem rechten Auge einen etwas grösseren
Strahl gerade nach innen, mit dem linken einen solchen
nach unten u. s. w. Fixire ich den Punkt mit beiden Augen,
so ist die kleine centrale helle Scheibe eine Spur grösser,
als die mit jedem einzelnen Auge gesehene, und erscheint
mit mehr hellen Strahlen besetzt, als der monocular
gesehene Stern. Es kann sich eben, wegen der nicht völügen
Gleichheit beider Augen, immer nur ein Theil der für jedes
einzelne Auge sichtbaren Strahlen im binocular gesehenen
Bilde vollständig decken. Die gleiche Beobachtung, die
sich in ihren Einzelheiten aus dem Gesagten leicht erklärt^
konnte ich auch von anderen emmetropischen Augenpaaren
nachweisen lassen.
Somit ist bisher bei Unterscheidung zwischen binocu-
larem und monocularem Nahepunkt nicht genügend Rücksicht
genommen auf die Verschiedenheit der äusseren Bedingungen,
unter welchen die Messungen angestellt wurden. Es ist
aber noch die Frage, ob diese Verschiedenheiten zur Er-
klärung der thatsächlich gefundenen Unterschiede genügen.
Was die Verengerung der Pupille bei Uebergang von dem
binocularen auf den monocularen Nahepunkt angeht, die
ja verhältnissmässig nicht gross ist, so können die hier-
auf zurückzuführenden Unterschiede der Nahepunktslagen
nicht sehr gross sein, jedenfalls lange nicht so gross, als
z. B. die Unterschiede zwischen der scheinbaren Nahepunkts-
lage bei normaler Pupillenweite und bei Eserinmiose. Sieht
man hierauf die Literaturangaben durch, so zeigt sich in der
That, dass ausnahmslos die gemessenen Unterschiede zwischen
17*
260 C. Hess.
binocularer und monocularer (scheinbarer) Nahepunktslage
sehr geringe sind: Donders giebt für einen 15jährigen Em-
metropen an: Nahepunkt binocular: 10,56 cm, monocular:
10,0 cm; Auch aus den Curven der anderen von ihm angeführ-
ten Fälle geht hervor, dass die unterschiede zwischen bei-
den Nahepunkten nicht nennenswerth grosser, zum Theil
sogar noch kleiner waren. Bisin ger findet für die Augen
von Schleich zwischen beiden Nahepunkten einen Unter-
schied im dioptrischen Werthe von ca. 0,5 D., bei einer
zweiten Versuchsperson 0,75 D, bei zwei anderen 1,0 bezw.
1,25 D (binocular 10 cm, monocular 8,9 cm). Pischer's
zahlreiche Messungen ergeben für seine Augen einen Unter-
schied im Werthe von nur 0,22 D. Pereies findet für
einen 25jährigen Emmetropen den Nahepunkt binocular in
10,0 bis 10,5 cm, monocular in 9,5 bis 10,0 cm, bei einem
gleichalterigen Myopen binocular 8,0 bis 8,5 cm, monocular
7,5 bis 8,0 cm. Für seine eigenen Augen findet Pereies
gar keinen Unterschied zwischen binocularem und monocu-
larem Nahepunkt: beide liegen in 9,5 bis 10,0 cm Entfernung.
Somit ist für alle bisher vorliegenden Messungen der
Unterschied zwischen binocularer und monocularer Nahe-
punktslage nur einmal etwas grösser als 1 D, einmal = 1 D,
sonst stets kleiner als 1 D, oft sogar kleiner als 0,5 D ge-
funden worden.
Um eine Vorstellung von dem Maasse der Pupillen-
verengerung beim Uebergang von der binocularen zur mo-
nocularen Nahepunktseinstellung an meinen Augen zu be-
bekommen, wurden Messungen in der Weise vorgenommen,
dass der Pupillendurchmesser mit Fernrohr und Ocular-
mikrometer bestimmt wurde, während ich nach einer im
„binocularen" Nahepunktsabstande befindhchen Nadelspitze
einmal mit beiden Augen, das andere Mal bei unver-
änderter Blickrichtung des untersuchten Auges mit grösst-
möglicher Convergenz und Ciharrauskelcontraction monocu-
lar blickte, (wobei Sorge getragen war, dass die Beleuch-
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. V. 261
tung beider Augen sich nicht merklich änderte). Der Pupillen*
durchmesser wurde bei einer Reihe solcher Messungen
monocular um etwa Vt^'/ö Weiner gefunden, als binocular.
Etwas grössere Werthe erhielt ich bei einigen entoptischen,
in folgender Weise angestellten Messungen : Auf dem oben be-
schriebenen, mit dem Kopfe fest verbundenen Schieber fixirte
ich eine Nadel im binocularen Nahepunkte. Dann schob ich
eine Blende mit punktförmiger Oelfiiung so vor ein Auge,
dass das Loch sich angenähert im vorderen Brennpunkte des
Auges befand und die Pupille entoptisch sichtbar wurde.
Während die Convergenz auf die Nadelspitze festgehalten
wurde, konnte ich das entoptische Pupillenbild auf einer
senkrecht zur Gesichtslinie des untersuchten Auges in be-
kanntem Abstände befindlichen Glastafel au&eichnen und
daraus den wirklichen Pupillendurchmesser in bekannter
Weise berechnen. Eine zweite Messung wurde vorgenom-
men, während ich mit entsprechend grösserer Convergenz
meinen Ciliarmuskel maximal contrahirte. Hier war im
zweiten Falle der Pupillendurchmesser ungefähr ^/g bis fast
"5 kleiner, als im ersten.
Wenn auch diese Zahlen selbstverständlich nur Nähe-
rungswerthe darstellen, die je nach Alter, Gesammtbe-
leuchtung etc. grossen individuellen Schwankungen unter-
liegen müssen, so genügen sie doch, um zu zeigen, dass
die fraghche Differenz bei den Untersuchungen nicht ganz
ignorirt werden darf, wie dies bisher ausnahmslos ge-
schehen ist
Die Verengerung der Pupille bei üebergang aus der bin-
ocularen in die monoculare Nahepunktseinstellung lässt sich durch
folgenden einfachen Versuch demonstriren. Icli bringe einen
Planspiegel senkrecht zur Oesichtslinie vor meinem rechten Auge
so an, dass der Abstand der Spiegelfläche von der Pupille des
Auges gleich der Hälfte des binocularen Nabepunktsabstandes ist
Das Bild der Pupille befindet sich dann also angenähert im bin-
ocularen Nahepunkte. Ich fixire zunächst bei Convergenz auf
den binocularen Nahepunkt mein Pupillenbild. Contrahire ich
262 C. Hess.
nun mit entsprediender Mehrung der Convergenz meinen Ciliar-
muskel mögHchst stark^ während ich weiter die Pupille mit dem
rechten Auge fixire, so sehe ich diese merklich kleiner werden,
während die Einzelheiten der Iris (z. B. am Pupillarrande) in un-
veränderter Schärfe gesehen werden. Mindere ich nun die Ck>n-
vergenz wieder bis zur „binocularen" Nahepunktseinstellung^ so
erweitert sich die Pupille bei unveränderter Schärfe des Bildes,
denn trotz Nachlassens der Ciliarmuskelcontraction behält die
Linse ihre maximale Wölbung bei. Zu messenden Versuchen
ist diese Methode nicht geeignet
Die herrschende Meinung, der Nahepunkt hege wegen
der Möglichkeit stärkerer Accommodation, d. h. Linsen-
wölbung, bei monocularem Sehen näher am Auge, als
bei binocularem, ist, wie wir sehen, unbewiesen« Um das
wirkliche Lageverhältniss beider zu einander festzustellen,
waren erneute Untersuchungen mit thunlichster Vermei-
dung der angeführten Fehler nöthig. In erster Linie musste
wieder an Versuche nach dem Scheiner'schen Princip
gedacht werden. Solche sind bisher meines VTissens nicht
angestellt worden. Snellen und Landolt schreiben (Hand-
buch d. ges. Augenheilk. 1. Aufl. III. 1. S. 76), es sei ein
Hauptnachtheil dieser Methode, dass „es auf diese Weise
beinahe unmögUch ist, beide Augen gleichzeitig zu prüfen,
die Bestimmung des binocularen Nahepunktes also ausge-
schlossen bleibt".
Es ist mir nun möglich gewesen, in verhältnissmässig
einfacher Weise binoculare Nahepunktsraessungen nach dem
Scheiner' sehen Princip vorzimehmen. Die Methode ge-
stattet eine genauere Untersuchung der einschlägigen Fragen,
als die bisherigen.
Bei der oben beschriebenen Vereuchsanordnung sei
a-m rechten Auge der monoculare Nahepunkt für den ver-
ticalen Meridian bestimmt worden. Bringt man nun das
punktförmige Fixirobject dem Auge noch etwas näher, so
werden zwei kleine Punkte senkrecht über einander sicht-
bar. Oeffnet man nun das Unke, bis dahin verdeckt ge-
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodationslehre. V. 263
vresene Auge, so sieht mau im ersten Augenblicke wegen
der starken Convergenz links neben den beiden ersten ein
drittes, einfaches Pünktchen, das man leicht durch Minde-
rung der Convergenz mit einem der ersten, etwa dem un-
teren, verschmilzt Von den jetzt sichtbaren beiden Pünkt-
chen wird also das untere binocular, das obere monocular
gesehen. Ebenso leicht wie vorher den monocularen kann
man nun den binocularen Nahepunkt bestimmen, indem
man das Fixirobject so weit vom Auge entfernt, bis die
durch die Blende gesehenen zwei Punkte in einen zu-
sammenfliessen.
Bei diesen Versuchen stört zunächst, dass das mit dem lin-
ken Auge gesehene Bild des hellen Fixirpunktes lichtstärker und
grösser erscheint, als die beiden mit dem rechten Auge durch
die feinen Löcher der Blende gesehenen Pünktchen. Für genaue
Bestimmungen müssen alle drei möglichst gleich oder das linke
muss kleiner und lichtschwächer als die beiden anderen sein.
Ich erreichte dies leicht durch Vorsetzen einer geeigneten Blende
mit feinster Oeflnung vor das linke Auge. Diese muss, etwa in
einem Schlitten mit Stellschraube, verschieblich sein, damit man
ihr die nöthige Stellung vor dem linken Auge geben kann, um
gleichzeitig durch die Löcher in beiden Blenden auf den Nahe-
punktsabstand zu convergiren. Das Object wird in der Median-
ebene angebracht. Man erleichtert sich die Beobachtung wesent-
lich, indem man das Licht für das eme Auge durch Anbringen
eines rothen Glases hinter einer der beiden Blenden färbt, wodiu-ch
man die rasche Unterscheidung der dem rechten und linken Auge
zugehörigen Bilder ermöglicht. Von den verschiedenen Modifica-
tionen der Versuchsanordnung möge hier nur eine besonders in-
structive angeführt werden. Ich bestimme den monocularen Nahe-
punkt für den verticalen Meridian meines rechten Auges in der
früher angegebenen Weise und stelle das Fixirpünktchen in diesem
Abstände fest. Bei Oeffnen des zweiten Auges verschmelze ich die
im ersten Augenblicke nebeneinander sichtbaren zwei Pünktchen zu
einem einzigen, und nun erscheint auch bei binocularer Conver-
genz auf den „monocularen'^ Nahepunktsabstand das Pünktchen
einfach. Dies beweist, dass ich die zur Einstellung nöthige
Linsenwölbung auch bei der viel geringeren Convergenz auf-
bringen kann. Mit gleichem Erfolge stelle ich den Versuch für
264 C. Hess.
den horizontalen Meridian an^ indem ich die beiden Löcher in
der Blende waagerecht nebeneinander bringe. Als Sehobject
wurde hier öfter statt des Punktes eine Nadelspitze benutzt
Wenn der binoculare Nahepunkt wirklich, wie allgemein ange-
geben wu-d, weiter von den Augen entfernt wäre, als der monocu-
lare, so müsste bei diesen Versuchen ein Abstand des Fixirpunktes
oder der Nadelspitze gefunden werden, im welchem diese zwar
bei monocularer Betrachtung einfach, bei binocukrer aber, auch
mit stärkster Accommodationsanstrengung, doppelt erschiene. Dies
ist aber nicht der Fall. Analoge Versuche mit gleichem Ergeb-
nisse habe ich ferner mit einer später zu beschreibenden Me-
thode am Haploskop angestellt.
Aus dem Mitgetheilten muss ich den Schluss ziehen,
dass bei mir, mit zuverlässigeren als den bisher üblichen
Methoden bestimmt, der binoculare und der monoculare
Nahepunkt gleich weit vom Auge entfernt liegen. Im Hin-
blicke auf die oben erörterten Fehlerquellen bei den früheren
Messungen ist es zum Mindesten sehr wahrscheinlich, dass
auch bei den anderen bisher untersuchten Augen der wirk-
liche monoculare Nahepunkt nicht näher am Auge lag,
als der wirkliche binoculare. (Geringe Verschiedenheiten
könnten hier in analoger Weise, wie oben erörtert wurde,
z. B. dadurch zu Stande kommen, dass in Folge stär-
keren Herabsinkens der Linse bei monocularer Nahepunkts-
bestimmung etwas anders gewölbte Linsen theile in das
Pupillargebiet gelangen können als bei binocularer Messung.)
Meine früheren Untersuchungen haben gezeigt, dass
bei starker Convergenz eine grössere Ciliarmuskelcontrac-
tion aufgebracht werden kann, als zu maximaler Linsen-
wölbung nöthig ist. Die vorliegende Untersuchung ergiebt,
dass schon bei Convergenz auf den „binocularen" Nahe-
punkt eine Ciliarmuskelcontraction aufgebracht werden kann,
die gross genug ist, um der Linse ihre maximale Wölbung
zu geben.
Der allgemein angenommene Satz „die monoculare
Accomraodationsbreite ist grösser, als die binoculare" ist
Arbeiten aus dem Gebiete der Accommodadonslehre. Y. 265
durch die früheren Untersuchungen nicht einmal wahr-
scheirjUch gemacht, geschweige bewiesen. Die übhche Schei-
dung von monocularem und binocularem Nahepunkt ist
danach principiell nicht gerechtfertigt, insoweit damit ge-
sagt sein soll, dass die Linsen Wölbung im ersten Falle
eine stärkere sei, als im zweiten. Wenn aber die früher
gemessenen Unterschiede zwischen binocularem und mon-
ocularem Nahepunkt allgemein auf die oben besprochenen
Verschiedenheiten der Versuchsbedingungen zurückzuführen
sind, was nach unseren Untersuchungen sehr wahrschein-
lich ist, so ist diese Scheidung unzweckmässig und daher
fallen zu lassen.
Die vorstehend mitgetheilten Untersuchungen fuhren
uns zu einer veränderten Auffassung von der Gesetzmässig-
keit, durch welche Convergenz und Accommodation mit ein-
ander verknüpft sind. Diese soll in einer folgenden Ab-
handlung eingehender untersucht werden.
Weitere Untersnchnngen über die Kerne der
Angenmiiskeliierven.
Von
Dr. Ludwig Bach,
Privatdocenten und wissenschaftlichen Assistenten an der üniversitäte-
Augenklinik in Würzburg.
Hierzu Taf. VI, Fig. 1—10.
(Aus der Universitäts- Augenklinik in Würzburg.)
Die im Folgenden niedergelegten Untersnchungsergeb-
nisse bilden eine Portsetzung des ersten Theiles meiner im
XVII. Band dieses Archivs mitgetheilten Untersuchimgen.
Die fiüheren vergleichend-anatomischen Untersuchungen be-
zogen sich auf die Augenmuskelkerngebiete des Menschen,
des Affen (Hapale Jacchus), der Katze und des Kanin-
chens. Die Fortsetzung dieser Untersuchungen sollte mir
die damaligen Ergebnisse festigen und vireiter ausbauen
helfen. Es lag mir speciell daran, auch das Oculomotorius-
kemgebiet von Thieren mit quergestreifter interiorer
Muskulatur in die vergleichende Betrachtung zu ziehen,
um damit vielleicht die noch strittige Frage über die
Localisation der interioren Muskulatur etwas fordern zu
können.
Meine neuen Untersuchungen erstrecken sich auf den
Menschen, die Maus, einen Fisch, die Taube, den
Sperling, Canarienvogel, die Eidechse und den
Maulwurf — auf letzteren im HinbUck auf die Entwick-
lung des hinteren Längsbündels.
Weitere Untersuch, über die Kerne der Angenmuskelnerven. 267
Oculomotorius-, Trochlearis- und Abducenskern-
gebiet des Menschen. Hierzu Fig. 1 auf Taf. VI.
Das zur Untersuchung gelangende, lange Zeit in M ü 1 1 e r -
scher Flüssigkeit fixirte Gehirn stammt von einem alten
Pfiündner, dessen linkes Auge viele Jahre in Folge einer
Verletzung phthisisch war, dessen rechtes Auge ein Leu-
coma adhaerens mit Secundärglaukom, Sehnervenexcavation
und -Atrophie zeigte. Es wurde mir von Herrn Professor
C. Eieger gütigst überlassen, wofür ich demselben auch
hier verbindlichsten Dank abstatte.
Färbung nach Weigert. — Frontalschnittserie etwas
schräg von hinten nach vom geschnitten.
Der Sehnerv des linken phthisischen Auges war voll-
kommen atrophisch, keine einzige schwarze Blaser war in
demselben zu sehen.
Der Sehnerv des rechten Auges war partiell atro-
'pbisch. Die Atrophie war beidei'seits in das Corpus geni-
culatum extemum zu verfolgen, des Weiteren liess sich ein
aü'ophischer Faserzug nach dem Thalamus und eine kurze
Strecke nach dem Corpus quadrigeminum auterius verfolgen.
Auf eine detailHrte Beschreibung der Augenmuskel-
kemgebiete darf ich nicht eingehen, da ich in der Haupt-
sache nur das in meiner oben erwähnten Arbeit Nieder-
geschriebene wiederholen köimte, nur auf wenige Punkte
muss ich zum Theil näher eingehen.
Zunächst sei hervorgehoben, dass ich in den klein-
zelligen Edinger-Westphalschen Kernen beiderseits
genau die gleichen Verhältnisse traf, desgleichen war auch
in dem Centralkern Perlia's keine partielle Atrophie
vorhanden, sondern es fanden sich normale Verhältnisse.
Es deckt sich dieser Befund mit älteren Befunden anderer
Autoren sowie mit des Verfassers experimentellen Ergebnissen.
Die Untersuchung der seitUchen Hauptkerne ergab
wieder keine anatomische Gliederung in einer Anzahl
268 L. Bach.
Einzelkerne, auch der sogenannte Centralkem ^var nicht
scharf abgetrennt durch eine zellfreie Zone von den beiden
Seitenkemen. Des Weiteren befand sich auch hier wieder
eine Anzahl zum Kerne gehöriger Zellen zwischen und
ausserhalb der Längsbündelquerschnitte. Ueber die klein-
zelligen Kerne habe ich meinen früheren Angaben nichts
hinzuzufügen.
Den Faserverlauf und die Kreuzungsverhältnisse
fand ich ziemhch ebenso wie in meinen älteren Serien.
Auffiel das Vorhandensein einzelner gekreuzter Fasern bis
zum vorderen Drittel. — Die in der Mittellinie verlaufen-
den sogenannten Fibrae rectae haben grösstentheils mit
den Oculomotoriuswurzelbündeln nichts zu thun. — Die
einzelnen aus dem Kern austretenden Bündel verlaufen
auch hier wieder getrennt bis zur Basis. Ich habe eine
naturgetreue Skizze dieser, wie auch Bernheimer betont
hat, für die Auffassung von Augenmuskellähmungen even-
tuell wichtigen Verhältnisse angefertigt Fig. 1, Taf. VI.
Wie oben erwähnt wurde, fand ich den Centralkem
Perlia's trotz der einseitigen hochgradigen Phthisis bulbi
unverändert, was ich Bernheimer gegenüber, der diesen
Zellliaufen für das Innervationscentrum des Accommoda-
tionsmuskels hält und welcher nach der Evisceratio bulbi
Degeneration der Zellen auf der gleichseitigen Hälfte
dieses Zellhaufens sah, betonen möchte.
Hinweisen will ich hier auch auf den Befand von
Juliusburger und Kaplan. Sie beobachteten bei einer
fünf Jahre lang völlig stationär bleibenden einseitigen Läh-
mung des Oculomotorius bei einem Falle von progressiver
Paralyse im Centralkem Perlia's Zellatrophie, jedoch
ohne bestimmte Localisation.
Bernheimer hingegen fand die Verändemngen nach
der Evisceratio bulbi genau halbseitig abgegrenzt
Nach meinen eigenen früheren und jetzigen Ergebnissen
über das Verhalten dieses Zellhaufens und dessen nur
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 269
scheinbare vollständige Abgrenzung gegen die seitlichen
Hanptkerne war ein Befund im Sinne des von Julius -
burger und Kaplan mitgetheilten von vornherein viel
wahrscheinlicher.
Edinger vermuthet, dass Perlia's Centralkem wohl
mit dem immer doppelseitig wirkenden Internus etwas zu
thun haben möge. Er sei genau so gebaut wie die gross-
zelligen Kerne für die anderen langen Augenmuskeln, und
man könne nicht einsehen, was eine solche Masse mäch-
tiger Ganglienzellen an den minimalen Binnen-
muskeln zu innerviren haben könne.
Mit demselben Rechte kann man die Frage stellen
bezüglich der von Bernheimer bestimmt behaupteten Be-
ziehung der kleinzelligen Mediankerne zu dem Sphinc-
ter pupillae, besonders wenn man wie Bernheimer den
kleinzelligen Lateralkern als dorsolaterale Ausbuchtung der
kleinzelligen Mediankeme betrachtet. Wie kommt ein so
schwacher Muskel zu einer solchen Anzahl zugehöriger Zellen ?
Wiederholen muss ich hier femer meine Frage: Was
für einen Sinn hat der ganz verschiedene Zelltypus in dem
kleinzelligen Mediankern einerseits und dem grosszelhgen
Centralkem andererseits, wenn wirklich die eine Zellgrappe
den Sphincter pupillae, die andere den Ciliarmuskel —
beides glatte Muskeln — innerviren soll?
Bernheimer findet die beim Kaninchen an Stelle
der kleinzelligen Mediankeme vorhandenen Zellen nicht
identisch mit den daselbst beim Menschen und Affen vor-
handenen Zellen. Demgegenüber muss ich hier in Kürze
bemerken — ich komme darauf bei der Mittheilung wei-
terer experimenteller Untersuchungen zurück — , dass ich
an der genannten Stelle beim Affen, bei der Katze,
beim Kaninchen und bei der Taube an vorzüglichen
Thionin- und Toluidinblaupräparaten Zellen von dem-
selben Typus, demselben Bau sehe, dass diese Zellen bei
der Katze und beim Affen nur dichter gehäuft sich finden
270 L. Bach.
als beim Kaninchen und bei der Taube. Bemerkt sei wei-
ter, das8 derselbe Zelltypus sich auch vereinzelt zwischen
den grossen motorischen Zellen der Seitenhauptkeme be-
sonders in der Nähe des Fasciculus longitudinalis findet,
dass er sich vereinzelt in dem ganzen Bereich des Zwischen-
kemraumes findet, dass er sich in weiter Ausdehnung dorsal,
lateral und ventral von dem Fasciculus longitudinalis findet
Ueber die Beziehungen der kleinzelligen Grup-
pen zum Oculomotoriuskern und speziell zur interio-
ren Muskulatur liegen seit meiner letzten Arbeit eine
Reihe von Mittheilungen vor, die in Kürze hier Platz fin-
den sollen.
Cassirer und Schiff geben in ihrer vorzüglichen Ar-
beit: „Beiträge zur Pathologie der chronischen Bulbärer-
krankungen" bestimmt an, dass die Edinger-Westphal-
schen kleinzelligen Kerne nicht als Oculomotoriuskeme an-
zusehen sind. Die zum Theil aus ihnen hervorgehenden,
in der Mittellinie laufenden sogenannten Fibrae rectae
haben zum grossen Theil mit den Oculomotoriuswurzel-
bündeln nichts zu tliun. Als Centren der inneren
Augenmuskeln können die kleinzelligen Median-
kerne nicht angesehen werden.
Panegrossi sagt auf Grund der Untersuchung von
sechs Fällen, es scheine ausgeschlossen, dass die
Edinger-Westphalschen Kenie oder die vorderen Me-
diankeme die Centren für die innere Muskulatur seien.
Die Zugehörigkeit der sogenannten Fibrae rectae zu Zellen
des Oculomotoriuskemes sei zweifelhaft.
Diesen Angaben von Cassirer und Schiff und Pane-
grossi gegenüber behauptet Bernheimer, „dass es in der
Medianlinie keinen, nicht zum üculomotorius gehörigen
dorso-ventralen Faserzug (sog. Fibrae rectae) giebt".
Siemerling und Boedeker können die Edinger-
Westphalschen Kerne auch nicht ohne Weiteres als ein
Centrum der Irisinnervation ansehen, glauben aber, dass
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 271
sie vielleicht zu der inneren Muskulatur in einer Beziehung
stehen.
Juliusburger und Kaplan fanden in einem Falle
von langjähriger einseitiger Lähmung des Nervus
oculomotorius trotz ausgesprochenster Atrophie in
den motorischen Zellen des Oculomotoriuskernes
keine Differenz zwischen den beiden Edinger-
Westphalschen Kernen, ebenso wenig zeigte die feine,
von der Gegend der Edinger-TVestphalschen Kerne
dorsoventralwärts verlaufende Faserung irgend welchen Unter-
schied zwischen beiden Seiten.
V. Monakow ist ebenfalls der Ansicht, dass die
Edinger-Westphalschen Gruppen nicht als Ursprungs-
zellen von Oculomotoriusfasem aufzufassen sind, denn sie
können, wie v. Monakow sich in einem Falle von voll-
ständiger Ophthalmoplegie (Cycloplegie) überzeugen konnte,
intact bleiben, selbst wenn der ganze Nervus oculo-
motorius degenerirt ist und sämmtliche übrige Zell-
gruppen des Oculomotorius fehlen.
Eine ganz ähnliche Beobachtung liegt femer von
Böttiger vor.
Bei experimentellen Untersuchungen (Evisceratio bulbi)
haben Schwabe und van Biervliet (van Gebuchten)
beim Kaninchen, Marina beim Affen und Hunde,
Verfasser beim Kaninchen, bei der Katze und beim
Affen keine Veränderungen weder in den Edinger-West-
phalschen Kernen und noch in Perlia's Centralkem noch
überhaupt im Oculomotoriuskem bekommen, während Bern-
heimer allein ganz unzweifelhafte Degeneration von
Zellen sowohl in dem Edinger-Westphalschen Kern als
in Perlia's Centralkem auftreten sah^).
') Gegenüber der Meinung, dass der positive Befund mehr be-
weise als der negative, möchte ich betonen, dass das normale Aus-
sehen der fraglichen Zellen in ziemlich weiten Grenzen schwankt, so
dass man leicht versucht sein kann, normale Zellen für veränderte
272 L. Bach.
Der Troehlearlskern ist auch hier wieder nicht durch
eine zellfreie Zone von dem Oculomotoriuskem abgetrennt,
sondern es besteht die AbgUederung nur in einer zell-
armen Zone.
Die aus demselben austretenden Fasern verlaufen nicht
alle zur Trochleariskreuzung im Velura, sondern ein Theil
zieht zwischen den Längsbündelquerschnitten hindurch,
ein Theil in dem Zwischenraum zwischen dem Längsbündel
der rechten und linken Seite und zwar dem medialen Bande
jederseits angelagert nach unten und vom. Wahrscheinlich
mischen sich diese Fasern den Oculomotoriuswurzelbündeln bei.
Ich muss hier auf die neuen Angaben von Siemer-
lin'g und Boedeker hinweisen. Dieselben fassen nur das
distale Ende als reinen Trochleariskern auf, das
proximale Ende stehe ausserdem mit dem Oculo-
motorius in enger Verbindung. Es gebe zwischen bei-
den Trochleariskemen eine centrale Verbindung in Form
einer Kreuzung, welche unmittelbar in die Oculomotorius-
kreuzung übergehe. — In Fällen einseitiger Lähmung fan-
den genannte Autoren eine lÄsion beider Kerne.
Die medial vom Trochleariskern verlaufenden Fasern
sind noch von einer Reihe anderer Forscher beschrieben
worden, sie konnten sie alle nicht weiter verfolgen (Ober-
steiner, Bregmann, Gramer, Kausch, Zeri, Cassirer
und Schiff).
Bezüghch des Faserverlaufes aus dem Trochleariskern
und der partiellen Kreuzung finde ich somit meine früheren
Angaben bestätigt.
anzusehen. Nur der Vergleich mit einer grossen Anzahl normaler
Serien schützt hier vor irrthümlichen Schlüssen; man wird sich dann
überzeugen, dass auch bei Serien durch das normale Kemgebiet hie
und da der Eindruck entsteht, die eine Seite sei yerändert. Wer in
dieses schwierige Gebiet nicht durch das Studium einer grossen Anzahl
von Serien eingearbeitet ist, kann hier nicht urtheilen. Ich muss
annehmen, dass diese noth wendige Voraussetzung bei Bernheimer's
„hervorragenden und competenten Mikroskopikem" nicht zutraf.
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 273
Bemerken will ich hier noch kurz, dass ich sowohl im
Oculomotoriuskern wie im Trochleariskem sehr viel Pig-
ment in den Zellen fand, ein Befund, wie er bei alten Leuten
häufig erhoben ist.
Bezüglich des Abdueenskernes sind auch einige Be-
merkungen zu machen.
Van Gebuchten hat beim Hühnchen besondere Zellen
in der Nähe des Facialiskernes beschrieben und bringt diese
in Zusammenhang mit dem Abducens, er spricht von einem
ventralen Abducenskem. Auch Held erwähnt diese Zellen.
— Pacetti, welcher einen Fall von angeborener Lähmung
des rechten Abducens untersuchen konnte, fand den Haupt-
abducenskern mit seinen Wurzeln vollkommen atrophisch,
ausserdem fand sich eine ausgesprochene Degeneration dieser
kleinen ventralen Zellgruppe. Im hinteren Längsbündel
der rechten Seite waren die ventrolateralen Fasern dege-
nerirt Pacetti fasste auf Grund dieses Befundes den
kleinen Kern als ventralen oder accessorischen Ab-
ducenskem auf.
Verfasser hat gleich Siemerling und Boedeker das
Vorhandensein dieses kleinen Kernes constatirt, kann sich
aber auch nicht besonders im Hinbhck auf die experimen-
tellen Ergebnisse für die Zugehörigkeit dieser Zellen zu
dem Abducenskern aussprechen. — Weitere Untersuchungen
hätten hier definitiv zu entscheiden.
Oculomotorius- und Trochleariskerngebiet der
Vögel.
Ueber die Augenmuskelkerne der Vögel liegen bereits
zwei Arbeiten vor, und zwar von Jelgersma und von
van Gebuchten.
Nach Jelgersma entspringt der Nervus trochlearis
wie bei Säugethieren total gekreuzt und verläuft der Stamm
an der Hinterseite des Lobus opticus zwischen diesem und
dem Seiteurande des Cerebellum nach o])en; die Trochlearis-
▼. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. XLIX. 2. Jg
274 L. Bach.
kreuzung bildet einen Theil des breiten Bandes von mark-
haltigen Commissurenfasern, die sich zwischen beiden Lobis
opticis ausbreiten. Der Trochlearis überschreitet die Mittel-
Unie nur wenig, biegt plötzlich ventral wärts um und tritt,
durch das Lumen des vierten Ventrikels verlaufend, in
seinen Kern, der direct dorsal von dem Fasciculus longi-
tudinalis in einer Aushöhlung desselben liegt und einfach
ist. Im Trochleariskem entspringen auch Fasern, die sich
direct ventro-medialwärts wenden, in den Fasciculus longi-
tudinalis eintreten, in dem sie in derselben Richtung ver-
laufen; man kann sie eine kurze Strecke verfolgen, dann
hören sie plötzlich auf und biegen wahrscheinUch in der
Längsrichtung des Bündels um; in den in der Nähe ge-
legenen Oculomotoriuskem kann man sie nicht ausstrah-
len sehen.
Beim Nervus oculomotorius sind Verlauf und Ur-
sprung bei den Vögeln und Säugethieren verschieden. Bei
den Säugethieren liegen alle Kerne des Oculomotorius dor-
sal vor dem Fasciculus longitudinalis, bei den Vögeln liegt
der ventrale Kern ventral von diesem Bündel. Bei den
Säugethieren verlaufen die Fasern des Nerven, sowohl ge-
kreuzte als ungekreuzte, durch den Fasciculus, bei den
Vögeln verlaufen sie alle, auch die gekreuzten, in medialer
Richtung. Bei den Vögeln passirt das sich kreuzende
Bündel die anderen Kerne nicht, sondern nur das nicht
gekreuzte Bündel verläuft aus dem dorso-lateralen Kern durch
den ventralen Kern derselben Seite. — Jelgersma hat spe-
ciell die Kerne junger Tauben und Krähen untersucht.
Van Gebuchten hatte Gelegenheit, einen 14 Tage
alten Embryo der Ente zu untersuchen. Er fand, dass
eine tlieilweise Kreuzung der Oculomotoriusfasem besteht,
dass die gekreuzten Fasern sowohl von der dorsalen, als
auch von der ventralen Abtheilung des Kernes herkommen
und hauptsächlich den medialen Theil des Nervenstammes
aufbauen.
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnenreit. 275
Ich lasse nun meine eigenen auf das Trochlearis-
und Oculomotoriuskerngebiet der Vögel bezüglichen
Untersuchungen folgen.
Trochlearis- und Oculomotoriuskerngebiet der
Taube. — Colomba leaconata Vig. — Hierzu Fig. 2 u. 3
auf Taf. VI.
Frontalschnittserie nach Weigert durch das Trochlearis- und
Oculomotoriuskerngebiet einer ausgewachsenen Taube. Sagittaler
Durchmesser des Trocbleariskemes 0,33 mm, des Oculomotorius-
kemes 0,72 mm. Da nicht alle Schnitte gleich dick sind, macht
diese Angabe keinen Anspruch auf vollkommene Genauigkeit
Der Trochleariskern besteht aus grossen multipolaren
Zellen, welche in ein dichtes Flechtwerk theils feiner, theils dicker
Fasern eingehüllt sind. Er hat distal eine rundliche, proximal eine
mehr ovoide Form und liegt der dorsalen Fläche des mächtig ent-
wickelten hinteren Längsbündels direct an. — Die dorsale Be-
grenzungslinie des Längsbündels verläuft schräg von innen oben
nach aussen unten. Der Raum zwischen dorsaler Längsbündelfläche
und ventralem Aquaeductusrand wird iast vollständig von der Kem-
masse eingenommen. — Eine ventrale Ausbuchtung des Aquaeductus
erstreckt sach bis zum unteren Rand der Längsbündelquerschnitte.
— Die das Kerngebiet verlassenden, aus grobkalibrirten Fasern
bestehenden Bündel veriaufen in kurzem lateroconvexem Bogen
nach aussen oben und dann nach innen und kreuzen sich an-
scheinend vollständig am oberen Rand des Aquaeductus.
Eine Abtrennung des Trocbleariskemes vom Oculomotorius-
kem durch eine zell freie Zone existirt nicht; der Uebergang ist
kenntlich an einer etwas zellärmeren Zone mit einem nicht so
reich entwickelten Fasemetzwerk. — Mit dem Beginn des 0 cu le-
rn otorius sieht man Zellen im Zwischenraum zwischen dem
Längsbündel der rediten und linken Seite auftreten sowie einen
in dorsoventraler Richtung ziehenden Faserzug. Es tritt jetzt
auch eine aus helleren und kleineren Zellen bestehende Zone in
die Erscheinung und zwar dorsolateral von den dem dorsalen
Längsbündeband anliegenden grossen und dunkleren Zellen. Diese
kleineren Zellen sind nicht in ein so reichliches Faseraetz einge-
hüllt wie die grossen Zellen des Trochlearis- und Oculomotorius-
kemes. In den mehr proximal gelegenen Schnitten rücken diese
Zellen auch in den Zwischenraum zwischen Oculomotoriuskem der
rechten und linken Seite herein; die aus diesem Zellcomplex aus-
18*
276 L. Bach.
tretenden Fasern verlaufen im Keiiizwischenraum nach abwärts.
Diese Zellprnppe erinnert sehr an die Edingcr-Westphal'sclie
kleinzellige dorsolaterale und mediale Zellgruppe beim Menschen.
Die Schnitte durch das Oculoraotoriuskemgebiet tragen in
der Serie die Nummern 16 — 40.
Schnitt 26. Es besteht nur mehr eine kleine ventrale
Ausbuchtung des Aquaeductus, die nicht mehr zwischen das Oculo-
motoriuskerngebiet hereinragt. — Die Längsbfindeiquerschnitte
haben bereits etwas an Mächtigkeit abgenommen; je mehr wir
in der Serie proximal vorrücken, um so mehr tritt diese Er-
scheinung hervor. — Die dorsal von den Längsbündelquer-
schnitten liegende Ansammlung dunkelbräunlicher grosser Zellen
hat etwas an Ausdehnung abgenommen, die kleineren helleren
Zellen sind etwas zahlreicher geworden. — In dem Zwischen-
raum zwischen dem medialen Rande der Längsbündelquerscbnitte
liegen jetzt in ganzer Ausdehnung zu beiden Seiten der Median-
linie grosse multipolare Zellen. Die Zellanhäufung tiberragt etwas
den ventralen lland der Längsbilndelquerschnitte, sie nimmt von
oben nach unten etwas an Breite zu. Am unteren Ende stossen
die Kerne der rechten und linken Seite aneinandei' an.
Schnitt 34. In dem dorsalen Bereich des Zwischenraumes
zwischen beiden Kernen liegen einzelne kleinere, zum Theil
spindelförmige Zellen, anscheinend Ausläufer der oben genannten,
dorsolateral vom Kern liegenden Gruppe kleiner heiler Zellen.
Ausserdem sehen wir im Zwischenkernraum dorsal eine Anzahl
in senkrechter Richtung dorsoventral ziehender Fasern, ein Theil
dieser Fasern stammt von dem helleren, kleineren Zelicomplex.
Diese zunächst in gerader Richtung abwärts ziehenden Fasern
überkreuzen sich theilweise im ventralen Kembereich, zum Theil
biegen sie daselbst schiin gen form ig um und ziehen von der einen
Seite zur anderen.
Zwischen den Längsbtindelquerschnitten sieht man wenige
Fiisern und nur ganz vereinzelte Zellen.
In den nächsten Schnitten ändern sich die Verhältnisse
nicht nennenswerth. Zu bemerken wäre höchstens, dass die
dorsolateral liegende Gruppe kleinerer Zellen an Ausdehnung
etwas zunimmt; Zellen gleichen Aussehens finden wir — etwas
mehr zei-streut — weit in die Umgebung.
Der Kern hat an Ausdehnung etwas abgenommen. In
dem (loi-salen Bereich des Zwischenkernrauraes sieht man auch
hier kleinere, zum Theil Spindel Hirmige Zellen, welche an die
kleinzelligen Edinger- W est phal' sehen Kerne erinnern. Der
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 277
Faserv'erlauf bleibt im grossen Ganzen gleich. Die aus der
beileren, kleinzelligen Gruppe hervorgehenden Fasern ziehen durdi
das Ocaiomotorinskemgebiet am medialen Längsbündelrand hin,
so dass man anzunehmen geneigt ist; diese Zellgruppe gehöre
zum Oculomotoriuskem.
Schnitt 39. Die dunkehi grossen Zellen, dorsal vom
Längsbündel und im dorsalen Bereich des Zwischenkemgebietes,
sind weniger zahlreich vorhanden. In dem ventralen Kembereich
haben sich die Verhältnisse nicht wesentlich verändert, es con-
fluiren immer noch die Kerne der beiden Seiten. Zwischen
den Längsbündelquerschnitten sieht man eine Anzahl von Zellen,
die zum Oculomotonuskern gehören. — Der hellere kleinzellige,
dorsolateral gelegene Kern ist fast ganz verschwunden, man sieht
an seiner SteUe und in der Umgebung zwar noch dieselben Zellen,
aber mehr zei-streut liegend; dahingegen haben die kleinen Zellen
im Zwischen kern räum dorsal an Zahl erheblich zugenommen.
Das hintere Längsbündel ist hier bereits wesentlidi
schmäler als im distalen Kernbereich; die Verschmächtigung des-
selben geht ganz allmählich vom distalen nach dem proximalen
Ende zu vor sich.
Schnitt 42. Weder dorsal von den Längsbündelquer-
schnitten noch im Zwischenraum sind an diesem Schnitte noch
grosse Zellen zu sehen; dagegen finden wir immer noch die
kleineren Zellen an diesem Schnitte und einer Reihe der folgen-
den regellos gelagert im Zwischenraum zwischen den Längsbün-
deln und dorsal davon.
Wu: können jetzt auch die austretenden Wurzelbündel
des Oculomotorius eine Strecke w^eit verfolgen; erst mit dem
Schnitt 57 verech winden dieselben ganz. Der Verlauf ist dem-
nach ein schräger, von liinten oben nach vom unten. Ein
grösserer Zwischenraum zwischen den einzelnen Wurzelbündeln ist
bei der Taube nicht vorhanden.
Zusammenfassung des Befundes.
Die zusammenfassende Besprechung erfolgt auf Grund
der im Vorstehenden beschriebenen Weigert- Serie und
einer Anzahl von Thionin- und Toluidinblauserien.
Der Trochleariskern hat eine rundliche (hier und
da ovoide) Form und liegt dem dorsalen Rande des mächtig
entwickelten hinteren Längsbündels direct an. Der Kaum
278 L. Bach.
zwischen dorsalem Längsbündelrand und centralem Sand
des Aquaeductus wird fast Tollständig von der Kemmasse
eingenommen. Es findet eine anscheinend vollständige Kreu-
zung der austretenden Bündel des Trochlearis an dem beide
Lobi optici verbindenden Band von markhaltigen Commis-
surenfasem statt
Zwischen Trochlearis- und Oculomotoriuskern
besteht keine zellfreie, sondern nur eine zellarme Zone.
Mit dem Beginn des Oculomotoriuskemes sehen wir nicht
nur Zellen dorsal vom Längsbündel, sondern auch in dem
Zwischenraum zwischen Längsbündel der rechten und lin-
ken Seite. Mit Beginn des mittleren Kemabschnittes über-
ragen die Zellen in grosser Zahl den ventralen Band der
liängsbündelciuerschnitte, was bei den Säugethieren nicht der
Fall ist, und confluiren in der Mittellinie. Tm proximalen
Drittel nimmt das Kemgebiet allmählich an Ausdehnung ab.
Eine Gliederung in eine Reihe getrennter Einzel-
kerne ist nicht vorhanden.
Die Oculomotoriusfasem kreuzen sich partiell.
Schon bald nach Beginn des Oculomotoriuskemes sehen
wir doi-solateral von den grossen motorischen Zellen des
Kernes eine Ansammlung von etwas kleineren und etwas
anders geformten Zellen auftreten. Die Zellen haben
^rösstenthcMls eine rundliche Form und enthalten meist
weniger färbbare Substanz wie die typischen motorischen
Zellen des Kernes. Einzelne dieser rundlichen, helleren
Zellen gewahren wir auch medial oben im Zwischenkem-
raum. Daneben sehen wir noch kleinere ovale, spindel-
förmige oder unreg(4mässig g(»formte Zellen mit etwas ver-
schiedenem Gehalt an färbbarer Substanz. Dieselben Zellen
finden sich in weiter Ausdehnung des Zwischenkernraumes
nicht nur dorsal, sondern auch ventral, sie finden sich ver-
einzelt auch zwischen den motorischen Zellen des Kernes,
sie finden sich dorsal, ventral und lateral in weiter Aus-
dehnung von dem hinteren Längsbündel. Aussehen und
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 279
vor Allem die Lage dieser Zellen im Bereich des Kem-
gebietes erinnem an die Edinger-Westpharschen klein-
zelligen Kerne, nur die etwas grösseren, rundlichen, hellen
Zellen dorsolateral fand ich nicht in gleicher Weise beim
Affen, der Katze und dem Kaninchen.
Würden diese Zellen wirklich für den Sphinkter pu-
pillae bestimmt sein, so begreifen wir nicht ihre grosse Zahl
und auch nicht den anderen Typus, denn beim Vogel ist
doch der Sphincter pupillae auch ein quergestreifter Muskel!
Trochlearis- und Oculomotoriuskerngebiet des
KanarleiiTOgels. — Serlnus canarius Cab. Hierzu
Fig. 4 u. 5 auf Taf. VI.
Frontalschnittserie nach Weigert durch das Trochlearis- und
Ocnlomotoriuskemgebiet. Schnittrichtung stark schräg von hinten
oben nach vom unten. Zahl der Schnitte 26. Schnittdicke
durchschnittlich 0,03 mm.
Der Trochleariskern hat eine rundliche Form. In Bezug
auf die Zellen desselben und das dieselben umgebende Netzwerk
ünden wir dieselben Verhältnisse wie bei der Taube. Bemerkens-
werth ist der Umstand, dass einzelne Fasern in dem Zwischen-
raum zwischen dem medialen Längsbündelrand in dorsoventraler
Richtung nach abwärts ziehen. Diese Fasern helfen somit nicht
den Nervus trochlearis bilden, sondern mischen sich ziemlich
sicher den Oculomotoriuswurzelbündeln bei — es würden somit
NervenzeUen des Oculomotoriuskemes auch in dem sogenannten
Trodileariskem liegen. Diese Beobachtung bringt eine neue Stütze
für die früher von mir bereits aufgestellte Behauptung, dass in
der Regel keine wirkliche Trennung, kein zellfreier Zwischenraum
zwischen Trochlearis- und Oculoraotoriuskem besteht. Der Tro-
chleariskern, sowie die dorsale Parthie des Oculomotoriuskemes
liegen dem schräg von innen oben nach aussen unten verlaufen-
den hinteren Längsbündel direct an; der Trochleariskern reicht
medial nur bis ungefälir zur Grenze des mittleren und inneren
Drittels. — Die dorsolateral vom Kern austretenden Nervenfaser-
züge, die Ner\i trochieares, kreuzen sich in der Mitte der oberen
Wand des Aquaeductus.
Ein Zwischenraum zwischen Trochlearis- und Oculomotorius-
kem existirt in der mir vorliegenden Serie nicht.
280 L. Bach.
Mit dem Beginn des OculomotoriuskemeB wird die Zalil der
dorsal vom hinteren Längsbündel liegenden Zellen etwas geringer,
dieselben rücken jetzt bis zum medialen liande heran, auch in
dem Zwischenraum zwischen den hinteren Längsbtindeln beider
Seiten werden Zellen sichtbar. — Schon nach wenigen Schnitten
sehen wir Zellen im ganzen Bereich des Zwischenraumes zwiscJien
den hinteren iJlngsbündeln und auch ventral von den Ijängs-
btindelquerechnitten. Am ventralen Ende sehen wir wieder wie
bei der Taube die Kerne beider Seiten ineinander übergehen.
lu dem Zwischenraum gewahren wir in der ganzen Aus-
dehnung ein stärkeres Faserbündel in dorsoventraler Richtung
ziehend. Dasselbe erhält Fasern von beiden Seiten.
Bald nach Beginn des Oculomotoriuskemes wird dorsolateral
vom Kerne und auch im doi*salen Bereich des Zwischenkem-
raumes eine Anhäufung kleinerer^ hellerer Zellen sichtbar in
der gleichen Weise \\'ie bei der Taube. Die Zalil dieser Zellen
ist eine beträchtliche. Im Verhältniss zur Zahl der grossen Zellen
ist dieselbe so bedeutend, dass es unwahrscheinhch vorkommt,
dass diese Zellen nur die interioren Muskeln oder gar nur den
Musculus sphincter pupillae innerviren sollen. Da die interioren
Augenmuskeln bei den Vögeln auch quergestreift sind, ist audi
von vornherein gar nicht einzusehen, weshalb die zugehörigen
Nervenzellen ein so von der Hauptkernmasse differentes Aussehen
haben sollten, lieber den Verlauf der aus diesem ZellcomplejL
austretenden Faserbündel, siehe man die Abbild. 4 auf Taf. VI.
Damach zur urthcilen, sollte man ja allerdings an die Zugehörig-
keit zum Oculomotoriuskem denken.
Im Vergleich zur Taube fällt es auf, dass eine so grosse Zalil von
Zellen zwischen und ausserhalb der Längsbündelquerschnitte liegt.
Die Stärke des hinteren Längsbündels nimmt aucli
hier allmählich vom distalen nach dem proximalen Bereich zu ab.
Bezüglich der kleinzelligen dorsolateralen und me-
dialen Kerne ist zu sagen, dass schon bald nach Beginn der
Ansammlung der kleineren, helleren Zellen im distalen Kemab-
schnitt diese Zellen sicli in der Mittellinie treffen und allmählich
mehr und mehr auch in den Zwischenkemrauro hereinrücken.
Nachdem die eigentlichen Oculomotoriuszellen proximal aufgehört
haben, sieht man die kleinen Zellen immer noch dorsal von den
Längsbündelquerschnitten und auch in dem jetzt etwas brdter
werdenden Zwischenraum zwischen der medialen Begrenzung der
liängsbündel; sie liegen hier weniger dicht beisammen.
Bezüglich des Faser verlauf es ist zu sagen, dass nur
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 281
^venige und schmale Faserbttndel zwisclien den Längsbündelquer-
sclinitten nach abwärts ziehen, weitaus die Mehrzahl der Fasern
zieht im Zwischenraum zwischen den medialen Längsbündel-
rändern dorsoventral, und zwar ist von Anfang an ein allmählich
Btäi'ker werdendes Bündel in der Mittellinie vorhanden, das die
Trennungslinie zwischen dem Kern der rechten und linken Seite
bildet. Besonders im ventralen Abschnitt sieht man schräg und
annäliemd horizontal verlaufende Fasern (gekreuzte (V) Fasern). Zur
genaueren Feststellung der ungefäliren Zahl und des Verlaufes
der gekreuzten Fasern, reicht die mir vorliegende Serie nicht aus.
Sehr auffällig ist beim Kanai'ienvogel besonders auch im
Hinblick auf die Verhältnisse bei der Taube, dass die austre-
tenden Wurzelbündel des Oculomotoriuskernes beider
Seiten zuerst zu einem gemeinsamen Stamm vereinigt nach
vom und abwärts ziehen und erat in geringer Entfernung
von der Uirnbasis^ ventral von den rothen Kernen, in zwei
Stämme sich trennen. Siehe Fig. 5 auf Taf. VI.
ZusammenfAssang des Befundes.
Der sagittaJe Durchmesser des Trochlearis- und Oculo-
motoiiuskerngebietes beträgt ca. 0,8 mm.
Der Trochleariskern hat eine rundliche Ferra und
hegt direct dem dorsalen Bande des hinteren Längsbündels
an. Die dorsolateral aus dem Kern austretenden Nerven-
faserbündel kreuzen sich anscheinend vollständig in der
"Mitte der oberen Wand des Aquaeductus. Eine wirkliche
Abtrennung vom Oculoniotoriuskern ist in vorliegender Serie
nicht vorhanden*.
Mit dem Beginn des Oculomotoriuskernes rücken
die dorsal vom hinteren Längsbündel liegenden Zellen bis
an den medialen Kand des Längsbündels heran, wenige
Schnitte weiter proximal liegen sie auch im Zwischenraum
zwischen den Längsbündeln, ja bald überragen sie den ven-
tralen Band der Längsbündelquerschnitte, und es confluiren
die Kerne beider Seiten am ventralen Ende. Im Vergleich zur
Taube fällt auf, dass viele Zellen zwischen und ausserhalb
der Längsbündelquerschnitte liegen. Das Kerngebiet ver-
kleinert sich ganz allmählich gegen das proximale Ende zu.
282 L. Bach.
Bald nach Beginn des Oculomotoriuskernes wird dorso-
lateral vom Kerne und auch im Zwischenkemraum beson-
ders dorsal eine Anhäufung kleinerer Zellen von einem an-
deren Typus als die motorischen Zellen des Kernes sichtbar.
Die Zahl dieser Zellen ist eine beträchtliche. Sie lassen
sich über das proximale Ende des Kernes hinaus verfolgen.
Die Oculomotoriusfasem kreuzen sich aller Wahr-
schehilichkeit nach theil weise. Sehr auffälhg ist besonders
im Hinblick auf die Verhältnisse bei der Taube, dass die
ausü'etenden Wurzelbündel beider Seiten zuerst zu einem
gemeinsamen Stamm vereinigt sind und erst in geringer
Entfernung von der Basis in zwei Stämme sich theilen.
Trochlearis- und Üculomotoriuskerngebiet des
Sperlingcs. — Passer domesticus.
Frontalscbnittserie nach Weigert durch das Trodüearis-
und Oculomotoriuskerngebiet
Es wurde von der distalen nach der proximalen Seite zu
geschnitten. Trochlearisbeginn mit Schnitt 8, Oculomotoriuskern-
ende Schnitt 32, Ende der austretenden Wurzelbündel des Oculo-
motorius Schnitt 53. Schnittdicke 0,03 mm, somit sagittaler Durch-
messer des lYochlearis- und Oculomotonuskerngebietes 0,72 mm.
Der Trochleariskern liegt direct den Längsbündelquer-
schnitten dorsal an, er reicht nicht ganz bis an die mediale
Grenze desselben. Der Kern hat eine ovoide Form. Der Zwischen-
raum zwischen dorsaler Längsbündelfläche und Boden des Aquae-
ductus wird nahezu vollständig von der Kernmasse ausgefällt.
Der Aquaeductus bildet im Bereich des Trochleariskernes einen
tiefen Einschnitt zwischen den hinteren Liingsbündeln. Die obere
Wand des Ventrikels wird fast nur durch die sich kreuzenden
Wurzelbündel des Trochlearis jjrebildet. letztere ü-eten fast alle
am doraolateraien Rande des Kernes aus und ziehen in einem
medioconcaven Bogen zur Kreuzungsstelle hin.
Mit Beginn des Oculomotoriuskenies (Schnitt 17) rücken
die Zellen bis zum medialen Rande des Längsbündels heran,
tiberschreiten denselben und liegen schon theilweise in dem Zwischen-
raum zwischen den Längsbündeln beider Seiten. — Es sind hier
schlingenförmig von einem Kern zum anderen verlaufende (ge-
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 283
krenzte) Fasern sichtbar. Ausser den grossen multipolaren Ganglien-
zellen; welche denen des Trochleariskemes gleichen, sind mit Be-
ginn des Oculomotoriuskemes auch kleinere Zellen in etwas
grösserer Anzahl zu sehen. Dieselben bilden eine zuerst kleine,
mehr rundliche, dann grössere birnförmige (Spitze nach unten)
Anhäufung dorsomedial direet im Anschluss an die grossen Zeilen.
Die aus diesem Zellcomplex austretenden Faserbündel ziehen in
dem Zwischenkemraum abwärts.
Schnitt 22. Der Zwischenraum zwischen der dorsal lie-
genden Kemparthie und dem Aquaeductusboden ist grösser ge-
worden. — Die Zahl der dorsal von den Längsbündelquer-
schnitten liegenden grossen multipolaren Zellen ist etwas geringer
geworden; einzelne derselben liegen auch zwischen den Längs-
bündelquerschnitten. Entlang der ganzen medialen Wand der
Längsbündelquerschnitte dehnt sich nunmehr der Kern aus sowie
eine Strecke weit entlang der unteren Begrenzung. Am unteren
Ende divergiren die Kerne etwas, so dass ein kleiner dreieckiger
Zwischenraum entsteht — Die kleinzellige Anhäufung hat
ebenfalls an Ausdehnung zugenommen, in der Mittellinie stossen
diese Zellen zusammen und ragen bereits etwas in den Zwischen-
raum der Oculomotoriuskeme herein. — Die aus dem dorsalen
Kemabschnitt hervorgelienden Faserbündel verlassen den Kern
theUs zwischen den fjängsbündelquerschnitten, tlieils ziehen sie
um den medialen Rand herum und dann dorsoventral. In der
Mitte zwischen den beiden Kernen zieht ein ziemlich starkes
Faserbündel in gerader Richtung dorsoventral, es ist bis zum
unteren Rande des Kernes zu verfolgen. Nahe dem unteren
Ende sind sehr scjhön einige schlingenförmig von einem Kern
zum anderen verlaufende Fasern zu sehen.
Schnitt 28. Die Zahl der doreal von den Ijängsbtindein
liegenden grossen und kleinen Zellen hat abgenommen, die Zahl
der ventral davon liegenden hat zugenommen. — Die Grenze
zwischen beiden Kernen bildet immer noch ein in der Mittellinie
dorsoventral ziehendes, unten allmälilich stärker werdendes Faser-
bündel. Auch zwischen den Zellen des Keines sieht man beider-
seits streckenweise einzelne stärkere Faserbündel. Zahlreiche
Fasern laufen schräg oder bogenförmig von einem Kern zum
anderen (gekreuzte Fasern).
In den nächsten Schnitten schwinden die gi'ossen multipo-
laren Ganglienzellen zuerst doi'sal von den hinteren Längsbündeln,
dann im Zwischenraum zwischen denselben, dann auch die ventral
davon gelegenen. Die kleineren Zellen lilcken etwas mehr in den
284 L. Bach.
Zwischenkernraum herein und sind noch in einer Anzahl weilerer
Schnitte zu sehen.
Nach dem Verech winden des Kernes selbst werden die
Wurzelbttndel sichtbar, dieselben ziehen von hinten oben nach
vorn unten. Die Wurzelbttndel beider Seiten liegen beisammen,
sie divergiren allmählich nach unten; auch zwischen den einzelnen
Wurzelbündeln jeder Seite besteht kaum ein Zwischenraum.
Zusammenfassung des Befundes.
Der sagittale Durchmesser des Trochlearis- und Oculo-
motoriuskerugebietes beträgt ca. 0,7 mm.
Der Trochleariskern hat eine ovoide Form und
liegt dem dorsalen Rande der Längsbündelquerschnitte direct
an. Die aus dem Kern dorsolateral austretenden WTurzel-
bündel des Trochlearis kreuzen sich am oberen Rande des
Aquaeductus anscheinend vollständig.
Mit dem Beginn des Oculoraotoriuskernes nimmt
der horizontale Durchmesser des dorsal von den Längs-
bündelquerschnitten liegenden Kernabschnittes zu, es wer-
den bald auch Zellen im Zwischenraum zwischen den
Längsbündeln in ganzer Ausdehnung desselben sichtbar.
Eine grössere Anzahl von Zellen überragt den ventralen
Rand der Längsbündelquerschnitte, einzelne Zellen liegen
zwischen denselben. Eine Confluenz des Kernes der rech-
ten und linken Seite, wie ich sie bei der Taube und dem
Canarienvogel beobachtete, findet beim Speriing in der mir
vorliegenden Serie niclit statt. Von der Mitte nach dem
proximalen Ende nimmt der Kern allmähhch an Ausdeh-
nung ab.
Fast in der ganzen Ausdehnung des Oculomotorius-
kemes und darüber hinaus findet sich dorsolateral und zum
Theil im Zwischenraum zwischen dem Kern der rechten
und linken Seite eine grössere Anzahl kleinerer Zellen, die
nicht den Typus motorischer Zellen darbieten. Sie er-
innern an die Edinger-WestphaTschen Kerne beim
Menschen.
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenrauskelnerven. 285
Es besteht eine partielle Kreuzung der Oculomotoriiis-
fasem. Die austretenden Wurzelbündel liegen nahe bei-
sammen und verlaufen ziemlich weit nach vorn und unten.
Trochlearis- und Oculomotoriuskerngebiet der
Eldeehse. — Lacerta agllis. Hierzu Fig. 6 u. 7, Taf. VI.
Frontalschnittserie nach Weigert durch das Trochlearis-
und Oculomotoriuskerngebiet. Hierzu Fig. 6 u. 7 auf Taf. VI.
Der Troclileariskem hat eine Länge von 0,14 mm und eine
rundliche Form. Er liegt dem dorsalen Rande der mächtig ent-
wickelten, schräg von innen oben nach aussen unten ziehenden
Längsbtindelquersehnitte an und besteht aus Zellen verschiedener
Grösse; die meisten derselben sind grosse multipolare Ganglien-
zellen, umgeben von einem zierlichen Geflecht verschieden cali-
brirter Fasern*. — In den Zwischenraum zwischen hinterem Längs-
bündel der rechten und linken Seite ragt bis zum ventralen Ende
— und weiter — der Längsbündelquerschnitte eine Ausbuch-
tung des Aquaeductus herein.
An dem lateralen oberen Rande verlässt ein Bündel stai'k
calibrirter markhaltiger Fasern den Kern und zieht in dorso-
concavem Bogen nach oben und medial zu dem oberen Rande
des Ventrikels, in dessen Mitte eine anscheinend totale Kreuzung
mit dem Bündel der anderen Seite stattfindet. Nach der Kreu-
zung zieht das Bündel zuerst eine kurze Strecke in einem dorso-
concavem, dann in dorsoconvexem Bogen nach aussen oben und
verlässt das Gehirn an der dorsalen Seite, nicht weit von der
MitteUinie. Siehe Fig. 6 auf Taf. VI.
Auch an dem medialen Rande des Kernes sehen ^ir ein
Bündel grösstentheils feincalibrirter Fasern zu beiden Seiten der
ventralen Ausbuchtung des Aquaeductus in gerader Richtung nach
abwärts ziehen, und zwar können wir dieselben bis über das
untere Ende der Längsbtindelquersehnitte hinaus verfolgen. Eine
Anzahl theils feiner, theils etwas stärker calibrirter Fasern zieht
auch zwischen den Längsbündelquerschnitten nach abwärts.
Oculomotorius: Beim üebergang des Trochlearis in den
Oculomotoriuskern nimmt die dem dorsalen Rande der Längs-
bündelquerschnitte angelagerte Kemparthie eine mehr ovale Fonn
mit ventraler leichter Ausbuchtung (Schnitt KJ) an, ausserdem
treten Zellen in dem Zwischenraum zwischen den medialen Flächen
der liingsbündelquerschnitte, das untere Ende derselben etwas
286 L. Bach.
übeiTagend, anf, so dass der Kern die Form eines umgekehrten J
annimmt. Die untere Parthie des Kernes ist etwas breiter als
äie obere. Am ventralen Ende liegen Kerne der rechten und
linken Seite direct neben einander, sie sind nur durch ein massi-
ges Faserbündei getrennt — Die aus dem Kern austretenden
Faaem verlassen dasselbe theils zwischen den LängsbQndelquer-
schnitten, theils am medialen Rande derselben, theils ziehen sie
im Zwischenkemraum in ziemlich gerader dorsoventraler Eichtung.
Die Fasern sind nicht alle gleich calibrirt. — Das Fasemetzwerk
um die Zellen erscheint nicht so dicht wie beim TrochleariskenL
Am ventralen Ende der weit in den Zwischenkemraum
hereinspringenden Ausbuchtung des Aquaeductus sehen wir eine
Anzahl theils schlingenförmig von einem Kern zum anderen ver-
laufender, tlieils sich aberkreuzender Fasern. Gekreuzte Fasern.
Schnitt 21. Die Form des Kernes ist gleich geblieben;
die Verjüngung des Kernes nach dem dorsalen Ende zu fällt
etwas mehr auf. Vereinzelte Zellen liegen zwischen den liUigs*
bündelquerschnitten. Von den paarigen kleinzelligen Kernen und
dem unpaaren grosszelligen Centralkera ist nichts zu sehen. —
Einzelne Fasern treten auch hier zwischen den Längsbündelqner-
schnitten aus, die Mehrzahl zieht in gerader, dorsoventraler Rich-
tung am medialen Rande der LängsbündelquerBchnitte nach ab-
wSrts. Man kann hier die austretenden Faserbündel bis zur
Himbasis verfolgen; sie laufen getrennt von einander in leicht
lateroconcavem Bogen. Siehe Fig. 7 auf Taf. VI.
Schnitt 24. Am ventralen Ende des Zwisdienraumes
zwischen den medialen Längsbündelquerschnitten sieht man neben
der Mittellinie beiderseits einige hellere und zum Theil kleinere
Zellen als die meisten übrigen Zellen des Kernes; dieser Zell-
complex ist nicht von der übrigen Kernmasse abgegliedert Er
hat die Form eines Ovals mit dorsaler Spitze. — Am ventraleJi
Ende der Aquaeductusausbuchtung sehen wir audi hier eine An-
zahl schlingenförmig umbiegender Fasern.
Schnitt 25. Der Kern hat mehr Bimform angenommen,
der verjüngte Theil ist ventral gelegen. Dorsal von den Längs-
bündelquerschnitten ist die Dicke des Kernes ziemlich gleidi ge-
blieben; in dem Zwischenraum zwischen den Längsbündeln ver-
jüngt er sich rasch und hört ungefähr in der Mitte der Längs-
bündelquerschnitte auf. — In dem unteren Bereich des Zwischen-
raumes zwischen den Längsbündeln sind beiderseits einzelne heller
aussehende und kleinere Zellen vorhanden; ebendaselbst gewahren
wir auch noch mehrere schlingenförmig umbiegende Fasern.
Weitere untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 287
Die Längsbündelquerschnitte haben allmählich von dem di-
stalen nach dem proximalen Bereich — wohl durch Endigong
eines Theiles der Fasern im Oculomotoriuskem — an Mächtig-
keit abgenommen; sie verlaufen in einer schrägen Linie von
aussen oben nach innen unten. — Die Aquaeductusausbuchtung
i'agt immer noch weit in den Zwischenkemraum herem.
Eine wirkliche Gliederung in verschiedene Kemabschnitte ist
nicht vorhanden.
Sagittale Ausdehnung des Oculomotoriuskemes =±= Oyi mm.
Zusammenfassangr des Befundes.
Der sagittale Durchmesser des Trochlearis- und Ocu-
lomotoriuskemes beträgt ca. 0,44 mm. Eine scharfe Ab-
grenzung des Trochleariskernes vom Oculomotoriuskem
durch eine zellfreie Zone existirt nicht Die den Trochlearis-
kern verlassenden Fasern treten in der Mehrzahl dorsolateral
aus und kreuzen sich im Velum medulläre. Eine Anzahl
Fasern verlässt jedoch den Kern an der ventralen und
medialen Seite und zieht nach abwärts. Die Form des
Kernes ist eine rundliche; er liegt dem dorsalen Rande der
Querschnitte des Fasciculus longitudinaUs dorsalis an.
Mit dem Beginn des Oculomotorius treten Zellen
im Zwischenraum zwischen Längsbündel der rechten und
linken Seite auf. Zuerst finden wir nur im dorsalen Be-
reich des Zwischenraumes Zellen, dann in der ganzen Aus-
dehnung desselben und noch etwas ventral davon. In den
oberen zwei Dritteln findet eine Trennung des Kernes der
rechten und linken Seite durch eine ventrale Aquaeductusaus-
buchtung statt, im unteren Drittel confluiren Kerne der rech-
ten und linken Seite. Im distalen und proximalen Bereicli
hat der Kern mehr eine Biraform, in der Mitte die eines
umgekehrten J. — Die Mehrzahl der austretenden Fasem
verlässt den Kern in dem Zwischenraum zwischen Längs-
bündel der rechten und linken Seite, eine kleine Anzahl
Fasem tritt auch zwischen den Längsbündelquerschnitteii
hindurch. Es findet eine theilweise Kreuzung der Fasern
288 L. Bach.
statt und zwar nahezu in der ganzen Ausdehnung des
Kernes. Die austretenden Faserhündel verlaufen leicht ge-
krümmt und bis zur Basis des Gehirnes getrennt — Eine
Gliederung der Kernniasse in eine Anzahl ünterabtheilungeii
(Einzelkeme) existirt nicht.
Trochlearis- und Oculoniotoriuskerngebiet der
Maus. — Mus musculus L. Hierzu Fig. 8 u. 9 auf Tat VI.
Frontalschnittserie nach Weigert durch Trochleaiis- und
0 culomotorinskenigebiet.
Der sagittale Durchmesser der beiden Kemgebiete betraf
0,45 mm.
Der Trochleariskern hat eine runde Form; er liegt theils
dem hinteren LängsbUndel dorsal an, theils z>M'schen dessen
Bündeln. Die obere Begrenzungslinie des Langsbündeis verläuft
schräg von innen oben nach aussen unten. — Der Zwischem-aum
zwischen den I^gsbündeln beidei-seits ist mit kleinen Zellen aus-
gefüllt; im Vergleich zu diesen sind die Zellen des Trochlearis-
und des Oculomotoriuskemes grösser und dunkler. — Die Zellen
des Kernes sind in ein äusserst zierliches Netzwerk eingebettet.
— Die austretenden Faserbündel verlassen den Kern fast alle
dorsolateral, um zur Kreuzungsstelle im Velum hinzuziehen, nur
einzelne Fasern treten im Zwischenkeraraum aus und ziehen an der
medialen Wand des hinteren lüngsbündels abwärts, um wahrsdiein-
lich den Wurzelbündeln des Oculomotorius sich beizumischen.
Schnitt 89. Beginn des Oculomotoriuskemes. Ein Zwischen-
raum zwischen IVochlearis- und Oculomotoriuskem besteht nicht.
Der Beginn des Oculomotoriuskemes ist nicht an einer Aende-
rung der Form und Grösse des Kernes zu erkennen, audi nicht
an einer Aenderung der Lagerung zum hinteren LängsbUndel,
sondern an dem Auftreten von Fasern (gekreuzten) zwischen
beiden Kernen. Dieselben ziehen theils in starken doreoconcaven,
tlieils in ganz flachen Bogen, theils in Schlangenlinien von einem
Kern zum anderen und verlassen den Kern zwischen den Längs-
bündelquerschnitten. Nur ganz vereinzelte Fasern sieht man im
Zwischenkernraum zwischen dem medialen Rande der Längs-
bündel in gerader IJichtung dorso ventral ziehen. Dieselben lassen
sich etwas ül)er das ventrale Ende der IJLngsbündelquerechnitte
hinaus verfol'^en. — In dem Zwischenkernraum sieht man ebenst)
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 289
wie zwischen den lYochleariskemen regellos gelagerte kleinere
Ganglienzellen. Dieselbe Art Zellen findet man auch in weiter
Ausdehnung und regelloser Lagerung dorsal und ventral von den
Kernen.
Schnitt 36. Die Zahl der beim vorigen Schnitt in ihrer
Verlaufsweise näher beschriebenen gekreuzten Fasern hat etwas
zugenommen. Die zwischen den Längsbündelquerschnitten aus-
tretenden Faserbündel kann man nun schon bis zur Basis ver-
folgen, sie nehmen einen S-förmig gewundenen Verlauf nach aussen
unten durch den rothen Kern hindurch und vereinigen sich erst
kurz vor der Basis. In der Aushöhlung zwischen den Längs-
bündeln verlaufen jetzt mehr Fasern in dorsoventraler Richtung.
— Der Kern selbst (siehe Fig. 8 auf Taf. VD hat etwas an
Ausdehnung zugenommen; die beiden Kerne confluiren, besonders
dorsal. — Die auch beim vorigen Schnitte erwähnten kleineren
Zellen sehen wir auch hier sowohl dorsal vom Kern als zwischen
beiden Kernen und ventral von demselben.
Die Längsbündekiuerschnitte sind etwas schmäler geworden.
Schnitt 34. Die Höhe des Kernes hat etwas zugenom-
men, die Breite ist ziemlich gleich geblieben, seine Form ist eine
ovale. Es besteht 'wieder ein kleiner Zwischenraum zwischen
Kern der rechten und linken Seite. Dorsal divergiren die Kerne
nun nicht unbeträchtlich. In dem dadurch entstehenden Zwischen-
raum finden wir kleinere, hellere Zellen eingelagert Dieser Zell-
haufen zeigt an drei Schnitten deutlich Mandelform — Verjüngung
ventral — und erinnert sehr an die Edinger-WcstphaTschen
Kerne beim Menschen. (Siehe Fig. 9 auf Taf. VI.) In der
Mittellinie stossen diese kleinzelligen Kerne nicht ganz zusammen,
ventral convergiren sie etwas. Ihre Ausdehnung beträgt ca. ^/j
der Ijänge der Hauptkerne. Nach oben besteht keine scharfe
Abgrenzung gegen die Umgebung, ganz dieselben und älmliche
Zellen sehen wir auch dorsal in weiter Ausdehnung. Vereinzelt
sind sie auch in den ventralen Parthieen der Ausbuchtung zwischen
den Längsbündeln vorhanden. — Gekreuzte Fasern sind noch
in geringer Zahl vorhanden. — Die austretenden Faserbündel
verlassen den Kern hauptsächlich zwischen den mehr dorsolateral
gelegenen Längsbtindelquerschnitten und ziehen durch den rothen
Kern liindurch zur Basis. In dem Zwischenkernraum sind dorso-
ventral ziehende Fasern in massiger Anzahl vorhanden.
In den nächsten Schnitten nimmt die Ausdelmung der Kerne
rasch ab, die gekreuzten Fasern verschwinden.
Die kleineren ZeUen in dem Zwischenkernraum nehmen da-
▼. Graefe's Archir fQr Ophthalmologie. XLIX. 2. 19
290 L. Ba<Jb.
gegen an Zalü und Ausbreitung zu und sind auch noch vor-
handen; nachdem die grösseren Zellen des Oculomotoriuskemes
ganz verschwunden sind. — Mit dem Verschwinden der Kerne
verschwinden auch die Wurzelbtindel; die Wurzelfasem des Oculc>-
motorius ziehen demnach bei der Maus nur in geringem Grade in
schräger Richtung von hinten oben nach vom unten. Die
einzelnen Wui*zelbündel verlaufen bis zur Basis getrennt — Das
hintere Längsbündel verjüngt sich mehr und mehr nadi vom.
Znsammenfassang des Befundes.
Der sagittale Durchmesser des Trochlearis- und Oculo-
motoriuskerngebietes beträgt 0,45 mm.
Der Trochleariskern hat eine runde Forai; er liegt
dem hinteren Längsbündel theils dorsal an, theils zwischen
dessen Bündeln. Die austretenden Faserbündel verlassen
den Kern fast alle dorsolateral, um zur Kreuzungsstelle im
Velum hinzuziehen, nur einzelne Fasern treten im Zwischen-
kemraum aus und ziehen an der medialen Wand des hin-
teren Längsbündels abwärts, um wahrscheinheh den Wurzel-
bündeln des Oculoraotorius sich beizumischen.
Ein Zwischenraum zwischen Trochlearis- und Oculo-
motoriuskern besteht nicht. Der Beginn desOculomotorius-
kernes ist nicht an einer Aenderung der Form und Grösse
des Kernes zu erkennen, auch nicht an einer Aenderung
der Lagerung zum hinteren Längsbündel, sondern er wird
sehr deutUch durch das Auftreten von sich kreuzenden
Fasern zwischen beiden Kernen. Dieselben ziehen theils
in starken dorsoconcaven, theils in ganz flachen Bogen,
theils in Schlangenlinien von einem Kern zum andern und
verlassen den Kern zwischen den Ijängsbündelquerschnitten.
Nur ganz vereinzelte Fasern (ungekreuzte) sieht man im
Zwischenraum zwischen den Längsbündeln beider Seiten
dorsoventral ziehen. In den nächsten, mehr proximal ge-
legenen Schnitten nimmt die Zahl dieser Fasern zu, bald
kann man sie in ihrem ganzen Verlaufe bis zur Basis ver-
folgen; sie nehmen einen S-förmig gewundenen Lauf und
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelneryen. 291
vereinigen sich erst kurz vor der Basis zum Stamme des
Ocnlomotorius. — Die seitlichen Hauptkeme nehmen zu-
nächst an Ausdehnung etwas zu, rücken in den Zwischen-
raum zwischen den Längsbündeln hinein, confluiren eine
kurze Strecke weit besonders dorsal fast vollständig, erst
im proximalen Drittel wird ihre Ausdehnung wieder all-
mähhch geringer.
Im proximalen Drittel kommt es im Zwischenkem-
raum innen oben zur deutlichen Ausbildung kleinzelliger,
mandelförmiger Kerne, die sehr an die Edinger-West-
phaT sehen Kerne beim Menschen etc. erinnern.
In den proximalsten Schnitten sieht man nur mehr
ungekreuzte Fasern.
Trochlearis- und Oculomotoriuskerngebiet des
Fisches. — Tinea vulgaris Cuv, Hierzu Fig. 10 auf
Taf. VI.
Frontalschnittserie durch das Trochlearis- und Oculomotorius-
kerngebiet nach Weigert.
Der Trochleariskem umfaast 6 Schnitte, der Oculomotorius-
kem 18 Schnitte zu 0,03 mm.
Der Trochleariskem hat eine rundliche Form, liegt dem
dorsalen, nahezu horizontal verlaufenden Rande des hinteren
UlngsbQndels direct an und hält sich in geringer Entfernung
vom medialen Rande desselben. — Die ziemlich grossen Zellen
liegen in ein Netzwerk grobcalibrirter Fasern eingeschlossen. Den
Verlauf der austretenden Wurzelbündel konnte ich nicht mit
Sicherheit feststellen; mit einiger Wahrscheinlichkeit kann ich
sagen, dass ein Bündel grobcalibrirter Fasern den Kern lateral
oben verlässt, nach oben am Rande des Aquaeductus entlang
nach dessen dorsaler Seite zieht, um sich in der Medianlinie zu
kreuzen (V). lieber den weiteren Verlauf kann ich auf Grund
der mir vorliegenden Serie keine Angabe machen.
Schnitt 47. Beginn des Oculomotoriuskemes. Einzelne
Zellen sind dorsal dem hinteren Längsbündel angelagert in glei-
cher Weise wie beim Trochleariskem. Die Zellen liegen jetzt
bis zum medialen Rande des hinteren Längsbündels, überschreiten
19"»
292 L. Bach.
denselben und liegen auch im dorsalen Bereich des Zn^ischen-
raumes zwisclien den luängsbündeln. In charakteristischer Weise
treten mit Beginn des Oculomotoriuskemes schlingenförmig von
emem Kern zum anderen verlaufende Fasern im dorsalen Bereich
des Zwischenraumes zwischen den Längsbündeln auf.
Schnitt 41. Dorsal vom Längsbündel liegen immer nocii
einzelne Zellen. Im Zwischenraum zwischen den Längsbündeln
beiderseits seitlich von der Medianlinie befinden sicli einzelne Zellen,
dieselben sind ventral etwas über den unteren Rand der I^ängs-
bündelquerschnitte zu verfolgen. In dem Zwischenkemabschnitt
sehen wir theils schlingenförmig, theils schräg von einem Kern
zum anderen verlaufende Fasern. Die schlingenförmig umbiegen-
den — gekreuzte — Fasern befinden sich hauptsächlich im dor-
salen Bereich des Zwischenkeraraumes, aber auch ventral können
wir einzelne solclier Fasern wahrnehmen. Sowohl z\%nschen den
Längsbündelquei-schnitten als im Zwischenraum zwischen dem der
rechten und linken Seite sehen wir stärkere Faserbündel, welche
am unteren Ende des Kernes sich zu einem starken Stamme
vereinigen, welcher in leicht lateroconcavem Bogen nach aussen
unten zieht. Es fällt hier die frühzeitige Vereinigung der ein-
zelnen Faserbündel zum Nervenstamme auf, femer der Umstand,
dass wir schon in der Mitte des Kernes den austretenden Nerven
in ganzer Ausdehnung auf den Schnitt bekommen. — An die
grossen Zellen dorsal vom lüngsbündel schliessen sich lateral
kleinere Zellen in ziemlich weiter Ausdehnung nach aussen
oben an.
Schnitt 38. Sowohl in Bezug auf die Ausdelinung des
Kernes als in Bezug auf den austretenden Stamm bestehen noch
die gleichen Verhältnisse. Auch hier hegen keine Zellen in der
Mittellinie, sondern nur seitlich davon. Der ventrale Kemabschnitt
ist hier deutlich breiter als der dorsale. Ganz vereinzelte Zellen
liegen zwischen den Ijängsbündehiuerschnitten sowie ganz ventral
in der Medianlinie. — Die schlingenförmig umbiegenden (ge-
kreuzten) Fasern sind fast ganz verschwunden.
Schnitt 32. Dieser Schnitt gehört dem proximalsten Kem-
abschnitt an. Die Zahl der Zellen hat im Zwisdienlängsbündel-
räum erliebhch abgenommen, während dorsal vom hinteren Lang»-
bündel noch ziemlich die gleiche Zalil vorhanden ist. — Keine
gekreuzten Fasern mehr. — Die austretenden Wurzelbündel und
der Nervcnstamni waren schon einige Schnitte mehr distal nicht
mehr zu sehen.
In diesem und den noch folgenden Schnitten sieht man
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 293
medial oben einzelne kleinere Zellen ^ die an den kleinzelligen
Edinger-WestphaTBchen Kern erinnern. — Obwohl ganz all-
gemein ein ziemlicher GefäBsreichthum des OcolomotoriuBkem-
gebietes bei den von mir ontersucliten Thieren und bdm Men-
schen sich constatiren liess, war doch der Gefässreichthum dieses
Kernes bei dem Fische ein ganz auffallender.
Das hintere Längsbündel nimmt an Stärke ganz allmählich
von dem distalen nach dem proximalen Ende zu ab.
Zusammenfassung: des Befundes.
Der sagittale Durchmesser des Trochlearis- und Oculo-
motoriuskemgebietes beträgt nicht ganz 1mm.
Der Trochleariskern hat eine rundliche Form, liegt
dem dorsalen, nahezu horizontal verlaufenden Rande des
hinteren Längsbündels direct an und hält sich in geringer
Entfernung vom medialen Rande desselben.
Mit Beginn des Oculomotoriuskernes rücken die
motorischen Ganglienzellen auch in den Zwischenraum
zwischen den hinteren Längsbündeln herein und überragen
in den mittleren Parthieen des Kerngebietes den ventralen
Rand der Längsbündelquerschnitte, Zwischen den Längs-
bündelquerschnitten liegen ganz vereinzelte Zellen.
Die Edinger-WestphaPschen Kerne finden sich eben
angedeutet; ein bestimmtes Urtheil darüber lässt sich auf
Grund der mir vorliegenden Weigert- Serie nicht abgeben.
Es besteht eine theilweise Kreuzung der Oculomotorius-
fasem. Auffallend ist die frühzeitige — schon direct nach
unten vom ventralen Rande der Längsbündelquerschnitte
— stattfindende Vereinigung der Oculomotoriuswurzelbündel
zum Oculomotoriusstamme.
Haulwnrf. — Talpa europaea L.
Das Gehirn des Maulwurfes wurde geschnitten, uro
die Stärke des hinteren Längsbündels festzustellen.
Es ergab sich, dass dasselbe viel schwächer ent-
294 L. Bach.
wickelt ist, als bei all' den anderen untersuchten
Geschöpfen.
Dieser Befund erscheint mir deshalb von Wichtigkeit,
weil von vielen Seiten, auch vom Verfasser, angegeben wird,
dass Beziehungen des hinteren Längsbündels zu den Augen-
muskelkemen bestehen. Ich konnte beim Menschen und
air den untersuchten Thieren feststellen, dass der Fasciculus
longitudinalis dorsalis allmähUch von der distalen nach der
proximalen Seite der Augen muskelkeme schmäler wird, da
eine Anzahl von Fasern in den Kernen endet Da nun
beim Maulwurf die Augenmuskelnervenkeme ganz fehlen,
so habe ich eine schmale Entwicklung der unteren Längs-
bündel aus obigem Gininde erwartet und zu meiner Freude
bestätigt gefunden. Eine gleiche Beobachtung liegt von
Ganser vor.
Kurze vergleichende Betrachtung über den Trdchlearis-
und Oculomotoriaskem des Menschen, des Affen, der
Katse, des Kaninchens, der Maus, des Fisches, der
Eidechse und verschiedener Vögel.
Die Form des Trochleariskernes ist eine runde
oder ovoide. Er ist direct dem dorsalen Rande des hin-
teren Längsbüiidels angelagert. Die aus dem Trochlearis-
kern dorsolateral austretenden Faserbündel kreuzen sich im
Velum anscheinend vollständig. Zum Theil ist die obere
Wand des Aquaeductus durch die Trochleariskreuzung mit-
gebildet, wie aus der Abbildung Fig. 6 auf Taf. VI von
Lacerta agilis ersichtlich ist. Der Trochleariskern schliesst
direct distal au den Oculomotoriuskern an. In der Regel
dürfte nach den voriiegenden Untersuchungen der Trochlearis-
kern nicht wirkhch abgetrennt sein vom Oculomotoriuskern
durch eine zell freie Zone, sondern nur durch eine mehr
minder zell arme Zone.
Wie aus der Betrachtung einzelner Serien und zwar
speciell des Menschen und der Maus hervorgeht, wie ich
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 295
aus meinen experimeutellen Untersuchungen beim Kanin-
chen und der Katze schliessen zu dürfen glaube, bestehen
Beziehungen des proximalen Abschnittes des Trochlearis-
kemes zum Oculomotoriuskem, insofern als die Fasern einer
Anzahl Zellen dieses Abschnittes sich wahrscheinlich den
Oculomotoriuswurzelbündeln beimischen. Vielleicht sind die
den Trochleariskem an der medialen Seite verlassenden
Pasern als ungekreuzt verlaufende Trochlearisfaseni anzu-
sprechen. Es hat ja bekann thch die experimentelle For-
schung ergeben, dass nach Durchschneidung des Musculus
obliquus superior auch im gleichseitigen Trochleariskem
eine Anzahl Ganglienzellen vorübergehende Alterationen
aufweisen.
Der Oculomotoriuskern variirt in seiner Form etwas;
in dieser Hinsicht sind die beigegebenen Abbildungen
meiner früheren und dieser Arbeit in vergleichende Be-
trachtung %a ziehen.
Der Oculomotoriuskern des Menschen und der unter-
suchten Thiere bietet eine Reihe wesentUcher übereinstim-
mender Punkte, daneben bestehen allerdings auch einige
unterscheidende Merkmale.
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist die übereinstim-
mende Thatsache, dass kelue Einzelabthellungeii Im
Sinne der Lehre Ton den KemlShmungen bestehen.
üebereinstimmend finde ich die Thatsache, dass ein
Theil des Kerngebietes dem dorsalen Rande des hinteren
Ijängsbündels angelagert ist, und dass erst allmählich in
proximaler Richtung der Winkel zwischen den Längsbün-
deln von Zellen erfüllt wird.
Üebereinstimmend finde ich, dass ein Theil der moto-
rischen Zellen zwischen und ausserhalb der Längsbüudel-
querschnitte liegt.
üebereinstimmend finde ich, dass ein Theil der das
Kemgebiet verlassenden Oculomotoriusfasem ungekreuzt, ein
Theil, speciell die distalen Fasern, gekreuzt verlaufen.
296 L. Bach.
Während bei der Maus die Configuration des Kernes
und die Art des Faserverlaufes sehr viel Uebereinstimmung
mit dem Menschen, dem Affen, der Katze und dem Kanin-
chen erkennen lässt, bestehen Unterschiede zwischen den
genannten Geschöpfen und den Vögeln, der Eidechse so-
wie dem Fisch, bei welchen vor Allem auffällt, dass ein
grosser Theil des Kernes ventral von den Längsbündel-
querschnitten liegt
Beachtenswerth ist die bereits früher von mir bei der
Katze gemachte Beobachtung, dass bei den verschiedenen
Arten einer und derselben Thierklasse durchaus keine bis
in's Detail gehende Uebereinstimmung besteht
Besonders interessant sind in dieser Hinsicht die bei
den verschiedenen Vögeln gemachten Beobachtungen; ich
verweise auf die Fig. 3 u. 4 auf Taf. VI der Taube und des
Kanarienvogels. Ich betone diese Verschiedenheiten, weil
Bern heimer sagt, es sei ihm ganz unerfindlich, dass ich
die volle Uebereinstimmung des Kernes beim Menschen und
Affen nicht zugeben wolle. Ich habe in der letzten Zeit
bei einer anderen Affenart als der früher von mir unter-
suchten ebenfalls einen sogenannten Centralkem Perlia's
deutlich ausgebildet gefunden. Fortgesetzte Untersuchungen
werden Bernheim er sicherlich von der Bichtigkeit meiner
Angaben überzeugen.
Man 'beachte ausser der verschiedenen Configuration
des Kemgebietes auch die Verschiedenheiten des Verhaltene
der austretenden Wurzelbündel. Während bei der Maus,
der Eidechse und auch etwas bei der Taube und dem
Sperling die austretenden Wurzelbündel bis zur Basis mehr
weniger getrennt verlaufen, wie wir dies fiiiher beim Men-
schen, beim Affen, bei der Katze und dem Kaninchen
sahen, hegen dieselben beim Fisch beisammen, und beim
Canarienvogel sehen wir eine Strecke weit die Wurzel-
bündel beider Seiten zu einem Stamme vereinigt
Die sogenannten kleinzelügen Edinger-Westphal-
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelneryen. 297
sehen Kerne sollen sich nach Bern heim er heim Affen in
gleicher Weise vorfinden wie beim Menschen, beim Kanin-
chen dagegen nicht vorhanden sein. Als Gründe hierfür
giebt Bernheim er die Seitenstellung der Kaninchenaugen,
das Fehlen der Convergenz und die mangelhafte Pupillen-
reaction an. Diese Gründe sind nur für eine schlechtere
Ausbildung fraghcher Kerne hinreichend, nicht jedoch für
ein vollständiges Fehlen. Bernheimer hat doch zweifels-
ohne schon sehr oft Gelegenheit gehabt, zu sehen, dass der
Sphincter pupillae beim Kaninchen ganz gut entwickelt ist.
Ich muss auf Grund meiner eigenen Untersuchungen
über die kleinzelligen Edinger-Westpharschen Kerne
sagen, dass ich Zellen von genau demselben- Typus und
genau denselben verschiedenen Formen an der Stelle der
Edinger-Westphal'schen Kerne auch beim Affen, bei
der Katze, bei dem Kaninchen und der Taube finde. Diese
Behauptung spreche ich aus, einmal auf Grund von Weigert-
Serien, dann vor Allem auf Grund vorzüglicher Thionin-
und Toluidinblau-Serien. — Das gleiche Verhalten in dieser
Hinsicht scheint das Kerngebiet der Maus zu bieten, doch
bemerke ich, dass mir von der Maus nur eine Weigert-
Serie vorliegt, die in Bezug auf den Zelltypus nicht die
gleich sicheren Schlüsse zulässt wie die Thionin- und To-
luidinblaufärbung, welch' letztere Methoden, wie von den
competenten Seiten anerkannt wird, sich für das Studium
der Zellstructur ganz vorzügUch eignen.
In den mir vorhegenden Serien vom Affen, vom Kanin-
chen und von der Taube finde ich die Zellen weniger dicht
gehäuft wie beim Menschen und bei der Katze.
Bemerkt sei auch, dass sich Zellen von dem Typus
der kleinzelligen Edinger-WestphaT sehen Gruppen auch
vereinzelt in der Gegend der Längsbündelquerschnitte, dann
im ganzen Zwischenkemraum, weiterhin in weiter Aus-
dehnung dorsal und lateral von dem Trochlearis- und
Oculomotoriuskem finden.
298 L. Bach.
Bei der Taube finden sich ausser den Zellen vom
Typus der Edinger-Westpharschen Kemgruppen haupt-
sächlich dorsolateral vom Kerne auch etwas grössere, hellere,
im Grossen und Ganzen mehr rundUche Zellen.
Bei der Eidechse und dem Fisch finden sich die klein-
zelligen Gruppen höchstens andeutungsweise; ein sicheres
Urtheil darüber gebe ich nicht ab, da mir nur Weigert-
Serien voriiegen.
Eine Bildung des sogen. Centralkernes Perlia's
vermissen wir bei all' den Thieren, über die ich im Voraus-
gehenden genauer berichtet habe, man müsste gerade die
Confluenz des Kernes bei den Vögeln und bei der Eidechse
dafür ansehen, was mir so ganz unberechtigt besonders im
Hinbhck auf meine Weigert- Serien bei der Katze nicht
gerade scheinen kann.
Entspricht bei den Vögeln die dorsomedial und dorso-
lateral vorhandene, heller aussehende Zellgruppe wirklich
den EdingerrWestpharschen Gruppen des Menschen,
so ist die grosse Zahl der Zellen unverständlich. Wie
kommt der Sphincter pupillae, der ja allerdings bei den
Vögeln gut ausgebildet ist, zu einer solchen Menge von
Zellen? Was soll der von den motorischen Zellen des
Hauptkemes verschiedene Typus der Zellen für eine Be-
deutung haben, da doch der Sphincter pupillae der Vögel
ein quergestreifter Muskel ist, dessen Fasern an den
mir vorliegenden Präparaten von der Taube kaum hinter
denen der übrigen quergestreiften Muskulatur zurückstehen ?
Kommt wirklich die in Frage stehende Zellgruppe für
den Sphincter pupillae in Betracht, daim muss es auffallen,
dass bei Kacerta agihs diese Zellgruppe höchstens ange-
deutet ist, während doch die interiore Muskulatur des Auges
ganz gut entwickelt ist, wenn sie ja auch in ihrer Ge-
sammtentwicklung erheblich hinter der der Vögel zurück-
steht. Die interiore Muskulatur des Auges bei Lacerta
agilis ist ebenso wie bei den Vögeln quergestreift
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 299
Bei der Maus, die einen schwach entwickelten Sphinc-
ter pupillae hat, ist der kleinzellige dorsomediale und dorso-
laterale Kern sehr gut ausgebildet, derCentralkernPerlia's
fehlt ganz in meiner Serie, obwohl die Nager einen Mus-
culus ciliaris, wenn auch einen sehr schwach entwickelten
haben.
Bei dem Fisch ist die interiore Muskulatur des Auges
schwach entwickelt, doch finde ich den Sphincter pupillae
deutUch nachweisbar. Die Edinger-Westpharschen
Kerne fehlen aber wahrscheinlich so gut wie ganz.
Ich muss nach alle dem Gesagten die Annahme Bern-
heim er 's, dass der Sphincter pupillae von den kleinzelUgen
Edinger-WestphaTschen Gruppen, der Musculus ciUaris
von dem grosszelligen Centralkem Perlia's innenirt wird,
als unwahrscheinlich bezeichnen. Bestehen überhaupt Be-
ziehungen dieser Zellgruppen zu der interioren Muskulatur,
so ist eher anzunehmen, dass von der einen oder anderen
Zellgruppe beide Muskeln versorgt werden.
Die definitive Entscheidung für den Menschen dürf-
ten meiner Meinung nach nur solche Fälle, wie die von
V. Monakow, von Juliusburger und Kaplan, von
Böttiger etc. bringen, wo bei völliger Atrophie des Oculo-
motorius die Edinger-Westphal'schen Gruppen völlig
intact blieben. Kommen noch einige solcher Fälle mit
gleichem Untersuchungsergebniss zur Kenntniss, so dürften
Bernheimer's Angaben über die Bedeutung der Edinger-
WestphaTschen Kerne, die schon jetzt im höchsten Grade
anzuzweifeln sind, endgiltig widerlegt sein. •
Bezüglich des Fasciculus longitudinalis dorsalis
geht aus all' meinen Untersuchungen mit ziemhcher Be-
stimmtheit hervor, dass eine grosse Anzahl von Fasern des-
selben in dem Augmuskelkerngebiet endet. Es dürfte sich
hierbei wohl hauptsächlich um Zuleitung sensibler Einflüsse
vom Bückenmark handeln.
300 L. Bach.
Literaturverzeichiiiss.
1) Bach, L., Zur Lehre von den Augenmuskellabmungen und den
Störungen der Puj)illenbewegung etc. v. Graefe's irch. f. Oph-
thalm. XLVIl. Bd. 2. u. 3. Abth. S. 339 u. S. 551.
2) Bach, L., Weitere vergleichend anatomische und experimen-
telle Untersuchungen über die Augenmuskel kerne. Vorlauf. Mit-
theilung. Sitzungsberichte der physikaL-medicin. Gesellschaft.
Würzburg. 1899.
3) Bernheimer, St., Das Wurzelgebiet des Oculomotorius beim
Menschen. J. F. Bergmannes Verlag. Wiesbaden 1894.
4) Bernheimer, St., Experimentelle Studien zur Kenntniss der
Innervation der inneren und äusseren vom Oculomotorius ver-
sorgten Muskeln des Auges, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm.
XLIV. Bd. 3. Abth. S. 481.
5) Bernheimer, St., Bemerkungen zu L. Bach's Arbeit: Zur
Lehre von den Augenmuskellähmungen etc. v. Graefe's Arch.
f. Ophthalm, XLVIIL 2. S. 463.
6) Biervliet, J. van, Noyau d'Origine du Nerf oculomoteur com-
mun du Lapin. „La Cellule«. T. XVI. I. fascic. 1898.
7) Böttiger, Arch. f. Psychiatrie. Bd. XXL Heft 2. 1889.
8) Edinger, L., Bericht über die Leistungen auf dem Gebiete der
Anatomie des Centralnervensystemes während der Jahre 1897
und 1898. Sonderabdruck aus „Schmidt*s Jahrbücher der ge-
sammten Medicin". Bd. CCLXIl. S. 49.
9) Ganser, Citirt nach v. Monakow's Gehimpatliologie. S. 644.
10) Gebuchten, A. van, Recherches sur Torigine reelle des nerh
craniens. Journal de Neurologie u. d^Hypnologie. März 1898.
11) Gebuchten, A. van. Bull, de Tacademie d. sc. de Belgique.
1892. Nr. 11.
12) Gebuchten, A. van, Le faisceau longitudinal posterieur. Bul-
letin de TArch. royale de m6d. de Belgique. 1895. T. IX.
13) Held, Beiträge zur feineren Anatomie des Kleinhirns nnd des
Himstammes. Archiv f. Anatomie u. Physiol. Anat. Abth. 1893.
S: 485.
14) Jelgersma, G., De verspreng der motorische oogzennerven b\j
de Vogels. Psychiatr. en neurol. Bladen. 1897. N. 1. Ref. Neurol.
Centralbl. 1898. S. 454.
15) Juliusburger und Kaplan, Anatomischer Befund bei einsei-
tiger Oculomotoriuslähmung im Verlaufe von progressiver Para-
lyse. Neurol. Centralbl. 1899. N. 11.
16) K 0 e 1 1 i k e r , A. , Handbuch der Gewebelehre des Menschen. IL Bd.
W. Engelmann. 1896.
17) Marina, A., Das Neurom des Ganglion ciliare und die Centn
der Pupillenbewegungen. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde.
Bd. XIV. 1899. S. 356.
18) Monakow, C. v., Gehimpathologie. IX. Bd. I. Theil der spe-
ziellen Pathologie und Therapie von H. Nothnagel. A. Holder* s
Verlag. Wien 1897.
19) Pacetti, Sopra il nucleo di origine del nervus abduoens. Citirt
nach Siemerling und Boedeker: Chronisch fortschr. Augen-
muskellähmung etc. Archiv f Psychiatrie. Bd. 29. Heft 3.
Weitere Untersuch, über die Kerne der Augenmuskelnerven. 301
20) Panegrossi, G., Contributo allo studio anatomico-fisiologico
dei centri oculomotorii deir uomo. Rom 1898. Gekrönte Preis-
schrift.
21) Schiff und Gas sirer, Beiträge zur Pathologie der chronischen
Bulbärerkrankungen. Obersteiner's Arbeiten, ßd. IV. Wien
1896.
22) Schmidt-Rimpler, H., Die Erkrankungen des Auges im Zu-
sammenhang mit anderen Krankheiten. XXI. Bd. Der speziellen
Pathologie und Therapie von H. Nothnagel. Wien 1898.
23) Siemerling und Boedeker, Chronische fortschreitende Augen-
muskellähmung und progressive Paralyse. Arch. f. Psychiatrie.
Bd. 29. Heft 3.
24) Schwabe, Ueber die Gliederung des Oculomotoriushauptkemes
u. die Lage der den einzelnen Muskeln entsprechenden Gebiete
in demselben. Neurol. Centralbl. Nr. 17. 1896.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. VI,
Fig. 1—10.
P i g. 1. Naturgetreue Skizze der aus dem Kemgebiet austretenden
Wurzelbündel des Nervus oculomotorius zwischen Kern
und Hirnbasis. H. L. = Hinteres Längsbündel; austr.
W. B. = austretende Wurzelbündel; Ocul. st. = Oculo-
motoriusstamm.
Vergröfiserung 5:1. Schnitt 110.
Fig. 2. Frontalschnitt durch den distalen Abschnitt des Oculomo-
toriuskernes der Taube. — Weigert. Aqu. = Aquae-
ductus; Ocul. J{. = Oculomotoriuskern; JE?, h. = hinteres
Längsbündel.
Vergrösserung Seibert. Object 0, Ocul. I. Um Vs
verkleinert.
Fig. 3. Frontalschnitt durch die Mitte des Oculomotoriuskemes
der Taube. Weigert. E. W. Gr. = Edinger-West-
p harsche Gruppen. Die anderen Bezeichnungen wie bei
Fig. 2.
Vergrösserung Seih er t Object. 0, Ocul. I. Um Vs
verkleinert. Schnitt 28.
Fig. 4. Frontal schnitt ungefähr durch die Mitte des Oculomotorius-
kemes des Canarienvogels. Weigert. Bezeichnungen wie
bei Fig. 2.
Vergrösserung Seibert Object. 0, Ocul. I. Um Vö
verkleinert. Schnitt 23.
Fig. 5. Frontalschnitt durch die austretenden Wurzelbündel des
Oculomotorius beim Canarienvogel. Dieselben sind zunächst
zu einem Bündel vereinigt. Weigert. Schnitt 33. H.B.
«=» Hirnbasis; die anderen Bezeichnungen wie bei Fig. 1.
Vergrösserung Seibert Object. 0, Ocul. I. Um Vs
verkleinert.
302 L- Bach, Weitere Untersuch, üb. d. Kerne d. AugenmuBkelnerren.
Fig. 6. Frontalschnitt durch den Trochleariskem und die Tro-
chleariskreuzung bei der Eidechse. Weigert. Tr. Kr.^
Trochleariskreuzung; IV. Jf. = Trochleariskem; die an-
deren Bezeichnungen wie bei Fig. 2.
Vergrösserung Seibert Object. 0, Ocul. II. Um die
Hälfte verkleinert.
Fig. 7. Frontalschnitt ungefähr durch die Mitte des Oculomotorins-
kemes der Eidechse. Weigert. Bezeichnungen wie bei
Fig. 1 und 2. Schnitt 23.
Vergrösserung Seibert Object I, Ocul. II. Um V«
verkleinert.
Fig. 8. Frontalschnitt durch den distalen Oculomotoriuskem der
Maus. Weigert. Gekr. F. «= Gekreuzte Fasern. Die
anderen Bezeichnungen wie bei Fig. 2.
Vergrösserung Seibert Object. II, Ocul. I. Um V*
verkleinert.
Fig. 9. Frontalschnitt durch den proximalen Abschnitt des Ocolo-
motoriuskemes der Maus. Weigert. Bezeichnungen siehe
bei Fig. 2 und 3. Schnitt 33.
Vergrösserung Seibert Object 0, Ocul. I.
F i g. 10. Frontalschnitt durch den Oculomotoriuskem des Fisches.
Weigert. Bezeichnungen wie bei Fig. 1 und 2.
Vergrösserung Seibert Object. 0, Ocul. I. Um Vs
verkleinert.
Ein epibnlbärer syphilitischer Pseudotumor von
typisch tuberculöser Structur.
Beitrag zur Frage von der diagnostischen Verwerth-
barkeit der histologischen Tuberkelstructur.
Von
Dr. F. Peppmüller,
I. Assistenten in Rostock.
Hierzu Tafel VII— VIII, Fig. 1—2, und 1 Figur im Text.
(Aus der Universität» -Augenklinik zu Rostock.)
Herr Prof. Axenfeld hat auf der letzten Heidelberger
Ophthalmologen Versammlung 1898*) über einen „epibulbären
syphilitischen Pseudotumor von typisch tuberculöser Structur*^
kurz berichtet, welcher in der hiesigen Klinik zur Beob-
achtung kam. Der Anregung meines hochverehrten Chefs,
diesen Fall einer genaueren Bearbeitung zu unterziehen,
bin ich gerne nachgekommen. Ich lasse zunächst die aus-
fiihrhche Krankengeschichte folgen und werde hierbei
die allmählich erst sicher werdende Deutung des Falles in
der Weise einflechten, wie sie sich uns selbst im Verlauf
der Beobachtung ergeben hat:
Die 48jährige Arbeiterfrau K. L. wurde am 26. VI. 1898
durch einen auswärtigen Collegen der Augenklinik zugewiesen,
^zwecks Entfernung des linken Auges, wegen bösartiger Neu-
bildung".
Anamnestisch wurde zuerst in der Poliklinik nur ermittelt,
dass die Frau ungefähr seit Ostern dieses Jahres im linken Auge
*) Bericht über die 27. Versammlung der ophthalmologischen
Gesellschaft in Heidelberg 1898,
304
F. Peppmüller.
/^^'
yyf>^^'^-
Fremdkörpergefühl verspüre und eine allmälilich zunehmende
Röthung des Auges bemerkt habe Objectiv wird das rechte
Auge vollkommen normal bei voller Sehschärfe befunden; die
Sehschäife des linken beträgt ^/g.
Das OberHd des linken Auges steht in leichter Ptosis-
stellung, ist ein wenig geröthet und am Rande etwa« ödematös,
eine vollständige Hebung ist nicht möglich, doch wird die Pupille
nicht verdeckt. Die Beweglichkeit ist nach allen Richtungen
frei. In der Conjunctiva bulbi findet sich eine flächenhafte,
hauptsächlich den inneren und oberen Theil der Hornhaut um-
gebende Geschwulst von rötlilich-gelber Farbe und derber Conai-
stenz. Dieselbe ist durch kleine Fm'chen, in denen Blutgetasse
verlaufen, in zahlreiche Felder getheilt und hat dadurch ein
höckeriges Aussehen. Die Hornhaut liegt etwas unter dem Ni-
veau der Geschwulst. Der
Tumor reicht bis an den Lim-
bus dicht heran, greift aber
nirgends auf die Hornhaut
selbst über, sondern ist überall
noch durch einen fadendünnen
Streifen weisser Sklera von
derselben getrennt (cf. Skizze).
Nach innen reicht die Ge-
schwulst bis zur Carunkel,
nach unten bis zur üeber-
gangsfalte, während sie oben
innen sich noch auf die obere Uebergangsfalte und einen Theil
der Conjunctiva palpebrai-um fortsetzt. Hier an der derb und
starr infiltrirten Uebergangsfalte und am Tarsus hat die Ge-
schwulst eine geradezu körnig höckerige Beschaffenheit Unten tem-
poral lagen in der Conjunctiv^a bulbi noch zwei weitere isolirte,
kleinere Höcker von gleicher Beschaffenheit. Auf der Sklera ist
die Geschwulst nicht verachiebhch. Ulcerationen sind nirgends
vorhanden. Der Bulbus zeigt keine erheblichen Reizerscheinungen,
insbesondere keine Injection in den nicht betrofienen Partliieen,
nur geringe Epiphora.
Diagnostisch kamen für uns Epitheliom und allenfalls
noch Amyloid in Frage. Die Form, Consistenz, wie der Sitz der
Geschwulst Hessen uns am meisten an ein allerdings auffallend
flaches Carcinom denken; nur vermissten wir dabei das sonst
fast constante Uebergreifen auf die Cornea. Lues und Tuber-
M\\V>^^'
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 305
culose wurden wegen des ganzen Bildes für so gut wie sicher
ausgeschlossen. Nachdem die Patientin in die Klinik aufge-
nommen war, wurde aber durch die vorgenommene Unter-
suchung des übrigen Körpers eine ganze Reihe pathologi-
scher Erscheinungen zu Tage gefördert, von denen die
Patientin vorher nicht das Geringste verrathen hatte:
Der rechte Arm') steht in rechtwinkliger Contractur-
stellung. Die Haut hat in der Ellenbeuge bis etwa 10 cm ober-
halb des Gelenkes auf der Innenseite eine rein narbige Be-
schaffenheit, dann aber liegt hier in der Grenze gegen das
Gesunde eine fünfmarkstttckgrosse, geröthete Stelle, in der eine
^össere Zahl von Geschwüren verschiedener Tiefe, zum Theil
mit Borken bedeckt, vorhanden sind. Noch ausgedehnter ulcerirt
ist in gleicher Höhe und darüber hinaus nach oben reichend, die
Haut des Oberarmes. Es bilden hier die ulcerösen Stellen die
Grenzen gegen das Gesunde, von dem sie sich bogenförmig und
ziemlicli scharf abgrenzen. Im Uebrigen ist auch die Aussen-
und Rückseite des Oberarmes hauptsächlich narbig. Im Gegen-
satz dazu ist die ganze Innenfläche des Unterarmes von der Ellen-
beuge bis etwa 10 cm oberhalb des Handgelenkes mit zalillosen,
zum Theil confluirenden Geschwüren sehr verschiedener Grösse
durchsetzt, zwischen denen vielfach bereits derbe Narbenzüge
her\'ortreten. Am tiefsten und ausgedehntesten sind diese Ge-
schwüre an der Grenze gegen die gesunde Haut. Die Ränder
sind hier aufgeworfen, etwas buchtig, die umgebende Haut wall-
artig verdickt. Auf der Streckseite des Unterarmes übei-wiegt
wieder bis in die Nähe der vorderen Grenze die narbige Be-
schaffenheit^ am Rande gegen das Gesunde hin dagegen sind wie-
der mehrere Geschwüre zu verzeichnen, und ein besonders grosses,
ovales Geschwür, von etwa Thalergrösse, liegt in der Mitte des
Unterarmes über der Ulna. In seiner Umgebung sind eine Anzahl
kleinere, oberflächliche Ulcerationen vorhanden. Die Grösse der
Geschwüre ist, wie sdion erwähnt, ausserordentlich verschieden.
Ihre Form ist an manclien Stellen, besonders an der Streckseite
des Unterarmes, eine ausgesprochen runde, resp. ovale, mit scharfem
Rande, locheisenförmig. An anderen Stellen sind die Geschwüre
von unregelmässiger Foim, besonders auf der Innenfläche des
Unterarmes, wo sie zu urafangreiclien Defecten confluirt sind.
Die Tiefe der Geschwüi-e ist je nach ihrer Grösse verschieden.
') Conf. die Photogra])hieen auf Tafel VII.
▼. Qraefe'8 Arcbir Hür Ophthalmologie. XLIX. 2. ^20
306 F. Peppmüller.
jedoch reichen auch die tiefsten jedenfalls nicht unter die Haot-
fascie. Ihr Grund ist zum Theil speckig, mit schmierigen Gra-
nulationen belegt; auch bei den kleineren erheben sich die Granula-
tionen nicht über das Niveau der Oberfläche; keine Fistelbildungen
und keine Verwachsungen mit den Knochen.
Das beschriebene Verhalten erhellt am besten aus
den beiden Photographieen auf Taf. VII.
lieber der linken Mamma findet sich eine handteilergrosse,
oberflächliche, etwas strahlige Narbe, die mit der Unteriage nicht
verwachsen ist; eine grössere findet sich über dem Mannbrinm
stemi, die in der Gegend der Clavicula einige rothe flecke, mit
Schorfen bedeckt, zeigt; hier besteht eine Verwachsung mit dem
Knochen. Nach dem Hals hin einige mit der grossen Narbe
zusammenhängende Narben, die mit dem Stemodeidomastoideaä
verwachsen sind. Links liegt noch getrennt weiter -oben, in der
Mitte des Halses, eine solche isoiirte Narbe ebenfalls auf dem
Stemocleidomastoideus (conf Taf. VII Photographie). Herz und
Lungen normal. Milz nicht vergrössert, Cervicaldrüsen zu fühlen,
sonst keine Lymphadenitis. Im Retropharyngealraum, mehr
nach links gelegen, findet sich ein etwa apfelgrosser Tumor, der
die Rachen wand bis zum linken hinteren Gaumenbogen vorwölbt
und in der Mitte eine etwas gelbliclie Stelle zeigt; der Tumor
ist elastisch und von massig weicher Conslstenz, zeigt aber keine
eigentliche Fluctuation. Am benachbarten Knochen keine Ver-
änderungen. Wirbelsäule frei, keine Empfindlichkeit der Proc.
spinosi der frei beweglichen Wirbelsäule.
Die nun nochmals aufgenommene Anamnese stellte fest,
dass die Geschwüre schon seit Jahren bestanden. Die Angaben
der Zeit schwankten zwischen 7 und 20 Jahren. Die Frau
hatte eine Frühgeburt durchgemacht; drei Mal Aborte und kein
lebendes Kind. Sie hat nie Husten und Schluckbesehwerden ge-
habt und will nicht abgemagert sein.
Die Diagnose, bezüglich dieser Körpererscheinungen,
schwankt sofort zwischen Tuberculose und Lues.
Hauttuberculose kann ja sehr lange bestehen, vorüber-
gehend abheilen, ohne in die Tiefe fortzuschreiten. Und in
der That konnte man w^egen des jahrelangen Bestehens
eher an einen tuberculösen als an einen syphilitischen Pro-
cess denken. Von den mannigfachen Formen der Haut-
Ein epihiilbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 307
tuberculose könnte aber nur das Scrophulodemia und der
Lupus in !BVage kommen; denn das sogenannte tuberculose
Geschwür, die „Tuberculosis cutis" im engeren Sinne, kommt
an und für sich sehr selten vor, und nach der überein-
stimmenden Ansicht der Dermatologen, unter denen ich
hier nur Lesser^) und Jadassohn*) hervorheben möchte,
findet sie sich auch dann fast ausschliesslich in der Um-
gebung der natürlichen Körperöfinungen ; auch wurde sie
bisher nur bei Individuen beobachtet, die zugleich an
schwerer Tuberculose innerer Organe litten'*), und man be-
trachtet sie daher als eine Autoinoculation der Haut*J.
Gegen Lupus sprach die Form, insbesondere der Grund
der Geschwüre. Während die lupösen Geschwüre einen
rothen granulirten, leicht blutenden Grund zu haben pflegen,
der zuweilen sogar das Niveau der Ränder überragt, zeig-
ten dieselben bei unserer Patientin eine deutliche Ver-
tiefung mit schmierig belegtem Grunde.
Dass man jedoch berechtigt sein konnte wegen des
Aussehens der Hautnarben sowohl wie der Ulcerationen an
ein Scrophuloderma zu denken, will ich nicht in Abrede
stellen, möchte jedoch hierbei aus dem Befund nochmals
hervorheben, dass sich weder Knochen- noch Drüsenerkran-
kungen an irgend einer Stelle nachweisen Hessen. Den
retropharyngealen Tumor hätte man bei oberflächlicher Be-
trachtung wohl als einen tuberculösen Senkungsabscess deuten
können, doch wäre für einen solchen die völlige Integrität
der Halswirbelsäule sehr auffallend gewesen.
Für die syphilitische Natur der genannten Körper-
erscheinungen schien die Anamnese bes. die Frühgeburt und
') Lesser, Lehrbuch der Hautkrankheiten. 1894.
•) Jadassohn, Die tuberculösen Erkrankungen der Haut.
(Lubarsch-Ostertag's Ergebnisse der speci eilen Morphologie und
Physiologie der Sinnesorgane. 1896).
') u. *) Vergl. auch Chiari und Jarisch, Ein Fall von Tu-
berculose der Haut. Arch. f. Derm. u. Syph. 1879.
20*
308 ^' Peppmöller.
Aborte zu sprechen. Ferner der theilweise deutlich loch-
eisenförmige Charakter der Geschwüre, so^^ie die spontan
ausgeheilten, ausgedehnten Processe in der Haut der Brust,
am Manubrium stemi und in der Gegend der Stemoclei-
domastoidei — jedenfalls war von vornherein zu betonen,
dass das klinische Bild der Veränderungen eine Lues nicht
ausschloss.
Bezüglich des epibulbären Tumors wurde trotz all
dieser Befunde ein Zusammenhang mit diesen übrigen
Körpererscheinungen zwar nicht für unmöglich, aber doch
für höchst unwahrscheinlich erachtet, vielmehr nach wie
vor an der Diagnose des Epithelioms festgehalten und die
Enucleation des Btdbus mit partieller Exenteratio orbitae
in Aussicht genommen, um jedoch ganz sicher zu gehen,
wurde am 27. VI. und am 2. VII. nochmals ein kleines
Stück der epibulbären Wucherung excidirt. Die
vorgenommene histologische Untersuchung dieser beiden
Stücke, sowie auch eines Stückes aus einer ülceration des
Armes ergab nach dem Urtheil des Herrn Privatdocenten
Dr. Rick er, — dem ich an dieser Stelle hierfür, wie auch
für seine sonstigen freundhchen Rathschläge meinen besten
Dank aussprechen möchte — , zweifellose Tuberculose
mit Verkäsung. Bacillen wurden in den etwa 50 hieraufge-
färbten Schnitten nicht gefunden. Der genauere histologische
Befund war für den Arm wie für das Auge, folgender'):
In einem sehr zell- aber verhältnissmässig wenig gefass^
reichen Granulationsgewebe, welches am Auge von dem nur
wenig veränderterten Epithel bedeckt wird, während am Arm die
Granulationen nur am Rande von atypisch gewuchertem (regene-
rirtem) Epithel überzogen sind, finden sich zalilreiche l^esenzelien
von Langhans'siehem Tj^pus; an mehreren Stellen ausgespro-
chene Nekrosen, theilweise von verkästen Riesenzellen ausgehend,
M Conf. die Abbildungen auf Taf. VIII. Fig. 1 giebt eine Stelle
der aus dem Arm entnommenen Probe wieder, Fig. 2 einen typischen
Tuberkel, mit centraler Verkäsung, besonders der Riesenzellen, vom
Auge.
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 309
vielfach ohne Tuberkelanordnung. Ausserdem aber finden sich
auch eine Anzahl scharfabgesetzte Tuberkelknötchen aus epitheloiden
und lymphoiden Zellen, mit einem Reticulum, Langhans*schen
Kiesenzellen und Verkäsung im Inneren, die allerdings nicht immer
genau central gelegen ist; die Riesenzellen liegen theils in dem
Knötchen, theils umgeben sie dasselbe. Vielfach sind die Riesen-
zellen central verkäst.
So lautete nun die bestimmte Diagnose des pathologi-
schen Anatomen: „Tuberculose", und eine eingreifende chi-
rurgische Behandlung der gesammten Veränderungen musste
angezeigt scheinen. Allein mit Rücksicht auf das für eine
Tuberculose sehr ungewöhnUche Bild der fast entzündungs-
freien Augenveränderungen und besonders in Erinnerung
an die von Axenfeld auf dem Heidelberger Congress 1897
niitgetheilte Beobachtung, wo eine in vierzehn Tagen durch
Hg und Jk geheilte Lidsyphilis histologisch ebenfalls für eine
Tuberculose erklärt worden war, wurde dieser Weg zunächst
nicht beschritten, sondern eine antispecifische Cur eingeleitet:
Tägl. 2 gr Jk, 4,0 Ugt ein.; ausserdem wiu*den die Ulcera-
tionen des Armes noch local mit grauer Salbe behandelt.
Der weitere Krankheits verlauf war folgender:
Am 2. VII. Die Wucherungen auf dem Bulbus sind we-
niger höckerig und vielleicht in toto etwas kleiner. Die Ulcera
am Arm sind ebenfalls kleiner geworden und theilweise verheilt.
Es wird nocliraals von einer jungen Stelle der „(Jeschwulst",
d. h. ihrem tarsalen Rand ein Stück excidirt, zum Theil in
die Vorderkammer eines Kaninchens übertragen \\ zum
Theil conservirt.
3. VII. Morgens: Injection von 1 mg alten Koch'schen
Tuberculins. Darauf trat weder eine locale noch eine allge-
meine Reaction ein; nach zweistündlichen Messungen bis Abends
9 Uhr geht die Temperatur nicht über 37,1 hinaus.
8. VII. Die Wucherungen an der Conjunctiva sind
bis auf eine Unebenheit an der Uebergangsfalte so gut
w^ie verschwunden, doch ist die Farbe des Skleraltheiles noch
bräunlich. Die Ulcera am Arm sind sämmtlich mit Schorfen be-
deckt und nässen nicht mehr.
\i Die Impfung blieb völlig negativ.
310 F. PeppmüUer.
13. VII. Der Tumor im retropharyngealen Räume
ist auf halbe Grösse zurückgegangen, ohne irgend welche
Entleerung nach aussen.
28. VII. Die Schorfe am Arm sind fast alle verschiÄnm-
den, darunter hat sich junge Haut gebildet. Der retropharyn-
geale Tumor ist jetzt erheblich kleiner geworden, und der epi-
bulbäre Tumor ist überhaupt nicht mehr zu constatiren; nur an
der Excisionsstelle in der Conjunctiva palp. (Nähe der Ueber-
gangsfalte) findet sich eine entsprechende kleine Narbe.
Die Patientin wurde auf wiederholtes Drängen am 30. MI.
entlassen und konnte leider nicht weiter beobachtet werden.
Stat. praes. bei der Entlassung: Sämmtliche Ulcera auf
dem Arm sind verheilt, der retropharyngeale Tumor
bis auf eine leichte Verdickung verschwunden.
Aus dem vorstehenden Krankheitsbericht geht also
hervor, dass wir zunächst vor Einleitung der Therapie an-
nahmen, die Affectionen des Auges und die des übrigen
Körpers seien verschiedener Natur: der epibulbäre Tumor
wurde mit grosser Wahrscheinhchkeit für ein freilich un-
gewöhnlich flaches Carcinom *) gehalten, während die Dia-
gnose in Bezug auf die Körpererscheinungen zwischen Tu-
berculose und Lues schwankte. Erst die histologische Unter-
suchung und weiterhin der gleichmässig günstige Einfluss
der Behandlung mussten uns veranlassen, sämmtliche Er-
scheinungen auf ein und dieselbe Aetiologie zurückzuführen.
Betreflfs des epibulbären Tumors fragt es sich, ob das
klinische Bild überhaupt die Annahme einer 8yi:)hilitischen
Neubildung zulässt.
In der Literatur sind von Gunn*), Brailey*).
') Aehnliche Epitheliome sind von van Duyse als „Demio-
epitheliome" (Annales de la soc. de Möd. de Gand. 1894. Sept.) be-
schrieben. Dieselben waren allerdings verschieblich.
*) Donald Gunn, 3. Syphilitic ^?) subconjunctival infiltration.
4. Syphilitic (?) infiltration of conjunctiva. 5. Syphilitic ^?» infiltra-
tion of ocular. conjunctiva. Transactions of the ophthalm. Soc. of
the united Kingdom. 1894.
') Brailey, Peculiar solid thickening of the oculnr conjunctiva
in Child, apparently Tubercular. Transact. of the ophthalm Soc. of
the united Kingdom. Vol. IX. 1889.
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 311
SchlodtmannM, Elschnig*), Fälle von sulziger Infiltra-
tion der Conjimctiva bulbi beschrieben worden.
In den drei Seh iodt mann 'sehen Fällen handelte es sicli
um eine rothbraune, sulzige Infiltration der Conjunctiva und
Sklera, welche vorwiegend ringförmig dicht am Limbus localisirt
war und theilweise weit auf die Cornea tibergriff; besonders im
weiteren Verlauf des einen Falles trat ein solches üeberschreiten
der Homhautgrenze ein und führte zu einer dichten Infiltration
und Trübung in der Cornea selbst.
Nach der Cornea zu fand eine scharfe Abgrenzung statt,
nach der Peripherie der Sklera dagegen eine allmähliche Ver-
fiachnng. Die betreffenden Erhebungen waren auf der Sklera
nicht verschieblich. Entzündliche Erscheinungen waren vorhanden.
Ob die Oberfläche glatt oder höckerig war, wird nicht besonders
hervorgehoben, sondern nur, dass die Schwellung der Skleritis
ähnlich war, dass jedoch keine eigentlichen Buckel bestanden.
Späterhin traten in einem Theil der braunrothen Masse kleine
gelbliche Knötchen auf. Die Behandlung mit Jodkali führte auf
dem einen Auge, wo die Affection unbedeutend war, zu einer
Abflachung, während auf dem anderen Auge keine wesentliche
Veränderung danach eintrat. (Quecksilber wurde nicht ange-
wandt) Es handelte sich, wie besonders hervorgehoben wird,
nicht um Lues und mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit auch
nicht um Tuberculose: Obwohl ursprünglich an Tuberculose
gedacht wurde, so konnte dieselbe späterhin nach der Enucleation
doch durch den negativen Ausfall des Thierversuches und des
Bacillenbefundes, wie auch durch den Mangel jeglicher tubercu-
löser Erscheinungen des übrigen Körpers ausgeschlossen werden.
Der Elschnig'sche Fall scheint seinem Aussehen nach eine
gewisse Aehnlichkeit mit dem unsrigen gehabt zu haben, bezüg-
lich der Farbe und des scheinbaren Fehlens einer entzündlichen
Injection des Bulbus. Nur war die Oberfläche anschemend nicht
höckerig, sondern voUkommen „glatt". Auf der Sklera war die
Geschwulst nicht verschieblich. Am Homhautrande setzte die
Infiltration schaif ab und ging nirgends auf die Conjunctiva pal-
pebrarum über. Aetiologisch wird angegeben, dass der beti-effende
*)W. Schlodtmann, lieber sulzige Infiltration der Conjunc-
tiva und Sklera, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLIII. 1. S. 56.
•) El sehnig, Syphilitische Infiltration der Coiyunctiva bulbi.
Klin. Monatsbl. XXXV. S. 155. 1897.
312 F. Peppmüller.
Patient gleichzeitig an einem walirscheinlicli secundäi-en papulösen
Syphilid der Haut litt, welches sich ebenso wie die Affection der
Conjunctiva unter einer Inunctionscur schnell und vollständig
zurückbildetc.
Brailey hat einen Fall von eigenartiger, solider Ver-
dickung der Conjunctiva bei einem 9jälirigen Kind beschrieben,
welches gleichzeitig an zweifellos tuberculösen Drüsenabsce^sen
gelitten hatte. Die betreffende Erhebung schnitt scharf am Lim-
bus coraeae ab und verflachte sich nach der Peripherie allmäh-
lich; auf der Sklera war sie nicht verschieblich. Sie zeigte eine
gi-auröth liehe Farbe, war aber nicht sehr gefässreich. Ent-
zUndungserscheinungen scheinen nicht bestanden zu haben. Im
weiteren Verlauf von 14 Tagen trat oberflächliche Ulceration
mit grauem Grunde auf und durch Berührung auch eine ent-
sprechende Ulceration in der vorher intact^n Conjunctiva des
oberen Lides. Die betreffenden Geschwüre heilten nach wenigen
Tagen unter Bildung eines partiellen Symblepharons, aber statt
dessen bildeten sich unregelmässig gestaltete Knötchen in der
Conjunctiva.
Scliliesslich sind noch sehr beachtenswerth drei Falle von
syphilitischer Infiltration der Conjunctiva buibi, über die Gunn
berichtet hat; von diesen scheint besonders der eine grosse
Aelmlichkeit mit dem Elschnig 'sehen gehabt zu haben. Es
handelte sich auch hier stets um eine hellrothe, wachsaitig durch-
scheinende Schwellung, die vom Ilomhautrande sich scharf ab-
setzte, aber im Gegensatze zu unserem und den übrigen citirten
Fällen auf der Sklera leicht verschieblich war. Nur von einem
der P'älle berichtet Gunn, dass die betreffende Affection sidi
zugleich mit anderen syphilitischen Erscheinungen (papulösem
Hautsyphilide) auf HgJK schnell zurück bildete. Leider feldt bei
allen diesen drei Fällen der histologische Befiind. Bezüglich der
klinischen Diagnose wird nur noch envähnt, dass in dem einen
Falle an Tul)erculose gedacht wurde, dass sich hierfür aber
keinerlei klinische Anhaltspunkte auffinden Hessen. In der Dis-
cussion nach dem betreffenden Vortrage Gunn 's in der oph-
thalmol. Gesellschaft hebt Griffith hervor, dass er einen ähn-
lichen Fall von plastischer Exsudation um die Cornea mit histo-
logisch tubercuiöser Sti'uctur beobachtet habe.
In der histologischen Structur glich unter diesen genauer
referirten nur der Brailey 'sehe Fall dem unsrigen: es tanden
sich subepitlieliale lymphoide Infiltration, mehrere lymphoide Tu-
berkelknötchen, zahlreiche Langhan s'sche Riesenzellen um und
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 313
in denselben; mehrere zeigten degenerative Veränderungen. Tü-
berkelbadllen wurden nicht gefunden. Der betreffende Patho-
loge Dr. Pitt erklärte jedoch, dass trotzdem die Diagnose
^Tuberculose'' gesichert wäre durch den Riesenzellen- und Ver-
käsungsbefund. Ein Thierversuch wurde nicht gemacht.
Braiiey selbst 'meint ^ man müsse beim Mangel sicherer
klinischer Anhaltspunkte für l\ibercnlose an die Möglichkeit eines
^ Granulomes^ denken, das nicht durch den Koch 'sehen Bacillus
hervorgerufen sei.
Der Elschnig'sche Fall war histologisch von dem uns-
rigen grundverschieden: neben ausgedehnter ödematöser Durch-
tränkung fand sich reichliche Leukocyteninfiltration und Binde-
gewebsproliferation , ausserdem Plasmazellen und Mastzellen.
Elschnig selbst fügt hinzu, indem er sich auf das Urtheil des
Pathologen Pal tauf beruft, dass der Befund vollständig mit den
histologischen Veränderungen papulöser Efflorescenzen (secundärer)
an anderen Schleimhäuten übereinstimme. Auch in den 8chlodt-
niannn 'seilen Fällen war der histologische Bau ein anderer, als
in dem unsrigen. Es hatte hier vor Allem eine enorme Ektasie
und Vermehrung der Lymph- und Blutgefässe stattgefimden.
Die sehr reichliche leukocytäre Infiltration umschloss ringförmig
den Limbus und setzte sich längs der nicht veränderten Blut-
gefässe sehr weit in die Tiefe fort bis zum Corpus ciliare und
zur Suprachorioidea und schloss eigenthümliche plexiforme nekro-
tische Heerde ein; ausserdem fanden sich zahlreiche Riesenzellen.
Schlodtmann selbst legt besonderen Wertli einmal auf die Ver-
mehrung und Erweiterung der Lymphgefässe, in der er die ana-
tomische Ursache für die succulente Verdickung sieht, und
andererseits auf den enormen Reichthum an Riesenzellen, die
besonders in der Peripherie der nekrotischen Bezirke — dort,
wo die Entzündung einen höheren Grad erreicht hatte -an-
getroffen wurden. Da er sich nicht zu der Annahme einer ver-
schiedenen Provenienz der Riesenzellen bekennen kann, nimmt
er an, dass Neki*ose und Riesenzellenbildung Folge des näm-
lichen Processes sein mtissten, d. h. eines Processes, der nur
durch Bakterien hervorgerufen worden sein könne.
Indem er auf die ähnlichen, auch von mir berücksichtigten
Fälle in der Literatur eingeht, spricht er sich in dem Sinne aus,
dass diesem eigenthümlichen Bild keine einheitliche Aetiologie
zukomme.
314 F. PeppmüUer.
Mit den als „ähnlich" bezeichneten Fällen stimmte da-
her der unsrige klinisch nicht überein. Denn im Gegen-
satz zu diesen, bei denen die mehr diffuse Verdickung der
Conjunctiva sich allmählich nach der Peripherie hin ab-
flachte, zeigte der epibulbäre Tumor bei unserer Patientin
überall scharfe Grenzen und eine höckerige Oberfläche.
Ausserdem fanden sich noch isolirt von der übrigen zu-
sammenhängenden Geschwulst nach unten aussen vom
äusseren Hornhautlimbus zwei ähnliche, derbe Knötchen
und schliesslich noch ein Uebergang auf die Conjunctiva
palpebrarum in Form einer derben, höckerigen Masse, wie
beim Carcinom.
Die histologische Structur unseres Falles stimmte
mit derjenigen des Tuberkels vollkommen überein, und es
ist uns in diesem Sinne die competente Beurtheilung des
Herrn CoUegen Ricker von grosser Bedeutung dafür, dass
wirklich die Uebereinstimmung eine zweifellose war.
Mit dieser anatomischen Diagnose ist aber der kh-
nische Verlauf des Falles nicht ohne Weiteres in Ein-
klang zu bringen. Und wir werden uns zur Erklärung
dieses Widei-spruches zunächst die Frage vorlegen müssen:
ist durch den blossen histologischen Befund eines
reticulären Kiesenzellentuberkels mit centraler
Verkäsung überhaupt schon die tuberculöse Natur
eines Processes sicher bewiesen, oder können vdr
durch denselben Befmid auch die syphilitische Herkunft
desselben erklären.
Die Ansichten über die Bedeutung des sogenannten
„reticulirten Hiesenzellentuberkels" für die Diagnose Tuber-
culöse haben sich im Laufe der Jahre wesentlich geändert
Ursprünglich nahm man an, dass die Structur desselben
ausschliesslich echt tuberculüsen Processen zukomme. Was
insbesondere die Lang hansischen Riesenzellen anlangt,
80 glaubte» man, dass dieselben sich nur bei echter Tuber-
culöse vorfänden. Doch gilt es jetzt wohl als allgemein
Ein epibulbärer aj-philitischer Pseudotumor etc. 315
feststehend, dass dieselben auch bei sicher nicht tubercu-
lösen Vorgängen angetroffen werden. Ganz besonders häufig
ist ihr Vorkommen bei syphilitischen Neubildungen be-
schrieben worden. Gewöhnhch handelt es sich dabei um
tertiäre Syphihde.
Jacobson*) hat zuerst angegeben, dass er im
Gumma ,,den Riesenzellen ähnhche Gebilde" beobachtet
habe, spricht sich aber selbst damals noch zweifelnd aus,
ob sie mit Riesenzellen identisch wären.
Bald darauf haben dieselben Bizzozero*) in einem
syphiü tischen Fussgelenkgeschwür, Koester') in syphihti-
schen Ulcerationen der Nase und des Penis gefunden;
beide beziehen dieselbe jedoch in ihren Fällen auf eine
gleichzeitig bestehende locale Tuberculose.
Brodowski*) und Browicz*) beobachteten Lang-
hans'sehe Riesenzellen in gummösen Neubildungen des Her-
zens, Heubner bei luetischer Erkrankung der Hirnarterien.
Baumgarten«) u. ') hat im Jahre 1876 und 1877
ebenfalls berichtet, dass er typische Langhans'sche Riesen-
zellen in verschiedenen tertiär-syphiUtisch veränderten Or-
ganen, speciell im Hoden und in der Leber vorfand.
Da er dieselben auch sonst, z. B. in der Umgebung des
Gefässligaturknotens innerhalb eines ziemlich stark grosszelligen
Granolationsgewebes, femer in zottigen Excrescenzen der Wand
eines sogenannten Ganglions, in reticulirten, grosszelligen Knöt-
chen (sogenannte locale Tuberculose) nachweisen konnte, so
spricht er sich damals mit aller Bestimmtheit daliin aus, dass
dieselben nicht mehr als specifisch histologisches Kriterium des
Tuberkels anzusehen seien.
*) Ref. von Klink, Arch. f. Dermatologie und Syphilis. 1877.
S. 399.
•) Bizzozero, Centralbl. f. med. Wissenschaft. 1875.
■) Koester, Centralbl. f. med. Wissenschaft. 1873. Nr. 58.
*) Brodowski, Ebenda. 1877. Nr. 19.
*) Browicz, Ebenda. 1877. Nr. 22.
•) Baumgarten, Ebenda. 1876. Nr. 45.
») Derselbe, Ebenda. 1877. Nr. 22.
316 y- Peppmüller.
Baumgarten ^) hat sich allerdings von diesem Stand-
punkt allmähUch soweit entfernt, dass er sich schliesslich
zu der Ansicht bekannte, wenn Riesenzellentuberkel oder
sogar nur Biesenzellen allein in syphilomatösen Producten
gefunden würden, lägen „nicht reine Syphilome, sondern
Mischformen von Syphilis und Tuberculose" vor. Demgem'ass
hat er auch seine eigenen früheren Befunde gedeutet
Ich werde auf die Baumgarten'sche Ansicht und ins-
besondere auf die Begründung, welche er für dieselbe giebt,
bei Erörterung der Frage von der Mischinfection noch zu
sprechen kommen. Vorläufig möchte ich nur den einen der
von ihm angeführten Gründe auf Grund der in der Lite-
ratur publicirten Befunde, die ich im Einzelnen noch be-
rühren werde, als zu weitgehend zurückweisen, „dass sich
nämlich bei den Trägern der mit Riesenzellen vereehenen
„gummösen" Producte fast stets anderweitige, unzweifelhafte
Zeichen bestehender oder überstandener Tuberculose nach-
weisen Hessen". So hebt z. B. Neumann ^) besonders her-
vor, dass er diese Ansicht durch genaue daraufhin vorge-
nommene Untersuchungen nicht bestätigen konnte. Denn er
fand Riesenzellen in mihären, pustulösen Efflorescenzen.
Knötchenformen und subcutanen Gummata, ohne dass bei
den betreffenden Individuen Tuberculose in den Lungen
oder anderen Organen nachzuweisen war.
Diese Beobachtungen haben sich im Laufe der letzten
Jahrzehnte so gemehrt, dass in den meisten Lehrbüchern
bez. Sammelbenchten ^) u. *) es als Thatsacbe verzeichnet
wird, dass Langhans'sche Riesenzellen auch bei syphih-
^) Bau rag arten, Virchow's Arch. f. path. Anatomie. Bd. 76.
Bd. 86. Bd. 97. Bd. 111.
*) Neu mann, Histologische Veränderungen bei den Hautsyphi-
liden. Arch. f. Derniat. u. Syph. XII. Bd. Ib85. S. 209 ff.
^ Vgl. Lang u. Nobl, Syphilis. Lubarsch-Ostertag's Er-
gebnisse. 1894.
*i Ferner Ziegl(?r, Lehrbuch der allgemeinen Pathologie.
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 317
tischen Processen sich finden können. Allerdings ist ihr
Vorkommen hierbei ein nicht so constantes und zahlreiches.
Was schon für die Langhans 'sehen Riesenzellen als
Bestandtheile des Tuberkels im Einzelnen gesagt wurde,
das gilt für die Tuberkelknötchen im Wesentlichenebenfalls.
Die Angaben haben sich ebenfalls gemehrt, aus denen
hervorgeht, dass typische Tuberkelknoten in syphilitischen
Gebilden vorkommen können.
Schon Bärensprung') sagt, dass die Producte der
tertiären Syphilis mehr in Tuberkelform auftreten.
Vallat*) hebt die grosse Aehnlichkeit zwischen Tu-
berkel und Gumma hervor in ihrer Zusammensetzung, ihrem
weiteren Verlauf, namenthch ihrer Neigung zur Verkäsung,
bei Besprechung des Vorkommens hyahner Degeneration,
die er ebenso bei Tuberculose, wie beim Gumma beobachten
konnte. Der Unterschied war nur der, dass eine ziemlich
grosse Anzahl der Gummata fast vollständig zu kleineren
Höhlen mit eiterähnlichem Inhalt umgewandelt war, wäh-
rend eigentlich trocken käsige Massen, wie bei der Tuber-
culose, sich seltener vorfanden.
Unna*) berichtet über einen Fall von miHärem Gumma
am Präputium, welches sich auf der Basis einer früheren
Initialsklerose entwickelt hatte.
„Hier fanden sich in der Cutis, eingebettet in ein zum Theü
.sklerotisches Bindegewebe, zahlreiche Heerde, welche entweder
ganz oder doch in der Peripherie aus kleinen Rundzellen be-
standen; letztere hatten säramtlich einen relativ grossen Kern
und eine massige bis verschwindende Menge protoplasmatischer
Substanz und waren in feinfaseriges, bindegewebiges Maschen-
werk eingeschlossen. Im Centrum der meisten Heerde fand eine
regressive Metamorphose zu einer gelblich-weissen, trockenen Sub-
') Bären Sprung, Charit^- Annalen. VI.
') Vallat, Ueber fibrinöse oder hyaline Degeneration im Tu-
berkel und Gumma. Virchow'8 Archiv f. path. Anatomie. Bd. 89.
■) Unna, Archiv f. Dermat. u. Syph. (^Vierteljahrschrift). 1878.
.S. f;67.
318 ^- Peppmüller.
stanz statte in welcher sehr wenig deutliche Kerne persistirten,
neben einer weniger häufigen Umwandlung der Rundzellen zn
Riesenzellen, in denen ein Kranz von Kernen erhalten blieb.
Eine ähnliche Structur zeigten Lebergummata. Nadi der
beigegebenen Abbildung bestand in der That völlige Ueberein-
stimmung mit dem histologischen Bau eines Tuberkels."
Der Koch 'sehe Bacillus war damals noch nicht ent-
deckt, ein Thierversuch wurde nicht gemacht, so dass man
mit Sicherheit eine echte Tuberculose in diesem Falle nicht
ausschliessen kann; doch scheinen klinisch keinerlei Zeichen
einer (gleichzeitigen) Tuberculose bestanden zu haben, wäh-
rend Syphilis sicher erwiesen war.
Sehr beachtenswerth ist ein von Jadassohn*) mit-
getheilter Fall von syphilitischen (tertiären) U Icerationen des
Unterschenkels, welche auf eine HgJk-Cur unter Narben-
bildung zurückgingen bis auf mehrere röthhch-gelbe Knöt-
chen, die sowohl der localen wie der allgemeinen antispe-
cifischen Therapie hartnäckig widerstanden und erst später
nach ^/j) Jahr spontan zur Heilung gelangten. Die histo-
logische Untersuchung solcher Knötchen ergab typische
Tuberkelstructur ohne Verkäsung und ohne Bacillen. Thier-
versuch und Tuberkelreaction fielen negativ aus. Jadas-
sohn hält deshalb diese Affection für eine rein syphilitische
ohne Comphcation mit Tuberculose.
Manasse*) hat syphilitische Granulationsgeschwülste
der Nasenschleimhaut beschrieben, in denen er häufig Riesen-
zellen antraf. In zwei seiner Fälle fanden sich reticuHrte riesen-
zellenhaltige Knötchen, aber ohne Verkäsung, in anderen
bestanden wiederum zwar degenerative Grewebsveränderungen^
aber es fehlte die typische Knötchenbildung. Die ersteren
*) Jadassohn, Zur Frage der Combination von Lues und Tu-
berculose. Med. Sect. d. schles. Gesellschaft f. vaterländische Cultur.
2Ö. I. 1894.
*) Manasse, Ueber syphilitische Granulationsgeschwülste der
Nasenschleimhaut, sowie über Entstehung der Riesenzellen in den-
selben. Virchow's Arch. f. path. Anat Bd. 147.
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 319
hatten eine auffallende Aehnlichkeit mit den von Chiari')
beschriebenen Tuberculomen , nur fehlte im Gegensatz zu
diesen die centrale Verkäsung. SyphiUs, zum Theil here-
ditäre, war in allen Fällen von M anasse nachgewiesen.
Ein Thierversuch und eine Bacillenuntersuchung scheinen
nicht gemacht worden zu sein.
Axenfeld*) hat auf der 26. ophthalm. Versammlung
Präparate eines Falles von ulceröser Lidsyphilis, bei denen
von pathologischen Anatomen Tuberculose diagnosticirt war,
gezeigt Es fanden sich typische Epitheloidtuberkel mit
Langhans'schen Riesenzellen. Im Inneren dieser Tuberkel
wurde Verkäsung nicht nachgewiesen, wohl aber sonst, un-
regelmässig in dem Granulationsgewebe vertheilt Syphüis
war sowohl durch andere syphilitische Körpererscheinungen
(Geschwüre im Munde, Rachen und Kehlkopf) wie vor
Allem durch den raschen und vollkommenen Erfolg der
antisyphilitischen Therapie (innerhalb von 14 Tagen) er-
wiesen. Ein Thierversuch wurde nicht gemacht.
Verhältnissmässig häufig wurden von dermatologischer
Seite in den Knötchen der papulösen (syphiHtischen) Ex-
antheme tuberkelähnliche Gebilde angetroffen. So hat
Griffini*) in den Knötchen eines kleinpapulösen SyphiU-
des zahlreiche „tuberculose Knötchen" die aus lymphoiden,
epitheloiden und central gelegenen L an gh ans' sehen Riesen-
zellen mit mehr oder weniger zahlreichen Fortsätzen be-
standen, festgestellt; in einem Fall fand sich sogar centrale
Verkäsung. Der Bacillus war damals noch nicht entdeckt,
ein Thierversuch wurde nicht gemacht üeber einen Ein-
*) Ghiari, Ueber Tuberculome der Nasenschi eimhaut. Archiv
f. Laryngol. I. 2.
•) Axenfeld, Demonstrat. zur diagnost. Verwerthbarkeit des
Tuberkels bei Lidsyphilis. Bericht der 26. ophthalm. Versammlung.
Heidelberg 1897.
■) Griffini, Centralblatt f. med. Wissenschaft. 1875. Referirt
von Bell.
320 !*'• Peppmüller.
fluss der Therapie fand ich keine Angaben; doch schien
eine Syphilis bei den betreflFenden Individuen an und für
sich mit Sicherheit festgestellt zu sein.
Jacobi^) konnte sowohl bei kleinpapulösen Syphiliden,
wie in lenticulären Papeln sehr oft das Bild des miliaren
Tuberkels constatiren. Nähere Angaben über die Structur
im Einzelnen, sowie über den kUnischen Verlauf fehlen.
Jadassohn*) hat über ein Syphilid ,,mit bemerkens-
werthem, klinischen Verlauf und anatomischem Befiiud" be-
richtet. Bei der betreffenden Patientin war sowohl typische,
secundäre Lues, wie auch Tuberculose der Lungen festge-
stellt; ausserdem litt sie an einem eigenthümUchen, knötchen-
artigen Exanthem am Oberschenkel, welches theils spontan,
theils auf Hg heilte. Die betreffenden Knötchen bestanden
aus rundzelligen Infiltraten mit eingelagerten Heerdeu von
epitheloiden und Langhans 'sehen Zellen; keine Verkäsung.
Thierversuch und Bacillenbefund waren negativ.
Sehr interessant ist die Mittheilung, die Herxheimer')
über multiple subcutane Gummen gemacht hat.
Es handelte sich um einen Fall von acquirirter Syphilis mit
grosspapulösem Exanthem und Drüsenschwellungen. Dieselben
zeigten relativ grosse Resistenz gegen die antisyphilitische Tlierapie.
Die Drüsenschwellung nahm sogar im Verlauf der Therapie noch
zu. Endlich verschwand das papulöse Exanthem auf die Therapie
doch noch. Kurz darauf kam es dann zur Bildung subcutaner
Knoten, die histologisch ganz das Bild echter, miliarer Tuberkel
zeigten, allerdings ohne Verkäsung und ohne Bacillenbefund. Die-
selben verschwanden nach Einleitung einer Arsentherapie bis auf
wenige innerhalb von zwei Monaten. Das bald darauf sich ein-
stellende Recidiv der Roseola wie des grosspapulösen Exanthems
heilte nun bald auf HgJk.
*) Jacob i, Pathologie und Pathogenese des Liehen scroph
Arch. f. Dennat. u. Syph. 1892. I.
*) Jadassohn, Deutsche medicin. Wochenschrift. 1894. Nr. lO.
S. 234.
*) Ilerxheimer, lieber multiple subcutane Gummen im Früh-
stadium der Syphilis. Arch. f. Dermat. u. Syph. 1896.
Ein epibulbftrer syphilitischer Pseudotumor etc. 321
In seiner eigenen Beurtheilnng dieses Falles glaubt
Herxheimer mit Bestimmtheit als in Betracht kommende
ätiologische Momente Leukaemie, Pseudoleukaemie und
Tub^rculose ausschliessen zu können, wegen des vollkom-
menen Fehlens anderer beweiskräftiger klinischer Erschei-
nungen , insbesondere Tuberculose wegen des negativen
Bacillenbefiindes, auch sei von multiplen, subcutanen, tu-
berculösen Tumoren bisher nur ein Fall bekannt geworden.
Die Einwirkung der Arsentherapie hält Herxheimer wegen
der minimalen Gesammtdosen nur für eine scheinbare, und
schreibt den günstigen Einfluss doch dem Hg zu, trotzdem
die Heilung erst sehr spät eintrat. Die Diagnose stellte
er hauptsächlich auf Grund der günstigen Therapie.
Die betreffende Arbeit ist deshalb noch von besonderem
Interesse, weil Herxheimer an der Hand anderer Literatur-
angaben feststellte, dass auch bei der Pseudoleukaemie so-
wohl die sonst für Syphilis als charakteristisch angesehenen
endarteriitischen Veränderungen der Granulationsgeschwulst,
wie andererseits Langhans'sche Riesenzellen und Tu-
berkelstructur vorkommen können.
Michelson^) sah ein dem Liehen ruber planus ähn-
liches papulöses Exanthem bei zwei Mitghedern dei-selben
Familie, die zweifellose sonstige Zeichen acquirirter Lues
hatten, auf eine antisyphilitische Cur zurückgehen.
Die mikroskopische Untersuchung der betreffenden Knötchen
ergab ein Conglomerat von epitheloiden und lymphoiden Zeilen
in den oberen Parthieen des Stratum reticulare des Coriums und
fast regelmässig Langhans'sche Riesenzelien. Verkäsung scheint
nicht vorhanden gewesen zu sein, ein Thienersuch wurde nicht
gemacht, keine Tuberkelbacillen.
Im weiteren Verlauf keinerlei Zeichen von Tuberculose, wohl
aber von Lues. Klinisch zeigten die Fälle mehr die Form des
nicht syphilitischen Liehen.
') Michelson, Ist Liehen syphiliticum eine Mischinfection
zwischen Syphilis und Tuberculose? Virchow's Arch. f. path. Anat.
CXVIII. 1889. S. 556.
T. Oraefe'B ArchiT (Qr Ophthalmologie. XLIX. 2. 21
822 F. Peppmüller.
Michel 80 n hat für diese Fälle, wie für den Liehen
syphiliticus überhaupt die Möglichkeit einer M ischin fec-
tion mit Tuberculose angenommen und glaubt eine klinische
Stütze darin sehen zu müssen , dass Liehen syphiliticus
meist bei kachektischen , tuberculösen Individuen auftrete
und die antisyphilitische Cur oft nur einen geringen Ein-
fluss habe; auch bei sonst scheinbar gesunden Individuen
sei liehen sehr hartnäckig und recidivirend. Ein Thier-
experiment wurde nicht gemacht; ebenso konnten keine Ba-
cillen nachgewiesen werden. Im weiteren Verlauf wurden
keinerlei Zeichen von Tuberculose, wohl aber von Syphilis
beobachtet.
Diese Arbeit hat ganz besonders wegen der Frage von
der Mischinfection weitere Beachtung gefunden. Die meisten
Dermatologen, insbesondere Neisser*) und Jadassohn*)
haben sich mit aller Entschiedenheit gegen diese Auf-
fassung des Liehen syphihticus ausgesprochen, weil Michel-
son seine Ansicht lediglich auf den histologischen Befund
gründet, indem er sich auf das Urtheil Baumgarten's*)
beruft Baum garten*) steht ja, wie bereits oben kurz er-
wähnt wurde, auf dem Standpunkt, dass er alle diejenigen
syphilitischen Gebilde, die typische Langhans 'sehe Riesen-
zellen und besondere die Formation des sogen. Wagner-
Schüppel'scheTuberkelknötchen aufweisen, für eine Misch-
form von Syphilis und Tuberculose erklärt.
Da Baumgarten einer der ersten gewesen zu sein sdieini,
welcher die Aufmerksamkeit anf diese Art der Misdiinfection über-
haupt gelenkt hat, erscheint es mir geboten, an dieser Stelle die
*) Neisser, Ueber den gegenwärtigen Stand der Liebenfrage.
Arcb. f. Dermat. u. Syph. XXVIII. 1894.
•) Jadassohn, Die tuberculösen Erkrankungen der Haut.
Lubarsch-Ostertag, Ergebnisse der spec. Pathologie. 1896.
'; Baumgarten, Einige seltenere Uautsypbilide. 3. Internat
Congress of Dermat. London 1898. p. 355.
*) Baumgarten, Virchow's Arch. f. path. Anatomie. Bd. 97.
1. S. 34 ff. und Bd. 111, S. 267 ff.
Ein epibnibärer syphilitischer Pseudotumor etc. 32 S
von ihm selbst zusammengefasste Begründung seiner Anschanung
anzuführen :
1. ^£s erscheint in hohem Grade fragtich^ ob ausser der
Tuberculose noch em anderer, specifisch von ihr verschiedener,
^ spontan^ im Menschenkörper sich entwickelnder Krankheitspro-
cess die Bedingungen in sich enthält, Langhans 'sehe Riesen-
zellen und besonders die Formation des Wagner-Schüppel-
sehen Tuberkelknötcliens in's Leben zu rufen.
2. Bei den Trägem der mit Riesenzellen resp. Riesenzeil-
tuberkeln versehenen gummösen Producte lassen sich fast stets
anderweitige unzweifelhafte Zeichen bestehender oder ttberstan-
dener tuberculöser Infection nachweisen.
3. Die Gummata solcher S3'philitischer Individuen, die nach-
gewiesenermaassen sicher frei von jeder wirklichen Tubericel-
bildung sind, werden stets auch frei von Langhans 'sehen Riesen-
zellen und Riesenzelltuberkeln gefunden.
4. Die specifischen Initialproducte der Syphilis, die harten
Schanker, welche, weil sie der unmittelbarsten Wu-kung des sy-
philitischen Virus ihren Ui-sprung verdanken, als die maassgeben-
den Urformen specifisch-syphilitischer Gewebserkrankung angesehen
werden müssen, lassen stets die Anwesenheit Langhans'scher
Riesenzellen und Wagner- Seh üppeTscher l\iberkelformationen
vermissen, stimmen dagegen in 8tructur und histologisclier Ge-
schichte in allem Wesentlichen vollständig mit den zweifellos
reinen Gummositäten der Haut, des Periosts und innerer Organe
überein, Mie dies Virchow immer schon gelehrt hat."
Baum garten unterzieht von diesem soeben gekenn-
zeichneten Standpunkte aus die von ihm selbst früher als
congenitale Milzsyphilis der Leber beschriebenen Fälle, so-
wie den Unna'schen Fall von Hautsyphilis, der auch von
mir eingehend referirt wurde — „bis dahin die einzigen
einigermaassen sicheren Beispiele für das Vorkommen des
miliaren Syphiloms im Gewände des verkäsenden Riesenzell-
tuberkels" — einer Kritik. In seinen Fällen glaubt er
eine gleichzeitige Tuberculose deshalb nicht mit Sicherheit
ausscbliessen zu können, weil er seiner Zeit die Lymphdrüsen
daraufhin nicht so genau untersucht habe, wie er es nach
seinen späteren Erfahrungen für nothig erachtet haben
würde. In dem Unna'schen Fall dagegen, wo sich das
21*
324 F. Peppmüller.
Gumma in altem Narbengewebe entwickelte, hält er die
gleichzeitige Entstehung einer Tuberculose auf dem Boden
syphilitischer Gewebsstörung für sehr gut denkbar.
Dass auch bei reiner, uncomplicirter Syphiüs, der tuber-
culösen Verkäsung makroskopisch ähnliche Nekrosen vorkom-
men können, räumt Baum garten ein. Doch habe er dann
histologisch ausser der Abwesenheit von Langhans'schen
Riesenzellen als Unterscheidungsmerkmal noch das zeitweiUge
Erhaltenbleiben mit intacten Blutkörperchen erfüllter Gefässe
innerhalb des nekrotischen Bezirks constatiren können.
Seine Anschauung könne natürlich erst dann als er-
wiesen betrachtet werden, wenn in den gummösen Produc-
ten Tuberkelbacillen gefunden würden oder ein positiver
Impfversuch gelänge. Einen Beweis für die Erzieluug einer
solchen Irapftuberculose durch Uebertraguug gummöser Massen
glaubt er in den Versuchen von HänselP) und Schotte-
lius*) sehen zu dürfen. Bezüglich der Hänseirschen Ver-
suche dürfte aber dieser Beweis, dass es sich um eine
Impftuberculose und nicht um Syphilis gehandelt habe,
keineswegs zu erbringen sein. Vielmehr scheint die histo-
logische Thatsache, welche Hanse 11 selbst als imterschei-
dendes Merkmal von einer Impftuberculose am Schlüsse
seiner Arbeit ausdrücklich hervorhebt, dagegen zu sprechen,
„dass nämUch die Knötchen der Impfsyphihs in ihrer gan-
zen Masse von feinen Gefässen durchzogen sind und nie-
mals einer käsigen Metamorphose verfallen.**
An und für sich ist es ja sehr nahehegend bei solchen
Affectionen syphilitischer Individuen, die histologisch eine
Tuberkelknötchenstructur mit Langhans'schen Riesenzellen
zeigen, an eine Combination mit Tuberculose zu den-
*) Hanse 11, Vorläufige Mittheilungen über Versuche von Impf-
syphilis (1er Iris und Cornea dos Kaninchenauges, v. Graefe's Arcb.
f. Ophthalm. XXVII. 3. 1881.
^) Schottelius, Zur Kritik der Tuberculose-Frage. Virchow's
Arch. Bd. 91. S. 135.
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 325
ken. Dass beide Erkrankungen neben einander vorkommen
können, ist selbstverständlich. Man wird von einer Misch-
form aber eigentlich nur dann sprechen können, wenn eine
gegenseitige Beeinflussung von Tuberculose und Syphilis
auf den Verlauf der ihnen einzeln zukommenden Erschei-
nungen sich hat nachweisen lassen. Fournier hat be-
hauptet, dass in solchen Fällen die syphilitischen Erschei-
nungen viel schwerer verUefen.
Nach VerneuiP) äussert sich die gegenseitige Beein-
flussung besonders in einer Metamorphosirung der ülce-
rationsformen. Eine solche Veränderung konnte Doutre-
lepont*) in syphilitischen Plaques beobachten, welche sich
secundär tuberculös inficirt hatte. Lewin*) und Gerhardt*)
haben einen Fall bekannt gegeben, wo in einer von Haus
aus syphilitischen ülceration des Mundwinkels Tuberkel-
bacillen nachgewiesen wurden. Während ein gleichzeitig
bestehendes Geschwür der Rachenschleimhaut auf eine anti-
syphilitische Cur heilte, blieb die genannte ülceration des
Mundwinkels unbeeinflusst. Schnitzler*) spricht auf Grund
mehrerer Erkrankungen des Kehlkopfes, die Jahre lang be-
obachtet wurden, die üeberzeugung aus, dass nicht nm
Combination der beiden Processe oft vorkommt, sondern
dass syphilitische in tuberculose übergehen können, indem
die syphilitischen Geschwüre einen guten Nährboden für
die Tuberkelbacillen bilden.
Ganz besonders eingehend hat Leloir*) die verschie-
*) Yerueuil, Transactions of the Internat Congress, London 1889.
') Doutrelepont, Sitzungsbericht der niederrhein. Gesellschaft
19. Sitzung. Bd. VII. 1886.
») und *) Berliner klinische Wochenschrift. 1886. Nr. 10 u.
Nr. 16. (Sitzungsber. der Gesellschaft der Charitä-Aerzte).
*) Schnitzler, Berl. klin. Wochenschrift. 1886. Nr. 46. S. 804.
•) Leloir, Recherches cliniques anatomo-pathologiques et ex-
])erimentales sur les combinaisons de la scrofulo-tu])erculose et de la
Syphilis en particulier du cot^ de la peau, Clermont (Oise) Imprimerie,
Daix freres 1891.
Herrn Prof. Jadassohn, welcher die Liebenswürdigkeit hatte,
326 F. Peppmüller.
denen Entstehungsmöglichkeiten einer Mischinfection zwischen
Scrophulo-Tuberculose und Lues besprochen. Er bringt
auch den ersten einwandsfreien Fall dieser Art, ein papulo-
tuberculöses Exanthem am Halse betreffend.
Das betreifende Individuum hatte wiederholt — schon als
Kind — an tuberculösen Fisteln gelitten und sich ausserdem
später mit Sicherheit sjphilitiscli inficirt und mehrmals secundäre
Erscheinungen gehabt. Die betreffenden Knötchen am Halse
widerstanden anfangs der antisyphilitischen Cur; erst später nach
Unterbrechung der ersten, verschwand ein Theil derselben auf
eine zweite Cm* vollständig, während ein anderer Theil bis auf
die Hälfte zurückging, dann aber unbeeinflusst blieb; das Aus-
sehen derselben war ein gelatinöses und mit lupösen Knötdien
identisch. Sehr intei-essant war der Untersdiied im histologisdien
Befunde solcher Knötchen vor und nach der Behandlung. Vor-
her fanden sich sowohl Merkmale für Tuberculose wie für Sy-
philis: Granulationsgewebe mit Riesenzellen und Tuberkelbacillen,
ausserdem aber Verdickungen und Sklerosirungen, wie bei Sy-
philis. Der Thierversuch war negativ. Später nach der
Behandlung boten die Knötchen das typische Bild eines lupösen
Gewebes: das Granulationsgewebe war durch derbes Bindegewebe
ersetzt; Riesenzellen und Tuberkelbacillen waren noch vorhanden,
der Thierversuch war jetzt positiv. Dass der letztere vor
der antispecifischen Cur negativ war, meint Leloir dadurch er-
klären zu können, dass das betreffende inoculirte Stück nur aus
syphilitischem, nicht aus tuberculös verändertem Gewebe bestand.
Einen weiteren einwandsfreien Fall hat Elsenberg')
veröffenthcht:
„Ein mit Tuberculose der Lungen und des Darmes be-
haftetes Individuum bot tertiär- sj^philitische Erscheinungen der
Haut, des Hodens und des Knorpels. Ungenügende Behandlung
mit Injectionen Hg; schweres Reddiv. Die Hautaffectionen waren
bis auf vereinzelte Ulcerationen, welche unbeeinflusst blieben, auf
die antispecifische Behandlung zurückgegangen. Dieselben hatten
mir diese Originalarbeit zur Einsicht zu übersenden, spreche ich an
dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus.
M A. Elsenberg, Syphilis und Tuberculose. Berliner klin.
Wochenschrift. 1890. Nr. 6.
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 327
makroskopisch, wie in ihrem histologischen Bau keinerlei Aehn-
lidikeit mit Tuberculose, und doch fanden sich auch hier, wie in
den übrigen Organen^ reichlich l'uberkelbacillen, die sonst bei
HautafTectionen entweder ganz vermisst oder doch nur in spär-
licher Zahl gefunden wurden.**
Fabry') hat für Mischinfection mit Tuberculose ein
tief zerklüftetes Geschwür am Präputium bei einem here-
ditär tuberculös und sonstig syphilitisch belasteten Patienten
erklärt, das der Jodkalibehandlung widerstand und sich auf
eine spätere Inunctionscur vollständig zurückbildete. Die
histologische Untersuchung ergab angeblich typischen Tu-
berkelbau; doch steht nichts darüber erwähnt, ob eine Ver-
käsung vorhanden war. Ausserdem wurde eine difiuse,
kleinzellige Infiltration gefunden. Es fehlt femer die An-
gabe über den positiven Ausfall eines Thierexperimentes.
Ried er*) exstirpirte Illcerationen des Rectums, die
wegen der Anamnese und des klinischen Bildes als zweifel-
los syphilitische angesehen werden mussten. Nach der Ex-
stirpation blieb eine kleine Fistel zurück, und der Wund--
schluss verzögerte sich erheblich, auf Hg trat jedoch prompte
und schnelle Heilung ein. Da im mikroskopischen Prä-
parate sich ausser Granulationsgewebe mit reichlicher Ge-
f ässneubildung an einzelnen Stellen auch deutliche Tuberkel,
bestehend aus Kundzellen, epitheloiden und Riesenzellen,
fanden, so schliesst Ried er auch trotz des fehlenden Ba-
cillenbefiindes und der fehlenden Verkäsung, dass Tuber-
culose mit im Spiele sei, räumt allerdings der Lues die
erste Rolle dabei ein; vielleicht sei auf die Combination
der starke Zerfall und die grosse Ausdehnung der U Icera-
tionen zu schieben.
^) Fabry, Ueber einen Mischfall von Lues und Tuberculose in
seltener Localisation (gemischt tuberculöses und luetisclies Geschwür
de» Präputiums). Arch. f. Dermat. u. Syph. 1893. S. 925.
*) Ried er, Ein Mischfall von Syphilis und Tuberculose des
Mastdarmes. Jahrbücher der Hamb. Staatskrankenanstalt. III. 1891/92.
328 F. Peppmtiller.
Irgendwelche sonstige tuberculöse Erscheinungen an-
derer Organe fehlten; ein Thierversuch wurde nicht
gemacht
Neisser*) hat eine typische Spätsyphilis der Ober-
lippe beschrieben, bei der sich im syphilitischen Infiltrate
kleine bräunhch rothe sogenannte „lupoide" Heerde fanden.
Obwohl sich die Infiltration unter Jodkali zurückbildete,
blieben die sogenannten lupoiden Heerde bestehen. Tu-
berculinreaction war typisch. Durch die mikroskopische
Untersuchung wurden typische Tuberkel und Tuberkel-
bacillen festgestellt Neisser hält in diesem Falle eine
Combination von Syphilis und Tuberculöse für erwiesen.
Hochsinger*) hat über drei Fälle von Mischinfection
zwischen Tuberculöse und Lues bei Säuglingen berichtet,
in denen anfänglich Lues angenommen war, aber später
Tuberkelbildung mit Verkäsung und Bacillen nachgewiesen
wurde.
Ich habe im Vorliegenden über die einschlägige Litera-
tur deshalb genau referirt, damit der Tjeser sich über das
Beweismaterial für die uns beschäftigende Frage ein eigenes
Urtheil bilden könne. Wir haben uns zu fragen, wie weit
enthalten die angeführten Mittheilungen den stricten Be-
weis dafür, dass es sich um Syphilis allein gehandelt hat,
bezw. inwieweit sind wir überhaupt in der Lage, eine vor-
handene Syphihs mit Sicherheit zu beweisen.
Will man wirklich ein richtiges Urtheil über die Ver-
werthbarkeit der histologischen Structur für die Diagnostik
gewinnen, so muss man, um allen Einwürfen zu entgehen,
in jedem einzelnen Falle auch die übrigen Kriterien, die
M Neisser, Fall von Mischinfection von Lupus und tubero-
serpiginöscm Syphilid, Verhandl. der deutschen dermat Gesellschaft
Breslau 1894.
•) Hochsinger, Syphilis congenita und Tuberculöse. IV. Con-
gress der dermat. Gesellschaft Breslau 1894.
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 329
wir besitzen, mit heranziehen. Als übrige Merkmale für
die Tuberculose kennen wir den Thierversuch und den Nach-
weis der Koch 'sehen Tuberkelbacillen. Als klinisch ver-
werthbares Diagnosticum käme noch die Keaction auf Tu-
berkulin hinzu, die für die Hauttuberculosen regelmässig
eintreten soll. Für das Auge ist es allerdings bekanntlich
nicht beweisend. Auf der anderen Seite würde dann, da
wir den Erreger der Syphilis noch nicht kennen, der Er-
folg bezw. Misserfolg der antispecifischen Cur in Betracht
zu ziehen sein.
Man sieht ohne Weiteres, dass ein grosser Theil des
herangezogenen Beweismaterials grosse Lücken zeigt. Die
älteren Literaturangaben sind schon deshalb nicht einwands-
frei, weil es sich fast durchgängig um kurze Mittheilungen
handelt, aus denen man entweder gar nichts oder nicht
Genügendes über den klinischen Verlauf erfährt. Meines
Erachtens müssen wir auf Grund der Krankengeschichten
zu dem Ergebniss kommen, dass unter den als uncompli-
cirte Lues beschriebenen Fällen nur die beiden Jadassohn-
schen die sämmtlichen Forderungen erfüllt haben. Aber
auch diese sind anfechtbar, da in dem einen Falle eine
gleichzeitige Lungentuberculose sicher bestand und in bei-
den die Hautaffectionen der antispecifischen Cur lange Zeit
hartnäckigen Widerstand leisteten, bis sie sich später spontan
zurückbildeten.
Nun glaube ich allerdings, dass man nicht immer so
weit zu gehen braucht zur Sichenmg der Diagnose, sondern
dass in manchen Fällen das khnische Bild und der kli-
nische Verlauf hinreichend sind, um wenigstens mit einer
grossen Wahrscheinlichkeit eine uncomplicirte Lues an-
nehmen zu können.
Aus diesem Grunde halte ich mich für berechtigt, die
Fälle von Unna und Axenfeld mit einer gewissen Wahr-
scheinlichkeit als solche anzusehen, bei denen rein syphili-
330 F. Peppmtiller.
tische Neubildungen die Structur des Biesenzellenknötchens
zeigten.
Wir wollen uns hier die Thatsache vorhalten, dass
weder das Thierexperiment , noch die Untersuchung auf
Tuberkelbacillen noch die Tuberkulinreaction unter allen
Umständen bei Tuberculose positiv ausfallen muss. Be-
sonders wird das Ausbleiben nur eines dieser Merkmale
nicht entscheiden können. Fehlen sie zusammen, so ist eine
Tuberculose allerdings wenig wahrscheinlich, aber mit ab-
soluter Sicherheit noch nicht ausgeschlossen. Wenn wir
von diesem njöglichst kritischen Gesichtspunkte aus das
vorUegende Material noch einmal überschauen, so würde
ein absoluter Beweis in dieser Hinsicht überhaupt nicht
vorliegen. Man würde danach diese Fälle, wenn wir von
dem Einflüsse und der wissenschaftUchen Beweiskraft der
Therapie zunächst absehen, für Syphihs als zweifelhaft an-
sehen, indem vom rein pathologisch - anatomischen Stand-
punkt die nachgewiesene verkäsend -tuberculose Histologie
der Präparate djis Schwergewicht trotz aller negativen Impf-
ergebnisse zunächst jedenfalls nach der Tuberculose hin
verlegt Denn auf anderen Gebieten — wir sehen von der
Syphihs jetzt ab — hat den Befunden nicht tuberculöser
Tuberkel bisher die centrale Verkäsung eigenthch immer
gefehlt, so dass aus ihnen ein Analogiebeweis für die dis-
cutirte Bedeutung der Syphilis nicht entnommen werden
kann. Sie haben nur ergeben, dass das Bild des nicht
verkästen Tuberkels allerdings nicht nur für den Koch-
sehen Bacillus charakteristisch ist, sondern durch verschieden-
artigste krankhafte Processe erzeugt werden kann.
Ich möclite hierbei auch an das bekannte Vorkommen von
Riesenzellen im Chalazion erinnern. Wenn auch in einzelnen,
sehr seltenen Fällen wirklich durch positiven Bacillenbefdnd bezw.
durcli den Thierversuch die tuberculose Natur eines chalazion-
artigen Knotens erwiesen wurde, so ist man doch längst davon
zurückgekommen, diese Aetiologie für das Chalazion im Allge-
meinen anzunehmen, nachdem Hunderte von Thierimpfungen mit
Ein epibulbftrer syphilitischer Pseudotumor etc. 331
negativem Resultat vorgenommen worden sind. Mag man auch
über die Bedeutung des Thierexperimentes für die Diagnose einer
Tuberculose verschiedener Meinung sein — fällt es in einer so
üben^degenden Zahl der FäUe negativ aus, obwohl das Material
progressiven Chalazien entnommen wurde, so ist damit der
nicht tuberculose Charakter des Chalazions erwiesen.
An dieser Stelle sei auch daraufhingewiesen, dass in den letzten
Jahren Brailey, Schirmer, Hirschberg, Axenfeld das Vor-
kommen von epitheloiden und Riesenzellen in dem Granulations-
gewebe der sympathisirenden Uveitis hervorgehoben haben.
Axenfeld') und Uhr*) haben einen Fall von sympathisi-
render Uveitis nach Staarextraction bekanntgegeben. Histologisch
fanden sich speziell in der Chorioidea sogar typische tuberkel-
artige Gebilde mit reticulirtem Bau und Langhans 'sehen Zellen,
allerdings ohne Verkäsung und ohne Bacillen.
Die Frage, ob es sich in diesem Falle um wirkliche Tuber-
culose handle, glaubte Axenfeld trotz mangelnden Thierexperi-
mentes — bezw. ob der Tuberculose für die sympathisirende
Ophthalmie überhaupt in Hinsicht auf derartige Befunde nicht
eine Rolle zukomme — bestimmt verneinen zu können, da bei
der Tiefe des Processes die Patienten auch sonst öftere tuberculös
werden müssten.
Nach alledem müssen wir es jedenfalls als feststehende
Thatsache ansehen, dass Langhans 'sehe Biesenzellen und
nicht verkäste, reticulirte Tuberkel allein für Tuberculose
nicht absolut pathognomonisch sind; dass sie sicher auch bei
uncomplicirter Lues gar nicht selten vorkommen, geht aus
den früher erwähnten Literaturangaben hervor.
In unserem Falle hatten wir jedoch nicht allein soge-
nannte Tuberkelknötchen, sondern sogar centrale Verkäsung
in denselben zu verzeichnen. Und bezüglich dieser wird
wohl selbst von den Pathologen, die die Möfrlichkeit eines
(nicht verkästen) Tuberkels auch unter Umständen füi-
gummöse Neubildungen einräumen, daran festgehalten, dass
sie nur in echt tuberculösen Processen zur Beobachtung
kommt
*) Axenfeld, Verhandl. der 26. Ophthalm. Versammlung 1897.
*) Uhr, Inaug.-Diss. Breslau 1898.
332 F. Peppmüller.
Es ist aber in den letzten Jahren ein stricter Beweis
dafür erbracht worden, dass tyiiische Tuberkel mit cen-
traler Verkäsung wenigstens bei Versuchsthieren auch durch
einen dem Koch*schen Bacillus nahe verwandten Strepto-
thrix (Thimotheepilz) hervorgerufen werden können. Hier
handelt es sich um ähnHche Krankheitserscheinungen wie
bei Mikroorganismen, die sich offenbar nahe stehen. Die
hochinteressanten, in Discussion befindUchen Fragen, die
sich hieran knüpfen und unsere Diagnose bezüglich der
Tuberciilose in mancher Beziehung erschüttern, sind aber
noch nicht spruchreif, speciell beziehen sie sich bisher nur
auf die Thierpathologie *).
A priori könnte nun auch, besonders bei gummösen
Processen, die stets eine grosse Neigung zum Zerfall zeigen,
eine Verkäsung auch im Inneren eines syphiUtischen Tu-
berkels nicht Wunder nehmen.
Ma nasse, der weder das Vorkommen von Eiesen-
zellen noch das Auftreten bezw. Fehlen von Verkäsungen
und anderen degenerativen Processen als entscheidend für
Syphilis oder Tuberculose erachtet, hebt dennoch besonders
hervor, dass er bei seinen Untersuchungen der syphiliti-
schen Granulationsgeschwülste nur entweder reticulirte riesen-
zellenhaltige Knötchen ohne Verkäsung oder degenerative
Veränderungen ohne Knötchenbildung fand.
Wenn daher eine wirkliche centrale Verkäsung — mit
Ausnahme des als nicht ganz einwandsfrei bezeichneten
Unna 'sehen Falles — in syphihtischen Producten bisher
nicht beobachtet wurde, so können wir uns aus den ange-
führten Gründen doch nicht dazu verstehen, dass ihr Auf-
treten, wie in unserem Falle, allein den Ausschlag zur
Sicherung der Diagnose „Tuberculose" geben soll. Im
Gegentheil — unser Fall beweist unseres Erachtens
zweifellos, dass auch der central verkäste typische
* Cf. die Arbeiten von Moeller, Babes, Lubarsch.
Ein epibul bärer syphilitischer Pseudotumor etc. 333
Tuberkel durch Syphilis allein entstehen kann; be-
weisend ist die rapide Heilung vermittelst der anti-
syphilitischen Therapie; denn aus dem negativen Aus-
fall der anderen von uns auch herangezogenen Kriterien —
dem Thierversuch, der Tuberkulinreaction und der Unter-
suchung auf Bacillen — dürfen noch keine absolut sicheren
Schlüsse gezogen werden, wenn dieselben auch wesentUch
nnit in's Gewicht fallen.
Wir kommen also hiermit zu der entscheidenden Frage,
ob die sogenannte antisyphiUtische Therapie für die syphi-
litische Natur einer Erkrankung einen Beweis liefern kann.
Wir Ophthalmologen wenden ja HgJk auch bei vielen
Erkrankungen an, die sicher nicht auf syphilitischer Basis
beruhen, und glauben zuweilen einen wirklichen Erfolg da-
nach feststellen zu können. Auch sonst wird diese Therapie
bei nicht specifischen Leiden versucht. So ist von derma-
tologischer Seite ein günstiger EinSuss des HgJk beson-
ders für den Lupus behauptet, aber nicht bewiesen worden.
In der ophthalmologischen Literatur ist von Schneller')
ein Fall von Iristuberculose beschrieben worden, bei dem
die Diagnose der Tuberculose durch den Bacillenbefund
und das positive Impfresultat sicher gestellt wurde und
eine vollständige Heilung nach Einleitung einer HgJk-Cur
innerhalb von zwei Monaten eintrat.
Es ist dies jedenfalls eine wichtige Beobachtung. Allein
ihre Beweiskraft ist insofern beeinträchtigt, als sich im
Laufe der letzten Jahre zahlreiche Beweise dafür einge-
funden haben, dass eine Iristuberculose im Verlauf einiger
Monate spontan heilen kann (Leber, Samelsohn, Michel,
Bach etc.). Man wird deshalb gut thun, die an einem
Organ gewonnenen Erfahnmgen nicht ohne Weiteres für
ein anderes als maassgebend anzusehen. Wir werden für
unseren Fall uns an die Erfahrungen halten müssen,
*) Schneller, üeber einen Fall von geheilter Iristuberculose.
Inaug.-Diss. Halle 1894.
334 ^- PeppmQller.
welche auf dem Gebiete der ulceröseii Hautaffec-
tionen, der retropharyngealen Tumoren und der
epibulbären Tumoren gemacht sind.
Es ist in manchen Fällen — vorausgesetzt, dass gleich-
zeitige Complication mit Lues sicher ausgeschlossen wurde
— nicht immer leicht festzustellen, ob die eingetretene
Besserung wirkhch dem HgJk zuzuschreiben ist. Meines
Erachtens kann das nur für solche Fälle geschehen, in
denen nach länger und eventuell erfolglos angewandter
sonstiger Therapie eine schnelle und voUständige Heilung
auf HgJk eintrat; allmähliche, ganz langsame und vor-
übergehende Heilungen können bekanntemiaassen auch bei
der Haut- und Schleimhauttuberculose ebenso gut spontan
zu Stande kommen. Deshalb möchte ich auch z. B. für
die tuberculöse Keratitis parenchymatosa einen günstigen
Einfluss der antispecifischen Cur für unsicher halten, weil
diese Erkrankung in so langsamer Weise auch gar nicht
selten ohne jede allgemeine Therapie zur Heilung kommt.
Auf der anderen Seite ist eine langsame Beeinflussung
durch HgJk nicht immer ein Beweis gegen die syphili-
tisclie Natur, da gerade die S})ätsyphiUs derselben hart-
näckigen Widerstand leisten kann.
Auch in unserem Falle wird der Einwand gemacht
werden, dass Tuberculöse der Haut und sichtbaren Schleim-
häute spontan heilen kann. Man wird diese Frage um so
mehr aufwerfen, als in unserem Fall ja in der Haut eine
theil weise spontane Vemarbung zweifellos ist, wie dies ja
auch die mikroskopisch gefundenen atypischen Epithel-
wucherungen am Bande der Geschwüre bekunden. Dem
glaube ich aber zunächst dadurch begegnen zu können,
dass die Rückbildung speciell des epibulbären Tumors auf
Einleitung der Cur eclatant rasch einsetzte und innerhalb
von 14 Tagen eine vollständige war, ohne jegÜche Narben-
bildung (ausgenommen die Excisionsstelle), so dass er be-
reits im ärztlichen Verein (nach zwölf Tagen) nicht mehr
Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc. 335
demonstrirt werden konnte. Wenn eine conglobirte Tuber-
culose der Conjunctiva von solchem Umfang zur Ausheilung
konimt, so handelt es sich nach unserer ganzen Erfahrung
immer um einen eminent chronischen Verlauf mit Narben-
bildung. Die uns bekannten Tuberculosen der Bindehaut
haben, wenn sie zu so ausgedehnter conglobirter Infiltration
geführt haben, nach der gesammten vorliegenden Literatur
niemals derartige Eückbildungserscheinungen gezeigt ^).
Auch dürfte es gerade bei solchen Tuberculosen der Con-
junctiya (insbesondere der Conjunctiva tarsi), wohl stets zu
irgend welchen Entzündungserscheinungen verbunden mit
Secretion kommen. Ebenso wäre es ein bisher uner-
hörtes Geschehniss, wenn eine so enorme ulceröse
Tuberculose der Haut*) — angenommen, es sei eine
solche gewesen — in kaum vier Wochen auf Hg und Jk
hin völlig ausheilte, nachdem sie Decennien progressiv
gewesen ist, wenn auch an anderen Stellen eine theilweise
Rückbildung geschehen ist.
Aller Erfahrung würde es auch widersprechen, wenn
ein apfelgrosser retropharyngealer tuberculöser Heerd, der
wohl nur einem Senkungsabscess entsprechen könnte, in
derselben Zeit ohne Perforation fast vollständig verschwände.
Den günstigen Verlauf im vorliegenden Falle
möchte ich daher mit absoluter Bestimmtheit der
antisyphilitischen Cur zuschreiben.
Ich glaube nach alledem eine Tuberculose ausschliessen
zu dürfen. Auch eine Mischinfection von Lues mit Tuber-
*) Zum Vergleich haben wir eine an einer ausgedehnten Tuber-
culose der Conjunctiva palpebr. et bulbi leidende 25jährige Patientin
einer intensiven antispecifischen Cur unterworfen, ohne irgend welche
Beeinflussung des Leidens.
*) Cf. die beiden Photogramme. Dieselben sind erst ca. 1 Woche
nach Beginn der antispecifischen Cur aufgenommen, wo von dem epi-
bulbären Tumor fast nichts mehr zu bemerken war. Im Beginn sind
auch die Hautveränderungen noch hochgradiger gewesen.
336 Y. Peppmüller.
culose halte ich hier für höchst unwahrscheinlich. Zur ge-
naueren Begründung will ich diese Frage nochmals kurz
berühren, auch in Rücksicht auf diejenigen bereits referirten
Fälle in der Literatur, für welche von den betreffenden
Autoren eine Mischinfection behauptet worden war.
Gerade durch die oben referirten Fälle') von Elsen -
berg, Leloir und Neisser scheinen mir die Kriterien
für eine Mischform von Ijues und Tuberculose gegeben zu
sein. Erstens lassen sie bei genauer Untersuchung unter
Umständen schon klinisch sich wenigstens vermuthungsweise
als Mischinfectionen ansprechen, wie dies Leloir und
Neisser schon vorher ausgesprochen hatten. Femer aber
ist der Verlauf der, dass es bis zu einer theilweisen Rück-
bildung der syphilitischen Producte kommt; ist dieselbe
aber erfolgt, dann bleibt ein anderer Theil noch vollkom-
men unbeeinflusst zurück. Sicher bewiesen werden sie natür-
lich erst dann sein, wenn ausser der Lues eine Tuberculose
noch durch positiven Bacillen befund bezw. Thierversuch fest-
gestellt werden konnte.
Und ich möchte deshalb umgekehrt behaupten,, dass
in solchen Fällen, wie in dem unserigen, wo eine voll-
kommene und schnelle Rückbildung unter der antisyphili-
tischen Cur erfolgte, eine Combination mit Tuberculose aus-
zuschliessen ist.
Fassen wir das Bemerkens werthe des vorliegenden
Falles nochmals zusammen, so ergiebt sich, dass diese
Beobachtung von principieller Beweiskraft für die
bisher nur unvollkommen fundirte, mehr oder we-
niger wahrscheinliche Thatsache ist, dass die Spät-
M Cf. S. 327. Für die citirten Fälle von Fabry und Ried er
möchte ich nach den au!?j(eführten Ueherlegungen eine reine Lues
annehmen, für diejenijfen von Jadassohn und Ilerxheimer ist
sie mir nur walirscheinlich, da eine Mischinfection besonders in dem
zweiten Jadassohn' sehen Falle ^oonf. S. 32U) nicht absolut ausge-
schlossen ist.
Ein epibulbftrer syphilitischer Pseudotumor etc. 337
Syphilis nicht nur tuberkelähnliche Bilder, son-
dern echte central verkäsende Tuberkel liefern
kann. Im Speciellen haben wir eine in der be-
schriebenen Form noch nicht beobachtete syphili-
tische Neubildung der Conjunctiva bulbi et pal-
pebrarum kennen gelernt, die zwar in der Farbe und
in Bezug auf das Fehlen von Entzündungserscheinungen
eine gewisse Aehnlichkeit mit der von Elschnig und
Brailey beschriebenen sulzigen, syphihtischen Infiltration
der Conjunctiva bulbi darbot, aber im üebrigen vollkommen
das Aussehen eines malignen Tumors zeigte und sich da-
durch schon grundsätzhch von jener diffusen Schwellung
unterschied.
Dass diese Neubildung etwas für Lues charakteristi-
sches zeigte, kann man nicht behaupten.
Wir möchten schliesshch den Werth der Beobachtung
in praktischer Hinsicht dahin präcisiren, dass überall da,
wo wir in der ätiologischen Forschung zwischen
Tuberculose und Lues zu. entscheiden haben, das
rein histologische Bild selbst des central verkästen
Tuberkelknötchens allein nicht vollkommen aus-
schlaggebend ist, sondern dass wir neben den an-
deren, uns zu Gebote stehenden Kriterien (Thier-
versuch, Bacillenbefund, Tuberkulin) auch den
klinischen Verlauf und ganz besonders den Ein-
fluss durch eine HgJk-Cur berücksichtigen müssen.
Für die bekannten typischen, khnischen Bilder der
Tuberculose werden Verwechselungen ja kaum in Betracht
kommen; für atypische und besonders in ihrer Aetiologie
noch zu delinirende Krankheiten aber ist eine Erfahrung,
wie die hier mitgetheilte, jedenfalls sehr beachtenswerth.
Auch für diejenigen Leser, welche trotz unserer Be-
weisführung an der Diagnose „Tuberculose" wegen des
histologischen Bildes festhalten wollten, würde die Bedeu-
tung unserer Beobachtung nicht geringer sein. Denn sie
▼. Qnefe'B Arcblr Oa Ophthalmologie. XLIX. 2. 22
338 F- PeppmüUer, Ein epibulbärer syphilitischer Pseudotumor etc
müsste ihnen zeigen, dass auf ihre Diagnose hin es unter
Umständen einen schweren Fehler bedeuten würde, die
gegen Tuberculose übliche chirurgische Therapie zu. üben.
Dieselbe hätte in diesem Falle in ausgedehnten Exstirpa-
tionen am Arm, einer retropharyngealen Operation und
Exstiipationen am Auge bestanden, deren Umfang von
dem Verlauf abhängig gewesen wäre. Glücklicher Weise
ist durch die antispecifische Cur dies alles der Patientin
erspart geblieben.
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Prof Axenfeld,
gestatte ich mir für die Anregung zu dieser Arbeit, die
Durchsicht derselben, sowie ganz besonders noch für die
liebenswürdige Anfertigung der Zeichnungen, meinen auf-
richtigsten Dank auszusprechen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VII— VIII,
Fig. 1-2.
Photogramme: Sie zeigen die hochgradige ulceröse Erkran-
kung der Armhaut, sowie die Narben auf dem Sternum, der Mamma,
und dem Halse.
VIII, Fig. 1. (iranulationsgewebe vom Arm, mit epitheloiden und
Kiesenzellen von zum Theil Langhans' sehen Typus; die
eine ist central verkäst.
F i g. 2. Typischer rcticulirter Riesenzellentuberkel mit centraler
Verkäsung, von Riesenzellen ausgehend. Schnitt durch den
epibulbären Pseudotumor.
Ein Fall von Polypen des Thränensackes.
Von
Dr. Strzeminski
in Wilna.
Polypen im Thränensacke wurden sehr selten beob-
achtet; diese Thatsache wird gleichmässig in zwei der be-
deutendsten Handbücher der Augenheilkunde von Schir-
mer (1) und V. Wecker (2) constatirt; in vielen Lehrbüchern
wird das Vorkommen von Polypen im Thränensacke über-
haupt nicht einmal erwähnt. Auch andere Neoplasmen des
Sackes sind sehr selten.
Die Literatur weist sehr wenige Fälle von Thränen-
sackpolypen auf und bietet, so viel ich weiss, nur eine histo-
logische Untersuchung im Fall Hertel(lO) dar.
Die erste, in der Literatur mitgetheilte Beobachtung stammt
von Jan in (3). Bei einem 25jä!irigen Mädchen war der Polyp
des rechten Sackes in den Thränennasencanal eingedrungen,
denselben bis zu Fingerdicke ausweitend, und hatte die rechte
Nasenhälfte ausgefüllt. Jan in musste eine ausgiebige Spaltung
des Thränensackes vornehmen, um den Polypen zu entfernen.
Im Falle von Neiss (4^ aus der Klinik von Walt her litt
eine 32jährige Frau seit vier Jahren an Nasen- und Thränen-
sackkatarrh. Die Krankheit des Sackes verui-sachte öftere Rück-
fälle und rief eine Schwellung der Wange und des unteren
Ddes hervor. Es trat schliesslich eine bleibende Geschwulst des
Sackes auf, aus welcher sich eine schleimige Flüssigkeit aus-
drücken liess. In letzter Zeit konnte man mitten in dieser Oe-
schwulst eine begrenzte, runde, bewegliche Härte von der Grösse
22*
340 Strzeminski.
einer Haselnoas abtasten; der Sack Hess sich nicht mehr leeren.
Walther diagnosticirte einen Polypen, entfernte ihn und heilte im
Laufe von drei Monaten die Stenose des Thränennasencanals mit
Hilfe eines Haarseils. Der Polyp zeigte ungleiche Oberflädie und
war reich an Blut.
Im Falle von Travers (5) stellte der Thränensack eine
harte Gesdiwulst dar; nach Durchbruch der Sackwand und der
anliegenden Haut präsentirte sich ein Geschwür, in weldiem sich
eine fungöse, „button-like" Masse vorfand. Diese Beschreibung
erinnert viel mehr an eine Dacryocystitis phlegmonosa mit einer
Fistel, als an einen Polypen.
Grillo (6) veröffentlichte einen Fall aus der Klinik von
Blasius, wobei es sich um eine 56jährige Patientin handelte, bei
der seit vier Jahren eine Geschwulst der Thränensackgegend bestand,
aus welcher sich eine schleimige Flüssigkeit ausdrücken liess. Nach
zwei Jahren eretreckte sich die Geschwulst über das untere Lid,
erreichte Wallnusgrösse und bedeckte das Auge. Die Haut an
diesen Stellen war blau verfäi*bt und zeigte eine Erweiterung
der Venen. Nach Ausdrücken der Flüssigkeit blieb die Härte
zurück, die beim Drucke nicht schwand. Blasius machte die
Operation, welche feststellte, dass der Polyp zwisclien dem Aug-
apfel und der unteren Orbitalwand eingedrungen war. Darauf
wurde die Thränensackwand mit einer Lösung von Argentum
nitricum, um die Granulationen zu zerstören, cautmsirt. Der
Polyp wog zwei Drachmen.
Obgleich Desmarres (7) behauptete, dass der Sackpolyp
nicht selten ist, beobachtete er doch nur zehn Fälle; diese An-
zahl ist gering bei seiner sehr bedeutenden und langjährigen
Praxis. Er hat zwei Fälle beschrieben. Im ersten Falle handelte
es sich um eine 50jährige Frau, die seit einem Jahre mit dner
Thränensackgeschwulst behaftet war. Nach erfolgloser Sondirung
entfernte er durch Operation einen Polypen von der Grösse einer
kleinen Mandel und von sehr ungleicher Oberfläche. Ungeachtet
der Scarp ansehen Dilatation des Thränennasencanals, wollte die
Vernarbung der Wunde nicht eintreten, und so sah Desmarres
sich gezwungen, den Sack durch Fenum candens zu zerstören.
Im zweiten Falle, bei einer Frau, genügten die Entfernung
des Polypen und Scarpa's Dilatation im Laufe von drei Monaten.
v. Graefe (8) hat zwei Fälle mitgetheilt. Im ersteren trat
bei einem 10jährigen Mädchen unter den Erscheinungen einer
Dacryocystitis eine Sackgeschwulst von der Grösse einer Hasel-
nuss auf. Im zweiten Falle bestand bei einem 24jährigen
Ein Fall von Poljrpen des Thrftnensackes. 341
Manne, der an einer beiderseitigen Dacryocystitis und einer
Strictnr im unteren Theil des rechten Schlauches litt^ ein erbsen-
grosser Polyp im rechten Thränensacke.
Beide Male Hess sich aus dem Thränensack nur eine massige
Masse eitriger Flüssigkeit ausdrücken; es blieb aber eine resistente
lipomartig anzufUhlende Geschwulst zurück, v. Graefe entfernte
die Polypen und verödete in beiden Fällen den Sack mit Fer<
rum candens.
Szokalski(9) hält, wie Demarres, das Vorkommen von
Polypen nicht für selten , aber auch er kann sich, trotz seiner
weitverbreiteten und langjährigen Praxis, nur einiger Flille er-
innern. Nähere Details theilt er nicht mit.
Neuerdings beobachtete Hertel(lO) einen Fall von echtem
Schleimhautpolypen der lliränensackwand.
F^le von bösartigen Neoplasmen des Sackes haben Piccoli (1 1)
(Carcinoma), Sgrosso (12) und Silvestri (13) (bei beiden Sar-
coma) beschrieben.
Die geringe Anzahl der in der Literatur beschriebenen
Fälle von Thränensackpolypen setzt in Erstaunen im Ver-
gleich zur Häufigkeit dieser Neoplasmen in der Nase, mit
welcher der Sack sehr innig verbunden ist, weil er die Ver-
längerung jener bildet und mit derselben Schleimhaut be-
deckt ist Man könnte meinen, dass die Thränensackpolypen
deshalb selten beschrieben werden, weil sie selten erkannt
werden. Die Diagnose ist meistens nur nach einer aus-
giebigen Spaltung des Sackes oder nach der Exstirpation
desselben möglich; indessen wird diese letzte Operation nur
neuerdings geübt und im Allgemeinen nicht oft angewandt,
um diese Frage zu erklären, habe ich Herrn Professor
Fuchs, in dessen Klinik die Thränensackexstirpation oft
vorgenommen wird, geschrieben, mit der Bitte mich zu be-
nachrichtigen, wie oft ihm Polypen des Thränensackes be-
gegnet sind und welchen histologischen Bau dieselben dar-
stellen. Prof. Fuchs hat mir freundlichst geantwortet (den
13. Februar 1899), dass er sich nicht erinnern könne,
makroskopisch auffällige Polypen im Thränensacke gesehen
zu haben; mikroskopisch ist nur ein kleiner Theil der exstir-
342 Strzeminski.
pirten Säcke untersucht worden, und auch bei diesen hat
man keinen eigentlichen Polypen gefunden. Diese Ant-
wort beseitigte meinen Zweifel in BetreflF der Seltenheit
der Thränensackpolypen.
Noch seltener begegnet man Polypen in den Thräneu-
röhrchen. Desmarres(14) beobachtete mehrere; einen, den
er entfernte, beschreibt er etwas ausführlicher; er erwähnt
auch den von Demours in seinem Handbuch mitgetheilten
Fall und einen anderen, von Jobert in der „Gazette des
hopitaux" beschriebenen. Später haben Graefe(8), Paul
(15) und Parisotti(16) ihre Fälle veröffentlicht
Mein Fall, der einzige, den ich in meiner 14jährigen
Praxis in Wilna beobachtet habe, ist folgender:
Anna G., 38 Jalire alt, giebt an, seit einem Jaiire krank
zu sein. Anfänglich bestand Thränenträufeln am rechten Auge;
man machte ihr die Spaltung des unteren rechten lliränen-
röhrchens und führte lange Zeit Sunden ein. Das Thränen-
träufehi verging, aber es traten allmählich andere ErecJieinungen,
trotz der fortgesetzten Sondirung auf, wegen deren die Kranke
am 10. Januar 1899 zu mir kam.
Es fand sich eine harte Geschwulst mit bedeutender Vor-
buchtung der rechten Tliränensackgegend und eine lange Zeit
bestehende I^^stel des Sackes. Durch starkes l^-essen konnte man
durch die Thränenpunkte und die Fistel Thränen und schleimig-
eitriges Secret ausdrücken, wobei sowohl die Grösse wie die
Härte der Geschwulst sich wenig veränderten. Die Nase bot
keine Abweichung dar. Bei der Untersuchung konnte ich ganz
frei eine dicke Sonde (Nr, 4) durchführen.
Auf Grund dieser Erscheinungen nalim ich eine bedeutende
Ektasie des Sackes und Verdickung der Wände desselben an.
Der Umstand, dass kein Thränenträufeln bestand und die dicke
Sonde ohne Zwang hindurchging, schien ein Neoplasma im
Sacke auszuschliessen.
Die unter diesen Umständen vorgesclilagene Exstirpation
des Sackes wurde von mir am 18. Januar ausgeführt
Nachdem die Kranke diloroformirt und die Sonde in den
Thränenschlauch eingeführt war, wurde die äussere Gommissur
stark nach aussen und etwas aufwärts angezogen, um das innere
Lidband unter der Haut deutlich hervortreten zu lassen, und
Ein Fall von Polypen des Thränensackes. 343
dann ein SV^ cm langer, bogenförmiger, mit der Convexität
nach der Nase gerichteter Schnitt gefülirt, der unter der Mitte
des inneren lidbandes begann, und 2^1^ mm vom inneren Augen-
winkel entfernt, von oben und innen nach unten und aussen
gerichtet war. Der fühlbaren Härte entsprechend, machte ich
diesen Schnitt ungefähr 1 cm länger als gewöhnlich im Glauben,
dass die Exstirpation bei bedeutender Ektasie des Sackes nicht
anders ausführbar sein würde. Nachdem der Hautschnitt ge-
macht war, zogen die Gollegen die Wundränder mit Häkchen
auseinander, darauf schnitt ich die Aponeurose des Kreismuskels
mit den Bündeln des Lidbandes und gleich nachher die vordere
lliränensackwand durch. Darauf erschien in der Wunde eine
halbweiche, blutreiche, traubenförmige Geschwulst von der Grösse,
einer Haselnuss, die mit einem Stiele an der hinteren Sackwand
befestigt war und alle äusseren Anzeichen eines Polypen darbot.
Nachdem ich die Geschwulst mit der Pincette durch die Wunde
hindurchgezogen hatte, schnitt ich sie mit der Scheere dicht an
der Wand ab und kratzte ihre Anhaftungsstelle mit dem scharfen
Löffel ab. Der Stiel war ziemlich dick, er maass im Durch-
messer ungefälir 3 mm. Da die Thränensaekschleimhaut keine
besonderen Veränderungen darbot, gab ich mein Vorhaben der
Exstirpation des Sackes auf.
In die Wunde wurde ein Jodoformgazetampon eingeführt,
darüber mehrere Schichten Watte, um die ganze Grube auszu-
füllen, und ein Druckverband gelegt. Der Tampon und der
Verband wurden alle Tage gewechselt.
Sogleich nach der Operation schwanden die in der Thränen-
sackgegend vorhandene Erhabenheit und Härte, die, wie es
sich erwies, nicht von den Vei-ändeiningen der Thränensack-
wände, sondern bloss von der Anwesenheit des Polypen ab-
hingen. Die Wunde heilte gut und die Fistel verschwand bald.
Die Patientin, am 21. Januar aus dem Hospital entlassen, kam
seitdem täglich zum Verbandwechsel. Es blieb zunächst noch
eine kleine Oeffnung, die nach ungefähr einer Woche voUkommen
vernarbt war.
Die von Dr. Gortein vorgenommene histologische
Untersuchung des Polypen zeigte die Stnictur eines Fibroma
cavernosum s. teleangieetodes.
Wie ich oben erwähnt habe, ging eine dicke Sonde
trotz des Vorhandenseins des Polypen durch den Sack und
344 Strzeminski.
den Canal vollständig frei durch. Diese Erscheinung kann
ich nur auf diese Weise erklären , dass ich das einzige
Mal, wo ich die Sonde durchgeführt hatte (die Wieder-
holung hielt ich für zwecklos), zufällig mit ihr neben dem
Polypen durchgedrungen war.
Die in der Literatur beschriebenen Fälle, zusammen
mit meinem, gestatten ein klinisches Bild des Thränensack-
polypen aufzustellen. Im Allgemeinen unterscheiden sich die
Erscheinungen wenig von den Symptonen des gewöhnlichen
Thränensackkatarrhs oder der phlegmonösen Thränensackent-
. Zündung, was vollkommen verständhch ist, weil die Polypen
immer von einem Sackkatairh und oft von einem chroni-
schen Nasenkatarrh begleitet sind. v. Wecker (2) ist der
Meinung, dass die Polypen wahrscheinlich immer durch den
Sackkatarrh hervorgerufen werden; in Folge dessen präsen-
tiren sie sich als theilweise Wucherung der papillären
Schicht der Schleimhaut. Dem Aeusseren nach sind sie
den Nasenschleimhautpolypen ähnlich.
AnfängHch erscheint Thränenträufeln, welches die ge-
wöhnlichen Complicationen von Seiten der Lider und
des Augapfels hervorrufen kann. Der Thränensack er-
weitert sich nach Verhältuiss derVergrösserung des Polypen
und erhebt die Haut, welche zuweilen gespannt, blau und
glänzend aussieht. Dieser Zustand bedingt das Erscheinen
der Geschwulst am inneren Augenwinkel, die, dem Aeusseren
nach, sich , von der bei Thränensackkatarrh, durch die
Stockung der Flüssigkeit in Folge Verengerung des Thränen-
nasencanals hervorgerufenen, nicht unterscheidet. Das Vor-
handensein des Polypen zeichnet sich grösstentheils durch
die Unmöglichkeit, den Sack beim Drucke vollkommen zu
entleeren, aus. Aber diese Unmöglichkeit besteht auch bei
Abwesenheit des Polypen, in Fällen von starker Schwellung
der Schleimhaut beim Thränensackkatarrh, von Verdickung
der Sackwände, in Folge von chronischer Sackentzündung
oder von Vorhandensein einer Cyste vor der Sackwand,
Ein Fall von Polypen des Thränensackes. 345
wie Rodrigues, Hasner, Deval, Desmarres u. s, w.,
welche von v. Wecker (2) citirt worden sind, beobachteten.
Dann wird der Zweifel durch Einführung der Sonde in den
Sack entschieden, welche gewöhnUch Vorhandensein oder
Abwesenheit des Polypen bestimmen kann.
Der den Polypen enthaltende Thränensack präsentirt
sich grösstentheils; als eine resistente, lipomartig anzufühlende
Geschwulst. Zuweilen bildet der Polyp eine begrenzte
Härte, umgeben von einer weicheren Geschwulst, die durch
Stockung von Flüssigkeit und durch Verdickung der Wände
hervorgerufen wird. In meinem Falle war der Sack hart,
gewiss in Folge der Auftreibung desselben durch einen
entsprechend grossen Polypen.
In einem Falle von Szokalski (9) blutete es jedesmal
bei Einführung der Sonde durch die Thränenröhrchen.
Wie beim gewöhnlichen Sackkatarrhe, kann auch bei
Polypen die Entzündung eitrig werden, sich auf das um-
gebende Unterhautbindegewebe und die Haut erstrecken,
und Phlegmone und Fistel des Sackes hervorrufen.
Der Thränensackpolyp stellt eine rundliche, rothe, be-
wegliche, halb weiche Masse von der Grösse einer Erbse,
bis zu der einer Walnuss dar. Er sitzt gewöhnUch mit
einem Stiele an der Schleimhaut fest, der grösstentheils
schmal ist, aber zuweilen eine Dicke von 3 mm erreicht;
der Stiel sitzt häufiger der hinteren Wand an.
Manchmal findet man mehrere Polypen in demselben
Sacke.
Der Thränensackpolyp kann sich wie in den Fällen
von Janin und Grillo über die Sackgegend hinaus er-
strecken.
Das weibhche Geschlecht wird viel häufiger von dieser
Erkrankung befallen, als das männliche, was für alle
Thränenschlaucherkrankungen gilt. Die Kranken waren im
Alter von 10 bis 50 Jahren. Der Polyp tritt häufiger
346 Strzeminski.
im rechten Sacke als im linkeu auf, während bei anderen
Aflfectionen des Schlauches die linke Seite häufiger er-
griflFen wird.
Die Behandlung ist nur operativ. Der Schnitt niuss
entsprechend lang geführt und zuweilen während der Opera-
tion verlängert werden, um den Sack für Entfernung des
Polypen genügend weit zu öffnen. Nach der Eröfinung
nimmt der Sack gar nicht oder wenig ab, es tritt Flüssig-
keit (Thränen, Schleim, Eiter) in geringer Menge aus und
der Polyp erscheint in der Wunde.
AVas die Frage betrifil, ob es möglich ist, sich mit der
Entfernung des Polypen zu l)egnügen, oder ob man die
Exstirpation des Sackes ausführen muss, so entscheidet in
jedem Falle der Zustand der Sackschleimhaut und der um-
gebenden Gewebe. Bei bedeutenden Veränderungen der-
selben muss man den Sack exstirpiren, anderenfalls ihn
unberührt lassen.
AVenn Verengerung des Thränennasencanals und Sack-
katarrh nach der Entfernung des Polypen fortdauern^
wendet man die gewöhnliche Behandlung (Sondirung, Aus-
spülung des Thränenchlauches) an.
Man sollte meinen, dass Sackpolypen in gleicher Weise,
wie in der Nase, Recidive darbieten. Doch ist bis jetzt
ein derartiges Vorkommuiss nicht beschrieben worden. Beim
Rückfalle muss man die Exstirpation des Sackes ausführen,
um einen neuen zu vermeiden.
Literatur verzeichniss.
1) Graefe-Saemisch, Handbuch der gesammten Augenheilk. VII.
S. 43. 1877.
2) V. Wecker et Land olt, Traitö complet d'ophthalm. IV. p. 1099.
3) Jan in, M^moires et observations sur Toeil. p. 299. Lyon 1772.
4) Nei8s, De tistula et polypo sacci lacrymalis. Diss. Bonnae 1822.
— Scriptores ophthalmologici minores ed. J. Radius. Lipsiae
1828. IL p. 139.
5) Travers, A Synopsis of tlie deseases of the eye and their treat-
ment. 2. ed. London 1821. 247.
Ein Fall von Polypen des Thränensackes. 347
6) Grillo, De polypis sacci lacrymalis et coi\junctivae oculi. Diss.
Halis 1834.
7) Desmarres, Traitä de maladies des yeux. 2-medd. Paris 1854.
I. p. 339.
8) V. Graefe, Polypen des Thränenschlauches. v. Graefe's Arch.
f. Ophthalm. 1854. I 1. S. 283.
9) Szokalski, Lehrbuch der Augenheilkunde (polnisch). Warschau
1869. I. p. 303.
10) Medicinisch- naturwissenschaftliche Gesellschaft in Jena (Section
für Augenheilkunde). Sitzung am 10. Nov. 1898 (Deutsche med.
Wochenschr. 1899. Nr. 7. S.44), v. Graefe's Arch. f. Ophthalm.
XLVIII. S. 49.
11) Piccoli, Annales d'Oculist. 1895. CXIV. p. 297. (Referat.)
12) Sgrosso, Annali di Ottalm. 1888. p. 387.
13) Silvestri, Annali di Ottalm. 1897. XXVI. fasc. 5.
14) Desmarres, Trait^ de maladies des yeux. 2-me öd. I. p. 292.
15) Paul, Journal d*Ophtalm. 1872. I. p. 24.
16) Parisotti, Bull, della Accademia medic. di Roma. 1898. fasc. I
—III. — Recueil d'Ophtalm. 1898. p. 133.
Die Beaction der Pupille bei der Accommodation
und der Conyergenz und bei der Beleuchtung
verschieden grosser Flächen der Retina mit einer
Constanten Lichtmenge.
Von
Dr. H. Vervoort,
Arzt aus Leiden.
Mit 5 Figuren im Text.
(Experimentelle Untersuchung aus dem Laboratorium
des Herrn Prof. W. Kost er Gzn.)
SeitdenUntersuchungen vonDondersund deRuyter*)
über den Zusammenhang der Reaction der Pupille mit der
Accommodation und mit der Convergenz ist allgemein an-
genommen worden, dass die Contraction der Pupille beim
Einstellen des Augenpaares für einen näher gelegenen Gegen-
stand sowohl von der ersteren, als auch von der letzteren
abhängig sei. Durch die Experimente von Hering*) wurde
dieses Ergebniss noch weiter gestützt, und wiewohl dann
und wann die Versuche von E. H. Weber*) wieder als
*) DeRuyter, Dissertatio physiologico-medica de actione Atropae
Belladonnae in iridem. Trajecti ad Rhenum. v. d. Weyer. 1853.
V« Verslag y. h. Nederlandsch gasthuis v. ooglijders. 1864. p. 191:
de werking der mydriatica en der myotica door F. G. Donders.
F. C. Donders, On the anomalies of accommodation and re-
fraction of the eye. The New Sydenham Society. London 1864. p. 574.
Onderzoekingen v. h. Phys. Lab. te Utrecht 1853/54. Dl. 20. p. 620.
*) E. Hering, Die Lehre vom binocularen Sehen. L S. 134.
Leipzig, W. Engel mann. 1868.
•) Programmata collecta cui inest E. H. Weberi, Annotationes
anotomicaeet physiologicae. Fase. III : de motu iridis. Lipsiae 1851. p. 92.
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 349
ein Beweis dafür angeführt wurden, dass nur die Conver-
genz die Contraction der Pupillen bedinge^ so konnte diese
Meinung der von Douders an jenen Experimenten geüb-
ten Kritik nicht Stand halten.
Da ich ebenfalls keinen Anlass hatte, an der Richtig-
keit der Angaben von Donders zu zweifeln, machte ich
mich auf Vorschlag van Herrn Prof. Koster an die Auf-
gabe, nachzusehen, ob bei der Tabes dorsalis, bei der be-
kanntlich die Pupillen nicht mehr auf Lichtunterschiede
reagiren, vielleicht auch die Reaction auf Accommodation
oder auf Convergenz ausgefallen wäre. Die Untersuchungen
hätten vielleicht für die Diagnose der Tabes dorsalis im
Anfangsstadium wichtige Anhaltspunkte liefern können.
Für diese Untersuchungen liess ich ein Instrument an-
fertigen, welches später genauer beschrieben wird. Als ich
mit demselben einige Vorversuche bei normalen Personen
anstellte, konnte ich keine Spur von Reaction der Pupille
bei der Accommodation allein wahrnehmen, während sie
sehr deuüich war, wenn eine kleine Convergenzbewegung
mit der Accommodation verbunden wurde.
Ich stellte deshalb eine Reihe von Versuchen über die
Reaction der normalen Pupillen an, über welche ich im Fol-
genden berichten möchte.
Versuchseinrichtung. In der beigegebenen Fig. 1 ist
der Apparat, den ich für meinen Zweck benutzt habe, abgebildet.
Das Wesentliche der Einrichtung ist daraus klar ersichtlich, so
dass ich nur noch Weniges hinzuzufügen brauche.
Entlang den beiden Stäben AÄ und BB\ welche sich in C
kreuzen, werden zwei congmente Dreieckchen D und D' gleich-
zeitig bewegt durch eine gespaltene Querstange Ey die auf
einem Rohr FF\ welches den Winkel der Stäbe AÄ und BS
halbirt, darch einen Handgriff H verecliieblich ist. Die kleinen
Dreieckchen smd an kupfernen Hülsen befestigt, welche AÄ und
BB' umschliessen und mit einem Stift in dem Spalt von E
stecken, in welchem sie also hin und her bewegt werden, wenn
man den Griff H nach vorne oder nach hinten verschiebt.
Die zu untersuchende Person sitzt am kurzen Ende der
350
H. Vervoort.
Stäbe und fixirt ihren Kopf in der Weise^ dasa ihre Augen ge-
nau über die Stäbe hinblicken.
Mittelst einer durch das Stativ gehenden Schraube mit einem
Hebebaume G, und mittelst drei Nadeln, in C, A' und B' auf-
gestellt, sind wir im Stande die Stäbe so zu richten, dass die
Distanz AB gleich der Basallinie für eine Convergenz nach dem
Punkte C wird. Ein Schirm mit einer Oefinung von 1 cm
Breite, in einer kleinen Entfernung vor C aufgestellt, verhindert,
dass das linke Auge das Dreieckchen auf dem Stabe BB'y das
rechte Auge das auf AA! sieht.
Fig. 1.
Wenn die beiden Dreieckchen so nahe wie möglich an C
gestellt werden, und man nach C convergirt, wird man mit etwas
Mühe ein Dreieck sehen, welches durch die einander deckenden
Bilder der beiden Dreieckchen gebildet wird.
Unmöglich war es mir, die beiden Dreieckchen sich in C
ganz decken zu lassen. — Ist die Accommodation nicht genügend
eingestellt, so bleibt das Bild des scheinbaren Dreieckes diflUis be-
grenzt; ändert sich mit der Ei-schlaffung der Accommodation die
Convergenz, so sieht man zwei Dreieckchen, das linke dem rech-
ten Auge angehörend und umgekehrt.
Um eine genaue Controle über die richtige Accommodation
ausüben zu können, und um zu verhüten, dass das Bild von
einem Auge ausgeschlossen wird, zeichnete ich m die Dreieck-
chen je zwei feine lothrechte Linien ein, in das eine (Fig. 2, a)
die von der Grundlinie zur Spitze, und die von links unten nach
rechts oben, in das zweite (Fig. 2, h) ebenfalls die auf der
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 351
Basis nnd die von rechts unten nach links oben; anf dem
Scheinbilde wurden sie als drei einander in einem Punkte schnei-
dende Linien gesehen.
Ueberdies befestigte ich auf jedem Dreieckchen an überein-
stimmenden Stellen ein und dasselbe Wort in feinen Druckbuchstaben
welche nur bei richtig eingestellter Accommodation zu lesen waren.
Um den Convergenzabstand ändern zu können, liess ich an
den kurzen Enden der Stäbe zwei diese umschliessende Hülsen
anbringen^ durch deren Ausziehen ich im Stande war, den Con-
vergenzpunkt von den Augen zu entfernen. So konnte ich den
Abstand von dem Fixationspunkte bis zu meinen Augen von
AM.ft-\
c
Fig. 2.
16 cm bis 20 cm wechseln; für eine BasalHnie von 64 mm und
einen Convergenzabstand von 20 cm stellt dies einen Winkel vdu
18*^11' oder 5 doppelten Meterwinkeln dar und für einen Con-
vergenzabstand von 16 cm einen Winkel von 22® 37' oder 6^/4
doppelten Meterwinkeln.
Der nächstliegende Punkt, auf den die Dreieckchen gestellt
werden konnten, lag 5 cm hinter C, und der gi^sste Abstand
von C war 50 cm. Die Seite des aus weisser Pappe geschnit-
tenen Dreiecks betrug 1 cm; die darauf angebrachten Lothe be-
standen aus feinen Haaren oder feinen Tintenlinien.
Meine Versuche stellte ich folgend ermaassen an:
Nachdem ich zuerst die Sehschärfe und die Aecom-
modationsbreite bestimmt hatte, liess ich die zu untersuchende
Person sich so hinter das Instrument setzen, dass sie mit
dem Gesichte dem Fenster zugewandt war; ich selbst setzte
mich neben sie, ohne dabei die Ijichtintensität zu ändern.
Dann bat ich sie den Kopf so zu stellen, dass die
Nadeln in C und Ä' mit dem Unken Auge in einer Linie
gesehen wurden und, indem sie unbeweglich sitzen bheb,
liess ich mit dem rechten Auge sehen, ob jetzt auch C
und B' in einer Linie lägen.
352 H. Vervoort
War dies nicht der Fall, so änderte ich den Winkel
der Stäbe so lange, bis abwechselnd mit jedem Auge die
correspondirenden Nadeln in einer Linie gesehen wurden:
dann folgten die Stäbe der Richtung der Geaichtslinien für
eine Convergenz nach dem Punkte C, der 20 cm von den
Augen entfernt lag.
Darauf entfernte ich die Nadel aus C und stellte die
Dreieckchen möglichst nahe an C, d. i. 25 cm von den
Augen und hess die Person nach C convergiren.
Sie sah jetzt ein verschwommenes Dreieck, welches
nach und nach deutlicher wurde und zum Schluss als ein
scharf umschriebenes Dreieck mit den drei einander schnei-
denden senkrechten Linien und deutlich lesbaren Buchstaben
hervortrat.
Entfernte ich jetzt allmählich die Dreieckchen von den
Augen der Person, so gelang es ihr nach einiger üebung
diesen zu folgen bis in eine gewisse Entfernung, in der das
Dreieck undeutlich wurde, obwohl es fortwährend einfach
gesehen wurde.
Wenn ich jetzt schnell die Dreieckchen von dem äusser-
sten Punkte, in dem das Dreieck noch deutlich zu sehen war,
nach dem Anfangspunkte zurückschob und gleichzeitig mit
dem unbewaffneten Auge die Pupille beoachtete, so konnte
ich keine Aenderung in deren Grösse wahrnehmen, obwohl
die Person während des Verschiebens das Dreieck fort^
während deutlich sah und dies eine gewisse Accommoda-
tionsanspannung erforderte ^).
Ich wiederholte den Versuch bei einer Convergenz auf
16 cm mit demselben Erfolge.
Auch untersuchte ich, ob das Nähern und Entfernen
der kleinen weissen Dreieckchen in dem Tageslichte einen
Einfluss auf die Pupillenweite ausüben könnte.
*) Dass sehr kleine Aenderungen des Ihipillendurchmessers mit
dem unbewaiTneten Auge deutlich zu beobachten sind, zeigte ich durch
einige Versuche. Siehe S. 356.
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 353
Ich Hess Jemand bei unverändei-ter Convergenz die in
gewisser Enfernung aufgestellten Dreieckchen fixiren und
liess ein drittes gleichgrosses Dreieckchen sich dem Auge
abwechselnd annähern und entfernen, ohne dass dabei eine
Pupillenreaction auftrat.
Jedenfalls raüsste die Verschiebung der Dreieckchen
während des Accommodirens eine Pupillencontraction er-
regen, und man wird dies also niemals gegen meine Ver-
suche anführen können. Liess ich aber das eine Auge
schhessen und mit dem zweiten abwechselnd den Kreuzungs-
punkt C und ein in gewisser Entfernung aufgestelltes Drei-
eckchen fixiren, so beobachtete ich dabei immer eine deut-
liche Aenderung der Pupillenweite.
Von den 53 Personen, welche ich zu untersuchen im
Stande war, gelang der Versuch bei 36 genau; elf konnten
die Bilder der Dreieckchen nicht vereinigen; bei fünf zeigte
sich ein fortwährender Hippus; in einem Falle fehlte fast
die ganze Convergenz, so dass er für meinen Zweck nicht
zu verwenden war.
In der umstehenden Tabelle habe ich einige dieser
Fälle zusammengefasst, bei welchen die Beobachtung leicht
war und der Versuch schnell gelang. Zum besseren Ver-
ständniss führe ich kurz die Versuchseinrichtung des ersten
Falles an:
0 D
HIV.D
Bei einer Convergenz auf 20 cm war der Untersuchte im
Stande, seine Accoromodation bis auf 65 cm zu ersclilafien.
Während er dann seine Accommodation von 65 cm bis
auf 25 cm (d. i. 2% I^) anspannte, blieb die Pupillen weite die-
selbe; ebenso, wenn bei einer Convergenz auf 16 cm die Accom-
modation von 65 cm bis auf 21 cra (d. i S'/g D) verschoben
wurde.
y. Onefe's Archiv fQr Ophthalmologie. XLIX. 2. 23
D. 24 Jahre alt
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Visns
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Refraction
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Accommodationsbreite
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Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 355
Dagegen trat eine deutliche Pupillenreaction ein, wenn beim
Schliessen des rechten Auges abwechselnd das Dreieckchen auf
dem Stabe AÄ und die in 0 gestellte Nadel fixirt wurden.
Diese Fälle zeigen also, dass in Bezug auf den nega-
tiven Theil der Accommodationsbreite keine Aendening des
Pupillendurchmessers beim Anstrengen der Accommodation
ohne Aenderung des Convergenz winkeis auftritt
Zur Controle meiner Beobachtung in Bezug auf den
positiven Theil der Accommodationsbreite drehte ich die
Einrichtung meines Instrumentes um, so däss eine am läng-
sten Theile der Stäbe sitzende Person durch zwei Spalten
in einem, unweit ihrer Augen aufgestellten Schirme nach
C convergiren konnte, während die Dreieckchen zwischen
C und ihren Augen verschoben wurden. Wenn ich selbst
auf 53 cm convergirte und aufgefordert wurde, meine Ac-
commodation von 38 cm bis auf 25 cm anzuspannen (d. i.
eine Accommodationsaufwendung von 1^/g D), so konnte
man bei mir keine Pupillenreaction wahrnehmen; ebenso
wenig beim Convergiren auf 58 cm und einer Accommo-
dationsanspannung von 40 bis auf 27 cm (d. i. von \\ D).
Bei einer zweiten Person mit normalem Visus und
normaler Kefraction trat beim Convergiren auf 57 cm und
beim Accommodiren von 45 bis auf 27 cm (d. i. l*/^ D)
keine Pupillenreaction ein.
Aus diesen Versuchen glaube ich- den Schluss ziehen
zu dürfen, dass es keine Association zwischen der Pupillen-
reaction und der Accommodationsanstrengung allein giebt.
Ich möchte weiter noch besonders darauf hinweisen,
dass bei meiner Versuchsanordnung die Aenderung der Ac-
commodation unter beständiger Controle stattfindet, indem
der Beobachter fortwährend dieselbe Figur scharf
sehen muss. Dadurch wird vermieden, dass die unter-
suchte Person auf einmal willkürlich ihre Accommodation
23*
356 H. Vervoort
ändeni muss, was bei derartigen Versuchen leicht wechselnde
Resultate verursachen kann, indem zwischen den beiden
Einstellungen vielleicht während eines Augenblickes ganz
unregelmässige kleine Augenbewegungen ausgeführt werden.
Weiter findet das Accommodiren ohne jegliche An-
strengung statt, und man kann ohne besondere üebung den
Versuch ausführen, im Gegensatz zu der Versuchseinrich-
tung von Donders und de Ruyter und auch der von
Hering. Ich komme darauf später noch zurück; meines
Erachtens ist es gewiss, dass diese besondere psychische
Anstrengung das Resultat des Versuches beeinflussen kany,
und vor Allem scheint es mir unmöglich, dabei kleine Con-
vergenzbewegungen vollkommen sicher auszuschliesseu.
Weiter zeigten die Versuche, dass die Reaction der
Pupille auf Convergenz eine ausserordentlich empfind-
liche war.
Stellte ich in 40 cm Entfernung vor dem rechten Auge
eine Stecknadel auf, und 11 cm dahinter eine zweite, so,
dass die beiden Köpfe in einer horizont-alen Visirlinie stan-
den, wobei also das Auge abwechselnd jeden Kopf fixii-en
konnte, ohne dass dabei eine wahrnehmbare Dislocation des t
Auges eintrat, so nahm ich, wenn die zweite Stecknadel
nach einander auf 11, 5, 4, 3, 2, P/j cm gebracht wurde,
beim abwechselnden Fixiren der beiden Köpfe immer eine
deutliche Pupillenreaction wahr. Das Licht fiel hierbei von
rechts ein; der Beobachter achtete darauf keine lichtdiffe-
renzen zu verursachen.
Den Unterschied des Convergenzwinkels bei einer Basalllnie
von 68 mm berechnete ich in folgender Weise:
(Siehe Fig. .3) D S = (58 mm A der erste, B der zweite
Stecknadelkopf; DA = 40 cm, AB = 1,5 cm dann ist:
tg DAS = «8/430; Jogtg D AS = log 68 — log 400
= 1,83251 — 2,60206 = 9,23045 — 10
und Z.DA 8=9^38' 53",
weiter ist:
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 357
tg DBS = ««/,,,
log.tg DBS = log. 68— log. 415 ==t
1,83251 — 2,61 805 = 9,21 446 — 10
und L DB S = 9n8'20"
woraus folgt:
Z. D A S — Z. DB S = 0» 20' 33"
= '/ii Meterwinkel.
Bei einer zweiten Per- s^
son (Basallinie 69,5 mm) be-
trug der kleinste Abstand
der beiden Stecknadeln, wo-
bei eine Pupillenreaction
wahrzunehmen war, 2 cm ^ ^
und die WinkeldiflTerenz FJg. s.
Z. D A S -- Z. DB S = 9<> 51' 24" — 9« 23' 45"
= 0<^ 27' 39" = -?- Meterwinkel.
8,4
Bei mir selbst (Basallinie 62 mm) war der kleinste Abstand
der Stecknadeln 1 \ cm und die WinkeldiflTerenz betrug
80 48' 39" — 8« 29' 49" = 0« 18' 50" = V^^ Meterwinkel.
Wenn man den Kopf so stellte, dass die Augen symme-
trisch convergiren mussten, so trat dieselbe Pupillenreaction ein.
Die oben angeführten Versuche zeigen also, dass bei
einer beträchtlichen Accommodationsanspannung die Grösse
der Pupille sich nicht ändert; dass aber sofort eine Ver-
kleinerung eintritt, wenn man eine sehr kleine Convergenz-
bewegung bis zu ^/j ^ D zusammen mit einer minimalen Ac-
commodation ausführen lässt.
Ich schliesse daraus, dass beim Einstellen des
Augenpaares die Pupille nicht auf die Accommo-
dation, sondern nur auf die Convergenz reagirt.
Bei der beschriebenen Anordnung der Versuche ist
die Reactionsfähigkeit der Pupille die günstigste, welche
wir erhalten können; die Weite der Pupille ist eine mittel-
grosse und dabei fallen, wie wir nachher sehen werden,
Unterschiede der Contraction der Pupille am leichtesten auf,
da bei zu grossem Durchmesser die relative Veränderung
358 H- Vervoort
kleiner ist, während bei zu enger Pupille die Spannung
des Irisgewebes zu gross ist, um die relativ bedeutende
Contraction der Iris zur Geltung kommen zu lassen.
Die Beleuchtung der Retina, besonders der centralen
Parthieen, ist eine geringere, indem der schwarze Schirm
sich auf den centralen Theilen abbildet Dadurch, dass
die Untersuchungsperson mit dem Auge dem Fenster zuge-
wandt sitzt, ist die Iris gut beleuchtet, und es fällt leicht
Grössenunterschiede der Pupille zu beobachten.
Bei den früher über diesen Gegenstand angestellten
Versuchen hat man ebenfalls mit dem unbewafiheten Auge
die Pupillenänderung beobachtet
Anfänglich ist man bei diesen Untersuchungen geneigt
zu glauben, dass mittelst Pupillometern oder mit Hilfe der
Photographie bessere Resultate zu erzielen wären; wenn
man aber verschiedene Methoden versucht hat, zeigt es sich
bald, dass die jetzt üblichen Methoden der Pupillometrie
für unseren Zweck weniger zuverlässige Resultate geben,
als die directe Beobachtung der Pupille.
Die Methode der photographischen Aufnahme hat ge-
wiss den Vortheil, dass man einen bleibenden Beweis er-
hält, aber die Versuchseiurichtung muss eine besonders feine
sein, um Gewissheit zu haben, dass sich keine Fehler ein-
schleichen. Da ich über derartige Apparate nicht verfügen
konnte, habe ich diese Methode nicht versucht
Um beurtheilen zu können, inwieweit ein negatives
Resultat bei der Beobachtung der Pupille auch wirklich
bedeutet, dass keine Reaction stattgefunden hat, habe ich
noch die folgenden Versuche angestellt:
Ei-stens nahm ich eine Serie schwarzer Scheiben, von
20 bis 50 mm Diameter, mit einem Unterschiede von 1 mm
in dem Durchmesser aufsteigend, und brachte sie auf einem
hellblauen Hintergrund an.
Stellte ich jetzt eine Person in 3 m Entfernung von
zwei neben einander gesetzten Scheiben, so waren deren
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 359
Netzhautbilder ebenso gross, wie die von Papillen mittlerer
Weite in einer Entfernung von 3 dm betrachtet Fragte
ich sie jetzt, welche der Scheiben die grössere war, so ver-
fehlte sie niemals mir die richtige Scheibe zu zeigen. Ich
wiederholte diesen Versuch mit verschiedenen Personen und
erhielt immer dasselbe Resultat.
Ein Unterschied von 1 mm bei einem Durchmesser
von 50 mm bedeutet, dass unser Auge noch s^hr empfind-
lich ist füi- eine Differenz von ^j^^ des Längenmaasses der
Pupille, wenn wir aus einer Entfernung von ungefähr 3 dm
beobachten.
Für eine Pupille von 5 mm bedeutet dies, dass ein
Unterschied von ^j^q mm Diameter oder ^j^q mm Radius
noch genau bestimmt werden kann.
Ich habe keine Versuche angestellt über den Einfluss
der Beobachtungsentfemung auf die Feinheit unseres Ur-
theils, aber ein auffallender Unterschied wird da innerhalb
nicht zu weiter Grenzen gewiss nicht bestehen.
Dies ist auch selbstverständlich, weil die absoluten
Grössenunterschiede wohl wachsen, wenn die Netzhautbilder
grösser werden. Dabei müssen aber die mehr peripheren
Netzhautparthieen , welche weniger empfindlich sind, ver-
wendet werden; werden dagegen die Bilder kleiner, so wird
der absolute Unterschied bald zu klein in Bezug auf den
Bau der Retina.
Bei den genannten Versuchen war das Beurtheilen für
die von mir gewählte Serie niemals zweifelhaft. Weil aber
die zwei Bilder niemals zur selben Zeit auf dieselbe Stelle
der Retina fielen, und es nicht unwahrscheinlich war, dass
die Empfindlichkeit unseres Urtheils noch grösser sein würde,
wenn wir sofort auf derselben Stelle der Retina die Ver-
kleinerung oder Vergrösserung wahrnehmen könnten, stellte
ich noch den folgenden Versuch an:
An ein Irisdiaphragma befestigte ich einen 2*/^ dm
langen Zeiger, welcher entlang einem Gradbogen die em-
360 H. Venroort.
pirisch bestimmte Weite der Oeffhung bis in Zehnteln Ton
Millimetern genau anzeigte.
Liess ich jetzt Jemand in 33 cm Entfernung diese
Oefl&iung fixiren, hinter welche ich ein Stück schwarzer
Pappe gelegt hatte, damit sie so viel wie möglich der Pu-
pille ähnelte, so konnte ich, wenn ich den Zeiger hin und
her bewegte, erkennen, welche Durchmesserunterschiede der
OeflFnung noch wahrnehmbar waren. Mittels eines Sclurmes
wurden die Bewegungen des Zeigers dem Beobachter ver-
deckt.
Bei derartigen Versuchen wird, ebenso wie bei der
Beurtheilung der Aenderung der Pupillenweite ohne gleich-
zeitige Vergleichung mit einer Serie Scheibchen, die Ge-
schwindigkeit des Eintretens der Aenderung gewiss einen
Einfluss auf die Feinheit unseres Urtheils ausüben.
Man kann die Zeit, welche eine Pupillencontraction
von 5 bis auf 4 mm (d. i. von 27^ bis auf 2 mm Radius)
bedarf, auf '/g Secunde schätzen.
Ich gab Acht, bei meinen Versuchen mit dem Iris-
diaphragma die Bewegungen des Zeigers dermaassen aus-
zuführen, dass in einer Secunde keine Verkleinerung grösser
als 1 mm auftrat.
Es zeigte sich:
Erstens, dass kleine Unterschiede bei enger Oeffhung
leichter wahrzunehmen waren als bei weiter Oeflhung, was
mit dem vorhererwähnten über die geringere Empfindhchkeit
der mehr peripheren Netzhautparthieen völlig übereinstimmt,
da überdies bei einer kleineren OeflFnung diese Unterschiede
in Bezug auf die totale Weite der Oefl&iung relativ viel
grösser sind, als bei einer weiten Oeffnung.
Zweitens zeigte sich, dass Uebung einen grossen EJin-
fluss besass, da die Wahrnehmung durch Ungeübte viel
weniger pünktlich war als die durch Geübte. Während
Ungeübte Grössenänderungen von '/jq oder ^/i© mm Dia-
meter bei einer totalen Weite von 3 mm Diameter wahr-
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 361
nehmen konnten und einige Male auch Unterschiede von
\^omm constatirten, gelang es mir jedesmal Unterschiede
von Vio™^ ^^^ selbst kleinere anzugeben.
Bei grösserer OeflFnung (von 17 mm Diameter) war für
Ungeübte der wahrnehmbare Unterschied ^1^^ und */n,mm,
während ich selbst im Stande war, Verengerungen von
^■jQ und */,(jmm anzugeben.
Bei meinen Versuchen über den Einäuss der Accom-
modation auf die Pupillenweite war die Beobachtung da-
durch noch erleichtert, dass ich nur zu entscheiden hatte:
hat sich die Pupille verengt, oder ist sie dieselbe geblieben?
Die Richtung, in welcher die Aenderung auftreten konnte,
war also bekannt
Die Versuche, welche ich noch mit dem Diaphragma
hierüber anstellte, zeigten mir, dass die meisten Personen
Durchmesseruuterschiede von ^/^ ^ mm leicht erkennen konnten.
Kritischer Ueberblick über die Literatur mit
einigen Experimenten erläutert.
Nachdem schon im Jahre 1619 Ch. Scheiner*) die
Thatsache erwähnt hatte, dass die Pupille beim abwechselnden
Betrachten von weitentfernten und nahehegenden Gegen-
ständen sich erweiterte und verengte, und Plateau*) 1835
sich mit Versuchen über die Accommodation und die Con-
vergenz beschäftigt hatte, welche ihm aber keine einwands-
freien Resultate lieferten, stellte E. H. Weber^) 1851
Versuche an, bei denen er fand, dass die Pupille sich bei
Accommodationsanstrengung ohne Aenderung der Convergenz
nicht verengte, wohl aber, wenn die Gesichtslinien ohne
Aenderung der Accommodation stärker convergirten. Bei
*) Ch. Seh ein er, Oculus hoc est fundamentum opticum etc.
Lib. I. pars 2. p. 31. Exp. III.
«) rinstitut. Journal general etc. Nr. 103, p. 139.
•) Loc. cit.
362 H. Vervoort.
diesen Versuchen hatte er abwechselnd durch concave und
convexe Gläser fixiren lassen.
Ihm trat Gramer') entgegen, dessen Experimente
Donders und deRuyter*) sorgfältiger wiederholten. Beim
beständigen Fixiren desselben Punktes änderten sie die Ac-
commodation mit Hilfe von convexen und concaven Gläsern,
indem sie darauf Acht gaben, dass immer durch die Centra
der Gläser gesehen wurde, damit nicht beim Entfernen der
Gläser eine Convergenzänderung eintrat, was Gramer un-
beachtet gelassen hatte. Sic erhielten dasselbe Resultat vne
Gramer, dass Aenderung der Accommodation auch ohne
Zunahme der Convergenz eine Verengerung der Pupille mit
sich bringt.
Zudem war Donders im Stande, bei ungeänderter Con-
vergenz seine Accommodation abwechselnd mehr und weniger
anzuspannen, und überzeugte sich dabei, dass, hauptsächlich
beim Betrachten von entfernten Gegenständen, jede erhöhte
Anstrengung der Accommodation mit einer Pupillencontrac-
tion zusammenging. Dieses letzte Experiment zog Donders
dem mit den Gläsern vor, weil dabei einer Aenderung der
liichtintensität nicht völlig zu entgehen war.
Wenn er mit Hilfe von Prismen die Convergenz änderte,
ohne den Grad der Accommodation zu wechseln, beobachtete
er ebenfalls eine Pupillenreaction.
Donders' Kritik der Experimente von Weber und
von Gramer ist insoweit berechtigt, als wirklich durch das
Vorhalten von Gläsern allein schon eine Aenderung der
Pupillenweite auftritt; man kann sich selbst bald davon
überzeugen, wenn man eine Glasscheibe vor das Gesicht
schiebt: die Pupillen erweiteni sich dann merkbar.
Auch die Bewegungen der Hände in der Nähe der
Augen, um die Gläser anzubringen oder zu entfernen.
*) Loc. cit.
*) Loc. rit.
Die Keaction der Pupille bei der Accommodation etc. 363
üben schon einen sichtbaren Einfluss aus. Weiter können
auch die kleineren Convergenzänderungen, welche bei nicht
genau centrirtem Sitz der Gläser eintreten müssen, gewiss
einen merkbaren Einfluss haben, wie aus meinen Versuchen
(auf Seite 356) hervorgeht.
Die Einflüsse der verschiedenen Factoren können sich
gegenseitig aufheben oder addiren.
Gegen die Versuche von Donders, welche er selbst
als die am meisten beweisenden annimmt, muss ich aber
ebenfalls die grosse Empfindlichkeit der Pupille für Con-
vergenzunterschiede anfuhren. Da er bei seinen Versuchen
fortwährend denselben Punkt fixirt und willkürlich abwechselnd
für entfernte und näherhegende Punkte accommodirt, erscheint
der fixirte Punkt ihm in Zerstreuungskreisen. Es ist bei
dieser ungewöhnten Anstrengung überhaupt unmöglich zu
beurtheileu, ob sich nicht die Bilder, welche in jedem Auge
entworfen werden, um eine Spur über einander schieben;
und, wiewohl bei diesen Versuchen bis zu der totalen
Accommodationsbreite accommodirt und entspannt werden
kann, muss die mögliche Aenderung der Convergenz das
Resultat als unsicher erscheinen lassen.
Im Jahr 1856 erwähnte A. von Graefe*) einen Fall
von vollkommener Lähmung aller zwölf äusseren Augen-
muskeln durch ein intracranielles Leiden mit Erhaltung
der Accommodationsf ähigkeit und der synergischen Pupillen-
contraction. Bei diesem Falle beobachtete er eine deut-
liche Aenderung des Pupillendurchmessers beim Wechsehi
des Accommodationszustandes. Da die Convergenz völhg
unmögUch war, meinte er annehmen zu dürfen, dass ein
directer Zusammenhang zwischen der Contraction des Mus-
culus ciliaris und des Musculus sphincter iridis bestehe.
Meines Erachtens ermangelt dieser Fall jedes Beweises,
*) A. V. Graefe, Pathologisches zur Accommodationslehre.
V. Graefe' 8 Arch. f. Ophüialm. IL 2. S. 299.
364 H. Vervoort
weil die Contraction der Pupille nicht aus der Contraction
des Musculus rectus internus oder aus dem Impuls zur
Contraction erfolgt, sondern aus einem gleichzeitig ab-
gegebenen Innervationsimpuls, dessen Leitung in diesem
Falle, ebenso wie die der Accommodationsbewegung, er-
halten war.
E. Hering^) nahm den Zusammenhang zwischen der
Verengerung der Pupille und der Accommodationsan-
spannung an. Seinen Versuch beschrieb er folgender-
maassen :
„Fixirt man seinen Kopf, bringt dicht vor jedem Auge
einen kleinen feststehenden Schinn mit einem feinen Loche an,
und stellt dann seine Gesichtslinien so ein, dass jede durdi das
Loch des Schirmes der betreffenden Seite hindurchgeht, so ver-
schmelzen die Bilder der beiden Löcher zu einem einzigen. Sticlit
man nun durch den einen Schirm dicht oberhalb, durch den an-
deren dicht unterhalb des ersten Loclies ein zweites feines Loch,
so erhält man bei binocularer Verschmelzung der beiden ersten
Löcher drei Bilder als drei kleine über einander liegende lichte
Scheiben, von welchen die mittlere, die binocular gesehene ist,
während die obere und die untere von je einem Auge gesehen
werden. Man kann es nun leicht so einrichten, dass die obere
und die untere Scheibe genau gleich gross erscheinen. Aendert
man hierauf, ohne die Gesichtslinien zu veniicken, die Accommo-
dation, so sieht man die obere und die untere Scheibe sich
glciclizeitig und gleich stark abwechselnd verkleinem und ver-
grössem. Hierzu gehört freilich, dass man die nöthige Uebung
darin habe die Accommodation bei gleiclibleibender Augenstellung
hinreichend zu ändern. Je nach der Stellung, die man den bei-
den kleinen Schirmen giebt, kann man den Versudi bei jeder
beliebigen Augenstellung machen und sich tiberzeugen, dass unter
allen Umständen beide I^ipillen gleichzeitig und in gleichem
Maasse grösser oder kleiner werden."
Auch bei He ring 's Versuchen kann
1. beim Wechseln der Accommodation eine kleine
Convergenzänderung die Pupillenreaction hervorgerufen haben,
*) Loc. cit.
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 365
2. bei der Accommodationsänderung allein
schon eine deutliche Verkleinerung des entopti-
schen Pupillenbildes stattfinden.
Wenn wir mit Hilfe von Donders' reducirtem Schema-
tischem Auge den Unterschied des Durchmessers bestimmen,
erhalten wir folgendes:
Sei (Fig. i) AÄ ein Schirm mit einer OeflFnung L,
in den vorderen Brennpunkt des Auges gestellt, PP der
Pupillendurchraesser, dann ist bei völlig entspannter Accom-
-m
Fig. 4.
modation BB' der Zerstreuungskreis der von L ausgehenden
Strahlen, welche durch die brechende Ebene parallel mit
einander verlaufen.
Sei E der Vereinigungspunkt der von L ausgehenden
Strahlen bei einer Accommodation von 5 Dioptrieen, dann ist:
EF=20cm und (T der dabei gebildete Zerstreuungs-
kreis. Aus der Gleichförmigkeit der
AAECC und EPP'
folgt Cr:PP=EO:EH
oder CC:BB' = EO:EK
Der Abstand der scheinbaren Pupillenebene (durch die
Linse betrachtet) bis zu der brechenden Ebene in dem
reducirten Auge macht nur 1,5 mm aus, wesshalb wir diesen
Abstand vernachlässigen und EH = EV stellen können.
EO = EV''VO wird also 180 mm und Gl. C6": J5i?'=
366 H. Vervoort
1 80 : 200 oder CC'= ^V, o BB\ Stellen wir BB' = 5 mm, so
wird rY/=4,5iiun; eine Differenz also von 0,5 mm, welche
im Netzhautbilde sehr deutlich hervortritt*)
Da Hering den Betrag der Verkleinerung nicht nennt,
ist es nicht möglich durch Berecbmmg zu bestimmen, ob
dadurch die ganze von ihm gesehene YwUeinerung zu er-
klären sei.
3. Können auch die excentrische Lage der PupiUe, die
excentrische Lage der Linse, oder eine nicht genau centrirte
Stellung derselben, und ebenso der Winkel a (temporale
Lage der Fovea) einen Einfluss auf die Lage der entopti-
schen Bilder der Pupille bei der Accommodation aus-
üben; davon müssen wieder Aenderungen des Convergenz-
winkols die Folge sein. Diese Einflüsse können einander
aber theilweise compensiren und sind wohl selten sehr be-
trächtlich.
Da zudem meiner Ansicht nach die beiden erstge-
nannten Faktoren den Unterschied zwischen den Befunden
Herin g's und den hier mitgetheilten völlig erklären, werde
ich auf sie nicht weiter eingehen.
Die Versuche von le Conte*) können uns übei- die
vorliegende Frage nichts lehren, da der Einfluss der Be-
schattung der Augen durch die Nase bei stärkerer Con-
vergenz ganz ausser Acht gelassen ist.
Drouin's^) Versuche leiden an dem Mangel, dass
^) Bei dieser Berechnung haben wir die Yergrösserung des
Linscnbildes der Pupille bei angespannter Accommodation und die
dabei auftretende Verrilckung des Bildes, welche nur einen kleinen
fJinHuss auf die Grösse des Netzliautbildes ausüben, nicht in Betracht
gezogen.
*) J. le Conte, On somc phenom. of binocular Vision. Ameri-
can Journal of Science and Art^j. 1869. Ser. II. Vol. 47. p. 68—77.
') Drouin, Note pour d^montrer qu'il n'y a pas de rapport
direct entre T^tat de T accommodation de Toeil et le diam&tre de la
pupille. Gazette Medicale de Paris. No. 28. Ao. 1876. p. 329. —
id., De la pupille. Anatomie. Physiologie. S^miologie. Thöse de Paris,
de la Haye 1875.
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 367
vorausgesetzt wurde, dass der Einfluss der Convergenz auf
die Grösse der Pupille sehr klein ist oder ganz fehlt; er
glaubte daher über die Accommodationsanspannung experi-
mentiren zu dürfen, indem er ein Auge geschlossen hielt.
Da aber bei dieser Versuchsanordnung die Accommodation
immer mit Convergenz verbunden ist, können wir auch diese
Versuche unberücksichtigt lassen.
Zum Ueberflusse können wir hier noch folgendes Ex-
periment mittheilen, das beweist, dass auch ohne jegliche
Veränderung der Beleuchtung (Beschattung durch die Nase)
oder der Accommodation, die Pupille auf Convergenz reagirt.
Das Haploskop von Hering wird im Dunkelzimmer
aufgestellt und, indem über der Mitte der die beiden Dreh-
punkte der Arme verbindenden Linie eine constante elek-
trische Lichtquelle hingestellt wird, fixirt eine Person mit
pai'allelen Gesichtslinien in den kleinen Spiegeln die Bilder
Ton zwei auf 1 m Abstand von den Augen gestellten, con-
gruenten Dreiecken, welche ihr den Eindruck erwecken, als
stände ein einziges Dreieck gerade vor ihr.
Bei gleichzeitiger Annäherung der Arme, bei der also
eine stärkere Convergenz erfordert wurde, ohne dass dabei
die Beleuchtung oder die Accommodation sich änderte, trat
eine deutliche Pupillencontraction auf.
Bei seinen Versuchen über die Mikropie und Ma-
kropie mit dem Haploskop meinte Koster*) die Resultate
von Donders und de Ruyter bestätigen zu können, da
nach seiner Beobachtung im Dunkelzimmer die Pupillen
bei einer Person sich verengten, sowohl, wenn die Arme
des Apparates einander genähert wurden (stärkere Conver-
genz), als auch wenn die Gegenstände auf den Armen den
Augen näher geschoben ' wurden (stärkere Accommodation).
Diese Wahrnehmung wurde nur so beiläufig publicirt.
') W. Koster Gzn., Zur Kenntniss der Mikropie und Makropie.
V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLII. 2. S. 152. Jahrg. 1896.
368 H. Vervoort
Wie Herr Prof. Koster mir mündlich mittheiite, würde
er nicht daran denken, das Resultat des Versuches den
hier vorliegenden Versuchen gegenüber aufrecht zu erhalten,
da auch damals der Einfluss einer etwaigen kleinen Con-
vergenzbewegung ausser Acht gelassen wurde. Gerade dieser
Einfluss kann aber, ebenso wie bei den Versuchen von
Donders und vcn Hering, die scheinbare Reaction der
Pupille auf die Accommodation erklären.
Um ganz sicher zu gehen, habe ich auch mit dem
Haploskop Versuche angestellt: im Dunkelzimmmer bekam
ich bei einer und derselben Person wechselnde Resultate,
was ich dem Einflüsse der wechselnden Beleuchtung im
Dunkelzimmer zuschreiben zu müssen glaubte; bei Tages-
hcht ist das Arbeiten mit dem Instrumente noch schwie-
riger und Beleuchtungsuntei^chiede können auftreten; ich
habe doshalb von weiteren Versuchen mit dem Apparate
Abstand genommen, um so mehr, als es sich zeigte, dass
ich beim Arbeiten mit meinem Apparat im Dunkelzimmer
ebenfalls wechselnde Resultate erhielt
Bei der Erwägung, welche Factoren beim Arbeiten
mit dem Haploskop einen Einfluss auf die Grösse der
Pupille ausüben könnten, erhob sich auch die Frage, ob
ein hellb(»leuchtetes, massig grosses Dreieck, falls es in Zer-
streuuiigskreis(Mi gesehen würde, einen anderen Pupillen-
durchniesser herbeiführen könnte, als wenn es sich scharf
auf der Retina abbildete; oder anders ausgedrückt: verur-
sacht dieselbe Quantität Licht eine andere Pupillengrösse,
je naehdcMu sie über einen grösseren oder einen kleineren
Theil der Netzhaut vertheilt wird? In der Literatur habe
ich über diesen Gegenstand keine Angabe finden können.
Ich st(?llt(3 also hierüber sell)st einige Versuche an.
In l)(;stiamiter Entfernung von dem Auge wurde zu-
erst eine viereckige Fläche von gewisser Lichtstärke hin-
gestellt und nachher eine vierfach grössere Fläche von
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 369
einer vierfach kleineren Lichtstärke. Es zeigte sich, dass
die Pupillengrösse sich dabei nicht änderte.
Die Versuchsanordnung war folgende: (Fig. 5) zwei,
einander theilweise deckende Stücke schwarzer Pappe wur-
den rechtwinklig ausgeschnitten, so dass die dadurch er-
haltene OefiFnung ein Viereck bildete, welches willkürlich
grösser oder kleiner gemacht werden konnte, wenn man
die Schirme übereinander schob. Zwischen die Schirme
wurde Seidenpapier gelegt, damit eine dahinter stehende
Lichtquelle zerstreutes Licht durch die Oeffnung werfen sollte.
Fig. 5.
Eine Person wurde jetzt in einer Entfernung von 33 cm
vor den Schirm gesetzt und aufgefordert, die Mitte der
Oeffnung zu fixiren.
Die Seite des Vierecks war 2,5 cm lang, die Licht-
quelle stand 25 cm hinter dem Schirme. Die Seite des
Vierecks wurde jetzt vergrössert bis zu 5 cm und die
Lichtquelle auf 50 cm zurückgestellt; die Quantität Licht,
welche in das Auge fiel, wurde durch das erstere viermal
grösser, durch das letztere viermal geringer, blieb also die-
y. Gnefe't Archiv für Ophthalmologie. XLIX. 2. 24
370 H. Vervoort
selbe; nur vertheilte sie sich im zweiten Falle über eine
viermal grössere Ebene. Die Pupille blieb dabei unver-
ändert; mitHaab's Pupillometer verglichen, hatte sie einen
Durchmesser von 4,5 mm.
Vergrösserte ich aber das Viereck Aiermal, indem ich
die Lichtquelle auf derselben Stelle stehen liess, so wurde
die totale Lichtquantität viermal grösser, und die Pupille
verkleinerte sich bis auf 3 mm.
Bestimmte ich die Weite der Pupille, indem das Auge
das kleinere, stärker beleuchtete Viereck fixirte, und wurde
dann das Auge verdeckt, um, so bald das Nachbild ver-
schwunden war, die Weite der Pupille beim Fixiren der
viermal grösseren und viennal weniger beleuchteten Fläche
zu messen, so war der Durchmesser auch jedesmal derselbe.
Bei einer zweiten Person erhielt ich dieselben Resultate.
Auch hieraus wurde also keine Erklärung für die
wechselnden Resultate bei den Versuchen mit dem Haplo-
skop im Dunkelzimmer gefunden.
Ich will noch erwähnen, dass diese Versuche nur inner-
halb nicht zu weiter Grenzen richtig sein werden, üeber
sehr intensive und sehr schwache Beleuchtung und über
den Effect von sehr grossen Aenderungen der Ausdehnung
der beleuchteten Ebene, stellte ich keine Versuche an. Dies
alles bedarf einer besonderen Untersuchung.
Zum Schlüsse dieser Arbeit m\l ich noch kurz einige
Beobachtungen aus der Literatur mittheilen, welche sich
auf die Reaction der Pupille, auf Accommodation und Conver-
genz beider Tabes dorsalis beziehen.
Lyder Berthen') stellte bei einem Falle einseitiger iso-
lirter reflectorischer I^upillenstarre, aber mit normalem Visns und
noimaler Accommodation die folgenden Versuche an, um die Papillär-
reaction bei der Convergenz und der Accommodaüon näher zu
erörtern.
*) Lyder Borthen, Die topisch - diagnostischen Verhältnisse
hei der einseitigen isolirten reflectorischen Pupillenstarre. Zehender's
Klin. Monatshlätter. 1892. S. 127.
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 371
^Accommodation. 1. Indem der Patient auf eine Di-
stanz von ungeföhr 3 m gewöhnliche Sehproben betrachtete,
setzte ich nach und nach stärkere Concavgläser für das erkrankte
Auge (das andere war während dieses und des folgenden Ver-
suches bedeckt). Es stellte sich jetzt heraus, dass bei dieser
Anforderung an das Accommodationsvermögen gar keine Pupillen-
reaction eintrat
2. Erst wenn ich kleinere Sehproben gerade aus vor das
Auge gehalten an dasselbe näherte, trat allmählich, wohl aber
träge, die Reaction ein; um so kräftiger, je näher sie an das Auge
gehalten wurden.
Convergenz: Um bei diesen Versuchen die Convergenz
möglichst unabhängig von der Accommodation zu machen, setzte ich
1. dem Patienten eine Brille -|- 1,0 auf und Hess ihn einen
Gegenstand in einer Entfernung von 1 m fixiren; dann hielt ich
nach und nach stärkere Prismen (Basis nach aussen) dem Auge
vor, bis eine Fusion nicht mehr möglich war. Es zeigte sich
dann, dass in dieser Weise gar keine Convergenz-Reaction der
Pupille folgte.
2. Erst wenn ich eine Brille mit -f~ ^^fi ^^^ Patienten
aufgesetzt hatte, um eine Accommodationsanstrengung überflüssig
zu machen, und dann ihn aufforderte, den immer näher und näher
(bis zu 4 Zoll von den Augen) gebrachten Finger zu fixiren,
trat allmählich mit der steigernden Convergenz eine zunehmende
Gontraction der Pupille ein."
Lyder Berthen giebt aber an, auf diese Ergeb-
nisse wenig Gewicht zu legen, weil er bei späteren Control-
versuchen an gesunden Augen dieselben Verhältnisse ge-
funden hat
Ohne die Richtigkeit von Lyder Berthen 's Beobach-
tung beanstanden zu wellen, möchte ich nur darauf hinweisen,
dass bei seinem ersten Versuche durch das Verschliessen
des einen Auges, die Convergenzänderung durchaus nicht
ausgeschlossen wurde, da die Pupillenreaction, welche auf-
trat, sobald er Sehpreben an das Auge näherte, die Felge
einer, mit der Accommodationsanstrengung zusammen-
gehenden Convergenzänderung war.
Bei den Versuchen mit den Prismen traten verschiedene
Complicationen auf, weil beim Fixiren eines Gegenstandes
24*
372 H. Vervoort.
auf 1 m Abstand durch ein positives Glas von 1 D die
Accommodation völlig aufgehoben war und dabei die Ge-
sichtslinien nicht nach einem Punkte auf 1 m Abstand con-
vergirten, sondern nach einem mehr entfernten Punkte.
Wenn jetzt bei verschlossenem rechtem Auge ein Prisma
vor das linke gehalten wurde, war der Effect nicht eine
stärkere Oonvergenz in der Medianlinie, sondern eine seit-
liche Wendung der Gesichtslinien, als würde ein Gegen-
stand über eine gewisse Strecke in der Richtung eines Cirkel-
bogens, dessen Mittelpunkt der Bulbus war, verschoben.
Die grosse Entfernung des scheinbaren Pixationsgegen-
standes erlaubt uns die hierbei auftretende sehr kleine
Aenderung des Convergenzwinkels zu vernachlässigen '), und
die Conv(?rgenz als unverändert zu betrachten, indem
überdies die Brechung durch das Prisma gewiss nicht eine
sehr grosse gewesen sein wird, weil sonst das Sehen durch
den Rand des Brillenglases einen störenden Einfluss aus-
geübt hätte.
Auf diese Weise glaube ich mir das Factum erklären zu
dürfen, dass Lyder Berthen keine Pupillenreaction eintreten
sah. Die Annahme, dass beim Vorsetzen einer Brille mit
einem positiven Glase von 10 D vor dem einen Auge (das
andere wurde auch während dieses Versuches verdeckt) die
Accommodation ungeändert bleibt, scheint mir nicht zu-
lässig zu sein. Gerade durch die ünmögUchkeit, einen
Gegenstand, der mehr als 10 cm von dem Auge entfernt
war, scharf zu sehen, fehlte jeder Reiz, um bei einer
') Ist die Entfernung des Fixationsgegenstandes von dem Auge
eine geringe, so tritt eine ziemlich grosse Aenderung des Convergenz-
winkels ein, welcher immer kleiner wird, je grösser die seitliche
Drehung der Gesichtslinien wird.
Siehe W. Koster Gzn., Die Accommodation und die Oonver-
genz bei seitlicher Blickrichtung, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm.
XLII. Jahrg. 1896. S. 140.
Uebcr die hierbei auftretende Pupillenreaction stellte ich keine
Versuche an; sie wird aber wohl vorhanden sein.
Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc. 373
zunehmenden Convergenzanstrengung die Accommodation
ungeändert zu erhalten; innerhalb dieses Abstandes wurde
eine gewisse Accommodationsanstrengung bedingt.
Seggel*) prüfte nach dem Vorgange von Lyder
Borthen die rein accommodative Pupillenreaction in einem
derartigen Falle und beobachtete eine ganz deutliche Pu-
pillenverengerung beim Vorhalten von negativen Gläsern;
nicht aber, wenn er den Versuch mit den schwachen Prismen
wiederholte, Ergebnisse, die aus den obigen Gründen leicht
zu erklären sind.
Bei Personen mit normalen Augen erhob er denselben
Befund; wenn er aber stärkere Prismen benutzte, trat eine
deutliche Pupillenreaction auf, welche sich durch die stärkere
seitUche Drehung der Gesichtslinien erklären lässt.
Bei diesen Versuchen muss aber die Aenderung der
Lichtintensität einen störenden Einfluss ausgeübt haben, so-
wohl die, welche beim Vorhalten der Gläser auftrat, als
auch die, w^elche die Folge der Beschattung durch den
Nasenrücken u. s. w. war.
Guillery*) beobachtete bei einen Patienten, der im
Anfangsstadium der Tabes dorsalis mit Unksseitiger Ab-
ducenslähmung, Anisocorie, normalem Visus rechts, aber
sehr schlechtem Visus links, und mit Fehlen der reflecto-
rischen und consensuellen Pupillenreaction zu ihm kam,
Folgendes:
„Die Pupillenreaction auf Licht war in keiner Weise,
auch nicht durch starke Contraste hervorzurufen, dagegen
reagirten sie prompt auf Convergenz, und zwar auch auf
Convergenz mit Ausschluss der Accommodation (durch Vor-
halten von Convexgläsern), dagegen nicht auf Accommo-
dation ohne Veränderung des Convergenzwinkels."
*) Seggel, Ein Fall einseitiger reflectorischer Pupillenstarre.
Arch. f. Augenheilk. Jahrg. XXXI. 1895. S. 63.
*) Guillery, Ueber die topische Diagnostik der Pupillen-
erscheinungen bei der Tabes dorsalis. Deutsche medic. Wochenschr.
1892. Nr. XXIV. S. 1183.
374 H. Vervoort, Die Reaction der Pupille bei der Accommodation etc.
In welcher Weise er diese Versuche anstellte, erwähnt
er nicht, aber seine Resultate stimmen genau mit den mei-
nigen überein.
Die Ansicht Guillery 's, dass das Fehlen der Reaction
beim Aendem der Accommodation auf die Presbyopie zu-
rück zu führen wäre, theile ich nicht, wenn auch ein Zu-
sammenhang zwischen Accommodationsanspannung und
Pupillenreaction bestände; der Impuls zur Aenderung der
Accommodation bleibt bestehen, wenn auch die Jjinse nicht
mehr im Stande ist, ihre Form zu ändern.
Weil aber das binoculare Sehen durch die schlechte Seh-
schärfe des linken Auges und die Abduccnslähmung erheb-
lich geschädigt war, glaube ich den Experimenten Gull lery 's
keinen Werth beilegen zu dürfen, ebenso wenig wie den
von Lyder Borthen und Seggel, welche auf fehlerhafter
Basis angestellt wurden.
Wenn ich die Ergebnisse dieser Versuche jetzt kurz
zusammen fasse, habe ich folgende Resultate zu verzeichnen:
1. Die Pupillenreaction, welche beim abwechselnden
Fixiren von enfernteren und näheren Gegenständen eintritt, as-
sociirt sich nur der Convergenz und nicht der Accommodation.
2. Bei den meisten, über diesen Gegenstand angestellten
Versuchen, welche den Zusammenhang der Pupillenreaction
mit der Accommodation hervorhoben, ist der Fehler darin
zu suchen, dass eine Aenderung der Convergenz nicht völlig
ausgeschlossen wurde.
3. Die Lichtreaction der Pupille ist nur von der to-
talen Quantität des Lichtes, welche in das Auge dringt,
abhängig, mag diese über eine grössei-e oder kleinere
Parthie der Retina vertheilt werden.
4. Ein Unterschied von Vs ^^^^^ (f^- ^- ^o° */,8 mm Ra-
dius) zwischen den Durchmessern zweier Pupillen kann noch
genau beobachtet werden.
5. Eine Aenderung des Pupillendiameters von \,<)mm
(d. i. von V'so "^™ Radius) wird noch leicht gesehen.
Ein weiterer (III.) Fall von Akromegalie nnd
Untersuchungen über den Stoffwechsel bei dieser
Krankheit.
Von
Dr. E. Praun und Dr. Fr. Pröscher
in Darmstadt.
Hierzu Taf. IX, Fig. 1—5.
Im vergangenen Jahre hatte Dr. Praun Gelegenheit,
zwei Fälle von Akromegalie der ophthalmologischen Ge-
sellschaft vorzustellen. Wir fügen nun noch einen neuen
FaU hinzu, der im Laufe dieses Jahres zur Beobachtung
kam. Da über den Stoffwechsel bei Akromegalie sehr wenig
bekannt ist, so stellten wir mit dem ersten Falle, dessen
Krankengeschichte in dem 28. Jahresbericht der ophthalmo-
logischen ^) Gesellschaft eingehend mitgetheilt ist, und mit
dem neuen dritten Falle Stoflfwechseluntersuchungen an.
Zunächst theilen wir die Krankengeschichte des dritten
Falles mit.
Fräulein B., 35 Jahre alt, stammt von gesunden Eltern,
Mutter gestorben, Vater lebt noch. Bruder hat sich im Delirium
tremens erhängt. Nervenleiden sind in der Familie unbekannt.
Die Menses stellten sich mit dem 15. Jahre ein, mit dem 20. Jahre
verloren sich dieselben. Im 22. Lebensjahre war Patientin sehr
chlorotisch und wurde daraufhin behandelt. Ein Jahr später
bemerkte dieselbe, dass sie an Körperumfang zunahm. Köcke,
') Frau G. (II. Fall) ist im März dieses Jahres an Diabetes mit
5Vo Zucker gestorben.
376 E. Praun und Fr. Pröscher.
^Handschuhe etc^ wurden ihr zu eng. Sogleich stellten sich auch
heftige Kopfschmerzen ein, die trotz medicamentöser und hygieni-
scher Behandlung nicht weichen wollten. 1887 bestand vorüber-
gehend Galactorrhoe. 1890 gebrauchte Patientin Salzbäder,
worauf die Kopfschmerzen etwas nachUessen und die Menses sich
vorübergehend wieder einstellten. Während der nächsten Jahre
fand eine stetige Wacbstlmmszunahme statt; femer beobachtete
Patientin ein Anschwellen der Schilddrüse. 1893 erkrankte
Fräulein B. an einer rechtsseitigen Pleuritis, die ohne weitere
Folgen überstanden wurde. Ende 1898 wurde Patientin an einem
Atherom in der Gesässgegend darch Herrn Dr. Kolb hier operirt^
der uns den Fall zur weiteren Untersuchung gütigst überliess.
Patientin bemerkte seit 1888 vorübergehendes Flimmern und
besonders Abends Abnalime der Sehschärfe in die Feme.
Status praesens (Allgemeinbefund): Patientin ist 1,78cm
gross und kräftig gebaut. Die Hautfarbe normal, Haut stark
verdickt, Gesicht etwas geröthet. Die Kopfmaasse sind beträcht-
hch vergi'össert. Der Unterkiefer springt etwas hervor, die Joch-
bogen weniger. Nase verlängert und verbreitert. Nasenlöcher
weit, Lippen dick und wulstig, Ohren ziemUch stark vergrossert.
Hals durch die Strama im Umfang bedeutend verdickt. Rechter
und linker Lappen der Thyreoidea circa faustgross. Zähne
gi*ö8stentheils gut erhalten; nicht verdickt. Zahnreihen passen
gut aufeinander, Zunge etwas vergrossert, zeigt keine fnbrillären
Zuckungen. Kehlkopf wenig vergrossert. Brastbein, Rippen,
Becken, Arm- und Beinknochen verlängert und verbreitert. Muskeln
des Stammes kräftig entwickelt. Hände und Füsse auffallend
vergi'össert, sowohl die Weichtheile als die Knochen. Finger be-
deutend verdickt. Epiphysen nicht wesentlich verdickt. Lunge
und Herz normal. Spitzenstoss im fünften Intercostalranm in
der Mammillarlinie. Herztöne rein, Leber und Milz nicht ver-
grossert. Uterus infantil, hülmereigross. Urin enthält Eiweiss und
Zucker. Urinmenge nicht vermehrt. Gerach, Geschmack und
Gehör normal. Sensibilität überall erhalten. Patellarreflex vor-
handen, nicht gesteigert Sensorium klar. Patientin klagt über
heftige Kopfschmerzen, die sich zur Zeit, wo die Menses sidi
einstellen sollten, zur grössten Heftigkeit steigern.
Augenbefund: Das rechte Auge weicht beim Blick gerade-
aus etwas von der Gesichtslinie nach aussen ab. Die äusseren
Theile sind normal. Die Pupille reagirt indirect und direct prompt
Die Sehschärfe beträgt rechts ^/,5, links ^/^q. Das Gemditsfeld
ist beiderseits für Weiss und Farben, besonders für Roth con-
Ein weiterer ^11.) Fall von Akromegalie etc. 377
centrisch eingeschränkt ^ am stärksten nach oben (circa 20 ^/o).
Mehrere Monate hindurch felilten die beiden obei'en Gesicht»-
hälften ganz. Die Sehnervenscheiden sind beiderseits temporal-
wärts und nach unten etwas abgeblasst, besonders rechts; die
Gefäase sind normal. Weitere Veränderungen fehlen.
Stoffwechseluntersuchungen: Bei dem soeben beschrie-
benen Fall^ der mit Diabetes complicirt war, führten wir einige
quantitative Analysen des Harnes aus. Im ersten Fall, der zucker-
frei war^ bestimmten wir auch noch die N-Ein- und Ausgaben.
Im eben beschriebenen dritten Falle beträgt die Gesammt-
menge des Urins im Durchschnitt von fünf Tagen 1296 cbcm,
specifisches Gewicht 1,041. Reaction schwach sauer. Urin flockig,
leicht getrübt, von strohgelber Farbe und obstartigem Geruch.
Eiweissgehalt im Durchschnitt von vier Analysen 0,0822 ^j^y
Zucker 1—4%. Der 24 stündige Harn enthält 1,0377 g Harn-
säure, 2,77gPhosphor8änre, 0,522 g Magnesiumphosphat, 0,2963 g
Kalk, 6,974 g Chlor, 8,14 g Natron, 3,20 g Kali, 2,343 g Am-
moniak und 0,0190 g Aceton. Gesammtstickstoff nach Kjeldahi
12,94 g. Die gefundenen Werthe für Harnsäure, Phosphorsäure,
Magnesiumphosphat, Kalk, Chlor, Natron und Kali schwanken
innerhalb normaler Grenzen. Die erhöhte Ammoniakausscheidung
ist auf Rechnung der Diabetes zu setzen.
Im Fall I. wurden N-Ein- und Ausgabe bestimmt. Urin
enthielt Spuren von Ei weiss, die nicht (juantitativ bestimmbar
-waren. Trotz gleich massiger täglicher Darreichung von Ei weiss
und den nöthigen Quantitäten Fett- und Kohlenhydrate konnte kein
N-Gleichgewicht erreicht werden. Während siebentägiger Versuchs-
dauer wurden 1 23,22 gN gereicht und 102,67 gN in Harn und
Koth ausgeschieden. Es bleibt somit ein N-Deficit von 20,55 g =
2,93 g pro die.
Femer wurde der Harn auf Pepton untersucht und zwar
mit negativem Erfolg. Im ersten Fall wurde der Urin mit
Ferrocyankalium eiweissfrei gemacht, das überschüssige Ferrocyan-
kalium mit essigsaurem Kupferoxyd und das überschüssige Kupfer-
oxyd mit Schwefelwasserstoff entfenit Das Filtrat wurde mit
Salzsäure angesäuert , mit Posphorwolframsäure gefüllt und der
Niederschlag mit Barythydrat zersetzt. Das Filtrat gab keine
Biuretreaction.
Untersuchung des Blutes: Zahl der rothen Blutkörper-
chen 4,600000; Zahl der weissen Blutkörpchen 9500, specifisches
Gewicht 1,057, Trockenrückstand 22,87.
378 E- Praun und Fr. Pröscher.
Grössere Mengen Bluts konnten wir zur Untersuchung nidit
erlangen y um genauere Studien damit anzustellen. Interessant
wäre es das Blut auf einen eventuellen Jodgehalt zu untersuchen,
vielleicht gelingt es uns noch später Untersuchungen darüber an-
zustellen.
Aus vorstehender Untersuchung ergiebt sich, dass in
unserem Falle die N-Ausscheidung vermindert ist, der übrige
Stoffwechsel aber innerhalb normaler Grenzen bleibt Wei-
tere Untersuchungen werden feststellen müssen, ob die N-
Ausscheidung in allen Fällen von Akromegalie vermin-
dert ist.
Die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen, deren
Vornahme wir der Güte des Herrn Dr. Lossen hier ver-
danken, zeigt Zunahme aller Kopfmaasse, bedeutende Ver-
dickung der Kopfschwarte und Vergrösserung des Unter-
kiefers. An Hand und Fuss sind die Weichtheile beson-
ders im Metacarpus und Metatarsus verbreitert Die
Epiphysen der Metacarpal und Metatarsalknochen sind ver-
grössert. Die Handwurzelknochen sind weiter auseinander
gerückt Die Metaphysen des Fusses sind dünn und
atrophisch.
Gewichte und Maasse.
Körpergewicht 162 Ifund, Grösse 178 cm, LÄnge zw.
ausgestr. Armen 178,5, Kopfamfang über der Glabella 59,5,
Glabella bis Occiput 20, Nasenwurzel bis ScheiteUiöhe 15, Nasen-
wurzel bis Spina occip. ext 19, Untcrkieferwinkel bis Scheitel 24,
Kinn bis Scheitel 27, Schläfe bis Schläfe 16, Abstand des Tuber
pariet 14, Abstand des Proc. raast 15, Nasenwurzel bis Haar-
ansatz 7, Nasenwurzel bis Kinn 14, oberer Orbitalrand bis unterer
Kinnrand 15, Breite zwischen den Jochbogen 14, Oberkieferhöhe 6,
Breite zwischen den Unterkieferästen 12, Breite zwischen dem
Unterkieferwinkel 21, ünterkiefergelenk bis Kinn 14, Kiefer-
winkel 9, unterer Orbitalrand bis Unterkieferrand 11, vorderer
Rand des Tragus bis Nasenflügel 11, Abstand der äusseren
Augenwinkel 12, Abstand der inneren Augenwinkel 3, Lidspalten-
länge 3,5, Nasenlänge 6,5, Breite der Nase am Naseneingang 3,
Durchmesser der Nasenlöcher 0,8, Olirlänge 7,5, Mundbreite 5,
Zungenbreite 4, Halsumfang 45, Schulterbreite 14, Clavicula-
Ein weiterer (III.) Fall von Akromegalie etc. 379
länge 17,5, Vorderarmlänge 30, Handlange 21, Oberannumfang
30, Vorderarmumfang oben und unten 27,5, Handwinkelumfang 21,
Handgelenkbreite 1 3, Handgelenkumfang 20,5, Mittelhandbreite ohne
Daumen 14, Mittelhandumfang ohne Daumen 25,5, Daumenlänge 9,
Zeigefingerlänge 1 1 , Mittelfingerlänge 1 2,5, Ringfingerlänge 1 1 , Klein-
üngerlänge 10, Daumenumfang Grundphalanx 9, Daumenumfang
Endphalanx 8,5, Zeigefingerumfang Grundphalanx 9, Zeigefinger-
uinfang Endphalanx 8,5, Mittelfingerumfang Grundphalanx 9,
Mittelfingerumfang Endphalanx 8,5, Ringfingerumfang Ginind-
phalanx 8, Ringfingerumfang Endphalanx 7, Kleinfingerumfang
Grundphalanx 8, Kleinfingerumfang Endphalanx 6,5, Nagelbreite
je nach den Fingern 2,3 — 3, Durchmesser zwischen denMalleolen
6,5, Breite der Patella 7', Fusslänge 28,5, Breite an den Zehen-
gelenken 14, Umfang an der Spanne 36, lünge der grossen
Zehe 7, Umfang der grossen Zehe 11,5, die übrigen Zehen 6 — 7,
Nagelbreite 3 cm.
lieber einen merkwürdigen Fall von Haarbildung
nnter der Conjnnctiva des Oberlides.
Von
stud. med. Aurel Szili,
Demonstrator der Anatomie an der königl. ungar. Universität
in Budapest.
Mit 1 Figur im Text.
Der Fall, welchen ich mittheilen möchte, stammt aus
der Poliklinik meines Vaters, des Herrn Prof. Dr. A. Szili,
der mir denselben zur Bearbeitung und Veröffentlichung
gütigst überlassen hat, wofür ich ihm hiermit meinen Dank
ausspreche. Die Beobachtung gehört wohl zu den grössten
Seltenheiten. Ich habe in der mir zugänglichen Literatur
kein Analogon finden können und darf auch einen Beweis
für die Seltenheit in dem Umstände sehen, dass unter den
76,400 Fällen, die seit dem Jahre 1884 bis zum heutigen
Tage auf der Augenabtheilung meines Vaters zur Beob-
achtung gelangten, dieser Befund erst jetzt zum ersten Mal
erhoben wurde.
Krankengeschichte: Josef B., Eisendreher, 18 Jalire alt,
erschien am 13. April 1898 auf der Angenabtlieüung mit der
Klage über einen Fremdkörper am linken Auge.
An der Cornea war nichts zu finden, Auge massig gereizt.
Beim Umstülpen des Oberüdes erkannte man in der Mitte des
Tarsus einen kleinen grauschwarzen Fleck von der Grösse eines
Mohnkornes, weldier genau so aussah, als ob hier unter der
Conjunctiva ein Fremdkörper eingebettet wäre. Betastung mit
dem Finger liess aber keine Erhabenheit nachweisen. Deshalb
üeber einen merkwürdigen Fall von Haarbildung etc. 381
wurde die Stelle mit einer Stamadel punktirt^ wobei es auffiel,
daas sie nach einigem Widerstände, dann aber plötzlich , wie in
einen vorhandenen Hohlraum eindrang. Zuerst warde ehvas weiss-
liche, talgartige Substanz herausbefördert, dann bradite die Nadel
einen duukehi, zusammengeballten Körper an einem dünnen Faden
hervor. Dieser Körper war etwa hirsekomgross. Nachdem er
auf einem Leinenfleckchen vom anhaftenden Blut getrocknet, und
mit der Nadel ein wenig hin- und hergewälzt worden war, ent-
knäulte sich derselbe, so dass man schon mit freiem Auge, noch
besser aber mit der Loupe, wahrnehmen konnte, dass er aus
einem sehr dichten Büschel spiralisch eingerollter feinster Haare
bestand. Hier sei nebenbei bemerkt, dass wahrscheinlich eines
dieser Härchen, infolge von üsur der sie abschliessenden Wand,
durchgebrochen war und den gegenwärtigen Reizzustand des
Auges veranlasst hatte.
In Glycerin eingelegt, konnte man unter dem Mikroskop
auch die feinere Structur der Wollhaare beobachten. Die Mark-
substanz fehlt Überall. Die Härchen sind ungleich schwach
pigmentirt, an manchen Stellen ganz hell. Einige zeichnen sich
durch etwas stärkere Färbung aus, andere sind an ihrem Anfang
licht, werden später dunkelblond, und verlieren ihr Pigment gegen
das Ende wieder vollständig.
Die beigefügte Zeichnung (Seite 382) giebt möglichst getreu
die Anordnung der Härchen in dem mikroskopischen Präparate
wieder (50-tadie Vergrösserung Zeiss AA, 2). Die Häi*chen
laufen spitz aus und haben an ihrem dickeren Ende einen ge-
zackten Rand. Der eine Knaul ist halbwegs entwirrt und be-
steht aus etwa sechs Härchen; der andere dürfte auch aus
mehreren Haaren zusammengeftigt sein, doch kann man ihre Zahl
nicht bestimmen. Kein einziges derselben besitzt einen Balg,
sämmtliche befanden sich daher schon in abgestossenem Zustande.
Ihre Dicke beträgt an verschiedenen Stellen zwischen 38—57^;
die Länge der einzeben Haare ist sehr verschieden, das kürzeste,
welches ich genauer messen konnte, hat eine Länge von etwa
7 mm, die meisten jedoch viel länger, darunter solche von 3 — 4 cm *).
Wenn ich mich auch schon von vornherein ganz ent-
schieden der Annahme zuneigte, dass wir es hier mit einer
teratologischen Bildung zu thun haben, als Folge eines zur
') Das betreffende mikroskopische Präparat wurde am 22. Nov.
1899 in der physiologischen Gesellschaft demonstrirt.
382 A. Szili.
Haarbildung befähigten, im embryonalen Zustande ver-
sprengten Keimes, so durfte ich doch nicht gänzlich das
Vorkommen der Haarbildung in Hohlräumen ausser Acht
lassen, deren Zustandekommen einen postembryonalen patho-
logischen Process voraussetzen.
Es ist bekannt, dass bei atrophischen Processen be-
haarter Hautstellen in Folge Verschliessung der Ausgangs-
öflfnung der Haarbälge durch wuchernde Epithelschuppen,
Cysten, sogenannte Atherome, entstehen können, welche bei
fortgesetzter Lanugobildung eine grosse Zahl von Härchen
beherbergen. Eine schöne Abbildung dieses Befundes be-
findet sich in Ziegler's Lehrbuch der speciellen patholo-
gischen Anatomie S. 408. Das betreffende Präparat stammt
aus einer Kopfhaut niit Atrophie der Haarbülge und Talg-
drüsen. Die kleine Cyste daselbst enthält ebenfalls völlig
lieber einen merkwürdigen Fall von Haarbildung etc. 383
fi'eie, d. h. abgestossene, wenn auch viel kürzere Härchen^
wie in unserem Falle. Allein an eine solche Art der Ent-
stehung könnte man wohl an irgend einem Ort der äusseren
Lidhaut denken, aber nicht unmittelbar unter der Conjunc-
tiva tarsi, 5 mm weit vom Lidrande entfernt
Da ich eine andere Art des postembryonalen patho-
logischen Zustandekommens nicht annehmen kann, glaube
ich, die Teratologie zm- Erklärung heranziehen zu müssen.
Es giebt eine Art der Teratome, die sogenannten Dermoide,
welche ebenfalls Haare enthalten können, deren Entstehung
in die Zeit des intrauterinen Lebens verlegt, und durch
Verbindungen zwischen der Oberfläche des Embryo, und
der Innenwand des Amnion erklärt wird. Die Art, wie
in unserem Falle der embryonale Keim zwischen die Con-
junctiva und das Augenlid gelangt sein könnte, würde nach
der von Ammon gegebenen Darstellung der Entwickelung
der Augenlider nicht schwer erklärt werden können.
Wh* finden in seinem Werk über Entwicklung des Auges*)
Angaben über das Augenlid von Embryonen der verschiedensten
Schwangerscbaftsperioden. Nach dem genannten Forscher hat
ein Foetus im dritten Monat eine halb klaffende Lidspalte. Die
üdbindehaut ist im Begriffe sich vom Bulbus auf die Augenlider
hinüber zu sdilagen, geht jedoch noch nicht bis zum Augenlid-
rand herab. Das obere Augenlid wird bogenartig ausgeschweift
und hat einen eingesäumten Rand, der nach aussen gekehrt ist;
CiUen sind noch nicht sichtbar. Die Ränder der Augenlider hängen
nirgends am Auge fest.
V. Ammon schreibt an einer anderen Stelle^): „Diese Con-
junctiva oculo-palpebi'alis ist im dritten Monate des Foetuslebens
morphologisch ziemlich feilig. Sie liegt fest auf dem Bulbus^
und schlägt sich oben und unten dann gegen das Augenlid um,
ist aber mit der inneren Fläche des Augenlides anfangs
nicht verwachsen. Erst später, wenn die Augenlider sich be-
rührt haben, und wenn die Bildung des Tarsus und der Mei-
bom'sehen Drüsen beginnen, tritt eine festere Verbindung mit
') Entwicklungsgeschichte des menschlichen Auges. Berlin, 1858 ^
S. 158, 159.
*) Loc, cit. S. 1G2.
384 A. Szili.
der hinteren Fläche der Augenlider bis zu den Rändern hin ein,
und damit dann auch ein Verwachsen derselben unter sich, nn
mittelbar über der Commissur der Augenlider.^
Zu dieser Zeit könnte also irgend ein fremdartiger
embryonaler Keim, in unserem Falle ein versprengter
Epithelkeim, unter die Conjunctiva gelangt sein und sich
dort eventuell weiter entwickelt haben. Scheinbar ist es
auch nicht ganz belanglos, dass die erste Anlage der Woll-
haare, und das Vorhandensein der Augenlidspalte ungefähr
in dieselbe Zeit fällt.
Auch stünde die Annahme einer Keimverschleppung in
der Literatur nicht vereinzelt da, denn schon Krükow')
hat das Vorhandensein von Flimmerepithel in einer Cyste
innerhalb eines angeborenen Staphyloma corneae beobachtet,
welches er auf das Hineingelangen des betreflenden Keimes
in das Bulbusinnere durch ein während des Foetallebens
perforirtes Hornhautgeschwür zurückführte. Er stellte sich
vor, dass die Flimmerzellen aus den Respirationswegen
stammten, und durch die Amnionflüssigkeit in den Con-
junctivalsack gelangt seien.
Allein diese Erklärung ist nicht aufrechtzuerhalten, da
gerade diese v. Ammon'sche Darstellung der Entwickelung
der Augenlider und der Conjunctiva, von späteren Forschem
widerlegt worden ist.
Manz*), Kölliker^) und andere sprechen sich gegen
die gesonderte Entwickelung der Conjunctiva, und deren
späteres Verwachsen mit der inneren Fläche der Augen-
lider aus. Nach Manz ist die Conjunctiva immer vor-
handen, wenn auch anfangs und eine Zeit hindurch nur
*; Zwei Fälle von angeborenem Homhautstaphylom. v. Graefe's
Arch. f. Ophthalm. XXI. 2. S. 216.
') Entwicklungsgeschichte des menschlichen' Auges, Graefe-
Sae misch, Handbuch der gesammten Augenheilkunde, I. Aufl. 1874.
Cap. V. S. 3,
•) Entwickhingsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere.
Leipzig. 1879. S. 696.
Ueber einen merkwürdigen Fall von Haarbildung etc. 385
als eine kurze epitheliale Brücke zwischen Lid- und Comeal-
rand. Er sagt ganz ausdrücklich, dass es nicht richtig sei
von einer nachträglichen Verwachsung der Conjunctiva mit
der inneren lidfläche zu sprechen, wie dies z. B. v. Aramon
gethan hat Nach Kolli ker bestehen die Augenlider an-
fängUch aus gleichartigem Mesodermgewebe, mit einem
Ektoderm Überzuge. Die Anlage sondert sich allmählich in
eine mittlere festere, und zwei oberflächhche lockere Schichten,
von denen jene später den -Musculus orbicularis palpebra-
rum, den Tarsus und die Meibom 'sehen Drüsen in sich er-
zeugt (w^ohl richtiger: die letzteren in sich aufnimmt), während
die anderen zur Haut und Bindehaut sich gestalten.
Aehnliche Angaben finden wir auch in der Morpho-
logie der Sinnesorgane von v. Mihalkovics ^).
Diesen Thatsachen gegenüber kann von einer Ein-
sprengung von aussen, in dem früher angegebenen Sinne,
keine Rede mehr sein. Wie könnten sich nun dennoch an
diesem ungewohnten Ort Härchen entwickelt haben?
Jede Haarbildung setzt eine epitheliale Grundlage
voraus. Würde in unserem Falle das Epithel der Con-
junctiva liiorzu gedient haben, daim wäre der Vorgang nur
so zu begreifen, dass in Folge einer im embryonalen Zustande
eingetretenen Einstülpung und nachträglichen Abschnürung
ein Epithelkeim unter die Mucosa versprengt und dort
durch Metiimorpliose seiner Zellen , sogenannte Epithel-
metaplasie, zur Haarbildung fähig geworden wäre. Dass
solche Einstülpungen thatsächlich vorkommen und zu
Cystenbildung führen, ist in neuester Zeit durch interessante
anatomische Befunde von Wintersteiner*) nachgewiesen.
Allerdings zeigt dort das eingeschlossene Epithel ganz andere
^) A központi idegrendszer hs az ^rz^kszervek morfolögiäja.
Budapest, 1892. S. 406.
*) Ueber Cysten und Concremente in der Lidbindehaut und
Uebergangsfalte. v. Graefe's Arch. f. Ophüialm. XLVI. 2. S. 329.
T. Graefe'B Archir fQr Ophthalmologie. XLIX. 2. 25
386 A. Szili, Ueber einen merkwürdigen Fall von Haarbildung etc.
Metamorphosen, als die, welche in unserem Falle voraus-
gesetzt werden müssen.
Demgegenüber bin ich sowohl auf Grundlage der ört-
lichen Merkmale des Befundes als auch vom entwicklungs-
geschichtlichen Standpunkte aus zur Annahme geneigt,
dass die Haarbildung innerhalb eines, der hinteren
Fläche des Augenlides zunächstliegenden, Acinus
der Glandula Meibomii zu Stande gekommen ist.
Bekanntlich bildet sich die« Meibom* sehe Drüse, ganz
so wie der Cilienbalg, aus dem Ektoderm, wo dasselbe
noch den Charakter einer echten Epidermis an sich trägt.
Nach Waldeyer*) führt der sehr weite Ausführungsgang
noch eine lange Strecke weit eine gewohnhche Epidermis
mit allen Zellenschichten. Manz*) lässt die Drüse im
sechsten Monat zuerst als solide Epidermissprossen sich
entwickehi, in welchen jedoch ziemlich bald centrale Höh-
lungen auftreten.
Es kann somit wohl am fraglichen Ort ein zu-
rückgebliebener, epidermoidaler Keim zur Ent-
wickelung der Haare geführt haben. Und in diesem
Sinne würde das hier in Rede stehende Object, als der
Inhalt einer Dermatocyste, die allerdings an einem höchst
ungewöhnlichen Ort zur Entwickeluug gelangt ist, zu be-
trachten sein.
Ich halte vorläufig diese Erklärung für die beste; ein
endgültiges Urtheil über die Entstehung wird aber erst zu
fällen sein, wenn noch weitere derartige Fälle zur anato-
mischen Untei-suchung gelangt sind.
*) Mikroskopische Anatomie, Lider und Conjunctiva, Graefe-
Saemisch's Handbuch. I. Aufl. I. Bd. S. 237.
*) iMitwicklungsgeschichte des menschlichen Auges, Graefe-
Saemisch's Handbuch. I. Aufl. Cap. V. S. 56.
Ueber die dauernden Erfolge der Myopieoperation.
Von
Prof. A. V. Hippel
in Halle.
Nachdem die operative Behandlung der hochgradigen
Kurzsichtigkeit fast allgemein als berechtigt anerkannt und
durch eine Reihe von Jahren geübt worden ist, halte ich
es für höchst wünschenswerth, dass alle diejenigen, welche
über ein grösseres Beobachtungsmaterial verfügen und ihre
Patienten von Zeit zu Zeit immer wieder untersuchen können,
sich über die durch die Operation erreichten dauerden Re-
sultate öffentlich äussern. Nur auf Grund solcher Erfah-
rungen wird einerseits die über dass richtige Maass hinaus-
gehende Anwendung des operativen Verfahrens in Schran-
ken gehalten werden, andererseits aber auch die übertriebene
Besorgniss vor den angebHchen Gefahren desselben schwin-
den, welche einzelne Fachgenossen noch immer hegen.
Auf dem diesjährigen internationalen Ophthalmologen-
Congress in "Utrecht habe ich meinen Standpunkt gegenüber
der uns interessirenden Frage bereits dargelegt. Bei der
Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit war es aber
unmöglich, dieselbe so eingehend zu behandeln, wie es im
Hinbhck auf ihre praktische Bedeutung wünschenswerth
gewesen wäre.
Ich trage daher kein Bedenken, an dieser Stelle noch-
mals das Thema zur Sprache zu bringen und nicht nur
über die Erfolge, sondern auch über die Misserfolge zu
388 A. V. Hippel.
berichten, welche ich im Laufe der Zeit zu verzeichnen
hatte. Meine Erfahrungen erstrecken sich über einen Zeit-
raum von 6'/» Jahren und betreffen 188 Augen, bei wel-
chen die Behandlung völlig zum Abschluss gelangt ist
184 von ihnen sind unter meiner dauernden Controle ge-
bUeben und zum grössten Theil im Juni und JuU d. J.
von mir nochmals genau untersucht worden; nur in vier
Fällen, bei denen übrigens die Heilung in normaler Weise
verlief, entzogen sich die Patienten der weiteren Beobach-
tung. Ich scheide diese daher von der Betrachtung aus.
Die wichtigste Frage, welche noch der Entscheidung
harrt, betrifft die Häufigkeit des Vorkommens von Netzhaut-
ablösung in den operirten Augen. In einer vor Kurzem
erschienenen Arbeit hat Fröhlich*) versucht auf Grund
der bisher erfolgten PubUcationen darüber ein Urtheil zu
gewinnen, aber das erhaltene Resultat ist, wie er selbst her-
vorhebt, unsicher, denn einmal fehlen die Angaben darüber,
wie lange nach der Operation die einzelnen Patienten be-
obachtet worden sind, sodann darf man es wohl als zweifel-
los betrachten, dass viele Operateure ihre Misserfolge nicht
bekannt gegeben haben. Jede weitere Statistik, welche
sich auf ein genau beobachtetes eigenes Material stützt,
wird daher zur Klärung der Ansichten beitragen.
Nachstehende Tabelle giebt Aufschluss über die Zeit,
welche seit Ausführung der Myopieoperation in den ein-
zelnen Fällen verflossen ist:
5—6 Jahre 4 - 5 Jahre 3—4 Jahre i 2-3 Jahre ! 1—2 Jahre , < 1 Jahr > Sttmm&
14 Augon 30 Augen !27 Augen 28 Augen i57 Augen [28 Augen 184 Augen
An diesen 184 Augen constatirte ich 11 Mal*) Netz-
hautablösung, also in 6®/„. Ob für ihren Eintritt der ope-
») Archiv f. Augenheilk. Bd. XXXVIII. S. 11 ff.
*' Zu den zehn Netzhautablösungen, welche ich in meinem
Vortrage erwähnte, ist im August dieses Jahres noch ein Fall hinzu
gekommen.
üeber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. 389
rative Eingriff oder die hochgradige Myopi verantwortlich
zu machen ist, lässt sich nicht immer mit Sicherheit ent-
scheiden. Mit Wahrscheinhchkeit dürfen wir die Amotio
für eine spontane halten, wenn sie erst längere Zeit nach
der Operation entsteht und bei dieser weder eine Ein-
heilung von Iris oder Kapsel in die Wunde, noch eine er-
hebUchere Verletzung des Glaskörpers oder ein Vorfall des-
selben stattgefunden hat
Um jedem Leser über meine elf unglücklich verlaufenen
Fälle ein Urtheil zu ermöglichen, gebe ich über sie kurze
Auszüge aus den Krankengeschichten:
1. Carl R., 10 Jahre alt. Links: M. = 18D, beiderseits
diffuse Atrophie des I*iginentepithel8, Glaskörper klai-, keine
chorioiditischen Heerde, S beiderseits = 0,1.
25. IX. 1893. Discission links, schnelle reizlose Quellung,
nach fünf Tagen lineare Extraction; wenig Reste, die sich spon-
tan resorbiren, in der Pupille nur hintere Kapsel, keine Synechieen.
4. VI. 1894. H. 3 D S =^ 0,4, klare Pupille. 16. VIT. 1895
Status idera.
12. VI. 1896. 8 = 0,3. H. IL 1898. Zahlreiche grössere
und feinere Glaskörpertiübungen, chorioiditische Heerde nicht sicht-
bar, 8 = 0,2.
2. III. 1898. Weit vorspringende Amotio unten-innen; in
der Retina weisse Stränge, fleckweise dunkele Pigmentirung, zahl-
reiche chorioiditische Heerde in der Peripherie. Unter Verband
und Rückenlage Wiederanlegung der Amotio. 29. III. 1898 mit
8 = 0,2 entlassen. 15. VIII. 99. Abermals ausgedehnte Amotio,
die trotz zweimaliger Skleralpunction bis jetzt sich nicht wieder
ganz angelegt hat. 8 = 0,1.
2. Carl R. (derselbe Patient) rechts M. 1 5 D. Nach reiz-
loser Heilung des linken Auges am 20. X. 93 Discission rechts,
gleichmfissige Quellung. 27. X. 93 lineare Extraction, wenig
Reste, die sich spontan resorbiren. Pupille weit, keine SjTiechieen,
14. XI. 93 Entlassung, im Pupillargebiet nur hintere Kapsel
S = 0,4.
16. VII. 95. Dünne Cat sec. mit klarem Spalt in der
Mitte 8 > 0,3.
15. VI. 96. Cat. sec. erheblich dicker, Spalt geschlossen,
8 Finger in 1 ^/^ m, daher Durchschneidung des Nachstaares mit
breiter Nadel. Beim Zurückziehen derselben tritt ein feiner (ilas-
390 A. V. Hippel.
körperfaden in die Homhantwnnde; der sofort mit spitzem Gal-
vanocauter zerstört wird. Glatte Heilung. 21. VI. 95 Ent-
lassung S < 0,5.
27. IX, 96. Patient bemerkt seit drei Tagen eine Trübung
vor dem Auge. Grosse, dicke Flocke im unteren Theil des Glas-
körpers (Blutung?). Klinische Behandlung empfohlen, Patient
kam aber erst am 15. III. 97 mit fast totaler Arootio.
3. August W., 27 Jahre, wurde links im November 94
von Na gel -Tübingen operirt 2 mm oberhalb des unteren Hom-
hautrandes eine strichförmige Narbe, in welcher der untere Pu-
pillarrand sowie ein kleines Stück verdickter vorderer Kapsel
eingeheilt sind. Pupille nach unten verzogen, aber klar; opli-
thalmoskopisch: Staph. post, zwischen Papille und Macula eine
grössere Zahl chorioiditischer , zum Theil pigmentirter Heerde.
M. =.-l,5D, S<0,3. Patient kommt am 14. III. 95 in die
Klinik zur Operation des rechten Auges. M. = 1 6 D, breiter tem-
poraler Conus, nach aussen von ihm vier atrophische, chorioidi-
tische Heerde. — Heilungsverlauf normal. 31. V. 95 M.= 1D,
8 = 0,4. 28. III. 98. Patient hat vor 14 Tagen bei einer
Prügelei eben Faustschlag auf das linke Auge bekommen und
kann seitdem mit demselben nicht mehr sehen. Glaskörpertrü-
bungen, Amotio nach unten- aussen. 2. II. 99 links fast totale
Amotio. Rechts klare Pupille, S = 0,5.
4. Franz G., 12 Jahre, links M.= 14D, breiter tempoi*aler
Conus, diffuse Atrophie des Pigmentepithels, keine chorioiditischen
Heerde 11. V. 95 Discission, schnelle reizlose Quellung, 17. V.
lineare Extraction, massige Reste, die lebhaft quellen, daher 24. V.
nochmals Punction, wobei in Folge starken Kneifens die hintere
Kapsel an einer kleinen Stelle platzt. Kein Glaskörper in der
Wunde. Normale Heilung, Pupille weit. Resorption der Reste
schreitet sehr langsam fort, da sie grösstentlieils zwischen der
vorderen und hinteren Kapsel Hegen, dalier am 11. Vll. 95
Durchschneidung der Cat sec. mit breiter Nadel, klarer Spalt,
reizlose Heilung. 20. VII. 95. H=^0,75D S = 0,4. 17. X. 95.
Unterhalb der Macula eine circa drei Papillendurchmesser grosse,
fladie Amotio. Unter Rückenlage und Verband legte sich die-
selbe zunächst wieder an, die Besserung blieb aber nicht von
Dauer. Das rechte Auge, welches zwei Monate nach dem linken
operirt wurde, erfreut sich eines guten Sehvermögens. Letzte
Untersuchung 26. VI. 99. E. S = 0,6.
5. Paul Seh., 14 Jalire, M: beiderseits = 16 D, brechende
Medien klar, breiter temporaler Conus, hochgradige Atrophie des
lieber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. 391
Pigmentepithels. Rechts: 4. IX. 95 Disdssion^ allmähliche reiz-
lose Quellung. 19. IX. 95 lineare Exlraction, glatte Heilung,
ziemlich schnelle Resorption der Reste. 1. X. 95 Durchschnei-
dung der Cat. sec. mit breiter Nadel , klarer centraler Spalt.
12. X. 95. Auge reizlos, keine Synechieen, Pupille klar. H. 1,5 D
S = 0,3. Entlassung. 2. XII. 96. Stat. idera. 27. XII. 97. Seit
14 Tagen Abnahme des Sehvermögens, ausgedehnte Amotio.
Das linke Auge des Patienten war bereits vier Wochen früher als
das rechte in gleicher Weise operirt und besass bei der letzten
Vorstellung am 2ii. IX. 98 S = 0,3.
6. Beilha H., 81 Jahre. Rechts: M = 21D, S = 0,3. Zahl-
reiche Glaskörperfloeken, breiter ringförmiger Conus, frische und
ältere chorioiditische Heerde in der Peripherie, vereinzelte ganz
kleine auch in der Umgebung der Macula 28. IV. 96. Dis-
cission; allmähliche reizlose Quellung. 6. V. 96. Lineare Extrac-
tion, Linsenflocken sehr cohärent, ziemlich viel Reste, aber weite
Pupille, kerne Synechieen. 16. V. 96. Puiiction, eine Menge ge-
trübter Corticalis ti-itt aus, die letzten Reste resorbiren sich schnell.
29. V. 96. Bei i^eizlosem Auge Durchschneidung der Cat sec.
mit breiter Nadel. Beim Zurückziehen derselben erscheint ein
feiner Glasköi-perfaden in der Homhautwunde, der sofort abge-
kappt wird. 9. VI. 96. Patientin wird mit reizlosem Auge ent-
lassen. M. 1 D, S = 0,6. — Am 22. V. 97 tritt plötzlich Amotio
ein. — Das linke Auge wurde nicht operirt, soll sich aber nach
schriftlichem Bericht vom 22. VI. 99 auch verschlechtert haben.
7. Otto Fr., 19 Jahre, ist auf dem linken Auge durch
spontan entstandene Amotio erblindet; auf dem rechten besteht
M. = 23D, ringförmiges Stapii. post., Sklerose einzelner Cho-
rioidealgefässe, aber keine Chorioiditis. Da Patient Gläser nicht
verträgt und arbeitsunfähig ist, wird 21. VIL 96 rechts die
Linse discidirt; schnelle Trübung und Quellung. 'Jö. VII. 96
lineare Extration. Nach Entleerung der Linsenflocken über die
in der vorderen Kammer liegende Lanze wird mit der Spitze
derselben die hintere Kapsel central absichtlich anj»:estochen , so
dass eine kleine, klare Oeflnung entsteht Kein (Tlaskörper in
der Wunde. Glatte Heilung. 9. VIII. 96. Entlassung E. S = 0,2.
30. IX. 96. Amotio.
8. und 9. Heinrich W., 23 Jahre, beiderseits M. = 14 D,
S = 0,2. Gläser werden nicht vertragen. Beiderseits feine punkt-
förmige Glaskörpertrübungen, temporaler Conus, Atrophie des
Pigmentepithels, keine chorioiditischen Heerde. 9. X. 97. Discission
rechts, langsame reizlose Quellung. 22. X. 97. Lineare Extrac-
392 A. V. Hippel.
tion, wenig Reste^ weite Papille^ keine Synechieen. 1. XI. 97.
Durchschneidung der Cat sec. mit Scheerenpincette, kein Glas-
körper in der Wunde, glatte Heilung. 1. XII. 97. Auge reiz-
los, 8 = 0,3. 1. III. 98. H. 21), 8 = 0,6. 25. VI. 98. Plötz-
liclier Eintritt einer Amotio. Am linken Auge wurde am 4. XII. 97.
Discission ausgeführt; schnelle reizlose QueUung. 8. XII. 97.
Lineale Extraction, wenig Reste, glatte Heilung, keine Syne-
chieen. 22. XII. 97. Mit reizlosem Auge entlassen. 24. I. 98.
Corticalreste grösstentheils resorbirt E. 8 = 0,4, Cat. sec. 36. 1. 98.
Durchschneidung der Cat. sec. mit Scheerenpincette, kein Glas-
körper in der Wunde, normale Heilung. 22. IL 98. Amotio.
10. Arthur K., 22 Jahre, ist auf dem rechten Auge durch
spontane Amotio vor einigen Jahren erblindet; auf dem linken
besteht M. 21 D, grosser temporaler Conus, diffuse Atrophie des
Pigmentepitliels, zwischen Papille und Macula einige kleine cho-
rioiditische Heerde. Patient verti-ägt keine Brille, ist erwerbs-
unfähig und wünscht dringend die Operation, obgleicli ihm die
Unsicherheit eines dauernden Erfolges von mir eingehend dar-
gelegt wird. 5. X. 97. Discission; schnelle reizlose Quellung.
11. X. 97. Lineare Extraction; eine dünne Schicht Corticalia
bleibt zurück, die bei weiter PupiUe schnell (juillt. Wundheilung
normal. 19. X. 97. Punction, eine Anzahl Linsenflocken tritt
aus, der Rest resorlnrt sich spontan, Patient zählt Finger in 4 m.
17. XL 97. Durchschneidung der getrübten hinteren Kapsel mit
Scheerenpincette, kein (ilaskörper in der kleinen lineai-en Wunde,
klare Pupille. Völlig normale Heilung. 27. XL 97. Mit reiz-
losem Auge entlassen. E. 8 = 0,5. 9. IL 98. Bei einem Spa-
ziergang tritt plötzlich eine Amotio auf.
11. Otto M., 19 Jahre, M. = 22 D, 8 = 0,2 sehr promi-
nente, eiförmige Bulbi, temporaler breiter Conus, Atrophie des
Pigmentepithels, keine cliorioiditischen Heerde. 17.V. 98. Discission
sehr ausgiebig, trotzdem sehr geringe Trübung und Quellung der
Linse. 24. V. 98 Extraction mit Lappenschnitt ohne Iridektoniie,
linsenfasem auffallend cohärent, ziemlich viel Reste, die sidi
ungewöhnlich langsam resorbiren. 16. VI. 98. Punction, Massage
der Reste durch die Cornea, die sich nun schneller aufsaugen.
30. VI. 98. Pupille tlieilweise klar, M. 2 D, 8 = 0,3. 28. IX. 98.
Cat. secundaria, Capsulotomie, kein Glaskörper in der Wunde.
Glatte Heilung, Pupille rund und klar. 30. IX. 98. Mit reiz-
losem Auge entlassen. 15. X. 98. Patient stellt sich wieder vor
mit ziemUch starker Glaskörpertrübung, 8 = 0,2, die nach drd-
wöchentlicher Schwitzcur schwindet 3. IL 99. Amotio.
üeber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. 393
Aus den mitgetheilten Krankengeschichten geht meines
Erachtens hervor, dass in den Fällen 1, 3, 5 der operative
EingriflF nicht als Ursache der Netzhautablösung betrachtet
werden kann, denn derselbe veriief völlig normal und die
Patienten erfreuten sich 4*/^, resp. S^j^ und 2 Jahre
eines guten Sehvermögens. In Fall 2 und 6 hat höchst
wahrscheinhch die Einheilung eines Glaskörperfadens in die
Hornhaut die Amotio herbeigeführt In den Fällen 4, 8,
9, 11 giebt der Verlauf der Operation und Heilung keine
Erklärung für den unglücklichen Ausgang; da derselbe
aber im Laufe des ersten halben Jahres eintrat, so lässt
sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, dass
er mit dem operativen Eingriff im Zusammenhang steht.
Das Gleiche gilt für die Fälle 7 und 10, obgleich es mir
im Hinblick auf die spontan entstandene Amotio des an-
deren Auges dieser Patienten höchst zweifelhaft erscheint,
ob die Operation die Netzhautablösung verursacht hat.
Stellt man sich aber auch auf den entgegengesetzten
Standpunkt und legt in allen acht Fällen den Verlust des
Sehvermögens der operativen Behandlung zur liast, so kann
daraus nach meiner Ueberzeugung ein Argument gegen
das Verfahren* so lange nicht abgeleitet werden, als wir
nicht einigermaassen sicher wissen, wie hoch das Procent-
verhältniss der spontanen Netzhautablösungen in hochgradig
myopischen Augen ist, die sich selbst überlassen bleiben.
Von verschiedenen Seiten ist der Vei-such gemacht
worden, unter Zugrundelegung grösserer Statistiken Auf-
schluss über diese Frage zu erhalten.
Die bisherigen Mittheilungen weichen aber so wesent-
lich von einander ab, dass es mir zweckmässig erschien,
auch das Material der Augenklinik in Halle für diesen
Zweck zu verwerthen, das von 1884 — 99 69,300 Patienten
umfasst. Mit Unterstützung meiner Herren Assistenten
habe ich daraus alle Fälle von M. > 1 0 D und die bei
diesen beobachteten spontanen Netzhautablösungen zusam-
394 A. V. Hippel.
mengestellt Mitgerechnet sind auch die totalen, bei denen
eine Refractionsbestimmung nicht mehr möglich war, wenn
das andere Auge eine M. >10D aufwies. Ich gelangte
zu folgenden Resultaten:
Unter 69,300 Kranken befanden sich 1052 mit einer
M.> 10D = l,52^/o. Dieselben besassen 1747 myopische
Augen, an denen 117 Mal eine spontan entstandene Amotio
nachgewiesen wurde. Sie fand sich also in 6,7 ®/g aller
Fälle, während sie als Folge des operativen Eingriffes bei
meinen Patienten in 4,3 ®/^ der Fälle auftrat Rechnet man
noch die drei unabhängig von der Operation eingetretenen
Netzhautablösungen hinzu, so kommt man auf die oben er-
wähnten 6 ^Iq. — Der am hiesigen Material ermittelte
Procentsatz für die Netzhautablösung bei Myopie ist im
Vergleich zu dem von anderen Autoren veröffentlichten un-
gewöhhch hoch, ohne dass ich eine befriedigende Erklärung
dafür zu geben vermag. Doppelseitig wurde sie 11 Mal
beobachtet Ueber ihr Vorkommen in den verschiedenen
Altersstufen giebt nachstehende Tabelle Aufschluss:
Alter;
-lOJ.
-20J.
, -SOJ. -40J. -50J. — 80J.
1 __. 1 ' i^
Sumius
Zahl der Augen
69
473
397 1 323 257 228 -
1747
Amotio
1
• 14
; 22 25 29 ' 26
117
Procent
1.4 7o
3%
|5,6V« 7,7 7o ,11,3% 11,4 7«
1 1
6,7
Sie bestätigt die bekannte Thatsache, dass die Gefahr
des Eintritts der Netzhautablösung bei Myopie mit der
Zunahme der Jahre dauernd steigt und lehrt zugleich, dass
es nicht angänglich ist, die operirten Fälle mit den nicht
operirten ohne Weiteres zu vergleichen, weil der ersten
Gruppe überwiegend Patienten im jugendlichen Alter an-
gehören, während in der zweiten alle Altersklassen einiger-
maasseu gleichniässig vertreten sind. Scheiden wir nach
dem Vorgang von Fröhlich') die Kranken der letzten in
») Loc. cit. S. 19.
üeber die dauernden Erfolge der Mjopieoperation. 395
zwei Gruppen im Alter von weniger und mehr als 30 Jahren,
so gelangen wir zu folgendem Resultat:
Alter: I bis 30 Jahre ' über 30 Jahre
Zahl der Augen: 939 808
Zahl der Ablösungen: 37 80
Procentverhältniss: 4% , 9,9 «/„
Die spontanen Netzhautablösungen bei den Myopen
unter 30 Jahren waren also annähernd ebenso häufig, wie
die postoperativen bei meinen Patienten: 4"/o gegen 4,3**/q,
obgleich die Augen der letzten durchschnittlieh viel höhere
Grade von Myopie darboten, als die der ersten und daher
an sich mehr zu Amotio disponirt waren als jene.
Einen noch besseren Anhalt, als durch einen Ver-
gleich vieler nicht operirter Myopen mit einer verhältniss-
roässig geringen Zahl operiiier, werden wir für die Beur-
theilung der uns interessirenden Frage gewinnen, wenn wir
das weitere Verhalten der operirten und nicht operirten
Augen bei unseren Patienten vergleichen. Bei 184 apha-
kischen Augen fand sich 11 Mal Amotio (6%), bei 54
nicht operirten derselben Kranken 4 Mal (7,4 */o); die ge-
fürchtete Complication trat also bei den letzten noch häu-
figer auf als bei den ersten. Selbstvei-standlich liegt es mir
fem, diese an meinen Fällen festgestellten Resultate ohne
weiteres verallgemeinem zu wollen, denn dazu bedürfte es
viel grösserer^Zahlen. Wenn aber alle Pachgenossen, welche
über ein ausreichendes Beobachtungsmaterial verfügen, spe-
ciell die Anhänger der einseitigen Operation in der von
mir angegebenen Weise ihre Erfahrungen über das weitere
Verhalten der operirten und nicht operirten Augen bei den-
selben Patienten veröffentlichen wollten, würden wir bald
eine sichere Basis für unser Urtheil gewinnen. Die meini-
gen machen es mir wahrecheinlich , dass höchstgradige
Myopen bei technisch zweckmässiger und vorsichtiger Aus-
führung der Operation die Netzhautablösung nicht wesent-
396 A. V. Hippel.
lieh mehr zu fürchten haben, als ohne eine solche. Eioen
Schutz vor dem Eintritt derselben gewährt die Entfernung
der Linse aber nicht.
Ebenso wenig vermag sie dies gegenüber der Gefahr
einer centralen Chorioiditis. Fünf Mal bei drei Patienten
habe ich an Augen, welche vor der Operation nur die
Zeichen einer massigen Dehnungsatrophie der ^Chorioidea
darboten und ein höchst befriedigendes Sehvermögen er-
warben nach Ablauf von 1*/^ bis 2*/^ Jahren die Ent-
stehung centraler Skotome durch eine Chorioiditis an der
Macula beobachtet (2,7 "/o). Dass andererseits die Heilung
durch schon vorhandene chorioiditische Heerde ausserhalb
der Macula in keiner Weise beeinflusst wird, habe ich
schon früher wiederholt betont und auch w^eiter bestätigt
gefunden. Dieselben fanden sich in 41,5 "/q der von mir
operirten Augen.
Das Auftreten von Trübungen im Pupillargebiet nach
Durchschneidung eines Nachstaares, auf welches HertePi
neuerdings hingewiesen, habe auch ich drei Mal gesehen,
einmal sogar nach Extraction der ganzen Kapsel. Dass es
sich hierbei um eine pathologische Verdichtung des vordersten
Glaskörperabschnittes handelte, während die tieferen Theile
desselben keine ophthalmoskopisch sichtbaren Veränderungen
zeigten, konnte ich mit Sicherheit feststellen. In allen drei
Augen schloss sich ein, mit breiter Nadel hergestellter
Spalt in der membranösen Trübung von ^Neuem, eine
dauernd klare Pupille wurde erst bei nochmaliger Durch-
schneidung mit der Scheerenpincette erreicht Die Ursache
(Ueser Glaskörperverdichtung, welche sich bei meinen Pa-
tienten erst 1 Va bis 2 Jahre nach dem letzten operativen
Eingriff einstellte, von diesem also nicht abhängig sein
kann, glaube ich auf einen schleichend verlaufenden Ent-
zündungsprocess des Uvealtractus zurückführen zu müssen,
*) V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLVIIL S. 420 ff.
üeber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. 397
denn in allen drei Augen entwickelte sich ziemlich gleich-
zeitig mit der Trübung im Pupillargebiet eine Chorioiditis
an der Macula, welche allmählich das centrale Sehen ver-
nichtete. Diese spät auftretenden Verdichtungen des vor-
dersten Glaskörperabschnittes kommen übrigens nicht nur
nach der Myopieoperation vor; ich habe sie auch nach Ex-
traction des Altersstaars wiederholt beobachtet. Im Ganzen
sind sie selten und daher nicht geeignet, die Prognose in
ungünstigem Sinne wesentlich zu beeinflussen.
Die Gefahr des Glaukoms, welche von manchen Autoren
als Grund gegen die Myopieoperation angefülirt wird, ist
nach meinen Erfahrungen eine sehr geringe. Die im An-
schluss an die Discission zuweilen eintretenden Druck-
steigenmgen lassen sich durch Extraction der quellenden
Linsenflocken leicht definitiv beseitigen; in einem späteren
Stadium habe ich sie nur in zwei Fällen beobachtet:
1. Anna M., 22 Jahre, rechts M. = 25 D, links M. = 26 D,
beiderseits S = 0,3, temporaler breiter Conus, Atrophie des Pig-
mentepithels, Sklerose einiger Chorioidealgefässe zwischen Papille
und Macula. 18. IX. 97. Rechts Discission. 22. IX, lineare Extrac-
tion, normale Heilung, aber sehr langsame Resorption der Reste
bei weiter Pupille. 29. X. mit reizlosem Auge entlassen. IH. XL
E. 8 = 0,8. 17. XI. 97. Links Discission, ziemlich schnelle
aber reizlose Quellung. 24. XL lineare Extraction, eine massige
Quantität zum Theil noch durchscheinender Linsensubstanz
bleibt zurück. Normale Heilung, Pupille weit, keine Synechieen,
Die quellenden Reste füllen das Pupillargebiet aus und ragen
zum Theil in die vordere Kammer. Wegen sehr langsamer Re-
sorption 6. XII. Punction. In Folge grosser Cohärenz der Cor-
ticalis treten nur wenige Flocken aus. 13. XII. Auge völlig
reizlos, Pupille maximal erweitert, Corticalreste in Form eines
Pfropfes in die vordere Kammer hineinragend. Entlassung.
10. I. 98. Patientin hat seit ckca 14 Tagen Drücken im Auge,
seit acht Tagen leichten linksseitigen Kopischmerz gehabt. Tonus
erheblich erhöht, keine Injection, Humor aqueus stark getrübt, Pu-
pille weit. Auf Eserin gehen alle Symptome der Drucksteige-
rung zurück, kehren aber bei Aussetzen des Mittels wieder, da-
her 18. I. kleine Iridektomie nach oben. Damach glaukomatöser
398 A. V. Hippel.
Zustand dauernd beseitigt; Reste resorbiren sich allmählieh.
28. VI. 98. Am. 2 D S = 0,6.
2. Erama G., 24 Jahre, rechts M. 19 D, links M. 17 D,
8 = 0,2. Breiter Conus, diffuse Atrophie des Pigmentepitheks.
13. VI. 98. Links Discission, gleichmässige, reizlose QueUon^.
22. VI. lineare Extraction, wenig Reste, glatte Heilung, keine
Synechieen. 11. X. Im Pupillargebiet nur die hintere Kapsel,
S = 0,7. 12. VII. 99. Cat. secundaria S = (),2, daher Capsu-
lotomie mit Scheerenpincette, kein Glaskörper in der Wunde.
18. VII. mit + 1 1) 8 o + 1 D c S = 0,8. Entlassung. — 25. IX.
Seit fünf Tagen treten zeitweilig glaukomatöse Schmerzen im
Auge und Obscurationen auf. Tonus erhöht, vordere Ciliar-
venen etwas erweitert, Pupillarrand frei, auf Licht reagirend,
Irismitte leicht ^orgewölbt, daher in Narkose kleine Iridektomie
nach oben, kein Glaskörper in der Wunde. Glatte Heilung,
glaukomatöse Symptome beseitigt, S = 0,7. — Auf dem rechten
in gleicher Weise operirten Auge war keine Drucksteigenmg
eingeti-eten.
Während ich im Falle 2 die Operation des Nach-
staars als Ursache des Glaukoms betrachte, dürften im
Falle 1 die sehr langsam sich resorbireuden Corticalreste
die Drucksteigerung verursacht haben. In beiden beseitigte
die rechtzeitig ausgeführte Iridektomie jede weitere Gefahr.
Ueber die Zweckmässigkeit der Durchschneidung einer
Cataracta secundaria, welche nicht sehr hochgradige Seh-
störung verursacht, gehen die Meinungen zur Zeit noch
auseinander. Ein Theil der Fachgenossen hält den opera-
tiven Eingriff für gefährlich, da er gelegentlich zum Aus-
bruch eines Glaukoms, zu ausgedehnterer Zertrümmerung
des Glaskörpergewebes oder gar zur Infection desselben
führen kann und vermeidet ihn darum nach Möglichkeit.
Andere, zu denen auch ich gehöre, sind der Ansicht
dass diese gefürchteten Complicationen bei strenger Durch-
führung der Asepsis und Anwendung einer zweckmässigen
Operationsmethode sich in der übergrossen Mehrzahl der
Fälle vermeiden lassen. Wie nach der Extraction des
Altersstaares pflege ich daher auch nach der Beseitigung
Ueber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. 399
der Linse in myopischen Augen schliesslich die hintere
Kapsel zu durchschneiden, um den Patienten einen mög-
lichst hohen Grad von Sehvermögen zu verschaffen. Die
Methode, deren ich mich dabei bediente, habe ich im Laufe
der Zeit gewechselt. Anfänglich verfuhr ich so, dass ich
nach Herauslassen der getrübten Linse die hintere Kapsel
im Centrum mit der Lanzenspitze anstach, um sogleich
eine klare Oeffnung im Pupillargebiet zu erhalten. Durch
schnelles Zurückziehen der Lanze habe ich dabei Glas-
körpereintritt in die Wunde fast stets vermeiden können,
aber die klare Stelle wurde durch quellende Linsenreste
gewöhnlich schnell wieder verschlossen und nicht selten
später nochmals ein operativer Eingriff erforderlich. Nach-
dem ich 20 Augen in dieser Weise operirt hatte, durch-
schnitt ich bei weiteren 57 den Nachstaar mit einer breiten
Nadel und zwar in der Regel schon wenige Wochen nach
der Extraction, weil um diese Zeit eine Durchtrennung
ohne Zerrung desselben viel leichter als später gelingt. In
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle verlief die Heilung
völlig normal, aber drei Mal trat beim Zurückziehen der
Nadel ein feiner Glaskörperfaden in die Hornhautwunde
ein. Trotz sofortigen Abkappens und Cauterisation des-
selben entwickelte sich in zwei Augen Netzhautablösung
(Fall 2 und 6), bei dem dritten kam es drei Wochen nach
Entlassung des Patienten zu einer Infection mit Iritis und
Glaskörpertrübung. Zum Glück ging unter geeigneter Be-
handlung die Entzündung zurück und es wurde eine Seh-
schärfe von 0,5 erreicht, die sich nunmehr drei Jahre ge-
halten hat. Diese drei üblen Erfahrungen haben midi
veranlasst die Nadeloperation völlig aufzugeben und zur
Durchschneidung des Nachstaares ausschliesslich die vor-
trefflich gearbeitete Esberg-Lüer'sche Scheerenpmcette
zu verwenden, welche ich durch eine ganz kleine, an der
Comeoskleralgrenze angelegte Hneare Wunde in die vor-
dere Kammer einführe. Die spitze Branche lässt sich ganz
400 A. V. Hippel.
flach hinter der Kapsel durch das Pupillargebiet vorschie-
ben, ohne den Glaskörper irgend wie erheblich zu verletzen
und dringt ohne jede Zerrung leicht durch den dicksten
Nachstaar. Man erhält eine grosse klaffende Oeflfniyig in
der Membran und kann jeden Glaskörpervorfall sicher ver-
meiden, wenn man das Auge genügend cocainisirt oder bei
unverständigen Kranken vom Chloroform Gebrauch macht.
Seit drei Jahren bediene ich mich dieses Verfahrens, habe
es bei 76 Myopie- und mehr als 200 Cataractoperationen
angewandt und kann es den Fachgenossen auf das Wärmste
•empfehlen. Bei 33 myopischen Augen unterblieb bisher
die Nachstaaroperation , weil die hintere Kapsel ausser-
ordentlich dünn war und die Sehschärfe nicht beeinträch-
tigte. Ich halte es aber nicht für ausgeschlossen, dass bei
einem Theil derselben die Capsulotomie doch n'och wün-
schenswerth wird, weil ich wiederholt noch nach Jalu'en
die Neubildung glashäutiger Membranen auf der Kapsel
beobachtet habe.
Die nachstehende Tabelle giebt einen Ueberblick über
die bei meinen Patienten erreichte Sehschärfe. Zur Be-
stimmung derselben benutze ich in meiner KHnik aus-
nahmslos die sogenannten „Petersburger Probetafeln". Sie
haben den grossen Vorzug, dass sie nach dem Decimal-
system entworfen sind und viel mehr Probebuchstaben resp.
Zahlen enthalten, als alle übrigen, so dass die Kranken
auch bei wiederholter Untersuchung dieselben nicht aus-
wendig lernen. Die in der Tabelle mitgetheilten Zahlen
geben die Resultate der letzten, meist im Juni und Juli
dieses Jahres vorgenommenen Untersuchung der Patienten.
S = 0,1 ,0,2 |0,3 0,4 0,5 |0,6 |0,7 ; 0,8 1 0,9 I 1. i Summa
Zahl der Augen | 2 , 7 I 8;') 13 17 36 t It» ' 20 ! 6 111. 166
I • I I ! i . I I I i
Bei vier Augen konnte S nicht bestimmt werden, weil
die Operirten sich nicht wieder vorstellten, elf Augen er-
lieber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. 401
blindeten durch Netzhautablösung, fünf verloren das cen-
trale Sehen durch Chorioiditis an der Macula, ein Auge
ging durch Infection zu Grunde, ein Patient starb im ersten
Jahre nach der Operation.
Berücksichtigt man, dass in 41,5 ^/^ aller operirten
Augen mehr weniger zahlreiche chorioiditische Heerde vor-
handen waren, dass die meisten diffuse Atrophie des Pig-
mentepithels, viele sklerotische Veränderungen der Cho-
rioidealgefässe zeigten; erwägt man femer, dass mit ver-
einzelten Ausnahmen die Patienten durch die hochgradige
Myopie ihre Arbeits- und Erwerbsfähigkeit eingebüsst hatten,
so wird man zugeben, dass die für das Sehvermögen er-
reichten Resultate als recht erfreuUche zu bezeichnen sind.
Sie ermöglichten es den meisten Patienten, sich auch mit
feineren Arbeiten ohne Anstrengung zu beschäftigen.
Wie ich schon früher hervorgehoben habe, vergeht
durchschnittUch etwa ein Jahr, bis die Sehschärfe ihr Maxi-
mum erreicht Auf dieser Höhe hat sie sich dann unter
184 Fällen bisher in 166 erhalten, von denen 156 zwischen
ein und sechs Jahren in meiner Beobachtung stehen. Die
Zunahme derselben nach der Operation war bei vielen
Patienten so beträchtUch, dass sie sich durch die veränder-
ten optischen Verhältnisse der Augen allein nicht erklären
lässt. Schon ihr allmähliches Ansteigen bei klarer Pupille,
unveränderten Krümmungsradien der Cornea und gleich-
bleibender Refraction weist darauf hin, dass sie durch eine
nach und nach eintretende Besserung der Netzhautfiinction
zu Stande kommt. Auffallend ist dabei die hochgradige
Abhängigkeit des Sehvermögens von der Beleuchtung, die
oft an das Verhalten ausgesprochen hemeralopischer Augen
erinnerte. Schon eine massige Herabsetzung der Hellig-
keit, welche die Sehschärfe normaler Augen noch gar nicht
merkbar beeinflusste, bewirkte bei vielen meiner Patienten
ein beträchtUches Sinken derselben. Die genaue Unter-
suchung des Lichtsinnes ergab einerseits eine Verlang-
T. Graefe's Archiv mr Ophthalmologie. XLIX. 3. 26
402 A. T. Hippel.
samung der Adaptation, andererseits einen ausgesprochenen
Torpor retinae. Dass diese Anomalie nicht schon vor der
Operation bestanden, konnte mit Sicherheit festgestellt wer-
den. Vielen Patienten war sie selbst so auffällig, dass sie
sich dadurch beunruhigt fühlten und mir spontan darüber
berichteten. Eine befriedigende Erklärung für dieselbe zu
geben, befinde ich mich vorläufig nicht in der Lage, denn
der Augenspiegel liess keine Veränderungen im Hinter-
grunde erkennen, die nicht schon vor der Operation vor-
handen gewesen wären. Nach meinen bisherigen Erfahrungen
ist dieser eigenthümliche Zustand ein bleibender, bedingt
aber bezüglich des Sehvermögens keine ungünstige Prognose.
Mit besonderer Sorgfalt habe ich neben der Sehschärfe
bei meinen Patienten in grösseren Zwischenräumen immer
wieder die Refraction geprüft, um mir über den Einfluss
der Operation auf das weitere Fortschreiten der Myopie
ein sicheres Urtheil zu bilden. Differenzen im Brechungs-
zustande bis zu ID, die bei wiederholten Untersuchungen
sowohl in positivem wie in negativem Sinn von einzelnen
Kranken angegeben wurden, fallen theils in das Bereich
der Beobachtungsfehler, theils lassen sie sich durch eine
allmähliche Ausgleichung des Wundastigmatismus erklären.
Eine Zunahme der Refraction um mehr als 1 D habe ich
trotz mehrjähriger Beobachtung meiner Operirten nicht ein
einziges Mal nachweisen können. Die operative Entfernung
der Linse scheint also in dieser Beziehung in der That das
zu erfüllen, was Fukala von ihr erhoffte: ein Leiden zum
Stillstand zu bringen, dessen unaufhaltsamen Fortschritten
die Therapie bisher ohnmächtig gegenüber stand.
Auf Grund vorstehender Mittheilungen ergiebt sich
meine Stellung zur Frage nach der Zweckmässigkeit einer
operativen Behandlung der Myopie von selbst.
Ich theile nicht die Ansicht derer, welche die Opera-
tion für einen gänzlich harmlosen Eingriff" erklären, denn
einmal lassen sich trotz peinlichster Asepsis Infectionen
üeber die dauernden Erfolge der Myopieoperation. 403
nicht mit absoluter Sicherheit verhüten, sodann ist trotz
vollkommenster Technik bei unruhigen Patienten die Mög-
lichkeit eines grösseren Glaskörperverlustes bei hochgradig
nayopischen Augen näher liegend als bei anderen und da-
mit die Gefahr einer in unmittelbarem Anschluss an den
operativen Eingriff eintretenden Netzhautablösung. Mit
Kücksicht hierauf erachte ich die Operation nur für zu-
lässig bei solchen Patienten, welche durch ihre Kurzsichtig-
keit arbeitsunfähig sind und corrigirende Brillen nicht ver-
tragen. Gegen die Anwendung derselben bei den mittleren
oder gar niederen Graden von einfacher Arbeitsmyopie
nmss ich mich auf das Entschiedenste aussprechen.
Auf der anderen Seite kann ich aber auch nicht den
Fachgenossen zustimmen, welche aus Furcht vor einer
früher oder später eintretenden Netzhautablösung die ope-
rative Beseitigung der Linse unter allen Umständen ver-
werfen. Wie meine Beobachtungen lehren, ist die Gefahr
des Eintrittes derselben nicht wesentlich grösser, als in
den nicht operirten Augen.
Was die Operationsmethode betrifft, so habe ich für
Myopen bis zuip 30. Lebensjahre bisher die ausgiebige
Discission mit nachfolgender linearer Extraction ohne Iri-
dektomie beibehalten. Zurückgebliebene Reste, welche ich
früher durch eine oder mehrere Punctionen im Interesse
einer schnelleren Erzielung von Sehvermögen zu entfernen
bemüht war, überlasse ich seit einigen Jahren der spon-
tanen Resorption, da ich der Ansicht bin, dass es zweck-
mässig ist, die Zahl der operativen Eingriffe so viel als
möghch zu beschränken, wenn wir auch zuweilen dadurch
an die Geduld der Patienten hohe Anforderungen stellen
müssen. Bei Myopen über 30 Jahre extrahire ich ge-
wöhnüch die durchsichtige Linse mit Lappenschnitt ohne
Iridektomie. Reste bleiben dabei auch stets zurück, aber
meist in so geringer Menge, dass ihre Quellung keinen Reiz-
zustand des Auges oder gar Drucksteigerung hervorruft. In
26*
404 ^- ^' Hippel.
allen Fällen von Nachstaar, der das Sehvermögen irgendwie
nennenswerth beeinträchtigt, durchschneide ich denselben mit
der Scheerenpincette.
Bei unruhigen Patienten mache ich neben dem Cocain
vom Chloroform Gebrauch. Seiner Anwendung habe ich
es zu danken, dass bei meinen operirten Myopen ein Glas-
körpervorfall niemals, ein Eintritt von Glaskörper in die
Wunde nur ganz ausnahmsweise vorgekommen ist
Ob bei spontan entstandener Netzhautablösung auf
einem Auge das andere operirt werden darf, wird von den
speciellen Verhältnissen des einzelnen Falles abhängig ge-
macht und der Entscheidung des Patienten überlassen
werden müssen, den wir natürlich über die Unsicherheit
der Prognose vorher völlig aufisuklären haben. Zu einer
principiellen Ablehnung jedes operativen Eingriffes halte
ich mich nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht für
berechtigt
Anatomische und bakteriologische Untersnchnngea
Aber infantile Xerosis und Eeratomalacie, sowie
Bemerkungen über die Verhornung des Bindehaut-
und Hornhautepithels.
Von
Dr. A. Dötsch,
II. Assistenten der Augenklinik zn Jena.
Hierzu Taf. X, Fig. 1 und 2.
(Aus der Augenklinik zu Jena.)
Die Bindehautxerose ist bakteriologisch durch das
massenhafte Auftreten des Xerosebacillus charakterisirt;
trotzdem kann dieser Mikroorganismus nach den überein-
stimmenden Ergebnissen der meisten Arbeiten, die sich
mit dieser Frage beschäftigt haben, nicht als Erreger der
erwähnten Erkrankung gelten. Einen parasitären Ursprung
für dieselbe nachzuweisen, ist bis jetzt noch nicht gelungen.
Dagegen ist wohl die Mehrzahl der Ophthalmologen der
Ansicht dass die Keratomalacie, mit oder ohne Bindehaut-
xerose, zum grossen Theile unter der Wirkung von Eiter-
erregern zu Stande kommt. Nach den vorliegenden Unter-
suchungen, die in den letzten Arbeiten auf diesem Gebiete
eingehender referirt sind, sind häufig Staphylocokken und
Streptocokken gefunden worden. Der Staphylococcus ist auf
den meisten Nährböden leicht zu züchten und ein häufiger
Bewohner der normalen und pathologischen Bindehaut; ein
sicherer Nachweis von Staphylocokken innerhalb der zu
Grunde gehenden Hornhautlamellen bei Keratomalocie ist
406 A. Dötsch.
bis jetzt noch nicht erbracht Es ist daher fraglich, ob
diesen Mikroorganismen für diese Krankheit eine pathogene
Bedeutung zukommt. Streptocokken wurden dagegen in
zwei Fällen von Uhthoff und Axenfeld(l) auf Schnitt-
präparaten innerhalb der zerfallenden Hornhaut nachge-
wiesen, ebenso in je einem Falle von Leber und Wagen-
mann (3) und von Bahr und Garnier (4). In letzteren
beiden Fällen bestand jedoch eine allgemeine Streptocokken-
septicaemie, und auch die Veränderungen an Hornhaut und
Bindehaut wichen etwas vom gewöhnlichen Typus der
Keratomalacie mit Xerose ab.
Hauptsächhch durch die Arbeiten von ühthoff und
Axenfeld(l u. 2) ist neuerdings als Erreger des gewöhn-
lichen. Ulcus serpens corneae der Fränkel-Weichsel-
baum'sche Pneumoniediplococcus erkannt worden. Es schien
somit, als ob auch bakteriologisch ein Unterschied zwischen
der Keratomalacie und dem Ulcus serpens bestünde. Neuer-
dings hat jedoch v. Hippel (5) in zwei Fällen von Kerato-
malacie ebenfalls Diplocokken nachgewiesen, und damit
jene Vermutung ei'schüttert. Im Laufe dieses Jahres hatte
ich in drei Fällen, die in der hiesigen Klinik behandelt
wurden, Gelegenheit, die bakteriologische Untersuchung
vorzunehmen. Die anatomische Untersuchung war in zwei
Fällen möglich; durch dieselbe wurde ich auf Verände-
rungen der Bindehaut aufmerksam, die mit dem Verhor-
nungsprocess der Epidermis eine grosse Aehnlichkeit be-
sitzen und, soweit mir die Literatur bekannt ist, noch
keine eingehendere Beschreibung gefunden haben. Ich
möchte mir dalier gestatten, die Ergebnisse meiner Unter-
suchungen mitzutheilen.
Fall I. Karl K., 21 Wochen alt, aufgenommen am 26. HI. 99.
Paedatropliie, Bronchopneumonie, Keratomalacie und
Xerosis conjunctivae. Xerosebacillen, Diplocokken. —
Exitus letalis.
Anamnese: Kind gesund geboren, bald nadi der Gebuil
entwöhnt, seit drei bis vier Wochen durch ^ Influenza^ stark
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 407
hernnter gekommen, bradi viel; kein Durchfall. Augenerkran-
kung seit etwa vier Tagen bemerkt lieber Lues der Eltern
anamnestisch nichts festzustellen.
Status praesens: Beiderseits Conjunctiva bulbi glanzlos,
trocken, graugelb und leicht runzelig; weisslicher Detritus am
Umbus. Lider frei geöffnet, doch nicht dauernd offen gehalten.
Rechts: Hornhaut fast ganz klar, kleiner trichterförmiger
Substanzverlust unterhalb der Mitte, ohne sichtbare Infiltration
der Umgebung. Pupille normal.
Links: Geringe Ciliarinjection, Hornhaut in toto matt, grosses
ovales Ulcus auf der unteren Hälfte, geringe Infiltration des
Randes. Geschwüi*sgrund sehr dünn, bei Bewegungen des Auges
Bidi vorwölbend, Kammer seicht, Iris dem Geschwürsgrund nicht
adliaerent.
Körperliche Unterauchung: Kind abgemagert, Haut runzelig,
Rasseln über der ganzen Lunge, keine deutliche Dämpfung.
Zwei subcutane Abscesse auf dem linken Unterschenkel, mit
blauschwärzlicher Haut bedeckt, der eine Abscess perforirt, der
andere eintrocknend. Kind trinkt fast nichts.
27. IIL Linke Kammer vollständig abgeflossen, Ulcus mit
Fibrin bedeckt
Abend ß'/g Uhr Exitus letalis.
28. IIL Section: (HeiT Geheimrath Müller). Viel zähes
Secret in den Bronchien, ausgedehnte pneumonische Heerde in
beiden Unterlappen, hochgradigste Fettleber, Milz etwas ver-
grössert, Darm, Herz, Nieren normal. Den linken Bulbus konnten
wir zur anatomischen Untersuchung bekommen.
Bakteriologischer Befund: Bald nach der Aufnahme
wurden vom linken Auge, nach mehrmaliger Abspülung mit sub-
limatfreier sterilisirter Gocainlösung, Partikelchen von dem Detii-
tus am Limbus und vom Geschwürsrand entnommen, und zum
Theil auf schwach alkalischen Agar ausgestrichen, zum Theil in
Deckglastrockenpräparaten unteraucht. In letzteren fanden sidi
nekrotische Epithelzellen, von massenhaften Xerosebacillen über-
wuchert; diese stellten sich dai* als kurze plumpe Stäbchen, die
in grossen Massen zu je drei oder vier neben einander lagen,
vielfacli waren die Elemente auch ganz kurz, fast cokkenartig.
Ein grosser Theil der Bacillen lag frei, nicht in Zellen einge-
schlossen. Zwischen diesen Bacillenmassen fanden sich verein-
zelte, etwas zugespitze Doppelcokken mit deutlicher Kapsel, die
bei Untersuchung im Wasser an vielen Individuen sehr klar
hervortrat, und auch iiach der Einbettung in Canadabalsam nocli
408 A. Dötsch.
erkannt werden konnte. Es handelte sich demnach mit grösster
Wahrscheinlichkeit um den Fränkel-Weichselbaum'sdiea
Pneumoniecoccus.
Die Agarcnltnr eiigab massenhaft Xerosebadllen, daneben
mehrere Staphylocokkencolonieen.
Anatomische Untersuchung des linken Bulbus, der
16 Stunden post mortem enucleirt, in Formol und dann in Al-
kohol gehärtet war. Der Bulbus wurde horizontal eröfihet, so
dass das Geschwür ganz in der unteren Hälfte lag. Einbettung
der unteren Bulbushälfte in Celloidin; horizontale Schnittserien;
Färbung mit Haeroatoxylin und Eosin.
Die Conjunctiva bulbi ist bis nahezu zur Uebergangs^
falte mit dem Bulbus in Zusammenhang geblieben. Die Epithel-
sdiicht ist überall beträchtlich verdickt, am hochgradigsten in der
Nähe des Limbus, und beträgt hier reichlich das Doppelte der
Norm. Die tieferen I^gen bestehen aus gut gefärbten, didit
gedrängten Cylinderzellen, die mittleren aus mehr ninden oder
polygonalen Zellen, deren Kerne etwas blssser gefärbt sind. In
den oberen Lagen platten sich die Zellen mehr und mehr ab.
Die Kerne sind in dieser Lage \ielfach auffallend gross, wie ge-
bläht, aber nur mangelhaft und theil weise gefärbt; die Chromatin-
substanz hat sich auf einen segment-, band- oder ringförmigen
Absclmitt des Kernes zurückgezogen, oder findet sich nur im
Centrum zu einer Kugel angeordnet, wälirend der übrige Theil
des Kernes vollkommen blass und homogen erscheint. In der
obersten Lage des Epithels fehlt die Kemfärbung zum Theil
vollständig.
Trotzdem hebt sich diese Schicht von den tieferen durch
eine lebhafte Haematoxylinfäi'bung ab und erscheint als ein
dunkelblauer Saum, der sich bei stärkerer Vergrösserung in ein-
zelne spindelförmige Elemente auflöst, die dem Querschnitt der
platten obersten Epithelzellen entspredien. Das Protoplasma des
Zellleibes ist von massenhaften feinen, dunkelblauen Körnchen
erfüllt Die Kömchen sind rund oder kurzstäbchenförmig, von
sehr verschiedenen Dimensionen; die meisten sind bei Oelimmer-
sion soeben noch zu erkennen, einige erreichen die vier- bis
fünffache Grösse eines Staphylococcus.
Die Körnchen sind über das ganze Protoplasma der Zdle
zerstreut, die grösseren liegen vorwiegend in der Nähe des
Kernes, die kleineren in den spindelförmig ausgezogenen Enden
der Zelle. Zwischen der Menge der Kömchen und der Menge
der Chromaünsubstanz schien eine gewisse Beziehung zu be-
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 409
stehen; je bhisser der Kern, desto zahlreicher waren die Körnchen
im Protoplasma der Zellen. Mehrfach macht es den Eindruck,
dass um den Kern eine kleinere oder grössere kömchenfreie Zone
exisiirt Durch Vergleichung mit anderen Zellen lässt sich jedoch
leicht feststellen, dass diese Zone zum Kern selbst gehört und
nur einen chromatinfreien Abschnitt desselben darstellt.
lieber diesen granulirten Zellen findet sich an manchen
Stellen eine Auflagerung von faseriger Structur, die offenbar aus
vollkommen abgeplatteten Epithelzellen hervorgegangen ist. Ein
Theil der Fasern ist blass, em Theil hat lebhafte Haematoxylin-
förbung angenommen.
In der Nähe des Limbus sind die gekörnten platten Epitliel-
Zellen in fünf- bis sechsfacher Lage angeordnet, nach der Peri-
pherie zu nimmt ihre Zalil allmählich ab. Die Zellkerne zeigen
nach und nach auch in den oberen Lagen des Epithels eine
bessere Färbung, und es treten schon vereinzelt Becherzellen auf,
die in der Nähe der Uebergangsfalte reichlicher werden und in
grösseren Gruppen zusammenstehen.
In der Mitte zwischen Uebergangsfalte und Limbus haben
die tieferen Epitlielschichten eine grosse Anzahl zapfenförmige
Vorsprünge gegen das submucöse Gewebe vorgetrieben Leuko-
cyten sind in die Epithelschichten nur in geringem Maasse ein-
gewandert; vereinzelt finden sie sicli noch in den mittleren Schichten,
in den oberen fehlen sie vollständig.
Das submucöse Bindegewebe zeigt kaum Veränderungen,
abgesehen von einer geringen Kemvermehrung.
Die Glitte der unteren Hälfte der Hornhaut ist von einem
grossen, bereits perforirten Geschwür mit trichterförmigem Defect
eingenommen. Die an den Substanzverlust grenzenden Parthieen
zeigen in weiter Ausdehnung eine dichte Infiltration; die Zellen
besitzen rundliche, ovale und gelappte, seltener lang ausgezogene
Kerne, die in spindelförmigen Zügen zusammengedrängt liegen.
Auf der lateralen Seite ist die Infiltration am dichtesten, und
betrifft reichlich ^/^ der Dicke der Hornhaut, nur die tiefsten
Lamellen sind frei geblieben. . Der infiltrirte Bezirk reicht hier
jedoch nicht bis zu dem Defect, sondern ist von diesem durch
eine Zone ziemlich gut erhaltenen Homhautgewebes getrennt, in
dem weder eine beträchtliche Kemvermehrung noch Kemeinwan-
dening stattgefunden hat. Die vorhandenen Homhautkörperchen
sind gut gefärbt; Zeichen von Nekrose finden sich in dieser
Zone nicht Auf der medialen Seite tritt die Keminfiltration
410 A, Dötsch.
nur in den oberflächlichen Hornhantlamellen aaf und reicht bis
' unmittelbar zum Substanzverlust heran.
Der obere und untere Tbeil des Geschwürrandes sind viel
weniger infiltrirt, die Schnitte unterhalb des Geschwürs zeigen
nirgends besondere Kemvermehrung.
Das Hornhautepithel ist in den Randparthieen überall
erhalten und von normaler Beschaffenheit. Gekörnte Zellen,
welche die oberen Lagen des benachbarten Bindehautepithels
bilden, fehlen vollständig. Nach den Geschwür zu verachmälert
sich das Epithel rasch; schon über den infiltnrten Parthieen des
Geschwürrandes ist es abgestossen. Die Bowmansche Membran
ist dagegen in grösserer Ausdehnung erhalten und lässt sich zum
Theil bis zum Rande des Hornhautdefectes verfolgen.
Die Descemet 'sehe Membran ist bis auf die kleine Durcli-
bimchstelle erhalten; ihr Endothel ist nur in der Nähe des
Kammerwinkels eine Strecke weit vorhanden, sonst fast durch-
weg abgestossen. An der Ilintei^äche der Descemet 'sehen
Membran liegen vielfach Ginippen von kleinen Pigmentkömehen
und von Lymphzellen.
Der Defect der Hornhaut ist vollständig von einem zell-
reichen fibrinösen Exsudat ausgefüllt. An Schnitten, die nach
van Gieson oder Weigert gefärbt sind, tritt das Fibrinnetz
deutlich hervor; es eracheint dichter und grobfaseriger in den
oberflächlichen Schichten, feiner, zarter und zugleich reich an
Rundzellen in den tieferen Lagen. Allenthalben finden sicli feine
PigmentköiTichen, die wenig grösser als Cokken oder Bakterien
sind und vereinzelt oder in kleinen Gruppen, nicht in Zellen,
vorkommen.
Die Iris liegt der Hornhaut fast vollständig an; der Pupillar-
rand en-eicht nirgends die kleine Hornhautperforationsstelle. Das
Irisstroma zeigt beträchtliche Kemvermehning und spärliche Pig-
mentzellen, dagegen reichlich feine Pigmentkömehen, von der-
selben Gruppirung, wie in dem eitrig- fibrinösen Exsudat, das den
Hornhautdefect ausfüllt.
Im Ciliarkörper findet sieh geringe Zellinfiltration. An
A derb au t und Netzhaut sind Veränderungen von erheblicher
Bedeutung nicht zu constatiren.
Zur Untersuchung auf Mikroorganismen wurde eine
grosse Zahl von Schnitten mit Methylenblau nach Löffler,
ferner nach Gram und Weigert gefärbt; bei letzteren beiden
Methoden \\Tirde meist eine Gegenfärbung mit Lithioncarmin
vorausgeschickt.
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 4J 1
Auf der Bindehaut konnten nur an vereinzelten Stellen in
einigen Schnitten kleinere Gruppen von Mikroorganismen nach-
gewiesen werden Es handelte sich um kleine cokken- bis stäb-
förmige Elemente, die vollkommen jungen Xerosebadllen glichen.
Sie lagen auf der Oberfläche des Epithels, in kleinen Einsen-
kungen, ausserhalb der Zellen. Nekrotische, von Bakterien über-
wucherte Epithelzellen konnte ich nirgends finden. Diplocokken
waren in oder auf der Bindehaut nirgends mit Sicherheit nach-
zuweisen.
Im Bereich der Hornhaut fand sich an einer Stelle des
lateralen Geschwürsrandes ein dichterer Haufen von Mikroorga-
nismen, die sich als schöne, etwas zugespitzte Doppelcokken
mit deutlicher Kapsel darstellten, in vielfachen kurzen Zügen
angeordnet. Nadi dem Geschwürarand zu wurden die Cokken
spärlicher, doch llessen sich vereinzelte Züge noch eine StriBcke
weit unter der Bowman'sche Membran nachweisen. Das Epi-
tliel war über diesen Stellen abgestossen. Elemente, die sich
als Xerosebacillen hätten deuten lassen, fehlten vollständig.
Innerhalb des den Homhautdefect ausfüllenden Fibrinessu-
dates fiel mehrfach eine kreisförmige Anordnung von Rundzellen
auf; an einer Stelle fand sich im Centrum eine von zahlreichen
Xerosebacillen überwucherte gi'osse platte Epithelzelle, die voll-
kommen an den Befund im Deckglastrockenpräparat erinnerte.
An einigen anderen Stellen lagen kleine von einem Kundzellen-
kranz umgebene Gruppen von Xerosebacillen.
Alle erwähnten Mikroorganismen hatten sich nach der Gram-
sdien Methode nicht eutfUrbt.
Epikrise: In bakteriologischer Beziehung ist
zunächst hervorzuheben, dass sich in den Schnitten viel
weniger Bakterien fanden, als bei der Untersuchung intra
vitam auf den Deckglaspräparaten; dies ist offenbar zum
Theil auf B^chnung der therapeutischen Maassuahmen zu
setzen. Durch Reinigung des Bindehautsackes wurden die
oberflächÜchen Bakterienmassen entfernt, und durch Ein-
streichen der Sublimatsalbe das Wachsthum der zurückge-
bliebenen Individuen gehemmt.
Die Xerosebacillen fanden sich nur an wenigen
Stellen auf der Oberfläche des Bindehautepithels und nir-
gends in das Gewebe eingedrungen; demnach ist anzuneh-
412 A. Dötsch.
men, dass sie im Wesentüchen nur auf dem abgestorbenen
Material an der Oberfläche des Epithels wucherten.
Innerhalb des fibrinös-eitrigen Exsudates im Geschwürs-
grund wurden die Xerosebacillen in kleinen Gruppen, ein-
mal zusammen mit einer abgestossenen Epithelzelle ange-
troffen; dieser Befund spricht dafür, dass sie sich im Ge-
schwürsgrund nicht selbständig entwickelt hatten, sondern
nur zugleich mit anderen Partikeln von der Oberfläche des
Bindehautepithels dorthin verschleppt waren,
Diplocokken liessen sich in der Nähe des lateralen
Geschwürsgrundes in grösserer Menge nachweisen und eine
kurze Strecke weit unter der Bowman 'sehen Membran
im Homhautgewebe verfolgen. Damit wird die Annahme
nahe gelegt, dass diesen Bakterien hier thatsächlich eine
pathogene Bedeutung zukommt und das Ulcus zu der Zeit,
als der Exitus eintrat, an der betreffenden Stelle noch
etwas im Fortschreiten begriffen war.
Der anatomische Befund würde mit dieser Annahme
insofern übereinstimmen, als auf der lateralen Seite die Infiltra-
tion der Hornhaut mit Leukocyten ziemlich beträchtlich war.
Die Ijeukocyteninfiltration reichte auf der lateralen
Seite nicht ganz bis zum Geschwürsgrund. Die nicht in-
tiltrirte Hornhautzone würde also dem Leber 'sehen Infil-
trationsringe der Impfkeratitis entsprechen, der bei dem
gewöhnlichen Ulcus serpens anatomisch häufig nicht nach-
zuweisen ist.
Uhthoff und Axenfeld (1) beschrieben bei Kerato-
malacie eine dreieckige, anscheinend nach erfolgter Perfo-
ration von der vorderen Kammer ausgegangene Infiltration
der Hornhaut, mit der Basis an der Hinterfläche und der
Spitze nach dem Geschwür zu. E. v. Hippel (5) fand
eine dichte Infiltration der vorderen und hinteren Hom-
hautschichten in der Umgebung des unteren Geschwürs-
randes und nahm an, dass die Leukocyten nur von dem
oberflächlichen und tiefen Randgefässen stammten. In
Anatom, und bakteriolog. untersuch, über infantile Xerosis etc. 413
unserem Fall beschränkte sich, trotz bestehender Perforation
die Infiltration auf die vorderen Homhautschichten und
konnte also nur vom Randschlingennetz aus erfolgt sein.
Einet* etwas eingehenderen Besprechung bedürfen die
Veränderungen des Bindehautepithels; wir finden in dessen
obersten Lagen theilweisen Schwund des Chromatins der
Kerne und gleichzeitig Durchsetzung des Zellprotoplasmas
mit zahlreichen kleinsten Körnchen, die mit Haematoxylin
sich sehr lebhaft färbten. Dieser Befund erinnert voll-
kommen an die Kömchen, die normaler Weise in den
Zellen des Stratum granulosum der Haut vorkommen und
nach Waldeyer als Keratohyalin bezeichnet werden.
Sie besitzen, wie die verschiedenen Untersucher festgestellt
haben, eine grössere Affinität zu den Kernfarben, als die
Kerne selbst Darauf basirt unter Anderen die Unna' sehe
Methode, mit der ich gute Resultate erhielt. Sie besteht
in Ueberfärbung mit Haematoxylin und Differenzirung mit
Kalium hypermanganicum. Wenn die Zellkerne schon voll-
kommen entfärbt waren, hoben sich die Keratohyalingra-
nula noch deutlich als dunkelblaue Pünktchen ab.
Aufmerksam wurde ich auf diese Kömchen zuerst
durch Präparate, die zum Zweck des Bakteriennachweises
nach Weigert'scher und Gram'scher Methode unter
Gegenfärbung mit lithioncarmin behandelt waren. Dieses
Verfahren liess die Körnchen scharf umschrieben in leuch-
tend blauer Farbe hervortreten, während die Carminfärbung
zugleich das Studium des umgebenden Gewebes und die
Lagemng der Kömchen in den Zellen in bequemer Weise
gestattete.
Die keratohyalinhaltigen Zellen bildeten vielfach die
oberste Lage des Epithels, an anderen Stellen waren sie
von einer Lage mit lamellärer Stmctur überdeckt, die zum
Theil eine gelbliche Eigenfarbe besass, zum Theil Haemat-
oxylinfärbung angenommen hatte. In Schnitten, die nach
Gram oder Weigert behandelt waren, hatte ein Theil
414 A. Dötsch.
der Lamellen und zwar vorwiegend der tiefer gelegenen, die
blaue Farbe behalten, an vielen Stellen in grösserer Menge,
so dass ein compacter blauer Saum unmittelbar der Kera-
tohyalinschicht auflag (cf. Fig. 1).
Ernst (6 und 7) hat mit Hilfe der ürara 'sehen
Methode in ausgedehntem Maasse Studien über normale
und pathologische Verhomung angestellt; er fand dabei,
dass diese IMethode die Anfangsstadien der Hornbildung
und nicht das fertige Hörn heraushebt Bei reichhcher
Ablagerung von Homsubstanz sind die tieferen Zelllagen
färbbar, die oberflächlichen Homlagen entfärben sich.
ßetreflfs der Keratohyalinkömer betont Ernst, dass
sie sich nach Weigert färben, nach Gram dagegen in
der Regel entfärben. In meinen Präparaten war letzteres
nicht der Fall; Keratohyalinkömer behielten auch bei län-
gerer Einwirkung des absoluten Alkohols, selbst bei Zusatz
von Essigsäure, die Farbe länger als gleichzeitig vorhan-
dene Diplocokken.
üeber die Beziehung des Keratohyalins zur Hornsnb-
stanz sind die Meinungen getheilt. Nach Stöhr(8) ent-
steht das Keratohyalin der Haut durch Verhomung ein-
zelner Theile dos Zellprotoplasmas und bildet zusammen
mit den nicht verhornten Theilen des Protoplasmas eine
zweite Schicht, das Stratum lucidum; auf diese folgt das
Stratum coraeum, in dem alle nicht verhornten Theile der
Zellen unt^r dem Einfluss des Lichtes vertrocknet sind.
Dagegen hält Ernst es für wahrscheinlich, dass das Kerato-
hyalin von der Chromatinsubstanz des Kernes, die Hom-
substanz dagegen aus dem Protoplasma der Zelle abstammt,
und ist wohl mit der Mehrzahl der Dermatologen der An-
sicht Unna's: die verhornenden Zellen bilden meistens
Keratohyalin, aber keinesfalls bildet sich die Horhsubstanz
der Hornschicht aus dem Keratohyalin der Köraerschicht,
denn beide Substanzen finden sich an verschiedenen Orten
innerhalb der Zellen.
Anatom, und bakteriolog. untersuch, über infantile Xerosis etc. 415
Bei normalen und pathologischen Verhornungsprocessen
fand Ernst, dass durch Anwendung der Gram'schen Methode
die Lamellen der unteren Hornlagen sich in Gruppen von
feinsten Kömchen auflösen hessen, die den Zellterritorien
entsprachen. Diese Körachen, die Ernst vorläufig als
Keratingranula bezeichnet, sind vollkommen gleich-
massig, sehr fein und unterscheiden sich auch durch ihre
grössere Parbbeständigkeit bei dem Gram'schen Verfahren
von den Keratohyalinkömem.
In meinen Schnitten gelang es mir selbst bei Anwen-
dung starker Vergrösserung nicht mit Sicherheit, die Hom-
lamellen in Keratingranula aufisulösen; vielleicht lag dies
an der Formolfixirung, die nach Ernst zur Darstellung der
Homsubstanz mittels Gram 'scher Methode weniger ge-
eignet ist als Härtung in Alkohol, in Zenker 'scher Lösung
und einigen anderen Flüssigkeiten.
Zur Frage der Entstehung des Keratins und Kerato-
hyaUns Stellung zu nehmen, ist nicht meine Aufgabe; jeden-
falls ist aber durch die vorliegenden Ausführungen wohl mit
Sicherheit nachgewiesen, dass es in diesem Fall von Binde-
hautxerose zu Veränderungen kam, die den Verhornungs-
processen in der Epidermis vollkommen gleichstehen.
Fall IL Gertrud W., 1 V4 Jahre alt, aufgenommen 11. IV. 99.
— Paedatrophie, Unterlappenpneuraonie, Xerosis und
Keratomalacie. Xerosebacillen und Diplocokken. Heilung.
Anamnese: Uneheliches Kind, von Geburt an kränklich,
hatte seit fünf bis sechs Wochen wenig Nahrung zu sich ge-
nommen und hustete viel. Das Augenleiden wurde seit zwei
Wochen bemerkt.
Status praesens: Kleines elendes Kind. Dämpfung beider
Ünterlappen, Bronchialathmen und Rasseln. Kein Durchfall. Tem-
peratur 35,0® (Mittags).
Beiderseits Lider geschlossen, Bindehaut des Bulbus trocken,
graugelblich, glanzlos und leicht gerunzelt.
D'nks: Geringe Öiliarinjection, grosses Ulcus, die beiden
unteren Hornhautdrittel fast vollkommen einnehmend; kleiner
416 ^- Dötflch.
Irisprolaps. Oberer Geschwürarand etwas infiltrirt, übrige Hom-
haut ma^, aber noch gut durchsichtig. Geschwür mit trockenen
Secret bedeckt.
Rechts: Auge blass, kleine punktförmige Infiltration unter-
halb der Mitte der Cornea , kein Substanz verlust; Hornhaut in
der Umgebung leicht getrübt^ sonst klar.
Therapie: Ernährung mit zur Hälfte verdünnter Milch;
feuchte Einpackungen der Brust; häufiges Reinigen des Binde-
hautsackes, Atropin, Einstreichen von Sublimatsalbe örd bis
vier Mal täglich, warme Umschläge.
Der Krankheitsverlauf war folgender: Anfangs bestanden sub-
normale Temperaturen, zwischen 35" und 36,8"; es traten Pe-
techien unter der Haut an Rngeni und Annen auf, die sich
jedoch in wenigen Tagen wieder vollständig resorbirten. Am
17. IV. Temperatursteigerung bis 38®, dann wieden Schwan-
kungen von 35,6 bis 37,6 ^ Das Kind trank allmählich mehr:
der Ernährungszustand hob sich; vom 27. IV. ab zeigten sidi
mehr normale Temperaturen zwischen 36,7 und 37,4. — Mehrmals
traten kleine Furunkel auf, die nach Incission rasch heilten.
Das Ulcus am Unken Auge wurde etwas grösser, die Iris
fiel noch in grösserer Ausdehnung vor. Da Patientin heftig
presste, wm*de auf genauere Untersuchung verzichtet, und nar
vorsichtig drei bis vier Mal täglich Sublimatsalbe eingestrichen;
es bildete sich eine anfangs vorgetriebene, später abgeflachte,
buckelige Homhautirisnarbe aus.
Am rechten Auge entstand ein kleines Ulcus, das sich vom
15. IV. ab reinigte und rasch mit Hinterlassung einer kleinen
Trübung heilte.
Die Bindehaut besserte sich ebenfalls ziemlich rasch, verior
die Runzeln und das trockene Aussehen.
Patientin wurde am 23. V. geheilt entiassen.
Bakteriologische Untersuchung: Am 11. IV. wurden
nach Abspülen mit sterilem Wasser beiderseits von der Binde-
haut in der Nähe des Limbus und am rechten Auge vom oberen
Rand des Ulcus mit Platindraht Partikelchen entnommen und
theils zu Deckglaspräparaten, tiieils zu Gulturen verwerthet
Die mit Methylenblau gefärbten Deckglaspräparate vom Rand
des Ulcus zeigten vereinzelte Epithelzellen und reichliche Eiter-
zellen; zwischen diesen in enormer Menge Bakterien, unter denen
sich Diplocokken und Xerosebacillen mit Sicherheit erkennen
Hessen.
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 417
Die Diplocokken zeigten deutliche Kapseln und lagen meist
einzeln^ selten in kurzen Ketten. Die Xerosebacillen stellten sich
dar als kurze Stäbchen, mit ungleich dicken Enden, zu drei bis
fünf parallel neben einander und in kleinen Gruppen angeordnet.
Zur Cultur wurde das Impfmaterial in Röhrchen mit Ovarial-
cysteninhalt vertheilt, deren Sterilität durdi zweitägiges Verweilen
im Brutsdirank festg^tellt war; die infidrte Flüssigkeit wurde
etwas erwärmt, mit gleicher Menge auf 42*' abgekühlten 2*/,*^/^.
Agars vermischt, in Petrischalen ausgegossen und in Brutofen-
temperatur von 36° gebracht.
In der mit den Ulcuspartikelchen inficirten Agarplatte ^smden
sich nach zwei Tagen drei grosse Staphylocokkencolonieen, massen-
hafte Xerosebacillencolonieen und ca. 20 bis 30 ohne Vergrösse-
rung kaum sichtbare Colonieen von Diplocokken.
Die Xerosecolonieen waren rund, oval oder auch wetz-
steinförmig, leicht gekörnt; die Bacillen waren meist kleine dicke
Stäbchen, längere segraentirte oder gekörnte Individuen nur sehr
spärlich. Die Weiterzüchtung ergab in Strichculturen auf Serum-
agar kleine weisse confluirende Colonieen, in Bouillonseruni
(Ovarialcysteninhalt und Bouillon zu gleichen Theilen) nach zwei
Tagen eine gleichmässige Trübung; von dieser Cultur wurden
zwei Mäuse geimpft, eine erhielt 0,1 ccm, die andere 0,4 ccm
unter die Bauchhaut; letztere starb nach sechs Tagen;
weder im Blut, noch an der Impfstelle waren im Deckglasprä-
parat Bacillen nachzuweisen; die Anlage von Culturen wurde
versäumt.
Die Diplocokken waren in äusserst kleinen graugelben
wetzsteinförraigen Colonieen gewachsen, deren Abimpiung nur
unter Zuhilfenahme des Mikroskops mit Mühe gelang. Durch
Ausstrich auf Seniinagar wuchsen nach zwei Tagen kleine glas-
helle durchscheinende Colonieen, ebenfalls wieder Diplocokken,
einzeln oder in kurzen Ketten; Weiterzüchtung auf Serumagar
und in Serumbouillon misslang.
Die Untereuchung der Bindehautpartikelchen ergab bei bei-
den Augen annähernd gleiche Befunde: Massenhafte Xerosebacillen,
vereinzelte nekrotische Epithelien, einige von Bacillen übenivuchert.
Daneben auch vereinzelte Kapseldiplocokken. In der Kultur (Serum-
agar, in Petrischalen ausgegossen) wuchsen nur Xerosebacillen,
und vereinzelte weisse und gelbe Staphylocokken.
Am 12. IV. wurden Partikelchen vom Ulcusrand abgeschabt.
Das Deckglastrockenpräparat ergab reichlich Eiterzellen, beträchtlich
▼. Graefe'a Archiv fQr Ophtbalmologie. XLIX. 2. 27
418 A. DAtsch.
weniger Bakterien ^ Diplocokken and Xerosebadllen in gleicher
Menge. Impfung auf Serumagar ohne Erfolg.
Am 14. IV. vom Ulcnsrand abgeschabte Partikelchen ent-
hielten reichlich Eiterzellen und vereinzelte Xeroeeetäbchen; Diplo-
cokken wurden nicht mehr gefunden.
Am 15. lY. Von Bindehaut abgeschabte Partikddien
zeigten reichlich Eiterzellen, keine nekrotischen Epithelzc^en
vereinzelte Xerosestäbchen und Diplocokken. Cnlturversuch ohne
Erfolg.
Am 18. IV. und 25. IV. wurden noch Präparate von der
Bindehaut gemacht. Es fanden sich vereinzelte Eiterzdlen, Diplo-
cokken und Xerosebadllen waren nicht mit Sicherheit aufzufinden.
Epikrise: Bei diesem nach den klinischen Symptomen
zweifellosen Fall von Xerosis mit Keratomalacie konnten
mit Sicherheit Diplocokken und Xerosebacillen nach-
gewiesen werden. Bemerkenswerth ist, dass hier die Ab-
nahme der Zahl der Bakterien durch Reinigung des Binde-
hautsackes und Anwendung von Sublimatsalbe sich durch
bakteriologische Untersuchung deutlich nachweisen liess.
Auch die Verhütung eines grösseren Hornhautzerfalles dürfte
im Wesentlichen den localen therapeutischen Maassnahmen
zuzuschreiben sein, da die Heilung der Cornealgeschwüre
schon längere Zeit vor der Besserung des Allgemeinbefin-
dens einsetzte. lieber den Ort, wo die Bakterien sich
liauptsächhch vermehrten, konnte durch die Art der Unter-
suchung nichts sicher festgestellt werden. Doch würden die
Befunde die Annahme gestatten, dass die Xerosebacillen auf
der Oberfläche der Conjunctiva, die Diplocokken im Hom-
hautgeschwür sich vermehrten. — Ob die mit 0,4 ccni einer
Xerosebouilloncultur geimpfte Maus an der Wirkung der
Xerosebacillen zu Grunde ging, bleibt zweifelhaft; doch
werde ich bei Besprechung des nächsten Falles darauf zu-
rückkommen.
Bemerkenswerth sind die an beiden Vorderarmen auf-
getretenen Petechien. He noch (Vorlesungen über Kinder-
krankheiten) nimmt für derartige Fälle von Blutungen bei
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 419
kachectischen Eandem Combination von Lues mit septi-
schen Processen an. Als Ausgangsheerd kämen bei un-
serem Fall wohl die pneumonischen Heerde in den Lungen,
nicht die eitrigen Processe in der Hornhaut in Frage.
Zirm(9) hat bei einem Fall von Keratomalacie eben-
falls ausgedehnte Hautblutungen beobachtet und über die
einschlägige Literatur eingehender referirt.
Fall IIL Marie F., 30 Wochen alt; aufgenommen am 30. VIII.
Paedatrophie^ Brechdurchfall. Keratomalacie. Xerose-
bacillen und Streptocokken. — Exitus letalis.
Anamnese: Das gesund geborene Kind hatte nach der
Geburt Augeneiterung, die unter Tropfenbehandlung in ca. 14 Tagen
vollkommen abheilte. Seit drei bis vier Wochen trat Brech-
durchfall mit starker Abmagerung auf, seit cbrca 1^/, Wochen
wurde die Trübung auf den Augen bemerkt Für Lues kein
Anhaltspunkt.
Status praesens: Starke Abmagerung, etwas Durchfall,
Ohreiteiimg, Lunge ohne besonderen Befund, Temperatur normal,
Kind trinkt fast nichts.
Bulbi zurückgesunken durch Sdiwund des Orbitalfettes;
Conjunctivalsack sehr tief; es hat sich reichliches, zähes, eitriges,
etnas eingetrocknetes Secret in demselben angesammelt, beson-
ders auf der Uehergangsfalte; Augen meist geschlossen. Beiderseits
geringe Clliarinjection, Bindehaut etwas matt, gelblich, aber keine
ausgesprochene Xerose.
Rechts: Ovales Uornhautgeschwür, 4 mm lang, 3 mm hoch,
nahezu central, etwas nach innen und oben gelagert, die Rän-
der nicht infiltrirt, der Geschwürsgrund gelbgrau, ein wenig vor-
getrieben, die übrige Hornhaut ziemlich klar, die Kammer seicht,
Pupillarreaction erhalten.
Links: Befund ganz ähnlich, Ulcus corneae etwas nacli
aussen oben von der Mitte.
Therapie: Emälirung versucht mit sterilisirter verdünnter
Milch. Häufiges Reinigen des Bindehautsackes, Einstreichen von
Sublimatsalbe, Atropin, warme Umschläge.
Am 1. IX. Morgens plötzliche Temperatursteigerung auf
40 ^ Abends 38 ^
Am 2. IX. Morgens 5 V« Uhr Exitus letalis.
Section 11 Llir Vormittag. Brustorgane normal, Magen,
Dünndarm normal (einige Darmeinschiebungen). Starker Dick-
27*
420 A. Dötsch.
darmkatarrh. Leber, Milz, Nieren, Knochenkeme in der Femu^
epiphyse normal.
Bakteriologische Untersuchung: Nach dem AuBwaschen
des Bindehautsackes mit Kochsabslösung und leichtem Abspülen
der Cornea bald nach der Aufnahme wurden von der Binde-
haut und dem Gescliwürsrand beiderseits Partikelchen abgescliabt
und tlieils zu Trockenpräparaten, theiis zu Ausstrichcultnren auf
Serumagar (Ovarialcystenflüssigkeit mit Agar zu gleichen Th«len
gemischt) verwandt.
Die Präparate von der Bindehaut zeigten reichliche Eiter-
zellen, vereinzelte, aber nicht nekrotische Epithelien, spärliche
Stäbchen und Cokken; ähnlich war der Befund der ausgestrichenen
Ulcus-Partikelchen des linken Auges.
Auf dem Deckglaspräparat vom Geschwörsrand des
rechten Auges fanden sich reichlich Eiterzellen, wenig Bakterien,
mehrfach meist zu zweien, dreien und in kleinen Retten ange-
ordnete Cokken ohne deutliche Kapsel, einmal eine Gruppe von
Stäbchen, Xerosebacillen gleichend.
Auf Serumagar wuchsen in grösserer Anzahl zarte graue
durchscheinende Colonieen von schönen Streptocokken, drei weiss-
liche, etwas grössere Colonieen von Xerosebacillen und eine gelbe
sarcineartige Colonie.
Die Streptocokken wuchsen in Serumbouillon zu längeren
verschlungenen Ketten aus unter leichter Trübung des Röhrchens
und Bildung feiner flockiger Massen. Zur Prüfung der Virulenz
wurden einige Tropfen der Bouillonserum cultur zwei Mäusen unter
die Bauchhaut injicirt, beide blieben am Leben.
Die Xerosebacillen wurden zunächst auf Serumagar, dann
in Serurabouillon weiter gezüchtet. In letzterem bildeten sie fast
gleichmässige Trübung mit einzelnen zarten Flocken. Von dieser
Cultur wurden 0,3 ccm einem Kaninchen unter die Bindehaut
injicirt. Es bildete sich ein localer Eiterprocess, der nach vier
Tagen perforirte und abheilte.
Ferner wurden mit jener Cultur drei Mäuse geimpft. Ein
Thier, welchem ca. 0,05 ccra unter die Bauchhaut eingespritzt
war, blieb am Leben, die beiden anderen, welche 0,2 resp. 0,4 ccm
erhalten hatten, starben am elften Tage. Im Herzblut fanden
sich vereinzelte Stäbchen, bei Uebertragung auf Serumagar ent-
wickelten sich massenhafte kleine grauweisse, auf Glycerinagar
grau durchscheinende Colonieen, die morphologisch voUkommen
jungen Xerosebacillen glichen; 0,2 ccra einer Bouilloncultur tödtete
eine Maus nach zwei Tagen; in deren Blut fanden sich reich-
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 421
lieh Xerosebacyien, zum Theil als kurze^ dicke Stäbchen, zum
Theil in Hantelform mit Andeutung von Septirung.
Die Bacillen wurden auf Glycerinagar weiter gezüchtet und
wuchsen in der gleichen Weise. In jungen Culturen fanden sich
die kurzen Bacillen, in älteren traten in grösserer Menge die
keulenartigen septirten Formen auf.
Anatomische Untersuchung: Der uns vom pathologi-
schen Institut gütigst überlassene rechte Bulbus wurde in
Fonnol, dann in Alkohol gehärtet und horizontal eröffnet; die
grössere obere Hälfte, die das Ulcus in toto enthielt, in Celloidin
eingebettet und in horizontale Schnittserien zerlegt. Haematoxylm-
Eosinfärbung.
Die mit dem Bulbus, besonders auf der lateralen Seite in
grosser Ausdehnung im Zusammenhang gebliebene Gonjunctiva
zeigt eine stellenweise nicht unbeträchtüclie Infiltration des sub-
mucösen Gewebes mit Leukocyten ; auch die Blutgefässe erschemen
etwas .ausgedehnt.
Das Epithel ist in der Nähe des Limbus verdickt, die cy-
lindrischen, lebhaft gefärbten Basalzellen stehen auFserordentlich
dicht ; darauf folgt eine Schicht grosser polygonaler Zellen in etwa
vier- bis fünffacher Lage mit schwächer tingirten Kernen. Zu oberst
liegt eine Schicht von lang ausgezogenen spindelförmigen Zellen in
vier- bis sechsfacher Lage, deren Protoplasma kein Eosin ange-
nommen hat und vollkommen blass erscheint. Die Kerne sind
meist in toto, wenn auch etwas schwach tingirt, nur hier und
da sieht man, dass ein kleiner Abschnitt de« Kernes keine Farbe
angenommen hat. Die Zellcontouren treten als dunkle Linien
hervor; derartige Zellen bilden im Limbus die oberste Lage und
erstrecken sich sowohl nach der Hornhaut wie nach der Binde-
haut zu. Weiter peripller\^ ärts haben sich die Kerne dieser
Zellen auffallend dunkelblau gefärbt und auch das Zellprotoplasma
bekommt einen rosavioletten Farbenton; feinere Structuren sind
in demselben nicht zu erkennen. Vielfach zeigen die Kerne
Vacuolen, vorwiegend an den Enden. Weiter nach der Peripherie
findet sich ein auffallender Befund: wenig abgeplattete, den
polygonalen Foiinen nahestehende Epithelzellen reichen bis an
die Oberfläche und besitzen einen grösseren blassen, meist par-
tiell gefärbten Kern. Diese Schicht wird von einem schmalen
Band der oben beschriebenen langen spindelförmigen Zellen mit
dunklem Kern und dunklem Protoplasma durchzogen. Die Zellen
bilden mehrfach durch die dunklere Farbe ihres Protoplasmas
gekennzeichnete Fortsätze, die sich nach verschiedenen Seiten in
422 A. Dötsch.
die Zwischenräume der übrigen Epithelzellen hinein erstrecken.
Das Epithel ist in seiner ganzen Dicke von ziemlich zahlreichcD
grossen mehrkemigen Lenkocyten mit hellem Protoplasma durch-
setzt. In den peripheren Parthieen zeigt die Bind^ant keine
auffallenden Veränderungen, auch Bedierzellen sind nur ^ärlich
und vereinzelt — Lamelläre Auflagerungen des Epidiels fehlen«
eine Verhomung des Protoplasmas der Epithelzellen ist nirgends
nachzuweisen.
Die Hornhaut zeigt ein grosses Geschwür. Der Substanz-
verlust reicht bis zur Descemet 'sehen Membran und hat hier
einen nicht viel geringeren Umfang als an der Oberfläche. Die
erhaltenen Parthieen der Hornhaut sind naliezu normal, frei von
jeder Infiltration; die Lamellen sind gut mit Eosin gefärbt; die
Färbung schneidet mit einer scharfen Linie am Rande des Ge-
schwüres ab. Letzteres ist ausgefüllt durch einen Pfropf, der
aus reichlichen Eiterzellen, et^'as Fibrin und nekrotischen Par-
tikeln besteht. Es finden sich vereinzelte und in kleinen Gruppen
zusammenliegende feine Pigmentkömehen in nicht sehr grosser
Menge. Ein ITieil der 11 ornhautlam eilen verbindet sich durcli
blasse, aufgefaserte und verz^^eigte Fortsätze mit dem fibrinös-
eitrigem Exsudat. Die Descemet 'sehe Membran zeigt eine kleine
Perforationstelle; das eine Ende ist aufgerollt. Das Endothel ist (äst
durchweg erhalten und an der Perfbrationstelle der Descemet-
schen Membran in eigenthtimlicher Weise gewuchert
Das Homhautepitliel zeigt keine grösseren Veränderungen.
Die Bowman'sche Membran reicht bis zum Rande des Ilom-
hautdefectes; hier haben die Epithelzellen unregelmässige Wuche-
rungen gebildet, welche die nekrotischen Massen eine Strecke
weit überziehen.
Die Iris und der Ciliarkörper sind hyperaemisch und In-
fi Itrirt, im Kammerwinkel und im Ligamentum pectinatum finden
sich Gruppen von Rundzellen. Eine wenn auch etwas seichte
vordere Kammer ist vorhanden, da das Exsudat den Defect in
der Hornhaut vollkommen abschüesst. Auf der Linsenk«ipsel
liegen einige Pigmentreste. Der übrige Theil des Bulbus bietet
nichts Abnormes.
Epikrise. Li diesem Fall, der klinisch wie anato-
misch nicht das Bild der Bindehautxerose bot, wai'eii be-
merken swerth er Weise die Xerosebacillen nur spärlich an-
zutreffen; sie konnten offenbar auf der noch ziemlich gut
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 423
ernährten Bindehaut nicht zur üppigen Entwicklung ge-
langen. Welche Bakterien bei dem Homhautprocess im
Spiele waren, lies» sich hier nicht mit Sicherheit entschei-
den; das Ulcus war zur Zeit der Untersuchung, wie der
klinisch und anatomisch hervortretende Mangel einer In-
filtration der Cornealränder beweist, nicht progressiv; in
Schnittpräparaten gelang es nicht Bakterien aufzufinden.
Trotzdem dürfte anzunehmen sein, dass die Streptocokken,
die sich durch Cultur mit Sicherheit nachweisen liessen, als
die Eitererreger in der Hornhaut anzusehen sind, wenn auch
durch den Thierversuch keine besondere Virulenz nachzu-
weisen war. AuflFallend ist dagegen, dass die Xeroseculturen,
in grosser Menge injicirt, für weisse Mäuse sich pathogen
erwiesen. Durch Weiterzüchtung, Wiederholung des Versuches
und durch Nachweis der charakteristischen Bacillenforra im
Blut der Thiere glaube ich den Einwand vollkommen ent-
kräftet zu haben, dass der Tod der Thiere zufällig oder
durch andere Bakterien erfolgte. Damit wird auch wahr-
scheinlich, dass die im Verlauf der Untei-suchung des vorigen
Falles mit grossen Mengen von Xerosebacillen inficirte Maus
an deren Wirkung zu Grunde ging, wenn auch durch das
Deckglaspräparat die Bakterien nicht nachzuweisen waren.
Bei Kaninchen sind durch Injectionen grösserer Massen von
Xerosebacillen locale Eiterungen schon mehrfach beob-
achtet worden; meine Versuche bieten in dieser Beziehung
keine Besonderheit. — Mit Bezug auf die neuerdings mittels
der Ernst-Neisser'scheu Färbung versuchte Classificirung
und Trennung der Gruppen der Xerosebacillen und ver-
wandter Arten möchte- ich hervorheben, djiss auf Serum-
culturen Körnerbildung durch die gewöhnliche Methylen-
blaufärbung, sowie durch die oben erwähnte Methode erst an
36 bis 48 Stunden alten Culturen sich nachweisen Hess und
auch dann nur bei einer geringen Menge von Individuen.
Eine vollkommen befriedigende Erklärung für die Ver-
änderungen des Bindehautepithels zu geben, bin ich nicht
424 A. Dötsch.
im Stande; es lag nahe, das Auftreten der langen spindel-
förmigen Zellen mit dunkelm Protoplasma und dunkelm
Kern als erste Manifestation des Verhomungsprocesses zu
deuten. Die Gram'sche und Weigert'sche Bakterien-
methode und die Weigert 'sehe Fibrinmethode Hessen die
Zellen ungefärbt. Wurde durch stärkeren Zusatz Ton
Xylol zum Anilinöl die Entfärbung noch schonender vor-
genommen als bei der Weigert'schen Fibrinmethode, so be-
hielten diese Zellen einen leicht bläulichen Schimmer. Irgend-
welche Structur liess sich in denselben nicht erkennen. Bei
Färbung nach van Gieson erschienen das Protoplasma leicht
dunkelbraun, die Kerne blauschwarz. Die Färbung nach
Unna gab vollständig negatives fiesultat.
Der Nachweis der Verhoniung des Bindehautepithels
in meinem ersten Fall veranlasste mich, durch Untersuchung
weiterer Fälle Material für die Entscheidung der Frage zu
gewinnen, welche Beziehungen zwischen Xerosis und Ver-
hornung des Bindehautepithels bestehen. Nach der mir
bekannten Literatur scheint Fuchs der erste zu sein, der
die Verhornung der oberen Epithellagen bei Bindehaut-
xerose und das Auftreten von Keratohyalin in den darunter
liegenden Epithelzellen beschrieben hat. In der neuesten
Auflage seines Lehrbuches (1898) ist eine abgeschabte
Epithelzelle abgebildet, die in der Umgebung des Kernes
kleine KeratohyalinkÖrner zeigt. Eine Arbeit von De Berar-
dinis(lO), die sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt,
war mir bis jetzt nicht zugänghch.
Ueber einen Fall von Verhornung des Bindehautepi-
thels bei einem Mann von 40 Jahren berichtet Best (11).
Es handelte sich um eine circumscripte Verdickung im
Lidspaltenbezirk von 2 mm Durchmesser. Die mikrosko-
pische Untei-suchung ergab Verhomung des Bindehautepi-
thels und Aufl)au nach dem Typus der äusseren Haut: auf
die dicht gedrängten basalen CyUnderzellen folgten die
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosis etc. 425
Schicht der Stachelzellen, dann die der Zellen des Stratum
granulosum mit den Keratohyalinkömchen, zu oberst die
Homschicht ohne ein Stratum lucidum.
Best nahm für die Erkrankung den Namen Tyloraa
conjunctivae an, den Gallenga für einen ähnlichen Fall
gebrauchte.
Aus der Jenaer Augenklinik sind in den letzten Jahren
zwei Fälle von juveniler Xerosis mit Keratomalacie von
Schimmelpfennig(12) und von Krause(13) veröflFentlicht
worden. Herr Prof. Wagen mann überliess mir die aufbewahr-
ten Celloidinschnitte zu einer nachträghchen Untersuchung.
Bei dem Fall von Schimmelpfennig handelte es sich
um ein 18 Monate altes Kind, das vier Wochen vor dem Exitus
an Brechdurchfall erkrankt war, wälirend die Augenerkran-
kung sich nach Angabe der Eltern erst in den letzten Tagen
entwickelt hatte. Es bestand ausgesprocliene circuläre X er ose
mit weissen schuppigen Auilagernngen und Keratomalacie.
Die mikroskopische Unterauchung der Bindehaut des linken
Auges hatte ergeben: Verdickung des Bindehautepitliels, in der
obersten Schicht abgeplattete, aufgelockerte Zellen, die oberen
Lagen ohne Kern, die Kerne der tiefen I^agen unfärbbar; mehr-
fach feinkörnige Trübung in den Zellen wahrnehmbar,
darauf folgten kurze spindelförmige Zellen mit gut färbbarem
Kern, zu unterst dicht gestellte hohe Cylinderzellen.
Eine grössere Anzalil von Schnitten behandelte ich nach
der Unna'schen Methode, Ueberfärbung mit Haematoxylin und
und üifferenzirung mit Kalium hypermanganicum. Die oberen
Zellagen erschienen vollkommen blass; man sah bei geringer Ab-
biendung deutlich die feinkörnige Trübung am Protoplasma der
oberen Epitlielzellen, die feinen Kömchen hatten keine Spur von
Farbe angenommen. Es gelang niemals, irgend welche Kerato-
hyalinkömer aufzufinden, auch wenn die Einwirkung der Diffe-
renzirung nur so weit stattgefunden hatte, dass die Kerne in
den unteren Epitliellagen noch gut blau gefärbt waren. Die
Anwendung der Gram 'sehen und Weigert 'sehen ergab betreffs
dieser Kömchen ebenfalls negative Resultate; dagegen hatten sich
vereinzelte Zellen der obersten Schicht in toto violett gefärbt,
und können somit als Hornlamellen betrachtet werden. Sie
sahen auf dem Durchschnitt meist wellig aus, einzelne hatten
fflch losgelöst und erschienen mehr von der Fläche aus als brei-
426 A. Dötsch.
tere Bänder. Eine feinere Stractur (Ernst 'sehe Eeratingrannla)
konnte ich nicht nachweisen , was möglicher Weise mit einet fUr
die Darstellung dieser Gebilde nicht günstigen Conservirong zn
erklären ist Diese violetten Zellen lagen an der Oberfläche oft
zusammen mit den ungefärbten, feinkörnig getrübten Zellen. Letz-
tere waren zum Theil massenhaft von Xerosebadllen übem^^uchert,
die sich durch Form und Lagerung leicht von Keratohyalinköm-
chen unterscheiden Hessen.
Wir sahen also in diesem Fall eine Verhornung des
Epithels ohne Bildung von Keratohyalin , wie sie
auch sonst beobachtet wird, und von Ernst unter Anderem
bei gewissen Formen von Keratomen beschrieben wurde.
Es bleibt noch die Frage zu erörteni, was die weder nach
Gram und Weigert noch mit Carmin und Haematoxylin
farbbaren, hellglänzenden Körnchen zu bedeuten haben.
Ernst hat ähnliche Gebilde ebenfalls l)ei verschiedenen
Verhornungsprocessen gefunden und glaubt, dass sie viel-
leicht in dem Protoplasma xler Zelle entstehen und die
Vorstadien für die Keratin kömchen darstellen, mit den
Keratohyalinkörnchen dagegen nichts zu thun haben.
Der Fall von Krause (13) betraf ein 13 Wochen altes
Kind, das wegen Keratomalacie und Xerose sieben Wochen
in der hiesigen Augenklinik behandelt wurde und an emer Pneu-
monie zu Grunde ging, nachdem der I^ocess an der Hornhaut
vollkommen ausgeheilt war.
Die mikroskopische Untersuchung der Bindehaut des linken
Auges ergab massige Verdickung des Epithels, in den oberflädi-
lichen Schichten gequollene blasse Kerae mit zum Theil halb-
mondförmiger Anordnung der Chromatinsubstanz, darüber eine
gleichmässige Lage von abgestossenen , blätterförmig zerklüfteten
Epithelzcllen , an denen man wieder hier und da eine längliche
blasse Spindel als Kern erkannte. Am linken Auge war der
Beftind im Ganzen ähnlich, doch waren hier mehrfach mit kleinen
Körnchen tibersäte Epithelzellen aufgefallen.
Eine grössere Anzahl von Schnitten untersuclite icli wieder
mit den verschiedenen Methoden. Bei Färbung nach Gram und
Weigert fand ich einen ziemlich dichten und gleiclimässigen
blauen Belag von Hornlamellen, dicht unter diesen eine dünne
Schicht granulirter Zellen mit schönen Keratohyalinkömem; letz-
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile XerosiB etc. 427
tere färbten sich auch nach Unna intensiv. Eine Schicht un-
gefärbter älterer Homhunellen konnte ich nicht nachweisen.
Der Verhomungsprocess hatte hier Aehnlichkeit mit
meinem ersten Fall, nur war die Schicht der färbbaren
Homlamellen verhältnismässig viel stärker und compacter,
die Keratohyalinschicht dagegen auf weniger Zelllagen be-
schränkt als dort.
Es schien nach diesen Befunden von Interesse, geeig-
nete Präparate daraufhin zu untersuchen, ob an der Horn-
haut ähnliche Befunde nachzuweisen sind. In mehreren
Fällen war das Ergebniss negativ, dagegen hatte ich Er-
folg bei einem Fall von Älikrophthalmus, den ich in diesem
Archiv, Bd. XLVIII, beschrieben habe.
Die Präparate stammten von einem ausgetragenen Kind mit
verschiedenen Missbildungen, das am Tage nach der Geburt ge-
storben war. Die Lider waren fest verwachsen, in der Orbita
fanden sich die kleinen Bulbi inmitten eine« festen Binde- und
Fettgewebes. An der Hornhaut des recliten Auges hatte ich
eine ^flache, mit platten kernlosen, anscheinend verhornten Zellen
ausgefüllte Einsenkung des Epithels^ emäJmt.
Im Bereich der Einsenkung war das Epithel etwa aui die
Hälfte seiner Breite reducirt. Auf eine Schicht Cyiinderzelien
folgten ein bis zwei Lagen polygonaler Zellen, darauf folgten
platte Zellen mit nur theilweise gefärbten Kernen in der oft be-
schriebenen Weise; an einzelnen dieser Zellen Hessen sich durch die
Gram 'sehe Methode in schönster Weise die Keratohyalinkömer
darstellen, die übrigens auch bei mehreren Schnitten schon durch
die gewöhnliche Haeraatoxylineosinfärbung zu erkennen waren,
sobald Oelimmersion zu Hilfe genommen wurde. Darauf folgte
eine Schicht langer, vollständig abgeplatteter Zellen, die sich nach
Gram zum Theil lebhaft blau gefärbt hatten, in der obersten
Lage fanden sich farblose Ilomfasem. In der Umgebung der
Einsenkung konnten in dem Epithel der Hornhaut, ebenso wie
in dem Epithel der Bindehaut keinerlei besonderen Elemente des
Verhomungsprocesses mittelst Haematoxylin, Gram 'scher oder
Weigert 'scher Färbung nachgewiesen werden.
Besonders bemerken swerth ist in diesem Falle, dass
die Verhomung der Hornhaut bei verwachsenen Lidern
stattgefunden hatte, eine Vertrocknung in dem gewöhnlichen
428 A. Dötsch.
Sinn also ausgeschlossen war uud dass die Verhomung hier
nicht eine verdickte, sondern im Gegentheil eine verdünnte
Stelle des Epithels betraf. Was die Ursache zur Verhor-
nung abgegeben hatte, ist nicht mit Sicherheit festzustellen.
Da Entwicklungsstörungen in ausgedehntem Maasse
vorlagen, so bieten sich verschiedene MögUchkeiten. Vor
Allem ist der Umstand zu erwägen, dass die Veränderung
gerade an der Stelle sass, wo die Hornhaut ursprünglich
mit dem Ektoderm zusammenhängt.
In den vorliegenden Ausführungen habe ich eine Reihe
verschiedener Verhorn ungsprocesse am Binde- und Hom-
hautepithel beschrieben. Die Bildung der eigentlichen Horn-
substanz war meist nicht sehr beträchtlich und entsprach
ungefähr den Verhältnissen, die wir bei Stellen der Haut
mit dünner Epidermis finden. Der Verhornungsprocess be-
fand sich jedoch in ausgebildeter Entwicklung; interessant
wäre es, die Anfangsstadien kennen zu lernen. Es wäre
nicht unmöglich, dass wir in den eigenthümlichen Verän-
derungen des Bindehautepithels in Fall III ein solches
Anfangsstadium vor uns haben. Die klinischen Verhält-
nisse sprechen für diese Annahme. Das Kind befand sich
in einem heruntergekommenen Ernährungszustand, bei dem
wir das Auftreten der Xerose beobachten; die Hornhaut
zeigte schon eitrigen Zerfall, der ganz gut zu dem Bild
der Keratonialacie passte; der Process war allerdings nicht
mehr progressiv, vielleicht schon in Ausheilung begriflFen;
doch zeigt der Fall von Krause, dass trotz Heilung des
Homhautprocesses die Verhornung bei Bindehautxerose sich
weiter entwickeln kann.
Anatomisch besteht dagegen eine so beträchtiiche Ver-
schiedenheit von den Befunden bei ausgebildeter Verhor-
nung, dass es nicht angezeigt erscheint die Verändennigen
des Bindehautepithels in Fall III als den Beginn der Ver-
hornung aufzufassen, so lange es nicht gehngt, zweifellose
Zwischenstadien nachzuweisen.
Anatom, und bakteriolog. Untersuch, über infantile Xerosig etc. 429
Herrn Prof. Wagenmann bin ich für die Ueberlassung
des Materials und das Interesse an der vorliegenden Arbeit
zu grossem Dank verpflichtet.
Literaturverzeichniss.
1) ühthoff und Axenfeld, v. Graefe's Archiv f. Opbthalm.
Bd. XLII. 1.
2) ühthoff und Axenfeld, v. Graefe's Archiv f. Ophthalm.
Bd. XLIV. 1.
3) Leber und Wagenmann, v. Graefe's Archiv f. Ophthalm.
Bd. XXXIV. 4.
4) Bahr und Garnier, Arch. f. Augenheilk. Bd. 20.
5) E. V. Hippel, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLVII. 1.
6) Ernst, Studien über normale Verhomung mit Hilfe der Gram-
schen Methode. Arch. f. mikroskop. Anatomie. Bd. 47.
7) Ernst, Studien über • pathologische Verhorn ung mit Hilfe der
Gram 'sehen Methode. Ziegler' s Beiträge. Bd. 21.
8) Stöbr, Lehrbuch der Histologie. 6. Aufl. 1894.
9) Z i rm , Keratomycosis bei einem mit Lues congenita haemorrhagica
behafteten Säugling. Wiener klin. Wochenschrift. 1895.
10) De Berardinis, Contributo anatomico suUa xerosis epiteliale
con particolare riguardo alla cheratojalina, Lav. d. Clinica Ocul.
d. R. Univ. di Napoli. V.; cit. nach Arch. f. Augenheilk.
11) Best, Ueber Verhomung des Bindehautepithels. Deutsch -
mann' 8 Beiträge. XXXIV.
12) Schimmelpfennig, v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. XLHL 1.
13) Krause, Ueber infantile Xerose und Keratomalacie. Inaug.-
Diss. Jena 1899.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel X,
Figur 1 und 2.
Fig. 1. (Zeiss Objectiv D, Ocular 2.) Xerotische Bindehaut von
Fall I. Färbung nach Gram; Gegenfärbung mit Lithion-
carmin. Hornlamellen und Keratohyalinkörner blau.
Fig. 2. (Oelimmersion Vu> Ocular 1) von Fall I. Xerotische Binde-
haut, Färbung wie bei Fig. 1. '
lieber die Folgen der Exstirpation des Ganglion
eervicale snpremum bei jungen Thieren.
Von
Dr. E. Hertel,
Privatdocenten und I. Assistenten der Jenaer Augenklinik.
(Aus der Jenaer Augenklinik.)
Vor etwa einem Jahre konnte ich(l) die Mittheilung
machen , dass bei Kaninchen , denen ich im Alter von
circa drei Wochen den Opticus auf einer Seite isolirt durch-
schnitten hatte, die Augen der operirten Seite im Wachs-
thum auffallend hinter denen der anderen zurückWieben.
Dabei waren dieselben aber in allen Theilen gut ausgebildet;
man sah nichts, was etwa auf eine beginnende Phthisis bulbi
hätte schliessen lassen. Ich glaubte mich nach meinen
Experimenten zu der Annahme berechtigt, dass die Ur-
sache dieser Wachsthumsstörung in der Durchtrennung des
Sehnerven und der dadurch herbeigeführten Aufhebung der
Function des noch nicht voll entwickelten Organes zu suchen
sei, ähnlich, wie es von anderen Körperorgauen längst be-
kannt war, während über die Sinnesorgane derartige „Be-
obachtungen meines Wissens noch nicht vorlagen.
Von den Einwänden gegen meine Annahme konnte
ich damals bei Abschluss meiner Arbeit den nicht voll-
kommen entkräften, dass die beobachtete Wachsthumsstörung
Folge der Verletzung von Ciliaraerven sei. Die Möglichkeit
der Mitverletzung von Ciliarnerven, wenn auch nur in ganz
geringem Maasse, musste ich zugeben. Es könnten dem-
Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale supremnm etc. 431
nach Störungen im Gebiete des Trigeminus oder des Sym-
pathicus die Resultate der Opticusdurchschneidung beein-
ilusst haben. Controlversuche sollten mir darüber Auf-
schluss geben. Und zwar habe ich zunächst versucht, mir
über den Einfluss von Sympaticusläsionen auf das
Wachsthum der Augen Klarheit zu verschaffen.
Ausser dieser Frage bestimmten mich aber zur Aus-
führung meiner Experimente noch andere Momente, die
gerade in neuerer Zeit mehr in den Vordergrund getre-
ten sind.
Einmal schienen mir die jetzt schon mehrfach bekannt
gegebenen günstigen Resultate von Halssympathicusresec-
tionen bei Glaukom die Aufforderung zu enthalten, genaue
Beobachtungen über das Verhalten des Druckes
nach der Sympathicusdurchschneidung anzustellen.
Femer wollte ich sehen, ob die Operation einen Einfluss
auf das Ciliarganglion haben würde, in der Hoffnung,
vielleicht einen Beitrag zur Klärung der Natur dieses Gang-
lions Uefern zu können.
Ich benutzte zu meinen Versuchen wiederum aus-
schliesslich Kaninchen von ein und derselben Rasse. Das
Alter der Thiere schwankte zwischen 10 und 20 Tagen.
Im Ganzen habe ich 81 Thiere operirt. Das Operations-
verfahren war durchweg folgendes:
Bei rückwärts gebeugtem Kopf wurde am Halse in
der Medianhnie, etwa in der Höhe des Ringknorpels, der
Hautschnitt in einer Länge von ca. 2 cm angelegt Die
Haut und die oberflächüche Halsmuskulatur wurde vor-
sichtig bei Seite gezogen, dann die tiefe Fascie gespalten.
Die darnach zu Tage tretende Carotis communis, den Vagus
und Vena jugularis zog ich vorsichtig zur Seite, und
zwar am besten medial, und isolirte den darunter zum
Vorschein kommenden Nervus sympathicus. An diesem
Nerv entlang gehend fand ich das Ganglion cerv. suprem.
leicht, meist hinter dem Anfang der Carotis externa ge-
432 E. Hertel.
legen. Nach Beiseiteziehen des Musculus stylohyoideua ge-
lang es ohne Mühe, das Ganglion zu fassen und in toto
herauszureissen. Es wurde genau darauf geachtet, dass
keinerlei Nebenverletzungen gesetzt wurden. Es kamen nie-
mals Blutungen vor, abgesehen von ganz oberflächlichen
beim Hautschnitt. Nach Exstirpation des Ganglion wurde
die Wunde durch einige Suturen geschlossen. Schon nach
vier bis sechs Tagen war die Heilung eine vollkommene.
Ich habe im Folgenden nur solche Thiere berücksichtigt,
bei denen die Operation und die Heilung ohne jede Com-
plication verlaufen war.
Bald nach der Operation bemerkte ich eine zuneh-
mende Verengerung der Pupille auf der operirten Seite
und ein Herabsinken des Oberlides, so dass die Lidspalte
merklich enger wurde. Das rudimentäre dritte Lid stand
deutHch weiter nach dem Limbus zu als auf der anderen
Seite. Hielt man die Ohren gegen das Licht, so konnte
man eine deutliche DiflFerenz in der Blutfüllung der Ge-
fässe wahrnehmen: auf der operirten Seite war eine aus-
gesprochene Hyperämie vorhanden. Am Bulbus selbst sah
man bei den pigmentirten Thieren im Wesentlichen nur
eine stärkere Füllung der Netzhautgefässe. Bei albinoti-
schen Thieren traten Hyperämie der Iris und Ausdehnung
der Aderhaut- und Netzhautgefässe zu Tage.
Doch war diese pathologische GefässfüUung am Ohre
und am Auge nur von kurzer Dauer. Bei einigen Thieren
konnte ich schon nach 24 Stunden, bei den meisten aller-
dings erst nach zwei bis drei Tagen keinerlei Unterschied
an den Gefässen mehr wahrnehmen. Auch später trat in
dieser Hinsicht keine Aenderung wieder ein: die Gefässe
erschienen auf beiden Seiten gleich gut gefüllt.
Dagegen blieb die Pupillenverengerung bis zum Schluss
der Beobachtungszeit bestehen. Dieselbe hatte etwa eine
Stunde nach der Operation ihr Maximum erreicht Es
trat niemals vollkommene Miosis ein; die Pupillen rea-
Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale supremum etc. 433
gürten ganz gut, namentlich bei Albinos liess sich durch
grelle Beleuchtung eine deutliche weitere Verengerung er-
zielen. 24 Stunden später war die Pupille fast immer wieder
etwas weiter geworden, aber doch noch beträchtlich enger
als auf der anderen Seite. Im weiteren Verlauf war dann
eine Aenderung im Verhalten der Pupillen nicht zu be-
merken.
Die Ptosis nahm meist bis zum fünften Tage noch
etwas zu, um dann unverändert anzuhalten. Das Lid hing
deutlich weiter herab, als auf der anderen Seite, meist fast
den oberen ßand der verengten Pupille erreichend. Am
dritten Lid war dagegen ein weiteres Vorrücken nach dem
Hornhautrande zu nicht zu bemerken.
Durch die Lider wurde ein grosser Theil der Sklera
verdeckt Das Auge schien darum schon vom ersten
Tage an kleiner zu sein und auch weiter zurückzuliegen
als das normale. Messungen, die ich mit dem Weiss -
sehen Exophthalmometer innerhalb der ersten Tage vor-
nahm, ergaben mir aber keine wesentUche Differenz zwischen
beiden Seiten. Erst im weiteren Verlauf trat eine solche
ein. Und zwar konnte ich etwa vier bis sechs Wochen
nach der Operation ein thatsächliches ZurückUegen des
Auges auf der operirten Seite constatiren. Die anfanghch
sehr geringen Unterschiede nahmen im Laufe der Monate
noch zu, so dass nach etwa zehn bis zwölf Monaten der
Abstand der Hornhautmitte von dem Orbitalbogen auf der
operirten Seite bis zu 2 '/t n^ni weniger betrug als auf der
gesunden Seite.
Mit möglichst grosser Sorgfalt habe ich dann zu den
verschiedensten Zeiten nach der Operation die Hornhaut-
radien mit dem Ja val' sehen Ophthalmometer gemessen.
Es ergaben sich wiederholt kleine Differenzen zwischen bei-
den Seiten. Doch waren dieselben nicht constant, indem
einmal die Werthe der gesunden, bei anderen Thieren da-
gegen die der operirten Seite die kleineren waren. Ich
T. 6raefe*8 Archir f&r Ophthalmologie. XLIX. 2. 28
434 £. Hertel.
glaube daher, dass ein wesentlicher Unterschied in der
Comeakrümmung zwischen beiden Seiten überhaupt nicht
bestand und die gefundenen Differenzen innerhalb der un-
renneidbaren Fehlergrenzen lagen.
Am Schädel konnte ich während der ersten Wochen
nach der Operation auffallendere Veränderungen nicht wahr-
nehmen. Erst nach etwa drei Monaten schien mir die
oberhalb der Augengegend gelegene Gesichtsparthie etwas
flacher zu sein — bei manchen Thieren mehr, bei anderen
weniger. In den unteren Gesichtstheilen sah ich keinen
Unterschied zwischen beiden Seiten, die Behaarung und
Zahnbildung war beiderseits gleich gut entwickelt und er-
litt auch bei den am längsten (zwölf Monaten) beobachteten
Thieren keine Einbusse.
In verschiedenen Zeiträumen nach der Operation wur-
den nun Thiere durch Chloroform getödtet Die enudeir-
ten Bulbi wurden genau ausgemessen; und zwar habe ich
ebenso, wie in meiner früheren Arbeit, stets die Durch-
messer in yerticaler, sagittaler und horizontaler Richtung
bestimmt^ femer die entsprechenden Umfange und schliess-
lich auch die verticalen und horizontalen Comeadurch-
messer. Auch Bestimmungen des Gewichtes der Bulbi
habe ich vorgenommen, nachdem ich vorher die Sehnen-
ansätze und auch den Opticus möglichst vollständig und
gleichmässig abgeschnitten hatte. Als Resultat dieser Mes-
sungen ergab sich, dass kein wesentlicher Unter-
schied zwischen den Augen der operirten und nicht
operirten Seite bestand. Nur bei einigen Thieren isjxd
ich auf der operirten Seite kleinere Werthe als auf der
anderen; doch liess sich daraus keinerlei Schluss auf
eine Nachwirkung der Operation machen, weil bei an-
deren Thieren gerade das umgekehrte Verhältniss be-
stand. Bei den meisten aber waren die Werthe fast die
gleichen, so dass die gefundenen Differenzen auf die nor-
maler Weise vorkommenden kleinen Asyraetrieen beider
Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale supremum etc. 435
Augen zu beziehen waren oder auch auf kleine Beobach-
tnngsfehler — ähnlich, wie ich das schon für die Comea-
radien erwähnte. Es würde ermüdend sein, die einzelnen
Maasse anzuführen, da beide Seiten einander ganz ahnUche
Zahlen aufwiesen und diese ihrerseits mit den früher ge*
fundenen Durchschnittewerthen bei normalen Kaninchen
sehr gut übereinstimmten.
Ich fand also in Bestätigung früherer Beobachtungen
als Folge der Yorgenommenen Exstirpation des obersten
sympathischen Halsganglions: Vorübergehende Erwei-
terung der Gefässe am Auge, bleibende Verenge-
rung der Pupille, ferner Verschmälerung der Lid-
spalte und Zurücksinken des Auges in die Orbita
und dadurch eine scheinbare Verkleinerung des
Auges auf der operirten Seite.
Dass diese Verkleinerung wirklich nur eine scheinbare
war, ging aus den ausgeführten Messungen hervor. Schon
Cl. Bernard (2 u. 3), welcher wohl zuerst eine zusammen-
fassende Darstellung der Folgen der Sympathicusläsionen
für das Auge gegeben hat, im Gegensatze zu noch älteren
Autoren wie Pourfour-Dupetit u. A., welche hauptsäch-
lich nur auf die Pupillenstörungen achteten, hat auf diese
„scheinbare^' Verkleinerung der Augen auf der operirten Seite
hingewiesen, ohne allerdings Messungsresultate bekannt zu
geben. Er erwähnt nur, dass in Folge der Erschlaffung
ä&r Lider und des Zurücksinkens des Bulbus das Auge kleiner
zu sein „scheine".
Von den Autoren, die sich nach Cl. Bernard mit
Sympathicusläsionen experimentell beschäftigt haben, er-
wähnen einige ebenfalls eine „scheinbare" Verkleinerung
der Augen unter den Folgen der gesetzten Läsion, bei an-
deren fehlen jede Angaben über dieses Symptom. Ein-
gehender hat sich mit dieser Frage Angelucci (4) be-
schäftigt Er stellte seine Versuche, wie ich, bei jungen,
noch entwicklungsfähigen Thieren an, denen er das oberste
28*
436 S* Hertel.
cervicale Ganglion exstirpirte. Am erwachsenen Thiere
beobachtete er darnach ein ausgesprochenes Kleiner-
bleiben des Bulbus auf der operirten Seite: das
Gewicht der Augen auf dieser Seite war um Ve geringer
als das der anderen Seite. Cornea und Sklera waren
schwächer entwickelt, so dass das Bild des Mikrophthal-
mus unverkennbar war.
Ich konnte bei meinen Kaninchen, wie schon erwähnt,
eine derartige reelle Verkleinerung des Bulbus niemals con-
statiren. Auch sonst konnte ich in der Literatur keine
Bestätigung der Angaben Angelucci's finden, üeber-
haupt weichen die von demselben an seinen operirten
Thieren gemachten Beobachtungen von fi'üheren, wie auch
von meinen eigenen Angaben wesentUch ab. So beschreibt
Angelucci (1. c.) eine deutliche Alopecie des Gesichtes
auf der operirten Seite, femer Dystax)phie der Schädel-
knochen und schwächere Entwicklung der Zähne. Ich
konnte derartig ausgedehnte „trophische^^ Störungen, wie
Angelucci dieselben bezeichnet, auch nach ca. zwölfmonat-
Ucher Beobachtung nicht constatiren. Nur eine ganz ge-
ringe Abflachung der Parthieen oberhalb des Auges war
zu sehen, doch weder an Haaren noch an den Zähnen
irgend welcher Unterschied anf beiden Seiten zu bemerken.
Auch von den älteren Autoren werden stärkere Verände-
rungen im Gesicht der Thiere nicht erwähnt Gl. Bernard
(1. c.) sagt nur, dass er in manchen Fällen eine mehr oder
weniger ausgesprochene Verengerung der Nasenöflhung auf
der operirten Seite sehen konnte.
Schliesslich hat Angelucci (1. c.) die Augen seiner
Thiere auch mikroskopisch untersucht und namentUch
im üvealtractus Zeichen einer sklerotischen Gtewebsatro-
phie gefunden. Die Chorioidea zeigte die stärksten Ver-
änderungen, sie war schmäler als normal, das Pigment
zum Theil atrophisch, die Gefässwände verdickt. Letzteres
war auch in der Iris der Fall; dazu fanden sich stellen-
Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale supremum etc. 437
weise perivasculäre Leukocytenansammlung und grössere
sklerotische Heerde. In der Netzhaut waren die Verän-
derungen nur spärlich und beschränkten sich im Wesent-
lichen auf Gefässverengerungen mit Verdickung der Wan-
dungen.
Auch diese tiefgreifenden Läsionen, der Augeuhäute
selbst fehlten vollkommen bei meinen Thieren. Ich habe
fast alle Augen der operirten Seite mikroskopisch unter-
sucht und dabei zum Vergleich sehr oft die Bulbi der
normalen Seite herangezogen. Fixirt wurden die Augen
gleich nach Abschluss der erwähnten Messungen in For-
mol und, nach Nachhärtung in Alkohol, in Celloidin ge-
schnitten. Zur Färbung bediente ich mich meist nur der
Hämatoxylin-Eosinfärbung. Ich konnte nun niemals Ver-
änderungen finden, welche an Angelucci's Beschreibung
erinnert hätten. Die Bulbi waren vielmehr in allen ihren
Theilen normal; weder an den BulbushüUen , noch am
Uvealtractus oder der Netzhaut fand ich Unterschiede
gegenüber der nicht operirten Seite. Speciell zeigten die
Gefässe weder Veränderungen ihres Lumens noch ihrer
Wandungen. Auch von Blutungen oder deren Folgen,
wie sie ganz neuerdings von Obarrio (5) nach Resec-
tion des Halssympathicus im Ciliarkörper und in den CiUar-
fortsätzen, seltener in der Aderhaut, Netzhaut und den
Sehnerven gesehen worden sind, konnte ich nicht das Min-
deste finden.
Weitere mikroskopische Untersuchungen von Augen,
welche dem Einfluss des Sympathicus entzogen waren,
liegen meines Wissens nach nicht vor. Doch möchte ich
glauben, dass so hochgradige Schädigungen, wie sie vor
allen Angelucci (1. c.) und auch Obarrio (1. c.) beschrei-
ben, schon makroskopisch hier und da hätten auffallen
müssen, sei es bei früheren experimentellen Untersuchungen
über Sympathicusläsionen oder bei den zahlreichen klini-
schen Beobachtungen von Sympathicuslähmungen beim
438 £• Hertel.
Menschen oder schliesslich bei den sich jetzt mehrenden
zu therapeutischen Zwecken ausgeführten operativen Sym-
pathicusresectionen. In der einschlägigen, ziemlich um-
fangreichen Literatur fehlt aber bis jetzt jegliche Notiz,
die einen ßückschluss auf die Beobachtungen Ange-
lucci's und Obarrio's gestatteten. Daraus glaube ich
mich unter Hinweis auf die früher gemachten Ausführungen
und auf meine eigenen üntersuchungsresultate zu der
Annahme berechtigt, dass namentlich die Angaben Ange-
lucci's eine allgemeine Gültigkeit nicht besitzen. Vor
Allem muss ich daran festhalten, dass die Sympathicus-
läsion das Wachsthum der Kaninchenaugen nicht
zu beeinflussen im Stande war.
Daraus ergiebt sich schliesslich, dass ich auch Ange-
lucci's Erklärung der Entstehung des von ihm ebenfalls be-
obachteten Enophthalraus nicht zustimmen kann. A n g e -
lucci schiebt denselben lediglich auf die reelle Verkleine-
rung des Bulbus selbst. Bei meinen Thieren war aber eine
reelle Verkleinerung der Augen nicht vorhanden — viel-
mehr bestand bei Abschluss der Versuche ein deutlich mess-
barer Enophthalmus der gut entwickelten Augen. Für das
Zustandekommen dieses Zurücksinkens der Augen möchte
ich einen Schwund des orbitalen Fettes verantwortlich machen.
Wenigstens drängte sich mir, namentlich bei der Section
der ältesten Thiere die Ueberzeugung auf, dass das Or-
bitalfett auf der operirten Seite geringer entwickelt sei, als
auf der gesunden. Es würde damit auch übereinstimmen,
dass der Enophthalmus erst im Laufe der Zeit mehr und
mehr hervortrat, während in den ersten Wochen nach der
Operation nichts von demselben zu bemerken war. Aus
demselben Grunde halte ich auch die Betheiligung des
Müll er 'sehen Orbitalmuskels zum Zustandekommen des
Enophthalmus für unwahrscheinUch. Bekanntlich ziehen
diese glatten, vom Sympathicus innervirten Muskelzüge in
der Membrana orbitalis entlang, welche dem Bulbus von
Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale supremum etc. 439
unten her Halt in der Orbita giebt, ihn gleichzeitig nach
vom fixirend (Krause (6). Ist nun der Sympathicus ge-
lähmt, so erschlaffen zwar die Muskeln — aber ein Zurück-
sinken des Bulbus braucht beim Kaninchen nicht einzu-
treten, wie aus meinen Experimenten hervorgeht Denn ich
konnte erst circa vier Wochen nach der Operation den En-
ophthalmus sicher nachweisen. Die Membrana orbitalis ist
ein festes Bindegewebe mit zahlreichen elastischen Fasern,
die jedenfalls genügen, den Bulbus auch ohne die spärlichen
Muskelzüge zu tixiren. Erst wenn das orbitale Fett zu
schwinden beginnt, tritt ein Zurücksinken des Bulbus zu
Tage, wenigstens konnte ich sonst dafür keine andere Er-
klärung finden.
Ich gehe nun dazu über, die Beobachtungen mitzu-
theilen, die ich über die Druckänderungen nach der Ex-
stirpation des obersten Halsganglions machen konnte. Ich
habe dieselben bisher absichtlich unberücksichtigt gelassen,
um sie im Zusammenhang besprechen zu können. Zur
Messung bediente ich mich des Fick'schen Tonometers
und des Manometers von Hamburger.
Mit dem ersten Instrument habe ich bei allen Thieren
innerhalb der ersten Stunden nach der Excision des Gang-
lions mehrmals den Druck beider Augen gemessen. Dann
wurden im Laufe der ersten Beobachtungstage zweimalige
Messungen ausgeführt. Später habe ich nur noch ab und
zu den Druck bestimmt, um bei fast allen Thieren vor dem
Exitus die Schlussmessuug zu machen.
Mit dem Manometer habe ich nur in einzelnen Fällen
Messungen ausgeführt Der Vorzug des von Hamburger
angegebenen Instrumentes beruhte für mich darin, dass
ich sehr einfach und schnell eine etwa bestehende Druck-
differenz in zwei Augen nachweisen konnte. Ich hatte also
in dem Instrument eine gute Controle der Tonometer-
messungen. Da aber bei der Einführung der Manometer-
canülen die Cornea lädirt und die vordere Kammer ge-
440 E. Hertel.
öflFnet werden musste und dadurch Veränderungen der
fiomhautkrümmung eventuell auch andere Maassverschie-
bungen eintreten konnten, habe ich diese manometrischen
Erhebungen über den Druck nur an einzelnen Augen aus-
geführt, um mir die übrigen schon erwähnten Messresultate
nicht zu beeinflussen.
Ich konnte nun mit grosser llebereinstiramung so-
fort nach der Operation keine ausgesprochene Aen-
derung des Druckes constatiren: erst nach einiger Zeit
sank derselbe merklich und hatte etwa nach 45 bis
60 Minuten seinen tiefsten Stand erreicht Die höchsten
gefundenen Werthe für die Herabsetzung des Druckes be-
trugen ca, 12 bis 14 mm Quecksilber (6 bis 7 Tonometer-
theilstriche), die geringste gefundene Differenz war 2 mm
Quecksilber.
Am ersten Tage nach der Operation war durchweg
der Druck wieder höher, wenn gleich in mehr als der
Hälfte der Fälle die Differenz doch noch recht deutlich
nachweisbar war, indem sich Werthe bis zu 6, auch 8 mm
Quecksilber constatiren Hessen. In einer Anzahl von Be-
obachtungen war die Differenz am Tonometer schon zweifel-
haft. Mit dem Manometer liess sich dieselbe aber doch
noch constatiren. Bei einer kleinen Reihe von Thieren
schUesslich konnte ich schon 24 Stunden nach der Operation
wieder einen Ausgleicli des Druckes feststellen. Tonometer
und Manometer ergaben keine deutliche Differenz mehr.
Am zweiten und dritten Tage nahm die Zahl der
Thiere, bei denen sich ein Unterschied im Augendruck
zwischen beiden Seiten nachweisen liess, noch mehr ab.
Auch die Differenz selbst zeigte deutlichen weiteren
Rückgang.
Am fünften Tage konnte ich nur bei drei Thieren
noch eine messbare Druckherabsetzung auf der operirten
Seite finden. Bei allen übrigen war um diese Zeit der Druck
vollkommen normalisirt und während der ganzen übri-
Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale supreraum etc. 44 J
gen Beobachtungszeit trat keine wesentliche Druckdifferenz
zwischen beiden Seiten wieder auf. Die Schlussmessungen
kurz vor dem Exitus — also bei den am längsten beob-
achteten Thieren zwölf Monate nach der Operation — er-
gaben in weitaus den meisten Fällen gleichen Druck; kleine
Differenzen, die sich zum Theil bei wiederholten Messungen
widersprachen, konnten an diesem Gesammtresulat nichts
ändern. Nur bei den drei schon erwähnten Thieren blieb
die Herabsetzung bestehen. Ich konnte einen Grund da-
für nicht finden: die Operation war ebenso ausgeführt, wie
bei den übrigen; der klinische Verlauf, die Maasse unter-
schieden sich in nichts von dem geschilderten Verhalten.
Auch die mikroskopische Untersuchung, die ich hier ganz
besonders sorgfältig vorgenommen habe, ergab mir keinen
Aufschluss. Immerhin ist ihre Anzahl (3) im Verhältniss
zur Gesammtzahl (31) so gering, dass wir sie nur als Aus-
nahmen von der Regel betrachten können. Im Allgemeinen
folgt aus meinen Experimenten, dass bei den Kaninchen
unmittelbar nach der Exstirpation des obersten
Halsganglions der Druck im Auge auf der operir-
ten Seite nicht beeinflusst wurde. Etwa eine
Stunde nach der Operation war aber eine deutliche
.Hypotonie gegenüber der anderen Seite zu ver-
zeichnen. Diese nahm schnell ab, so dass läng-
stens nach fünf Tagen auf beiden Augen gleicher
Druck bestand. Auch bei circa zwölfmonatlicher Beob-
achtungszeit trat hierin keine Aenderung wieder ein.
Derartige über längere Zeit sich erstreckende Beob-
achtungen des Druckes nach Läsionen des Sympathicus
liegen meines Wissens bisher noch nicht vor. Soviel man
aus den Arbeiten früherer Experimentatoren, die sich mit
dieser Frage beschäftigten, entnehmen kann, beschränkten
sich dieselben auf Messungen in mehr oder weniger kurzer
Zeit nach der gesetzten Läsion des Nerven. Genauere
Angaben über die Zeit, welche zwischen der Vornahme der
442 E. Hertel.
Operation und der Messung verstrichen sind, vermisse ich
vollständig. Vielleicht liegt hierin mit ein Grund zu den
verschiedenen Resultaten, welche die Druckmessungen bis-
her ergeben haben.
Abgesehen von älteren Mittheilungen von Pourfour,
Budge, Waller, Claude Bernard,, haben vor Allem
Adamück (7) und später Wegner (9) betont, dass die
Sympathicusdurchschneidung eine Herabsetzung des Angen-
druckes zur Folge habe. Dagegen konnten v. Hippel und
Grünhagen (9) in ihrer bekannten Arbeit gerade die gegen-
theilige Beobachtung machen: jedenfalls sahen sie niemals
eine Herabsetzung des Druckes bei der Sympathicusdurch-
schneidung.
In den zahlreichen klinisch beobachteten Fällen von
Sympathien slähmungen schwanken die Angaben über die
Druckverhältnisse sehr: bei manchen fand sich ausgespro-
chene Hypotonie, bei anderen war dieselbe nicht festzu-
stellen.
Jonnesco(lO) hat bei der gegen Glaukom therapeu-
tisch ausgeführten Ganglionexcision eine entschiedene Ten-
sionsabnahrae constatirt, ebenso Abadie (11) u. A., ganz
neuerdings erst wieder Zimmermann (12) und Mohr(13).
Angelucci(l. c.) sah dagegen bei seinen Ganglionexstir-
pationen keinen Einfluss auf den Augendruck auf der ope-
rirten Seite.
Da nun meine eigenen Untersuchungen ergeben haben,
dass der Einfluss der Sympathicusdurchschneidung auf den
Augendruck nicht sofort eintritt und auch nicht ein con-
stanter ist, so wäre es wohl denkbar, dass die Differenzen
in den früheren Angaben dadurch entstanden sind, dass
die Messungen zu verschiedenen Zeiten nach der Operation
stattgefunden haben.
Zur Erklärung, wie es zu der beobachteten Druckver-
minderung und dem nachfolgenden Ausgleich kommen konnte,
scheint mir folgende Betrachtung von Wichtigkeit zu sein.
Folgen der Ezstirpation des Ganglion cervicale snpremum etc. 443
Aus den angeführten Daten geht hervor, dass fast gleich-
zeitig mit der stärksten Druckherabsetzung die Pupillen-
Verengerung am ausgesprochensten war und ebenso die
Ausdehnung der Gefässe. Miosis wie Gefässausdehnung
nahmen langsam ab, und gleichzeitig stieg der Druck wie-
der an. Es scheint mir das für ein Abhängigkeitsverhält-
niss des Druckes von der Gefässfüllung und der Pupillen-
weite zu sprechen. Je weiter die Gefässe sind, desto ge-
ringer ist der Blutdruck und die intraoculare Secretion.
Dieser wird ausserdem durch die starke Verengerung der
Pupille der Abfluss erleichtert. Gegenüber der dadurch
herbeigeführten Verringerung des intraocularen Druckes
kommt anscheinend die durch die Gefässerweiterung an sich
bedingte Vermehrung des intraocularen Volumens und da-
mit auch des Tonus nicht in Betracht.
Warum nun allerdings die Pupille wieder etwas weiter
wird und auch die Gefässerweiterung wieder zurückgeht,
was die Zunahme und Normalisirung des Druckes zur
Folge hat, vermochte ich nicht mit Sicherheit zu ergründen.
Vielleicht kann man sich die Aenderung der Pupillen-
weite so vorstellen, dass bei der Durchschneidung des
Syrapathicus und der dadurch herbeigeführten Aufhebung
der Dilatatorwirkung die Sphinktercontraction, jetzt jedes
Hindernisses ledig; gewissermaassen über das Ziel hinaus-
schiesst und eine besonders kräftige Pupillenzusammen-
ziehung hervorruft. Allmählich lässt diese Contraction
wieder nach, und wir haben eine etwas weniger starke Ver-
engerung entsprechend dem mittleren Sphinktercontractions-
zustand. Ob wir für die Gefässe etwas ähnliches anneh-
men dürfen, möchte ich dahingestellt sein lassen. Es müsste
hier daran gedacht werden, dass bei dem plötzlichen Nach-
lassen der Gefässcontraction das in die Gefässe eintretende
Blut die Gefässe besonders stark ausdehnt — allmähhch
gelingt es aber den elastischen Wandelementen, gewisser-
maassen den Strom wieder zu reguliren.
444 E. Hertel.
Zum Schluss muss ich noch auf die Befunde am Ciliar-
ganglion eingehen. Aus der letzten Arbeit von Bach (14)
über dieses Thema und aus der kurz vorher erschienenen
von Bernheimer (15) geht hervor, dass man noch weit
davon entfernt ist, über die Natur des Ciharganghons einig
zu sein. Die einschlägige Literatur ist in diesen beiden
Arbeiten eingehend angeführt und auch kritisch gesichtet.
Ich würde hier Wiederholungen bringen, wenn ich noch-
mals darauf einginge. Ich beschränke mich daher darauf,
meine eigenen Beobachtungen mitzutheilen.
Ich präparirte bei elf Thieren, denen ich das oberste
Halsganglion exstirpirt hatte, das Ciliarganglion, um es zur
mikroskopischen Untersuchung zu verwerthen.
Makroskopisch fand ich das bekanntlich sehr kleine
Knötchen dem Stamm des Oculomotorius ansitzend, kurz
bevor der Ast zu dem Levator des Lides und dem Rectus
lateralis abgeht. Nur selten — in zwei Fällen — sass
es weiter nach vorn und war dann mit einer oder meh-
reren feinen Fasern mit dem Oculomotoriusstamm verbun-
den. In einem Fall waren zwei kleine Knötchen vorhanden,
die dicht neben einander an genannter Stelle sassen. Von
dem Ganglion aus gingen eine Anzahl feiner Nervenäst-
chen, oft mit einem dickeren dazwischen, nach vom zum
Bulbus; ein A estchen Hess sich meist nach dem Opticus
zu verfolgen. An das Ganglion heran trat von der meri-
dionalen Seite ein Nerv, der bis zum Trigeminus zu ver-
folgen war.
Alle Ganglien wurden sorgfältig eingebettet, in Serien-
schnitte zerlegt und nach Nissl und mit Haematoxyhn ge-
färbt. Zur Controle wurden meist auch die normalen
Ganghen der anderen Seite in gleicher Weise präparirt
und geschnitten.
Ein genauer Vergleich der Präparate ergab keinerlei
beraerkenswerthe Unterschiede.
In dem reichlichen Bindegewebsstroma lagen die
Folgen der Exstirpation des Ganglion cervicale supremum etc. 445
Ganglienzellen verstreut, an Zahl auf beiden Seiten gleich.
Die Zellen waren im Mittel 30 (i gross , seltener noch
grösser, von rundlicher oder polygonaler Form, Der grosse,
bläschenartige Kern, an Nissl- Präparaten leicht bläu-
lieh tingirt, lag meist in der Mitte, viel seltener am Rande
der Zelle. Das gut gefärbte Kernkörperchen trat überall
deutlich hervor. Im Zellleib fanden sich entweder reich-
liche Mengen von blau gefärbten Schollen in wechselnder
Grösse, oder derselbe war blasser tingirt mit spärlicheren
chromatophilen Schollen. VerschiedentHch konnte ich eine
stärkere Anhäufung der bläuUchen Nissl- Schollen in der
Peripherie der Zellen sehen, doch niemals war eine deut-
hche Kinganordnung derselben zu erkennen. Ob zwei oder
mehr Fortsätze vprhanden waren, konnte ich nicht fest-
stellen, da sich dieselben nicht deuthch gefärbt hatten. Selten
sah ich Zellen mit geblähtem, randständigem Kern und mehr
coUoidem Aussehen: ich fand aber hier und da derartige
Gebilde, und zwar auf der operirten, wie auf der nicht-
operirten Seite.
Wenn man aus diesen Angaben einen Schluss machen
darf, so geht zunächst daraus hervor, dass die Exstirpation
des Halsganglions auf das Ciliarganglion beim Kaninchen
nicht von Einäuss gewesen ist. Ich fand auf beiden Seiten
die nämlichen Zellgebilde — unter sich immerhin ver-
schieden, ganz ähnlich wie auch Bach(l. c.) das beobach-
ten konnte.
Bedenkt man nun, dass seit der gesetzten Läsion des
sympathischen Systems, wenigstens bei einigen Thieren, ein
Jahr oder fast ein Jahr verflossen war, so scheint mir das
Ausbleiben jeglicher Degenerationserscheinungen an den
Ciliarganglien, wenn überhaupt, nur in dem Sinne ver-
werthbar zu sein, dass die Zellen des Ciliarganglions beim
Kaninchen mit dem sympathischen System nichts zu thun
haben. Allerdings würde das nur von dem kleinen Knöt-
chen gelten, dessen Sitz oben genauer angegeben ist. Leider
446 £• Hertel.
habe ich es unterlassen, den ganzen Orbitalinhalt nach
den bekanntlich von Peschel (16) zuerst beschriebenen
zahlreichen Nebenganglien zu durchsuchen. Diese — nach
Peschel's und Holtzmann's Ansicht sympathischer Na-
tur — hätten vielleicht degenerative Veränderungen auf-
gewiesen.
Interessant dürfte es sein, mit Rücksicht auf diese
Frage an Katzen, Hunden, Affen u. s. w. das oberste
Haisganglion in möglichst früher Jugend zu exstirpiren.
Das Verhalten der Degeneration würde vielleicht im Stande
sein, manche Zweifel zu beheben, wenn ich auch zugebe,
dass man nach v. Lenhossek (17) und Bach mit gut
gelungenen Golgi-Präparaten ohne Operationen ebenfiGdls
zum Ziele kommen kann.
Literatur verzeichniss.
1) E. Hertel, Ueber die Folgen der Sehnervendurchschneidniig
bei jungen Thieren. v. Graefe*s Arch. f. Ophthalm. XLVI. 2.
S. 277.
2) Ci. Bernard, Exp^riences sur les fonctions de la portion ce-
phalique du grand sympathique. Comptes rendus de la Sod^tS
de biologie lf52. p. loö.
3) Gl. Bernard, Sur les effets de la section le la portion cöpha-
lique du grand sympathique. ibid. p. 168.
4) Angelucci, Sülle alterazioni troüche deirocchio che nei mammi-
feri seguono la exstirpazione del ganglio cenricale superiore del
simpatico. Arch. di Ottalm. I. 1. 2.
5) Obarrio, Ueber die Durchschneidung des Halssympathicus.
17. Jahresversammlung der französischen ophthalm. Gesellschalt.
Paris 1899. (Kefer. ophthalm. Klinik. 1899. Nr. 14. S. 226.)
6) W. Krause, Die Anatomie der Kaninchen. Leipzig. 1884. S. 183.
7) Adamück, Manometr. Bestimmungen des intraocalaren Druckes.
Centralbl. f. med. Wissenschaften. 1866. S. 561.
8) Wegner, Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Glaukom.
V. Graefe's Arch. f. Ophthalm. 1866. II. S. 1.
9) V. Hippel und Grünhagen, Ueber den Einfluss der Nerven
auf die Höhe des intraocularen Druckes, v. Graefe*8 Arch. f.
Ophthalm. 18ti8. S. 2l9. 1869. 1. 8. 265.
l(j) Jonnesco, Die Rcsection des Halssympathicus in der Behand-
lung des Glaukoma. Wiener klin. Wochenschrift, 1899. Nr. 18.
11) Abadie, Sympathectomie dans les cas de glaucome. Annales
d'ocul. l«i)8.
Folgen der Exstixpation des Ganglion cemcale snpremum etc. 447
12) W. Zimmermann, üeber einen Fall von Resection des Gang-
lion cendcale supremum sympathid. Ophthalm/ Klinik. 189i^.
Nr. 14.
13) W. Mohr, Vortrag auf der Naturforscherversammlung in Mün-
chen 189i».
14) Bernheimer, Ein Beitrag zur Kenntniss der Beziehungen
zwischen dem Ganglion ciliare u. der Pupillarreaction. y. Graef e ' s
Arch. f. Ophthalm. XLIII. a. S. 520.
15) Bach, Zur Lehre von den Augenmuskellfthmungen und den Stö-
rungen der Pupillenbewegung. Eine vergleichende und patho-
logisch-anatomische, experimentelle und klinische Studie über
die Augenmuskelkeme, das Ganglion ciliare, die Reflexbahnen und
das Rexflexcentrum der Pupillen. (II. Hälfte.) v. Graefe's Arch.
f. Ophthalm. XLVII. 1. S. 678.
16) Peschel, Ueber das Orbitalneryensystem des Kaninchens mit
besonderer Berücksichtigung der Giliamerven. y. G r a e f e ' s Arch .
f. Ophthalm. XXXIX 2.
17) y. Lenhoss^k, y. Michel's Jahresbericht. 1896.
Zur Untersnchimg der Elasticitftt der Sklera.
Von
Prof. Dr. W. Koster Gzn.
in Leiden.
Mit 1 Figur im Text.
Die ^kritischen Bemerkungen^ des Herrn Dr. 6. Ischreyt
in Bd. XLVIII. 3. dieses Archivs, S. 694 veranlassen mich zu
einer kurzen Auseinandersetzung. Der Zweck meiner Mittheilung
im XU. Bd. Th. 2. 8. 141 war erstens, darauf hinzuweisen,
dass man nicht berechtigt ist, die Volumszunahme d^ Auges bei
Erhöhung des intraocularen Druckes einfach als eine Folge der
elastisdien Dehnbai'keit der Sklera (resp. der Cornea) binza-
stellen; da das Auge keine reine Kugelgestalt hat, muss es bei
Druckerhöhung danach streben, sich dieser Gestalt zu nähern.
Dies ist keine „Hypothese^, sondern ein physikalisches Gesetz.
Zweitens wurden zwei Metlioden beschrieben, um die Aenderung
in der Form der Sklera bei Drucksteigerung zu messen, und
einige damit gewonnenen Resultate mitgetheilt. Drittens wurde
die Volumszunahme einiger Augen bei regeimässiger Zunahme
des intraocularen Druckes gemessen, und zwar mit Hilfe einer
richtig iunctionirenden Vorderkammercanüle; derartige Versuche
waren früher von Schult6n mit seiner viel zu engen Glas-
körpercantile ausgeführt worden. Nach den Resultaten der Mes-
sung des Auges wurde es für sehr wahrscheinlich gehalten, daas
die anfängliche beträchtliche Volumzunahme bei Steigerung des
Druckes von 0 bis circa 20 mm Hg hauptsächlich der Form-
veränderung des Bulbus zuzuschreiben sei, welche die Folge
von dem Bestreben desselben ist, sich der Kugelgestalt zu nähern,
wälirend die kleinere Volumzunahme bei den höheren Druck-
stufen hauptsächlich durcli Ausdehnung der Augenhüllen zu
Zur Untersuchung der Elasticit&t der Sklera. 449
Stande komme. Beide Einfittsse müssen aber fortwährend zn-
sammenwirken. Yiertens wurde kürzlich darauf hingewiesen,
dassy um über die elastische Dehnbarkeit der Sklera em Ur-
theil zu gewinnen^ es nicht angeht, Versuche mit Streifen
dieses Gewebes anzustellen.
Diese vier Punkte bilden eine foiüaufende Kritik über
vieles, was Herr Ischrey t in seiner Abhandlung: „Zur Mechanik
der Sklera" (dieses Archiv XLVI. 3.) mitzutheilen und zu be-
sprechen hatte; da meine Ansichten nicht erwähnt wurden, war
ich der Meinung, dass meine Mittheilung übersehen worden war.
Die Anführung des Inhaltes wird zur Genüge zeigen, dass Herr
Ischreyt nicht umhin konnte, meine Versuche und Ansichten
zu berücksichtigen.
Weber hat in seiner Arbeit, „üeber die Ursache des
Glaukoms" (dieses Archiv XXIII. 1.) experimentell gezeigt, dass
Versuche mit Sklerastreifen keine verwerthbaren Resultate h'efem;
ich meinte, dass, wer seine Argumentirung kennt, sich weiterer
derartiger Versuche enthalten würde. Ueberdies schien es mir
selbstverständlich, dass man über die Elastidtät einer aus ver-
flochtenen Fasern bestehenden Kapsel keine Ansicht gewinnen
kann, wenn man die Fasern in einer Richtung durchtrennt, weil
diese dadurch in dem Streifen des Gewebes eine ganz andere
Lage und Form annehmen können; ich streifte deshalb damals
diesen Punkt nur. Die sehr ausführlichen und mit grosser Sorg-
falt angestellten Versuche von Ischreyt beweisen wieder, wie
verschieden die Ansichten in einer und derselben Frage sein
können; ich muss daher hier nochmals betonen, dass seine Re-
sultate meiner Ansicht nach für die Physiologie oder die Patho-
logie des Auges sehr wenig Werth haben. Denn was Weber
gefunden, dass die Werthe für die Ausdehnung eines Streifen,
sehr von einander abwichen, (sogar so sehr, dass nach Weber,
„ein Mittel daraus zu ziehen, mathematischer Unann sein würde"),
musste audi von Ischreyt bestätigt werden. Allein er meinte,
es sei dennoch erlaubt, durch Vereinigung einer grösseren Reihe
von Messungen die grossen Unregelmässigkeiten auszumerzen.
Es wäre da sicheriidi am Platze gewesen, einige Einzelbeobach-
tungen mitzutheilen, aber diese habe ich dort vermisst Abge-
sehen aber von dieser sehr anfechtbaren Meinung geht aus einer
einfachen Ueberlegung hervor, dass solche Versuche nur ein
physikalisches Interesse haben können. Wenn wir in einem
Ochsenauge (und mit Rindersklera sind aUe die Versuche von
Ischreyt angesteUt worden) den Druck von 25 bis auf 1 75 mm Hg
T. Qraefe's Archlr mr Ophthalmologie. XLIX. 2. 29
450 W. Koster Gzn.
erhöhen; d. i. also weit über die Höhe hinaus, die der intraoca-
lare Druck bei KrankheitBznständen jemals erreichen kann, dann
finden wir, daas die Form des Auges sidi nicht nennenswerfli
ändert (sei es, dass wir durch Messung dies bestimmen, sei es,
dass wir Schnitte der Abgüsse in Gips unter einander vergleidien).
Müssen wir vom physiologischen Standpunkt dann nicht sagen:
die elastische Dehnbarkeit der Sklera des Rindes ist eine ausser-
ordentlich geringe und überall ungefähr gleich gross? Was
können die Kraftversuche an Streifen uns dann weiter lehren?
lieber die Stellen der grössten Widei-standsfähigkeit bei länger
dauernder Belastung des Augeninnem ebenfaUs nidits, denn
erstens ist der Sti'eifen wieder nicht der Bulbus, und zweitens
wird die Sklera eben krank unter Einfluss des Druckes; die
Widerstände der geänderten Sklera haben aber nichts Gemein-
sames mit denjenigen der normalen, da die Erweichung m'dit an
den schwächsten Stellen erfolgen wird, sondern dort, wo die Er-
nährung am meisten leidet Ein gewisses Licht können die Ver-
suche von Ischreyt auf einige Fragen vielleicht werfen, z. B.
auf den Vorgang der Zerreissung der Sklera bei Trauma, aber
ich betone immer wieder, der Streifen kann nicht mit der Kapsel
verglichen werden, und überdies wirken beim Trauma so viele
Factoren mit, die Stelle der Perforation zu bestimmen, dass diese
Kenntniss nur nebensächlich ist
Eine einfache Berechnung kann weiter noch zeigen, wie
gross die Zugkräfte in einem Streifen der Sklera sind, wenn er
sich noch in situ am Auge befindet Es sei f der intraoculai'e
Druck in mm Hg, R der Radius des kugelförmig gedachten
Auges, F die Zugkraft in einem Streifen der Sklera von 1 mm
Breite. Wenn wir die Kugel durch eine Fläche in zwei gleidie
Hälften zerlegen, können wir sagen: die Spannung, welche m
der gesammten Schnittfläche bei einem gewissen intraocularen
Drucke bestand, ist gleich der Resultirenden aller Pressungen
auf der inneren Oberfläche einer Halbkugel, denn diese Kräfte
halten einander das Gleichgewicht; diese resultirende Kraft wirkt
in der Richtung A (resp. A') und ist gleich dem Drucke, der
auf der ebenen Fläche ab cd ausgeübt werden würde, wenn die
Halbkugel durch dieselbe geschlossen wäre. Dieser letztere Druck
ifet ÜR^XllX 13,6 mgr und weil die Spannung im Umkreise
ahcd durch 211 RXP vorgestellt wird, ist IIR^ Jf XlSfi:=
2nRxP
also ^^njHXR
2
Zur Untersuchung der Elasticität der Sklera.
451
Beim Auge des Rindes können wir jB == 20 mm annehmen;
ist ^=100 und ist der Sklerastreifen 5 mm breite so ist die
Kraft, welche in der Riditung des Streifens ausgeübt wird, 5 P,
^ , 5X13,6X100X20 ^„^^^ , ^„
d. i. — = 68 000 mg, also 68 g.
Wir haben hier J7= 100 gestellt, d. h. höher als der
höchste intraocniare Druck, der unter pathologischen Verhältnissen
je vorkommen whrd, und die dabei bestehende Spannung von
68 g in einem Streifen von 5 mm Breite ist viel kleiner, als das
kleinste Gewicht, womit Herr Ischreyt bei seinen Versuchen
(v. Graefe's Arch, f. Ophth^m. Bd. XLVI. 3. S. 692) experi-
mentiren konnte, denn dasselbe betrug 200 g, was mit einem
intraocolaren Drucke von — — - X 100 d. i. 294 mm Hg über-
68
einstimmen würde.
Das Gewicht von 2000 g, womit ebenfalls experimentirt
wnrde, repräsentirt einen intraocularen Druck von 2940 mm Hg,
und es braucht wohl keiner Erläuterung, dass hier die Grenzen
des physiologischen längst überschritten worden sind. Bei späte-
ren Versuchen wurde auch als kleinstes Gevdcht 50 g benutzt,
aber die Sache wird dadurch nicht geändert
Die Verlängerung des äquatorialen Streifens von 5 mm Breite
beträgt (nach Ischreyt) bei einer Belastung von 200 g 0,39 mm bei
einer Länge von 30 mm. Der ganze Umkreis ist 211 R d. i. 1 25,6 mm,
und auf einem Streifen von dieser Lange würde die Dehnung
also
125,6
30
X 0,39, d. i. 1,6 mm, betragen. Wenn dieser Streifen
noch einen Theil der Augenkapsel bildete, würde er auch in
?4len anderen tangentialen Kichtungen der Kugel gezerrt werden;
?9*
452 W. Koster Gzn.
die Ausdehnung in einer und zwar der äquatorialen Riditong
durch eine Spannung von 200 g würde in dem Falle nat&iüeh
geringer sein; um diese lineare Ausdehnung der Streifen an der
Kugel genau herechnen zu können^ mttssten wir den Quercon-
tractionscoefficienten des Skleragewebes kennen; derselbe
ist nicht bekannt, und auch Herr Ischreyt hat sich darauf nicht
eingelassen; wir wissen nun aber aus der Elasticitätslehre, dass
dieser Goefficient m zwischen 2 und 4 gelegen ist; für Stahl ist
z. B. i» = 3,80 bis 3,40, fftr Glas 3 bis 4; für Messing 2,58
bis 3,17 und für Indianrubber (Gummi) 2,2 bis 2,9. Wir wer-
den nicht weit von der Wahrheit sem^ wenn wir für die straffe
Sklera m = 3 annehmen.
Demnach wäre die Verlängerung, welche die Spannungs-
belastung von 200 g in einem äquatorialen Umkreis an der in-
tacten Rindersklera bewirken würde, nach den Resultaten von
Ischreyt % X 1,6 mm d. i. 1,06 mm; denn die Verlängerungen
eines Streifens, der nur m seiner Längenrichtung oder dnes sol-
chen, der in allen Richtungen tangential an der Kugeloberfläche
durch eine gleiche Gewichtsspannung gedehnt werden kann, ver-
halten sich Wie m zn m — 1. Es müsste also der Aequator
eines Rindsauges bei einem intraocularen Druck von 294 mm Hg
1mm länger sein, als bei einem Druck von 0; resp. 10 mm Hg;
wenn man aber von einem solchen Auge bei diesen Dru<^-
höhen Gipsabgüsse macht, findet man den äquatorialen Umkreis
nicht oder nur eine Spur verändert. Es geht daraus hervor, dass
durch die Zerschneidung des faserigen Stoffes die Verhältnisse
sich ändern.
Zum Schlüsse einige kurze Bemerkungen über die Kritik
von Herrn Dr. Ischreyt Wenn er die Seiten 148 bis 152
meiner Arbeit: ^Beiträge zur Tonometrie und Manometrie des
Auges^ noch einmal durchliest, wird er finden, dass und aadi
warum ich die Messungen am enucleirten Auge als die richtigen
ansehe, und nicht umgekehrt; damit faUen die Einwände auf
S. 696 und am Ende, auf S. 699. Auch glaube ich, dass
Herr Ischreyt mich besser verstehen w^rd, wenn er auf S. 154
meiner Arbei^ (S. 696 der seinigen) Acht darauf giebt, dass bei
der Curve desselben Bulbus fast genau an denselben Stellen
die Unregelmässigkeiten wieder auftraten, und er wird zugeben,
dass dies darauf hinweist, dass dies höchstwahrscheinlich keine
Zufälligkeit ist, und weiter dass, wenn das Mittel aus den Zahlen
verschiedener Augen genommen wurde, wobei also diese plötzlidie
Ueberwindung des Widerstandes bei etwas höherem oder nledri-
f:
Zur Untersuchung der Elasticitftt der Sklera. 453
, geren Drucke stattfinden würde, die Eigenthümlichkeit nothwendig
verechwinden müsste. Um mein Urtheil über meine Curven zu
verstehen, bitte ich Herrn Ischreyt, dieselben anzusehen, dann
werden die ungefähr geradlinigen Strecken ihm gewiss auffallen;
übrigens ist dies natürlich nur eine breitere Auffassung der Curven;
dass übrigens meine Curven dem Landois^schen Satz nicht
widersprechen, ist klar ersichtlich in dem oberen Theile. Dass
aber die Versuche von Herrn Ischreyt diesen Satz bestätigen,
ist noch sehr zweifelhaft, denn die grössere Verlängerung der
Streifen bei kleineren Gewichten bedeutet höchstwahrscheinlich
nicht elastische Ausdehnung, sondern Verbiegung und Verlagerung
der Fasern.
Eine scharfe Trennung zwischen der Volumzunahme, wie
»e durch Ausdehnung und Nälierung an die Kugelgestalt ver-
ursacht wird; sagt Ischreyt, findet in meiner Arbeit nicht statt
Das ist sehr natürlich, denn die beiden wirken zur selben
Zeit, und es ist eben nicht möglich bis jetzt mit Gewissheit
zu sagen: hier ist der Effect von der einen und hier von
der anderen Ursadie. Aber das ist etwas ganz anderes, als dass
man, wie Schulten u. A. vor und nach ihm gethan haben,
das zweite physikalische Gesetz einfach übersieht und nur von
der elastischen Dehnbarkeit spricht Wenn in dem Falle auf
S. 150 der längste von den beiden äquatorialen, d. h. der hori-
zontale Durchmesser doppelt so stark an Länge zunimmt, wie
der verticale, so beweist dies, dass nach der temporalen und der
nasalen Seite hin die Ausdehnung der Kaninchensklera grösser
gewesen ist, als nach oben und unten; da ist kein Zweifel mög-
lich, dass Ausdehnung vorliegt, denn durch Anstrebung der
Kugelgestalt müssten diese beiden kleiner werden; anders aber
liegt es mit dem kürzesten Durchmesser des ganzen Auges, mit der
optico-comealen Achse; dass diese am meisten von allen zunimmt,
kann durch Anstrebung der Kugelgestalt verursacht sein, aber
eben sowohl könnte eine besondere Vertheilung der Dehnbar-
kdt die Ursache werden, dass hier die Ausdehnung am stärk-
sten ausfiel.
In dem letzteren Falle würde jedoch immer auch der erste
Factor mitwirken. Um nun zu entscheiden, was die Ursache ist,
müssen w^ir den Verlauf der Formveränderung und der Volum-
zunahme in's Auge fassen, und wenn wir dann sehen, dass am
hinteren Pol die Zunahme anfiangs sehr gross ist und dann sehr
rasch abnimmt, so dürfen wir mit grösster Wahrscheinlichkeit
sagen: die Hauptsache war in diesem Falle die Anstrebung an
454 W. Koster Gzn., Zur Untersuchung der Eiasticitit der Sklera.
die Kugelgestalt und nidit eine grössere Dehnbarkeit der Sklera,
denn sonst wäre es schwer verständlich; dass die Ausdehnung
nicht ungefähr im Verhältniss weiter geschritten wäre bei höhe^
rem Druck.
Ich bin etwas ausführlicher auf die Bemerkungen des Herrn
Dr. Ischreyt eingegangen, als ursprünglich meine Absicht war,
weil meine ersten Mittheilungen etwas kurz gelialten sind und
dadurch wahrscheinlich Einiges weniger ieidit veretändüdi ist.
Uebrigens kann ich hier nochmals betonen, dass meine Arbeit
über diesen Gegenstand zum Zweck hatte, die Wege anzu-
geben, wie man zu einer besseren Kenntniss dieser Vorgänge
am menschlichen Auge gelangen könne, und dass es mir fem
lag, die am Kaninchen- und Schweinsauge gewonnenen Resultate
in Details auszuarbeiten.
Ueber die Bolle der Mikroorganismen bei der
Entstehung der nenroparalytiBchen Keratitis.
Von
Arthur Ollendorff
aus Neumarkt
Hierzu Taf, XI, Fig. 1 und 2.
(Aus der Universitäts-Augenklinik zu Heidelberg.)
Die zahlreichen experimentellen und casuistischen Unter-
suchungen über die Entstehung der neuroparalytischen Kera-
titis haben noch immer zu keinem endgültigen, allgemein
anerkannten Resultate geführt, die Art des Zusammen-
hanges zwischen der Lähmung des Trigeminus und der
Augenaffectionen ist trotz der gewaltigen Arbeit, welche
seit Magendie diesem Thema zugewendet worden ist,
eine oflfene Frage geblieben. Es würde zu weit führen,
wenn ich die einzelnen Arbeiten, welche diesen Stoflf be-
handeln, chronologisch anführen wollte; ich unterlasse dies,
weil in den meisten dieser Arbeiten, zuletzt (bis zum Jahre
1889) ziemlich vollständig in der von E. v. Hippel (19)^),
eine ausführliche Darstellung der fiaiheren Bearbeitungen
gegeben ist Ich werde mich daher begnügen, auf die ein-
zelnen Theorieen hinzuweisen, welche bis jetzt zur Er-
klärung des Zusammenhanges zwischen der Nervenlähmung
und der Augenerkrankung aufgestellt worden sind.
*) Die beigefügten Zahlen verweisen auf das am Schluss zu-
sammengestellte Literaturverzeichniss.
T. Onefe'8 Arehiy Akr Ophthalmologie. XLIX. S. 30
456 A. Ollendorff.
Im Allgemeinen stehen sich zwei Anschauungen schroff
gegenüber, Yon denen die eine darauf hinausgeht, dass als
Ursache der Augenaffection eine durch die Trigeminus-
durchschneidung selbst herbeigeführte Ernährungsstörung
des Auges anzusehen ist, die andere, dass die Augen-
erkrankung ausschliesslich als eine Folge schädlicher äusserer
Einflüsse auf das unempfindliche und daher seines natür-
lichen Schutzes beraubte Aiige zu betrachten ist Die erste
Theorie war diejenige, welche die Homhauterkrankung als
reine Ernährungsstörung ansah (Magendie(l), Cl. Ber-
nard (2)) und diese der Durchschneidung bestimmter, für
die Ernährung der Hornhaut nothwendiger Nervenlasern
zuschrieb, doch wurde diese Theorie bald dahin modifidrt
dass die Dnrchschneidung dieser im Trigeminus verlaufen-
den Fasern nur eine verminderte Widerstandsfähigkeit der
Hornhaut gegen äussere Einflüsse hervorrufe; dabei schrie-
ben die einen diese Wirkung ganz besonderen, sogenannten
„trophischen" Fasern zu (Samuel (3), Büttner (4), Meiss-
ner (5), V. Graefe(6), Merkel (7), Gaule (8- 10)) und
verlegten diese in die mediale Portion des Trigeminus, nach
anderen bewirkt die Durchschneidung nur eine liähmong
der im Trigeminus verlaufenden vasomotorischen Nerven
und dadurch die Ernährungsstörung (Schiff (11, 12), Cl.
Bernard (13)).
In allen diesen Theorieen wird also als das Primäre
eine Veränderung der normalen Emährungsverhältnisse in
der Hornhaut durch den Ausfall gewisser Nervenwirkungen
des Trigeminus angenommen, und gerade dieser Einfluss
der Nervenwirkung wird von der zweiten Gruppe der Auto-
ren vollständig in Abrede gestellt Nach ihnen bringt die
Lähmung des Nerven nur die Anaesthesie der Hornhaut
und der Lider hervor, und diese bewirkt es, dass nunmehr
die verschiedensten äusseren Reize das Auge treffen können.
Als derartige Reize wurden zuerst Traumen geltend ge-
macht (Snellen (14), Senfleben (15, 16)), sodann der
Ueber die Rolle der Mikrooiganismen etc. 457
Einflnss der Yerdunstang in Folge Sistirung des Lid-
schlages QndderrefiectorischenThränensecretioii (Feuer (17,
18), E. V. Hippel (19), Hanau (20), auch v. Graefe (6)
und Eberth (21)), und schliesslich wurden bei dem all-
gemeinen Bestreben, für alle Krankheiten Mikroorganismen
verantwortUch zu machen, auch die Bakterien als ätiologi-
sches Moment für das Zustandekommen der Hombaut-
aflFection herangezogen (Eberth (21, 22), Balogh(23)). Auf
eine Würdigung aller dieser Theorieen werde ich am Schluss
zurückkommen. — Da es sich jedoch bei meinen Unter-
suchungen Torzüghch um die Frage des Einflusses der Bak-
terien auf die Entwicklung der neuroparalytischen Kera-
titis handelt, will ich wenigstens einen TJeberbUck über die
Untersuchungen, so weit sie die Bakterien- Frage betreffen,
vorausschicken. Der erste, welcher die Bakterien als ätio-
logisches Moment anführt, ist Eberth. Er hatte in einer
früheren Arbeit („Zur Kenntniss der Wunddiphtherie") ge-
zeigt, dass bei Einführung von yerschiedenartigen Fremd-
körpern in die Cornea (z. B. Nadel und Seidenfaden) der-
jenige eine riel schwerere Affection hervorbringt, welcher
durch gewisse physikaUsche Eigenschaften das Eindringen
von Mikroorganismen erleichtert; „der Seidenfaden nämHch
imbibirt sich rasch mit Conjunctivalsecret, die in der Luft
sehwebenden Pilzsporen bleiben daran haften und breiten
sich im Wundcanal und später oft in der ganzen Horn-
haut aus^'. Eberth glaubt nun, dass durch die Trige-
minusdurchschneidung den Mikroorganismen in der Luft
dieselbe Gelegenheit geboten ist, auf der Hornhaut festen
Fuss zu fassen und dadurch die gleiche Mykose hervorzu-
bringen: durch das Aufhören des Lidschlages in Folge der
Anaesthesie der Hornhaut, bei vorhandenem Exophthalmus
entstehe Verdunstung und Mumification der in der Lid-
spalte fireiUegenden Cornea, und darauf entwickele sich
durch Ansiedelung von Mikroorganismen eine Keratitis, die
sich in nichts von der echten Homhautdiphtherie unter-
458 A. Ollendorfi:
scheide; dabei zeige das Mikroskop ausser einer reichlichen
zelligen Infiltration im Epithel der leicht vertrockneten
Homhautparthie, sowie im Gewebe dieser und der nächsten
Umgebung zerstreute und zu Colonieen vereinte graugelbe
Mikrocokken; eine Impfung mit diesen Cokken erzeuge die-
selbe Infection wie die Impfung mit Diphtheriepilzen. Die
Keratitis entsteht also nach Eberth durch Verdunstung
und Infection, wobei letztere durch jene begünstigt wird.
Eberth's Theorie wurde bald darauf von Balogh ge-
stützt Dieser hatte sowohl in allen neun Fällen von Trige-
minusdurchschneidung, als auch bei seinen Versuchen, eine
künstliche Vertrocknungskeratitis herzustellen, stets in der
Hornhaut Bakterien gefunden. Es ist dabei zu bemerken,
dass er von seinen Trigeminusdurchschneidungen angiebt,
dass „die Vereiterung der Cornea nie ausblieb'^; seine Ver-
suche, die Keratitis künstlich herzustellen, bestanden in
Eacialisexstirpation mit Annähung der Nickhaut an die
Nasenhaut und in der Abschneidung der Augenlider sammt
Nickhaut mit Vemähung der Conjunctiva und der äusseren
Haut Aus diesen Befunden zieht er wie Eberth den
Schluss, dass die Trigeminusdurchschneidung die Beschä-
digung des Homhautepithels und damit dass Eindringen
der Bakterien zwischen die Epithelien und von dort in die
interfibrillären Spalten begünstigt — Die Möglichkeit eines
bakteriellen Einflusses wird (auf Grund experimenteller Ar-
beiten) noch von Feuer (17), E. v. Hippel (19) und
Decker (24) in Erwägung gezogen. Von diesen giebt der
Letztere kein bestimmtes Urtheil darüber ab, Feuer will
niemals Bakterien gefunden haben und ist im üebiigen
der Ansicht^ dass ein Vorhandensein von Bakterien noch
nicht beweise, dass in ihnen auch ausschliesslich die Er-
reger der Entzündung zu erblicken seien; dagegen kommt
E. V. Hippel zu dem Schluss, dass die Mikroorganismen
kein regelmässiger Befund sind und daher als ätiologisches
Moment nicht betrachtet werden können, üebrigeos hat
Ueber die Rolle der Mikitoorganismen etc. 459
E. V. Hippel in einer neueren Arbeit (25) für einea beim
Menschen beobachteten Fall von neuroparalytischer Kera-
titis wegen des dabei aufgetretenen stärkeren eitrigen
Charakters des Processes eine Betheiligung von Mikro-
organismen doch als sehr wahrscheinUch hingestellt. Aus
Allem geht jedenfalls hervor , dass bei den verschiedeilen
Autoren ebenso in den Angaben über die objectiven Be-
funde von Bakterien wie in den daraus gezogenen Schlüssen
grosse Gegensätze bestehen, und deshalb erschien es, be-
sonders mit Rücksicht auf die Unklarheit, welche im All-
gemeinen über die Entstehung der neuroparalytischen Ke-
ratitis herrscht, geboten, der Frage der bakteriellen Aetio-
logie erneute eingehende Untersuchungen zu widmen.
Für die Beurtheilüng der Rolle der Bakterien bei der
Entstehung der Entzündung nach Trigeminusdurchschnei-
dung ist zunächst die Frage zu erledigen, ob die Bakterien
als alleinige, d. h. primäre Ursache oder nur als secundäre
Ursache anzusehen sind. Dies ist leicht zu entscheiden,
denn es ist erwiesen, dass die unversehrte Epitheldecke der
Hornhaut keinen Angriffspunkt für die Mikroorganismen
bietet. Gegen eine primär-bakterielle Affection spricht auch
das stetige Vorkommen von pathogenen Mikroorganismen
im normalen Conjunctivalsack, welche dann stets eine lu-
fection hervorrufen müssten, ausserdem aber habe ich mich
auch davon überzeugt, dass, wenn das Auge nach der Tri-
geminusdurchschneidung durch die bekannten Schutzvor-
richtungen (Drahtdeckel etc.) gegen das Auftreten der
Keratitis geschützt ist, auch das directe Einbringen ver-
schiedenartiger pathogener Gokken in den Conjunctivalsack
keine Aenderung in dem Verhalten hervorbringt Es muss
also jedenfalls erst durch andere Momente zunächst eine
Alteration der schützenden Epitheldecke hervorgebracht sein,
wodurch den Mikroorganismen eine Eingangspforte gegeben
ist, es könnte also die Betheiliguug der Mikroorgaüismen
an der Entstehung der Entzündung nur eine secundäre sein;
460 A. Ollendoift
Die Art der Entstehung eines derartigen Defects in der
Homhautoberfläche kann man unter den gegebenen Ver-
bältnissen auf yerschiedene Ursachen zurückführen. Die
nächstliegende ist jedenfalls die durch die vorhandene An-
aestbesie der Hornhaut und der Lider gegebene Gelegen-
heit zur Verletzung der Cornea, Gerade beim Thiere ist
die Gefahr nach dieser Richtung hin ausserordentiich gross,
denn bei seinen Bewegungen im Stall oder Käfig stösst es
mit dem unempfindlichen Auge sehr leicht und sehr oft an
den Wänden an und kann sich auf diese Weise Trauma
und Infection zu gleicher Zeit zuziehen. Diese Erklärung
wäre sehr einfach, wenn mau nicht die Entzündung auch
bei Thieren, welche gegen jede traumatische Einwirkung
sicher geschützt worden sind, und ebenso bei Menschen,
welche sich gegen derartige Verletzungen zu schützen wissen,
auftreten sähe. In diesen Fällen könnte dann als primäre
Ursache, welche das Eindringen von Mikroorganismen er-
möglicht, die Vertrocknung herangezogen werden, denn diese
ruft schon ziemlich früh eine Abstossung der oberflächlichen
Schichten des Epitliels hervor (siehe unten). Durch Trauma
oder Vertrocknung wäre also stets eine Gelegenheit zur In-
fection gegeben, und es bleibt Aufgabe der Untersuchung,
festzustellen, wie wei^ die Annahme einer derartigen Mit-
wirkung von Bakterien einerseits berechtigt, andererseits
nothwendig ist
Um den Einfluss der Bakterien auf die Entstehung
der secundären Entzündung festzustellen, konnte man zwei
Wege einschlagen. Der nächstliegende und am schnellsten
zum Ziele führende wäre der gewesen, den Verlauf der
Augenaffection nach der Trigeminusdurchschneidung unter
Beobachtung aller aseptischen und antiseptischen Cautelen
zu verfolgen, um daraus zu ersehen, ob auch unter sicherem
Ausschluss der bakteriellen Mitwirkung die Entzündung
auftritt Aber auf diesem Wege stösst man sofort auf fast
unüberwindliche Schwierigkeiten, und zwar besteht das Haupt-
(Jeber die Rolle der Mikroorganismen etc. 461
hinderniss in dem umstand, dass mit der Wahmng der
Asepsis oder Antisepsis auch die Bedingungen für das
Zustandekommen einer Eingangspforte für die Mikroorga-
nismen wegfallen. Denn wollte man eine regelmässige Des-
infection des ConjunctiYalsacks und der Homhautoberfläche
mit Antisepticis in flüssiger oder Salbenform durchführen,
so ist durch die fortwährende Befeuchtung natürUch das
Zustandekommen einer primären Vertrocknungsnekrose aus-
geschlossen, und wenn unter diesen umständen die Ent-
zündung ausbleibt; so ist dies der Verhinderung der Ver-
dunstung, nicht der Beseitigung der Bakterien zuzuschrei-
ben; denn dasselbe wird durch Vomähen eines Drahtdeckels,
welcher den Bakterien ungestörten Zutritt gewährt, in glei-
cher Weise erreicht Dieselben Schwierigkeiten traten auch
einer genauen Asepsis entgegen: ein Verband oder ein vor
dem Auge angebrachter, für Luftkeime undurchlässiger Glas-
deckel yerhindem auch die Verdunstung, und gleichzeitig
auch jedes Trauma. Ich habe es noch in yerschiedener
Weise rersucht, unter gleichzeitiger Anwendung aseptischer
Maassnahmen, eine Vertrocknung zu erzielen, doch schei-
terten diese Versuche wiederum daran, dass dieselben zu
lange Zeit erforderten und dadurch das Leben des Thieres
bald gefährdeten; denn einerseits wird durch die zur Er-
reichung einer Asepsis vor dem Auge angebrachten Vor-
richtungen (z. B. ein Gestell mit eine Gazehülle) natür-
lich die Verdunstung ausserordentlich verzögert, anderer-
seits müssen die Thiere dabei entweder vollständig mit
Kopfhalter auf dem Operationsbrett aufgespannt bleiben,
wobei sie nach circa 48 Stunden zu Grunde gehen,
oder die Thiere müssen wenigstens den Kopf isolirt hal-
ten, wie es z. B. bei Anwendung der von Feuer an-
gegebenen „Lade'* mit einem vor derselben befestigten,
mit Gaze überzogenen Drahtgestelle möglich ist; aber auch
diese letzteren Versuche führten zu keinem Resultate, weil
entweder die Vertrocknung so verzögert wurde, dass das
462 A.. Ollendorff.
Thier inzwischen starb, oder bei ungenügendem Schatze
nachträglich wieder angesiedelte Bakterien auf der Ober-
fläche der Hornhaut zu finden waren. Kurz, es gelang
mir nicht y auf diese Weise den Beweis dafür zu er-
bringen, ob Bakterien die Ursache der Entzündung sind
oder nicht.
In Anbetracht dieser Schwierigkeiten blieb mir nur
die zweite Art der Untersuchung übrig, nämlich festzu-
stellen, ob bei der Entstehung der Entzündung die Mit-
wirkung von Bakterien direct beobachtet werden kann, ob
Gelegenheit zur Infection gegeben ist, und ob der khnische
Verlauf und das pathologisch-anatomische Bild demjenigen
der infectiösen Keratitis entspricht — Untersuchen wir zu-
nächst, wie weit Gelegenheit zur Infection gegeben ist
Wir haben oben gesehen, dass durch Trauma oder Ver-
trocknung sehr leicht eine Eingangspforte für die Mikro-
organismen gesetzt wird, und wenn es auch wahrscheinlich
ist, dass bei gegebener Gelegenheit zur Ansiedlung das
Material an Mikroorganismen aus der Umgebung und der
Luft stets vorhanden sein wird, so erscheint mir doch als
ein nicht zu unterschätzender Factor hierbei der schon für
den normalen Conjunctivalsack nachgewiesene Gehalt an
Mikroorganismen von verschiedenster Pathogenität Auf die
Möglichkeit einer Infection von dieser Seite her wurde ich
durch die verschiedenen Untersuchungen gelenkt, welche in
den letzten Jahren über den Bakteriengehalt des normalen
Conjunctivalsackes des Menschen angestellt worden sind
(Franke, Bach und Santos-Fernandez(26); Marthen
und Wolkowitsch(27)). Wolkowitsch, welcher die aus-
führlichste Arbeit darüber geliefert hat, untersuchte die
Thränen und den Schleim aus 30 ganz gesunden Conjunc-
tivalsäcken beider Augen mikroskopisch und mit Platten-
culturen und fand dabei nur in drei Fällen keine Mikro-
organismen, dagegen in den übrigen 27 Fällen 20 Arten
Cokken und 13 Arten Bacillen, in 15 Fällen auch ver-
üeber die Rolle der Mikroorganismen etc. 463
schiedene Schimmelpilze; die pathogene Wirkung dieser
Mikroorganismen ist sehr verschieden. Axenfeld(28) fasst
die Ergebnisse aller dieser Untersuchungen dahin zusam-
men: 1. der Conjunctiyalsack de? Menschen ist sehr häufig
inficirty am häufigsten mit den sogenannten Xerosebacillen,
femer mit Staphylocokken; 2. stark pyogene Mikroorganis-
men sind zwar seltener, aber doch vorhanden, relativ häu%
Pneumocokken. Diese Befunde im Conjunctivalsack des
Menschen waren, so weit ich wenigstens aus der Literatur
ersehen konnte, für das Kaninchen noch nicht bestätigt;
nur Leber (29) hat gelegentlich von zwölf Kaninchenaugen
von der Oberfläche der Bindehaut Agarculturen angelegt
und giebt an, dass dabei in fünf Fällen die Impfung ne-
gativ verlief, während in den übrigen Fällen sich eine
kleine Zahl von gelben und weissen Cokkencolonieen ent-
wickelte. Da ich nun das Vorhandensein pathogener Mikro-
organismen für sehr wesentlich hielt, erschien es mir ge-
boten, diese Untersuchungen für das Auge des Kaninchens
zu vervollständigen. Ich nahm die Untersuchungen auf
zweierlei Art vor, in einfachen Abstrichpräparaten und in
Culturen, ersteres an 10, letzteres an 15 Kaninchenaugen.
Zu ersterem Zwecke strich ich mit einer Platinöse einige
Male über die Innenseite des oberen und unteren Augen-
lides und über die Oberfläche der Hornhaut und unter-
suchte das auf diese Weise gewonnene Material zusammen
mit einigen Tropfen Thränenflüssigkeit auf dem Object-
träger. Dabei fanden sich am zahlreichsten und häufigsten
Xerosebacillen, von zehn untersuchten Augen neun Mal,
oft in sehr grossen Massen zwischen und. auf Epithelien;
daneben waren nur fünf Mal Cokken vorhanden, und zwar
vereinzelt liegende grosse Cokken und kleine Häufchen von
Staphylocokken. Vollständig fehlten Mikroorganismen in
keinem Auge. Ganz anders war der Befund in den
Agar- und Gelatineculturen. Hier waren die Cokken bei
weitem überwiegend. Nur von einem Auge blieb die Impfung
464 A. OUendoiff.
erfolglos, Ton den übrigen wuchsen in 13 Fällen Ookken,
am häufigsten Staphylocokken Terschiedener Art, aber auch
einzeln liegende grosse Cokken, nur in zwei Fällen Xerose-
bacillen in den charakteristischen sehr heUen, deutlich ra-
diär gestreiften Ck)Ionieen, und die ihnen verwandten Pseudo-
diphtheriebacillen, lange Stäbchen und Kolben mit deut-
licher Kömelung bei der Färbung mit Methylenblau
(Em st 'sehe Kömer); in einem Falle fand sich auch Asper-
gillus fiimigatus. Das seltene Vorkommen der Xerose-
bacillen in den Culturen ist auf ihre sehr schwierige Züch-
tung auf Agar zurückzuführen; auf Gelatine wachsen sie
wegen der zu niedrigen Temperatur überhaupt nicht Strepto-
cokken oder die beim Menschen yerhältnissmässig häufigen
Pneumocokken habe ich niemals gesehen. Da es bei allen
diesen Mikroorganismen nur auf ihre pathogene Wirkung
auf die Hornhaut ankam, so nahm ich von einer systema-
tischen Bestimmung derselben Abstand und begnügte mich
damit, ihre Wirkung bei Einimpfung in die Cornea festzu-
stellen. Ich gehe auf die Resultate dieser Impfungen aus-
führlicher ein, weil, wie ich bald vorausschicken will, die
hier gewonnenen Bakterienarten in der Hauptsache über-
einstimmen mit denjenigen, welche ich von der Homhaut-
oberfläche bei beginnender neuroparalytischer Keratitis
züchten konnte. Was zunächst die Xerosebacillen betrifit,
so ist ihre sehr geringe pathogene Wirkung auf die Horn-
haut bekannt; auch ich sah nur am folgenden Tage eine
massige conjunctivale und ciUare Injection des Auges, und
schon am zweiten Tage gingen die Beizerscheinungen zu-
rück. Von den gewonnenen Cokken konnte ich nach Wacfas-
thum in den Culturen, Grösse und Beweglichkeit drei ver-
schiedene Arten von Staphylocokken und eine Art sehr
grosser, meist vereinzelt liegender Cokken unterscheiden,
deren Wirkung sich sehr verschieden äusserte. Die am
häufigsten vorhandenen Staphylocokken riefen auch nur
eine, allerdings ziemlich erhebliche, aber schon nach einigen
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 465
Tagen Yoriibergehende conjunctivale und ciliare Injection
hervor, ohne dass es in der Hornhaut selbst zu weiteren
sichtbaren Erscheinungen gekommen wäre; eine zweite Art
von Staphylocokken, welche sich seltener fand (vier Mal),
erzeugte typische Impfkeratitis mit Randinfiltration, Infil-
trationsring, kleinem Hypopyon u. s. w., dabei ziemlich er-
hebliche Röthung und Schwellung der Bindehaut, es kam
aber nicht zu einem ulcerösen Zerfalle, und schon am
vierten Tage gingen die Reizerscheinungen zurück, es er-
folgte Vascularisation und ungestörte Heilung; nur die dritte
Art der Staphylocokken (sehr wahrscheinlich Staphylococcus
pyogenes aureus) fährte sehr schnell zu sehr starker Ent-
zündung, Perforation der Hornhaut mit Irisprolaps und
grossem Hypopyon, doch habe ich diese nur in einem der
normalen Augen gefunden ; schliesslich die erwähnten, grossen,
vereinzelt hegenden Cokken gaben denselben Effect, wie
die zuerst beschriebenen, nicht pathogenen Staphylocokken.
Fassen wir diese Befunde zusammen, so kommt man zu
dem Ergebniss, dass das normale Auge des Kaninchens
sich nach seinem Bakteriengehalt nicht wesentlich von dem
Auge des Menschen unterscheidet; es sind im Allgemeinen
stets Xerosebacillen und Staphylocokken oder wenigstens
Staphylocokkenkeime vorhanden, doch ist der Gehalt an
pathogenen Mikroorganismen vielleicht geringer, zumal da
die beim Menschen noch relativ häufigen Pneumocokkön
nicht gefunden werden konnten.
Für unsere Untersuchungen können wir daraus den
Schluss ziehen, dass die Hornhaut nach oberflächUchen
Epithelverlusten durch die normaler Weise vorhandenen
Bakterien wenig gefährdet wäre, dass aber andererseits eine
Infection durch dieselben keineswegs ausgeschlossen ist.
Aber bei der Entstehung der neuroparaljrtischen Keratitis
treten noch zwei Factoren hinzu, welche die Möglichkeit
einer Infection noch bedeutend erhöhen, es sind dies das
Fehlen des Lidschlages und der refiectorischen Thränen-
466 A. Ollendorff.
secretion. Dadurch steht das Auge fortwährend offen, die
Oberfläche der Hornhaut ist der Ansiedlung aller Luflkeime
ausgesetzt, und während sonst durch die abgesonderte
Thränenflüssigkeit Alles sofort wieder weggespült wird,
haben jetzt die Keime Gelegenheit, auf der Hornhaut festen
Fuss zu fassen. Berücksichtigt man überdies, dass der
Thränenflüssigkeit ausserdem noch eine besondere bakteri-
dde Wirkung auf pathogene Mikroorganismen zukommt
(Bernheim, Marthen, Bach (28)), so ist unbestreitbar,
dass dem Auge mit der Lähmung des Trigeminus und
ihren Folgen recht wichtige Schutzmittel im Kampfe gegen
die ihm feindUchen Bakterien genommen sind.
Ich habe sodann zu ermitteln versucht, wie weit man
eine Thätigkeit von Mikroorganismen während der Ent-
stehung der Entzündung direct nachzuweisen im Stande
ist Zu diesem Zwecke entnahm ich in verschiedenen
Stadien der Affection mit einer Platinöse von der betroffenen
Parthie der Homhautoberfläche so viel Material, als man
durch leises Ueberstreichen gewinnen kann, und untersuchte
dieses zum Theil direct auf dem Objectträger, zum Theil
in Culturen. Ich konnte hier auch bei den Thieren, welche
di^rch die Versuchsanordnung gegen traumatische Insulte
geschützt waren (siehe unten), schon vor Auftreten der
reactiven Entzündung fast in allen Fällen auf künstiichen
Nährböden Mikroorganismen züchten, nur in einem Falle
blieb die Impfung auf Agar erfolglos. Die auf diese Weise
erhaltenen Culturen bestanden in bei weitem überwiegender
Mehrzahl aus Cokken, und zwar Staphylocokken, niemals
Streptocokken, und stimmten, wie schon erwähnt, nadi
Wachsthum und Ergebniss der Impfung mit den im nor-
malen Conjunctivalsack gefundenen durchaus überein, nur
verschiebt sich die Häufigkeit des Vorkommens der ein-
zelnen Arten hier einigermaassen zu Gunsten der patho-
genen Staphylocokken. Zwar sind auch hier noch am
häufigsten die bei den Staphylocokken des normalen Con-
üeber die BOII0 der Mikroorganismen etc. 467
junctivalsacks an erster Stelle beschriebenen zu finden, welche
bei der Impfung nur geringe ßeizerscheinungen hervorrufen,
aber nächst diesen sind die Erreger der beschriebenen,
schweren eitrigen Entzündung mit Perforation der Horn-
haut doch recht oft vorhanden. Ueberdies konnte ich in
zwei Fällen auch noch einen anderen, noch nicht beschrie-
benen pathogenen Mikroorganismus nachweisen, nämHch
ein kurzes dickes Stäbchen, stets in langen Ketten ange-
ordnet, nach Gram entfärbt, welches auf Grelatine nicht
angeht und auf Agar in kleinen, runden, wasserhell durch-
scheinenden Colonieen wächst, die erst spät confiuiren; in
die Hornhaut geimpft, erzeugt es am zweiten Tage ein
circumscriptes Ulcus mit diffuser Trübung der übrigen
Hornhaut und eitriger Conjunctivitis. Ich konnte diesen
Bacillus auch dreimal aus dem Eiter nach entstandenem
Ulcus corneae züchten. Im Uebrigen fanden sich in den
Culturen noch in zwei Fällen Xerosebacillen, einmal Micro-
coccus tetragenus und einmal Aspergillus famigatus. — In
derselben Weise wie durch die Culturen konnte ich auch
durch die directe Untersuchung des von der afficirten SteUe
der Hornhaut abgestrichenen Materials auf dem Object-
träger das Vorhandensein von Mikroorganismen nachweisen.
AUerdings war ihre Zahl oft sehr gering, aber vollständig
fehlten sie eigentlich niemals. Man findet sie hier zwischen
und auf Epithelien und Rundzellen, auch am häufigsten
Staphylocokken, ziemlich oft auch Xerosebacillen und andere
kurze Stäbchen. Ihre Zahl nimmt im Allgemeinen mit
dem längeren Bestehen des Processes zu.
Ob man jedoch aus diesen Untersuchungen über das
Vorhandensein der Bakterien weitgehende Schlüsse auf ihre
Mitwirkung bei dem Entzündungsprocesse ziehen kann,
möchte ich vorläufig dahingestellt sein lassen, zumal da
hieraus noch gar nicht hervorgeht, ob die gefundenen Mikro-
organismen nicht niu* als Saprophyten auf der durch Ver-
bodmung abgestorbenen Parthie der Hornhaut vegetiren,
l 468 A. OUendorfi:
ob sie überhaupt in die Hornhaut eindringen. Allerdings
habe ich mich davon überzeugt, dass die Staphylocokken
auch in der vertrockneten Hornhaut ihre pathogene Wir-
kung entfalten können, denn eine Impfung in eine Horn-
haut, welche ich vorher durch Luxation des Bulbus zur
Yertrocknung gebracht hatte, ergab ganz denselben Effect,
wie am normalen Auge. — Auch dass die Hornhaut nach
der Trigeminusdurchschneidung auf Bakterien nicht anders
reagirt als das normale Auge, habe ich durch Impfimgen
festgestellt Krause (35) glaubt nämlich aus seinen Be-
obachtungen den Schluss ziehen zu können, dass die Horn-
haut nach der Trigeminusdurchschneidung eine verminderte
Widerstandsfähigkeit gegenüber entzündungserregenden Ein-
flüssen besitze, aber dies kann ich in Bezug auf Bakterien
nicht bestätigen. Zwei vergleichende Impfungen an beiden
Augen zweier Kaninchen, denen der Trigeminus einer Seite
durchschnitten war, ergaben sowohl für Xerosebacillen als
auch für pathogene Staphylocokken keinen unterschied:
die Xerosebacillen erzeugten beiderseits nur die bekannten
leichten Reizerscheinungen von Seiten der ConjunctiTa
sclerae, die schnell zurückgingen, und bei der Impfung mit
den Staphylocokken entstand am normalen und am anaesthe-
tischen Auge das gleiche Impfulcus, welches nach einiger
Zeit mit Hinterlassung eines Leukoms abheilte. Diese
Impfungen wurden natürlich am unempfindlichen Auge unter
einer Schutzkapsel vorgenommen.
Wenn nun auch diese Resultate eine BetheiUgung der
Mikroorganismen an dem entzündhchen Frocesse walu>
scheinUch machen , so könnte doch ein Beweis dafür erst
aus dem Ergebniss der pathologisch -anatomischen Unte^
suchung erbracht werden. Wir wollen nunmehr auf diese
eingehen, müssen jedoch dabei in Anbetracht des nicht
einheitUchen Befundes den klinischen Verlauf besonders
berücksichtigen. Lässt man das Thier nach der Trige-
minusdurchschneidung frei im Stalle umherlaufen, so ist
Ueber die Rolle der MikroorganiBmen etc. 46g
die Entwicklimg des Krankheitsbildes — abgesehen von
zeitlichen Schwankungen, welche auf das verschiedene Ver-
halten des Thieres zurückzuführen sind — ziemlich typisch
und entspricht ganz der von Senftleben(16), v. Graefe(6)
u. A. gegebenen Darstellung. Es bildet sich im Laufe der
ersten 24 Stunden an dem in der Lidspalte freiliegenden
Theil der Hornhaut ein grauer Fleck, meist mit sichtbarem
oberflächlichem Substanzverlust, dazu kommt leichte con-
junctivale und ciliare Injection und massige Secretion der
Conjunctivae und Schleimfäden sammeln sich zusanunen
mit abgestossenen EpitheUen als Borken in der Lidspalte
an. Im Verlauf der nächsten zwei Tage wird unter stär-
kerer ciliarer Lajection der graue Fleck gewöhnlich grösser,
am Bande der Cornea tritt ein grauer Lifiltrationsring auf,
und die Trübung dehnt sich allmählich auf die ganze Horn-
haut aus; gleichzeitig wird die Secretion stärker, oft findet
man schon am dritten Tage die Lider verklebt und nach
Oefihung derselben den Conjunctivalsack mit Eiter gefüllt;
die Hornhaut zeigt dann in der Mitte ein tiefes, eitriges
Ulcus oder eine rahmig -weisse Ulceration, während sich
in der vorderen Kammer ein Hypopyon gebildet hat Eine
Perforation habe ich, ebenso wie v. Graefe, v. Hippel
und Decker, nicht beobachtet Das histologische Bild
zeigt in diesen Fällen zum Theil ein gewöhnliches infec-
tiöses eitriges Ulcus corneae, zum Theil aber ist dabei ein
eigenthümhches Verhalten des Geschwürs zu beobachten:
im ersteren Falle sieht man in der Hornhaut einen tiefen
Substanzverlust, welcher rings von dicht infiltrirten Hom-
hautparthieen eingefasst ist, während die Mikroorganismen
auf der ganzen Oberfläche der vertieften Stelle und mehr
oder weniger weit in das Gewebe hinein zu finden sind; in
letzteren Fällen dagegen betrifft der Defect nur dasEpithel und
die oberflächUchsten Schichten des Stromas, darunter folgt
dann in verschiedenem Tiefendurchmesser, in einem Falle
bis zur Membrana Descemeti hin, ganz homogenes Stroma
470 A. Ollendorff:
ohne färbbare Hornhautkörperchen , und erst an dieses
schliessen sich die infiltrirten Homhautparthieen an. Man
könnte die nekrotischen Parthieen als die von Leber beim
Impfuicus im Ausbreitungsbezirk der Mikroorganismen be-
obachtete Grewebsnekrose ansehen, doch ist es gerade, auf-
fallend, dass die Mikroorganismen, Staphylocokken und
Streptocokken, welche in dichtgedrängten Haufen auf der
Oberfläche zu finden sind, gar nicht in diesen nekrotischen
Bezirk eindringen, so dass es den Eindruck macht, als ob
der nekrotische Streifen den vordringenden Bakterien Halt
gebiete. Ob diese Nekrose auf toxische Bakterienwirkung
oder auf gleichzeitig wirkende Vertrocknung zurückzuführen
ist, muss dahingestellt bleiben, jedenfalls aber steht es fest^
dass bei der Entstehung aller dieser Keratitiden die ge-
fundenen Cokken eine sehr bedeutende Rolle spielen, und
es ist damit erwiesen, dass ein grosser Theil der von den
früheren Autoren beobachteten Fälle bei Versuchsthieren
durch Infection entstandene Hornhautentzündungen waren;
in diesen Fällen hat das Thier mit dem anaesthetischen
Auge bald an den Wänden des Stalles angestossen und
sich dabei gleichzeitig Epitheldefect und Infection zugezogen.
Ich möchte deshalb diese Art der Entstehung, welche Senft-
leben als die einzig mögliche hinstellte und die er auf die
ausschliessliche Wirkung des Traumas zurückführte, nur
als „Ulcus corneae bei gleichzeitiger Anaesthesie des Auges'^
bezeichnen und als eine besondere Form absondern, für
welche die infectiöse Aetiologie sicher gestellt ist
Aber der dargestellte Verlauf ist nicht der einzige, welchen
man beim Thiere beobachten kann, denn schon nach den
Versuchen von Feuer und E. v. Hippel kann die primäre
Veränderung der Hornhaut neben dem Trauma auch durch
die Vertrocknung hervorgerufen werden. Letztere Autoren
haben diese Art der Entstehung der neuroparalytischen
Keratitis bei den Versuchen mit der „Lade^' beobachtet,
ohne jedoch die dabei entstandene Keratitis besonders zu
Ueber die Rolle der Mikrooi^nismen etc. 471
beschreiben. Nun ist aber diese Entstehungsweise meines
Erachtens für die Deutung der Erkrankung von weit
grösserer Bedeutung als die traumatische, denn letztere ist,
wie wir gesehen haben, gar keine besondere Art von Horn-
hautentzündung, während wir hier vor die eigentUche, nach
ihrer Bedeutung noch so unsichere Form der neuroparaly-
tischen Entzündung gestellt sind. Deshalb lag mir beson-
ders daran, die Entstehungsweise der letzteren genauer zu
verfolgen. Ich wählte dazu jedoch anstatt der Lade, welche
so unsichere B^sultate giebt und das Leben des Thieres
sehr schnell gefährdet, eine neue Versuchsanordnung, die
es ermögUchte das Thier unter Ausschluss directer Ver-
letzungen länger am Leben zu erhalten. Ich nahm zu
diesem Zwecke ein grosses Brett, stellte das Thier in die
Mitte desselben und band die beiden Hinterfüsse und den
Vorderfuss der unempfindlichen Seite durch kurze Bänder
an Haken, die an dem Brett angebracht wurden, fest; auf
diese Weise konnte das Thier nur geringe Excursionen
machen und nirgends anstossen; da aber auch hier die
Thiere bald die Nahrungsaufnahme verweigerten, wandte
ich zuletzt die „Suspension^' an, d. h. ich legte um den
Bauch des Thieres einen Gurt, der durch zwei Nähte an
der Bückenhaut befestigt wurde, und verband den Gurt
mit einem von der Decke herabhängenden Faden; auch
hier stand das Kaninchen auf einem sehr grossen Brett,
so dass es etwas umherlaufen, aber nirgends anstossen
konnte; auf diese "Weise gelang es mir, die Thiere be-
deutend länger, einmal bis zum 23. Tage zu beobachten.
Auch hier entstand stets — der sicherste Beweis für die
Unhaltbarkeit der Senftleben'schen traumatischen Theorie
— eine Keratitis, aber der klinische Verlauf gestaltete sich
wesentlich anders. Man sieht hier sehr bald nach der
Durchschneidung im Bereich der Lidspalte die vielfach be-
schriebenen „Grübchen" auf der Oberfläche der Hornhaut
auftreten (siehe unten), wodurch nach einigen Stunden die
T. Oraefe*« Archiv fOr Ophthalmologie. XLIX. 8. gl
472 A. OUendorff.
freiliegende Cornea uneben, wie gerunzelt erscheint, ohne
dabei ihren normalen Glanz zu verlieren; nach circa zwölf
Stunden ist dieser centrale Bezirk matt geworden, und bald
sammeln sich hier Auflagerungen an, die zum Theil aus
eingetrockneten Schleimfäden bestehen, oft aber auch ein
dünnes Häutchen bilden, das sich abziehen lässt und sich
bei der Untersuchung als Epithellamelle erweist Dabei
ist stets eine erhöhte Secretion von Conjunctivalschleim zu
erkennen, denn man findet oft grosse Schleimcoagula in
der unteren lidfalte. Nach 24 Stunden ist gewöhnlich nur
im Centrum der Hornhaut eine leicht getrübte, grauliche
Stelle von ovaler Form zu sehen, die Oberfläche ist rauh,
ohne jedoch deutlichen Epitheldefect erkennen zu lassen,
und mit Schleimfäden bedeckt; die übrige Hornhaut ist
normal, es besteht leichte ciliare Injection. In den zwei
folgenden Tagen ändert sich an* diesem Bilde makrosko-
pisch nicht sehr viel. Die getrübte Stelle im Centruui
nimmt an Ausdehnung zu und giebt in ihrer Gestalt die
Form der Lidspalte wieder, es lagern sich auf ihr immer
von Neuem Epithelfetzen und Schleimfäden ab, nach deren
Entfernung man einen oberflächlichen Epitheldefect mit
unebenem Grunde erkennt, ringsum von einem schmalen
Saum nicht getrübter Hornhaut mit erhaltenem Epithel
umgeben. Die ciliare Injection nimmt dabei an Intensität
zu, während die übrige Hornhaut vorläufig noch normal
bleibt Erst zwischen dem dritten und vierten Tage tritt
an der Gomeoskleralgrenze eine Randinfiltration in Form
eines grauen Binges auf, und dieser rückt allmählich central-
wärts vor, so dass am Ende des vierten Tages gewöhnlich
auch die übrige Hornhaut leicht matt erscheint Dabei
bleibt trotz starker ciliarer Injection die Conjuiictiva tarsi
ganz normal, ebensowenig ist eine Trübung des Kammer-
wassers oder ein Hypopyon zu erkennen. Im weiteren
Verlaufe wird der primäre graue Fleck mehr circumscript
und hebt sich von der ihn umgebenden leichter getrübten
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 473
Parthie der Hornhaut scharf ab. Dazu beginnt am sechsten
bis siebenten Tage vom Rande her eine dichte Neubildung
ron Gefässen, welche bis in den centralen, die Lidspalte
ausfüllenden Meck hineinreichen. Der freiliegende Meck
erscheint am nächsten Tagen am Rande stets mit dicken
Krusten bedeckt, welche sich als vorwiegend aus Schleim,
Rundzellen und abgestossenen Epithelien zusammengesetzt
erweisen und jedenfalls so zu deuten sind, dass aus den
neugebildeten Gefässen das Material zur Substitution der
zu Grunde gegangenen Homhautparthieen zugeführt wird,
während die Homhautepithelien am Rande des Defects bei
ihrer ausserordentlichen Proliferationsfähigkeit denselben
auszugleichen bestrebt sind. Es bildet sich dann im Hom-
hautstroma selbst rings um den centralen Heerd ein gelber
Infiltrationsring, so dass derselbe von allen Seiten von Eiter
umgeben ist; in Folge dessen hebt sich die centrale Parthie
sammt der ihr aufgelagerten Kruste allmählich an der
Peripherie ab, biegt nach vom um und schiebt immer
mehr centralwärts zusammen, während der periphere Rand,
welcher von der nur leicht getrübten, von einzelnen Gefäss-
stämmchen durchzogenen Hornhaut gebildet wird, an Aus-
dehnung gewinnt Auf diese Weise wird die centrale Par-
thie allmählich beseitigt, und der Process schUesst fast ohne
Hinterlassung einer Trübung mit vollständiger Regeneration
des Epithels ab. Letzteres konnte ich jedoch bei den
suspendirten Thieren, obgleich ich eins derselben bis zum
23. Tage nach der Durchschneidung des Trigeminus am
Leben erhielt, nicht beobachten, sondern es kam erst unter
dem Schutze eines Drahtdeckels zu Stande. Es ist dabei
hervorzuheben, das trotz der hochgradigen Veränderungen
an der Hornhaut allgemeine Reizerscheinungen ganz fehl-
ten, die Conjunctiva tarsi normal blieb und kein Hypopyon
auftrat
Der histologische Befund in den verschiedenen Stadien
ist bei den gegen Traumen geschützten Thieren folgender:
31*
474 ^' OUendor£
In den ersten Stunden nach der Trigeminnsdorchschnei-
düng ist an der Hornhaut mikroskopisch keine Verände-
rung nachweisbar. Die von Gaule schon ^/, Stunde nach
der Durchschneidung beobachteten Veränderungen habe ich
nicht nachweisen können^ weder im Epithel noch an der
Membrana Descemeti; das einzige Pathologische in diesen
Bulbis ist die Gerinnung des Humor aqueus in der Tor-
deren Kammer, und auf diese komme ich, ebenso wie auf
die anderen Beobachtungen Gaul^'s, unten im Zusammen-
hange zurück. Die ersten wahrnehmbaren Veränderungen
an der Hornhaut fand ich an einem Bulbus, welcher
15 Stunden nach der Durchschneidung enucleirt worden
war. In diesem zeigt die vordere Kammer auch reichliche
Niederschläge von geronnenem Fibrin im Kammerwasser
ohne zellige Bestandtheile, und an der Epitheldecke sieht
man zwischen ganz normalen Parthieen circumscripte Stellen
mit ganz niedrigen, in den oberen Schichten zum Tbeil ab-
gestossenen Epithelien. An einem anderen Auge, welches
18 Stunden nach der Durchschneidung enucleirt worden war,
sind diese oberflächlichen Epithelverluste auch vorhanden,
daneben aber finden sich circumscripte Stellen, wo das Epi-
thel in seiner ganzen Dicke abgehoben, die Epitheldecke
also in ihrer Continuität unterbrochen ist Diese Parthieen
(siehe Fig. 1) zeigen ganz platte, niedrige, geschrumpfte,
allerdings noch kernhaltige Zellen (b) und sind in den
oberen Lagen von Rundzellen durchsetzt; sie werden zur
Abstossung gebracht, indem die ihnen benachbarten nor-
malen Epithelzellen (a) in regenerative Wucherung ge-
rathen und sich von allen Seiten unter diese, jeden&lls
abgestorbene Parthie vorschieben. Die Homhautgrundsub-
stanz unterhalb dieser epithellosen Stellen ist in geringer
Tiefe ebenfalls nekrotisch (c), denn die Homhautkörperchen
haben ihre Färbbarkeit verloren oder zeigen vesiculäre De-
generation. Im Uebrigen sind die Hornhaut und die an-
deren Theile des Auges normal. Viel tiefgreifender sind
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 475
die Veränderungen am vierten Tage nach der Durchschnei-
dung geworden, wo makroskopisch schon ein deutlicher
Epitheldefect und Trübung der Hornhaut mit Kandinfiltra-
tion zu erkennen war. Es ist jetzt das Epithel im Bereich
der Lidspalte fast vollständig abgestossen, so dass in hori-
zontalen Schnitten durch die Mitte des Bulbus nur noch
ein schmaler Band von normalem Epithel erhalten ist; die
kleinen Epithelinseln, welche im centralen Theile noch
stehen geblieben sind, sind zum Theil einreihige Lagen
von platten Zellen, zum Theil dicht von Bundzellen und
vereinzelten Cokkenhäufchen durchsetzt. Die Grundsub-
stanz zeigt im Allgemeinen eine erhebliche Infiltration mit
eosinophilen Zellen; die Zellen schieben sich vom Bande
her nach den epithellosen Stellen vor und bilden am Bande
derselben einen Infiltrationsring, ohne in die obersten
Schichten des epithellosen Stromas einzudringen, während
die tieferen Schichten wieder stärker infiltrirt sind. Auf
diese Weise wird im Centrum eine oberflächlich gelegene
Stromaparthie abgegrenzt, welche frei von Infiltration ist,
dabei aber auch keine normal gefärbten Hornhautkörper-
chen mehr aufweist, sondern nur mit Eosin homogen ge-
färbt ist. Die tiefsten Schichten der Grundsubstanz sind
auch nicht immer von der Infiltration betroffen. Die Mem-
brana Descemeti sammt ihrem Endothel ist normal, nur
sind dem Endothel zuweilen einzelne Bundzellen aufge-
lagert In der vorderen Kammer findet man ebenfalls zu-
weilen ausgewanderte Bundzellen, allerdings nur in ge-
ringer Zahl. Die tieferen Theile des Auges sind unver-
ändert — Den weiteren Verlauf des Processes kann man
am besten an Präparaten aus dem spätesten von mir be-
obachteten Stadium, d. h. 23 Tage nach der Durchschnei-
dung erkennen. Das Auge war makroskopisch hochgradig
dadurch verändert, dass sich in der Mitte eine dicke Kruste
aus Eiter und anderen Verunreinigungen angesetzt hatte.
Dementsprechend ist auch im Präparat die Mitte der Hom-
476 A. Ollendorff.
haut (siehe Mg. '^) von einer grossen Auflagerung einge-
nommen, welche in der Hauptsache aus Eiterkörperchen
und Staphylocokkenhaufen besteht, dazwischen aber auch
Kalkablagerungen, Haare und andere Verunreinigungen in
sich schhesst (6). Dieses Conglomerat sitzt — kurz be-
zeichnet — einem in der Heilung begriffenen Ulcus der
Hornhaut auf, doch treten auch hier Eigenthümlichkeiten
hervor, und ich habe deshalb versucht, das Bild in der
halbschemati sehen Zeichnung wiederzugeben: In der Mitte
der Hornhaut ist ein ziemlich tiefer Substanzverlust, dessen
Grund von stark infiltrirter und zum Theil ganz »vereiterter
Homhautsubstanz ausgefüllt wird (a); diese Infiltration
wird nach oben hin ganz besonders intensiv und schliesst
hier als ganz dichter Eing einen mit Eosin homogen ge-
färbten Streifen von Homhautsubstanz ab, dessen Enden
nach oben umgebogen sind (c). Am Rande dieses Stei-
fens, der also in Wirklichkeit eine Platte darstellt, geht
der Eiter, welcher den Grund des Ulcus bildet, in die der
Hornhaut aufgelagerte Eitermasse (6) über, woraus hervor-
geht, dass diese desselben Ursprungs ist. Die Infiltration
nimmt nach dem Homhautrande hin an Intensität ab, die
tiefsten Schichten der Grundsubstanz sind fast vollständig
frei. In den obersten Schichten der Grundsubstanz ver-
laufen auch im Schnitt längsgetroffene Gefässe mit rothen
Blutkörperchen, und die zellige Infiltration ist hier im cen-
tralen Theile (d) auf eine massige Strecke hin durch reich-
liche Neubildung von zellenreichem Bindegewebe ersetzt
Das Epithel ist bis an das Ulcus hin erhalten und wuchert
in die centralen Theile hinein, wobei es an einzelnen Stellen
zur Bildung unregelmässiger epithelialer Zapfen {e) kommt
Die Membrana Descemeti sammt Endothel ist erhalten,
die vordere Kammer und die tieferen Theile des Auges
zeigen keine Veränderung. — Den Abschluss des Processes
habe ich am ungeschützten Auge nicht beobachten können;
es scheint, dass auf das offenstehende Auge immer wieder
üeber die Rolle der Mikrooiganismen etc. 477
von Neuem ein entzündlicher Reiz einwirkt und dadurch
eine Abheilung verhindert
Was können wir nun aus dem dargestellten klinischen
und pathologisch-anatomischen Bilde im Zusammenhange
mit jenen bakteriologischen Untersuchungen schliessen?
Wenn wir von den besonders betrachteten Fällen von un-
zweifelhaft infectiöser Keratitis absehen, so stellt sich die
unter Ausschluss directer äusserer Verletzungen beobachtete
Keratitis nach Trigeminusdurchschneidung als eine Affection
dar, bei welcher zuerst, wie es als Erster schon Senftleben
beschrieben hat, eine circumscripte, von der Lidspalte be-
grenzte Nekrose des Epithels und der oberen Schichten
der Grundsubstanz, und im Anschluss daran eine entzünd-
liche Infiltration auftritt Die Nekrose führt zuerst zur
Abstossung kleiner Theile, schliesslich der ganzen in der
Lddspalte freiliegenden Epithelschicht, und die nekrotisch ge-
wordenen oberflächlichen Stromaschichten werden, während
sich auf der Oberfläche Bakterien angesiedelt haben, durch
Eiterung allmählich zur Abstossung gebracht. Nach den
angestellten Untersuchungen über das Wesen der Nekrose
(siehe imten) sind wir mit Feuer berechtigt, dieselbe als
eine Folge von Vertrocknung anzusehen, aber was die darauf
folgende Entzündung betrifil, so haben wir nun die Frage
zu entscheiden, ob dieselbe als Folge dieser Vertrocknung,
d. h. als B^action des gesunden Gewebes zur Elimination
des nekrotischen Heerdes, oder als Product der Bakterien
anzusehen sind, deren Ansiedlung wir schon sehr früh in
allen Fällen, allerdings oft nur in sehr geringer Verbreitung
und stets nur auf der Oberfläche des nekrotischen Heerdes
constatiren konnten. Das pathologisch-anatomische Bild
stimmt allerdings sehr auffällig mit dem einer infectiösen
Keratitis überein, auch ist das Vorhandensein von Bakterien
für alle Fälle nachgewiesen, aber trotzdem könnte man einer
definitiven Schlussfolgerung nach dieser Richtung hin noch
verschiedene berechtigte Einwände entgegenstellen; denn
478 A. Ollendorff.
trotz der vielfachen UebereinstimmuDg sind doch einige
Unterschiede nicht zu verkennen: erstens ist es beachtens-
werthy dass bei der Keratins nach Trigeminusdurchschnei-
düng die Bakterien stets nur auf der Oberfläche, niemals
im nekrotischen Bezirk selbst zu finden sind, zweitens ist
es auffallend, dass selbst in sehr weit fortgeschrittenen
Fällen niemals eine Betheihgujig von Seiten der Coojunc-
tiva tarsi tmd der Iris zu finden ist, während sonst bei der
infectiösen Keratitis sehr schnell eine eitrige ConjuDctivitis
und ein Hypopyon auftritt, und drittens ist das Endothel
der Membrana Descemeti in unseren Fällen stets erhalten,
während beim Ulcus corneae das dem Ulcus gegenüber-
liegende Endothel gewöhnlich abgestossen ist Aber alle
diese Unterschiede könnte man im Allgemeinen auf gra-
duelle Verschiedenheiten desselben Processes zurückführen,
da die einzelnen Arten der Bakterien in der Intensität
ihrer toxischen Wirkung sehr verschieden sind. Dagegen
bleibt als berechtigter Einwand die Frage bestehen, ob die
reactive Infiltration nicht allein als Folge der Vertrocknungs-
nekrose aufgefasst werden kann und die gefundenen Bak-
terien nur als accidentell zu betrachten sind. Senftleben
und Feuer haben diesen Vorgang — ersterer für das
Trauma, letzterer für die Vertrocknung — ohne Weiteres
angenommen, ohne eine eventuelle Betheiligung von Mikro-
organismen überhaupt zu berücksichtigen. Sie stützten sich
dabei jedenfalls auf den allgemein im Körper beobachteten
Vorgang nach Absterben eines Gewebsabschnittes, woran
sich stets eine mehr oder minder hochgradige Entzündung
in der Umgebung anschliesst, um den nekrotischen Heenl
zur Abstossung zu bringen; Leber (29) nimmt als Ur-
sache dieser Art von Entzündung an, dass in den abge-
storbenen Theilen Zersetzungsproducte auftreten, welche in
das gesunde Gewebe diffundiren und dadurch eine Leuko-
cytenauswanderung aus den Gefässen hervorbringen. Da
es also eine derartige aseptische Eiterung unzweifelhaft giebt,
lieber die Rolle der Mikroorganismen etc. 479
so muBsten wir imtersucheD, wie weit der entzündliche Pro-
cess der Yertrocknungsnekrose und wie weit er dem Ein-
fluss der auf der Oberfläche entwickelten Bakterien zuzu-
schreiben ist
Wir hätten zu diesem Zwecke, um die Rolle der ge-
fundenen Bakterien beurtheilen zu können, im Frincip die
Frage zu entscheiden, ob eine Vertrocknung an der Horn-
haut allein, unter sicherem Ausschluss von Bakterien im
Stande ist, eine reactive Infiltration hervorzurufen. Bevor
wir jedoch darauf eingehen, möchte icJh an dieser Stelle
im Zusammenhange auf das Verhältniss zwischen Yer-
trocknungskeratitis und neuroparalytischer Keratitis ein-
gehen, um daraus erklären zu können, wie weit die Er-
scheinungen bei der Keratitis nach Trigeminusdurchschnei-
dung auf Vertrocknung zurückzuführen, resp. dieser gleich-
zustellen sind. Der Gedanke, dass die Vertrocknung bei
der Entstehung der neuroparalytischen Keratitis eine Rolle
spielt, liegt sehr nahe, da durch die der Trigeminusdurch-
schneidung folgende Anaestliesie der Hornhaut und der
Lider die hauptsächlichsten Factoren für die Befeuchtung
der Hoiiihaut ausfallen, nämUch der reflectorische Lidschlag
und die reflectorische Thränensecretion. Ebenso spricht
auch die Localisation der Homhauterkrankung ganz ausser-
ordentlich für diese Aetiologie, denn der Sitz der primären
Affection ist stets die Lidspalte, also der Theil, welcher
am meisten der Vertrocknung ausgesetzt ist; die primär
affidrte Parthie giebt oft geradezu genau die Form der
Lidspalte wieder. Dass diese Localisation nicht durch Cir-
culationsverhältnisse bedingt sein kann, beweisen die Ver-
suche von Schiff (11) und Magendie(l) mit gleichzeitiger
Durchschneidung eines Pedunculus cerebelli ad pontem,
wodurch der Bulbus nach unten und vorn gedreht wird
und dementsprechend die Affection im hinteren Theile der
Hornhaut auftrat Senftleben glaubte zwar, diese Loca-
lisation für seine traumatische Theorie verwerthen zu können,
480 A. Ollendorff.
doch sprechen die Erfahrungen, die Feuer und v. Hippel
mit der Lade und ich selbst mit der Suspension der Thiere
gemacht haben, wo Traumen und besonders grobe Traumen,
wie sie Senftleben annimmt, sicher auszuschüessen sind,
direct gegen die traumatische und für die Vertrocknungs-
theorie; wenn über die Versuche mit der Lade noch ein-
ander sehr widersprechende Resultate vorliegen — Feuer
sah in der Lade stets, v. Hippel in der Mehrzahl der
Fälle, Senftleben und Gaule niemals Keratitis auftreten
— , so sind diese Widersprüche doch nur auf das verschie-
dene, mehr oder weniger ruhige Verhalten der Thiere zu-
rückzuführen; denn bei unruhigem Verhalten wird das obere
Lid durch die Verschiebung der Kopfhaut sehr häufig über
den Bulbus herübergezogen und dadurch die Vertroeknung
verhindert; ich selbst habe in der Lade ebenfalls deutliche
Vertrocknung und die Anfänge der Entzündung beobachten
können, und wenn dieselbe bei einigen Beobachtern aus-
bheb, so spricht dies keineswegs gegen die Vertrocknungs-
theorie während im Grunde ein einziger, einwandfreier
positiver Versuch mit der Lade genügt, um die trauma-
tische Theorie vollständig auszuschüessen. Ferner sind die
übereinstimmenden Resultate aller Autoren über die Ver-
suche mit dem Draht- und Glasdeckel, welche durch Ver-
schiebung der Lider über die Hornhaut die Verdunstung
und damit auch die Entstehung der Keratitis verhindern,
ein deutlicher Beweis für die Vertix)cknungstheorie- Auch
Senftleben's Angabe (16), dass nach Einwicklung des
Kaninchens in ein Handtuch niemals Veränderungen am
Auge auftraten, muss auf Beobachtungsfehler zurückzuführen
sein, da ich in zwei ebenso behandelten Fällen schon nach
kurzer Zeit die ersten Vertrocknungserscheinungen beob-
achten konnte. — Um diesen Einfluss der Vertrocknung
zu beweisen, sind dann auch die verschiedensten Versuche
angestellt worden, künstUch eine Vertrocknungskeratitis her-
vorzurufen , und diese hatten im Wesentlichen folgende,
lieber die Rolle der Mikroorganismen etc. 481
nicht immer übereinstimmende Resultate ergeben: die DurcL-
schneidung des Nervus facialis, wodurch die Möglichkeit
des Lidschlusses aufgehoben wird, bringt niemals eine Ver-
änderung am Auge hervor (Feuer (17), Balogh (23),
Gudden(30), Hanau (20)); wird gleichzeitig die Palpebra
tertia entfernt, so tritt nach Gudden und Hanau keine
Keratitia, nach Feuer eine kleine strichförmige Trübung
auf, während Balogh, welcher dabei die Nickhaut an die
Nasenhaut annähte, erst dann eine Keratitis beobachtete,
wenn eine eitrige Entzündung der Nickbaut auftrat und
der Eiter die Cornea benetzte und „das Epithel der letz-
teren erweichte und ablöste"; er fand dann in der Horn-
haut auch stets Bakterien; wird jedoch nach der Fadalis-
durchschneidung mit der Exstirpation der Nickhaut auch
ein Ectropium des oberen Lides verbunden (Feuer), so
tritt eine richtige Vertrocknungskeratitis auf; bei Abtragung
der Lider oder einer möglichst weiten Auseinandemähung
der Lider mit Exstirpation der Nickhaut beobachtete Balogh
Tage lang keine Veränderung an der Hornhaut, bis in
der Umgebung der Nähte eine Eiterung auftrat und „durch
die Berührung der Hornhaut mit dem eiternden Gewebe
zuerst eine Loslösung des Epithels, dann eine bakterielle
Entzündung der ganzen Hornhaut auftrat"; dagegen sah
Feuer unter diesen Umständen stets eine centrale Nekrose,
während v. Graefe (6) dabei zwar auch „Vertrocknungs-
phäuomene, aber bei weitem nicht in so kurzer Zeit" be-
obachtete. Die Exstirpation der Thränendrüse bewirkt keine
Veränderung am Auge (Snellen (14), Balogh, Feuer,
V. Graefe), selbst bei gleichzeitiger Durch schneidung des
Nervus facialis (Snellen), und auch v. Graefe giebt an,
dass selbst nach Abtragung der Lider mit gleichzeitiger
Exstirpation der Thränendrüse „keine ähnlichen Verände-
rungen auftraten (6)". Wenn diese Versuche zur Her-
stellung einer künstlichen Vertrocknungskeratitis nicht die
gewünschten B^sultate ergaben, so liegt dies daran, dass
482 A. OUendorff.
äie eben die Bedingungen, unter welche das Auge nach
Trigeminusdurchschneidung gestellt ist, nur sehr unvoll-
kommen wiedergeben. Denn was zunächst die Excision
der Thränendrüse betrifil, so ist diese, wie schon v. Graefe
auch durch Operationen am Menschen gezeigt hat, über-
haupt ganz belanglos, und E. v. Hippel (19) hat die^
auch genügend erklärt: nach der Excision der Thränen-
drüse bleibt nämlich das Auge empfindUch und kann da-
durch bei jedem das Auge treffenden Beiz, also auch bei
der Vertrocknung „reflectorisch alle Mittel, dieselbe zu ver-
hüten, also stärkere Secretion der Schleimhaut, häufigeren
Iddschluss und Anstrengung des Retractor bulbi zur An-
wendung bringen'^ Ebenso unvollkommen ist die Wirkung
der Facialisdurchschneidung; denn wenn auch nach dem-
selben kein Lidschluss mehr erfolgen kann, so sammelt sich
doch, wie ich selbst in zwei Fällen beobachtet habe, bald
in dem etwas abstehenden unteren lade so viel Thränen-
flüssigkeit an, dass bei dem nur wenig offenstehenden Auge
durch die gleichzeitig einsetzende kräftige Wirkung des
Betractor bulbi und durch die häufigen Excursionen des
Auges nach allen Richtungen hin der Bulbus vollständig
gegen Vertrocknung geschützt ist Gleichwohl hat doch
Feuer durch geeignete Combinationen, welche eine genü-
gende dauernde Freilegung der Hornhaut herbeiführten, so
charakteristische Vertrocknungskeratitiden erzielt, dass dieser
Umstand zusammen mit den oben zusammengestellten Be-
obachtungen nach der Trigeminusdurchschneidung genügt,
um den wesentlichen Einfluss der Vertrocknung auf die
Enstehung der neuroparalytischen Keratitis sicher zu stellen.
Aber an diesem Punkte setzt nun wieder die Frage
ein, ob man die Vertrocknung und die durch sie her?or-
gerufene Nekrose des Gewebes als die alleinige Ursache
der secundären Entzündung ansehen kann, oder ob dabei
nicht noch Bakterien vorhanden sind, denen eine bedeuten-
dere Bolle zuzuweisen ist; denn Balogh giebt ausdrück-
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 483
lieh an, dass er nach Abtragung der Lider ebenso wie
nach Exstirpation des Nervus facialis und der Annähung
der Nickhaut an die Nasenhaut die Entzündung der Horn-
haut erst dann auftreten sah, wenn die Umgebung der
Nähte sich entzündet hatte und d^s Hornhautepithel durch
den Eiter erweicht und abgehoben worden war; er fand
dann in der Hornhaut auch stets Bakterien und hält daher
die hier auftretende Hornhautentzündung, ebenso wie die-
jenige nach Trigeminusdurchschneidung, für eine rein in-
fectiöse Keratitis. Es kam daher darauf an, zunächst die
Richtigkeit der von Balogh in Bezug auf die Bakterien-
befunde mitgetheilten Beobachtungen zu bestätigen und
dann eventuell durch andere geeignetere Versuchsanord-
nungen das Verhalten der Bakterien bei diesen durch
künsthche Vertrocknung entstandenen Hornhautentzündungen
festzustellen. Ich habe daher, zumal da genaue patholo-
gisch-anatomische Untersuchungen über die künsthche Ver-
trocknungskeratitis nicht vorlagen, diese Versuche in drei
Modificationen wiederholt, und zwar zunächst, wie Balogh,
mit Durchschneidung des Nervus faciahs. Ich verband so-
fort mit der FaciaUsdurchschneidung ein Ectropium des
unteren Lides und eine Exstirpation der Nickhaut, und
obgleich ich ausserdem noch aus der Haut der Stirn durch
eine Naht eine grosse Falte herstellte, so dass das obere
lid nach oben gezogen wurde, konnte ich zwei Tage lang
keine Veränderung an der Hornhaut wahrnehmen; als ich
darauf das obere lid durch eine Naht ektropionirt hatte
und dadurch selbst bei stärkster Retraction des Bulbus eine
ziemUch grosse Fläche des Auges unbedeckt bUeb, fand
ich nach zwölf Stunden das Auge durch Eiterkrusten ver-
klebt und nach Entfernung derselben im Centrum des ex-
ponirten Bezirkes der Hornhaut eine circumscripte matte
Trübung derselben. Die Eiterung, welche von den Nähten
und den ektropionirten Lidern ausgeht, bildete sehr schnell
ifflmer wieder von Neuem dicke Krusten, welche sich auf
484 A. OUendorff.
der Hornhautoberfläche festsetzten , und dabei entwickelte
sich auf der yon den Lidern nicht bedeckten Stelle der
Hornhaut eine immer dichtere Trübung, welche nach zwei
Tagen schon eine dellenförmige Vertiefung mit unregel-
mässigem Grunde zeigte.; die übrige Hornhaut war dabei
nur leicht getrübt, die Conjunctiva stark injicirt; bald ent-
stand auch Iritis und Hypopyon. Die von der eingeschmol-
zenen Parthie gewonnenen Abstrichpräparate zeigten zwischen
Rundzellen kleine Haufen verschiedener Cokken. Es ist
interessant, dass das histologische Bild durchaus mit dem
der neuroparalytischen Keratitis übereinstimmt; in den
Schnitten, welche durch die der Vertrocknung ausgesetzten
Stellen gehen, ist das Epithel in dem vertrockneten Bezirk
verloren gegangen, die obersten Schichten des Stromas sind
bis zur Tiefe eines Drittels des Dickendurchmessers nekro-
tisch und ganz homogen mit Eosin gefärbt und rings hermn,
sowohl von der Tiefe her, als auch besonders von dem
näher gelegenen Homhautrande her durch einen dichten
Infiltrationsring begrenzt; die übrige Hornhaut ist ziemlich
intact, nur finden sich auf der ganzen Oberfläche Anhäu-
fungen von Eiterzellen und ziemlich zahlreiche Cokken, die
in Reihen und kleinen Häufchen angeordnet sind. — Diese
Entwicklung, welche ich fast ganz übereinstimmend an
zwei Thieren beobachtete, entspricht also ganz den von
Balogh beschriebenen Fällen, und man kann hier die In-
fection und die Quelle der Infection deutlich verfolgen.
Daher sind diese Versuche auch für die Entscheidung der
Frage durchaus ungeeignet, und ich wandte mich deshalb
anderen Methoden zu, welche eine Asepsis, soweit diese
möglich ist, gestatten. Schon Eberth hatte versucht, die
Einwirkung der Vertrocknung durch Einlegen eines lid-
halters festzustellen, kam aber dabei zu keinem Resultat,
„weil die Lidhalter nach einigen Stunden immer ausfielen,
ohne zu einer Entzündung der Hornhaut zu führen'^ Ich
habe nun den Lidhalter bei aufgespannten und in der Lade
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 485
gehaltenen Thieren angelegt und dabei die ersten Stadien
der Vertrocknung untersuchen können; allerdings ist hierzu
im Vergleich zur Trigeminusdurchschneidung zu bemerken,
dass das Auge zwar maximal o£Pen steht, aber die Thränen-
secretion nicht sistirt ist; andererseits kann man jedoch beob-
achten, dass nach kurzer Zeit die Thränenflüssigkeit sich an
den beiden seitUchen Eänderu des Bulbus einen Weg bahnt
und dann die Oberfläche nicht mehr benetzt, auch habe
ich die Thränenflüssigkeit durch regelmässig eingelegte
Fliesspapierstreifen abzutupfen versucht. Die ersten An-
fänge der Vertrocknung beobachtete ich dabei an einem
Kaninchen, welches 41 Stunden auf dem Operationsbrett
gebheben war; ich hatte vor Einlegung des lidhalters den
Conjunctivalsack und die Umgebung des Auges gründlich
desinficirt und dann zur Verhinderung der Luftinfection
über das ganze Auge inclusive lidhalter einen Glasdeckel
befestigt; durch letzteren wurde natürlich die Verdunstung
ausserordentlich verringert, und so konnte man makrosko-
pisch nach 41 Stunden kaum eine Veränderung an der
Hornhaut sehen, sie erschien nur glanzlos und trocken.
Im mikroskopischen Bilde aber kann man deutliche Ver-
änderungen nachweisen: die obersten Epithelzellen sind
theilweise sehr stark abgeplattet, homogen gefärbt und an
einzelnen Stellen mit Rundzellen durchsetzt, an anderen
Stellen sind ganze Lamellen oberflächUcher Epithelzellen
abgehoben; in der Grundsubstanz sind die Homhautkörper-
chen der obersten Schichten vesiculär degenerirt; deutliche
Entzündungserscheinungen sind noch nicht aufgetreten, nur
im Limbus conjunctivae ist eine geringe Infiltration vor-
handen. Derselbe Versuch wurde bei einem zweiten Thiere
wiederholt, nur wurde hier der schützende Glasdeckel weg-
gelassen; demgemäss sind auch hier die Veränderungen
viel bedeutender. Es ist hier das Epithel im Allgemeinen
sehr verschmälert, die obersten Zellen sind stark geschrumpft
und zum Theil mit Rundzellen infiltrirt, zum Theil in
486 A. Ollendorff.
Lamellen abgehoben; auf kurze Strecken hin fehlt das
Epithel sogar vollständig, an anderen ist nur noch eine
einreihige Schicht platter Zellen vorhanden. Im Stroma
reicht die vesiculäre Degeneration und die Schrumpfung
der Homhautkörperchen ziemlich tief, und am Rande ist
beiderseits eine massige, allerdings nicht tief in die Horn-
haut hineinreichende Randinfiltration vorhanden. Von Mikro-
organismen lassen sich nur ganz vereinzelte Cokken auf
der Oberfläche des Epithels nachweisen. Bei einem dritten
noch länger ausgedehnten Versuche (56 Stunden), bei
welchem das Thier in derselben Weise wie das zweite be-
handelt, aber in der Lade gehalten wurde, hat zwar im
Epithel schon wieder eine reichere Ansiedlung von Mikro-
organismen, und zwar von Cokken und Fadenpilzen, Platz
gegriffen, doch ist gleichwohl dieser Versuch meines Er-
achtens für die entzündungserregende Wirkung der Ver-
trocknung zu verwerthen. Hier ist nämlich ein schmaler
Eand der Hornhaut — jedenfalls durch herabfliessendes
Thränensecret — sowohl im Epithel wie im Stroma un-
verändert gebUeben, während man sonst in der ganzen
übrigen Hornhaut die beschriebenen Veränderungen des
Epithels und die vesiculäre Degeneration der oberen Hom-
hautkörperchen in ziemlich bedeutender Litensität antrifil,
und gerade die üebergangsstelle zwischen beiden Theilen
ist durch eine massig stark entwickelte Beactionszone ge-
kennzeichnet. Man könnte allerdings geltend machen, dass
nur in der Ausdehnung der pathologisch veränderten Horn-
haut eine Bakterienansiedlung statthaben konnte, und dass
demnach die Infiltration nur bis in den Bereich der Bak-
terien heranreicht, doch haben die Cokkencolonieen und die
PilzmyceUen sich so zerstreut, und noch dazu hauptsach-
lich gerade im Centrum angesiedelt, dass daraus die Loca-
lisation der reactiven Infiltration gerade zwischen der ver-
trockneten und der nicht vertrockneten Parthie der Horn-
haut keineswegs erklärt wird. Gleichwohl muss zugestanden
lieber die Rolle der Mikroorganismen etc. 487
werden, dass auch bei den Versuchen mit dem Lidhalter
die reactive Infiltration nur in den Fällen beobachtet wurde,
wo auch Bakterien im Epithel der Hornhaut nachgewiesen
werden konnten. Der vollständige Ausschluss derselben
gelang mir erst bei einer anderen Versuchsanordnung, welche
die Vertrocknung, und damit auch die reactive Infiltration
so schnell hervorruft, dass inzwischen keine Bakterienan-
siedlung stattfindet, nämhch durch die künstliche Luxation
des Auges. Wenn man den Bulbus luxirt hat, so kann
man nämlich durch eine Naht, am inneren Augenwinkel
in einiger Entfernung von der lidcommissur durch oberen
und unteren Lidrand gelegt, das Auge dauernd in dieser
Stellung erhalten; es wird dadurch nicht nur die Hornhaut,
sondern auch die Sklera in grosser Ausdehnung frei gelegt,
und zwar an der medialen Seite, wo die Naht liegt, weni-
ger weit als an der lateralen Seite, wo die Sklera fast bis
zum Aequator bulbi fi*ei liegt. Die Befeuchtung durch
Thränenflüssigkeit ist dabei natürlich vollständig ausge-
schlossen. Auf diese Weise konnte ich schon innerhalb
zwölf Stunden eine Vertrocknung mit den ersten Erschei-
nungen einer reactiven Entzündung hervorrufen. Vor der
Luxation wurden die Cilien abgeschnitten, die ganze Um-
gebung des Auges rasirt und sammt dem Conjunctivalsack
gründlich desinficirt Makroskopisch boten nach zwölf Stun-
den die fireiliegenden Cornea und Sklera nur das Bild der
Vertrocknung dar, gröbere Veränderungen waren nicht nach-
weisbar, höchstens erschien die Conjunctiva sclerae etwas
oedematös; auch hatte man den Eindruck, als ob die Cir-
culation in den vertrockneten Parthieen der Sklera aufge-
hoben war. Im mikroskopischen Bilde sieht man die Epithel-
decke der Hornhaut im Allgemeinen verschmälert, beson-
ders die Zellen der obersten Schichten sind sehr stark
abgeplattet; an einzelnen Stellen sind nur noch in der
basalen Schicht gefärbte Kerne zu erkennen, die obersten
Schichten sind mit Eosin homogen gefärbt; die platten
T. Onefe*! Arehir Ar Ophthalmologie. XLTX. 3. 32
488 A. OUendorff.
Zellen auf der Oberfläche sind stellenweise in Lamellen
abgehoben, doch findet sich nirgends eine vollständige Con-
tinuitätstrennung des Epithels, und nirgends auf der Ober-
fläche sind Mikroorganismen zu finden. Die Grundsubstanz
der Hornhaut zeigt in den obersten Schichten schlecht ge-
färbte, theilweise vesiculär degenerirte Hornhautkckpercheii,
an vielen sind überhaupt nur einige kleine Punkte gefärbt
Im Uebrigen ist die Hornhaut normal. Die eigentlichen,
tiefer greifenden Veränderungen finden sich erst in der
Sklera und der Conjunctiva sclerae: An der lateralen, m
viel grösserer Ausdehnung fi'eigelegten Seite des Bulbus ist
die Bindehaut der Sklera in ihrem vorderen Abschnitte
nur im Allgemeinen verschmälert; dabei sind die Epithel-
zellen sehr stark abgeplattet und die Kerne weniger intensiv
als normal gefärbt; auch hier sind nur dieselben ziemhch
geringfügigen Veränderungen an der Sklera zu sehen, im
Uebrigen fällt in diesem Bezirke nur die Beschaffenheit
der Gefässe auf, deren Lumen nicht mit normalem Blut,
sondern mit einer homogenen gelben bis gelbbraunen Masse
gefüllt ist Erst sehr weit hinten sind Conjunctiva, Sklera
und Chorioidea von einer massig dichten Eiterinfiltration
durchsetzt, welche gegen die beschriebene vordere ParÜiie
hin sich ziemlich scharf absetzt und nach hinten zu sich
in dem normalen Gewebe verliert. An der medialen Seite
ist die Bindehaut ausserordentlich verbreitert; die Verbrei-
terung kommt im Allgemeinen durch eine ziemlidi dichte
Durchsetzung mit rothen Blutkörperdien und besonders mit
eosinophilen Zellen zu Stande, jedoch ist ganz vom, dicht
hinter der Sklerocomealgrenze unter dem Epithel eine kleine
Parthie von der Infiltration ziemlich frei geblieben, welche
ganz homogen mit Eosin gefärbt ist und nur vereinzelte
Leukocyten enthält. Auf diese Weise erstreckt sich der
Infiltrationsring von hinten her zunächst gegen das nach
hinten von der homogenen Parthie gelegene Epithd hin,
welches dicht infiltrirt erscheint, tritt dann an die Rück-
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 489
seile dieser Parthie und schiebt sich nach yom gegen den
limbus conjunctiyae vor, um hier auch noch in die obersten
Schichten der Sklera einzudringen; im Uebrigen sind auf
dies^ Seite keine Veränderungen nachweisbar. Auch auf
der ganzen Oberfläche der Conjunctiva sclerae sind nirgends
Mikroorganismen zu finden. Bevor ich auf die Beutung
dieses Befundes eingehe, möchte ich den mikroskopischen
Befund eines zweiten Auges beschreiben, welches in der-
selben Weise 24 Stunden lang in Luxation gehalten wor-
den war. Das Epithel der Hornhaut zeigt Veränderungen
derselben Art wie das des ersten Auges, nur sind die Nekrose-
erscheinungen tiefer greifend, so dass circumscripte , die
ganze Dicke des Epithels durchsetzende Nekrosen vorhan-
den »nd; ausserdem ist in der Hornhaut auch nur noch
die vesiculäre Degeneration der Homhautkörperchen in den
obersten Schichten der Grundsubstanz zu constatiren. Mikro-
organismen sind auch hier nirgends auf der Oberfläche der
Hornhaut zu finden. Die Veränderungen in der Sklera
und der Bindehaut entsprechen auf der einen, und zwar
der medialen Seite Yollständig dem oben beschriebenen Be-
funde; eine der Conjunctiva aufgelagerte, fast homogene
Schicht besteht nur aus eingedicktem Thränensecret mit
einigen Haardurchschnitten und ist deshalb von unter-
geordneter Bedeutung; sie ist ebenfalls ganz frei von Mikro-
organismen. Dagegen tritt auf der anderen, der Vertrock-
nung in grösserer Ausdehnung exponirten Seite noch eine
sehr charakteristische BetheiUgung der Chorioidea hinzu:
in dem ganzen Bezirk nämlich, welcher vor dem ziemlich
weit hinten gdegenen, die Sklera und Conjunctiva durch-
setzenden Infiltrationsring hegt, ist hier eine dichte eitrige
Infiltration der Chorioidea eingetreten, welche die innersten
Schichten der Chorioidea ganz frei lässt und nach der
Sklera hin am dichtesten wird. Auf diese Weise wird die
vordere, durch die Zeichen der Vertrocknungsnekrose cha-
rakterisirte Skleraparthie von allen Seiten durch einen dichten
32*
490 A. Ollendorff.
Infiltrationsring abgeschlossen. Da Mikroorgaiusmen auch
in diesem zweiten Falle in keinem Präparate zu finden
sindy so lassen diese Beobachtungen wohl nur den einen
Schluss zu, dass die reactive Entzündung allein durch die
Vertrocknung hervorgerufen ist Denn der auf allen Seiten
aufgetretene Infiltrationsring begrenzt ganz scharf denjenigen
Theil des äusseren Auges, welcher der Vertrocknung aus-
gesetzt war. Man muss dann allerdings annehmen, dass die
Epiihelien der Hornhaut und der Bindehaut, sowie die ge-
schrumpften Homhautkörperchen und Bindegewebskeme in
der Sklera trotz ziemlich erhaltener Färbbarkeit nekrotisch
sind und ihre Tinctionsfähigkeit nur durch den Mangel an
Feuchtigkeit behalten haben. Die Veränderung des In-
haltes der Gefässe und die daraus zu schliessende Störung
in der Circulation weist auch darauf hin, dass dieses Gre-
webe in der That als abgestorben zu betrachten ist Ich
habe dann ausserdem noch Bulbi mit länger bestehender
Luxation — 2, 2*/,, 3 und 10 Tage — untersucht, doch sehe
ich von einer genaueren Beschreibung dieser Befunde ah,
weil sie im Allgemeinen nur dasselbe Bild in weiterer Ent-
wicklung darbieten. Es kommt in diesen späteren Stadien
noch hinzu, dass die eitrige Entzündung auch in den Ciliar-
körper und die Iris hineinreicht und die vordere Kammerdann
mit Leukocyten angefüllt ist; in dem einen Bulbus hat sogar
am dritten Tage durch Vereiterung eine Perforation an der
Sklerocomealgrenze stattgefunden, auch sind später, wie es bei
dem langen Offenstehen des Auges nicht anders zu erwarten
ist, auf der Oberfläche ausgebreitete Cokkenansiedlungen zu
finden, doch sind alle diese Befunde ohne Bedeutung für die
Auffassung des Processes, und es bleibt als Hauptergeb-
niss dieser Untersuchungen dieThatsache bestehen,
dass allein durch die Vertrocknungsnekrose unter
sicheren Ausschluss von Bakterien eine reactive
eitrige Entzündung hervorgerufen werden kann.
Wenn somit die Bedeutung der Vertrocknung als ent-
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 491
züDdungserregende Ursache sicher gestellt ist, so wird man
genöthigt sein, die hieraus resultirenden Schlüsse auch auf
die Entstehung der Entzündung nach der Trigeminusdurch-
schneidung auszudehnen. Denn wenn es nach den früheren
Erwägungen über den Zusammenhang zwischen Vertrock-
nung und neuroparalytischer Keratitis schon sehr nahe lag,
der Vertrocknung einen sehr wesentlichen Einfluss auf die
Entstehung der Keratitis zuzugestehen, so gewinnt diese
Annahme durch den Nachweis der Vertrocknung als ent-
zündungserregende Ursache ausserordentlich an Sicherheit,
nicht zum wenigsten aber auch durch den Umstand, dass
die histologischen Befunde bei der künstlichen Vertrock-
nungskeratitis mit denen bei der Keratitis nach Trigeminus-
durchschneidung, soweit das betreffende Auge gegen directe
Verletzung geschützt war, durchaus übereinstimmen: die
Veränderungen am Epithel und Stroma sind vollständig
identisch, und was die Reactionszone betrifft, so ist diese
natürlich, entsprechend den veränderten Verhältnissen, in
die Sklera verlegt. Wenn man daher von den Fällen ab-
sieht, wo nach der Trigeminusdurchschneidung ein rein
infectiöses, auf Trauma zurückzuführendes Ulcus aufgetreten
war, so wird man wohl in den übrigen Fällen, wo die
Bakterien sich stets nur spärlich und auf der Oberfläche
des Epithels vorfanden, das anatomische Bild aber sonst
vollkommen mit dem der künsthchen Vertrocknungskeratitis
übereinstimmte, der Vertrocknung die Hauptrolle bei der
Entstehung der secundären Entzündung zuschreiben müssen;
die auf der Oberfläche des nekrotischen Bezirkes angesie-
delten Cokken, die sich, wie gezeigt, in späteren Stadien
der Vertrocknungskeratitis auch vorfanden, sind dann jeden-
falls nur als accidentell, vielleicht als saprophy tisch auf
dem abgestorbenen Gewebe wuchernde Mikroorganismen
anzusehen. Die Bolle, welche diese Mikroorganismen im
Bezug auf die secundäre Entzündung spielen, lässt sich
natürlich nicht genau abgrenzen, jedoch steht es fest, dass
492 A. OUendorff.
die Entzündung nach der Trigeminusdurchschneidung beim
Kaninchen auch ohne Anwesenheit yon Bakterien, allein
durch die Vertrocknung zu Stande kommen kann.
Diesem auf pathologisch-anatomischer Grundlage be-
gründeten Beweise der Vertrocknungstheorie können nun-
mehr auch die anderen Theoiieen nicht mehr Stand halten.
Den Traumen wird man nur noch, so weit sie eine Infec-
tion in sich schliessen, eine Bedeutung zumessen können;
wie geringe Wirkung das Trauma an und für sich auf
das Auge hat, ist durch die experimentellen Untersuchungen
von Feuer (17) und die unter Leber von Krückow(31)
angestellten Versuche hinlänglich dargethan worden. — Die
„rein trophische" Theorie war eigenthch schon durch die
MögUchkeit, die Keratitis durch Schutzvorrichtungen zu
verhüten, widerlegt worden, doch blieb trotzdem die An-
sicht bestehen, dass nach der Trigeminusdurchschneidung
das Auge wenigstens eine auf trophischen Störungen be-
ruhende verminderte Widerstandsfähigkeit besitze. Die zu-
erst von Büttner (4) und Meissner (5) vertretene Ansicht,
dass nur die Durchschneidung der medialen Portion des
Trigeminus, welche die trophischen Fasern enthalten sollte,
die neuroparalytische Keratitis nach sich ziehe, konnte schon
durch die SectionsprotocoUe von Feuer und v. Hippel
nicht bestätigt werden: ersterer fand in fünf Fällen, wo
Keratitis aufgetreten war, nur die laterale Portion durch-
schnitten, letzterer führt zwei Fälle von Keratitis an, wo
die medialen Fasern vollständig intact geblieben waren,
und ich selbst kann diese Befiinde durchaus bestätigen;
ich habe sehr oft bei der Section ganze Faserbündel, so-
wohl mediale als auch laterale, undurchschnitten angetroffen,
habe aber niemals im Hinbhck darauf einen Unterschied
im Auftreten der entzündlichen Erscheinungen constatiren
können; in einem Falle, wo nur die mediale Hälfte sich
als vollständig durchschnitten erwies, blieb sogar die Ent-
zündung mehrere Tage aus und trat erst dann in der tj-
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 493
pischen Weise auf. Damit fällt auch die Theorie von
Merkel (7), welcher die von Meynert gefundene Vier-
hügel wurzel des Trigeminus für eine trophische Wurzel er-
klärte, weil die medialen Fasern des Trigeminus bis in
diese zu yeifolgen sind. Die Angaben von Deckert (24)
und Gaule {8 — 10), welche zum Beweise der trophischen
Theorie die schon von Budge und Merkel beobachtete
„Grübchen" -Bildung in der Hornhaut nach der Durch-
schneidung des Trigeminus heranziehen, hat zwar schon
von verschiedener Seite ihre Widerlegung gefunden, doch
muss ich auf diese nochmals näher eingehen. Deckert hat
diese kleinen Einsenkungen im Centrum der Hornhaut,
welche kurz nach der Durchschneidung des Trigeminus
auffaßten, mikroskopisch untersucht und dabei gefunden,
dass in Querschnitten an den affidrten Stellen das Epithel
intensiver, die Grundsubstanz weniger intensiv gefärbt ist,
dass die tieferen Epithelzellen an Ausdehnung verloren
haben und die ganze Dicke des Epithels auf '/j, die der
Grundsubstanz auf circa ^j^ ihres normalen Durchmessers
reducirt ist, so dass die ganze Hornhaut an diesen Stellen
nur circa ^/^ ihrer normalen Dicke besitzt; die Verdünnung
führt Deckert auf eine durch Beizimg des Trigeminus
hervorgebrachte trophische Störung zurück. Dasselbe hat
dann später Gaule beobachtet, aber weit tiefer greifende
Veränderungen als histologischen Befund dabei beschrieben;
Gaule will schon eine Viertelstunde nach der Durchschnei-
dung in dem Epithel stellenweise circumscripte Nekrosen,
stellenweise vermehrte Neubildung von Zellen gesehen haben,
dabei sollen in der Grundsubstanz die Homhautkörperchen
unter diesen nekrotischen Stellen geschrumpft, und das Endo-
thel der Membrana Descemeti bis zur 20 fachen Zellenlage
verdickt gewesen sein, während der Humor aqueus hinter
diesen Stellen einen Niederschlag zeigte. Auf diesen Be-
fund hin hat nun Gaule eine ganz sonderbare Theorie
aufgebaut, nach welcher zwischen den Epithelzellen und
494 A. Ollendorff.
dem nervösen Centralorgaue ein continuirlicher, Ton den
Spinalganglien regulirter Flüssigkeitsstrom von ChromatiD-
substanzen in den Nerven verläuft, dessen ünterbrechimg
eine Ernährungsstörung für die Zelle zur Folge hat; wird
nun der Trigeminus im Ganglion oder in seinem Verlaufe,
wo er aus Ganglienzellen und Fasern besteht durchschnitten,
so wird dadurch die Regulation des Stromes ausgeschaltet
und es kann nun entweder zur Beschleunigung der Abiuhr
kommen, d. i. Nekrose des Epithels, oder zur Stauung, d. L
Ueberemährung des Epithels und Anregung zur Mitose.
Ganz abgesehen davon, das sich Gaule bei der spedellen
Anwendung dieser Theorie auf das Auge auf die von Leber
widerlegte Theorie von Knies stützt, nach welcher „der
Hauptemährungsstrom der Hornhaut von der vorderen Kam-
mer durch die Grundsubstanz zum Epithel geht'^, sind seine
Beobachtungen, so weit sie die makroskopisch dabei sicht-
bare Grübchenbildung betreffen, bereits von Eckhard (9a)
und dann ausführlich von Hanau (20) widerlegt worden.
Besonders letzterer hat durch eine Reihe von experimen-
tellen Untersuchimgen festgestellt, dass dieselben Grübchen
auch an normalen Augen stets dann auftreten, wenn En-
gere Zeit hindurch der lidschlag verhindert wird, dass also
die Grübchen keine Folge der Trigeminusdurchschneidung,
sondern lediglich Folgen der Vertrocknung sind. Auch ich
habe die Grübchen bei den Versuchen der künstlichen Ver-
trocknung immer entstehen sehen und bin auch bei der
Beobachtung der Grübchen nach der Trigeminusdurch-
schneidung zu der Ueberzeugung gekommen, dass sie allein
Producte der Verdunstung sind: Die Grübchen treten zu-
erst im Centrum des offen stehenden Auges auf, und bilden,
wie es Decker sehr anschauhch beschrieben hat, bald durch
Confluenz grössere Einsenkungen mit unregelmässigen Con-
touren, bis der ganze in der Lidspalte freihegende Theil
der Hornhaut von einer grossen derartigen Vertiefung ein-
genommen wird. Ich hatte zuerst stets den Eindruck als
Ueber die RoUe der Mikroorganismen etc. 495
handele es sich dabei nur um eine Verdunstung der dünnen
Tlüssigkeitsschicht auf der glatten Homhautoberfläche; denn
wenn z. B. Wasser auf einer mit Fett bestrichenen Platte
verdunstet, so entstehen bei der allmählichen Verdünnung
der Flüssigkeitsschicht auch zuerst in derselben kleine kreis-
runde Defecte, welche durch Zusammenfliessen immer grösser
werden. Handelte es sich jedoch allein um diesen Vor-
gang, so müssten die Grübchen zum Verschwinden gebracht
werden können, wenn die verdunstende Flüssigkeitsschicht
auf der Homhautoberfläche immer wieder ersetzt wird, oder
dadurch, dass man auch in der Umgebung der entstandenen
Grübchen die Flüssigkeit abtupft; mit ersterem würde es
ganz im Einklang stehen, wenn E. v. Hippel angiebt, dass
die Grübchen niemals entstanden, wenn nach der Durch-
schneidung eine sehr reichliche Thränensecretion auftrat,
und dass er das Entstehen der Grübchen verhindern konnte,
wenn er sofort nach Entfernung des Schutzdeckels die
Honihaut permanent berieselte; versuchte ich jedoch, durch
einen spitz zugeschnittenen Seidenpapierstreifen oder durch
ein vorsichtig auf der Stelle ausgebreitetes Seidenpapier-
blättchen die Flüssigkeit in der Umgebung des Grübchens
abzusaugen, so wurde das Grübchen zwar bedeutend flacher,
war jedoch, besonders bei focaler Beleuchtung mit Loupen-
vergrössepung noch deutUch zu erkennen. Es geht daraus
hervor, dass die Grübchen wirkliche Niveaudifferenzen im
Gewebe darstellen. Beobachtet man das Auge weiter, so
sind nach etwa einer Stunde die Grübchen verschwunden, nur
im Centrum des Auges sieht man noch einen ovalen Fleck
mit trockenem, matt glänzendem Grunde; dieser Fleck ent-
spricht ganz der Form und Grösse der Lidspalte, und wenn
man das Lid emporhebt, so kann man sehen, dass er sich
durch einen scharfen Rand von den unter dem Lide feucht
gebliebenen Randtheilen der Hornhaut abhebt. Da nun
gerade der in der Lidspalte freiliegende Theil der Horn-
haut von dieser Veränderung betroffen wird, so kann es
496 A. Ollendorff.
nicht zweifelhaft sein, dass sowohl dieser Fleck, als auch
die primären Grübchen, aus denen er hervorgeht, auf Ver-
dunstung zurückzuführen sind, und zwar nicht nur der
Flüssigkeit auf der Homhautoberfläche, sondern auch der
Flüssigkeit in den obersten Homhautschichten. Damit er-
klären sich auch einigermaassen die Angaben Decker's
über die Yerschmälerung von Epithel und Grundsubstanz
ohne histologische Veränderungen, und es erübrigt nur noch,
auf die histologischen Befunde Gaule 's zurückzukommen.
Da Hanau sich auf die Widerlegung der aus den makro-
skopischen Befunden gezogenen Schlüsse beschränkt hat,
habe ich zunächst einen Bulbus, welcher eine halbe Stunde
nach der Trigeminusdurchschneidung enucleirt worden war,
genau (Serie von 30 Schnitten durch die Mitte des Bulbus)
untersucht, habe aber weder im Epithel der Oberfläche noch
im Endothel der Membrana Descemeti die geringsten Ver-
änderungen nachweisen können; die einzige Veränderung
bot das Kammerwasser dar, welches ein flockiges Gerinnsel
aufwies. Auch an einem zweiten, drei Stunden nach der
Durchschneidung enucleirten Bulbus konnte ich weitere Ver-
änderungen noch nicht erkennen. Wie weit die Befunde
Gaule 's also auf leicht erklärUche artificielle Veränderungen
zurückzuführen sind, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Damit ist aber nun auch die von Gaule auf trophischen
Einfluss zurückgeführte Entstehung der „Grübchen'^ durch
die Vertrocknung ausreichend erklärt
Es bleibt somit schliessUch die „vasomotorische Theorie^
von Schiff übrig, welche nunmehr ebenfalls ausfuhrlicher
erörtert werden soll. Schiff hatte zuerst (11) die Keratitis
für die alleinige Folge der Lähmung der im Trigeminus
verlaufenden vasomotorischen Fasern gehalten, hatte aber
diese Theorie schon einige Jahre später dahin modificirt,
dass durch die Lähmung der G^fassnerven nur eine ver-
minderte Widerstandsfähigkeit gegen äussere Einflüsse her-
vorgerufen werde: „denn nur durch die stets vorhandene
lieber die Rolle der Mikroorganismen eta. 497
Hyperaemie sei es möglich, dass das Auge durch verhält-
nissmässig unbedeutende Reize in Entzündung geraten könnte/'
In seiner letzten Arbeit (32) hat Schiff diese Behauptung
von Neuem bekräftigt: er behauptet hier, dass die ^^euro-
paralytische Hyperaemie" nur neun Tage hindurch conti-
nuirlich fortbesteht, während sie von da an nur noch in
vorübergehenden Schwankungen auftritt; daher könne man
das Auge am neunten bis elften Tage ruhig freilassen, ohne
dass dann noch eine Entzündung entstehe. Dies ist aber
keineswegs richtig, denn dagegen spricht schon der Versuch
von Hanau, welcher zuerst ein künstUches Ankyloblepharon
hergestellt, dann den Trigeminus durchschnitten und erst
nach Verlauf eines Jahres das Auge wieder geöffnet hatte;
es trat hier die typische Vertrocknungs-Keratitis au£ Ich
habe zwei weitere Versuche angestellt, welche die letzte Be-
hauptung von Schiff ebenfalls widerlegen: Zunächst hielt
ich ein Thier nach der Trigeminusdurchschneidung zehn
Tage hindurch unter dem Drahtdeckel, wodurch die Ent-
stehung der Keratitis verhindert wurde, und sah dann nach
Entfernung des Drahtdeckels bei dem suspendirten Thiere
die typische Vertrocknungskeratitis auftreten, und bei einem
zweiten Thiere, bei welchem die entstandene Keratitis unter
dem Drahtdeckel vollkommen abgeheilt war (2Vt Monate
nach der Durchschneidung), trat nach Abnahme des Deckels
in der Lade nach kurzer Zeit die Entzündung von Neuem
auf. Ich halte damit die vasomotorische Theorie Schiffs
in der von ihm angenommenen Bedeutung für die Ent-
stehung der neuroparalytischen Keratitis des Kaninchens
für widerlegt, jedoch möchte ich im Anschluss daran einige
nach der Trigeminusdurchschneidung beobachteten Symptome
besprechen, welche thatsächlich auf das Bestehen einer
Circulationstörung hinweisen: es sind dies der erhöhte Ei-
weissgehalt des Kammerwassers, die kurz nach der Durch-
schneidung auftretende Hyperaemie der Gelasse, und die
nach der Durchschneidung vorhandene Herabsetzung des
498 A. OUendorff.
intraoculären Druckes. Was die Veränderung des Karamer-
wassers betrifft, so ist die Steigerung seines Eiweissgefaaltes
und das Auftreten von Fibringeneratoren durch die Ver-
suche von Jesner(36) sicher gestellt; jedoch ist diese ab-
norme Beschaffenheit nur vorübergehend, denn sie hält nur
circa zehn Tage an, und deshalb glaubt Jesner, sie mehr
auf eine Reizung, wie sie bei der Durchschneidung am pe-
ripheren Stumpfe ja auch zu Stande kommt, als auf eine
Lähmung des Trigeminus zurückfuhren zu müssen. Diese
Veränderung des Kammerwassers konnte auch ich in den
kurze Zeit nach der Durchschneidung untersuchten Bulbis
regelmässig an den Gerinnseln in der vorderen Kammer, die
normaler Weise nie vorhanden sind, nachweisen. Die von
Schiff beschriebene, vorher schon von Budge beobachtete
regelmässige Erweiterung der Gefässe der Bindehaut und
der Iris kurze Zeit nach der Trigeminusdurchschneidung
ist zwar von verschiedenen Seiten bestritten worden, be-
sonders wurde von E. v. Hippel und Büttner dagegen
eingewendet^ dass die anfangs vorhandene Hyperaemie nach
Aufnähung des Drahtdeckels wieder verschwinde, doch kann
ich nach meinen direkt darauf gerichteten Beobachtungen
die Behauptung Schiffs nur bestätigen: die Erweiterung
der Gefässe in der Conjunctiva sclerae circa eine Stunde
nach der Durchschneidung, ist ganz constant und war auch
bei zwei Thieren mit vorgenähtem Draht- und Glasdeckel
nach 24 Stunden noch ganz deutlich vorhanden und erst
nach 48 Stunden wieder verschwunden; die Hyperaemie der
Iris konnte ich nur an den albinotischen Augen deutlich
erkennen. — Sehr umstritten ist schliesslich noch die Frage
der Herabsetzung des intraoculären Druckes nach der Tri-
geminuslähmung; dieselbe wird zwar fiir eine grosse Zahl
der am Menschen beobachteten Fälle von neuroparalylischer
Keratitis angegeben, doch muss hervorgehoben werden, dass
nach der Lähmung des Nerven oder der Besection das
G^ngUon Gasseri ohne aufgetretene Entzündung eine Her-
Üeber die Rolle der Mikroorganismen etc. 49g
absetzung des intraocularen Drucks nicht festgestellt werden
konnte, so dass es also hier wahrscheinlicher ist, die Her-
absetzung als Folge der vorhandenen Entzündung denn als
Folge der Nervenlähmung anzusehen ; am Kaninchen jedoch
konnte ich dieselbe zwar nicht in allen, aber in mehreren
Fällen bei völlig intacter Hornhaut deutlich nachweisen.
Diese drei oder — wenn man von dem letzten absieht —
beiden ersten Symptome können wohl nicht anders gedeutet
werden denn als Ausdruck einer mit der Trigeminuslähmung
im Zusammenhange stehenden vasomotorischen Störung —
sei es einer Lähmung von Vasoconstrictoren oder einer
vorübergehenden Beizwirkung auf die Vasodilatatoren —
und es ist daher zu erwägen, ob und wie weit eine der-
artige vasomotorische Störung auf das Zustandekommen
der Entzündung von Einfluss sein kann. Für die trauma-
tisch-infectiöse Form der neuroparalytischen Keratitis des
Thieres ist dies wohl kaum anzunehmen, und ebenso ist für
die Yertrocknungskeratitis des Kaninchens eine weitgehende
Beeinflussung des Processes auszuschliessen, denn einerseits
geht aus den Versuchen mit künstlich hergestellter Ver-
trocknung (lidhalter, Luxatio bulbi) hervor, dass das Offen-
stehen des Auges allein zur Entstehung der Entzündung
genügt, andererseits aber ist es überhaupt nicht erklärlich
wie eine flrweiterung der Gefässe mit der damit verbundenen
erhöhten Transsudation in das Gewebe die Yertrocknung
beschleunigen kann. So ist denn die Entstehung der Yer-
trocknungskeratitis des Kaninchens durch den sicher con-
statirten Mangel des lidschlusses in Verbindung mit der
verringerten Thränensecretion auch ohne Annahme einer
vasomotorischen Störung hinlänglich begründet. •
Wie liegen nun aber die Yerhältnisse beim Menschen?
Schon Feuer hatte darauf hingewiesen, dass für die Ent-
stehung einer Yertrocknungskeratitis nach Lähmung des
Trigeminus das menschliche Auge weit weniger disponirt
ist als das des ThiereSf weil beim Menschen infolge des ge-
500 A. OUendorff.
meinsamen Gesichtsfeldes stets gemeinsamer Lidschlag auf
beiden Seiten erfolgt, also das unempfindliche Auge durch
den vom normalen Auge her ausgelösten Lidschlag mitge-
schützt wird. Feuer hatte die Bedeutung dieser Thatsache
wohl erkannt (18), verfugte aber in der damaligen literatm-
nur über zwei Krankengeschichten mit Angaben über das
Verhalten des Lidschlags, und von diesen zwei Fällen war
in dem einen (y. Graefe (33)) kein Lidschlag, in dem
anderen (Hey mann (34)) regelmässiger Lidschlag Tor-
handen. Jetzt aber ist es durch die exacten Beobachtongen
Krause's (35) nach Besection des Ganglion Gasseri sich^
gestellt, dass zusammen mit dem reflectorischen Lidschlage
des gesunden Auges auch am unempfindlichen Auge regd-
mässiger Lidschlag erfolgt. Damit ist jedoch für das
menschliche Auge die Vertrocknung als Ursache der Ent-
zündung noch keineswegs unbedingt ausgeschlossen, wenig-
stens sind dabei folgende Momente noch wohl zu berück-
sichtigen: Zunächst ist die reflectorische Thränensecretion
auch beim Menschen an dem unempfindlichen Auge sidier-
hch herabgesetzt, denn darin stimmen alle Beobachter
(Feuer, Krause, Leber u. a.) überein, dass das unem-
pfindUche Auge eine weit geringere Befeuchtung zeigt als
das normale Auge; so berichtet Krause, dass bei aner
Patientin nach Besection des Ganglion Gasseri später
beim Weinen und ebenso beim Riechen an Senfoel die
Tbränen am operirten Auge erst später und in viel geringerer
Menge auftraten, und dass eine andere Patientin später
beim Weinen nur auf der gesunden Seite Thränen vergoss,
während das operirte Auge sich nicht einmal rötete. Dann
aber ist wohl zu beachten, dass der Lidschlag, auch wenn
er als Reflex vom normalen Auge aus auf beiden Seiten
erfolgt, immerhin doch an Frequenz vermindert ist, denn
unter normalen Verhältnissen wird durch jeden Reiz, der
eins der beiden Augen trifft, beiderseitiger Lidschlag aus-
gelöst, während nach einseitiger Lähmung des Trigeminns
Ueber die Rolle der Mikroorganismen etc. 501
TOn dem unempfindUcfaen Auge her ein reflectorischer Lid*
schlag nicht mehr erfolgt Für das normal mit Thränen-
flüssigkeit befeuchtete Auge ist diese Verlangsamung des
Ladschlags jedenfalls ohne Bedeutung, man muss auch an-
nehmen, dass diese Störung in der Lidbewegung allein nicht
immer genügt, um selbst an dem unempfindlichen Auge
mit verminderter Thränensecretion eine Vertrocknungskera-
titis hervorzurufen — dagegen spricht vor Allem das relativ
seltene Auftreten der Keratitis beim Menschen nach Affection
oder Resection des Nerven oder des Qanglion — aber die
Frequenz des Lidschlages ist im Allgemeinen normaler
Weise so verschieden, dass bei einem Menschen mit schon
vorher sehr seltenem Lidschlage nach einseitiger Lähmung
des Tiigeminus der Lidschlag nun so selten werden kann,
dass bei gleichzeitigem Versiegen des Thränensecrets das
Auge einer Vertrocknungskeratitis verfallt, während bei
einem anderen Menschen mit vorher frequenten Lidschlage
keine Vertrocknung und daher auch keine Entzündimg auf-
zutreten braucht; es ist dabei vielleicht — gegenüber dem
Thierversuch mit Facialislähmung und Exstirpation der
Thranendrüse — daran zu erinnern, dass hier beim Men-
schen das Auge anaesthetisch ist, die auftretende Trockenheit
des Auges also nicht empfindet' und sich daher auch nicht
dagegen zu schützen sucht. Feuer glaubt ausserdem, dass
selbst bei normaler Frequenz des Lidschlages eine Ver-
trocknungskeratitis entstehen kann, weil in Folge des mangel-
haften Gefühls der Lider der Lidschluss unvollständig sein
kann; vielleicht werden auch aus demselben Grunde die Lider
während des Schlafes nicht immer vollständig geschlossen,
und dann kann sich in einer Nacht in der freiliegenden
Lidspalte eine Xerose ausbilden. Individuelle Verschieden-
heiten, welche für die Entstehung der Vertrocknung von
Bedeutung sein können, liegen ferner in der verschiedenen
Weite der Lidspalte und in dem stärkeren oder geringeren
Vortreten des Bulbus. Jedenfalls ist also auch in Beziehung
502 A. OUendorff.
auf die Vertrocknung ein principieller Gegensatz zwischen
Thier und Mensch nicht zu constatiren) sondern man kann
nur sagen, dass beim Thier nach einseitiger Trigeminus-
lähmung ohne Schutz des betreffenden Auges stets eine
Hornhautentzündung auftreten muss, nämlich entweder durch
Infection nach stattgefundener Verletzung oder durch Ver-
trocknung, während beim Menschen, wenn Trauma und
Infection vermieden werden, das Auftreten der Entzündung
von individuellen praeexistenten Verhältnissen abhängig ist —
Es bleibt nun aber auch noch für diese Form der neu-
roparalytischen Keratitis des Menschen zu entscheiden, ^e
weit dabei etwa die beschriebenen vasomotorischen Störungen
in Frage kommen können. So könnte man daran denken,
dass vielleicht in den ersten zehn Tagen, wo die neuro-
paralytische Hyperaemie vorhanden ist, durch eine damit
im Zusammenhange stehende Ernährungsstörung, wie Schiff
sie annimmt, die Enstehung einer Vertrocknung begünstigt
wird, aber ein Beweis ist dafür nicht zu erbringen. Zwar
ist es auffallend, dass Krause, der bei der Operation die
Vorsicht beobachtete, das Auge geschlossen mit in den Ver-
band aufzunehmen, so dass es überhaupt erst am 18. Tage
nach der Resection des Ganglions geöffnet wurde, thatsäch-
lich keinen einzigen Fall -von neuroparalytischer Keratitis
direct im Anschluss an die Operation beobachtet hat, aber
durch diese Vorsichtsmaassregel war eben auch jede Gelegen-
leit zum Zustandekommen einer Vertrocknung oder einer
hnfection beseitigt. Nun hat neuerdings Seydel (58) auf
Grund kUnischer Beobachtungen den Versuch gemacht, die
Symptome einer vasomotorischen Störung mit einer gleich-
zeitigen Lähmung des Sympathicus in Verbindung zu bringen
und damit eine Ernährungsstörung des Auges zu erklären,
wleche „ein Hauptfactor für das Zustandekommen der neu-
roparalytischen Entzündung'^ sein soll. Es ist nun durch-
aus nicht auffallend, wenn in den meisten Fällen von Tri-
gerainus-Affection gleichzeitig Erscheinungen von Seiten des
üeber die Rolle der Mikroorganismen etc. 603
Sympathicus beobachtet werden, denn bei Erkrankiingeii
des Trigeminus sied natürlich auch die mit ihm ver-
laufenden sympathischen Fasern afficirt^ dann aber ist be-
sonders bei den intracraniellen Affectionen der Sitz der
Läsion (Tuberculose, Syphilis, Tumor, Trauma) wohl nie-
mals so circumscript, dass nicht auch benachbarte Theile
mit reicheren Sympathicus-Geflechten (z.B. Sinus cavernosus)
initergriffen würden, ebenso kann bei der Ganglion-Besection
und der intracraniellen Trigeminusdurchschneidung niemals
eine Verletzung angrenzender Gefässe vermieden werden,
aber Seydel geht sicher zu weit, wenn er annimmt, dass
überhaupt nur in den Fällen mit ausgesprochener Sympa-
thicus-Lähmung eine neuroparalytische Keratitis auftritt und
dass in allen Fällen von neuroparalytischer Keratitis der
Sitz der Affection in das Ganglion selbst oder in dessen
nächste Nähe zu verlegen ist, weil dort die meisten Sym-
pathicus-Fasern mitgetroffen werden. Er führt zum Be-
weise dafür zunächst an, dass beim Menschen die neuro-
paralytische Keratitis nur bei Affectionen der Gehirnbasis,
weim das Ganglion oder der Nerv selbst erkrankt sind, be-
obachtet worden ist, nicht bei centralem Sitz des Krankheits-
heerdes. Dagegen spricht jedoch zunächst der von Seydel
selbst dtirte Fall von Haase(49), — denn „der Verdacht
einer gleichzeitigen Sympathicus-Lähmung^^ ist wohl kein
Beweis! — femer die von Merkel (7) citiiien Fälle, z. B.
der Fall von Lombroso, wo hinter und unt^ dem Pons
ein haselnussgrosser Tumor sass, der Fall von Alison u. a.,
so dass Merkel gerade zu den Schluss kommt, dass
^SchädUchkeiten, die auf den Trigeminus einwirken, auch
wenn sie sich hinter dem Ganglion, ja selbst im Gehirn
befinden, im Stande sind, die bekannte Entzündung hervor-
zurofen'^ Seydel macht für seine Theorie femer die Ergeb-
nisse der Trigeminusdurchschneidungen beim Thiere geltend,
indem er anfuhrt, dass Magendie, Ol. Bernard und Gaule
hd Durchsohneidungen centralwärts vom GangUon gar keine
T. QiMfe's ArohiT Ar Ophtluümologle. XLIX. 8. 33
504 A. Ollendorff.
oder nur sehr geringe Veränderungen des Auges gesehen
hätten. Dies ist aber durchaus nicht richtig. Denn
Magendie sagt nur, dass die Affection dann in geringerer
Ausdehnung und an einer anderen Stelle auftritt („il se
forme seulement une infiammation partielle ä la partie
sup^rieure de Tobü, et l'opacite qui ne tarde pas k la sui-
vre n'occupe qu' un petit segment sur la circonfi^rence de
la comee ä la partie superieure"); auch Gaule behauptet
nicht, dass bei der Durchschneidung zwischen Pons und
Ganglion keine Keratitis auftritt, sondern macht nur den
Unterschied, dass „allein die Durchschneidung in und vor
dem Ganglion einen nutritiven Einfluss auf die Hornhaut
erkennen lässt" (s. o.), „während bei der Durchschneidung
zwischen Pons und GangUon die Thiere die Entzündung
infolge der Hornhaut- Anaesthesie bekommen''; übrigens er-
klärt schliesslich Schi ff (11), welcher die Durchschneidung
zwischen Pons und GangUon ebenfalls ausgeführt hat, dass
die Affection dabei in gleicher Weise, nur langsamer auftritt.
Die geringen Abweichungen erklären sich auch am ein-
fachsten durch etwaige gleichzeitige Verletzungen anderer
Nerven und Gehimtheile (z. B. eine Ptosis durch eine Oculo-
motoriuslähmung, Deviationen des Bulbus durch Verletzung
der Crura cerebelli ad pontem). Alle diese Thatsachen
sprechen schon deutlich gegen die Beweisführung Seydels.
Ich will sodann ganz davon absehen, dass eine ausge-
sprochene Lähmung des Sympathicus doch nur für sehr
wenige Fälle nachgewiesen ist, aber vor Allem ist durch-
aus keine befriedigende Erklärung dafür gegeben, wie die
Lähmung des Sympathicus mit der Entstehung der primären
Nekrose im Zusammenhange steht: zwar ist es nicht be-
wiesen, aber wohl möglich, dass die bei der Sympathicus-
lähmung auftretende Circulationsstörung auch eine Ernälir-
ungsstörung für die Hornhaut bedeutet, aber dann müsste
doch die Homhaut-Affection in jedem Falle von Ganglion-
Resection entstehen, weil die mit dem Trigeminus verlaufenden
lieber die Rolle der Mikroorganismen etc. 505
sympathischen Fasern für die Gefässe des Auges dabei
stets verletzt' werden müssen, und hier auch die übrigen,
nach Seydel ßir das Zustandekommen der groben Er*
nährungsstörung nothwendigen Ausfallserscheinungen, näm-
lich die Anaesthesie und die mangelnde Befeuchtung, stets
vorhanden sind. Dies ist aber nach den Erfahrungen Krause's
nicht der Fall. — Die von Seydel auch als Beweis an-
geföhrte Thatsache, dass die primäre Nekrose sich im Centrum
der Hornhaut localisirt, erklärt sich am einfachsten dadurch,
dass dieser Theil am meisten der Yertrocknung und der
Verletzung ausgesetzt ist — Ich möchte im Uebrigen nur
noch auf einen Punkt der Seydel'schen Arbeit eingehen,
nämlich auf die Momente, welche er gegen die Vertrock-
nungs-AetioIogie anfuhrt Ich kann dabei in der Haupt-
sache auf meine erste ausfuhrliche Darstellung über diesen
Punkt verweisen, nur eins ist noch nachzutragen: Seydel
macht nämlich mit Hecht darauf aufmerksam, dass nach
der Yertrocknungstheorie die Patienten mit doppelseitiger
Homhaut-Anaestbesie am meisten der Gefahr der Keratitis
neuroparalytica ausgesetzt sein müssten, und weist nun
auf einen von ihm beobachteten Fall hin, wo trotz doppel-
seitiger Anaesthesie w^ährend */» Jahres „keine typische Horn-
haut-Veränderung wahrgenommen werden konnte*'. Dazu
ist jedoch zunächst zu bemerken, dass in der beigefügten
Krankengeschichte selbst das Auftreten von „drei kleinen
Randinfiltraten in der Hornhaut^* angegeben ist, und dass
nach dem Bericht „die Empfindlichkeit des Trigeminus
sich im Allgemeinen wieder etwas erholt hatte und nur die
Comeal- und Conjunctivalempfindung vollständig erloschen
war*'. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass dabei der
Lidschlag nicht voUstänig aufgehoben und ebenso die Thränen-
secretion erhalten geblieben war; über beides fehlen An-
gaben. Ueberdies ist aber eben, wie oben auseinanderge-
setzt, das Aufbreten einer Vertrocknungs-Entzündung beim
Menschen von individuellen Verhältnissen abhängig, und
33*
506 A. OUendorff.
diese können im vorliegenden Falle sehr günstig gewesen
sein. In Wirklichkeit ist nämlich in allen übrigen FSUm
Yon doppelseitiger Trigeminuslähmung, soweit ich aus der
Literatur ersehen konnte, eine beiderseitige Entzünduig
nicht ausgeblieben: es sind diese Fälle beschrieben Ton
V. Graefe (33), Althaus (40), Feuer (17), Junge (39)
und Leudet (aus 44). Dieses Moment könnte also dier
als ein Beweis für die xerotische Aetiologie mancher Horn-
hautentzündungen nach Trigeminus- Lähmung angesehen
werden.
Gleichwohl aber glaube ich nicht, dass beim Menschen
die Yertrocknung häufig die Ursache der Entzündung ist,
denn es liegt bei der bestehenden Anaesthesie des Auges rid
näher, an eine im Anschluss an eine Verletzung auftretende
infectiöse Keratitis zu denken. Denn das Auge ist in Folge
seiner Unempfindlichkeit den vielfachsten Insulten aasge-
setzt, welche sich der Patient,* der sich seines Leidens nicht
jederzeit bewusst ist, selbst beibringt — wie nahe li^
z. B. die Möglichkeit einer Verletzung der Hornhaut beim
Waschen des Gesichts! — , und der Conjunctivalsack birgt
dann stets genug pathogene Bakterien, um eine Lifedaon
zu Stande zu bringen. Dafür spricht auch die Thatsadie,
dass bei bestehender Lähmung des Trigeminus die Ent-
zündung sehr oft erst sehr spät, so auch oft erst lan^
nach der Nervenresection auftritt Vor Allem aber weisen
die klinischen- Beobachtungen aus der Literatm: darauf hin.
Es ist natürlich sehr schwierig und gewagt, aus dem mit-
getheilten klinischen Bilde einen Schloss auf die Entr
stehungsursache zu ziehen, jedoch entspricht bei da: über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle das ganze Bild und der ye^
lauf so vollkommen demjenigen der infectiösen Keratitis,
d. h. des einfachen Ulcus corneae, dass die Annahme einer
Infection für diese Fälle durchaus gerechtfertigt erscheini
Leider liegen pathologisch-anatomische Untersuchungen von
menschUchen Bulbis mit neuroparalytischer Keratitis bis
lieber die Rolle der Mikroorganismen etc. 507
jetzt nur über drei Fälle vor: von diesen ist der von
Treitel (37) beschriebene Fall mit positivem Befunde von
Mikroorganismen ein einfaches Ulcus corneae , welches bei
gleichzeitiger eitriger Phlegmone mit Gesichtserysipel auf-
getreten war, und der zweite, von de Schweinitz(38) be-
schriebene Fall entspricht im pathologisch-anatomischen Be-
funde ebenfalls einer infectiösen eitrigen Keratitis mit Per-
foration der Hornhaut, doch fehlt hier die Angabe über
den Bakterienbefund. Nur in dem dritten Falle, welchen
E. V. Hippel (25) beschrieben hat, unterscheidet sich das
pathologisch-anatomische Bild in nichts von demjenigen beim
Kaninchen nach Trigeminusdurchschneidung; v. Hippel
konnte auch in den Präparaten nirgends Bakterien nach-
weisen, vermuthet aber, dass gleichwohl eine oberflächliche
Ansiedelung von Mikroorganismen stattgefunden habe und
dass diese nachher abgespült worden seien. *Ich möchte es
indessen für wahrscheinUcher halten, dass dieser Fall als ein
Beispiel für die nicht-infectiöse Entstehung der Keratitis an-
zusehen ist Wie oft sonst noch in den veröfientlichten Fällen
eine nicht-infectiöse Aetiologie in Frage kommt, ist nicht
zu entscheiden, einige dieser Fälle sind sicherlich noch als
Herpes zoster ophthalmicus zu deuten, aber die bei weitem
überwiegende Mehrzahl der Fälle von neuroparalytischer
Keratitis des Menschen ist jedenfalls, wie der von Treitel
beschriebene Fall, auf Infection im Anschluss an ein Trauma
zurückzuführen. Wenn in einigen Fällen von GangUon-
resection (58) oder bei einer intracraniellen Verletzung mit
Lähmung des Trigeminus (47) „trotz eines Schutzverbandes
und prophjlactischer Atropininjectionen'^ frühzeitig eine Ent-
zündung der Hornhaut auftrat, so ist wohl auch hier eine
primäre Verletzung mit secundärer Infection anzunehmen,
denn gerade bei dem zur Atropineinträuflung nothwendigen
öfteren Verbandswechsel ist eine Verletzung des unempfind-
lichen Auges leicht möglich, ebenso kann auch dadurch,
dass das Auge unter dem Verband geöffiiet wird, und die
508 A. Ollendorff.
Hornhaut sich an demselben reibt, ein oberflächUcher De-
fect der Cornea zu Stande kommen. Ich glaube somit,
dass es nach Allem wohl vereinbar ist, wenn ich
als die häufigste Entstehungsursache der Entzün-
dung beim Thiere, welches gegen directe Ver-
letzungen geschützt ist, die Yertrocknung, dagegen
beim Menschen die im Anschluss an ein Trauma
erfolgende Infection ansehe.
Ich möchte zum Schlüsse die Ergebnisse meiner Unter-
suchungen folgendermaassen zusammenfassen:
1. Die Hornhautentzündung bei Thieren, welche nach
der Durchschneidung des Trigeminus nicht gegen äussere
Verletzungen geschützt werden, ist auf eine traumatische
Infection zurückzuführen, vorzüglich mit Staphylocokken.
welche schon normaler Weise im Conjunctivalsack stets
vorhanden sind.
2. Bei Thieren, welche nach der Trigeminusdurch-
schneidung gegen äussere Verletzungen geschützt worden
sind, tritt die Hornhautentzündung secundär, als Reaction
auf eine Vertrocknung der in der lidspalte freiliegenden
Honihautparthie auf; die dabei auf der Oberfläche der
Hornhaut in geringer Zahl gefundenen Bakterien sind für
die Entstehung der Entzündung jedenfalls ohne besondere
Bedeutung, wenigstens steht es auf Grund experimenteller
Versuche mit künstHch hergestellter Vertrocknung fest, dass
letztere allein eine Entzündung hervorrufen kann.
3. Die für das Auge des Kaninchens gewonnenen
Resultate lassen sich nicht ohne Weiteres auf die neuro-
paralytische Keratitis des Menschen übertragen ; zwar kann
auch beim Menschen nach Lähmung des Trigeminus wahr-
scheinhch eine durch Vertrocknung hervorgerufene Entzün-
dung auftreten, jedoch geschieht dies nicht constant wie beim
Thiere, sondern ist jedenfalls von individuellen präexistenten
Verhältnissen abhängig. Die meisten beim Menschen beob-
achteten Fälle von neuroparalytischer Keratitis sind jedoch
lieber die Rolle der Mikroorganismen etc. 509
auf eine Infection nach mechanischer Verletzung der Horn-
haut zurückzuführen.
4. Einige bei der Dui^chschneidung des Trigeminus
consümt beobachtete Symptome sprechen dafür, dass nach
der Durchschneidung des Trigeminus auch vasomotorische
Störungen im Auge auftreten, doch ist die Annahme eines
Einflusses derselben auf das Zustandekommen der Entzün-
dung weder begründet noch nothwendig. —
Zum Schlüsse sei es mir gestattet, Herrn Prof. Leber
für seinen vielfachen Bath und das ausserordentliche Interesse,
welches er der Arbeit zuwendete, ebenso auch Herrn Prof.
E. V. Hippel für seine liebenswürdige Unterstützung meinen
herzlichsten Dank auszusprechen.
Literaturverzeichniss.
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nutrition et les fonctions de roeil. Journal de phjsiologie ex-
p^rimentale et pathologique. T. IV. 1824.
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auftretenden EmÄhrungsstÖrungen am Auge und anderen Organen.
Zeitschr. für rat. Medicin. 3. Reihe. XVI. 1863.
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am Auge des Kaninchens eintretende Ernährungsstörung. Zeitschr.
für rat Medicin. 3. Reihe. XXIX. 1867.
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f. Physiologie. 1891. Nr. 15.
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haut? Ibid. Nr. 16.
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geminus. Centralbl. f. Physiologie. 1892. Nr. 11.
10) Gaule, Zur Frage über die trophischen Functionen des Trige-
minus. Ibid. Nr. 13.
11) Schiff, Untersuchungen zur Physiologie der Nerven. Frank-
furt, 1855.
12) Schiff, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1858/59.
13) Claude Bernard, Leyon sur la chaleur animale. 1876.
510 A. Ollendorff.
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trage zur Natur- und Heilkunde. 1857.
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Durchschneidung des Trigcminus auftretende HomhautafTection.
Virchow's Archiv. LXV. 1875.
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18) Feuer, Ueber die klinische Bedeutung der Keratitis xerotica.
Wiener med. Jahrbücher. 1877. II. Heft.
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22) Eberth, Experimentelle Untersuchungen über die Entzündung
der Hornhaut. Unters, aus d. pathol. Institut zu Zürich. 1874.
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33) v. Graefe, Zur neuroparaly tischen Ophthalmie, v. Graefe'8
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üeber die Rolle der Mikroorganismen etc. 511
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Augenheilk. XXV.
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Auge auftretende Ernährungsstörung. Zeitschr. f. rat. Medicin.
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60) Kondracki, Ueber die Durchschneidung des Nervus trigeminus
bei Kaninchen. Inaug.-Dissert. Zürich 1872.
51) Leber, Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse vom Flüssig-
keitswechsel des Auges. Anatom. Hefte. II. Abth. „Ergebnisse".
1894.
52) Fuchs, Lehrbuch der Augenheilkunde. 1898.
b'i) Ziegler, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Bd. II. 1895.
54) Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1893.
55) W. Krause, Die Anatomie des Kaninchens. 2. Aufl. 1884.
56) Leber, Ueber die Xerosis und die infantile Homhautverschwä-
rung. v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXIX. 3. S. 24b ff.
57) Wedl und Bock, Pathologisdie Anatomie des Auges. 1886.
ft8) Seidel, Ein Beitrag zur Lehre der Keratitis neuroparalytica.
v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLVIIL 1.
Ueber die elastischen Fasern in der Sklera
des Menschen.
Von
G. Ischreyt,
Augenarzt in Riga (Russland).
Die elastischen Fasern der Lederhaut sind in den
letzten Jahren mehrfach Gegenstand eingehender Unter-
suchungen gewesen. Der ersten Publication Sattler's*)
folgten die Arbeiten von Bietti*), Sattler"), Stutzer*)
und Kiribuchi'*). Das Hauptverdienst dieser Arbeiten
möchten wir zunächst darin sehen, dass durch die Fest-
stellung eines dichten elastischen Netzes überhaupt die An-
sichten über den physikalischen Charakter der Lederhaut
eine ganz bestimmte Richtung erhielten. Wenn die Sklera
von einigen Schriflstellem bisher für starr angesehen werden
konnte, lag das wohl zum grössten Theil an der Unkennt-
niss dieser anatomischen Verhältnisse.
Die grosse physiologische und pathologische Bedeutung,
die dem Opticuscanal und seiner näheren Umgebung inne-
*) Sattler, Bericht der ophthalm. Gesellschaft zu Heidelberg.
1896. S. 127. 1897.
«) Bietti, Arch. d* Ottalm. 1897 u. Arch. f. Augenheilk. XXXIX.
3. S. 260. 1899.
') Sattler, Bericht der ophthalm. Gesellschaft zu Heidelberg.
1897. S. 50. 1898.
*) Stutzer, v. Graefe's Arch f. Ophthalm. XLV. S.322. 1898.
*)Kyoji Kiribuchi, Archiv f. Augenheilkunde. XXX VIII.
S. 177. 1898.
üeber die elastischen Fasern in der Sklera des Menschen. 513
wohnt y hat auch in den genannten Arbeiten das Interesse
in bedeutendem Maasse auf sich gezogen und zu erschöpf-
enden Darstellungen dieses Theiles der Lederhaut gefuhrt
Nächstdem wurden die elastischen Fasern der limbusgegend
einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Dagegen finden
sich über die entsprechenden Verhältnisse in den übrigen
Theilen der Skleralkapsel nur ziemlich kurze Angaben.
Sattler macht die Bemerkung, dass die elastischen Fasern
in den inneren Lagen der Sklera im Ganzen noch etwas
feiner seien, als in den äusseren, mehr gestreckt verliefen
und besonders zahlreich seien. Stutzer schliesst sich den
Ausfuhrungen Sattler's im Allgemeinen an, fügt ihnen
aber hinzu, dass er in den mittleren Skleralparthieen in
manchen Augen gar keine, in anderen massig viele und
wieder in anderen ausserordentlich reichhche Fasern ge-
funden hätte. Kiribuchi bestätigt ebenfalls die Angaben
Sattler's.
Zwei Fragen von grosser Wichtigkeit sind bisher noch
nicht untersucht worden, und der Zweck der vorliegenden
Arbeit ist es, das schon vorhandene Material in dieser Hin-
sicht zu vervollständigen. Zunächst handelt es sich darum,
den Gehalt an elastischen Fasern überhaupt festzustellen.
Der Streit, ob die Sklera in bedeutenderem Maasse elastisch
sei oder nicht, wird sich erst entscheiden lassen, wenn wir
ihren wirklichen Gehalt an elastischen Elementen kennen
und dadurch in den Stand gesetzt werden, das Gewebe
der Lederhaut mit demjenigen anderer Organe genau zu
vergleichen. Die zweite Frage betrifiPb die Vertheilung der
elastischen Fasern innerhalb der einzelnen Abschnitte. Dient
die Sklera in ihren verschiedenen Theilen verschiedenen
physiologischen Aufgaben, dann sind auch mit grosser Wahr-
scheinlichkeit Abweichungen in dem Gehalt an elastischen
Fasern zu erwarten.
Für die eigenen Untersuchungen wurden die Leder-
häute zweier durch Enucleation gewonnener Augen verwandt,
614 G' iBchreyt
für deren Ueberlassung ich Herrn CoUegen H. v. Kr tidener
zu Dank verpflichtet bin. Das eine Auge war an skrophu-
lösen Homhautgeschwüren und totalem Comeastaphylom.
das zweite an Secundärglaukom nach Luxatio lentis zu
Grunde gegangen; in dem ersteren Falle hatte der Krank-
heitsprocess ungefähr ^/^ Jahr gedauert, in dem zweiten
war zwischen dem Trauma und der Enucleation 1 Jahr
verflossen. Das Lebensalter der Patienten betrug 2, be-
ziehungsweise 50 Jahre. Die Art der Erkrankung macht
eine gröbere Structurveränderung der Sklera von vornherein
unwahrscheinlich; vor allem ist kein Grund zu der An-
nahme vorhanden, dass sich die Menge oder die Yertheilung
der elastischen Fasern infolge jener krankhaften Vorgänge
verändert hätten. Wir werden daher mit viel Kecht die
hier angetroffenen Verhältnisse als normal ansehen können.
Die Verwendung normaler Leichenaugen zu den Unter-
suchungen wurde wegen des unberechenbaren Einflusses
der Fäulniss auf die Farbenreaction von vornherein aufge-
geben. — Die Augen wurden mit Formol fixirt und in
Alkohol nachgehärtet.
Für die Untersuchung wurden aus der hinteren Kuppe
und der Aequatorgegend der Sklera kleine Stückchen, unt-er
Vermeidung der Nachbarschaft des Opticuscanals und der
Muskelinsertionen, excidirt und mit dem Gefiriermikrotom
Flachschnitte davon angefertigt Die elastischen Fasern ver-
laufen der Oberfläche der Sklera ziemlich parallel und lassen
sich meist durch das ganze Gesichtsfeld oder grössere Theile
desselben verfolgen, wenn man Flachschnitte mikroskopirt
Punktförmige Querschnitte und stachelförmige Schrägschnitte
von Fasern sind hier nicht anzutreSJen, und daher eignen
sich Flachschnitte allein zu einer Berechnimg der Faser-
menge. Die Berechnung wurde nun in folgender Weise
vorgenommen. Es wurden mit Hilfe eines Leitz'schen
Zeichenoculars die elastischen Netze abgebildet, so weit sie
in ein auf der Zeichenfläche befindliches Quadrat von 55 mm
Ueber die elastischen Fasern in der Sklera des Menschen. 515
Seitenlänge zu liegen kamen. (Um subjective Einflüsse
während des Zeichnens nach Möglichkeit auszuschalten,
wurden die Präparate blos numerirt und die Zeichnungen
ohne Kenntniss ihrer Herkunft angefertigt) Dann wurde
mit einem Curviroeter, wie man es zur Bestimmung von
Weglängen auf Karten verwendet, die Länge sämmtlicher
Fasern innerhalb eines jeden Quadrates gemessen. Wenn
auch während des Zeichnens ein jedes Stellen der Mikro*
meterschraube vermieden ward und das Präparat somit nur
für eine Ebene scharf eingestellt blieb, entspricht — streng
genommen — die Menge der jedesmal gezeichneten Fasern
wegen der Durchsichtigkeit des Grewebes und des Um-
Standes, dass auch weniger scharfe Fasern abgebildet wur-
den, einer Gewebsschicht. Mit Hilfe der Theilstriche auf
dem Kopfe der Mikrometerschraube lässt sich die Dicke
derselben zu ungefähr 0,005 mm bestimmea. Die Abbil-
dung der Fasern sind nun die Projectionen der in jenem
Baume enthaltenen elastischen Fasern auf die Ebene. Wir
dürfen daher nicht vergessen, dass der Gehalt etwas zu
hoch ausfällt, wenn wir die Menge der Fasern auf die
Quadrateinheit, zu niedrig, wenn wir sie auf die Cubikeinheit
beadehen. Diese Unterschiede dürften aber praktisch kaum,
in Betracht kommen. Nachdem die Länge der Fasern eines
jeden Quadrates, in der Vergrösserung, mit dem Curvimeter
gemessen worden war, wurden die sich ergebenden Zahlen
innerhalb der einzelnen Gruppen addirt und die Durch*
sdinittszahlen gezögen, diese letzteren aber dann in die
natürUche Grösse umgerechnet Um ein Beispiel heraus-
zugreifen, betrug in den oberflächlichen Schichten der hin-
teren Kuppe von Fall II die durchschnittliche Gesammt-
länge der Fasern in der gegebenen Vergrösserung 1931mm;
da nun für die Zeichnungen 1 mm der Vergrösserung
0,00217 mm entspricht, ist die natürliche Länge der Fasern
1931.0,00217 = 4,19027 mm. Diese Fasenilänge entsinieht
einem Quadrat , dessen Seite in der Vergrösserung 55 mm
616 ö. iBchreyt
und in natürlicher Grösse 0,119 mm beträgt Somit tct-
theilen sich die 4,19027 mm Fasern auf eine Fläche Ton
0,1 19 . 0,1 1 9 mm = 0,01416 qmm. Hieraus berechnet sich
der Gehalt an elastischen Fasern pro 1 qmm nach der
Gleichung 0,01416: 4,19027 = l:x, woraus x = 4,19027:
0,01416 = 295 mm.
Es muss betont werden, dass bei dieser Berechnung
des Gehaltes an elastischen Fasern nur diejenigen Fasern
berücksichtigt sind, welche mit dem Objectiv 7 sichtbar
wurden. Bei Anwendung stärkerer Objective werden selbst-
verständlich noch mehr Fasern zu sehen sein, und der Ge-
halt wird demgemäss höher ausfallen.
Die Färbung der elastischen Fasern wurde nach der
Weigert'schen Resorcin- Fuchsin -Methode vorgenommen,
da sie nach den bisherigen Erfahrungen die zuverlässigste
zu sein scheint. Wie es sich zeigte, leidet auch sie an einer
unberechenbaren Launenhaftigkeit und es kam mehrfach
vor, dass sich von sonst völUg gleich behandelten Schnitten
die einen gut färbten und die anderen nicht In derartigen
Fällen wurden zweifelhafte Resultate nicht verwerthet Um
feststellen zu können, ob die Dauer der Färbung von Ein-
. fluss auf das Gelingen derselben sei, wurde eine grössere
Anzahl von Schnitten verschieden lange (*/j — 2 Stunden)
in der Lösung gelassen; eine spätere Zusammenstellung
der Resultate ergab keinerlei Yortheil für die längere Dauer.
Eine Beachtung dieses Umstandes schien auch geboten,
um dem möglichen Einwände zu begegnen, dass ein höherer
Gehalt an elastischen Fasern in gewissen Abschnitten der
Sklera nur durch ein leichteres Eindringen der Farblösung
in diese Theile vorgetäuscht sei.
Fall I. Es wurden 86 Zeichnungen angefertigt und in der
beschriebenen Weise gemessen. 43 betrafen die Gegend des
Aequators und 43 die hintere Kuppe. In beiden Gruppen ge-
hörten 14 den äusseren Schichten, 10 den mittleren und 19 den
inneren an. Das Endergebniss der Rechnung findet sich in den
Ueber die elastischen Fasern in der Sklera des Menschen. 517
folgenden Tabellen. Die dardischnittlidie Gesammtlänge der
Fasern für 0,01416 qmm beträgt in mm:
Aequator
aussen 2,91865 mm
mitten 2,53673 „
innen 2,84921 „
hintere Kuppe
2,89912 mm
2,96205 „
3,48936 „
In 1 qmm sind enthalten:
Aequator
aussen 206 mm
mitten 179 „
innen 201 „
hintere Kuppe
204 mm
209 „
246 „
Fall n. Es wurden 36 Zeichnungen angefertigt; in jede
sechs Qmppen gehörten sechs.
Aequator
aussen 3,96242 mm
mitten 3,15735 „
innen 3,93855 „
hintere Kuppe
4,19027 mm
4,63295 „
4,73277 „
In Iqmm sind enthalten:
Aequator
hintere Kuppe
aussen 279 mm
mitten 222 „
innen 278 „
295 mm
327 „
334 „
Aus den vorliegenden Tabellen lässt sich zunächst ein
auffallender unterschied in der Quantität der elastischen
Fasern in beiden Fällen feststellen. Derselbe hat indessen
nichts Wunderbares an sich, da bekanntlich die Menge der
Fasern grossen individuellen Schwankungen unterworfen ist
Nach Kiribuchi soll das Alter von grossem Einfluss sein:
„Bei jungen Leuten und besonders bei Neugeborenen sind
die elastischen Fasern weniger zahlreich und feiner als bei
Erwachsenen" (1. c. S. 178). Auch in unserem Falle ist
die Sklera des 2jährigen Kindes bedeutend ärmer an elasti-
schen Fasern als diejenige des 50jährigen Mannes.
Die Aequatorgegend ist im Ganzen ärmer an elasti-
schen Fasern als die Gegend der hinteren Kuppe. An der
Oberfläche der ersteren ist die Menge derselben am grössten,
nimmt gegen die Mitte stark ab und steigt erst wieder in
den innersten Schichten, wo sie fast dieselbe Höhe wie
aussen erreicht.
In der Gegend der hinteren Kuppe ist die Anordnung
518 ^» Iicfareyt, lieber die elast Fasern in der Sklera des Menachen.
der FaBem eine durchaus andere, indem hier die äusa^^n
Schichten die relativ ärmsten sind und der Gehalt an
elastischen Fasern stetig von aussen nach innen zunimmt,
um hier die grösste Höhe zu erreichen.
Vergleichen wir nun die Menge der Fasern beider
Skleralabschnitte untereinander. Aussen ist sowohl am Aequa-
tor, als auch in der hinteren Kuppe, die Menge der Fasern
ziemlich gleich, durchgreifende Unterschiede finden sich
erst in den mittleren und inneren Schichten, indem der Ge-
halt erst in diesen zu Gunsten der hinteren Kuppe eine
auffallende Höhe erreicht Ueber den durchschnittlichen
Gehalt an elastischen Fasern in beiden Abschnitten kann
man sich am besten einen Ueberblick verschaffen, wenn
man aus den Werthen für die drei Schichten das arith-
metische Mittel und aus diesem die Anzahl mm pro qmni
berechnet Wir erhalten dann folgende Zahlen:
Fall L Fall II.
Aequator 195 mm 260
hintere Kuppe 222 „ 319
Was das Aussehen der elastischen Fasern betrifft
fichliesse ich mich den Ausfuhnn^en meiner Vor^inger lui
und verweise besonders auf die betreffende Stelle in Sattler^s
erster Arbeit (p. 129). Dieser Autor macht auf die grosse
Feinheit der Fasern und die Unmöglichkeit aofinerksam,
ihre Dicke mit Hülfe des Mikrometers zu bestimmen.
Das ist auch die Ursache dessen, dass in meiner Arbeit
keine Angaben über ihre Dicke gemacht wurden. £ise
schätzungsweise Dickenbestimmung wäre zu ungenau aus-
gefallen, um zu genügen. Will man den allgemeinen £iB-
druok, welchen die Fasemetze auf den Beobachter madien^
gelten lassen, so sei hier bemerkt, dass sich in den ver-
schiedenen Skleralabschnittenundden verschiedenen Schichten
keine durchgreifenden Unterschiede hinsichtlich der Dicke
feststellen liessen.
Die Localisation
des Mnscnlns sphincter pupillae und des
Musculus ciliaris im Oculomotoriuskerngebiet^).
Von
Dr. Ludwig Bach,
Privatdocenten und wissenschaftlichem Assistenten an der TJniyersit&ts-
Augenklinik in Würzbuig.
Mit 3 Figuren im Text
(Aus dem Laboratorium der Uni versitfits- Augenklinik in Würzburg.)
Die Frage nach der Localisation der einzelnen Augen-
muskeln im Kerngebiet hat im Laufe der letzten Jahre
wesentUche Förderung erfahren. Mit am grössten ist die
Meinungsverschiedenheit noch bezügUch der Locaüsation der
interioren Muskulatur des Auges.
Zweck vorUegender Arbeit ist es, die bisherigen Er-
gebnisse und verschiedenen Anschauungen in Kürze zu-
sammenzustellen und die Ergebnisse neuereigener Unter-
suchungen mitzutheilen.
Auf Grund klinischer Beobachtungen ist schon
lange die Anschauung begründet worden, dass einmal die
Kerne der interioren Muskulatur beisammen liegen, dass
weiterhin dieselben räumUch etwas von den Kernen der
übrigen Muskulatur getrennt seien. Man glaubte, die Kerne
*) Fortsetzung meiner • Arbeiten in diesem Archiv, XLVII. Bd.
2. u. S. Abth.: „Zur Lehre von den Augenmuskellähmungen etc.''
sowie Bd. XLIX. 2.: „Weitere Untersuchungen über die Kerne der
Augenmuskelnerven".
▼. Oraefe'B ArchiT f&r Ophthalmologie. XLIX. 8. 34
520 L. Bach.
der interioren Muskulatur etwas nach vom (proximal) von
den Kernen der übrigen Muskeln localisiren zu sollen.
Uebereinstimmende Ergebnisse anatomischer Unter-
suchungen mehrerer Autoren haben nun ergeben, dass
eine Trennung des Oculomotoriuskemes in eine Anzahl
Unterabtheilungen, wie sie Perlia(17) auf Grund anato-
mischer Untersuchungen angab, wie sie die Mauthner'scbe
Lehre von den Kernlähmungen postulirte, nicht existirt. Es
steht für die den äusseren Muskeln zugehörigen ZeUen
fest, dass sie nicht scharf von einander getrennt sind, es
darf wohl auch für die Zellen der interioren Muskolator
behauptet werden, dass sie nicht räumlich abgetrennt von
dem Kern der äusseren Muskulatur liegen, sondern dass
sie höchst wahrscheinlich direct neben oder untermischt
mit Zellen für die äussere Muskulatur, speciell mit Zellen
für den Rectus internus liegen.
Die bisherigen Ergebnisse der experimentellen
und anatomischen Forschung sind Folgende:
Schon vor einer Reihe von Jahren haben Hensen(9)
und Völckers(9) auf Grund elektrischer Reizungen die
Zellen der interioren Muskulatur beim Sunde in den vor-
deren, Adamück(l) dagegen in den hinteren Kem-
abschnitt verlegt
In neuester Zeit hat Bernheimer(6) ebenfalls elek-
trische Reizungen des Kemgebietes der Augenmuskeln bei
Affen vorgenommen. Er giebt an, dass er bei einigen Ver-
suchsthieren die Vierhügelgegend freigelegt und die Vierhügel-
dächer abgetragen habe, so dass der Aquaeductus SyM
eröffnet war. Hierauf wurde die blossliegende paarige Ocu-
lomotoriuskemregion durch einen glatten Schnitt in der
MedianUnie, der nicht bis zum Knochen ging, voneinander
getrennt. „Wenn man nun an solchen Affen, welche weder
selbständig, noch durch periphere * Reize angeregt, irgend
welche Augenbewegungen oder Pupillenbewegungen mehr
zeigen, mit schwachen und zwar immer gleich schwachen
Die Localisation des Muscalus sphincter pupillae etc. 521
elektrischen Strömen die verschiedenen TheQe der durch
die beschriebenen Schnitte leicht zugängUchen Oculomotorius-
kemregion reizt , so erhält man ganz isolirte Bewegungen
jener Angenmuskeln, welche vom Kern derselben Seite in-
nervirt werden, und — was besonders hervorgehoben wer-
den soll — isolirte Contraction der gleichseitigen Pupille."
Die isolirten Contractioneu der (gleichseitigen) Pupille
traten nur dann auf, wenn mit der Elektrode innerhalb des
Medianschnittes unter dem Aquaeductus Sylvii, im vorderen
Drittel der vorderen Vierhügelgegend gereizt wurde. Es
ist dies genau die Gegend, wo nach Bern heimer beim
Affen und Menschen der kleinzellige Mediankem (Sphinkter-
kem nach Bernheim er) liegt — Ging er mit der Elek-
trode etwas weiter nach unten im Medianschnitt vor und
verwendete er etwas stärkere Ströme, dann trat neben der
Contraction der gleichseitigen Pupille mitunter auch Ein-
wärtswendung desselben Auges au£ — Von keiner anderen
Stelle aus liess sich mit den gleichstarken Strömen Con-
traction der Pupille erzielen^).
Kahler (11) und Pick (11) verlegen auf Grund der
mikroskopischen Untersuchung zweier Falle von Kem-
lähmung die pupillaren Fasern des Oculomotorius beim Men-
schen in die vordersten Wurzelbündel des Oculomotorius.
Westphal (20) glaubt, dass die von ihm zuerst be-
schriebenen kleinzelligen Kemgruppen im vorderen Ab-
^) Wir sahen, dass die Versuche von Hensen und Yölckers
einerseits und Adam ück andererseits zu verschiedenen Resultaten ge-
führt haben, wie wissen, dass elektrische Reizversuche auch von anderen
Gehimstellen aus, selbst wenn die zu reizenden Zellgruppen nicht
auf einen so minimalen Raum sich beschränkten und besser abge-
trennt waren, als dies bei den zu den einzelnen Augenmuskeln ge-
hörenden Zellgrupen der Fall ist, verschiedene Resultate ergeben
haben, es sind deshalb auch die vorsichtig ausgeführten elektrischen
Reizversuche, wie mir von competenter physiologischer Seite ver-
sichert wird, immer mit einer gewissen Vorsicht aufzunehmen und zu
verwerthen.
34*
522 L. Bach.
schnitt des Oculomotoriuskemes der Innervation der in-
torioren Muskeln vorstehen.
Jakob (10) localisirt den Ciliarmuskel am weitesten
nach vorn im Oculomotoriushauptkem. Die Kerne für den
Musculus ciliaris und den Musculus sphincter pupillae seien
räumlich beträchtlich getrennt
Kaiser (12) verlegt die Zellen der interioren Muskeln
in den vordersten Theil des Oculomotoriuskemes. Die
mediale und laterale Gruppe Westphal's könne nicht als
Kern der innem Augenmuskeln in Betracht kommen.
V. Monakow (16) ist ebenfalls der Ansicht, dass die
Edinger-Westphal'schen Gruppen nicht als ürsprungs-
zellen von Oculomotoriusfasem aufzufassen seien. Er fand
sie in einem Falle von vollständiger Ophthalmoplegie intact,
sämmtliche übrigen Zellgruppen des Oculomotorius fehlten,
und der ganze Oculomotoriusstamm war degenerirt
Eine analoge Beobachtung liegt von Böttiger(8) so-
wie von Juliusburger und Kaplan (21) vor.
Sachs (18) untersuchte die Augenmuskelkeme bei einer
Patientin, welche 69 Tage nach einseitiger Exenteratio or-
bitae ad exitum kam. Er will Veränderungen in den Zellen
der Edinger-Westphal' sehen Gruppen derselben Seite
gefunden haben. Wir wissen heut zu Tage, dass bei Rxi-
rung in Müller 'scher Flüssigkeit und Färbung mit Ni-
grosin beweiskräftige B^sultate bezüglich Structurverände-
rungen von Ganglienzellen nicht zu erzielen sind. Ausser-
dem kam das Gehirn erst zwei Tage nach dem Tode zur
Fixirung, und es ist bekannt, dass Veränderungen an den
Ganglienzellen schon viel früher, schon nach einigen Stun-
den, auftreten. Nebenbei sei bemerkt, dass der Fall wegen
der Gliommetastasen nicht als rein bezeichnet werden kann.
Nach Lage der Sache würde dem Falle von Sachs eine
Beweiskraft vielleicht dann zukommen, wenn die Edinger-
WestphaUschen Gruppen der einen Seite ganz oder nahezu
ganz verschwunden gewesen wären.
Die Localisation des Musculus sphincter pupillae etc. 523
ran Biervliet(7) und van Gebuchten (7) nehmen
auf Grund von Experimenten am Kaninchen an, dass die
Innervation der interioren Muskebi hauptsächUch oder aus-
schliesshch von der gleichen Seite erfolgt; die zugehörigen
Zellen nehmen vom vornehmlich den dorsalen Bereich der
zwei oberen Fünftel und nach hinten die centralen Par-
tbieen der drei unteren Fünftel des Hauptkemes ein, eine
Abgrenzung gegen die Zellen der exterioren Muskeln be-
steht nicht, ja sie hegen untermischt mit den Zellen für
die exterioren Muskeln.
In neuerer Zeit ist besonders die Frage von verschie-
denen Seiten erörtert worden^ ob die kleinzelligen Kerne
Edinger-WestphaFs als Centrum für den Musculus
sphincter pupillae und der Centralkem Perlia's als Cen-
trum für den Musculus ciUaris anzusehen sei.
Bernheimer (4) hat sich bereits im Jahre 1894 mit
Bestimmtheit dahin ausgesprochen, dass der kleinzeUige
E d i n g e r ' sehe Kern zum Oculomotoriuskem gehört. Später-
hin hat er auf Grund von Experimenten am Affen be-
hauptet, dass dieser kleinzelhge Kemabschnitt die Ur-
sprungstelle der Nervenfasern des Musculus sphincter pu-
pillae sei, und zwar gehöre der rechte kleinzeUige Kern
zum rechten Musculus sphincter pupillae, der hnke zum
Unken. Ebenfidls auf Grund von Experimenten (Evisce-
ratio bulbi) hat Bernheimer (5) behauptet, dass der Cen-
tralkem Perlia's die UrsprungssteUe der Nervenfasern des
Musculus ciUaris sei, und zwar würde die rechte Hälfte des
Centralkemes den rechten, die linke Hälfte den linken Mus-
culus ciUaris innerviren.
Die gleichen Experimente, die Bernheimer an Affen
(Khesusart) anstellte, wurden von Schwabe (19), van Bier-
vliet(7) und dem Verfasser (2) an Kaninchen, vom Ver-
fasser (2) femer an Katzen, von Marina (13) an Hunden
und Affen angesteUt; alle diese Experimente haben
ein negatives Eesultat im Sinne der Bernheimer-
624 L- Bach.
sehen Angaben ergeben, keinem der genannten Unter-
sucher gelang es, überhaupt nach der Evisceratio bnlbi Ver-
änderungen im Oculomotoriuskem nachzuweisen, dahingegen
konnten Marina (13) und Verfasser (2) deutlich ausgespro-
chene und hochgradige Veränderungen im Ganglion dliare
der gleichen Seite nachweisen.
Bemerkt sei femer, dass van Biervliet und Verfasser
beim Kaninchen, femer Verfasser auch bei der Katze selbst
nach der Evisceratio orbitae keine, Veränderungen in
den kleinzelligen Kernen nachweisen konnten.
Die vergleichend anatomischen Untersuchungen
des Verfassers sprechen auch nicht gerade für die An-
nahme Bernheimer's, denn beim Kaninchen fehlt der
Centralkem Perlia's(17) ganz, während man doch wegen
des Vorhandenseins eines Musculus dlians seine Anwesen-
heit erwarten sollte, seine Ausbildung könnte allerdings
wegen der kümmerlichen Entwicklung des Musculus dliaris
eine kümmerliche sein; fernerhin ist der Centralkem Perlia's
nicht bei allen anthropoiden Affenarten in einer Weise
ausgebildet, wie man es nach den Angaben Bernheimer's
erwarten müsste, ja er kann gelegentlich so gut wie ganz
fehlen, z. B. bei Hapale Jacchus. Des weiteren sprechen
meine (3) Befunde bei verschiedenen Vögeln, bei der Eidechse
und bei der Maus eher gegen als für Bernheimer's
Annahme.
Auch die vorliegenden pathologisch-anatomischen
Befunde sprechen grösstentheils entschieden gegen Bern-
heimer's Angaben, besonders sind hier die Fälle zu er-
wähnen, bei denen trotz der vollständigen Atrophie
des Oculomotoriusstammes die kleinzelligen Kerne
vollständig intact geblieben waren. Ich verweise in
dieser Hinsicht und in Bezug auf einige andere gegen
Bernheimer anzuführende Punkte auf meine Arbeiten
sub. 2 und 3, 3 a und 3 b des Literaturverzeichnisses.
Die Localisation des Musculus sphincter pupillae etc. 525
Die bisher vorliegenden Untersuchungen beziehen sich
auf den Menschen und verschiedene Thiere mit glatter
interiorer Muskulatur. Es schien mir wichtig, ja noth-
wendig, auch Thiere mit quergestreifter interiorer Mus-
kulatur in den Ej*eis der Betrachtung zu ziehen und auch
an solchen Thieren Experimente anzustellen. Die bisherigen
^Experimente an Thieren mit glatter interiorer Muskulatur
hatten grösstentheils eine Bestätigung der von v. Michel
begründeten Anschauung gebracht, dass das Neuron der
Nerven der glatten interioren Muskulatur erst im GangUon
ciliare und nicht im Oculomotoriuskem beginnt. Es mussten
demnach Experimente, wie die Evisceratio bulbi, in Bezug
auf die Localisation der interioren Muskulatur im Oculo-
motoriuskemgebiet negativ bleiben. Einen anderen Erfolg
mussten aber diese Experimente bei Thieren mit querge-
streifter interiorer Muskulatur haben; hier war zu erwarten,
dass, ebenso wie bei den Experimenten an den äusseren
Augenmuskeln, im Oculomotoriuskemgebiet selbst Verände-
rungen nach der Evisceratio bulbi auftreten.
Diese Erwartung ging mir bei Experimenten an Tauben
in Erfüllung.
Es sei über diese Experimente und deren Eesultate
in Kürze hier berichtet.
Evisceratio bulbi bei der Taube.
Bezüglich der Technik bemerke ich, dass zunächst
die Hornhaut in toto abgetragen wurde, und dass dann der
ganze Bulbusinhalt mit dem scharfen Löffel sorgfältigst ent-
fernt wurde.
Als Versuchsdauer empfehle ich acht bis zwölf Tage,
bemerke jedoch, dass man bereits nach vier bis fünf Tagen
deutliche Veränderungen an den Zellen des Oculomotorius-
kemes, die durch diesen Eingriff geschädigt werden, nach-
weisen kann.
626 L. Bach.
Als Untersuchungsmethoden benutzte ich: 1. AI-
koholhärtung, Paraiiineinbettung und Thioninfärbung;
2. Sublimatfixirung, Nachhärtung in Alkohol, Färbung
mit Toluidinblaulösung, Nachfarben mit Erythrosin.
Näheres darüber wolle man Seite 558 und 559 dieses
Archives Bd. XLVII. 3 nachsehen.
Die Sublimatfixirung und Nachhärtung in Alkohol hat
mir bei der Taube viel bessere Resultate ergeben als die
blosse Alkoholhärtung.
•■.••• ■ i • . «> ° s ^ \ ■-•..
/■■ :<'..Jo öo^o»)^. .-■••\
^.L- -A^ •» öS» '-C- O.K
Fig. 1. Schnitt ungefthr durch die Mitte des proximalen Drittels des Oeulomotoriai-
kemes der Tauhe. VergrOsserung: Seibert Ocul. I. Objecto, i?. irjr=ZeUeB,
welche ao Stelle der Edinger-Westphal' sehen Gruppen beijn Menschen Kegfo
und vielleicht mit denselben identisch sind. 0. iC. es Ocolomotoriuskem. B. 1.'=^
Hinteres Ltngsbfindel. Äqu. c= Aquaeductus Sylvii. Die nadi der Evlsceratio
bulbi veränderten Zellen sind schwarz, die normalen Zellen hohl «ogs-
geben. Die veilnderten Zellen sind nach xwei Schnitten eingetragen.
OoalomotoriuBkem.
Die im Folgenden in Kürze mitgetheilten Ergebnisse
bauen sich auf der Durchsicht lückenloser Prontalschnittr
Serien von sieben zu verschiedenen Terminen nach dem
Versuch getödteten Tauben auf.
Man findet nach obigem Eingriff constant Verände-
rungen auf beiden Seiten des Oculomotoriuskerngebietes,
etwas zahlreicher sind die veränderten Zellen auf der
Seite des Eingriffes.
OJC.:
Die Localisation des Musculus sphincter pupillae etc. 527
Bereits in den proximalsten Schnitten sieht man
veränderte Zellen, besonders im ventralen Kemabschnitt
Zahlreicher werden die veränderten Zellen gegen den mitt-
leren Kernabschnitt zu, man findet sie daselbst vor-
nehmhchim ventralen und mittleren Gebiet des Kernes.
Vereinzelte veränderte Zellen sieht man hier auch im ven-
tralen Bereich des dorsal von den Längsbündelquerschnitten
liegenden Kemgebietes.
I.W? EMT?
0 « ö" r .'0 oo qQ
KL'- "/, M3 2^ •%'-' >^
Fig. 2. Schnitt durch die mittleren Parthieen des Kernes. VergrOsserung und Be-
seichnungen gleich Fig. 1. Die nach der Eviscentio hulbi yerinderten Zellen sind
schwarz angegeben. Dieselben sind nach drei verschiedenen Schnitten eingetragen,
ihre Zahl daher relativ etwas au gross.
Im distalen Bereich des Kernes werden die veränder-
ten Zellen seltener und finden sich vornehmlich noch in
dem ventralen Abschnitte.
Eine Abgliederung der veränderten Zellen
gegen die normalen Zellen ist nicht vorhanden; im
Gegentheil, sie liegen untermischt mit normalen
Zellen des Kernes.
Ganz besondere Aufinerksamkeit widmete ich den kleinen
Zellen, welche an Stelle der Edinger'schen kleinzelligen
Kerne liegen und welche den an gleicher Stelle liegenden
528 L. Badi.
Zellen beim Kaninchen, bei der Katze und beim Men
gleichen. Sie blieben nach dem oben genannten
Eingriff vollkommen normal
Auch in dem dorsolateral davon liegenden Gebiet
(Westphal ' sehe (?) Gruppen), woselbst grössere und kleinere
vielgestaltige und verschieden, auch der Färbung nach, aus-
sehende Zellen sich finden, sah ich keinerlei Abweichung
von dem normalen Verhalten.
Bezüglich der Configuration des Kerngebietes
bemerke ich, dass bei den verschiedenen Tauben durchaus
keine absolut vollständige TJebereinstimmung besteht, spe-
•••■ '>-"
../-':)M>':-
OK
EL.:'
)o.v."i;...- ■ ■■
OK-
■7-y \ r
HL
Flg. 8. Schnitt durch den distalen Bereich des Kemgebletes. VergrOeseroi« nod
Beseiehnnngen gleich Fig. 1. Die nach der Evlsoeraüo bulbl rerftoderten Zellen siAd
wieder schwarz, die normalen ZeUen hohl angegeben.
ciell möchte ich betonen, dass die Confluenz des ventralen
Kemabschnittes verschieden ausgeprägt war, ja manchmal
nahezu ganz fehlte. Es ergänzen derlei Beobachtungen
meine früheren Beobachtungen bei der Katze und dem
AflFen.
Hinsichtlich des sagittalen Kerndurchmessers gab
ich früher auf Grund einer Weigertserie einer kleinen
Taube an, dass der Durchmesser 0,72 mm betrage und
bemerkte damals, dass diese Angabe keinen Anspruch
Die Localisation des Muscnliis sphincter pupillae etc. 529
auf Yollkommene Genauigkeit mache, da nicht alle Schnitte
gleich dick seien. — Bei der Sublimatfixirung finde ich
einen Durchmesser Yon 1mm bis 1,4 mm.
Gkmglion ciliare.
Auf meine Befunde am Ganglion ciliare will ich
hier nicht weiter eingehen, es soll dies später im Zu-
sammenhang mit anderen Untersuchungen über das Gan-
ghon ciliare geschehen.
Ich bemerke hier nur bezüglich der Natur des Gan-
glion ciliare, dass ich auf Grund fortgesetzter Studien
zur Zeit zu der Ansicht hinneige, dass bei dem Kaninchen,
der Katze, dem Affen und wohl auch beim Menschen
das Ganglion ciliare seiner Natur nach ein gemischtes
Ganglion ist Die Zahl der sympathischen und der
Spinalganglienzellen scheint bei verschiedenen Thieren eine
wechselnde zu sein. Zur definitiven Aufklärung der Natur
des GangUon ciUare und seiner Function wird noch eine
grosse Reihe von Untersuchungen nothwendig werden.
SchloBsbetraohtmigen.
Aus den übereinstimmenden experimentellen Ergeb-
nissen von Schwabe (19), van Biervliet (7), (van Ge-
buchten (7)) und dem Verfasser (2) beim Kaninchen ging
hervor, dass die Zellen des Bectus inferior und internus
hauptsächUch im proximalen Theil des Kemgebietes hegen,
es ging daraus fernerhin die wichtige und plausible That-
sache hervor, dass die Zellen der functionell zusam-
mengehörenden Muskeln vornehmlich im Kerngebiet
beisammen liegen und zwar ohne jegliche scharfe
Abgrenzung zu einander und zu den Zellen der an-
deren Muskeln. — Aus den nahen Beziehungen der in-
terioren Muskulatur zu dem Bectus internus und inferior
beim Convergenzakt war nun a priori anzunehmen, dass
530 L- Bach^
auch die Zellen der interioren Muskulatur wohl haupt-
sächUch in der proximalen Hälfte des Kemgebietes hegen.
Nach der LocaUsation der interioren Muskulatur tod
van Biervliet(7) (siehe die Fig. 26, Taf. III der Arbeit
von van Biervliet) und den Befunden, die ich bei der
Taube bekam, ist zu sagen, dass — bei Berücksichtigung
der Verschiedenheit des Kemgebietes — eine weitgehende
Uebereinstimmung in der LocaUsation der interioren Mus-
kulatur beim Kaninchen und bei der Taube besteht
Die genannte LocaUsation der interioren Muskulatur
steht in ziemlich guter Uebereinstimmung mit den elektri-
schen Reizversuchen von Hensen (9) und Völckers (9)
sowie von Bernheimer (6). Letzterer glaubt allerdings,
dass er bei seinen Experimenten ausschUessUch die ZeUen
des Edinger' sehen Kernes gereizt habe. Wenn man je-
doch bedenkt, dass das ganze Kemgebiet beim Affen
einen sagittalen Durchmesser von circa 3 mm hat, dass
die Zellen der Edinger 'sehen Kerne nicht durch eine
Zell- und faserfreie Zone von dem Oculomotoriuskem abge-
trennt sind, dass die Zellen der interioren Muskulatur nach
der Annahme von van Biervliet und dem Verfasser in
nächster Nähe der Edinger'schen Gruppen üegen, so darf
man auch Bernheimer's Reizversuche mit der hierbei
nöthigen Einschränkung für unsere Annahme der LocaU-
sation der interioren Muskulatur verwerthen.
In gewissem Sinne besteht femer eine Uebereinstira-
mung unserer Angaben mit denen von Kahler (11) und
Pick (11) und von Kaiser (12).
Ich glaube, dass nicht wenig Berechtigung besteht,
auch beim Menschen die Zellen der interioren Mus-
kulatur und des Rectus internus hauptsächlich in
die proximale Hälfte des Kernes zu verlegen.
Dafür, dass die Edinger-Westpharschen Gruppen
für die interiore Muskulatur in Betracht kommen, wie
Bernheimer (5 und 6) behauptet, scheint ausserordentlich
Die Localisation des Musculas sphincter pupillae etc. 53 L
wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden zu sein. Dagegen
dürften wohl die Zellen des Perlia 'sehen Centralkemes,
der, wie Verfasser nachgewiesen hat, nicht durch eine zell-
freie Zone von den seithchen fifauptkemen abgeghedert ist,
für die genannten Muskeln mit in Betracht kommen. De-
finitive Aufklärung für den Menschen dürfte nur äusserst
schwer zu erbringen sein. Nach der ganzen Sachlage, vor
Allem in Anbetracht des Umstandes, dass die zu den ein-
zelnen Muskeln gehörigen Zellen keineswegs scharf von
einander abgetrennt sind, dürfte durch Blutungen, Er-
weichungsheerde, noch weniger durch Neubildungen im Kem-
gebiet nicht so leicht eine definitive Entscheidung gebracht
werden. Aber auch bei primär peripherem Beginn der De-
generation der Fasern und secundärem Zerfall der zugehöri-
gen Ganglienzellen dürfte nur schwer eine präcise Locali-
sation der nachträghchen Untersuchung möglich sein, da
wegen der üntermischung mit den viel zahlreicheren Zellen
der exterioren Muskeln die Stellen der zerfallenen Zellen der
interioren Muskeln nicht so leicht zu bestimmen sein dürften.
Vergleichende Betrachtung der experimentellen Unter-
suchungsergebnisse bei einer grösseren Anzahl von Thieren,
unterstützt durch sorgfältigste klinische Beobachtungen^ be-
sonders auch sogen, symmetrischer Lähmungen wird wohl
am raschesten und ziemlich sicher zu einer Entscheidung
auch für den Menschen führen.
Literaturverzeichniss.
1) Adamück, Gentralblatt für die medicinische Wissenschaft. 1870.
Nr. 5. S. 65.
2) Bach, L., Zur Lehre von den Augenmuskellähmungen und den
Störungen der Pupillenbewegung, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm.
Bd. XLVII. Abth. 2 u. 3.
3) Bach, L., Weitere Untersuchungen über die Kerne der Augen-
muskelnenren. v. Graefe*8 Arch. f. Ophthalm. XLIX. Bd. 2. Abth.
S. 266.
3*) Bach, L., Erwiderung auf die Bemerkungen Bernheimer's
zu meiner Arbeit sub 2) dieses Literaturverzeichnisses, v. Graefe's
Arch. f. Ophthalm. XLIX. Bd. 1. Abth. 1899. S. 2ä3.
532 L« Bach, Die Localisation des Musculus sphincter pupillae etc-
db}Bach, L., Zusammenfassende Darstellung und kritische Betrach-
tung der Erkrankungen der Vierhfigelgegend und der Zirbel-
drüse mit specieller BerOcksichtigung der ocularen Symptome.
Zeitschr. f. Augenheilk. Bd. I. 1899. S. 315.
4) Bernheimer, St., Das Wurzelgebiet des Oculomotorius beim
Menschen. J. F. Bergmannes Verlag. Wiesbaden 1894.
5) Bernheimer, St., Experimentelle Studien zur Kenntniss der
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sorgten Muskeln des Auges, y. Qraefe's Arch. f. Ophthalm.
XLIV. Bd. 3. Abth. S. 481.
6) Bernheimer, St, Bemerkungen zu L. Bach's Arbeit: Zur
Lehre von den Augenmuskellähmungen etc. v. Graefe's Arch.
f. Ophthalm. XLVUI. Bd. 2. Abth. S. 463.
7) Biervliet, J. van, Noyau d'Origine du Nerf oculomoteur com-
mun du Lapin. „La Cellule". T. XVI. L Fascic. 1898.
8) Böttiger, Arch. f. Psychiatrie. XXI. Bd. Heft 2. 1889.
9) Hensen und Völckers, Ueber den Ursprung der Accommoda-
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des Nervus oculomotorius. v. Graefe's Arch. f. Ophthalia.
XXIV. Bd. 1. Abth. S. 1.
10) Jacob, Ueber einen Fall von Hemiplegie und Hemianaesthesie
mit gekreuzter Oculomotoriuslähmung etc. Deutsche Zeitschr. £
Nervenheilk. V. S. 188. 1894.
11) Kahler und Pick, Arch. f. Psychiatrie. X. Bd.
12) Kaiser, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. VII.
13) Marina, Das Neuron des Ganglion ciliare und die Centra dar
Pupillenbewegungen. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XIV. Bd.
1899. S. 356.
14) V. Kölliker, A., Feinere Anatomie und physiologische Be-
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deutscher Naturforscher u. Aerzte in Wien. 3. Allgem. Sitzung.
Münchener med. Wochenschr. Nr. 41 u. 42. 1894.
15) V. Michel, J., Ueber die feinere Anatomie des Ganglion ciliare.
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16) V. Monakow, Gehimpathologie. Nothnagel's specielle Patho-
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Wien 1897.
17) Perlia, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXXV. Bd. 4. Abth.
S. 287.
18) Sachs, Th., Ueber secundär-atrophische Vorgänge in den ür-
sprungskemen der Augenmuskelnerven, v. Graefe's Archiv f.
Ophthalm. XLII. Bd. 3. Abth. S. 40.
19) Schwabe, Ueber die Gliederung des Oculomotoriushauptkernes
und die Lage der den einzelnen Muskeln entsprechenden Gebiete
in demselben. Neurol. Centralbl. 1897. Nr. 17. S. 792.
20) Westphal, Arch. f. Psychiatrie. XVHL Bd. und Neurolog.
Centralbl. 1888.
21) Juliusburger u. Kaplan, Anatomischer Befund bei einseitiger
Oculomotoriuslähmung im Verlaufe von progressiver Paralyse.
Neurolog. Centralbl. 1899. Nr. 11.
Eine Methode znr Bestimmnng der AendeiDiigenf
welche in der Gestalt des Anges bei Aendenmg
des intraocolaren Druckes anftreten.
Von
Prof, Dr. W. Koster Gzn.
in Leiden.
Hierzu Tafel XU, Figur 1—5.
In einer früheren Arbeit^) habe ich zwei Methoden
beschrieben, die dazu dienen können, ein Bild von den
Aenderungen zu geben, welche in der Lage der Cornea
und der Sklera auftreten, wenn der intraoculare Druck ge-
ändert wird. Die beiden Methoden bedienten sich der
Messung von einigen Hauptmaassen am Auge, d. h. der
Durchmesser der Cornea, der äquatoriale Durchmesser in
yerticaler und horizontaler Richtung des Bulbus und der
optico-comeale Durchmesser wurden gemessen. Bei der ersten
Methode wurden dazu feine Zirkel mit über der Achse
fortlaufenden Schenkeln benutzt und die Aenderung des
Maasses vergrössert abgelesen; bei der anderen wurde der
Bulbus zwischen zwei feine Spitzen hingelegt, von denen die
eine einen festen Punkt bildete, während die andere auf einer
beweglichen Wand eines mit gefärbter Flüssigkeit gefüllten
Gefässes, welches sich in einer feinen Bohre fortsetzte, an-
gebracht war, derart, dass in dem letzteren bei einer mini-
») Y. Graefe*8 Arch. f. Ophthalm. XLI. 2. 141. 1895. Ver-
suche über die Elasticit&t der Augenkapsel und über das Yerli<nisB
▼on Yolumsznnahme und Formyerftndening des Auges zu der Höhe
des intraoenUren Druckes.
534 W. EoBter Gzn.
malen Verschiebung der Wand eine grosse Verschiebimg
der Flüssigkeitssäule stattfand. Beide Methoden haben den
y ortheil, dass die Aenderung der Lage der Augen wand
vergrössert wiedergegeben wird; es kann bei ihrer Anwen-
dung aber nur eine sehr beschränkte Anzahl Messungen auf
einmal vorgenommen werden.
Für verschiedene Zwecke ist es erwünscht, die Aen-
derung, welche ein ganzer Durchschnitt des Auges in allen
seinen Punkten bei der Druckänderung erfährt, kennen zu
lernen, und ich habe deshalb die folgende Methode mit
Erfolg versucht.
Das zu untersuchende Auge wird ganz sorgfaltig von
allen anhaftenden Fetzen des Binde- und Muskelgewebes
gereinigt; dann wird die Sklera mit einem trockenen Tuch
vorsichtig abgerieben und der Nervus opticus bis auf einige
Millimeter abgetragen. Man zeichnet dann mit einer gewöhn-
lichen Stahlfeder, welche in gesättigte alkohoUsche Gentiana-
violettlösung eingetaucht wird, eine möglichst feine Linie
über den Aequator des Auges und über den horizontalen und
den verticalen Meridian, in welchen Linien man die Lage
des Limbus corneae mit einem Querstreifen anmerkt; weiter
kann man natürlich jeden Schnitt, den man eben zu unter-
suchen wünscht, durch eine Linie angeben; überdies wird
auch die obere Seite des Auges mit einer besonderen Marke
bezeichnet. Das Auge wird dann mit einem Druckgefäss,
welches 0,9 ^/^ NaCl Lösung enthält, in Verbindung ge-
bracht, indem eine weite Glaskörpercanüle (von wenigstens
1,5 mm Durchmesser im Lumen) durch eine geeignete
Stelle der Sklera in das Auge gestochen wird; natürlich
muss man die Einstichstelle nach dem Bedarf des Versuches
wählen. Während das Druckgefäss den Druck auf con-
stanter Höhe erhält, wird der Bulbus in ein geeignetes
Gefäss hineingelegt (ich benutze dafür aus gut geleimtem
Papier gefaltene Kästchen) derart, dass der zu unter-
suchende Schnitt horizontal gestellt ist; ein Gipsaufgass
Eine Methode zur Besdmmiing der Aenderungen etc. 535
wird ToHBiohtig um den Augapfel herumgegossen , bis die
horizontale blaue Linie richtig untergetaucht ist; man muss
dabei Acht geben , dass die Lage sich nicht ändert, was
leicht passirt und nicht aufFällty sobald die Linie vom Gips
bedeckt ist Ist nach einer Viertelstunde die Masse er-
stairty so wird der Druck im Auge herabgesetzt, indem
man den Trichter sehr niedrig stellt, und dann kann man
das Auge vorsichtig aus dem Gips entfernen; man wird
jetzt finden, dass die blauen Linien sich in dem Abguss
abgedrückt haben. Beim Trocknen desselben läuft die
Linie nun zwar wohl ein wenig aus, aber man kann immer
den intensiveren Kern richtig unterscheiden. Am nächsten
Tage schneidet man mit einem gewöhnlichen starken Messer
die Masse bis nahe an die blaue Linie ab und schleift
den Rest sorgfältig auf Glaspapier weg, wodurch man einen
hübschen Flächenschnitt bekommt Der dünne Böden des
Abgusses wird dann ebenfalls entfernt, so weit es nöthig
ist; ich mache in der Regel ein Loch von ca. 2 cm Durch-
messer; man kann dann mittelst eines sehr harten Blei-
stiftes von innen aus vorsichtig den Durchschnitt auf einem
Stück Carton abzeichnen und die Abgüsse, welche von dem-
selben Schnitt bei einer anderen Druckhöhe angefertigt
worden' sind, sofort darüber zeichnen. Dieselben Gentiana-
violettlinien reichen für sechs bis acht Abgüsse vollständig
aus, und sollte man weitere brauchen, so kann man die-
selben ein wenig nachfärben. Wenn man die Sklera
sot^gfällig gereinigt hat, wird man finden, dass der Gips
sehr wenig an derselben haftet; die Oberfläche ist natur-
gemäss ein wenig fettig, und man braucht also kein Oel
einzureiben, wie ich es anfangs gethan habe. Einige feiner^
Stückchen bleiben aber immer an der rauhen Fläche der
Sklera anhaftlBü; diese muss man vor dem zweiten Abguss
vorsichtig abreiben; man wird aber finden, dass durch diesen
Ffehler die Methode nicht nennenswerth leidet
Ich habe mit dieser Methode bei ganz frischen Schweins-,
▼. Gnefe's ArchiT Ar Ophthalmologie. XLIX. 8. 35
536 W. Koster Gzn.
Kalbs- und Ochsenaugen Versuche angestellt; da aber die
detaillirten .Resultate, wie sie an diesen Thieraugen ge-
wonnen wurden, von wesentlich geringerer Bedeutung für
die Verhältnisse beim Menschen sind, so werde ich nur
die allgemeinen Ergebnisse mittheilen, später hoffe ich über
Versuche an Menschenaugen berichten zu können. Um
die Brauchbarkeit der Methode beurtheilen zu können, füge
ich einige Abbildungen bei, in natürhcher Grösse, so wie
sie bei einigen Versuchen erhalten wurden. Eine ausführ-
lichere Beschreibung kann dabei entbehrt werden (Tat XL
Fig. 1-5).
Im Allgemeinen konnte kein nennenswerther Unter-
schied verzeichnet werden zwischen den Abgüssen von dem
Ochsenauge mit einem intraocularen Druck von 25 mm Hg,
und von 175 mm Hg, ebenso^^enig zwischen 25 mm Hg und
10 mm Hg; unter 10 mm Hg geht der hintere Abschnitt
des Auges ca. 0,5 mm nach innen, während zwischen Lim-
bus und Aequator die Sklera ca. 0,25 mm nach aussen
sich bewegt, wenn der Druck bis beinahe auf Null herab-
gesetzt wird; zuweilen wird diese Verlagerung der Sklera
nach aussen auch am Aequator wahrgenommen. Die Form
der Cornea wird beim Ochsenauge nicht geändert, bis der
Druck unter 5 mm Hg gesunken ist; dann wird am Lim-
bus der Band des Skleralringes schärfer sichtbar, und die
ganze Cornea sinkt etwas tiefer, während sein Kadius nicht
oder nur ein wenig grösser wird; der Durchmesser der
Basis corneae wird etwas kleiner. Am Bande der Cornea
findet bei allen drei Arten Augen beim Uebergang Ton
ca. 5 mm Hg bis zu Null eine grosse Veränderung statt,
welche ein näheres Studium verdient.
Beim Kalbsauge waren ebenfalls die Abgüsse Ton
Augen mit 25 mm Hg nicht wesentlich verschieden von
175 mm Hg.
Beim Schweinsauge waren die Resultate beim Druck
unter 25 mm Hg dieselben, wie beim Ochsenauge; darüber
Eine Methode zur Bestiinmung der Aenderungen etc. 537
wurde eine Ausdehnung des hinteren Abschnittes um
0,75 mm bei einem Druck von 175 mm Hg verzeichnet
Ausnahmen bestehen hier aber; so bUeb bei einem Auge
diese Ausdehnung aus, bei einem anderen war der Aequa-
tor nicht unverändert gebUeben, sondern dessen Durch-
messer hatte bei einem Druck von 175 mm Hg in jeder
Richtung 1,5 mm zugenommen. Die Form der Cornea än-
derte sich beim Schweinsauge nicht mehr, wenn der Druck
10 mm Hg überstiegen hatte. Weiter wurde beim Schweins-
auge ein Unterschied in dem Verhalten der Cornea beob-
achtet, wenn die Vorderkammer punktirt worden war: in
dem Falle war beim aufgehobenen intraocularen Drucke
die Form der Hornhaut nicht geändert, nur war dieselbe
verkleinert; dagegen war aber die Hinterwand des Auges
um 1,25 mm nach innen gerückt, verglichen mit der Form
bei 25 mm Hg, d. h. ungefähr 0,5 bis 0,75 mm mehr, als
bei bestehender Augenkammer und aufgehobenem intra-
ocularem Druck.
Es wurde mir durch diese Untersuchungen klar, dass
beim Rinde die Dicke der Cornea und der Sklera mehr
Einfluss ausüben, als das Alter der Individuen: denn bei
Kalbs- und Ochsenaugen war kein Unterschied zu finden;
dagegen hatte bei der dünneren Schweinssklera der hohe
Druck einen deutlichen Einfluss; es waren besonders indi-
viduelle Unterschiede zu verzeichnen. Dies alles zeigt zur
Genüge, dass es nutzlose Arbeit ist, diesen Gegenstand
beim Thiere untersuchen zu wollen, da wir aus den ge-
wonnenen Resultaten nie auf die Vorgänge am mensch-
lichen Auge schliessen dürfen. Das Material für Unter-
suchungen beim Menschen ist aber an kleinen Kliniken
schwierig herbei zu schaffen; ich habe daher diese Methode
hier mitgetheilt in der Hoffnung, dass sie bei vorkommen-
der Gelegenheit Verwendung finden werde. Die mechani-
schen Verhältnisse der normalen und der kranken mensch-
lichen Sklera müssen näher bekannt sein, wenn wir die
35*
638 W. Koster Gzn., Eine Methode z. Beetiinmung d. Aendenmgen etc.
ErschemuDgen, welche die Aendenmgen des intraocnlaren
Drackes hervorrufen, richtig beurtheilen wollen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XTT,
Fig. 1—5.
Fig. 1. Ochsenauge. Die Abgüsse des horizontalen Meridians bei
einem Druck von 2& und von 10 mm Hg übereinander ab-
gezeichnet. Die beiden Linien decken einander £ut fiber-
all, a und h Grenzen der Cornea.
Fig. 2. Ochsenauge. Die Abgüsse des verdauen Meridians bei einem
Drack von 45 und von 175 mm Hg übereinander abge-
zeichnet. Die Linien decken sich: nur ist bei c und bei d
ein Stückchen aus dem Gips ausgefallen; ebenfalls ist die
Cornea bei 175 mm Hg ein wenig uneben, als Folge oner
leichten BeschAdigung des Abgusses, a und h Grenzai
der Cornea.
Fig. 8. Ochsenauge. Die Abgüsse des verticalen Meridians bei
einem Druck von Null und von 25 mm Hg sind Überein-
ander abgezeichnet, a und h Grenzen der Cornea bei
2d m Hg, a und h* Grenzen der Cornea bei Nnll mm Hg.
Fig. 4. Kalbsauge. Die Abgüsse des verticalen Meridians bei einem
Druck von 25 und von 175 mm Hg sind übereinander ab-
gezeichnet; die Linien decken sich nahezu voUkommen.
a und h Grenzen der Cornea.
Fig. 6. Schweinsange. Die Abgüsse des verticalen Meridians bei
einem Druck von Null und von 25 mm Hg siBd tbeniB-
ander abgezeichnet, a und 6 Grenzen der Cornea bei
25 mm Hg, a und h* Grenzen der Cornea bei Null Hg.
(Horizontal «nd vertical sind geredinet worden b«
einem Stande des Kopfes, wobei dessen Lftngenachse nn-
gef&hr einen Winkel von 45* mit der LotUinie bildet)
Weiterer Beitrag znr pathologischen Anatomie
der Skleritis.
Von
Prof. W. Uhthoff
in Breslau.
Hierzu Taf. XHI— XV, Fig. 1—5.
(Aus der üniversitäts- Augenklinik zu Breslau.)
Meine ersten Mittlieilungen zur pathologischen Ana-
tomie der Skleritis und Episkleritis konnte ich (14) im
Jahre 1883 machen. Die Untersuchungen bezogen sich
allerdings nur auf excidirte Stücke des conjunctivalen und
episkeralen Gewebes bei frischen Krankheitsfällen von buckei-
förmiger Skleritis resp. Episkleritis, so dass ich über die
Veränderungen der Sklera selbst keine Angaben machen
konnte. Zu jener Zeit war die einschlägige Literatur über
diesen Gegenstand noch ausserordentlich gering.
Der Fall von Pilz (11) 1852 musste in seiner Deutung
als eigen tiiche Skleritis (vielleicht Tuberculose?) zweifel-
haft erscheinen, und ebenso handelte es sich in dem Falle
von Noyes (10) 1873 nicht um Skleritis im gewöhnlichen
klinischen Sinne. In dritter Linie kam die Untersuchung
von Baumgarten (3) 1876, welche einen Fall von sklero-
sirender Keratitis mit starker Verdickung und entzündlicher
Infiltration der Sklera betraf, in Betracht und zuletzt eine
kurze anatomische Beschreibung von sog. „purulenter Skle-
ritis*' von Alt(l) 1879 in seinem Compendium der normalen
und pathologischen Histologie des Auges.
540 W. ühthoff.
Seit jener Zeit nun hat dieses Capitel eine Reihe von
weiteren Beiträgen aufzuweisen, welche die Kenntniss in
BetreflF der pathologischen Anatomie der Skleritis zu för-
dern geeignet waren. Es sind das die Mittheilungen von
Ko8tenitsch(9) 1894, Schirmer (12) 1895, Schlodt-
mann(13) 1897, Friedland (6) 1899, welche sichere Fälle
von Skleritis betreflFen, auch hatte ich selbst (15) 1896 noch
Gelegenheit einen sicheren Fall von alter Skleritis anato-
misch zu untersuchen und über denselben kurz zu berichten.
Beziehungen zu unserem Thema haben ferner die Mit-
theilungen von Brailey(2)1889, Donald Gunn(5)1894,
sowievonGayet(7 u. 8) 1886 und 1888 und H.Coppez(4)
1895; ich werde später auch auf diese Arbeiten noch zu-
rückzukommen haben.
Es ist nicht zu verkennen, dass in erster Linie durch
die verdienstlichen Mittheilungen von Schlodtmann aus
der Fuchs 'sehen Klinik in Wien neue Gesichtspunkte in
Bezug auf die pathologische Anatomie der Skleritis bei-
gebracht wurden, indem er unter dem Namen der „sulzigen
Infiltration der Conjunctiva und Sklera^' eine eigenartige
schwere Form der Skleritis resp. Episkleritis sowohl ana-
tomisch (erster Fall) als auch klinisch (mehrere Fälle) be-
schrieb und sie von dem typischen klinischen Bilde der
Skleritis abzweigte. Auch der zweite Fall Friedland's
(ebenfalls aus der Fuchs 'sehen Klinik) deckt sich mit der
Beschreibung von Schlodtmann.
Ich bin nun in der Lage gewesen meine pathologisdi-
anatomischen Untersuchungen über Skleritis durch eine
weitere Beobachtung zu vervollständigen. Der betreffende
Kranke wird jetzt seit zwei Jahren von mir beobachtet,
vor ungefähr Jahresfrist musste das eine völlig erblindete
und degenerirte Auge entfernt werden, auch auf dem zwei-
ten Auge ist allmählich complete Amaurose eingetreten.
Ich stehe nicht an, diesen Fall den von Schlodtmann
und Friedland aus der Fuchs'schen Klinik beschriebenen
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 541
an die Seite zu stellen. Gerade sowohl wegen der langen
nnd genauen klinischen Beobachtung, als wegen der ein-
gehenden anatomischen Untersuchung des einen Auges dürfte
der Fall geeignet erscheinen, zur weiteren Aufklärung des
fragUchen Krankheitsbildes beizutragen.
Die Krankengeschichte ist folgende: Der 75jährige IMch-
macher M. D. wurde am 29. XII. 1897 wegen einer lang-
dauernden schweren Erkrankung seiner beiden Augen in die
UniversitätB-Augenklinik aufgenommen, nachdem er schon einige
Wochen zuvor poliklinisch behandelt wurde.
Anamnestisch will Patient in seiner Jugend an Ausschlag
am Kopf und den Extremitäten gelitten haben, vor einem Jahr
litt er an Blinddarmentzündung und wurde deswegen längere
Zeit auf der hiesigen Medicinischen Klinik behandelt, auch sollen
die Augen schon zu jener Zeit entzündet gewesen sein, in letzter
Zeit litt er sodann noch an Luftröhrenkatarrh. Specifische In-
fection wird in Abrede gestellt, ebenso sollen schwere rheuma-
tische Affectionen nicht bestanden haben.
Von den Kindern des Patienten sind drei im jugendlichen
Alter gestorben, während die anderen gesund sind und ebenfalls
gesunde Kinder haben. Der Vater des Kranken starb an „Wasser-
sucht", die Mutter in Folge eines Unglück£aiies, von den Ge-
schwistern sind acht gestorben, emlge ebenfalls an „Wassersucht".
Schon seit dem Jahre 1896 sollen die Augen sehr viel ent-
zündet gewesen sein, wechselnde Intensität des Processes, auch
zum Theil heerdförmiges Auftreten, so dass von ärztlicher Seite
zeitweise Calomel eingestäubt wurde, also wohl an einen phiyc-
tänulflren Process gedacht wurde. Doch thaten diese Einstäu-
bungen dem Kranken nicht gut
Mit Anfang December 1897 nun kam der Kranke zum
ersten Mal in der Univeraitäts-Augenklinik zu Breslau in poli-
klinische Behandlung und wurde am 29. XII. 1897 m die Klinik
aufgenommen.
Es handelte sich um einen ziemlich schwächlichen Mann in
schlechtem Ernährungszustände, Zeichen chronischer Bronchitis,
aber sonst bis auf die Augen im Wesentlichen gesund. Auch
der Urin ist frei von pathologischen Bestandtheilen.
Beide Augen boten nun das Bild einer ausgedehnten Skle-
ritis der ganzen vorderen Bulbusabschnitte bis zum Aequator
hin. An einzelnen Stellen und im Verlauf der langen Beobach-
tung wechselnd und wandenid trat skleritische Buckelbildung
642 W. ühthoff.
anggesproeheD zu Tage, jedoch immer so, daas auch die da-
zwischenliegenden vorderen Skleralparthieen in ganzem Um£uige
pathologiBch afficirt blieben. Die Gonjunctiva bolbi nnd die skle-
nüen wie episkleralen Parthieen verdickt, von tief blänlich-rOtli-
lieber Flrbnng und bei der theilweiflen bnckelförmigen Vortrei-
bung der erkrankten Parthieen in Verbindung mit dem langwierigen
schwankenden Verlauf muBBte die Diagnose auf doppelseitige sehr
ausgedehnte tiefgreifende Skleritis des ganzen vorderen Bnibus-
abschnittes gestellt werden, mit Betheiligung der Iris (hintere
Synechieen), und starken Glaskörpertrttbungen. Das Sehen wurde
trotz aller angewendeten Mittel immer schlechter und das Unke
Auge erblindete schon gegen Ende Januar 1898 fiast vollständig.
Die Hornhaut war beiderseits in ihren RandtheDen ausgespru-
ohen mitbetheiligt, unter dem Bilde der tiefen grauen TrübuD^
durch die ganzen Schichten der Cornea. Wegen der starken Glas-
körperüilbungen kein rother Reflex mehr aus dem Augenhinter-
grund. Rechts noch Handbewegungen in nächster Nähe, links
nur unsicherer Lichtschein.
Ende Januar 1898 verliess Patient auf seinen Wunsch die
Klinik, um erst 14. HI. 1898 wiederzukehren. Der Zustand
war auf dem recliten Auge ziemlich derselbe geblieben, nur war
die Hornhaut noch stärker in Mitleidenschaft gezogen und Patient
auch hier bis auf unsicheren Lichtschein erblindet. Auch die
Veränderungen der Sklera hatten im Wesentlichen ihren Charakter
beibehalten.
Das linke Auge war inzwischen stark degenerirt Die
Ciliargegend nach aussen vom Limbus corneae war ausgebro-
chen ektatisch geworden, Tens. -f-l, vordere Kammo' auf-
gehoben, namentlich in den äusseren Theilen. Der ganze vor-
dere Bulbusabschnitt zeigt noch jenes tief bräunlich-rothe Avßr
sehen, zum Theil mit einem Sticli in's gelblichgraue, bis zuiu
Aequator hin in ziemlich gleiclimässiger Weise, hochgradige skle-
ritische Degeneration mit starker Verdünnung der nach aussen
gelegenen Skleralparthieen, welche einen schieirigen Farb^ton
den übrigen gegenüber bekommen haben. Die Coinea ist in
den äusseren Theilen intensiv schmutzig grau, auch in ihren
tieferen Schichten getrübt. Die Randparthieen der Cornea sind
in den äusseren Theilen noch etwas prominent und verdiiit
Patient hat heftige Schmerzen im Auge und in der Umgebung des
Auges. Da das Auge vollständig erblindet ist, wird es enadort
und ist der Heilverlauf der Wunde ein normaler.
Nach circa Vs Jahr am 5. XXL 1898 stellt Patient sidi
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 543
jODÜt fldnem rechten Ange wieder vor, der Zustand ist ziemlich
unverändert geblieben , nur ist die Cornea noch viel melur ge-
trübt und schmutzig grau undurchsichtig in ihren ganzen Rand-
theilen, so dass nur noch das Centram etwas durchsichtig er-
scheint S=0 Lichtschein nur unsicher nach innen.
Die letzte Vorstellung des Kranken erfolgte am 21. VIII.
1899 und bot folgendes Bild des rechten Auges, im Ganzen
wenig verändert gegen früher:
Der ganze vordere Bulbusabsdinitt bis zum Aequator hin, so-
weit derselbe auch beim starken Abziehen der Lider sichtbar,
Reicht dner tief bräunlich-röthiichen fleischigen Halbkugel, welche
nach aussen hin noch einen deutlich prominenten skleritischen
Buckel zeigt Nach oben am Limbus corneae hat eine 1 qcm
grosse Stelle der eri:rankten Sklera etwas schmutzig gelbbräun-
liches in ihrem Farbenton. Sonst ist die Veränderung im gan-
zen vorderen Bulbusabschnitt ziemlich gleichmässig und hat eine
deutlidie Verdickung der ganzen Conjunctiva bulbi, der Sklera
und des episklenüen Gewebes herbeigeführt. Die Conjunctiva bulbi
nicht verschieblich gegen die Sklera. Der Umfang des vorderen
Bulbusabschnittes ist in seinen Dimensionen, eben wegen der
gleichmässigen skleritischen Verdickung etwas grösser als der
eines normalen Auges, jedoch bestehen hier nirgends partielle
staphylomatöse Ektasieen.
Die Cornea ist intensiv schmutziggrau, zum Theil mit
einem Stich in's röthliche, getrübt und vollständig undurchsiciitig,
jedoch besteht nirgends ein Ulcus oder eine Leukombildung nach
etwa früher perforirtem Ulcus. Die Trübung der Cornea durch-
setzt alle Schichten derselben, namentlich auch die tieferen und
lässt vielfach mit der Loupe eine ganz fein punktirte Zusammen-
setzung sowie tiefe Gefassneubildung erkennen. Von der Iris
und der vorderen Kammer ist wegen dieser tiefen parenchyma-
tösen, schmutzig-grauen Trübung der Hornhaut nichts zu er-
kennen. Die Randparthieen der Cornea sind am stärksten getrübt
und vaacularisirt und ist dadurch gleichsam eine scheinbare Ver-
kleinerung der Hornhaut wenigstens im verticalen Meridian zu
Stande gekommen. Der Homhautdurchmesser beträgt in dieser
Richtung 9 mm, in horizontalei* Richtung 11 mm. Die Rand-
parthieen prominiren ausgesprochen gegen das Niveau der übrigen
Hornhaut.
Bei Loupenbetrachtung erkennt man nun, wie im ganzen
vorderen Bulbusabschnitt im Bereich der erkrankten Sklera die
oberflächliche Schicht bis zu einem gewissen Grade homogen
544 W. ühthoff.
darchscheinend ist, so dass man die vermehrten und ektatischen
Oefässe der episkleralen Parthieen durchscheinen sieht
Namentlich sind es die Verästelungen der vorderen Ciliar-
gefässe, welche in der Tiefe dieser homogenen bränntich grau-
lichen Schicht blass roth durchscheinen. Dieselben sind enorm
erweitert und geschlängelt und scheinen vielfadi, wie mit der
Loupe zu erkennen ; etwas weissliche getrübte verdickte Wan-
dungen zu haben. An einzelnen Stellen erkennt man in den
salzig infiltrirten oberflächlichen conjunctivalen und episkleralen
Schicliten kleine blass grau durchsdieinende, fladie, knötchen-
förmige Bildungen. In einem anderen Theil der Sklera z. B.
nach aussen ist ein stärkerer skleritascher Heerd noch achtbar,
der auch eine intensivere, dunkel-bräunlich-violette Färbung zeigt
als die übrigen Parthieen. Das Auge ist relativ gut beweglidi,
Tension — 1,0, keine Schmerzhaftigkeit bei Berührung. Dieses
Aussehen mit allmählich etwas zunehmender Intensität der Ver-
änderungen bietet das rechte Auge jetzt somit seit zwei Jahren,
und ganz analog war auch der F^cess seiner Zdt auf dem
enudeirten linken Auge, dessen anatomische Beschreibung jetzt
folgen soll.
Das Allgemeinbefinden des Kranken ist bis in die letzte
Zeit relativ gut geblieben, er ist jetzt 77 Jahre und zeigt, abge-
sehen von seiner alten Bronchitis, keine sonstigen hervorstechen-
den Krankheitserscheinungen, besonders auch keine Erscheinungen
von Gicht und Rheumatismus.
Anatomische Beschreibung: Der linke enudeirte Balbiu
wurde frisch in Müll er- Formol gehärtet und in dankenswertfae-
ster Weise von Herrn Dr. Seydel in Celloidin eingebettet und
geschnitten. Färbung mit Haematoxylin, Alauncarmin, Doppel-
färbung mit Haematoxylin und Eosin nach van Gieson, Bak-
terienfärbung nach Weigert u. s. w.
Wie ein horizontaler Durchschnitt durch den Augapfel zeigt
(siehe Fig. 1), ist der ganze vordere Bulbusabschnitt ungeflhr
bis zum Aequator nach hinten reichend der Sitz hochgradiger
Veränderungen. Es besteht hier, gürtelförmig die Hornhaut um-
gebend, eine mächtige entzündliche Infiltration der ganzen Bulbus-
wandungen mit starker Verdickung derselben. Dieselbe beträgt
etwas hinter der Ciliargegend an Stelle der stärksten Veränderung,
nach aussen circa 3,5 mm, nach innen bis 4,5 mm. Die Breite
dieser erkrankten Zone beträgt circa 9 — 10 mm in der Richtung
von vom nach hinten. Die stark entzündlich infiltrirte und
^-erdickte Conjunctiva bulbi ist fest mit der darunter liegenden
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 545
und ebenfalls infiltrirten und zum Theil völlig dilacerirten Sklera,
sowie weiter zusammenhängend mit der darunterliegenden mächtig
gewucherten und verdickten infiltrirten Chorioidea verwachsen,
so dass die Bulbushülien fest zusammenhängend jene oben er-
wähnten Dickenmaasse erreichen. Die Schnittserien zeigen nun,
wie diese entzündlidie, dichte, zellige Infiltration mit starker Ver-
dickung und Verwachsung der Bulbushülien den ganzen vorderen
Bulbusabschnitt ziemlich gleichmässig gürtelförmig bis zum Aequa-
tor occupirt Die Cornea ist nur in ihren Randtheilen, nament-
lich von aussen her mit ergriffen.
Auf der äusseren Oberfläche des Augapfels hört die Ver-
änderung am Aequator durchweg auf, nur vereinzelte heerd-
förmige entztlndliche Infiltrationen in der Umgebung der Gefässe
erstrecken sich auch noch weiter nach hinten und reichen ver-
einzelt bis an den hinteren Bulbuspol (siehe Fig. 1), während
sonst die Verhältnisse hier normal sind. Man sieht jedenfalls
wie die eigentlichen Propagationsbahnen des Processes weiter nach
hinten lediglich die Umgebung der Gefässe sind, es zeigt sich
das besonders significant auch da, wo ein Gefäss auf dem Längs-
schnitt getroffen ist, welches dann mit einem scheidenförmigen
Zellmantel versehen ist
Die Affection nun in dem vorderen Bulbusabschnitt erweist
sich anatomisch als hochgradige Episkleritis, Skleritis und Cho-
rioiditis. Das infiltrirende zeliige Material sind durchweg ein-
kernige Lenkocyten, welche sowohl die Conjunctiva bulbi, als
die episkleralen Theile, die Sklera selbst und die entsprechenden
Theile der Chorioidea dicht durchsetzen.
Die Sklera ist in einer ringförmigen Zone, parallel zum
Limbus corneae hochgradig infiltrirt, ja zum Theil direct durch-
brochen und zerstört Die entzündliche Infiltration erstreckt sich
streifenförmig zwischen die aufgelockerten Skleralfaserschichten
hin. An einzelnen Stellen ist von Skleralgewebe nichts mehr zu
sehen und hier sieht man an der Grenze der Durchbruchsstellen,
wie die Skleralfasem sich pinselförmig auseinanderbreiten, sich in
feinere Fibrillen auflösen und schliesslich völlig zu Grunde
gehen. Auch die noch vorhandenen Sklerallagen in dieser Gegend
zeigen zum Theil Degeneration, welche sich in mangelnder F^rb-
barkeit der Kerne der betreffenden Parthieen documentirt Be-
sonders hervorzuheben ist noch für die Stellen, wo die Sklera
durchbrochen und wo die Skleralschichten sich pinselförmig auf-
lösen, ein ausgesprochener Zerfall der Zellkerne. Die fVagmen-
tation der Zellkerne (Chromatolyse) ist an diesen Stellen viel-
546 W. Uhthoff.
fadi ausserordentlich heryortretend, während ae in den dbrigen
Tiieilen des erkrankten Terrains, bis auf einige Stellen in der
Chorioidea sich nicht findet. Im hinteren Abschnnitt des Bnlbiis
ist die Sklera völlig intact erhalten and zeigt hier auch gnt ge-
färbte Zellkerae. Nadi aussen vom Limbus corneae ist die
Sklera, abgesehen von ihrer starken entzündlichen Infiltraüoo
ausgesprochen ektatisch (siebe Fig. 1). IHese Ektasie hatte sidi
intravitam unter Drucksteigerang ziemlieh schnell entwickelt und
repräsentirte sich als partielles Intercalarstaphyloro mit dunlder
Verförbung nach aussen vom Limbus.
Auf allen Durchschnitten zeigt sich, dass die grösste Inten-
sität des perforirenden skleritischen Processes nicht unmitteHnr
am Limbus ihren Sitz hat, sondern circa 2 — 3 mm davon ent-
fernt in der Gegend, wo die vorderen Ciliargefässe die Skksra
perforiren. Von diesem Terrain aus erstreckt sich dann der
Process, gleichsam ^manschettenknopfartig^, sow(rfil in das Süssere
episklerale und subconjunctivale Terrain, als audi nach innen,
sich in der Chorioidea ausbreitend (siehe flg. 1 und 2); an der
Durcbbruchstelle zeigt die Aderhaut die stärkste entzündliche In-
filtration, welche von hier aus nach vom sowohl (Coipos
ciliare), als nach hinten allmälilich abklingt. Die starke ^isklo*
ritisclie und subconjunctivale entzündliche Infiltration reieht nadi
vom bis in den Limbus hinein und bildet eine wallf5nnige Er-
hebung rings um die Cornea, auf der äusseren Seite erstreckt
sie sich drca 1,5 mm in die oberen und mittieren Comealsdiicfaten
hinein in Form von längsstreifigen Zellzügen. Nach hinten zu
von den stärkst afficirten Skleralstellen reicht der Ptocess in den
oberfiächlich skleralen, episkleralen und subconjunctivalen TheO^i
auch noch circa 3 — 4 mm liickwärts, allmählich an Intensität
abklingend und sich in jenen oben beschriebenen verduzelten
perivasculitischen Zellzügen, welche selbst gdegentlich bis an die
Gegend des hinteren Bulbuspoles reichen, verlierend.
In diesen mächtigen waUfÖrmigen skleralen, episkleralen und
subconjunctivalen Veränderangen sind neben der entzündlichen
Zellinfiltration mit einkernigen Leukocyten, die Gefässverände-
rungen die hervorstechendsten Erscheinungen. Dieselben sind
stark erweitert und gewuchert, sodass das Gewebe z. Th. ein
völlig cavernöses Aussehen darbietet (s. Fig. 2). Es ist stellen-
weise gar nicht zu verkennen, dass der Aufbau der entzündlichen
Infiltration vielfach gerade durch das Verhalten der Gewisse ge*
geben wurde und dadurch ein netzförmiges Aussehen gewinnt.
Die Gefässe auf dem Querschnitt enthalten viel&ch lediglicli
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 547
Blnt, indem die rothen Bludcörper didit gedrängt an einander
liegen nnd das Ge&s ganz ausf&llen. Anf andern Qnerechnitten
ist nur an Theil des Qnersehnittes durch dnen Haufen rother
Blutkörper eingenommen, wälirend der übrige Theii' von homoge-
ner gBTonnener FlüiSBigkeit erftUlt ist Ein Theil der Blutge-
ftasquerBchnitte zeigt gar keine geformten Blutelemente, sondern
lediglich homogenen Inhalt Es zeigt mch jedenfalls in diesem
Verhalten y dass intra vitam dne sehr starke Circulationsstörnng
in den Qefässen vorhanden gewesen sein muss, ja z. Th. ist es
gerechtfertigt von hyaliner Thrombose zu sprechen.
Die Wandung dieser stark erwdtertra und vermehrten
Ge&se ist durchweg sehr dünn, das auskleidende Endothel ge-
wöhnlich gut zu erkennen. An andern OefSssen ist deatlidie
Sklerose der Wandungen erkennbar, und ebenso Endoifaelwucfae-
rung mit Verlegung oder starker Verengung des Lumens. An
einzelnen Stellen finden sich Blutungen in dem entzflndlich in-
filtrirten Gewebe, an andern gefoimte homogene und feinfibrlUäre
Exaudatmassen* Ausser den Blutgefässdurchsdinitten handelt es
sich namentlich in den oberflächlichen subepithelialen Coi\juncti-
vaüagen um erweiterte und vermehrte Lymphgefiisse. Die Lumina
derselben sind viel£BKsh ganz leer, zum Theil zeigen sie einen
homogenen ganz gidchmässigen Inhalt Ein Endothelbelag ist
durchweg auf den Querschnitten nachweissbar, eine eigentliche
wohlausgeprägte Wandung ist nicht wahrzunehmen.
Diese Veränderungen des Blut- und Lymphgeftsssystems
decken sich im Ganzen mit den in meinen frühem Fällen ge-
fundtraen und besohnebenen. Ich glaube, dass geradb ihnen eine
grosse RoUe für den Aufbau der skleritischen und episkleritischen
Prooesse zukommt
Neben diesen bisher beschriebenen Veränderungen der ent-
zündlichen Infiltration, den Geiässveränderungen u. & w. finden
sich femer mehr oder weniger aosgespFochen die Zeichen von
Gewebspioliferation, welche vor allem in der theilweisen' V^v
mdinmg der grossen länglich ovalen Zellkerne ihren Ausdmek
findist Es ist in dieser Hinaoht noch besondere hervorzuheben
das Vorhandensein ziemlich zahlreicher kleiner knötehen-
förmiger Bildungen, die meistens in den^ oberfläriilichen snb«
Gonjunctivaien, z. Th. aber aueh in den tiefem q^iskleralen Pluthieen
sieh finden (a. Flg. 1, 3* und 4). Bei genauerer und namentlich
bei Loupanbetrachtnng waren dieselben schon makroskopiseh am
lebenden als kleme granrSthliche Knötchen sichtbar. Ihre Grösse
wechselt erheblich, jedoch können sie einen Durchmesser bis zu
548 W. Uhthoff.
1 mm erreichen. Mikroskopisch zeigen dieselben ziemliefa eon-
stant sich aufgebaut aus zweierlei ZeUmateriai. Der Kern, der
sich deutlich von dem umgebenden Mantel difierenzirt, besteht
aus endothelialen Zellen mit grossem blass gefärbten, oft feingranu-
lirten, ovalen und rundlichen Kernen mit deutlichen Kemkörper
chen. Ein kleiner Theil dieser Zellkerne färbt sich kaum noch
mit Haematoxylin und zeigt gelegentlich ein mehr blasenartige
homogenes, klumpiges Aussehen, wobei das glänzende Kemkörper-
chen gewöhnlich noch sichtbar ist; es sind dies wohl zweifdlcis
Zeichen der Degeneration. Durchweg aber hat man es jeden£dls
mit lebendem Zellmaterial zu thun, ja zum Theil sind Kemtheilungs-
figuren als Zeichen von Proliferationsvorgängen nachweisbar^
jedenfalls fehlen Verkäsung, ausgedehntere Nekrose, Riesenzellen
völlig in diesen centralen Parthieen der Knötchen (s. Fig. 3 u. 4 >.
Die umgebende mantelartige Zone dieser centralen Knötchen-
parthieen besteht gleichmässig aus den einkernigen infiltrirenden
l^eukocyten, deren Kerne sehr intensiv tingirt ist Die Grenze
zwischen diesem peripheren Infiltrationsring und dem andersartigea
Kern des Knötchens ist oft ganz scharf ausgesprochen, zum Theil
aber erkennt man auch mikroskopisch, wie fheilweise in dis-
seminirter Weise einzelne einkernige Leukocyten zwisdien die
central liegenden endothelialen Zellen eingewandert sind (siebe
l^lg. 4).
In einer Anzahl dieser Knötchen ist es möglich, ein spär-
liches capillares Gefäjasnetz nachzuweisen, welches sowohl den
peripheren Mantel als den Kern des Knötchens durchsetzen kann,
gewöhnlich dann aber in den Kemparthieen deutlicher wahrnehm-
bar ist (siehe Fig. 4).
Trotz vielfacher Bemühungen ist es mir nidit mit Sicher-
heit gelungen, die Genese und die Bedeutung dieser Knötehea
genauer festzustellen. Für dnen kleinen Theil dürtte folgender
Entetehungsmodus zutreffend sein, wie ich an der hintern Grenze
des skleralen und episkleralen Ptocesses gelegentlich nadiweiseii
zu können glaube (siehe Flg. 3). Man sieht hier zuweilen,
wie ein infiltrirender Zellmantel einkerniger Leukocyten ein kleines
Gefässlumen mit gewucherten Endothelien und vollständig ver-
legtem Lumen umgiebt, und wie dann auf diese Weise das Bild
ganz kidner knötchenförmiger Heerde mit einem Centram von
endothelialen Zellen und umgebender Infiltrationszone dnkemiger
Leukocyten zu Stande kommt Ob in dieser Weise etwa unter
Wucherung des central gelegenen endothelialen Zellmaterials und
völligem Zugrundegehen der dünnen Gefässwandung auch die
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 549
grossem Knötchen zu Stande kommen, möchte ich dahin gestellt
sein lassen y jedenfalls konnte dieser Nachweis an den grösseren
Knötchen nidit direct geführt werden.
Ganz vereinzelt wurde ein derartig zusammengesetztes Knöt-
chen auch in der Tiefe des Auges in der stark verdickten Chori-
oidea angetroffen.
Die Cornea war bei diesem anatomisch untersuchten Auge
noch relativ intact geblieben ^ nur in die Randtheile derselben
und namentlich auf der äussern Seite war die entzündliche In-
filtration in Form von Zellzügen in die oberflächlichen und mittleren
Homhautschichten übergegangen. Sonst Epithel und Bow man-
sche Membran durchweg gut erhalten, ebenso das Homhaut-
parenchym und die Membrana Descemetii mit ihren Endothelbe-
lag; auf letzteren fanden sich mehrfache Schichten einkerniger
Leukoc^'ten aus dem vordem Kammerwasser niedergesdilagen.
Die Epithelschicht der Conjunctiva im Bereich des er-
krankten Terrain 's ist continuirlich erhalten und erscheint in
grosser Ausdehnung verdickt, namentlich in der Nähe des limbus
auch zapfenförmige Fortsätze in die Tiefe sendend. An einzelnen
Stellen sieht man scheinbar isolirte Nester von Epithelzellen ab-
getrennt von der obem Epithelschicht im erkrankten Conjunctival-
gewebe, es sind das derartige quergetroffene Epithelzapfen, die
nur auf dem Schnitt isolirt in der Conjunctiva zu liegen scheinen,
sonst aber continuirlich mit der Epithelschicht im Zusammenhang
stehen.
Der Uvealtractus zeigt sehr hochgradige Verändemngen,
jedoch lässt sich an der ganzen Topographie auf den Schnitt-
serien erkennen, dass der Process offenbar von den stärkst er-
krankten skleritischen Parthieen, namentlich da, wo es zur Zer-
stömng und zum Durchbrach der Sklera gekommen ist, seinen
Ausgangspunkt genommen hat Einmal aber in das Augeninnere
übergegangen, haben die chronisch entzündlichen Veränderungen
der Chorioidea mächtig sowohl nach vom als nach hinten über-
gegriffen. Nach hinten erstreckt sich die entzündliche Infiltration
und Verdickung der Chorioidea mit stetig abnehmender Intensität
bis an die Gegend des SehneiTen-Eintritts; nach vom ist das Corp.
ciliare sehr stark in Mitleidenschaft gezogen; so dass von der
Stractur desselben kaum noch etwas zu erkennen. Dieser Theil
des Uvealtractus ist ebenfalls in stark zellig infiltrirte, verdickte,
entzündliche Masse umgewandelt Die Ciliarfortsätze sind nicht
zu erkennen und sicher auch fiinctionell ganz zu Grande gegangen.
Auch die Iris ist noch stark in Mitleidenschaft gezogen,
550 W. Uhthoff.
im änsseni BtaphyiomatOsen Theii liegt ne völlig der Hinterflfidi^
der Cornea an, so daas die vordere Kammer hier ganz aufge-
hoben ist Nach innen zu ist sie mit der Linse verwadisen.
Die Iris zeigt einerseits entzQndliche Infiltration, anderersdts aoa^
gesprochene Atrophie.
Die entzündlichen Veränderungen der eigentlichen Oiorioidea
sind sehr hochgradig, und erreicht die Membran stellenweise eine
Dicke bis zu 3 mm. Auf der äassem temporalen Sdte nimmt
die entzündliche Verdickung der Chorioidea nach hinten von der
skleritischen Perforation an continturlich ab, sodass in der Gegend
des Opticuseintritts nur noch eine geringfügige zellige Infiltration
vorhanden ist. Sie bietet im Qanzen das Bild einer hyper-
plastischen Chorioiditis, Hhnlidi wie man es so häufig in cyd^-
tischen Augen findet, die zu sympathischer Entzündung Venm-
tassung gegeben haben. In den vordem, am stärksten betro^neo
Parthieen sind die Chorioidealgefösse eigentlich völlig zu Grunde
gangen, im hintern ' Abschnitt sieht man noch zahlreiche relativ
normal grosse Oei^tesquerschnitte, doch sind auch gerade hier
Endarteriitis, Perivasculitis, Sklerose der Gefässwandungen, Hirom-
bose, völlige Obliteration des Lumens besonders häufig anzutr^en
(siehe Fig. 5).
Es ist in erster Linie die Schicht der mittelgrossen Gdlsse
hiervon betrofien. Die Chorioidea ist fest mit der Sklera ver-
wachsen.
Auf d^ inneren Seite ist die Verdickung der Chorioidea
am stärksten: Wie nach aussen besteht auch hier die stäikste
entzündliche Infiltration entsprechend den starken skleritisdien
Veränderungen im vordem Abschnitt, weiter nach hint^ nnmnt
dieselbe ab, indem sie die äusserste und innerste Schicht vor
Allem betrifit, die mittlere aber mehr frei lässt Dafür aber
find^ sidi hier in den mittleren ChorioldeaJschichten eine mäditige
Durchtränkung mit serösen und beim Härten geiDnnenen Exsudat-
Massen, ja auf dne grosse Strecke hin (circa 6 mm lang und bis
zu 1,5 mm breit) ist es zur BUdung eines grossen eystisdieD
Spaltraumes gekommen, der mit homogenem, massig mndzeUea-
hflltigem Exsudat erfüllt ist Die äussern und die inneren Chori-
oideaÜageH smd hier weit klaffend auseinander gewichen {mdie
Pig. 1 und 2). Auch in der Umgebung dte Spaltraums erkennt
man, wie das Chorioidealstroma von serösem Exsudat durchtiänkt
ist, und wie dadurch die Bestandtheile der Chorioidea (Strtmm-
pigroentzdlen u. s. w.) weit auseinandergedrängt smd. SteDen-
weise finden sich in diesem Teritorriura ausserdem zahhdclie
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 551
klumpige gelbe PigmentmasBen ventreat^ die wohl als aus alten
Blntnngen stammend anzusehen sind. Das Pigmentepithel auf
der Chorioidea ist zum Theil noch ehalten. — An einzelnen
Stellen der stark infiltrirten und entzfindlich veränderten äussern
Ghorioidealschichten sind spärtidie Riesenzeilen nachweisbar.
Auf die übrigen mtraocularen Veränderungen will ich hier
nidit näher eingehen, weil sie als secundäre anzusehen sind und
f&r das Wesen des Pl*ocesses nicht von Bedeutung.
Es besteht eine complete trichterförmige Netzhautablösung
mit weitgehender Degeneration der Retina namentlich in ihren
äussern Schichten.
Der Nervus opticus ist total atrophisch und enthält keine
gesunden Nervenfasern mehr.
Die Linse ist nach aussen und vom luxirt und liegt mit
ihren äussern Theilen der Hinterflädie der Hornhaut und der
mit ihr verwachsenen Iris an. Die vordere Corticalis der linse
zeigt ausgesprochenen cataractösen Zerfall.
Der Querdurchmesser des horizontalen Bulbusdurchschnittes
beträgt 26 mm, ebenso der Längsdurchmesser von äusserer Obeiv
fiädie zu äusserer Oberflädie gemessen.
Epikrise: Bei einer resümirenden Betrachtung unseres
Falles sowohl in kUnischer als anatomischer Hinsicht, möchte
ich denselben den drei Fällen von Schlodtmann, von
denen der erste zur anatomischen Untersuchung kam, und
dem Fall 11 von Friedland, der ebenfalls anatomisch
untersucht wurde, anreihen, und es scheint mir völlig ge-
rechtfertigt, diese Krankheitsbilder von dem gewöhnlichen
Bilde der buckelf örmgen Skleritis resp. Episkleritis als etwas
Besonderes abzusondern. Freilich handelt es sich meines
Erachtens auch hier in erster Linie um eine skleritische
und episkleritische Affection mit secundärer Homhautaffec-
tion, aber eine Erkrankung die durch eine Beihe beson-
derer Merkmale ausgezeichnet ist. Ich habe diese Beob-
achtung als die einzigste in ihrer Art unter meinem Ma-
terial zu verzeichnen (unter circa 100000 Augenkranken),
so zahlreich auch sonst die Fälle von Skleritis resp. Epi-
skleritis waren.
▼. OzMffl't ArehlT f&r Ophthalmologe. XLIX. 3. 36
562 W. Ulithoff.
Es scheint zunächst, als ob diese Erkrankung in arster
Linie Patienten im höheren Lebensalter befällt
Die fünf Kranken standen im Alter von 64 — 75 Jahren,
vier waren über 70 Jahre alt
Der Process verlief in meiner Beobachtung enorm
chronisch unter Exacerbationen und Remissionen, ähnlich
in den übrigen Fällen.
Durchweg trat die Erkrankung doppelseitig auf, wenn
auch nicht immer gleichzeitig auf beiden Augen, nur iii
Fall m von Schlodtmann war nur das rechte Auge
befallen.
Die Prognose scheint durchweg eine sehr ernste
zu sein, und im Verlauf von zwei Jahren erblindete unser
Patient vöUig, trotz aller aufgewandten MitteL Aehnlich
in den übrigen Fällen bei den befallenen Augen, nur in
Fall I (Schlodtmann) heilte der Process auf dem zweiten
in geringerem Grade befallenen Auge aus und zwar unter
partieller bläulicher Verfärbung der vorderen Skleralpar-
thieen wie nach Skleritis, während das erste wegen starker
Degenerationserscheinungen mit Schmerzen und ErbUndnng
enucleirt werden musste.
Gerade diese schwere Form der skleritischen und epi-
skleritischen Erkrankung hat relativ häufig zur Enucleation
Veranlassung gegeben trotz ihres an und für sich seltenen
Vorkommens, während die gewöhnUche buckeiförmige reci-
divirende Skleritis nur relativ selten zur anatomischen
Untersuchung kam im Verhältniss zu ihrem häufigen Auf-
treten.
Das Aussehen, die Ausbreitung und die Lora-
lisation des Processes in unserem Falle, wenigstens in
den späteren Stadien, deckt sich weitgehend mit der Be-
schreibung von Schlodtmann und Friedland, jedoch
war ich in der Lage innerhalb zweier Jahre den Process
auch klinisch zu verfolgen und auch theilweise noch die
früheren Stadien der Entwicklung zu beobachten und gerade
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 553
in dieser Hinsicht möchte ich henrortieben; wie vielfach
das Bild einer wechselnden, ausgesprochenen, skleritischen
Backelbildung dabei zu Tage trat, wenn auch der Process
von Yomherein eine grosse Neigung zeigte sich über den
ganzen vorderen Skleralabschnitt auszudehnen. In den
späteren Stadien war die Bezeichnung einer mehr gleich-
massigen gürtelförmigen Affection im vorderen Bulbusab-
schnitt vom limbus bis zum Aequator des Bulbus durch-
aus gerechtfertigt und das Bild blieb an dem rechten nicht
enucleirten Auge während Jahres&ist ziemlich unverändert
Der ganze vordere Bulbusabschnitt zeigte eine bräunlich-
röthliche Verfärbung mit völlig tiefer Trübung der Cornea,
auch ein sulziges homogenes Aussehen des vorderen Bulbus-
abschnittes trat in diesen späten Stadien deutlich zu
Tage, wie oben geschildert, und erhielt die Verfärbung
stellenweise einen ausgesprochen schmutzig bräunlichgelben
Farbenton«
Die infiltrirte limbusgegend setzte sich deutlich pro-
minent gegen die getrübte Hornhaut ab.
So wie in den Fällen von Schlodtmann und Fried-
land localisirt sich der schwere skleritische und episkleri-
tische Process ausschliesslich auf den vorderen Bulbusab-
schnitt und hört jenseits des Aequators nach hinten ganz
auf; während die inneren Veränderungen des Auges speciell
die Chorioidealveränderungen, wenn auch mit abnehmender
Intensität sich weiter nach hinten erstrecken. Am ausge-
sprochendsten sind aber in der Chorioidea die entzündlichen
Erscheinungen entsprechend den stärkst affidrten vorderen
Skleralparthieen. Ich möchte deshalb für meinen Fall auch
annehmen, dass die Affection der Chorioidea eine secun-
däre ist und ausging von der Stelle, wo der skleritische
Process die Sklera durchsetzte und zum Theil zerstörte.
Die eigentUche Sklera ist ja offenbar für die Ausbreitung
eines entzündlichen Processes ein ungünstiges Terrain, und
so glaube ich, ist es nicht zu verwundern, wenn bei dieser
36*
554 W. Uhthoff.
Form einer durchschlagenden Skleritis die Sklera selbst
nnr relatiy drcumscript lädirt erscheint , während der ent-
zündliche Process sowohl in den episkleralen und sub-
conjunctivalen Parthieen, als auch vor Allem in der Gho-
rioidea eine viel grössere Ausbreitung zeigt Es liegt auch
in unserem Falle, keine Veranlassung vor, die Affection
der Chorioidea als eine primäre und für sich bestehende
anzusehen, sondern ich bin geneigt, die inneren Verände-
rungen des Augapfels lediglich als secundäre zu betrachten
und in einer Skleritis resp. Episkleritis den Ausgangspunkt
der ganzen Affection zu sehen, namentlich auch mit Bück-
sicht auf die klinische Entwicklung der Erkrankung. Die
Sklera selbst ist ja aber offenbar in erster Linie dort iiir
eine entzündliche Affection disponirt, wo die vorderen Ciliar-
gefasse (Venen sowohl wie Arterien) dieselbe durchsetzen.
Auch Friedland führt für seinen Fall 11 aus, dass
die sulzige Infiltration der Episklera das Primäre war, bei
guter Function des Auges, während die Ek'krankung der
Chorioidea, der Verfall des Sehvermögens und weitere tiefere
Veränderungen erst später hinzutraten.
Im vorgeschrittenen Stadium scheint die Affection^
wie in unserem Falle, ziemlich gleichmässig den ganzen
vorderen Bulbusabschnitt gürtelförmig zu occupiren und
vom Limbus aus sich unter dem Bilde der tiefen paren-
chyifiatösen Trübung in die Hornhaut hineinzu erstrecken.
Auf dem zweiten nicht enucleirten Auge unseres Patienten
führte während circa 1 Vi jährigen Beobachtungszeit der
Process zu einer completen und dauernden tiefen parenchy-
matösen Trübung mit oberflächlicher und tiefer Gefäßs-
neubildung. Die Erkrankung der Cornea ist eine
secundäre durch den skleritischen Process bedingte.
' In Bezug auf die Natur des Processes ist hervor-
zuheben, dass es sich nicht um eitrige Entzündung handelt
die infiltrirenden Zellen sind durchweg einkernige Leuko-
cyten, wie sie dem Granulationsgewebe zukommen.
Weiterer Beitrag zur pathologiflchen Axuitomie der Skleritis. 655
Ausgesprochene nekrotische Heerde, wie sie Von
Friedland und Schlodtmann beschrieben, finden sich
nicht, nur in einzehien Parthieen der Sklera im Bereich
der grössten Intensität des Processes sind die Kerne nicht
mehr färbbar, als Zeichen der Degeneration. Auch die
endothelialen Zellen im Centrum der runden knötchen-
förmigen Heerde zeigen wohl eine blassere Färbung ihrer
grossen ovalen Kerne, doch ist durchweg die Färbung noch
deutlich, so dass man auch hier nicht von Nekrose spre-
chen kann. Ja, es lassen sich, wenn auch sparsam, noch
Kemtheilungsfiguren nachweisen, ein Zeichen , dass auch
hier noch ProliferationsYorgänge stattfinden. An einem
Theil dieser Zellen ist der Kern jedoch nicht mehr färb-
bar, auch die Form mehr klumpig als Zeichen der De-
generation. Zur Bildung von Biesenzellen ist es durchweg
nicht gekommen, ganz vereinzelt begegnet man ihnen in
den äusseren Lagen der stark verdickten Chorioidea.
Bemerkenswerth ist noch im Bereich der Skleralschichten,
da wo die AufEaserung und Zerstörung derselben am inten-
sivsten sind, ausgesprochener Kernzerfall der infil-
trirenden einkernigen Leukocyten, auch in den tie-
feren Schichten der verdickten Chorioidea findet sich zum
Theil eine derartige ausgedehnte Kemfiragmentation (Chro-
matolyse). Es ist dies ein ausgesprochenes Zeichen der
Zelldegeneration.
Veränderungen im Bereich des Gefässsystems
und zwar sowohl der Blut- als der Lymphgefässe
spielen als anatomische Factoren in diesem Krankheitsbilde
eine ganz hervorragende Bolle. Im Bereich des vorderen
Bulbusabschnittes in den erkrankten conjunctivalen und
episkleritischen Parthieen besteht eine mächtige Gefässver-
mehrung und Erweiterung derselben, so dass das krankhaft
veränderte Gewebe zum Theil ein ganz cavernöses Aus-
sehen zeigt In dem oberflächlichen subepithelialen Par-
thieen finden sich auch zahlreiche stark erweiterte mit ein-
656 W. Uhthoff.
fächern Endothelbelag ausgekleidete Lymphräume. Dieselben
siiid zum Theil leer, zum Theil mit einer homogenen Masse
gefüllt An dem Inhalt der Blutgefassquerschnitte zeigt
sich, dass jedenfalls intra yitam eine starke Gürculations-
behinderung bis zur Thrombose einzelner Gefässe bestanden
hat Vielfach sind die stark erweiterten Gefässquersdinitte
prall mit Blut gefüllt, oft aber zeigt nur ein Theil des
Querschnittes rothe Blutkörper, welche in einen hom<^nen
geronnenen Inhalt eingebettet sind.
Veränderungen der Gefässwandungen sind liel-
iach nachweisbar, sowohl in den vorderen eigentlich skleri-
tischen und episkleritischen, als auch besonders in den wdter
nach hinten liegenden episkleralen Parthieen, besonders
aber auch in der stark veränderten Chorioidea. Viel&ch
ausgesprochene sklerotische Verdickung der Wandungen mit
Verengerung und fast yölliger Verlegung des Lumens,
Endothelwucherung mit völliger Obliteration des Gelasses.
Die hervorstechendste und verbreitetste Veränderung ist die
entzündliche Infiltration in der Umgebung der Gefassa Es
ist namentlich markant, wie in den hinteren Thälen der
erkrankten Parthieen der Process sich üast nur noch sk
entzündliche Infiltration in der Umgebung der Gefassab-
schnitte abspielt, und selbst bis an dem hinteren Pol des
Bulbus finden sich vereinzelte isolirte Gtefi&ssquerscbnitte
mit stark infiltrirter Scheide, während alles Uebrige nonnsl
erscheint Aber auch in dem eigentlichen Krankheits-
terrain im vorderen Bulbusabschnitt ist viel&ch noch er-
kennbar, wie perivasculitische Veränderungen und entsfind-
liehe Vorgänge in der Umgebung der Gefässe die Form
des Processes beherrschen. Diese Veränderungen des Blot-
gefasssystems und der Lymphgefässe sind audi bei neiseD
früheren Fällen mit die hervorstechendsten ErsdieinimgeD«
An verschiedenen Stellen finden sich auch Blutungen
in dem erkrankten G«webe, die nicht auf den operativen
Eingriff zurückzuführen sind.
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 557
Ueber die Natur der Knötchen^ welche oben be-
schrieben, vermag ich nichts Bestimmtes auszusagen. Sie
ähnebi eigentUch am meisten dem TrachomfoUikel. Stets
war ein dififerentes Centrum von grösseren endothelialen
Zellen mit grösseren blasser tingirten Kernen vorhanden
und ein dichter Infiltrationsmantel einkerniger Leukocjrten.
Zum Theil ist die Abgrenzung dieser beiden Zellsorten
gegeneinander eine ganz scharfe wie schon makroskopisch
an den gefärbten Schnitten deutlich. Mikroskopisch sieht
man jedoch, wie auch vielfach an der Grenze die einkernigen
Lieukocyten in disseminirter Weise in den Kern des Heerdes
eindringen. An einzelnen Stellen, glaube ich, die Entstehung
des Centmms dieser Knötdien aus Endothelwucherung eines
kleinen Oefassquerschnittes mit yölhger Obliteration des*
selben nachgewiesen zu haben, um welchen sich dann die
entztindhche ringfctamige Infiltration mit einkemigoi Leuko«
cyten bildete (s. Fig. 3). Meistentheils aber war ein solcher
Entstehungsmodus nicht nachweisbar und möchte ich daher
diese Erklärung nicht immer für die zutreffende halten.
Mit dem Bau des Tuberkels boten diese Gebilde keine
Analogie, keine Yerkäsung, keine Biesenzellen u. s. w.
Auch mit Lymphfollikeln sind sie nicht zu verwechseln,
wegen ihrer difEerenten Zusammensetzung im Oentrum und
in der Peripherie, mit dem TrachomfoUikel ezistiren gewisse
Analogieen, jedoch lagen sonst in keiner Weise trachoma-
töse Veränderungen der Bindehaut vor. Auch makrosko*
pisch waren in der skleritischen Zone vor der Enucleation
schon diese kleinen graugelblichen Knötchen zu sehen, ebenso
wie an dem zweiten nicht enucleirten Auge. Ihre Lage
war zumeist eine oberflächliche, zum Theü aber auch eine
tiefere in den äusseren eriorankten Skleralschichten selbst
Ich möchte glauben, dass wir es hier mit analogen Ge-
bilden zu thun haben, wie wir sie auch gelegentlich bei
dem E[rankheit8bilde der gewöhnlichen bucketförmigen Skle*
ritis und EpisUeritis auftreten sriiea.
568 W. ühthoiL
Die Untersuchung auf Mikroorganismen nach Weigert.
Loeffler u. s. w. fiel negatiy aus.
Aetiologisch gelingt es nicht , in unserem Falle
etwas Bestimmtes nachzuweisen, eine chronische Bronchitis
ist neben dem hohen Alter des Patienten die einzige com-
plidrende Erscheinung. Von specifischer Infection nichts
nachweisbar, ebenso ist eine tuberculöse Natur der Erkran-
kung {auszuschliessen, auch die diffuse Ausbreitung einer
doppelseitigen Geschwulstbildung mit Uebergreifen auf die
Bulbi wie in den Fällen von Gay et und dem einseitigen
Fall von Coppez ist von der Hand zu weisen. Nach der
Enucleation bleibt die Orbita völlig firei von weiteren krank-
haften Veränderungen und ebenso bleibt auf dem zweiten
Auge der Process constant in derselben Weise während
einer 1^/, jährigen Beobachtungszeit stationär, und dodi
wie ähnUch ist z. B. die von Coppez gegebene Abbildung
den anatomischen Veränderungen in unserem Falle in Be-
zug auf das Ergriffensein des vorderen Bulbusabschnittes.
Des Weiteren erscheint auch eine leukämische oder
pseudoleukämische Affection oder ein lymphomatöser ma-
ligner Process in unserem Falle ausgeschlossen, da weder
der Blut- noch Lymphdrüsenbefund sowie sonstige beglei-
tende Erscheinungen hierfür Anhaltspunkte ergeben.
An Schlodtmann und seinen Erwägungen mich an-
schliessend, glaube ich, dass auch die Fälle von Donald Gnnn
von syphilitischer (?), subconjunctivaler Infiltration des vor-
deren Bulbusabschnittes und den Fall von Brailey, der
wohl zweifellos als Tuberculöse der Conjunctiva bulbi et
palpebrarum au&ufEissen ist, nicht hierher zu rechnen sind.
Alles in Allem möchte ich den Krankheitsprocess in
unserem Falle als eine besondere Form schwerer durch-
schlagender, chronischer, doppelseitiger Skleritis und Epi-
skleritis ansehen, wo das allmähliche Umsichgreifen der
Veränderungen, sowohl in den episkleralen und subconjnnc-
tivalen Theilen des Bulbus nach vom und in die Hornhaut,
Weiterer Beitrag zur pathologischen Anatomie der Skleritis. 559
als auch auf das Innere des Auges unter dem Bilde einer
mächtigen hyperplastischen Chorioiditis mit secundären Glas-
körperveränderungen, Netzhautablösung u. s. w. schliessUch
zur Erblindung führte.
Die häufige Doppelseitigkeit des Processes, das hohe
Alter der Patienten, die gleichmässige Ausbreitung der Ver-
änderungen über den ganzen vorderen Bulbusabschnitt, die
Complication mit schweren intraoculai*en Veränderungen,
der chronische und meistens maUgne Verlauf, die später
auftretende schmutzig bräunlichröthliche Verfärbung der er-
krankten Parthieen mit zum Theil sulziger homogener Ver-
dickung der Conjunctiya bulbi und tiefer parenchymatöser
Trübung der Cornea, scheinen mir die Züge im Krankheits-
bilde zu sein, die uns wohl berechtigen, dasselbe im Sinne
der Mitiheilungen aus der Fuchs 'sehen Kh'nik als etwas
Besonderes hinzustellen, doch ist es dem Symptomcomplex
einer primären Skleritis und Episkleritis zuzurechnen, wie
ich glaube.
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p. 644. 1895.
5) DonaldGunn, 1. Syphilitic (?) subconjunctival Infiltration, p. (>8.
2. Syphilitic (?) Infiltration of conjunctiva. p. 68—71. 3. Syphi-
litic (?) Infiltration of ocular. conjunctiva. p. 71—72. Transactions
of the ophthalm. Soc. of the united kingdom. 1894. V. XIV.
6) Friedland, Fr., Zur pathologischen Anatomie des Skleritis.
y. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLVIH. 2. S. 288. 1899.
7) Gay et, Sur les tumeurs sym^triques des deux orbites et leur
caractäre symptomatique. Arch. d' ophthalm. p. 15. 1886.
8) Gay et, Deux tumeurs symätriques des globes oculaires. Arch.
d'ophthalm. 1888. p 18.
9) Kostenitsch, Ueber einen Fall von Skleritis. Pathol.-anatom.
Untersuch. Arch. f. Augenheilk. XXVIII. S. 27. 1894.
560 W. Uhthoff, Weiterer Beitrag zur pathol. Anatomie der SUeritis.
10) Noyes, H., Transact. of the Americ. ophthalm. Society 3i--42.
1873. Ref. Nagers Jahresber. f. Ophthalm. 1873. S. 279.
11) Pilz, Prager Vierte^ahrrschr. Bd. XXXVI. S. 166—200. 1862.
12; Schirm er, 0., Zur pathol. Anatomie der Skleritia und Episkle-
riti8. V. Graefe'sArch. f. Ophthalm. XLI. 4. 1895.
13) Schlodtmann, W., üeber sulzige Infiltration der Coi^ancti?a
und Sklera, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XLIII. 1. 1897.
14) Uhthoff, W., BeitrSge zur pathol. Anatomie des Auges. I. Skle-
ritis und Episkleritis. v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXIX.
3. 1883.
15) Uhthoff, W., Zur pathol. Anatomie der Skleritis. Bericht üb.
d. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Frank-
furt a. M. 1896. II. Th. 2. Hftlfte. S. 826.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XTTT — XY,
Figur 1—5.
Fig. 1. Horizontaldurchschnitt des linken enucleirten Auges, der
die Ausdehnung und Intensit&t des pathologischen Procmses
erkennen Iftsst
Fig. 2. Durchschnitt durch eine skleritische Parthie im vorderen
Bulbusabschnitt, wo die Sklera ganz durchsetzt ist Tond^n
Entzündungsprocess.
Fig. 3. Einzelne Knötchen und die Entwicklung derselben aus Endo-
thelwucherung in einem Gefässquerschnitt.
Fig. 4. Theil eines solchen Knötchens bei stärkerer Vergrösserung.
Das Centrum endotheliale Zellen enthaltend mit einer ring-
förmigen Infiltrationszone einkerniger Leukocyten. Nen-
bildung kleiner Gefässe, welche sowohl die Peripherie als
das Centrum durchziehen.
Fig. 5. Durchschnitt der entzfindlich verftnderten Chorioidea, mit
starken Verftndemngen der Gefässwandungen.
Zur pathologischen Anatomie
der Echinocokkenerkranknng der Augenhöhle.
Von
Dr. Ludwig Segelcke,
bisherigem Assistenten am pathologisch-anatomischen üniversitäts-
Institut in Jena.
Hierzu Taf. XVI, Fig. 1—4.
(Ans der Augenklinik zu Jena.)
Das Vorkommen von Echinocokken in der Augenhöhle
ist selten.
Kraemer hat jüngst in der zweiten Auflage des
Handbuches der gesammten Augenheilkunde von Graefe-
Saemisch') die in der Literatur niedergelegten Fälle zu-
sammengestellt und die Zahl der bisher beschriebenen Fälle
auf etwa 70 angegeben. Er hat auf Grund dieser bis-
herigen Beobachtungen die Echinocokkenerkrankung der
Orbita zusammenfassend beschrieben.
Genauere pathologisch - anatomische Untersuchungen
liegen bisher nur in geringer Zahl vor. Mehrfach ist die
Flüfisigkeii und die ezstirpirte Cystenwand untersucht und
letztere als geschichtete Membran beschrieben worden. In
dem von Rabinowitsch in Odessa*) veröffentlichten Falle
wurde durch die Untersuchung der Flüssigkeit und des
Sackes die Blase als eine Acephalocyste erkannt.
^) Graefe-Saemisch, 2. Aufl. Die thienscfaen Schmarotzer
des Auges von Dr. med. et phil. A. Kraemer in Zürich. 1899.
•2. n. X. Bd. 18. Kap.
•) Centralbl. f. Augenheilk. 18. Jahrg. S. 359—361. 1894.
562 L. Segelcke.
Ueber die in der Umgebung der Cystenwand hervor-
gerufenen Veränderungen des Orbitalgewebes ist bisher nur
eine Untersuchung mitgetheilt Der Fall, der klinisch von
Zehenderund pathologisch-anatomisch von Thierfelder^)
aus Rostock beobachtet und untersucht war, stellt aber in
Bezug auf den anatomischen Befand auch nicht uncompU-
cirte Verhältnisse dar. Das Präparat war gewonnen, nach-
dem einige Monate zuvor bei einer Operation die Cyste
angeschnitten und zum Absterben gebracht war.
Es dürfte sich empfehlen diesen Fall kurz in Erinne-
rung zu bringen.
Es handelte sich um einen d8jährigen Maureimdster mit
rechtsseitigem spontan entstandenem Exophthalmus. Zwischen
oberem Orbitahrande und oberem Augenlid tief eindringend war
ein weicher rundlicher Tumor deutlich zu fühlen. Sehvermögeii
stark herabgesetzt; ophthalmoskopisch Stauung nachweisbar;
Doppeltsehen. Eine Diagnose konnte nicht gesteUt weiden. Bei
der Operation stellte es sich heraus, dass es sich um eine Echmo-
cokkenblase handelte. Beim Hervomehen der Geschwulst wurde
eine graublaue Membran sichtbar. Bdm starken Anziehen des
Tumors bekam derselbe einen Riss, aus welchem eine grosse
Quantität völlig klarer Flüssigkeit abfloss, die Blase selbst aber
zog sich vollkommen in die Tiefe zurück. In Folge dessen
wurde auf die Fortsetzung der Operation verzichtet, da man
nach Oefihung und Entieerung der Blase auf dnen gBnstigen
weiteren Verlauf hoffte. Da aber ein Zurückweichen des Aug-
apfels in die Augenhöhle nicht erfolgte, so wurde nach 1 ^/| Mo-
naten eine zweite Operation vorgenommen. Man fühlte in der
Tiefe eine schwartenartig zusammenhängende Masse, von der
zunächst eine zolllanges Stück excidirt wurde. Dadurch gelang
es nun die etwa waUnussgrosse coUabirte Blase selbst zu ent-
fernen. Die Heilung verlief günstiger als das erste Mal Eine
dritte Operation fand statt, um den Bindehautwulst, der das un-
tere Augenlid vollständig ektropionirt hielt, zu beseitigen.
Nach 14 Tagen erreichte der Bulbus seine normale Lage
M 1887. Zehender, W., Fall von Echinococcus der Orbita,
nebst Bemerkungen über das Vorkommen der Echinocokkenkrankheit
in Mecklenburg. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Bd. XXV. S. 833.
Zar pathol. Anatom, d. Echinocokkenerkrankung d. Augenhöhle. 563
wieder. Die Beweglidikdt nach aussen und oben war (aat gänz-
lich aufgehoben.
Znr mikroskopisdien UnterBnchnng kam nnn:
1. Eine grangelblidiey vielfach gefiütete und zusammenge-
rollte Eehinococcnsmembran.
2. Ein etwa 2,5 bis 3 cm grosses Oewebsstück, welches
auf der einen Sdte einen triditerfOrmigen, etwa 1,5 cm tiefen
Spalt zdgte und
8. em etwa 2 cm langes und halb so breites und dickes
Gewebsstück. Beide Gewebsstficke sind von gidchmässig derber
Beschaffenheit bis auf dne geringe Menge anhängenden Fett- und
Muskelgewebes, an welchem mit blossem Auge nichts Abnormes
zu bemerken war.
Die Eehinococcnsmembran zeigte auf dem Durchschnitte die
charakteristische Schichtung. Es wurde angenommen, dass es
sich um eine Acephalocyste handele, weil keine Scolices und
Häkchen nachweisbar waren. Das zweite zuletzt bei der Opera-
tion entfernte Gewebsstück gehörte offenbar der Kapsel an.
Mikroskopisch stellte sich diese Kapsel als dn drca 1 bis 1,5 mm
brdter, aus derbem, stark glänzendem, fibrillärem Gewebe gebil-
dete Saum dar. Dieser war gegen die Höhle, in der der Echino-
coccus lag, durch eine Schicht nekrotischen Gewebes und fein-
kömigen Detritus begrenzt, nach aussen dagegen von einer
breiten Zone dicht kldnzellig infiltrirten Gewebes umgeben, in
wdchem neben verdnzelten Gefässen Fettträubchen und quer
und längs durchschnittene, thdlwdse in colloider Umwandlung be-
griffene Muskelfasern higen, die ebenfiüls von dnem entzündlichen
Gewebe umschlossen waren, in dessen Nähe dch körniges Haema-
toidin in Zellen dngeschlossen fand.
In der Jenaer Augenklinik hat Herr Prot Wagen-
mann im Jahre 1893 einen Orbitaltumor excidirt, dessen
Natur durch die klinische Untersuchung nicht sicher zu
bestimmen war, der sich aber bei der mikroskopischen Unter-
suchung als Echinococcus der Orbita erwies. Da der Fall
in klinischer und pathologisch-anatomischer Hinsicht von
grösstem Interesse ist, möchte ich ihn mit gütiger Erlaub-
niss des Herrn Prof Wagenmann ausführUcher mittheilen.
Krankengeschichte: Anamnese: Alwin J., Kistenmachers-
sohn, 6 Jahre alt, aus Bohlen, wurde am 30. Januar 1893 in
der Uniyersitätsklinik zu Jena aufgenommen. Patient war bisher
564 L- Segelcke.
immer gesond gewesen. Vor 1^4 Jabr wurde ihm von
Kinde ein Schneeball in das linke Auge geworfen* Die ^amif
auftretende staike lidschweUiing ging innerhalb der niefasten acht
Wochen zurück. Sdt */4 Jahren bemerkten die Eltern dne Ge-
schwulst, die an&ngs mehr am inneren Augenwinkel ihren fiiti
hatte, später aber mehr unter die Mitte des oberen Lides rQckte.
Seit etwa acht Wochen besteht stärkere Schwellung des Tnmon.
30. I. 1893. Status praesens: L. A. Das obere Lid
ist m der Mitte starik vorgetrieben und hängt herab. Die lid-
spalte kann auf Aufforderung noch gut geschlossen werden. Es
besteht massiger Exophthalmus. Der Bulbus ist nach unten ge-
schoben und zeigt gleichzeitig leichte Convergenzstellnng. Die
Beweglichkeit des Bulbus ist nach aussen innen und unten fiel,
nach oben beschränkt. Beim Ektropionhren des oberen lides
zeigt sich ein etwa haselnussgrosser, suboo^junctiyaler, der Mitte
der oberen Bulbushälfle aufeitzender Tumor, der einen Fortsatz
nasalwärt9 ausstreckt und offenbar aus der Tirfe der Orbita her-
vorg^t Der Tumor ist auf der Sklera leicht und ausgi^ig
verschiebbar und ragt ungefähr 1 ^/, cm unter dem ddropioniiten
lide hervor.
Der vordere sichtbare Theil des Tumors bietet die Gestalt
eines Kegels dar und lässt an der Spitze im oberen Drittel eine
gelbe Farbe durchschimmern. An dieser Stelle ist auch die Con-
junetiva etwas stärker injidrt Bei Palpation der Spitze hat man
das GefQhl leichter Fluctuation. Der Bulbus zeigt, abgesdien
von der Lagenveränderung^ normale Verhältnisse Auch mit dem
Augenspiegel sind keine Veränderungen zu finden, vor Allem be-
steht kerne Stauungspapille.
links: E. S= «/,o 7r^;r(8chweigger'sche Schrift) Se.fr.
0,60
Das rechte Auge erseheint vollkommen gesund bis auf eine aoa
hinteren linsenpol gelegene stecknadeikopfgrosse Trübung.
Rechts: E. S = \. ^- Se. fr.
'* 0,30
Eine bestimmte Diagnose konnte nach dem klinischen Bilde
nicht gestellt werden, doch ersdiien die sofortige Exstirpation
dringend angezeigt
1. IL: Exstirpation des Tumors in Chloroformnarkose.
Unmittelbar vor Beginn der Operation platzt der Tumor,
wobei sich etwas eiterähnliehes Exsudat entleert Sofort wiid
die PerforationsOffiiung mit einem Faden zugenäht und daoa
Znr pathol. Anatom, d. Echinocdckenerkrankang d. Augenhöhle. 565
noch etwas tiefer mit einem queren Faden abgebunden. Darauf
wird zunächst die äussere Lidcommissur mit einem Scheeren-
sdilage gespalten und das obere, jetzt stark dctropionirte Lid
durch emen Faden an der Stirn fixirt Seitwärts von der Ab-
bindungsstelle wird die Bindehaut durchschnitten und so der
Tumor frei gelegt Er lässt sich ganz gut, theils stumpf, tfadls
durch dnzehie Soheerenschläge auslösen. Um auch das unterste
Ende des Tumors loslösen zu können, muss tief in die Orbita
eingegangen werden. Eb gelmgt so den Tumor in toto zu ent-
fernen. Die Blutung ist gering. Die Gonjunctivalwnnde wird
nach Glättung der Ränder durch drei Suturen, die lid wunde
durch zwei wieder geschlossen. Der Coi^junctivaisack wird mit
Sublimat ausgespült. Jodoformverband. Abendtemperatur 37,2.
Die Heilung verlief glatt Die anfängliche Röthung ging
sehr bald zurück. Bereits nach drei Tagen konnten die flden
entfernt werden. Der Verlauf war fieberlos.
11. II. Das linke obere Lid hängt vollständig schlaff herab;
Beweglichkeit des Bulbus nadi oben stark beschränkt, nach
aussen, innen und unten frei.
Links: 8=^/j5. Ophthahnoskopisdier Befund normal.
12. IL Patient wird entlassen.
Makroskopiseher Befund des Tumors.
Der in M Uli er 'sdier Flüssigkeit fixirte und mit Alkohol nachr
geartete Tumor hat eine annähernd eiftonige Gestalt An der
einen Spitze befindet sich der umschnürende Faden. Der Tumor
misst in der Länge 3,2 cm, in der Breite 1,6 cm und in dw
Höhe 1,3 cm. Auf dem durch die Mitte geführten Längs-
durchschnitte erkennt man, dass die Geschwulst eine Cyste dar-
stellt, mit einer dicken festen Wand und einem weicheren In-
halte. Die Wand ist nicht überall gleich dick, sie misst im
Durchschnitte etwa 3 mm, an der dünnsten Stelle etwas weniger,
an der dicksten etwas mehr. In dem das Lumen ausfüllenden
Inhalte erkennt man schon makroskopisch die Andeutung dner
gei<eten durchschimmernden Membran.
Mikroskopischer Befund: Die Schnitte wurden mit Haema-
toxylin-Eosin gefärbt
Die Wand des Tumors besteht im Wesentlichen aus stark
infiltrirtem Bindegewebe und Granulationsgewebe. An der äusseren
Begrenzung der Wand finden sich verschiedene Theiie von Or-
bitalgewebe, zum Theil in die Wand eingeschlossen, zum Theil
an die Wand grenzend und mit ihr verwachsen. Die innerste
Schicht der Wand besteht zum grösseren Theiie aus feinkörnigen
566 L* Segelcke.
Massen, zum kleineren Theile ans emer didcen homogenen ge-
schichteten Membran, die nur auf kurze Strecken der Kapsel
anfliegt, im Uebrigen aber abgehoben und gefaltet erscfadni
An die äussere Oberflädie der Ghitinmembran grenzt ein
breitfiiseriges , skleroärtes Bindegewebe, dessen Lamelloi dnrcfa
Leukocytenansammlung aüseinandergedrängt sind. An versdiie-
denen Stellen ist die Infiltration ausserordentiich dicht, an an-
deren Stellen etwas geringer. In den inneren Lagen sieht man
femer einzelne oder in mehr gleichmässiger Schicht zusammen-
geUgerte grosse epitheloide Zellen. Die Infiltration ist zum Thal
diffus, zum Theil in knötchenartiger Anordnung. Dichte Infil-
trationsknoten kommen hauptsächlich in den mittleren und auch
in den äusseren Parthieen vor, während die Infiltration nach der
Chitinmembran zu ziemlich gleichmässig dicht erscheint Ao
einzelnen der Infiltrationsknötchen finden sich in der Mitte epi-
theloide Zellen, so dass das Bild ein wenig an Tuberkeln erinnert
Auch an den anderen Stellen, wo die Clütinmembran sieh
abgehoben hat, ist der Befund der äusseren Wand ein ähnliche.
Auch hier findet sich faseriges, verschieden starkes zum Tlieil
diffus, zum Theil knötchenförmig infiltrirtes Bindegewebe, nach
aussen davon mehr junges Bindegewebe und Granulationsgewebe.
Die inneren Schichten sind gefässarm, die äusseren gefässreicl].
Die Gefässe sind strotzend mit Blut gefüllt In den inneren
Schichten nach der inneren Oberfläche zu sieht man mehr&di
deutliche grosse epitheloide Zellen, aber keine eigentlichen yid-
kernigen Riesenzellen (Taf. XVI, Fig. 2).
Nach der Perforationsstelle hin nimmt die Infiltration zu,
auch treten hier einzebe Stellen in der Wand mit deutlidi be-
ginnender Nekrose hervor. Die Zellgrenzen sind verschwommen,
in krttmlichem Gewebe findet man feinkörnige Massen.
An die dicke Kapsel grenzt nach aussen zum T^dl ver-
dichtetes und infiltrirtes Orbitalfettgewebe, zum Theil welliges
lockeres Bindegewebe mit Fibrineinlagerungen.
An anderen Stellen ist die Wand innig verwachsen mit emer
Muskelsehne, die ebenfiüls infiltrirt und au^elockert erscfaeint
Wieder andere Stellen zeigen diclitere Fibrinnetze mit massig
vielen Lymphzellen. An einzelnen Stellen findet man in der
Wand und auf der ganzen Oberfläche Reste von Muskdgewebe,
dessen stark auseinandergedrängte Fasern überall von Lympb-
zellen, Bindegewebe und Granulationsgewebe umschlossen sind.
Die Fasern selbst sind zum Theil offenbar in Degeneration be-
griffen, zum Theil gequollen und in einzelne Stücke zerqpüttert
Zur pathol. Anatom, d. Echinocokkenerkrankung d. Augenhöhle. 567
Ueberall Kernreichthuiii zwischen den Faaem. An den querge-
troffenen Fasern erkennt man besonders gut die eigenthümliche
Schwellung und Kömelung. Einzelne Querschnitte erscheinen
vollkommen colloid ohne deutliche Querstreifung.
An emer Stelle der äusseren Oberfläche findet sich ein Ge-
websfetzen, in dem ein quergetroffenes Lumen mit Cyünderzellen
umgeben hegt, offenbar ein Ausf&hmngsgang der ThränendrOse.
Ganz am vorderen Ende nach der Perforation zu ist die
Kapselwand durch das Abbinden innig zusammengedrückt und
erscheint hier ganz besonders stark eitrig infiltrirt und verdickt
Grössere Riesenzellen sind in der Wand nicht angetroffen.
Das Innere des Sackes besteht einmal aus stark ge<eter,
mehrfach durchbrochener Ghitinmembran, sodann aus Exsudat
Das Letztere besteht Üieils aus krtlmlichem, geronnenem Eiweiss,
teils aus Leukocyten und Eiterkörperchen, vermischt mit rothen
Blutkörperchen. Die ziemlich dicht gelagerten Zellen sind von
verschiedenster Form und Gestalt Man findet zahlreiche melir-
kernige Eiterkörperchen neben gewöhnlichen lymphoiden Zellen
mit emem regehnSssigen Kerne; femer Zellen mit grösserem
Protoplasmaleib, deren Protoplasma fein gekörnt aussieht, Fett-
kömchenzellen und grössere Zellen mit mehreren Kernen, deren
Protoplasma sich zum Theil mit Eosin deutlich gefärbt, zum
Theil schwach gefärbt hat und einzehie homogene GewebsstQck-
chen enthält Die Keme sind theils in der Mitte der Zelle ge-
lagert, theils randständig. Ausserdem sieht man zahlrdche rothe
Blutkörperchen und deren Zerfallsproducte, dazwischen circunfscript
zusammenhängende haemorrhagische Plaques und krümlichen De-
tritus, der ganz schwache blaue F^bung bei Haematoxylmfärbung
angenommen hat und frei von Zellen ist.
Die Chitinkapsel ist stark gefaltet, verschieden dick, zum
Theil in Aufblätterung begriffen und an einzehien Stellen durch-
brochen. Zwischen den Falten der Kapsel liegt das Exsudat, das
die Räume gleichmässig ausfüllt Mehrfach liegen dichter gedrängte
lymphoide Zellen der Membran innigst auf. An einzelnen Stellen
oricennt man, dass die Oberfläche der Membran fein gezackt und
wie angefressen erscheint Dies ist noch deutlicher an einer der
Perforationsstellen zu sehen, deren Rand vollkommen von lym-
phoiden Zellen eingeschlossen ist Die Kapsel erscheint am Rande
gespalten, und in die Spalten erstrecken sich Lymphzellen. Der
Oberfläche des Brachendes liegen ebenfalls überall Lymphzellen
auf das innigste an, man erkennt feine Zacken und Einkerbungen.
Mebriach kann man an der Chitinmembran erkennen, dass
T. Gfa«fe*t Archiv flkr Ophthalmologie. XUX. 8. 37
668 L< Segelcke.
sich die einzelnen Schichten gegenüber dem Farbstoffe yenchie>
den verhalten. Die innere Lage erscheint bei HaematoxyGn-
Eosinfürbung intensiv lebhaft geröthet, wahrend die äossersten
Schichten weniger stark nnd zum Theil &8t nng^ärbt geblieben
sind. Auch ist die innere Schicht ansserordentlich dentiich fein
gekörnt (Taf. XVI, Fig. 1).
Sämmtliche Falten der Kapsel sind mit dem eiweissreicben
Exsndate, dessen Zellen überall die verschiedensten oben nilh^
ansgefOhrten Formen darbieten, ausgegossen.
Hier nnd da findet man im Exsudate klebe StQcke von
zarter Chitinmembran, umgeben von massenhaften Rnndzellen.
In dem Exsudate fallen schon bei schwacher Vergroesemng
kleine knotenförmige Stellen auf, an denen Zellen ansserordrat-
lich dicht zusamm^liegen. Bei starker Vergrösserung erscheinen
sie als freie kleine Toditerblasen mit Kopf. Die Blasen smd
von Zellen vollkommen durchsetzt und ihre dünne Kapsel &-
schemt am Rande meistentheils durchbrochen (Taf. XVI, Fig. 3 u. 4).
Wenn auch das Gewebe des Kopfes dnes Ediinocoocus
schon in der Norm reich an Kernen erschdnt, so macht es doch
den Eindruck, als ob eine pathologische Infiltration zum nor-
malen Kemreichtum hinzu gekommen wäre.
Die Köpfchen sind in den Schnitten in den versdiiedeusten
Richtungen getroffen. Dort, wo der Sdmitt durch den vorder^
sten Theil des Kopfes geht, erkennt man überall Hakenkrinze
und Saugnäpfe. An einigen Schnitten sieht man von der Fläche
her den vollkommenen Hakenkranz. Die Tocht^lasen li^en
überall frei im Exsudate und haften der Kapsel nicht an. Die
Zahl der firei im Exsudate liegenden Köpfe ist eine relativ grosse»
in einzelnen Schnitten konnten 10 — 12 gefüllt werden.
Epikrise: In dem mitgetheilten Falle war die Dia-
gnose des Orbitaltumors während der klinischen Beobach-
tung nicht ganz sicher zu stellen.
Die von dem Vater angegebene Verletzung erschien
für die Entstehung des Tumors nach dem ganzen Verlaufe
von vornherein bedeutungslos. Die Annahme, dass bei der
damaUgen Verletzung vielleicht noch ein fremder Körper
in die Orbita eingedrungen wäre, der sich jetzt erst durch
entzündliche Reaction bemerkbar machte und bei dem etwa»
wie es wiederholt beobachtet ist, spontane Ausstossung be-
Zur pathol. Anatom, d. Echinoookkenerkrankong d. Augenhöhle. 669
vorstand, war ja a priori nicht vollkommen von der Hand
zu weisen, erschien aber bei näherem üeberlegen doch un-
haltbar.
Nach der Art des Wachsthnms konnte es sich um
einen bösartigen Tumor, Sarkom, handeln, doch sprachen
die entzündlichen Erscheinungen dagegen. Femer kam
eine Dermoidcyste in Frage, da diese Cystenform in der
Orbita mehr£Bich beobachtet worden ist Was ihren Sitz
angeht, so pflegen die Dermoidcysten ausserhalb des Muskel-
trichters zu liegen und ihren ursprünglichen Standort mehr
in den vorderen Abschnitten der Augenhöhle zu haben und
erst später in die tieferen Theile durch ihr Wachsthum
einzudringen. Sie scheinen nach den bisherigen Beobach-
tungen häufiger auf der medialen Seite vorzukommen. Sie
können Fluctuation zeigen und sind durch die Palpation
und Inspection nicht ohne Weiteres von Echinocokkencysten
in gewissen Stadien zu unterscheiden. Die Häufigkeit des
Vorkommens hinsichtlich des Geschlechtes ist die gleiche;
dagegen zeigt sich ein aufiTälliger Unterschied in Bezug
auf das Alter, sie kommen am häufigsten bei jugendlichen
Individuen vor. Handelte es sich um eine Dermoidcyste,
so mnsste man annehmen, dass Perforation bevorstand.
Dass etwa eine veränderte und verlagerte Thränen-
drüse vorlag, konnte ausgeschlossen werden.
Handelte es sich in diesem Falle um ein Entozoon,
80 konnte nur ein bereits abgestorbenes in Frage kommen,
da der Tiunor eine festere, derbe Consistenz darbot Auf-
fallend war die gelbliche Beschaffenheit der Spitze, die auf
einen entzündlichen Process hinwies, mit dem auch die
starke Injection zusammenstimmte.
Eine sichere Diagnose war, wie gesagt, nicht zu stellen.
Jedenfalls aber erschien die sofortige Exstirpation des Tumors
dringend angezeigt.
Aus dem mikroskopischen Befunde geht mit Bestimmt-
heit hervor, dass es sich in unserem Falle um einen Echino«
37*
670 L. Segelcke.
C0CCU8 der Orbita handelte, der seit einiger Zeit abgestor-
ben, in voller Besorption begriffen war und zu einer dicken,
stark infiltrirten, bindegewebigen Kapsel geführt hat
Der Sitz des Echinococcus der Orbita ist innerhalb
derselben ein sehr yerschiedener. Immer aber trifft man
ihn zwischen den Weichtheilen des Orbitalinhaltes , nie
zwischen Periost und der knöchernen Augenhöhlenwand.
In der Begel wird der Echinococcus innerhalb des 6e*
wölbes der Orbita, im Grunde derselben, seltener in den
vorderen und mittleren Parthieen geAmden. Will man bei
dem wechselnden Sitze der Geschwulst überhaupt von einer
Prädilectionsstelle sprechen, so sind die oberen ausseien
Parthieen der Orbitalhöhle dafür in Anspruch zu nehmen.
Der Echinococcus ist in unserem Falle offenbar von
dem vorderen Theile der Orbita ausgegangen und zwar
von der inneren oberen Parthie' innerhalb der Weichtheile.
Wie die Anamnese ergab, scheint er erst nachtragUch mehr
nach der Mittellinie zu gewachsen zu sein. Wie die ana-
tomische Untersuchung feststellt, ist der Echinococcus mit
dem Orbitalgewebe fest verwachsen. So findet sich, na-
mentlich an einer Stelle, der Wand aufgelagert und in die
Wand eingeschlossenes Muskelgewebe. Da vollkommene
Ptosis und vollkommene ünbeweglichkeit nach oben besteht
so handelt es sich offenbar um die Fasern des Musculus
rectus superior und des Musculus levator. Zur Erklärung
der Lähmung des oberen Lides und der BewegUchkeits-
beschränkung nach oben kommt, abgesehen von dieser di-
recten Beschädigung des Muskels, noch in Frage, dass die
betreffenden Nerven durch das Wachsthum der Greschwulst,
sei es durch Druck, sei es durch entzündliche Veränderungen,
geschädigt waren.
Was den Echinococcus in diesem Falle zum Absterben
gebracht hat, ist nicht ganz sicher zu entscheiden. Viel-
leicht ist es die Folge der allmählich zunehmenden Ent-
zündung. Das in der Orbita sitzende Entozoon übt ganz
Zur pathol. Anatom, d. Echinocokkenerkrankung d. Augenhöhle. 571
analog dem Cysticercus durch seine StofiWechselproducte
eine Entzündung in der Umgebung aus, die allmählich zu
seiner Einkapselung durch Bildung von Bindegewebe und
und Granulationsgewebe führt Nach erfolgter Einkapse-
lung verstärkt sich der Entzündungsreiz des Entozoons aus
Gründen, die Wagen mann für den Cysticercus näher aus-
geführt hat»).
Die durch den starken Entzündungsreiz angeregte In-
filtration kann wohl sicher das Entozoon zum Absterben
bringen. Ist aber das Entozoon erst einmal abgestorben,
so nimmt die Infiltration weiter zu, und es kommt zu einer
massenhaften Einwanderung von lymphoiden Zellen und zu
theilweiser Kesorption des Entozoons. Die dabei auftre-
tende starke Exsudation, die geradezu einen local eitrigen
Charakter annehmen kann, ist in den meisten Fällen sicher
eine mikrobienfreie, nur durch das Entozoon hervorgerufene.
Die Vorgänge sind für den Cysticercus im Ganzen besser
bekannt Bei den genannten Vorgängen beim Cysticercus
sind auch wiederholt grosse vielkemige Biesenzellen beob-
achtet worden, die in unserem Falle fehlten.
Auch in unserem Falle erscheint die Eiterung als
sicher aseptisch.
Die in dem Exsudate vorhandenen Zellen und Zell-
formen sprechen für lebhaftere Resorption. Der eigenthüm-
liche Befund, dass die innere Schicht aus sklerosirtem,
frisch infiltrirtem Gewebe besteht, deutet darauf hin, dass
der anfangs mehr bindegewebigen Einkapselung die stark
eitrige Infiltration in der letzten Zeit ofiienbar nachgefolgt
ist Die mehrfache Perforation der Chitinmembran ist durch
histolytische Wirkung der Leukocyten zu erklären. Die
feinkörnige Trübung der innersten Schicht und die übrigen
erwähnten Befunde an der Membran stimmen vollkommen
') Dr. A. Wagen mann, üeber das Vorkommen von Riesen-
zellen und eitriger Exsudation in der Umgebung des intraocularen
Cysticercus, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXXVII. 3. S. 125. 1891.
572 L- Segelcke.
mit den Befunden überein, die Wagenmann^) an der
Linsenkapsel beschrieben hat Sie sind eben&lls als Ans-
druck der histolytischen Wirkung der Leukocyten au£Eu£ä8sen.
Man könnte in diesem Falle bei der oberflächlichen
Lage und dem Hervorragen in den Conjunctivalsack daran
denken 9 dass vielleicht durch Beiben und Eratzen, also
durch eine äussere Verletzung, eine Perforation der Kapsel
und dadurch das Absterben veranlasst sei. Doch erscheint
diese Annahme unwahrscheinlich, wenn nicht ganz ausge-
schlossen.
In einem von Bresgen') veröffentlichten FaUe kam
es ebenfsJls zu einer Vereiterung. Es handelte sich hier
um einen 15jährigen Knaben. Der Patient starb nach
Entfernung der vereiterten Cyste an Meningitis basilaris.
Man muss sich in unserem Fall den Vorgang so den-
ken, dass der im vorderen Orbitaltheile wachsende Ediino-
coccus an&ngs bindegewebige Einkapselung hervorgerufen
hat, dann Entzündung, die durch Zunahme zum Absterben
des Entozoons führte; dass weiterhin nach dem Absterben
die Entzündung sich gesteigert hat
Interessant ist es, dass bei unserem FaUe das Exsudat
sich einen Weg nach aussen gebahnt hat und Perforation
bevorstand. Es hätte dadurch sehr leicht, genau wie bei
Fremdkörpern, eine Ausstossung der zerstörten Kapsel und
somit Spontanheilung zu Stande kommen können. Be-
kanntlich kann bei tieferer Lage des Entozoons nach dem
Absterben das Exsudat sich eindicken und verkalken, indem
sich kohlensaurer und phosphorsaurer Kalk sowie Chole-
stearin in der Cyste ablagern.
Ist bei Sitz im vorderen Orbitalabschnitt durch das Ento-
zoon erst eine dicke Kapsel aus Bindegewebe und Grann-
*) Einiges über Fremdkörpemesenzellen im Auge. Von Prof.
Dr. A. Wagenmann in Jena. v. Graefe' s Arch. f. Opbthalm. XLII.2.
•) Bresgen, H., Echinococcus der Orbita. Berl. klin. Wochen-
schrift. Nr. 31. S. 381. 1^74.
Zur pathol. Anatom, d. Echinocokkenerkrankung d. Augenhöhle. 573
lationsgewebe sowie starke Entzündung hervorgerufen und
ist gar nach dem Absterben der Inhalt in eitriges Exsudat
eingeschlossen, so erscheint der Symptomencomplex ein voll-
kommen anderer, als in dem ersten Stadium des noch leben-
den Entozoons. Der Charakter der Cystengeschwulst ist
verloren gegangen. Das Ejrankheitsbild erinnert mehr an
feste Tumoren, entzündhche Granulationsgeschwülste u. dergL
Die pathologisch-anatomischen Veränderungen der
Cysten wand erinnern vollkommen an die Befunde, die
Thierfelder in dem vorher mitgetheilten Falle von Zehen-
der erheben konnte. Der Process ist, wie die Untersuchung
ergiebt, bei beiden ein ähnlicher gewesen, nur dass in dem
Zehen der 'sehen Falle das Absterben durch die erste Ope-
ration, die offenbar aseptisch geheilt war, veranlasst worden ist
Der mitgetheilte Fall von Echinococcus der Orbita ist
ein weiterer Beweis dafür, wie mannig£EU2h das Ejrankheits-
bild der Echinocokkenerkrankung sein kann je nach Sitz,
Tiefe, Grösse und Stadium der Erkrankung, und dass es
immer Fälle, wie den vorliegenden geben wird, bei denen
die Diagnose erst durch die anatomische Untersuchung mit
Sicherheit gestellt werden kann.
Zum Schlüsse meiner Arbeit ist es mir eine angenehme
Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Wagen -
mann, für die Ueberlassung des Materials, sowie für die
gütige Beihilfe bei der Ausführung der Arbeit meinen er-
gebenen Dank auch an dieser Stelle auszusprechen.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XVI, Fig. 1—4.
Fig. 1. Ein Stück Ghitinmembran mit Exsudat Die innerste Schicht
der Membran ist in feinkörnigem Zerfall begriffen und aufgeblättert
Fig. 2. Ein Stfick der eitrig infiltrirten Bindegewebskapsel.
i »» innere Oberflfiche. au ^= äussere Oberfläche.
Fig. 3. Ein von der Fläche getroffener Kopf einer Tochterblase mit
Hakenkranz.
H » Hakenkranz. E — Exsudat 8 — Saugnäpfe.
Fig. 4. Ein seitlich getroffener Kopf einer freien Tochterblase.
H «a Hakenkranz. E »> Exsudat
Beobachtungen
an einem Fall von Linsenverletzung.
Von
Dr. Hugo Feilchenfeld,
ehemal. Assistenten der Klinik in Berlin.
Mit 1 Textfigur.
(Aus der Augenklinik von Dr. G. Gutmann.)
Verletzungen der linse führen meist zur völligen Trü-
bung derselben. In anderen Fällen bemerken wir, dass
die Cataractbildung in irgend einem Stadium Halt macM
und stationär bleibt Ein viel weniger häufiger Befund ist
es, dass eine nachträgliche, oft völlige Aufhellung — und
zwar ohne Resorption — eintritt Die Casuistik theilt eine
beträchtliche Zahl solcher Fälle mit; aber die Sorgfalt, mit
der jeder einzelne regristrirt wird, spricht gerade für die
verhältnissmässige Seltenheit des Befimdes,
Ich kann von einer entsprechenden Beobachtung be-
richten, die sich aber in manchen wesentlichen Punkten
von den bisherigen unterscheidet und dadurch besonders
bemerkenswert ist
Krankengeschichte: Paul B., 17 Jahre alt, kam am
19. April 1899 in die Klinik. Eine Eisenfeile war ihm soeben,
als er derselben eine Spitze anschweissen wollte, gegen das rechte
Auge geflogen.
Subjectiv starke Schmerzen; Lidkrampf, so dass es kaom
gelingt, das Auge sichtbar zu machen. Man kann nur eonsta-
tiren, dass der Conjunctivalsack mit Schlacke bedeckt und äe
Homhautoberfläche total verbrannt ist, die sieh ganz aas grossen
membranösen Fetzen zusammensetzt T — 3. Erst nachdem das
Beobachtungen an einem Fall von Linsenverletzung. 575
Ange durch häufige Cocaininstillatioiien unempfindlich gemadit
isty kann man zwischen den Fetzen schon jetzt einen grauen,
vertical durch den inneren Theil der Hornhaut von oben nach
unten ziehenden Streifen als Gomealruptur vermuthen. Die Iris
ist nicht sichtbar; überhaupt iSsst sich darQber, was sich hinter
der Hornhaut befindet, zur Zeit nichts aussagen. Fmger werden
in Vs ^ Entfernung gezählt. Untersuchung mit dem Asmus-
sehen Sideroskop, ob Eisen im Auge, negativ.
Das linke Auge ist in allen Theiien normal. S=l.
Nach der flbllchen Desinfection und Reinigung des Con-
junctivalsackes von allen Fremdkörperbestandthcilen — Monoculns,
Bettruhe.
Drei Stunden später hat sich ein Theil der Fetzen bereits
abgestossen, so dass die Verhältnisse sich besser übersehen lassen.
Znnädist imponirt der erwähnte Streifen als klaffende Wunde^
aus der dickflüssiges Blut hervorquillt Temporalwärts liegt noch
eine grössere graue Membran auf der Cornea. Die äussere
Circnmferenz der Kammer ist theilweise mit Blutcoagulis erfüllt,
die sowohl bei seitlicher Beleuchtung als audi bei Durchleuch-
tung Iristheile vortäuschen; man denkt zur Zeit an eine voll-
kommene Luxation der linse in die E^ammer mit theilweiser
Iriseinsenkung. Im Uebrigen sind die brechenden Medien klar
und geben unverschlderten rothen Reflex, der nur durch einen
2 mm breiten, grauen Streifen unterbrochen wii*d, welcher von
oben aussen nach unten innen verläuft, und zwar etwas aussen
von der Cornea] wunde, sonst mit dieser paraUel, und schon zur
Zeit als Kapselspalt gedeutet wird, obwohl er bei seitlicher
Beleuchtung noch mit Blut bedeckt erscheint
Am folgenden Tage, 20. IV., wird totale Aniridie fest-
gestellt Die vorderen Linsenschichten zeigen seidenartigen Glanz,
wie nach Disdssion. Am 21. deutliche Sectorenzeichnung der
hinteren Corticalls neben fortschreitender Trübung der vorderen
Unse. Im Uebrigen rother Reflex. T — 1. Rnger werden
nicht erkannt, Bewegung der Hand richtig, Lichtschein und Pio-
jection in 5 m prompt
Von da ab täglich fortschreitende Besserung der Seh-
schärfe. In den ersten Tagen ist ein Theil derselben auf die
Klärung der Hornhaut zu setzen, deren diffus ausgebreitete Tiü-
bnng ttch allmählich zurückbildete. Fünf Tage später werden
Finger in 2^/, m gezählt, grösster Druck nicht gelesen. Die
comealen Veränderungen sind jetzt als abgelaufen zu betrachten.
Die Perforationsnarbe reicht nach unten bis zum limbus. Ilir
676 H. Feilchenfeld.
parallel verlfinft die Kapsdwande; sie ist im Ganzen 6 mm lang,
1 ^/) mm breit, von zwei parallelen weissen Linien, den getrQbteo
Kapselgrenzen, eingesäumt und schliesst etwas unterhalb der
Linsenmitte nach unten mit einem mehr in die Tiefe dringenden
Kapsellodi ab, von dem sich ein getrabter Canal in's Innere der
linse fortsetzt. Die Ausfnrchung, die der Kapselspalt zwischen
seinen getrübten Rändern zeigt, sowie der khire, schwarze Grund
desselben, lassen keinen Zweifel, dass zur Zeit noch eine wiik-
liehe Wunde, keine Narbe, besteht. Der diffuse Seidenglanz, der
im Anfang über die ganze vordere linse ausgebrütet war, ist
verschwunden, so dass man jetzt die Zeichnung der hinteren
Corticaiis deutlicher erkennt Es handelt sich weniger um eine
Speichen* als um eine sternförmige Trübung derselben, ähnfich
derjenigen, welche man bei schweren Hintergrundserkrankongen
sieht und als Cataracta chorioidealis bezdohnet. Ihr Vorkommen
bei Traumen ist von Fuchs ^) m einer Monographie, auf die idi
noch zurückkommen werde, beschrieben. Sie ist dadurch cha-
rakteri8u*t, dass die Strahlen zur Peripherie hin nidit bieitsr.
sondem schmäler werden. Durch diese sehr regelmässig ange-
ordneten Strahlen hindurch erkennt man bereits im umgekehrten
Bilde die sehr verschleiert durchscheinende Papille.
Die klinische Beobachtung der nächsten Tage ergab eine
mit der Besserung des Sehens gleichmässig fortscfardtende Klä-
rung der linse, die vor Allem auf einen Zerfall der sternförmig
angeordneten Strahlen zurückzuführen ist, während vom auf der
linse eme im Anfang nicht beobachtete sternförmige Trübung
an Intensität zunahm. Dieselbe hat ihr Gentrum jedoch nicht
in der linsenmitte, sondern geht von dem unteren Grenzpunkte
der Kapselwunde aus, die inzwischen ebenfalls euie interessante
Verändenmg durchgemacht hat: die Furche hat sich ansgeglicheo,
und über ihr erkennt man mit der Loupe einen feinen seidenen
Schleier als erstes Zeidien der sich bildenden Narbe.
Die Veränderungen der folgenden Wochen bestanden in
einer weiteren Consolidirung der jungen Narbe und BüekbUdnng
der hinteren Gorticalcataract
Sechs Wochen nach der Verletzung, Anfemg Juni, ist der
Status folgender: Die Hornhaut wird von einer leukomattea
Narbe dm*chzogen, die Iris fehlt vollkommen.
Die linse zeigt an ihrer Vorderfläche eine S förmig g^
krümmte, nunmehr gldchmässig intensiv wdss gefärbte Narbe,
^) Fuchs, Wiener klinische Wochenschrift. 1888. Kr. 3 u. 4.
Beobachtungen an einem Fall von Linsenyerletziing. 577
die sich im Vergleich zur nrsprQnglichen Wunde in der Länge
mehr retrahirt, in der Breite ausgedehnt hat Ihre untere Grenze
errdcht nicht mehr ganz die Linsenmitte. Von ihr gehen fünf
Strahlen aus, breit ansetzend und zum Aequator hin spitz zulaufend;
der nach innen oben verlaufende ist durch feine radiäi'e Lmien nur
angedeutet. Diese Figur liegt ganz im Niveau der Kapselnarbe
selbst, so dass ich sie eher als eigenthümliche Form von Kapsel-
cataract, statt als Gorticalcatact ansehen möchte. Bei Durch-
leuchtung ist von dem früheren Linsencanal nichts zu sehen.
Central &llen an der hinteren Corticalis die in mehrfachen Reihen
mit dem Aequator concentriscfa verlaufenden Punkte auf, welche
die letzten Reste der hinteren Corticalcataract vorstellen.
Ein besonderes Augenmerk richtete ich dann auf den
Linsenrand. Die totale Aniridie musste für die Beobachtung
desselben selten günstige Bedingungen bieten.
Auf der in vergrössertem Maassstabe wiedergegebenen Zeich-
nung fallen zunächst unten innen drei neben einander angeord-
nete Giliarfortsätze auf, zwei andere befinden sich etwas höher.
Die übrigen Giliarfortsätze kann man sich nur bei peripherster
Durchleuchtung sichtbar machen; so sieht man sie aussen in
gleichen Abständen neben einander; aber es ist kein Zweifel, dass
sie mehr zurückstehen als die erstgenannten.
Bei Beobachtung des Linsenrandes selbst finden sich statt
eines, zwei ooncentrische Kreise, die bei seitlicher Beleuchtung
als weisse, bei Durchleuchtung als schwarze Linien imponiren
und von einander ^/, bis 1 mm entfernt sind. Die Entfernung
578 H. B^ilchenfeld.
scheint nicht allseits gleidi gross zu sein, doch kann diese Diffe-
renz anch durch die veränderte, bald mehr centrale , bald peri-
phere Spiegelhaltung beim Durdileuchten vorgetäuscht sein. D»
äussere Kreis ist innen leicht wellenförmig, sonst aber vollkom-
men kreisrund; nur zeigt er entsprechend dem Verlauf der Horn-
hautnarbe zwei Einkerbungen, eine unten innen, eine oben aussen.
Der innere Kreis ist völlig rund bis auf eine einzige Einker-
bung an der Stelle, wo er von der Kapselnarbe gekreuzt wird.
Die perilenticuläre Zone zeigt ein prächtiges Bild der in der
ganzen Circumferenz intact erhaltenen Zonulafasern, die man
dort, wo die Ciliarfortsätze sichtbar sind, in ihrem gesammten
Verlauf von diesen bis zu dem äusseren Ejreise hin überblicken kann.
Zwischen äusserem und innerem Kreise sehen wir eine ün-
zalil kleiner und grosser, glänzender Punkte, die bei Durcb-
leuchtung das Bild von Oeltropfen gewähren. Wo sie dnreihig
angeordnet sind, lehnen sie sich direct an den äusseren KreiK
an. Oben, zur Kapselnarbe hin, sieht man sie vielschichtig, und
hier überschreiten sie oft den inneren Kreis; verdnzelte liegen
gerade auf demselben. Grössere Tropfen sind auch sonst über
die Linse verstreut.
Im Uebrigen ist die Linse klar, keine Spur von Speichen-
bildung oder difiluser Trübung. Man erhält ein recht deutlidies
Bild der Papille und des bis in die Peripherie normalen Hinter-
grundes. Das immerhin verschleierte, aufrechte Bild ergiebt
Emmetropie, vieUeicht geringe Hypermetropie.
Die Sehschärfe beträgt */io Emmetropie, mit + 7 D
Schweigger -7^^-. Gesichtsfeld fllr Aussen- und Farbengren-
0,8
zen frd.
Dieser Befund ist bisher unverändert geblieben.
Eine Cataracta traumatica hat also den Ausgang in
theilweise Aufhellung genommen ohne [Resorption. Die
Aufhellung findet subjectiv ihren Ausdruck in einer Er-
höhung des Visus von ^oo auf ^/jq und documentirt sich
objectiv in der Rückbildung der diffusen seidenartigen Trü-
bung und der hinteren Corticalcataract Dass Resorption
bei dieser Aufhellung nicht betheiUgt war, ist schon durch
die sowohl subjectiv, als objectiv festgestellte emmetropische
Refraction erwiesen — anamnestisch wird angegeben, dass
früher das rechte Auge genau wie das Unke gesehen hat.
Beobachtungen an einem Fall von Linsenverletzung. 570
Diese Aufhellung hat bei der Grösse der Kapsel-
^unde etwas überraschendes. Der Riss ist nicht kleiner
als die Wunden, die wir bei Operationen, z. B. den Myopie-
discissionen, in diesem Lebensalter zu machen pflegen —
und doch die Verschiedenheit des klinischen Verlaufs: Dort
drängen die gequollenen linsenmassen gewaltsam vorwärts
und halten sich den Spalt so lange offen, bis auch der
letzte Rest den Weg zur Vorderkammer gefunden hat, —
und hier der baldige Stillstand, die allmähliche Klärung.
Gerade der umfang der Kapselwunde stellt diesen
Fall in Gegensatz zu anderen, bisher veröffentlichten.
Bresgen*) giebt den Kapselspalt einmal auf 2 mm an;
meist ist die Grösse nicht mitgetheilt, aber aus der Be-
schreibung der Lage geht doch hervor, dass es sich nur
um sehr geringe Dimensionen handelte.
Die Vemarbungstendenz von Kapsel wunden , ist an
sich keineswegs so träge, wie die tägUche klinische Beob-
achtung vermuthen lässt Nach den Untersuchungen von
Schirmer') findet schon unter normalen Verhältnissen eine
fortwährende Absonderung von Kapselsubstanz seitens des
Kapselepithels statt, und zwar viel schneller, als dem Dicken-
wachsthum der Kapsel entspricht Der Ausgleich wird
durch eine fortwährende Schrumpfung der Kapsel herbei-
geführt Die trübe Linie, die auch wir zu beiden Seiten
der Kapselwunde sahen, ist der optische Ausdruck von
Störungen, die das Trauma der formativen Thätigkeit des
Epithels bereitet hat Die an sich recht lebhafte Ver-
heilungstendenz wird also nur aufgehalten durch die vor-
quellenden Linsenflocken. So tritt jenseits der dreissiger
Jahre bei Discissionen eigentlich regelmässig nach anfäng-
lichem gutem Vorquellen ein Stillstand ein, als dessen Ur-
sache wir mit der Loupe eine Verklebung an der Kapsel
*) BreBgen, Arch. f. Augenheilkunde. 1881. Bd. X. Nr. 22.
•) Schirmer, v. Graefe's Arch.f Ophthalm. 1889. XXXV Bd.
1. n. 2. Abth.
680 H. Feilchenfeld.
feststellen: hier ist die sklerosirte linse für das Kammer-
wasser nicht mehr an&ahmefahig, während in jenen Toiher
erwähnten Fällen die Kammer keine genügende Commnni-
cationsö&ung besass, um die linse mit ihrem Inhalte zu
durchdringen. Grosse Kapselwunden bei quellungs-
fähiger linse bleiben dagegen sonst regelmässig offien, ein
Vorgang, wie ihn auch die äussere Haut zeigt, wenn z. B.
bei Beinödemen die Scarificationswunden, die wir am Der-
sum pedis setzen, wochenlang klaffen und dem absickern-
den Erguss den Durchtritt in die ihn aufsaugenden Ver-
bandsstoffe gewähren.
In solchen Fällen müsste also eine Schutzvorrich-
tung gegen das Kammerwasser so lange vorhanden sein,
bis die geschlossene Kapsel wieder in ihre Function ein-
tritt. Diese Bolle kann bei peripher gelegenen Wunden
die sie deckende Iris übernehmen, weshalb solche auch er-
ÜBdirungsgemäss schnell heilen. In unserem Falle bildete
die schützende Decke der ersten Tage offenbar die Hae-
morrhagie. Das Blut haftete an der Wundfurche, nach-
dem es von der übrigen glatten Kapsel längst sich zum
Hyphaema gesenkt hatte und der Besorption anheimge&Iien
war. So könnte man diese Heilung als eine „Heilung unter
dem Schorfe'^ bezeichnen.
Es ist dies niu* eine weitere Unterstützung desjenigen
Vorganges, den Leb er ^) experimentell als den regelmässi-
gen bei Verheilung von Kapsel wunden, und im Anschluss
daran Wagenmann*) auch bei der Descemetis — ako
bei beiden Häuten, die das Kammerwasser umspült — •
festgestellt haben. Bei dem Kaninchen ist nämhch die
linsenquellung träger und Vemarbung der Kapselwnnde
der regelmässige Befund. Im Anfang drängt sich wohl
*) Leber, Zur Pathologie der Linse. 1878. Beridite der Heidel-
berger Ophthalm. Gesellschaft.
•) Wagenmann, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXXV, I.
BeobachtuDgen an einem Fall von Linsenverletzung. 581
eine Flocke hervor, wie beim Menschen, aber sie flacht sich
ab, und man kann über ihr schon nach wenigen Standen
eine dünne Haut beobachten. Diese ist histologisch von
Leber als eine Fibrinkappe festgestellt Sie bildet nur
den vorläufigen Abschluss; denn unter ihr schiebt sich
vom Bande her dne Epithelwucherung vor, die nach drei
bis vier Tagen eine vollkommene Decke bildet Derselbe
Verlauf ist klinisch in manchen der mitgetheilten Fälle ^)
auch beim Menschen beschrieben worden. Zweifellos han-
delt es sich bei kleineren Wunden um denselben Process,
nui' dass die zufälligen Begleiterscheinungen des Trauma
das reine Bild des Experiments compliciren und verwischen.
Bei grossen Wunden muss aber ein günstiger Umstand
hinzukommen, der den von dem täglichen abweichenden
klinischen Verlauf verursacht und erklärt
Mit dem Abschluss der Kapsel hört die Cataractbil-
dung auf. Ob Stillstand oder Bückbildung die weitere
Folge ist, hängt wohl im Wesentlichen von dem Stadium,
d. h. der anatomischen Beschafienheit der Cataract ab. So
lange es sich nur um Flüssigkeitsansammlungen zwischen
den linsenfasem handelt, hat eine Aufhellung der Linse
ohne gleichzeitigen Substanzverlust, also ohne Befractions-
verminderung, nichts Auffallendes. Ist die Flüssigkeit be-
reits geronnen, oder gar fettige Degeneration der Fasern
selbst eingetreten, so kann eine Bückbildung der Trübungen
nicht mehr stattfinden. Eine gleichzeitige partielle Be-
sorption, wie sie Franke') auf Grund einer zurückgeblie-
benen geringen Hypermetropie für möglich hält, kann man
nur dann annehmen, wenn ein Uebertritt von Flocken in
die Kammer thatsächlich beobachtet ist
In unserem Falle trat in dem anfänglichen Klärungs-
^) Liebrecht, Beitrftge zur praküBchen Augenheilknnde.
Xyni. Bd. & 75; ebenso Bresgen.
*) Franke, Berliner klinische Wochenschrift 1884. Nr. 5.
582 H. Feilchenfeld.
pi-ocess ein Stillstand ein, so dass derselbe mit dem Status
vom Juni einen, wie es scheint, endgiltigen Abschluss ge-
funden hat: Der Stern der hinteren Corticalis ist punkt-
förmig zerfallen, ähnlich wie es Krückow') in seinem
Falle angiebt, das auffallendste an dem Bilde ist der
Linsenrand mit seinen beiden Kreisen.
Der überaus regelmässige, ununterbrochene Verlauf
derselben führte mich zu der Vermuthung, dass es sich
nicht um das Zerfallsproduct eines Trauma handeln könnte.
Trübungen der linse beruhen ja oft auf einem nur ab-
weichenden Brechungsvermögen der an sich durchsichtigen
Theile. So wäre der innere Kreis der optisch wahrnehm-
bare Ausdruck für die Grenzlinie, in der ein schwächer
brechender peripherer Saum die stärker brechende Haupt-
substanz umgiebt. In der That erscheint bei seitlicher
Beleuchtung der Saum schwärzer als das grau glänzende,
also mehr licht reflectirende Centrum; und bei Durch-
leuchtung sieht man den Saum weissroth, das Centram
blutroth. Ich habe damals eine grosse Zahl nicht ver-
letzter Augen, bei denen durch ein Coloboma congenitale
oder operativum ein Theil des Linsenrandes sichtbar wurde,
auf diesen Funkt untersucht Besonders bei den congeni-
talen, die ja zuweilen an der entsprechenden Stelle gleich-
zeitig eine Andeutung von Coloboma lentis zeigen, konnte
ich den linsenrand und auch die Zonula£asem sehen. Ich
habe nie das erwähnte Bild wiedergefunden und halte es
darum in der That für eine Folgeerscheinung des Trauma.
Die früheren Autoren erwähnen dasselbe nicht, auch
Bresgen nicht in einem Falle, in dem ebenfEdls Irido-
dialyse bestand. Nur Fuchs theilt Beobachtungen mit, die
an unseren Befund erinnern und offenbar in deiliselben
Sinne aufzufassen sind.
^) Krückow, Medicinische üebersicht. Mai 1877. cf. OntnJ-
blatt 1878.
Beobachtungen an einem Fall Ton Linsenverletzung. 583
Ich erwähne aus den KrankeDgeschichten kurz die hierher
gehörigen Notizen: Fall 1. Concentrisch dem Linse näqua-
tor verlaufend eine aus zwei ungleich langen Stücken be-
stehende, unterbrochene, bogenförmige Trübung. 2. Die in
Blattform übergegangenen Strahlen des hinteren Sternes stehen
durch ein Maschenwerk mit einer eigenthümiichen Trübung in
Zusammenhang, die mit dem Linsenrande parallel verläuft. Sie
besteht aus zwei bis drei Rdhen ovaler Schlingen, welche in
der Peripherie durch eine Kreislinie begrenzt wird, die
dem Linsenrande parallel läuft. 3. Diu*ch Verschiebung
der Linse nach aussen in Folge des dort schrumpfenden Exsu-
dats ist der innere Linsenrand sichtbar und hier eine mit
dem Aequator concentrisch verlaufende, zarte bogen-
förmige Trübung. 5. Oberer und unterer Band durch Iris
verdeckt; aussen, wo eine Iridodialyse besteht, so wie innen,
wo die Iris sehr schmal ist, besteht eine zarte, dem Linsen-
rand parallel verlaufende graue Linie.
Diese Beobachtungen fasst Fuchs in folgender Betrachtung
zusammen: „Ich habe nebst der sternförmigen in einigen flUlen
eine äquatoriale Trübung gefunden, die von keinem früheren
Beobachter erwähnt ist Dieselbe tritt bald als einfache, dem
Aequator parallel verlaufende, trübe Linie auf, bald als eine
Beihe neben einander liegender Schlingen, die zum Theil mit
der SteUe der Verletzung zusammenhängen. Es handelt sich
wohl um ein präformirtes Lückensystem, das mit trüber
Masse gefüllt, dadurch sichtbar geworden.^
Besonders an Fall 3 und 5 ist interessant, dass jene Linie
immer dort gesehen wurde, wo die besonderen Verhältnisse
des Trauma — partielle Iridodialyse, Schmalheit der Iris,
Subluxatio lentis — den Linsenrand überhaupt sichtbar
machten; wir könnten sie uns also ungezwungen hinter der
deckenden Iris ergänzen, um ganz das von uns beschrie-
bene Bild wiederzufinden; sie wird zweifellos ein häufigerer
Befund werden, so bald wir ihr regelmässig unsere Auf-
merksamkeit zuwenden.
Ich glaube, wenn Fuchs in einem Falle von totaler
Iridodialyse Gelegenheit gehabt hätte den Doppelkreis in
seiner ganzen Ausdehnung, gewissermaassen wie eine geo-
metrische Figur, zu sehen, so würde er nicht zu dieser
▼. Qnefe'a AicfaiT fOr Ophthalmologie. XLLK. 3. 38
584 H. Feilchenfeld.
Auffassung von einem präfornurten Lymphkreis gekommen
sein; denn die Annahme eines so regelmässig verlaufenden
Lymphspaltes hat etwas Gezwungenes. Das Vorhandensein
eines solchen ist bisher experimentell nicht nachgewiesen.
Die perinucleären Canäle Schlösser's') können mit un-
serem Befund nicht auf eine Stufe gestellt werden; auch
wird ihre Existenz von Magnus') bezweifelt, dessen Beob-
achtungen bei der Entwicklung und Bückbildung des Naph-
thalinstaars eine diffuse, intracelluläre Durchströmung der
Emährungsflüssigkeit ergeben, welche vorzugsweise von einer
dicht hinter dem Linsenäquator, diesen concentrisch um-
kreisenden Zone ihren Ausgang nimmt.
Ich hatte Gelegenheit zu einer hierher gehörigen klini-
schen Beobachtung: Nach Fuchs ist die von uns bespro-
chene Form der traumatischen Cataract auf eine Stufe zu
stellen mit derjenigen, die bei Hintergrundserkrankungen
vorkommt; beide bieten das Bild des Sternes an der hin-
teren Binde. In einem solchen Falle von Stemform bei
Retinitis pigmentosa hatte ich, um die noch klare Peri-
pherie der linse frei zu legen, eine optische Iridektomie
nach innen ausgeführt Ich konnte nun die Trübungen
genau mit ihren Ausläufern verfolgen. Sie hörten einige
Millimeter vor dem Linsenrande auf, und dieser selbst zeigte
normale Contour.
So liegt es näher, den Kreis für eine Begleiterschei-
nung nur der traumatischen Form der Sterncataraet zu
halten. Ich setzte darum am Kaninchenauge Kapselwunden,
die in Grösse und Form der hier vom Trauma geschaffenen
entsprachen. Obwohl nun die Trübung an der Kapsel und
der hinteren Corticalis einen im Wesentlichen ähnlidien
Verlauf nahmen, bheb doch der Linsenrand, den ich mir
') Schlösser, Experimentelle Stadien über traiunatische Ca-
taract 1887.
") Magnus, Experimentelle Studien über die Em&hrung der
Linse, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXVI. 4.
Beobachtungen an einem Fall von Linsenverletzung. 58&
bei atropinisirter Pupille einstellen konnte, unverändert.
Der Grund liegt offenbar darin, dass die Communication
zwischen Kammer und Kapsel selbst nach grossen "Wunden
beim Kaninchen viel kürzere Zeit andauert als beim Menschen.
Ich halte die Erscheinung des Doppelkreises für eine
Ansammlung von Flüssigkeit zwischen Linse und
Kapsel, indem der kleine Kreis dem Linsenrande, der
grosse der Kapsel entspricht. Auf diese Weise erklärt sich
auch das geringe BrechungsYermögen des von beiden Kreisen
eingeschlossenen Saumes (cf. S. 582). Nach Magnus er-
giesst sich der normaler Weise in die Linse eintretende
Ernährungsstrom über die Oberfläche der Linse und ver-
iheilt sich zwischen ihr und der Kapsel. In ähnhcher
Weise dürfte das durch den Wundspalt eindringende Kammer-
wasser den Weg des geringsten Widerstandes gewählt haben
und so einen die linse umschliessenden Mantel bilden.
Auch Peters^) fand in einem histologisch untersuchten
Falle die hintere Kapsel durch eine Flüssigkeitsschicht von
der Corticalis abgehoben. Das Wasser ist zum Theil in
Form von Tröpfchen sichtbar, die sich ja hauptsächUch
zwischen grossem und kleinem Kreise anhäufen. Wo ein-
zelne Tröpfchen gerade auf dem letzteren, oder scheinbar
innerhalb des letzteren liegen, gehören sie der Vorderfläche
des Mantels an.
Welchen Charakter dieser Erguss auch haben möge,
ob abgesacktes Kammerwasser, oder angestaute Emährungs-
flässigkeit^ nach aussen ist er durch den geschlossenen, fil-
trationsunfähigen') Kapselsack abgeschlossen, nach innen ist
ihm der Eintritt in die Linsensubstanz versagt, sei es in
Folge der eigenen veränderten chemischen Zusammensetzung,
oder der veränderten Permeabilität der intercellularen Sub-
V) Peters, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXXIX. 1.
*) Ulrich' 8 entgegengesetzte Experimente beweisen nichts für
die Verhältnisse beim lebenden Menschen. Arch. f. Augenheilk. 36.
S. '206.
38*
586 H. Feilchenfeld.
stanz; und so hat er eine totale Abhebung der Kapsel
von der linse herbeigeführt
Kapselabhebung bezeichnet Topolanski^) als einen
Zustand, in dem die Kapsel von der Linse durch eine
3cbicht mehr oder weniger wässerigen Inhalts losgetrennt
ist Unter den verschiedenen, von ätiologischem Gesichts-
punkt aus gesonderten Formen ist die traumatische die-
jenige, die durch einen von der schrumpfenden Narbe auf
die Kapsel ausgeübten Zug entstanden ist Ton einer
Kapselabhebung im letzteren Sinne kann bei uns keine
Rede sein. Ein solcher mechanischer Zug von der Narbe
aus müsste strahlenförmige Fältelungen der vorderen ICapsel
hervorgerufen haben, wie man sie in der That bei ge-
schrumpften Cataracten nicht selten sieht, die aber hier
nicht vorhanden waren. Die Abhebung könnte unmöglich
eine so gleichmässige und allseits ununterbrochene sein. In
unserem Falle ist der Erguss der primäre, die Abhebung
der secundäre Vorgang.
Besonders interessant schien mir, ob die ringförmige
Kapselabhebung einen Einfluss auf die Accommodation
haben könnte. Schon v. Helmholtz*) schreibt bei der
Clonvexitätszunahme der linse den Hanptantheil der £la-
stidtät der Kapsel zu, und so bestätigt neuerdings Schweig*
ger, dass ein Bestreben der Linsensubstanz, sich der Kugel-
gestalt zu nähern, dabei keine Rolle spielt Lisbesondere
müsste durch einen dazwischengetretenen Erguss die Ksifsd
ihren Einfluss auf die Krtimmungsänderung der Linse ver-
loren haben.
Wie aus der Naheprüfung hervorgeht, war die Accom-
modation vollkommen aufgehoben. Ich suchte nun auch
objectiv festzustellen, ob eine aufgehobene Function des
Ciliarmuskels, oder in der That, wie ich es vorher ver-
muthete, nur die unterbrochene Uebertragung seiner
*) TopolanskiyV. Graefe'BÄrch.f.Ophthalm. XLI. 3. S.19^
*) y. Helmholtz, PhysioIogiBche Optik.
Beobachtungen an einem Fall von Linsenverletzung. 587
Contractionen auf die Linsensabstaiiz die Ur»
Sache wäre.
Für diese objective Untersuchung finden wir ja die
günstigste Bedingung vor in der auffallenden Begleiterschei-
nung, die diesen an sich so eigenartigen Fall complicirt
Aniridia traumatica ohne gleichzeitige Aphakie ist ein sel-
tener Befund, wie man aus einem üeberblick über die
Casuistik der Aniridie entnehmen kann; und wo die linse
erhalten ist, ist sie luxirt oder derartig getrübt, dass da-
durch die subjective und objective Prüfung der Accommo-
dation beeinträchtigt ist Nach Wintersteiner ^) sind
unter 50 Fällen von Aniridie zwei, bei denen die linse
weder luxirt noch getrübt ist Dazu kommt, dass die häu-
figsten Verletzungen, die zu einem Herausschleudern der
Iris führen, Skleralrupturen sind, und zwar solche, die nahe
dem limbuB diesem parallel laufen'), also den Ciliarkörper
treffen. Der Zug der sich bildenden Narbe hat Lagever-
änderungen an den Ciliaxfortsätzen zur Folge'), die bei der
Feinheit der hier in Betracht kommenden Verhältnisse für
den Accommodationsvorgang wesentUch in's Gewicht fallen.
Hier aber hört die Narbe genau im limbus auf, und der
Accommodationsmuskel ist für die objective Wahrnehmung
intact gebheben.
Ich untersuchte sowohl mit der binocularen Loupe als
auch mit dem Loupenspiegel (nach Hirschberg), nachdem
ich den recht intelligenten Patienten darauf eingeübt hatte,
willkürliche Convergenzbewegungen ohne Fixationsobject zu
machen. Während dieser angespannten Accommodation
beobachtete ich Ciliarfortsätze» Zonulafasem, Kapsel- und
linsenrand. Aber die hier zu erwartenden, feinen Ver-
schiebungen der Kreise zu einander Hessen sich gar nicht
feststellen gegenüber der groben, scheinbaren Verschiebung,
») Wintersteiner, Wiener klinische Wochenschr. 1893. Nr. 6,
*) Wintersteiner, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XL 2.
•) Treitel, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XXVI. 3.
588 H. Feilchenfeld.
die die Einwärtsbewegung des Auges mit sich brachte. Erst
nach Eserininstillation erhielt ich das Bild der schwel-
lenden Ciliarfortsätze. Bald waren sie bei centraler Durch-
leuchtung in der ganzen Circumferenz als zierliche Perlen-
reihe sichtbar. Sie sind gleichsana aus ihrem Versteck
hinter dem Limbus hervorgetreten und nach Torn, d. h.
coniealwärts, und innen, d. h. linsenwärts, gerückt; der
Zonularaum hat sich entsprechend yerkleinert Keiu
Breiterwerden des Kapsel- oder Linsenrandes, kein linsen-
schlottem war zu beobachten.
Es ist also an den Ciliarfortsätzen dieselbe Bewegung
constatirt worden, welche jetzt allgemein als die regelmässige
Erscheinung bei der Accommodation anerkannt ist Nach-
dem V. Graefe') zuerst diesen Punkt geprüft und in einem
Falle von artificieller Iridodialyse keine Veränderung an
den Fortsätzen bemerkt hatte, nachdem dann Becker*) bei
Albinos ein Rückwärtsrücken beschrieben, das er auf Com-
pression der Arterien in denselben zurückführte, ist die
Annäherung der Fortsätze zur Sehachse hin zuerst von
Coccius*) an Iridektomirten erkannt worden. Hjort*)
hatte dann dieses Phänomen an einer traumatischen Total-
iridodialyse geprüft, die Beobachtungen von Coccius bis
auf einen für uns wichtigen Punkt bestätigt, indem nach
ihm durch das Vorrücken der Fortsätze der Zonularraum
nicht breiter wurde, sondern sich gleich blieb; d. h. die
Form Veränderung der Fortsätze wurde ausgeglichen durch die-
jenige der linse. Dass dieses Gleichbleiben des Zonu-
larraum es bei functionirendem CiUarmuskel der objective
Ausdruck der normalen Accommodationsthätigkeit ist, er-
sehen wir aus dem Falle von Wintersteiner*), in dem
>) A. V. Graefe, v. Graefe's Arch. f Ophthalm. VII. 2.
") Becker, Wiener med. Jahrbücher. 1863 u. 64.
') Coccius, Mechanigmns der Accommodation des menschlichen
Auges. 1868.
*) Hjort, Monatsblatter f. Augenheilk. 1876.
*) Wintersteiner, Wiener klin. Wochenschr. 1893. Nr. 6.
Beobachtungen an einem Fall Yon Linsenverletzung. 589
die Aniridie einen 52jährigen Presbyopen betraf. Dieser
Fall kommt also dem unsrigen sehr nahe, bei dem wir ja
von der Vermuthung ausgingen, dass der Muskel functio-
iiirt, nur die Linse die Fähigkeit, sich zu wölben, verloren
hat Seine Resultate sind: Vorrücken und Breiterwerden
der Ciliarfortsätze, Verschmälerung des Zonularraumes, keine
Verbreiterung des Linsenrandes, die ebenfalls bei normaler
Accommodation beobachtet wird — , kein Linsenschlottem.
Dieses Linsenschlottem wird neuerdings von Hess') als
stetige Begleiterscheinung der normalen Accommodation
beschrieben und als wesentUcher Stützpunkt der v. Helm-
holtz 'sehen Accommodationstheorie gegenüber den An-
griffen von Tscherning und Schön angeführt Es ist
klar, dass unser Fall sowohl in seinen negativen als in
den positiven Befunden die Beobachtungen von Hess unter-
stützt Da die Linse selbst an dem Accommodationsvor-
gaug nicht betheiligt ist, bleibt auch das Schlottern aus,
dagegen bewegt sich der Muskel, der seine Contractions-
lähigkeit nicht eingebüsst hat, nach innen und vorn, nicht,
wie Tscherning angiebt, nach innen und hinten, kann
also nur eine Entspannung, keine Spannungs Vermehrung
der Zonula bewirken. Heine*) erhielt entsprechende Be-
funde bei histologischen Untersuchungen des nach Eserin
fixirten Affenauges.
Eine derartige traumatische Accommodationslosigkeit
habe ich nirgends erwähnt gefunden. In dem Falle von
Hjort besteht geringe Accommodationsschwäche im Ver-
gleich zum anderen Auge, die bei der Schwere der dort
beschriebenen Verletzung durch eine Lockerung in der In-
sertion des Ciliarmuskels genügend erklärt wird. Fuchs
giebt in einem seiner entsprechenden sechs Fälle ausdrück-
lich an, dass die Accommodation intact war. Nur Krückow
fand, bei S = ^e ^^^ ^® Ferne, in der Nähe Jäger 13;
') Hess, V. Graefe's Archiv f. Ophthalm. XLII. 2. S. 288.
') Heine, IX. Internationaler Ophthal mologen-Gongress. 1899.
590 H. Feilchenfeld, Beobacht an einem Fall Yon Linsenverletzung.
mit + 0,75 D Jäger 10. Ich möchte glauben, dass hier
starke Convexgläser doch ein besseres Nahesehen ergeben
hätten.
Ob die Function des CiUarmuskels in unserem Falle
nicht ausserdem in geringem Grade geUtten hat, muss ich
dahingestellt sein lassen. Das Vorrücken der Oüiarfort-
Sätze unten innen ist kein imgewöhnlicher Befund und legt
an sich jedenfalls diese Annahme nicht nahe.
Fasse ich die wesentlichen Punkte zusammen, so
ist eine ausgedehnte Kapselwunde bei gleichzeitiger totaler
Iridodialyse unter dem Schutz einer deckenden Haemonfaa-
gie vernarbt. Es folgte partielle Aufhellung ohne gleich-
zeitige Resor[)tion eigentlicher Linsensubstanz. Totale Ab-
hebung der Kapsel, die ihrerseits Accommodationslosigkeit
— ich sage nicht Accommodationsparalyse — zur Folge hatte.
Herrn Dr. Gut mann, meinem verehrten Lehrer, sage
ich meinen ergebenen Dank für die üeberlassung des Ma-
terials, sowie das freundliche Interesse an der Arbeit
Sind die markhaltigen Nervenfasern der Eetina
eine angeborene Anomalie?
Von
Prof. Eugen v. Hippel,
I. Assistenten an der Universitäts- Augenklinik in Heidelberg.
Zieht man die neueren Lehrbücher über diese Frage
zu Rathe, so ergiebt sich, dass dieselbe von den Autoren
theils mit Bestimmtheit, theils mit grosser Wahrscheinlich-
keit bejaht wird. Die Gründe für diese Au£^sung liegen
im Wesentlichen darin, dass der ophthalmoskopische Be-
fiuid bei jahrelanger Beobachtung unverändert bleibt, wenn
nicht gerade, wie in dem Wagen mann 'sehen Falle, bei
progressiver Sehnervenatrophie auch eine Atrophie der Mark-
fasem eintritt; dass femer die betroffenen Augen, abgesehen
von zufälligen Complicationen, normal sind, und dass end-
lich Niemand die Entstehung markhaltiger Fasern beob-
achtet hat^). Dazu kommt noch, dass dieselben beim
Kaninchen regelmässig vorhanden sind und bei anderen
Thieren (nach A. Kölliker') bei der Taube, beim Ochsen,
Himd und mehreren Sorten Fischen) angetroffen werden.
') Den einen Fall Yon Mooren (Ophthalm. Beobachtungen,
1867. S. 268), der die Entstehung markhaltiger Nervenfasern an bei-
den Augen desselben Individuums innerhalb kurzer Zeit beobachtet
haben will, kann ich nicht für beweiskräftig ansehen.
^ A. Eölliker, üeber markhaltige Nervenfasern in der Netz-
haut Diss. Zürich. 1885.
592 E- ^' Hippel.
Manz^) hält die Annahme, dass die markhaltigen
Fasern eine angeborene Missbildung darstellen, deshalb für
wahrscheinlich, weil er sie auffallend häufig in Verbindung
mit Störungen fand, welche auf eine fehlerhafte Anlage
des Nervensystems der betreffenden Individuen hinwiesen
(Idiotie). Für völlig sicher entschieden hält er die Frage
aber nicht, weil er bei der anatomischen Untersuchimg
von drei Augen an den Fasern Anschwellungen fand, die
man als Zeichen von Degeneration ansprechen könnte.
Wenn diese Deutung richtig sei, so müsse man auch an
die Möglichkeit späterer Entstehung der Markfasem denken.
Hierzu möchte ich vorweg bemerken, dass es mir ebenso
unsicher wie Manz erscheint, ob die von ihm beobachteten
Yaricositäten als Degenerationserscheinungen zu deuten sind,
dass aber selbst wenn diese Auffassung richtig wäre, daraus
irgend ein Schluss auf die Zeit der Entstehung der Mark-
fasem keinesfalls gezogen werden kann.
Den sicheren Beweis dafür, dass die Markfasem an-
geboren sind, würde der Nachweis derselben beim Neuge-
borenen abgeben. Hier hat sie aber noch niemand
gesehen. Bei der relativen Seltenheit des Befundes könnte
dies ein Zufall sein. Es lässt sich indessen mit einer an
Sicherheit grenzenden Wahrscheinüchkeit nachweisen, dass
wenn man unter „angeborener Anomalie" versteht, dass die
betreffenden Gebilde bei der Greburt vorhanden sind, die
markhaltigen Fasern der Netzhaut keine ange-
borene Anomalie sein können, sondern dass nur
die Disposition zur Entstehung derselben congenital ange-
legt ist.
Wir wissen, dass die Markscheiden sich vom Centnun
nach der Peripherie zu entwickeln und dass beim neuge-
borenen Menschen das periphere Ende des Sehnerven der
^) Manz, Ueber markhaltige Kervenfaserh in der menschlichen
Netzhaut. Arch. f. Augenheilk. XXIX. S. 220.
Sind d. markh. Nerrenfasem d. Retina eine angeborene Anomalie ? 503
Markfasern so gut wie vollständig entbehrt. A. Westphal')
giebt an, dass unter den Gehirnnerven die motorischen und
von den sensiblen der Acusticus bei der Geburt ilire Mark-
scheiden besitzen, während sie den anderen sensiblen und
sensorischen fehlen und die Bildung derselben erst in der
neunten bis zehnten Lebenswoche ihren Abschluss erreicht.
Der Opticus ist von allen Gehirnnerven am weite-
sten in der Markbildung zurück.
Daraus folgt, dass wir eine Entwicklung von Mark-
fasern in der Betina nicht eher erwarten können, als sich
der Opticus seiner Markreife wenigstens nähert, dass also
das Vorhandensein von markhaltigen Fasern in
der Netzhaut bei der Geburt so gut wie sicher
ausgeschlossen ist
Diese Auffassung lässt sich noch weiter stützen, wenn
man den Nachweis erbringen kann, dass beim Kaninchen,
welches ja regelmässig Markflügel besitzt, dieselben bei der
Geburt fehlen und sich erst nach erfolgter Markbildung
im Sehnerven entwickeln. Das ist nun in der That
iler Fall.
Das neugeborene Kaninchen besitzt^ wie man bei Loupen-
vergrösserung gut erkennen kann, eine absolut scharf be-
grenzte Papille ohne jede Spur von Markfltigeln. Den
gleichen Befund erhielt ich noch am fünften und siebenten
Tag. Die genaue Feststellung, wann die ersten Spuren
von Markbildung auftreten, stiess auf ganz unerwartete
Schwierigkeiten.
Eine ophthalmoskopische Untersuchung am abgeschnit-
tenen Kopfe nach Abtrennung der Lider ist mir vor dem
zehnten Tage niemals gelungen, obgleich man ziemlich viel
rothes licht erhält Ich vermuthe, dass die gefässhaltige
Linsenkapsel daran Schuld hat
') A. Westphal, lieber die Markscheidenbildnng der Gehirn-
nerven des Menschen. Arch. f. Psych. Bd. 29.
694 E. T. Hippel.
Der mikroskopisch-anatomische Nachweis ist auch, so-
weit meine Erfahrungen reichen, ein recht unsicherer. Zu-
nächst versuchte ich die Methode von Ambronn und
Held^), nämlich die Untersuchung des frischen Präparates
im polarisirten Lichte, wobei die markhaltigen und mark-
losen Fasern durch ihre yerschiedene Färbung kenntlich
sind. An der Retina eines erwachsenen Kaninchens er-
hielt ich vorzügliche Bilder. Die Netzhaut des neugeborenen
oder wenige Tage alten Thieres lässt sich aber so schwer
von der Unterlage ablösen, dass es mir nicht gelungen ist^
auch nur ein wirklich vollständiges brauchbares Flächen-
präparat herzustellen. Durch Osmiumsäure wurde die Netz-
haut so zerreissUch, dass es damit noch viel schlechter ging.
Ich habe dann Celloidin- und Paraffinserien nach der
Weigert 'sehen Methode behandelt. Auch diese hat mir
keine zuverlässigen Resultate geliefert; denn es ergab sicii
selbst bei weiter vorgeschrittenen Stadien, wo das Vothao-
densein kleiner Markflügel ophthalmoskopisch und makro-
skopisch sicher zu sehen war, dass bei völlig gleicher Be-
handlung aller Präparate in einem Theil derselben die
Farbe von den Markfasem nicht angenommen wird. Manch-
mal erhält man tadellose Präparate, ohne dass man die
Schnitte zu differenziren braucht, in anderen Fällen färbt
sich das Präparat difius und auch bei vorsichtigste Difife-
renzirung verUeren die Markscheiden die schwarze Farbe
zuerst Warum die sonst so einfache Methode der Mark-
scheidenfärbung hier so unsicher ist, vermag ich nicht zu
sagen. Ich kann jeden&Us aus negativem Ausfall d&r Fär-
bung nicht mit Sicherheit auf völliges Fehlen von Mark-
scheiden schliessen und noch weniger anatomisch die ver-
schiedenen Phasen der Entwicklung des Marke« scharf aus-
einander halten.
Aus den gleich zu besprechenden Ergebnissen der oph-
') Ambronn u. Held. Arch. f. Anat Jtbrg. 1896. S. W
Sind d. markh. Nervenfasern d« Retina eine angeborene Anomalie? 596
thalmofikopischen Untersuchung folgt aber^ dass beim Ka-
ninchen die Markentwicklung wohl sicher erst in den letzten
Tagen vor Oefinung der lidspalte beginnt und damit stimmt
überein, dass ich zweimal auch am siebenten Tage bei
Loupenuntersuchung noch keine Spur von Markflügeln wahr-
nehmen konnte.
Wenn die Lidspalte spontan geöffnet wird (zehnter Tag),
so gelingt eine ophthalmoskopische Untersuchung bei ge-
nügender Geduld und geschickter Assistenz in den meisten
Fällen am lebenden Thier.
Es ergiebt sich dann, dass die erste sehr zarte Mark-
strahlung am oberen (umg. Bild) Papillenrande auftritt,
während von den Flügeln nur die allerersten Anfange un-
mittelbar am Papillenrand erkennbar zu sein pflegen. In
der Folge lässt sich dann das Gesetz, wonach die Mark-
bildung vom Centrum nach der Peripherie fortschreitet,
durch die Augenspiegeluntersuchung sehr schön bestätigen.
Die Entwicklung macht ziemlich rasche Fortschritte und
2V9 bis 3 Wochen nach der Geburt weicht das ophthalmo-
skopische Bild nicht mehr von dem beim ausgewachsenen
Thiere ab, wobei natürlich die Kleinheit der Verhältnisse
berücksichtigt werden muss.
Der Sehnerv des Kaninchens erreicht nun nach den
Untersuchungen von Ambronn und Held etwa am zehnten
Lebenstage seine vollständige Markreife, also zu einer Zeit,
wo die Entwicklung des Markes in der Netzhaut eben
beginnt
Wir dürfen aus diesen Thatsachen wohl den Schluss
ziehen, dass auch beim Menschen die Entstehung mark-
haltiger Fasern in der Netzhaut nicht vor den ersten Wochen
des extrauterinen Lebens erfolgen kann.
Bekanntlich haben Bern heimer und Flechsig ge-
funden, dass die Markentwicklung im Sehnerven von zu
früh geborenen Kindern, die einige Zeit am Leben blieben,
schon zu einer Zeit stattfindet, wo sie bei gleich alten noch
696 S. V. Hippel.
in utero befindlichen Früchten noch fehlt Der specifische
Sinnesreiz, der die Netzhaut trifft, bewirkt die Beschleuni-
gung der Markentwicklung. In Uebereinstimmung damit
hat Held*) bei neugeborenen Kaninchen, denen er auf
einer Seite die Lidspalte öffnete und sie dann dem diffusen
Tageslichte aussetzte, eine beschleunigte Markentwicklung
im Sehnerven auf dieser Seite nachgewiesen.
Ich habe diese Versuche mit Rücksicht auf die Mark-
entwicklung in der S«tina wiederholt, indem ich bei einigen
Thieren auf der einen Seite die Spalte öffnete, bei anderen
auf der einen Seite die Lidkanten anfirischte und vernähte.
In drei Versuchen der letzteren Art habe ich zweimal
an den anatomischen Präparaten der beiden Seiten keine
unterschiede erkennen können. In dem dritten war die
ophthalmoskopische Untersuchung möglich, die am zwölften
Tage auch keinen Unterschied ergab. In den beiden an-
deren hatten die Nähte geeitert, wodurch Homhautfarü-
bungen entstanden waren, welche die Spiegeluntersuchung
vereitelten.
Bei den Versuchen mit vorzeitiger Lösung der lid-
ränder erhielt ich positive, aber nicht absolut constante Be-
sultate. Unter vier sorgfältig beobachteten Versuchen war
in zweien eine stärkere Markentwicklung auf der Seite der
lidspalteneröffhung mit dem Augenspiegel sicher zu er-
kennen. Der Befiind wurde von Herrn Professor Leber,
ohne Kenntniss auf welcher Seite die Lösung vorgenom-
men war, bestätigt. Im dritten Falle war dagegen die
Entwicklung auf der unberührten Seite stärker; indessen
hatte sich hier eine ziemlich starke Conjunctivitis entwickelt,
und das Auge war noch zu einer Zeit fast beständig ver-
klebt und geschlossen, wo das andere bereits £rei geöffiiet
wurde. In einem vierten vollkommen gelungenen Versuche
*) Held, Ueber experimentelle Reifung des NerrenmariceB.
Arch. f. Anat Jahrg. 1896. S. 222.
Sind d. markh. Neirenfasern d. Retina eine angeborene Anomalie? 597
war vom ersten Tage an, wo eine Angenspiegeluntersuchung
möglich war, ein Unterschied in der Markentwicklung an
beiden Augen nicht zu erkennen.
Hiemach scheint es, dass eine Beschleunigung der
Markentwicklung in der Netzhaut durch vorzeitige Lösung
der Lider mögUch ist. Ein sicherer Nachweis, ob eine,
wenn auch nur geringe Beschleunigung regelmässig er-
folgt, wäre wohl nur durch eine ganz zuverlässige Färbungs-
methode zu erbringen. Wie oben erwähnt ist es mir nicht
gelungen eine solche zu finden.
Die Frage, ob die markhaltigen Nervenfasern der
Netzhaut ein Degenerationszeichen sind in dem Sinne dass
sie auffallend häufig bei geistig abnormen Individuen vor-
kommen, ist wohl noch nicht ganz sicher zu beantworten,
da man über die relative Häufigkeit des Vorkommens bei
Normalen zu wenig weiss. Nur eigens auf diesen Funkt
gerichtete Massenuntersuchungen könnten da Au&chluss
geben, nicht die veröfientlichten Berichte von Augenkliniken.
So fand ich in den Berichten der Baseler KUnik in
24 Jahren nur einen Fall angeführt. In der Heidelberger
Klinik, wo die grosse Mehrzahl der ambulatorischen Fälle
gespiegelt wird, fand ich bei der Durchsicht einiger Jahrgänge
ein Häufigkeitsverhältniss von ungefähr 1 : 1000. Dabei
ist nicht zu vergessen, dass viele Kinder nicht gespiegelt
werden können. Manz*) hat aus einer Zusammenstellung
verschiedener Anstaltsberichte ein Verhältniss von 1 : ca. 3250
ausgerechnet, hebt allerdings hervor, dass dies sicher zu
niedrig sei.
Mag auch die Annahme von 1 : 1000 noch zu un-
günstig sein, so ist es immerhin auffallend, dass Wollen-
berg*) unter 6131 Patienten der Irrenabtheilung der
0 Manz, Arch. f. Psych. XXII. S. 516.
•) Wollen berg, Anomalieen der Augen bei Geisteskrankheiten.
Gharitä-Annalen. 14. S. 470. 1889.
598 S* ▼• Hippel, Sind d. markh. Nenrenf. d. Ret eine aageb. Anomalie?
Charite 40 Mal markhaltige Nervenfasern gefunden hat,
was einem Procentverhältniss von ca. 1:150 entspricht
Ich führe diese Thatsache hier nur an, um daraus
den Schluss zu ziehen, dass dieses aufiallend häufige Vor-
kommen der markhaltigen Fasern in Verbindung mit an-
deren AnomaJieen des Nervensystems, welche auf einer fehler-
haften Anlage beruhen, dafür spricht, dass die Disposition
zur Entstehung doppelt contourirter Fasern in der Retina
eine congenital angelegte ist, wenngleich die Anomafie
selbst, wie wir gesehen haben, nicht als angeborene im
engeren Sinne des Wortes bezeichnet werden darf
Heidelberg, 28. December 1899.
Eine sehr seltene Form von Netzhautablosang
nnd Iridocyklitis.
Pathologisch -an atomische Mittheilung
von
Dr. Velhagen,
Augenarzt in Chemnitz.
Hierzn Taf. XVI, Fig. 1 u. 2,
Am 3. III. 1897 erschien in der Sprechstunde der 17-
jäbrige Schlosserlehrling Ernst X. aus Frankenberg, um sich
wegen der Entzündung seines linken Auges Rath zu holen.
Es fand sich an demselben intensive circumcorneale In-
jection, eine grün verfärbte Iris, stark verengte und durch ein
plastisches Exsudat verschlossene Pupille, die sich auf Atropin
nicht erweiterte, ferner eine deutlich vertiefte Vorderkammer,
sowie ein bis zum unteren Pupillenrand reichendes Hyphaema.
Die Spannung des Auges war = T_i, es bestand totale
Amaurose.
Eine Narbe konnte nicht gefunden werden.
Die äussere Gestalt des Bulbus war vollkommen erhalten,
nur schien er im Ganzen ein wenig kleiner als der rechte
zu sein.
Der letztere war in jeder Beziehung normal, nur rothete
er sich leicht bei Berührung und Lichteinfall.
Anamnestisch gab der Patient an, dass er sich im fünften
Lebensjahre in der Werkstatt seines Vaters mit einem Schuster-
pfriem in das linke Auge gestochen habe. Dasselbe sei nach
der Verletzung allmählich erblindet, ohne jemals bedeutende
Schmerzen verursacht zu haben. — Im Laufe der letzten Jahre
habe es öfters eine leichte Röthung gezeigt, im Uebrigen ihn
jedoch in keiner Weise gestört. — Aerztlich sei er seines
T. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. XLIX. S. 3^
600 Velhagen.
Wissens niemals bebandelt worden. — Vor 14 Tagen war
seiner Angabe nach die frische, jetzt vorliegende Entzttndang
aufgetreten.
Nachdem einige Tage vergeblich versucht war, dieselbe
auf friedlichem Wege zorQckzubringen, wurde das Auge am
12. III. enucleirt und sogleich in Müll er 'sehe Flüssigkeit ge-
worfen, in welcher es bis zum 14. IX. 1898 verblieb.
An diesem Tage wurde es mittelst eines durch den Aequa-
tor gehenden Schnittes in eine vordere und hintere H&lfte
zerlegt.
Bei der Ausfahrung dieser Manipulation entleerte sich
kein Tropfen Flüssigkeit aus dem Gavum bulbi. Es zeigte sich,
dass das Innere des Augapfels grösstentheils ausgefüllt war von
einer braungelblicheii, fast leimartig zusammenhängenden Masse,
die eine spiegelglatte Schnittfläche bot — Ein durch die
Mitte des Bulbus ziehender, aus der abgelösten Netz-
haut bestehender Strang wurde wider alles Erwarten
nicht gesehen. Auch konnte man auf der Schnittfläche von
den Augenhäuten nur das Gewebe der anscheinend normalen
Sklera und Chorioidea unterscheiden, von Retina jedoch nichts
erkennen.
Anstatt dessen sah man bei genauerer Betrach-
tung der hinteren Bulbushälfte die Kuppe eines
braunroth gefärbten, rundlich gestalteten Tumors,
der offenbar dem hinteren Augenpol aufsitzend, fast
bis an die eben beschriebene Schnittfläche heran-
reichte.
Die Undurchsichtigkeit der geronnenen Massen veriiin--
derte, dass man die Gewebsverhältnisse am vorderen Auge ma-
kroskopisch erkennen konnte.
Die mikroskopische Untersuchung der hinteren
Bulbushälfte ergab, um die Hauptsache sogleich zu
sagen, dass der vermeintliche Tumor aus abgelöster
Netzhaut bestand. Dieselbe war zweifellos durch den Zag
des bindegewebig entarteten und geschrumpften Glaskörpers in
der Gegend der Ora serrata von ihrer Unterlage abgerissen
und lag zu einem festen Klumpen zusammengeballt an ihrem
anderen Ansatzpunkt der Sehnervenpupille.
In der gesammten über die Anatonaie atrophischer
und phthisischer Bulbi, sowie über Iridocyklitis, Netzhaut-
r.blösung etc. handelnden Literatur, welche ziemlich voll-
Eine sehr seltene Form Ton Netzhautablösung u. Iridocyklitis. 601
ständig durchgesehen werden konnte, fand sich nur im
Atlas von Pagenstecher und Genth 1875 auf Taf. 28
die Abbildung eines gleichen Falles von Netzhautablösung,
der auch hier als sehr seltenes Vorkommniss bezeichnet
worden ist
Da jedoch zu dem nur in natürlicher Grösse abge-
zeichneten Meridionaldurchschnitt des betreffenden Auges,
über dessen Erkrankungsart „leider anamnestische Anhalts-
punkte ganz fehlten'', keine weiteren Erklärungen gegeben
sind, als dass die Sklera und das Corpus ciliare verdickt
waren, erscheint eine genauere Beschreibung des vorUegen-
den Falles angezeigt, zumal die Untersuchung des vorderen
Auges auch noch eine pathologisch-anatomische Seltenheit
ergab.
An der beigegebeoen anter Lonpenvergrösserung ange-
fertigten Zeichnung (Fig. 1) können die wichtigsten Stmctur-
verhftltnisse erkannt werden.
Auf dem benutzten, durch die Papille gehenden Schnitt
hat der Pseudotumor die Gestalt eines Blattes, dessen Stiel
dem Sehnerveneintritt aufsitzt. Seine Höbe beträgt 8 mm,
seine Breite 6 mm. Seine Wandangen sind nicht glatt, sondern
hier and da mit Einkerbungen versehen.
Am auffallendsten sind die den Aeaten eines Baumes ähn-
lich angeordneten Bildungen, die von der Basis aus in das
Innere des Tamors ziehen und sich nach der Peripherie zu
verzweigen. Die Ränder derselben sind mit einem stark ge-
färbten Saume versehen.
In den von ihnen gelassenen Zwischenräumen liegt lockeres
Gewebe, welches grösstentheils ungeförbt ist, an einzelnen Stellen
aber sich lebhafter tingirt hat (/).
Bei b und e treten zwei Hohlräume hervor, deren einer
(h) tbeilweise mit einer bräunlichen Masse ausgefüllt ist. Ein
dritter Hohlraum befindet sich bei d. In seinem Inneren
scheint nur bei e etwas lockeres Gewebe zu liegen.
Bei ff entsteht aus dem Gewebe des Sehnerven heraus
das Netzhautconglomerat. Die Verbindung desselben mit der
tief zurückgesunkenen Lamina cribrosa (A) scheint sehr locker
zu sein, denn man erkennt schon bei Lonpenvergrösserung an
dieser Stelle deutliche Lücken.
39*
602 Velhagen.
Unmittelbar neben dem Sehnerveneintritt (0 erheben sich
aoB der von den Augenhäuten gebildeten Unterlage zwei
durch einen schmalen Spalt getrennte Bildungen, die zusammea
3 mm lang nnd 1 mm hoch sind.
Bei genauer Betrachtung kann man in der Aderhaut mit
der Loupe deutlich stark pigmentirte Stellen von weniger pig-
mentirten unterscheiden, auch sieht man auf derselben einzelne
leichte Buckel sich erheben.
Die Sklera scheint im Ganzen etwas dicker als normal
zu sein.
Die mikroskopische Untersuchung des Schnittes ergab,
dass die sich verästelnden Bildungen aus je zwei Lagen Nerven-
faser-, Ganglienzellen- und reticulärer Schicht der Netzhaut be-
standen, während der Saum von den Körnerschichten gebildet
wurde.
Bei der Beurtheilung der Breitenverhältnisse der Schich-
ten, wie sie im Präparat sich darstellen, muss man natürlich
sehr vorsichtig sein, da das Messer die ganz verschiedenartig
gelagerten Theile der Retina in den verschiedensten Rich-
tungen getroffen haben kann. Es ist jedoch ganz zweifellos,
dass Ganglienzellen- und Nervenfaserschicht stark verbreitert
waren und zwar in Folge Wucherung und Kemvermehrung der
zu ansehnlichen Garben ausgewachsenen Stützgewebsbandel.
Ganglienzellen konnten nirgends gefunden werden, es hatten
sich an ihrer Stelle weite Ltlcken im Gewebe gebildet Hier
und da war in der Nervenfaserschicht das Bild zu Stande ge-
kommen, wie es Nordenson auf Tafel 17 wiedergiebt.
Die Gefässe, welche sämmlich mit Blut prall gefüllt waren,
trugen verdickte Wandungen zur Schau. Leukocyten waren
im Allgemeinen nur spärlich ausgetreten.
An. der inneren granulirten Schicht konnte man mittelst
der angewandten Tinctionsmethoden nichts Pathologisches tindeu.
Die Betrachtung des in dem Hohlraum d gelegenen lockeren
Gewebes e mit starker Yergrösserung ergab, dass dasselbe, fest
der Membrana limitans interna aufsitzend, die Ausläufer des
ersteren bei k vollständig ausfüllte, während es in der Rich-
tung nach der Papille zu, einen Spalt zwischen sich bildend,
allmählich schmäler wurde und ungefähr in der Mitte des
Hohlraumes aufhörte. Es bestand aus einem mit Eosin ziem-
lich schwach gefärbten Gewebe, dessen fein übrilläre Structur
nur bei engster Blende sichtbar wurde und zweifellos die Reste
Eine sehr seltene Form von Netzhautablösung u. Iridocyklitis. 603
des geschrampflen Glaskörpers vorstellte. Es eutbielt nur spftr-
liehe spindelförmige Elemente, theils einzeln, theils in Zttgen
liegend, sowie zerstreute Randzellen und Pigmentklümpchen;
eigentliche Glaskörperzellen wurden nieht gesehen.
Das Gewebe war überzogen von einer endothelartigen
Zellenreihe, die sich auf die benachbarte Netzhaut noch eine
kurze Strecke fortsetzte und lebhaft an die Abbildung auf
Tafel X in Nordenson's Buche erinnerte.
Sonst war in dem Hohlraum nichts zu sehen ausser eini-
gen wenigen Rundzellen in der Nähe der Netzhautwandung.
Innerhalb der Verästelungen lagen die Membranae limi-
tantes intemae meist unmittelbar aneinander. Ihre Existenz
wurde aber immer durch ein in der Mitte liegendes Endothel-
hftutchen, das manchmal sogar mehrschichtig war, oder durch
eingestreute Rundzellen und Pigmentkörnchen deutlich genug
markirt Hier und da waren schmale Spalten frei geblieben,
die theils mit degenerirtem Glaskörper, theils mit Rundzellen
und Pigment sich angefüllt hatten.
Der blau gefärbte Rand der Aestelungen bestand aus
der äusseren granulirten und den stark veränderten Körner-
schichten. — Auch innerhalb derselben wurde das Bild der
pathologischen Veränderungen beherrscht durch das gewucherte
Stützgewebe. In Folge der Ausdehnung desselben waren die
einzelnen Körner auseinander gezerrt, so dass sie wie Perlen
aufgereiht an den Bindegewebsfasern hingen. Vielfache Spal-
ten fanden sich im Gewebe. Besonders auffallend war, dass
die Schicht der inneren Körner auf weite Strecken in der
Richtung der Netzhautoberfläche vollständig zertheilt war, so
dass man bei Betrachtung derartiger Stellen im Präparat
leicht glauben konnte, drei Körnerschichten vor sich zu haben.
Die einzelnen Zellindividuen erschienen zweifellos grösser
und gröber als auf gleich behandelten Schnitten durch normale
Retinae.
Die Zwischenkörnerschicht war vielfach so zusammenge*
schrumpft, dass sie nur mit Mühe erkannt werden konnte.
Was von der inneren Körnerschicht gesagt ist, gilt in
noch höherem Maasse von der äusseren. Die Stützgewebs-
Wucherung war hier unter Bildung grosser Spalträume geradezu
colossal zu nennen. Eine zusammenhängende Schicht der
äusseren Körner war gar nicht mehr vorhanden. Da man aber
die Elemente der Schicht auf weite Strecken hin zwischen den
Bindegewebsfasern und Gewebslücken noch deutlich als solche
604 Yelhagen.
erkennen konnte, waren durch Atrophie sicherlich nicht viele
derselben zu Grunde gegangen. Es hatte hier ein massenhaftes
Vorrücken von Stäbchen- und Zapfenkörnern durch die Mem-
brana limitans ext stattgefunden, wie es Nordenson auf
Tafel XIII im kleineren Maassstabe abbildet.
Hiermit sind wir auf das vorhin erwähnte lockere Ge-
webe gekommen, welches bei Loupenvorgrössernng als nur wenig
tingirt zwischen den Verästelungen liegend erkannt wurde. —
Es besteht aus nichts anderem, als aus gewucherter äusserer
Körnerschicht und nimmt deshalb einen so breiten Ranm ein,
weil sich überall zwei gegenüber liegende Schichten mit ein-
ander verflochten haben.
Stäbchen und Zapfen sammt Limit, externa sind bei diesen
tiefgreifenden Veränderungen natürlich zum grössten Theil ver-
loren gegangen. Nur an einzelnen Stellen, an denen die äussere
Körnerschicht ihre Struktur besonders gut bewahrte, sind noch
Reste von Stäbchen und Zapfen zu erkennen: stark aufge-
fasert, abgelöst oder zu grossen rundlichen Tropfen zusammen-
geflossen.
Da derartige Stellen sich vielfach tief im Inneren des
Pseudotumors finden, muss beim Zustandekommen des-
selben aus der einfachen Ablatio eine Inversio re-
tinae geworden sein.
Von sonstigen Producten der regressiven Metamorphose
waren in seiuem Innern noch hin und wieder grössere, form-
lose, mit Eosin stark gefärbte Gebilde zu sehen, die coUoid
entartete Bindegewebsbüudcl oder thrombosirte Geisse vor-
stellten. Eine dieser Bildungen hatte die grösste Aehnlichkeit
mit der Zeichnung Nordenson's auf Tafel XXIIIa.
Die Hohlräume bei h und c sind zweifellos durch Blut-
ergüsse in das Netzhautgewebe hinein entstanden, so dass dasselbe
gespalten wurde. Der bei h enthält noch viel Blut, welches
im Begriff steht organisirt zu werden und schon zum Theil in
ein lockeres Bindegewebe umgewandelt ist, so dass hier das
Bild einer proliferirendeu Retinitis vorliegt.
Innerhalb der Haemorrhagie und in dem umgebenden Ge-
webe findet sich viel Pigment, frei und an Zellen gebunden.
Aehnlich sind die Verhältnisse im Hohlraum e.
Der Rand des Pseudotumors besteht aus äusserer Körner-
schiebt, die thcilweise bis zur Unkenntlichkeit entstellt nach
aussen hin von der hier vcrhältnissmässig gut erkennbaren
Membrana limitans ext. überzogen ist.
Eine sehr seltene Form von NetzhautablOsung u. Iridocykliti^. 605
In der Nähe der letzteren liegen im Gavuin bulbi massen-
haft jene vorhin erwähnten ans entarteten Stäbchen und Zapfen
bestehenden Kügelchen.
Ausserdem ist die äussere Wandung des Pseudotumors
vielfach besetzt mit Pigmentepithelien, die bei der Ablösung
von der Choroidea an der Netzhaut kleben geblieben waren.
Sie haben nur zum kleinsten Theil normale Gestaltung, auch
sind sie vielfach ent&rbt. An vielen Stellen sind sie zu drusen-
ähnlichen Bildungen ausgewuchert Es fand sich sogar eine Ex-
crescenz, die vollständig der von Nordenson auf Tafel XYIII
wiedergegebenen glich.
Ferner wurden ausser Rund- und zerstreutliegenden Pigment-
zellen im Cavum bulbi, weit vom Tumor entfernt, Durchschnitte
von Drusen gefunden, die offenbar von dessen Oberfläche ab-
gesprengt waren.
Der N. opticus war in Folge gänzlichen Schwundes der
Nervenfasern stark verdünnt. Die Wucherung des Binde-
gewebes in der Nervenfaserschicht hatte aber sogar das in der
Papille liegende mit betroffen (a). Die letztere ragt wie ein
Kegel in den Hohlraum d hinein«
Die Wucherungen bei i nehmen aus dem Inneren der
Aderhaut ihren Ursprung. Sie bestehen aus weitmaschigem,
kornreichem Bindegewebe, dessen Kuppen mit proliferirten
Pigmentepithelien bedeckt sind.
Die Aderhaut bot im Uebrigen das Bild der chronischen
Entzündung ohne Besonderheiten dar.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des vorderen Auges
fand sich ausser den bei chronischer Iridocyclitis und Linsen-
verletzung gewöhnlich zu constatirenden Veränderungen etwas
sehr Merkwürdiges, das der Beschreibung werth ist.
Auf der Oberfläche des ungefalteten Theilos des Corpus
ciliare lag nämlich nur das entzündlich stark veränderte pig-
meutirte Blatt der Pars ciliaris retinae, während die aus Cy-
linderzelleu bestehende innere Schicht derselben auf der bei
Loupenvergrösserung aufgenommenen Zeichnung (Fig. 2) bei
a zu sehen ist.
Sie ist entweder durch das Exsudat bei h abgehoben oder
ist durch den Bindegewebsstrang 0, der die beiden hinteren
Enden der Membran jetzt noch fest zusammenhält^ an der
Ora serrata von ihrer Unterlage abgerissen worden. Derartige
Stränge pflegen bekanntlich gern bei chronischer Iridocyklitis
an der Ora serrata sich anzusetzen.
606 Velhagen.
Die vollständig zasammenhängende Zellschicht ist vielfiM;h
gefältelt, so dass auf dem Darchschnitt die wanderbarsten Fi-
guren za Stande kommen.
Die einzelnen Zellen sind verlängert and laufen spitz za,
ihre Kerne haben ovale Grestaltung angenommen. Yacoolen
sind im Protoplasma nicht zu sehen, wohl aber sind hier und
da Pigmenttheilchen in die Zellleiber eingedrungen.
Pigment, lockeres Bindegewebe, verändertes Blut ist über-
haupt vielfach in der Nähe der Membran zu sehen.
Bei c kann man die Cylinderzellen bis in die unmittel-
barste Nähe des ersten Processus ciliares verfolgen, wo sie
sich im dichten neugebildeten Bindegewebe verlieren. Bei d
dagegen geht die abgehobene Zellmembran in einen dOnnen,
zellarmen Gewebsstrang über, der sich als Ueberzug über die
Exsudatschicht h fortsetzt.
Das cubisch geformte Epithel der Processus ciliares war
überall erhalten.
Bei dem ophthalmoskopisch diagnosticirbaren Netzhaut-
ablösungen scheint die Abhebung der Retina allerdings
nicht immer bei der Ora serrata Halt zu machen. Bei
einigen Fällen Nordenson's wurde beobachtet, dass auch
die Pars ciliaris retinae sich mehr oder weniger ausgedehnt
an dem Ablösungsprocess betheiligte. Diese Fälle müssen
jedoch Ausnahmen gewesen sein, denn sonst gilt allgemein
die Lehre, dass die Nelzhautablösung schliesshch Trichter-
form annähme mit den Ansatzpunkten an der Papilla op-
tica und an der Ora serrata.
Eine Beobachtung aber, wo bei irgend einer Form
der primären Iridocyklitis die Cyünderzellenschicht der Pars
ciliaris retinae in ihrer Continuität abgehoben wäre, existirt
so weit die Literatur controllirt werden konnte, überhaupt
noch nicht Sonst lagert sich immex das vom Orbiculus
ciUaris abgesonderte Exsudat auf dem Epithel ab, dasselbe
zwar schwer alterirend aber niemals ablösend.
Die Sublatio und Inversio retinae im hinteren Auge
und die Abhebung der Pars ciliaris retinae beim vorhegen-
den Falle hängen natürUch eng n)iteinander zusammen.
Eine sehr seltene Form von Netzhautablösung u. Iridocyklitis. 607
Die letztere ist wohl der primäre Vorgang, welcher eine
Lockerung des gesammten Zusammenhanges der Netzhaut
mit ihrer Unterlage an der Ora serrata herbeigeführt hat
Der Vollständigkeit wegen sei noch erwähnt, dass sich
ein Corpus alienum im Inneren der Schwarten oder an
einer anderen Stelle des Bulbusinneren nicht fand, trotzdem
beim Zerlegen des Auges in Serienschnitte auf das Ge-
naueste darauf geachtet wurde. Ich muss jedoch gestehen,
dass ich die Narbe, welche der anamnestischen Angabe
nach doch irgendwo sein musste, nicht gesehen habe, trotz-
dem jeder Schnitt zum Mindesten gefärbt und durchmustert
wurde. Man kann jedoch wohl annehmen, dass das Ge-
webe der Narbe durch die lange Zeit ihres Bestehens
dem der Sklera ausserordentlich ähnlich geworden ist —
Die mit FerrocyankaJium und HCl an einigen Schnitten
vorgenommene Eisenreaction fiel positiv aus. Es färbte sich
jedoch nur ein Theil der Pigmentklümpchen blau, ausser-
dem einzelne zerstreut liegende Gewebsparthieen, in deren
unmittelbarer Nähe sich unzweifelhafte Reste älterer Blut-
ergüsse fanden. Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass die
Eisenreaction von einem etwa aufgelösten Eisensplitter her-
rührt, sondern von Haemosiderin , das sich aus alten Blu-
timgen gebildet hat. —
Obgleich die soeben beschriebenen Veränderungen in
einem an schleichender Uveitis zu Grunde gegangenen Auge
in der Hauptsache pathologisch-anatomisches Interesse be-
anspruchen, scheinen mir dieselben doch zur Erklärung
eines klinisch sehr wichtigen Vorganges verwendbar zu sein,
nämlich der Entstehung von Scheingeschwülsten im Augen-
innem nach Cataractextraction.
Ich hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, ein solches
Vorkommniss zu beobachten und sprach damals (Centralbl.
für prakt Augenheilk. 1897) die Meinung aus, dass in
meinem Falle der Scheintumor auf Abhebung des Epi-
thels des Corpus ciUare beruht habe. Ich dachte damals
608 Velhagen.
an die Untersuchungen Greeff's. Jetzt bin ich von der
Bichtigkeit dieser Ansicht noch mehr als bisher überzeugt
Zusatz.
Herr Prof. Leber, welcher sich für „diese so überaus
merkwürdige Form von Netzhautablösung^^ sehr interessirte,
theilte mir nach Durchsicht einiger Präparate mit, dass er
in der Hauptsache den objectiven Befund für richtig ge-
schildert halte. Er glaubt jedoch, dass die totale Ablösung
der Retina von der vorderen Insertion und ihre eigenthüm-
liche Zusammenfaltung nicht vollständig erklärt werden
könne durch die Zugwirkung des sich retrahirenden binde-
gewebig entarteten Glaskörpergewebes, da dieselbe, wie die
Ablösung des Pars ciliaris zeigt, nach einwärts und vorn
gerichtet war, während die Retina im Gegentheil nach
hinten gezogen wurde. Er vermuthet, dass im vorUegen-
den Falle auch ein diffuser Schrumpfungsprocess, welcher
an der ganzen Innenfläche der Retina oder im Eetinal-
gewebe selbst localisirt war, angenommen werden muss;
derselbe würde auf* eine chronische interstititielle Retinitis
oder Endoretinitis hindeuten, die ja von einer primären
Cyklitis inducirt worden oder durch dieselbe Ursache wie
diese entstanden sein kann. Wurde die Retina gleichzeitig
über ihre ganze innere Oberfläche hin von einem solchen
Schrumpfungsprocess befallen, so musste sie sich in zahl-
reiche Falten legen, die sich immer mehr zusammenzogen
und zuletzt den gegenwärtigen Zustand multipler Falten-
verwachsung hervorbrachten. Etwas Aehnhches wird im
Bereich der Pars ciliaris vor sich gegangen sein, nur da^
hier eine viel reichlichere Gewebsprohferation stattfand. Die
nach einwärts und nach vorn gerichtete Ablösung der Pars
ciliaris kann durch Schrumpfung des hinter der Linse be-
fiudUchen Bindegewebes ja ohne Weiteres erklärt werden.
Eine selir seltene Form von Netzhautablösung u. Iridocyklitis. 609
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVI,
Fig. 1 u. 2.
Fig. 1. Loupenvergrösserung.
a. Kegelförmige Wucherung der Papille.
h. Hohlraum mit Bluterguss im Inneren.
c. Hohlraum ohne Blut.
d. Hohlraum mit geschrumpftem Glaskörper e.
f. Der Flftche nach getroffene Kömerschichten.
g. Austritt des Netzhautgewebes aus dem Sehnerveneintritt
h. Lamina cribrosa mit Spalten im Gewebe.
f. Grosse Chorioidealzotten.
A;. Ausläufer des Hohlraumes d.
F i g. 2. LoupenTergrösserung.
a. Abgelöstes Cylinderzellenschicht der Pars ciliaris retinae.
b. Exsudat auf dem Orbiculus ciliaris.
c. Endigung der Cylinderzellenschicht in dichtem Binde-
gewebe am ersten Processus ciliaris.
d. Endigung der Cylinderzellenschicht in einen dünnen
Bindegewebsstrang.
e. Der die beiden hinteren Enden der Schicht verbindende
Strang.
/'. Blutergüsse.
Beitrag zn den experimentellen Untersnchnngen
aber das Eindringen gelöster Substanzen dnrch
Diffasion in's ingeninnere nach snbconjunctivaler
Injection.
Von
Dr. Hermann Vogel,
praktischer Arzt aus Escholzmatt.
Bei Durchsicht der Titeratur über subconjunctiTale In-
jectionen findet man, dass die Ophthahnologen und Che-
miker während des letzten Decenniums viel mit dieser Frage
sich beschäftigt haben. Trotzdem fehlt es noch an einer
bestimmten Erklärung der Wirkungsweise, da eben die
Diffusionsfähigkeit der unter die Bindehaut eingespritzten
Substanzen und zwar besonders der für die Ophthalmologie
wichtigen Quecksilbersalze noch wenig sicher gestellt ist
Die neuesten, auf Veranlassung von Prof. Th. Leber in
Heidelberg ausgeführten Versuche von Dr. Addario, die
uns zeigten, dass unter die Conjunctiva bulbi injicirte Kah-
salze, JodkaUum und Ferrocyankalium, in den Humor aqueus
übergehen, konnte ich im Wesentlichen durch meine Ver-
suche bestätigt finden. Nur insofern herrscht bei meinen
Versuchen ein kleiner Unterschied, als es mir nicht gelungen
ist, schon fünf Minuten nach der Injection eine deutliche
Reaction von Jodkalium im Humor aqueus nachweisen zu
können. Da indessen der Uebergang dieser Kalisalze
in den Humor aqueus genügend bekannt und anerkannt
ist, werde ich hier nicht weiter darauf eingehen. Allein
die weitere Frage, ob das JodkaUum nach subconjuncti-
Beitrag zu den experimentellen Untersuchungen etc. 611
valer Injection auch in den Glaskörper, die Chorioidea,
Retina und den Opticus übergeht, möchte ich kurz be-
handeln.
Darüber angestellte Versuche:
Injeetionsmenge 1 ccm einer 5 ^/^ igen Jodkaliumlösung.
Enudeation je zweier Augen 20, 30, 40, 50 und 60 Mi-
nuten nach der Injection.
Als empfindüehes Reagens wurde eine Lösung von Palla-
diumchlorid 1 : 500 angewandt, welches mit Jodkalium einen
schwarzen Niederschlag von PdJ* giebt. Enthält die zu unter-
suchende Substanz ganz geringe Mengen von Jodkalium, so ist
die Farbe zuerst bräunlich. Da aber die Reactionsflüssigkeit eben-
falls gelbbräunlich ist, so kann z. B. der Humor aqueus, der
Glaskörper, auch ohne jodhaltig zu sein, die bräunliche Farbe an-
nehmen. Diese Flurbung unterscheidet sich aber von der posi-
tiven Reaction, weil bei letzterer neben der braunen Flüssigkeit
erst nach einigen Stunden ein schwarzer Niederschlag von PdJ*
sich bildet.
Die Kesultate meiner Versuche gehen dahin, dass es
mir mit der angegebenen Beactionsmethode nicht gelungen
ist, im Glaskörper, Chorioidea, Retina und Opticus Jod-
kaUum nach erfolgter Injection nachzuweisen.
Die meisten Versuche aber, die zur Untersuchung der
Frage betreffs der Diffusionsfähigkeit nach subconjunctivaler
Injection in's Augeninnere vorgenommen wurden, beschäf-
tigten sich mit Sublimatlösungen. Dass aber eine Queck-
silberchloridlösung weniger gut diffundirt als ein Kalisalz,
wird einleuchtend sein, da ja diese Quecksilberverbindung,
wie die meisten Salze der schweren Metalle, mit den Ge-
weben unlöshche und deshalb nicht diffundirbare Eiweiss-
verbindungen eingehen. Um diesem Uebelstand einiger-
niaassen abzuhelfen, fügte man, wie auch ich es in meinen
Versuchen gethan habe, dem Quecksilberchlorid eine ge-
wisse Menge NaCl zu und säuerte leicht mit verdünnter
Salzsäure an, weil dadurch nach Laplace die Menge der
diffiindirbaren Substanzen bedeutend zunehme, da sich dann
keine Alburainate bilden.
612 H. Vogel.
Weil, wie bereits bemerkt, von Quecksilbenrerbinduiigen
nur Sublimat zu subconjunctivalen Injectionen angewandt
worden ist, hat mir Herr Professor Pflüger die Au^be
gestellt, die vorhandenen Versuche mit HgCl, zu con-
troliren und zudem Untersuchungen darüber anzusteUen,
wie sich andere Quecksilberverbindungen dabei verhalten.
Diese Versuche beschränkten sich niu* auf die Unter-
suchung des Kammerwassers, da sich am ehesten erwarten
liess, die unter die Conjunctiva injicirten Substanzen in
diesem nachweisen zu können. Dabei habe ich dem Gre-
danken Bechnung getragen, ob mit oder ohne damit ver-
bundener Paracentese der Hornhaut Unterschiede erzielt
werden können. Zur Ausführung der Paracentese der Horn-
haut bestimmte mich die klinische Beobachtung und die
Methode des Herrn Prof, Pflüger, der mit den subconjunc-
tivalen Injectionen z. B. von Kochsalz, Jodtrichlorid, Jod-
natrium die Paracentese der Hornhaut gerne verbindet, .
falls sie nicht etwa contraindicirt ist, und zwar aus folgen-
den Gründen: weil die Injectionen dabei weniger schmeiz-
haft sind, die sich einstellende Chemosis schneller ver-
schwindet und eventuell vorhandener Homhautastigmatismus
bei dieser Gelegenheit c^rrigirt werden kann.
Bevor ich aber auf meine Versuche eingehe, mödite
ich noch kurz, einer grösseren Uebersicht wegen, einige
Besultate Anderer, die sich mit dieser Frage beschäftigt
haben, mittheilen.
Schon im Jahre 1890 stellte Bocci derartige Versuche an.
Allein seiner von Brugnatelli angegebenen Methode, die seh
zum Nachweis des Hg auf die Reduction des Aurichlorid, AuCis,
durch Hg stützt, haften leider verschiedene Mängel an, so dass
seine Versuche mit positivem Resultat nicht den Ansprach anf
grosse Beweiskraft machen können.
Bald darauf, im Jahre 1892, folgten die experimentellen
Untersuchungen von Sgrosso und Scalinci, die klinisch sehr
genau sind. Die chemische Untersuchung aber entbehrt eben-
falls der wünschenswerthen Feinheit. Sie gründet sich auf den
Nachweis des Hg vermittelst ZinnchlorOr ZnCl,.
Beitrag zu den experimentellen Untersuchungen etc. 613
Weitere Versache zur Prafung der Frage, ob nach suh-
conjunetiTalen Snblimatiiijeetionen diese Qaecksübenrerbindung
in's Angeninnere diffondire, haben Bach und Gfirber im
Jahre 1894 angestellt Ihre Resultate sind negativ ausgefallen.
Alsdann wiederholte diese Versuche 0. Stuelp im Labora-
torium von Hoppe-Seyler. Er enndeirte zur chemischen Unter-
suchung das Auge 24 Stunden nach erfolgter Ii\jection. Seine
Resultate sind ebenfalls negativ.
Auch die Versuche von Bayardi in Turin endeten mit
negativem Resultate.
Die neuesten Versuche, die Dr. C. Addario ebenMs mit
l^l^Q^gen Subfimatlösnngen anstellte, waren auch von einem ne-
gativen Resultate begleitet
Meine Versuche gründen sich auf eine von Professor
Dr. Jannasch angegebene Methode, die auch bei den
Versuchen von Dr. C. Addario angewandt war. Ich
führte dieselbe im chemisch -medicinischen Laboratorium
der Universität Bern unter der gütigen Leitung des Herrn
Prot Dr. Heffter aus.
Um etwaige Nachprüfungen zu erleichtem, möchte ich
vor Anführung meiner Versuche die von mir angewandte
analytische Untersuchungsmethode, sowie die zur Anwen-
dung gekommene Technik beschreiben:
Man bringt den zu untersuchenden Humor aqueus in eine
kleine Porzellanschale und fügt demselben eine gleiche Menge
conc chlorfreier Salpetersäure zu. Das Ganze dampft man bis
zur Trockenheit im Wasserbade ab , der Rückstand wird in
randiender Salpetersäure aufgelöst und von Neuem zur Trockene
verdampft Die letztere Salpetersäureeinwirkung muss wenigstens
zweimal wiederholt werden, um wo möglich jeden Rest von or-
ganischer Substanz zu zerstören. Den Rückstand löst man nun
mit destillirtem Wasser ab und filtrirt, wenn die Lösung nicht
klar ist. Das Filtrat bringt man in eine Röhre mit flachem Boden,
auf welchem das auf folgende Weise behandelte Kupfer liegt.
Man schneidet eine kleine gut abgeflachte Kupferplatte von
3 — 4 mm aus, die man mit verdünnter Salpetersäure abwäscht
Nach 24 Stunden wird das Kupferstück herausgenommen und
dann abgetrocknet Dann bringt man in eine an einem Ende
614 H. Vogel.
verschlofiBene Röhre von etwa 15 cm Länge nnd 3 mm Weite,
die zudem gut gereinigt nnd trocken ist, vorerst zwei bis drei
Körnchen CaGl, und ein Kömdien Jod, sodann auf 5 — 6eni
Höhe Glaswolle und schliesslich das amalgamirte RupferstQck. Nun
schmilzt man das obere Ende der Glasröhre zu, wartet 24 Stun-
den ab, worauf man in der Nalie des Kupfers bei positivem
Resultate einen rubinrothen Ring von HgJ, bemerkt, der mit
blossem Auge bis zu 0.00001 g HgCl^ erkennen Ifisst Jensdts
dieser Grenze muss man den rötlilichen Belag unter dem Mikn>
skop aufsuchen.
Mit dieser Methode habe ich versucht, den Nachweis
von Quecksilber im Eammerwasser nach subconjunctivaler
Injection mit verschieden starken Lösungen von:
I. Hydrargyrum bichloratum.
II. Hydrargyrum cyanatum.
riL Hydrargyrum formamidatum.
IV. Hydrargyrum amidato-bichloratum,
letzteres Mittel gelöst in einer bestimmten I^ösung von
Natr. tliiosulfuricum, zu leisten.
Die Aspiration des Humor aqueus erfolgte durch Ein-
stich der Pravaz' sehen Nadelcanüle direct durch die Cornea
oder durch subconjunctivalen Einstich vom Limbus her
unter Vorschieben derselben parallel der Irisebene. Die
Injection wie die Aspiration wurde mit je einer besonderen
Pravaz 'scheu Spritze vorgenommen, die für jeden Ver-
such vorher mit sterilisirtem Wasser gereinigt wurde. Die
Injection wurde stets 3—5 mm vom Limbus conjunctivae
mit oder ohne vorherige Luxation des Bulbus gemacht.
Um die Untersuchung etwas zu erleichtern, habe ich den
Humor aqueus meist von mehreren Kaninchenaugen, bei
denen ich die subconjunctivale Injection unter gleichen
Verhältnissen gemacht hatte, zusammengenommen. So be-
kam ich fast jedes Mal eine Untersuchungsflüssigkeit von
1 ccni Menge.
Meine Resultate sind folgende;
Beitrag zn den experimentellen Untersuch untren etc. 615
L Versuche mit Sublimat HgCl^.
HgCl, = 1 g
Injicirte I^sung j {JlS =1^^'^ ^
12 Tropfen verdünnte HCl.
Injicirte Menge 1 ccm.
Zeitraum zwischen Injecüon und Aspiration beim ersten Ver-
such 1 Stunde^ Paracentese der Hornhaut damit verbunden;
beim zweiten Versuch Zeitraum zwischen Injection und Aspiration
2 Stunden ohne Paracentese der Hornhaut. Injiciiie Lösung wie
injicirte Menge waren bei beiden Versuclien gleich. Menge des
untersuchten Humor aqueus von vier Kaninchenaugen.
Chemische Untersuchung mit der oben angegebenen Metliode:
Amalgamirung mit Kupfer nach Zerstörung der organisclien
Substanz. Bei der Sublimation bei gewöhnlicher Temperatur in
geschlossener Röhre in Gegenwart von Joddämpfen gab das
Kupfer beide Male negative Ilesultate. Klinisch zeigten sich Che-
mosis, Katarrh und kleine Blutungen der Conjunctiva.
II. Hydrargyrum cyanatum HgCy^.
Dieses von Dr. Chibret iu Clermont-Ferrand in die
Ophthalmologie eingeführte Präparat ist ebenfalls leicht
löslich in Wasser und übertrifft das Sublimat als bakterien-
tödtendes Mittel, zudem hat es den Vortheil, dass es nicht
zu den Eiweiss fällenden Verbindungen gehört. Letzteres
war denn auch der Gnind, warum ich dieses Präparat
zu meinen Versuchen heranzog. Den grossen Vortheil der
f^enngen Irritation und localen Reaction, der demselben
vielfach zugeschrieben wird, konnte ich aber bei meinen
Versuchen nicht bestätigt finden.
Damit angestellte Versuche:
A. Injidrte Lösung [»^^3-, = lg. ^^^
Injicirte Menge: 1 ccm.
Zeitraum zwischen Injection und Aspiration 1 Stunde.
Menge des untersuchten Humor aqueus beinahe 1 ccm.
Chemische Untersuchung vermittelst oben angegebener
Methode.
T. (iraefe's ArchW fttr Ophthalmologie. XLIX. 3. 40
616 H. Vogel.
Negatives Resultat für das blosse Auge und unter dem
Mikroskop.
Klinisch zeigten sicli Chemosis, Katarrh und kleine Blutungen
der Conjunetiva.
B.lnjidrte Lösung {{;gj>« = ;5,^
Injicirte Menge: V« com.
Zeitraum zwisclien Injection und Aspiration 1 Stunde.
Menge des untersuchten Humor aqueus von zwei Kanincben-
augen henilhrend.
Chemische Untersuchung nach oben angegebener Methode.
Negatives Resultat mit blossem Auge und mit Betrachtung
unter dem Mikroskop.
Klinisdi zeigten sich Chemosis^ Blutungen der Conjunetiva.
Verklebungen der Conjunetiva taröi mit der Conjunetiva bulbi,
weissUcljer Belag auf der Cornea und, wie zu erwarten war, trat
der Tod des Thieres 25 Minuten nach der Injection em.
111. Hydrargyruin formainidatum sei.
((kcONH),Hg).
Eine Lösung von frisch gefälltem Quecksilberoxyd in
verdünntem Fonnamid CH0(NH2). Dieses von Liebreich
empfohlene Mittel zeigt schwach alkalische Beaction, wenig
metallischen Geschmack und bleibt auf Zusatz von Eiweiss-
lösungen ebenfalls klar. Die Injectionen mit diesem Präparat
sollen weniger schmerzhaft sein, als die des Sublimats.
Versuch A.
. Injicirte Lösung =l®/^jige.
Injicirte Menge = ^/^ ccm.
Zeitraum zwischen Injection und Aspiration 2 Stunden.
Menge des untersuchten Humor aqueus von vier Kaninchen-
augen.
Chemische Untersuchung nach der von Prof. Dr. Jan nasch
angegebenen Metiiode.
Negatives Resultat für das blosse Auge und unt«* dem
Mikroskop.
Versuch B.
Angewandte Lösung wie bei Versuch A.
Injicirte Menge: */, ccm.
Beitrag zu den experimentellen Untersuchungen etc. 617
Zeitraum zwischen Injection und Aspiration 3 Stunden.
Menge des untersuchten Humor aqueus beinahe 1 com.
Chemische Untersuchung nacli oben angegebener Methode.
Negatives Resultat. Klinisch zeigten sich Chemosis und leichte
conjunctivale Ecchymosen.
Die Tliiere gingen unter Nahrungsverweigerung, ohne sonst
weitere Erscheinungen darzubieten^ zwei bis drei Tage nach der
Injection zu Grunde.
IV. Hydrargyrum amidato-bichloratum
gelöst in einer Natr. thiosulfiiric. Lösung.
Auch dieses Präparat gehört zu den Eiweiss nicht
fällenden Quecksilberverbindungen, Es erscheint hier die
Afifinität des Quecksilbers zur Amidogruppe benutzt, um
der Keaction mit dem Körpereiweiss zu begegnen. Als-
dann sind die Reizerscheinungen und die Giftwirkung dieses
jVIittels bei den verschiedensten Concentrationen geringer
und langsamer als bei entsprechenden Lösungen des Sub-
limats und Cyanquecköilbers. Allein ein Uebelstand haftet
diesem Präparat doch an, da nach zwei bis drei Tagen
ein pulverförraiger Niederschlag ausfällt. Daher ist man
bei Gebrauch dieses Mittels gez^iingen, die Lösungen min-
destens jeden dritten Tag frisch bereiten zu lassen.
Versuch A.
/Nati*. thiosulftiric 0,3
T .. --x T .. I Aq. destill. 10,0
Injicurte Losmig ^[ ^ ^^^ ^ .^ ^^^ J^,^
' Hydrargyr. amidato-bichlorat. 0,09.
Injicirte Menge = 1 ccm; nebst damit verbundener Para-
centese der Hornhaut.
Zeitraum zwischen Injection und Aspiration 4 Stunden.
Menge des untersuchten Humor aqueus von vier Kaninchen-
augen.
Chemische Untersuchung nach oqen angegebener Methode.
Negatives Resultat für das blosse Auge und unter dem
Mikroskop.
Klinisch zeigten sich Chemosis, etwas Katarrh und kleine
Blutungen der Conjonctiva.
40*
618 n. Vogel.
Versuch B.
/Natr. ihiosulfiiric. 3,0
Inicirt Lößun ^ ^^' ^^*'"' ^^'^
^ ^ j M. f, solutio, in qua solve
' HydrargjT. amidato-bichlorat 0,9.
Injicirte Menge Va ccm.
Zeitraum zwischen Injection und Aspiration 2 Stunden.
Menge des untersuchten Humor aqueus von vier Kaninchen-
augen.
Chemische Untersuchung wie oben angegeben.
Negatives Resultat für das blosse Auge und unter dem
Mikroskop.
Klinisch zeigten sich Cheraose, conjunctivale Blutungen, Ver-
klebungen der Conjunctiva bulbi mit der Conjunctiva tarsi, weisser
Belag auf der Cornea. Die Thiere gingen zwei bis drei Tage
nach der Injection zu Grunde.
Versuch C.
INatr. thiosulfiiric. 1,5
Aq. destill. 10,0
M. f. soluüo, m qua solve
Hydrargyr. amidato-bichlorat 0,45.
Injicirte Menge */, ccm.
Zeitraum zwischen Injection und Aspiration 3 Stunden.
Menge des untersuchten Humor aqueits beinahe 1 ocm.
Chemische Untersuchung wie oben.
Negatives Resultat
Klinische Beobachtung gleicli dem Versuch B.
Nach diesen Versuchen und den dabei gefundenen
Resultaten komme ich zum Schluss, dass der Procentgehalt
der angewandten Quecksilberpräparate im Kammerwasser,
wenn überhaupt nach subconjunctivalen Injectionen Spuren
hineinkommen sollten, geringer sein muss als 1:100,000:
demnach eine Menge, der man jedenfalls keinen therapeu-
tischen Werth zuerkennen könnte. Wenn nun trotzdem
von gewisser Seite unermüdlich und mit aller Begeisterung
für den grossen therapeutischen Werth der Sublimatinjec-
tionen, z. B. bei chronischen Augenhintergrunderkrankungen,
ja sogar bei Panophthalmie plädirt wird, so ist es wohl
Beitrag zu den experimentellen Untersuchungen etc. 619
angezeigt, so lange keine weiteren positiven Resultate der
Diffusionsfähigkeit der Quecksilberverbindungen bekannt sind,
alle derartigen klinischen Mittheilungen mit sorgsamer Be-
obachtung und strenger Kritik entgegen zu nehmen.
Zum Schlüsse habe ich noch die angenehme Pflicht zu
erfüllen, den hochverehrten Herren Professoren Dr. Pflüger
und Dr. Heffter für die Anregung zu dieser Arbeit und
für die freundliche Unterstützung bei der Bearbeitung der-
selben meinen herzlichsten Dank abzustatten.
Literatur ver zeich niss.
C. Addario, Versuche über das Eindringen gelöster Substanzen durch
Diffusion in die vordere Augenkammer, nach Injection unter die
Bindehaut, v. Graef e's Arch. f. Ophthalm. XLVIII. S. 362.
C. Addario, lieber den Nachweis von QuecJtsilberchlorid im Humor
aqueus nach Injection unter die Bindehaut, v. Graefe's Arch.
f. Ophthalm. XLVIII. S. blb.
Bocci, Le injezioni sotto-congiuntivali di sublimato. 1890. Rev. g6n.
d'ophtalm.
Sgrosso e Sealini, Le injezioni sotto-congiuntivali e intratenoniane
di sublimato corrosiva nella cura di alcune affezioni oculari. Ann.
di Ottalm. XXII. p. 509 ss 1893. Refer. in Michel's Jahres-
bericht f. 1893. S. 242—244.
Bach und Gürber, Experimentelle Untersuchungen über das Staphylo-
cokkengeschwür der Hornhaut und dessen Therapie, v. Graefe's
Arch. f. Ophthalm. XLI. S. 63—66.
Stuelp, Wird nach subconjunctivalen Sublimatinjectionen Queck-
silber in*s Augeninnere resorbirt? Arch. f. Augenheilk. XXXI.
Bayardi, Injezione sottocongiuntivali di sublimato. Accad. di med
di Torino. decembre 1896.
Experimentelle Untersuchimgeii über die Ein-
wirkung des Eserins anf den Flüssigkeitswechsel
nnd die Circnlation im Ange.
Von
V. Grönholiu,
früherem Assistenten an der Universitäts- Augenklinik
in Helsingfors, Finnland.
Hierzu Taf. XVIII u. XIX mit Cunen 1— XI.
I. Einleitung.
Die Fähigkeit des Eserins, den intraocularen Druck
in glaukomatösen Augen herabzusetzen, ist allgemein an-
erkannt; es ist aber nicht bekannt, wodui'ch diese Druck-
veränderung zu Stande kommt. Unsere ganze Glaukoni-
iherapie ist auf klinische Beobachtungen gegründet, und da>
Experiment ist dabei nicht in genügendem Umfang zur
Anwendung gekommen. Und doch ist dies das einzige,
von welchem sichere Antwort erwartet werden kann.
Auch im normalen Auge verursacht das Eserin Dnick-
verändeningen ; wie sie aber entstehen, weiss man nicht
Es ist anzunehmen, dass die Veränderungen, durch
welche das Eserin die Druckschwankungen bewirkt, für das
glaukomatöse und das normale Auge gleichartig seien.
Wenn wir uns also genaue Kenntnisse von allen Ver-
änderungen, welche das Eserin im ncu'malen Auge bewirkt
verschaffen, so könnten wir dadurch wohl auch Einsicht in
die Eserinwirkung beim Glaukomauge erhalten.
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 621
Da die letztere bei dem acuten Glaukom und dessen
prodromalen Stadien am auffallendsten und constantesten
ist, also bei denjenigen Glaukomformen, wo die Ursachen
der Drucksteigerung am dunkelsten sind, kann man hofifen,
dass eine erweiteiie Kenntniss der Veränderungen^ welche
das Eserin in dem Flüssigkeitswechsel und den Circulations-
verhältnissen des Auges bewirkt, auch im Stande sein werde,
Licht auf die dunklen Ui'sachen des acuten Glaukoms zu
werfen. „Jeder therapeutische Eingriff soll, neben seinem
Heilzwecke, zur Erklärung des Krankheitsprocesses bei-
tragen.'*
n. Geschichtliches.
Seitdem v. Graefc 1857 (8), wie schon früher, 1830,
Mackenzie (1, S. 678), in der Drucksteigerung das Haupt-
symptom des Glaukoms gefunden hatte, sind die Druckverhält-
nisse des Auges Gegenstand eifriger Studien hervorragender
Forscher gewesen.
Der Zweck dieser Forschungen war hauptsächlich, die ver-
borgene Ursache dieser deletären Drucksteigerung zu finden.
Man hat dieselbe bald in entzündlichen Processen, bald in
Secretionsneurosen, bald in Verengerungen der Abflusswege der
Augenflüssigkeiten n. a. m. gesucht und hat in dieser Absicht
den Einfluss der Nerven, des Blutgefässtonns und des Blut-
druckes auf die Spannung des Auges geprüft, Verengerungen
der Filtrationswege im Fon tan ansehen Räume anf experimen-
telle Weise zu bewirken versucht und die Pathologie des
Glaukomauges genau studirt; dessen ungeachtet ist aber unsere
Kenntniss vom Wesen des Glaukoms noch nicht vollständig.
Nur so viel scheint festzustehen, dass die Ursachen der Druck-
steigerung verschiedener Natur sein können.
Zur Zeit der 60 er und Anfang der 70 er Jahre wurden
experimentelle Versuche auch betreffs der Einwirkung des
Eserins and Atropins auf den Augendruck unternommen. Diese
Forschungen bezweckten jedoch nicht, die Wirkung dieser Mittel
auf das Glaukom festzustellen, sondern hatten ein rein theore-
tisches Interesse. Man war zu dieser Zeit mit der Entdeckung
der curativen Wirkung der Iridektomie so zufrieden, dass man
kaum glaubte, anderer Mittel gegen das Glaukom bedürftig zu
sein und deshalb die weniger auffallende Wirkung des Eserins
622 V. Grönholin.
ond Atropius übersah. So instillirte z. B. v. Graefe (12) I
Eserin in Glaukomaugen, um die Iridektomie zu erleichtern.
bemerkte aber davon keine therapeutische Wirkung; im Gegen- i
theil erwartete er dieselbe vom Atropin.
£s war erst einer späteren Zeit, 1876 (Laqaenr (42
und Ad. Weber (41)) vorbehalten, zur vollen Evidenz za be-
weisen, dass das Eserin den intraoculareu Druck bei Glaukom
herabzusetzen und prodromale Glaukomanfälle zu verhindern,
aufzuschieben oder zu mildern vermag, dass das Atropin wiederum
den Druck hebt, sowie in dazu disponirten Augen den glau-
komatösen Anfall direct hervorruft. Jetzt ist diese Thatsache
durch klinische Beobachtungen so sicher festgestellt, dass die
Einträufelung von Atropin in glaukomatösen Augen als einer
der grössten und ge^rlichsten Fehlgriffe, die ein Augenarzt
begehen kann, anzusehen ist. Nur bei atypischen Glaukom-
formen sei dieses versuchsweise erlaubt |
Der Antagonismus, der auch in dieser Hinsicht zwisdien
Eserin und Atropin existirt, macht es nothwendig, in der ge-
schichtlichen Uebersicht über das Eserin auch die Unter-
suchungen über das Atropin zu berücksichtigen.
Um im normalen Auge die kleinen Druckveränderungen
nach Eserin und Atropin zu messen, sind wir genauer, objec-
tiver Methoden bedürftig.
Bei gewissen pathologischen Zuständen, wie Iritis, Kera-
titis, kann man oft durch Fiugerpalpation eine Hypotonie nach
energischen Atropineiuträufelungen feststellen; für das normale
Auge aber giebt diese primitive Methode kein sicheres Resultat.
Das Manometer, von C. Weber (2) in die experimenteUe
Augenphysiologie eingeführt, ist zu diesem Zweck von den
meisten Forschern (Wegener (18), Grünhagen (15), Ada-
mük(16), Heusen und Völckers (17 und 27) u. A.), ange-
wendet worden. Anfangs war die Technik in mancher Hinsicht
fehlerhaft, besonders darin, dass man das Kammerwasser bei
Einführung der Canüle oft ausfiiossen Hess, und dass die Druck-
veränderuugen nicht durch Zusatz oder Wegnahme der Flüssig-
keiten, womit das Manometer gefüllt war, compeusirt wnrdea
wodurch die Circulations- und FlüssigkeitswechselverhältDisse
abnorm wurden. Erst v- Schulten (52), Höltzke (55) und
Gras er (56) wussten in einer ebenso wirksamen, wie einfachen
W^ise diese Fehlerquellen zu entfernen, indem sie dem Mano-
meter einen Flüssigkeitsbehälter hinzufügten, wodurch der Mano-
meterdruck jeden Augenblick regnlirt werden konnte.
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 623
Die Tonometrie, welcher früher mit Misstrauen begegnet
worden war, scheint nach Einführung der Instrumente von
Fick (68) nnd Maklakoff (57 und 80) einen gewissen Grad
von Vollendung und Genauigkeit erreicht zu haben.
Unter den Methoden zur Schätzung des intraocularen
Druckes sei hier zunächst noch die ophthalmometrische (Helm-
holtz(5 und 16), Schelske (14), Cocciu8(37), Reu8s(48),
Ei8sen(73) u. A,), sowie die von Krückmann (89) erfundene
Reizhaarmethode erwähnt. Die erstere gründet sich auf einen
supponirten Einfluss des intraocularen Druckes auf die Grösse
des Cornealradius, scheint aber keine sicheren Resultate zu
geben. Die zweite erlaubt durch Veränderungen der Hornhaut-
sensibilität Rückschlüsse auf den Druck zu ziehen.
Vermittels dieser Methoden hat man, was die Einwirkung
des Eserins und Atropins auf die Spannung des normalen
Auges betrifft folgende Resultate erhalten.
V. Graefe (17 S. 223) glaubt durch Experimente an
Thieren sich davon überzeugt zu haben, dass das Atropin
den intraocularen Druck erniedrigt, giebt aber nicht an,
welcher Methode er sich bedient hat.
Zehn bis zwölf Jahre später wurden von Adamük(16),
und Wegner (18) Manometerversuche veranstaltet, welche die
Angabe y. Graefe's bestätigten. Wegner, der an Kaninchen
experimentirte, fand, dass Atropin „örtlich oder allgemein an-
gewendet, die Spannung des Bulbus bedeutend vermindert'*,
und Adamük verzeichnete bei Katzen und Hunden eine ^/^
bis 1 Stunde dauernde Herabsetzung von 2 — 3 mm Hg.
Galabarextract (1:300) ruft dagegen nach Adamük
1^16) immer eine Steigerung des intraocularen Druckes von
1 — l^g — 2 mm Hg hervor.
V. Hippel und Grünhagen (15 und 28) bemerkten bei
Kaninchen keine Veränderung des Manometerstandes nach
Einträufelung von Atropin und Eserin; bei Einspritzung von
Calabarlösung in die Blutbahn fanden sie dagegen, dass der
intraoculare Druck nach einer vorübergehenden augenblicklichen
Steigerung abfiel. Concentrirte Lösungen, sowohl des Atropins
als des Eserins, erhöhten den Druck.
Leber (43, S. 375) erwähnt in zwei Fällen eine Herab-
setzung des Druckes nach Atropin gefunden zu haben.
An Menschenaugen haben Dor (25, S. 45 \ Monnik (34,
S. 85) und Pfltiger (36j mit Tonometern verschiedener Art
den Einfluss des Atropins geprüft und überhaupt Herab-
624 V. Grönholm,
Setzung des Druckes constatirt; in manchen Fällen trat je-
doch keine Veränderung ein und bisweilen wurde sogar eine
Steigerung beobachtet.
Diese Versuche wurden gemacht, ehe das £serin in die
Glaukomtherapie eingeführt wurde. Es muss zugestanden werden,
dass die Resultate derselben, weit entfernt davon zur Anwen-
dung des Mittels bei Steigerung des Augeudruckes zu ermuntern,
im Gegentheil von jedem Versuche in dieser Richtung hätten
abrathen sollen. Die Erhöhung der Schmerzen, die die Folge
der Eserineinträufclung bei einem Glaukomauge zu sein pflegt,
könnte als ein directes Zeichen einer Verschlimmerung dieser
auch sonst schmerzhaften Krankheit gedeutet werden. Da»s
das Eserin dessen ungeachtet versucht wurde, das verdanken
wir der Eenntniss von der Fähigkeit des Atropins den glau-
komatösen Zustand hervorzurufen oder zu verschlimmern.
(Laqueur(4ö) erwähnt darauf bezügliche Beobachtungen von
Wharton Jones, v. Graefe (26 S. 117), Warlomont.
Mooren (40 S. 55). Hirschberg (39 S. 157), Bezold), wäh-
rend das Atropin für das normale Auge sich immer als ein
druckherabsetzendes Mittel gezeigt hatte, und wegen dieser
Eigenschaft früher weite Anwendung auch in der Glaukoni-
therapie, unter anderen durch v. Graefe (vergl. 4 S. 303.
8 S. 488, 30 S. 252), gefunden hatte. Jetzt sagt Laqueur
(45 S. 158), „dass das Atropin ein den intraocularen Druck
erhöhendes Mittel ist, dass diese Wirkung aber nicht in die
Erscheinung tritt, so lange die die Circulation regulirendeu
Einrichtungen gut functioniren^^ Das Physostigmin hinwieder
setzt, nach Laqueur (45 S. 172), im normalen Menschenaage
den Druck nicht merklich herab, und auch im Kaninchenauge
ist kein Eintiuss auf die intraoculare Spannung nachweislich;
in Glaukomaugen aber ist „die Druckherabsetzung constant*'
und dos Physostigmin übt ,,einc unverkennbare, günstige Ein-
wirkung'' in den acuten Anfällen aus, so dass „nach zweitägi-
ger Anwendung die Heftigkeit des Anfalls gebrochen ist" (45
S. 168).
Unabhängig von Laqueur hat auch Ad. Weber (41) zu
derselben Zeit das Eserin angewendet, ist aber dabei za an-
deren Resultaten, sowohl in Bezug auf die Indicatiooen der
PiSerintherapie, als die Wirkungsweise des Mittels gekommen.
Er behauptet, dass in normalen Augen eine Ungleichheit in
der Spannung der Sklera und der Cornea existire, die mit
dem Tonometer nachgewiesen worden könne. Das Eserin stei-
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 625
gere die Spannung der Sklera, setze dagegen die Corneaspan-
niing herab. Das Atropin habe eine entgegengesetzte Wirkung.
Der Grand sei, dass die Iris vom Eserin angespannt wird und
gegen den Glaskörper drückt, während der Kanimerraum ver-
grössert wird. Diese Steigerung des Glaskorperdruckes hat er
auch in einem Fall von Glaucoma simpIex beobachtet; eine
der Arteriae ciliares anteriores konnte nämlich nach Einträu-
felung von Eserin weit leichter durch äusseren Fingerdruck
entleert werden, als vor der Einträufelung. Also warnt Weber
(46 S. 91) vor dem Eserin. Es sei einer „enormen Kraft-
äussorung'^ fähig, so dass das Gesichtsfeld vernichtet werden
und Berstungen der Blutgefässe durch Hyperaemie dos Ciliar-
körpers entstehen können.
Nachdem einmal der Anfang gemacht worden war, dauerte
CS nicht lange, ehe die Eserintherapie für Glaukom allgemein
acceptirt wurde. Es liegt jedoch nicht in dem Plan dieser
Arbeit, den Werth dieser Therapie näher zu behandeln. Wir
vorweisen die Interossirten auf die Literatur.
Es darf nicht Wunder nehmen, dass die Untersuchungen
über die Einwirkung der Mydriatica und Miotica durch diese
Entdeckungen neuen Anstoss fanden.
Reinhardt (49) hat nicht perforirende Geschwüre ver-
schiedener Dimensionen an der Kaninchencornea angelegt und
die Regeneration unter Atropin- und Eseringebrauch studirt.
24 Stunden nach Anlegung des Geschwürs ist der Grund auf
der Eserinseite weniger hervorgebuchtet und resistenter als an
der Atropinseite. Wird nun aufs Neue Eserin eingeträufelt,
so wird der Geschwürsgrund, während die Miose dauert, wie-
der mehr resistent. Pflüg er (54) glaubt jedoch, dass dies
zum grössten Theil auf einer grosseren oder geringeren Quol-
lung des Corneagewebes beruhe.
Pflüger (54), der Leber*s Manometer und Kammer-
canüle benutzte, fand, dass Atropin Druckherabsetzung,
Eserin dagegen Drucksteigerung erzeugt.
Zu theilweise entgegengesetztem Resultat sind Höltzke (55)
und Graser (56) mit dem verbesserten Doppelmanometer ge-
kommen. Sie benutzten Katzen und fanden, „dass Eserin
(concentrirte Lösung) den Kammerdruck um ein Bedeutendes
zu erhöhen im Stande ist, dass aber die durch Eserin bewirkte
Miose diesen steigernden Einfluss nicht nur aufhebt, sondern
den Druck in der Kammer noch unter den physiologischen
Mittelwerth herabdrückt. Atropin hat sicher keine direct er-
626 V. Grönliolm.
höhende Wirkung, es steigert aber den Kammerdruck betracht-
lich durch seine pupillenerweiterndo Kraft. Im nicht vergifte-
ten Auge steigt der Kammerdruck mit Erweiterung und sinkt
mit Verengerung der Pupille" (55 S. 18). Hiermit ist also
auch eine Erklärung der Wirkungsweise des Atropios und
fZserins gegeben.
Um diese Ergebnisse zu controliren, machte Stocker (62)
auf den Vorschlag Pflüge r*s eine Reihe von Untersuchungen
au curarisirten Katzen. Auch er benutzte ein Doppelmano-
meter nebst einer Kammercanüle und beobachtete, dass eine
1 **/o-ige Eserinlösung den Druck primär steigert, dann aber mehr
herabsetzt, als sie ihn zuvor gesteigert hatte. Eine primäre
Herabsetzung der Spannung kommt nicht vor. Atropin be-
wirkt langsame Herabsetzung der Spannung.
Dies sind die letzten Untersuchungen an Thieren. An
Menschenaugeu sind neuerdings von Golowin(88) genaue Mes-
sungen mit Maklakoff's Tonometer (80) ausgeführt worden,
dessen Emptindlichkeit früher von Ljachowitsch (81) geprüft
und befriedigend gefunden war. Eserin 1®/q, einmal einge-
träufelt, verursacht nach Golowin bei Kaninchen eine kürz
(lauernde, scharf ausgesprochene Druckerhöhung, auf die eine
zwar geringe, aber lang dauernde Druckverminderung folgt;
nach wiederholten Einträufelungen sehr geringe Druckvermio-
derung. Bei Menschen mit Tn beträgt die kurz dauernde Er-
höhung 2 — 3 mm Hg, die darauf folgende dauernde Vermin-
(lornng 3 — 5 mm Hg, die durch wiederholte EinträufeluDgeQ
erhalten wird. Bei T+ gicbt das Eserin (1 ®/o) eine kurze
(15 — 1?() Minuten), nicht constante geringe (3 — 5 mm Hg") Druck-
erhöhung, darauf aber eine anhaltende (bis 24 Stunden dauernde)
Druckverminderung, im Mittel 15 mm Hg, meist mehr als
20mm Hg. Das Maximum des Druckes tritt meist erst nach 2 Vg bis
3 Stunden nach der Eserineinträufelung ein. Wiederholte Eserin-
einträufelungen unterhalten oder steigern die Druckverminde-
rung. Atropin, 1®/q, verursacht beim Kaninchen erst eine ao-
bedeutende Drucksteigerung, dann eine nicht constante, geringe
Druckverminderung. Im normalen Menschenauge tritt nach
Atropin keine merkbare Veränderung des Druckes ein, beim
Glaukom aber giebt das Atropin schon bei einmaliger Ein-
träufelung eine bedeutende, einige Stunden dauernde Drnck-
erhöhung, die durch Wiederholung der Einträufelungen unter-
halten wird. Auch eine 2"/(>-ige Cocainlösung giebt sowohl im
Kaninchen- als auch im normalen Menschenauge eine kurzdauernde
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 627
Drnckcrhöhung. Golowin glaubt die Ursache des bedeuten-
de q Unterschiedes in der Wirkung der Alkaloide auf das ge-
sunde und das glaukomatöse Auge in abnormen Zuständen der
Gefässe des Auges suchen zu müssen.
Krückmann (89) behauptet, er habe mit seiner Reiz-
haannethode nach Eserin erst Verminderung, dann Erhöhung
der Corneasensibilität nachweisen können und sagt: „Die Aen-
demngen der mechanischen Reizschwelle verliefen entsprechend
der Erfahrung, dass Eserin und Pilokarpin zuerst den Druck
erhöhen und dann herabsetzen, sowie dass nach Atropinein-
träufelungen die Erhöhung einer vorausgegangenen Erniedri-
gung folgt".
Auch die Geschwindigkeit des Augenstoffwechsels unter
Einwirkung von Atropin und Eserin ist Gegenstand experi-
menteller Untersuchungen gewesen.
So hat Adamük (31, 33 und 43) mit Beihilfe eines von
Hering angegebenen Apparates nachgewiesen, dass das Atro-
pin die Absonderungsgeschwindigkeit des Humor aqueus ver-
mindert.
Ulrich (54) hat durch subcutane Injection von Blut-
laagensalz und Eisenchloridbehandlung des enucleirten Auges
Beschleunigung der Flüssigkeitsströmung im Eserinauge, Ver-
langsamung derselben im Atropinauge gefunden, eine Beobachtung
dio Pflüger (54) mit hypodermatischen Fluorescininjectionen
nicht bestätigen konnte. Snellen(67) dagegen hat die Fluo-
rescinlösung in die vordere Kammer „rascher und mächtiger"
übergehen sehen, wenn Eserin eingeträufelt wurde, als wenn
das Auge atropinisirt war. Staderini(78) hat beobachtet, dass
Eserin die Resorption körperlicher Elemente (Tusche und
Zinnober) aus der Kammer befördert, Atropin dieselbe ver-
langsamt.
Wie wir gesehen, haben die experimentellen Versuche
nicht übereinstimmende Resultate gegeben. Die älteren Autoren
haben nach Calabar immer Erhöhung des Druckes im normalen
Auge' beobachtet, nach Atropin wieder Herabsetzung. Diese
Beobachtungen stehen in directem Widerspruch zu klinischen
Thatsachen, Glaukomaugen betreffend. Die Forscher dagegen,
welche ihre Versuche nicht gleich beendeten , sondern das
weitere Resultat beobachten wollten, haben nach der pri-
mären Druckerhöhung eine dauernde Erniedrigung nach Eserin
gesehen, was mit der Wirkung des Mittels an Glaukomaugon
übereinstimmt. Die Untersuchungen über die von dem Eserin
628 V. Grönholm.
verursachten Flüssigkeitswechselalterationen müssen noch als sehr
lückenhaft bezeichnet werden.
Wir wollen jetzt die Erklärungen, welche über die
Wirkungsweise des Eserins bei Glaukom gegeben worden sind,
besprechen.
Dieselben können zweckmässig in folgende drei Theorieen
eingetheilt werden:
1. Die Iristheorie.
2. Die Blutgefässtheorie.
3. Die Uvealspannungstheorie.
1. Die Iristheorie behauptet, die Wirkung des Eserins
hänge von Trennung der Iriswurzel von der Peripherie der
Cornea ab, wodurch die Filtrationswege im Fontana'schen Räume
geöffnet werden. Die Iriswurzel kann entfernt werden, sowohl
dadurch, dass sie sich bei der Pupillarcontraction verdünnt
und also weniger Raum einnimmt, als auch daBurch, dass sie
durch gleichzeitige Contraction des Ciliarmuskels und des
Sphinkter pupillae nach hinten gezogen wird. Der Ciliar-
muskel entspringt vorn nicht nur von der Sklera, sondern
auch von dem Mascheunetz des Ligamentum pcctinatum, dessen
Maschen sich vermuthlich durch Zug des Muskels erweitem
können.
Weil die Iristheorie der allgemeinen Erklärungs weise über
die Entstehung des Glaukoms am nächsten steht, dürfte sie die
meisten Anhänger zählen.
Bekanntlich wurde die Bedeutung des Kammerwinkels för
die Filtration des Auges durch die grundlegenden Unter-
suchungen Leber's'^SS) festgestellt.
Weber (46) und Knies (44) haben zuerst gezeigt, dass
bei Glaukom dieser Abfiussweg der intraocularen Flüssigkeiten
durch die Anlagerung, resp. Verwachsung der Iriswurzel mit
der Cornea verengert ist.
Ueber das Eserin sagt Weber (46 S. 90): „Ich glaubt»
also wohl, dass man diesem Muskel (Sphincter pupillae), die
Aufgabe auferlegen darf, den mit der Kraft des glaukomatösen
Druckes eingeklemmten Irisursprung zu degagiren, und gleicher
Weise den Circulärfasern eines hypermetropischen Ciliarmuskels
die nicht minder bedeutende Leistung, die nach aussen drän-
genden Ciliarfirsten von ihrer Anlagerung an die Cornea ab-
zuhalten^^
Knies (83) hingegen neigt mehr der Blutgef&sstheorie zu.
In einem Vortrage „Zur Behandlung des Glaukoms^ in
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 629
der Versammlung der Ophthalm. Gesellschaft 1882 bespricht
Pflüger (54) ausführlich auch die Indicationen der Eserin-
therapie. Die Wirkung der Mydriatica und Miotica sei unter
physiologischen Verhältnissen eine andere, als bei glaukoma-
tösen Zuständen, wo solche Effecte ausgelöst werden, welche
iiormaliter den intraocularen Druck nicht verändern. So z. B.
spielt die Verdickung der Irisperipherie durch Atropin unter
normalen Verhältnissen keine Rolle, kann aber bei Glaukom,
wo die Kammer seicht ist, eine Zustopfung des Kammerwinkels
verursachen. Die Hypotonie nach Atropin hänge von der
narkotisirenden Kraft des Mittels ab; das Atropin beruhige die
Nervenendigungen des Trigeminns, welcher Secretionsnerv des
Anges sei. Die primäre Drucksteigemng nach Eserin beruhe
wieder auf Trigeminusreizung, sie wird aber im Glaukomauge
durch die Eröffnung der Filtrationswege über com pensirt. Die
Lähmung des Ciliarmuskels hat, nach Pflüger, keinen Ein-
fluss auf die Spannung des normalen Auges, es sei aber denk-
bar, dass sie den Status glaucomatosus verschlimmere. Die
Contraction der Blutgefässe nach Eserin wirke nicht auf die
Spannung zurück.
In der Discussiou sagt Arlt (54), er könne nicht recht
verstehen, wie das Atropin durch seine Wirkung auf die Iris
den Filtrationsprocess beeinflussen soll. Laqueur(54) spricht,
wie früher Stellwag von Carion(ll), den experimentellen
Thierversuchen jede Bedeutung ab, weil die Verhältnisse durch
die in's Auge eingeführte Canüle zu sehr verändert werden.
Die Ansicht Pflüger's wird von Schirmer (92 S. 206) und
Wagenmann (92, S. 209) getheilt. Später scheint Pflüger
(92, S. 213) der Contraction der Gefässe doch eine gewisse
Bedeutung zuschreiben zu wollen, besonders in solchen Fällen,
wo sich die Eserinwirkung trotz mangelhafter Miosis geltend
gemacht hat.
Die Iristheorie scheint durch die Untersuchungen Höltzke's
(55) und Gra8er'8(56) gestützt zu werden. Wie schon oben
gesagt, behaupten sie nämlich, dass die Druckherabsetzung nach
Eserin auf der Miose und die Drucksteigerung nach Atropin
auf der Mydriasis beruhe. Die Veränderungen der Pnpille
stehen in directem zeitlichem Zusammenhange mit denen des
Druckes. Diese Behauptung wird von Stock er auf Grund
seiner Experimente bestritten. „Das Pupillenspiel" sagt er,
(62, S. 150) steht nicht in nothwendigem , ursächlichem Ver-
hältniss zur Steigerung oder Verminderung des Druckes im Auge*'.
630 V. Grönholm.
Bei grösster Atropinmydriase war der Druck am kleinsten. —
Stocker (62, S. 144) nimmt an, dass die primäre Drncksteige-
rung nach Eserin auf Trigeminusreizung, die primäre Herab-
setzung nach Atropin auf Trigeminuslähmung (Narkotisirung>
beruhe. Der Trigeminus sei der Secretionsnerv für's Auge.
Ueber die Ursachen der Hauptwirkung der beiden Mitte] äussert
er sich nicht.
Auch Krtickmann(89) beobachtete, dass „die Weite und
Enge der Pupille mit der primären Erniedrigung und Er-
höhung des intraocularen Druckes nicht zeitlich coincidirte,
sondern meistens früher auftrat", und stellt deshalb die Druck-
veränderungen mit der Accommodation in causalen Zusammenhang.
Nach Stilling (59) verursachen die Miotica durch den
Accommodationskrampf eine theil weise Entleerung der vorderen
Kammer; Atropin dagegen reizt die secretorischen Augennerven.
Priestley Smith (61 und 70, S. 243), der werthvolle
Beiträge zur Glaukomlehre geliefert hat, spricht sich sehr zu
Gunsten der Theorie der Dickenzunahme der Irisbasis aus, und
Önellen (67, S. 245) sagt: „Durch Reizung des Sphincter
iridis und des Ciliarmuskels ziehen die Miotica die Irisbasis
zurück, — — aber unter Umständen schaden sie, indem sie
abnorme Erschlaffung der Zonula hervorbringen, wobei jede
Druckerhöhung im Glaskörper die Linse nach vorne drängen
würde".
Einen abweichenden Standpunkt in der Eserinfrage nimmt
Schön in Uebereinstimmung mit seiner Accommodations- und
Glaukomtheorie ein; seine Ansicht kommt der Iristheorie noch
am nächsten. Ich will über Schön (92, S. 210) nur kurz re-
feriren: „Atropin erschlafft den Ciliarmuskel und begünstigt
das Vorrücken des Linsensystems. — Eserin verstärkt den
Tonus des Ciliarmuskels und erleichtert ihm zeitweilig das
Zurückhalten des Linsensystems. Hat die Leistungsfähigkeit
der äusseren und inneren (Ciliar-)Mu8keln durch den Glaukom-
Vorgang nicht gleichmässig Einbusse erlitten, so wirkt das
Eserin auch nicht gleichmässig auf beide. Entwickeln nun die
inneren Meridionalfasern eine erheblich geringere Kraft, als
die äusseren, so bewirkt das Eserin gerade dem Wunsche ent-
gegen ein Vorrücken der Linse, statt es zu verhüten".
Neuerdings ist es Heine (100) gelungen, das Affenaage
im accommodirten und ruhenden Zustande zu fixiren und so
der mikroskopischen Untersuchung zugänglich zu machen. Es
zeigte sich im Eserinauge der Ciliarmuskel nach vorn und
Experiment. Untersuch« über die Einwirkung des Eserins etc. ($31
innen verlagert, der Muskel hatte hyperopische Form und
der Fontana*6che Balkenraum war entfaltet Diese letzt-
erwähnte Beobachtung ist fUr die Eserinfrage von grossem
Interesse; es bleibt aber noch übrig zu zeigen, dass die Fil-
tration durch einen so entfalteten Balkenraum leichter und
schneller erfolgt, als durch einen gewöhnlichen.
2. Die Blutgofässtheorie. Schon in seinen ersten
Au&ätzen bespricht Laqueur (42 u. 45) auch die Ursachen
der Druckherabsetzung nach Eseriu. Er will „der Verkleine-
rung der Pupille und der damit gegebenen Yolumzunahmo und
stärkeren Blutfülle der Iris nur eine sehr untergeordnete Be-
deutung für die Herabsetzung des Druckes beimessen. Es tritt
nämlich bei den acuten Formen des Glaukoms die Druckver-
minderung zu einer Zeit ein, in welcher die Pupille eine kaum
merkliche Verkleinerung erfahren hat uud kann schon voll-
ständig sein, während die Pupille noch ansehnlich erweitert
ist. Zu einer maximalen Miosis kommt es überhaupt nicht,
so lange noch eine pathologische Injection besteht. — Die
Druckherabsetzung kommt auch an iridektomirten Augen zu
Stande. — Es wäre nun wohl denkbar, dass in Folge der
miotischen Bewegung die Irisperipherie von ihren pathologi-
schea Adhärenzen befreit würde, ohne dass die Pupille sich
erheblich zu verkleinern brauchte. „Wahrscheinlich^^ fährt er
jetloch fort, „handelt es sich hierbei um — eine durch das
Physostigmin hervorgebrachte Contractiou der Chorioidealgefässe
und eine in Folge derselben verminderte Filtration in den Glas-
körperraum'S Knies (83) spricht sich in demselben Sinne aus.
Als Beweis wird angeführt, dass erweiterte Conjunctivalgefässe
bei Eseringebrauch sich verengern können und dass die Con-
junctivalsecretion, wie Wecker beobachtet hat, nach Staar-
operationen auffallend sparsam ist, wenn Eserin eingeträufelt
wird« Laqueur fügt hinzu: „Ein positiver Beweis für die
Wirkung vermittelst der Chorioidealgefässe könnte erbracht
werden, wenn es gelänge, die Caliber der grösseren Aderbaut-
gefässe vor und nach der Application des Physostigmins genau
zu bestimmen^^
Bei dieser Betrachtungsweise scheint Laqueur(92, S. 175)
auch später geblieben zu sein, wenigstens schreibt er der Miose
keine druck vermindernde Wirkung zu. Durch diese Theorie
wird nur die Hypotonie erklärt, nicht aber die Drucksteigerung
nach Eserin.
Bei ßeurtheilung der Blutgefässtheorie sind Adamük's
▼. Onefe'8 Archir fQr Ophthalmologie. XLIX. 3. 41
632 V. CMnholm.
Untersuchungen über das Atropin von Bedeutung. Er hat durcfa
eine grosse Menge Versuche über die Einwirkung des Blut-
druckes und des Tonus der Blutgefässe auf den intraocularen
Druck festgestellt einerseits: „que la pression intraocnlaire est
le rösultat de la pression laterale que subissent les Taisseaux'',
(33, S. 108) andererseits dass ^la filtration (nämlich der Augen-
flttssigkeit aus den Blutgefössen = die Secretion^ pent etre
consid^rtfe comme inversemont proportionnelie ä Tetat de toni-
cit^ des vaisseaux^, und fasst danach seine Ansicht Ober den
Grund der Atropinhypotonie folgendermaassen zusammen (33,
S. 111): ,,Par cet ^tat des vaisseaux dans Toeil s'expliquent
tous los untres symptömes. Les vaisseaux retr^cis limitent,
pnr la condensation de leurs parois, la transsudation actiTe
des liquides; de Tautre cöt^, ces parois retiennent unc partie
consid^rable de la pression du sang, d^oü r^ulte une dimino-
tiou de la pression extra-vasculaire. C*est dans ces deux seales
influences que nous devons chercher la cause de Tabaissement
de la pression intra-oculaire qui sc remarque pendant TactioD
de Tatropine". "Wie es scheint, schreibt Adamük dem Atro-
pin dieselbe Wirkung zu, welche nach Laqueur dem fiseno
zukommen soll. Vom Eserin sagt Adamük (33, S. 113): J'al-
caloide du calabar produit sur les yeux une teile irritation,
que nous n*avons pas de criterium certaiu pour en s^parer les
actions spdcifiques de celles caus^es par rirritation'\
Die Untersuchungen über die Wirkung der Alkaloide auf
den Organismus überhaupt sprechen entschieden für die La-
queur*sche Auffassung. Das Eserin ist nämlich allgemein als
ein Mittel zum Zusammenziehen der Blutgefässe und der gesaromten
glatten Muskulatur erkannt worden, das Atropin wieder lähmt die-
selben (v. Bczold und 6örtz(22), Blöbaum(21), Menriot
(23), Fräser (11), v. Hippel und Grünhagen (28, S. 271),
Harnack und Witkow8ky(36), P. Schultz(98) u. A.) Nach
Escrineinspritznng sah F. Bauer (20) an Katzen spastische
Stricturen in den Meson terialvenen und Derbwerden der Milz
durch Blutgefässkrampf; nach Atropin beobachtete Wegner (18,
S. 16) Dilatation der Gefässe am Ohre des Kaninchens.
Aehnliche Beobachtungen sind auch an den Blutgeffissen
des Auges gemacht worden. So haben Wegner (18, S. 17)
und Coccius (29, S. 104) an den Irisgefilssen, Schneller (9,
S. 156) an den Chorioidealvenen Erweiterungen nach Atropin
gesehen. Mohr (47, S. 171), Assistent bei Ad. Weber, giebt
an, man könne am Menschen nach Eserineinträufoinng gewisse
Experiment Untenach. Ober die EinidrIniDg des EBerins ete. 833
warnilönirige Bewegungeii in den Retinal^flissen beobachten,
Bewegnngen, die acht bis zehn Mal in der Minute sich wieder-
holen and von den Henoontraetionen nnabhftngig seien. Die-
selben hat er aach an den Ghorioidealgeftssen des Kaninchens
a» einzelnen Stellen beobachtet. In den kleinsten Arterien
am Sklerallimbus des Menschenaoges und in den Arterien der
Froschschwimmhant erzeugt das Eserin Palsationen. Im Gegen-
satz dazQ stehen die Angaben von v. Hippel and Grflnhagen
(28, S. 234) und von Jegorow (58), welche weder entoptisch
noch mit dem grossen Liebreich'schen Ophthalmoskop Yer-
ändernngen der Retinalcirculation nach Atropin and Cahibar
gesehen haben.
3. Die Uvealspannnungstheorie geht von dem Henle-
sehen Satze ans, dass kein anderes Gewebe als das des Mer-
kels einem langer dauernden Druck Widerstand zu leisten
vermag. Im Auge kommt dem Masculus tensor chorioi-
deae und den Muskelfasern der Chorioidea, sowohl den Blut-
gefässen zugehörenden, als den davon separat liegenden (H.Mttller
(6 u. 10), Haase (24, S. 60 ujid 71), Nikati (77)), diese
Funktion zu. Der intraoculare Druck wird also normaliter
nicht von der Sklera, sondern von der Chorioidea getragen.
Straub (65 und 74), wodurch die Suprachorioidealspalto und
die neben derselben verlaufenden Venen und Nerven dem Ein-
fluss des Druckes entzogen werden. Erlahmt ans irgend einer
Ursache dieses Muskelnetz, so ruht der ganze Druck auf
der Sklera, die Chorioidealvenen, besonders die Venae vorti-
cosae, werden comprimirt, Blutstauung tritt ein, der Druck
steigt und das Glaukom ist da. Werden jetzt Miotica insti]Iirt
und das Muskelnetz dadurch zur Contraction gebracht, so wird
der auf den Yenen lastende Druck erleichtert, das Blut fliesst
ab, die Hypersecretion hOrt auf, die Iris findet Gelegenheit,
sich von der Cornea zurflckzuziehen, wodurch die Fontana*
sehen Räume geöffnet werden und der Flüssigkeitsabfluss aus
dem Bulbus zunimmt. Der Glaukomanfall ist vorbei.
Diese Theorie erklärt sowohl die primäre Drucksteige-
rung — die Chorioidea, resp. der Ciliarmuskel versetzen bei
ihrer Contraction den Glaskörper unter erhöhten Druck — ,
als die Druckherabsetzung.
Leider sind die Beweise für diese Ansicht weder zahl-
reich noch vollgültig. Straub (74, S. 57) führt nur die Be-
obachtung an', dass die Chorioidea nicht durch ein an passen-
der Stelle gemachtes Skleralfenster von dem normalen intra-
41*
634 •' V. Grönholm.
ocalaren Druck hervorgebuchtet werde, und dass in Glaukom-
äugen die Elasticität der Chorioidea vermindert zu sein scheint
(66). Er sagt (65, S. 268): „Die vorgetragene Pathogeaesis
— scheint mir, auch wenn sie eine Phantasie ist, die
beste Demonstration der Bedeutung der Chorioidealspannung nn
normalen Auge zu sein'^.
Insofern mir bekannt, sind neue Belege fOr die Richtig-
keit dieser Theorie später nicht vorgebracht worden, viel-
mehr hat Kost er (85, S. 81 u. folg.) die Beobachtungen, auf
welchen sie beruht, nicht bestätigen können.
Auch Nicati (82, S. 165 u. 383) schreibt dem Musculus
tensor chorioideae grosse Bedeutung für die Regulirung des
intraocularen Druckes zu; derselbe sei „le principal motenr et
producteur de tension^'. Der Grund dieser Behauptung scheint
jedoch höchst unsicher zu sein. Nicati meint, er sei im
Stande gewesen mit seinem Tonometer an eben getödteten
Augen noch Drucksteigerungen zu erhalten, welche er als Aus-
druck einer postmortalen Contraction des Ciliarmoskels anf-
fasst, und glaubt deshalb eine Glaukomform „par paralysie du
tenseur^^ neben „glaucome par non ^coulement de Thnmeor
aqueuse^^ aufstellen zu können.
Die Idee, dass die Accommodation den intraocularen Druck
beeinflusse, hat die hervorragendsten Forscher (v. Helm hol tz
(5, S. 68), H. Müller (7, S.23), Schneller (9, S. 131 u. 160),
Coccius(29, S. 50, 69, S. 199), Förster(13), Adamük(16,
S. 563) u. A.) interessirt, obgleich nur wenige eine Glaukom-
theorie darauf haben aufbauen wollen.
Auch experimentelle Versuche liegen vor. Hensen und
yölcker8(17) haben bei elektrischer Reizung der Ciliarnervea
des Hundes keine Aenderung in ihrem Wassermanometer er-
halten, trotzdem eine in die Chorioidea eingeführte Nadel durch
ihre Bewegung deutlich zeigte^ dass sich der Ciliarmuskel bei
Reizung contrahirte. Wenn dann die Cornea entfernt wurde,
zeigte sich bei Reizung „eine Hebung des Wassermeniscns^ im
Manometer nebst Yergrösserung eines Glaskörpervorfalles. Die
Autoren können zu Folge dessen die Frage nicht mit Sicher-
heit beantworten, sondern behaupten, „dass jedenfalls doch
eine kleine Druckvermehrung im Glaskörper sich bei der Muskel-
contraction macht^\
Sattler (60) hat diese Versuche wiederholt und gefunden,
dass beim Hunde jede mit elektrischem Strom erhaltene llc-
commodationsanstrengung im Glaskörper eine Druckvermehrong
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 685
von 2 — 4 mm Hg yerursacht. Er fügt hinzu, dass diese Dnick-
steigernng mit dem Glaukom nichts zu thun habe, weil durch
Contraction des Ciliarmnskels die Lympbwege schnell geOffnet
werden und der Druck sich ausgleicht.
Fick und Garber(76) haben mit Fick's Ophthalmotono-
metlBr durch Beizung des Ganglion ciliare kleine Drucksteige-
rungen erhalten, die jedoch innerhalb der Grenzen der Beob-
achtungsfehler stehen können. Der Augenhintergrund erbleichte
jedesmal bei Reizung des Ganglion ciliare bezw. des Ocnloraotorius.
Kessler (7^) schreibt dem Ciliarmuskel eine Pumpwir-
kung zu, wodurch die Augenlymphe längs der Venae Yorticosae
zum Tenon' sehen Kaum getrieben wird.
Grünhagen und Adamük (43, S. 374) haben dagegen
keine Aenderung des Aügendruckes beobachten können und
neuerdings ist auch Heine (95) zu demselben Resultat gekommen.
HC. Plan der Arbeit und UntersachnngsinethodexL
Die soeben referirten Ansichten über die Wirkungs-
weise des Eserins sind, wenigstens theilweise, aus den
Glaukomtheorieen entsprungen oder haben von ihnen Ein-
wirkung erfahren. Man ist von dem, was man von den
Ursachen der glaukomatösen Drucksteigerung kennt oder
zu kennen glaubt, ausgegangen und hat gemeint, dass das
Eserin eben auf diese Ursachen einwirke; zur Glaukom-
theorie hat man eine dazu passende Eserintheorie construirt.
Dieses Verfahren ist nicht wissenschaftlich. Es muss ein
anderer Weg eingeschlagen werden. Das oben Gesagte
gilt von der Uvealspannungstheorie und besonders von der
Iristheorie, welche von der Kammerwinkeltheorie des Glau-
koms ausgegangen ist, wogegen die Blutgefösstheorie sich
mit beinahe jeder Glaukomtheorie wohl vereinigen lässt,
wenn nur diese die Drucksteigerung als Grund des Glau-
koms erklärt. Die Autoren aber, welche diese Pathogenese
leugnen, wie z. B. Mauthner(53), welcher der Ansicht
ist, dass das Glaukom auf einem entzündlichen Process in
der Uvea beruhe, können keine Erklärung der wohlthätigen
Wirkung des Eserins geben (53, S. 292).
636 ^^' Grönholm.
Wir haben gesehen, daas sämmtliche bis jetzt über das
E&erin gemachte Untersuchungen ausBchliessIich darauf aus-
gingen, festEustellen, welche Einwirkung das Mittel auf den
intraocularen Druck und auf die Schnelligkeit des flüssig-
keitsstromes im Auge hat; die Resultate, zu denen man ge-
kommen ist, sind, dass das Eserin den Druck im normalen
Auge herabsetzt und die Geschwindigkeit des Flüssigkeits-
stromes zu beschleunigen scheint Aber diese Ergebnisse
erfordern eben so gut eine Erklärung, wie die Thatsache,
dass der Druck im Glaukomauge herabgesetzt wird; sie
erklären keineswegs, warum das Eserin den Druck im
glaukomatösen Auge herabsetzt, müssen aber ihrerseits &-
klärt werden.
Bei näherer Betrachtung der in der geschichtlichen
Uebersicht referirten „Eserintheorieen'' geht herror, dass in
diesen &st sämmtliche Umstände repräsentirt sind, welche
überhaupt den intraocularen Druck herabsetzen könneui ein
weiterer Beweis für die Unsicherheit, die in den hierher-
gehörenden Fragen herrscht
Der intraoculare Druck kann herabgesetzt werden da-
durch, dass
1. sich die Bulbuskapsel vergrössert, während die Gon-
tenta Bulbi ihren Umfang beibehalten; ein solcher Modus
der Entstehung der Eserinhypotonie kann nicht in Frage
kommen,
2. die Contenta Bulbi, entweder die Augenflüssigkeit
oder das Blut, abnehmen.
Die Augenflüssigkeit kann vermindert werden:
a) durch vermehrten Abfluss, Filtration aus dem Bul-
bus; auf diese Annahme gründet sich die Iristheorie,
b) durch verminderten Zufluss, Abnahme der Secre-
tion aus den Blutgefässen. — Es ist schwierig eine Eserin-
theorie allein auf die Verminderung der Secretion zu grün-
den, weil die Gesetze für die Secretion der Augenflüssigkeit
vorläufig wenig bekannt sind. Es ist unbekannt, in welchem
Experiment tJntenuch. Aber die Einwirkung des Eserins etc. 637
Verhältniss die secemirte Fliissigkeitsmeiige zum Blutdruck
oder zur filutfuUe des Auges steht, ja man kennt noch
nicht mit Sicherheit die Stelle, wo die Secretion vor sich
geht, ob in der Chorioidea oder im Ciliarkörper. Man
weiss nicht, ob die vordere Fläche der Iris, oder nur die
hintere an der Secreticm Theil nimmt (vgl. Wahlfors(50).
Schliesslich kann der Secretionsprocess selbst noch discu-
tirt werden, — ob er als eine Transsudation oder eine
Filtration aufzufassen ist oder von vitaler Thätigkeit der
Oapillargerässzellen und des Ciliarepithels abhängt
Die Blutmenge im Auge kann abnehmen:
c) durch verminderten Blutzuflnss bei Contraction der
Arterienwandungen; diese Wirkungsweise des Eserins wird
von der Blutgefässtheorie in Anspruch genommen,
d) durch erleichterten Blutabfluss längs der Yenae
Yorticosae, was in der Uvealspannungstheorie enthalten ist
Der Plan meiner Arbeit ist, jede von den oben ange-
deuteten Möglichkeiten für die Wirkung des Eserins nach
und nach einer experimentellen Prüfung zu unterwerfen.
Der Vollständigkeit wegen müssen zuerst die Angaben der
Autoren über die Einwirkung des Eserins auf den Druck
im normalen Auge einer Nachprüfung unterzogen werden.
Für unseren Zweck brauchen wir:
1. eine Methode zur Bestimmung des intraocularen
Druckes {10.%
2. eine Methode zur Messung der Flüssigkeitsmenge,
welche in der Zeiteinheit das Auge verlässt = die Filtra-
tionsgeschwindigkeit {FG.)f
3. eine Methode zur Messung der Flüssigkeitsraenge,
die in der Zeiteinheit von den Blutgefässen des Auges
secemirt wird = die Secretionsgeschwindigkeit (SG),
4. eine Methode zur Messung der Blutmenge im Auge«
5. eine Methode zur Beobachtung des Contractions-
zustandes der Arterien des Augenhintergrundes,
638 V. Grönholm.
6. eine Methode zur Bestirnmung der Einwirkimg der
üvealcontraction auf den intraoctdaren Druck und die Fil-
tration.
1. Methode zurBestimmung desintraocularen Drackel
Zar Bestimmmung des intraoculareo Druckes habe ich mich
theils des Manometers, das zu dem Leb er' sehen Filtrations-
manometer (91) gehört^ theils eines verbesserten Schulten-
sehen Manometers (52) bedient, von welchem alle unnOthigeD
Kautschucktheile . entfernt worden waren.
Mein Manometer besteht aas einem U-förmig gebogeneo
Glasrohr mit einem Lumen von 1 qmm, dessen absteigender
Schenkel nach aussen gebogen ist und direct in eine ca. 6 mm
lange Capi]larröhre, die mit einem Hahn abgeschlossen- wird,
übergeht. Der aufsteigende Schenkel ist oben nach abwärts
gebogen, um das Eintreten von Staub in die Röhre z« ver-
hindern. An der U-förmigen Biegungsstelle ist eine Pravaz'schc
Spritze aufwärts an die Röhre angekittet Der Stempel der
Spritze ist vermittelst einer Schraube auf und ab beweglich.
Der einzige dehnbare Theil des Manometers ist der Verbindoog»-
schlauch zwischen dem Hahn und der Augencanüle. Ulrich (64)
hat auch diesen entfernt, so dass sein Apparat aus einem ein-
zigen steifen Rohr besteht, mit welchem das Auge unbeweg-
lich verbunden ist. Ich gestehe, dass die Anordnuilg theore-
tisch richtig ist, bezweifle aber ihren praktischen Nutzen. Es
scheint mir, dass das Manometer dadurch schwer zu bandr
haben wird. Ich habe selbst bei Verbindung durch dickwan-
dige, kurze Gummiscbläuche und steife Katheter beobachtet,
dass bei dem Versuch des Thieres die Augen zu bewegen,
störende Druckalteratiouen durch die Wirkuug der äuisseren
Augenmuskel auftreten können. Dazu sind alle Eingriffe an
einem immobilisirten Auge in hohem Grade erschwert. Ich
bin deshalb stets zu dem beweglichen, circa 10 cm langen
Gummischlauche von 1^5 mm Lumen und 0,75 mm Wanddicke
zurückgekommen. Wird ein 10 cm langes, mit Flüssigkeit ge-
fülltes Stück dieses Schlauches mit einem Auge in Verbindung
gesetzt, worin der Druck 25 mm Hg ist, so tritt aus dorn Ange
1 cbmm Flüssigkeit in den Schlauch aus, und ist TO = 50 mm Hg,
so treten 2 cbmm aus. Damit der intraoculare Druck hierdurch
nicht verändert wird, muss diese Flüssigkeitsmenge ersetzt
werden, wozu ein Theil des Volumens der in das Auge ein-
geführten Canüle in Anspruch genommen wird.
Experiment Untersach. über die Einwirkung des Eserins etc. 639
Den intraocularen Drnck habe ich bald in der vordereh
Kammer, wobei ich die Leber'sche (38) Canüle anwendete,
bald im Glaskörper mit der Schalt^n*8chen Canttle gemessen.
Jene misst 0,75 mm im Diameter und liegt gewöhnlich in einek*
Länge Yon ca. 3 mm innerhalb des Bulbus, die Dicke der letz-
teren ist 2 mm, deren Lumen 1,5 mm im Diameter uud ddr
in das Auge eingeführte Theil beträgt etwa 7 mm. DieLeber'schb
Canflle nimmt also nur einen Raum Von 1,3 cbmm in Anspruch,
dem fast vollständig durch Ausdehnung des Schlauches entsprochen
wird; die Scbult^n'sche Canüle bedarf ca. 22 cbmm, die durch
Austritt eines entsprechenden Volumens von Glaskörper herbei-
geschafft werden müssen. Dies geschieht am einfachsten so, dass de^
Yerbindungsschlauch in gemessener Länge (bei dem von mir an-
gewandten Schlauch in ca. 12 mm) vor Einführung der Canüle durch
Zudrüciken entleert und dass der zugedrückte Theil unmittelb^'r
nach Einführung der Canüle geöffnet wird. Bei diesem Vei!-
fahren bleibt die Flüssigkeitsmenge des Bulbus beinähe die
ganze Zeit unverändert. Dass bei den hier in Betracht kom-
menden Druckgraden bedeutende Fehler nicht entstehen, wirft
durch meine Versuche bewiesen. Ich habe fast immer den-
selben intraocularen Druck gleichzeitig in den beiden Augen
desselben Thieres erhalten. ; '
Das von Schulten angegebene Manometer und diiB Gla^-
körpercanüle sind von Koster einer eingehenden Kritik unter-
worfen worden. Koster (86, S. 138) bemerkt gegen das Mano-
meter, dass das Rohr zu weit sei, so dass ein beträchtlichem
Quantum Flüssigkeit das Auge verlassen oder in dasselbe hiri-
eintreten könne, ohne auf die Höhe des Quecksilbers Einfluds
auszuüben; dass durch das Capillarrohr auf der einen Seite
Fehler entstehen, die nicht durch eine gleichwerthige Einrich-
tung auf der anderen Seite compensirt werden, sowie dass
eine Luftblase in einem Thermometerrobr als Indicator nicht
geeignet sei, weil Wasser vorbeischlüpfen könne. Hiergegen
darf eingewendet werden: 1. dass die Weite des Manometerrohrs
zwischen gewissen Grenzen gleichgültig sein muss, wenn nur der
Indicator zuverlässig ist, dass aber das von Schulten angewandte
Rohr, welches im hiesigen physiologischen Laboratorium auf-
bewahrt wird, ein Lumen von 1 mm hat, d. h. fast das<«elbe Lumeü
wie Koster*8 Manometer; 2. dass es möglicherweise mit guteih
Willen und bei Anwendung heftiger und ausgedehnter Bewegungeh
gelingen wird, die Flüssigkeit dazu zu bringen, an einer Luft-
blase in einer Capillarröhre vorbeizuschlUpfen, dass aber dieses
640 V. GrOnholm.
bei den kleineu Pnlsbewegungen, die in einem Augenmanometer
stattfinden, gewiss nicht eintritt, and 3., dass es schwer sa
verstehen ist, welche gleichwerthige Einrichtung Koster beab-
sichtigt, die auf der anderen Seite (?) das Fehlen eines Ca-
pillarrohrs compensiren könnte. Dagegen ist Koster *8 Ein-
wand gegen die zahlreichen Kautschukverbindungen vollkommen
an seinem Platze.
Scharfe Bemerkungen macht Koster (86, S. 135 u. folg.)
auch gegen die GlaskörpercanQle. Seine Behauptungen, eine
Canüle mit Q,75 mm Lumen könne nicht freie Communicatiou
garantiren, ist, wie auch Ostwalt(84) gefunden, richtig; wird
aber das Lumen 1,50 mm weit gemacht, so kann Glaskörper
in genügender Menge austreten, wovon ich mich mehrmals
überzeugt habe. Dagegen muss ich der Schultdn*schen Be-
hauptung zustimmen, dass eine Glaskörpercanüle viel weniger
das Auge reizt als eine Kammercanttle, besonders bei Kaninchen^
bei denen die Kammer relativ seicht ist Auch wenn die Iris
bei Einfuhrung der Kammcrcanüle nicht berührt wird, müssen
doch die Muskeln, Blutgefllsse nnd Nerven derselben schon
von der Gegenwart der Canüle im Corneagewebe beeinflosst
werden. Die zahlreichen sensiblen Nervenfasern der Cornea
müssen natürlich gereizt werden. Sowohl mechanische als che-
mische und thermische Reize der Cornea bewirken nun vor
Allem Pupillarcontraction und daneben auch vermehrten Blot-
zufluss zum Auge. Täglich sehen wir diese Wirkung bei ver-
schiedenen Cornealaffectionen, z. B. bei Fremdkörpern derselben.
Mehrmals habe ich auch bemerkt, dass Atropin in einem mit
Kammercanüle versehenen Auge keine Mydriasis bewirkt Bei
einer Reihe von Ii^jections versuchen war ich ferner genöthigt.
eine kalte Flüssigkeit gegen die reizbare Iris einzuspritzen.
Ich habe niemals in Kaninchenaugen Atropindilatation nach
einer solchen Ii^ection gesehen. Alles dieses kann durch eine
Glaskörpercanüle vermieden werden. Die Iris wird nicht in-
jicirt und auch in der Chorioidea hat Schulten nie abnorme
Blntfüllung beobachtet Da die Flüssigkeit, die bei den Fil-
trationsversuchen injicirt wird, zuerst in die Mitte des Glas-
körpers deponirt wird, wird dieselbe erwärmt, ehe sie mit
blutführendem Gewebe in Berührung gelangt Die Iris reagirt
lebhaft gegen Atropin, Eserin und sogar gegen Cocain, trotz
fortwährender Iiyection.
V. Schultdn's Technik bei Anwendung des Manometers
ist dagegen nicht richtig, da keine Rücksicht weder aof
Experiment Untenueh. Ober die ^nwirlning des Eserins etc. 64^
die Grösse des zagedrflckten Schlaachtheils noch auf die Gleich-
gewichtslage oder dea Nollpunkt des Manometers genommeD
iwordea ist. Weil die Experimentatoren, so viel ich gefondoB
die Bestimmung des Nullpunktes nicht genflgend berficksichtigi
baten, wUl ich diesen Gegenstand etwas berflhren.
Nehmen wir an, das Manometer sei in Ordnung, und die
CanOle in eine Schale mit Kochsalzlösung eingeführt. Bei jeder
Aenderung, Hebung oder Senkung des Flüssigkeitsniveaus in
der Schale, ändert sich auch die Stellung der Quecksilbor-
säulen im Manometer, d. h. ein neuer Nullpunkt wird erhalten.
Dasselbe geschieht, wenn die Canflle in ein Auge, welches ge-
hoben oder gesenkt wird, eingeführt ist Um also einen be-
stimmten Werth für den Druck im Auge zu erhalten, müssen
wir auf folgende Weise verfahren. Erst wird die Schale mit
Kochsalzlösung in gleicher Höhe mit dem Auge gehalten, die
Gleichgewichtslage des an einem Stativ befestigten Manometers
notirt, die Lage der Luftblase in der Capiliarröhre angemerkt,
der Hahn geschlossen, eine passende Klemmpincette an den
Verbindnngsschlauch angelegt und erst darnach wird die CanUle
eingeführt, die Klemmpincette gleich entfernt und jnehr Queck-
silber in die Röhre eingeführt, bis die Luftblase in der Capiliar-
röhre und das Quecksilber im absteigenden Schenkel ihre ur-
sprünglichen Lagen wieder eingenommen haben.
2. Methode, die Filtratiousgeschwindigkeit zu
bestimmen.
Wird die Spannung in einem todten Auge durch Injec-
tion physiologischer Kochsalzlösung auf derselben Höhe wie im
lebenden Auge erhalten, so bemerkt man, dass die injicirte
Flüssigkeit mit constanter Geschwindigkeit in das Auge ein-
strömt Wenn wir die Flüssigkeitsmenge, die in jeder Minute
in's Auge einströmt, in Cubikmillimeter messen, erhalten wir
einen Werth für die Filtrationsgeschwindigkeit des todten Auges
bei diesem Injectionsdruck. Die einströmende Menge muss
nämlich mit der Flüssigkeitsmenge gleich sein, welche während
desselben Zeltmoments aus dem Auge austritt, weil der Druck
die ganze Zeit unverändert geblieben ist.
Dürfen wir annehmen, dass diese Filtrationsgeschwindig-
keit des todten Auges der des lebenden Auges bei demselben
Druck gleich sei?
Durch die Arbeiten Leber's ist festgestellt worden, dass
die Augentlüssigkeit durch einen einfachen physikalischen Vor-
642 V. Grönholm.
gaog, nämlich durch Filtration in den Sinus circnlaris Leberi,
das Auge vcrlässt. Vorausgesetzt, dass dies der einzige Modus
für den Abfluss ist, dass also irgend dne vitale Thätigkeit
eigens dazu differencirter Zellen oder resorbirender Organe
dabei nicht vorkommt, können wir diese Frage bejahend be-
antworten.
■ Vielleicht verändert sich aber beim Tode der Dmck innei^-
halb und ausserhalb des Filtrums?
Im Sinus circularis Leberi, sowie auch in den Venen,
in die er sich entleert, muss ein gewisser Blntdrnck da sein.
Dieser Druck muss die Ausflussgeschwindigkeit der Angen-
flössigkeiten in der Weise beeinflussen, dass sie bei vermehrtem
Druck in der Vene vermindert, bei vermindertem Druck ver-
mehrt wird. Nach dem Tode ist der Druck in den Venen
NuU und die AusiQussgeschwindigkeit schon deshalb vermehrt
Leber (38, S. 121) hat schon 1873 gezeigt, dass die Filtrations-
geschwindigkeit abnimmt, wenn erstarrende Stoffe in die Blot-
gefässe des Auges injicirt worden sind. Diese Beobachtung
habe ich bestätigen können. Der Blutdruck kann aber nicht
einen so wesentlichen Einfluss wie die Injection mit GeJatine-
lösung ausüben, weil die Gelatine natürlich kein weiteres Ein-
dringen von Flüssigkeit in die abführenden Gefässe gestattet,
das Blut aber sich jedenfalls mit der intraocularen Flüssigkeit
mischt. Aus den Versuchen Leber 's sehen wir, dass die Fil-
trationsgeschwindigkeit deshalb in dem injicirten Auge viel
geringer ist als in dem blutführenden. — Jedenfalls ist es un-
möglich, den Einfluss des Venendruckes auf die Zahl, die wir
als Maass der Filtrationsgeschwindigkeit des lebenden Anges
ansehen wollen, zu messen; eine solche Messung wäre auch f&r
unseren Zweck unnütz, da wir absolute Werthe nicht anstreben.
£in grosserer Fehler würde entstehen, falls das Filter
selbst, das Maschenwerk im Kammerwinkel, dadurch verändert
würde, dass das Auge blutleer gemacht wird. In einer Eeibe
vorbereitender Versuche, die ich in einem anderen Zusammen-
hang erörtern will, habe ich diese Frage zur Beantwortung
aufgenommen und gefunden, dass, wenn die Injection in die
vordere Kammer gemacht wird, ein zu hoher Werth der Fil-
trationsgeschwindigkeit erhalten wird. Da das Thier stirbt und
das Blut die hintere Abtheilnng des Bulbus verlässt, während
die Flüssigkeit, die das Blut ersetzen soll, in die vordere
Kammer eingespritzt wird, wird diese vertieft Die VerticfouK
der Kammer bedingt aber, wie Priestley Smith (71) gezeigt
rL
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 643
hat, eine Yermehrung der Filtration. Wird dagegen die In-
jection nnr in den Glaskörper oder in den Glaskörper und die
Kammer gleichzeitig bei demselben Druck gemacht, entsteht
kein oder ein sehr geringer Fehler bei unserer Methode. Ein
hinter der Iris wirkender Druck drängt nämlich nicht das
Irislinsendiaphrugroa nach vorne, wenigstens nicht in so kurzer
Zeit, wie der Versuch dauert (KugeP), Priestley Smith (71),
Leplat (75). — Da die Blutgefässe zusammenfallen, werden
die perivasculären Lymphräume erweitert und die eingespritzte
Flüssigkeit kann leichter abfliessen. Indessen ist die Flüssig-
keitsmenge, welche durch die perivasculären Lymphräume ab-
geführt wird, so minimal, nur ^/^^ aller abgehenden Flüssig-
keit (Priestley Smith (71), Niesnamoff(9l)), dass dieselbe
nicht mit in Rechnung gezogen zu werden braucht. Wir
aiud also nur unter gewissen Voraussetzungen berechtigt, zu
behaupten, dass die durch unsere Methode gefundene Filtrations-
geschwindigkeit des todten Auges auch die Filtrationsfähigkeit
des lebenden Auges repräsentirt.
Wir wenden uns jetzt einer Frage zu, die uns noch mehr
als die vorige interessiren muss. — Da wir die Einwirkung
des Eserins auf die Filtration ermitteln wollen, diese aber erst
nach dem Tode bestimmt werden kann, so fragt es sich, ob
die durch das Eserin bewirkten Veränderungen auch nach dem
Tode fortdauern.
Die Einwirkung des Eserin auf die Filtration muss durch
Vermittelung der intraocularen Muskeln geschehen. Nun ist
aber bekannt, dass die durch Eserin verursachte Contraction
glatter Muskeln sehr lange nach dem Tode, d. h. nachdem der
Muskel blutleer gemacht worden ist, fortdauert Heine (96
und 100) ist es sogar gelungen, die intraocularen Muskeln im
Contractionszustande zu fiziren und der mikroskopischen Be-
obachtung zugänglich zu machen. Wir sind also vollkommen
zu der Behauptung berechtigt, die Eserinveränderungen müssen
auf alle Fälle gleich nach dem Tode des Thieres noch fort-
dauern und also ihre Wirkung auf die Filtration ausüben.
3. Methode, die Secretionsgeschwindigkeit zu
bestimmen.
Im lebenden Auge halten die Filtration und die Secretion
einander das Gleichgewicht. Wird aber in ein lebendes Auge
^) Kugel, Theoretische u. prakt. Mittheilungen, s. v. Graefe's
Arch f. Ophthalm. XVI. 1. S. 334 u. 335.
044 V. GrOnholm.
bei constantem Drock iiqicirt, and ist dieser Iigeetionsdnick
höher als der Augendnick, so beobachtet mao, dass die Flüssig-
keit mit constanter Geschwindigkeit einströmt. Diese in jeder
Minute einströmende Flüssigkeitsmenge will ich Injectionsge-
schwindigkeit nennen zum Unterschied von der Filtrations-
geschwindigkeit, die im todten Auge erhalten wird. Die In-
jectionsgcschwindigkeit ist vom intraocnlaren Dmck und also
auch von der Filtration, der Secretion und den Yerftndernogen
der Blutmenge abhängig; mit jedem Abfallen des Augendmckes
vermehrt sich die Injectionsgeschwindigkeit, mit jedem Ansteigen
des Druckes fällt sie ab. Eine Messung der Injectfonsge-
schwindigkeit ist also eine Messung des intraocnlaren Druckes.
Diese Methode, den Augendmck zu messen, ist, wenn wir einen
höheren Injectionsdruck, z. B. von 50 mm Hg, anwenden, viel
sicherer als die mit dem Manometer, welches bei niedrigem
Augendruck (unter 20 mm Hg) keinen Ausschlag für kleine
Veränderungen der Flttssigkeitsmenge des Auges giebt. Die
Empfindlichkeit des Manometers wird nämlich immer grösser,
je grösser die Spannung der Sklera ist. So z. B. giebt eine
Injection von lOcbmm Flüssigkeit in ein Kaninchenauge mit
T0=16mm Hg eine Drucksteigerung von nur 2 mm Hg und,
um den Druck von 18 bis auf 22 mm Hg zu erhöhen, braucht
man noch 5 cbmm Flüssigkeit dazu; ist aber T0=^44mm Hg,
so bringt eine Injection von 5 mm Flüssigkeit eine Druck-
erhöhung bis auf 58 mm Hg, also von 14 mm Hg, hervor
(Kost er (86, Seite 153)). Wenn das Eserin also im Stande
sein sollte, bei niedrigem intraocularem Druck diesen zu alte-
riren, so würde dies beweisen, dass die von dem Mittel ver-
ursachten Veränderungen in der Flüssigkeitsmenge des Auges
gross sind, während eine ebenso grosse Veränderung des Druckes
bei hohem Augendruck keine grossen Veränderungen der Flttssig-
keitsmenge voraussetzt.
Die Messung der Injectionsgoschwindigkeit giebt, wie auch
die Messung des intraocularen Druckes, keine Nachricht von
den Ursachen der Veränderungen dieser Grössen.
Wenn der Injectionsdruck höher genommen wird als der
Augendruck, so ist die Injectionsgeschwindigkeit kleiner als die
Filtrationsgeschwindigkeit bei demselben Druck, weil die Secre-
tion einen Theil der Filtrationsfähigkeit in Anspruch nimmt
Wird die Secretion dadurch aufgehoben, dass das Thier ge-
tödtet wird, oder dadurch, dass das Auge durch Ligatur der
Carotis von Blut entleert wird, so strömt die Flüssigkeit mit
Experiment Untenudi. fiber die Einwirkung des Eserins etc. 645
grosserer Geschwindigkeit hinein. Der Unterschied zwischen
der Geschwindigkeit vor nnd nach dem Tode, d. h. zwischen
der Injections- und der FiltrationsgeschwindigkeiC, repräsentirt
die Secretionsgeschwindigkeit des Auges bei einem gegebenen
Injectionsdruck.
Bei meinen Injectionsversuchen wendete ich beinahe aus-
schliesslich einen Druck von 50 mm Hg an. Bei diesem Druck^
welcher der mittleren Spannung eines Glaukomauges entspricht^
geben sich auch geringe Veränderungen der Flüssigkeitsmeuge
des Auges zu erkennen. Niesnamoff(91) behauptet, dass bei
diesem Drucke keine oder nur höchst geringe Secretion vor
sich gehe. Dies ist, wie aus meinen Versuchen (vergl. S. 661)
ersichtlich, nicht der Fall, und kann wohl auch kaum möglich
sein, denn in diesem Fall würde bei Glaukom, bei dem der Augen-
druck oft 50 mm Hg übersteigt (vergl z. B. Wahlfors(72,
S. 270) und Chwalinsky (94), eine Nekrose des Glaskörpers
eintreten. Niesnamoff gründete seine Angabe auf nur einen.
Kaninchenversuch. Vielleicht war der vorhandene Blutdruck
bei diesem Kaninchen so niedrig, dass das Auge schon bei
50 mm Hg-Druck blutleer wurde, wodurch die Secretion aufhörte.
4. Methode, die Blutmenge zu messen.
Schliesslich müssen wir im Stande sein, die Blutmenge
des Auges zu messen, um die Frage, die wir uns gestellt
haben, zu beantworten. — Durch Unterbindung der beiden
Carotiden kann, wenigstens bei Kaninchen, der intraoculare
Druck, wie v. Schulten u. A gezeigt haben, dazu gebracht
werden, unmittelbar zu demselben Niveau, wie in dem eben
getödteten Auge herabzufallen, und auch die Unterbindung der
gleichseitigen Carotis hat fast dieselbe Wirkung. Nach der
Ligatur hat also beinahe alles Blut auf einmal das Auge ver-
lassen. Wird ein lebendes Kaninchenauge mit einem Injections-
apparat für constanten Druck, wo die einströmende Flüssigkeits-
menge genau abgelesen werden kann, in Verbindung gesetzt,
und werden dann die Carotiden während dauernder Injection
ligirt, so fliesst in demselben Momente in das Auge eine Flüssig-
koitsmenge ein, die dem ausgetriebenen Blutquantum gleich
ist. Dieses kann hierdurch bestimmt werden.
Aus demselben Grunde, wie bei der Bestimmung der Se-
cretionsgeschwindigkeit, habe ich auch bei der Messung der
Blutmenge einen Injectionsdruck von 50 mm Hg angewandt.
Es ist anzunehmen, dass bei diesem Drucke die Blutmenge
646 V. Grönholm.
des Auges nicht dieselbe wie bei normalem Druck ist; ein
absoluter Werth ist für uns aber nicht nöthig.
Sowohl für die intraocularen Druckmessuugen, als auch für
^ie Bestimmung der Filtrations- und Secretionsgeschwindigkeit
sowie der Blutmenge des Auges eignet sich das von Leber (91,
angegebene sog. Filtrationsmanometer ganz ausgezeichnet. Weil
eine Beschreibung dieses gut ausgedachten Instrumentes neuer-
dings von Niesnamoff (91), der zuerst sich desselben bediente,
gegeben ist, will ich hier nicht weiter auf dieselbe eingehen.
Ich habe theils den Apparat, der dem ophthalmologischen
Laboratorium in Heidelberg gehört, dessen Filtrationsrohr eine
Länge von 300 mm hat, theils einen anderen etwas grösseren
Apparat mit 500 mm langem Filtrationsrohre benutzt. Bei
der Controlirung des Filtrationsrohrs habe ich sein Lumen der
ganzen Länge nach gleich gefunden.
Um abwechselnd bald in das eine, bald in das andere
Auge injiciren oder den Druck messen zu können, habe ich
die Mündung meines Apparates mit einem ^-Hahn verseben
lassen, der sowohl Verschluss des Apparates als Wechsel der
Richtung des Injectionsstromes gestattet.
Niesnamoff (91) hat nachgewiesen, dass kleine Körper-
chen, Staubpartikel oder dergl., welche in der Injectionsfl&ssig-
keit suspendirt sind, bei Injection in die Kammer die Poren
des Kammerwinkels verstopfen und dadurch Herabsetzung der
Filtration verursachen können. Ich habe deshalb ausschliess-
lich reine, d. h. mehrmals filtrirte und überdies gekochte
'/4^/o Kochsalzlösung bei Anfüllung des Apparates benotzt
und im Anfang jedes Versuches die Abflussschläuche und die
Gauüle mit derselben Flüssigkeit ausgespült. Die Injection
konnte dann ein bis zwei Stunden ohne Herabsetzung der FU-
trationsgeschwindigkeit, auch bei Injection in die vordere Kam-
mer, fortdauern.
Auch bei den Filtrationsversuchen ist es von Bedeutuog,
den Nullpunkt des Injectionsapparates zu bestimmen. Für diesen
Zweck wird die Augencanüle in eine mit physiologischer Koch-
salzlösung gefüllte Schale, die in gleicher Höhe mit dem Aoge
des Versuchsthieres gehalten wird, gelegt, alle Hähne werden
geöffnet und der Druck kann sich überall ausgleichen. Die
O-Striche der beweglichen Millimcterscalen werden in gleiche
Höhe mit den oberen Endpunkten der Quecksilbersäule ge-
bracht und die Hähne sodann geschlossen. Die Luftblase, die
als Indicator dienen soll, befindet sich jetzt in einer von den
£zperimeiit. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 64Z
beiden Kugeln, in die das Filtrationsrohr mündet, und mnss
ohne nennenswerthe Yerrückung des Gleichgewichts wieder in
das Filtrationsrohr eingeführt werden. Zu diesem Zweck wird
in dem kleinen Kolben ein positiver bezw. negativer Druck
hergestellt, der Apparat wird so geneigt, dass die Luftblase
sich gegen die Mündung des Filtrationsrohres einstellt; der
kleine Kolben wird einen Augenblick in Communication mit
diesem Rohre gesetzt und nun tritt die Luftblase in dasselbe
hinein.
5. Den Contractionszustand der Arterien vor und
nach der Eserinisirung habe ich mit Hilfe des von v. Schulten
erfundenen hochgradig vergrössernden Ophthalmoskops (51) zu
beurtbeilen versucht. Dabei wurden Kaninchen, an denen ich
das eine Auge iridcktomirtc, benutzt.
6. Durch einige Experimente habe ich die Frage zu be-
antworten versucht, ob die Contraction der intraocularen
Muskeln irgend einen Einfluss auf die Filtrationsfähig«
keit oder auf den intraocularen Druck ausübt. Dabei
habe ich diese Muskeln mit dem faradischeu Strom direct in
der Weise gereizt, dass zwei Platinelektroden an den Corneo-
sklerallimbus angehakt wurdeu. Die Thiere wurden bei diesen.
Versuchen stets curarisirt, wodurch Teuotomieen der äusseren
Muskeln unnötbig waren. Ueber die Versuchsanordnung siehe
übrigens S. 695.'
Als Narkoticum wurde für Katzen in den ersten Versuchen
Chloroform mit vorhergehender intravenöser Injection von Mor-
phiumlösung angewendet. Bald zeigte sich jedoch, dass eine
vollkommen ruhige Narkose hiermit nicht immer erhalten werden
konnte. Daneben setzt das Morphium den Blutdruck und da-
durch auch den Augendruck so stark herab, dass die Empfind-
lichkeit des Manometers litt. Ich ging deshalb später zu Curare
über, welches für unseren Zweck ideale Narkosen mit relativ
hohem intraocularem Druck giebt. — Die Kaninchenversuche
kann man sehr gut ohne Narkose machen, wenn das Thi^r nur
gut aufgebunden wird.
Aus der geschichtlichen Uebersicht geht hervor, dass in
früheren hierher gehörenden Experimenten ziemlich starke
Eserinlösungen ins Auge eingeträufelt worden sind; Höltzke
(55) und Graser (56) wendeten eine concentrirte, Stocker (62)
eine l"/o Lösung und Adamük(16) Calabarextract (l : 300) an.
Von V. Hippel und Grünhagen (*J8) haben wir die Angabe,
das starke Escrinlösung, wie starke Atropinlösung, beide
▼. Graefe'B Archiv fOr Ophthalmologie. XLIX. 3. 42
648 V, Grünholm.
Drucksteigerung hervorrufen. Adamttk(16, 8. 564) hat zoerst
die Aufmerksamkeit darauf geleukt, dass jede Reizung des
Auges, mit chemischen oder mechanischen Mitteln, den Druck
zum Steigen bringt. Er sagt: „Alle Mittel, die örtlich (resp.
im Auge) angewendet, reizend wirken (Alkohol, Digitalin etc.).
so wie auch die mechanische Reizung der Iris, z. B. mit dem
Canülenende, brachten Erhöhung des Druckes zu Stande, zu-
weilen um mehr als das Doppelte (bis 70 mm.).'^ In Folge
dessen misst Adamttk seinen Eserinver suchen keinen bedeuten-
den Wcrth bei (vergl. S. 632). Auch über Nikotin und Kreosot
liegen dergleichen Beobachtungen vor (v. Hippel und Grön-
hagen(28), v. Schulten (52) u. a.). Der Grund der Druck-
steigorung bei Reizung soll Gefässdilatation sein (Adamak(3l.
S. 44), V. Schulten (52)) und vermehrte Secrctiou (v. Hippel
und Grünhagen).
Da es also sehr annehmbar schien, dass die primAre
Drncksteigerung auf Reizung des Auges beruht, habe ich von
Anfang an starke Lösungen vermieden und mich ausschliesslich
einer ^/^ ^/^ wässerigen Lösung von salicylsaurem Physostigmin
bedient.
Weil die Lösung in kurzer Zeit von Rubreserin roth ge-
färbt wird, welches ebenfalls auf das Auge reizend wirken
könnte, und ich aus demselben Grunde vermeiden wollte, der
Lösung schweflige Säure zuzusetzen, welche die Rubreserin-
bildung verhindert, (Hailauer (99)), so musste stets frische
Lösung bereitet werden. Hierdurch glaube ich erreicht m
haben, dass nur die specifische Wirkung des Eserins sichtbar
geworden ist, während die Irritation ausgeblieben oder minimal
gewesen ist. Um jede Reizung zu vermeiden, wurden auch
bei der Einträufelung gewisse Vorsichtsmaassregeln beobachtet;
die Lösung wurde nicht heftig gegen die Cornea gespritzt,
sondern einige Tropfen auf das umgewendete Lid fallen gelassen,
oder ein mit der Lösung gefeuchtetes BaumwoUkfigelchen auf
den Sklerallimbus gebracht Bei jeder Eserineinträufelung worde
auch in das Controlauge eine Einträufelung von einigen Tropfen
Wasser gemacht.
IV. Vergleichende Versaohe über den normalen intra-
ooularen Druck in beiden Angen desselben Thieres.
Um den Eserinversuchen wissenschaftlichen Werth zu-
messen zu können , ist es noth wendig, dass die Druck-
Experiment Untersuch, über die Einwirkong des Eserins etc. 649
änderangen, die während der Dauer des Versuches durch
andere Ursachen, Blutdruckveränderungen und dergleichen
entstehen können, gemessen und in Betracht gezogen wer-
den. Es scheint, um dieser Conditio sine qua non zu ent-
sprechen am natürlichsten, gleichzeitige Manometerversuche
an beiden Augen vorzunehmen und das eine Auge als
Controlauge zu benützen. Die erste hier zur Beantwortung
vorliegende Frage ist die: verlaufen die Druckcurven in
beiden Augen desselben Thieres unter normalen Verhält-
nissen parallel?
Zur Beantwortung dieser Frage habe ich vier Versuche,
drei an Katzen und einen an Kaninchen, vorgenommen.
Versuch 1.
Katze. Morphium + Chloroform. Die Manometer werden
19 resp. 22 Minuten nach Einführung der Canülen geöffnet.
Vergl. die Curven Nr. I (Taf. XVIII).
Versuch 2.
Katze. Morphium -\- Chloroform. Die Manometer nach 6
resp. 9 Minuten geöffnet. Vergl. die Curven Nr. IL
Versuch 3.
Katze. Morphium + Chloroform. Oeffnung der Manometer
nach 6 Minuten. Vergl. die Curven Nr. IIL
Analyse der Versuche 1, 2 und 3. Die Curven der
beiden Augen verlaufen überhaupt nicht nur parallel, sondern
auch ziemlich nahe einander. Im Versuch 2 wird anfangs
eine Differenz von 3 — 5 mm Hg beobachtet, welche jedoch
21 — 23 Minuten nach Einführung der Canülen ausgeglichen
wird. — Durch Einführung der Canüle ist der Druck gestei-
gert, fällt aber schnell, um constant zu werden. Im Versuch 1
ist der Druck 19 — 21mm Hg, im Versuch 2, 16 resp. 17 und
im Versuch 3, 19, resp. 21 mm Hg. Dieser geringe Druck
muss auf niedrigem Blutdruck in Folge der Morphiumchloro-
formvergiftung beruhen, denn bei curarisirten Katzen und nicht
narkotisirten Kaninchen habe ich einen weit höheren Druck
beobachtet.
Versuch 4.
Kaninchen. Keine Narkose. Bei Einführung der Canüle
in das eine Auge war starker Druck von Nöthen, weil die
42*
650 V. GrOnholm.
CanUlenspitze stumpf geworden war; eine kleine Menge Glas-
körper fliegst aus, ehe die Canüle die Einstichöffnung ganz aus-
füllt. Da die Manometer 1 resp. 5 Minuten später geöffiiet
wurden, wird in diesem Auge ein weit höherer Druck (35 mm Hg)
als im anderen (26 mm Hg) notirt, was von Parese der Blut-
gefässe abhängen muss. Ungeachtet dieses Zufalls will ich
nicht unterlassea, die hierher gehörenden Curven Nr. IV mit-
Eutheilen. Wir sehen, dass diese fast parallel verlaufen. Wenn die
obere Curve 10 mm gesenkt wird, erhalten wir die nicht ponktirte
Curvec, und der Parallelismus tritt noch deutlicher herTor.
An einer Stelle, 15 Minuten nach Oeffuung der Manometer,
laufen die Curven jedoch auseinander und nähern sich erst
nach 23 Minuten, um dann die übrigen 12 Minuten fast iden-
tisch zu sein. Aus irgend einem Grunde wird nun das Thier
unruhig, die Respiration schwach uud krampfartige Zuckungen
treten auf. Der Druck sinkt binnen 5 Minuten mit 10 resp.
17 mm Hg und bleibt schliesslich in beiden Augen auf 20 mm Hg
stehen. Dies kann nur dadurch erklärt werden, dass eine
plötzliche Herzparese mit niedrigem Blutdruck entstanden war.
Unsere Frage können wir also in folgender Weise be-
antworten: Der intraoculare Druck ist unter normalen Ver-
hältnissen fast gleich in beiden Augen desselben Thieres.
Die Unterschiede betragen nur 2 mm Hg, selten und dann
nur einige Minuten lang 3 bis 4 mm Hg. Dieser Satz
wird auch von unseren folgenden Versuchen gestützt An
Menschenaugen hat Chwalinsky(94) mittelst der Tono-
metrie dasselbe Resultat erhalten,
V. Veniaohe über die Einwirkung des Eseiins auf den
intraooolaren Druck.
Versuch 5,
Katze. Morphium -|* Ciiloroform. Ruhige Narkose. Die
Manometer werden 9 Minuten nach Einfahrung der GaniUen
geöffnet. — Vergl. die Curven Nr. V.
Analyse des Versuches 5. Der Druck hat sich 14,
resp. 17 Minuten nach Einführung der Canülen ausgeglichen
und betrügt 20 resp. 22 mm Hg. Die Curven laufen jetzt
parallel uud nahe bei einander (grössto Differenz 2 mm Hg)
während 26 Minuten. Die Pupillen sind an beiden Aagen
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 651
gleich weit Eserin wird mehrmals eingeträufelt (punktirte Gurre);
4 Minuten nach der ersten Einträufelung hat der Druck im
Eserinauge, welcher bis dahin geringer gewesen ist, sieb über
den Druck im Gontrolauge erhöht. Diese Drucksteigerung,
deren Maximum 5 mm Hg beträgt, dauert 1 1 Minuten. 18 Mi*
nuten nach der ersten Eserineinträufelung ist der Druck im
Eserinauge wieder geringer als im Gontrolauge und bleibt so
während 62 Minuten. Die Differenz beträgt durchschnittlich
3 bis 4 mm Hg; kleinste Differenz 1 mm, grösste 7 mm Hg.
Die Narkose wird jetzt unruhig und der Druck im Gon-
trolauge, der 23 mm Hg gewesen ist, sinkt bis auf 21mm Hg.
Die Gunren treffen zusammen. Nachdem die Narkose wieder
ruhig geworden ist, steigt der Druck im Gontrolauge nicht,
sondern hält sich bis Ende des Versuchs, d. h. 80 Minuten
hindurch auf circa 20 bis 18 mm Hg. Auch der Druck im
Eserinauge zeigt keine Tendenz zu weiteren Aenderungen, bleibt
vielmehr auf 20 bis 1 8 mm Hg stehen. Eserineinträufelungen
in's Gontrolauge üben auf diesen subnormalen Druck
keinen Einfluss aus, obwohl eine kräftige Pupillen*
contraction erzielt wird.
Zwei Minuten nachdem der Druck des Eserinauges
unter den Druck im Gontrolauge gefallen ist, beginnt
die Pupilieucontraction und erreicht ihr Maximum 50 Mi*
nuten nach der ersten Einträufelung.
Versuch 6.
Grosse Katze. Morphium + Chloroform. Ruhige Narkose.
Die Manometer werden nach 12 Minuten geöffnet. — VergL
die Curven Nr. VI.
Analyse des Versuches 6. Der Druck hat sich nach
15 Minuten ausgeglichen und beträgt 18 bis 21 mm Hg. Die
Gurven laufen parallel (grösste Differenz 3 mm Hg) während
50 Minuten. Die Pupillen im ÄllgemeiDen gleich weit an
beiden Augen; bisweilen jedoch Contraction en bis 5 mm Pupillen-
weite ohne Veränderungen des Druckes. Eserin wird in das
Auge mit niedrigem Druck eingeträufelt (punktirte Curve). 5 Mi-
nuten nach der ersten Einträufelung steigt der Druck
über den des Controlauges und hält sich so 6 Minuten lang;
grösste Differenz 3mm Hg. 12 Minuten nach der ersten
Eserinapplication ist der Druck im Eserinauge wie-
der niedriger als im Gontrolauge und bleibt so 30 Mi-
nuten hindurch; Differenz 1 bis 8 mm Hg. Jetzt tritt in bei-
652 V. Grönholm.
den Augen eine Druckherabsetzung bis 20 mm Hg ein nnd
die Cnrven laufen wieder parallel.
5 Minuten nachdem der Druck im Eserinange
unter den des Gontrolauges gefallen ist, wird begin-
nende Pupillarcontraction beobachtet, welche 38 Minu-
ten nach der ersten Eserineinträufelung ihr Maximnm, 1 mm.
erreicht hat
Versuch 7.
Grosse Katze. Curare. 11 resp. 14 Minuten nach Ein-
führung der Canüle wird das Manometer geöffnet — YergL
die Curven Nr. VII (Taf. XIX).
Analyse des Versuchs 7. Der Druck hat sich nach
18 Minuten ausgeglichen und beträgt 32 — 33 mm Hg. Die
Curven verlaufen 28 Minuten parallel (grösste Differenz 4 mm
Hg); der Druck steigt immer mehr. Das Manometer wird
abgeschlossen und ein Injectionsversuch gemacht. Wenn das
Manometer wieder geöffnet wird, ist der Druck anfangs in
beiden Augen fast gleich. Nach einigen Minuten entfernen
sich jedoch ^die Curven von einander und es entsteht eine
Differenz von 7 mm Hg. In das Auge mit geringerem Druck
wird jetzt Escrin eingeträufelt und nach 9 Minuten wird in
diesem Auge ein 2 mm höherer Druck als im Controlaage
beobachtet 14 Minuten nach der ersten Eserinein-
träufelung ist der Druck im Eserinange wieder ge-
ringer als im Controlauge und hält sich so während
8 Minuten; dann wird der Versuch abgebrochen. Grösste
Differenz 10 mm Hg.
1 Minute, nachdem der Druck im Eserinange zu
sinken begonnen hat, ist die Pupille auf 2 mm con-
trahirt Am Ende des Versuchs ist die Pupillenweite 0.5 mm.
Versuch 8.
Kaninchen. Keine Narkose. Leber's Filtrationsmauometer
mit doppeltem Abflussrohr. 1 bis 3 Minuten nach Einführung
der Canülo Oeffnung des Manometers. — Vergl. die Gurren
Nr. Vm A und B.
Analyse des Versuchs 8. Der Druck hat sich so-
gleich ausgeglichen und die Curven verlaufen parallel uod
sehr nahe an einander während 13 Minuten, nach welcher
Zeit eine kurzdauernde Differenz von höchstens 4 mm Hg beob*
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 653
achtet wird. Nachdem der Druck in beiden Augen wieder
derselbe, =28 mm Hg, geworden ist, wird Eserin eingeträufelt.
45 Minuten nach der ersten Eserininstillation fangen
die Curven, welche bisher parallel verlaufen sind, an, aus-
einander zu gehen, und der Druck des Eserinauges
bleibt während weiterer 34 Minuten geringer (grösste Dif-
ferenz 6, kleinste 3 mm Hg) als im Controlauge. Das Mano-
meter wird geschlossen und Injectionsversuche bei 25 und
50 mm Hg gemacht (vergl. Versuch 1 6). 1 Minute, nachdem
der Injectionsapparat wieder geschlossen worden ist, wird der
Druck in beiden Augen gemessen, wobei die Curven 8 B er-
halten werden; aus diesen geht hervor, dass der Druck im
Eserinauge schneller gesunken und auf niedrigerem
Stand geblieben ist als im Controlauge. — Das Thier
wird mit Chloroform getötet. Gleich nach dem Tode ist
T0 = 14mm Hg, Pupille 8 mm und 13 mm Hg im Eserinauge,
Pupille 2 mm.
Die Pupillen waren anfangs fast gleich gross, 3 bis 4 mm.
14 Minuten nach der ersten Eserincinträufelung hat
sich die Pupille des Eserinauges auf 1,5 mm contra-
hirt und ist während der übrigen Versuchszeit 1mm weit.
Versuch 9.
Kaninchen. Curare. Le b er' s Filtrationsmanometer mit dop-
peltem Abtlussrohr. Oeffnung des Manometers 2 Minuten nach
Einführung der Canüle. — Vergl. die Curven Nr. IX.
Analyse des Versuchs 9. Der Druck ist sogleich aus-
geglichen. Die Curven vorlaufen 15 Minuten parallel und sehr
nahe an einander. Dann wird eine Injektion gemacht. —
Vergl. Versuch 23. Da das Manometer wieder geöffnet wird,
ist der Druck in beiden Augen derselbe und bleibt so
8 Minuten hindurch; dann beginnen die Eseriueinträufelungen.
47 Minuten nach der ersten Einträufelung gehen die
Curven auseinander und der Druck des Eserinauges ist
in den übrigen 27 Minuten geringer (grösste Differenz
10 mm Hg) als im Controlauge. Injectionsversuche.
Die Pupillen waren anfangs gleich gross, 4mm. 28 Mi-
nuten nach der ersten Eserineinträufelung hat sich
die Pupille des Eserinauges bis auf 3 mm contrahirt
und ist 21 Minuten später 1 mm weit.
654 V. Grönholm.
; Ergebnisse der Versuche über die Einwirkung des
I Eserins auf den intraocularen Druck.
Das Eserin verursacht sowohl in Katzen- als auch in
Eaninchenaugen Herabsetzung des intraocularen Druckes.
Grösste Differenz zwischen dem Druck des Eserinauges
und dem des Controlauges ist 10 mm Hg, gewöhnliche
Differenz circa 4 mm Hg. Die Herabsetzung trat in den
Katzenaugen 18 resp. 12 und 14 Minuten, in den Kanin-
chenaugen 45 und 47 Minuten nach der ersten Eseiin-
I einträufelung auf. Die Hypotonie dauerte in zwei Ver-
i suchen 62 resp. 30 Minuten ; dann wurde * der Druck in
I beiden Augen wieder gleich; in den drei übrigen Versuchen
dauerte die Hypotonie, bis sie nach 8, 34 und 27 Minuten
abgebrochen wurden.
In den Katzenaugen ging der Herabsetzung eine kurz
dauernde Erhöhung des intraocularen Druckes von 11,
6 und circa 5 Minuten vorher, welche bald (4, 5 und
9 Minuten) nach der ersten Eserineinträufelung auftrat
Am Kaninchenäuge bringt das Eserin keine Drucksteige-
rung hervor.
Die Pupillarcontraction trat an Kaninchenaugen viel
früher (31 und 28 Minuten) als die Druckherabsetzung auf;
in zwei Katzenaugen dagegen hatte die Pupille sich erst
zu contraliiren begonnen, nachdem der Druck schon ge-
fallen war. Nur in einem Katzenauge fallen die beiden
Erscheinungen zeitUch zusammen. Pupillarcontraction, so-
wohl nach Eserin als auch spontan, wurde auch ohne gleich-
zeitige Druckänderung beobachtet
Die Druckmessungsversuche haben also gezeigt, dass
die hauptsächliche und constante Wirkung des Eserins auf
das normale Auge Druckherabsetzung ist Eine kurz-
dauernde Drucksteigerung geht in einigen Fällen der Druck-
herabsetzung voraus. Dieses Resultat stimmt mit den früheren
Versuchen überein (Stocker (62), Höltzke und Graser
(55 u. 56)), die mit hinreichend genauen Methoden und
Experiment Untenudi. fiber die Einwirkung des Eserins etc. 655
unter Anwendung schwacher Eserinlösungen ausgeführt wur*
den. Was die Bedeutung der Pupillencontraction als cau-
sales Moment bei den Druckänderungen betriffl;, so kann
auf Grund meiner Versuche kein sicherer Schluss gezogen
werden. Mir scheint jedoch^ als ob der von Höltzke und
6 ras er beobachtete intime Zusammenhang zwischen bei-
den Erscheinungen durch meine Versuche nicht bestätigt
werde, und dass die Beobachtungen Stocker's richtiger seien.
Auch in den Stock er 'sehen Katzenversuchen machte
sich die Drucksteigerung sehr bald nach der Einträufelung
des Mioticums geltend; sie war stets von einer stärkeren
„secundären" Druckherabsetzung gefolgt, und die Miose be*
gann erst, nachdem die Curve schon den höchsten Punkt
überschritten hatte. Der einzige Unterschied zwischen seinen
Versuchen und den meinigen ist, dass die Drucksteigerungen
bei mir von kürzerer Dauer waren, was vielleicht auf der
Schwäche meiner Eserinlösung beruht Meine Kaninchen-
versuche dagegen stehen in directem Widerspruch zu denen
von Pflüger, der auch bei diesem Thiere Drucksteigerung
gefunden hat Die Erklärung mag vielleicht in dem Um-
stände liegen, dass Pflüger eine Vorderkammercanüle be-
nutzt hat, welche bei der seichten Kammer des Kaninchens
die Iris reizen und mit der durch Eserin verursachten Rei-
zung zusammen die Erhöhung bedingen könnte. Sagt doch
auch Stocker (62), der Schüler Pflüger's, dass diesem
der Versuch jedesmal durch plastische Iritis verdorben wurde.
Was schliesslich den Umstand anbelangt, dass die
Eserinlösung in Katzenaugen immer eine primäre Erhöhmig
des Druckes hervorruft, welche wir in Kaninchenaugen ver-
missen, so kann dies nur durch eine grössere Irritabihtät
jener Thiere, und speciell ihrer Trigeminusendigungen in
der Cornea erklärt werden, wodurch ein vorübergehender
Blutzufluss zu dem gereizten Organ entsteht Jedenfalls
muss von einer Betheiligung des Ciliarmuskels oder des
Sphincter pupillae durchaus abgesehen werden, einfach weil
656 V. Grönholm.
diese Muskeln beim Ansteigen des Druckes noch nicht Tom
Eserin in Contraction gebracht worden waren.
VI. Ueber die Blutmenge und die FUtrstionB- und
Seoretionsgesohwindigkeit des normalen Anges.
Ehe wir es unternehmen können, die Einwirkung des
Eserins auf die Filtration, die Secretion und die Blutmenge
im Auge zu untersuchen, müssen wir uns das Verhalten
dieser Momente im normalen Auge klar machen. Seite 638 S.
haben wir die Methoden, die hierbei zur Anwendung kom-
men können, ausführlich beschrieben. Wir bekommen jetzt
Gelegenheit zu prüfen, ob diese Methoden in praktischer
Hinsicht für unseren Zweck angewendet werden können:
Hauptsache ist, dass die Filtrationsgeschwindigkeit und die
Blutmenge in beiden Augen desselben Thieres gleich ge-
funden werden oder dass sie fiir ein und dasselbe Auge
bei einer Reihe von Versuchen constant sind. Wenn näm-
lich die oben erwähnten Factoren schon normahter Un-
regelmässigkeiten zeigen^ so giebt es keine Möglichkeit, die
eventuelle Einwirkung des Eserins auf dieselben zu con-
troliren.
Versuch 10.
Weisses Kaninchen. Curare. Ruhige Narkose. Zwei In-
jectionsapparate. Ligatarfäden unter der Carotis beiderseits.
Analyse des Versuchs 10. In beiden Augen desselben
Thieres, in denen der intraoculare Druck gleich gefunden
wurde, ist die Blutmenge in drei nach einander folgenden
Versuchen auch fast gleich; 8 bis 10 cbmm (einmal jedocb
6 cbmm in dem einen, 10 cbmm im anderen Auge). — Da
das Thier durch Verblutung getötet wurde, fliesst in der Todes-
minute ebenfalls 10 cbmm Flüssigkeit in beide Augen hinein,
d. h. dieselbe Menge wie bei der Ligatur der Carotis; dies
beweist, dass durch die Ligirung alle Blutzufuhr unterbrochen
worden war. Während der Zeit, in der die Carotiden unter-
bunden sind, tritt in die Augen eine geringere Menge Flüssig-
keit hinein (2 cbmm in der Minute) als während der Zeit, in
der dieselben durchgängig sind ('2,8 cbmm). Dieser Umstand,
L
Experiment üntenuch. über die Eimrirkung des Eierins etc. 667
Zeit
1
Rechtes Auge
Linkes Auge
8 30
Schult^n's Canüle in beiden Augen
8 36
rO')-32
TO =35
8 42
TO =-27
TO -29
8 47
TO —24
TO =31
8 52
TO =23
1
TO =24
8 56
TO —22
TO =22
Ii\jectionBdruck 50 mm Hg
H
10*)
i^
Anmerkungen
JQ*)
1^
5"
Anmerkongea
9 6
181
198
17
9
31
22
9 7
203
5
35
4
9 8
206V,
3V,
38
3
9 9
210
3V.!
42
4
9 10
214
4
45
3
9 11
217
3
•
49
4
9 12
220
3
f)2
3
9 13
223
3
54
2
9 14
225V,
2V,
57
3
9 15
228
27,
61
4
9 16
230V,
2V,
2,8
63
2
2,8
9 17
232
IV.
65
2
9 18
234
2
67
2
9 19
236
2
69
2
9 20
238
2
71
2
9 21
240
2
73
2
10
Lig. d. Carotis
6
Lig. d. Carotis
9 22
250
—2
3
2
2
1
79
1
3
2
2
o
9 23
248
80
9 24
251
2
83
2
9 25
253
85
9 26
255
87
9 27
256
Ligatur offen
89
«
Ligatur offen
9 38
TO
=-25
TO
= ?
9 39
257
11
89
12
9
9 40
268
9
Lig. d. Carotis
101
Lig. d. Carotis
9 41
277
Ligatur offen
110
Ligatur offen
1) TO — Intraocularer Druck.
*) IG e= Injectionsgeschwindigkeit.
658
V. Gtenholm.
Zeit
Rechtes Auge
Linkes Auge
9 48
TO — 24
\
TO - ?
W
19
¥
Anmerkungen
la
i^
Anmerkungen
9 49
9 50
9 51
9 52
275
287
297
12
10
Lig. d. Carotis
Ligatur offen
Tod durch
Verblutung
110
124
132
14
8
Lig. d. Carotia
Ligatur offen
10 5
TO « 18
TO— ?
321
353
350
360
366
371
375
380
384
388
FQ^
84
116
116
126
132
136
140
145
149
153
wi)
¥
10 10
10 11
10 12
10 13'
10 141
10 15
10 16
10 17
10 18
10 19
32
—3
10
6
\
5
4
4
*,'
32
0
10
4
4
5
4
4
4,5
Tod durch
Verblutung
der wider jede Theorie streitet, kann auf keine andere Weise
erklärt werden, als durch die Annahme einer steten Blot-
zuströmung za den Augen längs den Collateralgefässen an der
Ligaturstelle der Garotiden vorbei. Die Richtigkeit dieser
Annahme wurde beim Tode des Thiercs durch Messung der
wahren Filtrationsgeschwindigkeit bestätigt, denn diese über-
stieg weit die Injectionsgeschwindigkeit. Ausserdem wurde
direct beobachtet, dass Blut trotz Ligatur der Carotis in das
Auge eindrang. Um 9 Uhr 22 tritt nämlich, während die
rechte Carotis unterbunden ist, 3 cbmm Flüssigkeit aus dem
rechten Auge in den Injectionsapparat über.
Die Injectionsgeschwindigkeit der beiden Augen ist gleich,
die Filtrationsgeschwindigkoit fast gleich, und also auch die
Secretionsgeschwindigkeit, die 1,9 resp. 1,7 cbmm in der Mi-
nute beträgt, fast gleich.
Die Blutmenge wurde femer bei drei Kaninchen in
') FG =« Filtrationageschwindigkeit.
Experiment. ünterBuch. ttber die Einwirkung des Eserins etc. 659
derselben Weise wie im Versuch 10 gemessen.
Resultate werden hier angeführt.
Nur die
Blutmenge Im
Rechten Auge
Linken Ango
Versuch 11 10 cbmm 9 cbmm
Versuch 12 13 cbmm 13 cbmm
Versuch 13') 14 cbmm 14 cbmm
Im Versuch 10 hat sich der intraoculare Druck nach
jeder Unterbindung der Carotis aasgeglichen. Im folgenden
Versuch 14 werden wir prüfen, ob die Blutmenge, die Secretion
oder Filtration sich verändern, wenn das Auge mehrmals wäh-
rend dauernder Injection blutleer gemacht wird.
Versuch 14.
Kaninchen. Keine Narkose. Leber 's Filtrationsmanometer.
Ligaturfaden unter der Carotis.
Uhr
3 wird eingeführt
Anmerkungen
6 40
Schult^n's Canüh
6 41
TO =- 35 mm Hg
Pupille 4 mm
7 9
TO «= 25 mm Hg
»f 6 »
7 10
TO = 17 mm Hg
Lig. d. Carotis
7 11
TO « 2t» mm Hg
Ligatur offen
7 12
TO = iJÖmm Hg
7 13
TO = 26 mm Hg
Injectionsdruck 50 mm ]
Hg
stell an HT der
Luftblase
^^oder.. MU.l^^^
SG^
7 13
50
9
2
2
2
2
2
2
14
4
4
—11
1
2
2
2
18V,
7 14
59
7 15
61
7 16
7 17
63
65
2,0
2,0
Pupille 6 mm
7 18
67
7 19
69
7 20
7 21
71
85
Lig. d. Carotis
7 22
89
7 23
93
4,0
Ligatur offen
7 24
82
7 25
83
7 ^26
85
7 27
87
2,0
2,0
7 28
89
7 29
102V,
ecretionsgesc
Lig. d. Carotis
»)lnj«
ßtion in die ]
^mmer. *) SO^=B
tiwindigkeit.
660
V. GrOnholm.
Uhr
Anmerkungen
Ii^jectionsdruck 50 mm Hg
Stellung der
Luftblase
/GoderPG
Mittel /G
odwFG
SG
7 80
106
37.
7 31
109
3
7 32
114
5
4,0
7 33
118
4
7 34
108
-10
\ Ligatur offen
7 35
109
1
1
7 36
111
2
7 37
113
2
^
7 38
115
2
2,0
7 39
126
11
Liff. d. Garotii
7 40
132
G
1
7 41
135
3
4,5
7 42
128
— 7
7 43
130
2
7 44
132
2
7 45
134
2
2,0
7 46
136
2
Eserin
Injections-
menge in
5 Minuten
7 51
146
10
2,0
Pupille IVt mm
7 56
156
10
2,0
8 1
164
8
1,6
8 6
174
10
2,0
8 11
182
8
1,6
8 16
190
8
1,6
8 21
200
10
<o
8 26
209
9
1,8
IG
8 27
210
1
8 28
212
2
8 29
214
2
8 60
216
2
8 31
228
12
Lig. d. Garoti8
8 32
231
3
8 33 1
232
1
8 34 ;
230
— 2
Ligatur offen
8 35
230
0
8 36
232
2
Experiment Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 661
Ii^jectionsdruck 50 mm Hg
Stellung d. Luftblase
IG oder FG
i Mittel IG oder FG
SG
lachher Injection.
Das Thier wird mit Chloroform
getödtet Gleich t
232
2
1
234
1
238
242
246
4,0
250
254
258
262
267
Analyse des Versochs 14. Bei 4 nach einander fol-
genden Unterbindungen der Carotis bleibt die Blutroenge des
Auges unverändert. Die Filtrationsgeschwiudigkeit habe ich
dreimal nach Ligatur der Carotis bestimmen können und die-
selbe ist jedesmal fast constant gewesen. Dieselbe Filtrations-
geschwindigkeit hat das Auge auch nach dem Tode gezeigt.
Die Injections- sowie auch die Secretionsgeschwindigkeit ist
während der ganzen Versuchszeit, 87 Minuten, ziemlich con-
stant gewesen.
Das Eserin hat ausser Popillarcontraction keine Verän-
derung bewirkt. Da dies vielleicht davon abhängen könnte,
dass das Auge früher mehrmals von Blut entleert und dazu
lange Zeit hindurch dem hohen Drucke von 50 mm Hg ausge-
setzt worden war, vermied ich bei den folgenden Eserinversuchen,
das Auge mehr als einmal, und auch dann nur auf kurze Zeit,
höchstens auf 3 Minuten, blutleer zu machen.
Versuch 15.
Kaninchen. Keine Narkose. Leber 's Filtrationsmanometer
mit doppeltem Abflussrohr. Canüle im Glaskörper.
Rechtes Auge. TO « 18
IQ
Linkes Auge. TO =--- 18
1^
bo
SG\
!|_«_3
IG
SG
Anmerk.
Injectionsdnick 50 mm Hg
119
131
133%
137
189
141
13
Pap. 7 mm
143
151V,
8V,
2V,
2
2,5
1,1
1
1
154
lf)6
158
2
2,0
1,2
159
1
161
2
Pap. 8 mm
266
y. GrOnholm.
Rechtes Auge. TO =- 18 ^ Linkes Auge. TO = 18
H
FQ
SG
Anmerk. |^§
|l 00 Jj
-• ■ ■ - - ■ - —
FG
1^\SG
Anmeik.
Kaninchen todt
177
192
15
148
161
18
I
196
4
165
4
200
4
168
3
.
203V,
3'/,
8,6
Pup. 4 mm
171
3
'
207
37,
175
4
8,2
1
210
3
177
2
Pup. 5 mm
Analyse des Versuchs 15. Die Filtrations-, Injcctions-
und Secretionsgeschwindigkeit ist in beiden Augen desselben
Thieres fast gleich.
Ergebnisse der Versuche über die Blutmenge,
die Filtrations- und Secretionsgeschwindigkeit des
normalen Auges.
Aus vier Versuchen geht hervor, dass die Blutmenge
in beiden Augen desselben Thieres überhaupt gleich ist
(grösste Differenz einmal 4 cbmm). Aus drei Versuchen
geht hervor, dass die Blutmenge desselben Auges bei sonst
gleichen Verhältnissen (Injectionsdruck 50 mm Hg) ziem-
Uch constant ist, wenigstens wenn die Beobachtungen mit
kurzen Zwischenzeiten gemacht werden. In zwei Ver-
suchen war sowohl die Filtrationsgeschwindigkeit als die
Secretion und die Injectionsgeschwindigkeit für die beiden
Augen desselben Thieres bei gleichzeitiger Beobachtung
dieselbe, und ein Versuch scheint anzugeben, dass diese
Momente sich auch in ein und demselben Auge bei mehreren
nach einander folgenden Bestimmungen nicht immer nennens-
werth verändern. In dem eben erwähnten Versuche wurde
die Glaskörperinjection während längerer Zeit, 87 Minuten,
bei Druck von 50 mm Hg, ohne Veränderung der Injections-
geschwindigkeit fortgesetzt. Da die Versuche der folgenden
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 663
Abtheilung diese Verhältnisse noch weiter beleuchten und
die jetzt aufgestellten Thesen in einigen Theilen modificiren
werden, wollen wir dort hierauf zurückkommen.
Aus Versuch 10 ergiebt sich, dass man durch Liga-
tur der Carotis das Auge ebenso blutleer machen kann,
wde es beim Tode wird, andererseits zeigt uns derselbe Ver-
such, dass diese Blutleere nicht immer hinreichend lange
Zeit hindurch erhalten werden kann, und dass die Filtra-
tions- und Secretionsgeschwindigkeit also nicht zu ver-
schiedenen Malen an demselben Auge mit Sicherheit be-
stimmt werden können. Bisweilen wird es, wie im Ver-
such 14, gelingen, öfters aber kann man nicht sicher sein,
ob nicht Blut an der Unterbindungsstelle vorbei durch co-
laterale Verbindungen einströmt, was die Methode höchst
unsicher macht. Die wahre Filtrationsgeschwindigkeit wird
erst, nachdem das Thier gestorben ist, erhalten.
Vn. Versnobe über die Binwirkong des Eserins.
auf die Filtration, die Seoretion nnd die Blntmenge
des Auges.
Die Versuche der vorigen Abtheilung haben das Haupt-
resultat ergeben, dass es möglich ist, die Einwirkung des
Eserins auf die Blutmenge des Auges, auf die Filtration
aus dem Auge und auf die Secretion der Augenflüssigkeit
zu bestimmen. Weil diese Momente normaliter in den
beiden Augen desselben Thieres gleich sind, haben wir nur
die Zahlen, die wir für das eserinisirte Auge erhalten, mit
den entsprechenden Zahlen des Controlauges zu vergleichen.
Aber auch durch Vergleichung der Zahlen desselben
Auges vor und nach der Eserinisirung können unter ge-
wissen Voraussetzungen wichtige Rückschlüsse gezogen wer-
den. Dies gilt besonders von den Factoren — Blutraenge
und Injectionsgeschwindigkeit — , die in ein und demselben
Auge unter normalen Verhältnissen keine beträchtlichen
Veränderungen aufweisen. Wenn wir in ein und demselben
T. Graefe's Archlr Ar Ophthalmologie. XLIX. 8. 43
664 V. Grönholm.
Auge vor und nach der Eserinisirung verschiedene Blut-
menge oder verschiedene Injectionsgeschwindigkeit finden,
so muss die Veränderung durch das Eserin bedingt sein.
Eine Veiünderung der Injectionsgeschwindigkeit kann nun
aber entweder auf veränderter Filtrationsgeschwindigkeit
r)der auf veränderter Secretion oder auf beiden beruhen
und giebt uns also an und för sich keine Auskunft.
Würde es sich aber zeigen, dass die Filtration durch das
Eserin nicht verändert, dagegen die Injectionsgeschwindig-
keit vermehrt wii-d, so müsste diese Vermehrung durch
eine entsprechende Verminderung der Secretion bedingt
sein. Es kann nämUch nicht vorausgesetzt werden, dass
die Filtrationsgeschwindigkeit schon normaliter Verände-
rungen aufweise, und der Versuch 14, bei dem es ge-
lungen ist, dieselbe mehrmals zu bestimmen, spricht auch
direct gegen diese Annahme. Am allerwenigsten könnte
sie dadurch veiinehrt werden, dass die Iris aus irgend
einer Ursache nach hinten verlagert und der Kammer-
winkel also tiefer würde, denn wir haben in allen Versuchen
in den Glaskörper injicirt.
Versuch 16. (F'ortsetzung des Versuchs 8.)
Kaninchen. Keine Narkose. Leber's Filtrationsmano-
moter mit doppeltem Abflussrohr.
Der intraoculare Druck, der im Beginn des Versuchs in
beiden Augen gleich war, ist jetzt im
Controlauge TO = 22 ij Eserinauge TO « 17
.Stellung ' jri Mittel Anm«,.irn«-.« i. SteUung , wry iMltur .„«^
Injectionsdruck 25 mm Hg
g joi I f"P'»« &•»"' li ^ j7 : Pop im
94
94
94
94
0 !"♦" I 101% i
0,1 ! 103 ,1'/.
Der lojecüoQsappanit wird !
geschlossen. TD wird lxn;i
P>eiinange gemessen.
M
0 ' Der lojecüonsappanit wird! 104 [l
TO wi) • • "
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 665
Der Injectionsapparat wird geschlossen, der Druck bis
auf 50 mm Hg erhöht. Messung des Augendruckes. 4 Minuten
später Injectionsversuch, erst im Control- und dann im Eserinauge.
Controlauge TO «* 24 mm
Eserinauge TO «= 19 mm
lll IG\^^SG\ AnmerkuDgen ||||
IG\i<^\8G\ Anmerk.
Injectionsdruck 50 mm Hg
104
116
12
1"'/.
IV,
119
IV,
121
2
122
1
123V,
IV,
1,5! 1,5
Pupille 5 mm
Der iDJectionsappantt
wird gMchlossen. TO
im EserlDftage ge-
|l24
•
16
140
144
4
147
3
149%
152
2V,
2V.
2,6
0,6
155V.
3V*
158
2V.
jl61
'
Pup. 1 mm
Der Injectionsapparat wird geschlossen. 1 Minute später
wird der intraoculare Druck in beiden Augen gemessen^ wobei
die Curven Nr. VIII ^ erhalten werden (Taf. XIX). Das Manometir
wird geschlossen.
Das Thier wird mit Chloroform getödtet.
Controlauge
ii
Eserinauge
StelluDg
d. Luflbl.l
FG
Mittel ,
FG
Anmerkimgen {^^^Äj ^^
Mittel
! FG
Anmerkungen
Injectionsdruck 50 mm Hg
329
349V,
20V,
Pupille
8mmi j^g
1 1
17 Pupille 1 mm
352V.
356'/,
358V.
361V,
3
3
3
3
i
3,0 i
;! 183
1 186V,
1897,
193
1 195
4 i
3V,|
Analyse des Versuchs 16. Im Eserinauge, in dem der
intraoculare Druck niedriger als im Controlauge ist, ist die
Injectionsgeschwindigkeit grösser (Differenz 1,0 bei Injections-
druck =25 mm Hg und 1,1 bei Injectionsdruck =50 mm Hg),
dagegen ist die Filtrationsgeschwindigkeit in beiden Augen
gleich. Die Secretionsgeschwindigkeit ist im Controlauge = 1,5,
im Eserinauge =0,6cbmm.
43*
666
V. Grönholm.
Versuch 17.
Kaninchen, gut fixirt. Keine Narkose. Leber's Filtrations-
mauometer im einen, Injectionsapparat mit Wasserdruck im an-
deren Auge. Glaskörpercanülen. Ununterbrochene Injection.
gleichzeitig in beiden Augen. Die Stellung der Luftblase wird
nach je 5 Minuten abgelesen. — Die Variationen der Injections-
geschwiudigkeit sind durch die Curven Nr. X veranschaulicht.
Rechtes Aiicre
Linkes Auge
Stellang
der
Luftbl.
^ a
a
Mittel
IG
SG
Auiuerk.
Stellttog
der
I Luftbl.
.2 1 Mittel o/;! 4„™,A
Injectionsdruck 50 mm Hg
50
G7V2
93
114
121
127
1377,
145
154
162
171
182
195
204
215
231
246
257
270
283
295
306
318
332
345
357
17VV
13
12V.
11 V*
r^V,
7
6
10»/.
9
8
9
11
13
9
11
16
15
U
la
13
12
11
12
14
13
12
Pup.
Pup.
J2,0
|Pup.
Pup.
5 mm
4 mm
7 mm
8 mm
M
I Pup.
}2,6
1,8
I
I
53
66V.
72%
79
84
88
90
f;91
93V.
96V,
100
104V,
109
illl5
;i24
||130
9 mm ;, 136
I!l46
154
182
219
1247
260
274
,289
i305
13251 ,
330/ '
501
U4/
14
137,1
67,"
4 '
2 I
1 i
27,j
3
3V,
4VJ
I Pupille 6 mm
0,9 3,9,
I
Pupille 8 mm
!l*upille9mm
6
9
6
6
10
8
28
37
28
13
14
15
16
20
il9
jPupille9mm
I Eseiin vtrd
elDgetrSnfelt
'Pupille 1 mm
a,8 11,0 !
Luftblase
zurück
Das Thier wird mit Chloroform getödtet. Injection nicht
abgebrochen.
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 667
Reclites Auge Linkes Auge
o I i ' Q t I I
Strflung j| Mittel <.^, ^ ^ Stellung o | ^^^j^i ,
der tS 2 in ^^\ Anmerk. der «g ! 7/3 'Otr
Luftbl. .« 2 I -'^ I Luflbl. , 1.3 ^^1
s I o
Anmerk.
Injectionsdruck 50 mm Hg
36 I 36 I Pupille 3 mm
393 00 1*"P- 5 mm 100 „. I - ft ' 1
43E ''^'^ *'* ' ,
45'J ^*
I . I I : , .
Analyse des Versuchs 17. Bei diesem Kaninchen
habe ich die Injectionsgeschwindigkeit in beiden Augen nicht
gleich gefunden (Differenz 1,1). Der Grund davon ist nicht
zu eruiren. Inzwischen verlaufen die Curven der Injections-
mungen während 85 Minuten parallel und zeigen dabei, indem
sie zuerst 30 Minuten hindurch allmählich fallen und dann
55 Minuten langsam steigen, eine schwache Biegung. Im
Controlauge (dem mit grösserer Injectionsgeschwindigkeit) hält
sich die Injectionsgeschwindigkeit ziemlich constant (Durch-»
schnittszahl 2,2), bis das Kaninchen getödtet wird, während
durch die Eserineinträufelung in das andere Auge (mit
geringerer Injectionsgeschwindigkeit) eine bedeutende Stei-
gerung der Injectionsgeschwindigkeit von 0,9 — 3,8
erhalten wird. Die Steigerung beginnt 10 Minuten nach der
Eserineinträufelung, erreicht 10 Minuten später ihr Maximum,
worauf die Injectionsgeschwindigkeit binnen 10 Minuten wie-
der abnimmt, um sich dann ziemlich constant und höher als
die im anderen Auge, das vorher die grössere Geschwindig-
keit dargeboten hatte, zu halten, bis das Thier 55 Minuten
nach der Eserineinträufelung getödtet wird.
Die Pupille, welche im Anfang des Versuchs mittelweit
war, erweiterte sich ohne merkbare Alteration der Injections-
geschwindigkeit allmählich, so dass sie bei der Eserinein-
träufelung in beiden Augen 9 mm weit war. 10 Minuten
nach der Eserineinträufelung, wenn noch keine Verände-
rung der Injectionsgeschwindigkeit eingetreten ist, ist die
Pupille schon ad maximum contrahirt und hält sich dann
während der darauffolgenden starken Veränderungen der In-
jectionsgeschwindigkeit constant. Beim Tode ist die Pupille
3 mm im Eserinauge, 5 mm im Controlauge.
668 V. Grönholm.
Beim Tode des Thieres ergiebt sich, dass die Filtrations-
gescliwiiidigkeit in beiden Augen fast gleich ist.
Die Secretionsgeschwindigkeit ist im Controlauge 2,2, im
Eserinange vor der Eserineinträufelnng 3,9, nach derselben
1,0 cbmm in der Minute.
Wenn das Thier getödtet wird, strömt in beide Augen
während 6 Minuten dieselbe Flüssigkeitsmenge ein.
Versuch 18.
Kaninchen, gut fixirt. Keine Narkose. Lebers Filtrations-
manometer im einen, Injectionsapparat mit Wasserdmck im
anderen Auge. Glaskörpercanülen. Bei Einführung der CanQle
in das rechte Auge fliesst eine kleine Menge Glaskörper ans.
ehe die Canüle die Skleralwunde ganz ausfüllt. Ununter-
brochene Injection gleichzeitig in beiden Augen. Ablesung
nach je 5 Minuten. Die Variationen der Injectionsgeschwindig-
keit sind durch die Curven Nr. XL veranschaulicht
Analyse des Versuchs 18. Bei diesem Kaninchen ist
die Injectionsgeschwindigkeit in beiden Augen nicht gleich.
(Differenz 1,6). Der Grund dazu könnte möglicherweise dario
gesucht werden, dass bei der Einführung der Canüle in das
eine Auge, in dem später die grössere Injectionsgeschwindigkeit
beobachtet wurde, eine geringere Menge Glaskörper ausfloss. £s
muss angenommen werden, dass dabei die Blutgefässe im Ange
gelähmt worden sind und eine Vermehrung der Blutmenge des
Auges eingetreten ist Man könnte annehmen, dass hierdorcb
auch eine vermehrte Secrction der Augenflüssigkeit aus den
Blutgefässen und also eine verminderte Injectionsgeschwindig-
keit hätten erfolgen sollen. Im Versuch 4 wurde unter ähn-
lichen Verhältnissen ein erhöhter intraocularer Druck beobachtet.
Da wir aber im vorliegenden Falle im Gegenteil eine ver-
mehrte Injectionsgeschwindigkeit erhalten haben und da ein
Ausflnss neben der Canüle garnicht stattfand, so muss man den
Grund der Vermehrung in irgend einem andei*en Umstände
suchen. Dabei liegt es am nächsten anzunehmen, dass das
Irislinsensystem beim Ausfluss des Glaskörpers nach hinten
dislocirt und dadurch die Kammer vertieft und eine ver-
grösserte Injectionsgeschwindigkeit erhalten worden sei. Dies
bleibt aber doch nur eine Muthmassung. Durch Eintrfinfe-
lung von Eserin während der Injection wurde die
Injectionsgeschwindigkeit im linken Auge von 1,1 bis
6,7 gesteigert Im Controlauge war zu gleicher Zeit nur
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 669
Rechtes Auge.
StelluDg '
der 1
Luftblase '
Linkes Ai
, 1
•i| litt
I 'S
uge.
Stellung
der
Luftblase
5^
15
1
1 Anmerkuog
1
Anmerkung
Injectionsdruck 50 mm Hg.
51'/,
99
47 V, 1
Pup. 8 mm
50
52V.
i 2V,
Pup. 8 mm
118
19 1
59
' 6V.
1367,
18V,
65
' 6
'
154
17V, 1
70V,
; 5v.
'
170
16
74Vs
! 4
185V,
201V,
15V, 1
16 !
79
82V,
; 4v.
1,1
214
12% 1
2,7
87
4V.
2-26
12
92
5
236V.
10% 1
98
6
247
10% 1
104
^i
257
10
iiov.
67.
1
266
9
116
5V,
Pup. 7 mm
275V,
97,,
Pup. 7 mm
123
7
i
eingeträufelt.
286V,
11
142V.
19V.
1
297V,
11
173V.
31
Pup. 5 mm
309
11% 1
Pup. 7 mm
202
28V.
1
324
15
Pup. 5 mm
230
28
Pup. 3 mm
338
14
262
32
349V.
11%
2,9
295
33
i 5,7
362V, 1
13
Luftbl. zurDck
327
32
Luftbl. zurück
50 1
19
50
25
«9 !
18'/,
7"!
29
31
87V,
19
104
25
106V, 1
129
121 '
14V,
144
15
141
20
3,6
' 1H2
18
Eserin wird 1 x
159V, '
18%
; 177
15
eingetrftufc'lt
178
18% '
192
15
196V,
18%
215
23
4,8
216
19%
3.8
241
26
233%
17%
264
23
254 ,
■M% ,
2.:i7
23
eine höchst unbedeutende Steigerung (von 2,7 bis auf 2,9) zu
beobachten. Die Zunahme der Injectionsgeschwindigkeit trat
schon 5 Minuten nach der ersten Eserineinträufelung ein und
dauerte 50 Minuten fort, da die Geschwindigkeit abnahm, bis
sie ebenso gross wie im Controlauge wurde. Als nun noch
einmal Eserin eingeträufelt wurde, erhielt ich auf's
670
V. Grönholm.
Neue Bescbletiuigung der Injectiousgescliwindigkeit
(von 3,1 bis auf 4,8), ohne zu gleicher Zeit irgend eine Ver-
änderung im Controlauge zu beobachten.
Die Pupillarcontraction fing gleichzeitig mit der Steige-
rung der Injectionsgeschwindigkeit an, erreichte aber ihr
Maximum (3 mm) erst nachdem die vermehrte Injections^
geschwindigkeit 10 Minuten lang gedauert hatte. Als Eserin
zum zweiten Mal eingeträufelt wurde, war die Pupille con-
trahirt (3 mm) und zog sich nicht weiter zusammen. Die
Filtrationsgeschwindigkeit wurde nicht bestimmt.
Was schliesslich die Inj ectionsgesch windigkeit im Control-
auge während der 155 Minuten dauernden Glaskörperinjection
betrifft, so betrug sie 30 cbmni; sie zeigte jedoch grossen
Wechsel, wenn wir eine Periode von 5 Minuten mit einer
anderen vergleichen; wird aber die Injectionsgesch windigkeit
für längere Zeitperioden berechnet, so werden die Durch-
schnittszahlen der ersten 115 Minuten ziemlich constant, und
nur während der letzten 40 Minuten bemerkt man eine be-
deutendere Vermehrung der Injectionsgeschwindigkeit
Versuch 19.
Kaninchen, gut fixirt Keine Narkose. Zwei Filtrations-
manometer nach Leber. Dicke Leber'sche Canülen im Glas-
körper beider Augen. Injection gleichzeitig in beiden Aageii.
Rechtes Auge
Linkes Auge
Stellung I
der I
Lnft-
blue !
J_
IG
\ Mittel
; IG
0
18
22
24
26
27V,
28Va
29
31
327,
34
18
4
2
2
1
2
IV, ;
IV, !
Anmerkung
Stellung
der
I Luft-
blase
IG
\ Mittel
I IG
I Anmerkung
Injectionsdruck 50 mm llg
'Pupille 7mm
1,8
0
11
14
16
17V,
]9
20
21
23
24
25
11
3
2
IV,
IV,
1
1
2
1
1
1 Pupille 7rani
1,6
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 671
Die Injectionsapparato werden geschlossen. Eserin wird
in das rechte Auge mehrnmls eingeträufelt. 50 Minuten
später wird wieder injicirt.
Rechtes Auge
Linkes Auge
Stellung
der
Luft-
bUM
IG
Mittel I
j^ ' Aomerkaog
Stellung '
blase I
Mittel
IG
Anmerkung
Injectionsdruck 50 mm Hg
0
38
44
49
53
59
64
68
72
74
77
38
6
ö
4
6
5
4
4
2
3
Pupille 8mm li
4»8
0
18
21
23
25V.
27 V.
297.
31
33
34
35
18
3
2
2
2
IV,
2
1
1
Die Injectionsapparato werden
schlössen gehalten.
77
84
8«)
89
91Vt
94
96V.
98V.
100
102V.
105
106V,
109
111
113
115
116V.
118
120
122
124
125V.
127
129
4V.
2V.
2
3
2V.
2V.
2V.
2
IV.
27.
2V.
IV.
2V.
2
2
2
IV.
IV.
2
2
2
IV.
2
2,4
Pup.3- 5mm
1,9
35
43
45
47 V.
49 '
50
52
51V.
56
57
58
60
61V.
63
64
67
67V.
68V.
69
71
74
75
76
79
1,9
I
3 Minuten hindurch ge-
8
2
2V.
IV.
1
2
2V.
IV.
1
1
IV.
IV.
1
3
V.
1
V.
1
8
1
1
3
3
Pupille 8 mm
1,7
1,5
672
V. Grönholm.
Rechtes Auge
Linkes Auge
Stdlung
der I iCr
Luttbl. I
Mittel
IG
Anmorkangeo
llstellang'
der
il Luftbl. i
IG
I Mittel
• IG
Anmerkungw
Injecüonsdruck 50 mm Hg
131
132V,
2
IV, '
2
1
2
1,7
1
1
82 '
85 '
2
1
1
1
134
,
8G
1
136
87
IV,
137
1
88V, ,
V,
139
IV, ,
2 '
1 ■
89 '
5
140V, ,
94
4
142 1
1
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2
144 1
'
100 t
2
145
1
102
1
147 1
2 I
1,6
103
1
148V. i
IV, f
IV, :
1 1
\ i
2 1
'
104
1
1,6
150 '
105
IV,
151 1
1
1Ü6V,
IV,
-
152 ,
108 1
l
1
154 '
156 1
j Pupille
5mm
109
110
1
,Pupille8mra
Die Injectionsapparate werden 91 Minuten lang ge-
schlossen.
156
205
210
216
222
227
230
233
236
239
49
5
6
6
5
8
3
3
3
j IPupilleSmm I 110
I ; r 113
I |l 117
I 118
I 120
I 121
\ 122
I 124
125
126
1-28
3,8
3,0
3
4
1
2
1
1
2
1
1
2
1,4
Analyse des Versuchs 19. Bei diesem Kaninchen ist
die Injectionsgeschwindigkeit an beiden Augen gleich (1|8 und
1,6). Nach der Eserinisirung nimmt die Injectionsgeschwindig-
keit (bis auf 4,3) zu. Bei fortwährender Injcction (in 50
Minuten) nimmt die Injectionsgeschwindigkeit im eserinisirten
Auge successive ab, um auf dem ursprünglichen Werth (1,6)
stehen zu bleiben. Wird die Injection während 91 Minuten
"H
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 673
unterbrochen, so eriiält man wieder im Eserinauge gesteigerte
Injectionsgeschwindigkeit (3,8 und 3,0). Im Controlauge er-
folgt keine nennenswerte Veränderung der Injectionsgeschwindig-
keit in den 40 Minuten, während deren die Glaskörperinjection
bei 50 mm Hg. Druck ununterbrochen andauert. Die mittlere
Injectionsgeschwindigkeit in diesem Auge ist 1,7 cbmm.
Versuch 20.
Kaninchen, gut fixirt. Keine Narkose. Zwei Filtrations-
manometer nach Leber. Dicke Lob er 'sehe Canülen im Glas-
körper der beiden Augen. Injection abwechselnd in das eine
und das andere Auge.
Rechtes Auge
Linkes Auge
Stellung
der
Lultbl.
IG
11
12
13
14
14Ve
lö
16
17
18
Mittel
IG
|{steUuDgi
Anmerkungen d der |
I Luftbl. I
IG
Mittel
IG
Injectionsdruck 25 mm Hg
1 1
2
Pupille 4 mm 2
h
3 '
! '
27.
^ i
0
1 9V,
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0
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V,
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0
12
7
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12%
f'l
7
1
0
Anmerkungen
Pupille 3 mm
Pupille 4 mm
Injectionsdruck 33 mm Hg
1
1
1
V.
^u
1
1
V.
0,8
I 14
jl5
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17
18
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I 20
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, 227.
17.
1
1
7.
7.
1
1
1
2
7.
0,9
674
V. Grönholm.
Hechtes Auge
Linkes Auge
StoUimg
der
Luftbl.
IG
22
24
25
25Va
26
27Vs
28V,
29Vs
30
31%
I
4
2
1
V,
V,
1
1
37
38V.
41
42Vs
44
45V.
46V»
48V.
49Va
5Vi
IV.
2
V,
IV»
IV,
1
Mittel I ,
jrn j Anmerkungen
I Stellung >
der
, Luftbl. I
IG
BUttel
IG
A nmerkungea
Injectionsdruck 41 mm Hg
1,6
11
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44
45
45
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^•8V.
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Injectionsdruck 50 mm Hg
1,4
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62 I
62V,;
! I
V. ■
V,
V, ■
\ 1
0,6
I
Die Injectionsapparate werden geschlossen. Eserin wird
in das rechte Auge mehrmals eingeträufelt 49 Minuten
später wird wieder injicirt.
ü
3V,
5
6V.
8
9
10
IIV.
12
13
14
3V,
IV.
IV,
IV,
1
1
IV.
V.
1
1
Pupille 1mm '
1,2
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3
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3V,
3V,
4
4
4V,
Injectionsdruck 25 mm Hg
I
, 2V,
I 0
I 0
V,
0
0
»■'■
1 '/.
I Pupille 6mm
I
0,2
Experiment Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 675
Rechtes Auge Linkes Auge
Stellimg
1
Mittel StelloDg
lOttol
der
LuttU.
IG
r/y AnmerkoDgen n der
^^ 1' Luftbl.
IG
IG
AnmeTkuB gen
Injectionsdruck 33 mm Hg
17
19
22
24
25V,
27
28%
30
3
2
3
2
IV,
IV,
iV,
IV,
1,8
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6'/. ^
1
1
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31V,
33
IV,
Pup.0,5mm
1
1
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36
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IV,
2
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2
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Pupille 7mm
38
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. 9V,
9V.
0,4
41V,
43
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10 'S
IS i 0
45
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1
1
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i''-
Iiyectionsdruck 50 mm Hg
66
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60»/,
63
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68
70
727.
76
77
3
3
2V,
27.
2V.
2V.
2
2V.
27,
2
2,6
12 I 5 I
13 ^,, i 0,4 'PupilleGmm
137, I ü '* ! I
13V, I " i
Pup. 0,5 mm ,
676
V. Grönholm.
Die Injectionsapparate werden geschlossen. Eserin wird
mehrmals in das linke Auge geträufelt
Rechtes Auge
Linkes Auge
Stellang
der
Laftbl.
IG
Mittel
IG
. SteUungl ! Mittel
Anmerkungen der i Jiir
, Laftbl. !
IG
Anmerkazkgeo
Injectionsdruck 25 mm Hg
0 i
3
4
5
6
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1,0
Pup.0,5mm| ^^. j IV« ' |Pup.l,5]
' '> * ' -''' 0,3 i
" 2 i ^
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li ^ /«
V,
Injectionsdruck 33 mm Hg
10
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17
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22
26
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3
2
2
1,7
7V.
i;-j
18
21
23V,
5
5
3
2V,
4,0
oder
2,8
Injectionsdruck 41mm Hg
2,0
28
30
32V3
34Vs
36V.
4%
2
2V.
2
2
iPnp. 1,5 mm
2,1 !
Injectionsdruck 60 mm Hg
38 ,
42
45 I
4SV/,
52 ,
10
4
3
3\-'.
3v;
3,5
|Pup. 1,0 mm
I
42 I
47
51V.
57
60
62 ,
62 V-
63 ,
5
4V2
5Vt
3
2
Vi
V.
3,0
oder
1,5
Experiment Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 677
Analyse des YerBucbes 20. Bei diesem Eaninchon ist
die Injectioosgeschwindigkeit in beiden Augen gleich^). Nach
der Eserinisirung wird die Injectionsgeschwindigkeit beschleunigt
(fQr verschiedenen Injectionsdruck yon 0,4 bis auf 1,2, von
0,8 bis auf 1,8, von 1,6 bis auf 1,8, von 1,4 bis auf 2,5
und im anderen Auge von 0,4 resp. 0,2 bis auf 0,3, von 0,9
resp. 0,1 bis auf 2,8, von 1,3 resp. 0,4 bis auf 2,1 und von
0,6 (?) resp. 0,4 bis auf 1,5). Bei Wiederholung des In-
jectionsversuchs nimmt die Injectionsgeschwindigkeit (von 0,4
bis auf 0,3, von 0,9 bis 0,1, von 1,3 bis 0,4, von 0,6 (?)
bis auf 0,4) im Controlauge ab; im Eserinauge wurde dagegen
eine solche Abnahme nicht beobachtet
Versuch 21.
Albinotisches Kaninchen. Curare. Kuhige Narkose. Zwei
Injectionsapparate. Ligaturfäden unter den Carotiden.
Uhr
1
Rechtes Auge Linkes Auge
7 20
|!
Schult^n's Canülen werden eingeführt.
7 30
TO — 18 mm Hg TO « 18 mm Ilg
7 35
'
ro — 18mm Hg TO«. 18 mm Hg
r^s"
' ^s ' '
i|!
rrf Mittel , ^ ^^ \ rr Mittel ^
' IG Anmerkungen s j > Itr jq i Anmerkungen
iy^
:
1
Irgectionsdruck 50 mm Hg
7 36
116
18
7 37
1 131
H 1 29
' S 1 1 35
^ 1 2,6 39
_f ' 4*
^ 47
A
7 38
1 134
4
Q 1
7 39
|! 136
7 40
139
7 41
1 141
7 42
'' 143
V
7 43
142
ii
O ,
^) Bei Injection in das linke Auge bei 41 mm Hg wird das
Thier unruhig, wobei eine bedeutende Flfissigkeitsmenge binnen
2 Minuten in das Auge einströmt, was davon abhängen muss, dass
Blut aus dem Auge abfliesst (plötzliche Herabsetzung des allgemeinen
Blutdruckes, Herzschwäche). Bei daraulf<^nder Injection beiöOmmllg
erhftlt man verminderte Ii\jectioii^8chwindigkeit (der allgemeine
Blutdruck steigt, dass Blut wird wieder in das Auge eingepresst).
678
V. Grönholm.
Uhr
7 44
7 45
7 46
7 47
7 48
7 55
8 5
8 10
8 20
8 35
8 47
8 51
8 52
8 58
8 54
8 55
8 56
8 57
Rechtes Auge
Linkes Auge
«1
.^
156
161
153
151
152
jr Mittel , ^ 1^
\lG ^^«ö«'^k»»»»8«n I |S
IG
; Mittel
\1G
KsktoK^oangea.
t
-5
I 2
—2
I 1
iLig. d. Carotis 63
I I 62
Lig. offen i 64
2 1
Lig. d. CÄroti>
,Lig. offen
Die Ii^jectionsapparate werden geschlossen.
{Eserin in das
rechte Auge
TO =- 20 mm
TG = 18 mm
TO = 19 mm
TG = 15 mm
Pupille 4 mm |
Pupille 2 mm j.
Pupille 1 mm
Pupille 1 mm
rO = 20 mm
TG = 17 mm
T0 = 17 mm
rO==15mm
Pupille 7 mm
Pupille 5 mm
{ Pupille 6 mm
1
Injectionsdruck 50 mm Hg
177
192
15
1
7
1
2
3
193
200
201
203
206
Lig. d. Carotis'
46
61
63
79
83
85
15
2
16
4
2
Lig. d. Carotis
Analyse des Versuchs 21. Bei diesem Kaninchen ist
die Blutmenge in heiden Augen gleich. Nach Application des
Eserins hat die Blutmenge im Eserinauge his auf die
Hälfte ahgenommen (von 14 cbmm bis 7 cbmm). Der
intraoculare Druck, der in beiden Augen niedrig ist, hat yom
Eserin keine Einwirkung erfahren. — Die Injectionsgesdiwin-
digkeit ist vor der Eserinisirung in beiden Augen fast dieselbe
(2,6 und 3,0). Die Filtrationsgeschwindigkeit habe ich bei
Ligatur der Carotis nicht messen können, weil Blut durch
colaterale Verbindungen in das Auge einströmte.
Versuch 22.
Kaninchen. Keine Narkose. Lebers Filtrationsmanometer
mit doppeltem Abflussrohr. Schultöns Canttlen. Ligatarfäden
unter den beiden Carotiden.
Experiment Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 679
Eserin wird in das linke Auge eingeträufelt; 44 Minuten
sp&ter Injection.
Rechtes Auge Linkes Auge, eserinisirt
Lutlbl. ' :S 1 ,, Luflbl. I«^
Injectionsdnick 50 mm Hg.
87 ,. 1 Pnp. 4 mm 49 ,„
101 ** 68 '"^
Pup. 0, 5mm
Kö ; 2 1 « - ft „ 71 3
10.V/,: 2VJ^ ' 74 3
2,7 j0,2
109 ' 3'/, , 76 : 2
125 , 16 i 'Ug.d.Crot. 83 7
Lig. d. Carot.
128V.
109
3V.i
-19V, 1
j 86 3
Lig. offen' 82 —4
Lig. offen
109
0
b5 3 1
111
2 1 ! ■ i 87V. . 2V, !
Die Injection wird binnen 16 Minuten abgebrochen.
1
110 ,2 1
1 ^-^ 1 1 1
, 1-^5 1 3 L,
■ 127V.. 2V,1 '''^
0,4
■ 129V. 2
(' i 141 IIV.:
Lig. d. Carot.
■ ■ 145 4
1
135 !-10
1
j 138 i 3
Lig. offen
1
:
141 1 3
Die Injection wird binnen 29 Minuten abgebrochen.
180 I
188V,i
191
193V,
195
197V,
200
202
221
224
208V,
211
212
214
87,
2V,
2V,
IV,
2V,
2V.
2
19
3
-löV,
27,
1
2
2,3
0,7
1
143
155
12
! 159
4
' 162
3
164
166
2
2
vi 0,2
169
3
1
171
2
Lig. d. Carot;
184
188
13
4
Lig. offen
1
175
178
181
-13
3
3
Ug. d. Carot.
Lig. offen
I
Das Thier wird durch Verbluten getödtet, unmittelbar
nachher Injection.
▼. Oraefe'i Arehlv Ar Ophthalmologie. XLIX. 8. 44
680
V. Grönholm.
Rechtes Auge
^^'\FG ig SG
324 ; 5
329 gVa ,
331V.! 2V,
334 '4
338 3 , 3,0
341 H
344 27, I
346V.i 2V. ,
349 3
3ö2 2 ,
354 i ;
^Vnnierk.
Linkes Auge
, Luftbl. , JS*<
Anmeit.
249 3Vi
252% 3V,
256 3
259 I 3
262 3
265 ' 27.
267V^ 2Vi
270 3 ,
273 2Vs
2757s 27.
278
I
2,91
Analyse des Versuchs 22. Es zeigt sieb, dass bei
diesem Kaninchen die Blutniengo im eserinisirten Auge 9 cbram
geringer als im anderen Auge war. Bei wiederholter Ligatur
der Carotis vermehrt sich die Blutmenge im Eserinange, er-
reicht aber nicht denselben Werth wie im Controlauge.
Irgend eine bedeutendere Einwirkung des Eserins auf die
Injections-, Filtrations- oder Secretionsgeschwindigkeit wird
nicht beobachtet, dieselben waren vielmehr an beiden Augen
gleich. Doch scheint die Secretion im Eserinauge ein wenig
vermindert zu sein.
Versuch 23. (Fortsetzung des Versuchs 9.)
Kaninchen. Curare. Ligaturfäden unter den Carotiden.
L e b e r' s Fiitrationsmanometer mit doppeltem Abflussrohr. Schul-
Linkes Auge TO ==> 44
Rechtes Auge TO «42
Stellung
der '
Luftbl. '
IG
Mittel !q^J . ^ ; Stellung'
jQ ,*^" Anmerk. der
IG
Luftbl _
Injectionsdruck f>0 mm Hg.
Mittel
IG
SG\ Anmerk.
I
50
52 1
53 17« 0,8 '2,4'
547, 1 0
•^^V. , 1
55Vs V» ; ;
56 1
57 i ' I ,
Injection in das linke Auge.
57
60
61V,
63V9
ö57.
667,
<i5V,
66
t
2
2
0
0
1,0
2,7,
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. gg J
t^n's Canttlen. Der intraoculare Druck wird gemessen und
die GvryeD Nr. IX A erhalten. (Vergl. auch Seite 65d). In-
jection erst in das rechte, dann in das linke Auge.
Der Injectionsapparat wird geschkwsen. Der intraocnlare
Druck gemessen. Eserin wird in das rechte Ange eingeträafelt.
Der Druck geht herab (vergl. dieCnrven Nr. IX B und Seite 653).
Das Manometer wird abgeschlossen. Injection erst in das
rechte, dann in das linke und schliesslich wieder in das
rechte Auge.
Rechtes Auge, eserinisirt. rO*=*2»' Linkes Auge. T0»s3l
«• "a I y/3 Mittel i ■ ' » $ T^
^•c? ' T?P_ resn. *^"' ADiuerkungen =
X J t
FG
resp.
FG
f*«?,
re«p.
Ji I^^G JTQ
Mittel "' •
resp. ^^' Aninerk.
Injectionsdruck 50 mm Hg
Kl ;
7
HH
i^k
2'A
9a
•-äV.
95
2
97 i
2
98 1
1
100
2
115 !
Ift
10.-.'/,;
-9V,
Pupille I mm
2,0 |1,2
Injection in das linke Auge
105V-.
114
117
i20 .
123
126
127%.
128Vi,
Llg. d. r. Carot. \:\0
Ligatur offen 150
158
18.> I
198
203 '
206 V,i
210 I
218
216 '
219 ;
5 Minuten später
12
5
3%
3V.
3
3
3
Lig.d.r. Carot.
Pupille 0,5mm
138
138
140
159 '
lH4Va'
les^A";
172 \
176 '
179
183
158 ■
155VJ
154 v: "
154V..
'155V.r
157 ,
87.
3
3
3
3
IV.
1
IV.
20 ;
-11
o
2 •
19
5V.
4
3V»
4
3
4
-25
-2V*
- 1 ,
0
1 .
IV.
Pup. 4 um
2,3 1,4!
|Lig. d. Un-
ken Carot.
Lig. offen
Liff. d. 1
Carotis
3,7
Lig. offen
I I ;| Injection in das rechte Auge
Analyse des Versuchs 23. Jn diesem Versuch ist die
Injectionsgeschwindigkeit sowohl vor als nach der Eserinisirung
44*
682 V. Grönholin.
in beiden Augen gleich. (Differenz 0,2 resp. 0,3.) Die In-
jectionsgeschwindigkeit ist bei dem späteren Injectionsyersuchc
1,2 resp. 1,3 cbmm grösser als bei dem ersten; der intra«
oculare Druck ist geringer.
Bei Ligatur der Carotis enthält das Eserinange 5 und
bei wiederholter Ligatur 7 cbmm weniger Blut als das Gon-
trolauge. Ungeachtet dieser geringeren Blutmenge ist sowohl
die Filtrations- als die Seretionsgeschwindigkeit im Eserin-
und im Controlaugo fast gleich.
Ergebnisse der Versuche über die Einwirkung
des Eserins auf die Filtration, die Secretion und
die Blutmenge des Auges. Das Verhalten dieser
Factoren im normalen Auge.
Die Resultate der Versuche in dieser Abtheilung werden
der Uebersichtlicbkeit wegen in Tabellen zusammengestellt.
In diesen wird auch den im nächstvorhergehenden Capitel
erwähnten Versuchen, die wir hier einer näheren Betrach-
tung unterwerfen werden, Raum gegeben.
Der Injectionsdruck war meistens 50 mm Hg. Nur in
zwei Versuchen habe ich niedrigere Druckgrade benutzt In
fünf Versuchen wurde die Injection während der Eserinein-
träufelung unterbrochen, in zwei Versuchen die Eserinein-
träufelung während der Injection fortgesetzt
Die Filtrationsgeschwindigkeit in eserinisirten und
nicht eserinisirten Kaninchenaugen.
Tabelle L
FG 1
d. nicht eserininirten
FG
des eserinisirten
Differenz')
1 Auges
3,0
Auges
Versuch 16
3,2
+ 0,2
. „ 17
4,4
4,8
+ 0,4
„ 22
3,0
2,9
-0,1
„ 23
3,7
3,2
-0,5
„ 10
4,7 4,5 .
0,2
V 14
' 4,0
15
! 3,6 3,2 1
0.4
^} -|- deutet an, dass die Zahl des Eserinauges die grossere ist
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung dos Eserins etc. 683
Aus den Versuchen im vorhergehenden Capitel ergab
sich, dass die Filtrationsgeschwindigkeit in beiden Augen
desselben Thieres beinahe gleich ist. Wir finden jetzt, dass
die Filtrationsgeschwindigkeit im eserinisirten Auge fast die-
selbe wie im Controlauge ist und dass die kleine Differenz
ebensowohl von einer geringeren als von einer grösseren
Filtrationsgeschwindigkeit im Eserinauge bedingt werden
kann. Das Eserin verändert also die Filtrations-
fähigkeit des Kaninchenauges nicht.
Dieser Befund ist überraschend. Die Bedeutung, welche
die Erschwerung der Filtration für die Pathogenese des
Glaukoms hat, steht ja über jedem Zweifel. Die Arbeiten
der späteren Jahre, besonders die aus dem liaboratorium
Leber's, haben sämmtlich nach dieser Richtung hingewiesen.
Bentzen(87u.90), Koster (85), Niesnamoff(91) und die
entsprechende Glaukomlehre dürfte auch die meisten An-
bänger zählen.
Unter solchen Verhältnissen hätte man am ersten er-
warten können, dass das Eserin dadurch den Druck herab-
setzte, dass es den Abfluss im Kammerwinkel erleichtert.
Und doch verhält es sich nicht so, wenigstens nicht beim
Kaninchen. Diese Wirkungsweise des Eserins ist hier nicht
die hauptsächliche, nicht sozusagen die primäre. Diese These
kann noch weiter bestätigt werden.
Die Filtrationsfähigkeit des Auges ist unzweifelhaft zum
grössten Theil von der grösseren oder geringeren Tiefe des
Kammerwinkels und von der relativen Dichte der Maschen
des Ligamentum pectinatum abhängig. Wenn diese Fac-
toren vom Eserin verändert werden, so muss dies auf eine
der folgenden Weisen geschehen. Man kann sich denken,
dass bei Pupillencontraction die Irisperipherie sich ver-
dünnte, die Balken im Fontana'schen Kaume gerade ge-
macht und die Maschen vergrössert würden. Ist dies der
Fall, so müssen die vom Eserin verursachten Veränderungen
des Druckes und eventuell der Injectionsgeschwindigkeit
684 V. Grönholm.
mit der Pupillencontraction in zeitUchem Zusammenhang
stehen.
Bei näherer Betrachtung der Versuche 17 u. 18, in
denen die Injection während der Eserineintraufelung ununter-
brochen fortgesetzt wurde, zeigte sich jetzt, dass hier, wie
auch bei Messung des intraocularen Druckes, die PupiUar-
contraction mit der Veränderung der Injectionsgeschwindig-
keit nicht zeitlich zusammenfiel, sondern dass sie ihr Maxiimun,
bald vor (Vereuch 17), bald nach (Versuch 18) Eintritt der
Beschleunigung der Injectionsgeschwindigkeit erreichen kann,
und schliesslich, dass die Injectionsgeschwindigkeit auch ohne
jede Veränderung der Pupille (Ende des Versuches 18) be-
schleunigt werden kann.
Das Absenken des intraocularen Druckes nach
Eserin hängt also wenigstens in normalen Augen,
nicht von der Miose ab. Die einschlägige Behauptung
Höltzkes (55) und Grasers (56) ist nicht richtig, wir müssen
vielmehr Stocker (62) £echt geben. Auch Pflüger(54)
huldigt der richtigen Ansicht, fugt aber hinzu, dass die
Miose im Glaukomauge ganz andere und grössere Bedeu-
tung als im normalen Auge habe. Es kann dagegen ein-
gewendet werden, dass der zeitliche Zusammenhang zwischen
dem Absinken des Druckes und der Pupillencontraction
bei mit Eserin behandeltem Glaukom, noch keinem genaueren
Studium unterworfen worden ist, dass aber von vielen Seiten
die Beobachtung gemacht worden ist, dass Eserin den Druck
im Glaukomauge herabsetzt, auch ohne dass irgend eine
Veränderung der Pupillenweite eintritt Auch ich habe die
Gelegenheit gehabt, einen solchen Fall zu sehen. Das
Eserin kann weiter den Kammerwinkel und dadurch die
Filtrationsfähigkeit auf solche Weise verändern, dass es
eine Veränderung der hinter dem Irisdiaphragma befind-
lichen Flüssigkeitsmenge verursacht. Wir können uns
z. B. denken, dass das Eserin Blut aus den G^fässen der
diorioidea und Retina hinaustreibe. Das Irisdiaphragma
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 685
fände Gelegenheit, sich infolge seiner Elasticität einiger-
massen nach hinten zu verschieben, wodurch der Kammer-
winkel sich vertiefen würde. Um die Bedeutung dieser
Eventualität zu prüfen, habe ich die Versuche 17 und
18 in der Weise angeordnet, dass die Injection nicht
unterbrochen und hinter der Iris vorgenommen wurde.
Dabei kann das hinter der Iris befindliche Flüssigkeits-
volumen keine Veränderung erleiden. Jedes Volumen der
intraocularen Flüssigkeit, die aus der hinteren Bulbus-
hälfte abgeht, wird sofort von einer gleich grossen Flüssig-
keitsmenge aus dem Injectionsapparat ersetzt und, wenn
die intraoculare Flüssigkeit aus irgend einem Grunde ver-
mehrt wird, strömt eine entsprechende Flüssigkeitsmenge
in den Injectionsapparat zurück. Da nun die Versuche
17 und 18 zeigen, dass das Eserin auch bei solcher An-
ordnung des Versuchs die Flüssigkeitsmenge im Auge zu
verändern vermag, so kann diese Veränderung nicht dadurch
geschehen, dass das Irisdiaphragma nach hinten verschoben
wird und die Filtration zunimmt.
Eine dritte Möglichkeit der Zunahme der Filtration
wollen wir im nächsten Capitel besprechen.
Der Durchschnittswerth der Filtrationsgeschwindigkeit
in 13 Kaninchenaugen war 3,7 cbmm, das Minimum ist
2,9, das Maximum 4,8 cbmm. Niesnanioff (91), der in
die vordere Kammer injicirte, giebt an, dass die Filtrations-
geschwindigkeit des Kaninchenauges 14 cbmm ist Auch
ich habe dem Kaninebenauge eine so grosse Filtrations-
geschwindigkeit beibringen können, allerdings nur wenn die
vordere Kammer abnorm tief gemacht wurde.
Die Injectionsgeschwindigkeit in eserinisirteu
und nicht eserinisirten Kaninchenaugen.
Aus 24 Bestimmungen an 12 Augen (6 Thiere) geht
hervor, dass die Injektionsgeschwindigkeit im ese-
rinisirten Auge grösser als im Controlauge ist
Versuch 16
686 V. Grönholm.
labelle IL
.|t 1
Ö g ^
-^
Jl's
Jl ?
fifi:
w
s
,ß / Inj. -Druck 25 mm Hg
^^ \ „ „ 60 mm Hg
1,3
0,3
, +1,0
!
2,6
1,5
. +1,1
17
3,8
2,6
1 +1,2
0,9
2,0
— I.I
1
6,7
2,9
, +2,8
, 1,1
2,7
-;>
4,8
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+ 1,0
' 3,1
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-'•i
1
4,3
1,9
+ 2,4
1,8
1,6
— '•-
1
3,4
(8,0-3,8)
1,4
, +2,0
' (1,6-2,4)
1
Inj.-Druck 26 mm Hg
1,2
0,2
1 +1,0
0,4
0,4
r'-'
00 » " 33 mm Hg
-" „ „ 41 mm Hg
1,8
0,1
+ 1,7
0,8
0,9
— "J
1,8
0,4
+ 1,4
1,'i
1,3
- lU
• „ „ 50 mm Hg
2,5
0,4
+ 2,1
1 1,4
22 1
2,7
2,7
+ 0
2,7
2,3
1 +0,4
1
'
23
2,0
2,3
-0,3
0,8
IR-Aug«
1,0
1 L- Auge
,4
10 (d. vor. Kap.)
14 („ „ „ )
' 2,8
2,8
— ('»
1,8
1
il.6-2,0)
15 („ „ „ )
2,5
2,o
lÜ
Durchschnittliche Differenz
+ 1,6
i«i
Die Differenz schwankte zwischen 0,4 und 2,8 cbmm in
der Minute und betrug durchschnittlich 1,6 cbmm.
In einem Versuche (23) war die Injectionsgeschwindig-
keit geringer im Eserin- als im Controlauge, und in einem
anderen (22) wurde bei der ersten Messung keine Differenz
beobachtet.
Aus den Versuchen im vorhergehenden Kapitel ergab
sich, dass die Differenz zwischen den Injectionsgeschwindig-
keiten der beiden normalen Augen sehr klein ist, und dies
bestätigen in der Hauptsache diese späteren Versuche. Nur
bei 2 Thieren (Versuch 17 und 18) wurde ein bedeuten-
*} -f- deutet an, dass die Zahl des Eserinauges die grossere ist.
Experiment Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 687
derer Unterschied (1,1 und 1,6} beobachtet, während
dieser sich in den übrigen 16 Messungen auf höchstens
0,5 cbmm belief, so dass die durchschnittliche Di£fereuz
0,5 cbmm betrug.
Aus den Versuchen 17 und 18 ergiebt sich, dass auch
in denjenigen Fällen, in denen die Injectiousgeschwindig-
keit für beide Augen nicht gleich ist, die normalen Ver-
änderungen derselben gleichzeitig in beiden Augen auftreten,
so dass die Curven parallel laufen.
Die Injectionsgeschwindigkeit des Kaninchenauges
vor und nach der Eserinisirung.
Tabelle HL
I
ihi
«81
Kl ,
3< S3«a-^
£
^ersuch
17
18
19
0,9 1
1,1
3,1
1,8 i
1,6;
20
9 i
Inj. -Druck 25 mm Hg
33 mm Hg
'J'6
^\
0,4
0,8
1,6
1,4
41 mm Hg
60 mm Hg I
25 mm Hg 10,2-0,4
33 mm Hg !o,l— 0,9
41 mm Hg 0,4—1,3 |
50 mm Hg I 0,4 .
0,8.
3,8 i
6,7
4,8
4,3 I
3,4
(3,0-»,8)l
1,2 '■
1,8
1,8
2,6
0,3 I
2,8
2,1
1,5
V,0
. a
a
+2,«;
+ 4,6,
+ 1,7.
+ 2,51
+ 1,8|
+ 0,8
+ 1,0
+ 0,2,
+ 1,1;
+ 0 i
+2,7-1,9
+ 1,7-0,81
+ 1,1
+ 1,2
2,0
2,7
3,6
1,6
1,6
0,4
0,9
1,3
1,0
2,6
2,9
3,8
1,9
1,4
0,2
0,1
0,4
0,4
+ 0,6
+ 0,2
' + 0,2
+ 0,3
-0,2
-0,2
-0,8
-0,9
2,3 + 1,3
Durchschnittliche Differenz
+ 1,6
0,5
Von 28 Bestimmungen an 6 Augen gel)eii 26 an,
dass eine Vermehrung der Injectionsgeschwindigkeit in dem-
selben Auge nach der Eserinisirung eintrat, während im
Versuche 23 keine Veränderung erfolgte. Die Zunahme
") + deutet an, dass die Zahl nach der Eserinisirung grösser
geworden ist.
688 V. Grönholm.
schwankte zwischen 0,2 und 4,6 cbmm in der Minute und
war durchschnittlich 1,6 cbmm. Sie trat im Versuch IH
5 Minuten und im Versuch 17 10 Minuten nach der ersten
Eserineinträufehmg auf, erreichte 5 Minuten später ihr
Maximum imd dauerte 50 und 40 Minuten. Im Con-
trolauge war die DiflFerenz zwischen der vor und nach der
Eserinisirung des anderen Auges geAindenen Injections-
geschwindigkeit gering, durchschnittlich 0,5 cbmm, mit Aus-
nahme des Versuchs 23, wo die Beschleunigung an beiden
Augen gleich war. Ueberhaupt hält sich die Injections-
geschwindigkeit bei längere Zeit anhaltender Injection
unter 50 mm Hg-Druck ziemlich unverändert, besonders
wenn längere Zeitperioden in Betracht genommen werden.
Was schliesslich den absoluten Wertli der Injections-
gescliwindigkeit in Kaninchenaugen betrifft, so ersieht man
aus den Tabellen, dass dieser innerhalb weiter Grenzen
wechselt Wenn wir die Injectionsgeschwindigkeit in allen
Control- und allen Eserinaugen vor deren Eserinisirung
berechnen, so erhalten wir 1,9 cbmm *), als Durchschnitts-
zahl von 22 Bestimmungen an 17 Augen bei 50 mm
Hg-Druck. Minimum ist 0,4, Maximum 3,1 cbmm in der
Minute. Die mittlere Injectionsgeschwindigkeit des eserini-
sirten Auges bei 50 mm Hg-Druck ist 3,3 cbmm, Mini-
muD) 1,5. Maximum 5,7 bei 10 Bestimmungen an 8 Augen,
Die Steigerung der Injectionsgeschwindigkeit bei diesem
Injectionsdruck ist also durchschnittlich 1,4 cbmm.
Weil wir gefunden haben, dass die Piltrationsgeschwin-
digkeit durch Eserin nicht verändert wird, so muss die
Beschleunigung der Injectionsgeschwindigkeit nach Eserin
M N i e s n a 111 0 f f (91) giebt an, dass die Injectionsgeschwindigkeii
des Kaninclienauges bei Injection in die vordere Kammer 14 cbmm
betrage und der Filtrationsgeschwindigkeit gleich sei. Die Secretion
höre also bei 50 mm Hg-Druck auf. — Ich kann den hohen Werth
Niesnainoffs nicht anders erklären, als dass die vordere Kamni<?r
bei seinem Thiere sehr tief und das Auge beinahe blutleer war.
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 689
von Yerminderang der Secretion und vielleicht in den Ver-
suchen 17 und 18, wo ohne Unterbrechung injicirt wurde,
auch von einer Abnahme der Blutmenge während der
Injectiouszeit abhängen.
Die Secretionsgeschwindigkeit in eserinisirten und
nicht eserinisirten Kaninchenaugen.
Tabelle IV.
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0,6
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+ 1,5
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Durchschnittliche Differenz
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0,5
Die Secretionsgeschwindigkeit im Kaninchenauge
vor und nach der Eserinisirung.
Tabelle V.
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l'ö !S o » w,"«! ü ^ o'ö »,«'<,
Versuch 17
„ 23
3,9
2,4
1,0
1,2
2,91
■1,2I-
2,'2
2,7
»•5 3-a
1,8
1,4
'-0,4
-1,3
Durchschnittliche
Differenz
-2,1
-0,S
') — deutet an, dass die Zahl nach der P^serinisirung kloiiier
geworden ist.
690 V. Grönholm.
Was zuerst die nichteserinisirten Augen betrifft, so
geht aus der Tabelle hervor, dass die Secretion in
beiden Augen fast gleich war, dass aber einmal (Versuch 17)
eine Differenz von 1,5 cbmm beobachtet wurde. Die
Secretionsgeschwindigkeit im Eserinauge dagegen war stets
geringer als im Controlauge; die Differenz betrug durch-
schnittlich 0,5 cbmm, Minimum 0,1, Maximum 0,9. Im
Versuch 17, wo das Eserinauge vor der Eserinisirung eine
um 1,5 cbmm grössere Secretionsgeschwindigkeit als das
Controlauge darbot, sank die Secretionsgeschwindigkeit
nach der Eserinisirung um 2,9 cbmm und war dann um
0,8 cbmm geringer als die Secretionsgeschwindigkeit des
Controlauges. Im Versuch 23 hat das Eserin keine Ein-
wirkung ausgeübt.
Der durchschnittliche Werth, aus 12 Bestimmungen
an 11 Augen berechnet, ist für die Secretionsgeschwindig-
keit der nichteserinisirten Augen bei 50 mm Hg -Druck
1,7 cbmm, für die der eserinisirten dagegen 0,8 cbmm bei
5 Bestimmungen an 4 Augen.
Die Blutmenge im eserinisirten und nicht-
eserinisirten Kaninchenauge.
Tabelle VI.
Blutmenge { Blutinenge I
des des Differenz <)
Eserinauges | Controlauges
Versuch n \ 7 I 16 —9
]\ llVa-13 ' 19 —77«— 6
15 I 20 -5
12 I 19 1 —7
Im Versuch 10 hatten beide Augen vor der Eserini-
sii'ung dieselbe Blutmenge gehabt. Ein Versuch (14) gab
negatives Resultat; dem kann aber keine Bedeutung zu-
geschrieben werden, weil die Blutgefässe möglicherweise
*) — deutet an, dass die Zahl des Eserinauges die kleinere ist
Experiment, untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 691
durch 3 vorhergehende Unterbindungen der Carotis und
eine anhaltende Injection gelähmt worden waren.
Aus der Tabelle geht hervor, dass die Blutmenge im
Eserinauge bedeutend geringer ist als im Conti'olauge. Die.
Diflferenz beträgt 5 bis 9 cbmra. Das Eserin setzt also
die Blutmenge des Kaninchenauges um V« bis ^/^
des Normalen herab.
In diesem Zusammenhang mag erwähnt werden, dass
die Versuche, das Verhalten der Retinalarterien mit dem
Schulten 'sehen Ophthalmoskop zu beobachten, keine
sicheren Resultate gaben. Die Veränderungen nach Eserin
treten zu langsam und allmähUch ein, und die Blutgefässe
des Augenhintergrundes verändern ihr Kaliber und Aus-
sehen , auch bei bedeutenden Eingriffen und Störungen,
nicht so auffallend, wie die Sanguiniker erwartet haben.
(Schulten, 52).
Wir wollen zuletzt alle Resultate, die wir betreflFs der
Blutmenge des normalen Auges bei 50 mm Hg Injections-
druck erhalten, zusammenstellen. Diese wurde 24 Mal an
13 nichteserinisirten Kaninchenaugen bestimmt.
Die Blutmenge des nicht eserinisirten Kaninchen-
auges bei 50 mm Hg-Druck.
Tabelle VII.
Messung!
10
11
•4 |! (A ^
! 10 : 6 10
9; 9i
1.
3. 1 10 I 8
4. 1 10 ,10
Diff. ' ü~4
12
Versuch
13 I 14
21
22
23
9 ; 13 1 13 14 14 II 14
I ! I I
11
0
0
1:14 16 1' 16;
,16ll9|
2 !'
20
19
692 V. Grönholm.
Die Tabelle bestätigt zuerst die schon früher gefandene
Thatsache, dass die Blutmenge in beiden Augen fast gleifh
ist (grösste Differenz 4 cbmni) einmal).
Es ergiebt sich weiter, dass die Blutmenge des Auges
bei verschiedenen Thieren bedeutend varüren kann, Mini-
mum 6, Maximum 20 cbmm), was natürlich ist^ da sie von
dem herrschenden allgemeinen Blutdrucke abhängig ist
Am häufigsten, d. h. in 13 Fällen von 24, betnig die Blut-
nienge 10 — 14 cbmm, 5 Mal weniger als 10 cbmm, und
6 Mal mehr als 14 cbmm. Alle diese Bestimmungeo
wurden an Augen gemacht, die einige Minuten hindurch
einem Drucke von 50 mm Hg ausgesetzt waren. Auch in
denjenigen Fällen, in denen dieser Druck längere Zeit vor der
Bestimmung der Blutmenge dauerte, wie im Versuche U,
wo der Zeitunterschied zwischen der ersten und der letzten
Messung des Blutdrucks 71 Minuten war, wurde keine
oder nur eine geringe Differenz zwischen dem zu ver-
schiedenen Zeiten bestimmten Blutgehalt beobachtet Doch
war das Auge im zuletzt erwähnten Versuche der Eserin-
wirkung unterworfen, weshalb sichere Schlüsse daraus nicht
gezogen werden können. Jedenfalls wäre es interessant,
eine Reihe von Bestimmungen der Blutmenge in einem
normalen Auge vorzunehmen, in dem der intraoculare Druck
während längerer Zeit durch Injection gesteigert gehalt<»n
worden ist. Die jetzt am allgemeinsten angenommene Kara-
merwinkeltheorie des Glaukoms lehrt ja, dass es die intw-
oculare Druckerhöhung ist, die die Blutstauung im Glaukom-
auge verursacht.
Vm. Versuche über die Einwirkung
der Uvealcontraotion auf die Filtration und den intn-
ooularen Druck.
Die Verminderung der Blutmenge des Auges kann,
wie schon auf S. 637 dargelegt wurde, entweder auf ver-
mindertem Blutzufluss zum Auge bei Contraction der Arterien
Experiment Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 693
oder auf erleichtertem Abfluss des Blutes beruhen. Die
erste Möglichkeit wird von der Blutgefasstheorie, die zweite
von der Uvealspannnngstheorie vorausgesetzt. Die bis jetzt
ausgeführten Versuche geben uns keine sichere Antwort
darauf, welche der beiden Annahmen die richtige sei.
Die Uvealspannungstheone behauptet, der erleichterte
Abfluss des Blutes beruhe darauf, dass bei der Uvealcon-
traetion der Druck im Glaskörper steige, in der Supra-
chorioidealspalte aber abnehme. Die Uvealspannungstheone
steht oder fällt mit dieser Annahme. Die Frage, ob die
Ciliarmuskelcontraction den intraocularen Druck beeinflusst^
kann noch nicht als mit Sicherheit beantwortet angesehen
werden, trotzdem sie, wie die geschichtliche Uebersicht
zeigt, schon zahlreiche Forscher beschäftigt hat Alle hier*
her gehörigen Experimente wurden nämhch an bluthaltigen
Augen augestellt, und es lässt sich denken, dass an diesen
eine etwaige Steigerung des Glaskörperdruckes durch Blut-
abfluss aus dem Bulbus sofort compensirt würde. Fick
und Gürber (76) behaupten ja, der Augenhintergrund
nähme bei der Ciliarmuskelcontraction eine blassere Farbe
an. Wenn einige Experimeutatoren bei elektrischer Beizung
des Auges wieder Drucksteigerung beobachtet haben, so
kann diese nicht nur von der Contraction des Ciliarmuskels
abhängen, sondern auch von Erweiterung der Gefässe oder
von Blutzuströmung zum Auge. Da also alle früheren
Versuche nicht einwandfrei sind, wird es noth wendig, die
Frage noch einmal einer experimentellen Prüfung zu unter-
werfen und hierbei blutleere Augen zu vei'wenden.
Ist das Auge blutleer, die Ciliar- und Chorioideal-
muskel aber immer noch reactionsfahig , so muss die Con-
traction oder Spannungszunahme derselben den Glaskörper
sofort unter erhöhten Druck versetzen, und diese Dinick-
steigerung muss fortdauern, bis sie durch Filtration allmäh-^
lieh compensirt ist.
Ausserdem haben wir noch einen anderen Grund, wes-
694 V. Grönholm.
halb Beizversuche gemacht werden müssen. Die Ergebnisse
der Versuche des vorhergehenden Kapitels beziehen sieb
ausschUesslich auf Kaninchenaugen. Wir haben gefanden,
dass bei diesem Thiere keine Veränderung der FiltratioDs-
lähigkeit des Auges nach Eserinisirung eintritt Das Eanin-
chenauge unterscheidet sich aber in einer Hinsicht wesent-
lich vom Menschenauge und auch vom Hunde- und Katzen-
auge, nämlich darin, dass der Ciliarmuskel bei diesem sehr
schwach entwickelt ist Nach Jwanoff und Rollett (32),
Leuckart'), Jessop (63) u. a. besteht er nur aus einigen
Längszügen und nach Hensen und Völkers entsteht bei
seiner Contraction keine solche Verschiebung der Chorioidea,
wie im Katzen-, Hunde-, Affen- und Menschenauge (27 u
Der Ciliarmuskel hat bei Kaninchen überhaupt keine be-
kannte Function. Dagegen ist z. B. der Ciliarmuskel der
Katze sehr wohl entwickelt, und Hensen und Völkers
haben gezeigt, dass seine Contraction auch auf die vorderen
Ansatzpunkte einwirkt Der Muskel inserirt vorne sowohl
an der Sklera als an den Balken im Fontana'schen Räume,
indem er zwischen sie einige Fasern hineinsendet (Panas
& Rochon-Duvigneaud (97)), und an der hinteren Iris-
fläche an der Peripherie (Iwanoff und Rollett (32)). Ein
abgetrenntes, trianguläres Stück des Comeosklerallimbus
wird nämlich bei Reizung nach hinten gezogen. Wir können
uns jetzt denken, dass das Ausbleiben einer Veränderung
der Filtration bei dem Kaninchenauge davon abhängt, dass
der Ciliarmuskel bei diesem Thier schwach entwickelt ist
dass aber die Contraction des starken Ciliarmuskels bei
der Katze eine Vertiefung der Kammerperipherie oder eine
Entfaltung der Maschen des Lig. pectinatum bewirkt
so wie Heine (100) sie im eserinisirten Affenauge beob-
achtet hat Sollte das Eserin durch einen ähnlichen Mecha-
nismus die Filtrationsfähigkeit des Kajzenauges erböhen.
') Handbuch von Graefe und Sftmisch. I. Aufl. II. S. 232.
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. (596
80 musste dieselbe Veränderung auch eintreten, wenn der
Muskel durch Faradisation zu Contraction gebracht wird,
und die Veränderung müsste auch im blutleeren Auge auf-
treten und während der ganzen Zeit, welche die Con-
tmction des Ciliarmuskels dauert, fortbestehen.
Die folgenden Versuche 24, 25 und 2ö wurden an
eben getödteten Katzen, der Versuch 27 an eben getödteten
Kaninchen ausgeführt. Weil der Augendruck nach dem
Tode so gering ist, dass die EmpfindUchkeit des Mano-
meters sehr herabgesetzt wird, so muss derselbe durch fort-
währende Injection unter constantem Druck unverändert
erhalten werden. Es ist also die Filtrationsgeschwindigkeit,
die gemessen wird. Die Filtrationsgeschwindigkeit ist aber
jetzt ganz denselben Veränderungen wie der intraoculare
Druck unterworfen. Wenn wir z. B. annehmen, dass der
Glasköri)erdruck durch Anspannung der Chorioidea steige,
so muss dies sich dadurch kundgeben, dass die Luftblase
im Filtrationsrohr sich gleich zurück bewegt, und, wenn der
Abfluss der intraocularen Flüssigkeiten beschleunigt wird,
so wird auch die Bewegung der Luftblase gegen das Auge
beschleunigt. Die Versuchsanordnung ist also in allen Ver-
suchen folgende: Das Thier wird mit Curare tief betäubt,
so dass sämmtliche quergestreifte Muskeln, speciell die
äusseren Augenmuskeln gelähmt werden ; Leber's Filtrations-
manometer wird in gewöhnlicher Weise in Communication
entweder mit dem Glaskörper oder durch eine Leber'sche
Canüle mit der Kammer gesetzt. An der Ciliargegend
werden zwei Platinelektroden, eine auf jeder Seite der Cornea,
applicirt, damit der Strom durch das ganze Auge hindurch-
geht Ein Element Kleiner Spiralenabstand. In die Aequator-
gegend wird eine feine Nadel durch die Sklera eingestochen,
so dass deren Spitze in der Chorioidea liegt Durch die
Bewegungen des äusseren Nadelendes kann man die Ver-
schiebung der Chorioidea beobachten und die Contractionen
des Ciliarmuskels controliren. Wenn alles in Ordnung ist.
y. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. XLIX. 8. 45
696
V. Gr^nholm.
wird das Thier durch Oefihung der Carotis schnell getödtet
und die Injection beginnt.
Versuch 24.
Eben getödtete Katze. Injection in den Glaskörper.
Stand der
Luftblase
FQ
Mittel
FG
BemericnngeB
187
194
201
208
215
2-22
229
286
243
Injectionsdnick 50 mm Hg
7 i
7 I
' 1
Reizung
7
7
7
Reizung beendigt
i ? ■
7,0
7,0
7,0
Pupille 6x8 mm
Pupille erweitert sich ad
maximum. Das Nadelende
bewegt sich nach hinten
Pupille 6x8 mm
Das Nadelende bewegt sich
sehr langsam nach ?orne
Versuch 25.
Eben getödtete Katze. Injection in den Glaskörper.
Staod der
LuftblMe
FG
Mittel
FG
Bemerkungen
iTvjectionsdruck 50 mm Hg
49
4
3
4
4
3
53
56
60
%\
67
8,6
Reizung
71
74
B
4
3 1
.eizung beendigt
8,6
77
3 1
Reizung
8,0
80
3
8,0
Pupille unregelmSssig er-
weitert Das Nadelende
giebt deutlichen Ausschlag
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 607
Versach 26.
Eben getödtete Katze. Injection erst in den Glas-
körper, dann in die vordere Kämmer.
stand der
Laftbbwe
FQ
1
Mittel
FG
Bemerkungen
Injectionsdruck 50 mm Hg
154
lb9
200
208
215
35
11
8
7
7,6
Pupille 3x7 mm
Reizung
224
230
236
242
248
254
260
9
6
6
1 6
6
6
6
t
6,0
Die Pupille erweitert sich
unregelmässig. Die Chori-
oidefüverschiebung deut-
lich
Reizung beendigt
266
272
1 6
1 «
i
1
6,0
Pupille erweitert Die Na-
del bewegt sich sehr lang-
sam nach vorne
Versuch
27
Eben getödtetes Kaninchen. Injection erst in den Glas-
körper.
208
214
222
228
1 «
Tod
4
6,6
232
236
240
244
4
4
; 4
Reizung
4,0
Pupille 3x4 mm
1
247
250
254
3
1 3
1 *
Reizung beendi)
8,8
Die Pupille erweitert sich
, zuerst, bleibt dann 2 mm.
Das Nadelende macht
keine Bewegung.
45*
698 V. Grönholm.
stand der jpr ^^*"«^
Luftblase i ^^ FG 1 Bemerkungen
Injectionsdnick 50 mm Hg
2n8 \ i ' Pupille 2 mm
2fil
264
3
268 \ 3,3
271
275
l>78
In allen diesen Vereuchen wurde die Reizung noch
mehrmals wiederholt, niemals wurde aber an der ruhigen
Bewegung der Luftblase im Filtrationsrohr trotz genauer
Beobachtung eine Veränderung bemerkt Die Bewegungen
der Nadel waren dagegen bei Katzen stets ausgiebig und
dauerten oft sogar eine Viertelstunde nach dem Tode fort*
Die Reizungsversuche an blutleeren Augen gaben sämmt-
hch übereinstimmende Resultate.
Im blutleeren Katzenauge bewirkt die durch faradische
Reizung erhaltene Contraction des Ciharmuskels und die
Anspannung der Chorioidea keine Veränderung weder des
'Glaskörperdruckes noch der Filtration. Im Kaninchenauge
tritt ausserdem keine Verschiebung der Chorioidea ein.
Dieses Ergebnis stützt die schon in der vorigen Ab-
theilung gemachte Behauptung, dass die Filtrationsgeschwin-
digkeit durch Eserin nicht verändert wird, sowie die nach
den Manometerversuchen ausgesprochene Annahme, da««
die primäre Druckerhöhung nach Eserin mit der Con-
traction des Ciharmuskels und der Chorioidea nichts zu
thun habe.
Gegen diese Schlüsse könnte allerdings eingewendet
werden, dass in unseren Reizungsversuchen Erweiterung
der Pupille, welche vielleicht die Filtration vermindert, gleich-
zeitig mit der Contraction des Ciharmuskels eintritt, durch
welche eine Zunahme der Filtration bewirkt werden könnte,
dass also die beiden Erscheinungen sich gegenseitig com-
Experiment. Untereuch. über die Einwirkung des Eserins etc. 699
pensirten. Die Erweiterung der Pupille ist aber ziemlich
gering und immer unregelmässig, da nur die den Elektro-
den am nächsten liegenden Irisparthieen gegen die Elek-
troden hingezogen werden, während der ganze Ciliarmuskel
sich zusammenzieht. Eine Compensation kann also nicht
vorkommen.
IX. Zusammenfassung der Ergebnisse
und deren Besiehung auf das glaukomatöse Auge.
Die Hauptwirkung des Eserins auf das normale
Auge ist Herabsetzung des intraocularen Druckes.
Der Herabsetzung geht, wenigstens bei des
Katze, eine kurzdauernde Erhöhung des Drucker
voraus, derenUrsache eine von derReizwirkung des
Eserins abhängige Hyperaemie ist.
Die Herabsetzung des Druckes kommt dadurch
zu Stande, dass die Blutmenge des Auges vermin-
dert wird und die Secretion abnimmt.
Die Blutmenge wird dadurch vermindert, dass
die intraocularen Gefässe sich contrahiren.
Die Filtration des Auges wird durch dasEserin
nicht primär verändert. Die Pupillencontraction
steht mit der Herabsetzung des Druckes nicht im
causalen Zusammenhang. Die Contraction des
Ciliarmuskels und die Anspannung der Chorioidea
bewirken keine Veränderung weder der Filtrations-
fähigkeit noch des Augendruckes.
Diese Ergebnisse beziehen sich auf das Katzen- und
Kaninchenauge. Können sie auch für das Menschenauge
gelten? Diese Frage kann natüriich nicht durch Erörterung,
sondern nur durch Experimente (vor allen an Aflfenaugen
und eben enucleirten Menschenaugen) mit Sicherheit be-
antwortet werden. Nichts spricht jedoch gegen die Ueber-
tragung der Resultate auch auf das Glaukom.
700 V. Grönholm.
Die anatomische Anordnung der Blutgefässe stimmt
bei Kaninchen und Katzen, soweit sie für uns von Be-
deutung ist, mit der beim Menschen überein. Dagegen
fehlen den Thieren, wie bekannt, circuläre Muskelfasern im
Ciliarkörper, und die Contraction des Ciliarmuskels schdnt
keinen nennenswerthen Einfluss auf die Wölbung der linse
auszuüben (Trautvetter (19), Heine (95). Aber auch im
glaukomatösen Auge wird die Wölbung der linse nicht oder
nur sehr wenig durch die Eserinisirung vermehrt, weil das
Auge gewöhnlich presbyopisch ist. Das Glaukomauge ist
also in dieser Hinsicht dem Thierauge ähnlich.
Im normalen Menschenauge ist das Balkengewebe des
Kammerwinkels relativ wenig entwickelt, es nimmt niu* die
Gegend unmittelbar hinter dem Sinus Leben ein, lässt
aber die Peripherie der Kammer fi^i, während es sich bei
den Thieren ausserdem auf die vordere Fläche der Iris
erstreckt, und also die vordere Kammer einschränkt (vergL
u. A. Panas und Rochon-Duvigneaud (97)). Diese
XJnähnlichkeit wird indessen weniger ausgeprägt, wenn wir
das Thierauge mit dem Glaukomauge vergleichen, weil im
Glaukomauge die vordere Kammer durch die Iris einge-
schränkt wird.
Aus alledem geht hervor, dass wir berechtigt sind an-
zunehmen, die Wirkungsweise des Eserins sei bei Glaukom-
augen und bei Thieraugen dieselbe.
Es bleibt noch zu untersuchen, in welchem Grade die
Kenntniss von der Wirkungsweise des Eserins unser Wissen
von den Ursachen des Glaukoms em^eitem kann.
Wir haben schon früher darauf hingevriesen, dass unter
den verschiedenen Erklärungen der Wirkung des Eserins
diejenige, die wir unter dem Namen Blutgefasstheorie be-
sprochen haben, sich mit beinahe jeder Glaukomtheorie leicht
vereinigen lässt, welche die Dnicksteigerung als das Wesent-
liche bei dieser Krankheit auffasst Wir müssen uns der
Blutgefasstheorie anschhessen. Bei solchem Verhalten ist
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 701
es natürlich y dass die Glaukomlehre von unseren Unter-
SEUchungen nur in beschränktem Maasse gefördert wird.
Weil die günstige Wirkung des Eserins bei dem pro-
dromalen und dem acuten, entzündlichen Glaukom am con-
stantesten ist, und das Eserin die Blutmenge des Auges
vermindert und die Secretion herabsetzt, liegt die Behaup-
tung am nächsten, der Grund der Druck Steigerung sei in
diesen Fällen Blutanhäufung und Hypersecretion.
In der That scheint man auf vielen Seiten sich dieser
' Betrachtungsweise zuzuneigen oder wenigstens der Abnahme
der Filtrationsfahigkeit jede primäre Bedeutung absprechen
zu wollen.
Aber auch die Blutanhäufung und Hypersecretion
müssen einen Grund haben, und diese primäre Ursache des
Glaukoms bleibt noch der Erforschung vorbehalten. Bis auf
Weiteres liegen in dieser Hinsicht nurMuthmaassungen vor;
man vermuthete Beizung secretorischer oder gefässer-
weitemder Nerven (Donders, Schnabel, Röder vergl. 53,
Abadie(93)) oder Venenstauung infolge von Schrumpfung
der Sklera (v. Stellwag, Coccius) oder Perivasculitis um
die Venae vorticosae (Czermak, Birnbacher) u. d. m.
Das Eserin übt aber seine druckherabsetzende Wirkung
auch bei weiter vorgerückten Glaukomformen aus, bei denen
unzweifelhaft Abnahme der Filtrationsfähigkeit vorhanden ist
(Verwachsung, Compression oder Embolie im Fontana'schen
Raum). Das Eserin wirkt auf diese Verengerung der Fil-
trationswege nicht direct ein. Es kann zufolge seiner ge-
f ässcontrahirenden Kraft und dadurch, dass es die Secretion
herabsetzt, die Blutstauung und die seröse Durch tränkung
der Gewebe aufheben, wenn aber das Filtrationshindemiss
zurückbleibt, kann dies unmittelbar wieder Drucksteigerung
hervorrufen, wenn die Eserinbehandlung aufhört. Das
Eserin bringt aber in diesen Fällen den Flüssigkeitswechsel
des Auges nicht zu normaler Lebhaftigkeit zurück, sondern
setzt nur die Secretion so viel herab, dass sie der vermin-
702 V. Grönholm.
derten Filtration entspricht So muss es sich verhalten, wo
Verwachsung des Kammerwinkels vorhanden ist Wenn
aber nur Compression, Annäherung des IriswiuTjel an die
Cornea oder EmboUe vorhanden ist, so können wir uns
denken, dass das nach vorne getriebene Iris-Linsendiaphragma
nach hinten verlagert werde, wenn das gestaute Blut ab-
fliesst und die Secretion hinter demselben abnimmt
Versuch 28.
Kaninchen. Keine Narkose. Leb er 's Filtrationsmanometer
und Schult^n's Canüle. lojectionsdruck 75 mm Hg. — Ein
zweiter Injectionsapparat durch eine Leber'sche CanAle mit
der vorderen Kammer in Verbindung. Druck in diesem Appa-
rat = 65 mm Hg. Dieser Apparat ist geschlossen und wird
nur zum Ablassen des Kammerwassers geöffnet.
stand der
Luftblase
1
IG
Mittel
IG
1 Bemerkungen
Injection
in den
Glaskörper
0
24
39
29 i
10
1
1
1
45
6 !
53
8
60
7 1
7,0
1
66
6
74
8 1
,
98
24 '
' 10 cbmm Kainmerwas>er
104
6
' abgelassen
110
6 1
,
116
6
6,0
1
123
7
1
129
6
]
153
24
10 cbmm Kainmerwasser
158
r>
; abgelassen
162
4
j
168
6
5,0
172
4
1
178
6
i
222
44
, 20 cbmm Kaiiimerwa&ser
224
226
2
2
2,0
! abgelassen
233
7
1
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 703
stand der
LaftblBse
IG
I
Mittel
IG
BemerkuDgen
Ii\jection in den Glaskörper
2ä6
242
248
311
313
318
324
3
6
6
63
2
5
6
5,5
2,0
I
30 cbmm Kammerwasser
abgelassen
Der Glaskörperinjectionsapparat wird geschlossen. Aus
der Kammer 130 cbmm Flüssigkeit abgelassen. Die Kammer
aufgehoben. 2 Miauten später Injection in den Glaskörper.
Kammercanüle zu.
0
186
185
184
185
186
188
192
196
200
220
227
186
1
-1,0
1,0
2,0
*,o
20
*
Injectionsapparat während
2 Minuten geschlossen.
6,7
240
246
253
Versuch 29.
Versuchsanordnung wie im Versuch 28.
stand der
Luftblase
IG
I
Mittel
IG
Bemerkungen
Injection
in den Glaskörper
1
38
37
48V,
10% ,
58V,
10
10,0
68V.
10
115
4üV,
, 20 cbmm ans der Kammer
abgelassen
704 V. Orönholm.
Stand der i jr Mittel
Luftblase | ''"^ IG
Injection in den Glaskörper.
124 9
133 9 !
142 9 9,0
161 9 I
160 9 I
205 45 I 20 cbmm aus der Kammer
215 10 { abgelassen
223 8 ,
231 8
239 8 8,0 I
248 9
256 8 I
321 65 ^ . I 30 cbmm aus der Kammer
327 6 ^^ abgelassen
334 7
342 8
350 8 8,0
358 8 j
Der Injectionsapparat Während 1^/^ Minuten geschlossen.
2v, , ;
26 23V,
37 11
47 10
56 9 10,0
66 10
75 9
??7 237 I 80 cbmm aus der Kammer
4,0 abgelassen
241 4
245 4
252 7
259 7
265 6 7,0
274 9
280 , 6 .
Der InjectioDsapparat während l^s Minuten geschlossen.
^ 21 '
21 ^^
30 9
39 9 9,0
48 9
Analyse der Versuche 28 und 29. Jedesmal, wenn
Kainmerwasser abgelassen wird, tritt Verlangsamung der In-
Experiment. Untersuch, über die Einwirkung des Eserins etc. 705
jectionsgescLwindigkeit ein. Da die Blatmenge im Auge und
die Secretion nicht in erwähnenswerthem Grade alterirt werden
können, weil der intraoculare Druck beim Ablassen des Eam-
merwassers nicht mehr als von 75 bis auf 65 mm Hg sinken
darf, kann diese Abnahme nur anf die Filtration bezogen
werden. Die Filtration nimmt ab, weil der Earamerwinkel
durch das Vorwärtstreiben des Iris-Linsendiaphragmas ver-
engert wird. — Betrachten wir die Versuche näher, so geht
daraus hervor, dass beim Ablassen kleiner Flüssigkeitsmengen
(10 bis 20cbmm) aus der Kammer die Filtrationsgeschwindig-
keit während der folgenden Minuten auf einem niedrigeren
Werth ziemlich constant verbleibt. Wenn man grössere Mengen
Kammerwasser (20, 30, 80 cbmm) abfliessen lässt, so nimmt
die Filtrationsgeschwindigkeit im Anfang bedeutend ab, hat
aber schon nach zwei bis drei Minuten denselben Werth er-
reicht, der beim Ablassen der kleinen Flüssigkeitsmengen er-
halten wurde. Wird alles Kammerwasser ohne gleichzeitige
Injection abgelassen (Versuch 29), die vordere Kammer also
aufgehoben, so tritt zuerst Flüssigkeit aus dem Auge in den
Injectionsapparat über, schon nach drei Minuten aber haben
die Filtrationswege sich wieder geöffnet und nach drei weiteren
Minuten ist die Filtrationsgeschwindigkeit bis über die Hälfte
des ursprünglichen Werths gestiegen.
Dieser Theil der Versuche zeigt einerseits die grosse
Bedeutung des Kammerwinkels für die Filtration aus dem Auge
und andererseits, dass das Iris-Linsendiaphragma nicht durch
erhöhten Glaskörperdruck mit der Cornea in Contact erhalten
werden kann, sondern dazu neigt, seine ursprüngliche Lage im
Bulbus, wenigstens in gewissem Grade, wieder anzunehmen.
Zu demselben Resultat ist früher Leplat (75) gekommen.
Von noch grösserem Interesse ist für uns der spätere
Theil der Versuche. Wenn das Diaphragma nach vorne ver-
schoben worden ist und durch gesteigerten Glaskörperdruck
so weit als möglich hier erhalten wird, so ist nur eine ge-
ringe Verminderung des Druckes während einer kurzen Zeit,
1^/} bis 2 Minuten nöthig, damit die Iris sofort ihre ursprüng-
liche Lage wieder annimmt und die Filtrationsgeschwindigkeit
zur Norm zurückkehrt.
Diese Versuche berechtigen zu folgender Behauptung:
Wenn das Eserin im Glaukomauge mit nach
vorne getriebener Iris die Blutmenge und Secre-
706 V. Grönholm.
tioa vermindert, so bekommt das Iris-Linsendia-
phragma Gelegenheit, sich von der Cornea zurück-
zuziehen und die Filtrationswege werden geöffnet
Die Wirkung des Eserins auf die Filtration ist also
nicht direct, wie in der sogenannten „Iristheorie" behauptet
wird, sondern indirect
Was schliesslich die „Uvealspannungstheorie" betriflfl, so
muss sie in der Form, die ihr Straub (vergl. 633) ge-
geben hat, fallen. Die Contraction der Muskeln der Uvea
steigert weder den Glaskörperdruck, noch erniedrigt sie den
Druck in der Suprachorioidealspalte.
Diese Arbeit wurde theilweise im opthalmologischen La-
boratorium in Heidelberg, grösstentheils jedoch im hiesigen
physiologischen Institut ausgeftihrt Herni Prof. Dr. Leber
und dem Herrn Prof. Dr. K. Hällsten bin ich für die
Erlaubniss, in ihren Laboratorien zu arbeiten, zu grossem
Danke verpflichtet. Meinem Herrn Chef, Herrn Professor
Dr. Wahlfors, der mich auf den Gedanken führte, die
Eserinfrage zur Untersuchung zu wählen, spreche ich hier-
mit meinen tiefgefühlten Dank aus.
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T. Gtaele's Arehir für Ophthalmologie. XUX. 3. 46
Bemerkungen zu Prof. Dr, A. Gullstrand's Arbeit:
„Ueber die Bedeutung der Dioptrie".
(V. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. XLIX. Abth. 1. S. 146.»
Von
Dr. F. Ostwalt
in Paris.
Wenn ich mir erlaube, zu der wissenschaftlich ja redit
interessanten Arbeit Gnllstrand's einige Bemerkungen zu machen«
so geschieht dies, weil Gullstrand in seiner Mittibeilung einen
von mir 1891 gemachten Vorschlag einer aburtheilenden Kritik
unterwirft, — freilich ohne mich direct zu nennen.
Er sagt (S. 69): ^wie es ernstlich vorgeschlagen worden
ist, den ophthalmometrisch gefundenen HomhautafitigmatiBmas
unter Zugrundelegung der hinteren Brennweite in Dioptrieen zn
rechnen".
Dieser Vorschlag ist von mir ausgegangen und, da der
Zuaatz „ernstlich'^ beim Leser den Gedanken erwecken kann, dsBs
dieser Vorschlag nicht ernst zu nehmen ist, so sehe ich piiefa
genöÜiigt zu versuclien, hier meine Auffassung zu rechtfertigen.
Bekanntlich suchen Javal und Schiötz mittelst ihres Oph-
thalmometers gleichzeitig die BrechkrSfte der beiden Hauptmeri-
diane einer astigmatischen Hornhaut und die Brechkraft des im
Homhautniveau gedachten corrigirenden Cylinders ohne Wateres
in Dioptrieenwerthen anzugeben.
In meinem 1891 in der Sod^t^ Fran^aise d'Ophtahno-
logie gehaltenen Vortrage (s. Bull, et M^m. de la Soc. Frang.
d'Ophtahn. 1891, p. 181—203) und in meiner Arbeit: De la
foroe r6fringente de la com6e etc. ^n Revue gendr. d'Ophtalm.
1891, p. 193—219) habe ich nun versudit nachzuweisen, da»
es wissenschaftlich nicht angängig ist, durch einfiiche Snbtradioa
der Brechkräfte der beiden Hauptmeridiane der Cornea die Brecb-
kraft des corrigirenden Cylinders bestimmen . zu wollen. Ich be-
Bemerkungen zu Prof. Dr. A. Gullstrand*s Arbeit etc. 713-
mühte mich darzuthuii; dass man an einem nach richtigen Prin-
cipien constniirten Ophthahnometer immer nur, entweder die
BrechkrSfte der Homhantmeridiane für die einfallenden Strahlen^
oder die Brechkraft des corrigirenden Cylinders direct ablesen
könne.
Wäre die Hornhaut eine gewöhnliche Linse, d. h. also ein
equifocales System von sagen wir a Dioptrieen Brechkraft, so
wOrde beim Vorsetzen (in unmittelbarer Berührung mit der Horn-
haut) einer h Dioptrieen starken linse die Brechkraft des com-
binirten Systems wirklich (a 4~ ^) ^ betragen.
Nun ist aber die Hornhaut kein equifocaies, sondern ein
inequifocales System^ d. h. ein Diopter. Für ein solches System
bedingt das Vorsetzen einer l D starken Linse, wie ich das noch
neuerdings wieder (in v. Graefe's Arch., Bd. XLIV, Abth. 3^
8. 563 fT.l des Weiteren auseinandergesetzt habe, keine Brech-
h
kraftsvermehrung von h D, sondern nur von D (n = Brechungs-
w
index des Kammerwassers ^= annähernd ^/j).
Haben wir daher eine astigmatische Hornhaut vor uns, so
hat dieselbe in ihrem einen Hauptmeridian eine Brennweite von
sagen wur a, im anderen eine solche von jj^ Metern (von ihrem
ein&chen, im HomhautBcheitel gelegenen Hauptpunkte aus ge-
messen). Da nun nach der bislang üblichen Art zu redmen
die Brechkraft eines Systems in Dioptrieen gleich ist dem reci-
proken Werthe der in Metern gemessenen Brennweite'), so hat
jene Hornhaut für die einfallenden Strahlen^ die beim Sehacte
allein in Betracht kommen, eine Bredikraft von =aD und
a
im anderen eine solche von -- = l\y.
P
') Wenn Gullstrand sagt (S. 66), dass die Dioptrie die Brech-
kraft einer in der Luft befindlichen Linse von 1 Meter Brennweite
sei, 80 begeht er einen Irrthum. Es ist ganz gleichgültig, in welchem
Medium sich die Linse befindet. Sobald ihre Brennweite gleich
1 Meter ist, hat sie 1 D Brechkraft Spielte der Brechungsindex des
umgebenden Mediums bei der Begriffsbestimmung der Dioptrie eine
Rolle, so wäre damit eine variable Grösse in die Definition einge-
führt, da ja der Brechungsindex der Luft mit der Temperatur, dem
barometrischen Drucke und dem Feuchtigkeitsgehalt der Luft schwankt.
Es würde daher der Werth der Dioptrie an yerschiedenen Tagen und
an yerschiedenen Orten ein verschiedener sein.
46*
714 F. Ostwalt.
Es wt nun keine Frage^ daas der wiBsenschaftlidi ooireetegte
AuBdruek für den HornbaatastigmatismuB die Differenz der Brech-
kiSAe der beiden Hornhauthauptmeridiane ist, in unserem Bei-
epiel also +(a — ^)D. Es ist das mit anderen Worten die
Differenz der reeiproken Werthe der hinteren Brenn-
weiten der beiden Hanptmeridiane; eine in jedem Falle
durchans constante Grösse.
In klinischer Hinsicht interessirt aber viel mehr als das
wissenschaftliche Maass des Astigmatismus, der denselben corr'K
girende Cylinden Man pflegt daher in der Praxis seit Thomas
Young aJs Maass für den Astigmatismus einfadi den ihn corri-
girenden Cylinder anzugeben. Das ist aber ein durchaus va
riabler Werth, je nach dem Platze, den man ihm anwebt
ganz so und für die lilUe von Astigmatismus comp, in nodi
viel höherem Grade, als dies für die als Maass der sphäriscfaea
Refractionsanomalieen dienenden sphärischen Gläser gilt (siehe
hierzu meine früheren Arbeiten u. a. in Rev. Gen. d'Ophtalm.
1892, p. 12—21 und v. Graefe's Arch. 1897 loc ciL).
Der den Astigmatismus corrigirende Cylinder stellt nämlich
nichts anderes vor, als die Differenz der reeiproken Werthe
der Abstände der Fernpunkte der beiden Hauptmeri
diane vom Standorte des Cylinders.
Für unsere oben als Bdspiel gewälilte Hornhaut mit der
Brechkraftsdifferenz der Hauptmeridiane von +{a — h)D (für
einfallendes Licht), muss, wie vAt weiter oben gesehen habeiu
der diese Brechkraftsdifferenz ausgleichende Gyünder im Hörn-
hautniveau eine Brechkraft von n,{a — h)D besitzen. Der
Werth n.(a — b) ist nun in der That gleich der Differenz der
reeiproken Werthe der vorderen Brennweiten.
Das Javal-Schiötz'sche Instrument giebt also wirklich
den in der Hornhautscheitelebene gedachten corrigiren-
den Cylinder richtig an, während es die Brechkrilfte der beiden
Plauptmeridiane für einfallendes Licht n Mal zu stark anzeigt.
In dem einzigen Falle, in dem nun der Homhautastigma-
tismus wirklich mit Sicherheit den Totalastigmatismus des Auges
darstellt, d. h. in dem Falle des iinsenlosen Auges, hat man es
nun aber fast immer mit einem Astigmatismus hyp. eomp. mit
s^r beträchtlicher hypermetropischer Componente zu tiiun, nnd
in solchem Falle ist die Differenz der reeiproken Werthe der
Fempunktsabstände von dem etwa 12 — 15 mm vor der Horn-
haut getragenen Glase nach meinen Berechnungen (siehe Kün.
Monatsbl. f. Augenheilk. 1891. Sept) nur etwa ^/^ so gross.
Bemerkungen zu Prof. Dr. A. Gullstrand's Arbeit etc. 715
als wenn man jene FernpunktBabstände vom HomhantBcbeitel
aus misBt. Am wirklichen Brillenort entspricht also in diesem
Falle der corrigirende Cylinder der Differenz der Brechkräfte der
beiden Hanptmeridiane fttr einfallendes licht
Ich schlag daher vor, überhaupt das JavaPsche, so leicht
zu Irrthfimem Veranlassung gebende Oonstructionsprineip aufzu-
geben und das doppeltbrechende Prisma und die Theilung des
Instrumentes so einzurichten, dass man die wirklichen Brech-
kräfte der Homhautmeridiane für einfallendes Licht, d. h. die
reciproken Werthe der hinteren Brennweiten ablese.
1"^ linsenhaltlge Augen, bei denen sich ja ohne dies sehr
häufig ein mehr oder weniger hoher Grad von objectiv nicht zu
bestimmendem Linsenastigmatismus hinzagesellt, ist dann freilich
eine leichte Umrechnung des ophthalmometrisch gefundenen Wer-
tlies nöthig. Eine gewisse Umrechnung ist ja aber auch bei der
wissenschaftlichen Yerwerthung der mit dem bisher gebräuchlichen
Javal-Schiötz 'sehen Instrument gefundenen Werthe erforder-
lich, da der Cylinder eben nicht in der Homhautebene getragen
wird und bei gewissen Arten von Astigmatismus schon ganz
geringe Verschiebungen des Cylinders von ganz beträclitlichera
Einfluss aaf die ihm zu gebende Brechkraft ist.
Die hier des Näheren erörterten Verhältnisse zeigen u. a.,
wie recht Gullstrand hat, wenn er hervorhebt, dass die bis-
herige Art zu rechnen eine recht venR-ickelte ist und dalier Ver-
anlassung zu mancherlei Missverstandnissen gegeben hat. Das
liegt eben daran, dass Linse und Diopter zwei himmelweit ver-
schiedene Systeme sind, und dass das, was für das eine gilt, sich
nicht ohne Weiteres auf das andere übertragen lässt.
Wenn nun Gullstrand in seiner Arbeit eine scheinbare
Vereinfachung herbeigefülirt und die Anwendung derselben Formeln
und Gesetze auf alle die verschiedenen optischen Systeme ermög-
licht hat, so konnte das nur auf Rosten der Einheit des
Brechkraftsmaasses, d. h. der Dioptrie geschehen. Wenn
er behauptet, dass dazu „nicht die geringste Aenderung, sondern
nur eine Erklärung der gebrauchlichen Definition der Dioptrie^
nöthig war, so ist das nicht richtig.
Die von ihm neu eingeführte Definition (S. 66):
„Die Dioptrie ist die Einheit des reciproken Werthes einer
durch Division mit dem betreffenden Brechungsindex reducirten,
in Metern gemessenen Haupt- oder Conjugatabrennweite^
enthält nämlich im Gegensatz zu der oben schon erwähnten, bis-
her gebräuchlichen Begriffserklärung, eine veränderliche Grösse:
716 F. Ostwal t, Bemerkungen zu Prof. Dr. A, GuUstrand's Arbeit eic.
den Brechungsindex. Nun ist es einleuchtend, dass eine MaasB-
einheit, in deren Definition eine Variable auftritt,
überhaupt keine Maasseinheit mehr ist
Was also auf der emen Seite durch die GuUstrand'sdie
Darstellung gewonnen wird, wird auf der anderen wieder ver-
loren, und, wenn nach der neuen Definition ein Diopter nur
eine Brechkraft besitzt, nämlidi den reciproken Werth der vor-
deren Brennweite, so ist das auch nur scheinbar der Fall. Denn
wenn auch der algebraische Ausdruck der Breehkraft eines sol-
chen Systems gegenüber den einfallenden und gegenüber den in
entgegengesetzter Richtung verlaufenden Lichtstrahlen derselbe ist
so ist das doch nur der Fall, weil die Maasseinheit im hinteren
Medium eine andere ist als im vorderen.
Eine Vereinfachung können wir dalier in dieser Neuerung
durchaus nicht sehen, und es schemt uns, als ob dadurch keine
Erleichterung in der Lösung optisdier Probleme herbeigeführt
werden kann, zumal da die dazu erforderliche Aufstellung der
weiteren beiden neuen Begriffe: der „reducirten Convergenz^ und
des „reducuien Abstandes" gewiss auf berechtigten Widerspruch
stossen dürfte.
Gullstrand hat übrigens in G. Weiss einen Vorläufer ge
habt (siehe meinen „Beitrag zur Dioptrik des Auges^, v. Graefe s
Arch. Bd. XLIV. Abth. 3, S. 575/576). Die damals von mir
gegen den Weiss 'sehen Vorschlag gemachten Einwände gelten
ohne Weiteres auch für denjenigen Gullstrand 's. Es möge da-
her hier genügen, auf diese meine Arbeit zu verweisen.
Trotz alledem ist die Gullstrand 'sehe Darstellung vom
wissenschaftlichen Standpunkte als ein geistreicher und interessanter
Versucli zu betrachten.
Zn ,,Goloboma lentis congenitum.
Von Dr. Richard Kaempffer,
z. Z. Specialarzt für Dermatologie in Hamburg.'*
Dieses Archiv, Bd. XVIII, Abth. 3. 8. 558.
Von
Dr. Emil Bock
in Laibach.
Ich bin mit den Arbeiten des praktischen Augenarztes so
überbürdet, dass ich in absehbarer Zeit die Müsse nicht finden
werde, auf diesen Au&atz sachlich zu entgegnen. Vielleicht wird
mir auch die Lust dazu fehlen, weU ich kein Freund emes Feder-
krieges bin, besonders aber, wenn es sich um die Antwort auf
einen Aufsatz handelt, dem etwas weniger Schärfe des Tones
nicht schaden würde, eines Tones, der sehr grell absticht von der
Anspruchslosigkeit, mit welcher ich meine Befunde nur als die
Frudit langer Arbeit im Jahre 1893 ^) meinen Fachgenossen zur
Eenntniss brachte. Heute wiU ich nur bemerken, dass es ganz
natürlich ist, wenn Herr Dr. Kaempffer mehr Fälle von Linsen-
colobom in der Literatur aufgefunden hat, als ich; denn er hat
seine Arbelt in einer Universitätsstadt gemacht, wo ihm wenigstens
zwei grosse Büchersammlungen zur Verfügung standen, während
ich auf meine eigene Bücherei angewiesen war, welche selbst-
verständlich niemals den Umfang jener öffentlichen Anstalten
haben kann.
Laibach, November 1899.
*) Die angeborenen Colobome des Augapfels. Eine anatomische
und klinische Studie. Wien 1893.
Erwidenng
auf die Erklärung des Herrn Dr. Bock.
Von
Dr. Richard Kaempffer,
z. Z. Specialarzt für Dermatologie in Hambui^.
Auf eine mit umstehender Erklärung wesentlicli gleidilautende,
private Zuschrift des Herrn Dr. Emil Bock erwiderte ich diesem
bereits, dass^ wo sich eine unsachliche Sdiärfe des Tones in
meiner Arbeit finden sollte, solche durchaus nicht beabsichtigt
gewesen sei; andererseits werde mir Herr Dr. Emil Bock
eine sachliche Kritik hoffentlich nicht verübelt haben.
Dem habe ich w^eiter nichts hinzuzufflgen, um so weniger
als sich zu einer sachlichen Bemerkung kein Anlasa in der Er-
klärung des Herrn Dr. Emil Bock für mich findet.
Hamburg, December 1899.
Bemerknngen zn Herrn Dr. B. Kaempfier's Arbeit:
Goloboma Lentis congenitnm.
(v. Graefe's Archiv, Bd. XLVIIL, S. 558.)
Von
Dr. Rogman
in Gent.
In der sehr sorgfältigen und werthvollen Arbeit R.
Kaempffer's „Goloboma Lentis congenitum'^ finde ich einige
Ausführungen mir zugeschrieben, welche ich vergeblich in
meinen Arbeiten suche, und die mit meiner Ansicht nicht
übereinstimmen. Eaempffer schreibt, dass ich „eine Ektopie
der Linse überhaupt nicht anerkenne^^ (Seite 560), dass ich
„die Linsenektopie die „sogenannte^^ nenne, der ich die Exi-
stenzberechtigung bestreite, kurz die ich für verkannte Linsen-
colobome erkläre" (Seite 607). In der Besprechung der von
mir publicirten Fälle (Archives d'Ophtalmologie, Octobre
1896, Nr. 125 und 126 der Tabelle Kaempffer's) habe ich
zwar darauf hingewiesen, dass wegen der Gemeinsamkeit
mehrerer Symptome eine Verwechselung zwischen diesen bei-
den Anomalieen leicht entstehen könnte und vielleicht auch
stattgefunden hatte; ich habe aber in meinen Ausführungen
die Existenz der Ektopie nirgends geleugnet und sie in Frage
zu stellen nicht beabsichtigt.
Vielmehr glaube ich bewiesen zu haben, dass bei gewissen
Arten von Linsencolobomen (Pseudocolobomen Eaempffer's)
und Linsenektopieen dieselbe Teratogenese anzunehmen ist:
nämlich ein Mangel der Zonula, welcher je nach seiner Aus-
dehnung zu den verschiedenen Formen von Golobomen, wie
720 Rogman, Bemerkungen zu Herrn |Dr. R Kaempffer's Arbeit etc.
sie sowohl durch mich als auch durch Eaempffer, ausfthr-
Hoher nur durch diesen, beschrieben sind, führen kann
(Archives d'Ophtalmologie, 1896, S. 624) oder bei ring-
förmiger Ausdehnung der Zonuladefecte die Ektopie zu ver-
Ursachen im Stande ist (Archives d'Ophtalmologie, 1897,
S. 438).
Uebrigens freue ich mich, in der Arbeit Kaempffer's
die Uebereinstimmung mit meinen in den genannten Arbeiten
auseinandergesetzten Ansichten zu finden.
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FOR REFERENCE
NOT TO BE TAKEN FROM THE ROOM
CAT. NO. 13 013
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