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Full text of "Allgemeine Geographie"

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Allgemeine 


und 


Handels-Geographie. 


Ein  Lehrbuch 

fur  kommerzielle  und  tcchnische  Lehranstalten,  fur  Raufleutc  und  Industrielle 

• 

von 
'  "•*  •  '  :  2*| 

Dr.  V.  F.  KLUN, 

Professor  der  Geographic  und  Statiitik  an  der  Wiener  Handels-Akademie  etc.  etc. 


Zweite  verbesserte  Auflage. 


1.  Theil:  Allgemeine  Geographic. 


WIEN. 

Druck  und  Verlag  von  Carl  Gerold's  Sohn. 

1860. 


Allgemeine 

GEOGRAPHIE. 


Von 
Prof.  Dr.  V.  F.  RLT.V 


Zweite  verbesserte  Auflage. 


WIEN. 

Druck  undVerlag  von  Carl  Gerold's  Sohn. 

1860. 


•!  f  if  1 


Seiner  Ilocliwolilgeboren, 


HERRN  HERRN 

Medrich  Schey,  Edlen  von  Koromla, 

PrSsidenten  des  Verwaltungsrathes  der  Wiener  Handels-Akademie, 

grossherzogl.  hessischen  General-Consul,  Commandenr  des  grossherzogl.  hessischen  Philipp-Ordens,  dcs  kon.  gric- 

<"hischen  Erloser-  and  des  kon.  hannorer'schen  Guelphen-Ordens,  Censor  der  priv.  osterr.  Nationalbank,  Verwaltnngs- 

rath  der  Kaiserin  Etisabeth-Westbahn,  der  k.  k.  priv.  Theissbahn  und  der  n.  o.  Escompte-Gesellschaft,  k.  k.  Bor- 

senrath,  Mitglied  der  n.  o.  Handels-  und  Gewerbebmmer,  der  Inventur-  und  Schatzungs-Commission  ett. 


in  besonderer  Hochachtnng 


gewidmet 


Ver  f  asser. 


11797v59 


Yorrede  zur  ersten  Auflage. 


Jedes  Lehrbuch  soil  aus  der  Schule  hervorgehen.  Nur  die 
gemachten  Erfahrungen  sind  massgebend  in  Bezug  auf  das  Was 
und  das  Wie  des  zu  behandelnden  Stoffes,  d.  h.  wie  viel  aus  dem 
Gesammtschatze  der  Wissenschaft  herausgehoben,  -  -  in  welcher 
Form  das  Herausgehobene  zu  einera  Ganzen  verbunden  und  der 
Jugend  geboten  werden  soil. 

Bei  Verfassung  des  vorliegenden  Lehrbuches  hatte  ich  zu- 
nachst  jene  Kategorie  unserer  Mittelschulen  vor  Augen  ,  welche 
unmittelbar  fur  das  Leben,  fiir  den  Verkehr  in  Handel  und 
Gewerbe  die  Jugend  vorbereiten ,  d.  h.  unsere  Handels-  und 
Realschulen.  —  Fiir  das  »Wie  viel"  des  zu  behandelnden 
Stoffes  war  mir  das  im  Organisations-Statute  der  osterreichischen 
Realschulen  ausgesprochene  MZiel"  massgebend ,  namlich :  »Ueber- 
sichtliche  Kenntniss  der  Erdoberflache  nach  ihrer  natiirlichen  und 
politischen  Eintheilung  und  nach  ihren  fur  Gewerbe  und  Handel 
wichtigsten  Beziehungen.  Genauere  Kenntniss  des  osterreichischen 
Staates."  In  der  obersten  Klasse  wird  ein  tieferes  Eingehen  in  die 
Handels-  und  Industrie  -  Statistik  Oesterreichs  »im  Vergleiche  mit 
den  ubrigen  Hauptstaaten"  gefordert. 

Nach  dieser  Feststellung  des  Standpunktes  und  desAus- 
masses  des  zu  behandelnden  Stoffes  kame  die  Frage  des  »Wie" 
oder  die  Methode  der  Darstellung  und  Behandlung  zu  besprechen. 
Das  Wachsthum  der  geographischen  Wissenschaft  und  die  Theorie 
ihrer  Behandlungsweise  sind  stets  Hand  in  Hand  gegangen ;  hier 
handelt  es  eich  jedoch  zunachst  um  die  in  einem  Schulbuche 
zu  beachtende  Methode.  Ich  schliesse  mich  im  Allgemeinen  jenen 
Lehrern  an,  welche  fQr  die  Volksschule  ein  syn  t  h  e  tisches 
Verfahren  ,  fur  die  reifere  Altersstufe  hingegen  die  analy- 
tische  Methode  als  passend  befflrworten.  Da  vorliegendes  Buch 
fur  die  ^reifere  Alterss  tufe"  berechnet  ist,  so  habe  ich  den 
topischen  Theil ,  die  Grundlage  des  ganzen  geographischen  Unter- 
richtes ,  zusammenhangend  behandelt.  Nur  durch  das  Zusarnmen- 


VIII 

fassen  der  zusammengehorigen  Theile  gewinnt  der  Schiller  eine 
Total- Uebersicht ;  —  die  Zerstuckelung  der  Gebirge ,  des  Flussge- 
aders,  iiberhaupt  der  natiirlich  zusammenhangenden  Gebiete  kann 
hingegen  niemals  einen  Ueberblick  gewahren  und  erschwert  jede 
Vergleichung,  welche  allein  ein  tieferes  Eindringen  ermoglicht. 
Dass  bei  der  Beleuchtung  der  horizontalen  und  vertikalen  Verhalt- 
nisse ,  bei  der  Oro-  und  Hydrographie  auf  deren  Einfluss  fiir  den 
Verkehr  besonders  hingewiesen  wurde,  ist  durch  den  bezeichneten 
Standpunkt  des  Verfassers  begriindet.  —  Besitzeri  die  Schiller  eine 
moglichst  klare  Uebersicht  der  Erdoberflache,  dann  gehe  der  Lehrer 
zur  Betrachtung  der  Theile  der  Erdrinde  und  der  Naturgegenstande 
auf  dereelben  nach  ihrer  inneren  natiirlichen  Verbindung  und  Ver- 
wandtschaft,  d,  h.  auf  die  physische  Geographic,  welche  wohl  erst 
dann  mit  Erfolg  gelehrt  werden  kann ,  wenn  die  Schiller  auf  der 
Karte  im  grossen  Ganzen  sich  zu  orientiren  vermogen. 

In  der  politischen  Geographic  ist  auf  die  Betrachtung  der 
physischen  und  technischen  Kultur  der  Schwerpunkt  ge- 
legt  worden.  In  wenigen,  moglichst  scharfen  Ziigen  suchte  ich  die 
natiirliche  Beschafienheit  des  Bodens  zu  charakterisiren ;  auf  diese 
sich  stiitzend  folgt  die  Beleuchtung  der  Tbatigkeit  der  Menschen 
in  Hinsicht  anf  Landwirthschaft ,  Gewerbe  und  Handel  und  zum 
Schlusse  mit  wenigen  Strichen  ein  Bild  der  geistigen  Kultur. 
Mein  Streben  war ,  statt  der  trockenen  Aufzahlung  von  ,,Merkwiir- 
digkeiten,"  iiberall  ein  ,,Kulturbild  von  Land  und  Leuten" 
zu  geben.  Hier  war  allerdings  ein  Masshalten  in  Zahlenangaben 
u.  dgl.  dringend  geboten;  randernseits  aber  sind  eben  Zahlen  der 
Beweis  fur  das  Vorwartsschreiten  oder  den  Rtickschritt.  Die  sta- 
tistischen  Materialien  haufen  sich  massenhaft;  wir  besitzen  volu- 
minose  Compendien  iiber  einzelne  Zweige  der  Statistik ,  aber  fiir 
wen?  fiir  Fachmanner!  —  Statt  der  nur  unzusammenhangenden 
Daten  oder  leeren  Phrasen  (,,gewerbreiche  Stadt,"  —  Mtreibt  Han- 
del" u.  s.  f.)  sollen  nun  Baumaterialien  fur  ein  selbststandiges  Schaf- 
fen  geboten  werden.  Es  liegt  durchaus  nicht  in  der  Absicht  des 
Verfassers  alle  im  Buche  vorkommenden  Angaben  wauswendig 
lernen"  zu  lassen;  ein  Lehrbuch  soil  nur  das  Materiale  an  die 
Hand  geben ,  welches  die  Schiller  zu  verarbeiten  haben  ;  es  soil 
ihnen  hiedurch  Gelegenheit  zur  Selbstthatigkeit  geboten 
werden.  Man  lasse  z.  B.  die  Schiiler  tabellarische  Uebersichten 
verfassen,  das  Analoge  zusammenstellen  und  mit  andern  Staaten 
vergleichen.  Ich  erlaube  mir  meine  Ansicht  an  einem  Artikel  bei- 
spielweise  darzulegen  und  wahle  ,,die  Baumwolle,"  wobei  nach  und 


IX 

nach  folgende  Fragen  zur  Beantwortung  kamen:  Geographischer 
Verbreitungsbezirk  der  Baumwolle;  —  die  wichtigsten  Produktions- 
lander ;  —  Markte;  —  Wege,  auf  welchen,  wohin  und  beilaufig  in 
welchen  Quantitaten  sie  verfiihrt  wird ;  —  Platze  der  Verarbeitung ; 
—  wesentliche  Kennzeichen  der  Fabrikate  in  einzelnen  Industrie- 
kreisen ;  —  Uebersicht  der  Baumwoll  -  Industrie  in  Oesterreich,  in 
Deutschland,  Frankreich  u.  s.  f. ;  —  Uebersicht  der  Baumwoll- 
Industrie  in  West-Europa;  —  Vergleich  zwischen  der  deutschen 
und  f'ranzosischen  Baumwoll-Industrie  u.  s.  w.  —  Es  gibt  Hundert 
Vergleichsraomente ,  die  sich  dem  denkenden  Lehrer  aufdringen. 
Haben  die  Schuler  unter  Anleitung  des  Lehrers  nur  Einen  Indu- 
striezweig  ausgearbeitet,  das  Weitere  kann  man  in  dieser  Richtung 
getrost  dem  Privatfleisse  iiberlassen.  Es  wird  dadurch  kein  todter 
Gedachtnisskram ,  sondern  ein  lebendiges ,  fruchtbares  Wissen  er- 
zeugt.  Der  Schuler  gewohnt  sich  an  Selbstthatigkeit,  die 
gewonnenen  Resultate  sind  wirklich  seine  selbststandige  Arbeit. 
Mit  derlei  vergleichen  d  en,  s  elb  st  standi  ge  n  Arbeiten  kann 
sofort  begonnen  werden,  sobald  nur  einige  Partien  vorgetragen  wor- 
den  sind;  in  der  Folge  erweitern  sich  die  Vergleiche  und  werdeu 
um  so  anziehender  und  belehrender,  je  mehr  Lander  man  nach  und 
nach  zu  vergleichen  in  der  Lage  ist.  Wie  interessant  sind  schon 
die  Vergleiche  zwischen  dem  Westen  und  Osten  Oesterreichs, 
zwischen  den  industriellen  Kronlandern  mit  den  vorwiegend  agri- 
kolen.  Dass  zu  derartigen  Vergleichen  nur  die  bedeutendsten  In- 
dustrie- und  Handelsstaaten  hervorzuheben ,  wahrend  die  minder 
wichtigen  mehr  cursorisch  zu  behandeln  waren  (die  aber  wegen 
der  Vollstandigkeit  in  einem  Lehrbuche  doch  moglichst  genau  be- 
handelt  werden  miissen),  versteht  sich  wohl  von  selbst.  —  In  dieser 
Weise  behandelt  wird  das  Lehrbuch ,  das  ja  niemals  zum  mecha- 
nischen  Memoriren  verwendet  werden  darf,  sicherlich  nicht  zu 
viel  enthalten. 

Andernseits  ist  ein  derartiges  Lehrbuch  kein  ..Adressen- 
buch,"  in  welchem  jede  Fabrik  u.  dgl.  verzeichnet  stiiode;  es  soil 
nur  eine  Charakteristik  desLandes  in  seinen  bedeu- 
tendsten Beziehungen  geben.  Das  gleiche  gilt  von  Zahlen- 
angaben,  welche  so  haufig  wechseln;  an  manchen  Scellen  habe  ich 
die  Angaben  aus  mehrfachen  Griinden  in  Prozenten  ausgedriickt. 
Eine  ausfuhrlichere  Hervorhebung  und  Verarbeitung  des  handels- 
statistischen  Materials ,  insbesondere  der  grosden  Handelsstaaten, 
mit  spezieller  Riicksicht  auf  Bezugs-  und  Absatzorte,  Kouamunika- 
tionen,  das  Bank-  und  Versicherungswesen,  den  Welthandel  in  den 


bedeutendsten  Natur-  und  Kunstprodukten  u.  s.  f.,  wird  im  zwei- 
ten  (selbststandigen,  zunachet  nicht  fiir  die  Mittelschule 
bestimmten)  Theile  folgen,  wobei  ich  das  Verhaltniss  der  ,,Allge- 
meinen"  zur  ,,Handelegeograpbie"  darzulegen  mich  bestreben  werde. 

Dass  Oesterreich  ganz  besonders  beriicksichtigt  wurde  ist 
wohl  begreiflich ;  sein  Vaterland  kennt  man  niemals  zu 
genau  und  die  genauere  Kenntniss  des  Vaterlandes  erhoht  noth- 
wendigerweise  die Liebe  zu  demselben.  Zunachst  wurde  auf  D  eu  t  s  ch- 
land,  das  grosse  Bruderland,  spezielle  Riicksicht  genommen,  sowie 
auf  die  wichtigen  Industri  estaaten,  wobei  die  zuganglichen 
neuesten  Daten  als  Grundlage  der  Betrachtungen  nach  Thunlich- 
keit  beniitzt  worden  sind. 

In  wie  weit  die  That  dem  redlichen  Willen  entspricht  mogen 
kompetente  Stimmen  entscheiden ;  fiir  jede  Belehrung  werde  ich 
dankbar  sein.  Ebenso  spreche  ich  den  Herren  Sekretaren  der 
osterreic  hi  schen  Han  delskammer  n  ,  welche  mich  durch 
freundliche  Mittheilungen  unterstiitzten ,  meinen  besten  Dank  aus. 

Moge  dieses  Buch  zum  Besten  des  Aufbliihens  unserer  Schu- 
len  und  dadurch  des  Gesammtvaterlandes  auch  ein  bescheidenes 
Scharflein  beitragen. 

Wien,  13.  April  1860. 

Der  Verfasser. 


Yorredezurzweiten  Auflage. 


Die  gunstige  Aufnahme ,  deren  sich  dieses  Lehrbuch  sowohl 
bei  Schulmannern  als  auch  in  kommerziellen  und  industriellen 
Kreisen  erfreute ,  machte  schon  nach  wenigen  Monaten  eine  neue 
Auflage  nothwendig,  und  zwar  noch  vor  dem  Erscheinen  des  2,  Ban- 
des  des  Werkes.  —  Zu  einer  wesentlichen  Aenderung  in  An- 
lage,  Methode  und  Stoffvertheilung  war  kein  Grund  vorhanden; 
dagegen  habe  ich  die  von  Fachmannern,  insbesondere  von  dem  um 
die  geographischen  Studien  in  Oesterreich  so  hochverdienten  kais. 
Rath  Steinhauser  mir  ertheilten  Winke  und  gemachten  Bemer- 
kungen  thunlich  beriicksichtiget,  wodurcb,  wie  ich  hoffe,  diese  Auf- 
lage in  der  That  zu  einer  ,,verbessert  e  n"  ward.  Fur  weitere 
begrundete  Bemerkungen  der  Fachgenossen  werde  ich  recht  dankbar 
sein  und  dieselben  bei  einer  allfallig  folgenden  Auflage  beriick- 
sichtigen. 

Die  Verlagshandlung  hat  den  Preis  des  Buches  bei  dieser 
Auflage  um  mehr  als  40%  h  er  abges  e  tzt. 

Wien,  23.  September  1860. 

Der  Verfasser, 


Einleitung. 


g.  1.  Allgemeiue  Vorbegriffe. 

Die  Geographie  oder  Erdbeschreibung  lehrt  uns  die 
Oberflache  der  Erde  kennen. 

Wird  die  Erde  als  ein  Korper  im  Weltenraum  und  deren 
Verhaltniss  zu  andern  Weltkorpern  betrachtet,  so  heisst  sie  astro- 
nomische  (mathematische)  Geographie. 

Die  t  o  p  i  s  c  h  e  Geographie  beschreibt  die  Theile  der  Erdober- 
flache  bloss  nach  ihrem  ausseren,  raumlichen  Zusammenhange;  die 
physische  hingegen  betrachtet  die  Theile  der  Erdrinde  und  die 
Naturgegenstande  auf  derselben  nach  ihrer  inneren,  natiirlichen  Ver- 
bindung  und  Verwandtschaft. 

Die  politische  Geographie  schildert  die  Erde  als  den 
Schauplatz  fur  die  Entwickelung  des  Menschenge- 
schlechtes,  und  ihr  Inhalt  andert  sich  wie  das  Schicksal  der  Lan- 
der und  Volker. 

Hinsichtlich  des  Zweckes ,  den  man  mit  der  Darstellung  er- 
reichen  will,  wird  das  demselben  Enteprechende  aus  dem  allgemei- 
nen  geographischen  Stoff  hervorgehoben  und  daher  die  Benennun- 
gen  :  landwirthschaftliche,  Industrie-,  Handels-,  Militar-Geographie. 

Unter  Handels-Geographie  versteht  man  die  Beschrei- 
bung  der  Erdoberflache,  insofern  diese  als  Schauplatz  der  Handels- 
thatigkeit  der  Volker  auf  Grundlage  der  Urproduction  und  Industrie 
betrachtet  wird. 


lilun's  Handels-Geographie.     2.  Aufl. 


I.  Astronomisclie  Geographie. 
A.  Die  Erde  als  mathematischer  Korper. 

§.  2.  Vorbegriffe. 

Die  Erde  hat  die  Gestalt  eines  Spharoids,  d.  i.  einer 
an  zwei  entgegengesetzten  Stellen  abgeplatteten  Kugel.  Denkt  man 
sich  eine  gerade  Linie  durch  den  Miuelpunkt  der  Erde,  die  diese 
zwei  Stellen  verbindet  und  dadurch  der  kiirzeste  Durchmesser  des 
Spharoids  ist,  so  ist  diese  Gerade  die  Erdachse,  und  deren  End- 
punkte  sind  die  Pole  dea  Erdkorpers.  Achse  nennt  man  sie,  weil 
sie  jene  Linie  ist,  um  welche  sich  die  Erde  ohne  Aufhoren  gleich- 
formig  dreht. 

Wegen  der  Kugelgestalt  der  Erde  kann  man  nur  einen  klei- 
nen  Theil  von  dereu  Oberflache  auf  einmal  iibersehen.  Diejenige 
Kreislinie  nun,  in  welcher  sich  —  von  jedem  Standpunkte  der  Be- 
trachtung  aus  gesehen  —  Himmel  und  Erde  zu  beriihren  scheinen, 
heisst  Gesichtskreis  oder  Horizon t.  (Schein barer,  wirklicher.) 
Er  wird  in  Welt-  oder  Himmelsgegenden  eingetheilt, 

Die  Richtung,  in  welcher  die  Sonne  (am  21,  Marz  und  am 
23.  September)  aufzugehen  scheiut,  heisst  Osten  (Orient,  Morgen), 
—  wo  sie  unterzugehen  scheint,  West  en  (Occident,  Abend),  — 
wo  sie  zu  Mittag  uns  erscheint,  Sii  den  (Mittag), —  und  dem  Suden 
gerade  gegeniiber,  oder  die  Richtung,  in  welcher  zur  Mittagszeit 
unser  Schatten  fallt,  Nor  den  (Mitternacht). 

(Nebcmveltgegenden :  NO,  NW,  SO,  SW;  —  Zwischenweltgegenden:  NNO, 

ONO,  OSO,  SSO,  SSW,  WSW,  WNW,  NNW;   —    Magnetnadel,    Windrose, 

Kompass.) 

Eine  kunstliche  Erdkugel  heisst  Globus.  Landkarten  stel- 
len  grossere  Abschnitte  der  Erde  stark  verkleinert  vor  (20.000mal 
bis  viele  millionenmal);  —  Plane  kleinere  Erdabschnitte,  aber  in 
geringerer  Verkleinerung;  Seekarten  sind  verkleinerte  Darstellun- 
gen  ganzer  Meere  oder  einzelner  Bestandtheile  derselben. 

Um  die  Lage  eines  Ortes  auf  der  Erdoberflache  zu  bestimmen, 
denkt  man  sich  dieeelbe  mit  einem  Netz  von  Linien  (Gradnetz) 
uberzogen,  welches  mit  dem  Netz,  das  auf  dem  Globus  zum  Theil 
wirklich  gezogen  ist,  iibereinfetimmt. 

In  gleicher  Entfernung  von  den  beiden  Polen  (Nord-  und  Siid- 
pol)  ist  auf  dem  Globus  eine  Kreislinie  gezogen ,  welche  die  Erd- 
kugel in  eine  nordliche  und  eine  sudliche  Halbkugel  (Hemisphare) 
theilt,  und  der  Aequator  (der  Gleicher,  die  Linie)  heisst. 

In  stets  gleicher  Entfernung  vom  Aequator  (parallel  mit  die- 
sem)  laufen  um  die  Erde  Kreislinien,  welche  um  so  kleiner  werden, 
je  naher  sie  den  Polen  kommen;  sie  heissen  Parallel-  oder 
Breitenkreise. 


Andere  Kreise  werden  um  die  Erde  in  der  Weise  gezogen, 
dass  sie  dutch  beide  Pole  gehen  und  den  Aequator  nebst  alien 
Parallelkreisen  rechtwinklig  durchechneiden.  Diese  unter  einander 
gleich  grossen  Kreise  heissen  Meridiane,  Mittags-  oder  Lan- 
genkreise. 

§.  3.  Grtissenverhftltniss. 

Den  Aequator  theilt  man,  wie  gewohnlich  den  Umfang  eines 
Kreises,  in  360  Theile,  Grade  genannt.  Der  15.  Theil  ernes  solchen 
Grades  gilt  als  die  Lange  einer  deutschen  oder  geographi- 
schen Meile.  Das  ubliche  Meilenmass  ist  je  nach  den  Landern  von 
verschieclener  Liinge*).  Ein  Grad  (°)  wird  dann  in  60  Minuten  ('), 
diese  in  60  Secunden  (")  u.  s.  w.  eingetheilt. 

Der  Aequator  oder  cler  Umkreis  der  Erde  ist  eomit  gross: 
360  X  15  =  5400  deutschen  Meilen. 

Dividirt  man    den  Umkreis    der  Kugel    durch  die  Z-wcZo//'sche 
Zahl  n  =  3.14159  ...,  so  ist  der  Durchmesser  des  Aequators 
5400  :  3.14159  —  1718.843  deutschen  Meilen  gross. 

Die  Abplattung  der  Erde  an  den  Polen  ist  beilaufig  1  :  299;  — 
demnach  ist  der  Polar- Durchmesser  oder  die  Erdachse  um 
etwa  5.75  kleiner  als  jener  des  Aequators,  also  beilaufig  1713  deut- 
sche  Meilen  gross. 

Multiplicirt  man  den  Erddurchmesser  mit  dem  Umfang  des 
Aequators,  so  erhalt  man  den  Flacheninhalt  der  Erdober- 
flache,  also : 

1718  X  5400  =  9,277.200  Quadratmeilen, 
imd  mit  Rucksicht  auf  die  Abplattung  =  9,260.500  Quadratmeilen. 

Wird  der  Flacheninhalt  der  Oberflache  mit  %  des  Durch- 
messers  multiplicirt,  so  erhalt  man  den  korperlichen  Inhalt 
(Kubikinhalt)  der  Erde ;  somit 

•I  *T1  Q 

9.260,500  X  4r  =  2651,589.833  Kubikmeilen. 


*)  Die  wichtigsten  Meilenmasse  sind: 

1°  des  Aequators  =     15  geographischen  Meilen. 

14  67  osterreichischen  Meilen  (a  4000  Klafter). 
11. 13  franzosischen  oder  belgischen  Myriametern. 
25. 00  franzosischen  Lieues. 

20.00  franzosischen  Lieues  marines  oder  englischen  (Sea- 
League)  Seemeilen. 
69., 6  englischen  Statute  Miles. 
73.00  englischen  gewobnlichen  Meilen. 
60-Qo  englischen  geographischen  oder  Nautical  Miles. 
69., 8  nordamericanischen  Miles. 
14.78  preussischen  oder  danischen  Meilen. 
20.03  belgischen  oder  Brabanter  Meilen. 
10.87  schwedischen  Meilen. 
104.33  russischen  Wersten. 
74.47  r6mischen  Meilen. 
66.e,  tiirkischen  Berri. 
zehnmillionte  Theil  des  Meridian  -  Quadranten  =  1  franzSsischen  Meter. 


1    Meter  =  3-M8116  Wiener  Fuss. 
0.,         „       =  Decimeter. 
O-oi        n      =  Centimeter. 
°-ooi  =  Millimeter. 


10  Meter  =  Decameter. 
100       „       =  Hectometer. 
1000       „       =  Kilometer. 
10000      -       =  Myriameter. 
1* 


§.  4.  Entfernung  einzelner  Punkte  auf  dcr  Erdoberflache. 

Dutch  jeden  Punkt  der  Erdoberflache  lasst  sich  ein  Meridian 
ziehen.  Da  aber  der  Aequator  in  360  Grade  getheilt  wird,  so  denkt 
man  sich  durch  alle  diese  Theilungspunkte  Meridiane  gezogen,  und 
erhalt  somit  360  Meridiane.  Einer  derselben  wird  als  Nullmeridian 
angenommen,  welcher  die  Erde  in  eine  ostliche  und  eine  westliche 
Halbkugel  theilt,  weil  man  haufig  nicht  bis  360  fortzahlt,  sondern 
180  nach  Osten  und  180  nach  Westen*).  Die  Entfernung  ei- 
nes  Ortes  vom  Nullmeridian  heisst  geographische  Lange, 
und  ist  demnach  eine  ostliche  oder  westliche. 

Durch  jeden  beliebigen  Ort  kann  man  sich  auch  einen  Breiten- 
kreis  gezogen  denken.  Der  Theil  eines  Meridians,  der  vom  Aequa- 
tor bis  zum  Pol  reichi,  ist  der  vierte  Theil  des  Kreises 
(Quadrant),  und  somit  360  :  4  =  90°  gross.  Denkt  man  sich 
nun  durch  jeden  dieser  Grade  des  Quadranten  einen  Breitenkreis 
gezogen,  so  erhalt  man  auf  der  nordlichen  Halbkugel  90,  und  eben 
so  viele  Kreise  auf  der  sudlichen ;  der  Aequator  selbst  ist  der  Null- 
parallel.  Die  Entfernung  eines  Ortes  vom  Aequator  ge- 
gen  einen  der  Pole  zu  heisst  geographische  Breite,  und 
ist  eine  nordliche  und  eine  siidliche. 

Jene  zwei  Parallelkreise,  welche  23°  30'  vom  Aequator  entfernt 
auf  der  nordlichen  und  auf  der  sudlichen  Halbkugel  liegen,  heissen 
Wendekreise  (nordl.  Wendekreis  des  Krebses,  siidl.  Wende- 
kreis  des  Steinbockes);  jene  zwei,  welche  23°.30'  von  den  Polen  ent- 
fernt liegen,  nennt  man  Polar kreise  (nordl.  arktischer,  siidl. 
antarktischer).  Zwiscben  diesen  Kreisen  liegen  die  mathematischen 
Zonen,  und  zwar  zwischen  den  beiden  Wendekreisen  die  heisse, 
zwischen  den  Wende-  und  den  Polarkreisen  die  beiden  ge mas- 
si  g  ten,  und  um  die  Pole  herum  bis  zu  den  Polarkreisen  die  bei- 
den kalten  Zonen. 

Die  Entfernung  eines  Ortes  von  einem  andern,  oder  tiberhaupt 
zweier  gegebener  Punkte  auf  der  Erdoberflache  kann  auf  dem  Glo- 
bus  oder  den  Land-  und  Seekarten  durch  Messungen  gefunden 
werden. 

Alle  Meridiane  sind  als  grosste  Kreise  unter  einander  gleich 
gross,  und  jeder  Grad  des  Meridians  ist  nahezu  =  15  d.  M.  — 
Auf  den  Meridianen  werden  die  Breitengrade  gemessen;  mit- 
hin  ist  jeder  Breitengrad  =  15  d.  M.**). 


*)  Gewohnlich  wird  derjenige  als  Nullmeridian  angenommen,  welcher  die  Spitze 
der  Insel  Ferro  (eine  der  canarischen  Inseln  an  ,der  Westkuste  von  Africa)  durch- 
schneidet. 

In  England  (und  gewOhnlich  bei  Seefahrern)  gilt  dafur  der  Meridian 

von  Greenwich  =  17°.S9  ostl.   v.  Ferro. 

Frank  reich „     Paris  =20°         „       „ 

Spanien „     Cadix  =  11°.30' 

Russland „     St.  Petersburg   =  47°,,'    "       I        „ 

America „     Washington        =  59°.2l' westl.  „ 

**)  D  e  Grade  des  Meridians  nehmen  zwar  (wegen  der  Abplattung  der  Erde)  nach 
den  Polen  nm  ein  Geringes  zu,  doch  ist  diese  Differenz  sehr  unbedeutend.  Unter 
dem  0-Grade  der  Breite  ist  die  Grosse  eines  Meridiangrades  14.  d.  M.,  —  unter 
dem  45,  Grade  =  14., 7,  und  unter  dem  90.  Grade  15,nt. 


Unter  den  Parallelkreisen  ist  der  Aequator  der  einzige  grOsste 
Kreis,  also  der  einzige  Parallel kreis,  auf  dem  1°  =  15  d.  M.  ist. 
Mit  der  wachsenden  Entfernung  vom  Aequator  werden  die  Parallel- 
kreise  immer  kleiner,  folglich  werden  auch  die  Langengrade, 
welche  auf  den  Parallelkreisen  gemessen  werden,  bei  zuneh- 
mender  Entfernung  vom  Aequator  immer  kleiner*). 

Alle  Orte,  welche  anf  der  gleichen  Hemisphere  liegen,  haben  gleichnamige 
Breite  oder  Lange;  im  anderen  Falle  haben  sie  entgegengesetzte  Breite 
oder  Lange.  —  Haben  zwei  Orte  ungleiche,  aber  gleichnamige  Breite,  trad  zieht 
man  die  kleinere  von  der  grSsseren  ab,  so  erhalt  man  die  Breitendifferene  der 
beiden  Orte;  ebenso  erkliirt  sich  der  Ausdruck  La  ngen  di  ffere  nzr**). 

Haben  zwei  Punkte  gleiche  und  gleichnamige  Breite,  aber  ungleiche  und 
gleichnamige  Lange,  so  bezeichnet  ihre  Langendifferenz  so  ziemlich  den  kiirzesten 
Abstand  derselben  auf  der  Erdoberflache***).  Ist  die  Lange  der  zwei  Punkte  gleich 
und  gleichnamig,  die  Breite  aber  ungleich,  obwohl  gleichnamig,  so  druckt  die  Breiten- 
differenz  deren  kiirzesten  Abstand  ausf). 

Haben  zwei  Punkte  gleiche  und  gleichnamige  Breite,  aber  entgegengesetzte 
Lange,  so  ist  die  Langensumme  ihr  kurzester  Abstand;  ist  die  Lange  zweier 
Punkte  gleich  und  gleichnamig,  aber  ihre  Breite  entgegengesetzt,  so  ist  die  Brei- 
tensumme  ihre  kiirzeste  Entfernnng ff). 


*)  Die  annahernden  Werthe  sind  folgende : 

1°  auf  dem  Nullparallel  (Aequator)  misst   15  deutsche   Meilen. 

10.   Parallel  14  77 

20.  14.09 

30.  12.9 

40.  11.. 

50.  9., 

60.  7.5 

70.  5., 

80.  2.. 

90.  O.oo 

B.  und  35°  n.  B.  =  gleichnamig. 

B.  und  35°  s.  B.  =  entgegengesetzt. 


*)  Z.  B.  25 

25 
20 


d>.  L.  und  45*  o.   L.  =  gleichnamig. 


20°  o.  L.  und  45°  w.  L.  =  entgegengesetzt. 
Der  Ort  A  hat  35°  n.  B.,  —  der  Ort  B.  25°  n.  B.,  die  Breitendiff erenz 
ist  =  10°,  d.  h.    A  liegt   um    10°  =  150   d.   M.    weiter   vom   Aequator   gegen   den 
Nordpol  zu  als  B. 

A    hat  35°  6.  L.,    —    B  25°  6.  L.    =    10°   Langendifferenz;    diese   wird 
am  0- Parallel  mit  15,  am  10.  mit  14.,,  u.  s.  w.  multiplicirt,  und  das  Product  zeigt 
an,  urn  wie  viele  Meilen  A  von  Ferro  weiter  gegen  Osten  liegt  als  B. 
***)  A  hat  20°  n.  B.  und  30°  6.  L. 
B   hat  20°  n.  B.  und  20°  6.  L. 


Langendifferenz  =  10°  X  14.09   =  140.,    d.  M.,    d.  h.  A  liegt  um  so  viel 
Meilen  von  B  entfernt,  u.  z.  weiter  gegen  Osten. 
t)  A  hat  30°  n.  B.  und  25°  6.  L. 

B  hat  20°  n.  B.  und  25°  6.  L. 

Breitendifferenz  =  10°  X  15  =  150  d.  M.  —  d.  h.  A  liegt  von  B  150  d.  M. 
entfernt,  u.  z.  weiter  gegen  Norden. 


ft)  A  liegt  30°  n.  B.  und  25° 
B  liegt  30°  n.  B.  und  45° 

L. 
.  L. 

Langensumme  70° 
directe  Entiernung  der  beiden  Pu 
A  liegt  30°  o.  L    und  25° 
B  liegt  30°  o.  L.  und  45° 

X  12.,,  (oder  app.  X  13)  =  910  d.  M.,  d. 
kte  von  einamler. 
.  B. 
.  B. 

i.  die 

Breitensumme  70"  X  15  —  1050  d.  M. 


6_ 

B.  Das  Verhaltniss  der  Erde  zur  Sonne. 

§.  5.    Vorbegriffe. 

Die  Erde  ist  ein  Welt-  oder  Himmelskorper,  wein  Stern  unter 
Sternen",  der  frei  im  Weltenraume  schwebt. 
Die  Sterne  werden  eingetheilt  in : 

1.  Fixsterne,  welche  mit  eigenem,  zitterndem  Lichte  leuch- 
ten  und  im  Allgemeinen  ihre  Stellung  zu  einander  nicht  verandern; 

2.  Planeten,  welche  ihr  Licht  von    einem  Fixsterne  (Sonne) 
erhalten,  um  welchen  sie  sich  in  regelmassigen  Bahnen  bewegen; 

3.  Monde  (Nebenplaneten,  Trabanten,  Satellites),    welche  von 
der  Sonne  erhellt  werden,   sich    zunachst    um  einen  Hauptplaneten, 
und  mit  diesem  um  die  gemeinschaftliche  Sonne  bewegen; 

4.  Kometen,    welche   echeinbar   unregelmassige   Bahnen    um 
Fixsterne  beschreiben,  sich  bald  dem  einen,   bald  dem  andern  nach 
bestimmten  Gesetzen  nahern,    eine    veranderliche    Grosse    und  Ge- 
schwindigkeit  zeigen,  und  dann  wieder  verschwinden. 

Man  hat  gewissen  Sterngruppen  Bilder  von  Thieren ,  Heroen 
und  anderen  Gegenstanden  unterlegt ,  daher  lesen  wir  von  Stern- 
bildern  des  nordlichen  und  sudlichen  Himmels,  des  Thierkreises 
(Widder,  Stier  u.  s.  f.)  —  Orion,  Perseus  u.  a.  m. 

Die  Erde  ist  ein  Planet,  der  Mond  ihrTrabant,  und  die 
Sonne  ist  der  Fixstern,  um  welchen  sie  sich  bewegt,  von  dem 
sie  Licht  und  Warme  empfangt.  Ausser  der  Erde  drehen  sich  aber 
noch  mehrere  Planeten  von  geringerer  oder  bedeutenderer  Grosse, 
in  engeren  oder  weiteren  Bahnen  um  denselben  Fixstern.  Die  Sonne, 
die  Planeten  und  Nebenplaneten  zusammen  nennt  man  das  Plane- 
t ensyste m. 

Denkt  man  sich  die  Erdachse  zu  beiden  Seiten  bis  an  das 
Himmelsgewolbe  verlangert,  so  wird  sie  zur  Welt-  oder  Hi  ra- 
in elsachse,  und  die  Endpunkte  derselben  sind  Himmelspole. 
Um  die  Weltachse  erfolgt  die  scheinbare  Umdrehung  des  ganzen 
Himmelsgewolbes.  Der  nordliche  Himmelspol  liegt  in  der  Nahe  des 
Polarsternes  (im  Sternbild  des  ,,kleinen  Baren").  Der  Him- 
mels-Aequator  ist  jene  Kreislinie,  welche  genau  in  der  Mitte 
zwischen  den  beiden  Himmelspolen  gedacht  wird,  und  die  Himmels- 
kugel  in  eiue  nurdliche  und  siidliche  theilt.  Parallel  mit  dem  Him- 
mels-Aequator  laufen  die  Wende-,  Polar-  und  alle  iibrigen  Parallel- 
kreise  der  Himmelskugel,  welche  alle  rechtwinklig  von  den  Re  et- 
as cens  ions -Kreisen  durchschnitten  werden.  Die  kilnstliche  Him- 
melskugel heisst  Himmelsglobue. 

y,      §.  0.  Bcwegung  der  Erde. 

Die  Erde  hat  eine  zweifache  Bewegung :  a)  um  ihre  Achse 
(Rotation),  und  b)  um  die  Sonne  (Revolution). 

Um  die  eigene  Achse  dreht  sich  die  Erde  von  Westen  nach 
Osten  in  24  Stunden,  wodurch  Tag  und  Nacht  entstehen.  Bei  die- 
ser  Bewegung  werden  die  verschiedenen  Theile  der  Erdoberflache 
nach  und  nach  der  Sonne  zugewendet,  und  zwar  die  ostlicher  ge- 
legenen  friiher  als  die  weatlicheren.  Unter  den  verschiedenen  Meri- 
dianen  haben  somit  die  Orte  zu  verschiedener  Zeit  Sonnenaufgang 


und  Mittag.  Ein  urn  den  24.  Theil  des  ganzen  Kreises  (also 
urn  15°)  welter  nach  Westen  gelegener  Ort  muss  auch  um  den 
24,  Theil  der  Umlaufszeit  spater  Mittag  haben,  d.  h.  um  1  Stunde; 
also  ein  um  1°  westlicher  gelegener  hat  yj5  Stunde  oder  4  Minuten 
spater  Mittag. 

Bei  der  Rotation  bleiben  die  Pole  in  Ruhe,  die  iibrigen  Punkte 
auf  der  Erdoberflache  aber  befinden  sich  in  einer  desto   schnelleren 
Bewegung,  je  n'aher  sie  dem  Aequator  liegen  ;    denn  ein  Punkt  am 
Aequator  wird  in  24  Stunden  5400  d.  M.  durchlaufen, 
am  10°  jedoch  nur  360  X  14.77 
„     20°       „         „     360  X  14-09 
„     90°      „         „     360  X  0. 

Den  Umlauf  um  die  Sonne  vollendet  die  Erde  in  365  Ta- 
gen,  ^Stunden,  4tf-  Mmiiten",  48  Secunden.  Die  Linie,  in  welclier 
die  Erde  diese  Bewegung  ausfuhrt  ,  ist  eine  langlich  -  runde 
(Ellipse),  und  wird  die  Erdbahn  otter  Ekliptik  genannt. 

Die  SOnne  steht  ntch't  irn  Mittelpunkte  der  Ellipse  ,  sondern 
in  einem  der  beiden  Brennpunkfe  ;  (  ie  Erde  ist  eonach  einmal  im 
Jahre  der  Sonne  uaher,  und  einmal  im  Jahre  ferner.  Den  der  Sonne 
am  nachsten  und  den  ihr  am  fernsten  gelegenen  Punkt~3er  Erd- 
bahn  rif-nnt'  man  Solstitial-  oder  Wendepurikt;  der  erstere 
•Jleisst  Winter-,  der  letztere  Sommer-S  ol  s  tit  ial  punk  t.  Die 
Hintierniiri'|f""fl{?3  Winter-  Sblstitialpunktes  von  der  Sonne  heisst  Son- 
—  11.926  Erddurchmessern),  jene  ^des  Sommer- 


^ 

Solstitialpunktes  Sonnenferne  (Aphelium  =  12.333  Erddurch- 
~ttre  sserir)  .  '  Jene  zwel  Punkte^der  Ejrdbahn,  welche  fast  gleich  weit 
von  beiden  Solstitialpunkten  en  t  fern  t  "sin  o!^  werden  Aequinoctial- 
punkte  (Tag-  und  Nachtgleiche)  genannt.  v 

X       §•  '•  Tages-  und  Jahreszeiten. 

Die  Sonne  erleuchtet  stets  nur  die  halbe  Oberflache  der  Erd- 
kugel.  Die  Grenze  zwischen  der  erleuchteten  und  dunklen  Halb- 
kugel  heisst  Erleuchtungskreis.  Stande  die  Erdachse  senkrecht 
auf  der  Ebene  der  Ekliptik  ,  so  hatten  alle  Punkte  der  Erdober- 
flache fortwahrend  gleiche  Tages-  und  Nachtlange.  Die  Erdachse 
steht  jedoch  nicht  senkrecht  auf  der  Erdbahn,  sondern  sie  bildet 
mit  derselben  einen  Winkel  von  66y2°  sie  weicht  daher  um  23  ]/z° 
von  der  senkrechten  Stellung  ab.  Diese  Stellung  behalt  die  Erd- 
achse wahrend  der  rotirenden  Bewegung  der  Erde  um  die  Sonne 
stets  unverandert  bei,  d.  h.  dieLage  der  Erde  imWelten- 
raum  bleibt  unverriickt  die  gleiche,  die  Stellung  ge- 
gen  dieSonne  ist  hingegen  in  jedem  Augenblick  eine 
veranderte. 

Aus  der  eigenthumlichen  Neigung  der  Erdachse  folgt  die  un- 
gleichmassige~ErlendifiTng  der  Erde,  d.  i.  die  Verschiedenheit  der  Ta- 
geslange  unter  verschiedenen  Parallelkreisen.  Die  Ab-  und  Zunahme 
^er~T«g6«laDge  ges^hicht  fiir  einen  und  dcnsclben  Punkt  allmah- 
lich,  und  zwar  in  dem  Masse,  als  sich  die  Erde  von  den  Aequinoc- 
tialpunkten  entfernt  und  den  Solstitien  nahert.  Nach  dem  Aequi- 
noctium  am  21.  M&rz  wachsen  die  Tage  auf  der  nordlichen,  ver- 


8 

ktirzen  sich  jedoch  auf  der  sudlichen  Halbkugel ;  am  22.  Juni  hat 
die  nordliche  Halbkugel  den  langsten,  die  sudliche  den  kiirzesten 
Tag.  Nach  dem  Aequinoctium  am  22.  September  wachsen  die  Tage 
auf  der  sudlichen  ,  verkilrzen  sich  aber  auf  der  nordlichen  Halb- 
kugel bis  zum  Solstitium  am  21.  December,  wornach  die  Zunahme 
der  Tageslange  auf  der  nordlichen  und  die  Abnahme  auf  der  sud- 
lichen Halbkugel  bemerkt  wird. 

Auch  die  Unterschiede  der  Tageslange  vom  Aequator  nach  den 
Polen  zu  wachsen  allmahlich,  und  es  erfolgt  das  Wachsen  und  Ab- 
nehmen  der  Tage  und  Nachte  nach  Massgabe  der  geographischen 
Breite  um  so  schneller,  je  weiter  ein  Punkt  vom  Aequator  entfernt 
ist.  Zwischen  dem  Aequator  und  den  Polarkreisen  ist  dieses  Zu- 
und  Abnehmen  der  Tage  und  Nachte  minder  rasch,  als  zwischen 
den  Polarkreisen  und  den  Polen.  Unter  dem  Aequator  und  an  den 
Polen  sind  Tag  und  Nacht  stets  von  derselben  Dauer;  unter  dem 
Aequator  je  zwolf  Stunden,  an  den  Polen  je  ein  halbes  Jahr. 

j)ie  schiefe  Stellung  der  Erdachse  zur  Erdbahn  bedingt  die 
Verschiedenheit  der  Jahreszeiten  unter  denselben  Breiten ; 
der  Wechsel  und  die  Dauer  dieser' Jahreszeiten  aber  werden 
durch  die  jahrliche  Bewegung  der  Erde  bedingt.  Steht  die  Erde  am 
21.  Marz  in  einem  der  Aequinoctialpunkte  ihrer  Bahn,  so  beginnt 
der  Friihling  auf  der  nordlichen  und  der  Herbst  auf  der  sudlichen 
Halbkugel  (zwischen  den  Wende-  und  Polarkreisen).  Steht  sie  im 
Solstitium  der  Sonnenferne  (am  22.  Juni) ,  so  fangt  der  Sommer 
auf  der  nordlichen  Halbkugel,  der  Winter  auf  der  eiidlichen  an,  Im 
Herbst- Aequinoctium  (am  22.  September)  ist  der  Friihlings-Anfang 
auf  der  sudlichen  und  der  Herbst- Anfang  auf  der  nordlichen  Halb- 
kugel. 

Vf.  8.  Das  Planetensystem. 

Die  Sonne  ist  der  Mittelpunkt  eines  Systems  von  Planeten. 
Fiinf  derselben  sind  dem  freien  Auge  sichtbar,  die  iibrigen  sind 
nur  teleekopisch,  d.  h.  nur  dem  bewaffneten  Auge  erkennbar. 

Die  Planeten  sind  wie  die  Erde  spharoidische  Korper,  bewe- 
gen  sich  um  ihre  Achse  und  in  elliptischen  Bahnen  um  die  Sonne, 
von  welcher  sie  Licht  und  Warme  empfangen,  und  ihre  Achse  ist 
gegen  die  Sonnenachse  geneigt.  Einige  sind  von  Nebenplaneten 
begleitet. 

Die  Planeten  werden  in  drei  Gruppen  eingetheilt: 

1.  die  sonnennahe  oder  innere  Gruppe; 

2.  die  sonnenferne  oder  aussere  Gruppe; 

3.  die  mi 1 1 1  e r e  Gruppe  der  P 1  a n e t o i d e n ,   als  Uebergangs- 
glied  von  der  inneren  zur  ausseren  Gruppe. 

Zu  der  sonnennahen  Gruppe  gehoren  Merkur,  Venus, 
Erde,  Mars;  sie  sind  von  geringerer  Grosse  (670,  1678,  1719, 
1000  Meilen  Durchmesser),  minder  abgeplattet,  haben  eine  kiirzere 
Umlaufszeit  um  die  Sonne,  drehen  sich  in  nahezu  24  Stunden  um  jhre 
Achse,  und  sind  —  mit  Ausnahme  der  Erde  —  nicht  von  Monden 
begleitet. 

Die  sonnenfernen  Planeten  Jupiter,  Saturn,  Uranus 
und  N  e  p  t  u  n  iibertreffen  die  erstere  Gruppe  an  Groese  (20,000, 


16,300,  7209,  9700  Meilen  Durchmesser)  und  Abplattung,  haben  eine 
Achsenrotation  von  nur  10  Stunden,  wegen  der  grosseren  Entfer- 
nung  von  der  Sonne  lange  Umlaufszeiten,  und  sind  reicher  an  Monden. 
Die  mittlere  Gruppe  oder  die  Planetoiden,  welche  zwi- 
schen  den  Bahnen  des  Mars  und  Jupiter  kreisen,  sind  teleskopische 
Sterne,  deren  Bahnen  zum  Theil  einander  einschliessen,  zum  Theil 
in  einander  greifen  wie  Ringe  einer  Kette.  Der  Durchmesser  des 
grossten  soil  hochstens  145 ,  jener  der  Vesta  nur  60  Meilen  betra- 
gen.  Die  Umlaufszeit  betragt  von  drei  Jahren  und  97"  Tagen  (Flora) 
bis  auf  5  Jahre  188  Tage  (Hygiea).  Die  Zahl  der  nach  und  nach 
entdeckten  ist  bereits  auf  mehr  als  60  angewachsen. 

Uebersicht  unseres  Planetensystems. 


Planeten 

Abstand  von  der 
Sonne 

Umlaufszeit 

Monde 

Ort  und  Zeit  der  Ent- 
deckung 

1.  Merkur.  . 
2.  Venus  .  .  . 
3.  Erde  
4.  Mars  

8  MilLMeilen 
15     „ 
21     „ 
31     „         „ 

88  Tage 
224     » 
365     „ 
1  Jahr  322  Tage 

1 

Merkur  ,  Venus  und 
Mars  waren  schon  den 
Griechen  und  Romern 
als  Planeten  bekannt  ; 
die  Erde  wurde  erst  seit 
Kopernikus  als  Planet 
betrachtet. 

5.  DieGrup- 
pen  der  Pla- 
netoiden. .  .  . 

46-60      „ 

3—  6'/2  Jahre 

— 

Alle  erst  im  laufen- 
den  Jahrhundert  ent- 
deckt. 

6.  Jupiter  .  . 
7.  Saturn  .. 

107  „ 
197  „ 

12  Jahre 

29       „ 

4 

8 

Jupiter  und  Saturn 
waren  schon  im  Alter- 
thum  als  Planeten  be- 
kannt. 

8.  Uranus  .  . 

396  „ 

83       „ 

8 

Herschel  in  Bath  am 
13.  Marz  1781. 

9.  Neptun  .  . 
(Die  beiden 
Letzten  tele- 
skopisch.) 

626  „         „ 

227     „ 

2 

Berechnet  von  Lever- 
rier  in  Paris,  aufgefun- 
den  von  Galle  in  Berlin 
am  23.  September  1846. 

X 


II.  Topische  Geographic. 

§.  9.  Iliiuinlifht-  Verhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Dreierlei  Formen  bilden  die  Hiille  des  Erdkorpers  und  sind 
die  Lebensbedingungen  fur  alle  organischen  Wesen  auf  der  Erde, 
namlich:  Wasser,  Erde  und  Luft. 

Die  grossen  Tiefbecken  der  Erdrinde  sind  so  iiberwiegend  mit 
Wasser  angefiillt,  dass  kaum  der  dritte  Theil  der  Erdoberflache  als 
Land  fiber  den  Spiegel  des  Oceans  hervorragt;  es  entfallen  auf 
das  Land  2,500.000  und  auf  das  Wasser  6,780.000  geographische 
Quadratmeilen,  somit  beilaufig  29%  auf  das  Land,  und  71%  auf 
das  Wasser.  Nach  den  Hemispharen  vertheilt,  ist  das  Verhaltniss 
von  Land  zu  Wasser  auf  der  Os  thai  be  wie  1  :  1V2,  auf  der  We  st- 
halbe  wie  1  :5;  auch  auf  der  Nordhalbe  ist  das  Verhaltniss  wie 
1  :  1V2;  und  auf  der  Siidhalbe  wie  1  :  5.  Die  nordliche  Halbkugel 
ist  somit  ebenso  continental  ,  wie  die  ostliche,  und  die  siidliche 
ebenso  oceanisch  wie  die  westliche.  Das  meiste  Land  drangt  sich 
folglich  nach  Nord  und  Ost,  der  grosste  Theil  des  Wassers  nach 
Siid  und  West-  Construirt  man  sich  eine  kontinentale  Nord- 
ost-  und  eine  oceanische  Sudwest-Hemisphare,  so  bildet 
Europa  das  Centrum  der  ersten,  und  die  australieche  Inselwelt  jenes 
der  zweiten  Halbkugel ;  auf  der  ersten  iiberwiegt  das  Wasser  das 
Land  nur  urn  10%,  auf  der  zweiten  aber  stellt  sich  das  Verhalt- 
niss  von  Land  zu  Wasser  wie  1  :  16. 

§.  10.  Die  MeeresriUime  im  Allgemeinen. 

Die  zusammenhangende  Wasserflache  (das  Weltmeer)  wird 
durch  die  Zonen  und  die  emporragenden  Landmassen  in  5  Haupt- 
meere  oder  Oceane  eingetheilt: 

1.  Das  nordliche  Eismeer    200.000  Quadratmeilen. 

2.  Das  siidliche  Eismeer 350.000 

3.  Der  indische  Ocean   1,380.000  „ 

4.  Der  atlantische  Ocean 1,626.000  „ 

5.  Der  grosse  oder  stille  Ocean  . . .   3,300.000          '    ,, 

Das  nordliche  Eismeer  hat  den  Nordpol  zum  Mittelpunkt,  erstreckt  sich 
bis  zum  arktischen  Polarkreise  herab,  und  bespult  die  Nordkusten  von  Europa,  Asien 
und  America.  Das  Standeis  reicht  bis  zum  78.,  das  der  Schifffahrt  hochst  gefahr- 
liche  Treibeis  bis  zum  68.°  n.  Br.  herab.  Neben  den  Eismassen  schwimmt  viel 
Treibhola,  das  an  den  Kusten  abgesetzt  wird.  Der  Wallfisch-  und  Haringsfang, 
so  wie  der  Pelzhandel  werden  lohnend  betrieben. 

Das  sudliche  Eismeer  hat  den  Sudpol  zum  Mittelpunkt,  erstreckt  sich 
bis  znm  antarktischen  Polarkreis,  und  beruhrt  keinen  der  Coutinente.  Das  Stand- 
eis reicht  bis  zum  72.,  das  Treibeis  bis  zum  62.°  s.  Br.  herauf.  Die  Eisfelder  und 
Eismassen  sind  noch  grosser  als  im  nSrdlichen  Eismeer,  und  den  Erforschungsreisen 
haben  sich  hier  noch  grSssere  Hindernisse  entgegengestellt.  Die  Wallfischfanger  ge- 
winnen  jedoch  hier  eine  grossere  Beute. 

Der  indische  Ocean  erstreckt  sich  von  der  Sudkuste  Asiens  bis  zum  sud- 
lichen  Eismeer,  im  Westen  bilden  die  Ostkuste  von  Africa  und  der  durch  die  Sud- 
spitze  von  Africa  gehende  Meridian,  —  im  Osten  der  indische  Archipel,  das  Fest- 


11 

land  von  Neu-Holland  bis  zum  Meridian,  der  durch  die  Torres-Strasse,  Neu-HoIIand 
und  westlich  von  Van  Diemens-Land  geht,  die  Grenze. 

Der  atlantische  Ocean  fluthet  zwischen  Europa,  Africa  und  America, 
und  ist  im  Norden  und  Suden  von  den  beiden  Eismeeren  begrenzt.  Seine  Ostgrenze 
sind  die  Westkusten  von  Europa,  Africa  und  der  Meridian  der  Siidspitze  Africas,  — 
seine  Westgrenze  die  Ostkuste  Americas  und  der  Meridian  der  Sudspitze  Americas. 
—  Der  atlantische  Ocean  ist  die  grosse  Fahrstrasse  fur  den  Welthandel;  er  bespiilt 
die  Kiisten  der  von  den  culttirfahigsten  Volkern  bewohnten  Lander,  er  dient  zur 
Verbindung  der  entferntesten  Gegenden  der  Erde  nnd  ist  sonach  von  der  grOssten 
Bedentung.  Charakteristisch  sind  der  Inselreichthum  in  seiner  nordlichen  und  die 
Armuth  der  Inselbildung  in  der  sudlichen  Halfte. 

Der  grosse  oder  stille  Ocean  bespiilt  die  Ostkuste  von  Asien  und  Neu- 
Holland,  und  die  Westkiiste  von  America.  Die  Nord-  und  Sudgrenze  sind  die  bei- 
den Eismeere,  im  Westen  die  Ostkuste  Asiens  und  der  Meridian  der  Torres-Strasse 
und  Van  Diemens-Land,  im  Osten  die  Westkiiste  Americas  und  der  Meridian  von 
Americas  Sudspitze.  Die  rnhigeren  StrOmungen  und  regelmassigen  Windc  sind  der 
Schifffahrt  sehr  gunstig.  Er  scheint  ein  Riesenbecken,  wahrend  der  Atlantik  ein 
Riesenthixl  scheint.  Der  nSrdliche  Theil  ist  mit  dichtgedrangten  Inselreihen  iiber- 
saet  und  das  Becken  urugibt  ein  Kranz  thatiger  Vulkane.  Im  sudlichen  Theile  zeigt 
sich  ebenfalls  Armuth  der  Inselbildung. 

§.  11.  Die  Laudmasse  im  Allgemeinen. 

Die  Landmasse  zerfaUt  in  drei  grossere  zusammenhanfrende 
und  in  viele  kleinere,  vereinzelte  Theile;  die  ersteren  heissen  K  on- 
tin  en  te,  die  letzteren  Ins  ein. 

Die  grosste  zusaminenhangende  Landmasse  liegt  auf  der  ost- 
lichen  Halbkugel,  wird  in  3  Erdtheile:  Europa,  Asien  und 
Africa  eingetheilt,  und  heisst  auch  die  ,,alteWelt;"  —  diezweite 
liegt  auf  der  westlichen  Halbkugel  und  heisst  der  westliche  Konti- 
nent,  die  ,,neue  Welt,"  America;  —  die  dritte  liegt  auf  der  siid- 
lichen  Halbkugel,  eiidOstlich  von  der  alten  Welt,  und  heisst  der 
siidliche,  australische  Kontinent  oder  Neu-Holland. 

Die  Inseln,  welche  zuuachst   den  Festlanden  liegen  und  kon- 
tinentale  oder  Gestade-Inseln  heissen,  werden  nicht  als    selbst- 
standige  Individuen  angesthen  ;  dagegen  vverden  die  Inseln  beider 
Polarzonen  und  jene  Australiens  ak  to  c^a-n 
1  a  <y  i  s^Ji^Jii^enden  Kontiuenten^egenuoe 


t  'isc  n  e 


a  a  ie  c  h  e  und  trqpische  Inselwelt  Be^elcnner 

"Tlaclit  r.raum  def  Ko'nfinente,  Itiseln,  ITalBinseln  und  der 


fiinf  Erdtheile  uberhaupt  ersieht  man  aus  folgender  Uebersicht  : 

(Flacheninhalt  in  deutschen  Quadratmeilen). 
Kontineutaler  Stamm  Inseln       Halbinseln       Gesammtflache 

l60.00(T 
168.000 
545.000 
688.000 
883.000 


Australicn  ...".. 
Europa  
Africa  . 

134.000 
120.000 
534  000 

22.000        4.000 
8.000       40.000 
11  000 

America  
Asien  

627000 
675.000 

25.000       36.000 
53.000     155.000 

2,090.000       119.000     235.000        2,444.000 
Nach  dieser  Berechnung  entfallen  somit: 

5%  auf  die  Inseln  (genauer:  47/8%), 
10%    „      „     Halbinseln  (genauer:  9%%), 
85%    „     ,,     eigentlichen  Kontinente  (genauer:    85*/8%). 
Wird    Europa  —  1  angenommen,    eo    entfallt    auf   Australien 
0.9.,  auf  Africa  3V4,  auf  America  4  uad  auf  Asien  5V4. 


12 

In  jedem  Erdtheile  kann  man  durch  Abschneiden  der  Halbinseln  eine  mehr 
Oder  minder  regelmassige  geometrische  Figur  construiren ,  welche  der  Stamm  des 
Kontinentes  heisst.  Die  ausserhalb  der  Umfangslinien  des  Stammes  liegenden  Theile 
des  Kontinentes  werden  G  lie  der  genannt.  Die  Grenzlinie  des  Kontinentes  gegen 
das  Meer  bildet  dessen  Kiistenlange,  und  das  Verhaltniss  der  Kiistenlange  zum 
riacheninhalte  eines  Landes  nennt  man  dessen  Kiistenentwickelung.  Diese  ist 
von  bedeutendem  Einflusse  auf  die  Kultur  des  Landes;  denn  je  mehr  ein  Erdtheil 
Oder  ein  Land  durch  Meerbusen  und  Buchten  eingeschnitten  ist,  je  mehr  Inseln  vor 
oder  langs  der  Kiiste  liegen,  desto  mehr  Punkte  sind  an  die  grosse  Strasse  des  Ver- 
kehrs  hinausgeriickt,  wodurch  sowohl  der  Verkehr  der  Bewohner  nach  auswarts  als 
die  Zuganglichkeit  von  anderen  Erdtheilen  erleichtert  werden.  Eine  grosse  Kusten- 
entwickelung  ist  im  Allgemeinen  die  Vorbedingung  zu  giinstiger  Gestaltung  des 
Handels  und  der  Kulturverhaltniase  eines  Landes. 

A.  Beschreibung  der  Meere, 

§.  12.  Das  nordliche  Eismeer. 

(Grenzen  siehe  §.  10.} 

Theile  des  nordliehen  Eismeeres: 

1.  Das  gronlandische  Meer  an  der  Ostkuste  Gronlands ; 

2.  das  spitzbergische  Meer  mit  dem  Archipel  von  Spitz- 
berg  en  ; 

3.  das  lapplandische  Meer  mit  der  Inselgruppe  der  L  o  f  o  d- 
den  an  der  norwegischen  Kiiste; 

4.  das  weisse  Meer  mit  der  Kandalsk'ischen  ,    der  Onega- 
und  der  Dwina-  (oder  Archangel-)  Bucht ; 

5.  die  Tscheskaj  a-Bai  mit  der  Insel  Kalguew,  und  die 
Petschora-  Bai ; 

6.  das  karische  Meer  mit  der  Waj  at  sch- Strasse  (zwischen 
dem  Festlande  und  der  Insel  Waj  at  sch),  welche  in  den  karischen 
Golf  fiihrt,  — und  mit  der  karischen  Pforte  zwischen  der  Insel 
Wajatsch  und  der  Doppel-Insel  Nowaja  Semlja; 

7.  das  s  i  b  i  r  i  s  c  h  e  Meer  mit  der  Inselgruppe  Neu-Sibirien 
(Neu-Sibirien,  Fadejevskoj  ,    und  Kotelnoj)  und  den  Meerbusen  Ob 
(mit  dem  Taz'ischen  Golf),  Tydansky,  Jenisei,    Taimur  und 
den  Limanen  an   den  Miindungen    der  Lena,   Indigirka  und 
Kolyma  *); 

8.  die  Behrings- Strasse  (welche  das  nordliche  Eismeer  mit 
dem  stillen  Ocean  verbindet)  mit  dem  Kotzebue-Sund; 

9.  das    Meer     der    nordliehen     Durchfahrten     oder 
Parry-,    auch   Mel ville-Sund ,    d.    i.   die   westliche  H'alfte    des 
arktischen  Polarmeeres    an    der   nordamericanischen  Kiiste,    mit  der 
Banks-Strasse  (zwischen  der  Insel  Banks-Land    [im  Suden] 
und  den  Prinz  Patrick-,  Eglinton-  und  Melville -Ins  ein 
[irn   Norden],    und    der   Prinz  Wales-Strasse    (zwischen    dem 
Banks-Land  [nordwestlich]  und  dem  Prinz  Albert-Land  [siidostlich]). 
—  Ausser    den    genannten    sind   noch    folgende   Inseln   bemerkens- 
werth:  Cornwallis,  Nord-Devon,  Grinnell-Land,  Prinz 
Wales-Land,    Nord-Somerset    oder   Boothia   Felix   und 

*)  Kleinere  Golfe  sind  jene  von  Khatansk  (125°  6.),  Anabara  (130°  o.) 
Borkhaja  (148°  6.),  Chroinskaja  (165°  6.),  Tschaun  (173°  w.),  Kumotschin 
(158°  w). 


13 

Baffin  s- Land  *).  —  Aus  dem  Melville-Sund  gel  an  gt  man  durch 
dieBarrow-Strasse  in  den  Lane  aster- Sun  d,  und  von  daindie 

10.  Baffins-Bai,  welche  die  Westkuste  Gronlands  bespiilt  und 
in  ihrem  siidostlichen    Theil  durch    die  Davis-Strasse  mit  dera 
atlantischen  Ocean  verbunden  ist.  Aus  der  Davis-Strasse  fiihren  die 

11.  Cumberland's  und  die  Hudson's-Bai  mit  der  Insel 
Southampton,  der  Chesterfield's  Einfahrt  und  der  James-Bai. 

§.  13.  Das  siidliche  Eismeer. 

(Grenzen,  siehe  §.  10.) 

Dieses  Meer  ist  fast  ganzlich  unbekannt ;  es  ist  noch  zwei- 
felhaft,  ob  die  in  demselben  entdeckten  unbewohnten  Kusten  ein- 
zelnen  Inseln  angehoren  oder  Theile  eines  vierten  Kontinentes,  d.  i. 
eines  sechten  Erdtheiles,  sind**). 

g.  14.  Der  indische  Ocean. 

(Grenzen  siehe  §.  10.) 

Theilo  des  indischen   Oceans  sind: 

1.  Das  Meer   von   Madagascar   mit  dem  Kanal  von  Mo- 
zambique,   welcher   die    Insel  Madagascar    vom  Festland    trennt, 
und   in    dieses   die  Lagoa-Bai   und    die  Busen  von  Sofala  und 
Zanzibar  schneidet.     Im   Kanal   von  Mozambique  liegen  die  Co- 
moro-,   nordlich    die   Amiranten-    und  Seychellen-,  ostlich 
die  M as carenen -Inseln    (Bourbon   oder  Reunion,   und  Mauritius 
oder  Isle  de  France)  ; 

2.  das  arabische  Meer  mit  dem  Busen  von  Aden,  welcher 
mittels  der  Strasse  von  Babel  Mandeb  mit  dem  rothen  Meere 
(arabischen    Meerbusen)   verbunden  ist ,    das   mit    den  Buchten  von 
Suez  und  Akaba  endigt.  Vor  dem  Busen  von  Aden  liegt  die  Insel 
Socotora; 

3.  das  persische  Meer,  welches  durch  die  Strasse  von  Or- 
mus  mit  dem  persischen  Meerbusen  (dem  griinen  Meer)  ver- 
bunden ist  ;  im  siidostlichen  Theil  liegen  die  Inselgruppen  der 
Lakkediven  und  Malediven,  durch  die  Palks-Strasse  (zwi- 
schen  der  Sudostspitze  Vorder-Indiens  und  der  Insel  Ceylon)  ge- 
langt  man  in  den 

4.  Busen  von   Bengalen   mit    dem  Busen  von  Mar  tab  an 

*)  Die  Auffindung  einer  ,,nordwestlichenDurchfahrt"  (North- West-Passage) 
ans  dem  Melville-Sand  nach  der  Behrings- Strasse  (beziiglich  aus  dem  atlantischen  in 
den  stillen  Ocean  langs  der  Nordkuste  von  America)  ist  von  England  besonders 
seit  dem  Jahre  1818  angestrebt  worden.  (Ross,  Parry,  Lyon,  Franklin, 
Beechey,  M'Clure,  Dr.  Kane.)  Diese  Durchfabrt  ist  sowohl  nordlich  (durch 
die  Banks-Strasse)  als  sudlich  (durch  die  Prinz  Wales-Strasse)  gefunden  worden,  doch 
ist  sie  fur  eine  regelmassige  Schifffahrtsverbinduug  fast  ganzlich  unbrauchbar,  weil 
die  Kanale  dieser  zwischen  polarischen  Insellandern  sich  windenden  Durchfahrt  fast 
me  vom  Eis  ganz  frei  sind.  —  Die  bis  zum  Jahr  1855  diessfalls  gewonnenen  Re- 
sultate  der  nNordpol-Expedi tionen"  sind  in  A.  Petermann's  vortrefflichen 
,,Mittheilungen",  1855,  pag.  98—119  und  Tafel  8  enthalten. 

**)  Einzelne  Kustenstriche  sind:  Victoria-Land  mit  dem  Erebus- Vulkan  (auf 
12,400'  geschatzt)  und  dem  erloschenen  Krater  Terror,  —  Alexander-,  Graham-, 
Louis  Philipp-,  Enderby-,  Ade"Iie-Land  u.  s.  w.  —  Inseln:  Franklin-,  Peter  I.-, 
Biscoe-,  Sud  Schetlaud's-  und  Sud  Orkaden-Inseln.  Capitan  Ross  war  bis  78°  11' 
sudl.  Br.  gelangt. 


14 

(oder  Pegu).  Er  umspult  die  Andaman- und  Nikobar  en -Inseln, 
und  steht  mittels  der  Straesen  von  Malacca  (zwischen  der  Halb- 
insel  Malacca  und  der  Insel  Sumatra)  und  von  Singapore  in 
Verbindung  mit  dem 

5.  hinterindischen    Meere,     welches    den    Busen    von 
Si  am  bildet; 

6.  das   siid-chinesische  Meer    mit    dem  Busen  von  Ton- 
kin  (Ineel  Hainan)  und  von  Kan  ton,  nordostlich  davon  die  In- 
sel   Formosa,    durch   die   Strasse  von   Fukian    vom    Festlande 
getrennt; 

7.  die  Sunda-,  Flores-,  Banda-,   Celebes-   und  Min- 
doro-See.     In    diesen   Gewassern    liegen    die  grossen    Sunda- 
Inseln  (Sumatra,  Java,  Borneo,  Celebes),  die  kleinen  Sunda- 
Inseln  (Banka,  Sumbava,  Flores,  Timor  u.  a.),    die  Banda-  und 
Molukk  en -Inseln  (Ceram,  Bui'o,  Amboina,  Dehilolo),  die  Philip- 
pin  en  (Luzon  oder  Manila,    Magindano)    und  die  Sulu-Inseln. 
Die  bedenteudsten  Strassen  sind: 

S  und  a- Strasse  zwischen  Sumatra  und  Java, 
Mac  as  sar- Strasse  zwischen  Borneo  und  Celebes, 
Molukken- Strasse  zwischen  Celebes  und  den  Molukken. 

8.  Die  Bai  von  Carpentaria  an  der  Nordkiiste  von  Neu- 
Holland,    aus   welcher   die  Tor  res- Strasse   in  den  grossen  Ocean 
(in  das  Korallen-Meer)   fiihrt ; 

9.  die  Flinder's- See  an  der  Siidkuste  von  Neu-Holland  mit 
dem  Spencer's-Golf  und  der  Insel  Kanguru. 

§.  15.   Der  atlantische  Ocean. 

(Grenzen,  siehe  §.  10.) 

Thette  des  atlantischen   Oceans  sind: 
A.  Im   Osten. 

1.  Das  skandinavische  Meer   zwischen  Island,   Norwegen 
und    Grossbritannien   mit   der    Insel  Island    und   den    Faroer-, 
Shetland-  und  Orkney-  (oder  Arkaden)  Inseln; 

2.  das    caledonische    Meer   an   der   Nordwestkiiste    Gross  - 
britanniens,  mit  der  Inselkette  der  Hebriden; 

3.  die  irische  See,  Irland  umschliessend  und  durch  den  Nor  d- 
und  St.  Georgskanal  mit  dem  Ocean  verbunden.  Sie  enthalt  die 
Inseln  Man  und  Angle  sea,  und  bildet  den  Kanal  von  Bristol, 
und  die  Buchten  von  Liverpool,  Dublin  und  Belfast; 

4.  der  Canal  la  Manche  mit  dem  normanni  schen  Busen 
und  der  Strasse  von  (pas  de)  Calais  oder  Dover,  und  den  Inseln 
Whigt,  Guernesey  und  Jersey; 

5.  die  Nordsee   oder   das    deutsche  Meer   bildet    an  der 
Kuste  Grossbritanniens  die  Busen  Murray,  Firth  of  Forth  und 
Wash,    an    der   Kuste    des    Continentes    die   Zuyder-See,    das 
Harlemer  Meer,    den    Jahde-Busen   und  Dollar t,  umspult 
die  Inseln  Tex  el    und   Helgoland,    und  steht  mittels  des  Ska- 
gerrack, des  Kattegat,  des  grossen  und  kleinen  Belt  und  des 
Sund  in  Verbindung  mit  der 

6.  Ostsee  oder   dem    baltischen   Meere    (7267 


15 

Die  Ostsee  umschliesst  die  danischen  Inseln  Seeland,  Fiinen, 
Langeland,  Laaland,  Falster  und  andere  kleinere,  dann  die 
Inseln  Riigen,  Bornholm,  O  eland,  Gothland,  Oes  el,  Dago, 
die  Aland's -Inseln  und  viele  felsige  Eilande  (Skaren);  sie  bildet 
den  bothnischen,  finnischen  und  ri  gai  schen  Meerbusen  ; 

7.  das  biscayische  oder  aquitanische  Meer,   auch    Golf 
von  Gascogne  mit  der  Bai  von  Brest; 

8.  durch  die  Strasse  von  Gibraltar  steht  der  Ocean  in  Ver- 
bindung  mit  dem    mi ttellan  dischen  Meere    (45.131  QMeilen), 
welches  in  ein  westliches  und  ein  ostliches  Bee  ken    getheilt 
wird.    Das  westliche  Becken  reicht  von  Gibraltar  bis    zur  West- 
spitze  Siciliens   (30°  o.)  und  wird    durch   die   Inseln  Corsica  und 
Sardinien  in  zwei  Half: en  getrennt.  In  der  westlichen  Halfte  ist 
der    Golf  von  Valencia    mit    den    Inselgruppen  Pi  thy  u  sen  (Ivica, 
Formentera)   und    Balearen    (Mallorca,    Meuorca) ,    der  Golf  von 
Lyon   mit  den    hyerischen    Inseln    und    der    Golf  von  Genua. 
Die  Strasse   von  S.  Bonifacio    (zwischen  Corsica  und  Sardinien) 
verbindet  die  Westbalfte  mit  der  Osthalfte  oder  mit  dem  tyrrheni- 
schen  (toskanischen)  Meere,    —  der  Straese  von  Piombino  zwi- 
schen   der  Westkuste    Italiens    und  der  Insel  Elba,  —  die  Inseln 
Ischia    und    Capri,    endlich    die    Liparischen    und  A  eg  ad  i- 
schen  Inseln  (crstere  im  Norden,  letztere  im  Westen  Siciliens).  An 
der  africanischen  Kiiste  ist  die  Bai   von  Tunis.     Die   Strasse    von 
Messina  (Faro)  zwischen  Sicilien  und  dem  Festlande  Italiene. 

Das  ostliche  Bee-ken  wird  durch  Griechenland  und  Candia 
fcbenfalls  in  eine  westliche  und  ostliche  Halfte  getrennt.  In  der  west- 
lichen  Halfte  eind  die  Inseln  Malta,  Gozzo  und  C  o  m  i  n  o  ,  der 
Busen  von  T  a  r  a  n  t  o  (Tarent) ;  die  Strasse  von  O  t  r  a  n  t  o  verbin- 
det das  j  o  n  i  s  c  h  e  Meer  mit  dem  adriatischen  (2730  [jMeilen), 
in  welchem  die  Golfe  von  Venedig,  Triest  und  F  i  u  m  e  (Quar- 
nero)  mit  der  Kette  der  dalmatinischen  Inseln  eich  befinden. 
Im  jonischen  Meer  i^t  die  Kette  der  jonischen  Inseln  (Corfu, 
Paxo,  Sta.  Maura,  Thiaki,  Cephalonia,  Zante,  Cerigo)  und  sind  die 
Busen  von  Arta,  Lepanto,  Koron  und  Kolokythia.  —  In  der  ost- 
lichen  Halfte  —  dem  agaischen  Meere  —  sind  die  Busen  von 
Napoli  (Nauplia),  Egina,  Volo,  Salonik,  Contessa,  und  (auf  der 
asiatischen  Kiiste)  Smyrna ,  ferner  die  zahlreichen  Inseln  des  grie- 
chischen  Archipels,  als  :  Candia,  die  Cycladen  (Paros,  Naxos, 
Milos  u.  s.  w.),  die  Sporaden  (Mytilene ,  Skios  ,  Samoa  ,  Cos, 
Patmos,  Rhodus  u.  a.).  Aus  dem  agaischen  Meer  fiihrt  die  Strasse 
der  Dardanellen  (Hellespont)  in  das  Marmara- Meer  (Pro- 
pontis),  von  hier  die  Strasse  von  Konstantinopel  (thraci- 
echer  Bosporus)  in  das  schwarze  Meer  (7860  QJMeilen),  und 
aus  diesem  die  Strasse  von  K  e  r  t  s  c  h  (oder  von  Jenikale,  Feodo- 
sia)  in  das  asow'sche  Meer  (mit  der  faulen  See).  —  Der  ost- 
liche Theil  des  Mittelmeeres  heisst  das  s  y  r  i  s  c  he  Meer  (mit  der 
Insel  Cypern);  an  der  africanischen  Kiiste  bildet  es  den  Busen 
von  S  i  d  r  a  (grosse  Syrte)  und  von  C  a  b  e  s  (kleine  Syrte)  ; 

9.  das  Meer  von  M  a  r  o  c  c  o.    Westlich   liegen    die  c  a  n  a  r  i- 
schen  Inseln  (F  e  r  r  o ,  Teneriffa,  Canaria),  dann  Madeira  und 
die  A  z  o  r  e  n  ; 


16 

10.  das   Meer   von    Senegambien  mit    den    Capverdi- 
s  c  h  e  n  und  den  Bissagos-  Inseln  ; 

11.  das  a  t  hi  o  p  i  s  c  h  e  Meer  mit  dem  Busen  von  Guinea, 
den  Baien  von  Benin  und  Biafra   und   den  Guinea-Inseln  (Fer- 
nando de  Po  und  St.  Thomas) ; 

12.  das  Meer  von  Congo;    westlich  im  offenen  Ocean  liegen 
die  Inseln  St.  Helena,  Ascension  und  Trinidad; 

13.  das   Capmeer   mit    der  Tafelbay  und  dem  «Cap  der 
guten  Hoffnung," 

B.    ImWesten. 

1.  Der   St.  Lorenz- Busen  mit  den  Inseln  Anticosti,    Pi% 
Eduard  und  Magdalena,  vor  demselben  die  Inseln  Neu-Found- 
land   und    Breton;    zwischen    dem  Festland  (Labrador)  und  der 
Insel  Neu-Foundland  ist  die  Strasse  Belle  Isle; 

2.  die    Fundy-Bai  zwischen    Neu  -  Braunschweig   und   Neu- 
Schottland ; 

3.  die   Massachusets-Bai    mit   dem  Hafen  von  Boston,  — 
siidlich    davon    die  Insel   Long  Island    im   gleichnamigen    Sund 
und  die  Bucht  von  New- York; 

4.  die  Chesapeake-Bai    erstreckt    sich  weit   ins  Land   und 
bildet  zahlreiche  Einbiegungen.     Oestlich    davon    sind  die  Bermu- 
das- oder  Sommer-Inseln; 

5.  der  Canal  von  Florida  zwischen  Florida  und  Cuba  fiihrt 
in  den 

6.  Meerbusen    von    Mexico    mit    der    Apalache-Bai    (im 
Nordosten)  und  der  Campeche-Bai  (im  Siidwesten),  und  aus  die- 
sem  die  Strasse  von  Yukatan  in  das 

7.  karaibische  oder  Antillen- Meer  mit  der  Honduras- 
Bai  und  den  Golfen  von  Guatemala  (oder  Nicaragua),  von  D  a  r  i  e  n , 
von  Maracaybo  und  von  Paria.  Das  karaibische  Meer  beepiilt  die 
grossen    Antillen:    Cuba,    Jamaica,    Haiti   (oder   St.  Do- 
mingo,    zuerst    Hispaniola    genannt)    und   Portorico,  —  vor  der 
Ostktiste  der  letztgenannten  Insel  ist  die  Gruppe  der  Virgini  schen 
Inseln  (St.  Croix,  St.  Jean  u.  s.  w.),  an  welche  sich  in  zwei  Paral- 
lelreihen    die    Kette   der  kleinen    Antillen  anschliesst  (darunter 
Guadeloupe,    Martinique,    Sta.  Lucia,  Grenada,  Barbuda,  Antigua, 
Mariegalante,  Barbados,  Tabago,  Trinidad) ;  —  nordostlich  von  den 
grossen  Antillen  liegen  die  Lucayas-  oder  Bah  a  ma- Inseln  (Ba- 
hama ,    Abaco  ,    Neu  -  Providence ,    Guanahani    oder     St.    S  a  1- 
v  a  t  o  r  u.  s.  w.) ; 

8.  das  brasilianische  Meer  mit  dem  Marahon-Busen,  der 
Allerheiligen-Bai  und  der  Bai  von  Rio  de  Janeiro; 

9.  das  La  Plata-Meer  mit  dem  Busen  von  Buenos-Ayres 
und  das  Meer  von  Patagonien  mit  dem   Golf  von  St.  Antonio; 

10.  das  Magelhaens-Meer  mit  der  Magelhaens-Strasse 
zwischen  der  Siidspitze    des   amerikanischen    Festlandes    (Cap  For- 
ward) und  der  Insel  Feuerland,  dann  der  Strasse  Le  Maitre 
zwischen   dem    Feuerland    und   den   Staaten -Inseln   (Siidspitze 
Cap  Hoorn).     Ostwarts  im  offenen  Meere  liegen    die  Falklands- 
Inseln,  Siid-Georgien  und  kleinere  Inseln. 


17 


§.  16.    Der  grosse  (oder  stille)  Ocean. 

(Grenzen,  siehe  §.  10.) 
Theile  des  grossen  Oceans  sind: 

A.  Im  Osten. 

1.  Das   Behrings-Meer   (oder  von  Kamtschatka)   mit    dem 
Norton -Sund  und  der  Bristol-Bai,  und  den  Inseln  St.  Lorenz, 
Nunniwak  und  der  Kette  der  Aleut  en; 

2.  durch  die  Strasse  von  S  ch  ele  k  off  (vor  derselben  die  Ineel 
Kadjak)    gelangt    man    in    den   Kenai-Sund    (Cook's    Einfahrt), 
welcher  im  Siidosten  in  Verbindung  steht  mit  dem 

3.  Tschu gatschki-  oder  Prinz  Willia m-Sund,  welcher 
mit  kleinen  Inseln  gefullt  ist ; 

4.  der    Cross-    (oder  Kreuz-)  Sund    mit    der    Insel   Sitka, 
dann  der  Prinz  v.  Wales  -Archipel; 

5.  der    Meerbusen    von    Georgia    und    die    Admiralitat- 
Bucht  mit  dem  Konigin  Charlo  t  te-Sund  und  Juan   de  Fuca- 
Strasse,    und  den  Inseln:  Konigin  Charlotte  und  Quadra  oder 
Vancouver; 

6.  der  Meerbusen  von  Californien    (oder  das  Purpurmeer). 

7.  Im  tropischen  grossen  Ocean  sind:  die  Baien  von  T ehu an- 
te pek  (16°  n.  B.),  Papagayo  (11°  n.  B.),  Panama  (bis  9°  n.  B.), 
Choco  (4°  n.  B.)    und  Guayaquil    (3°   s.  B.);   westwarts    (unter 
dem  Aequator)  liegen  die  Ga lop  ago  s  -  Inseln; 

8.  das  Meer  von  Peru  mit  der  Callao-Bai; 

9.  der  Golf  von  Valparaiso; 

10.  der  Chonon-  (oder  Guayteca-)  Golf,  mit  der  Chiloe- 
Insel,  —  siidlich  von  diesem  der  Pen  as -Golf,  dann  der  Campana- 
Kanal  und  die  C  one  epci  on -Strasse. 

B.  Im  Westen. 

1.  Das  Behrings-Meer  mit  dem  Anadyr-Busen    und  der 
Oliutorskaja-  Bai; 

2.  das    Ochozki'sche   Meer  mit  der  Insel   K  a  raft  a   (oder 
Sachalin),    und    zwischen    dieser  und  dem  Festlande  die  tartari- 
sche  Strasse,  dann  mit  der  Inselkette  der  Kuril  en.     Mittelst  der 
Strasse  von  la  Perouse  (zwischen  Karafta   und  der  Insel  Jesso) 
steht  es  mit  dem 

3.  Japanischen    Meer    in    Verbindung,    vor    welchem   die 
Japanischen  Inseln  liegen  (Nipon,  Sikokf,   Kiusiu  u.  s.  w.) ;  die 
Sangar-Strasse    (zwischen    den  Inseln  Jesso    und  Nipon)    verbindet 
es  mit  dem  grossen  Ocean,  und  die  Strasse  von  Korea  mit  dem 

4.  ost-chinesischen  Meer,  dessen  nord  westlicher  Theil  das 
gelbe  Meer  (Whang-Hai),  den  Pe-tsche-li-   (oder  Tschili)  Bu- 
sen   und    die  Bucht    von    Liao-toung    bildet;    siidlicher    ist    die 
Bucht  von  Nangae'aki,  und  im  Sudosten  davon  der  Liu-Kiu-  (oder 
Likejo-)  Archipel.  Die  Strasse  von  Fu-Kian  (zwischen  dem  Fest- 
lande und  der  Insel  Formosa  oder  Taiwan)  fiihrt  in  das 

5.  slid- chinesische  Meer  (§.  14,  N.  6); 

6.  das  Inselmeer   der  Marianen-    (oder  Ladronen),    Caro- 
linen-,  Salomons-,  Neuhebriden-,  Freundschaf ts-,  Ge- 

Klun's  Handels-Gcographie.     2.  Aufl.  2 


18 


sellschafts-,  der  niedrigen  Inseln-,  Marquesas-,  Lord 
Mulgrave-,  Sandwich-  und  mehrere  andere  Archipele  von 
Australian ; 

7.  das   Meer  von   Neu-Guinea,  die   Torres-Strasse  (§.    14, 
Nr.  8)   fiihrt    in    das    Cor  alien -Meer    (an    der    Nordostkiiste   von 
Neu-Holland).     An  der  Oatkiiste   von  Neu-Holland  ist  dieBotany- 
oder  Port-Jackson's-Bai ; 

8.  das   Meer  von    Neu-Seeland   init   der   Cook's-Strasse, 
welche  Neu-Seeland  in  z\vei  Inseln  theilt; 

9.  das    Van-Diernens  -  Meer    mit    der    Van-Diemens- 
(oder  Tasmania-)  Insel  und  der  Bass-Strasse  zwischen  dieser  Insel 
und  dem  Kontinente. 

B.  Beschreibung  der  Erdtheile. 

§.  17.    Die  horizontals  Gliederung  Europas. 

JDnter  horizon taler  Gl ied erung  versteht  man  die  r'aum- 
liche  Ausdehnung  des  Kontinentes  nacb  Breite  und  Lange,  die  Ge- 
stalt  des  Stammes,  die  daran  hangenden  Glieder  und  die  Verbrei- 
tung  der  zu  dem  Kontinente  gehorigen  Inseln. 

Europa  ist  168.000  QM.  gross;  davon  kommen  etwa  120.000 
auf  den  Stamm,  40.000  auf  die  Glieder  (Halbinseln)  und  an  8000 
auf  die  Inseln.  Die  Kiistenentwickelung  betragt  an  4300 
Meilen,  wornach  auf  je  38  QM.  Flachenraum  1  M.  Kustenlange 
entfallt. 

Der  Stamm  hat  die  Gestalt  ernes  Dreiecks,  dessen  Endpunkte 
in  die  sudostlichste  Ecke  des  biscayischen  Meerbusens,  in  die  Nord- 
spitze  des  kaspischen  Sees  und  in  die  Siidspitze  des  karischen 
Meeres  fallen. 


Die  bedeutendsten  Glieder  (Halb- 
inseln) Europa's  sind : 


Die  grossten  zu  Europa  geborigen 
Inseln  sind: 


Kanin 160  DM. 

Kola  (lappische  Halbinsel)  .  1800 

Skandinavien 16,000 

Jutland 590 

Nord-Holland J    '  30 

Cotentin  (normannische 

Halbinsel) 40 

Bretagne 350 

Hesperische  oder  pyrenaische 

Halbinsel 10,600 

Italien 2930 

Istrien 35 

Griechische  Halbinsel 6600 

Taurien  oder  die  Krvm  ..  360 


Novaja- Semlja 2000  DM. 

Grossbritannien   4188 

Irland 1526 

Island 1840 

Corsica 160 

Sardinien 433 

Sicilien 477 

Candia  oder  Creta 145 


§.  18.    Die  horizontal!;  Gliederung  Asiens. 

Der  Flachenraum  von  Asien  betragt  an  883-000  QM.;  davon 
entfallen  an  675,000  auf  den  Stamm,  155,000  auf  die  Glieder  und 
53,000  auf  die  Inseln.  Die  Kustenentwickelung  betragt  etwa 
7700  M.,  wornach  auf  je  114  QM.  Flachenraum  1  M.  Kustenlange 
entfallt. 


19 


Der  Stamm  hat  die  Gestalt  eines  Trapezes,  dessen  4  End- 
punkte  sind :  die  Landenge  von  Suez,  die  Strasse  von  Hainan,  das 
Cap  Schelagskoj  und  der  karische  Golf. 


Die  bedentendsten  Glieder  von 
Asien  sind  : 

Die  grossten  asiatischen  Inseln 
sind: 

Die  Tschnktschen  Halbinsel 

3000  DM. 
4000 
7000 
33,000 
50,000 
48,000 

10,000     „ 

Die  Inselreihe  der  Kurilen  . 
Karafta  (oder  Sacbalin)  .... 
Die  japanischen  Inseln  . 
Die  chinesischen  Inseln   mit 

320  Dl 
2000 
10,000 

1060 
758 
3680 
1070 
3316 
13.508 
2325 
7474 
1181 
128 

Korea  ... 

Hinterindien  mit  Malakka.. 
Vorderindien  mit  Guzerat.. 
Arabien  

Hainan  
Die  Philippinen       .        ... 

Kleinasien   (Natolien,    Ana- 
doli) 

Die  Molukken                .    .    . 

Celebes  

Ceylon  

Cvoern  .  . 

§.  19.    Die  horizontals  Gliederung  Africas. 

Der  Flachenraum  von  Africa  betragt  an  545.000  QM. ;  davon 
entfallen  auf  den  Stamm  an  534.000,  auf  die  Inseln  11.000  DM-5 
die  Kus  tenen  twicke  1  u  ng  betragt  nur  3500  Meilen,  wornach 
erst  auf  je  155  Q  M.  Flachenraum  1  Meile  Kiistenlange  entfallt. 
Dieser  Kontinent  ist  einformig,  massenhaft  und  nicht  gegliedert; 
die  Kiisten  weisen  auf  langen  Strecken  fast  gerade  Linien  und  ent- 
weder  gar  keine  oder  nur  geringe  Meereseinschnitte. 

Der  Stamm  kann  durch  eine  Linie,  welche  die  innersten 
Winkel  der  Busen  von  Biafra  und  Aden  verbindet,  in  zwei  Halften 
getheilt  werden.  Die  nordliche  Halfte  hat  die  Gestalt  eines  unregel- 
massigen  Viereckes,  dessen  Lange  (von  Ost  nach  West)  etwa  zwei- 
mal  so  gross  ist  als  die  Breite  (von  Nord  nach  Siid) ;  die  sudliche 
Halfte  hat  die  Gestalt  eines  Dreieckes.  Auf  der  nordlichen  Hemi- 
sphare  liegen  363.000,  auf  der  siidlichen  nur  171.000  D^. 

Die  zu  Africa  gehorige  Inselwelt  ist  verhaltnissmassig  unbe- 
deutend.  Die  einzige  grosse  Insel  ist  Madagascar  (10.900  QM.), 
ferners  gehoren  zu  Africa  die  im  §.  15.  A.  N.  9.  10.  11.  12  ge- 
nannten  Inseln. 

§.  20.  Die  horizontal^  Gliederung  Americas. 

Der  Flachenraum  von  America  betragt  an  668.000  O^.,  da- 
von entfallen  an  627.000  auf  den  Stamm,  61.000  QM.  auf  die 
Glieder  und  Inseln.  —  Americas  grossere  Halfte  liegt  auf  der  nord- 
lichen Hemisphere  und  es  breitet  sich  sowohl  gegen  den  Nordpol 
als  auch  gegen  den  Siidpol  weiter  aus  ,  als  irgend  ein  Kontinent. 
Durch  die  (6  Meilen  breite)  Landenge  von  Panama  werden  die 
zwei  grossen  Halbinseln  Nord-  und  Siidamerica  mit  einander  ver- 
bunden.  America  hat  eine  Kustenentwickelung  von  9400  M., 
wornach  auf  je  71  O^.  Flachenraum  1  M.  Kiistenlange  entfallt. 

Nordamerica    hat    einen  Flachenraum   von    342.000 

2* 


20 


erne  Kustenentwickelung  von  6000  M.;  es  entfallt  demnach  1  M. 
Kuatenlange  auf  57  \^]M.  Flachenraum ; 

Siidamerica  hat  einen  Flachenraum  von  321.000  QM.,  eine 
Kustenentwickelung  von  3400  M. ;  es  entfallt  demnach  1  M.  Kiisten- 
lange  erst  auf  94  QM.  Flachenraum. 

Der  Stamm  von  Nordamerica  hat  die  Gestalt  eines  Dreieckes 
und  auch  jene  von  Siidamerica  nahert  sich  einem  rechtwinkeligen 
Dreiecke. 


Die  bedeutendsten  Glieder  von  Nord- 
america sind: 


Zu  den  grosseren  Inseln  Americas 
gehoren : 


Melville 4500  DM. 

Labrador 24.000     „ 

Neu  -  Schottland    (oder 

Akadia) 650 


Maryland 

Florida 

Yucatan 

Aljaska 

Tschugatschen-Halbinsel. 

Californien 


290 

1100 

2200 

400 

250 

2600 


GrSnland 20,000  DM. 

Spitzbergen 1024 

Neufundland 1000 

Cuba    1966 

Haiti 1368 

Jamaikn   270 

Portorico 185 

Feuerland 1304 


Sudamerika    hat    keine    bedeutenden 
Meerbnsen,  daher  auch  keine  Gliederung. 

§.  21.  Die  liorizontale  Gliedernng  Australians. 
Der  Flachenraum  von  Australien  betragt  etwa  160.000 
wovon  an  134.000  auf  den  Stamm,  26.000  QM.  auf  die  Inseln  und 
die  einzige  bedeutende  Halbinsel  Carpentaria  entfallen.  Die 
Kustenentwickelung  betragt  an  1930  M.,  wornach  auf  je 
82  QM-  Flachenraum  1  M.  Kiistenlange  entfallt. 

Der  Stamm  hat  die  Gestalt  eines  langlichen  Viereckes,  wel- 
ches eich  mehr  von  Oaten  nach  Westen  (600  M.)  als  von  Nord  nach 
Sud  (400  M.)  ausdehnt. 

Grossere  australische  Inseln  sind : 

Neu-Guinea 12,599  QM. 

Neu-Seeland  (und  die  Nebeninseln) 4828       „ 

Van  Diemens-Land  oder  Tasmania.  .  .  .  1254  „ 
Neu-Caledonien  (und  die  Nebeninseln)  .  434  „ 
Sandwich  (und  die  Nebeninseln) 342  „ 

§.  22.    Die  horizontale  Gliederung  der  Erdtkeile  im  Allgemeinen. 

Die  Kustenentwickelung  von  Euro  pa  ist  im  Vergleiche  zu 
den  anderen  Erdtheilen  die  bei  weitem  ausgebildetste  (1  :  38)  und 
nimmt  von  Osten  nach  Westen  zu  ;  die  grosste  Kustenentwickelung 
besitzen  Griechenland  und  Grossbrit  annien.  Auch  die  Be- 
schaffenheit  und  Lage  der  europaischen  Inseln  ist  dem  Verkehr 
und  der  sich  ausbreitenden  Kultur  sehr  gunstig. 

Nordamerica  hat  durch  grossere  Kustenentwickelung  (1  :  57), 
durch  reichere  fur  die  Kultur  sehr  wichtige  Inselbildung,  durch  sein 
zugangliches  Flussgeader  und  durch  zwei  bedeutende  Binnenmeere 
Aehnlichkeit  mit  der  vortheilhaften  Gestaltung  von  Europa,  mit  dem 
es  in  grosserer  Verbindung  steht  als  mit  der  asiatischen  Ostkiiste. 


21 

Die  Nordostseite  Americas  ist  aber  auch  durch  Buchten,  Hafen  und 
Inseln  vollstandiger  entwickelt  als  die  Westseite. 

Sudamerica  dagegen  erinnert  durch  seine  Gestalt,  die  Ein- 
formigkeit  des  Kiistensaumes  (1  :  94)  und  die  Armuth  der  Inselbil- 
dung  mehr  an  Africa. 

A  si  en  (1  :  114)  hat  die  starkste  Gliederung  im  Siiden  und 
hier  auch  die  reichste  Inselbildung.  Diese  grosste  Inselgruppe  der 
Erde  bildet  gleichsam  eine  Welt  fur  sich.  Im  W  eaten  ist  nur 
Eine  grossere  Halbinsel,  doch  bilden  die  vielen  kleineren  Ineeln  die 
Brucken  fur  die  Kultur  nach  Europa.  Im  Nor  den  entsteht  durch 
die  erweiterten  FlussmQndungen  zwar  eine  reichere  Gliederung,  doch 
dringen  die  Meereseinschnitte  nicht  in  die  gemassigte  Zone,  wesshalb 
jene  Erdtheile  fur  Ansiedlungen  minder  geeignet  sind.  Die  Glie- 
derung im  Os.ten  ist  beinahe  zehnmal  geringer  als  jene  im  Siiden. 

Africa  hat  die  einfachste  horizontale  Gliederung  (1  :  155),  es 
ist  ein  Stamm  ohne  Glieder,  so  dass  sich  die  Gestalt  einer  ovalen 
Figur  nahert,  und  dieser  Kontinent  hat  somit  die  geringste  Zugang- 
lichkeit.  Auch  entbehrt  er  der  Vortheile  der  Inselbildung,  da  er 
fast  keine  bedeutenden  Gestade-lnseln  besitzt. 

Die  horizontale  Gliederung  des  Kontinentes  von  Australien 
ist  fast  ebenso  entwickelt  wie  America  (1  :  82).  Im  Norden  wie  im 
Siiden  ist  nur  je  Ein  tiefer  Einschnitt;  im  Siidosten  dagegen  hat 
es  im  kleinsten  Umfange  den  grossten  Hafenreichthum  der  Erde 
und  iat  der  Mittelpunkt  fur  die  Schifffahrt  der  Siid-Hemisphare  und 
der  Colonisation  Australiens  geworden. 

§.  33.  Die  vertikale  Gliederung. 

Unter  vertikaler  Gliederung  (oder  senkrechter  Erhebung) 
verstent  man""die~lraumliche  Ausdehnung  der  cinzelnen  Theile  des 
Kontinentes  vom  Meeresspiegel  nach  den  ausseren  Grenzen  der  Luft- 
hiille  zu.  Sie  ist  \veit  einflussreicher  auf  das  Natur-  und  Volker- 
leben  als  die  horizontale  Gliederung.  Einerseits  findet  auf  kleinen 
horizontalen  aber  bedeutenden  vertikalen  Dimensionen  die  grosste  Ver- 
schiedenheit  in  Bezug  auf  Temperatur,  Klima  und  Vegetation  statt; 
andererseits  bilden  vertikale  Erhebungen  Hemmnisse  fiir  den  Verkehr 
und  die  Ausbreitung  der  Kultur  der  Volker.  Der  Zug  der  Gebirge 
bestimmt  weiters  die  Abdachung,  folglich  die  Hauptrichtung  der 
Fliisse,  und  Gebirge  sind  nicht  selten  nicht  nur  Wasserscheiden, 
sondern  auch  Sprachscheiden ,  Grenzen  der  Kulturentwickelung 
stamm-  oder  sprachverschiedener  Nachbarn.  Gebirgsiibergange  und 
Gebirgspasse  verbinden  hingegen  oft  nach  verschiedenen  Richtungen 
auslaufende  Strassen,  sie  vermitteln  den  materiellen  und  geistigen 
Verkehr.  An  den  Zug  der  Gebirgsthaler  und  Gebirgsubergange,  an 
den  Lauf  der  Fliisse  und  ihre  Miindungen,  an  die  Kiistenentwicke- 
lung  iet  fast  die  gesammte  Kultur  und  JSittigung  der  Vdlker,  die  Ge- 
schichte  des  materiellen  und  geistigen  Aufbluhens,  die  der  Volkerziige, 
Kriegsthaten,  des  Handels  und  der  Industrie  gekniipft.  Die  Kenntniss 
der  Gebirgssysteme  und  des  Flussgeaders  ist  demnach  fiir  den  Ver- 
kehr von  hoher  Bedeutung. 

Der  Meeresspiegel  wird  als  eine  Flache  betrachtet,   deren 


Punkte  vom  Mittelpunkte  der  Erde  gleichweit  abstehen  (etwa  860  Mei- 
len).  Das  Festland  erhebt  sich  nun  (mit  seltenen  Ausnahmen)  iiber 
den  Meeresspiegel,  und  diese  Erhebung  iiber  dem  Meere  heisst  ab- 
solute Hohe  eines  Punktes  (Seehohe),  wahrend  die  Erhebung  eines 
Punktes  uber  die  nachste  Umgebung  (z.  B.  fiber  einen  See,  die  Thal- 
sohle  u.  dgl.)  dessen  relative  Hohe  genannt  wird.  Jene  Theile  der 
Erdoberflache,  deren  Seehohe  600'  oder  mehr  betragt,  heissen  Hoch- 
lan der,  unter  600'  aber  Tieflander. 

§.  24.  Die  vertikale  GHederung  von  Earopa. 

Europa  besitzt  eine  noch  grossere  Mannigfaltigkeit  in  der  ver- 
tikalen  Gliederung  als  in  der  horizontalen  Bildung  und  diese  Mannig- 
faltigkeit, welche  das  Charakteristische  dieses  Erdtheiles  ist,  ersetzt  die 
fehlende  Grossartigkeit.  In  Europa  findet  man  alle  Hauptformen  der 
Bodenbildung  (Hochgebirge,  Mittelgebirge ,  Tiefebene,  Tafelland, 
Stufenland) ;  aber  nirgends  kommen  massenhafte  Bildungen  oder  koloa- 
sale  Diraensionen  vor.  Eine  Linie  von  der  Rhein-  zur  Dnjestr-Miin- 
dung  scheidet  im  Kontinentalkorper  das  grosse  zusammenhangende 
^iefland  von  Nordost-Euro  pa  von  dem  Gebirgslande 
Sudwest- Europa  s.  DaseuropaischeBergland  nimmt  53,OQOQM., 
das  Tiefland  115,000  QM.  ein ;  das  Verhaltniss  von  Bergland  zu 
Tiefland  ist  somit  2  : 5,  und  Europa  iibertrifft  im  Vorherrschen  der 
Form  des  Tieflandes  alle  ubrigen  Erdtheile,  Die  Form  des  Tief- 
lapdes  herrscht  jedoch  nur  im  Kontinental-Korper  vor;  in  den  Glie- 
dern  (Halbinseln  sowohl  als  Inseln)  ist  die  Form  des  Berglandes  iiber- 
wiegend ;  —  beide  Formen  aber  stehen  in  vielfaltiger  Beriihrung  zu 
einander,  wodurch  die  Einformigkeit  des  einen  wie  des  anderen  be- 
seitigt  und  die  Verbindungen  der  verschiedenen  Gegenden  dieses 
Erdtheiles  unter  einander  erleichtert  werden. 

§.  i5.  Uebersicht  des  enropaischen  Gebirgslandes. 

a)  Im  kontinentalen  Dreiecke. 

Das  bedeutendste  Gebirgssystem  in  Europa  eind  die  Alpeu. 
Zwischen  12  Langengraden  und  in  einer  von  Westen  nach  Osten 
(zwischen  20  —  40  Meilen)  wachsenden  Breite  nehmen  sie  einen 
Fliichenraum  von  beilaufig  4500  DM.  ein.  Sie  sind  keineswegs  em 
regelmassig  gegliedertes  Gebirgssystem,  sopdern  das  Alpenganze  ist 
gleichsam  eine  Summe  von  selbststandigen  Erhebungsmassen,  von 
Berg-  und  Gipfelfamilien ,  die  durch  Firste  oder  mittelbare  Ver- 
bindungsglieder  mit  einander  in  Verbindung  stehen ;  sie  sind  grosse, 
durch  Einsattlungen  getrennte,  vielgipfelige  Hochgebirgsmassen,  deren 
Glieder  sich  nach  alien  Richtungen  als  Langen-  und  Querketten  ver- 
zweigen.  Nach  der  horizontalen  Erstreckung  konnen  sie  in  VVest-  und 
Ostalpen  eingetheilt  werden.  Als  Grenze  zwischen  beiden  kann 
das  Rhonethal  bis  zur  Einsattlung  am  grossen  St.  Bernhard,  das 
Dorathal,  der  Po  und  das  Thai  bis  zum  Bocchetta-Passe(bei  Genua)  an- 
genommen  werden.  In  Bezqg  auf  die  vertikale  Erhebung  unterschei- 
det  man  drei  Abstufungen :  a)  Voralpen  (2000—5000'),  haupt- 
sachlich  auf  der  Nordseite,  reich  an  Waldern,  Weiden  und  bevolker- 
ten  industriereichen  Thalern ;  b)  Mittelalpen,  mit  einer  durch- 


schnittlichen  Kammhohe  von  5000 — 8000',  von  der  Grenze  dea  Baum- 
wuchses  bis  zu  jener  dea  ewigen  Schneea,  —  Alpenwirthschaft  und 
Jagdbieten  reichen  Erwerb;  —  c)  Ho c ha Ip en  (8000  — 12000')  oder 
die  Region  des  ewigen  Schneea  und  Eisea  mit  Schneefeldern  auf  den 
Riicken  der  Alpenketten  und  Gletschern  an  den  muldenformigen 
Enden  der  Schneefelder. 

A.  Die  Westalpen.     Sie  ziehen  sich  zwischen  den  Golfen  von 
Genua  und  Lyon    im  Halbbogen    bia    zur   obgenannten  Grenzlinie. 
Die  mittlere  Kammhohe  ao  wie  die  Hohen  der  Gipfel   nehmen  von 
Siiden  nach  Norden  zu,  der  Weatabhang  iat  breiter,  der  Ostabhang 
vielfach  steil.     Sie  zeichnen  aich  durch  Schroffheit  und  Wildheit  der 
Gestaltung,  Hohe  der  Gipfel,  kiirzere,  enger  geschloaaene,  meist  von 
Westen  nach  Oaten  ziehende  Ketten  aus  und  werden  in  3  Gruppen 
geachieden : 

1.  Die  Seealpen  —  von  der  Bocchetta  bia   zur   Po-Quelle; 
(M.  Viso  11.800'); 

2.  die  Cottiachen  Alpen,  —  von  da  bis  zum  Thale  der  Dora 
Ripera,    dann    begrenzt    vom  M.    Cenis-Paas   (6000')     und    dem 
Thale  der  Isere;  aie  reichen  am  weitesten  nach  Westen; 

(M.  Cenis  8670',  M.  Genevre  11.000'); 

3.  die  grauen  (oder  grajiachen)  Alpen,  zwischen  den  Rhone- 
thalern,   dem  Genferaee,    der  Einaattlung  am    grossen  St.  Bernhard 
(7700')  und  dem  Dora  baltea-Thale. 

(M.  Blanc  14.800',  M.  Iseran  12.400'.) 

B.  Die  Ostalpen.    Die  Hauptgruppen    der    Ostalpen    ziehen 
aich  in  langeren  Ketten  in  ostlicher  Richtung,  werden  stets  niederer, 
je  breiter  aie  sich  entfalten  ,    zeichuen  aich  durch  einen  eigenthiim- 
lichen  Parallel  iamus  aus,  und  bestehen  aus  einer  Mitt  el  zone  und 
aus  zwei  begleitenden  Nebenzonen.    In    der   ganzen   Lange    der 
Ostalpen  zieht  aich  namlich  eine  Reihe  abgeaonderter  Centralmaasen 
aus   primitiven    Felsmauern    (hauptsachlich    Granit)    ala    Central- 
oder  Ural  pen  hin.  Die  zerrissenen  schroffen  Grate  und  pyramida- 
len  Gipfel   mit    steil    abgeriasenen   Felawanden    ragen    hoch    in    die 
Schneeregion ,    ihre    Hochthaler    aind    mit  Gletschern  bedeckt,  zwi- 
schen   den    nord-  und    audwarts    auslaufenden    Seitenarmen    ziehen 
sich  tiefgefurchte   Parallel-Thaler   und    acheiden    die  Centralmassen 
in    viele  abgesonderte  Gruppen.    Diese  Centralalpen  werden  an 
der  Nord-  und  Siidaeite  von  fast  parallelen  Giirteln  begleitet,  deren 
vorherrachendes  Gestein  der  Kalkatein  iat,  wo  von  sie  den  Namen 
der    nurdlichen    und    aiidlichen    Kalkalpen    erhalten    haben. 
Die  lichtgraue  Farbung,    die  zerkliifteten    unregelmassigen  Formen 
und    kahlen  Wande,    die   aeltene    Gletscherbildung,    die   zahlreichen 
Engpasse,  durch  welche  sich  haufig  Wildbache    stiirzen,  kennzeich- 
nen  im  Allgemeinen  die  Kalkalpen. 

a)   Die  Central-Alpen. 

Die  einzelnen  Gruppen  der  Central-Alpen  aind: 
1.  Die  Walliser-    (oder    Penninischen)  Alpen    zwischen    den 
Einsattlungen  des  grossen  St.  Bernhard   und  Simplon.    den  Thalern 
der  Rhone  und  Dora  baltea  und  der  lombardischen  Ebene  mit  einer 


24 

mittleren  Hohe  von  6600',    zahlreichen   Schneegipfeln ,   grossartigen 
Gletschern,  der  hochste  und  wildeste  Theil  des  Alpengebirges ,  die 
kompakteste    und  grossartigste  Gruppe  in    der   Schweiz,    mit  einer 
Menge  enger,  bewohnter  Seitenthaler. 
(M.  Rosa  14284',  M.  Cervin  13.864'.) 

2.  Die  Adular-    (oder   lepontinischen)    Alpen,    ein   weitver- 
zweigter  Gebirgsstock  zwischen  dem  obersten  Rhonethal  und  jenem 
des   Hinterrheins ,   vom    Simplon  -  Passe   (6200')    bis    zur    Splugen- 
scharte  (6500')  mit  den  drei  Einsenkungen   des  St.  Gotthard,  Bern- 
hardin  und  Spliigen ,   nebst  den  Siidauslaufern  zwischen  dem  Lago 
maggiore,  dem  Lugano-  und  Como-See. 

(St.  Gotthard's  Passhohe  6400',  Lukmanier  6135',  Splugen-Passhuhe  6500'.) 

3.  Die  Berner- Alpen,    begrenzt  von  den  Thalern  der  Rhone 
und  Aar  (welche  der  Grimsel-Pass  mit  einander  verbindet)  und  der 
Schweizer  Hochebene,  laufen  fast  parallel  mit   den  Walliser-Alpen, 
denen    sie    an   Hohe  nur  wenig,  an  Mannigfaltigkeit  und  Schonheit 
der  Formen  gar  nicht   nachstehen ,   mit  sehr    steilem   Sudabfall  ins 
Rhonethal.     Kein    anderer  Theil   der  Hochgebirgs-Schweiz  hat  eine 
solche   imposante    Langenauedehnung ,   keiner  so  flachenhaft-zusam- 
menhangende    Gletscher   und   Firnfelder,    und    bei    keinem    ist    die 
Gipfelbildung  so  reichhaltig,  formenkeck,   und  darum  fur  das  Auge 
so  fiberraschend  entwickelt  als  bei  diesem. 

-  (Finsteraarhorn  13.160',  Jungfrau  12.800',  Schreckhorn,  Wetterhorn,  M6nch.) 

4.  Die   Glarner-,    Schwyzer-    und    O  s  t  urne  r- Alpen 
(oder  Todi-Gruppe)    in    der  Richtung  der  Berner-Alpen ,    zwischen 
dem  Reuss-  und  Vorderrheinthal. 

(BerghShen:  Todi  11.100',  Calanda,  Glarnisch,  Mythen,  Rigi.) 

5.  Die  Vierwaldstatter-Alpen  (oder  Titlis- Gruppe)  zwi- 
schen den  Thalern  der  Reuss  und  Aar  mit  den  bedeutendsten  Hohen: 
Titlis,  Uri-Rothstock,  Pilatus,  Napf, 

6.  Die    Thur- Alpen    mit    dem  Santis    und    den  Appenzeller- 
Alpen  zwischen  dem  Wallenstadter-See,  dem  Rhein  und  Bodensee. 

7.  Die  rhatischen  Alpen    beginnen  an    der  Spliigenscharte 
und  endigen  an  den  tiefen  Einsenkungen  des  Brenner-Passes  (4425'), 
Sie  bestehen  aus  zwei  Hochgebirgsketten  und  mehreren  Verzweigungen. 

a)  Die  S  ept  im  er-Kette  (oder  die  Graubiindtner- Alpen)  am  lin- 
ken  Inn-Ufer  mit  dem  Septimer  (7560'),  Julier  (6440'),  [uber  wel- 
chen  eine  Kunststrasse  fiihrt,]  Albula  und  dem  Jamthaler-Fer- 
ner,  von  wo  ein  Arm  uber  den  Albuinkopf  (10.230')  als  Rhati- 
kon-Kette  zum  Rhein,  ein  anderer  zum  Arlberg  (Sattel  5651', 
hochster  Punkt  9158'),  und  der  Hauptzug  durch  das  Paznaun- 
Thal  bis  zur  Mundung  der  Trisana  in  den  Inn  sich  hinzieht,  und 

b)die  Bernin  a-Kette  zwischen  dem  Inn  und  der  Adda  bis  zum 
Wormser-  und  Stilfaer-Joche  (8850'),  (Bernina-Pass  7000'),  und 
die  Veltliner- Alpen  am  linken  Adda-Ufer,  welche  am  Como- 
See  (M.  Ligonico  10.500')  endigen. 

8.  Oestlich  von  der  tiefen  Scharte  des  Rechenscheideck  (4840', 
in    der  Nahe    der  Etschquelle)    sind    die   Ti  roler- Alpen   mit  den 
ausgedehnten  Gletschergruppen  des  Gebatsch-,  Hochvernagt-,  Oetz- 


25 

thaler-  und  Stubai-Ferners ,  uber   denen   hohe  Spitzen  emporragen, 
und  mit  tiefen  Thalspalten. 

(Bergspitzea :  Weisskngel  oder  hintere  wilde  Eisspitze  11.800',  —  Wild- 
spitz  11.900',  —  Similaunspitz  11.400',  —  der  hohe  First  10.700'.) 

9.  Ostwarts  vom  Wormser-    und    Stilfser-Joch    (8600')    ziehen 
sich   zwischen   der  Adda   und   Etsch  die  Or  t  el  er- Alpen  mit  den 
Zufall-,  Forno-,  Lavis-Fernern  u,  e.  w. 

(Berghohen:  Ortelsspitze  12.350'  —  Oesterreichs  und  Deutschlands 
hochster  Punkt  — ,  M.  Zebru  12.200',  —  M.  Adamello  11.250'.) 

10.  Das  untere  Inn-  und  Wip-Thal   und   die  Brenner-Einsen- 
kung   (4450')    zum    Eisack-   und    Etschthale    bilden    ebenfalls    eine 
natiirliche  Grenzscheide  ira  Alpengebiete.  Im  Osten  dieser  Scheide- 
linie  sind  die  Gletscher   des    Ziller  -  Thales    und    dann    die   ho  hen 
Tauern,    in   mehrere  Gruppen   getrennt,    mit  ausgedehnten 
Gletschern  und  hohen  Bergspitzen  iiber  denselben. 

(Dreiherrnspitz  11.349',  —  Snlzbacher  Venediger  11.600',  —  Grossglockner 
12000',  —  Wiessbachhorn  11.300',  —  der  Hochnarr*)  10.900',  —  Ankogel 
10.300'.) 

Am  Hafnerspitz ,  im  Westen  der  Einsattlung  am  Katsch- 
berge  (5100')  trennt  sich  davon  die  Kette  der  niederen  Tauern, 
welche  sich  von  der  Gabelung  an  der  Murquelle  nordlich  (zwi- 
schen der  Enns  und  Mur)  als  Radstadter-  (Hochgolling  9000')  und 
Rottenmanns-Tauern  unter  vielen  Lokalbenennungen  hinziehen,  und 
dann  in  der  Hohe  von  Voralpen  zur  Mur  herabsenken.  Sie  ver- 
ISeren  auf  ihrem  Zuge  nach  Osten  an  Schroffheit,  Gletscherbildung, 
Hohe  und  Kettenverbindung.  Der  sudliche  Zug  geht  zwischen  der 
Mur  und  Drave,  gewinnt  an  Breite,  wird  von  der  Mur  (bei  der 
Einmundung  der  Miirz)  durchbrochen,  zieht  sich  langs  dem  linken 
Murufer  (Plankogel,  Schockl  (4545'),  und  langs  der  Miirz,  erreicht 
im  Wechsel  (5500')  den  lezten  bedeutenden  Hohepunkt  der  Ur- 
alpen,  und  senkt  sich  im  Leithagebirge  zur  Donau  herab, 

Vom  Murdurchbruche  ziehen  sich  am  rechten  Murufer  bis  jen- 
seits  der  Drave  im  convexen  Halbbogen  mehr  oder  minder  zusam- 
menhangende,  die  Parallelketten  der  Alpen  abschliessende  Gruppen 
mit  localen  BenennUngen  (Stub-,  Pack-,  Sau-,  Kor-  und  Schwab- 
Alpe,  Posruck,  Bacher-Gebirge),  bis  sie  in  den  Windischen  Buheln 
zwischen  der  Mur  und  Drave  zur  Ebene  sich  senken. 

b)  Die  nordlichen   Kalkalpen. 

Die  nordlichen  Kalkalpen  erstrecken  sich  vom  Bodensee 
und  dem  Rheinthale  bis  zum  Donaubecken  bei  Wien  ,  haben  einen 
steilen  Abfall  nach  Suden  und  werden  durch  Querthaler  und  Neben- 
fliisse  der  Donau  in  mehrere  Gruppen  geschieden : 

1.  Die  Algauer- Alpen  vom  Rheinthale  und  dem  Ufer  des 
Bodensees  bis  zum  Durchbruche  des  Inn  bei  Kufstein.  Gegen  das 
Innthal  fallt  das  Gebirge  steil  ab,  gegen  Oberschwaben  und  die 
bairische  Hochebene  senkt  es  sich  allmahlich  mit  vielen  Widerlagen 
und  Armen.  Die  grosste  Masse  davon  liegt  in  Baiern,  daher  der 
Name  bairische  Alpen.  Sie  werden  durch  die  Thaler  der  Bre- 
genzer-Ach,  der  Iller,  des  Lech  und  der  Isar  in  mehrere  Gruppen 

*)  Der  alteste  dokumentirte  Name  ist  Hochhorn. 


geschieden,  nur  am  nordlichen  Rande  des  Innthales    ziehen  sie  sich 
in  zusammenhangender  Kette. 

(Rothe  Wand  8500',  in  der  Nahe  der  Lechquelle,  —  Hochkogel  8167', 
zwischen  Iller  und  Lech,  —  der  grosse  Sol  Is  tein  9357',  nordlich  von  Zirl, 

—  der  kleine    Sollstein    rait    der  Martinswand  8000',  nordwestlich   von 
Innsbruck;  —  zwischen  der  Loisach   und   Isar   das   Wetter steingebirge 
(Zugspitze  9300),  —  ostlich  der  Isar  das  Kahrwandelgebirge.) 

Im  Osten  vom  Inndurchbruche  zerfallen  die  Kalkalpen  in  viele 
Gruppen ,  mit  tiefeingeschnittenen  Thalern  und  zahlreichen  Seen. 
Diese  Gruppen,  welche  sich  auch  durch  Mannigfaltigkeit  der  For- 
men  und  malerische  Schonheit  in  einzelnen  Partien  auszeichnen, 
bilden  gewohnlich  Plateaux,  iiber  welche  einzelne  Gipfei  emporragen. 
—  Die  bedeutendsten  Gruppen  sind  : 

2.  Die  Ber  cht  e  sgadner-Gruppe  zwischen  Saale  und  Salza 
mit  dem  Msteinernen  Meer"  und  der  ..iibergossenen  Aim." 

(Ewiger  Schneeberg  9298',  —  Watzmann  9058',    —    der  hohe   Goll  8030', 

—  der  Untersberg  5860'.) 

3.  Das  Tannengebirge,  ostlich  der  Salza,  rauh  und  vege- 
tationsarm.  (Rauchek  7682'). 

4.  Die  Dachstein-Gruppe    mit    dem  Dachstein  (9490')  und 
den  6'stlichen  Gletschern  der  Nordalpen  ,    endet  mit  dem  Laufner 
in    das   Ischl-Thal.    Nordlich   davon,    zwischen   dem  Mond-,  Traun- 
und   Wolfgang-See   steht    der   Schafberg    (5630')    mit  einer  sehr 
malerischen   Rundschau    und    ostlich   von    diesem    das    Plateau    des 
Hollengebirges.  Zwischen  der  Traun  und  dem  Inn  zieht  sieh  die 
Hugelmasse  des  Hausruck. 

5.  Die  Priel-Gruppe  mit  einer  Reihe  von  Hochplateaux  und 
vielen  Verzweigungen  zwischen  der  Traun,  Enns  und  Steier ;  ostlich 
vom     Steierthale    das    Hochsengsen- Gebirge    und    ostlich    vom 
Gmundner-See  die  Gruppe  des  Traunstein. 

(Grosser  Priel  7940',  —  kleiner  Priel  6740',  —  Traunstein  5340'.) 

6.  Das   Felsenplateau    des    Hochschwab    (7174')    eine    der 
grossartigsten   Alpenmassen ,    dessen  Vorberge   zur  Enns,  Mur  und 
Miirz  reichen.  Ueber  die  Einsattlung  des  Seeberges  steht  der  Hoch- 
schwab  in  Verbindung  mit    der  Veitsch-Alpe  (6246') ,    und    von 
dieser  ist  durch  die  Miirz  die  Schnee-Alpe  (5988')  getrennt,  welche 
fiber  den  Nassberg-Sattel  mit  der  Rax-Alpe  (Heukuppe  6338')  zu- 
sammenhangt.  Ala  letzter  Hochgipfel  der  nordlichen  Kalkalpen  steht 
der  Schneeberg  (6566').     In   der  Nahe  der  Erlaf-  und  Ypsquelle 
steht  der  Oetscher  (5969'). 

Der  Zug  dieser  Hochgipfel  senkt  sich  allmahlich  zu  niederen 
Vorbergen  unter  dem  gemeinsamen  Namen  des  Wi  ener-  W  aid  es 
gegen  die  Donau  herab  und  endet  in  dem  Kahlenberge  (1329') 
bei  Wien. 

c)  Die   siidliclien   Kalkalpen. 

Die  siidlichen  Kalkalpen  ziehen  sich  von  dem  ostlichen^  Ufer 
des  Lago  maggiore  im  Norden  der  lombardisch  -  venezianischen 
Ebene,  des  Karstplateau  und  der  Save  bis  zur  Theissmiindung.  — 
Ihre  bedeutenderen  Gruppen  sind: 

1.  Die  lombardischen  Alpen,  ein  Gebirgszug  zwischen 
den  Central- Alpen  und  der  lombardischen  Ebene,  dem  Ostufer  des 


27 

Lago  maggiore  und  der  Etsch,  welcher  durch  tiefgelegene  Seen  und 
Flussthaler  in  viele  Gruppen  geschieden  wird.  Den  Uebergang  vora 
Hochland  zur  Tiefebene  bilden  niedere  Vorgruppen  (die  Hiigel  der 
Brianza  zwischen  Lecco  uud  Monza).  Zwischen  dem  Garda-See 
und  der  Etsch  zieht  sich  der  schroffe  Riicken  des  M.  Baldo 
(M.  maggiore  7300'),  der  gegen  Peschiera  terrassenformig  abfallt, 

2.  Die    venezianischen  Alpen ,    begrenzt    von    der  Etsch, 
dem    oberen    Piavethal   und    durch   das  Sextenthal  zum  Pusterthale 
(Ampezzaner-Strasse),  mit  der  Gruppe  der  lessinischen  Gebirge 
(zwischen    Etsch    und    Brenta) ;  —  die  Gruppe    des    M.    Mar  mo- 
la  ta  (10.500'),  letztere  mit  eehr  zahlreichen  Verzweigungen  zwischen 
der  Brenta  und  Piave,    mit  Gletscherbildung  und  wildem  Gebirgs- 
charakter;  —  endlich  der  Gruppe  von  C  ado  re  zwischen  der  Piave 
und    dem  Tagliamento   (M.  Antelao  10.297')    und   mehreren  steil  in 
die  friaulische  Ebene  abfallenden  Parallelgruppen, 

3.  Im   Osten    des    Sextenthales   erhebt    sich    die    Gruppe    des 
Biirkenkogel ,    von    wo   sich    der    Hauptzug  als  karnische  Alpen 
bis   zur  Gailitzschlucht    (Canalthal)    in    ostlicher    Richtung    hinzieht 
und  mehrere  Queraste  nach  Siiden  aussendet.  Fast  parallel  mit  die- 
sem  Zuge  und  nordlich  durch  das  Gailthal  von  ihm  getrennt,  ziehen 
sich   die    Gailthaler- Alpen ,    durchschnitten  von    drei  bedeutenderen 
Passen  ,  bis  zum  Dobrac  (6800'). 

4.  Ostwarts  der  Gailitzechlucht  setzt  sich  der  Hauptzug  als  Kar- 
wanken  (iiber  welche  zwei  Uebergange  —  Wurzen  undLoibl  (3900') 
—  fiihren)  zwischen  dem  Drave-  und  Savethal  fort.  Zur  Save  zieht 
sich  dann  das  K  o  c  n  a  -  Gebirge  und  die  Grintouc-  Gruppe  (8086', 
Steiner-Alpen).  Die  letzten  ostlichen  Auslaufer  (Matzel-  und.Waras- 
diner-Gebirge    zwischen    Save    und    Drave ,    —   Fruska    gora    und 
Wrdnik- Gebirge    in    Syrmien)   sind   theils  vereinzelte,    theils  zu- 
sammenhangende  waldige  Hiigelreihen. 

5.  Der  machtigste  Gebirgsstock  der  sudlichen  Kalkalpen  liegt 
in  den  siidlich  von  den  karnischen  Alpen  gelegenen  Gruppen,  welche 
durch  das  Thai  des  Isonzo  getrennt  sind:  a)  die  Gruppe  des  M.  Ca- 
nin    (7200')    zwischen    der    Fella    und    dem   Isonzo    steht  iiber  die 
Predil-Senkung    (3692')    mit    der   nordostlichen    hoheren    Mangart- 
Gruppe  in  Verbindung;  —  b)  zwischen  dem  Isonzo  und  den  beideu 
Langenthalern   der  Save  ist   die  Triglav- Gruppe  (Triglav  9037'), 
welcher    eine   ausgedehnte  Alpenplatte   gegen  Siidosten  vorgelagert 
ist,  die  zum  oberkrainischen  Becken  herabfallt. 

Die  Thaler  des  Isonzo,  der  Idrica  und  Zeyer  (Zora)  bis  zur 
Save  schliessen  die  siidlichen  Kalkalpen  ab,  jenseits  dieser  Thaler 
hort  der  Alpencharakter  a(uf,  es  beginnt  das  merkwiirdige  Gebilde 
des  Karstes. 

Der  Karst.  Dieses  grosstentheils  ode  Kalkplateau  mit  den 
vielen  Mulden,  Trichtern  und  Hohlen,  unterirdischen  Grotten  und 
Wasserlaufen,  fast  ohne  offene  Flussthaler,  mit  geringer  Hohe,  aus 
der  nur  vereinzelte  Berghohen  emporragen,  zieht  sich  von  der  fruher 
bezeichneten  Grenze  zum  adriatisohen  Meere,  durch  Istrien  ,  langs 
der  Kuste  des  Quarnero-Busens,  auf  den  benachbarten  Inseln,  durch 
Dalmatien  und  in  die  Tiirkei  bis  zu  den  Vorbergen  des  Haemus. 


28 

Der  nord  westliche  Theil  kann  hoher  Karat,  der  sich  daran 
schliessende  der  niedere  genannt  werden.  Im  Oaten  dea  Quarnero- 
Busena  treten  zwei  parallele  Arme  (groaae  und  kleine  Kapella), 
im  nordlichen  Dalmatien  der  Velebic  als  zusammenhangende  Ketten 
bemerkbar  hervor.  Die  vielen  Langen-  und  Quergruppen  werden 
zudem  vielfach  unterbrochen,  doch  tragen  sie  alle  den  auagepragten 
Karatcharakter. 

Der  Jura  bildet  ein  von  den  Alpen  vollig  unabhangigea  Ge- 
birgssystem,  von  denen  er  sich  sowohl  geologisch  durch  sein  Ge- 
stein,  ala  auch  durch  seine  aussere  Gestalt  und  Hone  unterscheidet. 
Er  tritt  aua  dem  Rhonewinkel  (westlich  von  Chambery)  durch  fran- 
zosischea  und  sardinischea  Gebiet  in  die  westliche  Schweiz  ein. 
Seine  Langenauadehnung  mag  an  100,  seine  grosate  Breite  an  6  geo- 
graphische  Meilen  betragen.  Der  grosate  Theil  dieses  Gebirges 
gehort  der  Form  der  Ketten  zone  an,  welche  von  Durchgangen 
(cluses)  aua  einem  Thale  in  daa  andere  diagonal  durchbrochen  iat; 
doch  tritt  im  nordlichen  Jura  auch  die  Tafelform  auf,  und  die 
Thaler  dea  Plateau-Jura  aind  im  Allgemeinen  dichter  bevolkert  ala 
jene  dea  kettenformigen  Jura.  (Auanahmen  davon  sind  die  Langen- 
thaler  Val  St.  Imier,  Locle  und  Chaux-de-Fonds).  —  Die  mittlere 
Kammhohe  reicht  zwiachen  2000  bis  3400';  der  hochste  Punkt 
(Crete  de  la  Neige  5304  franz/)  liegt  in  Frankreich.  Nach  den  Land- 
schaften,  die  er  durchzieht,  zerfallt  er  in  den  achweizerischen 
Jura  zwischen  Rhone  und  Rhein ,  den  schwabiachen  zwischen 
Rhein  und  Altmuhl ,  und  den  frankiachen  zwiachen  Altmuhl 
und  Main. 

Dem  Alpengurtel  iat  ein  Mittelgebirge  in  drei  Hauptgruppen 
vorgelagert:  a)  daa  franzosische  Mittelgebirge  im  Westen,  — 
b)  das  deutsche  im  Norden,  —  c)  daa  ungarische  im  Oaten. 

a)  die   franzosische   Gruppe:     daa   Hochland   liegt    zwiachen 
44°  n.  Br.  und  21°  o.  L.  Von  hier  ziehen  die  Sevennen  siidwest- 
lich  zum   Rhonethale;    —  gegen  Norden    ziehen    drei  Hauptketten, 
daa  Au  vergn  e  -  Gebirge    (das    westliche),    daa  Lyonnaia-  und 
Charolais-Gebirge(das  oatliche)  und  daa Forez- Gebirge  (daa  mitt- 
lere). Im  Norden   des  Lyonnaia    iat   daa    Cote  d'or,  welches  aich 
zum  Plateau  von  Langres  herabsenkt.  Dieses  Plateau  wird  im  Osten 
von  den  Vogesen  begrenzt,    welche  die  franzoaische  Gruppe  mit 
der  deutschen  verbinden.  Im  Westen  Frankreicha  sind   die  Gebirge 
der  Bretagne. 

b)  Die  deutsche   Gruppe   liegt   zwiachen    dem  Nordfuase  der 
Alpen  und  dem  germaniachen  Tieflande  und  kann  in  drei  Gruppen 
getheilt  werden: 

1.  Daa  aiiddeutache  Bergland,  begrenzt  im  Siiden  von  den 
Alpen  und  dem  Rhein,  im  Weaten  von  der  oberrheinischen 
Ebene ,  im  Norden  von  der  Main-  und  Eger-Linie,  im  Osten 
von  der  Moldau.  Aus  der  oberrheinischen  Ebene  erhebt  sich 
der  weatliche  Bergzug  des  Plateaus  von  Deutachland,  der 
Schwarzwald  (Feldberg  4600'),  an  welchen  aich  im  Norden 
der  Neckarwald  und  an  diesen  der  Odenwald  (Katzen- 
buckel  2100')  anachliesst,  der  sich  in  nurdlicher  Richtung  bis 


29 

zum  Main  zieht.  Der  mittlere  Bergzug  zieht  als  Rauhe  Alp 
oder  schwabischer  Jura  vom  Rhein  bis  zur  Altmiihl  und 
scheidet  die  schwabische  Hochebene  von  der  schwabischen 
Terrasse.  Die  hohlenreiche,  gipfel-  und  wasserarme  Hochebene 
fallt  gegen  Nordwesten  steil,  gegen  Sudosten  sanft  ab.  Jenseits 
der  Altmiihl  zieht  der  frankische  Jura  bogenformig  bis 
zum  obern  Main.  —  Am  linken  Donauufer  erhebt  sich  der 
bairische  Wald  als  Vorgruppe  des  vom  Fichtelgebirge 
(mit  den  Main-  und  Egerquellen)  sudostlich  ziehenden  Boh- 
merwaldes,  dessen  Auslaufer  bis  zur  Donau  reichen  und  sie 
begleiten. 

2.  Das  norddeutsche  Bergland,  im  Westen  durch  den  Rhein, 
im  Suden  durch  den  Main  und  die  Eger,  im  Osten  durch  die 
Elbe  begrenzt.  Fast  in  der  Mitte  Deutschlands  erhebt  sich  das 
Fichtelgebirge,  von  welchem  gegen  Nordosten  das  E  r  z  g  e- 
birge  mit  steilem  Siidabfall  sich  hinzieht  und  dem  im  Nord- 
westen das  sachsische  Hugelland  vorgelagert  ist.  Nordwestlich 
yom  Fichtelgebirge,  von  den  Quellen  der  weissen  Elster  bis  zu 
jenen  der  Werra  sind  das  Voigtland  und  der  Frankenwald, 
und  der  Werra  entlang  zieht  sich  der  Thuringerwald.  Im 
Norden  des  Letzteren  erhebt  sich  der  Harz  (Brocken  3510'), 
welcher  das  Thiiringer  Hiigelland  vom  Tieflande  scheidet.  In 
der  nordwestlichen  Verlangerung  des  thuringischen  Plateaus 
und  des  Harzes  liegt  das  Wesergebirge,  durch  die  Weser 
in  ein  ostliches  und  ein  westliches  geschieden.  Als  das  nord- 
lichste  Gebirge  Deutschlands  schliesst  sich  an  das  Weser-Berg- 
land  in  nordwestlicher  Richtung  der  Teutoburger  Wald 
an.  Zwischen  der  frankischen  Saale,  der  Fulda  und  Werra  zieht 
sich  nordlich  vom  Main  die  ho  he  Rhon,  an  welche  sich  im 
Sudwesten  der  Spessart  anschliesst.  Im  Westen  der  Fulda 
erhebt  sich  der  Vogelsberg,  an  dessen  Sudwestseite  sich 
die  fruchtbare  Wetterau  und  an  der  Nordseite  das  hessische 
Berg-  und  Hiigelland  ausbreitet. 

Zu  beiden  Seiten  des  Rhein  erhebt  sich  das  niederrhei- 
nische  Schiefergebirge.  Er  theilt  es  in  eine  ostliche  und 
westliche  Halfte.  Dieses  Gebirge  zeigt  eine  vorherrschende 
Plateauform  mit  tiefeingeschnittenen  Thalern ,  Gipfeln  erlosche- 
ner  Vulkane  und  sonstigen  Spuren  einstiger  vulkanischer  Tha- 
tigkeit.  Die  ostliche  Halfte  wird  durch  Nebenfliisse  des 
Rhein  in  folgende  Gruppen  getheilt :  a)  der  Taunus  zwi- 
schen  der  Lahn,  dem  Rhein  und  Main  mit  steilem  Abfall  zum 
Rhein  (Feldberg  2600');  b)  zwischen  der  Lahn,  dem  Rhein  und 
der  Sieg  der  Wes  terwald,  dessen  aussere  Form  dem  friihe- 
ren  ahnlich  ist ,  doch  ist  er  hoher ;  am  Rhein  zieht  sich  die 
Gruppe  des  Siebengebirges  hin  mit  mehreren  Gipfeln 
und  malerischen  Fernsichten ;  c)  zwischen  Sieg  und  Ruhr 
ist  die  an  2000'  hohe  Hochflache  des  Sauerlandes,  welche 
gegen  den  Rhein  hin  abfallt ,  und  das  Rothlager  -  Gebirge ; 
d)  nordlich  der  Ruhr  erhebt  sich  der  kahle  Rucken  des  Haar- 
s  t  rang,  welcher  sich  allmalich  zur  norddeutschen  Tiefebene 


30 

herabsenkt.  Zwischen  dem  Haarstrang  und  dem  Teutoburger 
Wald  ist  das  westphalische  Flachland,  Avelches  sich  zum  nie- 
derrheinischen  Tieflande  hinabsenkt.  —  Die  westlicheHalfte 
steht  mit  dem  franzosischen  Mittelgebirgsland  in  Verbindung 
und  kann  in  folgende  Gruppen  zerlegt  werden :  a)  der  Hardt, 
das  Nordende  der  Vogesen  ;  b)  das  pf  alzisch -saar  briicki- 
sche  Gebirge  zwischen  der  Ebene  von  Kaiserslautern ,  der 
Nahe  und  dem  Rhein  (Donnersberg  2000'),  c)  der  Hunsruck 
zwischen  der  Nahe,  dem  Rhein,  der  Mosel  und  Saar,  ein  1500' 
hohes  Plateau  mit  steilen,  felsigen  Thalern  (Walderbsenkopf  2500') ; 
d)  das  flache  Plateau  (1600'  hoch)  der  Eifel  zwischen  Mosel 
und  Our;  e)  die  waldlose,  mit  unubersehbaren  Torfmooren 
bedeckte,  ode Hochebene,  die  hoheVeen;  f)  die  Ardennen 
ziehen  sich  als  eine  waldige  Hochebene  (2000')  zumeist  am 
rechten  Maasufer  hin,  gehen  im  Westen  und  Norden  allmalich 
ins  Tiefland  iiber,  am  linken  Maasufer  stehen  sie  durch  den 
Argonnen  -  Wald  mil  dem  franzosischen  Mittel-Gebirgslande  in 
Verbindung. 

3.  Das  sudetische  Bergsystem  zwischen  der  Oder  und  Elbe; 
im  Nordosten  breitet  sich  das  Tiefland  aus  und  im  Siidwesten 
die  bohmische  und  mahrische  Terrasse.  Hierzu  gehoren :  das 
schlesisch-mahrische  Gebirge  bis  zu  den  Marchquellen 
(Altvater  4800'),  das  I  s  e  r-  und  Riesengebirge  (Schnee- 
koppe  5000'),  das  Lausitzer  Bergland  und  das  Glatzer 
Hochland  (Glatzer  Schneeberg  4350'). 

c)  Die  ungnrische  Gruppe  oder  die  Karpathen.  Vom  44T/2° 
bis  50°  n.  Br.  und  vom  35%°  bis  zum  45°  6.  L.  streckt  sich  das 
Karpathengebirge  in  einern  grossen  Halbbogen  ,  dessen  Endpunkte 
von  der  Donau  geschnitten  werden ,  um  das  ungarische  Tiefland, 
siidlich  durch  die  Donau  von  den  Alpen  und  deren  Verzweigungen 
in  der  Balkanhalbinsel ,  westlich  durch  die  Thaleinsenkung  der 
March,  Becwa  und  der  oberen  Oder  vom  herzynischen  Berg- 
system  getrennt,  nordlich  in  die  galizische  Niederung  verlaufend, 
ostlich  von  der  bessarabischen  Tiefebene  begrenzt.  Das  Gesammt- 
gebiet  des  Gebirges  kann  auf  4360  nMeilen  angenommen  werden. 
Oberhalb  Pressburg,  wo  die  March  in  die  Donau  fallt,  beginnt 
am  linken  Ufer  derselben  der  Zug  des  Gebirges  mit  sanft  gewolb- 
ten,  dicht  bewaldeten  Riicken,  deren  Hohe  allmahlich  zunimmt,  an- 
fangs  in  nordlicher  Richtung  streichend,  dann  gegen  Nordosten  um- 
biegend,  bis  es  sich  um  die  Quellen  der  Arva  plotzlich  nach  Osten  wen- 
det,  und  in  einen  Gebirgsknoten  von  7500'  Hohe  ubergeht.  Weiterhin 
behalt  es  seine  Richtung  gegen  Osten  bis  zu  39l/2°  o.  L.  bei,  sinkt 
Anfangs  jah,  und  wendet  sich  dann  in  sanfteren,  niederen  Riicken 
gegen  Sudosten,  wo  unter  dem  47°  35'  n.  Br.  und  42°  40'  6.  L. 
ein  zweiter  gewaltiger  Bergknoten  den  Zug  unterbricht.  Von  diesem 
Bergknoten  wendet  sich  der  Hauptzug  siidlich,  theilt  sich  spater  in 
zwei  Arme ,  der  eine  in  siidwestlicher ,  der  andere  in  siidostlicher 
Richtung  streichend,  und  zieht  dann  ununterbrochen ,  aber  vielfach 
verzweigt,  bis  an  die  Donau. 

Vom  geognostischen  Gesichtspunkte   kann    der    ganze    Zug  in 


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ein  inn  ere  s  und  in  ein  aus  seres  Gebirge  gesondert  werden. 
Das  innere  ist  das  hohere  und  heisst  gewohnlich  Central- 
karpathen.  Es  erreicht  seine  grosste  Hohe  in  der  Gruppe  der 
Tatra  am  Ursprunge  der  Waag,  mit  den  hochsten  Gipfeln  und 
einer  mittleren  Hohe  von  6500'.  Sie  reichen  bis  an  die  oberste  Theiss, 
die  einzelnen  getrennten  Gruppen  steigen  meist  inselartig  empor. 
Das  a  us  sere  Gebirge  besteht  aus  einem  fortlaufenden,  reichbewal- 
deten  Sandsteinzuge  (mittlere  Hohe  4000') ,  der  an  einigen  Stellen 
mit  den  Centralkarpathen  verbunden  iet.  Er  kann  dort,  wo  er  durch 
die  Hochkarpathen  unterbrochen  wird,  in  zwei  Gruppen  gesondert 
betrachtet  werden,  von  denen  die  Bieskieden  (ira  weiteren  Sinne) 
den  westlichen,  das  karpat  hi  s  che  Wald  geb  irge  den  ostlichen 
Theil  bezeichnen.  —  Das  siebenburgis  che  Hochland  hat 
Randgebirge  aus  Urgestein ,  welche  nach  Aussen  steiler  abfallen, 
als  nach  Innen,  und  im  Siidosten  die  grosste  Hohe  erreichen.  Der 
Ostrand  heisst  auch  die  siebenbfirgischen  Karpathen,  der 
Siidrand  das  Fogarascher  Gebirge,  der  Westrand  das  s  i  e- 
benbiirgischeErzgebirge,  der  Nordrand  ist  ein  Arm  der  grossen 
Karpathen.  Die  Mitte  besteht  aus  einem  niederen,  tertiaren  Gebirge. 
Die  einzelnen  Theile  sind  : 

A.  Der  wcstliclie  Zug  (Bieskiden  im  weiteren  Sinne):    1)  die  Pressbnr- 
ger  Gruppe  (kleine  Karpathen)  von  der  Donau  bis  zur  Thalhohe  von  Miava,  zwischen 
der  March  und  den  Zufluseen  der  unteren  Waag;  —  2)  die  Miava- Gruppe  (weisses 
Gebirge)  vom  Miavathale  bis  zurKisucsa  zwischen  den  Zufliissen  der  mittleren  March 
und  der  oberen  Waag  (Jawofina  3060');   —  3)  die  eigentlichen  Bi  esk  idcn  von  der 
zur  Oder  fliessenden  Ostra  im  W.  und  der  zur  Weichsel  fliessenden  Skava  im  O.  be- 
grenzt  (Lissabora  4166',  Bieskid    3000');  —    4)    die    Arvaer- Grnppe   (auch   Babia 
Gura    oder  Magura)    den  Bieskiden    siidlich   vorliegend,    zwischen    der  oberen  Waag 
und  den  Arvaquellen  (Babia  Gura  5660',  Baranio  4300');  — 

B.  Die  Hochkarpathen  und  das  innere  Bergland  begreift:    1)  die  hohe 
Tatra  zwischen    der  Arva,    Waag,    dem    Poprad    und   Dunajec    (Gerlsdorfer    Spitze 
8354',  Lomnitzer  Spitze  8304',    Eisthaler  Spite  8100',    der    hohe  Kriwan  7818');    — 
2)  das  Neutraer  Gebirge  zwischen  den  Flussthalern    der  Waag,    Neutra  und  Thu- 
rocz;  —  3)  die  Fatra  zwischen  den  Thalern    der  Neutra    und  Gran,    der  Thurocz, 
Gran  und  Revucza  (grosse  Fatra  5628');  —    4)  die   niedere  Tatra    zwischen    der 
oberen  Waag  im  N.,  der  oberen  Gran   im  S.,  dem  Hermanetz  und    der  Revncza    im 
W.,  und  dem  Zusammenfluss  der  Gollnitz  und    des   Hernath   im    O.  (Kralowa    Hora 
5877');  —  5)  die  Os  t  rov  sk  i-  Gruppe  zwischen  der  Gran,  Donau  und  Eipel    (Mit- 
telpunkt  der  Gruppe  Schemnitz) ;  —    6)  Gruppe  des    eisenreichen    karpathischen 
Vorgflbirges    von    der   oberen    Gran    bis    zum    Zusammenfluss    der    Gollnitz    und 
Hernath;  —  7)  zwischen  dem  Sajo,  der  Eipel,  der  Donau,  nnd  der  grossen  ungari- 
schen  Ebene  sind  die  Berggruppen  des  Karancs,   der  Czerhat    und    Matra;  — 
8)  das  Hegy  ally  a-  Gebirge    zwischen  der    Traissa,    Topla    und    dem  Bodrog  zieht 
sich  von  Eperies  in  gerader  Linie    siidlich    bis  Tokay    und    ist    ausgezeichnet  durch 
schone  Form,  den  uppigen  Pflanzenwuchs  und  die  kostlichen  Reben. 

C.  Der  (istliehe  Zug  begreift  das  karpathische  Waldgebirge  zwischen 
Poprad,  Topla,  den  Zuflussen    der  Weichsel    und  des  Dnjestr,    dem  Pruth    und  dem 
oberen  Gebiete  der  Theiss.     Es  bildet    das  Verbindungsglied    mit    dem    siebenbiirgi- 
schen  Hochlande.     Der  nach  SO.  ziehende   Kamm    iiberragt   nirgends   3600',  besteht 
vorherrschend  aus  Sandstein,  ist  steil,  triimmervoll,  ungastlich. 

Wichtigere  Uebergange  sind:  aus  dem  March-  in  das 
Waagthal  liber  den  Pass  von  Szikany;  aus  dem  Olsa-  in  das 
Waagthal  iiber  den  Pass  von  Jablunka;  aus  dem  Dunajec-  in 
das  Popradthal  uber  den  Hauptrucken  der  Magura;  der  Pass  von 
Dobschan  zwischen  dem  Sajo-  und  Hernadthale;  der  Pass  von 
Dukla  zwischen  dem  Ungh-  und  Santhale. 


§.  26.    Fortsetzung. 

b)  Die  getrennten  Gebirgsglieder  Europas. 

Die  bedeutenden  Halbinseln  und  Inseln  Europas  gehoren  vor- 
zugsweise  der  Form  des  Gebirgslandes  an.  Die  gebirgigen  Halb- 
inseln sind  sud  warts,  die  flachen  gegen  den  Norden  des  Erdtheils 
ausgestreckt;  von  den  Inseln  sind  die  siidlichen  (im  Mittelmeer) 
sammtlich  gebirgig,  —  die  nordwestlichen  (im  Atlantik)  gehoren 
beiden  Formen,  —  die  Ostsee-Inseln  aber  fast  ausschliesslich  dem 
Tieflande  an.  Die  Halbinseln  Kola,  Kanin,  Jiittland  und  Holland 
sind  Flachlander.  Die  grossere  (nordwestliche)  Halfte  der  skan- 
dinavischen  Halbinsel  iet  mit  Gebirgen  bedeckt.  Die  Kjolen 
(skandinavischen  Alpen)  ziehen  sich  auf  einem  Flachenraum  von 
9500  QMeilen  von  Norden  nach  Siiden,  und  werden  in  vier  Haupt- 
theile  getheilt:  das  lapplandi sche  Gebirge  im  Norden  (bis 
67°  n.  Br.),  die  Kjolen  (bis  63°  n.  B.),  von  da  gegen  Suden  das 
Longfjeld  und  gegen  Siidwesten  das  Dovrefjeld.  —  Die 
danischen  und  Ostsee-Inseln  sind  Fortsetzungen  der  be- 
nachbarten  Tieflander  und  nur  die  ostlichen  Gestade  haben  felsige 
Formen ;  eigentliche  Gebirgsbildung  findet  sich  nirgend  vor ,  nur 
die  Klippen-Inseln  (Skaren)  sind  felsiger  Natur. 

Die  Insel  Grossbritaunien  ist  im  Westen  Hochland ,  im 
Osten  Tiefland.  Das  Hochland  wird  vom  Tieflande  offers  durch- 
brochen,  wornach  ersteres  in  sechs  Gruppen  getrennt  wird,  welche 
grossentheils  durch  niedere  Hugelreihen  unter  sich  in  Verbindung 
stehen.  Die  Gruppen  sind:  das  Gebirge  von  Devonshire  und 
Cornwallis  (im  Siiden  des  Kanals  von  Bristol);  —  das  Hoch- 
land von  Wales;  —  die  Gebirge  von  Nord-England  in  eine 
westliche  kleinere  Halfte  (Bergland  von  Cumberland)  und  eine 
ostliche,  grossere  (Peak -Gebirge)  getrennt;  —  das  schottische 
Grenzgebirge,  im  siidlichen  Theile  das  Che vio  t- Gebirge  ge- 
nannt,  welches  mit  dem  P  en  t  land- Gebirge  zusammenhangt ;  das 
schottische  Hochland,  durch  ein  langes  tiefes  Thai  (zwischen 
dem  Murray-  und  Linnhe  -  Busen)  in  einen  siidlichen  Theil  — 
das  Gr  amp i an  -  Gebirge  — und  in  einen  nordlichen  —  das  nor  d- 
kaledonische  Gebirge  —  getrennt.  Gleiche  Bodenbeschaffen- 
heit  wie  Nord-Schottland  haben  die  Hebriden,  Orkaden  und  Shet- 
lands-Inseln.  —  Irland  ist  im  Innern  eine  Tiefebene;  an  den 
Kilsten  erheben  sich  Felsk'amme  und  isolirte  Felshohen. 

Die  hesperische  Halbinsel  wird  vom  pyrenaischen  Ge- 
birgssysteme  durchzogen ,  welches  aus  vier  parallelen  von  Osten 
nach  Westen  streichenden  Gebirgsziigen  besteht.  Der  nordlichste 
und  eiidlichste  haben  Hochgebirgscharakter,  die  zwei  mittleren  Ket- 
ten  begrenzen  zwei  Hochebenen.  Das  nordlichste  Randgebirge  sind 
die  Pyrenaen,  in  ihrer  Fortsetzung  gegen  Westen  das  kan- 
tabrische,  asturische  und  galizische  Gebirge  genannt ; — 
die  zweite  Kette  ist  das  kastilische  Sch  ei  d  eg  e  b  irge  ,  zwi- 
schen diesem  und  dem  ersten  liegt  die  Hochebene  von  Alt-Kastilien, 
welche  im  Suden  vom  andalusischen  Scheidegebirge 
(Sierra  Morena)  begrenzt  wird;  an  der  Siidseite  des  Letzteren  liegt 


die  andalusische  Tiefebene,  aus  welcher  sich  das  Gebirge  von 
Granada  mit  der  Sierra  Nevada  erhebt,  das  sich  nahe  der 
Kuste  des  Mittelmeeres  hinzieht.  Diese  Halbinsel,  ein  abgeschlos- 
senes  Gebirgsganzes,  hat  nur  wenige  unbedeutende  Tiefebenen  an 
den  Kiisten.  Die  ausgedehntesten  sind  die  aragonische  (am  un- 
teren  Ebro)  und  die  andalusische  am  unteren  Quadalquivir. 

Die  apenninische  Halbinsel  ist  fast  ganz  mit  Gebirgen  er- 
fiillt,  nur  schmale  Kiistenebenen  gehoren  der  Form  des  Tieflandes 
an.  Das  Gebirgsland  besteht  aus  der  Hauptkette  derApenninen, 
welche  im  Osten  der  Bocchetta  (bei  Genua)  ihren  Anfang  nehmen. 

Anfangs  streichen  sie  hart  an  der  ligurischen  Kuste,  ziehen 
sich  dann  naher  zur  adriatisehen,  gewinnen  etwa  in  der  Mitte  der 
Halbinsel  die  grosste  Hohe  (Gran  sasso  d'ltalia  10  000')  und  Breite, 
steigen  jedoch  nirgends  zur  Region  des  ewigen  Schnees.  Nach  der 
vertikalen  Erhebung  werden  sie  inHoch-  und  Sub-Apenninen 
eingetheilt,  nach  der  horizontalen  Ausdehnung  in  nordliche  (Hgu- 
rische  —  bis  zur  Magra-Quelle,  —  hetrurische  —  bis  zur  Tiber- 
Quelle),  —  mittlere  (romische  —  von  der  Tiber-  bis  zur  Nera- 
Quelle,  —  und  das  Hochland  der  Abruzzen  —  bis  zum  Celano- 
See)  ,  —  sudliche  oder  n  e  apolit  anische  (apulische ,  um 
den  Meerbusen  von  Tarent,  —  calaWische,  bis  zur  Meerenge  von 
Messina).  Getrennt  von  den  Apenninen  erhebt  sich  aua  der  cam- 
panischen  Ebene  der  Vesuv.  —  Eine  Fortsetzung  der  Apenninen 
ist  die  Kette  der  pelorischen  und  nebrodischen  Gebirge  auf 
Sicilien,  welche  langs  der  Nordkuste  streichen.  An  deren  Siidseite 
ist  ein  plateauartiges  Hochland,  an  der  Ostkiiste  dehnt  sich  die 
Ebene  von  Catanea  aus,  aus  welcher  der  Aetna  (Monte  Gibello) 
bis  zur  Eisregion  emporsteigt.  Die  Balearen-  und  Pithyusen-Inseln 
sind  hoch,  rauh  und  felsig,  und  lassen  auf  plutonische  Bildung 
schliessen.  —  Auf  der  Insel  Sardinian  streicht  an  der  Ostseite  eine 
Gebirgskette,  wahrend  die  Westseite  zwei  Gebirgsgruppen  hat,  zwi- 
schen  denen  sich  eine  Tiefebene  (Campidano)  ausbreitet.  Der  Wechsel 
von  Gebirgen  und  Ebenen  ist  mannigfaltig.  Corsica  ist  fast  ganz 
mit  Gebirgen  bedeckt,  nur  an  der  Ostkiiste  findet  man  schmale 
Ebenen. 

Die  griechische  Halbinsel  ist  ebenfalls  mit  Gebirgen  gefullt, 
die  Tieflander  sind  sowohl  an  Zahl  als  an  Grosse  untergeordnet. 
Das  Bergland  wird  durch  den  Isthmus  von  Korinth  in  ein  nordlichea 
und  ein  siidliches  geschieden,  welche  mit  einander  in  keiner  Verbin- 
dung  stehen.  Die  Centralmasse  im  nordlichen  Theile  bilden  der 
Schar  Dagh  (Skardus,  42°  n.  40°  o.)  und  die  wildeste  Masse  des 
Orbelus  (Skonius).  Vom  Ersteren  lauft  gegen  Nordwesten  das 
Argentaro-Gebirge  aus,  welches  mit  den  zahlreichen  parallelen  Ketten 
der  dalmatinischen  Karsthohen  in  Verbindung  steht,  zu^  denen 
auch  die  serbischen  Bergmassen  gehoren,  gegen  Osten  bis  zum 
Schwarzen  Meer  der  Balkan  (Haemus)  mit  dem  Auslaufer  des 
kleinen  Balkan.  In  sudustlicher  Richtung  zieht  sich  das  Rhodope- 
Gebirge  (Despoto  Dagh)  und  gegen  Suden  ein  langer  Bergzug,  an- 
fanglich  Bora  Dagh,  siidlicher  der  Pindus  genannt. 

Letzterer  sendet  gegen  das  agaische  Meer  mehrere  Querketten 

Klun's  Handels- Geographic.     2.  Aufl.  3 


34 

aus,  als  das  Voluzza-Gebirge  (mit  dem  Olymp) ,  eine  zweite  siidli- 
chere  (mit  dem  Ossa),  und  eine  dritte,  den  Othrys-Zug  (mit  dem 
Oeta).  Zwischen  diesen  liegt  die  Landschaft  Thessalien.  Gegen 
Stiden  erheben  sich  aus  der  Pindus-Kette  noch  die  Hohen  des  Par- 
nass,  Helikon,  Citharon  und  Hymettos.  —  Das  siidliche  Bergland, 
der  Peloponnes  oder  Morea,  ist  ein  abgesondertes  von  Rand- 
gebirgen  eingefasstes  Hochland.  Es  lauft  in  drei  Halbinseln  aus, 
deren  ostliche  das  Malevos-,  und  die  mittlere  das  Taygetos- 
Gebirge  durchziehen.  —  Die  griechischen  Inseln  sind  alle  hoch,  die 
hochste  Candia. 

Die  taurische  Halbinsel  (Krim)  gehort  mit  zwei  Dritteln  ihres 
Areals  dem  Tieflande  an,  nur  an  der  Sudostkuste  ist  das  ,,taurische 
Kiistengebirge." 

§.  21.  Das  Tiefland  von  Europe. 

Im  Nordosten  Europa's,  zwischen  der  Ostsee,  dem  Eismeer, 
dem  schwarzen  Meer,  dem  Balkan,  den  Karpathen,  dem  deutschen 
Berglande  und  der  Nordsee  breitet  sich  als  Fortsetzung  der  sibiri- 
schen  Steppenflachen  das  nordostliche  Tiefland  von  Europa 
(100.000  QMeilen)  aus.  Der  grossere,  ostlich  von  der  Weichsel 
gelegene  Abschnitt  heiest  die  sarmatisclie  oder  slawische, 
der  westliche,  kleinere  (7400  QM.)  die  germanische  Tiefebene. 
An  diese  schliesst  sich  das  franzosische  Tiefland  (4400  QM.) 
zwischen  dem  Kanal,  den  Berglandschaften  der  Bretagne,  dem  Bu- 
sen  von  Biscaya  und  den  franzosischen  Mittelgebirgen  an.  Die 
provenca  lis  che  Tiefebene  liegt  vom  Sudrande  der  Sevennen  und 
Siidalpen  bis  zur  Kuste  des  Mitte'meeres.  Die  andalusische 
Tiefebene  im  Siiden  der  pyrenaischen  Halbinsel  zwischen  der  Sierra 
Morena,  Sierra  Nevada  und  dem  atlantischen  Meere.  Die  lombar- 
dische  Ebene  (600  nM-)  langs  dem  Sudfusse  der  Alpen  auf  der 
apenninischen  Halbinsel;  —  die  beiden  ungarischen  (1800  [HMO* 
die  grosse  langs  dem  Siidfuese  der  Karpathen  und  im  Osten  des 
Bakony-Waldes  und  des  pannonischen  Berg-  und  Hflgellandes,  — 
die  kleine  begrenzt  im  Norden  und  Nordosten  von  den  kleinen 
Karpathen,  dem  ungarischen  Erzgebirge,  im  Osten  und  Siiden  vom 
Bakony-Walde  und  den  Ausliiufern  des  Leytha-Gebirges.  Das  skan- 
dinavische  Flachland  im  ostlichen  und  sudlichen  Theile  dergleich- 
namigen  Halbinsel. 

Kleinere  Tiefebenen  sind:  die  oberrheinische,  die  niederrlieini- 
sche,  die  osterreichische  bei  Wien  (50  QM.),  die  walachische  u.  s.  w. 
§.  28.  Die  vertikale  Gliederung  von  Asicn. , 

Asien  hat  in  vertikaler  Dimension  die  ausgedehnteste  Mas- 
senerhebung,  die  hochsten  Bergspitzen,  die  grossten  Plateaux 
und  die  machtigsten  Randgebirge.  Der  Charakter  dieses  Erdtheils 
ist  der  des  Hochlandes;  —  das  asiatische  Hochland  ist  jedoch 
nicht  eine  einzige  Erdmasse,  sondern  besteht  aus  verschiedenen 
Terrassen  und  isolirten  Plateaux.  Ueberhaupt  drangen  sich  in  Asien 
alle  vertikalen  Hauptformen  an  einander,  die  plastische  Gliederung 
ist  eine  sehr  reiche  und  mannigfaltige.  Auf  das  aeiatische  Bergland 
entfallen  beilaufig  517.500  QM.,  auf  das  Tiefland  292.500  QM. ;  das 
Gebirgeland  verhalt  sich  also  zum  Tieflande  wie  5  :  3.  Eigenthiim- 


lich  ist  es,  dass  der  grosse  Gebirgsstamm  Asiens  in  der  Mitte  des 
Erdtheiles  liegt,  wo  das  System  des  Hindu  Kho  (unter  90°  6.  L.) 
Asien  in  ein  westliches  —  vorderasiatisches  —  und  ein  ost- 
liches  —  hinterasiatisches  —  Hochland  scheidet.  An  jedes 
dieser  beiden  Hochlander  schlieest  sich  nordlich  und  siidlich  ein 
auslaufendes  Gebirge  an.  Nordlich  liegt  dein  Hochlande  ein  unge- 
heueres  Tiefland,  Sibirien  (186.300  QM.)  vor,  das  sich  in  eiid- 
westlicher  Forteetzung,  Turan  (53.700  QM.),  ausdehnt.  Im  Osten 
des  hinterasiatischen  Hochlandes  liegt  das  chinesische  Tiefland 
(10.000  QM.),  siidlich  liegen  die  Ebenen  Hin  terin  diens  und  das 
Tiefland  von  Hindostan  (24.000  QM.),  sudlich  und  siidwestlich 
vom  vorderasiatischen  Hochlande  breiten  sich  Mesopotamien 
und  die  syrisch-arabische  Wuste  aus. 

§.  29.  Das  Hochland  von  Hiuter-Asicn. 

Das  Hochland  von  Hinter-Asien,  mit  einer  durchschnittlichen 
absoluten  Hohe  von  8  — 10.000'  und  einer  Ausdehnung,  die  dera 
Drittheil  der  Gesammtflache  Asiens  gleichkommt  (266.000  QM.), 
wird  von  vier  Randgebirgen  begrenzt  und  die  Scheitelflache  durch- 
ziehen  machtige  Parallelketten.  Den  Siidrand  bildet  das  hochste 
Riesengebirge  der  Erde,  der  Himalaya  (vom  Durchbruch  des  In- 
dus bis  zu  jenem  des  Brahmaputra)  mit  seinen  amphitheafralisch 
ansteigenden  Parallelketten,  deren  nordlichste  und  hochste  bei  einer 
inittleren  KammLohe  von  15.000'  die  groseten  Erhebungen  besitzt. 
(Mount  Everest  27.200',  Kinchinjinga  26.400',  Dhawalagiri  26.300' 
und  viele  uber  20  000'.)  Langs  dem  Siidfusse  liegt  ein  waldig- 
sumpfiges  Hiigelland  (Tarai).  Jenseits  des  Brahmaputra  erhebt  sich 
der  noch  wenig  bekannte,  mit  ungeheueren  Gletschern  bedeckte 
(und  vielleicht  mit  noch  hoheren  Schneegipfeln)  SineSchan,  an 
welchen  sich  noch  weiter  gegen  Oeten  der  breite  Gebirgsrucken 
Nan- Ling  anschliesst.  —  Der  Ostrand  besteht  aus  vielverzweig- 
ten  Gebirgsmassen,  welche  durch  das  Flussthal  des  Yantsekiang  in 
zwei  Theile  gesondert  sind.  Der  siidliche  —  das  chinesische 
Alpenland  oder  der  Yiinling  mit  zwei  nach  Osten  ziehenden 
Ketten  (Nanling  und  Peliug),  —  der  nordliche —  das  mandschu- 
rische  Alpenland  —  mit  dem  Inschan  und  dem  Khinggan- 
Oola,  welcher  seine  Ausastungen  nach  der  Halbinsel  Korea  sendet 
und  sich  mit  dem  Ostende  des  nordlichen  Eandgebirges  vereinigt. 
—  Den  Nordrand  bildet  das  mongolische  Grenzgebirge 
(bis  zum  Baikal- See),  welchem  im  Norden  das  an  Gletschern  und 
Schneebergen  reiche  daurische  Alpenland  vorgelagert  ist.  Vom 
Baikal-  bis  zum  Dzaisang-See  zieht  sich  gegen  Westen  das  Alt ai- 
Gebirge,  vor  welchem  gegen  Nordwesten  die  Alpenlandschaft  des 
kleinen  Altai  liegt.  Vom  Dzaisang-See  gegen  Sudvvesten  ist  das 
vielfach  durchbrochene ,  unzusamrnenhangende  dsungarische 
Grenzgebirge,  welches  sich  an  den  Westrand  (nordlich  der 
Muz  Tagh,  siidlich  derBelur  Tagh  genannt)  anschliesst.  Gegen 
Westen  und  Nordwesten  liegt  das  Alpenland  Turkestan.  Das  Binde- 
glied  zwiechen  dem  West-  und  Siidrand  bildet  das  natiirliche  Bindeglied 
zwischen  dem  ostlichen  und  westlichen  Hochasien,  der  Hindu  Kho» 

3* 


36 

Die  Scheitelflache  des  ostlichen  Hochlandes  durchziehen  zwei 
Parallelketten  von  Westen  nach  Osten.  —  Die  nordliche,  eine  Fort- 
setzung  des  Muz  Tagh,  ist  das  Thian  Schan  (mit  der  hochsten 
Gruppe  Bokdo  Oola  —  heiliger  Berg),  —  die  siidliche,  eine  Fort- 
setzung  des  Belur  Tagh,  das  Kuen  Ltin  oder  Kulkun. 

Zwischen  dem  Himalaya  und  dem  Kiien  Ltin  liegt  das  Hochplateau  Tubet, 
zwischen  dem  Kiien  Lun  und  dem  Thian  Schan  erstreckt  sich  die  hohe  Tartarei, 
zwischen  dem  Thian  Schan  und  dem  Nordrand  liegt  im  Westen  die  Dsungarei, 
im  Osten  die  Mongolei.  Die  Mongolei,  der  6stliche  Theil  der  Dsungarei  und  der 
hohen  Tartarei,  ist  theils  eine  baumlose,  ode  Steppe,  theils  sandig-steinige  Wuste, 
Gobi  oder  Schamo  genannt,  und  erstreckt  sich  etwa  400  M.  in  die  Lange  und 
100  M.  in  die  Breite. 

§.  30.  Das  Hochland  von  Vorder-Asien. 

Das  Hochland  von  Vorder-Asien,  mit  einer  mittleren  Erhebung 
von  nur  4000'  und  einer  Ausdehnung,  die  etwa  dem  eilften  Theile 
der  Gesammtflache  Asiens  gleichkommt  (71.000  QM..),  zerfallt  in 
3  Hochflachen :  a)  das  Plateau  von  Iran,  b)  die  medisch- 
armenischen  Alp  enlandschaf  ten  und  c)  das  Hochland 
von  Anatolien  oder  Kleinasien. 

a)  Das  Plateau  von  Iran  (20.000  QM-),  mit  dem  Steppen- 
boden  und  den  vielen  Salzseen  im  Innern,  ist  von  vier  Randgebirgen 
begrenzt.     Im   Osten   ist    das   indisch-persische    Grenzgebirge 
mit  dem  Salomonsthron  (12.800');  —    den  Siid-  und  Westrand  bil- 
den    mehrere    terrassenformig    aufsteigende  Parallelketten    ohne   ge- 
meinschaftlichen  Namen,  bis  sie  sich  an  den  Nordrand  anschliessen ; 
—    am  Nordrand    zieht    sich    vom    Hindu  Kho    gegen  Westen    der 
Paropamisus,    eine   niedere    Felsenkette,    die    sich    erst    an    der 
Siidostkiiste  des  caspischen  Sees  zum  Hochgebirge  erhebt,  und  dann 
als  Elbrus    (mit   dem  Vulkan   Demavend,  13.000')  den    genannten 
See  umzieht.  —  Der  westliche  Theil  von  Iran  heisst  Per  si  en,  der 
eudostliche  Beludschistan,  der  nordostliche  Afghanistan. 

b)  Die    medisch-armeniscben    Alpenlandschaften, 
darunter  Aserbeidschan  an  der  Nordwestecke  Irans;  gegen  das 
schwarze  Meer  zieht    sich   das  Hochland    von  A  r  m  e  n  i  e  n  mit  der 
Hochebene  von  E  r  s  e  r  u  m  (7000'),    aus    welcher   sich    der  Ararat 
(16.000')  erhebt;  gegen  Siiden  und  Siidosten  liegt   das  minder  hohe 
Bergland  Kurdistan. 

c)  Das  Hochland    von    Anatolien.     An   der  Grenze  von 
Armenien    und    Kurdistan    zieht    gegen   Westen    der    Ala-Tagh, 
dessen  westliche  Kette  als  Taurus  langs  der  Nordkuste  des  Mittel- 
meeres  bis  an  das  agaische  Meer  sich  hinzieht.     Gegen  Siiden  steil, 
fallt  er  an  der  nordlichen  Seite  terrassenformig  gegen  das  Tafelland 
Anatolien  herab;  auch  der  Nordrand  des  Tafellandes  ist  steil.     Ge- 
gen den  Westen    lauft   das  Hochland    in   mehrere    Bergzuge  gegen 
die  «Kustenlandschaft  der  Levante"  aus. 

$.  31.  Die  getrennten  und  anslaufenden  Gebirgsglieder  in  Asien. 

Das  asiatische  Hochland  ausserhalb  des  kontinentalen  Trape- 
zes zerfallt  in  zwei  von  dem  Hochstamme  vollstandig  getrennte 
Glieder:  den  Ural  und  das  Plateau  von  Dekan,  —  und  in 
vier  auslaufende  Glieder:  von  dem  Hochlande  Hinter-Asiens 


37 

je  em  nordlich  und  ein  siidlich  auslaufendes  Gebirgsglied,  dess- 
gleichen  vom  Hochlande  Vorder-Asiens. 

1.  Der  Ural,  vom  Hochstamme  durch  weite  Ebenen  getrennt, 
aus   mehreren  Parallelketten    bestehend,  zieht  sich    an  250  M.    von 
Nord  nach  Siid  (Meridian  -  Gebirge).     Nach  Oaten  fallt  er  steil  ab, 
im  Westen   hat  er  mehrere  Stufen   und  sendet  Landrucken   in  die 
osteuropaische  Tiefebene. 

2.  Das    Plateau   von   Dekan    oder   Vorder-Indien    ist 
ein  von  Randgebirgen  begrenztes  Plateau  in  Gestalt  ernes  Dreieckes 
(50.000DM-)-    Den  Nor  d -Rand  des  Plateaus  bildet  das  Vindhya- 
Ge  t>irge,  den  West- Rand  die  West- Ghats,    den   Ost-Rand 
die  Ost-Ghats;  die  Sudenden   der  beiden   letzten  verbinden  sich 
zur  Berglandschaft  Nil  Gerri  (blaue  Berge). 

3.  Das  nordlich  auslaufende  Gebirgsglied  Hinter-Asiens, 
d.  i.  die  ostsibiri  sche  n  Bergketten,  heissen  im  Westen  (vom 
Anschlusse    an    die   daurischen    Alpen    bis    zur    Aldan-Quelle)    das 
Jabl  onoi- Chrebet  (Jablonoi-Riicken),    von  da   (bis   zur  Koliima- 
Quelle)  Aldan -Gebirge  und  von  da  (bis  zum  Ostkap)  S  tano  w  oi- 
Chrebet.     An    das    letzte   schliessen    sich    die  Gebirge   von  Kamt- 
schatka  (mit  einer  Doppelreihe  von  21  thatigen  Vulkanen)  an. 

4.  Das  sudlich  auslaufende  Gebirgsglied  Hinter-Asiens 
zieht    sich    als  malayische    Bergketten    in    fiinf   Parallelketten 
durch  die  Halbinseln  Hinter-Indien,  deren  eine  (das  west-siamesische 
Scheidegebirge)  bis    zur   Siidspitze    von    Malacca    reicht.     Die  Ge- 
birgsketten  laufen  wahrscheinlich  im  Norden  in  einer  hohen  Alpen- 
masse  zusammen. 

5.  Das  nordlich  auslaufende  Gebirgsglied  Vorder-Asiens 
—  der  Kaukasus  —  hangt  durch  bergige  Landsch^ften  mit  dem 
armenischen  Hochlande  zusammen   und   besteht    aus    mehreren  zwi- 
schen  dem  schwarzen   und  kaspischen  Meere   nach   Nordwesten  ge- 
richteten  Parallelketten    mit  einer  mittleren  Kammho'he   von  10.000'. 
Auch  im  Norden  sind  Vorberge. 

6.  Das  siidlich  auslaufende  Gebirgsglied   Vorder-Asiens 
ist  das  syrisch-arabische  Hochland,  und  man  unterscheidet 
eine    dreifache    Gliederung:    a)    das    syrische    Hochland,    b)    das 
Sinai-Gebirge   in   der   nordlichen    Gabelung   des   rolhen  Meeres 
(zwischen  den  Golfen   von  Akaba    und  Suez),    c)  das    arabische 
Gebirgsland.     Die  ansehnlichste  (bis  jetzt  bekannte)  Depression  der 
Erdoberflache  *)    theilt    das    syrische  Hochland    in    einen   westlichen 
Abschnitt  mit  dem  Lib  an  on  und  einen  ostlichen   mit  dem  Anti- 
lib  an  on.  —  Das  Innere  der  Halbinsel  Arabien  ist  eine  Hochflache, 
welche  sich  nach  alien  Richtungen  in  Terrassen  abdacht.  Die  Mitte 
dieser  Hochflache  —  Nedsched  —  ist  von  hohen  Felsketten  durch- 
zogen.     Der  Nordrand  ist  noch  unbekannt. 

Von  den  asiatischen  Inseln  sind  mit  Ausnahme  der  Maladiven 
und  Lakkediven  und   einigen    kleineren  Eilanden   alle   iibrigen    von 


*)  Nach  Russeggers  Messung  soil  die  Depression  des  Spiegels  des  todten  Meeros 
1340'  betragen;  Jerusalem  liegt  also  auf  einem  Plateau  2000'  ttber,  das  todte 
Meer  1340'  unter  dem  Spiegel  des  mittellandischea  Meeres. 


38 

Gebirgsketten  durchzogen.     Ceylon   1st    im  Innern    eine  Hochflache 
(3000')  mit  dem  hochsten  Punkt  Adams-Pik  (6000'). 

§.  32.  Die  Stufen-  and  Ticfllinder  in  Asien. 

Den  Uebergang  von  dem  machtigen  Hochlande  zum  Tieflande 
bilden  verschiedene  reichgegliederte  Stufenlander  mit  weitver- 
zweigten  Stromsystemen,  welche  sich  strahlenformlg  nach  alien  Rich- 
tungen  wenden.  Diese  giinstige  Bewasserung  verdankt  Asien  nebst 
der  centralen  Stellung  des  Hochlandes  auch  dem  Umstande ,  dass 
letzteres  von  grossen  Tieflandern  umgeben  ist,  wodurch  eine  bedeutende 
Stromentwicklung  ermoglicht  wird.  Das  Tiefland  (292.500  QM.) 
fiillt  mehr  als  ein  Drittheil  des  Erdtheiles  aus.  Dem  Hochlande 
liegt  im  Norden  das  ungeheuere  Tiefland  Sibirien  (186.300 
vor,  dessen  siidwestliche  Fortsefzung  bildet  Turan  (53.700 
der  Uebergang  des  asiatischen  Tieflandes  zum  sarmatischen  in  Eu- 
ropa.  Im  Osten  des  Hochlandes  von  Hinterasien  (am  Unterlaufe 
des  Yantsekiang  und  Hoangho)  ist  das  reichlich  bewasserte  und 
vortrefflich  angebaute  chinesische  Tiefland  (10.000  QM.); 
sudlich  liegt  an  den  Ufern  der  hinterindischen  Strome  das 
gleichnaraige  Tiefland.  Im  nordlichen  Theile  Vorderindiens  liegt  am 
Indus  und  Ganges  das  Tiefland  von  Hindostan  (24.000  QM.). 
Das  Tiefland  von  Mesopotamien  und  Babylonien  (am  Euphrat 
und  Tigris)  zwischen  dem  armenischen  Berglande  und  dem  persi- 
schen  Meerbusen  mit  fruchtbaren  Landschaften  (am  Mittel-  und 
Unterlauf  der  genannten  Fliisse).  Westlich  davon  dehnt  sich  die 
syr  isch- arabische  Wuste  aus,  bereits  ein  Uebergang  zu  den 
Sandwiisten  Africas. 

§.  33.  Die  vertikale  Gliedcrung  von  Africa. 

Wie  in  Hinsicht  der  horizontalen  so  bietet  Africa  auch  in  Hin- 
sicht  der  vertikalen  Gliederung  ein  Bild  der  Massenhaftigkeit 
dar ;  dagegen  ist  nach  den  neuesten  Forschungen  die  Einformigkeit 
eine  geringere,  die  vertikale  Gliederung  und  die  Zuganglichkeit  im 
Innern  eine  grossere,  als  man  friiher  angenommen  hatte.  Das  Hoch- 
land  nimmt  etwa  zwei  Drittel,  das  Tiefland  ein  Drittel  der  Gesammt- 
flache  ein ;  ersteres  liegt  vorzugsweise  im  Siiden,  letzteres  im  Norden, 
beide  sind  von  Bergzugen  durchschnitten.  Den  Siiden  nimmt  Ho ch- 
africa  (gegen  285.000  [U^O  ein>  an  welches  sich  im  Norden  das 
hohe  Sudan  und  das  Alpenland  von  Habesch  (oder  Abessinien) 
anschliessen.  Dem  Nordrande  von  Hochafrica  ist  das  flache  Su- 
dan vorgelagert.  Zwei  getrennte  Gebirgsglieder,  das  Plateau  der 
Berberei  und  jenes  vonBarka,  begrenzen  die  grosse  africanische 
Hochebene,  die  ,,Sahara/c 

§.  34.  Hoch-Africa. 

Die  Sudhalfte  von  Africa  (vom  6°  n.  B.  an)  scheint  grossen- 
theils  eine  Hochebene  zu  sein  mit  einer  tiefen  Einsenkung  in  der 
Mitte,  im  Westen  und  Siiden  von  Randgebirgen  umgeben,  welche 
in  terrassenformigen  Absatzen  fast  bis  zum  Meere  abfallen,  und  nur 
einen  schmalen  Kiistensaum  iibrig  lassen;  an  der  Ostkuste  dehnt 
sich  eine  groase  Tiefebene  aus,  mit  isolirten  Gebirgsgruppen. 


Der  Sftdraiiil,  oder  das  Kapland  iat  eine  Terrasse  von  drei 
Stufen.  Die  erste  (unterste)  bilden  die Kiist enebenen  des  Kap- 
landes  (5—7  M.  breit);  —  die  zweite  Stufe  ist  die  3000'  hohe  an 
1000  GMeilen  grosse  Karroo -Ebene;  —  die  dritte  5000'  hoch 
ist  die  Hochebene  des  O  ranje-S tromes  und  wahrscheinlich 
schon  ein  Theil  der  Scheitelflache  Hochafricas.  Jede  dieser  Stufen 
ist  von  der  nachsthoheren  durch  Randgebirge  geschieden;  die  erste 
von  der  zweiten  gegen  den  Atlantik  durch  das  B ok keveld-Gebirge, 
gegen  das  indische  Meer  durch  die  Zwarten-Berge  (beide 
4 — 5000'),  —  die  zweite  von  der  dritten  durch  ein  Gebirge  mit 
mehreren  Namen:  Roggeveld-,  Nieuweveld-,  Koudvelds- 
Berge  (mit  Gipfeln  von  10.000'). 

Der  Ostraud  durfte  zum  Theile  ahnlich  gebaut  sein ;  zwischen 
dem  2°  bis  13°  sndlicher  Breite  erscheint  die  Ostkiiste  jedoch  als 
eine  Ebene,  die  sich  kaum  merkbar  erhebt,  dann  sich  gegen  Westen 
senkt,  zu  einem  grossen  See,  der  ira  nordlichen  Theile  Ukerewe 
(oder  Niassi ,  oder  Uniamesi)  genannt  wird.  Aus  dieser  Ebene 
(1 — 5°  sudlicher  Breite)  soil  sich  der  siidliche  Abfall  des  Plateaus 
von  Habesch  erheben,  dessen  hochste  Gipfel:  Kignea  (oder  Kenia) 
und  Kilimandscharo  (zwischen  18  bis  20.000')  in  die  Region 
des  ewigen  Schnees  ragen. 

Als  Fortsetzung  der  fruher  genannten  Bergketten  (Koud velds  -Berge)  ziehen 
sich  (von  Suden  gegen  Nordosten)  die  Storm-  Witte-  Kalamba-  (oder  Drachen-) 
Berge,  vor  denen  sich  gegen  das  indische  Meer  die  Kaffernkuste  (Kaffraria  und 
Natal),  die  Kuste  von  Sofala  und  Mozambique,  ferner  jene  von  Zanguebar 
(Zanzibar)  und  Adjan,  endlich  (vom  Kap  Guardafui  bis  zur  Strasse  Bab-el-Mandeb) 
die  Kuste  Somal  ausbreiten.  Das  L  u  p  a  t  a  -  Gebirge  scheint  die  zweite  Stufe  von 
der  dritten,  und  das  Fura- Gebirge  die  dritte  von  der  Hochflache  zu  scheiden.  Welter 
nordwarts  wissen  wir  bis  jetzt  vom  Ostrande  nichts  Gewisses. 

Der  Nordrand  ist  nur  auf  seiner  Ost-  und  Westseite  zum 
Theile  bekannt;  die  Mitte  des  Nordrandes  ist  noch  nicht  erforscht. 
Auf  der  Ostseite  bilden  den  Nordrand  die  drei  Terrassen  von  Ha- 
besch, deren  mittlere  etwa  4800—9000',  und  die  hochste  9.000  — 13.800' 
hoch  sind;  auf  der  Nordwestseite  erhebt  sich  das  hohe  Sudan  mit 
der  Bergkette  Kong,  welche  unter  20°  o.  zu  einem  breiten  Ge- 
birgsriicken  wird ,  und  als  solcher  bis  zur  Sierra  Leone  sich  hin- 
zieht.  Nur  die  Vorstufen  an  dem  Meerbusen  von  Benin  sind  etwas 
genauer  bekannt. 

Der  Westrand  steigt  aus  der  Bai  von  Biafra  13.000'  hoch 
empor  (Hochland  der  Amboser).  Zwischen  6°  und  16°  siidlich 
wiederholt  sich  die  Terrassenbildung  des  Kaplandes.  Die  Hochflache 
scheint  8000'  hoch;  im  Uebrigen  ist  der  Westrand  ebenfalls  wenig 
bekannt. 

§   35.  Die  getrennten  Gebirgsglieder  in  Africa. 

Nur  der  nurdlichste  Theil  Africas  enthalt  getrennte  Gebirga- 
glieder:  das  Hochland  der  Berberei  mit  dem  Atlas  gebirge 
und  das  Plateau  von  Barka,  beide  von  einander  getrennt  durch 
den  Wiistenstreif  der  Sultinebene. 

a)  Das  Hochland  der  Berberei  (von  Ritter  als  wKlein- 
africa"  mit  ^Kleinasien"  zusammengestellt)  steigt  auf  einer  Flache 
von  21.000  QMeilen  zwischen  1500—2000'  hoch.  Den  Nordrand 


40 

bildet  der  kleine  Atlas,  den  Westrand  der  ho  he  Atlas  (mit 
Gipfeln  von  13.000'),  den  Siidrand  der  grosse  Atlas,  dessen  ost- 
liche Verlangerung  die  Soudah-  oder  schwarzen  Berge  heis- 
sen,  den  Ostrand  die  Felshohen  von  Tunis. 

b)  Das  Plateau  von  Barka,  ohne  hohe  Bergketten,  1500' 
hoch  und  2000  QMeilen  gross,  fa-lit  im  Norden  steil  ab,  im  Siid- 
Osten  senkt  es  sich  zu  der  libyschen  Wiiste  herab. 

Unter  den  africanischen  Inseln  hat  Madagaskar  ein  bedeutendes 
Kettengebirge  (mit  Gipfeln  tiber  10.000').  Die  Azoren,  die  kana- 
rischen  (der  Pik  auf  Teneriffa  11.000')  und  die  kapverdischen 
Inseln,  dann  Ascension,  St.  Helena  u.  s.  w.  sind  gebirgig  und  meist 
vulkanischer  Natur. 

§.  36.  Die  Tief-  and  Stufenlander  in  Africa.1 

Dem  Ostrande  des  Kong-Gebirges  ist  ein  wellenformiges  Flach- 
land  (von  1.200'  mittlerer  Erhebung  und  von  etwa  40.000  QMeilen 
Flache)  vorgelagert,  welches  eine  Stufe  zum  Tieflande  bildet,  —  es 
ist  Flach-Sudan,  in  eine  westliche  und  ostliche  Halfte  getheilt. 

—  Im  Silden  der  nordafrikanischen  Hochlander,  fast  durch  die  ganze 
Breite  des  Erdtheils  breitet  sich  vom  atlantischen  Ocean  bis  zu  den 
Bergwanden  des  Nilthales  die  grosste  Wiiste  der  Erde  —   die   Sa- 
hara —  auf  einer  Flache  von  mehr  als  120.000  QMeilen  aus.  Sie 
ist  eine  Hochebene  von  ziemlich  gleicher  Erhebung  (1.200 — 1.500'), 
aus  der  einzelne  Bergziige  und  Berggipfel  (bis  zu  5.000  —  6.000') 
emporsteigen.  Ein  Zug  klippiger  Hohen,  Felsenriffe  und  Oasen  zieht 
sich   von  Tripoli    nach    dem    Tsadsee   (32°  6'stlicher  Lange),  und 
theilt  die  Wiiste  in  zwei  an  Umfang,  Bodenbeschaffenheit  und  Cha- 
rakter  verschiedene  Halften.  Die  grossere  Westhalf  te,  die  Sahel, 
ist  das  eigentliche  Flugsandmeer,  dessen  Anhaufung  an  der  Meeres- 
kiiste  die  hochsten  Diinen  der  Erde  (bis  400'  am  Kap  Bojador)  ge- 
bildet    hat,    und    eine    Fortsetzung   dieses  ,,Wandermeeres"  in   das 
Meer  hinein  ist  die  ausgedehnte,    der  Schiffahrt   hochst   gefahrliche 
Sandbank.     Das   innere    der   Westhalfte    hat    wenig    Brunnen    und 
Oasen,  und  eine  grosse  Armuth  in  der  Pflanzen-  und  Thierwelt.  Die 
kleinere  Osth  alf  te  —  die  eigentliche  Sahara  oder  die  libysche 
Wiiste  —  hat  geringere  Massen  von  Flugsand,  an  der   Oberflache 
treten  Kalk-  und  Thonboden,  schwarzer  Sandstein,  Kiesel  und   (wo 
Felsen   fehlen)   Salzflachen   hervor,     Quellen    gelangen   leichter   zur 
Oberflache ,    kunstliche   Brunnen    geben    schon    bei   geringer    Tiefe 
(6 — 8')  Wasser,   die    Oasen   sind    zahlreicher  und  grosser,  am  Ost- 
und  Nordrande   bilden   sich   Kulturstellen,   Der  ostliche  Oasen- 
zug,  parallel  mit  dem  Unterlauf  des  Nil,  hat  im  Siiden  die  grosse 
(22  Meilen  lang),  im  Norden  die  kleine  (4  Meilen  lang)  Oase,  beide 
von  geringer  Breite.  Der  nordostliche  Oasenzug  schliesst  sich 
im  Osten  an  den    friiheren  an,   und  hat  die  Oase  Siwah  (Ammo- 
nium)  und   Fezzan   (Hauptstadt  Murzuk).  —  Das  Ostende  dieser 
Zone  nehmen  die  Stufenlander  des  Nil  ein,   und  zwar:    a)  das 
mittlere    Stufenland  Nubien,    ein    von    3.000'    bis  600'  sich 
senkendes  Plateau  mit  den  drei  Stufen:  Senaar,  Dongola  und  Nuba; 

—  b)  das  untere  —  Aegypten  —  von  dem  Nilthal  mit  dem  Delta 


41 

durchzogen  (bis  30°  nb'rdlicher  Breite),  zwis<5hen  der  arabischen 
Bergkette  (im  Osten)  und  dem  libyschen  Felsdamme  (im 
Westen). 

§.  37.  Die  vertikale  Gliedcrung  von  America. 

Die  vertikale  Gliederung  Americas  unterscheidet  sich  von  der 
Asiens  und  Africas  dadurch,  dass  in  America  die  Form  des  Tief- 
1  a  n  d  e  s  vorherrscht ;  die  Erhebung  des  Bodens  tritt  nicht  als  massen- 
haftes  Plateausystem,  sondern  als  das  grosste  System  der  Ketten- 
gebirge  mit  untergeordneter  Plateaubildung  auf.  Die  Ebene  nimmt 
etwa  2/3  ,  das  Bergland  T/3  der  Geeammtflache  ein ;  die  Vertheilung 
ist  im  Allgemeinen  eine  einformige,  indem  sich  das  Hoch- 
gebirgssystern  der  Cordilleren  auf  einer  langausgedehnten  Basis  (an 
216.000  QMeilen,  oder  fast  %  Americas)  an  die  Westgeatade 
lagert,  wahrend  aus  den  ostlich  ausgebreiteten  Flachen  nur  isolirte 
Gebirge  sich  erheben.  Sie  scheiden  somit  America  in  eine  breite 
ostliche,  und  in  eine  sehr  schmale  westliche  Halfte.  Die  Einsenkung 
in  der  Landenge  von  Panama  trennt  die  Cordilleren  in  zwei  an 
L'ange  ziemlich  gleiche,  an  Breite  und  Hohe  sehr  verschiedene  Half- 
ten,  in  die  Cordilleren  von  Siid-  und  Nord- America, 

§.  38.  Die  Cordilleren  oder  Anden  (Cordilleras  tie  los  Andes). 

a)  Cordilleren  von  Slid  -  America. 

Nach  dem  Bau  des  Gebirges  konnen  sie  eingetheilt  werden 
in:  die  einkettigen  Siid-Anden,  —  die  doppelkettigen 
Mittel-Anden  mit  Hochth'alern ,  Gebirgsknoten  und  salzigen 
Hochseen,  —  und  die  divergirenden  Nord -Anden  ohne  Ge- 
birgsknoten und  mit  Tiefthalern ;  —  nach  den  Landschaften,  welche  sie 
durchziehen ,  in:  Cordilleren  des  Feuerland-Archipels  und 
der  Magelhaens-Strasse,  von  Patagonien,  Chile,  Bo- 
livia und  Peru,  Quito  und  Neu-Granada. 

Der  sudlichste  Punkt  der  ganzen  Gebirgskette  ist  das  Cap 
Hoorn  (2940'),  einzelne  Zweige  derselben  sind  auf  dem  Feuerland 
und  den  benachbarten  Inseln,  doch  scheint  kein  Gipfel  fiber  7.000' 
sich  zu  erheben  (Sarmiento,  Darwin).  Schneelinie  3.500  —  4.000'. 
Die  Cord,  von  Patagonien  (bis  42°  sudlicher  Breite)  dicht  an  der 
Kuste  des  grossen  Oceans,  mittlere  Kammhohe  3.000',  Schneelinie 
5.000',  von  Siiden  nach  Norden  an  Hohe  zunehmend.  (Nevados  oder 
Schneeberge,  Paramos  sind  hohe  Bergeinoden  unter  der  Schnee- 
region,  —  Minchinmadom  7.640').  Die  Cord,  von  Chile  (42—20° 
siidlicher  Breite),  an  Hohe  zunehmend  (mittl.  Hohe  12.000'), 
nach  Westen  steil,  im  Osten  stufenhaft  abfallend,  bis  35°  sudlicher 
Breite.  Bis  hieher  Eine  Kette ,  von  hier  drei  ostliche  Verzweigun- 
gen,  noch  wenig  bekannte  Hochebenen  umschliessend  (unter  37° 
siidlicher  Breite  Aconcagua  21.000'),  mit  metallreichen  Bergland- 
schaften  (Erzgebirge  von  Uspallata).  —  Die  Cord,  von  Bolivia  und 
Peru  beginnen  mit  dem  Plateau  von  Potosi  (11 — 12.000'  hoch, 
unter  20°  sudlicher  Breite)  mit  mehreren  Berggruppen  (Lirima, 
22—23.000'  hoch  ?  ?).  Von  diesem  Plateau  laufen  zwei  Gebirgsaste  aus 
der  westliche,  die  Kustencordillere  oder  Cord,  von 


Peru  mit  den  hochsten  Theilen  des  CorJillerensystems  (Cord  de 
la  cuesta) ;  jah  zutn  grossen  Ocean  abfallend  (mittlere  Kammhb'he 
fast  14.000',  —  Schneelinie  17.000')  mit  einer  Kette  theils  erlosche- 
ner,  theils  thatiger  Vulkane  und  kegelformiger  Gipfel  (Saharaa 
20.971',  —  Parinacota  20.670',  —  Gualatieri  20.604',  —  Pomarape 
20.360',  —  Chuquibamba  19.700')  —  der  o  s  1 1  i  c  h  e ,  die  C  o  r  d.  von 
Bolivia  mit  geringerer  Kammhohe  (13500')  und  zerrissenen  zacki- 
gen  Pics  (Sorata  19.974',  Illimani  19.843').  Zwischen  dem  westlichen 
und  ostlichen  Cordillerenaste  liegt  das  Plateau  desTitica- 
casees  (250  Q  Meilen  13.000'  hoch)  oder  Hochplateau  von 
Peru  und  Bolivia  (1.000  QMeilen).  Am  Nordende  dieses  Pla- 
teaus vereinigen  sich  die  beiden  Aeste  zum  Gebirgsknoten 
von  Cuzco,  dem  ausgedehntesten  in  der  ganzen  Andenkette. 
Nordlich  vom  Gebirgsknoten  Pasco  (11  — 10°  siidlicher  Breite)  spal- 
tet  sich  das  Gebirge  in  drei  Ketten ,  dessen  westliche  Gipfel  rnit 
ewigem  Schnee  bedeckt  sind  und  welche  sich  in  dem  Bergknoten 
von  Loxa  (5.5 — 3.75°  siidlicher  Breite)  wieder  vereiuigen.  —  Die 
Cord,  von  Ouito  zwischen  dem  Knoten  von  Loxa  und  von  los 
Pas  to  s  (4°  siidlicher  —  !T/2  nordlicher  Breite)  bestehen  aus  zwei 
Parallelketten,  welche  ein  Hochthal  (8.500'  hoch)  einschliessen.  In 
der  westlichen  Kette  ragt  zwischen  dem  Y  1  i  n  i  z  a  (16.300')  und 
dem  Vulkan  P  i  c  h  i  n  c  h  a  (14.950')  der  C  h  i  m  b  o  r  a  z  o  (20.150'), 
—  in  der  ostlichen  der  Vulkan  Cotopaxi  (17.700'),  der  A  n  t  i- 
eana  (17.960'),  mit  der  hochsten  Menschenwohnung  auf  der  Erde 
(12.630'  hoch)  und  der  Cayambe  (18.420',  dessen  Gipfel  vom 
Aequator  geschnitten  wird).  —  Die  Cord,  von  IVeu-Granada  zer- 
fallen  in  drei  vom  Knoten  los  Paslos  auslaufende  Parallelketten, 
welche  durch  den  Kauka-Fluss  und  den  Magdalenenstrom  von  ein- 
ander  geschieden  sind.  Die  ostliche,  die  Kette  der  Sum  a  Pa 
mit  Schneegipfeln  und  dem  Plateau  von  Bogota  gabelt  sich  (un- 
ter  8°  nordlich,)  in  einen  westlichen  Zweig,  der  am  Meerbusen  von 
Maracaybo,  und  einen  ostlichen,  der  bei  Caracas  endiget ;  —  die 
mittlere,  die  Kette  von  Quindiu,  mit  dem  Vulkan  Pic  von 
Tolima  (14.200')  senkt  sich  im  Norden  zum  Hugellande  und  dann 
zum  Tieflande  herab  ;  —  die  westliche,  die  Kette  von  C  h  o  c  o  , 
die  eigentliche  Fortisetzung  der  vulkanischen  Kiisten  -  Cordilleren, 
senkt  sich  (zu  5000'),  erhebt  sich  noch  einmal  zu  Hohen  von  8-  bis 
9000',  gabelt  sich  in  niedere  Ziige  und  verflacht  sich  gegen  den 
Isthmus  von  Panama. 

b)  Das  Gebirgsland  von  Central  -  America. 

Mittel-America  bildet  ein  System  breiter  Tafellander, 
von  einzelnen  Gebirgsketten  durchzogen  und  an  den  Randern  von 
hohen  Vulkangipfeln  uberragt.  Die  Kette  von  Choco  sinkt  zu 
einer  Hiigelreihe  (von  600'  und  sogar  bis  280')  herab,  steigt  bei  Pa- 
nama (zu  1000'),  sinkt  dann  wieder  (zu  300') ;  somit  sind  die  Cor- 
dilleren Sud-Americas  von  dem  noch  nicht  genau  durchforschten 
Gebirgssysteme  Mittel-Americas  geschieden.  Von  der  Einsen- 
kung  bei  Panama  bis  zu  der  von  Tehuantepec  wer- 
den  sie  in  drei  gesonderte  Gruppen  zerlegt.  Nordlich  von  Panama 


43 

erliebt  sich  das  Plateau  vonVeragua  (Silla  de  Vcragua  8000'), 
welches  durch  die  Kette  der  Cabeceras-Berge  mit  dem 
a)  Plateau  von  Costa  Rica  (2000')  in  Verbindung  steht,  aus 
welchem  sich  zahlreiche  Pics  (fiber  10.000'  hoch  und  vulkanisch) 
erheben.  Gegen  Norden  fallt  das  Platean  in  die  Ebene  von  Nica- 
ragua, nordlich  erhebt  sich  aus  dieser  Ebene  b)  das  Tafelland 
von  Honduras  ,  das  aus  Bergzugen  und  Hochebenen  (bis  4000') 
besteht ,  an  dessen  Ostseite  sich  das  Tiefland  der  Mosquito-Kuste 
ausbreitet,  wahrend  es  im  Westen  in  steilen  Terrassen  abfallt,  und 
an  der  Siidseite  von  zwei  Vulkanreihen  begrenzt  wird.  Das  Plateau 
von  Honduras  ist  mittels  eines  Bergruckens  (2000')  mit  dem  c)  Ta- 
felland von  Guatemala  verbunden,  das  bis  6000'  steigt,  nirgends 
unter  4000'  sinkt  und  auf  welchem  ausgedehnte  Ebenen  mit  niede- 
ren  Bergzugen  abwechseln.  Der  Sudwestrand  ist  von  einer  Reihe 
von  Vulkanen  (mit  liber  12.000')  eingeschlossen ,  nach  Nordosten 
veiflacht  es  sich  als  Hiigelland  in  die  Halbinsel  Yucatan  und  im 
Nordwesten  bildet  das  Bergland  von  Chiapa  den  Uebergang 
zu  der  Thalspalte  von  Tehuantepec. 

c)  Cordilleren  von  Nord-Ameriea. 

Die  Cordilleren  von  Nord-America  beginnen  an  der  Einsen- 
kung  von  Tehuantepec  und  enden  am  nordlichen  Eismeere.  Im 
Nordwesten  der  genannten  Einaenkung  breitet  sich  das  Gebirge  zu 
einem  machtigen  Landrucken,  der  Hochflache  von  A  n  a- 
huac  (7000')  aus,  durchzogen  von  Bergketten  mit  13  ,,schwach 
entziindeten"  Vulkanen  (Popocatepetl  16.000',  —  Orizaba  16.300', 
—  Coffre  de  Perote  13.416)  und  Schneegipfeln.  Unter  21°  n.  Br., 
auf  dem  Plateau  von  Guanaxuato  beginnt  der  Charakter  der 
Gebirgserhebung,  und  die  Cordilleren  theilen  sich  in  drei  Zweige: 

a)  der    westliche   Zweig ,   die    Cordilleren   von  Sonora,    eine 
Fortsetzung  des  Westrandes  der  Hochflache  von  Anahuac,  begleitet 
die  Kiiste    des   kalifornischen  Busens   bis  zu  dessen  Nordspitze;  — 

b)  der   mittlere    Zug ,    die    Sierra    madre    oder    die    Central- 
Cordillere    von  Nord-America,    eine   Fortsetzung  des    Ost- 
randes  der  Hochflache  von  Anahuac ;  —  c)  der  ostliche  Zug  scheint 
mit    dem    mittleren    parallel   zu  laufen  und  schliesst  mit  diesem  die 
Hochflache  von  Neu-Mexiko  (4 — 5000')  ein.     Er  zieht  langs 
des  Rio  del    Norte    und   tritt  in   dessen   Quellgegend    zur    Central- 
Cordillere    heran.     Ein    nordostlicher    Zweig    dieser    Kette    ist    die 
Sierra   von    Texas,    welche    bis    zum   Znsammenfluss    des  Mis- 
sisippi    und  Missouri  den  Namen   Ozark-Gebirge    (1800')    fuhrt. 
Im  Westen  de-*  Plateau  von  Neu-Mexiko  liegen  erloschene  Vulkane 
(Mont  Taylor  11.500').  Zwischen  der  Central-Cordillere  und  den  nord- 
lich ziehenden  Ketten  findet  nur  duroh  Plateau-Landschaften  ein  Zu- 
eammenhang  statt.    Von  diesem  Plateaulande  verzweigen  sich  unter 
verschiedenen  Namen  Gebirgszuge    nach  Nordwesten   und   Siidosten 
mit  hohen  Gipfeln  (Spanish-Peak,  James-Peak,  Long-Peak).     Vom 
Knoten    der  Wind-River-Mountains    (42—44°    n.  B.)    laufen 
vier  Gebirgszuge  aus.  Der  westliche  und  sudwestliche  Zweig  (Wah- 
eatch-Mountains)    umachliessen  ein  (8000  QMeilen  grosses)  Becken 


44 

mit  elnem  abgeschlossenen  System  von  Seen  und  Flussen;  —  der 
nordostliche  sind  die  Black  Hills  oder  die  schwarzenHugel, 
welche  am  Missouri  (unter  46°  n.  B.)  endigen ;  —  der  nordliche 
und  bedeutendste  Zug  sind  das  Oregon-  und  Felsengebirge 
(Rocky-Mountain a)  ,  welche  bis  zum  Polarmeere  ziehen.  Zwischen 
den  hochsten  Gipfeln  (Mount  Hooker  und  Mount  Brown,  iiber 
15.000'  hoch,  zwischen  52  und  53°  n.  Br.)  liegt  die  merkwiirdige 
Einsenkung  Athabasca-Portage  (7000') ,  und  nordlicher  zer- 
epaltet  sich  der  Zug  in  mehrere  Ketten  mit  geringen  Erhebungen. 

§.  39.  Die  getrennten  Gebirgsglieder  von  America. 

Die  isolirten  Gebirgegruppen  Americas  gehoren  ihrer  Erhe- 
bung  nach  zum  Mittelgebirgsland ,  streichen  (mit  Ausnahme  einer 
Kette)  an  der  Ostseite  des  Kontinentes,  welche  keine  Vulkane  tragt. 
Zu  diesen  gehoren: 

1.  Das  Bergland  von  Brasilien,   bestehend  aus  Plateau- 
Flachen  (1—2000    hoch),    auf  denen    drei    bedeutende,    der  Ktiste 
fast  parallel  streichende  Ketten  hervortreten  :  a)  die  Kustenkette 
(Serra  do  Mar),    von   welcher   (unter    26°  s.  Br.)  sich  b)  die  Cen- 
tralkette  oder  die  von  Villa  Rica  trennt,  —  und  c)  die  Was- 
serscheidekette,  Serra  dosVertentes.  Sie  sind  durch  weite 
Thalflachen   von    einander  geschieden  und  durch  Querketten  wieder 
mehrfach  verbunden; 

2.  das  Hochland  von  Guyana  mit  der  aus  mehreren  Pa- 
rallelketten  bestehenden  Sierra  Parime,   welche  durch  Savannen 
von  einander  geschieden  sind  (Pik  Duida  7800'  hoch); 

3.  das  Kustengebirge  von  Venezuela  aus  zwei  Parallel- 
ziigen  bestehend ,    welche   sich  an  einen  Zweig  der  Cordilleren  an- 
schlieesen  (Silla  de  Caracas  8100'); 

4.  die    Sierra    nevadade    Santa    Marta,    ein    aus    der 
Ebene  sich  erhebendee,    kleines  Massengebirge ,    westlich   vom    See 
Maracaybo,  mit  Schneegipfeln  von  18.000'; 

5.  die  Alleghanies  oder   das    apalachisch-akadische 
Gebirge,  aus  mehreren  Parallelketten  bestehend,  liber  350  Meil.  lang 
(miltlere  Kammhohe  2700',  Gipfel  mit  6000'),  und  durch  das  Fluss- 
thal  des  Hudson  in  zwei    ungleiche  Halften    getrennt.     Die  Ketten 
am  atlantischen  Ocean  heissen  blaue  und  griine  Berge  und  Allegha- 
nies. Eine  Fortsetzung  derselben  ist  das  Felsenplateau  von  La- 
bra  dor.  Die  gronlandischen  Gebirge  sind  noch  wenig  bekunnt ; 

6.  die    n  ordamericanischen    Seealpen   beginnen    an  der 
Sudspitze   von  Californien,    folgen  der  Westkiiste,  tragen  die  hoch- 
sten Berge  von  Nord- America  (Vulkan  Elias  berg  16.900',  Schon- 
wetter-Berg  13.800'),    und   wenden   eich  zur  Halbinsel  Aljaska  und 
den  Aleuten  (Gipfel  von  Unimack  8000'),  Sie  stehen  durch  Quer- 
joche  mit  den  Cordilleren  in  Verbindung. 

Alle  grossen  und  fast  alle  kleinen  Antillen  sind  gebirgig,  am 
hochsten  Jamaika  (blaue  Berge  7000'),  Cuba,  Haiti  und  die  vulka- 
nische  Insel  St.  Vincent.  —  Die  ostlichsten  der  kleinen  Antillen,  die 
Bahama-Inseln  u.  s.  w.  eind  flach  und  nieder. 


45 

§.  40.  Die  Tieflander  in  America. 

Das  grosse  americanische  Tiefland  dehnt  sich  im  Osten  der 
Cordilleren  von  Patagoniens  Sudspitze  bis  zu  den  arktischen  Kusten 
aus.  Die  siidamericanischen  Ebenen  bedecken  zwei  Drittel,  die  nord- 
americanischen  ein  Halbes  ihres  Festlandes  ;  bei  beiden  lasst  sich 
eine  Aehnlichkeit  in  horizontaler  Gruppirung  erkennen. 

1.  In    Siid-America    findet   man    drei  grosse  Niederungen : 
die  des  Rio  de  la  Plata,   —  des  Amazonenstromes   —   und 
des  Orinoco.     Die  erste  und  dritte  sind  Steppen  oder  Grasfluren, 
die  zweite  eine  Waldebene. 

a)  Die  patagonische  Steppe,  eine  unwirthliche  Kalkebene  von 
diirftiger  Vegetation,  von  ISalzseen  und  Morasten  durchzogen ; 

b)  die  Pampas  des  Rio  de  la  Plata  zwischen  den  Cordilleren 
von  Chile  und  Peru  und  dem  brasilianischen  Gebirgslande,  eine 
unubersehbare  hohe  Grasnache  ohne  Baumwuchs,  in  der  heissen 
Jahreszeit  vollkommen  ausgebrannt; 

c)die  Selvas  des  Amazonenstromes  (146.000  QMeilen), 
undurchdringliche,  sumpfige  Urwalder ,  in  deren  Inneres  man 
nur  auf  dem  Wasserwege  gelangen  kann ; 

d)  die  Llanos  im  Orinoco-Gebiete,  in  der  trockenen  Jah- 
reszeit   diirre ,    baumlose    Steppe ,  nach  der  Regenzeit  aber  das 
,,Krautermeer"    (mare    de   yerbas)    genannt ,    mit    mannshohen 
Grasern ; 

e)  die  Ebene  am  Magdalenenstrome  (7.300  QMeilen)  ist  eine 
heisse,  wellenformige  Kulturflache. 

2.  In    Nord-America    erstreckt    sich    eine   Niederung    zwi- 
schen dem  Felsen-  und   dem  Alleghanies-Gebirge ,    vom    Golf   von 
Mexico  langs  der  Kiiste  des  atlantischen  Oceans  und  im  Norden  die 
arktische  oder  canadische. 

a)Die  Savannen  und  Prairien  am  Missisippi  undMis- 
souri  (52000  QMeilen)  ,  deren  ostliche  Halfte  theils  noch 
mit  Waldungen  bedeckt,  theils  fruchtbares,  angebautes  Hiigel- 
land  ist ;  die  westliche  Halfte  bilden  theils  unubersehbare  Gras- 
fluren, theils  Waldland; 

b)  die  wellenformige  E  b  e  n  e  der  atlantisc  hen  Kus  tenflusse 
ist  fruchtbar,  die  siidlichen  Kustenstriche,  besonders  in  Florida, 
sind  sumpfig; 

c)  die  Ebene    der   arktischen  Abdachung    oder  die  ark- 
tische Fels-  undSeeplatte  ist  bis  zum  auseersten  Norden 
ohne  Gebirge,  steinig,  und  desshalb  so  wie  wegen  der  Ungunst 
des  Klimas  kaum  empfanglich  fur  die  Kultur. 

§.  41.  Die  vertikale  Gliederung  von  Australian 

Drei  Viertheile  des  australischen  Kontinentes  sind  noch  ganz- 
lich  unerforscht,  und  selbst  das  von  Europaern  betretene  Terrain 
ist  nur  zum  kleineren  Theile  genau  untersucht;  es  kann  sonach 
eine  charakteristische  Gesammtansicht  nicht  gegeben  werden.  Nach 
den  neuesten  Mittheilungen  scheint  es,  dass  Australien  eine  man- 
nigfaltigere  Gestaltung  und  Beschaffenheit  in  seinem  Inneren  berge, 
als  man  gewohnlich  angenommen  hatte ;  dass  auch  hier  keine  ein- 


4S 

formige  Sand-  oder  SteinwQste  existire,  sondern  ein  Wechsel  von 
nutzbaren  und  nutzlosen  Strichen.  Auf  dem  Kontinente  scheint  das 
Flachland  vorzuherrschen ,  aus  den  Kustenlandschaften  steigen  iso- 
lirte  Bergketten  als  Rand-  und  Kustengebirge  auf ,  die  sich  jedoch 
weder  durch  Mannigfaltigkeit  noch  durch  Grossartigkeit  auszeichnen. 
Die  bekannteeten  Gebirgslander  sind: 

1.  Das  Bergland  von  N  eu-Siid  walea,    an    der  Siidost- 
Kuste,  aus  einer  Reihe  schmaler  Hochebenen  bestehend,  auf  denen 
Bergketten    gegen    Norden   ziehen,    der   Abfall    zur  Kuste  ist  steil, 
gegen  das  Innere  allmahlich.    Einzelne  Bergketten  sind  die  Austral- 
Alp  en    oder    weissen    Berge    (Kosciusko-Berg  an  den  Quellen 
des  Murray  6.200'),    —    die    blauen    Berge,    die    Liverpool- 
Kette,   das  Bogong-Gebirge,    der  Bullerberg,   der  Cob- 
boras,  leztere  drei  je  iiber  6.000'  hoch. 

2.  Das  nordliche  Bergland  scheint  analog  dem  fiiiher  ge- 
nannten  zu  sein,  und  zieht  sich  bis  zur  Siidspitze  des  Carpentaria- 
Golfes. 

3.  Fur    das    Dasein    eines    nordlichen    Gebirgslandes 
eprechen    die  in    den  Carpentarie-Golf    miindenden  ziemlich  bedeu- 
tenden  Flusse,  doch  fehlt  bis  jetzt  jeder  nahere  Aufschluss. 

4.  An    der    Westkiiste    ist    nur    der    sudwestliche    Theil 
einigermassen  bekannt.  Sudlich  vom  S  chwa  nenf  lusse  (32°  siid- 
licher  Breite)  streicht  die  Darling-Kette  (2000'),  als  Rand  eines 
gegen  das  Innere  sich  verflachenden  Tafellandes. 

5.  Landein warts    der    Siidkiiste    von    Australien    (vom 
Cap  d'Entrecasteaux  —  133°  OstlicherLange,  35°  siidlicher  Breite  — 
bis  zum  Spencer-Golf)  besitzen  wir  nur  wenige  Andeutungen  eines 
Gebirgslandes.  Im  Norden  von  Albany  (135°  ostlich  und  35°  sudlich) 
streichen    die    Stirling-Berge,    und  im    Nordwesten    vom  Cap 
Pasley    (141°  ostlich  33°  sudlich)    die    Russel- Kette.     Nordlich 
vom  Spencer- Golfe  und  gegen  Osten  ziehet  die  (2.000—3.000'  hohe) 
Gawler-Kette.     Sowohl  im  Osten  als  im  Suden  dieses  Hochlan- 
des   ziehen   zahlreiche   Bergketten,  welche  zum  Theil  an  das  Berg- 
land von  Neu-Sudwales  sich  anschliessen. 

Von  den  australischen  Inseln  gehort  die  Mehrzahl  den 
hohen  Gebirgsinseln  an,  theils  mit  erloschenen,  theils  noch  thatigen 
Vulkanen.  Die  Ausbriiche  der  Vulkane  auf  Neu-Seeland  und  des 
Mauna  Roa  (14—15.000')  auf  Oweihi  sind  besonders  heftig.  Die 
niederen  Inseln  sind  Korallen-Inseln  ,  in  deren  Mitte  gevvohnlich 
eine  Lagune  liegt,  welche  mit  dem  Ocean  in  Verbindung  steht 
(Atolle  oder  Lagunen-Inseln),  oder  es  sind  Korallenriffe  oder 
Korallenbanke. 

G.  Beschreibung  der  Gewasser  des  Festlandes. 

§.  42.  Vorbegriffe. 

Die  wichtigste  Verkehrsstrasse  ist  das  Wasser  ;  eie  ist  die 
natiirliche  Verbindung  verschiedener  Volker  und  Kulturverhaltnisse, 
Producte  und Bediirfnisse.  Das  volkerverbindende Meer,  die  Flusse, 
Seen  und  Kan  ale  bilden  die  Adern  des  Verkehrs,  in  welchem 


47 

das  kommerzielle  und  industrielle  Leben  pulsirt,  ZunSchst  ist  das 
Meer  die  grosse  belebte  Wasserstrasse ,  welche  die  entlegensten 
Glieder  der  menschlichen  Gesellschaft  mit  einander  verbindet ,  die 
grossen  Markfplatze  des  Welthandels  einander  naher  bringt  und 
die  Thatigkeit  der  Volker  nach  alien  Richtungen  entwickelt.  Dessen 
Bedeutung  fur  den  Verkehr  nimmt  in  dem  Masse  zu ,  als  die  An- 
zahl  der  Beruhrungspunkte  deeselben  mit  dem  Festlande  wachst. 
Je  langer  also  die  Ku'ste  und  je  entwickelter  sie  ist ,  desto  wichti- 
ger  ist  sie  fiir  die  Kulturverhaltnisse  und  den  Handel  des  Landes, 
desto  mehr  ist  das  Land  berufen,  an  dem  grossen  Weltverkehr  An- 
theil  zu  nehmen.  Die  Kiistenlange  und  die  Kustenen  t  wick  lung 
oder  Kusten  glie  derung  sind,  wenn  dieselben  nicht  durch  allzu- 
grosse  natiirliche  Hindernisse  paralisirt  werden,  die  Vorbedingungen 
und  die  sichere  Gewahr  fiir  den  Aufschwung  eines  Landes  in  mer- 
kantiler  und  mittelbar  auch  in  industrieller  Beziehung. 

Die  Flusse  eind  die  wahren  Lebensadern  des  ganzen  Pflan- 
zen-,  Thier-,  Menschen-  und  Volkerlebens  ,  sie  iiben  den  machtig- 
sten  Einfluss  auf  den  Menschen  und  seine  Lebensart  aus.  An  den 
Stromufern  begann  die  Civilisation  zu  dammern,  an  diesen  erbliih- 
ten  Industrie  und  Handel,  Kiinste  und  Wissenschaften.  Fast  alle 
grossen  Stadte  liegen  an  bedeutenden  Fliissen ,  und  der  Lauf  der 
Flusse  ist  in  fernen  Landern  der  Wegweiser  fur  Einwanderer  und 
Colonisten. 

Je  vielfaltiger  ein  Land  von  schiffbaren  Fliissen  durch- 
schnitten  wird,  desto  leichter  gestaltet  sich  der  Binnenverkihr.  Die 
an  solchen  Flussen  gelegenen  Stadte  geniessen  zum  Theile  die  Vor- 
theile  der  Seestadte,  insbesondere,  wenn  der  Fluss  auch  auf  heimat- 
lichem,  somit  freiem  Boden  in  das  Meer  sich  ergiesst  In  der  Regel 
nimmt  die  Grosse  und  Bedeutsamkeit  der  Stadte  in  dem  Masse  zu, 
als  sie  naher  der  Mundung  rticken.  Allein  nicht  bloss  die  Lange 
des  Flusses  ist  beachtenswerth,  mehr  noch  die  vertikale  Erhebung 
des  Ursprunges  uber  dem  Meere ,  denn  von  dieser  hangt  die  Re- 
gelmassigkei  t  des  Rinnsales  und  das  Gefalle  ab,  und 
diese  beiden  sind  es  vorziiglich,  welche  den  Werth  eines  Flusses, 
d.  i.  dessen  Schiffbarkeit,  bestimmen.  In  ihrem  Quellgebiete  sind 
die  auf  hohen  Gebirgen  entspringenden  Flusse  wegen  des  zu  star- 
ken  Gefalles  und  der  Unregelmassigkeit  des  Rinnsales  entweder  gar 
nicht  oder  hochstens  fiir  die  Thalfahrt  schifibar;  sie  gewahren 
also  nur  den  hal  b  en  Vortheil  gegeniiber  jenen,  welche  fiir  Thal- 
und  Bergfahrt  schiffbar  sind.  Erst  im  Mittellaufe  und  iin  Miin- 
dungsgebiete  erhoht  sich  ihre  Bedeutsamkeit,  welche  durch  die  ein- 
mvindenden  Neben-  und  Zuflusse,  durch  die  anschwellende  Wasser- 
masse  und  groesere  Tragfahigkeit  vergrossert  wird.  Inebesondere 
mu'ssen  schift'bare  Fliisse  in  dieser  Hinsicht  beriicksichtigt  werden, 
da  sie  die  Faden  des  Verkehrs  mitunter  in  industriereiche  Hinter- 
lander  ziehen,  letztere  mit  dem  grossen  Verkehr  in  Verbindung  setzen, 
und  dadurch  ein  wahrhaftes  Verkehrsnetz  ausspannen. 

Unter  den  Seen  bieten  die  eigentlichen  Fluss -Seen  die  mei- 
sten  Vortheile  schiffbarer  Flusse ,  gewohnlich  in  erhohtem  Masse ; 
bei  den  in  Ebenen  oder  Tieflandern  liegenden  Binnenseen  kommen 


48  __ 

ihre  Grosse  und  Kiistenentwicklung  vorziiglich  in  Betrachtung.  Jeden- 
falls  sind  auch  sie  bequeme  und  billige  Verbindungsstrassen. 

Kanale  dienen  theils  als  Wasserstrasse ,  theils  zur  Entwas- 
serung  oder  Bewasserung  ,  und  sind  daher  entweder  zunachst  fiir 
den  Handelsverkehr  oder  fiir  den  Landbau  von  Wichtigkeit.  Der 
Zweck  der  ersteren  Art  von  Kanalen  ist  die  Verbindung  schiffbarer 
Fliisse,  des  eigentlichen  Fahrwassers,  wodurch  gewb'hnlich  getrennte 
Flussgebiete,  verschiedene  Meere  mittelbar  einander  naher  geriickt, 
mit  einander  verbunden  werden.  Der  Kanal  durchschneidet  in  der 
Regel  die  Wasserscheide,  und  diese  bestimmt  sonach  ebenso  die 
Schwierigkeit  des  Unternehmens,  als  die  Beschaffenheit  der  zu  ver- 
bindenden  Fliisse  die  Wichtigkeit  des  Kanals  bestimmt.  In  kommer- 
zieller  Beziehung  waren  solche  Kanale  von  grosster  Bedeutung, 
welche  Meere  mit  einander  verbanden. 

§.  43.  Das  FlussgeSder  in  Europa. 

Das  gesammte  europaische  Flussgeader  gehort  drei  Meeres- 
gebieten  an,  namlich: 

I.  dem  Gebiete  des  nordlichen  Eismeeres , 
II.  dem  Gebiete  des  atlantischen  Oceans,  und 
III.  dem  Gebiete  des  Caspi-Sees. 

I.  Das  Gebiet  des  nordlichen  Eismeeres. 

1.  Die  Petschora,    U.  *)   am  Ural,    schiffbar  aber  unwirth- 
liche  Ufer,  Limanmiindung  **)  in  die  Petschora-Bai,  unterhalb  Pu- 
stosersk ; 

2.  der  Me  sen,  schiffbar,  M.  bei  Mesen  in  das  weisse  Meer; 

3.  die  Dwina,   entsteht   aus   zwei   Quellfliissen  (Suchona  und 
lug),  wird  bei  Nikolsk  schiffbar,  M.  bei  Archangel    in   die  Dwina- 
Bucht  des  weissen  Meeres; 

4.  die  Onega,   U.  Wosche-See,  durchfliesst  den  Latscha-See, 
aus  welchem  sie  schiffbar  tritt ;    M.  bei  Onega  in  die  Onega-Bucht 
des  weissen  Meeres. 

II.  Das  Gebiet  des  atlantischen  Oceans,  u.  z. 
A.     In  die  Ostsee  : 

1.  Die  Newa,  Abfluss    des   Ladoga-Sees   mit   hohen,   steilen 
Ufern,  fahrbar ;  M,  finnischer  Busen  ; 

2.  die  Narwa,    schiffbarer  Abfluss    aus  dem  Peipus-See,  J/. 
bei  Narwa  in  den  finnischen  Busen; 

3.  die  Dun  a,    U.  aus  den  Sump  fen  des  Wolchonski-Waldes, 
hat  flache,  sumpfige  Ufer  und  in  ihrem  Bette  viele  Klippen;  M.  bei 
Riga  in  den  rigaschen  Busen; 

4.  der  Nje'men  (im  Unterlaufe  Mem  el),  U.  uralisch-baltischer 
Landriicken,    von    Grodno    an    fiir    grossere  Fahrzeuge    schiffbar; 
Delta- M.  in  das  kurische  Haff;  Delta-Spaltung  unterhalb  Tilsit; 

*)  U.  =  Ursprung;  M.  «=  Miindung. 

**)  Limans  im  russischen  Sinne  sind  Baien  mit  vom  Meere  gebildeten  Sand- 
dammeh  umschlossen.  Die  meisten  Limans  sind  am  schwarzen  und  asowschen 
Meere,  und  den  wenigsten  sind  Inseln  vorgelagert,  was  man  haufig,  aber  irrig,  als 
Eennzeicben  cines  Limau  anzunehmen  pflegt. 


49 

5.  der  Pregel  ,    U.  mehrere  Quellen   auf  der  Landhb'he  von 
Ostpreussen,  echiffbar;  M.  unterhalb  Konigsberg  in  das  frische  Haff ; 

6.  die  Weichsel,    U.    Bjeskiden   in  Schlesien,   der    grosste 
Fluss   dea    Ostseegebietes,    bildet    die    Grenzscheide    zwischen  dem 
germanischen  und    slawischen  Tieflande,  wird  bei  Dwory  fiir  kleine, 
bei   Krakau    fur    mittlere ,    bei    Sandomirz   fur    grossere  Fahrzeuge 
schiffbar,  vermittelt  den  Verkehr  von  Westgalizien  mit  der  Ostsee  ; 
ihre  schiffbare  Lange  betragt  an  84  Meilen.  M.  in  drei  Hauptarmen : 
No  gat  und    alte  Weichsel    in    das   frische    Haff,    Danziger 
Weichsel  (bei  Danzig)  in  die  Danziger-Bucht. 

Nebenf'lusse: 
links: 

l.Brahe,  —  M.  nahe  bei  Bromberg, 
Kanalisation  der  Weichsel  mit  der 
Oder; 

7.  Die  Oder,   U.  in  den  Sudeten  in  Mahren,  tritt  bei  Ratibor 
—  von  wo  an  sie  schiffbar  ist    —    in    die    norddeutsche  Tiefebene, 
der  sie  grosstentheils  angehort,  durchbricht  spater  den  pouimerschen 
Landrucken  ,    und    erweitert  sich  nach  mehrfachen  Stromspaltungen 
zum  Stettiner  Haff,  welches  durch  drei  Strassen  (Peene,  Swine, 
die    wichtigste    fiir    die    Schiffahrt  —  und  Diwenow)    mit  der  pom- 
merschen  Bucht  zusammenhangt. 

Nebenflttsse: 


rechts: 

1.  Dunajec  von  der  Tatra, 

2.  San  vom  karpathischen  Waldgebirge, 

3.  der  Bug  vom  ostgalizischen  Plateau. 


links: 

1.  die  Oppa, 

2.  die  Glatzer  Neisse, 

3.  die  K  a  t  z  b  a  c  h  , 


rechts: 

1.  die  Warthe  (mit  derNetze,  welche 
dnrch  den  Bromberger  Kanal  mit  der 
Brahe  verbunden  ist). 


4.  der  Bober, 

5.  die  L  a  u  s  i  t  z  e  r  oder  Gorlitzer  Neisse; 

8.  Die   Trave,    U.  aus    dem  Plb'n-See,    schiffbar,    durch    den 
Stecknitz-Kanal  mit  der  Elbe  verbunden.  M.  bei  Travemiinde  (Hafen 
von  Liibeck)  ; 

9.  die  Fliisse  (Elfe)  der  skandinavischen  Halbinsel  sind  wegen 
der  vielen  Stromschnellen  zur  Schiffahrt  nicht  geeignet.  Die  bedeu- 
tendsten    sind:   der    Tornea   (mit    dem   MunSo) ,  Lulea,  Pitea, 
Umea,  Angermann,  Dal,  welche  in  die  Ostsee  miinden. 

B.  In  die  Nordsee  : 

1.  Der  Gota-Elf,   U.  aus  dem  Wenern  See,  M.  bei  Goteborg 
in  das  Kattegat; 

2.  der    Glomen,    Abfluss   des  Oresund-Sees,   M.  bei  Frede- 
rikstadt  in  das  Skagerack; 

8,  die  Eider,  aus  kleinen  Seen  in  Holsfein,  der  Grenzfluss 
Deutschlands,  M.  bei  Tunning  (durch  einen  Kanal  mit  der  Ostsee 
verbunden) ; 

4.  die  Elbe,  U.  Siidabhang  des  Riesengebirges;  (Quellen: 
Elbebrunnen  und  Weisswasser) ;  von  Pardubitz  mit  Flossen,  von  Mel- 
nik  mit  Schiffen ,  von  Aussig  mit  Dampfschiflen  befahren;  der 
grosste  Fluss  der  norddeutschen  Tiefebene,  welche  sie  in  vorherr- 
schend  nordwestlicher  Richtung  durchstromt.  Ist  sie  auch  fiir  das 
industriereiche  Bohmen  nicht  ohne  Bedeutung,  so  gewinnt  sie  doch 
ihre  Wichtigkeit  erst  nachdem  sie  verstarkt  durch  Bohmens  grosste 

Klun's  naadels-Geographie.     2.  Aufl. 


50 

Fliisse  nach  Deutschland  getreten;     M.  bei    Cuxhafen  (unterhalb 
Hamburg). 

Nebenflusse: 


links: 

l.Moldau,  U.  Bohmerwald,  gchiffbar  von 
Budweis  bis  zu  ihrer  Mundung  auf 
einer  Strecke  von  42  Meilen,  vermit- 
telt  den  Verkebr  im  Innern  BShmeus, 
M.  bei  Melnik; 

2.  Eger,    U.  Fichtelgebirge,  M.    bei  The- 
resienstadt. 

3.  Mulde,    U.  sachsisches  Erzgebirge,  M. 
unterhalb  Dessau; 

4.  Saale,  U.  Fichtelgebirge,  M.  unterbalb 
Calbe ; 


a)  Ilm  (Weimar), 

b)  Unstrut    (Muhl- 
hausen), 


a)  weisse  Elster  mit 
der  Pleisse  (Leip- 
zig). 


rechts: 

1.  Iser,  U.  Riesengebirge,  M.  bei  Brandeis  ; 

2.  schwarze  Elster,  U.  Lausitzer  Gebirge, 
M-  oberhalb  Wittenberg; 

3.  Havel,  U  au8  mehren  meklenburgischen 
Seen,  M.  unterhalb  Havelberg.  (Nimmt 
links  die  Spree  [Berlin]  auf.) 


5.  Die  Weser   entsteht   aus   der  Vereinigung  der  Werra  und 
Fulda  bei  Miinden,  durchfurcht  das  Weser  Bergland  in  einem  engen 
Thale    und    trittt    dutch    die    Porta  Westphalica  in  die  germanische 
Tiefebene.    Die  Weser  ist  sowohl  fiir  Bremen  als  die  Uferstaaten 
von  hoher  Bedeutung,    sowohl    fiir    die   Ausfuhr    deutscher   Natur- 
und    Kunsterzeugnisse    (nach   Nord-America)  ,    als    fiir    die  Einfuhr 
fremder  Produkte.  M.  bei  Bremerhafen    unterhalb  Bremen.     U.  der 
Werra  ist  im  Thiiringer  Wald,  der  Fulda  in  der  Rhon; 

6.  die  Ems,    U.  auf  dem  Siidabhangc  des  Teutoburger  Wal- 
des,  M.  bei  Emden  in  den  Dollart-Busen  ; 

7.  der   Rhein,     U.  Vorderrhein    im    kleinen    Toma-See    am 
St.  Gotthard,  Mittelrhein    am    Lukmanier,    Hinterrhein    am    Rheiq- 
wald-Gletscher  des  Vogelberges.  Vorder-  und  Mittelrhein  vereinigeh 
sich  bei  Dissentis,  bei  Reichenau  tritt  der  Hinterrhein  hinzu.  Schon 
von  Chur  an  wird  er  schiffbar,  er  durchstromt  sodann    den  Boden- 
see  (den  Mittelpunkt  eines   regen,    durch    Dampf-    und  Segelschiffe 
vermittelten  Verkehrs  zwischen  seinen  ftinf  Uferstaaten),  den  er  bei 
Stein  verl§sst,  und  bildet  bei  Lauffen  den  durch  Breite  und  Wasser- 
fiille    beriihmten  Fall.    Von    hier    bis    Basel  ist  der  reissende  Fluss 
fiir  die  Schiffahrt  wenig  geeignet.  Auch  in  seinem  Laufe  durch  die 
oberrheinische  Tiefebene  (von   Basel    bis    Bingen)    hat    er    nur    den 
Charakter    eines    grossartigen  Wildwassers,    ist    in    viele  Arme  voll 
sandiger    Inseln   und   Untiefen   gespalten,   und  erst  in  neuester  Zeit 
fur  die  Schiffahrt  von  einiger  Bedeutung.     Die    kommerziell  bedeu- 
tenderen  Stadte    liegen    an    seinem    rechten  Ufer.     Von  Bingen  bis 
Bonn   ist   er  der  natiirlichste    und  direkteste  Weg  fur  den  Verkehr 
zwischen  Ober-  und  Niederrhein ,   Nord-   und  Siiddeutschlaud,   von 
Dampf-  und  Segelschiffen    so    sehr    belebt,    wie  kein  zweiter  Fluss 
auf  dem  Kontinente,  verbunden  mit  dem  inneren  Frankreich  (Mosel) 
und    dem   Herzen    des    intelligenten,    industriereichen    Deutschland 
(Main,  Lahn).  Nachdem  er  unterhalb  Bonn  in  das    niederrheinische. 
Tiefland  getreten,  tragt  der  breite  und   machtige  Strom  die  grossten 
Fahrzeuge.  An  seinen  Ufern  und  in  den  Thalern  seiner  Nebenfliisse 
herrscht    die    schwunghafteste   Industrie   (Wupper,    Ruhr),  die  sehr 
dichte  Bevolkerung  empfangt  und  versendet  die  reichenErzeugnisse 


51 


der  AgrJkultur  und  des  Gewerbefleisses  auf  dieser  bequemen  Wag- 
serstrasse.  Unterhalb  des  Einflusses  der  Lippe  beginnt  bald  der 
Uebergang  zum  Deltalande.  Bei  Pannerden,  an  der  Grenze  Deutsch- 
lands,  spaltet  er  sich  in  zwei  Arme,  die  Waal  (sudlich),  der  nord- 
liche  Arm  behalt  den  Namen  Rhein.  Die  Waal  miindet  nach  der 
Vereinigung  mit  der  Maas  (bei  Gorkura)  in  die  Nordsee,  der  Rhein 
spaltet  sich  wieder  in  zwei  Arrae,  der  rechte  (Yssel)  ergieest  sich 
in  die  Zuider-See,  der  linke  bekommt  nach  kurzem  Laufe  den  Na- 
men Leek.  Der  Leek  spaltet  sich  neuerdings,  sendet  den  ,,krummen 
Rhein"  bis  Utrecht,  von  wo  dessen  Wasser  als  Vecht  und  Amstel 
in  die  Zuider-See  sich  ergieesen,  der  ,,alte  Rhein"  fallt  bei  Katwyk 
in  die  Nordsee,  und  der  Hauptarm  des  Leek  verbindet  sich  mit  der 
nordlichen  Mundung  der  Maas. 

Die  bedeutendsten  Nebenflusse  sind: 


links: 

l.Dic  Thur,  U.  bei  Wildhaus  (Canton 
St.  Gallen),  M.  bei  Martbalen, 

2.  die    A  a  r ,     U.    Aargletscher    auf    der 
Grimsel,    M.     bei    Koblenz     (in     der 
Schweiz), 

a)  der  Giessbach  a)  die  Reuss  ans 
im  Berner-Ober-  dem  Vierwaldstat- 
land,  ter-See, 

b)die  Zihl  (dnrch-      bjdieLimmat  aus 
tiiesst  den  Neuen-          dem  Zurcher-See, 
burger-  und  Bie- 
ler-See, 

3.  der  111,   U.  franz.   Jura,  M.  nahe   bei 
Strassburg, 

4.  die  Nahe,    U.  am    Hunsruck,   M   bei 
Bingen, 

5.  die  Mosel,    U.   in    den  Vogesen,    bei 
Metz  scbiffbar,  M.  bei  Coblenz. 

Zuflusse,    rechts :    Meurthe  und 
Saar; 

6.  die  Maas,     U.   auf  dem  Plateau    von 
Langres,  schiffbar  bei  Verdun,  vereinigt 
sich  mit  der  Waal  (bei  Gorkum),   wird 
bei    Bourmont     fur    kleine    Fahrzeuge 
sch'ffbar,  bei  Rotterdam   und    im  Hol- 
lands-Deep ittr  Seeschiffe.     M.  in  drei 
Hanptarmen  in  die  Nordsee. 


rechts: 

l.Der  Plessur,    U.  Churer-Alpe,  M. 
unterhalb  Chur, 

2.  die  Landquart,    U.  Selvretta-Glet- 
scher  im  Prattigau  mundet  nach  eincm 
7  Meilen  langen  Laufe, 

3.  die  badische  Kinzig,  U.  im  Schwarz- 
wald, I/,  bei  Kehl, 

4.  die  Marg,   U.  im  Schwarzwald,  trennt 
den  Schwarzwald  vom    Odenwald,  M. 
nnterhalb  Rastatt, 

5.  der   Neckar,    U.  am    Sudost-Fusse 
des  Schwarzw  aides,  begrenzt  die  Rauhe 
Alp   gegen    Nordwesten,    durchbricht 
den  Odenwald,  M.  bei  Mannheim, 

6.  der  Main,   U.  am  Fichtelgebirge,  M. 
gegenuber  von  Mainz, 


a)die  Regnitz,  M.     a)  die  frankische 
bei  Bamberg,  Saale,  Jf.beiGe- 

b)dieTauber,  M.        miind, 
bei  Wettheim,         b)die  Hanauer 
Kinzig,   H.  bei 
Hanau  : 

7.  die  Lahn,  U.    im  Sanerland,    trennt 
,    den    Taunus     vom    Westerwald,    3f. 

unterhalb  Ems, 

8.  die  Si  eg,   U.  im  Sauerland,  begrenzt 
im  Norden  den  Westerwald,  M.  unter- 

Sambre  beiNa-      O  nrt  (bei  Luttich)  halb  Bonn, 

mur),  Roer    (bei    Roer-        9.  die  Ruhr,   U.  am  Rothlager-Gebirge, 

monde);  M.  bei  Ruhrort, 

10.  die  Lippe,  U.  im  Teutoburger  Walde, 
nahe  der  Ems-Queile,  M.  bei  Wesel. 

8.  Die  Schelde,   U.  am  Westende  der  Ardennen,    von  Cam- 
bray  fur  kleinere  Fahrzeuge  schiffbar,  von  Antwerpen  filr  Seeschiffe. 
Am  letzteren  Orte  sind  Ebbe  und  Fluth  sehr  stark,  und  selbst  noch 
bei  Gent    bemerkbar;    der    westlichste  Fluss   des    niederrheinischen 
Tieflandes;  —  M.  in  zwei  Hauptarmen  (Wester-Schelde  und  Oster- 
Schelde),  siidwestlich  vom  Rhein-Delta ; 

9.  die   Themse,    U.   aus   der  Vereinigung  des  Charwell  und 
lais  bei  Oxford,  ist  gleich  fur  kleine  Fahrzeuge  schiffbar,    und  bei 


52 

London  fiir  Seeschiffe,  iiber  welchen  Ort  noch  hinauf  Ebbe  und 
Fluth  bemerkbar  sind;  auf  ihrem  ungefahr  30  Meilen  langen  Laufe 
hat  sie  nirgends  hohe  Ufer  und  ist  Englands  bedeutendster  Fluss. 
M.  unterhalb  London; 

10.  der  Humber,  U.  aus  der  Vereinigung  der  Ouse  und 
Trent,  M.  bei  Hull. 

Die  ubrigen  Fliisse  Grossbritanniens,  welche  znm  Gebiete  der  Nordsee  gehiJren, 
sind  meist  KiistenflQsse  und  zunachst  wegen  der  verzweigten  Kanalverbindung  unter 
einander  von  Bedeatung.  (Forth,  Ness,  Severn  —  U.  im  Gebirgslande  von  Wales, 
M.  bei  Bristol  — ,  Shannon  in  Irland,  verbindet  mehrere  Seen  unter  einander, 
M.  unterhalb  Limmerick.) 

C.  In  den  Canal  la  Manche  und  den  Wscayischen  Golf: 

1.  Die  Somme,  Kustenfluss,  M.  unferhalb  Abbeville; 

2.  die  Seine,   U.  am  Coted'or;    von  Troyes  an  ist  sie  schiff- 
bar  fiir  Flues-,  von  Rouen  an  fur  Seeschiffe;  sie  hat  einen  ruhigen 
Lauf,    Ebbe    und  Fluth  erstrecken  sich  bis  auf  18  Meilen  von  der 
Miindung  aufwarts.  M.  bei  Havre  de  Grace. 


a)  Yone, 

b)  Enre, 


a)  A  u  b  e , 

b)  Marne,  M.  bei  Paris, 


c)  Oise. 

3.  die  Loire,  U.  am  Gerbier  le  Joux  in  den  Sevennen,  der 
grosste  Fluss  Frankreichs,  die  Haupfpuleader  des  Verkehrs  zwiechen 
dem  Innern  Frankreichs  und  den  seine  Kiisten  bespulenden  Meeren, 
indem  das  grosse  Flussgebiet  durch  Kanalanlagen  kiinstlich  noch 
bedeutend  erweitert  wurde,  —  trennt  das  Forez-Gebirge  von  dem 
Gebirgszug  von  Lyonnais  und  Charolais,  schiffbar  fur  grossere  Fahr- 
zeuge  von  Orleans  an,  im  Mittellaufe  ist  die  Schiffahrt  mehrfach 
durch  Sandbanke  und  Inseln,  im  Sommer  auch  durch  Wassermangel 
gehemmt;  M.  unterhalb  Nantes  (bei  St.  Nazoire). 


a)   Allier,    trennt    die    Gebirge    von 
Forez  und  Auvergne,  M.  unterhalb 


a)   Mayenne   (mit   der  Sarthe  und 
dem  Loir),  M.  bei  Angers, 


Nevers, 

b)  Cher,  M.  bei  Tours, 

c)  Vienne,  M.  nahe  bei  Saumur, 

4.  Die  Charante;  Kustenfluss,  M.  bei  Rochefort; 

5.  die  Garonne,     U.    an    der   Ostseite   des    Pyrenaen-Thales 
Aran  (in  Spanien)  nach  der  Einmlindung   der    Dordogne  (unter- 
halb Bordeaux)  heisst  sie  Gironde,  und  ist  nun  iiber  eine  Meile 
breit.  Von  Muret  ist  sie  schiffbar  fur  kleine,  von  Toulouse  fiir  grosse 
Fluss-,    bei  Bordeaux ,   bis  wohin  Ebbe  und  Fluth  bemerkbar  sind, 
fiir  Seeschiffe;  M.  bei  Royan; 

6.  der  Adour,  Kustenfluss,  aus  den  Pyrenaen,   M.  unterhalb 
Bayonne. 

D.  In  den  atlantischen  Ocean  (unmittelbar) : 

1.  Der  Minho,     U.   im   galizischen  Gebirge,  fliesst   reissend, 
meist  in  einem  breiten  von  hohen  Gebirgen    begrenzten  Thale;    M. 
bei  Caminha; 

2.  der  Duero  (Douro),   U.  im  kastilischen  Scheidegebirge,   er 
ist  fortwahrend  reissend,  stromt  zwischen  hohen  und  steilen  Ufern; 
insbesondere  ist  das  rechte  Ufer  von  eteilen  Wa'nden  begleitet;   M. 
bei  Oporto ; 


53 

3.  der  Tajo  (Tejo),   V.  auf  der  Sierra  Albaracin  (Osttheil  des 
kastilischen  Scheidegebirges),    der  bedeutendste  Fluss  der  pyrenai- 
schen  Halbinsel,  fliesst  bis  Abrantes,  wo  er  schiffbar  wird,  und  bis 
wohin    die   Meeresfluth    bemerkbar    iet ,    zwischen    felsigen  ,    steilen 
Ufern,  von  da  an  tritt  er  in  ein  breiteres  Thai ;  M.  bei  Liesabon ; 

4.  die  Quadiana,    U.  auf   der  Sierra  Alcaraz   (nordostlicher 
Theil  der  Sierra  Morena);  M.  bei  Ayamonte; 

5.  der  Guadalquibir,    U.  auf  der    Hochebene  von  Murcia, 
der  breiteste  Strom  in  Spanien  ,  hat  durch  das  ganze  Jahr   die  be- 
deutendste Wassermenge  —  im  Gegensatze  zu  den  drei  erstgenann- 
ten  Flussen  —  und  wird  von  kleineren  Seeechiffen  bis  Sevilla,  von 
Flussschiffen  bis  Cordova  befahren ;  M,  bei  St.  Lucar  (in  den  Golf 
von  Cadix). 

£.  In  das  mitteUandische  Meer: 

1.  Die  Kiistenflusse    an    der  Odtkuste   der  pyrenaischen  Halb- 
insel: Segura,  Xucar,  Guadalaviar  (M.  bei  Valencia); 

2.  der  Ebro,    U.  auf   dem    kantabrischen  Gebirge,    von  Am- 
posta  an  versandet,  fur  die  Schiffahrt    von    keiner   Bedeutung,    nur 
der  mit  dem  M'ttellauf  parallel  laufende  Kaiserkanal  wird   befahren; 
M.  unterhalb  Tortosa  ; 

3.  die  Rhone,   U.  aus  den  Furka-Gletschern,  wird  in  Frank- 
reich  mit  Dampfern  befahren,  ist  von  Genf  bis  zumFort  de  TEcluse 
und  von  Seyssel  bis  Aries  sehiffbar,  die  Kanale  von  Aries  und  von 
Beaucaire  setzen  den  Fluss    Gstlich    und    westlich   von    seinen  Miin- 
dungen  mit  dem  Meere  in  Verbindung;  M.  unterhalb  Aries. 

1.  Die  Arve  aus   dem  Chamonny-Thale, 
M.  bei  Genf, 

2.  die  Is  ere,    U.    in  den  cottischen  Al- 
pen,  M.  bei  Valence, 


die    S  a  6  n  e ,     U.    am    Plateau    yon 

Langres,  M.  bei  Lyon, 

Zufluss:    Doubs  vom  Schweizer 
Jura,  M.  oberhalb  Chalons  s/S. 


3.  die  Duran  ce,    U.    in    den    Seealpen, 
M.  nnterhulb  Avignon; 

4.  Der  Kustenfluss  Var,  M.  bei  Nizza; 

5.  der  Arno,     U.  Monte   Falterona    (toskanische  Apenninen), 
M.  unterhalb  Pisa; 

6.  die  Tiber,   U.  in  den  toskanischen  Apenninen  (Fumajolo), 
von  Rom  an  schiffbar ,    Deltamiindung    unterhalb  Ostia  (Nebenfluss 
—  links  —  Nera) ; 

7.  der  Kiistenfluss  Garigliano,  M.  Golf  von  Gaeta; 

8.  die  Kustenfliisse  Volturno,  M.  bei  Castel  Volturno  (unter- 
halb Capua),  Sele  (oder  Silaris)  in  den  Busen    von    Salerno,   und 
Brandano  in  den  Golf  von  Tarent. 

F.  In  das  adriatische,  jonische  und  agaische  Meer: 

1.  Die  Kiistenflusse,  welche  von  den  Apenninen  dem  adriati- 
schen  Meere  von  Slid  west  nach  Nordost  zufliessen,  sind  meistens 
unbedeutend;  die  wichtigsten :  der  Ofanto,  M.  in  den  Golf  von 
Manfredonia,  —  Marechia,  M.  bei  Rimini,  —  Montone,  M. 
unterhalb  Ravenna ; 

2.  der  Po,  U.  an  der  Nordseite  des  Monte  Viso  in  den  West- 
alpen ,  der  wichtigste  und  grosste  Fluss  Italiens ,  echon  oberhalb 
Turin  schiffbar,  wird  von  osterreichischen  Dampfschiffen  befahren. 


in  seinem  Mittellaufe  mussen  die  Ufer  durch  Damme  gegenUeber- 
schwemmungen  geschiitzt  werden.  Eine  auegebreitete  Kanalverbin- 
dung  mit  den  Nebenfliissen  durchschneidet  sein  linkes  Ufer,  und  er- 
hoht  den  Werth  fur  Schiffahrt  und  Verkehr.  An  seinen  Miindungen 
sind  haufige  Ueberschwemmungen ,  und  in  dem  Sumpflande  liegen 
die  Ortschaften  grossentheils  auf  kunstlich  erhb'htem  Boden.  Miin- 
dungs-Delta  (Po  della  Gnocca  und  Punta  della  Maestra  45°  nord- 
licher  Breite,  30°  ostlicher  Lange). 


1.  Dora  ripera  (M.  bei  Turin), 

2.  Dora  baltea  (M.  unterhalb  Ivrea), 

3.  Sesia  (M.  unterbalb  Casale), 

4.  Tessin    (Ticino),  U.    in    den   lepontini- 
schen  Alpen,  M.  sfldlich  von  Pavia, 

5.  die  Adda,  U.  in  der  Nahe    des  Ortler, 
M.  oberhalb  Cremona, 

6.  der  Oglio,   U.  in  der  Nahe  der  Adda- 


1.  der    Tanaro,     U.    am    Nordabhange 
der  Apenninen  (M.  Cassini),  M.  unter- 
halb Alessandria, 

2.  die    T  r  e  b  i  a    vom    Nordabhange    der 
Apenninen,  M.  nahe  bei  Piacenza, 

3.  die  Enza,  M.  oberhalb  Guastala, 

4.  die  S  e  c  c  h  i  a ,  .ft/,  gegenuber  der  Mincio- 
Mundung. 


Quellen,  M.  oberhalb  Borgoforte, 
7.  der  Mincio  (vor  dem  Eintritte  in  den 
Garda-See  Sarca),   U.  gegenuber  den 
Oglio-Quellen,  M.  unterhalb  Mantna; 

3.  Die  Etsch,  U.  erhalt  ihr  Wasser  aus  dem  Oetzthaler-Fer- 
nerstock  (Langtauferer-Ferner),  schiffbar  unterhalb  Botzen  nach  dem 
Einflusse   der   Eisack,   das   Bett    ist   im  Oberlaufe  felsig,  im  Miin- 
dungsgebiete  schlammig,  der  Lauf  in  Tirol  reissend,  spater  gemas- 
sigt;  die  schiffbare  Lange  betragt  iiber  40  Meilen;    M.   bei    Porto 
fossone  (nordlich  vom  Po-Delta); 

4.  unter    den   Kustenflussen,  welche   in   den    nordlichen  Theil 
des  adriatischen  Meeres  fallen,  eind  die  bedeutendsten :     der    Bac- 
chiglione,    die   Brenta,    die  Piave,    der   Tagliamento  und 
der  Isonzo; 

5.  die  dalmatinisch  en    Kustenflusse    sind    sammtlich  unbe- 
deutend:  Zermagna  (M.  bei  Novigrad),  Kerka  (M.  bei  Sebenico), 
Ce"ttina    (M.  in   den    Brazza-Kanal) ,    Narenta  (M.  in  den  Na- 
renta-Kanal) ; 

6.  der  Drino,  U,  im  Ochridasee,  M.  bei  Alessio  (oder  Leech); 

7.  der  Aspropotamos,  U.  am  Zigos-Berge  (Pindus),   M.  in 
den  Golf  von  Patras; 

8.  der  Vardar,    U.    am    Schar   Dagh   (Skardus),    M.  in  den 
Busen  von  Salonik ; 

9.  der  Strymon  oder  Kar'asu,    U.  am  Balkan,    M.  in  den 
Busen  von  Contessa; 

10;  die  Maritza  (Hebrus),  U.  am  Balkan,  M.  in  die  Bai 
von  Enos. 

G.  In  das  schwarze  Meer: 

1.  Die  Donau,  U.  im  Schwarzwalde  (Quellen:  Brege,  Bri- 
g  a  c  h ,  Vereinigung  bei  Donaueschingen),  Die  Donau  ist  der  m'ach- 
tigste  Strom  Mitteleuropas,  und  ausser  der  Wolga  der  grosste  Euro- 

5 as.  Sie  ist  die  Hauptpulsader  fur  den  gesammten  Verkehr  zwischent 
em  kraftig  schaffenden  Occident  und  dem  reichen,  aber  industrie- 
armen  Orient;  sie  ist  fiir  Oesterreich  und  Siiddeutschland  von  nicht 
geringerer  Bedeutung  als  der  Rhein  fur  West-  und  Norddeutsch- 
land ;  beide  aber  haben  die  e  i  n  e  gemeinschaftliche  Bestimmung : 
sie  sind  die  wichtigsten  Vermittler  deutschen  Fleisses,  deutscher 


Kultur  mit  dem  Auslande.  1st  sie  schon  als  Bindeglied  der  deut- 
schen  Zollvereinsstaaten  mit  Oesterreieh  von  Bedeutung,  so  1st  ihr 
Lauf  mitten  durch  das  Herz  des  Kaiserstaates,  durch  das  auf- 
bliihende  iiberreiche  Ungarn  und  die  siidlichen,  an  Agrikultur-Er- 
zeugnissen  reichen  Kronlander  gleichsam  die  Pulsader  fur  das  ge- 
sammte  kommerzielle  Leben  unseres  Vaterlandes.  Wahrend  sie  beim 
Beginne  ihrer  Schiffbarkeit  (Ulm)  nur  Schiffe  bis  500  Zentner  Last 
tragt,  wird  sie  bei  Donauworth  schon  von  Dampfschiffen  befahren, 
und  im  Kaiserstaate  steigert  sich  ihre  Tragfahigkeit  bis  auf  6.000 
Zentner,  ja  sogar  fur  Kriegsschiffe  mit  40  Kanonen.  Ihre  Quellen 
liegen  etwa  2200'  hoch,  bei  Press  burg  betragt  die  Seehohe  je- 
doch  nur  mehr  400';  die  Ebenen  der  mittleren  und  unteren  Donau 
liegen  demnach  tief,  der  Lauf  des  Stromes,  der  von  Of  en  an  noch 
zwei  Drittheile  seines  Weges  zuriickzulegen  hat,  ist  langsam,  und 
zur  Thai-  und  Bergfahrt  sehr  geeignet.  In  Oesterreieh  und  bis  zur 
Miindung  vermittelt  den  Hauptverkehr  die  ,,Donau-Dampfschiffahrt8- 
Gesellschaft"  *),  deren  Dampf-  und  Schleppschiffe  regelmassig  nicht 
nur  die  Donau  von  Linz  bis  Galacz,  sondern  auch  die  Theiss  bis 
Tokay,  die  Save  bis  Sissek,  die  Drave  bis  Essek  und  den  Bega- 
Kanal  befahren.  —  An  diese  grosse  Wasserstrasse,  welche  der 
osterreichischen  und  deutschen  Industrie  und  dem  Handel  viele  Ab- 
satzquellen  eroffnet,  schliessen  sich  die  schiffbaren  Fliisse  der  mei- 
sten  Kronlander  an;  insbesondere  sind  die  Alpen-  und  Karpathen- 
Lander  mit  ihren  materiellen  Interessen  durch  ihre  bedeutendsten 
Flusse  enge  mit  der  Donau  verkniipft  und  dem  Haupthandelszuge 
naher  gebracht.  An  den  Einmundungen  in  die  grosste  Verkebrs- 
ader  des  Reiches  entwickelt  sich  ein  lebhafter,  stets  wachsender 
Handel.  Der  innere  Verkehr,  so  wie  der  osterreichische  Export-  und 
der  deutsche  Durchfuhrhandel  geben  diesem  deutschen  Strome  eine 
Wichtigkeit,  welche  nach  Beseitigung  mancher  Storungen  an  des- 
sen  Miindung  und  durch  dessen  vollstandige  Freimachung  noch  ge- 
steigert  werden  wird.  Die  schiffbaren  Strecken  der  zum  osterreichi- 
schen Donaugebiete  gehorigen  Flusse  haben  eine  Lange  von  bei- 
laufig  630  Meilen.  Sie  miindet  in  fiinf  Hauptarmen,  die  drei  grOss- 
ten  :  Kilia-,  Sulina-  und  St.  Georgs-Miindung. 


Die  bedeutendsten 
links: 

1.  Die  Altmuhl,  U.  auf  der  schwEbisch- 
frankischenTsrrasse,  M.  beiKehlheim, 

2.  die  Naab,    £7.  im  Fichtelgebirge,  M. 
oberhalb  Regensburg, 

3.  der  Beg  en,   U.  im  Bohmerwalde,  M. 
bei  Regensburg, 

4.  die  March,    U.  am  Glatzer-Schnee- 
berge,  M.  bei  Theben, 

5.  die  Waag,    U.  am  Liptauer-Gebirge 
(Kralova  hora  —  KOnigsberg),  M.  bei 
Komorn, 


Nebenflusse  sind: 

rechts: 

1.  die  Iller,  V.  auf  den  AJgauer-  Alpen, 
M.  bei  Ulm, 

2.  der  L  e  c  h  ,    U.  am  Hornspitz  in  Vorarl- 
berg,  M.  unterhalb  Donauwdrth, 

3.  die  Is  ar,   U.   auf  den    bairischen  Al- 
pen, M.  unterhalb  Straubing, 

4.  der  Inn,   U.    aus   dem   Lac  d>e  Lugni 
auf  dem  Septimer  (Schweiz)  in  seinem 
Unterlaufe  schiffbar,  M.  bei  Passau, 

(Zufluss:  Salza), 

*)  Im  J.  1857-  befOrderte  sie  uber  15%  Mill.  Pfd.  Frachtguter  und  fiber  600.000 
Personen;  im  J.  1838  zeigte  sich  beim  Transports  von  Frachtguteru  eioe  Vermeh- 
rung  urn  mehr  als  7%,  bei  jenem  von  Personen  (einschliessig  des  Militars)  eine 
Verminderung  um  beilaufig  10%. 


56 


links: 

6.  die    Gran,    U.   am   Sudabhange    der 
Kralova  bora,  M.  gegeniiber  von  Gran, 

7.  die  Eypel  (oder  Ipoli),    U.    am  Ho- 
melka-Berge,  M.  unterhalb  Gran, 

8.  die  Theiss,     U.   im   siidl.    karpathi- 
scben  Waldgebirge,  M.  unterhalb  Titel, 

(Znflusse:  Szamos,  Kor6s,  Maro?), 

9.  die    Alata,     U.    auf    dem    Borszek- 
Gebirge,  M.  gegeniiber  von  Nikopoli, 

10.  der  S  ereth,   U.  auf  dem  Ostabbange 
des    karpathischen    Waldgebirges,  M. 
zwischen  Braila  und  Galacz, 

11.  derPruth,  U.  auf  dem  Nordabhange 
des   karpathischen    Waldgebirges,   M. 
unterhalb  Galacz; 


rechts: 

5.  die  Enns,     V.  auf  dem  Tauern-Zuge, 
M.  unterhalb  Enns, 

6.  die  Raab,   U.  in  den  Fischbacher  Al- 
pen,  M.  unterhalb  Eaab, 

7.  die  Drave  (Drau),    U.  im  Pusterthale 
(Toblacher-Fekl  in  Tirol),  M.  unterhalb 
Essek, 

(Zufluss:  Mur), 

8.  die  Save  (SauJ,    U.  in    den  Krainer- 
Alpen    (Nahe    des    Triglav) ,    M.    bei 
Semlin  (gegeniiber  Belgrad), 

9.die  Morawa,  U.  (Ost-Morawa  am 
Schar  Dagh,  West -Morawa  'auf  den 
dinarischen  Alpen ,  Vereinigung  bei 
Krusewac  in  Serbien),  M,  unterhalb 
Semendria. 


2.  Der   Dnjestr,    U.    am    Nordabhange    des    karpathischen 
Waldgebirges,  von  Sambor  bis  zur  Stry-Mundung  (Galizien)  breiten 
sich  grosse  Siimpfe  am  rechten  Ufer  aus,  er  ist  reissend,    Belt  und 
Wasser  sind  schlammig,  bei  Chotym    (Eintritt   nach  Russland)    tritt 
er  in  die  Ebene,   bei  Jampol   (Podolien)    wird   die  Schiffahrt    durch 
einen  Wasserfall  unterbrochen;  M.  oberhalb  Akjermann ; 

3.  der  Dnjepr,     U.   am    Siidabhange   der   uralisch-baltlschen 
Landhohe,  wird  schoji  bei  Smolensk  schiffbar,  unterhalb  Kiew   ge- 
fahrliche  Strudel,  steht  durch  Nebenfliisse,    aus  welchen  Kanale    in 
die  Weichsel,  den  Bug,  Niemen    und    die  Diina    fiihren ,    mehrfach 
mit  der  Ostsee  in  Verbindung;  M.  bei  Cherson; 

4.  der  Don,    U.  in    den   Morasten   des   Gouvernements   Tula 
(See  Iwanow) ;  M.  oberhalb  Asow. 


III.  Dos  Gebiet  des  Caspi- See's  : 

1.  Die  Wolga,  U.  auf  der  Waldai-Hohe  (oder  dem  Wol- 
chonski-Gebirge),  der  grosste  Fluss  Europas,  schon  bei  Rzew  Wla- 
di^mirow  fiir  mittlere,  bei  Twer  fur  sehr  grosse  Fahrzeuge  schiffbar, 
\v^rd  auch  mit  Dampfern  befahren.  Die  Wolga  ist  der  Mittelpunkt 
des  grossen  russischen  Kanalsystems,  welches  einen  lebhaften  Ver- 
kehr  zwischen  dem  holz-  und  pelzreichen  Norden,  dem  metallreichen 
Osten,  dem  fisch-  und  salzreichen  Suden  und  dem  getreidereichen 
Innern  vermittelt ;  die  Kunst  hat  eine  vielfache  Verbindung  der 
bedeutendsten  Seekiisten  mit  dem  Innern  hergestellt.  Die  Ufer  sind 
meist  flach  und  Ueberschwemmungen  ausgesetzt ;  bei  Nishnji  Now- 
gorod  treten  steile  Berge  an  das  linke  Ufer,  bei  Saratow  ist  sie 
eine  halbe  Meile,  spater  drei  Meilen  breit;  M.  in  einem  sechzig- 
bis  siebzigarmigen  Delta  unterhalb  Astrachan. 

1.  die    Ok&,   U.  in  der  Nahe    der    Don- 
Quellen,    M.    gegeniiber    von    Nishnji 


1.  Die  Kama,    U.   am  Ural,  M.  unter- 
halb Kasan. 


Nowgorod. 

(Zufliisse:  Moskwa,  Upa.) 


2.  Der  Ural,  U.  am  siidlichen  Ural;  M.  bei  Gurjew,  Grenz- 
fluss  zwischen  Europa  und  Asien. 


57 


Vergleichende  Uebersicht  einiger  Hauplflusse  Europa's, 


Name  des  Flusses 

Seehohe  der 
Quelle 

Direkter  Ab- 
stand  zwi- 
schen  Quelle 
and  Miindung 

Strom- 
entwickelang 

Stromgebiet 

Wol^a 

840' 

210  Meilen 

430  Me  len 

beilaufig  30000  QM 

Donau  ... 

2200' 

220 

380 

14400 

Elbe   .    .      . 

4^60' 

80 

155 

2800 

Rhein 

7940' 

90 

150 

4000 

Weichscl  
Loire       .  .    . 

3500' 
4310' 

70 
80 

130 
130 

3.600 
2400 

2000' 

70 

120 

2  100 

Rhone  

5750' 

60 

109 

1.760 

Seine  . 

2340' 

55 

92 

1.200 

Weser  .  . 

2100' 

50 

70 

870 

§.  44.  Landseen  von  Enropa. 

Europa  hat  viele,  aber  (im  Verhaltnisse  zu  den  andern  Erd- 
theilen)  nur  kleine  Seen;  die  Gesammtflache  derselben  betragt  etwa 
2100  QMeilen,  woven  auf  Russland  iiber  1600,  auf  Sehweden  und 
Norwegen  240  QMeilen  entfallen.  Die  meisten  derselben  sind  Fluss- 
seen,  einige  eind  Quellseen. 

Um  die  Osteee  zieht  sich  im  angrenzenden  Tieflande  ein  Ring 
von  zahlreichen  grosseren  und  kleineren  FJuss-  und  Quellseen  (,,bal- 
tischer  Seengiirtel").  Die  ebenen  Kiistengegenden  an  der  Westseite 
der  Ostsee  werden  'vom  Hochlande  durch  eine  Reihe  grosserer 
L  mdseen  geschieden:  der  Wenern-,  Wettern-,  Hjalmar-  und 
Malar-See  auf  der  skandinavischen  Halbinsel;  in  den  Landschaf- 
ten  um  den  finnischen  Meerbusen  sind  die  Seen  meist  von  Siiden 
nach  Norden  gestreckt:  Ladoga-,  Onega-,  Ilmen-  und  Pei- 
pus-See;  langs  der  Siidkuste  liegen  gleichfalls  viele  kleine  Seen 
im  norddeutschen  Tieflande. 

Um  die  Nordsee  sind  auf  der  Halbinsel  Juttland  und  in  Gross- 
biitannien  mehrere  kleinere  Seen  gelagert,  der  grosste  Loch  Ness 
in  Schottland. 

Die  in  den  Hochthalern  der  Alpen  liegenden  Seen  sind  sammt- 
lich  klein  ,  die  urn  den  Fuss  derselben  an  der  Nord-  und  an  der 
Siidseite  ausgebreiteten  dagegen  meist  von  betrachtlicher  Grosse. 
Am  Nordfusse  der  Alpen:  der  Genfer-,  Neuf chat  eler- 
(oder  Neuenburger-),  Murtener-,  Bieler-,  Thuner-,  Brien- 
zer-,  Vierwaldstadter-,  Zuger-,  Wallenstadter-,  Zur- 
cher-See,  der  Bodensee,  der  Ammer-,  Wurm-,  Tegern-, 
Chiem-  und  Konigssee,  der  Traunsee. 

Am  Siidfusse  der  Alpen:  der  Lago  maggiore,  L  ago 
di  Lugano,  di  Como,  d'Iseo  und  di  Garda. 

Am  Ostabhange  der  Alpen:  der  Neusiedler-  und  der 
Flatten- See  (in  Ungarn). 

Die  Seen  auf  der  apenninischen  Halbinsel  sind  meist  kleinere, 
abgeschlossene  Seebecken :  Lago  di  Perugia  (Trasimenus),  di  B  o  1- 


58 


s  en  a  und  di  Celano  (lacus  Fucinus).  —  Das  gleiche  Verbal tniss 
findet  sich  auf  der  griechischen  Halbinsel;  die  bekannteren  sind: 
der  See  von  Ochrida  und  von  Janina  (in  Albanien),  der  Topo- 
lias-  oder  Kopais-See  (in  Mittelgriechenland). 


Ladoga-See. 
Onega 
Wenern 
Ilmen 

Hjalmar 
Malar 
Flatten 
Genfer 


GrOsse  einiger  Seen  in  Europa: 
...  325    DM. 
...   195 
...108 


10 

15 

12 

9., 

Bodensee     8.5 

Nensiedler-See 7., 

Garda  „     6.s 


Lago  maggiore 4.. 

Neufchateler-See 4.2 

Comer-See  3., 

Vierwaldstadter-See 2., 

Lago  di  Celano 3.7l 

,       „  Perugia 2 

Chiemsee   1.4 

Zurcher-See • 1.. 

Loch  Ness l.s 

Janina  See 1., 


§.  45.  Das  Flassgeftder  in  Asien. 

Das  asiatische  Flussgeader  gehort  folgenden  Gebieten  an: 
I.  dem  Gebiete  des  nordlichen  Eismeeres, 
II.     „  „          „    grossen  Oceans, 

III.  „  ,,          „    indischen  Oceans, 

IV.  „  ,,          „    mittellandischen  und  schwarzen  Meeres, 
V.     „  „         der  Binnenseen  (und  die  Steppenfliisse). 

1.  Das  Gebiet  des  nordlichen  Eismeeres. 

1.  Der  Ob,  U.  am  kleinen  Altai,  hat  das  grosste  Flussgebiet 
unter  den  asiatischen  Flussen ,  M,  bei  Obdorsk  in  den  Obiechen 
Busen, 

Nebenflusse: 


links: 

l.Irtisch,  Z7.  auf  dem  grossen  Altai, 
durchfliesst  den  Dzaisang-See,  M.  un- 
terhalb  Tobolsk.  (Zuflusse:  Ischim 
und  Tobol.) 


rechts: 
I.Tom,   U.  im  Kuznezk-Erzgebirge,  M. 

unterhalb  Tomsk, 
2.  Tschulym,  miindet  nBrdlich  von  der 

Tom-Mundung. 

2.  Der  Jenieei,   U.  im  Altai  im  chinesischen  Reiche,  hat  nach 
dem  Ob  das  grosste  Flussgebiet  in  Asien  ;  M.  in  den  Jenisei-Busen. 

Nebenflusse: 
links:  rechts: 

1.  die    obere    Tunguska     (oder    An- 
gara),  U.   am  Altai,   durchfliesst  den 
Baikal-See,  M.  oberhalb  Jeniseisk, 

2.  die  mittlere  oder  Stein-Tunguska, 

3.  die  ant  ere  Tunguska. 

3.  die  Lena,  U.  im  Baikal- Gebirge,  Delta-Mundung   in  den 
gleichnamigen  Busen. 

Nebenflusse: 
links:  rechts: 

1.  der  Witim,     U.   in    den   Daurischen 
Alpen,  M.  bei  Witimska, 

2.  der    Aldan,    U.    anf  dem    Jablonoi- 
Gebirge,  M.  unterhalb  Jakuzk. 

4.  Die  Indigirka,    U.  am  Alanischen  Gebirge,   Delta-Mun- 
dung (167°  ostl.  Lange); 


59 

5.  die  Kolyma,  U.  auf  dem  Stanowoj-Gebirge,   Delta-Miin- 
dung  unterhalb  Nishnji  Kolymsk. 

II.  Das  Gebiet  des  grossen  Oceans: 

1.  Der  Amur  (oder  Saghalian)    enfsteht  aus  der  Vereinigung 
des  Schilka    mit   dem   Argun    (im  Oberlaufe  Kerlon),  beider  U. 
in  den  Daurischen  Alpen;  er  ist  breit  und  tief,    reich  an  Zufliissen 
und  Inseln ,  und   scheint    bestimmt    zu  sein ,   die  Hauptverbindung 
zwischen  dem  asiatischen  Russland  und  dem  Weltmeere  zu  vermit- 
teln,   obgleich    seine  Miindung  in  das  ochozkische  Meer  seicht  und 
nur  drei  Monate  vom  Eise  frei  ist; 

2.  der  Hoang-Ho  (oder  gelbe  Fluse),   U.  am  Kuen-Lin,  M. 
in  das  gelbe  Meer; 

3.  der  Yan-tse-Ki  an  g  (oder  blaue  Fluss),   U.  aus  der  Ver- 
einigung von   drei    Armen,    wovon  der  Hauptarm  (Kin-cha-Kiang) 
in  Tiibet  entspringt ;  M.  unterhalb  Nanking  in  das  chinesische  Meer. 
Diese  beiden  Zwillingsstrome  bewassern  mit  ihren  zahlreichen  Neben- 
fliissen  ein  ausgedehntes,  dicht  bevolkertes  Kulturland ,    die  grosste 
Kornkammer  der  Erde.  Der  Hoang-Ho  wird  wegen  des  reissenden 
Laufes    fast    nur    zur  Thalfahrt    beniitzt,    und  das  Miindungsgebiet 
wird  durch  grosse  Wasserbauten  und  Kanale  vor  Ueberechwemmun- 
gen  geschutzt;  auf  dem  Yan-tse-Kiang  hingegen  herrscht  eine   un- 
gemein    lebhafte   Schiffahrt   in    den  vielen  Provinzen,  die  er  durch- 
stromt,  welche  durch  da3  grossartige  Kanalsystem  Chinas  derart  ge- 
steigert   wird,   dass    die    Binnenschiffahrt   Chinas    einen    der    ersten 
Platze  auf  der  Erde  einnimmt. 

///.  Das  Gebiet  des  indischen   Oceans  i 

1.  Der  Menam-Kong    (oder    May-Kaung,     oder    Cam- 
fa  odja^,   U.  am   tiibetanischen  Hochgebirge,    M.  in   das  sudchine- 
sieche  Meer  (nordostl.  vom  Cap  Cambodja^; 

2.  der  Men  am,    U.    am    tiibetanischen    Hochgebirge,  Mt  bei 
Bangkok  in  den  Busen  von  Siam; 

3.  der    Thalayn,   U.   im   tiibetanischen  Hochlande,    M.   bei 
Martaban  in  den  gleichnamigen  Golf; 

4.  der  Irawaddy,  U.  im  tubetanischen  Hochlande,  bewassert; 
das  Land  der  Birmanen,    wo  er  sich  in  viele  Arme  spaltet,  M.  in 
vielen  Armen  bei  Rangun  in  den  Busen  von  Martaban  ; 

5.  der  Brahmaputra  (oder  Burremputr),   U.  nicht  genau  be- 
kannt  (der  Dzangbotsiu  soil  der  Oberlauf  des  Brahmaputra  oder  dea 
Irawaddy  eein),  M.  in  mehreren  Armen    (die  grossten  vereinigt  mit 
jenen  des  Ganges)  in  den  Busen  von  Bengalen; 

6.  der  Ganges,    U.  am  Himalaya,    der  heilige  Fluss  der  In- 
dier.     Durch  zahlreiche  Nebenfliisse  verstarkt    tritt  er  jahrlich  fiber 
sein.e  niederen  Ufer,  und  befruchtet  durch  Ueberschwemraungen  das 
eigentliche  Land,  wo  der  Reis,  das  Zuckerrohr,  die  Baumwolle  und 
die  Banane  gedeihen.   Ira    unteren  Laufe  nahert  er  sich  dem  Brah- 
maputra, beide  bewassern  Bengalen,  vereinigen  sich  im  Miindungs- 
gebiete  und  der  Strom  ftieest    durch    morastige  Waldungen  —  die 
Heimat  des  Tigeijs  —  in  sehr  vielen  Armen  (der  westliche  bei  Cal- 
cutta) dem  Buaen  von  Bengalen  zu  ; 


_JO__ 

7.  die  kleineren  Fliisse  auf  der  vorderindischen  Halbinsel,  der 
Godavery,  Kistnah  (oder  Krischna)  und  Ca very  entspringen 
am  Ostabhange    des  West -Ghats,    durchstromen   das  Plateau  von 
Dekan,  und  milnden  in  den  Busen  von  Bengalen;  der  Nerbudda 
miindet  auf  der  Westseite   der  Halbinsel  in   die  Bai  von  Cambay; 

8.  der  Indus    (oder  Sind),   U.  im   Kailas-Gebirge    (Nordseite 
des  Himalaya).  An  den  ostlichen  Ufern  seines  Mittellaufes  liegt  das 
fruchtbare  Hiigelland  des  Pengab  (Pendschab),  im  Unterlaufe  dehnt 
eich  eine  weite,   waseerlose,    von  Biiffelheerden   und  Kameelen  be- 
wohnte  Steppe  aus,  welche  wegen  der  hohen  Flussufer  durch  Ueber- 
schwemmungen  nicht  befruchtet  werden  kann.  Er  epaltet  sich  in  ein 
grosses  Miindungsdelta  unter  Hydrabad,  und  fallt  in  vielen  Armen 
in  das  persische  Meer, 


links: 


Nebenflusse: 


1.  Dschunab,  welcher  mit  seinen  vier 
grossten  Zuflussen  Satadru,  Beas  (fli- 
phasis),  Dschylum  (Hydaspes),  und  Ravi 
(Hydrastes)  das  Pendschab  (Funfstrom- 


rechts 


l.der  Kabul  aus  Afghanistan,  durch- 
bricht  dea  Ostrand  des  Plateaus  von 
Iran  (Verbindungsstrasse  nach  Hin- 
dostan). 


land)  bewassert. 

9.  Der  Euphrat  und  Tigris,  U.  der  beiden  im  armenischen 
Hochlande;  sie  fliessen  fast  parallel,  und  schliessen  die  im  Alter- 
thume  fruchtbare,  jefzt  aber  wtiste  Ebene  Meeopotamien  ein.  Der 
Lauf  des  Euphrat  ist  fiir  eine  Verbindung  des  Orients  mit  dem 
Occidente  besonders  giinstig,  und  dessen  Bedeutung  wiirde  durch 
die  Ausfiihrung  der  projectirten  Dampfschifiahrt  und  Eisenbahnver- 
bindung  fiir  Europa  sehr  erhoht  werden.  Diese  Zwillingsfliisse  ver- 
einigen  sich  vor  ihrer  Miindung  (in  den  persiechen  Meerbusen)  und 
fiihren  vereint  den  Namen  Schat-el-Arab,  welcher  ein  herrliches  Kul- 
turland,  fruchtbar  und  gut  bevolkert,  durchstromt. 

IV.  Das  Gebiet  des  mittelldndischen  und  schwarzen  Meeres: 

1.  Der  Assy  (Orontes),   V.  an  der  Ostseite  der  syrischen  Berg- 
kette,  M.  unterhalb  Antakieh  (Antiochia)  in  das  syrische  Meer; 

2.  mehrere  Kiistenfliisse,    darunter  Seihun  (Cydnus),  M.  bei 
Tarsus;  Minder  (Maander)  und  viele  kleinere ; 

3.  der  Kisil-Irmak  (Halys),   U.  im  Anti-Taurus,  M.  unter- 
halb Bafra  m  das  schwarze  Meer; 

4.  der  Kuban,   U.  im  Kaukasus,    unweit  des  Elbrus,  M.  ein 
Arm  ins  schwarze,  der  zweite  ins  asow'sche  Meer. 

V.  Das  Gebiet  der  Binnenseen  und  die  Steppenfltisse : 
a)  des  Caspi-Sees: 

1.  Der  Kur,   U.  im  armenischen  Hochlande  (nordlich  der  Eu- 
phrat-Quelle),  M.  unterhalb  Saljan.  (Nebenfluss  Aras  [Araxee]) ; 

2.  der  Terek  vom  Kaukasus,  mundet  in  vielen  Armen. 
b)Des  Aral-Sees: 

1.  Der  Gihon  (oder    Amu    Darja  —  Oxus),    U.  am  Hindu 
Kho,  M.  in  das  Sudende  (unterhalb  Conrad); 

2.  der  Sihon  (oder  Sir  Darja,  --  Jaxartes),   U.  am  Mus  Tagh, 
Delta-Munduug  an  der  Nordostseite. 


61 


c)  Unter  den  zahlreichen  Flussen ,  welche  in  die  kleineren  Seen 
miinden,  sind:  der  Jordan,  U.  am  Berge  Hennon  (Antiliba- 
non);  er  durchfliesst  den  kleinen,  im  Sommer  meist  ausgetrock- 
neten  See  Merom  und  den  durch  seine  tiefe  Lage,  das  fast 
tropische  Klima  und  die  reizende  Umgebung  ausgezeichneten 
See  Genezareth,  und  fallt  in  das  todte  Meer;  —  der  Tarim, 
U.  im  Quellbezirke  des  Gihon,  fliesst  in  den  Lop  No  or  (40° 
nordlicher  Breite). 

Vergleichende  Uebersicht  der  Hauptflusse  Asiens: 


Name  des  Flusses 

Direkter  Ab- 
stand  zwi- 
schen  Quelle 
und  Miindung 

Strom- 
entwickelnng 

Stromgebiete 

Yan-tse-Kiang  .... 
Hoang-Ho    . 

390  Meilen 
280 

650  Meilen 
570        „ 

35.000 
34.000 

UMeilen 

Ob  

270 

475 

64000 

300 

440 

37.000 

290 

430 

38000 

Jenisei  
Indus  

315 

200 

410 

340         „ 

47.000 
19.000 

200 

300        „ 

30000 

}mit  dem 

Enphrat  

150 
170 

300 
230 

11.200 
8000 

Cmit  dem  Tigris) 

Sihon   

190 

230         „ 

6000 

Tarim  .  . 

180 

200 

10.000 

§.  46.  Landseen  von  Asien. 

Die  meisten  Seen  Asiens,  welche  zusammen  (ohne  den  Caspi- 
See)  an  4500  Q  M.  einnehmen,  liegen  im  nordlichen  Theile  und 
auf  der  Scheitelflache  Ostasiens.  Die  Seen  von  Inner-Asien  liegen 
meist  sehr  hoch,  die  sibirischen  schon  tiefer,  die  westlichen  am  tiefsten. 
(Aral-See  nur  34'  fiber  dem  Meere,  der  Caspi-See  an  76',  das  gali- 
laische  Meer  625',  das  todte  Meer  beilaufig  1300'  unt  er  dem  Niveau 
des  Mittelmeeres.) 

Grosse  einiger  Seen  in  Asien : 


Caspi  See  etwa 7500  DM. 

Aral-    „        „      1380 

Baikal-See     „     558 

Balkasch-See  etwa 300 


Wan-See  etwa 78  DM. 

Urumia-See  „      77     » 

Dzaisang-See  etwa 56     „ 

Todtes  Meer  20     „ 


§.  47.  Das  Flussgettder  in  Africa. 

Die  hydrographischen  Verhaltnisse  Africa's  eind  bis  jetzt  nur 
sehr  unvollstandig  bekannt.  Das  grosste  Flusegeader  ist  im  Hoch- 
Sudan  und  im  Hochlande  Siid-Africa's ;  von  den  getrennten  Gebirgs- 
gliedern  kommen  nur  Kiistenflusse;  weiters  sind  die  haufigen  Strom- 
schnellen  der  Schiffahrt  hinderlich,  wodurch  das  Eindringen  in  das 
Innere  des  Kontinentes  fast  unmoglich  wird. 

Das  africanische  Flussgeader  gehort  drei  Gebieten  an: 

I.  dem  Gebiete  des  Mittelmeeres, 
II.      „  »          »     atlantischen  Oceans, 

III.     „  „     indischen  „ 


62 

I.  Das  Gebiet  des  mittelldndiscJien  Meeres: 

1.  Der  Nil,  entsteht  aus  zwei  grossen  Fliissen,  Bahr  el  Azrak 
(blauer  Fluss)  und  Bahr  el  Abiad  (weisser  Fluss),  welche  eich  bei 
Chartum  vereinigen.    Der  blaue  Nil  entsteht  auf  dem  abyssinischen 
Plateau  von    Dembea ,    und  durchfliesst  den  Tsana-See;   die  Quelle 
des  weissen  Nil  ist  noch  nicht  bekannt  (vielleicht  im  Nyassi-See  ?). 
Nach  der   Vereinigung   nimmt   der  Nil  den  Atbara    (im  Oberlauf 
Tacazze  genannt)  und  dann   keinen  Nebenfluss  mehr  auf.    Der  Nil 
ist  erst    in  seinein    untern  Laufe    (nach  den  letzten  Katarakten  bei 
Syene)  fiir  die  Schiffahrt  von  Bedeutung.     In  Folge  der  tropischen 
Regen  in  seinem  Quellgebiete  echvvillt  er  vom  Ende  Juni  bis  Ende 
September  an,  uberschwemmt  das  ganze  Thai,  fiihrt  guten  Frucht- 
boden  herbei,  und  erhuht  allmahlig  das  Flussbett.     Kiinstliche  Seen 
und  Kanale  fiihren  das  Wasser  auch  in  entferntere  Gegenden.    Im 
Friihjahr  ist  das  Land  eine  diirre  Wiiste,  im  Sommer  ein  See,  aus 
welchem  Hauser  und  Dorfer  gleich  Inseln  hervorragen,  im  Spatherbste 
die  reichste  Kulturlandschaft,  statt  dem  Alterthume  eine  Kornkammer. 
Unterhalb  Cairo  erweitert   sich  das  Thai,    die  Ufer  sind  wiiste,    es 
beginnt  die  Deltabildung,  deren  bedeutendste  Arme  bei  Rosette  und 
bei  Damiette  in  das  Meer  sich  ergiessen. 

2.  Einige  unbedeutende  Kilstenfliisse. 

77.  Das   Gebiet  des  atlantisclien   Oceans: 

1.  Der  Oranje  (oder  Gariep)    entsteht  aus   der  Vereinigung 
des    schwarzen  Flusses  (Nu-Gariep)  und    des   gelben  Flusses  (Ky- 
Gariep),   und  miindet  beim  Cap  Voltas  (29°  siidl.  34°  ostl.) ;    trotz 
der  bedeutenden  Lange  wird  er  wegen  der  geringen  Tiefe  zur  Schiff- 
fahrt  nicht  benutzt; 

2.  der  Coanza;  M.  unter  9°  siidl.; 

3.  der  C  o  n  g  o  (oder  Zaire),  Ursprung  unbekannt,  M.  unter  6°  sildl. ; 

4.  der  Niger  (im  Oberlauf  Djoliba,  spater  Quorra  geheiesen) 
entsteht  im  Hoch-Sudan,  nimmt  links  dieTschadda  auf  (ein  wasser- 
reicher  Fluss  aus  dem  Tubori-See,  eudostlich  vom  Tsad-See).  Der 
Niger  (Isa)  bildet    die   grosste    schiffbare  Wasserstrasse  des  Konti- 
nentes,  und  bei  Kdbara  den  Hafen  fiir  das  fiinf  Stunden  vom  Haupt- 
strome  entfernte  Timbuktu,  den  Mittelpunkt  der  nordafricanischen 
Handelsstrassen,    den  bedeutendsten  Marktplatz    des  ganzen  Niger- 

febietes,  welches  von  ziemlich  civilisirten  Negern  (Fellata),  die  Acker- 
au  und  Gewerbe  treiben,  dicht  bevolkert  ist.  Der  Handel  ist  in  den 
Handen  der  Fremden.  Der  Nebenfluss  Tschadda  scheint  die  einzige 
raturliche  Strasse  in  das  Innere  zu  eein ,  da  Stromschnellen  und 
Felsbanke  die  Schiffahrt  auf  dem  Niger  vielfach  hemmen.  Das  Mun- 
dungsgebiet  ist  ein  sumpfigee,  von  undurchdringlichen  Waldungen 
bedecktes  Delta,  und  die  starken  Schlammablagerungen  erweitern 
stets  die  Kiiste.  Er  miindet  in  einem  grossen  Delta  zwischen  den 
Golfen  von  Benin  und  Biafra; 

5.  der    Rio    grande,    kommt  aus    dem  Hoch-Sudan  (Quelle 
ungewiss),  und  mundet  gegeniiber  den  Bissagos-Inseln ; 

6.  der  Gambia,    aus    dem  Hoch-Sudan  (Quellen  ungewiss), 
M.  unter  13l/2°  nordl.; 


V.  der  Senegal  aus  dem  Hoch-Sudan,  entsteht  aus  zweiFltis- 
sen,  dem  Bafing  und  dem  Kokoro;  M.  unter  16°  nordL 

Die  drei  letztgenannten  Fluase  ergiessen  sich  in  grossen  Delta- 
Miindungen  in  das  Meer,  iiberschwemmen  vom  Juli  bis  October  das 
Land  (Senegambien),  wovon  eine  so  ausserordentliche  Fruchtbarkeit 
herriihrt,  dass  kiinstlicher  Ackerbau  gar  nicht  Bediirfniss  ist.  Der 
Gambia  und  der  Senegal  sind  durch  das  Steigen  der  Meeresfluth 
(bis  etwa  40  Meilen  auf warts)  auch  fur  Seeschiffe  fahrbar.  Der 
Senegal  scheidet  die  Wiiste  Sahara  von  den  fruchtbaren,  angebauten 
Kustenlandern  Westafrica'a,  die  nomadischen  Araber  von  den  sess- 
haften  Negern,  die  Viehzucht  und  Gewerbe  betreiben.  Der  Export 
am  Senegal  ist  in  den  Handen  franzosischer,  am  Gambia  eng- 
lischer  und  in  den  siidlichsten  Theilen  des  Landes  portugie- 
eischer  Colonisten. 

III.  Das  Gebiet  des  indischen   Oceans : 

1.  Der  Limpopo,   U.  auf  den  Drachenbergen,  M.  in  die  La- 
goa-Bai ; 

2.  der  Zambesi,   U.  auf  der  Hochebene  Lobale,  durcbbricht 
das  Lupata-Gebirge,    und  milndet  in  fiinf  Hauptarmen  (bei  Quilli- 
mani);  einer  der  grossten  Strome  Siidafrica's.  Ungeachtet  des  Reich- 
thums  der  Vegetation    und  der  Thierwelt   ist    das  Milndungsgebiet 
wegen  der  Versumpfungen  hochst  ungesund,  eo  dass  in  der  portu- 
giesischen    Strafkolonie    nur  5  bis  7%  Europaer    das    fiinfte    Jahr 
iiberleben.  Diese  Besitzungen  sind  nur  als  Stationen  fiir  die  Schiff- 
fahrt  nach  Indien  von  einiger  Bedeutung; 

3.  der  Liwuma,  M.  N.  W.  vom  Cap  Delgado ; 

4.  der  Sabaki,  M.  bei  Melindah; 

5.  der   Wabbi    (oder  Web)  ergiesst    sich   in    den    Strandsee 
Ballis,  1°  nordl.,  ohne  das  Meer  zu  erreichen. 

§.  48.  Landseen  in  Africa. 

Unter  den  Binnenseen,  welche  sich  im  Innern  Afrika's  er- 
etrecken,  sind  verhaltnissmasgig  am  besten  bekannt: 

1.  Der  Ngami-See  (14  Q  M.)  auf  der  Hochebene  des  Innern, 
im  Norden  der  Waste  Kalahari  (22 '/2°  sudl.  B.); 

2.  der  Nyassi-See    (Niandscha-See,    Ukerewe-See)  mit  sehr 
vielen  Zufliissen,  wichtig  iftr  die  Schifiahrt  und  Strassen  nach  dem 
indischen  Ocean; 

3.  der  Fittre'-See  im  Lande  Wadai; 

4.  der  T sad- See,    westlich  vom  vorigen,  mit  vielen  bewohn- 
ten    Inseln ;    Zufliisse:   der   Schari  vom  Suden,    der  Yeou   vom 
Westen ; 

5.  von  Marokko  bis  an  das  Gebiet  von  Tunis,  im  und  sudlich 
vom  Atlas  zieht  sich  ein  Giirtel  von  Salzseen  hin; 

6.  unter  den    abyssinischen  Alpenseen    ist  der  Tsana-  (oder 
Dembea-)  See   der   grosste    (etwa    150  Q  M.),    mit    vielen  Inseln; 
dann  der  Salzsee  Assal,  welcher  tiefer  als  der  Meeresspiegel  liegt. 

§.  49.  Das  Flussgciider  in  America: 

Amerika   hat   die   grossten    Strome   und   Susswasserseen   der 


64 

Erde;    es  ist  der    wasserreichste  und  der  wohlbewasserteste   Konti- 
nent.    Das  amerikanische  Fiussgeader  gehort  drei  Meergebieten  an: 
I.  Dem  nordlichen  Eismeere, 
II.      „      atlantischen  Oceane,  und 
III.      „      grossen  Oceane. 

I.  Das  Gebiet  des  nordlichen  Eismeeres: 

1.  Der  Mackenzie,   U.  unter    dem  Namen  Athapaska  im 
Felsgebirge,  durchfliesst    den   Athapaska-See,  tritt  als    Skla- 
venfluss    aus    diesem    heraus  und    in  den  grossen   Sklaven- 
See,  welchen  er  als  Mackenzie  verlasst.     Vom  grossen  Baren- 
see  nimmt  er  den  grossen  Barenfluss  auf.  M.  in  einem  Delta 
(unter  69°  n.  und  117  w.); 

2.  der  Kupferminenfluss,  ein  Abfluss  einer  Reihe  kleiner 
Seen,  miindet  in  den  Kronungs-  (Coronations-)  Golf; 

3.  der  Back-Fluss,  Abfluss  des  Aylmer-Sees,  fliesst  durch 
den  Garry-See  (miindet  unter  67°  n.  77°  w.). 

II.  Das  Gebiet  des  atlantischen  Oceans: 

1.  Der    Churchill,    entsteht    in   einem   kleinen    See,    fliesst 
durch  mehrere  Seen,  und  miindet  (bei  Fort  Churchill)  in  die  Hud- 
sons-Bai ; 

2.  der  Nelson,    der  Hill,    der  Severn  und  der  Albany, 
—   sammtlich    Abfliisse    des   W  in  i  peg -Sees    (welcher    den    Fluss 
Saskatchawan  und  mehrere  Steppenfltisse  aufnimmt),  miinden  in 
die  Hudsons-Bai; 

3.  der  St.    Lorenzstrom,    der    Abfluss    fiinf   grosser   Seen, 
namlich  des  Oberen  Sees,    des  Michigan-,    Huronen-,  Erie- 
und    Ontario-Sees.    M.  bei  Quebeck    in    den  St.  Lorenz  -  Busen. 
Zwischen  dem  Erie-    und  Ontario -See  der   Niagara-Fall  (Welland- 
kanal) ; 

4.  die  Kustenfliisse  des  atlantischen  Ocean?,  wasserreich  aber 
mit  kurzem  Laufe,  entspringen  auf  den  Alleghanies.  Die  bedeuten- 
deren  (von  Norden  nach  Siiden)  sind:    St.  John,    Connecticut, 
Hudson,    Delaware,    S  usqu  ehannah,    Potomak    und    St. 
James; 

5.  der  Missisippi,    der    zweitgrosste  Strom    der  Erde,    hat 
seinen  Ursprung  im  Itaska-See,    mit  vielen  Stromschnellen,    wird 
schiffbar  beim    Fort  Antony,    M.  unterhalb  Orleans    in    den  Busen 
von  Mexico.     Sein  Miindungsgebiet    ist  ein  sumpfiges,    vielarmiges 
Delta,  welches  jahrlich  iiberschwemmt  wird. 

Nebenfliisse: 

links:  i  rechts: 

1.  der  Illinois.   U.    nahe    dem  Siidufer      1.  der  Missouri,    U,   im  Felsengebirge, 


des    Michigan -Sees    (mit    dem    er    in 
periodischer  Verbindnng  steht);  —  M. 


M.  bei  St.  Louis  ; 
2.  der  A  r  k  a  n  s  a  s ,    U.  im  Felsengebirge,. 


nahe    bei    St.    Louis    (gegenuber    der          M.  unterhalb  Little  Rock; 
Missouri-Miindung) ;  I   3.  der  rothe  Fluss  (oder  Red  River). 

2.  der  Ohio,  U.  in  den  Alleghanies, 
wasserreich  ,  schiffbar ,  M.  oberhalb 
Nen-Madrid. 

(Zufluss,    Tenesse   aus    den  Allc- 
ghanies ; 


65 

6.  Der  Rio  del  Nor  te,    U.  im  Felsengebirge,    Delta-M.  in 
den  mexikanischen  Busen  (unterhalb  Matamoros).  In  seinem  Unter- 
laufe  gefahrden  Sandbanke  und  Untiefen  die  Schiffahrt; 

7.  der  St.  Juan-Fluss,    der    kurze  Abfluss    des    Nicaragua- 
Sees  in  das  Antillen-Meer; 

8.  der  Magdalenen  -  S  trom  mit  eeinem  Nebenflusse  Kaukar 
U.  am  Gebirgeknoten  los  Pastes,  er  wird  vielfacb  fiir  den  Waaren- 
transport  benutzt;  M.  in  der  Nahe  von  Cartagena; 

9.  der  Orinoko,  U.  5m  Hochlande  von  Guyana,  M.  in  einenv 
vielarmigen  Delta  in  Venezuela. 

(Vom    Orinoko    geht    der  Cassiquiare    zum  Rio    negro   —  Nebenfluss   des 
Maranon   —  ;    die  bedeutendste  bekannte  Bifurkation.) 

10.  Die  Kiistenfliisse  von    Guyana:    Essequibo,    Deme- 
rary,  Surinam,  Maroni,  Oyapok  etc.; 

11.  der  Amazonen  strom  oder  Maranon,  der  grosste  Strom 
der  Erde,   U.  in    den  Anden    von    Peru    (See  Lauricocha  10 '/2°  s. 
59°  w.),    M.  unter  dem  Aequator  in    zwei  Hauptarmen ,    der  nord- 
liche  (12    Meilen    breite)    Maranon,    der   siidliche   (5  Meilen  breite) 
Para  ;  zwischen  beiden  Hegt  die  Insel  Maranho  oder  Joannes.  ,,Noch 
,,liegt    diese    hydrographische  Riesengestalt  7    fast    ungebandigt  von 
,,der  Herrschaft  der  Menschen,  durch  die  am  reichsten  ausgestattete 
,,Mitte    der    sudamericaniachen    Tropenwelt   ausgestreckt,    grossten- 
,,theils  ganz    unbekannt ,    unerforscht,    gleich    dem  Innern  Africa'?, 
,,und  darum  noch  nicht  zu  einem  lebendigen  Gliede  in  die  tausend- 
,,ringige  Kette  des  Weltverkehrs  eingereiht."  Das  breite  Flusebett, 
der  trage  Lauf    mit   vielen  Windungen   und    Inseln    charakterisiren 
seinen  Unterlauf. 

Die  bedeutendsten  Nebenflusse  : 


links: 

1.  der  Jap  Bra  (oder  Caqueta), 

2.  der  Rio  negro; 


r  e  c  h  t  s  : 

1.  der  Ucayali,    entsteht   aus  den  zwei 
Quellen    Tambo    und    Parobeni    (Ver- 


einignng  unter  14    s.) ; 

2.  der  Madeira,  ans  mehreren  Qnellen 
(die  bedeutendste  Rio  grande  unter  18° 
s.  49°  w.),  M.  unterhalb  des  Rio  negro ; 

3.  der  Tapajoz,  M.  bei  Santarem; 
4  der  Xingu; 

5.  der  Toe  an  tin  (mit  dem  bedeutenden 
Zufluss  Araguaya),  M.  in  den  Park. 

12.  Der  Paranahyba  und  der  San  Francisco,  beide  aus 
dem  braeilianischen  Berglande,    beide  schiffbar,    M.  des    ereten    bei 
Paranahyba,  des  zweiten  unter  10°  sudl. ; 

13.  der  Rio  de  la  Plata.    Der  Hauptfluss    ist    der  aus  dem 
brasilianischem  Berglande  kommende  Parana;  mit  diesem  vereinigt 
sich  (bei  Corrientes)    der    ebenfalls    aus    Brasilien    kommende    Pa- 
raguay.   Die    vereinigten  Fliisse    fiihren  den  Namen  Parana,    und 
erst  nach    der  Einmiindung    des    reissenden    Uruguay  (gegeniiber 
von  Buenos  Ayres)  heisst  er  Rio  de  la  Plata; 

14.  der  Rio  Colorado  und  der  Rio  negro  aus  den  Anden 
von  Chili,  M.  unter  40°  eiid!.  und  der  zweite  unter  41°  siidl. 

///.  Das  Gebiet  des  grossen   Oceans: 

1.  Der  Fraser,    U.  am    Felegebirge,    M.  unterhalb   Langlay 
(Grenze  zwischen    British  Columbia  und    den  Vereinigten  Staaten^; 

Elun's  llandels-Geograihic.     2.   Aufl.  5 


2.  der  Columbia    oder  Oregon,    vom    Felsgebirge,  M.  bei 
Fort  Astoria; 

3.  der   Sacramento,  M.   in  die  Bai  von  St.  Francisco  (Ca- 
lifornien) ; 

4.  der  Colorado;  beim  Ursprunge   irn  Felsgebirge    heisst  er 
S.  Rafael;  M.  in  die  Spitze  des  Golfes  von  Californien. 


Yergleichende  Uebersicht  der  Hauptfliisse  America's : 


Name 

Direkter  Abstand 
zwischen  Quelle 
und  Mundung 

Strom- 
entwickelung 

Stromgebiet 

430    Meilen 

730   Meilen 

88  400     QMeilen 

Missisippi   (Missouri- 
Quelle)         .    .  . 

320         „ 

730 

53600             „ 

La  Plata  (Parana- 
Quelle)     

260 

470         „ 

La  Plata  (Paraguay. 
Qnelle) 

330 

460 

72.000 

St.  Lorenz   

250 

460 

62300 

Mackenzie  
Orinoko  

225 
100 
90 

450  (?) 
320 
250  (?) 

27.000  (?) 
20.000 
15.000  (?) 

Kio  del  Norte  
Colorado  
Magdalenenfluss  .... 

220 
130 
137 
140 

300  (?) 
200  (?) 
200  (?) 
186 

13.500 
9000  (?) 
5000 
7000 

190 

260  [?} 

8000 

§.  50.  Landseen  von  America. 

Nordamerica  ist  reicher  an  Seen  a^  Siidamerica,  es  iibertrifft 
hierin  auch  alle  iibrigen  Erdtheile;  die  Siisswasserseen  Nordamerica'  a 
enthalten  mehr  als  die  Halfte  des  siissen  Wassers  auf  der  ganzen 
Erde.  Alle  diese  Wasserflachen  sind  Fluss-  und  Quelleeen  ,  und 
nirgends  ist  in  Nordamerica  ein  Steppensee  von  Bedeutung.  In  Siid- 
america  findet  sich  nicht  dieser  See  -  Reichthum  ,  indem  nur  zwei 
grossere  Binnenseen  nebst  einer  grosseren  Anzahl  kleiner  Steppen- 
seen  vorkommen  *). 


Grosse  einiger  americanischen  Seen  : 


der  grosse  Barensee  . . .  310 

Sclavensee 490 

Athapaska-See 150 

Winipeg-See 551 

Maraealbo 281 

Nicaragua 242 

Salzsee  Titicaca  . . .  240 


i 


der  obere  See  (Lac  Su- 
perior)        ...  1518 

Michigan-See 1124 

Huronen-See 1114 

Erie-See 446 

Ontario- See 360 

grosse  Salzsee  . . .  120 


*)  Die  Binnenseen  America's  nehmen  eine  Flache  von  iiber  10.330  QMeilen 
ein;  davon  entfallen  auf:  die  St.  Lorenz-Scen  4599.30,  —  die  Seen  in  Labrador 
329.so,  —  in  Canada  142.50,  —  im  ubrigen  nordlichen  America  3847,  —  in  Ober- 
Californien  212.50,  —  in  Central-America  291,  —  in  Sud-America  909.70  QMeilen. 


67 


§.  51.  Die  GewSsser  von  Anstralien. 

Die  Hydrographie  Neu-Hollands  iet  bis  jetzt  sehr  unvollstandig 
bekannt.  Australien  scheint  der  wasserarmste  Erdtheil  zu  sein,  und 
besitzt  nur  wenig  bestandig  fliessende  Gewasser.  Die  meisten  Fliisse 
schwellen  nur  bei  heftigen  Regengussen  an;  sonst  trocknen  sie  zu 
einer  Reihe  zusammenhangender  Pfutzen  aus,  oder  vertrocknen  bald 
nach  ihrem  Austritte  aus  der  Berglandschaft.  Sie  zerstoren  viel- 
mehr  die  Landschaft ,  als  dass  sie  zu  deren  Befruchtung  beitrugen. 
Die  meisten  bis  jetzt  bekannten  Fliisse  bieten  die  gleichen  Er- 
scheinungen:  flaches,  meist  seenartig  erweitertes  Flussbett  und  viele 
Hindernisse  fur  die  Schiffahrt,  welche  auf  den  meisten  nur  so  weit 
ins  Land  betrieben  werden  kann,  als  die  Meeresfluth  hineinreicht. 
Zu  grossen  Handelsstrassen  in  das  Innere  sind  sie  somit  nicht 
geeignet. 

1.  Der  Murray  (Lange  176  M.,  Stromgebiet  ungefahr  20,000 
Q  Meilen),  U.  in  den  australischen  Alpen  (siidl.  vom  Berge  Wel- 
lington), durchfliesst  die  Ebenen  von  Neu-Siidwales,  Victoria  und 
Siid -Australien,  und  miindet  in  den  See  Alexandrina  (15  M. 
lang,  8  M.  breit),  aus  dem  ein  Kanal  in  die  Encounter-Bai 
fiihrt.  Der  Strom  ist  fur  Dampfschiffe  fahrbar.  Ueberschwemmungen 
vom  Juni  bis  Januar. 


links: 

1.  der  Goulbourn, 

2.  der  L  o  d  d  o  n ; 


Nebenflusse  desselben  : 

rech  ts: 

1.  der  Mornmbidschi  mit  dem  Zuflusse 
Lachlan  (rechts); 

2.  der  Darling    Cder  Quellfluss   ist    der 
Barwan  —  oder  Karaula  — ). 

Zuflusse: 
links:  rechts: 

a)  Gwydir,  a)  Condamine; 

b)  Peel  (oder  Na- 
moy), 

c)  Macquarie, 

d)  Bogan, 

2.  der  Schwanenfluss;    U.  unbekannt,  miindet  (unter  32°  s.) 
bei  Perth  in  den  indischen  Ocean ; 

3.  der  See  Torrens  in  Sudaustralien  (fiber  900'  tiefer  als  das 
Meer),  dessen  Boden  mit  Salzkrystallen  bedeckt   ist ; 

4.  der  Salzsee  Gairdner,  im  Westen  des  Vorigen. 


III.  Physische  Geographie. 

§    52.  Voibegriffe. 

J_/ie  physische  Geographie  betrachtet  die  Theile  der  Erdrinde 
und  die  Naturgegenstande  auf  derselben  nach  ihrer  inneren  nattir- 
lichen  Verbindung  und  Verwandtschaft.  Sie  handelt  somit  von  der 
Natur  der  drei  Formen,  welche  die  Hiille  des  Erdkorpers  bilden, 
namlich :  Luft,  Wasser  und  Erde,  von  ihrer  gegenseitigen 
Wirkung,  und  den  Beziehungen  derselben  auf  die  drei  Naturreiche. 

A.  Die  Luft. 

§.    53.   Allgemcines. 

Der  Luftkreis  (Luftocean)  umgibt  die  Erdoberflache  bis  zu 
einer  Hohe  von  9  —  10  Meilen,  gewissermassen  in  Schichten,  welche 
nach  unten  wegen  des  Druckes  der  ilbergelagerten  an  Dichtigkeit 
zunehmen.  Der  untere  Theil  des  Luftoceans ,  etwa  bis  zu  1  Meile 
Hohe,  heisst  Dunstkreis  oder  Atmosphare.  Die  Atmosphare 
besteht  aus  gasartigen  Stoffen :  21%  Sauerstoff  und  79%  Stickstoff. 
Die  Luft  umhullt  nicht  nur  die  Erde,  sondern  sie  durchdringt 
auch  iiberall  den  Erdorganismus,  und  ist  die  Grundbe- 
dingung  des  Pflanzen-,  Thier-  und  Menschenlebeng. 

Die  Luft  beeitzt  —  eowie  alle  Korper  der  Erde  —  ein  ge- 
wisses,  sehr  oft  wechselndea  Mass  von  Warme.  Die  jedeemalige 
fiihlbare  Warme  der  Korper  heisst  ihre  Temperatur.  Auf  dem 
Grundsatze,  dass  Warme  alle  Korper  ausdehnt  und  Kalte  dieselben 
zusammenzieht,  beruht  das  Thermometer.  Beobachtet  man  die 
Temperatur  der  Luft  am  Thermometer  wahrend  eines  Tages  mog- 
lichst  oft  in  gleichen  Zeitabstanden,  addirt  dann  die  beobachteten 
Thermometerstande  und  dividirt  diese  Summe  durch  die  Anzahl 
der  Beobachtungen,  so  erhalt  man  die  mittlere  Tagestempe- 
ratur  fur  den  Ort  der  Beobachtung.  Addirt  man  die  mittleren 
Tagestemperaturen  eines  Monates  und  dividirt  diese  Summe  durch 
die  Anzahl  der  Tage  des  Monates,  so  erhalt  man  die  mittlere 
Monat  stemperat ur  und  endlich  in  analoger  Weise  die  mittlere 
Jahrestemperatur. 

Der  Gang  der  taglichen  und  monatlichen  Warme  ist  nicht  immer  gleich.  Be- 
obachtungen hahen  gezeigt,  dass  die  geringste  Tageswarme  etwa  eine  halbe  Stnnde 
vor  Sonnenaufgang,  die  grosste  aber  in  den  kiirzesten  Tagen  um  1  Uhr,  in  den 
langsten  zwischen  2  und  3  Uhr  Mil  tags  stattfindet.  Die  geringste  Jahreswarme  fallt 
bei  uns  in  die  Mine  Januar,  die  grosste  in  die  zweite  Halfte  Juli.  Die  taglichen 
Temperatur-Unterschiede  sind  endlich  im  Sommer  grosser  als  im  Winter. 

§.  54.  Geographische  Vcrbreitung  der  Warme  nach  horizontaler 
Ansdehniing. 

Die  Orte  unter  einem  und  demselben  Parallelkreise  haben 
nich  t  imraer  gleiche  mittlere  Jahresternperatur.  Jene  Linien,  welche 


Orte  von  gleicher  mittlerer    Jahreste^pgratur   mit  einander   verbin- 
-den,  heissen  I  s  o_  t  h  e  r  m  en  ^"""ffffTCiDienVweTche  Orte  von  gleicher 

verbinden,   heissen  I  s  o  t  h  e  r  e  n .    von 
und  von^^feicTeTTgodenj^ 
Isothermen    laufen     mff^feTF1 
"paraTIei  (nur  unter   den  Wendekreisen  ist  diess 
ziemlich    der  Fall)  ;    die  Beugung  ist  auf  der  nordlichen  Halbkugel 
weit    grosser    als    auf  der  siidlichen ,    in  der    heissen  Zone  geringer 
als  in  der   kalten.     Die  Isotherme  jener  Orte,    welche   die    hochste 
mittlere    Jahreswarme    HaWBT^^isst     der 


sondern  lauft  mit  verschiedenen  Biegungen  nOrdlich  von  demselben, 
nur  zweimal  liegt  er  siidlicher  (im  Meridian  der  Sandwichsinsel 
Hawaii  und  in  Hinter-Indien  —  Singapore). 

Auch  die  kaltesten  Punkte  der  Erdoberflache  — ^jjy^fiiAfcte 
TM^^^HI  fallen  nronRiBfPtBffBBBftRSBMistiifo^'^^  zusammen.  AuT 
uer  nordlichen  Halbkugel  sind  zwei  Kaltepole,  der  america- 
nische  (77V2°  n.  78°  w.  —  nordlich  von  Boothia  Felix),  der 
asiatische  (78I/2°n.  140'/20«'  — nordlich  von  derLenamundung);  der 
siidliche  Kaltepol  scheint  vom  mathematischen  kaum  abzu weichen. 
.Die  wichtigste  Ursache  fiir  die  verschiedenen  Kriimmun^en 
d  T  Isothermen  liegt  in  der  ungleichen  Vertheilung  von  Festlaiid  . 
und  Meer,  -\vozu  noch  Luft-  und  Meeresstromungeu  und  die  Boden- 
beschaffenheit  beitr-igen.  'Die  nordliche  Halbkugel  ist  warmer  als 
~Ttte'  '&MlfCn1rf^>ucfi19:*rElttr^a  ist  durch  die  Beugung  der  Isotherm sn 
am  meisten  begiinstigt. 

Auch  die  Isothereu  und  die  Isochimenen  laufen  weder  mit 
den  Breitenkreisen,  noch  mit  den  Isothermen  parallel,  d.  h.  Orte 
von  gleicher  mittlerer  Jahreswarme  haben  h'aufig  verschiedene  mitt- 
lere Sommerwarme  und  verschiedene  mittlere  Winterwarme.  Die 
Isotheren  weichen  von  den  Isothermen  in  der  Regel  nach  den  Po- 
len,  die  Isochimenen  nach  dem  Aequator  ab. 

Die  Beschaffenheit  der  Luft  eines  Landes  in  Bezug  auf  Trocken- 
heit,~~Heiterkeit,  Gleichmflssigkeit,  Winde  und  vorziiglich  a'uf  Warme 
heisst  das  Klima.  Insofern  es  bios  von  dem  senkrechten  oder 
schreferr  Auffallen  der  Sonnenstrahlen  abhangig  ist,  heisst  es  mathe- 
matisches,  —  insofern  dieses  jedoch  durch  die  Beschaffenheit 
der  Atmosphere  und  die  Veranderungen  in  derselben  beeinflusst 
wird,  heisst  es  physisches  Klima.  Das  mathematisehe  und  das 
physische  Klima  weichen  oft  sehr  von  einander  ab,  am  nachsten 
kommen  sie  in  den  Kiistenlandschaften  der  heissen  Zone.  Da8 
physische  Klima  zerfallt  in  das  oceanische  (oder  Insel-,  KQsten-, 
See-Klima)  mit  warmen  Wintern  und  Nachten,  und  kiihlen  Som- 
mern  und  Tagen ,  also  mit  verhaltnissmassig  geringerem  Tempe- 
raturwechsel,  und  in  das  kontinentale  mit  kalten  Wintern  und 
Nachten  und  warmen  Sommern  unl  Tagen,  also  mit  verhaltniss- 
massig viel  starkerem  Temperaturwechsel.  Ersteres  hat  einen  kon- 
stanten,  letzteres  einen  exceesiven  Charakter. 


§.  55.  Geographische  Vertheilung  der  Wiirinc   in   vertikaler  Riclitnng. 

Die  Temperatur  eines  Ortes  steht  mit  dessen  Heine  fiber  dem 
Meere  in  umgekehrtem  Verhaltnisse,  d.  h.  je  hoher  ein  Punkt  liegt, 
desto  niederer  ist  im  Allgemeinen  seine  Temperatur;  denn  die  Luft 
wird  unmittelbar  durch  die  Sonne  nur  wenig  erwarmt,  die  untersten 
Luftschichten  erhalten  vielmehr  ihre  Warme  fast  ausschliesslich 
von  der  Erde  und  theilen  sie  den  oberen  Schichten  mit.  Weiters 
sind  die  unteren  Lufrschichten  dichter  und  desshalb  warmer ,  die 
oberen  diinner  und  kalter. 

Die  Abnahme  der  Warme  in  vertikaler  Richtung  ist  vorzug- 
lich  auch  durch  die  Bodenbeschaffenheit  bedingt.  Bei  einzeln  ste- 
henden,  steilen  Bergen  nimmt  die  Temperatur  rascher  ab,  als  in 
Hochebenen  und  in  zusammenhangenden  Gebirgsketten.  Auch  die 
Unterschiede  der  taglichen  und  jahrlichen  Temperatur  vermindern 
sich  im  Verhaltnisse  zu  der  vertikalen  Erhebung  und  horen  end- 
lich  ganz  auf. 

In  Folge  dieser  Warmeabnahme  kann  man  in  jeder  Zone  bis 
zu  einer  Hohe  gelangen,  wo  der  Schnee  das  ganze  Jahr  nicht 
mehr  schmilzt.  Diese  Grenzlinie  heisst  die  Region  des  ewigen 
S  chnees  (Schneegrenze,  Sc  hn  eel  ini  e).  Je  mehr  man  sich  dem 
Aequator  n'ahert,  desto  hoher  wird  sie  hinaufsteigen,  je  weiter  man 
sich  von  demselben  nach  den  Polen  hin  entfernt,  desto  tiefer  wird 
sie  herabsinken.  Das  ozeanische  oder  das  kontinentale  Klima  der 
Gegend  wirkt  ebenfalls  auf  die  Schneelinie  modificirend  ein.  Die 
verschiedene  Bodenbeschaffenheit  bringt  jedoch  auch  hierin  Ver- 
"anderungen  hervor. 

Lagern  sich  Eismassen  unter  der  Schneelinie  in  den  Hoh- 
lungen,  von  denen  die  Seiten  der  Gebirge  durchfurcht  sind,  so  heis- 
sen  sie  Glet sober. 

§.  56.  Winde. 

Durch  Stoning  des  Gleichgewichtes  der  Atmosphare  in  Folge 
der  Warmeunterschiede  in  verschiedenen  Gegenden  entstehen  die 
Bewegungen  der  Luft ,  welche  W  i  n  d  e  genannt  werden.  Man 
theilt  eie  ein: 

a)  nach  der  Richtung,  aus  welcher  sie  wehen  (32  Abtheilungen 
der  Windrose), 

b)  nach  der  Geschwindigkeit, 

(leichte  Winde  oder  nBrisen"  legen  in  einer  Sekunde  5 — 20',  —  starke  Winde 
25—40',  —  Stiirme  60-70',  —  Orkane  100—150',  —  oder  an  30  Meilen  in 
einer  Stunde  zuruck.  Letztere  kommen  fast  nur  in  der  tropischen  Zone  vor, 
auf  den  Antillen  und  in  der  Nahe  der  Maskarenen)  — 

c)  nach  ihrer    Regelmassigkeit    entweder   regelmassige    oder 
unregelmassige.     Zu    den    ersteren    gehoren    die    Land-  und 
Seewinde,     die    Pas  sate     (oder     Streichwinde )    und    die 
Moussons  (Monsune  oder  Wechselwinde). 

Die  Land-  und  Seewinde  wehen  des  Tags  von  der  See 
zum  Lande,  und  des  Nachts  umgekehrt;  sie  haben  ihren  Grund 
in  der  ungleichen  Erwarrnungsfahigkeit  des  Wassers  und  des  Lan- 
des.  Das  Land  erwarmt  sich  bei  Tage  schneller  und  starker  als 
das  Wasser,  desshalb  zieht  die  kaltere  Seeluft  landwarts ;  das  Was- 


71 

ser  kiihlt  sich  hingegen  langsamer  ab  als  das  Land,  und  der  kaltere 
Landwind  zieht  des  Nachts  seewarts.  Diese  periodischen  Winde 
wehen  nicht  nur  in  Kiistengegenden,  sondern  auch  an  den  Ufern 
grosser  Seen  und  am  regelmassigsten  in  den  Tropengegenden. 
Pie  Pa  ssat^  wehen  beatandig  XS^  'n 
Teer\ 


~£fund  in   diT    Ei;\viinnunj^'der;^Atnio?p11are   (lurch   di 

'     At  Hi  MCTrptTfrmr  ^PT  ""Hr'rVp    nnri 


er    troiscnen      one    am 


starksten.  Pie  Luft  wird  dadurch  leichter,  steigt  in  hohere  Regio- 
nen,  und  stromt  dann  gegen  beide  Pole,  wodurch  die  beiden  obern 
Hauptstromungen  vom  Aequator  nach  Nord  und  Slid  ent- 
stehen.  Gleichzeitig  stromt  die  kaltere  Luft  aus  den  kalteren 
Zonen  nach  dera  verdunnten  Raume  und  es  entstehen  die  beiden 
unteren  Hauptstromungen  von  denPolen  nach  dem  Aequa- 
tor. Hat  sich  nun  die  Luft  der  oberen  Stromungen  auf  ihrem 
Zuge  nach  den  Polen  abgekuhlt,  so  senkt  sie  sich  herunter,  und 
hat  sich  die  kaltere  Luft  der  untern  Stromungen  in  den  Tropen 
erwarmt,  so  steigt  sie  hinauf.  So  entsteht  aus  dem  oberen  und 
dem  unteren  Luftstrome  ein  unaufhorlicher  Kreislauf  (  Polar  - 
Stromungen).  —  Bei  der  Achsendrehung  der  Erde,  an  "Wl'ltl'iiM.  ' 
l!6T**'B!lflltfWII  Antheil  nimmt  ,  haben  die  Tropengegenden  die 
grosste  Geschwindigkeit  ,  die  Luftmassen  der  kalten  Zone  rotiren 
eonach  langsamer  als  jene  der  heissen  Zone,  sie  bleiben  also  hinter 
der  rotirenden  Oberflache  der  Aequatorialjjegenden  zuruck,  und  hier- 
durch  entsteht  in  jenen  Gegenden  ein  unaufhorlicher  Ostwind^^yy^- 
f  a  ^^e  P°lar8tromungen  unc^  Aequatorial- 


stromungen  der  Luit  meinander  iibergehen  ,  tritt  in  der  nordlichen 
Hemisphare  der  Nordost-,  in  der  siidlichen  der  Siidostwind  auf. 
Piese  Nordost-  und  Siidost-Passate  wehen  bis  iiber  die 
Wendekreise  auf  dem  atlantischen  und  dem  grossen  Ocean  mit 
ausserordentlicher  Regelmassigkeit  das  ganze  Jahr  hindurch  und 
sind  fiir  die  Schiffahrt  von  hoher  Wichtigkeit. 

Pie  Monsune  wehen  ein  Halbjahr  aus  der  einen  und  das 
andere  Halbjahr  aus  der  beinahe  entgegengesetzten  Richtung;  sie 
gehen  meiftens  aus  den  Passaten  hervor.  Wenn  sich  die  Kusten- 
striche  Asiens  und  Africa's  zur  Sommerszeit  ini  Zustande  der  gross- 
ten  Erwarmung  (bis  uber  65°  C.)  befinden,  steigt  die  dariiber 
ruhende  Luft  in  anhaltendem  Strome  empor,  so  dass  der  Nord- 
ost-Passat  stellenweise  abgelenkt  wird.  Er  wendet  sich  also 
um  und  wird  zum  Siidwest-Monsun  des  indiachen  Oceans, 
der  vom  April  bis  October  weht.  —  Wird  zur  Winterszeit  das  Land 
nordlich  vom  Aequator  kiihler,  und  die  iiber  ihm  ruhende  Luft 
dichter,  siidlich  vom  Aequator  aber  erfolgt  ein  lebhaftes  Aufsteigen 
der  Luft,  —  dann  stromt  die  kaltere  Luft  vom  Lande  gegen  das 
Meer,  und  es  entsteht  der  Nordost-Monsun,  der  vom  Novem- 
ber bis  Marz  weht.  —  Pie  Monsune  wehen  zwischen  dem  Aequa- 
tor und  dem  Wendekreis  des  Krebses  und  reichen  von  der  Ost- 
kuste  Africa's  bis  zu  den  Kusten  von  Indien,  China,  den  Philippinen 
und  bis  zu  den  Marianen.  Per  Wechsel  der  Monsune  ist  haufig  von 


heftigen  Stiirmen  begleitet,  und  diese  Zeit  ist  fiir  die  Schiffahrt  in 
den  indischen  Gewassern  sehr  gefahrlich.  Im  Allgemeinen  sind 
die  Passate  trockene  Winde,  die  Monsune  hingegen  Regenwinde. 

Unregelmassige  Winde  wehen  besonders  auf  der  nord- 
lichen  Hemisphare  und  haben  ihren  Entstehungsgrund  hauptsach- 
lich  in  ortlichen  Warmeveranderungen  der  Atmosphare,  in  ortlichen 
Ausdiinstungen  u.  s.  w.  Manche  Winde  sind  der  Gesundheit  des 
Menschen ,  dem  Leben  der  Thiere  und  dem  Pflanzenwuchse  sehr 
sch'adlich,  als  die  heissen,  aus  Africa  heriiber  wehenden  (in 
Italien  und  Griechenland  Sirocco,  in  Spanien ^.o|laji.Q .  in  der 
JSchweiz  F5n  genannt),  ^HSPJJJJJimimi  in  Aegypten,  derJEar...- 
C'lR  "Lruinea ,  der  SaSHHCJSuch  die  iiber  Eisfelder  mid 
neegebirge  her  wenendenW  inde  sind  mitunter  schadlich. 

§.  57.  Lufterscheinungen. 

Die  Atmosphare  ist  der  Schauplatz  der  Lufterschei- 
nungen oder  Meteore,  welche  in  wassrige  (Regen,  Schnee, 
Thau  u.  s.  w.),  in  elektrische  (Gewitter,  Wetterleuchten  u.  s.  w.) 
und  in  optische  (Regenbogen,  Hofe,  Nebensonnen  und  Neben- 
monde,  Luftspiegelungen ,  Abend-  und  Morgenrothe,  u.  s.  w,)  ein- 
getheilt  werden. 

a)  Die  wasserigen  Meteore  nennt  man  im  Allgemeinen 
den  Niederschlag,  und  die  Vertheilung  desselben  nach  Be- 
schaffenheit  und  Menge  ist  eine  der  Hauptbedingungen  fiir  das  Ge- 
deihen  der  Pflanzen. 

Die  Erdoberflache  wird  in  fiinf  N  ieder  schlags-Regi  o- 
nen  (oder  physische  Zonen)  eingetheilt : 

1.  die  Region  des  f  lils  sigen  Niederschlages  (die  Regenzone), 
in  der  es  —  mit  Ausnahme   bedeutender   Gebirgshohen  —  niemals 
schneit ; 

2.  u,  3.  die  beiden   Regionen  des    veranderlichen  Nieder- 
schlagrs,  innerhalb  welcher  der  Niederschlag  im  Sommer  als  Regen, 
im  Winter  als  Schnee  herabfallt  ; 

4.  u.  5.  die  beiden  Regionen  des  festen  Niederschlags,  d.  h, 
des  blossen  Schneefalls. 

Die  Regenzone  entspricht  im  Wesentlichen  der  heissen 
Zone  und  liegt  zu  beiden  Seiten  des  Aequators.  Auf  der  nord- 
lichen  Halbkugel  reicht  sie  in  America  bis  etwa  36°  nordl.  Br., 
in  Asien  bis  40°  nordl.  Br.,  in  Europa  bis  40  — 45°  nordl.  Br. ; 
auf  der  siidlichen  reicht  sie  ungefahr  bis  zum  46  —  48°  siidl.  Br. 

An  diese  schliessen  sich  die  beiden  Regionen  des  verander- 
lichen Niederschlags  an.  Auf  der  nordlichen  Halbkugel  ist 
die  Nordgrenze  im  westlichen  America  etwa  unter  73°  n.,  im  osfe- 
lichen  unter  68  —  70°  nordl.,  —  in  Europa  unter  74°  nordl.,  — 
in  Asien  unter  69  und  70°  nordl.  —  Auf  der  sudlichen  Halbkugel 
ist  die  Siidgrenze  in  der  Mitte  des  indischen  Oceans  unter  53  , 
im  Westen  von  America  unter  56°,  in  den  iibrigen  Theilen  unter 
60°  sudl.  Breite. 

Die  Regenmenge  nimmt  wie  die  Warme  vom  Aequator  gegen  die  Pole  ab, 
ebeaso  von  den  Meereskusten  nach  dem  Innern  der  Kontinente;  —  die  Zu-  und  Ab- 


73 

nahme  der  Regenmenge  in  vertikaler  Beziehung  wechselt  je  nach  Beschaffenheit  der 
Gebirgsformationen  und  der  am  Fusse  sich  ausdehnenden  Ebenen. 

Wichtig  ist  die  Vertheilung  des  Regens  in  der  jahrlichen  Periode,  und  man 
unterscheidet  in  dieser  Beziehung  eine  regen  lose  Zone  (Aegypten,  Nubien,  Sahara, 
Nordarabien,  Plateau  von  Iran,  Wiiste  Gobi,  an  der  Kuste  von  Pern);  —  die  Zone 
des  periodischen  Niederschlags,  welche  im  Allgemeinen  mil  der  tropischen 
Zone  zusammenfallt,  wo  die  Regentropfen  sogar  die  Giosse  von  1  Zoll  Durchmesser 
erreichen  ;  die  tropischen  Regengusse  fallen  nur  bei  Tage ;  —  die  nordliche  und  siid- 
liche  Zone  der  bestandigen  Niederschl  age,  d.  i.  in  den  verschiedenen  Jahres- 
zeiten  mehr  oder  minder  (Winter-,  Herbst-  und  Sommerregen). 

Auch  die  Zahl  der  Regentage  an  einem  Orte  ist  fiir  das  Klima  und  die 
Vegetation  von  Bedeutung ;  denn  die  Einwirkung  ist  eine  verschiedene,  wenn  es  in 
wenig  Tagen  auf  einmal  viel  Niederschlag  gibt,  oder  wenn  derselbe  auf  mehrere  Tage 
vertheilt  ist.  (So  haben  z.  B.  Regentage  im  Jahre:  Ost-Irland  208,  London,  Paris, 
St..  Petersburg  152— 170,  Munchen  131,  Pest  112,  Rom  89,  Gibraltar  68,  Jakutzk 
60,  u.  s.  w.) 

Die  beiden  Zonen  des  feat  en  Niederschlags  erstrecken  sich 
von  den  beiden  Polen  gegen  die  Polarkreise  bis  zu  den  bezeichne- 
ten  Grenzen  der  vorher  genannten  Regionen.  Hieher  gehoren  auch 
alle  fiber  die  Schneegrenze  ragenden  Gebirgshohen  innerhalb  der 
andern  Regionen. 

b)  Elektrische  Erscheinungen  sind:  das  Gewitter,  der 
Hagel,  das  Wetterleuchten  und  das  St.  Elmsfeuer. 

Die  Gewitter.  —  In  der  Zone  der  Passate  ist  —  besonders 
auf  dem  Meere  —  der  Himmel  in  der  Regel  heiter  und  wolkenlos. 
Nur  in  jenem  schmalen  Giirtel,  welcher  den  Nordost- Passat  vom 
Siidost-Passat  trennt,  kommen  fast  taglich  die  furchtbarsten  Gewit- 
ter vor,  und  er  heisst  davon  die  Zone  der  ewigen  Gewitter. 
Ausserhalb  dieser  Zone  ereignen  sich  die  Gewitter  in  den  Tropen- 
landern  meistens  zur  Regenzeit.  —  In  der  gemassigten  Zone  herr- 
schen  die  Gewitter  hauptsachlich  in  der  warmeren  Jahreszeit ,  ihre 
Zahl  und  St'arke  nimmt  gegen  die  Pole  und  gegen  das  Innere  der 
Kontinente  ab,  sie  sind  haufiger  an  Gebirgsabhangen  als  in  der 
Ebene,  in  der  kalten  Zone  hingegen  sehr  selten.  Auch  ortliche  Ver- 
haltnisse  bedingen  eine  ungleiche  Vertheilung  der  Gewitter  unter 
die  Jahreszeiten. 

In  den  mittleren  Breiten  sind  die  Gewitter  ofters  von  Hagel, 
in  den  warmeren  Gegenden  von  furchtbaren  Orkanen  n 
winden  begleitet.  Letztere  erzcugcn  au^l!^§!Sl|lMe^.rl^,  die  i 
hosen  (Tromben),  —  in  grossen  tfockencn  Sandwii.sten  d 
'MVS'eTf!'  Difci"  "SlttwTtter  trag^B '  lltJrt^B'iJl'V1feTflyiS¥^rucntbareit  der 
Bidu  1WfT' sie  reinigen  die  Luft,  mindern  die  Hitze  und  erquicken 
alle  organischen  Wesen. 

Das  Wetterleuchten  ist  theils  der Widerschein  von  Blitzen 
eines  fernen  Gewitters ,  theils  ein  langsames  und  sanftes  Entladen 
der  Elektrizitat  des  Gewolkes.  Am  haufigsten  ist  es  in  den  Aequa- 
torialgegenden. 

Das  St.  Elmsfeuer  ist  eine  elektrische  Flamme,  welche  sich 
besonders  h'aufig  an  den  Spitzen  der  Hasten ,  an  den  Enden  der 
Segelstangen  u.  s.  w.  zeigt,  do<»h  ohne  nachtheilige  Folgen  ist. 

Die  optischen  oder  Lichterscheinungen  entstehen  durch  diu 
Vcraiideranffen,  welche" das  Sonften-  oder  Mondliclit  in  der  Atino- 
?I>hUre  erleidet. 


B.  Das  Wasser. 

§.  58    Zur  Pbysik  des  Oceans. 

Der  Meeresgrund  ist  die  Fortsetzung  der  Qberflache  des 
Festlandes  und  hat ,  wie  dieses,  Erhb'hungen  und  Vertiefungen  auf- 
zuweisen.  Einzelne  Inseln  und  Klippen  sind  als  die  hochsten  Gipfel 
und  Spitzen  von  unterseeischen  Bergmaasen,  Inselketten  und  Riffe 
als  die  Kamme  derselben ,  grossere  Inseln  und  Untiefen  als  die 
Oberflache  von  Hochebenen  anzusehen ;  die  Meerengen  dagegen  als 
die  Einschnitte  derselben,  die  grosseren  Tiefen  als  die  Thaler  und 
die  Ebenen  des  Meerbodens. 

Die  Tiefe  des  Oceans  ist  nur  unvollstandig  bekannt,  und  die 
Messungen  mit  dem  Senkloth  geben  haufig  unbefriedigende  Ergeb- 
nisse ,  weil  unterseeische  Stromungen  das  Senkblei  seitwarts  ab- 
ziehen.  Die  grossten,  wirklich  erreichten  Tiefen  sind  im  atlantischen 
Ocean  (circa  27.000').  Die  Binnenmeere  haben  in  der  Regel  eine 
weit  geringere  Tiefe. 

Wenn  man  bei  einigen  Tiefmessungen  bei  46.000',  oder  bei  49.000'  keinen 
Grund  erreicht  hat,  so  ist  das  kein  Beweis,  dass  das  Meer  dort  wirklich  so  tief 
sei,  und  zwar,  wie  gesagt,  wegen  der  unterseeischen  Stromungen.  Bemerkenswerth 
ist  die  Flache  des  Meeresgrundes  zwischen  Cap  Race  in  Neufoundland  und  Cap  Clear 
in  Irland  — vonMaury  das  MTelegraphen-Plateau"  genannt,  —  auf  welcher  man  den 
Draht  des  unterseeischen  Telegjraplien  zwischen  America  und  Europa  zu  legen  beabsich- 
tet.  Die  Entfernnng  ist  1600  Seemeilen  und  die  Tiefe  wahrscheinlich  nirgends  grosser 
als  10000'. 

Das  Meerwasser  hat  einen  eigenthumlichen  Salzgeschmack. 
Ausser  dem  Salze  (nahezu  l/z  Unze  auf  1  Pfund  Wasser)  enthalt 
es  noch  iibelriechende  Substanzen,  welche  von  der  zahllosen  Menge 
in  Faulniss  ubergegangener  thierischer  und  ande^er  Korper  herriih- 
ren.  Bleibt  das  Meerwasser  eine  Zeit  lang  ruhig,  so  geht  es  leicht 
in  Faulniss  fiber,  und  diese  widerlichen  Geruche  erzeugen  jene 
Krankheitsstoffe,  welche  so  viele  Kiisten  in  der  heissen  Zone  unbe- 
wohnbar  machen.  Da  mit  dem  Salzgehalte  auch  die  specifische 
Schwere  des  Meeres  in  Verbindung  steht,  und  von  dieser  die  Trag- 
kraft  abhangt,  so  ist  die  Kenntniss  des  Salzgehaltes  der  verschie- 
denen  Meere  fiir  die  Schiffahrt  von  Bedeutung. 

Unter  den  europaischen  Meeren  hat  das  Mittelmeer  den  grossten  Salzgehalt. 
Je  salziger,  also  je  dichter  das  Wasser  ist,  desto  mehr  Segel  kann  das  Schiff  fuhren, 
desto  mehr  Dampfkraft  muss  angewendet  werden.  Wollte  man  z.  B.  von  Triest  ein 
Schiff  nach  Odessa  ebenso  befrachten  als  nach  Marseille,  so  wiirde  es  sich  im  schwar- 
zen  Meere  als  uberladen  zeigeu,  tiefer  ins  Wasser  gehen  und  leek  werden. 

Auch  die  Farbe  des  Meeres  wird  von  Seefahrern  beachtet, 
denn  es  zeigt  z.  B.  eine  plotzliche  Aenderung  derselben  eine  Un- 
tiefe  an.  Im  Allgemeinen  ist  es  von  blaulich-griiner  Farbe,  welche 
Grundfarbe  jedoch  durch  Tiefe,  Beschaffenheit  des  Grundes,  durch 
Seegewachse  u.  s.  w.  vielfach  verandert  wird.  So  hat  das  ,,rothe" 
Meer  diese  Benennung  von  den  zahllosen,  rothgefarbten  Korallen- 
banken  an  der  Kiiste,  das  ,,gelbe"  von  dem  gelben  Schlamm ;  das 
,,8ch\varze"  Meer  ist  jedoch  nicht  dunkler,  das  vweisse"  nicht  heller 
als  andere. 

Mit  der  Farbenerzeugung  der  See  hangt  ihr  Leuchten  nahe 
zusammen,  welches  von  dreifacher  Art  ist.  Entweder  leuchtet  das 
Wasser  nur  um  das  Schiff  und  die  Furchen,  die  es  zieht;  —  die 


zweite  Art  wird  nur  in  warmeren  Gegenden,  bei  Windstille,  star- 
ker Hitze  und  kleinem  Wellenschlag  wahrgenommen,  in  welchem 
Falle  alle  Wellen  glanzen  ,  die  an  einem  festen  Korper  anschlagen  ; 
—  die  dritte  Art  bietet  die  grossartigste  Erscheinung  dar,  indem 
nicht  bios  die  ganze  Flache  des  Oceans  flammend  erscheint,  son- 
dern  der  feurige  Glanz  auch  noch  weit  in  die  Tiefe  hinabgesenkt 
sichtbar  ist.  Die  Ursache  des  Leuchtens  wird  der  Phosphorescenz 
einer  unendlichen  Menge  kleiner,  gallertartiger  Thiere  zugeschrieben, 
welche  den  Ocean  bewohnen. 

Die  Temperatur  des  Meeres  hangt  ,  wie  die  des  Landes, 
von  der  geogr.  Breite  und  den  Jahreszeiten  ab,  ist  aber  im  Allge- 
meinen  viel  regelmassiger;  denn  der  Wechsel  der  Tages-  und  Jah- 
reszeiten bringt  in  offener  See  einen  nur  halb  so  grossen,  zuweilen 
nur  Y5  so  grossen  Temperaturwechsel  hervor.  Eine  plotzliche  Ab- 
nahme  der  Warme  des  Oceans  ist  fur  den  Schiffer  beachtenswerth, 
da  sie  ihm  eine  Veranderung  der  Stromung  oder  eine  Untiefe  an- 
kiindigt.  Im  ^tllgemeinen  wird  das  Wasser  kalter,  je  tiefer  man 
kommt.  Die  Bestimmung  der  Temperatur  des  Meeres  ist  daher  zu- 
gleich  ein  wichtiges  Mittel  zur  Bestimmung  der  Stromungen. 

§.  59.  Die  Bewegungen  des  Meeres. 

Das  Meer  erscheint  nur  selten,  auf  kurze  Zeit  und  in  kurzen 
Strecken  vollig  ruhig,  im  Grossen  ist  es  in  fortwahrender  Bewe- 

fung.  Diese  wird  bewirkt  durch  Winde,  durch  die  Anziehungs- 
raft  des  Mondes  und  der  Sonne,  durch  die  Achsendrehung  der 
Erde  und  die  Temperatur. 


lenbeweffung,    (fo  Gje(E^ 

""TJVDie  durch  oenT/rucKf  aes  Windes  auf  der  Obernache  des 
Wassers  hervorgebrachten  Erhebungen  und  Senkungen  heissen  Wel- 
len, deren  Fortdauer  der  Wellen  sch  lag,  und  wenn  sie  hoch 
sich  aufthurmen  —  Wo  gen.  Die  Hohe  und  Breite  der  Wellen  ist 
nach  der  Tiefe  der  Meere  und  nach  der  Heftigkeit  der  Winde  ver- 
schieden,  und  eine  genaue  Bestimmung  derselben  kaum  moglich. 
Die  scheinbare  Geschwindigkeit  der  WelJen  kann  20  bis  30  Meilen 
in  der  Stunde  betragen,  und  diese  wird  noch  vermehrt,  wenn  andere 
Ursachen,  z.  B.  Erdbeben,  mitthatig  sind. 

2.  Die  Gezeiten  oder  Ebbe  und  Fluth  sind  das  von  6  zu 
6  Stunden    regelmas.-ig    erfolgende    Steigen   und  Fallen  des  Meeres 
an  den  mit    dem  Ocean    in   offener  Verbindung    stehenden   Kiisten. 
Jeden    folgenden   Tag   treten    Ebbe    und    Fluth   50  Mmuten    sp'ater 
ein,  und  erst  in  ungef'ahr  30  Tagen  kehren  sie  wieder  auf  die  Zeit 
ihres  ersten  Anfanges  zuriick.  Diese  monatliche  Periode  weiset    auf 
den  Mond,  der  taglich  50  Minuten  sp'ater  aufgeht,    und    durch  den 
Meridian  eines  Ortes.  Die  hochsten  Fluthen  (S  p  rin  gfl  ut  h  en)  fin- 
den  zur  Zeit  des  Voll-  und  Neumondes,  die  nieder.-ten  (N  i  p  p  f  1  u  t  h  e  n) 
zu  jener  des  ersten  und  letzten  Viertels  statt.  Zur  Zeit  der  Aequi- 
noctien  sind  die  Gezeiten  besonders  stark,  was  die  Mitwirkung  der 
Sonne  beweiset.  Ebbe  und  Fluth  wechseln  jedoch  sowohl  der  Starke 
als  der  Zeit  nach  an  einem  und  demselben  Orte  bedeutend  ab. 

3.  Die    Meeresstromungen    sind  jene   Bewegungen    der 


76 

See,  in  welchen  einzelne  Theile  derselben  wie  in  einem  Bette  zwi- 
schen zwei  Ufern  durch  die  iibrige  Wassermasse  dahinfliessen.  Es 
sind  wirklich  sehr  breite  Strome  im  Ocean  ,  welche  an  gewissen 
Stellen  des  Meeres  theils  bestandig,  theils  periodisch  nach  bestimm- 
ten  Richtungen  etreichen.  Maury  nennt  sie  ,,Pulsschlage  des  Mee- 
res, welche  seine  Gewasser  durch  alle  Theile  des  Oceans  treiben 
und  so  eine  fortwahrende  Circulation  hervorrufen."  Die  Anzahl  der- 
selben ist  sehr  gross,  aber  noch  sehr  unvollstandig  gekannt.  In  den 
Meerestromungen  haben  die  Oceane  ihre  von  der  Natur  vor- 
gezeichneten  Strassen,  auf  denen  die  Schiffe  einherziehen.  Die 
zunehmende  Kenntniss  derselben,  verbunden  mit  der  Beniltzung  der 
periodischen  Windstromungen  desLuftoceans  hat  die  Zwischenraume 
fiir  die  Schiffahrt  sehr  verkiirzt. 

Bei  diesen  Stromungen  werden  beriicksichtigt: 

a)  ihre  Rich  tun  g;  in  dieser  Beziehung  unterscheidet   man    Po- 
larstromungen,    die    von    den    Polen  gegen  den   Aequator, 
und    Aequatorialstromungen,    die   in    def»,Richtung    der 
Parallelkreise  von  O.  nach  W.  fliessen  ; 

b)  ihre  Geschwindigkeit,    nach    welcher    sie  eingetheilt  wer- 
den: in  Driftstromungen,    eine  langsame  und  wenig  tiefe 
Bewegung,  welche  durch  Einwirkung  des  Windes  auf  die  Ober- 
fiache  des  Meeres  erzeugt  wird,  —  oder  Meeresstrome,  welche 
bei  einer  ausserordentlichen  Breite  auch  sehr  tief  und  mit  einer 
Geschwindigkeit  fliessen,  welche  die  der  Strome  des  Festlandes 
nicht  selten  ubertrifft; 

c)  der  Temperatur   nach  sind   die  Strome    mit   kaltem   oder 
war  mem  Wasser,  welche  sich  nicht  leicht  vermiachen,  sondern 
sich  zu  verdrangen  suchen.    Eben    durch    ihre  Temperatur  un- 
terscheiden  sich  die  Stromungen  von  den    iibrigen  Wassermas- 
sen  des  Oceans. 

Am  meisten  bekannt  und  ausserordentlich  entwickelt  ist  das 
System  der  Stromungen  im  atlantischen  Ocean,  der  am  haufig- 
sten  befahrenen  Volkerstrasse  der  civilisirten  Nationen, 

Einige  der  wichtigsten  StrOmungen  sind  : 

1.  Das  iturdliche  Eismeer,  welches  wegen  seiner  Eismassen,  seines  rauhen 
Klimas   und    der    gefabrlichen  Nebel-    nnd  Schneesturme    der  Sch:ffahrt    bedentende, 
mitnnter  nicht  zu  bewaltigende  Hindernisse  entgegensetzt,  ist  in  Bezug  auf  die  Str5- 
mungen  minder  bekannt.     In    dem    asiatischen  Eismeere    herrscht    eine    westliche 
StrCmung  vor,   welche  die  Wasser  von  den  asiatischen  Kiisten    gegen  Spitzbergen 
und  von  hier  aus  durch  den  Kanal  zwischen  Island  und  Gronland    treibt.     Aus  dem 
americanischen  Eismeere  kommt  eine  ostliche  Stromung    durch  die  Davisstrasse 
und  Hudsons-Bai  herab.    Beide  Stromungen  vereinigen  sich  an  der  Ostseite  von  Neu- 
Fonndland,  wo  sie  auf  den  Golfstrom  treffen. 

2.  Im  siidliclien  Kismeere    kennt  man    nnr  die    antarktische   Drift- 
Stromung    welche  durch  herrschende  Sudwestwinde    in  den  grossen  Ocean  ge- 
trieben  sich  vom  Sudpol  zwischen  Neu-Seeland    und  America   nach  Nordosten  zieht, 
dann  die  americanische  Kuste  erreicht  und  sich  spnltet.  Die  Cap  Hoorner-Str6- 
mnng  fliesst  um  die  Sudspitze  America's    in   den  atlantischen  Ocean;    —  der  kalte 
peruanische  Strom  oder   die  Humboldt's-Stromung    eilt  mit    bedeutender 
Schnelligkeit  langs  der  Kusten  von  Chili  nnd  Peru,  wendet  sich  in  der  heissen  Zone 
gegen  Westen  und  bildet  den  breiten  Aequatorialstrom  des  grossen  Oceans. 

3.  Die  Stromungen  des  atlantischen  Oceans    sind  in  Folge    seiner  eigen- 
thiimlichen  Formationen   unregelmassiger  aU    bei    den    Qbrigen    Oceanen.     Dio  siid- 
atlantische  Stromnng    ist  eine  Fortsetzuug  der  StrOmung,    welche  aus  dem  in- 


77 

dischen  Ocean  um  die  Siidspitze  Africa's  kommt.  Unter  dem  Aequator  wird  sie 
durch  eine  von  Norden  her  ihr  begegnende  Stromung  —  die  Nordafrican  ische 
und  Guinea-StrSmung  —  gegen  Westen  abgelenkt,  und  durchschneidet  als 
Aequatorialstrom  den  atlantisehen  Ocean  von  Osten  nach  Westen.  An  der 
aussersten  Ostspitze  Sadamericas  theilt  sich  der  Aequatorialstrom  in  zwei  Arme : 
einen  slid  lie  hen  (die  brasilianische  Stromung)  und  einen  nSrdlichen, 
welcher  durch  das  Karaibische  Meer  in  den  Golf  von  Mexiko  geht,  aus  diesem 
durch  den  Kanal  von  Florida  als  der  durch  seine  hohe  Temperatur  (22°)  ausgezeich- 
nete  Golfs  trom  heraustritt  und  mit  zunehmender  Breite  aber  abnehmender  Ge- 
schwindigkeit  die  Kuste  Nordamericas  begleitet,  bis  ihm  bei  Neufoundland  eine  kalte 
PolarstrQmung  begegnet  (siehe  n6rdliches  Eismeer,  ostliche  Stromung),  in  Folge  deren 
er  sich  gegen  Osten  wendet  und  bei  den  azorischen  Inseln  nach  Siiden,  der  africani- 
schen  Kiiste  zu.  Durch  diese  Nor  daf  ricanisch  e  oder  G  uin  ea-S  tromung  voll- 
endet  er  seinen  grossen  Rundlauf,  um  ihn  aufs  Neue  zu  beginnen.  Das  warme 
Tropenwasser  des  Golfstromes  erreicht  zuweilen  die  Westkiisten  Europas,  welche 
desshalb  ein  relativ  milderes  Klima  haben  ;  er  bildet  die  Strasse  von  Nord-'und 
Mittelamerica  nach  Europa.  Zu  beiden  Seiten  des  Golfstromes  befinden  sich  mthrere 
GegenstrCmungen  theils  nach  West,  theils  nach  Sud.  Maury  sagt,  es  gibt  auf  der 
Erde  keine  zweite  Wasserflutb,  die  dem  Golfstrom  an  majestatischer  Grosse  gleieh- 
karoe.  Seine  Stromung  ist  reissender  als  die  des  Missisippi  und  des  Amazoncn- 
stromes. 

4.  Tm  nordlichen  Theile    des    indischen  Oceans    und    alien  seinen  Binnen- 
mecren  hangen    die    Str5mungen    von    den  Monsunen    ab.     Nordlich    vom    Aequator 
fliessen  sie  vom  April    bis  Oktober    nach  Sud  west,    von    Oktober    bis  April    nach 
Nordost;  zwischen    dem    Aequator    und    dem    10°  s.  Br.    herrscht    vom    April    bis 
Oktober  die  Siidost-,  vom  Oktober  bis  April  die  Nordwest-Stromung.     Unter 
den  periodischen  Stromungen  dieses  Theiles  ist  jene  des  persischen  Meerbusens 
beachtenswerth,  denn  vom  September    bis  Mai    stromt    das  Wasser  heraus,  vorn  Mai 
bis  September  hinein.  —  In  der  siidlichen  Halfte  dieses  Oceans  herrscht  eine  bestan- 
dige  Stromung  des  warmen  Wassers  nach  Sudwest,  gegen  Africa,  durch  dessen  Ost- 
kuste  sie  in  den  Kanal  von  Mozambique  gedrangt  wird  (Mozambiqu  e- S  trOmun  g) 
und  um  das  Vorgebirge   der   guten    Hoffnung    als    Capstrom    in    den    atlantisehen 
Ocean  iibergeht. 

5.  Im  grossen  Ocean  ist  ausser  der  antark  tischen  Drif  t- S  t  r6mung 
(siehe  sudliches  Eismeer)  auch    der  kalte  Strom    aus    dem  nordlichen  Eismeere 
bemerkbar,  welcher  zwischen    der  Kiiste  Asiens    und    dem    warmen    Japan-Strom 
fliessf,  ahnlich  dem  kalten  Strome    an    der  Ostkiiste  Nordamerica's  und  dem  warmen 
Golfstrome.     Die  warme  Aequatorial-Stromung  hat    in  dem  tropischen  Theile 
des  Oceans    wegen    dessen    weiter  Ausdehnung    einen    ungehinclerten  Lauf    bis    znm 
grossen  Archipel  Sud- Asiens  und  eine  grosse.Regelmassigkeit.  Bei  der  Insel  Formosa 
wendet  sie  sich    gegen  Nordosten   nnd    bespult    die  ostjapanischen  Ufer  als  japani- 
scher  Strom.     Dieser  fuhrt,  ahnlich  dem  atlantisehen  Golfstrom    und  mit  gleicher 
Schnelligkeit  den  nordlichen  Breiten  warmes  Wasser  und  Treibholz  zu;    ihm  verdan- 
ken  die  Aleutischen  Inseln  und  Kamtschatka  ihr  milderes  Klima,  sowie  das  nftrdliche 
Skandinavien  dem  Golfstrom.  —    Die    mexikanische    StrQmung,    welche    nach 
Suden  gerichtet  ist,  wie  die  an  der  Westkiiste  von  Africa,  ist  noch  nicht  hinlanglich 
erforscht;  doch  scheint  der  Kreislauf   des  grossen    Oceans    (gleich   jenem  des 
atlantisehen  Oceans)  vollstandig  nachgewiesen  zu  sein. 

§.  60.  Einige  der  gcbrftncliliclisteii,   auf  die  Schiffahrt  bezugliclien 
SeemaniiKansdriicJke. 

Abandon  ist  das  Ueberlassen  eines  versicherten,  ganzlich  unbrauchbar  gewordenen 
Gegenstandes  an  den  Versicherer.  (Die  Ladung  abandonniren.) 

Ballast  nennt  man  jene  Belastung,  welche  einem  Schiffe  nur  in  der  Absicht  gege- 
ben  wird,  um  es  hinlanglich  zu  beschweren,  damit  der  Schwerpunkt  unter  das 
Wasser  kommt,  und  es  nicht  umschlagt.  (Ein  Schiff  ballasten  =  mit  Ballast 
versehen ;  belasten  —  uberhaupt  beladen  ) 

Baratterie  nennt  man  alle  unredlichen  oder  kontraktwidrigen  Handlnngen  des 
Schiffers  oder  Schiffsvolkes.  (In  Hamburg  wird  gegen  Baratterie  versichert.) 

Bodmerei  heisst  ein  Darlehensgeschaft  gegen  Verpfandung  eines  Schiffes  oder  auch 
der  Ladung  desselben.  Sie  kommt  besonders  vor,  wenn  ein  Schiff  wegen  eilit- 
tener  Unfalle  in  einen  Nothhafen  einlaufen  und  ansgebessert  werden  muss,  nnd 


78 

der    Kapitan    sich    genothigt    sieht,    Geld    dazu    aufzunehmen.      (Bodmereigeld, 
Bodmeriebrief.) 

Casco  ist  eigentiich  nur  der  Rumpf  eines  SchiiBfes,  ohne  die  Hasten,  das  Tauwerk 
u.  s.  w. ;  beim  Assecuranzwesen  jedoch  nennt  man  so  das  ganze  Seeschiff  mit 
allem  Zubehor,  im  Gegensatze  zur  Ladung. 

Certepartie  (Chartepartie)  nennt  man  den  Kontrakt,  den  Jemand  mit  einem 
SeeschifFer  iiber  die  Befrachtung  seines  ganzen  Schiffes,  Oder  zuweilen  aucb  nur 
eines  Theiles  desselben  abschliesst. 

Connossament  heisst  bei  Waarensendungen  zur  See  die  Urkunde,  welche  der 
Schiffer  uber  den  Empfang  der  Waare  ausstellt,  und  worin  alle  in  der  Certepartie 
festgesetzten  Bedingungen  aufgefuhrt  werden. 

Dispache  naufmachen"  oder  ,,anfertigen"  heisst  den  Scbaden,  welchen  ein  Schiff 
erlitten,  genau  berechnen  und  unter  die  Interessenten  vertheilen.  (Siehe  aucb. 
H  a  v  a  r  i  e.) 

Docks  sind  grosse  ausgemauerte  Bassins,  welche  in  der  Nahe  des  Meeres,  eines 
Hafens  oder  grossen  Flusses  angelegt  und  mit  diesen  durch  Schleussen  verbunden 
sind,  so  dass  man  mit  der  Ebbe  das  Wasser  aus  ihnen  abfliessen  lassen,  sie  ge- 
gen  die  Fluth  absperren  nnd  dann  nach  Belieben  das  Wasser  wieder  einlassen 
kann.  Sie  haben  den  Zweck,  dass  darin  Schiffe  zum  grossten  Theil  trocken 
gelegt  und  ausgebessert  werden  konnen  ;  auch  werden  darin  Sfhiffe  auf-  und 
ausgeladen,  und  sind  desshalb  mit  grossen  Waarenmagazinen  und  einer  Mauer 
umgeben.  (London,  Liverpool;  —  in  Antwerpen  fur  Kriegsschiffe.)  Schiff- 
baudocks;  —  Schwimmende  Docks  sind  grosse  holzerne  Flosse  mit 
Seitenwanden  und  Thoren,  die,  wenn  ein  Schiff  in  denselben  aufgenommen  wer- 
den soil,  durch  Ballast  versenkt,  und  wenn  das  Schiff  durch  das  Thor  einge- 
ffihrt  ist,  mittelst  Dampfmaschinen  ausgepumpt  werden,  so  dass  sie  sich  mit  dem 
Schiffe  emporheben. 

Escalen  (Echelles)  sind  die  erlaubten  Abweichungen,  die  ein  Schiff  von  der  direkten 
Linie  seiner  Heise  macht,  nm  Proviant  oder  Wasser  einzunehmen,  Waaren  zu 
verkaufen  oder  anfzunehmen,  u  s.  w.  (nEscallen  machen"). 

Fa  den  ist  das  gew6hnliche  Langenmaas  fur  die  Bestimmung  der  Meerestiefe  und 
ist  meist  6  Fuss  lang.  (Knot en  —  siehe  bei  Log.) 

Fanal  (Faro,  Pharus,  Leuchtthurm)  ist  ein  an  der  Meereskiiste  errichteter 
Thurm,  in  dessen  oberstem  Stookwerke  des  Nachts  ein  starkes,  gewohnlich  durch 
Spiegel  oder  geschliffene  Glaser  noch  verstarktes  moglichst  weit  sichtbares  Licht 
angeziindet  wird ,  nach  welchem  die  Schiffe  des  Nachts  ihre  Richtung  nehmen 
k&nnen. 

Hafen  ist  ein  gegen  Sturme  und  Brandung  geschiitzter  Ort  an  der  Meereskiiste, 
der  entweder  von  Natur  (Bucht)  oder  durch  Kunst  gebildet  ist.  (Handelshafen, 
Kriegshafen,  Freihafen  —  in  welchem  die  im  Lande  sonst  eingefiihrten  Zolle 
und  Steuern  auf  die  ein-  und  ausgefiihrten  Waaren  nicht  erhoben  werden,  — 
Nothhafen,  Binnenhafen  a.  s.  w.) 

Havarie  (avarie,  Haferei)  nennt  man  jeden  nicht  totalen  Schaden,  den  ein 
Schiff  und  die  darin  verladenen  Giiter  wahrend  der  Seereise  erleiden.  Kleine 
oder  or  din  are  Havarie  sind  jene  Auslagen  fur  Schiff  und  Ladung,  welche  bios 
den  gemeinsamen  Zweck  haben,  die  Fahrt  unbehindert  zu  vollenden  und  die 
Ladung  wohlbehalten  und  moglichst  schnell  nach  dem  Bestimmungsorte  zu  lie- 
fern.  Die  grosse  oder  extraordinare  Havarie  begreift  alle  Seegchaden, 
Verluste  und  Kosten,  die  dnrch  ein  frei  williges  Opfer  entstehen,  das  in  drin- 
gender  Gefahr  zur  Vermeidung  grosserer  Schaden  an  Schiff  und  Ladung,  zur 
Rettung  beider  sowie  des  Lebens  der  Menschen  gebracht  wird.  (Ueber 
Bord  werfen,  das  Kappen  der  Hasten  u.  s.  w.)  —  Die  besondere  oder  par- 
ticulare  Havarie  sind  jene  Secscbaden  und  Kosten,  welche  das  Schiff  oder 
einon  Theil  der  Ladung  durch  einen  Unfall,  d.  i.  rein  zufallg  wahrend  der 
Seereise  treffen. 

Kaplaken  (Primage,  Primgeld)  ist  eine  Vergutung,  welche  der  Befrachter  dem 
Schiffer  nebst  der  Fracht  macht  (ein  Trinkgeld),  und  wird  jetzt  gewohnlich  nach 
Procenten  (8  bis  1270)  in  die  Fracht  mitbezogen,  wovon  der  Rheder  dem  Kapitan 
einen  Antheil  gibt. 

Klippen  sind  aus  dem  Meere  emporragende  Felsenspitzen;  blinde  Klippen 
solche,  die  nahe  an  die  Oberflache  des  Meeres  reichen;  ganze  Reihen  von  Klip- 
pen heissen  Riffe,  Felsenriffe  (in  der  Ostsee  Skaren). 


79 

Knot  en  (siehe  Log). 

Last  ist  eine  Gewichtsbestimmung  von  2  Tonnen,  jede  zu  2.000  Pfund. 

Leccage  nennt  man  das,  was  aus  einem  geschlossenen  abernicht  ganz  dichten  Fasse 
ausgeflossen  und  verloren  gegangen  ist.  (Bei  atberischen  und  letten  Oelen.) 

Licgetage  (Liege zeit)  sind  die  fur  Ladung  und  LOschnng  bedungenen  Tage. 
Die  iiber  die  bestimmte  Zeit  hinausgehenden,  hierzu  verwendeten  Tage  werden 
Ueberliegetage  genannt,  und  fur  jeden  Tag  ist  dem  Schiffer  eine  Gebuhr 
(Liege-  oder  Wartegeld)  zu  bezahlen. 

Log  (oder  das  Logg)  ist  ein  Instrument,  mil  welchem  man  die  Geschwindigkeit  eines 
Schiffes  abmisst.  Es  besteht  aus  einem  dreieckigen  Brettchen,  am  Boden  mil 
Bleistreifeii  verseben,  damit  es  aufrecbt  schwimmen  kann,  hat  an  den  drei  Ecken 
Sehnure,  die  zusammengeknupft  in  eine  lange  Schnur  —  die  Logleine  —  ans- 
laufen.  Diese  ist  um  cine  Rolle  gewunden,  die  sich  sehr  leicht  urn  ibre  Achse 
dreht,  und  am  Hintertheile  des  Schiffes  befestigt  ist.  Wenn  man  das  Log  ins 
Wasser  wirft,  bleibt  es  senkrecht  und  unbeweglich  auf  der  Oberflache  stehen, 
•wahrend  man  die  Leine  genau  '/,  Minute  (oder  '/12?  Stunde  lang)  von  der 
Rolle  ablaufen  lasst.  Die  Leine  ist  durch  Knot  en  in  gleicbe  Abtheilungen 
von  je  '/uo  Seemeile  getheilt,  und  so  viel  solcher  Knoten  in  VI10  Stunde  ab- 
gelaufen  sind,  so  viel  Seemeilen  hat  das  Schiff  in  einer  Stunde  zuruokgelegt.  — 
Das  Ergebniss  dieser  Beobachtungen  wird  dann  in  das  Logbuch  eingetragen. 

Lootsen  (oder  Piloten)  sind  Steuerleute,  welche  Schiffe  durch  ein  gewisses  Fahr- 
wasser  in  einen  Hafen  ,  eine  Flussmundung,  durch  einen  schmalen  Meeresarm 
oder  sonst  auf  einem  Wege,  der  fur  den  Unkundigen  mit  Gefahren  verbunden 
ist,  fiihren.  (Ein  Schiff  einlootsen  oder  auslootsen,  —  Lootsenflagge, 
Lootsengeld  oder  Pilotage.) 

Loschen  (entloschen)  heisst  die  Guter  eines  Schiffes  ausladen  ;  Loschnngs- 
platz  ist  der  Bestimmnngsort  der  Fahrt  des  Schiffes. 

Molo  ist  ein  an  einem  Hafen  in's  Wasser  hinein  aus  grossen  Quadersteinen  aufge- 
fuhrter  Damm,  der  dem  Hafen  mehr  Sicherheit  gibt,  denselben  vor  Versandung 
und  die  Schiffe  gegen  Wellen  und  feindliche  Angriffe  schiitzt. 

Primage  (siehe  Kaplaken). 

Rhode  ist  eine  Stelle  in  der  See  in  einiger  Entfernung  vom  Lande  oder  von  einem 
Hafen,  die  einen  guten  Ankergrumi  hat  und  wenigstens  zum  Theil  gegen  Sturme 
geschutzt  ist.  Die  Schiffe  gehen  auf  derselben  vor  Anker,  um  gunstigen  Wind 
oder  einen  Lootsen  abznwarten,  Lebensmittel  einzunehmen,  die  Ladung  zn  16- 
schen  u.  e.  w.  Rheder  heisst  der  Besitzer  eines  oder  mehrerer  Handelsschiffe. 
mit  denen  er  die  Seefrachtfahrt  als  Gewerbe  betreibt,  oder  diese  auch  fur  eigene 
Rechnung  benutzt. 

Schiffe.  —  Nach  ihrer  Bestimmung  sind  sje  Han  delsschiffe  (Kauffartheischiffe, 
Kauffahrer)  oder  Kriegsschiffe;  wenn  sie  in  regelmassigen  Fahrten  fiir  Zwecke 
der  Postanstalten  benutzt  werden.  heissen  sie  Packet-  oder  Postschiffe.  Se- 
gelschiffe  werden  durch  den  Wind,  Dampfschiffe  durch  Dampfkraft,  Ru- 
derschiffe  (nicht  mehr  im  Grossen  gebrauchlichj  durch  Ruder  getrieben.  Die 
Grosse  der  Handelsschiffe  wird  nach  der  Gewichtsmasse  ihrer  Ladung  (nach 
Tonnen)  bestimmt;  die  grossten  (z.  B.  Ostindienfahrer)  haben  mehr  als  1000 
Tonnen.  Die  grossten  Kriegsschiffe  sind  die  Liniensch  if  fe,  dann  folgen 
Fregatten,  Corvetten,  Kutter,  Schaluppen  u.  s.  w.  Eine  grossere 
Anzahl  von  Kriegsschiffen  nennt  man  eine  Flo  tte  ,  eine  kleinere  Gesch  wader, 
Flottille,Eskadre  u.  s.  w.  Platze,  wo  Schiffe  gebaut  werden,  heissen 
Schiffswerften.  Das  Seewesen  im  Allgemeinen,  mit  Ru<-ksicht  anf  die  Schiff- 
fahrt  nennt  man  Marine. 

Tonne  ist  eine  Gewichtsmenge  von  2000  Pfund. 

Verklarnng  Bbelegen"  (oder  Seeprotest  aufnehmen)  nennt  man  die  schrift- 
liche  Erklarung  des  Schiffers ,  wenn  er  grosse  Havarie  gemacht  hat ,  die  er  im 
nachsten  Hafen  vor  der  betreffenden  Obrigkeit  zu  Protokoll  abgibt  und  beeidet, 
um  sich  vor  aller  Verantwortung  zu  schutzen. 

Wrack  ist  der  KOrper  eines  gescheiterten  oder  sonst  untauglich  gewordenen  Schif- 
fes, uberhaupt  Alles,  was  das  Meet  von  verungluckten  Schiffen  an  das  Ufer 
treibt.  (Wrackrecht,  Strandrecht.) 


80 
C.  Das  Land. 

§.  61.  Der  Ban  der  Erdrinde. 

Die  sfarre  Erdrinde,  welche  fiber  dem  Meeresspiegel  mehr  oder 
weniger  erhaben  ist,  nennen  wir  Land.  Nach  der  fast  allgemein 
angenommenen  Hypothese  war  der  Erdball  einst  eine  feurigfliissige 
Kugel,  deren  Obeiflache  durch  allmalige  Erkaltung  fest  wurde  (die 
Gesteinsdecke  oder  Erdrinde),  wahrend  das  Innere  derselben  noch 
immer  gluhendfliissig  blieb.  Die  Erdrinde  besteht  aus  zwei  ver- 
schiedenen  Gesteinsarten:  Massengestein  (plutonische  Bildung), 
und  geschichtetes  Ge  stein  (neptunische  Formation,  Sediment- 
gesteine). 

Das  Massengestein  hat  entweder  den  Charakter  geschmol- 
zener  Massen  (vukanisches  Gestein),  oder  es  ist  von  vorherrschend 
krystallinischer  Bildung,  dessen  Felsarten  ohne  Regelmassigkeit  in 
der  Lagerung  liegen  (Urgebirge).  Das  Massengestein  enthalt  nirgends 
Versteinerungen,  dagegen  ist  es  sehr  reich  an  Metallen  und  erdigen 
Fossilien,  besonders  an  Edelsteinen.  Unter  dem  Namen  Urgebirge 
fassen  wir  die  (wahrscheinlich  altesten)  Gebirge  der  Erdrinde  zu- 
sammen,  welche  die  Grundlage  der  ilbrigen  Gesteine,  in  der  Regel 
den  Kern  der  Hauptgebirge  bilden.  Zum  Urgebirgsgesteine  gehoren : 
der  Granit,  der  Syenit,  der  Griinstein,  Porphyr  u.  s.  w. ;  —  zu  den 
vulkanischen  Felsarten:  Basalt,  Trachyt,  Lava,  Bimsstein  u.  s.  w. 

Die  geschichteten  Felsarten  sind  in  parallel  laufenden 
Flatten  oder  Schichten  nach  einer  bestimmten  Ordnung  iiber  einan- 
der  gelagert,  und  echliessen  eine  Menge  von  Versteinerungen  (Petre- 
facten)  von  Thieren  und  Pflanzen  ein.  Die  verschiedenen  Sediment- 
bildungen  oder  Formation  en  werden  in  drei  grosse  Schichten, 
deren  jede  in  mehrere  Gruppen  zerfallt,  geschieden:  1.  prim  ares, 
2.  sekundares  und  3.  tertiares  Gebirge. 

1.  Das  Pri  m  a  rgebirge  besteht  aus  folgenden  Gruppen :  Grau- 
wacke  n  gebirge  (Uebergangsgebirge),    S  te  ink  ohlengebirge    und 
Kupfers  chief  ergebirge.    Die  erste  dieser  Gruppen  enthalt  Kalk, 
Schiefer  und  Sandsteine,  die  zweite  Schieferthone,  Kalk-  und  Sand- 
steine  und  dazwischen   Steinkohlen  ,    und  die    dritte    Kupferschiefer 
mit  Kupfererzen  und  Zechstein. 

2.  Dassekundare  Gebirge  besleht  aus  drei  Gruppen :  Trias, 
Jura  gebirge  und  K  reid  e gebirge  ,    und   ist  reich  an  Erzen,  Salz, 
Gyps  und  Steinkohlen,  so  wie  an  Versteinerungen. 

3.  Das  tertiare  Gebirge  lasst  sich  in  eine  u  nt  ere  (antediluvia- 
nische)  Gruppe,  die  aus  Thon  und  Sandsteinlagern  besteht,    zwischen 
denen  Braunkohlen  eingeschoben  sind,  —  und  in  die  obere  einthei- 
len.  Letztere  ist  das  Diluvium  (A  uf  geschwemmtes),  welches  aus 
Lagern  von  Lehm,  Thon,  Kies  und  Gerolle  besteht.  Auf  das  Dilu- 
vium  folgt   als    letztes ,    oberstes    Glied   das    Alluvium   (An ge- 
schwemmtes), die  Gebilde  der  Gegenwart ,    besonders  Lehm,  Sand, 
der  sich  stets  neubildende  Torf  und  Dammerde  (Humus). 

Die  aus  dem  Erdinnern  emporgeclrungenen  plutonischen  Massen  werden  auch 
Eruptivgest  eine,  die  Schiefergesteine  Urformation,  die  Grauwackebildungen 
Uebergangsgebirge  und  alle  iibrigen  Sedimente  zusammen  FlStzgebirge 
genannt. 


81 

§.  62.  Verbreitnng  der  Mineralien. 

Die  Mineralien  sind  Bestandtheile  des  festen  Erdkernes.  Ihre 
Verbreitung  ist  an  kein  geographisches  Gesetz  gebunden,  keine  Zone 
hat  eigenthiimliche,  sie  besonders  charakterisirende  Gattungen,  aueli 
lasst  sich  fiber  die  vorhandene  Menge  einer  Mineralgattung  nichts 
Zuverlassiges  angeben. 

Die  wichtigsten  Fundorte  sind  far: 
l.Edle  Metalle: 

Platina,  Russland  (am  Ural);  Brasilien;  Bdrneo ;  St.  Domingo; 

Gold,  Nordamerica  (Calif ornien),  Mexiko,  Peril,  Bolivia,  Brasilien;  in  Asien 
der  Ural,  Sibirien,  Tiibet,  China,  der  indische  Archipel;  Neuholland;  die  Lan- 
der Mittelafricas  ^Goldstanb  und  Goldsand);  in  Europa  Siebenbiirgen  und 
Ungarn.  (Jahrliche  Ansbeute  beilaufig  200.000  Pfund,  davon  die  Halfte  auf 
America.) 

Silber,  Mexiko,  Pern,  Chili,  Russland,  China,  Norwegen,  Sachsen,  Hannover, 
Ungarn    und  Siebenbiirgen.     (Jahrliche   Ausbeute    beilaufig    1,800.000  Pfund, 
davon  zwei  Driitel  auf  America  und  etwa  ein  Sechstel  auf  Europa.) 
3.  Unedle  Metalle  : 

Qnecksilber,  Almaden  (Spanien),  Idria  (Krain),  bairische  Rheinpfalz,  Ost- 
indien,  Japan,  Peru,  Brasilien,  Mexiko. 

Kupfer,  England,  Norwegen  und  Schweden,  Russland,  Ungarn,  Harz,  Frank- 
reich,  Chili,  Nordamerica,  Brasilien,  Cuba,  Japan,  Kleinasien.  (Europa  ge- 
winnt  jahrlich  an  550.000  Zentner,  davon  entfallt  die  Halfte  auf  England ; 
Russland  und  Deutschland  je  ein  Sechstel.) 

Eisen,  Schweden,  England,  Steiermark  und  Karnten,  Belgien,  Russland,  Deutsch- 
land, Frankreich,  zahlreiche  Fundorte  in  America,  Asien  und  Africa. 

Blei,  England,  Spanien,  Karnten,  Harz,  Nordamerica. 

Zinn,  die  Sunda-Insel  Banka,  die  Halbinsel  Malakka,  bShmisches  und  sachsi- 
sches  Erzgebirge,  England. 

Zink,  Schlcsien,  Rheinpreussen,  Belgien,  England,  China,  Vorderindien. 

Kobalt,  Sachsen,  Schweden,  England,  Schlesien,  Rheinpreussen. 
3.  Edelsteinc.  Die  meisten  und  schonsten  Edelsteine  liefert  Ostindien ;  auch 
Brasilien  und  Peru  haben  einen  grossen  Reichthum  an  einigen  ausgezeichneten 
Gattungen  von  Edelsteinen.  Es  werden  gefunden:  der  Diamant  in  Vorder- 
indien, auf  Borneo,  in  Brasilien  und  am  Ural;  —  Rubin e  auf  Ceylon,  in 
Hinterindien  nnd  in  der  freien  Tatarei;  —  Saphire  auf  Ceylon,  in  Birma, 
Brasilien  und  Columbia;  Smaragde  in  Peru,  Brasilien  und  Sibirien ;  Topas, 
Hyacinth,  Amethyst  am  schonsten  auf  Ceylon  und  in  Brasilien,  minder 
schon  in  Europa,  Opal  am  schonsten  in  Ungarn  u.  s.  w. 

4.Unter  den  unedlen  erdigen  Mineralien  sind  erwahnenswerth:  der  G  rap  hit 
in  England,  Oesterreich,  Frankreich  und  Spanien;  —  die  Porzellanerde 
in  Sach  en,  Bohmen,  Frankreich,  Baiern,  China  und  Japan;  Meerschaum 
in  Kleinasien,  Griechenland,  Siidrussland,  Spanien  und  Mahren ;  Marmor  in 
Mittelitalien,  Paros,  Frankreich. 

5. Die  brennbaren  Mineralien:  Schwefel  (den  meisten  und  besten)  liefern 
Sicilien,  der  Kirchenstaat  und  Toscana,  dann  Island,  Croatien,  Ungarn,  Spanien 
u.  s.  w. ;  —  Steinkohlen,  die  grOsste  Ausbeute  hat  England,  dann  Belgien, 
Frankreich  und  Deutschland,  Nordamerika,  China;  —  Bernstein  wird  am 
meisten  an  der  Ostseekuste  (zwischen  Danzig  und  Memel),  Asphalt  in  Sy- 
rien  (am  todten  Meere),  anf  Trinidad  in  Westindien  und  auch  in  Dalmatian 
gewonnen;  der  Torf  ist  in  Europa  hauptsachlich  in  den  norddeutschen  Nie- 
dernngen,  in  Holland,  dann  in  Sud-Baiern,  Oesterreich  u.  s.  w.  verbreitet. 
6.  Die  salzigen  Mineralien:  Kochsalz,  das  meiste  Sieinsalz  in  Europa  liefern 
die  Karpathenlander,  das  meiste  Sudsalz  Dentschland,  das  meiste  Se<salz 
Frankreicb,  Spanien,  Portugal. 

§.  63.  Die  valkanische  Thatigkeit  der  Erde. 

Die  vulkanischen  Erscheinungen  kunncn  ala  eine  Reaction  des 
Innern  der  Erde  gegen  deren  Rinde  und  Oberflache  betrachtet  wer- 

liluu's  Handcls-  Geographic.     2.  Aufl.  Q 


82 

den.  Unter  einer  festen  Erdkruste  (von  etwa  5  bis  20  Meilen  Dicke) 
liegt  das  heissfliissige  Innere  des  Erdkorpers ,  in  welchem  durch 
Ursachen  mancherlei  Art  Bewegungen  und  Stromungen  entstehen 
konnen,  welche  plotzliche  oder  allm'ahliche  Hebungen  oder  Senkungen 
der  Erdrinde  erzeugen.  Die  gewaltige  Wirkung  vulkanischer  Tha- 
tigkeit  aussert  sich  in  der^eniBgftng"'einzcIner  Theile  derErdober- 
""flacne, "in  dcm  Erdbeben.  Die  Erschiitterungen  des  Erdbodens  sind 
{'h'SHS  'Avellenror^fg^eTcK^^f&rtbewegende,  theils  auf-  und  niederstos- 
sende  und  gewohnlich  von  unterirdischem  Getose  begleitet,  mit  Bo- 
denzerspaltungen  und  mannigfachen  Naturerscheinungen  verbunden. 
Die  Erdbeben  sind  viel  haufiger,  als  man  gewohnlich  glaubt, 
und  ist  auch  kein  Gebiet  der  Erde  yon  Erdbeben  ganz  frei,  so  ist 
doch  ihre  haufige  Erscheinung  zumeist  auf  wenige  Erdstriche  aus- 
gedehnt.  Die  bedeutendsten  Erdbebenzonen  sind:  1.  die  siid- 
americanische  (in  den  Cordilleren  bis  auf  die  kleinen  Antillen) ,  — 
2.  die  mexikanische  folgt  der  Vulkanreihe  von  Westen  nach  Oaten, 

—  3.  die  europaische  (von  den  Pyrenaen  durch  die  Alpen  bis  zum 
Kaukasus,    die    zweite    langs    der  beiden  Kiisten  des  Mittelmeeres), 

—  4.  die  asiatische  (die  eine  von  der  Uralmundung  bis  Irkutzk,  die 
zweite   vom  Aral    bis    nach  China,  die  dritte  durch  die  Lander  am 
Himalaya),  —  5.  die  oceanische  auf  den  Inselgruppen  des  sudchine- 
eischen  Meeres  und  des  grossen  Oceans  bis  nach  Nordam erica,    — 
6.  die  australische. 

D.urchbricht  ein  Erdbeben  die  Erdschichten  und  bring!  da- 
durch  eine  bleibende  Verbindung  zwischen  dem  Innern^d.Qr  jrde 
mT?i-rlcr  Atmosphare  hervor,  so  entsfeht  ein  Vulkaii  ,  welclier 
SrcTierhelfsventil  gegeh  die  Erdbeben  angesehen  werden  kann.  Man 
kennt  gpgen  407  in  historischen  Zeiten  thatig  gewesene  Vulkane, 
von  denen  225  noch  thatig  sind.  Die  Erzeugnisse  der  vulkanischen 
Thatigkeit,  welche  durch  den  Ausbruch  (Eruption)  zu  Tage  tritt, 
bestehen  in  Rauch,  Asche,  emporgeschleuderten  gliihenden  Substan- 
zen  und  Lava.  Sobald  die  gliihenden  Massen  durch  die  aus  dem 
Innern  der  Erde  bis  zum  Gipfel  des  Berges  reichende  schlottahn- 
liche  Eohre,  deren  Oeffnung  zu  oberst  bedeutend  erweitert  ist  (Kra- 
ter),  emporgestiegen  eind,  stromen  sie  heraus,  und  geben  dem  Berge 
die  Kegelform.  Die  heraustromende  Lava  verwustet  oft  meilenweit 
die  Umgebung,  erkaltet  eehr  langsam  (oft  erst  nach  Jahren) ,  und 
die  Rinde  wird  erst  nach  Jahrhunderten  wieder  fur  die  Vegetation 
empfanglich. 

Dip  aus  denSpalten  der  Lava  hervorbrechenden  Pampfa  h^lflflfji 
larolen.  Jene  Ki-ater,  aus  denen  Sch \vefeldampfe  heraus- 
iTwercl'en  S^oTTa~t°a  r  e  n  genannt.  Eine  andere  Art  von  Vulka- 
tves Avirff •flta'tfa^r"  'glttti'gga'elff fi^fg"  und  der  Rauchsaulen  einen  halb- 
flussigen,  thonigen  Schlamm  aus,  der  sich  an  der  Oeffnung  ablagert 
und  einen  kleinen  Vulkankegel  bildet ;  diese  heissen  Schlamm- 
_vjilkane  oder  Sal  sen.  (Der  Berg  Maccaluba  BeT'CRfgyilll  Suf 
^cTnMV"-^'"'dte''^eh1ammvulkane  auf  der  Halbinsel  Tanaan  am 
asow'schen  Meere  und  die  bei  Baku  am  caspischen  Meere.) 

Nach    der   Lage    theilt   man  sie  ein  in  C  entral- Vulkane , 
d.  i.   einzelne  Gruppen ,    die  einen  Hauptvulkan  einschliessen,  oder 


Reihen-Vulkane,  d.  i.  grosse  Reihen,  welche  eich  in  bedeuten- 
den  Strecken,  oft  in  der  Nahe  des  Meeres,  hinziehen. 

Von  den  225  bekannten  thatigen  Vulkanen  liegen  etwa  70, 
d.  i.  y3,  auf  den  Kontinenten,  und  155  oder  2/3  auf  der  Inselwelt, 
und  zwar  auf  den  Inseln  des  gross  en  Oce  a  ns  und  urn  denselben 
her  finden  wir  198  oder  nahe  an  7/g.  Von  den  70  Kontinental- Vul- 
kanen gehoren  53  oder  %  zu  America,  15  zu  Asien,  1  zu  Europa, 
1  oder  2  in  den  bisher  bekannteu  Gegenden  Africa's.  In  den  siid- 
asiatischen  Inseln  (Sunda-Inseln  und  Molukken)  wie  in  den  Aleuten 
und  Kurilen  liegt  auf  dem  engsten  Raume  die  grosste  Menge  der 
Insel- Vulkane. 

Zahl  der  Vulkane      Zahl  der  noch 
iiberhaupt  thatigen  Vulkane 

Europa 7  4 

Inseln  des  atlantischen  Oceans 14  8 

Africa 3  1 

Kontinentales  Asien 25  15 

a)  Westlicher  Theil  und  das  Innere (11)  (6) 

b;  Halbinsel  Kamtschatka (14J  \  9f 

Ostasiatische  Inseln 69  54 

Sudasiatische  Inseln 120  56 

Indischer  Ocean 9  5 

Sudsee 40  26 

Kontinentales  America 115  53 

Sudamerica (561  (26| 

Ccntralamerica J29l  lisl 

Mexiko j  6j  1  4j 

Kordwestamerica 124'  I  5) 

Antilleu  ..  5.3 


407     225 

Cen  tralvulkane:.  Auf  Island  (Hekla,  Krabla)  auf  den  liparischen  Inseln 
(Stromboli),  der  Aetna,  der  Vesuv,  die  Vulkane  der  Azoren,  der  kanarischen, 
kapverdischen,  Gallopagos-,  Sandwichs-,  Marquesas-,  Gesellschafts-  und  Freund- 
schafts-Inseln. 

Reihenvulkane:  die  westaustralischen  von  Neu-Seeland,  der  Neu-Hebri- 
den,  St.  Cruz,  Neu-Britannien  und  Neu-Guinea,  die  Reihe  der  Molukken  und 
Sunda-Inseln,  besonders  zahlreich  auf  Java  und  Sumatra,  die  der  Philippinen 
Bnd  Marianen,  die  japanischen  und  kurilischen,  die  von  Kamtschatka,  der 
Aleuten,  von  Nordwest- America,  von  Mexiko,  von  Central  -  America,  von 
Quito,  Bolivia,  Peru,  Chili,  den  Antillen  und  die  der  griechischon  Inseln  im 
Mittelmeere. 

§.  64.  Pbysische  Bcscliaffenheit  des  Flacklandes. 

Nach  der  Beschaffenheit  des  Bodens  und  des  Klima's,  wovon 
die  Moglichkeit  des  Pflanzenwuchses  ,  die  grossere  oder  geringere 
Fruchtbarkeit  des  Erdstriches  abhangt ,  unterscheidet  man  auf  dem 
Flachlande: 

a)  Kul  tureben  en,    d.  i.   reich   bewasserte  Flachlander,  in 
denen    feste   Ansiedlungen    begriindet  eind ,    weil    der    Anbau   von 
Pflanzen  moglich  und  ergiebig  ist  (Wiesen,    Felder,   Aecker,    Wal- 
der,  Marschland,  Geestland  u.  s.  w.) ; 

b)  Steppen,    welche    reichlich    mit    kleinen   Gewachsen  be- 
deckt  aber  waldlos,  wasserarm,  wenig  bewohnt  und  einformig  sind; 

c)  II  aid  en    sind   weithin    sich    ausdehnende   Ebenen,    meist 
sandig  und  unfruchtbar,  mitunter  sumpfig,  gewohnlich  nur  mit  Haide- 
kraut  und  hie  und  da  mit  Kieferwald  bewachsen ; 

6* 


84 

d)  die  Savannen  und  Prairie n  (am  Missisippi    und  Mis- 
souri) sind  uniibersehbare  Grasfluren,  bisweilen  mit  einer  riesenhaf- 
ten  Vegetation,  oder  undurchdringlichenSchilfwaldungen;  derBaum- 
wuchs  kommt  in  denselben  bald  dicht  wie  in  den  Urwaldern,    bald 
vereinzelt,  bald  gar  nicht  vor;   die  Llanos   (am  Orinoko)   sind  in 
der    trockenen  Jahreszeit   diirre,    baumlose   ausgebrannte    Steppen, 
nach  der  Regenzeit  aber  ein  wahres  ,,Krautermeer"  mit  hohen  Gra- 
sern;  —  die  Selvas  (am  Amazonenstrom)  sind  undurchdringliche 
Urwalder,  mit  dem  grossartigsten  Pflanzenwuchs,  riesenhaften  Schling- 
gewachsen ;   —    die   Pampas  (am  la  Plata)  sind  in  der  trockenen 
Jahreszeit  vollkommen    ausgebrannte    Steppen,    zur  Regenzeit  sind 
sie  mit  hohem  Grase  bedeckte  Ebenen  ohne  Baumwuchs; 

e)  wasserarme  Landstriche,  meist  mit  Sand  und   kleinen  Stei- 
nen  bedeckt ,    in   denen   Pflanzen   gar   nicht  oder  nur  sehr  sparsam 
gedeihen,   heissen  Wilsten,   und   die   einzelnen,  anbaufahigen  und 
bewohnten  Stellen  in  denselben  --  Oasen,  welche  Rastplatze  fur 
Karawanen  bilden. 

§.  65.  Geographische  Verbreitung  der  Pflanzen. 

Das  Leben  und  Gedeihen  der  Pflanzen  hangt  besonders  von 
der  Peuchtigkeit,  dem  Lichte  und  der  Warme  ab.  Da  das 
vegetabilische  Leben  fur  die  Temperatur  am  meisten  empfindsain 
ist,  und  in  der  innigsten  Beziehung  zu  den  physischen  Verhaltnissen 
der  Erdoberflache  steht ;  da  ferners  das  Gedeihen  der  Pflanzen  nicht 
bloss  von  der  mittleren  Jahreswarme ,  sondern  noch  mehr  von  der 
mittleren  Sommerwarme  abhangt:  so  sind  die  Pflanzen  das 
sicherste  Kennzeichen  fiir  das  wahre  Klima.  Auf  diese 
Abhangigkeit  der  Pflanzen  griindet  sich  die  Eintheilung  der  Erd- 
oberflache nach  horizontaler  Richtung  in  Pflanzenzonen  und 
nach  vertikaler  in  Pflanzen  regi  one  n. 

Die  Pflanzenwelt  erstreckt  sich  fiber  die  ganze  Oberflache  der 
Erde  ,  vom  Aequator  bis  zu  den  Polen,  vom  Meeresgrunde  bis  in 
die  Schneeregion ,  jedoch  unendlich  verschieden  in  der  Menge  der 
Arten  und  der  Mannigfaltigkeit  und  Physiognomie  der  Pflanzen.  Die 
Zahl  der  Pflanzenarten  nimmt  von  den  Polen  gegen  den  Aequator 
zu,  ebeneo  die  Mannigfaltigkeit  der  Bildungen,  die  Schonheit  der 
Form  und  des  Farbengemisches,  die  Frische,  Kraft  und  Grosse  des 
Pflanzenlebens.  In  der  heissen  Zone  herrscht  die  uppigste  Vegeta- 
tion, die  meisten  Gewachse  bleiben  stets  griin  (perennirend) ;  woge- 
gen  in  den  mittleren  Breitegraden  die  Pracht  und  Fulle  schwinden, 
der  Laubfall  sich  einstellt,  und  in  den  kalten  Zonen  nur  mehr  sp'ar- 
lich  niederes  Strauchwerk,  Beeren  und  Moose  vorkommen.  Die  heisse 
Zone  enthalt  in  den  verschiedenen  Regionen  ihrer  Hochgebirge  die- 
selbe  Reihenfolge  der  Pflanzenarten  iiber  einander,  welche  vom 
Aequator  gegen  die  Pole  neben  einander  liegen,  Jede  Bodenart 
hat  weiters  ihre  besonderen  Pflanzen;  einige  gedeihen  nur  im  Ge- 
birge,  andere  nur  am  salzgetrankten  Meerestrande,  andere  nur  im 
Wasser  der  Flusse,  Seen  und  Oceane ;  eigentlich  kosmopolitische 
Pflanzen  gibt  es  nur  sehr  wenige.  Jede  Pflanze  hat  ihr  Vaterland, 
d,  i.  ihre  ursprungliche Heimat  und  ihren  geographischenVer- 


breitungsbezi  rk;  jeder  Erdstrich  seine  weit  verbreitete  Nah- 
r  un  gspflanze.  Diejenigen  Pflanzen,  welche  der  Mensch  zu  irgend 
einem  Zwecke  erzieht,  anbaut  und  mit  Sorgfalt  pflegt  (kultivirt), 
heissen  Kulturpflanzen,  im  Gegensatze  zu  den  wildwachsenden. 
Viele  Pflanzen  hat  der  Mensch  in  Gegenden,  wo  sie  ursprunglich 
nicht  einheimisch  waren  ,  akklimatisirt,  d.  h.  er  hat  sie  unter 
Bedingungen  gebracht,  welche  ihrem  Gedeihen  in  dem  neuen  Vater- 
lande  zusagen. 

Nach  der  Nutzanwendung  werden  die  Kulturpflanzen  in    ver- 
echiedene  Gruppen  getheilt : 

1.  Kulturpflanzen,   welche  dem  Menschen  die  g  e- 
wohnliche    Nahrung    liefern,    als :    Getreidepflanzen  (Cerea- 
lien),    Weizen,   Roggen,    Gerste,    Reis,    Mais,    Durra,    Dattelpalme, 
Kartoffel  u.  s.  w. ; 

2.  Kulturpflanzen,   welche  Luxus-Nahrungs  stoffe 
liefern,   als:    das  Zuckerrohr,    der  Kaffeebaum,  der  Theestrauch, 
der  Cacaobaum,  die  Vanille,  der  Pfefferstrauch,  der  Zimmtbaum,  der 
Gewiirznelkenbaum,  der  Muskatnussbaum,  die  Ingwerpflanze  u.  s.  w. ; 

3.  Kulturpflanzen,    welche  geistige  Getranke  lie- 
fern,  als:  der  Weinstock,  mehrere  Palmen  u.  s.  w.,; 

4.  Kulturpflanzen,    welche   allein   zum  Luxus  b  e- 
niitzt    werden,    als:    die  Tabakpflanze ,    der  Mohn,    die  Coca- 
pflanze  u.  s.  w, ; 

5.  Kulturpflanzen,  welche  Bekleidungsstof f e  lie- 
fern,  als:  die  Lein-,  Hanf-  und  die  Baumwollenpflanze ,    der  neu- 
seelandische  Flachs  u.  s.  w. ; 

6.  Kulturpflanzen,  welche  Farbstoffe  liefern,  als: 
Indigo,  Waid,  Krapp,  Safran,  Farbhb'lzer  u.  s.  w. ; 

Uebersicht  der  Durchschnittswerthe  fur  die  Grenzen  der 


Pflanzen- 
Eegion  der 

Pflanzen-Zonen 

1  heisse 

2-8 

zweitro- 
pische 

4-5 
rwei 
subtro- 
pische 

6—7 
zwei 
war- 
mere  ge- 
massigte 

8—9 
zwei 

kflltere 
gemas- 
sigte 

10-11 
zwei 
snbark- 
tische 

1U-13 
zwei 
ark- 
tische 

14—15 

zwei 
Polar 

Grad 
Breite 

0_15|15—  23 

23-34 

34-45 

45-58)58-66 

66-72)72-90 

Mittlere 
Jahres- 
warme 
Grad  K. 

20-23 

18-20 

13—17 

9-14 

5-9 

3-5 

2 

-J2 

Flechten  
Graser  

1 
I 

I 

3 

1 
8 
02 

15.200 
13.300 
11.400 
9500 

7600 
BYOO 

3800 
1900 

13.300 
11.400 
9500 
7600 

5700 
3800 
1900 

11.400 
9500 
7600 
5700 

3800 
1900 

9500 
7600 
5700 
3800 

1900 

7600 
5700 
3800 
1900 

5700 
3800 
1900 

3800 
1900 

1900 

Alpenpflanzen  .  . 
Nadelholzer  .... 
europ.    Laubhol- 

immergrunen 
Laubholzer.  .  . 
Myrthen     und 
Lorbeeren  .  .  . 
Farnbaume  .... 
Palmen  und  Ba- 
nanen  

~ 

— 

—  "' 

- 

— 

Die  wirklichen  Grenzen  der    Vegetationsregionen  weichen  je  nach  den  Lokali- 
taten  von  diesen  Durchschnittswerthen    mehr  oder  minder  ab. 


_80_ 

Verbreitung  einiger  Kulturpflanzen. 

1.  Die  Getreidepflanzen  oder  Cerealien  liefern  dem  Menschen  den  haupt- 
s'achlichsten  Nahrungsstoff.     Zu  den  wichtigsten  Arten    derselben  gehoren:  der  Wei- 
zen,  der  Roggen,  dieGerste  und  derHafer  fur  Europa,  das  angrenzende  Asien 
und  die  gemassigten  Gegenden  Americas;  —  der  He  is    und  mehrere  Hirsearten  fur 
den  Suden  und  Osten  Asiens  ;  —  der  Mais  fur  die  warmeren  Theile  Americas;  — 
und  die  Sorgho,  die  Durra  (Negerkorn)  fur  das    tropische  Africa.     Am  weitesten 
gegen  Norden  wachst   die  Gerste  (fast    bis  70°  n.  Br.    in  Europa,  in  Asien  60°,  in 
Nordamerica  56°)  ;  um  einige  Grade  weniger  nach  Norden    reicht  der  Eoggen,  der 
seinen  Hauptsitz  in  der  subarktischen  Zone  hat;    noch   weniger  nordwarts  reicht  der 
Weizen,  der  eine  mittlere  Sommerwarme    von  13°  R.    bencithiget    und  dessen  Be- 
zirk  sich  von  der  subtropischen  Zone   fast  durch  die  ganze  warmere  und  kaltere  ge- 
massigte  Zone  erstreckt.     Der  Hafer  reicht    bisweilen  tiber   die  Curve   der  Isothere 
des  Roggens  hinaus,  und  sein  Anbau  erstreckt  sich  bis  67°  n.Br.  Der  Reis  braucht 
viel  Feuchtigkeit   uud    eine    mittlere  Sommerwarme    von  23"  R.  ;  er  gehort  vcrzugs- 
weise  der  tropischen  Zone,  doch  gedeiht  er  noch  fiber  45°.     Der  Mais,    durch  sehr 
ergiebigen  Ertrag  ausgezeichnet,    benSthiget    eine  mi'.tlere  Sommerwarme  von  15°  R. 
und  reicht  in  Europa  bis  fiber  50°,    in  Nordamerica  bis  54°,   in  Siidamerica  bis  40°. 
Die  Kartoffel  kommt  in  noch  hoheren  Breiten  als  dieGerste  vor  (bis  71°  n.Br.); 
dagegen  artet    sie    in  heissen    Landern    leicht    aus.     (Grosse    Getreidemarkte   in 
Odessa,  den  russischen  und  prenssischen  Ostseestadten,  Marseille,  Triest,  Wieselburg, 
Oedenburg,  Arad  u.  s.  f.  Mehlhandel  in  alien  grosseren  Seestadten.) 

2.  Colonialprodllkte.  Zu  diesen  gehoren  jene  Kulturpflanzen,  welche  haupt- 
sachlicli  in  den  tiopischen  Colonien  der    Enropaer    gebaut    werden    und,    da    sie    fur 
viele  Volker  Gegenstand  des    fast    taglichen    Bedurfnisses    gewoiden   sind,    einen  der 
Hauptanikel    des    Welthandels    bilden.     Zu    diesen  gehoren :    Zucker,    Kaffee,  Thee, 
Gewiirze  und  Spezereien,    Baumwolle,    Farbe-   und   Nutzholzer.     Das   Zuckerrohr 
gedeiht  am  besten  in  Landern,  die  eine  mittlere  Jahrestemperatur  von  20°  R.  haben ; 
doch  findet  man    grosse  Anpflanzungen   selbst    in  Gegenden,   in    denen    die    mittlere 
Jahrestemperatur  nur  16°  betragt.     Die   Heimat    ist    das   warmere  Asien,  von  wo  es 
im  zwolften  Jahrhunderte  nach  Cypern,  Rhodus,  Candia,  Sicilien  und  Spanien,  spater 
auf  Madeira  und  die  kanarischen  Inseln  verbreitet  wurde.    Um  die  Mitte  des  sieben- 
zehnten  Jahrhunderts  wurde  es  nach  Brasilien,  Guyana  und   den  Antillen  verpflanzt, 
wo  es  jetzt  in    grosser  Menge    gebaut   wird.     (Gesammteinfuhr    in   Europa   etwa  10 
Millionen  Zentner  ;  grosse  Raffinerien  in  Hamburg,  Marseille,  Rouen,  Amsterdam,  Li- 
verpool nnd  anderen  Seestadten.)  —  Der  Kaffeebaum  fallt    bezuglich  seiner  geo- 
graphischen  Verbreitung    im  Allgemeinen   mit    dem   Znckerrohr    zusammen,  wird  bis 
36°  n.Br.  kultivirt,  und  beansprucht  eine  mittlere  Jahrestemperatur  von  20°  R.  Seine 
Heimat  ist  Abyssinien  und  Mittel-Africa,  von  wo  sich  seine  Kultur  nach  Asien  (be- 
sonders  nach  Arabien)  verbreitete.     In  grosser  Menge  wird  er   auf  den    Antillen,  in 
Brasilien,  auf  den  Sunda-Inseln  (besonders  Java)  gebaut.  (Jahrliche  Gesammtproduc- 
tion  beilaufig  500  Millionen  Pfund,  woven  fast  die  Halfte  auf  Brasilien,  80  Millionen 
auf  Java  kommen.)  —  Der  Theestranch  ist   hauptsachlich    in  China    einheimisch 
nnd  kommt  auch  hier  fast    nur    in   der   subtropischen    Zone   vor;    fur  sein  Gedeihen 
genugt  eine  mittlere  Jahrestemperatur  von  13°  R.    (Jahrliche  Ausfuhr  aus  China  an 
90  Millionen  Pfund,  woven  bei  50  nach  England,  20  nach  Nord-America,  8  Millionen 
Pfund  Bach  Russland  gehen.)  — Unter  den  Gewurzen  haben  die  kraftigsten  in  den 
heissen  Landern  ihre  Heimat,  und  ihre  Verbreitung  ist  meistens  auf  kleinere  Bczirke 
beschrankt.     So  gedeiht  die  Vanille  nnr  in  Mexiko  (auf  dem  Ostabhange  der  Cor- 
dilleren    von  Anahuac),    der    Zimmtbaum   auf   Ceylon  (er    hat   die  Grenzen    von 
Ostindien  kaum  fiberschritten),  der  Muskatnus  s-  und  der  Gewfirznelkenbaum 
auf  den  Molukken  (ersterer  besonders  auf  den  Banda- Inseln,  derzweite  aufAmboina), 
—  der  Pfefferstrauch    auf  Sumatra,   Borneo,   Hinterindien   nnd   der   Kiistc    von 
Malabar,    die  Ingwe  r  p  flanze    in  China    und   Ostindien.    —    Sowie    die    besseren 
FarbehOlzer    so    erhalt  Europa    auch    die  edleren  Nutz-    oder    Werkholzer 
aus  den  warmeren  Erdstrichen,  z.  B.  Fernamb  ukhol  z  aus  Brasilien,  Sandelholz 
aus  Ostindien,  Campeche-  und  Mahagoniholz  aus  Westindien  und  den  Kusten- 
gegendeu  der  Campeche-    nnd  Hondurasbai ,    Ebenholz   aus   Ceylon   und    den  ost- 
africanischen  Kfistenlandern  u.  s.  w. 

3.  Der  Wcinstock,  eine  Kulturpflanze,  welche  ein  Produkt  des  Luxus  aber 
auch  der  Nahrung  liefert,  bat  ihre  Heimat  zwischen  dom  schwarzen    und  dem  caspi- 


87 

schen  Meere,  doch  hat  sich  der  Anbanbezirk  bis  52°  n.  nnd  38°  s.  Br.  ansgedehnt. 
Der  Weinstock  gedeiht  am  besten  bei  einer  mittlerea  Jahrestemperatur  von  12 — 13°  R. 
und  wird  am  starksten  in  Frankreich  und  Oesterreich  gebaut,  dann  in  Spanien,  Por- 
tugal, Deutschland,  Madeira,  Turkei,  Sudrussland,  Kapland.  Von  hSchster  Wich- 
tigkeit  fiir  die  Bewohner  der  heissen  Gegenden  sind  die  Palme  n,  welche  znmeist 
zwischen  den  Wendekreisen  vorkommen  und  zur  Befriedigung  maucherlei  Bediirfuisse 
dienen.  (Palmol,  Palmwein,  Material  fiir  Wohnungen  und  Gerathschaften  etc.) 

4.  Der  Tabak,  dessen  Anbau  von  der  ursprunglichen  Heimat,  dem  tropischcn 
America,  nach  Europa    und  Asien   ubergegangen    und    bis  55°  n.  Br.    vorgedrungen 
ist,  benothigt  eine  mittlere  Jahrestemperatur  von  13°  R.     Er  \vird   hauptsachlich  an- 
gebaut  in  America,  Kleinasien,  Griechenland,  Russland,  Deutschland,  Oesterreich  etc. 

5.  Unter  den  Kulturpflanzen,   welche  Beklridangsstoffu    liefern,   und  einen 
Hauptartikel  im  Handelsverkehr    bilden,    nimmt    die    Baumwolle  den  ersten   Rang 
ein.     Ihre  urspriingliche  Heimat  war  Ostindien,  China,  uberhaupt  die  Tropenzone  der 
alten  Welt;    doch    ist  ihr  Verbreitungsbezirk    gegenwartig    so    ausgedehnt,    wie    fast 
bei  keiner  andern  Nutzpflanze,    besonders    in  America,    Siid-    und  Ost-Asien,    Nord- 
Africa  und  Siid-Europa.  Sie  reicht  auf  der  nordlichen  Hemisphare   bis  aber  den  40°, 
auf  der  siidlichen  bis  zum  28°  Br.     Die  jahrliche  Gesammtproduction  wird  auf  etwa 
18  Millionen  Zentner  berechnet,    wovon    England   allein   mehr    als    die    Halfte   (uber 
9  Millionen  Zentner)  zur  Verarbeitung  bezieht.  —  Dieser  zunachst   steht  die  Lein- 
pflanze,  welche  bis  64°  n.  Br.  reicht  nnd  in  fast  ganz  Europa,    im  nfirdlichen  Asien, 
auf  den  Hochebenen  von  Indien,  in  Egyplen,  Nord-America    gebaut   wird,  uberhaupt 
in  Gegenden,  in  denen  die  mittlere  Jahrestemperatur  bis  11°  R.    reicht.     Die  Hanf- 
pflanze  reicht  bis  zur  Polargrenze   der  Leinpflanze,    aber  nicht   in  so  hohe  Regionen 
als  diese.  Der  neuseelandische  Flachs  hat  seine  Verbreitung  uber  die  urspriing- 
liche Heimat  —  Neuseeland  —  nicht  ausgedehnt. 

6.  Von  den  Farbepflanzen  gedeiht    der  Indigo   in  den  warmeren  Erdstri- 
chen  Asiens  (Ostindien)  von  20—30°  n.  Br.,    dann   im   tropischen   America    und    in 
Egypten.     Der  Waid  ist  fast  uberall  in  Europa  einheimisch,   besonders  in  Deutsch- 
land,  der  Krapp  ist  aus  Kleinasien  nnd  Ostindien   nach  Europa  verpflanzt    woiden, 
wo  er    in  Frankreich,    Holland,   Deutschland    und    Oesterreich   gut   fortkommt.     Der 
Safran  ist  durch  die  Kreuzfahrer  ebenfalls  aus  Asien  nach  Europa  gebracht  worden 
nnd  gedeiht  besonders  in  den  warmeren  Gegenden. 

§.  66.  Geographische  Verbreitung  der  Thiere. 

Die  Thierwelt  bestimmt  nicht  in  dem  Masse  den  Charakter 
einer  Gegend,  wie  die  Pflanzenwelt,  da  deren  Verbreitung  noch  von 
anderen  Verhalfnissen  bedingt  ist  als  jene  der  Letzteren.  Im  All- 
gemeinen  gilt  indess  auch  hier  das  Gesetz  von  der  Armuth  an  den 
Polen  und  dem  Reichthum  am  Aequator.  In  der  Regel  ist  eine 
grosse  Mannigfaltigkeit  und  iippige  Entwicklung  des  Pflanzenwuch- 
ses  auch  von  einer  enteprechenden  Mannigfaltigkeit  und  Fiille  der 
Thierformen  begleitet;  demzufolge  ist  das  animaliache  Leben  inner- 
halb  der  Tropen  auf  der  hochsten  Stufe,  gegen  die  Pole  hin  aber 
nimmt  es  allmahlich  ab.  Nur  die  Seethiere  folgen  dem  umgekehrten 
Gesetze  und  nehmen  gegen  die  Pole  an  Urnfang  und  Masse  zu. 
Die  verschiedenen  Erdzonen  pragen  endlich  den  ihnen  vorzugs- 
weise  eingenthiimlichen  Thiergattungen  eine  bestimmte  Physiognomie 
auf,  welche  sie  kennzeichnet. 

Die  h  e  i  s  s  e  Zone  hat  nicht  nur  eine  grossere  Mannigfaltig- 
keit in  den  Geschleehtern  und  Gattungen,  sondern  auch  eine  gros- 
sere Verschiedenheit  des  Baues  und  der  Farbe  der  Thiere.  Die 
riesenhaften  und  priichtigsten  aber  auch  die  reissendsten  Landthiere 
bewohnen  diese  Zone ;  9/lo  von  alien  Vb'gelarten  gehoren  den  Tro- 
pen, darunter  die  grossten  und  mit  dem  buntesten  Gefieder,  doch 
zeichnet  sie  jener  angenehme  Gesang  nicht  aus  ,  wie  die  der  ge- 
massigten  Zone;  unzahlige  zum  Theil  sehr  gefahrliche  Amphibien 


__88_ 

und  Insekten  bewohnen  nebst  anderen  sehr  nutzlichen  diesen  heissen 
Erdstrich. 

In  den  gemassigten  Zonen  weiset  die  Fauna  eine  gerlngere 
Menge,  Grosse  und  Wildheit  der  Thiere,  nur  die  Raubthiere  des 
Hundegeschlechtes  und  die  Baren  fiigen  noch  Schaden  zu.  Dagegen 
leben  hier  die  nutzlichsten  Hausthiere;  die  Vogel  sind  meistens 
kleiner,  von  minder  schonem  Gefieder,  aber  im  Gauzen  sangreicher, 
einige  ziehen  zur  Winterszeit  in  warmere  Gegenden  (Zugvogel)  ; 
die  Amphibien  werden  seltener,  kleiner  und  nur  wenige  davon  sind 
giftig ;  die  ganze  Fauna  hat  einen  gemassigteren  Charakter. 

In  den  Polarlandern  schrumpft  auch  die  Thierwelt  zu- 
sammen,  und  dem  winterlichen  Abfallen  der  Pflanzenblatter  in  den 
kalteren  Gegenden  entspricht  gleichsam  der  Winterschlaf  der  Thiere. 
Wegen  der  kiimmerlichen  Vegetation  und  der  ungiinstigen  klimati- 
schen  Verhaltnisse  konnen  nur  wenige  Arten  von  Saugethieren  ge- 
deihenj  das  Bennthier  ist  der  Reprasentant  dieser  Zone.  Im  Allge- 
meinen  bswohnen  Landthiere  und  Vogel,  welche  geschatztes  Pelz- 
werk  und  Bettfedern  liefern,  die  Polarlander.  Die  Reptilien  sind 
ausserst  sparlich,  dagegen  schwarmen  auch  dort  im  kurzen  Sommer 
Myriaden  Mticken  u.  dgl.,  da  die  Menge  der  Insekten  weniger  an  die 
geograpbische  Breite  gebunden  ist. 

Auch  die  Seethiere  haben  im  Allgemeinen  ihre  abgeson- 
derten  Gegenden,  von  denen  sie  sich  nicht  entfernen  ,  weil  sie  dort 
Nahrung  und  die  ubrigen  Bedingnisse  ihres  Gedeihens  finden.  Ein- 
zelne  jedoch  durchstreifen  fast  den  ganzen  Ocean  von  Nord  nach 
Sud,  andere  treten  wie  die  Zugvogel  periodische  Wanderungen  an. 

Die  Thiere  haben  ebenfalls  ihre  urspriingliche  Heimath  und 
ihren  Verbreitungsbezirk.  Der  Selbsterhaltungstrieb  oder  grosse 
Elementar -  Ereignisse  haben  jedoch  deren  Verbreitungsbezirk  aus- 
gedehnt ;  noch  haufiger  hat  sie  der  Mensch  ihres  Nutzens  wegen 
in  feme  Gegenden  verpflanzt  (Hausthiere).  Diese  erleiden  unter 
verschiedenen  Verhaltnissen  auch  mancherlei  Veranderungen.  Das 
Schaf  tr'agt  z.  B.  in  der  gemassigten  Zone  die  feinste  Wolle ,  in 
heissen  Landern  wird  sie  grob;  —  der  Fuchs  ist  in  warmen  Lan- 
dern  dunn  und  grob  behaart ,  in  kalten  tr'agt  er  den  weichsten 
Pelz ;  —  ahnliche  Veranderungen  erleidet  der  Bar ;  —  in  den 
Aequatorial  -  Gegenden  verandert  der  Hund  sein  Bellen ,  in  den 
Polarlandern  heult  er  mehr,  auch  wird  er  hier  langhaariger ,  und 
nimmt  viel  von  der  Wildheit  des  Wolfes  an  u.  s.  f.  —  Endlich 
hat  auch  jeder  von  den  beiden  grossen  Kontinenten  seine  eigene 
Thierwelt;  doch  sind  die  Formen  auf  dem  alten  Kontinente  gewal- 
tiger  und  kolossaler. 

Verbreitung  einiger  der  niitzlichsten  Thiere. 

Das  Pferd.  —  Ausgezeichnet  in  Arabien,  sehr  gute  Pferdezucht  ist  in  England, 
Spanien (Andalusien),  Deutschland,  Ungarn,  Mittelrussland.  (Handel  mit  Eoss- 
haar  in  Dublin,  Amsterdam,  Archangel,  St.  Petersburg,  Danzig,  Rouen,  Ham- 
burg.) 

Das  Rind.  —  Ungarn,  Polen,  Rnssland,  die  norddeutschen  Marschen,  Holland,  Ir- 
land,  die  Alpenlander;  —  Nordamerica,  La  Plata,  Brasilien.  (Die  meisten  Rind- 
viehprodukte,  als:  rohe  Hante,  H6rner,  Talg  u.  s.  w.  bringen  in  den  Handel 
Buenos  Ayres,  Montevideo,  Columbia,  Brasilien,  Russland,  Ungarn,  Polen.) 


89 

Das  Schaf.  —  Die  meiste  und  beste  Wolle  in  Dentschland  (Sachsen,  Prenssen)  und 
Spanien,  dann  Ungarn,  England,  Kapland  und  Neuholland ;  auch  Russland,  Frank- 
reich,  Mittelasien,  und  Nordamerica. 

Pelzthiere  am  haufigsten  und  schonsten  in  Russland  (Sibirien,  Kamtschatka,  Al6u- 
ten  und  Kurilen)  und  Nordamerica  (Canada,  Nordwestkuste).  —  Bedeutender 
Pelzhand'el  in  London  (Hudsonsbai-Compagnie),  Archangel,  St.  Petersburg, 
Nishnij  Nowgorod  und  Leipzig. 

Wallfische  undKobben  werden  um  Gr6nland,  Spitzbergen  und  Nowaja  Semlja  ge. 
fangen,  dann  im  sudlichen  Eismeer.  (Hauptstation  anf  den  Sandwichsinseln.) 

Stockfisch  oder  Kabljau  wird  am  starksten  gefangen  an  den  Kusten  von  Neu- 
Foundland,  Neu-Schottland,  dann  auch  an  den  Kusten  von  Norwegen,  Island 
und  Holland. 

Haringe  werden  in  zahlloser  Menge  unweit  den  Kusten  von  Holland,  England, 
Schottland  und  Norwegen  gefangen  (in  der  Ostsee  nStromlingett). 

Sardellen  hauptsachlich  im  Mittelmeere  und  an  den  Kusten  des  Atlantik,  an  der 
West-  und  Sudkuste  von  Frankreich,  im  Kanal,  Meerbusen  von  Genua,  Spanien, 
Istrien  und  Dalmatian. 

Der  Hausen  (\vegen  der  Hausenblase  und  des  Kaviars)  hauptsachlich  im  Schwarzen 
und  Kaspischen  Meere  und  in  den  dort  einmundenden  Strfimen. 

Die  Seidenraupe.  —  Ihre  Verbreitung  ist  von  jener  des  weissen  Maulbeerbaumes 
abhangig,  welcher  in  warmeren  Gegenden  (bis  46°  n.  Br.)  gedeiht.  Die  Heimat 
ist  China  und  Persien,  sorgfaltig  wird  sie  in  Ober-Italien  und  Frankreich,  minder 
in  Spanien  und  der  Turkei  gepflegt.  In  den  sudlichen  Kronlandern  Oesterreichs 
hat  man  sehr  gluckliche  Versuche  mit  der  Seidenkultnr  gemacht.  Sehr  viel 
und  ausgezeichnete  Seide  liefern  China  und  Ostindien  nach  Europa.  (Sei den- 
hand  el  in  Genua,  Livorno,  Neapel,  Messina,  Marseille,  Lyon,  Mailand,  Bergamo, 
Como,  Wien,  Brnssa.) 

Das  Cochenille-Insekt  liefert  ausgezeichneten  rothen  Farbstoff  (Carmin),  kommt 
hauptsachlich  in  America  vor  (Mexiko,  Guatemala,  Columbia,  Peru,  Brasilien). 
Akklimatisirungsversuche  in  Spanien  sind  gelungen. 

Die  Bienenzucht  wird  in  den  sudlichen  Landern  Europa's  stark  betrieben.  Berflhmt 
sind  der  ungarische,  griechische  und  franzosische  Honig,  —  das  beste  Wachs 
liefern  Russland,  Polen,  die  Turkei,  Berberei  und  Sumatra.  —  Bedeutender 
Wachshandel  in  Breslau,  den  Ostseestadten,  Hamburg  etc. 

Perl  en.  Die  beriihmtesten  Perlenfischereien  sind  in  Ostindien,  Japan  und  Arabien, 
die  im  mexikanischem  Busen  haben  stark  abgenommen;  die  Ausbeute  in  einigen 
Flussen  von  Mittel-Europa  ist  schwach  und  von  geringerer  Art. 

Korallen  an  den  Kusten  von  Algier  und  Tunis,  Sicilien,  Corsika  und  Sardinien, 
Sudfrankreich,  Catalonien,  Neu-Guinea.  (Korallenarbeiten  von  Genua,  Pisa,  Li- 
vorno, Neapel.) 


IV.  Politische  Geographic. 

§.  67.  Die  Bevdlkerung  der  Erde  iin  Allgemeinen. 

_L)ie  politische  Geographic  betrachtet  die  Erde  nicht  bloss 
als  den  Wohnplatz  der  Menschen,  sondern  auch  als  den  Schau- 
rjTa't'z  ilirer  geistigen  und  sittlich'en  Entwickelung.  Sie 
'mfaltt'iu'TWUi''HfH^t  Volker- 

kunde  und  die  Elemente  der  Staatenkunde. 

Die  Zahl  der  Menschen  auf  der  Erde  genau  zu  bestimmen 
ist  unmoglich*  Gewiss  ist,  dass  dieselbe  auf  die  verschiedenen 
Erdtheile  und  Lander  eehr  ungleich  vertheilt  ist.  Ein  Land  hat  im 
Allgemeinen  desto  mehr  Bewohner,  je  leichter  sie  sich  in  demsel- 
ben  ernahren  konnen.  Gegliederte  Erdtheile  und  meerumflossene 
Lander  haben  mehr  Bewohner  als  solche,  deren  Kiisten  fast  gerade 
Linien  bilden,  weil  die  Gliederung  den  Seeverkehr  befordert  und 
eine  reiche  Quelle  fiir  Ernahrung  bietet,  Ein  Land,  dessen  Boden- 
beschaffenheit  und  Gewasser  den  Verkehr  begunstigen,  kann  mehr 
Bewohner  ernahren,  als  ein  unwegsames,  wasserarmes  Land;  ebenso 
fordert  ein  milder  Himmelsstrich  die  Zunahme  der  Bevolkerung. 

Die  Bevolkerung  der   ganzen  Erde  wird  gegenwartig  auf  bei- 
laufig  1300  Millionen  Menschen   gerechnet,  —  welche  sich  (in  run- 
den  Summen)  annaherud  folgendermassen  vertheilt: 
Europa        mit  272  Millionen;    also   pro   QMeile  1619  Einwohner; 
Asien            „    755          „  „        „  „         855  „ 

Africa           „     200          „  „        „  „          367  „ 

America       „       59          „  „        „  „  85  „ 

Australien    „        2          „ „        „  ,.  12  „ 

1288  Millionen;  also  pro  nMeile  531  Einwohner. 
Europa,  und  zwar  vorzugsweise  in  seinen  nordlichen  und  westlichen  Theilen, 
zeigt  die  gunstigste  Ehtwickelung  nnd  kann  noch  ausserordentlich  fortschreiten.  Zu- 
nachst  scheint  dann  America  der  Erdtheil  der  Zukunft  fiir  die  menschliche  Ent- 
wickelung  zu  sein,  denn  bei  dem  ausserordentlich  reichen  Naturfond  ist  dieser  Erd- 
theil noch  sehr  diinn  bevolkerr.  Weiters  durften  Australien  und  die  Inselwelt 
dieser  Entwickelung  folgen.  Die  Civilisations-Zustande  in  Asien  (besonders  China 
und  Indien)  lassen  eher  ein  Stillestehen  oder  Riickgehen  als  einen  Fortschritt  er- 
warten.  Die  Zustande  und  Verhaltnisse  in  Africa  sind  noch  viel  zu  wenig  bekannt, 
um  wahrscheinliche  Schliisse  ziehen  zu  konnen.  Welche  Hohe  jedoch  die  Zahl  der 
Menschen  auf  der  Erde  erreichen  kann,  das  zu  bestimmen  gibt  es  keine  nur  einiger- 
massen  sichere  Anhaltspunkte,  seitdem  fast  nnaufhaltsam  die  erfolgreichsten  Erfin- 
dungen  neue  Beforderungsmittel  aller  Kultnrverhaltnisse  werden. 

§.  68.  Die  Bevtilkernng  der  Erde  nach  ilircn  ktirperlichen  Ver- 
schiedenheiten. 

Das  eine  Menschengeschlecht  zerfallt  nach  der  Verschieden- 
denheit  "der  k  o  r  p  e  r  IT cli  e  ri  Beschaffenneft  ^m  fifnf  Eacen*) :  die 

*)  Curier  und  Lacepede  nehmen  deren  nur  drei  an:  Kaukasier,  Mongo- 
len,  Neger,  und  bringen  die  malayische  und  americanische  unter  die  mogolische  Race. 
Zeune  unterscheidet  Hochschadel,  Breitschadel  und  Langschadel,  Bory  de  St. 


91 

k  aukasia.cjje,   mongo^lls^he,   athi opijaxJie,  Darner i c aniscjij? 
"Ulld  ntaTayis  ch?*1B!fflBT^  '"•••••••••••w***"''**1'1 

-1.  4>i'e  kaukasische  oder  weisse;  —  hierher  gehoren  die 
Europaer  mit  Ausnahme  (lerXappen  und  Finnen,  die  West-Asiiucu 
diesseits  des  Ob,  des  caspischen  Meeres,  theihveise  sogar'bis  zum 
Ganges,  die  Nord-Africaner,  und  die  in  America  und  den  europal- 
schen  Colonieif 'Avohnenden  Europaer,  zusammen  an  369  Millionen; 

2.  Die  mongolische:  gelb,    mit   gesdilitzten 
Augen,  hervortretcnden  BackenKno'clien;  —  Chine- 
seW;   MongTlen,     iiberhaupt    Asiaten    (mit    Aus- 
nahme der  bei  1.  Genannten  und  der  Malayen),  zu- 
eammen  an 522          „ 

3.  Die   a  t  h  io  pise  lie:  schwarz,  mit  krausem 
Haar,  vorTreTenden  Kiefern,  Avulsttgen  Lippen,  stum- 
pfenf'l^as'e1;  ^^dtfr^afrt^ftftlschen  Neger  an 196          ,, 

4.  Die   &,me  r  i.c  an  i  s  c  h  e  :    rothlich 
sclnvarze  Ilaare,    von  brcitcr  aber  m^iT~" 
sichtsbililunfT,    inei^t  mTt  stark  ausgepri' 

5.  Diem  a  1  a  y  i  s  c  h  e ;  braun,  sch i  warze  Haare, 
breite   ^{(SG^tJlf99ff!9''l'^rif(fVff^^^^vK^>5fKlffS^<fl^i-- 
latrwj-^TC  Bcwofener  der  Philippinen,  Molukken,  Sunda- 
Inseln,    auch    wohl    die  Australier,   zusammen  bei- 

laufig  an 200  „ 

Von  der  Gesammtbevolkerung  der  Erde  gehoren  somit  an- 
nahernd : 

28.85  %  der  kaukasischen, 
40.61  %    ,,    mongolischen, 
15.38  %    „    malayischen, 
15.08  %    „    athiopischen, 
0.08  °/0    „    americanischen  Race  an. 

§.  G9.  Die  Bevulkernng  der  Erde  nach  den  geistigen  Verschiedenheiten. 

Die  geistigen  Verschiedenheiten  unter  den  Menschejt^Jj^- 
ziehen  sich  auf  Sprache,  Religion,  Kulturgrad  und  Staat s- 
TeTE"aTtrrtrse.  ." 

1.  Die  Sprache.  Man  unterscheidet  drei  Sprachenreiche : 
a)  flee tirende  Sprachen  (in  welchen  den  vTorlen  durch  inii'ere 
Verahdefurig  —  Flexion  —  eine  wechselnde  Bedeutung  ge- 
geben  wird) ;  b)  einsilbige,  flexion  sjpse.  S.praclien  (in 
•\velclicn  die  Worto  urivcrandert  blciben,  und  alle  grammatischen 
Formen  durch  VorseT'zworte,  deren  Stellung  und  den  Zusam- 
menhang  des  Sinnes  angedeutet  werden) ;  —  c)  agglutini- 

,*  ..  ,  ,-,          D!  /     •        i       i  i»          »-!••»—    •  C3  «.       » 

bprachen  (sie  haben  keme 


•\vivd  durch  das  lose  Anfugen  der  Beziehungslaute  an  den  Be- 
deutun^sTaii>,  d.  Ii.  durch  aussercn  Zuwachs  am  Ende  oder  in 
fler  Mitte%"3fi[iB  Bedeutung  des  Wortes  gewechselt). 


Vincent  nimmt  15,  Pri chart  7  Racen  an.  Eetzius  hetrachtete  wieder  die 
Schadelform  als  Grundlage  der  Eintheilung  und  unterschied  Delichocephalen  (mit 
langlichem,  ovalem)  und  Brachycephalen  (mit  breitem  und  kurzem  Schadel). 


a)  Die  flectirenden  Spracben  oder  der  imlo-europaisclie  Sprachstamm,  von 
der  kaukasischen  Race    und  fast  von  der  Halfte    des  Menschengeschlechtes 
gesprochen,  stehen  am  hSchsten  auf  der  Stufenleiter  der  Sprachen  und  zer- 
fallen  in  zwei  grosse  Familien :  die  indo-germanische  und  a  gyp  tisch- 
semitische.  Zu  der  ersteren  gehoren  die  asi  at  ische  Gruppe  (indische, 
persische,  und  jene    der  Kaukasus-Volker),    und    die  europaische  (grie- 
chisch,  lateinisch  —  mit  ihren  T6chtern  —  dann  slawische  Sprachen,  keltisch 
und  die  deutschen  Sprachen) ;    zu    der   zwei  ten    nordsemitisch    (syrisch 
und    chaldaisch),    mittelsemitisch    (hebraisch)    und    sudsemitisch 
(arabisch). 

b)  Der  Sprach'stamm  der  einsilbigen  aber  flexionslosen  Worter,  aucb  der  ost- 
asiatische  oder  chinesische  genannt,  wird  von  vielleicht  500  Millionen 
Menschen  in  China,  Japan  und  dem  grossten  Theile  von  Hinter-Indien  ge- 
sprochen, und  zerfallt  in  die  chinesische,  koreanische,  japanische  und  indo- 
chinesische  Farailie. 

c)  Die   agglntinirenden    Sprachen,    zn   welchen   bei  Weitem   die   meisten 
Sprachen  gehdren,  bilden  eine  Mittelstufe    zwischen   den   friiher    erwahnten 
Sprachieihen   und   werden    in    den    tatarischen  Stamm,    die  kaukasi- 
schen und  die  einverleiben  den  Sprachen  geschieden.  Zum  tatarischen 
Stamme  gehoren  die  tatarischen   n\m  engereh  Sinne"    (mongolisch, 
tiirkische  Familie,  kirgisisch  baschkirisch  u.  s.  w.)  und  die  f  inischen  Spra- 
chen (samojedisch,  ugrisch,  bnlgariscb,  lappisch,  finisch,    estniscb,  magya- 
risch  u.  s.  f.);  —  zu  den  kaukasischen  gehoren  der   iberische  Sprach- 
stamm, georgisch,    abchasisch,   lesgisch    u.  s.  w, ;  —   zu  den  ein- 
verleibenden  gehort    der    baskische    Sprachstamm   (im  innersten   Winkel 
des    Meerbusens  ^von    Biscaya),    als    Rest    eines    ehcdem   weit  verbreiteten 
Sprachstammes. 

Die  Angaben  iiber  die  muthmassliche  Anzahl  der  Sprachen 
wechseln  zwischen  800  und  3000  nebst  einigen  Tausend  Mundarten; 
doch  ist  deren  Menge  von  keiner  Bedeutung,  da  einerseits  manche 
Sprachgebiete  so  klein  sind,  dass  sie  nur  von  15-  bis  20,000  Men- 
Bchen  geeprochen  werden  (in  America),  anderseits  breiten  sich  die 
Sprachen  der  Kulturvolker  immer  mehr  auf  Kosten  der  ungleich 
zahlreicheren  Sprachen  der  ungebildeten  Volker  aus,  wie  z.  R  die 
mehr  als  100  einheimischen  Sprachen  der  Amerikaner  vor  drei 
europaischen  (der  englischen ,  spanischen  und  portugiesischen)  zum 
Theil  verschwunden  eind.  Im  Allgemeinen  ist  die  Sprache  ,,die 
ausserliche  Erscheinung  des  Geistes  der  Volker :  ihre  Sprache  ist 
ihr  Geist  und  ihr  Geist  ist  ihre  Sprache*" 

§.  70.2Fortsetznng. 

2.JPie  Religion.     Die  Religion  der  Volker,  d.  i.  die  Art  und 

Weise,  wie  sie  ihr  VefHalfmss  zu  Gott  auffassen,  ist  nach  dem 
Grade  der  Gesittung  sowie  nach  der  Mstorischen' Entwickeliing  uri'd 
Heranbildung  verschieden.  Das  angeborne  Gottesbewusst- 
sein  suchet  Gott,  und  es  hat  nie  ein  Volk  ohne  Reli- 
gion gege,i>«n. 

'"Tnoer  politischen  Geographic  theilt  man  in  dieser  Beziehung 
das  Menschengeschlecht  zuvorderst  in  zwei  Klassen:  Bekenner 
Eines  Gottes  oder  Monotheisten  und  Bekenner  mehrerer 
Ghrttheiten  oder  P  o  1  y t h  e  i  s  t  e  n  (eigentlich  Pantheisten), 

Zu  den  Ersteren  gehoren   die  Christen,    Juden  und  Mu- 
hamedaner;  die  Letzteren  nennt  man  He  id  en. 
Die  Bevolkerung  der  Erde  vertheilt  sich  in: 


93 

1.  Christen 335  Millionen ;  d.  i.  25.77  Procent, 

2.  Juden 5          „  „       0.38        „ 

3.  Muhamedaner 160          „  „      12,31         „ 

4.  Heiden,  u.  z. 

asiatische  Religionen...   600          ,,  46.15         ,, 


die  iibrigen  Heiden ....  200 
Von  den  Christen  sind: 

Romisch-katholisch  ....    170 


Protestanten 89 

Griechen 76 


15.39 


50.7 


26.6 
23.7 

In  Europa  bekennen  sich  zum  Christenthiime  iiber  262 
Millionen,  in  America  (unter  59  Millionen  Bewohnern)  an  57,  in 
Asien  zwischen  10 — 11,  in  Africa  an  4,  und  in  Australien 
beilaufig  ll/z  Million  Menschen. 

Die  Juden  leben  unter  fast  alien  ansassigen  Volkern,  und 
desshalb  finden  sich  fiir  die  jiidischen  Bevolkerungen  in  den  ausser- 
europaischen  Landern  nirgend  bestimmte  Zahlen,  daher  deren  Merge 
nur  annahernd  geschatzt  werden  kann.  In  Europa  konnen  3l/2 
Million,  in  der  asiatischen  Tiirkei  mindestens  350,000  ange- 
nommen  werden.  Sie  leben  auch  in  den  iibrigen  Theilen  Asiens, 
in  den  cordlichen  Theilen  Africas,  in  Australien,  auf  den 
Sudsee-Inseln,  und  in  America  (an  100,000),  besondera  in 
den  Nord-Americanischen  Freistaaten. 

Muhamedaner  wohnen  in  Europa  etwa  6l/2  Millionen,  in  A  si  en 
durfte  deren  Anzahl  mit  50  Millionen  (inbegriffen  12,650,000  in  der 
asiatischen  Tiirkei),  in  Africa  (da  im  Innern  Nordafrica's  nach 
Earth's  Reiseberichten  fast  durchgehends  Muhamedaner  wohnen), 
—  mit  100  Millionen  anzunehmen  sein;  America  und  Austra- 
lien mochten  keine  irgend  nennenswerthe  Zahl  von  Muhamedanern 
haben. 

Unter  den  Polytheisten  sind  der  Buddhaismus  und  der 
Brahmaismus  die  verbreitetsten;  jener  in  Hinterindien ,  auf  den 
malayischen  Inseln,  China  und  Japan,  dieser  in  Vorderindien.  Die 
mongolischen  Volker  bekennen  sich  zum  Schamanenthum,  ei- 
nem  von  Zauberwahn  und  Damonenfurcht  befangenen  Geisterdienst. 
Die  niederste  Stufe  des  Heidenthums,  der  Fetischdienst,  wel- 
cher  Gegenstande  der  belebten  und  unbelebten  Natur  bis  zu  Klotzen 
und  Holzpuppen  herunter  fur  Kulturobjekte  nimmt,  findet  eich  nur 
bei  Negern. 

§.  71.  Fortsetzung. 

3.  Der  Kulturgrad.  —  Die  verschiedene  Leben sweise  und 
die  Kulturstufe  der  Vulker  beruht  hauptsachlich  auf  dem  Begriffe 
des  Elgerithunis. 

-"Auraer^Ulitersten  Stufe  stehen  die  Sammelvb'lker,  welche 
von  wilden  Pflanzen  und  Thieren  leben,  wie  sie  ihnen  eben  vor- 
kommen.  Die  Jager-  und  Fischervolker  stellen  bisweilen 
mit  grosser  Gewandheit  den  Thieren  des  Waldes  und  Wassers  nach, 
erwgrben  eich  die  Mittel  zur  Befriedigung  ihrer  Bediirfnisse  stets 


94 

von  Neuem,  haben  keine  bleibenden  Outer,  vereinigen  sich  nur  wider- 
strebend  zu  grosseren  Gesellschaften,  und  ihre  Geisteskrafte  ge- 
langen  zu  keiner  hoheren  Entwickelung. 

Die  Volker  mit  Eigenthum  sind  theils  Wandervolker 
(Hirtenvolker,  Nomaden),  theils  ansassige  Volker. 

Die  Lebensweise  der  W  and  ervolk  er  ist  eine  friedlicbere. 
Sie  zahmen  und  nahren  die  Thiere,  ihr  Lebensunterhalt  ist  weniger 
dera  Zufall  ausgesetzt,  es  entwickeln  sich  die  ersten  Begriffe  von 
Eigenthum  und  geordneten,  geselligen  Verhaltniss  n,  die  Betrach- 
tung  der  Natur  belehrt  und  erhebt  Geist  und  Gemtith.  Doch  folgt 
der  Nomade  mit  seinem  beweglichen  Zelte  der  weidesuchenden 
Heerde  von  Steppe  zu  Steppe,  er  hat  keine  Heimath,  und  die  feind- 
eeligen  Reibungen  der  Nomadenstamme  unter  einander  halten  sie 
noch  auf  einer  niederen  Kulturstufe, 

Vom  Hirtenleben  zum  Ackerbau  ist  ein  kleiner  Schritt, 
und  mit  den  fee  ten  Ansiedlungen  beginnt  die  zusammen- 
hangende  Kette  der  menschlichen  Entwickelung  und  geordneteren 
Verhaltnisse.  Der  Ackerbau  mit  der  Viehzucht  begiinstigt  das  Zu- 
sammenleben  Vieler,  und  begrundet  feste  Wohnsitze,  Ortschaften. 
Das  Bediirfniss  der  nothigen  Gerathe  und  Werkzeuge  ruft  das 
Handwerk  hervor,  welches  zuerst  die  nothwrendigen,  dann  die 
niitzlichen  und  endlich  luxuriose  Gegenstande  fiir  Wohnung,  Be- 
kleidung  und  Bequemlichkeit  liefert.  Bald  fiihrt  der  Ueberfluss  an 
Produkten  der  Natur  oder  des  Gewerbfleisses  zu  friedlichem  Ver- 
kehr,  zum  Handel  mit  den  benachbarten,  dann  auch  entfernteren 
Volkern.  Auf  dem  Ackerbaue  ruht  Alles,  was  die  Menschheit  er- 
rungen  hat  in  Sitte  und  Bildung,  ,,der  Pflug  hat  die  ersten  Staa- 
ten  gegriindet."  An  die  Befriedigung  der  bloss  materiellen  Bediirf- 
nisse  kniipfte  sich  in  der  Folge  auch  das  Streben  nach  Befriedigung 
der  geistigen  und  gemuthlichen ;  die  Fahigkeiten  des  menschlichen 
Geistes  entwickeln  sich  in  Wissenschaft  und  Kunst  zur  hoch- 
eten  Stufe  der  Kultur  eines  Volkes. 

Sammelvolker  (oder  vegetirende)  findet  man  noch  auf  Neu- 
Holland,  auf  den  australischen  Inseln ,  vielleicht  auch  im  Innern 
von  Africa.  Jagerhorden  streifen  in  America  (in  den  Hudsons- 
bai-Landern,  im  Innern  des  Kontinentes)  und  im  Innern  Africa s  ; 
zu  den  Fischer  v  olkern  gehoren  mehrere  Stamme  am  arktischen 
Polarmeere  und  auf  der  Inselwelt  Australiens.  Wandervolker 
trifft  man  in  Europa,  America  und  Australien  fast  gar  nicht;  da- 
gegen  sind  sie  zahlreich  auf  den  ausgedehnten  Steppen  Asiens 
und  Africas.  Fast  5/6  der  gesammten  Menschheit  fuhren  sonach 
die  Lebensweise  der  ansEssigen  Volker." 

§.  72.  Schlnss. 

4.  Die  Staatsverliiiltnisse.  —  Die  .inp'ussigen  Menschen 
haben  sich  in  Gesellschaften  unter  bestimmten  Gesetzen  vereinigt, 
um  in  iiupserer  Kuhe  und  Sicherheit  zu'leben  und  ihrem 'geistigen 
Tri'teres&e""materielleh  "Schutz  zu  yerleihen ;  —  diese  Gesellschaften 
ii^isseri  Staaten.  Fur  die  Ertheffung  und  Vollziehung  der  Ge- 
eetze,  fur  den  Schutz  der  Persbnen  und  des  Eigenthums,  fur  die 


95 

Beforderung  der  offentlichqn  Wohlfahrt  des  Staatesjhn^ 
^SOTgt^thV'ft  e  g  i  e  r  u  n-g»~  t^wee-^zerfattf 'tft*1Jie'"S  t  aTOTvj 
irmt-  «i  die  'S  t  a  a  t  s  v  e  r  wjiilu^g^    (Jiigei'-i1  FlffcTier^i 
volker  bilden  ke'lne  S'taaten7'die''"emzelnen  Familien  leben  unter  der 
patriarchalischen    Leitung   von  Familienaltesten    oder    Hauptlingen). 

a)  Die  Form  (liir,..  JtfiSiMmilflLillffiff  fit  V  erfaflHiin  g._  1st  die  Re- 

^jperun|^einen^emzTgeti  (JberrjaupreafWWR^!uiVy*80  ist  sie  eine 
monarchische;  wird  dje  hQphste/£fouttau!|inviil^^ 

ausgeiibt,  so  ist  sie  eine  r  e  p  u  rjlTTv'  all  i  s^iiJeLrJJer8iereolaaten 
•"fceiooen  KM  OTT  a  r  eh  i  c  h  "(Kaiscrthum,  Kunigreich,  Ilerzogthum 
u.  s.  f.),  IeTzt8Fe""Tte'p i"'ut)Tllj:  en.  Eine  Monarchic  ist  erblich, 
wenn  sich  die  huchste  Gewalf  in  der  Familie  des  Regierenden 
T^&yrtastie)  forterbt;  wird  nach  deni  Ableben  des  Monarchen 
ein  anderer  ftB^seine  Stellefij^jj^iJ-L.: — jiin^  W^  ajil  r  e  i  c  h.  Ver- 
waltet  der  Monarch  die  Re^ierung  al  1  e  i  n  j^a^cTrt^esel'zen",  denen 
er  selbst  mit  unterworfen  ist,  und  durch  nur  ihm  allein  ver- 
antwortliche  Behorden ,  so  heisst  die  Regierung  eine  u  n  u  m- 
schrankte  (absolute)  M o n  a  r  c^Ri1™; '"" ' "isV*  duf c'h"  organ! sche 
Cjruno!gese*!^e  (Constitution,  Charte)  die  GNjSetzgebung  und  die 
allgemeine  Controle  deT  Staatsv^rvTciltung  zwischen"dem  Mon- 
archen und  den  Vertretern  einze^er  Stande  oder  des  gesamrh- 
ten  Volkes  getheilt,  so  nennt  man  sie  eine  eingeschrankte 
(konstitutionelle)  Monarchic.  Kamj^fiuj.. Monarch  nac^^yr- 
Idirjaber  Fre|heit,  Leben  und  iJesJtz  seiner  Unterflianen  ver- 
fiigien7**TsT  er  daT^ei  an  kein  Gesetz,  sondern  riochstens  an  ein 
gewisses  Herkotnmen  gebifnden,  so  ist  die  Regierung  eine  des- 
potische,  der  Staaf  eine  Despotic. 

Die  Re  pub  liken  (Freistaaten)  heissen  demokratische, 
in  d^ne13r*TI1^^e^rn^uti ei t  des  Yolkes  durch  ihre  gewahltea 
Vertreter  die  hochste  Staatsgewalt  ausiibt;  9der  aristokra- 
tische,  in  denen  zur  Verwaltung  der  Staatsangelegenheiten 
nur  ein  bestimmter  Kreis  yon  beyorzugten  .Familien  berufen 
ist.  Die  Ausartung  der  ersteren  ist  D  chlokr  a  tie  (Pobelherr- 
schaft),  ein  Zustand,  der  bald  jedern^lilllHHHW^IWfiid  geord- 
neten  Staatsleben  ein  Ende  macht;  die  Ausartung  der  zweiten 
ist  Q^UUJg^hU^i^di^  widerrechtliche  Anmassung  der  Herr- 
schaiteinigerC^walthaber. 

b^DieSttaatsverwaUung  iat  die  Ausiibung  der  StaatgflfiiBilL  uin 

'ffirT^'giiigflgrrliPB^ 

des  Staatslebenfzu" 'leiten.  Das  S-aatsoberhaupt  bedient  sich 
ill  flI8HSBTWWiBW*WIWIl*Anzahl  von  Behorden,  denen  ein 
bestimmter  Geschiiftskreis  zugewiesen  ist.  Diese  Bind  theils 
Centralbehorden,  die  hochsten ,  um  das  Staatsoberhaupt 
versammelten,  welche  die  Geschafte  des  Gesammtstaates  leiten; 
—  theils  Provinzialbehorden,  welche  den  Centralbehor- 
den untergeordaet  sind,  und  die  Staategeschafte  innerhalb  eines 
bestimmten  Verwaltungsgebietes  und  Verwaltungszweiges  be- 
eorgen. 


_96 

Das  Verhaltniss ,  in  welchem  ein  Staat  zu  anderen  Staaten 
steht,  ist  entweder  ein  selbststandiges  und  unabhangiges 
(souveraine  Staaten),  d.  h.  der  Staat  ist  in  Hinsicht  auf 
innere  Verwaltung  und  aussere  Verhaltnisse  von  keinem  an- 
deren Staate  abhangig;  im  Gegentheile  heissen  sie  halbsou- 
veraine.  Vereinigen  sich  Staaten  zu  ihrer  gemeinschaftlichen 
Sicherheit  in  einem  immerwahrenden  Bunde ,  so  heissen  sie 
confoderirte  (Staatenbund) ;  ween  sie  sich  nur  zu  einem  be- 
stimmten  Zwecke  anf  unbestimmte  Zeit  verbinden,  alliirte 
Staaten. 

Die  Darstellung  des  inneren  und  ausseren  Lebens  der  Reiche 
und  Staaten  im  Kreise  der  Gegenwart  heiest  Staatenkunde 
oder  Statistik  (im  weiteren  Sinne). 


Die  Staaten  von  Europa. 
I.  Das  Kaiserthuin  Oesterreicli. 

Ja, 

Der  Oesterreicher  hat  ein  Vaterland, 
Uiid  liebt's,  und  hat  auch  Ursach'  es  zu  lieben. 
Schiller's  ,,Wallenstein." 

A.  Die  Monarchic  ini  Allgemeinen. 
§.  73.  Lage,  Greuzjen,  GrOsse. 

Jjas  Kaiserthum  Oesterreich  Hegt  zwischen  42°  10'  und  51° 
3'  n.  Br.,  und  zwischen  27°  15'  und  44°  7'  o.  L,  Es  dehnt  sich  so- 
mit  zwischen  fast  9  Breiten-  und  doppelt  so  viel  Langengraden  aus. 

Politische  und  natiirliche  Grenzen  —  (siehe  die  Karte). 

Der  Fl'acheninhalt  der  Monarchic  betragt  11.751  geogr.  Geviert- 
Meilen.  In  Bezug  auf  die  Bodengrosse  ist  es  der  dritte  Staat  in 
Europa,  da  es  nur  von  Russland  und  Schweden-Norwegen  iiber- 
troffen  wird. 

§.  74.  Bestandtheile  der  Monarchic. 

Oesterreich,  eine  der  fiinf  europaischeu  Grossmachte,  ist  eine 
erbliche,  untheilbare,  unumschrankte  Monarchic.  Die  Thronfolge  ge- 
schieht  nach  dem  Rechte  der  Erstgeburt  in  dem  romisch-katholi- 
schen  Hause  Hab  s  burg-Lo  thringen  mit  Vorzug  der  gesamrn- 
ten  mannlichen  Linie. 

Die  Monarchic  besteht  aus  20Kronlandern,  deren  einige  in 
K  r  e  i  s  e  (im  Lombardisch-Venetianischen  ,,Provinzen"  oder  ,,Delegatio- 
nen,"  in  Ungarn  ,,Comitate,"  in  der  Militargrenze  ,, Regiments-  und 
Bataillonsbezirke"genannt)  und  in  besondere  den  administrativen  Lan- 
desbehorden  untergeordnete  Stadtbezirke  zerfallen;  die  Kreise  wer- 
den  in  Bezirke  (im  Lombardisch-Venetianischen  ,,Distrikte,"  in 
Dalmatien  ,,Praturen ,"  in  Ungarn  ,.Stuhlbezirke ,"  in  der  Militar- 
grenze ,,Compagniebezirke")  eingetheilt.  Bei  den  kleineren  Kron- 
landern,  deren  mehrere  administrativ  Einer  Statthalterei  untergeord- 
net  sind,  besteht  keine  Kreiseintheilung. 

Uebersicht  der  Ssterreicbischen  Kronliinder. 


Kronland 

Geogra- 
phische 
[JMeilen 

BevBlkernng  (nach 
der  Zahlung  vom 
31.  Oktober   1857) 

Hauptstad  t 
und  deren 
Einwohnerzahl 
(am  31.  Okt.  1857) 

absolute 

relative 

(Zum  deutscben  Bunde  gehorig): 
1.  Erzherzogthum  Oesterreich 

360.,. 

217.,, 
130.,, 
407.,t 
nfl. 

1,681.697 

707.450 
146.769 
1,056.773 

4669 

3246 
1127 
2590 

Wien  476.222 
Linz  27.628 

2.  Erzherzogthum  Oesterreich 
ob  der  Enns  
3.  Herzogthnm  Salzburg  .... 
4.            „            Steiermark  .  . 
Elan's  Handels-Geographie.     2.  A 

Salzburg  17.253 
Graz    63.176 

7 

98 


K  r  o  n  1  a  n  d 

Geogra- 
phische 

(JMeilen 

Bevolkerung  (nach 
der  Zithlung  vom 
31.  Oktober   1857) 

Haup  tstadt 
und  deren 
(Einwohnerzahl 
amSl.Okt.  1857) 

absolute    J  relative 

5.  Herzogthum  Karnten..    .. 
6.            .            Krain  
7-  das  Kustenland  

188.J6 
181.. 
145, 

522., 
943, 
403.8 
93, 

1422.5, 
189,7 
3265.4t 

544.83 
332;4 

1102.2t 
232.4I 

456  „ 
609.S1 

332.456 
451.941 
520.978 

851.016 
4,705.525 
1,867.094 
443.912 

4,597470 
456.920 
8,125.785 

1,540.049 
865.009 

2,172.748 
404.499 

2.444.952 
1,064.922 

564.989 

1764 
2491 
3589 

1627 

4985 
4623 

4747 

3232 
2410 
2489 

2829 
2599 

1971 
1740 

5355 

1747 

Klagenfurt..    13.479 
Laibach  20.747 
Triest  104.707 

Innsbruck  .  .    14.224 
Prag      .          142  588 

8.  Gefiirstete  Grafschaft  Tyrol 
mit  V  orarlberg   ...    . 

9.  Konigreich  BOhmen...    . 

10.  Markgrafschaft  Mahren   .  . 
11.  Herzogthum  Schlesien.    .. 

(Ausser-deutsche  Kronlander): 

12.  KSnigreich     Galizien     one 
Lodomerien  *)  

Brunn  58.809 
Troppau  13.861 

Lemberg  70.384 
Krakau  41.086 
Czernowitz..  26.315 
Ofen.        .    .   55  240 

13.  Herzogthum  Bukowina  .  .  . 
14.  Konigreich  Ungarn  

15.  Serbische  Wojwodschaft  u. 
Temeser  Banat  

Pest               131  705 

Temesvar...  22507 
Agram  16.657 

Sermannstadt   18.588 
Zara                   8  000 

16.  KSnigreich    Kroatien     und 

17.  Grossfurstenthum     Sieben- 

18.  Konigreich  Dalmatien.  .  .  . 
19.  Lombardisch-venetianisches 
Konigreich  

Venedig  ....  125.000 

20.  Militargrenze  

K,  k.  Militar  

Zusammen.  .  .  . 

11.751.41 

35,002.953 

2935 

§.  75.  Bodenverhaltnisse  and  Klima  im  Allgemeinen. 

Der  Boden  des  Kaiserstaates  ist  grosstentheils  gebirgig,  denn 
iiber  75%  der  gesammten  Oberflache  sind  Gebirgs-  oder  Berg- 
land  ;  doch  dehnen  sich  auch  weite  Ebenen  und  Thaler  aus  und 
verleihen  dem  Lande  eine  grosse  Mannigfaltigkeit.  Eigentliche  Ge- 
birgslander,  d.  h.  zumeist  mit  Gebirgen  erfullt,  sind  Tirol,  Salzburg, 
Obersteiermark,  Oberkarnthen  und  Siebenbiirgen,  in  welchen  Kron- 
landern  sich  auch  die  hochaten  Berge  erheben.  —  Zwischen  der  bai- 
risch-schwabischen  Hochebene  und  dem  lombardisch-venetianischen 
Tieflande  breitet  sich  das  Al  pen  land  aus,  mit  vielen  Langen-  und 
Querthalern,  aber  ohne  grossere  Ebenen.  Im  Nordosten  des  letzteren 
erhebt  eich  das  bohmisch-mahrische  Randgebirge  als  eine 
Terrasse  der  Alpen  zum  norddeutschen  Tieflande.  Im  Osten  der 
March  zieht  sich  das  karpathische  Gebirge  bogenformig  zwi- 
echen  Mahren,  Schlesien,  Ungarn,  Galizien  und  der  Bukowina  zum 
siebenburgis  chen  Hochlande,  welches  eine  Terrasse  zum 
moldau-walachischen  Tieflande  bildet.  Umschlossen  von  Alpen-  und 
Karpathenzweigen  ertreckt  sieh  die  grosse  ungarische  Tiefebene  in 

*)  Die  Herzogthiimer  Auschwitz  (Oswiecim)  und  Zator  in  Westgalizien 
(36  nMeilen  mit  190.000  Einwohnern)  gehoren  zum  deutschen  Bnnde.  Diese  sind 
in  den  Ziffern  unter  Nr.  12  inbegriffen. 


99 

fast  gleicher  Seehohe  mit  der  oberitalischen.  Oesterreich  gehort  so- 
mit  dem  Alpenlande,  dem  deutschen  und  ungarischen  Mit- 
telgebirgs-  und  dem  Tieflande  an. 

(Siehe  die  Einzelnheiten  im  §.  25.) 

Von  der  Gesammtflache  der  Monarchic  entfallen  beilaufig  25% 
auf  die  Ebenen ,  deren  grosste  in  Ungarn,  Galizien  und  im  lom- 
bardisch-venetianischen  Konigreiche  vorkommen.  Die  grosse  un- 
garische  Tiefebene  erstreckt  sich  auf  einem  Flachenraume  von 
etwa  1.700  QMeilen  von  den  Karpathen  bis  zur  sudlichen  Do- 
nau,  vom  Bakonywalde  bis  iiber  Grosswardein.  Zwischem  dem  Ba- 
konywalde, dem  karpathischen  Hochlande  und  dem  Leitha-Gebirge 
dehnt  sich  die  kleine  (etwa  160  QMeilen)  oder  westliche  Ebene 
aus,  welche  nach  Niederosterreich  und  Steiermark  hineinreicht.  — 
Die  grosse  Ebene  hat  eine  durchschnittliche  Seehohe  von  300',  ist 
an  einigen  Stellen  ausserst  fruchtbar ,  an  anderen  eine  diirre  Haide 
oder  mit  Sumpfen  bedeckt,  durch  welche  die  Theiss  im  tragen  Laufe 
die  Wasser  fortwalzt;  mhunter  trifft  man  selbst  auf  wahrhaft  ode, 
mit  Flugsand  bedeckte  Wusten.  Zwischen  der  Donau  und  Theiss 
ist  die  Kecskemeter-,  zwischen  der  Theiss  und  Koros  die  Debre- 
cziner  Haide  mit  ihrem  ausserordentlichen  Reichthum  an  Soda.  In 
diesen  waldlosen,  nur  von  Hirten  und  Heerden  zerstreut  bewohn- 
ten  Flachen  sind  Luftspiegelungen  (Fata  morgana,  —  Delibab)  sehr 
haufig.  Im  sudlichen  Theile  der  Tiefebene ,  an  welche  sich  die 
iiberaus  fruchtbare  kroatisch-slavonische  Ebene  anschliesst,  gedeiht 
das  beste  Getreide  in  reichem  Masse.  —  Am  Nordabhange  der 
Karpathen  beginnt  die  galizische  Ebene,  eigentlich  ein  von  m'as- 
sigen  Hiigeln  durchzogenes,  wellenartiges  Plateau ,  an  welches  sich 
die  grosse  sarmatische  Tiefebene  anschliesst,  die  an  der  Ostsee, 
am  weissen  Meere  und  am  Ural  ihre  Begrenzung  findet.  Die  gali- 
zische, an  900  QMeilen  grosse  Flache  hat  theils  ausgedehnte  Weide- 
platze  und  sehr  fruchtbare  Gefilde,  theils  ist  sie  ode,  nur  durch 
Lehmhiigel,  Moraste  und  tiefere  Flussthaler  unterbrochen.  —  Weit 
gesegneter  und  in  reicher  Fruchtbarkeit  breitet  sich  die  beilaufig 
400  QMeilen  grosse  lomb  ardisch- ven  etianische  Tiefebene 
zwischen  dem  Siidabhange  der  Alpen  und  dem  Po  aus,  welche  nur 
durch  die  getrennten  Hiigelgruppen  der  berici'schen  und  euganei'- 
schen  Hiigel  (jene  bei  Vicenza,  diese  bei  Padua),  voll  flppiger  Ve- 
getation und  mit  malerisch  zerstreuten  Landhausern  bedeckt,  unter- 
brochen ist.  Der  westliche  Theil,  reich  an  Kornfeldern ,  Maulbeer- 
baumen  und  Weinreben ,  durch  natftrliche  uud  kunstliche  Wasser- 
adern  reich  bewassert,  ist  im  Norden  von  den  anmuthigen  Hiigeln  der 
Brianza  begrenzt,  an  den  sudlichen  Reisfeldern  ist  er  sumpfig  und 
Ode.  Der  ostliche  Theil  dehnt  sich  bis  zum  Isonzo-Thale  aus,  gleicht 
anfanglich  der  lombardischen  Ebene,  gegen  die  Kuste  zu  iet  er  je- 
doch  versumpft,  theilweise  auch  vom  Gerolle  bedeckt,  welches  die 
stromenden  Alpenfliisse  absetzen. 

Ebenen  von  geringerer  Ausbreitung  sind:  die  fruchtbare  us  tcrreic  hi  sche 
mit  dem  Marchfelde  uod  das  Tulnerfeld;  —  die  Welser  Haide  in  Ober- 
osterreich;  —  das  Grazer-,  Leibnitzer-  und  Pettauer-Feld  in  Steiermark;  —  die 
Klagenfurter  Ebene  mit  dem  lieblichen,  fruchtbaren  Larantthale  in  Earn  ten;  — 
das  Laibacher  Feld  in  Krain;  —  das  Innthal  in  Tirol  und  das  Rheinthal  nebst 

7* 


100 

der  Flache  am  Bodensee  inVorarlberg;  —  in  Bohmen  kommen  die  gr5ssten 
Flachen  im  Budweiser,  Chrudimer  und  Koniggratzer  Kreise  vor ;  —  in  M ah r en 
die  fruchtbare  Hanna ;  Siebenbiirgen  hat  keine  eigentlichen  Ebenen,  nur  Flachen, 
erweiterte  Thaler,  terrassenfSrmige  Formen  und  kleine  Hochebenen  (die  Klausenbur- 
ger  nKampia"  oder  Mezoseg,  bei  Kronstadt  etc.);  —  der  Karstboden  Dalmatic ns 
hat  nur  wenige  Flachen,  wie  zwischen  der  Kerka  und  Narenta. 

Die  Zahl  der  Thaler  ist  in  einem  Gebirgslande  wie  Oesterreich  begreiflich 
sehr  gross.  Viele  derselben  zeichnen  sich  durch  Naturschonheiten  aus,  in  sehr  vielen 
hat  die  Industrie  ihren  Sitz  aufgeschlagen  ;  denn  eben  die  Thaler  mit  dem  Reich- 
thnm  an  Wasserkraften  und  Heizungsmateriale  sind  fiir  viele  Industriezweige  von 
hochster  Bedeutung. 

Das  Klima.  —  Der  ganze  Staat  liegt  in  der  gemassigten  Zone 
und  geniesst  im  AUgemeinen  ein  mildes,  dem  vegetabilischen  und 
animalischen  Leben  zutragliches  Klima,  wovon  nur  die  N^ederungen 
in  Ungarn  und  Slavonien  und  die  wenigen  ubrigen  Sumpfgegen- 
den  eine  Ausnahme  machen.  Die  kontinentale  Lage,  die  Ausbrei- 
tung  gegen  Osten ,  vorziiglich  aber  der  grosse  Unterschied  in  der 
Erhebung  des  Bodens  der  einzelnen  Landestheile  der  Monarchic 
bewirken  eine  grosse  Verschiedenheit  in  der  mittleren  Jahrestempe- 
ratur  *).  Der  starkste  Temperaturwechsel  ist  in  der  ungarisehen 
Ebene,  wo  nicht  selten  die  Sommerhitze  iiber  30°  R.,  und  die  Kalte  im 
Winter  gegen  20°  R.  erreicht.  Die  Kustenstriche  sind  im  AUgemeinen 
geringeren  Schwankungen  ausgesetzt  als  die  Binnenlander ,  obwohl 
auch  hierin  etarke  Ausnahmen  vorkommen. 

Trotz  dieser  vielfachen  Verschiedenheiten  lassen  sich  drei 
klimatische  Regionen  unterscheiden : 

a)  Die  sudliche  Region  (von  42—46°  n.  Br.)    begreift  das 
lombardisch-venetianischeKonigreich,  Siidtirol,  das  Kiistenland**),  den 
sudlichen  Theil  Kroatiens,  Slavonien,  die  Militargrenze,  die  Wojwo- 
dina    und  ganz  Dalmatien.  Der  Winter  ist  kurz,  mit  wenig  Schnee 
und  Eis  ;    es  gedeihen  ausser  den  Getreidearten  der  Maulbeerbaum, 
Reis,  Mais,  Wein,  der  Oelbaum,  hie  und  da  Sudfriichte; 

b)  die  mittlere,  vollkommen  gemassigte  (von  46 — 49°  n.  Br.) 
umfasst  Oesterreich  ob  und  unter  der  Enns,  Salzburg,   Steiermark, 
Karnthen ,  Krain  ,    Mittel-  und  Nordtirol,  Siidmahren,  Sudbohmen, 
Ungarn,  die  Bukowina  und  Siebenburgen.    Der  Winter  ist  im  AU- 
gemeinen   langer    und    stronger,   es  gedeihen  Getreide  und  Mais  in 
Menge,   in  einigen  Landstrichen  sehr  gute  Wein-  und  Obstsorten; 

c)  in  der  nordlichen  Region  (uber  49°  n.  Br.)    liegen   Boh- 
men,  Nordmahren,  Schlesien  und  Galizien ;    die  mittlere  Jahrestem- 
peratur    schliesst   —    mit  sehr   geringen    Ausnahmen  —  den  Mais- 
und  Weinbau   aus,    dagegen  ist  sie  fiir  Getreide,  Flachs  und  Hanf 
giinstig. 

Die  Regenmenge  ist  in  den  Alpenlandern  am  grSssten,  in  Dalmatien, 
Istrien  und  in  der  ungarischen  Ebene  am  geringsten ;  doch  wird  der  Regen  hier 
einigermassen  durch  haufigen  Thau  ersetzt.  Im  grossten  Theile  der  Monarchie  sind 
die  Herbstregen,  —  in  Tirol,  Bohmen  und  im  ungarischen  Tieflande  die  Sommerregen 
am  zahlreichsten. 


*)  Mittelwarme  in:  Cattaro  11.. °,  —  Venedig  108°,  Temesvar  .9.2°,  — 
Wien  8.3°,  —  Ofen  7.,°,  —  Gratz  7.,°,  —  Prag  7.,°,  —  Olmutz  7S°,  —  Lemberg 
5.,°,  —  Hohenfnrt  in  Bohmen  5.2°  R.  — 

**)  So  hat  z.  B.  Triest  bisweilen  eine  mittlere  Hitze  wie  Neapel  und  beim 
Sturmen  der  Bora  eine  Kalte  wie  Prag,  dazu  haufig  raschen  und  grossen  Tempera- 
turwechsel. 


101 

Von  den  Win  den  ist  der  feuchte  West  wind  in  den  meisten  Kronlandern 
vorherrschend,  auf  den  lombardisch-venetianischen  Flachen  der  No rd wind.  Hier, 
sowie  in  Tirol,  Istrien,  Triest  weht  aucb  der  Sirocco  (=»  FOhn  oder  „  warmer 
Wind"),  welcher  insbesondere  im  Friihlinge  den  Schnee  auf  den  Alpen  schmilzt  und 
hierdurch  Ofter  Lawinensturze  und  Ueberschwemmungen  verursacht.  Im  Kustenlande, 
namentlich  auf  dem  Karst-Plateau,  sturmt  besonders  in  den  ersten  Monaten  des 
Jahres  die  Bora  (Nordostwind,  slawisch:  burja)  mit  angeheuerer  Wuth  und  wird 
der  Schiffabrt  sehr  hinderlich  und  gefahrlich. 

Die  wenigsten  Ge witter  sind  in  Niederosterreich,  ihre  Zahl  und  Heftigkeit 
nimmt  gegen  den  Suden  zu  ;  die  haufigsten  ereignen  sich  in  der  italienischen  Ebene, 
in  den  hohen  Alpen-  und  Karpathengegenden;  beruchtigt,  zahlreich  und  hagelschwer 
sind  auch  die  Ge  witter  des  Bohmerwaldes.  Der  Ha  gel  richtet  im  Mailandischen, 
in  Tirol,  Sudsteiermark  und  Unterkrain  verhaltnissmassig  die  meisten  Verheerun- 
gen  an. 

§.  76.  Gewasser. 

A.  Das  Meer. 

Das  adriatische  Meer  bespiilt  auf  einer  Lange  von  255  Mei- 
len  die  vielfach  gegliederte  osterreichische  Kuste  von  der  Po-Mun- 
dung  bis  zur  albanesischen  Grenze  uud  zwar  die  Kronlander  Vene- 
dig,  das  Kiistenland  (Gorzer  Gebiet,  Triest,  Istrien),  das  kroatische 
Kiistenland,  die  kroatische  Militargrenze  und  Dalmatien.  Die  vene- 
tianische  Kiiste  (23  Meilen  lang)  ist  flach,  nieder;  vor  den  Miin- 
dungen  "der  italienischen  Fliisse  haben  sich  Banke  von  Sand  und 
Schlamm  gelagert,  eine  Reihe  schmaler  Diinen  (Lidi)  trennt  die  all- 
mahlich  in  Siimpfe  tibergehenden  Lagunen  vom  offenen  Meere;  die 
illirische  (von  Aquileja  bis  Fiume,  iiber  60  M.  lang)  ist  steiler, 
zum  Theile  felsig  und  die  vielen  Einschnitte  und  Buchten  bilden  na- 
tiirliche,  sichere  Hafen ;  —  die  kroatische  (von  Fiume  bis  siid- 
lich  von  Carlopago,  19  Meilen  lang)  ist  ebenfalls  felsig,  aber  min- 
der zuganglich  als  die  frtihere;  —  die  dalmatinische  (iiber  152 
Meilen  lang)  ist  theils  sehr  steil  und  zerrissen,  theils  ganzlich  un- 
zuganglich;  dagegen  bilden  die  vielen  dalmatinischen  Inseln  in  ihren 
Buchten  treffliche  Ankerplatze.  —  Die  geringste  Tiefe  hat  das 
Adria-Meer  bei  der  Po-Mundung,  die  grosste  an  der  Dalmatiner- 
Kiiste  (bei  Meleda  iiber  2800');  —  an  der  Westkuste  ist  der  Mee- 
resgrund  wegen  der  vielen  einmiindenden  Alpenfliisse  lehmig  oder 
sandig,  an  der  Ostkiiste  steinig,  mitunter  mit  Korallenstammen  be- 
legt.  Ebbe  und  Fluth  sind  in  der  Regel  nicht  bedeutend;  die  Stro- 
mung  an  der  Dalmatiner-Kiiste  ist  nord warts,  an  der  Venetianer 
siidwarts,  wird  jedoch  haufig  durch  die  Hauptwinde  (Sirocco  und 
Bora)  abgelenkt,  welche  im  Spatherbst  und  Winter  nicht  selten  be- 
deutende  Stiirme,  insbesondere  im  Suden  der  Istrianer-Kuste  (Cap 
Promontore)  und  im  Quarnero  erregen.  Die  Ostkiiste  hat  einen  gros- 
seren  Salzgehalt  als  die  Westkuste;  im  Ganzen  hat  dieses  Meer 
eine  grossere  Menge  an  salzigen  Bestandtheilen  als  der  Ocean,  da- 
her  verhaltnissmasig  eine  grosse  Tragfahigkeit.  Die  grossten  Golfe 
sind  jene  von  Venedig,  Triest,  Fiume  (Quarnero)  und  die  bocche 
di  Cattaro  mit  einer  grossen  Zahl  von  sicheren  Buchten. 

Das  adriatische  Meer  vermittelt  den  Verkehr  theils  zwischen  den  Oster- 
reichischen  Seehafen,  theils  mit  dem  Auslande.  Seine  Bedeutnng  ist  durch  die 
mittels  der  Siidbahn  hergestellte  direkte  Verbindnng  mit  der  Resident  und  den  in- 
dustriellen  Hinterlandern  fiir  Oesterreich  noch  gestcigert  worden.  Die  bedeutenderen 
Hafen  sind:  an  der  venetianischen  Kiiste  Malamocco,  Treporti  und  Lido, 


102 

welche  in  den  Freihafen  von  Venedig  fuhren.  Zur  Vermittlung  des  Verkehrs  sind 
die  Lagnnen  von  zahlreichen  Kanalen  durchschnitten  und  gegen  die  Brandung  des 
Meeres  mittels  grossartiger  Felsendamme  (Murazzi)  geschutzt.  Zu  der  illyrischen 
Kuste  gehort  die  Bucht  von  Triest,  dann  jene  von  Capod'Istria,  Pirano, 
Rovigno,  der  ausgezeichnete  Kriegshafen  Pola;  an  der  Ostkiiste  Istriens  die  Hafen 
von  Raba£  (bei  Albona)  und  Volosca.  Unter  den  30  Quarnerischen  Inseln  haben 
Veglia,  Cherso,  Ossero  nnd  Lussin  piccolo  tiefe  geraumige  Hafen,  von 
denen  der  letzte  in  jungster  Zeit  einen  sebr  scbwunghaften  Verkehr  entfaltet  bat. 
Die  kroatische  Kuste  hat  die  Hafen  von  Fiume,  Biiccari,  Portore,  Zengg 
und  Carlopago.  Die  Ostkuste  gewabrt  der  Schiffahrt  viele  Vortheile,  welche  von 
den  Seefahrern  benutzt  werden,  indem  sie  den  Weg  aus  dem  Mittellandischen  Meere 
nach  Triest  vorzngsweise  langs  derselben  einschlagen.  Die  bedeutenderen  Hafen  an 
dieser  Kuste  sind:  Zara,  Trail,  Spalato,  Almissa,  Macarsca,  Kagusa, 
Cattaro. 

Der  Reprasentant  des  5sterreichischen  Verkehrs  auf  dem  adriatischen  Meera 
ist  der  osterreichische  Lloyd  in  Triest.  Er  unterhalt  regelmassige  Verbin- 
dnngen  mit  Venedig,  Ancona,  den  dalmatinischen  Hafen,  den  jonischen  Inseln,  mit 
Griechenland,  Egypten  und  der  Turkei,  nnd  dehnt  seine  Fahrten  nach  den  Hafen 
des  schwarzen  Meeres  und  der  unteren  Donau  aus.  Nachst  Triest  sind  auch  Venedig, 
Fiume  und  die  sebr  zahlreichen  grossen  und  kleinen  dalmatinischen  und  istrianischen 
Kustenfahrer  fur  den  osterreichischen  Verkehr  von  Bedeutung. 

B.   Gewasser  des  Festlandes. 

Das  Flussgeader  Oesterreichs  scheidet  sich  nach  mehreren 
Abdachungen.  Der  Grenzfluss  Rhein  und  die  Elbe  fliessen  mit 
ihren  Nebengewassern  zur  Nordsee,  die  Oder  und  Weichsel  zur 
Ostsee,  der  Po  und  die  Etsch  nebst  mehreren  Kustenfliissen 
zum  adriatischen,  die  Donau  und  der  Dnjestr  zum  schwarzen 
Meer.  Mit  Ausnahme  von  Istrien ,  welches  selbst  an  Kiistenflussen 
arm  ist ,  erfreuen  sich  alle  ubrigen  Kronlander  (einzelne  Distrikte 
von  Krain,  Dalmatien  und  Militar-Kroatien  abgerechnet)  einer  ent- 
sprechenden  Zahl  von  fliessenden  Gewassern ,  welche  der  Binnen- 
schiffahrt  eine  Ausdehnung  von  uber  1150  Meilen  schiff-  und  flosg- 
barer  Fltisse  bieten.  Der  Procentenantheil  an  dem  gesammten  Fla- 
cheninhalte  der  Monarchic  stellt  sich  bei  der  Donau  auf  65.9  ,  bei 
der  Elbe  auf  8.4 ,  —  bei  der  Weichsel  auf  6.0 ,  —  beim  Dnjestr 
auf  4.9,  —  beim  Po  auf  3.6  —  und  bei  der  Etsch  auf  2.2  heraus; 
—  alle  ubrigen  Flusse,  auf  deren  Gebiet  zusammen  nur  9%  der 
Gesammtflache  entfallen,  konnen  somit  nur  eine  lokale  Bedeutsam- 
keit  haben. 

Die  schiffbaren  Gewasser  werden  von  Ruder-  oder  von  Dampfschiffen  befahren. 
Der  lebhafteste  Verkehr  zu  Wasser  ist  im  lombardisch-venetianischen  Kronlande,  in 
Ungarn,  Bohmen,  Ober-  und  NiederSsterreich.  Dampfschiffe  beiahren  die  Donau  (auf 
181  Meilen),  die  Theiss  (148  M.),  die  Save  (87  M.),  die  Drave  (4  M.;,  die  Weichsel 
(36  M.),  die  Elbe  (14  M.),  den  San  (26  M.),  den  Po  (55  M.). 

(Die  einzelnen  Flusse  siehe  im  §.  43.) 
Die  Landseen  sind  nicht  bloss  ein  Schmuck  der  Landschafr, 
sie  sind  auch  wegen  ihrer  vielfach  unmittelbaren  Verbindung  mit 
Flussen,  von  denen  sie  gespeist  werden,  oder  welche  in  diesen  ihren 
Ursprung  nehmen,  von  Bedeutung  fur  den  Verkehr  und  die  Kultur- 
verhaltnisse  der  anliegenden  Landschaften.  Die  meisten  osterreichi- 
schen Seen  sind  Fluss-Seen,  denn  nur  der  Neusiedler-See  hat  (mit 
Ausnahme  des  Sumpfes  Hansag)  keinen  sichtbaren  Abfluss.  Die 
grosste  Zahl  der  Seen  findet  man  an  der  Nord-  und  Siidseite 
der  Alpen,  denn  im  Lombardisch-Venetianischen  zahlt  man  deren 


103 

fiber  40 ,  eben  so  viel  in  Tirol,  in  Oesterreich  mit  Salzburg  sogar 
iiber  100.  Auch  in  den  Karpathen  sind  zahlreiche  Gebirgs-Seen 
(,,Meeraugen")j;  die  grossten  Seen  sind  im  ungarischen  Tieflande; 
die  Lander  des  bohmisch-mahrischen  Gebirgssystems  haben  dage- 
gen  keine  bedeutenden  Seen.  Mehrere  Seen  (Garda-,  Traun-,  Wor- 
ther-  und  Platten-See)  werden  mit  DampfschifTen  befahren;  dage- 
gen  sind  auf  dem  vollstandig  freigegebenen  Bodensee  noch  keine 
osterreichischen  Schiffe  *).  Zu  den  bedeutendsten  im  Kaiserstaate 
gehoren: 

a)  Am  Sudabhange  der  Alp  en  (im  Flussgebiete  des  Po) 
ist  der  Garda-See,  dessen  Zufluss  die  Sarca ,    der  Abfluss  der 
Mincio  ist. 

b)  Am  Nordabhange   der  Alpen: 

1.  Im  Flussgebiete    des  Rhein  ist    der  Bodensee,    in  jenem 
der  Donau  sind  in  Tirol  der  Achensee    (bei  Schwatz)    und    der 
PI  an  see  (bei  Reutte),  welcher  mittels  eines  Kanals  mit  dem  Hin- 
terwangsee  verbunden  ist  und  seinen  Abfluss   in   den  Lech  hat. 

2.  Die  Seen  in   Salzburg  und    Oberosterreich   zeichnen 
sich  zumeist  durch  ihre  malerische  Lage  und  Umgebung  aus.     Er- 
stere    sind   durchgehends    klein    (Wolgang-,   Fuschel-,  Waller-  und 
Trummer-See),  letztere  gehoren  grossentheils  zum  Flussgebiete    der 
Traun,    in    deren   Quellengebiete   an   zwolf  grossere   und   kleinere 
liegen.    Auf  ihrem    Laufe   durch  Oesterreich  bildet   sie  den  Ha  li- 
st ad  ter-  und  den  Traun-  (oder  Gmundner-)  See,  wahrend  durch 
Zufliisse  der  Atter-,  der  Mond-,  der  Aber-  und  Aim-See  nebst  neun- 
zehn  kleineren  mit  ihr  in  Verbindung  stehen. 

3.  Im  Flussgebiete   der   Drave  liegen    der   Worther-    (Kla- 
genfurter-) ,    Ossiacher-   und  Mil  Istadter-See   in   Karnten. 

4.  In  Krain  sind  der  naturwissenschaftlich  interessante  Zirk- 
n  i  z  -  See,    dessen  Wasser  haufig  in  den   Sauglochern  des  zerkliifte- 
ten  Kalkbodens    abfliesst ,   worauf  einzelne  Theile   des   Bettes   zum 
Feldbau  beniitzt  werden;    —   dann  die  wegen  der  pittoresken  Lage 
bekannten  Seen  im  Quellengebiete   der    Save    (Veldeser-,    Wohei- 
ner-,  Wurzner-See). 

5.  Einen   ahnlichen   unterirdischen  Abfluss   in   die  Hohlen  des 
Kalksteines    haben    der    Cepicer-See    (in    Istrien)    und    mehrere 
kleinere    in   der    kroatischen  Militargrenze    und    in  Dalmatien ,    von 
denen   einige  im   Sommer   angebaut   werden  konnen.     Der  Vr ana- 
See  (bei  Zara)  hat  etwas  salziges  Wasser. 

6.  Im  ungarischen  Tieflande  ist  der  Flatten-  (Balaton-) 
See,  mit  den  Siimpfen  an  18  QMeilen  gross,    doch  wegen  des  un- 
ruhigen  Wassers  minder  zur  Schiffahrt  geeignet.  Seinen  Zufluss  er- 
halt   er  hauptsachlich    durch  die    Szala,  sein  Abfluss  ist  durch  die 
Sumpfe   in    den    Sio   und  die    Sarviz  in   die    Donau.  —  Auch  der 
(ohne   den   Sumpf  Hansag)   etwa    7  QMeilen  grosse  Neusiedler- 
See   ist  wegen  der  meist    geringen  Tiefe    und   des   haufigen  Rohr- 
wuchses   wenig  fiir  die  Schiffahrt  geeignet;  sein  Wasser  hat  einen 


*)  Der  Betrieb  der  Dampfschiffahrt  auf  den  Landseen  und  FlUssen  ist  in  Oesterreich 
durch  das  Gesetz  vom  4.  Januar  1855  geregelt  worden. 


unangenehmen  Salzgehalt.  Salzhaltig  ist  auch  der  Palitser-See 
(bei  Theresiopel).  Die  meisten  der  ubrigen  sogenannteu  ,,Seen"  in 
Ungarn  sind  nur  Sumpfe. 

7.  Zahlreich  sind  die  durch  das  Anschwellen  der  Fliisse  in  der 
galizischen  Ebene  und  an  den  Abhangen  der  Karpathen  sich 
bildenden  kleinen  Seen,  sowie  die  GeHrgs-Seen  der  Karpathen.  In 
Siebenbiirgen  sind  der  St.  Ann  en- See,  der  wahrscheinlich  mit 
der  Aluta  in  Verbindung  steht,  dann  der  wegen  der  Ausstromung 
von  kohlensaurem  Gas  bekannte  Piriczker-  und  der  fischreiche 
H  o  d  o  s  -  See  bemerkens werth. 

Teiche.  In  den  Landern  des  bohmisch-mahrischen  Gebirgs- 
systems  kommen  keine  bemerkens werthen  Seen  vor,  dagegen  kommt 
die  grosste  Menge  der  in  Oesterreich  zahlreichen  Teiche  auf  Bob- 
men.  Einige  von  diesen  werden  durch  atmospharischen  Niederschlag 
gebildet  und  heissen  ,,Himmelsteiche,"  andere  sind  kiinstlich  ange- 
legt  und  werden  theils  zur  Ableitung  von  Siimpfen,  theils  zur  Ver- 
edlung  und  Hebung  der  Fischerei  oder  zum  Fabriksbetriebe  be- 
niitzt.  Die  ausgebreitetste  Teichwirthschaft  wird  im  siidlichen  Boh- 
men vbetrieben.  Die  grossten  Teiche  sind  der  Rosenberger-  und 
der  Ceperka-Teich  (jeder  iiber  1100  Joch  a  1600  Q°).  Auch  in 
Mahren,  Schlesien,  Galizien  und  Ungarn  kommen  Teiche  vor;  doch 
wird  der  grb'ssere  Theil  ihres  ehemaligen  Flachenraumes  gegenwar- 
tig  zum  Ackerbau  verwendet. 

Sumpfe.  An  200  n^eilen  der  Bodenflache  sind  in  Oester- 
reich mit  Siimpfen  bedeckt,  welche  theils  durch  Gebirgswasser  ent- 
stehen  ,  die  bei  starkem  Gefalle  rasch  in  die  Thalniederung  treten  ; 
theils  erscheinen  sie  als  eine  Uebergangsperiode  in  dem  Phanomen 
der  ausgedehnten  Wasserbedeckung,  indem  durch  die  fortwahrende 
Abnahme  der  Wasserhohe  Seen  zu  Siimpfen  werden.  Beide  Arten 
finden  wir  in  unserem  Vaterlande,  zumeist  in  der  ungarischen 
Tiefebene,  welche  schon  ihres  fetten  Thonbodens  wegen  zur 
Sumpfbildung  mehr  geeignet  ist,  und  dann  bei  ihrer  sehr  geringen 
vertikalen  Erhebung  die  zahlreich  ihr  zustromenden  Gewasser  nicht 
rasch  genug  vorwarts  walzen  kann.  Desshalb  bilden  fast  alle  Fliisse 
des  ungarischen  Tieflandes  Ufersumpfe,  insbesondere  die  Theiss,  die 
untere  Donau ,  die  Save,  Drave ,  Kulpa,  Temea  und  Koros,  Die 
grossten  darunter  sind  die  morastigen  Wiesen  (Sarret)  von  grosser 
Ausdehnung  in  den  Komitaten  Bihar,  Szabolcs,  und  Bekes,  der 
Eseder-Sumpf  (in  Szatmar)  und  der  bereits  erwahnte  Hansdg  am 
Neusiedler-See. 

Auch  in  der  galizischen  Tiefebene  finden  sich  an  den  Ufern 
der  Weichsel,  des  San,  Bug  und  Dnjestr  an  30  QMeilen  Sumpf- 
land;  ferner  an  der  March,  in  den  Niederungen  der  lombardisch- 
venetianischen  Ebene,  in  der  Tiefebene  der  Narenta  u.  s.  w.  Klei- 
nere,  meist  hochgelegene  Sumpfstrecken  findet  man  in  Salzburg  im 
Pinzgau,  in  Bohmen  auf  seinen  Randgebirgen,  in  Schlesien  im  Ge- 
senke,  in  Steiermark  am  Bacher,  andere  in  Karnten,  Krain,  Kroa- 
tien,  Siebenburgen  (der  verrufene  Hollenmorast)  u,  s.  w. 

Die  Siimpfe  gewahren  einen  Nutzen  durch  ihre  Mengen  an 
Rohr,  Wasservogeln ,  Fischen  oder  Bitterealz;  dagegen  sind  ihre 


105 

Ausdunstungen  der  Geeundheit  nachtheilig  und  ein  namhafter 
Theil  der  Bodenflache  wird  der  Produktion  entweder  ganzlich  ent- 
zogen  oder  ist  hochstens  einer  sehr  ungenugenden,  unregelmassigen 
Bebauung  zuganglich.  Die  Torfgriinde  liefern  in  einigen  Gegenden 
ein  fortwahrend  mehr  beniitztes  Brennmaterial. 
§.  77.  Fortsetzung. 

Kanale.  Im  Verhaltnisse  zu  den  zahlreichen  naturlichen 
Wasserstrassen  kann  jene  der  kunstlichen  —  Kanale  —  nur 
eine  geringe  in  Oesterreich  genannt  werden;  denn  die  L'ange  der 
gesaminten  kunstlichen  Binnenschiffahrt  betragt  etwa  nur  111  Mei- 
len.  Auf  109  QMeilen  der  Gesammtflache  Oesterreichs  entfallt 
somit  nur  Eine  Meile  Kanal,  und  das  Verhaltniss  der  kunst- 
lichen Wasserstrassen  zu  den  naturlichen  ist  1  :  10.  Dem  Kanalbau 
geht  allerdings  naturgemass  die  Erweiterung  der  Schiffbarkeit  der 
Fliisse,  die  Regelung  des  Fahrwassers  voraus.  Dadurch  werden 
einerseits  die  Verheerungen  und  Ueberschwemmungen  vermindert, 
anderseits  werden  der  Kultur  und  der  Ansiedlung  neue  Strecken 
gewonnen  und  die  Wasserstrasse,  das  wohlfeilste*)  Kommu- 
nikationsmittel,  wird  verlangert  und  vervollkommt. 

Nur  drei  Kronlander  haben  kiinstliche  Wasserstrassen :  das 
lombardisch-venetianische  Konigreich,  Niederosterreich  und  Ungarn. 
In  grosserer  Zahl  und  in  zweckmassiger  Durchfiihrung  haben  deren 
fast  nur  die  italienischen  Provinzen  des  Kaiserstaates.  Im  Vene- 
tianischen  stellt  der  Tartaro  mit  dem  Canal  bianco,  dem 
Canal  Adi  get  to  und  jenem  von  Legnago  eine  Verbindung  des 
unteren  Po  mit  der  Etsch  her,  welche  durch  den  Canal  di  Valle 
mit  der  Brenta  verbunden  ist.  —  Nieder- Oesterreich  hat  den 
Wien-Neustadter-Kanal;  die  Wojwodschaft  den  Fran- 
zens-Kanal,  welcher  mitten  durch  die  fruchtbare  Bacska  ge- 
schnitten  die  Donau  mit  der  Theiss  verbindet,  und  den  Bega-  Ka- 
nal, Avelcher  die  Bega  schiffbar  macht;  —  Ungarn  den  Sarviz- 
Kanal  zur  Entwasserung  des  Sumpfbodens  zwischen  Stuhlweissen- 
burg  und  Szekszard,  und  den  Al  b  rech  t-Kar  asicza-Kanal  zu 
gleichen  Zwecken  in  der  Baranya. 

Mineralquellen.  Oesterreich  ist  sehr  reich  an  den  verschie- 
denartigsten  Heilquellen  (besonders  in  Bohmen  und  Ungarn) ,  und 
kein  Staat  in  Europa  steht  in  dieser  Beziehung  unserem  Vater- 
lande  gleich. 

Die  wichtigsten  sind: 

1.  Echte  Sauerlinge   zu  Karlsbad,    Bilin  und  Giesshubel 
(Bohmen),   Luhatschowitz    (Mahren),    Rohitsch   und    Gleichenberg 
(Steiermark),  Probel  (Karnten),  Bartfeld  (Ungarn); 

2.  alkalische    Sauerlinge   zu  Gastein  (Salzburg),    Fella- 
thai  (Karnten),   Teplitz  (Krain),   Marienbad  und  Teplitz  (Bohmen); 

3.  Eisen-Sauerlinge    zu  Franzensbrunn   und    Liebwerda 
(Bohmen),  Freudenthal  (Schlesien),  Recoaro  (im  Venetianischen) ; 

4.  Soolen  zu  Hall  (Tirol),  Wieliczka  (Galizien),  —  die  See- 
b'ader  in  Triest  und  Venedig; 

*)  Eg  kostete  z.  B.  die  Seefracht  fur  den  Reis   von  Indien  bis  Triest  weniger, 
als  die  frtihere  Landfracht  per  Achse  von  Triest  nach  Laibach. 


_106_ 

5.  Jod-Quelle  zu  Hall  (Oberosterreich) ; 

6.  Bitter  wasser    zu  Seidschitz,    Sedlitz    und   Piillna  (Boh- 
men),  Gran  und  Fiired  (Ungarn),  Iwonicz  (Galizien); 

7.  Schwefelquellen  zu  Baden  und  Pirawart  (Niederoster- 
reich),   Teplitz    (Kroatien),    Pistjan   und   Ofen    (Ungarn),    Mehadia 
(Militargrenze),  Monfalcone  (Gorz),  Abano  (iin  Venetianischen). 

§.  78.  Bevolkerung. 

Die  drei  Hauptvolker  Europa's  :  Deutsche,  Slawen  und 
R  o  m  a  n  e  n ,  vertheilen  sich  in  den  Gebirgslandern  der  Monarchie, 
wahrend  der  asiatische  Volksstamm  der  Magyaren  das  Flachland 
der  mittleren  Donau  bewohnt. 

In  Hauptrnassen  genommen  gehoren  die  Nordabhange  der  Al- 
pen,  dann  die  Gebirgsstrecken  des  Bohmerwaldes,  des  Erz-,  Riesen* 
und  Sudetengebirges  den  Deutschen  an,  die  auch  in  zahlreichen 
Inseln  langs  der  Donau  und  an  beiden  Seiten  der  Karpathen  weit 
nach  Osten  eich  ausdehnen ;  wahrend  die  Sudabhange  der  Alpen  im 
Siidwesten  von  West-Romanen  (Italienern,  Ladinern  und  Fri- 
aulern  oder  Furlanern),  im  Siidosten  von  Siid-Slawen  (Slowe- 
nen,  Kroaten  und  Screen)  bewohnt  sind,  —  und  in  den  Gebieten 
der  Sudeten  und  Karpathen  die  Wohnstatten  der  Nord- Slawen 
(Cechen,  Mahrer,  Slowaken,  Polen  und  Ruthenen),  in  den  ostlichen 
Karpathen  aber  jene  der  Ost-Romanen  (Walachen  und  Mol- 
dauer)  aufgeschlagen  sind,  —  die  Magyaren  fiber  die  pannonische 
Ebene  sich  verbreiten,  und  die  kleineren  Stamme  der  Juden,  Ar- 
menier  und  Zigeuner  sich  fast  allenthalben  hin  eporadisch  verbreiten. 

Die  Bevolkerung  vertheilt  sich  annaherungsweise  in : 
7,870.000  Deutsche  (7,450.000 Ober- und 245.000 Nieder-Deutsche); 
14,800.000  Slawen  (10,850.000  Nord- und  3,950.000  Sud-Slawen); 
4,900.000  Roman  en    (2,450.000   walscher    Stamm,  —  2,450.000 

Roman  en); 

5,960.000    asiatische    Stamme    (4,860.000  Magyaren,  16.000  Ar- 
menier,  iiber  1  Million  Juden,  84.000  Zigeuner). 

Die  jahrliche  Zunahme  der  Bevolkerung  betragt  im  Mittel  fast  1°/0  (0.?98°/0) 
und  ist  im  Osten  und  Norden  bedeutender  als  im  Westen  und  Suden,  die  geringste 
ist  in  den  Alpenlandern.  Vom  Jahre  1818  bis  Ende  1854  zeigt  sich  eine  Zunahme  vou 
uber  9,200.000  Einwohnern.  Gegenwartig  belauft  sich  die  Bewohnerzahl  auf  mehr  als 
35  Millionen  Seelen,  wornach  durchschnittlich  2935  Bewohner  auf  1  QMeile  kommen. 

Die  uberwiegende  Mehrzahl  der  Bewohner  Oesterreichs  —  iiber 
23,000.000  —  bekennt  sich  zur  romisch-kath  olischen  Kirche  ; 
zur  griechischen  Religion  gehoren  6 l/z  Million  (davon  etwa  3/5 
unirte  und  %  nicht  unirte),  welche  hauptsachlich  Galizien,  Ungarn, 
Siebenbiirgen  und  die  Militargrenze  bewohnen.  Die  Zahl  der  Pro- 
testanten  betragt  etwas  iiber  3  Millionen  (zumeist  in  Ungarn); 
ferner  leben  in  Oesterreich  Unitarier  und  andere  christliche  Sek- 
ten,  und  iiber  1  Million  Israeliten. 

§.  79.  Kalturverhaitnisse  im  Allgemeinen. 

Oesterreich  ist  mit  den  mannigfaltigsten  Ppodukten  aus  den 
drei  Reichen  der  Natur  reichlich  ausgestattet.  Der  Boden  gehort 
zu  dem  fruchtbarsten  in  Europa,  obwohl  hierin  vielfache  Abstufungen 


107 

unter  den  einzelnen  Kronlandern  vorkommen,  welche  von  deren 
horizontaler  Lage,  der  Seehohe,  der  Temperatur,  der  Menge  des 
Niederschlages  u.  s.  f.  abhangen.  Von  der  Gesammtflache  der  Mon- 
archie  entfallen  an  86%  auf  produktiven  Boden,  welcher  alle  we- 
sentlichen  Erhaltungsmittel  der  Bevolkerung  bietet.  Wahrend  die 
ungarischen  und  italienischen  Lander,  Bohmen ,  Mahren  und  Gali- 
zien  gleichsam  die  Kornkaramern  bilden ;  sind  Tirol,  Salzburg  und 
Oberosterreich  zur  Viehzucht  besonders  geeignet ;  die  Alpen-  und 
Karpathengegenden  sind  reich  an  Salz  und  Erzen.  Die  Grundlage 
des  Nationalreichthums  liegt  im  Kaiserstaate  sonach  in  den  Ergeb- 
nissen  der  Bodenbenatzung.  Die  Land wirthschaf t,  welche  theils 
ausschliessend,  theils  vorwiegend  an  29  Millionen  Bewohner  beschaf- 
tigt ,  ist  wohl  die  erste  Erwerbsquelle.  Kann  auch  der  durchschnitt- 
liche  Werth  der  jahrlichen  Bodenerzeugnisse  mit  1700  Millionen 
Gulden  veranschlagt  werden,  so  ist  die  physische  Kultur  im 
Allgerreinen  in  Oesterreich  doch  noch  nicht  so  hoch,  als  sie  bei  der 
natiirlichen  Beschaffenheit  und  dem  Produktenreichthum  sein  konnte. 
Einige  Kronlander,  wie  Bohmen,  Mahren,  Niederosterreich,  Venedig 
u.  a.  konnen  den  physisch  kultivirtesten  Landern  an  die  Seite  ge- 
stellt  werden;  hingegen  stehen  die  ostlichen  Kronlander  noch  viel- 
fach  zuriick.  An  Mannigfaltigkeit  der  Produkte  des  Mineral- 
reiches  wird  es  von  keinem  europaischen  Staate  iibertroffen;  es 
fehlt  ausser  Platina  keines  der  nutzbaren  Metalle,  namentlich  wird 
Eisen  von  vorziiglicher  Gute  (in  Steiermark,  Karnten  u.  s  w.)  ge- 
wonnen.  An  brennbaren  Fossilien  ist  ein  ausserordentlicher  Reich- 
thum,  und  an  Salz  gewinnt  es  weit  iiber  den  Bedarf. 

Der  grosse  Reichthum  an  mannigfaltigen  Rohstoffen  ,  die  vie- 
len  Wasserkrafte  und  das  grosse  Absatzgebiet  sowohl  im  Inneren 
des  Staates  als  auch  in  den  benacbbarten  siidlichen  und  ostlichen 
Landern  riefen  in  neuerer  Zeit  auf  dem  Gebiete  der  Industrie  und 
des  Handels  viele  schlummernde  Kr'afte  wach;  es  entfaltete  sich  eine 
vielseitige  Thatigkeit,  die  in  steter  Zunahme  begriffen  ist  und  welche 
durch  zeitgemaase  Reformen  in  der  Gesetzgebung  wesentlich  unter- 
stutzt  und  gefordert  wurde.  Die  jugendliche  Industrie  Oesterreichs 
als  Ganzes  hat  bereits  eine  weit  hohere  Stufe  der  Vollkommen- 
heit  erreicht,  als  die  Landwirthschaft  und  der  Bergbau;  in  einigen 
Zweigen  steht  sie  sogar  unerreicht  da.  Die  technische  Kultur 
weiset  demnach  ein  mehrfach  erfreuliches  Bild.  Allerdings  herrscht 
bei  der  grossen  Ausdehnung  des  Reiches  und  den  Abstufungen  in 
der  geistigen  Bildung  und  den  gesellschaftlichen  Zustanden  der  yer- 
schiedenen  Volksstamme  des  Reiches  eine  grosse  Verschiedenheit  in 
den  einzelnen  Kronlandern,  Wahrend  in  Bohmen,  Mahren,  Schlesien, 
Niederosterreich  und  Vorarlberg  das  Fabriks-  und  Manufakturwesen 
sehr  bliihend  ist;  sind  inGalizien,  der  Bukowina,  Ungarn,  derWoj- 
wodschaft  und  Siebenburgen  grussere  Unternehmungen  seltener,  doch 
gewohnliche  Handwerker  in  geniigender  Anzahl  yorhanden ;  aber  in 
Kroatien,  Slawonien,  Dalmatien  und  der  Militargrenze  kommen 
selbst  die  letzteren  kaum  hinreichend  vor.  Den  Glanzpunkt  der 
vaterlandischen  Industrie  bilden  Leinen-,  Tuch-,  Seiden-,  Gold-, 
Silber-,  Eisen-,  Glas-  und  Spiegelwaaren.  Zahlreiche  geistige  und 


108 

materielle  Forderungsmittel  sind  fortwahrend  thatig,  die  b'sterreichische 
Industrie  auf  den  ihr  gebiihrenden  Standpunkt  zu  heben.  Der  Werth 
der  Industrie-Erzeugnisse  ist  auf  1000 — 1200  Millionen  Gulden  zu 
schatzen,  wovon  */fl  auf  Bohmen,  J/T  auf  Niederosterreich  und  Wien ; 
auf  Mahren  mit  Schlesien  l/lo  entfallen;  Dalmatien  und  die  Militar- 
grenze  haben  daran  den  geringsten  Theil.  Die  Industrie  beschaftigt 
—  (mit  Einschluss  der  Familienglieder  und  jener,  die  noch  eine 
,,landwirthschaftliche  Nebenbeschaftigung"  haben)  —  etwa  25%  der 
Gesammtbevolkerung. 

Der  Handel  Oesterreichs  ist  gleichfalls  ansehnlich  und  zwar 
sowohl  der  Verkehr  zwischen  den  einzelnen  Kronlandern  als  mit 
dem  Auslande;  er  wird  durch  die  Lage  der  Monarchic  in  hohem 
Grade  begiinstigt.  Die  Urproduktion,  der  Gewerbefleiss  ,  die  Be- 
triebsamkeit,  Ausdauer  und  Bildung  der  Bewohner  sind  Grundlagen 
fiir  die  wachsende  Bluthe  des  kommerziellen  Lebens. 

Die  Stufe  der  geistigen  Kultur,  auf  welcher  die  einzel- 
nen Volksstamme  Oesterreichs  stehen,  ist  ebenfalls  sehr  verschieden. 
Tragen  die  Deutschen  im  Allgemeinen  auch  hier  das  Geprage 
ihres  geachteten  Stammes  an  sich  ;  so  bieten  doch  die  einzelnen 
,,deutschen  Kronlander"  vielfache  Abstufungen  in  dem  ,,deutschen 
Charakter"  dar,  obvvohl  die  hervorragendsten  Lichtpunkte  nirgends 
ganz  verdunkelt  werden.  Sie  sind  in  vielfacher  Beziehung  die  Tra- 
ger  der  Wissenschaft  und  des  geistigen  Lebens  in  Oesterreich.  Noch 
verschiedener  als  die  Deutschen  gestaltenv  sich  die  slawischen 
S  tarn  me  Oesterreichs,  unter  denen  die  Cechen  den  ersten  Rang 
einnehmen ;  das  andere  Extrem  bilden  die  Morlaken  in  Dalma- 
tien und  die  Ruthenen.  Regsamer  und  entwickelter  sind  die 
Kr  oaten  und  Slow  en  en.  Die  im  Allgemeinen  reich  begabten 
Slo waken  bilden  sprachlich  das  Uebergangsglied  zwischen  Ost- 
und  West  -  Slawen ,  ihren  Erwerb  suchen  sie  vielfach  im  Handel. 
Unter  den  Polen  findet  man  die  Unterschiede  zwischen  ,,Adel" 
und  ,,Volk"  ziemlich  stark;  ersterer  gilt  haufig  als  der  ,,Franzose 
des  Nordens,"  da  sich  viel  von  franzosicher  Lebhaftigkeit  und  den 
feinen  ausseren  Formen  vorfindet;  das  Landvolk  steht  verhaltniss- 
massig  noch  weit  in  der  Kultur  und  Bildung  zuriick.  Die  Serben, 
die  kraftvollsten,  aber  auch  die  rohesten  und  wildesten  unter  den 
Slawen,  zeichnen  sich  durch  ungewohnliche  Tapferkeit  aus,  auch 
ist  der  Reichthum  ihrer  Volkspoesie  im  Auslande  weit  bekannt. 
Der  Volkscharakter  des  Italieners  mit  seinen  vielen  Licht-  und 
Schattenseiten,  seiner  Beweglichkeit  und  Leidenschaftlichkeit,  seiner 
reichen  geistigen  Begabung  und  grossen  Empfanglichkeit  fiir  die 
Kiinste,  dabei  nicht  selten  hinterlistig,  rachsuchtig  —  ist  vielfach 
bekannt.  Der  stolze,  offene,  tapfere  Magyare  hat  im  Ganzen  die 
Ritterlichkeit  des  Charakters  seiner  Voraltern  treu  bewahrt,  die 
reiche  geistige  Begabung  ist  jedoch  haufig  nicht  hinreichend  ent- 
wickelt;  in  neuerer  Zeit  sind  iibrigens  in  der  Volksbildung  durch 
Errichtung  zahlreicher  Lehrans taken  grosse  Fortschritte  gemacht 
worden.  Die  R  o  m  a  n  e  n  (Rumunen),  welche  die  Grundbevolkerung 
in  Siebenbiirgen  bilden,  stehen  ihren  benachbarten  Magyaren  und 
Sachsen  in  der  Kultur  weit  zuruck.  Von  den  kleineren  Stammen 


109 

des  vielsprachigen  Oesterreich  lassen  sich  bezeichnende  Charakte- 
ristiken  schwieriger  geben,  auch  verschwinden  nach  und  nach  so 
viele  Eigenthumlichkeiten.  Am  tiefsten  steht  der  rohe,  arbeitescheue 
aber  schlaue  und  gewandte  Zigeuner,  der  vielfach  noch  Nomade  ist. 
Gelingt  es,  ihn  standig  anzusiedeln,  so  befasst  er  sich  mit  dem 
Schmiedehandwerk  und  der  Goldwascherei.  —  In  Oesterreich  findet 
man  sonach  alle  Abstufungen  der  Kulturverhaltnisse  vom  Nomaden- 
leben  bis  zum  Standpunkte  der  hochsten  Civilisation.  Die  Mannig- 
faltigkeit  der  Bevolkerung  hinsichtlich  ihrer  Abstammung  und 
Sprache  wird  unter  den  europaischen  Staaten  nur  von  Russland 
iibertroffen ;  —  sie  ist  ahnlich  der  Mannigfaltigkeit  der  Bodenver- 
haltnisse.  —  Es  sind  jedoch  keine  schroffen  Gegensatze,  die  sich 
gegeniiber  stehen;  die  Schattirungen  im  Volksleben,  in  Sitte,  Tracht, 
Beschaftigung  greifen  in  einander  und  dies  urn  so  rascher,  je  mehr 
die  Begriffe  von  Entfernung  und  Zeit  bei  den  grossen  Erfindungen 
der  Neuzeit  verschwinden.  Bleibt  auch  der  Typus  des  Stammes 
und  seine  Sprache  aufrecht;  in  der  Beschaftigungsart,  im  Gange 
der  geistigen  und  technischen  Kultur  vereinigt  sich  das  gesammte 
osterreichische  Volksleben  zu  Einem  zwar  bunten  aber  harmonisch 
geordneten  Volksbilde. 

Dass  fur  die  Hebung  der  geistigen  Kultur  des  osterreichischen 
Volkes  in  neuerer  Zeit  viel  geschehen,  bedarf  kaum  der  Erwahnung. 
Im  gesammten  Unterrichtswesen  sind  zeitgemasse  Reformen  einge- 
fiihrt  worden.  Die  Vermehrung  und  Hebung  der  Volksschulen,  die 
Errichtung  zahlreicher  Real-  und  Spezialschulen,  die  Organisirung 
der  gelehrten  Mittel-  und  Hochschulen  bekunden  laut  den  entschie- 
denen  Fortschritt,  dessen  wohlthatige  Folgen  auch  vielfaoh  schon 
bemerkbar  sind.  Insbesondere  werden  —  vom  industriellen  und 
kommerziellen  Standpunkte  aus  betrachtet  —  die  vielen  Real-,  Spe- 
zial-  nnd  technischen  Lehranstalten  nicht  verfehlen,  auf  die  gesamm- 
ten Kulturverhaltnisse  der  Bewohner  entscheidend  gunstig  einzuwir- 
ken.  Wissenschaft  und  Kiinste  sind  im  Aufbliihen,  Gelehrte  und 
Kunetler  ersten  Ranges  reprasentiren  unser  Vaterland  in  wiirdiger 
Weise  gegeniiber  dem  Auslande;  kurz  —  in  alien  Zweigen  der 
physischen,  technischen  und  geistigen  Kultur  erblicken  wir  die 
,,Neugestaltung  Oest  e  rr  eichs." 

B.  Die  einzelnen  Bestandtheile  der  Monarchic. 

§.  §0.  Das  Erzherzogthom  Oesterreich  nnter  der  Enns. 

(Nieder-  Oesterreich.) 

360  DM. ;  1,681.700  (relativ  4669)  Einwohner.  —  Mit  Ausnahme  der  Residenz 
(mit  etwa  12.000  Protestanten,  1000  Griechen  und  6000  Israeliten)  fast  durchgehends 
Katholiken;  —  nach  der  Nationalitat  (mit  Ausnahme  der  Residenz)  Dentsche.  — 
Grenzen:  im  N.  Mahren,  Bohmen,  —  im  W.  Oesterreich  ob  der  Enns,  im  £ 
Steiermark,  im  0.  Ungarn. 

Der  Boden.  Sudlich  von  der  Donau  ziehen  Theile  der  no'rd- 
lichen  Kalkalpen,  welche  aus  Ober-Oesterreich  und  Steiermark  her- 
iiberstreichen  ;  im  Sudosten  tritt  die  letzte  Bergreihe  der  Central- 
alpen  ( Wechsel)  in  das  Land ;  nordlich  von  der  Donau  ziehen  Aus- 
laufer  des  bdhmisch-mahrischen  Gebirges  (der  Manhartsberg)*  Die 


110 

grosste  Ebene  enthalt  das  Wiener  Becken  an  beiden  Ufern  der 
Donau.  Am  linken  Donau-Ufer  bis  zu  den  kleinen  Karpathen  liegt 
das  fruchtbare  Marchfeld,  am  rechten  das  Wiener  Becken  im  enge- 
ren  Sinne,  eine  anmuthige,  fruchtbare  Landschaft;  dann  das  Neu- 
stadter  Steinfeld.  Die  nachstgrosse  Ebene  ist  das  Tulnerfeld. 

Die  Donau,  der  Hauptfluss  des  Landes,  nimmt 


_ 

fast  alle  Gewasser  des  Landes  auf,  deren  bedeutendste  ihr  am  rech- 
ten Ufer  zufliessen  (Enns,  Ybbs,  Erlaf,  Bielach,  Traisen,  Schwe- 
chat,  Fischa,  Leitha);  am  linken  die  Krems,  Kamp  und  die  March 
(mit  der  Thaya).  Schiffbar  sind  nur  die  Enns  und  March,  die 
iibrigen  sind  theils  fiir  die  Holztriftung,  theils  fur  industrielle  Zwecke 
von  Bedeutung.  Das  starke  Gefalle  der  Alpengewasser  bietet  der 
Industrie  bedeutende  Wasserkrafte,  welche  von  den  vielen  Hammer- 
werken  und  Milhlen  auch  sehr  gut  benutzt  werden.  —  Der  Wien- 
Neustadter-Kanal  (im  Jahre  1803  eroffnet)  fur  Schiffe  mit 
5  —  800  Zentnern  Last,  dient  hauptsachlich  fiir  den  Transport  von 
Brenn-  und  Baumaterialien. 

Politische  Eintheilung.  Der  k.  k.  n.  6.  Statthalterei  unterstehen  die 
Bezirksamter.  Die  Landes-  zugleich  Reichshaupt-  und  Residenzstadt  des  Kaisers  ist 
Wien  (gegenwartig  liber  500.000  Einwohner),  die  grOsste,  bevolkerteste,  in  alien 
Zweigen  der  technischen  nnd  geistigen  Kultur  die  bedeutendste  Stadt  der  Monarchic. 
Die  Stadt  mit  ihren  34  Vorstadten  hat  einen  Flacheninhalt  von  l.ot  QMeilen  und  an 
9000  Hauser.  Sie  ist  der  Sitz  der  hGchsten  Reicbsbehorden  und  eines  Erzbischofes. 
Zu  den  vorziiglichsten  Gebauden  gehoren:  die  kaiserliche  Burg,  das  Belvedere,  das 
Arsenal,  mehrere  offentliche  und  Privatpalaste  ;  —  die  im  gothischen  Style  erbaute 
Metropolitankirche  zu  St.  Stephan  (Thurm  435'),  die  Karlskirche,  die  Kirche  zu  Maria 
Stiegen,  die  Kapnzinerkirche  mit  der  kaiserlichen  Gruft  u.  v.  a.  Beruhmt  sind  die 
grossen  kais.  Hofsammlungen  :  Hofbibliothek,  Naturalien-,  Munz-,  Antikenkabinet, 
Schatzkammer,  Gemalde-Gallerie,  Ambraser-Sammlung  und  einige  Monumente.  Staats- 
anstalten  sind  :  Akademie  der  Wissenschaften,  Universitat,  polytechnisches  Institut, 
orientalische  Akademie,  4  Gymnasien,  Realscfculen  u.'s.  w.,  auch  die  Stadt  errichtete 
mehrere  Realschulen.  Privatanstalten:  Handels-Akademie,  mehrere  Handelsscbnlen  und 
Privatinstitute.  Fiir  Handel  und  Industrie  sind  wichtig:  die  Nationalbank,  die 
Creditanstalt,  die  n.  6.  Escompteanstalt,  die  Immobiliengesellschaft,  die  Geld-  und  die 
WaarenbOrse,  die  Sparkasse,  mehrere  Assekuranzgesellschaften  (Anker,  Austria,  PhSnix, 
Vindobona,  wechselseitigeVersicherungsgesellschaft);  die  Handels-  und  Gewerbekammer, 
die  Gewerbeschulen,  der  n.  6.  Gewerbeverein,  die  Landwirthschafts-Gesellschaft,  'der  In- 
genieurverein.  Zahlreich  sind  die  Sanitats-  und  Wohhhatigkeitsanstalten.  Wien  ist  der 
Knotenpunkt  des  Reichsstrassennetzes.  Von  hier  laufen  folgende  Eisenbahnen  aus  :  die 
Nordbahn  an  die  preussische  Grenze;  die  Siidbahn  nach  Triest  und  Italien  ;  die  Raaber- 
bahn  ;  die  Westbahn  nach  Salzburg;  zwischen  den  ersteren  zwei  besteht  eine  BVerbin- 
dungsbahn."  Die  Donau-Dampfschiffahrts-Gesellscbaft  vermittelt  den  gr6ssten  Ver- 
kehr  auf  der  Donau  durch  nahezu  100  Dampfer  und  500  Schleppschiffe.  —  Wien  ist 
die  erste  Fabriks-  und  Handelsstadt  des  Reiches.  Kaiserliche  Lustschlosser  :  Schdn- 
brunn,  Hetzendorf,  Laxenburg. 

Andere  bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Wiener.  Neustadt  (13.000  Einw.),  Baden,  Bruck  an  der  Leitha,  Ham- 
burg, Neunkirchen,    Gloggnitz,   Pottendorf,    Truman,    Pitten,    Klein-  Neusiedl,   Eben- 
fnrth,  Schwechat,  Liesing,  VSslau,    Gumpoldskirchen,  Klosterneuburg,    Mariabrunn  ; 

2.  St.  PSlten  (6000),  Molk,  Tuln,  Ybbs,  Waidhofen    an  der  Ybbs,  Scheibs, 
St.  Egyd,  Lunz,  Viehofen,  Wilhelmsburg  ; 

3.  Korneuburg  (3000),  Stockerau,  Gross  -Enzersdorf,    Aspern,  Rotz,  Mail- 
berg,  Meissau,  Diirnkrut,  Zistersdorf; 

4.  Krems  (6000),    Stein,   Marbach,    Waidhofen    an   der    Thaya,    Gross-  Sieg- 
hardts,  Durnstein,  Zwettl,  Horn. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 
Der  grosste  Thei?  des  Landes  ist  Hugelland  mit  lockeren  sand- 


Ill 

und  kalkhaltigen  Lehmabhangen.  Mehr  als  90%  der  Flache  sind 
produktiv  und  davon  entfallen  iiber  40°/0  auf  das  Ackerland,  34%  auf 
Waldungen,  auf  Wiesen  und  Garten  nur  14%.  Der  Ackerboden 
ist  im  Allgemeinen  nur  miltelgut;  der  fruchtbarste  Theil  ist  das  rechte 
Donau-Ufer  im  vormaligen  Kreise  ,,Ober  dern  Wiener -Walde"  bis  zum 
Tulner  Felde  und  das  gegeniiber  liegende  linke  Ufer  mit  dem  March- 
felde.  Eigentlicher  Ackerbau  berrscht  in  den  Donauebenen,  an  der 
March  und  Thaya ;  doch  geniigt  die  Produktion  filr  den  grossen 
Bedarf,  zunachst  der  Residenz  mit  der  starken  Bevolkerung  nicht,  — 
Handelspflan  zen  werden  nicht  bedeutend  kultivirt,  denn  mit 
dem  steigenden  Verbrauch  der  Baumwolle  nimmt  jener  von  Flachs 
und  Hanf  vielfaltig  ab.  Bekannt  ist  iibrigens  der  Senf  und  Safran 
von  Krems,  letzterer  auch  von  Maissau,  dann  Krapp  (Atzgerdorf), 
vorziiglich  aber  steigt  die  Kultur  der  Oelfriichte.  Das  Hiigelland 
im  ostlichen  Landestheile  ist  der  Sitz  des  sehr  vortheilhaft  be- 
kannten  osterreichischen  Weinbaues  auf  etwa  8  QM.,  welcher  einen 
beilaufigen  Ertrag  von  2  Millionen  Eimern  liefert  (Gumpoldskirchen, 
Voslau,  Rotz);  im  westlichen  Theile  wird  die  Viehzucht  betrieben, 
darunter  verdienen  die  Zucht  des  Rindviehes ,  jene  der  veredelten 
Schafe,  des  Gefliigels  und  der  Bienen  besondere  Hervorhebung.  — 
Unter  den  Produkten  des  Bergbaues  ist  nur  die  Gewinnung  der 
Steinkohle  im  Umkreise  des  Wiener- Waldes  bedeutend;  ferners 
werden  etwas  Eisen,  Graphit,  Alaun,  vortrefflicher  Kalk,  Gyps  und 
Muhlsteine  gewonnen.  —  In  der  Industrie  nimmt  dieses  Kronland 
im  Verhaltniss  zur  Volkszahl  den  ersten  Rang  unter  den  oster- 
reichischen Kronlandern  ein,  und  im  grossen  Ganzen  hat  sie  sich 
—  nur  wenige  Zweige  ausgenommen  —  auf  eine  befriedigende  JBohe 
emporgeschwungen.  Hauptsachlich  ist  Wien  nebst  TJmgebung,  auf 
welches  \vohl  die  Halfte  des  gesammten  niederosterreichischen  Pro- 
duktionswerthes,  d.  i.  uber  40  Millionen  Gulden  entfallt,  der  Haupt- 
trager  der  bedeutendsten  Industriezweige,  als  Seidenotoffe  (der 
grosste  Theil  der  osterreichischen  Seidenwaaren  entfallt  auf  Wien), 
Gold-  und  Silberar  b  eiten,  phy  sikalisch  e  und  musikali- 
8  c  h  e  Instrumente  (jahrlich  etwa  2600  Klaviere) ,  Chemikalien, 
Galanterie-  und  Modewaaren.  Grossartig  ist  die  Baum- 
wollindustrie  zwischen  dem  Wienerwalde  und  der  Leifha, 
namentlich  liefern  die  grossen  46  Spirnereien  mit  circa  550.000 
Spindeln  V8  des  in  der  Monarchic  gesponnenen  Games  (Pottendorf, 
Trumau,  Neunkirchen,  Schwadorf,  Fahrafeld,  Schonau,  Mollersdorf, 
Solenau,  Felixdorf,  Ebenfurth  etc.) ;  —  L  ein  en-  und  Zwin»-Er- 
zeugung  um  Waidhofen  an  der  Thaya,  Weitra,  Zwettl,  Gross- Sieg- 
hardts.  Riihmlich  bekannt  sind  die  Papie  rf  ab  r  i  ka  tion  (Klein- 
Neusiedl,  Schlogelmiihle  bei  Gloggnitz,  Pitten,  Ebenfurth,  Ober- 
Eggendorf  u. a.) ;  die  Zuckerraff inerien  (Wien,  Wiener-Neustadt) 
und  die  Rubenz  uckerf  abri  ken  (Diirnkrut,  Absdorf ) ;  die  Zie- 
gelfabrik  am  Wienerberge  (wohl  die  grosste  auf  der  ErdeJ.  Aus- 
gezeichneten  Rufes  erfreuen  sich:  die  chemischen  Produkte 
und  Farben  von  Wien,  Liesing,  Modling,  Klosterneuburg ;  Oel- 
fabriken,  Glashutten,  S  pi  ege  Ifa  briken  (Viehofen).  — 
Die  Brauereien  (Liesing  und  Schwechat  erzeugen  fiber  '/,  Mil- 


113 

lion  Elmer,  —  in  Nieder  -  Oesterreich  im  letzten  Jahre  im  Ganzen 
iiber  3  Millionen  Eimer);  —  die  ararischen  Etablissements: 
Staatsdruckerei,  Porzellanfabrik  und  die  ararische  Tabakfabrikin 
Hainburg  u.  s.  w.  — Die  Produktion  von  Eisenwaaren  hat  ihren 
Hauptsitz  in  der  Umgebung  von  Waidhofen  an  der  Ybbs  (in  den 
Thalern  der  Ybbs,  Erlaf,  Traisen  (,,die  Eisenwurzen");  die  Schrau- 
benfabriken  (Neunkirchen,  Wiener  -  Neustadt,  Kirchberg  am 
Wechsel,  St.  Polten  u.  a.).  Die  Leistungen  und  Fortschritte  der 
Maschinenfabrikation,  dieses  Grundpfeilers  der  meisten  an- 
dern  Industrien,  haben  sich  bereits  die  ungetheilte  Anerkennung 
erworben  ,  da  sowohl  wissenschaftliche  Bildung  als  praktische  Be- 
fahigung  allerorts  in  den  einheimischen  Werkstatten  zu  treffen 
sind.  Nebst  der  ,,F  a  b  r  i  k  der  osterreichischen  Staats- 
Eisenbahn-Gesellschaft"  sind  35  Maschinfabrikanten 
und  Konstrukteure  in  Nieder  -  Oesterreich  thatig ,  davon  26  in 
Wien,  die  iibrigen  in  Flor'sdorf,  Korneuburg,  Leobersdorf  u.  s.  w. 
Die  Erzeugnisse  finden  nicht  nur  im  Inlande  Absatz,  eondern  ge- 
langen  auch  zum  Export.  Die  Industrie  Nieder- Oesterreichs  repra- 
sentirt  in  einem  raumlich  kleinen  Rahmen  fast  alle  namhafteren 
Zweige  des  osterreichischen  Gewerbfleisses,  und  Wien  bildet  in  dieser 
Hinsicht  gleichsam  eine  permanente  Industrie  -  Ausetellung  im 
Kleinen;  es  bietet  ein  Gesammtbild  der  Industrie  des  Kaiserstaates, 
welche  bereits  auf  den  grossen  Ausstellungen  zu  London,  Mun- 
ch en  und  Paris  ehrenvolle  und  wohlverdiente  Anerkennung  ge- 
funden  hat.  Sie  hat  sich  in  der  Epoche  schwerer  Priifungen  stand- 
haft  behauptet,  und  wird  im  grossen  Ganzen  neue  tiefgreifende 
Erschutterungen  kaum  mehr  zu  befiirchten  haben.  Durch  den  neuen 
Zolltarif,  wie  durch  die  Ausdehnung  der  Eisenbahn-  und  Schiffahrts- 
linien  ist  unserer  Industrie  der  Bezug  der  wichtigsten  Roh-  und 
Hilfsstoffe  wie  auch  der  nothigen  Werkzeuge  und  Maschinen  wesent- 
lich  erleichtert  worden.  —  Der  Aufschwung  unseres  Handels  wird 
unzweifelhaft  auch  den  einheimischen  Gewerbfleiss  immer  mehr  in 
Anspruch  nehmen.  —  Den  Hauptsitz  des  Handels  bildet  Wien, 
wo  alle  bedeutenderen  Fabriken  ihre  Niederlagen  halten.  Die  Ar- 
tikel  des  Gewerbfleisses  finden  nicht  nur  in  den  (ibrigen  Kronlandern 
Absatz  ;  viele  werden  nach  dem  Auslande  exportirt,  zunachst  nach 
den  Donaulandern  und  der  Levante,  aber  auch  nach  America,  Ost- 
indien  (Kirchenstoffe)  und  selbst  nach  Australien.  Durch  die  Un- 
terstiitzung  von  Seiten  der  Staatsverwaltung  und  die  Bestrebungen 
der  n.  6.  Handelskammer,  des  n.  o.  Gewerbevereins,  mehrerer  Ge- 
sellschaften  und  unternehmender  Privaten  hat  der  Import-  und  Ex- 
porthandel  in  den  letzten  Jahren  an  Ausdehnung  gewonnen ;  er  ist 
bereits  von  Bedeutung,  und  ohne  Zweifel  wird  er  noch  erheblich 
gesteigert  werden.  Sowie  die  Residenz  der  Mittelpunkt  der  staat- 
lichen  und  volkswirihschaftlichen  Thatigkeit  des  Kaiserstaates  ist, 
so  bildet  sie  auch  den  Mittelpunkt  fur  das  geistige  Leben.  Das 
Unterrichtswesen  findet  sowohl  durch  Volksschulen ,  als  die  stets 
wachsende  Zahl  der  gewerblichen,  Real-  und  kommerziellen  Lehr- 
anstalten  immer  groesere  Verbreitung.  Die  reichen  Schatze  an  wissen- 
schaftlichen  und  Kunstsammlungen  in  Wien  wecken  und  fordern 


113 

die  gelehrten  Forschungen  und  Kunste,  worin  in  neuerer  Zeit  grosse 
Erfolge  erzielt  worden  sind.  Die  Residenz  bildet  somit  den  Ver- 
einigungspunkt  des  materiellen  und  geistigen  Lebens  des  grossen 
Kaiserstaates. 

§.  81.  Das  Erzherzogtham  Oesferreich  ob  der  linns. 
(Ober-Oesterreich.) 

218  GMeilen  —  707.450  (relativ  3246)  Einwohner;  fast  ausschliesslich 
Katholiken;  nach  der  Nationalitat  Deutsche.  —  Grenzen  im  N.  BShmen,  — 
im  W.  Baiern,  Salzburg,  —  im  S.  Steiertnark,  —  im  0.  Nieder-Oesterreich. 

Boden.  —  Dieses  Kronland  ist  dem  grossten  Theile  nach  ein 
Gebirgsland,  dessen  siidliche  Halfte  die  nordlichen  Kalkalpen  aus- 
fiillen.  Hier  erheben  sich  die  Dachstein-Gruppe,  die  Gruppe  de8 
grossen  Priel,  das  Hochsengsen-Gebirge,  der  Schafberg  mit  seinem 
pittoresken  Panorama  und  die  letzten  Gletscher  der  Nordalpen.  Das 
linke  Donau-Ufer  wird  von  Abhangen  und  Auslaufern  des  Bohmer- 
waldes  erfiillt.  Das  Hauptthal  des  Landes  ist  das  der  Donau,  die 
meisten  Nebenthaler  sind  an  der  Siidseite  (Traun-  und  Ennsthal).  Die 
bedeutendste  Ebene  ist  die  Welserhaide  zwischen  Wels  und  Linz. 

Gewfisser.  Das  Land  ist  im  Ganzen  wasserreich  und  mit 
einer  sehr  geringen  Ausnahme  gehort  es  ganz  zum  Gebiete  der 
Donau,  welche  in  Ober -  Oesterreich  einige  Stromschnellen  hat. 
Der  fiir  die  Schiffahrt  friiher  gefahrliche  ,,Strudel"  (unterhalb  Grein) 
und  der  ,,Wirbel"  sind  durch  Felsensprengungen  fast  ganzlich  un- 
schadlich  gemacht  worden.  Die  grossten  Nebenfliisse  hat  die  Donau 
am  rechten  Ufer,  den  Inn,  die  Traun,  welche  durch  den  Hall- 
stadter-  und  Gmundner-See  fliesst,  die  herrlichen  Wasserfalle  bildet 
und  deren  oberes  Thai  mit  den  umliegenden  pittoresken  Alpengrup- 
pen  das  wegen  der  landschaftlichen  Schonheit  beruhmte  ,,Salzkam- 
mergut"  bildet,  —  dann  die  reiesende  Enns  mit  der  Steier;  — 
am  linken  Ufer  ist  die  M  il  h  1 ,  auf  welcher  grosse  Quantitaten  Holz 
geschwemmt  werden ,  am  bedeutendsten.  Ausserdem  hat  das  Land 
zahlreiche ,  prachtvoll  gelegene  Seen  (Hallstadter- ,  Gmundner-, 
Atter-,  Mond-,  Wolfgang-See  u.  s.  w.),  von  denen  der  Gmundner- 
See  auch  fiir  den  Verkehr  (Salztransport)  wichtig  ist;  die  meisten 
aber  liegen  im  Gebiete  der  Traun. 

Politische  Eintheilung :  Der  S  tatthalterei  in  Linz  ist 
nebst  Oestereich  auch  das  Herzogthum  Salzburg  administrativ 
untergeordnet.  — 

Bemerkenswerthe  Orte  sind : 

1.  Linz  (27.600),  Mauihhausen,  Grein,    Freistadt,    Haslach,    Perg,  Bohrbach, 
Aigen. 

2.  Hied  (3300),  Braunau,  Scharding,  Engelhartszell,  Obernberg. 

3.  Steier  (10.500),  Enns,  Kremsmiinster,  St.  Florian,  Molln,  Mfihldorf,  Spital 
am  Pyhrn. 

4.  Wels  (6000),  Gmunden,  Ischl,  Hallstadt,  Ebensee,  Grieskirchen,  Lambach, 
V&klabruck,  Schwaucnstadt. 

Kulturverhfi-ltnisse  im  Allgemeinen. 

Dieses  an  Naturschonheiten  reiche,  von  einer  ernsten,  beeonnenen, 
den  Fortschritt  redlich  anstrebenden  Bevolkerung  bewohnte  Kronland 
weiset  in  neuester  Zeit  Resultate  der  Landwirthschaft,  der  Industrie 

Kluu's  Haadcls-Geographic.     2.   AuQ.  Q 


114 

und  des  Verkehrs,  eowle  des  Unterrichts  und  der  humanen  Anstal- 
ten,  welche  fast  durchweg  zu  den  besten  Hoffnungen  berechtigen. 
Dass  an  diesem  Aufschwunge  die  eifrige  Vertretung  der  materiellen 
Interessen  durch  die  Handels-  und  Gewerbekammer  in  Linz  einen 
bedeutenden  Antheil  hat,  darf  nicht  unerwahnt  bleiben.  —  Von  der 
Gesammtflache  entfallen  nur  etwa  9.2°/0  auf  unproduktiven  Boden 
—  Gewasser,  Felsen  und  Bauarea.  Fast  T/3  des  produktiven  Bodens 
Jst  Ackerland  und  liefert  bei  der  rationellen  ,  sehr  fleissigen  Be- 
bauung  an  Getreide  iiber  den  Bedarf;  —  eine  rationelle  Wiesen- 
kultur  und  treffliche  Alpenweiden  befordern  die  Viehzucht;  der 
Waldstand  ist  sehr  ausgedehnt;  er  nimmt  nahezu  l/3  der  Gesammt- 
flache des  Kronlandes  ein.  Das  Flachland  an  beiden  Ufern  der  Do- 
nau  und  im  Miindungsgebiete  ihrer  Nebenfliisse  ist  fiir  den  Getreide- 
bau,  insbesondere  fur  den  Roggen  und  Weizen  sehr  giinstig;  sehr 
ausgedehnt  ist  die  Kultur  von  Most-Obst,  woraus  der  Cider 
(Aepfelwein  ,  Birnen-  und  Aepfelmost)  bereitet  wird.  Ausgedehnt 
und  machtig  sind  die  Braunkohlenlager  des  Hausruckgebirges, 
aus  welchen  (im  Jahre  1858)  nahe  an  eine  Million  Zentner  gefor- 
dert  warden.  Besonders  riihrig  werden  die  Bergbaue  zu  Wolfs  egg, 
Thomasroith,  Haag,  Pramet  und  Kaletsberg  betrieben.  An  Koch- 
salz  liefern  Hallstadt,  Ischl,  Ebensee,  Langbath  iiber  eine  Million 
Zentner ;  ausserdem  bietet  der  Bergbau  Eisen,  Kupfer,  Arsenik, 
Schwefel,  jedoch  in  geringerer  Menge.  —  Den  wichtigsten  Indu- 
striezweig  bildet  die  theils  fabriksmassige,  haufiger  jedoch  hand- 
werksmassige  Erzeugung  von  Eisen-  und  Stahlwaaren,  wofiir 
das  Rohmaterial  auf  der  Enns  aus  Steiermark  bezogen  wird.  In 
Sensen  und  Sicheln  behauptet  es  den  ersten  Rang  (Miihldorf-  und 
Kirchdorfer  Innung  im  Kremsthale) ;  doch  hat  es  auch  in  Messern 
(Steier),  Nageln  (Losenstein),  Handwerkzeugen,  in  hauslichen  und  land- 
wirthschaftlichen  Gerathen  guten  Ruf,  und  ein  steter  Fortschritt  ist 
ubcrall  bemerkbar.  Der  Mittelpunkt  fiir  diese  Industrie,  fiir  welche 
iiber  700  Etablissements  bestehen  und  deren  jahrliche  Produktion  einen 
Geldwerth  von  4  Millionen  Gulden  reprasentirt ,  ist  Steier  (das 
,,osterreichische  Birmingham");  nachst  Steier  sind  Molln,  Miihldorf, 
Spital  ana  Pyhrn  u.  a.  in  dieser  Industrie  hervorragend.  An  Bedeu- 
tung  nur  von  der  Eisenindustrie  iibertroffen,  zeigt  sich  die  Webe- 
Industrie,  welche  ausser  den  Kleingewerben  und  der  Hausindustrie 
(im  Miihlkreise)  24  Fabriks-Etablissements  beschaftigt  und  (im  Jahre 
1858)  Waaren  im  Werthe  von  nahe  3,660.000  Gulden  erzeugte.  Die 
ehemals  bekannte  Le  in  en -Industrie  hat  zwar  im  Ganzen  nicht 
gleichen  Schritt  mit  den  Verbesserungen  im  Auslande  gehalten  und 
verlor  ibren  Ruf;  doch  zeigen  die  paar  Fabriken  im  Miihlkreise 
ein  regsames  Auf^treben  im  Sinne  der  Neuzeh.  Die  Linzer-Tep- 
piche  finden  fast  nur  im  Inlande  Absatz.  Die  Baumwollspin- 
nerei  ist  mit  den  zweckmassigsten  Maschinen  der  neuesten  und 
bewahrteaten  Konstruktion  versehen.  Unter  den  etwa  20  Unterneh- 
mungen  fiir  Papier-Erzeugung  ist  nur  die  Maschinenpapier- 
Fabrik  zu  Nettings d  or  f  beachtenswerth,  deren  Erzeugnisse  sich 
beliebten  Absatzes  erfreuen.  Die  Holz-Indus  trie  stellt  sich  durch 
Schiffbau,  Erzeugung  von  ordinaren  Holzwaaren  und  den  Berchtes- 


115 

fadner-Waaren  (in  der  Umgebung  von  Traunkirchen)  als  bedeutend 
eraus.  Der  Schiffbau  (in  Linz)  ist  vortrefflich ,  die  eisernen 
Schiffe  lassen  nichts  zu  wiinschen  iibrig,  und  bei  grosserem  Absatze 
konnte  dieser  Zweig  auf  eine  sehr  hohe  Stufe  gebracht  werden. 
Ausserdem  erzeugt  das  Kronland  chemische  Produkte,  Leder  u.  a.  m. 
Die  Bierbrauereien  stehen  im  guten  Rufe.  —  Der  Handel. 
Fur  den  inneren  Verkehr  des  Kronlandes  ist  die  Schiffahrt  auf 
der  Traun  mit  ihren  ZunQssen  die  bedeutendste.  Ihr  zunacht  kom- 
men  jene  auf  der  Enns  und  Salzach.  Der  groaste  Theil  des  Fluss- 
verkehrs  geht  dann  anf  die  Donau  fiber,  welche  nebst  dem  Inn, 
dessen  Hauptbedeutung  in  der  Vermittlung  des  Verkehrs  von  Tirol 
und  Baiern  nach  der  Donau  ist,  die  weitere  Verfrachtung  der  Outer 
iibernimmt.  Ausser  den  zahlreichen  schiffbaren  Flussen  und  floss- 
baren  Bachen  hat  das  Land  ein  auegedehntes  Netz  von  Reichs- 
p  t  r  as  sen  und  Komraerzial  strassen  (fur  welche  in  den  letzten 
Jahren  von  Seite  der  Staatsverwaltung  sehr  viel  gethan  wurde),  die 
Gmunden-Linz-Budweis-Eisenbahn  *)  und  die  Kaiserin 
Elisabeth-Westbahn,  als  die  kilrzeste  Linie  zwischen  Wien 
und  Paris  durch  Siiddeutschland.  —  Im  Verkehr  mit  dem  Auslande 
hat  der  Handelsverkehr  Ober-Oesterreichs  mit  Ungarn  und  den 
Donaufiirstenthumern  eine  kaum  zu  berechnende  grosse  Zukunft, 
und  letztere  bilden  schon  jetzt  einen  immer  mehr  sich  steigernden 
Markt.  Besondera  hat  der  Speditionshandel  in  Linz  zugenommen. 
Die  wichtigsten  Orte  fiir  den  Verkehr  sind  Linz,  Steier,  Braunau, 
Scharding. 

§.  S2.  Das  Herzogthum  Salzburg. 

130  nMeilen>  —  146770  (relativ  1127)  Einwohner;  fast  ausschlies  slich 
Katholiken;  nach  der  Nationalhat  Deutsche.  —  Grenzen:  im  N.  Baiern  und 
Ober-Oesterreich,  —  im  W.  Baiern  und  Tirol,  —  im  S.  Tirol  und  Karnten,  —  im 
O.  Steiermark  nnd  Oberosterreich. 

Boden.  Salzburg  ist  ein  Gebirgsland ,  eine  Fortsetzung  des 
Tiroler  Alpenlandes;  nur  im  Norden  geht  das  Salzathal  in  die  grosse 
bairische  Ebene  uber.  Die  Kette  der  hohen  Tauern  bildet  beinahe 
fortlaufend  die  Grenze  gegen  Tirol ,  dann  gegen  Karnten ;  gegen 
Siiden  hat  sie  wenig  Widerlagen  und  Arme ,  desto  mehr  an  der 
Nordseite  und  die  parallelen  Steilthaler  bilden  das  ,,Ober-Pinzgau" 
zu  einer  der  grossartigsten  Alpen-Scenerien.  In  den  nordlichen  Kalk- 
alpen,  welche  in  Salzburg  in  mehrere,  durch  tiefeingeschnittene  Was- 
eerlaufe  getrennte  Gruppen  zerfallen,  ist  hier  die  imposante  Gruppe 
das  ,,steinerne  Meer,"  dessen  ode  Kalkfelsen  mit  ihren  muldenfor- 
migen  Vertiefungen  wirklich  versteinerten  Meereswogen  gleichen. 
Ueber  90  QMeilen  nehmen  die  Gebirge  ein  und  gegen  6  QMeilen 
soil  die  Flache  der  Gletscher  (,,Keeseft)  betragen.  Die  bedeutend- 
e ten  Thaler  ffthren  lokale,  altherkommliche  Benennungen:  Pinzgau 
(Saalethal),  Pongau  (Salza-  uud  Ennsthal) ,  Lungau  (Murthal) 
und  Salzachgau  oder  Flachland.  An  Engpaseen,  hier »die  Klamm" 
genannt,  ist  das  Land  ebenfalls  reich. 

Gewasser.  Der  grosste  Fluss  des  Landes  ist  die  Salza  (oder 

*)  Die  alteste  Eisenbahn  auf  dem  europaischen  Kontinentc/  deren  Ban  im  Jahre 
1825  begonnen  wurde. 

8* 


116 

Salzach),  welche  von  Golling  ab  flossbar  und  von  Hallein  ab  schiff- 
bar  ist,  unterhalb  Salzburg  an  die  bairisch-osterreichische  Grenze 
tritt  und  am  rechten  Ufer  mehrere  verheerende  Wildbache,  darun- 
ter  die  Saale  und  die  Krimmler  Ache  die  bedeutendsten,  auf- 
nimmt.  Die  Enns  bricht  durch  den  Mandling-Pass  nach  Steiermark, 
auch  die  Mur  tritt  nach  kurzem  Laufe  durch  den  Lungau  nach 
Steiermark.  —  Dieses  Kronland  hat  den  grossartigsten  Wasserfall 
der  Monarchic,  den  Krimmler-Fall  (die  Ache  sturzt  durch  eine 
Reihe  von  funf  Fallen  von  einer  Hohe  von  mehr  als  2000  Fuss), 
sowie  mehrere  andere  prachtvolle.  An  Seen  steht  es  jedoch  den 
Nachbarlandern  Tirol  und  Ober-Oesterreich  zuriick.  Die  beriichti^- 
ten  Pinzgauer  Siimpfe  verlieren  durch  Entsumpfung  immer 
mehr  an  Umfang.  Unter  den  wenigen  Mineralquellen  ist  das 
weltberiihmte  Gastein. 

Politische  Eiiitheilung.  Das  Herz:  Salzburg  ist  adminiatra- 
tiv  der  Statthalterei  in  Linz  untergeordnet,  jedoch  untpr  ausdriick- 
licher  Wahrung  der  Stellung  als  Kronland  des  Reiches  mit  eigener 
Landesvertretung.  Der  politische  Chef  in  Salzburg  ist  der  Landes- 
hauptmann. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind  : 

Salzburg  (17.300),  Hallein,  Oberalm,  Bad  Gastein,  Hof  Gastein,  Gross- Arl, 
Krimml,  Badstadt,Golling,  Ebenau,  Zell,  St.  Johann,  Mittersill,  Tamsweg. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Sind  auch  an  80°/0  des  Landes  produktiver  Boden,  so  ist  doch 
wegen  der  Ungunst  des  Terrains  und  des  Klimas  der  Ertrag  des 
muhsamen  Ackerbaues  so  geringe,  daes  fast  die  Halfte  des  jahr- 
lichen  Bedarfes  an  Kornerfrtichten  eingefiihrt  werden  muss.  Dage- 
gen  ist  die  Viehzucht  und  die  Milchwirthschaft  vorherrschend, 
insbesondere  steht  die  Rindviehzucht  auf  einer  so  bedeutenden  Hohe 
wie  nur  in  wenig  Kronlandern.  Hierbei  sind  der  zur  Zucht  geeig- 
netere  Pinzgauer-  und  der  fur  Milchwirthschaft  und  Mastung  bes- 
sere  Pongauer-Stamm  auch  im  Handel  bekannt.  In  der  Pferdezucht 
gilt  die  Pinzgauer  Gebirgsrace  als  das  ausgezeichnetste  schwere 
Zugpferd  in  Oesterreich.  Der  Schafstand  besteht  meist  aus  grob- 
wolligem  Vieh.  Einen  eintraglichen  Exportartikel  konnte  die  Biber- 
zucht  bilden;  denn  der  salzburgische  Biber,  welcher  an  den  Ufern 
der  Salzach  und  Saale  entsprechende  Nahrung  findet ,  hat  von  Al- 
ters her  wegen  des  ausgezeichneten  Kastoreums,  welches  dem  der 
russischen ,  englischen  und  americanischen  Biber  weit  vorgezogen 
wird ,  grosse  Beriihmtheit  erlangt.  Auch  die  Forst-  und  Torf- 
wirthschaft  verdient  Beachtung,  erstere  exportirt  an  70.000  Klaf'ter, 
letztere  hat  ihre  Bedeutsamkeit  fur  die  Feuerung  in  industriellen 
Etablissements.  —  Unter  den  Produkten  des  Bergbaues  ist  Salz 
das  bedeutendste  (Hallein  liefert  iiber  400.000  Zentner);  die  Eisen- 
gruben  in  der  Flachau  u.  a.  liefern  zu  wenig  Erz  fur  den  Bedarf, 
der  aus  Steiermark  und  Karnten  gedeckt  werden  muss.  Nickel,  Ko- 
balt  und  Arsenik  (iiber  900  Zentner)  werden  erheblich  gewonnen, 
die  ihren  Absatz  auch  nach  Frankreich ,  Griechenland  und  der 
Levante  finden.  Einen  grossen  Reichthum  hat  das  Land  im  Marmor 
des  Untersbergea  u.  a.;  bei  Adneth  bestehen  14  Briiche  und  die 


117 

Abfalle  der  Marmorsagen  werden  in  vier  KugelmDhlen  (BSchu8ser- 
muhlen")  zu  den  kleinen  Marmorkiigelchen  verarbeitet,  die  bis  nach 
America  ihren  Absatz  finden.  Auch  an  vorziiglichem  Gyps  (bei 
Golling)  ist  das  Land  reich ;  —  der  Alabaster  von  Leogang  ist  be- 
kannt.  Die  Gewinnung  von  Gold  und  Silber  ist  verhaltnissmassig 
geringe. 

Die  Industrie  dieses  diinn  bevolkerten  Kronlandes  ist  zwar 
verhaltnissmasig  sowohl  hinsichtlich  der  Menge  der  Produktion  als 
der  Mannigfaltigkeit  der  Produktionszweige  noch  unbedeutend;  die 
Etablissements  kommen  nur  vereinzelt  vor  und  der  Betrieb  dersel- 
ben  ist  im  Allgemeinen  kein  ausgedehnter;  dessenungeachtet  ist 
nicht  zu  verkennen,  dass  die  Gewerbindustrie  in  neuerer  Zeit  in 
nachhaltigem  Aufbliihen  begriffen  ist.  In  grosserer  Menge 
und  zum  Theil  fur  den  Export  werden  erzeugt:  chemische  Pro- 
dukte  (zu  Oberalm),  Papier  tap  et  en  (in  Stein),  Kunstwolle 
(in  Lehen) ,  Holzwaaren  (in  Hallein);  —  einige  Etablissements 
bestehen  fur  Erzeugung  von  Thon-  und  Eisenwaaren,  dann 
Branntw  einbrennereien  (Salzburger  Kirschengeist)  ,  Bier- 
brauereien  (Kaltenhausen)  u.  s.  f.  —  Fiir  den  Verkehr  hat  die 
Salzach ,  als  die  einzige  Wasserstrasse,  Bedeutung  fiir  das  Kron- 
land ;  auf  ihr  werden  an  Holz,  Salz  und  Gyps  an  700.000  Zentner 
jahrlich  verfiihrt.  Auch  der  Inn  bildet  einen  natiirlichen  Verkehrs- 
weg.  In  kommerzieller  Beziehung  kniipft  man  Hoffnungen  an  die 
Westbahn  und  an  die  Pinzgauer  Aerarialstrasse.  Durch  letztere  wird 
eine  Querverbindung  der  zukiinftigen  Karntner-,  Steiermarker-  und 
Tiroler-Bahnen  in  direkter  Linie  durch  die  Hochgebirgsthaler  her- 
gestellt  und  sie  verspricht  von  Bedeutung  zu  werden. 

§.  83.  Das  Herzogthnm  strict-mark. 

408  nMeilen»  —  1,056.770  (relativ  2590)  Einwohner;  fast  durchgehends 
Katholiken,  nur  etwa  6000  Protestanten  und  einige  wenige  Israeliten ;  nach  der 
Nationalitat  an  7/n  Deutsche,  die  nbrigen  Slawen  (Sloweaen).  —  Gren- 
zen:  in  N.  Oesterreich  ob  und  unter  der  Enns,  — im  W.  Salzburg  und  Karnten,  — 
im  S.  Krain  und  Kroatien,  —  im  0.  Kroatien  und  Ungarn. 

Boden.  Steiermark  gehort  zu  den  Alpenlandern  und  ist  gleich 
ausgezeichnet  durch  einen  seltenen  Reichthum  hochst  malerischer 
Landschaften  und  grossartiger  Alpenpartien ,  wie  durch  die  Fulle 
und  Ueppigkeit  der  Vegetation  in  seinen  Ebenen.  Der  nordliche 
und  westliche  Theil  sind  Gebirgsland ;  der  siidliche  und  ostliche 
weisen  anmuthige  Berg-  und  Hiigellandschaften ,  fruchtbare  Thaler 
und  Ebenen.  Das  Gebirgsland  hat  Antheil  an  alien  drei  Alpenziigen. 
Die  Centralalpen  treten  aus  Salzburg  ein,  durchziehen  den  nord- 
lichen  Theil  des  Landes  bis  zum  Wechsel ,  so  wie  zwischen  der 
Mur  und  Drave,  und  auf  beiden  Ufern  der  Mur.  (Siehe  §.  25.  Cen- 
tralalpen Nr.  10.)  Die  nordlichen  Kalkalpen  treten  mit  der 
Dachsteingruppe  als  Grenzgebirge  gegen  Oesterreich  in  das  Land  und 
ziehen  sich  bis  zur  Schnee-  und  Raxalpe.  (Siehe  §.  25.  Nordliche 
Kalkalpen  Nr.  4.  5.  6.)  Die  sudlichen  Kalkalpen  ziehen  sich  aus 
Krain  heruber,  und  setzen  den  Zug  nach  Kroatien  fort.  —  Da  die 
Alpen  schon  bedeutend  an  Hohe  abgenommen ,  eo  gibt  es  auch 
zahlreiche  Passe,  von  denen  nur  der  fahrbare  Rottenmauner-Tauern 


118 

die  Hohe  von  5400',  von  den  ubrigen  jedoch  keiner  4000'  erreicht. 
Die  Kalkalpen  sind  zudem  reich  an  hochst  romantischen  Engpassen, 
wie  an  wilden  Schluchten  und  prachtvollen  Thalern.  Das  wichtigste 
Thai  ist  das  Murthal,  das  obere  ist  uberall  Engthal,  das  untere 
erweitert  sich  bis  zu  einer  Breite  von  fiber  drei  Meilen;  —  das 
freundliche  Miirzthal,  das  Drauthal,  das  Ennsthal  mit  dem 
langen  pittoresken  Seitenthal  der  Salza  u.  a.  m.  Die  bedeutendste 
Ebene  des  Landes  ist  das  Pettauer-  oder  Draufeld,  dann  das  an- 
muthige  Grazer-  und  das  fruchtbare  Leibnitzerfeld. 

(jJewiisser*  Das  Land  ist  reich  an  fliessenden  Wassern,  welche 
sammtlich  zum  Flussgeader  der  Donau  gehoren  und  von  denen  die 
meisten  zu  Verkehrs-  oder  industriellen  Zwecken  beniitzt  werden. 
Der  grosste  und  fiir  den  Verkehr  bis  jetzt  wichtigste  Fluss  des  Lan- 
des ist  die  Mur,  der  ansehnlichste  Nebenfluss  der  schon  schiffbar 
aus  Karnten  kommenden  Drave  (Drau).  Die  Mur  wird  zwar  schon 
bei  Murau  schiffbar,  doch  erschweren  das  starke  Gefalle,  Klippen 
und  Sandbanke,  sowie  der  haufig  niedere  Wasserstand  die  Schiffahrt, 
die  iiberhaupt  nur  zu  Thai  geht  und  sich  zumeist  auf  den  Trans- 
port von  Brenn-  und  Bauholz  beschrankt.  Die  Enns  durchfliesst 
grosstentheils  als  reissender  Wildbach  vom  Mandlingpaes  bis  Al- 
tenmarkt  das  Land,  und  wird  erst  schiffbar,  nachdem  sie  die  (stei- 
rische)  Salza  aufgenommen.  Wichtiger  fiir  den  Verkehr  ist  die  Save. 
Sie  kommt  aus  Krain,  bildet  die  Grenze  zwischen  den  beiden  Kron- 
landern  und  nimmt  die  Sann  auf,  welche  auf  dem  Sulzbacher  Ge- 
birge  entspringt  und  das  liebliche  Sannthal  bewassert.  Die  Traun 
und  die  Itaab  entspringen  ebenfalls  im  Lande.  Wasserfalle  und 
Seen  hat  das  Land  verhaltnissmasig  weniger  als  die  ubrigen  Alpen- 
lander;  dagegen  besitzt  es  sehr  viele  Mineralquellen ,  davon  die 
Mehrzahl  Sauerbrunnen,  und  unter  den  letztern  der  Rohitscher 
der  bekannteste.  Der  wichtigste  Kurort  ist  Gleichenberg,  danu 
erfreuen  sich  eines  zahlreichen  Besuches  Neuhaus,  Tiiffer  (Ro- 
merbad)  und  das  Tobelbad  bei  Graz. 

Politische  Eintheilung.  Der  Statthalterei  in  Graz  ist  nebst 
dem  Kronlande  Steiermark  auch  das  Kronland  Karnten  administra- 
tiv  untergeordnet. 

Bemerkenswertbe  Orte  sind : 

1.  Graz  (63.000  Einw.),  Tobelbad,  Gleichenberg,  Furstenfeld,  Feistritz,  Rein, 
Eadkersburg,  Hartberg,  Frohnleiten,  Wildon,  Vorau. 

2.  Brack   a.    d.    Mar  (3000),    Vordernberg,    Eisenerz,    Leoben,    Judenburg, 
Mariazell,  Admont,  Schladming,  Neuberg,  Murau,  Krieglach,  Kindberg,  Murzznschlag. 

3.  Marburg    (8000),    Cilli,   Luttenberg,    Pettau,    Rohitsch,  Tuffer,    TSplitz 
Windisch-Feistritz,  Rann,  Lichtenwald. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  Steiermarks  entfallen  nahezu  90%  auf 
produktiven  Boden ;  doch  sind  davon  fast  die  Halfte  Walduogen, 
20°/?  Aecker,  6  QMeilen  Weingarten ;  den  Rest  nehmen  Wiesen  und 
Weiden  ein.  Um  jedoch  einen  richtigen  Ueberblick  zu  gewinnen, 
ist  die  Trennung  des  Gebirgslandes  von  dem  Hiigel-  und  Flach- 
lande  nothig,  wie  sie  schon  oben  bei  der  Schilderung  der  Boden- 
verhaltnisse  angedeutet  wurde;  und  zwar  bieten  die  ehemaligen  bei- 


119 

den  Kreise  Graz  und  Marburg  (Untersteiermark)  em  wesent- 
lich  verschiedenes  Bild  von  dem  friiheren  Brucker  Kreise  (Ober- 
steiermark). 

Die  Hauptnahrungsquelle  der  Bewohner  Untersteiermarka 
besteht  in  dem  Ertrage  der  Landwirthschaft,  welche  sehr  fleissig 
betrieben  wird  und  reichen  Ertrag  an  alien  Getreidearten ,  beson- 
ders  Roggen,  Weizen,  Hafer,  Mais  und  Haidekorn  liefert ,  obwohl 
sie  den  Bedarf  des  gesammten  Kronlandes  nicht  zu  decken  ver- 
mag.  Besondere  Sorgfalt  wird  auf  den  Wein-  und  Obstbau  ver- 
wendet.  Ein  Drittheil  der  Flache  fur  den  Weinbau  entfallt  auf  den 
Grazer-,  */3  auf  den  Marburger  Kreis  (Luttenberger,  Kerschbacher, 
Radkersburger ,  Pickerer  u.  a.) ;  aua  dem  Mostobst  werden  an 
300.000  Eimer  Cider  bereitet.  Auch  die  Pflege  des  Maul  be er- 
baumes  und  die  Anfange  der  Seidenkultur  sind  beachtenswerth. 
Unter  den  Handelspflanzen  haben  der  Hanf  (von  Radkersburg)  und 
die  Weberkarden  (um  Graz  und  im  Bezirke  Voitsberg)  guten 
Ruf.  Im  Allgemeinen  macht  die  Agrikultur,  kraftig  gefordert  durch 
die  Landwirthschafts-Gesellschaft  in  Graz,  stets  wachsende  Fort- 
schritte,  wie  es  auch  der  rationelle  Wiesenbau  bethatigt,  welcher 
zumeist  den  bedeutenden  Viehstand  ermb'glicht.  In  dieser  Bezie- 
hung  ist  auch  die  Gefliigelzucht  in  Untersteiermark  erwahnenswerth, 
sie  ist  sehr  auegedehnt  und  vortheilhaft  bekannt  (steirische  Kapaune). 
—  Schlachtvieh ,  animalische  Produkte  und  Getreide  werden  zum 
grosseren  Theile  nach  Obersteiermark  und  Karnten,  aber  nur  in 
sehr  geringer  Menge  nach  andern  Kronlandern  ausgefiihrt.  In  neue- 
rer  Zeit  hat  ferners  in  Untersteiermark  der  Bergbau  auf  Stein- 
und  Braunkohlen  an  Wichtigkeit  derart  zugenommen,  dass  die 
Ausbeute  an  ersteren  im  Jabre  1857  iiber  130.000  Zentner  (Bezirk 
Wiudisch-Feistritz ,  Gonobitz  und  Schonstein) ,  und  an  letzteren 
nahezu  drei  Millionen  Zentner  (Koflach ,  in  den  Bezirken  Tuffer, 
Cilli  u.  a.)  betragen  hat.  Der  Bergbau  auf  Metalle  ist  im  Ganzen 
geringe;  dagegen  ist  Untersteiermark  sehr  reich  an  Mineral wassern. 

Die  Industrie  ist  in  diesem  Landestheile  nicht  von  grosser 
Bedeutung,  indem  sie  in  den  meisten  Zweigen  nur  den  Lokalbedarf 
des  Landes  im  Auge  hat  und  in  einigen  nicht  einmal  diesen  voll- 
standig  deckt.  Die  Maschinen-Fabrikation  ist  durch  neun 
groscere  Etablissements  vertreten,  von  denen  jenes  ,,auf  der  Andritz" 
(bei  Graz)  sich  mit  dem  Baue  von  Dampf-  und  anderen  Maschinen 
befasst,  wahrend  die  ubrigen  ausschliessend  nur  landwirthschaftliche 
Maschinen  und  Werkzeuge  liefern.  Die  Verarbeitung  von  Me- 
t  alien  liegt  zumeist  in  der  Hand  der  Kleingewerbe,  und  trotzdem 
die  Eisenindustrie  von  geringer  Ausdehnung  ist  ,  ubersteigt.  die 
Produktion  doch  den  Lokalbedarf.  Die  chemische  Industrie 
zahlt  wenig  grossere  Anstalten  und  deckt  nicht  den  heimischen  Be- 
darf. Die  Erzeugung  von  Nahrungsmitteln  und  eonstigen  Verzeh- 
rungssteuer-Gegenstanden  beschaftigt  an  grosseren  Unternehmungen 
eine  Kolonialzucker-Raffinerie,  Kaffeesurrogat-Fabriken,  Bierbraue- 
reien,  Glasfabriken  am  Bacher-Gebirge,  an  der  Kor-Alpe  und 
im  Savegebiete,  Tabak  in  Fiirstenfeld  u.  a.  f.  Auch  dte  Webe- 
und  Wirkwaaren  -Industrie  ist  von  geringer  Ausdehnung 


120 

(Baumwollspinnereien  in  Burgau,  Pragwald  u.  a.).  Die  Ver- 
arbeitung  desLeders  beschaftigt  ausschliesslich  nur  Kleingewerbe. 
Die  Papier-Industrie  ist  etwas  schwunghafter ,  sie  beschaftigt 
sieben  Fabriken  und  zwei  Muhlen  (Graz,  Voitsberg,  Pols).  Das 
Kleingewerbe  ist  in  alien  Zweigen  iiberwiegend  vertreten. 

Einen  Gegensatz  bildet  Obers  teiermar  k.  Hier  ist  die  Acker- 
flache  eine  geringe,  die  Arbeitskrafte  sind  unzureichend,  der  Boden 
ist  nicht  fruchtbar,  das  Klima  rauh,  und  die  Landwirthschaft 
vermag  nicht  den  eigenen  Bedarf  zu  decken.  Von  der  Gesammt- 
flache  (iiber  165  Q^)  entfallen  9%  auf  das  Ackerland,  242/3%  auf 
das  Grasland',  tiber  52%  auf  den  Wald  und  nahe  133/4%  auf  un- 
bebauten  und  unbeniitzbaren  Boden.  Im  Durchschnitte  leben  auf 
einer  Quadratmeile  1226  Menschen;  doch  iiben  die  Industrie  und 
der  Bergbau  einen  grossen  Einfluss  auf  die  Anzahl  der  Bewohner 
aus,  wie  es  eine  Vergleichung  der  Bezirke  Leoben  und  Judenburg 
mit  Grobming  und  St.  Gallen  beweiset.  Die  Hornviehzucht,  fur 
welche  Weiden  und  Alp  en  reichlich  vorhanden  sind,  bildet  eine  be- 
deutende  Erwerbsquelle,  namentlich  ist  die  Miirzthaler  Race  gesucht. 
Das  Ennsthal  liefert  einen  tiichtigen  Schlag  schwerer  Pferde.  Im 
Allgemeinen  befriedigt  jedoch  der  Boden  die  Lebensbediirfnisse  der 
Bewohner  nicht  und  der  Abgang  muss  durch  den  Erwerb  in  der 
Industrie  herbeigeschaftt  werden.  Diese  Aufgabe  erfiillt  fast  aus- 
echliessend  die  Eisenindustrie.  Die  wichtigsten  Produkte  des  stei- 
rischen  Bergbaues  sind  Eisen  ,  Kohlen  und  Salz.  Die  Ro hei sen- 
Pro  duktion  betrug  im  Jahre  1857  iiber  lT/2  Million  Zentner  und 
hat  im  Zeitraume  1850 — 1857  um  59%  (bei  ararischen  Werken  um 
57,  bei  Privatwerken  um  60%)  zugenommen;  iiber  2T/2  Million 
Zentner  Braunkohle  und  T/4  Million  Zentner  Salz  (der  ,,Sandling" 
im  ^steirischen  Salzkammergut"),  dann  etwas  Gold,  Silber,  Kupfer, 
Graphit  u.  s.  w.  In  Eisen  ist  es  der  starkste  Produzent 
Oesterreichs  (von  dessen  Gesammtproduktion  im  Jahre  1858 
iiber  2%  Million  Zentner  auf  die  Alpenlander  entfallen);  zudem 
ist  die  Trefflichkeit  des  steirischen  Eisens  (Vordernberg,  Ei- 
senerz)  seit  dem  Alterthume  schon  ruhmlichst  bekannt.  Die  Haupt- 
industrie  beschaftigt  sich  sodann  mit  der  Verarbeitung  der  Metalle, 
insbesondere  in  den  Gebirgsthalern  der  obern  Mur  bis  in  die  Nahe 
von  Graz.  Schwarzblech,  gehammertes  Streck-  und  Feineisen ,  ge- 
walztes  Puddlingeisen,  Rails  und  Tyres  sind  von  vorziiglicher  Giite ; 
ausgezeichneten  Stahl  erzeugt  Steiermark  am  meisten  unter  alien 
osterreichischen  Provinzen,  wobei  eine  grosse  Produktions-Ver- 
mehrung  in  den  letzten  Jahren  nur  bei  jenen  Werken  stattfand, 
die  vorwiegend  auf  die  Verwendung  von  Steinkohle  und  Torf 
basirt  sind  (Murau,  Leoben,  Krieglach,  Trieben,  Mi  sling,  Frohn- 
leiten,  Kindberg,  Bruck,  Judenburg,  Gosting,  Graz  u.  a.).  Beruhmt 
ist  das  kaiserliche  Gusswerk  bei  Mariazell  (auch  fur  Kanonen),  Neu- 
berg  fur  Eisenbahnschienen ;  an  Sensen,  Sicheln,  Hausgerathen  u.  s.  f. 
werden  grosse  Mengen  erzeugt  und  exportirt.  Der  steirische  Stahl 
geniesst  au.(  dem  Weltmarkte  einen  eben  so  bedeutenden  Ruf  als 
ehemals  das  »norische  Eisen." 

Der  Eisensteinbergbau  ist  insbesondere  in  Riicksicht  auf 


Forderung  und  Rostung  der  Erze  in  einer  Weise  und  mit  einem 
Kostenaufwande  vervollkommt  worden,  wie  noch  bei  keinem  Eisen- 
eteinbau  in  Europa.  Die  Vollkommenheit  des  technischen  Betriebes 
der  Hochofen  erhellet  daraus  ,  dass  der  Aufwand  an  Brennstoft 
per  Zentner  Roheisen  auf  ein  Minimum  gebracht  wurde,  wie  sonst 
nirgends.  Durch  die  gelungene  Verwendung  der  Braunkohle  zur 
Stabeisenfabrikation  ist  es  moglich  geworden ,  grossartige 
Puddlings-  und  Walzwerke  auzulegen;  diese  Fabriken  stehen 
im  chemischen  wie  im  mechanischen  Theile  auf  gleicher  Hohe  mit 
derartigen  Anlagen  des  Auslandes,  und  haben  die  sen  in  meh- 
reren  Fallen  selbst  als  Muster  gedient.  —  Seine  Eisen- 
un8  Stahlwaaren  exportirt  das  Land  nach  alien  Kronlandern,  nach 
Deutschland,  Frankreich,  Italien  und  Russland.  Der  Werth  des  in 
Handel  gebrachten  Roheisens  und  der  verarbeiteten  Eisen-  und 
Stahlwaaren  betrug  im  Jahre  1857  an  ll1/,  Mill  Gulden  und  auf 
Einen  Arbeiter  entfiel  ein  durchschnittlicher  Jahresverdienst  von 
280  Gulden. 

Im  Ganzen  unterhalt  dasKronland  somit  einen  lebhaften  Ver- 
kehr  und  der  dabei  erzielte  Gewinn  wird  durch  einen  bedeuten- 
den  Transithandel  betrachtlich  vermehrt.  Gute  Reichsstrassen  ver- 
binden  das  Land  mit  den  Nachbarprovinzen  ;  die  Siidbahn  durch- 
zieht  von  Nord  nach  Stid  das  Land,  an  welche  sich  Ausastungen 
nach  Osten  und  Westen  anschliessen  werden,  und  die  Wasserstras- 
sen  tragen  ebenfalls  zur  Ausdehnung  des  Verkehres  bei.  Die  ver- 
dienstliche  Thatigkeit  der  Handelskammern  in  Leoben  (insbesondere 
bezQglich  der  Statistik  der  gesammten  Eisenindustrie),  und  jener  in 
Graz  muss  ruhmend  hervorgehoben  werden. 

§.  84.  Das  Herzogthnm  Karntcn. 

188  nMeilen:  —  332.456  (relativ  1764)  Einwohner,  uberwiegend  Katho- 
liken  und  etwa  18.000  Protestanten  ;  nach  der  National!  tat  mehr  als  %  Deut- 
sche, die  ubrigen  Slawen  (Slowenen).  —  Grenzen:  im  N.  Salzburg  und  Steiermark, 
—  im  W.  Tirol,  —  im  £.  Venedig,  Gorz  und  Krain,  —  im  0.  Steiermark. 

Boden.  Karnten  ist  groastentheils  Gebirgsland,  mit  langge- 
streckten  ,  durch  hohe  Gebirgsziige  scharf  abgegrenzten  Thalern, 
wslcne  eich  im  Innern  des  Landes  zu  grosseren  Ebenen  erweitern. 
Der  Westen  ist  ganz  von  Hochgebirgen  erfullt  (Oberkarnten) ,  im 
Osten  ist  es  Hugelland  von  Gebirgen  umschlossen  (Unterkarnten). 
Die  Gebirge  gehoren  im  nordwestlichen  und  nordlichen  Theile  zu 
den  C  en  t  r  alalpe  n,  die  ubrigen  zu  den  siidlichen  Kalkalpen, 
und  werden  in  mehrere  kleinere  Gruppen  zerlegt,  welche  nach  ihren 
hochsten  Gipfeln  benannt  werden.  Zum  nordlichen  Alpenzuge  oder 
den  Centralalpen ,  welche  bis  zum  Hafnerspitz  »die  hohen 
Tauern"  heissen ,  gehoren:  die  Gruppe  des  Gro  ssglockn  er 
im  Nordwesten,  --  die  Kreuzeckgruppe,  eine  kurze  Parallel- 
kette  des  Hauptriickens,  —  die  Gruppe  des  Hochnarr  mit  zwei 
Hauptrucken,  der  kiirzere  vom  Heiligenblut-  zum  Korntauern,  der 
langere  von  Norden  nach  Siiden  zum  Laitenkogel,  —  die  Gruppe 
des  Ankogel,  —  und  jene  des  Hafnerspitz;  —  dann  die 
Gurkthaler  Alpen  vom  Katschbergsattel  bis  zum  Sattel  von 
Obdach  (im  Osten)  mit  den  Hauptthalern  der  Gurk ,  Glan ,  des 


122 

Worthersees  und  der  Drave.  —  Zu  den  eudlichen  Kalkalpen  ge- 
horen  die  karnischen  und  die  Gailthaler-Alpen,  die  Monte  Canin- 
Gruppe ,  die  Karawanken  und  die  Grintouc-Gruppe,  welche  nur 
die  siidostliche  Grenze  des  Landes  beriihrt.  —  Siehe  §.  25.  B.  c. 
N.  3.  4.  5.) 

Von  den  Gipfeln  dieser  Gebirge,  insbesondere  vom  Gross- 
glockner,  Dobrac,  von  der  Saualpe,  dem  Speick-  und  dem  Staff- 
kogel  geniesst  man  herrliche  Fernsichten.  Das  Land  besitzt  zwar 
keine  ausgedehnten  Eisfelder,  aber  dafiir  den  schonsten  Gletscher 
der  Tauernkette,  die  Pasterze. 

Das  Hauptthal  ist  das  Drauthal  mit  vielen  Nebenthalern, 
als:  das  Mo  11  thai,  im  untern  Theile  gut  angebaut  und  bevolkert, 
im  oberen  enger  nnd  erhabener  mit  der  grossartigen  Alpenwelt  5m 
Hintergrunde,  —  das  Gurkthal  mit  dem  fruchtbaren  Krapfeld, 
dem  Glanthale  und  der  wciten  Flache  des  Zollfeldes,  das  frucht- 
bare  und  gewerbreiche  Lavantthal,  das  Lieser-  mit  dem  h'aufig 
beeuchten  Maltathale  u.  a.  Zahlreiche  Sattel  vermitteln  den 
Uebergang  iiber  die  Tauern ,  die  Gurker-  und  die  siidlichen  Kalk- 
Alpen. 

Gewasser.  Der  grosste  Theil  der  Gewasser  gehort  zum  Ge- 
biete  der  Drave,  welche  auf  22  Meilen  das  Land  durchfliesst  und 
zum  Flossen  beniitzt  wird.  Die  bedeutenderen  Zufliisse  erhalt  sie 
am  linken  Ufer  (die  Moll,  die  Gurk  mit  der  Glan  und  die  Lavant), 
am  rechten  die  Gail.  —  Unter  den  Seen  gilt  der  Mills  tad  ter  fur 
den  schonsten,  der  Wort  her  wird  mit  Dampf  befahren  und  bietet 
viele  herrliche  Bilder,  der  Ossiachersee  nebst  vielen  kleineren ; 
an  den  zwei  letzten  Seen  finden  sich  hie  und  da  Siimpfe.  Auch 
mehrere  Mineralquellen  eind  beachtenswerth,  darunter  der  Sauer- 
brunnen  bei  Vellach. 

Politische  Eintheilung.  Das  Kronland  Karnten  ist  admini- 
strativ  der  Statthalterei  in  Graz  untergeordnet,  jedoch  unter  aus- 
driicklicher  Wahrung  der  Stellung  als  Kronland  des  Reaches  mit 
eigener  Landesvertretung.  Der  politische  Chef  in  Karnten  ist  der 
Landeshauptmann. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind : 

Klagenfnrt  (13.500  Einw.) ;  Villach,  Bleiberg,  Wolfsberg,  Hiittenberg, 
Lolling,  St.  Leonhard,  Gark,  Friesach,  St.  Veit,  Volkertnarkt,  Ferlach,  Spital,  Tar- 
Tis,  Pontafel  (Ponteba),  St.  Paul,  Gmund,  Lavamund,  Prevail. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  des  Landes  sind  iiber  84%  produk- 
tiver  Boden;  doch  entfallt  davon  nur  etwa  T/7  auf  das  Ackerland, 
wahrend  die  Halfte  desselben  die  Waldungen  und  beilaufig  T/8  die 
Wiesen  und  Garten  einnehmen.  Karnten  hat  demnach  zu  wenig 
Ackerland,  um  den  Bedarf  des  Landes  an  Getreide  zu  decken; 
zudem  ist  auch  der  Ertrag  in  der  Regel  verhaltnissmassig  geringer 
als  am  Flachlande.  Im  Lavantthale  wird  vorherrschend  Weizen,  auf 
dem  Krapfelde  Korn  und  Gerste,  in  den  warmeren  Gegenden  Mais 
und  Buchweizen  —  letzterer  sowie  die  Hirse  vorwiegend  von 
der  slawisehen ,  doch  auch  von  der  deutschen  Bevolkerung  ange- 
baut. In  den  Thalern  und  an  den  Bergabhangen  ist  die  Wiesen- 


123 

kultur,  welche  viel  Kleesamen  in  den  Handel  liefert,  vorherr- 
schend.  Bedeutender  ist  die  V  i  e  h  z  u  c  h  t ,  deren  Betrieb  die 
ausgedehnten  uppig  bewachsenen  Alpenweiden  sehr  zu  Gute  kom- 
men,  besonders  jene  des  Hornviehes,  der  Pferde  und  zum  Theil 
veredelter  Schafe ;  auch  ist  der  Karntner  als  ein  eehr  fleissiger 
Bienenzuchter  bekannt. 

Wichtig  ist  der  Birgbau  und  die  darauf  sich  griindende  Me- 
tallindustrie.  Es  leben  in  keinem  Kronlande  relativ  so  viele 
Bewohner  davon  wie  in  Karnten.  Das  Rohmaterial  hat  einen  Werth 
von  mindestens  drei  Millionen  Gulden.  Die  Roheisen-Produk- 
tion  betrug  ira  Jahre  1857  iiber  900.000  Zentner,  und  stieg  die- 
selbe  in  dem  Zeitraume  1850—1857  um  mehr  als  55%.  Besonders 
reich  ist  die  Gegend  von  Friesach  bis  in  die  Umgegend  von  St. 
Leonhard  und  Wolfsberg,  dann  die  ,,Eisenwurze<4  bei  Huttenberg, 
endlich  Lolling,  Lippitzbach  u.  a.  Ferner  liefert  Karnten  das  meiste 
Blei  in  Oesterreich  (an  60.000  Zentner)  —  im  Erzberg  bei  Blei- 
berg,  Raibel  beim  Predilsattel,  —  an  fossiler  Kohle  iiber  1  Million 
Zentner,  nebstdem  Zink,  Kupfer,  Silber,  jedoch  in  geringerer  Menge. 

Die  Industrie  Karntens  ist  stets  im  Wachsen.  Zunachst  be- 
schaftigt  si  e  sich  mit  der  Verarbeitung  der  Metalle  und  zwar  in 
einem  Grade,  dass  die  karntische  Eisen-  und  Stahlwaaren- 
Fabrikation  sich  den  starksten  osterreichischen  Produzenten  an- 
reiht ;  der  Export  der  sehr  vortheilhaft  bekannten  Artikel  geht  vor- 
nehmlich  nach  Italien.  Prevail,  mit  den  grossartigen  Eisenwer- 
ken,  lieferte  die  ersten  Eisenbahnschienen  in  Oesterreich.  Nebst  den 
Ei  senhamm  ern  im  Nordwesten  sind  noch  die  Walzwerke  von 
Frantschach,  Lippitzbach  und  Buchscheiden  bekannt,  die  Maschi- 
nengusswerke  zu  Pre'vali  und  St.  Johann  am  Briickl.  Die 
Gewehre  von  Ferlach  waren  sehr  beriihmt;  die  Bleiweissfabri- 
ken  von  Klagenfurt  und  Wolfsberg  geniesen  europaischen  Ruf; 
Victring  liefert  ausgezeichnete  Tiicher.  Beachtenswerth  sind  die 
Fabrikation  in  Leder,  die  chemischen  Erzeugnisse,  der  Maschinen- 
bau,  die  Schrotfabriken  in  Klagenfurt,  Villach,  Prevail,  die  Spiegel 
von  St.  Vincenz  u.  m,  a.  Fur  den  gewohnlichen  Bedarf  sorgen  die 
Kieingewerbe  in  befriedigender  Weise.  Das  kleine,  aber  an  Natur- 
schonheiten  reiche,  von  einer  strebsamen  Bevolkerung  bewohnte 
Land  besitzt  an  250  Fabriken  und  Manufakturen.  Ist  im  Ganzen 
die  Gewerbthatigkeit  auch  nicht  m  annigfal  tig;  so  erfreuen  sich 
doch  die  Produkte  der  Anerkennung  im  Handel  und  die  Verarbei- 
tung der  heimischen  Rohetoffe  ist  unbedingt  ebenso  rationell  als 
verhaltnissmassig  grossartig. 

Karnten  ist  durch  seine  geographische  Lage  das  natiirliche 
Verbindungsglied  zwischen  dem  mittleren  Donaugebiete  und  Italien; 
die  ,,italienische"  Strasse  ftihrt  aus  Obersteiermark  nach  Italien, 
und  die  vielen  Einsattlungen  an  den  Grenzgebirgen  sind  die  natfir- 
lichen  Fingerzeige  fiir  den  Verkehr.  Berechtigte  Hoffnungen  setzt 
das  Land  auf  die  im  Bau  begriffene  Eisenbahn,  welche  es  mit 
Steiermark,  Tirol  und  dem  Venetianischen  unmittelbar  in  Verbin- 
dung  bringen,  und  welche  die  Vortheile  der  Lage  Karntens  erhohen 
wird.  Es  exportirt  Produkte  der  Montan-Industrie  und  animalische 


124 

Produkte;  dagegen  fiihrt  es  Nahrungsmittel,  Manufakturen  und  Hilfs- 
stoffe  der  Industrie  und  Gewerbe  ein. 

§   85.  Das  Herzogthnin  Krahi. 

181  GMeilen;  —  451.940  (relativ  2491)  Einwohner,  fast  aus  schliesslich 
Katholiken  (etwa  250  Protestanten  und  500  Griechen);  nach  der  Nationalitat 
Slawen  (Slowenen)  ;  nur  25.000  Gottscheer,  dann  die  Bewohner  an  der  nordwestlichen 
Grenze  und  einige  der  Hauptstadt  gehoren  zum  deutschen  Stamme.  —  Grenzen: 
im  N.  Karnten,  —  im  W.  G5rz,  —  im  S.  Istrien  und  Kroatien,  —  im  0.  Kroatien 
und  Steiermark. 

Boden.  Krain,  iiberwiegend  ein  Gebirgsland,  ist  durch  die 
Verschiedenheit  der  Formation  von  Natur  in  drei  Theile  geschie- 
den.  Oberkrain  begreift  das  obere  Flussgebiet  der  Save  bis  zur 
Eimniindung  der  Laibach ;  der  obere  nordwestliche  Theil  ist  wahres 
Alpenland  mit  schroffen  hohen  Bergen  und  engen  Thalern,  der  un- 
tere  bildet  die  grosste  Ebene  des  Landes  (das  oberkrainische  Becken), 
aus  welcher  sich  vereinzelte  Berge  inselartig  erheben  (Grosskahlen- 
berg,  Vrasica,  Siska).  Unterkrain,  zwischen  der  mittleren  Save 
und  der  oberen  Kulpa  ist  mit  Ausnahme  der  Gurkfelder  Ebene 
ein  Hiigelland  ;  im  westlichen  Theile  beginnt  schon  die  muldenfor- 
mige  Bodenformation,  welche  in  Innerkrain,  mit  Ausnahme  der 
ofienen  Thaler  der  Wippach  und  Idrica,  die  vorherrschende  ist. 
Die  Gebirge  Oberkrains  gehoren  zu  den  siidlichen  Kalkalpen,  und 
zwar  theils  zur  Mangart-,  theils  zur  Triglav-Gruppe  ;  die  Karawan- 
ken  trennen  das  Land  von  Karnten ;  in  nordostlicher  Richtung  ist  die 
Grintouc  -  Gruppe.  (Siehe  §.  25,  B.  c.  3.  4.  5.)  In  der  Mangart- 
Gruppe  findet  sich  eine  Anhaufung  von  Passbildungen,  wie  sie  nur 
zweimal  in  den  Alpen  noch  vorkommt  (am  St.  Gotthard  und  am 
Ursprung  des  Inn).  Der  Triglav-Gruppe  ist  eine  ausgedehnte  Al- 
penplatte  vorgelagert,  die  im  Sudosten  zum  oberkrainischen  Becken 
herabfallf.  Die  Thaler  des  Isonzo,  der  Idrica  und  Zeyer  bis  zur 
Save  schliessen  die  siidlichen  Kalkalpen  ab;  der  grosste  Theil  von 
Innerkrain  und  der  nordwestliche  von  Unterkrain  gehoren  der  Karst- 
bildung  an.  (Siehe  §.  25  der  Karst.)  Innerkrain  ist  interessant 
durch  die  unterirdischen  Gestaltungen,  durch  seine  Grotten  (Adels- 
berger-,  Magdalenen-,  Lueger-Grotte  u.  a.)  mit  den  Tropfsteinge- 
bilden,  Seen  und  rauschenden  Wassern,  durch  seine  reiche  Grotten- 
fauna;  das  Wippachthal  mit  dem  milden  Klima  ist  bekannt  durch 
eein  edles  Obst  und  den  guten  Wein.  —  In  Oberkrain  ist  die 
grossartige  Alpenscenerie  mit  den  wilden  Schluchten,  Wasserfallen 
und  Seen,  den  dichtbevolkerten,  gewerbfleissigen  Ortschaften  in  den 
Thalweitungen,  —  in  Unterkrain  ist  das  freundliche  Hiigelland 
mit  seinen  zahlreichen  Weinbergen  das  Charakteristische  des  Lan- 
des. —  Die  bedeutendsten  Thaler  sind  —  im  Osten  des  Landes 
—  das  Save-  und  das  Gurkthal  nebst  mehreren  kleineren. 

Gewasser.  Der  bedeutendste  Fluss  des  Landes  ist  die  Save, 
welche  das  Land  in  einer  Lange  von  26  Meilen  durchfliesst,  von 
Salog  (bei  Laibach)  schiffbar  ist  und  die  meisten  Gewasser  (Zeyer 
{Zora],  Laibach,  Feistritz,  Gurk)  aufhimmt.  Der  merkwiirdigste 
Fluss  ist  die  Laibach,  welche  als  Poik  (Piuka)  nach  einem  drei 
Meilen  langen  Laufe  in  die  Adelsberger  Grotte  sturzt ,  dort  sich 


125 

mit  mehreren  Bachen  vereinigt,  die  am  Fusse  des  Nanos  in  die 
Erde  verschwinden.  Sie  tritt  dann  als  Unz  wieder  zu  Tage,  durch- 
fliesst  das  Thai  von  Planina ,  verschwindet  abermals  und  kommt 
nordostlich  von  Oberlaibach  als  Lai  bach  wieder  hervor,  wo  sie 
nach  sehr  kurzem  Laufe  schiffbar  wird  und  bei  Salog  in  die  Save 
mundet.  Die  Kulpa  bildet  eine  grosse  Strecke  die  Sudgrenze 
Krains.  Die  Wippach  und  die  Idrica  flieesen  dem  Isonzo 
zu.  In  Inner-  und  Unterkrain  gibt  es  eine  grosse  Zahl  von  Bachen, 
welche  im  Kalkboden  verschwinden  und  wieder  hervorquellen ; 
bei  Regengiiesen  aber  Ueberschwemmungen  verursachen.  Von  den 
Seen  sind  der  Zirkniz-,  Woheiner-  und  Veldes-See  bereits 
friiher'erwahnt  worden.  Moriiste  sind  bei  Laibach  (an  4  QM,)  und 
an  der  untern  Gurk;  ein  grosser  Theil  des  ersten,  iiber  welchen  die 
Eisenbahn  geht,  ist  bereits  trocken  gelegt  und  urbar  gemacht  wor- 
den.  Mineralquellen  sind  zu  Toplitz  (bei  Neustadtl)  und  am 
Veldes-See. 

Politi§che  Eintheilung.  Das  Kronland  Krain  ist  admini- 
strativ  der  Statthalterei  in  Triest  untergeordnet,  jedoch  unter  aus- 
driicklicher  Wahrung  der  Stellung  als  Kronland  des  Reiches  mit 
eigener  Landesvertretung.  Der  politische  Chef  in  Krain  ist  der 
Landeshauptmann. 

Bemerkenswerthe  Orte  *)  sind : 

Laibach  (21.000  Einw.),  Krainburg,  Radmannsdorf,  Assling,  Sava,  Eisnern, 
Kropp,  Steinbuchl,  Neumarktl,  Stein,  Lack,  Idria,  Wippach,  Adelsberg.  Planina, 
Oberlaibach,  Zirkniz,  Laas,  Reifnitz,  Gotschee,  Weixelburg,  Neustadtl,  Toplitz, 
Tschernembl,  Mottling,  Gurkfeld,  Landstrass. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  des  Landes  sind  nur  beilaufig  acht 
QM.  unproduktiver  Boden  ,•  vom  produktiven  gehoren  tiber  40% 
dem  Walde  an  und  nur  etwa  15%  8in^  Ackerland,  welches  zudem 
ungemein  zerstiickelt  ist.  Ausgedehnter  sind  die  Wiesen,  leider 
noch  mehr  die  Weiden,  auf  Weingarten  entfallen  iiber  zwei  QMei- 
len.  Krain  ist  zwar  durch  seine  Bodenbeschaffenheit  und  die  kli- 
matischen  Verhaltnisse  im  Ganzen  mehr  begunstiget  als  Karnten, 
doch  deckt  auch  hier  die  landwirthschaftliche  Produktion  nicht 
den  Bedarf.  In  den  Handel  bringt  es  Rohprodukte  (Kleesamen, 
Hanf,  den  Kohlkopf  nach  Triest ,  Obst  aus  dem  Wippacher  Thale, 
auch  Wirthschaftsobst  in  gedorrtem  Zustande)  ;  —  nach  Trieet  und 
Fiume  liefert  es  bedeutende  Mengen  von  Merkantilholz  aus  den 
Schneeberger  Waldungen  (Innerkrain)  und  Oberkrain  (Stapelplatze : 
Planina  und  Senozec).  Die  Viehzucht  steht  nicht  auf  wunschens- 
werther  Hohe,  woran  die  grosse  Zerstiickelung  des  Bodens  und  ala 
Folge  dessen  der  Mangel  an  Viehfutter  die  Hauptschuld  tragen. 
Die  Bienenzucht  wird  sehr  umfangreich  betrieben  und  liefert  viel 
Honig  und  Wachs  von  geeuchter  Qualitat  nach  Deutschland.  Auch 
mit  der  Pflege  des  Maulbeerbaumes  sind  gunstige  Versuche  gemacht 

*)  Zur  Aussprache  der  slowenischen  Worte: 
c  =  z  ;  —  6  =  tsch  ; 

z  =  gelindes  s  ;  —  z  =  gelindes  sch  (=  franz.  /  in  jour) ; 
s  =i  sckarfes  sch. 


126 

worden.  Ueberhaupt  verdient  die  erfolgreiche  Thatigkeit  der  ,,Land- 
wirthschafts-Gesellschaft"  mit  ihren  zahlreichen  Filialen  fur  die  He- 
bung  der  Agrikultur  und  Viehzucht  rubmenswerthe  Hervorhebung.. 

Unter  den  Produkten  des  Bergbaues  nimmt  die  Gewinnung 
des  Quecksilbers  in  Idria  (an  3000  Zentner  jahrlich,  —  am  meisten 
in  Oesterreicb,  nachst  Almaden  in  Spanien  am  meisten  in  Europa  — ) 
den  ersten  Rang  ein.  Ausserdem  werden  zu  Tage  gefordert:  Roh- 
eisen,  im  Jahre  1857  iiber  91.000  Zentner,  und  zeigt  sich  fiir  die 
Periode  1850 — 1857  hierbei  eine  Produktions- Vermehrung  um 
59%,  Steinkohlen  (an  */2  Million  Zentner,  am  meisten  in  Sagor), 
Blei  (in  Knapouze  und  Sagor),  Zink  u.  a. 

Die  Industrie  ist  noch  im  ersten  Stadium  ihrer  Entwickelung; 
man  findet  wenig  grosse  Fabriken,  dagegen  sehr  ausgedehnte  haus- 
liche  Gewerbthiitigkeit  unter  dem  Landvolke.  Die  meisten  industriel- 
len  Unternehmungen  hat  Oberkrain.  Hier  bildet  die  E  i  s  e  n  verarbeitung 
(Jauerburg,  Althammer,  Feistriz,  Sava)  den  Hauptzweig,  dessen  Mittel- 
punkt  Neumarktl  ist;  Eisnern,  Kropp  und  Steinbiichl  erzeugen  zumeist 
Nagel.  Riihmlichen  Aufschwung  nimmt  das  Eisengusswerk  in  Hof  (Un- 
terkrain).  Die  grossten  Fabriken  des  Landes  sind  in  und  bei  Laibach 
(Baumwollspinnerei,  Ziindwaarenfabrik,  Dampfmiihle,  Papierfabrik  [Jo- 
sefsthal  bei  Laibach],  Oelfabriken  [Josefsthal,  Salog]  u,  s.  f.).  Andere 
Industriezweige  sind:  die  Spitzenkloppelei  (Idria  und  Stein),  Wollspin- 
nerei  und  Strickerei  (Oberkrain),  ordinare  Kotzen,  Lodentuch,  Fusstep- 
piche,  Pferdedecken  (in  und  bei  Krainburg),  Lederbereitung  (Stein), 
Rosshaarsiebe  (Strazise  bei  Krainburg),  ordinare  Holzwaaren  (Reifnitz 
und  Gottschee)  u.  a.  m.  Das  Kleingewerbe  ist  befriedigend  ver- 
treten  und  deckt  im  Ganzen  den  Bedarf;  besonders  zeigt  sich 
hiebei  in  Laibach  ein  Aufachwung.  Auch  der  ,,Gewerbe-Aushilfs- 
Verein"  in  Laibach  entfaltet  gleich  dem  ahnlichen  Kredit-Institute 
in  Klagenfurt  eine  erfolgreiche  Thatigkeit,  zunachst  im  Kreise  der 
niederen  Gewerbe, 

Der  Handel  mit  Landesprodukten  (Honig,  Kleesamen,  gedorr- 
ten  Obst,  Knoppern,  Leinol)  und  der  Getreidehandel  mit  den  Ver- 
bindungen  in  Siasek  und  Kaniza  werden  schwunghaft  betrieben ; 
der  ehemals  sehr  lohnende  Speditionshandel  hat  seit  der  Beendigung 
der  Wien-Triester  Eisenbahn  seine  Wichtigkeit  grossen  Theils  ver- 
loren.  Auch  der  innere  Verkehr  entwickelt  sich  reger ,  da  die  In- 
dustrie in  der  Zunahme  begriffen  ist.  Sowie  die  natilrliche  Be- 
schaffenheit  des  Landes,  der  Reichthum  an  Heizungsmateriale  und 
Wasserkraften,  die  relativ  dichte,  arbeitsame  und  geniigsame  Be- 
volkerung  willkommene  Vorbedingungen  fiir  eine  aufstrebende  In- 
dustrie sind;  so  gewahren  die  geographische  Lage  in  der  Nahe  der 
ersten  Seestadt  der  Monarchic  und  die  Verbindungsstrassen  nach 
den  benachbarten  Kronlandern  eine  geniigende  Biirgschaft  fiir  den 
sich  stets  entfaltenden  Handel.  Der  Hauptsitz  des  Handels  ist  in 
Laibach ;  Lack  kat  seine  Wichtigkeit  verloren,  die  es  ehemals  durch 
seine  Verbindung  mit  Italien  und  den  Absatz  seiner  Leinenwaaren 
dorthin  genossen;  dagegen  sind  Krainburg,  Gotschee,  Laas  und  Se- 
nozec  in  kommerzieller  Hinsicht  von  einiger  Bedeutung. 


127 


§.  86.  Das  Kiistriilaiiil. 

(Die  gefurstete    Grafschaft    Gorz   und    Gradisca,    die    Markgrofschaft 
Istrien  und  die  Stadt  Triest  mit  ihrem  Gebiete.) 


n;  —  520.980  (relativ  3589)  Einwobner,  mit  Ausnahme  von  Triest, 
wo  Geschaftsleute  verschiedener  Glaubensbekenntnisse  wohnen,  fast  ausschliess- 
lich  Katholiken;  nach  der  Nationalitat  uber  3/5  Slawen,  '/3  Italiener,  bei- 
laufig  2%  Deutsche,  und  AngehSrige  verschiedener  Stamme  in  grosserer  oder  gerin- 
gerer  Anzahl.  —  Grenzen:  im  N.  Krain  und  Karnten,  —  im  W.  das  veHetianisehe 
Gebiet,  —  im  S.  das  adriatische  Weer,  —  im  0.  Kroatien  und  Krain. 

Boden.  Der  nordwestliche  Theil  des  Kronlandes  Kiistenland 
gehb'rt  zum  Gebiete  der  sudlichen  Kalkalpen,  der  iibrige  zum 
Kalkplateau  des  Karstes;  mit  Ausnahme  des  Miindungsgebietes 
des  Isonzo  und  einiger  Thalweitungen  gehort  es  somit  dem  B  erg- 
Ian  de  an.  Das  Alpengebiet  wird  durch  das  Isonzothal  in  die 
beiden  Gruppen  des  Monte  Canin  und  des  Trig  lav  geschieden, 
welche  sich  am  Engpasse  der  Fli  t  sc  her  -  K  lau  se  am  nachsten 
beruhren.  (Siehe  §.  25.  B.  c.  N.  5.)  Jenseits  der  Thaler  des  Isonzo 
und  der  Idrica  1st  das  Karstplateau,  u.  z.  der  Tarnovaner- 
Wald,  eine  fast  2500'  hohe,  grosstentheijs  bewaldete  Hochplatte, 
dann  der  eigentliche  Karst  mit  dem  Cicer-Boden.  Hier  ist 
die  Karstnatur  am  scharfsten  ausgepragt;  eine  einformige  ,  fast 
nackte  Hochflache  mit  karglichem  Pflanzenwuchse  in  den  vor  der 
Bora  geschiitzteren  Mulden  ,  mit  vielen  trichterformigen  Senkungen 
(Doline),  in  denen  sich  zu  Zeiten  Wasser  ansammelt,  aber  bald  im 
Kalkboden  versiegt.  In  den  Gegenden,  in  denen  ein  ohnehin  kar- 
ger  Ackerboden  vorkommt,  wohnt  eine  arme  Bevolkerung.  Die  Land- 
\virthschaft  kann  nicht  ausreichend  fur  den  Bedarf  betrieben  werden, 
fur  Errichtung  industriellef  Etablissements  fehlen  die  Grundbe- 
dingungen  —  Wasser  und  Heizmateriale  ;  —  den  meisten  Erwerb 
bot  vor  der  Eroffnung  der  Eisenbahn  die  Landfracht  (das  ,,Schlit- 
teln").  Zur  Bewaldung  dieser  Flachen  ist  unter  dem  Schutze  der 
Regierung  ein  ,,Karstbewaldungs-Verein"  thatig  ,  dessen  bisherige 
Versuche  zu  einigen  Hoffnungen  berechtigen.  —  Istrien  ist  ein 
Stufenland,  das  sich  gegen  das  Meer  herabsenkt  und  durch  die  in 
tiefen  Rinnsalen  nach  Osten,  Westen  und  Siiden  fliessenden  Ge- 
wasser  in  mehrere  Plateaux  zerlegt  wird.  Nur  an  der  Siidwest- 
eeite  ist  ein  freundliches,  ergiebigeres  Hiigelland,  sonst  ist  der  ode 
und  diirre  Karstboden  wenig  fruchtbar  ;  doch  sieht  man  auch  herr- 
liche  Eichenwalder  und  weite  mitOelbaumen  und  Reben  bepflanzte 
Strecken.  Die  Inseln  sind  gebirgige  Fortsetzungen  des  Karstbodens. 
—  Eben  er  Boden  finden  sich  im  Miindungsgebiete  der  Kiistenfliisse, 
die  grosste  Flache  an  der  Miindung  des  Isonzo,  dessen  Thai  das 
bedeutendste  ist.  In  Istrien  sind  das  Quieto-  und  Arsathal  beach- 
tenswerth.  Reich  ist  das  Karstland  an  grossartigen  Hohlen  mit 
den  prachtvollsten  Tropfsteingebilden  und  wunderbar  seltsamen 
Formationen  (die  Grotte  von  Corgnale  und  von  S.  Servolo, 
jene  von  St.  Canzian,  von  Ospo,  auf  der  Insel  Cherso  u.  a.). 

Gewasser.  Die  Fliisse  dieses  Kronlandes  eind  Kiistenfliisse, 
welche  sich  in  das  adriatische  Meer  ergiessen.  Der  bedeutendste 
ist  der  Isonzo,  der  von  der  Westseite  des  Triglav  in  grossen 


128 

Windungen  das  grosste  Querthal  der  Siidalpen  durchfliesst ,  die 
Idria  und  Wippach  aufnimmt ,  reiasend  mit  starkem  Gefalle 
und  reich  an  Stromschnellen  bis  oberhalb  Gorz  fliesst,  wo  er  in  die 
Ebene  tritt ,  an  Schnelligkeit  des  Laufes  verliert ,  aber  an  Breite 
zunimmt  und  (als  Stobba)  in  die  von  Siimpfen  umlagerte  Bucht 
von  Monfalcone  miindet.  In  Istrien  sind  der  Quieto  und  die  Arsa. 
—  Dieses  Kronland  wird  im  Siiden  vom  adriatischen  Meere 
bespiilt ,  iiber  dessen  Bedeutung  friiher  gesprochen  worden  ist. 
(Siehe  §.  76.  S.  101.)  Auch  der  Cepicer-See  in  Istrien  ist  be- 
reits  erwahnt  worden. 

Politische   Eintheilung.     Der    Statthalterei   in    Triest  sind 
nebst   der  ,,reichsunmittelbaren  Stadt  Triest"    das    Gorzer    Gebiet, 
die  Halbinsel  Istrien  und  das  Herzogthum  Krain  untergeordnet. 
Die  Hauptstadt  des  Kronlandes  ist: 

Triest,  mit  dem  Stadtgebiete  l.s  Q]M.  gross,  mit  einer  Bevolkerung  von  fiber 
104.000  Seelen,  besteht  aus  der  Alt-  und  der  regelmassig  erbauten  Neustadt.  Sie 
ist  die  bedeutendste  Seestadt  und  nachst  Wien  die  wichtigste  Handelsstadt  der  Mon- 
archic, und  von  grossem  Einflusse  sowohl  fur  den  einheimischen  Verkehr  als 
1'ur  die  Beziehungen  des  Kaiserstaates  zum  Auslande;  insbesondere  hat  Triest  einen 
wesentlichen  Antheil  an  der  Stellung  Oesterreichs  im  Orient  e.  Das  grossartigste 
Institut  ist  die  im  J.  1833  gebildete  Aktiengesellschaft  des  nosterreichis  chen 
Lloyd"  (Aktienkapital  9,450.000  fl.),  welche  regeimassige  Veibindungen  mit  dea 
grosseren  Haftn  des  adriatischen,  mittellandischen  und  schwarzen  Meeres  unterhalt 
und  die  Dampfschiffahrten  nach  Marseille,  Barcellona  und  Liverpool  ausgedehnt  hat. 
In  neuester  Zeit  bedroht  Marseille  den  Lloyd  mit  einer  gefahrlichen  Concurrenz  im 
Mittelmeere.  Im  J.  1859  beliefen  sich  die  Brutto-Einnahmen  des  Lloyd  auf  6,804.378, 
darnnter  die  Staats-Subvemion  von  1,636000  fl. ;  doch  trugen  mancherlei  ungiinstige 
Verhaltnisse  die  Schuld  an  einem  ansehnlichen  Deficit,  wie  sich  uberhaupt  der  See- 
verkehr  von  Triest  im  J.  1859  ungiinstiger  gestaltete  als  in  den  Vorjahren.  Triest 
ist  derSiiz  der  Consulate  von  alien  grosseren  Handelsstaaten,  der  Central-Seebehorde, 
des  Marine-Oberkommando  u.  s.  w.  Andere  Anstalten  zur  Forderung  der  Industrie 
nnd  des  Handels  sind:  die  Handelskammer,  BSrse,  Bankfiliale,  das  Tergesteum,  die 
stadtische  Gommerzial-Leihanstalt,  iiber  zwanzig  Assekuranz-Institute,  die  nautische  und 
Handels-Akademie,  das  grosse  Arsenal  des  Lloyd,  mehrere  Schiff»werften  u.  s.  w. 

Der  Scbiffsverkehr  gestaltete  sich  in  den  letzten  Jahren  in  folgender  Art: 
1859  1858  •  18bT_ 

Schiffe  Tonnengehalt       Schiffe  Tonnengehalt       Schiffe  Tonnengehalt 
Angekommen:  .  10.969.      779.173      ...10356.      766.915      ...10.733.      747.706 
Abgegangen:  ..10.710.      777.555      ...10275.      764.850      ...10.772.      773195 

Ein  specielleres  Eingehen  in  die  Ausweise  zeigt,  dass  im  J.  1859  nur  7677 
beladene  Schifie  mit  393.713  Tonnen  einliefen  ;  dagegen  im  J.  1858  8111  Segel- 
schiffe  mit  479.635  Tonnen;  dessgleichen  litt  die  inlandische  Dampfschiffahrt,  indem 
mehrere  Linien  in  Folge  der  Kriegsereignisse  suspendirt  werden  mussten.  Selbst  die 
neutrale  Flagge  betheiligte  sich  im  J.  1859  weniger  an  dem  Seeveikehre  von  Triest. 
Gegenwartig  werden  allseitig  Anstrengungen  gemacht,  um  diesen  fur  Oesterreich  hoch- 
wichtigen  Platz  auf  den  ihm  gebuhrenden  Rang  zu  heben.  Im  J.  1859  zahlte  die 
Handelsmarine  Oesterreichs  9646  Schiffe  von  373.016  Tonnen  und  mit  35.213 
Matrosen.  Die  Kriegsmarine  zahlt  37  Fahrzeuge  (darunter  1  Linienschiff,  5  Fre- 
gatten,  12  Dampfer  u.  s.  w.),  der  Personalstand  derselben  (im  J.  1860)  6952  Mann. 
Andere  bemerkenswerthe  Orte  sind  : 

1.  Gorz  (11.000),  Gradisca,  Monfalcone,  Aquilej a,  Cormons,  Flitsch,  Tollmein, 
Duino,  Heidenschaft ; 

2.  (in    Istrien)    Mitterburg    (Pisino,    3500),    Capo    d'Istria   (8500),    Isola, 
Pirano    (9500),    Rovigno    (12.000),    Pola,    Parenzo,    Cittanuova,    Dignano,    Volosca, 
Albona,  Montona. 

Inseln:  die  Brioni'schen  Inseln  in  (Nordwesten  von  Pola);  im  Quarnero: 
Veglia,  Cherso,  Lussin  und  viele  kleinere  Inseln  und  felsige  Eilande  (scoglj). 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 
Obwohl  an  90  %  der  Gesammtflache  zum  produktiven  Boden 


129 

zu  rechnen  sind,  so  1st  doch  die  Ertragsfahigkeit  eine  sehr  geringe, 
da  Wasser-  und  Regenmangel  dem  Getreidebau,  welchem  nur 
etwa  Yo  des  Bodens  zugewiesen  ist,  sehr  hinderlich  sind.  Ueberdiess 
ist  die  kultivirbare  Flache  ungemein  zerstiickelt,  der  Ertrag  auch 
ein  relativ  geringer  und  die  Produktion  deckt  demnach  bei  Weitem 
nicht  den  Bedarf.  Die  Hauptfruchte  sind  Mais  und  Weizen,  als 
Nachfrucht  der  Buchweizen.  Wahrend  auf  die  Wiesen  %  des 
Terrains  entfallt,  nehmen  die  "VVeiden  uber  2/5  ein;  ausgebreitet 
dagegen  sind  der  Weinbau  und  die  Olivenwalder.  Der  Wald- 
stand  ist  im  Ganzen  ein  geringer  (nur  T/3  des  Bodens) ;  nur  die 
grosaen  Eichenwaldungen  bei  Montona ,  welche  Schiffbauholz  fur 
die  kaiserliche  Marine  liefern,  machen  davon  eine  Ausnahme.  Die 
Obstkultur  erfreut  sich —  ausser  bei  Gorz  —  keiner  besonderen 
Pflege;  dagegen  liefert  der  Oelbaum  in  Istrien  und  auf  den  quar- 
nerischen  Inseln  Oel  von  guter  Qnalitat  und  trotz  des  grossen  Ver- 
brauches  uber  den  Bedarf.  Die  Viehzucht  ist  in  keiner  Richtung 
erheblich,  nur  im  Gorzer  Gebiet  wird  mehr  Sorgfalt  darauf  ver- 
wendet,  wo  auch  die  Seidenkultur  sehr  giinstige  Fortschritte 
macht.  Von  Wichtigkeit  ist  die  Seefischerei. 

Ein  Merkmal  des  Landes  ist  der  vollige  Mangel  an  Me- 
t  a  11  en.  An  Steinkohlen  wurden  in  letzter  Zeit  etwa  %  Million 
Zentner  zu  Tage  gefordert  (Albona  und  Pinguente  in  Istrien). 
Meersalz  wird  in  den  Salioen  zu  Capo  d'Istria  und  Pirano  —  im 
mittleren  Jahresdurchschnitt  an  600.000  Zentner  im  Werthe  von  3 
Mill.  Gulden — gewonnen.  Istrien  hat  sehr  viel  Baust  ei  n  e  (Istria- 
ner  Marmor),  welche  ehemals  einen  Hauptartikel  des  Handels  nach 
Venedig  bildeten. 

Der  Gorzer  Kreis,  die  Stadt  Triest  und  die  Halbinsel  Istrieu 
bilden  in  Bezug  auf  die  Be  schaf  tigung  der  Bewohner  drei 
verschiedene  Landstriche.  Im  nordlichen  und  nordostlichen  Theile 
des  Gorzer  Kreises  bildet  die  Rindviehzucht  den  wichtigsten 
Nahrungszweig ,  im  siidwestlichen  der  Wein-  und  Seidenbau. 
Weiters  sind  in  diesem  Kreise  zwei  Baumwollspinnereien,  eine  grosse 
Zuckerraffinerie ,  Seidenzeug-Fabriken,  die  europaisch  bekannte  (in 
Oesterreich  grosste)  Rothgarnfarberei  in  Heidenschaft  (Aidussina, 
slaw.  Ajdovsna).  —  Triest  ist  verhaltnissmassig  keine  Fabriks-, 
sondern  eine  sehr  wichtige  Handelsstadt ,  erzeugt  jedoch  nebst  den 
fur  den  Schiffbau  erforderlichen  Gegenstanden  (Seilerwaaren,  Se- 
geltuch,  Zwieback  u.  s.  f.)  viel  Rosoglio,  Leder,  Oelseife,  Kerzen  u.  a. 
Grossartig  sind  die  technischen  Werkstatten  der  Gesellschaft  des 
osterreichischen  Lloyd.  —  Istrien  hat  keine  Fabriken,  die 
Hauptthatigkeit  beschrankt  eich  ausser  dem  Wein-  und  Oelbau 
auf  die  Gewinnung  von  Seesalz  und  auf  die  Fischerei,  den 
Schiffbau  und  jene  Gewerbe,  welche  mit  der  Ausrustung  der 
Schiffe  in  Verbinduug  stehen.  Das  Gleiche  gilt  von  den  zu  diesem 
Kronlande  gehorigen  Inseln.;  insbesondere  hat  L  us  a  in  piccolo 
in  jiingster  Zeit  sehr  grosse  Fortschritte  im  Schiffbau  und  den  da- 
mit  verbundenen  Gewerben  gemacht.  —  Fiir  den  Handel  Oester- 
reichs  sind  Triest  und  das  Kustenland  von  grosster  Bedeutung. 

Klua's  Handels- Geographic.     2.  Ann. 


130 

§.  87.  Die  gcfiirstete  Grafschaft  Tirol  mid  Vorarlberg. 

523  QMeilen;  —  851.000  (relativ  1627)  Einwohner,  fast  ausschliess- 
lich  Katholiken;  —  nach  der  National!  tat  8/s  Deutsche  und  2/5  Walsche 
(320.000  Italiener,  9COO  Ladiner).  —  Grenzen:  im  N.  Baiern,  —  im  W.  die 
Snhweiz,  Lichtenstein,  Lombardei,  —  im  S.  Lombardei  und  Venedig,  im  0.  Venedig, 
Karnten,  Salzburg. 

Boden.  Tirol  ist  ein  wahres  Gebirgsland,  denn  das  Bergland 
nimmt  fast  9/1(,  der  Oberfiache  ein;  es  ist  das  hochste  Gebirgsland 
Oesterreichs,  eine  Fortsetzung  der  hohen  Alpenmassen  der  Schvreiz. 
Die  Central-,  die  nordlichen  und  siidlichen  Kalkalpen  durchziehen 
das  Land,  zwischen  denen  sich  drei  Hauptthaler  (das  Inn-,  das 
Etsch-  und  das  Pueterthal)  mit  sehr  vielen  Nebenthalern  ausdeh- 
nen.  Die  nordlichen  Kalkalpen  (Algauer  Alpen)  erstrecken 
sich  vom  Bodensee  bis  zur  ostlichen  Landesgrenze.  (Siehe  nordliche 
Kalkalpen  S.  25.)  Die  C  entralalpen,  die  eigentlichen  Tiroler- 
Alpen  sind  das  bedeutendste  Massengebirge ,  in  der  ganzen  Aus- 
dehnung  von  Gletschern  bedeckt,  mit  hohen  Spitzen,  zahlreichen 
Widerlagen  und  Armen.  Die  Hauptmasse  durchzieht  das  Land  von 
West  nach  Ost ;  die  bedeutendste  Widerlage  langs  der  westlichen 
Landesgrenze  von  Norden  nach  Siiden  enthalt  die  hochste  Berg- 
spitze  der  Monarchic  (den  O'rtler).  Die  B  renne  r-Einsenkung 
scheidet  sie  in  zwei  Hauptgruppen.  (Siehe  Central-Alpen,  S.  24  und 
25.)  —  Die  siidlichen  Kalkalpen  gehoren  zumeist  als  Grenz- 
gebirge  dem  Lande  an.  Zwischen  dem  Garda-See  und  der  Etsch  ist 
der  schroffe  Riicken  des  Monte  Baldo ;  ostlich  von  der  Etsch  sind 
die  Gruppen  der  Venetianer- Alpen,  deren  Masse  im  Venetianischen 
liegt  und  wovon  nur  Verzweigungen  nach  Tirol  auslaufen.  (Siehe 
siidliche  Kalkalpen  S.  27.)  —  Die  Tiroler  Gletscher  (^Ferner" 
genannt)  nehnien  einen  Raum  von  fiber  23  QMeilen  ein;  der  Haupt- 
stock  ist  die  Eismasse  der  Oetzthaler  Ferner,  zu  welchen  der  Hoch- 
vernagt  ,  der  Gebatschferner  u.  a.  gehoren,  iiber  mehrere  derselben 
fiihren  Saumpfade  (der  belebtesfe  iiber  den  Jaufen  von  Sterzing 
in  das  Passeyerthal).  —  Von  Bedeutung  fiir  die  gesammten  Kultur- 
verhaltnisse  des  Hochgebirgslandes  sind  die  sehr  zahlreichen  T  h  a- 
ler,  welche  in  der  Regel  enge,  selten  iiber  eine  Stunde  breit,  da- 
gegen  langgestreckt  sind;  bedeutende  Thalweitungen  und  Ebenen 
kommen  gar  nicht  vor.  Das  langste  Thai  ist  das  Inn  thai  (33  M. 
lang,  bis  zur  Melach-Miindung  Ober-,  dann  Unterinnthal),  in 
welches  das  Oetz  thai  und  das  Zillerthal  miinden;  dem  Flachen- 
inhalte  nach  ist  jedoch  das  Etschthal  grosser;  der  obere  Theil 
—  Vintschgau  —  ist  durch  die  grossartige  Alpennatur,  der  untere 
durch  seine  uppige  Vegetation  und  sein  mildes  Klima  ausgezeich- 
net.  Das  von  der  Rienz  bewasserte  Pusterthal  ist  besonders  we- 
gen  der  Zucht  des  Hornviehes  bekannt.  Im  Vorarlberg  sind  das 
Rh  ein  thai,  das  111  thai  (Ochsenthal),  Vermontthal ,  Montavon- 
thal)  und  bei  Bludenz  der  Walgau. 

Oewasser.  Die  Gewasser  Tirols  gehoren  drei  Flnssgebieten 
an,  jenem  des  Rhein,  der  Donau  und  der  Etsch.  Der  Rhein 
gehort  nur  etwa  auf  einer  fiinf  Meilen  langen  Strecke  als  Grenz- 
fluss  zu  Oesterreich.  Er  nimmt  die  meisten  Wildbache  Vorarlbergs 
auf,  der  namhafteste  Nebenfluss  desselben  ist  die  II  }.  —  Die  be- 


131 

deutendsten  Fliisse  des  Landes  gehoren  zum  Geader  der  Donau. 
Der  Lech  und  die  Isar  erhalten  ihre  Bedeutung  erst  nachdem 
sie  nach  Baiern  getreten  (ersterer  unterhalb  Fiissen  ,  der  zweite 
durch  den  Scharnitz-Pass).  Der  grosste  Fluss  des  Landes  ist  der 
Inn,  der  durch  Finstermiinz-Clus  nach  Tirol  eintritt  und  es  unter- 
halb Kufstein  verlasst.  Schon  nach  der  Einmundung  des  Oetzbaches 
wird  er  flossbar ,  doch  erst  von  Hall  ab  schiffbar.  Er  nimmt 
sehr  viele  Wildbache  auf,  die  wegen  der  haufig  wiederkehrenden 
Verheerungen  beruchtigt  sind.  Die  Drave  vom  Toblacher  Felde 
wird  erst  nach  ihrem  Eintritte  in  Karnten  schiffbar.  —  Die  E  t  s  c  h, 
welche  bei  Gargazan  flossbar,  unterhalb  Botzen  schiffbar  wird,  nimmt 
den  Eisack,  den  La  vis  und  den  Nosbach  (Noce)  auf.  Dem 
Gebiete  des  adriatischen  Meeres  gehoren  noch  die  Brenta,  Sarca, 
Chiese  und  Piave.  Seen  hat  das  Land  sehr  viele,  aber  meist  hoch- 
gelegene,  kleine  Alpenseen.  Vom  Bodensee  gehoren  4'/2  Meile  zu 
Vorarlberg ,  vom  Garda-See  2T/4  Meile  zu  Tirol.  An  Gesund- 
brunnen  ist  das  Land  ebenf alls  reich,  die  besuchtesten  sind  Mit- 
terbad  (im  Ultenthale),  Rabbi  und  Pejo  (im  Sulzberg),  May- 
statt,  Innichen,  Altprax  u.  a.  im  Pusterthale. 

Politische  Eintheiliing.    Die  Landeshauptstadt  Innsbruck 
ist  der  Statthalterei  unmittelbar  untergeordnet. 
Bemerkenswerthe  Orte  sind  in: 

1.  (Nordtirol)  Innsbruck  (14.200  Einw.),  Hall,  Kufstein,  Schwatz,  Rattcnberg, 
Kitzbuchel,  Achenrain,  Imst,  Landeck,  Zirl,  Reute  ; 

2.  (Mittel-Tirol)  Brixen  (3500),  Sterzing,  Brunecken,  Innichen,  Lienz,  Win- 
disch-Matrei,  Botzen,  Klansen,  Meran,  Glurns; 

3.  (Siid-Tirol)  Trient  (14.000),  Roveredo,  Riva,   Arco,    Ala,  Levico,  Lavis ; 

4.  Vorarlberg:  Bregenz  (3500),  Feldkirch,  Bludenz,  Hohenembs,  Dornbirn. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Bodenverhitltnisse  des  Landes  sind  mit  Ausnahme  eini- 
ger  Thaler  fiir  die  physische  Kultur  nicht  gunstig.  Werden  auch 
etwa  2/3  der  Gesammtflache  auf  nutzbaren  Boden  im  Allgemeinen 
gerechnet ,  so  entfallen  von  der  produktiven  Flache  doch  nur  an 
8%  auf  das  Ackerland,  doppelt  so  viel  auf  Wiesen  und  Garten,  an 
6  QMeilen  auf  Weingarten ;  dagegen  iiber  50%  auf  Waldungen 
und  iiber  20%  auf  Weiden ;  —  an  195  QMeilen  (oder  mehr  als  ein 
Drittheil  des  Landes)  aber  ist  ganz  odes,  unkultivirbares  Land.  Es 
hat  somit  kein  Kronland  in  Oesterreich  so  viel  unbenutzbaren  Boden. 
Im  Siiden  kommen  in  geringerer  Ausdehnung  auch  Kastanien-  und 
Olivenwalder  vor. 

Der  Ackerbau  ist  vielfach  mit  grossen  S  chwierigkeiten  ver- 
bunden  und  liefert  auf  der  geringen  Flache  bei  weitem  nicht  fiir 
den  Bedarf,  welcher  durch  Getreidezufuhren  aus  dem  benachbarten 
Baiern  gedeckt  wird.  Auf  den  Wiesenbau  wird  grosse  Sorgfalt  ver- 
wendet,  die  vortrefflichen  Alpenwiesen  («Almu)  sind  der  Viehzucht 
sehr  dienlich,  welche  eine  Haupterwerbsquelle  bildet.  Trotz  des  gros- 
sen heimischen  Bedarfes  an  Milchprodukten  gelangt  (zumeist  aus 
dem  Bregenzer  Walde)  doch  vorziiglicher  Kase  zum  Export.  Unter 
der  Viehzucht  hat  jene  des  Rindviehes  den  ersten  Rang  ("Bregenzer 
Wald,  Lechthal,  Pusterthal);  —  die  Schafzucht  wird  nur  fiir 
den  Hausbedarf  betrieben;  —  die  Bienenzucht  ist  in  Vorarl- 

9* 


132 

berg,  jene  der  Seidenraupe  sehr  schwunghaft  in  Siidtirol.  Die 
Obstkultur  ist  sehr  bedeutend,  namentlich  bei  Meran ;  die  Citro- 
nengarten  am  Garda-See  diirften  ihresgleichen  schwerlich  irgendwo 
finden;  auch  das  Montavon-Thal  ist  im  Obstbau  bekannt.  Der  Wein 
ist  em  Hauptprodukt  in  Siidtirol,  doch  gibt  es  nur  wenig  bessere 
Sorten;  bei  Feldkirch  kommt  ebenfalls  einiger  Weinbau  vor.  Flachs, 
Hanf  und  Tabak  werden  in  grosseren  Mengen  gebaut.  Den  be- 
sten  Flachs  liefert  das  Oetzthal  (an  3500  Zentner),  der  Leinsamen 
aus  dem  Inn-  und  Oetzthale  wird  exportirt. 

Der  ehemalige  Reichthum  an  edlen  Metallen  besteht  nicht 
mehr.  Den  Hauptreichthum  in  dieser  Beziehung  hat  jetzt  das  Land 
an  Salz  (Hall),  Kohl  en  und  Eisen;  doch  erreichen  die  Produkte 
des  Bergbaues  (mit  Ausuahme  von  Salz)  kaum  den  Werth  von 
Vg  Million  Gulden  jahrlich,  wovon  an  3/4  auf  ararische  Werke  ent- 
fallen. 

Tirol  ist  im  Allgemeinen  zwar  kein  Industriclaiid ;  doch 
lassen  sich  in  dieser  Richtung  drei  Hauptgruppen  aufstellen  :  Vor- 
a rib erg,  Siidtirol  mit  dem  Charakter  der  italienischen  Land- 
schaft  und  das  iibrige  Deutschtirol  mit  seinen  zahlreichen  Tha- 
lern.  —  Vorarlberg  hat  eine  ausgedehnte  Industrie,  insbesondere 
eine  sehr  schwunghafte  Baumwollindustrie  (an  20  Spinnereien,  viele 
Webereien,  Druckereien ,  Rothfarbereien ,  Bleich-  und  Appretur- 
Anstalten),  und  ist  nachst  Niederosterreich  und  Bohmen  der  starkste 
Produzent  (Geldwerth  der  jahrlichen  Fabrikate  beilaufig  2  Millio- 
nen  Gulden).  Fabriksorte  sind:  (Spinnereien)  Kennelbach,  Feld- 
kirch, Burs,  Thilringen,  Fussach,  Bludenz,  Dornbirn  ,•  Hohenembs, 
Mehrerau,  —  (Gusswerke)  in  Dornbirn  und  Frastanz,  —  (Ma- 
schinenbau)  in  Frastanz  und  Feldkirch,  Papier  fabrik  in  Blu- 
denz, Schiffbau  und  Verfertigung  von  Alpenhiitten  fur  die  Schweiz. 
—  Die  relativ  meisten  Fabriken  sind  im  Rheinthal  und  im  Wall- 
gau;  —  auch  die  Handweberei  und  Stickerei  ist  wie  im  Nachbar- 
gebiete  der  Schweiz. 

In  Siidtirol  gibt  die  Seide  den  Haupterwerb  durch  die 
zahlreichen  Filanden  (uber  800)  und  Filatorien  (iiber  50);  dagegen 
bestehen  wenige  Etablissements  fiir  die  Verfertigung  von  Seiden- 
waaren.  Die  grosste  Filande  in  der  Monarchic  ist  zu  Lizzanella  (bei 
Roveredo),  auch  die  umfassenderen  Filatorien  sind  um  Roveredo, 
Mori,  Borgo  u.  s.  w. ;  bei  Ala  bestehen  (schon  seit  dem  Jahre  1640) 
Sammtfabriken. 

In  den  iibrigen  Theilen  von  Deutschtirol  kommt  die  In- 
dustrie nur  vereinzelt,  hauptsachlich  in  den  Thalern  vor,  und 
treten  die  Leder-  und  Eisenindustrie  verhaltnissmassig  am  stark- 
eten  hervor;  erstere  um  Roveredo,  letztere  hauptsachlich  im  Stubai- 
thale,  dann  im  Puster-  und  Fleimserthale  und  in  den  sudlichen  ,  in 
das  Venetianische  ausmiindenden  Thalern.  Im  Oetz-,  Passeyer-,  Inn- 
und  Pusterthale  kommt  die  Leinen-Handweberei ,  die  Verfertigung 
von  Lodentuch  und  Teppichen  vor,  —  im  Zillerthale  und  im  Pu- 
sterthale jene  der  Handschuhe,  —  im  Grodnerthale  herrscht  die 
Holzschnitzerei  und  die  Spitzenkloppelei.  Einzelne  dieser  wohlfeilen 
Erzeugnisse  kommen  sogar  zum  uberseeischen  Export.  Bedeutendere 


Industrieorte  im  genannten  Theile  Tirols  sind:  Imst,  Innsbruck, 
Telfs  (fur  Baumwollwaaren) ;  —  fiir  Metallwaaren :  Brixlegg,  Achen- 
rain  (Messingwerk) ,  Stans,  Schwatz;  —  endlich  kommen  Papier-, 
Tabakfabriken,  Zuckerraffinerien  u.  a.  w.  vor. 

Hauptplatze  fiir  den  Handel  sind:  Innsbruck,  Botzen  (mit 
vier  stark  besuchten  Messen),  Feldkirch  (bedeutender  Speditions- 
handel),  Trient  (Viehmarkte  und  Handel  mit  den  Industrie-Erzeug- 
nissen  der  Umgebung) ,  Roveredo  (Haupthandelsplatz  fiir  Seide), 
Riva  (Haupthafen  des  Garda-Sees,  Handel  mit  Holz,  Kohle,  Oel 
und  Seide).  Der  Hausirhandel  wird  in  sehr  ausgedehntem  Masse 
betrieben,  und  man  nimmt  an  ,  dass  bei  30.000  Tiroler  mit  ein- 
heimischen  Produkten  halb  Europa  durchziehen ;  aber  mit  dem 
ersparten  Gewinne  kehrt  der  Tiroler  gerne  in  die  mm  Hebe  Heimat 
zuruck. 

§.  88.  Das  Konigreich  Bohinen. 

944  n^eilen;  —  4,705.530  (relativ  4985)  Einwohner,  —  iiberwiegend 
Kat ho  liken  (etwa  90.000  Protestanten,  76.000  Israeliten);  —  nach  der  Natio- 
nalitat  uber  s/5  Slawen  (Cechen)  und  nahezu  2/5  Deutsche.  —  Grenzen:  im  N. 
Preussen,  Sachsen,  —  im  W.  Baiern,  —  im  S.  Ober-  und  Nieder-Oesterreich,  —  im 
0.  Mahren. 

Boden.  Bohmen  ist  mit  Ausnahme  des  Elbethales  (von  Pode- 
brad  ab)  ein  Hochland.  Das  bohmi  sch-mahrische  Plate  au 
mit  durchgehends  wellenformigem  Charakter  und  einer  zwischen 
1200 — 2000'  wechselnden  Erhebung  erfiillt  den  ganzen  ostlichen, 
siidlichen  und  westlichen  Theil  des  Landes.  Im  Inneren  des  Landea 
ist  es  gebirgiger  als  im  Osten,  es  ist  der  relativ  minder  fruchtbare 
Theil,  reich  mit  Waldern  bedeckt,  erzeugt  Getreide,  Obst,  aber  kei- 
nen  Wein  und  wird  nur  von  der  Wittingauer  und  Budweiser  Ebene 
unterbrochen.  Die  Moldau  durchzieht  das  ganze  Plateau  in  einem 
engen  felsigen  Thale,  dessgleichen  beinahe  alle  in  die  Moldau  sich 
ergiessenden  Fliisse,  Mit  diesem  Plateau  hangt  im  Westen  der  Boh- 
merwald  zusammen,  der  jedoch  ein  eigenes  Gebirge  bildet;  cha- 
"  raktenstisch  sind  dessen  langgezogene  Rticken,  durch  Langenthaler 
von  einander  getrennt,  und  die  dichten  Waldungen.  Er  erstreckt 
sich  in  einer  Lange  von  28  Meileii  bis  zur  Donau  herab,  fallt  an 
der  bairischen  Seite  steiler  ab  und  wird  in  einen  hoheren  (siid- 
lichen)  und  einen  niederen  (nordlichen)  Theil  getrennt.  Das  FTcjL=— > 
telgebirge  gehort  nur  zum  geringsten  Theile  nach  Bohmen  ;  der 
Fuss  dieses  Schieferplateaus  zieht  sich  nach  Bohmen  bis  Eger. 
Durch  die  Einsenkung  nordostlich  von  Eger  ist  davon  daaE  r  z- 
gebirge  getrennt,  welches  nach  Bohmen  steil  abfallt,  von  vielen 
Klein  en  Thalern  durchschnitten  ist  und  eine  mittlere  Kammhohe 
von  2200'  mit  einzelnen  hoheren  Kuppen  besitzt.  Es  ist  gut  bebaut 
oder  bewaldet  und  der  Sitz  eines  regen  Bergbaues  so  wie  einer  leb- 
haften  Industrie.  —  Am  rechten  Elbeufer  ist  das  LausiLz-er- 
Plateau  (2000'),  bestehend  aus  einzelnen,  unzusammenhangenden 
"€hPnpp^n7*H6her  erheben  sich  die  parallelen  Kamme  (durchschnitt- 
lich  3000')  dea  laergebirgea^-welchea  durch  die  Einsattlung  von 
Neuwelt  vom"~noch  hSheren  (iiber  4000'  hohen)  Granitriicken  dea 
Riesengebirgea  getrennt  ist.  (Schneekoppe  5095',  Sturmhaube 


4666').  Das  Kiesengebirge  hat  den  ausgepragtesten  Gebirgscharakter ; 
die  Gipfel  reichen  schon  fiber  die  Baumgrenze  hinauf,  auf  dem  brei- 
ten  Rticken  kommen  sumpfige  Wiesen  und  Knieholz  vor,  wahrend 
an  dem  tieferen  Gehange'  ansehnliche  Waldungen  stehen.  Das  Ad- 
lergebirgs  (Schneeberg  4429')  endigt  mit  der  ,,hohen  Mense" 
(3614')  und  ist  durch  die  Triibauer  Einsenkung  vom  bohmisch- 
mahrischen  Plateau  geschieden.  —  Breite  Thaler  hat  Bohmen 
wenige.  Die  Elbe  bildet  zwischen  Josephstadt  und  Leitmeritz, 
die  Moldau  erst  unterhalb  Prag ,  die  Eger  die  E  b  e  n  e  von  Laun ; 
Tiefebene  ist  jedoch  bios  das  erwahnte  Elbethal  von  Podebrad  an. 
Ausser  den  bereits  friiher  genannten  Ebenen  ist  die  Georgenthaler 
Ebene  im  Saazer  Kreise  vielleicht  die  am  meisten  horizontale  Flache 
Bb'hmens. 

Gewasser.  Bohmen  erfreut  sich  eines  grossen  Wasserreich- 
thums  und  gehort  fast  ganz  zum  Gebiete  der  Elbe,  welche  jedoch 
sowohl  nach  der  Wassermenge,  als  der  Lange  des  Laufes  und  der 
Grosse  des  Gebietes  von  ihrem  bedeutendsten  Nebenflusse  —  der 
Moldau  —  iibertroffen  wird.  Nachst  der  Moldau  ist  der  wichtigste 
Nebenfluss  die  Adler.  Vom  Fichtelgebirge  fliesst  ihr  die  Eger, 
vom  Erzgebirge  die  Be  la  zu.  Die  Iser  ergiesst  sich,  nachdem  sie 
mehrere  Zufliisse  aufgenommen,  oberhalb  Alt-Bunzlau  in  die  Elbe. 
Die  Moldau  fiihrt  die  Wasser  der  Luschnitz,  Wotawa,  Sa- 
zawa,  Beraun  mit  zahlreichen  kleineren  Fliissen  zu.  Ausser  eini- 
gen  unbedeutenden  Gebirgsseen  im  Bohmerwalde  besitzt  das  Land 
Seine  Seen,  dagegen  im  Siiden  viele,  mitunter  grosse  Teiche, 
aber  nur  einen  Kanal,  der  die  kalte  Moldau  mit  dem  Muhlflusse 
(oberhalb  Haslach  in  Oesterreich)  verbindet  und  zum  Flossen  des 
Holzes  aus  den  filrstlich  Schwarzenbergischen  Waldungen  benutzt 
wird.  Von  Wichtigkeit  sind  die  Torfrnoore  im  Bohmerwalde.  — 
Weltberiihmt  sind  die  ^bohmischen  B'ader,"  welche  alljahrlich 
von  Tausenden  von  Kurgasten  aus  alien  Landern  Europas,  ja  aus 
den  andern  Erdtheilen  besucht  werden.  Darunter  sind  besondcrs  be- 
ruhmt:  Karlsbad,  Marienbad,  Franzenabad,  Teplitz,  Bilin, 
Seidschitz,  Piillna,  Sedlitz,  Giesshiibel  u.  a.,  deren  Wasser  auch 
weithin  versendet  werden. 

Politische  Eintheilung.  Das  Konigreich  Bohmen  wird  in  13 
Kreise  eingetheilt,  welchen  die  Bezirksamter  unterstehen.  Der  Sitz 
der  Statthalterei  ist  in  der  Landeshauptstadt  Prag  (143.000  Ein- 
wohner). 

Prag  (cechisch  Praha)  besteht  ans  vier  Stadten,  der  Alt-  und  Neustadt,  der 
Kleinseite  ond  dem  Hradschin,  und  den  Vorstadten  Smichov  und  Karolinenthal.  So- 
wohl die  herrliche  Lage  der  Stadt  an  beiden  Ufern  der  schiffbaren  Moldau  und  zum 
Theil  auf  den  sie  begleitenden  Anh5hen,  als  auch  die  Menge  alter  und  kunstreicher 
monnmentaler  Gebaude  zeichnen  die  altehrwiirdige  Residenz  der  b5hmischen  Konige 
vor  den  meisten  andern  Stadten  der  Monarchie  aus.  Zahlreiche  Palaste,  darunter  die 
weitlaufige  k.  k.  Burg,  herrliche  Kirchen  (Metropolitankirche  St.  Veit,  die  Teinkirche 
u.  v.  a.),  die  grosse  Karlsbrucke  und  viele  historische  Monumente  gehoren  zu  den 
Sehenswurdigkeiten.  Die  Stadt  ist  der  Sitz  der  hochsten  Landesbehorden  und  eines 
Fursterzbischofes.  An  Bildungsanstalten  besitzt  Prag  die  alteste  Universitat  Deutsch- 
lands  (gegrundet  von  Carl  IV.  im  J.  1348)  mit  alien  nothigen  Hilfsanstalten,  die 
kSnigl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  die  Gesellschaft  des  vaterlandischen  Museums 
(eine  Abtheilung  bildet  die  Matice  ceska  fiir  die  wissenschaftliche  Pflege  der  bohmi- 
schen  Sprache  und  Literatnr)  und  andere  wissenschafcliche  Vereine,  Ferner  eine 


135 

standische  technische  Lehranstalt,  3  Gymnasien,  eine  deatsche  und  eine  cechische 
Oberrealschale,  eine  hohere  Handelslehranstalt,  eine  Kunstakademie,  Conservatorium 
der  Musik  u.  s.  \v.  Nicht  minder  zahlreich  sind  die  Wohlthatigkeits-  und  Heil- 
anstalten.  Sehr  bedeutend  ist  der  Gewerbfleiss  dieser  beruhmten  Stadt  und  ihrer 
nachsten  Umgebung;  die  meisten  Zweige  der  technischen  Kultur  sind  rubmenswerth 
vertreten.  Besonders  sind  die  Kattnndruckerei,  chemische  Prodnkte,  Leder,  Hand- 
schuhe,  Silberarbeiten,  Maschinen,  musikalische  Spiehverke  n.  s.  w.  erwahnenswerth. 
Prag  ist  der  Mittelpunkt  des  bohmischen  Handels;  die  grossen  Fabriken  des  Landes 
halten  hier  ihre  Niederlagen,  und  die  Eisenbahn  begnnsiiger,  auch  den  Durchfuhr- 
handel.  In  nenester  Zeit  sind  Industrie  und  Handel  dnrch  mehrere  zeitgemasse  An- 
stalten  gehoben  worden. 

Andere  bemerkenswerthe  Orte  *)  sind  : 

1.  Prager  Kreis:    Melnik,    Pribram,  Bastehrad,  Konigsaal,    Eule,    Beraun, 
Brandeis,    Rakonitz,    Schlan,    Bohmisch-Brod,    Hofowic,  Kladno,  Alt-Bunzlau ; 

2.  Leitmeritzer  Kreis:    Leitmeritz  (5500),    Theresienstadt,  Bohmisch- 
Leippa,  Rumburg,  Teplitz,    Tetscben,    Biirgstein,    Bodenbach,    Lobositz,    Warnsdorf, 
Haida,  Auscha,  Aussig,  Grauppen,  Zinnwald,  Raudnitz,  Sandau,  Nixdorf,  Sclionlinde, 
Schluckenau,  Zwickau,  Georgenthal; 

3.  Ji6iner  Kreis:  Ji6in  (oder  Gits  chin  4500),  Hohenelbe,  Arnau,  Lom- 
nitz,  Jungbuch,  Starkenbacb,    Trautenau,  Chlumetz,  Lauterwasser,  Neuwelt,  Rochlitz, 
Schatzlar,  Semil ; 

4.  Bunzlauer    Kreis:     Jung-Bunzlau    ("5500),    Reichenberg    (18.000), 
Reichstadt,    Niemes,    Friedland,    Liebwerda,    Tannwald,    Gablonz,    Libenau,    Turnau, 
Munchengratz,  Hirschberg,  Gabel,  Kosmanos,  Josephsthal,  Bohmiscb-Aicha,  Eisenbrod, 
Kratzan; 

5.  K6niggratzer    Kreis:    Koniggratz    (8000),    Josephstadt,    Braunau, 
Koniginhof,  Reichenau,  Grulich,  Senftenberg,  Adersbach,  Skalitz,  Wiesen,  Weckelsdorf ; 

6.  Chrndimer  Kreis:   Chrudim  (6000),    Pardubitz,   Leitomischl,    Hohen- 
mautb,  Policka,  Landskron,  WHdenschwert; 

7.  Caslauer  Kreis:  Caslau  ("3500),    Kuttenberg,    Hampolec,  Polna,  Cho- 
tebor,  Kladrub,  Kaui-im,  Kolin,  Ledec,  Peles,  Elbe-Teinitz,  Switla,  Podebrad  ; 

8.  Taborer  Kreis:  Tabor  (4500),  Beneschau,  Patzau,  Pilgram,  Wlasim ; 

9.  Bndweiser  Kreis:  Budweis  (11.000),    Krumau,    Neuhaus,    Rosenberg, 
Wittingau,  Gratzen,  Adolphsthal,  Goldenkron; 

10.  Piseker  Kreis:  Pisek  (6300),  Horazdiowic,   Bergreicbenstein,  Strako- 
nic,  Winterberg,  Adolph-  und  Eleonorenhain,  Schuttenhofen,  Prachatic  ; 

11.  Pilsner  Kreis:  Pilsen  (12.000)  Klattau,  Mies,   Neugedein,  Nepomuk, 
Taus,  Plas,  Rokycan,  Radnitz,  Bischofteinitz  ; 

12  Eger  Kreis:  Eger  (11.000),  Franzensbad,  Marienbad,  Karlsbad,  Elbo- 
gen,  Joachimsthal,  Asch,  Gottesgab,  Schlaggenwald,  Graslitz,  Konigswart,  Flatten, 
Maria-Kulm,  Altsattel,  Hirschenstand,  Dallwitz,  Alt-Rohlau,  Pirkenhammer  (Ham- 
mer),  Heinrichsgriin,  Neudeck,  Tachau,  Buchau  ; 

13.  Saazer  Kreis:  Saaz  (5700),  Brux,  Kaaden,  Klosterle,  Pressnitz,  Dux, 
Bilin,  Sedlitz,  Pulna,  Seidschitz,  Komotan. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgeminen. 

Ueber  7/8  der  Gesammtflache  Bohmens  sind  nutzbarer  Bo- 
den;  fast  die  Halfte  davon  (an  400  CjMeilen)  ist  fruchtbares, 
gut  bestelltes  Ackerland,  nahezu  V3  entfallt  auf  Waldungen ,  '/8 
auf  Wiesen  und  Garten  und  an  60  QMeilen  sind  Weideland.  Die 
Flache  des  Ackerlandes  ist  somit  so  gross ,  als  jene  der  iibrigen 
Kulturgattungen  zusammen  genommen,  und  Bohmen  nimmt  in  Be- 
zug  auf  den  Ackerbau  den  zweiten  Rang  im  Kaiserstaate  ein.  Der 
Brutto-Ertrag  der  Kornerfrucht,  wovon  im  Jahresdurchschnitt  uber 
1  l/s  Million  Metzen  exportirt  werden,  hat  einen  Werth  von  mehr  als 

*)  Zur  Aussprache:  c  =  z;  —  6  =»  tsch ;    —  6  =  je;  —  z  =  gelindes  s  ; 
—  2  =»  gelindes  sch  (=  franz.  j  in  jour) ;  —  s  =  scharfes  sch  ;  —  r  -=  rz. 


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90  Millionen  Gulden.  Geringere  Sorgfalt  wird  der  Wiesenkul- 
tur  zugewendet;  im  Siiden  wird  viel  Klee  gebaut.  Der  Obstbau 
wird  stark  betrieben ;  der  Ertrag  deckt  nicht  nur  den  bedeutenden 
Bedarf,  sondern  liefert  auch  f'iir  den  Export  nach  Norden.  Auf 
gleicher  Hohe  steht  im  Allgemeinen  derGemusebau,  wovon  jahr- 
lich  an  50.000  Zentner  ausgefiihrt  werden.  Der  Weinbauhat 
einen  beschrankten  Bezirk  und  ist  elier  in  der  Abnahme,  er  liefert 
ejtwa  13.000  Eimer,  darunter  die  geschatzten  Sorten  Melniker  und 
Cernoseker.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  der  Hopfenbau  im 
Saazer-  und  Leitmeritzer  Kreise,  welcher  nicht  nur  den  ansehn- 
lichen  inlandischen  Bedarf  deckt,  sondern  auch  sehr  gesuchte  Waare, 
die  keine  Konkurrenz  zu  scheuen  braucht,  zum  Export  bringt. 
Flach  s  wird  in  alien  Gebirgsgegenden  angebaut  und  sind  in  neue- 
ster  Zeit  im  Riesengebirge  wesentliche  Verbesserungen  im  Anbau 
und  in  der  weiteren  Bearbeitung  eingefiihrt  worden.  —  Der  Anbau 
der  Runkelruben  wachst  fast  mit  jedem  Jahre,  — Einen  grossen 
Reichthum  bilden  endlich  die  Wai  dun  gen,  deren  durchschnitt- 
lichen  Holzertrag  man  jahrlich  mit  mindestens  3'/2  Million  Klafter 
veranschlagt.  Den  Gesammtwerth  der  landwirthschaftlichen  Produk- 
tion  (mit  Ausschluss  der  Viehzucht)  schatzt  man  im  Jahresdurch- 
schnitt  auf  beilaufig  190 — 200  Millionen  Gulden.  —  Diese  allge- 
meine  Charakteristik  erleidet  jedoch  in  dem  ausgedehnten  Lande 
mancherlei  Abstufungen,  insbesondere  in  Bezug  auf  die  vier  nord- 
ostlichen  Kreise  Bohmens :  Leitmeritz,  Jicin,  Bunzlau  und  Konig- 
gratz  oder  den  ,,Bezirk  der  Reichenberger  Ha  ndelskammer.'4 
Ungeachtet  der  relativ  grossen  Ackerflache  reicht  deren  Ertrag  doch 
lange  nicht  hin,  den  Getreidebedarf  dieses  Kammerbezirkes  zu  decken, 
da  in  Folge  der  Lage  die  durchschnittliche  Fruchtbarkeit  des  Bodens 
eine  geringe,  die  Bevolkerung  dagegen  ausserordentlich  dicht  ist  *). 
Auch  das  Verhaltniss  des  Waldbodens  ist,  trotzdem  der  Kam- 
merbezirk  vorwiegend  Gebirgsland  ist,  ein  auffallend  geringes  und 
erklart  die  Hohe  der  Holzpreise,  was  namentlich  auf  die  Rohglas- 
erzeugung  nachtheilig  einwirkt. 

Die  Viehzucht  steht  noch  nicht  durchgehends  auf  der  wiin- 
schenswerthen  und  erreichbaren  Hohe;  nur  die  S  c  h  afzucht  macht 
die  grossten  Fortschritte,  denn  mehr  als  die  Halfte  sind  bereits  hoch- 
veredelt.  Fur  die  Pf  erdezucht  ist  das  Hofgestiit  zu  Kladrub  wich- 
tig.  Die  Zucht  des  Gefliigels  (besonders  Ganse  und  Huhner)  ist 
sehr  bedeutend ;  im  Budweiser  Kreise  und  um  Pardubitz  die  Teich- 
wirthschaft.  Der  Wildstand  ist  gegen  fruher  sehr  gesunken. 

Wichtig  und  von  Alters  her  beruhmt  ist  Bohmens  Reichthum 
an  Produkten  des  Mineralreiches;  gait  es  doch  ehemals  fiir  das 
gold-  und  silberreichste  Land.  Eule  liefert  noch  immer  etwas  Gold, 
in  PHbram  und  Joachimsthal  wird  Silber,  in  dem  ehemals  be- 
riihmten  Kuttenberg  Kupfer  und  Blei  gewonnen,  dann  findet  man 
Zinn,  Bleiglatte,  Eisen,  Schw  efel  u.  s.  f.  —  Die  Aus- 
beute  an  Stein  kohlen  (in  Kladno,  Radnitz,  Nachod,  im  Bud- 

*)  Im  Dnrchschnitte  kommen  hier  anf  1  QMeile  iiber  6600  Bewohner ;  im  Bezirke 
Warnsdorf  uber  19.100,  —  Reichenberg  fast  15.740,  —  Starkenbach  11.100,  —  Na- 
chod iiber  8600  Einwohner  auf  eine 


137 

weiser  Kreise)  betrug  im  Jahre  1855  an  18  Millionen  Zentner,  auch 
Torf  wird  viel  gewonnen.  Nur  Salz  fehlt,  Bohmen  hat  weder 
Salzberge  noch  Salzquellen.  —  In  den  nordostlichen  Theilen  hat 
Bohmen  einen  ansehnlichen  Reichthum  an  Edel-  und  Halbedelstei- 
nen ;  die  zahlreichen  Mineralquellen  im  Nordwesten  sind  weltberuhmt. 

Die  natiirliche  Beschaffenheit  des  Landes  ist  auch  fur  die  In- 
dustrie ausserst  gunstig ,  in  manchen  Beziehungen  vielleicht  noch 
giinstiger  als  jene  von  England.  Der  Reichthum  an  Waldern,  Stein- 
kohlen  und  Wasserkraften  ist  dem  englischen  ve  r  hal  tnissm  as- 
sig  fast  gleich;  dazu  aber  kommt  in  Bohmen  die  grossere  Produk- 
tion  des  Bodens  und  darum  viel  geringere  Arbeitslohne.  Bei  giin- 
stigen  Handelsverhaltnissen  wird  Bohmen  den  besten  rheinischen, 
belgischen  und  englischen  Industriebezirken  zur  Seite  gestellt  wer- 
den  konnen.  In  Oesterreich  nimmt  es  in  dieser  Richtung  unbestritten 
den  ersten  Rang  ein.  Sind  auch  einzelne  Industriezweige  im 
ganzen  Lande  vertheilt ;  so  sind  doch  die  Gegenden  langs  des  Erz- 
und  Riesengebirges  bis  zur  mahrisch-schlesischen  Grenze,  zumeist 
die  Kreise  Leitineritz,  Bunzlau,  Jiein  und  Koniggratz,  welche  den 
Bezirk  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Reichenberg  bil- 
den,  die  Hauptsitze  der  Industrie. 

Den  ersten  Rang  mit  dem  relativ  hochsten  Ertrage  nehmen 
die  beilaufig  150  Fabriken  fiir  Schafwollwaaren  ein,  unter  de- 
nen  Reichenberg  den  Hauptsitz  fiir  Tuche  und  Wollwaaren 
bildet.  Die  Schafwoll-Industrie  dieses  Kammerbezirkes  beschaftigte 
(im  Jahre  1856)  iiber  25.400  Arbeiter,  und  der  Gesammtwerth  der 
Produktion  erreichte  die  Hohe  von  fast  18  Millionen  Gulden.  Aus- 
ser  Reichenberg  sind  hierin  bemerkenswerth  Gablonz,  Senftenberg, 
Bodenbach,  Pisek,  Klattau,  dann  viele  Orte  langs  der  bohmisch- 
mahrischen  Grenze;  —  tiirkische  Miltzen  in  Strakonic  und  Pisek. 
Die  Fabrikate  haben  nicht  bios  im  Inland  guten  Absatz,  sie  gehen 
auch  nach  Italien,  der  Levante  und  nach  Nordamerica.  Reichenberg 
ist  gleichfalls  der  Hauptsitz  fiir  die  Kammgarnmanufaktur,  welche 
sich  mit  grosser  Schnelligkeit  entwickelt  hat. 

In  der  Leinenindustrie,  welche  ihren  Hauptsitz  gleich- 
falls im  nordlichen  und  nordostlichen  Bohmen  hat ,  steht  Bohmen 
alien  Kronlandern  voran,  wozu  sowohl  der  treffliche  Flachs  der 
Sudeten,  als  die  bessere  Zubereitung  des  Rohmaterials  und  die  Ein- 
iuhrung  mechanischer  Flachsspinnereien  (mit  mehr  als  52.000  Spin- 
deln)  wesentlich  beitragen.  Dessenungeachtet  zahlt  man  noch  iiber 
15.000  Handspinner  im  Reichenberger  Kammerbezirke.  Im  Ganzen 
linden  iiber  52.000  Arbeiter  bei  dieser  Industrie  ihren  Erwerb,  deren 
Produktionswerth  auf  mehr  als  24  Millionen  Gulden  geschatzt  wer- 
den  kann.  Die  bedeutendsten  Orte  und  Bezirke  fiir  diesen  Industrie- 
zweig  sind:  Rum  burg,  Warnsdorf,  Starkenbach,  Georgswalde, 
Reichenberg,  Hohenelbe,  Braunau ;  —  fur  die  Bandweberei :  Taus ; 
fiir  Zwirnwaaren:  Schonlinde,  Hainspach,  Kamniz  (im  Rei- 
chenberger Kammerbezirke  beschaftigen  eich  mit  der  Zwirnerei  auf 
Maschinen  13  Etablissements,  mit  der  Handzwirnerei  etwa  1260  Fa- 
milien);  —  die  Sp  itzenkloppele  i  und  Stickerei  finden  sich 
am  starksten  ini  Erzgebirge  (um  Gottesgab,  Wiesenthal,  Pressnitz). 


138 

Die  Baumwollindustrie  beschaftiget  wohl  fiber  80  Fabri- 
ken  mit  mehr  als  J/2  Million  Spindeln,  welche  iiber  90.000  Ztr. 
Garn  liefern.  Der  Hauptbezirk  dieses  Industriezweiges  zieht 
sich  gleich  jenem  der  Leinen-  und  Wollindustrie  vom  Fichtelge- 
birge  langs  des  nordlichen  und  nordostlichen  Gebirgssaumes  bin, 
und  ist  am  starksten  in  der  Uragebung  von  Reichenberg*).  — 
Das  Garn  wird  zum  grossen  Theile  zu  Kattun  verarbeitet ,  dessen 
Druck  von  Prag,  Kosmanos,  Reichstadt,  Bohmisch-Leippa,  Hirsch- 
berg  u.  a.  0.  sehr  vortheilhaft  bekannt  ist.  Bedeutend  sind  in  die- 
ser  Industrie:  Reichenberg,  Hirschberg,  Friedland,  Warnsdorf,  Kru- 
mau,  Neugedein,  Asch,  Hohenelbe,  Bodenbach,  Schluckenau,  Boh- 
mischbrod  u.  s.  w. 

In  der  Glasfabrikation  nimmt  Bohmen  den  ersten  Rang 
auf  der  Erde  ein,  trotz  der  in  neuester  Zeit  aufgetretenen  Konkur- 
renz  von  England,  Belgien  und  Frankreich,  wahrend  es  friiher  un- 
beschrankt  auf  dem  Weltmarkte  herrschte.  Unter  den  23  Glas- 
fabriken  im  nordlichen  Bohmen  sind  die  Fabrikate  aus  Haida, 
Gablonz,  Steinschonau,  Neuwelt  u.  a.  O.  auf  alien  bedeu- 
tenden  Handelsplatzen  geschatzt.  Im  Bohmerwalde  sind  etwa  85 
Glashiitten  (darunter  Eleon  o  renh  ain  ),  welche  viel  und  gesuchte 
Waaren  liefern.  Im  Reichenberger  Kammerbezirke  wird  die  Roh- 
g  1  a s  - Produktion  in  12  Glashiitten  betrieben.  Die  Hiitte  zu  Kosten 
(bei  Teplitz)  erzeugt  ausschliesslich  Tafelglas,  drei  andere  ordinares 
Hohl-  und  Tafelglas,  die  iibrigen  nur  Stangen-  und  Hohlglas  fiir 
die  Raffinerien.  Neuwelt  allein  veredelt  das  eigene  Rohglas  in 
den  eigenen  Schleifwerken.  Den  Mittelpunkt  der  Raffinirung 
des  Hohlglases  bilden  Haida  und  Steinschonau,  welche  an 
10.000  Arbeiter  beschaftigen ,  und  der  Produktionswerth  betragt 
iiber  2,600.000  Gulden.  Fur  die  Quincaillerie  -  Produktion  ist 
Gablonz  sammt  Umgebung  der  Hauptsitz,  wo  nahezu  15.000  Ar- 
beiter Bijouteriewaaren  im  Werthe  von  fast  2,600.000  Gulden  er- 
zeugen.  Die  kunstlichen  Edelsteine,  Luster-  und  Schrnucksteine, 
Glasperlen ,  Glaskorallen  (worin  Turnau  gute  Waare  in  grosser 
Menge  liefert)  sind  weltberuhmt.  Fur  die  Spiegelfabrikation 
ist  am  bedeutendsten  Burgstein,  dann  auch  Ne  uh  urkenthal, 
deren  Fabrikate  sich  eines  wohlbegrundeten  Rufes  erfreuen.  Der 
Gesammtwerth  dieser  Erseugnisse  betragt  jahrlich  iiber  10  Millionen 
Gulden  und  iiber  5000  Zentner  gelangen  zum  Export. 

Nachst  diesen  Hauptzweigen  der  Industrie  sind  auch  fast  alle  iibrigen  Zweige 
gewerblicher  Thatigkeit  mehr  oder  minder  vertreten.  So  verarbeiteten  52  Biiben- 
zuckerfabriken,  welche  den  Colonialzucker  in  Bohmen  grosstentheils  verdriingt 
haben  (im  Jahre  1858)  an  4,600.000  Zentner  Kuben,  unter  denen  Cakowic,  Libnowes, 
Caslau,  Schonhof,  Postelberg,  Konigsaal  die  bedeutendsten  sind.  Wichtig  sind  die 
Eisenwerke,  welche  Guss-  und  Schmiedeeisen,  die  grossten  Maschinen  (Prag, 
lleichenberg,  Tannwald  und  Harzdorf,  Miihlwerke,  Spinn-  und  Webe- 

*)  Dieser  Kammerhezirk  allein  zahlte  im  Jahre  1856  —  42  Spinner eien 
mit  uber  256.600  Garn-  und  fiber  8900  Zwirnspindeln,  —  48  Fabriks-  und  2175  kleinere 
Webereien  mit  570  Maschinenstuhlen,  1238  Regulator-  und  56.874  gewohnlichen 
Handstuhlen;  — dann  25  grfissere  Druckfabriken  mit  17  Peroutinen,  15  Rouleaux 
und  2000  Drucktischen ;  —  5Rothgarnfarbereien,10  grossere  Bleichereien, 
4  Ban  dfabriken.  Das  Arbeitspersonale  betrug  nahezu  98.000  Individuen,  und 
der  Werth  der  Produktion  belief  sich  auf  mehr  als  28  Millionen  Gulden. 


139 

maschinen,  Chlumetz  Dampfmaschinen  nnd  landwirthschaftliche  Maschinen)  nnd 
die  feinsten,  elegantesten  Gusswaaren  liefern  (Plass,  Pilsen,  Hofowic,  Alt-  und  Neu- 
hutten).  In  der  Lederfabrikation  mit  einem  Werthe  von  liber  10  Millionen 
Gulden  steht  dieses  Kronland  den  ubrigen  deutschen  und  slawischen  Provinzen  eben- 
falls  voran  (Koniginhof,  Elbe-Teinitz) ;  —  die  Papier  fa  brikation  mit  etwa  20 
Fabriken  und  fiber  100  Papiermiihlen  (Wran,  Arnau,  Trautenau,  Lauterwasser  n.  a.), 
sowie  die  der  chemischen  Produkte  sind  sehr  belangreich.  Ueber  1000 
Bierbrauereien  liefern  fiber  15  Millionen  Eimer  Bier,  mitunter  von  vorztiglicher 
Qualitat  (Pilsen,  Prag).  Dazu  kommen  die  zahlreichen  vorzfiglichen  Porzellan- 
und  St  eingutfabriken  (in  und  urn  Karlsbad,  Dallwitz,  1'irkenhammer  (Ham- 
mer), Elbogen,  Alt-Rohlau,  Budweis  u.  a.),  —  Stahl-  und  Nfirnbergerwaaren 
(Nixdorf),  Eisenkochgeschirr  (Purglitz),  Waffen,  Handschuhe,  Hute  u.  s.  w. 
Der  Gesammtwerth  der  jahrlichen  Industrie-Erzeugnisse  in  den  beilautig  1400  Fabriken 
und  Manufakturen  B6hmens  diirfte  wohl  mit  200  Millionen  Gulden  angenommen 
werden;  berechnete  man  doch  die  Produktionswerthe  in  der  Fabriks-Tndustrie  des 
Keicheuberger  Kammerbezirkes  (mit  Ausschluss  der  Produktion  der  Kleingewerbe) 
iui  Jahre  1856  mit  fast  105  Millionen  Gulden  C.  M. 

Der  Handel  Bohmena  ist  schwunghaft.  (Einfuhr  etwa  19,  Aus- 
fuhr  20,  Durchfiihr  40  Millionen  Gulden).  Es  iniportirt  Salz  aus 
dem  Salzkammergute  iiber  Budweis,  Kolonialwaaren  und  Baumwolle 
meistens  aus  Hamburg;  zum  Export  gelangen  die  Erzeugnisse  der 
Landwirthschaft  und  der  Industrie.  Ausser  den  bereits  im  Betriebe 
stehenden  Eisenbahnen  sind  noch  einige  projektirt,  darunter  die 
bohmische  Westbahn  zum  Anschlusse  nach  Baiern  (bereita  conces- 
sionirt).  An  Wasserstrassen  ist  es  im  Verhaltnisse  zur  grossen  An- 
zahl  der  Fliisse  arm,  da  nur  die  Elbe  von  Melnik  und  die  Moldau 
von  Budweis  ab  fiir  Schiffe  fahrbar  siud.  Dagegen  hat  es  treffliche 
Reichestrassen  (iiber  500  Meilen)  und  mehr  ala  dreimal  soviel  gut 
unterhaltener  Landesstrassen.  Das  Centrum  des  Strassennetzes  bil- 
det  Prag,  der  Hauptsitz  fur  den  Handel  und  die  Gewerbe  mit 
mehr  als  270  Fabriken  und  Manufakturen,  sowie  das  Centrum  des 
geistigen  Lebens  in  Bohmen  mit  mehreren  Lehranstalten  fiir  kom- 
merzielle  und  technische  Bildung.  Die  Handelskammer,  der  Gewerb- 
verein,  Geld-  und  Creditinstitute  u.  s.  w.  fordern  den  materiellen 
Aufschwung  dieses  gesegneten  Landes.  Aus  den  meisten  bedeu- 
tenden  Stadten  verzweigen  sich  zahlreiche  Strassen  und  Kommu- 
nalwege,  und  dehnen  die  Adern  des  Verkehrs  durch  das  ganze 
Land  aus. 

§.  89.  Die  Markgrafschaft  Mahren. 

404  nMeilen;  —  1,867.100  (relativ  4623  Einwohner);  nberwiegend  Ka- 
tho liken  (beilaufig  53.000  Protestanten  und  gegen  40.000  Israeliten);  —  nach  der 
Nationalitat  uber  7/10  Slawen  (Mahrer),  sonst  Deutsche,  einige  Kroaten  u.  s.  f. 
—  Grenzen:  im  N.  osterr.  und  preuss.  Schlesien,  —  im  W.  Bohmen,  —  in  S. 
Nieder-Oesterreich  und  Ungarn,  —  im  0.  Ungarn  und  6sterreichisch  Schlesien. 

Boden.  Mahren  ist  im  Allgemeinen  betrachtet  eine  Hochebene, 
welche  im  Westen,  Norden  und  Osten  von  grosaeren  Bodenerhebun- 
gen  eingeschlossen  iet,  wahrend  die  tiefaten  Punkte  in  der  Mitte  des 
Landea  von  Norden  nach  Siiden  ziehen.  Im  Westen  senkt  sich  das 
wellenformige  bohmi  sch -mahri  s  ch  e  Plateau  bis  zum  Thale 
der  March,  welche  es  vom  Adlergebirge  trennt.  Eine  Fortsetzung 
des  Letzteren  ist  das  Gesenke  (,,Jeseniku-Eschengebirge)  oder 
das  mahrisch-schlesische  Gebirge,  welches  vom  Spieglitzer  Schnee- 
berge  an  der  Nordgrenze  Mahrens  iiber  die  Einsattlung  von  Gol- 
denstein  (2000')  zum  Altvater  (4700')  streicht  und  sich  bis  zum 


140 

Marchthale  herabsenkt.  Die  siidostlichen,  hiigelformigen  Verzweigun- 
gen  bilden  als  Odergebirge  den  Uebergang  zu  den  Karpathen.  Iin 
Osten  sind  die  mahrischen  Karpathen;  durch  das  Thai  der 
obern  Becwa  in  zwei  Theile  geschieden,  namlich :  a)  die  kleinen 
Karpathen  zwischen  der  March  und  Waag  bis  an  die  Quellen 
der  Becwa ,  mit  einer  mittleren  'Kammhohe  von  2000'  und  Kuppen 
mit  uber  3000'  (Jawofina  306Q) ,  im  Ganzen  steil  und  mit  wenigen 
Passen  nach  Ungarn ;  —  b)  die  Bieskiden  in  zwei  Hauptarmen 
von  Wisoka  nordwestlich  und  westlich.  —  Das  Innere  des  Landes 
ist  eine  Fortsetzung  des  Wiener  Tertiar-Beckens,  theilweise  Hiigel- 
oder  Wellenland,  theilweise  Ebene.  —  Unter  den  Thalern  ist  das 
b.edeutendste  das  Marchthal,  dann  das  ,,Kuhlan  d  ch  en"  oder  das 
Oderthal ,  die  fruchtbare  und  weite  Hanna  siidlich  von  Olmiitz 
(die  eigentliche  Kornkammer  des  Landes),  das  pittoreske  Thai  der 
Thaya  und  jenes  der  T ess  (Schonberg),  endlich  die  Thalweitungen 
der  Iglawa,  Schwarzawa  und  Zwittawa.  Mahren  ist  ferners  durch 
grossartige  Erdfalle  ausgezeichnet,  unter  denen  die  Mazocha  der 
grosste  in  Oesterreich  ist;  auch  hat  das  Land  n'achst  dem  Karst- 
lande  die  meisten  Hohlen  (Slouper-Hohle  mit  Tropfsteingebilden, 
im  Nordosten  von  Blansko,  —  Bejci  Skala  bei  Adamsthal,  —  Tu- 
raldshohle  bei  Nikolsburg). 

Gewasser.  Mit  Ausnahme  des  geringen  Geaders  der  Oder, 
welche  ihre  Wasser  der  Ostsee  zufiihrt,  gehort  das  ganze  Land  zum 
Gebiete  der  Donau  ,  denn  fast  alle  Gewasser  des  Landes  fliessen 
der  March  zu ,  deren  Quellen  vom  Spieglitzer  Schneeberge  kom- 
men  und  die  von  Goding  ab  schiffbar  ist.  Ihr  bedeutendster  Neben- 
flu9s  ist  die  Thaya,  zu  deren  Gebiet  der  ganze  Siidwesten  des 
Landes  gehort,  und  welche  die  durch  die  Iglawa  und  Zwittawa 
verstarkte  Schwarzawa  aufnimmt.  Die  Nebenflusse  der  March 
am  linken  Ufer  (Oskawa,  Beowa)  sind  unbedeutend.  Die  Oder, 
deren  Quellen  im  Gesenke  liegen ,  nimmt  auf  ihrem  kurzen  (etwa 
12  Meilen  langen)  Laufe  durch  Oesterreich  mehrere  Bache  auf ; 
ihre  eigentliche  Bedeutung  fiir  die  Schiffahrt  erlangt  sie  jedoch  erst 
nachdem  sie  die  Monarchic  verlassen.  Ein  paar  Bache  senden  ihre 
Wasser  der  Waag  zu.  —  Seen  hat  das  Land  keine,  dagegen  ziem- 
lich  viel  Teiche;  die  Zahl  und  Grosse  der  Siimpfe  an  der  March, 
Hanna  und  Ostravizza  vermindert  sich  fortwahrend.  Unter  den  zahl- 
reichen  Mineralquellen  sind  die  Schwefelquelle  zu  Ullersdorf  (im 
Tessthale)  und  die  alkalischen  zu  Luchaeowic  (Luchatschowitz) 
die  bekanntesten. 

PolitischeEintheilung.  Der  Statthalterei  inBriinn  istnebst 
dier  Markgrafschaft  Mahren  auch  das  Herzogthum  Schlesien  admi- 
nistrativ  untergeordnet. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Brttnn  (59.000  Einw.),   Lundenburg,    Mahrisch-Triibau,    Wischaa,    Gross- 
Seelowitz,   Raigern,    Bossitz,    Oslawan,    Eibenschitz,    Austerlitz,   Blansko,  Lettowitz, 
Auspitz,  Boskowitz,  Budschowitz,  Zwittau; 

2.  Olmutz    (14.000),    Sternberg    (12.000;,     Mahrisch-Neustadt,    Schonberg, 
Wiesenberg,  Prossnitz,  Prerau,  Janowitz,  Friedland,  Altstadt,  Hohenstadt,  Komerstadt, 
Littau,  Maglitz; 

3.  Neutitschein  (8000),  Fulnek,  Weisskirchen,  Freiberg,  Frankstadt,  Mistek, 
Leipnik,  Mahrisch-Ostrau,  Walachisch-Meseritsch  (Meseric),  Bistritz; 


141 

4.  Hradisch  (Ungarisch-Hradisch  2500),  Kremsier,    GSding,  Napagedl,    Klo- 
bauk,  Gaya,  Holleschau,  Ungarisch-Ostrau,  Ungarisch-Brod,  Wisowitz,  Bisenz,  Pole- 
schowitz,  Straznic; 

5.  Znaim  (6500),  Nikolsbnrg,  Namiescht,  Frain,  Krawska,  Kromau,  Budwitz; 

6.  Iglau  (18.000),  Gross-Meseritsch,  Teltsch,  Trebitsch,  Datschitz,  Ingrowitz, 
Neustadtl. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Der  grosste  Reichthum  des  Landes  liegt  in  den  Produkten  der 
Landwirthschaft.  Von  der  Gesammtflache  Mahrens  sind  iiber 
93%  produktiv  und  mehr  als  die  Halfte  davon  ist  dem  sorgfaltig 
betriebenen  Ackerbau  gewidmet,  worin  es  den  ersten  Rang  un- 
ter  den  Kronl'andern  Oesterreichs  behauptet  und  bedeutende  Quan- 
titaten  an  Kornerfriichten  exportirt.  Auf  Waldungen  entiallen  etwa 
25  %,  auf  Weiden  10  %,  —  die  Wiesen  und  Garten  nehmen  bei- 
laufig  33,  die  Weingarten  an  4  QMeilen  ein.  —  Hauptfriichte  des 
Ackerbaues  sind  Hafer  und  Roggen,  an  welche  sich  Gerste  und 
Weizen  sowie  der  geschatzte  Spelz  in  der  Hanna  anschliessen.  Die 
Runkelriibe  gewinnt  immer  mehr  an  Ausdehnung,  der  Kleesamen 
bildet  einen  ansehnlichen  Ausfuhrartikel,  sowie  einige  Gewiirz-  und 
Apothekerpflanzen.  Der  fruchtbarste  Theil  des  Landes  ist  die  Ebene 
der  ,,Hanna."  Auf  die  Wiesenkultur  wird  verhaltnissmassig 
geringere  Sorgfalt  verwendet ;  die  beaten  Wiesenprodukte  sind  in 
den  Flussgebieten  der  Thaya,  Zwittawa  und  Schwarzawa.  Der  Ob  s  t- 
bau  ist  am  vorziiglichsten  im  Kuhlandchen,  besonders  nimmt  die 
Zwetschke  einen  bedeutenden  Platz  ein,  welche  zumeist  gedorrt  in 
den  Handel  kommt.  Der  Gemiisebau  wird  sorgfaltig  betrieben 
(Spargel  von  Eibenschitz).  We  in  wird  wenig,  aber  von  ziemlich 
guter  Qualitat  in  der  Gegend  von  Bisenz,  iiberhaupt  an  den  Hii- 
geln  langs  der  Thaya,  von  Znaim  bis  zur  March  gebaut.  Der 
Hanfbau  ist  urn  Holleschau  und  Kremsier,  Hirse  in  der  Um- 
gebung  von  Prossnitz  erwahnenswerth ;  an  M  o  h  n  liefert  die  Hanna 
iiber  30.000  Metzen,  wovon  der  grosste  Theil  ausgefilhrt  wird.  In 
den  Gebirgsgegenden  wird  trefflicher  Flachs  in  grossen  Mengen 
angebaut.  Die  jahrliche  Holzproduktion  belauft  sich  iiber  lJ/4  Mil- 
lion Klafter. 

Unter  der  Viehzucht  nimmt  jene  der  hochveredelten  Schafe 
den  ersten  Platz  ein  und  die  mahrische  Wolle  wird  zu  den  feinsten 
und  gesuchtesten  gezahlt.  Zudem  hat  das  Land  schones  Rindvieh; 
die  Hanna  liefert  starke  und  schone  Pferde  und  Ganse  in  gros- 
ser Menge.  Endlich  verdient  noch  die  Bienenzucht  Beachtungj 
das  mahrische  Wachs  ist  von  vorziiglicher  Giite. 

Mahren  besitzt  kein  Kochsalz  und  keine  edlen  Metalle;  der 
Bergbau  ist  auf  Eisen,  Steinkohlen,  Alaun  und  Graphit  beschrankt. 
An  Steinkohlen  wurden  (1856)  3%  Million  Zentner  gewonnen 
(in  Rossitz,  Mahrisch-Ostrau ,  Oslawan,  Trubau,  Lettowitz,  Bosko- 
witz,  Gaya  und  Goding),  an  Roheisen  2%  Millionen,  an  Guss- 
eisen  V7  Million,  an  Graphit  20.000  Zentner,  im  Gesammtwerthe 
von  etwa  2Va  Million  Gulden. 

Die  Industrie  steht  in  Mahren  auf  einer  hohen  Stufe.  An  Man- 
nigfaltigkeit  der  Produkte  steht  sie  zwar  der  bohmischen  nach,  doch 
ist  der  Werth  der  Produktion  relativ  grosser.  Die  Hauptartikel 
sindTuch,  Leinen  und  Rubenzucker.  Der  Hauptsitz  der 


U2 

industriellen  Thatigkeit  ist  Brunn.  Der  bedeutendste  Industrie- 
zweig  ist  der  in  Schafwoll  waaren,  worm  Mahren  fast  die  Halfre 
des  Gesammtwerthes  der  Monarchic  reprasentirt,  und  durch  die 
Menge  und  Mannigfaltigkeit  der  Erzeugnisse  von  den  ordinarsten 
bis  zu  den  feinsten  Qualitaten  den  ersten  Rang  in  Oesterreich  ein- 
nimmt.  Die  bedeutendsten  Orte  sind:  Briinn,  Iglau  (ordinare  Waare), 
Zwittau  und  Namiest  (feine  Tiicher),  Teltsch,  Gross-Meseritsch, 
Neutitschein  und  Freiberg,  nebat  vielen  Orten  im  Gebiete  der  Baum- 
wollindustrie.  Mahren  liefert  jahrlich  iiber  600.000  Stiick  Tuch  im 
Werthe  von  iiber  25  Millionen  Gulden.  Die  Leinenindustrie 
bluht  im  Gesenke  und  im  bohmischen  Scheidegebirge.  De^  Haupt- 
sitz  ist  Schonberg,  wahrend  Gross-Meseritsch  mil  seinen 
Flachsspinnschulen  der  Reformator  der  Leinenkultur  und  Flachs- 
bereitung  genannt  werden  kann.  Weiter  sind  bemerkenswerth :  Stern- 
berg,  Janovie,  Mahrisch-Trtibau,  die  grossartigste  Bobbinetfabrik 
der  Monarchic  Jst  zu  Letovic,  endlich  Briinn,  Rumerstadt  u.  s.  w. 
Die  jahrliche  Erzeugungsmenge  iibersteigt  600.000  Stuck  im  Werthe 
von  fiber  4  Millionen  Gulden.  —  Die  Industrie  in  Baumwoll- 
und  Halb wollstoffen  schliesst  sich  an  das  Gebiet  der  Leinen- 
industrie an,  ist  in  rascher  Zunahme  begriffen  und  wird  nur  von 
Bohmen  iibertroffen.  Sie  liefert  hauptsachlich  Barchents,  Kannevas 
und  Ttichel.  Am  schwunghaftesten  ist  sie  in  und  um  Sternberg 
(iiber  1  Million  Stuck),  dann  in  Prossnitz,  Zwittau,  Trubau,  Tre- 
bitsch  und  imNordosten  zu  Mistek,  Frankstadt,  Braunsberg  u.  s.  w. 
In  der  Eisenindustrie  liefert  Blansko  Guss waaren  und  Maschi- 
nen,  Petersdorf  Dampfkessel,  Friedland  und  Witkowitz  Maschinen- 
bestandtheile,  Zoptau  Eisenbahnschienen.  Im  Ganzen  zahlt  Mahren 
an  115  Eisen-  und  Schmelzwerke.  —  Auch  die  Runkelruben- 
zucker-Erzeugung  ist  in  der  Aufnahme,  worunter  die  Fabriken 
zu  Selowitz,  Doloplas,  Grussbach,  Martinitz,  Rossitz,  Modritz  die 
bedeutendsten  sind.  —  Wichtig  ist  ferners  die  Fabrikation  in  Lede,r 
zu  Briinn,  Trebitsch,  Iglau  und  Znaim,  dann  die  Rosoglio-  und 
Branntweinerzeug  ung,  die  B  ierbrauer  ei,  Steingutfab- 
rikation,  die  Wagen  von  Neutitschein  (Neutitscheinka);  minder 
wichtig  die  Papier-  und  Glasfabrikation, 

Der  Handel  ist  bedeutend,  denn  es  kommen  sowohl  Rohpro- 
dukte  als  Manufakturwaaren  zum  Export,  und  die  vier  Briinner- 
markte  gehoren  in  letzterer  Beziehung  zu  den  besuchtesten  in  der 
Monarchic.  Olmiitz  ist  der  Hauptstappelplatz  fur  den  Viehhandel 
(es  kommen  jahrlich  iiber  100.000  Ochsen  auf  den  Markt).  Auch 
der  Speditionshandel  ist  von  Bedeutung.  Dem  Mangel  an  Wasser- 
strassen  helfen  die  im  Ganzen  gut  unterhaltenen  Strassen  und  Ei- 
senbahnen  ab,  welche  das  Land  durchziehen.  Dieses  Kronland  nimrat 
sonach  in  der  physischen  und  technischen  Kultur  einen  der  ersten 
Platze  im  Kaiserstaate  ein,  und  ist  noch  fortwahrend  im  Vorwarts- 
schreiten  begriffen ,  woran  die  Briinner  Handelskammer  redlichen 
Antheil  hat. 

§.  90.  Das  Herzogtlmm  Schlcsien. 

93V,  QMeile;  —  443.900  (relativ  4747)  Einwohner,  uberwiegend  Ka- 
t  ho  liken  (beiliiufig  62.000  Protestanten  und  an  2500  Israeliten);  —  nach  der 


143 

Nationalitat  nahezu  die  Halfte  Deutsche  —  im  westlichen  Theile  — ,  die  andere 
Halfte  Slawen  (30%  Folen,  22%  Mahrer).  —  Grenzen:  im  N.  Preussiscb-Schle- 
sien,  —  im  W.  die  preussische  Grafschaft  Glatz  und  Mahren,  —  im  S.  Mahren,  — 
im  0.  Cngarn  und  Galizien. 

Boden.  Schlesien,  welches  aus  zwei  getrennten  Gebietstheilen 
besteht,  ist  im  Ganzen  ein  Hochland,  insbesondere  ist  der  westliche 
Theil  sehr  gebirgig.  Diese  Gebirge  gehoren  theils  zum  Hauptkamme, 
theils  zu  den  Auszweigungen  desGesenkes;  der  ostliche  kleinere 
Theil  des  Landes  liegt  am  Nordabhange  der  Bieskiden,  durch 
welche  der  J  abl  unka-P  as  s  geht,  der  Schlesien  mit  Ungarn  ver- 
bindet.  (Lissahora  4176',  der  grosse  Baranio  4300').  Die  flachen 
Stellen  sind  an  der  Oder  und  gegen  Galizien  zu.  Von  Ben  Tha-( 
lern  sind  das  Oderthal  mit  theilweise  sumpfigen  Ufern,  das  rechte 
Ufer  der  Oppa  und  das  Weichselthal ,  sowie  die  fruchtbaren  Flachen 
von  Wei'denau,  Troppau  und  Skotschau  bemerkenswerth. 

Gewasser.  Schlesien  gehort  zu  dem  Gebiete  der  Ostsee,  wo- 
hin  sich  die  beiden  Hauptfliisse  Oder  und  Weichsel  ergiessen. 
Die  bedeufendsten  Nebenflusse  der  Oder  sind  die^)ppa  und  die 
Mora,  welche  durch  den  westlichen  Theil  fliessen  und  die  kleine- 
ren  Gewasser  aufnehmen ;  erstere  bilden  von  Jagerndorf  bis  zur 
Einmundung  die  Reichsgrenze.  Auf  der  rechten  Seite  nimmt  die 
Oder  die  Ostravizza  und  die  Olsa  auf,  welche  aus  dem  west- 
lichen  Landestheile  ihr  zufliessen.  Der  wichtigste  Nebenfluss  der 
Weichsel  ist  die  Biela,  der  Grenzfluss  gegen  Galizien.  —  Nebst 
ein  paar  kleinen  Seen  in  den  Sudeten  hat  das  Land  mehrere  grosse 
Teiche  theils  im  Oder-,  theils  im  Weichselthale.  Unter  den  Mi- 
neralquellen  ist  die  bedeutendste  der  Sauerbrunnen  Carls- 
brunn  am  Fusse  des  Altvaters. 

Politische  Eintheiliiiig.  Schlesien  mit  der  Landeshauptstadt 
Troppau  (14.000),  iet  der  Statihalterei  in  Briinn  administrativ 
untergeordnet,  jedoch  unter  ausdriicklicher  Wahrung  der  Stellung  als 
Kronland  des  Reiches  mit  eigener  Landesvertretung.  Der  politische 
Chef  in  Schlesien  ist  der  Landeshauptmann. 
Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

Teschen  (7000),  Bielitz,  Jagerndorf,  Freivvaldau,  Grafenberg,  Jauernig,  Karwin, 
Wicgstadtl,  Odrau,  Wurbenthal,  Freudenthal,  Zuckmantel,  Olbersdorf,  Endersdorf, 
Jablunka,  Benisch,  Freistadt,  Hotzenplotz,  Polnisch-Ostrau,  Oderberg,  Wagstadt. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  des  Landes  sind  nahe  an  84  QMei- 
len,  d.  i.  beilaufig  96  %  produktiv,  wovon  etwa  41  QMeilen  auf 
Aecker,  iiber  30  QMeilen  auf  Waldungen,  der  Rest  zur  Halfte  auf 
Wiesen  und  Garten,  zur  Halfte  auf  Weiden  entfallen.  Trotz  des 
Fleisses  und  der  rationellen  Bebauung  deckt  wegen  des  rauhen 
Klimas  und  der  relativ  geringeren  Fruchtbarkeit  des  Bodens  der 
Ertrag  der  Landwirthschaft  selbst  in  ,,guten<l  Jahren  nicht 
den  Bedarf  der  relativ  dichten  Bevolkerung.  Hauptsachlich  werden 
Roggen,  Hafer  und  Gerste ,  weniger  der  Weizen  angebaut.  Der 
Flachsbau  wird  im  nord westlichen  Theile,  um  Freiwaldau,  Freu- 
denthal und  an  der  Oder  mit  Eifer  betrieben.  Der  Gartenbau 
hat  geringe  Ausdehnung;  auf  die  Obstkultur  wird  zwar  Sorgfalt 
verwendet,  doch  ist  eie  von  keinem  Belange.  Auch  die  Wald- 


144 

wirthschaft  ist  nicht  besonders  erfreulich.  Die  Viehzucht  liefert 
schone  Pferde,  die  ausgefiihrt  werden;  die  Horn  vie hzucht  ist  im 
Steigen,  den  Glanzpunkt  aber  bildet  die  musterhaft  veredelte  Schaf- 
zucht.  Einige  schlesische  Schafereien  genieasen  europaischen  Ruf 
(Freistadt,  Hennersdorf,  Hotzenplotz,  Gross-Herrlitz,  Kreuzendorf). 
Die  hochfeine  Wolle  wird  nach  Briinn,  Reichenberg  und  nach  Frank- 
reich  ausgefiihrt,  wahrend  zur  einheimischen  Verarbeitung  vielfach 
geringere  Qualitaten  der  ungarischen  und  russischen  Wolle  einge- 
fiihrt  werden. 

Der  Bergbau  wird  nur  auf  Steinkohlen  und  Eisen  in  grosse- 
rem  Umfange,  dagegen  auf  Gold,  Silber,  Blei  und  Gyps  nur  wenig 
betrieben.  In  Bezug  der  Steinkohlenausbeute  wird  es  nur  von  Bob- 
men  ubertroffen  (im  J.  1856  —  5l/5  Million  Zentner) ,  und  die  vor- 
ziigliche  Kohle  deckt  nicht  nur  den  grossen  Bedarf  des-  Landes, 
sondern  wird  auch  (vorziiglich  nach  Wien)  ausgefiihrt.  An  Roh- 
und  Gusseisen  werden  fiber  100.000  Zentner  erzeugt.  Die  wichtig- 
sten  Orte  fur  den  Bergbau  sind :  Steinkohlen:  Polnisch-Ostrau, 
Karwin,  Hruschau,  Orlau,  —  Eisen:  Klein-Mohrau,  Ludwigsthal 
(bei  Wiirbenthal),  Raschka,  Wildschitz,  Buchbergihal,  Teschen,  — 
Gold:  am  Goldgrunde  bei  Zuckmantel,  —  Silber  und  Blei: 
Benisch,  Kleinmohrau,  Jahannisberg.  In  der  Gegend  von  Troppau 
(Diirstenhof)  wird  ein  lebhafter  Schiefer  abbau  betrieben,  dessen 
Werth  wohl  die  Summe  von  '/4  Million  Gulden  jahrlich  iibersteigt. 
Die  Qualitat  ist  vorziiglich  und  steht  dem  besten  englischen  Schie- 
fer nicht  nach.  Nebst  dem  bedeutenden  Absatze  im  Lande  selbst 
wird  auch  viel  (etwa  2/3  der  Produktion)  exportirt. 

Die  Bevolkerung  zeichnet  sich  durch  Gewerbfleiss  wie  durch 
Genugsamkeit  aus.  Viele  Produkte  der  schlesischen  Industrie  wer- 
den im  Handel  geschatzt.  Der  wichtigste  Zweig  ist  die  Leinen- 
industrie,  und  die  schlesischen  Leinen,  so  wie  Zwirnprodukte  ge- 
niessen  wohlverdienten  Ruf.  Die  Musterbleichen  und  Flachsspinn- 
schulen  trugen  zum  Aufschwunge  dieses  Industriezweiges,  der  sich 
hauptsachlich  langs  der  mahrischen  Grenze  hinzieht ,  wesentlich 
bei.  Die  armere  Gebirgsbevolkerung  beschaftigt  sich  auch  mit  der 
wenig  lohnenden  Handweberei  (Freiwaldau,  Zuckmantel,  Wiirben- 
thal, Engelsberg,  Freudenthal,  Bennisch,  Wiegstadtl  und  im  Tesch- 
ner  Kreise).  —  In  der  Tu  chf  ab  ri  kation  ist  hervorragend  Bie- 
litz ,  dann  im  westlichen  Theile :  Jagerndorf,  Troppau,  Wagstadt, 
Odrau.  —  Im  Teschner  Kreise,  zu  Frideck  ist  die  Baumwoll- 
industrie  vorherrschend.  Die  Zuckererzeugung  aus  Runkelriiben 
beginnt  ebenfalls  sich  auszubreiten ;  ansehnlich  sind  die  Fabriken 
zu  Ober-Suchau,  Barzdorf,  Standing,  Troppau,  Hotzenplotz  u.  s.  f. 
—  Die  Eisenindustrie  findet  sich  sowohl  in  den  Thalern  des  Ge- 
senkes  als  der  Karpathen  vor.  Bemerkenswerth  sind  die  Hutten- 
werke  zu :  Baska,  Tfiniez,  Ustron  und  Karlshutte,  die  Drahtfabriken 
bei  Wiirbenthal  und  Klein-Mohrau,  die  Blecherzeugung  an  Enders- 
dorf,  die  Maschinenfabriken  zu  Freudenthal  und  Bielitz.  —  Die 
Branntweinbrennereien  sind  bedeutend,  auch  die  Liqueur- 
fabriken  und  die  Kasebereitung  bei  Teschen  sind  erwahnenswerth, 
Die  Wag  en  von  Bielitz  werden  nach  Galizien,  in  die  Bukowina 


ja  selbst  nach  der  Moldau  und  Walachei  ausgefiihrt.  Die  Loh- 
und  Weissgarbereien  werden  umfangreich,  obwohl  nur  hand- 
werksmassig  betrieben;  die  iibrigen  industriellen  Beschaftigungeu 
sind  von  geringerem  Belange.  Ein  eigenthiimlicher  Industriezweig 
ist  die  Bereitung  von  Waldwolle  (Weiss  in  Zuckmantel),  wel- 
ches Material  aus  den  grunen  Nadeln  der  Kiefern  und  Fohren  er- 
zeugt,  anstatt  Rosshaar  mit  Vortheil  verwendet  und  in  jungster  Zeit 
sogar  nach  America  und  Ostindien  versendet  wurde.  In  letzterer 
Zeit  ist  auch  ein  Seiden  bau  -  Verein  begriindet  worden,  welcher 
bereits  eine  Ausstellung  mit  Pramienvertheilung  veranlasst  hat. 

Der  Handel  wird  mit  den  Fabrikserzeugniesen  nach  auswarts 
betrieben ;  der  Kommissions-  und  Speditionshandel  ist  belangreich 
mit  osterreichischen  und  ungarischen  Weinen,  mit  russischen  Juch- 
ten,  Talg,  Leinsamen  und  Pelzwerk,  —  mit  galizischem  Steinsalz, 
moldauischem  Schlachtvieh  und  Wiener  Modewaaren.  Sehr  forder- 
lich  sind  die  grosstentheils  guten  Strassen  und  die  Eisenbahn  von 
Wien  nach  Breslau. 

§.  91.  Das  Kimigreich  Galizien  and  Lodomerien 

(mit  den  Herzogthilmern  Auschwitz  und  Zator  und  dem  Gross- 

herzogthume  Krakau). 

1422 T/2  nMe'le;  —  4,597.470  (relativ  3232)  Einwohner,  uberwiegend 
Katho liken  (beilanfig  die  Halfte  rOmisch-katholisch  und  die  Halfte  griechisch-ka- 
tholisch),  dann  bei  300,000  nicht  unirte  Griechen,  30.000  Protestanten  und  400.000 
Israeliten;  —  nach  der  National]  tat  etwa  50%  Ruthenen,  48%  Polen,  1%  Deut- 
sche, dann  Slovaken,  Aimenier  und  Juden.  —  Grenzen:im  N.  Russland,  —  im 
W.  Schlesien,  —  im  >S.  Ungarn  und  die  Bukowina,  —  im  0.  Russlaml. 

Boden.  Galizien  ist  im  siidlichen  Theile  Gebirgsland,  im  nord- 
lichen  Tiefland  ,  welches  zur  grossen  slawischen  (aarmatischen) 
Ebene  Nordost-Europas  gehort.  Die  Bieskiden  treten  aus  Schle- 
sien in  das  Land,  breiten  sich  zwischen  der  Sola  und  Skava  aus 
und  werden  durch  das  Thai  des  Dunajec  von  den  Central-Kar- 
p  a  then  geschieden.  Letztere  sind  wildromantische,  dichte  Walder, 
deren  rauhe  Felsgruppen,  saftiggriine  Matten,  Wasserfalle  und  BMeer- 
augen"  diesem  Hochgebirgslande  den  Charakter  grossartiger  Alpen- 
natur  gewahren,  obwohl  keine  Gletscher  vorkommen  und  die  gali- 
zischen  Centralkarpathen  den  ungarischen  an  Hohe  nachstehen.  Ost- 
warts  vom  Popradthale  ist  das  karpathische  Waldgebirge 
(Werchowyna),  ein  steiler,  minder  hoher,  jah  abfallender  Gebirgs- 
zug  mit  einigen  P'assen  und  kurzen  Querthalern.  Zwischen  den  Kar- 
pathen  und  der  podolischen  Landhohe,  einem  wellenformigen 
Plateau  (urn  Lemberg),  erheben  sich  die  mazurischen  Iliigel, 
welche  das  ganze  Land  von  den  Vorbergen  der  Bieskiden  bei  Boch- 
nia  bis  an  den  Dnjestr  erfiillen.  Die  Tarnowitzer  (oder  polnische) 
Platte  reicht  nur  in  den  Umgebungen  von  Krakau  nach  Galizien 
herein.  Jenseits  des  Dnjestr  und  der  podolischen  Landhohe  dehnt 
sich  die  galizische  Ebene  aus.  Die  wenigen  Uebergange  fiber 
die  Bieskiden  sind  meistens  beschwerlich  ,  somit  fur  den  Ver- 
kehr  von  geringerer  Bedeutung;  wichtig  ist  der  Dukla-Pass  im 
Waldgebirge  fur  die  Handelsverbindungen  zwischen  Galizien  und 
Ungarn. 

Klun's  Daodels-Geocraphic.     2.  Anil.  10 


U6 

.  Galizien  ist  ein  wasserreiches  Land.  Die  zahlrei- 
chen  Fliisse  und  Bache  mit  vielen  Wasserfallen ,  welche  in  den 
Karpathen  entspringen,  sind  raeistentheils  flossbar  und  ergiessen  sich 
entweder  in  die  Weichsel  (Ostsee)  oder  durch  den  Dnjestr,  den 
Pruth  und  den  Styr  in  das  schwarze  Meer.  —  Die  schiffbare 
Weichsel  bildet  auf  einer  grossen  Strecke  die  Reichsgrenze,  welche 
sie  bei  Popowice  verlasst  und  nimnot  in  Galizien  die  Skawa,  Sola, 
die  Wisloka,  denDunajec  (mit  dem  Poprad),  den  San  und 
den  Bug  auf,  welche  ihr  alle  Gewasser  von  Westgalizien  zufiihren. 
—  Der  wichtigste  Flues  Ostgaliziens  ist  der  Dnjestr,  der  den 
Stryi,  die  Lomnica,  den  Grenzfluss  Podho  rce  unddenSered 
nebst  sehr  vielen  kleineren  Zufliissen  des  ostlichen  Abdachungs- 
gebietes  aufnimmt.  DerPruth  ist  auf  osterreichischem  Gebiete,  das 
er  bei  Nowosielica  verlasst,  von  keiner  Bedeutung.  —  Seen  hat  das 
Land  nicht,  dagegen  an  Umfang  zwar  kleine,  aber  sehr  tiefe  ,,Mee  r- 
augen,"  und  viele  fischreiche  Teiche,  welche  einen  Gesammt- 
flachenraum  von  fast  10  QMeilen  einnehmen.  Fast  alle  galizischen 
Fliisse  bilden  Siimpfe  (Bory-Sumpf  in  den  Centralkarpathen).  — 
Unter  den  zahlreichen  Mineralquellen  sind  besonders  bekannt: 
der  Sauerling  Szcawnica  (am  Nordabhange  der  Tatra),  die  Schwe- 
felquellen  Konopkavka,  Lubien,  Sklo  u.  s.  f. 

Politische  £intbeilung.  In  administrativer  Beziehung   bilden 
Galizien,    Krakau    und    die    Bukowina    das  Verwaltungsgebiet    der 
Statthalterei    in   L em  berg,     welcher    auch   die    Landeshauptstadt 
Lemberg  unmittelbar  untersteht. 
Bemerkenswcrthe  Orte  sind: 

1.  Lemberger  Kreis:  Lemberg  (70.000  Einw.,  —  an  20.000  Israeliten), 
Grodek,  Janow,  Winniki. 

2.  Zolkiewer  Kreis:  Zolkiew  (5000),  Belz,    Sokal,    iubaczow,    Glinsko 

3.  Przemysler    Kreis:    Przemysl    (5000),    Jaroslaw,    Jaworow,     Sklo, 
Mosciska,  Sieniawa. 

4.  Sanoker  Kreis:  Sanok  (3000),  Dobromil,  Lisko. 

5.  Zloczower  >Krei  s:  Zloczo w.(7000),  Brody  (18000),  Busk,  Zatosce. 

6.  Brzezaner  Kreis:  Brzezan  (8000),  Bobrka,  Robatyn,  Przemyslany. 

7.  Tarnopoler  Kreis:  Tarnopol  (18000),  Mikulince,  Zbara2. 

8.  Czortkower  Kreis:  Czortkow  (4000),  Zaleszczyki,  Borszczow. 

9.  Stanislawower    Kreis:     Stanislau    (Stanislawow    12000),    Halicz, 
Tysmienica,  Nadworna,  Bnczasz,  Ttnmacz,  Delatyn. 

10.  Kolomea'er    Kreis:    Kolomea    (13.000),  Sniatyn,    Kutty,    Obertyn, 
Kossow,  Horodenka. 

11.  Samborer  Kreis:  Sambor  (12.000),  Drobobycz,  Komarno. 

12.  Stryi 'er  Kreis:  Stryi  (5500),  Kahisz,  Bolechow,  Dolina. 

13.  Krakauer  Kreis:  Krakau  (41.000  Einw.),  Chrzanow. 

14.  Wadowicer  Kreis:  Wadowice  (4000),  Biala,  Auschwitz  (Oswiecim), 
Zator,  Lipnik,  Kenty,  Seybusch  (Zywiec^),  Mislenice,  Andrychau,  Swoszowice. 

15.  Sandecer  Kreis:  Neu-Sandec  (6300),  Alt-Sandec,  Neumarkt,  Zako- 
pane, Kamienica. 

16.  Jaslo'er  Kreis:  Jaslo  (2500),  Dukla,  Krosno.  Gorlice,  Kolaczyce,  Ropa. 

17.  Rzeszower  Kreis:  Rzeszow  (6300),  Przeworsk,  Rozwadow,  Lancut. 

18.  Tarnower  Kreis:  Tarnow  (17-000).  Dembica,  Pilsno. 

19.  Bochnia'er  Kreis:  Bochnia  (6000),  Wieliczka,  Podgorze. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Mehr    als    in   irgend    einem  Kronlande  Oesterreichs  werden  in 
Galizien  alle  Interessen  des  Handels  und  der  Gewerbe,  die  Regsam- 


keit  des  Verkehrs ,  die  Steuerkraft  der  Gesammtbevolkerung ,  der 
Privatkredit,  kurz  alle  Elemente  des  Nationalwohlstandes  dutch  die 
landwirihschaftliche  Produktion  bestimmt.  Von  der  Gesammt- 
flache  sind  fiber  1100  QMeilen  produktiver  Boden;  davon  entfallen 
etwa  650  QMeilen  auf  Aecker  ,  350  QMeilen  auf  Waldungen, 
315  QMeilen  auf  Weiden  und  an  77  QMeilen  auf  Wiesen  und 
Garten.  Die  natiirliche  Bodenbeschaffenheit  ist  dem  Ackerbau 
giinstig,  insbesondere  die  grosse  Ebene  ira  nb'rdlichen  und  nordost- 
lichen  Theile  ;  eigentlich  steriler  Boden  ist  fast  gar  nicht  vorhan- 
den.  Bin  Joch  Ackerland  liefert  in  fruchtbaren  Jahren  12—14,  in 
schlechten  6 — 8  Metzen  Getreide ;  im  letzten  Falle  deckt  somit  die 
Production  nicht  den  Bedarf,  im  ersteren  uberschreitet  sie  um  ein 
Bedeutendea  das  Bediirfniss  des  Verbrauches.  Leider  kann  dieser 
Ueberschuss  wegen  der  Entlegenheit  von  den  westlichen  Kornmark- 
ten  und  wegen  Mangels  ausreichender  Kommunikationsmittel  nur 
selten  als  Getreide  verwerthet  werden,  sondern  muss  zum  Maisch- 
bottich  wandern,  um  als  Spiritus  leichteren  Absatz  und  billigeren 
Frachtlohn  zu  erzielen.  Dieses  gilt  jedoch  nur  von  der  Produktion 
des  ^grossen  Grundbesitzes,"  denn  der  eigentliche  Bauer  produzirt 
selten  uber  seinen  eigenen  Badarf,  und  die  im  Allgemeinen  niedere 
Stufe  der  lotelligenz,  auf  der  sich  das  galizische  Landvolk  befindet, 
ist  eines  der  grossten  Hindernisse  im  Fortschritte  der  Landwirth- 
schaft.  Die  Bestrebungen  der  galizischen  Landwirthschaftsgesellschaft 
zur  Hebung  des  Landbaues  und  der  landwirthschaftlichen  Industrie, 
die  angestrengtesten  Bemiihungen  der  grossen  Grundbesitzer,  die 
Wirthschaft  zu  heben  und  dem  Boden  eine  grossere  Rente  abzu- 
gewinnen,  sind  bis  jetzt  vielfach  an  der  Lassigkeit  und  Arbeits- 
scheu  des  Bauers  gescheitert ,  wodurch  auch  die  Arbeit  vertheuert 
wird  und  die  Produktionskosten  sich  steigern.  Es  ist  jedoch  in  die- 
ser Hinsicht  Aussicht  auf  Besserung  vorhanden.  Einerseits  wird  die 
Aufhebung  der  Kobot  nach  und  nach  die  freie  Thatigkeit  for- 
dern  und  andererseits  werden  die  im  Baue  begriffenen  Eisenbah- 
nen  (galizische  Karl-Lud  wigs-Bahn) ,  denen  wohl  auch  die 
nothwendige  Regulirung  der  schiffbaren  Fliisse  (Dnj«str, 
"Weichsel,  San  und  Bug),  so  wie  die  Schiffbarmachung  der  bis  nun 
flussbaren  folgen  wird,  den  Handel  in  Landesprodukten  beleben  und 
heben. 

Ausser  den  Cerealien  produzirt  das  Land  an  Han  del  8- 
pflanzen:  Tabak  (uber  100.000  Zentner),  Flachs  und  Hanf,  Mohn, 
Khabarber,  Raps  u.  a.  w.  Der  Gartenbau  ist  noch  in  der  Kind- 
heit,  nur  beim  Obstbau  ist  ein  erfreulicher  Fortschritt  bemerkbar. 
Der  W  a  Id  stand  ist  im  Ganzen  ziemlich  bedeutend;  im  Rzeszo- 
wer  Kreise  wird  der  Holzhandel  schwunghaft  betrieben,  es  wird  viel 
Schiffbauholz  nach  Danzig  exportirt.  Der  Tarnopoler  und  der  Czort- 
kower,  zum  Theil  auch  der  Bochnia'er  und  Krakauer  Kreis  leiden 
hingegen  mitunter  Holzmangel.  Die  Waldungen  im  Kammerbezirke 
Brody  bestehen  zumeist  aus  Eichen  und  Buchen,  und  werden  fast 
nur  fur  den  eigenen  Bedarf  an  Brenn-  und  Bauholz  ausgebeutet. 
D)r  Kohlen-  und  Holzhandel  nach  dem  Westen  so  wie  auf  dem 

10* 


148 

Dnjestr  hat  bis  jetzt  die  wunschenswerthe  Ausdehnung  noch  lange 
nicht  erreicht. 

Die  Viehzucht  bildet  nachst  der  Feldwirthschaft  die  Haupt- 
nahrungsquelle  der  Bewohner.  Die  Zucht  von  Pferden,  Schafen  und 
Borstenvieh  erfreut  sich  keiner  besonderen  Ausdehnung,  obwohl  das 
Land  in  neuerer  Zeit  yiel  dauerhafte  Pferde  erzeugt,  und  die  ver- 
edelte  Schafzucht  im  Aufnehmen  ist.  Die Branntweinbrennereien 
befassen  sich  mit  der  Mastung  von  Rindvieh,  welches  auf  dera 
Olmiitzer  Markte  Absatz  findet.  Die  Bienenzucht  wird  vorziiglich 
in  den  Kreisen  Tarnopol ,  Zolkiew ,  Przemysl ,  Stry  und  StanisJaw 
gepflegt.  Der  Honig  wird  zumeist  zum  Methbrauen  (Lemberg)  ver- 
wendet,  das  Wachs  gelangt  in  den  Handel.  Gefliigel  wird  in  gros- 
ser Menge  gezogen ;  sehr  ergiebig  ist  die  Fischzucht ;  die  Jagd  hin- 
gegen  bietet  nicht  mehr  den  ehemals  gekannten  reichen  Ertrag. 

Unter  den  Produkten  des  Bergbaues  nimmt  das  Salz  den 
ersten  Rang  ein.  Das  unerschb'pfliche  Salzflotz  dehnt  sich  vonWie- 
liczka  bis  in  die  Bukowina  im  Halbkreise  aus,  und  Salz  wird  vor- 
zuglich  zu  Wieliczka  und  Bochnia  bergmannisch  zu  Tage  gefordert. 
Die  jahrliche  Ausbeute  betragt  uber  2  Millionen  Zentner.  —  An 
Steinkohlen  wurden  im  Jahre  1856  an  1 /2  Million  Zentner 
gewonnen.  Die  Gebirgegegenden  im  Sandecer ,  Samborer  und 
Stryi'er  Kreise  sind  zudem  reich  an  Eisenerz,  zu  dessen  Bearbei- 
tung  mehr  als  20  Schmelz-  und  Eisenhammerwerke  bestehen.  Aus- 
serdem  liefert  das  Land  etwas  Silber,  Blei,  Kupfer,  Zink,  Schwefel, 
Kreide  u.  s.  f. 

Mit  der  Hebung  der  Landwirthschaft  halt  auch  die  Beniitzung  der 
Naturschatze  und  die  Verwerthung  der  Arbeitskrafte  zu  industriellen 
Zwecken  gleichen  Schritt  und  ist  ein  Aufschwung  in  der  Industrie 
insbesondere  in  jenen  Zweigen  bemerkbar,  welche  landwirthschaft- 
liche  Produkte  verarbeiten.  Einzelne  Gewerbe,  namentlich  im  west- 
lichen  Theile,  sind  im  bluhenden  Zustande ;  aber  eine  selbstandige, 
von  der  Urproduktion  des  Landes  unabhangige  Fabriksindustrie  hat 
sich  noch  nicht  herangebildet,  trotzdem  die  Bedingnisse  hierzu  im 
Lande  nicht  fehlen.  Der  Reichthum  an  Flachs  und  Hanf  begiinstigt 
die  Leinenindustrie  in  den  westlichen  Kreisen,  wo  auch  Da- 
mast  und  feinere  Waaren  erzeugt  werden ,  wahrend  die  mittleren 
und  ostlichen  Kreise  ordinare  Sorten,  Packleinwand,  Segeltuch, 
Seilerwaaren  (in  Radymno)  fabriziren.  Komarno  liefert  den  be- 
sten  Zwillich,  Jaroslaw  den  grossten  Theil  fur  den  Bedarf  der 
Militarverwaltung.  Die  bedeutenderen  Orte  fur  diese  Industrie  sind : 
Kenty,  Biala,  Dukla,  Tarnow,  Rzeszow,  Lancut,  Przemytl,  Zloszow, 
Tarnopol,  Andrychau,  Jordanow  und  Gorlice.  Die  meisten  Bleichen 
sind  im  Ropa-Thale  (Gorlice),  zu  Krasiczin,  Lancut  u.  s.  f.  Die 
Sackleinwand  wird  haupteachlich  nach  Ungarn,  Russland  und  der 
Moldau  exportirt.  An  der  Erzeugung  von  Leinen-,  Hanf-  und 
Sc  haf  wollge  web  en  (letztere  zu  Halina-Tuch)  sind  vorzugsweise 
die  kleinen  Grundbesitzer  zur  Winterszeit  betheiligt ,  in  den  Stad- 
ten  bestehen  Weberzunfte.  Eine  Spezialitat  der  Wollenindustrie  bil- 
det die  im  Kreise  Przemysl  fabriksmassig  betriebene  Erzeugung  von 
Bethmanteln  (Tales).  —  Die  Spiritus-Erzeugung  bildet  den 


149 

Hauptzweig  gewerblicher  Thatigkeit.  In  den  letzten  Jahren  ist  die- 
ser  Geschaftszweig  zwar  im  Abnehmen ,  dessenungeachtet  ist  er 
noch  immer  sehr  bedeutend,  da  er  z.  B.  im  Lemberger  Kammer- 
bezirke  (1854  —  1856)  im  Durchschnitte  jahrlich  an  180.000  Eimer 
(dreissiggradig)  lieferte  (gegen  225,000  Eimer  in  den  Jahren  1851 
bis  1853.)  Auch  im  Kammerbezirke  Brody  ist  er  im  Abnehmen  (im 
Jahre  1856  fiber  211.000  Eimer).  Die  Bierbrauerei  ist  in  Gali- 
zien  im  Allgemeinen  von  geringer  Ausdehnung  und  gleichfalls  in 
der  Abnahme,  —  Wichtig  ist  die  Lederfabrikation  mit  dem 
Hauptsitze  zu  Bole  chow  (Kreis  Stry),  wo,  sowie  in  den  zahlrei- 
chen  Garbereien  der  Kreise  Stry,  Zolkiew,  Przemysl,  Sanok,  Sam- 
bor  und  Stanislaw,  Loh-,  Alaun-  und  Samiech-Leder,  dann  Juch- 
ten,  im  Kreise  Kolomea  (zu  Kutty)  hingegen  vorwiegend  Korduan- 
leder  erzeugt  wird.  —  In  der  Runkelriibenz  u  c k  e r - Fabrikation 
nimmt  Tlumacz  den  ersten  Rang  in  der  Monarchic  ein;  es  verar- 
beitete  (in  der  Campagne  1857 — 1858)  nahezu  %  Million  Zentner 
Ruben;  auch  Lancut  ist  bedeutend.  —  Weiters  werden  erzeugt: 
Tuch  (in  Mikulince,  Brzezany,  Zolkiew,  Jaroetaw,  Biala  u.  a.  O.) ; 
—  Glas  —  ordinare  Sorten  —  zu  Sokal,  Milkow  und  in  mehreren 
Glashiitten;  —  die  westgalizischen  Papiermuhlen  erzeugen  zumeist 
ordinares  Biittenpapier ,  im  Kammerbezirke  Brody  bestehen  drei 
grossere  Etablissements.  Die  Erzeugung  von  Pottasche  vermin- 
dert  sich ;  dagegen  gewinnt  die  Theer-,  Terpentin-  undCam- 
ph  in -Erzeugung  an  Bedeutung;  — fur  Baumwoll-  und  Galan- 
teriewaaren,  far  Stearinkerzen,  Zundholzch  en,  Surro- 
gat-Kaffee  u.  s.  w.  bestehen  vereinzelte  Etablissements.  —  Die 
Me  tall-Indus  trie  (mit  Ausnahme  einiger  Kupferbammer)  ist 
verhaltnissmassig  unbedeutend;  sie  ist  zumeist  durch  Kleingewerbe 
vertreten  und  beschrankt  sich  auf  ordinare  Waare.  —  Im  Betriebe 
der  Kleingewerbe  ist  kein  wesentlicher  Aufschwung  bemerkbar; 
dagegen  hat  der  Besuch  eowohl  der  Volksschulen  als  der  Real-  und 
Handel  sschulen  in  den  letzten  Jahren  an  Ausdehnung  sehr  gewon- 
nen,  wodurch  ein  Aufschwung  in  der  technischen  Kultur  in  siche- 
rer  Aussicht  steht. 

Der  Handel  erstreckt  sich  zumeist  auf  die  Au  sfuhr  von 
Rohprodukten ,  als :  Getreide,  Salz,  Holz,  Rindvieh,  Wachs  und 
Honig,  auf  ordinare  Webe-  und  Seilerwaaren;  auf  den  Transit  der 
osterreichischen  Industrie-Erzeugnisse  nach  Russland  und  auf  die 
Einfuhr  von  Manufakten  und  Kunstprodukten.  Der  Holzhandel 
auf  den  Flussen  Bug,  San,  Dnjestr  und  Pruth  ist  sehr  bedeutend, 
und  sieht  noch  einer  grosseren  Entwickelung  entgegen ,  wenn  die 
Karpathenwaldungen  mit  Hilfe  der  zahlreichen  Gebirgsbache  zur 
Ausnutzung  gelangen  werden.  Von  Wichtigkeit  ist  der  Verkehr  von 
Brody  mit  Russland.  Als  Zollausschluss  vermittelt  Brody  einen 
bedeutenden  Absatz  von  Manufakten  aus  England  und  dem  Zoll- 
vereine  nach  Russland;  aus  Oesterreich  werden  dorthin  exportirt: 
Sensen  (2y2  Million  Stiick),  ungeschliffene  Glaswaaren,  Glasperlen, 
Leinwand  ,  Handschuhe  und  Weine.  Die  Hauptartikei  der  Einfuhr 
aus  Russland  bilden  Schafwolle,  Unschlitt,  Felle,  Haute,  Leder  und  Ge- 
treide. Der  Jahrmarkt  zu  Ulaszkowce  (Kreis  Czortkow)  ist  fiir 


den  Verkehr  von  Getreide,  Vieh  und  Manufakten  (Schnittwaaren) 
von  Bedeutung  und  wird  auch  vom  Auslande  besucht.  —  Auf  die 
Ausdehnung  und  Verbesserung  der  Kommunikationsverbindungen 
wird  gegenwartig  grossere  Aufmerksamkeit  verwendet. 

§.  92.  Das  Hcrzogtluim  Bukowina. 

189V,  [DMeile;—  456.920  (relativ  2410)  Einwohner;  uberwiegend  nicht- 
nnirte  Griechen  (an  36.000  Katholiken,  bei  10.000  unirte  Grie^hen,  8000  Pro- 
testanten,  15000  Israeliten)  ;  nach  —  der  National! tat  etwa  48%  Ruthenen,  40% 
Komanen,  6%Dcutsche,  nahezu  4%  Israeliten  und  2°/0  entfallen  auf  Polen,  Magya- 
ren,  Zigeuner  u.  s.  w.  —  Grenzen:  4m  N.  Galizien,  —  im  W.  Galizien,  Ungarn, 
Siebenburgen,  —  fm  S.  die  Moldau,  —  im  0.  die  Moldau,  Russland. 

Boden.  Die  Bukowina  ist  im  Ganzen  ein  Hochland,  nur  am 
Dnjestr  und  am  Pruth  ist  Tiefland;  zwischen  diesen  Fliiasen  befin- 
det  sich  ein  wellenformiges  Plateau,  das  vom  Dnjestr-Ufer  rasch 
aufsteigt,  dagegen  zum  Pruth  sich  langsam  herabsenkt.  Am  rechten 
Pruth-Ufer  findet  wieder  eine  rasche  Stufenerhebung  statt.  Diese 
terrassenformige  Erhebung  der  Flussthaler  wiederholt  sich  noch 
beim  Sereth  und  bei  der  goldenen  Bistritz.  Im  Westen  des  Landes 
erheben  sich  die  Karpathen,  die  theils  Auslaufer  des  Waldgebirges, 
theils  des  siebenbiirgischen  Hochlandes  sind,  die  Schneegrenze  zvvar 
nicht  erreichen,  aber  die  Waldregion  iiberragen,  grosstentheils  mit 
dichten  Waldern  bedeckt  sind,  ihre  hochsten  Spitzen  jedoch  nicht 
im  Lande  haben.  —  Groseere  E ben  en  besitzt  das  Land  nicht,  son- 
dern  nur  mehr  oder  minder  erweiterte  Flussthaler ,  —  die  bedeu- 
tendste  ist  bei  Eadautz  an  4  QM.  gross*  Einige  Jochtibergange 
fuhren  in  die  Nachbarlander. 

Gewasser.  Das  an  Naturschonheiten  reiche  Landchen  wird 
von  mehreren  Fliissen  fast  parallel  von  West  nach  Oat  durchflos- 
sen,  doch  werden  diese  bis  jetzt  noch  nicht  als  Wasserstrassen  be- 
niitzt.  Alle  Flusse  der  Bukowina  gehoren  zum  Gebiete  des  schwar- 
zen  Meeres.  Mehrere  derselben  sind  im  Sommer  wasserarm,  im 
Friihlinge  und  nach  starken  Eegengiissen  tibersteigen  sie  hingegen 
ihre  Ufer  und  richten  bieweilen  arge  Verheerungen  an.  Der  Dnjestr 
bildet  im  Norden  die  Grenze  und  ist  die  einzige  benQtzte  Wasser- 
strasee.  Der  wichtigste  Landesfluss  ist  der  Pruth,  dann  der  Se- 
reth, welchem  ausserhalb  der  Monarchic  die  Suczawa,  die 
Moldawa  und  die  goldene  Bistritz  aus  der  Bukowina  zuflies- 
sen.  Das  Land  hat  keine  Seen;  einige  Teiche  liegen  zwischen 
dem  Pruth  und  dem  Dnjestr.  Das  Klima  ist  im  Ganzen  zwar  rauh 
aber  gesund,  mit  starken ,  vorherrschenden  Sommerregen  und  Som- 
mergewittern,  worauf  ein  langerer  angenehmer  Herbst  folgt. 

Politische  Eintheilung.  Die  Bukowina  mit  derLandeshaupt- 
stadt  Czernowitz  (26.000  Einwohner)  ist  administrate  der  Statt- 
halterei  in  Lemberg  untergeordnet,  jedoch  unter  ausdriicklicher 
Wahrung  der  Stellung  als  Kronland  des  Reiches  mit  eigener  Lan- 
desvertretung.  Der  politische  Chef  ist  der  Landeshauptmann. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

Suczawa,  Sereth,  Kadautz.  Kimpolang,  Kirlibaba,  Jakcbeny,  Nowosielitza, 
Patna,  Sadagora,  Schipat. 


_8L_ 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Beilaufig  94%  der  Gesammtflache  konnen  zum  produktiven 
Boden  gerechnet  werden  ;  doch  entfallen  davon  47°/0  al»f  Walflun- 
gen,  von\  denen  ein  grosser  Theil  noch  unbeniitzt  ist.  Dem  Acker- 
lande  gehoren  etwa  36,  den  Wiesen  und  Garten  an  29  und  den 
Weiden  an  26  QMeilen  an.  Das  eigentliche  Kulturland  Hegt  ioi 
nordostlichen  Landestheile  zwischen  dem  Dnjestt  und!  Pruth  (an 
24  QMeilen),  wo  der  Fefdbau  betrieben  wird.  Nur  der  Wgr6ssere 
Grundbesitz"  und  der  mit  Landeigenthum  dotirte  Klerus ,  so  wie 
die  fremden  Ansiedler  haben  eine  ratiorjelle  Bewirthschaftung  und 
landwirthschaftliche  Reformen  eingefiihrt ;  der  Bildungsgrad  des 
Bauers  ist'  ein  sehr  geringer,  die  Zahl  der  Volksschulen  verhaltniss- 
raassig  sehr  kleirt,  daher  die  Landwirthschaft  im  Allgemeinen  viel- 
fach  unbefriedigend.  Trotz  der  unvollkommenen  Bearbeitung  gibt 
der  fruchtbare  Boden  doch  ein  lohnendes  ErtrS-gniss.  Die  Haupt- 
frucht  bildet  der  Mais  (die  ,Mamaliga*'  —  Maiskuchen ,  ist  eine 
allgemein  verbreitete  Speise  des  Landmannes) ,  der  fiber  60%  des 
Ackerlandes  einnimmt;  doch  werden  davon  noch  bedeutende  Quan- 
titaten  aus  der  Moldau  und  Bessarabien  eingefiihrt.  Diesem  zunachst 
steht  der  Hafer;  von  geringerem  Umfange  ist  der  Roggen-  und 
Weizenbau.  Die  Produktion  an  Gerste  im  Dnjestrgebiete  reicht 
nicht  einmal  fiir  den  Bedarf  der  Branntweinbrennereien  und  Bier- 
brauereien  aus.  Der  Hanf-  und  Flachsbau  deckt  nur  nothdiirftig 
den  eigenen  Bedarf.  Die  Wiesenkultur  steht  noch  auf  sehr  un- 
tergeordneter  Stufe.  —  Die  Obstbaumzucht  entspricht  nioht 
den  gunstigen  klimatischen  Verhaltnissen  des  Lancles ;  veredeltes 
Obst  findet  man  nur  in  Sradten  und  bei  den  deutschen  Colonisten ; 
namentlich  Aepfel,  Weichseln,  Wallniisse  undPflaumen.  —  Der  Wein- 
bau  ist  kaum  nennenswerth  ,  da  nur  in  der  Gegend  von  Suczawa 
eine  sehr  gewohnliche  Sorte  vorkommt. 

Auch  die  ViehzucHt,  fur  deren  Gedeihen  die  giinstigsten  Be- 
dingnisse  vorhanden  sind,  hat  nicht  die  wiinschenswerthe  Ausdeh- 
nung.  —  Die  Pferdezucht  im  k.  k.  Militargeatute  zu  Radautz 
(2000  Stiick)  nimmt  den  ersten  Rang  in  Oesterreich  ein,  dagegen 
wird  sie  von  den  kleineren  Grundbesitzern  arg  vernachlassigt.  Aus- 
gedehnter  wird  die  Hornviehzuch  t  betrieben,  so  wie  jene  der 
gemc-inen  S chafe;  doch  ist  auch  jene  der  edleren  bereits  im  Stei- 
gen.  Die  Wolle  der  letzteren  wird  nach  Preussisch-Schlesien  und 
Mahren  abgesetzt.  Die  Zucht  der  Ziegen,  Schweine  und  des  Geflii- 
gels  deckt  den  Bedarf;  die  Bienenzucht  steht  auf  einer  sehr 
primitiven  Stufe  trotz  aller  natiirlichen  sehr  gunstigen  Bedingnisse. 
Der  Verbrauch  an  ungebleichtem  Wachs  ist  (durch  den  griechisch- 
nichtunirten  Cultus  bedingt)  sehr  stark  und  wird  durch  die  Lan- 
desproduktion  kaum  gedeckt.  Mit  Ho  nig  wird  ein  ansehnlicher 
Handel  betrieben.  Die  Jagd  ist  sehr  ergiebig;  die  Fischerei  hin- 
gegen  hat  gegen  ehemals  abgenommen. 

Die  Industrie  in  der  Bukowina  ist  kaum  im  EntsteHen,  selbst 
die  kleineren  Gewerbe  sind  auf  einer  noch  vielfach  primiitiven  Stufe. 
Das  Kapital  und  die  Arbeitskraft  sind  verhaltnissmassig  theuer, 
die  Bildungsstufe  der  Bewohner  eine  geringe,  die  Kommunikatioo 


152 

noch  sehr  ungeniigend.  Am  ausgedehntesten  ist  die  Branntwein- 
brennerei,  an  welche  sich  die  Verarbeitung  einiger  landwirth- 
schaftlicher  Produkte  anschliesst,  ohne  jedoch  die  Hohe  einer  selbst- 
standigen  Fabriksindustrie  zu  erreichen.  Die  Bierbrauereien 
decken  nicht  den  Bedarf;  die  Pot  t aschensiederei  wird  nicht  mehr 
in  der  friiheren  Ausdehnung  betrieben.  In  der  Eisenindustrie 
nimmt  Jakobeny  und  die  dazu  gehorigen  Hammerwerke  einen  be- 
achtenswerthen  Rang  ein.  Die  Gewinnung  des  Waschgoldes 
aus  der  ,,goldenenBi8trica"  nimmt  stets  ab  und  ist  hochst  unbedeu- 
tend  ;  —  das  Silbergewerkin  Kirlibaba  erzeugt  nur  3 — 400  Mark 
Silber ;  —  zu  Poczoritta  mit  der  Bergkolonie  Louisenthal  wird  K.  u- 
pfer  gewonnen.  Salz  gewinnt  man  ebenfalls  nicht  hinreichend  fur 
den  Bedarf,  die  bedeutendste  Saline  ist  zu  Kaczika ,  welche  an 
20.000  Zentner  liefert.  —  Fabriksmassig  werden  betrieben  die 
zwei  P  a p i e r fabriken  zu  Radautz  und  Wasskouz,  die  M asc ni- 
ne n-  und  die  Broncefabrik  in  Czernowitz,  ferner  drei  Glashut- 
ten  (Fiirstenthal,  Czudin  und  Serecel) ;  Suczawa  liefert  Saffian  und 
Korduan. 

Der  Handel  beschrankt  sich  fast  ausschliesslich  auf  Rohpro- 
dukte,  als:  Getreide,  Branntwein,  Schlachtvieh ,  Holz,  Rohhaute, 
Wolle  und  Pottasche.  Von  Wichtigkeit  ist  der  Grenzverkehr 
nach  Bessarabien  und  der  Moldau,  zunachst  der  GrenzortFolticzeny 
(in  der  Moldau)  —  wohin  auch  osterreichische  Fabrikate  jahrlich 
im  Werthe  von  3/4  Millionen  Gulden  exportirt  werden;  —  auch  der 
Transit  nach  Galizien,  Ungarn  und  Siebenbiirgen  ist  belangreich. 
Jahrmarkte  werden  in  Czernowitz,  Suczawa,  Sereth,  Radautz,  Sada- 
gura,  Kimpolung,  Wiznitz  und  Bojan  abgehalten. 

§.  93.  Das  Kftnigreich  Dalmatien. 

232  OMeilen;  —  404.500  (relativ  1740)  Einwohner,  uberwiegend  Katho- 
liken  (an  80.000  Griechen,  einige  wenige  Protestanten  und  Israeliten)  ;  —  nach  der 
Nationalitat  iiber  */i0  Slawen  (Kroaten,  Serben,  Morlaken),  dann  Italiener,  Deut- 
sche. —  Grenzen:  im  N.  die  kiistenlandische  Militargrenze,  das  adriatische  Meer, 
—  im  W.  das  adriatische  Meer,  —  im  S.  das  adriatische  Meer,  die  Turkei,  —  im 
0.  die  Turkei.  Es  wird  zweimal  vom  turkischen  Gebiete,  das  bis  an  das  Meer 
reicht,  in  der  Art  unterbrochen,  dass  der  Kreis  Ragusa  nirgends  an  6sterreichiscb.es 
Gebiet  grenzt. 

Boden.  Dalmatien  ist  ein  Terrassenland ,  welches,  so  wie  die 
zahlreichen  vorgelagerten  Inseln,  zum  Karstgebiete  gehort.  DerHoch- 
rand  streicht  aus  der  kiistenlandischen  Militargrenze  nach  Dalma- 
tien unter  dem  Namen  V  e  1  e  b  i  c  ,  auf  einer  langeren  Strecke  als 
Kronlandsgrenze ;  —  mehrere  parallele  Gruppen  ziehen  in  eiidost- 
licher  Richtung,  erheben  sich  jedoch  nirgends  iiber  die  Mittelhohe 
(,,dinarische  Alpen").  Vom  Urlica-Berge  bei  Knin  (an  der  drei- 
fachen  Grenze  von  Dalmatien,  Militargrenze  und  Turkei)  zieht  sich 
der  eine  Zug  als  Reichsgrenze  gegen  die  Turkei  in  siidostlicher 
Richtung  (Dinara  5700'),  bei  Sebenico  erhebt  sich  das  Tartaro- 
Gebirge,  sudlicher  das  Moss  o  r-Gebirge.  Hier  beginnt  ein  eigent- 
liches  Bergland  mit  zahlreichen  fruchtbaren  Mulden  und  Thalfurchen. 
Gegen  die  Kuste  haben  die  Berge  zumeist  einea  sehr  steilen  Abfall, 
der  vielfach  zerkluftet  und  zerrissen  ist.  Die  Jura-Kalkformation  des 
Festlandes  von  Dalmatien  findet  sich  auf  den  Inseln  vor,  welche 


nur  eine  Fortsetzung  der  Gebirge  des  Festlandes  sind,  und  gross- 
tentheils mit  diesem  parallel  laufen.  —  Das  Land  besitzt  keine  aus- 
gedehnte^n  Ebenen,  die  fruchtbarsten  flachen  Strecken  sind  bei 
Trau  und  Spalato ,  bei  Macarsca  und  Cattaro.  Das  Karstland  hat 
keine  grosseren  offenen  Thaler,  doch  kommen  auch  hier  die  cha- 
rakteristischen  muldenformigen  Einsenkungen  im  Karstboden  zahl- 
reich  vor.  Unter  den  Einsattlungen,  welche  aus  Dalmatien 
nach  der Militargrenze  fuhren,  ist  jene  von  Popina  (zwischen  dem 
Velebic  und  der  Urlica)  fur  den  Verkehr  die  bedeutendste.  Sehr 
reich  ist  endlich  das  Land  an  Engpassen  und  Hohlen,  mit  pracht- 
vollen  Stalaktiten  (Aeskulap-Grotte  im  Snjznica-Berg,  grotta  di  Ver- 
licca,  Risano,  auf  Meleda  u.  s.  f.). 

Gewasser.  Dalmatien  ist  im  Ganzen  arm  an  fliessendem  Ge- 
wasser; es  hat  nur  vier  grossere  und  mehrere  kleine  Flusse.  Die 
Quellen  derselben  liegen  im  Verhaltnisse  zu  ihrem  kurzen  Laufe 
hoch,  daher  ist  das  Gefalle  grosstentheils  stark,  was  nebst  mehreren 
Wasserfallen  ihre  Bedeutung  fur  die  Schiffahrt  vermindert.  Mit  Aus- 
nahme  der  Narenta  sind  die  grosseren  Flusse  in  hohe  Felsenufer 
eingeengt,  welche  einen  natiirlichen  Schutz  gegen  Ueberschwemmun- 
gen  bilden.  Die  kleineren  Flusse  trocknen  zur  Sommerzeit  im  Kalk- 
boden  ganz  aus.  Die  bedeutenden  Flusse  sind:  1.  Die  Zermagna 
aus  der  Licca,  hat  ein  starkes  Gefalle  bis  Obrovazza,  eine  mittlere 
Breite  von  20°,  wird  vom  Meere  bis  Obrovazzo  mit  kleinen  See- 
schiffen  befahren  und  miindet  bei  Novigrad.  2.  Die  K  e  r  k  a  ent- 
springt  in  der  Nahe  von  Knin,  bildet  auf  ihrem  etwa  8  Meilen  Ian- 
gen  Laufe  mehrere  Wasserfalle  (den  bedeutendsten  bei  Scardona), 
und  miindet  nordlich  von  Sebenico  ins  Meer.  Von  ihrer  Mundung 
bis  zum  Wasserfalle  bei  Scardona  wird  sie  selbst  bei  niederem  Was- 
serstande  von  Seeschiffen  mit  30 — 50  Tonnen,  zwischen  den  Was- 
serfailen  mit  Kahnen  zu  Thai  und  zu  Berg  befahren.  3.  Die  Ce"- 
tina  kommt  fast  vom  Fusse  des  Dinara,  fliesst  anfanglich  zwischen 
niederen  Ufern ,  iiber  die  sie  haufig  hinaustritt  und  Ueberschwem- 
mungen  verursacht;  spater  ist  der  Fluss  bis  zur  Mundung  bei  Al- 
missa  in  steile  Felsen  eingeengt  und  bildet  den  imposanten  Wasser- 
fall  bei  Duare.  Er  wird  nur  vom  Meere  bis  Vissech  ('/2  Meile  weit) 
von  kleinen,  flachen  Schiffen  befahren,  4.  Die  fischreiche  Narenta 
entspringt  im  Grenzgebirge  zwischen  Bosnien  und  der  Herzegowina 
(Berg  Weljak),  tritt  bei  Metkovich,  bis  wohin  sie  von  ihrer  Mundung 
(unterhalb  Fort  Opus)  mit  Segelschiffen  von  100—150  Tonnen  be- 
fahren wird,  nach  Oesterreich.  Durch  Regulirung  des  Flussbettes 
k5nnte  die  Narenta  zum  Flossen  des  Schiffbauholzes  aus  der  Herze- 
gowina benutzt  werden. 

Die  Landseen  Dalmatiens  sind  (mit  Ausnahme  des  salzigen 
Sees  von  Vrana)  periodische  Seen,  d.  h.  sie  bestehen  nur  zur  Re- 
genzeit  und  trocknen  im  Sommer  ganz  oder  zum  Theile  aus.  Be- 
deutendere  Seen  sind:  der  Boccagnazzo,  nordlich  von  Zara,  des- 
sen  hohere  Stellen  im  trockenen  Zustande  kulturfahig  sind;  derNa- 
din,  Prolosaz  u.  s.  w.  —  Auch  die  von  den  Fliissen  gebildeten, 
verhaltnissmassig  zahlreichen  Sumpfe,  welche  eine  Flache  von 
beilaufig  23.600  osterreichischen  Jochen  einnehmen ,  trocknen  im 


154 

Sommer  aus.  —  An  Mineralquellen  hat  Dalmatian  nur  den 
schwachen  Gesundbrunnen  bei  Verlicca  und  das  kalte  Schwefelwas- 
ser  bei  Spalato. 

(Das  adriatische  Meer  siehe  Seite  101.) 

Politische  Eintheilung.  Dalmatien  mit  der  Landeshauptatadt 
Zara  untersteht  der  Statthalterei  in  Zara. 
Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Zara  (7500  Einw.),  Scardona,  Sebenico,  Knin,  Novigrad,  Nona,  Obrovazzo , 
Dernis.     Die  Inseln  Arbe,  Pago. 

2.  Spalato    (11.000),    Salona,    Almissa,    Makarska,   Trau,    Sign,  Metkovich, 
Fort  Opus.     Die  Inseln  :  Brazza,  Lesina,  Lissa. 

3.  Ragusa  (5000),  Stagno,  Slano.  —  Die  Halbinsel  Sabioncello.  Die  Inseln: 
Curzola,  Lagosta,  Meleda. 

4.  Cattaro   (2000),  Castelnnovo,  Budua,  Castel  Lastun. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Erwerbsquellen  der  frugalen  Dalmatiner  sind  Ackerbau, 
Viehzucht,  Fischfang,  Schiffahrt  und  Handel ;  im  Ganzen  bietet  je- 
doch  dieses  Land  kein  erfreuliches  Bild  der  Volkswirthschaft.  Sind 
auch  die  Bewohner  geistig  reich  begabt  und  ist  das  Klima  ein 
ausserst  mildes ,  so  geniigt  doch  die  Produktion  nicht  fiir  den  Be- 
darf.  Der  Ackerbau  befindet  sich  in  Dalmatien,  trotz  der  vielfachen 
Bemiihungen  der  Landwirthschafts-Gesellschaft,  in  einem  traurigen 
Zustande ;  der  Grundbesitzer  bezieht  ein  hochst  geringes  Einkom- 
men  von  seinen  Grundstiicken.  Nur  die  Halfte  der  gesammten  Bo- 
denflache  ist  kultivirt  und  von  dieser  entfallt  etwa  yio  auf  den 
Weinbau;  die  andere  Halfte  nehmen  unkultivirte  Weidegriinde, 
Siimpfe,  Seen,  Fliisse  u.  s.  w.  ein.  Dem  Wiesen-  und  Garten- 
bau  sind  nur  an  2'/3  QM.  zugewandt,  etwas  mehr  kommt  auf  die 
Oliven-,  Lorbeer-  and  Kastanienwalder  *),. 

Die  Hauptfriichte  sind  Mais  und  Gerste ;  die  wichtigeren  Han- 
delspflanzen  anderer  Kronlander  werden  gar  niclit,  Hanf  und  Flachs 
nur  seh?  wenig  angebaut;  dasAckerland  wird  vielfach  zugleich  mit 
Oelbaumen  und  Reben  bepflanzt.  —  Das  Hauptprodukt  des  Lan- 
des  ist  der  Wein,  doch  iet  er  durchschnittlich  von  geringem 
Werthe ;  ausgezeichnet  sind  nur  die  vielen  Sorten  von  Dessert- Wei- 
.nen  (Sebenico,  Almissa).  —  Zun'achst  steht  das  Olivendl,  da  der 
Olivenbaum  langs  der  Kiiste  sehr  verbreitet  ist,  und  hierin  behaup- 
tet  Ragusa  den  ersten  Rang.  Auch  Feigen,  Mandeln  und  das  Jo- 
hannisbrot  gedeihen  gut ,  vorziiglich  aber  die  Steinvveichsel  (Ma- 
rasca),  aus  welcher  der  bekannte  Maraschino-Liqueur  gebrannt  wird. 

Die  Viehzucht  steht  gleichfalls  auf  sehr  niederer  Stufe  ;  nur 
die  der  Forstkultur  nachtheilige  Ziege  ist  sehr  verbreitet,  deseglei- 
chen  das  gemeine  Schaf,  dessen  Wolle  filr  die  Bedurfnisse  der  Na- 
tionaltracht  verwend'et  wird.  Die  Stallfutterung ,  der  Anbau  von 

*)  Als  Ursachen  dieses  unbefriedigenden  Zustandes  des  Ackerbaues  werden  ange- 
geben:  Mangel  an  Arbeitskriiften,  Annuth  der  Colonen  und  kleineren  Grundbesitzer, 
die  geringe  Stufe  der  Bildung  unter  den  Morlaken,  deren  A<kergerathe  sich  vielfach 
in  einem  fast  noch  primitiven  Zustande  befinden,  Mangel  an  brauchbaren  Geraeinde- 
strassen,  Vorliebe  der  Gebirgsbauern  fiir  das  Hirtenleben,  endlich  die  grosse  Zer- 
stfickelung  der  Grlinde. 


Futterkrautern  u.  dgl.  sind  in  Dalmatien  so  zu  sagen  unbekannt ; 
der  Bauer  zieht  seine  Kinder  bios  zum  Behufe  der  Feldarbeit  auf. 
Den  sear  beliebten  Kase  bereitet  er  in  der  einfachsten  Art  fur  den 
eigeneri  Bedarf.  —  Der  Fischfang  an  den  Ktteten  ist  sehr  be- 
deutend.  —  Die  Zucht  der  Seid  enraupen  und  Bienen  steht 
ebenfalls  nicht  auf  der  dem  Klima  entsprechenden  Hohe,  nur  der 
weisse  Honig  der  Insel  Solta  ist  ausgezeichnet.  In  den  letzten  Jah- 
ren  hat  jedoch  die  Zucht  der  Seidenraupe  ungemein  zugenommen 
(Scardona,  Sign)  ;  die  Regierung  sieht  in  dieser  Richtung  ihre  viel- 
jabrigen  Bemiihungen  mit  dem  besten  Erfoige  gekront  und  die 
Landwirthschafts-Gesellschaft,  welche  im  Laufe  der  letzten  Jahre 
Tausende  von  Maulbeerbaumchen  im  Lande  unentgeltlich  im 
Auftrage  der  Regierung  vertheilt  hatte  *),  sieht  bereits  ansehn- 
liche  Summen  fur  den  Samen  etc.  in  das  Land  fliessen.  Dalmatien 
scheint  fur  die  Seidenkultur  mindestens  gleich  giinstige  Verhaltnisse 
zu  besitzen  als  das  Venetianische;  Kenner  meinen  sogar,  Dalmatien 
sei  daftir  noch  vortheilhafter.  Wein,  Oel,  Seide,  Fische,  Seesalz  kon- 
nen  noch  bedeutende  Kapitalien  ins  Land  ziehen.  —  Gelingt  es, 
Dalmatien  durch  eine  Reihe  von  Jahren  auf  der  Bahn  des  Fort- 
schrittes  zu  erhalten  und  die  Gewohnheiten  des  Landmanns  den 
eigenthiinalichen  Anforderungen  der  Seidenkultur  in  alien  ihren 
Stadien  anzupassen,  so  wird  sich  bald  die  Physiognomic  Dalmatiens 
verandern  und  aus  einem  armenLaudewird  ein  reiches 
werden. 

Auch  das  Mineralreich  bietet  kein  erfreuliches  Bild,  die  Ar- 
muth  an  Metallen  ist  grosser,  als  in  jedem  der  iibrigen  Kronlander. 
Die  Ausbeute  an  Braunkohlen  bei  Dernis  und  Sign  ist  sehr 
geringe.  —  As  phal  t  haltige  Steine  werden  vorzuglich  auf  der  In- 
sel Brazza  gebrochen  un.d  nach  Venedig  gefiihrt,  wo  der  Dalmatiner- 
Asphalt  daraus  destillirt  wird.  —  Die  Erzeugung  von  Meersalz 
wird  zu  Stagno  und  auf  der  Halbinsel  Sabioncello  vom  Aerar ,  auf 
den  Inseln  Arbe  und  Pago  von  Privaten  betrieben. 

Die  technische  Kultur  steht  auf  eben  so  niederer  Stufe  als 
die  Landwirthschaft,  und  der  Werth  der  Kunstprodukte  iibersteigt 
kaum  4  Millionen  Gulden,  wovon  fiber  die  Halfte  auf  die  Hand- 
werke  entfallt.  Dalmatien  ist  in  Bezug  auf  den  Produktionswerth 
das  schwachste  aller  osterreichischen  Kronl§,nder.  Grosse  industrielle 
Etablissements  bestehen  gar  nicht,  aber  auch  die  Zahl  der  Gewerbe 
ist  eine  geringe.  Nur  der  Schiffbau  ist  bedeutend,  besonders  die 
Werften  in  Luesin  piccolo,  Gravosa  und  Curzola,  wo  die  meisten 
Schiffe  (allerdings  iiberwiegend  Kiistenfahrer)  gebaut  werden.  Die- 
sem  folgen  die  Gewinnung  des  Meersalzes,  dann  die  Erzeugung 
von  ordinaren  Schafwoll  waaren  (Rasche)  ,  welche  auf  hochst 
einfachen,  fast  prirnitiven  Wobestiihlen  fur  den  bescheidenen  Haus- 
gebrauch  von  der  Landbevolkerung  erzeugt  werden.  Am  zahlreich- 


pflanzt 
In.  J. 


)  Die  Anzahl  der  Maulbeerbaume,    die    in   Dalmatien  in  den   letzten  Jahren  ge- 
wurden,  hat  in  folgencier  Progression  zugenornmen : 


.  1855 35  000  Maulbeerbaume 

IS5i; 62.000 

1857 95.000 


Im  J.  1858 130000  Maulbeerbaume 

1859  fiber  200.000 


156 

sten  sind  die  Maraschino-  und  Rosoglio-Fabriken  (in  Zara  und  Ra- 
gusa),  —  in  Lederarbeiten  Cattaro,  Spalato  undRagusa;  —  hier- 
zu  kommt  die  Erzeugung  von  Unschlitt-  und  Wachskerzen  u.  dgl. 
Vortrefflich  ist  der  dalmatinische  Weinessig,  und  bei  dem  gros- 
sen  Reichthum  des  Landes  an  aromatischen  Krautern  konnte  dieser 
Zweig  eine  sehr  lohnende  Ausdehnung  erlangen,  wie  dieses  in  Frank- 
reich  bereits  der  Fall  ist. 

Dass  bei  dem  dargelegten  Stande  der  physischen  und  tech- 
nischen  Kultur  des  Landcs,  sowie  der  geringen  Bildungsstufe  und 
schwachen  Consumtion  der  Bevolkerung  der  Handel  im  Allgemeinen 
in  beschrankteren  Kreisen  sich  bewegt,  ist  begreiflich. 

Zur  Ausfuhr  gelangen:  Baumol,  Wein,  Feigen,  Sardellen, 
rohe  Haute,  Schafwolle,  Rosoglio,  Meersalz;  —  eingefiihrt  wer- 
den:  Getreide,  Mehl,  alle  Arten  der  Webe-  und  Wirkwaaren,  Ta- 
bak,  Rindvieh  nebst  den  Kunstprodukten  der  deutschen  Kronlander. 
Lebhafter  Verkehr  findet  zur  See,  dann  auch  zu  Land  mittelst  Ka- 
ravanen  und  Saumthieren  nach  der  Tilrkei  und  Montenegro  Statt; 
in  Cattaro  und  an  verschiedenen  Punkten  an  der  tiirkischen  Grenze 
bestehen  desshalb  Bazare.  Ziemlich  bedeutend  ist  auch  der  Transit- 
handel.  Die  Hauptstadt  Z  a  r  a  weiset  die  grosste  Einfuhr  und  die 
grosste  Geldcirculation  aus;  der  MGrosshandel"  und  die  Schiffahrt 
sind  unbedeutend.  Wich tiger  ist  Spalato  in  beiden  Beziehungen 
so  wie  fur  den  Binnenhandel ;  Cattaro  unterhalt  seinen  Verkehr  mit 
Montenegro;  Ragusa  treibt  Schiflfbau  und  ansehnlichen  Handel. 
Die  Inseln  finden  in  der  Seefischerei  bedeutenden  Erwerb. 

§.  94.  Die  Konigreiche  Kroatien  und  Slavonien. 

333  nMei'en;  —  865.000  (relativ 2599)  Einwobner,  uberwiegend  Katho- 
liken  (an  90.000  Griechen,  5000  Protestanten,  4000  Israeliten);  —  nach  der  Na- 
tionalitatan  98%  Slawen  (*/3  Kroaten),  dann  Deutsche,  Magyaren,  Italiener  a.  s.  f. 

—  Grenzen:  im  N.  Steiermark,  Ungarn,  die  Wojwodina,  —  im  O.  die  Wojwodina, 

—  im  S.  die  Militargrenze,  —  im  W.  das  adriatische  Meer,  Istrien,  Krain  und  Steiermark. 

Bo  den.  Dieses  Kronland  besteht  aus  zwei  getrennten,  nur  im 
Siiden  zusammenhangenden  Theilen.  Der  grossere ,  westliche  ist 
Kroatien  mit  dem  (kroatischen)  Kiistenlande;  der  kleinere,  ostliche 
Slavonien.  Beide  sind  theils  Berg-  theils  Tiefland;  doch  herrscht 
im  Allgemeinen  im  Westen  die  Form  des  Berglandes,  im  Osten 
und  Sudeu  jene  des  Tieflandes  vor.  Das  nordliche  und  nordwest- 
liche  Bergland  Kroatiens  gehort  zura  Alpensysteme ,  der  nordliche 
Bergzug  durchzieht  als  Warasdine  r- Gebirge  mit  verschiedenen 
Lokalbenennungen  das  Land;  —  das  sudwestliche  Bergland  gehort 
zum  Karstgebiete,  zu  welchem  auch  das  aus  Unterkrain  nach  Kroa- 
tien sich  hinziehende  Uskokengebirge  (Goriance)  gezahlt  wer- 
den  kann.  In  Slavonien  ziehen  sich  die  letzten  Vorberge  der 
Ostalpen  (Fruska  gora,  Wrdnik- Gebirge)  bis  zur  Donau.  — 
Das  Tiefland  breitet  sich  an  der  Save  und  Drave  aus,  beide  sind 
fruchtbar,  vorzuglich  die  Murinsel  (zwischen  Mur  und  Drave)  sowie 
die  Flussthaler  der  Kulpa  und  Krapina  ;  in  Slavonien  sind  die  Drave- 
ufer  stellenweise  sumpfig  und  morastig. 

Gewasser.  Mit  Ausnahme  einiger  Bache,  welche  ihren  Lauf 
in  westlicher  Richtung  gegen  das  adriatische  Meer  nehmen,  aber 


157 

grosstentheils  in  dem  Kalkboden  sich  verlieren,  gehort  das  Kron- 
land  zum  Flussgebiete  der  Donau.  Der  wichtigste  Fluss  ist  die 
Save,  welche  an  der  krainisch-steierischen  Grenze  (bei  Rann)  nach 
Kroatien  kommt,  das  Land  in  sudostlicher  Richtung  durchschneidet, 
von  der  Einmiindung  der  Kulpa  (bei  Sissek)  die  Grenze  gegen 
Militar-Kroatien  bildet  und  dann  ganzlich  in  die  Militargrenze  tritt. 
Sie  iet  zunachst  fur  den  Getreidetransport  nach  Krain  wichtig,  in 
welcher  Beziehung  Sissek  den  Hauptstapelplatz  bildet.  —  Die 
Drave  kommt  aus  Steiermark  (unterhalb  Friedau),  bildet  nach  der 
Einmiindung  der  Mur  (bei  Legrad)  die  Grenze  gegen  Ungarn  und 
ist  von  hier  bis  zu  ihrer  Mundung  in  die  Donau  (unterhalb  Essek) 
schiffbar.  Durch  die  vorgenommene  Regulirung  wurden  Ueber- 
schwemmungen  vermindert,  die  Schiffahrt  verbessert  und  die  Lange 
des  Flusses  um  24  Meilen  abgekiirzt.  —  Von  der  Dravemundung 
an  bespult  die  Donau  die  Nordgrenze  des  Kronlandes  und  der 
Dampfschiffahrtsverkehr  belebt  diese  an  Naturprodukten  reiche  Pro- 
vinz.  —  Eigentliche  Seen  hat  das  Land  keine,  im  Karstboden  fin- 
don  sich  iibrigens  auch  hier  die  bereits  mehrerwahnten  periodiechen 
kleinen  Seen;  dagegen  ziehen  sich  langs-  der  Drave  und  Donau 
auegedehnte  Siimpfe  hin.  Diese  sumpfigen  Niederungen  sind  die 
einzigen  ungesunden  Strecken,  wahrend  in  den  ubrigen  Landesthei- 
len  zumeist  ein  mildes  und  gesundes  Klima  herrscht.  —  An  Mi- 
neralquellen  besitzt  das  Land  die  Schwefelquelle  Toplice  (bei 
Warasdin),  Krapina,  dann  bei  Daruvar  in  Slavonien,  Jamnica,  Stub- 
nica  und  Lippik. 

Politische  Eintheiluiig:  Die  Konigreiche  Kroatien   und  Sla- 
vonien   bilden    das  Verwaltungsgebiet   der   Statthalterei    in    Agram, 
welches  in  funf  Comitate  (Kreise)  eingetheilt  wird.     Die  Hauptstadt 
Agram  ist  der  Statthalterei  unmittelbar  untergeordnet. 
Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Comitat  Agram:  Agram  (16.600  Einw.),  Cyarlstadt,  Sissek,  Szamobor. 

2.  ComitatWarasdin:  Warasdin  (10.000),  Cakathurn,  Legrad,  Krapina, 
Toplice,  Kreutz,  Kopreinitz,  Radaboj. 

3.  Comitat  Finme:  Fiume  (14.000),  Buccari,  Portore,  Delnice. 

4.  Comitat  Pozega:  Pozcga  (2700),  Ver66e  (=  Verovitiz,  Werowitz). 

5.  Comitat  Essek:  Essek  (14.000),  Djakovar,  Vukovar. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  des  Kronlandes  sind  etwa  87%  pro- 
duktiver  Boden  und  davon  entfallen  mehr  als  40%  auf  Waldungen, 
an  30°/0  auf  das  Ackerland,  16%  auf  Wiesen  und  Gartenland, 
13%  auf  das  Weideland  und  1%  auf  Weingarten. 

Die  wichtigste  Nahrungsquelle  ist  die  Landwirthscliaft,  vor- 
ziiglich  der  Ackerbau  in  der  sehr  fruchtbaren  Drave-  und  Save- 
Ebene  und  in  der  sogenannten  Mur-Insel  (Murakoz,  zwischen  Drave 
und  Mur).  Kroatien  erzeugt  nicht  genugend  fur  den  Bedarf;  da- 
gegen bringt  Slavonien  einen  ansehnlichen  Ueberschuss  zum  Export. 
Hauptfruchte  sind  Weizen,  Mais  und  Bohnen.  Der  Weinbau  ist 
sehr  ergiebig,  die  Mur-Insel  erzeugt  grosse  Quantitaten,  doch  ist 
der  sonst  kraftige  Wein  nicht  dauerhaft.  Der  Obstbau  liefert  be- 
deutende  Mengen  guter  Zwetschken,  aus  denen  der  Pflaumen-Brannt- 


158 

wein  (Slivovic,  von  Sliva  =  die  Pflaume)  gebrannt  wird,  nebst  alien 
Arten  von  Wirthschaftsobst.  —  Der  Waldstand  (mehr  Eichen 
urid  Buchen,  weniger  Nadelholz)  ist  ein  befriedigender  und  liefert 
viel  treffliches  Bauholz,  sowie  als  Nebennutzung  Knoppern  und 
Eicheln;  dagegen  ist  das  Wiesland  sowohl  der  Menge  als  der 
Kultur  nach  unzureichend.  —  Die  Viehzucht  ist  unzulanglich  und 
auf  einer  niederen  Stufe,  mit  Ausnahrae  der  Schweinezucht,  nament- 
lich  in  Slavonien,  wo  grosse  Eichenwalder  vorkommen;  Kroatien 
iibertrifft  nur  in  der  Zucht  des  Gefliigels  und  der  Schafe  (zum  Theil 
auch  schon  veredelte)  sein  Nachbarland.  Die  B  i  e  n  e  n  zucht  ist 
schwunghaft,  die  S  eidenraupen  zucht  in  fortwahrendem  Steigen. 
Die  kroatische  Seide  ist  fein,  aber  ihre  Menge  gering;  in  Slavonien 
ist  das  gerade  Gegentheil.  Die  Teiche  und  Sumpfe  um  Essek  lie- 
fern  grosse  Mengen  von  Blutegeln  in  den  HandeL  Im  Allge- 
meinen  kann  die  Produktion  in  diesem  Kronlande  noch  namhaft 
gesteigert  werden. 

Die  Produkte  des  Mineralreiches  nehmen  eine  untergeord- 
nete  Stelle  ein,  nur  die  vorziigliche  Qualitat  des  Schwefels  in 
Radaboj  (Kroatien)  ist  hemerkenswerth,  sowie  die  Kupfergruben 
zu  Rude  bei  Szamobor  und  einige  Mar m or-  und  Baustein- 
briiche  im  kroatischen  Kiistenlande. 

Die  Industrie  beschrankt  sich  zumeist  auf  die  stadtischen  Ge- 
werbe  und  die  Hausindustrie  auf  dem  Lande;  auch  raacht  die  fleissige 
Bevolkerung  hierin  merkliche  Fortschritte.  Eine  selbststandige,  von 
der  Urproduktion  des  Landes  unabhangige  Fabriksindustrie  ist  kaum 
im  Entstehen.  Die  bedeutenderen  grosseren  Etablissements  sind 
in  F  i  u  m  e  (Papier,  Zucker,  Seife,  Rosoglio,  Tabak,  chemische  Pro- 
dukte, Schiffbau  und  Segeltuch  u.  s.  w.),  Agram  liefert  Porzellan, 
Eisenwaaren,  Leder;  —  Glas  erzeugen  mehrere  Fabriken  (Marien- 
thal  bei  Essek,  Zvecevo  im  Pozeganer  Comitat) ;  —  Steingut  in 
Warasdin  und  Krapina;  —  Messer  in  Legrad;  ferner  Pottasche, 
Holzwaaren,  Slivovic,  ordinare  Hausleinwand  und  derlei  Tiicher, 
welche  zum  Familienbedarfe  auch  zu  Hause  gefarbt  werden. 

Der  Handel  Kroatiens  ist  hauptsachlich  Zwischenhandel  fiir 
Cerealien  und  sonstige  Naturprodukte,  welche  aus  den  Kornkammern 
(Banat  und  Ungarn)  nach  dem  Westen  abgesetzt  werden ;  dann  Holz- 
und  Weinhandel.  Im  Kustenland  ist  der  Export  an  Nutzholz  wie 
der  gesammte  Handel  sehr  im  Wachsen.  Slavonien  hat  bedeutende 
Ausfuhr  in  Getreide  nach  Sissek,  in  rohen  Hauten  und  Fellen 
(Essek),  dann  Ochsen,  Schweinen,  Honig  und  Wachs.  —  Eingefiihrt 
werden  alle  Arten  osterreichischer  Manufakte,  Kunst-  und  Luxus- 
artikel.  Die  wichtigeren  Handelsplatze  sind:  Fiume,  Buccari,  und 
Portore,  Agram,  Sissek,  Carlstadt  und  Essek.  An  der  Verbesse- 
rung  alter  und  der  Herstellung  neuer  Strassen  und  dem  Bau  von 
Eisenbahnen  wird  riistig  gearbeitet,  die  Schiffahrt  auf  der  Save, 
Kulpa  und  Drave  sowie  die  Seekiiste  sind  beachtepswerth;  insbe- 
sondere  macht  Fiume  grosse  Anstrengungen  und  der  jahrliche  See- 
verkehr  dieser  Stadt  ubersteigt  bereits  den  Werth  von  10  Millionen 
Gulden  (Import  etwa  5,  Export  5l/5  Million  Gulden). 

.'.     'iin&b 


159 

§.  05.  Die  Militargrenze. 

(Die  kroatisch-slavonische  und  banatisch-serbiscJie  Militdrgrenze.} 

609  [JMeilen  ;  —  1,064.900  (relativ  1747)  Einwohner,  darunter  etwa  45% 
Katholiken,  52%  Griechen,  2%  Protestanten,  an  500  Israeliten  ;  —  nach  der  Nationa- 
litat  fast  84%  Slawen  (51%  Kroaten,  32%  Serben.  dann  Cechen  und  SlovakenJ, 
12%  Romanen,  4%  Deutsche.  —  Grenzen:  im  W.  das  adriatische  Meer,  —  im 
N.  Kroatien,  Slavonien,  Ungarn,  —  im  0.  Sicbenbflrgen,  die  Walachei,  —  im  5. 
Serbien,  Bosnien. 

JBoden.  Die  Militargrenze  1st  theils  Bergland,  theils  Tiefland. 
Das  Bergland  des  westlichen  Theiles  (kroatische  Militargrenze)  ge- 
hort zum  Karat  ge  biete,  in  welchem  die  parallelen  Arme  der 
grossen  und  kleinen  K ape  11  a  sowie  des  Velebic  hervortreten. 
Jener  Theil,  welcher  siidlich  der  Drave  zwischen  Kroatien  und  Sla- 
vonien liegt,  wird  von  Vorbergen  der  Alpen  (Warasdiner  Gebirge) 
ausgefiillt.  In  dem  aussersten  Osten  der  serbischen  Militargrenze 
ziehen  sich  Auslaufer  der  siebenburgischen  Karpathen  (Banater 
Gebirge)  herein.  Die  slavonische,  banatische  und  zum  Theil  die 
serbische  Militargrenze  sind  theils  Ebene,  theils  Hiigelland.  Die 
Ebenen  an  der  Drave  und  Save  sind  ungeraein  fruchtbar.  — 
Das  Karstgebiet  beh'alt  auch  hier  seinen  Charakter  mit  den  zahl- 
reichen  Tropfsteinhohlen ;  im  ostlichen  Theile  sind  die  Herkules- 
Dampfhohle  mit  den  heissen  Dampfen  und  die  historische  vete- 
ran is  che  Hohle  besonders  bekannt. 

Gewasser.  Das  adriatische  Meer  bespiilt  die  kroatische 
Militargrenze  auf  einer  Lange  von  etwa  16  Meilen;  die  Kuste  ist 
steil,  hat  wenig  zugangliche  Buchten  und  bildet  mit  den  gegenuber- 
liegenden  Inseln  den  ,,Canale  di  Morlacca."  Zwischen  dem  Velebic 
und  der  Kapella  sind  zahlreiche  Bache,  welche  gleich  den  iibrigen 
Karstgewasaern  plotzlich  hervorquellen,  nach  Regengiissen  Ueber- 
schwemmungen  verursachen,  und  sich  dann  in  den  Sauglochern  des 
Kalksteinplateaus  verlieren,  ohne  einen  sichtbaren  Abfluss  zum  Meere 
zu  haben.  Der  bedeutendste  unter  diesen  ist  die  Lika.  —  Das 
ganze  ubrige  Land  gehort  zum  Gebiete  der  D  o  n  a  u ,  welche  von 
Peterwardein  bis  Semlin  das  Land  durchstromt  und  von  hier  bis 
Orsowa  die  Reichsgrenze  bildet.  Die  Drave  scheidet  einen  Theil 
des  Kronlandes  von  Ungarn;  —  die  Save  kommt  aus  Kroatien, 
nimmt  die  an  der  kroatischen  Grenze  fliessende  und  durch  die  Glina 
verstarkte  Kulpa,  spater  den  Grenzfluss  Unna  auf,  von  dessen 
Einmundung  sie  bis  Semlin-Belgrad  die  Reichsgrenze  bildet.  Aus 
der  Wojwodina  kommt  die  T ernes,  welche  unterhalb  Pancowa 
in  die  Donau  miindet,  ferner  die  Karas  und  Nera.  Auf  einer 
kurzen  Strecke  gehort  auch  die  Theiss  der  Militargrenze  an.  — 
An  der  Save,  Drave  und  an  der  Miindung  der  Temes  breiten  sich 
weite  Siimpfe  aus;  uberdiess  hat  das  Land  auch  mehrere  Seen. 
—  Unter  den  Mineralquellen  haben  die  Schwefelquellen  der  Her- 
kulesbader  von  Mehadia  verbreiteten  Ruf  und  werden  sehr 
stark  besucht,  auch  die  eisenhaltigen  Quellen  von  Topuszko  er- 
freuen  sich  eines  zahlreichen  Besuches  und  steigender  Anerkennung. 
Pulitische  Eintheiluiig.  Die  politische  Eintheilung  dieses 
Kronlandes  ist  militarischer  Natur.  In  militarischer  und  admini- 
strativer  Beziehung  ist  die  Militargrenze  in  zwei  Landes-Militar- 


160 

Commanden  eingetheilt,  u.  z.  das  kroati  sch-slavonische 
mit  dem  Sitze  des  Commandanten  in  A  gram,  und  das  banatisch- 
serbische  mit  dem  Sitze  des  Commandanten  in  Temesvar. 
Jedes  Commando  wird  in  Regiments-  oder  B  a  tail  Ion  sb  e- 
zirke  eingetheilt;  von  den  ersteren  zerfallt  jedes  wieder  in  12, 
von  den  letzteren  jedes  in  6  Compagniebezi  rke.  Einen  Com- 
pagniebezirk  bilden  endlich  entweder  eine  oder  mehrere  klein ere 
Ortegemeinden.  In  jedem  Landes-Militar- Commando  bestehen 
freieMilitar-Communitaten,  im  ersteren  7  (Carlopago,  Zengg, 
Petrinia,  Kostainica,  Bellovar,  Ivanic,  Brod),  im  letzteren  5  (Peter- 
wardein,  Karlovic,  Semlin,  PanSova,  Weieskirchen).  Diese  12  Mi- 
litar-Communitaten  sind  von  der  besonderen  Wehrpflicht  der  Gren- 
zer  ausgenommen  und  nur  der  allgemeinen  Wehrpflicht  unterwor- 
fen;  sie  sind  von  dem  Regiments -Commandanten  unabhangig  und 
unterstehen  direkt  dem  Militar-  und  Civilgouverneur.  Ihre.  vorge- 
eetzten ,  aber  ebenfalls  militarisch  organisirten  Lokalbehorden  sind 
die  Magistrate.  Sie  haben  die  Bestimmung,  Gewerbe  und  Handel 
zu  treiben  und  die  Produktion  wie  den  Absatz  zu  erleichtern  und 
zu  fordern. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Im  St.  Georgner  Regiment:  St.  Georgen. 

2.  Im  Kreutzer  Regiment:  Belovar. 

3.  Im  ersten  Banal-Regimente:  Glina. 

4.  Imzweiten  Banal-Regimente:  Petrinia  (5000),  Kostainica,  Dabica. 

5.  Im  Sluiner  Regimente:  Sluin,  Carlstadt. 

6.  Im  Oguliner  Regimente:  Ogulin. 

7.  Im  OtoSaner  Regimente:  Zengg  (3000),  OtoSaS  (oder  Otochaz). 

8.  Im  Likkaner  Regimente:  Carlopago,  GospiS. 

9.  Im  Gradiskaner  Regimente:  Al  t- Gradiska,  Nen-Gradiska. 

10.  Im  Broder  Regimente:  Brod,  Vinkovce. 

11.  Im  Peterwardeiner  Regimente:    Carlovic  (6000,  Karlowitz),  Pe- 
terwardein  (5000),  Semlin  (10000),  Mitrovic  (Mitrowitz),  Slankamen. 

12.  Im  Caikisten-Bataillon:  Titel. 

13.  Im  Deutsch-Banater  Regimente:  Pancova  (12.000). 

14.  Im  Romanen-Banater   Regimente:  Karansebes,    Mehadia,  Alt- 
Orsova,  Neu-Palanka. 

15.  Im  Illirisch-Banater  Regimente:  Weisskirchen  (6000). 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  eigenthiimlichen  Einrichtungen  und  das  patriarchalische 
Leben  des  Grenzvolkes  iiben  ihren  unmittelbaren  Einfluss  auf  Acker- 
bau  und  Viehzucht ,  auf  Gewerbe  und  Handel  aus.  Alle  waffen- 
fahigen  Manner  sind  vom  zwanzigsten  Lebensjahre  waffenpflichtig. 
Die  Wehrpflicht  besteht  in  der  Bewachung  und  Vertheidigung  der 
Landesgrenze ,  in  der  Aufrechthaltung  der  Ruhe  und  Ordnung  im 
Innern,  und  in  der  Pflicht,  auch  ausser  Landes  ins  Feld  zu  rticken. 
Der  Grenzsoldat  erhalt  vom  Staate  vollstandige  Bekleidung,  Be- 
waffnung  und  Munition,  den  Sold  jedoch  nur  im  Felddienste.  Zur 
Erfiillung  der  Zwecke  der  Grenze  besteht  der  Cordon,  der  nach 
Massgabe  der  Gefahr  5000,  7000,  bei  naher  Gefahr  11.000  Mann 
bedarf.  Den  Cordon  bilden  Wachhauser  (Cartake)  langs  der  gan- 
zen  Grenzlinie ,  jede  mit  4,  8  oder  12  Mann ;  in  den  sumpfigen 
Niederungen  stehen  die  Wachhauser  auf  erhohtem  Mauerwerke  und 
sind  durch  Dammwege  mit  einander  verbunden.  In  der  Regel  ist 


161 

der  Grenzer  cine  Woche  ,,im  Dienste,"  zwei  Wochen  bei  der  Wirth- 
schaft.  Im  Falle  der  Noth  bilden  die  Grenzer  ein  Kriegsheer  .von 
100.000  Mann,  welche  zu  den  beeten  Truppen  geho'ren.  Die  nicht 
im  aktiven  Dienete  stehenden  Grenzer  beschaftigen  sich  mit  Acker- 
bau,  Viehzucht,  Gewerben  und  Handel. 

In  bauslicher  Bezithung  fiihren  die  Grenzer  ein  patriarcha- 
lischea  Familienleben  und  diese  Nationalsitte  steht  unter  dem  Schutze 
des  Gesetzes.  Die  Folge  dieser  patriarchaliscben  Verbaltnisse  ist, 
dass  Industrie  und  Handel  sich  grosstentheils  auf  die  M  i  1  i  t  &  r- 
Communitaten  beschranken ,  wahrend  die  Mebrzahl  der  Bevol- 
kerung  sich  rait  Ackerbau  und  Viehzucht  beschaftigt  und  die  hochst 
geringen  Bediirfnisse  an  Kleidung  durch  die  Hausfrauen  befriediget 
werden,  welche  die  Kleider  fur  Mann  und  Kind  spinnen,  weben, 
farben  und  uahen. 

Mehrere  vemandte  Oder  verschwagerte,  oder  frei  in  die  Hausgesellschaft  auf- 
genommene  Personen  oder  Familien  bewohnen  Ein  Haus  und  bilden  zusammen  en;e 
Haus-Communion.  Alle  liegenden  Outer  der  Greuzbewohner  sind  gegen  Erfiil- 
lung  der  Grenzobliegenheiten  vollstandiges  Eigenthutn  der  Grenz-Communionen.  Alle 
Manner  der  Haus-Communion  haben  gleiche  Rechte  auf  das  unbewegliche  Eigenthum 
des  Hauses  ;  bei  dem  Austritt  ans  dem  Hause  verliert  jedoch  das  Mitglied  sein  Recht, 
welches  von  selbst  den  ubrigen  zawiichst.  Ist  kein  Mann  mehr  im  Hause,  so  gent 
das  Recht  in  gleicber  Weise  auf  die  Weiber  fiber.  Der  letzte  Sprosse  einer  Haus- 
Communion  kann  iiber  das  unbewegliche  Vermogen  letztwillig  verlugen ;  ist  keio, 
Testament  und  keine  erbfahige  Person  verhanden,  so  t'&llt  das  VermSgen  dem  Grenz- 
institute  anheim. 

Als  Familie  eines  Hauses  werden  alle  Personen  betrachtet,  welche  bei  dem 
Hause  konskribirt  und  nicht  Dienstboten  sind.  Urn  Ruhe,  Ordnung,  Eintracht,  Reli- 
giositat  und  Sittlichkeit  unter  der  der  Haus-Communion  zu  erhalten,  hat  in  der  Regel 
der  alteste  fahige  nnd  dienstfreie  Mann  die  Hausvaterstelle  zu  fuhren  und  das  Ver- 
mOgen  zu  verwalten ;  sein,  oder  ein  hierzu  geeignetes  Weib  hat  die  Hausmutter  zu 
sein.  Die  Wahl  des  Hausvaters  muss  durch  die  Familie  geschehen,  und  der  BehOi  de 
angezeigt  werden.  Alle  Mitglieder  der  Haus-Commuuion  nehmen  alle  Obliegenheiten 
des  Hauses  und  die  Feldwirthschaft  ohne  Lohn  auf  sich ;  was  die  Haus-Communiou 
mit  gemeinsamen  Eraften  erwirbt,  ist  gemeinsames  Hausgut.  welches  zar  Bestreitung 
der  Auslagen  des  Hauses  und  des  Unterhaltes  aller  Familienglieder  dient.  Kein 
Hausgenosse  darf  fiir  sich  oder  seine  Familie  eine  abgesonderte  Wirthschaft  treiben, 
uberbaupt  nichts  unternehmen,  was  die  gemeinsame  Hausarbeit  stort.  Nur  wenn  an 
Zeit  eriibrigt  wird,  darf  er  dieselbe  fflr  sich  verwenden,  Geld  oder  Gerathe  erwerben 
und  besitzen;  doch  muss  ein  Theil  davon  in  die  Hauskasse  abgegeben  werden.  Die 
Theilang  einer  Communion  ist  nur  unter  gewissen  Bedingungen  gestattet. 

Von  der  Gesammtflache  der  Militilrgrenze  sind  nur  etwa  79% 
produktiver  Boden.  Dieses  ungiinstige  Verhaltniss  hat  seinen  Grund 
in  den  vielen  Sumpfdtrecken  der  Ebenen  und  in  der  steinigen  Hoch- 
flache  des  westlichen  Karstgebietes.  Vom  produktiven  Boden  ent- 
fallen  %  auf  Waldungen  (162  QM.),  T/4  auf  Aecker  (137  QM.), 
77  DM.  auf  Weiden,  79  CM.  auf  Wiesen  und  Garten,  und  faat 
5  QM.  auf  Weingarten. 

Die  Produktion  des  Ackerbaues  genugt  nicht  fiir  den  Be- 
darf  und  es  findet  ein  ansehnlicher  Import  statt.  Die  Hauptfruchfc 
ist  der  Mai?,  dena  folgen  Weizen  und  Hafer,  endlich  Roggen  und 
Gerstp,  auch  Hanf,  Flachs  und  Tabak  werden  angebaut.  Futter- 
krauter  gedeihen  trotz  des  ganzlich  ungeregelten  Wiesenbaues 
in  grosser  Menge.  Wein  wird  uberall  gebaut  (iiber  500.000  Eimer), 
darunter  ist  jener  von  Karlowic,  Weisskirchen  und  Mehadia  von 
vorziiglicher  Qualitat.  Unter  den  Obsteorten  nimmt  auch  hier  dis 

Kluu's  Hundels-Geographie.  2.   Aufl.  H 


162 

Zwetschke  und  die  Bereitung  des  Slivovic  eine  hervorragende  Stelle 
ein.  Die  ausgedehnten  W  aldungen  (insbeeondere  die  Eichenwal- 
der  an  der  Save ,  Kulpa  und  Drave)  gewahren  reiche  Ausbeute  an 
Bau-  und  Schiffbauholz.  —  Der  Viehstand  ist  gross,  aber  von 
minderer  Qualitat,  nur  die  syrmiscben  Pferde  haben  besseren  Werth. 
DasHornvieh  wird  hauptsachlich  als  Zugvieh  beniitzt,  dasSchaf 
wird  mehr  wegen  des  Fleisches  als  wegen  der  Wolle  gehalten.  Sehr 
stark  ist  die  GeflQgelzucht,  dann  jene  der  Schweine;  auch  die  Bie- 
nen  und  Seidenraupen  finden  gute  Pflege,  und  die  Blutegel  bilden 
einen  namhaften  Ausfuhrartikel. 

Der  Bergbau  und  die  Mineralproduktion  sind  unbedeutend. 
Zwischen  der  Unna  und  Save  kommt  Eisen,  in  den  Auelaufern  der 
Karpathen  kommen  silberhaltige  Bleierze  vor  und  in  den  Gebirgs- 
bachen  wird  etwas  Waschgold  gesammelt. 

Sowohl  die  vorwaltend  militarische  Bestimmung  dieses  Kron- 
landes ,  als  auch  die  geringen  Bediirfnisse  der  Bewohner  erklaren 
den  tiefen  Stand,  auf  dem  sich  die  Gewerbsthatigkeit  in  diesem 
Lande  befindet;  von  hoherer  Industrie  kann  nicht  die  Rede 
sein.  Die  in  den  Militar-Communitaten  lebenden  Handwerker  sor- 
gen  nebst  den  Weibern  durch  die  hausliche  Regeamkeit  fur  die 
Bediirfnisse,  zunachst  fur  die  Bekleidung  und  die  militarische  Aus- 
rQstung.  Lederarbeiten,  L  ein  wand  und  die  Verarbeitung  der 
Schafwolle  bilden  die  Hauptbeschaftigung ;  am  gewerbereichsten 
sind  die  ostlichen  Bezirke.  Einen  besonderen  Zweig  der  Thatigkeit 
bilden  Teppiche  und  Tape  ten,  welche  von  den  Klementinern 
in  guter  Qualitat  geliefert  werden,  Erwahnenswerth  ist  die  steigende 
Kultur  des  Seidenbaues,  zu  welchem  Zwecke  schon  iiber  30 
Filanden  bestehen  und  wofiir  Klima  und  Bodenbeschaffenheit  vor- 
zuglich  geeignet  scheinen,  so  dass  auf  diesen  Zweig  alle  Sorgfalt 
verwendet  werden  wird.  Auch  der  Schiffbau  zu  Jasenovac  (an 
der  Save)  und  in  Zengg  ist  nicht  ganz  unbedeutend.  Die  Ei  sen- 
hammer  zu  Russberg,  Ferdinandsberg  und  Tergove,  die  Verfer- 
tigung  von  Thon  ges  chi  rren  und  Holz  waaren,  die  Brannt- 
weinbrennereien  u.  s.  w.  sind  nicht  von  erheblichem  Umfange. 

Der  Eigenhandel  ist  bei  dem  geringen  Umfange  gewerblicher 
Thatigkeit  unbedeutend;  desto  wichtiger  ist  der  Tran  sith  andel, 
vornehmlich  zu  Semlin,  dann  in  Pancova,  Orsowa,  Brood  und 
Mitrovic.  Salz  und  Getreide  werden  importirt,  Holz  und  Vieh  ex- 
portirt,  zur  Durchfuhr  gelangen  die  osterreichischen  Manufakte  und 
die  Rohprodukte  der  Donaulander.  Fur  den  unter  strengster  Auf- 
sicht  betriebenen  Verkehr  mit  den  Tfirken  bestehen  Rastelle  (um- 
zaunte  Marktplatze).  Die  vier  Seehafen:  Zengg,  Carlopago,  St. 
Giorgio  und  Jablonac  sind  nicht  bedeutend,  doch  betrug  der  Ver- 
kehr im  Jahre  1851  nahe  an  4  Millionen  Gulden  (ttber  2l/s  Millio- 
nen  Gulden  die  Einfuhr  und  faat  s/«  Millionen  Gulden  die  Ausfuhr). 
Die  Landstrassen  der  Militargrenze  sind  unstreitig  viel  besser 
und  zahlreicher  als  in  den  Nachbarlandern.  Wichtiger  sind  die 
Wasserstrassen  und  vorzflglich  das  Meer.  Auch  ist  es  bereits 
in  das  Eisenbahnnetz  der  Monarchic  einbezogen. 


§.  96.  Die  Wojwodschaft  Serbien  und  das  Temeser  Banat. 

( Wojwodina  und  Banat.} 

545  DMeilen;  —  1,540.050  (relativ  2827)  Einwohner,  darunter  etwa  49% 
Griechen,  43%  Katholiken,  6%  Protestanten,  an  17.000  Israeliten  n.  a. ;  —  nach  der 
National! tat  29%  Slawen,  28%  Komanen.  24%  Deutsche,  18%  Magyaren,  dann 
Armenier,  Juden  n.  s.  f.  —  Grenzen:  im  N.  Ungarn,  —  im  0.  Ungarn  und  die 
Militargrenze,  —  im  S.  die  Militargrenze  und  Slavonien,  —  im  W.  Slavonien  und 
Ungarn. 

Boden.  Der  grosste  Theil  dieses  Kronlandes  gehort  der  gros- 
sen  ungarischen  Tiefebene  an ;  im  Oaten  verzweigen  sich  die  Aus- 
laufer  der  siebenbiirgischen  Karpathen  und  im  Sfiden  erheben  sich 
die  syrmischen  Hugel  als  ausserste  Vorberge  der  Alpen.  In  der 
Tiefebene,  welche  durchschnittlich  2 — 300'  Seehohe  hat ,  kommen 
bedeutende  Siimpfe  vor ;  sonst  aber  ist  die  Oberflache  des  Landes 
die  fruchtbarste  Dammerde. 

GewSsser.  Das  ganze  Kronland  gehort  zum  D  o  n  a  u  -  Ge- 
biete,  welche  die  Theiss,  die  T ernes  und  den  Karas  aufnimmt. 
Die  Theiss  theilt  die  westliche  Halfte  (Backa)  von  der  ostlichen 
(Banat)  und  nimmt  die  Maros  und  Bega  auf.  Die  Lange  der  schiff- 
baren  Strecken  betragt  fiber  80  Meilen,  die  Donau  und  Theiss  wer- 
den  mit  Dampfschiffen  befahren ,  die  Maros  ist  schiffbar  und  die 
Temes  von  Lugos  an  flossbar.  Wichtig  sind  auch  die  beiden  Ka- 
nale:  der  Franzens-  oder  Backer-  und  der  B  e  g  a  -  Kanal.  Der 
erste  ist  uber  14  Meilen  lang,  tragt  Schiffe  bis  8000  Zentner  Last 
und  fiihrt  aus  der  Donau  durch  die  Backa  in  die  Theiss.  Der  Bega- 
Kanal  ist  16  Meilen  lang;  er  besteht  zum  Theil  aus  dem  regulir- 
ten  Bette  der  Bega,  wird  durch  die  Temes  mittelst  eines  Verbin- 
dungskanals  gespeist  und  verbindet  Temeevar  mit  Gross-Beckerek. 
—  Unter  den  Seen  ist  nur  der  Palicer  Salzsee  (bei  Theresiopel) 
bemerkenswerth.  —  Siimpfe  und  Moraste  hat  das  Land  viele 
und  weit  ausgebreitete  in  den  Niederungen  der  langsam  hinfliessen- 
den  Donau  und  Theiss.  Von  den  Mineralquellen  sind  die  be- 
kanntesten  jene  zu  Buzias,  zu  Murany  und  die  Wasserkuranstalt 
zu  Lunkany. 

Politische  Eintheilung.     Ausser    der  Landeshauptstadt  Te- 
mes var,    welche  der    Statthalterei    unmittelbar    untergeordnet  ist, 
wird  dieses  Kronland  in  fiinf  Kreise  eingetheilt. 
Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Kreis  Temesvar:  Temesvar  (22.500  Einw.),  Neu-Arad,  Werlec. 

2.  Kreis  Lngos:  Lugos  (6000),  Oravica,  Moldova,  Ciklova,  Bogsan. 

3.  Kreis   Gross-Befikerek:    Gross-Beckerek    (16.000),    Gross-Szent- 
Miklos  (17.000),  Gross-Kikinda  (18.000). 

4.  Kreis    Zombor:    Zombor    (22000),    Apathin,    Theresiopel    (=    Maria- 
Theresiopel,  Szabatka,  48.000),  Baja  (16.000).  Zenta  (15.000). 

5.  Kreis  Neusatz:    Neusatz   (10.000),    Alt-Befie  (12.000),    Palanka,  Ba- 
ma,  Illok. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  des  Kronlandes  sind  fiber  86%  pro- 
duktiver  Boden,  davon  entfallen  iiber  die  Halfte  (uber  250  QMei- 
len)  auf  das  Ackerland ,  fiber  86  QM-  auf  Weiden,  an  68  QM- 
auf  Waldungen,  48  OM-  auf  Wiesen  und  Garten  und  fast  8  QM. 
auf  Weingarten. 

11* 


164 

Die  Landwirthschafi  1st  hauptsachlich  wegen  des  ausserst 
fruchtbaren  Bodens  von  hoher  Bedeutung;  der  Ackerbau,  der 
wichtigste  Theil  der  Landwirthschaft,  liefert  nebst  der  Befriedigung 
des  eigenen  Bedarfes  noch  bedeutende  Mengen  Getreides  zum  Ex- 
port und  nimmt  den  ersten  Rang  im  6 s terrei chischen  Ge- 
treidehandel  ein.  Der  Banater  Weizen  gilt  als  der  beste,  der 
Hafer  aus  der  Backa  ist  der  ausgezeichnetete  in  der  Monarchic, 
auch  der  Hanf  und  der  Mais  sind  sehr  geschatzt.  Der  Reisbau  ist 
in  der  Abnahme,  dagegen  hat  der  Repsbau  in  neuester  Zeit  grosse 
Bedeutung  gewonnen.  Der  Obstbau  liefert  grosse  Mengen  des 
gewohnlichen  Wirthschaftsobstes ;  die  Bienen-  und  Seidenrau- 
penzucht  sind  jedoch  eher  im  Ruckschritte ;  auch  das  Forst- 
wesen  befindet  sich  nicht  in  wiinschenswerthem  Zustande. 

Nachst  dem  Ackerbau  bildet  die  Viehzucht  die  wichtigste 
Erwerbsquelle.  Im  Allgemeinen  ist  die  Viehzucht  zwar  erheb- 
lich ,  doch  keineswegs  auf  dem  Standpunkte,  den  sie  in  diesem 
Lande  einnehmen  konnle.  Insbesondere  ist  die  Zucht  der  Pferde, 
Schafe  und  Schweine  beachtenswerth;  die  Wojwodschaft  hat  rela- 
tiv  die  meisten  Pferde  in  Oeeterreich  (762  auf  1  QMeile).  Die 
Pferdezucht  wird  vorziiglich  von  den  Deutschen  und  Magyaren  be- 
trieben,  wahrend  sich  die  Serben  mehr  mit  der  Hornviehzucht 
befassen,  welche  jedoch  der  Grosse  und  dem  Naturalreichthum  des 
Landes  durchaus  nicht  entspricht.  An  Borstenvieh  muss  eine  be- 
trachtliche  Menge  aus  Serbien  und  der  Walachei  eingetrieben  wer- 
den  ;  —  die  Schafzucht,  hauptsachlich  im  Berglande,  befriediget 
weder  durch  die  Quantitat  noch  die  Qualitat  der  Wolle. 

Der  Bergbau  ist  zumeist  auf  das  karpathische  Bergland  im 
Osten  beschrankt.  Oravica  und  Dognacka  liefern  etwa  40  Mark 
Gold  ;  in  den  genannten  Orten  sowie  in  Szaszka  und  Neu-Moldova 
wird  auf  Silber  gebaut  (circa  4000  Mark  jahrlich),  —  die  Kupfer- 
ausbeute  betragt  jahrlich  an  10.000  Zentner,  ferner  findet  man  Ei- 
sen  und  Blei.  Machtige  Lager  ausgezeichneter  Steinkohle  sind 
in  Oravica,  Steierdorf  und  Gerlistje,  und  betrug  die  Ausbeute  im 
Jahre  1855  an  1 1/2  Million  Zentner. 

In  gewerblicher  Beziehung  nimmt  das  Land  noch  keinen  be- 
deutenden  Platz  ein;  es  ist  eben  ein  vorwiegend  Ackerbau  treib^n- 
des  Kronland.  Eine  eigentliche  Fabriksiiiduistfie  hat  sich  (rotz  des 
Ueberflusses  an  einheimischen  Rohstoffen  noch  nicht  entwickelt  und 
beschrankt  sich  die  ganze  Industrie  auf  Kleingewerbe,  sowie  auf  die 
Nebenbeschaftigungeu  der  Landleute,  welche  sich  mit  Flachs-,  Hanf- 
leinwand-  und  Schafwollwebereien  sowie  mit  Branntweinbrennerei 
fur  den  Hausbedarf  beschaftigen.  Gewerbreicher  ist  die  Backa, 
wo  Teppiche,  Kotzen  und  Flechtwerk  erzeugt  werden;  —  beach- 
tenswerth sind  die  Lederfabrikation  in  Syrmien,  die  Pottaschensiede- 
reien  und  Oelmtihlen.  Zu  den  grosseren  industriellen  Etablissemer.ts 
gehoren :  die  ararischen  Eisenwerke  zuReschica,  die  Glasfabrik 
-zu  Tomest,  die  Tabak-  und  Kerzenfabriken  zu  Temesvar,  die 
Kunstmahlmiihle  in  Lugos  und  die  Seidenfilanden  in  Apathin, 
Palanka,  Kolluth  und  V  e  r  s  e  c  z.  Ueberhaupt  sind  Syr- 
mien  und  die  Backa  in  dieser  Richtung  am  meisten  vorgeschritten. 


165 

Der  geringe  Stand  der  gewerblichen  Industrie  und  die  ver- 
baltnissmassig  wenigen  Bedurfnisse  der  Bevolkerung  erklaren  den 
wenig  ausgedehnten  Handel.  Am  ausgebreitetsten  ist  jener  in  Roh- 
produkten,  welche  exportirt  werden ,  insbesondere  Getreide ;  wo- 
gegen  Colonialwaaren  und  Industrieerzeugnisse  eingefuhrt  werden; 
auch  der  Detailhandel  ist  im  Steigen.  Die  Donau  und  die  Theiss, 
welche  mit  Dampfschiffen  befahren  werden,  vermitteln  den  Verkehr, 
zum  Theil  auch  die  Maros  und  Temes ,  sowie  der  Franzens-  und 
der  Begakanal.  Von  grosserer  Wichtigkeit  werden  die  Eisenbahnen 
sein.  Dieses  Kronland  tragt  alle  Bedingungen  in  sich ,  um  einer 
hoheren  Kultur  entgegen  zu  schreiten. 

§.  97.  Das  Ktinigreich  Ungarn. 

3266  QMeilen;  —  8,125.800  (relativ  2489)  Einwohner,  —  fiber  die  Halfte 
Katholiken,  gegen  2  Millionen  Protestanten,  an  l'/5  Million  Griechen, 
330.000  Israel  it  en;  —  nach  der  National!  tat  48%  Magyaren,  32%  Slawen 
(Slowaken  23%,  Buthenen,  Kroaten,  Serben,  Slowenen),  11%  Deutsche,  6%  Roma- 
nen,  dann  Juden,  Zigeuner  n.  a.  —  Grenzen:  im  N.  Schlesien,  Galizien,  —  im 
0.  die  Bukowina,  Siebenburgen,  —  im  S.  Serbien  mit  dem  Banate,  Slavonien,  die 
Militargrenze,  Kroatien,  —  im  W.  Steiermark,  Nieder-Oesterreich,  Mahren. 

Boden.  Ungarn  ist  zum  Theile  Tiefland,  zum  Theile  Ge- 
birgsland.  Zum  Tieflande  gehoren  die  kleine  und  die  grosse 
ungarische  Ebene  (siehe  §.  75  S.  98);  das  Bergland  gehort 
theils  den  Karpathen  an  (siehe  Seite  30),  theils  sind  es  Vor- 
gruppen  der  Alpen,  u.  z.  das  Leithagebirge,  der  Bakony- 
wald  vom  Platten-See  gegen  die  Donau,  die  minder  hohe  Fiinf- 
ki  rchner- Gruppe  zwischen  der  Drave,  Sarviz  und  dem  Platten- 
See.  Der  gebirgigste  Theil  ist  somit  Nordungarn,  wahrend  sich  im 
Innern  des  Landes  das  grosse  einformige  Tiefland  ausbreitet. 

Gewasser.  Ungarn  gehort  mit  Ausnahme  des  P  o  p  r  a  d 
(Popper),  der  zum  Geader  der  Weichsel  gehort  und  einigen  zum 
Sereth  abfliessenden  Bachen  zum  Flussgebiete  der  Donau,  welche 
bei  Pressburg  das  Land  betritt.  Sie  durchetromt  die  kleine  ungarische 
Ebene;  an  beiden  Ufern  treten  unterhalb  Gran  Berghohen  heran, 
welche  den  Flues  bis  unterhalb  Ofen  begleiten.  Mit  geringem  Ge- 
falle  fliesst  sie  dann  zum  Theile  zwischen  waldigen  und  morastigen 
Ufern  durch  die  grosse  ungarische  Tiefebene,  tritt  unweit  Baja  auf 
die  serbische  Grenze  und  verlasst  Ungarn  unterhalb  der  Dravemun- 
dung.  Sie  bildet  zahlreiche  Inseln  :  die  grosse  und  kleine 
Schiitt  (unterhalb  Pressburg),  die  St.  Andreas -Insel,  Csepel 
und  Mar  git  a  in  der  grossen  ungarischen  Ebene.  Zu  den  bedeu- 
tenderen  Nebenflussen  gehoren:  die  March  mit  der  Miava;  —  die 
Waag,  welche  bei  Szered  in  die  Ebene  tritt,  sich  bei  Guta  im 
Sumpflande  mit  der  Neuhausler  Donau  vereinigt  und  als  Vagduna 
bei  Komorn  mundet,  nachdem  sie  kurz  vorher  die  Neutra  aufge- 
nommen ;  —  die  Gran  (von  der  Kralova  horj,  Konigsberg,  Kiraly- 
hegy)  fliesst  im  Unterlaufe  durch  Sumpfstrecken  und  mundet,  ohne 
schiffbar  zu  sein,  gegeniiber  von  Gran;  —  die  Eipel  (Ipoly)  mun- 
det nach  einem  tragen,  zwischen  engen  Hugelthalern  vielfach  ge- 
kriimmten  Laufe  bei  Szob;  —  die  Theiss  (Tisza)  entspringt  in 
der  Marmaros  (schwarze  und  weisse  Theiss),  welche  sie  mit  etarkem 


Gefalle  durchfliesst,  wird  bei  Sziget  far  kleine  Fahrzeuge  schiffbar, 
tragt  von  Tokaj  an  Dampfschiffe.  In  unzahligen  Kriimmungen, 
zwischen  ausgedehnten  Siimpfen  fliesst  sie  durch  das  ungarische  Tief- 
land  und  tritt  bei  Szegedin  in  die  Wojwodina.  Die  ,,Theiss-Regu- 
lirungs-Commission"  entfaltet  bereits  eine  anerkennenswerthe  Tha- 
tigkeit  in  der  Regulirung  dieses  fur  den  Verkehr  und  wegen  des 
ausserordentlichen  Fischreichthums  wichtigen  Flusses.  Am  rechten 
Ufer  nimmt  sie  die  Borzova,  den  Bodrog,  den  Hernad,  die 
Eger  und  die  Zagyva,  am  linken  die  Szamos,  Koros  und 
Mar os  auf.  —  Die  Leytha  aus  Nieder-Oesterreich  miindet  bei 
Ungarisch  -  Altenburg.  —  Die  liaab  kommt  aus  Steiermark  und 
wird  von  Kormend,  wo  sie  in  die  kleine  ungarische  Ebene  tritt, 
bis  zu  ihrer  Miindung  bei  liaab  befahren.  —  Die  S  a  r  v  i  z  entsteht 
aus  den  Sumpfen  des  Bakonywaldes,  hat  vielfach  sumpfige  Ufer, 
fliesst  (von  Stuhlweissenburg)  in  einem  Kanale  und  nimmt  vom 
Plattensee  den  Si 6  und  von  der  Fiinf kirchner  Hochebene  den  Ka- 
pp  s  auf.  —  Die  Drave  bildet  die  Grenze  des  Landes  gegen 
Kroatien  und  Slavonien.  —  Die  bedeutendsten  Seen  sind  der  Plat- 
tensee und  der  Neusiedlersee,  erwahnenswerth  sind  uberdiess 
die  zahlreichen  kleinen  Hochgebirgsseen  (Meeraugen)  in  den  Kar- 
pathen.  —  Beide  Tiefebenen  haben  grosse  Moraste  langs  der 
Donau,  Theiss  und  deren  Zufliissen,  zwischen  der  dreifachen  Koros. 
—  Sehr  reich  ist  Ungarn  an  Min  eralquellen ,  als:  Szlatina 
(Slatna),  Bartfeld  (Bdrtfa),  am  Siidabhange  der  Karpathen,  die 
Trentschiner  Quellen,  die  Ofner  Schwefelquellen,  Postye'n 
(Piestjan)  im  Waagthale,  die  Parader  Stahlquellen,  die  Sauerlinge 
Lublo,  Schmecks  (Tatra-Fiired),  Szulin  u.  a. 

Politische  Eintheilung.  An  der  Spitze  der  Verwaltung  des 
Konigreichs  Ungarn  steht  der  kaiserliche  Statthalter  (Civil-  und 
Militargouverneur),  welcher  in  Of  en  residirt.  In  administrativer  Be- 
ziehung  ist  das  Land  in  43  Comitate  (Kreise),  und  diese  sind  in 
Stuhlbezirke  eingetheilt.  Die  Hauptstadt  des  Landes  ist. 

Of  en  (magy.  Bada)  mit  55  240  Einwohnern.  Hier  sind  das  k.  Residenzschloss, 
die  Statthalterei  and  andere  Landesbehorden.  Die  Stadt  liegt  auf  dem  rechten  Donau- 
ufer,  theils  auf  einem  Berge  (Festung),  dnrch  welchen  ein  Tunnel  fiihrt,  theils  ringsum 
am  Fusse  desselben.  Scblosskirche  mit  den  Reichskleinodien;  Hentzi-Monnment. 
Polytechniscb.es  Institut,  Obergymnasinm,  Oberrealschule.  Am  Fusse  des  Blocks- 
berges  warme  Schwefelbader ;  in  den  sch5nen  Umgebungen  ausgezeichneter  Weinbau. 
Zwei  Dampfmuhlen;  Arsenal  und  Altofner  Schiffswerfte  der  Donau-Dampfschiffahrts- 
Gesellschaft.  Am  linken  Donanufer,  mittelst  einer  Kettenbrucke  von  1230'  Span- 
nnng  mit  Ofen  rerbunden  liegt  die  schSnste,  reichste  und  bevolkerteste  Stadt  Ungarns, 

Pest  (magy.  Pest)  mit  131.700  Einwohnern.  Sch6ne  Platze,  Strassen  und 
stattliche  Gebaude  zieren  diese  rasch  aufbluhende  Stadt.  Wissenschaftliche  Anstalten 
sind:  die  Universitat,  die  ungarische  Akademie  der  Wissenschaften,  das  reiche  Na- 
tional-Museum, mehrere  wissenschaftliche  Vereine,  die  Handels-Akademie,  Maler- 
Akademie,  Gymnasium,  Eealschnle  u.  s.  w.  Fiir  den  Handel  und  Industrie  sind 
thatig:  die  Handelskammer,  Bankfiliale,  Filiale  der  Wiener  Creditanstalt,  ungar. 
Commerzialbank,  die  Lloyd-Gesellschaft  u.  a.  Pest  hat  ansehnliche  Fabriken  in  Seide, 
Tuch,  Leder,  Oel,  Tabak,  Bijouterien;  besonders  wichtig  sind  die  Branntwein-  und 
Mehlerzeugung.  Hier  ist  der  Mittelpunkt  des  reichen  nngarischen  Handels,  vorzflglich 
in  Landesprodukten  und  Manufakten.  Der  Umsatz  auf  den  4  grossen  Messen  ist 
ein  sehr  bedeutender  (iiber  30  Millionen  Gulden).  Die  Lage  der  Stadt  ist  fur  den 
Handel  uberaus  gflnstig;  hier  ist  eine  Hauptstation  der  Dampfschiffe;  Eisenbahnen 
verbinden  Pest  mit  der  Residenz  und  den  bedeutendsten  Stadten  des  Landes.  In  der 
Umgebnng  ist  vortrefflicher  Weinbau. 


167 

Andere  bemerkenswerthe  Orte  in  Ungarn  sind  *)  : 

1.  Comitat  Pest  (Pest-Pilis):  Pest,  Ofen,   Waizen  (Vacz),    GSdollO, 
Pilis,  Raezkeve. 

2.  Comitat  Solt  (Pest-Solt):  Kecskemet  (40.000),  Czegled,  Kalocsa 
Nagy-K6r6s.  Dnna-Vecse,  Solt. 

3.  Comitat  Stnhlweissenburg:    S tahl weissenburg   (Szekes-Fehe'r- 
var,  24.000),  Modr,  Csakvar,  Bicske. 

4.  Comitat    Gran:    Gran    (Esztergom    13.000),    Dotis,    Babolna,    Almas, 
Neszme'ly. 

5.  Comitat  Borsod:  Miskolcz  (30000),  Borsdd,  Mezo-K6vesd. 

6.  ComitatHeves:  Erlau  (Eger  19.000),  Gy6ngy6s,  Hat  van,  Debro,  Parad. 

7.  Comitat  Szolnok:  Szolnok  (12.000),  Mezo-Tur,  Tisza-Fnred. 

8.  Comitat  Csongrad:  Szegedin  (40.000),  Csongrad  (16.000),  Szentes, 
Vasarhely. 

9.  Comitat  Jazygien  und  Kamanien:  a)  in  Jazygien:  Jasz  Bere"ny 
(19.000;,  Jasz  Apati,  Arok-Szallas  ;  —  b)  in  Klein-Kumanien :  Fe'l  egyhaza  (18.000), 
Dorosma,  Halas,  Knn  Szt.  Miklds;    —  c)   in  Gross-Kumanien :    Kardszag-Uj-Szallas, 
Tiirkeve,  Madaras,  Kis-Dj-Szallas,  Kun  Szt.  Marion. 

10.  Comitat    Oedenbnrg:     Oedenburg     (Soprony,    16.000),  Eisenstadt 
(Kis  Marton),  Eszterhaz,  Rust,  Letting,  Mattersdorf,  Kapuvar. 

11.  Comitat  Wieselburg:  Wieselburg(Mosony,  4000),  Ungarisch-Alten- 
burg  (Magyar  Oar),  Neusiedl  (am  See,  NezideV),  Kittsee  (K6pcsen). 

12.  Comitat  Eisenburg  (Vasvar) :  Steinamanger   (Szombathely,  5000), 
Guns    (Koszegh),    Pinkafeld    (Pinkafo),    Oberschatzen    (Fels6-L6v6),    Tatzmannsdorf, 
St.  Gotthard,  Kormend,  Eisenburg,  Sarvar. 

13.  Comitat    Zala:    Zala-Egerszeg    (4000),    Gross-Kanizsa,    Keszthely, 
Siimegh,  Fured. 

14.  Comitat  Somogy  (Sumegh):  Kaposvar,  Szigetvar,  Marczali. 

15.  Comitat  Funfkirchen  (BaranyaTrFTTo'f  k i r c h e n  (Pecs,  16.000),  Mo- 
hacs,  Villany,  Siklo's.  * 

16.  Comitat  Tolna  (Szekszard):  Szekszard    (oder    Szexard,    12.000), 
F61dvar,  Bonyhad,  HSgyesz. 

17.  Comitat  Veszprim:  Veszprim  (11.000),  Papa  (16.000),  Vasarhely, 
Palota,  Deveczer,  Herend. 

18.  Comitat  Raab:  Raab  (Gyor,  18000),  Szent-Marton  (Martinsberg\ 

19.  Comitat  Pres  sburg:Pre  s  sburg(Pozsony,  45.000),  St.  Georgen  (Szent- 
gyOrgy),  Theben,  Bosing  (Bazin),  Modern  (Modor),  Wartberg   (Szempes),  Sommerein 
(Somorja). 

20  Comitat  Ober-Nentra  (Nyitra) :  Tj  man  (Nagy-Szombat,  7500), 
Leopoldstadt,  PSstyen  (oder  Pistyan),  Neastadtl,  Miava,  O  Tura,  Holies,  Skalitz 
(Szakolcza),  Brezova. 

21.  Comitat  Unter -Nentra:    Nentra    (9500),    Neubausl  (Ersek  Ujvar), 
Urmeny,  Freistadtl  (Galgdcz),  Gross-Topolcsany. 

22.  Comitat  Komorn:  Komorn  (Komarom,  11.000),  Perbete,  Gnta. 

23.  Comitat    Bars:    Aranyos -Maro  t    (1300),  Kremnitz    (Kormoczbanya 
5000),  Konigsberg  (Ujbanya),  Szkleno,  Vereb^ly. 

24.  Comitat  Hont:  Ipolysag  (2000;,  Schemnitz   (Selmecz,  20000),  Dilln 
(B^labanya),  Pnkancz  (Bakabanya). 

25.  Comitat    Neograd:    B  al  as  s  a  -  G  yar  m  at    (4600),    Neograd,    Lo- 
soncz,  Gacs. 

26.  Comitat   Sohl    (Zolyom):   Neusohl    (Beszterczebanya,  6000),    Altsobl 
(Zolyom),  Bries  (Breznobanya),  Libeten  (Libetbanya),  Herrengrund  (Urvdlgye),  Her- 
manetz,  Rdnecz,  Szliacj. 


*)  Zur  Aussprache:  a  =»  lantes,  belles  a,  sonst  oa ;  —  €  —  Mittellaut  zwi- 
scben  e  und  i;  —  cs  =  tsch  ;  —  cz  =  z;  —  ds  =  dsch ;  —  gy  «•  dj;  —  b  = 
nur  vor  Vokalen  wie  h,  am  Ende  lautlos;  —  ly  =  Ij  (in  billet) ;  —  ny  =  dem  franz. 
oder  italien.  gn.  (compagnie,  vergogna) ;  —  s  =  sen;  —  sz  =  ss;  —  v  =  w;  — 
z  =•  gelindes  s;  —  zs  oder  's  =  franz.  j  (jour). 

Hier  sind  grOsstentheils  die  nngarischen  und  die  dentschen  Namen  der 
Ortschaften  angegeben,  insoweit  solche  im  Gebrauche  sind. 


27.  Comitat   Liptau:    Szent-Miklos    (Nicolau,    2000),  Bdcza,   Deutsch- 
Lipcse,  Rosenberg,  Szlecs,  Lucski. 

28.  Comitat  Arva-Turdcz:    Szent-Marton    (1500),    Alsd-Kubin,   Mo- 
sdcz,  Arva,  Stuben  (Stubnya),  Jablonka,  Turdosin,  Trsztena. 

29.  Comitat  Trencsin:  Trencsin  (2600).  Teplitz,  Waag-Bistritz,  Rajecz, 
Sillein  (Zsolaa). 

30.  Comitat  Abauj  -  Torna:  Kaschau   (Kassa,  14.000),   Torna,   Moldau 
(Szepsj),  Metzenseif,  Goncz,  Szantd,  Szikszd. 

31.  Comitat    GOmor:    Rima   Szombat    (Gross-Staffelsdorf,  8300),  Rima 
Brezd,  Theissholz  (Tiszolcz),  Dobsina  (Dobscbau),  Pohorella,  Csetnek,  Rosenau  (Ros- 
nyo),  GomSr,  Aggfelek. 

32.  Comitat  Zips  (Szepes) :  Leutschau  (Locse  6000),  Wallendorf  (Szepes 
Olaszi),  GSllnitz,  Sclim61nitz  (Szomolnok),  Neudorf  (Igld),  Kesmark,  Lublau  (Lnbld), 
Schmecks  (Tatra-Fflred;. 

33.  Comitat    Saros:    Eperjes    (10000),    Sdvar    (Salzburg),    Cservenicza 
(V6ros-Vagas),  Gross- Saros,  Klein-Szeben,  Bartfeld  (Bartfa),  Szulin. 

34.  Comitat   Zemplin:    Sdtorallya   Ujhely    (7200),    Zemplin,    Saros- 
Patak,  Tokaj. 

35.  Comitat  Ung:  Ungvar  (6000),  Dubrinics,  Szobrancz. 

36.  Comitat  Bereg-Ugocsa:  Mnnkacs  (4300),  Beregszasz,  Tisza-Ujlak, 
Nagy-Sz6ll6s. 

37.  Comitat  Marmaros:  Nagy  Sziget  CMarmaros  Sziget,  6000),  Huszt, 
Rdnaszek,  Borsa,  Suliguli. 

38.  Comitat  Sud-Bihar:  Grosswardein    (Nagy-Varad,  25.000),    Bihar, 
Margitta,  Bel£nyes,  Rdz-Banya,  Nagy  Szalonta,  Sarkad. 

39.  Comitat  No  rd-Bihar:  D  ebrecz  en  (40.000).  Did  szeg,  Pusp6k-Ladany, 
Nadudvar,  B6szBrm«ny,  Szoboszld,  Nanas,  Dorog. 

40.  Comitat  Arad:  Arad    (28.700),    P6cska,    Menes,    Vilagos,    Magyarat. 
Dczna. 

41.  Comitat  B^k^s-  Csanad:  Gyula  (16000),  Be'k^s.  Szarvas,  Oroshaza, 
MezSbereny,  Csanad,  Nagylak,  Szeghalom,  Makd. 

42.  Comitat  Szabolcs:  Na  gy  -  Kail  d  (6000),  Nyiregyhaza,  Nyir-Bator. 

43.  Comitat    Szatmar:    Szatmar    (15.000),    Nagy-Banya ,    FelsO-Banya. 
Nagy-Karoly,  Ecsed. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  Ungarns  sind  iiber  85%  produktiver 
Boden,  wovon  45%  (an  1012  QMeilen)  auf  Aecker,  30%  auf  Wal- 
dungen,  14°/0  auf  Weiden,  8%  aufWiesen  und  an  3%  (=  43QM.) 
auf  Weingarten  entfallen. 

Die  Landwirthschaft  wird  in  neuerer  Zeit  besonders  auf  den 
grossen  Grundkomplexen  weit  rationeller  betrieben  als  ehemals.  Die 
Produktion  iibersteigt  jederzeit  den  heimischen  Bedarf,  daher  gelan- 
gen  ansehnliche  Quantitaten  zum  Export.  Die  eigentlichen  Getreide- 
diatrikte  sind  die  beiden  Tiefebenen,  und  ganz  vorzuglich  die  grosse 
Ebene  jenseits  der  Theiss  ;  der  Flugsand  an  der  Donau  und  Theiss 
sowie  die  haufigen  Ueberschwemmungen  sind  hingegen  Hindernisse 
des  Getreidebaues.  Die  grossten  Quantitaten  erzeugt  das  Land  an 
Hafer,  danu  Gerste ,  Roggen ,  Mais  und  Weizen.  Der  Weizen 
widr  am  starksten  in  jenen  Gegenden  angebaut,  wo  geregelte  Ver- 
kehrsverbindungen  den  Absatz  erleichtern;  von  vorzuglicher  Quali- 
tat  ist  die  Frucht  aus  der  Umgebung  von  Miskolcz  und  Arad ;  das 
Arader-Mehl  ist  ein  sehr  geschatzter  Artikel.  Der  Roggen 
wird  iiberwiegend  von  den  Slawen  in  den  nordlichen  Theilen,  in  ^ge- 
ringerem  Grade  jedoch  uberall  in  Ungarn  angebaut;  das  gleiche 
Verhaltniss  findet  bei  Hirse  und  Buchweizen  Statt.  Die 
Gerste  wird  bedeutend  starker  angebaut,  sowohl  zur  menschlichen 


169 

Nabrung  als  zur  Bierbrauerei  und  das  Gerstenstroh  als  Viebfutter 
verwendet.  Die  Produktion  des  Ha f era  ist  am  starksten  in  den 
nordlichen  armeren  Comitaten  (Arva,  Trencsin),  aber  auch  im  Siiden 
von  beachtenswerther  Menge ;  viel  davon  wird  exportirt.  Der  unga- 
rische  Mais  ist  vorziiglich,  dessen  Produktion  sehr  gross,  insbe- 
sondere  im  ostlichen  und  siidlichen  Theile;  im  Innern  des  Landes 
wird  davon  auch  viel  zur  Viehmast  verwendet. 

Unter  den  Handelspflanzen  nimmt  der  Tabak  den  ersten 
Rang  ein  und  wird  die  Produktion  fiber  l/2  Million  Zentner  berech- 
net.  Im  Jabre  1851  war  die  Tabakpflanzung  auf  etwas  iiber  31.000 
Joch  beschrankt,  im  Jahre  1858  war  sie  bereits  auf  133.000  Joch 
gestiegea.  Dieser  Aufschwung  wurde  durch  die  Aufmunterung  und 
Unterstutzung  der  Regierung  erzielt,  welcbe  den  Pflanzern  Geldvor- 
schiisse  machte  und  deren  Streben  dahin  ging,  nicht  nur  das  zur 
Deckung  des  Staatsbedarfes  erforderliche  Quantum  zu  erzeugen, 
sondern  auch  einen  Absatz  nach  demAuslande  eicherzustellen.  Die 
besten  Qualitaten  liefern  die  Komitate  Oedenburg  (Lettinger) ,  He- 
ves,  Neograd,  Komorn,  Eisenburg  u.  s.  w.  Hopfen  wird  bei  der 
gesteigerten  Bierkonsumtion  aus  Bohmen  eingefiihrt,  da  dessen  An- 
hau  nur  in  wenig  Komitaten  landwirthschaftlich  betrieben  wird.  Der 
Hanf  kommt  in  grosser  Menge  und  in  guter  Qualitat  in  den  siidlichen 
Landestheilen  vor,  die  Fl  ach  s  kultur  ist  dagegen  mit  geringen  Aus- 
nahmen  (darunter  die  Zips  und  einzelne  Gegenden  der  Komitate  Arva, 
Turocz ,  Liptau,  Marmaros  und  Eisenburg)  nicht  befriedigend.  Der 
Anbau  von  Reps  ist  im  Steigen,  decsgleichen  von  Runkelriiben. 
Das  Land  ist  weiters  reich  an  Farbpflanzen,  an  Zwiebelgewachsen, 
Melonen,  Kiirbissen,  Hiilsenfriichten  u.  s.  w.  Die  Obstkultur,  ob- 
wohl  gegenwartig  im  erfreulichen  Aufschwunge,  steht  doch  nicht  auf 
jener  Stufe,  zu  der  sie  durch  Klima  und  Boden  befahigt  ist.  In  den 
Handel  kommt  das  Oedenburger  Obst,  bekannt  ist  jenes  aus  Gomor, 
dann  die  ,,Brunner  Zwetschke"  aus  den  deutschen  Kolonien  der  nie- 
deren  Karpathen. 

Dieses  an  alien  Naturprodukten  so  reich  gesegnete  Kronland 
ist  relativ  auch  das  erste  Weinland  der  Erde,  denn  in 
Hinsicht  der  Qualitat  wird  es  von  keinem  Lande,  hinsicht- 
lich  der  Quantitat  nur  von  F  rankr  eic  h  ubertroffen.  Den 
ersten  Rang  nimmt  der  auf  der  Hegyallya  auf  5  QMeilen  wach- 
sende  Tokajer  ein  ;  weiters  sind  der  Menescber,  Ruster,  Ofner,  Er- 
lauer,  Visontaer,  Villanyer,  Schomlauer,  Szekszarder ,  St.  Georg- 
ner  u.  s.  w.  als  vorzugliche  Weine  bekannt.  —  Die  Weinkultur  Un- 
sarns  ist  ubrigens  noch  einer  sehr  grossen  Vervollkommnung  fahig. 
In  der  That  ist  der  Wein  Oesterreichs  ein  Artikel ,  welcher  mit 
Siegeszuversicht  den  Weltmarkt  betreten  kann  und  keine  Konkur- 
renz  zu  scheuen  braucht. 

Die  W  aid  kultur  befindet  sich  nicht  in  wunschenswerthem 
Zustande,  auch  ist  der  Waldboden  ungleich  vertheilt,  indem  sich 
die  waldigen  Berghohen  langs  der  Grenzen  hinziehen,  zwar  einzelne 
Zweige,  namentlich  im  nordlichen  und  westlichen  Theile,  in  das 
Land  hineinsenden ;  allein  im  Inneren  des  Landes,  in  den  Tiefebe- 
nen  herrscht  empfindlicher  Holzmangel.  Zudem  eind  die  nooh  unge- 


170 

nugenden  Kommunikationsverbindungen  des  Landes  ein  Hinderniss, 
um  diese  Gegensatze  auszugleichen,  und  fur  Waldanlagen  ist  man 
bis  jetzt  noch  wenig  thatig  gewesen. 

Trotz  der  grossen  als  Weide  beniitzten  Flachen,  welche  das 
Wiesland  fast  um  das  Doppelte  ubersteigen,  bietet  das  Land 
doch  einen  reichen  Viehstaud,  und  bildet  dieser  einen  eintrag- 
lichen  Handelsartikel  Ungarns.  Das  Hornvieh,  die  mitunter  hoch- 
veredelten  Schafe  und  dauerhaften  Pferde  werden  in  denEbenen 
gezogen;  in  den  fruchtbareren  Gegenden  kommt  das  ungarische 
Zackelschaf,  in  den  sumpfigen  Landstrichen  und  in  den  grossen 
Eichenwaldern  der  Baranya,  des  Zalaer,  Arader,  BiharerKomitates, 
im  Bakonywalde  13.  s.  w.  das  Borstenvieh  in  ungeheuerer  Menge 
vor.  Auch  die  Zucht  der  Ziegen  und  des  Geflugels  ist  sehr  ausge- 
breitet;  dagegen  jene  der  Bienen  von  relativ  untergeordneter  Be- 
deutung  und  jene  der  Seidenraupe  erst  im  Entstehen.  Auch  die 
Blutegel  bilden  einen  namhaften  Exportartikel  nach  Deutsch- 
land,  der  Schweiz,  Frankreich  und  England.  Ungarn  besitzt  die  Be- 
dingungen  fur  eine  grossartige  Entwickelung  der  Viehzucht  und 
konnte  dahin  gebracht  werden,  den  noch  mangelnden  Bedarf  der 
Monarchic,  wofur  gegenwartig  an  10  Millionen  Gulden  an  dasAus- 
land  bezahlt  werden ,  vollstandig  zu  decken.  —  Die  Jagd  bietet 
ebenso  mannigfaltige  und  reiche  Ausbeute  als  der  Fischfang.  In  letz- 
terer  Beziehung  sind  die  fischreiche  Theiss,  die  Donau,  der  Poprad 
(Forellen  und  Lachse)  und  der  Plattensee  besonders  bekannt.  Der 
reiche  Segen  an  fast  alien  Naturalien  Ungarns  kann  jahrlich  auf 
wenigstens  600  Millionen  Gulden  bewerthet  werden. 

Bergbau.  Ungarn  ist  ebenso  durch  die  Mannigfaltigkeit  an 
Mineralien  uberhaupt,  als  durch  deren  Menge  und  die  Qualitat  der 
edlen  Metalle  ausgezeichnet.  Das  Gold  kommt  hier  meist  mit  Sil- 
ber  vermengt  vor.  Die  reichhaltigsten  Goldgruben  sind  zu  Schem- 
nitz,  Kremnitz,  Nagybanya,  Neusohl,  welche  nebst  den  geringen 
Goldwaschereien  im  Jahre  1855  an  1587  Mark  (a  385  fl.  Oe.  W.) 
liefertQn ;  die  Silbergewinnung  belief  sich  im  genannten  Jahre 
nahe  an  53.900  Mark  (a  25  fl.  20  kr.  6.  W.),  welches  in  den  erwahn- 
ten  Goldbergwerken,  dann  in  Schmollnitz,  Kapnik  etc.  zu  Tage  ge- 
fordert  wurde.  Die  Ausbeute  an  Kupfer  (vorziiglich  im  Schmoll- 
nitzer  Distrikt ,  dann  bei  Neudorf,  Szlovenka  etc.)  ist  so  ergiebig 
wie  in  keinem  anderen  Kronlande,  denn  sie  betrug  mehr  als  32.000 
Zentner.  —  E  i  s  e  n  wird  am  meisten  im  Gomorer-  und  im  Zipser- 
Komitate  (an  160.000  Zentner),  dann  in  der  Gegend  um  Kaschau, 
Torna,  Saros,  Zemplin,  so  wie  im  Liptauer-  und  Sohler-Komitate 
gewonnen ;  doch  steht  es  in  der  Qualitat  dem  steirischen  nach. 
Stein  salz  liefert  das  Marmaroser-  (uber  I1/*  Million  Zentner) 
Kochsalz  das  Saroser-  (nahe  an  200.000  Zentner)  Komitat.  Soda, 
Glaubersalz ,  Salpeter,  Alaun  u.  s.  w.  kommen  in  erheblichen  Men- 
gen  in  den  Handel.  —  An  Steinkohlen  betrug  die  Ausbeute 
(1855)  nahe  an  3  V2  Million  Zentner,  insbesondere  kommt  die  Braun- 
kohle  sehr  haufig  und  in  grosser  Machtigkeit  vor. 

Die  Neugestaltung  unseres  Vaterlandes ,  das  Vorwartsstreben 
auf  dem  Gebiete  der  materiellen  Entwickelung  macht  verhaltniss- 


171 

massig  in  keinem  Kronlande  so  grosse  Fortschritte  als  in  Ungarn, 
wo  von  Jahr  zu  Jahr  die  Herrscherin  unseres  Jahrhunderts  —  die 
Industrie  —  neue  Distrikte  sich  erobert  und  ihr  Reich  im  raschen 
Siegesfluge  vergrossert.  Allerdings  hat  die  Natur  hierzu  viele  na- 
turliche  Grundlagen  geboten;  allein  die  Regierung  hat  durch  Hin- 
wegraumung  so  vieler  Hindernisse,  welche  fruher  den  industriellen 
Aufschwung  hemniten,  eigentlich  den  machtigsten  Anstoss  gegeben, 
die  reichen  Naturschatze  zu  heben  und  sie  hoher  zu  verwerthen. 
Dessenungeachtet  deckt  die  ungarische  Industrie  bis  jetzt  noch 
lange  nicht  den  Bedarf,  denn  sie  ist  erst  auf  einzelne  Gegen- 
den  und  auf  verhaltnissmassig  wenige  Fabriken  beschrankt.  Die  rei- 
chen Geldmittel,  der  sichtliche  Wetteifer  zwischen  dem  Adel  und  den 
Stadten,  die  rasche  Errichtung  zahlreicher  technischer  Anstalten 
sichern  dem  Lande  auch  auf  diesem  Gebiete  eine  grosse  Zukunft. 

Betrachtet  man  die  gewerbliche  und  industrielle  Thatigkeit 
nach  deren  geograp  hi  sch  e  r  Verbreitung  in  Ungarn,  so 
kann  man  folgende  Gebiete  hervorheben:  Ober-Ungarn  ist  ver- 
haltnissmassig reich  an  gewerblichen  Unternehmungen.  Im  ehemali- 
gen  Pressburger  Verwaltungsgebiete  sind  das  Neograder  und 
das  Neutraer  Komitat  beachtenswerth,  wo  Garbereien  und  Tuch- 
webereien,  Runkelriibenzucker-  und  Glasfabriken  bestehen;  auch  die 
Handweberei  und  Leinenweberei,  obwohl  iiberwiegend  als  hausliche 
Nebenbeschaftigung,  werden  ziemlich  lebhaft  betrieben.  Das  friihere 
Oed  en  burger  Verwaltungsgebiet  hat  die  meiste  Riibenzucker- 
fabrikation  in  Ungarn,  ausserdem  Rosoglio-,  Spiritus-  und  Brannt- 
weinbrennereien,  Bierbrauereien  und  Eisenwerke;  —  die  grossarti- 
gen  Schmieden  liefern  vorziigliche  Ackergerathe. 

Im  mittleren  Ungarn  nimmt  nur  Peet  eine  bemerkenswerthe 
Stellung  sowohl  in  Bezug  auf  das  niedere  Gewerbewesen  als  auf 
die  Fabriksindustrie  ein.  Dampfmuhlen,  die  Erzeugung  von  Seiden- 
und  Baumwollwaaren,  Kerzen,  Leder,  Maschinen ,  dann  chemische 
Produkte  u.  s.  w.  sind  gut  vertreten;  auf  dem  Flachlande  ist  ein 
Aufschwung  im  Gewerbewesen  kaum  merkbar.  Die  Alt-Ofner  Do- 
nauschiffswerfte  ist  bestens  bekannt. 

Im  ostlichen  Theile  Ungarns  ist  die  technische  Kultur  imGan- 
zen  minder  vorgeschritten  als  im  westlichen.  Die  niederen  Gewerbe 
beschaftigen  sich  fast  ausschliesslich  nur  mit  Artikeln,  welche  fur 
den  taglichen  Bedarf  unumg'anglich  nothig  sind.  Die  relativ  gerin- 
gere  Kulturstufe  der  Bevolkerung  kennt  noch  wenig  hohere  Bediirf- 
nisse ;  desshalb  sind  diese  Erzeugnisse  mehr  durch  ihre  M  e  n  g  e  , 
als  wegen  der  technischen  Vollkommenheit  bemerkenswerth.  Fabriks- 
massig  werden  im  Grosswardein  er  Distrikte  Eisenwerke,  Oel- 
miihlen  ,  Spiritusbrennereien  betrieben ;  erheblich  sind  die  Dampf- 
und  Kunstmiihlen,  Bierbrauereien  und  die  Fabrikation  von  Glas, 
Seife,  ordinaren  Thon waaren,  Lederarbeiten  u.  dgl.  —  ImKaschauer 
Gebiete  gehoren  in  den  Rang  der  hoheren  industriellen  Unterneh- 
mungen nur  die  vielen  (178)  Eisenwerke,  einzelne  Steingut- 
und  Porzellan-Fabriken  und  jene  fur  Glas  und  Papier.  Der 
wichtigste  Gewerbszweig  ist  unstreitig  die  Eisenindustrie,  na- 
mentlich  im  Gomorer  und  Zipser  Komitate.  An  diese  schliesst 


172 

sich  zunachst  nach  ihrer  relativen  Wichtigkeit  die  Erzeugung  ge- 
brannter  Fliissigkeiten  an.  Die  Zahl  der  Branntweinbrennereien 
belief  sich  im  Jahre  1858  auf  nahe  4000,  und  wird  dieser  Industrie- 
zweig  hauptsachlich  im  Interesse  der  Landwirthschaft  betrieben.  Die 
Biererzeugung  ist  in  der  Zunahme  begriffen;  von  Riiben- 
zuckerfabriken  besteht  nur  eine  in  Kaschau,  welche  im  Jahre 
1858  an  26.000  Zentner  Riiben  verarbeitete.  Das  Kleingewerbe  sorgt 
fiir  die  gewohnlichen  Bediirfnisse. 

Im  Allgemeinen  wird  die  Verarbeitung  der  Rohstoffe  ii  b  e  r- 
wiegend  gewerbsmassig  betrieben;  die  Zahl  der  Fabriken 
(wovon  relativ  die  meisten  auf  das  vormalige  Kaschauer  Verwaltungs- 
gebiet  kommen),  ist  verhaltnissmassig  geringe.  Auch  die  Zahl  der 
in  Verwendung  stehenden  Dampfmaschinen  ist  relativ  eine  geringe; 
doch  werden  hierin  von  Jahr  zu  Jahr  riesige  Fortschritte  gemacht. 
Von  den  Gewerben  kommt  die  grosste  Anzahl  auf  den  Dislrikt 
Oedenburg,  dann  Pest-Ofen,  Pressburg;  in  Kaschau  ist  deren  An- 
zahl schon  geringer  und  am  kleinsten  ist  sie  im  Grosswardeiner 
Gebiete.  Die  Hauptsitze  gewerblicher  Thatigkeit  sind  sonach  im 
Norden  und  Westen  des  Landes;  die  Ausbreitung  nach  Osten  und 
Siiden  geht  in  Bezug  auf  die  Anzahl  der  industriellen  Unterneh- 
mungen  Jangsam  vorwarts,  dagegen  werden  die  neuen  Etablissements 
grosstentheils  im  grossartigen  Umfange  und  nach  den  neuesten  Sy- 
stemen  angelegt.  Die  Industrie  gewinnt  sonach  inUngarn 
sowohl  an  Umfang  als  an  Ausdehnung. 

Betrachtet  man  die  Industrie  Ungarns  nach  den  verschiedenen  Zwei- 
gen,  so  findet  man,  dass  die  Lcderb  erei  tung  relativ  am  ausgedehntesten  betrieben 
wird.  GrSssere  Fabriken  bestehen  zu  Buda-Pest,  Erlau,  Eisenstadt,  Finta  (C.  Saros), 
grossere  Garbereien  zu  Funfkirchen,  Oedenburg,  Raab,  Pressburg,  Pest,  Debreczin, 
Grosswardein,  Kaschau,  in  den  Comitaten  Gomor  und  Neutra.  —  Die  Leinen- 
weberei  hat  ihren  Hauptsitz  in  Nordungarn,  vorzuglich  in  den  Comitaten  Zips,  Saros. 
Arva,  Trencsin,  Thurocz,  Zemplin,  Sohl,  Liptau,  Marmaros;  in  Pinkafeld  (an  der 
steirischen  Grenze)  Battist ;  auch  die  Kunstweberei,  Farberei  und  Druckerei  beginnen 
sich  anszubreiten.  • — •  Die  Industrie  in  Schafwollwaaren  berfihrt  Ungarn  wegen 
der  erheblichen  Menge  des  Rohproduktes,  welche  dieses  Land  produzirt,  sehr  nahe. 
Ungarn  erzeugt  viel  und  darunter  ausgezeichnete  Wolle,  und  diese  nurwuchsigeu  In- 
dustrie kann  noch  hohen  Aufschwung  uehmen.  Industrielle  Etablissements,  welche 
sich  mil  der  Erzeugung  von  Schafwollstoffen  befassen,  bestehen  fast  gar  nicht.  Da- 
gegen ist  der  Pester  Platz  fur  diese  Artikel  in  kommerzieller  Beziehung  von  Be- 
dentung,  indem  der  Umsatz  von  inlandischen  Tuchwaaren  und  HosenstoiFen  auf 
4 — 5  Millionen,  in  anderen  Scbafwollwaaren  auf  das  Zwei-  bis  Dreifache  geschatzt 
wird.  Briinn  nimmt  hierbei  einen  ehrenvollen  Platz  ein.  Zu  Skalitz,  Zay-Ugrocz, 
Gacs  bestehen  Tuchfabriken;  langs  der  Grenze  gegen  Steiermark,  Oesterreich, 
Mahren,  Schlesien  und  Galizien  wohnen  Tuchnoaeher  in  grosser  Anzahl,  welche  je- 
doch  uberwiegend  nur  die  gewOhnlichen  ordinaren  Tuche  fur  den  Hansbedarf  liefern. 
—  Die  Ei  sen  Industrie  ist  am  starksten  in  Nordungarn,  irn  GomOrer  Comitate  ver- 
rrsten,  wo  bedeutende  Walzwerke  und  Giessereien  bestehen  ;  Maschinen  werden  in 
Buda-Pdst  und  Munkacs,  Rails  in  Rohnitz,  Brzova  tind  Pohorella,  sehr  gater  Stahl 
in  DiosgySr  verfertiget.  Beachtung  verdienen  die  Kupferwaaren,  die  chemischen 
Produkte,  die  Fabriken  fur  Tabak,  Pnlver,  die  Oel-  und  Dampfmiihlen,  die  Seifen- 
siedereien  von  Debreczin,  Szegelin,  Ketskemet  nnd  Kumanien;  —  die  vielen  Glas- 
hiitten  und  PapiermQhlen  im  Norden,  die  Ziegelbrennereien  bei  Pest  nnd  die  Erzeugung 
von  gebrannten  Fliissigkciten.  Im  Steigen  sind  die  Rubenzuckerfabriken;  anch  die 
Baumwolle  kommt  zur  Galtung.  Im  Sohler  Comitate  (Bries)  und  im  Liptauer  bildet 
die  Kasebereitung  einen  nambtften  Erwerbszweig. 

Ungarn  besitzt  die  Vorbedingungen  fur  die  Entwickelung  eines 
schwunghaften  Handels  sowohl  fiir  den  Verkehr  imlnnern 


173 

als  nach  den  Nachbarlandern.  Die  mannigfache  Verschiedenheit  in 
der  Lebeneweise  und  Gesittung  der  Bewohner  des  Landes  bedingt 
einen  lebhaften  wechselseitigen  Austausch.  Der  Uebcrfluss  an  Roh- 
produkten  und  der  Mangel  an  Industrie-Erzeugniesen,  welche  iiber 
den  nothdiirftigsten  Bedarf  reicben,  veranlassen  den  Handel  mit  den 
Nachbarprovinzen,  welche  aus  Ungarn  Getreide,  Mehl,  Wein,  Thiere 
und  thierische  Produkte  beziehen,  und  dagegen  Colonial-,  Baum- 
woll-,  Schafwoll-,  Seiden-  und  Eisenvvaaren,  sowie  Leinen,  Luxus- 
und  Modeartikel  dorthin  importiren.  Der  Haupthandel  konzentrirt 
sich  auf  den  vielen  Jahrmarkten,  welche  in  mehr  als  900  Ortschaf- 
ten  gehalten  werden  und  worunter  die  Markte  von  Pest,  Debreczin, 
Alt-Arad  und  Szegedin  den  ersten  Rang  einnehmen.  Auf  die^en 
grossen  Markten  ist  eine  erhebliche  Konkurrenz  verechiedener  Waa- 
ren  bemerkbar,  wahrend  fiir  den  Absatz  der  einzelnen  nationalen 
Produkte  einzelne  Platze  dienen.  Hieher  gehoren  unter  anderen  die 
Viehmarkte  in  Pes*,  Waitzen,  Kecskemet,  Debreczin,  Arad,  Oeden- 
burg ;  —  die  Pferdemarkte  in  Raab,  Debreczin,  Stuhlweissenburg; 
die  Schweinemarkte  in  Oedenburg ,  Gross-Kaniza,  Debreczin,  die 
Wollmarkte  in  Pest,  Losoncz,  die  Tuchmarkte  in  Tyrnau  ;  von  be- 
sonderer  Bedeutung  sind  die  grossen  und  vielen  Getreidemarkte, 
als  in:  Debreczin,  Kaschau,  Miskolcz,  Nagy-Kanizsa,  Wieselburg, 
Szegedin,  Raab  u.  a.  w. 

Jedes  der  vormaligen  Vemaltnngsgebiete  hat  gewisse  Eigenthumlichkeiten  in 
Hinsicht  der  Handelsartikel  nnd  der  Richtung  des  Verkchrs.  Im  Pressburger 
Distrikte  betreiben  Tyrnau  und  das  Trencsiner  Comilat  einen  ansehnlichen  Export- 
handel  mit  gedOrrten  Zwetschken,  das  Thuroczer  und  Liptauer  Comitat  mit  alien 
Arten  Holz,  das  Sohler  Comitat  exportirt  viel  Brinsenkase. 

Im  Oedenburger  Bezirk  bilden  der  Kornerfriichten-  und  der  We  in- 
hand  el  die  bedeutendsten  Zweige  des  Verkehrs.  Fur  ersteren  ist  Wieselburg 
das  Entrepot  fast  aller  bedeutenden  Fmchtenhandler  Ungarns,  der  Bacska  und  ties 
Banates,  und  der  Umsatz  auf  diesem  Platze,  der  zu  den  Fruchtplatzen  ersten  Ranges 
in  Oesterreich  gehGrt,  belauft  .-ich  zwischen  4  bis  7  Millionen  Metzen.  Auch  der 
Raaber  Platz  erhalt  seine  Getreidezufuhren  von  der  Donau  aus  dem  Banate  und 
der  Umsatz  ist  beilanfig  2  Millionen  Metzen.  Der  Viehhandel  konzentrirt  sich  in 
Oedenburg.  Der  ehemals  starke  Transitohandel  hat  bedeulend  abgenommen,  dage- 
gen wird  in  Oedenburg  der  Hausirhandel  sehr  stark  betrieben. 

Im  Pest-Ofner  Distrikte  kon/entrirt  sich  fast  der  gauze  Handel  in  Pest, 
welches  fur  den  Handel  eine  so  gunstige  Lage  hat,  wie  vielleicht  keine  Stadt  der 
Monarchic,  Pest  ist  der  naturliche  VermiUlungspunkt  fur  den  Handel  zwiechen  den 
Hafenplatzen  des  schwarzen  Meeres  nnd  der  Donaulander  mit  dem  industritllen 
Westen  und  Nordwesten  der  Monarchie.  Die  Pester  Jahrmarkte  gehOren  zu  den 
besuchtesten  der  Monarchie  und  der  jedesmalige  Verkehr  belauft  sich  auf  mehrere 
Millionen  Gulden.  In  der  Aasdehnung  und  dem  Aufschwunge  des  Handels  liegt 
die  Gr6sse  und  Bedeutnng,  die  Zuknnft  dieser  Stadt.  Unter  den  flbrigen  Stadten 
dieses  Bezirkes,  welche  Handel  mit  Rohprodukten  betreiben,  ist  nnr  noch  Miskolcz 
erwahnenswerth. 

Im  Gross  ward  ei  ner  Distrikte  wird  der  Handel  in  Schafwolle,  Fedcrn, 
Lammfellen,  in  Getreide,  Tabak,  dann  mit  Pferden,  Hornvieh  und  Schweinen  lebhaft 
betritben.  Die  Tier  Debrecziner  Jahrmarkte  werden  aus  alltn  Theilen  von  Ungarn 
und  Siebenburgen,  ja  selbst  aus  dem  Aushmdc  stark  besucht  und  ist  der  Verkehr 
anf  denselben  ein  sehr  bedeutender,  nicht  nur  in  Hornvieh,  Pferden  und  Schweinen, 
sondern  auch  in  den  Erzengnissen  der  mannigfaltigen  Industrie  von  Debreczin  (wolene 
Zeuge,  Mantel,  Miitzen,  Csizmen,  Schafpelze,  thonerne  Tabakspfeifen  u.  s.  w.).  Be- 
rilhmt  sind  die  Soda-Seife  und  der  Debiecziner  Tabak.  Auch  der  Fischhandel  ist 
von  Belang,  da  die  aus  der  Tbeiss  urid  Maros  gewonnenen  Fische  an  der  Luft  ge- 
trocknet,  in  grosser  Menge  in  den  Handel  kommen. 

Der  Handel  im  Kaschauer  Distrikte   umfasst    ebenfalls    vorwiegcnd  die  Er- 


174 

zeugnisse  der  Bodenwirthschaft,  worunter  sowohl  das  Gctreidc  als  die  Hamlelspflan- 
zen,  noch  mehr  aber  Holz  und  die  oberungarischen  Weine  ansehnlicben  Absatz  fin- 
den  ;  —  auch  die  Erzeugnisse  der  Metallindustrie  bilden  eincn  erwahnenswerthen 
Handelsartikel. 

Von  nicht  geringerer  Wichtigkeit  als  der  innere  Handel  ist 
jener  mit  den  Nachbarlandern.  Seit  dem  Auflassen  der  Zoll- 
schranken  gegenuber  den  westlichen  Kronlandern  (im  J.  1851)  und 
der  grossen  Energie,  mit  welcher  an  Kommunikationsverbindungen 
durch  die  Ervveiterung  der  Schiffahrt  *),  die  Regulirung  der  Fliisse, 
den  Bau  der  Eisenbahnen,  die  Verbesserung  der  Landstrassen  und 
Gemeindewege  u.  s.  f.  gearbeitet  wird,  —  ist  der  Verkehr  stets  im 
Steigen  und  er  sichert  dem  Lande  eine  erfreuliche  Zukunft. 

§.  98.  Das  Grossforstenthum  Siebenbiirgcn. 

1102  GMeilen;  —  2,172750  (relativ  1971)  Einwohner,  —  davon  fiber  230.000 
Katholiken,  fiber  1,3000.000  Griechen  (die  grOssere  Halfte  unirte  Griechen), 
fiber  '/i  Million  Protestanten  (etwa  %  A.  C.  and  iiber  */»  H.  C.),  dann  Uni- 
tarier,  Israeliten;  —  nach  der  Nationalitat  fiber  1,200.000  Roman  en,  etwa  540.000 
Magyaren,  200.000  Deutsche,  80.000  Zigeuner,  dann  Armenier,  Bulgaren,  Friauler, 
Juden.  —  Grenzen:  im  N.  Ungarn  und  die  Bukowina,  —  im  0.  die  Tfirkei(Mol. 
dau),  —  im  S.  die  Turkei  (Walachei),  —  im  W.  die  Militargrenze,  das  Banat,  Ungarn. 

Boden.  Siebenbiirgen  ist  ein  Hochland.  Die  in  Gestalt  eines 
unregelmassigen  Viereckes  emporgehobene,  nur  im  Nordosten  der 
Theissquellen  mit  dem  karpathischen  Waldgebirge  zusammenhan- 
gende  Bergmasse  ist  von  4 — 6000'  hohen  Randgebirgen  umschlossen, 
welche  im  Osten  die  SiebenbQrger  Karpathen  genannt  wer- 
den.  Der  grossartige  sudliche  Hohenzug  heisst  das  Fogaraser- 
Gebirge  (ostlich  der  Aluta  das  Slaragascher-,  westlich  das  Hatsze- 
ger-Gebirge) ;  —  am  Nordrande  zieht  das  Nagy-Banya  und  das 
Bukk-Gebirge,  am  Westrande  das  siebenburgische  Erzge- 
birge  (das  Reuss-Gebirge,  der  Bihar).  Im  Innern  des  Landes  strei- 
chen  zahlreiche  Berggrnppen  und  Hiigelreihen,  unter  denen  die  zwei 
bedeutendsten,  von  Nordosten  nach  Sudwesten  streichenden  die  drei 
Hauptflussgebiete  des  Landes  abgrenzen.  Der  Boden  ist  nirgends 
eine  weit  ausgedehnte  Hochebene,  sondern  uberall  von  Thalern  mit 
vorherrscherid  westlicher  Richtung  durchschnitten.  Das  tiefstgelegene 
Thai  ist  das  der  Maros ,  hoher  liegt  das  Szamosthal ,  am  hochsten 
das  verhaltnissmassig  breiteste  Alt-  (oder  Aluta-)  Thai;  von  ziem- 
licher  Breite  sind  noch  das  Aranyos-,  Hatszeger-  und  Zibinthal, 
wahrend  die  Kokelthaler  schmaler  und  kiirzer  sind.  Eine  der  am 
meisten  ebenen  Gegenden  des  Landes  ist  die  Klausenburger 
aKampia"  oder  aMezose'g.u  Fiir  den  Verkehr  mit  den  Nach- 

*)  Die  Flussschiffahrt  in  Ungarn  umfasst  auf  der  Donan  und  deren  Neben- 
fliissen  552  grSssere  und  186  kleinere,  zusammen  738  Fahrzeuge.  Den  grOssten 
Schiffsverkebr  hat  Szegedin,  welches  allein  115  grossere  und  94  kleinere  Fahr- 
zeuge besitzt,  und  yermSge  seiner  glucklichen  geographischen  Lage  an  der  Miindung 
der  Maros  in  dem  getreidereichsten  Theil  Ungarns  diesen  Vorzug  auch  in  der  Folge 
behanpten  wird.  Den  zweiten  Rang  hinsichtlich  der  Anzahl  der  Schiffe  nimmt 
Raab  mit  73  ein,  dann  Sissek  mit  59,  Pest  mit  31  u.  s.  f.  Die  Baukosten  eines 
Ruderschiffes  grosster  Gattung  betragen  10—12.000  fl.,  kleiner  Art  etwa  2000— 3000  fl. 
1m  Jabre  1858  befSrderten  diese  Schiffe  7,680000  Metzen  Getreide.  in  welcher 
Ziffer  jedoch  der  Verkehr  auf  der  Save  und  Kulpa,  sowie  auf  der  Donaustrecke 
oberhalb  Pest  nicht  mit  inbcgriffen  ist. 


175 

barlandern  sind  die  Passe  von  Bedeutung.  Der  Pass  Rodna 
fiihrt  nach  der  Bukowina,  —  der  Borgo-,  Gymes-  und  Oj toe- 
Pass  nach  der  Moldau,  — -  der  TSrz  burger-,  Rothenthurm- 
und  Vulkan-Pass  nach  der  Walachei;  der  Pass  des  ei semen 
Thores  in  die  Militargrenze  (von  Hatszeg  nach  Karansebes). 

GewSsser.  Siebenburgen,  welches  von  zahlreichen,  vielver- 
zweigten  aber  diinnen  Wasseradern  durchzogen  wird,  gehort  zum 
Gebiete  der  Donau.  Am  wasserreichsten  ist  die  Maros,  welche  im 
ostlichen  Karpathenzuge  entspringt ,  im  grossen  Bogen  das  Land 
durchfliesst,  von  Karlsburg  an  schiffbar  ist  und  die  Aranyos,  die 
Kokel  (Ktikullo)  und  den  Miihlenbach  aufnimmt.  Die  Szamos 
entsteht  aus  der  Vereinigung  der  grossen  und  kleinen  Szamos  (bei 
De"e8),  wird  zum  Holzflossen  benutzt,  nimmt  zahlreiche  Bache  auf 
und  verlasst  in  nordwestlicher  Richtung  das  Land.  Die  A 1  u  t  a  (Alt) 
hat  ihren  Ursprung  in  der  Nahe  der  Maros-Quellen ;  sie  wird  we- 
der  zum  Flossen  noch  zur  Schiffahrt  benutzt  und  tritt  durch  den 
Rothenthurmpass  in  die  Walachei.  Auch  die  Kerb's  hat  zwei  ihrer 
Quellen  in  Siebenburgen.  —  Das  Land  hat  keine  nennenswerthen 
Seen  und  nur  wenige  kleine  Teiche;  dagegen  viele  Heil- 
quellen,  darunter  jene  von  Borsze'k  die  bekanntesten  sind.  In 
bedeutender  Menge  werden  auch  die  Sauerbrunnen  von  Rakos  und 
E 11  op  at  a  k  versendet;  letzter  Ort  erfreut  sich  zudem  eines  leb- 
haften  Besuches  von  Badegasten.  Auch  die  Bader  von  Thorda,  Salz- 
burg, Korond  u.  s.  w.  werden  besucht. 

Politische   Eintheilung.  Das  Grossfurstenthum  Siebenburgen 
wird  in    zehn  Kreise    eingetheilt.     Die  Landeshauptstadt  Hermann- 
stadt  ist  der  Statthalterei  unmittelbar  untergeordnet. 
Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Kreis    He  rmanns  tadt:    Hermannstadt   (Nagy    Szeben    18.600   E.), 
Schaseburg    (Segesvar),    Mediasch    (Medgyes),    Salzburg    (Viz-Alna),    Muhlenbach 
(Szasz-Sebes),  Olah-Pian,  Elisabeths  tadt  (Erzsebetvaros),  Reismarkt  (Szerdahely). 

2.  KreisBroos:  Broos  (Szaszvaros  5000),  Hatszeg,  D^va,  Gyalar,  Vajda- 
Hunyad,  Nagyag. 

3.  Kreis  Karlsburg:  Karlsbiirg  (Karoly-Fehervtir  12.000),    Abrndbanya 
(=-  Gross-Schlatten),  Zalatna  (=  Klein-Schlatten;,  V6r6spatak,  Offenbanya. 

4.  Kreis  Klausenburg:  K 1  a  u  s  e  n  b  u  r  g  (Kolosvar  25.000),  Torda  (=  Tho- 
renbnrg),  Toroczk<5,  Kolos. 

5.  Kreis  Szilagy -Somlyd:  Szilagy-Soml  yd  (3300),  Zilah  (—  Zillen- 
markt),  Tasnad. 

6.  Kreis  Dees:  Dees  (5500),  Szamos -TJjvar,  Oliih-Lapos,  Kapnik-Banya. 

7.  Kreis  Bistritz:  Bistritz  (7000),  Bodna,  Borgo,  Szasz-Regen. 

8.  Kreis    Ma  ros-Vasarhely:    Maros- Vasarhe  ly    (10.000),    Bonyha, 
Parajd. 

9.  Kreis  Udvarhely:  Ud var hely  (6000),  Bors«ek,  Gyergyd-Szent-Miklds, 
Csik-Szereda. 

10.  Kreis  Kronstadt:  Kronstadt  (Brasso'  32.000),  Zeiden  (Feketehalom), 
Fogaras,  Reps  (KOhalom),  Kezdi-Vasarhely,  Bereczk. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Von  der  Gesammtflache  dieses  Kronlandes  entfallen  nur  bei- 
laufig  76%  auf  produktiven  Boden ;  davon  gehoren  jedoch  43%  den 
Waldungen  und  12%  den  Weiden  an.  Dem  Ackerbau  sind  etwa 
216  QMeilen,  dem  Wiesen-  und  Gartenbau  nahezu  160  QMeilen 
und  dem  Weinbau  4.a  QMeilen  gewidmet.  Das  Bergland  weiset 


176 

herrliche  Laubwalder  mit  sanften  Abhangen,  welche  gut  bebaut  und 
mit  aufgedehnten  Rebenanlagen  geschmiickt  sind ;  in  den  wiesen- 
reichen  Thalern  stehen  Dorfer  mit  zahlreichen  Obstgarten  und  bie- 
ten  in  den  meisten  Landstrichen  ein  sehr  freundliches  Bild.  Die 
Fruchtbarkeit  des  Landes  ist  im  Ganzen  befriedigend,  obwohl  sehr 
verschieden  in  den  einzelnen  Landestheilen.  Zu  den  fruchtbarsten 
Gegenden  gehoren  das  Marosthal,  die  beiden  Kukullo-  (Kokel-) 
Thaler,  das  Szamos-Thal  und  die  Mezose'g.  Relativ  die  meisten 
aber  minder  fruchtbaren  Aecker  sind  im  Aluta-Thale,  auch  an  der 
Aranyos  ist  der  Ackerbau  bedeutend  mehr  ausgedehnt,  als  in  den 
beiden  Kokelthalern  ;  den  relativ  grossten  Ertrag  liefert  der  Acker- 
bau im  Maros-  und  Szamosthale.  Unter  alien  Kornerfruchten  nimmt 
der  Roggen  den  ersten  Rang  ein,  doch  werden  auch  Weizen,  Mais? 
und  Hafer  angebaut.  Gegeniiber  der  Ertragsfahigkeit  des  vorhande- 
nen  Ackerbodens  bleibt  in  Folge  der  mangelhaften  Bewirthschaf- 
tung  der  wirkliche  Ertrag  mitunter  um  50°/0  zuriick;  er  deckt  nur 
bei  gunstigen  Ernten  den  einheimischen  Bedarf,  in  gewohnlicheu 
Jahren  werden  namhafte  Mengen  von  Getreide  aus  den  Donaufiir- 
stenthiimern  und  dem  Banate  eingefiihrt.  In  Bezug  auf  die  laiid- 
wirth&chaftliehe  Produktion  lassen  sich  drei  geographische  Be- 
zirke  unterscheiden :  a)  daa  Weinland,  wozu  das  Szamosthal,  die 
beiden  unteren  Kokelthaler,  das  untere  Marosthal  und  zum  Theil 
die  Mezose'g  gehoren ;  Mediasch  und  Umgebung  stehen  an  der 
Spitze  der  Weiriproduktion  beziiglich  der  Quantitat  und  Qualitat  ; 
—  b)  der  Landstrich  mit  iiberwiegendem  Mais- und  Weizen bau, 
wozu  der  giosste  Theil  des  kultivirten  Landes  gerechnet  werden 
kann,  und  c)  das  Haferland  mit  theilweisein  Roggen-  aber  hochst 
sparlichem  Mais-  und  Weizenbau,  hauptsachlich  in  den  Gebirge- 
gegenden  an  den  Grenzen.  In  der  O  b  s  t  kultur ,  welche  sich  einer 
ziemlichen  Aus dehnung  erfreut,  sind  die  Pflaumen  im  Kreise  Broos 
(zur  Produktion  von  Slivoviz)  und  die  Kirsche  um  Hermannstadt  be- 
sonders  erwahnenswerth.  Tabak  gedeiht  am  besten  bei  Blasendorf 
(Balasfalva),  Fogaras  und  Maros-  Va*arhely ;  von  der  Gesammtpro- 
duktion  entfielen  (im  Jahre  1855)  etwa  86%  (d-  i-  21^0  Zentuer) 
auf  den  Kronstadter  Kreis  ;  —  Flachs  um  Kronsfadt,  Karlsburg 
und  Dees,  Hanf  im  Hermannstadter  Kreise  und  in  den  nordlichen 
Theilen ;  der  Anbau  des  Hop  fens,  fast  ausschliesslich  in  der  Um- 
gegend  von  Biatritz,  beschrankt  sich  auf  den  geringen  Lokalbedarf. 
Der  Ertrag  des  Graslandes  und  der  Wai  dung  en  ist  im  Ver- 
haltnisse  zu  der  grossen  Ausdehnung  ein  geringer. 

Der  Viehzucht  wird  iin  Allgemeinen  eine  grossere  Pflege  zu- 
gewendet,  als  der  Bodenkultur.  Die  Pferdezucht,  begiinstigt  duroh 
Naturverhaltnisse,  ist  besonders  bei  den  Deutschen  derart  ausgebil- 
det  ,  dass  das  Land  hierin  alien  ubrigen  Kronlandern  voransteht. 
Nicht  minder  ausgedehnt  wird  die  Rindviehzucht  (besonders 
im  Hermannstadter  Kreise)  betrieben,  am  liefsten  steht  sie  unter  den 
Szeklern.  Sehr  gross  ist  der  Reichthum  an  Schafen  (Zigaja-  mit 
krauser,  kurzer  und  feiner,  —  Zurkan-Schaf  mit  langer  aber  grober 
Wolle),  darunter  vielfach  veredelt.  Schafe  und  Rinder  uberwintern 
auf  den  Weiden  der  benachbarten  turkischen  Provinzen.  Leider  ist 


177 

auch  die  Ziegenzucht  noch  sehr  verbreitet.  Die  grossen  Buchen-  und 
Eichenwaldungen  begiinstigen  die  Sch  w  eine  zucht,  doch  wird  viel 
Borstenvieh  aus  den  Donaufurstenthiimern  eingetrieben,  um  den  Aus- 
trieb  nach  Ungarn ,  welcher  an  der  westlichen  Grenze  stattfindet, 
auszugleichen ;  —  in  der  Bienenzucht  ist  nur  der  Kronstadter  Be- 
zirk  bemerkbar.  Die  Seidenraupenzucht  und  die  Pflanzung  von 
Maulbeerbaumen  hat  im  Ganzen  noch  wenig  Fortschritte  gemacht. 
Die  Fischerei  deckt  nicht  den  grossen  Bedarf  der  Bevolkerung, 
es  werden  (jahrlich  an  6000  Zentner)  Donaufische  aus  den  Fiirsten- 
thiimern  importirt.  Siebenbiirgen  gehort  endlich  zu  den  wildreichsten 
Landern,  doch  bilden  hauptsachlich  nur  Hasen-  und  Fuchsfelle  einen 
ergiebigen  Handel  nach  der  Walachei. 

Der  Bergbau  liefert  die  grossten  Mengen  an  edlen  Metallen ; 
voran  steht  die  Goldgewinnung,  welche  (im  Jahre  1855)  3467 
Mark,  und  jene  von  Silber,  welche  7971  Mark  lieferte.  Die  wich- 
tigsten  Fundorte  von  Golderzen  sind  bei  Zalatna,  Abrudbanya,  Vo- 
rospatak,  Offenbdnya  und  Nagyag,  die  bedeutendsten  Goldwasche- 
reien  bei  Olah-Pian,  an  der  Maros,  Szamos  und  Aranyos.  Die  Aus- 
beute  an  Quecksilber  (135  Zentner),  Kupfer  (2364  Zentr.)  ist 
erheblich ;  dagegen  jene  von  Eisen  verhaltnissmassig  noch  geringe, 
obwohl  zunehmend;  auch  ziemlich  viel  Steinsalz  wird  im  Innern 
des  Landes  in  Vizakna  gewonnen.  Im  Jahre  1857  beschiiftigten  sich 
nahe  an  11.000  Personen  mit  dem  Bergbaue.  Die  Zahl  der  mon- 
tanistischen  Unternehmungen  belief  sich  auf  1323,  wovon  135  auf 
das  Aerar,  die  iibrigen  auf  Private  entfielen.  Gold-  und  Silber- 
unternehmungen  waren  1189,  Gruben  von  Eisenerzen  80,  Gru- 
ben  von  andern  Erzen  64  im  Gange.  Das  durch  diesen  Bergbau  in 
Anspruch  genommene  Bodenareal  nahm  einen  Flachenraum  von  fiber 
2.000  Jochen  ein  ,  und  der  Gesammtwerth  der  Montanerzeugnisse 
uberstieg  die  Summe  von  2T/4  Million  Gulden.  —  Dass  die  Aus- 
beute  an  fossiler  Kohle  noch  unbedeutend  ist,  kann  aus  der 
Grosse  des  Waldstandes  und  dem  Mangel  an  grosseren  industriel- 
len  Unternehmungen  erklart  werden  ;  doch  sind  bei  Kronstadt,  Her- 
mannstadt  und  Schassburg  Braunkohlen  flcitze  im  Betriebe. 

Die  Industrie  ist  trotz  der  in  den  letzten  Jahren  gemachten 
Fortschritte  noch  unbedeutend;  sie  beschrankt  sich  uberwiegend  nur 
auf  die  Befriedigung  der  geringen  Bediirfnisse  im  Lande,  und  kommt 
sowohl  in  Hinsicht  der  Industriezweige  als  der  geographischen  Ver- 
breitung  nur  sehr  vereinzelt  vor.  Dem  Werthe  nach  nimmt  die 
Ledererzeugung  (viel  Corduan),  von  den  Szeklern  betrieben,  den 
ersten  Rang  ein.  Unter  den  Sachsen  findet  man  die  Leinen-  und 
Schafwollweberei  haupteachlich  als  hausliche  Nebenbeschafti- 
gung ,  doch  kommen  auch  Fabrikate  von  Kronstadt,  Schassburg, 
Hermannstadt,  Heltau  u.  s.  w.  in  den  Handel.  Die  Baumwoll- 
weberei  beginnt  sich  zu  entwickeln,  besonders  bei  Schassburg.  Mit 
der  Eisenverarbeitung  bescbaftigen  sich  die  Hammerwerke  im 
»Lande  der  Ungarn."  Stearinkerzen  und  cheraische  Produkte  lie- 
fern  Hermannatadt  und  Kronstadt,  —  Holzwaaren  die  Gebirgsbe- 
wohner  im  Karlsburger  Distrikte,  —  Miihlsteine  koramen  aus  dem 
Retteger  Bezirke,  —  Rubenzucker  aus  Hermannstadt  und  Klausen- 

Klun's  Handcls-Geogrrapbie.    2.  Aufl.  J2 


178 

burg,  —  endlich  verdienen  Beachtung  einige  Papiermuhlen ,  Glas- 
hiitten,  Pottaschesiedereien ,  welche  auch  fur  den  Export  erzeugen, 
und  die  Branntweinbrennereien. 

Der  Handel  ist  im  Ganzen  von  keiner  besonderen  Bedeutung. 
Ira  Innern  wird  er  auf  mehr  als  500  Markten  betrieben,  unter  de- 
nen  jene  von  Kronstadt,  Hermannstadt,  Klausenburg  und  Szamos- 
Ujvar ,  die  Pferdemarkte  zu  Maros-Vasarhely  und  Szent-Szombat, 
der  Flachsuiarkt  zu  Mediasch  die  bedeutendsten  sind.  Zur  Ausfuhr 
gelangen  vorziiglich  Rohprodukte,  zur  Einfuhr  Manufakte ;  besonders 
Jebhaft  ist  der  Transithandel  nach  und  aus  der  Turkei.  Die  bedeu- 
tendste  Fabriks-  und  Handelsstadt  des  Landes  ist  Kron- 
etadt,  denn  der  Verkehr  dieser  Stadt  kann  jahrlich  mit  5 — 7  Mill. 
Gulden  bewerthet  werden.  Die  Schiffbarkeit  der  Maros ,  der  rege 
Eifer,  der  sich  bei  Verbesserung  und  Anlegung  der  Strassen  zeigt 
und  die  eeinerzeitige  Ausfiihrung  der  projektirten  Eisenbahnen  wer- 
den dem  Lande  einen  grossen  Aufschwung  geben. 

§.  99.  Das  Lomba r<l  i soli- Yen Hiari ist  lie  Ktinigreich*). 

456  QMeilen;  —  2,444.950  (relativ  5355)  Einwohner,  —fast  ausschliess- 
lich  Katho  liken  (nahezu  400  Protestanten,  5500  Israeli  ten);  —  nach  der  N  a- 
tionalitat  beilaufig  2  Millionen  Italiener,  350000  Friauler,  27.000  Slowenen, 
12.000  des  bairisch-alemannischen  Stammes  (7  Gemeinden  in  der  Provinz  Vicenza, 
13  in  der  Provinz  Verona  =  sette  und  tredici  comuni),  Juden.  —  Grenzen:  im. 
N.  Tirol,  Karnten,  —  im  0.  Karnten,  Kustenland,  das  adriatische  Meer  —  im  S. 
der  Kirchenstaat  und  Modena,  —  im  W.  die  Lombardei. 

Bodt'ii,  —  Den  nordlichen  Theil  des  Landes  durchziehen  vom 
Garda-See  bis  an  den  Isonzo  die  zu  den  siidli  chen  Kalkalpen 
gehorigen  Gruppen  der  venetianischen  und  karnischen  Alpen.  (Siehe 
S.  27,  Nr.  2  und  3.)  Am  Siidabhange  derselben  dehnt  sich  die 
venetianische  Tiefebene  aus,  welche  nur  durch  die  getrennten,  vul- 
kanischen  Hiigelgruppen  der  Berici'schen  und  Euganei'schen 
Hiigel  (jene  bei  Vicenza ,  diese  bei  Padua)  unterbrochen  ist.  Gegen 
die  Kiiste  zu  ist  das  Land  theils  von  Siimpfen,  theils  von  Gerolle, 
welches  die  Alpenfliisse  absetzen,  bedeckt. 

Gewasser.  —  Das  Land  ist  verhaltnissmassig  reich  an  flies- 
senden  Wassern  ,  welche  mit  starkem  Gefalle  aus  dem  Berglande 
in  die  Ebene  sturzen ,  viel  Gerolle  mit  sich  ftihren ,  dadurch  das 
Flussbett  erhohen  und  haufig  Ueberschwemmungen  verursachen. 
Mehrere  sorgfaltig  unterhaltene  Damme  bilden  kunstliche  Ufer  und 
gewahren  Schutz  gegen  Ueberschwemmungen.  Die  bedeutendsten 
Fliisse  sind:  die  Etsch,  welche  als  schiff barer  Fluss  das  Land 
betritt,  und  nach  einem  Laufe  von  26  Meilen  siidlich  von  Chioggia 

*)  Die  GrenzeimWesten  Venetiens  ist  in  folgender  Art  festgesetzt  wor- 
den:  Die  Grenzlinie  beginnt  im  Norden  des  Garda-Sees,  geht  mitten  durch  den  See, 
beschreibt  um  Peschiera  einen  Halbkreis  von  3500  Metres  (=  1845  Klafter)  Rayon- 
Weite,  erreicht  im  Siiden  den  Thalweg  des  Mincio,  den  sie  nur  beim  Eintritt  in  den 
obern  See  von  Mantua  verlasst,  und  wendet  sich  von  Le  Grazie  in  gerader  Linie 
gegen  Scorzarolo  und  Luzzara  am  Po.  Von  diesem  Punkte  (Luzzara)  aus  wurde  an 
der  vor  dem  Kriege  bestandenen  Begrenzung  nichts  geandert.  Von  der  Lom- 
bardei kommen  sonach  zu  Venedig  ausser  Peschiera  und  Mantua  ein 
Stuck  niirdlich  von  Mantua  mit  dem  Hauptorte  Roverbella,  das  Gebiet  des  untern 
Mincio  mit  Borgoforte  am  Po,  und  der  Landestheil  sfidlich  vom  Po  langs  der  mode- 
nesischen  Grenze  mit  den  grSsseren  Ortschaften  Gonzaga  und  Revere. 


179 

(bel  Porto  Fossone)  in  das  adriatische  Meer  miindet.  Der  Bac- 
chiglione  ist  zwischen  Vicenza  und  Padua  schiffbar;  seine  Ueber- 
schwemmungen  befruchten  die  Ebene  um  Padua,  wo  er  sich  in  3 
Arme  theilt.  Aus  dem  Val-Sugana  (in  Tyrol)  kommt  die  Brenta, 
welche  von  Campo  San  Martino  an  Schiffe  mit  600  Zentner  tragt, 
und  bei  Fusina  miindet.  Die  Piave  von  den  karnischen  Alpen 
wird  im  Unterlaufe  schiffbar  und  mundet  zwischen  sumpfigen  Ufern 
bei  Cortelazzo;  von  gleicher  Beschaffenheit  ist  die  Livenza,  der 
kurzeste  Kiistenfluss.  Der  grosste  Fluss  in  Friaul  ist  der  Ta- 
gliamento,  welcher  von  Latisana  an  schiffbar  ist,  sich  in  mehrere 
Arme  spaltet,  die  nicht  selten  im  Sommer  austrocknen,  und  an 
seiner  Miindung  ebenfalls  Siimpfe  bildet.  Grenzfliisse  sind  der  Po 
im  Suden,  welcher  von  Dampfschiffen  des  ,,dsterreichischen  Lloyd" 
befahren  wird,  und  der  Mincio,  welcher  bei  Peschiera  aus  dem 
Garda-See  tritt ,  die  Siimpfe  bei  Mantua  bildet ,  und  nach  einem 
Laufe  von  7'/2  Meile  bei  Governolo  in  den  Po  mundet.  —  Von 
hoher  Wichtigkeit  filr  den  Verkehr  ist  das  adriatische  Meer, 
welches  auf  23  Meilen  die  venetianische  Kiiste  bespult.  (Siehe  §.  76, 
S.  101.)  Ausser  den  zahlreichen  natiirlichen  Wasserstrassen  ist  eine 
Anzahl  Kanale  vorhanden,  welche  theils  zur  Schiffahrt,  theils  zur 
Bewasserung  des  Kulturbodens  dienen.  Der  Tartaro  stellt  mit 
dem  Canal  bianco,  dem  Canal  Adigetto  und  jenem  von 
Leg.nago  eine  Verbindung  des  untern  Po  mit  der  Etsch  her, 
welche  durch  den  Canal  di  Valle  mit  der  Brenta  verbunden  ist. 
Der  Naviglio  Cava  Zuccherina  verbindet  den  Sile  mit  der 
Piave,  der  Naviglio  Redevoli  die  Piave  mit  der  Livenza. 
Durch  die  Lagunen  fiihren  23  Kanale.  —  Von  den  am  Sudabhange 
der  Alpen  gelegenen  Seen  gehort  der  sudostliche  Theil  des  Gar  da- 
Sees,  der  mit  Dampf-  und  Segelschifien  befahren  wird,  zu  Ve- 
nedig.  —  Die  Miindungen  der  Fliisse  bilden  ausgedehnte  Siimpfe, 
doch  kommen  sie  auch  zwischen  der  Etsch  und  dem  Po  siidlich 
von  Legnago  vor.  —  Unter  den  Mineralquelle  n  sind  bekannt 
der  Eisen-Sauerling  von  R  e  c  o  a  r  o  und  die  Schwefelquellen  von 
Abano. 

Politische  Eintheilung.  Das  Verwaltungsgebiet  des  lom- 
bardisch-venetianischen  Konigreiches  untersteht  der  Statthalterei  in 
Venedig  und  wird  in  9  Delegationen  (Provinzen)  eingetheilt. 

Die  Hauptstadt  des  Kronlandes  ist: 

Venedig  (ital.  Venezia)  mit  125.000  Einwohnern  und  fiber  20.000  Hausern.  Auf 
zahlreichen  Inseln  in  den  Lagunen  erbaut,  ist  die  Stadt  durch  die  Insel  Lido  and 
einen  2  Meilen  langen  Steindamm  (murazzi)  gegen  das  Meer  geschQtzt.  147  Kanale 
(der  grOsste  Canal  grande  in  <S-Form),  auf  denen  man  in  schwarzen,  gedeckten 
Schiffchen  (Gondeln)  fahrt,  vertreten  die  Hauptstrassen ;  doch  kann  man  in  den  sehr 
engen  Strassen  (3—6')  iiber  308Brucken  (darunter  die  beruhmte  Rialto-Bracke)  fast 
uberall  bin  anch  zu  Fusse  gelangen.  Pferde  und  Wagen  sieht  man  nicbt.  Diese 
,,Stadt  ohne  Gleichen"  hat  51  Platze,  worunter  der  prachtige  St.  Marcus-Platz  mit 
den  alten  und  neuen  Procuration  (den  Palasten  der  Procnratoren  der  alien  Republik) 
nnd  der  weltberuhmten,  prachtvollen  St.  Marcas-Kirche  nebst  dem  (322'  hohen) 
Glockenthurme.  Daran  stOsst  die  Piazzetta  (kleiner  Platz)  mit  dem  an  Kunstwcrken 
aller  Art  reichen  Dogen-Palast,  der  berahmten  Munze  (Zecca)  und  den  2  Granit- 
saulen,  deren  eine  den  gcfliigelten  Marcns-Ldwen,  die  andere  das  Standbild  des  heil. 
Theodor  tragt.  An  grossartigen  Palasten  (vorzQglich  am  Canal  grande),  reichen  und 
prachtvollen  Kirchen,  fcberhaupt  an  Kunstachatzen  jeder  Art,  an  Monumenten,  Pracht- 


180 

tauten,  Gemalden  u.  s.  w.  ist  Venedig  eine  der  reichsten  Stadte  der  Erde.  —  Die 
Stadt  hat  ferner  fiffentliche  Bibliotheken,  darunter  die  von  St.  Marcus  im  Dogen- 
palaste,  das  reiche  Slaatsarchiv,  viele  Privatarchive,  Antiken-  und  Kunstsammlungen, 
die  Akademie  der  schGnen  Kfinste  mit  grosser  Bildergallerie,  mehrere  gelehrte  Ge- 
sellschaften  und  Lehranstalten.  Hier  ist  der  Sitz  des  kath.  Patriarchen  und  eines 
griechischen  Erzbischofes.  —  Venedig  hat  bedeutende  Industrie  in  Bijouterien  (Gold- 
ketten  und  Goldwaaren),  Glasperlen,  Mosaikarbeiten,  Spiegeln,  Seife,  Posamentirartikeln, 
eine  grosse  Tabakfabrik,  u.  a.  Der  Handel,  obwohl  nicht  auf  jener  Hohe  als  im 
Mittelalter,  ist  ziemlich  ansehnlith  und  hat  sich  seit  der  Erklarung  des  Hafens  zum 
nFreihafen"  bedeutend  gehoben.  Auch  die  Eisenbahnverbindung  mit  dem  Festlande 
mittelst  der  grossartigen  Brficke  tragt  zur  Hebung  des  Handels  bei,  sowie  die  Borse, 
die  Handelskammer  und  andere  kommerzielle  Institute.  Consuln  der  meisten  handel- 
treibenden  Staaten  residiren  in  Venedig.  Der  Lloyd  nnterhalt  tagliche  Dampfschiff- 
verbindnng  mit  Triest. 

Von  den  andern  Stadten  verdienen  besondere  Hervorhebung :  Verona,  eine 
Festnng  ersten  Ranges,  sehr  unregelmassig  gebaut,  mit  engen  Gassen,  aber  grossen 
Platzen  und  herrlichen  Gebauden.  Sehr  reich  ist  die  Stadt  an  romischen  Alter- 
thumern,  darnnter  die  beruhmte  Arena.  Zahlreich  sind  die  Bildungs&nmlten,  Samm- 
lungen;  auch  in  historischer  Beziehnng  ist  die  Stadt  seit  den  altesten  Zeiten  wichtig. 
—  Padua  ist  beriihmt  wegen  seiner  Universitat,  der  schonen  Kirchen,  des  h.  Anton 
mit  dessen  Grabmal,  der  Justinakirche  u.  a.,  mit  prachtvollen  .Kresco-Gemalden  ; 
endlich  ist  das  Eathhans  mit  dem  ungeheueren  Saale  bemerkenswerth.  —  Vicenza, 
die  Vaterstadt  des  berumten  Banmeisters  Palladio,  des  Vaters  des  Renaissance-Styles, 
besitzt  von  ihm  zahlreiche  prachtvolle  Banten. 

Andere  bemerkenswerthe  Orte*)  sind: 

1.  Delegation  Venedig:    Venedig  (125.000  Einw.),    Malamocco,    Mu- 
rano,  Mestre,  Chioggia,  Portogruaro,  St.  DOD&  ; 

2.  Delegation  Padua:  Padua  (56-000),  Este,  Abano,  Montagnana,  Mon- 
selice,  Arquci; 

3.  Delegation  Rovigo  oder  Polesina:  Rovigo  (10.000),  Adria; 

4.  Delegation  Verona:  V  e r  o  n a  (56.000"),  Legnago,  Cologna,  Villafranca; 

5.  Delegation  Vicenza:  Vicenza  (36.000),  Bassano.  Asiago,  Lonigo; 

6.  Delegation  Treviso:  Treviso  (21000),  Oderzo,  Conegliano,  Ce'neda, 
Asolo,  Possagno; 

7.  Delegation  Belluno:  Belluno  (14.000),    Agordo,    Feltre,  Longarone, 
Pieve  di  Cadore,  Anronzo; 

8.  Delegation  Udine  oder  Friaul:  Udine  (26.000),    Palmanuova,  Civi- 
dale,  Tolmezzo,  Ampezzo,  Sacile,  Pordenone,  San  Vito. 

9.  Delegation  Mantua:  Mantua  (27.000),  Peschiera,  Roverbella,  Borgo- 
forte,  Gonzaga,  Revere. 

Kultuiverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Ebene  zwischen  dem  Siidabhange  der  Alpen  und  dem 
Nordabfall  der  Apenninen ,  begunstiget  dureh  einen  ausserst  frucht- 
baren  Boden,  treffliche  Bewasserung  und  ein  mildes  Klima,  bringt 
alle  europaischen  und  viele  orientalische  Kulturpflanzen  hervor.  Nur 
die  erwahnten  Sumpflandschaften  bilden  hiervon  eine  Ausnahme. 
Von  der  Gesammtflache  Venedigs  sind  an  394  QMeilen  produk- 
tiver  Boden;  davon  entfallen  etwa  194  QM.  auf  Aecker,  68  Q^- 
auf  Wiesen  und  Garten ,  50  QM,  auf  Walder ,  uber  4  DM.  auf 
Reisfelder  und  nahe  an  3  QM.  auf  Weingarten,  —  leider  aber  iiber 
73  QM.  auf  das  Weideland.  An  Olivenwaldern  ist  Venedig  reicher, 
dagegen  an  Lorbeer-  und  Kastanienwaldern  armer  als  das  Nach- 
barland  jenseits  des  Mincio. 

Sowohl  wegen  der  grossen  Fruchtbarkeit  des  Bodens,  als  we- 

*)  Zur  Aussprache:  ce,  ci  =  tsche,  tschi ;  —  che,  chi  =  ke,  ki;  —  see,  sci 
=  sche,  schi;  —  tio,  tia,  u.  s.  w.  =  tio,  tia;  —  v  =  w;  —  ge,  gi  =  dsche,  dschi 
(gelindes  sch  =  franz.  j.;;  —  ghe,  ghi  =  ge,  gi;  —  gli  =  Ijij  —  gn  =  nj. 


181 

gen  der  grosaentheils  fleissigen  Bebauung  ist  der  Reichthum  der 
Bodenerzeugnisse  ein  grosser ;  doch  kunnte  der  Landbau  auf  eine 
noch  hohere  Stufe  gebracht  werden.  Hauptprodukte  sind  Mais  und 
Weizen,  in  den  Niederungen  der  Flftsse  Reis;  auch  Roggen  und 
Hafer  wird  ziemlich  stark,  die  Gerste  selten  angebaut.  Die  Pro- 
duktion  deckt  in  der  Regel  den  Bedarf  der  Bevolkerung  ,  nur  in 
sehr  mittelmassigen  Jahren  findet  ein  Import  statt.  Der  Wies en- 
fa  au  wird  sorgfaltig  betrieben  und  durch  das  Bewasserungssystem 
begiinstigt.  —  Der  Obstbau  erfreut  sich  besonderer  Pflege,  und 
der  Ertrag  ist  bei  den  giinstigen  natiirlichen  Bedingungen  ein  rei- 
cher.  Von  den  Handelspflanzen  ist  der  Hanf  (Este,  Montagnana) 
vorherrschend ;  auch  Flachs,  Hopfen,  Tabak  und  einige  Farbepflan- 
zen  werden  gebaut.  Die  Weinproduk tion  ist  in  normalen  Jah- 
ren sehr  bedeutend  (fiber  3  !/2  Million  Eimer) ,  doch  ist  der  Wein 
im  Allgemeinen  von  geringerer  Qualitat  und  wird  grosstentheils 
im  Lande  verbraucht.  Die  besten  Sorten  eind:  der  vino  santo  bei 
Verona,  der  Wein  am  Garda  -  See,  von  Vicenza  und  Conegliano. 
Die  Pflege  des  Mau  Ib  eerbaumes  ist  in  der  Ebene  sehr  erheb- 
lich.  Maulbeerbaume,  an  denen  sich  Reben  hinaufranken  und  von 
Baum  zu  Baum  schlingen,  schliessen  Aecker  und  Wiesen  ein ,  und 
geben  der  Landschaft  den  Charakter  eines  Gartens.  Die  Zucht  der 
Seidenraupen  sowie  die  in  Oesterreich  hochst  bedeutende  Seiden- 
industrie  stehen  damit  im  Zusammenhange;  leider  hat  in  den  letz- 
ten  Jahren  eine  Krankheit  unter  den  Seidenwurmern  der  grossen 
Produktion,  welche  friiher  in  normalen  Jahren  nahezu  200.000  Zent- 
ner  Cocons  im  Werthe  von  fast  16  Millionen  Gulden  betragen  hatte, 
empfindlichen  Eintrag  verursacht.  Seit  dieser  Zeit  wurden  in  Dal- 
matien  Cocons  zum  Samen  verwendet,  wo  von  ein  bedeutender  Theil 
nach  dem  venetianischen  Kronlande  abgesetzt  wurde.  —  Die  Wald- 
kultur  ist  von  untergeordneter  Bedeutung,  in  den  Ebenen  miissen 
die  Abfalle  der  Reben  das  Brennholz  ersetzen. 

Die  Viehzucht  steht  im  Venetianischen  nicht  auf  der  wiin- 
schenswerthen,  und  bei  den  im  Allgemeinen  vorhandenen  gunstigen 
Vorbedingungen  auch  erreichbaren  Hohe.  In  den  gebirgigen  Lan- 
destheilen  und  in  den  Delegationen  Padua  und  Vicenza  wird  iibrigens 
das  Rindvieh  sehr  gut  gehalten.  Pferde  werden  eingefiihrt,  dagegen  gibt 
es  viele  Esel  und  Maulesel ,  Schafe  (grosstentheils  nicht  veredelt) 
und  Schweine,  welche  in  mehreren  Gegenden  mit  Kastanien  gefiit- 
tert  werden  und  ein  sehr  wohlschmeckendes  Fleisch  geben.  — 
Die  Seefischerei  ist  sehr  bedeutend  (Venedig,  Chioggia),  aua  dem 
Po  fischt  man  Store,  aus  dem  Garda-See  Aale,  Lachsforellen  und 
vortreffliche  Karpfen. 

Der  Bergbau  ist  relativ  unbedeutend.  Edle  Metalle  fehlen 
ganzlich,  dagegen  ist  das  Land  reich  an  Erden  und  Steinen,  dar- 
unter  sehr  schone  Marmorarten  (bei  Verona),  Gips,  Alabaster  und 
Kreide.  Zu  Agordo  wird  auf  Kupfer,  zu  Auronzo  auf  Galmei 
und  Blei  gebaut;  die  Ausbeute  an  fossiler  Kohle  ist  gleichfall* 
noch  geringe. 

Die  Industrie  bietet  im  venetianischen  Konigreiche  ein  be- 
friedigendes  Bild.  Nebst  den  gunstigen  klimatischen  und  Boden- 


182 

verhaltnissen  haben  die  ausgedehnten  und  trefflichen  Verkehrsmittel, 
die  vollstandige  Gewerbefreiheit  und  die  relativ  geringe  Besteuerung 
der  industriellen  Beschaftigungen,  dann  der  Ueberfluss  an  Geldmit- 
teln  und  die  vielfach  praktisch  durchgefiihrte  ,,Theilung  der  Arbeit" 
dieses  Land  auf  eine  beachtenswerthe  Hohe  gebracht,  obwohl  es 
noch  immer  nicht  auf  jener  Stufe  industrieller  Ausbildung  stehf, 
deren  es  fahig  ist.  Die  Bewohner  der  groesen  Orte,  des  rauheren 
Gebirgslandes  und  der  sehr  dicht  bevolkerten  Gegenden  beschaf- 
tigen  sich  vorherrschend  mit  der  Industrie ;  jene  des  Flachlandes 
hingegen  fast  ausschliesslich  mit  dem  Landbaue.  Am  meisten  aus- 
gebildet  sind  jene  Zweige,  welche  sich  auf  die  landwirthschaftliche 
Produktion  stiitzen.  Den  ersten  Eang  nehmen  Seide  und  Sei- 
denwaaren  ein.  Die  ausgedehnteren  Filanden  und  Filatorien  sind 
in  und  bei  Verona,  Udine,  Vicenza  und  Treviso.  (Im  Venetianischen 
waren  etwa  20.000  Kessel  im  Betrieb,  welche  48  000  Arbeiter  be- 
schaftigen  und  an  12.500  Zentner  Rohseide  erzeugten ;  die  Zahl  der 
Filatorien  betrug  an  250).  In  der  bedeutenden  Lederindustrie 
sind  bemerkenswerth  die  Erzeugnisse  von  Verona,  Venedig,  Bas- 
sano  und  Padua.  Der  Werth  der  Milchprodukte  ist  im  Vene- 
tianischen ein  relativ  sehr  geringer.  Die  Eisenverarbeitung  ist 
zumeist  auf  die  zahlreichen  Schlosser-  und  Schmiedegewerbe  be- 
schrankt;  dazu  kommen  die  Kupferwaaren  aus  Belluno  und  Tre- 
viso, die  Broncewaaren  und  sehr  geschatzten  Goldketten  in  Venedig, 
und  einige  kleinere  Betriebsanstalten  fur  Kurzwaaren.  —  Die  Pa- 
pi  er  fab  rikation  wird  am  Gardasee  in  den  Delegationen  Udine 
(Codroipo,  Pordenone)  und  Treviso  schwunghaft  betrieben ,  doch 
iiberwiegt  die  Biittenfabrikation.  Die  Industrie  in  W  e  b  e-  und  Wi  r  k- 
waaren  deckt  nicht  den  grossen  Bedarf  des  Landes.  Die  Provin- 
zen  Vicenza  und  Treviso  erzeugen  Tuch-,  Venedig,  Verona  und 
Udine  Hanf-  und  Flachsprodukte;  —  ansehnliche  Baumwollspinne- 
reien  sind  in  Verona,  Pordenone  und  Udine.  Einen  eigenthumlichen 
Zweig,  der  in  der  gesammten  Handelswelt  bekannt  ist,  bildet  die  seit 
dem  zwblften  Jahrhunderte  eingefilhrte  Fabrikation  vonSchmelz- 
perlen  in  Venedig  und  auf  der  Insel  Murano ,  wovon  im  Jahre 
1856  an  42.800  Zentner  erzeugt  und  fiber  39.600  Zentner  in  das 
Ausland  abgesetzt  wurden.  Unter  den  76  Buch-  und  Stein- 
druckereien  kommen  beilaufig  die  Halfte  auf  die  Hauptstadt; 
jene  der  P.  P.  Mechitariaten  auf  S.  Lazzaro  (bei  Venedig)  nimmt 
unter  den  orientalischen  Buchdruckereien  Europa's  vielleicht  den 
ersten  Rang  ein.  Von  den  iibrigen  Industrieartikeln  Venetiens  ver- 
dienen  Erwahnung:  die  Goldsachen,  Filigranarbeiten,  Glasgespinnste, 
Brillantarbeiten,  Wachekerzen,  Seife,  Siegellack,  kiinstliche  Blumen, 
Larven  u.  s.  f.  in  Venedig,  —  Bleiwaaren  in  Chioggia,  Darmsaiten 
in  Padua,  Salami  in  Verona,  Schinken  in  St.  Daniele  (Udine),  N'ah-, 
Strick-  mit  Gold  und  Silber  umsponnene  Seide  in  Verona,  Porzel- 
lan  in  Vicenza,  Zucker  und  Tabak  in  Venedig  u.  s.  w.  DasKlein- 
gewerbe  sorgt  in  geniigender  Anzahl  fQr  den  gewohnlichen  Bedarf; 
die  Gross  -  Industrie  kommt  nur  vereinzelt  vor ,  ist  jedoch  eines 
raachtigen  Aufschwunges  fahig. 


183 


Der  Handel  1st  sowohl  im  Innern  des  Landes  als  nach  aus- 
•warts  sehr  lebhaft;  zumeist  vermittelt  Venedig  (seit  dem  Jahre  1851 
wieder  Freihafen)  den  Zwischenverkehr  mit  Triest ,  Dalmatien, 
den  it  alienischen  Kiistenlandern  und  der  Levante.  Beim  Export 
eind  Seide  und  Seidenwaaren ,  Glasperlen  u.  s.  w.  von  Bedeutung, 
importirt  werden  Salz,  Webe-  und  Wirkwaaren  und  andere  Industrie- 
erzeugnisse.  Besonders  stark  wird  der  Jahrmarkt  zu  Padua  (Fiera 
del  Santo)  besucht.  Der  Handel  wird  sehr  gefdrdert  durch  ein 
vortreffliches  Netz  von  Land-  und  Wasserstrassen ,  und  vor  Allem 
bietet  das  Meer  die  grossten  Vortheile. 


II.  Deutschland. 

A.  Deutschland  im  Allgemeinen. 

§.  100.  Bestandtheile.  Bevolkerung. 

Zum  deutachen  Staate  gehoren : 


Namen  der  Staaten 

Gr5sse 
in 

QMei- 
len 

Bevolkerung 

Hauptstadt 

Einwoh- 
nerzahl 

absolute      relative 

I 
2 

3 

4 
~j 
6 
7 

8 
9 

0 

I 

2 
3 

4 

.3 

tj 
7 
8 
9 

u 
.1 

'.-2 

53 

4 

Kaiserl.     Osterreichisch- 
dentsche  Kronlander. 
KSnigl.  preussische  Bun- 

3580 

3386 
1388 
700 
354 
272 

173 

278 

244 

152 
116 

87 

66 
50 

174 

86 
68 
46 

37 

28 
24 
15 
22 
20 

13,380.000 

13,163  000 
4,600.000 
1,820000 
1.800.000 
2,040.000 

756000 
1,400.000 

539000 
855.000 
288.000 
409.000 

264.000 
100.000 

574.000 
432.000 
270.000 
166.000 

151.000 

115.000 
134000 
54.000 
58.000 
106.000 

3737 

3852 
3393 
2600 
5085 
7500 

4832 
5035 

2112 

5625 
2482 
4701 

4000 
2000 

3299 
5023 
3970 
3368 

4081 

4106 
5583 
3600 
2636 
5300 

Wien 

476.000 

450.000 
130.000 
44.000 
50.000 
110.000 

36.000 
25.000 

20.000 
32.000 
9000 
16.000 

13.000 
8000 

6000 
17.000 
42.000 
7000 

10.000 

13.000 
16.000 
9000 
2300 
6000 

Berlin  ...  . 

Konigreich  Baiern  
„          Hannover... 
„          Wurttemberg 
„          Sachsen  .... 
Knrfurstenthum  Hessen- 
Cas8el 

Miinchen  

Hannover  .... 
Stuttgart  
Dresden  

Cassel 

Grossherzogthum  Baden 
„  Mecklenburg  -Schwe- 

Carlsruhe  

Schwerin  
Darmstadt.  .  .  . 
Oldenburg.  .  .  . 
Luxemburg.  .  . 

Weimar 

„  Hessen-Darmstadt  .  . 

„  Luxemburg-Limburg 
„  Sachsen  -Weimar-Ei- 

„  Mecklenburg-Strelitz 
Herzogthum      Holstein- 
Lauenbarg  

Strelitz  ...  . 

Gluckstadt  .  .  . 
Wiesbaden  .  .  . 
Braunschweig  . 
Meiningen  . 

„  Braunschweig  
„  Sachsen-Meiningen  . 
„  Sachsen  -  Koburg- 
Gotha  

„  Anhalt-  Dessau  -KO- 

»  Sachsen-Altenburg.  . 
„  Anhalt-Bernburg  .  .  . 
Farstenthum  Waldeck  . 
„  Lippe-Detmold  

Altenburg  .... 
Bernburg  .... 
Arolsen  

Detmold  

184 


Namen  der  Staaten 

Grosse 
in 

OMei- 
len 

Bevolkerung 

Hauptstadt 

Einwoh- 
nerzahl 

absolute 

relative 

25 

26 

27 

28 
29 

30 
31 

32 
33 
34 
35 

Furstenthum     Schwarz- 
burg-Rudolstadt.  . 
„    Schwarzburg  -  Son- 

17 
15 

15 

8 

7 
3 

5 
6 
6 
4 
2 

69.000 
62.000 

80.000 
30.000 

40.000 
7000 

25.000 
217.000 
55.000 
89.000 
76000 

4059 
4133 

6000 
3750 

5714 
2333 

5000 
36166 
9116 
22250 
38.000 

Rudolstadt  .  .  . 
Sondershausen 

Scbleiz  
Buckeburg  .  .  . 

Greiz  
Vaduz  

6000 
6000 

6000 
4000 

8000 
1000 

6000 
150.000 
40000 
64.000 
70.000 

„  Beuss  (-Schleiz)  jun- 

„  Lippe-Schaumburg.  . 
„  Reuss  (-Greiz)  altere 

Landgrafscbaft    Ilcssen- 
Homburg     

Homburg  

Freie  Stadt  Hamburg.  . 
,         „      Lubeck  .  .  . 
„         „       Bremen  .  .  . 
„         „       Frankfurt  . 

Lubeck  .  .  . 

Bremen  
Frankfurt  

11.454 

44,364.000 

Nach  der  geographischen  Lage  konnen  die  Staaten  des  deut- 
schen  Bundes  geordnet  werden: 

A.  5  sudlicheStaaten:  Oesterreich,  Baiern,  Wiirttemberg, 
Baden,  Liechtenstein ; 

B.  7  westlich  e  Staaten:  Hessen-Cassel,  Hessen- Darmstadt, 
Hessen- Homburg,  Nassau,    Frankfurt  a.  M.,  Waldeck,  Luxemburg 
und  Limburg; 

C.  9   mittlere    Staaten:    Sachsen,    Sachsen  -  Weimar  -  Ei- 
senach, Sachsen-Meiningen,  Sachsen-Koburg-Gotha,  Sachsen-Alten- 
burg,  Schwarzburg-Rudolstadt,    Schwarzburg-Sondershausen,  Reuss 
altere  Linie,  Reuss  jiingere  Linie; 

D.  14    nordliche    Staaten:    Preussen,   Hannover,    Braun- 
schweig, Oldenburg-,    Lippe-Detmold,    Lippe-Schaumburg,    Anhalt- 
Dessau-Kothen,  Anhalt-Bernburg,  Mecklenburg- Schwerin,  Mecklen- 
burg-Strelitz,  Holstein-Lauenburg,  Bremen,  Lubeck,  Hamburg. 

Diese  35  selbstandigen  Staaten  sind  durch  die  Bundesakte  vom  Jahre  1815 
zu  einem  Bunde  vereinigt,  dessen  Zweck  die  Erhaltung  der  ausseren  und  inneren 
Sicherheit  Deutscblands,  sowie  der  Unabhangigkeit  und  Unverletzlichkeit  der  deutschen 
Staaten  ist.  Die  oberste  Behorde  des  Bundes  ist  der  Bunde  stag  oder  die  Bunde  s- 
versammlung  in  Frankfurt  a.  M.,  bestehend  aus  den  bevoilmachtigten  Ge?andten 
sammtlicber  Bundesglieder.  Oes  te  rreich  f  iihrt  d  en  Vorsitz.  Zum  Schutze 
wider  innere  und  aussere  Feinde  stellen  die  Bundesstaaten  einB  undeshee  r  (350.000 
Mann)  auf.  Die  Bundesf es tungen  sind:  Mainz,  Luxemburg,  Landau, 
Rastatt  und  Ulm. 

Ausser  der  politischen  Eintheilnng  sind  im  gewShnlichen  Verkehre  noch  be- 
sondere  Bezeichnungen  fur  gewisse  Landestheile  im  Gebranche,  welche  auf  die  alien 
Volksstamme  und  die  ehemalige  Eintheilung  Dentschlands  in  10  Kreise  zuruckweisen 
oder  der  geographischen  Lage  entnommen  sind.  Diese  sind: 

Schwaben  —  der  grossere    Theil    von   Wurttemberg,    das    sudliche    Baden,    das 

sudwestliche  Baiern  und  Hohenzollern  ; 

Franken  —  vorzugsweise  die  Maingegenden  (Bamberg,  Schweinfurt,  Wiirzburg); 
Voigtland  —  die  HGben  zwischen  Hof  und  Plauen; 

Lausitz  —    das    ostliche    Sachsen   mit  den  angrenzenden    preussischen  Gebiets- 
tbeilen ; 


185 

Thuringen  —  das  Land  zwischen  der  oberen  Saale  und  der  Werra  ("das  Gross- 
herzogtham  Sachsen- Weimar-Eisenach,  die  sachsischen  Herzogthfimer  und  die 
schwarzbnrgischen  Furstenthiimer); 

Niedersachsen  —  zwischen  der  untern  Elbe  und  Weser; 

Ostfriesland  —  zwischen  der  untern  Weser  und  der  Ems; 

Pfalz  —  Rheinbaiern  und  das  nOrdliche  Baden; 

Rheinlande  —  Baden,  die  bairische  Pfalz,  Nassau,  insbesondere  die  preussische 
Rheinprovinz. 

Bevdlkerung.  Von  den  Bewohnern  sind  mindestena  80% 
Deutsche,  in  den  ostlichen  und  sudb'stlichen  Theilen  wohnen 
SI  a  wen,  im  Suden  und  Westen  romanische  Stamme.  Dem 
Glaubensbekenntnisse  nach  scheidet  sich  die  Bevolkerung  in  Ka- 
tholiken,  etwa  3/5  der  Gesaramtsumrae,  welche  vorziiglich  in 
Siiddeutschland,  in  Posen  und  Westphalen  vorherrschen,  —  dann 
Protestanten,  beilaufig  2/5 >  in  Norddeutschland ,  Wurttem- 
berg  und  Hessen ;  endlich  kleinere  christliche  Sekten  zumeist  im 
Norden, 

§.  101.  Bodenverhaltnisse  and  Klima  im  Allgemeinen. 

Deutschland  ist  der  mittlere  Hauptkorper  Europa's,  In  hori- 
zontaler  Richtung  dehnt  es  sich  von  Norden  nach  Suden  (150  M.) 
fast  ebenso  weit  aus  als  von  Westen  nach  Osten  (140  M.).  Es  ist 
tin  Kontinentalland ,  dessen  Meeresgrenzen  nur  etwa  J/4  des  Ge- 
sammtumfanges  betragen,  und  die  Kiistenentwickelung  ist  verhaltniss- 
massig  eine  geringe  (1  M.  Kiiste  auf  72  QM.  Flache). 

Nach  der  vertikalen  Erhebung  des  Bodens  zerfallt  es  in 
drei  Partien:  das  sudliche  Alpenland,  die  Hochebene  Mit- 
teldeutschlands  und  die  germanisc  h  e  Ti  ef  eben  e  in  Nord- 
deutschland. Das  erste  erstreckt  sich  von  der  Schweiz  bis  nach 
Ungarn  mit  der  Hauptabdachung  nach  Osten  ,  —  die  zweite  ,  mit 
einer  nordlichen  und  nordwestlichen  Abdachung  von  den  nieder- 
i  heinisch  -  westph'alischen  Gebirgen  und  den  Vogesen  bis  zu  den 
Karpathen,  —  die  dritte,  mit  der  Abdachung  nach  Nordwest,  ge- 
hort  zum  grossen  europaischen  Tieflande,  welches  sich  im  Westen 
und  Siiden  der  Nordsee  bis  an  die  sarmatische  Ebene  hinzieht,  von 
welcher  es  durch  die  Weichsel  geschieden  wird. 

Die  Alp  en  bilden  die  Scheidewand  zwischen  dem  germa- 
ni?chen  und  romanischen  Kulturleben.  An  ihrem  Fusse  dehnt  sich 
die  bairische  Hochebene  (1500')  hin.  Die  mitteldeutsche,  an  alien 
Agrikulturprodukten  reiche  Hochebene  wird  hie  und  da  von  Ge- 
birgen durchzogen ,  deren  mittlere  Kammhohe  nur  bis  2000'  reicht, 
in  dessen  die  Hochebene  nur  mehr  an  600'  iiber  dem  Meere  sich 
erhebt.  Die  norddeutsche  Ebene  mit  einer  Flache  von  7000  d^' 
liegt  nur  wenig  uber,  in  einzelnen  Strichen  im  Nordwesten  sogar 
unter  der  Flache  des  Meeres,  gegen  dessen  Andrang  das  Land  durch 
Dunen  und  Deiche  geschiitzt  werden  muss.  In  dieser  Ebene  ziehen 
sich  hie  und  da  einige  unbedeutende  Hiigelreihen,  an  deren  Fusse 
sich  dQrre  Haiden  oder  Moore  zeigen ;  nur  an  den  Ufern  der  be- 
deutenderen  Fliisse  findet  sich  fruchtbares  Marschland  *). 

*)  Dunen  =  Sandhugel;  —  Deiche  =  Erdwalle;  —  Gast-  oder  Geestland 
=  Sandflachen,  welche  Moore  umgeben  oder  dnrchzichen,  mit  Haidekraut  fiberwach- 
sen;  —  Marschland  =  fruchtbar,  niederer  als  Geestland ;  —  Werfen  =  (3—10' 
hohe)  AnhShen  im  Marschland. 


186 

In  der  bairischen  Hochebene  und  noch  mehr  in  den  norddeut- 
schen  Niederungen  finden  sich  Siimpfe  und  Moore  vor ;  zwischen 
der  Weser  und  Elbe  grossere  und  an  der  Oder  kleinere  Haide- 
strecken,  —  doch  haben  deutscher  Fleiss  und  deuteche  Intelligenz 
manchen  von  diesen  unproduktiven  Flachen  Nutzen  abzuringen 
verstanden. 

(Die  Gebirge  Deutschlands  siehe  §.  25.) 

Das  Kliiua.  —  Deutschland  nimmt  in  den  klimatischen  Ver- 
haltnissen  eine  Mittelstellung  ein,  da  es  in  der  Mitte  der  gemassig- 
ten  Zone  von  der  Armuth  des  Nordens  fast  ebenso  weit  entfernt 
ist,  als  von  der  iippigen  Fiille  des  Siidens.  Die  mittlere  Jahreswarme 
ist  im  Ganzen  ziemlich  gleichmassig  (8 — 9°  R-) ,  und  diese  Gleich- 
fbrmigkeit  wird  dadurch  noch  erhoht,  dass  die  Erhebung  des  Bo- 
dens  nach  Siiden  zunimmt,  wodurch  die  Unterschiede  zwischen  dem 
tiefliegenden  Norden  und  dem  hochliegenden  Suden  zura  grossen 
Theile  ausgeglichen  werden.  Es  bildet  den  gliicklichen  Uebergang 
vom  Kflstenklima  Westeuropa's  zum  kontinentalen  Klima  von  Ost- 
europa,  Im  Westen  ist  die  mittlere  Jahreswarme  grosser  als  im 
Osten  unter  gleichen  Breitengraden.  Die  Winde  haben  vorherr- 
schend  eine  siidwestliche,  im  Winter  eine  nordostliche  und  ostliche 
Richtung.  Die  mittlere  Regenmenge  betragt  25",  in  den  Al- 
penlandern  fallt  im  Herbste,  in  Mitteldeutschland  im  Sommer  der 
meiste  Regen.  Im  Durchschnitte  ereignen  sich  an  einem  Orte  19 
Ge witter,  die  meisten  im  Sommer,  doch  herrscht  hierin  ein  gros- 
ser Unterschied  (Niederschlesien  hat  29,  Niederosterreich  8  Gewit- 
ter  im  jahrlichen  Durchschnitte).  Im  Ganzen  ist  das  Klima  gesund, 
fur  die  Vegetation  zutraglich  und  der  Wechsel  der  Jahreszeiten 
ziemlich  regelmassig. 

§.  103.  Gewiisser. 

A.  Das  Meer. 

Deutschland  grenzt  an  drei  Meere:  an  die  Nordsee,  die 
Ostsee  und  das  adriatische  Meer.  Besitzt  auch  die  Ost- 
see  in  einer  Lange  von  83  Meilen  eine  grossere  Kustenlange  als 
die  beiden  andern  zusammen  (Nordsee  36,  Adria-Meer  [deutscher 
Antheil]  40  Meilen);  so  ist  doch  die  Nordsee,  mit  der  kleineten 
Kustenlange,  fiir  den  Verkehr  und  den  Handel  Deutschlands  von 
der  grossten  Bedeutung.  Die  Kustenentwickelung  der  Nordsee, 
ihre  Verbindung  mit  der  grossen  Verkehrsstrasse  des  atlantischen 
Oceans,  die  bedeutenden  einmundenden  Flusse ,  welche  als  Adern 
die  Verkehrslinien  bis  tief  in  das  Herz  der  gewerbreichen,  yon  einer 
intelligenten  Bevolkerung  dicht  bewohnten  Hinterlander  ziehen,  — 
der  freieste  Verkehr,  der  sich  in  den  bedeutendsten  Stadten  (Ham- 
burg, Bremen)  an  den  grossten  einmundenden  Flussen  (Elbe,  We- 
ser) entwickelt  hat;  —  diess  alles  iibt  den  wohlthatigsten  Einfluss 
auf  die  Kulturverhaltnisse  und  den  Handel  Deutschlands  aus,  und 
macht  die  Nordsee  zu  einem  ,,deutschen  Meere,"  welches  von 
der  Ems-  bis  zur  Eider-Miindung  Deutschland  bespult.  Die  nieder 
gelegenen  Kiisten  finden  einen  natiirlichen  Schutz  in  den  vorge- 
lagerten  sandigen  Eilanden  und  Watten  (Untiefen),  und  einen  kunst- 


187 

lichen  in  den  Diinen  und  Deichen.  Die  Watten  sind  allerdings 
auch  ein  Hinderniss  fur  die  Schiffahrt,  weil  z  wise  hen  ihnen  haufig 
nur  fiir  kleinere  Schiffe  Fahrwasser  ist,  doch  werden  die  Haupt- 
kanale  bezeichnet.  Die  bedeutenderen  Busen  werden  durch  die 
Einmiindungen  der  Fliisse Ems  (Dollart-Busen),  Jahde,Elbe  und 
Eider  gebildet. 

Die  Ostsee  oder  das  baltische  Meer  begrenzt  Deutsch- 
land  vom  Eiderkanal  bis  an  die  Westgrenze  der  Provinz  Preussen 
und  bespiilt  die  letztgenannte  —  nicht  zum  deutschen  Bunde  ge- 
horige  —  Provinz  bis  nordlich  von  Memel.  Sie  hat  eine  mittlere 
Tiefe  von  120',  an  einzelnen  Stellen  auch  iiber  300',  bei  der  Insel 
Bornholm  480',  keine  Ebbe  und  Fluth,  wenig  Salzgehalt,  daher  eine 
geringere  Tragkraft,  und  friert  im  strengen  Winter  leicht  zu.  Be- 
merkenswerth  ist  die  stete  Abnahme  des  Wassers.  Die  wenig  ge- 
gliederte  Kiiste  ist  sandig  und  nieder  (doch  hoher  als  jene  der  Nord- 
see),  und  hat  nur  wenige  grosse  gute  Hafen.  Die  Schiffahrt  ist 
wegen  der  Untiefen  und  der  haufigen  Stiirme  nicht  gefahrlos.  Die 
Ostsee  ist  die  Verkehrestrasse  fiir  Deutschlands  Handel  von  und 
nach  Russland  und  den  nordischen  Staaten.  Eine  Eigenthumlich- 
keit  der  siidlichen  Ostseekiiste  sind  die  Strandseen  ,,Haf  f"  genannt, 
und  die  ,,Nehrun  gen,"  welche  aus  den  Sandablagerungen  der 
einmiindenden  Fliisse  durch  den  Wellenschlag  zu  Erdzungen  ver- 
bunden  werden.  —  Die  bedeutenderen  Busen  sind:  der  S  c  h  1  e  s- 
w  i  g  e  r  Busen ,  die  Lubecker  Bucht  (Mundung  der  TraveJ, 
der  Busen  von  Greifswalde  (Bodden) ,  die  Swinemiin- 
d  e  r  -  Bucht  (mit  dem  kleinen  und  grossen  Stettiner  Haff) ;  in 
der  Provinz  Preussen  die  D  a  n  z  i  g  e  r  -  Bucht  mit  dem  ,,fri- 
schen  Haff"  und  Memel,  in  sudwestlicher  Richtung  das  ku- 
rische  Haff. 

Das  adriatische  Meer  (siehe  Oesterreich   §.  76,  S.  101). 

B.   Gewdsser  des  Festlandes» 

Die  Fliisse  Deutschlands  ergiessen  sich  in  vier  Meere: 
die  Nord-  und  Ostsee,  das  adriatische  und  schwarze  Meer.  Die 
bedeutendsten  sind:  die  Donau,  der  Rhein,  die  Elbe,  die  Weser, 
die  Weichsel,  die  Oder,  der  Niemen,  die  Etsch  mit  ihren  Neben- 
fliissen.  Ferners  zahlreiche  Kiistenflusse,  als:  die  Ems,  die  Eider, 
Trave,  Pregel,  Isonzo  u.  s.  f. 

(Siehe  topische  Geographic  §.  43.) 

Seen.  Der  Siiden  und  der  Norden  Deutschlands  sind  reich 
an  Flussseen,  dagegen  hat  Mitteldeutschland  keine  Seen  im  eigent- 
lichen  Sinne.  Die  meisten  Seen  sind  in  Siiddeutschland  auf  beiden 
Seiten  der  Alpen,  demnach  in  der  Schweiz,  Baiern  und  Oesterreich. 
Deutschlands  bedeutendster  See  ist  der  Bodensee,  das  ,,deutsche 
Meer,"  an  welchem  sich  funf  Staaten  (Oesterreich,  Baiern,  Wurttem- 
berg,  Baden  und  die  Schweiz)  zu  gegenseitigem  Verkehr  und  Han- 
del die  Nachbarhande  reichen,  und  der  von  zahlreichen  Dampfachif- 
fen  befahren  wird.  Ueber  1200'  iiber  dem  Meere  gelegen  ist  er  an 
^Va  DM-  gross,  wovon  %  auf  die  deutschen  Staaten  und  %  auf 
die  Schweiz  entfallen.  —  Ausser  diesem  eind  in  Baiern  der  Wai- 


188 

chen-,  Amtner-,  Tegern-,  Chiem-See  nennenswerth.  In  Norddeutsch- 
land  sind  Holstein,  Mecklenburg  und  Pommern  reich  an 
Seen  (Ploner-,  Eutiner-,  Schaal-,  Schweriner-,  Plau-,  Miiritz-,  Tol- 
len-See,  der  Ruppiner-See  in  Brandenburg  u.  e.  w.).  Insbesondere 
geben  die  vielen  kleinen  Seen  in  Poramern  und  die  Strandseen 
langs  der  Ktiste  der  Ostsee  der  Gegend  einen  eigenthiimlichen 
Charakter. 

Die  meisten  Sumpfe  und  Moraste  kommen  im  norddeut- 
schen  Tieflande,  hauptsacblich  in  Oldenburg  und  Hannover,  dann 
in  Mecklenburg  und  der  preussischen  Provinz  Brandenburg,  doch 
auch  zum  Theile  auf  der  schwabischen  und  bairischen  Hochebene  vor. 

Kan  tile.  Der  bedeufendste  ist  der  Lud  wigs -Kanal  (23  Va  M. 
lang)  zwischen  Donau  und  Main  in  Baiern  (Bamberg,  Erlangen,  in 
die  Altmuhl  und  miindet  bei  Kehlheim  in  die  Donau);  —  Finow- 
Kanal  zwischen  der  Oder  und  Havel;  —  der  Mul  Iroser-  Kanal 
(oder  Friedrich  -  Wilhelms  -  Kanal)  zwischen  der  Spree  und  Oder; 

—  der  Br  omb  erger -Kanal    zwischen    der    Weichsel  und  Netze 
(Warthe,    Oder);  —  der  Eider-Kanal   aus   dem   Kieler   Fjord    in 
die  Eider  bei  Rendsburg  (Verbindung  zwischen  Ost-  und  Nordaee) ; 

—  der  Wien er-Neustadte r- Kanal  zwischen   Wiener-Neustadt 
und  Wien  etc. 

§.  103.  Kultnrverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Deutschland  ist  im  Allgemeinen  ein  sehr  fruchtbares  Land. 
Der  mit  vielem  Fleisse  bebaute  Boden  bringt  alle  Erzeugnisse  der 
mittleren  gemassigten  Zone  hervor.  Die  Grundlagen  des  National- 
wohlstandes  sind  der  Ackerbau,  die  Viehzucht  und  in  man  chen 
Gegenden  der  Bergbau. 

Die  Laiidwirihschaft  wird  in  den  meisten  Landstrichen  sehr 
rationell  betrieben,  wozu  die  zahlreichen  landwirthschaftlichen  Ver- 
eine,  Unterrichtsanstalten  und  Zeitschriften  nicht  wenig  beitragen. 
Insbesondere  steht  der  Ackerbau,  wo  die  Bodenbeschaffenheit  es 
nur  immer  zulasst,  in  hoher  Bliite,  er  liefert  alle  Arten  von 
Getreide  in  hinreichender  Menge,  selbst  zur  Ausfuhr.  Die  nord- 
deutsche  Ebene  ist  nebst  der  osteuropaischen  die  Kornkammer 
Europa's. 

Einer  gleichen  Sorgfalt  erfreut  sich  die  Viehzucht.  Die  vor- 
trefflichen  Pferde  aus  Mecklenburg,  Holstein,  Westphalen  sind  all- 
bekannt;  —  die  Rindviehzucht  ist  besonders  in  den  Marschlandern 
des  Nordens  hochst  bedeutend,  das  ostfriesische  und  holsteinische 
Vieh  wird  am  meisten  geschatzt.  Einen  ausserordentlichen  Auf- 
schwung  hat  die  veredelte  Schafzucht  genommen,  sachsische  und 
echlesische  Wolle  wird  sogar  der  spanischen  vorgezogen.  Die  all- 
getnein  verbreitete  Schweinezucht  ist  in  Baiern  und  Westphalen 
bedeutend,  der  westphalische  Schinken  geniesst  grossen  Ruf.  Die 
Bienenzucht  ist,  mit  Ausnahme  der  Liineburger  Haide,  minder 
verbreitet.  Dem  Seidenbau  ist  das  Klima  nicht  gunstig,  doch  macht 
er  in  Preussen  beach  ten  swerthe  Fortschritte. 

Mannigfaltig  eind  die  Produkte  des  Mineralrciches.  Die 
Wissenschaft  des  Bergbaues  ist  recht  eigentlich  von  Deutschland 


189 

ausgegangen.  Von  Deutschland  und  namentlich  von  Sachsen,  vom 
Erzgebirge  aus,  ist  nicht  allein  die  erste  grundliche  Kenntniss  der 
Mineralien  zu  den  ubrigen  Volkern  Europa's  gekommen;  sondern 
noch  jetzt  dient  der  deutsche  Bergbau  andern  Volkern  zum  Muster, 
und  Russen,  Spanier  und  Portugiesen  haben  erst  durch  deutsche 
Bergleute  den  rechten  Betrieb  ihrer  sibirischen  und  amerikanischen 
Schatze  kennen  gelernt.  Bietet  auch  der  Bergbau  auf  edle  Me- 
talle  eine  relativ  minder  reiche  Ausbeute,  so  sind  andernseits  bei- 
nahe  alle  Gebirge  reich  an  Blei,  Kupfer  oder  Eisen,  vorziiglich  an 
brennbaren  Fossilien  und  an  Salz.  Ferner  besitzt  Deutschland 
an  1000  Mineral quellen,  von  denen  sich  mehrere  eines  ausgebreite- 
ten  Rufes  erfreuen. 

Trotz  der  mancherlei  Hindernisse,  welche  sich  dera  deutschen 
Gewerbfleisse  entgegenstellten,  hat  die  gewerbliche  Thatigkeit 
doch  eine  hohe  Stufe  erreicht.  Steht  der  deutsche  Kunstfleiss  auch 
nicht  auf  gleicher  Hohe  mit  dem  durch  mancherlei  Vortheile  be- 
gunstigten  Britanniens,  so  kommt  er  doch  dem  franzosischen  und 
belgischen  nahe.  Viele  Erfindungen  im  Gebiete  der  Technik  wur- 
den  von  Deutschen  gemacht  (Leinpapier,  Taschenuhren,  musikalische 
Instrumente,  Porzellan  u.  a.),  —  manche  Zweige  der  Industrie  sind 
von  Deutschen  zur  hochsten  Vollkommenheit  ausgebildet  (Glas-, 
Eisen-  und  Stahlfabrikation),  —  die  Erfindungen  anderer  Nationen 
fanden  in  Deutschland  bald  Eingang,  zum  Theile  auch  Verbesse- 
rung,  so  dass  gegenwartig  deutsche  Industrie  uberall  einen  ehren- 
vollen  Platz  behauptet.  Manufakturen  und  Fabriken  aller  Art  sind 
zahlreich  vorhanden ;  eine  Menge  von  Lehranstalten  und  Vereinen 
verbreiten  und  fordern  technische  Kenntnisse  und  Fertigkeiten ;  — 
Gewerbehallen,  Gewerbekammern,  Gewerbe- Ausstellungen ,  Kredit- 
und  Assekuranz  -  Ges ells chaf ten  uben  einen  wohlthatigen  Einfluss 
auf  die  deutsche  Industrie.  Die  industriellsten  deutschen  Lander 
sind:  Schlesien,  Sachsen,  die  Rh  einpr  ovinz,  Franken, 
Schwaben,  Thiiringen,  Westphalen,  Brandenburg.  —  Die  altesten 
und  wichtigsten,  zugleich  fast  uberall  verbreiteten  deutschen  Ge- 
werbe sind  die  Leinen-  und  Wollenweberei.  Die  Baumwollindustrie 
hat  namentlich  in  Sachsen  einen  ausserordentlichen  Aufschwung  ge- 
nommen.  Die  deutschen  Eisenwaaren,  besonders  Waffen,  Klingen 
und  die  preuesischen  Gusseisen  -  Waaren  gehoren  zu  den  vorziig- 
lichsten ;  das  deutsche  PorzelJan  zeichnet  sich  durch  Schonheit  der 
Masse ,  durch  Zierlichkeit  der  Form  und  die  Malerei  aus ;  —  die 
Niirnberger- Waaren  sind  nicht  bloss  wegen  ihrer  Wohlfeilheit  welt- 
beriihmt.  In  alien  Zweigen  gewerblicher  Thatigkeit  finden  wir  in 
Deutschland  ein  entschiedenes  Vorwartsschreiten. 

Deutschland  ist  durch  seine  Lage  in  der  Mitte  von  Europa 
und  an  drei  Meeren,  durch  die  Richtung  der  zahlreichen  schiff- 
baren  Flusse,  durch  die  Mannigfaltigkeit  und  den  Reichthum  seiner 
Naturprodukte,  und  ganz  besonders  durch  die  gewerbliche  Thatig- 
keit, die  hohe  geistige  und  sittliche  Kultur  der  Bewohner  zu  einem 
fur  Handel  und  Verkehr  sehr  giinstigen  Lande  geschaffen.  Aller- 
dings  steht  Deutschland  in  Folge  seiner  mehr  oder  minder  geschlos- 
senen  Meere  dem  britischen  Reiche,  Frankreich,  den  Vereinigten 


190 

Staaten'  von  Nordamerika  und  Holland  im  Welthandel  nach ;  dage- 
pen  ist  es  der  natiirliche  Vermittler  des  Landhandels  zwischen  dem 
Westen  und  Oaten,  dem  Norden  und  Suden  Europa's.  Die  Indu- 
strie und  der  Handel  sind  durch  die  Errichtung  des  Zollve reins 
und  den  Abschluss  von  Zoll-  und  Handelsvertragen  ungemein  ge- 
fordert  worden.  Die  trefflichen  und  vislen  Landstrassen,  die  wach- 
sende  See-  und  Flussschiffahrt,  das  dichte  Netz  der  zahlreichen 
deutschen  Eisenbahnen  und  Telegraphen,  die  Banken,  Borsen,  Kre- 
ditanstalten,  Assekuranz-  und  Handelsgesellschaften ,  Konsulate, 
Handelskammern,  Handelsschulen,  Messen  u.  s.  w.  sind  wichtige 
Beforderungsmittel  fur  den  Handel. 

Ein  noch  schoneres  Bild  weiset  uns  die  geistige  Kultur 
Deutschlands.  Ein  gewisser  Grad  allgemeiner  Bildung  herrscht  im 
ganzen  Volke  wie  in  keinem  andern  Lande,  und  an  strengwissen- 
schaftlicher  Entwickelung  wird  es  von  keiner  der  gebildetsten  Na- 
tionen  iibertroffen.  Die  Zahl  der  meist  trefflich  organisirten  Bil- 
dungsanstalten  ist  grosser  als  in  irgend  einem  Lande ,  und  uberall 
finden  wireinen  stetigenFortschritt.  „  Deutsche  Intelligenz,"  ,,deutsche 
Wissenschaft  und  Kunst"  sind  keine  Redensarten,  sie  sind  anerkannte 
Thatsachen  in  dem  Leben  dieses  grossen  Kulturvolkes.  Rechtsge- 
fuhl  und  Treue,  religiose  Innigkeit  des  Germithes,  Forschbegierde, 
Grundlichkeit  und  Auedauer  kennzeichnen  den  deutschen  Mann,  ob 
er  in  die  Tiefen  der  Wissenschaft  sich  versenkt,  oder  auf  dem  Ge- 
biete  der  materiellen  Interessen  fur  die  Ehre  und  den  Wohlstand 
seines  Vaterlandes  arbeitet.  Auf  diesen  festen  Grundlagen  ruht 
die  Hoffnung  auf  den  geistigen  und  materiellen  Fortschritt  des  Ge- 
sammt-Vaterlandes. 

B.  Die  einzelnen  Staaten  Deutschlands*). 

A.  Sildliche  Staaten. 
§.  104.  Das  Konigreich  Baiern. 

1388  nMeilen  ?  —  4,600.000  (relativ  3393)  Einwohner,  —  iiber  3  Millionea 
Katholiken,  an  l'/2  Million  Protestanten,  iiber  60.000  Israeliten  ;  nach  der  Nationa- 
litat  fast  ausschliesslich  Deutsche  (in  der  Pfalz  etwa  3500  Franzosen).  —  Oest- 
licher  Theil:  1280  QM.,  —  last  4,000.000  (relativ  3125)  Einwohner;  —  west- 
licher  Theil  (Pfalz):  108  QM.,  —  fiber  600000  (relativ  5650)  Einwohner.  — 
Grenzlander  des  dstlichen  Theil  es:  sachsische  und  reussische  Lande,  feach- 
sen,  Oesterreich,  Bodensee,  Wiirttemberg,  Baden,  Hessen;  —  des  westlichen 
Theiles:  Hessen,  liheinpreussen,  Baden,  Frankreich.  —  Konstitutionelle  Erbmonar- 
chie  in  der  mannlichen  und  weiblichen  Linie  des  romisch-katholischen  Hauses  W  i  t- 
telsbach. 

Boden.  Von  der  meist  gebirgigen  oder  doch  wellenformigen 
Oberflache  des  bairischen  Staates  entfallt  ungefahr  die  Halfte  auf 
das  Bergland.  Im  sildlichen  Theile  erhebt  sich  das  bairische 
Hochland  (die  Algauer-,  Tiroler-  und  Salzburger-Alpen) ;  die  ost- 
liche  Grenze  macht  der  bairische  Wald;  von  Norden  erstrecken 
sich  der  Frankenwald  und  das  Fich  telgebir  ge  in  das 

*)  Die  Bdeutschen  Kronlander  des  Kaiserthums  Oesterreich"  kommen  bei  Oester- 
reich, —  das  nHerzogthum  Holstein-Lauenburg"  bei  Dan  em  ark,  —  das  nGross- 
herzogthnm  Luxemburg"  und  das  BHerzogthum  Limburg"  bei  den  BNiederlan- 
d  e  n"  vor. 


191 

Land;  —  im  N.  W.  liegen  die  Rhon  und  der  S  peas  art;  —  von 
W.  ziehen  Verzweigungen  der  Rauhen-Alp,  der  Spessart 
und  der  Steigerwald  in  das  Land.  Das  Hauptthal  des  Landes, 
das  der  Donau,  erstreckt  sich  von  Westen  nach  Oaten;  siidlich  von 
der  Donau  erhebt  sich  das  Land  bis  zu  den  Alpen  und  bildet  eine 
wenig  fruchtbare  Hochebene,  nur  die  unteren  Gegenden  an  den  Ne- 
benfliissen  der  Donau  sind  ebener  und  fruchtbarer.  Hugeliger,  mil- 
der und  fruchtbarer  sind  die  Gegenden  nordlich  von  der  Donau ; 
die  Mainufer  aber  gehoren  zu  den  schonsten  in  Deutschland.  —  An 
den  Ufern  der  Donau,  der  Isar  und  derAmtner  ziehen  sich  stellen- 
weise  meilenlange  Siimpfe  und  Moore  (MMoose")  hin,  theilweise 
sind  sie  mit  niederem  Nadelholze  bewachsen  ;  doch  sind  die  Donau- 
ufer  im  Allgemeinen  fruchtbar.  —  Die  Pfalz  (Rheinbaiern)  wird  von 
den  Vogesen,  dem  Hardt  und  dem  Donnersberge  durch- 
zogen.  —  Die  sudlichen  Gegenden  Baierns  haben  wegen  der  Nahe 
der  Alpen  und  der  bedeutenden  vertikalen  Erhebung  ein  rauhes 
K 1  i  m  a ,  in  Mittelfranken,  in  den  Thalern  des  Main  und  des  Rhein 
jedoch  das  mildeste  in  Deutschland. 

Gewasser.  Die  bedeutendsten  Flusse  des  Landes  sind:  1,  Die 
Donau,  welche  Baiern  von  Westen  nach  Oaten  durchfliesst ;  sie 
nimmt  auf  der  rechten  Seite  die  Iller ,  den  Lech ,  die  Isar  und 
den  Inn  mit  der  Salzach,  und  auf  der  linken  die  AltmQhl,  die  Naab 
und  den  Regen  auf.  Von  Ulm  ist  sie  schiffbar,  und  von  Donau- 
worth  ab  beginnt  die  Dampfschiffahrt.  —  2.  Dir  Main  fliesst  von 
Osten  nach  Westen,  nimmt  am  rechten  Ufer  die  Rodach,  die  fran- 
kische  Saale  und  die  Kinzig,  am  linken  die  Regnitz  und  die  Tau- 
ber  auf  und  wird  ebenfalls  von  Dampfschiffen  befahren  ;  dem  Rhein 
in  der  Pfalz  fliessen  zu:  die  Lauter,  die  Queich  und  die  Nahe;  zum 
Geader  der  Weser  gehoren  die  Fulda  und  Ulster,  zum  Elbe-Geader 
die  Eger  und  die  sachsische  Saale.  —  (Siehe  auch  §.  44.) 

Die  bekanntesten  Mineralquellen  sind:  Steben  in  Ober- 
franken,  Kissingen,  Briickenau  und  Wipfeld  in  Unterfraaken,  Neu- 
markt  in  der  Oberpfalz,  Reichenhall  in  Oberbaiern. 

Baiern  hat  viele,  mitunter  sehr  fischreiche  Seen  und  Teiche 
namentlich  im  Siiden  (in  Schwaben  und  Oberbaiern).  Der  Bodensee, 
der  Ammer- ,  Starenberger- ,  Chiem-  (der  grosste) ,  Konigssee.  — - 
Die  wichtigsten  Kanale  sind:  der  Ludwigskanal  (Miin-Donau, 
Bamberg-Kehlheim)  und  der  Frank  enthaler-Kanal  (Stadt  Fran- 
kenthal  mit  dem  Rhein.) 

Politische  Eintheilung.  Baiern  wird  in  acht  Kreise  ein- 
geth  ilt.  —  Die  Reichshaupt-  und  Residenzstadt  des  Koniges  ist : 

Munch  en  (132.000  Einw.)  an  der  Isar,  aaf  einer  Hochebene,  eine  der  schon- 
sten Stadt e  Deuischlands  und  wegen  der  vielen,  durcli  Konig  Ludwig  ausgefuhrten 
Prachtbauten,  sowie  wegen  der  reichen  Kanstschatze  jeder  Art  eine  der  sehenswer- 
thesten.  Unter  den  grossartigen  Bauwerken  sind  hervorzuheben :  der  neae  Saal-  und 
KOnigsbau  mit  herrlichen  enkaustischen  und  Frescogemalden  und  Erz-Standbildern, 
der  Wittelsbacher  Palast,  die  Glyptothek,  die  alte  und  die  neue  Pinakothek,  die  Ar- 
kaden  des  Hofgartens,  die  Allerheiligenkirche,  die  Ludwigskirche,  die  Basilika,  die 
gothische  Kirche  in  der  Vorstadt  Au,  das  Bibliotheks-,  das  Ausstellnngs-  und  das 
Universitatsgebaude,  das  Siegesthor,  am  Ende  der  Theresienwiese  die  Buhmeshalle 
mit  der  kolossalen  Bavaria  u.  a.  m.  Zahlreiche  Statnen  und  Standbilder  u.  s.  w.  — 
Akademie  der  Wissenschaften,  Universitat  (von  Landshut  1826  hieher  verlegt),  grosse 


192 

Bibliothek  (nachst  der  Pariser  die  grosste  mit  800.000  Banden  und  22.000  Hand- 
schriften),  Sammlung  von  Alterthutnern,  polytechnisches  Central-Museum  fur  Baiern, 
Akademie  der  Kiinste,  reiche  Kunstsanimlungen,  viele  Sanitats-  und  Humanitats- 
Anstalten.  —  In  industrieller  Beziehung  sind  wichtig:  die  Institute  fur  mathema- 
tische  nnd  astronomische  Instrumente,  Steindrnckerei  (bier  erfunden  von  Sennefelcler 
1796),  grosse  weltberuhmte  Erzgiesserei,  Glasmalerei,  beruhmte  Maschinenfabrik  (von 
Maffei  in  Hirschau),  ausgedehnte  Bierbranerei  u.  s.  w.  In  der  Nahe  die  konigl.  Lust- 
schlosser  Nymphenburg  (k.  Porzellanfabrik)  und  Schleissheim  (landwirth. 
Centralschule). 

Bemerkenswerthe  Orte  sind : 

1.  Oberbaiern  (309  DM-»  750.000  E.),  -Munchen  (132.000),  Nymphen- 
burg,   SchleissLeim,    Freising,    Ingolstadt,    Reichenhall,    Rosenheim,    Berchtesgaden, 
Benediktbeuern,  Miihldorf; 

2.  Niederbaiern   (195   QM.,   555.000  E.),  Landshut   (11.000),   Passau 
(12.000),  Straubing,  Oberzell,  Hafnerzell,  Kehlheim  ; 

3.  Oberpfalz  nnd  Regensburg    (175    nM->  475.000  E.),   Regensburg 
(26.000),  Stadt  am  Hof,  Donaustauf,  Amberg; 

4.  Sckwaben  undNeuburg  (173  QM.,  560.000  E.),  Augsburg  (40.000\ 
Nen-Ulm,  DonanwQrth,  Neuburg,    Kempten,    Memmingen,    Kaufbeuern,    Nordlingen, 
Oettingen,  Solnhofen,  Lindau; 

5.  Oberfranken  (125  QM.,  500.000  E.),  —  Bayreuth  (20.000),  Bamberg 
(22.000),  Kulmbach,  Forchheim,  Wunsiedel,  Hof; 

6.  Mittelfranken  (139  QMM  530000 E.),  —  Ansb  ach  (12.000),  Nurnberg 
(54.0CO),    Furth  (18000),    Erlangen   (12.000),    Eichstadtl,    Schwabach,    Weissenburg, 
Windsheim,  Rothenburg,  Spalt. 

7.  Unterfranken    und   Aschaffenburg   (162  pM.,  590.000  E.),  Wnrz- 
burg  (30.000),  Aschaffenburg,  Schweinfurt,  Ochsenfnrt,  Kissingen,  Oberzelt,  Kitzingen. 

8.  Pfalz    Oder   Rheinbaiern    (108  QM.,    600000   E.),    Speyer  (12.000), 
Germersheim,  Ludwigshafen,  Frankenthal,  Anweiler,  Landau,  Nenstadt  an  der  Hardt, 
G6llheim,  Kaiserslautern,  Zweibriicken,  Obermoschel. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  wichtigste  Erwerba-  und  Nahrungsquelle  der  Bewohner 
des  Konigreiches  Baiern  ist  die  Landwirth^chaft  in  ihren  ver- 
schiedenen  Zweigen.  Namentlich  wird  der  Acker bau,  dem  fast 
die  Halfte  der  Gesammtflache  gewidmet  ist,  eifrig  betrieben ;  er  lie- 
fert  durchschnittlich  noch  erhebliche  Mengen  zur  Ausfuhr  nach  der 
Schweiz  und  Tirol.  Am  ergiebigsten  ist  er  in  Niederbaiern,  Franken, 
Schwaben  und  in  der  Pfalz.  Der  Anbau  von  Hulsenfriichten ,  Ge- 
muse  und  Kilchengewachsen  (um  Bamberg)  ist  vom  Belange.  Unter 
den  Handelspflanzen  nimmt  der  Hopfen  den  ersten  Platz  ein,  ins- 
besondere  in  Mittelfranken  (BSpalter  Stadtgut"),  Oberfranken  und 
Schwaben.  Die  ausgedehnten  Gerstenfelder  der  bairischen  Hoch- 
ebene  und  die  Sorgfalt  fiir  den  Hopfenbau  sind  die  Bedingungen 
fur  die  schwunghaften  Bierbrauereien.  Hanf  und  Flachs  werden  in 
geniigender  Menge  gebaut,  am  vorziiglichaten  ist  der  Flachsbau  bei 
Nordheim,  der  Hanfbau  in  der  Pfalz.  Tabak  wird  in  der  Pfalz 
und  in  Mittelfranken  (um  Nurnberg)  stark  gebaut;  im  Jahresdurch- 
schnitte  betragt  die  Ernte  240,000  Zentner,  wovon  fast  2/3  auf  die 
Pfalz  und  iiber  '/?  auf  Mittelfranken  kommen.  Pfalzer- Tabak  geht 
sogar  nach  Amerika.  Der  Obstbau  liefert  reichen  Ertrag,  selbst 
zur  Ausfuhr  (Pfalz,  Franken,  amBodensee).  In  der  Pfalz,  am  Main, 
in  Ober-  und  Mittelfranken  und  am  Bodensee  wird  atich  dieWein- 
kultur  betrieben  und  liefert  fiir  den  Export  nach  Thiiringen  und 
Sachsen,  Die  Wiesenkultur  hat  in  neuerer  Zeit  ansehnliche 


193 

Fortschritte  gemacht.  —  Grossen  Reichthum  hat  das  Land  an  Wai- 
dun  gen,  welche  fast  30%  der  Gesammtflache  bedecken. 

Die  Viehzucht  1st  nachst  dem  Ackerbaue  der  wichtigste  Zweig 
der  bairischen  Landwirth8chaft ;  eie  deckt  nicht  bloss  den  inlandi- 
schen  Bedarf,  es  kann  Vieh  auch  auagefuhrt  werden.  Die  Rind- 
viehzucht  ist  am  ausgebreitetsten  in  den  Alpengegenden.  Die 
Schweinezucht  von  Ober-  und  Niederbaiern,  auf  der  Rhon  und 
im  Spessart  erfreut  sich  eines  besonders  gunstigen  Rufes.  Die  be- 
aten Pferde  sind  in  Niederbaiern  und  Mittelfranken.  Veredelte 
Schafzucht  ist  in  Mittel-  und  Unterfranken  auagebreitet  und 
wird  durch  die  landwirtbschaftliche  Lehranstalt  in  Schleissheim, 
welche  jahrlich  100  Merinos widder  an  die  Besitzer  von  Schafereien 
abgibt,  praktisch  gefordert.  Die  Bienenzucht  ist  in  der  Pfalz 
und  in  Franken  sehr  bluhend,  auch  beginnt  die  Pflege  der  Seiden- 
raupen  an  Ausdehnung  zu  gewinnen. 

Unter  den  Produkten  des  Mineralreiehes  besitzt  Baiern  re- 
lativ  am  meisten  Eisen  und  Salz;  ersteres  wird  von  besondereu 
Gate  in  der  Pfalz  (Kaiserelautern)  und  in  Oberfranken  (Wunsiedel), 
doch  nicht  ausreichend  fur  den  Bedarf  gewonnen  ;  —  letzteres  in 
den  konigl.  Salinen,  worunter  die  grosaten  zu  Reichenhall ,  Berch- 
tesgaden  und  Traunstein  sind,  dann  in  Rosenheim,  Kissingen,  Orb, 
Dikkheim.  Auch  gewinnt  das  Land  etwas  Kupfer,  Blei,  Galmei, 
Zink,  Quecksilber  und  Schwefel ;  in  Oberbaiern,  Oberfranken  und  der 
Pfalz  Stein-  und  Braunkohlen,  aber  nicht  in  ausreichender  Menge; 
viel  Torf  in  Schwaben,  Oberbaiern  und  in  der  Oberpfalz.  Marmor, 
Alabaster,  Kalkateine  und  Gyps  findet  man  in  Oberbaiern ,  Mittel- 
franken und  Schwaben,  —  schone  Porzellanerde  bei  Passau  und  in 
der  Pfalz,  lithographische  Steine  bei  Solnhofen,  —  schone  Bausteine 
(Kehlheimer  Flatten),  Graphit  bei  Passau,  und  Siegelerde. 

Die  gewerbliche  Thatigkeit  stand  im  Mittelalter  auf  einer 
sehr  hohen  Stufe  der  Ausbildung ;  spater  wurde  Baiern  von  andern 
deutschen  Staaten  (Sachsen,  Preusaen,  Oesterreich)  uberfliigelt ;  in 
neuerer  Zeit  hebt  sie  sich  wieder  und  mehrere  Zweige  erfreuen  sich 
bereits  eines  ehrenvollen  Rufes.  In  Rheinbaiern  besteht  Gewerbe- 
freiheit,  in  den  andern  Theilen  ein  Concessionssystem.  Am  bedeu- 
tendsten  ist  die  Industrie  in  Ober-  und  Mittelfranken,  doch  kommen 
eigentliche  Fabriken  raeistentheiJs  nur  in  den  grosseren  Stadten  vor. 
—  Die  Baum  woll-Indust  rie  hat  zwar  an  Ausdehnung  und 
Vervollkommnung  gewonnen,  doch  befriedigt  sie  nicht  den  inlandi- 
schen  Bedarf.  In  der  Spinnerei  sind  hervorragend:  Augsburg, 
Hof,  Kempten,  Schweinfurt  und  Zweibrucken.  Die  weitere  Verar- 
beitung  des  Games  ist  in  Mittelsorten  nicht  unbedeuteud.  Die  We- 
berei  ist  besonders  in  den  kleinen  Landstadten  verbreitet,  am  be- 
deutendsten  jedoch  in  Munchen,  Augsburg  (treiflicher  Kattun  hier 
und  in  Kaiserslautern) ,  Hof  und  Nordlingen  (schone  Tuche,  Tep- 
piche,  Strurnpfwaaren  u.  8.  w.)-  Der  Import  in  Baumwollstofl'en  isc 
ziemlich  gross. 

Die  Leinweberei  liefert  meist  grobere  Waare,  feinere  wird 
importirt.  Der  Damast  von  Augsburg,  Munchen  und  der  Pfalz  wird 
im  Handel  geschatzt.  Die  Seidenw.aaren  von  Munchen,  Augs 

Klua's  Uaudels-Geograpbie.     2.  Aufl.  |  •; 


194 

burg  und  Umgebutfg  eind  nicht  von  Belang.  Die  Papier  fa  briken 
zu  Augsburg,  Nurnberg,  Aschaffenburg,  Neustadt  an  der  Hardt, 
Filrth  erzeugen  schemes  buntes  Papier,  aber  feinere  Papiersorten 
werden  aus  dem  Auslande  bezogen.  In  Papiermache'-Arbeiten  zeich- 
net  sich  Nurnberg ,  in  Tapeten  nebst  Nurnberg  auch  Schweinfurt 
aua.  —  Die  Industrie  in  Holzwaaren  bildet  in  manchen  Ge- 
genden  einen  bedeutenden  Erwerbszweig  und  liefert  fiir  den  Export. 
Beriihmt  sind  die  Berchtesgadner  Schnitzwaaren,  die  Drechsler-  und 
Kurzwaaren  aus  Nurnberg,  Erlangen,  Fiirth  u.  s.  w.  Der  Schiff- 
bau  wird  in  Kehlheim,  Regensburg,  Speyer,  Wiirzburg  und  Passau 
lebhaft  betrieben.  —  Als  eigentliches  Nationalgewerbe  kann  die  all- 
gemein  verbreitete  Bierbrauerei  angesehen  werden.  An  5000 
Brauereien  erzeugen  jahrlich  iiber  10  Mill.  Eimer  Bier,  das  wegen 
seiner  sehr  geriihmten  Qualitat  nach  alien  Richtungen  ausgefuhrt 
wird.  —  Die  Gerbereien  sind  sowohl  wegen  der  grossen  Anzahl 
als  wegen  der  Giite  der  Erzeugnisae  von  Wichtigkeit,  die  meisten 
sind  in  Schwaben  und  Franken.  Das  Kalbleder  von  Bamberg  wird 
sebr  geschatzt,  dessgleichen  die  feinen  Lederarbeiten  von  Niirnberg; 
Augsburg,  Wurzburg  und  Fiirth.  —  In  der  Metallwaaren- In- 
dustrie ist  jene  in  Eisen  am  ausgedehntesten  und  in  der  Zunahme. 
Hieher  gehoren  die  Nade  Ifabrikation  in  Schwabach,  die  Messer- 
schmied-  und  Sc  hw  er  tf  egerwaaren  von  Nurnberg  und  Erlan- 
gen, die  Gewehrfabrik  in  Amberg,  die  S  tiickgi  e  sserei  in 
Augsburg,  vor  Allem  die  konigl.  Erzgiesserei  und  die  Mas  chi- 
ne n-Fabriken  in  Miinchen,  dann  Augsburg,  Nurnberg,  Wurzburg 
(Schnellpressen),  in  Zweibriicken  und  Kaiserslautern.  Musikalische, 
mathematische  und  physikalische  Instrumente  werden  in  Miinchen, 
Augsburg,  Nurnberg,  WQrzburg,  Fiissen  u.  a.  O.  verfertigt.  —  Vor- 
treffliche  Bleistifte  liefert  Nurnberg  und  Umgebung.  Die  Stein- 
druckerei  ist  in  ihrem  eigentlichen  Vaterlande  in  hohem  Grade 
ausgebildet.  —  Zuckerfabriken  bestehen  in  Regensburg,  Wun- 
siedel,  Baireuth,  Schweinfurt.  —  Vortheilbaft  bekannt  sind  die  G 1  a  s- 
fabriken  des  bairischen  Waldes  (Theresienthal  bei  Zwiesel)  und 
Benediktbeuern,  die  Spiegelglaser  von  Erlangen,  die  optischen  Glaser 
und  Instrumente  in  Miinchen.  Porzellan  wird  in  Nymphenburg, 
Regensburg,  Passau  u.  a.  O.  gefertigt.  —  Grosse  Tabakfabri- 
ken  bestehen  in  und  urn  Nurnberg,  Erlangen  und  in  der  Rheinpfalz. 

—  Die  gewerbliche  Industrie  fordern  viele  technische  und  Gewerbe 
schulen,  iiber  40  gewerbliche  Vereine,  dann  Handels-  und  Gewerbe- 
kammern,  Induetrie-Ausstellungen  u.  s.  f. 

Der  Handel  ist  lebhaft  und  wird  gefordert  durch  die  echiff- 
baren  Fliisse,  den  Ludwigs-  und  den  Frankenthaler-Kanal ,  meist 
sehr  gute  Laudstrassen,  Eisenbahnen ,  Telegraphen  ,  Banken ,  Bor- 
sen,  Handelsvertrage ,  Handelsschulen  u.  s.  w.  Sehr  betrachtlich 
ist  der  Durchfuhrhandel.  Im  Ganzen  ist  der  bairische  Handel  aktiv, 
denn  der  Werth  der  Einfuhr  wird  im  Jahresdurchschnitt  auf  35, 
jener  der  Ausfuhr  auf  36  Millionen  Gulden  rheinisch  veranschlagt. 

—  Die    vorziiglichsten   Handelsorte    sind   Nurnberg   und  Augs- 
burg,   ersteres    der    vornehmste   Platz   fiir    den    Materialhandel  in 
Suddeutschland,  letzteres  einer  der  wichtigsten  Wechselplatze.  Pas- 


195 

sau  ist  der  Stapelplatz  filr  den  bairischen  Salzhandel;  Lin  da  a 
vermittelt  den  Verkehr  mit  der  Schweiz.  Grosse  Wollm§rkte 
eind  in  Augsburg,  —  Getreidemarkte  in  Memmingen ,  Miin- 
chen,  Nordlingen  und  Straubing,  —  Viehmarkte  in  Sonthofen, 

—  fur  den  Hopf  en  bestehen  mehrere  grossere  Hopfenmarkte  (Spalt, 
Hersbruck,  Memmingen). 

Die  geistige  Bildung  ist  im  Allgemeinen  gleichfalls  fortschrei- 
tend.  Die  Unterrichtsanstalten  erfreuen  sich  in  der  Regel  einer  sehr 
zweckmassigen  Einrichtung,  der  Beeuch  der  Volksschule  ist  streng- 
etens  anbefohlen.  Sowohl  fiir  die  gelehrte  Bildung,  als  fiir  die  land- 
wirthschaftliche,  technische  und  kommerzielle  Ausbildung  bestehen 
zahlreiche,  gut  organisirte ,  offentliche  und  private  Lehranstalten. 
Ganz  besonders  werden  in  Baiern  die  Kiinste  gepflegt.  Fiir  jeden 
Zweig  sind  zweckmassige  Schulen  vorhanden  und  in  alien  grosse- 
ren  Stadten  finden  sich  Kunstsammlungen,  unter  denen  jene  der 
Residenzetadt  Miinchen  einen  der  ersten  Platze  nicht  bloss  in  Deutsch- 
land,  sondern  selbst  in  Europa  einnehmen. 

g.  105.  Das  Kiinigreich  Wurttemberg. 

354  QMeilen;  —  1,800.000  (relativ  5085)  Einwohner;  —  etwa  2/8  Protestanten, 
'/,  Katholiken,  auch  Juden;  —  nach  der  Nationalitat  Deutsche.  —  Grenzen: 
im  0.  Baiern,  —  im  N.  Baiern,  Baden,  —  im  W.  Baden,  Preussisches  Hohenzollern, 

—  im  5.  Bodensee,  Baiern.  —  Konstitutionelle  Erbmonarchie  in  der  mannliehen  und 
weiblichen  Linie  des  Intherischen  Hauses  Wurttemberg. 

Boden.  Das  Konigreich  Wiirttemberg  ist  mehr  gebirgig  als 
eben,  doch  herrscht  eine  mannigfaltige  Abwechshing  von  Gebirgen, 
Hiigellandschaften  mit  anmuthigen  oder  grotesken  Thalern  und  frucht- 
baren  Ebenen ,  wodurch  dieses  Land  als  eines  der  schonsten  in 
Deutschland  erscheint.  Auf  das  Gebirgsland  entfallen  etwa  29%, 
auf  das  Htigelland  46%  und  auf  die  Ebenen  25%.  —  Im  Westen 
bildet  ein  Theil  des  Schwarzwaldes  mit  seinen  dunklen  Nadel- 
waldungen  die  Grenze ,  wahrend  der  schwabische  Jura  (oder 
die  R  a  u  h  e  A  1  p)  in  einer  Hohe  zwischen  1800'  und  2800'  von  Siidwe- 
sten  nach  Nordosten  das  ganze  Land  durchzieht.  Dieaer  bildet  ge- 
gen  Nordwesten  einen  sehr  steilen,  felsigen,  durch  anmuthige  Tha- 
ler unterbrochenen  Abhang;  gegen  Suden  senkt  er  sich  allmahlig 
zur  Donau  herab,  und  ist  durch  viele  merkwiirdige  Hohlen  ausge- 
zeichnet,  welche  Versteinerungen  und  fossile  Knochen  vorweltlicher 
Thiere  enthalten.  Nordlich  der  Alp  sind  die  reizendsten  und  frucht- 
barsten  Parthien  des  Landes ;  freundliche  Hugelziige ,  welche  ab- 
wechselnd  mit  Laubwaldungen,  Reben-  und  Obtsgelanden  prangen 
und  von  fruchtbaren,  wiesenreichen  Thalern  durchzogen  sind,  wech- 
eeln  mit  flachen,  wohlbestellten  Aekern,  die  Getreide  in  Fiille  lie- 
fern.  Siidlich  der  Alp  und  der  Donau  dehnt  sich  die  Hochebene 
Oberachwabens  bis  zum  Bodensee  aus,  in  deren  Flachthalern  hau- 
fige  Moorgriinde  vorkommen.  Zahlreiche  Passe  und  Gebirgs- 
strassen  durchschneiden  den  Schwarzwald  und  die  Alp  als  will- 
kommene  Forderungsmittel  fur  den  Verkehr. 

Gewasser.  Das  Land  ist  mit  Ausnahme  der  Hochflache  der 
Alp  reich  bewaasert  und  gehort  theils  zurn  Donau-,  theils  zum 
Rheingebiete.  Die  Donau  betritt  bei  Tuttlingen  das  Reich  und 

13* 


196 

verlasst  es  bei  Ulra,  wo  sie  erst  schiffbar  wird.  Sie  nimmt  auf  der 
rechten  Seite  die  aus  Vorarlberg  kommende  Iller,  dann  die  Riss 
und  mehrere  kleine  Bache  auf,  am  linken  Ufer  ffthrt  die  Blau  ihr 
einige  Gewasser  zu.  Der  wichtigste  Flues  des  Landes  ist  der  Neckar, 
welcher  aus  dem  Schwarzwalde  kommt,  bei  Kannstadt  schiffbar  wird 
und  nach  einem  Laufe  von  etwa  40  Meilen  (unterhalb  Gundelsheim) 
Wiirttemberg  verlasst.  Unter  eeinen  vielen  Nebenflussen  sind  be- 
merkenswerth :  (rechts)  die  Fils,  der  Kocher  und  die  Jaxt,  dann 
(links)  die  Enz.  In  den  Rhein  fliessen  weiters  die  Murg  und  Kin- 
zig,  und  in  den  Main  die  Tauber,  —  Nachst  dem  Bodensee  ist 
der  Federsee  der  beJeutendste,  doch  kommen  in  Schwaben  zahl- 
reiche  kleinere  Seen  und  Weiher  vor.  Auch  an  Mineralquellen 
ist  ein  ansehnlicher  Reichthiim:  Niederau ,  Boll  (bei  Goppingen), 
Kannstadt,  Mergentheim,  Wildbad  u. a.  —  Schiffbare  Kanalesind: 
der  Wilh  elms  k  anal,  durch  welchen  der  Neckar  von  Heilbronn  bis 
Kannstadt  schiffbar  wird,  die  Kaniile  zu  Esslingen,  Berg  bei  Kann- 
stadt und  Besigheim. 

Politische  Eintheilung.  Das  Konigreich  Wiirttemberg  wird 
in  vier  Kreise  eingetheilt,  deren  Unterabtheilung  Oberamter 
genannt  werden. 

1.  Neckarkreis  (60  QM.,  -510.000  E.),  -  Stuttgart  (50.000),  Ludwigs- 
burg,  Kannstadt,  Hohenheim,  Esslingen,  Marbach,  Heilbronn,  Weinsberg; 

2.  Schwarzwaldkreis  (86  DM->  —  450000  E.),    Reutlinpen  (12.000), 
Tuttlingen,  Ebingen,  Schwenningen,    Rottweil,    Eottenburg,    Tiibingen  (80CO),    Calw, 
Wildbad ; 

3.  Jaxtkreis  (93  QM.,  —  380.000  E.),  —  Ell  wan  gen  (4000),  Heidenheim, 
Schwabisch-Gmund,  Schwabisch-Hall,  Oehringen,  Mergentheim; 

4.  Donaukreis    (113  QM.,    —    420.000  E.),    -    Ulm    (15.300),    Biberacb, 
Kavensbnrg,  Friedrichshaf'en,  Goppingen,  Geisslingen,  Kirchheim  unter  der  Teck. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Eine  der  Hauptrahrungsquellen  des  Volkes  bildet  die  sorgfal- 
tig  betriebene  Laiidwirthschaft.  Das  verhaltnissmassig  mildeste 
Klima  und  die  grosste  Fruchtbarkeit  ist  im  Neckarthale  und  dessen 
Seitenthalern.  Von  der  Gesammtflache  werden  iiber  60%  landwirth- 
schaftlich  benutzt,  nahezu  V3  entfallt  auf  die  Waldungen,  das  nicht 
kultivirte  Areale  ist  demnach  sehr  geringe.  Das  meiste  Getreide 
wird  zwischen  dem  Schwarzwalde  und  der  Alp  gewonnen ;  Ge- 
muse,  Kiichen-  und  Gartengewachse  in  der  Umgegend 
von  Ulrn,  Stuttgart  und  Heilbronn;  edles  Obst  im  Neckarkreise 
und  am  Bodensee;  —  die  hoheren  Gegenden  ,  vorziiglich  im  Do- 
naukreise  liefern  trefflichen  Flachs,  im  Neckar-  und  Schwarzwald- 
kreise  Hanf,  —  Tabak  am  meisten  der  Neckarkreis.  Ein  wichti- 
ger  Nahrungszweig  ist  auch  der  hochst  bedeutende  Weinbau  im 
Neckar-,  Rems-  und  Tauberthale  und  am  Bodensee.  Das  Ertragniss 
kann  mit  etwa  100,000  wurttembergischen  Eimern  berechnet  werden 
und  ist  von  guter  Qualitat.  Die  W  i  e  s  e  n  k  u  1 1  u  r  ist  sehr  ansehnlich, 
Futterkrauter  sind  in  Menge  vorhanden.  Die  Waldkultur  steht 
namentlich  im  Schwarzwalde  auf  einer  hohen  Stufe,  mit  Holz  wird 
ein  sehr  eintraglicher  Handel  nach  Holland  getrieben.  Auch  die 
Nebennutzungen  der  Forste  sind  betrachtlich.  Der  Reichthum  des 
Landes  besteht  daher  in  Getreide,  Obst,  Wein  und  Holz,  welche 


197 

Produkte  nicht  nur  den  Bedarf  der  Bevolkerung  decken,  sondern 
zum  Theile  auch  exportirt  werden. 

Die  Viehzucht  ist  ebenfalls  bedeutend ,  vor  allem  jene  des 
Hornviehes  im  Allgau  und  im  Jaxtkreise ;  die  Pferdezucht  wird  in 
neuerer  Zeit  mit  Fleiss  behandelt,  die  meisten  Pferde  sind  im  Do- 
naukreise ,  die  schonsten  an  der  Alp.  In  der  sich  ausbreitenden 
Schafzucht  sind  die  Schaferei  auf  der  Achalm  (bei  Reutlingen)  und 
die  konigliche  Privatschaferei  zu  Seeheim  besonders  erwahnenswerth. 
Die  Schweinezucht  ist  am  erheblichsten  im  Jaxt-  und  Donaukreise, 
die  Schneckenzucht  auf  der  Alp,  die  Bienenzucht  in  der  ostli- 
chen  Landeshalfte  und  im  siidlichen  Theile  des  Schwarzwaldkreises. 
Zur  Einfiihrung  und  Hebung  der  Seidenzucht  besteht  ein  Seiden- 
bauverein. 

Unter  den  Produkten  des  Bergbaues  sind  nur  E  i  s  e  n  und 
Salz  von  Belang ;  die  Gewinnung  beider  ist  Staatsregal.  Das 
meiste  Eisen  liefern  die  Gruben  bei  Wasseralfingen  und  Aalen,  die 
Gesammtproduktion  der  Eisenerzgrubsn  betragt  an  400.000  Zentner 
Erze.  Die  Staatssalinen  von  Sulz,  Friedrichshall,  Klemenshall  und 
Wilhelmshall  am  Neckar  liefern  fiber  den  Bedarf  (fiber  700.000  Zent- 
ner). An  Erden  und  Steinen  trifft  man  viele  Arten,  Bau-  und  Werk- 
steine ,  Gyps ,  Marmor  u.  s.  w.  In  Oberschwaben  wird  auch  viel 
Torf  gestochen.  Von  Anstalten  fur  Hebung  der  Landwirthschaft  sind 
bemerkenswerth  die  grosse  land-  und  forstwirthschafdiche  Schule 
in  H  o  h  e  n  h  e  i  m  bei  Stuttgart  und  die  BZentralstelle  des  land- 
wirthschaftlichen  Vereins"  in  Stuttgart,  mit  welcher  fiber  40  Be- 
zirkavereine  in  Verbindung  stehen ;  ferner  der  Kreditverein  und  die 
Versicherungsanstalten. 

Besitzt  auch  Wiirttemberg  nicht  die  Menge  grosser  Fabriken 
wie  manche  andere  Staaten,  so  herrscht  auf  dem  Felde  gewerblicher 
Industrie  doch  ein  reges  Leben,  das  an  Umfang  und  Ausdehnung 
progressiv  steigt.  Einen  der  wichtigsten  Zweige  bildet  die  L  i  n  n  e  n- 
fabrikation,  welche,  obwohl  in  der  Alp  und  Oberschwaben  fast 
durchgehends  Handspinnerei  ,  iiber  den  Bedarf  des  Landes  produ- 
zirt.  Urach  besitzt  eine  mechanische  Flachsspinnerei.  Die  Bleicherei 
und  Weberei  ist  zumeist  auf  der  Alp  ausgebreitet.  Die  W  oil  in  du- 
st rie,  eine  der  altesten  des  Landes,  hat  sich  seit  dem  Aufhoren  der 
Hindspinnerei  und  der  Einfiihrung  des  Maschinenbetriebes  sehr  ver- 
vollkommnet.  Calw,  Kannstadt,  Warthausen,  Heilbronn,  Reutlingen 
nehmen  hierin  den  eraten  Rang  ein.  Unter  den  grb'sseren  Tuchfabri- 
ken  sind  erwahnenewerth  jene  in  Ludwigsburg,  Waiblingen,  Calw, 
Esslingan,  Kannstadt,  Stuttgart,  Goppingen.  Die  zahlreichen  Farbe- 
reien  leisten  Ausgezeichnetes.  Die  Teppichfabrikation  und  die  Woll- 
stickerei  sind  in  der  Aufnahme.  —  Die  Baumwoll- Industrie  ist 
relativ  bedeutend  und  ebenfalls  im  Wachsen.  Die  bedeutendsten 
Fabriken  sind  in  Bempflingen,  Ravensburg,  Spiegelberg,  Heiden- 
heim,  Esslingen,  Hall.  Ausser  mechanischen  Spinnereien  bestehen 
grosse  Webereien  (in  Goppingen,  Biberach,  Ravensburg),  Manchester- 
Fabriken ,  Tiirkischroth-Farbereien  (Berg,  Kannstadt,  Esslingen, 
Calw)  und  Strumpfwebereien.  In  neuester  Zeit  ist  auch  die  Weiss- 
stickerei  in  grossem  Umfange  eingeffihrt  worden.  Die  Seideu- 


198 

Industrie  ist  noch  unbedeutend.  Ein  besonderer  Erwerbszweig 
ist  (zu  Schwabisch-Gmiind  und  Biberach)  die  Haubenstickerei 
und  die  Gold-  und  Seidenstickerei  in  Stuttgart.  Eines  guten 
Rufes  erfreuen  sich  die  Holzwaaren  des  Schwarzwaldes,  darun- 
ter  aSchwarzwalder-Uhren,"  Tabakspfeifen  aus  Ulm  und  Kinderspiel- 
waaren.  Die  G  e  r  b  e  r  e  i  wird  ausgedehnt  in  Calw  (Saffian),  Tuttlingen, 
Reutlingen,  Heilbronn,  Ulm  betrieben.  —  In  der  Metallwaaren- 
Industrie  nehmen  die  Eisenwaaren  den  ersten  Rang  ein.  Die  Ei- 
senschmelzwerke  befinden  sich  in  Eigenthum  und  Selbstverwaltung 
des  Staatee.  Die  grosste  Eisengiesserei  ist  in  Wasseralfidgen  ;  Ma- 
schinen  werden  in  Esslingen  und  Stuttgart  erzeugt,  Messerschmied- 
waaren  in  Heilbronn,  Heidenheim,  Tuttlingen,  lackirte  Blechwaaren 
in  Esslingen,  Biberach,  Stuttgart,  Goppingen.  —  Die  meisten  Glas- 
hutten  finden  sich  im  Schwarzwalde  und  auf  der  Alp,  doch  gibt 
es  auch  einige  Fabriken.  Sehr  gutes  Porzellan  wird  in  Lud- 
wigsburg,  Steingut  zu  Schramberg  im  Schwarzwald  erzeugt, 
viel  und  gutes  Papier  in  Heidenheim,  Heilbronn,  Ravensburg, 
Urach,  —  mathemathi  sche  und  phy  si  kalische  Instru- 
ment e  in  Stuttgart,  Esslingen,  Ulm.  Von  nicht  zu  unterachatzen- 
dem  Einflusse  ist  die  Wirkeatnkeit  der  ^Zentralstelle  fur  Gewerbe 
und  Handel,"  der  Handelskammern  und  Gewerbvereine. 

Der  Handel  ist  bedeutend,  insbesondere  der  Binnenhandel. 
Die  Schiffahrt  auf  dem  Neckar,  der  Donau  und  dem  Bodensee,  die 
guten  Landstrassen  und  Eisenbahnen  fordern  den  Verkehr.  Zu  den 
wichtigeren  Ausfuhr-Artikeln  gehoren:  Getreide  (nach  der 
Schweiz),  Schlachtvieh  (nach  Frankreich),  Holz  (nach  den  Rheinlan- 
den),  Salz,  Wein  und  mehrere  der  genannten  Manufakturwaaren.  Ein- 
fuhr-Artikel  sind:  Kolonialwaaren,  Sudfriichte,  Oel,  Baumwolle, 
Hopfen,  Farbepflanzen,  Tabakblatter,  Eisen,  Manufakte.  Sehr  wich- 
tig  sind  der  Holzhandel  und  der  Buchhandel  (siiddeutsche  Buch- 
handlermesse  in  Stuttgart).  Der  Eigenhandel  ist  aktiv.  Der  Spedi- 
tionshandel  umfasst  hauptsachlich  Farb-,  Material- und  Kolonial- 
waaren und  Vieh;  die  wichtigsten  Platze  hiefiir  sind  Friedrichshafen, 
Ulm,  Heilbronn,  Kannstadt,  Stuttgart.  —  Unter  den  vielen  Jahr- 
und  Wochenmarkten  verdienen  besondere  Hervorhebung  die  Tuch- 
messen  zu  Stuttgart,  die  Wollmarkte  zu  Kirchheim,  Goppingen  und 
Heilbronn.  —  Auch  die  geistige  Kultur  weiset  einen  erfreulichen 
Stand.  Selbst  unter  den  untern  Volksklassen  herrscht  ein  ziemlich 
befriedigender  Grad  allgemeiner  Bildung;  die  vielen  Gelehrten  die- 
ses Landes  waren  und  sind  eine  Zierde  des  gesammten  deutschen 
Vaterlandes.  Wiirttemberg  bietet  sonach  in  alien  Richtungen  ein  er- 
freuliches  Bild. 

§.  106.  Das  G  rossherzogtlium  Baden. 

278  QMeilen,  —  1,400000  (relativ  5035)  Einwohner,  —  uberwiegend  Katho- 
liken  (tiber  900.000),  etwa  450.000  Protestanten,  einige  Dissidenten  und  an  24.000 
Israeliten;  —  nach  der  Nationalitat  Deutsche.  —  Grenzen:  im  0  Wurttem- 
berg,  Hohenzollern,  Baiern,  —  im  N.  Baiern,  Hessen-Darmstadt,  —  im  W.  bairische 
Kheinpfalz,  Frankreich  (Rhein),  —  im  S.  Schweiz,  Bodensee.  —  Konstitationelle 
Erbmonarchie  in  mannlicher  und  weiblicher  Linie  des  Hauses  Zahringen. 

Boden.  Das  Grossherzogthum  Baden  gehort  zum  siiddeutschen 


199 

Berg-  und  Hugellande.  Etwa  44%  konnen  auf  das  Bergland,  an 
40%  auf  das  Hfigelland  und  16%  auf  die  Ebenen  gerechnet  wer- 
den.  Fast  parallel  rait  dem  Rheine  erhebt  sich  der  Schwarzwald 
mit  steilem  Abfall  nach  Westen,  mit  sanfterem  gegen  Oaten  und 
Norden.  Im  Nordosten  breitet  sich  der  Odenwald  aus,  auch 
Theile  des  Neckar  gebirges  und  der  Rauhen  Alp,  sowie  der 
schwabischen  Hochebene  streichen  in  das  Land  herein.  Die 
Ebene  breitet  sich  nur  langs  des  Rheines  aus;  das  Bergland  ist 
reich  an  abwechselnd  wilden  und  reizenden  Thalern,  welche  meist 
sehr  fruchtbar  und  gut  angebaut  sind.  Wegen  ihrer  Schonheit  sind 
namentlich  das  Neckar-,  das  Murg-  und  das  Kinzigthal  bekannt. 
Am  Rhein  und  Bodensee  ist  das  Klima  mild,  nur  die  theils  kah- 
len  und  felsigen,  theils  mit  Moorgriinden  bedeckten  Hohen  des 
Schwarzwaldes  eind  rauh. 

Gewasser.  Das  Land  ist  gut  bewassert.  Der  Hauptfluss  ist 
der  Rhein,  in  welchen  fast  alle  Flusse  sich  ergiessen,  unter  denen 
der  Neckar  der  bedeutendste  ist;  dann  die  Murg,  die  Kinzig,  die 
Wiesen  und  die  Elz  (mit  der  Dreisam).  Der  Main  beriihrt  nur  die 
nordliche  Grenze  und  nimmt  bei  Wertheim  die  aus  Wiirttemberg 
kommende  Tauber  auf.  Die  Donau  hat  ihre  Hauptquelle,  die 
Brege  (3/4  Meilen  nordwestlich  von  Furtwangen)  am  Schwarz- 
walde,  welche  sich  durch  mehrere  Bache  verstarkt  und  (nach  einem 
Laufe  von  funf  Meilen)  unterhalb  Donaueschingen  mit  der  Brigach 
vereinigt.  Der  durch  die  Vereinigung  der  Brege  und  Brigach  ent- 
standene  Fluss  heisst  Donau ,  welche  nach  einem  Laufe  von  16 
Meilen  nach  Wiirttemberg  tritt.  —  Unter  den  vielen  Seen  ist  der 
Bodensee  (Ueberlingersee  mit  der  Insel  Mainau)  fiir  Baden  der 
bedeutendste.  —  Sehr  reich  ist  das  Land  an  Mineralquellen, 
unter  denen  Baden-Baden,  Badenweiler,  Rippoldsau  die  bekannte- 
sten  sind. 

Politische  Eintheilung.  Das  Grossherzogthum  Baden  wird 
in  vier  Kreise  eingetheilt: 

1.  Mittelrheinkreis  (73  DM.,  —  465.000  E.);   —    Karlsruhe    (26.000), 
Rastatt,  Lahr,  Offenburg,    Kehl,   Leopoldshafen,  Baden,  Durlach,  Bretten,    Bruchsal, 
Pforzheim ; 

2.  Unterrheinkreis  (63  QM.,  -  350.000  E.),  Mannheim  (30.000),  Hei- 
delberg, Schwety.ingen,  Weinheim,   Wertheim  ; 

3.  Oberrhfitikreis  (75  QM.,  —  350.000  E.),  —  Freiburg  (im  Breisgau, 
17.000,),  Tryberg,  St.   Blasien,  Waidkirch; 

4.  Seekreis  (67QM.,  —200.000),  —  Congtanz  (8000),  Meersburg,  Ueber- 
lingen,  Donaueschingen,  Stockach. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Der  fruchtbare  Boden  und  das  gGnstige  Klima  fordern  in 
hohem  Grade  die  Landwirthschaft,  welche  eine  der  wichtigsten 
Nahrungsqueilen  der  Bevolkerung  bildet.  An  2/3  der  Bevolkernng 
betreiben  die  Landwirthschaft  in  rationeller  Weise  und  der  Ertrag 
iibersteigt  den  Bedarf.  Zunachst  ist  es  die  Rheinebene,  welche  grosse 
Mengen  des  schonsten  Getreides  liefert  ,  in  der  Pfalz  werden 
besonders  Hulsenfriichte  angebaut.  Von  Handelspflanzen  sind 
zu  erwahnen:  der  Hanf  (auch  in  betrachtlicher  Menge  fiir  den 
Export)  um  Altbreisach,  Ettlingen,  Pforzheim,  —  der  Flachs  in 


200 

den  Thalern  des  Schwarzwaldes ,  —  der  beste  Tab  ak  Deutsch- 
lands  um  Mannheim  und  Ladenburg ,  ferner  Raps,  Hopfen  und 
Krapp.  Die  Wiesenkultur  ist  musterhaft.  —  Alle  Sorten  selbst 
des  feinsten  Obstes  sind  in  Menge  vorhanden,  namentlich  an  der 
Bergstrasse  von  Weinheim  bis  nach  Hessen.  Sehr  betrachtlich  ist 
der  Wei  n  b  au  ,  dessen  Jahresertragniss  rait  etwa  700.000  Eimer  an- 
genommen  wircl  (Markgrafler,  Wertheimer,  Affenthaler  und  See- 
wein).  Die  F  orstwirth  schaf  t  wird  ebenfalls  sorgfaltig  behandelt, 
aus  dem  Schwarzwald  und  dem  Odenwald  wird  Holz  auch  ausge- 
fiihrt.  —  Die  bliihende  Landwirthschaft  hat  eine  vortreffliche  Vieh- 
zucht  zur  Folge.  Die  Rindvieh  zuch  t  ist  im  ganzen  Lande  sehr 
ausgebreitet  und  durch  fremde  Racen  vielfach  veredelt ;  —  fur  die 
Forderung  der  Pferdezucht  sorgen  die  Landesgestiite ,  fur  die 
Veredlung  der  Schafzucht  die  Landesstammschafereien,  In  ein- 
zelnen  Gegenden  kommt  die  Bienenzucht  und  hie  und  da  auch 
die  Seidenraupenzucht  vor.  Fischerei  und  Jagd  bieten  ansehnliche 
Beute.  —  Unter  den  Produkten  des  Bergbaues  kommen  nur  Ei- 
s en  und  Salz  in  betrachtlicher  Menge  vor;  Blei,  Kupfer  und  Sil- 
ber  sind  im  Ganzen  unbedeutend,  eowie  auch  das  Waschgold,  wel- 
ches (in  Darlanden,  bei  Kehl  und  in  Philippburg)  aus  dem  Rhein- 
sande  gewonnen  wird.  Fur  die  Eisengewinnung  sind  Kandern, 
der  Klettgau,  die  Donaugegend  u.  s.  w.  beachtenswerth ;  fur  Salz 
die  Staatssalinen  zu  Diirrheim  (im  Seekreise)  und  Rappenau  (bei 
Wimpfen). 

Baden  ist  iiberwiegend  ein  Agrikulturstaat ;  dessenungeachtet 
erfreut  sich  auch  die  Industrie  eines  guten  Rufes.  Im  Kleingewerbe 
herrscht  eine  grosee  Riihrigkeit  und  die  mehr  vereinzelt  vorkom- 
menden  Fabriken  stehen  zumeist  in  hoher  Bliithe.  Die  Garnspin- 
n  e  r  e  i  und  Leinweberei  istim  Breisgau,  im  Oden-  und  Soh  warz- 
walde,  vor  Allem  in  und  um  Lahr  am  starksten.  Die  Maschinen- 
spinnerei  gewinnt  an  Ausdehnung.  In  der  Baumwollindustrie 
sind  hervorzuheben  die  Spinnereien  zu  Constanz  und  St.  Blasien, 
die  Webereien  zu  Waldshut,  Lahr,  Constanz  etc.;  —  in  der  Wo  11- 
induetrie  die  Tuchfabriken  zu  Pforzheim  und  Neustadt,  die  Kal- 
tunfabriken  zu  Freiburg,  Constanz,  Lorrach  und  Bingen.  Ausser 
den  Seidenwebereien  zu  Kandern  und  Lahr  gibt  es  deren  noch 
an  zwanzig  im  Lande.  —  Papier  wird  viel  und  von  sehr  guter 
Qualitat  im  Mittelrheinkreise  (Ettlingen),  im  Oberrhein-  und  See- 
kreise erzeugt.  Ferner  sind  zu  erwahnen:  die  Lederfabriken  von 
Pforzheim,  Karlsruhe,  Heidelberg,  Rastatt ,  die  Strohflech- 
tereien,  —  Papiermiihlen  und  die  Verfertigung  der  Holz- 
waaren  (insbesondere  Holzuhren  in  Neustadt,  Tryberg  und 
Hornberg)  im  Schwarzwalde,  —  die  auegedehnte  Tabakfabrikation 
(Karlsruhe,  Lahr,  Mannheim),  —  die  Sagemiihlen  an  der  Murg,  — 
die  Mahlmuhlen,  Cichorien-  und  Runkelriibenzucker  -  Fabriken  in 
der  Rheinebene,  —  die  Eisenwerke  von  Pforzheim  und  Zell,  —  der 
Maschinenbau  in  Karlsruhe,  —  die  Stein-  und  Kupferdruckereien 
in  Freiburg,  —  zahlreiche  Bierbrauereien,  Branntweinbrennereien 
(Mannheim  und  Wertheira)  u.  s.  f.  Die  relativ  am  meisten  indu- 
striellen  Stadte  des  Landes  sind:  Mannheim,  Pforzheim,  Karlsruhe, 


201 

Heidelberg,  Lahr,  St.  Blasien.  Mehrere  Gewerbevereine  und  tech- 
nische  Schulen ,  unter  diesen  die  beriihmte  polytechnische 
Schule  in  Karlsruhe,  uben  auf  die  Gewerbe  einen  sehr  vor- 
theilhaften  Einfluss  aus. 

Der  Handel  ist  sehr  lebhaft.  Der  Bodensee,  der  Rhein,  der 
Neckar  und  der  Main  werden  mit  Dampfschiffen  befahren,  die  zahl- 
reichen  Strassen  befinden  sich  im  beaten  Zustande  und  durchschnei- 
den  nebst  den  Staatseisenbahnen,  welche  alle  wichtigen  Stadte  ver- 
binden,  das  Land  in  alien  Richtungen.  Die  geographische  Lage 
eignet  das  Land  zunachst  fiir  den  Speditionshandel  zwischen  Frank- 
reich,  der  Schweiz  und  den  deutechen  Nachbarstaaten ;  doch  hat 
auch  der  Eigenhandel  Aufschwung  genommen.  Zu  den  wichtigsten 
Exportartikeln  gehoren :  Holz  (nach  den  Niederlanden  ^Hollan- 
derholz"),  Wein  (nach  der  Schweiz),  Schlachtvieh  (nach  Frankreich), 
Getreide,  Hanf,  Tabak,  Obst,  Holz-  und  Strohwaaren,  Papier  u.s.  w. ; 
—  die  bedeutendsten  Importartikel :  Siidfriichte,  Kolonialwaaren, 
Pferde,  Wolle,  Baumwolle,  Seide  und  Seidenwaaren,  Eisen,  Stahl, 
Galanterie-  und  Luxuswaaren  u.  a.  m.  Die  Hauptorte  fiir  den  Han- 
delsverkehr  sind:  Constanz,  Ludwigshafen,  Kehl,  Pforzheim,  Mann- 
heim, Heidelberg,  Wertheim,  Leopoldshafen  und  Knielingen  (am 
Rhein).  —  Grosse  Fruchtmarkte  sind  in  Mannheim.  —  Die  gei- 
stige  Hiihur  erfreut  sich  einer  ganz  besonderen  Pflege  und  weieet 
sehr  erfreuliche  Ergebnisse.  Die  Volkebildung  steht  im  Ganzen  auf 
einer  sehr  achtenswerthen  Stufe,  alle  Arten  von  Unterrichtsanstalten, 
ob  sie  die  gelehrte  oder  eine  auf  das  »praktiechea  Leben  abzielende 
Bildung  als  Aufgabe  haben,  sind  vortrefflich  eingerichtet ;  Wissen- 
schaften  und  Kiinste  bluhen  in  diesem  schunen,  fruchtbaren  und  be- 
triebsamen  Lande. 

§.  107.  Das  Fiirstenthum  Liechtenstein/ 

Das  Fiirstenthum  Liechtenstein,  nicht  ganz  3  QMeilen  gross, 
ist  von  Vorarlberg  und  der  Schweiz  umgeben,  meist  von  hohen 
Bergen  bedeckt,  vom  Rheine,  der  Samina  (Nebenfluss  der  111)  und 
mehreren  Bacben  bewassert.  In  den  Gebirgen  ist  das  Klima  rauh, 
milder  am  Rheine.  —  Es  besteht  aus  den  zwei  Herrschaften  Va- 
duz und  Schellenberg.  Die  Bewohner,  7000  an  der  Zahl,  sind 
Deutsche,  alemannischen  Stammes  und,  wie  ihr  in  Wien  residi- 
render  Furst,  katholischer  Religion;  ihre  Wohnplatze  sind  iMarkt- 
flecken:  Vaduz  (1000  Einwohner)  und  13  Dorfer.  Die  vorzugliche 
Erwerbsquelle  ist  die  Landwirthschaft.  Der  Boden  ist  im 
Allgemeinen  fruchtbar ;  Acker-  und  Flachsbau,  Obst-  und  Weinbau 
Cam  Rheine)  —  und  die  Rindviehzucht  werden  gut  gepflegt.  —  Die 
gewerbliche  Thatigkeit  beschrankt  sich  auf  Baumwoll- 
spinnerei  fur  die  benachbarten  Schweizer  Fabriken  und  ordinare 
Holzarbeiten. 

Liechtenstein  ist  (am  5.  Juni  1852)  nnbeschadet  der  landesberrlichen  Hoheita- 
rechte  dem  Ssterreichischen  Systeme  der  Z6lle,  Staatsmonopole,  Verzehrangsstener 
nnd  Stempel  beigetreten.  Untersnchungen  gegen  Gefallsubertretungen  ffihren  Sster- 
reichische  Beamte  nnd  die  Zoll-  und  Steueramter  sind  gemeinscbaftlich.  Oesterreich 
besoldet  und  beeidet  die  Zollbeamten.  Die  Jahreseinkiinfte  werden  nacb  Abzug  der 
Auslagen  den  fQrstlichen  Kassen  zagewendet,  auch  verburgt  Oesterreich  ein  jahrliches 
Reineinkommen  von  2  fl.  far  jeden  Kopf  der  Bcvolkerung.  Der  Vertrag  dancrt  bis 


Ende  1863,  nnd  wird,  wenn  keine  Kiindigung  erfolgt,  als  auf  weitere  12  Jahre  ver- 
langert  angesehen.  Posten,  Miinzen,  Masse  und  Gewichte  sind  die  Ssterreichischen. 
Das  Fiirstenthum  hat  eine  landstandische  Verfassung.  Die  Landstande 
bestehea  aus  der  Geistlichkeit  und  der  Landmannschaft,  welche  in  einer  Kammer 
vereinigt  sind,  und  sich  jahrlich  im  Landtage  versammeln,  auf  welchem  der  Landes- 
verweser  von  Vaduz  als  landesfurstlicher  Commissarius  den  Vorsitz  hat.  Die  oberste 
BehSrde  der  Staatsverwaltung  ist  die  nfurstliche  Hofkanzlei"  in  Wien,  welcher 
der  nLandesverweser"  und  ein  nAdjunkt"  (fiir  die  Justiz  in  erster  Instanz)  in  Vaduz 
unterstehen.  Gesetze  fiir  Liechtenstein  sind  meistens  die  Ssterreicbischen. 

B.   Westliche  Staaten. 
§.  108.  Das  Kurfiirstenthum  Hessen. 

(Hessen-Kassel  oder  Kurhessen.) 

173  QMeilen;  —  756.000  (relativ  4832)  Einwohner,  —  nberwiegend  Pro- 
testanten  (uber  620.000  E.),  an  120.000  Katholiken,  dann  Mennoniten  nnd  etwa  11000 
Israeliten;  —  nach  der  Nationalitat  vorwiegend  Oberdentsche.  —  Bestand- 
theile:  das  Hauptland,  die  Grafschaft  Schaumbnrg,  die  Herrschaft  Schmalkalden. 

—  Grenzen   (des    Hauptlandes)    im  N.  Hannover,    Prenssen,    —    im   0.  Preussen, 
Weimar,  Baiern,  —    im  S.  Baiern,   Hessen  -  Darmstadt,    Frankfurt  a.  M.,    —  im   W. 
Hessen-Darmstadt,  Nassau,  Preussen,  Waldeck ;  —  Schaumburg  ist  von  Hannover 
and  Lippe,  —  Schmalkalden  von  den  sachsischen  Herzogthumern    und  Preussen 
begrenzt.    —    Konstitutionelle  Erbraonarchie    im    lutherischen    Hause  Hessen    nach 
der  Linealfolge  mit  dem  Ilechte  der  Erstgeburt  im  Mannesstamme. 

Boden.  Kurhessen  ist  vorherrschend  Bergland ,  am  meisten 
gebirgig  ist  Schmalkalden.  Das  Hauptland  wird  von  Zweigen  des 
Spessart,  der  Rhon  und  des  Vogelgebirges  im  Sttden,  vom 
Reinhards-  und  Habichtswalde  im  Norden  durchzogen. 
Schmalkalden  ist  vom  Thiiringerwalde  erfiillt,  nach  Schaum- 
burg streichen  Theile  des  ostlichen  Wesergebirges  (Siintel).  — 
Die  ebenen  Gegenden  am  Main  und  das  Kinzigthal  haben  mildes, 
die  Gelande  an  der  Rhon  ein  rauhes  Klima. 

Gewasser  Die  Fliisse  des  Landes  gehoren  dem  grosseren 
Theile  nach  zum  Geader  der  Weser,  im  sudlichen  Landestheile 
zu  jenem  des  Main.  Der  wichtigste  Fluss  ist  die  Fulda  (mit  der 
Schwalm  und  Edder),  welche  sich  mit  der  Werra  (bei  Miinden) 
zur  Weser  vereinigt.  Der  Main  ist  auf  einer  kurzen  Strecke 
Grenzfluss  und  nimmt  die  Kinzig  auf.  —  Kurhessen  hat  keine 
Seen,  aber  viele  fischreiche  Teiche,  auch  mehrere  Mineralquellen. 

Politische  Eintheilung.  Das  Kurfiirstenthum  Hessen  wird 
in  vier  Provinzen  eingetheilt : 

1.  Provinz  Niederhessen  und  Schaumburg  (80  QM.,  —  370.000  E.), 

—  Kassel  (37.000),  WilhelmshOhe,  Karlshafen,  Grossalmerode,    Hof-Geismar,  Esch- 
wege,  Witzenhausen.  Allendorf,  Rothenburg;  —  (in  Schaumburg):  Rinteln ; 

2.  Provinz  Oberhessen  (36  QM.,  —  130.000  E.);  —  Marburg  (8000), 
Ziegenhain.  Frankenberg; 

3.  Provinz  Fulda   uiid  Scbmalkalden  (33  QM,   —   140000  E.);  — 
Fulda  (10.000),  Hersfeld,  Hunfeld;  —  (in  Schmalkalden):  Schmalkalden; 

4.  Provinz  Hanau  (23  DM.,  —  130.000  E.),    —  Ha  nan  (17.000),  Geln- 
hausen,  Bockenheim,  Nauheim. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 
Kurhessen  ist  vorzugsweiee    ein    procluzirendes   Land.     Die 

Fruchtbarkeit  des  Bodens  ist  sehr  verschieden;  in  einigen  Theilen 
deckt  die  Produktion  nicht  den  Bedarf,  in  andern  wird  nur  durch 
Fleiss  und  Kunst  ein  massiger  Ertrag  abgerungen ;  am  fruchtbarsten 


sind  die  Mainebene  und  das  Werrathal.  Die  Getreideproduktion  ge- 
niigt  nur  in  guten  Jahren.  Gutes  Gemuse  findet  man  in  Hanau  und 
in  der  Umgebung  von  Kassel.  —  Unter  den  Handelspflanzen  ist 
der  Flachsbau  in  Schaumburg  und  Niederhessen  am  bedeutend- 
eten,  Tabak  wird  viel  im  Werrathale  und  Hanau  gepflanzt;  in 
letzterer  Provinz  gedeihen  auch  recht  gutea  Obst  und  Wein.  —  Die 
Wiesenkultur  macht  bedeutende  Fortschritte.  —  Die  Forst- 
kultur  ist  sehr  ansehnlich  und  liefert  bedeutende  Mengen  Holz 
zum  Export.  —  Die  Viehzucht  ist  befriedigend,  sie  deckt  hinlang- 
lich  den  Bedarf.  Relativ  vorzuglich  ist  die  Rindviehzucht,  jene  der 
Pferde,  Schafe  und  Schweine  geniigt.  Bliihend  ist  die  Bienenzucht; 
Fiecherei  und  Jagd  gewahren  reiche  Ausbeute. 

Der  Bergbau  liefert  Eisen  und  Salz,  Stein-  und  Braun- 
kohle,  dann  Kupfer  und  Kobalt.  Grosser  Eisenbau  ist  urn  Schmal- 
kalden,  Kupfer  wird  zu  Richelsdorf,  Kobalt  zu  Richelsdorf  und 
Bieber  zu  Tage  gefordert.  Salz  liefern  in  bedeutender  Menge  die 
Staatssalinen  zu  Allendorf,  Nauheim  und  Bodenberg ;  Steinkohlen 
gewinnt  man  in  Schaumburg ,  Braunkohlen  in  Niederhessen,  — 
Vortrefflichen  Thon  hat  das  Land  bei  Grossalmerode,  von  dem 
grosse  Quantitaten  nach  America  exportirt  werden;  endlich  viele 
und  gute  Bausteine. 

In  der  gewerblichen  Industrie  nimmt  Kurhessen  keinen  be- 
deutenden  Rang  unter  den  deutschen  Staaten  ein.  Das  niedere  Ge- 
werbe  ist  ziemlich  verbreitet;  Fabriken  sind  nur  in  grosseren  Stad- 
ten.  Die  G  arnspinn  erei  und  Leinweberei,  der  alteste  In- 
dustriezweig ,  ist  im  ganzen  Lande  als  Nebenbeschaftigung  des 
Landmannes  verbreitet,  am  betrachtlichsten  in  Niederhessen  ,  dann 
um  Marburg  und  Fulda,  und  liefert  sogar  fur  den  iiberseeischen 
Export.  Die  Wollweberei  ist  ansehnlich,  besonders  in  Hersfeld, 
Melsungen  und  Eschwege.  Die  Baumwollindustrie  beginnt 
sich  auszubreiten,  und  sind  Hersfeld,  Fulda,  Kassel,  Hanau,  Esch- 
wege hierin  nennenswerth.  Hanau  liefert  Seidenzeuge ;  auch  die 
Strumpfwirkerei ,  die  Farbereien  und  Lederfabriken  sind  hier  an- 
sehnlich. Einen  guteu  Ruf  geniessen  ferners  die  Topferwaaren  von 
Marburg  und  besonders  die  Schmelztiegel  von  Grossalmerode, 
dann  die  Blaufarben  von  Karlshafen.  Die  bedeutendsten  Eisen- 
undStahlfabriken  sind  in  Schmalkalden  und  zu  Steinbach  im  Thu- 
ringerwalde;  —  Maschinen  werden  in  Kassel  gebaut;  —  Gold- und 
Silberwaaren  werden  zu  Kaesel  und  Hanau,  Bijouteriewaaren  in  letz- 
terer Stadt  am  schonsten  verfertigt;  Kassel  liefert  uberdiess  Tapeten, 
Tabak,  Kattune,  mathematische  und  physikalische  Instrumente.  — 
Die  wichtigsten  Industrieorte  sind:  Hanau,  Kassel,  Hersfeld,  Mel- 
sungen, Eschwege  und  Bockenheim. 

Der  Handel  ist  lebhaft.  Die  schiffbaren  Fliisse  (Main,  Weser, 
Werra  und  Fulda),  gute  Landstrassen,  Eisenbahnen  und  die  alten 
Handelswege  zwischen  Frankfurt  und  Leipzig,  von  Thiiringen  nach 
Westphalen  befordern  den  Verkehr  mit  dem  Auslande  und  zumeist 
den  Tiansithandel.  Karlshafen,  Eschwege  und  Hanau  sind  Haupt- 
platze  fiir  den  auswartigen  Handel ,  Witzenhausen  ist  Stapelplatz 
iiir  die  Almeroder-Waaren.  Fur  den  inneren  Handel  ist  Kassel, 


J04 

insbesondere  die  Kas?eler  Ostermesse  von  Bedeutung.  Die  Werra- 
stadte  treiben  vorzugaweise  Getreidehandel.  Die  wichtigsten  Aus- 
fuhrartikel  sind  Leinwand  und  Garn  (,,Hesaengarn"),  dann  Ei- 
sen,  Schmalkaldner  Eisen-  und  Stahlwaaren,  Thongeschirre,  Holz 
(nach  Bremen),  Salz  und  Hanauer  Fabrikate;  —  Einf uhrartikel 
sind  Kolonialwaaren,  Sudfruchte,  Wein,  Getreide,  Wolle,  Baum- 
wolle,  Seide  und  Seidenwaaren,  Glaa,  Luxus-  und  Galanterieartikel 
aus  Frankfurt.  —  Fiir  die  gei^tige  Kultur  ist  gut  gesorgt,  die 
Lehr&nstalten  sind  zweckmassig  eingerichtet,  und  sowohl  fiir  gelehrte 
als  gewerbliche  Bildung  in  hinreichender  Anzahl  vorhanden. 

§.  109.  Das  Grosslierzogthmn  Hessen. 

(Hessen-Darmstadt.) 

152  QMeilen,  —  855.000  (relativ  5625)  Einwohner,  —  fiber  %  Protestanten, 
nahe  J/s  Katholiken,  fiber  4000  ehristliche  Sektirer,  an  29.000  Israeliten;  —  nach  der 
Nationalitat  zumeist  Oher  deutsche.  Zwei  durch  das  Gebiet  von  Frankfurt 
und  Kurhessen  getrennte  Landestheile  und  mehrere  (18)  kleine  Exclaven.  —  Gren- 
zen:  im  0.  Baiern,  Frankfurt,  Kurhessen,  —  im  N.  Kurhessen,  —  im  W.  Preussen 
(Rheinprovinz)  Nassau,  Landgrafschaft  Hessen,  —  im  S.  Baiern  (Rheinpfalz),  Baden. 

—  Konstitntionelle  Erbmonarchie  in  mannlicher  und  weiblicher  Linie  des  lutherischen 
Hanses  Hessen 

Boden.  Die  natiirliche  Bodenbeschaffenheit  der  beiden  Landes- 
theile ist  verschieden.  Der  nordliche  ist  vorwiegend  HQgel-  und 
Bergland ;  im  Osten  ist  das  VogelsgebSrge,  an  welches  sich 
das  hessische  Hiigelland  anschliesst,  im  Norden  und  Nord- 
westen  streichen  Zweige  des  W  ester  w  aides  und  dea  Roth- 
lagergebirges,  im  Siidwesten  des  Taunus  in  das  Land;  im 
Siidwesten  des  Vogelgebirges  breitet  sich  die  wellenformige,  frucht- 
bare  Ebene  der  Wetterau  aus.  Der  sudliche  Theil  wird  durch 
den  Rhein  in  zwei  Parthien  getrennt.  In  der  ostlichen  erhebt  sich 
der  Odenwald  mit  herrlichen  Thalern.  An  seinem  westlichen 
Rande  zieht  von  Suden  nach  Norden  (von  Heidelberg  nach  Darm- 
stadt) zwischen  Weinbergen  und  der  Ebene  des  Mittelrhein  die 
,,B  ergstrasse,"  beruhmt  wegen  ihrer  Naturschonheiten,  des  mil- 
den  Klima  und  der  trefflichen  Obstbaume.  Rheinhessen  (am  linken 
Rheinufer)  ist  im  Ganzen  ein  Hiigelland,  ausgezeichnet  durch  die 
mannigfaltige  Abwechslung  des  landschaftlichen  Charakters,  durch 
ein  mildes  Klima  und  eine  iippige  Vegetation. 

Gewasser.  Die  Fliisse  gehoren  grosstentheils  zum  Geader  des 
Rhein,  welcher  das  Land  von  Worms  bis  Bingen  durchfliesst  und 
den  Neckar,  den  Main  und  die  Lahn  nebst  mehreren  kleineren  Fliissen 
aufnimmt.  —  Die  F  u  1  d  a  nimmt  die  Edder  und  Schwalm  auf. 

—  Viele  Weiher  und  Teiche  ersetzen  den  Mangel  an  Landseen.  — 
Mineralquellen   hat    das    Land  mehrere,    abar  von  keinem  be- 
deutenden  Rufe. 

Politische  Eintheilung.  Das  Grossherzogthum  Hessen  wird 
in  drei  Provinzen  und  diese  in  Kreise  eingetheilt. 

1.  Provinz  (Furstenthum)    Htarkenbnrg    (54.,  QMeilen,    —   320.000  E.), 

—  Darmstadt  (31.000),  OEfenbach,  Heppenheim,  Ludwigjhall,  Seligenstadt,  Erbach ; 

—  (in  Baden)  Wimpfen 

2.  Provinz  Rheinhessen  (24.,  g^.,  —  228.003  E.);  —  Mainz  (38.000), 
Worms,  Nierenstein,  Laabenheim,  Ingelheim,  Bingen,  Oppenheim,  Alzey ; 


205 

3.  Proviuz  (Fiistenthum)  Oberhessen  (72,  QMeilen,  —  310.000  E.),  — 
Giessen  (9000),  Friedberg,  Laubacb,  Lauterbacb,  Alsfeld. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  wichtigste  Erwerbs-  und  Nahrungequelle  der  Bewohner 
des  Grossherzogihums  Hessen  ist  die  Landwirthschaft,  welche 
rationell  betrieben  \vird.  Der  Ackerbau  liefert  Getreide  aller  Art, 
selbst  zur  Ausfuhr.  Der  Odenwald,  der  Vogelsberg  und  Rhein- 
heesen  sind  reich  an  Futterkrautern ,  —  Gemtise  wird  am  vor- 
zuglichsten  um  Darmstadt,  Offenbach  und  Mainz,  —  Flaehs  am 
Vogelsberge,  Hanf  in  Rheinhessen,  Tabak  in  Rheinhessen  und  an 
der  Bergstrasse  angebaut ;  —  der  Hopfenbau  reicht  filr  den  inneren 
Bedarf  nicht  aus.  Obst  kommt  in  Menge,  besonders  in  den  Rheiii- 
gegenden,  in  der  Wetterau  und  an  der  Bergstrasse,  Wein  von 
bester  Art  am  Rhein  und  an  der  Bergstrasse  vor  (Liebfrauen- 
milch  bei  Worms,  Nierensteiner,  Laubenheimer,  Bodenheimer).  - 
Sehr  viel  Holz  liefern  die  Waldungen  von  Oberhessen  und  der 
Odenwald;  in  Rheinhessen  ist  dagegen  zum  Theil  Holzmangel. 

Die  Viehzucht  wird  am  starksten  in  Oberhessen  uud  im  siid- 
ostlichen  Starkenburg  betrieben,  und  zwar  vorziiglich  die  Zucht  des 
Rindviehes,  der  Schafe  und  Schweine ;  —  in  Rheinhessen  ist  sie 
im  Allgemeinen  nicht  geniigend. 

Der  Bergbau  wird  relativ  am  starksten  in  Oberhessen,  am 
schwachsten  in  Rheinhessen  betrieben;  Hauptprodukte  eind  Eisen, 
Kupfer,  Braunkohle  und  vorzuglich  Salz  (ttber  200.000  Zentner), 
welches  in  den  Salinen  zu  Wimpfen,  Salzhausen  und  bei  Kreuznach 
gewonnen  wird. 

Die  gewerbliche  Thatigkeit  ist  namentlich  in  der  Lei  n- 
weberei,  S  tr  umpf  stricke  rei  und  Wollweberei  von  ziem- 
licher  Bedeutung  und  fortschreitend.  Die  Leinwandfabrika« 
tion  hat  ihren  Sitz  in  Oberhessen  (Lauterbach,  Alsfeld,  Schlitz, 
Griinberg  etc.);  —  die  Baumwollindustrie  ist  von  geringem 
Belange,  von  grosserem  die  Tucherzeugung.  obwohl  in  der  Abnahme 
(Fabriken  in  Michelstadt  und  Erbach,  Tuchmacher  in  mehreren 
Ortec);  —  bedeutender  ist  die  Papier  fa  brikation,  sowie  die 
Papiermache- Waaren,  Tapeten  u.dgl.  in  Darmstadt  und  Offenbach. 
Letztere  Stadt,  die  Hauptfabrikstadt  des  Landes,  ist  bekannt  wegen 
der  ausgezeichneten  Leder-  besonders  Po  rtefeuille  arbeiten, 
der  Holz-,  Metall-  und  Lackirwaaien,  des  Maschinenbaues,  der 
Bijouterie-,  Luxus-  und  Seidenfabriken.  Weitere  Produkte  der  In- 
dustrie sind  die  Strohflechtereien  (in  Oberhessen),  —  die  zahlreichen 
Tabakfabrlken  (Offenbacher  Schnupftabak),  —  die  Holzarbeiten,  — 
der  Schiffbau  in  Mainz,  chemische  Fabriken,  —  grosse  Mehl-  und 
Oelmuhlen,  —  die  musikalischen  Instrumente  (Mainz,  Darmstadt) 
u.  s.  w.  Von  wohlthatigem  E;nflusse  auf  das  Gewerbewesen  ist 
der  grossherzoglich  hessische  Gewerbeverein  in  Darmstadt, 
eine  der  thatigsten  und  erfolgreichsten  Anstalten  dieser  Art  in 
Deutschland. 

Der  Handel  ist  ansehnlich,  zumeist  der  Durchfuhr-  und  Spe- 
ditionshandel  nach  den  untern  Rheinlanden,  nach  Baden,  Frank- 
reich  und  der  Schweiz.  Die  Dampfschiflahrt  auf  dem  Rhein,  dem 


206 

Main  und  dem  Neckar,  die  beriihmte  Bergstrasse,  die  Eisenbahn 
von  Frankfurt  nach  Heidelberg,  sowie  die  andern  Eisenbahnen  und 
die  guten  Landstrassen  sind  weeentliche  Forderungsmittel  dessel- 
ben.  Die  bedeutendsten  Handelsplatze  sind  Mainz,  Offenbach, 
Bingen,  Worms,  Darmstadt,  Giessen  und  Seligenstadt.  Speziell 
sind  bekannt :  Worms  fur  Wein,  Getreide  und  Leder,  Mainz  fur 
Wein  und  Getreide,  Offenbach  fur  Lederwaaren,  Gernsheim 
fur  Pferde,  Erbach  und  Alsfeld  fur  Wolle.  Hauptartikel  der 
Ausfuhrsind:  Getreide,  Wein,  Holz,  Obst,  Krapp,  Hanf,  Leinen- 
und  Wollwaaren,  Offenbacher  und  Mainzer  Fabrikate;  —  der  Ein- 
fuhr:  Kolonialwaaren,  Sudfruchte,  Pferde,  Schlachtvieh ,  Tnbak- 
blatter,  Seide,  Papier,  Glas,  Kunstartikel  u.  s.  f.  —  Forderlich  filr 
den  Handel  wirken  zudem  die  Telegraphen,  die  drei  Handelskam- 
mern  zu  Mainz,  Offenbach  und  Worms,  die  ,,Bank  fur  Handel  und 
Industrie"  und  die  ,,Bank  fur  Suddeutschland"  zu  Darmstadt.  — 
Die  geistige  Kiiltur  ist  bedeutend ,  fur  Volksbildung  sowie  fiir 
spezielle  Fachbildung  und  fiir  gelehrte  Ausbildung  wird  sehr  gut 
gesorgt.  Die  zahlreichen  Handwerks-,  Real-  und  Industrieschulen, 
insbesondere  die  ,,h  6  h  e  r  e  G  e  w  e  r  b  e  s  c  h  u  1  e"  i  n  D  a  r  m  s  t  a  d  t 
iiben  wohlthatigen  Einfluss  auf  Industrie  und  Handel. 

§    110.  Die  Landgrafschaft  Hessen-llomburg. 

Die  Landgrafschaft  Hessen-Homburg,  nahezu  5  QM.  gross, 
besteht  aus  den  zwei  getrennten  Gebieten:  Herrschaft  Hom- 
burg  vor  der  Hohe,  in  der  Wetterau  gelegen,  und  der  Herr- 
schaft Meisenheim  an  der  Nahe.  —  Der  Boden  ist  im  Ganzen 
gebirgig,  doch  sehr  fruchtbar,  gut  angebaut,  reichlich  bewassert 
und  das  Klima  angenehm.  Beruhmt  sind  die  Kochsalz  -  Wasser- 
quellen  inHomburg.  —  Die  Bewohner,  iiber  25.000  an  Zahl,  sind 
deutschen  Stammes,  iiberwiegend  Protestanten  (nur  an  4000  Ka- 
tholiken,  dann  etwa  1000  Israeliten),  und  bewohnen  vier  Stadte, 
34  Dorfer,  mehrere  Weiler  und  Hofe.  Die  Stadte  sincl:  Horn  burg 
(6000),  Meisenheim  (2600),  Ottweiler  (1600)  und  Merxheim  (1400). 

Die  Hauptnahrungsquelle  der  Bewohner  ist  die  Landwirth- 
schaft,  welche  viel  Getreide,  Obst,  Wein  (in  Meisenheim) 
und  Gemuse  liefert.  Die  Waldungen  sind  ansehnlich.  Von  der 
Viehzucht  ist  jene  des  Rindviehes  und  der  Schafe  besonders 
bluhend.  Bergbau  wird  (in  Meisenheim)  auf  Eisen  und  Stein- 
kohlen  betrieben.  —  Die  gewerbliche  Industrie  beschaftiget 
sich  mit  Wollenzeug-,  Leinen-  und  Strumpfweberei,  sowie  (Herr- 
schaft Homburg)  mit  Garnapinnerei ;  in  Meisenheim  auch  Eisen- 
fabrikation  und  zwei  Glashiitten.  —  Im  Handel  ist  vorzugsweise 
die  Versendung  des  Homburger  Mineral wassers  (jahrlich  fiber  300.000 
Kriige)  bemerkenswerth. 

Die  Landgrafschaft  ist  eine  unumschrankte  Erbmonarchie  im 
lutherischen  Hause  Hessen. 

§    111.  Das  Herzogtlinm  Nassau. 

86  n^ei'en,  —  432.000  (relativ  5023)  Einwohner;  —  an  225.000  Protestan- 
ten, gegen  200.000  Katholikcn,  raehrere  christliche  Sekten  und  beilaufi-?  7(XXJ  Israeli- 
ten;  —  nach  der  National! tat  Deutsche  frixnkischen  Stammes  (auch  einige  Nach- 


307 

kommen  franz5sischer  Hugenotten).  —  Grenzen:  im  0.  Frankfurt,  Kurhessen, 
Hessen-Darmstadt.  Preussen  (Rheinpreussen),  —  im  N.  Preussen  (Westpbalen,  Rhein  - 
provinz),  —  im  W.  Preussen  (Rheinprovinz),  —  im  S.  Hessen-Darmstadt.  —  Kon- 
stitutionelle  Erbmonarchie  im  lutherischen  Hause  Nassau. 

Boden.  Das  Herzogthum  Nassau  ist  fast  durchgehends  bergig 
und  von  vielen  Thalern  durchschnitten.  In  der  sfidlichen  Halfte 
erhebt  sich  zwischen  dem  Main  und  der  Lahn  der  Taunus  oder 
,,dieHohe"  von  Nordosten  nach  Sudwesten  streichend,  —  ein  wal- 
diges  Gebirge,  welches  gegen  die  Lahn  eanft,  gegen  Stiden  hin  steil 
abfallt.  Siidlich  vom  Taunus  gegen  den  Rhein  und  Main  breitet 
sich  das  milde  Rheingau  aus,  eine  hochst  fruchtbare,  herrliche  Land- 
echaft.  Nordlich  von  der  Lahn  wird  das  Land  vom  rauhen  Wes  t  er- 
walde  durchzogen.  Im  Ganzen  ist  der  Boden  fruchtbar  und 'gut 
angebaut,  einzelne  Strecken  gehoren  zu  den  schonsten,  am  meisten 
romantischen  in  Deutschland. 

Gewasser.  Alle  Fliisse  gehoren  zura  Geader  des  Rhein, 
welcher  von  Biberich  bis  zur  Lahn-Miindung  Grenzfluss  des  Lan- 
des  ist.  Auf  einer  kurzen  Strecke  ist  der  Main,  der  bei  Hochst 
die  Nidda  aufnimmt,  ebenfalls  Grenzfluss.  Der  bedeutendste  Fluss 
ist  die  echiffbare  Lahn,  welche  mitten  durch  das  Land  fiiesst  und 
bei  Nieder-Lahnstein  mundet.  In  Nassau  ergiessen  sich  in  dieselbe 
(links) :  die  Weil,  Embs,  Aar  und  der  Miihlbach.  —  Seen  hat  das 
Land  keine ,  aber  viele  Weiher.  Sehr  reich  ist  das  Land  an  Mi- 
neralquellen  (uber  150),  unter  denen  jene  von  Wiesbaden, 
Sellers,  Ems,  Fachingen,  Geilnau,  Schwalbach,  Schlangenbad, 
Soden,  Weilbach  u.  a.  besonders  beriihmt  siud,  deren  Wasser  auch 
vveit  versendet  wird. 

Politische  Eintheilung.  Nassau  wird  in  28  Aemter  eingetheilt. 

Bemerkenswerthe  One  sind : 

Wiesbaden  (17.000),  Biberich,  Hochst,  Johannisberg,  Hochheim,  Geisen- 
heim,  Rddesheim,  St.  Goarhausen,  Sellers,  Schwalbach,  Scblangenbad,  Fachingen. 
Geilnau,  Kronberg,  Dietz,  Holzappel,  Ems,  Nassau,  Weilburg,  Caus,  Eltville,  Limburg. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  wichtigsten  Nahrungszweige  der  Bewohner  sind  die  Land- 
wirthschaft  und  der  Bergbau.  Der  grosste  Theil  des  Landes 
ist  gut  kultivirt  und  gibt  ansehnlichen  Ertrag.  Der  Acker  bau 
wird  sehr  fleissig  betrieben;  in  den  hoberen  Gegenden  wird  vorwie- 
gend  Roggen,  an  der  Lahn  und  Aar  vortrefflicher  Weizen  gebaut, 
der  namentlich  in  Holland  sehr  geschatzt  wird.  Sehr  stark  ist  der 
Rapsbau,  der  fur  den  Export  lieiert;  auch  Flachs  und  Hanf  erfreuen 
sich  guter  Pflege;  an  Tabak  werden  jahrlich  uber  150.000  Zentner 
producirt.  Nassau  ist  das  Vaterland  der  edelsten,  feurigsten  Rhein- 
weine  (Johannisberg,  Rudesheim,  Markebrunn,  Hochheim,  As- 
mannshausen  u.  a.  —  jahrlich  an  70.000  Eimer).  Der  Obstbau 
liefert  Obst  in  Menge  und  von  vorziiglicher  Gate  (grosse  Baum- 
schule  in  Dietz).  —  Die  Wiesenkultur  ist  auegezeichnet ;  die  sehr 
ansehnliche  Forstkultur  bietet  viel  Holz  zur  Ausfuhr. 

Auf  gleicher  Hohe  steht  die  Viehzucht.  Die  bedeutendste 
Hornviehzucht  ist  am  Westerwalde,  wo  auch  ein  betrachtlicher 
Hand«l  damit  getrieben  wird.  Auf  die  Schafzucht  wird  in  den 
Lahngegenden  grosse  Sorgfalt  verwendet,  dessgleichen  auf  die  Ver- 


edlung  der  Pferde.  Im  Rhein  ist  die  Fischerei  bedeutend,  und  die 
zahlreichen  Forste  sind  reich  an  Wild.  Mehrere  landwirthschaft- 
liche  Vereine  und  Assekuranzen  sind  von  wesentlichem  Einflusse 
fur  die  Hebung  der  Landwirthschaft. 

Der  Bergbau  ist  lebhaft.  Ausser  etwas  Silber,  Blei  und 
Kupfer  wird  viel  Eisen  von  vorziiglicher  Giite  gewonnen,  die  Erz- 
ausfuhr  ist  auch  ziemlich  bedeutend.  Die  Ausbeute  an  Braunkoh- 
len  (an  900.000  Zentner)  ist  erheblich,  ebenso  an  Thon  und  schonen 
Marmorarten  (im  Westerwalde);  hiugegen  an  Salz  nur  wenig  in  den 
Salzquellen  von  Soden. 

Im  Verhaltnisse  zur  Landwirthschaft  und  zum  Bergbau  ist 
die*  gewerbliche  Thiitigkeit  mit  Ausnahme  des  sehr  ansehnlichen 
Huttenbetriebes  eine  nur  geringe.  Nur  die  Leinen-  und  Wollwebe- 
rei,  die  Gerbereien  (Idstein),  Topferwaaren  (steinerne  Kruge  bei 
Selters)  und  die  Papiererzeugung  sind  erwahnenswerth.  Ferners 
bestehen  fiber  1000  Branntweinbrennereien  und  Bierbrauereien, 
einige  Schneide-  und  Pulvermiihlen  und  viele  ^ottascbesiedereien. 
Die  grossten  Eisenwerke  sind  im  Westerwalde  und  an  der  Lahn. 
—  Zur  Forderung  der  technischen  Kultur  ist  (im  J.  1856)  der 
,,Nassau'sche  Kreditverein  fur  Handel,  Industrie  und  Gewerbe" 
(Grundkapital  12  Millionen  Gulden)  concessionirt  worden. 

Der  Handel  wird  befordert  durch  die  Schiffahrt  auf  dem 
Rhein,  dem  Main  und  der  Lahn,  durch  sehr  gute  Landstrassen  und 
Eisenbahnen.  Nassau  selbst  ist  jedoch  kein  Handelsstaat;  den  Ver- 
kehr  nach  auswarts  vermitteln  Frankfurt,  Mainz,  Koblenz  und 
Bingen ;  nur  fur  den  Weinhandel  sind  Biberich,  Eltville  und  Riides- 
heim,  fiir  den  Wollhandel  Dietz  bemerkenswerth.  Zur  Ausfuhr 
gelangen:  Wein ,  Mineral wasser,  Eisen  und  Eisenwaaren,  Vieh, 
Wolle,  steinerne  Geschirre,  Papier,  Getreide  aus  dem  Rheingau 
u.  a.;  —  eingefiihrt  werden:  Kolonialwaaren,  Sudfriichte,  Salz, 
verschiedene  Fabrikate  (Tuch,  Baumwollwaaren  aus  Preussen,  Ga- 
lanteriearbeiten  u.  s.  f.). 

Die  Volksbildung  ist  bedeutend;  sowohl  die  Volks-  als 
die  Gelehrtenschulen  erfreuen  sich  Jbesonderer  Pflege.  Fiir  die 
technische  Ausbildung  sorgen  die  Realschulen  und  Realgymnasien, 
dann  mehrere  Spezialschulen,  unter  denen  das  landwirthschaft- 
liche  Institut  auf  dem  Geisberge  bei  Wiesbaden  besondere  Hervor- 
hebung  verdient. 

§.  112  Die  freie  S  tacit  Frankfurt  am  Main. 
Das  nicht  ganz  2  QMeilen  grosse,  in  neun  getrennte  Theile 
zerstuckelte  Gebiet  der  freien  Stadt  Frankfurt  a.  M.  liegt  an  den 
beiden  Seiten  des  Main  zwischen  Kurhessen,  Nassau  und  dem 
Grossherzogthum  Hessen.  Der  Boden  ist  eben  und  fruchtbar, 
wird  vom  Main,  der  Nidda  und  Ursel  bewassert  und  gut  an- 
gebaut,  obwohl  die  Landwirthschaft  den  grossen  Bedarf  der  star- 
ken  Bevolkerung  nicht  zu  decken  vermag.  —  Die  Bewohner,  iiber 
76.000,  sind  iiberwiegend  Protestanten ,  doch  leben  auch  uber 
11.000  Katholiken  und  an  5000  Juden  in  Frankfurt.  Zum  Ge- 
biete  des  Freistaates  gehoren  zudem  eine  Vorstadt  (S  achedi  1  ai  Mn 
und  8  Dorfer. 


£09 

Frankfurt,  seit  1816  der  Sitz  des  deutschen  Bundestagee,  be- 
sitzt  zahlreiche  M.mufakturen  und  Fabriken  in  Baumwollwaaren, 
Seiden-,  Gold-,  Silber-,  Bronce-  und  Galanteriewaaren,  Wachstuch, 
Tabak,  Papiertapeten,  mechanischen  und  physikalischen  Instrumen- 
ten,  chemische  Fabriken ,  Kupferdruckerschwarze ,  Eisengiesserei 
u.  s.  f.  —  Wichtiger  ist  der  Handel ,  Frankfurt  ist  eine  der  ersten 
Handelsstadte  Deutschlands.  Die  Lage  am  Main,  die  von  alien 
Seiten  einmiindenden  Landstrassen  und  Eisenbahnen,  die  zwei  gros- 
sen  Messen  tragen  zur  Bliithe  des  Handels  nicht  wenig  bei,  Ist 
die  Stadt  auch  der  wichtigste  Platz  fur  Deutschlands  Handel  in 
Wein,  Wolle,  Seide,  Leder,  Tabak  und  Bauholz,  so  liegt  der  Schwer- 
punkt  doch  im  Wechsel-  und  Geldhandel,  der  Speditions- 
handel  ist  von  sehr  grosser  Auadehnung  und  auch  der  Buchhandel 
ist  betrachtlich.  —  Unter  den  Aktiengesellschaften  sind  jene  der 
frankfurter  Bank,"  der  ,,Rhein-  und  Main  -  Schiflahrt"  und  die 
Versicherungsgesellschaft  ,,Providentia"  besonders  bedeutend.  — 
Zahlreiche  Vereine,  Lehranstalten  und  Zeitschriften  haben  die  For- 
derung  der  technischen  und  geistigen  Kultur  zum  Zwecke;  insbe- 
sondere  entwickeln  die  wissenschaftlichen  und  Kunstanstalten  und 
Vereine  in  dieser  Richtung  eine  hochst  anerkennenswerthe  Thatig- 
keit,  deren  wohlthatiger  Einfluss  auch  in  den  verschiedensten  Zwei- 
gen  bemerkbar  ist. 

§.  113.  Das  Fiirstenthura  Waldeck. 

Das  Furstenthum  Waldeck,  nahezu  22  QM.  gross,  besteht 
aus  zwei  getrennten  Parzellen.  Waldeck,  iiber  20  QM.  gross, 
ist*  von  Preussen  und  Hessen  eingeschlossen,  —  Pyrmont,  iiber 
l'/2  DM.,  umgeben  Lippe-Detmold,  Hannover  und  Braunschweig. 
Beide  Landestheile  sind  gebirgig,  vorziiglich  der  erstere;  die  Ge- 
wasser  gehoren  zum  Flussgeader  der  Weser.  Nebst  vielen  Fisch- 
teichen  hat  es  einige  Mineralquellen,  unter  denen  der  Stahlbrunnen 
von  Pyrmont  der  beruhmteste  in  Deutschland  ist,  von  dessen 
Wasser  jahrlich  iiber  400.000  Flaschen  versendet  werden.  —  Die 
Bevolkerung  belauft  sich  fiber  58.000  Seelen ,  welche  mit 
Ausnahme  von  etwa  1000  Katholiken  und  500  Juden  sammtlich 
Protestanten  sind.  Die  bedeutenderen  Orte  eind  :  A  r  o  1  s  e  n  (2300 
Einw.),  Korbach  (2300),  Niederwildungen  (2000)  und  Pyrmont 
(1400). 

1st  auch  der  Boclen  im  Ganzen  steinig  und  wenig  fruchtbar, 
so  hat  doch  der  Fleiss  der  Bewohner  denselben  fur  den  Acker- 
bau  derart  giinstig  gestaltet,  dass  er  den  Bedarf  deckt ,  und  in 
gunstigen  Jahren  sogar  fiir  den  Export  liefert.  Auch  die  Vieh- 
zucht  wird  rationell  und  sorgfaltig  betrieben  und  ubersteigt  den 
Bedarf.  Der  Bergbau  wird  zumeist  auf  Eisen ,  doch  auch  auf 
Kupfer  und  Salz  betrieben,  und  in  der  Edder  wird  etwaa  Gold 
gewaschen.  Die  gewerbliche  Industrie  ist  von  geringem 
Belange.  Der  Handel  geht  auf  der  Weser  nach  Bremen,  und  um- 
fasst  in  der  Ausfuhr  nebst  dem  Mineralwasser  auch  Erzeugnisse 
der  Landwirthschaft.  Das  Postwesen  wird  von  Preussen  verwaltet. 
--  Waldeck  ist  eine  konstitutionelle  Erbmonarchie  im  lutherischen 
Hause  Waldeck. 

Klun's  nandels-Geographie.     2.  Aufl.  14 


810 

§.  114.  Das  Grosskerzogtlium  Luxemburg  und  das  Herzogthum 
Limburg. 

(Siehe  Konigreich  der  ,,Niederlande.") 

C.  Mittlere  Staaten. 
§.  115.  Das  Konigreich  Sachsen. 

272  nMe'len;  2,040.000  (relativ  7500)  Einwohner ;  —  vorherrschend  Pro- 
testanten,  an  37.000  Katholiken  (darunter  die  regierende  Familie),  etwa 
1200  Israeli  ten  ;  — nach  der  Na  tionalit  at  Oberdeutsche  und  gegen  50.000  Wend  en 
(slawischer  Abkunft).  —  Grenzen:  im  0.  Oesterreich,  Preussen,  — im  N.  Preussen, 
—  im  W.  Preussen,  Sachsen- Altenburg,  Sachsen-Weimar,  Reuss,  Baiern,  —  im  <S. 
Oesterreich.  —  Konstitutionelle  Erbmonarchie  in  der  mannlichen  und  weiblichen 
albertinischen  Linie  des  Hauses  Wet  tin. 

Boden.  Der  Boden  des  Konigreiches  Sachsen  ist  zura  Theile 
hugelig  und  bergig,  zum  Theile  eben.  Beilaufig  2/5  des  Areals  ent- 
f alien  auf  das  Gebirgsland ,  eben  so  viel  auf  das  Hiigelland,  und 
l/5  auf  die  Ebene.  Der  eiidliche  Theil  gehort  dem  mitteldeutschen 
Gebirgslande  an.  Hier  zieht  sich  das  Erzgebirge  langs  der 
bohmischen  Grenze  hin,  an  welches  sich  ostlich  das  niedere  Elbe- 
sandsteingebirge  anschliesst.  Dieses,  zu  beiden  Seiten  der 
Elbe  gelegen,  zeichnet  sich  durch  schroffe  Felemassen  in  den  sonder- 
barsten  Gestalten  ,  durch  freistehende  Felsenkegel ,  tiefe  und  enge 
Abgriinde,  romantische  Thaler,  Hohlen  und  Felsenepalten  aus,  und 
heisst  die  ,,sachsische  Schweiz."  Noch  weiter  gegen  Osten 
erhebt  sich  das  Lau  sitzer-Geb  irge  (der  wohlische  Kamm) 
als  das  nordlichste  Glied  der  Sudeten.  Gegen  Norden  geht  das 
Bergland  in  sanfter  Abdachung  in  das  Hiigelland,  und  dieses  in 
das  Flachland  fiber,  welches  allmalig  den  Charakter  der  norddeut- 
schen  Tiefebene  annimmt.  —  Das  Erzgebirge  und  das  Voigtland 
(Elstergebirge  zwischen  der  Zwickauer  Mulde  und  Saale)  haben 
rauhes  Klima  und  wenig  ergiebigen  Boden ;  milder  ist  das  Hiigel- 
land, am  angenehmsten  im  fruchtbaren  Elbethale. 

Gewasser.  Dae  Land  ist  gut  bewassert  und  gehort  mit  Aus- 
nahme  eines  sehr  geringen  Theiles  (in  der  Oberlausitz)  zum  Ge- 
biete  der  Elbe,  welche  auf  ihrem  16  Meilen  langen  Laufe  durch 
Sachsen  von  Dampfschiften  befahren  wird.  Ihre  bedeutenderen 
Nebenfliisse  eind :  Am  rechten  Ufer  die  schwarze  Elster  und 
die  Spree;  auf  dem  linken  die' Mu  Ide  ,  welche  aus  der  Zwickauer- 
Mulde  (mit  der  Chemnitz)  und  der  Freiberger  -  Mulde  (mit  der 
Zschoppau)  entsteht  (bei  Grimma),  dann  die  weisse  Elster  (mit 
der  Pleisse),  welche  der  Saale  zufliesst;  —  alle  diese  Gewasser  er- 
giessen  sich  jedoch  erst  ausserhalb  Sachsens  in  die  Elbe.  --  Die 
Lausitzer-Neis  se  fliesst  der  Oder  zu.  Eigentliche  Seen  hat 
das  Land  nicht,  aber  viele  Teiche  (um  Moritzburg).  Auch  Mine- 
ralquellen  gibt  es  in  nicht  unbedeutender  Anzahl. 

Politische  Eintheilung.  Das  Konigreich  Sachsen  zerfallt  in 
4  Kreisdirektions-Bezirke,  welche  in  Amtshauptmannschaften  und 
Aemter  eingetheilt  sind.  Die  Reichshaupt-  und  Residenzstadt  des 

Konigs  ist :      J't'Litv* 

J|jp«sdeiL(ll6o0>Einwohner),  in  lieblicher  Gegend  an  der  Elbe,  uber  welche 
2  steinerne  Bracken  ffihren.  KSnigl.  Schloss  mit  dem  ngrunen  Gewolbe"  und  sehens- 
werthen  Kostbarkeiten ;  neues  Museum  mit  der  beruhmten  Bildergallerie  ("Sixtinische 


211 

Madonna  von  Raphael,  die  hell.  Nacht  von  Correggio),  Kupferstichkabinet ;  der 
Zwinger  mit  dem  histor.  Museum,  Naturaliensammlung;  japaniscber  Palast  mit  der 
Bibliothek ,  Antiken-,  Miinz-  und  Porzellansammlung ;  schOne  kathol.  Hofkircbe, 
Frauen-  und  Kreuzkirche.  Akademie  der  Kunste,  mediz.-chirurg.  Akademie,  poly« 
technische  und  Kriegsschule,  Handelslehranstalt,  2  Gymnasien  nnd  zahlreicbe  Privat- 
lebranstalten.  —  Industrie  in  physik.  und  chirurg.  Instrnmenten,  Bijouterien,  Tapetea 
u.  a  ;  Bierbrauereien,  Riibenzuckerfabrik,  Stuckgiesserei,  kunstliche  Mineralwasser 
{Struve's  Anstalt).  Lebhafter  Handel  nnd  Verkehr  auf  der  Elbe  und  den  Eisenbah- 
nen;  Wollmarkt;  sehr  starke  Fremdenfrequenz  (das  ndeutsche  Florenz").  Der 
Plauen'sche  Grund  durch  geognostische  Merkwurdigkeiten,  Steinkohlengruben  uud 
industrielle  Etablissements  ausgezeichnet.  In  der  Nahe  des  kSnigl.  Lustschlosses 
Pillnitz  (an  der  Elbe)  der  Eintritt  in  die  vielbesucbte  ^sachsische  Schweiz."  — 
Nachst  der  Residenzstadt  verdient  besondere  Hervorhebung :  Leipzig  (70000)  an 
einem  Arme  der  weissen  Elster  und  an  der  Pleisse,  mit  einer  im  J.  1409  gestifteten 
Universitat,  2  Gymnasien,  Conservatorium  fiir  Musik,  Zeichenakademie,  polytechni- 
scbe  und  Handelsschule,  zahlreiche  Anstalten  fiir  Beforderung  von  "Wissenschaft, 
Kunst,  Gewerbe  und  Handel.  Allgemeine  deutsche  Kredit-Anstalt,  Bank,  Diskonto- 
kasse,  ritterschaftlicher  Kreditverein ;  ausjredehnte  Industrie  in  Bijouterien,  Leder, 
Kunstblumen,  Mssser-  und  Nadelwaaren,  Wachstuch,  Liqueure,  musikalische  Instru- 
mente,  Oelraffinerien.  Grossartig  sind  die  Buchdrnckereien  in  alien  Bicbtungen  die- 
ses Kunstzweiges.  Leipzig  ist  der  Mittelpunkt  des  deufschen  Binnen-  und  des  nord- 
deutschea  Buchhandeis  und  nachst  Hamburg  die  erste  Handelsstadt  Deutscblands  ;  auf 
den  3  Messen  grossar tiger  Waarenverkehr.  — Sieg  der  "Verbundeten  iiber  Napoleon  in 
der  grossen  Schlacht  vom  16.— 18-  Oktober  1813. 
Andere  bemerkenswertbe  Orte  sind  : 

1.  Kreisdirektion  Dresden  (79  HM.,  — 520.000E.):  Dresden 
Tharand,    Pillnitz,    Pjrjia^    Schandau,  ^Konigstein^    Meissen.    Lommatsch, 
Altenberg. 

2.  Kreisdirektion  Leipzig  (63  QM.,   —  450.000  E.): 
Hubertsburg,  Grimma.,  Wurzen,  Oscnatz,  Dobeln.  Hainichen.       " 

.  KreTsdlrektion  ^^yickan  ffis  flMeii  .    -    750.000  F.inw 
r  Marienberg,  Annaberg,    Zschoppan.    Frankenberg,    Mittweida,    Chemnitz 
(32.000),  Johann-Georgenstadt.  Eibenstock,  GlauchauJ80t«9e)?  Schneeberg,  Werdan, 


Crimmitschaa    Plauen_,  Reichenbach. 

47  KrelsflireKtion  Baujztm.  CnOberIausitz"  45  QMeilen,  —  300.000  E.): 
Ban  t  z en  (11  000).  Kamenz.  -LobauT  Herrnhut.  Zittau,  Waltersdorf,  Gross-Schonau, 
Hifschfeld',  Ostritz.  — 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Das  Konigreich  Sachsen  gehort  in  jeder  Beziehung  zu  den 
kultivirtesten  Landern  Europa's ,  und  der  Wohlstand  des  Landes 
hat  in  der  grossen  Thatigkeit  seiner  intelligenten  Bewohner  eine 
sichere  und  feste  Grundlage.  Der  Boden  ist  zwar  mehr  bergig  als 
eben,  in  grossen  Strichen  (wie  im  hohen  Erzgebirge)  sogar  mager; 
dessungeachtet  werden  fast  alle  gewohnlichen  Produkte  in  reichem 
Masse  gewonnen,  weil  die  sehr  rationell  betriebene  Landwirth- 
schaft  auf  einer  hohen  Stufe  steht.  Trotz  der  Sorgfalt  jedoch, 
welche  dem  Ackerbau  zugewendet  wird,  deckt  der  Ertrag  an 
Getreide  nicht  den  Bedarf  der  in  Deutschland  relativ  dichtesten 
Bevolkerung.  Den  fruchtbarsten  Getreideboden  haben  die  Gegen- 
den  um  Meissen  (Lommatsch'scher  Pflege),  Pegau,  Leipzig,  Grimma, 
Leissnig,  sowie  um  Bautzen^  Lobau  und  Zittau;  dagegen  gedeihen 
iin  rauhen  und  gebirgigen  Siiden  des  Zwickauer  Kreises  nur  Hafer 
wnd  KartofFeln.  —  Der  Anbau  der  Hulsenfru  chte  ist  allgemein; 
•die  Wiesenkultur  wird  insbesondere  im  Erzgebirge  und  in  den 
Elbeniederungen  gepflegt.  Unter  den  Handelspflanzen  sind 
Raps  und  Rubsen  (Dresden,  Meissen,  Oschatz,  Leipzig),  der  Flachs 

14* 


212 

im  Erzgebirge,  im  Voigtlande  und  in  der  Lausitz  (Jahresproduk- 
tion  iiber  23.000  Zentner),  der  Tabak  um  Dresden  und  Leipzig 
(jahrlich  an  900  Zentner),  die  Weberkarde  (Lommatsch,  Pegau, 
Dobeln  u.  s.  w.),  endlich  Hopfen,  Krapp  und  Saflor  erwahnens- 
"vverth.  —  Der  verbreitete  Obetbau  (Dresden,  Meissen,  Leipzig, 
Kodlitz)  liefert  vorziigliche  Qualitaten ,  die  ,,Borsdorfer  Aepfel" 
bilden  einen  ansehnlichen  Handelsartikel  zumeist  nach  Nord-Europa. 
Auch  an  der  Hebung  des  Weinbaues  (zwischen  Pillnitz  und 
Meissen)  wird  ernstlich  gearbeitet.  —  Die  Forstkultur  ist  aus- 
gezeichnet  und  erfreut  sich  eines  europaischen  Rufes.  Der  grosse 
Reichthum  an  Waldungen,  namentlich  im  Erzgebirge,  deckt  nicht 
nur  den  bedeutenden  Bedarf  des  Hiittenbetriebes ,  es  gelangt  Holz 
auch  zur  Ausfuhr.  Fiir  die  Ausbildung  der  gesammten  Landwirth- 
schaft  und  des  Forstwesens  besteht  die  k.  landwirthschaftliche  und 
Forstakademie  zu  Tharand. 

Unter  der  bedeutenden  Viehzucht  nimmt  die  sachsische  Schaf- 
zucht  nicht  bloss  in  Sachsen,  sondern  in  ganz  Deutschland  den 
ersten  Rang  ein ,  und  liefert  einen  der  ausgezeichnetsten  Rohstoffe 
(,,sachsische  Elektoralwolle'')  fur  die  inlandische  Industrie  und  zur 
Ausfuhr.  (Wollproduktion  jahrlich  an  12.000  Ztr.)  Beriihmt  sind 
die  k.  Schafereien  zu  Rennersdorf  (bei  Stolpen),  Hohnstein  und 
Lohmen  (sachsische  Schweiz).  —  Ihr  zunachst  steht  die  Rind- 
viehzucht  im  Voigtlande  und  im  Erzgebirge  ( erzgebirgische 
Butter,  voigtlandisches  Mastvieh).  Von  geringerer  Bedeutung  ist 
die  Pferdezucht,  auch  jene  des  Borstenviehes  ist  nicht  ausreichend, 
Viel  Federvieh  halten  die  Wenden,  die  Bienenzucht  kommt  in  der 
Lausitz  vor,  und  fur  die  Seidenraupenzucht  beeteht  eine  Muster- 
anstalt  in  Leipzig. 

In  Hinsicht  des  Bergbaues  behauptet  Sachsen  ebenfalls  den 
ersten  Rang  unter  den  deutschen  Staaten,  Hierin  hat  es  in  wiseen- 
schaftlicher  wie  in  technischer  Beziehung  eine  hohe  Stufe  der  Voll- 
kommenheit  erreicht,  und  die  beruhmte  Bergakademie  in  Freiberg 
tragt  hierzu  vorziiglich  bei.  Der  Hauptsitz  des  Bergbaues  und 
Hiittenwesens  ist  das  Erzgebirge,  namentlich  Freiberg..  Der  Me- 
tallbergbau  erstreckt  sich  auf  eine  grosse  Menge  von  Erzen ;  am 
bedeutendsten  ist  die  Gewinnung  silber  haltiger  Erze,  der  Zinji-^ 
Eisen-  und  Kobalterze.  Die  Anzahl  der  gangbaren  Sergge- 
baude  (Gruben  und  Stollen)  betragt  an  400,  die  meisten  um  Frei- 
berg. Die  Ausbeute  betragt  jahrlich  beilaufig  an  Silber  80.000 
Mark,  an  Eisen  150.000  Zentner,  uber  700  Zentner  Zinn  u.  s.  w. 
im  Gesammtwerthe  von  mehr  als  1  '/2  Million  Thaler.  —  Reiche 
S^inkohle  nl^g  er  sind  im  Plauen'schen  Grunde,  bei  Dresden 
und  Zwickau,  "BTa  iink  ohle  nla_g_er  vorzugsweise  uin  Zittau  und 
an  mehreren  Sfetten^~3er"  (JberlausHzT  Endlich  besitzt  das  Land 
viel  Torf  (auf  dem  Erzgebirge),  Kalk-  und  Sandsteine  (Pirna),  vor- 
treff  liche  JPprzellanerde  (bei  Aue) ;  mehrere  Arten  von  E  d  e  1  s  t  e  i- 
nen  (im  Erzge"blrge~)7~a1's  Opale,  Karneole,  Rubine  u.  s.  w.  —  Nur 
Salz  fehlt,  doch  erhalt  es  dieses  nach  einer  besondern  Ueberein- 
kunft  von  Preussen  zu  einem  bestimmten  Preise. 

Von  grosserer  Wichtigkeit  als  die  Urproduktion  ist  in  Sachsen 


213 

die  gewerbliche  Industrie,  die  Hauptgrundlage  des  Nationalreich- 
thums.  Schon  seit  Jahrhunderten  genossen  die  sachsischen  Fabri- 
kate  einen  wohlbegriindeten  Ruf  und  in  neuerer  Zeit  haben  sie  eine 
solche  Vollkommenheit  erreicht,  dassSachsen  zu  den  ersten  Industrie- 
staaten  Europa's  geburt.  Mehr  als  die  Halfte  der  Bevolkerung  fin- 
det  bierin  ihre  Hauptnahrungsquelle  und  ausser  Grossbritannien 
besitzt  kein  Land  verhaltnissmassig  so  viele  Fabriken  als  Sachsen. 
—  In  der  Gross-Industrie  nimmt  die  Baum  w  ollf  abrikation  den-'' 
ersten  Rang  ein.  Der  Hauptsitz  der  Spinnerei  und  Weberei  ist 
CJ^emjLLta-,  die  erste  Fabrikstadt  Sachsene,  dann  Plauen,  Franken- 
T>erg,  Zschoppau,  Mittweida,  das  ganze  Voigtland,  ein  Theil  der 
Oberlausitz  (um  Zittau).  ,,Chemnitzer  -  Waare"  nennt  man 
Kattun,  Piqud,  Tiicher,  Strumpfwaaren,  halbseidene  und  halbwollene 
Modezeuge,  —  ,  JE*  I  a  u.ejilsdae  -W-a  a  r  e"  sind  feine,  weisse  Baum- 
wollengewebe,  oder'lSloirffselm,  Schleier,  Gaze,  genahte  Waare, 
-  und  ,,Sebnitzer-  Waare"  bunte  Halbleinen,  besonders 


lich.  Die  Kattun-  und  Kaliko-Druckereien  sind  in  und  um  Chem-**T 
nitz,  auch  in  Leipzig,  —  Strumpfwaaren  in  den  Bezirken  Chemnitz, 
Augustusburg  und  Stollberg,  —  ferner  baumwollene  Bander,  Posa- 
mentirarbeiten  u.  s.  f.  um  Annaberg,  Buchholz,  Scheibenberg  u.  a.  O., 
—  Bleichen  zu  Chemnitz,  Glauchau,  Wersau.  Die  Fabrikate  haben 
auch  im  Auslande,  selbst  auf  den  iiberseeischen  Markten  (Strumpf- 
waaren, Kattune  und  Mousseline)  guten  Absatz  und  ehrenvollen 
Ruf.  —  Von  kaum  geringerer  Wichtigkeit  ist  die  auf  das  ausge- 
zeichnete  sachsische  Rohprodukt  sich  stiitzende  JWoll  waaren- 
iabrikation,  und  die  Fabriken  in  Tuch,  CasimirpMerinos,  Thi- 
&ef;  FlaheTT,  Band-  und  Strumpfwaaren,  Miitzen  setzen  ihre  fast 
durchgehends  auegezeichneten  Fabrikate  in  den  Nachbarlandern, 
aber  auch  in  Amerika  und  im  Oriente  ab.  Die  Tuchfabrikation 
sowohl  in  hochfeiner  als  mittelfeiner  Waare  wird  sehr  ausgedehnt 
betrieben  und  arbeitet  fur  den  Export;  am  starksten 


(Werdau,  Crimitschau,  Reichenbach,  Kirchberg  u.  a.),  dann  Oschatz, 
Bischofswerda,  Grossenhain,  Kamenz,  Bautzen,  Zittau  u.  s.  w.  Un- 
ter  den  Kammwollfabrikaten  nehmen  die  Thibets,  Merinos  und  die 
leichten  Gewebe  einen  hohen  Rang  ein,  worin  Reichenbach  im 
Voigtlande  eehr  vortheilhaft  bekannt  ist.  —  Der  alteste  Industrie- 
zweig  des  Landes  ist  die  Fabrikation  von  L^in-e-a-w^-ar^»,  wo- 
rin die  Lausitz,  vorziiglich  Zittau  nebst  tlmgebung  den  Haupt- 
sitz bildet.  Die  Leinendamaste  von  Gross-  und  Neu-Schonau  und 
Waltersdorf,  die  Zwilliche  und  Drells  des  letzteren  Ortes  stehen 
unerreicht  da;  erstere  zieren  die  Tafeln  der  Fiirsten  und  sind  ge- 
sucht  auf  alien  Markten.  Die  Handspinnerei  des  Flachses  ist  zwar 
im  ganzen  Lande  ausgebreitet,  doch  ist  sie  am  vorzuglichsten  in 
der  Oberlausitz.  Die  eachsischen  Spitzen,  Blonden  und  ausgenah- 
ten  Waaren  aus  dem  Erzgebirge  (Annaberg,  Schneeberg,  Johann- 
Georgenstadt,  Schonheide,  Eibenstock  u.  a.  O.)  konkurriren  mit 
Erfolg  mit  den  schweizerischen,  englischen  und  belgischen  Waaren. 
Die  zahlreichen  Kloppel-  und  Nahschulen  tragen  zur  Vervollkomm- 
nung  dieses  Industriezweiges  nicht  wenig  bei.  —  Die  wachsende 
Fabrikation  inSeidenwaaren  kommt  zumeist  in  Annaberg,  Chem- 


214 

m'tz,  Frankenberg  und  Penig  vor.  Die  bedeutenden  Pa  pier  fa- 
briken  von  Bautzen,  Leipzig,  Plauen  u.  s.  f.  decken  nicht  den  gros- 
sen  Bedarf  der  zahlreichen  und  ausgedehnten  typographischen  An- 
stalten  von  Leipzig,  des  wichtigsten  Platzes  in  Deutschland  in  dieser 
Richtung.  —  Sehr  bliihend  ist  die  Industrie  in  Metal]  waaren, 
Die  grossten  Eisenhammer  und  Walzwerke  sind  um Zwickau,  Schnee- 
berg  und  Potschappel  bei  ^JineadeD,  —  Maschinenwerkstatten  in 
Chemnitz.  —  Bekannt  sind  endlich  die:  Lederarbeiten,  chemischen 
^abrikate,  leonische  Gold-  und  Silberwaaren  in  Freiberg-,  —  Holz- 
waaren  iin  Erzgebirge  ^Seifen^  —  die  musikalischen  Instrumente 
in  Leipzig  und  im  VoigtlancTe,  —  ausgezeichnetesJPoj^LeJlan  in  Meis- 
sen^ und  Zwickau,  —  vortreffliche  Farben  (Meissen,  Zwickau,  Dres- 
?  aen)  ,  —  Strohwaaren  auf  dem  linken  Elbeufer ,  Tabakfabriken, 
iBierbrauereien ,  Branntweinbrennereien ,  SchriftgiessereTeif,  BucF- 
druckereien  u.  s.  w.  —  Zahlreiche  Gewerbvereine,  sehr  gut  be- 
stellte  technische  und  gewerbliche  Schulen  und  die  permanente  In- 
dustrieausstellung  in  Leipzig  fcirdern  den  Aufschwung  der  sachischen 
Industrie. 

Die  ausgebreitete  gewerbliche  Thatigkeit  hat  einen  lebhaften 
Handel  im  Gefolge.  Die  Elbeschiffahrt,  die  zahlreichen,  gut  unter- 
haltenen  Landstrassen  ,  die  Eisenbahnen,  die  Bank  zu  Leipzig  und 
andere  Kreditanstalten  ,  die  Borsen ,  die  Leipziger  Messen  fordern 
den  sachsischen  Handel,  der  in  Hinsicht  auf  die  Leipziger  Mes- 
sen (Ostern,  Michaelis  und  Neujahr)  mit  Recht  Welthandel  genanut 
werden  kann.  Auf  diesen  Messen  entwickelt  sich  ein  ausgedehn- 
ter  und  vielseitiger  Verkehr,  wie  nur  auf  wenig  Platzen  der  Erde, 
und  der  Waarenumsatz  betragt  im  jahrlichen  Durchschnitte  an  75 
Millionen  Thaler.  Nicht  nur  fast  alle  europaischen  Lander  schicken 
hieher  ihre  Kaufer  und  Verkaufer,  auch  Asien  (vornehmlich  aus 
Armenien,  Grusien,  Persien)  und  Amerika  sind  dabei  vertreten.  — 
Die  Ausfuhr  umfasst  alle  friiher  genannten  Kunsterzeugnisse  des 
sachsischen  Gewerbfleisses  (im  Jahre  1856  im  Werthe  von  216  Mil- 
lionen Thaler);  —  bei  der  Einfuhr  sind  ausser  Kolonialwaaren, 
sonstigen  iiberseeischen  Importartikeln  und  den  Rohprodukten  fiir 
die  Industrie  auch  Getreide,  Salz,  Wein,  bohmisches  Glas,  Papier 
u.  s.  f.  im  Werthe  von  etwa  186  Millionen  Thaler  (im  Jahre  1856) 
vertreten.  Der  Kommissions-  und  Speditionshandel,  wie  auch  die 
Wechselgeschafte  sind  in  Leipzig  gleichfalls  sehr  bedeutend.  Leip- 
zig ist  endlich  der  Hauptort  des  Buch  hand  els  fur  die  ganze 
civilisirte  Welt;  auf  den  sachsischen  Buchhandel  entfallt  ungefahr 
der  sechste  Theil  der  gesammten  deutschen  Buchhandlerschaft  und 
in  Leipzig  bestehen  an  150  Buchhandlungen  (davon  etwa  50  reine 
Verlagshandlungen).  Ausser  Leipzig  sind  wichtigere  Handelsplatze: 
Chemnitz,  Dresden,  Plauen,  Zwickau,  Zittau  und  Bautzen.  Be- 
deutende  Wollmarkte  werden  jahrlich  zu  Leipzig  und  Dresden  ge- 
halten. 

Eine  so  hohe  Stufe  in  der  physischen  und  technischen  Kultur 
setzt  einen  bedeutenden  Standpunkt  in  der  geistigen  Kultur  eines 
Volkes  voraus.  Der  Einfluss  von  Wissenschaft  und  Kunst  auf  die 
Urproduktion,  auf  Gewerbe  und  hohere  Industrie,  auf  den  Handels- 


215 


verkehrist  unbestreitbar  ein  machtiger;  —  ist  er  auch  unmittelbar 
dem  gewohnlichen  Auge  nicht  sichtbar,  so  wird  er  bald  fiihlbar  in 
dem  Wachsen  des  Nationalwohlstandes ,  in  dem  Kampfe  mit  der 
Konkurrenz  des  Auslandes.  In  der  That -mount  Sachsen  in  der 
geistigen  Bildung  einen  der  ersten  Platze  unter  den  deutschen 
Staaten  ein;  in  alien  Volksklassen  ist  ein  erfreulicher  Fortschritt 
bemerkbar.  —  Die  unterste  Stufe  bildet  die  Volksschule  ,  welche 
jedes  Kind  vom  sechsten  Jahre  an  durch  8  Jahre^u  besuchen  hat. 
Sowohl  die  gelehrten  Schulen,  als  die  technischen  und  sonstigen 
sehr  zahlreichen  Spezialschulen  sind  trefflich  eingerichtet  und  ge- 
niessen  sorgfaltige  Pflege  und  Unterstiitzung.  Die  polytechnische 
Schule  in  Dresden,  die  mittleren  Gewerbeschulen  (in  Chemnitz, 
Zittau,  Plauen),  die  Baugewerkschulen  (Dresden,  Chemnitz,  Leipzig, 
Plauen,  Zittau),  die  Bergakademie  in  Freiberg,  die  Akademie  in 
Tharand,  die  landwirthschaftliche  Anstalt  zu  Liitzschena  bei  Leipzig, 
die  Handelsschulen ,  Buchhandlerschule,  Kloppel-,  Weber-,  Stroh- 
flecht-,  Nab-,  Stick-,  Zeichnenschulen  u.  s.  f.  haben  glanzende  Er- 
gebnisse  bereits  geliefert,  und  Sachsen  auf  die  hohe  Stufe  der  Bil- 
dung und  Kultur,  zu  heben  mitgeholfen,  auf  welcher  wir  es  jetzt 
erblicken.  /^ir/  \ 


16.  Das  Grossherzogtluim  Sachsen- Weimar-Eisenach. 

Das  66  QMeilen  grosse  Gross herzogthum  besteht  aus  drei 
grosseren,  von  einander  getrennten  Landestheilen  und  23  Enklaven, 
und  ist  von  etwa  264.000  meist  lutherischen  Thiiringern  bewohnt, 
unter  denen  an  11.000  Katholiken  und  gegen  1500  Juden  leben. 

Die  grSsseren  Landestheile  sind:  , 

Kreis  Weimar  (33  DM.,  —  134.000  E.),  Weimar  (13.000),  Jena.  (7000),  & 
Apolda. 

Kreis  Nenstadt  (11  QM.,  —  48.000  E.),  Nenstadt  an  d  e  r  O  r  1  a  (6000/1 

Kreis  Eisenach  (22  Q]M->  —  82.000 E.),  Eisenach  (11.000),  Ruhla  (zur 
Halfte). 

Die  grOsseren  Parzellen  sind  I  Ira  en  an,  Altstedt,  Ostheimnnd  Kalten- 
n  0  r  d  h  e  i  m. 

Der  Boden  ist  theils  Berg-,  theils  Hiigelland,  ebene  Strecken 
finden  sich  nur  in  den  Flussthalern.  Am  gebirgigsten  ist  das  Fiir- 
stenthum  Eisenach,  im  Norden  vom  Th-uringcrwal4-«-(Wart- 
burg  1315'),  im  Suden  vom  Rhongebirge  durchzogen  ,  von  der 
Werra  und  deren  kleinen  Zufliissen  bewassert.  —  Der  Kreis  Wei- 
mar liegt  im  Thiiringer  Hugellande,  durch  welches  die  Saale 
mit  der  Ilm  und  einigen  anderen  Fliisschen  den  Lauf  nimmt.  — 
Ilmenau  liegt  im  Thiiringerwalde ,  Altstedt  auf  dem  sudostlichen 
Abhange  des  H  a  r  z  e  s  ,  der  Kreis  Neustadt  gehort  dem  V  o  i  g  t- 
1  a  n  d  e  an.  f  ^>  V/A  o^v^j 

Der  Boden  ist  (mit  wenigen  Ausnahmen)  fur  den  Acker  fr 
nicht  besonders  gunstig;  doch  hat  der  Fleiss  der  Bevolkerung  viele 
natiirliche  Hindernisse  besiegt  und  den  Ertrag  derart  gesteigert, 
dass  die  Produktion  in  der  Regel  den  Bedarf  vollstandig  deckt. 
Der  ostliche  Theil  erzeugt  viel  Roggen  und  Gerste,  um  Altstedt 
Weizen,  in  den  gebirgigeren  Gegenden  Hafer;  im  westlichen  Theile 
ist  die  Ernte  nicht  ausreichend.  Hulsenfruchte,  Gemuse  und  Kar- 
tofteln  werden  in  Menge  produzirt.  An  Handelspflanzen  werden 


216 

viel  Flachs,  Hanf  (an  der  Saale) ,  Riibsamen,  Mohn  (in  Eisenach), 
etwas  Hopfen  und  mehrere  "FarFekrauter  gewonnen.  Der  Obstbau 
ist  namentlich  bei  Ostheim  bedeutend;  die  Forstkultur  liefert  Holz 
iiber  den  Bedarf  (Eisenach,  Neustadt),  und  die  Wachholderbeeren 
gelangen  zum  Export.  —  In  der  Viehzucht  steht  am  hochsten 
jene  der  Schafe,  zunachst  steht  die  Rindviehzucht  (Eisenach,  Neu- 
stadt) und  die  Borstenviehzucht ;  die  Jagd  gewahrt  reiche  Beute. 
—  Der  Bergbau  auf  Eisen  (Ilmenau),  Kupfer  (Eckartshausen), 
Stein-  und  Braunkohle  ist  unwichtig.  Salz  liefert  die  Saline  Wil- 
helmsgliickbrunn  (bei  Kreuzberg  an  der  Werra). 

Fehlen  auch  grossere  Fabriken  ,  so  ist  die  gewerbliche 
Thatigkeit  im  Kleinen  doch  beachtenswerth,  namentlich  in  Ei- 
senach und  Ruhla.  Die  wichtigsten  Gewerbe  sind:  Die  Woll-  und 
Leinweberei  (Neustadt,  Weida),  die  Strumpfweberei  in  Apolda; 
Ilmenau  erzeugt  Eisenwaaren,  Glas,  Porzellan,  —  Ruhla  Eisen-  und 
Holzwaaren,  vorziiglich  Pf eifenkopfe ;  —  Flanellfabrikation  ist  in 
Lengsfeld;  bekannt  ist  die  Stein-  und  Kupferdruckerei  in  Weimar 
(insbesonders  gute  Landkarten  aus  dem  geographischen  Institute). 

Der  Handel  hat  in  neuerer  Zeit  zugenommen,  er  wird  durch 
die  thuringische  Eisenbahn  und  die  Bank  in  Weimar  gefordert.  Zur 
Ausfuhr  gelangen:  Wolle,  getrocknetes  Obst,  Beeren,  Woll-  und 
Leinenwaaren,  Kurzwaaren  aus  Ruhla,  Fabrikate  aus  Eisenach  und 
Ilmenau,  Topferwaaren ,  Landkarten  aus  Weimar.  Bedeutsamer  ist 
der  Transithandel.  Hauptplatze  des  Handels  sind  Weimar  (mit  be- 
deutenden  Wollmarkten)  und  Eisenach. 

Die  geistige  Kultur  steht  auf  einer  hohen  Stufe.  Die  Volks- 
bildung  sowie  die  hohere  wissenschaftliche  und  gewerbliche  Bildung 
erfreuten  sich  seit  jeher  besonderer  Pflege,  Weimar  uud  Jena  haben 
stets  einen  grossen  Einfluss  auf  die  geistige  Entwickelung  des  Ge- 
sammtvaterlandes  ausgeubt ;  ein  grosser  Theil  von  Deutschlands  gross- 
ten  Mannern  wirkte  in  diesem  kleinen  Lande  (Gothe,  Schiller,  Herder, 
Wieland).  Zahlreiche  Anstalten  fiir  WissenschaftundKunst  sichern  dem 
Landchen  einen  bleibenden  Einfluss  in  dieser  Richtung  auch  fiir  die 
Zukunft. 

§.  117.  Das  Hcrzogthum  Saclisen-Meiningen-HjlAtou'ffliau&cu. 

Das  Herzogthum  Sachsen-Meimngen-Hildburghausen  zieht  sicli 
in  der  Hauptmasse  am  eiidlichen  Abhange  des  Thiiringerwaldes  hin, 
wahrend  zwei  grossere  Gebiete  und  eilf  Parzellen  davon  getrennt 
sind  (Krannichfeld  zwischen  Preussen,  Weimar  und  Schwarz- 
burg,  —  Kamburg  zwischen  Preussen  und  Weimar).  Auf  den 
46  [jjMeilen  leben  an  166.000  meist  lutherische  Bewohner  * 

Stadten,  mehreren  Marktflecken  und  Dorfern. 

Die  bedeutendsten  Orte  sind:  Meining^n  (7000 E.\ Hildburghanscn  (5000  E.), 
Salzungen,  Saalfeld,  Sonnenberg,  Possneck,  Eisfeld,  Wasungen,  Steinach. 

Das  Land  ist  gebirgig  und  hat  fruchtbare  Thaler  mit  gutem 
Ackerbaue  und  ansehnlichem  Viehstande.  Das  Bergland  gehort  theils 
dem  Thuringerwalde,  theils  der  ostlichen  Rhon  an.  Fast  das 
ganze  Land  durchstromt  die  Werra,  einen  kleineren  Theil  die 
Saale,  welche  die  zahlreichen  Flusschen  des  Landes  aufnehmen. 

Die  Hauptprodukte  der  Landwirthschaft,  der  wichtigsten 
Erwerbsquelle,  bilden  Getreide,  Obst,  Tabak,  Gartengewachse  und 


217 

Futterkrauter;  der  Ackerbau  liefert  jedoch  nicht  hinreichend  Ge- 
treide.  Die  Forstkultur  ist  sehr  bedeutend.  Reich  ist  das  Land  an 
schonem  Rindvieh  und  Schafen.  —  Der  Bergbau  liefert  Eisen 
(bei  Steinach),  Steinkohlen,  viel  Schiefer  (bei  Sonnenberg  und  Saal- 
feld),  sehr  viel  Salz  (Salzungen,  Neusulza,  Friedrichshall),  Kupfer 
und  Porzellanerde. 

In  der  sehr  lebhaften  gewerblichen  Industrie  sind  hervor- 
zuheben:  die  starke  Eisenfabrikation  (im  Oberlande,  um  Saalfeld), 
—  die  Webe-  und  Wirkwaaren,  die  Glas-  und  Porzellanfabriken  in 
Lauscha  bei  Steinach,  —  die  Blech-  und  Holzwaaren,  Papiermache"- 
arbeiten,  Schiefertafeln,  Spielwaaren  in  und  um  Sonnenberg,  —  die 
Messerschmiedwaaren  in  Steinbach  und  Wasungen  ,  —  dann  che- 
mische  und  Farbwaaren-Fabriken,  Gerbereien,  Topfereien,  Brannt- 
weinbrennereien,  Tabakfabriken,  Getreide-,  Schneide-  und  Schusser- 
miihlen  u.  s.  w. 

Der  Handel  ist  verhaltnissmassig  ziemlich  bedeutend  und 
hierin  nimmt  Sonnenberg  den  ersten  Platz  ein,  welches  seine  ,,Son- 
nenberger  Waaren"  bis  nach  America  versendet.  Auf  der  Werra 
ist  starke  Holzflb'sserei ;  ferners  werden  ausgeftihrt:  Mastvieh,  Eisen 
und  Eisenwaaren,  Glas,  Farben,  Porzellan,  Grafenthaler  Wetzsteine 
und  Schiefertafeln.  Forderlich  fiir  den  Handel  sind  die  ,,Landes- 
Kreditanstalt"  und  die  Bmitteldeutsche  Kreditbank  fiir  Industrie  und 
Handel"  zu  Meiningen,  sowie  mehrere  landwirthschaftliche  und  ge- 
werbliche  Vereine. 

Die  Volksbildung  ist  erfreulich  vorgeschritten ;  fiir  gewerbliche 
und  gelehrte  Bildung  wird  durch  mehrere  Lehranstalten  bestens 
Sorge  getragen. 

§.  118.  Das  Ilerzogthum  Sachsen-Koburg-Gotha. 

Dieses  Herzogthum  besteht  aus  zwei^  durch  Sacnsen-Meinin- 
gen  und  Preussen  von  einander  getrennten  Gebieten,  dem  Herzog- 
thume  Koburg  und  dem  Herzogthume  Gotha  (und  mehreren  Enkla- 
ven).  Jenes  liegt  am  eudlichen,  dieses  am  nordlichen  Abhange  des 
Thuringerwaldes.  Der  Flacheninhalt  betragt  an  37  QMeilen  mit 
151.000  meist  protestantischen  Einwohnern,  welche  in  9  Stadten  und 
mehreren  Marktflecken  und  Dorfern  leben. 

Die  wichtigeren  Orte  sind:  ^jiluurg  (10.000),  Ehrenburg,  Neustadt;  — 
G_q,tha  ^lo.oWi.  Waltershausen  (Schnepfenthal),  Ohrdruf,  Friedrichsroda,  Tambach, 
'  Slanenzella  (oder  Zella),  Ruhla  (zur  Halfte). 

Der  Boden  von  Koburg  ist  fast  durchgangig  Hugelland,  von 
Gotha  gebirgig.  Koburg  gehort  dem  frankischen  Hugellande 
an,  Gotha  ist  zumeist  von  dem  nordostlichen  Abhange  des  ThiU 
ringorw aides  bedeckt.  In  den  ebeneren  Gegenden  ist  der  Boden 
sehr  fruchtbar,  das  Klima  der  Produktion  zutraglich.  —  Beide 
Landestheile  sind  gut  bewassert.  Koburg  durchfliesst  die  Itz, 
welche  mehrere  Fliisschen  aufnimmt  und  nach  Baiern  zur  Miindung 
in  den  Main  tritt.  In  Gotha  sind  die  Leine  (spater  Horsel  ge- 
nannt),  die  Nesse  (Nebenfliisse  der  Werra),  und  an  der  nordost- 
lichen Grenze  die  Un strut  (Nebenfluss  der  Saale). 

Die  wichtigste  Nahrungsquelle  der  Bevolkerung  ist  die  sorg- 
faltig  betriebene  Landwirthschaft,  welche  namentlich  in  Gotha 


218 

viel  Getreide,  Hiilsenfriichte,  dann  Flachs,  Obst,  Anis,  Koriander, 
Kiimmel ,  Hopfen  und  Arzneikrauter  liefert.  Die  Forstkultur  ist 
hochst  bedeutend,  der  Thiiringerwald  hat  Ueberfluss  an  Holz.  In  der 
Viehzucht  ist  der  grosse,  starke  Schlag  der  Kinder  benierkens- 
werth,  die  Schafe  sind  meist  veredelt,  die  Pferde  von  dauerhafter 
Race ;  die  Waldungen  beherbergen  sehr  viel  Wild.  —  Bergbau 
findet  auf  Eisen,  Braunstein,  Kobalt  und  Steinkohlen  statt ;  dann 
werden  gewonnen  Thon  und  Porzellanerde,  vortreffliche  Miihlsteine 
(Krawinkel  bei  Ohrdruf),  Marmor  und  Salz. 

Die  gewerbliche  Thatigkeit  ist  in  Gotha  viel  lebhafter 
als  in  Koburg.  Zu  den  wichtigsten  Erzeugnissen  gehoren  die  Garn~ 
spinnerei  und  Leinenweberei  in  den  Gebirgsgegenden,  —  die  be- 
riihraten  Bleichen  in  Friedrichsroda,  —  Eisen-  und  Kupferwaaren 
in  Blasienzella,  Ohrdruf,  Ruhla,  —  Holzwaaren  in  Ruhla,  —  Por- 
zellan  in  Gotha,  —  Lederwaaren,  chemische  Fabrikate  in  Gotha 
und  Koburg,  —  mehrere  Steinschleifereien,  Marmormiihlen,  Brannt- 
weinbrennereien,  Tabak-  und  Seidenfabriken  etc. ;  —  beriihmt  sind 
die  Landkarten  und  geographischen  Lehrmittel  aus  dem  Verlage 
von  Perthes  in  Gotha. 

Der  Eigenhandel  ist  ziemlich  ansehnlich,  auch  der  Transit 
ist  beachtenswerth.  Zum  Export  kommen:  Farbe-  und  Arzneikrau- 
ter, Garn  ,  Leinwand,  Ruhla'er  Metall-  und  Holzwaaren  (Messer, 
Pfeifenkopfe ,  Pfeifenbeschlage),  Theer,  Kienruss,  Porzellan,  Mar- 
morkugeln,  Gotha' er  Landkarten.  Die  wichtigeren  Platze  sind  Gotha, 
Koburg,  Neustadt  und  Ruhla;  die  zwei  ersten  versorgen  das  Land 
mit  Kolonialwaaren.  —  Bedeutende  Geschafte  unterhalt  die  Feuer- 
und  Lebensassekuranz-Anstalt  in  Gotha.  Auch  die  wZettel-  und 
Diskontobank,"  die  ,,Privatbank"  und  die  ,,Koburg-Gotha'sche  Kre- 
ditanstalt"  entwickeln  ansehnliche  Thatigkeit.  —  Die  Fliisse  sind 
nicht  schiffbar ,  doch  fordern  die  thiiringische  Eisenbahn  und  die 
guten  Landstrassen  den  Verkehr.  —  Die  Volksbildung  steht  im  All- 
gemeinen  auf  hober  Stufe;  fur  Unterricht  und  Erziehung  bestehen 
sehr  gute  Lehranstalten,  und  zahlreiche  Anstalten  fur  Wissenschaft 
und  Kunst  iiben  einen  erfreulichen  Einfluss. 

§.  119.  Das  Herzogthnm  Sachscn-AItenbur^. 

Das  Herzogthum  Sachsen-Altenburg,  iiber  24  QMeilen  gross, 
und  von  etwa  134.000  lutherischen  Thiiringern  bewohnt,  besteht  aus 
zwei,  durch  Gera  und  den  Weimarer  Kreis  Neustadt  von.  einander 
getrennten  Landestheilen.  Der  Gstliche  Theil,  von  der  Pleisse 
und  deren  Zufliissen  bewassert,  liegt  auf  dem  aussersten  Nordabfalle 
des  sachsischen  Berglandes,  ist  hugelig,  fruchtbar,  vortrefflich  an- 
gebaut  und  bringf  viel  Getreide,  Hanf,  Flachs  und  Obst  hervor, 
hat  bedeutende  Viehzucht,  aber  keinen  Bergbau.  Die  Einwohner, 
welche  sich  durch  eine  eigenthumliche  Tracht  und  altherkommliche 
Sitten  auszeichnen ,  scheinen  urspriinglich  wendischen  Stammes  zu 
sein.  Die  wichtigeren  Orte  sind:  A 1 1 e nb u r ^ (16.000),  Ronneburg, 
Schmolln,  Gossnitz,  Meuselwitz.  *^~" 

Der  westliche  Theil  liegt  theils  im  sachsischen,  theils  im 
thiiringischen  Berglande,  ist  bergig  und  waldig,  weniger  fruchtbar 


219 

und  von  der  Saale  bewassert.  Die  wichtigeren  Orte  sind:  Eisen- 
berg  (5000),  Kahla,  Roda. 

Die  gewerbliche  Industrie  ist  von  geringem  Belange. 
Grosse  Fabriken,  wie  im  benachbarten  Konigreiche  Sachsen,  finden 
sich  nicht.  Erwahnenswerth  sind  nur  wenige  Gewerbe:  die  Wollen- 
und  Leinweberei,  die  vortreffliche  Gerberei  (Altenburg,  Kahla,  Ei- 
senberg),  Topferei  (Altenburg,  Kabla),  Porzellan-  und  Steingut- 
Fabrikation  ,  Ho.lzwaaren  und  die  Verarbeitung  einiger  Boden- 
Erzeugnisse.N  t 

Der  Handel  ist  ziemlich  bedeutend.  Aus  dem  Osttheile  wer- 
den  exportirt :  Getreide,  Vieh,  Wolle,  Wollgarn,  aus  dem  Westtheile: 
Brenn-  und  Nutzholz  und  Holzwaaren.  Auch  der  Durchfuhr-  und 
Speditionshandel  ist  ausgedehnt  und  Altenburg,  der  anaehnlichste 
Handelsplatz,  macht  grosse  Wechselgeschafte.  Die  Leipziger  Eisen- 
bahn  und  die  Saale  fordern  den  Verkehr. 

Die  geistigeKultur  desVolkes  steht  auf  erfreulicher  Hohe; 
Volksschulen  ,  gelehrte  und  technische  Anstalten  sind  in  entspre- 
chender  Anzahl  vorhanden. 

§.  120.  Das  Furstentbum  Schwarzburg-Sondersliauscn. 

Die  Lander  der  beiden  Fiirsten  von  Schwarzburg  bestehen 
ausser  einigen  kleinen  Parzellen  je  aus  zwei  Theilen  :  der  oberen 
und  der  unteren  Grafschaft  (Oberherrschaft  und  Unterherrschaft). 
Schwarzburg  -  Sondershausen  hat  den  grosseren  Theil  der  Unter- 
herrschaft. 

Schwarzburg  -  Sondershausen  ,  mit  einer  Gesammtflache  von 
15  QMeilen  und  von  etwa  62.000  lutherischen  Thiiringern  bewohnt, 
besteht  aus  einer  Ober- und  einer  Unterherrschaft.  Die  Oberherr- 
schaft, aus  zwei  grosseren  Gebieten  bestehend,  liegt  am  Nordab- 
hange  des  Thiiringerwaldes  und  im  Thiiringer  Hiigelland  ;  die 
Gebiete  sind  durch  Weimar'sches ,  Rudolstadt'sches  und  Koburg- 
Gotha'sches  Gebiet  getrennt,  und  von  der  Gera  und  Una  bewasserf. 
Bemerkenswerthe  Orte  sind:  Arnstadt  (6000),  Breitenbach,  Geh- 
ren,  Langewiesen.  ** 

Die  Unterherrschaft,  zwischen  Preussen  und  Schwarz- 
burg-Rudolstadt,  dehnt  sich  fiber  einen  Theil  des  Thiiringer  Hiigel- 
landes  aus  und  wird  von  der  Helbe  und  Wipper  bewassert.  Grossere 
Orte  sind:  Sondershausen  (6000),  Greussen. 

Der  Boden  ist  in  der  Unterherrschaft  fruchtbarer,  das  Klima 
milder.  Die  Land  wirthsch  aft  wird  rationell  betrieben  und  der  er- 
giebige  Ackerbau  liefert  in  der  Unterherrschaft  Getreide  fiber  den  Be- 
darf.  Kartoffel-  und  Flachsbau  sind  sehr  ergiebig,  Gartengewachse  und 
Obst  werden  in  erheblicher  Menge  gewonnen.  Die  Forstkultur  lie- 
fert Holz  ffir  den  Export.  Die  Viehzucht,  namentlich  des  Rind- 
und  Borstenviehes  wie  der  meist  veredelten  iSchafe  ist  bliihend.  Der 
Bergbau  geht  auf  Eisen  (bei  Gehren),  Blei,  Mfihlsteine,  Salz  (Fran- 
kenhausen),  etwas  Silber  und  Kupfer.  —  Die  gewerbliche  In- 
dustrie ist  von  geringer  Bedeutung,  am  starksten  in  und  um  Arn- 
stadt. Relativ  am  bedeutendsten  sind :  die  Garnspinnerei,  Lein-  und 
Wollweberei,  der  Hiittenbetrieb  und  die  Metallwaaren*  Weiters  die 


Gerbereien,  ein  paar  Porzellanfabriken  und  Glashiitlen,  musikalische 
Instrumente  zu  Breitenbach.  —  Der  Handel  ist  geringe.  Zur 
Ausfuhr  kommen :  Holz  und  Holzwaaren ,  musikalische  Instru- 
mente (Drehorgeln),  Eisenwaaren,  Arzneikrauter.  Arnstadt  ist  der 
bedeutendste  Handelsplatz.  Zu  Sondershausen  besteht  die  ^thilrin- 
gische  Bank"  (Zettelbank  und  Hypotheken-Institut).  —  Der  Volks- 
unterricht  wird  zweckmassig  geleitet ,  die  geistige  Kultur  ist 
befriedigend. 

§.  121.  Das  Fiirstentlium  .Sf^wnr^ffrpj.Rudol8tadt._ 

Das  Furstenthum  Schwarzburg-Rudolstadt,  Imt  einer  Flache 
von  17  QMeilen  und  69.000  lutherischen  Thiiringern,  hat  den  gros- 
seren  Theil  der  Oberherrschaft.  Die  Ober  herrsch  a  f  t  besteht  aus 
einem  grosseren  und  mehreren  kleinen  Gebieten,  liegt  zwischen  den 
sachsischen  Herzogthilmern  und  Schwarzburg  -  Sondershausen  am 
Nordabhange  des  Thiiringerwaldes,  und  wird  von  der  Saale,  der  Ilm 
und  einigen  Flusschen  bewassert.  Der  Boden  ist  meist  steinig ,  das 
Klima  rauh.  —  Grossere  Orte  sind :  Rudolstadt  (6000  E.),  Ilm, 
Konigsee,  Oberweissbach ,  Blankenburg. 

Die  Unterherrschaft  breitet  sich  im  Thiiringer  Hiigel- 
lande  (Kyfihauser  1400')  zwischen  Schwarzburg- Sondershausen  und 
Preussen  aus ,  ist  von  der  Wipper  durchflossen,  hat  einen  sehr  er- 
giebigen  Boden  und  ein  milderes  Klima.  —  Wichtigere  Orte  sind: 
Frankenhausen  (5000  E.),  Schlotheim. 

Der  Produktenreichthum  besteht  in  Getreide,  Kartoffeln, 
Flachs,  Obst,  etwas  Wein  (Frankenhausen),  Holz  und  Waldproduk- 
ten.  Der  Viehstand  ist  erheblich.  Der  Bergbau  liefert  etwas 
Silber  (bei  Leutenberg;,  Eisen,  Kupfer,  Blei,  Schwefel,  Steine  und 
Porzellanerde;  bei  Frankenhausen  ist  eine  Saline  (60.000  Zentner 
Salz). 

Die  Industrie  ist  schwunghafter  als  im  benachbarten  Fiir- 
stenthume.  Bekannt  sind  die  Medizinalwaaren  von  Oberweissbach. 
Wollenzeug-  und  Leinweberei  sind  ziemlich  belangreich  (in  Ilm), 
dessgleichen  die  Branntweinbrennereien  und  Bierbrauereien  ,  einige 
Glashiitten ,  Papiermiihlen  und  die  Holzwaaren.  In  Konigsee  ist 
eine  Bleiweiss-  und  eine  Farbenfabrik,  in  Frankenhausen  eine  grosse 
Runkelrubenzuckerfabrik  und  Leimsiedereien;  zahlreiche  Gerbereien 
sind  zu  Leutenberg,  zu  Blankenburg  eine  Lederfabrik  u.  s.  w.  — 
Zum  Export  gelangen  Salz,  Holz,  Getreide,  Eisenwaaren,  Wollen- 
zeuge,  Porzellan  u.  dgl.  —  Frankenhausen  hat  ansehnlichen  Woll- 
handel.  Einige  Gewerbevereine  und  das  wohleingerichtete  Schul- 
wesen  sind  anerkennenswerthe  Forderungsmittel  der  physischen, 
technischen  und  geistigen  Kultur  im  aufstrebenden  Fiirstenthume. 
§.  12%.  Das  Fiirstenthnm  Reusa  iilterer  Linie. 

Das  Furstenthum  Reuss  alterer  Linie  oder  Reuss-Greiz  ist 
ein  gebirgiges,  nicht  ganz  7  QMeilen  grosses  Landchen,  im  Voigt- 
lande  und  im  Frankenwalde  gelegen,  welches  durch  das  Fursten- 
thum Reuss  jungerer  Linie  in  drei  Gebiete  getrennt  ist.  Es  wird 
von  der  weissen  Elster  und  der  Saale  bewassert,  ist  reich  bewaldet, 
hat  in  den  Thalern  einen  fruchtbaren  Boden  und  gemassigtes  Klima. 


221 

Die  Zahl  der  Bewohner  betragt  nahezu  40.000,  welche  in  zwei 
Stadten,  Greiz  (8000),  Zeulenroda  (5500),  zwei  Marktflecken  und 
mehreren  Dorfern  leben. 

Die  Landwirthschaft  wird  zwar  rationell  betrieben ,  der 
Ackerbau  liefert  Getreide,  Kartoffeln,  Flacha,  Garten-  und  Hiilsen- 
fruchte,  jedoch  wegen  der  gebirgigen  Bodenbeschaffenheit  und  der 
ausgedehnten  Waldungen  fiir  den  Bedarf  nicht  ausreichend.  —  Die 
Viehzucht,  beaonders  des  Rindviehes  und  der  Schafe  ist  bedeu- 
tender,  das  wichtigste  Landesprodukt  ist  Holz.  —  Der  Bergbau  lie- 
fert nebst  Eisen  viel  Schiefer  und  Sandstein,  —  Die  gewerbliche 
Industrie  ist  in  wollenen  und  baurawollenen  Stoffen  zu  Greiz  und 
Zeulenroda  recht  lebhaft,  unter  dera  Landvolke  sind  die  Spinnereien 
und  Holzarbeiten  verbreitet.  —  Der  gesammte  Handel  konzentrirt 
sich  in  den  genannten  zwei  Stadten ;  zur  Ausfuhr  kommen  nebst 
Holz  und  Vieh  die  erwahnten  Industrie  -  Erzeugnisse ,  vorzuglich 
Striimpfe,  Miitzen  und  Eiaenwaaren.  —  Fiir  die  geis tige  Kultur 
der  Bevolkerung  wird  bestens  gesorgt. 

§.  123.  Das  Furstenthum  Reuss  jungerer  Linie. 

Dieses  Fiirstsnthura,  etwa  15  n^eilen  gross  und  mit  einer 
Bevolkerung  von  80.000  Seelen,  liegt  im  Frankenwalde  und  im 
Voigtlande  ,  wird  von  der  Saale ,  der  weissen  Elster  und  mehreren 
Flusschen  bewassert,  und  beeteht  aus  drei  grosseren  nebst  einigen 
kleinen  Bestandtheilen.  Die  grosseren  Gebiete  sind  die  Herrschaf- 
ten  Schleiz,  Lobenstein  und  Ebersdorf,  Gera  und  Saalburg.  - 
Die  bedeutenderen  Orte  sind;  Schleiz  (6000  E.),  Gera  (14.000), 
Lobenteein,  Ebersdorf,  HohenlEuben,  .Langenwetzendorf,  Kirschdorf, 
Kostritz. 

Das  Land  ist  theils  gebirgig,  tbeils  hiigelig,  mit  weiten  Tha- 
lern  und  kleinen  aber  fruchtbaren  Ebenen.  Die  Land wirthschaf  t 
wird  sorgfaltig  betrieben  und  liefert  in  den  meisten  Landestheilen 
Getreide  iiber  den  Bedarf,  dessgleichen  viel  Flachs,  Rubeamen  und 
Obst.  Der  Vieh  stand,  insbesondere  des  Rindviehes,  ist  sehr  be- 
deutend  und  bildet  den  Hauptreichthum  des  Landes;  auch  gibt  es 
mehrere  veredelte  Schafereien.  Die  Forstkultur  ist  von  Wiehtigkeit. 
—  Der  Bergbau  geht  auf  Eisen  und  Salz,  ersteres  im  Loben- 
steinischen  ,  das  zweite  liefert  die  Saline  Heinrichshall  (bei  Gera) ; 
auch  Alaun,  Vitriol,  Porzellanerde,  Topferthon  und  Schiefersteine 
werden  gewonnen.  —  Die  Industrie  ist  recht  lebhaft,  namentlich 
in  Wollle  und  Baumwolle  in  fast  alien  obgenannten  Orten.  Die  be- 
deutendste  Fabrikstadt  ist  Gera  (Gerbereien,  Farbereien,  Tabak-, 
Hut-  und  Kutschenfabriken,  Eisengiesserei,  Bierbrauereien,  Brannt- 
weinbrennereien  u.  s.  f.),  die  Bierbrauereien  von  Kostritz  sind  be- 
riihmt ;  vortheilhaft  bekannt  sind  die  Eisen werke  zu  Saalburg,  die 
chemische  Fabrik  in  Heinrichshall  u.  s.  w.  —  Der  Handel  um- 
fasst  nebst  den  Fabrikaten  noch  Holz,  Schlachtvieh ,  Butter  und 
Kase.  Der  wichtigste  Handelsplatz  ist  Gera,  bedeutend  sind  uber- 
diess:  der  Holz-  und  Ochsenhandel  zu  Saalburg,  der  Ochsenhandel 
zu  Tanna,  sowie  die  Platze  Schleiz,  Lobenstein  und  Hirschberg. 
Zu  Gera  besteht  eine  Handelskammer  und  die  »Gera'er  Bank."  — 


222 

Das  Furstenthum  1st  durch  hohe  geistige  Kultur  ausgezeichnet 
und  auch  hierin  stehen  die  gelehrten,  gewerblichen  und  kommer- 
ziellcn  Lehranstalten  in  Gera  obenan.  Zu  Ebersdorf  haben  die 
Herrnhuter  eine  Erziehungsanstalt. 

D.  Norddeutsclie  Staaten. 
§.  134.  Das  Kunigreich  Preussen. 

5103  qMeilen;  —  17,200.000  (relativ  3370)  Einwohner,  darnnter  an  6l°/0 
Protestanten  (in  Pommern,  Brandenburg,  Sachsen,  Ostpreussen,  Schlesien),  37%  Ka- 
tholiken  (in  Ilheinpreussen,  Posen,  Westphalen),  dann  Dissidenten  und  Israeliten;  — 
uach  der  National!  tat  etwa  7o°/n  Deutsche,  an  4  Millionen  Slawen  und  Jnden.  — 
Der  6stliche  Theil  hat  4227  QMeilcn,  fiber  12,500.000  Einwohner,  —  der  west- 
liche  855  QMeilen,  iiber  4'/2  Millionen  Einwohner,  —  Hohenzollern  21  n^ei- 
len,  fiber  63000  Einwohner,  —  Gebiet  am  Jahdebusen  V4  QMeile  mit  230  Ein- 
wohnern.  —  Untheilbare  konstitntionelle  Erbmonarchie.  Die  Krone  ist  in  dem  Man- 
nesstamme  des  protestantischen  Hauses  Hohenzollern  nach  dem  Kechte  derErst- 
geburt  und  der  agnatischen  Linealfolge  erblich. 

Das  Konigreich  Preussen  besteht  aus  zwei  getrennten  Haupt- 
theilen,  dann  einem  isolirten  Gebiete  in  Siiddeutschland  —  Hohen- 
zollern —  und  mehreren  kleinen ,  auf  fremdem  Gebiete  liegenden 
Enklaven.  Es  grenzt  mit  geringen  Ausnahmen  an  alle  deutschen 
Bundesstaaten. 

Boden.  Der  ostliche  Haupttheil  bildet  mit  geringen  Ausnah- 
men eine  ebene  oder  wellige  Flache ;  nur  am  sudlichen  Rande  der- 
selben  sind  einige  Gebirge,  als:  die  Sudeten,  der  Ha rz  und  der 
Thiiringerwald.  Der  Boden  gehort  im  Ganzen  zu  dem  minder 
fruchtbaren  ,  besonders  sind  die  Gegenden  zwischen  der  Elbe  und 
der  ostlichen  Grenze  Preussens  eine  nur  durch  reichliche  Bewasse- 
rung  und  fleissigen  Anbau  veredelte,  von  einzelnen  fruchtreichen 
Strichen  unterbrochene  Sandflache.  Die  Gegenden  westlich  der  Elbe 
hingegen  gehoren  zu  den  fruchtbarsten  in  Deutschland.  —  Der  west- 
liche  Haupttheil  zu  beiden  Seiten  des  Rhein  ist  grosstentheils  Hii- 
gel-  und  Bergland ,  und  wird  von  Aesten  des  Weser  gebi  rges, 
des  Wes  ter \valde s,  des  Hunsriick,  der  Eifel  und  der  ho- 
hen  Veen  durchzogen ;  nur  der  nordliche  Theil  ist  eben.  Die  lange 
Kiiste  an  der  Ostsee  ist  durchaus  flach,  den  Versandungen  ausge- 
eetzt  und  bildet  keinen  bedeutenden  Hafen. 

(Siehe  das  norddeutsche  Bergland  S.  29.) 

Gewasser.  Preussen  wird  im  Norden  von  der  Ostsee  bespiilt 
(siehe  §.  102),  daa  Jahdegebiet  liegt  an  der  Nordsee.  — 
Die  Flu's  s  e  der  beiden  Haupttheile  ergiessen  sich  in  diese  zwei 
Meere ;  Hohenzollern  hingegen  gehort  zum  Donaugebiete.  In  die 
Ostsee  fliessen:  die  Memel  (Nje'men),  der  Pregel,  die  Weich- 
s el,  die  Oder  (siehe  S.  49);  —  in  die  Nordsee:  die  Elbe,  die 
Weser,  die  Ems,  der  Rhein  (siehe  S.  50).  —  Die  vielen  Seen 
eind  Strand-  und  Landseen,  Die  meisten  und  grossten  liegen  in 
Ost-  und  Westpreussen,  in  Brandenburg  und  Pommern.  Die  Zahl 
der  Siimpfe  und  Moore  verringert  sich  immer  mehr,  sie  werden  in 
trockenes  und  fruchtbares  Land  verwandelt.  —  Kan  ale  sind  sehr 
zahlreich,  welche  theils  zur  Schiffahrt,  theils  zum  Holzflossen,  theila 
zur  Entwasserung  dienen.  (Siehe  §.  102.)  —  Preussen  besitzt  end- 
lich  viele  Mineralquellen,  besonders  in  Schlesien,  in  der  Rhein- 


provinz  und  Westphalen  (Aachen,  Kreuznach,  Rehme  und  Salzbrunn 
in  Schlesien). 

Politische  Eintheilung.  Die  preussische  Monarchie  wird 
mit  Ausnahme  des  ,,Regierungsbezirkes  der  hohenzollern'schen 
Lande"  und  des  ,,Jahdegebietes"  in  acht  Provinz  en  eingetheilt. 
Jede  Provinz  wird  in  mehrere  Regierungebezirke  (zusammen 
25)  und  jeder  Bezirk  inKreise,  welche  von  Landrathen  verwaltet 
werden,  getheilt.  Ausser  den  zwei  Provinzen  Preussen  und  Posen 
gehoren  alle  andern  zum  deutschen  Bunde. 

Die  Haupt-  und  Residenzstadt  ist  Berlin  (450.000  Einw.)  an  beiden  Ufern 
der  Spree,  Sitz  aller  hohen  StaatsbehGrden.  Die  Stadt  hat  neuerbaute,  regelmassige 
Stadttheile,  sehr  schone  Strassen  und  offentliche  Platze,  unter  denen  der  Wilhelms- 
platz  mit  Bildsaulen  preussischer  Generale;  der  Lustgarten;  der  Pariserplatz  an  dem 
schonen  (mit  der  Quadriga  geschmuckten)  Brandenbnrger  Thore.  Die  Friedrichs- 
strasse  ;  Munter  den  Linden";  Opernplatz,  Gensdarmenplatz,  das  Schloss,  Museum, 
Universitats-  und  Bibliothekgebande,  die  kathol.  HedwSgskirche  u.  v.  a.  Berlin  ist 
Mittelpunkt  fur  Wissenschaften  und  Kunste  in  Norddentschland  ;  auch  Industrie  und 
Handel  nehmen  ungemeinen  Aufschwnng.  Akademie  der  Wissenschaften,  der  bil- 
denden  Kunste  und  mechaniscben  Wissenschaften,  Universitat  (irn  J.  1810  gestiftet) 
mit  ausgezeichneten  Anstalten  und  Sammlungen,  6  Gymnasien  u'nd  viele  andere 
SpeziaJ-  und  Mittelschulen,  sowohl  offentliche  als  private.  —  Viele  Fabriken  und 
Gewerbe  fur  Seiden-,  Baumwoll-,  Gold-,  Silber-  und  Lackwaaren,  Mobel,  Maschinen, 
Eisengusswaaren,  Porzellan;  Borse;  bedeutende  Geldinstitute  ;  wichtiger  Buch-  uud 
Wollhandel.  Viele  Humanitats-  und  Sanitatsanstalten. 
Andere  bedeutendere  Orte  sind: 

1.  Provinz    Braiideuhurg.    —   734   Q  M.,   —   2,254.000   (relativ    3076) 
Einwobner:       XlftbOO,  „ 

Berlin    (450.000).  8  <~v*Jl*4^-*^      L 
l.Wvu.'Vtt.  Potsdam:  Potedttm  C41.000),  Sanssouci,    Charlottenburg,  ^paa- 

dau,  Brandenburg,  Neu-Ruppin,  Prenzlow  ;  l~i  & 

2.  Reg.  -Be  z.  Frankfurt:  Frankfurt  an    der  Oder    (33.000..,  _Kustrin,  Gu- 

Jifin^.  Kottbus,  Landsberg.  ^lillichau,   Krossen,  Sorati.  ±. 

2.  Proviiiz~ToDlinerj>,  —    577    QM.,   —    1,290.000   (relativ  2240)    Ein- 
wohner:  •*£ 

l.Reg.-Bez.  S  te  t  tin  :  _S  t  e  1  1  i  n   02  OOO),  Swinemunde  (auf  der   Insel  Usedom), 
Stargard,  Wollin  (auf  deTTnTeTlVollin)  ;  v 

2.  Reg.-BezT"ST?"alsund:  StralsuntL  (20.000).    Greifswalde.   Bergen    (auf  der 
Insel  Rugen),  Wolgast,  BanEI 

3.  Reg.  -Be  z.  Koslin:  Ko  slin  (10.000),  Koljberg,  Stolpe. 

" 


3.  Provinz  Sachs^JL  —  460  QM.,  —  '"1,862.000  (relativ  4040)  Einwohner  : 
l.Reg.-Bez.  Magdeburg:  Magdeburg   (78000.,    Schonebeck,    Halbsrstadt, 

Quedlinburg,  Ascherslebun,  Burg,  Wernigerode,  Sal/.wedel  ; 
2.Reg.-Bez.  Mersebnrg;  Merseburg  (12.000).  Halle.  Wittenberg,   Torgau, 

Naumburg.  Eisleben.  Zeitz,  Ufrtzen,  Rossbach; 
3.  Reg.-Bez.    Erfurt:    Erfurt    (34.000),    Langensalza,    Nordhauscn,    Miihlliau- 

sen^Sahl.  \A 

4.  Provinz  ,  Schlesien,  —  742  QM..  —  3,182.000  (relativ  4300)  Einwohner: 
l.Reg.-Bez.  w>  "<«»'   Kj^«l  n  n^"A29.  nnn)|    Brieg,    Glatz,    Schweidnitz,    Wal- 

denburg,  Reichenbach,  Frankenstein  ^  ^ 
2.  R  e  g.  -  B  e*z.  L  i  e  g  n  i  t  z  :  L  i  e  g  n  i  t  z  (14.000),  Gorlitz,  Glogan,  Grunebergj  Hirsch- 

berg,  Schmiedeberg,  Jauer,  Zillerthal,  Goldberg,  Bunzlau; 
3.Reg.-Bez.  Oppeln:  Oppeln  (8400),  Neisse,    Jiosel,    Katibor,  ^leiwitz^Tar- 

nowitz,  Malapane.  Tr*"" 

5.  Provinz  Posen.  —  536  QM-,    —    1,3&3.000  (relativ  2600)  Einwohner: 
l.Reg.-Bez.  Posen:  P  OAiJL  (^,000),  Meseritsch,  _Ljssa,  Krotoschin,  Hempen, 

Rawicz  ; 
2.  Reg.-Bez.  Bromberg:  Brombertr  (10.000^.  Gnesen. 

6.  Provinz  Jic£ussiui,  —  1178  nM->  —  2.637jOoTr(relativ  2240)  Einwohner: 
l.Reg.-Bez.  Konigsberg:  KOnigsberg    (83.000),    Pillau,    Memel,    Brauns- 

berg;  —  -  -  — 


'  f  »/>  t 


224 

2.  Reg.-Bez.  Gumbinnen:    Gumbinnen   (7000),   Tilsit,  _Inst£tliurg,  Lotzen, 
Trakehnen; 

3.  Reg. -Bez.  Danzig!  Danzig  (70.000),    Weichselmiinde,    Marienburg,  Elbing; 
4.Reg.-Bez.    Marien werder:    Marienwerder    (CSOU).    Thorn,  ^Grauilenz? 

7.  Provinz  Westphalen,  —  368  QM.,   —  1,527.000  (rclativ   4150)  Ein- 
wohner : 

1.  Reg.-Bez.  Munster:  Munster  (26.000),  Warendorf,  Bocholt; 

2.  Reg.-Bez.  Minden:  Minden  (14.000),  Bielefeld,  Paderborn,  Herford,  H5x- 
ter,  Korvey  ; 

3.  Reg. -Bez.  Arnsberg.  Arusberg    (5000),    Iserlohn ,   Soest,    Hamm    (in  der 
Emperstrasse :    Hagen,    Gewelsberg,    Schwelm,   Langerfeld),    Altena,   Dortmund, 
Bochum. 

8.  Rheinprovinz,  —  487  QM->  —  3,040.000  (relativ  6240)  Einwohner: 
I.Reg. -Bez.  K6ln  (100.000),  Bonn,  Deutz,  Miihlheim; 

2.  Reg.-Bez.  Dusseldorf:  Dusseldorf  (30.000),  Elberfeld  (42.000),    Krefeld 
(46.000),  Barmen  (42.000)  —  das  Wupperthal  — ,  Solingen,    Reroscheid,    Cleve, 
Wesel,  Kaiserswerth,  Ruhrort,  Burscbeid,  Lennep,  Mtihlheim,  Duisburg,  Kempen, 
Geldern ; 

3.  Reg. -Bez.  Koblenz:    Koblenz    (26.000),    Ehrenbreitstein,    Rhense,    Kreuz- 
nach,  Neuwied,  Andernach,  Wetzlar; 

4.  Reg.- Be 2.  Trier:  Trier  (20.000),  Saarbrucken,  Saarburg,  Saarlouis; 

5.  Reg.-Bez.   Aachen:   Aachen    (54.000),    Burtscheid,    Stollberg,    Eschweiler, 
Eupen,  Malmedy,  Montjoie,  Jiilich. 

9.  Fiirsteiitiiiini  Hohenzollern,   —  21   QM.,   —   63.000  (relativ  3040) 
Einwohner: 

Sigmaringen  (2700),  Hechingen  (3600),  Burg  Hohenzollern. 

10.  Hafengebict    des    Jahdebnsens.     Das    Kriegshafengebiet   zu   beiden 
Seiten  des  Jahdebusens  ist  von  Oldenburg  begrtnzt  und    hat   seine  eigene   unter  der 
Admiralitat  stehende  Verwaltung. 

Die  kleineren  preussischen  Gebietstheile  oder  Enklaven,  die  in  andern  Slaa- 
ten  liegen,  sind:  Dnckow,  Zettemin,  Peenwerder,  Rottmannshagen,  Rutzenfelde, 
Karlsruhe,  Pinnow  und  Lindow  (6  QM.  znm  Reg.-Bez.  Stettin)  in  Mecklen- 
burg -  Sch  werin;  —  Benneckenstein,  Hehlingen,  Wolfsburg,  Hesslingen,  Luch- 
tringen,  die  Enklave  bei  Calvorde  und  der  Regenstein  (9  QM.)  in  Braun- 
schweig; —  Schierau,  Priorau,  Most,  PSssigk,  Repau,  LQbnitz  und  Klinkow 
(7.3,  DM0  in  An  halt:  —  Kischlitz  in  Altenburg;  —  Mollschiitz,  Alt- 
lijbnitz  (l.M  QM.)  in  Meiningen;  —  Wandersleben,  Muhlberg  (3.;s  QM.) 
in  Goth  a;  —  der  Kreis  Ziegenriick  zwischen  Reuss,  Rudolstadt,  Meiningen, 
Weimar;  —  Gefell,  Sparenberg,  Blankenburg,  zum  Theil  Blintendorf  in  Renss- 
Schleiz;  —  Schleusingen,  zwischen  Gotha,  Kurhessen,  Meiningen,  Weimar  ; 
—  Wetzlar  zwischen  Grossherzogthum  Hessen  und  Nassau;  • — •  Lugde  in 
Lippe;  —  Gross-Menow  in  Mecklenburg;  —  die  Grenzdorfer  Porep,  Suckow, 
Drenikow  und  das  Rittergut  Wolde  gemeinschaftlich  mit  Meoklenburg-Schwerin. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Im  Konigreiche  Preussen  sind  guter,  mittlerer,  sandiger  oder 
felsiger  Boden  in  ziemlich  gleichem  Verbal tnisse  vorhanden,  aber  auf 
verschiedene  Weise  in  den  einzelnen  Landestheilen  vertheilt.  Trotz- 
dem  bildet  die  Landwirthschaft,  mit  welcher  sich  mehr  als  die 
Halfte  der  Bevolkerung  beschaftigt,  eine  der  Hauptquellen  des  Er- 
werbes.  Am  sorgfaltigsten  wird  sie  in  den  Provinzen  Sachsen,  Schle- 
sien,  Brandenburg,  in  Pommern  und  Preussen  betrieben.  Der  Acker- 
bau,  der  immer  mehr  an  Ausdehnung  gewinnt,  liefert  Getreide  so- 
gar  zum  Export.  Die  getreidereichsten  Provinzen  sind  Sachsen, 
Schlesien,  Posen,  Preussen  und  die  Rheinprovinz;  relativ  werden 
weit  mehr  Roggen  und  Hafer  als  die  ubrigen  Getreidearten  ange- 
baut ,  doch  ist  der  Export  an  Weizen  mehr  als  doppelt  so  gross, 
denn  jener  des  Roggens.  Am  ausgedehntesten  ist  der  Weizenbau 


225 

im  ostlichen  Schlesien,  dann  um  Magdeburg,  Erfurt,  in  Pommern 
(Stralsund) ,  in  den  Niederungen  der  Weichsel ,  in  den  Bezirken 
Aachen  und  Dusseldorf;  —  Spelz  im  Grossen  nur  in  der  Rhein- 
provinz; —  Roggen  in  Preussen,  Schlesien  und  Westphalen,  doch 
ist  der  preussische  auf  den  auslandischen  Markten  der  geschatzteste ; 
—  die  Jahresernte  an  H  a  f  e  r  ist  die  relativ  starkste.  Unter  den  Hiil- 
senfruchten  nimmt  der  Anbau  der  Erbse  den  ersten  Rang  ein.  Von, 
hoher  Bedeutung  ist  der  Kartoffelbau,  namentlich  in  den  ost- 
lichen Sandgegenden  (uber  280  Millionen  Scheffel).  Gem  use  ist  in 
alien  Theilen  reichlich  vorhanden,  feinere  Sorten  vorzuglich  im 
Rheinthale.  Die  Runkelriiben,  zumeist  ffir  die  steigende  Zucker- 
fabrikation,  gewinnen  immer  mehr  an  Ausdehnung ,  namentlich  in 
Schlesien ,  Sachsen ,  Brandenburg  und  in  der  Rheinprovinz.  Der 
Flachs,  welchen  man  unter  den  Handelspflanzen  am  meisten  kul- 
tivirt,  wird  am  starksten  und  sorgfal  tigs  ten  in  Schlesien  und  West- 
phalen (den  Hauptsitzen  der  Leinenindustrie)  gebaut,  und  gelangen 
erhebliche  Mengen  noch  zur  Ausfuhr.  Die  Produktion  an  Hanf 
deckt  hingegen  nicht  den  Bedarf .  Der  Raps  ist  stark  verbreitet, 
am  starksten  in  den  Bezirken  Magdeburg  und  Erfurt.  Krapp 
komrat  besonders  in  Schlesien  (Breslau),  Waid  um  Erfurt  und  in 
der  Rheinprovinz,  Safflor  um  Erfurt  und  in  Schlesien  vor.  Die 
Cichorie  wird  um  Magdeburg  und  in  Schlesien,  Karden  um 
Breslau,  Halle,  Burg  und  Aachen  angebaut.  Hopfen  wird  nicht 
genQgend  produzirt;  an  Tabak  wird  am  meisten  in  Brandenburg, 
am  wenigsten  in  Westphalen  gewonnen  (Jahresproduktion  etwa 
220.000  Zentner).  —  Durch  Gartenkultur  sind  ausgezeichnet 
Erfurt,  Halberstadt,  Magdeburg,  Berlin,  Dusseldorf  und  vorzuglich 
Schlesien.  Das  beste  Obst  wachst  am  Rhein  und  an  der  Mosel. — 
Hinsichtlich  des  We  i  n  b  a  u  e  s  ist  nur  die  Rheinprovinz  von  Bedeutung, 
auf  welche  an  80%  des  gesammten  Weinbodens  entfallen;  doch  ist 
die  Qualitat  nach  den  Flussgebieten  verschieden.  Die  Jahreeproduk- 
tion  (mit  etwa  y,  Million  Eimer)  deckt  nicht  den  Bedarf.  —  Bei- 
nahe  20%  der  Gesammtflache  nehmen  die  Wai  dun  gen  ein.  Den 
grossten  Holzreichthum  hat  die  Provinz  Preussen,  zunachst  stehen 
Schlesien  ,  Brandenburg  und  die  Berggegenden  der  Rheinprovinz. 
Wenig  Holz  findet  sich  in  den  Bezirken  Dusseldorf,  Merseburg, 
Erfurt  und  Minden.  Der  Holzbedarf  des  Landes  wird  im  Allgemei- 
nen  gedeckt. 

Mit  den  Fortschritten  des  Wiesenbaues  und  des  Ackerbaues 
hat  sich  die  Viehzucht  zwar  gehoben,  doch  hat  sie  die  wiinschens- 
werthe  HOhe  noch  nicht  erreicht.  Am  bluhendsten  ist  die  Schaf- 
zucht  (iiber  16  Millionen).  Ueber  30%  sind  Merinos,  an  50% 
halbveredelt,  die  ubrigen  Landschafe.  Am  starksten  ist  die  Zucht 
in  Brandenburg  (Potsdam),  Schlesien  und  Sachsen  ;  geringe  in  West- 
phalen und  in  der  Rheinprovinz.  Zu  Frankenfelde  (im  Bezirke  Pots- 
dam) ist  eine  Stamm-  und  Musterschaferei  mit  einem  ,,Schafer- 
Lehrinstitute."  —  Die  Rind  viehzucht  hat  sich  bedeutend  gehoben; 
schones  Rindvieh  wird  gezogen  an  der  Havel,  Warthe  und  Netze, 
in  den  Seitenthalern  des  Rhein  ,  in  den  Niederungen  der  Weichsel, 
in  Pommern,  Posen  und  den  Gebirgsgegenden  Schlesiens.  —  Der 

Kluu's  Baadols-Geogrraphie.     2.   Anil.  ^5 


226 

Pferdestand  deckt  zwar  den  Militarbedarf,  aber  nicht  den  Be- 
darf  der  Landwirthschaft.  Die  schonsten  Pferde  hat  Ostpreussen. 
Hauptgestiite  sind  zu  Trakehnen  (bei  Gumbinnen),  Neustadt  an  der 
Dosse  und  Graditz.  —  Die  Zahl  der  Esel  und  Maulthiere  ist  ge- 
ringe,  am  grossten  in  Westphalen  und  in  der  Rheinprovinz.  —  Die 
Ziegenzucht  findet  sich  vorzugsweise  in  den  Gebirgsgegenden, 
Schweine  in  Westphalen,  Pommern  und  Preussen,  Federvieh 
in  Pommern  (Ganse)  und  Preussen,  die  Bienenzucht  zurneist 
unter  der  slawischen  Bevolkerung ;  Honig  wird  geniigend,  Wachs 
jedoch  nicht  ausreichend  gewonnen.  An  der  Ostsee  und  in  mehreren 
Fliissen  ist  die  Fischerei  ansehnlich. 

Der  Bergbau  und  das  Huttenwesen  stehen  in  Preussen  auf 
pehr  hoher  Stufe,  insbesondere  haben  der  Ko  h  1  enbergbau  und  das 
Eisenhiittenwesen  in  neuester  Zeit  einen  beispiellosen  Aufschwung 
genommen.  Der  Werth  der  Erzeugnisse  betrug  im  Jahre  1854  fiber 
81  Millionen  Thaler,  wovon  auf  die  Rheinprovinz  an  36%  und  auf 
Westphalen  24%  entfielen.  —  Die  Gold  gewinnung  ist  unbedeu- 
tend,  dagegen  betrug  jene  des  Silbers  nahezu  53.000  Mark  (in 
den  Bezirken  Oppeln,  Merseburg  und  in  der  Rheinprovinz).  —  Das 
meiste  Eisen  wird  im  rheinischen  und  schleeischen,  das  wenigste 
im  sachsisch-thiiringischen  Hauptbergdistrikte  produzirt ;  im  ersten 
namentlich  in  den  Bergamtern  Siegen,  Saarbriicken  und  Diiren.  Im 
Jahre  1857  belief  sich  der  Ertrag  aus  den  gesammten  (1615)  Gru- 
ben  auf  iiber  3T/2  Million  Tonnen  Eisenerz.  —  Zunachst  steht  an 
Wichtigkeit  die  Gewinnung  der  Steinkohlen  (im  Jahre  1857  in 
503  Gruben  fiber  47T/3  Million  Tonnen)  und  der  Braunkohlen 
(im  Jahre  1857  in  440  Gruben  an  18  '/4  Millionen  Tonnen).  Die 
meiste  Steinkohle  wird  in  Westphalen,  Schlesien  und  der  Rhein- 
provinz, die  Braunkohle  im  sachsisch-thiiringischen  Distrikte  (Mer- 
seburg), Brandenburg  und  der  Rheinprovinz  gewonnen.  —  Zink 
und  Galmei  hauptsachlich  an  der  belgischen  Grenze  bei  Aachen, 
im  Bezirke  Diiren  und  in  Oberschlesien,  — Kupfer  im  Mansfeldi- 
schen ,  im  Harz ,  in  Schlesien  (Tarnowitz),  —  Blei  im  Bezirke 
Aachen  (Stollberg,  Gemiind),  dann  urn  Saarlouis,  Trarbach,  Siegen 
und  in  Schlesien  (Tarnowitz)  u.  s.  w.  —  An  der  ost-  und  west- 
preussischen  Kiiste  (zumeist  im  Konigsberger  Bezirke)  wird  Bern- 
stein theils  durch  Schopfen  und  Sammeln,  theils  durch  Graben 
gewonnen,  und  viel  davon  nach  dem  Oriente  ausgeffihrt.  -  -  Auch 
an  Salz  ist  der  Staat  reich ;  die  23  Salinen  lieferten  im  Jahre  1857 
nahe  77.000  Lasten  im  Werthe  von  fiber  1,750-000  Thalern.  Grosse 
Salinen  sind  in  Halle ,  Durrenberg  (bei  Merseburg),  Schonebeck, 
Kosen  (bei  Naumburg)  u.  a.  m.  Von  den  nutzbaren  Erden  sind  die 
Porzellanerde  (Mori  in  Sachsen) ,  der  Pfeifen-  und  Tcipferthon  er- 
wahnenswerth. 

In  Hinsicht  der  gewerblichen  Industrie  nimmt  Preussen 
eine  sehr  bedeutende  Stelle  ein ;  es  gehort  unter  die  wichtigsten 
Manufakturstaaten  Europa's.  Erst  in  unserem  Jahrhunderte  (seit  der 
Gesetzgebung  im  Jahre  1810  und  der  spateren  Bildung  des 
Zollvereines),  seitdem  der  Fabriksindustrie  und  den  technischen 
Gewerben  alle  Freiheit  gegeben  ist,  und  diese  durch  die  Konkurrenz 


'- 


rait  dem  Auslande  zur  Nachciferung  und  zum  Wettkampfe  in  der 
vollkomtnensten  Bearbeitung  gezwungen  warden;  seitdem  einerseits 
industrielle  Unternehmungen  nicht  durch  kunstliche  Mittel  und  Hil- 
fen  hervorgerufen,  sondern  aus  freiera  Antriebe  unternommen  wur- 
den,  wahrend  andererseita  griindlicher  Gewerbeunterricht,  vermehrte 
und  verbesserte  Kommunikazionen ,  Gewerbevereine  und  Gewerbe- 
ausstellungen  die  junge  Industrie  krafrigten  und  forderten;  —  erst 
seit  dieser  Zeit  haben  Gewerbe  und  Handel  den  Aufschwung  ge- 
nommen,  der  dieaem  Lande  eine  so  bedeutende  Stelle  unter  den 
europaischen  Industriestaaten  anweiset.  Allerdings  steht  insbesondere 
die  Grossindustrie  mit  den  klimatischen  und  sonstigen  natiirlichen 
Verhaltnissen  in  vielfacher  Verbindung.  Grosser  Reichthum  an  Me- 
tallen  und  an  Feuerungsmateriale  ,  bedeutende  Wasserkrafte ,  die 
Dichtigkeit  der  Bevolkerung ,  die  landwirthschaftliche  Produktion 
wirken  unmittelbar  auf  die  Fabriksthatigkeit  ein ;  aber  viel  wich- 
tiger  noch  sind  die  geis  ti  ge  n  Faktoren  ,  namlich:  Volksbildung 
und  tiichtiger  gewerblicher  Unterricht,  dann  die  Moglichkeit,  seine 
geistige  und  physische  Kraft  unbehindert  und  frei  auf  dem  unend- 
licben  Gebiete  der  Arbeit  verwerthen  zu  konnen. 

Die  meiste  Fabriksthatigkeit  finden  wir  in  den  Provinzen: 
Rheinprovinz  und  Westphalen,  in  Mittel-  und  Nieder- 
schlesien,  in  Sachsen  und  in  einigen  Gegenden  der  Mark. 
Die  wichtigsten  Erzeugnisse  der  Industrie  sind:  die  Leinen-,  Wol- 
len-,  Baumwollen-  und  Metallwaaren.  —  Die  Industrie 
in  Flachs  und  Hanf  ist  eine  der  bedeutendsten  -und  altesten  in 
Preussen.  Die  Garn  sp  innerei  ist  als  landvvirthschaftlicbe  Neben- 
beschaftigung  im  ganzen  Reiche,  am  starksten  im  schlesischen  Ge- 
birge,  in  Ostpreussen  (grobes  Garn) ,  in  Westphalen  und  am  Rhein 
verbreitet;  auch  die  mechanische  Spinnerei  gewinnt  an  Ausdehnung, 
besonders  in  Schlesien.  Das  Gleiche  gilt  von  der  Leinen weberei, 
welche  ihren  Hauptsitz  in  Schlesien  hat,  dann  in  Sachsen  ,  West- 
phalen, Brandenburg  und  einigen  Theilen  der  Rheinprovinz  verbrei- 
tet ist.  Die  beste  Waare  liefert  Schlesien  in  den  Regierungsbe- 
zirken  Liegnitz  und  Breslau  (Hirschberg  [Leinwand,  Schleier, 
Brabanter  Spitzen],  Schmiedeberg,  Jauer,  Gorlitz  ,  —  Reich  en- 
bach,  Waldenburg,  Glatz,  Frankenstein);  —  in  Sachsen  sind  die 
Regierungsbezirke  Magdeburg  und  Erfurt,  —  in  Brandenburg  jene 
von  Potsdam  und  Frankfurt ,  —  in  Westphalen  die  Regierungs- 
bezirke Miinster  (Warendorf)  und  Minden  (Bielefeld),  in  der  Rhein- 
provinz der  Regierungsbezirk  Dusseldorf  (Barmen,  Elberfeld,  das 
Wupperthal)  die  starksten  Produzenten.  Die  Gesammtproduktion  an 
Leinwand  kann  jahrlich  annahernd  auf  300.000  Zentner  (iiber  120 
Millionen  Ellen)  und  die  Mehrausfuhr  auf  etwa  50.000  Zentner  ge- 
schatzt  werden.  Vorziigliche  und  grosse  Bleichen  sind  im  Wup- 
perthale  und  in  Schlesien.  Fur  Segeltuch  sind  Haupforte:  Stet- 
tin, Konigsberg  (sehr  gute  Taue  nach  Holland)  und  Danzig.  Auch 
die  preussischen  Seilerwaaren  sind  geschatzt. 

Auf  einer  bedeutenden  Hohe  steht  die  S  chafwollindustrie. 
Die  jahrliche  Produktion  in  Wolle-  und  Halbwollegeweben  ist  auf 
etwa  70  Millionen  Ellen  (jene  in  Tuch  auf  56  Millionen  Ellen)  an- 

"*" 


'. 


228 

zunehmen  ,  und  die  Mehrausfuhr  an  Wolhvaaren  betragt  an  77.000 
Zentner.  In  der  Spinnerei  1st  das  Handgespinnst  vom  Maschinen- 
gespinnst  fast  ganz  verdrangt  worden ;  ersteres  kommt  verhaltniss- 
massig  am  starksten  noch  in  den  Regierungsbezirken  Erfurt,  Trier, 
Liegnitz  und  Diisseldorf  vor ;  —  die  Maschinenspinnerei  ist  amstark- 
sten  zu  Streichgarn  (iiber  T/2  Million  Feinspindeln ,  fur  Kammgarn 
etwa  41.000  Feinspindeln),  und  zwar  in  Berlin  und  in  der  Provinz 
Brandenburg,  in  Schlesien  und  der  Rheinprovinz,  wo  auch  fur 
Kammgarn  die  grossten  Spinnereien  bestehen.  Bei  dem  Aufschwung 
der  Fabrik^tion  von  Tuch  und  wollenen  Zeugen  muss  iibrigens 
Wollengarn  noch  importirt  werden.  In  der  Wollenweberei  (vor- 
ziiglich  Tuchfabrikation)  sind  bedeutend :  die  Rheinprovinz  (Aachen, 
Eupen,  Malmedy,  Burtscheid,  Elberfeld,  Lennep,  das  Wupperthal), 
Brandenburg  (Kottbus,  Guben,  Berlin,  Potsdam) ,  Sachsen  (Burg, 
Magdeburg,  Quedlinburg,  Miihlhausen)  und  Schlesien  (Breslau,  Gor- 
litz).  Schone  Shawls  werden  in  Berlin ,  Teppiche  ebenda  und  in 
Schb'nberg  gefertigt;  der  Hauptsitz  der  Bandweberei  ist  im  Regie- 
rungsbezirke  Diisseldorf. 

Die  Baumwollindustrie  macht  gleichfalls  grosse  Fort- 
schritte ;  sie  deckt  nicht  nur  den  inlandischen  Bedarf,  sondern  bringt 
erhebliche  Mengen  von  Fabrikaten  zum  Export.  Die  Gesammtpro- 
duktion  von  baumwollenen  und  halbbaumwollenen  Geweben  kann 
jahrlich  mit  mindestens  356.000  Zentnern  (an  320  Millionen  Ellen) 
angenommen  werden  und  die  Mehrausfuhr  davon  betragt  an  80.000 
Zentner.  Auch  iiierin  ist  fast  ausschliesslich  die  Maschinenspinnerei 
vorherrschend,  obwohl  der  Bedarf  an  Garn  nicht  durch  die  einhei- 
mischen  Spinnereien  gedeckt  wird.  Die  meisten  und  grossten  Spin- 
nereien sind  in  Westphalen  und  der  Rheinprovinz  (Warendorf, 
das  Wupperthal,  Diisseldorf,  Gladbach,  Lennep,  Kempen  u.  s.  w.) 
und  in  Schlesien,  —  die  Webereien  im  Wupperthale,  Bielefeld, 
Schwelm,  Gorlitz,  Berlin,  Zeitz,  Eilenburg  u.  a.  m. 

In  der  Metallwaaren -Industrie  nimmt  die  Eisen-In- 
dustrie  den  ersten  Platz  ein.  Diese  ist  zunachst  von  dem  Vorkommen 
des  Eisenerzes  abhangig.  Die  meisten  Eisenwerke  besitzen  die  Regie- 
rungsbezirke  Oppeln,  Arnsberg,  Danzig,  Aachen  und  Koln.  Am 
ausgebreitetsten  und  grossartigsten  ist  in  dieser  Richtung  die  Indu- 
strie in  Westphalen,  dann  in  der  Rheinprovinz,  in  einzelnen  Zwei- 
gen  sind  aucn  Schlesien,  Brandenburg  und  Sachsen  beachtenswerth. 
Insbesondere  sind  vortheilhaft  bekannt:  Gusswaren  in  Berlin, 
Malapane,  Gleiwitz,  Konigs-  und  Laurahutte  (Schlesien)  und  Her- 
mannshiitte  (Westphalen);  —  Stahl  in  den  Regierungsbezirken  Arns- 
berg und  Diisseldorf,  ebenda  Bl  ech  und  Blechwaaren,  Draht; 
—  Nadeln  in  Iserlohn,  Altena,  Aachen,  Burtscheid,  Koln,  Xan- 
ten  ;  —  die  E  mpers trass  e  (Westphalen)  enthalt  zwei  Meilen  weit 
eine  ununterbrochene  Reihe  von  Eisen-  und  Stahlhammern,  und 
liefert  eine  grosse  MengeMesser,  Scheeren,  Sensen,  Sicheln,  alle  Ar- 
ten  grober  und  kurzer  Eisen-,  Stahl-  und  Messingwaaren ;  —  fiir 
Schneidewerkzeuge  ist  besonders  Solingen  beruhmt  (Klingen, 
Messer,  Scheeren),  dann  auch  Remscheid;  —  Gew  ehrfabriken 
in  Potsdam  und  Sommerda  a.  d.  Unstrut;  —  Stiickgiessereien 


_229 

in  Spandau  und  Sayn  (bei  Koblenz);  —  der  Maschinenbau  ist 
am  erheblichsten  in  Aachen,  Koln,  Stettin  und  Berlin  nebst  Um- 
gebung  (Moabit),  in  Buckau,  um  Konigsberg,  Breslau  und  Liegnitz; 

—  die  meisten  und  beaten    Messingwaaren   liefern   Remscheid, 
Stollberg    (bei    Aachen)  und  die    Umgegend   von    Potsdam.  —  Die 
grossten  und  zahlreichsten  Kupferhammer   sind    in    der  Rhein- 
provinz,  dann  in  Westphalen,  Sachsen,  Preussen  und  Brandenburg ; 
die    meisten    Kupferschmiede   haben    die  Regierungsbezirke  Diissel- 
dorf    und    Munster,    wo    auch  viele  Roth-,  Gelb-,  Zinn-  und 
Glockengiesser  thatig  sind.  —    Die    Bron  ze  wa  aren-Fabri- 
kation  ist  schwunghaft  im  Regierungsbezirke  Arnsberg  und  in  Ber- 
lin; —  die  Industrie  in  Go  Id,  Silber,  Neugold  und  Neusil- 
ber  u.  s.  w.  ist  durch  zahlreiche  Gewerbe  und  Manufakturen    ver- 
treten  (in  Brandenburg,  Sachsen,  Westphalen  u.  a.  O.) ;   —    bedeu- 
tend  ist  die  Uhrmacherei   (Berlin,    Breslau,  Diisseldorf).     End- 
lich  bestehen  viele  Manufakturen  und  Fabriken  fur  einzelne  Zweige 
der  reichgegliederten  jjMetallwaaren-Industrie,"    wodurch   diese   In- 
dustrie zu  einer  der  wichtigsten  in  Preussen  heranwachst  und  nebst 
der  Deckung  des  inlandischen  Bedarfes  noch  fur  den  Export  liefert. 

Nebst  diesen  Hauptindnstrien  sind  in  Prenssen  noch  hervorzuheben : 
Die  Seidenindustrie  hauptsachlich  in  der  Rheinprovinz  (Elbe rf eld, 
Krefeld,  Barmen,  Gladbach,  fiberhaupt  im  Regierungsbezirke  Diisseldorf),  dann  in 
Berlin,  Frankfurt  a.  d.  Oder,  Potsdam  u.  a.  O.  —  Die  Produktion  betragt  fiber  30 
Millionen  Ellen  seidener  und  halbseidener  Waaren,  wovon  etwa  die  Halfte  ausgefiihrt 
wird.  —  Die  Lederindustrie  ist  theils  handwerksmassig,  theils  fabriksmassig 
im  ganzen  Reiche  verbreitet  nnd  in  der  Anfnahme,  obwohl  an  Rohprodnkt  (schwere 
Felle  und  Haute)  zum  Theil  ein  Import  stattfindet.  Die  grossten  Gerbereien  sind  in 
der  Rheinprovinz  (Malmedy,  Koln,  Siegen),  dann  in  Berlin,  Trier,  Stendal.  Be- 
rnhmt  sind  die  Saffiane  von  Berlin,  Stettin,  KOnigsberg,  —  Handschuhe  von  Berlin, 
Halle,  Magdeburg,  Breslau,  Halberstadt  u.  a.,  —  fur  Sattler-  und  Riemerwaaren  sind 
bekannt  Berlin,  Breslau,  Aachen,  K61n,  —  fur  Kfirschnerwaaren  Posen,  Schlesien 
und  Preussen.  —  Auch  in  der  sehr  wichtigeu  und  ausgebreiteten  Tabakfabrika- 
tion  steht  die  Rheinprovinz  an  der  Spitze,  zunachst  stehen  Westphalen  und  Bran- 
denburg. —  Sowohl  die  Zuckerraf  finer  i  en  als  die  seit  dem  Jahre  1837  ent- 
standenen  Rnnkelriibenzuckerfabriken  sind  grosse  Anstalteu  und  haben  sich 
in  den  mittleren  Provinzen,  namentlich  in  Sachsen ,  ungemein  gehoben.  Zn  den  be- 
deutendsten  Raffinerien  fur  Kolonialzucker  gehOren  jene  in  Berlin,  Stettin,  Konigs- 
berg, Koln,  —  fur  Runkelrfibenzucker  Magdeburg,  Quedlinburg,  Koln,  Berlin,  Breslau. 

—  Die  Papierfabrikation    ist  bedeutend,  obwohl    das  Fabrikat    in  der  Qualitat 
clem  englischen,  franzosischen  und  schweizerischen  nachsteht,  und  die  Papier  mfi  hi  en 
noch  zahlreich    bestehen.     Das    beste  Papier   liefern   die   rheinischen,    westphalischen 
und  Berliner  Fabriken ;  die  bekanntesten  sind  in  Aachen,  Dfiren,  Gladbach,  Iserlohn, 
Berlin,  Liegnitz,  Mersebnrg  u.  a.     Das  gleiche  Verhaltniss  besteht  bei  der  Erzeugung 
von  Papiertapeten.  —  Die  Glasfabrikation  ist  am  starksten  in  Schlesien,  in  der 
Rheinprovinz  und  Westphalen  ;  die  meisten  Glaser  und  Glasschleifer  sind  in  den  Re- 
gierungsbezirken    Dusseldorf,    Merseburg  und  Potsdam,    Spiegelfabriken    in   Nenstadt 
a.  d.  Dosse  und  K6ln.  —  Vorzugliches  Porzellan  Hefern  Berlin,  Waldenburg  (Schle- 
sien), Trier  und  die  Umgegend  von  Magdeburg;  die  meisten  Handwerker  fur  irdenes 
Geschirr  leben  in  den  Regierungsbezirken  KOnigsberg,  Posen,  Frankfurt  und  Liegnitz . 

—  Sehr  ehrenvollen  Rnf  geniessen    endlich    die  ch  em  i  schen    Fabriken  (Rhein- 
provinz,  Brandenburg,    Sachsen,    Schlesien),    die    Starkefabriken    (Halle),   Oel- 
muhlen  (Halle,  Tilsit,  Konigsberg),  Strohhut-  nnd  Wachstuchfabriken  (Ber- 
lin), Cichorienfab  rik  en  (Magdeburg),   wohlrichende    Wasser    (KOln   pro- 
duzirt  jahrlich  fiber  vier  Millionen  Flaschen  nk6lnisch  Wasser";  und  Seife,  Brannt- 
weinbrennereien,    Bierbrauereien  u.    s.    w.     Zu    den    einflussreichsten  F5r- 
derungsmitteln  kSnnen  gerechnet  werden :  die  Gewerbeausstellungen,  die  Ausdehnung 
ler  Gewerbefreiheit,  technische  Vorbereitungsanstalten,  Gewerbevereine,  Kredit-   und 
Assekuranz-Gesellschaften  u.  s.  w. 


Der  Handel  ist  sehr  lebhaft.  Zahlreiche  schiffbare  Fliisse  und 
eine  lange  Seekiiste,  mehrere  Kanale,  gute  Landstrassen,  ein  weit- 
verzweigtea  Netz  von  Eisenbahnen,  die  vielen  Wochen-  und  Jahr- 
markte,  die  Messen,  Asaekuranzen,  Banken,  Borsen  und  Handels- 
kammern  befordern  denselben.  Von  besonderem  Einflusse  sind  der 
,,deu  ts  che  Zoll  v  ere  in,"  die  Konsulate  und  Handelsagenten,  Zoll-, 
Handels-  und  Schiffahrtsvertrage  und  der  hohe  Stand  der  geistigen 
Kultur.  Auch  der  Transit-  und  Speditionshandel  ist  bei  der  geogra- 
phischen  Lage  des  Reiches  ziemlich  erheblich. 

Die  bedeutenderen  Handelsplatze  fiir  den  inneren  Handel 
sind:  Berlin  als  Mittelpunkt  des  gesammten  preussischen  Handels, 

—  Breslau   fiir   den    schlesischen  ,    zum    Theil   auch    polnischen 
Handelsverkehr  mit  einem  der  wichtigsten  europaischen  Wollmarkte, 
wichtigen    Flachsmarkten    und    einem  eigenen  Honigmarkt ,    —    EI- 
berfeld  und  Barmen,  Koln  und  Diisseldorf   fur    die  rheini- 
schen  Industrie-Erzeugnisse;    letztere    Stadte    sind   zugleich  Haupt- 

flatze  der  Rhein-Dampfschiffahrt  und  des  Rheinhandels,  —  Kob- 
enz  fiir  den  Weinhandel  und  die  Mosel-  und  Rheinschiffahrt,  — 
Aachen  und  Gorlitz  fiir  Tuchgescbafte,  —  Bielefeld  fiir  den 
Leinwand-  und  Malmedy  fur  den  Lederhandel,  —  Sol  ing  en, 
Remscheid  und  Iserlohn  mit  starkem  Handel  in  Eisen-,  Stahl- 
und  Quincailleriewaaren,  — Magdeburg  fur  Kolonialwaaren,  Spe- 
ditionsplatz  fiir  den  Elbehandel  und  mit  ansehnlichen  Wollmarkten, 

—  Frankfurt    a.  d.  Oder   mit    drei    besuchten  Messen ,    starkem 
Transit   auf  der  "Uder  und    den  "mit    ihr    verbundenen  Fliissen.    — 
Auch    Halle,    Erfurt,    Naumburg    (Petri-Paul-Messe)  u.  a.  sind  fur 
den    inneren    Verkehr    von  Wichtigkeit.     Der  starkste    Getreide- 
h  an  del  wird  in  den  Ostseestadten  getrieben,  dann  in  Neuss,  Jauer 
in  Schlesien. 

Fur  den  Handel  nach  aussen  sind  nebst  den  genannten 
Markt-,  Mess-  und  Speditionsplatzen  noch  die  Seeplatze  an  der 
Ostsee  wichtig:  Memel,  Konigsberg  mit  Pillau,  Danzig  mit  der 
Rhede  Neufahrwasser,  Stettin  mit  Swinemiinde,  Stralsund,  Greifs- 
walde,  Zu  Anfang  des  Jahres  1857  zahlte  die  Handelsmarine  933 
Schiffe  langer  Fahrt  mit  nahezu  300.000  Tonnen.  Der  Seehandel 
geht  vorziiglich  nach  Grossbritannien,  Danemark,  Schweden  und 
Norwegen,  Russland,  den  Niederlanden,  dann  nach  Frankreich,  Spa- 
nien,  Italien,  der  Levante  und  Nordamerika.  Gegenatande  des  Im- 
portes  sind:  Baumwolle,  Twist,  rohe  Seide,  Farbstoffe,  etwas  Rohr- 
zucker,  Kolonialwaaren  und  Sudfriichte,  Wein,  Thiere  und  thierische 
Produkte,  Eisen,  Hanf  und  Leinsaat.  Ueber  die  Halfte  des  Importes 
entfallt  auf  Grossbritannien.  Gegenstande  des  Exportes  sind:  Ge- 
treide  und  Holz  (die  wichtigsten  Ausfuhrartikel  der  Ostseehafen) 
nach  Grossbritannien  und  den  Niederlanden,  die  Erzeugnisse  der 
bedeutenden,  fruher  genannten  Industrien.  Nahezu  2/3  der  Gesammt- 
Ausfuhr  geht  nach  Grossbritannien  (Getreide,  Holz,  Flachs,  Hanf, 
Oelsaat,  Talg,  Zink),  etwa  11%  nach  den  Niederlanden  (Oelsaat, 
Flachs,  Hanf,  Getreide,  Holz),  dann  folgen  Danemark,  Frankreich, 
Schweden  und  Norwegen,  Liibeck,  Russland  u.  s.  w.  —  Der  Export 
ist  bedeutend  starker  als  der  Import. 


231 

Zu  Folge  des  seit  dem  Jahre  1818  freieren  Handelssystems  sind  alle  fremden 
Waaren  (mit  Ausnahme  der  monopolisirten  und  privilegirten  Artikelj  zur  Ein-,  Ans- 
nnd  Durchfuhr  erlaubt;  sie  bezahlen  nach  einem  bestimmten  Tarife  einen  Ein-,  Aus- 
oder  Durchgangszoll,  wenn  nicht  voile  Freiheit  stattfindet.  —  Seit  dem  1.  Januar 
1834  besteht  der  deutsche  Zollverein,  welcher  mit  Ausnahme  der  beiden  meck- 
lenburgisuhen  Grossherzogtbumer,  der  Hansestadte,  von  Limburg,  Holstein  und  Lauen- 
burg  alle  deutschen  Staaten  umfasst.  Mit  dem  Osterreichischen  Zollvereine  ist  er 
seit  1854  und  mit  Bremen  seit  1856  enge  verbunden.  Freiheit  des  inneren  Ver- 
kehrs  zwischen  den  theilnehmenden  Staaten,  —  Annahme  eines  gemeinschaftlichen, 
durch  ein  verbindliches  Zollgesetz  gesicherten  Zollsystems,  —  und  Theilung  der  rei- 
nen  Einkiinfte  des  Vereines  unter  die  Theilnehmer  nach  dem  Massstabe  der  Bevol- 
kernngsmenge  sind  die  wesentlichen  Grnndlagen  des  deutschen  Zollvereines,  dessen 
Einfluss  auf  Industrie  und  Handel  Deutschlands  ein  bedeutender  ist. 

Die  geistige  Bildung  des  preussischen  Volkes  ist  eine  hochst 
bedeutende.  Die  Elementarkenntaisse  sind  allgemein  verbreitet ,  be- 
sonders  unter  der  deutschen  Bevolkerung.  Die  Lehranstalten  sind 
in  der  Regel  trefflich  eingerichtet  und  gut  geleitet.  Nebst  den  vielen 
mittleren  und  hoheren  Anstalten  fiir  gelehrte  Bildung  bestehen  auch 
viele  fur  den  Erwerb  und  Verkehr.  Die  Burger-,  Gewerbe-  und 
Handwerksschulen,  die  technischen,  land-  und  forstwirthschaftlichen 
und  bergmannischen  Schulen,  die  Handelslehranstalten  (Handels- 
akademie  in  Danzig  und  viele  hohere  Schulen  zu  Dusseldorf,  Koln, 
Berlin,  Magdeburg,  Elberfeld,  Aachen,  Erfurt,  Konigsberg  u.  a.), 
die  Schiffahrtsvorbereitungs-  und  die  Navigationsschulen  verbreiten 
die  erforderlichen  Kenntnisse  von  der  untersten  bis  zur  hochsten 
Stufe  technischer  und  kommerzieller  Ausbildung;  ihr  machtiger 
Einfluss  ist  nicht  zu  verkennen  und  ein  sich  stets  steigernder.  In 
jeder  Richtung  gehort  somit  Preussen  zu  den  kultivirtesten  Staaten 
Europa's. 


§.  125.  itanfi&taugreicb  Mannovcr. 

700  QMeilen,  —  1,820.000  (relativ  2600)  Einwolmer7  uberwiegend  Prote- 
stanten,  an  220.000  Katholiken,  dann  etwa  12.000  Israeliten.  —  Zwei  dnrch  Braun- 
schweig getrennte  Haupttheile  und  einige  kleinere  Gebiete.  —  Grenzenrim 
0.  Braunschweig,  Prenssen  (Sachsen,  Brandenburg),  — im  N.  Mecklenburg-Schwerin, 
Lauenburg,  Hamburg,  Holstein,  Nordsee,  Oldenburg,  —  im  W.  Niederlande,  —  im  *S. 
Preussen  (Westphalen),  Lippe-Schaumburg,  Kurhessen,  Lippe-Detmold ,  Waldeck, 
Preusaen  (Sachsen).  —  Konstitntionelle  Erbmonarchie  im  lutherischen  Hause  Brann- 
schweig-Luneburg. 

Boden.  Der  grosste  Theil  Hannovers  gehort  dem  norddeut- 
schen  Tieflande  an,  nur  beilaufig  20  °/0  sind  Hiigel-  oder  Bergland. 
Gebirgig  ist  der  ganze  siidliche  Theil,  vom  nordlichen  Theile 
nur  der  Siidrand.  Das  Hauptgebirge  ist  der  wald-  und  metall- 
reiche  Harz,  woven  ein  grosser  Theil  des  Oberharzes  und  ein 
kleiner  des  Unterharzes  zu  Hannover  gehoren.  Ferner  durchziehen 
das  Land  Theile  des  Thiiringer- H  iigella  ndes  (mit  dem  Gut- 
tingerwalde)  und  des  westlichen  und  ostlichen  Wesergebirges; 
zum  westlichen  Wesergebirge  gehoren  der  Teutoburgerwald 
und  das  Osnabriicker-Hugelland,  zum  ostlichen  der  Sol- 
lingerwald  zwischen  Weser  und  Leine,  und  nordlich  von  diesem 
der  Siintel,  das  Deister-  und  Oste  rgebirge.  —  Das  ebene 
Land  (mit  80  %  der  Gesammtflache)  ist  theils  Geest-,  theils 
fruchtbares  M  ars  chland ;  ersteres  besteht  aus  Haiden,  Sand-  und 
Moorboden,  letzteres  aus  fettem  Boden.  Das  Tiefland  (an  der 


Nordsee  am  niedersten)  wird  durch  kiinstliche  Damme  (Deiche) 
und  Schleussen  (Siele)  vor  den  Meeresuberschwemmungen  geschiitzt 
und  von  einzelnen  HQgelgruppen  (die  jedoch  nirgends  600'  Hohe 
erreichen)  durchzogen.  Das  Geestland  ist  zum  Theile  vb'llige  Ein- 
ode,  zum  Theile  wird  es,  wie  die  von  grosstentheils  wohlhabenden 
Landwirthen  bewohnte  L  ii  n  e  burger  -  Haide,  von  Jahr  zu  Jahr 
mehr  kultivirt.  Die  am  meisten  wuste  Haide  und  die  odeste  Ge- 
gend  Deutschlands  ist  der  5  QMeilen  grosse  Huimling  (ostlich 
tier  Ems,  Landdrostei  Osnabriick).  Von  den  vielen  Mooren  (in 
Ostfriesland,  Meppen,  uberhaupt  in  den  Landdrosteien  Aurich  und 
Osnabriick)  sind  die  meisten  wegen  des  grossen  Reich thums  an 
Torf  von  hoher  Bedeutung;  in  neuester  Zeit  sind  grosse  Moor- 
strecken  durch  Entwasserung  in  fruchtbares  Land  verwandelt  wor- 
<len,  wie  z.  B.  Theile  des  grossen  Duwels-  (Teufels-)  Moores  (im 
Herzogthume  Bremen).  —  Das  Marschland  nimmt  iiber  60  QM. 
ein.  Bemerkenswerth  sind  die  an  den  Kiisten  liegenden  Wat  ten 
(Sandebenen),  welche  zur  Zeit  der  Fluth  vom  Meere  uberschwemmt 
werden. 

Gewasser.  —  Die  Nordsee  bespiilt  die  Landdrosteien  Stade 
und  Aurich,  und  bildet  durch  die  Miindungen  der  Elbe,  Weser  und 
Ems  Meerbusen,  unter  welchen  der  Do  liar  t  (6  QMeilen)  an  der 
Emsmiindung  der  bedeutendste  ist.  Sammtliche  Fliisse  gehoren 
zum  Gebiete  der  Nordsee.  Die  wichtigsten  sind:  die  Elbe  (mit 
der  Ilmenau  undOste),  —  die  Weser  nimmt  rechts  die  durch 
die  Leine  (mit  der  Innerste)  verstarkte  Aller  und  links  die 
Aue  und  Hunte  (Dummer-See)  auf,  —  die  Ems  mit  der  Hase 
und  Leda,  —  die  Vechta  im  Osnabruckschen.  (Siehe  auch 
§.  43.)  —  Unter  den  Seen  sind  der  Diimmersee  ,  durch 
welchen  die  Hunte  fliesst  und  das  Steinhuder-Meer  (an  der 
Grenze  gegen  Lippe-Schaumburg ,  zwischen  der  Weser  und  Leine) 
die  grossten.  —  Das  Land  hat  mehrere  Mineral-  und  Heil- 
quellen  (Rehburg,  Bentheim,  Northeim  u.  a.);  das  Seebad  zu 
Norderney  ist  beruhmt.  —  Hannover  ist  von  zahlreichen  K  a- 
nalen  durchschnitten ;  die  wich  tiger  en  sind:  der  Emskanal,  zwi- 
schen Lingen  und  Meppen  (neben  dem  rechten  Emsufer),  miindet 
in  die  Hase,  —  der  Treckschuitenkanal  (Trecktief)  zwischen 
Emden  und  Aurich,  —  der  H  a d el n'sche  Kanal  fuhrt  aus  dem  Hadel- 
ner  Sietlande  (Landdrostei  Stade)  in  die  Elbe,  —  der  Kanal  zwi- 
scheii  Bremervorde  und  der  Shwinge  und  dadurch  zur  Elbe  u.  s.  w. 
Die  vielen  ,,Tiefe"  in  Ostfriesland  dienen  theils  zur  Entwasserung 
der  Moore,  theils  fur  den  Verkehr;  auch  die  Binnenkanale  in  den 
Marschen  sind  fiir  kleinere  Fahrzeuge  schiffbar. 

Politische  Eiiitheilung.  Das  Konigreich  Hannover  zerfallt 
fiir  die  Verwaltung  in  sechs  Landdrosteien  und  eine  Berg- 
hauptmannschaft;  den  Landdrosteien  zunachst  untergebene  Un- 
terbehorden  sind  die  (177)  Ae  m  ter  und  Magistrate  der  (44)  selbst- 
stan  dig  en  St  adte. 

Bedeutendere  Orte  sind  in  der: 

1.  Landdrostei  Hannover  (bestehend  aus  dem  Furstenthum  Kalenberg  und 
den  Grafschaften  Hoya  unT~X>fepholz),  —  110  DM->  —  350.000  (relativ  3210)  Ein- 
wohner  : 


233 

Hannover  (55.000),  Hameln^Nienburg,  Rehburg; 

2.  Landdrostei   Hildesheilll  (bestehend  aus  den  Furstenthumern  Hildcsheia), 
Gottingen,  Grnbenhagen   und    der    Grafschaft  Hohnstein)    —    81    QM.,    —   368.000 
(relativ  4540)  Einwohner: 

Hildesheim  (17.000),  Goslar,   GSttingen  (11.000),  Uslar,   Munden^  Eimbeck 

3.  Berghauptniannschaft  Klausthal,   —    12  QM.,   36.000  (relativ  3000) 
Einwohner : 

iM|_|.f«i..i  (10.000),  Zellerfeld  (5000),  Andreasberg,  Altenaa ; 

4.  Lniiddrostei  Luneburg    (umfassend    das  Furstenthum  Luneburg    und  den 
Rest  des  Herzogthums  Sachsen-Lauenburg)  —  204  CJM.,   —  340.000  (relativ  1670) 
Einwohner: 

Lflneburg  (14.000').  Celle  (13.000),  Uelzen,  Harburg  (10.000); 

5.  Landdrostei  Stade  (enthaltend  die  Herzogthiimer  Bremen  und  Verden  und 
das  Land  Hadeln),  —  124  QM.,  —  280.000  (relativ  2275)  Einwohner: 

Stade  (8000),  Verden  (5000),    Bremerlehe  (Lehe),    BremervQrde,  Buxtehude, 
Otterndorf,  Geestemiinde ; 

6.  Landdrostei  Osnabriick  (bestehend  aus  dem  Furstenthum  Osnabruck,  der 
Niedergrafschaft  Lingen,  der  Vogtei  Emsbuhren,    dem    Herzogthume    Arenberg-Mep- 
pen  und  der  Grafschaft   Bentheim)    —    114   QM.,   —    262.000   (relativ   2320)    Ein- 
wohner : 

n0n^hr.-;,.ir  pAfvw)    Lingen,  Meppen,  Papenbnrg;  — 

7.  Landdrostei  Aurich  (bestehend  aus  dem  Furstenthume  Ostfriesland 
und  dem  Harlinger  Land  nebst  den  Inseln  Hannovers),  —  45  DM->  —  185.000 
(relativ  3430)  Einwohner: 

Aurich  (5000),  Emden  (13.000),  Leer,  Norden.     Die  Inseln:  Norderney, 
Borkum,  Baltrum  nnd  einige  kleinere. 

Ktilturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  wichtigsten  Erwerbs-  und  Nahrungsquellen  der  Bewohner 
sind  die  Landwirthschaft  und  der  Bergbau.  Liegen  auch  grosse 
Strecken  ode,  wenig  oder  gar  nicht  kulturfahig,  so  ist  die  Boden- 
kultur  doch  ziemlich  bedeutend.  Am  fruchtbarsten  und  ergiebig- 
sten  sind  die  Marschen  an  der  Elbe,  Weser,  Nordsee,  der  grosste 
Theil  von  Kalenberg,  Gottingen  und  Hildesheim.  Getreide  wird 
iiber  den  Bedarf  produzirt ,  am  Harz  jedoch  fast  gar  keines.  Am 
stErksten  wird  der  Roggen,  doch  auch  Weizen,  Hafer  und  Gerste, 
in  den  Haiden  Buchweizen  angebaut.  Die  besten  Getreideprovinzen 
sind  Ostfriesland,  Bremen,  Hildesheim  und  Gottingen.  Unter  den 
Hiilsenfriichten  werden  am  meisten  Bohnen  gepflanzt,  welche  auch 
einen  ansehnlichen  Ausfuhrartikel  bilden.  Der  Gemiise-  und  Kar- 
tofielbau  ist  bedeutend,  letzterer  vorzuglich  in  den  siidlichen  Pro- 
vinzen.  Die  Runkelriibe  gewinnt  an  Verbreitung,  Oelpflanzen  kom- 
men  in  grosser  Menge,  zumeist  in  Ostfriesland  und  den  nordlichen 
Provinzen  vor;  Oelfriichte  werden  ausgefuhrt,  dagegen  Oel  einge- 
fiihrt.  Sehr  bedeutend  ist  der  Flachsbau  in  alien  Provinzen  mit 
Ausnahme  Bremens,  wo  mit  Vorliebe  Hanf  gebaut  wird;  am  vor- 
ziiglichsten  gedeiht  der  Flachs  um  Uelzen  und  in  den  Marschlan- 
dern,  —  Flachs  sowohl  als  Hanf  werden  exportirt.  Tabak  wird 
nicht  in  hinreichender  Menge  (zumeist  an  den  Ufern  der  Weser) 
gebaut;  Tabakblatter  werden  importirt,  Tabakfabrikate  exportirt. 
Der  Obstbau  ist  von  grosser  Wichtigkeit,  ausgenommen  im  Altenlande 
und  Hadeln ;  der  wichtigste  Graslandbau  ist  im  Harze  und  in  Ost- 
friesland. —  Die  Forstkultur  ist  in  den  Gebirgsgegenden  bedeutend. 

Die  Viehzucht  ist  sehr  bedeutend,  besonders  in  Ostfriesland, 
Luneburg   und    am   Harze.     Namentlich    sind    die    Pferde-    und 


234 

Rindviehzucht  vorzuglich,  erstere  in  Ostfriesland  und  Liineburg, 
letztere  in  den  ostfrieslandischen  Marschen  (nach  Hollander  Art) 
und  am  Harze  (nach  Schweizerart).  Sowohl  Pferde  und  Kinder, 
als  auch  die  ausgezeichneten  Produkte  der  Milchwirthschaft  (Emden'er 
Kase,  Harzbutter)  werden  exportirt.  Die  Zucht  der  veredelten 
Schafe  ist  im  Wachsen ,  eine  Eigenthiimlichkeit  des  Landes  sind 
die  ,,Haids  chnucken,"  d.  i.  kleine  Schafe  mit  Hornern  und  mit 
grober  Wolle,  welche  heerdenweise  in  den  Haidegegenden  gehalten 
werden.  Sehr  verbreitet  ist  in  den  Marschen  und  in  den  kultivir- 
ten  Haidegegenden  die  Schweinezucht;  auf  der  Liineburger  Haide 
ist  die  Bienenzucht  sehr  bedeutend.  Sehr  lebhaft  wird  die  Fische- 
rei  in  der  Nordsee,  in  Fliissen,  Seen  und  Teichen  betrieben;  fur 
Emden  und  Ostfriesland  ist  der  Haringsfang  von  hoher  Bedeutung, 
welcher  an  den  schottischen  Kiisten  und  Inseln  betrieben  wird. 
Mit  Singvogeln  unterhalten  die  Harzbewohner  einen  erheblichen 
Handel. 

Der  Bergbau  iat  namentlich  auf  dem  Harze  von  hochster 
Wichtigkeit.  Der  Mittelpunkt  ist  Klausthal  mit  Zellerfeld,  wo  sich 
die  reichen  Gruben  ,,Dorothea"  und  ,,Karolina"  befinden.  Silber 
(an  50.000  Mark)  und  Blei  (an  75.000,  Bleiglatte  an  25.000  Zent- 
ner)  sind  hier  die  Hauptprodukte  ;  der  Bergbau  und  der  Hiitten- 
betrieb  sind  die  Hauptbeschaftigung  der  Bewohner.  Auch  in  den 
Gruben  von  Andreasberg,  Altenau  und  im  Rarnmelsberge  bei  Gos- 
lar  wird  Silber  gewonnen.  Im  Oberharze  wird  der  Bergbau  zum 
Theil  gemeinschaftlich  mit  Braunschweig  betrieben  (,,C  o  m  m  u  n  i  o  n- 
Harz"),  wovon  4/T  auf  Hannover,  3/7  auf  Braunschweig  entfallen. 
Ausser  den  erwahnten  Produkten  werden  auch  beilaufig  10  Mark 
Gold  jahrlich  gewonnen.  Eisen  (fiber  100.000  Zentner)  ist  von 
vorziiglicher  Giite,  besonders  in  der  Enklave  Elbingerode.  Auch 
die  Ausbeute  an  Kupfer  (an  7000  Zentner),  Zink,  Galmei  und  Ar- 
senik  ist  erheblich.  —  Die  Ausbeute  an  Stein-  und  Braunkoh- 
len  durfte  jahrlich  mit  nahezu  2  Millionen  Zentner  anzunehmen 
sein.  In  den  Niederungen  ersetzt  die  ungeheure  Menge  von  Torf 
den  Holzmangel.  —  An  Salz  (meist  Quellsalz)  ist  das  Land  sehr 
reich  (uber  V2  Million  Zentner  jahrlich).  Es  bestehen  4  Staats- 
und  viele  Privatsalinen.  Die  Liineburger  Salzquellen  gehoren  zu 
den  reichsten  in  Deutschland.  Bekaunt  sind  endlich  die  Kalkstein- 
bruche  in  den  Landschaften  Gottingen,  Grubenhagen  und  Kalen- 
berg,  der  Gyps  bei  Luneburg,  Alabaster  bei  Osterode,  Tafelschiefer 
bei  Goslar,  die  Pfeifenerde  bei  Munden  u.  s.  f. 

Die  gewerbliche  Industrie  ist  im  Ganzen  geringer  als  in 
manchen  andern  Staaten  Deutschlands.  Grosstentheils  befasst  sie 
sich  mit  der  Verarbeitung  der  einheimischen  Rohprodukte.  Die 
Zahl  der  Etablissements  ist  zwar  nicht  klein,  aber  die  meisten  der- 
selben  sind  von  relativ  geringerem  Umfange  und  arbeiten  iiber- 
wiegend  nur  fur  den  inlandischen  Absatz.  Am  meisten  ausgebreitet 
ist  die  Flachsspinnerei  uud  Leinwandweberei,  vorziiglich 
in  Hildesheim  und  Osnabriick  ;  doch  gehort  die  Maschinenspinnerei 
erst  der  neuesten  Zeit  an.  Zur  Forderung  dieser  Industrie  bestehen 
in  vielen  Orteu  die  ,,Linn  enl  eg  en,"  in  welchen  das  Fabrikat 


von  beeideten  Aufsehern  gemessen,  untersucht  uad  gestempelt  wird. 
Flachs,  Garn  und  Leinwand  werden  exportirt.  Zwirn  wird  in  Oat- 
friesland,  Spitzen  werden  in  Libenau  und  Andreasberg,  Segeltuch 
und  Taue  an  der  Elbe  und  Weser  (Emden,  Leer,  Papenburg) 
verfertiget.  —  DieSchaf-  und  Baumwollfabrikation  deckt 
nur  den  Bedarf  an  ordinarer  und  mittelfeiner  Waare,  feine  wird 
importirt.  Ansehnliche  Tuchfabriken  sind  in  Osterode,  Gottingen, 
Eimbeck,  Hameln,  Uelzen  u.  a.  —  Fur  die  im  Allgemeinen  unbe- 
deutende  Seidenindustrie  sind  nur  die  Webewaaren  von  Ha- 
meln und  Hannover  nennenswerth.  —  Verhaltnissmassig  sehr  er- 
heblich  ist  die  L  edererzeugung ,  worun'er  die  Lohgerbereien  von 
Eimbeck,  Hameln,  Hannover,  Hildesheim,  Harburg,  Osnabriick, 
Luneburg,  Miinden,  Celle  u.  a.,  dann  das  lackirte  Leder  aus  Han- 
nover und  Nienburg,  und  das  Pergament  von  Bentheim  und  Schiit- 
torf  einen  ehrenhaften  Platz  einnehmen.  —  Wichtiger  ist  die  Pa- 
pi  e  r  fabrikation  (iiber  60  Fabriken),  sowie  jene  fiir  Tapeten,  Bunt- 
papier  und  Spielkarten.  Fiir  die  T  a  b  a  k  fabrikation  (Emden, 
Osnabriick,  Harburg,  Buxtehude,  Hannover,  Celle),  die  Oelerzeu- 
gung  (Hannover,  Celle,  Luneburg)  und  die  Cich  or  ienfubrikation 
(Nienburg)  bestehen  zahlreiche  Etablissements.  Erwahnenswerth 
sind:  die  zahlreichen  Bierbrauereien  (Goslar'sche  ,,Gose,"  Miin- 
dener  und  Hardenberger  Bier),  Branntweinbrennereien  und 
Ess  i  gsiedereien  ,  die  Zucker  r  aff  inerien  und  Fabriken 
(Linden,  Miinden,  Luneburg,  Otmabruck),  die  Seifen fabrikation 
{Luneburg),  die  Gl  as  fabrikation  (am  Odterwalde,  Siintel,  bei 
Hildesheim),  die  Schleifereien  fiir  optische  G  laser  zu  Got» 
tingen  u.  s.  f. 

Von  Bedeutung  ist  die  Industrie  inHolzwaaren  in  den 
Harzgegenden  um  Luneburg  und  Bremen;  zumeist  der  starke 
Schiffbau  zu  Papenburg,  Leer,  Emden  und  um  Stade.  Von  gross- 
tern  Belange  aber  ist  die  Industrie  in  Metallwaaren  im  Harze. 
Das  meiste  Metall  wird  verarbeitet  in  der  Konigshiitte  und  in  der 
Rothehiitte  im  Hildesheimischen  ,  welche  namentlich  ausgezeichnete 
Gusswaaren  liefern.  Viele  Eisenhammer  und  Hiittenwerke,  Giesse- 
reien  u.  s.  w.  sind  hier  thatig.  Sehr  schone  Gewehre  kommen  aus 
dem  Furdtenthum  Grubenhagen  (Herzberg)  und  aus  Hannover, 
schone  Stahlwaaren  aus  Uslar  (am  Soiling),  wo  auch  grossartige 
Kupferhammer  bestehen,  die  besten  Bleiwaaren  vom  Scheerenberge 
bei  Osterode,  vorziigliche  musikalische,  mathematische  und  chirur- 
gische  Instrumente  aus  Hannover  und  Gottingen,  bedeutende  Ma- 
schinenfabriken  sind  zu  Linden,  Osterode,  Gottingen,  Osnabruck. 
—  Viele  Bewohner  der  westphalischen  Niederungen  suchen  wahrend 
des  Sommers  ihren  Verdienst  in  Holland  (das  ,,Hollandsgehen")> 
wo  sie  Torf  stechen,  mahen  und  an  Deichen  arbeiten. 

Die  geographische  Lage  Hannovere  an  der  Nordsee  mit  ihren 
sicheren  Hafen,  Landunsfsplatzen  und  Buchten,  sowie  an  den  durch 
eine  grossartige  Schiffahrt  belebten  grossen  Fliissen  Deutschlands, 
und  durchschnitten  von  zahlreichen  schiffbaren  Fliissen  ist  fiir  den 
Handel,  der  sich  schon  friihzeitig  in  bedeutendem  Umfange,  zu- 
mal  an  der  ostfriesischen  Kiiste  entwickelt  hat ,  ausserst  gunstig. 


Kanale,  gute  Landstrassen,  mehrere  Eisenbahnen,  die  Banken  und 
Handel s vereine ,  die  hervorragende  geistige  Kultur  und  besonders 
der  im  Jahre  1854  erfolgte  Beitritt  zum  deutschen  Zollvereine  iiben 
einen  sehr  erfreulichen  Einfluss  auf  die  Entwickelung  der  Industrie 
und  des  Handels  aus,  welche  in  bedeutendem  Aufschwunge  begrif- 
fen  sind.  Hannover  nimmt  Antheil  am  deutschen  Grosshandel  und 
hinsichtlich  der  Qualitat  seiner  Rhederei  den  ersten  Rang  ein.  Haupt- 
seeplatz  ist  der  Freihafen  Em  den,  nachst  diesem :  Haarburg  (mit 
einem  Freihafen),  Leer  (regelmassige  Schiffahrtsverbindungen  mit 
den  hollandischen  und  norddeutschen  Seestadten) ,  Bremerlehe  und 
Papenburg.  Die  Handelsmarine  zahlt  an  680  Schiffe  und  nahezu 
1900  Kiistenfahrer.  Fiir  den  Flussverkehr  sind  wichtig :  Miinden 
(Weser),  Celle  (Aller),  Hannover  (Leine),  Stade  und  Haarburg 
(Elbe),  Liineburg  (Ilmenau).  Ausser  den  Letzteren  sind  im  Binnen- 
handel  noch  bedeutend:  Gottingen,  Meppen,  Lingen,  Osnabruck  und 
Bremervorde.  Den  Handel  mit  Bergwerksprodukten  besorgen  Gos- 
lar  und  Osterode,  Pferdemarkte  sind  in  Weener,  Norden  und  Aurich, 
im  letzteren  auch  grosse  Getreidemarkte,  in  Uelzen  sind  Flachs-  und 
Viehmarkte,  in  Wittmund  fur  Butter  und  Kase,  in  Hannover  gros- 
ser Wollmarkt.  Fiir  den  sehr  lebhaften  Transit-  und  Speditions- 
handel  sind  Celle,  Hannover,  Haarburg,  Liineburg,  Osnabriick  und 
Miinden  die  Hauptplatze. 

Zur  Ausfuhr  kommen:  Pferde,  Rindvieh,  Salzfleisch,  Milch- 
produkte,  Flachs,  Garn,  Leinwand,  Wolle,  Bergwerksprodukte,  Ge- 
treide,  Holz  und  Holzwaaren,  Tabak,  Wachs,  Papier  u.  a. ;  —  zur 
Einfuhr:  Kolonialwaaren  und  Sudfriichte,  Hopfen,  Wein,  Seide 
und  Seidenwaaren  ,  Wollen-  und  Baumwollwaaren,  Glas-,  Eisen- 
und  Stahlwaaren,  Galanteriewaaren  u.  a. 

Die  geistige  Kultur  steht  auf  hoher  Stufe.  Die  Volksbildung 
ist  im  Ganzen  sehr  beachtenswerth.  Jedes  Kind  ist  verpflichtet,  die 
Schule  zu  beauchen.  Fur  die  gelehrte  Bildung  bestehen  zahlreiche, 
treffliche  Anstalten,  unter  denen  die  weltberuhmte  Universitat  Got- 
tingen  den  ersten  Rang  einnimmt.  Unter  den  Lehranstalten  fiir 
Erwerb  und  Verkehr  gehort  die  polytechnische  Schule  in  Hannover 
zu  den  vorziiglichsten  in  Deutschland.  Die  Navigationsschule  zu 
Emden,  die  Baugewerks-  und  Handelsschulen,  die  zahlreichen  Ge- 
werbe-,  Real-,  Industrie-  und  landwirthschafdichen  Schulen  gehoren 
in  jeder  Hinsicht  zu  den  besten  und  fordern  die  technische  und 
geistige  Kultur  in  sehr  anerkennenswerther  Weise.  Gelehrtenvereine, 
Vereine  fiir  Landvvirthschaft,  Industrie  und  Handel  bilden  das  be- 
lebende  Moment  in  diesem  aufstrebenden  Lande. 

§.  136.  Das  Grossherzogthnm  Oldenbnrg. 

116  DMeilen,  —  288.000  (relativ  2480)  Einwohner;  uberwiegend  Protestanten, 
etwa  73.000  Katholiken,  dann  1500  Isracliten.  —  Drei  getrennte  Gebiete:  Das 
Hauptland ,  Herzogthum  Oldenburg,  zwischen  Hannover,  Bremen  und  der 
Nordsee,  —  das  Furstenthum  Lubeck  (oder  Eutin)  liegt  in  zerstreuten  Par- 
zellen  in  Holstein,  —  das  Furstenthum  Birkenfeld  im  sftdlichen  Theile  der 
preussischen  Rheinprovinz.  —  Konstitutionelle  Erbmonarchie  im  lutherischen  Hause 
Oldenburg. 

Boden.  Das  Herzogthum  Oldenburg  hat  die  gleiche  natiir- 
liche  Bodenbeschaffenheit  wie  das  Nachbarland  Hannover,  es  gehort 


237 

zum  norddeutschen  Tieflande.  An  der  Nordsee,  der  Weser  und 
der  Jahde  ist  sehr  fruchtbares  Marschland,  welches  durch  kostspie- 
lige  Deiche  gegen  das  Eindringen  des  Meeres  geschutzt  wird.  Das 
Innere  des  Landes  ist  Geestland ,  theils  Haiden  und  Sandboden, 
theils  Torfmoore  (oahezu  50  n^eilen).  —  Der  Boden  des  Fursten- 
thums  L  ft  beck  ist  ebenfalls  fast  durchgehends  flach,  mehr  geest- 
als  marschartig,  zum  Theil  mit  anmuthigen  Hugeln  und  mit  Seen,  die 
mit  Buchenwaldern  umkranzt  sind.  —  Das  Furatenthum  Birkenfel  d 
ist  ein  meist  steiniges  Bergland  mit  vielen  kleinen  Thalern ;  die  wald- 
reichen  Hohen  sind  Zweige  des  Idar-  und  Hochwaldes  (Hunsriick). 

Gewas.ser.  Die  Nordsee  mit  dem  (an  4  QMeilen  grossen) 
Jahdebusen  beepult  Oldenburg,  die  O  s  t  s  e  e  das  Furstenthum  Lti- 
beck.  Der  wichtigste  Fluss  ist  in  Oldenburg  die  Weser,  welche 
die  schiffbare  Hunte  (bei  Elsfleth)  aufnimmt.  Im  Norden  ist  der 
kleine  Kustenfluss  Jahde,  im  Siiden  fliesst  die  Hase.  In  Liibeck 
ist  die  schifFbare  Trave,  in  Birkenfeld  die  Nahe  von  Bedeutung. 
—  Die  meisten  Seen  hat  Liibeck  (der  Ploner-,  Eutinersee  u.  a.), 
in  Oldenburg  sind  der  Zwischenahn-  und  der  Diimmersee  die  gross - 
ten.  Die  vielen  jedoch  kleinen  Kan  ale  (,,Sieltiefe")  dienen  haupt- 
sachlich  zur  Entwasserung,  werden  aber  auch  zur  Schiffahrt  be- 
nutzt.  —  Das  Klima  ist  im  Ganzen  gemassigt,  an  den  Kusten 
feucht  und  nebelig  mit  haufigen  Winden  ,  in  Birkenfeld  ist  es 
rauher. 

Politische    Eintheilung.     Das   Grossherzogthum    Oldenburg 
wird    in    drei  Provinzen,    das  Hauptland    dann   in  Kreise,    diese  in 
Aemter  und  Kirchspiele  eingetheilt. 
Bedeutendere  Orte  sind  im: 

1.  Herzogthuin  Oldenburg,    —    100  CJM.,  —    232.000  (relativ  2325)  Ein- 
wohner: 

Oldenburg  (9000),  Bracke,  Elsfleth,  Varel  (3800),  Jever,  Delmenhorst, 
Kloppenburg,  Vechta.  —  Die  Insel  Wangeroge  (400  E.).  —  Die  vormals 
(bis  zum  1.  August  1854)  graflich  Bentink'sche  Herrschaft  Kniphausen 
am  Jahdebusen. 

2.  Ftirsteiithnin  Liibeck,  —  7  QM.,  —  23.000  (relativ  3300;  Einwohner: 
Eutin  (3000). 

3.  Fiirstenthum   Birkenfeld,   —  9   DM.,   —  33.000   (relativ   3600)   Ein^ 
wohner : 

Birkenfeld  (2700),  Idar,  Oberstein  (2800). 

Kulturverhaitnisse  im  Allgemeinen. 

Die  wichtigste  Erwerbsquelle  der  Bewohner  bilden  der  Acker- 
bau  und  die  Viehzucht,  welche  sorgfaltig  betrieben  werden.  Am 
ergiebigsten  ist  der  Ackerbau  im  Marschlande ,  besonders  im 
,,Butjadingerlandeu  (zwischen  Jahde  und  Weser)  und  im  Kreise 
Jever.  In  den  Marschen  wird  hauptsachlich  Weizen,  Gerste,  Hafer  und 
sehr  viel  Raps  gebaut,  auch  Bohnen  und  Erbaen ;  im  Geestlande 
Gerste,  Hafer,  Buchweizen,  Flachs  und  Hanf,  Kartoffeln  und  Ta- 
bak.  In  Lubeck  wird  die  Feldwirthschaft  auf  holsteinische  Art  be- 
trieben und  der  gute  Boden  liefert  reichlichen  Ertrag;  hingegen  deckt 
in  Birkenfeld  der  Ackerbau  nicht  den  Bedarf.  —  Der  Waldboden 
nimmt  nur  etwa  12%  der  Gesammtflache  ein,  zumeist  in  Birkenfeld 
und  hie  und  da  im  Geestlande  von  Oldenburg,  in  den  Marschen 


herrscht  jedoch  Holzmangel.  —  In  Oldenburg  und  Liibeck  ist  die 
Viehzueht,  namentlich  vorzuglicher  Pferde  und  Kinder  (in  den 
Marechen)  sehr  bedeutend.  Im  Geeetlande  herrscht  die  Schafzucht 
vor,  insbesondere  viel  Haideschnucken.  In  den  Haiden  ist  auch  die 
Bienenzucht  schwunghaft.  Die  Seefischerei  ist  bedeutend,  dess- 
gleichen  im  Zwischenahner  •  Meer;  in  den  Moorgewassern  werden 
viel  Blutegel  gefangen  und  exportirt.  —  Der  Bergbau,  zutneist  auf 
Eisen  (Jahresproduktion  iiber  10.000  Zentner),  dann  auf  Kupfer, 
Blei ,  Steinkohlen,  Schiefer,  schone  Achate  und  Karneole  u.  s.  f. 
wird  nur  in  Birkenfeld  unterhalten.  In  Oldenburg  und  Liibeck 
sind  ausgedehnte  Torfstechereien.  —  Die  Gewinnung  von  Seesalz 
(iiber  30.000  Zentner)  ist  ansehnlich.  Fur  die  Hebung  der  Land- 
wirthschaft  ist.  die  ,,oldenburgische  Central-Landwirthschafts-Gesell- 
schaft"  mit  mehreren  Filialvereinen  sehr  thatig. 

Die  gewerbliche  Industrie  ist  von  geringem  Belange ;  gros- 
sere  Fabriken  eind  nur  in  geringer  Anzahl  vorhanden.  Verhaltniss- 
massig  am  starksten  ist  die  uberall  verbreitete  Garnspinnerei  und 
Leinwandweberei  (um  Varel),  dann  die  Wollstrumpfstrickerei  um 
Vechta  und  Kloppenburg.  Baumwollfabriken  hat  Varel,  der  w  i  c  h- 
tigsteFabriksort  in  Oldenburg.  Ziemlich  erheblich  sind 
die  Gerbereien  (Birkenfeld)  und  die  Verfertigung  von  Holzwaaren, 
snwie  einige  Tabak-  und  Zuckerfabriken  in  Oldenburg,  endlich  der 
Schiffbau  und  die  SchifFahrt.  Sehr  vortheilhaft  bekannt  eind  die 
Steinschleifereien ,  besonders  der  Achate  und  Karneole  zu  Idar  und 
Oberstein.  Auch  in  Oldenburg  (Vechta  und  Kloppenburg)  ist  das 
,,Hollandsgehen"  ziemlich  zahlreich.  —  Mehrere  Industrievereine 
und  Biirgerschulen  fordern  die  gewerbliche  Thatigkeit. 

Trotz  der  giinstigen  Lage  des  Landes  ist  der  Handel  mit  dem 
Auslande  von  keiner  Bedeutung.  Die  verhaltnissmassig  wichtigsten 
Handelsplatze  sind  :  Oldenburg,  Jever,  Varel  (bedeutender  Produk- 
tenhandel),  Bracke  (Freihafen),  Vechta,  Elsfleth.  Zur  Ausfuhr 
kommen:  Pferde,  Schlachtvieh,  Getreide,  Milchprodukte,  gesalzenes 
und  gerauchertes  Fleisch,  Raps,  Leinwand,  Blutegel,  Torf;  —  zur 
Einfuhr:  Kolonial-  und  Materialwaaren ,  Siidfriichte,  Wein,  Bier, 
Salz,  Eisen,  alle  Arten  von  Fabrikserzeugnissen.  —  Die  Rhederei 
und  Schiffahrt  wird  am  starksten  in  Oldenburg,  Elsfleth,  Varel, 
Jever  und  auf  Wangeroge  betrieben.  Im  Jahre  1855  zahlte  die 
Handelsmarine  etwa  560  Fahrzeuge  mit  nahezu  50.000  Tonnen. 

In  der  Volksbildung  steht  das  Land  auf  der  mittleren  Stufe 
unter  den  deutschen  Staaten;  die  vereinzelten,  von  einander  ent- 
fernten  Wohnungen  im  Geestlande  erschweren  den  Schulbesuch. 
Oldenburg  besitzt  iibrigens  eine  grosse  Anzahl  von  Volksschulen 
sowohl,  als  von  Mittel-  und  hoheren  Schulen  fur  gelehrte  Bildung, 
sowie  fur  den  Erwerb  und  Verkehr. 

§.  137.  Das  Herzogthum  Braunschweig. 

68  nMeilen;  —  270.000  (relativ  3970)  Einwohner;  fast  ausschliesslich  Pro- 
testanten  (nur  beilaufig  3000  Katholiken,  dann  etwa  1500  Israeliten).  —  Drei  ge- 
trennte  Gebiete  und  einige  kleine  Parzellen.  welche  sammtlich  von  Hannover,  Preus- 
sen  (Westphalen,  Sachs^n)  und  Anhalt-Bernburg  eingrschlossen  sind.  Das  n6rd- 
liche  Gebiet  bilden  die  Kreise:  Braunschweig,  Wolfenbuttel,  Helmstedt,  —  das 


mittlere:  Hol/min<len,  Gandersheim,  —  dassudliche:  Blankenburg.  Enklaven: 
Kalvorde  in  Prenssisch-Sachsen,  —  Thedinghausen  sfidlich  von  Bremen  in  der  han- 
noverschen  Grafschaft  Hoya  und  drei  kleinere  in  Hildesheim.  —  Konstitutionelle 
Erbmonarchie  im  lutherischen  Hause  Braunschweig-Wolfe nbiittel. 

Uoden.  Der  siidliche  und  mittlere  Theil  des  Herzogthums 
Braunschweig  sind  gebirgig,  der  nordliche  ist  eben.  Blankenburg 
und  Gandersheim  durchzieht  der  metall-  und  waldreiche  Harz  mit 
weiten  und  gut  angebauten  Thalern;  dessen  an  grotesken  Tropf- 
steingebilden  reiche  Hohlen  (die  Baumanns-  und  die  Bielshohle 
bei  Riibeland  im  Kreise  Blankenburg),  sowie  die  wilde  ,,Teufels- 
mauer"  sind  beriihmt.  (Berghohen:  Wormberg  3000',  Achtermanne- 
hohe  2700').  In  den  Kreis  Holzminden  etreichen  Theile  des  ost- 
lichen  Wesergebi  rges  (des  Sollingerwaldes)  herein.  Das  nordliche 
Gebiet  gehort  zur  norddeutschen  Tiefebene,  aus  welcher  sich  einzelne 
Hiigelreihen  (der  Elm)  erheben.  Die  genannten  grosseren  Enklaven 
bind  Flachland. 

Gewiisser.  Die  Flusse  des  Landes  gehoren  zum  Flussgeader 
der  Weser  und  der  Elbe.  Die  erstere  beruhrt  die  Westgrenze  des 
mittleren  Gebietes.  Die  A  Her,  ein  Nebenfluss  der  Weser,  durch- 
fliesst  den  nordosflichen  Theil  des  nordlichen  Gebietes.  Der  wicb- 
tigste  Fluss  des  Herzogthums  ist  dieOker;  sie  entspringt  auf  dem 
Harze,  fliesst  in  nordlicher  Richtung ,  nimmt  nebst  andern  Fliiss- 
chen  die  Schunter  auf  und  miindet  in  Hannover  in  die  Aller. 
Auch  die  Fuse  und  die  den  siidwestlichen  Theil  durchfliessende 
Leine  sind  Nebenfliisse  der  Aller.  —  Zum  Geader  der  Elbe  ge- 
horen die  Ohre  und  die  Bode,  der  bedeutendste  Fluss  des  Har- 
zes.  —  Das  Land  hat  sehr  viele  T  e  i  c  h  e  (an  600)  und  einige 
Mineral  quellen  (Helmstedt,  Harzburg,  Seesen). 

Politische  Eintheilung.  Das  Herzogthum  ist  in  sechs  Kreise 
eingetheilt,  die  in  Aemter  zerfallen. 
Bedeutendere  Orte  sind  im : 

1.  Kreis  Braunschweig,  —  9  DM"  —  70,000  (relativ  an  7800)  Einwohner: 
Braunschweig  (42.000),  die  Knklave  Thedinghausen; 

2.  Kreis  Wolfenbiittel,  —  11  QM  ,  —  53.000  (relativ  an  4820)  Einwohner: 
Wolfenbuttel  (9000),  Scheppenstedt,  Harzburg; 

3.  Kreis  Helmstedt,  —  15  fjM.,  —  45.000  (relativ  3000)  Einwohner: 
Helmstedt  (7000),  Konigslutter,  Schoningen; 

4.  Kreis  Gandcrsheim,  —  12  QM.,  —  43000  (relativ  an  3800;  Einwohner: 
Gandersheim  (3000),  Seesen,  Lutter  am  Barenberge; 

5.  Kreis  Holzminden,  —  12  QM.,    —   40.000  (relativ   an  3330)  Einwohner: 
Holzminden  (4000),  Oldendorf; 

6.  Kreis  Blankenburg,  —  9  QM.,   —  23000   (relativ    an  2550)  Einwohner: 
Blankenburg  (4000),  Hasselfelde,  Huttenrode,  Tanne,  Rubeland,  Zorge. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Das  Herzogthum  Braunschweig  zeichnet  sich  sowohl  durch 
den  Reichthum  seiner  Urproduktion,  als  durch  die  ansehnliche  ge- 
werbliche  Industrie  und  den  Handel  aus.  Vor  A  Hem  ist  es  ein 
reiches  Getreidelaml,  und  der  Ueberfluss  der  nordlichen  Theile 
deckt  nicht  nur  vollstandig  den  Mangel  des  gebirgigen  Siiden?,  son- 
dern  liefert  auch  fur  den  Export.  Gleichen  Reichthum  hat  es  an 
Hiilsenfruchten  und  Kartoffeln,  Gartengewachsen  und  Oelpflanzen, 
sowie  an  sehr  gutem  Flachs,  trefflichem  Hopfen  (bei  Braunschweig), 


240 

Cichorie,  Tabak  (urn  Kalvorde),  Futter-  und  Farbekrautern  (Scharte 
zum  Gelbfarben).  Im  Harz  und  am  Soiling  ist  viel  Holz,  wovon 
erhebliche  Mengen  ausgefuhrt  werden. 

In  der  sehr  bedeutenden  Viehzucht  (besonders  auf  dem  Harze) 
sind  das  starke  Hornvieh,  die  schonen  Pferde,  die  grosstentheils 
veredelten  Schafe  und  die  sehr  betrachtliche  Bienenzucht  (in  den 
Haiden)  besonders  hervorzuheben.  Die  Jagd  bietet  reiche  Beute, 
auch  die  Fischerei  ist  erwahnenswerth. 

Der  Bergbau  und  das  Huttenwesen  sind  im  Furstenthume 
Blankenburg  sehr  bliihend,  namentlich  im  Kommunionharze ;  Silber 
(1600  Mark),  Eisen  (an  120.000  Zentner),  Blei  (4000  Zentner), 
Glatte  und  Kupfer  u.  s.  w.  Das  meiste  Eisen  liefern  die  Gruben 
von  Huttenrode ,  Tanne,  Zorge,  Riibeland ;  das  meiste  Kupfer  (an 
1000  Zentner  jahrlich)  am  Rammelsberge  im  Kommunionharze. 
Vorziigliche  Braunkohlen  werden  bei  Schoningen,  Steinkohlen  bei 
Helmstedt  gebrochen.  Die  zwei  Staatssalinen  ( Schoningen  und 
Salzdahlum)  geben  fiber  30.000  Zentner  Salz.  Auch  Marmor,  Sand- 
steine  (am  Soiling),  Gyps,  Alabaster,  Porzellan-  und  Pfeifenerde, 
Topferthon  und  andere  Erdarten  werden  in  ansehnlicher  Menge 
gewonnen. 

In  der  gewerblichen  Thatigkeit  treten  uberwiegend  das 
Kleingewerbe  und  die  als  ,,landwirthschaftliche  Nebenbeschaftigung" 
sehr  verbreitete  Verarbeitung  der  Landesprodukte  hervor;  eigent- 
liche  Fabriken  und  grossere  Manufakturen  bestehen  nur  in  den  be- 
deutenderen  Stadten,  als :  Braunschweig ,  Wolfenbiittel,  Helmstedt 
und  Holzminden,  wo  namentlich  Tiicher  und  andere  Wollenzeuge, 
eowie  Leder  verfertigt  werden.  Auf  dem  Lande  und  in  den  klei- 
nen  Stadten  sind  Garnspinnerei  und  Leinweberei  fast  die  allgemeine 
Beschaftigung.  Ferners  besitzt  das  Land  viele  Oelmuhlen,  Brannt- 
weinbrennereien ,  Bierbrauereien  (Braunschweiger  ,,Mumme<<  und 
der  ,,Duckstein"  zu  Konigslutter) ,  einige  Tabak-,  Papier-,  Leder-, 
Farben-  (,,Braunschweiger  Griin"),  Cichorien-  und  Runkelriiben- 
Zuckerfabriken,  besonders  in  und  um  Braunschweig  und  Holzminden. 
Sehr  schones  Porzellan  erzeugt  die  herzogliche  Fabrik  von  Fursten- 
berg  (am  Soiling).  Auch  Handschuhe,  Striimpfe,  Blech-  und  Holz- 
waaren  von  Braunschweig  sind  bekannt.  Auf  dem  Harze  (Zorge, 
Eubeland,  Ocker)  und  bei  Holzminden  sind  grosse  Eisen werke, 
Kupferhammer  und  chemische  Fabriken  und  Glashutten  thatig;  in 
Zorge  besteht  auch  eine  Maechinenfabrik.  In  Braunschweig  ist  ein 
Gewerbeverein  thatig. 

Das  Land  hat  eine  fiir  den  Handel  sehr  giinstige  Lage.  Die 
alten  Handelsstrassen  von  den  Elbelandern  nach  dem  Rhein,  von 
Hamburg  nach  Suddeutschland  und  die  Eisenbahn  von  Berlin  nach 
Koln  durchziehen  Braunschweig.  Diese  Lage  der  Stadt  Braun- 
schweig und  die  zwei  noch  immer  stark  besuchten  Messen  (anfangs 
Februar  und  anfangs  August)  mit  bedeutenden  Wollmarkten  reihen 
sie  unter  die  wichtigsten  Handelsstadte  Norddeutschlands  ein.  Fur 
die  Flussfahrt  ist  Holzminden  der  Hauptstapelplatz.  Zur  Ausfuhr, 
welche  bedeutend  starker  als  die  Einfuhr  ist,  gelangen :  Getreide, 
Riibsamen,  Flachs,  Garn,  Leinwand,  Wolle,  Leder,  Papier,  Hopfen, 


24i 

Eisen,  Holz,  Sollinger  Sandsteine,  Tabak,  Braunschweiger  Honig- 
kuchen  u.  a.  m. ;  —  eingefiihrt  werden:  Kolonialwaaren  und 
Siidfriichte,  Wein,  Obst,  Baumwolle,  Seide  und  Seidenwaaren,  Eisen-, 
Stahl-,  Gold-  und  Silberwaaren.  —  Sehr  betrachtlich  ist  der  Spe- 
ditions-  und  Transitohandel. 

Die  geistige  Kultur  ist  gleichfalls  eine  bedeutende,  wie  es 
die  verhaltnissmassig  grosse  Anzahl  von  Schulen  zur  GenGge  be- 
statigt.  Sowohl  die  Anstalten  fiir  gelehrte  Bildung,  als  auch  jene  fur 
Erwerb  und  Verkehr  erfreuen  sich  sorgfaltiger  Pflege  und  einer  guten 
Organisation. 

§.  128.  Das  Fiirsteiithum  Lippe  (Lippe-Detmold). 

Das  Ffirstenthum  Lippe-Detmold ,  ein  grosstentheils  bergiges, 
doch  in  den  gut  angebauten  Thalern  fruchtbares  Land,  mit  schonen 
Eichen-  und  Buchenwaldungen ,  ist  umgeben  von  Preussen,  Hessen 
und  Hannover.  Der  Flacheninhalt  betragt  iiber  20 '/2  QMeile.  Die 
fast  durchgehends  protestantische  Bevolkerung  von  106.000  Seelen 
lebt  in  sieben  Stadten,  mehreren  Marktfiecken  und  Dorfern.  Ini 
Suden  ziehen  als  Fortsetzungen  des  Teutoburgerwaldes  die  Ketten 
des  lippischen  Waldes  (Deutschlands  klaesischer  Boden  :  Ar- 
min,  Varus),  im  iibrigen  ist  es  Hugelland ,  nur  zum  kleinen  Theile 
Tiefland.  Die  Flusse  (Bega,  Werre  u.  a.)  fliessen  in  die  Weser, 
welche  das  Land  im  Norden  berfihrt;  die  Lippe  und  Ems  habeu 
ihre  Quellen  im  Lande.  Bekannt  sind  die  Schwefel-  und  Eisen- 
quellen  bei  Meinberg  (eudostlich  von  Detmold)  und  die  Soolbader 
von  Salzuflen. 

Grossere  Orte  sind: 

Detmold  (6000),  Lemgo,  Lage,  Horn,  Salzuflen,  Varenholz, 
Barntrup,  Blomberg,  Schwalenberg. 

Die  bedeutendste  Erwerbsquelle  bildet  die  Landwirthschaft. 
Der  gute  Boden  und  der  ausgezeichnete  Ackerbau  gewahren  die 
gewohnlichen  deutschen  Produkte  fiber  den  Bedarf,  namentlich 
Getreide,  Hulsenfriichte,  Riibeamen  und  Flachs.  Auch  die  Vieh- 
zucht  ist  ansehnlich,  besonders  des  Hornviehes  und  der  veredelten 
Schafe;  im  siidwestlichen  Landestheile,  d.  i.  in  der  Sennerhaide, 
werden  vortreffliche  Pferde  (,,Sennerpferde")  gezogen.  Nicht  min- 
der sind  die  Schweine-  und  die  Bienenzucht  bedeutend.  Der  land- 
wirthschaftliche  Verein  von  Detmold  hat  in  dem  kleinen  Lande 
vierzehn  Bezirksvereine.  —  Metalle  hat  das  Land  keine ;  da- 
gegen  liefert  die  Staatssaline  zu  Salzuflen  an  30.000  Zentner  Salz. 

Die  gewerbliche  Industrie  sowie  der  Handel 
sind  in  Lippe  von  geringem  Belange;  doch  nahren  sich  ganze 
Ortschaften  von  der  Garnspinnerei  und  Leinweberei ,  welche 
Manufakte  in  den  Handel  gebracht  werden.  Zudem  bestehen  einige 
Wollenzeugwebereien ,  mehrere  Gerbereien ,  einige  Glashiitten  und 
Papiermuhlen ,  viele  Oel-  und  Sagemiihlen,  dann  Bierbrauereien 
u.  dgl.  Am  bekanntesten  sind  die  Meerschaum  -  Pfeifenkopfe  aus 
Lemgo ;  zu  Horn  ist  eine  grossere  Sensenschmiede.  —  Die  A  u  s- 
f  u  h  r  besteht  in  Holz,  Leinwand  und  Garn  ,  Schlachtvieh  ,  Pfer- 
den,  Wolle  und  Meerschaumkb'pfen.  —  Fur  die  Volksbil  dung 

Kluii's  Handcls- Geographic.     2.   Anil.  |(; 


242 

wird  sehr  viel  gethan,    die    zahlreichen  Lehranstalten  sind  trefflich 
eingerichtet. 

§.  139.  Das  Furstenthum  Lippc-Sclmumburg. 

An  den  nordwestlichen  Abhangen  des  Siintel  breitet  sich 
dieses  hugelige,  zuna  grosseren  Theile  jedoch  dem  Tieflande  ange- 
horige,  etwa  SQMeilen  grosse  Furstenthum  zwischen  Kurhessen, 
Hannover  und  Preussen  aus,  von  keinem  grosseren  Flusse  (nur  von 
der  Aue  und  Gehle  und  einigen  Bachen)  bewassert.  An  der  Nord- 
grenze  liegt  das  Steinhudermeer ,  und  auf  einer  kiinstlichen  Insel 
in  demselben  die  Festung  Wilhelmsstein.  Etwa  30.000  protestan- 
tische  Sachsen,  welche  die  Landesbevolkerung  bilden,  wohnen  in  den 
zwei  Stadten:  Buckeburg  (4000)  und  Stadthagen  (2500),  zwei 
Marktflecken  und  in  hundert  Dorfschaften.  Die  Hauptbeschaftigung 
bildet  die  La  nd  wir  th  scha  f  t,  welche  Getreide  iiber  den  Bedarf, 
Hulsenfruchte,  Kartoffeln  und  Flachs  als  Fabrikspflanze  liefert. 
Die  Hornvieh-  und  Pferdezucht  1st  ausreichend,  die  Schaf^  und 
Schweinezucht  gewahren  Artikel  zur  Ausfuhr.  Die  waldigen  Biicken- 
berge  geben  schones  Holz  und  gute  Steinkohlen,  das  Steinhuder- 
nieer  viel  Fische.  Eilsen  ist  ein  Badeort  mit  Schwefelquellen 
und  Schlammbadern.  —  Die  gewerbliche  Industrie  und  der 
Handel  gestalten  sich  hier  wie  in  Lippe-Detmold.  Die  Verarbei- 
tung  des  Flachses  ist  der  wichtigste  Industriezweig  der  Landbevolke- 
rung  und  die  Umgegend  von  Hagenburg  ist  dafiir  der Hauptsitz. 
Sonst  sind  noch  die  Branntweinbrennerei  und  einige  kleine  Zucker- 
siedereien.  Zu  Buckeburg  ist  die  ,,niedersachsische  Bank"  (12Mil- 
lionen  Thaler  Grundkapital)  in  Wirksamkeit.  —  Die  g  e  i  s  t  i  g  e 
K  u  1 1  u  r  steht  auf  gleicher  Stufe  wie  ina  Furstenthume  Lippe- 
Detmold. 

§.  130.  Das  Herzogthuiu  Anhalt-Dessau-Kotben. 

Dieses  tiber  28  QMeilen  grosse,  von  beilaufig  115.000  meist 
protestantischen  Sachsen  bewohnte  Herzogthum  ist  von  Preussen  und 
Anhalt-Bernburg  begrenzt,  und  gehort  zum  norddeutschen  Tieflande. 
Es  besteht  aus  einem  Hauptgebiete ,  dann  einem  kleineren  westlich 
von  Bernburg  gelegenen  ,  und  fiinf  im  Regierungsbezirke  Magde- 
l>urg  gelegenen  Parzellen.  Nachdem  (am  23.  November  1847)  die 
Linie  Kothen  im  Mannesstamme  erloschen  war,  kam  (am  4.  Fe- 
bruar  1853)  in  Folge  eines  Vertrages  mit  Bernburg  das  Herzogthum 
Kothen  ausschliesslich  an  Dessau. 

Das  Land  ist  von  der  Elbe,  der  Mulde  und  Saale  und 
L-inigen  kleineren  Nebenfliissen  der  Elbe  bewassert;  iiberdiess  gibt 
OB  mehrere  kleine  Seen  und  viele  Teiche.  In  Zerbet  ist  eine  sali- 
msche  Mineralquelle. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

Dessau  (14.000),  Zerbst  (10.000),  Kothen  (7000),  Jessnitz, 
Oranienbaum,  Sandersleben,  Worlitz,  Nienburg. 

Der  ebene  Boden  ist  am  linken  JElbeufer  sehr  fruchtbar  und 
der  Ackerbau  mit  der  Viehzucht  bilden  die  wichtigste  Nahrungs- 
quelle  der  Bewohner.  Am  rechten  Elbeufer  ist  der  Boden  mehr  san- 
dig,  kleine  Haiden  und  hie  und  da  Waldungen  bedecken  denselben. 


243 

Die  landwirthschaftliche  Produktion  iibersteigt  den  Bedarf  und  bringt 
vorzuglichen  Weizen,  gute  Obstsorten,  einige  Handelspflanzen  (Krapp, 
Tabak),  Produkte  der  Milchwirthachaft  und  Borstenvieh  in  den 
Handel.  —  Metalle  besitzt  das  Land  keine;  aber  gute  Bausteine, 
Schiefer,  Braun-  und  Steinkohlen,  Topferthon,  Porzellanerde  und 
Torf.  —  Die  gewerbliche  Thatigkeit  ist  im  Ganzen  wenig 
erheblich;  eie  arbeitet  zumeist  nur  fiir  den  Lokalbedarf.  Die  land- 
licbe  Bevolkerung  spinnt  Flachs  und  Wolle ,  die  Leinweberei  er- 
streckt  sich  auf  den  Hausbedarf;  die  Tuchweberei  ist  in  Dessau, 
Jessnitz,  Raguhn  und  Zerbst  mehr  ausgedehnt.  Bedeutender  eind  die 
Bierbrauerei ,  die  Branntweinbrennerei ,  einige  Gerbereien  (Dessau, 
Zerbst,  Kothen),  die  Tuchfabrikation  (Dessau,  Zerbst);  relativ  am 
wichtigsten  ist  die  Rubenzuckerfabrikation  ;  in  Nienburg  werden  auch 
Sehiffe  gebaut.  —  Der  Handel  ist  von  untergeordneter  Bedeutung, 
der  wichtigste  Platz  ist  Dessau,  wo  (seit  1856)  die  ,,deutsche 
Centralbank,"  die  ,,Kreditanstalt  fiir  Industrie  und  Handel,"  die 
,,Landesbank"  und  die  ,,Landrentenbank"  bestehen.  Dessau  und 
Kothen  halten  ansehnliche  Getreide- und  Wollmarkte ,  Zerbst  grosse 
Yieh-,  namentlich  Pferdemarkte.  Mehrere  Vereine  sind  fur  die  He- 
bung  der  Landwirthschaft  und  Gewerbe  thatig, 

Die  Unterrichtsanstalten  sowohl  fur  gelehrte  als  fiir  gewerb- 
liche und  kommerzielle  Bildung  sind  in  bltihendem  Zustande,  sie  er- 
freuen  sich  sorgfaltiger  Pflege  und  starken  Besuches, 

§.  131.  Das  Herzogthum  AnliaK-Bernbarg. 

Das  Herzogthum  Anhalt-Bernburg  besteht  aus  mehreren  ge- 
trennten  Gebieten,  welche  zusammen  uber  15  QMeilen  gross  und 
von  etwa  54.000  meist  lutherischen  Sachsen  bewohnt  sind.  Das  Staats- 
gebiet  zerfallt  in  das  Unterherzogthum  (die  zerstreuten  Lande  an 
der  Saale  und  Elbe  umfassend)  und  in  das  Oberherzogthum  am 
Unterharze.  Ersteres  ist  ein  grosstentheils  fruchtbares  Flachland, 
ietzteres  ist  gebirgig  und  waldig.  Die  Elbe,  Saale  und  Bode 
bewassern  das  Land ;  zudem  hat  es  mehrere  kleine  Seen  und  die 
zwei  Mineralquellen  Alexisbad  und  Beringerbad, 
Grossere  Orte  sind : 

a)  imUnterherzogthume:  Bernburg  (10.000), Koswig,Hecklingen; 

bjimOberherzogthume:  Ballenstedt,  Harzgerode,  Gernrode,  Hoym. 
Im  Flachlande  bilden  der  Ackerbau  und  die  Viehzucht  die 
wichtigste  Nahrungsquelle ;  im  Harze  der  Bergbau  und  der  Hiitten- 
betrieb.  Der  Ackerbau  liefert  Getreide,  Hiilsenfruchte,  Flachs, 
Tabak  und  Riibsamen  in  ausreichender  Menge,  auch  schones  Obst; 
in  der  Viehzucht  ist  die  Rindvieh-,  Schaf-  und  Schweinezucht  er- 
heblich. —  Der  Bergbau  liefert  viel  Eisen,  Silber  (jahrlich  an 
1800  Mark),  Blei  und  Steinkoblen,  Der  Mittelpunkt  des  Bergbaues 
ist  Harzgerode.  —  Mit  Ausnahme  des  bedeutenden  Hiittenbetriebes 
ini  Selkethale  (im  Harze)  ist  die  gewerbliche  Industrie 
!*ehr  untergeordnet.  Sie  arbeitet  fur  den  Lokalbedarf  und  ist  zu- 
meist  nur  durch  das  Kleingewerbe  oder  die  mehrerwahnten  ,,land- 
wirthschaftlichen  Nebenbeschaftigungen"  vertreten.  Sie  erstreckt  sich 
auf  Garnspinnerei,  Leinweberei,  Tuchmacherei ,  Leder  und  Papier, 

16* 


244 

Steingut  und  Holzwaaren.  —  Dass  der  Handel  ebenfalls  nicht 
hervorragend  ist,  ist  erklarbar  aus  dem  verhaltnissmaasig  geringe- 
ren  Stande ,  welchen  die  physische  und  technische  Kultur  in 
dem  kleinen  Lande  einnehmen.  Handelsplatze  sind  Bernburg 
und  Koswig.  —  Fiir  die  geistige  Bildung  des  Volkes  ist 
durch  viele  und  zweckmassig  eingerichtete  Lehranstalten  sehr  gut 
gesorgt, 

§.  133.  Das  tirossherzogtham  Mecklenbarg-Schwerin. 

244  QMteilen,  —  539000  (relativ  2112)  Einwohnerj  fast  ausschliesslich  Pro- 
testanten  (nur  etwa  1000  Katholiken,  3000  Israeliten).  —  Nach  der  Nationalitat 
slavischen  (wendischen)  Ursprnnges,  aber  vollstandig  germanisirt.  —  Grenzen:  im 
N.  die  Ostsee,  —  im  0.  Pommern,  Mecklenburg-Strelitz,  —  im  S.  Brandenburg. 
Hannover,  —  im  W.  Lauenburg,  Mecklenburg-Strelitz  (Ratzeburg).  —  Konstitu- 
tionelle  Erbmonarchie  im  protestantischen  Hause  Mecklenburg. 

lioden.  Mecklenburg -Schwerin  liegt  im  norddeutschen  Tief- 
lande.  Der  Boden  ist  flach,  nur  hie  und  da  von  einzelnen  Hiigel- 
ketten  (bis  hochstens  570')  durchzogen.  Die  tiefsten  Punkte  sind 
an  der  Ostsee  und  an  der  Elbe.  Der  grossere  Theil  des  Bodens 
ist  fruchtbar,  zumeist  im  nordwestlichen  Landestheile ;  im  Siiden 
kommen  Sandflachen  und  Torfmoore  vor. 

Gewasser.  Das  Land  ist  wasserreich.  Auf  einer  Lange  von 
25  Meilen  wird  es  von  der  Ostsee,  welche  mehrere  Meerbusen 
und  Buchten  bildet,  Wismar  (mit  der  Insel  Poel),  Salzhoff,  Warne- 
munde  (bei  Rostock)  bespult.  Die  fliessenden  Gewasser  gehoren 
theils  zum  Gebiete  der  Ostsee,  theils  zum  Flussgeader  der  Elbe. 
In  die  Ostsee  fliessen:  die  Stepnitz,  die  War  now  (der  bedeutendste 
Fluss  des  Landes),  die  Recknitz  und  die  Peene;  in  die  Elbe:  der 
Grenzfluss  Steckenitz ,  die  Sude  mit  mehreren  Zufliissen  und  die 
scbiffbare  E 1  d  e.  —  Unter  den  vielen  Seen  (329)  sind  viele  sehr 
klein ,  der  grosste  See  Norddeutschlands  ist  der  Miiritz-See, 
welcher  mittels  der  Elde  mit  dem  Male  how-,  K  alp  in-,  Flee- 
sen-  und  Plauer-See  in  Verbindung  steht.  Der  Schweriner- 
See  steht  (durch  den  Abfluss  Stoer  zur  Elde)  mit  der  Elbe  in 
Verbindung.  Die  Peene  fliesst  durch  den  in  der  ,,mecklenburgischen 
Schweiz"  gelegenen  Malchin-  und  den  Ku  mmer  o  w-See.  — 
Zahlreiche  Schiffahrts-,  Verbindungs-  und  Entwasserungska  nale 
durchschneiden  das  Land.  —  Die  meisten  Quellen  enthalten  Eisen, 
Salz,  Kalk  oder  Schwefel ;  besuchte  Seebader  sind  Dobberan,  Warne- 
munde  und  Boltenhagen  (bei  Wismar). 

Politische  Eintheilung.  Die  Bestandtheile  des  Grossherzog- 
thums  sind:  1.  der  inecklenburg  ische  Kreis  oder  Herzog- 
thum  Schwerin,  —  2.  der  wendische  Kreis  des  Herzogthums 
Gustrow,  —  3.  der  Rostocker  Distrikt,  —  4.  das  Fiirsten- 
thum  Schwerin  —  und  5.  die  Herrschaft  Wismar.  —  Die 
Kreise  werden  in  Aemter  und  Vogteien  eingetheilt. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

Schwerin  (22.000),  Ludwigslust,  Domitz,  Boitzenburg,  Grabow,  Parchim. 
Dobberan,  Eldena,  Gustrow,  Butzow,  Ivenack,  Kostock  und  Warnemunde,  Wismar, 
Basedow. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Mecklenburg  -  Schwerin    ist    ein  Agrikulturstaat,    nahezu    drei 


245 

Viertheile  der  Bewohner  finden  in  der  sorgfaltig  betriebenen  Land- 
wirth  scha  f  t  ihre  wichtigste  Erwerbs-  und  Nahrungsquelle.  Ueber 
70%  der  Gesammtflache  sind  dem  Ackerbaue  zugewiesen,  der  an 
Roggen  ,  in  den  sandigen  Gegenden  an  Buchweizen  den  reichsten 
Ertrag  bietet;  auch  Weizen ,  Gerste  und  Hafer  werden  angebaut. 
DieErnte  an  Hiilsenfruchten  (besonders  Erbsen),  Knollengewachsen 
(Teltower  Ruben  um  Gustrow),  an  Handelspflanzen,  Farbekrautern 
1st  ziemlich  erheblich.  —  Die  Forstkultur  ist  ansehnlich,  sie  liefert 
Holz,  vorziiglich  Tannen  in  ausreichender  Menge.  —  Der  treffliche 
Wiesenbau  hat  eine  ausgezeichnete  Viehzucht  im  Gefolge.  Den 
ersten  Platz  nimmt  die  Pferdezucht  ein ;  die  mecklenburgischen 
Pferde,  auf  deren  Veredlung  und  Pflege  eine  grosse  Sorgfalt  ver- 
wendet  wird,  sind  die  kraftigsten  in  Deutschland  und  werden  vom 
Auslande,  namentlich  von  Frankreich,  stark  gekauft.  Die  Rind- 
viehzucht  und  die  Zucht  veredelter  Schafe  (Gustrow,  Toddin)  sind 
bedeutend,  mecklenburgische  Butter  und  Wolle  sind  im  Handel 
geschatzt.  Der  grosse  Bedarf  an  Schweinefleisch  wird  durch  die 
Schweinezucht  gedeckt  und  gelangt  auch  zum  Export.  Bei  dem 
Wasserreichthum  des  Landes  ist  die  Fischzucht  von  Bedeutung; 
die  sehr  ausgebreitete  Federviehzucht  liefert  geraucherte  Ganse- 
briiste  und  Federn  in  den  Handel.  —  An  Miner  alien  ist  das 
Land  arm,  es  besitzt  keine  Metalle,  nur  Torf,  Kalk,  Braunkoh- 
len ,  Gyps  (bei  Lubtheen)  und  Salz  in  der  Saline  zu  Siilze  (bei 
Gustrow). 

Die  gewerbliche  Industrie  ist  von  keiner  Bedeutung. 
Das  Kleingewerbe  ist  in  den  Stadten  fiir  den  Lokalbedarf  hin- 
reichend  vertreten,  dagegen  kommen  Fabriken  und  Manufakturen 
nur  sehr  vereinzelt  und  in  geringer  Anzahl  vor;  die  meisten  Kunst- 
erzeugnisse  werden  aus  dem  Auslande  bezogen.  Die  Leinen-  und 
Wollenweberei  ist  ziemlich  verbreitet,  liefert  jedoch  nur  ordinare 
Waare.  Die  meiste  industrielle  Thatigkeit  findet  sich  in  Rostock 
(25.000  Einwohner) ,  wo  die  Gerbereien ,  Branntweinbreunereien, 
Baumwoll-,  Tabak-,  Papier-  und  Ziindwaarenfabriken,  eine  Zucker- 
siederei  und  ansehnlicher  Schiffbau  (Warnemunde)  u.  s.  f.  bestehen. 
In  letzterer  Hinsicht  ist  auch  Wismar  beachtensvverth.  ^  In  Plan 
ist  eine  Maschinenfabrik  thatig.  Erwahnenswerth  sind  einige  Glas- 
hiitten,  Oel-  und  Papiermiihlen. 

Die  geographische  Lage  des  Landes  zwischen  der  Ostsee  und 
der  Elbe  ist  fur  den  Handel  sehr  gunstig  und  wurde  seit  jeher 
zu  einem  lebhaften  Schiffahrtsverkehr  beniitzt.  Die  Verbesserung 
der  Landstrassen,  die  Anlegung  der  Eisenbahnen,  die  durch  Ka- 
nalisirung  hergestellte  Verbindung  zwischen  Schwerin  und  Hamburg 
hat  auch  dem  inneren  Hamlel  grosseren  Aufschwung  gegeben.  Im 
auswartigen  Handel  sind  Rostock  (mit  Warnemunde)  und  Wismar, 
dann  Boitzenburg  an  der  Elbe  die  bedeutendsten  Platze;  an  diese 
schliessen  sich  (auch  fiir  den  inneren  Handel)  Gustrow,  Schwerin, 
Grabow,  Domitz,  Parchim  und  Ribnitz  an,  wo  wie  in  vielen  Dorfern 
stark  besuchte  Jahrmarkte  gehalten  werden.  (Wollmarkte  und  Vieh- 
markte  in  Gustrow,  Rostock,  Wismar,  Boitzenburg,  —  Buttermarkte 
in  Grabow.)  Ist  die  Einfuhr  an  Manufakten,  Wein,  Koloniahvaarea 


und  Sudfriichten  ,  Steinkohlen  und  Metallen  bedeutend,  so  wird  sie 
doch  von  der  Ausfuhr  im  Geldwerthe  iibertrofFen ;  letztere  umfasst 
Getreide  (nach  England,  Skandinavien  und  Hamburg),  Wolle  (nach 
Berlin,  Hamburg,  Liibeck),  Tabak,  Mastvieh  (nach  Hamburg  und 
Berlin),  Pferde  (nach  Frankreich ,  auf  die  Messen  nach  Leipzig) , 
Butter  und  Kase  u.  s.  f.  —  Die  Schiffahrt  ist  sehr  ansehnlich, 
namentlich  in  Rostock  und  Wismar.  Dampfschiffahrten  bestehen 
zwischen  Rostock  und  St.  Petersburg  und  den  inecklenburgischen 
Hafen,  zwischen  Wismar  und  Kopenhagen,  zwischen  Boitzenburg 
und  Hamburg;  auch  die  Elde,  Stoer,  Havel  und  Warnow  werden 
befahren. 

In  Hinsicht  der  unteren  Volksbildung  eteht  das  Land  den 
iibrigen  deutschen  Staaten  zuruck,  obwohl  in  jungster  Zeit  hierin 
ein  sehr  erfreulicher  Aufschwung  bemerkbar  ist.  Fur  hohere  Bii- 
dung  ist  gut  gesorgt,  und  zwar  sowohl  fur  die  gelehrte  als  fur 
die  auf  Gewerbe  und  Handel  abzielende.  Eine  Hochschule  besitzt 
das  Land  in  der  im  Jahre  1419  gestifteten  Universitat  in  Rostock. 

§.  133.  Das  Grosshcrzogtliuin  Mecklenburg-Strelitz. 

Das  Grossherzogthum  Mecklenburg-Strelitz  besteht  aus  zwei 
Gebieten  ,  welche  durch  Mecklenburg- Schwerin  von  einander  ge- 
trennt  sind.  Der  6'stliche  Theil,  die  Herrschaft  Stargard,  ist 
von  Mecklenburg-Schwerin  und  Preussen  (Brandenburg,  Pommernj, 

—  der  westliche ,    die   Herrschaft   Ratzeburg,    von  Mecklen- 
burg-Schwerin, Lauenburg    und  Lubeck  begrenzt.  —  Der  Flachen- 
inhalt   des    Landes    betragt   an    50  QMeilen  mit   etwa  100  000  fast 
auaschliesslich  protestantischenEinwohnern.  —  Der  Bo  den  ist  durch- 
aus   eben  ,    mit  nur   wenigen   Hiigelketten  (Helpterberge  600'),  und 
jenem  des  benachbarten    Grossherzogthums    gleich.    —    Der  bedeu- 
tendste  Fluss  ist  die   Havel,    welche    mehrere    Seen    mit   einandei 
verbindet  und  ihren  Lauf  siidwarts  nach  Brandenburg  nimmt.     Die 
Trave  ist  Grenzfluss  gegen  Lubeck,  deesgleichen  deren  Nebenfiuss 
die  Wackenitz.  Unter  den  sehr  zahlreichen  Seen  ist  der  Tollense- 
See   der    grosste;     die    vielen    Kan  ale  sind  zumeist  Verbindungs- 
und  Entwasserungs-Kanale. 

Bcmerkenswerthe  Orte  sind  : 

a)  in  der  Herrschaft    Stargard:    Neu-Strelitz  (8000),    Neu  -  Brandenburg, 
Stargard,  Friedland,  Alt-Strelitz,  Waldegk,  Fftrstenberg,  Wesenberg,  Mirow; 

b)  in  der  Herrschaft  Ratzeburg:  SchOnberg  (2000),  und  ein  kleiner  Theil  der 
Stadt  Ratzeburg. 

Mecklenburg-Strelitz  ist  in  Bezug  auf  die  physische  und  tech - 
nische  Kultur  seinem  Nachbarlande  fast  ganz  gleichgestellt.  Auch 
hier  bilden  die  Landwirthschaft,  und  zwar  vorzuglich  der 
Ackerbau  und  die  sehr  ansehnliche  Viehzucht  die  Hauptnahrunge- 
quellen  der  Bewohner,  indem  sie  nicht  nur  den  inlandischen  Bedarf 
vollstandig  decken,  sondern  auch  fur  den  Export  liefern.  —  Ebenso 
besitzt  das  Land  keine  Metalle,  aber  Torf  und  mehrere  Erdarten. 

—  In  der  wenig  bedeuteuden  gewerb lichen  Industrie  nehmen 
die    Lein-    und  Wollweberei    den    ersten   Rang    wegen  der  grosten 
Verbreitung  ein ;  die  Erzeugnisse  sind  fast  ausschliesslich  ordinarer 
Sorte.     Die    verhaltnissmassig   wichtigsten    Orte    sind  Neu-Strelitz. 


Stargard,  Wesenberg  und  FQrstenberg.  Erwahnenswerth  sin<l  noch : 
die  Lohgerberei ,  die  Tabak-  und  Papierfabrikation ,  die  Glashfitten, 
Bierbrauereien,  Branntwein-Brennereien  ,  Ziegeleien  u.  s.  f. 

Der  Handel  ist  relativ  lebhaft  und  uinfasst  beira  Export  die 
Natur-  und  landwirthschaftlichen  Erzeugnisse ,  beitn  Import  Indu- 
strie- und  Kunstprodukte ;  der  Geldwerth  des  Exportes  ist  jedoch 
grosser  als  des  Importes.  —  Auch  in  Hinsicht  der  geistigen  Kul- 
tur  waken  die  ganz  gleichen  Verhaltnisse  vor,  wie  in  Mecklenburg - 
Schwerin. 

§.  134.  Die  HerzogthUmer  Holstein  und  Lauenburg. 

(Siehe  das  Konigreich  Dan  em  ark.) 

§.  135.  Die  freie  und  Hansestadt  Lttbeck. 

Die  freie  Stadt  Lubeck  ist  vom  holsteinischen  Gebiete  und 
Mecklenburg  umgeben  ;  einige  kleine  Parzellen  liegen  in  Holstein 
und  in  Lauenburg.  Das  Staatsgebiet,  etwa  6  QMeilen  gross,  von 
55.000  meist  lutherischen  Sachsen  bewohnt,  liegt  in  der  norddeut- 
schen  Tiefebene.  Es  wird  von  der  Trave  bewassert,  mit  welcher 
sich  die  Steckenitz  und  Wackenitz  vereinigen.  Der  Steckenitz-Kanal 
fiihrt  in  die  Elbe  und  verbindet  Lubeck  mit  Hamburg,  die  Ostsee 
mit  der  Nordsee.  —  Das  Staatsgebiet  besteht  aus  der  Stadt  Liibeck 
aammt  Vorstadten  (40.000),  einigen  Landbezirken  (Ritzerau,  Trave- 
miinde  u.  a.)  und  dem  Amte  Bergedorf  (gemeinschaftlich  mit  Ham- 
burg). —  Der  B  o  d  e  n  ist  eben  und  fruchtbar.  Der  Ackerbau  bildet 
den  Haupterwerb  der  Landbewohner ,  welche  gutes  Korn,  Hiilsen- 
und  GartenfrQchte,  Flachs  und  Riibsamen  bauen ;  auch  die  Rindvieh- 
und  Schafzucht  wird  stark  betrieben.  Sehr  bedeutend  ist  die  Fischerei 
sowohl  in  der  Ostsee  als  in  den  Flilssen. —  Die  gewerbliche  In- 
dustrie ist  geringer  als  in  den  anderenHansestadten.  Den  wichtig- 
sten  Zweig  bildet  der  Schiffbau  mit  den  dazu  gehorigen  Gewerben, 
nebstdem  sind  die  Tabak-  und  Wollenindustrie,  der  Maschinenbau, 
die  Oelmuhlen ,  die  Lederbereitung ,  die  Essigsiedereien,  Brannt- 
weinbrennereien,  Bierbrauereien,  die  Lichterfabrikation ,  die  Spiel- 
karten  u.  a.  m.  erwahnenswerth. 

Die  Hauptnahrungszweige  der  Bewohner  bilden  Handel  und 
Schiftahrt.  Lubeck,  zur  Zeit  der  frankischen  Einfalle  unter  Lud- 
wig  dem  Frommen  erbaut,  breitete  im  Mittelalter  seinen  Handel 
und  seine  Schiffahrt  grossartig  aus.  Es  war  das  Haupt  der  mach- 
tigen  Han  B  a,  an  deren  Spitze  es  durch  fast  drei  Jahrhunderte 
stand  und  vermittelte  in  seiner  gunstigen  geographischen  Lage  den 
Handel  zwischen  den  Ostseelandern  und  dem  Westen  und  Siiden 
Europas.  Doch  ist  es  von  seinem  alten  Glanz  derart  herabgekom- 
raen,  dass  dessen  Handel  nur  mehr  l/3  so  umfangreich  ist,  als  jener 
Bremens;  beide  zusammen  aber  bewegen  nur  etwa  den  dritten  Theil 
des  Werthes,  welchen  Hamburg  in  einem  Jahre  umsetzt.  —  Verhalt- 
mssmassig  ist  der  Handel  noch  immer  bedeutend ,  besonders  der 
Kommissions-  und  Speditionshandel  zwischen  den  Ostseelandern, 
Deutschland  und  Frankreich,  welcher  durch  den  Anschluss  an  die 
Berlin-Hamburger  Eisenbahn  (Liibeck-Buchen)  uud  den  Steckenitz- 


248 


Kanal  bedeutend  gefordert  wird.  Am  starksten  ist  der  Verkehr  mit 
den  nordischen  Staaten ,  mit  Russland,  Schweden,  Norwegen  und 
Danemark.  —  Die  wichtigsten  Exp  ort  -  Ar  tikel  sind:  Getreide, 
Wein,  Zucker ,  Baumwolle,  Leder  und  Fabrikate  der  deutschen 
Industrie ;  —  importirt  werden  hauptsachlich :  russische  Er- 
zeugnisse  (Pottasche,  Hanf,  Leinwand,  Segeltuch,  Oele,  Leinsamen 
aus  Riga,  Theer,  Pelzwaaren,  Bretter),  —  aus  Scbweden  Eisen 
und  Holz,  aus  Preussen  Getreide  und  Manufakte ,  aus  England 
Steinkohlen,  Steingut  und  Glaswaaren,  aus  Frankreich  Wein, 
aus  dem  deutschen  Zollvereine  verschiedene  Industrie-  und 
Kunstprodukte. 

Ueber  dieMengeund  den  Werth  derAusfuhr  feblen  die  An- 
gaben,  weil  dariiber  keine  Zollkontrolle  gefiibrt  wird;  die  Total- 
einfuhr  in  den  letzten  Jahren  betrug  hingegen : 


1857 

18 

58 

Millionen  Pfund 

%  des 
Ge- 
wich- 
tes 

Mil- 
lionen 
Cou- 
rant- 
Mark 

%  des 
Geld- 
wer- 

thes 

Mil- 

lionen 
Pfund 

%  des 
Ge- 

wich- 

tes 

Mil- 
lionen 
Con- 
rant- 
Mark 

%  des 
Geld- 
wer- 
thes 

land-  und  flusswarts  ...119., 

33., 

44 

56 

104.. 

35 

40 

67 

66.. 

35 

44 

194.g 

65 

20 

33 

Gesammteinfuhr.  .  .359., 

- 

79 

- 

298., 

;T/^ 

60 

'  Sail 

Den  starksten  Antheil  im  Seeverkehr  haben  Eussland  (mit  Finnland)  and 
Schweden,  dann  Grossbritannien,  Holstein,  Danemark  und  Preussen;  beim  Land- 
und  Flussverkehr  steht  obenan  Hamburg  mit  34%  des  Werthes  und  11%  des 
Gewichtes  *).  Die  Anzahl  der  eingelaufenen  Schiffe  ist  im  J.  1858  die  geringste 
(940)  in  den  letzten  6  Jahren  gewesen,  desgleichen  jene  der  abgegangenen  (959);  in 
der  Zahl  der  ersten  sind  111,  in  der  letzteren  122  Lubecker. 

Lubeck  unterhalt  regelmassige  Dampfschi  ff  ahrts-  Verbindung  en  mit 
Gothenburg,  Helsingfors,  Kopenhagen,  MalmO,  Riga,  St.  Petersburg  und  Stockholm. 

Zu  den  EDrderungsmitteln   des  Handels    gehoren    insbesondere    die  Borse,    die 


*)  Einfuhr  aus: 
Eussland  mit  Finnland  

1857 

71     Mill.    Pfd  16  Vs  Mill.  Cour.  Ma 
68'/s                    14l/- 

England  und  Schottland  
Holstein  

80'/, 

....     I'/.. 
....     0... 

» 

IV, 

.     0.., 

Preussen     . 

5V 

o 

Hamburg  

Einfuhr  aus: 
Itussland  mit  Finnland  
Schweden  

40'/£ 

::::26.';; 

1858 

56    M 
60 

1.    P 

d  14     Mil 

.  .    31/, 

Cour. 
» 

Mar 

England  und  Schottland  
Holstein  

62'/s 

5'/. 

Danemark  

IV 

.    o.,. 

Preussen  

4 

38V. 

....     0.18 
..   25 

Hamburg  .  . 

_249 

zwei  Banken  (BLubecker  Privatbank",  und  BKredit-  and  Versichernngsbank"),  meh- 
rere  Versicberungsanstalten,  Handcls-  und  Schiffahrtsvertrage,  und  ein  sehr  ausge- 
breitetes  Konsularwesen. 

Fur  die  geistige  Bildung  sind  sowohl  die  Volks-  als  die  Gewerbe-  nnd 
Industrieschulen,  die  gelehrten  und  gemeinnutzigen  Anstalten  sehr  thatig.  —  Die 
Verfassuug  ist  die  republikanische ;  die  Staatsgewalt  wird  vom  ^Senate"  und 
der  nBurgerschaft"  ausgeubt.  Der  Senat  besteht  aus  14  Mitgliedern,  von  welchen 
stets  8  dem  Gelehrtenstande  und  wenigstens  5  dem  Kaufmannsstande  angeh6ren 
mussen;  der  Vorsitzende  fuhrt  den  Titel  .Biirgermeister."  Die  Burgerschaft  be- 
steht aus  120  Vertretern;  sie  ubt  ihre  Thatigkeit  theils  in  ihrer  Gesammtheit,  theils 
durch  einen  Ausschnss.  Den  Vorsitz  fiihrt  der  ^Wortiuhrer."  Bei  Meinungsver- 
schiedenheiten  der  zwei  Korporationen  wird  eine  ^Entscheidangskommission"  von  14 
Mitgliedern  aus  beiden  Korporationen  zu  gleichen  Theilen  gewahlt. 

§.  136.  Die  freie  und  Hansestadt  Bremen. 

Das  etwa  4y2  nMeile  grosse  Gebiet  der  freien  Stadt  Bre- 
men liegt  im  norddeutschen  Tieflande  zu  beiden  Seiten  der  Weser, 
eingeschlossen  von  Hannover  und  Oldenburg;  an  der  Wesermun- 
dung  und  der  Einmundung  der  Geeste  in  die  Weser  liegt  das  Amt 
und  der  Hafenplatz  Bremerhafen.  Die  90.000  meist  protestantischen 
Bewohner  niedersachsischen  Stammes  leben  in  den  3  Stadten  Bre- 
men (64.000),  Vegesack  (4000)  und  Bremerhafen  (6000)  und  55 
Dorfern  und  Weilern.  Der  Boden  ist  flach,  grosstentheils  Marsch- 
land,  von  vielen  Kanalen  durchschnitten.  In  den  Hauptfluss  Weser 
miinden  die  Wumme,  Ochte  und  Geeste. 

Ein  wichtiger  Erwerbszweig  der  Landbevvohner  ist  am  linken 
Weserufer  die  vortreffliche  Hornviehzucht,  am  rechten  der 
Ackerbau.  Mit  grosser  Sorgfalt  werden  der  Garten-  und  Ge- 
miisebau  betrieben,  worunter  auch  das  Obst  besondere  Hervorhe- 
bung  verdient.  —  Yon  Wichtigkeit  ist  die  industrielle  Thatig- 
keit, welche  sich  zumeist  mit  der  Verarbeitung  iiberseeischer  Roh- 
stoffe  und  jenen  Gewerben  befasst,  welche  mit  der  Schiffahrt  in 
Verbindung  stehen.  Obenan  steht  die  Tabak- und  Zigarrenfabrikation 
(an  ISOFabriken  und  1650C5garrenmacher),  welche  sogar  fur  den  Ex- 
port nach  dem  eigentlichenTabaklande,  nach  America  und  Westindien 
arbeitet.  Dieser  Fabrikation  stehen  zunachst  die  der  Schiffahrt  die- 
nenden  Gewerbe,  dann  die  zahlreichen  Baumwollgarnspinnereien,  die 
Leinwand-,  Leder-,  Bleiweiss-,  Chokolade-,  Oel-  und  Seifefabriken, 
die  Zuckersiedereien,  Branntweinbrennereien,  Bierbrauereien,  Dampf- 
miihlen  u.  s.  f.  Im  Allgemeinen  besteht  der  Zunftzwang;  doch  sind 
in  neuerer  Zeit  einzelneZiinfte  ganz  aufgehoben,  andere  in  ihren  ein- 
schrSnkenden  Bestimmungen  bedeutend  modifizirt  worden. 

Obwohl  Bremen  schon  im  8.  Jahrhunderte  eine  nicht  unbedeu- 
tende  Stadt  gewesen,  sp'ater  durch  freie  Verfassung,  durch  Handel 
und  Schiffahrt  kraftig  geworden  ist,  und  seit  dem  Beitritte  zum 
hanseatischen  Stadtebunde  (im  J.  1284)  immer  an  Macht  und  Ein- 
fluss  zugenommen  hat;  so  haben  doch  die  Ervverbung  eines  Gebie- 
tes  in  der  Nahe  der  Wesermundung  von  Hannover  (im  J.  1827) 
und  die  Grundung  des  Seeplatzes  Bremerhafen  ganz  besonders 
zur  Hebung  des  Eigenhandels,  der  sich  in  neuerer  Zeit  bereits  fiber 
alle  Meere  erstreckt,  beigetragen.  —  Bremen  betreibt  fast  die  ganze 
Weserschiffahrt,  insbesondere  seitdem  mancherlei  Hindernisse  in  die- 
ser  Beziehung  beseitigt  wurden.  Bis  zum  J.  1820  bezahlten  alle  in 


250 


die  Weser  kommenden  Schiffe  zu  Elsfleth  einen  Seezoll  an  Olden- 
denburg  ,  ferner  kdnnen  grossere  Schiffe  nur  bis  Brake  und  Els- 
fleth, hochstens  bis  Vegesak  die  Weser  hinauffahren ;  seit  der  Griin- 
dung  Bremerhafens  sind  diese  Hemmnisse  nun  beseitigt.  Dieser 
Hafen,  erst  im  Dezember  1830  eroffnet,  ist  im  raschen  Aufbluhen  : 
im  J.  1836  hatte  der  Ort  1500,  im  Jahre  1855  schon  uber  5500 
Einwohner,  welche  sich  mit  Schiffbau,  der  Fabrikation  von  Segel- 
tuch  und  Tauen  und  der  Spedition  beschaftigen,  oder  Lootsendienst 
treiben.  Zur  Stadt  Bremen  konnen  nur  Lichterschiffe,  Boote  und 
Weserkahne  kommen,  doch  ist  auch  mittels  der  platten  Schifie 
zwischen  Bremen  und  Hamburg  ein  lebhafter  Verkehr. 

Bremens  Geschaft  ist  hauptsachlich  auf  Rhederei  und 
Waarenhan  del  basirt ;  der  Verkehr  ist  theils  See-,  theilsFluss- 
verkehr;  letzterer  wird  in  den  Ober-  und  den  Unterweserverkehr 
geschieden.  Die  Hauptrichtung  dea  Handels  ist  von  und  nach 
America,  welcher  sich  in  stets  grosserer  Ausdehnung  entfaltet.  Fur 
die  Gesammt -Handel  sbewegung  der  zwei  Jahre  1856  und 
1857  ergibt  sich  folgende  Uebersicht :  *) 

Einfuhr:  Ausfuhr: 

Zentaer  Beichsthaler  Zentner  Keichsthaler 

1856  seewarts 5^505.539 38oT-^327 3,633838 30^509.626 

land w&rts  . .  .     5,441.728. .  .  .27.977.195 3,024.782 30,965.671 

Zusammen  . .   10,947.267 66,091.522 6,658.620 61,475.297 

1857  seewarts  ....     6,095.695 . . .  .46,335.780 3,493  389. ..  .31,889.198 

landwarts  .  . .     5.194.981 27,669.000 2,357.448 30,720.274 

Zusammen  . .   11,290.676 74,004.780 5,850.837 62,609.472 

Zur  See  kamen  2985  Schiffe  mit  uber  275.000  Last  an,  und  gingen  3053 
Schiffe  mit  nahe  278.000  Last  ab.  —  Von  der  Unter-Weser  kamen  6382  mi: 
185  000  Last  an,  und  gingen  6387  Schiffe  mit  185.253  Last  ab.  —  Von  der  0  b  e  r- 
Weser  kamen  fiber  2000  Fahrzeuge  mit  nahe  60.000  Last  an,  und  gingen  1097 
Fahrzeuge  mit  iiber  42.000  Last  ab.  Bei  der  Weserschiffahrt  sind  am  starksten  ver- 
treten  :  Hannover,  Preussen,  Kurhessen  und  Braunschweig.  —  Die  Zahl  sammtlicher  an 
der  Weser  heimathberechtigter  Schiffe  bestand  zu  Ende  1857  aus  834  Segeln  mit  iibei 
124.000  Last  Tragfahigkeit.  —  Von  wachsender  Bedeutung  ist  die  Gesellschaft  der 
,,N  orddeutsche  Lloyd,"  welche  zu  Ende  1857  schon  24  Dampfschiffe  besass. 

Dampfschiffahrts- Verbindungen  werden  unterhalten  mit  New-York, 
London,  Hull,  auf  der  Unter-  und  Oberweser. 

Bremen  ist  endlich  fur  Deutschland  der  Hauptbafen  fur  die  Ueberfahrt  der 
Auswanderer  nach  America.  Im  J.  1855  wurden  31.550,  —  im  J.  1856.  .  .36,517 
und  im  J.  1857. .  .48.123  Personen  befordert. 

Zu  den  FOrderun  gsmitteln  des  Handels  gehoren  die  Borse,  zwei  Banken 
(BDiscontokasse"  und  ^Bremer  Bank"),  vierzehn  See-Assekuranz-Kompagnieu,  der 
Kaufmannskonvent,  die  Handelskammer,  die  Behorden  fur  Handelsstatistik,  fur  Han- 
dels- und  Schiffahrtsangelegenheiten,  Handels-  und  Schiffahrtsvertrage,  Handelsagenteu 
u.  s.  f.  —  Die  geistige  Kultnr  weiset  einen  befriedigenden  Stand. 


*)  Die  Einfuhr  und  Ausfuhr  einiger  Hauptartikel    im  J.  185 
Gewichte: 


57    war    nach  dem 


Einfuhr: 


Baumwolle    uber    40  Mill 

onen  Pfd. 

Kaffee 

20 

9 

Farbeholzer 

23 

Tabak 

60 

j 

Cigarren 

8600 

Stack 

Zucker 

15 

Pfund 

Getreide 

20  Tausend  Last, 

Aus  fuhr: 

Baumwolle    nahe     35  Millionen  Pfd. 
Kaffee  „        16 

Farbeholzer  uber     17V, 
Tabak  „        45% 

Cigarren          „    6200 
Zucker  „        14 


Stuck 
Pfund 


Getreide 


6300  Tausend  Last. 


251 

Die  Staatsform  ist  die  republikanische.  Zur  Ausubung  der  Staatsge- 
walt  bestehen  der  ^Senat"  und  die  „  Burgers  chaft.«  Der  Senat  besteht  aus  18  Mit- 
gliedern,  von  welchen  wenigstens  10  Rechtsgelehrte  und  5  Kaufleute  sein  tnftssen. 
Zwei  Senatoren  werden  aaf  4  Jahre  zu  BBargermeisternu  gewahlt,  der  eine  ist  zu- 
gleich  Prasident  des  Senates.  Die  Burgerschaft  besteht  ans  150  Vertretern,  ais 
Ausschuss  besteht  das  nBurgeramt."  Fur  die  gemeinschaftliche  Wirksamkeit  des 
Senates  und  der  Burgerschaft  bestehen  standige  Deputationen. 

§.  137.  Die  freie  und  Hansestadt  Hamburg. 

Das  Gebiet  der  freien  Stadt  Hamburg,  uber  6  QMeilen  gross, 
liegt  itn  norddeutschen  Tieflande  an  der  untern  Elbe,  begrenzt  voa 
Holstein  und  Lauenburg,  und  durch  die  Elbe  von  Hannover  ge- 
trennt.  Es  besteht  aua  der  Stadt  Hamburg  und  mehreren  zerstreu- 
ten  Parzellen,  darunter  Bergedorf  gemeinschaftlich  init  Liibeck.  Die 
meist  protestantische,  uber  217.000  Seelen  starke  Bevolkerung  nie- 
dersachsischen  Stammes  lebt  in  2  Stadten,  Hamburg  (150.000)  und 
Bergedorf,  2  Marktflecken  (Ritzebattel,  Kuxhafen)  und  uber  50  Dor- 
fern.  —  Der  Boden  ist  eben,  theils  fruchtbares  Marsch-,  theils  Geest- 
land ,  und  bewassert  von  der  Elbe  und  ein  Paar  kleineren  Neben- 
flussen  derselben  (Alster,  Bille). 

Eine  ansehnliche  Nahrungsquelle  fur  die  Landbewohner  bildet 
die  Landwirthschaft;  der  Ackerbau,  der  Garten-  und  Obstbau 
und  die  Viehzucht  sind  erheblich.  Im  Amte  Ritzebiittel  sind  die 
Fischerei ,  der  Robbenschlag ,  die  Muschelkalkbrennerei  und  die 
Schiffahrt  erwahnenswerth. 

Von  hoher  Bedeutung  ist  die  gewerbliche  Industrie, 
doch  besteht  nebst  voller  Handelsfreiheit  ein  Zunftzwang  bei  den 
Gewerben.  Die  urnfangreichsten  Manufakturen  und  Fabrikeu  sind 
in  Segeltuchbereitung,  200  Zuckerraffinerien  mit  der  besten  europai- 
schen  Raffinade,  Tabak-  und  Cigarrenfabrikation ,  Eisengiessereien  , 
Maschinenbau,  die  Wollen-,  Leder-  und  Papierfabrikation,  der  Schiff- 
bau ,  die  Bereitung  von  Schreibfedern  (Hamburger  Kiele) ,  Seifen- 
und  Leimsiedereien ,  Holz-  und  Elfenbeinwaaren,  Dampfmahlmuh- 
len  u.  s.  f.  Im  J.  1855  war  der  Werth  der  deklarirten  Ausfuhr 
hamburgischer  Fabriks-  und  Gewerbserzeugnisse  uber  25 % 
Millionen  Mark  Banko. 

Hamburg  ist  der  erste  Handelsplatz  De  utschlands. 
Der  auf  freien  Prinzipien  beruhende  Handel  umfasst  alle  Natur- 
uiid  Industrie-Erzeugnisse  Deutschlands,  sowie  alle  Produkte,  welche 
uus  den  anderen  Erdtheilen  nach  Deutschland  kommen ;  denn  Ham- 
burg steht  mit  alien  wichtigeren  Lindern  der  Erde  in  kommerzieller 
Verbindung,  und  Deutschland  bezieht  den  grossten  Theil  der  Kolo- 
nialwaaren  iiber  Hamburg.  Einen  grossen  Theil  seines  bliihenden 
Handels  verdankt  es  seiner  gunstigen  Lage,  die  in  gleicher  Weise 
den  binnenlandischen  wie  den  auswartigen  Verkehr  begiinstigt. 
Durch  die  El  be- Schiffahrt,  die  Lebensader  fiir  den  deutechen 
Verkehr,  werden  diesem  Lande  nicht  nur  viele  Erzeugnisse  Oester- 
reichs  und  Bohmens,  Ober-  und  Niedersachsens  zugefuhrt,  sondern 
es  dehnen  sich  seine  Handelsoperationen,  begiinstigt  durch  die  zahlrei- 
ohen  Nebenflusse  und  deren  reiche  Kanalverbindung  auch  auf  die 
ostlichen  Lander  aus.  Allein  nicht  bios  fiir  den  Waarenverkehr, 


252 


auch  fiir  den  Wechselverkehr  ist  Hamburg  der  erate  Platz  Deutsch- 
lands.  Zum  ausgedehnten  Eigenhandel  kommen  noch  die  grossartig- 
sten  Speditions-  und  Kommissionsgeschaf  te ;  nur  die  Auswanderung 
ist  fiber  Hamburg  weniger  lebhaft  als  iiber  Bremen. 

Hamburg  unterhalt  den  Seeverkehr  hauptsachlich  mit  Eng- 
land, Frankreich,  Russland,  Nord-Amerika,  West-Indien,  Brasilien 
und  Chili;  in  neuester  Zeit  hat  es  auch  den  Verkehr  im  mittellan- 
dischen  und  adriatischen  Meere,  endlich  nach  Ostindien  und  Australien 
eroffnet.  Der  Flussverkehr  ist  am  starksten  mit  Preussen  und 
Polen ,  dann  mit  Mecklenburg ,  Sachsen  und  Bohmen,  Hannover, 
Lauenburg,  Lubeck  und  Anhalt.  Der  Seeverkehr  Hamburgs  ist 
fortwahrend  im  Steigen,  vom  Jahre  1845  bis  zum  Jahre  1858  be- 
trug  diese  Zunahme  89%.  (Im  J.  1845  betrug  der  Gesammtgehalt 
der  damals  eingelaufenen  3990  Schiffe  nur  iiber  292.000  Last  a 
4000  Pfund,  —  im  J.  1858  dagegen  4364  Schiffe  mit  552.000  Last.) 
Zu  Anfang  des  Jahres  1858  zahlte  Hamburg  491  eigene  Schiffe 
mit  beilaufig  64.000  Lasten.  —  Seit  dem  Jahre  1857  hat  die  Ver- 
pflichtung  zur  Deklarirung  der  Ausfuhr  aufgehort,  und  wir  kon- 
nen  sonach  nur  mehr  die  Einfuhr  zur  Beleuchtung  des  Handels- 
verkehrs  Hamburgs  angeben,  wozu  folgende  Uebersicht  dient : 

Gewicht 

(Netto-Zentner  &  100  Pfund) 


Seewarts 

Landwarts 

Zusammen 

Durchschnitt  der  Jahre 
1847  —  1856                 ..    151/    Millioa 

11  V   Millioa 

26  '/s  Million 

1857                     20  650  000 

16  155  000 

36  805  000 

1858*)  19657.000 

12,550  000 

32207000 

Werth 

in  Mark  Hamburger  Banko 


Seewarts 

Landwarts 

Zusammen 

Durchschnitt  de 
1847—1856. 

r  Jahre 
238  Millionen 

174  Millionen 

412  Millionen 

1857 

349  795  000 

339000000 

688  795  000 

1858.  . 

..264.735.000 

237.472.000 

502,206.000 

Von   dem  fiir  das  J.  1858  bezifferten  Werthe    der  Einfuhr  per  502  Millionen 
M.  B.  entfallen  auf: 

Kohstoffe  und  Halbfabrikate  nahezu  177  Millionen  M.  B. 

Verzehrungsgegenstande  „          99  „  » 

Manufakturwaaren  n          90  „  „ 

Knnst-  nnd  Industrieerzeugnisse  „          44          „  „ 

Kontanten  und   edle    Metalle   fiber      93          „  » 

Die  wichtigsten  Import-Artikel  sind: 


1857 

Kaffee 92 '/,    Million 

Zucker 51  „  „ 

Thee  uber 25.000  Viertel  Kisten 


Pfd. 


1858 

Kaffee 67  Millionen  Pfd. 

Zucker 47          „  „ 

Thee  uber 18.000  Viertel 


*)  Im  J.  1858  waren  die  Folgen  der  Handelskrisis    der    letzten  Monate  von  1857 
ungemein  ffihlbar ;  doch  hat  sich  Ham  burg  seither  wieder  bedeutend  erholt. 


253 


Reis,  Cacao,    Gewurze,  Sfidfriichte,  Wolle,   Baumwolle,   Tabak,   Wein,    Webe-   und 
Wirkwaaren  u.  s.  f. 

Zum  E x p or  t  gelangen  :  Getreide,  Leinwand,  Wolle,  Tuch,  b6bmiscb.es 
Glas,  Eisenwaaren,  Holz,  Salz-  und  Rauchfleisch  u.  s.  f. 

Der  Flussverkehr  Hamburgs  und  Altonas  auf  der  Elbe  ist  gleichfalls  an- 
sehnlich.  Im  J.  1857  betrug  die  Zahl  der  angekommenen  Fahrzeuge  nahe  an  5000 
mit  fiber  5  Millionen  Zentner  und  jene  der  abgegangenen  fiber  4700  mit  Waaren 
im  Gewichte  von  5V4  Millionen  Zentner.  —  Die  Zahl  der  Hamburger  FlussscbSffe 
betrfigt  fiber  1500. 

Hamburg  unterhalt  regelmassige  Dampf schiffabrts  -  Verbindungen 
mit:  Amsterdam,  Barcelona,  Bergen  (Norwegen,),  Bremerhaven,  Christiania,  Dun- 
kirchen,  Gool,  Gothenburg,  Grimsby,  Harburg,  Havre,  Helgoland,  Hull,  Leith,  Lon- 
don, Kuxhafen,  Magdeburg,  Newcastle,  New- York,  Rotterdam,  Stade  und  Brasilien. 

An  Forderungsmitteln  des  Handels  besitzt  Hamburg  1  Borse,  3  Banken 
^Hamburger  Bank"  (die  alteste  in  Dentschland,  seit  1619),  die  ^Vereinsbank"  und 
die  «norddeutsche  Bank"  (beide  seit  1856),  mehrere  Versicherungsanstalten,  Handels- 
und  Schiffahrtsvertrage  mit  fast  alien  handeltreibenden  Staaten,  zahireiche  Konsnlar- 
beamte  u.  s.  w.  Die  vielen  Lehranstalten,  sowohl  fur  gelehrte  Bildung  als  zur 
Hebung  der  Industrie,  des  Handels  und  der  Schiffahrt  wirken  nebst  mehreren  Ver- 
einen  erfolgreich  und  wohlthatig,  und  erfreuen  sich  sorgsamer  Pflege. 

Die  Staatsform  ist  die  republikanische.  Die  hSchste  Gewalt  ist  dem 
,,Senate"  und  der  BBiirgerschafttt  fibertragen.  Der  Senat  oder  Rath  ist  die  Exekutiv- 
behorde,  er  besteht  aus  4  ^Burgermeistern"  und  24  Senatoren,  welche  das  Raths- 
kollegium  bilden,  zu  dem  auch  4  Sindici  (gleichsam  Minister)  und  7  Sekretarien  ge- 
h&ren.  3  Bfirgermeister,  11  Senatoren,  die  Sindici  und  Sekretare  mussen  Rechcs- 
gelehrte  sein,  die  andern  dem  Kaufmannsstande  angehoren.  Die  Burgerschaft  besteht 
aus  4  ,,bargerlichen  Kollegien."  Dii!erenzen  zwischen  Rath  und  Biirgerscbaft  werdeu 
durch  eine  inapellable  Mausserordentliche  Deputation"  ausgeglichen. 


III.    Die  Schweiz. 

(Die  schweizerische  Eidgenossenschaft.) 
$.  138.  Grenzen.  Bestandtheile.  Bcvolkerung. 

752  nMeilen;  —  2,398400  (relativ  3190)  Einwohner,  darunter  593  per 
Mille  (%n)  Protestanten,  406%,  Katholiken,  1%,  Israeli  ten.  —  Nach  der  Nationa- 
litat  702%?  Deutsche,  226°/00  Franzosen,  55°/1)0  Italiener,  17%0  Rhatoromanen.  — 
Grenzen:  im  0.  Oesterreich  (Vorarlberg,  Tirol),  Liechtenstein,  —  im  S.  Sardinien, 
—  im  FT.  Frankreich,  —  im  N.  Baden,  der  Bodensee.  —  Ein  Bundesstaat  aus 
22  souveranen  Kantonen,  von  denen  drei  in  je  zwei  selbststandige  Landestheile  zer- 
fallen:  Unterwalden  (in  Ob-  und  Nidwalden),  Appenzell  (in  Ausser-  nnd  Innerrho- 
den),  Basel  (in  Basel-Stadt  und  Basel-Land). 

Bestandtheile  der  scliweizerischen  Eidgenossenschaft. 


Jahr 

Gr6sse 

Bevolkerung 

des 

Kantone 

QMei- 

Hauptort 

Einwohner- 
zahl 

Ein- 
trittes 

len 

absolute 

rela- 

in den 

tive 

Bund 

1 

Zurich  

33 

251.000 

7600 

Zfirieh 

18.000 

1351 

2 

Bern  

128 

460.000 

3600 

Bern  

27.600 

1353 

3 

Luzern  .    ... 

27 

138.000 

4960 

Luzern  .    ... 

10.000 

1332 

4 

Uri     . 

20 

14.500 

725 

Altdorf  . 

2100 

1307 

5 

Schwyz  

15 

44000 

2930 

Schwyz  .    ... 

5500 

1307 

'j 

Unterwalden  . 

13 

25.100 

1930 

jSarnen.    .  .  . 
(Stanz  

3400U. 
1900J   ' 

1307 

*)  Sarnen  Hauptort  von  Obwalden,  Stanz  von  Nidwalden. 


254 


Kantone 

Grosse 
in 

DMei. 
len 

Bevolkernng 

Hauptort 

Einwohner- 
zahl 

Jahr 
des 
Ein- 
trittes 
in  den 
Bund 

absolute 

rela- 
tive 

8 
9 
10 

n 

12 
13 

14 
15 
16 
17 

18 

19 
20 
—  1 
22 

Glarns  
Zug  
Freiburg  
Solothurn  .  .  . 

Basel  
Schaffhausen. 
Appenzell  .  .  . 

St.  Gallen... 
Graabfindten. 
Aargan  
Thurgau  

Tessin 

12 
4-s 

28 
15 

9 
6 

8 

37 
134 
25 
16 

52 

55 
96 
13 
5-» 

30.200 
17.500 
100.000 
69.600 

77.000 
35.300 
54.800 

169.600 
90.000 
200.000 
90.000 

118.000 

200.000 
82.000 
71.000 

65.000 

2517 
3930 
3570 
4640 

8550 
5880 
6850 

4585 
672 
8000 
5625 

2270 

3636 
854 
5460 

Glarus  

4000 
3300 
COOO 
5400 
27.300)  , 
3000}    I 
7700 
26001«~ 
2900}     ) 
12.000 
6100 
6000 
3450 
2000J 
3000}  ***) 
5000) 
18.000 
3000 
8000 
38000 

1352 
1352 
1481 
1481 

1501 
1501 
1513 

1803 
1803 
1803 
1803 

1803 

1803 
1814 
1814 
1814 

Freiburg  .... 
Solothurn  .  .  . 
(Basel  
JLiebtal  
Schaffhausen. 
j  Trogen  .... 
(Appenzell  .  . 
St.  Galleii... 
Chur 

Frauenfeld   .  . 
jBellinzona. 
•{Locarno  .  . 
(Lugano  .  .  . 
Lau-aune.  .  . 
3itten  
Neuenburg  . 
Genf  

Waadt  
Wallis  
Neuenburg  .  . 
Genf  

752 

2,398.400    |  3190  | 

In  geschichtlicher  Beziehung  heissen  die  ersten  13  Kantone  ndie  alten 
i\antone"  (Uri,  Schwyz  und  Unterwalden  auch  rUrkantone"),  die  andern  9  ndie 
neuen."  —  In  sprachlicher  Beziehung:  die  .welsche  Scbweiz"  (Tessin,  zum 
Theil  Granbundten) ;  —  die  Bfranz6sische  Schweiz"  (Wallis,  Waadt,  Genf,  Neuen- 
burg, zum  Theil  Freiburg);  —  und  die  ^deutsche  Schweiz"  die  abrigen  Kantone.  — 
Zam  grosseren  Theile  sind  katholisch:  Solothurn,  Luzern,  Zug,  Schwyz,  Uri,  Dn- 
rerwalden,  Freiburg,  Wallis  und  Tessin,  —  uberwiegend  p  r  o  tes  tan  tisch :  Glarus, 
Zurich,  Schaffhausen,  Basel,  Bern,  Neuenburg,  Waadt,  —  gemischt  (paritatiscb) 
iind:  Graubundten,  St.  Gallen,  AppenzeH,  Thurgau,  Aargan  und  Genf. 

Bodenverhaltni§se  und  Kliina.  Die  Scbweiz  ist  das  hiichste 
Gebirgsland  in  Europa.  An  75°/0  sind  A 1  pen  land,  der  Rest  ent- 
i'allt  auf  die  Hochebene  und  den  Jura;  die  Form  des  Tieflandes 
fehlt  ganzlicb.  Etwa  125  nMeilen  sind  Schneefelder,  die  Gletscber 
nehmen  an  50  und  die  Seen  uber  38  QMeilen  ein.  —  Von  den 
Alpen  durchziehen  Zweige  der  grajischen  und  ein  grosser  Theil 
der  ostlichen  Uralpen  das  Land  (die  Walliser-,  Adular-,  Berner-, 
Glarner-,  Schwyzer-,  Osturner-,  Vierwaldstatter-,  Tbur-  und  Rha- 
tischen  Alpen,  siehe  §.  25,  S.  23,  24).  Die  Kamme  dieser  viel- 
fach  nach  alien  Richtungen  verzweigten  Zuge  sind  reich  an  Kuppen 
und  Spitzen,  welcbe  hoch  fiber  die  Schneegrenze  emporragen;  zwi- 
schen  den  Verzweigungen  dehnen  sich  mehr  oder  minder  breite 
Alpenthaler  aus ,  die  meisten  eigenthiimlich  durch  die  Kulturver- 
haltnisse  der  Bewohner,  reich  an  erhabenen  ,  oft  wildromantischen 
Naturscenen.  Zahlreiche  Fliisse,  welche  bisweilen  prachtvolle  Was- 


*)  Basel  Hauptort  von  Basel-Stadt,  Liestal  von  Basel-Land.  —  **;  Trogen 
Hanptort  des  protestantischen  Ausserrhoden,  Appenzell  des  katholischen  Innerrho- 
den.  —  ***)  Die  Regierung  des  Kantons  Tessin  hat  abwechselnd  ihren  Sitz  in  den 
genannten  drei  Stadten,  und  ubersiedelt  alle  6  Jahre  aus  einer  zur  andern. 


255 

serfalle  bilden  aber  durch  Ueberschwemmungen  schon  oftmals  grosse 
Verheerungen  angerichtet,  bewaseern  die  Thaler  und  werden  h'aufig 
zu  industriellen  Zwecken  benfltzt.  Dagegen  sind  die  Thaler  auch 
furchtbaren  Lawinen  und  verheerenden ,  wenn  gleich  selteneren 
Bergstilrzen  ausgesetzt.  Die  meisten  Thaler  sind  mittels  Gebirgs- 
passen  und  Einsattlungen  unter  einander  verbunden,  iiber  mehrere 
fiihren  mit  grossem  Kostenaufwande  ausgefuhrte  Kunststrassen. 
(Ueber  den  Simplon,  St.  Gotthart,  St.  Bernhardin,  Spliigen,  Julier, 
Bernina  und  die  Maloja).  Gegen  Norden  senken  sich  die  Alpen 
langsamer  zur  Hochebene  herab,  der  Sudabfall  in  die  Po-Ebene  ist 
rascher  und  vielfach  steiler. 

Im  grossen  Halbkreise  vom  Genfer-  bis  zum  Bodensee  an  dem 
Xordwest-  und  Nordabhange  der  Alpen  ist  die  durch  Mannigfaltig- 
keit  und  Fruchtbarkeit  eo  wie  durch  viele  Seen  ausgezeichnete, 
zwischen  900  —  1400'  hohe  Hochebene,  aus  welcher  sich  einzelne 
Hugelketten,  aber  auch  grossere  Bergreihen  erheben.  Von  Siidwest 
nach  Nordost  begrenzt  das  Kettengebirge  des  Jura  die  genannte 
Hochebene  (siehe  S.  28). 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Bodenverhaltnisse  bedingt  eine  grosse 
Verschiedenheit  der  klimatischen  Verhaltnisse.  Wahrend  in  den 
siidlichen  Gegenden  von  Tessin,  in  Unterwallis,  Waadt  und  Genf 
fast  italienisches,  mildes  Klima  herrscht  ;  ist  es  auf  der  Hochebene 
und  den  niederen  Alpenthalern  gemassigt;  dagegen  folgt  in  den 
hoheren  Alpenthalern  sowie  auf  den  Alpen  unter  der  Schneegrenze 
auf  einen  kurzen  ,  sehr  heissen  Sommer  ein  sehr  strenger ,  langer 
Winter.  Die  Schneegrenze  beginnt  am  Nordabhange  bei  8200',  am 
Sudabhange  erst  bei  9500' ;  von  da  an  breiten  sich  die  grossen 
Schnee-  und  Eismassen  aus,  von  denen  sich  in  die  muldenformigen 
Bergabhange  die  Eisfelder  und  Gletscher  herabziehen.  Im  Allge- 
meinen  herrscht  eine  grosse  Veranderlichkeit  in  der  Witterung;  die 
atmospharischen  Niederschlage  fallen  sehr  reichlich ,  die  Luft  ist 
rein  und  scharf,  das  Klima  gesund.  —  Unter  den  Winden  tobt  der 
;)F6hna  (Siidwind)  namentlich  imFriihlinge  und  Herbste,  und  richtet 
bisweilen  grosse  Verwustungen  an.  In  den  hoheren  Bergregionen 
herrschen  haufige  Sturme. 

Gewasser.  In  den  ausgedehnten  Schnee-  und  Gletscherfeldern 
sind  die  Quellen  sehr  zahlreicher  Fliisse,  welche  im  Fruhlinge  und 
Sommer  sehr  wasserreich  sind.  In  ihrem  Quellgebiete  sind  sie  zu- 
meist  reissende  Wildbache ,  welche  nicht  selten  iiber  Felsen  hinab- 
stiirzen  und  die  prachtvollsten  Wasserfalle  bilden  (Staubbach 
bei  Lauterbrunnen  ,  Giessbach  bei  Brienz,  Rh  ein  fall  un- 
terhalb  Schaffhausen  und  viele  andere).  Fur  die  Schiffahrt  sind 
nur  wenige  geeignet.  Die  Fliisse  der  Schweiz  ergiessen  sich  in 
4  Meere: 

a)  in  die  Nordsee:  der  Rhein  (siehe  S.  50),  nimmt  rechts 
die  Plessur  und  die  Landquart,  —  links  die  Thur  mit  der  Sitter), 
die  Toss ,  die  A  a  r  und  einige  kleinere  Flusse  vom  Jura  auf. 
In  die  A  a  r  ergiesst  sich  die  Reuss  aus  dem  Vierwaldstatter-  und 
die  Limmat  aus  dem  Ziircher-See.  (Letzterer  See  steht  durch  den 
Linth-Kanal  mit  dem  Wallenstatter-See  in  Verbindung); 


256 

b)  in  das  mi  t  te  1  landisch  e  Meer :    die  Rhone  (Seite  53), 
welche  den  Genfer-See  durchfliesst ; 

c)  in  das    adriatische  Meer  geht   der  Tessin  (Nebenfluss 
des  Po)  durch  den  Langen-See  (lago  maggiore); 

d)  zu  dem  Gebiete  des  schwarzen  Meeres  gehort  der  Inn. 
Von    den  vielen  Seen    gehoren  die  meisten  dem  Flussgebiete 

des  Rhein  an.  Die  meisten  werden  mit  Segelschiffen,  folgende  auch 
mit  Dampfschiffen  befahren:  Genfer-,  Neuenburger-,  Bieler-, 
Murtner-,  Brienzer-,  Thuner-,  Vierwaldstatter-,  Zuger-,  Wallen- 
statter-.  Zurich-,  Boden-See,  der  lago  maggiore  und  der  Luganer- 
See.  (Siehe  §.  44,  S.  58). 

Sehr  reich  ist  das  Land  an  Heilquellen ,  darunter  sind  vor- 
nehmlich  bekannt :  die  B'ader  von  Baden  und  Schinznach 
(K.  Aargau),  Pfaeffers  und  Ragatz  (K.  St.  Gallen),  Leuk 
(K.  Wallie),  St.  Moriz,  Tarasp  (K.  Graubiindten)  und  andere. 

Politische  Eintheilung.  Die  22  Kantone  bilden  einen  Bun- 
desstaat.  Dem  Bunde  obliegt  die  Wahrung  der  Unabhangigkeit 
nach  Aussen,  Handhabung  der  Ruhe  und  Ordnung  im  Innern, 
Schutz  der  Freiheit  und  der  Rechte  der  Eidgenossen  und  Beforde- 
rung  ihrer  gemeinsamen  Wohlfahrt.  —  Die  oberste  Gewalt  des 
Bundes  wird  durch  die»Bundesversammlunga  ausgeiibt,  welche 
aus  dem  ^Nationalr  a  th"  (120  Mitglieder)  und  dem  BS  tan  de- 
rat  h  (44  Mitglieder)  besteht.  Die  oberste  vollziehende  und  leitende 
Behorde  ist  der  »Bun  des  rath"  (7  Mitglieder),  abwechselnd  fuhrt 
ein  Mitglied  desselben  durch  6  Monate  den  Vorsitz  als  BBundes- 
Prasident."  —  Die  Rechtspflege ,  soweit  sie  in  den  Bereich  dea 
Bundes  fallt,  iibt  das  JBundesgericht"  (1 1  Mitglieder) ;  in  den 
Kantonen  sind  Landes-  und  Bezirksgerichte.  —  Die  Bundesbehor- 
den  haben  ihren  Sitz  in  der  Landeshauptstadt  Bern. 

Jeder  Kanton  ist  souveran,  er  ordnet  selbststandig  seine  inneren  Angele- 
genheiten.  In  den  Kantonen  Uri,  Glarus,  Umerwalden  und  Appenzell  versam- 
melt  sich  die  gesammte,  stimmberechtigte  Bfirgerschaft  (die  BLandsgem  einde"), 
und  stimmt  uber  vorgeschlagene  Gesetze,  Vertrage,  Besetzung  der  Amtsstellen  u.  s.  w. 
ab;  in  den  fibrigen  Kantonen  wahlt  das  Volk  (in  den  ,,Bezirksgemeindentt)  Bepra- 
sentanten  zu  einer  Versammlung,  gewohnlich  der  ^Grosse  Rath"  (die  Mitglieder 
^Kantonsrathe")  genannt.  Dieser  wahlt  eine  vollziehende  Behtirde,  welcher  BKleiner 
Bath"  oier  nStaatsrath"  oder  nRegierungsrath"  heisst,  an  dessen  Spitze  steht  der 
nLandamman"  als  President.  Der  Kanton  zerfallt.  in  Bczirke  mit  je  einem  MBezirks- 
amman"  an  der  Spitze,  derLeiter  der  autonomen  Gemeinde  ist  der  Gemeindeamman." 

Bemerkenswerthe  Orte  sind  im: 

1.  Kanton  Zurich:  —  Zurich,    Winterthur,    Eglisau,  Bu- 
lach,  Cappel,  Horgen,  Wadenschwyl,  Uster,  Pfaffikon,  Griiningen. 

2.  Kanton    Bern:    Bern,    Thun ,    Interlacken ,    Meyringen, 
Brienz,    Langnau,    Burgdorf,    Laupen,    Biel,    St.    Imier,  Minister, 
Delsberg  (Delemont),  Pruntrut  (Porrentruy). 

Thaler:  Haslithal,  mit  einem  Saumweg  uber  die  nGrimselu  in  das 
obere  Rhonethal,  Zugang  znm  ,,Finsteraarhorn;''  —  Lauterbrunnenthal 
von  der  Jungfrau,  dem  Finsteraarhorn  und  andern  hohen  Bergen  eingeschlos- 
sen,  viele  Wasserfalle  (Staubbachfall  beim  Dorfe  Lauterbrunnen) ;  —  Grin- 
delwaldthal  mit  tief  herabreichenden  Gletschern,  Weg  auf  das  ,,FaQlhorn"; 
Si  mm  en  thai  mit  sch6nen  Alpen,  vorzuglichem  Hornvieh,  beruhmten  Kase- 
reien;  —  Emmenthal,  sehr  fruchtbar  und  wohlhabend,  Emmenihaler  Kase ; 
—  im  Jura:  das  Erguel-  Oder  St.  Immerthal,  gewerbsfleissige,  wohl- 


257 

habende  franzosische  Bevolkerung,  Dhrmacherei,  Spitzen;   —  Munsterthal 
mit  Eisenhammern. 

3.  Kan  ton  Luzern:  —  Luzern,  Sernpach,  Sursee,  Willisau. 
Das  grosse,  fruchtbare  Thai  Entlibuch  mit  einer  frOhlichen  Bevolkerung, 

bekannt  auch  durch  gymnastische  Feste. 

4.  Kanton  Uri:  —  Altdorf,    Fluelen,  Burglen,  Seelisberg, 
Amsteg,  Andermatt. 

Das  Urserenthal  von  der  Furka  zum  Urnerloch;  die  alte  and  die  neue 
wTeufelsbriickea  fiber  die  Reuss;  ^Tellsplatte"  am  Fusse  des  Axenberges  am 
Vierwaldstatter-See  ;  gegenuber,  am  Fusse  des  Seelisberges  das  nGrutli." 

5.  Kanton  Schwyz:  —  Schwyz,  Brunnen,  Gersau,  Weggis, 
Kiissnacht,    Immensee,  Einsiedeln,  Lachen,  Wollerau,  Insel  Uffnau 
im  Zurich-See. 

MHohle  Gasse"  mit  der  ,,Tells-Kapelle"  bei  Kiissnacht;  —  der  (5540'  hohe) 
Rigi  zwischen  dem  Vierwaldstatter-,  Lowerzer-  und  Zuger-See,  gegenuber 
dem  ,,Pilatu8;'  mit  der  prachtvollen  Rundaussicht ;  —  das  scheme  Alpenthal 
Muottathal.  —  Am  2.  September  1806  wurden  5  Dorfer  (Goldau,  Busingen,) 
durch  einen  Bergsturz  (Rossberg)  verschuttet. 

6.  Kanton  Unterwalden:  —  Sarnen,    Engelberg,  Stanz, 
Beckenried,  Stanzstadt,  Alpnach. 

Das  wilde  Melchthal  und  das  wildromantische  E  ngelber  ger-Thal. 

7.  Kanton  Glarus:  —  Glarus,    Mollis,    Nafels,    Linththal 
(Stachelberger  Bad),  Elm,  Schwanden. 

8.  Kanton  Zug:  —  Z  u  g,  Baar,  Morgarten  (Kapelle  St.  Jakob). 

9.  Kanton    Freiburg:    —    Freiburg,    Murten ,     Gruyeres, 
(Greyerz),  Bulle,  Romont,  Kue. 

Die  sumpfige  Landschaft  zwischen  dem  Neuenburger-,  Bieler-  und  Murten- 
See  heisst  das  Uechtland. 

10.  Kanton  Solothurii:  —  Solothurn. 

11.  Kanton   Basel    (a.   Baselstadt):   —  Basel,    St.  Jakob, 
Schweizerhall ;   —    (b.  Baselland):  Liestal,  Sissach,  Basel- Augst. 

12.  Kauton  Schaft'hausen:  —  Schaffhausen. 

13.  Kanton  Appenzell:  —  (a.  Innerrhoden)  — Appenzell, 
Weissbad ;  —  b.  Ausserrhoden)  —  Trogen,    Speicher,    Herisau, 
Gais,  Heiden. 

14.  Kanton  St.  G  alien:  —  S  t.  G  alien,  Eorschach,  Rheineck, 
Altstetten,  Werdenberg,    Sargans,    Ragatz,    Pfaffers,    Rapperschwyl, 
Uznach,    Wallenstadt.  —  In  der  Landschaft  Toggenburg:  Wyl, 
Flavvyl,  Lichtensteig,  "Wattwyl,  Ebnat,  Wildhaus. 

15.  Kautou  Graubundten    (ital.  Grigione),  —  Chur,  Dis- 
sentis,  Mayenfeld,  Reichenau,  Hinterrhein,  Splugen,  Thusis,  Malans, 
St.  Moriz,  Tarasp,  Puschlav  (Poschiavo). 

Thaler.  Das  Vorderrheinthal  mit  vielen  grossen  Seitenthalern ;  — 
das  milde  und  fruchtbare  Rheinthal  zwischen  Chur  und  Mayenfeld ;  —  das 
Prattigau,  ein  wildrornautisches  Thai  am  Fusse  der  Rhatikonkette,  be- 
Wassert  von  der  Landquart;  —  das  Engadin,  ein  langes  Hochthal,  das 
Quelland  des  Inn,  mit  vielen  Seitenthalern,  schonen  Diirfern,  einer  wohlhaben- 
den  rouianischen  Bevolkerung  und  den  beruhmten  Badeorten  St.  Moriz  und 
Tarasp.  (Der  Maloja-Pass  verbindet  das  Engadin  mit  dem  Bregellthal,  der 
Bernina-Pass  mit  dem  Puschlav,  mehrere  Passe  mit  dem  Veltlin  und  dem 
Rheinthal);  —  das  Miinsterthal,  Weg  fibej  das  Wormserjoch  in  das  Velt- 
lin;  —  das  Mis  oxer- Thai  zum  St.  Bernhardin-Pass ;  von  Misocco  an  ita- 
lienischer  Himmel,  italienische  Vegetation  und  BevOlkerung;  —  die  Land- 
Kluu's  flandels-Gcographie.  2.  Aufl.  17 


schaft  Puschlav,  Hochland    von    der   Bernina    bis    zum  Veltlin,    im    Suden 
italienischer  Charakter. 

16.  Kantoii  Aargau:  —  Aarau,    Aarburg,    Zofingen,  Lenz- 
Imrg,    Zurzach ,    Laufenburg  ,    Seckingen  ,    Rheinfelden  ,    Windisch 
(Vindonissa),  Brugg,  Baden,  Schinznach  (Ruine  Alt-Hab  sburg), 
KOnigsfelden. 

17.  Kant  on  Thurgau:  --  Frauenfel  d,  Romanshorn,  Arbon 
(Schlosser   Gottlieben   und  Arenenberg),    Bischofszell ,    Weinfelden, 
Diessenhofen. 

18.  Kanton  Tessin  (ital.  Ticino).  —  Bellinzon  a  (Bellenz), 
Locarno,  Lugano,  Airolo,  Magadino. 

19.  Kanton  Waadt  (franz.    Pays  de  Vaud). —  Lausanne, 
Vevay  (Vivis),   Merges  (Morsee),    Aubonne,    Noyon  (Neuss),  Yver- 
dun  (Ifferten),  Grandson  (Gransee),  Moudon,  Orbe. 

20.  Kanton  Wallis  (franz.  Valais).  —  Sion  (Sitten),  Martigny 
(Martinach),  Leuk,  Brieg,  Sierre  (Siders). 

21.  Kan  ton  Neuenburg  (Neufchatel) :  —  Neuenburg  (Neuf- 
chatel),  Valengin,  Boudry,  Locle,  La  Chaux  de  Fonds. 

Das  sehr  gewerbreiche  Jarathal  Val  de  Travers,  —  das  schauerliche 
Felsenthal  Val  deRuz,  —  die  Jurathaler  von  Locle,  la  Chaux  deFonds 
mit  der  beriihmten  Uhrenfabrikation. 

22.  Kanton  Genf  (Geneve):  —  Genf  (Geneve),  Carouge. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Das  Hochgebirgsland  mit  den  grossen  unproduktiven  Strichen 
kann  trotz  der  im  Allgemeinen  fleissig  und  rationell  betriebenen 
Landwirihschaft  den  Bedarf  der  dichten  Bevdlkerung  nicht  decken, 
und  nahe  an  2/3  des  benothigten  Getreides  mussen  importirt  wer- 
den.  Nur  die  Kantone  Aargau ,  Luzern  und  Solothurn  erzeugen 
Getreide  iiber  den  Bedarf;  in  Schaffhausen,  Basel,  Thurgau  und 
Waadt  geniigt  nur  in  ,,guten"  Jahren  die  Produktion;  —  alle 
ubrigen  sind  auf  den  Import  angewiesen.  —  Viel  Flachs  und 
Hanf  sowie  Oelpflanzen  haben  Thurgau,  St.  Gallen  und  Bern; 
Tabak  wird  in  den  ebeneren  Gegenden  in  Freiburg,  Waadt  und 
Tessin  gebaut.  —  Der  Ob  s  t  b  a u  wird  sorgfaltig  betrieben  ,  der 
reiche  Ertrag  befriediget  einerseits  den  starken  Konsum,  andern- 
seits  wird  Obst  zu  Obstmost  verwendet,  oder  in  gedorrtem  Zustande 
auch  exportirt.  Basel,  Bern,  iiberhaupt  die  Hochebene  zwischen 
den  Alpen  und  dem  Jura,  dann  Graubiindten  sind  hierin  besonders 
erwahnenswerth.  Das  Easier  ,,Kirschwasser*  wird  ausgefiihrt;  in 
den  siidlichen  Kantonen  werden  auch  Kastanien,  Niisse,  Mandeln 
und  Feigen  gewonnen.  Ein  wichtiges  Erzeugniss  ist  der  Wein. 
In  der  sudweetlichen  Schweiz,  besonders  an  den  Ufern  des  Genfer-Sees 
wird  vorziiglicher  Wein  (La  Cote)  gewonnen  ,  auch  in  Waadt  (la 
Vaud)  und  bei  Neuenburg ,  dann  im  Kanton  Schaffhausen,  im  St. 
Galler  Rheinthale,  in  Tessin,  in  Graubundten ,  Thurgau  und  am 
Zurich-See  ist  die  Erzeugung  eine  der  Quantitat  nach  zwar  ansehn- 
liche,  doch  in  der  Qualitat  vielfach  verschiedene;  sie  deckt  iibrigens 
den  Bedarf  nicht.  Die  (jewachse  von  la  Cote,  la  Vaud  (Ryfwein) 
und  Yvorne  gel  ten  als  ausgezeichnet.  Holz  ist  trotz  der  vielen 
Waldungen  nicht  im  Ueberflusse  vorhanden,  da  .eine  geregelte  Forst- 


259 

kultur  erst  in  neuester  Zeit  Platz  gegriffen  hat;  reich  sind  in  dieser 
Beziehung  die  Urkantone  und  Graubundten,  eigentlicher  Mangel 
herrscht  kaum  irgendwo.  Das  Ahorn-  und  Buchsbaumholz  werden 
zu  den  geschmackvollen  Schnitzereien  und  vielen  Gerathen  benutzt. 
Einen  grossen  Reichthum  besitzt  die  Schweiz  an  nahrhaften  Alpen- 
pflanzen  und  Grasern,  an  Farbekrautern  und  vorzuglichen  Medi- 
zinalkrautern. 

Einen  Glanzpunkt  bildet  die  Rindviehzucht,  unterstiitzt  durch 
die  vortreff lichen  Weiden  in  den  Alpenthalern  und  an  den  krauter- 
reichen  Bergabhangen ,  wo  die  Alpenwirthschaft  in  sehr  gewinn- 
reicher  Art  betrieben  wird.  Der  Stand  des  Rindviehes,  auf  dessen 
Veredlung  man  eine  grosse  Sorgfalt  verwendet,  und  welches  fast 
den  grossten  Reichthum  des  Landes  bildet,  wird  im  Sommer  auf 
900.000,  im  Winter  auf  600.000  Stuck  angesetzt.  Zu  oberst  steht 
hierin  Bern  (Emmen-  und  Simmenthal) ,  dann  Freiburg  (Gruyeres), 
Schwyz,  Appenzell  und  Glarus ,  sowie  die  Urkantone  und  Grau- 
bundten. Beriihmt  ist  der  Schweizer  K  a  s  e ,  welcher  einen 
hochst  bedeutenden  Handelsartikel  bildet ,  und  die  Butter  ( in 
Bern :  Emmenthaler-,  Simmenthaler-  und  Saanenkase,  —  in  Frei- 
burg: Gruyeres-Kase  [Groyer],  —  der  Ureerenkase  aus  Uri,  —  der 
Schabzieger  [griiner  Krauterkase]  aus  Glarus  und  Appenzell  u,  e.  w.)  *). 
—  Die  Schafzucht  ist  bei  weitem  minder  erheblicb,  in  den  ho- 
heren  Gebirgsgegenden  werden  vielZiegen  gehalten.  DiePferde 
eind  meist  grosser,  schwerer  Race  (Schwyz,  Freiburg,  Berner- 
Oberland),  in  Tessin  und  Wallis  halt  man  viel  Esel  und  Maulthiere. 
Die  Bienenzucht  wird  in  Tessin,  Wallis  und  Bern,  die  Zucht  der 
Seidenraupe  in  Tessin  gepflegt.  —  Die  Fischerei  gibt  eine  relativ 
grossere  Ausbeute  als  die  Jagd. 

Der  Bcrgbau  ist  im  Ganzen  von  geringerer  Wichtigkeit ,  da 
Metalle,  namentlich  edle,  fast  ganzlich  fehlen.  Die  Eisengewin- 
nung  deckt  etwa  die  Halfte  des  Bedarfes :  relativ  am  starksten  ist 
sie  im  Juragebiete  (Bern,  Solothurn)  ;  —  auf  Zink  und  Blei 
wird  in  Graubiindten  gebaut.  —  Braun-  und  Steinkohlen- 
lagcr  finden  sich  sowie  Torf  zumeist  in  den  nordlichen  Kantonen, 
obwohl  nicht  in  grosser  Ausdehnung.  Bergkrystalle  von  be- 
sonderer  Schonheit  liefern  alle  Hohen  der  grossen  Alpenkette  in 
Wallis  und  im  Berner-Oberland ,  besonders  der  St.  Gotthart  und 
Grimselwald.  Vorzuglicher  Marmor  wird  im  Melchthale  und  auf 
dem  Splugen  gebrochen.  An  Salz  hat  das  Land  bei  dem  starken 
Bedarfe  (iiber  600.000  Zentner")  zur  Kasebereitung  u.  s.  w.  grossen 
Mangel ;  die  heimischen  Salinen  zu  Bex  (Waadt)  und  Schweizerhall 
(Baselland)  decken  kaum  ein  Viertheil  des  Bedarfes. 

Die  Industrie  in  der  Schweiz  steht  im  Ganzen  auf  einer  sehr 
hohen  Stufe.  Hat  sich  dieselbe  bis  jetzt  in  den  Urkantonen,  in 
Tessin,  Wallis  und  Graubiindten  noch  minder  entfaltet;  so  stehen 
Zurich,  Basel,  Bern,  Genf,  Neuenburg,  St.  Gallen,  Glarus  und  Ap- 

*)  Die  Ausfuhr  an  Schweizcrkase  betrug  im  J.  1855  nahe  131.000  Zentner;  im 
J.  1856  uber  147.250  Zentner.  An  der  Pariser  landwirthschaftlichen  Ausstellung  von 
1856  wies  die  Schweiz  die  vorzQglichsten  Qaalitaten  auf.  Schweizerkase  bildet  auch 
einen  der  hanptsachlichsten  Einfuhrartikel  in  Californien. 

17* 


260 

penzell-Ausserrhoden  mit  den  ersten  industriellen  Staaten  Europas 
in  vielen  Zweigen  auf  gleicher  Stufe  ,  in  einzelnen  sind  sie  sogar 
uniibertroffen.  Die  geographische  Lage  der  Schweiz  ist  zwar  der 
Entwickelung  der  Industrie  nicht  besonders  giinstig.  Nirgend  pro- 
duzirt  das  Land  die  rohen  Stoffe  fiir  seine  Fabriken ,  es  besitzt 
keinen  Hafen  fiir  die  Ausfuhr  ausser  unter  Bedingungen ,  welche 
die  seefahrenden  Nachbarn  ihm  auferlegen.  Die  Baumwolle  komnit 
vom  Mittelmeere  oder  vom  Atlantik  auf  einem  langen  und  beschwer- 
lichen  Wege  iiber  die  Alpen  nach  der  Schweiz;  —  die  Seide  holen 
sie  aus  Italien,  —  die  Wolle  aus  Deutschland ,  —  die  Fabriken 
sind  durch  keinerlei  schutzende  oder  besonders  begunstigende  Ge- 
setzgebung  unterstutzt;  und  doch  haben  sich  die  industrib'sen,  unter- 
nehmenden  Schweizerfabrikanten  durch  tiichtige  technische  Bildung 
und  festhaltend  an  dem  Prinzipe  eines  freien  Verkehrs  anfangs  un- 
beachtet,  ganzlich  unbeschiitzt,  durch  eigene  Thatkraft  siegreich  den 
Weg  zu  alien  Markten  der  Erde  gebahnt. 

Die  epeziellen  Industriekreise  der  Schweiz  lassen  sich  zwar 
auf  die  Boden-  und  geschichtlichen  Verhaltnisse  zuriickftihren ; 
wichtiger  jedoch  ist  die  Betrachtung  der  geographischen  Lage  und 
Oertlichkeit  der  verschiedenen  gewerblichen  Richtungen.  —  Her- 
vorragend  sind  die  Alpenwirthschaft  und  die  Viehzucht. 
Der  Ertrag  der  Milch-,  Butter-  und  Kasebereitung  wird  mit  min- 
destens  33  Millionen  Francs  bewerthet.  Unweit  der  Alpenwirth- 
schaft haben  die  Holzs  chni  tzerei  und  die  mechanischen 
Sagemiihlen  mit  den  Parqueterie-  und  M  ob  elwerkstat- 
t  e  n  sich  angesiedelt.  An  der  Verbindung  der  Thaler  mit  den  vor- 
liegend^n  Ebenen,  wo  laufende  Wasser  den  Betrieb  erleichtern, 
zieht  sich  die  Zone  der  Garbereien  hin.  Der  Tabakbau  hat 
sich  mehr  nach  dem  Absatze  gerichtet,  das  heisst  gegen  die  west- 
liche  und  siidliche  Grenze,  doch  bestehen  auch  im  Norden  mehrere 
Fabriken.  —  Nach  den  Industriezweigen  vertheilt  ergibt  sich  fol- 
gende  Uebersicht: 

Der  bedeutendste  Zvveig  ist  die  Baum  wollindu  stri  e.  Das 
Land  verarbeitet  iiber  26  Millionen  Pfund,  welche  mit  mehr  als 
1,200.000  Spindeln  versponnen  werden.  In  feinen  Geweben  (Mus- 
selinen)  und  Druckwaaren  (Calicos  und  Indiennes)  konkurrirt  es  nicht 
nur  mit  England,  sondern  es  gehen  sogar  grosse  Quantitaten  dort- 
hin.  Der  Hauptsitz  ist  der  Kanton  Zurich  ( Wadenschwyl, 
Uster,  Winterthur  u.  a.);  zunachst  steht  das  Glarner-Land 
(Glarus,  Mollis)  ,  welches  der  Ausgangspunkt  aller  bedeutenden 
Spinnereien,  Webereien  und  Kattundruckereien  war;  die  Druckereien 
und  (Tiirkischroth-)  Farbereien  arbeiten  zumeist  fur  den  Export 
nach  der  Levante.  Dann  folgen  Frauenfeld,  Schaff hausen ,  St. 
Gallen  mit  dem  betriebsamen  ^Toggenburg"  (Wyl,  Flawyl,  Watt- 
wyl,  Ebnat  u.  a.),  dem  Mittelpunkt  der  Buntweberei  mit  erheblichem 
Export  nach  der  Levante  und  Indien ;  —  ferners  Appenzell  (Heri- 
sau,  Gais),  Zofingen,  Solothurn,  Biel,  Neuenburg  und  Genf.  — 
Leinwand  liefern  fast  alle  Kantone,  doch  bildet  St.  Gallen  den 
Mittelpunkt,  wo  auch  die  grossten  Bleichen  bestehen  und  dessen 
Fabricate  sehr  geschatzt  werden,  St.  G?llen  und  Appenzell  fabri- 


261 

ziren  die  schonsten  Leinen,  Musseline  und  sonstige  feine  Stoffe,  die 
Weissstickereien  der  Ostschweiz  sind  sehr  beruhmt.  Schleier 
und  Tafelzeuge  erzeugt  Herisau  (Appenzell),  Damast  Rorschach 
(St.  Gallen) ;  im  Kanton  Neuenburg,  und  z\var  in  den  Jurathalern 
Travers  und  Locle  werden  die  bekannten  BLausannerK-Spitzen  ver- 
fertiget.  Auch  Thurgau  und  Bern  (Emmenthal)  sind  in  dieser  In- 
dustrie bekannt.  —  Die  Fabrikation  der  Seidenwaaren  ist  in 
fortwahrendem  Wachsen.  Nebst  der  eigenen  Produktion  von  Roh- 
seide  (in  Tessin  und  Wallis)  wird  noch  viel  an  importirter  roher 
und  gefarbter  Seide  verarbeitet.  Im  J.  1857  betrug  die  verarbeitete 
Rohseide  iiber  21  Tausend  Zentner  im  Werthe  von  iiber  55  Mil- 
lionen  Francs,  woraus  31  %  Tausend  Zentner  Waare  im  Werthe 
von  iiber  233  Millionen  Francs  erzeugt  wurden.  Im  grossen  Mass- 
stabe  wird  dieser  ludustriezweig  in  Zurich  und  Basel  und  in 
deren  Umgebungen  betrieben.  Die  meisten  Seidenstoffe  (Florence) 
fabrizirt  Zurich  (im  Werthe  von  35 — 40  Millionen  Francs),  welche 
es  nach  Deutschland,  Russland,  Italien,  England  und  America,  ja 
selbst  nach  Frankreich  exportirt.  Hier  konzentrirt  sich  auch  fast 
der  ganze  Handel  mil  roher  Seide,  welche  aus  Italien  und  aus 
Brussa  bezogen  wird.  Basel  erzeugt  zumeist  Modt bander,  deren 
im  Betrage  von  iiber  10  Millionen  Francs  ausgefuhrt  werden,  dann 
auch  Taffet  und  Atlas  (im  Gesammtwerthe  wie  fast  Zurich).  Ge- 
schatzt  sind  die  einfacheren  Bander  aus  Aarau  und  Zofingen, 
der  Taffet  aus  Bern;  Genf,  Neuenburg,  Winterthur,  Luzern,  Frauen- 
feld,  Glarus  und  Solothurn  beschaftigen  sich  gleichfalls  mit  dieser 
Industrie.  —  Sehr  ausgedehnt  und  wichtig  ist  die  Uhrenfabri- 
kation,  welche  den  ersten  Rang  auf  dem  Weltmarkte  behauptet. 
Der  Hauptsitz  ist  in  Genf  und  Umgebung,  in  den  Jurathalern  von 
Neuenburg  (Locle,  laChauxdeFonds,  Fleurier,  Val  Travers), 
zum  Theil  in  Waadt  und  Bern.  Es  werden  im  Jahresdurcbschnitte 
iiber  200.000  Taschenuhren  (darunter  iiber  80.000  goldene  Damen- 
uhren),  dann  Spieldosen,  Toilettenkastchen  mit  Spielwerken  ,  rohe 
Uhrwerke,  Gold-,  Silber-  und  Bijouteriewaaren  der  feinsten  Art 
verfertiget,  und  alle  europaischen  und  aussereuropaischen  Markte 
damit  versorgt.  Die  Ausfuhr  an  Uhren  und  Uhrenbestandtheilen 
erreichte  im  J.  1857  einen  Werth  von  nahe  102  Millionen  Francs 
(die  Einfuhr  8V4  Million  Francs).  —  Auch  in  der  Stahlwaa- 
renfabrikat  ion  geniessen  die  gewerb-  und  kunstreichen  Jura- 
thaler  begriindeten  Ruf,  die  Mechaniker,  Messer-  und  Waffenschmiede, 
Vergolder,  Emailleurs  u.  s.  f.  liefern  gesuchte  Waare,  dessgleichen 
die  dortigen  Gold-  und  Silberarbeiter,  Juwelen-,  Achat-  und  Kry- 
stallarbeiter.  —  Aarau,  Bern,  Genf  liefern  mathematische  und 
physikalische  Instrumente,  Ziirich  Maschinen  ,  die  Guss- 
stahl-  und  Gewehrfabrik  in  Schaffhausen  sowie  die  Gewehrfabrik 
in  Genf  und  die  Kanonengiesserei  in  Aarau  sind  bekannt.  —  Die 
Tuchf  abrikation  ist  verhaltnissmassig  minder  bedeutend  ;  wich- 
tiger  ist  jene  in  Leder,  worunter  das  Sattler-  und  Riemerzeug 
und  feines  Schuhwerk  von  Genf,  Lausanne ,  Vevay  und  Noyon, 
sowie  Zurich  und  Wadenschwyl  sehr  geschatzt  sind  und  zur  Aus- 
fuhr kommen,  Basel  und  Liestal  verfertigen  feine  Handschuhe, 


262 

das  zubereitete  und  gefarbte  Gemsenleder  wird  aus  dem  Hasli-Thale 
(Bern)  exportirt.  —  Das  Papier,  welches  im  vorigen  Jahrhunderte 
nachst  dem  holl'andischen  den  besten  Ruf  in  Europa  genossen,  hat 
rait  der  Entwickelung  dieses  Fabrikationszweiges  in  manchen  Staa- 
ten  nicht  gleichen  Schritt  gehalten  ;  doch  iibersteigt  die  Erzeugung 
noch  iramer  den  inlandischen  Bedarf.  Insbesondere  ist  Basel  be- 
kannt,  auch  die  Kantone  Zurich,  Solothurn ,  Bern  und  Luzern  er- 
zeugen  gutes  Papier.  —  In  Holzwaaren  geniesst  den  grossten 
Ruf  das  Berner  Oberland,  wo  die  meisten  Schneide-  und  Sagemuh- 
len  thatig  sind ;  die  feinen  Holzschnitzarbeiten  haben  europaischen 
Ruf.  —  Strohgeflechte  nach  italienischer  Art  werden  in  den 
Kantonen  Aargau,  Bern,  Freiburg,  Luzern,  Genf  und  Schwyz  ver- 
fertiget.  Porzellan-  und  Steingut fabriken  sind  in  Genf 
und  Noyon,  Gl as  fabriken  in  Bern,  Solothurn  (optische  Glaser), 
die  Pulverfabrik  in  Bern  hat  bedeutenden  Ruf.  —  Im  All- 
gemeinen  ist  somit  die  Industrie  der  Schweiz  sehr  bliihend  und 
mannigfaltig. 

Mit  der  grossartigen  Alpenwirthschaft  und  der  sehr  schwung- 
haften  Industrie  halt  der  Handel  gleichen  Schritt.  Die  ruhmliche 
Thatigkeit  und  Ausdauer,  sowie  die  Beharrlichkeit ,  mit  der  die 
Schweiz  an  dem  Prinzipe  eines  freien  Verkehrs  festhalt,  haben  viele 
natiirliche  Hindernisse  besiegt  und  dem  Handel  cine  grosse  Aus- 
dehnung  verschafft.  Die  Schiffahrt  auf  den  Flussen  (Rhein,  Aar, 
Rhone),  noch  mehr  auf  den  Seen,  vorziigliche  Strassen,  ein  viel- 
verzweigtes  Eisenbahn-*)  und  Telegraphennetz,  zahlreiche  Geld- 
institute  fordern  den  inneren  wie  den  ausseren  Handel.  Den  an- 
sehnlichsten  Eigenhandel  betreiben:  Basel,  Zurich,  Genf,  Bern, 
St.  Gallen,  Herisau,  Neuenburg;  —  fur  den  Speditionshandel 
sind  ausser  Basel,  Zurich  und  Genf  besonders  wichtig:  Chur,  Lu- 
zern, Rorschach,  dann  noch  Brunnen,  Fluelen,  Altdorf,  Bellinzona, 
Vevay  und  Splugen.  Die  beiden  Hauptlinien  fur  den  d  e  u  t  s  c  h- 
italienischen  Verkehr  sind  iiber  Luzern,  den  Vierwaldstatter- 
See  und  Altdorf  nach  dem  St.  Gotthart,  dann  iiber  Zurich,  den 
Zurich-  und  Wallenstatter-See  nach  Chur,  von  da  fiber  den  Bern- 
hardin  nach  Bellinzona  oder  fiber  den  Splugen  nach  Chiavenna. 
Wichtige  Alpenstrassen  sind  ferners  jene  fiber  den  Simplon 
von  Brieg  (Wallis)  nach  Domo  d'Ossola  (Piemont),  fiber  den  gros- 
sen  St.  Bernhard  von  Martinach  nach  Aosta,  dann  fiber  den  Sep- 
timer  ,  den  Julier,  die  Bernina,  fiber  die  Furka  und  viele  andere 
im  Innern  des  Landes. 

Die  Handelsbewegung  der  Schweiz  mit  den  Nachbarstaaten 
ist  fast  fortwahrend  im  Steigen.  Wahrend  sich  der  Jahresdurch- 
schnitt  in  dem  Zeitraume  1840 — 1844  bei  derEinfuhr  mit  nahezu 
270  und  bei  der  Ausfuhr  mit  195  Millionen  Francs  (einschliess- 
lich  des  Transites)  berechnet,  stellt  er  sich  fur  den  Zeitraum  1853 
bis  1855  bei  der  Einfuhr  mit  479,  bei  der  Ausfuhr  mit  538 


*)  Zu  Anfang  1858  waren  127  schweizerische  Stunden  Eisenbahnen  im  Betrieb, 
115  Stunden  im  Baue  und  man  hofft  bis  1863  an  400  Stnnden  Eisenbahnen  zu 
besitzen.  (1  Schvveizer  Wegstunde  =  0.647  geographische  Meilen.) 


Millionen  Francs  (ebenfalls  einschliesslich  des  Tr  an  sites)  heraus, 
Der  Export,  wesentlich  gefordert  durch  die  vielen  Commanditen 
und  Comptoirs,  welche  die  Schweizer  im  Auslande  etabliren,  geht 
nicht  bios  nach  den  Nachbarstaaten ,  sondern  auch  nach  Spanien, 
nach  der  Levante,  nach  Russland  und  America.  Er  umfasst  nebst 
Thieren  und  thierischen  Produkten  die  erwahnten  Erzeugnisse  der 
Schweizer-Industrie.  Unter  den  Artikeln  des  Imp  or  tea  stehen 
obenan  Getreide  (Rorschacher-,  Zuricher-  und  Sursee  -  Getreide- 
markte)  und  Salz  (aus  Deutschland  und  Oesterreich),  deutsche  und 
franzosische  Weine,  Kolonialwaaren  und  iiberseeische  Rohprodukte 
fiir  die  Industrie,  Eisen  und  Stahl  und  derartige  Fabrikate  u.  s.  f. 
Zahlreiche  Jahr-  und  Wochenmarkte  beleben  hauptsachlich  den 
inneren  Verkehr. 

In  Hinsicht  der  geistigeii  Kultur  stehen  die  Schweizer  auf 
gleicher  Stufe  mit  den  benachbarten  deutschen  Staaten.  Zu- 
rich steht  in  der  deutschen,  Genf  in  der  franzosischen  Schweiz 
auf  der  hochsten  Bildungsstufe.  Der  Elementarunterricht  iet  sehr 
gut  bestellt,  zahlreiche  Real-  und  Spezialschulen,  ,,Kantonsschulen" 
und  Gymnasien,  sowohl  offentliche  als  viele  Privatlehranstalten 
sorgen  bestens  fiir  gewerbliche  wie  gelehrte  Bildung.  Besondere 
Erwahnung  verdienen  die  Universitaten  (Zurich,  Basel,  Bern),  die 
beiden  Akademien  (Genf,  Lausanne)  und  das  ,,eidgenossische 
Polytechnikum"  in  Zurich,  welches  wahrend  seiner  kurzen 
Dauer  sich  bereits  Anerkennung  und  Ruf  erworben  hat.  Ein  ge- 
wisser  Grad  allgemeiner  Bildung  herrscht  im  ganzen  Volke;  aus- 
gezeichnete  Manner  in  Wissenschaft,  Kunst  und  Industrie  hat  das 
Land  zu  jeder  Zeit  besessen.  In  materieller  wie  in  geistiger  Be- 
ziehung  gehort  sonach  die  Schweiz  zu  den  kultivirtesten  Staaten 
Europas. 


IV.  Die  italienischen  Staaten. 

(Mit  Ansschluss  von  Venedig.) 
§.  139.  Bestandtheile.  Beviilkerung. 


Staaten 

Grrosse 
in 
QMei- 
len 

BevOlkerung 

Hauptort 

Einwohner- 
zahl 

absolute 

rela- 
tive 

K6nigreich    Sardinien    (mit 
der  Loinbardei)  

1740 
2V2 
113 
110 
402 
752 

l'/8 

2033 

8,200.000 
7000 
500.000 
600.000 
1,800.000 
3,130.000 
8000 
9,120.000 

4707 
2800 
4425 
5455 
4477 
4162 

4485 

Turin..    .. 
Monaco    .  . 
Farma  .    .  . 
Mddena    .  . 
Florenz    .  . 
Rom   .... 
San  Marino 
Neapel  .... 

180.000 
1300 
45.000 
32000 
114.000 
178.000 
6000 
420.000 

Fflrstenthum  Monaco  

Herzogthum  Mddena  
Grossherzogthum  Tos  cana  . 
Kirchcnstaat  

Eepublik  San  Marino  
Konigreich  beider  Sicilian. 

5153 

23,365.000-1  4534  | 

Italien  wird  gewohnlich  in 
wozu    Sardinien   mit   Monaco, 


3  Theile  eingetheilt :  Oberitalien: 
die    Lombardei,   Venedig   und    die 


264 

Herzogthiimer Parma undModena gehoren ;  —  Mittelitalien:  Tos- 
cana  und  der  Kirchenstaat  mit  San  Marino ;  —  Unteritalie'n  mit 
dem  Konigreich  beider  Sicilien.  —  Die  Italiener,  lateinischer  Ab- 
stammung  aber  mehrfach  vermischt  mit  Volkerschaften  germanischen 
und  griechischen  Stammes,  die  sich  zu  verschiedenen  Zeiten  in  der 
apenninischen  Halbinsel  niedergelassen  hatten ,  bekennen  sich  fast 
ausschliesslich  zur  romisch-katholischen  Kirche  (mit  Aus- 
nahme  der  Waldenser  in  einigen  Thalern  Piemonts,  der  Protestan- 
ten,  Griechen  und  Israeliten  in  den  grosseren  Handelsstadten). 

Bodenverhaltnisse  und  Klima.  Die  Halbinsel  Italien  isfc 
zum  grossten  Theile  (das  ist  nahe  an  80°/0  der  Gesammtarea) 
Bergland,  nur  etwa  l/s  entfallt  auf  das  Tiefland.  Das  Bergland 
gehort  theils  den  Alp  en,  theils  den  Apenninen  an.  Erstere 
ziehen  vom  Bocchetta  -  Passe  bei  Genua  westlich  langs  des  Golfes 
von  Genua  (See  alp  en),  dann  nordwarts  als  Grenze  zwischen 
Italien  und  Frankreich  (cottische  und  grajische  Alpen),  end- 
lich  nach  Osten  zwischen  Italien  einerseite,  der  Schweiz  und  Deutsch- 
lands  andernseits  (penninische,lepontinische  und  rhatische 
Alpen).  —  Siehe  §.  25.  A  und  B.  a,  S.  23.  u.  ff.  —  Im  Osten 
der  Bocchetta  beginnen  die  Apenninen,  welche  sich  durch  die 
ganze  Halbinsel  bis  zu  den  Vorgebirgen  Cap  di  Leuca  (Apulien) 
und  Cap  Spartivento  (Calabrien)  ziehen,  und  dann  nach  Sicilien 
ilbersetzen.  Anfanglich  bilden  sie  eine  vom  ligurischen  zum  adria- 
tischen  Meere  streichende  Kette ;  den  mittleren  Apenninen  sind  an 
der  Westseite  mehrere  Parallelketten  als  Vorapenninen  vorgelagert; 
im  Hochlande  der  Abruzzen  endlich  spalten  sie  sich  in  die  apu- 
lischen  und  kalabrischen  Apenninen.  —  Siehe  §.  26.  S.  33. 

Von  den  Alpen  im  Norden  und  Westen,  von  den  Apenninen 
im  Siiden  eingeschlossen,  dehnt  sich  die  fiber  600  QMeilen  grosse, 
fruchtbare  Tiefebene  desPo  aus.  Kleinere  Ebenen  sind:  die 
toskanische  Tiefebene  am  untern  Arno  ,  die  romische  (cam- 
pagna  di  Roma)  mit  den  pontinischen  Siimpfen  langs  der  Kuste  des 
tyrrhenischen  Meeres,  die  kampanische  zwischen  den  Busen 
von  Gae'ta  und  Salerno,  aus  welcher  sich  der  Vesuv  erhebt,  end- 
lich die  apulische  Ebene  im  Siidwesten  des  Golfes  von  Manfre- 
donia.  —  Die  Inseln  sind  meist  gebirgig ,  nur  auf  Sardinien  und 
Sicilien  finden  sich  einige  Ebenen. 

Im  K 1  i  m  a  herrschen  bedeutende  Abstufungen  ,  doch  ist  in 
den  Niederungen  die  mittlere  Sornmerwarme  minder  verschieden, 
als  die  mittlere  Winterwarme,  welche  nach  Siiden  hin  raech  zu- 
nimmt.  Die  mildeete  Luft  haben  nebst  Sicilien  und  der  kampa- 
nischen  Ebene  noch  Genua  und  Nizza,  wo  ein  kurzer  Schneefall 
zu  den  Seltenheitcn  gehort,  indess  die  Apenninen  vom  Oktober 
nicht  selten  bis  anfangs  Mai  mit  Schnee  bedeckt  sind.  Audi  die 
Po-Ebene  und  die  in  diese  ausmiindenden  Alpenthaler  haben  ein 
mildes  Klima,  grossen  Pflanzenreichthum  edler  Friichte.  —  Von  den 
Winden  ist  der  heiese  und  ermattende  Sirocco  zu  erwahnen.  Gegen 
Suden  nehmen  die  Sommerregen  ab,  dagegen  Herbst-  und  Winter- 
regen  zu,  —  Die  Siimpfe  von  Commachio  (an  der  Po-Miindung), 
die  Maremmen  am  Ombrone  (in  Toscana)  mit  der  ungeeunden 


265 

Luft  (,,malaria") ,  welcher  auch  die  romische  Campagna  ausgesetzt 
1st,  und  die  beriichtigten  pontinischen  Sumpfe  (am  Siidwest- 
ende  des  Kirchenstaates)  sind  der  Gesundheit  schadlich. 

Gewasser.  Die  apenninische  Halbinsel  wird  vom  mittel- 
landischen  und  adriatischen  Meere  mit  ihren  Busen  bespiilt. 
Die  West-  und  Sudkuste  ist  mehr  gegliedert  ala  die  Oetkilste  und 
bietet  mehrere  gute  Ankerplatze  und  Hafen.  (Siehe  §.  15,  S.  15. 
Nr.  8).  —  Sie  hat  nur  einen  grossen  Hauptfluss,  den  Po,  einige 
grossere  und  schiffbare  Flusse,  viele  Bache  und  Kiistenflusse,  grosse 
und  schone  Seen,  namentlich  am  Sudabhange  der  Alpen ;  ist  somit 
im  Ganzen  gut  bewassert.  Zahlreiche  Kanale  in  Norditalien  dienen 
sowohl  fiir  die  Schiffahrt  als  die  Wiesenkultur.  —  Unter  den  Flus- 
sen  sind  zu  nennen  :  der  Po  mit  den  vielen  Nebenfliissen,  derVar, 
Arno,  Ombrone,  die  Tiber,  der  Garigli  ano  ,  Vol  t  urno, 
Sele,  Brandano,  Ofanto,  dieMarechia,  derMontone. 
—  (Siehe  §.  43  S.  53  und  54;  —  dann  §.  44.  S.  57.) 

Mehrere  Mineralquellen  sind  nebst  den  Seebadern  als 
Kurorte  bekannt:  Aix  (Savoyen),  Acqui  (bei  Alessandria),  Pisa 
(Toscana),  Viterbo  (Kirchenstaat),  Ischia  (Neapel), 

Verfassung.  Von  den  Staaten  Italiens  haben  alle,  mit  Aus- 
nahme  der  Republik  San  Marino ,  eine  monarchische  Staatsform, 
und  unter  diesen  das  Konigreich  Sardinien  und  das  Konigreich 
beider  Sicilien  eine  eingeschrankt-monarchische  Verfassung.  —  Mo- 
naco steht  (seit  1815)  unter  dem  Schutze  Sardiniens. —  Der  Kir- 
chenstaat ist  eine  uneingeschrankte  geistliche  Wahlmonarchie, 
deren  Oberhaupt,  der  Papst,  von  den  Katholiken  als  das  sichtbare 
Oberhaupt  der  christlichen  Kirche ,  als  Nachfolger  des  heiligen 
Petrus  und  als  irdischer  Statthalter  Christi  anerkannt  wird.  Er 
wird  auf  Lebenszeit  von  den  Kardinalen  aus  ihrer  Mitte  im  Kon- 
klave  durch  eine  eminente  Mehrheit  von  2/3  der  Wahlstimmen  ge- 
wahlt ;  Oesterreich,  Frankreich,  Spanien  und  Neapel  besitzen  hier- 
bei  eine  ausschlieesende  Stimme  (sententia  exclusiva),  das  heisst  sie 
haben  das  Recht  einen  zu  wahlenden  Papst  zu  verwerfen.  Der 
zum  Papste  Wahlfahige  muss  ein  Italiener  sein ,  keiner  grossen 
Familie  angehoren ,  keiner  fremden  Macht  den  Kardinalshut  ver- 
danken,  mit  keiner  regierenden  Macht  verwandt  sein  und  minde- 
stens  das  55.  Lebensjahr  zuriickgelegt  haben.  Der  Neugewahlte 
nimmt  einen  andern  Namen  an  (mit  Ausschluss  des  Namens  Petrus) 
und  wird  einige  Tage  nach  der  Wahl  vor  der  St.  Peterskirche 
in  Rom  mit  der  )>Tiara"  gekront.  —  Parma,  Modena ,  Toscana 
sind  unumschraukte  Erbmonarchien. 

Politische  Eintheilung. 

I.  Konigreich  Sardinien.  —  Es  besteht  aus  dem  Fiir  sten- 
thum  Piemont  mit  dem  Herzogthum  Montferrat,  —  dem 
Herzogthum  Genua,  —  der  Lombardei,  und  derlnselSar- 
dinien*).  —  Das  Konigreich  wird  (mit  Ausnahme  der  Lom- 

*)  Im  Fruhjahre  1860  sind  die  Herzogthiimer  Parma  nnd  Modena,  das  Gross- 
herzogthum  Toscana  und  die  ,,Romngna"  mit  dem  Konigreiche  Sardinien  nanne- 
xirt"  worden;  dagegen  hat  Sardinien  das  Herzogthnm  Savoyen  und  die  Grafschaft 
Nizza  an  Frankreich  abgetreten.  Die  erwahnte  ,,Annexion"  ist  von  den  europaischen 
Miichten  nicht  anerkannt,  mehrere  haben  dagegen  protestir*.  Auch  dem  KCnigreiche 


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bar  del,  deren  politische  Administration  noch  nicht  organisirt  1st) 
in  14  Generalintendan zen  (Divisionen)  und  diese  in  50Pro- 
vinzen  eingetheilt,  welche  meist  nach  ihren  Hauptstadten  benannt 
sind.  11'  Generalintendanzen  mit  39  Provinzen  liegen  auf  demFest- 
lande,  die  ubrigen  auf  der  Insel  Sardinien. 
Bemerkenswerthe  Orte*)  sind  in: 

1.  Piemont  mit  Montferrat:  Turin  (180.000),    Pignerolo,    Susa,    Coni 
(21.000),  Alba,    Mondovi,  Saluzzo,  Vercelli  (20.000),  Casale,  Ivrea  (9000),  Aosta, 
Alessandria  (46.000),  Asti,  Tortona,  Voghera,  Novara  (18.000),  Mortara,  Vige- 
vano,  Domo  d'Ossola. 

2.  Genua.  —    Genua    (130.000),  Chiavari,    Spezzia,    die   Insel    Capraja, 
Novi,  Savona  (18.000),  Acqui. 

3.  Insel  Sardinien    (433    QMeilen,    —   550000   Einwohner,    und   an    40 
kleinere  Inseln).  —  Cagliari  (32.000),  Nuoro  (4000),  Sassari  (26.000). 

4.  Die  Lombardei  (370  n^eilen,  nahezu  3,000.000  Einwohner).    —  Mai- 
land  (170.000),  Monza,  Co  mo  (20.000),    Varese,  Sondrio  (5000),  Bormio,  Chia- 
venna,  Bergamo (35.000),  Treviglio,  Caravaggio,  Lodi  (20.000),  Crema,  Codogno, 
Pavia  (27.000),  Buffallora,  Cremona  (30.000),   Pizzighetone,    Brescia  (40.000), 
Toscolano,  Desenzano,  Chiari,    Montechiaro.  —  Ein  Theil  der  Provinz  Mantua  mit: 
Castiglione,  Sabionetta.     (Siehe  Anmerknng  auf  S.  178.) 

II.  Fiirstenthum  Monaco.    —   Der  kleine,   in    der  Grafschaft  Nizza  gele- 
gene  Staat  zahlt  3  Gemeiodcn:  Monaco,  Mentone  und  Roccabruna,  die  2  letzteren 
von  Sardinien  besetzt.     Der  Boden  ist   sehr    frnchtbar,    besonders    an    Oel  und  Siid- 
fruchten.  Monaco  hat  einen  guten  Hafen  und  treibt  Handel.   Die  furstliche  Dynastie 
der  Grimaldi  (seit  1856  Carl  III.)  herrscht  bier  schon   seit    dem  Jahre  968.     Die 
oberste  Behorde  ist  der  Staatsrath ;  die  Jahreseinkunfte  betragen  etwa  40  000  Gulden. 

III.  Herzogthum  Parma.    —  Parma  (45.000),   Piacenza  (30.000),   Pon- 
tremoli  (12.000). 

IV.  Herzogthum   Modena.  —    Mo  den  a   (32.000),    Reggio,    Guastalla, 
Massa,  Carrara. 

V.  (jrossherzogthum  Toscana.    —   Eintheilnng  in  6  Compartimenti  und 
2  Gouvernements.  —  Florenz  (114.000),    Signa,    Pistoja,  Prato,  Lucca  (25.000), 
Arezzo  (10.000),  Montepulciano,    Siena  (24.000),    Grosetto    (3000),    Piombino, 
Soana,  Pisa  (22.000),  Livorno  (90.000),  Insel  Elba  (7  QMeilen  —  22.000  Ein- 
wohner): Porto  Ferrajo.  —Die  Inseln:  Gorgona,  Pianosa,  Formica,  Monte  Christo, 
Giglio,  Gianutri. 

VI.  Rvpublik  San  Marino.  —  Die  kleine,  unter  papstlichem  Schutze  ste- 
hende  demokratische  Republik  besteht  aus    der    Stadt    San  Marino    und    3  Land- 
gemeinden.     Die  Bewohner   n'ahren  sich   vom  Landbau.     Die    gesetzgebende   Gewalt 
ist  dem  sonveranen  ,,grossen  Rathe"  (60  Mitglieder)  ubertragen,  aus  welchem  jahrlich 
der  ,,Rath    der  Zwolf''    gewahlt    wird.     An  der    Spitze   des   Freistaates  stehen  zwei 
,,Capitani  reggenti"  (regierende  Hauptleute),  welche  aus  den  adeligen  Mitgliedern  des 
grossen  Rathes  auf  6  Monate  gewahlt  werden. 

VII.  Kirchenstaat.  —  Der  Kirchenstaat  zerfallt  in  den  Stadtbezirk  von 
Rom  und  in  4Legationen,  welche  in  20  Delegationen  (Provinzen)  eingetheilt 
und  nach  ihren  Hauptstadten  benannt  sind. 

1.  Stadtbezirk:    Rom  (176.000) ,    Ostia,    Tivoli ,    Albano,    Viterbo, 
Orvieto. 

2.  Legation  der  Campagna  und  Maritima:  Velletri  (11.000),  Ter- 
racina,  Frosinone  (6000);    —    die    beiden  Exklaven  im  Neapolitanischen :    Bcne- 
vento  (17.000),  Ponte  Corvo. 

3.  Legation  von  Umbrien:  Perugia  (32.000),  Assisi,  Spoleto  (7000), 
Rieti  (12.000). 

4.  Legation  der  Marken:  Ancona  (36.000),  Urbino  (12.000),  Pesaro, 
Sinigaglia,    Macer  ata  (18.000),   Loretto,  Fe  rmo  (16.000),    Ascoli    (9000),    Ca- 
merino  (7000). 

beider  Sicilicn  steht  eine  ahnliche  Annexion  bevor.     Auf  diese  revolutionaren  Bcsitz- 
veranderungen  wurde  selbstverstandlich  hier  keine  Rucksicht  genommen. 

*)  Die   mit  durchschossenen  Lettern  gedruckten  Stadte  sind  Hauptorte  der  gleich- 
namigen  Generalintendanzen  Oder  der  Provinzen. 


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5.  Legation  der  Komagna:  Bologna  (75.000),  Ferrara  (30.000), 
Commachio,  Ravenna  (16.000),  Faenza,  Forli  (18.000). 

VIII.  Konigreich  beider  Sicilien.  —  Das  Festland  des  K6nigreicb.es  wird 
in  15,  die  Insel  Sicilien  in  7  In  ten  danzen  (Provinzen)  eingetheilt.  Gebrauchlich  ist 
auch    die  Eintheilung    des    Festlandes   in   4  Landschaften :    Campanien    (Neapel), 
Abbruzzo  (Aquila),  Calabrien  (Reggio),  Apulien  (Lecce). 
Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

1.  Campanien:    Neapel  (420.000),    Portici,    Resina,   Puzzuoli,    Torre  del 
Greco,  Castellamare,  Sorrento  (die  Inseln:  Capri,  Ischia,  Procida),  Cas  erta  (18.000), 
Capua,  Gaeta,  Nola,  Salerno  (12.000),  Amalfi,  Avellino  (15.000). 

2.  Abbrnzzo:    Aquila  (15.000),    Chieti   (14.000),    Terramo    (11.000), 
Lanciano,  Pesctira. 

3.  Apulien:  Lecce  (25.000),    Brindisi,   Otranto,    Taranto,    Bari    (22.000), 
Molfetta,  Barletta,  Canne,  Foggia  (27.000),  Manfredonia,    Campo  Basso  (9000), 
Potenza  (10.000). 

4.  Calabrien:  Reggio  (20.000),  Sciglio  (Scylla),  Cosenza  (15.000),  Ca- 
tanzaro  (12.000),  Pizzo,  Monteleone. 

5.  Insel  Sicilien  (477  DM-)J   Palermo   (200.000),    Monreale,    Messina 
(85.000.),  —  (die  12  liparischen  (oder  aolischen)  Inseln,  die  bewohnte  Insel  Stromboli 
und  die   unbewohnte  Volcano),  —  Trapani  (26.000),  Marsala,  Castro- Giovanni,  — 
(die  fruchtbaren  und  bewohnten  Inseln  Aegaden),   —    Girgenti    (18.000),  Favara, 

—  (die  Inseln  Pantellaria,  Lampedusa    u.  a.)    —  ,    Caltanisetta  (17.000),   Sira- 
gossa  (20.000;,    Modica,    Catanea    (70.000),    Mascali,    Agosta,    Aci-Reale,    Cal- 
tagirone. 

Unter  den  zahlreichen,  an  Denkmalern  und  Kunstschatzen  des  Alterthums  und 
des  Mittelalters  reichen,  oder  dnrch  reizende  Lage,  den  Kunstfleiss,  durch  Gewerbe 
oder  Handel  ausgezeichneten  Stadten  auf  der  apenninischen  Halbinsel  sind  besonders 
hervorzuheben : 

Horn,  die  ,,ewige,  einzige"  Stadt,  mit  178.000  E.,  eine  Weltstadt,  wie  es  in 
diesem  Sinne  keine  zweite  gibt.  Hier  stand  die  (im  J.  753  v.  Ch.  G.  gegrundete) 
grosse  Metropole  des  beidnischen  Romerreiches,  und  bier  ist  nach  Besiegung  des 
Heidenthums  der  Mittelpunkt  der  christlichen  Welt,  denn  der  Statthalter  Cbristi  auf 
Erden,  der  Papst,  hat  hier  seinen  Sitz.  An  beiden  Ufern  des  Tiberflusses  auf  12 
Hugeln  erhebt  sich  die  Stadt  voll  grossartiger  Bau-  und  Bilderwerke  des  Alterthums, 
reich  an  Kirohen  (328)  und  Palasten  mit  herrlichen  Kunstschatzen.  Die  St.  Peters- 
kirche,  die  grSsste  und  prachtvollste  auf  der  Erde,  mit  dem  Grabe  des  heil.  Petrus, 
und  der  beruhmten  auf  4  kolossalen  Pfeilern  ruhenden  Kuppel;  vor  der  Kirche  der 
St.  Petersplatz,  der  schonste  auf  Erden,  mit  kreisformigem  Saulengang  tind  kolossalen 
Statuen.  (Zu  der  St.  Peterskirche  wurde  im  J.  1450  ein  Anfang  gemacht,  1506  der 
Grundstein  gelegt,  eingeweiht  ward  sie  1626.  Die  Kosten  beliefen  sich  auf  64  Mil- 
lionen  Thaler).  —  Die  eigentliche  bischofliche  und  Hauptpfarrkirchc  des  Papstes  ist 
St.  Johannes  im  Later  an  (omnium  ecclesiarum  urbis  et  orbis  mater  et  caput) 
rait  der  uberaus  prachtigen  Kapelle  Corsini,  dem  Battisterio  (Taufe  von  Juden  und 
Turken  am  Ostersonnabend).  Andere  beriihmte  Kirchen  sind:  die  St.  Paul's -Kirche, 
St.  Maria  ad  martyres  (das  Pantheon  des  heid.  Rom,  eine  Rotonda),  S.  Onofrio 
auf  dem  Gianicolo  mit  Tasso's  Grab,  die  deutsche  Nationalkirche  S.  Maria 
dell'  anima,  deren  Pfarrer  Oesterreich  ernennt;  S.  Maria  Mag  g  i  ore  u.  v.  a. 

—  Papstliche  Palaste :  der  Vatikan,  der  grosste  Palast  in  Europa,    (22  H5fe,  200 
Treppen,    4422  [nach  andern,    wahrscheinlich   ubertriebenen    Angaben    tiber    11,(XK)] 
Zimmer  und  Sale,  aber  in    der  Regel  nur    zur  Zeit    des  Conclave   bewohnt)  mit  der 
Sixtinischen  und  Paulinischen  Kapelle,  den  Logen  und  Salen  mit  Raphael's  Meister- 
werken  ;  die  beruhmteste  Bibliothek  mit  wichtigen  Handschriften ;  Gemaldesammlung  ; 
erste  Antikensammlung  der  Erde  im  Belvedere  (Laokoon,   Apollo  vom  Belvedere, 
(ter  Torso  u.  a.);  Museum  Chiaramonti,  Gregoricnum  u.  a. ;    —    der  Later  an,  bis 
1304  papstliche  licsidenz;  der  Quiri  nal  (Monte  Cavallo)   gewohnliche  Residenz  Sr. 
lleiligkeit.   (Pius  IX.,    der  259ste  Papst,  ffuher  Johann  Maria  Graf  Mastai  Feretti, 
geb.  zu  Sinigaglia  am  13.  Mai  1792,    gekront   am  21.  Juni  1846.)     Man  zahlt  uber 
GO  grosse  Palaste  und  nicht  weniger  Villen  (Landhauser,  —  villa  Borghese)  mit  Garten, 
ausgezeichnet  durch  Bauart,  Pracht-  und  Kunstwerke.  —  Die  Engelsburg  (Castello 
di  S.  Angelo),  aus    dem  Grabmal  Hadrians   (moles   Hadriani)   entstanden,   mit    dem 
bronzenen  Erzengel  Michael  auf  der  Spitze  dient  als  Arsenal,    Staatsgefangniss,   Ar- 
chiv,  Aufbewahrungsort  der  papstl.  Kleinodien.     Campidoglio    an  der  Stelle  des 


alten  Capitol's  mit  vielen  Kunstwerken;  zahlreiche  Rninen  von  Tempeln,  Amphi- 
theatern,  Badern,  TriumphbOgen,  Saulen,  Obelisken.  Wasserleitungen,  Katakomben 
u.  8.  w.  Bedentende  wissenschaftliche  Anslalten  :  Universitaf,  Collegium  de  propa- 
ganda fide  fur  Z5glinge  aus  alien  Erdtheilen  zur  Heranbildung  von  Missionaren,  die 
Academia  di  San  Luca  fur  alle  Zweige  bildender  Kunst;  viele  Akademien,  Schulen, 
KlOster.  Grosser  Zusammenfluss  von  Fremden,  namentlich  Kunstlern,  Kunstliebhabern 
und  Alterthumsforschern.  —  Die  Industrie  ist  ziemlich  ansehnlich  in  Kunstblumen, 
Darmsaiten,  Essenzen,  Farbwaaren,  Seidenwaaren,  kirchlichen  Stoffen  und  Paramen- 
ten.  —  Einige  Theile  der  Stadt  und  die  Umgebnng  (Campagna  di  Roma)  sind  im  Som- 
mer  wegen  der  schlechten  Luft  (malaria)  ungesund. 

Neapel  (ital.  Napoli,  im  Alterthume  Parthe"nope),  420.000  Einwohner 
(darunter  an  70  —  80.000  Lazzaroni).  Weltberuhmte  amphitheatralische  Lage  am 
gleichnamigen  Golf  zwischen  dem  Vesuv  (im  0.)  und  dem  Berg  Posilippo  (im  PP.). 
Das  Innere  der  Stadt  entspricht  wenig  der  reizenden  Lage,  denn  die  Stadt  mit  bei- 
laufig  50.000  Hausern  ist  weder  regelmassig  noch  schSn  gebaut.  Die  Altstadt  mit 
dem  Geprage  des  ital.  Mittelalters  durchkreuzen  enge  Gassen  in  regellosen  Windun- 
gen,  die  Platze  (larghi)  sind  unbedeutende  Erweiterungen.  Prachtvoll  dagegen  ist 
die  Neustadt,  insbesondere  der  palastreiche  Qnai  ,,Chiaja",  die  Villa  Reale,  Strasse 
Toledo  u.  a.  Neapel  ist  die  reichste  und  belebteste  Stadt  Italiens,  mit  schOnen  Kir- 
chen  (Kathedrale  S.  Genaro  u.  a.),  Palasten,  vielen  KlOstern,  Hospitalern,  Armen- 
und  Arbeitsbausern.  (Konigl.  Palast  Capo  di  Monte.)  —  Universitat,  Akademie, 
Schulen  der  schonen  Wissenschaften,  der  Zeichenkunst  und  Musik ;  grosse  Kunst-  und 
Alterthumssammlnngen  (aus  Hercnlanum  und  Pompeji),  bourbonisches  Museum.  — 
Das  grOsste  Theater  in  Europa  (San  Carlo).  —  Die  Industrie  ist  erst  im  Beginne ; 
einer  der  wichtigsten  Handelsplatze  am  Mittelmeere,  jahrlich  laufen  an  3000  Schiffe 
ein;  Nationalbank,  B6rse  und  einige  Geld-  und  Creditinstitute.  Dampfschiffahrt  nach 
Marseille,  Genua,  Livorno,  Malta.  —  6  Kastelle,  darunter  S.  Elmo  und  Dell'  Uovo 
die  starksten.  —  Die  Umgebungcn  sch6n  und  reich  an  Sehenswurdigkeiten  aller  Art. 

Palermo  (200.000)  in  fruchtbarer  Gegend,  regelmassig  gebaut,  die  grosste 
Stadt  auf  Sicilien.  Prachtvolle  Kathedrale  und  andere  Kirchen ;  Kapuzinerkloster  mit 
beruhmter  Gruft;  Grabmal  Friedrich  II.;  griechische  Denkmaler;  grosser  konigl.  Pa- 
last  mit  beruhmter  Sternwarte,  Universitat,  Navigationsschule ;  ansehnliche  Industrie 
in  Seidenzeug,  Leder,  Wachs,  Korallen,  Gold-  und  Silberwaaren ;  lebhafter  Handel, 
Dampfschiffahrt  nach  Marseille,  Malta  und  Neapel;  Rosalienfest  im  Juli. 

Florenz  fital.  Firenze),  114,000  Einw.,  in  fruchtbarer  reizender  Ebene  am 
Arno,  eine  der  schfinsten  Stadte  in  Europa  (,,la  bella").  Prachtige  Kirchen  (Kathe- 
drale St.  Maria  del  Fiore;  die  St.  Lorenzkirche  mit  den  Begrabnissen  der  Medici, 
das  beruhmte  Battisterio;  die  Kirche  zum  heil.  Kreuz  mit  den  Grabmalern  von  Dante, 
Michel- Angelo,  Macchiavelli,  Galilei,  Viviani  u.  a.);  viele  burgartige  Palaste  durch 
architektoniscbe  Schonheit  und  Kunstwerke  aller  Art  ausgezeichnet  (palazzo  Pitti, 
grossherz.  Residenz,  mit  herrlicher  Gemaldegallerie ;  pal.  degli  uffizj  mit  einer  der 
ersten  Kunstsammlungen  der  Welt  [mediceische  Venus,  Gruppe  der  Niobe,  andere 
Antiken),  die  loggia  dei  lanzi,  die  schonste  Hauptwache  der  Erde;  Universitat;  Ac- 
cademia  della  crusca;  Lyceum  der  Musik;  Akademie  der  bildenden  Kunste;  uber- 
haupt  vorzngliche  Sammlungen  fur  Wissenschaften  und  Kunste.  Industrie  in  Seide, 
Strobgeflecht,  Kunstblumen,  Parfumerien,  plastische  Arbeiten  in  Marmor,  Alabaster, 
Mosaik  und  Korallen.  —  Der  Handel  concentrirt  sich  in  dem  befestigten  Freihafen 
Livorno ;  Verkehr  mit  der  Levante,  Odessa;  in  Kolonialwaaren,  englischen,  fran- 
zosischen  und  schweizerischen  Manufakten;  regelmassige  Dampfschiffahrt  nach  Mar- 
seille, Malta,  Neapel  und  der  Levante;  auch  die  Industrie  stets  wachsend. 

Turin  (ital.  Torino),  180.000  Einw.,  sehr  regelmassig  gebaut,  mit  schonen 
Strassen,  grossen  Platzen,  langen  Bogengiingen  und  prachtigen  Palasten  ;  viele  reiche 
und  herrliche  Kirchen  (Kathedrale  S.  Croce ;  S.  Giovanni  u.  v.  a.) ;  zahlreiche  wis- 
senschaftliche Anstalten,  Universitat,  Akademie,  kSnigl.  Museum  mit  Sammlung  agyp- 
tischer  Alterthumer,  Miliiar-  und  Marine-Akademie ;  Arsenal ;  Bank,  Borse,  Miinze, 
prachtvolles  Theater;  bedeutende  Industrie  in  Sammt,  Bandern,  Tapeien,  Fayence, 
Stahl-  und  Eisenwaaren,  Kanonengiesserei ;  Industrieschulen  fur  Arme. 

Genua  (ital.  Genova),  130.000  Einw.,  amphitheatralisch  am  steilen  Abhange 
des  ligurischen  Apennin  gebaut,  mit  nur  wenig  fahrbaren  Strassen ;  die  meisten 
Strassen  sind  enge,  von  vielstockigen  Hausern  eingefasst  und  fuhren  auf-  und  ab- 
warts,  sind  hie  und  da  durch  Treppen  verbunden,  Felsenspalten  sind  uberbruckt  (Briicke 
ndel  Carignano").  Viele  Pachtbauten:  der  Dom;  Kirche  Annunziata,  San  Lorenzo; 


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der  konigl.  Palast,  der  ehemalige  Dogenpalast;  Universitat,  Marine-Akademie,  Navi- 
gationsschule;  Bank,  Borse,  See- Arsenal.  Die  industrielle  Stadt  liefert  viel  beriihmte 
Artikel,  als:  schwarze  Seidenstofie,  Sammt,  Korallen-,  Alabaster-,  Elfenbein-,  Gold- 
und  Silberwaaren,  Stickereien,  Kunstblumen,  Mehlspeisen.  Vortrefflicher  Hafen;  re- 
gelmassige  Dampf'schiffahrt  nach  alien  Hafen  des  Mittelmeeres ;  die  alteste  Geld-Bauk 
(seit  1407),  lebhafter  Handel.  In  der  Umgebung  prachtvolle  Landhaaser. 

31ailaml  (ital.  MiUno),  170.000  Einw. ;  in  schoner  Fruchtebene  zwischen 
der  Olona  nnd  dem  Lambro  an  schiffbaren  Kanalen,  die  den  Tessin  mit  der  Adda 
verbinden.  Das  Aussehen  des  oft  zerstSrten  und  wieder  aufgebauten  Mailand  ist 
modern  und  stattlich.  Zahlreiche  Kirchen  und  schOne  Palaste;  unter  den  ersten  der 
beruhmte  Dom,  nachst  der  St.  Peterskirche  in  Horn  und  dem  Dora  in  Sevilla  die 
grosste  Kirche  in  Enropa  (begonnen  im  J.  1386  vom  deutschen  Baumeister  Heinrich 
Arler  von  Ground)  zwar  widersprechende  Baustyle,  aber  vorherrschend  gothisch;  aus 
weissem  Marmor  mit  4500  marmornen  Bildsaulen  und  durchbrochenen  Thiirmchen; 
auch  im  Innern  prachtvoll.  (Grabmahl  des  heil.  Carl  Borromaeus).  Institut  der  Wis- 
senschaften  und  Kunste  in  der,,Brera",  ehemaligen  Jesuitencollegium,  mit  Bibliothek, 
Gemaldegallerie,  Munz-  und  Medaillencabinet,  Sternwarte;  ambrosianische  Bibliothek; 
grosses  Theater  (della  Scala) ;  Musikkonservatorium ;  Friedenstriumpbbogen  (arco 
della  pace)  u.  a.  Prachtbauten.  —  Lebhafte  Industrie  in  Seide,  Bijouterien,  Wagen, 
Tischlerarbeiten,  Glasmalorei,  Zucker,  Tabak  u.  a.;  die  bedeutendste  Handelsstadt 
in  Ober-Italien,  insbesondere  in  Seide,  Reis  und  Kiise.  Auf  der  Strasse  nach  Pavia 
das  beruhmte  Karthauserkloster  La  Certosa  mit  einer  der  prachtvollsten  Kirchen 
in  Europa. 

Kulturverlialtnisse  im  Allgemeinen. 

Die  mannigfaltigen  Abstufungen  im  Kliina  haben  ebenso 
mannigfaltige  Verschiedenheit  in  der  Vegetation  zur  Folge.  Im 
Ganzea  ist  der  Boden  von  der  Natur  reich  begiinstiget  und  bringt 
ohne  grosse  Anstrengung  in  der  Bebauung  einen  Ueberfluss  der 
gewohnlichen  Ackerprodukte  hervor.  Der  Norden  Italiens  ist  in 
Hinsicht  der  Landwirthschaft,  der  Industrie  und  des  Han  dels,  so- 
wie  des  sich  daran  kniipfenden  Wohlstandes,  der  Civilisation  und 
Aufklarung  dem  Siiden  mehrfach  uberlegen.  Weizen,  Mais,  Maul- 
beerbaume  und  Wein  gedeihen  in  grosser  Menge  in  ganz  Italien. 
—  In  Oberitalien  ist  der  Reis  neben  Weizen  und  Mais  charak- 
teristisch ,  dann  der  Kastanienbaum  und  die  ausgedehute  Zucht 
des  Maulbeerbaumes ;  —  der  Oelbaum,  Siidfriichte  und  Siissweine 
beginnen  erst  jenseits  der  Apenninen ,  in  Mittelitalien,  doch 
haben  Nizza  und  Genua  ebenfalls  so  ziemlich  die  gleichen  Produkte; 
Orangen  werden  erst  allgemein  von  Neapels  Nordgrenze ;  —  Tro- 
penprodukte  kommen  nur  im  aussersten  Siiden  vor,  in  Unter- 
it  alien,  wo  die  Baumwollstaude  (Sicilien  und  Sardinien),  Man- 
deln,  Feigen.  Datteln,  Granatapfel,  das  Johannisbrod  u.  dgl.  ge- 
deihen. —  Die  Walder  in  den  untern  Regionen  der  Apenninen 
(unterhalb  der  Eichen ,  Buchen  und  Ulmen)  sind  reich  an  immer- 
grunen  Baumen ,  besonders  Pinien ,  Cypressen ,  Lorbeerbaumen, 
Myrten  u.  s.  w. ;  in  den  hoheren  Regionen  der  Apenninen  und  Al- 

g2n  an  Eichen,  Buchen  und  Nadelholzern.  Die  Thiere  spielen  in 
insicht  der  Physiognomic  des  Landes  keine  so  wichtige  Rolle  ala 
die  Pflanzen;  mit  Ausnahme  des  Buffels,  der  ein  wichtiges  Last- 
thier  ist,  das  zum  Theil  in  halbfreiem  Zustande  lebt  und_  sich 
namentlich  in  morastigen  Gegeuden  aufhalt,  sind  hier  die  gleichen 
Hausthiere  wie  in  Nord-Europa;  nur  Esel  und  Maulesel  kommen 
viel  zahlreicher  vor. 


270 

Urproduktion.  Kaum  die  Halfte  des  italienischen  Bodena 
erfreut  sich  einer  rationellen,  fleissigen  Bebauung,  und  dooh  liefert 
derselbe  einen  grossen  Reichthum  an  Ackerprodukten.  Am  fleis- 
sigsten  ist  die  Bebauung  in  der  Lombardei,  in  Piemont,  Modena, 
Lucca,  im  Arnothale  und  einigen  Landstrichen  Neapels;  in  der 
Kornkammer  des  Alterthums,  Sicilien,  insbesondere  der  Ebene  von 
Catania,  ist  fiir  den  Landbau  noch  wenig  geschehen.  Von  Wich- 
tigkeit  ist  die  Reiskultur,  durch  kiinstliche  Bewasserung  zur 
hochsten  Vollkommenheit  gebracht,  wovon  die  Lombardei,  Piemont, 
die  Umgebung  von  Ferrara  und  Bologna,  und  auch  die  Insel  Sar- 
dinien  grosse  Quantitaten  zum  Export  bringen.  Weizen  und  Mais 
werden  ebenfalls  in  grosser  Menge,  ersterer  vorziiglich  in  Toscana 
und  Neapel,  letzterer  in  Oberitalien  gewonnen  ;  sie  liefern  das  Mehl 
fiir  die  Nationalspeisen  Maccaroni  und  Polenta.  Ein  anderes  Haupt- 
produkt  sind  die  O  liven;  das  daraus  gewonnene  Oel,  namentlich 
die  feinen  Qualitaten  von  Genua,  Nizza,  Lucca,  aus  Apulien  (Gal- 
lipoli)  bilden  einen  bedeutenden  Ausfuhrartikel.  Der  Wiesenbau 
ist  insbesondere  in  der  Lombardei  und  in  Parma  ausgezeichnet;  er 
wird  durch  die  zahlreichen  Bewasserungskanale  wesentlich  gehoben. 
Unter  den  Handelspflanzen  sind  erwahnenswerth  Hanf  und 
Flachs  um  Bologna  und  in  der  Lombardei,  Safran  und  Siissholz 
in  Calabrien  und  Sicilien,  Karden  um  Bologna,  viele  Medizinal- 
krauter.  —  Mit  Ausnahme  der  hohen  Alpengegenden  Savoyens  ge- 
deiht  der  Wein  in  ganz  Italien,  obwohl  die  Behandlung  der  Rebe 
wie  des  Weines  vieles  zu  wunschen  iibrig  lasst.  Einige  Weine 
gelten  dessenungeachtet  als  vorziiglich,  als:  Lacryma  Christi  und 
vino  greco  des  Vesuv  und  mehrere  neapolitanische  und  sicilianische 
Weine,  der  Pulciano  und  Montefia scone  in  Toscana,  die  Weine  von 
Modena  und  Reggio  und  andere.  —  Einen  grossen  Reichthum  be- 
sitzt  Italien  an  Sudfriichten.  Orangen  und  Citronen  beginnen 
schon  an  den  Alpenseen,  mehr  um  Nizza,  Genua,  Massa,  beeonders  in 
Neapel  und  auf  Sicilien.  Mit  Feigen ,  Mandeln  und  Korinthen 
wird  von  Sicilien  ein  starker  Verkehr  getrieben ,  dann  mit  Kap- 
pern,  Triiffeln;  auch  findet  sich  Johannisbrot,  Aloe  und  Manna, 
gowie  etwas  Baumwolle  (Altavilla,  Biancavilla ,  in  den  Provinzen 
Lecce ,  Bari  und  Basilicata)  und  Zuckerrohr  auf  Sicilien  und  in 
Calabrien. 

Unter  den  Zweigen  der  Viehzucht  steht  jene  der^Seiden- 
raupe  am  hochsten,  welche  in  ganz  Italien  verbreitet  ist,  am 
starksten  in  Piemont  mit  der  Lombardei,  dann  in  Parma,  Calabrien 
und  auf  Sicilien.  Sardinien  mit  der  Lombardei  ist  der  grosste 
Seidenproduzent  in  Europa  und  die  Waare  wird  fiir  die  vorziig- 
lichste  in  Europa  gehalten.  Zunachst  steht  die  Rindvieh  zucht 
in  Ober-,  zum  Theil  noch  in  Mittelitalien.  In  der  Lombardei  und 
in  Parma  bildet  sie  eine  der  Hauptquellen  des  Wohlstandes  ,  weil 
die  Kasebereitung  vortrefflich  und  in  grossem  Umfange  betrieben 
wird.  Die  Erzeugung  des  Parmesankases  hat  nachst  dem  Gebiete 
von  Parma  ihren  Sitz  in  den  Umgebungen  von  Lodi ,  Pavia  und 
Mailand;  dazu  kommt  der  in  Gorgonzola  (bei  Mailand)  bereitete 
Strachinokase.  Auch  in  Toscana  und  im  Kirchenstaate  ist  die  Zucht 


271 

gtarken  Rindviehes  ansehnlich.  In  Toscana  beginnen  bereits  die 
Buffelheerden,  welche  gegen  den  Suden  zu  stets  zahlreicher  sind 
und  auch  in  der  Ackerwirthschaft  verwendet  werden.  Namentlich 
sind  der  Kirchenstaat  undNeapel  reich  an  Buffeln.  —  Die  Schaf- 
zucht  ist  im  Allgemeinen  bedeutend,  obwohl  grosstentheils  geringe- 
rer  Race ;  in  Toscana  sind  fiber  30  %  durch  spanische  Merinos 
veredelt.  Sehr  verbreitet  sind  die  Schafe  in  Savoyen  und  auf 
Sardinien  (Mufflon-Schafe  wild  auf  den  Bergen),  in  Parma,  am 
Mittelmeere  im  Kirchenetaate  (Negretti  und  Pouille ,  letztere  mit 
eehr  feiner  Wolle) ,  und  grobwollige  in  Neapel.  Z  i  e  g  e  n  werden 
gleichfalls  in  grosser  Menge  gehalten,  doch  zumeist  zur  Milch  wirth- 
schaft  und  Kasebereitung  (Chefrotin-Kase  in  Savoyen) ;  an  B  o  r- 
stenvieh  haben  Piemont,  Toscana,  Modena  (Wiirste:  Zampette 
di  Modena),  Toscana,  der  Kirchenstaat  (Wiirste :  Mortadelle  di 
Bologna)  grossen  Reichthum.  Schone  Pferde  ziehen  nur  Neapel 
und  Toscana,  die  iibrigen  Theile  beziehen  Pferde  aus  dem  Aus- 
lande;  dagegen  gibt  es  viel  Maulthiere  und  die  schonsten  Esel  in 
Europa  (Toscana,  Kirchenstaat  und  Neapel).  Die  Bienenzucht 
wird  auf  der  ganzen  Halbinsel  gepflegt ,  am  meisten  auf  Sicilien, 
welches  sehr  guten  Honig  exportirt,  dann  in  Savoyen,  auf  Sardinien 
und  in  Toscana.  Die  Seef  i  s  cher  ei  bietet  ansehnlichen  Ertrag, 
insbesondere  an  Thunfischen,  Sardellen,  Korallen  (an  der  Kuste  von 
Sicilien  und  Sardinien)  und  Aalen  ( in  den  Siimpfen  von  Comachio). 

Dem  Bergbau  wird  noch  lange  nicht  die  wtinschenswerthe 
Aufmerksamkeit  zugewendet;  er  bietet  keine  grosse  Mannigfaltig- 
keit.  Die  Ausbeute  an  edlen  Metallen  ist  kaum  nennenswerth; 
an  Eisen  hat  Elba  (200.000  Zentner)  grossen  Reichthum;  in  Sa- 
voyen, auch  in  der  Lombardei,  Parma  und  Calabrien  ist  die  Eisen- 
gewinnung  ziemlich  ansehnlich,  obwohl  sie  den  inlandischen  Bedarf 
nicht  zu  decken  vermag,  wesshalb  Eisen-  und  Stahhvaaren  vielfach 
aus  dem  Auslande  eingefiihrt  werden.  Toscana  hat  auch  etwas 
Kupfer,  Blei  und  Quecksilber,  Der  S  c  h  w  e  f  e  1  bildet  einen  wich- 
tigen  Exportartikel  Siciliens  und  der  liparischen  Inseln.  Grossen 
Reichthum  hat  Italien  an  schonen  Marmorarten  (Carrara,  Massa, 
Pisa,  Siena).  Erwahnenswerth  sind  der  vortreffliche  Alaun  (Tolfa 
im  Kirchenstaate,  Volterra,  Sicilien),  Alabaster  (Sestri  bei  Genua), 
Kreide  (Bologna),  Gyps  (Parma),  Siegelerde  (Siena),  Puz- 
zuolanerde  (Neapel,  Kirchenstaat)  und  etwas  Quellsalz.  Die 
Gewinnung  an  Seesalz  ist  in  den  am  Mittelmeere  gelegenen  Staa- 
ten  bedeutend. 

In  der  gewerblichen  Industrie  ist  Italien  von  der  hohen  Stufe, 
auf  der  es  vor  ein  paar  Jahrhunderten  gestanden ,  sehr  herabge- 
kommen.  Eine  Konkurrenz  mit  den  ubrigen  europaischen  Industrie- 
staaten,  deren  Lehrmeisterin  die  apenninische  Halbinsel  in  manchen 
Gewerben  gewesen,  vermag  sie  nicht  mehr  auezuhalten.  Die  indu- 
strielle  Thatigkeit  beschrankt  sich  nur  mehr  auf  einzelne  Stadte  und 
Zweige,  grosse  Industriebezirke  finden  sich  gar  nicht.  Verhaltniss- 
massig  macht  Oberitalien,  namentlich  die  Lombardei  mit  Piemont 
hierin  die  meisten  Fortschritte. 

In  Sardinien    sind    Genua  und  Turin  die  bedeutendsten  In- 


272 

dustrieorte ;  in  Savoyen  und  auf  Sardinien  ist  die  Gewerbsthatigkeit 
kaum  auf  die  Erzeugung  der  nothdurftigsten  Artikel  beschrankt. 
Im  Allgemeinen  ist  der  handwerksmassige  Betrieb  iiberwiegend ; 
die  Gross  -  Industrie  im  Sinne  unserer  Zeit  ist  nur  durch  wenige 
vereinzelte  Etablissements  vertreten.  Am  wichtigsten  sind  die  Sei- 
denwaaren,  darunter  der  Sarnmt  aus  Genua;  dann  folgen 
Baumwoll-  und  Wollenwaaren ,  doch  nicht  ausreichend  fur  den  Be- 
darf,  ferners  Segeltuch,  Tauwerk,  Korallenarbeiten,  Gold-,  Silber- 
und  plattirte  Waaren,  Seife,  Essenzen,  Liqueure,  candirte  Friichte, 
kiinstliche  Blumen,  Papier  u.  a.  m.  —  Die  Lombardei,  unbestrit- 
ten  die  industriellste  Provinz  auf  der  apenninischen  Halbinsel,  ist 
in  jeder  Beziehung  der  gewerblichen  Thatigkeit  am  raeisten  vor- 
geschritten,  und  zwar  zunachst  in  jenen  Zweigen ,  welche  sich 
auf  die  Landwirthschaft  stiitzen  ,  als  die  Sei  den  Industrie  und  die 
Ka  sebereitung.  Die  Seide  aus  der  Brianza  ist  beriihmt;  die  Fi- 
landen  und  Filatorien  zu  Como,  Bergamo,  Brescia,  Maiiand,  Cre- 
mona u.  s.  w.  erzeugten  (im  J.  1857)  iiber  25.000  Zentner  Eohseide 
im  Werthe  von  ilber  32  Millionen  Gulden.  Diese  Provinz  besass 
an  3600  Filanden  mit  40.000  Kesseln  und  beschaftigte  hierbei  iiber 
95.000  Arbeiter  und  uber  550  Filatorien ;  die  meisten  werden 
fabriksmassig  betrieben,  insbesondere  in  Maiiand  und  Bergamo.  In 
der  Me  t  al  1  w  a  ar  en  Industrie  haben  guten  Ruf:  die  zahlreichen 
Betriebsanstalten  fur  Kupferwaaren  (Provinz  Como)  der  Stahl  aus 
Brescia,  Bergamo  und  Bagolino,  Bajonette  und  Gewehrlaufe  aus 
Gardone ,  gewalztes  Eisenblech  aus  Dongo ,  Messerschmiedwaaren 
aus  Brescia  und  Maiiand ,  Bronzewaaren  aus  Maiiand,  desgleichen 
hier  die  vorziiglichen  Juvvelierarbeiten ,  woi'in  Maiiand  der  Haupt- 
platz  fiir  den  Suden  ist ,  viele  Eisenhammer  (Val  Trompia)  und 
Etablissements  fiir  Kurzwaaren.  Auch  die  Lederwaaren  von 
Maiiand  und  Umgebung  (an  60  Fabriken)  sind  sehr  geschatzt.  In 
Hinsicht  der  Baumwoll  industrie  behauptet  diese  Provinz  sowohl  in 
der  Spinnerei,  noch  mehr  in  der  Druckerei  und  Farberei  einen  be- 
achtenowerthen  Rang,  obwohl  die  ziemlich  zahlreichen  Fabriken 
(darunter:  Solbiate  Olona,  Chiavena,  Legnano)  den  inlandischeu 
Bedarf  noch  nicht  zu  decken  vermogen.  Erwahnenswerth  sind 
noch:  Wagen,  Tiachlerarbeiten  ,  Glasmalerei,  Zucker  in  Maiiand, 
beruhmte  Violinen  in  Cremona ,  die  Papierfabrikation  (Toscolano), 
die  Leinenindustrie  in  Brescia ,  Lodi  und  Pavia  ( Damast  aus 
Maiiand). 

In  Parma  ist  die  gewerbliche  Thatigkeit  unbedeutend,  sie 
konzentrirt  sich  auf  die  Stadte  Parma  und  Piacenza;  von  eigent- 
licher  Fabriksindustrie  kann  gar  nicht  die  Rede  sein,  Nebst  Kase 
werden  iioch  etwas  Papier ,  JStrohwaaren,  Seidenwaaren  und  Gold- 
arbeiten  erzeugt. 

Gleiche  Zustande  weiset  Modena,  wo  Modena,  Reggio  und 
Massa  relativ  am  meisten  in  Tuch,  Papier,  Seide  und  Strohwaaren 
thatig  sind. 

Nachst  der  Lombardei  besitzt  Toscana  die  bliihendste  und 
lebhafteste  Industrie  in  Italien,  und  liefert  rnehrere  Erzeugnisse  fiir 
den  Export.  Die  wichtigsten  Indus trieplatze  sind:  Florenz,  Prato, 


273 

Pistoja,  Pisa,  Livorno,  Lucca,  Siena  und  Si*na.  Die  bedeutend- 
sten  Zweige  sind :  die  Strohflechterei  ( insbesondere  Strohhute, 
Mittelpunkt  dafur  ist  das  Dorf  Signa  am  Arno  MFlorentinerhiitea), 
die  Seidenweberei  (Siena),  und  Sammt,  das  beste  Papier  in  Italien, 
mittelfeine  und  grobe  Wollwaaren  und  Leinen  ;  die  Baumwollindu- 
strie  deckt  nicht  den  Bedarf.  Ferners  sind  bekannt :  die  Leder-, 
Eisen-,  Stahl-  und  Kupferwaaren,  Porzellan,  Majolica ,  Steingut 
und  Glas;  beriihmt  sind  die  Kunstblumen ,  Mosaik-  und  Ala- 
baster arbei  ten  und  der  Malerlack,  dann  Teppiche,  Tapeten,  Koral- 
lenarbeiten  und  Bijouteriewaaren  aus  Florenz,  schones  Pergament  aus 
Lucca  und  die  (in  Italien  bedeutendsten)  chemischen  Fabriken. 

Im  Kirchenstaate  findet  aich  wenig  gewerbliche  Betrieb- 
samkeit.  Das  Kleingewerbe  und  die  Manufakturen  arbeiten  zumeist 
fiir  den  Lokalbedarf,  der  im  Allgemeinen  ein  geringer  ist.  Ver- 
haltnissmassig  am  starksten  ist  die  Industrie  in  Seidenwaa- 
r  e  n  (Bologna,  Perugia,  Horn,  Ancona  und  Forli),  zun'achst  jene 
in  Leder  (Ancona,  Rom,  Rimini),  insbesondere  liefern  Rom  und 
Foligno  schones  Pergament.  Die  Woll-  und  Leinenindustrie  sind 
schwach,  mit  Ausnahme  von  Ancona ,  wo  Segeltuch  und  Tauwerk, 
Zucker-,  Oel-,  Seifen-  und  Bleiweissfabriken  von  einigem  Belange 
sind.  Bekannt  sind:  fiir  Thongeschirre  Faenza  (Fayence),  dann 
Rom  fur  Darmsaiten ,  Kunstblumen ,  Silberwaaren,  Mosaik-  und 
Marmorarbeiten,  Glaspasten ,  fiir  Schmuck-  und  Kirchengerathe. 
Die  Industrie  in  Eisenwaaren  nimmt  gleichfalls  einen  untergeord- 
neten  Rang  ein. 

Im  Kttnigreiche  beider  Sieilien  sind  in  neuerer  Zeit  beach- 
tenswerthe  Fortschritte  gemacht  worden ,  ein  Aufschwung  in  der 
Baurnwoll-,  Schafwoll-  und  Seidenindustrie  ist  unverkennbar,  und 
auch  manche  andere  Artikel  haben  sich  Anerkennung  selbst  im 
Auslande  errungen.  Die  Zahl  der  grosseren  Fabriksetablissements 
ist  im  Steigen ,  dessgleichen  deren  Produktion.  Neapel  nebst  Um- 
gebung  weiset  die  grosste  Thatigkeit  auf ,  die  geringste  Sicilien, 
wo  nur  Palermo  und  Messina  von  einiger  Bedeutung  sind.  —  Die 
alteste  Industrie,  jene  in  Leinenwaaren,  deckt  kaum  den  Be- 
darf an  ordinarer  Waare  (Neapel,  Reggio),  bessere  Qualitaten  wer- 
den  importirt.  Etwas  bedeutender  sind  die  Wol  lenmanufakturen 
im  Westen  des  Reiches  (Amalfi,  Arpino,  Chieti  in  den  Abruzzen) ; 
noch  wichtiger  ist  die  sich  immer  mehr  ausbreitende  Fabrikation 
von  Baum  w  oil  waaren,  vorziiglich  in  Neapel,  Salerno  und  Otranto, 
dann  in  Palermo,  Catania  und  Messina ;  am  erheblichsten  ist  jedoch 
die  Seidenindustrie  (Neapel,  Catania,  Palermo,  Caserta,  Portici, 
Sorrento  und  Bari).  Die  L  e  der  Industrie  ist  in  der  Zunahme,  die 
Handschuhe  aus  Neapel  sind  sehr  vortheilhaft  bekannt.  Die  meisten 
Industriezweige  beschranken  sich  auf  die  Stadte.  Neapel  ist  weiters 
bekannt  durch  die  vortreffliche  Seife  (auch  Gallipoli),  die  Violin- 
saiten  und  Maccaronibackereien ;  Palermo  durch  ausgezeichnete 
Tischlerarbeiten ;  Lecce  durch  Baumwoll-,  Spitzen-  und  Holzwaaren  ; 
Salerno  durch  Eisen-  und  Kupferhammer ,  Glas-  und  Porzellan- 
i'abriken,  und  die  erwahnten  Webewaaren.  Beriihmt  sind  dieSchmuck- 
arbeiten  aus  Lava  und  die  Steinschleifereien  mit  ihren  schonen 

Klun's  Handels-Geogrrapbie.  2.  And.  Jg 


274 

Marmor-  und  Achatarbeiten.  Die  Metallwaaren  -  Industrie  steht  im 
Ganzen  noch  auf  geringer  Stufe. 

Der  Handel.  Die  Lage  der  apenninischen  Halbinsel  am  Mit- 
tellandischen  und  Adriatischen  Meere  mit  der  ziemlich  reich  geglie- 
derten  Kiiste  und  mehreren  guten  Hafen  ist  dem  Seehandel  ausserst 
gunstig.  Hat  auch  Italien  seine  welthistorische  Bedeutung  als  Sitz 
des  grossartigen  Handels  eingebiisst,  seitdem  der  Atlantische  Ocean 
die  Hauptstrasse  ward  fiir  den  Welthandel,  und  Venedig  und  Genua 
von  den  Stadten  am  Atlantik  iiberfliigelt  worden  sind ;  so  ist  der 
Handel  nach  der  Levante  und  Nordafrica,  nach  Westeuropa,  Ame- 
rica, nach  der  Schweiz  und  Deufschland  noch  immer  beacbtens- 
werth.  Genua,  Livorno,  Civita  vecchia,  Neapel,  Messina,  Palermo, 
Gallipoli,  Ancona  vermitteln  den  Seeverkehr ;  sie  exportiren  die 
heimischen  Produkte  und  treiben  auch  erhebliche  Spedition.  Dem 
inneren  Handel  stelleH  sich  mehrere  Hindernisse  entgegen ;  das  Land 
besitzt  ausser  dem  Po  und  der  Tiber  keine  grosseren  schiffbaren 
Fliisse ;  an  guten  Strassen  ist  nur  Oberitalien  reich,  vorziiglich  die 
Lombardei;  Eisenbahnen  sind  erst  im  Entstehen,  dessgleichen  gros- 
sere  Geldinstitute  zur  Belebung  der  Industrie  und  des  Verkehrs. 
Turin,  Florenz,  Rom,  die  beruhmten  Messen  zu  Sinigaglia  (Kir- 
chenstaat),  Foggio  (Neapel),  Neapel  sind  zunacbst  fur  den  inneren 
Verkehr  von  Wichtigkeit.  —  Zur  Ausfuhr  gelangen  vorziiglich: 
Seide,  Oel,  Sudfriichte,  Schwefel,  Alaun,  Seesalz,  Seefische,  Mac- 
caroni,  Kase,  Glas-,  Korallen-  und  Kunstarbeiten  in  Marmor  und 
Gyps;  zurEinfuhr:  Kolonialwaaren,  Baumwolle,  Leinwand,  Wol- 
len-  und  Baumwollengewebe,  Eisen-  und  Stahlwaaren,  Pferde ;  Ge- 
treide  wird  von  Sicilien  ausgefuhrt ,  dagegen  in  den  siidlichen  Ge- 
birgsgegenden  eingefiihrt, 

Geistige  Kultur.  Italien  ist  nachst  Griechenland  die  Wiege 
europaischer  Kultur,  das  Vaterland  der  Wissenschaften  und  Kiinste. 
Leider  steht  es  nicht  mehr  auf  jener  hohen  Stufe,  auf  der  es  im 
14.,  15.  und  16.  Jahrhunderte  gestanden.  Die  allgemeine  Volks- 
bildung  ist  eine  geringe,  der  Elementarunterricht  arg  vernachlassigt, 
nur  Norditalien  und  Toscana  weisen  einen  giinstigeren  Stand.  Dass 
einzelne  strebsame  Geister  unter  diesem  hochbegabten  Volke  auch 
in  unsern  Tagen  als  wiirdige  Stiitzen  und  Trager  der  Wissenschaft 
emporragen,  ist  nicht  zu  laugnen  ;  doch  wachst  die  grosse  Masse 
vielfach  ohne  alien  Unterricht  auf.  Verhaltnissmassig  bestehen  ziem- 
lich viele  Schulen  fur  gelehrte  Bildung,  dagegen  sehr  wenige  fur 
industrielle  oder  kommerzielle  Ausbildung.  Dieser  nichts  weniger 
als  befriedigende  Standpunkt  der  geistigen  Kultur  ist  auch  eine 
der  Hauptursachen  der  relativ  geringen  technischen  und  physischen 
Kultur.  —  Auf  dem  Gebiete  der  schonen  Kunste  behauptet 
jedoch  Italien  immer  noch  einen  sehr  anerkennenswerthen  Rang, 
wozu  nebst  der  gli'icklichen  Begabung  des  Volkes  die  zahlreichen 
Kunstanstalten  und  die  Schatze  der  einstigen  Grosse  des  Landes 
sehr  viel  beitragen.  Italien  tragt  somit  in  sich  die  Vorbedingungen 
fiir  eine  grossere  Entwickelung  seiner  geistigen  und  materiellen 
Wohlfahrt. 


275 

V.  Das  KOnigreich  Spanien 

§.  140.  Bestandtheile.  Bevttlkerung. 


1.  InEuropa:     K6nigreich  Spanien  und  die  Balearen-Inseln 

2.  „    Africa:       Provinz  der  kanarischen  Inseln  (152  QMM 

227.000  Einw.),  die  Presidios  in  Nord- 
africa  (1.5  QM.,  12.000  Einw.),  die  Gui- 
nea-Inseln  (23  DM.,  5600  Einw.)  u.  a.  .  176S  244.600 

3.  „   Asien:        Generalkapitanat  der  Philippinen  (der  grosste 

Theil  der  Philippinen,  die  Babuyanen-In- 
seln,  ein  kleiner  Theil  <  er  Baschi-Inseln, 
die  Marianen) 2500  3,500000 

4.  „    America:     Generalkapitanate  Cuba  und  Puerto-Rico, 

die  Jungfran-Inseln 2500  L  400.000 

Gesammtmonarchie 13.952S       21,219.600 

Nach  der  National!  tat  (in  Europa)  fast  ausschliesslieh  Spanier,  dann 
et\va  y2  Million  B  as  ken  (in  Biscaja  und  Navarra),  Moris  cos  oder  Mod  ej  ares, 
Keste  der  Mauren  (in  den  Thalern  der  Sierra  Nevada  und  Sierra  Morena),  deut- 
sche  Kolonisten  (in  der  Sierra  Morena),  viele  Zigeuner  (Gitanos),  wenig  Juden. 

—  Die  romisch-katholische  Kirche  ist  mit  Ansschluss  jedes  andern  Kultus  die  allein 
herrschcnde.  — •  Grenzen:  Im  N.  der  Biscaysche  Meerbusen,  Frankreich;  im  0.  das 
Mittelmeer ;  im  S.  das  Mittelmeer,  die  Strasse  von  Gibraltar,    der  Golf    von  Cadix  ; 
im   W.  Portugal,  der  atlantische  Ocean.    —    Untheilbare    konstitutionelle   Erbmonar- 
chie  in  mannlicher  und  weiblicher  Linie  des  romisch-katholischen  Hauses  Bourbon 
jiingerer  Linie. 

liodeiiverhaltnisse  und  Klima.  Die  hesperische  Halbinsel 
ist  ein  zusammenhangendes  Hochland,  ein  abgeschlossenes  Ge- 
birgsganzes.  Zwei  grosse  (2000'  bis  2600'  hohe)  Hochebenen  bilden 
ein  Tafelland,  welches  im  Norden  und  Suden  Hochgebirge  begren- 
zen,  und  aus  welchem  sich  von  Ost  naeh  West  parallels  Gebirgs- 
ziige  erheben.  —  Die  Hochebene  von  Altcastilien  und 
Leon  wird  begrenzt  irn  Norden  vom  kantabrisch  -  asturischen  ,  im 
Nordwesten  vom  iberischen  und  im  Siiden  vom  castilischen  Scheide- 
gebirge*;  zwischen  dem  castilischen  und  dem  andalusischen  Scheide- 
gebirge  dehnt  sich  die  Hochebene  von  Neucastilien  aus, 

—  erstere  bewassert  der  Duero,    letztere  der  Tajo.     Die  Tiefebe- 
nen  an    den  Kiisten    sind    von  verhaltnissm'assig  geringer  Ausdeh- 
nung:    die    aragonische    am  untern  Ebro,    die  andalusische 
am  untern  Quadalquibir.  —  Sammtliche    Gebirgsziige  gehoren  zum 
pyrenaischen  Gebirgssysteme.  —  Siehe  §.  26.  S.  32. 

Das  K 1  i  m  a  ist  sehr  verschieden.  In  den  Hochpyrenaen 
und  in  der  Sierra  Nevada  ist  es  am  rauhesten  und  kaltesten ,  das 
centrale  Tafelland  hat  kontinentales ,  die  niederen  Kiistenstriche 
haben  oceanisches  Klima.  Nach  horizontaler  Ausdehnung  kann  man 
unterscheiden  :  eine  nor  dliche  Zone,  welche  wohlbewassert,  baum- 
utfd  wiesenreich  und  milde ,  den  nordlichen  Kflstenstrich  und  Ga- 
licien  umfasst;  die  mit  tie  re,  das  ganze  Innere  Spaniens  umfas- 
send ,  ist  diirr ,  im  Winter  kalt,  im  Sommer  heiss,  verbrannt, 
und  fast  ganz  baumlos  ;  die  siidliche  sehr  heisse,  erzeugt  Siid- 
fruchte  und  die  feurigsten  Weine.  Wahrend  auf  den  Hochebenen 
die  mittlere  Jahreswarme  an  15  °  R.  betragt,  ist  diese  an  den  Kusten 
um  ein  paar  Grad  hoher  und  die  Sommerwarme  steigt  in  Granada 

18* 


276 

uml  Andalusien  fast  zur  africanischeu.  Die  liegenmenge  iet  eine 
geringe  (beilaufig  10") ;  Hauptwinde  sind  im  Nordwesten  der  kalte 
Galego,  im  Siiden  der  erstickend-heisse  Solano. 

Gewasser.  Der  Atlantische  Ocean  und  das  Mittel- 
meer  bespulen  das  Land,  und  schneiden  mehrere  Golfe  und  fur 
den  Seehandel  sehr  geeignete  Buchten  und  Hafen  ein.  Der  Ocean 
bildet  die  Golfe  von  Ferrol,  Coruna  und  Cadix,  das  Mittel- 
meer  die  Golfe  von  Almeira,  Cartagena,  Alicante  und 
Valencia.  250  Leguas  (20  =  1°)  der  Kuste  entfallen  auf  das 
Mittelmeer  und  237  auf  den  Atlantik.  —  Die  Fltisse,  von  denen 
nur  wenige  scbiffbar,  im  Sommer  gewShnlich  wasserarm  sind,  wah- 
rend  die  kleinen  ganz  austrocknen ,  ergiessen  sich  in  die  beiden 
Meere.  Dem  Atlantik  fliesseri  zu:  der  Minho  aus  Galicien,  zum 
Theile  Grenzfluss  gegen  Portugal;  der  Duero  aus  dem  iberischen 
Gebirge ,  Spaniens  grosster  Fluss;  der  Tajo,  der  Guadiana 
und  der  Guadalquibir,  der  wichtigste  Flues  des  Landes,  der 
wasserreichste  und  fflr  die  Schiffahrt,  wclche  bei  Sevilla  beginnt, 
der  geeignetste.  In  das  Mittelmeer:  der  Segura,  Xucar,  Gua- 
dalaviar  und  der  schiff bare  E  bro.  —  Siehe  §.  43.  S.  52  und  53. 
—  Grossere  Land  seen  gibt  es  nicht,  wohl  aber  an  der  Ost-,  zum 
Theii  auch  an  der  Sudkiiste  Lagunen  und  Teiche.  Der  einzige 
nennenswerthe  See  ist  der  fischreiche  Albufera  bei  Valencia.  — 
Unter  den  wenigen  und  meistens  entweder  gar  nicht  oder  nur  un- 
vollstandig  ausgebauten  Kanalen  iet  nur  der  von  Kaiser  Karl  V. 
begonnene  Kaieerkanal  wichtig.  Er  beginnt  unterhaib  Tudela 
am  Ebro  und  reicht  bis  unterhaib  Saragossa.  —  Mineral quellen 
besitzt  das  Land  viele  von  verechiedenen  Temperaturen  und  Be- 
standtheilen. 

Politischc  Eiiitheilung.  Spanien  bestand  nach  seiner  friihe- 
ren,  auf  die  Geschichte  des  Landes  sich  grfmdenden  Eintheilung 
aus  vier  Haupttheilen :  Castilien,  Aragonien,  Navarra 
und  den  baskisc  hen  Provinzen,  wozu  noch  die  K  o  1  o n i  e n  kamen. 
Diese  Haupttheile  bestanden  aus  mehreren  Provinzen.  —  Im  Jahre 
1833  wurde  eine  neue  Eintheilung  der  Gesammtmonarchie  in  49 
Provinzen  vorgenommen:  1.  das  eigentliche  Spanien,  das 
Fest-  oder  Mutterland  (peninsula)  mit  47  Provinzen;  2.  die  be- 
nachbarten  Besitzungen  (adyacentes),  als :  die  Balearen,  die 
an  der  Nordkiiste  von  Afrika  gelegenen  feeten  Platze  (los  presidios 
de  Africa),  die  kanarischen  und  Guinea  -  Inseln  (48.  Provinz)  und 
3,  die  uberseeischen  Kolonien  (ultramar)  als  49.  Provinz. 
-  Bekannter  und  gebrauchlicher  ist  die  a  1 1  e  Eintheilung. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind  *) : 
A.  Das  Reich  Castilien. 

1.  K5nigreich    Neucastilien    und    Landschuft    la    Mancha:    Madrid 
(302.000),  Guadalaxara,  Toledo,  Aranjuez,  Cuentja,  Ciodad    Real,    Almadcn,  Alcala. 

2.  Konigreich  Al  tcastilien:    Burgos  (16.000),   Avila,    Segovia,    Escorial, 
Soria,  Logrono,  Santander. 

3.  K6nigreich  Ledn:  Valladolid  (21.000),  Salamanca.  Leon. 

*)  Zur  Aussprache:  c  vor  e  und  i  =-  as,  sonst  =•  k ;  —  ch  =  tsch;  —  g 
vor  e  und  i  =>  ch,  sonst  =  g;  —  j  —  ch;  —  11  =  Ij ;  —  n  =  nj;  —  x  im  All- 
gemcinen  •=»  ch;  —  z  =  gelindes  8. 


877 

4.  Furstenthum  Asturien:  Oviedo  (20.000),  Gijon. 

5.  KOnigreich  Galici en:  La  Co run  a  (20.000),  El  Ferro"!,  San  Jago  de  Com- 
pestella,  Lugo. 

6.  Landschaft  Estremadura:  Badajoz  (12000),  Merida,  San  Juste. 

7.  K6ni»reich  And  a  hi  si  en   (oder  KOnigreiche  Sevilla,    Cordova,  Jaen):  Se- 
villa  (152.000),    Cadix    (72.000),    Jaen   (20.000),    Cordova    (38.000),    Xeres    de   la 
Frontera,  Huelva,  Palos.     (Cap  Trafalgar  und  Cap  Tarifa.) 

Zur  Provinz  Cadix  gehOren  die  vier  befestigten  Stadte  (Presidios)  an 
der  Nordkiiste  von  Marocco  in  Africa:  Centa,  Pen  on  de  Velez,  Alhucemas, 
Melilla,  und  die  3  Zaffarinen-Inseln  (I1/,  QMe'le  mit  12.000  Ein- 
wohnern). 

8.  KOnigreich  Gran id  a:  Granada    (100.000),   Malaga  (113.000),    Almeria. 

9.  KOnigreich  Murcia:  Murcia  (110.000),  Cartagemi  (34.000),  Albacete. 
Die  12  kanarischen  Inseln  liegen  15  Meilen  vom    africanischen  Cap  Bajador 

im  atlantischen  Ocean.  Die  7  grosseren  (Tenerif  fa,  Gran  Canaria,  Palma, 
Lanzerote,  Fuerteventura,  Gomera  und  Ferroj  sind  bewohnt.  Sie  haben 
mildes,  gleichfOrmiges,  sehr  gesundes  Klima.  liefern  viel  Wein,  Sfidfruchte, 
Getreide,  Baumwolle;  der  Ackerbau  ist  vernachl'assigt,  die  Zucht  der  Seiden- 
raupe,  der  Fischfang  und  Seehandel  bedeutend.  Hauptort:  Santa  Cruz  de 
Teneriffa  (9000). 
B.  Das  Reich  Aragoiiieu. 

1.  KOnigreich  Aragonien:  Zaragoza  (oder Saragossa 83.000),  Teruel,  Huesca. 

2.  Furstenthum  Catalonien:   Barcelona    (252.000),    Tarragona,    Tortosa, 
Lerida. 

In  der  Provinz  Lerida  liegt  die  Rcpublik.  An  dor  ra  im  gleichnamigcn 
Hochthale  (9  QM.,  16,000  Einw.).  Unter  den  34  DOrfern  und  Weilern  ist 
Our  die  am  wichtigsten.  Die  selbstgewahlte  Rathsversammlung  besteht  aus 
24  Mitgliedern;  den  Vorsitz  mit  der  Exekutivgewalt  hat  der  auf  Lebenszeit 
gewahlte  Syndicus,  dem  2  LandvOgte  (Vegueres)  znr  Seite  stehen,  deren 
eiaer  vom  Bischofe  zu  Urgel  (in  Catalonien),  der  andere  von  Frankreich  er- 
nannt  wird. 

3.  Konigreich  Valencia:  Valencia  (146.000),    Murvie"dro,    Castellon  de  la 
Plana,  Alicante. 

4.  KOnigreich  Mallorca: 

a)  die  Balearen  (77  QM.);  3  grOssere  Inselo,  Mallorca,  Hauptort  Palma 
(36.000),  Menprca,  Cabrera  ; 

b)  die  Pithyusen  (9  QM.) :  Ivica,  Formentera. 
<  ,  Da.s  Kvich  \av,u  ra. 

1.  KOnigreich  Navarra:  Pamplona  (12.000),  Tudela. 

D.  Die  baskischen  Provinzen :  Biscaya,  Guipuzcoa,  Alava  mit  den  Stadten : 
Bilbao,  San  Sebastian,  Vittoria,  Tolosa. 

Bcsondere  Hervorhebung  verdienen  die  Stadte: 

Madrid,  die  kOnigl.  Residenz,  fast  in  der  Mitte  des  tteiches  am  Maazanares- 
Flusschen  auf  einer  wasserarmen  Hochebene  gelegen.  Der  konigl.  Palast  einer  der 
prachtigsten  in  Europa;  Palast  Buen  Retiro  mit  grossen  Garten.  Universitiit,  meh- 
rere  Akademien  und  gelehrte  Institute  mit  reichen  Sammlungen,  besonders  Gemalden. 
Grosse  Cigarrenfabrik,  eonst  nicht  bedeutende  Industrie.  National-Bank,  Handels- 
gesellschaft  der  funf  Gremios.  Schone  Spaziergixnge  (Prado);  grosses  Amphitheater 
fur  Stiergefechte.  In  der  Nahe  kOnigl.  Lustschlosser,  darnnter  El  Escorial,  in 
einer  Einode  am  Guadarrama-Gebirge  mit  dem  von  Philipp  II.  nach  dem  Siege  vou 
St.  Quentin  1557  erbauten  prachtvollen  Kloster,  dem  Begrabnisse  der  spanischen 
KOnige.  Reiche  Bibliothek  und  Gemaldesammlung.  Toledo,  ehemalige  Resident 
der  maurischen  Konige  mit  dem  Sitze  des  ersten  Erzbischofes  von  Spanien.  Sevilla. 
berfihmte  Kathedrale  mit  dem  hohen  Giralda-Thurme;  Alcazar,  der  Palast  der  raau- 
rischen  KOnige;  BOrse  mit  reichen  Urkunden  fiber  die  von  spanischen  Seefahrern 
gemachten  Entdeckungen ;  grosste  Tabakfabrik  in  Europa;  sehr  lebhafte  Industrie 
nnd  bedeutender  Handel.  Universitat  nebst  andern  gelehrten  und  Spezial-Lehr- 
anstalten.  Granada,  romantische  Lage  in  fruchtbarer  Gegend;  Ueberreste  alter 
Pracht;  Alhambra  (Palast  der  maur.  Konige;,  viele  Alterthfimer;  Universitat;  ba- 
rtthmte  Kathedrale. 


278 

KulturverMltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  naturliche  BodenbeschafFenheit  und  das  Klima  sind  in  dera 
grossten  Theile  Spaniens  der  Bodenkultur  sehr  giinstig;  allein 
derselben  wird  noch  lange  nicht  die  wiinschenswerthe  Aufmerksam- 
keit  zugewendet,  obwohl  in  neuester  Zeit  die  zahlreichen  landwirth- 
schaftlichen  Vereine  zur  Hebung  dieses  Nahrungszweiges  erspriess- 
lich  thatig  sind.  Nur  wenig  mehr  als  die  Halfte  des  Flacheninhal- 
tes  nimmt  das  bebaute  Land  ein  (etwa  25  Millionen  Hectaren  &  1,74 
Wiener  Joch)  ;  auf  das  unbebaute  Land  mit  den  Haiden  und  auf 
den  unproduktiven  Boden  entfallen  je  15%,  auf  die  Waldungen 
jedoch  kaum  3%.  Allerdings  ist  die  Diirre  des  Bod  ens  und  der 
Wassermangel  ein  Hemmniss  der  Bodenbebauung  ,  welches  durch 
die  nicht  ausreichenden  Bewasserungsanstalten  und  Kanale  nicht 
gehoben  wird  ;  und  der  geringe  Waldstand  iibt  auf  die  klimatischen 
Verhaltnisse  einen  nachtheiligen  Einfluss  aus.  Wird  auch  eine  re- 
lativ  nur  geringe  Flache  und  wenig  rationell  und  fleissig  angebaut; 
so  deckt  doch  in  der  Regel  die  dermalige  Produktion  anGetreide 
den  heimischen  Bedarf,  in  guten  Jahren  gelangen  Produkte  des 
Ackerbaues  noch  zum  Export.  Am  meisten  wird  Weizen  ange- 
baut, dann  Gerste ;  in  den  nordlichen  Gegenden  mehr  Roggen, 
Hirse  und  Buchweizen ,  in  den  mittleren  Mais ,  in  Catalonien 
und  um  Valencia  Reis.  Sehr  bedeutend  ist  die  Produktion  an 
Hulsenfnichten ,  Gemusen  und  feirien  Gartenfruchten.  Der  Silden 
liefert  vorziigliche  Siidfruchte  (Mandeln ,  Rosinen ,  Feigen, 
Datteln,  Orangen,  Kastanien  u.  s.  w.)  in  den  Handel.  Wichtig  ist 
der  Olivenbau,  obschon  das  Oel  wegen  mangelhafter  Behandlung 
dem  franzosischen  und  italienischen  nachsteht.  Fur  Safran  ist  es 
das  wichtigste  Land  in  Europa  (in  Neucastilien ,  namentlich  um 
CuenQa) ;  von  Bedeutung  sind  ferner:  die  Farberrothe  (Segovia,  Ga- 
licien,  Leon,  Estremadura)  ,  Sumach  oder  Gelbholz  (Valladolid), 
Waid  ,  Krapp,  Saflor,  spanischer  Pfeffer  (Estremadura),  Siissholz, 
Hanf  und  Flachs  (Castilien,  Galicien,  Leon),  etwas  Baumwolle  in 
Valencia  und  Granada.  Die  Zuckerpflanzungen  (um  Malaga)  haben 
in  den  letzten  Jahren  im  Durchschnitt  an  75.000  Zentner  Zucker- 
robr  gegeben.  Einer  der  wichtigsten  Exportartikel  ist  der  Wein; 
die  Vortrefflichkeit  der  sudspanischen  Weine  ist  bekannt,  nament- 
lich: Xeres,  Malaga,  Alicante,  Tinto,  Malvasier  u.  a.  Die  Jahres- 
produktion  kann  auf  etwa  18  Millionen  osterreichische  Eimer  (an 
63  Millionen  Arrobas)  geschatzt  werden.  —  Die  untergeordnete 
Stufe,  auf  welcher  die  Forstkultur  steht,  erklart  den  Holzmangel 
in  den  meisten  Provinzen ,  ausgenommen  in  den  nordlichen  Ge- 
genden. 

In  der  Viehzucht  nimmt  seit  jeher  die  Schafzucht  den 
ersten  Rang  ein  ,  wenn  gleich  die  Wolle  nicht  mehr  die  ehemalige 
Beruhmtheit  geniesst.  .Die  Zahl  der  Schafe  wird  auf  19  Millionen 
geschatzt,  worunter  7  Millionen  Wanderschafe  (merinos)  mit 
langer  feiner  Wolle,  die  ubrigen  von  geringerer  Race  und  der  jahr- 
liche  Wollertrag  soil  sich  auf  85  Millionen  Pfund  belaufen ,  wovon 
noch  immer  ein  ansehnlicher  Theil,  wenngleich  weniger  als  ehemals, 
nach  England  abgesetzt  wird.  Die  Merinos  leben  stets  in  freier 


879 

Luft,  im  Sommer  ziehen  die  Heerden  (10.UOU  bis  40.000  Stuck)  in 
den  gebirgigen  Gegenden ,  im  Winter  hauptsachlich  in  Estrema- 
dura  herum.  Die  Heerdenbesitzer  bilden  (im  Jahre  1854  neuer- 
dings  organisirte)  Korporationen  (mesta),  das  Umherwandern  und 
Abweiden  geschieht  nach  bestimmten  Gesetzen.  —  In  den  Gebirgen 
ist  die  Ziegenzucht,  in  Estremadura  die  Schweinezucht,  in  den 
Nordprovinzen  die  Zucht  zahmer  Kinder,  im  Guadarrama-Gebirge,  in 
Navarra  und  der  Sierra  Morena  jene  der  wilden  Stiere  (zu  Stier- 
gefechten)  am  erheblichsten.  —  Ein  vorziiglicher  Pf  erdeschlag  ist  in 
Andalusien,  doch  vvird  dem  Maulthiere  und  Esel  eine  noch  grossere 
Aufmerksamkeit  zugewendet.  Nennenswerth  sind  endlich:  die  Bienen- 
zucht  (Sevilla,  Cordova),  die  Seidenzucht  (Valencia,  Murcia).  Coche- 
nille  und  Kermes  (Valencia,  Alicante),  Canthariden  oder  spanischen  Flie- 
gen.  Die  Fischerei  auf  Thunfische  und  Sardellen  ist  ziemlich  bedeutend. 

Der  llergbau  ist  in  Spanien  hochst  wichtig.  Die  Erzah- 
lungen  des  Alterthums  von  den  fabelhaften  Reichthiimern  des 
Landes  an  edlen  Metallen  geniessen  zwar  keine  grosse  Glaubwiir- 
digkeit ,  dessungeachtet  kann  ein  ehemals  relativ  grosser  Reich- 
thum  nicht  gelaugnet  werden.  Nach  der  Entdeckung  America's 
ist  der  Silber-  und  Goldreichthum  Spaniens,  theils  wegen  der  Ver- 
nachlassigung  des  Bergbaues  im  Mutterlande ,  theils  wegen  der 
verhaltnissmassig  viel  grosseren  Menge  edler  Metalle  in  der  ,,neuen 
Welt"  auf  ein  sehr  bescheidenes  Mass  herabgesunken.  In  neue- 
ster  Zeit  wird  dem  Bergbaue  wieder  eine  grossere  Sorgfalt  zuge- 
wendet;  besonders  erheblich  ist  die  Ausbeute  an  Blei,  Queck- 
silber  und  Eisen;  auch  Kupfer,  Silbererze  und  Steinkohlen  so- 
wie  andere  mineralische  Produkte  werden  in  ansehnlicher  Menge 
gewonnen.  Im  Jahre  1856  standen  386  Gruben  im  Betriebe  und 
die  Ausbeute  betrug  an:  Blei  iiber  5  Millionen,  Quecksilber 
tiber  420.000,  Eisen  iiber  1 '/2  Million,  Kupfer  iiber  1%  Mil- 
lion, Silbererze  770.000  (mit  etwa  300.000  Mark  Silber)  und 
Steinkohlen  nahe  an  2  Millionen  Zentner.  Die  ergiebigsten 
Bergwerke  sind :  fur  Zinnober  und  Quecksilber  Almaden,  Blei  Al- 
pujarras  in  Granada,  Eisen  Asturien,  Leon,  Granada ,  Sierra  Mo- 
rena, Kupfer  Sierra  Nevada,  Rio  Tinto  u.  s.  w.  Die  bedeutendsten 
Hiittenwerke  sind  in  Almaden,  Rio  Tinto  ( Cementkupferfabrik ), 
Malaga  (Eisenhiitten),  Cartagena  (Bleischmelzhiitten),  Hellin  (Schwe- 
felhiitten)  u.  a.  —  Sehr  grossen  Reichthum  besitzt  endlich  das 
Land  an  Steinsalz,  Salzquellen  und  Seesalz;  87  Salinen,  unter  de- 
nen  jene  zu  Cardona  die  wichtigste  ist,  erzeugen  jahrlich  etwa 
5'/2  Million  Zentner  Salz;  Seesalz  gewinnen  Sevilla,  Cadix,  Va- 
lencia und  die  Balearen. 

In  der  gewerblichen  Industrie  nimmt  Spanien  keine  her- 
vorragende  Stelle  ein.  Auf  eine  langdauernde  Vernachlassigung 
gewerblicher  Thatigkeit,  M7e!che  theils  in  der  Bequemlichkeit  und 
den  geringen  Bediirfniasen  des  Volkes,  theils  in  den  haufigen  inne- 
reri  Unruhen  und  Kriegen  und  in  dem  ausgedehnten  Monopol- 
system  ihren  Grund  hatte ,  folgte  in  neuerer  Zeit  ein  erfreulicher 
Aufschwung,  der  zur  Hoffnung  auf  eine  bessere  Znkunft  berech- 
tiget.  Gegenwartig  deckt  die  emheimische  Industrie  iui  Allgemeinen 


noch  nicht  den  Bedarf ;  sie  ist  jedoch  mannigfaltig  und  in  manchen 
Artikeln  so  vorgeschritten,  dass  sie  eine  Konkurrenz  mit  dem  Aus- 
lande  wohl  auszuhalten  im  Stande  ist.  Die  Hauptsitze  der  Indu- 
strie, insbesondere  des  eigentlichen  Fabrikswesens,  sind  Ca- 
talonien  und  die  baskischen  Provinzen;  doch  ist  auch  in 
Valencia,  Galicien,  Asturien,  in  Andalusien  und  Murcia  das  Ge- 
werbewesen  ziemlich  ausgebreitet.  —  Hinsichtlich  des  Umfanges 
des  Geschaftsbetriebes  sowie  der  Qualitat  der  Produkte  nimmt  die 
im  raschen  Aufbliihen  begrifFene  Baumw  o  11 -Industrie  den  er- 
sten  Rang  ein,  und  zwar  in  Catalonien  (Barcelona,  Vich,  Tarragona, 
Reus,  Mataro),  zum  Theile  auch  auf  den  Balearen  und  in  Valen- 
cia. Die  Einfuhr  an  Baumwolle  steigt  fortwahrend ,  die  Zahl  der 
Spindeln  soil  an  1 '/4  Million  betragen,  welche  die  hochsten  Num- 
mern  von  Garn  liefern  und  dermalen  diirften  an  150  Dampfmaschinen 
in  den  Baumwollenfabriken  Cataloniens  thatig  sein.  Die  Seiden- 
industrie  hat  ihren  Sitz  gleichfalls  in  den  Konigreichen  Catalonien 
und  Valencia,  zum  Theil  auch  in  den  Umgebungen  von  Madrid, 
Toledo,  Talavera,  Sevilla,  Malaga,  Saragossa  und  Granada.  In 
Valencia  selbet  werden  nahezu  jahrlich  an  J/2  Million  Pfund  roher 
Seide  gesponnen  und  iiber  iya  Million  Ellen  Seidenzeuge  fabrizirt. 
Die  S  c  h  af  wo  11  Industrie  steht  in  keinem  Verhaltnisse  zu  der  Menge 
und  Qualitat  des  im  Lande  gewonnenen  Rohproduktes ;  die  besten 
Waaren  erzeugen  Segovia,  Barcelona  und  Burgos.  Fur  Wollen- 
tucher  sind  erwahnenswerth  :  Terraza,  Burgos,  Segovia,  Guadalaxara, 
Alcoy  u.  a.;  fur  Wachstuch :  Barcelona.  Die  Erzeugung  an  Le  in- 
wan  d  und  Da  mast  (Galicien,  Valencia,  Malaga  u.  a.)  ist  nicht 
erheblich;  wichtiger  ist  jene  von  Segeltuch  in  einigen  Seestadten. 
Bedeutender  ist  die  Fabrikation  von  Metallwaaren,  obwohl 
ebenfalls  nicht  im  Verhaltnisse  zur  Roherzeugung  des  Landes.  Die 
meisten  EisenhUmmer  sind  in  Biscaya ,  auch  in  Burgos,  Leon  und 
Cuensa,  das  grosste  Eisenwerk  ist  in  Malaga.  Geschatzt  werden 
die  Feuergewehre  (Cybar  und  Plasencia  in  Biscaya),  Messer,  Klingen 
(Toledo),  Bijouterie-,  Gold-  und  Silberwaaren  (Madrid,  Sevilla,  Bar- 
celona u.  a.),  Kanonen  (Sevilla,  Barcelona)  u.  s.  f.  Madrid  liefert 
gutes  Porzellan  (konigliche  Fabrik) ,  Alcora  und  Medina  Fayence 
und  Topferwaaren ,  S.  Ildefonso  (in  Segovia)  Spiegel.  Beriihmt 
sind  die  im  grossartigsten  Massstabe  betriebenen  Ledergerbe- 
reien  Cataloniens,  dann  von  Cordova,  Malaga,  Burgos  und 
Toledo,  sowie  die  Weissgerbereien  in  Valladolid ,  Sevilla, 
Granada.  Schone  Seife  erzeugen  Mataro,  Alicante,  Valenca, 
Malaga.  —  Die  Fabrikation  und  der  Verkauf  des  T  a  b  a  k  s  ist 
Staatsmonopol;  die  grosse  Cigarrenfabrik  in  Sevilla  liefert  taglich 
650.000  Stuck ,  zunachst  steht  Madrid.  Das  meiste  Papier  er- 
zeugen die  Papiermiihlen  in  Catalonien  und  Valencia.  Endlich  be- 
stehen  Branntweinbrennereien  ,  einige  Bierbrauereien,  Zuckerraffine- 
rien  u.  s.  f. 

Der  Handel  Spaniens  hat  die  hohe  Bedeutung ,  welche  ihm 
die  reichen  Entdeckungen  und  Eroberungen  in  der  neuen  Welt, 
die  gewinnreichen  Geschaftaverbiuduagen  mit  beidea  ladiea  ver- 
schafft  hatten,  langat  verloren.  Nach  den  grossen  Kampfen  in  un- 


281 

serem  Jahrhunderte  war  derselbe  noch  mehr  gesunken,  und  erst  in 
den  letzten  20  Jahren  ist  wieder  ein  progressiver  Aufschwung  be- 
merkbar.  Zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  erreichte  der  Werth  des 
Jahres-Importes  etwa  220  Millionen,  des  Exportes  210  Mil- 
lionen  Realen  (a  10 1/9  Neukreuzer);  im  Jahre  1857  dagegen  war 
der  Import  schon  fiber  1500  Millionen ,  der  Export  auf  nahezu 
1170  Millionen  Realen  gestiegen*).  Der  starkste  Verkehr  ist  mit 
den  americanischen  und  africanischen  Kolonien ,  auf  welche  fiber 
*/5  des  erwahnten  Geldwerthes  kommen ;  bedeutend  geringer  sind 
die  Geschafte  mit  Ostindien.  Die  Handelsmarine  z'ahlt  fiber 
5200  Schiffe  mit  etwa  220.000  Tonnen  (ungerechnet  die  Kfisten- 
fahrer).  Die  wichtigsten  Seeplatze  sind:  Barcelona,  Valencia, 
Alicante,  Cartagena,  Malaga  (Ausfuhr  der  Sfidfriichte  und  Wein), 
Cadix  (Hauptplatz  fiir  den  Kolonialhandel),  Coruria,  Gijon,  Santan- 
der,  Bilbao  und  San  Sebastian.  —  In  grosser  Ausdehnung  wird 
der  Schmuggelhandel  betrieben  (mit  Frankreich,  Portugal  und 
den  Englandern  in  Gibraltar)  ,  und  es  wurde  vor  wenigen  Jahren 
der  Betrag  desselben  auf  30%  mehr  als  der  des  gesetzmassigen 
Handel  s  angegeben. 

Der  Binnenhandel  ist  wegen  Mangels  an  guten  Strassen, 
an  schiff  baren  Flfissen ,  Kanalen  und  grosseren  Eisenbahnlinien 
ziemlich  beschrankt.  Den  Verkehr  im  Innern  vermitteln:  Madrid, 
Sevilla,  Burgos,  Saragossa,  Cordova,  Granada  und  Murcia,  —  Fiir 
die  Forderung  des  Handels  bestehen  in  neuester  Zeit  mehrere  Ban- 
ken  (Madrid,  Barcelona,  Cadix,  Malaga,  Valladolid,  Coruna), 
die  industrielle  und  kommerzielle  Kreditgesellschaft  in  Madrid, 
viele  Assekuranzen,  Handelsrathe,  Handelsschulen  und  Konsulate, 
und  eine  sehr  lebhafte  Dampfschiffahrts  -  Verbindung  langs  der 
Kiiste. 

Die  geistige  Kultur  hat  im  grossen  Ganzen  die  gleichen 
Wandlungen  durchgemacht,  die  wir  auf  dem  Gebiete  der  materiel- 
len  Thatigkeit  der  Spanier  gesehen  haben.  Von  der  hohen  Stufe, 
auf  der  sie  vom  15.  bis  zum  17.  Jahrhunderte  gestanden ,  sind  sie 
allmalig  herunter  gestiegen  und  erst  in  neuester  Zeit  ist  wieder 
eine  erfreuliche  Veranderung  eingetreten.  Die  Zahl  der  Volksschu- 
len  ist  weder  ausreichend,  noch  befinden  sie  sich  in  einem  unserem 
Zeitgeiste  entsprechenden  Zustande ,  der  allgemeine  Bildungsgrad 
der  grossen  Masse  ist  sonach  ein  geringer.  Die  gelehrten  Mittel- 
und  Hochschulen  stehen  den  analogen  deutschen  Anstalten  weit 
zuriick,  fiir  technische  und  kommerzielle  Fachbildung  ist  gleichfalls 
noch  viel  zu  wenig  geleistet  worden.  Es  ist  jedoch  sichere  Aus- 
sicht  auf  entschiedene  Besserung  vorhanden ,  indem  in  den  letzten 
Jahren  ein  ernstes,  entschlossenes  Vorwartsstreben,  ein  Aufschwung 
in  der  gesammten  geistigen  und  materiellen  Thatigkeit  der  Na- 


*)  Beim  Import  sind  am  bedeutendsten :  Zucker  (110  Millionen  Realen),  Baura- 
wolle  (90  M.  B.),  Wollwaaren  (43  M.  R.),  Cacao  (42  M.  R.),  Stockfische,  Baum- 
woll-,  Seiden-  und  Leinenwaaren,  Mascbinen  u.  s.  f.,  —  beim  Export:  Weine 
(290  Millionen  Realen),  Mehl  (125  M.  R.),  Korn  (84  M.  R.),  Blei  (83  M.  R.),  Oli- 
ven61  (67  M.  R.),  Qaecksilber  (25  M.  R.),  Schafwolle  (22  M.  R.),  Salz  (17  M.  R.), 
Reis,  Seife,  Gerste  u.  s.  f. 


282 


tion,  gefordert  durch  die  Bemuhungen  der  Regierung,  sich  bemerk- 
bar  macht. 


VI.  Das  Konigreich  Portugal. 


§.  141.  Bestandtheile.  Bevtilkerung. 


QMeilen    Einwohner 


1.  Das  Mutterl  and 

2.  Die  Inseln. 


3.    Die  Kolonien: 


fAzoren 
JMadeira-Gruppe 

|Kapverdische 
in  Asien:  Vicekonigreich  Indien  mit"| 
den  Gouvernements :  Goa,  Damao, } 
Diu  (in  Vorderindien),  Macao  (in\ 
China),  Dille  auf  der  Insel  Timor,! 
u.  a. 

in  Africa  (ausser  den  oberwahnten 
Inseln)  die  Gouvernements :  St.  Tho- 
mas und  do  Princide  und  einige  Fak 
toreien  ("Guinea),  Angola  und  Ben- 
guela  (Westrand  von  Siidafrica) , 
Niederlassungen  auf  der  Kuste  Mo- 
zambique. 


1740 
143 


200.000 


250        1,000.000 


18.250        1,300.000 


Gesammtmonarchie*).      .20.383        6,000.000 

Nach  der  Nationalitat  (in  Europa)  meist  Portugiesen,  ein  Mischlingsvolk 
wie  die  Spanier,  dann  Gallegos  (Galicier),  Englander,  Franzosen,  Deutsche  und 
Italiener.  —  Die  romisch-katholische  Kirche  ist  Staatsreligion.  Den  Protestan- 
ten  und  Juden  ist  die  Ausiibung  ihres  Kultus  gestattet.  —  Grenz  en :  im  N.  und 
0.  Spanien,  im  S.  nnd  W.  der  atlantische  Ocean.  —  Untheilbare ,  konstitutionelle 
Erbmonarchie.  Die  Thronfolge  geschieht  in  der  inannlichen  und  weiblichen  Linie  des 
romisch-katholischen  Zweiges  des  Hauses  Sachsen-Koburg-Gotha,  der  durch 
Vermahlung  mit  dem  letzten  weiblichen  Sprossling  des  Hauses  Braganza  in  den 
Besitz  der  Krone  von  Portugal  gekommen  ist. 

Qberflache  und  Klinia.  Portugal  ist  der  westliche  Abhang 
des  centralen  Hochlandes  der  pyrenaischen  Halbinsel,  welches  sich 
von  Osten  nach  Westen  gegen  den  Atlantischen  Ocean  neigt.  In 
diese  geneigte  Hochflache  schneiden  die  vier  bedeutenclsten  aus 
Spanien  kommenden  Flusse  Minho,  Douro,  Tejo,  Guadiana 
die  Hauptthaler,  aus  welchen  sich  die  rauhen  Bergwassen  der 

*)  Die  Flachenzahl  der  portugiesischen  Kolonien  ist  nur  unsicher  bekannt. 
und  die  Zahlen  stimmen  in  den  verschiedenen  Schatzungen,  besonders  bei  den  Ko- 
lonien in  Africa  (welche  ohnehin  nicht  gcnau  abgegrenzt  sind)  gar  nicht  iiberein. 
Die  wichtigsten  auswartigen  Besitzungen  sind  ubrigens  Madeira  und  Goa,  wah- 
rend  die  sogenannten  africanischen  Kolonien  mit  ihren  Tausenden  von  Quadratmeilen 
grosstentheils  unkolonisirbare  Wildnisse  und  sehr  diirftig  bevolkert  sind.  —  Die  gleiche 
Unsicherheit  herrscht  bei  der  B  evolke rungs zahl,  da  officiell  nur  die  Feuerstellen, 
nicht  die  Einwohner  gezahlt  werden.  Die  Anzahl  der  Feuerstellen  mit  dem  gewohn- 
lichen  Faktor  (9  Kopfe  auf  2  Feuerstellen)  multiplizirt,  gibt  nahezu  obige  Zahlen.  — 
Im  Jahre  1860  ist  ein  Vertrag  zwischen  den  Regierungen  der  Niederlande  und 
Portugal  uber  die  Grenzen  der  beiderseitigen  Besitzungen  auf  Timor  im  ost- 
indischen  Archipel  geschlossen  werden.  Nach  demselben  gelangt  Holland  in  den 
vollen  und  untheilbaren  Besitz  der  nSrdlich  von  Timor  gelegenen  Inseln:  Flores, 
Solor,  Lomblem,  Pantare  und  Ombai,  sowie  aller  kleinen  Eilande,  welche  znm  Ar- 
chipel von  Solor  gehSren.  Das  von  den  Portugiesen  abgetretene  Gebiet  ist  an  Hol- 
land gegen  Bezahlung  von  200.000  Gulden  uberlassen  worden. 


West-Enden  der  spanischen  Gebirgsziige  erheben.  Zwischen  Minho 
und  Douro  gehort  die  Bergmasse  —  Serra  de  Montezinho  — 
dem  kantabrisch-asturischen  Gebirge  an  (Gaviarra  7400'),  zwischen 
Douro  und  Tejo  die  Se  rra  Estrella  dem  kastilischen  Scheide- 
gebirge,  zwischen  Tejo  und  Guadiana  dem  Gebirge  yon  Estrema- 
dura,  und  das  andalusische  Scheidegebirge  sendet  seine  Auslaufer 
durch  den  siidlichsten  Theil  (Algarve)  als  Serras  de  Monhique 
bis  zum  Cap  S.  Vincent.  An  der  Kuste  dehnen  sich  schmale  Tief- 
ebenen  aus,  die  breiteste  siidlich  vom  Tejo.  Bedeutendere  Kusten- 
flusse  sind  der  Mondego  aus  der  S.  Estrella  (schiffbar  von  Coim- 
bra  ab)  und  der  fahrbare  Sado  aus  den  Serras  de  Monhique.  — 
Portugal  hat  keine  grosseren  Landseen,  wenig  Sumpfland ;  fiber 
50  Mineralquellen. 

In  horizontaler  Ausdehnung  ergeben  sich  keine  bedeutenden 
Verschiedenheiten  der  Temperatur,  grossere  nach  vertikaler 
Erhebung,  doch  reichen  die  Gebirge -nirgends  in  die  Schneeregion 
hinauf.  Das  ganze  Land  liegt  in  der  Zone  des  Oelbaumes  und  der 
Siidfruchte,  und  hat  im  Allgemeinen  ein  sehr  gesundes  K 1  i  m  a. 
Wahrend  die  Kiistenstriche  durch  Seewinde  etwas  mehr  abgekiihlt 
werden ,  herrscht  im  Innern  des  Landes  in  den  Sommermonaten 
africanische  Hitze.  Der  Schneefall  gehort  zu  den  Seltenheiten, 
dessgleichen  Hagel ;  Regen  und  Gewitter  sind  haufig  im  Herbst 
und  Winter,  um  welche  Zeit  auch  Erdbeben  um  Lissabon  und  den 
Tejo  -  Landschaften  ofters  bemerkt  werden.  (Lissabon,  am  1,  No- 
vember 1755.) 

Politische  Einfheiluug.  Die  Gesammtmonarchie  wird  in 
8  Provinzen  eingetheilt,  an  deren  Spitze  Civilgouverneure  stehen; 
das  Festland  besteht  aus  6  Provinzen,  die  benachbarten  Inseln  bil- 
den  2  Provinzen. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind  : 

1.  Provinz  Estremadura:  Lissabon,   Santarem,  Setuval.  —  Lissabon 
(port.  Lisboa)  mit  270.000  Einw.,  prachtvolle  Lage  an  der  Mtindung  des  Tejo,  aber 
sehr  unreinliche  Stadt ;  viele  Kirchen  und  Kloster;  mehrere  Palaste  seit  dem  grossen 
Erdbeben  (1755)    nicht    ganz    wieder    hergestellt.     K6nigl.  Residenz    und    Sitz   eines 
Patriarchen.     Zahlreiche    schone    Landhauser    (Quinta's).     Wichtig   fur    den  Handel, 
der  fast   ganz  in  Handen    der    Englander    sich    befindet.     Kriegshafen  mit  dem  Fort 
Belem.  wo  die  Schiffe  anlegen.     Bank,  Borse,  Schiffswerfte.   Grosse  Wasserleitung 
von  Alcantara. 

2.  Provinz  Alemtejo:  Evora  (12.000),  Elvas; 

3.  Provinz  Beira:  Coimbra  (35.000),  Lamego,  Ovar; 

4.  Provinz  Tras  os  Montes:  Braganza  (16.000),  Villa  Real; 

5.  Provinz  Entre  Minho  e  Douro:    Oporto  (81.500),    Braga,  Vianna, 
Guimaraes ; 

6.  Provinz  Algarve:  Faro  (17.000),  Tavira,  Sagres; 

7.  Provinz  der  Azoren:    Eine    Gruppe    von    9  bewohnten  Inseln  (Corvo» 
Flores,  Pico,  S.  Jorge,  Fyal,  Graciosa,   Terceira,  S.  Miguel  die  grSsste,    S.  Maria); 
alle  vulkanischer  Natur;  sehr  mildes  gesundes  Klima.     Der  Ackerbau    ist    nicht   er- 
heblich ;  dagegen  produciren  die  Inseln  Siidfrflchte  und  Wein  von  vortrefflicher  Qaa- 
litat  und  nnterhalten  lebhaften  Seehandel.     Die  bedeutendsten   Hafenplatze  und  Orte 
sind:  auf  Terceira:  Angra  (24000),  auf  S.  Miguel:   Punta  Delgado  (29.000). 

8.  Provinz    Madeira:     Die    vulkanische    Gebirgsinsel    Madeira,    Hauptort 
Funchal  (25.000),  hat  ein  gleichfurmiges,  sehr  gesundss  Klima    und  ausgezeichne- 
ten  Weinbau.     Auch  Porto  Santo    ist    bawohnt.    —    Die  Inseln    des   grunen  Vor- 
gebirges  sin  I  un^esuud  und  wenig  frachtbar ;  ihr  Hanptprodukt  ist  Salz. 


284 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Der  sehr  fruchtbare  Boden  und  das  der  Vegetation  zutragliche 
Klima  begGnstigen  in  hohem  Grade  die  Bodenkultur;  doch  wird 
der  Landwirthschaft  bei  weitem  nicht  die  wiinschenswerthe  Sorg- 
falt  zugewendet.  Das  eigentliche  Ackerland,  zumeist  in  den  nord- 
lichen  Provinzen,  nimmt  nur  etwas  mehr  als  18%  der  Gesammt- 
flache  ein ,  und  deckt  kaum  den  Bedarf  des  Landes  an  Getreide ; 
die  Reiskultur  gewinnt  hingegen  an  Ausdehnung.  Noeh  schwacher 
ist  der  Wiesenbau  bestellt,  auf  welch  en  kaum  iya  %  entfallen;  die 
Forstkultur  mit  etwa  4V2  %  der  Area  ist  ebenfalls  nicht  aus- 
reichend.  Reich  ist  das  Land  an  Sudfriichten,  besonders  in  Al- 
garve,  wahrend  die  mitteleuropaischen  Obstarten  in  der  nordlichen 
Landeshalfte  in  grosser  Menge  gebaut  werden ;  auch  der  Hanf-  und 
Flachsbau  ist  in  den  nordlichen  Gegenden  von  Bedeutung.  Der 
wichtigste  Exportartikel  ist  der  We  in,  insbesondere  sind  beruhmt 
die  Weine  von  Oporto ,  dann  um  Lissabon,  Setuval.  —  Auf  einem 
verhaltnissmassig  besseren  Stande  steht  die  Viehzucht.  In  den 
Agrikulturgegenden  des  Nordens  wird  schones  Rindvieh  gehalten; 
sehr  bedeutend  ist  die  Zucht  der  Maulthiere  und  Esel,  namentlich 
in  Tras  ps  Montes  ;  die  Schafzucht  wird  wie  in  Spanien  betrieben, 
zumeist  in  Beira  und  Alemtejo  ,  in  den  Gebirgen  ist  die  Ziegen- 
zucht  stark  verbreitet;  die  Bienenzucht  wird  im  Grossen  nur  in 
Alemtejo  und  Beira,  die  Seidenraupenzucht  in  Tras  os  Montes  ge- 
pflegt.  Die  Seefischerei  liefert  Thunfische  und  Sardellen  in  gros- 
ser Menge. 

Der  Bergbati  ist  bis  jetzt  ganz  vernachlassigt ,  obwohl 
Spuren  wahrscheinlich  ansehnlichen  Reichthums  an  edlen  und  un- 
edlen  Metallen  vorhanden  sind.  Die  dermalige  Gewinnung  von 
Gold ,  Silber ,  Kupfer ,  Eisen ,  Blei ,  Steinkohleh  u.  s.  f.  ist 
kaum  nennenswerth.  Seesalz  wird  (besonders  um  Setuval,  Aveiro) 
weit  iiber  den  Bedarf  gewonnen ,  Quellsalz  nur  bei  Santarem 
am  Tejo. 

Hat  sich  in  neuerer  Zeit  die  gewerbliche  Industrie  auch 
gehoben,  so  reichen  die  Erzeugnisse  fast  in  keinem  Zweige  fin- 
den  inlandischen  Badarf  aus ,  und  auch  hinsichtlich  der  Qualitat 
stehen  die  meisten  Artikel  den  ahnlichen  Produkten  anderer  Lan- 
der zuriick.  Im  Jahre  1855  berechnete  man  die  Zahl  der  industriel- 
len  Etablissements  mit  1600  und  die  Zahl  der  darin  beschaftigten 
Arbeiter  nur  mit  20.000,  was  auch  auf  einen  geringen  Umfang  der 
meisten  Etablissements  schliessen  lasst.  Die  industriellsten  Orte 
sind  Lissabon  und  Oporto.  Relativ  am  starksten  ist  die  Industrie 
der  Webe-  und  Wirkwaaren ,  namentlich  die  Leine  nindustrie  (in 
Douro  und  Minho,  Beira  und  Lissabon),  dann  in  Baumwollwaa- 
ren  (Oporto,  Braga,  Braganza,  Lissabon  und  Evora),  fiir  Seide 
bestehen  an  50  Fabriken  (Lissabon,  Oporto,  Braganza),  fiir  Schaf- 
wolle  sind  Covilha  (an  der  Sildseite  der  S.  Estrella)  und  Porta- 
legre  (Alemtejo)  am  bekanntesten.  Erwahnenswerth  sind  Porzellan, 
Fayence  und  Glas,  die  Gold-  und  Silberarbeiten,  das  Tauwerk  in 
Algarve,  Hike  und  Papier,  einige  Zuckersiedereien ,  Tabakfabriken 
und  Branntweinbrennereien.  Zur  Hebung  der  Industrie  haben  sich 


285 

in  letzter  Zeit  zu  Lissabon,  Oporto  und  Coimbra  Industrie-Asso- 
ciationen  gebildet. 

Der  aussere  Handel,  ehemals  grossartiger  Welthandel,  be- 
schrankt  sich  gegenwartig  auf  die  Seeplatze  Lissabon,  Oporto, 
Setuval ,  Faro  und  fur  den  Verkehr  nach  Spanien  Elvas ,  und  ist 
beim  Import  zura  grossten  Theile  in  den  Handen  der  Englander. 
Regelmassige  DampfschifFahrt  besteht  zwischen  Lissabon,  Havre, 
Rotterdam  und  Brasilien,  Zur  Ausfuhr  gelangen :  rothe  Portweine 
(iiber  Oporto  und  Setuval),  Sudfruchte,  Oel,  Seesalz,  Schinken, 
Wolle,  Kork;  zur  Einfuhr:  Webe-  und  Wirkwaaren,  Metalle 
und  Metallwaaren ,  Kolonialwaaren ,  Modeartikel ,  kurz  fast  alle 
Artikel  der  englischen  Industrie.  Der  Werth  der  Einfuhr  betrug 
in  den  letzten  Jahren  beilaufig  an  15  Millionen,  jener  der  Ausfuhr 
an  9  Millionen  Gulden.  —  Der  innere  Handel  kann  sich  bei  dem 
schlechten  Zustande  der  Strassen ,  dem  Mangel  an  schiffbaren 
Kanalen,  der  noch  geringen  Menge  der  Schienenwege  und  trotz 
der  schifFbaren  Fliisse  nicht  entfalten.  In  der  letzten  Zeit  haben 
sich  einige  Gesellschaften  konstituirt  (Bank  von  Portugal  mit  nahe 
20  Millionen  Gulden  Stammkapital  mit  einer  Filiale  in  Oporto, 
Weinhandelsgesellschaft  in  Oporto  u.  a.),  urn  den  Verkehr  zu 
heben. 

Die  geistigc  Kultur  weiset  cbenfalls  kein  erfreuliches  Bild. 
Die  lange  nicht  in  ausreichender  Anzahl  bestehenden  Schulen  und 
der  Unterricht  befanden  sich  seit  jeher  in  einem  traurigen  Zustande; 
gegenwartig  erst  beginnt  eine  grossere  Ruhrigkeit  in  dieser  Richtung. 
Die  politechnische  Akademie  in  Oporto ,  mehrere  Ackerbau-,  Ge- 
werbe-,  Handelsschulen  und  nautische  Lehranstalten  haben  ihre 
Thatigkeit  begonnen,  und  es  ist  somit  Aussicht  auf  Besserung  die- 
ser Verhaltnisse  vorhanden.  Fur  gelehrte  Bildung  sorgen  zunachst 
die  Lyceen ,  die  Universitat  zu  Coimbra  und  einige  gelehrte  Gesell- 
schaften. Bei  der  geietigen  Begabung  des  Volkes  ,  den  giinstigen 
natiirlichen  und  klimatischen  Verhaltnissen  und  der  sehr  gunstigen 
geographischen  Lage  des  Landes  diirfte  bei  ernstlicher  Bestrebung 
ein  Aufschwung  in  der  physischen,  technischen  und  geistigen  Kul- 
tur zu  erwarten  soin. 


VII.  Das  Kaiserttmiii  Fraiikreich. 

§.  142.  Be»taiidtheile.  Bevdlkernng. 

QMeilen     Einwohner 

1.  Kaiserthum  Frankreich  (in  Europa  mit  Savoyen  [200  DM0 

and  Nizza  [80  DM.J) 9899      36,000  000 

2.  Kolonien:  in  Asien:  (Pondichery  in  Vorderindien) 6  206.000 

in  Africa:  Algier 10.145        2.880.000 

„         „  (Senegal,  Gorde,  Reunion,  St.  Marie, 

Mnyotta,  Nossi-B^) 92  200.000 

in  America:  (St.  Pierre  and  Miquelon  an. der 

Slidkiiste  von  Neufoundland,  Qnadeloupe  and 

cin  Theil  der  kleinen  Antillen,    Insel  Marti- 

niqnc  67  QM. ;  Guyana  1822 1889  280.000 


286 

QMeilen     Einwohner 

ia  Australien:  (Neu -  Caledonien,  Mendana- 
Archipel  [Marquesas-  und  Washington-Inseln], 
Gesellschaftsinseln  und  Gambler 435  133.000 

Gesamratmonarchie . . .       22,466      39,699.000 

Nach  der  National!  tat  fast  ausschliesslieh  Franzosen;  im  Norden  etwa 
!8/4  Millionen  Wallonen,  ebensoviel  Deutsche  in  Elsas  und  Lothringen,  uber  1  Mil- 
lion Bretonen  (Kymren  in  der  Bretagnej,  Italiener,  Basken,  Israeliten  u.  s.  f.  — 
Vom  Staate  anerkannt  sind  die  katbolische  Kirche,  die  reformirte  und  lutherische 
Konfession,  die  Israeliten  und  in  Algier  die  Muhamedaner.  —  Grenzen:  irn  N. 
Kanal  oder  la  Manche,  Belgien,  Deutschland  ;  im  0.  Deutschland,  die  Schweiz,  Sardinian ; 
im  S.  das  Mittelmeer,  Spanien ;  im  W.  der  atlantische  Ocean.  —  Untheilbare  kon- 
stitutionelle  Erbmonarchie ;  die  Thronfolge  geschieht  in  der  mannlichen  Linie  des 
rSmisch-katholischen  Hauses  Bonaparte. 

Bodenbeschaffenheit.  Frankreich  liegt  zwischen  zwei  Meeren 
(dem  Atlantik  und  dem  Mittelmeer)  und  zwei  Hochgebirgen 
Euro-pa's  (den  Pyrenaen  und  Alp  en).  Getrennt  von  den  beiden 
Gebirgssystemen  erhebt  sich  Hochfrankreich  oder  das  siid- 
franzosische  Bergla'nd,  welches  durch  Plateaulandschaften 
mit  dem  nordlichen  deutschen  Berglande  (Vogesen,  Ardennen  u.  s.  w.) 
in  Verbindung  steht.  Mehr  als  die  Halite  des  Landes  aber  gehort 
theils  der  wellenformigen  Ebene,  theils  dem  Tieflande  an. 
Diese  Ebenen,  welche  ein  zusammenhangendes  Gebiet  von  dem 
Fusse  der  Westpyrenaen  bis  an  den  Rhein  bilden  ,  werden  ,,von 
einer  schon  geordneten  Flusswelt"  reich  bewassert.  In  der  Halb- 
insel  Bretagne  erhebt  sich  ein  kleines  isolirtea  Gebirgasystem. 

A.  D  i  e    Grenzgebirge.     Der    (an  8000'  hohe)  Kamm  der 
Pyrenaen  scheidet  Frankreich  von  Spanien;  die  Centralpyrenaen 
sind  reich  an  ewigen  Schneefeldern  und  Gletschern,  der  Nordabfall 
sendet  seine  Auszweigungen  in  die  siidfranzosischen  Provinzen.    Die 
Verbindung    zwischen    beiden    Landern    wird    mittels    vieler    Passe 
und  dreier  Kunststrassen  unterhalten.  —  Im  Oaten  der  Rhone  erhebt 
sich  der  Westabfall    der  Westalpen;    ein  rauhes,  wildes  Gebirge 
mit    zahlreichen    Schneefeldern    und  Gletschern,    mehreren    nur  fur 
Saumthiere   gangbaren    Passen    und    zwei    Kunststrassen.    Zwischen 
dem  Mittelmeere  und  der   Durance  (sp.  Diiranss)    erheben  sich    die 
Seealpen;  zwischen  den  Thalern  der  Durance  und  der  Isere  die 
cottischen  Alpen  mit    den    beiden  Kunststrassen,  und  zwar  fiber 
den   Pass   des    M.    Genevre    (sp.   Schnevr)    und    den  Pass    des    M. 
Cenis  (sp.  Seni) ;  —  zwischen  den  Rhonethalern  und  der  Isere    die 

&rajischen  Alpen  mit  dem  hb'chsten  Berge  Frankreichs  (Mont 
Ian  12.960').  Der  Kamm  dieser  Gebirge  scheidet  theilweise  Frank- 
reich von  Sardinien.  —  Zwischen  den  Thalern  der  Rhone,  Saone 
(sp.  Sohn)  und  des  Doubs  (sp.  Du)  zieht  sich  als  Grenzgebirge 
zwischen  Frankreich  und  der  Schweiz  der  Jura,  im  siidlicheren 
Theile  der  Kettenform ,  im  nordlicheren  der  Tafelform  angehorig, 
mit  dicht  bevolkerten,  industriereichen  Thalern,  welche  mittels  Durch- 
gangen  (cluses)  mit  einander  verbunden  sind. 

B,  Das  Ber  gland  im  Innern  von  Frankreich.  (welches 
nicht  zu  den  Ausastungen  der  genannten  Grenzgebirge  gehort),  be- 
steht  aus  einer  Reihe    einzelner  Bergziige  und  Plateaux,    sammtlich 


287 

mit  dem  Charakter  des    Mittelge  bi rges    und    kann  in  abgeson- 

derte  Gruppen  zerlegt  werden: 

1.  Das  Hochland  von  Siidfrank  reich  (Hochfrank- 
reich)  hat  seinen  Centralknoten  in  Hochterrassen  ira  Quellge- 
biete  der  Loire,  des  Allier  und  der  Ardeche  (sp.  Loar,  Allie, 
Ardesch).  Von  hier  ziehen  die  Sevennen  (im  Mittel  3000') 
gegen  Siidwest  bis  zum  Kanal  von  Languedoc.  Gegen  Norden 
erstrecken  sich  von  den  Hochterrassen  bis  zur  tiefen  Senkung 
(nur  933'  Seehohe),  durch  welche  der  Kanal  du  Centre  (sp. 
du  Santr)  oder  von  Charolais  (sp.  Scharola)  geht,  drei 
Bergketten:  a)  das  Gebirge  von  Lyonnais  und  Charolais 
zwiechen  der  Rhone  mit  der  Saone  im  Osten ,  der  Loire  im 
Westen  und  dem  erwahnten  Kanal  iin  Norden  (M.  Pilat  4200'), 
—  b)  das  Gebirge  von  Forez  (sp.  Fore)  zwischen  Loire  und 
Allier  (Pierre  sur  haute  5000'),  —  c)  das  Hochland  von 
Auvergne  (sp.  Owernj),  welches  durch  einzelne  Bergketten 
(Magaride-,  Aubrac  -  Gebirge)  mit  der  Hochterrasse  in  Verbin- 
dung  steht.  Dieses  zeichnet  sich  durch  wilde,  imposante  Ge- 
birgspartien ,  schauerliche  Felsenthaler  und  Bergstrome ,  den 
Reichthum  an  kalten  und  warmen  Heilquellen  aus  ,  und  tragt 
iiberall  den  Charakter  vulkanischer  Revolutionen  (Cantal  5900', 
Mont  d'or  5800',  Puy  de  Dome  4500').  —  Im  Osten  und 
Siiden  fallt  Hochfrankreich  unmittelbar  zur  Ebene  herab,  und 
zwar  in  das  Rhonethal  und  zur  Seekiiste;  an  alien  iibrigen  Seiten 
vermitteln  Terrassenlandschaften  den  Uebergang  zur  Tiefebene, 
und  zwar  die  Terrassen  von  Rouergue  (sp.  Ruerg)  (zwischen  den 
Sevennen  und  der  Dordogne),  von  Limousin  (sp.  Limusan)  (zwi- 
schen der  Dordogne  und  dem  Cher)  und  von  Bourbonnais 
(zwischen  Cher  und  Allier). 

2.  Das    nordostliche    Mittelgebirge  beginnt  nord- 
warts   der    Bodensenkung  des  Canal  du    centre    und    heisst  bis 
zur  Senkung    des  Kanal    von  Burgund    Cote  d'or,    welchem 
nordlich  (im  Quellgebiete  der  Seine)  das  Plateau  von  Lan- 
gres  (sp.  Langr)  und  nordostlich  (zwischen  Saone  und  Doubs) 
das  Plateau  von  Hochburgund  vorgelagert  sind.  — Aus 
dem  Plateau    von  Langres    erheben    sich   die   Montagues  de 
Faucille   (sp.  Montajn  do  Fossilj)    (Sichelberge),    welche  mit 
denVasch  aus  der   Rheinebene   aufsteigenden  Vogesen  (Was- 
gau)  und   den  am  linken  Maasufer  nach  Nordwesten  ziehenden 
Argonnenwalde    das  Plateau    von    Lothringen   ein- 
schliessen ;  im  Norden  dieses  Plateaus  und  des  Argonnenwaldes 
erheben  sich  die  Ardennen. 

3.  Zwischen    den    Aueastungen    des    nordostlichen  Mittel- 
gebirges    und    dem   Berglande  der    Bretagne   und  der  Nor- 
mandie  breitet    sich   das  Plateau    von  Orleans  aus,  wel- 
ches   zu    den  Tieflandern    der  Seine  (sp.  Sehn)  und  Loire  sich 
herabsenkt.     Diese    beiden   Tieflander    mit  jenem    der  Garonne 
bilden  die  Hauptmasse    des  franzosischenFlach- 
und    Tieflandes,    welches    im  Allgemeinen    den    Charakter 
der  wellenformigen  Ebene  tragt  und  nur  an  den  Kiisten   vollig 
eben  iet. 


288 

Der  Kiistenstrich  zwischen  den  Miindungen  des  Adour  und 
der  Gironde  ist  Haideland  (les  landes),  von  der  Gironde  bis  zur 
Loire  ist  die  eintonige  Kiiste  von  Sand-  und  Moorflachen  (lea  sab- 
les und  les  marais)  bedeckt.  Am  Mittelmeere  ist  die  proven  9  a- 
lische  Tiefebene,  welche  den  westlichen  Kiistenstrich  und  das 
Miindungsland  der  Rhone  umfasst.  Die  Rhone-Ufer  gehoren  zu  den 
gesegnetsten  Erdstellen,  die  Provence  (sp.  Prowanss)  geniesst  seit 
jeher  den  Ruf  hoher  landschaftlicher  Reize  und  Fruchtbarkeit.  Nur 
das  Deltaland  der  Rhone  macht  davon  eine  Ausnahme,  im  Westen 
sind  Sumpfgegenden,  im  Osten  das  Kieselfeld  Crau  (sp.  Kro). 

Gewasser.  Die  Lage  Frankreichs  am  ofFenen  atlantischen 
Ocean  mit  seinen  beiden  Theilen,  dem  Canal  oder  la  Manche 
(mit  der  Bai  St.  Michel  zwischen  der  normannischen  und  der  bre- 
tagnischen  Halbinsel)  und  dem  Mitt  el  me  er  (mit  dem  Golf  von 
Lyon)  ist  eine  ausgezeichnete.  Die  Kusten  der  Normandie,  Bre- 
tagne  und  Provence  sind  felsig,  von  der  Seinemundung  bis  Calais 
(sp.  Kala)  steil,  die  iibrigen  sind  mehr  oder  minder  flach,  sandig, 
zum  Theil  auch  sumpfig,  mit  salzigen  Strandseen  (etangs)  begleitet. 

Unter  etwa  5000  fliessenden  Wassern  sind  fiber  100  schiffbare 
Fliisse  und  von  den  sogenannten  ,,21  Hauptfliissen  (21  fleuves  prin- 
cipaux)"  sind  die  vier  bedeutendsteu :  Loire,  Seine,  Garonne 
und  Rhone. 

Die  Loire,  der  eigentliche  Hauptstrom,  die  langste  Wasser- 
rinne  des  Landes,  verbindet  das  siidfranzosische  Hochland  mit  dem 
centralen  Flachlande.  Fast  ein  Viertheil  Frankreichs  bildet  ihr 
Quellgebiet,  an  ihren  Ufern  liegen  machtige  Stadte,  durch  ein  ver- 
zweigies  Kanalsystem  wird  ihre  Bedeutung  fiir  die  Schiffahrt  mach- 
tig  gehoben  und  sie  mundet  nach  eineni  Laufe  von  130  Meilen 
unterhalb  Nantes  (sp.  Nant)  bei  Paimboeuf  (sp.  Pambof)  in  den 
Ocean.  —  Ihre  Nebenfliisse  sind:  (rechts)  der  Arroux,  die  Mayenne 
(mit  der  Sarthe),  —  (links)  der  Allier,  Cher,  Indre  (sp.  Aendr)  und 
Vienne.  —  Die  Garonne,  aus  den  Pyrenaen,  empfangt  mehrere 
Fliisse  aus  den  Pyrenaen  und  Sevennen,  tritt  bei  Toulouse  (sp. 
Tulus)  in  ein  breites  Thai ,  tragt  nach  der  Einraiindung  der  Dor- 
dogne  (sp.  Dordojn)  SeeschifFe  und  bildet,  nun  Gironde  (sp.  Schi- 
rond)  genannt,  unterhalb  Bordeaux  (sp.  Bordo)  den  langsten  der 
franzosiechen  Limane.  Die  bedeutendsten  Kiistenfliisse  sind  der 
Adour  (bei  Bayonne)  und  die  Char  ante  (bei  Rochefort).  —  Die 
Seine  entspringt  mit  mehreren  Zufliissen  am  Cote  d'Or,  wird  bei 
Troyes  (sp.  Troa)  schiffbar  und  ergiesst  sich  in  breiter  Golfmiindung, 
an  deren  ausserBtem  Ende  Havre  liegt,  in  den  normannischen  Busen 
des  Kanals.  Sie  nimmt  rechts  die  Aube  (sp.  Ob),  Marne  und  Oise 
(ep.  Oas),  links  die  Yonne  und  Eure  (sp.  Oer)  auf.  Zwei  paral- 
lele  Kiistenfliisse  sind  ihre  Begleiter ,  nordostlich  die  echiffbare 
Somme,  siidwestlich  die  Orne.  —  In  das  Mittelmeer  ergiesst 
sich  die  Rhone,  welche  aus  dem  Rhonegletscher  entspringt 
und  den  Genfer-See  durchfliesst.  Dann  wendet  sich  der  Fluss 
nach  Westen,  bis  er  bei  Lyon  nach  dem  Einflusse  der  durch 
den  Doubs  verstarkten  Saone  sich  gegen  Siiden  wendet,  wo  der 


889 

Unterlauf  beginnt.  Unterhalb  Avignon  beginnt  das  Miindungsland 
und  bei  Aries  (sp.  Arl)  die  Deltabildung  (Insel  Camargue) ,  deren 
ostlicher  Arm  die  Hauptmiindung  ist.  Unter  den  Nebenfliissen  am 
linken  Ufer  sind  die  schiffbare  Isere  und  die  Durance  die  bemer- 
kenswerthesten. 

Dem  Gebiete  der  Nordsee  gehort  der  Grenzfluss  Rhein  an. 
Seine  bedeutenden  franzosischen  Nebenfliisse  dieMosel  (mit  derMeurthe 
[ep.  Mort]  und  Saar)  und  die  Maas  bewassern  das  Plateau  von 
Lothringen.  Im  nordlichen  Hiigellande  (von  St.  Quentin  [sp.  San 
Kantan]  bis  Conde)  fliesst  dieSchelde.  —  Landseen  von  Bedeu- 
tung  hat  das  Land  nicht,  dagegen  viele  Strandseen,  die  wegen  der 
reichlichen  Seesalzgewinnung  beachtenswerth  sind. 

Von  hoher  Bedeutung  ist  die  vielfach  verzweigte  K  a  n  a  1  v  e  r- 
bindung.  Ueber  90  Kanale  mit  einer  Gesammtlange  von  635  Mei- 
len  verbinden  die  Meere  und  alle  grosseren  Flusse  des  Landes  un- 
ter  einander,  und  bilden  ein  enges  Netz  guter  "Wasserstrassen.  Die 
wichtigsten  sind:  1.  Der  Siidkanal  (Kanal  von  Languedoc)  ver- 
bindet  den  atlantischen  Ocean  mit  dem  Mittelmeere.  Er  fiihrt  aus 
der  Garonne  bei  Toulouse ,  nordlich  an  Carcassone  vorbei  in  den 
Strandsee  Thau  bei  Adge,  welcher  durch  den  Hafen  von  Cette  mit 
dem  Mittelmeere  inVerbindung  steht. —  2.  Der  Canal  du  Centre 
(von  Charolais)  setzt  die  Loire  mit  der  Saone  in  Verbindung.  Er 
geht  von  Chalons  (sp.  Schalon)  an  der  Saone  bis  Digoin  (sp.  Digoan) 
an  der  Loire.  —  3.  Der  Kanal  von  Burgund  vereinigt  (durch 
die  Yonne)  die  Seine  rait  der  Saone  und  durch  diese  mit  der  Rhone; 
also  eine  Wasserverbindung  des  Kanals  mit  dem  Mittelmeer  (Havre, 
Paris,  Lyon,  Marseille).  —  4.  Der  Rho  n  e-Rhei  nk anal  verbindet 
die  Rhone  durch  Saone  und  Doubs  mit  dem  Rhein,  er  geht  iiber  Be- 
san9on,  Muhlhausen  nach  Strassburg.  —  5.  Der  Rhein-Marne- 
Kanal  verbindet  den  Rhein  mit  der  Seine;  er  fiihrt  von  Strassburg 
iiber  Nancy,  Toul,  Bar-le-Duc  (Bar  le  Diik)  nach  Vitry  an  der  Marne. 
—  6.  Der  Kanal  vonBriare  mit  seiner  Fortsetzung,  dem  Kanale 
des  Loing  (von  Montargis)  verbindet  die  Loire  mit  der  Seine;  — 
dessgleichen  der  Kanal  von  Orleans,  der  auch  bei  Montargis  in  den 
Kanal  des  Loing  mundet.  —  7.  Der  Kanal  von  Saint-Quentin 
verbindet  die  Seine  (mittels  der  Oise)  mit  der  Schelde  und  geht  von 
Chauny  (Schoni)  (an  der  Oise)  iiber  St.  Quentin  bis  Cambray.  Aus 
diesem  Kanal  verzweigt  sich  der  Kanal  der  Somme  uber  Amiens 
zur  Somme. 

Unter  der  grossen  Menge  von  Mineralquellen  haben  nur 
wenige  einen  verbreiteten  Ruf:  Bareges  (Baresch),  Biariz  (bei  Ba- 
yonne)  und  Bagneres  (Banjer)  in  den  Pyrenaen,  Aix  (Aehs)  in  der 
Provence,  Plombieres,  Vichy  (Wischi)  am  Allier  u.  a.  m. 

Klima.  Frankreich  hat  im  Allgemeinen  ein  gemassigtes  und 
mildes  Klima;  doch  bedingen  die  grosse  horizontale  Ausdehnung, 
die  Nachbarschaft  der  Meere,  die  bedeutenden  vertikalen  Erhebun- 
gen  eines  Landestheiles  und  andere  brtliche  Umstande  mannigfache 
Abweichungen.  An  den  Kiisten  des  Mittelmeeres  hcrrscht  italie- 
nisches  Klima  und  Oelbau,  der  Norden  Frankreichs  nahert  sich  den 
kalteren  Zonen  Europa's ;  die  Mittelwarme  des  Jahres  betragt  in 

Klun's  Haodcls-Geogrraphie.     2.  Anfl.  19 


890 

der  siidlichen  Region  an  14,  in  der  nordlichen  etwas  fiber  8  Grad. 
Die  westlichen  Tiefebenen  haben  oceanisches,  die  ostlichen  Berg- 
gegenden  Binnenklima,  die  Gebirgsgegenden  sind  zum  Theile  sehr 
rauh.  An  den  Kusten  des  Mittelmeeres  bringt  der  wuthende  Mi- 
stral (Nord  west  wind)  bisweilen  einen  strengen  Winter,  die  lauen 
Sudwinde  hingegen  richten  nicht  selten  arge  Verheerungen  (durch 
Schmelzen  des  Schnees)  an.  In  den  siidlichen  und  westlichen  Ge- 
genden  sind  die  Herbstregen,  in  den  iibrigen  Landestheilen  die  Som- 
merregen  'vorherrschend.  Im  Ganzen  erfreut  sich  Frankreich  eines 
gesunden,  der  Vegetation  zutraglichen  Klimas. 

Politische  Eintheilung.  Frankreich  war  vor  der  Revolution 
von  1789  in  36  Provinzen  von  ungleicher  Ausdehnung  einge- 
theilt,  geschichtlich  in  51  Landsch  a  ft  en.  Jetzt  zerfallt  es  in 
86  Departements,  diese  in  363  Bezirke  oder  Arrondisse- 
ments,  die  letzten  in  (2847)  Kan  tone  und  diese  endlich  in 
36.826  Gemeinden  oder  Kommunen.  Jedes  Departement  wird 
von  einem  Prafekten,  das  Arrondissement  von  einem  Unter- 
Prafekten,  jeder  Kanton  und  jede  Kommune  von  einem  Ma  ire 
(Burgermeister)  verwaltet. 

In  militarischer  Hinsicht  bildet  Frankreich  5  Armee-  und  Landes-Ober- 
kommandos,  die  unter  je  einem  Marschall  stehen  (Paris,  Nancy,  Lyon, 
Toulouse,  Tours),  nnd  in  21  Divisionen  zerfallen.  In  Bezug  auf  das  Seewesen 
sind  die  Kusten  Frankreichs  in  5  See-Prafekturen  (Cherbourg,  Brest, 
1'Orient,  Kochefort,  Toulon),  mit  See-Prafekten  an  der  Spitze,  eingetheilt. 

Eintheilung  und  Orte:*) 

1.  Isle    de    France  (Departements:    1.  Seine,   2.  Seine  nnd  Oise,    3.  Seine 
und  Marne,  4.  Aisne,  5.  Oise):  Paris  (aber  1%  Mill.  E.),  St.  Denis,  Vincennes  ;  Ver- 
sailles   (36.000),  Severs,    Saint  Cloud,    Saint  Germain  en  Laye;  Melun  (10.000), 
Fontainebleau;  Laon  (10.000),  Soissons,  Saint  Quentin ;  Bea  uvais  (14.000),  Noyon, 
Compiegne,  Crespy. 

2.  Picardie  (Departement :  6.  Somme) :    Amiens  (50.000),  Abbeville,  Saint 
Valery. 

3.  Artois    (Departement:   7.    Pas    de  Calais):    Arras    (25.000),    Boulogne, 
Calais,  Azinconrt,  Saint  Omer. 

4.  F la nd crn  (Departement:  8.  duNord):  Lille  (80.000),  Dunkirchen,  Cam- 
bray,  Valenciennes. 

5.  Champagne  (Departements  :  9.  Ardennen,   10.  Marne,  11.  Aube,  12  haute 
Marne);  Mezieres  (5000),  Charleville,  Sedan  ;    Chalons    sur    Marne    (15.000), 
Eperaay,  Kheims,  Saint  Me"nehould;  Troyes  (27.000),  Clairvaux,    Brienne;    Chau- 
mont  (7000),  Langres. 

6.  Lotbringen  (Lorraine,  Departements :  13.  Vogesen,  14.  Meurthe,  15.  Maas, 
16.  Mosel):  Epinal  (12000.);    Nancy   (41.000),    Luneville,    Toul;    Bar-le-Duc 
(15.000),  Verdun,  Varennes;  Metz  (58.000). 

7.  Elsass  (Departements:  17.  Niederrhein  [Bas  Ehin],    18.  Oberrhein  [Haut 
Bhin]):    Strassburg   (80.000),    Schlettstadt,    Hagenau,    Weissenburg;    Kolmar 
(21.000),  Muhlhausen,  Befort. 

8.  Franche    Comte    (freie    Grafschaft    Burgund,    Hoch-Burgund,     Departe- 
ments: 19.  Doubs,  20.  Jura,  21.  Haute  Saone):  Besan9on  (42,000),  Montbeliard; 
Lons-le-Saulnier  (19.000);  Vesoul  (7000). 

9.  Bourgogne  (Nieder-Burgund,  Departements :  22.  Sa6ne  et  Loire,  23.    C6te 

*)  Die  alte  Provinz-Eintheilung  ist  bekannter  und  im  taglichen  Verkehr 
gebrauchlicher  als  die  neue  Departements-Eintheilnng,  welche  jedoch  die 
officielle  ist;  es  werden  desshalb  hier  beide  gegeben.  Die  mit  durchschossenen 
Lettern  gedruckten  Stadte  sind  Departem  ent  s-Hauptstad  te,  und  zwar  in  der 
Beihenfolge  der  in  der  Klammer  aufgefiihrten  Departements, 


891 

d'Or,  24.  Yonne,  25.  Ain):  Mac  on  (13000),    Clugny,    Chalons   sur  Sa6ne;  Dijon 
(33.000);  Auxerre  (14.000),  Bourg-  en-Br  esse  (12.000),  Fort  de  1'EcIuse. 

10.  Nonnandie  (Departements:  26.  Seine  inferienre,  27-  Eure,  28.  Orne,  29. 
des  Calvados,  30.  la  Manche):  Eouen  (110.000),  Elbeuf,  Havre  de  Grace,  Dieppe; 
Evreux    (14.000):    Alen9on    (16.000);     Caen    (42.000);    Saint-L6     (10.000), 
Cherbourg. 

11.  Bretagne  (Departements:  31.  tile  et  Vilaine,  32.  Cotes  du  Nord  (Nord- 
kusten),  33.  Finisterre,  34.  Morbihan,  35.  Loire  inferieure  [untere  Loire]):  Rennes 
(40000),  Saint  Mal<5 ;  Saint  Brie  ax  (12.000);    Qui  mper  (11.000),    Brest,    Insel 
'Sein,    Insel    Quessant;    Vannes    (12.000),    L' Orient,    Insel    Belle    Isle;    Nantes 

(100.000). 

12.  Tonraine  (Departement:    36.    Indre  und  Loire):  Tours  (30.000). 

13.  Orleauais  (Departements:    37.  Eure    and   Loire,    38.  Loiret,    39.   Loire 
und  Cher):  Chartres  (18.000),  Orle'ans  148.000),  Bio  is  (15.000). 

14.  Nivernois  (Departement:  40.  Nievre) :  Nevers  (18.000). 

15.  Bourbonnais  (Departement:  41.  Allier):  Moulins  (17.000). 

16.  Berry  (Departements:  42.  Cher,  43.  Indre):    Bourges  (25.000),  Cha- 
teauroux  (16000). 

17.  Anjou    (Departement:  44.   Maine  und  Loire):  Angers  (40.000). 

18.  Maine  (Departements:  45.  Mayenne,   46.  Sarthe):    Laval  (20.000),    Le 
Mans   (25000). 

19.  Marche  (Departement:  47.  Creuse) :  Gueret  (5000). 

20.  Limousin  (Departements:    48.  Haute  Vienne,    49.  Correze):  Limoges 
(30.000);  Tulle  (10.000). 

21.  Poitou  (Departements  :  50.  Deux  Sevres,  51.  Vendee,  52.  Vienne)  :  Niort 
(20.000);  Bourbon-Vendde  (6000);  Poitiers  (30.000). 

22.  Annis  (Departement:  53  Charente  inferieure) :  La  Rochelle  (16.000), 
Rochefort,  die  Inseln  Re  und  Oleron. 

23.  Saintonge  and  AngOlimois   (Departement:    54.  Charente):    Angou- 
leme  (20.000),  Cognac. 

24.  Guyenne  (Departements:    55.  Gironde,    56.  Dordogne,    57.  Lot.  58.  Lot 
und  Garonne,  59.  Aveyron) :    Bordeaux   (130.000);    Perigueux    (13.000);    Ca- 
hors  (14.000);  Agen  (17.000);  Rhodez  (11.000). 

25.  Gascogne  (Departements  :  60.  Les  Landes,  61.  Hautes  Pyrenees,  62.  Gers, 
63.  Tarn  und  Garonne):  Mont-de-Marsan  (5000);  Tarbes  (13.000),    Bagneres 
de  Bigorre;  Auch  (12.000);  Montauban  (25.000). 

26.  Navarra  und  Beam  (Departement:  64.  Basses  Pyrenees) :  Pau  (14.000), 
Bayonne,  Biariz. 

27.  Foix  (Departement:  65.  Arriege):  Foix  (5000). 

28.  Ronssillon   (Departement:  66.  Pyre"ne"es  orientales,  Ost-Pyfenaen) :  Per- 
pignan  (22000). 

29.  Langnedoc  (Departements:  67.  Haute  Garonne,  68.   Aude,  69.  Herault, 
70Tarn,  Tl.Lozere,  72.  Gard,  73.  Ardeche,  74.  Haute  Loire) :  Toulouse  (100.000); 
Car  cassonne  (21.000),  Narbonne;  Mont  pellier  (46.000),  Cette,  Beziers;  Alby 
(13000);  Mende  (7000);    Nimes  (54.000),  Beaucaire,  Alais  ;    Privas;    le  Puy  en 
Velay. 

30.  Alive rgne  (Departements:  75.   Pay  de  Dome,  76.    Cantal):  Clermont 
(38.000);  A  ur iliac  (12.000). 

31     Lyonnais    (Departements:    77.   Rhone,    78.    Loire):    Lyon    (212000); 
Saint  Etienne  (80.000). 

32.  Danphine    (Departements:   79.    Isere,    80.  Hautes   Alpes,    81.    Drome): 
Grenoble  (32.000),  Vienne;  Gap  (11.000),  Brian9on;   Valence  (17000). 

33.  Avignon,    Venaissin    und    Orange    (Departement:    82.    Vaucluse): 
Avignon  (36.000),  Orange  (10.000). 

34.  Provence  (Departements:    83.  Bouches  du  Rhone    =  Rhonemundungen, 
84.  Basses    Alpes,    85  Var) :   Mar s eil  le  (200.000),    Aix,    Aries;    Digne   (5000); 
Draguignan  (9000),  Frejus,  Cannes,  Toulon  (70.000);  die  vier  hyerisohen  Inseln. 

35.  Iiisel  Corsika  (Departement:  86.  Corsica):   Ajaccio  (12.000),    Bastia. 

36.  Savoyen*):    Chambery    (17.000),    Aix,    Annecy  (9000;,    Chamouny, 
Thouon;  —  Nizza  (37000),  S.  Rerno. 

*)  Von  Sardinien  im  J.  1860  an  Frankreich  abgetreten. 

19* 


898 

Besondere  Hervorhebung  unter  den  Stadten  Frankreichs  verdienen*): 
Paris  (Lutetia  Parisiorum)  an  der  Seine,  die  stark  befestigte  Hauptstadt  mit 
I1/,  Million  Einwohner,  die  Residenz  des  Kaisers,  der  hochsten  Staatsbehorden  und 
eines  Erzbischofes.  Der  Fluss  theilt  die  Stadt  in  eine  nordliche  und  cine  siidliche 
Halfte,  beide  durch  23  Bracken  mit  einauder  verbunden.  Zwischen  der  Stadt  und 
den  Vorstadten  22  Boulevards  mit  eleganten  Hotels,  Kaffeehausern,  Kaufladen,  zu- 
gleich  Spaziergange.  Obwohl  in  den  letzten  Jahren  Hunderte  von  Hausern  nieder- 
gerissen  wurden,  um  freiere  Communikation  zu  gewinnen,  gibt  es  doch  viele  enge 
und  schmntzige  Strassen,  Dagegen  hat  die  Stadt  auch  viele  grosse,  mit  Monumenten 
gezierte  Platze.  (Carroussel-P)atz,  der  Eintrachts-Platz  vor  dem  Tuileriengarten  mit 
dem  Obelisk  von  Luxor,  der  Vendome-Platz  mit  der  Triumphsaule  und  dem  Stand- 
bilde  Napoleons,  der  Bastille-Platz  mit  der  Juliussanle,  der  Siegesplatz  mit  der  Statue 
Ludwig  XIV.  u.  a.  m.)  —  Bemerkenswerthe  Gebaude :  die  gotbische  Domkirche 
Notre  Dame  aus  dem  12.  Jahrhundert,  der  Invaliden-Dom  mit  Napoleon's  Grnft,  die 
Magdalenenkirche,  u.  a.  Der  kais.  Palast  die  Tnilerien  (1564  von  Catharina  von 
Medicis  erbaut)  nnd  damit  in  Verbindung  der  Louvre  (Luwr)  mit  pracbtvollen  Kunst- 
sammlungen;  Palais  Royal  (Pala  Roajal)  mit  Gallerien;  Palast  Bourbon,  Versamm- 
lungsort  des  gesetzgebenden  KCrpers;  das  Stadthaus  (hotel  de  ville),  das  prachtige 
Borsengebaude ;  die  Militarschule  in  der  Nahe  des  grossen  Marsfeldes  u.  v.  a.  In 
Paris  bcfinden  sich  die  grossartigsten  wissenschaftlichen  Anstalten  und  Sammlungen. 
Das  MInstitut  de  France"  besteht  aus  5Akademien;  Universitat,  mehrere  hohere  ge- 
lehrte  Anstalten  (Colleges),  politechnische  Schule,  zahlreiche  Spezialschulen  jeder 
Art;  die  grosste  Bibliothek  und  viele  gelehrte  Gesellschaften.  Paris  ist  der  Mittel- 
pnnkt  des  gesammten  geistigen  Lebens  sowie  der  technischen  und  commerziellen  Tha- 
tigkeit  von  Frankreich.  Nicht  minder  reich  ist  die  Stadt  an  Wohltbatigkeitsanstalten 
jeder  Art;  der  Kircbhof  Pere  la  Chaise  (Per  la  Schas)  ist  der  merkwurdigste  der 
Erde.  —  Paris  ist  die  erste  Fabriks-  und  Handelsstadt  Frankreichs,  einer  der  wich- 
tigsten  Wechselplatze  der  Erde.  Bank,  B6rse,  grosse  Geldinstitute,  viele  Banquiers. 
Die  Pariser  Industrie  beschaftigt  etwa  Va  Million  Menschen.  Unter  den  verschie- 
densten  Industriezweigen  sind  fiber  100  Buchdruckereien  (grossartige  Staatsdruckerei) 
erwahnenswertb.  Auch  in  socialer  Beziehung  ist  diese  Weltstadt,  die  Tonangeberin 
in  Mode  und  Luxus  sowie  h'anfig  auch  in  Kunst  und  in  manchen  Richtungen  der 
Literatur,  von  nicht  zu  unterschatzender  Bedeutung.  Kaiserliche  Lustschlosser  zn 
Neuilly,  St.  Cloud  (San  Klu),  Malmaison,  Fontaine  bleau  (Fontanblb),  Ver- 
sailles (Versailj)  u.  a.  —  Orleans,  an  der  Loire,  schOne  Kathedrale  ;  bedeutende 
Industrie  ;  Bildsaule  der  Jeanne  d'Arc,  welche  am  8.  Mai  1429  die  Stadt  von  der 
Belagerung  der  Englander  befreite.  —  Strassburg,  am  Rhein-  und  Ill-Kanal,  in 
einer  frnchtbaren,  gewerbreichen  Ebene,  seit  1681  franz6sisch;  beruhmter  Munster 
1015—1273  erbaut,  mit  dem  vonErwin  von  Steinbach  vollendeten  438'  hohen  Thurme  ; 
Faknltat  fur  protest.  Theologie,  ein  Ueberrest  der  alten  beriihmten  Universitat; 
wichtige  Unterrichtsanstalten  und  oEfentliche  Bibliotheken.  Guttenberg  machte  1439 
bier  den  ereten  Versuch,  mit  beweglichen  Lettern  zu  drucken  (erste  deutsche  Bibel 
1466  von  Mentel  gedruckt).  Bedeutende  Industrie  in  Baumwollen-,  Wollen-  und 
Seidenwaaren,  Kutschen,  Leder,  Handschuhen,  Pasteten  u.  a.  Handel  mit  Hanf,  Krapp, 
Oel,  Wein;  wichtiger  Pferdemarkt;  Haupthandels-  und  Speditionsplatz  zwischen 
Frankreich  und  Dentschland.  —  Die  Handelsplatze :  Bordeaux,  Marseille,  Cette, 
Havre,  dann  Lyon,  St.  Etienne,  Beaucaire  sieh  unter  ,Handel  Frankreichs" 
S.  301  ;  die  wichtigsten  Industrieorte  bei  den  betreffenden  Industrieen. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Bodenbeschaffenheit  ist  im  Allgemeinen  fiir  den  Ackerbau 
sehr  gQnstig  und  das  Land  ist  reich  an  mannigfaltigen  Produkten 
der  Landwirthschaft.  Nur  etwa  1,200.000  Hektaren  (a  !3/4  Wie- 

*)  Dermalen  besitzt  Frankreich  zwei  Stadte  zwischen  200  und  300  Tausend 
Einwohner  (Lyon,  Marseille),  4  zwischen  100-200  Tausend  (Bordeaux,  Nantes, 
Rouen  und  Toulouse),  11  zwischen  50—100  Tausend  (St.  Etienne,  Toulon,  Lille, 
Strassburg,  Metz,  Havre,  Amiens,  Brest,  Nimes,  Rheims,  Angers),  7  zwischen  40—50 
Tausend  (Montpellier,  Nancy,  Orleans,  Limoges,  Rennes,  Besan9on,  Caen).  —  Paris 
hatte  im  J.  1801  nur  552.000  Einw. ;  —  im  J.  1831,  785  000 ;  —  im  J.  1855  schon 
1,174.000;  —  gegenwartig  (mit  der  S  tadterweit  erung)  fiber  I1/,  Mill.  Einw. 


893 

ner  Joch)  sind  bis  jetzt  unkultivirbar,  und  zwar  im  Tieflande  zwi- 
schen  der  Garonne  und  den  Pyrenaen  (die  Moor-  und  Sandstriche: 
lee  Landes),  die  Marais  an  der  Loire-Mundung  und  das  an  2  DMei- 
len  grosse  unfruchtbare  Kieselfeld  Crau  in  der  Provence.  Im  All- 
gemeinen  ist  der  Landbau  im  Aufschwung  und  es  beschaftigen  sich 
an  20  Y2  Million  Einwohner  mit  demselben.  Die  Cere  alien 
nehmen  etwa  53%  der  Gesammtflache  ein ;  deren  Anbau  ist  im 
Norden  besser  als  im  Siiden.  Die  Produktion  deckt  den  inneren 
Bedarf  nicht,  und  es  findet  ein  ansehnlicher  Import  von  Getreide 
aus  Siid-Russland  (Odessa)  fiber  Marseille  statt.  Der  W  al  d  e  t  a  n  d  hat 
seit  der  Revolution  von  1789  um  die  Halfte  abgenommen,  wodurch 
einige  Departements  schon  holzarm  geworden  sind  (Provence,  die 
Kiisten  von  Languedoc ,  die  Nord west-Pro vinzen).  —  Das  Haupt- 
produkt  ist  der  Wein,  der  in  76  Departements,  von  den  Ufern  des 
Rhein  bis  zu  den  Pyrenaen,  vorzuglich  aber  im  Siidwesten  des  Lan- 
des, das  ist  um  Bordeaux,  an  der  Charente  und  an  der  unteren 
Loire  gebaut  \yird,  dem  33%  der  Bevolkerung  leben  und  dessen 
Ausdehnung  durch  die  unbedingte  Theilbarkeit  des  Grundeigen- 
thumes  unterstiitzt  wurde.  Wahrend  die  Produktion  am  Schlusse 
des  vorigen  Jahrhunderts  nur  mit  16l/2  Million  Hektoliter  (a  1% 
osterreichische  Eimer)  berechnet  wurde ,  ist  sie  jetzt  schon  auf  60 
(=  105  Millionen  Eimer)  gestiegen ,  wovon  uber  zwei  Drittheile 
exportirt  werden.  Von  wachsender  Bedeutung  ist  auch  die  Cham- 
pagnerfabrikation  (Rheims,  Epernay  und  Chalons  s.  M.) ,  in  man- 
chen  Jahren  werden  davon  an  8  Millionen  Flaschen  versendet.  Hin- 
sichtlich  der  Qu  an  tit  at  des  erzeugten  Weines  ist  Frankreich  das 
erste  Land  der  Erde. 

In  der  Obstkultur  nehmen  die  nordlichen  und  nordwest- 
lichen  Departements  in  Bezug  auf  Menge  (da  hierdurch  der  feh- 
lende  Wein  durch  ^Cider  und  Kirschwasser  ersetzt  wird) ,  jene 
am  Mittelmeere  in  Bezug  auf  vorziigliche  Qualitat  ( Pro- 
vencer-Oel  [Aix],  feine  Kastanien  etc.)  einen  bedeutenden  Rang  ein. 

Die  Gartenkultur  steht  im  Allgemeinen  auf  einer  sehr 
hohen  Stufe,  sowohl  in  Hinsicht  des  Anbaues  feinerer  Gemiisearten, 
als  der  Blumenpflege,  deren  Erzeugnisse  auch  nach  England  ex- 
portirt werden.  (Jahrlicher  Umsatz  auf  den  Blumenmarkten  zu 
Paris  uber  4  Millionen  Francs;  —  an  800.000  Rosenstocke,  aus 
Honfleur  um  1  Million  Francs,  Melonen  aus  Epinay,  um  l/t  Million 
Francs  Spargel  werden  im  Jahresdurchschnitte  nach  England  aus- 
gefuhrt.)  Doch  wird  aus  Algier  viel  Gemuse  fur  den  Verbrauch 
in  Frankreich  und  zur  Durcht'uhr  importirt.  Die  botanischen  Ac- 
climatisationsgarten  in  Bordeaux  und  Lyon  tragen  zur  Hebung  der 
Gartenkultur  viel  bei. 

Unter  den  Handelspflanzen  behaupten  Tabak  (ein  Regie- 
rungs-Monopol)  dann  Flachs  und  Hanf  im  Elsass,  Oelpflanzen,  Siid- 
friichte,  Safian,  der  vorzuglichsteKrapp  (um  Avignon)  einen  hohenRang. 

Die  Viehzucht  deckt  nicht  den  grossen  Bedarf  Frankreichs. 
Relativ  das  beste  und  meiste  Hornvieh  wird  in  der  Auvergne, 
Gascogne  und  Bretagne  gezogen ,  doch  nicht  ausreichend.  (Anzahl 
im  Jahre  1857  bei  12  Millionen  Stuck.)  In  gleichera  Verhaltnisse 


294 

steht  die  Pferdezucht  (Anzahl  3  Millionen  Stuck);  Deutschland 
deckt  hauptsachlich  den  Abgang.  Einzelne  Racen  (in  Limousin, 
in  der  Normandie)  sind  geschatzt ,  und  die  zahlreichen  ararischen 
Gestilte  (27)  tragen  fur  deren  Hebung  bei.  Im  Siiden  kommen 
Maulthiere  und  Esel  in  grosser  Menge  vor.  Von  den  etwa 
34  Millionen  Schafen  sind  kaum  15%  veredelt ,  wesshalb  viel 
Wolle  importirt  werden  muss.  Die  ararischen  Merinos-Schafereien 
in  Perpignan  und  Rambouillet  haben  den  Zweck ,  auf  Veredlung 
der  Racen  hinzuarbeiten.  Obwohl  in  Lothringen,  im  Elsass  und 
in  Beam  auf  die  Zucht  des  Borstenviehes  Sorgfalt  verwendet 
wird,  so  wird  der  grosse  Fleischbedarf  doch  nicht  gedeckt.  Sehr 
verbreitet  und  mit  Erfolg  werden  ferners  die  Kaninchen-  und 
die  Federvi  e  h  zuch  t  betrieben.  Die  Bienenzucht  gibt  nicht 
wunschenswerthe  Resultate,  doch  sind  der  Honig  von  Narbonne  und 
das  Wachs  aus  der  Bretagne  geschatzte  Artikel.  Die  Seiden- 
zucht  hat  in  den  letzten  Jahren  zwar  abgenommen,  allein  sie  ist 
immer  noch  wichtig  und  Frankreich  ist  nachst  Italien  der  starkste 
Producent  in  Europa.  Sehr  wichtig  ist  sie  im  Siidosten  (Provence, 
Dauphine,  Languedoc),  am  starksten  an  der  unteren  Rhone  in  den  De- 
partements  Vaucluse  (Avignon)  und  Gard  (Nimes).  Die  sehr  sorg- 
faltige  Behandlung  beim  Abhaspeln  und  Filiren  verleiht  der  fran- 
zosischen  Seide  grosse  Vorziige. 

Sehr  bedeutend  ist  die  S  eef  i  sch  erei.  Dieppe  und  Boulogne 
senden  auf  den  Haringsfang;  —  Nantes,  Port  Louis  und  Belle  Isle 
auf  Sardellen  (Sardines  de  Nantes)  und  Thunfische  aus  ;  —  Bor- 
deaux und  Dieppe  treiben  Stockfischfang ,  vorzuglich  an  der  Siid- 
westkilste  von  Neufoundland  (franzosische  Inseln:  St.  Pierre  und 
Miquelon)  ;  —  auf  den  Wallfischfang  sendet  Havre  am  starksten 
aus;  —  die  meisten  und  grdssten  Austern  werden  in  der  Bretagne 
gefischt  (St.  Malo  in  der  Bai  von  Cancale  jahrlich  fiber  eine  Mil- 
lion Stuck),  dann  zu  Marenne  bei  Rochefort.  Die  Flussfischerei 
hat  zwar  abgenommen,  doch  beginnt  man  der  kunstlichen  Fisch- 
zucht  besondere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden. 

Unter  den  Kredit-  und  sonstigen  Anstalten  zur  Forderung 
der  Landwirthschaft  ist  der  Credit  foncier  erwahnenswerth,  wel- 
cher  Anlehen  gegen  hypothekarische  Sicherstellung  verschafft ,  wo- 
fiir  er  Obligationen  ausgibt.  Bis  zum  31.  December  1857  belief 
sich  dieSumme  der  bei  ihm  realisirten  Darlehen  auf  circa  83  V2  Mil- 
lion Francs. 

Der  Bergbau  ist,  obwohl  fortschreitend  ,  doch  in  mehrfacher 
Hinsicht  noch  unzureichend.  Forderungsmittel  sind  zwar  die  guten 
Bergwerksschulen  in  Paris  und  St.  Etienne,  dagegen  ist  der  Holz- 
mangel  vielfach  ein  Hinderniss  fiir  grossere  Entfaltung.  Die  Gold- 
gewinnung  ist  unbedeufend  (etwa  60.000  Francs  im  Werthe), 
dessgleichen  jene  von  Silber  (bei  Grenoble  und  aus  Blei,  Geld- 
werth  circa  ll/3  Million  Francs);  —  Kupfer  wird  iu  den  Pyrenaen 
(Navarra),  Alpen  (Dauphine),  Vogesen  (Elsass)  und  in  Lyonnaia 
gewonnen  (an  5  Millionen  Francs).  Den  relativ  grossten  Reichthum 
besitzt  es  an  Blei  (iiber  1  Million  Francs),  obwohl  die  Produktion 
noch  sehr  gesteigert  werden  konnte.  Sind  auch  der  Jura,  die  Vo- 


gesen,  die  Champagne  und  Berry  reich  an  Eisen,  so  geniigt  die 
Ausbeute  doch  nicht  fur  den  grossen  Bedarf  und  es  stellt  sich  die 
Nothwendigkeit  einer  Einfuhr  von  Roheisen  heraus  (im  Jahre  1856 
im  Werthe  von  26  Millionen  Francs).  Die  bedeutendsten  Eisen- 
werke  sind  in  Chatillon  le  Due  (Doubs) ,  Commentry  (Allier),  Ne- 
vers  (Nievre),  Auzin  (Nord),  Niederbronn  (bei  Straesburg),  Uzemain 
(in  den  Vogesen  ,  vorzuglich  fiir  die  Waffenfabrikation) ,  Creusot 
(Saone-Loire)  *). 

Die  Ausbente  an  Steinkohlen  ist  bereits  (im  Jahre  .1857) 
auf  nahe  90  Millionen  Zentner  gestiegen,  doch  geniigt  sie  n  ich  t  fiir  den 
Bedarf  und  der  Bezug  aus  Belgien  ist  noch  immer  sehr  bedeutend. 
Die  starkste  Ausbeute  ist  in  den  Umgebungen  des  Canal  du  Centre 
(an  30  Millionen  Zentner),  dann  bei  Valenciennes  (eine  Fortsetzung 
dor  belgischen  Kohlenlager)  ,  endlich  im  Departement  Herault  **). 
Das  bedeutendste  St  ei  n  s  al  z  1  ager  ist  zu  Vic  (bei  Nancy),  wel- 
ches jahrlich  iiber  eine  Million  Zentner  liefert.  Noch  wichtiger  sind 
die  Meersalinen  an  der  Westkuste  (das  beste  Seesalz  zu  Guerande, 
nahe  der  Loire-Miindung) ,  aus  denen  im  Jahresdurchschnitt  an 
800.000  Zentner  insbesondere  nach  den  Nord-  und  Ostseelandern 
ausgefiihrt  werden. 

Frankreich  ist  endlich  reich  an  Erden  und  Steinen ,  sowie  an 
Mineralquellen. 

Industrie.  Der  Franzose  hat  im  Allgemeinen  mehr  Sinn 
und  Geschmack  fiir  den  Kunstfleiss  und  die  feine,  elegante  Bear- 
beitung,  als  fiir  die  miihsame  Gewinnung  der  Rohstoffe ;  daher  sind 
die  Landwirthschaft  und  die  Viehzucht  verhaltnissmassig  ger  inger, 
die  Fabriksindustrie  dagegen  nachst  England  die  grosste  und  in 
manchen  Zweigen  wird  die  letzte  sogar  ubertroffen.  Der  wacheende 
Associationsgeist ,  die  Gewerbefreiheit ,  der  erfinderische  Sinn  der 
Franzosen  und  deren  praktisches  Geschick  beleben  die  Industrie 
fortwahrend ,  Intelligenz  und  Kapital  widmen  sich  ihr  willfahrig. 
Obwohl  in  alien  Theilen  des  Landes  kleinere  oder  grossere  indu- 
strielle  Unternehmungen  bestehen,  so  bildet  doch  Paris  sammtUm- 
gebung  deren  Mittelpunkt.  Zuniichst  sind  es  der  Norden,  Osten 
und  Siidosten  ,  wo  in  den  letzten  25  Jahren  ein  ausserorden  tlicher 
Aufschwung  stattgefunden  hat. 

Die  wichtigeten  Zweige  sind:  die  Seidenindustrie  im 
Rhone  -  Departement  mit  dem  Mittelpunkte  Lyon  und  St.  Etienne 
dann  Nimes,  Alais,  Avignon,  deren  Fabrikate  sich  durch  Geschmack 
Schonheit  und  Gate  auszeichnen  und  einen  Weltruf  erlangten.  Die 
unbedingte  Ueberlegenheit  haben  zwar  die  franzosischen  Fabrikate 

*)  Chatillon  le  Due,  Commentry  etc.  gehSren  einer  Aktiengesellschaft,  welch6 
zahlreiche  Hochofen  besitzt,  grosse  Qaantitaten  Stabeisen  und  Gusswaaren  erzeagt 
und  iiber  20  Millionen  Francs  jahrlich  umsetzt.  Auf  fast  gleicher  HOhe  steht  Creusot. 

**)  Im  J.  1858  wurden  in  Frankreich  eingeffthrt:  nahezn  87  Millionen  Zentner 
Steinkohlen  (aus  Belgien  und  Saarbrflcken  64'/s  Million  Zentner),  —  1,270.000 
Zentner  Roh-  und  Gusseisen,  —  266.000  Zentner  Stabeisen,  —  11.000  Zentner  Stahl, 

—  480.000  Zentner  Zink,  —  uber  400.000  Zentner  Blei,  —  223.700  Zentner  Kupfer, 

—  50.700  Zentner  Zinn,  ohne  dass  in  diesen  Artikeln   wieder    eine  Auefuhr  stattge- 
unden  hatte. 


auf  dem  Weltmarkte  zum  Theile  eingebusst ,  doch  bestehen  sie  in 
vielen  Eichtungen  noch  immer  siegreich  die  fremde  Konkurrenz. 
Auf  beilaufig  40  QMeilen  sind  an  60.000  Maschinen  thatig  und 
der  jahrliche  Werth  der  Seidenfabrikate  belauft  eich  auf  450  Mil- 
lionen  Francs,  wovon  an  zwei  Drittel  (insbesondere  nach  Amerika) 
exportirt  werden. 

Hinsichtlich  der  Menge  und  dee  Werthes  der  verbrauchten 
Baumwolle  nimmt  Frankreich  nach  Grossbritannien  den  ersten 
Rang  in  Europa  ein  ;  an  Mannigfaltigkeit  der  Fabrikate,  sowie  in 
dem  Geschmack  und  der  Schonheit  seiner  Gewebe  ubertrifft  es  so- 
gar  Grossbritannien.  Frankreichs  Fabriken  liefern  alle  Arten  von 
Baumwollwaaren,  von  den  gewohnlichen  Kalikos  von  Rouen  bis  zu 
den  kiinstlichen  Mousselinen  von  Miihlhausen,  den  ausserst  feinen 
Tiillen  von  St.  Quentin  .und  den  ausgezeichneten  Tarlatanen  von 
Tarare.  Die  ereten  Versuche  im  Baumwollspinnen  wurden  vor 
etwa  60  Jahren  in  Paris  gemacht;  von  dort  dehnte  sich  dieser  In- 
dustriezweig  hauptsachlich  in  die  nb'rdlichen  und  ostlichen  Departe- 
ments  aus.  Gegenwartig  wird  Frankreich  hinsichdich  seiner  Baum- 
wollfabriken  in  drei  grosse  Gruppen  (^Kreise")  eingetheilt:  die 
Norman  die  mit  dem  Mittelpunkte  Rouen,  der  Osten  mit  Muhl- 
hausen  und  derNordosten  (franzosisches  Flandern)  mit  St.  Quen- 
tin ,  Roubaix,  Lille,  Rheims,  Chalons  s.  M.  bis  Troves.  —  Der 
erste  Kreis  ist  fur  grobere  und  billigere  Stoffe,  der  zweite  fur  feine 
Indiennes,  gedruckte  Mousseline,  die  an  Schonheit  und  Reichthum 
des  Gewebes  und  der  Farben  sowie  an  Geschmack  in  ihren  Des- 
seins  alle  ubertreflen,  der  dritte  fur  die  feinsten  Tiille  beriihmt. 
Lille  und  Valenciennes  liefern  die  schonsten  Spitzen;  Tarare  (bei 
Lyon)  sendet  die  kostbarsten  Tarlatane  und  Stickwaaren,  worin  es 
mit  der  Schweiz  konkurrirt,  auf  den  Markt ;  Calais  produzirt  Bob- 
binets  und  konkurrirt  in  Spitzen  mit  Nottingham.  Es  bestehen 
iibrigens  mehrere  Spinnereien,  Webereien,  Bleichen  u.  s.  w.,  welche 
innerhalb  keines  dieser  Hauptdistrikte  liegen.  Dieser  Industrie- 
zweig  ist  sehr  bliihend  und  gewinnbringend  (der  jahrliche  Pro- 
duktionswerth  ubersteigt  600  Millionen  Francs).  Die  Theuerung 
des  Brennmaterials  wird  durch  die  Fiille  und  Billigkeit  der  Ar- 
beitskrafte ,  die  grosse  Nachfrage  nach  franzosischen  Luxusstoffen 
und  das  Monopol  des  heimischen  Marktes  aufgewogen.  Das  Stei- 

fen  ist  ersichtlich  aus  der  Einfuhr  von  Rohbaumwolle ,    welche  im 
ahresdurchschnitt  1827—1836  etwa  73  V2  Million  Pfund  (offizieller 
Werth   nahe    an    55  Millionen    Francs ) ,    im  Jahre    1856    dagegen 
fast     184  '/a    Million    Pfund    (offizieller    Werth    an    140     Millionen 
Francs)  betrug.  Die  Ausfuhr  an  Baumwollgeweben  und  Garnen  er- 
reichte  im  Jahre    1856   iiber  203/4  Millionen    Pfund    im    wirklichen 
Werthe  von  fast  75  Millionen  (oifiziell  185  Millionen)  Francs  *). 
Die   Leinenindustrie   ist    ebenfalls   in  Flandern    und  der 


*)  Im  flstlichen  Kreise  bestanden  (1856)  109  Spinnereien  mit  circa  V/t  Million 
Spindeln,  8200  Pferdekraften  und  30.000  Arbei tern,  welche  44  Millionen  Pfund  Game 
im  Werthe  von  65  Millionen  Francs  erzeugten.  —  Webereien  136,  Produktion  der- 
selben  280  Millionen  Metres,  Geldwerth  an,  100  Millionen  Francs.  —  25  Druckereien 


297 

Normandie ,  dann  in  der  Picardie  und  Bretagne  verbreitet.  Feine 
Waare  (Batist,  Gaze,  Spitzen)  Hefern  Valenciennes,  Alen9on;  Ren- 
nes,  Calais;  schone  Damaste  und  Tafelzeuge  St.  Quentin;  —  Segel- 
tuch  wird  hauptsachlich  in  den  grossen  Seeplatzen  (Cherbourg, 
Brest,  Toulon  u.  a.  w.)  verfertigt.  Uebrigens  bezieht  Frankreich  viel 
Maschinengarn  aus  England  und  Leinengarn  aus  Deutschland.  Die 
Fabrikate  konnen  jedoch  im  Allgemeinen  mit  den  irischen ,  bel- 
gischen  und  deutschen  nicht  konkurriren. 

Die  Wollenin  dus  tri  e  hat  den  Hauptsitz  in  der  Normandie 
(Elbeuf,  Louviers,  Evreux),  dann  in  der  Picardie  (Abbeville  und 
Amiens),  in  Flandern  (Cambray);  auch  in  der  Languedoc  ist  sie 
stark  verbreitet  (Carcassonne,  Toulouse,  Castres,  Narbonne,  Lodeve, 
Bezieres).  Der  jahrliche  Werth  der  Wollwaaren  kann  auf  minde- 
stens  700  Millionen  Francs  geschatzt  werden.  In  der  Tuchfabrika- 
tion  behauptet  Sedan  (Champagne)  den  ersten  Rang,  insbesondere 
in  feinen  schwarzen  Tiichern  (Sedan-Tuche) ;  Louviers  liefert  feine 
Tucher  aller  Farben ;  Elbeuf  sehr  gate  mittelfeine,  worin  die  Fabri- 
kation  hochst  ausgedehnt  ist,  und  der  Geldwerth  dieser  Fabrikate 
ist  hoher  als  jener  von  Sedan  ;  Castres  verfertigt  etarke,  das  eiidliche 
Frankreich  ordinare  und  sehr  leichte  Fabrikate,  zunachst  fiir  den  Ex- 
port nach  der  Levante.  Teppiche  erzeugen  Paris  (die  beriihmte 
Savonnerie  seit  Heinrich  IV.)  und  Aubusson  (Auvergne)  von  vor- 
ziiglicher  Qualitat;  Tapeten  Paris  (hier  die  durch  Colbert  begrun- 
dete  Gobelin  -  Fabrik),  Shawls  Paris  (Fabrik  von  Ternaux  liefert 
die  Ternaux- Shawls)  ;  die  Bonneterie  ist  in  Orleans  am  starksten. 

Nachst  dicscn  Haupt-Industricil  si nd  die  unter  dem  spezifischen  Namen 
nPariser-Fab  rikat  e"  bekannten,  von  hochster  Eleganz  —  aus  Paris  und  Urn- 
gebung  (St.  Denis,  Neuilly,  Choisy,  Sevres  etc.),  nnd  zwar  Tableterie-  oder  Kurz- 
waaren,  Bijouterie-  und  Orfevrie-Waaren,  alle  Putz-  und  Modeartikel  (deren  Export 
im  Jahre  1857  an  82  Millionen  Francs  betrug),  Meubles,  musikalische  Instrumente 
(sehr  viel  nach  Bassland) ;  —  ferner  Lederfabrikate,  Chemikalien,  Metallwaaren  und 
Maschinen,  Seife,  Porzellan  (Sevres),  Glas,  Rankelriibenzucker  a.  s.  w.  von  Bedeutung. 

In  der  Lederfabrikation  sind  am  besten  vertreten  die  Weissgarberei,  die 
Saffian-  und  Maroquin-Fabrikation.  Starke  Ledersorten  werden  in  Blois  (De- 
partement  Loir  et  Cher),  den  engliscben  last  gleich,  erzeugt;  die  Production  an  lackir- 
tem  Leder,  namentlich  feinerer  Qualitat,  ist  stets  im  Wachsen.  Gate,  siarke  Gar- 
bereien  bestehen  in:  Strassburg,  Troyes,  Niort,  Nantes,  Grenoble;  —  Maroquin 
(welches  Frankreich  der  Berberei  [Marocco]  abgelernt),  wird  am  ausgedehntesten  in 
der  Provence  (Marseille)  und  Languedoc,  am  besten  in  Choisy  (bei  Paris)  nnd 
Miihlhausen  erzengt.  Die  Weissgarberei  hat  die  grossten  Fortschritte  gemacht 
und  hat  alle  Lander,  auch  England  ubcrtroffen;  Beweis  die  enorme  Ausfuhr  von 
Handschuhen  (Produktionswerth  iiber  36  Millionen,  Export  fiber  34  Millionen  Francs); 
—  Annonay  garbt  iiber  4  Millionen  Ziegenfelle  ;  — •  die  Handschuhe  von  Grenoble, 
Paris,  Chaumont  (in  der  Champagne)  uud  Luneville  (iiber  10.000  Arbeiter)  sind  be- 
ruhrat;  —  Vendome  (in  Orleanais)  liefert  ordinare,  —  Rennes  (Bretagne)  aus  Hirsch- 
leder,  —  Niort  Castorhandschuhe;  —  nach  England  werden  liber  2  Millionen  Paar 
Handschuhe  exportirt.  —  Saltier-  und  Riemerarbeiten  aus  Paris  stehenfast  auf 


drnckten  an  52  Millionen  Metres  Stoffe  im  Werthe  von  fast  52  Millionen  Francs. 
Werth  sammtlicher  Etablissements  150  Millionen  Francs,  jahrlicher  Werth  aller  Er- 
zeugnisse  nahezu  210  Millionen  Francs.  —  Die  Grnppe  der  Normandie  ist  in  An- 
sehung  der  Spindelzahl  und  des  Bedarfes  an  Rohmaterial  die  erste  in  Frankreich, 
jedoch  nicht  in  Hinsicht  des  Werthes  der  Erzeugnisse.  Rohmaterial  (viel  aus  Ost- 
indien)  verbrancht  sie  an  30  Millionen  Kilogramm,  l'/2  — 2  Millionen  Spindeln,  Ex- 
port im  Jahre  1855  fiber  9*/»  Million  Pfund. 


298 

gleicher  HShe  mit  London  und  Bristol,  wovon  eine  starke  Ausfuhr  nach  America 
btattfinclet. 

Elegante  Fussbekleidung  aus  Paris  und  Strassburg. 

Papier  erzeugt  es  fur  den  Export;  das  meiste  liefern  die  Normandie,  Loth- 
ringen,  Champagne,  Elsass,  im  Jura  und  Languedoc,  —  Annonay  ist  der  Hauptsitz, 
dann  Limoges  und  Lille;  —  vorzugliche  Pap  iertapeten  werden  in  Paris,  dann 
Miihlhausen,  Kixheim,  Altkirch  verfertigt. 

Unter  den  Metallwaaren  behaupten  den  ersten  Rang  die  geschmackvollen 
Galanterie-,  Bronce-  und  Gusswaaren,  deren  Hauptsitz  Paris  ist,  wo  die  Bronce- 
fabrikate  den  Wertb  von  30,  die  Bijouterien  von  42  Millionen  Francs  erreichten. 
Eisenhiitten  sind  in  den  Pyrenaen,  Alpen,  Cote  d' or;  —  Waffen:  St.  Etienne 
und  im  Departement  Niederrhein  ;  —  Gewehre:  Paris,  Versailles,  St.  Etienne  und 
Mutzig; —  Uhren:  Paris,  Besan9on,  in  den  Departements  Doubs,  Jura,  Ober-Saone 
und  in  Beaumont  (Oberrhein).  Die  Maschinenfabrikation  ist  seflr  vorge- 
schritten,  der  Werth  der  exportirten  stieg  im  Jabre  1857  auf  48  Millionen  Francs. 

Die  Glas-,  Spiegel-  und  Krystallglasfabriken  liefern  fiir  den  Ex- 
port. Beruhmte  Spiegelfabriken  sind  in  Tour  la  ville  (bei  Cherbourg)  und  St.  Gabiu 
(Departement  Aisne),  dann  St.  Quirin  und  Cirey  (LothringenJ,  welche  in  Paris  ge- 
scbliffen  und  welter  bearbeitet  werden.  Die  Einfuhr  fremder  Glaswaaren,  mit  Aus- 
nahme  von  Spiegeln,  ist  in  Frankreich  verboten.  —  Die  grossten  Krystallglas- 
fabriken sind  in  Choisy  le  Roi  (bei  Paris,),  Baccarat  (Lothringen),  St.  Louis  und 
la  Gare  (Lothringen,) ;  alle  sind  associirt  und  halten  eine  gemeinschaftliche  Niederlage 
in  Paris.  —  Fur  gewohnlicb.es  Glas  bestehen  uber  200  Hutten  im  Lande,  davon  uber 
100  fur  Bouteillen  (bei  Bordeaux  deren  8). 

Das  franzosische  Porzellan  zeichnet  sich  durch  schSnes  Ansehen,  blendende 
Farbe,  pracht-  und  geschmackvolle  Malereien  aus,  ist  aber  minder  dauerhaft  als  das 
deutsche;  —  Nationalfabrik  in  Sevres,  dann  Limoges;  —  Fayence  ausgezeichnet 
von  Nevres,  Rouen,  Paris,  Luneville,  Strassburg  und  Arboras  (Departement  Rhone) 
und  macht  im  Mittelmeere  England  bereits  Konkurrenz. 

Die  grossartige  Anwendung  der  Fortschritte  in  den  Naturwissenschaften,  ins- 
besondere  in  der  Chemie,  hat  auf  die  Gewerbc  vielleicht  in  keinem  Lande  solche 
Resultate  hervorgebracht,  als  in  Frankreich,  welches  in  der  Fabrikation  von  C he- 
mi  k  alien  Ausgezeichnetes  leistet.  Lille  ist  der  Hauptsitz  der  Bleiweissfabrikation, 
Montpellier  fiir  Grunspan,  Scheidewasser,  Vitriol.  Paris  besitzt  in  alien  diesen  Rich- 
tungen  grossartige  Etablissements ;  Franzbranntwein  (Cognac,  Liqueure  etc.)  in  der 
Gascogne  und  Guyenne;  chemische  Fabrikate  verschiedener  Art  in  Neuilly, 
Lyon,  Montpellier,  Rouen,  —  Seife  in  Marseille  und  Toulon, —•  Parfumerien  in  Par  is. 

Die  Runkelrubenzuckerfabrikation  macht  erstaunliche  Fortschritte,  wobei 
die  nordlichen  Departments  am  starksten  vertreten  sind  und  zwar  um  Lille,  Valencien- 
nes, Dunkirchen,  Arras,  Amiens,  dann  in  Lothringen,  im  Elsas's  und  bei  Paris.  Bei 
der  Erzeugung  wurden  die  wichtigsten  Verbesserungen  vorgenommen  und  mit  der 
Produktion  hat  sich  begreiflich  auch  die  Konsumtion  bedeutend  gesteigert. 

Eine  wichtige  Rolle  in  der  Industrie  Frankreichs  nehmen  die  Bekleidungs- 
artikel  der  Residenz  der  Weltmode  ein,  welche  mindestens  einen  jahrlichen  Werth 
von  300  Millionen  Francs  darstellen  und  in  grosser  Menge  gleich  den  geschmack- 
vollen und  billigen  kleinen  ^Luxusartikeln  (..Articles  de  Paris")  und  den  Kinderspiel- 
waaren  (Bimbeloterie)  zum  Export  gelangen.  Der  Luxus  in  der  Einrichtung  der 
Wohnungen  steigert  die  Fabrikation  aller  Mobiliargegenstande,  wovon  gleichfalls 
enorme  Mengen  nach  dem  Auslande  zum  Export  kommen,  da  sich  dieses  freiwillig 
immer  mehr  von  der  franzosischen  Mode  abhangig  macht  und  immense  Kapitalien  fiir 
Luxus-  und  Modewaaren  aller  Art  nach  Frankreich  sendet.  Der  Einfluss  der  fran- 
z5sischen  Industrie  anf  Deutschland  und  Oesterreich  ist  ein  machtiger  und  leider 
bis  jetzt  ein  stets  sich  steigernder  gewesen. 

Haiidel.  Frankreichs  geographische  Lage  an  dem  am  meisten 
befahrenen  Meere  der  Erde  ist  fiir  den  Seehandel  ausserst  giinstig. 
Die  vielen  schiffbaren  Fliisse,  deren  bedeutendste  mittelst  Kanalen 
unter  einander  verbunden  sind  und  somit  die  Meere  in  Verbindung 
bringen,  fordern  den  inneren  Verkehr  fast  nicht  minder  ab  die  zahl- 
reichen  Eisenbahnen  (im  J,  1858  waren  im  Betriebe  7442,  kon- 


299 

zessionirt  und  im  Baue  13.870  Kilometer),  welche,  von  alien  be- 
deutenden  Seehafen  und  den  Industriegegenden  auslaufend  in  der 
Hauptstadt  des  Landes  zusammentreffen.  Bis  zum  Jahre  1865 
hofft  man  das  gesarnmte  bieher  konzessionirte  Eisenbabnnetz 
dem  Verkehre  zu  iibergeben.  Mit  alien  Nachbarlandern  ist  das 
Land  durch  treffliche  Strassen  verbunden.  Nach  Italien  fiihren : 
die  Kiistenstrasse  von  Marseille  nach  Nizza,  die  Kunststrasse  von 
BrianQon  nach  Turin  (iiber  den  Mont  Genevre);  nach  Spanien  von 
Perpignan  nach  Barcelona  (von  Bajonne  nach  Vittoria  u.  s.  w.)» 
Dices  Alles  hat  Frankreich  eeit  jeher  zu  einem  der  machtigsten 
Handelsstaaten  Europa's  gebildet  und  dessen  Antheil  am  Welthan- 
del  wird  nur  von  jenem  Englands  iibertroffen. 

Die  Bewegung  im  Generalhandel  *)  Frankreichs  mit  seinen 
Kolonien  und  fremden  Landern  hat  in  der  dreissigjahrigen  Periode 
1827 — 1856  fast  um  das  Vierfache  zugenommen  (von  1168  auf 
4587  Millionen  Francs);  die  grosste  Zunahme  stellt  sich  in  den 
letzten  10  Jahren  heraus.  Aehnliche  Resultate  ergibt  der  Spezial- 
h  an  del,  welcher  sich  in  der  genannten  Periode  von  921  auf 
3148  Millionen  Francs  gehoben  hat.  Beim  Generalhandel  ergibt 
sich  fur  jene  Zeit  durchschnittlich  ein  jahrliches  Mehr 
fur  die  Ausfuhr  von  55,800.000,  und  beim  Spezialhandel  ein 
Mehr  der  Ausfuhr  fur  den  Jahresdurchschnitt  mit  60,500.000  Fes., 
wobei  die  iiberwiegenden  Zahlen  auf  den  Seeverkehr  entfallen.  Die 
Gesammtmenge  der  wahrend  der  letzten  zehnjahrigen  Periode  durch- 
schnittlich in  jedem  Jahr  zur  See  tranaportirten  Waaren  reprasen- 
tirt  die  Summe  von  2,251.600.000  Francs,  wobei  auf  die  franzosigche 
Flagge  1026,  und  auf  die  fremden  Schiffe  aller  Flaggen  1224.7  Mil- 
lionen Francs  entfallen. 

Der  Werth**)  der  Waarenansfuhr  Frankreicbs  (im  Generalhandel)  hat  den  der 
Einfuhr  in  der  dreissigjahrigen  Periode  durchschnittlich  uberstiegen: 

bei  Grossbritannien  um   86  Millionen  Francs 

den  vereinigten  Staaten  um  ....   44  ,,  ,, 

Spanien  um 38  ,,  „ 

Algier  nm 49  ,,  „ 

Brasilien  um 14  ,, 


Dagegen 


hat  eine  Mehreinfuhr  nach  Frankreich  stattgefunden : 


aus  Belgien  um 49  Millionen  Francs  ***) 

der  Schweiz  nahe  um 4  „  „ 

Sardinien  und  Monaco  . .          . .   23  „ 


*)  Der  Spezialhandel  (commerce  special)  begreift  bei  der  Einfuhr  die  zum 
Verbrauche  im  Inneren  bestimmten  und  bei  der  Ausfuhr  die  Gegenstande  heimi- 
schen  Ursprunges  in  sich;  —  der  Generalhandel  (commerce  general)  umfasst 
den  ganzen  Verkehr  ohne  derartige  Beschranktingen. 

**)  Die  franzSsische  Handelsstatistik  stellt  den  Werth  der  Ein-  und  Ausfuhr  zu- 
vorderst  nach  den  ein-  fur  allemal  auf  Grundlagen,  welche  im  Jahre  1826  aufgestellt 
sind,  und  in  der  Ordonnanz  vom  27.  Marz  1827  ihre  Genehmigung  fanden,  festge- 
setzten  Normalpreisen  der  einzelnen  Handelsgegenstande  fest  (,,amtlicher  Werth, 
valeur  officiel"),  und  sodann  nach  dem  naturgemass  dem  Wechsel  unterworfenen 
Verkehrswerth,  wie  der^elbe  sich  von  Zeit  zu  Zeit  bildet  und  wie  ihn  eine  zu  diesem 
Zwecke  eingesetzte  Kommission  jedesmal  angibt  (,,wirklicher  Wertb,  valeur 
actu  e  1"). 

***)  Im  Jahre  1857  uberstieg  die  belgische  Ausfubr  nach  Frankreich  jene  der  Ein- 
fuhr um  85.,  Millionen  Francs  officieller  Werth  (=  81. 5  Millionen  Francs  wirk- 
licher  Werth). 


BOO 


bei  dem  Zollverein  um  13  Millionen  Francs 

„    der  Tarkei  um 15  „  „ 

,,    Russland  um 28  „  ,, 

„    beiden  Sicilien  um 7  „  ,, 

„    Britisch-Indien  um 28  „  ,, 

Beim  Spezialh  andel  zeigen  sich  ziemlich  abweichende  Re- 
sultate.  Ein  Mehr  der  Ausfuhr  ergibt  sich  auch  hier  nach  Gross- 
britannien  (mit  63  Millionen),  Spanien  (28),  Algier  (44),  Brasilien 
(10) ,  aber  nach  den  vereinigten  Staaten  mir  mit  6  Millionen ,  da- 
gegen  bei  der  Schweiz  mit  21  Millionen  und  im  ahnlichen  Ver- 
haltnisse  befinden  sich  der  Zollverein  und  die  nicht  specificirten 
Lander  *). 

Betrachtet  man  den  Handelsverkehr  nach  der  Gattung  der 
Waaren,  so  findet  man  die  erheblichsten  Zunahmen  bei  folgen- 
den  Exportwaaren :  Seiden-,  Baumwoll-  und  Wollengeweben,  Wei- 
nen,  Cerealien,  Kunsttischler-  und  Spielwaaren,  Weisszeug  und 
fertigen  Kleidungsstiicken,  bearbeiteten  Hauten,  Topfer-,  Glas-  und 
Krystallwaaren,  Papier-  und  Pappwaaren,  raffinirtem  Zucker,  Spiri- 
tuosen,  Metallwaaren,  Goldschmied-  und  Juwelierarbeiten ,  Haare, 
Uhren,  Farbwaaren.  Uebrigens  zeigt  eich  zwischen  dem  wirklichen 
und  offiziellen  Werthe  in  den  letzten  10  Jahren  ein  nicht  unbedeu- 
tender  Unterschied.  Hoher  ist  der  wirkliche  Werth  bei  Seide,  Ce- 
realien,  Rohwolle,  Zucker,  Steinkohlen,  Holz,  rohen  Hauten,  Kaffee, 
Olivenol,  Kupfer  und  Flachs ;  niederer  dagegen  bei  Baumwolle, 
Oelfriichten,  Blattertabak  und  Indigo. 

Auch  beim  Transit- Verkehr  finden  wir  im  mehrerwahn- 
ten  Decennium  giinstige  Resultate  ,  welche  hauptsachlich  aus  der 
Periode  1852—1856  herriihreo.  Der  Jahresdurchschnitt  dieses  De- 
cenniums  ist  fiber  576.000  metr.  Zentner  im  offiziellen  Werfhe 
von  307  Millionen  Francs  ;  das  ist  gegen  das  Jahr  1833  eine  Zu- 
nahme  von  131  °/0  nach  dem  Gewichte  und  von  106%  nach  dem 
Werthe. 

Die  groaste  Steigerung  findet  man  bei  Seiden-,  Baumwol- 
len  und  Wollengeweben ,  sowie  bei  Uhrenwaaren;  den  starksten 
Abschlag  bei  Rohseide;  —  bei  roher  Baumwolle  ist  keine  wesent- 
liche  Veranderung.  Die  grosste  Menge  von  Transitgiitern  kam 
iiber  Marseille,  dann  fiber  Havre  und  Strassburg;  iiber  Valen- 
ciennes hat  der  Transit  seit  der  Erbauung  der  Eisenbahn  erst  be- 
gonnen. 

Der  Sceverkehr  Frankreichs  wird  hauptsachlich  durch  drei  Hafen,  Handels- 
platze  ersten  Ranges,  vermittelt:  Marseille,  Havre,  Bordeaux,  deren  Zunahme 
sowohl  hinsichtlich  des  Tonnengehaltes,  als  der  Schiffszahl  und  der  franzosischen 
Flagge  gegeniiber  fremden  Flaggen  in  bedeutenden  Dimensionen  wachst. 


*)  Einfuhr: 

Im  Jahre  1857 1837 

„       „       1858 1561 

und  zwar: 

Baumwolle 145  < 

Wolle 105.5 

Rohseide 102., 

zugerichtete  Seide 88., 

Steinkohlen 81., 


Au  sfuhr: 

Im  Jahre  1857 1865 

„       „       1858 1891 

und  zwar: 

Seidenwaaren ,  378 

Wollenzenge 156., 

Baumwollzeuge 67., 

Weine 186.a 


301 

Marseille  verkehrt  iiberwiegend  mit  der  Levante  und  den  Kiistenlandern 
des  Mittelmeeres.  Die  Hauptstapelartikel  waren  friiher  Oele  und  Seifen;  gegenwartig 
ist  Marseille  einer  der  wichtigsten  europaischen  Markte  fur  Getreide,  welches  ans 
Russland  (Odessa)  bezogen  wird  und  womit  Siidfrankreich  und  Nordspanien  versorgt 
werden.  Mit  dem  Steigen  des  Handels  im  Mittelmeer  steigt  fortwahrend  auch  Mar- 
seille. Der  Verkehr  mit  Algier  hat  sich  seit  dem  Beginne  bis  jetzt  um  526%  und 
gegen  das  Decennium  1836 — 1847  um  85%  gesteigert,  dessgleichen  ist  die  Schiffahrt 
unter  franzosischer  Flagge  im  letzten  Decenninm  (1847 — 1857)  gegen  das  vorans- 
gegangene  gestiegen  im  Handel  mit  der  Turkei  um  90'V0,  mit  Spanien  nm  27%,  mit 
Russland  um  45% ;  dagegen  hat  sie  um  15%  beim  Handel  mit  Sardinien  eingebiisst. 
Wahrend  der  letzten  Periode  liefen  in  Marseille  durchschnittlich  im  Jahre 
4408  beladene  Sehiffe  langer  Fahrt  von  nahe  an  780.000  Tonnen  ein,  wobei  die  fran- 
zSsische  Flagge  nahezn  zur  Halfte  vertreten  war;  es  zeigt  sich  in  dieser  Periode  eine 
Zunahme  nm  42%  fur  die  Sehiffe  und  um  74%  fur  den  Tonnengehalt.  Den  bedeu- 
tendsten  Einfluss  ausserte  daranf  Algerien.  Die  Hauptprodukte  Algeriens  sind  Ge- 
treide, Tabak  und  Gemuse,  minder  die  Baumwolle;  dagegen  bezieht  es  fast  alle  Er- 
zeugnisse  der  Kunst  und  Industrie  aus  dem  Mutterlande.  Marseille  vermittelt  sonach 
den  Handel  mit  Algier,  Siidrussland,  den  italienischen  Staaten  nebst  Griechenland 
und  der  Turkei. 

Der  zweite  wichtige  Handelshafen  am  Mittelmeer  ist  Cette,  der  Stapelplatz 
fur  den  Kanal  von  Languedoc  und  Montpellier.  Ausfuhr  von  Seiden-,  Wollen-  und 
Baumwollwaaren,  Leder,  Cette-Wein  u.  s.  w.  im  Werthe  von  30  Millionen  Francs. 
Einfuhr  von  Flachs,  Hanf,  Talg,  Juchten,  Getreide,  schwedischem  Eisen,  Bauholz. 

Havre  kann  der  Hafen  von  Paris  genannt  werden  und  in  dem  enormen 
Wachsen  der  Industrie  in  dieser  Weltstadt,  sowie  in  dem  Umstande,  dass  der  Schwer- 
punkt  des  Welthandels  nicht  mehr  im  Mittelmeere,  sondern  im  atlantischen  Oceane 
zu  suchen  i>t,  liegt  die  Bedeutung  und  die  Zukunft  dieses  rasch  aufbltihenden  Hafens. 
Durch  das  Eisenbahnnetz  und  die  direkte  Verbindung  mit  Paris  steht  Havre  mit  alien 
wichtigen  Industriebezirken  Frankreichs  in  nnmittelbarem  Verkehr.  Ueber  Havre  be- 
ziehen  dicse  ihre  uberseeischen  Rohprodukte  und  Havre  ist  der  Verschiffungsplatz 
fur  alle  Fabrikate,  welche  den  Wasserweg  benutzen  mussen.  Paris  mit  seinem  grossen 
Konsum  und  die  dichte  Bevolkerung  in  den  industriellen  Rayons  bezieht  aus  Havre 
den  grossen  Bedarf  von  Kolonialprodukten  (Kaffee,  Zucker,  Cacao,  Reis,  Tabak 
u.  s.  w.).  Es  ist  der  Hauptmarkt  fur  Baumwolle,  fur  Wolle,  Indigo,  Farbeh61zer, 
Gummi  und  Harze  u.  s.  w.,  fur  die  fruher  erwahnten  Kolonialprodukte.  —  Ausser 
Frankreich  bezieht  die  Schweiz  einen  grossen  Theil  von  uberseeischen  Rohstoffen 
nnd  Verzehrungsgegenstanden  direkt  Oder  Transito  von  Havre,  auch  siiddeutsche 
Baumwollspinnereien  beziehen  die  Baumwolle  vielfach  von  dort.  —  Die  Schiffahrt  von 
Havre  hat  im  letzten  Decennium  fur  den  Jahresdurchschnitt  beim  Eingange  ein  Mehr 
von  21%  far  die  Sehiffe,  und  von  31%  fur  den  Tonnengebalt. 

Bordeaux  ist  der  Ausfuhrhafen  fur  franzosische  Weine,  da  der  Sudwesten 
Frankreichs  nahezu  die  Halfte  des  Weinbaues  besitxt.  Von  der  Grosse  dieser  Pro- 
duktion  hangt  daher  grosstentheils  die  Wichtigkeit  des  Ausfuhrhandels  auf  diesem 
Platze  ah,  wie  es  die  Missei-nten  in  den  'Jahren  1855—1857  beweisen  ;  dagegen  hat 
die  reiche  Produktion  des  Jahres  1858  auch  die  entsprechende  Steigerung  hervorgernfen. 
Nachst  Wein  gelangen  Alkohol,  getrocknete  und  eingemachte  Fruchte  (Pflaumen) 
nnd  derartige  Fische,  sowie  das  an  den  Abhangen  der  Pyrenaen  gewonnene  Terpen- 
tinol  zum  Export;  unter  den  Einfuhrsartikeln  nimmt  das  Holz  (Fassdanben)  den 
ersten  Rang  ein.  Im  letzten  Decennium  zeigt  sich  im  Jahresdurchschnitt  eine  Zu- 
nahme von  36%  rucksichtlich  der  Schiffszahl  und  um  32%  rficksichtlich  des  Ton- 
nengehaltes. 

In  fast  gleichem  Verhaltnisse  bat  der  Verkehr  in  Rouen  und  Nantes  zuge- 
nommen. 

Betrachtet  man  die  Dampfschiffahrt  abgesondert,  so  stellt  sich  ffir  den 
Durchschnitt  des  letzten  Decenniums  gegen  das  vorangegangene  eine  Zunahme  um 
38%  fur  die  Sehiffe  und  von  87%  fur  den  Tonnengehalt.  Im  Allgemeinen  hat  bei 
der  Rhederei  die  Zahl  der  Sehiffe  von  mehr  als  30  Tonnen  zngenommen,  wahrend 
die  kleineren  eine  bedeutende  Verminderung  erfahren  haben. 

Schliesslich  bleibt  noch  zu  erwahnen,  dass  die  kleine  BKabotage"  (Kiistenfahrt 
von  einem  Hafen  zum  andern  in  demselben  Meere)  verhaltnissmassig  bedeutend  mehr 
zugenommen  hat,  als  die  ngrosse  Kabotage"  (Fahrt  von  einem  Meere  in  das  andere). 
Marseille  behauptet  in  der  Kiistenfahrt  fortwahrend  den  ersten  Rang ;  dann  folgt 


Bordeaux,  Havre  nimmt  erst  die  dritte  Stelle  ein;  Nantes  hat  bedeutend  hierin  zu- 
genommen,  wahrend  Rouen  Ruckschritte  gemacht  hat. 

Fur  den  inneren  Handel  sind  die  wichtigsten  Platze:  Paris, 
Lyon,  St.  Etienne,  Strassburg  und  Beaucaire. 

Paris  ist  fur  Luxus-  und  Modewaaren  die  erste  Stadt  der 
Welt,  zugleich  die  erste  Fabrikstadt  und  Entrepot  des  gesammten 
franzosischen  Handels  ,  sowie  der  erste  Wechselplatz  Frankreichs. 
Banken  ,  Handels-  und  Assekuranz  -  Gesellschaften,  kommerzielle, 
technische  und  Kunstschulen  und  alle  Arten  Forderungsmittel  der 
Industrie  und  des  Handels  sind  hier  vertreten.  Zunachst  steht 
Lyon ,  mit  der  grossartigen  Seidenindustrie ,  der  bedeutendste 
Seidenmarkt  in  Europa.  Die  Produktion  berechnet  sich  auf  100 
Millionen  Francs,  wovon  Qber  80  MilJionen  exportirt  werden.  Auch 
als  Entrepot  zwischen  Siid  -  und  Nordfrankreich  macht  es  be- 
deutende  Speditions-  und  Kommissionsgeschafte ,  halt  vier  stark 
besuchte  Messen.  Besonders  rasch  bliiht  St.  Etienne  empor, 
dessen  Stahl- ,  Eisen-,  Gewehr-  und  Kunstwaarenfabriken  noch 
wichtiger  sind  als  die  vortheilhaft  bekannten  Seiden-  und  Sammt- 
bandfabriken.  Strassburg  ist  der  wichtigste  Speditionsplatz 
fiir  den  Verkehr  zwischen  Frankreich  und  Deutschland.  Nebst 
den  eigenen  Industrie  -  Erzeugnissen  (Garbereien ,  Wagenfabriken, 
Stilckgiesserei ,  mechanische  Arbeiten  etc.)  treibt  es  ansehnlichen 
Handel  in  Wein,  Oel,  Hanf  und  Krapp.  Beaucaire  ist  vor- 
ziiglich  bekannt  wegen  der  grossen  Messe  im  Juli,  die  von  Tau- 
senden  aus  Europa ,  Af rika  und  der  Levante  besucht  wird ,  auf 
welcher  Seide  und  Seidenwaaren  ,  Tuche  ,  Shawls  ,  Leder ,  Wein, 
Oel  u.  s.  f.  nicht  selten  um  mehr  als  30  Millionen  Francs  umge- 
setzt  werden. 

Der  Stand  der  geistigen  Kultur  dieses  reichbegabten  Vol- 
kes  ist  ein  mehrfach  verschiedener.  Die  unteren  Volksklassen,  ins- 
besondere  im  Siiden  und  Westen  Frankreichs ,  sind  in  der  Bildung 
sehr  zurflck;  es  fehlen  oft  die  allerersten  Eiementarkenntnisse ,  da 
sowohl  die  Anzahl  als  die  Einrichtung  der  vorhandenen  Elementar- 
schulen  bei  weitem  nicht  zureichend  ist.  Unter  den  im  Jahre  1854 
militarpflichtigen  jungen  Leuten  befand  sich  fast  ein  Drittheil,  welche 
des  Lesens  und  Schreibens  unkundig  waren.  In  neuerer  Zeit  wird 
iibrigens  eine  grossere  Aufmerksamkeit  dem  Volksunterrichte 
zugewendet.  Auch  der  ,,gebildete  Mit  t els t and",  wie  wir 
ihn  in  Deutschland  so  wtirdig  vertreten  sehen,  fehlt  grossen  Theils. 
Dagegen  ist  es  nicht  zu  laugnen ,  dass  Wissenschaften  und 
Kilnste  in  hohem  Grade  bluhen;  die  ,,grosse  Nation"  hat  eine 
grosse  Menge  von  Celebritaten  aller  Art  hervorgebracht,  auf  dem 
Throne  ,  in  der  Kirche ,  im  Kabinet  und  im  Feld ,  sowie  in  den 
mannigfaltigen  Kulturzweigen;  die  franzosiche  Literatur  ist  eine 
der  reichsten  in  Europa.  In  alien  Zweigen  der  exacten  Wissen- 
schaften besass  es  stets  eine  achtungswerthe  Anzahl  von  Talenten 
ersten  Ranges.  Der  Einfluss  der  Wissenschaft  auf  die 
industrielleTechnik  ist  in  Frankreich  ganz  besonders  be- 
deutend, die  Zahl  der  technischen  und  kommerziellen  Lehranstal- 
ten  ist  stets  im  Wachsen,  und  es  ist  nicht  zu  zweifeln,  dass  die 


Gegensatze  in  der  geistigen  Kultur  durch  Vermehrung  und  He- 
bung  der  Volks-  und  M  ittelschulen  nach  und  nach  minder 
grell  hervortreten  werden. 


VIII.    Das  Kftnigreich  Belgien. 

§.  143.    Bestandtheile.  Bevttlkernng. 

537  DMeilen;  —  4,530.000  (relativ  8436)*)  Einwohner,  welche  sich  fast 
ausschliesslich  znr  r6misch-ka tholischen  Kirche  bekennen;  wenig  Protestanten 
und  wenig  Israelites  —  Nach  der  Nationalitat  gehOren  tiber  60%  dem  vlami- 
schen  Stamme  an,  nahe  an  40%  sind  Wallonen,  erstere  im  Tieflande,  letztere  in  den 
Ardennen;  ztidem  noch  (etwa  40.000)  Deutsche,  Englander  und  andere.  Schrift-  und 
Staatssprache  ist  franzosisch.  —  Grenzen:  im  0.  Luxemburg,  Preussische  Rhein- 
provinz,  Limburg;  im  N.  Niederlande;  im  W.  Nordsee;  im  S.  Frankreich.  —  Kon- 
stitutionelle  Erbmonarchie ;  die  Succession  in  der  Thronfolge  ist  in  mannlicher  Linie 
nach  dem  Rechte  der  Erstgeburt  im  Koburger  Zweig  der  ernestinischen  Linie  des 
Hauses  "Wett  in. 

Boden.  Belgien  beeteht  theils  aus  einem  niederen  Berglande, 
den  Ardennen  (bis  1200'),  mit  dem  mittleren  Becken  der  Maas, 
theils  gehort  es  dem  nordeuropaischen  Tieflande  rait  dem  Fluss- 
geader  der  Schelde  an.  Den  Ardennen  ist  (im  Norden  der  Sambre) 
ein  Hiigelland  vorgelagert,  welches  sich  allmalig  zur  iiberaus 
fruchtbaren  Ebene  in  Flandern  und  Sudbrabant  verflacht ;  wahrend 
in  den  Provinzen  Antwerpen  und  Limburg  grosse  Haidestrecken 
und  Moore  (Campine  oder  Kempen  im  Gebiete  von  Antwerpen) 
sich  ausbreiten.  An  den  Kusten  der  Nordsee  liegt  das  Flachland 
so  tief,  dass  es  durch  Damme  (Deiche)  gegen  die  Ueberschwem- 
mungen  geschutzt  werden  muss.  Die  durch  Damme  geschiitzten 
Gegenderi  heissen  Polder. 

Gewasser.  Das  Land  wird  nur  auf  der  kurzen  Strecke  von 
10  Meilen  von  der  Nordsee  bespiilt ,  welche  keine  grosseren 
Buchten  in  das  Land  schneidet.  —  Unter  den  fliessenden  Gewas- 
eern  ist  der  bedeutendste  Fluss  die  Schelde  mit  zwar  kurzem 
Laufe  (von  Tournay  bis  zum  Fort  Bath)  aber  bedeutendem  Was- 
serreichthum ,  schiffbar  von  Cambrai  an  und  von  Antwerpen  fur 
Seeschiffe.  Im  Flussgebiete  der  Schelde  liegen  alle  grossen  Stadte 
des  Landes  (ausser  Luttich),  und  die  Wichtigkeit  dieses  Flusses 
fur  Belgien  wird  nur  dadurch  gemindert ,  dass  die  Miindungen 
ausser  Landes  liegen.  Mehrere  der  zahlreichen  Nebenfliiase  sind 
ebenfalls  schiffbar,  als :  die  Den  der,  die  aus  der  Vereinigung 
mehrerer  Zufliisse  entstandene  Rupel,  die  Henne(Haine)  und  die 
wasserreiche  Lys  (sp.  Leis).  —  Im  belgischen  Oberlande  bildet  das 
tiefe  Thai  der  Maas  einen  Haupteinschnitt;  sie  tritt  siidlich  von 
Dinant  aus  Frankreich  nach  Belgien,  fliesst  anfanglich  durch  enge 
Schliinde  mit  steilen  Wanden,  dann  aber  zwischen  niedern  Ufern 
und  nimmt  (rechts)  die  Semoy,  Ourthe  und  (links)  Sambre  auf. 

*)  Nach  den  Provinzen  zeigt  sich  eine  grosse  Verschiedenheit  in  der  relati- 
ven  Volkszahl.  In  Ostflandern  kommen  auf  cine  QMeile  14.228  Einwohner, 
in  Brabant  12.520,  in  Hennegau  11.353,  in  Westflandern  10.603,  in  Luttich  9557,  in 
Antwerpen  8419,  in  Limburg  4361,  in  Namur  4288,  in  Luxemburg  nur  2408. 


304 

—  Zahlreiche  Kanale  befordern  die  Schiffahrt,  unter  denen  die 
bedeutendsten  sind:  von  Charleroi  nach  Brflssel ,  von  Luttich  nach 
Mastricht,  von  Gent  nach  Briigge,  von  Brugge  nach  Ostende,  von 
Gent  nach  Terneuzen,  Verbindung  der  Maas  mit  der  Sambre,  Ka- 
nal  der  Campine  u.  s.  w. 

Das  Klima  ist  gemassigtes  Seeklima,  im  Flachlande  feucht 
und  veranderlich,  in  den  Poldern  ungesund;  in  den  Berglandschaf- 
ten  zwar  rauher  aber  trockener  und  bestandiger. 

Politische  Eintheilung.  Belgien  ist  in  9  Provinzen,  diese 
in  41  Arrondissements  und  letztere  in  Gemeinden  eingetheilt, 

Bemerkenswerthe  Orte  *) : 

1.  Sudbrabant:  Brussel   (Bruxelles,  261.000),    Laeken,    Lowen  (Loavain 
32000),  Anderlecht,  Waterloo,  Tirlemont. 

2.  Antwerpcu:  Antwerpen  (Anvers  110.000),    Mecheln  (Malines  31.000), 
Lier  (Lierre),  Turnhout. 

3.  Ostflatidern:  Gent  (Gand,  110.000),  Dendermonde,  Aalst,  St.  Nicolaes, 
Lokeren,  St.  Renaix. 

4.  Wcstflandern:  Brugge  (Bruges  50.000),  Ostende,    Kortryk  (Courtray), 
Yperen,  Nieuwpoort. 

5.  Hennegaa  (Hainant):  Bergen  (Mons  26.000),  Jemappes,  Doornik  (Tour- 
nay),  Charleroi,  Fleurus. 

6.  iXaniur:  Namur  (25.000),  Andenne,  Dinant. 

7.  Luttich:    Luttich    (Liege   90.000),    Seraing,    Herstal,    Venders,    Spaa, 
Limbnrg. 

8.  Limbnrg:  Hasselt  (10.000),  Tongern,  Beverloo. 

9.  Luxemburg:  Arlon  (6000),  Bouillon. 

Von  besonderer  Bedeutung  sind  die  Stadte: 

Briissel,  an  der  Senne,  mit  261.000  Einw.,  die  in  raschem  Wachsthum  be- 
griffene  schOne  Hauptstadt  nnd  Residenz  des  K5nigs,  Sitz  der  hochsten  StaatsbehSr- 
den,  mit  prachtvollen  Palasten,  zahlreichen  wissenschaftlichen  und  Kunstinstituten 
und  Sammlungen,  schwunghafter  Industrie  in  Spitzen  (Brussler  oder  Brabanter), 
Webe-  und  Wirkwaaren,  Tapeten,  Leder,  Papier,  Krystallglas,  Chemikalien,  Bijoute- 
terien,  Maschinen,  bedeutende  Buckdruckerei  und  Buchhandel  u.  a.  m.  Centralschule 
fur  Handel  nnd  Gewerbe  mit  reichen  Sammlnngen ;  Borse,  Banken  und  grosse  Geld- 
institute.  Universitat.  In  der  Nahe  konigl.  Schloss  Laeken  (Labken),  und  die 
D6rfer  Waterloo,  Mont  Saint  Jean  (Mon  San  Schan)  mit  dem  Vorwerke  Belle 
Allian  ce(Bal' Aljanss).  Sieg  derPreussen  nnd  Englander  iiber  Napoleon  am  18.  Jnni 
1815.  —  Der  wichtigste  Handelshafen  ist  Antwerpen,  eine  Welthandelsstadt  mit  der 
altesten  Borse  in  Europa,  drei  starken  Messen,  Bank,  Assekuranz-  und  Handels-Ge- 
sellschaften ,  grossen  Entrepots  ,  unterhalt  regelmassige  Dampfschiffahrten  nach  Eng- 
land ,  Havre  und  New  York.  Den  Hafen  besuchen  jahrlich  fiber  3000  Schiffe.  Im 
16.  Jahrhunderte  stand  diese  Stadt  in  ihrer  Bliite  und  zahlte  damals  iiber  200.000 
Einwohner.  Auch  die  Industrie  ist  sehr  bedeutend;  sie  liefert  Tuch,  Seiden-  und 
Baumwollwaaren,  Spitzen,  Leder,  Wachstuch,  Gold-  und  Silberwaaren;  beruhmt  sind 
endlich  die  Diamantenscbleifereien ,  sowie  die  Schiffswerften ,  Bleichen  und  Faibe- 
reien.  —  Die  zweite  Hafenstadt  des  Landes  ist  Ostende,  welche  lebhaften  Verkehr 
mit  England  (Dampfschiffahrt  zwischen  Ostende  und  Dover)  und  den  benachbarten 
Staaten  unterhalt.  Die  Seebader,  Fischerei,  Rhederei  und  die  Leinenindustrie  bringen 
ansehnlichen  Gewinn  und  sind  in  der  Aufnahme.  —  Briigge,  ehemals  die  Haupt- 
niederlage  der  Hansa  mit  den  beruhmten  grossen  Messen  ,  hat  seine  Wichtigkeit  als 
Handelsplatz  verloren,  behauptet  jedoch  einen  hohen  Rang  als  Fabriksstadt  fur  Lein- 
wand  ,  Damast ,  Spitzen,  Baumvvoll-  und  Schafwollzeuge;  nur  in  Landesprodukten 
und  in  Leinwand  ist  der  Handel  noch  hedeutend.  Im  letzteren  Artikel  arbeitet  auch 
Gent,  welches  zugleich  fur  Leder  und  Baumwollwaaren  der  wichtigste  Manufaktur- 
platz  ist.  Industrieplatze  ersten  Ranges  sind:  Briissel  (Spitzen,  Blonden,  Teppiche), 
Luttich  (Metallfabrikation,  Waffen,  Geschutze  ,  Maschinen),  Seraing  (Maschinen), 
Lowen  (Tuchweberei,  Spitzen,  Blonden,  Bierbrauereien),  €ourtray  (Leinenwaaren), 
Ton  may  (Teppiche),  Verviers  (Tuch),  an  welche  sich  Namur,  Mons,  Charleroi 
anschliessen. 

*)  In  der  Klammer  sind  die  haufig  franzosisch  gebrauchten  Stadtenamen. 


Xulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  naturliche  Beschaffenheit  des  Bodens  ist  zwar  nur  in 
einigen  Provinzen  fiir  den  Ackerbau  sehr  gunstig,  dennoch  ist 
der  Ertrag  in  Folge  der  rationellen  und  fleissigen  Bearbeitung  ein 
relativ  sehr  hoher,  wenn  er  gleich  fur  die  dichte  Bevolkerung  nicht 
ausreicht.  Durch  Austrocknung  der  Stimpfe  und  Moraste  wird 
fortwahrend  neuer  Boden  fQr  den  Feldbau  gewonnen.  Mit  dem 
Ackerbaue  beschaftigt  sich  etwa  ein  Viertheil  der  Bevolkerung  und 
die  bearbeitete  Bodenflache  ist  beilaufig  475  n^eilen  gross,  wo- 
von  fast  die  Halfte  von  Pachtern  bearbeitet  wird.  Dem  Getreide- 
bau  sind  an  160  QMeilen,  den  Handelspflanzen  an  12  QJMeilen 
zugewiesen.  Die  Einfuhr  von  Cerealien  wechselt  im  Jahresdurch- 
schnitt  zwischen  1 — 2  Millionen  Zentner;  dagegen  liefert  der  An- 
bau  von  Handelspflanzen  noch  fur  den  Export.  Darunter 
nimmt  der  vortreffliche  Flachs  (Ostflandern)  den  ersten  Rang 
ein  (Jahreeproduktion  etwa  373.000  Zentner  im  Werthe  von  4'/2  Mil- 
lion Gulden);  dann  folgen  Hanf,  Krapp  (in  den  ,,Poldern"  von 
Westflandern),  O  elpfl  anzen  (Flandern  und  Brabant),  sowie  Hiil- 
senfrGchte,  Gemiise  und  Futterkrauter  (Klee) ;  auch  der  Hopfenbau 
gewinnt  an  Ausdehnung.  Vorziiglich  ist  endlich  die  Obstkultur 
in  den  Thalern  der  Maas  und  Sambre,  und  die  ausgezeichnete 
Blumenzucht  in  Brabant  und  zu  Gent,  deren  Produktionswerth  auf 
2  Millionen  Gulden  geschatzt  wird. 

In  der  Viehzucht  ist  das  Hornvieh  aus  Flandern  und  Bra- 
bant, sowie  aus  Limburg  und  Luxemburg  besonders  geschatzt. 
Brabant  und  Hennegau  liefern  gute  Pferde,  obgleich  nicht  in  aus- 
reichender  Menge.  Das  grosse ,  aber  nicht  feinwollige  Schaf  in 
Flandern  gibt  den  Eohetoff  nur  fiir  Tuche  geringerer  Qualitat,  in 
Limburg  ist  dessen  Hauptertragniss  der  Limburger-Kase.  Flandern 
schickt  jahrlich  iiber  2  l/a  Million  abgehautete  Kaninchen  nach 
England,  die  Felle  gehen  nach  Frankreich,  Russland  und  Amerika. 
Die  Schweinezucht  ist  sehr  verbreitet ,  die  Bienenzucht  vorziiglich 
in  der  Campine  (bei  Antwerpen).  Die  Seefischerei  geht  haupteach- 
lich  auf  den  Stockfisch-  und  Haringsfang  aus. 

Der  relativ  grosste  Theil  des  Nationalvermogens  liegt  im 
Bergbau,  denn  die  vier  Minen-Provinzen  Hennegau,  Namur,  Luxem- 
burg und  Liittich  besitzen  einen  fast  unerschopflichen  Reichthum 
an  Steinkohlen  und  Eisen.  Erstere  werden  aus  mehr  denn 
400  Gruben  gefordert  und  die  dermalige  Ausbeute  betragt  wohl 
an  160  Millionen  Zentner  im  Werthe  von  iiber  43  Millionen  Gul- 
den, wovon  (im  J.  1857)  fiber  57  Millionen  Zeutner  (fast  aus- 
schlieselich  nach  Frankreich)  zur  Ausfuhr  kamen.  Die  reichsten 
Gruben  sind  bei  Lutticb,  Mons,  Namur  und  Charleroi  *).  Die  Pro- 
duktion  an  Roh-,  Guss-  und  Stabeisen  betragt  iiber  4  Mil- 
lionen Zentner  im  Werthe  von  33  Millionen  Gulden  (urn  Liittich, 

*)  Belgiens  Steinkohlenfelder  nehmen  4°/0  der  Gesammtarea,  die  Englands  5°/0, 
jene  Frankreichs  dagegen  kaum  1%  ein.  Im  Verhaltniss  zur  BevOlkerung  produzirt 
Belgien  zehnmal  so'  viel  Steinkohlen  als  Frankreich,  aber  '/,  weniger  als  Gross- 
britannien;  —  im  Verhaltniss  zur  Oberflache  24mal  so  viel  als  Frankreich  und  fast 
urn  die  Halfte  mehr  als  Grossbritannieu. 

Klua's  Handels-Geo^raphie.     2.  AuU.  20 


Namur  und  Limburg),  wovon  (1857)  nach  Deutschland  und  Frank- 
reich  iiber  I.,*  Millionen  Zentner  exportirt  wurden.  Zink  wird 
bei  Luttich  (vieille  Montague),  Verviers  und  Membach  in  grosser 
Menge  (ilber  '/3  Million  Zentner),  desegleiehen  auch  B 1  e  i  gewon- 
nen.  Endlich  sind  erwahnenswerth  der  Torf  (in  Flandern),  der 
schwarze  Marmor  (an  der  Maae),  der  Schiefer  (in  den  Ardennen) 
und  die  Mineralquellen  in  Spaa  (Stahlquellen),  Tongern,  Luttich, 
Chaudfontaine. 

Industrie.  Der  reiche  Ertrag  der  Urproduktion  wird  von  je- 
nem,  welchen  der  beruhmte  belgische  Gewerbfleiss  bietet,  weit  uber- 
troffen.  Flandern  und  Brabant  versorgten  schon  vor  Jahrhunder- 
ten  fast  alle  europaischen  Markte  mit  ihren  aupgezeichneten  Fabri- 
katen.  Haben  auch  die  vielfachen  Wechselfalle  dieses  Landes 
zeitweise  Stockungen  hervorgebracht ,  eind  auch  machtige  Konkur- 
renten  auf  dem  industriellen  Gebiete  aufgetreten;  Belgien  hat  ins- 
beeondere  seit  der  Lostrennung  von  Holland  mit  jugendlicher  Kraft 
auf  eine  Hohe  sich  geschwungen,  dass  es  gegenwartig  eine  in- 
dustrielle  Macht  ersten  Ranges  genannt  werden  muss. 
Grossartige  Etablissements ,  nach  den  vollkommensten ,  neuesten 
Methoden  und  Systemen  eingerichtet ,  mit  mehr  als  3000  Dampf- 
maschinen ,  konkurriren  mit  ihren  Fabrikaten  auf  dem  Weltmarkte 
mit  den  Erzeugnissen  aller  Lander.  Zur  Belebung  und  Forderung 
der  Industrie  tragen  die  Musterwerkstatten  und  die  permanente 
Gewerbsausstellung  in  Briissel  (im  palais  d'industrie)  nicht  wenig 
bei.  Die  industriellen  Provinzen  sind :  Hennegau ,  Ostflandern, 
Luttich,  Westflandern  und  Brabant.  Den  Glanzpunkt  bilden  die 
Metallwaaren  und  darunter  der  (von  John  Cockerill  —  f  1840 

—  begriindete)    Maschinenbau    in    Seraing    (bei    Luttich),    nach 
dessen  Muster  die  grossartigen  Fabriken  in  Namur,  Gent,  Mecheln, 
Charleroi  u.  s.  w.  erstanden.     Der   Centralpunkt   ist  Luttich    nebst 
Umgebung;    die   Erzeugnisse  sind:  Maschinen,    die  schonsten  Ge- 
wehre   und    vortreffliche  Kanonen,    Eisendraht,    Blechhammer  und 
Walzwerke  {auch  im  Hennegau) ,  Nagel   und  Nadeln ;  —  Gent  lie- 
fert    Bleiwaaren ;    in    Gold-    und    Silberarbeiten    sind    Briissel    und 
Gent  die  Hauptorte.     Den  starksten  Export  bilden  Eisenbahnschie- 
nen  und  Dampfmaschinen,  Eisenblech,  Nagel  und  Stabeisen. 

Die  Leinenmanufaktur,  der  alteste  ludustriezweig  Bel- 
giens,  welcher  schon  zu  sinken  begonnen  hatte,  entfaltete  sich  seit 
der  Einfiihrung  von  Musterwerkstatten  (1847)  von  Neuem;  sie  hat 
ihren  Sitz  in  den  Provinzen  Flandern,  Brabant,  Antwerpen  und 
im  Hennegau.  Zwirn  von  Courtray  und  Mecheln,  die  Batist-  und 
Damastweberei  von  Courtray,  vor  Allem  die  kostbaren  Brabanter- 
oder  Brusseler-Spitzen  (Briissel,  Gent,  Mecheln,  Lo wen  und  Brugge) 
geniessen,  wie  iiberhaupt  die  hochfeinen  Leinen  schwerer  Qualitat, 
wohlbegriindeten  Ruf  auf  dem  Weltmarkt,  und  der  Werth  der  Aus- 
fuhr  von  Leinenweben  betrug  (im  J.  1857)  an  20  Millionen  Francs. 

—  An    Wollstoffen    —    wozu    das    Rohmaterial    vielfach    aus 
Deutschland    bezogen    wird  —  behaupten   die  billigeren  Fabrikate, 
welche  sehr  schon  appretirt  werden,  den  Vorrang  vor  denen  der  meisten 
Fabrikslander,     Der  Hauptsitz  ist  die  Pro vinz  Luttich ;  Verviers 


307 

nebst  Umgebung  mit  mehr  als  200  Fabriken  (Dison ,  Ensival, 
Hodimont)  produzirt  feine  Tuche  und  Zeuge  fiir  den  Export,  be- 
sonders  nach  Amerika,  in  die  Levante  und  nach  Holland.  Tuche 
werden  ferners  erzeugt  zu  Brugge,  Liittich,  Antwerpen,  Lowen, 

—  Zeuge    und    Wollstoffe  in  Brugge,    Gent,    Mecheln ,    Brussel; 

—  Teppiche  in  Brussel  und  Tournay;  —  bekannt  sind  die  Strumpf- 
webereien  im    Hennegau.    —    Dicker    Fabrikationszweig    ist    zwar 
in  stetigem   Steigen  ,    doch    war  in   den  letzten  Jahren  die  Einfuhr 
von  Tuchen  und  Wollzeugen  noch   immer  starker   als  die  Auefuhr. 

Sehr  bliihend  ist  jetzt  die  Baum  wol  lin  du  st  rie.  Zur  Zeit 
der  Kontinentalsperre  hatte  sie  ihren  Aufschwung  genommen,  dann 
wurde  sie  durcli  den  Bezug  des  Rohmaterials  aus  den  ,,niederlan- 
dischen  Kolonien"  gefordert;  &eit  der  Trennung  von  Holland  kam 
sie  jedoch  in  Abnahme,  da  sie  auch  den  Export  nach  den  erwahn- 
ten  Kolonien  verloren  hat.  Am  erheblichsten  ist  sie  in  Ostflandern 
(Gent,  Lokeren),  in  Westflandern  (Brugge,  Courtray),  Brabant 
(Brussel  —  viel  Indiennes  — ,  Lowen,  Anderlecht),  —  und  im 
Hennegau  (Tournay  und  Mons).  Die  Ausfuhr  von  Gespinnst  ist 
grosser  als  die  Einfuhr. 

Verbreiteten  Ruf  und  starken  Absatz  auf  den  Messen  zu  Frank- 
furt, Leipzig  und  Braunschweig  haben  die  Lederwaaren  (Ma- 
strichter  und  Liitticher  Ober-  und  Sohlenleder),  worin  die  Provinz 
Limburg  den  ersten  Rang  behauptet;  begriindeten  Ruf  geniessen 
ferner  Liittich  (Luttich,  Stabelot),  Namur  (Namur,  Dioant),  Flan- 
dern  (Brugge,  Gent),  letzteres  vorziiglich  wegen  seiner  grossen 
Garbereien. 

Nachst  diesen  Hanptindustrien  sind  noch  auszuzeichnen :  die  Glaswaa- 
ren  im  Hennegau,  Namur,  Brabant  (farbiges  Glas  und  Krystallglas)  und  Luttich 
(Herstal),  besonders  die  Spiegel  von  Charleroi,  —  auch  ordinares  Glas  gelangt  wegen 
der  grossen  Billigkeit  zum  Export;  —  Porzellan  und  Fayence  von  Brussel,  Gent, 
Mons  und  Tournay;  —  Papier  von  Brabant,  Luttich,  Namur,  die  Ausfuhr  in  fei- 
neren  Qualitaten  ist  in  der  Zunahme; — Zuckerraffinerien  in  Antwerpen,  Brugge, 
Ostcnde,  Gent,  Mons,  Brussel  und  Lowen;  —  Runkelriibenzuckerfabrike  n  in 
Antwerpen  ,  Gent,  Brugge  und  Ostende ,  die  Raffinerien  von  Kolonialzucker  vermin- 
dern  sich,  dagegen  steigt  die  Rubenzuckerfabrikation,  wofiir  bereits  fiber  40  Fabriken 
bestehen;  —  feine  und  lackirte  Holzwaaren  in  Spaa;  —  Handschuhe  von  Lu- 
xemburg; —  Seidenwaaren  von  Antwerpen. 

Handel.  Der  Handel  im  Inneren  wird  durch  schiffbare 
Fliisse,  Kanale  und  vorzuglich  durch  Eieenbahnen  sehr  begiinstiget. 
Die  Gesammtlange  der  letzteren  betragt  uber  100  Meilen,  sonach 
relativ  am  meisten  unter  alien  Staaten.  Mecheln  bildet  das  Cen- 
trum des  Schienennetzes,  von  wo  die  Radien  nach  alien  Industrie- 
gegenden  des  Landes  auslaufen  und  diese  sowohl  mit  den  einhei- 
mischen  Industriestadten ,  als  den  bedeutendsten  Stadten  in  den 
Nachbarlandern  (Paris,  Aachen,  Koln)  verbinden.  Fiir  den  aus- 
seren  Handel  hat  das  Land  keine  eben  giinstige  Lage ,  da  von 
der  etwa  140  Meilen  langen  Grenzlinie  nur  an  10  Meilen  vom 
Meere  beepiilt  werden,  und  die  zwei  grossten  Flusse  (Schelde  und 
Maas)  nicht  im  Lande  ausmfinden ;  hierin  wird  Belgien  von  seinem 
nordlichen  Nachbarlande  iibertroffen.  Dessenungeachtet  ist  der  aus- 
wartige  Handel  im  Steigen  und  wird  durch  die  rasche  und  wohl- 

20* 


feile  Kommunikation  im  Innern  ,  eowie  durch  die  unbehinderte 
grosse  Thatigkeit  der  Bewohner  etets  mehr  gehoben. 

Die  offiziellen  Nachweise  iiber  die  Ergebnisse  des  belgischen 
Handels  weisen  in  den  Durchschnittszahlen  fur  die  drei  funfjahrigen 
Zeitraume  1842—1846,  1847—1851,  1852—1856,  sowie  im  J.  1857 
ein  stetiges  Steigen  sowohl  im  General-  als  im  Spezialhandel  nach  *). 
Der  Gesammtverkehr  (Ein-  und  Auefuhr)  betrug  im  J.  1857  im 
Generalhandel  1631.6  off.  (oder  1819.  a  act.),  und  im  Spezial- 
handel 843.9  offiziell  (oder  849  actuel),  und  zwar:  Ei  nfuhr  393.3, 
Ausfuhr  450.7  Millionen  Francs,  wornach  sich  (nach  dem  offiziel- 
len Werthe)  eine  Zunahme  gegen  das  Jahr  1856  von  101.  4  und 
gegen  den  funfjahrigen  Durchschnitt  1852—  1856  von  335.t  Millio- 
nen Francs  herausstellt.  Der  Verkehr  zu  Lande  und  auf  den 
Fliissen  hat  sich  gegen  das  Vorjahr  urn  10%,  dagegen  jener  zur 
See  nur  um  1%  gehoben;  von  dem  Gesammtverkehr  entfallen 
63.8%  auf  den  Transport  zu  Lande  und  auf  den  Fliissen  ,  und 
36.a%  auf  den  Seetransport.  Den  Hauptverkehr  (mit  82.,%)  un- 
terbalt  Belgien  mit  den  europaischen  Staaten:  Frankreich,  England, 
Holland  und  dem  Zollverein  ;  auf  den  Verkehr  mit  Amerika,  Asien 
und  Afrika  entfallen  nur  17.6  %.  —  Im  Verkehr  mit  F  rank  reic  h 
iibersteigt  (im  J.  1857)  die  belgische  Ausfuhr  jene  der  Einfuhr  um 
85.7  Millionen  Francs  off.  (oder  81.5  act.);  —  nach  dem  Zollver- 
ein betragt  die  Mehrausfuhr  26.T  off.  (=  12.9  act.)  Millionen  Frcs.; 
—  im  Verkehr  mit  Holland  zeigt  sich  eine  charakteristische  Ver- 
schiedenheit  ,  indem  nach  den  offiziellen  Werthsbestimmungen 
ein  Mehr  fur  die  Ausfuhr  von  4.3  Millionen  Francs,  dagegen  nach 
dem  wirklichen  Werthe  ein  Weniger  von  23-r  Millionen  Francs 
sich  beziffert;  —  im  Verkehr  mit  England  iibersteigt  der  Werth 
der  Einfuhr  jenen  der  Ausfuhr  um  4.8  offiziell  (=  6.3  act.)  Mil- 
lionen Francs**). 

Unter  den  ausser-europaischen  Landern  nimmt  Amerika 
(Vereinigte  Staaten,  La  Plata,  Mexico,  Cuba,  Portorico,  Hai'ti  und 
Chili)  den  ersten  Rang  ein.  Hier  zeigt  sich  (1857)  eine  Zunahme 
sowohl  in  der  belgischen  Ausfuhr  (gegen  den  funfjahrigen 
Durchschnitt  1852—  1856  um  20%),  welche  1857  den  Werth 
von  35.4  Millionen  Francs  erreichte  ,  als  auch  in  der  Einfuhr 
(analog  um  26%),  deren  Werth  auf  104.t  Millionen  Francs  ge- 
stiegen  war. 


*)  Die  Eintheilang  in  General-  und  Spezialhandel  ist  wie  bei  Frank- 
reich (siehe  Anmerkung  1)  Seite  299);  auch  jene  hinsichtlich  des  Werthes  in  namt- 
lichen"  und  nwirklichen"  (nvaleur  officiel"  et  nactuel")  ist  wie  in  Frankreich  (siehe 
Anmerknng  2)  Seite  299),  nur  bilden  die  Werthe  des^Jabres  1833  die  Grnndlage  fur 
den  officiellen  Werth  in  Belgien. 

**)  Diese  mitunter  grossen  Unterschiede  zwischen  dem  ,,offiziellenB  nnd  dem 
wwirklichenu  Werthe  riihren  zum  Theil  von  dem  Ruckgange  her,  welchen  alle  Preise 
im  genannten  Jahre  erfahren  haben  ;  zum  grossern  Theile  aber  haben  sich  die  Preise 
seit  dem  J.  1833  in  der  Weise  geandert  ,  dass  Gegenstande  der  Naturalproduktion 
im  Allgemeinen  im  Preise  gestiegen  ,  jene  der  Gewerbsindustrie  mit  dem  Wachgen 
der  Industrie  im  Allgemeinen  gefallen  sind.  Aus  der  Gegenuberstellung  der 
beiden  Werthe  beim  Import  und  beim  Export  kann  sonach  annahernd  auch  auf  die 
Artikel  des  Verkehrs  geschlossen  werden. 


309 

In  Bezug  auf  Waarengattungen  gehoren  zu  den  vorzflg- 
licheren  Exportartikeln :  Eisen  und  Eisenwaaren,  Steinkohlen,  Spiegel, 
Glaswaaren,  Spitzen,  Tuche,  Teppiche,  Leinengarn,  Baumwollwaaren 
u.  s.  w.  Unter  den  auslandischen  Rohstoffen,  welche  Belgien  im- 
portirt,  stehen  die  Baumwolle,  der  Rohzucker,  Kaffee  und 
die  Wo  lie  im  Vordergrunde. 

Aus  Frankreich  bezieht  Belgien:  Oelfrfichte,  Weine,  Getreide,  rohe  Haate, 
kurze  Waaren  und  Gewebe  —  und  setzt  dorthin  ab:  Gewebe  ,  Leinengarn,  Flachs 
Hanf  und  Werg,  Vieh,  Eisen-  und  Metallwaaren,  Steinkohlen,  Lederarbeiten,  destil- 
lirte  Getranke,  Bauholz,  Cichorien  u.  s.  w.  —  Ans  England  bezieht  es  :  Maschinen 
und  Werkzeuge,  Gewebe,  Wolle,  Rohhaute,  chemische  Erzengnisse,  Harz,  Pech  und 
Theer  u.  s.  w.  —  und  exportirt  dorthin :  Glas-  und  Krystallwaaren ,  raffinirten 
Zucker,  Getreide,  Kartoffeln,  Baumwollgarn  ,  Wachs  u.  s.  w.  —  Ans  den  Nieder- 
landen  bezieht  es :  Danger,  Rohzucker,  Wolle  und  Baumwolle,  Oelfruchte,  Vieh, 
Indigo  u.  s.  w.  nnd  exportirt  dorthin :  Getreide,  Zink,  Flachs,  Gewebe,  Tuche,  Eisen- 
waaren, Bauholz,  Leder,  Steinkohlen,  Porzellan,  Glas-  und  Krystallwaaren  u.  s.  w.  — 
Ans  dem  deutschen  Zollvereine  bezieht  es:  Getreide  und  Oelsamen,  Vieh, 
Wein,  Bauholz,  Schafwolle,  Flachs  und  Hanf,  Gewebe  u.  s.  w.  und  exportirt  dorthin: 
Game,  Tuche,  Gewebe,  Eisen,  Maschinen,  Waffen  und  Seidenwaaren ,  Oele,  Glas- 
waaren  u.  s.  w.  —  Ans  Amerika  bezieht  es  Kaffee,  Rohzucker,  Baumwolle,  Ta- 
bak ,  Nutz-  und  FarbehOlzer ,  rohe  Haute  u.  s.  w. ,  und  exportirt  dorthin:  Tuche, 
Zink,  Waffen,  Glas-  und  Krystallwaaren. 

Ansser  dem  Eigenhandel  ist  auch  der  Transitohandel,  der  fur  das  Jahr 
1857  mit  386.5  Millionen  Francs  bewerthet  wird,  gegen  den  fiinfjahrigen  Durchschnitt 
um  27%  gestiegen,  wobei  sowohl  in  Hinsicht  der  Herkunft  der  Waaren  als  der  Be- 
stimmung  der  Durchfuhr  die  frfiher  genannten  Staaten,  und  bezQglich  der  Waaren 
die  Seidengewebe  relativ  am  starksten  vertreten  sind.  Insbesondere  ist  der  Transit 
aus  und  nach  Deutschland  sehr  bedeutend,  da  er  fiber  45°/0  der  gesammten  Dnrch- 
fuhr  betragt.  Dagegen  hat  sich  die  Niederlage  fremder  Waaren  in  den  Entrepots 
im  J.  1857  gcgen  die  mehrerwahnte  Periode  um  12%  vermindert. 

Der  Schiff  ahrt  sv  erkehr  umfasste  im  Jahre  1857  auf  2791  angekommenen 
und  2768  ausgelaufenen  Schiffen  fiber  700.000  Tonnen  und  zeigt  ebenfalls  eine  ansehn- 
liche  Zunahme;  doch  zahlt  die  belgische  Handelsmarine  nur  etwa  160  Schiffe.  In 
den  belgischen  Fahrzengen  zeigt  sich  im  Jahresdurchschnitt  der  letzten  Periode  eine 
Abnahme  von  2.5%;  unter  den  fremden  Schiffen  war  am  starksten  die  englische 
Flagge  (mit  43%  der  Fahrzeuge)  vertreten.  Die  Dampfschiffahr  t  beschaftigte  im 
J.  1857  51  Fahrzenge,  darunter  nur  8  belgische,  aber  36  englische,  dann  5  franzS- 
sische  und  je  ein  danisches  nnd  oldenburgiscb.es ,  welche  die  Fahrten  zwischen  Bel- 
gien und  Grossbritannien  ,  den  Hansestadten ,  Frankreich,  Nordamerika,  Russland, 
Danemark  und  Brasilien  vermitteln. 

Belgien  unterhalt  Handelsverbindungen  mit  (iberseeisc.hen  Staaten ,  auch  hat 
sich  in  ueuerer  Zeit  eine  Kolonisations-Gesellschaft  gebildet,  welche  in  Guatemala 
Pflanzstatten  angelegt  hat. 

Geistige  Kultur.  Die  Volksbildung  steht  im  Ganzen  auf 
einer  ziemlich  befriedigenden  Stufe  und  zahlreiche  Lehranstalten 
sorgen  eowohl  fur  gelehrte  als  gewerbliche  und  kommerzielle  Bil- 
dung.  An  Elementarschulen  bestehen  iiber  6000 ,  jede  grossere 
Stadt  hat  ein  Gymnasium  (^Athenaeum") ;  vier  Universitaten  (Briis- 
sel,  Gent,  Lowen,  Lattich)  sorgen  far  die  Pflege  der  Wissenschaf- 
ten ;  Schiffahrtsschulen,  Ingenieur-,  Gewerbe-  und  Bergwerksschulen, 
eowie  Handelsschulen  hingegen  fur  spezielle  Fachbildung.  Das 
Land  besitzt  bedeutende  wissenschaftliche  und  Kunstanstalten,  ins- 
besondere  erfreuen  sich  seit  Jahrhunderten  die  schonen  Kiinste 
einer  sorgfaltigen  Pflege  (flandrische  Malerschule),  und  deren  Ein- 
flu3s  auf  die  Gewerbe  ist  unverkennbar.  In  Belgien  erblicken  wir 
somit  auf  dem  Felde  der  geistigen  und  materiellen  Interessen  einen 
erfreulichen  Fortschritt. 


310 

IX.  Das  ROnigreich  der  Niederlande  (oder 
Holland) 

mit  dem  Herzogthume  Limburg  und  dem  Grossh.er.zogtb.ume  Luxemburg. 

§.  144.  Bestandtheile.  Bevolkerung. 

1.  In  Euro  pa:  641  Q  Meilen;  —  3,544.000  (relativ  5500)*)  Einwohner,  in 
Luxemburg  und  L:mburg  Kaiholiken ,  sonst  Protestanten  und  auch  Israeliten.  — 
Nach  der  Nationalitat  grosstentheils  Hollander  (an  2 '/,  Million),  Vlamlander 
(an  350.000)  nnd  Niederdeuts«he  (l-riesen).  —  Grenzen:  im  0.  Preussen  und  Han- 
nover, im  8.  Belgian,  im  W.  und  N.  die  Nordsee.  — •  Konstitutionelle  Erbmonarchie 
nach  dem  Kechte  der  Erstgeburt  in  mannlicher  und  weiblicher  Linie  des  reformirten 
Hauses  Nassau.  Der  Koni^  ist  als  Grossherzog  von  Luxemburg  und  Herzog  von 
Liinburg  Mitglied  des  deutschen  Bundes. 

Q]  Meilen    Einwohner 

2.  In  Asien.          General  -  Gouvernement    von  Niederlandisch- 

Indien 28.923     16,354.000 

Java  nnd  Madura  (11  Millionen  Einw. ), 
auf  Sumatra  (1,650.000  E.),  Borneo, 
Celebes,  die  kleinen  Sunda  -  Inseln,  die 
Molukken,  Amboina-  und  Banda-Grnppe, 
WVsikuste  von  Neu-Guinea; 

3.  In  Amerika:  St.  Earache  ,    Curacao  (Westindien),    Suri- 

nam etc 2.830         87.000 

4.  In  Afrika:        Die  Faktoreien  an  der  Kuste  von  Ober-Gui- 

nea  (Elmina,  Axim,  Accra  etc.) 500        100.000 

32253  16  541.000 

Dazu  in  Europa 641     3,544.000 

Gesammtstaat ~     32,894  20,085.000 

Boden.  Das  Konigreich  der  Niederlande  gehort  zum  nord- 
wesrlichtn  T'eflande  Europa's,  mit  Ausnahme  von  Luxemburg,  in 
welches  d*-r  Ardennenwald  mit  HOgelreihen  (bis  zur  Hohe  von  1500') 
hirieinsfreicht.  Int-besondere  ist  das  Miindungsgebiet  des  Rhein, 
der,  Maas  und  Sch<jlde  ein  Produkt  der  Anechwemmung  dieser 
Flusiae  ,  welchea  kiinstlich  gegen  das  Hereindringen  der  hoher  als 
das  Lnnd  liegenden  Nordsee  geschiitzt  wird  und  kunstlich  bewohn- 
bar  gemacht  wurde.  Eine  ahnliche  durch  Kunst  gebildete  Ober- 
flache  findet  sich  wohl  nirgpnds  auf  der  Erde.  Der  einformige 
Boden  ist  theils  Morast  (Peel,  Bourf anger-  und  Grenzmoor), 
theils  Haide-  und  Sand  land  ohne  Wald  und  mit  wenig  Quel- 
len,  theils  fruchtbares  Marschland.  Viele  Sumpfgegenden  sind 
durch  Abzugsgraben  (SJooten),  Einfassung  mit  Dammen  (Deichen) 
und  durch  Auspumpen  in  «P  older"  mit  ergiebigem  Acker-  und 
Wiesenboden  vtrwandelt  worden.  Vor  den  Flussmiindungen  und 
vor  der  Zuider-See  (*pr.  Seuder-See)  liegen  flache,  sehr  fruchtbare 
Inseln.  Hohe  Fluthcn  und  gewaltige  Stiirme  mit  Einbriichen  des 
Meeres  haben  nicht  selten  die  Deiche  durchbrochen ,  ganze  Land- 
strecken  mit  zahlreichen  Ortschaften  und  Tausenden  von  Bewoh- 


*)  In  den  einzelnen  Provinzen  herrscht  eine  grosse  Verschiedenheit  in  der  re- 
lativen  Volkszahl.  In  Nordholland  kommen  anf  1  Q  Meile  12,071  Einwohner,  in 
Sudholland  11.254,  Utrecht  6  386,  Limburg  und  Zeeland  iiber  5.000,  Groningen  nahe 
5.000,  Friesland,  Gelderland,  Nordbrabant,  Luxemburg  fiber  4.000,  Overyssel  3.887 
nnd  Drenthe  nur  1938. 


811 

nern  durch  Ueberschwemmungen  verschlungen.  Der  Biesbosch 
(spr.  Bihsbos'ch),  gegenwartig  zum  Theil  in  Polder  verwandelt,  1st 
durch  eine  Ueberschwemmung,  welche  72  Ortschaften  verschlang, 
gebildet  worden  (im  J.  1421);  das  jetzt  trocken  gelegte  Haar- 
lemer-Meer,  die  Zuide r-  See,  die  Lauwer-See,  der  Dollart 
eind  ebenfalls  durch  grosse  Ueberschwemmungen,  deren  man  seit 
dem  6.  Jahrhunderte  an  190  zahlt ,  entetanden.  Die  Anlage  und 
Unterhaltung  der  Deiche  haben  in  Holland  einen  besonderen  Zweig 
der  Wasserbaukunst  entstehen  lassen,  von  welchem  die  ganze  Exi- 
stenz  des  Landes  abhangig  ist. 

Gewftsser.  Der  Westen  und  Norden  des  Landes  werden 
von  der  Nordsee  besptilt ,  welche  die  Zuider-See  und  den  Dol- 
lart in  das  Land  schneidet.  —  Unter  den  fliessenden  Gewassern 
nehuien  die  fiinf  Hauptmfindungen  des  Rhein  den  ersten 
Rang  ein  :  Rhein  (krummer  und  alter  Rhein),  Yssel  (spr.  Eissel), 
Vecht  mit  Amstel ,  Leek  und  Waal.  —  Siehe  §.  43.  Seite  51.  — 
Dann  die  drei  Hauptmundungen  der  Maas  (siehe  Seite  51), 
und  zwei  Hauptmundungen  der  Schelde  (siehe  Seite  51). 
Endlich  hat  das  Land  sehr  viele  Seen  ,  Siimpfe  und  Moore ,  so 
dass  es  ein  insulares  Reich  zu  sein  scheint,  Eine  staunenswerthe 
Menge  von  Kanalen,  welche  das  Land  nach  alien  Richtungen 
durchschneiden ,  dient  nicht  bios  zur  Entwasserung  des  Landes ; 
viele  sind  so  breit  und  tief,  dass  sie  zur  Schiffahrt  dienen  und 
alle  sind  mit  Schleussen  (Siehlen)  versehen.  Der  Hauptkanal  (der 
bedeutendste  in  Europa  )  ist  der  No  o  rdhollan  dsc  h- Cana  1 
vom  Helder  (an  der  Nordspitze  von  Nordholland)  bis  Buiksloot 
(gegeniiber  von  Amsterdam) ,  auf  welchem  jahrlich  fiber  5000  See- 
schifFe  fahren  *).  Ein  Kanal  verbindet  Rotterdam,  Delft,  Leiden, 
Haarlem  und  Amsterdam. 

Das  Klima  ist  oceanisch  mit  ziemlich  kuhlem  Sommer  und 
gelindem  Winter.  Die  grosse  Waesermenge  bedingt  eine  sehr  feuchte 
Luft  mit  dichten  Nebeln  (die  Herbetnebel  heissen  wNichtu)  und 
vielen  Regentagen.  Im  slidOstlichen  Theile  ist  es  weniger  feucht 
und  gesuuder. 

Politische  Eintheilung.  Das  Konigreich  der  Niederlande 
wird  in  11  Provinzen,  diese  werden  in  Bezirke  und  letztere  in 
Kreise  eingetheilt ;  die  Verwaltung  geschieht  durch  Provinzial- 
staaten. 

Bemerkenwerthe  Orte :  **) 

1.  Still-Holland  :    H  a  a  g  (der  Haag,   s'Gravenhage,    75.000),    Scheveningen 
(S'cheveningen),    Leyden,    Katwijk,    Delft,    Gonda   (Chauda),    Gorkum    (Gorkomm), 
Dordrecht,  Rotterdam,  Schiedam  (S'chihdam),  Vlaardingen,  Helvoetsluis  (Helvutsleus); 

Die  In s ein:  Ysselmonde  (Eisselmonde),  Beyerland,  Land  van  Voorn,  Suid- 
Voorn,  (Seud-Vohrn). 

2.  Nord-Holland  :    Amsterdam  (260.000;,  Haarlem,    Zaandam  (Sahndam 
oder  Saardam),  Broek  (Bruck),  der  Helder. 

*)  Er  ist  von  Blanken  vom  Jahre  1819  bis  1825  mit  einem  Kostenaufwande 
von  6,800.000  Thalern  gebant  worden,  ist  14  Stunden  lang,  120'  breit,  20'  tief,  zwei 
Fregatten  konnen  nebeneinander  auf  demselben  fahren.  Die  Schleussenthore  am 
Eingange  sind  die  grossten,  die  es  gibt;  er  hat  zehn  Schleussenwerke,  Schifife  pas- 
siren  ihn  in  18  Stunden;  im  Winter  muss  er  oft  aufgesagt  werden. 

**)  Die  bedeutend  abweichende  Ausspracho  ist  in  der  Ktamm  er  angegeben. 


312 

3.  Zeeland    (Seeland) :    Mehrere   bewohnte,    fruchtbare  Tnseln    innerhalb   der 
Schelde-Mundungen  :  Middelburg   (16.000)  auf  Walcheren,  Vliessingen. 

4.  Nord-Brabant:    Herzog  enbusch    (s1  Hertogenbosch,  22.000),    Tilburg, 
Breda,  Bergen-op-Zoom. 

5.  Geldcrn:  Arn hem  (25.000),    Nymwegen,   Zutpben,   Het  Loo  (das  Loo). 

6.  Utrecht:   Utrecht  (50.000),  Amersfoort,  Rheaen. 

7.  Over-Yssel:    (Over-Eissel) :    Z  wo  lie    (20.000),    Deventer    (Demter    oder 
Devnter),  Kampen,  Almelo. 

8.  Drentlie:  As  sen  (5000),  Meppel. 

9.  Friesland:    Leeuwarden    (Lohwarden,    24.000),    Dokkum,    Harlingen; 
die  Inseln:  Ameland,  Schiermonnikoog. 

10.  (ironingen  :  Groningen  (35.000);  die  Inseln:   Boosch-Plaat,  Rottum. 

11.  Limburg;  Mastricht  (22000),  Venloo,  Koermond  (Rurmond). 

12.  Luxemburg:  Luxemburg  (11.000),  Diekirch,  Echternach. 

Der  wichtigste  Platz  ist  Amsterdam  mit  einem  geraumigen  tiefen  Hafen, 
beruhmten  Schiffswerften,  der  Hauptmarkt  fur  Getreide,  franzosisr.he  Rothweine, 
americanische  Tabakblatter  und  alia  Kolonialwaaren.  Vorzuglich  bedeutend  ist  das 
Wechselgeschaft,  und  der  Handel  in  Staa  tspapieren  ist  nnr  in  London  und 
Paris  von  gleicher  Wichiigkeit.  Ein  grosses  Entrepot  mit  60  Waarenbausern,  in 
welchen  solche  Waaren  unentgeltlich  geloscht  werden  kOnnen,  die  als  Transitwaaren 
weiter  gehen,  befordert  den  Zwischenhandel.  Eine  mannigfaltige  Industrie,  Handels- 
gesellschaften,  Geldinstitnte,  wissenschaftliche,  technische  und  kommerzielle  Anstalten 
beleben  den  gesammten  Handel.  Die  Stadt  ist  an  der  Amstel  und  dem  Y  (Ei)  mit- 
tels  Pfahlwerks  auf  90  moorigen  Inselo,  die  dnrch  290  iiber  die  zablreichen 
Kanale  oder  Grachten  fuhrenden  Brucken  verbunden  sind,  in  Form  eines  Halbmondes 
erbaut.  KOnigl.  Sehloss,  Stadthaus,  Borse,  Admiralitatsgebaude;  zahlreiche  Kirchen, 
Bethauser  und  Synagogen.  K6nigl.  Institut  der  Wissenschaften  und  Kiinste,  Athe- 
naum,  Seemannsschule,  Kunst-  und  Naturaliensammlung,  grosse  Hospitaler,  Armcn- 
und  Waisenhanser.  Bedeutende  Diamantenschleiferei  und  Diamantenhandel.  Von 
fast  gleicher  Bedeutung  ist  der  Grosshandel  in  Rotterdam,  erst  seit  dem  Aufhoren 
der  Kontinentalsperre  und  der  Trennung  von  Belgien  stets  im  Wachsen,  und  zwar 
in  den  gleichen  Artikeln  wie  Amsterdam.  Die  Stadt,  als  Sitz  der  niederlandischen 
Dampfschiffahrtsgesellschaft,  unterhalt  bedeutenden  Verkehr  mit  den  europaischen 
und  transatlantischen  Hafen,  und  die  vielen  Kanale,  welche  die  Sta.lt  durchschneiden, 
tragen  grosse  Seesehiffe  in  die  verschiedenen  Stadttheile.  Wichtig  sind  die  Fabriken, 
namentlich  die  Zucker-  und  Salzraffinerien,  Tabak-,  Papier-,  Nadeln-,  Korkpfropfen-, 
Bleiweiss-,  Seifenfabriken  u.  a.  Dordrecht  unterhalt  Schiffahrt  und  Handel  auf 
dem  Rhein  nach  Deutschland,  hauptsachlicher  Platz  far  den  Holzhandel.  Haarlem 
hat  den  bedeutendsten  Handel  in  Leinwand  und  Blumen. 

Kulturverh^ltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Einformigkeit  des  Bodens  bedingt  auch  Einformigkeit 
in  der  Pflanzenwelt.  Von  der  Gesammtflache  sind  etwa  zwei  Drittel 
kultivirtes  Land,  von  dem  letzten  Drittheil  entfallen  iiber  70  LJM. 
auf  Gewasser,  Wege  u.  e.  w.  und  fiber  140  QM.  sind  unkultivirtes 
Land ;  doch  mindert  sich  die  Grosse  des  Letzteren  fortwahrend 
durch  das  riistig  fortschreitende  Entwassern  von  Sumpfen  und 
Seen  ,  und  seitdem  die  Drainage  in  den  nordlichen  Provinzen 
grosse  Fortschritte  macht.  Wo  es  das  Terrain  gestattet  wird  die 
Bodeiikultur  musterhaft  sorgfaltig  betrieben.  Was  Fleiss  und 
Kunst  einem  diirftigen  Boden  abzugewinnen  vermogen ,  das  ist  in 
Holland  geschehen,  und  dieses  zum  Theil  dem  Meere  abgewonnene 
Land  ist  durch  die  ausdauernde ,  intelligente  Betriebsamkeit  seiner 
Bewohner  vielfach  in  einen  Garten  verwandelt  worden.  Dessen- 
ungeachtet  kann  die  Produktion  des  Landbaues  den  Bedarf  der 
relativ  dichten  Bevolkerung  nicht  decken.  Am  bliihendsten  ist 
der  Ackerbau  in  Zeeland,  vorzuglich  der  Weizenbau,  zunachst 


313 

stehen  der  Roggenbau  in  Friesland  und  Hafer  in  Groningen ; 
auch  in  Nordbrabant  ,  Geldern  und  Limburg  wird  der  Feldbau 
sorgfaltig  gepflegt.  Ein  ansehnlicher  Theil  der  Bodenflache  wird 
zum  Anbau  von  Handelspflanzen,  namentlich  Tabak,  Hanf, 
Flachs  und  Krapp  beniitzt;  Tabak  wird  zumeist  gebaut  in  Ut- 
recht und  Geldern  (Jahresproduktion  an  14  000  Zentner),  Flachs 
um  Dordrecht ,  in  Zeeland,  Geldern,  Groningen  und  Luxemburg ; 
Hanf  in  Slid  -  Holland ;  Krapp  auf  den  Maas-  und  Scheldeinseln 
und  im  westlichen  Brabant.  Eiu  Hauptzweig  der  physischen 
Kultur  ist  die  theils  wegen  des  Gewinnes,  mehr  noch  aus  Liebhabe- 
rei  betriebene  Blumenzucht,  besonders  grossartig  in  Haar- 
lem, Leyden  u.  a.  O.  —  An  H  o  1  z  ist  das  Land  sehr  arm ;  die 
Stelle  des  Brennholzes  vertritt  der  Torf,  den  Bedarf  fur  den 
Deich-,  Hauser-  und  Schiffbau  liefern  der  Schwarzwald  und  die 
Ostseelander. 

Einen  grossen  Reichthum  hat  das  Land  in  der  Rindvieh- 
zucht ,  und  Butter  und  Kase  sind  die  bedeutendsten  im  Lande 
gewocnenen  Handelsartikel.  Die  fetten  Weiden ,  namentlich  in 
Friesland,  Nord-  und  Siidholland,  der  Fleiss  und  die  grosse  Rein- 
lichkeit  befb'rdern  ausserordentlich  diesen  Erwerbszweig.  Im  Jahre 
1856  betrug  die  Kaseerzeugung  an  115.000  Zentner,  wovon  etwa 
5%  im  Lande  konsumirt  und  um  nahe  20  Millionen  Gulden  expor- 
tirt  ward.  Grosse  Kasemarkte  sind  in:  Alkmaar,  Edam,  Hoorn, 
Gouda  etc.;  die  meiste  und  beste  Butter  liefern  Leyden,  Delft  und 
Friesland.  Die  Zucht  der  Pferde,  Schafe  und  Bienen  ist  nicht  er- 
heblich.  Ein  bedeutender  Nahrungszweig  ist  seit  Jahrhunderten 
die  S  ee  f  i  sche  rei,  insbesondere  der  Haringsfang  an  der  englischen 
und  schottischen  Kiiste.  Trotz  der  erwachten  Konkurrenz  der  iibrigen 
Nord-  und  Oetseestaaten  gelten  die  hollandischen  Haringe  doch  fiir  die 
besten,  da  die  Hollander  die  Zubereitung  am  besten  verstehen,  das  beste 
(spanische  und  portugiesische)  Salz  verwenden  und  ausserst  piinkt- 
lich  und  sauber  dabei  zu  Werke  gehen.  Im  Jahresdurchschnitt 
der  letzteren  Zeit  belief  sich  die  Menge  der  Haringe  iiber  60  Mil- 
liouen  und  der  Werth  des  Exportes  jahrlich  wohl  an  600.000  Gul- 
den. Der  Sammelplatz  der  Haringsfauger  ist  Vlaardingen,  das 
die  meisten  Fahrzeuge  (Buizen)  aussendet.  Die  Ruckkehr  vom 
Fischfange  ist  mit  vielen  nationalen  Festlichkeiten  und  alten  Ge- 
brauchen  verbunden.  Aus  tern  fangt  man  bei  Schouwen  und  Texel, 
der  Sto  ckf  isch  fang  wird  an  der  Doggersbank  vor  der  englichen 
Kiiste,  der  Wallfisch-  und  Robbenfang  in  den  beiden  Eis- 
meeren  betrieben. 

An  Miueralien  ist  das  Land  arm,  selbst  Bausteine  und  gutes 
Trinkwasser  fehlen  in  vielen  Gegenden.  Nur  Ziegel-  und  Topfer- 
thon  wird  viel  gewonnen ,  dann  Pfeifen-  und  Fayencethon.  Die 
Hauptausbeute  ist  vorziiglicher  Torf.  Salz  wird  importirt.  In 
Luxemburg,  dessen  gutbewasserter  Boden  sehr  fruchtbar  ist, 
und  reichen  Ertrag  an  Getreide,  Hanf,  Flachs,  Riibeamen  und  et- 
was  Wein  liefert ,  ist  auch  die  Gewinnung  von  Eisen,  Blei  und 
Schiefer  von  einigem  Belange. 

In  der  gewerblicheu  Industrie  werden  die  Niederlnnde  von 


314 

Belgien  weit  ubertroffen ;  die  Niederlande  sind  keinFabriks- 
land,  obwohl  manche  Industriezweige  sehr  bliihend  sind  und  die 
Handwerke  uberall  grosse  Fortschritte  machen.  Der  alteste  und 
wichtigste  Zweig  ist  die  Lein  en  Industrie,  und  hollandische  Leinen 
behaupten  den  Ruf  der  feinsten  und  weissesten.  Beriihmt  ist  hierin 
Haarlem,  unerreicht  in  eeinen  Bleichen  und  dem  Spitzenzwirn,  dann 
Herzogenbuseh  und  Umgegend ,  Almelo  in  Over-Yssel  und  andere. 
Viel  Segeltuch,  Taue  und  dergleichen  werden  in  Zaardam,  Amster- 
dam und  in  andern  Seeplatzen  erzeugt.  Ausgezeichneten  Ruf  ge- 
niessen  die  hollandischen  oder  niederlandischen  Tuche,  doch  hat 
die  Wollindustrie  in  der  Quantitat  abgenommen  und  ist  meist  nach 
Belgien  iibersiedelt.  Feine  Tuche  erzeugen  Tilburg,  Leyden,  Delft, 
Utrecht.  Die  Baumwollfabrikation  ist  ziemlich  verbreitet,  beson- 
ders  in  Over-Yssel;  die  S  e  i  d  e  n  fabriken  sind  nicht  sehr  erheblich 
(Haarlem,  Amsterdem,  Breda).  In  der  Pa  pie  rerzeugung  behaup- 
tete  Holland  ehemals  den  ersten  Rang  in  Europa,  und  ^hollandische 
Leinwand",  —  whollandisches  Tuch",  —  ^hollandisches  Papier" 
galten  fur  die  besten.  Gegenwartig  bestehen  iiber  130  Fabriken  im 
Lande,  welche  noch  immer  sehr  geschatzte  Waare  auch  fur  den 
Export  liefern.  (Wapenvelde  in  Geldern,  zu  Apeldoorn,  zu  Epe, 
Zaardam,  Grb'ningen,  Leeuwarden  erzeugen  schones  Postpapier,  in 
Over-Yssel  Druckpapier,  um  Leyden  und  Gouda  Packpapier).  — 
Ko  rnb  rann  tw  ein-  und  Genevre-  Brennereien  erzeugen  viel- 
leicht  eine  Million  Eimer,  wovon  fast  zwei  Drittel  zum  Export  nach 
England  und  Australien  kommen.  In  Schiedam  bestehen  iiber 
170  Brennereien,  dann  in  Weesp,  Rotterdam,  Dordrecht,  Delft 
u.  a.  m.  Die  T a b  a k fabriken  von  Amsterdam  und  Rotterdam,  die 
Zucker  fabriken  in  den  genannten  zwei  Stadten,  sowie  in  Dord- 
recht, Utrecht,  Zwolle  sind  ausgedehnt.  Gouda  und  Gorkum  lie- 
fern  die  besten  europaischen  Thonpfeifen,  wovou  bei  der  gros- 
sen  Liebhaberei  des  Tabakrauchens  enorme  Mengen  im  Lande  selbst 
abgesetzt  werden.  Fiir  die  Le  derfabrikation  ist  der  Hauptort 
Mastricht,  in  der  Diamant schleiferei  ist  Amsterdam  weltbe- 
rQhmt.  Von  hoher  Wichtigkeit  ist  der  Schiffbau;  unter  den 
mebr  als  600  Werften  sind  die  bedeutendsten  zu  Amsterdam,  Rot- 
terdam, Zaardam,  Dordrecht  und  Vliessingen.  Ausgezeichnet  wegen 
der  Dauerhaftigkeit  und  Schnelligkeit  sind  die  hollandischen  Ost- 
indienfahrer.  Den  Schiffsbedarf  (Segeltuch,  Taue,  Anker,  Pumpen 
etc.)  bereiten  alle  Kiistenprovinzen. 

Der  Handel  Hollands  ist  sehr  bedeutend,  namentlich  zur  See 
grossartig.  Holland  ist  zwar  vonderHOhein  der  Mitte  des  17.  Jahr- 
hundertes,  zu  welcher  Zeit  es  die  erste  Handelsmacht  Europa's  ge- 
wesen,  herabgekommen ;  allein  Beit  der  Trennung  von  Belgien  ist 
der  Handel  des  Landes  wieder  im  Steigen.  Die  ^Ostindische 
Handelscompagnie"  (seit  dem  Jahre  1602),  —  die  MWest- 
indische  H  an  dels  comp  ag  nie"  (seit  1621),  —  die  ^nieder- 
land'ische  Handel  -  Maatsch  ap  py"  (spr.  Maatskappei ,  seit 
1824),  —  der  im  Jahre  1824  abgeschlossene  Vertrag  mit  England 
zur  Regelung  der  beiderseitigen  Kolonialverh&ltnisse,  —  die  durch 
Gouverneur  Bosch  auf  Java  eingefiihrten  prinzipiellen  Verbesse- 


315 

rungen  in  der  Verwaltung  und  Bodenkultur,  —  der  liberals  Zoll- 
tarif  bei  der  Einfuhr,  —  die  Neigung  und  Kraft  des  Volkes  zu 
grossartigen  Unternehmungen  und  das  zahe  Ausharren  bei  densel- 
ben;  —  diess  Alles  hat  auf  den  niederlandischen  Handel  ausserst 
wohlthuend  eingewirkt.  Amsterdam  und  Rotterdam  vermit- 
teln  einen  grossen  Theil  des  europaischen  Verkehrs  mit  Amerika, 
Ostindien,  China  und  Japan ;  mit  letzterem  Staate  standen  bis  in  die 
jungste  Zeit  nur  die  Hollander  in  Handelsverbindung.  Als  See- 
platze  sind  noch  bekannt  Vliessingen,  Dordrecht  (  Holzhandel), 
Middelburg,  Leyden,  Utrecht,  Nymwegen,  Groniogen.  Die  Han- 
delsflotte  zahlt  iiber  2230  grossere  Fahrzeuge  mit  mehr  als  550.000 
Tonnen.  Die  Maas  und  Schelde  verbinden  das  Land  mit  Belgien, 
der  Rhein  mit  Deutschland ,  wohin  der  Verkehr  am  lebhafte- 
sten  von  Rotterdam  aus  gent ,  der  durch  Vertrage  mit  den  deut- 
schen  Zollvereinstaaten  unterstiitzt  wird.  Zahlreiche  regelmassige 
Dampfschiffahrts  verbindungen  unterhalten  Amsterdam  und 
Rotterdam  nach  London,  Hull,  Havre,  den  Hanseestadten  u.  s.  f. 

Gegenetande  der  Ausfuhr  sind :  Leinwand,  Wollenstoffe, 
Rindvieh ,  Butter,  Kase  (vorzuglich  nach  England),  Samereien 
und  Blumen,  Krapp ,  Fische,  Kolonialwaaren  (nach  Deutschland) 
u.  a.  m.  (Im  Jahre  1856  im  Werthe  von  300  Millionen  Gulden.) 
—  Zur  Einfuhr  kommen :  Kaffee  (Java  und  Westindien,  im 
Jahre  1859  fiber  1  Million  Ballen  und  2883  Fasser),  Thee,  Reis, 
Zinn ,  Indigo,  Zucker ,  Gewurze  (aus  den  Kolonien),  Getreide, 
Hanf,  Bauholz  (aus  Deutschland  und  Nord-Europa),  Steinkohlen, 
Metalle  und  Metallwaaren,  Webewaaren,  Wein,  Stein-  und  Seesalz, 
Porzellan  ,  Glas  u.  a.  m.  (im  Jahre  1856  um  mehr  als  350  Millio- 
nen Gulden). 

Der  Binnenhandel  wird  gefordert  durch  die  grosse  Menge 
von  Kanalen,  durch  schiffbare  Fliisse,  durch  das  Eisenbahnnetz, 
welches  Rotterdam,  Haag,  Leyden,  Amsterdam  und  Utrecht  ver- 
bindet,  und  von  da  fiber  Arnheim  nach  Deutschland  fiihrt,  durch 
zahlreiche  Geldinstitute ,  Borsen,  Handels-  und  Schiffahrtsschu- 
len  u.  s.  f. 

Die  Hollander  haben  die  Vorziige  und  Schattenseiten  eines 
echten  Kaufmannsvolkes;  der  Volkscharakter  hat  durch  den  fort- 
wahrenden  Kampf  mit  der  Natur  ein  festes  Geprage  bekommen. 
Phlegmatiech,  kalt  berechnend,  sparsam,  unternehmend  und  aus- 
dauernd  liebt  der  Hollander  Ordnung  und  Reinlichkeit  bis  in  das 
Kleinliche,  er  fiihlt  sich  als  Herr  des  Landes,  das  er  miihsam  dem 
Meere  abgetrotzt.  Er  halt  auf  Zucht  und  strenge  Sitte,  hangt  am 
Alten,  liebt  sein  Vaterland,  und  die  Wohlbehabigkeit  gibt  ihm  das 
Bewusstsein  von  Sicherheit  und  Unabhangigkeit.  Dieses  thatkraf- 
tige  und  arbeitsame  Volk  let  in  der  geistigen  Kultur  weit  fortge- 
echritten;  die  zahlreichen  Volksschulen  eind  gut  eingerichtet,  treff- 
liche  wissenschaftliche  und  Kunstanstalten  und  Sammlungen,  vor- 
zuglich in  der  Residenz  Haag ,  beleben  stets  den  Sinn  fiir  das 
Schone  und  Grosse.  Das  Land  hat  zu  jeder  Zeit  ausgezeichnete 
Manner  beseesen,  welche  als  Kunstler,  Gelehrte,  Staatsmanner  und 
Seehelden  den  Ruhm  des  Vaterlandes  erhoht  haben. 


816 


X.  Das  Kftnigreich  Grossbritannien. 


1.  in  Europa. 

2.  Kolonien*) 

3-          „ 

4. 

5- 

§,  145.  Bestandtheile.  Bevolkerun 

Konigreich  England  und  Fiirstenthum  Wales 
Schottland           

S- 

Geograph. 
QMeilen      Einwohner 

2743"     19^520.000 
1445         3,094.000 
1533        6,552.000 

18           311.000 
55            400.000 

Irland  

Inseln  in  den  britischen  Meeren  (nebst  Armee 

Schutzstaat:  jonische  Inseln,  dann  Gibraltar, 

in  Asien  (nebst  den  Schutzstaaten).  ...*.. 
„  America    (nebst   den    Hudsonsbai-Lan- 
dern)  

5794      29,877.000 
63.860     182,000.000 

200.000        4,400.000 
6403           860.000 
21387        1,000.000 

„  Anstralien  

Gesammt-Monarchie  . 

297.444     218,137.000 

Zwei  Drittheile  der  BevOlkerung  gehoren  dem  germanischen  Stamme  an 
(das  englische  Volk),  ein  Drittel  besteht  aus  Cambriern,  Walisern,  Galen  und  Iren, 
auf  den  normannischen  Inseln  wohnen  Franzosen.  Die  Qberwiegende  Menge  ist  pro- 
testantisch,  doch  wohnen  auch  viele  Katholiken,  insbesondere  ist  Irland  der  katholi- 
schen  Kirche  treu  ergeben.  Sehr  zahlreich  sind  die  Dissenters  (=  Andersdenkende). 
Israeliten  gibt  es  im  ganzen  Reiche.  —  Untheilbare,  konstitutionelle  Erbmonarchie 
in  der  jungeren  (hannoveranischen)  Linie  des  welfischen  Hauses  Braunschweig. 
Das  Oberhaupt  des  Reiches  ist  zugleich  Oberhaupt  der  anglikanischen  Kirche. 

Boden.  Die  Insel  Grossbritannien  hat  zum  grosseren 
Theile  eine  wellige  Oberflache;  der  ostliche  Theil  ist  Flachland, 
im  Westen  und  Norden  herrscht  der  Gebirgscharakter  vor.  Das 
Bergland  besteht  aus  mehreren  Gruppen,  welche  durch  Hiigelreihen 
unter  sich  in  Verbindung  stehen.  Diese  Gebirgsgruppen  sind :  das 
Bergland  von  Corn  wall  (Karn'ual)  **)  auf  der  siidwestlichen  Halb- 
insel  bis  zum  Cap  Landsend ;  —  das  Hochland  von  Wales  (Uels); 
—  das  nordliche  Gebirgaland  und  zwar  westlich  das  Bergland  von 
Cumberland  (Kommberland),  ostlich  das  Peak-  (Pihk-)  Gebirge ; 
als  Grenzgebirge  zwischen  England  und  Schottland  dasCheviot- 
(Tschiwiott-)  Gebirge.  Im  Norden  des  Letzteren  liegt  das  schot- 


*)  Asiatische  Besitzungen:  Indo-britisches  Reich:  die  Prasidentschaften 
Bengalen,  Madras,  Bombay,  die  Inseln  Ceylon,  Labuan,  Hong-Kong,  Halbinsel  Aden, 
Insel  Perim,  Sarawak  auf  Borneo. 

Americanische:  General-Gouvernement  Canada,  die  Gouvernements :  Neu- 
braunschweig,  Neuschottland,  Prinz  Eduards-Insel,  Neufoundland  mit  den  Kusten  von 
Labrador,  Gebiet  der  HudsonsbaUCompagnie  mit  dem  arktischen  Archipel,  die  Gou- 
vernements :  Columbia,  Bermuda,  Jamaica  mit  Honduras  und  dem  Mosquitogebiete, 
St.  Christoph,  Antigua,  Dominica,  St,  Lucia,  St.  Vincent,  Grenada,  Barbados,  Tabago, 
Trinidad,  Bahama-Inseln,  Guayana,  Falklands- Insel,  Staatenland. 

Africanische:  General-Gouvernement :  Kapland,  Gouvernements :  Natal,  Gam- 
bia, Sierra  Leona,  Goldkuste,  St.  Helena,  Mauritius  (Sechellen,  Amiranten,  Tschagos- 
Archipel). 

Australische:  Gouvernements:  Neu-Sad-Wales,  Victoria,  Sfld-,  West-, 
Nord-Australien,  Tasmania  (Vandiemens-Land),  Neu-Seeland. 

**)  Die  annahernd  bezeichnete  Aussprache  ist  in  der  Klammar  einge- 
schlossen. 


317 


tische  Niederland  oder  die  Lowlands  (Loh'lands),  aus  welchem 
sich  Hochschottland  erhebt,  bestehend  aus  dem  Grampian- 
(Grampian-)  und  dem  nord-kaledonischen  Gebirge,  und  der 
schottischen  Spalte  zvvischen  beiden.  —  Die  Insel  Irland  ist  ira 
Innern  Tiefland  ,  aus  welchem  sich  namentlich  an  der  Nord-  und 
Westkiiste  einzelne  Berggruppen  erheben,  die  jedoch  nirgends  eine 
grossere,  geschloesene  Gebirgsgruppe  bilden. 

Gewas.ser  und  Kliina.  Die  beiden  Inseln  werden  vom  at- 
lantischen  Ocean  und  seinen  Theilen  (der  Nord  see,  dem  Ca- 
nal mit  derStrasse  von  Dover  oder  Calais,  und  der  irischen 
See  mit  dem  St.  Georgs-  und  dem  Nord  -  Kanal)  bespiilt, 

hff1fM1  tfTM^P      TVfpprKnaon       unrl       polir*       /TdVilT-oinVio      BnphfPP       ifntl 

&f 


I.  Ktinigreich  England  zerfiel  (vom  Jabre  455-827)  in  7  angelsachsisehe 
Konigreiche,  gegenwartig  wird  es  in  40  Counties  eingetheilt. 

1.  KSnigreich  Essex  (2  Grafschaftsn :  Middlesex  [Middlseix]  und  Essex): 

London  (2,880.000),    Colchester  (Koltschestr),  Harwich  (Harritsch); 

2.  KonigrcichOstangeln  (3  Grafscbaften  :  Suffolk  (SGffok),  Norfolk  (Muarfok), 
Cambridge  (Kehmbridsch) : 

Ipswich  (Ipsuitsch),    Norwich  (Noaritsch,    70.000),   Cambridge  (30000), 
Newmarket  (Njumarket) ; 

3.  K6nigreich  Merc  i  a  •  (Merssih  ,  —  19  Grafschaften :  Buckingham  (BOckingam), 
Oxford  (OaksfOrrd),  Gloucester  (Glosstr),  Monmaoth  (Mannmots),  Hereford  (Herri- 


316 


X.  Das  Kdnigreich  Grossbritaimien. 

§,  145.  Bestandtheile.  BevOIkerung. 


1.  in  Europa.  Konigreich  England  und  Fiirstenthum  Wales  2743 

„           Schottland  1445 

Irland 1533 

Inseln  in  den  briiischen  Meeren  (nebst  Armee 

und  Flotte)  18 

Schutzstaat:  jonische  Inseln,  dann  Gibraltar, 

Helgoland,  Malta  etc 55 


Geograph. 
QMeilen      Einwohner 

19,520.000 
3,094.000 
6,552.000 


311.000 
400.000 


2.  Kolonien*) 
3. 


5794      29,877.000 

in  Asien  (nebst  den  Schutzstaaten) •. .        63.860     182,000.000 

„  America    (nebst  den    Hudsonsbai-Lan- 


Trinidad, 


_, 

a,  Bahama-Inseln,  Guayana,  Falklands-Insel,  Staatenland. 

Africanische:  General-Gouvernement :  Kapland,  Gouvernements :  Natal,  Gam- 
bia,  Sierra  Leona,  Goldkiiste,  St.  Helena,  Mauritius  (Sechellen,  Amiranten,  Tschagos- 
Archipel). 

Australische:  Gouvernements:  Neu-Sad-Wales,  Victoria,  Sfid-,  West-, 
Nord-Australien,  Tasmania  (Vandiemens-Land),  Neu-Seeland, 

**)  Die  annahernd  bezeichnete  Aussprache  ist  in  der  Klammer  einge- 
schlossen. 


817 

tische  Niederland  oder  die  Lowlands  (Loh'lSuds) ,  aus  welchem 
sich  Hochschottland  erhebt,  bestehend  aus  dem  Grampian- 
(Grampian-)  und  dem  nord-kaledonischen  Gebirge,  und  der 
schottischen  Spalte  zwiechen  beiden.  —  Die  Insel  Irland  ist  im 
Innern  Tiefland  ,  aus  welchera  sich  namentlich  an  der  Nord-  und 
Westkiiste  einzelne  Berggruppen  erheben,  die  jedoch  nirgends  eine 
grossere,  geschlossene  Gebirgsgruppe  bilden. 

Gewas.ser  und  klinuv.  Die  beiden  Inseln  werden  vom  at- 
lantischen  Ocean  und  seinen  Theilen  (der  Nord  see,  dem  Ca- 
nal mit  derStrasse  von  Dover  oder  Calais,  und  der  irischen 
See  mit  dem  St.  Georgs-  und  dem  Nord  -  Kanal)  bespiilf, 
welche  bedeutende  Meerbusen  und  sehr  zahlreiche  Buchten  und 
Hafen  in  das  Land  schneiden,  wodurch  Schiffahrt  und  Handels- 
verkehr  ungemein  begiinstigt  werden.  —  (Siehe  S.  12  und  §.  15. 
S.  14,  Nr.  1-5.) 

Die  Flusse  ergiessen  sich  theils  in  die  Nordsee,  theils  in 
den  Ocean.  Zu  den  ersteren  gehoren :  die  T  h  e  m  s  e  ,  Gross- 
britanniens  wichtigster  Fluss  mit  ungemein  starker  Dampf-  und 
Segelschiffahrt ,  —  der  H  u  m  b  e  r  (  Ho'mmbr  )  ,  der  Tweed 
(Tuihd),  der  Forth  (Fohrts)  und  der  Tay  (Teh);  —  zu  den 
letzteren  :  der  Severn  (Sewern)  und  in  Irland  der  S  h  a  n  o  n 
(Schannonn). 

Das  Land  hat  endlich  viele  aber  kleine  Seen,  zumeist  in 
C  um  beriand  und  Wes  tmo  reland  (Uest'morland),  dann  Sumpfe 
und  Moore. 

Das  Inselklima  Grossbritanniens  ist  ziemlich  gleichfb'rmig 
mit  nicht  sehr  grossem  Temperaturwechsel.  Der  Winter  ist  ver- 
haltnissmassig  milde ,  der  Sommer  nicht  gar  heiss ;  der  Himmel 
ist  in  der  Regel  triibe,  dichte  Nebel  mit  grosser  Feuchtigkeit  und 
vielem  Regen  sind  haufig.  Der  Schnee  bleibt  nur  in  den  hoheren 
Berglandschaften  langer  liegen ;  wegen  der  grossen  Feuchtigkeit 
ist  die  Insel  den  grossten  Theil  des  Jahres  mit  saftigem  Grim 
bekleidet. 

Politische  Eintheilung.  Das  Konigreich  Grossbritannien 
besteht  in  Europa  aus  den  Theilen:  1.  Konigreich  England, 
2.  Furstenthum  Wales,  3.  Konigreich  Schottland,  4.  Konig- 
reich Irland  und  5.  den  europaischen  Nebenlandern.  — 
Das  Reich  ist  in  Counties  (Kauntis)  oder  Shires  (Shihrs) ,  das 
ist  Grafschaften,  eingetheilt.  Nebstbei  sind  noch  alte  Einthei- 
lungen  im  Gebrauche. 

I.  Kunigreicll  England  zerfiel  (vom  Jahre  455-827)  in  7  angelsachsische 
K6nigreiche,  gegenw§rtig  wird  es  in  40  Counties  eingetheilt. 

1.  KOnigreich  Essex  (2  Grafschaftsn :  Middlesex  [Middlseix]  and  Essex): 

London  (2,880.000),    Colchester  (Koltschestr),  Harwich  (Harritsch); 

2.  KonigrcichOstangeln  (3  Grafscbaften  :  Suffolk  (Sfiffok),  Norfolk  (Noarfok), 
Cambridge  (Kehmbridscb): 

Ipswich  (Ipsuitsch),    N  orwich  (Noaritsch,    70.000),   Cambridge  (30000), 
Newmarket  (Njamarket) ; 

3.  KOnigreich  Merc  i  a  •  (Merssih  ,  —  19  Grafschaften :  Buckingham  (BOckingam), 
Oxford  (OaksfOrrd),  Gloucester  (GlosB'tr),  Monmanth  (Mannmols),  Hereford  (Herri- 


318 

fb'rrd),  Shropp  oder  Salopp  (Sallopp),  Chester  (Tschestr),  Derby,  Nottingham 
(Noattingamm),  Lincoln  (LingkOnn),  Huntingdon  (HOnntingd'n),  Bedford  (Bed- 
fOrrd),  Hertford  (Harforrd),  Northampton  (Noatsammt'n),  Rutland  (R6ttland), 
Leicester  (Lestr),  Stafford  (StaffOrrd),  Worcester  (Wnster)  Warwick): 

Buckingham,  Oxford,  Gloucester,  Bristol  (137-000),  Monmauth,  Hereford 
(40000),  Shrewsbury,  Chester  (54.000),  Macclesfield  (Makkelsfield, 
64.000),  Stockport  (92000),  Derby  (44.000),  Nottingham  (60.000), 
Birkenhead,  Boston,  Lincoln  (43.000),  Huntingdon,  Bedford,  Hertford,  Nort- 
hampton, Oakham,  Leicester  (Gl.OOO.i,  Stafford,  Worcester,  Warwick, 
Birmingham  (233.000),  Stratford,  Etruria  (the  Potteries); 

4.  KSnigreichNorthumberland  (Noahr  tsOmberland)  mit  6  Grafschaften :  York, 
Lancaster  (Lankastr),  Westmoreland  (Uest'morland),  Cumberland  (Kommberland), 
Durham  (DOrramm),  Northumberland); 

York  (60.000),  Hull  (HOll,  60.000),  Leeds  (Lihds,  172000),  Huddersfield 
(HSddrsfild),  Halifax  (Hiillifax),  She  ffield  (135.000),  Lancaster,  Man- 
chester (Manntschestr,  303000),  Liverpool  (Liwerpuhl,  376.000),  Pres- 
ton (100.000),  Oldham,  Carlisle  (Karleil),  Durham  (57.000),  Newcastle 
(Ninkasl,  140000); 

5.  KOnig  veich  Kent   (gleichnamige    Grafschaft):    Canterbury    (Kanterberri), 
Greenwich  (Grihnitsch,  100.000),  Woolwich  (Wulitsch),    Clmtam  (Tschattam), 
Dover  (30.000); 

6.  KOnigreich  Sussex  (Sossex,  2  Grafschaften:  Sussex,  Surrey  [S6rri]): 

Chichester  (Tschitschestr),  Brighton  (Breitn,  66.000),   Hastings  (Hehstings), 

Guilford,  Richmond  (RitschmSnd)  ; 

7.K6nigreich  Wessex  (7  Grafschaften):  Berk,  Wilt,  Southampton  (Saut- 
sammtn),   Dorset,  Sommerset,  Devon  (Divn),  Cornwall: 

Reading  (Redding),  Windsor  (UindsSrr),  Salisbury  (Sahlsberi),  Winchester 
(Uintschestr),  Portsmouth  (Pohrtsmots),  Spithead  (Spitthed),  Insel  Wight 
(Ueit),  Southampton,  Dorchester,  Bath  (Bats,  70.000),  Exeter,  Plymouth 
(PlimmSts,  84.000),  Launceston  (Lahnstn),  Falmouth  (Fallmots). 

II.  FurstentllUin  Wales  (12  Grafschaften):  Pembroke,  Kard  iff  (47.000), 
Merthyr  Tydvil  (80000),  Swansea  (Suansi  48000),   Caermarthen  (Karmartsen), 
Holywell  (Halliuell),  Insel  Anglesea  (Anglsi),  Insel  Holyhead  (Hollihed). 

III.  Konigreich  Schottltuid  (33  Grafschaften): 
a)Sudschottland    (19    Grafschaften):    Edinburgh    (200000),  Leith    (Lits), 

Glasgow  (Glasko,    334.000),    Paisley    (Pesli,    50.000),    Greeaock   (Grinoc.k, 

40.000),  Kilmanok; 
b)Mit  tel  -  Schottland    (8    Grafschaften):    Perth    (Perts    24.000),    Dundee 

(Donndi  80.000),  New-Aberdeen  (Nju-Aberdihn  73.000). 
c)  Nord-Schottland    (6  Grafschaften):  Inverness  (17.000),  Wick. 

Die  Inselgruppen: 

a)  Hebriden.  —  An  50  Inseln,  von  etwa  85.000  Menschen  bewohnt,  die  sich 
vom  Fisch-  und  Vogelfang  und  der  Viehzncht   nahren.     Die  gr6ssten  sind  : 
Jona  (Dschona)    oder   Icolmkill   (EikOmkill),   Staffa   (Staffa;  —   Fin- 
galshShle),  Skye  (Skih),  Lewis  (Lnhis). 

b)  Orkney's    oder  Orkaden.    —    Auf   den    29  bewohnten   Inseln    leben  an 
32.000  Einwohner  von  der  Rindvieh-  und    Schafzucht,    Fischzucht  und  dem 
SeevSgelfang.     Auf   der    Insel  Pomona    liegt    die   Hauptstadt   Kirk  wall 
(Kerkuall,  3000).     Sehr  feuchtes  aber  mildes  Klima,    viele  Stfirme,    hanfige 
Gewitter  und  Nordlichter  im  Winter. 

c)  Shetland -Inseln.   —   Auf  den    17  bewohnten  Inseln    leben    etwa  31.000 
Einwohner.     Klima   und  Nahrungsquellen    wie    auf    den   Orkaden.     Auf  der 
grOssten  Insel  Mainland  (Mehnland)  liegt  die  Seestadt  Lerwick  (3000), 
der  Saranoelplatz  der  englischen,  holiandischen  und  danischen  Haringstischer. 

IV.  Ktinigreicll  Irland.     Es  zerfallt   in  4  Provinzen  und  32  Grafschafien: 
l.Provinz  Leinster  (Linnster,  mit  12  Grafschaften) :  Dublin  (280.000),  Wex- 

ford  (Uexf6rrd),  Drogheda  (Drachida),  Kilkenny; 

2.  Provinz    Ulster    (Glister,    mit    9    Grafschaften);    Down    Patrick    (Dann 
Patrik),    Belfast    (Bellfast,    100.000),    Londonderry    (Lond'nderri) ,   Armagh 
(Armah) ; 

3.  Provinz  Connaught  (Cannaht),  mit  5  Grafschaften):  Sligo  (Sleigo),  Cast- 
lebar  (Kasslbar),  Qalway  (Gallueh),  25.000); 


819 

4.  Provinz  Munster  (MCnnster,  mit  6  Grafschaften) :  Limerik  (56.000),  Cork 

(Kahrk.  87.000),  Waterford  (Uaterf6rrd,  30.000). 

V.  Europ&ische  Nebeniander. 
1.  Insel  Man  (Mann)   in  der  irischen    See,    mit  53000   Einwohnern^  metallreiche 

Berge,  Seehandel;  Hauptort:  Casteltown  (Kassltaun,  4000); 
2.Scill7-  (Silli-)  Inseln,  mehr  als  1200 Felsklippen,  von  3000  Briten  bewohnt. 

Hauptort:  New  town  (Njuhtaun)  auf  der  Insel  St.  Mary; 

3.  Normannische  Inseln,  4  grossere,  viele  kleinere,  von  91.000  Franzosen  be- 
wohnt und  in  2  Gonvernements  eingetheilt:  a)  Guernsey  (Gernsi).    Hauptort: 
St.    Pierre    (20.000),    b)   Jersey   (Dschersi).      Hauptort:    Sain  t  -  Hellier 
(22.000); 

4.  Insel  Helgoland  (in  der  Nordsee,  vor  den  Miindnngen  der  Elbe  und  Weser), 
mit  der  gleichnamigen   Stadt,   3000   Einwohnern   nnd    stark   besuchtem  Seebad. 
Die  Bewohner  treiben  Fischerei,  Schiffahrt  nnd  Lootsendienst ; 

S.Gibraltar,  Festung  und  Hafenstadt   an    der    Sudspitze   von   Spanien.     20.000 

Einwohner,  starker  Schleichhandel  mit  englischen  Manufakten  nach  Spanien > 
6.  Malta-Inseln:  Malta,    Gozzo,   Comino,  Cominotto,    mit  130.000  Einwohnern. 
Sehr  fruchtbar,  liefern  Baumwolle,    Siidfrflchte,   selbst    Znckerrohr.     Auf   Malta 
Hauptort:  La  Valetta  (60.000),    sehr    starke  Festung,   wichtige  Flottenstation 
der  Briten,  grosser  Seehandel. 

Unter  den  vielen  bedentenden  Stadten  Grossbritanniens  verdienen  besondere 
Hervorhebung : 

London,  an  beiden  Ufern  der  Themse,  im  Mittelpunkte  der  reicbsten  nnd 
fruchtbarsten  Provinzen,  mit  fiber  21/,  Mill.  Einwohnern*),  Residenz-  und  Hauptstadt 
des  britischen  Reiches,  der  grosste  und  reichste  Handelsplatz  der  Erde.  Stadttheile: 
Westminster  und  Westend,  Sitz  des  Hofes,  des  hohen  Adels,  des  Parlamentes 
und  der  hodmen  StaatsbehOrden,  —City,  Handelswelt,  Geld-  und  Creditinstitute,  — 
Southwark,  eigentlicher  Fabriksbezirk,  —  East-End  ist  der  erste  Seehafen  des 
Landes  mit  seinen  Docks,  Schiffswerften,  Lagerhausern  u.  a.  f.  Wenig  grosse  Privat- 
palaste,  aber  viele  prachtvolle  Offentliche  und  Staatsgebaude :  Paul  s-  Kirche,  West- 
minsterabtei  mit  den  Monumenten  der  KSnige  und  bernhmter  Manner,  die  k.  Palaste 
St.  James  nnd  Buckingham  (Residenz),  Westminsterhall,  der  oberste  Gerichtshof ;  die 
neuen  Parlamentshauser;  der  Tower,  friiher  Staatsgefangniss,  jetzt  Zeughaus,  Manze, 
Reichsarchiv,  Juwelenkammer  u.  s.  w. ;  das  britische  Museum  mit  Kunstgegenstanden, 
Naturalien,  Handschriften  und  Bflchern;  das  ostindische  Haus;  fiber  500  Gebaude 
fiir  den  Gottesdienst.  Ueber  die  Themse  ffihren  7  Bracken,  und  unter  derselben 
der  Tunnel  (1843  vollendet).  —  Mittelpunkt  des  geistigen  Lebens,  viele  gelehrte 
Gesellschaften,  Universitat,  polyt.  Institut,  fiber  4000  Erziehungsanstalten,  18  oft'ent- 
liche  Bibliotheken.  —  Viele  Humanitatsanstalten,  107  Armenhiiuser,  22  Kranken- 
hauser,  Waisen-,  Irren-,  Invalidenhauser;  fiber  100  wohlthatige  Gesellschaften.  — 
Industrie  im  grossartigsten  Massstabe  in  Gold-  und  Silberwaaren,  Dhren,  optischen 
und  physikalischen  Instrumenten,  die  kolossalsten  Bierbrauereien  der  Erde  n.  v.  a. 
—  Die  City  Mittelpunkt  des  Welthandels.  Taglich  laufen  fiber  40  Schiffe  ein,  jahr- 
lich  fiber  10.000  Dampfer  und  Kfistenfahrer;  der  Zoll  betragt  jahrlich  120— 140  Mill. 
Gulden,  der  Werth  der  Ein-  und  Ansfuhr  an  700  Mill.  Gulden.  Nach  alien  Rich- 
tungen  laufen  Eisenbahnen  und  Telegraphen  aus.  Die  grossartigsten  Institute  ffir 
Hebung  des  Hamlels ;  Ostindische  Compagnie,  Hudsonsbai,  Lloyd  und  viele  andere 
Gesellschaften ;  die  Bank  von  England  ist  das  grfisste  Institut  dieser  Art,  fiber  70 
Privatbanken,  viele  Assekuranz-  nnd  Aktiengesellschaften  ;  Stockborse,  konigl.  BOrse, 
Kornborse,  Clearinghouse  (tagliche  Versammlung  der  Commis  der  Banquiers  zur 
Abrechnung ;  grosse  Docks,  Waarenhauser  u.  s.  w.  Belustigungsorte:  14  Theater, 
St.  James-  und  Hydepark,  Vauxhall,  Ranelagh  u.  a.  Der  Vorhafen  von  London  ist 
Gravesand,  an  der  Themse-Mundung,  mit  dem  Hauptzollamte;  von  Dover  ist 
die  Hauptuberfahrt  nach  Frankreich  (Calais  in  3  Stunden). 

Liverpool  mit  einer  Menge  grosser  Docks  (die  altesten  und  schonsten  in 
England),  Packetbootfahrten  nach  Nord-  und  Siidamerica,  nach  dem  Mittelmeer,  nach 
Portugal,  Irland,  Schottland  und  mehreren  englischen  Hiifen;  Tausende  von  Aus- 
wanderern  schiffen  sich  jahrlich  hier  ein.  Handel  mit  Irland  in  Getreide,  Mehl,  Vieh ; 
erst  or  Platz  ffir  den  Baumwollhandel  in  Europa  durch  seine  Verbindnng 

*)  Im  J.  1801    zahlte    die  Stadt   958.000  Einw.,   —   im   J.    1811,    1,050.000;  — 
1831,  1,471.000;  —  1851,  2,361.000;  —  1860,  2,616.000  Einw. 


mit  Manchester  (uber  800.000  Ballen),  dann  Tabak,  Ausfuhr  fur  Twist  etc.  (9  Mil- 
lionen  £);  bedeutender  Handel  nach  Guinea;  Salzhandel  nach  den  Ostseelandern, 
Thee  von  China;  mit  mehr  als  16CO  eigenen  Schiffen  nnd  uber  14.000  besuchen 
jahrlich  den  Hafen;  Ein-  nnd  Ausfuhr  im  Werthe  fiber  50  Millionen  £. 

Bristol  nnterbalt  sehr  bedeutenden  Handel  mit  beiden  Indien;  mehr  als  300 
eigene  Schiffe. 

Hull,  mit  grossen  Schiffswerften  nnd  Docks,  macht  seine  Hauptgeschafte  mit 
Russland,  Skandinavien,  Holland,  Deutschland  und  Amerika,  besitzt  an  600  eigene 
Schiffe  nnd  treibt  starken  Wallfischfang  im  gronlandischen  Meere. 

Glasgow,  Centralpunkt  fur  schottische  Banmwollo  ;  grosse  Eisenausfuhr  nach 
Deutschland ;  New-Port  Glasgow  ist  mit  dem  Vorhafen  Grunnock  fur  grosse  See- 
schiffe.  Die  Handelsrichtung  geht  vornehmlich  nach  Westindien,  Nordamerica  und 
den  Ostseelandern  mit  fiber  4000  Kauffahrern.  (Das  erste  europaische  Dampfschiff 
wnrde  hier  im  Jahre  1810  gebaut.) 

Dublin  (mit  dem  Hafen  Kingston),  Hauptplatz  fur  den  Handel  Irlands;  19 
Assekuranzen  ;  grosser  Verkehr  mit  Westindien,  Nordamerica  und  Liverpool. 

Wichtig  sind  noch  fiir  den  Seehandel :  Plymouth  (nebst  Devonport)  mit  dem 
beruhmten  Damme  (Breakwater)  vor  dem  Hafen  nnd  in  der  Nahe  einer  der  herr- 
lichsten  Leuchtthurme ;  im  Frieden  wird  der  Hafen  zur  Aufnahme  eines  Theiles  der 
Kriegsflotte  verwendet.  Southampton  Haupthafen  fur  Frankreich  und  die  Pyre- 
naenhalbinsel,  zugleich  Londons  Hauptstation  fur  die  Packetboote  nach  Westindien 
und  dem  Oriente;  Whitehaven,  Sunderland,  Portsmouth  und  Portsea,  Haupt- 
kriegshafen  Englands,  in  der  Nahe  die  berfihmte  Rhede  von  Spithead,  wo  sich  grosse 
Kriegs-  und  Handelsflotten  vor  dem  Auslaufen  versammeln,  Edinburgh  (mit  dem 
Hafen  Leith),  Aberdeen,  Limerik,  Harwich  (Harritsch),  die  gewOhnliche  Ueberfahrt 
nach  Holland,  Hamburg  nnd  Schweden. 

Die  in  indus t  rieller  Beziehung  hervorragenden  Stadte  kommen  bei  den 
betreffenden  Industrien  vor. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Landwirthschaft  hat  in  Grossbritannien ,  inbesonclere 
in  den  ostlichen  Gegenden  Englands ,  die  bedeutendsten  Erfolge 
erzielt.  Trotz  der  aufmerksamen  Bebauung  und  der  vielfachen 
Anwendung  landwirthschaftlicher  Maschinen  geniigt  die  Produktion 
jedoch  nicht  fiir  den  Bedarf  der  dichten  Bevolkerung.  Von  den 
77  Millionen  Acres  (ein  Acre  =  1136  osterr.  QKlafter)  entfallen 
an  49  Millionen  auf  kultivirtes  und  fiber  28  Millionen  Acres  auf 
unbebautes  Land;  der  Jahresertrag  an  Kornerfruchten  von  der  ge- 
sammten  Bodenflache  (England,  Schottland  und  Irland)  wird  mit 
beilaufig  80  Millionen  Quarter  (a  4.72  Wiener  Metzen)  berechnet. 
Weizen  und  Gerste  werden  vorziiglich  im  siidlichen  England,  Hafer 
in  Schottland,  Kartoffeln  in  Irland  und  Schottland  angebaut;  doch 
werden  grosse  Mengen  an  Getreide  und  Mehl  aus  Russland,  den 
vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  und  Preussen  importirt.  Hulsen- 
friichte  und  Gartengewachse  sind  von  vorziiglicher  Giite.  Unter 
den  Handelspflanzen  nehmen  Flachs  und  Hanf  (Irland  und  Schott- 
land), dann  Hopfen  (in  Kent,  Hereford  und  Worcester)  eine 
hervorragende  Stelle  ein ;  auch  Raps  (in  Cambridge,  Essex  und 
Norfolk),  Karden  und  Safran  (in  Essex  und  um  Cambridge)  wer- 
den stark  gebaut.  —  Dem  Holzmangel  (da  der  Waldboden  nur 
etwa  5%  der  Gesammtflache  einnimmt)  hilft  der  Ueberfluss  an 
mineralischem  Brennstoff  ab.  Nutz-  und  Bauholz  wird  zur  See 
bezogen* 

In  der  Yiehzucht,  dem  Glanzpunkt  der  vortreff lichen  bri- 
tischen  Landwirthschaft,  nimmt  Groesbritannien  sowohl  ob  der  An- 


821 

zahl  der  Heerden,  Oekonomiehofe  und  Meiereien  und  deren  zweck- 
massiger  Einrichtung,  als  auch  durch  den  wissenschaftlich-prak- 
tischen  Betrieb,  der  durch  die  gunstigen  klimatischen  Verhaltnisse 
befordert  wird,  den  ersten  Rang  unter  alien  Staaten  der  Erde  ein 
und  bildet  in  dem  englischen  Niederlande  (am  Wash-  und  Humber- 
Busen),  in  einigen  Theilen  von  Wales  und  Inland  die  Hauptnah- 
rungsquelle.  Die  Pferdezucht  ist  Gegenstand  des  Nationals!  zes 
und  die  Race  steht  der  arabischen  zunachst ;  —  das  Rindvieh 
(in  Lincoln  und  Lancaster)  ist  ausgezeichnet  durch  Milchreichthum, 
Mastfahigkeit,  Schonheit  und  Arbeitskraft ;  —  die  veredelte  Sch  af- 
zucht  liefert  Wolle ,  welche  mit  der  sachsischen  und  spanischen 
rivalisirt,  obwohl  die  Quantitat  fiir  den  Bedarf  der  Industrie  nicht 
ausreicht;  —  Ziegen  kommen  in  Schottland  und  Wales  in  grosser 
Menge  vor  ;  —  Borstenvieh  wird  vorziiglich  in  Irland  gemastet. 
Auch  die  Zucht  der  Bienen  und  des  Federviehes  ist  bedeutend. 
Die  Seefischerei  wird  sehr  umfangreich  und  mit  gutem  Erfolg 
betrieben,  da  Schottland  allein  an  40.000  Fischer  zahlt,  deren  Beute 
den  Werth  von  nahe  4  Millionen  Gulden  erreicht ,  und  am  Wall- 
fisch-  und  Haringsfang  betheiligen  sich  jahrlich  wohl  an  60.000  Ma- 
trosen  und  Bootsleute. 

Die  Grundlage  der  englischen  Industrie  und  somit  des  Na- 
tionalreichthums  bilden  die  Produkte  des  Bergbaues,  und  hierin 
steht  die  ungeheure  Ausbeute  vorziiglicher  S  teinkohle  n  in  erster 
Linie,  welche  in  Northumberland  und  Durham  die  starkste  ist.  Die 
Ausbeute  in  den  2829  Gruben  betrug  im  Jahre  1856  an  1329  Mil- 
lionen Zentner  im  Werthe  von  nahe  an  17  Millionen  £.  Auch  York, 
Wales  und  Schottland  fordern  viel  Steinkohlen  zu  Tage,  insbeson- 
dere  hat  sich  der  Verkehr  der  Gruben  im  Norden  seit  1845  ver- 
doppelt.  Irland  steht  sowohl  in  Hinsicht  der  Quantitat  als  der 
Qualitat  der  Kohle  zuruck,  Der  deklarirte  Werth  der  im  Jahre 
1857  exportirten  Kohlen  betrug  iiber  3.2  Millionen  £.  Im  ersten 
H  alb jahre  1859  betrug  der  Werth  der  ausgefiihrten  Steinkohlen 
aller  Art  nahezu  l.?  Millionen  £.  —  Die  Torflager  nehmen  iiber 
3  Millionen  Acres  ein,  sehr  machtig  ist  jenes  zwischen  Robertstown 
und  Tullamore.  —  Den  nachsten  Rang  nehmen  die  hochst  bedeu- 
t  en  den  Eisenbergwerke  ein,  deren  Mehrzahl  in  der  Nahe  von 
Kohlengruben  liegt.  Die  reichsten  Lagerstatten  sind  im  siidlichen 
Wales,  dann  Stafford,  Derby,  York  u.  s.  w,,  ferner  in  Schottland. 
Die  Roheisenproduktion  ist  stets  im  Wachsen.  Im  Jahre  1750  be- 
trug sie  nur  75.000  tons  (h,  20  Zentner),  im  J.  1800  schon  180.000, 
—  im  J.  1825:  600.000,  im  J.  1851:  2,500.000,  —  im  J.  1858: 
3,456.000  tons;  also  beilaufig  soviel  als  die  gesammte  Produktion 
von  Europa  und  Nordamerica  zusammengenommen  (im  Werthe  von 
iiber  15  Milliouen  £.),  wovon  bedeutende  Mengen  zur  Ausfubr  ge- 
langten.  Im  J,  1857  betrug  der  Werth  des  exportirten  Eisens  und 
Stahles  (ohne  Maschinenund  Kurzwaaren)  fast  13.6  Millionen  £.; 
also  fast  2  Millionen  £,  mehr ,  als  die  Goldausbeute  Californiens  in 
diesem  Jahre.  Die  Gewinnung  der  zwei  genannten  Objekte  des 
Bergbaues  beschaftigt  iiber  %  Million  Menschen,  wovon  an  8/JO  auf 
die  Eisen-,  und  2/10  auf  die  Kohlengruben  entfallen.  Der  alteste 

Klun's  nandels-Geographie.    2.  Aun.  21 


bergmannische  Betrieb  in  Grossbritannien  geht  auf  Zinn,  das  bestein 
Europa,  welches  hauptsachlich  inCornwallis  und  Devonshire  gewonnen 
wird.  Ferners  werden  gewonnen:  Bl  ei  (fast  ya Million  Zentner)  in  Wa- 
les, Durham,  Northumberland,  Schottland,  Cumberland,  — Kupfer 
(in  176  Minen  an  7.3  Millionen  Zentner)  im  Suden  Englands,  Cornwallis 
und  Siid- Wales,  —  Z  i  n  k  (80.000  Zentner)  in  Cornwallis  und  Wales,  — 
Silber  (uber  614.000  Unzen,  davon  fiber  480.000  in  England,  vom 
Rest  zur  Halfte  in  Wales ,  zur  Halfte  auf  Man) ,  aus  den  silber- 
haltigen  Bleierzen  der  genannten  Bleiminen ,  —  etwas  Gold  in 
Wales.  Blei,  Zinn  und  Kupfer  wurden  gleichfalls  exportirt,  und 
der  deklarirte  Werth  der  im  Jahre  1857  verschifften  britischen  Me- 
talle  betrug  uber  18.5  Millionen  £,  nicht  gerechnet  die  von  den 
Kolonien  und  anderen  Staaten  zur  Durchfuhr  gebrachten  Metalle.  Im 
Verkehr  mit  Produkten  des  Bergbaues  behauptet  Grossbritannien 
den  ersten  Rang  unter  alien  Staaten  der  Erde.  Auf  gleicher 
Hohe  steht  es  in  Bezug  auf  den  S  a  1  z  reichthum ,  wovon  seit  der 
Herabsetzung  der  Steuer  im  Jahresdurchschnitt  an  16.3  Millionen 
Zentner  gewonnen  und  grosse  Mengen  exportirt  werden.  Sehr 
reiche  Steinsalzgruben  sind  in  Northwich  und  Chester  —  Quell- 
salz  in  Worcester,  Durham  und  Stafford,  —  Seesalz  an  den  Kiisten 
von  England  und  Irland. 

Besondere  Erwahnung  verdienen  noch  der  vorziigliche  Gra- 
ph it  (zu  Borrowdale  in v  Cumberland) ,  der  Alaun  von  Whitby 
(York)  und  Schottland,  die  Ammoniak-Erzeugung,  der  grosse 
Reichthum  an  Bausfreinen,  Thon,  Schiefer  undhydrau- 
lischem  Kalk. 

Industrie.  In  keinem  Lande  der  Erde  hat  die  Industrie  eine 
solche  Hohe  und  Ausdehnung  erreicht,  als  im  britischen  Reiche,  Auf 
dem  Grundsatze  der  freien  Thatigkeit  und  der  Theilung  der 
Arbeit  ruhend,  unterstiitzt  durch  hohe  technischeAusbildung, 
welche  die  von  der  Natur  reichlich  gebotene  Vorbedingung  im  grossten 
Masse  auszubeuten  versteht,  und  durch  ein  Maschinenwesen, 
durch  welches  fast  alle  Fabrikate  zur  moglichsten  Vollkommenheit 
gebracht  wurden,  endlich  durch  den  stets  wachsenden  Association  s- 
geist,  wodurch  die  grossartigsten  Kapitalien  bei  verhaltnissmassig 
niederemZinsfusse  den  industriellen  Unternehmungen  zufliessen, 
hat  dieses  Reich  in  manchen  Zweigen  der  technischen  Kultur  eine 
Ausbildung  gewonnen,  wie  uns  die  Kulturgeschichte  der  Volker 
kein  zweites  Beispiel  liefert.  Bei  der  ungeheuren  Ausdehnung  der 
britischen  Industrie,  welche  die  Mehrzahl  der  Bevolkerung  mittelbar 
oder  unmittelbar  ernahrt  und  bereichert,  konnen  hier  nur  d'e  vorzug- 
lichsten  Zweige  und  die  hervorragendsten  Statten  derselben  aufge- 
fuhrt  werden,  um  nach  Moglichkeit  eine  Charakteristik  des  britischen 
Kunstfleisses  zu  geben.  In  der  Mitte  von  England;  dem  Haupt- 
sitz  des  grossen  Reichthums  an  Mineralien,  ist  von  lange  her  auch 
der  Hauptsitz  der  Metallwaaren-Fabrikation;  —  das  nord- 
liche  England  pflegt  und  veredelt  im  grossartigtn  Massslabe  die 
Wollen-,  Baumwollen-  und  Le  in  en -Industrie;  —  der  sud- 
Hche  Theil  hingegen  jene  Gewerbe,  welche  auf  Handel,  Kiinste  und 


Wissenschaften  abzielen.  Schottland  und  Irland  stehen  nur  in  ein- 
zelnen  Zweigen  auf  gleicher  Hohe  mit  England. 

Der  wichtigste  Zweig  der  englischen  Industrie  ist  die  B  a  u  m- 
w o  1 1  e  n  -  Manuf aktur.  Durch  das  aufs  Hochste  ausgebildete  Ma- 
schinenwesen  ist  England  in  diesem  Zweige  so  ubermachtig,  dass 
es  hierin  den  Weltmarkt  beherrscht.  Wahrend  vor  etwa  70  Jahren 
nur  an  40.000  Menschen  bei  dieser  Industrie  beschaftigt  waren,  und 
der  Werth  der  exportirten  Waare  beilaufig  300.000  £  betrug;  be- 
zieht  Grossbritannien  gegenwartig  mehr  als  die  Halfte  der  in  alien 
Erdtheilen  gewonnenen  Baumwolle,  das  ist  mehr  als  9  Millionen 
Zentner,  bei  deren  Verarbeitung,  ungeachtet  der  Hunderte  von  meist 
grossen  Dampfmaschinen,  iiber  !T/2  Million  Menschen  mittelbar  oder 
unmittelbar  thatig  sind  und  der  Werth  der  Erzeugung  betragt  an 
57  Millionen  £,  wovon  im  Jahre  1857  Baumwollwaaren  um  den 
Werth  von  39  Millionen  £  zum  Export  gelangten,  England  ver- 
sieht  den  grossten  Theil  der  bewohnten  Erde  mit  Baumwollkleidung. 
Im  Jahre  1856  waren  2210  Faktoreien  fur  Baumwolle  thatig,  mit 
iiber  28  Millionen  Spindeln  und  nahe  an  299  Tausend  mechanischen 
Webestuhlen.  Unter  alien  Zweigen  dieser  Industrie  steht  die  S pin- 
ner ei  am  hochsten,  denn  die  Zahl  der  Feinspindeln  betrug  an  23 
Millionen,  das  ist  fast  70%  sammtlicher  Feinspindeln  fur  Baum- 
wolle in  Europa.  Der  Hauptsitz  ist  die  Grafschaft  Lancaster,  mit 
mehr  als  20  Millionen  Spindeln  in  1480  Faktoreien,  welche  allein 
zwei  Drittel  der  britischen  Baumwollwaaren  liefert,  und  hier  ist  es 
Manchester  sammt  Umgebung  (der  Hauptplatz  fur  die  ganze  Erde 
in  Baumwollwaaren),  wo  in  den  Baumwollspinnereien  iiber  300  Dampf- 
maschinen arbeiten  und  die  meiste  Baumwolle  gesponnen,  gewebt, 
gebleicht,  gedruckt  und  in  kiirzester  Zeit  nach  alien  Theilen  der 
Erde  versendet  wird.  Es  liefert  die  nach  der  Stadt  benannten  aus- 
gezeichneten  Stoffe,  den  schonsten  Sammt,  Kambriks,  Kattune  u.  s.  w. 
Zunachst  stehen  Blackburn,  Norwich,  Glasgow,  Paisley 
und  Belfast,  dann  Nottingham,  Derby  und  Leicester.  In 
Schottland  ist  Glasgow  der  Hauptort,  wo  iiber  25,000  Maschinen- 
stiihle  und  iiber  50.000  Handwebestiihle  mehr  als  die  Halfte  der 
schottischen  Gesammtproduktion,  und  zwar  hauptsachlich  feinere 
Waare  und  Druckwaaren  liefern.  Gebleichte  Strumpfwaaren  und 
Baumwollspitzen  erzeugt  Nottingham,  gefarbte  Leicester,  —  Die 
irische  Kottonmanufaktur  hat  ihren  Sitz  in  Belfast. 

Zunachst  steht  die  Fabrikation  in  Schafwolle,  eine  der 
altesten  Manufakturen  des  Landes.  Im  Jahre  1856  haben  iiber 
1500  Fabriken  mit  !3/4  Million  Spindeln  und  an  14.500  mechanische 
Webestuhle  iiber  70.000  Arbeiter  beschaftigt  und  der  Werth  sammt- 
licher in  diesen  Zweig  einschlagigen  exportirten  Waaren  betrug  im 
genannten  Jahre  circa  13 1/2  Millionen  £.  Im  Jahre  1857  betrug  die 
Einfuhr  roher  Wolle  (hauptsachlich  aus  Australien,  Ostindien  und 
Sudafrica)  nahe  an  130  Millionen  Pfund,  wozu  noch  die  grosse 
Quantitat  inlandischer  Wolle  hinzuzuzahlen  ist,  und  der  Werth  der 
hieraus  gefertigten  Erzeugnisse  betrug  iiber  30  Millionen  £.  Die 
meisten  und  grossten  Fabriken  besitzt  Yorkshire  (806  Fabriken 
mit  nahezu  1  Million  Spindeln),  in  Lancaster  sind  etwa  100  Fab- 

21* 


324 

riken  mit  266.000,  dann  in  R  o  x  b  u  r  g  s  h  i  r  e  24  mit  60.000  Spindelm  — 
Fiir  die  grossartige  Tuchfabrikation  sind  bedeutend:  Leeds,  Hud- 
dersfield,  Bradford,  Frome  und  Stroud  (bei  Bristol),  Norwich,  Glas- 
gow und  Edinburgh,  welche  viel  nach  Sudamerica  und  Ostindien 
exportiren,  Fiir  Orleans,  Merinos  und  Wollenmousseline  sind  bekannt 
Bradford,  Halifax  und  Huddersfield,  —  fiir  Shawlweberei  Paisley, 
gemischte  Gewebe  Norwich,  Teppiche  Glasgow,  Worcester,  London, 
dann  Wolldecken  aller  Art  sowie  die  aus  Wollabfallen  verfertigten 
Shoddystoffe  u.  s.  w.  —  Fiir  Kammgarn  besass  das  Land  im 
genannten  Jahre  525  Fabriken  mit  1  l/a  Million  Spindeln  und  bei- 
laufig  40.000  Webestiihlen,  wobei  an  88.000  Arbeiter  beschaftigt 
waren.  Am  starksten  wird  dieser  Industriezweig  in  Yorkshire  be- 
trieben  (445  Fabriken  mit  l'/4  Million  Spindeln).  Von  dem  friiher 
genannten  Exportwerthe  entfallen  10l/2  Million  £  auf  Wollwaaren 
und  bei  3  Millionen  £  auf  Wollengarn. 

Von  nicht  geringerer  Bedeutung  ist  die  L  e  i  n  e  n  f  a  b  r  i  k  a  t  i  o  n , 
wie  iiberhaupt  die  Industrie  in  Flachs  nnd  Hanf.  Die  Einfuhr  von 
Flachs  und  Hanf  findet  vorzugsweise  aus  Russland  statt  und  betrug 
dieselbe  im  Jahre  1857  fast  1,900.000  Zentner  Flachs  und  1,400.000 
Zentner  Hanf.  Seit  der  Einfiihrung  und  Vervollkommnung  der  Flachs- 
spinnmaschinen  hat  dieser  Fabrikationszweig  eine  friiher  nicht  ge- 
ahnte  Hohe  erreicht  und  die  Fabrikate  geniessen  auf  den  uberseeischen 
Markten  vor  alien  anderen  den  Vorzug,  wie  sie  auch  auf  den  euro- 
paischen  vielfach  die  deutschen,  belgischen  und  franzosischen  ver- 
drangen.  Der  Hauptsitz  ist  das  nordliche  Irland  (Belfast  nebst  Um- 
gebung),  das  ostliche  Schottland  (Dundee,  Forfar)  und  das  nordliche 
England  (Preston,  Leeds).  Im  Jahre  1856  beschaftigten  417  Fabriken 
1,288.000  Spindeln,  8690  mechanische  Webestuhle  iiber  80.000  Ar- 
beiter. In  leichten  Leinen  behauptet  Irland  den  ersten  Rang,  Zwillich 
wird  in  York,  Segeltuch  in  Bristol,  Portsmouth,  Glasgow,  Arbroath, 
Zwirn  in  Leeds,  Spitzen  in  Nottingham,  die  Honitonspitzen  in  Ho- 
niton  u.  s.  w,  verfertigt. 

Die  Industrie  in  Seide  ist  in  steigender  Aufnahme,  obwohl 
sie  der  franzosischen  und  osterreichischen  noch  weit  nachsteht.  Bis 
zum  Jahre  1824  war  die  Einfuhr  von  Seidenwaaren  verboten  und 
die  Fabrikation,  geschiitzt  durch  dieses  Monopol,  erreichte  jahrlich 
kaum  den  Werth  von  1  Million  £.  Seit  der  Aufhebung  dieses  Ver- 
botes  und  dem  Auftreten  der  fremden  Konkurrenz  hob  sich  die 
Industrie  in  raschen  Schritten,  Schon  nach  12  Jahren  erreichte 
der  Werth  der  Produktion  die  Summe  von  6  Millionen  £  und  die 
Ausfuhr  britischer  Erzeugnisse  begann  nach  Nordamerica  und  West- 
indien,  obwohl  die  Fabrikate  in  Hinsicht  der  Qualitat  den  franzo- 
sischen, osterreichischen,  deutschen  und  schweizerischen  nachstehen. 
Durch  die  zunehmende  Einfuhr  ostindischer  und  vornehmlich  chine- 
sischer  Seide,  sowie  durch  Anwendung  der  neuesten  Methoden  und 
Maschinen  bei  der  Fabrikation,  hat  sich  diese  Industrie  derart  ge- 
hoben,  dass  sie  mit  der  des  Festlandes  in  Konkurrenz  tritt.  Die 
Einfuhr  roher  Seide  betrug  im  Jahre  1850  nicht  ganz  5  Millionen, 
im  Jahre  1857  schon  iiber  12  Millionen  Pf und,  und  die  Ausfuhr  bri- 
tischer Seidenfabrikate  stieg  in  der  bezeichneten  Periode  von  1 J/4 


325 

auf  nahezu  3  Millionen  £.  Die  bedeutendsten  Orte  in  dieser  Be- 
ziehung  sind :  Macclesfield  (fur  Seidentiicher),  Coventry  (fur  Bander), 
Spitalsfield  (bei  London),  Manchester,  Derby  und  Nottingham. 

Die  Metallwaarenfabrikation,  schon  seit  dem  14.  Jahr- 
hunderte  im  mittleren  England  im  Grange,  nimmt  jetzt  den  ersten 
Rang  auf  der  Erde  ein.  DerHauptsitz  ist  Birmingham,  welches 
alle  Arten  Eisen-,  Stahl-,  Messing-  und  lackirter  Blechwaaren  liefert, 
zudem  fiber  30  Gewehrfabriken  und  grosse  Anstalten  fiir  den  Ma- 
schinenbau  besitzt.  In  gleicher  Richtung  arbeiten  So  ho  und  Wol- 
verhampton  (vortreffliche  Schlosserwaaren),  die  Kurzwaaren  aus 
diesen  Fabriken  sind  die  geschatztesten  auf  dem  Weltmarkte.  Fur 
Schneidewerkzeuge,  Feilen,  Sagen  und  dergleichen  ist  Sheffield, 
fiir  Scheeren  Salisbury,  fiir  Nahnadeln  Redditsch  (bei  Warwick), 
fiir  mathematische,  physikalische  und  optische  Instrumente  London, 
fiir  Messingwaaren  Bristol  u.  e.  w.  sehr  vortheilhaft  bekannt.  Be- 
riihmt  sind  durch  grossartige  Eisengiessereien ,  Ankerschmieden, 
Haus-  und  Ackergerathe  und  dergleichen  Rotherham  (in  York),  die 
Carron-  und  Clyde  works  in  Schottland,  die  Eiaenwerke  in  Staf- 
ford, Shrop  und  besonders  in  Sud-Wales,  dem  Sitze  der  grossen 
Railsfabrikation  fiir  die  Eisenbahnen  der  ganzen  Erde,  sowie  dem 
grossten  Blechwerk  Englands  Crom-Aron;  ferners  die  Kanonen- 
giessereien  zu  Woolwich,  wohl  die  grossten  auf  der  Erde.  —  Die 
Anwendung  des  Gusseisens  von  den  feinsten  Bijouteriewaaren  bis 
zu  den  grossen  Werken  der  H'auser,  Briicken,  Treppen  u.  s.  w.  hat 
eine  nie  geahnte  Ausdehnung  erreieht.  Der  grossartige  Maschinen- 
bau  beschaftigt  allein  Uber  eine  halbe  Million  Arbeiter.  Alle 
englischen  Metallwaaren  zeichnen  sich  durch  hochste  Vollendung 
der  Arbeit  aus,  wenn  sie  bisweilen  auch  von  minder  gefalli- 
gem  Style  sind,  Der  Werth  der  Metallwaaren  (mit  Ausschluss  der 
Goldwaaren  von  etwa  3l/2  Million  £)  wird  jahrlich  auf  mindeetens 
22  Millionen  £  bewerthet,  wovon  im  J.  1857  im  Werthe  von  iiber 
20  Millionen  £  zur  Ausfuhr  kamen  (Messing-  und  Kupferfabrikate 
iiber  3,  Maschinen  3,9,  Eisen  und  Stahl,  roh  und  bearbeitet,  iiber 
13  V»  Million  £). 

Die  Lederfabrikation  hat  ebenfalls  einen  sehr  hohen  Grad 
der  Vollkommenheit  erreieht  und  wird  an  Wichtigkeit  der  Eisen- 
manufaktur  gleichgestellt.  Der  Werth  der  jahrlichen  Produktion 
wird  auf  18  Millionen  £  geschatzt  und  die  Arbeiterzahl  belauft  sich 
uber  50.000.  In  diesem  Industriezweige  hat  die  in  Grossbritannien 
stets  wachsende  Ausdehnung  der  technischen  Chemie  auf  prakti- 
schen  Betrieb  besonders  glanzende  Erfolge  hervorgebracht ,  deren 
Erzielung  durch  die  Abschaffung  jeglicher  Abgabe  vom  Leder  (im 
Jahre  1830)  wesentlich  gefordert  wurde.  Die  englischen  Sattler- 
und  Schuhmacherarbeiten  sind  die  am  meisten  geschatzten  auf  der 
Erde  und  Leder  wie  Lederarbeiten  uberhaupt  sind  auf  dem  Welt- 
markte sehr  beliebt.  Der  Hauptsitz  der  englischen  Lederfabrikation 
ist  Bermondsey  (die  Ruckstauung  derFluth  in  die  Themse  liefert 
reichlich  das  Wasser),  in  neuerer  Zeit  sind  ubrigena  in  der  Nach- 
barschaft  vieler  Stadte  Gerbereien  entstanden.  Fiir  Sattler-  und 
Riemerwaaren  sind  London  und  Bristol  beruhmt ;  — mit  Schuh- 


336 

macherarbeit  bescbaftigen  sich  in  London,  Northamptonshire 
und  Staffordshire  fiber  s/4  Million  Arbeiter  und  der  Werth  wird 
mit  10  Millionen  £  geschatzt.  Handschuhe  erzeugen  Worcester, 
Woodstock,  London,  doch  wird  der  inlandische  Bedarf  nicht  gedeckt 
(Import  von  circa  2  Millionen  Paar,  hauptsachlich  aus  Frankreich). 
London  liefert  Luxus-  und  Galanteriewaaren  aus  Leder,  welche 
fiich  durcb  Zweckmassigkeit  und  Soliditat  vor  Allen  auszeichnen. 
In  dieser  Industrie  sind  ferners  bekannt :  Oxford,  Kendal,  Newcastle 
und  Perth  (Schottland),  Limerick  (Irland). 

Noch  in  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  bezog  Grossbritannien 
den  grossten  Theil  seines  P a p i e r bedarfes  aus  Frankreich;  gegen- 
wartig  decken  die  380  Papierfabriken  und  fiber  800  Papiermfihlen 
nicht  nur  den  einheimischen  Bedarf,  sondern  exportiren  nach  Frank- 
reich und  anderen  Landern,  insbesondere  das  schone  Velinpapier  und 
der  Werth  der  Gesammtproduktion  wird  iiber  2  Millionen  £  ge- 
schatzt. Die  grossten  Fabriken  sind  in  und  bei  London  und 
Maidstone  (in  Kent),  — die  meisten  in  Wales  und  Hereford, 
in  Manchester,  Glasgow,  in  Irland  wenig;  in  Birmingham 
grosse  Papiermach^-Fabrik.  In  Papiertapeten  leistet  England  Vor- 
zugliches,  auch  die  Arbeiten  der  Londoner  Buchdruckereien  sind 
unfibertroffen. 

Die  englische  Glasindustrie  zeichnet  sich  durch  Grossartig- 
keit  der  Fabriken  und  durch  die  Erzeugung  des  schweren  Kryst  all- 
glases  aus.  Die  meisten  und  wichtigsten  Glasfabriken  sind  bei 
London,  Birmingham,  Bristol,  Edinburgh  und  Belfast, 
doch  wird  auch  aus  Belgien  (grosse  Flatten),  Bohmen,  Nfirnberg 
und  Fiirth  (kleine  Spiegel)  importirt.  Spiegelfabriken  sind  zu  Ra- 
venhead,  South-Shields  (bei  Newcastle),  St.  Helens  (bei  Li- 
verpool), Der  Werth  der  Produktion  wird  auf  3  Millionen  £  ge- 
rechnet. 

Das  englische  Porzellan  kann  mit  dem  franzosischen  und 
deutschen  nicht  konkurriren  und  wird  feinere  Waare  importirt  (auch 
aus  der  kaiserlichen  Porzellanfabrik  in  Wien,  —  das  ,,alte  Wie- 
ner-Porzellan").  Worcester,  Derby,  London,  Liver- 
pool und  Chelsea  sind  die  bedeutendsten  Fabriksplatze.  Wich- 
tiger  ist  das  Wedgewood-Geschirr*),  das  beste  auf  dem  Weltmarkte. 
Der  sechs  Meilen  grosse  Distrikt  ,,The  Potteries"  um  Stafford, 
Newcastle,  Burslem,  vor  Allem  der  Flecken  Etruria  ist  mit  Fa- 
briken angefiillt,  deren  Produktionswerth  fiber  3  Millionen  £  betragt, 
wovon  an  40%  ausgefiihrt  werden.  Die  Seifenfabrikation 
steht  unerreicht  da  und  die  3000  Siedereien  nebst  70  Grossparfu- 
meurs  erzeugen  fiber  2  Millionen  Zentner,  wovon  grosse  Mengen 
exportirt  werden.  Das  beste  Fabrikat  lief  ern  Windsor, Edinburgh, 
Glasgow,  London,  Bristol  und  Hull.  Auch  die  Stearin- 
kerzen-Fabrikation  wird  grossartig  betrieben,  besonders  in  Vaux- 
hall.  —  Die  grossten  Z  uck  erraffine  ri  en  sind  zu  London, 
Bristol,  Liverpool  und  Edinburgh.  —  Auf  den  britischen 

*)  NachJosuah  Wedgewood,  der  die  Topferei  vervollkommnet  hat,  so  genannt. 
(Geboren  1730  f  1795.  —  Der  Begrfinder  von  Etruria.) 


387 

Inseln  ist  der  grosste  Zuckerverbrauch  in  Europa;  von  dem  Gesammt- 
import  auf  sammtlichen  europaischen  Hauptmarkten  (im  Jahre  1853) 
von  circa  1395  Millionen  Pfund,  entfielen  auf  Grossbritannien  fast 
760  Millionen  Pfund;  im  Jahre  1857  betrug  die  Einfuhr  an  Roh- 
zucker  fast  840  Millionen  Pfund ;  die  Rube nzuckererzeugung 
wird  im  Mittel  auf  beilaufig  5000  Zollzentner  jahrlich  geschatzt. 

Nebst  dieseu  Hanptindustrien  verdienen  noch  vielerlei  Fabrikate  die  Be- 
achtang,  da  sie  grosse  Geldsummen  in  Bewegang  setzen  uud  auf  dem  Weltmarkte 
Geltung  haben.  In  der  Tabakfabrikation  ragen  Liverpool  und  London 
hervor;  der  Import  betrug  im  Jahre  1857  an  rohem  Tabak  iiber  42,  an  fabricirtem 
1.,  Millionen  Pfund;  vom  ersteren  wurden  etwa  nur  25°/0,  vom  letzteren  an  60% 
wieder  ausgefiihrt ;  —  Verarbeitung  und  Bedarf  sind  also  im  Lande  sehr  bedeutend. 

—  Hochst  bedeutend  ist  die  Bierbrauerei  (dnnkles  Bier  Porter,  —  belles  Ale). 
Porter  wird  am  starksten  in  London  in  den  grossartigsten  Brauereien  (von  Barklay- 
Perkins  und  Eeid)  gebraut,  im  Ganzen  bestehen  im  vereinigten  KOnigreiche  wohl  an 
44.000    Brauereien.     Die    grOssten    Branntweinbrennereien    sind    in  London 
und  Edinburgh,  doch  ist  der  Rhum-    und  Branntweinverbrauch    in  der  Abnahme. 

—  Vorznglichen  Ruf  geniessen  endlich:  die  Gold-  und  Silberarbeiten  von  Lon- 
don   und  Brimingham,    die   mathematischen    und    physikalischen    Instru- 
mente  von  London,  Staatswagen    von  London,    Dublin,    Southampton,    Uhren 
von  Coventry,  Prescot,  Edinburgh  und  London,  Bleistifte  von  Keswick  und  Lon- 
don, Bnchdrucker-  und  Buchbinderarbeiten  von  London,  Oxford  und  Edin- 
burgh u.  s.  w. 

Im  Schiffbau  steht  es  gleichfalls  an  der  Spitze  aller  Nationen 
und  die  grossartigsten  Anstalten  sind  hiefiir  sowie  fiir  Schiffsgerathe 
in  Sunderland,  London,  Portsmouth,  Chatham,  Bristol,  Aberdeen, 
Hull  etc.  Der  Maschinenbau  in  Manchester,  Birmingham,  Ol- 
denham,  die  Fabrikation  zur  Forderung  des  gesammten  Seewesens 
in  London  und  Liverpool,  stehen  ebenso  hoch  auf  dem  Weltmarkte 
als  die  Industrie  in  Webe-  und  Wirkwaaren  und  in  sonstigen  Me- 
tallwaaren.  Die  Grosse  Grossbritanniens  in  Hinsicht  auf  Urproduk- 
tion  und  Industrie  zwingt  zur  Bewunderung  der  unermesslichen 
Erfolge,  welche  Intelligenz,  Thatigkeit  und  Ausdauer  zu  erringen 
vermogen. 

Handel.  Der  Handel  Grossbritanniens,  ein  Welthandel  im 
weitesten  Sinne,  ist  nicht  minder  kolossal  als  die  Industrie;  er  ist 
der  ausgedehnteste  auf  der  Erde.  Nach  alien  Landern  der  Erde 
werden  englische  Erzeugnisse  ausgefiihrt,  mehrere  Lander  werden 
ausschliesslich  von  Grossbritannien  mit  Gewerbs-  und  Kunstprodukten 
versehen.  Auf  alien  Meeren  schwimmen  britische  Handelsschiffe, 
in  alien  Theilen  der  bewohnten  Erde  haben  die  Briten  Niederlassun- 
gen  begriindet,  oder  vortheilhafte  Handelsverbindungen  angekniipft; 

—  die  Hebung  und  Ausdehnung  des  Handels  ist  das  unverriickbare 
Ziel  im  Privat-  wie  im  Staatsleben;  —  dem  Handel  verdankt  Gross- 
britannien seine  Grosse  und  Macht. 

Die  Ursachen  des  ausserordentlichen  Handelsverkehrs  nach 
a  u  s  s  e  n  liegen  in  der  Thatigkeit  und  dem  Unternehmungsgeiste 
des  Volkes,  in  der  gunstigen  Lage  und  Kiistengestaltung  des  Landes, 
in  der  grossen  Menge  tiefer  und  geraumiger  Hafen  (an  72  ersten 
Ranges)  und  auswartiger  Besitzungen,  in  der  Fiirsorge,  welche  die 
Regierung  der  Industrie  und  dem  Handel  stets  zuwendet ,  in  dem 
Schutze,  welchen  der  Handel  theile  durch  weise  Gesetze,  theils  durch 
eine  machtige  Kriegsflotte  geniesst,  in  der  Menge  von  Handels- 


und  Assekuranzgesellschaften,  nebst  offentlichen  und  Privatbanken 
(gegen  300),  welche  einen  niederen  Zinsfuss  ermoglichen,  grossartige 
Unternehmungen  unterstiitzen  und  Sicherheit  dem  Besitze  gewahren. 

Auch  der  innere  Handel  kennt  keinerlei  Hemmnisse,  sondern 
nur  Erleichterungen.  Die  gliickliche  Vertheilung  und  Schiff  barkeit 
der  Fliisse,  die  vortreff lichen  Landstrassen  fast  nach  jedem  Dorfe 
oder  Meierhofe,  das  ausgedehnte  Kan al system*),  die  ausserordentlich 
lebhafte  Dampfschiffahrt,  die  grosse  Menge  von  Eisenbahnen**)  und 
Telegraphenlinien  ***)  befordern  den  inneren  Handel  in  alien  Bezie- 
hungen.  Die  wichtigsten  Platze  fiir  den  Binnenhandel  sind: 
London,  Birmingham,  Manchester,  Leeds,  Sheffield,  Glasgow,  dann 
Salisbury  (Viehmarkt),  Northampton  (Pferdemarkt),  Cambridge  und 
Canterbury  (Hopfenmarkt) ,  Newcastle  (Ledermarkt) ,  Waterford 
(Handel  mit  Butter  und  Pockelfleisch). 

Der  auswartige  Handel  G  rossbritanniens  ist  in  der 
Einfuhr  und  Ausfuhr  sowohl  von  den  einheimischen  industriellen 
Verhaltnissen,  als  von  den  Zustanden  der  iibrigen  europaischen  und 
aussereuropaischen  Lander  abhangig.  Unterliegt  er  auch  vielfaltigen 
Schwankungen ,  welche  durch  die  allgemeine  politische  Weltlage 
und  durch  die  veranderten  Kulturverhaltnisse  der  Volker  erzeugt 
werden;  so  ist  der  Verkehr  in  den  letzten  40  Jahren  doch  im  Allge- 
meinen  ein  stets  steigender,  wenn  auch  momentan  Riickschritte  ein- 
treten. 

Die  Einfuhr  artikel  gehoren  unter   zwei  Hauptkategorien : 

a)  Rohstoffe,  welche  von  der  englischen  Industrie  verarbeitet 
werden, 

b)  die  Konsumtionsgegenstande, 

Unter  den  ersten  steht  obenan  die  Baumwolle  (iiber  9  Mil- 
lionen  Zentner  im  Werthe  von  29  '/3  Millionen  £) ,  von  der  zwei 
Drittel  der  Einfuhr  auf  Nordamerica  und  Brasilien,  und  ein  Drittel 
auf  Ostindien  entfallen.  Dann  rohe  und  filirte  Seide  (iiber 
12  Millionen  Pfund  [Geldwerth  an  14  %  Millionen  £]) ,  wovon  an 
drei  Fiinftel  auf  China,  der  Rest  auf  Ostindien  und  Egypten  kommen. 
WollejlSO  Millionen  Pfund  [Geldwerth  92/3  Millionen  £])  bezog 
es  zumeist  aus  Australien  (49  Millionen  Pfund) ,  dann  aus  seinen 
Kolonien  (Ostindien  19 ,  Kap  14) ,  ferner  Siidamerica  (9  M  illionen 
Pfund);  Europa  (Deutschland,  Russland,  Spanien)  schickte  nur  mehr 
30  Millionen  Pfund  Wolle  dorthin,  wahrend  es  friiher  fast  aus- 
schliesslich  die  britischen  Markte  versah.  Grossbritannien  strebt 
darnach,  die  Rohprodukte  fur  seine  Industrie  nach  Moglichkeit  aus 

*)  Die  Lange  der  Kanal  s  ch  if  fahrtbetragt  in  England  und  Wales  2300,  die  Flu  ss- 
schiffahrt  2100  englische  Meilen;  in  Irland  sind  bloss  300  englische  Meilen  Ka- 
nale,  und  mit  den  schiffbaren  Flussen  kaum  500  englische  Meilen  innere  Wasser- 
strassen. 

**)  Das  britische  Eisenbannetz  nmfasste  am  Ende  des  Jabres: 
1830  1840  1850  1856  1857  1858 

31  1300  6621  '8635*         loTsT  9506  Meilen  (engl.) 

mit  (1857)  500  Lokomotiven,  iiber  150.000  Waggons  und  einem  Aktienkapital  von 
387,051.735  £. 

***)  Telegrapbenlinien  besass  es  (am  Schlusse  des  Jahres  1857)  5637  engli- 
sche Meileu  mit  29.498  Meilen  Lange  Draht. 


829 

seinen  Kolonien  zu  beziehen  und dorthin  sowie nach  alien iibrigen 
Landern  seine  Fabrikate  abzusetzen.  Mit  der  Steigerung  der  Pro- 
duktion  von  Rohprodukten  steigert  sich  in  den  Kolonien  auch  die 
Konsumtionsfahigkeit  fiir  Fabrikate  des  Mutterlandes ;  daher  der 
Verkehr  in  dieser  Richtung  ein  stets  wachsender  1st.  Das  vierte 
wichtige  Rohprodukt,  welches  hauptsadhlich  aus  Russland  bezogen 
wird,  ist  Flachs  (Geldwerth  3l/?  Millionen  £)  und  Hanf  (fast 
2  Millionen  £),  an  das  sich  die  Einfuhr  roher  Haute  (Geldwerth 
fast  4T/2  Millionen  £)  anschliesst.  An  diese  schliessen  sich  die 
Farb-  und  Hilfsstoffe  an:  Indigo,  Krapp,  Talg,  Palmen-  und 
Cocosnussol,  Salpeter  u.  s.  w.,  fiir  welche  London  und  Liverpool 
Hauptmarkte  sind,  und  die  grosstentheils  aus  den  Kolonien  bezogen, 
in  grossen  Mengen  wieder  ausgefQhrt  werden. 

Die  Einfuhr  von  K  ons  umtionsgegen  s  tanden  steigt  zum 
Theil  im  Verhaltnisse  zum  steigenden  Wohlstande  der  Bevolkerung 
und  deren  grosseren  Bedurfnissen,  zum  Theil  ist  sie  abhangig  von 
den  schwankenden  Ernte-Ergebnissen  in  Grossbritannien.  Die  Ein- 
fuhr von  Getreide,  insbesondere  von  Weizen,  steigt  fast  jahrlich 
und  schwankte  in  den  letzten  Jahren  zwiachen  8  und  9  Millionen 
Quarter,  jene  von  Mehl  zwischen  2  und  2l/2  Millionen  Zentner.  Bis 
zum  Jahre  1815  hatte  dieser  Import  nur  zweimal  den  Werth  von 
2  Millionen  £  uberstiegen ,  im  Jahre  1857  erreichte  er  schon  die 
Hohe  von  iiber  1 9  T/3  Millionen  £,  und  findet  aus  den  Ostseelandern, 
Russland  undNordamericastatt.  —  AnRoh-undRaf  f  inadzucker 
wurden  (1857)  nahe  an  10  Millionen  Zentner  im  Werthe  von  1Q1/Z 
Millionen  £  eingefilhrt;  auch  der  Import  von  Thee  (64 '/2  Millionen 
Pfund,  Werth  4%  Millionen  £),  Wein  ( 10 1/3  Millionen  Gallons*), 
Werth  iiber  4  Millionen  £),  und  S  pirituos  en  (10 V2  Millionen  Gal- 
lons, Werth  fast  3  Millionen  £)  ist  in  den  letzteren  Jahren  gestie- 
gen;  dagegen  ist  jener  von  Kaffee  in  den  letzten  Jahren  fast  auf 
die  Halfte  herabgesunken  (nahe  an  59  Millionen  Pfund,  Werth  !3/5  Mil- 
lionen £),  Die  gesteigerte  Einfuhr  obiger  Artikel  hat  ihren  Haupt- 
grund  in  der  gesteigerten  Konsumtion  in  Grossbritannien  selbst,  ob- 
wohl  sich  aucih  die  Ausfuhr  fremder  Produkte  seit  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  bis  1857  mehr  als  verdoppelt  hat  (von  11%  auf  23  V,  Mil- 
lionen £).  Der  wirkliche  Gesammtwerth  der  Einfuhr  belief 
sich  im  Jahre  1857  auf  nahe  187%  Millionen  £  (deklarirter  Werth 
etwa  144  Millionen  £). 

Bei  der  Ausfuhr  Grossbrit anniens  nehmen  die  Baum- 
wollwaaren  mit  39  Millionen  £,  von  denen  30.4  auf  Fabrikate, 
und  8.7  ^auf  Garn  entfallen,  den  ersten  Rang  ein.  Der  Export  in 
diesem  Zweige  hat  absolut  zwar  zugenommen  (von  3 1V2  Millionen  £ 
im  Jahre  1854  auf  39  Millionen  £  im  Jahre  1857);  —  relativ,  das 
heisst  imV  erhaltnisse  zum  Gesammtexpor  t,  findet  jedoch 
ein  entschiedener  Ruck  gang  statt;  denn  friiher  (1820  — 1830) 
reprasentirte  dieser  Artikel  weit  mehr  als  die  Halfte  der  Gesammt- 
ausfuhr  britischer  Erzeugnisse,  wahrend  er  jetzt  nicht  ganz  ein  Drittel 
derselben  ausmacht.  Dieser  Ruckgang  findet  seinen  Grund  in  den 

*)  (Imperial  Gallon  a  4  Quarts,  a  2  Pints ;  100  Gallons  —  321  Wiener  Mass.) 


grossen  Fortschritten,  welche  die  Baumwollindustrie  auf  dem  Kon- 
tinente  und  in  Nordamerika  gemacht  hat,  und  statt  Ganzfabrikate 
auszufuhren,  muss  es  sich  auch  mit  dem  jahrlich  steigenden  Export 
der  Halbfabrikate  begniigen,  Nur  in  der  Spinnerei  behauptet 
es  den  ersten  Rang. 

Nachdera  ein  bedeutender  Theil  der  bisherigen  Absatzmarkte 
verloren  gegangen,  hat  England  neue  gesucht  und  gefunden;  denn 
in  den  letzten  Jahren  (1857  und  1858)  vermehrt  sich  die  Ausfuhr 
von  Baumwollfabrikaten  nach  Ostindien  und  China  ausserordentlich. 
Die  Ausfuhr  von  Wollmanufakten  ist  in  Zunahme,  dessgleichen 
jene  der  englischen  Schaf-  und  Lammwolle,  und  des  Wollengarnes. 
Nach  Nordamerica  ist  zwar  der  Export  bedeutend  geringer  als  frii- 
her,  dagegen  steigert  er  sich  nach  Ostindien,  Australian  und  den 
iibrigen  Kolonien,  Auch  der  Export  von  Leinenwaaren  (4.5  Mil- 
lionen  £)  und  Leinengarn  (l.c  Millionen  £)  hat  sich  in  den 
letzten  25  Jahren  verdoppelt,  die  Fabrikate  Irlands  bestehen  jede 
Konkurrenz  siegreich  auf  dem  Weltmarkte.  Die  Ausfuhr  von  Roh- 
eisen  und  Eisenf  abrika  ten  hat  sich  in  dem  Masse  vergrossert, 
dass  sie  nur  jener  von  Baumwollwaaren  nachsteht.  Auch  die  iibrigen 
Bergwerksprodukte  und  Metallfabrikate,  Kupfer  und  Messing, 
Zinn  nebst  den  daraus  verfertigten  Fabrikaten  sind  in  progressivem 
Steigen,  besonders  Messing-  und  Kupferfabrikate  (im  Jahre  1825  nur 
500.000  £,  im  Jahre  1857"  dagegen  iiber  3.x  Millionen"[£)  und  Zinn 
und  Zinnwaaren  (1825  nur  300.000  £,  im  Jahre  1857  iiber  1 T/2  Mil- 
lionen £).  Relativ  die  grosste  Steigeruug  aber  findet  sich  bei 
Steinkohlen  (1825  etwa  T/4*Million,  —  im  Jahre  1857  iiber  3 '/5  Mil- 
lionen £).  Die,  englischen" Z  u  c  k'e  r'r  a  f  f  i  n  e  r  i e  n  mussten  hingegen 
der  Konkurrenz  des  Festlandes'  weichen,  insbesondere  seit  der  gross- 
artigeren  Entwickelung  der  Riibenzuckerfabriken.  Das  Fallen  des 
Exportes  ist  seitdem  jahrlich  starker,  denn  im  Jahre  1856  bezifierte 
sich  die  Ausfuhr  der  Raffinade  noch  mit  etwa  117.000  £,  im  Jahre 
1857  nur  mehr  57.000  £.  —  Hervorhebung  verdienen  noch  unter 
den  britischen  und  irischen  Erzeugnissen  (im  Jahre  1857)  Kleidungs- 
stiicke  und  Modewaaren  (6  Millionen  £),  kurze  Waaren  (4  Millionen  £), 
Seidenwaaren  (3  Millionen  £),  Leder-  und  Lederwaaren  (2.3  Mil- 
lionen £),  Bier  und  Ale  (circa  1.0  Millionen  £)  und  irdene  Waaren 
(1.5  Millionen  £).  Der  deklarirte  Werth  der  britischen  Aus- 
fuhr betrug  im  genannten  Jahre  uber^l45.3  Millionen  £.  Der  wirk- 
liche  Werth  von  (gemiinztem  und  ungemiinztem)  Gold  betrug  iiber 
15,  von  Silber  iiber  18 */2  Millionen  £),  und  der  deklarirte  der  in 
den  Hafen  Grossbritanniens  umgeladenen  fremden  Waaren  iiber 
4l/2  Millionen  £. 

Die  wichtigsten  Absatzlander  waren  im  Jahre  1857: 

In  Europa:  Hansestadte  (9.,),  Holland  (6.4),  Frankreich  (6.4),  Turkei  (3.,), 
Bussland  (3),  Spanien  (2),  Belgien  (l3/4),  Preussen  (!3/4),  Hannover  (l2/g),  Sardinien 
(1.7),  Danemark  (1  Million  £). 

Ausser  Europa:  Vereinigte  Staaten  (19'/,)i  Brasilien  (5'/2),  China  (I1/*), 
Chile  (I1/,)'  Buenos  Ayres  (l'/J,  Peru  (l'/s  Million  £). 

Britische  Besitzungen:  Ostindien  (13),  Australien  (112/S),  Canada  (4 '/„). 
Capland  (l'/s),  Westindien  und  Guyana  (2'/s  Millionen  £)  u.  s.  w., 

DerUmfang  der  Schiffahrt  sbewegung  ist  stets  durch  den 


381 

Umfang  der  Ein-  und  Ausfuhr  bedingt,  und  die  Schwankungen 
sind  erklarbar.  Anders  verhalt  es  sich  mit  der  Rhederei  und  es 
ist  nicht  zu  laugnen,  dass  in  der  letzten  Zeit  in  der  englischen  Rhe- 
derei ein  Stillstand  eingetreten  ist,  welcher  jedoch  die  auftauchenden 
Beeorgnisse  eines  Verfalls  ebenso  wenig  rechtfertigt,  als  die  hie 
und  da  befurwortete  Beschrankung  der  fremden  Flagge.  Die  eng- 
lische  Rhederei  ist  sicherlich  jeder  Konkurrenz  gewachsen.  —  Die 
britische  H  a ndelsmari ne  zahlte  im  Jahre  1857  mit  Ausschluss 
der  Kolonien : 

Segelschiffe 24.480    Tonnengehalt  3,981.494 

Dampfschiffe 1697  , 386.462_ 

Zusammen 26M77  Sehiffe,  „  4.367.956  mit  circa  200.000  Mann 

britische  Kolonien  .      8874      ,       , 799.351     ,        .        50000       „ 

35.051       „       ,  5,167.307      ~      „     250.000      „ 

Gebant  und  registrirt  warden  im  genannten  Jahre  1278  Schilie  (228  Dampf- 
schiffe) mit  fiber  250.000  Tonnen.  Die  Preise  der  neuen  Schiffe  sanken  in  den 
letzten  Jahren  urn  10  bis  15%. 

In  die  britischen  Hafen  waren  (im  Jahre  1857)  32.693  Schiffe 
mit  8,732. 180  Tonnen  ei  ngelauf  en  und  44. 401  Schiffe  mitlO,340.399 
Tonnen  ausgelaufen,  wobei  die  fremde  Flagge  von  Jahr  zu  Jahr 
starker  betheiligt  ist.  Der  Verlust  an  Schiffen  zur  See  iiberstieg 
im  genannten  Jahre  nicht  die  durchschnittliche  Zahl  in  den  letzten 
Jahren  und  betrug  2002  Schiffe. 

Unter  den  F  orderungsmi  1 1  ein  des  Handels  nehinen  etwa 
300  Bank  en  eine  hervorragende  Stelle  ein ;  darunter  die  B  a  n  k  von 
England,  die  konigliche  Bank  und  die  Bank  von  Schottland,  die 
National- Bank  von  Schottland,  die  Bank  von  Irland,  die  London-  und 
Westmiinster-Bank  u.  s.  w.  Ferners  die  Sparkassen*)  unddiegros- 
sen  Handelsgesellschaften,  unter  welchen  die  ostindische,  die  afrikani- 
sche,  die  russische,  die  levantische,  die  Sudsee-,  Hudsonsbai-,  Ostsee-, 
Sierra  Leone-  und  die  Hamburgergesellschaft  die  bedeutendsten  sind. 
Geistige  Kultur.  Bei  allem  Reichthume  Englands  sind  die 
Unterrichtsanstalten  noch  immer  mangelhaft  und  unzureichend.  Fur 
die  Volksbildung  ist  im  Allgemeinen  noch  immer  zu  wenig  gesorgt, 
viele  Tausende  wachsen  ohne  alien  Unterricht  auf,  Hunderte  von 
Ortschaften  sind  ohne  Schulen;  die  meisten  Dorfschulen  sind  Pri- 
vatunternehmungen,  wo  bezahlt  werden  muss,  und  der  Arme  schickt 
seine  Kinder  ohne  Schulunterricht  in  die  Fabrik.  In  neuester  Zeit 
wird  durch  Privatgesellschaften ,  welche  Schulen  fur  Arme  und 
Sonntagsschulen  in  den  Fabrikstadten  griinden,  ausserordentlich  viel 
geleistet.  Allerdings  ersetzen  einige  andere  Institutionen  im  6'ffent- 
lichen  und  Gemeindeleben  Manches,  was  die  Schule  versaumt,  und 
dem  strebsamen  Geiste  bieten  Vereine  und  Bibliotheken  mehrfache 
Gelegenheit  zur  Ausbildung.  Besser  ist  das  Unterrichtswesen  in 
Schottland  bestellt,  wo  in  jedem  Kirchsprengel  Schulen  bestehen; 
Irland  dagegen  ist  ebenfalls  hierin  den  germanischen  Staaten  des 
Kontinents  weit  zuruck.  Auch  die  Mittelschulen  und  Universitaten 
(zu  Oxford,  Cambridge,  Edinburgh,  Glasgow,  Aberdeen,  St.  Andrews, 
Dublin)  konnen  sich  mit  den  deutschen  und  flsterreichischen  nicht 

*)  Bestand  im  Jahre  1843 27,177.315  £. 

1857 ...35.108.596   „ 


messen.  Konigliche  Schulen  gibt  es  uberhaupt  wenige  und  sind  in 
der  Regel  kostspielig;  der  bei  Weitem  grosste  Theil  der  Lehranstalten 
sind  Privatschulen  und  Pensionsanstalten  ohne  offentliche  Aufsicht. 
Wohlhabende  Leute  geben  ihren  Kindern  gewohnlich  hauelichen 
Unterricht.  —  An  grossen  Mannern  in  alien  Zweigen  der  Wiesen- 
schaft  und  Literatur  hat  iibrigens  England  eine  erfreuliche  Anzahl, 
zumeist  in  den  physikalischen  und  technischen  Wissenschaften.  Na- 
mentlich  steht  diese  Nation  in  der  Technik  gross  und  uniibertroffen 
da.  Die  Anwendung  der  enormen  Resultate  in  den  gesammten  Na- 
turwissenschaften  auf  die  Industrie  hat  hier  weltumwalzende  Erfin- 
dungen  zur  Folge  gehabt.  Die  geographischen  Entdeckungsreisen 
sind  bei  keinem  Volke  Europas  so  zahlreich,  und  deren  Einfluss  auf 
Ausdehnung  der  Handelsverbindungen  und  der  Industrie  so  erfolg- 
reich;  keine  Nation  hat  eine  solche  Menge  ausgezeichneter  Staats- 
manner,  Seehelden,  denen  tiefe  Denker  und  umfassende  Gelehrte 
wiirdig  zur  Seite  stehen.  Die  englische  Literatur  zeichnet  sich  in 
Poesie  aller  Gattungen  und  in  Geschichtschreibung  aus ;  dagegen 
besass  es  bis  jetzt  nur  wenig  hervorragende  Kiinstler. 

Der  Aufschwung,  in  welchera  alle  Verhaltnisse  und  Zustande 
des  Reiches  begriffen  sind,  verbiirgt  den  Fortschritt  in  Wohlstand, 
wie  in  Sitte  und  Kultur  uberhaupt. 


XI.  Das  KOnigreich  Daneutark 

(mit  den  Herzogthiimern  Schleswig,  Holstein  und  Lauenbarg). 

§.  146. 

3120QMeilen;  —  2,915.000  Einwohner;*)  das  K6nigreich  bewohnen  Danen, 
die  Herzogthfimer  Deutsche;  fast  ausschliesslich  Protestantea.  —  Bestand- 
theile:  1.  der  danische  Archipel  in  der  Ostsee,  —  2.  die  Halbinsel  Jutland,  — 
3.  die  FarOer-Inseln,  —  4.  die  Insel  Island,  —  5.  die  Kolonien.  —  Untheilbare,  kon- 
stitutionelle  Erbmonarchie,  die  Thronfolge  ist  im  Gesammtstaate  in  der  mannlichen 
Linie  des  latherischen  Hauses  Danemark  (oldenbnrgischer  Stamm),  nach  deren  Aus- 
sterben  succedirt  Prinz  Christian  von  Schleswig-Holstein-Sonderbnrg-Glucksburg  und 
dessen  mannliche  Nachkommenschaft. 

Oberflache.  Die  Halbinsel  Jutland  gehort  dem  nordeuro- 
paischen  Tieflande  an.  Langs  der  Ostkiiste  zieht  sich  ein  niederer 

QMeilen      Einwohner 

*)  A.  KOnigreich  Danemark:  696^     l^bTuXJO 

B.  Die  Herzogthumer: 

a;  Schleswig 167  QM.,  396.000  Einw. 

b)  Ilolsteiu 155      „       524.000       „ 

c)  Lauenburg . . .     19      „        50.000      „ 

341  970.000 

C.  Beilander 2083  120.000 

(FarSer,  17  bewohnte  Inseln,  24  nM->  8650  Einw.,  —  Island  1867  QM.,  65.000  E.' 

—  Gronland  186  QM.,  9400  E.;  —  in  Westindien:  St.  Croix  3'/s  QM.,  23.000  E., 

—  St.  Thomas  I1/,  QM,,  12.500  E.,  —  St.  Jean  1  QM.,  1800  E.) 

Die  Gesammtzahl  der  Bev6lkerung  aller  zu  Danemark  gehorigen  Lander  betrag 
nach  dem  k5niglich  daaischea  Hof-  uai  Staatskalender  fiir  1359  am  1  Februar  1S59 
beilaufig  2,915.000 Seelen. 


883 

Landrucken  (200—500')  bis  zur  Nordspitze  (Kap  Skagen),  dessen 
hochster  Pimkt,  der  Himmelberg,  nur  etwa  500'  hoch  ist;  das 
Innere  des  Landes  ist  zum  grossten  Theile  Haideland,  und  langs 
der  Westkiiste  finden  eich  Marschen  durch  Dunen,  welche  auf  weite 
Strecken  durch  Deiche  gegen  die  Meereswellen  geschiitzt  sind.  Ins- 
besondere  iet  in  Holstein  langs  der  Elbe  und  Nordsee  fruchtbares 
Marschland  (Dithmarschen)  mit  kostspieligen  Deichen.  Die  I  n  s  e  1  n 
in  der  Nordsee  sind  flach ,  hochstens  hiigelig ,  an  den  Siidkiieten 
von  Seeland,  Fiinen  undMSen  erheben  sich  400'—  500'  hohe,  schroffe 
Kreidefelsen  und  Klippen ,  nur  Bornholm  und  die  Ertholme  sind 
Gebirgsinseln.  —  Die  Fa  roe r  sind  kahle,  baumlose ,  bis  iiber 
2000'  hohe  Felseninseln  aus  vulkaniscben  Gesteinen  bestehend.  — 
Island  ist  nur  an  den  Kiisten,  welche  von  vielen,  tiefeingreifenden 
Buchten  (Fjorden)  durchschnitten  sind,  bewohnbar;  nur  hier  finden 
sich  Weideplatze  und  von  Baumen  die  Birke.  Das  Innere  der  In- 
sel  ist  eine  schauerliche  Einode.  Kahle,  bis  6000'  hohe  Berge,  die 
von  2500'  an  mit  ewigem  Schnee  bedeckt  sind,  Gletscher,  die  bis 
zum  Meere  hinabreichen ,  schroffe  Felsen ,  ode  Hochflachen  ,  tiefe 
Thaler,  reissende  Bergstrome ,  gegen  30  Vulkane  (Hekla  5200'), 
Schwefelflachen  und  heisse  Quellen  (die  beiden  80' — 100'  hoch  auf- 
steigenden  Geise  r)  geben  der  Insel  ein  eigenthiimliches  wildes  Aus- 
sehen.  Die  meisten  und  langsten  Flusse  miinden  an  der  Nord-  und 
Sudwestkuste.  Das  Inselklima  ist  hier  verhaltnissmassig  nicht  sehr 
rauh,  besonders  im  sudlichen  Theile. 

Jutland  wird  vom  Skagerak  und  dem  Kattegat  bespiilt. 
Aus  dem  letzteren  fiihren  der  Sund  (zwischen  Schweden  und  See- 
land),  der  gross  e  Belt  (zwischen  Seeland  und  Ftinen)  und  der 
kleine  Belt  (zwischen  Fiinen  und  Jutland)  in  die  Ostsee.  Das 
Land  hat  keine  bedeutenden  Flusse,  ausser  die  Eider,  welche 
Holstein  von  Schleswig  trennt  und  durch  einen  Kanal  die  Oatsee 
mit  der  Nordsee  verbindet  (aus  dem  Kieler  Busen  durch  den  Flem- 
huder-See  bis  Rendsburg) ;  aber  viele  Bache,  zahlreiche,  meist  kleine 
Seen  und  salzige  Strandseen  in  Jutland,  viele  Torfmoore,  Siimpfe 
und  Moraste.  —  Im  Allgemeinen  ist  ein  nebliges,  feuchtes  und  un- 
bestandigea  Kustenklima,  ohne  grosse  Temperaturunterschiede, 
in  den  einzelnen  Landestheilen  vorherrschend. 

Politische  Eintheilung.  Das  .  eigentliche  Danemark  wird 
in  sieben  Stifte  eingetheilt,  deren  drei  auf  die  Inseln:  Seeland, 
F  ii  n  e  n  und  Laaland-Falster  und  vier  ,  niimlich  :  A  a  1- 
borg,  Viborg,  Aarhuus  und  R  i  b  e  oder  Ripen  auf  Jutland 
kommen. 

1.  Stift  Seel  and  (bestehend  aus  den  Inseln:  Seeland,  Amak,  Moen,  SamsOe; 
Bornholm  und    die   drei  Ertholme):    Kopenhagen   (144000),    Helsingor    (mit  der 
Festung  Kronborg),  Roeskilde,  Leire. 

2.  Stift  Fiinen:  a)  Insel  FGnen:  Odensee  (11.000),  Nyebork,  —  b)  Insel 
Langeland:  RndkiSbing. 

3.  Stift  Laaland-Falster:    a)  Insel  Laaland:    MaribSe    (15.000),    —  b) 
Insel  Falster:  Nykjobing. 

4.  Stift  Aalborg:  Aalborg  (8000),  Frederikshaven,  Skagen,  Insel  Lacssoe 
im  Kattegat. 

5.  Stift  Viborg:  Viborg  (4000),  Skive. 

6.  Stift  Aarhuus:  Aarhuus  (8000),  Banders. 


334 

7.  Stift  Kibe:  Ribe  (in  einer  Exklave  in  Schleswig,  3000),  Fridcricia,  Kol- 
ding,  RingkiObing. 

Herzogthum  Schleswig:  Schleswig  (12.000,  Eckernforde,  Flensburg 
(16.000),  Apenrade,  Hadersleben,  Tondern,  Husum,  Tonningen,  Friedrichsstadt. 

Bewohnte  Inseln  (an  der  OstkOste):  Alsen  (Augustenburg,  Sonderburg), 
Arroe,  Fehmern ;  (an  der  Westkiiste) :  RomQe,  Sylt,  Fohr,  Pelworn,  Nordstrand  etc. 

Herzogthum  Holstein:  GlQckstadt  (6800),  Altona  (40.000),  Kiel 
(16.000),  Rendsburg,  Itzehoe,  Oldesloe,  Meldorf,  Heide,  Neustadt. 

Herzogtham  Lauenburg:  Ratzeburg,  Lauenburg. 

Die  Far8er- Inseln.  Von  der  aus  etwa  25  Inseln  bestehenden  Gruppe  sind 
17  bewohnt.  Hanptort:  Thorshavn  (800)  auf  Stromoe. 

Island:  Reykjavik  (1000). 

Niederlassungen  in  GrSnland:  Julianenhaab,  Christian shaab  u.  a.  m. 

Die  westindischen  Inseln:  St.  Croix,  St.  Thomas,  St.  Jean. 

Knltnrverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Danemark  ist  im  Ganzen  ein  Ackerbau  treibender  Staat; 
die  Landwirthschaft  und  Fischerei  sind  die  wichtigsten  Nahrungs- 
zweige  der  Bewohner.  An  zwei  Drittel  der  Gesammtflache  sind 
Ackerland  und  Marschboden,  nur  ein  Sechstel  entfallt  auf  das  Haide- 
land  und  den  Flugsand.  Sehr  viel  Getreide,  besonders  Korn, 
wird  in  den  Herzogthiimern ,  auf  Laaland  und  Falster,  zum  Theil 
auch  auf  Funen  und  Seeland  gewonnen,  wovon ,  sowie  an  Hiilsen- 
fruchten  und  Oelpflanzen,  ansehnliche  Mengen  exportirt  werden.  Der 
Obstbau  ist  nicht  bedeutend,  auch  Tabak,  Hopfen,  Flachs  und  Hanf 
sind  nicht  in  ausreichender  Menge  vorhanden.  Den  Mangel  an  Holz 
deckt  der  Ueberfluss  an  Torf;  getrocknetes  Seegras  wird  theils 
als  Brennmaterial  beniitzt,  theils  wird  es  ausgefiihrt.  —  Mit  grosser 
Sorgfalt  wird  die  Viehzucht  betrieben.  Das  be^te  Rindvieh 
wird  in  den  Marschen  von  Holstein  gezogen  (Eiderstadter  Kiihe  in 
Schleswig),  Holsteiner  Butter  und  Kase  werden  sehr  geschatzt ;  — 
vorziigliche  Pferde  in  Holstein  und  Schleswig,  kleiner  aber  kraf- 
tiger  ist  der  Schlag  in  Jutland,  auf  Fiinen  und  Seeland.  Pferdemarkte 
werden  zu  Husum,  Tonningen,  Friedrichsstadt  (Schleswig)  und 
Itzehoe  (Holstein)  gehalten.  Die  Schafzucht  ist  verhaltnissmassig 
am  starksten  in  Schleswig  und  auf  den  Faroer-Inseln,  obwohl  noch 
wenig  veredelt.  In  Jutland  und  Schleswig  ist  die  Schweinezucht 
sehr  in  der  Aufnahme.  Ungemein  stark  ist  die  Gansezucht,  Eider- 
ganse  auf  Bornholm,  Island  uud  den  Faroern.  Die  Ausfuhr  von 
Schreib-  und  Flaumfedern  sowie  von  Eiderdunen  ist  betrachtlich. 
Von  grosser  Bedeutung  ist  die  Fischerei  und  Norddeutschland 
bezieht  aus  Danemark  einen  grossen  Theil  von  Haringen  (Aalborg, 
Altona),  Biicklingen  (Kiel),  Austern  und  Hummern.  An  der  Kiiste 
von  Jutland  wird  der  Stockfischfang  betrieben,  Altona,  Gliickstadt, 
Flensburg  und  Kopenhagen  senden  auch  auf  den  Wallfisch-  und 
Robbenfang  an  die  Kiisten  Gronlands  aus. 

Der  Bergbau  ist  kaum  nennenswerth,  indem  das  Land  keine 
M  eta  lie,  wenig  Quellsalz  (Oldsloe  in  Holstein),  aber  viel  Seesalz 
und  wenig  Steinkohlen  besitzt ;  dagegen  werden  Porzellanerde,  Bau- 
und  Miihlsteine  auf  Bornholm,  und  an  vielen  Or  ten  Torf  gewonnen. 
Moen  und  Nordjiitland  liefern  viel  feine  Kreide. 

Die  gewerbliche  Industrie  ist  von  geringem  Belange.  Das 
eigentliche  Fabrikswesen  beschrankt  sich  auf  wenige  Orte,  als: 


835 

Kopenhagen,  Altona,  Kiel,  Flensburg;  das  Kleingewerbe  ist  2iem- 
lich  verbreitet  und  sorgt  fur  die  Bediirfnisse  der  Heimat.  Kein 
Industriezweig  ist  so  hervorragend,  dass  er  eine  Konkurrenz  mit 
den  eigentlichen  Industriestaaten  aushielte.  Relativ  am  grossten 
sind  die  Zuckerraffinerien  und  Tabakfabriken  in  den  genannten 
Stadten,  welche  iiberdiess  auch  Tuch  und  Woollen zeuge,  Leinwand, 
Segeltucb,  Tauwerk,  Wachstuch,  Kattune,  Seidenzeuge,  Leder  und 
Lederwaaren  (danische  Handschuhe  zu  Odensee  und  Randers),  Pa- 
pier u.  s.  f.  erzeugen.  Grosse  Bierbrauereien  sind  in  Altona,  sehr 
viele  Branntweinbrennereien  in  alien  Theilen  des  Reiches  und  viel 
Oelmiihlen  in  den  Herzogthiimern  ;  Eisengiessereien  und  Maschinen- 
bau  haben  Kopenhagen  und  Kiel;  die  Fabrikation  von  Eisen-  und 
Stahlwaaren,  Glas,  Porzellan,  Steingut  deckt  bei  Weitem  nicht  den 
Bedarf.  In  Kopenhagen,  Kiel,  Altona  und  Flensburg  ist  der  Schiff- 
bau  ziemlich  erheblich.  Auf  den  Faroern  und  auf  Island  ist  die 
Wollweberei  und  Strickerei  (Handschuhe,  Strumpfe,  Jacken)  als  haus- 
liche  Nebenbeschaftigung  erwahnenswerth, 

Die  geographische  Lage  Danemarks  ist  fur  den  Handel  gun- 
stig,  insbesondere  die  Verbindung  zwischen  der  Nord-  und  Ostsee. 
Hat  der  Handel  auch  die  ehemalige  grosse  Bedeutung  als  Welt- 
handel  eingebiisst,  so  ist  er  noch  immer  ansehnlich  sowohl  mit  den 
nordischen  Staaten,  als  mit  Amerika,  den  beiden  Indien,  Frankreich 
und  England.  Nebst  dem  Eigenhandel  ist  der  Kommissions-  und 
Speditionshandel  von  grosser  Ausdehnung. 

Die  wichtigsten  Orte  in  kommerzieller  nnd  industrieller  Beziehnng  sind  : 
Kopenhagen,  welches  ein  Drittheil  des  gesammten  Handels  umfasst,  und 
durch  Dampfschiffahrt  mit  Schweden  und  Norwegen,  Kiel,  Lubeck,  Stettin  nnd  den 
danischen  Inseln  verbunden  ist.  Von  den  harten  Schlagen  zu  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts  hat  sich  die  Stadt  grosstentheils  erholt.  Mehrere  Assekuranzen,  die  Bank, 
B6rse,  Schiffswerften,  Docks,  grossartige  Magazine  und  Waarenhauser  fSrdern  den 
Handel.  Den  Hafen  besuchen  jahrlich  an  2000  Schiffe.  —  Altona  verdankt  seine 
Wohlhabenheit  der  grossen  Betriebsamkeit,  der  Nahe  Hamburgs  und  den  Freihanclels- 

Kivilegien,  wodurch  es  zur  zweiten  Handelsstadt  des  Reiches  sich  erhoben  hat.  In 
elsingttr  wnrde  bis  zum  Jahre  1857  von  den  vorbeisegelnden  Schiffen  (jahrlich 
an  16.000)  der  ..Sundzoll"  entrichtet,  welcher  jahrlich  an  2  Millionen  Thaler  ein- 
brachte,  aber  um  30  Millionen  Thaler  fur  immer  abgelost  worden  ist.  Kiel  hat  einen 
der  vorzuglicbsten  Hafen  in  Enropa,  der  die  grOssten  Flotten  sicher  nnd  beqnem  zu 
bergen  vermag ;  doch  hat  der  Handel  nicht  die  entsprechende  Ausdehnnng  und 
Grossartigkeit.  Regelmassige  Dampf-Packetbootfahrten  zwischen  Lubeck,  Kopenhagen 
nnd  den  Ostseehafen  unterstutzen  den  Verkehr.  Die  Spedition  und  der  Transit 
zwischen  Hamburg  und  Kopenhagen  ist  gleichfalls  bedeutend.  Flensburg  unterhalt 
Verbindungen  mit  Russland  nnd  Westindien,  sowie  mit  Island.  Zur  Ausfuhr  bringt 
es  Vieh,  Haute,  Getreide,  Riibsamen  und  Branntwein,  und  sendet  auf  den  Wallfisch- 
und  Robbenfang  nach  Gronland  aus.  —  Als  Verkehrsplatze  sind  noch  bekannt: 
Aalborg  (Getreide-  und  Haringshandel),  Viborg  (mit  einer  Messe),  Aarliuus 
(Handschuh-Handel),  Glttckstadt,  Schlcswig,  Friedrichshafen,  Toningen. 

In  der  geistigen  Kiiltur  ist  die  Bevolkerung  weit  vorgeschrit- 
ten,  selbst  auf  den  Faroern  und  auf  Island  konnen  fast  alle  Be- 
wohner  lesen  und  schreiben,  weil  auf  diesen  Inseln  jeder  Hausvater 
am  Abend  seine  Kinder  zu  unterrichten  pflegt  Das  bffentliche 
Unterrichtswesen  ist  im  Ganzen  gut  bestellt,  unter  den  deutschen 
Stadten,  welche  zu  Danemark  gehoren,  nimmt  die  Universitatsstadt 
Kiel  den  ersten  Rang  ein;  fur  die  Danen  ist  Kopenhagen  der  Mit- 
telpunkt  des  technischen,  kommprziellen  und  geistigen  Lebens.  Von 


336 

den  danischen  Gelehrten  und  Schriftstellern  gehoren  mehrere  der 
deutschen  und  danischen  Literaturgeschichte  an,  da  sie  in  beiden 
Sprachen  geschrieben  haben  ;  auf  alien  Gebieten  wissenschaftlicher 
Thatigkeit  finden  wir  bedeutende  Manner,  welche  diesem  Lande 
angehoren. 


XII.  Die  Kdnigreiche  Schweden  und  \or 
wegen. 

§.  147. 


13803  QMeilen;  —  5,074.000  Einwohner*)  (Schweden:  8002 
3,640.000  Einwohner;  Norwegen:  5800  DMeilen,  1,434.000  Einwohner.  Insel 
Barthelemy  in  Westindien  1  nMeile,  15.000  Einwohner).  Die  Hauptbewohner  der 
skandinavischen  Halbinsel  sind  germanischen  Stammes,  Schweden  nndNorweger; 
im  Norden  wohnen  die  Lappen  (auch  Finnen  —  flFjallrnantt  —  genannt),  dem 
Stamme  der  Samojeden  angehorig.  —  Fast  ausschliesslich  Lutheraner.  —  Beide  Reiche 
sind  unter  einem  K6nige  vereinigt,  und  bilden  eine  konstitutionelle  Erbmonarchie  in 
der  lutherischen  Familie  Bernadotte.  —  In  Norwegen  wird  der  Konig  dnrch  einen 
Reichsstatthalter  vertreten. 

Boden.  Die  ekandinavische  Halbinsel  gehort  iiberwiegend 
der  Form  des  Hochlandes  an  ,  namentlich  ist  der  Westen  und 
Norden  ven  einer  zusammenhangenden  Gebirgsmasse  erfiillt,  welche 
im  Westen  so  sehr  steil  zum  Meere  abfallt,  dass  an  der  Kiiste  des 
atlantischen  Oceans  nur  wenig  Stellen  anbaufahig  sind  ;  gegen  Osten 
und  Siiden  ist  der  Abfall  allmalig,  zum  Theil  terrassenformig,  von 
zahlreichen  parallelen  Hauptthalern  in  siidostlicher  Richtung  durch- 
schnitten.  Die  am  meisten  ebenen  Flachen  sind  im  siidostlichen 
Theile  Schwedens.  Wahrend  in  Norwegen  mehr  als  die  Halfte  des 
Landes  eine  absolute  Seehohe  von  mehr  als  2000'  hat,  iibersteigt 
in  Schweden  kaum  ein  Zwolftel  des  Landea  diese  Hohe  ,  und  mehr 
als  die  Halfte  Schwedens  hat  eine  Seehohe  von  nur  300  bis  900'. 
Schon  diese  vertikalen  Verschiedenheiten  und  deren  Einfluss  auf 
die  Temperatur  beweisen  die  giinstigeren  agrikolen  Verhaltnisse 
Schwedens.  Jene  Gebirgsmasse  hat  keinen  Gesammtnamen  ,  son- 
dern  die  einzelnen  Partieen  heissen:  im  Norden  das  lap  pi  and  ische 
Gebirge,  dann  die  Kjolen,  gegen  Siidwesten  das  Dovrefjeld, 
gegen  Siiden  das  Long  fj  eld;  dazu  kommen  viele  Lokalbenen- 
nungen.  Im  Ganzen  hat  das  Gebirge  alpine  Natur,  nicht  so  sehr 
wegen  der  vertikalen  Erhebung  als  wegen  der  horizontalen  Aus- 
dehnung  gegen  Norden.  Im  Dovrefjeld  beginnt  die  Schneelinie  bei 
5000',  in  den  Gebirgen  Lapplands  schon  bei  2800',  und  an  der 
Seeseite  immer  um  einige  Hundert  Fuss  friiher  als  an  der  Ostseite. 
Daher  ist  der  grosste  Theil  der  Berge  mit  ewigem  Schnee  bedeckt  ; 
Lawinenstiirze  sind  haufig  und  Gletschermassen  eteigen  bisweilen 

*)  Schweden  und  Norwegen  gehSren  zu  den  am  dfinnsten  bev6lkerten  Staaten 
Europa's.  In  Schweden  leben  im  Durchschnitte  auf  Einer  QMeile  455,  in  Nor- 
wegen 256  Bewohner.  In  Schweden  variirt  die  relative  VolkszahJ  von  3200  bis 
auf  41,  in  Norwegen  von  1742  bis  auf  42  Menschen  auf  1  QMeiIe-  Schweden  hat 
90  Stadte,  Norwegen  40,  der  bei  weitem  grfisste  Theil  der  Bewohner  entfallt  auf 
die  Landbevolkerung. 


tief  herunter.  Die  Regionen  der  Nadelholzer  und  Birken  reichen 
ziemlich  hoch,  an  diese  schliessen  sich  Alpenpflanzen,  Flechten  und 
Moose  an.  Nirgends  auf  der  Erde  reicht  eine  so  grossartige  Alpen- 
natur  mit  Bergmassen,  Passen ,  Schneefeldern  und  Gletschern  so 
hoch  gegen  Norden  hinauf ,  als  auf  dieser  Halbinsel.  Einzelne 
Bergspitzen  ragen  iiber  7000',  viele  zwischen  5000  und  6000' 
empor. 

Gewasser.  Die  skandinavische  Halbinsel  wird  vom  nb'rd- 
lichen  Eismeer  und  dera  atlantischen  Ocean  nebst  seinen  Theilen 
(Nordsee,  Skagerrak,  Kattegat,  Ostsee  mit  dem  bottnischen  Busen) 
bespiilt.  Diese  Meere  sind  in  der  Regel  stiirmisch  und  der  Schiff- 
fahrt  gefabrlich.  Die  Westkiiste  ist  ungemein  zerrissen;  zahllose 
Buchten  und  Einschnitte  (Fjorde)  bilden  zwar  geraumige  Hafen, 
doch  sind  sie  wegen  der  Btarken  Brandung  kaum  benutzbar.  Vor 
der  West-  wie  vor  der  Ostkuste  liegen  zahlreiche  Felsinseln  und 
Klippen;  die  letzteren  werden  Scheeren  (Skaren)  genannt.  Die  nor- 
wegische  Kiiste  heisst  auch  Fjordenkuste,  die  schwedische  am 
bottnischen  Meere  die  Scheerenkuste. 

Die  Halbinsel  ist  sehr  reich  an  Flu s sen  und  Seen,  doch 
sind  in  Schweden  nur  wenige  Fliisse,  in  Norwegen  keiner  fiir  die 
Schiffahrt  geeignet.  Zu  den  grosseren  (Elf  genannt,  die  kleineren 
heissen  A  =  oa)  gehoren :  die  Got  a -Elf,  Abfluss  des  Wenern-Sees  in 
das  Kattegat,  bildet  die  schonen  Trollhattawasserfalle,  neben  wel- 
chen  der  fiir  die  Schiffahrt  wichtige  Trollhattan-Kanal  fiihrt ;  — 
die  Motala-Elf,  fliesst  aus  dem  Wettern-See  in  die  Ostsee;  — 
in  den  bottnischen  Busen  ergiessen  sich:  die  Dai-Elf,  Schwedens 
grosster  Fluss,  die  Angermann-,  Umea-,  Pitea-,  Lulea-, 
Tornea-Elf  mit  dem  Munio,  letztere  zwei  als  Grenzfliisse  gegen 
Kussland.  Die  norwegischen  Fliisse,  welche  in  das  atlantische  Meer 
fallen,  haben  den  Charakter  von  Bergstrb'men  und  ergiessen  sich 
nach  kurzem ,  reissendem  Laufe  mit  vielen  hohen  Wasserfallen  in 
die  gleichnamigen  Fjorde.  Bemerkenswerth  sind  die  mit  siidlicher 
Richtung:  die  Klara-Elf  durchfliesst  den  Famund-See  und  ergiesst 
sich  in  den  Wettern-See,  —  der  Glomen,  der  Dram  men 
und  der  Louven  miinden  in  das  Skagerrak.  —  Sehr  zahlreich 
sind  theils  im  Gebirge,  theils  am  Fusse  derselben  die  Seen:  der 
Wenern-See,  mittels  des  Gota-Kanals  mit  dem  Wettern-See 
verbunden  (durch  den  Gota  und  Motala  und  diese  zwei  Seen  be- 
steht  eine  Verbindung  zwischen  Nord-  und  Ostsee) ;  —  der  Hj  a  1- 
mar-See  und  Schwedens  schonster  See,  der  Malar -See,  welche 
letzteren  der  Hjalmar  -  Kanal  verbindet.  In  den  Malar  -  See 
fiihrt  weiters  der  Strom sho  1m  s- Kanal  aus  den Bergwerksdistrik- 
ten  von  Dalarne  und  der  S odert el ge -Kanal  aus  dem  Malar 
in  die  Ostsee.  —  Im  Norden  breiten  sich  grosse  Siimpfe  und 
Moraste  aus. 

Politische  Eintheilung.  Norwegen  ist  ein  eigener  Staat  in 
Personal-Union  mit  Schweden ,  das  heisst  in  alien  inneren  Verhalt- 
nissen  ist  es  ein  vollig  unabhangiges  Konigreich,  steht  aber  unter 
gemeinschaftlichem  Oberhaupte  mit  Schweden,  und  der  schwedische 
Kronprinz  ist  Vicekonig  von  Norwegen. 

Kluu's  Ilandols-Gengrapbie.  2.   Aufl.  22 


8*8 

SchWeden  wird  eingetheilt  in  drei  Landstriche: 

1.  Schwedenland   (oder  Swealand):    Stockholm    (100.000),    Nykoping, 
Upsala,  Dannemora,  Falun  (Landschaft  Dalekarlien),  Sala,  Elfdalen. 

2.  Gothenland  (GOtaland):  G6teborg  (Gothenburg  32.000).  Landskrona, 
Helsingborg,  MalmO,  Lund,  Karlskrona,  Calmar,  NorkOping;    —  Inseln:  Oeland  und 
Gotland  (Stadt:  Wisby). 

3.  Nordland(Norrland)  mitLappland:  Gefle  (10.000),  Hernosand,  Lulea 
(im  Norden  nur  unbedentende  Dorfer). 

Norwegen  wird  eingetheilt  in  funf  Stifte: 

1.  Stift  Christiania  oder  Aggerhuus:  Chris  t  ia  nia~(40.000),  Eorten, 
Frederikshald,  Drammen,  VallOe,  Laurvig,  Kongsberg. 

2.  Stift  Christian  sand:    Christians  and   (10.000),    Arendal,  Stavanger. 

3.  Stift  Bergen:  Bergen  (26.000). 

4.  Stift  Drontheim  (Trondhjem):  Drontheim  (16.000),  Roeraas. 

5.  Stift  Tromsoe  (Nordland,  Finnmarken  oder  norwegisches  Lappland  und 
die  finnmarkischen  Inseln):    TromsOe    (2000,  auf  der  Insel   TromsOe),    Hammerfest 
(4000,    auf  der   Insel   Qualfte),   KjelTiig    (anf  der  Insel   Magerfle,    —  Nordkap), 
Wardoehuus. 

KulturverMltnisse  im  AUgemeinen 

Die  natiirliche  Bescbaffenheit  des  Bodens  mit  den  ausgedehn- 
ten  Gebirgen,  Fliissen,  Seen  und  Siimpfen,  dann  das  vielfach  rauhe 
Klima  sind  der  Landwirthschaft,  insbesondere  dem  Ackerbau, 
nicht  giinstig.  Von  der  Gesammtflache  entfallen  nur  etwa  7%  auf 
Ackerland  und  nicht  ganz  3%  auf  Wieeen;  dagegen  nimmt  der 
Waldboden  fiber  60%  ein.  Der  grosste  Theil  des  Bedarfes  an  Ge- 
treide,  namentlich  in  Norwegen,  muss  durch  fremde  Zufuhren 
gedeckt  werden.  Nur  die  sfidlichen  Provinzen  Schwedens  bis  gegen 
Stockholm  hinauf  erzeugen  hinreichend  fur  den  Bedarf,  in  den 
nordlichen  Gegenden  gewinnt  der  Kartpffelbau  an  Auebreitung; 
der  Ertrag  in  Norwegen  ist  dagegen  ein  eehr  geringer.  Weizen 
wird  etwa  bis  zum  60°  n.  B.,  Hafer  bis  zum  64°,  Roggen  und  Hanf 
bis  67°,  die  Gerste  bis  70°  und  die  Kartoffel  bis  tiber  71°  n.  Br. 
angebaut.  Die  Jahresproduktion  an  Handelspflanzen,  als  Hanf,  Flachs, 
Hopfen,  Tabak  u.  s.  f.  ist  gleichfalls  nicht  ausreichend.  Grossen 
Reichthum  hat  das  Land  an  Beeren  aller  Art,  Haselnusse  exportirt 
Norwegen  in  Menge,  die  Gewinnung  des  islandischen  Mooses  ist 
bedeutend.  Zu  den  Hauptprodukten  beider  Lander  gehort  das 
H  o  1  z ,  Bretter  und  Bauholz  werden  in  grosser  Menge  ausgefiihrt ; 
die  Forstwirthschafl  lasst  jedoch  noch  Vieles  zu  wiinschen  iibrig, 
obwohl  in  den  letzten  Jahren  hiefflr  vieles  geschehen  ist ,  und  die 
Forstschulen  zu  Stockholm  und  Nora  bereits  ihren  Einfluss  an 
Tag  legen. 

In  den  weidereichen  Gebirgsgegenden  ist  die  Viehzucht 
von  Bedeutung,  die  mehrfach  nach  Schweizerart  betrieben  wird. 
Die  Pferde  sind  klein  aber  ausdauernd;  die  Schafzucht  beginnt  sich 
zu  verbessern,  in  Berggegenden  ist  die  Ziege  einheimisch.  In  den 
Polarlandern  ist  das  niitzlichste  Hausthier  das  Rennthier.  Pelzthiere 
kommen  in  sehr  grosser  Menge  vor,  dessgleichen  Federwild  (Schwjlne 
und  Eiderganse).  Ungemein  ergiebig  ist  die  F  i  s  c  h  e  r  e  i ,  sie 
reicht  fur  den  grossen  Bedarf  der  Nordgegenden  aus  und  bringt 
Haringe,  Stromlinge,  Stockfische,  Lachse,  Hummern  und  Austern 
zur  Ausfuhr. 

Der  grosete  Reichthum  Skandinaviens  liegt  im  Bergbau.  Kein 


889 

Land  der  Erde  besitzt  so  viel  und  so  treffliches  Eisen  als  Schwe- 
den,  und  zwar  in  den  Provinzen  Wermland,  Dalarne,  Nerike,  West- 
manland  und  Upland  (zwischen  59  und  61°  n.  Br.)  mit  dem  Haupt- 
sitze  Dannemora  (4V2  Meile  von  Upsala).  Im  Jahre  1855  betrug 
die  Gesammtproduktion  Schwedens  an  Bergerzen  iiber  6,400.000  Zent- 
ner  und  an  See-Erzen  290.000  Zentner.  An  Roheisen  wurden  im 
genannten  Jahre  produzirt  nahe  an  3,360.000  Zentner,  woraus  an 
165.000  Zentner  Gusseisen  und  2,132.000  Zentner  Stabeisen  ge- 
wonnen  wurden  *).  Nachst  dem  Eisen  ist  das  K  u  p  f  e  r  das  wich- 
tigste  Produkt  und  zwar  zu  Falun  (Schweden)  und  Roraas 
(Norwegen);  doch  hat  die  Gewinnung  in  den  letzten  Jahren  abge- 
nonimen.  Die  Ausbeute  an  edlen  Metallen  ist  relativ  geringe  (Sil- 
ber  zuKongsberg  in  Norwegen  und  Sal  a  in  Schweden,  Gold 
in  Sala  und  Adelfors ,  letzteres  doch  unbedeutend).  Die  Fiille  von 
Waldungen  lasst  die  geringe  Menge  des  mineralischen  Brennstoffes 
nicht  fiihlen.  Im  Siiden  von  Schweden  finden  sich  Braunkohlen, 
an  vielen  Orten  Torfmoore,  welche  theilweise  fur  die  Eisenindu»trie 
ausgebeutet  werden ;  die  Einfuhr  von  englischer  Steinkohle 
nach  Gotheborg  und  von  da  fiber  Stockholm  zu  den  Eisenwerken 
ist  iibrigens  ziemlich  bedeutend.  Zudem  ist  noch  die  Gewinnung 
von  Kobalt  und  Alaun  (Oeland)  nennenswerth.  Reich  ist  das  Land 
an  Manner,  Bau-  und  Schieferst einen ;  sehr  schonen  Porphyr  hat 
die  Umgegend  von  Elfdalen.  Empfindlich  ist  der  Man  gel  an  Salz 
wegen  des  grossen  Bedarfes  zum  Einpokeln  der  Fische;  die  einzige 
Saline  ist  in  Vallfl  (Norwegen),  etwas  Seesalz  wird  in  Drontheim 
bereitet,  doch  ist  die  Einfuhr  aus  Frankreich,  Portugal  und  Spanien 
erheblich.  —  Die  vorhandenen  Mineralquellen  sind  fiir  das  Aus- 
land  nicht  von  Bedeutung. 

Gewerbliche  Industrie.  Die  naturlichen  Verhaltniese  des 
vielfach  unwirthbaren  Landes  mit  dem  rauhen  Klima,  den  Sumpfen 
und  Morasten,  dann  die  relativ  geringe  Bevolkerung  haben  bis  jetzt 
grosse  Hindernisse  einer  grb'sseren  Entfaltung  der  Industrie  ent- 
gegengestellt.  Diese  ungunstigen  Faktoren  nehmen  gegen  Norden 
zu  und  es  ist  erklarlich  ,  dass  fiber  vier  Funftel  der  Bevolkerung 
ihren  Erwerb  in  der  Landwirthschaft,  Fischerei  und  Schiffahrt 
suchen,  dass  die  inlandischen  Fabriken  die  Bedfirfnisse  des  Landes 
nicht  befriedigen  konnen.  An  der  Westkiiste  ist  das  Hauptgeschaft 
der  Bevolkerung  die  Fische  re  i,  im  Inneren  des  Landes  der  Holz- 
schlag, Bergbau  und  Hut  tenbetrieb,  im  ostlichen  und  siid- 
lichen  Theile  Schwedens  der  Ackerbau  und  die  Viehzucht. 
Die  hausliche  Gewerbethatigkeit  sorgt  fiir  die  Befriedigung  der  ge- 
ringen  Bediirfnisse;  der  Landmann  verfertigt  im  Winter  seine  Ge- 
rathe  und  Werkzeuge,  Wollenzeuge  und  Leinwand.  Trofz  der  Be- 
strebungen  der  Regierung  hat  eine  ausgedehntere  Fabriksindustrie 
*)  Im  Jahresdurchschnitt  1834—1838  betrug  die  Roheisenerzengang  1,858.452 
Zentner,  im  Jahre  1854  schon  2612.344  Zentner.  In  den  Gruben  von  Dannemora 
werden  mit  Hilfe  von  etwa  400  Arbeitern  300.000  Zentner  Erze  gewonnen,  woraus 
an  150.000  Zentner  Roheisen  in  19  HochOfen  erblasen  werden.  Im  Ganzen  besitzt 
Schweden  an  300,  jedocb  meisiens  kleine  Hochofen.  Die  Stabeisenerzengung  geschieht 
in  mehr  als  1000  FrischSfen  nnd  nur  16  PuddelOfen,  woven  6  in  der  grossen  Ma- 
Bcbineafabrik  zu  Motala  am  Gothakanal  sind. 

22* 


noch  nicht  Wurzel  geschlagen  *).  Voran  steht  Stockholm,  wel- 
ches wohl  mehr  als  die  Halfte  der  feineren  Erzeugnisse  des  Landes 
liefert;  zunachst  stehen  :  Gothenburg,  Norkoping,  Karlskrona,  Malmo, 
Gefle ;  in  Norwegen:  Bergen,  dann  Christiania,  Drontheim  und 
Arendal.  —  Am  bedeutendsten  ist  die  Industrie  in  Me  tall  w  a  a- 
ren  und  unter  dem  eigentlichen  Manufaktureisen  haben  Anker  und 
Ketten  den  grossten  Ruf.  Schmieden  und  Stahlfabriken  sind  in 
der  Umgegend  von  Dannemora,  eine  Stiickgiesserei  in  Stockholm, 
Gewehrfabriken  in  Kongsberg,  Orebro  und  Eskilstuna,  die  beriihmte 
Maschinenfabrik  zu  Motala  **).  Em  sehr  grosser  Theil  des  Roheisens 
geht  theils  in  Form  von  Gusseisen  und  Stahl,  besonders  aber  als 
Stabeisen  ins  Ausland***).  —  Der  Schiffbau  ist  ausgezeichnet 
und  werden  auch  vollstandig  ausgerustete  Schiffe  an  das  Ausland 
verkauft.  Bekannt  sind  die  Schiffswerften  von  Stockholm,  Gothen- 
burg und  Bergen,  das  Segeltuch  und  Tauwerk  von  Stockholm, 
Karlskrona,  Malmo  und  Gothenburg,  wo  sich  auch  treffliche  Anker- 
schmieden  befinden.  Der  grosse  Waldstand  begunstigt  die  Ver- 
arbeitung  von  Holz;  an  jedem  Flusse  findet  man  Sagemuhlen  (die 
grossten  in  der  Umgegend  von  Drammen)  und  das  KohJen-,  Pech-, 
Theer-  und  Pottaschebrennen  beschaftiget  viele  Tausende.  — 
Zuckerraffinerien  und  Tabakfabriken  sind  in  Gefle  und  Malmo, 
grosse  Gerbereien  in  Christiania,  Bierbrauereien  in  Gothenburg  und 
Sudschweden  ,  leider  nehmen  die  Branntweinbrennereien  ungemein 
uberhand.  Ansehnlich  sind  die  Tuchfabriken  zu  Norkoping,  Stock- 
holm, Nykoping  und  Linkoping,  die  Baumwoll-  und  Leinenfabriken 
zu  Stockholm,  Gothenburg,  Karlsham,  Leder  zu  Stockholm,  Glas- 
hutten,  Spiegel  zu  Kalmar  u.  s.  f.  Im  Allgemeinen  steht  die  In- 
dustrie in  Schweden  auf  einem  viel  hoheren  Standpunkte  als  in 
Norwegen. 

Handel.  Der  bedeutende  Seehandel  und  die  Schiffahrt  reihen 
die  vereinigten  Konigreiche  unter  die  grossen  Handelsstaaten  ein. 
Die  ansehnlichsten  Handelsplatze  sind:  (in  Schweden)  Stockholm, 
welches  allein  mehr  als  die  Halfte  der  gesammten  Handelsgeschafte 
betreibt,  dann  Gothenburg,  Gefle,  Norkoping,  Wisby,  Calmar,  Malmo 
und  Karlskrona;  —  (in  Norwegen)  B  e  r  g  e  n ,  Drammen,  Christiania, 
Drontheim,  Laurvig.  —  Schweden.  Der  Werth  der  importirten 
Waaren  betrug  im  Jahre  1857  nahe  an  57  Millionen  Reichsthaler- 
Banko  und  jener  der  exportirten  nahe  52 V3  Million  Reichs- 

*)  Zu  Ende  des  Jahres  1856  bestanden  in  Schweden  2462  Fabriken  mit  etwa 
29.000  Arbeitern;  davon  waren  106  Tuchfabriken,  28  Baumwollen-  und  Leinen- 
webereien,  19  Baumwollspinnereien,  12  Seidenfabriken,  16  Zuckerfabriken,  110  Tabak- 
fabriken, 571  Lederfabriken,  16  Papierfabriken,  15  Glasfabriken,  33  mechanische 
Werkstiitten  n.  s.  f. 

**)  Ein  machtiger  Hebel  zurForderung  der  Eisenindustrie  ist  das  Jern  Con  tor, 
das  ist  ein  Verein  der  meisten  Stabeisen-Produzenten,  welcher  ein  Kapital  von  uber 
2  Millionen  Gulden  besitzt  und  mit  dem  koniglichen  Bergkollegium  vere'nt  wirkt, 
Sammlnngen  anlegt,  Schulen  griindet  und  unterstiitzt,  Versuche  veranstaltet,  Be- 
reisungen  vornehmen  lasst  n.  s.  w. 

***)  Die  Preise  sind  je  nach  den  verschiedenen  Hutten  sehr  verschieden,  im  All- 
gemeinen aber  nicht  hoch,  denn  ein  Zentner  Roheisen  kommt  in  Stockholm  etwa  auf 
21/,  Gulden,  Stabeisen  auf  6—8  Gulden  und  Stahl  auf  10  -  20  Gulden  zu  stehen. 


841 

thaler-Banko ,  wobei  Grossbritannien  und  Lfibeck,  dann  Russland 
am  starksten  vertreten  waren.  Auch  mit  Hamburg,  Bremen,  Dane- 
mark,  den  vereinigten  Staaten  von  Nordamerika,  Preussen  und  dem 
Oriente  ist  der  Verkehr  lebhaft.  Bei  der  Einfuhr  nimmt  der 
Rohzucker  den  ersten  Platz  ein ,  dann  folgen  Kaffee ,  Baumwolle, 
Tabak,  Wolle,  Haute  und  verschiedene  Manufakte,  namentlich  Baum- 
wollwaaren;  die  Einfuhr  von  Steinkohlen  ist  im  Wachsen.  ZurAus- 
fuhr  gelangten  am  starksten:  Eisen  und  Stahl  (roh  und  verarbeitet), 
Bauholz  und  Schiffholz,  Bretter  (meist  nach  England),  die  Neben- 
nutzungen  der  Walder  (Pech,  Pottasche,  Theer  u.  a.),  Leder,  Pelz- 
werk,  Fiscbe  u.  dgl.  —  Die  Zahl  der  angekommenen  Schiffe 
betrug  6474  mit  etwa  245.000  Lasten  (darunter  3337  schwedische 
mit  106.000  Lasten),  der  abgegangenen  8123  mit  nahe  420. 000  La- 
sten (4627  schwedische  mit  163.000  Lasten).  In  Norwegen  entfallt 
iiber  die  Halfte  des  Exportwerthes  auf  F  i  s  c  h  e  (im  Jahre  1854  um 
etwa  14  Millionen  Gulden),  zunSchst  stehen:  Thran,  Kartoffel,  ge- 
schmiedetes  Eisen,  Holzer  und  Bretter;  bei  der  Einfuhr  stehen  am 
hochsten:  Getreide  (im  Jahre  1854  um  beilaufig  7  Millionen  Gul- 
den), Kaffee  und  Zucker  (an  4T/2  Million  Gulden)  Tabak,  Hanf 
und  Flachs,  Webe-  und  Wirkwaaren,  Eisenwaaren  u.  s.  f.  Bei  der 
Einfuhr,  welche  im  Jahr  1855  an  36  Millionen  Gulden  betrug, 
sind  am  starksten  betheiligt :  Danemark  (mit  etwa  einem  Drittel  des 
Gesammtwerthes),  Grossbritannien,  die  Hansestadte,  Schweden,  Hol- 
land und  Belgien,  Frankreich  ;  —  bei  der  Au  sf  uhr  (mit  etwa  59  Mil- 
lionen Gulden  im  Jahre  1855)  Grossbritannien  (nahe  13  Millionen 
Gulden),  Holland  und  Belgien  (12  Millionen  Gulden),  Danemark, 
Schweden ,  Frankreich  u.  s.  f.  Fur  Schweden  sowohl  als  fur  Nor- 
wegen  sind  die  Handelsbe ziehungen  mit  Hamburg ,  von  wo 
Baumwolle  und  Baumwollwaaren,  Wolle,  Seidenwaaren,  Glaswaaren, 
alle  Kolonialartikel  bezogen  werden,  von  hoher  Wichtigkeit,  und  die 
Riickwirkung  der  jeweiligen  GeldverbUltnisse  dieses  Platzes  ist  jeder- 
zeit  in  Schweden  fiihlbar.  —  Der  Binnenhandel  wird  zumeist 
auf  den  Seen  und  Kanalen  vermittelt,  die  Flusse  sind  der  Schiff- 
fahrt  sehr  wenig  gunstig;  im  Siiden  sind  vortreff liche  Landstrassen, 
im  Norden  ist  der  Hausierhandel  vorherrschend.  Eisenbahnen,  viele 
Banken,  die  Garantievereine  zu  Stockholm  und  Christiania,  Handels- 
gesellschaften,  As  sekuranzen,  zahlreiche  Dampfschiffahrtsverbindungen 
fmit  St.  Petersburg,  Hamburg,  Liibeck,  Stettin,  Kopenhagen  u.  s.  w. 
ordern  den  Handel. 

Der  Zustand  der  geistigen  Kultur  ist  ein  erfreulicher.  Die 
zahlreichen  Volksschulen  sind  vortrefflich  eingerichtet ,  und  die 
oft  weit  auseinander  liegenden  l£ndlichen  Wohnungen  werden  von 
Schullehrern  besucht.  Fast  alle  echwedischen  und  norwegischen  Bauern 
konnen  lesen,  die  meisten  auch  schreiben ;  in  Norwegen  bestehen 
darauf  bezQgliche  strenge  Gesetze.  Die  Mittelschulen  als  Vorberei- 
tung  fiir  die  Universitaten  (Upsala,  Lund,  Christiania),  sowie  letztere 
selbst,  sind  nach  deutschem  Systeme  organisirt.  Viele  Spezial- 
Anstalten  fiir  Ackerbau,  Forstweeen,  Gewerbe,  Schiffahrt  u.  s.  w. 
sorgen  sowie  die  Kunstanstalten  fur  die  Hebung  der  geistigen  Kul- 
tur und  Schweden  hat  sich  namentlich  durch  seine  hohen  Ver- 


342 


dienste  um  dieNaturwiesenschaften  ausgezeichnet.  Wahrend  Schweden 
und  Norwegen  eine  sehr  beachtenswerthe  Stellung  unter  den  euro- 
paiechen  Volkern  einnehmen;  stehen  die  im  Norden  wohnenden  Fin- 
nen  und  Lappen  noch  auf  einer  sehr  niederen  Kulturstufe,  inebesondere 
sind  die  Lappen  noch  Nomaden  ,  welche  mit  ihren  Rennthieren  im 
Sommer  die  hoher  gelegenen  Weiden  suchen.  In  Drontheim  besteht 
•jedoch  ein  Seminar  zum  Unterrichte  junger  Lappen,  und  bei  den 
Bestrebungen  der  Regierung  zur  Forderung  der  Volksbildung  ist 
nicht  zu  zweifeln,  daes  nach  und  nach  auch  diese  Volkerschaften 
auf  einen  hoheren  Grad  geistiger  Kultur  werden  gebracht  werden. 


XIII.  Das  Kaisertfium  Russland. 

§.  148.  Bestandtheile.  Bevttlkerung. 


'• 


In  Europa: 


a)  europaischer    Theil 
Russlands 88.072 

b)  KOnigreich  Polen.          2320 

c)  Grossfflrstenthum 
Finnland 6844 


Einwohner 


52.320.000 
4,850.000 

1,637.000 


2.  In  Asien; 


Einwohner 


97.236   58,807.000 


a)  Kaukasien(Gouver- 
nement  Stawropol 
und  das  Kosaken- 
land  am  schwarzen 
Meere) 

8042       3  200  000 

tn  wih  H  fun?  tufel 

b)  Sibirien.  .      . 

255  155       4867000 

jftuiioH-  \(ntJiMui!& 

c)  Amur-Gebiet  

9800       unhekannt 

uxi'i   ,  KofowifoB 

russisch-americanische 

Compagnie  

272.997     8,067.000 
24  300          54  000 

3.  In  America 

Gesammtmonarchie*)      394.533   66,928.000 

*)  Besitzveranderiingen :  1.  Die  Abtretung,  welche  der  Pariser  Friede 
vom  30.  Marz  1856  dem  ru<-sischen  Reiche  auferlegte  (mit  205  QMeilen),  wurde  bei 
den  Berechnungen  der  nstatistischen  Central-Kommission"  noch  nicht  in  Abschlag  ge- 
bracht.  —  2.  Seit  den  erwahnten  Berechnungen  (vom  Jahre  1856,  publizirt  in 
St.  Petersburg  im  Jahre  1859)  hat  sich  das  russische  Asien  ungeraein  vergrOssert, 
Durch  den  am  28.  Mai  1858  zu  Aigan  mit  China  geschlossenen  Vertrag  erwarb 
Kussland  einen  Theil  der  Mandschurei  mit  einem  Flachengebiet  von  etwa  9800 
QMeilen.  indem  der  Amur  von  seinem  Ursprnnge  bis  znr  Einmundnng  des  Ussuri 
als  Grenze  zwischen  beiden  Reichen  bestimmt  ward,  unterhalb  des  Ussuri  dagegen 
beide  Urer  des  Amur  als  Eigenthum  Russlands  erklart  wurden.  Der  jungste  Vertrag 
mit  Japan  sprach  Russland  den  nOrdlichen  Theil  der  Insel  Sachalin  (im  Ochozki- 
schen  Meere)  zu.  —  3.  Durch  die  im  September  1859  beendete  Unterwer- 
fung  des  Daghestan  (der  BergvSlker  des  Kaukasus)  hat  das  Reich  abermals  eine 
sehr  \vichtigeVergrosserungerlangt.  Staatsrath  P.  v.  KOppen  berechnet  den  Flachen- 
raum  der  ganzen  kaukasischen  Statthalterschaft  auf  8041  ,,  QMeilen  (Petermann's 
Mittheilungen,  Nr.  I  n.  II  I860);  die  hie  und  da  anf  1,400.000  bis  1,500000  an- 
gegebene  Bevolkerungszahl  des  nen  erworbenen  Gebiets  diirfte  zu  hoch  gegriffen  sein, 
doch  ist  bis  jetzt  nichts  Bestimmtes  daruber  bekannt.  Berger  (Sekretar  der  geogr. 
Ges.  zu  Tiflis)  gibt  die  BevOlkernng  des  Kaukasus  anf  399.761  an.  Die  Seelenzahl 
ist  nach  den  in  den  Jahren  1846  und  1852  gesammelten  Berichten  angegeben.  (Pe- 
termann's Mitth.  1860  V.  pag.  165.)  —  Im  September  1858  hat  das  statistische 
Central- Comite*  ^statistische  Tabellen  des  russischen  Reiches"  verCffent- 
licht;  das  ganze  fruhere,  ohnehin  sehr  unvollstfindige  Material  stellt  sich  jetzt  als 
veraltet  oder  unrichtig  heraus. 


848 

Der  gross te  Theil  der  Bevolkerung  bekennt  sich  zur  griechisch-nicht- 
unirten  Religion  (fiber  50  Millionen),  an  7'/t  Million  geboren  zur  r5misch-ka- 
tholischen  Kirche,  ferner  Bind  Armenier,  Protesranten  (an  2 '/,  Million),  Israeliten 
(I'/z  Million),  Muhamedaner  (nahezu  3  Millionen)  and  Heiden.  —  Nach  der  Na- 
tional! tat  sind  beinahe  53  Millionen  Slaven,  dann  iinnische,  turkische,  lithauische, 
germanische,  lateinische  Volker,  mongolische  Stamme  n.  s.  w.  Im  Ganzen  leben 
ft  her  100  an  Sprache  and  Sitte  verschiedene  VOlker.  —  Russland  ist  eine  untheil- 
bare,  unumschrankte  Erbmonarchie.  Die  Thronfolge  geschieht  nach  demRecbte  der 
Erstgeburt  in  mannlicher  und  weiblicher  Linie  des  Hanses  Holstei  n-  Gottorp  vom 
oldenbnrgiscben  Stamme. 

Boden.  Der  grSsste  Theil  des  europaischen  Russland  gehort 
dem  grossen  Flachlande  Nordost-Europas  oder  der  sarmatischen 
Tiefebene  an.  Kaum  der  zehnte  Theil  ist  eigentliches  Gebirgs- 
land ,  wahrend  sich  das  einfSrmige  Tiefland  fiber  400  Meilen  in 
die  Lange  und  fiber  300  Meilen  in  die  Breite  ausdehnt.  Das 
Ber gland  tritt  nur  an  den  Grenzen  empor.  Als  Grenze 
zwischen  Europa  und  Asien,  zwischen  der  sarmatischen  und  si- 
birischen  Tiefebene  zieht  sich  das  330  Meilen  lange  Meridian- 
gebirge,  der  Ural,  der  auf  Nowaja  Zemlja  beginnt,  die  Insel  Wa- 
jatsch  durchzieht  und  sich  im  Stiden  gegen  das  kaspische  Meer  und 
zum  Aralsee  zur  Tiefebene  herabsenkt.  Er  wird  in  drei  Partien 
geschieden  ;  der  nordliche,  wfiste  und  kahl,  reicht  hinunter  bis  zu 
den  Petschora- Quellen  ;  —  der  mittlere,  reich  an  Erzen  und  Hoch- 
gipfeln,  erstreckt  sich  bis  zu  der  Einsenkung  bei  Jekatarinburg ;  — 
der  sudliche  waldreiche  besteht  aus  drei  Parallelketten,  es  beginnt 
die  Plateaubildung,  an  welche  sich  die  sudlichen  Steppenlandschaf- 
ten  anschliessen.  —  Vom  schwarzen  bis  zum  kaspischen  Meere 
zieht  sich  der  Kaukasus  (150  Meilen  lang)  in  mehreren  Ketten, 
welcher  sich  durch  seine  plateauartige  Gestaltung  in  hohen  Terras- 
sen  auf  beiden  Seiten  des  Hauptkammes  auszeichnet.  (Elbrus  17.000.) 
—  Im  Sfiden  der  Halbinsel  Krim  ist  das  Jail  a- Gebirge,  welches 
sich  zu  einem  wellenformigen  Flachlande  herabsenkt;  im  Norden 
des  letzteren  und  der  Landenge  von  Perekop  liegt  eine  wasser-  und 
baumlose  Steppe.  —  Im  Westen  streichen  Verzweigungen  der  Kar- 
pathen  in  das  Land,  welche  am  Dnjestr  das  Medoborskische 
Gebirge  (Honigwald)  genannt  werden.  —  Das  f  inn  ische  Gebirge, 
eine  Fortsetzung  des  skandinavischen  ,  erstreckt  sich  als  schmaler 
Landriicken  von  geringer  Hohe  (hochstens  1200')  zwischen  dem 
bottnischen  Busen  und  dem  weissen  Meere. 

Das  Tiefland imlnneren  Rus  s  Ian  ds  wird  durch  zwei  breite 
LandhShen  unterbrochen  und  in  ein  nordliches,  ein  mittleres  und 
ein  sudliches  Tiefland  geschieden.  Dienordliche  oder  uralisch- 
baltische  Landhohe  zieht  vom  Quellengebiete  der  Kama  (im 
Westen  des  Ural)  westlich  bis  zur  Norddeutschen  Landhuhe  an  der 
Ostsee,  wo  die  preussische  Seenplatte  deren  Fortsetzung  bildet. 
Charakteristisch  sind  die  zahlreichen  Seen.  Die  grSsste  Erhebung 
ist  die  Waldai-Hohe  oder  der  W  olchonski  -  Wald,  das 
Quellenland  der  Wolga.  Im  Norden  dieser  Landhuhe  liegen  weite 
Walder,  Sfimpfe  und  Seen,  an  welche  sich  eine  wiiste  Wildniss  mit 
Flechten  und  Moosen  (Tundra  genannt)  anschliesst.  —  Die  siid- 
liche oder  uralisch -karpat  hische  Landhohe  beginnt  als 
Obstschij-Syrt  am  Sudende  des  Ural,  zieht  gegen  Westen  als  do- 


344 

nische,  ukrainische,  podolische  und  wolhynische  Landhohe,  an  welche 
sich  die  polnische  anschliesst,  wo  die  Lysa-Gora  nahe  an  2000' 
Hohe  erreicht.  Zwischen  den  beiden  Landhohen  liegt  das  grosse, 
fruchtbare  und  angebauteste  Tiefland  des  mittleren  Russland,  reich 
an  Ackerprodukten  und  W&ldern.  ^m  Siiden  der  uraliach-karpathi- 
schen  Landhohe  liegen  die  Steppen  Siidrusslands;  doch  ist  das 
Land  im  Westen  des  Don  fruchtbar,  auch  breiten  sich  grosse 
Grasfluren  aus.  An  der  Ostsee  und  im  Siiden  des  finnischen 
Meerbusens  gibt  es  viele  fruchtbare  Getreidegegenden  und  schone 
Wiesen ,  aber  auch  Waldungen ,  Haiden  und  Moraste;  zwischen 
deui  finnischen  und  bottnischen  Busen  liegt  die  finnische  Seenplatte. 

Gewasser.  Das  europaische  Ruseland  bespiilen  das  nord- 
liche  Eismeer  (mit  dem  kariachen  Meer,  der  Tscheskaja-Bai, 
dem  weissen  Meere :  Dwina-,  Onega-  und  Kandalaskaja-Busen),  die 
Ostsee  (bottnischer,  finnischer,  rigaischer  Busen)  und  das  schwarze 
Meer  (Golf  von  Odessa,  todtes  Meer,  azow'sches  Meer).  Die  Kiiste 
des  bottnischen  und  die  Nordkiiste  des  finnischen  Busens  sind  felsig 
und  steil,  vor  denen  zahllose  Felseneilande  liegen,  ahnlich  der 
Fjordenkuste  in  Norwegen;  im  Siiden  des  finnischen  Busens  und 
am  rigaischen  sind  die  Kusten  meist  flach  und  sandig.  Das  Eis- 
meer hat  flache  Kiiste ,  dessgleichen  das  schwarze  Meer  mit 
Ausnahme  der  Halbinsel  Krim  und  im  Osten  der  Strasse  von 
Kertsch. 

Kein  Land  der  Erde  hat  verhaltnissmassig  so  viele  bedeutende 
und  schiffbare  Fliisse  und  eine  so  ausgebreitete  durch  Kan  ale 
vermittelte  Wasserverbindung.  Die  uralisch-baltische  Landhohe  bil- 
det  die  Wasserscheide  zwischen  dem  nordlichen  Eismeere  und  der 
Ostsee  im  Norden  und  Nordwesten,  dem  schwarzen  und  kaspischen 
Meere  im  Siiden  und  Siidosten.  —  Unter  den  nordlichen  Fliissen 
sind  die  bedeutendsten  die  Petschora  und  Dwina.  Erstere  er- 
halt  ihre  Wasser  vom  Ural,  bespiilt  in  ihrem  Laufe  (150  Meilen) 
keinen  Ort  von  einiger  Bedeutung,  ihr  Gebiet  (iiber  3000  QMeilen) 
sind  fast  durchgehends  Wiisteneien;  letztere  entsteht  aus  der  Ver- 
einigung  der  Wytschegda  und  Suchona  (unterhalb  Ustjug 
Weliki),  und  miindet  bei  Archangel.  Sie  hat  rechts  im  Me  sen, 
links  in  der  Onega  zwei  begleitende  Flusse.  —  In  den  bottnischen 
Busen  ergiesst  sich  der  Grenzfluss  Tornea;  die  New  a  (der  weuro- 
paische  Lorenzstrom")  ist  der  kurze  Abfluss  des  Ladoga-Sees  in 
den  finnischen  Busen.  Unter  den  vielen  Zufliissen  des  Ladoga- Sees 
sind  die  wichtigsten :  der  Wuoxa  aus  dem  Saima-See,  der  Swir  aus 
dem  One*ga-See  und  der  Wolchow  aus  dem  Ilmen-See.  Aus  dem 
Peipus-See  fliesst  die  schiffbare  Narwa  in  den  finnischen,  aus  den 
Sttmpfen  des  Wolchonski-Waldes  die  D  ii  n  a  in  den  rigaischen  Meer- 
busen;  der  schiffbare  Njemen  ergiesst  sich  in  das  kurische  Haff 
und  die  Weichsel  durchfliesst  als  Hauptfluss  Polen,  wo  sie  den 
Bug  aufnimmt.  —  Der  grosste  Theil  des  mittleren  Russland  bildet 
das  Stromgebiet  der  Wolga;  sie  ist  die  wichtigste  Verkehrsader 
dea  Reiches,  welches  sie  von  der  Waldai-Hohe  bis  zum  kaspischen 
Meere  durchstromt  und  ist  mit  den  nord-  und  siidrussischen  Flussen 
durch  Kanale  verbunden,  wodurch  eine  schiffbare  Verbindung  zwi- 


845 

schen  dem  weissen  Meere,  der  Ostsee,  dem  schwarzen  und  kas- 
pischen  Meere  besteht.  (Siehe  S.  56,  III.  1.)  Ihre  grossten  Neben- 
flilsse  sind  die  Oka  mit  den  zahlreichen  Zuflussen  des  Tieflandes 
aus  dem  mittleren  Russland  und  die  Kama,  welche  zahlreiche 
Gewasser  des  Uralgebirges  bis  von  den  Quellen  der  Petschora  her 
sammelt  und  der  Wolga  zufiihrt.  Vom  Slid- Ural  fliesst  der  Ural 
(auch  Jaik)  dem  kaspischen  Meere  zu,  er  wird  als  Grenzfluss  zwi- 
schen  Asien  und  Europa  angenornmen.  Vom  Kaukasua  ergiessen 
sich  in  das  kaspische Meer  die  Kuma,  der  Terek  und  der  Kur. 

—  Die  beiden   grossen  Strome,   welche  aus    dem  inneren  Russland 
durch  die  uralisch-karpathische  Landhohe  und  die  Steppenzone  zum 
schwarzen    Meere  heraustreten,    sind    der  Dnjepr  und  der  Don. 
Ersterer  erhalt  seine  Zuflusse  aus  dem  Quellenlande  der  Wolga  und 
Dwina  (Suchonaj  (siehe  S.  56),  wird  schon  oberhalb  Smolensk  (von 
Dorogobusch)  schiffbar ,    aber  unterhalb  Kiew  wird    die    Schiffahrt 
durch  Wasserfalle    (nPorogen")   erschwert.    Drei  Kanale  verbinden 
ihn  und  das  schwarze  Meer  mit  der  Ostsee.  (Nebenfliisse :  Beresina, 
Pripet,  Dosna  u.  v.  a.)  Das  Wassergebiet  des  zweiten  ist  fast  ebenso 
gross   als  jenes    des   ersteren    (iiber  10.500  QMeilen);  der  Don  ist 
durch  Kanale  mit  der  Wolga  verbunden  und  miindet  in  das  azow'sche 
Meer.     Vom  Nordostabhange   der  podolischen  Landhohe  kommend, 
miindet  der   Bug  bei  Nikola  jew.     Der  Kuban,   vom  Nordabfalle 
des  Kaukasus,  bildete  ehemals  die  Grenzen  zwischen  Russland  und 
dem  Lande  der  Tscherkeesen,  ergiesst  sich  in  die  Strasse  von  Kertsch 

—  Aus  den    Karpathen    kommen    der    Dnjestr  (siehe  S.  56)  und 
der  Pruth    als    Grenzfluss    gegen    die  Moldau    und    der    sich  bei 
Remi  in  die  Donau  ergiesst     Endlich  gehort  die  Donau  in  ihrem 
Mundungsgebiete  (siehe  S.    54)  diesem  Reiche  an. 

Unter  den  zahllosen  Binnenseen  sind  in  Europa  die  be- 
deutendsten:  die  finn  i  s  ch  en  Seen,  welche  einen  grossen  Theil  des 
Landes  bedecken  und  meistens  unter  einander  in  Verbindung  ste- 
hen  (Paijane,  Saima,  Enara),  —  der  Onega-,  der  Ladoga-  (Eu- 
ropas  grosster  Landsee),  der  Pe'ipus-  und  der  Ilmen-See,  der 
Salzsee  Elton  (im  Nordwesten  des  kaspischen  Meeres).  Die  me]i- 
sten  Seen  sind  in  Finrland ,  in  den  Gouvernements  Archangel 
und  Olonetz,  und  in  den  Ostseeprovinzen.  Im  sudlichen  Russland 
befinden  sich  nur  viele  Salzseen.  In  Archangel,  Lithauen  und 
Wolhynien  sind  viele  Sumpfe. 

Das  Kanal system  Russlands  £ist  von  grosser  Wichtigkeit, 
indem  durch  dasselbe  sammtliche,  die  Grenzen  des  Reiches  bespu- 
lende  Meere  mit  einander  in  Verbindung  gesetzt  sind.  Verbin- 
dung der  Ostsee  mit  dem  k'a  s  pti  s  c  h  e  n  M  e  e  r  e  :  J  a)  .Kanal 
von  Wischnij  -  Wolotschok  vereinigt  die  Twerza  mit  der  Msta 
(Zufluss  des  Ilmen-Sees) ,  und  dadurch  die  Wolga  mit  der  Newa; 
—  b)  der  Marienkanal,  welcher  die  Kowsha  (Zufluss  des  weissen 
Sees  [Bjelosero])  mit  der  Wytegra  (Zufluss  des  Onega-Sees),  also 
wieder  Wolga  mit  Newa  verbindet;  —  c)  der  Tichwin'sche  Kanal, 
welcher  durch  Vermittlung  mehrerer  kleiner  Flusse  die  Mologa 
(Nebenfluss  der  Wolga)  mit  dem  Ladoga-See  in  Verbindung  setzt. 
Mehrere  andere  Kanale  dienen  zur  Vermeidung  der  oft  sehr  gefahr- 


846 

vollen  Schiffahrt  am  Ladoga-,  Onega-,  Bjeloje-  und  Ilmen-See, 
und  erleichtern  die  Schiffahrt  in  dieser  Richtung.  —  2.  Verbin- 
dung  zwischen  dem  weissen  und  kaspischen  Meere: 
a)  der  kubenische  Kanal  verbindet  die  Suchona  (Dwina)  mit  der 
Scheksna  (Wolga);  —  b)  der  nSrdliche  Katharinenkanal  verbindet 
die  Nebenfliisse  der  Kama  (Wolga)  mit  der  Wytschegda  (Dwina).  — 
3.  Verbindung  zwischen  der  Ostsee  und  dem  schwar- 
zen  Meere:  a)  Beresina  -  Kanal ,  verbindet  die  Beresina,  somit 
den  Dnjepr  mit  der  Diina ;  —  b)  der  oginskische  Kanal  zwischen 
der  Schtschara  (Njemen)  und  Jasiolda  (Dnjepr);  —  c)  der  konig- 
liche  Kanal  verbindet  den  Bug  (Weiehsel)  mit  der  Pina  (Jasiolda, 
Dnjepr).  —  4.  Verbindung  zwischen  dem  schwarzen 
und  kaspischen  Meere:  a)  der  Graben  Peters  M  zwischen 
Nebenflussen  de8  Don  und  der  Wolga  ist  noch  unvollendet,  doch 
werden  Versuche,  theils  den  Dnjepr,  theils  den  Don  mit  der  Wolga 
zu  verbinden,  fortgesetzt. 

Kliina.  Bei  der  grossen  horizontalen  Ausdehnung  des  Reiches 
ist  das  Klima  sehr  verschieden  und  man  unterscheidet  diessfalls 
vier  Landstriche:  den  warm  en  (eiidlich  vom  50°  n.  Br.),  sehr 
fruchtbaren,  mit  vorherrschender  Weizenkultur  und  grossen  Laub- 
holzwaldern;  in  den  sudlichen  Thalern  gedeiht  die  Rebe,  der  Oel- 
baum  u.  s.  f. ,  der  Sommer  ist  lang,  diQckend  heiss,  der  Winter 
kurz  (Odessa,  Sebastopol,  Astrachan); —  die  mittleren  oder 
gemassigten  (50 — 57°  n.  Br.),  mit  den  fruchtbarsten  und  bestange- 
bauten  Theilen  des  europaischen  Reichee ;  grosse  W  alder  wechseln 
mit  Peldern  und  Wiesen  ,  der  rauhe  Winter  dauert  an  sieben  Mo- 
nate,  der  heisse  Sommer  an  fiinf  Monate  (Warschau,  Moskau,  Nishnij- 
Nowgorod,  Kasan  ,  Jekatarinburg ,  Orenburg);  —  den  k  alt  en 
(57—67°  n.  Br.)  mit  langem  rauhem  Winter,  die  Fltisse  sind  ge- 
wohnlich  von  Mitte  Oktober  bis  Ende  Mai  zugefroren  ,  Frfihling 
und  Sommer  sind  kurz,  letzterer  sehr  heiss,  Ackerbau  bis  60°  n.  Br. ; 
bei  65°  n.  Br.  hort  die  Viehzucht  auf  (St.  Petersburg,  Abo,  Archan- 
gel); —  4.  den  arktischen,  nordlich  von  67 °n.  Br.,  unempfang- 
lich  fiir  europaische  Kultur ,  der  Boden  unwirthbar ,  theilweise 
Sumpfland,  haufig  gefrorne  Moraste,  die  Nachte  des  kalten,  langen 
Winters  werden  vom  Nordlichte  erhellt.  Die  traurigen  Einoden  be- 
wohnen  Lappen,  Samojeden. 

Politische  Ein<heilung.  In  administrativer  Hinsicht  wird  das 
russieche  Reich  inGouvernements  und  Gebiete  (oblastj)  ein- 
getheilt,  deren  es  gegenwartig  65  hat.  Einige  sind  General-Gou- 
vernements  (im  Ganzen  10).  Lrstere  werden  im  europaischen  Russ- 
land  und  in  Kaukasien  in  Kreise  (Ujesde),  in  Sibirien,  so  wie  in 
den  Kosakenlandern  in  Bezirke  (Okruge)  eingetheilt. 

In  geographischer  und  historischer  Riicksicht  unterscheidet 
man:  1.  die  Ostsee -Provinzen,  —  2.  Grossrussland,  —  3.  das 
Czarthum  Kasan,  —  4.  das  Czarthum  Astrachan,  —  5.  Kaukasien, 
—  6.  Kleinrussland,  —  7.  Sudrussland,  —  8.  Westrussland,  — 
9.  Konigreich  Polen. 

1.  Ostsee-Provinzen(GouvernementIngermannland,  Finnland,  Esthland, 
Lievland,  Kurland):  St.  Petersburg  (530.000  Einwohner),  (LustschlOsser :  Cars- 


317 

koje-Selo,  Gatschina,  Feterhof,  Oranienbaum),  Kronstadt,  Schlusselburg,  Narwa; 
—  Helsingfors  (16.000)  Sweaborg,  Wiborg,  Abo,  Tornea,  Uleaborg,  Alands- 
Inseln;  Reval  (30.000),  Insel  Dagoe;  —  Riga  (71.000),  Dorpat,  Peraau;  Inseln: 
Oesel,  Moen;  —  Mi e tan  (30.000),  Liebaa. 

2.  Gross-Russland  (Gouvernement   Moskan,    Wladimir,  Nishnij-Nowgo- 
rod,    Smolensk,    Kaltiga,  Tula,    Rjasan,    Tambow,    Orel,  Kursk,    Wordnesh,    Pskow, 
Ndwgrorod,    Twer,    Jaroslaw,    Kostroma,    Wologda,    Olonez,  Archangel) :    Moskau 
(370.000),  Wladimir,  Nishnij-Nowgorod  (31.000),  Smolensk,    Kaltiga  (36.000),    Tula, 
(55.000),  Rjasan  (20.000),  Tambow,  Orel  (33.000),  Kursk  (36.000),  Wor<5nesh  (44.000), 
Pskow,    Ndwgorod-Weliki    (15.000),    Twer    (24.000),    Jaroslaw    (35.000),    Rybinsk, 
Kostroma,  Wologda,  Ustjng-Weliki,    Petrosawodsk,    Archangel,    Kola;    —    Inseln  : 
Kalgujew    und    Wajatsch   mit   wenigen    Samojedenfamilien ;    —    Nowaja-Zemlja    nur 
zeitweise  von  Fischern  und  Jagern  besucht;  • —   die    gebirgige  Inselgruppe  Spitzber- 
gen,  unbewohnt,  nur  wegen  des  Fischfanges  besucht ;  sehr  wenig  Pflanzen,  viel  Renn- 
thiere  und  Ffichse,  Wallfische  nnd  Robben;  Hafenplatz  Smerenburg;  der  langste  Tag 
und  die  langste  Nacht,  je  vier  Monate;  —  die  Inseln:  Hoffnnng,  Jan  Meyen  und  die 
Baren-  oder  Cherry-Inseln  sind  unbewobnt. 

3.  Czarthum  Kasan  (Gouvernement  Perm,   Wjatka,    Kasan,    Simbirsk, 
Pensa):    Perm    (12000),   Jekatarinenburg  (20.000),    Nishnij-Tagilsk,    Werchotnrje, 
Kasan  (50.000),  Simbirsk  (20.000),  Pensa  (20.000). 

4  Czarthnm  Astrachan  (Gouvernement:  Orenburg,  Samara,  Sar&tow, 
Astracban,  Stawropol):  Ufa  (14.000),  Orenburg  (21.000),  Uralsk,  Samara,  Sa- 
ri tow  (46.000),  Sarepta  (unter  den  mehr  als  100  deutschen  Kolonien  langs  der 
Wolga),  Astrachan  (50000),  Stawropol,  Georgiewsk. 

5.  Kaakasien:   Tiflis  (50.000),  Erivan  (15.000),  Kislftr,  Baku  (10.000) 
Der  bent  (12.000). 

6.  Klein-Rnssland  (Gonvernement:  Kiew,  Tschernigow,  Poltawa,  Char- 
kow):  Kiew  (63.000),  Tscbernigow,    Poltawa  (16.000),  Charkow  (33000). 

7.  SUd-RussIand  (Gonvernement:  Bessarabien,  Cherson,  Taurien,  Tscher- 
nomorien,    Jekatarinoslaw,    Land    der    doniachen    Kosaken):   Kischenew    (45.000), 
Chotim,    Bender,   Akjermann,    Cherson    (30000),    Nikolajew    (30.000),    Odessa 
(107.000),  Simpheropol,    Baktschi-Sarai  (13.000),    Perekop,   Eupatoria  (13.000),   Se- 
bastopol  (45.000),  Kaffa  (Feodosia),   Kertsch  (10.000),   Jekatarinodar  (im  Lande  der 
Kosaken  am  schwarzen  Meere). 

8.  West-Rnssland    (Gonvernement:   Kowno,   Wilna,    Grodno,   Witebsk, 
Mobilew,  Minsk,  Wolhynien,  Podolien):   Kowno,  Wilna  (56.000),    Grodno  (16000), 
Bialystok,  Witebsk  (20.000),    Dunaburg,  Mohilew  (24000),    Minsk  (24.000),    Bo- 
rissow,  Bobruisk,  Shitomir,  Berdyczew  (35.000),  Kaminiec-Podolski. 

9.  Konigreich  Poleil  (Gouvernement:  Warschan,  Radom,  Lublin,  Plozk 
Augustowo):  Warschau  (170.000),  Kalisch  (15000),  Censtochau,  Radom  (7000) 
Lublin  (17.000),  Plozk  (10.000),    Modlin  (10.000),    Sandomir,    Kielce,   Ostrolenka. 
Snwalki. 

Kitlturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Hauptbeschaftigung  dea  russischen  Volkes  bilden  der 
Ackerbau  und  die  Viehzucht;  diese  sind  die  Hauptquellen 
des  Nationalreichthums.  Die  Menge  des  kulturfahigen  Bodens  wird 
auf  61,500,000  Dessjatine*)  geschatzt ,  eine  Summe,  welche  im 
Verhaltnisse  zur  Gesammtflache  unbedeutend  ist,  da  sie  kaum  et- 
vvas  mehr  als  18%  der  letzteren  betragt.  Dagegen  nehmen  nahezu 
38%  des  ganzen  Areals  die  Walder  und  die  mit  grosserem  Ge- 
etrauche  bewachsenen  Strecken  und  iiber  6  Millionen  Dessj.  die 
Wiesen  ein ;  iiber  44%  werden  als^  fast  vOllig  unproduktives  Land 
gerechnet.  Die  ackerbautreibende  Bevolkerung  wird  auf  38  Mil- 

*)  1  geogr.  Grad  ist    -=  104.88  russischen  Wersten. 
1  D  Worst         .     —  104.,,  Dessjatine. 
1   Ueasjatina        „     =  2400  Sashen. 
1  Dessjitinaist  —  !.„,  niede  rfls  terrei  chischen  Joch. 


34* 

lionen  geschatzt.  Die  letzte  Ziffer  beweiset,  dass  die  Landwirth- 
schaft,  welche  in  jfingster  Zeit  in  grossem  Fortschreiten  begriffen 
ist,  die  Hauptbeschaftigung  der  ansassigen  Stamme  bildet;  doch 
gibt  es  in  dem  ausgedehnten  Reiche  noch  Fischer-  und  Jagervolker 
im  nordlichen  Asien,  sowie  zahlreiche  Nomadenstamme.  Ueberhaupt 
hat  kein  europaisches  Reich  eine  BO  buntgemiechte  Bevolkerung, 
fiber  hundert  an  Sprache,  Sitte  und  Lebensweise  verschie- 
deneVolksstamme,  woraus  die  vielfachen  Verschiedenheiten 
und  Abstufungen  in  der  Beschaftigungsart  dieser  Volker  erklarbar 
werden.  Besondere  Beachtung  muss  auch  der  Dichtigkeit  der 
Bevolkerung  in  den  verschiedenen  Gouvernements  und  Gebieten 
gewidmet  werden,  weil  die  Menge  der  A  rbeit  skrafte  als  ein 
wesentlicher  Faktor  bei  Betrachtung  der  Urproduktion  wie  bei  der 
Industrie  zu  berficksichtigen  ist.  Im  Allgemeinen  entfallen  in  Eu- 
ropa  an  660,  in  Kaukasien  an  478,  und  in  den  sibirischen  Gebie- 
ten 15  Einwohner  durchschnittlich  auf  1  QMeile ,  doch 
herrscht  in  einzelnen  Theilen  wieder  eine  groese  Verachiedenheit  *). 
Im  Allgemeinen  lasst  sich  vom  Ackerbaue  sagen,  dass  der- 
selbe  in  den  mittleren  und  siidwestlichen  Provinzen  des  europaischen 
Russland,  in  den  Ostseeprovinzen  und  in  Polen  am  ausgedehnte- 
sten  und  lohnendsten  betrieben  wird,  obwohl  das  Ergebniss  wegen 
Mangels  an  Arbeitskraften  verhaltnisamassig  hinter  jenem  der 
europaischen  Kulturlander  zuriickbleibt.  Auch  die  haufig  grossen 
Entfernungen  von  den  Marktplatzen,  der  Mangel  an  guten  Strassen, 
und  das  zahe  Festhalten  am  Altgewohnten  hemmen  den  rasche- 
ren  Aufschwung;  obgleich  die  grossen  Grundbesitzer  die  neuesten 
Verbesserungen  anderer  Lander  auf  ihren  Grundkomplexen  einfuhren, 
durch  Errichtung  von  Ackerbauschulen  und  Mustermeiereien  auf 
die  Hebung  ded  Landbaues  einwirken.  Die  eingeleitete  Auf  he- 
bung  der  Leibeigenschaft  wird  zunachst  in  dieser  Richtung 
gewiss  sehr  wohlthatig  einwirken.  Hau  p  tp  r  odukte  sind  Wei- 
zen,  Roggen  und  Gerste,  welche  in  ungeheurer  Menge  erzeugt 
werden  (man  schatzt  die  jahrliche  mittlere  Ernte  auf  250  Millionen 
wTschetwert"  a  3.41  Wiener  Metzen).  Ausser  dem  grossen  Bedarfe 
des  Landes  (iiber  165  Millionen  Tschet.)  und  der  enormen  Menge, 
welche  fur  die  Branntweinerzeugung  verwendet  wird  (fiber  10  Mil- 
lionen Tschet.)  gelangen  doch  Millionen  Metzen  fiber  Odessa,  dann 
aus  Polen  fiber  die  Ostsee,  selbst  iiber  das  weisse  Meer  aus  Ar- 
changel zum  Export.  In  den  letzten  Jahren  kann  dieser  Export- 
werth  wohl  jahrlich  auf  60  Millionen  Silberrubel  geschatzt  werden. 
Nach  dem  Getreide  werden  am  starksten  Hanf  und  Flachs  ex- 
portirt.  Die  Gegenden  um  Nowgorod,  Twer,  Riga,  an  den  Ufern 
des  Terek,  der  Wolga  und  im  Ural  wird  an  Hanf  weit  tiber  den 
Bedarf  gewonnen;  der  Flachs  ist  durchgehends  von  vorztiglicher 
Qualitat  (besonders  an  den  Ufern  der  Kama)  und  gedeiht  in  gros- 
ser Menge  sowohl  im  mittleren  Russland  als  in  den  Ostseeprovinzen. 
Der  Export  (nach  England  fiber  61%)  ist  sehr  gross  und  betrug 

*)  Es  kommen  z.  B.  im  Gouvernement  Moskau  an  2700,  im  Gouvernement  Tomsk 
95,  Archangel  17,  Jakuzk  4  Einwohner  auf  1  QMeile,  in  Kamtschatka  sogar  1  Ein- 
wohner auf  2  QMeilen. 


349 

im  Durchschnitt  der  letzten  Jahre  jahrlich  bei  Flachs  etwa  3V2, 
bei  Hanf  3  Millionen  Pud  (a  40  russische  Pfund ,  1  russisches 
Pfund  =  0.731S  osterreichische  Pfund).  Auch  russischer  Lein- 
samen  (vorziiglich  der  rigaische  und  lieflandische)  wird  wegen  der 
ausgezeichneten  Qualitat  im  Handel  sehr  geschatzt.  Unter  den 
Handelspflanzen  werden  noch  Raps,  Mohn,  Krapp  (urn  Kislar), 
Waid,  Hopfen  (hauptsachlich  in  der  Ukraine)  und  Tabak  ge- 
baut.  Der  Tabak  ist  ein  wichtiger  Zweig  des  Landbaues  in  den 
deutschen  Sarato w'schen  Kolonien,  in  Bessarabien  und  der 
Ukraine  *).  Sehr  starke  Verbreitung  findet  in  neuerer  Zeit  der 
Runkel  r  iibenb  au  in  den  mittleren  und  siidlichen  Gouverne- 
ments  (Tula,  Charkow),  welche  Kultur  bereits  auf  mehr  als  40.000 
Dessjatinen  betrieben  wird.  Der  Gartenbau  ist  im  Allgemeinen 
noch  auf  keiner  bedeutenden  Stufe ,  doch  ist  er  in  vielen  Gouver- 
nements  bekannt ;  am  beaten  ist  er  in  Bessarabien,  Astrachan,  vor- 
zuglich  in  Taurien,  wo  grosse  und  wohlunterhaltene  Garten  viel 
und  edles  Obst  und  Gemiise  liefern.  In  Bessarabien  (am  Pruth, 
Dnjestr  und  den  kleineren  Flussen)  bildet  der  O  b  s  t  b  a  u  einen 
wesentlichen  Theil  der  Wirthschaft,  vorziigliche  Pflaumen-  und 
Aepfelsorten  gelangen  zum  Export.  —  Der  Weinbau  vervoll- 
kommnet  sich  fortwahrend  und  nimmt  an  Umfang  zu.  Am  stark- 
sten  wird  er  im  taurischen  Gouvernement ,  besonders  an  der  Sud- 
westkiiste  der  Krimm ,  in  Podolien  und  Bessarabien ,  dann  in  den 
Gouvernements  Kiew,  Jekaterinoslaw ,  Cherson,  Astrachan  und  im 
Lande  der  donischen  Kosaken  betrieben.  Man  berechnet  den  Wein- 
ertrag  im  europaischen  Russland  auf  beilaufig  7V2  Million  Wedro 
(&  8  Stoof,  1  Stoof  ist  gleich  1.08  Wiener  Mass);  in  Transkauka- 
sien  ist  der  Ertrag  noch  grosser  (an  8T/2  Million  Wedro).  Dess- 
ungeachtet  ist  die  Einfuhr,  insbesondere  iranzosischer  Weine,  sehr 
betrachtlich  und  stieg  in  letzterer  Zeit  jahrlich  bis  zum  Werthe  von 
nahe  an  10  Millionen  Silberrubel.  --  Der  Waldwirthschaft 
stellen  sich  fast  uniiberwindliche  Hindernisse  entgegen,  welche  im 
Klima,  im  Ueberfluss  an  Holz ,  im  Mangel  an  Transportmitteln  bei 
grossen  Entfernungen  begriindet  sind.  Doch  finden  auch  hierin 
Abstufunoren  Statt.  Wahrend  der  Norden  Ueberfluss  an  Holz  hat, 
leidet  z.  B.  Kleinrussland  Mangel  daran.  Zu  den  grossten  Wal- 
dungen  gehoren  der  Wolchonskiwald  und  der  Wald  Bialowescha 
(Gouvernement  Grodno)  im  Umfange  von  160  Werst.  Die  Kron- 
waldungen  nehmen  eine  Flache  von  beilaufig  22.000  QMeilen  ein. 
Am  waldreichsten  sind  der  siidliche  Theil  der  Gouvernements  Ar- 
changelsk ,  Olonez ,  Wologda  und  Perm  *) ,  am  holzarmsten  die 

*)  Im  Jahre  1851  betrug  die  Erzengungsmenge  der  Kolonien  uber  374.000  Pad 
auf  einem  Flachenraume  von  7000  Dessjatinen ;  gegenwartig  mag  sich  das  Ertragniss 
auf  nahe  3  Millionen  Pud  belaufen.  Das  Landwirthschafts-Departement  lasst  all- 
jahrlich  frischen  Samen  aus  Havannah,  Maryland,  Virginien  und  Persien  kommen, 
und  vertheilt  ihn  unentgeltlich  unter  die  Landbaner.  Ueberhaupt  wird  dem  Tabakban 
eine  besondere  Aufmerksamkeit  zugewendet,  obwohl  bis  jetzt  der  grosse  Bedarf  durch 
die  heimische  Produktion  noch  nicht  gedeckt  wird. 

**)  Das  Gouvernement  Archangel  liefert  jahrlich  25.000  Fichtenbaume  von  20' 
Lange  und  etwa  13"  Durchmesser  zur  Verschiffung,  und  an  20.000  Stuck  fur  die 
Admiralitat.  In  den  Gouvernements  Wologda  und  Olonez  werden  jahrlich  je  fiber 
1  Million  Battme  gefallt. 


350 

Gouvernements  Astrachan ,  JekaterinoBlaw ,  Cherson  ,  Esthland. 
Der  Verbrauch  fiir  die  Marine,  den  Bergbau  und  die  Hiitten- 
werke  ist  sehr  gross  ;  aber  trotz  der  Holzverschwendung  im  Klei- 
nen  und  Grossen  exportirt  man  von  dem  Ueberflusse  fiber  die 
Ostsee  und  das  schwarze  Meer.  In  neuester  Zeit  ist  in  den  Kron- 
forsten  eine  streng  geregelte  Foretwirtbschaft  eingefiihrt  worden, 
wodurch  das  eigenmachtige  Holzfallen  und  die  Waldbrande  immer 
seltener  werden.  Im  Jahresdurchechnitt  betrug  bis  jetzt  der  Werth 
des  ausgeffihrten  Holzes  etwa  4  Millionen  Silberrubel.  Der  Ex- 
port an  P  o  1 1  a  s  c  h  e  ist  sehr  bedeutend ,  weiters  bildet  T  h  e  e  r 
einen  Hauptartikel  fiir  den  Export  in  Archangel;  auch  Bast 
zu  Schiffstauen  ,  Matten  u.  s.  w.  wird  in  grosser  Quantitat  be- 
reitet. 

Die  Viehzucht  ist  in  Russland  eine  feste  Grundlage  des 
Wohlstandes.  Die  absolute  Menge  von  Vieh  beweiset  jedoch  an 
sich  noch  nicht  den  Reichthum  an  Vieh,  das  Uebergewicht  eines 
Staates  fiber  den  anderen  in  dieser  Beziehung;  es  muss  vielmehr 
das  Verhaltniss  der  Stiickzahl  des  Viehes  zur  Flache  des  zur  Vieh- 
zucht geeigneten  Bodens  und  zur  Zahl  der  Einwohner  beruckflich- 
tigt  werden ,  sollen  hierin  nicht  Fehlschliisse  gezogen  werden. 
Vergleicht  man  Russland  in  dieser  Beziehung  mit  den  anderen  vier 
Grossmachten ,  so  ergibt  es  sich,  dass  Russland  an  absoluter 
Viehzahl  reicher  ist  als  jeder  der  vier  Staaten ;  —  hingegen  ist 
auf  einem  gleichen  Flachenraum  in  Russland  weniger  Vieh 
vorhanden  als  in  irgend  einem  jener  Staaten;  —  im  Verhalt- 
niss der  Stiickzahl  zu  ein  und  derselben  Anzahl  Bewohner 
ist  Russland  endlich  armer  als  England,  aber  reicher  als  die  ubrigen 
grossen  Staaten  *).  Trotz  des  absoluten  Reichthums  steht  somit 
Russland  hierin  noch  nicht  auf  der  wiinschenswerthen  Hohe  und 
bei  Vergleichen  auf  der  bezeichneten  Grundlage  gelangt  man  nicht 
bios  zu  statistisch  interessanten  Resultaten,  sondern  auch  zu  be- 
lehrenden  Fingerzeigen  fiir  die  Praxis ;  doch  fehlen  auch  hierin  noch 
vielfach  detaillirte  Nachweisungen.  Im  Allgemeinen  kann  man 
sagen,  dass  die  Viehzucht  im  sudlichen  und  stidostlichen  Russland, 
bei  den  nomadischen  Stammen  und  im  hoheren  Norden  (besonders 
die  Rennthierzucht)  vorherrecht ;  die  westlichen  und  sfidwestlichen 
Gouvernements,  sowie  Transkaukasien,  gehb'ren  zu  den  relativ  arme- 
ren  in  dieser  Hinsicht.  Urn  Orenburg  herum  ist  die  Kameelzucht 
sehr  beachtenswerth.  Hervorragend  ist  die  Pferdezucht  (mehr 
als  18  l/a  Million).  Die  bedeutendste  Anzahl  ist  in  den  Gouver- 
nements Orenburg,  Perm  und  Tobolsk,  die  geringste  in  Eriwan, 
Derbent  und  Kamtschatka.  Relativ  am  ausgebreitetsten  ist  diese 
Zucht  unter  den  sibirischen  Kirkisen ,  wo  die  ungeheuren  Tabunen 
(BPferdeherden")  eines  der  wesentlichsten  Existenzmittel  der  No- 

Haosthiere    aufl  QMeile    auf  100  Einwohner 

*)  In  Grossbritannien 56  Mill.  9706  Stuck  210  Stack 

,    Frankreich 49%  „  4908      „  149      -jf'stf 

,    Oesterreich 47J/3  ,  3800      .  128      „ 

„    Preussen 25%  ,  5058      .  155      „ 

.    Buss  land 109  355      .  170      ,, 


851 

maden  bilden.  Geschatzt  sind  fernera  die  eBthlandischen  Bauern- 
pferde,  dann  in  Podolien,  im  inneren  Grossrussland,  uberhanpt  in 
den  Ostlichen  Gebieten  und  im  Lande  der  donischen  Kosaken.  — 
Die  Hornviehzucht  ist  dort  am  ausgebreitetsten,  wo  sie  von 
der  Natur  am  meisten  begiinstigt  wird.  Die  Ilauptsitze  des  Rind- 
viehes  sind  Podolien,  das  Gouvernement  Charkow  ,  die  Kirgisen- 
steppe  und  die  Gouvernements  Archangel  und  Esthland  ;  weniger 
reich  an  Hornvieh  eind  die  Gouvernements  im  Inneren  und  in 
Kauknsien.  In  den  nordlichen  Theilen  dient  das  Hornvieh  zur 
Erlangung  von  Fleisch,  Hauten  (Leder)  und  Milch,  in  den  sudlichen 
wird  es  zudem  noch  als  Zugthier  und  zum  Ackerbaue  benutzt. 
Helativ  am  armsten  an  Hornvieh  ist  im  europaischen  Bussland  das 
Gouvernement  von  St.  Petersburg  und  in  Asien  das  Gebiet  von 
Kamtschatka.  In  Polen  verwenden  die  Gutsbesitzer  und  auf  den 
Krondomanen  die  Regierung  grosse  Sorgfalt  auf  die  Veredlung 
der  Racen  ;  das  Rindvieb  des  Bauers  ist  in  der  Regel  in  schlechte- 
rem  Zustande*).  —  Die  Schafzucht  ist  so  bedeutend  gestiegen, 
dass  gegenwartig  die  Anzahl  der  Schafe  (im  Jahre  1856  nahezu 
52  %  Million  Stuck)  die  des  Hornviehs  um  mehr  als  das  Doppelte 
Gbersteigt  und  darunter  sind  bereits  fiber  15%  veredelt.  Am 
ausgebreitetsten  ist  sie  im  sudlichen  Theile  (von  der  Wolgamundung 
zwischen  dem  kaspischen  und  schwarzen  Meere  bis  zur  Dnjestr-Mdn- 
dung),  wo  das  Klima  und  die  Steppenweiden  hierzu  sehr  giinstig  sind. 
Ungemein  stark  ist  sie  unter  den  nomadisirenden  Kirgisen,  welchen 
eine  biirgerliche  Organisation  und  der  Ackerbau  noch  fast  ganz 
unbekannt  sind.  Den  Kirgisen  dient  das  Schaf  statt  des  Geldes, 
um  den  Wert.h  aller  Dinge  zu  bestimmen  ;  auch  bildet  es  den 
Hauptgegen  stand  des  Handels  mit  den  benachbarten  Vb'lkern.  Re- 
lativ  am  armsten  sind  in  dieser  Beziehung  die  Gouvernements 
Wladimir  und  Moskau  ,  dann  die  am  baltischen  Meere  und  am 
finnischen  Busen  gelegenen.  Die  Zucht  feinwolliger  Schafe  bildet 
in  Russland  eine  Hauptquelle  des  Reichthutns  **).  —  Die  S  ch  weine- 
zucht  hat  noch  bei  weitem  nicht  die  wunschenswerthe  Ausbrei- 
tung,  am  starksten  ist  sie  in  Mittelrussland,  im  Suden  und  in  den 
kleinrussischen  Gouvernements  ,  wo  Schweinefleisch  und  Fett  den 
bedeutendsten  Theil  der  Volksnahrung  auemachen.  —  An  Kamee- 

*)  Im  Jabre  1856  z&hlte  man  an  2tj'/4  Million  Stack,  darchschnittlich  kamen 
249  Stuck  auf  1  QMeile  und  41  Stuck  uuf  100  Einwohner.  Im  Verbaltniss  zu  den 
europaischen  Grossmachten  stcllt  sich  folgende  Uebersicht  heraus  : 

auf  1  nMeile    auf  1°0  Einwohner 


in  Grossbritannien  .......     8    Millionen  Stack     1390  Stuck  28Stuck 

,  Frankreich  ...........   10            „             ,          993       .  29       . 

,  Oesterreich  ...........  12            „             ,          886.  30, 

.  Prenssen  ............     5            „            „        1057      »  33      , 

Russland  ist  also  in  Hinsicht  der  Gesammtzabl  des  Hornviehes,  als  anch  nach  deren 

Verhaltniss  zur  Zahl  der  Einwohner  reicher  als  diese  Staaten,  im  Verbaltniss  der 
Stuckzahl  znm  Flacbenranm  jedoch  arraer. 

**)  In  Hinsicht  der  absoluten  Anzahl  ist  Russland  reicher  als  die  vier  anderen 
Staaten  (Grossbritannien  40,  Frankreich  32,  Oesterreich  30,  Preussen  17  Millionen 
Stuck),  im  Verhaltniss  zur  Zahl  der  Einwohner  ist  es  nnr  reicher  als  Oesterreich,  im 
Verbal  tnibs  sum  Flachenraum  jedoch  weit  inner  ala  jeder  der  vier  Staaten. 


JJ52 

len  sind  zumeist  reich  Astrachan,  Taurien  und  Kaukasien,  wo  sie 
fast  ausschliesslich  von  Kalmuken  und  Tataren  gehalten  und  zum 
Transport  verwendet  werden.  —  Den  Reichthum  der  Samojeden 
und  Lappen  bilden  die^Rjennthier'e,  deren  Menge  auf  beilaufig 
450.000  geschatzt  wird.  Auf  Nowaja  -  Zemlja  kommen  auch  wilde 
vor.  Die  Rennthierzucht  bildet  fiir^das  Gouvernement  Archangel 
eine  sehr  lohnende  Beschaftigung  und  jene  Stamme  unterhalten 
einen  lebhafteren  Tauschhandel  als  man  gewohnlich  annimmt.  Im 
Friihjahre  ziehen  Tausendejauf  die^Jagd  und  den  Fischfang  aus, 
und  sie  bringen  dann  die  reiche  Beute  fiber  den  Ural  nach  Ob- 
dorsk  (an  der  Obmundung)J,und  die  grossen  russischen  Viehmarkte. 
Diese  kuhnen  und  unternehmungslustigen  Tauschhandler  ;  bleiben 
mehrere  Monate  auf  j;den  beschwerlichen  Ziigen;  doch  bringt  der 
Lappe  ausser  reichlichem  Gewinn  auch  Begriffe  einiger  Civilisation 
in  seine  Heimat.  Die  Jagd  bildet  vorziiglich  in  den  nordostlichen 
Landstrichen  einen  hochst  bedeutenden  Verkehrszweig.  Das  Pelz- 
werk  aus  Sibirien  und  Kamtschatka  list  kostbar  und  sehr  theuer; 
fiir  die  Hebung  des  Pelzhandels  hat  die  ..russisch-amerika- 
nische  Kompagnie"  sehr  viel  beigetragen.  Ganze  Volkerschaf- 
ten  zahlen  ihren  Tribut  der  Regierung  in  Pelzwaaren,  andere  mus- 
sen  statt  der  Abgaben  die  Pelzwaaren  zu  einem  festgesetzten  Preise 
uberlassen.  Die  grossten  Pelzwaarenmagazine  sind  in  Moskau ; 
auf  den  beriihmten  Messen  zu  Nishnij-Nowgorod  bilden  Pelzwaaren 
den  Hauptartikel.  —  Fur  andere  Volker,  insbesondere  im  Nordosten 
des  Reiches,  bildet  der  Fischfang  fast  die  einzige  Nahrungsquelle ; 
die  Gegenden  an  der  unteren  WoTga  erzielen  den  groseten  Gewinn 
durch  die  Caviarbereitung  und  die  Gewinnung  der  Hausenblase. 
Von  Archangel  und  Kola  wird  der  Wallfischfang  betrieben,  zu 
welchem  Zwecke  auch  eine  Aktiengesellschaft  in  Abo  besteht. 
Der  Fischfang  auf  dem  Caspi  -  See  ist  einer  der  bedeutendsten 
Erwerbszweige  des  Gouvernements  Astrachan;  er  gehort  theils  der 
Krone,  theils  den  Landbesitzern  am  Seeufer,  zum  Theil  ist  er 
freies  Gewerbe.  —  Die  Bienenzucht  wird  im  Allgemeinen 
schwunghaft  betrieben,  namentlich  in  Mittel-  und  Siidrussland,  wo 
sie  eine  Lieblingsbeschaftigung  der  Baschkiren ,  Tataren  und  an- 
derer  Stamme  bildet.  Wachs  und  der  sehr  geschatzte  Honig  sind 
wichtige  Exportartikel.  —  Der  Seidenbau  wird  in  Siidruss- 
land, Transkaukasien ,  Bessarabien  und  in  der  Krim  betrieben, 
und  breitet  sich  von  Jahr  zu  Jahr  aus.  Besonders  bluht  die 
Seidenzucht  am  Kaukasus,  wo  auch  recht  gute  Stoffe  (wKanaus") 
erzeugt  werden,  langs  des  Kurflusses  von  Kutais  (Mingrelien)  bis 
zum  Caspi  -  See ,  um  Derbent ,  Astrachan,  dann  am  azow'schen 
Meere  u.  s.  w. 

Eine  Berechnung  des  Ertragswerthes  der  Erzeugnisse  der 
Urproduktion  ist  unter  den  gegebenen  Verhaltnissen  und  den  viel- 
fachen  Abstufungen  der  socialen  Verhaltnisse  und  Kulturzustande 
der  Volkerschaften  und  Landstriche  nicht  wohl  moglich ;  doch 
durfte  eine  annahernde  Schatzung  derselben  auf  2000  Millionen 
Silberrubel  (nach  Tengoborsky)  sicherlich  nicht  zu  hoch  gegrif- 
fen  eein.  In  neuerer  Zeit  wird  sowohl  seitens  der  Rogierung 


353 

als  (lurch  zahlreiche  landwirthschaftliche  und  Geldinstitute ,  so 
wie  durch  Belehrung  sehr  viel  zur  Hebnng  der  Landwirthschaft 
geleistet,  und  em  Fortschritt  in  dieser  Richtung  kann  nicht  ge- 
laugnet  werden. 

Der  Bergbau.  Der  Reich  thum  Russlands  an  Met  alien  und 
Mineralien  fiberhaupt  ist  so  bedeutend,  dass  er  von  keinem  Staate 
fibertroffen  wird.  Die  Bergwerke  sind  theils  Eigenthum  der  Krone 
(,,Kronbergwerke") ,  theils  Eigenthum  von  Privaten;  die  Zahl  der 
letzteren  ist  die  starkere,  insbesondere  besitzen  die  Fiirsten  von 
Demidoff  die  meisten  und  reichsten  Gold-  und  Platinawerke.  An 
Gold  betrug  die  Jahresausbeute  in  den  letzten  Jahren  beilaufig 
1500  Pud  und  an  S  i  1  b  e  r  jahrlich  fiber  1000  Pud.  Den  gross- 
ten  Antheil  daran  hat  das  asiatische  Russland,  —  in  Europa  sind 
hierin  die  Gouvernements  Jekaterinoslaw,  Perm  und  Orenburg 
ausgezeichnet ;  —  die  Goldminen  und  Goldwaschereien  am  Ural 
waren  ehedem  die  reichsten  auf  der  Erde.  S  i  1  b  e  r  wird  weniger 
am  Ural,  dagegen  zumeist  am  Altai  und  in  den  taurischen  Berg- 
werken  (sibirisches  Gouvernement  Irkutsk)  gewonnen.  Auch  im 
Kaukasus  und  der  Kirgisensteppe  wird  der  Silber-  und  Bleihiitten- 
betrieb  gepflegt.  PI  at  in  a  oder  wdas  weisse  Gold"  gewinnt  man 
im  Gouvernement  Perm ,  meistens  in  den  Demidoff 'schen  Grubeu 
und  zwar  in  manchen  Jahren  fiber  100  Pud.  Die  Ausbeute  an 
Kupfer  betragt  im  Jahresdurchschnitte  nahezu  400.000  Pud,  vor- 
ziiglich  im  Ural ,  Altai ,  im  Gouvernement  Olonez ,  auch  in  Polen 
und  Finnland.  An  Eisen  von  vorziiglicher  Qualitat  ist  ebenfalls 
grosser  Reichthum,  denn  in  den  letzteren  Jahren  stellte  sich  die 
Ausbeute  schon  iiber  25  Millionen  Pud.  Die  Eisenerze  kommen 
zwar  in  alien  Gebirgen  Russlands  vor,  doch  hat  die  Eisenproduk- 
tion  ihren  Hauptsitz  im  Ural  (in  den  Gouvernements  Perm,  Oren- 
burg, Wjatka,  dann  Wologda);  die  bedeutendsten  Werke  sind  bei 
Nishnij-Nowgorod  (vorzugliche  Stahlofen).  In  Polen  ist  das  Gou- 
vernement Radom  fiir  Eisen  sowie  Kupfer  bedeutend ,  auch  in 
Finnland  ist  der  Eisenbau  schon  von  Alters  her  bekannt.  Russland 
deckt  nicht  nur  seinen  Bedarf  an  Eiaen ,  sondern  exportirt  noch 
(im  Jahre  1857  fiber  800.000  Pud).  Zinn  wird  am  Ladoga-See 
(bei  Pitkaranda),  Zink  in  Finnland  und  Polen,  Galmei  in  Polen 
zu  Tage  gefordert.  Die  wichtigsten  Bleigruben  liegen  in  Sibirien, 
wo  sich  Silbererze  mit  Bleierzen  zusammen  finden  und  grossten- 
theils  gemeinschaftlich  bearbeitet  werden. 

Die  im  Allgemeinen  bedeutende  Gewinnung  von  S  a  1  z  (an  30  Mil- 
lionen Pud)  reicht  jedoch  fur  den  Bedarf  (fiber  34  Millionen  Pud) 
nicht  aus  und  es  findet  hierin  ein  ansehnlicher  Import  statt.  Stein- 
salz  wird  in  den  Gouvernements  Orenburg  und  Astrachan,  —  Quell- 
salz  in  Perm,  am  Ilmen-See  und  anderen  Orten  gewonnen.  Sehr 
viel  Salz  gewinnen  die  Kalmucken  aus  dem  ,,goldenen  See"  (Salzsee 
Elton  und  mehreren  Salzseen,  alle  siidostlich  von  Saratow);  die 
Salzseen  in  der  Krim  (bei  Perekop)  und  in  Bessarabien  liefern  eben- 
falls erhebliche  Quantitaten.  Die  grosste  Salzsiederei  ist  in  Charkow. 
In  den  sudlichen  und  westlichen  Provinzen  ist  auch  ein  Ueberfluss 
an  Sal  peter.  —  Die  Ausbeute  an  S  t  ei  nkoh  len,  diesem  wesent- 

Klun's  Hnndols  Geographic.     2.  Anfl.  23 


354 

lichen  Hilfsmittel  ffir  Industrie  und  Verkehr,  ist  bei  Weitem  nicht 
ausreichend,  sie  Qbersteigt  bis  jetzt  kaum  1  Million  Zentner.  Die 
relativ  reichsten  Gruben  sind  in  der  Umgegend  von  Perm,  Now- 
gorod  am  Ilmensee,  Moskau,  im  siidlichen  Russland  und  Polen, 
Zahlreiche  und  ausgedehnte  Torflage  r  aind  in  Kurland,  Liefland, 
um  St.  Petersburg  und  Moskau.  —  Unter  den  nutzbaren  Mineralien 
verdienen  Erwahnung  Alaun,  Vitriol  und  Schwefel.  In  Taurien 
grabt  man  Porzellanerde ;  im  Ural  findet  man  Diamanten,  Smaragde, 
Topase;  am  schwarzen  Meere  sind  Naphtaquellen.  An  Mineral- 
quellen  ist  Russland  nicht  besonders  reich ;  sehr  bekannt  ist  ubrigens 
der  Sauerbrunnen  von  Lipezk  (nordlich  von  Woronesch). 

Gewerbliche  Industrie.  Russland  ist  vorherrschend  ein  acker- 
bautreibender  Staat  im  ausgedehntesten  Sinne  des  Wortes;  das  Fa- 
brikswesen  in  bedeutenderem  Grade  wird  nur  in  einigen  Gouverne- 
ments  betrieben  und  gehort  erst  der  neueren  Periode  an.  Seit  Peter 
dem  Grossen,  unter  welchem  europaische  Kultur  und  hohere  ge- 
werbliche  Thatigkeit  in  Russland  Eingang  zu  finden  begannen,  bis 
auf  Kaiser  Nikolaus  war  die  Entfaltung  der  technischen  Kultur  eine 
fast  unbedeutende ;  erst  unter  Nikolaus  und  dem  gegenwartigen  Mon- 
archen  begann  ein  hoherer  Aufschwung,  der  jetzt  in  frQher  nicht 
geahnter  Weise  sich  kund  gibt. 

Es  ist  bis  jetzt  noch  nicht  moglich  gewesen,  vollig  genugende 
Nachweise  iiber  die  Anzahl  der  Fabriken  und  Manufakturen  und 
der  in  denselben  beschaftigten  Arbeiter  zu  liefern ;  doch  diirfte  die 
Zahl  der  ersteren  hoher  als  10.000,  die  der  letzteren  iiber  1  Million 
sein.  Der  Werth  der  Fabriks-  und  Manufakturerzeugnisse  wird  fur 
das  Jahr  1856  offiziell  mit  224 '/,  Million  Silberrubel  angegeben  (also 
um  beilaufig  68T/2  Million  Silberrubel  mehr  als  im  "jahre  1849), 
wovon  auf  Kaukasien  nur  etwas  iiber  '/2,  auf  die  sibirischen  Gou- 
vernements  iiber  ll/2  Million  Silberrubel,  —  der  ganze  grosse  Rest 
jedoch  auf  die  europaischen  Gouvernements  entfallt.  Es  kommen 
sohin  in  Russland  auf  ein  en  Einwohner  etwa  3T/2  Silberrubel*). 
Die  grossere  Halfte  des  Werthes  der  industriellen  Erzeugnisse  (mit 
117  Millionen  Silberrubel)  entfallt  auf  die  vier  europaischen  Gou- 
vernements Moekau,  St.  Petersburg,  Wladimir  und  Perm, 
welche  schon  den  Vergleich  mit  den  anderen  europaischen  Industrie- 
staaten  aushalten  konnen**).  —  Moskau,  der  Mittelpunkt  des  Rei- 
ches,  ist  zugleich  der  Mittelpunkt  fiir  die  ganze  industrielle 
Thatigkeit;  von  Moskau  verbreitet  sich  die  gesammte  nationale 
Entwickelung  auf  alien  Gebieten  menschlicher  Thatigkeit. 

In  der  Fabriksindustrie  nimmt  gegenwartig  jene  in  Baum- 
woll  e  den  ersten  Rang  ein.  Die  Einfuhr  von  Baumwolle  zum  innern 

*)  Tengoborski  berechnet  schon  fur  das  Jahr  1851  den  Werth  der  Fabriks- 
und  Manufakturprodnkte  mit  550  Millionen  Silberrubel  and  den  Durchschnittswerth 
tiir  jeden  Einwohner  auf  circa  8'/g  Silberrubel,  wobei  er  jedoch  nicht  nur  speziell  die 
Fabriken  und  Manufakturen,  sondern  auch  die  Handworker  und  die  hausliche  gewerb- 
liche  Beschaftigung  mit  in  Eechnung  zieht. 

**)  Im  Gouvernement  St.  Petersburg  entfallen  an  Fabriks-  und  Mannfakturer- 
zeugnissen  auf  ein  en  Kopf  fast  35,  in  Moskau  25,  in  Wladimir  17,  in  Perm  fast 
10  Silberrubel  (in  Grossbritannien  48,  in  Frankreich  27 V,,  in  Preussen  26,  und  in 
Oesterreich  16  Bilberrubel). 


355 

Verbrauch  ist  vom  Jahre  1822  mil  70,000  bis  zum  Jahre  1857  auf 
nahe  2  V2  Million   Pud   gestiegen.     Der  Hauptsitz    der    Fabrikatipn 
ordinarer  und    mittlerer  Gattung   ist    in  und    bei  Moskau  (Schuja, 
Wladimir,  Iwanow),  dann  Kasan,  Kaluga  und  St.  Petersburg,  welches 
letztere    sich    besonders    durch    feine  Zeugdruckereien    auszeichnet. 
Uebrigens   werden    ordinare  Waaren    fiir  den  Hausbedarf   und  den 
Absatz  nach  den  benachbarten  asiatischen  Landern  vielfach  von  den 
Landleuten  verfertigt ;    an    feineren    werden    namhafte  Mengen    im- 
portirt,  da  die  Erzeugung  der  Fabriken    nicht  ausreicht.     In  Polen 
ist  die  Baumwollspinnerei  und  Weberei  ziemlich  bedeutend,  dagegen 
in  Finnland  kaum  nennenswerth.     Neuere  verlassliche  Daten  iiber 
die  Anzahl   der   Fabriken,    die    Menge   und   den    Werth    der   Er- 
zeugnisse  fehlen  noch ;  die  alteren  geben  bei  dem  dermalen  nicht  zu  ver- 
kennenden  Aufschwunge  in  der  raschen  Entwickelung  dieses  Indu- 
striezweiges  kein  richtiges  Bild.  —  Die  Leinenindustrie  bildet 
in  Hinsicht  der  Menge  der  Erzeugnisse  und  der  dabei  verwendeten 
Arbeiter  einen  der  Hauptzweige  russischer  Gewerbsthatigkeit ;  allein 
in  der  Qualitat   stehen  diese  Fabrikate  vielfach  den    iibrigen    euro- 
paischen  weit  zuriick.     Wie  in  einigen    anderen  Landern    wird  die 
Handweberei   fast  durchgehends  als  ,,landwirthschaftliche  Nebenbe- 
schaftigung"  betrieben,  der  Bauer  deckt  nicht  nur  den  eigenen  Be- 
darf  an  grober  Leinwand,  er  bringt  davon  noch  zum  Verkaufe.  Die 
Erzeugung  feiner  Fabrikate  ist  relativ  eine  geringe.     Das  russische 
Segeltuch  und  Tauwerk  wird  seit  jeher  sehr  geschatzt    und    in  be- 
deutender  Menge  exportirt.     Der  Hauptsitz    der  Leinenindustrie  ist 
der  Landstrich  in  Mittelrussland,   zwischen  Wologda,  Nishnji- 
Nowgorod,  Rjasan,  Tula,  Kaluga,  Moskau  und  Twer,  iiberhaupt  der 
industriellste  Theil  Ruaslands.     Ein  zweiter  industrieller  Bezirk  zieht 
sich  von  St.  Petersburg  iiber  Pskow,  Marienburg,  Roop  nach  Riga 
und  Mietau,  das  ist  zwischen  dem  finnischen  und  rigaischen  Meer- 
busen.     Auch    die  Seestadte  Archangel,    Odessa  und  Cherson  sind 
in  der  Fabrication  vortrefflicher  Seilerwaaren   bekannt.  —  Die  Fa- 
brikation  in  Schafwolle  ist  zunachst   von  der  Veredlung  und 
Vermehrung  der  Schafe  abhangig,  worin  Russland  riesige  Fortschritte 
macht.     Auch  hierin    muss    die  Erzeugung    des    ordinaren  Bauern- 
tuches  durch  die  Landbevolkerung  von  den  mittelfeinen  und    feinen 
Fabriktiichern  geschieden  werden.    Die  Fabrikation  der  letzteren  deckt 
nicht  den  Bedarf  des  Landes ;  es  werden  zwar  an  20%  der  Fabri- 
kation iiber  Kiachta  nach  China  exportirt,  doch  mtissen  auch»bedeu- 
tende  Quantitaten    nach  Russland    importirt    werden.     Fiir  T  u  c  h  e 
sind  Moskau,  Sarepta,  St.  Petersburg,   Kaluga,  Rjasan   und  andere 
bekannt;  —  fiir  Teppiche:  Smolensk,  Woronesch,  Warschau,  fur 
feine  Teppiche  und  Tapeten  vor   allem  St.  Petersburg.     Die  Tuch- 
fabrikation   in  Polen    hat  unbedingten  Vorzug    vor    der    russischen, 
vorziiglich   in    feinen  Tuchsorten    und    zwar  Opatowek,   Tomaszow 
(feine  Tuche) ,    Alexaudrow ,    Ozorkow ,    £odz  und  Zgierz    (mittlere 
Qualitaten)  und  andere.     Auch  die  Kashmirspinnereien,  die  Erzeu- 
gung   yon  Shawls    u.  s.  w.    gewinnt    an  Ausdehnung.     Fiir   diesen 
Industriezweig    ist    sowie   fiir    die  Leinenindustrie    der  Rohstoff  in 
grosser  Menge  vorhanden  und  diese  kann  noch  sehr  bedeutend  ge- 

23* 


356 

steigert  werden.  —  Die  Kattun-  und  Schafwolldruckereien  haben  in 
neuerer  Zeit  sehr  grosseii  Aufschwung  genommen.  Der  Verbrauch 
anSeidenwaaren  ist  fortwahrend  im  Steigen,  doch  kann  er  durch 
die  einheimische  Produktion  bei  Weitem  nicht  gedeckt  werden,  'da 
das  Land  auch  Rohstoff  nicht  in  ausreichender  Menge  erzeugt,  welcher 
aus  Italien,  Persien  und  China  bezogen  werden  muss.  Nichts  desto- 
weniger  schreitet  die  Fabrikation  in  Moskau,  St.  Petersburg,  Astra- 
chan,  Pensa  u.  s.  f.  in  der  Quantitat  und  Qualitat  erfreulich  vorwarts; 
den  grosseren  Bedarf  deckt  das  Land  durch  Import  aus  Frankreich, 
Deutschland  und  der  Schweiz.  Einen  grossen  Grad  der  Vollkom- 
menheit  haben  die  mit  Gold  und  Silber  durch wirkten,  dann  die 
halbseidenen  und  die  Mobelstoffe  erlangt.  —  Die  Lederbereitung 
geniesst  seit  jeher  ausgezeichneten  Ruf.  Der  grosse  Reichthum  an 
Roh-  und  Gerbestoffen  hat  diesem  Zweige  eine  enprme  Ausdehnung 
gegeben,  obwohl  namentlich  die  kleineren  Gerbereien  in  technischer 
Beziehung  mehrfach  hinter  den  raschen  Fortschritten  mancher  Lander 
zuriickgeblieben  sind.  Auch  bei  dieeem  Industriezweige  findet  zwi- 
schen  der  im  ganzen  Reiche  verbreiteten  handwerksmassigen  Be- 
reitung  und  dem  Fabriksbetriebe  ein  grosser  Unterschied  in  der 
Qualitat  statt.  Den  ersten  Rang  haben  die  russischen  Juchten  (oder 
Juften),  welche  zumeist  im  mittleren  und  nordlichen  Russland  er- 
zeugt werden  (Jaroslaw,  Kostroma,  Pskow,  Moskau,  Wladimir  und 
Aetrachan);  —  ausgezeichnete  Saffiane  und  das  beste  Glanzleder 
liefern  Kasan,  Twer,  Astrachan,  die  Krim;  auch  Schaf-,  Ziegen- 
und  Rennthierfelle  werden  in  grosser  Menge  verarbeitet.  Unter  den 
Fabrikaten  sind  erwahnenswerth :  die  schonen  Handschuhe  (doch 
nicht  in  ausreichender  Menge)  von  Moskau  und  St.  Petersburg ;  die 
Schuhmacherarbeiten ,  welche  vorzuglich  im  Gouvernement  Twer 
eine  ungemeine  Ausdehnung  erlangt  haben,  und  wo  jahrlich  an  2T/2  Mil- 
lion Paar  Stiefel,  Schuhe  u.  s.  w.  zu  Markt  gebracht  werden.  Unter 
diesen  sind  die  Schuhe,  Stiefel  und  Pantoffel,  deren  Oberleder  mit 
Gold-  und  Seidenstickereien  geziert  ist,  bemerkenswerth ,  obgleich 
diese  Fabrikate  mehrfach  den  auslandischen  in  der  Qualitat  nach- 
stehen.  Auch  Polen  besitzt  grosse  Lederfabriken,  Finnland  jedoch 
nur  wenige.  —  Zu  den  Hauptindustrien  Russlands  gehort  noch  die 
Fabrikation  in  Metallwaaren,  wobei  ebenfalls  die  Hand- 
arbeit  von  der  Fabriksarbeit  unterschieden  werden  muss.  Keine  der 
beiden  Richtungen  deckt  den  inneren  Bedarf,  obwohl  beide  an  Um- 
fang,  zum  Theil  auch  in  Hinsicht  der  Qualitat,  sehr  bedeutend  vor- 
warts geschritten  sind.  Die  Einfuhr  fremder  Waaren  der  feineren  Sorte 
ist  trotz  der  hohen  ZSlle  so  bedeutend,  dass  sie  im  Jahre  1857  den 
Werth  von  7  V2  Million  Silberrubel  uberstiegen  hat.  Die  Handarbeit 
ist  im  ganzen  Reiche  mehr  oder  minder  verbreitet;  die  Fabriken 
konzentriren  sich  in  vereinzelten  Gruppen.  Mehrere  hundert  Eisen- 
und  Kupferhiitten,  Hochofen  und  Hammerwerke  sind  hierbei  th'atig. 
Fiir  die  verschiedenen  Ardkel  verdienen  Erwahnung :  fur  Schnei- 
dewerkzeuge  St.  Petersburg,  Moskau,  Tula,  Pawlow,  Worsma  (bei 
N.  Nowgorod),  —  fur  Handwerksgerathe  Tula,  —  fur  Gewehre  Tula, 
Wotka,  Sestrabek,  —  Kanonengiessereien  in  St.  Petersburg,  Kron- 
s»adt,  Cherson,  Lipezk,  —  fiir  Stahlwaaren  Tula,  Moskau,  Warschau, 


857 

Kasan,  —  fur  Bronze-,  Gold-  und  Silberwaaren  Moskau  und  St. 
Petersburg,  --  Edelsteinschleifereien  sind  in  Jekaterinoslaw  und 
St.  Petersburg,  —  die  schonsten  Uhren  in  Moskau  u.  s.  w. 

Ausser  diesen  Hauptzweigen  der  russischen  Industrie  verdienen  noch  Be- 
achtung:  die  grossen  Papierfabriken  in  Jaroslaw,  Kostroma,  Moskaa,  Kaluga, 
urn  Petersburg,  in  Jeziorna  in  Polen.  Auch  die  Fabrikation  von  Papiertapeten  ist 
sehr  ausgebreitet.  Trotz  des  unverkennbaren  Aufschwunges  dieses  Industriezweiges, 
mit  clem  sich  fiber  200  Etablissements  beschaftigen,  genugt  die  Prod  aktion  nicht  fur 
den  Bedarf.  —  Glasfabriken  sind  in  Wolhynien,  Liefland,  Wladimir,  in  Polen, 
die  schOnsten  Spiegel-  nnd  Krystallwaaren  liefert  die  kaiserliche  Fabrik  in  St.  Peters- 
burg. —  Porzellan  und  Fayence  von  bester  und  schonster  Art  wird  in  Gat- 
schina  (bei  Petersburg)  und  in  Twer  gefertigt;  ansgebreitet  ist  diese  Industrie  zu- 
meist  im  Gouvernement  Moskau,  wo  (im  Jahre  1853)  33  Fabriken  bestanden.  — 
Holzwaaren,  namentlich  Hausgerathe  fur  die  Banern,  liefern  fast  alle  Stadte  und 
DOrfer;  die  schOnsten  Mobeln:  St.  Petersburg,  Moskau,  Warschau.  —  Zucker- 
raffinerien  sind  in  St.  Petersburg,  Riga,  Moskau;  Kunkelrubenzucker- 
fabriken  sind  in  grosser  Anzahl  durch  das  ganze  Land  verbreitet.  —  Die  chemi- 
schen  Fabrikeu,  die  vorziiglich  im  Gouvernement  Moskau  zahlreich  vertreten 
sind,  liefern  fiber  den  Bedarf  Pottasche,  Vitriol,  Salpeter,  Alaun,  Schwefel,  Farben, 
Schiesspulver.  —  Ungemein  zahlreich  sind  die  Branntweinbrennereien,  doch 
sind  auch  die  Essig-  und  Bierb  r auer eien  sehr  ausgedehnt;  —  die  vielen  Ta- 
bakfabriken  in  den  Gouvernements  St.  Petersburg,  Moskau,  Bessarabien,  Liefland, 
Kiew  und  Minsk  decken  nicht  den  grossen  Bedarf.  —  Ein  eigenthumlicher  Industrie- 
zweig  ist  dieLindenbast-Mattenfabrikation,  welche  am  starksten  in  den 
Gouvernements  Wjatka,  Kostroma,  Kasan,  Wologda  und  Pensa  betrieben  wird  und 
jahrlich  fur  3  Millionen  Silberrubel  Lindenrinde  von  700.000  bis  1  Million  Linden- 
baumen  zu  etwa  14  Millionen  Matten  und  Mattensacken  verbraucht.  Davon  gehen 
etwa  31/,  Million  Stuck  fiber  Archangel,  St.  Petersburg.  Riga  und  Taganrog  ins 
Ausland.  Sehr  bedeutend  ist  auch  der  Verbrauch  des  Bastes  zur  Fnssbekleidung, 
wozu  fibrigens  auch  Birkenrinde  und  Weidenbast  verwendet  wird.  In  vielen  Gouver- 
nements werden  Fassbander  in  grosser  Anzahl  verfertigt ;  diese  sowohl  als  die  in 
zahlreichen  Sagemuhlen  erzeugten  Bretter,  Latten,  dann  Bauholz  aller  Art  gelangen 
in  bedeatender  Menge  zur  Ausfuhr.  —  Sehr  wichtige  Artikel  der  russischen  Industrie 
sind  ferners  Seife,  Talglichter  (Archangel,  St.  Petersburg),  Stearin-  und 
Wachskerzen,  Borsten,  endlich  Theer  (Archangel,  Wologda),  welcher  fast 
ausschliesslich  fiber  Archangel  in  grosser  Menge  ausgeffihrt  wird.  —  Schliesslich 
verdient  noch  derSchiffbau  besondere  Hervorhebung,  welcher  in  alien  Seestadten 
und  an  den  grosseren  Flfissen  betrieben  wird. 

HandelsverhaHnisse.  Mit  Peter  dem  Grossen  begann  fiir 
den  Handel  Russlands  eine  neue  A  era.  Wahrend  vorher  fast  aller 
Verkehr  nach  aussen  nur  zu  Lande  betrieben  wurde,  Kiew  der 
Stapelplatz  fiir  den  gewinnreichen  Landhandel  aus  dem  Oriente  nach 
dem  Norden  und  Archangel  der  einzige  Hafen  war;  gewann  das 
Reich  durch  die  Eroberung  der  Osteeeprovinzen  und  durch  die 
Grundung  der  Stadt  St.  Petersburg  mehrere  wichtige  Handelshafen 
an  der  Ostsee.  Die  grosse  Katharina  II.  erweiterte  das  Reich  durch 
Eroberungen  im  Siiden,  erwarb  die  Provinzen  am  schwarzen  Meere 
und  (im  Jahre  1774)  die  freie  Schiffahrt  auf  diesem  Meere.  Durch 
diese  direckte  Verbindung  mit  Konstantinopel  und  dem  Mittelmeere 
belebte  sich  der  Handel;  Cher  son  und  noch  mehr  der  im  Jahre 
1792  gegriindete  Freihafen  Odessa  bluhten  rasch  empor,  und 
letztere  Stadt  wurde  bald  die  zweite  Handelsstadt  des  Reiches. 

Bedeutende  Fortschritte  hat  der  Handel  Beit  dem  Frieden  1815 
gemacht.  Die  Lage  des  Landes  an  vier  Meeren,  die  vielen  meist 
vortrefflichen  Hafen,  die  zahlreichen  natiirlichen  und  kunstlichen 
Wasserstrassen,  welche  in  naher  Zukunft  durch  eine  Kanalverbin- 


358 

dung  des  schwarzen  mit  dem  kaspischen  Meere  noch  an  Ausdehnung 
gewinnen  werden,  der  grossartige  Schlittentransport  und  die  im 
Allgemeinen  entsprechend  unterhaltenen  Strassen  tragen  wesentlich 
zur  Forderung  des  inneren  und  ausseren  Handels  bei. 

Der  Handel  Russlands  ist  fibrigens  in  steter  Steigerung  begrifFen,  welche  in 
den  grossen  Hilfsquellen  des  ungehearen  Reiches  ihre  Begriindang  findet.  Die  Eman- 
cipation der  Leibeigenen  und  ihre  Umwandlung  in  erbzinspflichtige  oder  ganzlich 
freie  Bauern  wird  die  Produktionskrafte  ungemein  vervielfachen,  den  Handel  erweitern 
und  cine  volkswirthschaftliche  Umwandlung  hervorrufen.  Noch  grossartiger  durfte 
sich  der  asiatische  Handel  wegen  der  zunehmenden  Bedeutung  Sibiriens  gestalten, 
indem  Russland  durch  die  Gewinnung  des  Amur-Gebietes  zu  einem  Haupttheilnehmer 
am  Handel  im  grossen  Ocean  berufen  ist,  und  durch  die  Eroberungen  im  Kaukasus 
mit  Central-Asien  in  nahere  direkte  Verbindung  tritt.  Ohne  Zweifel  stehen  Russ- 
lands Industrie  und  Handel  gegenwartig  anf  einem  hochst  bedeutenden,  folgenreichen 
Wendepunkte. 

Der  aussere  Handel  wird  in  einen  europaischen  und  einen  asiati- 
schen  eingetheilt.  Diese  Eintheilung  hat  weniger  in  geographischen  Riicksichten, 
als  in  dem  Unterschiede  der  Handelsbeziehungen  Russlands  zum  Westen  und  Osten 
ihren  Grund,  welcher  Unterschied  durch  den  Zustand  der  einheimischen  Industrie  und 
durch  die  Stellung  Russlands  als  vermittelndes  Element  zwischen  Europa  und  Asien 
bestimmt  wird.  Wahrend  namlich  Russland  in  seinen  answartigen  Beziehungen  dem 
Westen  gegentiber  als  Agriknlturstaat  erscheint,  tritt  er  dem  Osten  ge- 
geniiber  als  Manufakturstaat  auf.  Allein  das  Uebergewicht  des  russisch- 
europaischen  Handels  fiber  den  asiatischen  bevveiset,  welches  grosse  Uebergewicht  die 
Landwirthschaft  und  die  landwirthschaftliche  Industrie  fiber  die  Manufaktur-Industrie 
Russlands  besitzen. 

Der  russische  Handelsstand  wird  in  drei  Gilden  getheilt.  Die  Kaufleute 
der  ersten  Gilde  haben  das  Recht  im  In-  und  Auslande  unbeschrankten  Handel, 
sowie  Banquier-,  Wechsel-  und  Assekuranzgeschafte  zu  betreiben ;  —  jene  der  zwei- 
ten  Gilde  kSnnen  im  Inlande  unbeschrankten  Handel,  mit  dem  Auslande  jedoch 
nur  bis  zum  Betrage  von  jahrlich  90.000  Silberrnbel,  —  nnd  endlich  jene  der  drit- 
ten  Gilde  nur  im  Inlande  jede  Art  von  Handel,  sowohl  mit  inlandischen,  als  mit 
den  durch  Kauflente  der  beiden  ersten  Gilden  eingefiihrten,  auslandischen  Waaren 
betreiben.  Zur  Erlangung  dieser  Handelsrechte  ist  die  Anmeldung  der  Kapitalien 
erforderlich,  mit  welchen  sie  jahrlich  Geschafte  machen  wollen,  und  zwar  fur  die  erste 
Gilde  mindestens  15.000,  fur  die  aweite  6000  und  fur  die  dritte  2400  Silberrnbel 
im  Jahre.  Im  Lande  der  donischen  Kosaken  und  in  Transkaukasien  existiren  diese 
Gilden  nicht. 

Im  Jahre  1856  waren  angemeldet:  Kapitalien  erster  Gilde  1149,  Kapitalien 
zweiter  Gilde  2909,  Kapitalien  dritter  Gilde  51.012,  zusammen  55.070,  wovon  auf 
die  europaischen  Gonvernements  53.072  kamen.  Diese  geringe  Zahl  von  Kauflenten 
(da  im  ganzen  Reiche  auf  1160  Einwohner  1  Kaufmann  und  auf  fast  16.000  Ein- 
wohner  1  En-gros-Handler  kommt)  erklart  die  noch  herrschehde  Theuerung  vieler 
Gegenstande  auslandischer  Fabrikation,  da  bei  der  geringen  Konkurrenz  der  Gross- 
handel  fast  als  Monopol  in  den  Handen  sehr  weniger  Personen  sich  befindet.  Legt 
man  den  Berechnungen  auch  die  relativ  geringsten  jahrlichen  Einnahmen  der  Kauf- 
leute zu  Grunde,  so  ergibt  sich,  dass  im  Jahre  1856  beilaufig  540  Millionen  Silber- 
rubel  im  russischen  Handel  sich  befanden. 

Der  Grosshandel  mit  dem  Auslande  ist  sowohl  liber  die 
europaische  als  die  asiatische  Grenze  im  Wachsen  und  lassen  sich 
im  Allgemeinen  fur  die  letzten  Jahre  (1856,  1857  und  zum  Theile 
1858)  folgende  Ergebnisse  zusammenstellen.  Der  Gesammtwerth  der 
Einfuhr  betrug  im  Jahre  1857  nahezu  152  Millionen,  jener  der 
Ausfuhr  an  170  Millionen  Silberrubel ;  in  beiden  Beziehungen 
war  der  Verkehr  iiber  die  europaische  Grenze  bei  weitem  iiber- 
wiegend,  indem  er  fast  80%  des  Gesammtwerthes  erreichte.  Unter 
den  importirten  Waaren  erreichten  den  grossten  Werth:  Wein 
und  Getranke  (iiber  9  Millionen  Silberrubel),  fast  ebenso  viel  die 


859 

Farben,  dann  Maschinen  und  Modelle  (iiber  7l/a  Million  Silber- 
rubel),  Webe-  und  Wirkwaaren  (Baumwoll-  und  Seidenwaaren  je 
iiber  7  Millionen  Silberrubel),  und  Baumwolle  (bei  2T/2  Million 
Silberrubel) ;  —  unter  den  exportirten  nimmt  das  Getreide  den 
ersten  Rang  ein,  auf  welches  an  36%  des  gesammten  Exportwerthes 
entfallen;  —  zunachst  stehen  Holzwaaren  (mit  6  Millionen  Silber- 
rubel), rohe  Haute  und  Flachs  (mit  je  iiber  4  T/2  Million  Silberrubel), 
Talg,  Hanf,  verarbeitete  Haute,  Schafwolle,  Lein-  und  Hanfsamen. 

Bei  der  E  i  n  f  u  h  r  sind  am  starksten  betheiligt :  England  (welches 
fast  den  vierten  Theil  des  Importes  liefert),  Preussen  (43  Millionen 
Silberrubel),  Oesterreich  (7T/3  Million  Silberrubel),  Frankreich,  die 
Hansestadte,  die  Turkei,  Amerika,  Spanien  und  Neapel.  —  Bei  der 
Ausfuhr:  England  Can  45%  des  Gesammtexportes),  Preussen 
(18  Millionen  Silberrubel),  Oesterreich  (fast  6  l/z  Million  Silberrubel), 
Frankreich,  die  Niederlande,  die  Turkei  und  Sardinien.  Der  Ver- 
kehr  mit  Finnland  ist  gleichfalls  erheblich.  Aus  Finnland  werden 
nach  Russland  importirt:  Eisen,  Kupfer,  Gusseisen,  Baumwollfa- 
brikate,  Pelzwerk  und  Theer;  aus  Russland  dorthin  exportirt:  Getreide 
(im  Jahre  1857  fiber  3  Millionen  Silberrubel),  Tabak,  Seilerwaaren, 
Oel,  Pottasche,  Hanf,  Leder  und  Salzfleisch.  Der  Import  nach 
Russland  betrug  im  Jahre  1857  an  22/3,  der  Export  nach  Finnland 
iiber  62/3  Millionen  Silberrubel.  —  Ueber  die  asiatische  Grenze 
kamen  (im  Jahre  1856)  Waaren  fur  beilaufig  17  Millionen  Silber- 
rubel, hauptsachlich  chinesischer  Thee,  persische  Seide  und  Baum- 
wolle, kirgisische  Felle  und  Haute,  transkaukasische  Friichte  u.  s.  w. 
Die  Ausfuhr  belief  sich  auf  10T/2  Million  Silberrubel,  meist  aus 
Fabrikaten  bestehend.  —  Im  asiatischen  Handel  ist  der  Verkehr 
mit  China  der  starkste,  welcher  sowohl  mit  den  west-chinesischen 
Stadten  Kuldscha  und  Tschugutschak  (auf  der  orenburgischen  und 
sibirischen  Linie),  als  auch  mit  Kiachta  (Tauschhandel)  stattfindet. 
Diese  Handelsbeziehungen  erweitern  sich  fortwahrend.  Zunachst 
steht  der  Verkehr  mit  Persien  und  der  Kirgisensteppe. 

Die  Schiffahrtin  den  russischen  Hafen  des  baltischen,  weissen, 
schwarzen  und  kaspischen  Meeres  ist  im  Allgemeinen  fortschreitend. 
Im  Jahre  1857  waren  an  8850  Schiffe  mit  1.800,000  Tonnen  ein- 
gelaufen  und  an  9100  Schiffe  mit  1.900,000  Tonnen  ausgelaufen, 
wobei  fiber  die  Halfte  auf  die  Hafen  des  baltischen  kommen,  die 
geringste  Zahl  entfallt  auf  jene  des  weissen  Meeres.  Den  bedeutendsten 
Antheil  an  dieser  Schiffahrtsbewegung  batten  englische,  hollandische, 
schwedische,  danische  und  griechische  Schiffe,  zunachst  stehen  die 
osterreichischen  und  tiirkischen;  auf  die  russische  Flagge  kommen 
nur  etwa  9%  der  Schiffszahl.  Besonders  rasch  steigen  die  Dampf- 
schiffahrtsverbindungen  sowohl  in  der  Ostsee  als  im  schwarzen 
Meere;  doch  wird  auch  zwischen  den  Hafen  im  azow'schen  und  im 
kaspischen  Meere  sowie  auf  der  Wolga  eine  bestandige  Verbindung 
unterhalten.  Kronstadt  (St.  Petersburg)  hat  die  lebhafteste  Schif- 
fahrtsbewegung und  Dampfschif  f  ahrts- V  erbindun  g  en  mit 
Liibeck,  Stettin,  London,  Rostock,  Havre,  Rotterdam,  —  Riga  mit 
Lubeck  und  Stettin,  —  Odessa  mit  Cherson,  Konstantinopel  und 
Galacz. 


360 

Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  Stadte: 

St.  Petersburg  (530.000  Einw.)  von  Peter  M.  erbaut  (der  Ban  begann  am 
16»  Mai  1703),  zeichnet  sich  dutch  die  Regelmassigkeit  der  Strassen,  die  moderne 
Eleganz  der  Gebaude  und  den  Ueberfluss  an  Raum,  welcher  der  inneren  Entwickelung 
der  Stadt  gewahrt  ist,  vortheilhaft  aus.  Die  Stadt  hat  so  viele  Palaste  und  riesige 
Gebaude  mit  weiten  Hofen  nnd  Nebengebauden,  wie  vielleicht  keine  andere ;  alles  ist 
jedoch  von  einer  ermudenden  Gleichmassigkeit.  Ein  grosser  Theil  der  Hauser  ist 
aus  Holz,  welche  in  Russland  sehr  beliebt  sind.  (Im  J.  1857  waren  nnter  den  8779 
Hansern  5010  holzerne.)  Oeffentliche  Gebaude :  die  Admiralitat,  mit  prachtiger 
Fronte,  von  der  Thurmgallerie  die  schSnste  Aussicht  iiber  die  Stadt;  —  der  Winter  - 
palast ;  die  Eremitage  mit  Gemaldegallerie  und  Bibliothek;  der  Marmorpalast.  Kir- 
chen:  Kathedrale  des  h.  Isaak,  eine  der  prachtvo listen  der  Erde  (im  J.  1858  vollendet); 
das  Alexander-Newsky-Kloster,  gleicht  einer  Stadt,  Residenz  des  Metropoliten,  mit 
einem  Seminar.  Zahlreiche  Staats-  und  Privatpalaste.  —  Kaiserliche  Akademie  der 
Wissenschaften,  L'niversitat,  4  Gymnasien,  kais.  Rechtsschule,  technische  Schule, 
Oommerz-Schule  und  mehrere  grosse  Spezialschulen.  Kais.  Bibliothek  (400.000 
Bande  und  17.000  Handschriften).  —  Viele  Wohlthatigkeits-  und  Humanitatsanstalten. 
Bedentende  Industrie,  namentlich  mehrere  kais.  Fabriken,  welche  Spiegel,  Krystall- 
und  Porzellanwaaren,  Gobelins  u.  a.  verfertigen ;  Privatfabriken  besonders  in  Baum- 
wollwaaren.  —  Sehr  umfangreicher  Handel,  grossartige  Verbindungen  nach  alien 
Theilen  des  Reiches ;  viele  Kaufhauser,  darunter  Gostinoi-Dwor,  mit  geraumigem 
Hofe  und  zahlreichen  Buden.  B6rse,  Bank,  Credit-,  Assekuranz-  und  Handelsge- 
sellschaften. 

Moskau  (russ.  Moskwa,  370.000  Einw.)  die  zweite  Hauptstadt  des  Reiches, 
mittels  Eisenbahn  mit  St.  Petersburg  verbunden,  im  Miitelpunkt  russischer  Macht, 
das  Centrum  der  altrussischen  Sympathien,  die  nheilige  Stadt"  der  Russen,  besteht 
aus  concentrischen  Kreisen  und  Halbkreisen.  In  ihrer  Bauart,  in  dem  Contraste 
dicht  bevOlkerter  Stadttheile  und  unbebauter  Flachen  tragt  die  Stadt  halb  europai- 
schen,  balb  asiatischen  Charakter.  Die  ungeheure  Grosse,  die  Tausend  vergoldeten 
oder  bunt  bemalten  Kuppeln,  die  cultivirten  Bodenflachen,  welche  die  Stadtviertel 
von  einander  trennen,  die  Boulevards  und  herrlichen  Promenaden,  endlich  der  Kreml 
mit  seinen  32  Kirchen  und  vielen  Palasten,  seinen  Thurmen,  Zinnen  und  mittelalter- 
lichen  Befestigungen ;  —  diess  alles  zusammen  gewahrt  einen  grossartigen,  pracht- 
vollen  Anblick.  Hier  ist  der  geographische,  ethnographische  und  naturhistorische 
Mittelpunkt  des  Reiches.  Prachtiger  kais.  Palast  Grosse  und  reiche  Kirchen;  der 
Thurm  Iwan  Weliki  (mit  der  ungeheuren  Glocke  von  4000  Zentnern  Gewicht)  ;  Ka- 
thedrale des  h.  Michael  und  noch  andere  6  Kathedralen,  im  Ganzen  gegen  300  Kir- 
chen, viele  grosse  Kloster.  —  Universitat,  3  Gymnasien,  zahlreiche  technische,  Han- 
dels-  und  Spezialschulen.  Hanptsitz  der  Industrie  mit  vielen,  nach  den  neuesten 
Systemen  eingerichteten  Fabriken  fur  die  verschiedenartigsten  Richtungen.  Mittel- 
punkt fur  den  inneren,  und  Hauptstapelplatz  fur  den  asiatischen  Handel  mit  vielen 
Geld-,  Assekuranz-  und  Handelsinstituten. 

Warschau  (170.000  E.),  stark  befestigt;  kOnigl.  Schloss,  viele  Palaste  und 
h6here  Lehranstalten.  Borse,  Nationalbank.  Bedeutende  Industrie  ;  lebhafter  Handel 
insbesondere  auf  den  2  Messen;  wichtiger  Wollmarkt.  Den  grossten  Wollhandel  hat 
jedoch  Charkow. 

Andere  Platze  von  Bedeutung  sind:  Rybinsk  (Gouvernement  Jaroslaw)  ver- 
dankt  seine  Wichtigkeit  der  glflcklichen  Lage  in  der  Mitte  der  Kanalverbindungen 
zwischen  der  Wolga  und  Dwina;  hier  werden  gewShnlich  die  auf  den  grQsseren 
Wolgaschiffen  ankommenden  Waaren  auf  die  kleineren,  welche  die  benachbarten 
Flusse  und  Kanale  befahren  sollen,  umgeladen  —  Samara  ist  der  Hauptstapelplatz 
fur  den  Getreidehandel  auf  der  Wolga,  wo  gegeu  9  Millionen  Pad  jahrlich  verladen 
wcrden;  —  wichtig  sind  in  dieser  Beziehung  Jaroslaw.  Kiew,  Warschau,  Kaluga, 
Tula,  Twer,  Perm,  Orenburg,  Kasan  u.  a.  m.  —  Die  bedeutendste  Messe  (die 
grosse  Peter-Paulraesse  wurde  im  Jahre  1817  von  Makarjew  hieher  verlegt)  findet  im 
Juli  und  August  in  Nishnji-Nowgorod  (oder  Nishegorod)  statt  Diese  Messe, 
mit  welcher  wohl  keine  andere  der  Erde  verglichen  werden  kann,  und  wo  zwei  Welt- 
theile  ihre  Waaren  tauschen,  besuchen  jahrlich  fiber  300.000  Menschen,  darunter  Bu- 
charen,  Kirgisen,  Hindu  und  Chinesen*).  Der  Waarenumsatz  hat  in  manchen  Jah- 


*)  Auf  der    M"«se    (im  Jahre    1858)    sollen    auf    der    schmalen    Landzunge,    wel- 
che   durcb    den    Zusammenfluss    der    Oka   und    Wolga  gebildet    wird    und    wo    der 


861 

i-en  den  Werth  von  nahe  150  Millionen  Silberrubel  urreicht.  Russische  Landespro- 
dnkte,  vorzfiglich  auch  Leder,  Pelzwerk,  Eisenwaaren,  Webewaaren  5  andererseits  Thee, 
welchen  lange  Karawanenziige  auf  Taasenden  von  Kameelen  von  der  chinesiscben 
Grenze  fiber  Orenburg  und  Kasan  hieher  bringen,  tflrkische  und  persische  Teppiche, 
ostindische  Shawls  u.  s.  w.  bilden  die  Hauptgegenstande  dieses  grossen  Handels. 
Mehrere  tausend  Kaufhiiuser,  Buden  and  Niederlagen  bedecken  die  ungeheure  Flache, 
meilen lange  Reihen  von  Barken,  welche  ebenfalls  als  Baden  verwendet  werden  oder 
zum  Theil  auch  ihre  Waaren  am  Ufer  ausstellen,  bedecken  die  Oka  und  die  Wolga. 
An  die  reichen  Pelzwerks-,  Shawls-  and  Perlenbuden  mit  dem  ganzen  orientalischen 
Prunk  sehliessen  sich  die  noch  einen  Urzustand  bekundenden  Pferchen  der  Vieh- 
handler ;  Gegenstande  des  httchsten  europaischen  Luxus  und  der  Mode  liegen  neben 
den  Urprodukten  der  halbcivilisirten  Stamme  und  den  Produkten  der  asiatischen  Ver- 
weichlichung  aufgestapelt.  Diese  Messe  ist  der  eigentliche  Centralpunkt  fiir  den  ge- 
sammten  Landverkehr  zwischen  Europa  und  Asien.  —  Beachtenswerthe  Messen  wer- 
den  noch  abgehalten  in  Moskau,  Dorpat,  Kiew,  Taganrog,  Warschan,  fco- 
wicz  (Gouvernement  Warschau),  Lenczna  (Gouvernement  Lublin),  Skaryszew 
(Goavernement  Radom),  Lublin  u.  s.  w. 

Die  wichtigsten  Seehaf  en  sind:  a)  am schwarzen  undazow'schen 
Meere:  Odessa  (die  grosste  Getreideausfuhr;  —  Gesammtwerth 
derEinfuhr  im  Jahre  1858  bei  10  Millionen,  der  Ausfuhr  an  30  Mil- 
lionen Silberrubel),  Cherson,  Eupatoria,  Feodosia,  Kertsch,  Tagan- 
rog ;  —  b)  am  kaspischen  Meere  :  Astrachan  (asiatischer  Handel) ; 
-  c)  am  weissen  Meere :  Archangel,  Onega,  Kola;  —  d)  an  der 
Ostsee:  Kronatadt,  Riga  (slarkste  Holzausfuhr),  Libau,  Reval, 
Pernau,  Helsingfors,  Wiborg. 

Filr  den  Landhandel  nach  dem  Auslande  sind  wichtig: 
Dubno,  Kaminiec,  Berdiczew  (zunachst  nach  Brody),  Warschau, 
Lublin  und  Kalisch. 

Zu  den  wichtigsten  For  derungsans  tal  te  n  des  Handels 
orehoren  nebst  den  zahlreichen  Wasserstrassen  die  im  Ganzen  gut 
unterhaltenen  Landstrassen.  Von  Eisenbahnen  stehen  jetzt  funf 
Linien  in  einer  Gesammtlange  von  etwa  177  Meilen  im  Betriebe*), 
zehn  andere  Linien  in  einer  Gesammtlaoge  von  beilaufig  850  Meilen 
sind  theils  konzessionirt,  theils  bereits  im  Baue  begriffen. 

Das  Telegraphennetz  wird  fortwahrend  erweitert,  es  um- 
fasst  30  Gouvernements-Hauptstadte,  fiber  80  Stationen  und  wohl 
iiber  1200  Meilen.  — An  Banken,  Kredit an  stal  ten  und  Ak- 
tiengesellschaftenist  Russland  relativ  reich.  Unter  den  ersteren 
stehen  die  Reichs-Kreditanstalten  obenan,  als  d)  die  Reichs-Leihbank, 
b)  die  Reichs-Kommerzbank,  c)  die  Expedition  der  Reichs-Kredit- 
billete,  d)  die  Bank  von  Polen,  e)  die  Bank  von  Finnland  (zu  Hel- 
singfors) u.  s.  w.  Die  Zahl  der  bedeutenderen  Aktiengesellschaften 
iat  bereits  iiber  90  gestiegen ;  zu  den  wichtigsten  gehoren :  die  nrus- 
eisch-amerikanische  Kompagnie",  die  ..grosse  Gesellsohaft  der  russi- 
echen  Eisenbahnen",  —  die  Handelsgesellschaften  fiir  die  Schiffahrt 
auf  der  Wolga,  dem  Dojepr,  zu  grossen  industriellen  Unterneh- 
mungen  die  Assekuranzen  gegen  Feuerschaden,  u.  s.  w. 


eigens  fiir  die  Messe  erbaute  prachtige  Kaufhof  mit  2522  Kaufgewolben  steht,  an 
manchen  Tagen  iiber  eine  halbe  Million  Menschen  sich  befunden  haben.  Die  Gc- 
samratanfuhr  soil  iiber  100  Millionen  Silberrubel  betragen  haben. 

*)  Petersburg-Pawlowsk  (3.it  Meilen),  Petersburg-Moskau  (88  Meilen),  Petersbnrg- 
Pskow  (40  Meilen),  Petersburg-Peterhof  (3.74  Meilen),  Warschau-Szczakowa  (41., 
Meilen)  mit  der  Zweigbahn  nach  Lowicz. 


81 

Die  geistige  Kiiltur  Russlands  hat  seit  Peter  M.  iiberraschende 
Fortschritte  gemacht.  Allerdings  beschranken  sich  diese  Fortschritte 
nur  auf  den  Adel,  die  Bewohner  der  Stadte  und  deren  nachste 
Umgebungen,  wahrend  die  grosse  Masse  der  Landbevolkerung  sich 
nur  wenig  liber  primitive  Zustande  halbcivilisirter  Volker  erhebt. 
Die  Anzahl  der  Lehranstalten  und  der  Schuler  im  europaischen 
Russland  hat  sich  in  letzter  Zeit  bedeutend  vermehrt ;  doch  kommt 
im  Allgemeinen  erst  auf  133  Einwohner  1  Schuler,  bei  der  stadti- 
schen  Bevolkerung  hingegen  auf  17  Einwohner  1  Schuler  (in  Deutsch- 
land  auf  je  5 — 9  Ein  Schuler).  Am  giinstigsten  ist  dieses  Verhalt- 
niss  in  den  Ostseeprovinzen,  dann  in  St.  Petersburg  und  Moskau, 
am  ungunstigsten  in  Wolhynien  (1:435).  Fur  Kaukasien  und  Sibirien 
liegen  sehr  unvollstandige  Nachweisungen  vor,  der  Stand  der  geisti- 
gen  Kultur  iat  iibrigens  in  jenen  Landern  ein  sehr  defer.  —  Fur 
technische  und  kommerzielle  Ausbildung  sorgt  sowohl  das  Finanz- 
ministerium  als  mehrere  Korporationen.  Relativ  zahlreicher  sind 
die  Lehranstalten  fur  militarische  und  jene  fur  gelehrte  Bildung,  in 
letzterer  Hinsicht  bestehen  sechs  Universitaten  (St.  Petersburg,  Mos- 
kau, Charkow,  Kasan,  Kiew  und  [die  deutsche  tlniveraitat]  Dorpat). 
Fast  ein  Dritttheil  der  Schulen  wird  aus  Staatsmitteln  erhalten.  — 
Mehrere  wissenschaftliche  Hilfsanstalten  und  Gelehrtenvereine  zahlen 
zu  den  ausgezeichnetsten  Instituten  dieser  Art,  namentlich  haben  sie 
sich  um  die  Wissenschaft  der  Erdkunde,  Ethnographic  und  Physik 
sowie  der  slawischen  Philologie  grosse  Verdienste  erworben.  Die 
Aufhebung  der  Leibeigenschaft  und  die  ernstlichen  Bestrebungen 
der  Regierung  werden  sicherlich  gunstige  Resultate  geben,  und 
Russlaud  diirfte  in  nicht  zu  ferner  Zeit  eine  neueroberte  Provinz 
des  grossen  Reiches  werden,  in  welchem  die  Intelligenz  auf  die 
geistige  und  materielle  Entwickelung  der  Volker  den  machtigsten 
Einfluss  ausiibt,  und  sie  ihrem  hochsten  Ziele,  der  grosstmoglichen 
Vervollkommnung,  entgegenfuhrt. 


XIV.  Republik  der  jonischen  Inseln. 

§.  149. 

Der  seit  dem  Jahre  1815  gebildete  Freistaat  der  jonischen  Inseln 
besteht  aus  sieben  grosseren  und  mehreren  kleineren  Inseln. 
Die  ersteren  sind:  Corfu,  Paxo,  Santa  Maura,  Theaki,  Cefalonia, 
Zante,  Cerigo;  der  Flachenraum  betragt  51. Go  geographische  QMei- 
len  und  die  Bevolkerung  ist  nahe  an  228.000  Seelen  stark. 

Der  Bo  den  ist  fast  durchgehends  gebirgig,  mit  wenig  Wal- 
dungen,  wasserarm,  doch  meistens  ziemlich  fruchtbar.  Die  meisten 
Inseln  sind  an  1000 — 1500'  hoch,  die  Berge  auf  Cefalonia  und  Corfu 
iibersteigen  4000'.  Die  Kiisten  sind  steil,  hoch  und  reich  an  sicheren 
Ankerplatzen.  Der  Lauf  der  Gewasser  ist  kurz,  nur  der  Mis- 
songi  auf  Corfu  ist  fiir  kleine  Schiffe  fahrbar.  Das  Klima  ist 
sehr  milde,  die  Sommerhitze  driickend  (bis  -j-  35°  R),  der  Winter 
regnerisch;  Stiirme  und  Erdbeben  sind  haufig. 

Unter    den   Erzeugnissen    der    Landwirthschaft    sind   am 


m 

wichtigsten  Korinthen,  Oliven  und  Wein.  Erstere  sind  be- 
sonders  auf  Cefalonia  und  Zante  von  hoher  Bedeutung ,  dann  auf 
Theaki  und  Santa  Maura*);  sie  bilden  das  Hauptprodukt  und  die 
ansehnlichste  Einnahmsquelle  der  Bevolkerung.  Von  Weinen  ist 
der  rothe  Muskatwein  der  beste;  Cerigo  erzeugt  vorzugsweise  Ro- 
sinen.  Oliven  werden  jahrlich  zweimal  geerntet,  hauptsachlich  auf 
Paxo  und  Zante,  mitteleuropaische  Obstbaume  und  Sudfruchte  ge- 
deihen  recht  gut.  Auf  Cefalonia  und  Zante  wird  auch  Baumwolle, 
auf  Corfu  Zuckerrohr  gebaut.  Die  Getreideernte  deckt  jedoch  bei- 
laufig  nur  ein  Drittel  des  Bedarfes.  Der  Vieh  stand  ist  relativ 
geringe,  am  starksten  ist  die  Zucht  der  Schafe,  Ziegen  und  Esel. 
—  Kein  Bergbau;  beruhmte  Pechquellen  auf  Zante  und  er- 
giebige  Seesalzgewinnung. 

Die  gewerbliche  Industrie  ist  von  keiner  Bedeutung. 
Die  Wollenspinnerei  und  Weberei  wird  hie  und  da  als  landwirth- 
schaftliche  Nebenbeschaftigung  betrieben;  zudem  kommen  noch 
Baumwoll-  und  Seidenweberei ,  Teppichwirkerei  aus  Ziegenhaaren, 
Seifenbereitung  und  Topferei  vereinzelt  vor.  —  Fischerei  und  See- 
fahrt  dagegen  sind  erheblicher.  In  neuester  Zeit  hat  der  Handel 
sehr  zugenommen.  Zur  Ausfuhr  gelangen :  Korinthen,  Olivenol, 
Rosinen  ,  Wein  und  Salz  ;  —  zur  Einfuhr  Schlachtvieh,  Holz, 
Getreide,  Kolonial-  und  Fabrikwaaren.  Im  Jahre  1856  betrug  der 
Werth  des  Importes  iiber  9 ,  des  Exportes  tiber  5  '/2  und  der 
Durchfuhr  nahe  an  5  Millionen  Gulden.  Sammtliche  Hafen  sind 
Freihafen,  der  von  Corfu  der  bedeutendste.  Die  Inseln  sind  durch 
regelmassige  Dampfschiffahrten  unter  einander  und  mit  den  wichtige- 
ren  Hafen  der  Levante ,  Slid-  und  Westeuropas  verbunden ,  ins- 
besondere  vermittelt  der  osterreichische  Lloyd  in  Triest 
einen  sehr  lebhaften  Verkehr.  Auf  Corfu  bestehen  die  jonische 
Bank  und  einige  Leihbanken ,  welche  auf  den  Handel  fordernd 
einwirken. 

Die  geistige  Kultur  hebt  sich,  seitdem  die  Inseln  unter 
englischem  Schutze  stehen.  In  alien  grosseren  Dorfern  bestehen 
Elementarschulen,  auf  jeder  Insel  ein  Lyceum  fiir  den  Mittelunter- 
richt  und  in  Corfu  eine  Universitat.  Zu  Unterrichtszwecken  wer- 
den jahrlich  an  100.000  Gulden  verausgabt.  Oeffentliche  Wohl- 
thatigkeitsanstalten  und  Gesellschaften  fur  Hebung  der  Agrikultur, 
Industrie  und  des  Handels  entwickeln  eine  rege  Thatigkeit. 

1.  CorfU  (Corcyra,  10.6,  [JMeilen,  68.000  Einwohner),  Hauptort  Corfu 
(20.000),  hat  reichliche  Salinen,  Wein,  Oel  und  viel  Feigen  ;  einen  geranmigen  sehr 
sicheren  Hafen.  Mittelptmkt  der  Regierung,  Sitz  einer  griechischen  Universitat.  — 
Zu  Corfu  gehoren  noch  sieben  kleinere  Inseln. 

2  Paxo  (Paxos,  1,,,  QMeilen  —  4800  Einwohner),  Hauptort  Porto  Gai 
(oder  St.  Nicolo,  400  Einwohner).  Das  Hauptprodukt  sind  die  Oliven.  —  In  der 
Nahe  die  kleine,  baumlose  aber  fruchtbare  Insel  Anti-Paxo. 

3.  Santa-Maura  (Leucadia,  8.4,  nMeilen,   —  20.400  Einwohner),    Haupt- 
ort Amaxichi  (oder  Amakuki,  4600  Einwohner),    hat  in  neuester  Zeit  durch  Erd- 
beben  ungemein  gelitten.  An  der  Sadspitze  das  Cap  Dncato  (Promontorium  Leuccite). 

4.  Theaki  (Ithaca,  2.07  n^eilen,    —  11.600  Einwohner),    durchgehends  ge- 


*)    Im  Jahre   1856    war   der  Korinthen -Ertra?    auf  Cefalonia   8,300.000,    —   auf 
Zante  7,500.000,  -  auf  Theaki  520.000,  -  auf    St.  Maura  36.000  englische  Pfund. 


864 

birgig,  rauh,  nackt.    Die  kleine  Stadt  Vathi  (4400  Einwohner)  hat  einen  sehr  guten 
sicheren  Hafen. 

5.  Cefalonia    (Cephallenia,    16.a,    nMeilen>    —    72.300    Einwohner),    die 
grOsste  dieser  Inseln,    ist    gebirgig   und   hat   mehrere    vortreffliche    Hafen.     Die  Be- 
wohner  sind    unternehmende    geschickte    Seefahrer,    Hanptort:    Argdstoli    (9300), 
dann  Lixuri. 

6.  Zante(Zakynthos,  7.ss  DMeilen,  —  37.000  Einwohner),  wegen  der  Frucht- 
barkeit  (namentlich  im  sudlichen  Theile),  vorzuglich    an  Wein  und  Oel    die    BBlume 
des  Ostens"  (fior    di   Levante)  genannt.     Hauptort:  Zante  (14.000).    Bei  dem  Dorfe 
Chieri  wird  auf  dem  Wasserspiegel  mehrer    Quellen  flussiges,    vortreffliches    Erdpech 
gewonnen. 

7.  Cerigo  (Cythera,  5.4S  QMeilen,  —  13.400  Einwohner),  meist  kahler  Fel- 
sen.     Der  kleine  Hanptort  Kapsali  hat  einen  guten  Hafen.     In  der  Nahe  des  Forts 
St.  Nicolb  sind  die  Triimmer  der  alten  Hanptstadt  Cythera.  —  Sfidostlich  die  kleine 
Insel  Cerigotto. 

Die  Republik  der  ,,Vereinigten  Staaten  der  jonischen  Inseln"  ist  ein  unab- 
hangiger,  uuter  den  fortwahrenden  Schutz  der  englischen  Krone  gestellter 
Staat.  Die  gesetzgebende  Gewalt  steht  der  Versammlung  der  42  Abgeordne- 
ten,  die  ausiibende  dem  Senate  za,  welcber  aus  6  Senatoren  und  1  Staats- 
sekretar  besteht.  Der  Stellvertreter  des  Schutzherrn  ist  der  Lord-Oberkom- 
missar,  welcher  Chef  der  gesammten  Civil-  und  Militarverwaltung  ist,  das  Veto 
in  alien  vom  Senate  and  dem  Farlamente  gefassten  Beschlussen  besitzt,  die 
Senatoren  ernennt,  das  Parlament  beruft  und  vertagt.  Jede  Insel  besitzt  ihre 
eigene  Verfassung  mit  einem  Municipalrath  als  Lokalregierung ;  ein  Resident 
ist  Stellvertreter  des  Lord-Oberkommissars. 


XV.  Das  KOnigreich  Griechenland. 

§.  150. 

900  QMeilen;  —  1,067.000 Einwohner,  im  nfirdlichen  Theile  albanesischer 
(arnautischer),  im  S&den  und  auf  den  Inseln  griechischer  (hellenischer)  Ab- 
stammung;  dann  Walachen,  Armenier,  Italiener,  Dentsche  u.  s.  w.  —  Staatsreligion 
die  orientalisch-griechische  mit  der  Bheiligen  Synode"  in  Athen;  etwa  25.000  Ro- 
misch-Katholische,  einige  Protestanten,  Juden  und  Muselmanner.  —  Konstitutionelle 
Erbmonarchie  in  der  mannlichen  Linie  eines  Zweiges  des  bairischen  Hauses  Wi  ttels- 
bach  (seit'1832). 

Oberflache.  Das  Konigreich  Griechenland  besteht  aua  zwei 
Halbinseln  (Livadien  oder  Hellas  und  Morea  oder  Peloponnes) 
und  mehreren  Inseln  im  agaischen  Meere.  Die  beiden  Halbinseln, 
durch  den  schmalen  Isthmus  von  Korinth  mit  einander  verbunden, 
sind  durchaus  gebirgig ;  doch  steht  das  Bergland  diess-  und  jenseits 
des  Isthmus  in  keiner  Verbindung.  Die  Centralmasse  der  nord- 
lichen  Halbinsel  (Livadien)  bilden  der  Schar  Dagh  und  der  Or- 
belus,  ersterer  steht  mit  den  dalraatinischen  Karsthohen  in  Verbin- 
dung sowie  mit  dem  Balkan.  Es  sind  theils  steile ,  nackte,  von 
furchtbaren  Abgriinden  unterbrochene  Felszacken;  theils  plattere, 
amphitheatralisch  gebildete  Bergreihen,  welche  letztere  grosstentheils 
mit  fetten  Weiden  und  schonen  Waldern  bedeckt  sind.  —  Das 
Bergland  der  sudlichen  Halbinsel  (Morea)  ist  ein  abgesondertes, 
von  Randgebirgen  eingefasstes  Hochland,  welches  sich  gegen  Siiden 
allmahlich  abdacht.  Mit  Ausnahme  des  sudlichen  Theiles  ist  es 
sehr  reich  an  Waldungen  und  trefflichen  Viehweiden.  (Siehe 
»griechische  Halbinsel"  S.  33  und  34).  —  Die  Insel  Negroponte 
ist  von  einer  Gebirgskette  durchzogen,  deren  Gipfel  iiber  5000' 


865 

reichen;    die  kleinen  Inseln  sind    meist  felsig  und  kahl,  nur  einige 
wenige  haben  guten  Boden  und  iippige  Vegetation. 

Griechenland  wird  vom  j  on  ischen  und  agaischen  Meere 
bespQlt.  Kein  Land  in  Europa  hat  im  Verhaltnisse  zum  Flachen- 
inhalte  eine  so  grosee  Kusten  -  Entwickelung,  und  die  vielen  tiefen 
Einbuchtungen  sind  fur  die  Entfaltung  und  Ausdehnung  des  Ver- 
kehrs  ungemein  giinstig.  Die  gluckliche  Kiistenbildung  mit  der 
bequemen  Zuganglichkeit  und  der  reichen  Inselwelt,  welche  gleich- 
sam  eine  Brucke  zwischen  Asien  und  Europa  bildet,  haben  Grie- 
chenland seit  jeher  die  Vermittlerrolle  zwischen  dem  Abend-  und 
Morgenlande  zugewiesen.  Die  wichtigsten  Meerbusen  sind:  (im 
Westen)  die  Busen  vonArta,  Patras,  Lepanto  (oder  Korinth) 
und  von  Arkadien;  —  (im  Sflden) :  von  Koron  (oder  Messe- 
nien),  Kolokythia  (oder  Lakonien);  —  (im  Osten):  die  Bai  von 
Napoli  di  Malvasla,  Busen  von  Nauplia  (oder  Argolis), 
Hydra,  Aegina  (oder  Athen);  die  Kanale  von  Egribos  (Eu- 
ripus)  und  Talanti  fu'hren  in  den  Busen  von  Zeituni,  und 
aus  diesem  der  Kanal  von  Trikeri  in  den  Busen  von  Volo. 
Letztere  Kanale  trennen  Negroponte  vom  Festlande. 

Die  Flusse  sind  meist  unbedeutende  Kustenfliisse.  In  Li- 
vadien  sind  erwahnenswerth :  der  Aspropotamos  (Achelous), 
Griechenlands  grosster  Fluss ,  in  seinem  unteren  Laufe  schiffbar, 
mGndet  in  das  jonische  Meer;  der  Mavro-n  ero  (Kephissus)  in 
den  See  Topolias  (Kopais);  und  der  Hellada  (Spercheus)  in  den 
Zeituni;  —  in  Morea:  der  Ruphia  (Alpheus)  in  den  Golf  von 
Arkadia,  Vasilipo tamos  (Eurotas)  auch  Iri  genannt,  in  den 
Busen  von  Kolokythia.  —  Unter  den  Seen  ist  nur  der  Topolias 
(Kopais)  in  Livadien  bemerkenswerth. 

Das  Klima  ist  im  Allgemeinen  milde  und  geaund,  doch 
herrschen  grosse  Temperaturverschiedenheiten  in  senkrechter  Aus- 
dehnung. Die  Inseln  und  Kusten  haben  mildes ,  angenehmes  See- 
klima,  die  hoheren  Gebirgsgegenden  kontinentales  Klima;  wahrend 
an  den  Kusten  fast  nie  Schnee  fallt,  sind  die  hohen  Gebirgsgegen- 
den monatelang  mit  Schnee  bedeckt.  Die  Regenzeit  ist  der  Winter ; 
im  Sommer  ist  die  Hitze  gross,  die  Flusse  trocknen  aus,  der  Boden 
ist  durr;  Friihling  und  Herbst  sind  in  der  Regel  sehr  schon. 

Politische  Eintheiluug.     Das  Konigreich  wird    in  zehn  No- 
marchien    (jede  mit  einem  Nomarch),  diese   in    49    Eparchien 
(mit  je  einem  Eparch)  eingetheilt,  welche  wieder  278  Demen  (jeder 
Demos  mit  einem  Demarch  an  der  Spitze)  enthalten. 
I   Livadien. 

1.  Nomarchie  Attika  und  Bootien:   Athen    (50.000),  Eleusis,   Vrana 
(Marathon),  Platia,  Thiva  (Theben),  Livadia  ("6000),  Anlis;    —  Inseln:  Sa- 
lamis,  Aegina,  Hauptstadt  Aegina  (10.000); 

2.  Phthiotis    und    1'hokis:   Lamia  oder    Zeituni    (4000),   Bodonitza 
(Thermopylae),  Salona  ("4000),  Kastri  (Delphi); 

3.  Akarnanien  und  Aetolien:    Missolnnghi  (4000),  Naupaktos  (Le- 
panto), Vrachori; 

It.  Morea. 

4.  Argolis  und  Korinth:  Nauplia  (Napoli  di  Romania,  13.000;,  Argos 
(11.000),  Korinth  (4000);  —  Inseln  (mit  den  gleichnamigen  HBuptstadten):  Poros 
Hydra  (20.000),  Spezzia  (7000) ; 


366 

5.  Achaja  und  Elis:    Patras   (20.000),    Kaiavrita,    Miraka  (Olympia), 
Pyrgos ; 

6.  Messenien;  Kalamata  (3000),  Arkadia,  Navarino  (Pylos); 

7.  Lakonien:  Mistra  (Sparta),  Napoli  di  Malvasia  (am  Westabhange  des 
Taygetns  die  Landschaft  Main  a,  wo  an  60.000  tapfere  Mainotten  leben); 

8.  Arkadien:  Tripolitza  (8000),  -  Euinen  von  Mantinea; 
<  .  Die  Inseln. 

9.  Euboa:  Insel  Negroponte  (Euboa):  Chalkis   (oder  Egribos,  15.000), 
—  die  Inseln:  Skyro,  Skiathos,  Skopelo  u.  a.    (Nord-Sporaden    und  Teufels-Inseln) ; 

10.  Cykladen:  Insel  Syra:  Syra    (Hermopolis   20.000),   die  Inseln:  An- 
dros,  Tino,  Mikone,  Naxos,  Paros,  Milos,  Amorgo  u.  v.  a. 

Atheu  (50.000  Einw.)  in  einer  schSnen  bergumgrenzten  Ebene  zwischen  den  klei- 
nen  Flussen  Ilissos  und  Kephissos,  seit  1835  Haupt-  und  Residenzstadt.  Im  Alterthnme 
die  glanzvollste  Stadt,  der  Wohnort  grosser  Dichter,  Heerfiihrer  und  Staatsmanner, 
uberhaupt  die  BStadt  der  Weisen"  mit  prachtigen  nnd  grossartigen  Kunstbauten, 
Denkmalern  und  Anlagen,  war  Athen  durch  eine  Reihe  von  Ungliicksfallen  von  sei- 
ner Hohe  herabgesunken.  Weder  unter  byzantinischer,  noch  weniger  unter  turkischer 
Herrschaft  konnte  die  Stadt  zu  einiger  Bedeutung  gelangen.  Die  alien  Tempel  und 
andere  Prachibauten  warden  in  Kirchen,  dann  in  Moscheen  umgewandelt,  oder  zu 
profanen  Zwecken  verwendet.  In  unserem  Jahrhunderte  warden  darch  Lord  Elgin 
eine  Menge  Statuen,  Reliefs  und  andere  Antiken  fur  das  britische  Museum  (Elgin 
Marbles,)  angekanft.  Im  griechischen  Unabhangigkeitskampfe  (1821  —  1828)  hatte 
Athen  ungemein  gelitten;  am  Ende  des  Krieges  war  es  ein  Ruinenhaufen,  man 
zahlle  noch  etwa  300  Hauser.  Eine  neue  Epoche  begann,  als  Konig  Otto  1834  seine 
Residenz  von  Nauplia  nach  Athen  verlegte.  Die  verfallene  turkische  Ringmauer 
wurde  entfernt,  der  Neubau  nach  dem  Plane  regelmassiger  Stadte  unternommen.  Die 
Hermes-Strasse  schneidet  die  Stadt  von  W.  nach  0.,  am  ostlichen  Ende  steht  das 
konigl.  Schloss;  parallel  mit  ihr  lauft  die  Strasse  der  Athene;  andere  Strassen  sind 
nach  beruhmten  Mannern  des  Alterthums  benannt  (Demosthenes-,  Euripides-,  Sopho- 
kles-Strasse).  Schone  Gebande  und  Kirchen  erstehen  fortwahrend ;  die  1837  gegriin- 
dete  Otto-Universitat  mit  700  Studenten  und  meist  deutsch  gebildeten  Professoren  ; 
Akademie  der  Wissenschaften,  die  Sternwarte  auf  dem  alien  Hugel  der  Nymphen, 
das  Stadthans,  Theater  n.  s.  w.  Die  schonste  Zierde  bilden  die  Banwerke  des  Al- 
terthums: Theseustempel,  von  Kimon  aufgefuhrt,  jelzt  ein  Museum  fiir  Alterthumer, 
Akropolis  mit  den  Trummern  der  Propylaen,  Tempel  der  Nike,  Erechtheum  und  Par- 
thenon, das  Odeum  u.  a.  Die  Mischung  des  Antiken  und  Modernen  macht  einen 
eigenthumlichen  Eindruck;  der  alte  Zauber  attischen  Bodens  und  griechischen  Him- 
mels  ist  geblieben. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Landwirthschaft  in  Griechenland  lasst  noch  Vieles 
zu  wunschen  iibrig.  Einerseits  gehort  der  Boden  wegen  seiner  ge- 
birgigen ,  felsigen  Beechaffenheit  und  der  Wasserarmuth  nicht  zu 
den  fruchtbaren;  andernseits  wird  selbst  der  kulturfahige  Boden, 
welchem  etwa  33%  der  Gesammtnache  angehoren,  nicht  vollstan- 
dig  bebaut.  Von  dem  produktiven  Boden  werden  auf  dem  Fest- 
lande  beilaufig  40°/0  wirklich  bebaut ,  auf  den  Inseln  ist  dieses 
Verhaltniss  ein  viel  giinstigeres.  Am  meisten  wird  Weizen  gebaut, 
dann  Gerste,  Hirse  und  Mais  ,  doch  reicht  die  Produktion  fiir  den 
Bedarf  der  Bevolkerung  nicht  aus.  Sorgfaltiger  werden  Hiilsen- 
fruchte  und  Gemuse  gezogen.  Von  Handelspflanzen  sind  er- 
wahnenswerth :  vorziiglichei  Krapp,  Tabak  (dem  tiirkischen  an 
Giite  gleich,  tiber  die  Halfte  der  Ernte  wird  exportirt),  Baumwolle 
geringerer  Qualitat,  Mohn.  Der  Weinbau  ist  sehr  bedeutend, 
die  Qualitat  insbesondere  auf  den  Inseln  (Santorin  ,  Tinos  u.  a.) 
vorziiglich,  und  die  Jahresgewinnung  diirfte  auf  750.000  Wiener 
Eimer  zu  echatzen  sein,  wo  von  ziemlich  viel  ausgefuhrt  wird.  Der 


367 

wichtigste  Zweig  des  Landbaues  ist  der  Korinthenbau,  vor- 
ziiglich  an  dem  Ufergebiete  der  Golfe  von  Patras  und  Korinth, 
und  man  schatzt  den  Ertrag  (fur  das  Jahr  1857)  auf  80  Millionen 
Pfund;  die  Ausfuhr  geht  hauptsachlich  nach  Triest  und  England. 
Unter  den  Siidfriichten  nehmen  Feigen  (Messenien,  im  Jahre  1856 
an  92,000  Zentner,  Ausfuhr  nach  Deutschland),  Mandeln,  Limonien, 
Orangen ,  Kastanien  einen  ansehnlichen  Rang  ein ,  obwohl  deren 
Kultur  noch  sehr  gehoben  werden  konnte.  Die  Pflege  des  Oliven- 
baumes  (bei  Salona,  Korinth,  am  Eurotas  u.  a.  O.)  und  desMaul- 
beerbaumes  ist  stets  in  der  Zunahme.  —  Die  Fors  t  wirthschaft 
macht  einige  Fortschritte;  am  bedeutendsten  sind  die  W  alder  im 
Innern  von  Morea. 

Die  Viehzucht  erstreckt  sich  zumeist  auf  die  Pflege  der 
Schafe  und  Ziegen;  die  Milch  wird  zu  Butter  und  Kase  benutzt, 
an  Wolle  werden  bedeutende  Mengen  ausgefiihrt.  Die  Zucht  des 
Rindviehes,  der  Pferde,  Esel  und  Schweine  ist  verhaltnissmassig 
unbedeutend;  dagegen  liefert  die  Bienenzucht  vortreff lichen  Honig 
(vom  Hymettus  bei  Athen)  und  viel  Wachs.  Die  durch  das  Klima 
begiinstigte  Seidenzucht  ist  einer  grossen  Ausdehnung  fahig;  die 
meiste  Seide  wird  in  Morea  gewonnen,  die  Ausfuhr  findet  vorziig- 
lich  nach  Triest  und  Marseille  statt.  Die  Fischerei  ist  an  den 
Kiisten  und  Inseln  sehr  lebhaft ,  dessgleichen  der  Blutegelfang  und 
die  Gewinnung  von  Badeschwammeh.  —  Der  Bergbau  liegt  dar- 
nieder,  obgleich  die  Gebirge  nicht  arm  an  Metallen  sind ;  man  findet 
Braunkohlen  (auf  Negroponte) ,  den  besten  Meerschaum  (in  Liva- 
dien)  und  Marmor  (auf  der  Insel  Paros),  verschiedene  Salze  und 
treffliche  Thonarten. 

Unter  einem  Jahrhunderte  langen  Drucke  und  durch  die  lang- 
wierigen  Kriege  in  den  Grundfesten  des  volkswirthschaftlichen  Lebens 
tief  erschiittert  beginnt  die  gewerbliche  Industrie  jetzt  erst  lang- 
sam  sich  zu  heben,  obwohl  sie  sich  nur  noch  auf  wenige  Zweige  und 
wenige  Landstriche  erstreckt.  Am  bedeutendsten  ist  die  Verar- 
beitung  von  Seide  in  Attika,  auf  Negroponte  und  Tino.  Die 
L  e  i  n  e  n  industrie  ist  fortschreitend  und  liefert  ziemlich  gute  Waare  ; 
die  Wollweberei  deckt  den  heimischen  Bedarf  an  Manufakten 
geringerer  Qualitat.  Die  Baumwol  1  industrie  kann  den  oster- 
reichischen  und  englischen  Import  noch  nicht  entbehrlich  machen, 
ebenso  die  P  apierf  abrikation.  Erwahnenswerth  sind  die  Stroh- 
flechtereien  (in  Athen,  auf  Hydra),  die  Lederfabriken  (in  Lepanto, 
Athen  und  auf  Syra),  Meerschaumkopfe  u.  s  w.  Die  grosse  Vor- 
liebe  fur  die  Schiffahrt  hat  den  bedeutenden  Schiffbau  im  Ge- 
folge ,  namentlich  haben  Hydra ,  Spezzia  und  Syra  vorziigliche 
Werften,  wo  auch  sovvie  in  Argos,  viel  Segeltuch  und  Tauwerk  er- 
zeugt  wird. 

Die  giinstige  Lage  Griechenlands  zwischen  dem  Morgen- 
und  Abendlande,  und  die  in  Europa  am  reichsten  gegliederte  Kiiste 
haben  auf  die  Entfaltung  des  Haiidels  eeit  den  altesten  Zeiten 
ausserst  vortheilhaft  eingewirkt;  ihm  verdankt  das  Land  den  stei- 
genden  Wohlstand.  Der  noch  wenig  befriedigende  Zustand  des 
Ackerbaues  und  der  Industrie  erheischt  eine  ansehnliche  Einfuhr, 


368 

welche  im  Jahre  1857  den  Werth  von  nahe  37  Millionen  Drach- 
men  (1  Drachme  zu  100  Lepta  =  86.3  Neukreuzer)  erreichte  ;  da- 
gegen  werden  haupt8achlich  Wein,  Korinthen,  Feigen,  Citronen  und 
dergleichen  ausgefiihrt  (im  Jahre  1857  um  nahe  24 '/2  Million 
Drachmen).  Bei  der  Einfuhr  sind  am  starksten  vertreten:  Ge- 
webe  (nahezu  10  Millionen  Drachmen),  Getreide  (fast  4  Millionen 
Drachmen),  Vieh  (uber  3  Millionen  Drachmen),  Zucker  (2l/2  Mil- 
lion Drachmen),  Kaffee,  Bauholz,  Eisen  u.  s.  w.;  —  bei  der  Aus- 
fuhr:  Korinthen  (13Y2  Million  Drachmen),  Cocons  (1 '/2  Mill' m 
Drachmen),  Wein  (1  Million  Drachmen),  Felle  (Mehrausfuhr 
1  Yj  Million  Drachmen),  Feigen  und  Tabak  (je  800.000  Drachmen), 
Wolle ,  Kase  u.  s.  w.  —  Die  vorziiglichsten  Handelsplatze 
sind:  Athen  mit  seinem  Hafen  Piraeus,  Syra,  Nauplia,  Patras 
und  Kalamata.  — Nach  den  Landern  der  Herkunft  oder  derBestim- 
mung  gestaltet  sich  der  Verkehr  am  lebhaftesten  mit:  Gross- 
britannien,  Oesterreich,  Frankreich,  den  jonischen  Inseln, 
Holland,  Russland  und  der  Tiirkei,  in  welchen  Staaten  griechische 
Handelshauser  etablirt  sind.  Die  Handelsmarine  zahlte  (im 
Jahre  1857)  4379  Schiffe  mit  325,000  Tonnen  und  26.000  Mann; 
der  grosste  Schiffsbauplatz  ist  Syra ,  wo  jahrlich  an  300  Schifi'e 
vom  Stapel  laufen.  Zwischen  den  Hafen  des  Konigreiches  und 
auch  des  Auslandes  bestehen  regelmassige  Dampfschiffahrten  („ grie- 
chische Dampfschiffahrts  -  Gesellschaft") ;  fur  den  Landverkehr 
sorgt  die  Regierung  eifrigst  durch  Anlegung  von  Fahrstrassen. 
Handelskammern  bestehen  an  mehreren  Orten,  zu  Athen  ein  Ge- 
neral -  Handelscomite'  und  eine  Nationalbank  (Stammkapital  5  Mil- 
lionen Drachmen). 

Geistige  Kultur.  Die  gegenwartige  Regierung  Griechen- 
lands  ist  eifrigst  bemuht,  durch  Griindung  von  Lehranstalten  die 
allgemeine  Volksbildung  zu  heben  ,  die  Liebe  fur  wissenschaftliche 
und  kunstlerische  Beschaftigung  zu  beleben.  Bei  Grundung  der  Lehr- 
anstalten dienten  die  vortreff lichen  deutschen  Elementar-  und  Mit- 
telschulen  zum  Muster,  und  auch  die  Universitat  in  Athen  ist  nach 
deutscher  Art  organisirt.  Das  rasche  Emporbliihen  der  zahlreichen 
Anstalten  ist  Beweis  fiir  den  wiedererwachten  Geist  dieses  begab- 
ten  Volkes,  welches  in  neuerer  Zeit  in  alien  Richtungen  erfreuliche 
Fortschritte  aufweiset;  Athen  ist  der  Mittelpunkt  des  geistigen 

Lebens  fiir  die  gesammte  griechische  Nation. 



XVI.  Das  osmanische  Kaiserreich 

(das  Eaiserthum  oder  das  Snltanat  Tiirkei). 
§.  151. 

Geograph.  Geograpb. 

QMeilen    Einwohner    nMeilen     Einwohner 


In  Europa: 
In  A  s  i  e  n  .  . 

unmittelbare  Besitzungen 
Moldau  (Boghdftn) 

6507 
736 
1330 

998 

10,500.000 
1,400.000 
2,600.000 
1,000.000 

9571 
31.482 
44.958 

15.500.000 
16,050.000 
5,050.000 

Walachei  (Iflak)  
Serbian  (Syrp)  

In  Africa  . 

Gesammtmonarchie  .  .  . 

86.011 

36,600.000 

369 

Nach  der  National!  tat:  fast  50%  der  BevSlkernng  in  der  europaischen 
Turkei  sind  Slaven,  an  4'/s  Million  Walachen  und  Moldauer,  J1/,  Million  Albanesen, 
1  Million  Griechen,  etwa  I'/,  Million  Osmanen,  dann  Armenier,  Zigeuner  etc.; 
—  der  Islam  oder  der  Muhamedanismns  ist  btaatsreligion,  zu  welehem  sich  (in 
Europa)  beilaufig  4  Millionen  bekennen,  Griechen  nnd  armenische  Christen  fiber  10V, 
Million,  an  650.000  rSmische  Katholiken,  endlicb  Protestanten,  Juden.  —  Unum- 
Bchrankte  Erbmonarchie  in  der  mannlichen  Linie  der  Farailie  Osman. 

Oberflache.  Die  Turkei  oder  die  Balkan-Halbinsel  ist  gross- 
tentheils  Gebirgsland.  Die  Gebirge  haben  z  w  e  i  Hauptrich- 
tungen ;  die  eine  (im  westlichen  Theile)  ist  von  Nordwesten  nach 
Siidosten,  die  andere  (im  ostlichen  Theile)  von  Westen  nach  Oaten. 
Die  erstere  Gruppe  bildet  die  Wasserscheide  zwischen  dem  adria- 
tischen  und  dem  agaischen  Meere,  die  zweite  zwischen  dem  letzte- 
ren  und  der  Donau.  Das  westliche  Bergland  ist  im  Nord- 
westen eine  Fortsetzung  der  aus  Oesterreich  (Militar  -  Kroatien, 
Dalmatien)  hereinstreichenden  Kara  th  Chen,  welche  sich  vielfal- 
tig  in  Bosnien  und  Serbien  verzweigen,  und  mehrere  Plateaux  bil- 
den.  Die  Centralmasse  bildet  der  Schar  Dagh,  das  hochste  und 
wildeste  Gebirge  der  Halbinsel.  In  sfldostlicher  Richtung  zieht  eich 
das  Rho  dope- Gebirge  (Despoto  -  Dagh)  bis  an  das  Meer.  Der 
ostliche  Grenzwall  Albaniens  heisst  im  nordlichen  Theile  Bora 
Dagh,  im  sudlichen  der  Pindus.  —  Der  Hauptrichtung  von 
Westen  nach  Osten  folgt  der  Balkan  oder  Ham  us,  der  sich 
vom  Schar  Dagh  zum  schwarzen  Meere  fast  parallel  mit  der  Do- 
nau (jedoch  etwa  10 — 15  Meilen  sudlich  von  ihr  entfernt)  als  Grenz- 
wall zwiachen  Bulgarien  und  Thracien  zieht.  Er  fallt  gegen  Norden 
ziemlich  steil  ab ,  gegen  Siiden  senkt  er  sich  langsamer  und  bildet 
breite,  anmuthige,  sehr  fruchtbare  Thaler.  —  An  der  siebenbiirgischen 
Grenze  stehen  die  Karpat  h  en,  welche  nur  kurze,  steil  abfallende 
Zweige  in  die  Turkei  senden.  Von  hier  bis  zum  Hamus  dehnt 
sich  das  Tiefland  der  unteren  Donau  (die  walachische  Tief- 
e  ben  e)  aus. 

Das  adriatische  Meer  mit  der  Strasse  von  Otranto,  das  agaische 
Meer  mit  den  Busen  von  Salonik  und  Contessa,  der  Dardanellen- 
strasseund  dem  Marmorameer,  der  Hellespont  und  das  schwarze  Meer 
bespulen  die  europaische  Turkei.  —  Der  Hauptfluss  ist  die  Donau  , 
welche  von  Belgrad  bis  Orsowa  die  Reichsgrenze  gegen  Oester- 
reich und  von  der  Einmundung  des  Pruth  bis  zu  ihrer  Mflndung  gegen 
Russland  bildet.  Ihre  Nebenflusse  sind:  der  Grenzfluss  Save  (mit 
der  Unna ,  Verbas,  Bosna  und  Drina) ,  die  Mora v a  in  Serbien, 
die  Aluta  aus  Siebenburgen ,  der  Sereth  in  der  Moldau  und 
der  Grenzfluss  Pruth.  Vom  Balkan  fliessen:  der  Vardar  (in  den 
B.  von  Salonik),  der  Karasu  (in  den  B.  von  Contessa)  und  die 
Maritza  (in  den  Archipel).  Dem  Gebiete  des  adriatischen  Meeres 
gehort  der  Drino.  —  Zu  den  bedeutenderen  Seen  sind  zu  zahlen : 
der  See  von  Skutari,  von  Janina,  von  Kastoria,  von  Bedschik  und 
von  Takinos  in  Macedonien,  und  der  Ramsin  (Rassein)  in  der  bul- 
garischen  Dobrudscha. 

Das  Klima  ist  im  Allgemeinen  angenehm  milde,  und  mit  Aus- 
nahme  der  Sumpfgegenden  gesund. 

Klun's  Handels- Geographic.     2.   And.  24 


370 

Regierungsform  uud  Eintheilnng.  Das  Staatsoberhaupt  (Padischah 
oder  Sultan)  hat  in  weltlichen  RegieruDgsangelegenheiten  den  Grossvezier,  in 
geistlichen  den  Mufti  (Scheikh-fll-Islam)  zn  seinen  Stellvertretern.  Die  hochste  be- 
rathende  BehOrde  ist  der  Divan,  den  verschiedenen  Zweigen  der  Staatsverwaltung 
sind  Minister  vorgesetzt  *). 

Die  Provin  zial-Verwaltung  zerfallt  in  E  jalet  s  ,  diese  sind  in  Li  was 
oder  Sandsehaks,  nnd  letztere  in  Kazas  eingetheilt.  An  der  Spitze  der  erst  en 
steht  der  Wali  (General- Gouverneur),  der  zweiten  der  Raima kan  und  der  letzten 
der  Mudir. 

Gebr'auchlicher  ist  die  Eintheilung  in  uiimi'Hclbaro  Provinzen:  Rumelien, 
Macedonien,  Thessalien,  Albanien,  Bosnien,  Bulgarien  und  die  Inseln,  —  und  in 
mittelbare  oder  Vasallenlander :  Serbien,  Moldau,  Walachei  nnd  das  BFurstenthum 
Montenegro." 

I.  Unmittelbare  Provinzen: 

1.  Rumelien    (Rumili):    K  onstantinop  el    oder    Stambul    (900.000  E., 
Vorstadte:  Galata,  Pera,  auch  Skutari),  Adrianopel  (150.000),    Philippopel  (90  bis 
100.000),  Gallipoli  (30000),  Burgas. 

2.  Macedonien:  Saloniki  (70.000).  Seres  (30.000),  Kostendil. 

3.  Thessalien:  Larissa  (25000;  Trikala,  Volo. 

4.  Albanien:  Skutari  (20.000),  Durazzo,  Valona,    Arta,    Prevesa,  Janina. 
Im  nOrdlichen  Theile  von  Albanien  und  angrenzend   an  Dalmatien  liegt  das 

,Fiirstenthum  Montenegro"  (Cernagora),  an  70  Q  Meilen  gross,  mit 
125.000  Einwohnern,  welche  eine  fast  v611ige  Unabhangigkeit  behanptet  ha- 
ben.  Der  durcbgehends  gebirgige  Boden  ist  dem  Ackerbaue  nicht  gunstig; 
den  Hauptnahrungszweig  der  Bewohner  bildet  die  Viehzncht.  Von  burgerlicben 
Gewerben  kann  nicht  die  Rede  sein;  der  Handel  wird  nnr  insoweit  betrieben, 
als  es  die  dringende  No^hwendigkeit  erheischt,  und  zwar  fast  ausschlie=slich 
mit  Cattaro.  Die  geistige  Kultur  ist  ausserst  geringe.  Der  Thron  ist  (zu- 
folge  Erbfolgestatnts  rom  5.  Mai  1855)  in  der  mannlichen  Nachkommenschaft 
des  Fttrsten  Danilo  I.  aus  der  Familie  Petrowitsch  des  Stammes  Njegusch 
erblich.  —  Hanptort  ist  Cettinje. 

5.  Bosnien:  Serajewo  (oder  Bosna  Serai,  60.000)  Mostar,  Banjalnka,  Tre- 
Nowi-Bazar,  Bihac. 

6.  Bnlgarien:  Sofia  (50.000),  Schumla  (60.000),  Widdin (20.000),  Nikopoli, 
Sistowa,  Rnstschnk,  Silistria,  Tultscha,  Varna. 

7.  Inseln    im    Archipelagus:   Candia    (oder  Creta,    145  OM->    210.000 
E.),  —  ist  hochgebirgig,  hat  jedoch  sehr  mildes  Klima,    in  den  Thalern   und  Ebenen 
ist  der  Boden  sehr  frnchtbar.     Die  Insel  hat  durch  Erdbeben  viel  gelitten ;  sie  liefert 
viel  Holz,  Oel,  Honig  und  Johannisbrot.     Stadte:  Candia  (15.000),  Canea  (12.000), 
Rettimo.    —  Andere  Inseln:  Stalimene  (Lemnos)  erzeugt  Getreide,  Wein,  Feigen, 
—  rothe  Siegelerde;  —  Tasso,  Samothraki,  Imhro  u.  a. 

II.  Mittelbare  Provinzen : 

1.  Furstenthnm  Serbien:  Belgrad  (20000),  Kragnjevaz,  Semendria, 
Passarowiz,  Schabaz. 

2.  Fdrstenthnm  Walachei:    Bucharest  (100.000),  Fokschani,  Krajowa, 
Giurgewo,  Braila  (oder  Ibrail). 

3.  Furstenthnm  Moldan:   Jassy   (80.000),    Galacz,   Ismail,   Tutschkow, 
Kilia,  Okna,  Botuschan. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Landwirthschaft  steht  auf  einer  sehr  niederen  Stufe, 
da  der  turkische  Landmann,  mit  Ausnahme  der  thatigen  Bulgaren, 
meist  nur  fiir  die  Befriedigung  der  eigenen  Bedurfnisse  sorgt  und 
grossere  Vorrathe  zu  sammeln  nicht  gewohnt  ist.  Die  Produktion 
an  Weizen,  Mais,  Hirse  und  Buchweizen  liefert  dennoch  zum  Ex- 
port, welcher  im  Jahresdurchschnitt  den  Werth  von  ein  Paar  hun- 

*)  Die  hSchsten  Staatsbeamten  und  Generate  fiihren  den  Titel  Pascha,  die  ho- 
heren  Beamten  —Efendi,  die  SOhne  der  Paschas  und  die  oberen  Offiziere  —  Bci, 
die  niederen  Offiziere  und  Beamten  —  Aga. 


binje, 


871 

dert  Millionen  Piaster  (&  9  Neukreuzer)  erreicht.  Die  grosste 
Menge  an  Mais  wird  gewonnen  in  der  Moldau,  Walachei,  Serbien 
und  Bosnien,  an  Re  is  in  Rumelien,  Macedonien  und  Albanien; 
Flachs  undHanf  werden  am  starksten  in  den  nordlichen  Provin- 
zen  gebaut,  Baumwolle  in  Macedonien,  Thessalien,  Albanien  und 
auf  Candia,  vortrefflicher  Tabak  in  alien  Theilen  des  Reiches, 
besonders  in  Macedonien  *).  Der  Weinbau  liefert  ausgezeichnete 
Sorten ,  namentlich  in  Bulgarien  ,  Bosnien  und  der  Herzegowina ; 
Obst  wird  uberall  in  bedeutender  Menge  gewonnen;  der  Oel- 
baum  wachst  besonders  an  den  Kusten  des  Archipels  und  des 
adriatischen  Meeres,  und  Oel  bildet  eineu  der  Hauptexportartikel. 
Eine  grosse  Aufmerksamkeit  wird  der  Blumen-,  insbesondere  der 
Rosenzucht,  gewidmet;  dagegen  liegt  die  F  o  r  s  t  k  u  1 1  ur  g'anz- 
lich  darnieder.  Erwahnenswerth  ist  noch  der  starke  Mohnbau. 

Den  Hauptreichthum  der  Landbewohner  in  der  europaiachen 
Tiirkei  bildet  die  Viehzucht.  Schone  Pferde,  auf  welche  eine 
bedeutende  Sorgfalt  verwendet  wird,  werden  in  grosser  Anzahl  in 
der  Moldau,  Walachei  und  in  Bulgarien  gezogen ;  gleiche  Aufmerk- 
samkeit  geniesst  die  Rind  vie  hzucht.  Die  meisten  S  chafe  sind 
in  den  Donaufiirstenthumern ,  in  der  Dobrudscha ,  in  Macedonien 
und  Thessalien,  die  starkste  Schweinezucht  ist  in  Bosnian  und 
Serbien;  Ziegen,  Esel  und  Maulesel  findet  man  in  alien  Provinzen. 
Ausgezeichnet  in  der  Bienenzucht  sind  die  Bulgarei,  Moldau, 
Albanien  und  die  Inseln;  jenseits  des  Balkan  ist  die  Seiden- 
zucht  so  bedeutend,  dass  die  jahrliche  Seidenproduktion  aui  zwei 
Millionen  Zollpfund  geschatzt  wird.  Die  Jagd  ist  ziomlich  eintrag- 
lich,  dagegen  die  Fischerei  arg  vernachlSssigt. 

Der  Bergbau  ist  schlecht  bestellt ;  bei  rationellem  und  sorg- 
faltigem  Betriebe  diirfte  er  reiche  Ausbeute  liefern.  Relativ  am  besten 
stehen  hierin  Bosnien,  Macedonien  und  Serbien,  wo  etwas  Gold  und 
Silber,  mehr  Eisen,  Blei,  Kupfer,  Quecksilber  und  Schwefel  gewon- 
nen wird.  Viel  Steinsalz  haben  die  Moldau  und  Walachei  an 
den  Siidabhangen  der  Karpathen  (Okna,  Rimnik),  dann  auch  Stein- 
kohlen  und  Salpeter;  auf  mehreren  Inseln  wird  echoner  Marmor 
gebrochen ,  die  rothe  Siegelerde  der  Insel  Stalimene  ist  berikhmt.  Den 
meisten  und  besten  Meerschaum  hat  die  asiatische  TQrkei  (bei 
Konieh,  Karahissar,  Brussa). 

Die  gewerbliche  Industrie  steht  im  Allgemeinen  in  der 
Turkei  auf  einer  sehr  niederen  Stufe ;  nur  einzelne  Fabrikate  und 

*)  Die  Tabak  pro  dukti  o  n  betragt  annabernd  39,434.000  Pfnnd.  Die  Qualitat 
des  Produktes  ist  so  verschieden  als  seine  Verwendung;  sie  wechselt  nach  den  Pro- 
vinzen, wo  die  Pflanze  wachst.  Die  vorzuglichsten  Orte  der  Produktion  sind  Mace- 
donien, Thessalien  und  der  ndrdliche  Theil  von  Anatolien.  Die  Umgebnngen  vdn 
Karissa  and  Armyra  in  Thessalien  produciren  ca.  5  Mill.  Pfnnd.  Davon  wird  nar 
V3  im  Lande  consnmirt,  der  Rest  geht  nach  Griechenland  und  dem  ubrigen  Europa. 
Der  Preis  variirt  von  1—1 '/,  Fr.  per  Okka.  Macedonien  bringt  jahrlich  ca.  8  Mill. 
Pfund  hervor,  es  exportirt  davon  nahe  an  1  Million  Pfund  nach  Bussland  und  Oester- 
reich;  der  grOsste  und  beste  Theil  der  Ernte  aber  wird  anf  den  Markten  von  Kon- 
stantinopel  und  3.,  Mill.  Pfnnd  allein  fur  Frankreich  nnd  England  verkauft;  der 
Rest  wird  in  den  ubrigen  Provinzen  nnd  Egypten  consumirt.  Die  Tflrken  selbst 
ziehen  den  syrischen  Latakieh  vor.  Man  gewinnt  aus  Syrien  1.,  Mill.  Pfund  Tabak 
erster  und  1.,  Mill.  Pfund  zweiter  Sorte. 

24* 


372 

wenige  grossere  Stadte  machen  hiervon  eine  Ausnahme.  Ein  Haupt- 
artikel  der  Landesindustrie  ist  Leder,  namentlich  Korduan  und 
Saffian  in  rother  und  gelber  Farbe  (in  Larissa,  Janina,  Saloniki, 
Gallipoli);  in  Konstantinopel  werden  schone  Lederarbeiten  (Brief- 
taschen,  Giirtel,  Schabraken  und  dergleichen)  gemacht.  Beruhmt 
sind  die  Farbereien  von  Larissa,  Ambelakia  und  im  Thale  des 
Salambria,  in  Janina,  Saloniki  und  Konstantinopel,  vorziiglich  das 
Bturkischrotheu  Baumwollgarn,  Auch  in  der  Verfertigung  von  feinen 
Metallwaaren,  besonders  Waffen  (Semendria,  Konstantinopel) 
wird  Vorzugliches  geleistet.  Die  Wollen-,  Baumwollen-  und  Seiden- 
zeuge,  dann  Teppiche  (Saloniki,  Adrianopel)  iibertreffen  nur  in 
der  Farbe  die  europaischen  Fabrikate.  Die  Bereitung  von  Essenzen, 
besonders  Rosen 61  (Adrianopel)  gehort  zu  den  namhafteren  In- 
dustriezweigen.  Alle  iibrigen  Fabrikate  werden  aus  den  europaischen 
Industrie-Siaaten  importirt. 

Handel.  Die  geographische  Lage  der  Tiirkei  als  Vermittlerin 
des  produktenreichen  Asiens  mit  dem  industriellen  Abendlande,  die 
lange,  reichgegliederte  Kiiste  mit  den  vielen  guten  Hafen  begun- 
stigen  ungemein  den  Seehandel,  welcher  hauptsachlich  von  Aus- 
landern  (Griechen  und  wFrankenu  ,  das  ist  Abendlandern,  Engl'an- 
dern,  Franzosen,  Italienern,  Deutschen)  betrieben  wird.  Im  Allge- 
meinen  kommen  viele  und  mannigfaltige  Rohprodukte  zum 
Export,  und  europaische  Manufaktur-  und  Fabrikwaaren 
zum  Import.  Der  gesammte  Handelsverkehr  der  Tiirkei  (mit 
Einschluss  der  Donaufurstenthumer)  wird  in  der  Einfuhr  nach 
der  Tiirkei  mit  beilaufig  102  Millionen  Gulden  (aus  Oester- 
reich  um  25 Y2,  aus  England  um  28  Millionen  Gulden),  und  in 
der  Ausfuhr  aus  der  Turkei  mit  112  Millionen  Gulden  (nach 
Oesterreich  um  26  V2,  nach  England  um  36  Millionen  Gulden) 
berechnet.  Genaue,  offizielle  Nachrichten  iiber  den  Verkehr  fehlen 
noch  bis  jetzt  *). 

Die  wichtigste  Fl  u  ssschiffahrt  wird  auf  derDonau  be- 
trieben ;  der  Dampfschiffahrtsverkehr  zwischen  Wien  und  Konstan- 
tinopel sowie  den  an  der  Donau  liegenden  ansehnlichen  Stadten  ist 
sehr  lebhaft.  Aus  dem  schwarzen  Meere  fahren  Kauffahrteischifte 
bis  Galacz  und  Braila.  Auch  die  Nebenflusse  (Save ,  Morawa, 
Aluta,  Sereth,  Pruth),  dann  die  Maritza  und  der  Strymon  haben 
ziemlich  ansehnliche  Schiffahrt.  Der  schlechte  Zustand  der  Land- 
strassen,  das  mangelhafte  Postwesen,  hie  und  da  auch  Unsicher- 
heit  hindern  die  Entfaltung  des  Binnenhandels.  Die  bedeutendste 
Strasse  fiihrt  von  Konstantinopel  fiber  Adrianopel  nach  Belgrad, 

•  *)  Exportirt  werden:  Baumwolle,  rothes  Garn,  Saffian,  Wein  und  Obst,  Wolle, 
rohe  Seide,  Tabak,  Honig  und  Wachs,  Krapp,  Siidfruchte,  Gallapfel,  Meerschaum- 
kiipfe,  Rosenol,  Teppiche,  Sabel ;  —  aus  denDonaufiirstenthamern:  Getreide, 
Pferde,  Schlachtvieh,  Haute,  Talg,  Borsten,  Salz,  Salpeter,  Honig  und  Wachs;  — 
von  den  Inseln:  Wein  nnd  Siidfruchte.  —  Eingefuhrt  werden  alle  Arten  euro- 
paischer  Fabrikate,  namentlich:  Eisen  und  Eisenwaaren,  Baumwollstoffe,  Tuche  und 
Wollenzeuge  aus  England,  Oesterreich,  Frankreich,  Belgien,  aus  dem  Wupperthale 
nnd  der  Schweiz,  —  dann :  Pelzwerk,  Hanf  und  Flachs  aus  Russland ;  Glas,  Spiegel, 
Papier,  Wiener  Fabrikate  aus  Oesterreich;  kurze  Waaren  aus  Nurnberg;  deutsche, 
franzosische  und  englische  Fabrikate  u.  s.  w. 


373 

eine  zweite  von  Bukarest  nach  Siebenbiirgen.  Eisenbahnen  be- 
stehen  noch  keine ,  dagegen  mehrere  Telegraphenlinien.  Zu  Kon- 
stantinopel hat  die  ottomanische  Bank  (Aktienkapital  200  Millionen 
Piaster)  ihren  Sitz. 

Von  der  geistigen  Kultur  im  Sinne  des  christlichen  Abend- 
landea  kann  in  der  Tiirkei  keine  Rede  sein.  Die  TOrken  haben 
im  Ganzen  ihre  asiatischen  Sitten  und  Gebrauche  beibehalten  und 
sind  als  Bekenner  des  Islam  von  geistigen  Anstrengungen  keine 
Freunde;  Kunste  und  Wissenschaften  haben  so  zu  sagen  keinerlei 
Fortschritte  aufzuweisen.  Es  bestehen  zwar  mancherlei  muhame- 
danische  Schulen  (Elementar-,  Mittel-  und  Spezialschulen) ,  allein 
die  Resultate  derselben  sind  nach  unseren  Begriffen  hochst  unbe- 
deutend.  Unter  der  christlichen  Bevolkerung  sind  die  Griechen  die 
intelligentesten,  induetriellsten  und  thatigsten,  am  meisten  befassen 
sich  die  Geistlichen  mit  der  Pflege  der  Wissenschaften.  In  neue- 
ster  Zeit  beginnt  jedoch  die  europaische  Kultur  hie  und  da  Wurzel 
zu  schlagen. 

Die  bedeutendsten  Fabriks-    and  HandelsplHtze    in  'der   europaiscben 

T5rkei  sind  : 

Konstantinopel  hat  eine  so  gfinstige  und  herrliche  Lage,  wie  vielleicht 
keine  Stadt  der  Erde.  An  drei  Seiten  wird  sie  vom  Meere  bespfilt,  im  S. 
vom  Marmara-Meer,  im  O.  vom  Bosporus,  im  N.  vom  goldenen  Horn.  An 
der  Stelle  des  alten  Byzantium  liegt  der  Serail,  ein  eigener,  mit  Mauern 
umgebener  Stadttheil,  fiber  1  Stunde  im  Umfange,  mit  fiber  10.000  Be- 
wohnern,  vielen  Palasten,  Garten  u.  s.  w.  Dicht  darneben  liegt  der  Palast 
des  Grossveziers,  die  Bhohe  P forte".  Eines  der  prachtvollsten  Bauwerke 
ist  die  von  Kaiser  Justinian  erbante  Sophienkirche,  jetzt  Aja  Sofia,  das 
Muster  aller  Kuppelkirchen.  Am  goldenen  Horn  liegt  der  fast  nur  von 
Griechen  bewohnte  Stadttheil  Fanar  (Fanarioten).  Galata  liegt  wo  die 
Spitze  des  Hafens  und  des  Bosporus  zusammenstossen ;  von  Mauern  um- 
geben  und  durch  12  Thore  zuganglich  bildet  es  eine  seit  jeher  von  Christen 
bewohnte  Stadt,  in  deren  steinernen,  starken  Hausern  die  Kauflente  von 
Pera  ihre  Waarenniederlagen  halten.  Nach  dem  Bosporus  zu  schliesst 
sich  daran  Tophana  mit  seinen  engen  krnmmen  Gasschen,  Holzhansern 
and  Krambuden,  ira  unmittelbaren  Verkehr  mit  dem  Hafen  und  den  an- 
kommenden  Schiffen.  In  ganz  Konstantinopel  rechnet  man  80.000  meist 
unansehnliche  Hauser.  Jedes  turkische  Haus  wird  nur  von  einer  Familic 
bewohnt.  Es  gibt  an  400  Moscheen,  fiber  5000  kleinere  Terapel,  etwa 
500  hohere  Lehranstalten,  1200  Elementarschulen,  13  Offentliche  Bibliotheken, 
fiber  1200  offentliche  Bader  u.  s.  f.  An  der  Spitze  der  r6mischen  Katho- 
liken  steht  der  in  Pera  residirende  Patriarch  (10.000  Katholiken).  —  Die 
Stadt  gewahrt  vom  Meere  oder  vom  asiatischen  Ufer  gesehen  einen  pracht- 
vollen  Anblick.  Hinter  dem  Serail  breitet  sich  die  enorroe  Hausermasse 
aus,  fiberragt  von  den  mit  Landhausern  und  Garten  besetzten  Hugeln,  zwischen 
diesen  die  Begrabnissplatze  mit  ihren  Cypressenhainen.  Aus  dem  Hauser- 
gewirre  ragen  die  gl&nzenden  Kappeln  der  Moscheen  empor,  und  ein  gan- 
zer  Wald  sanlenartiger  Minarets.  Im  Hafen  schaukelt  eine  enorme  Menge 
von  Schiffen  aller  Nationen.  Konstantinopel  mit  den  Vorstftdten  Galata 
und  Pera  (Wohnsitze  der  ^Franken"  und  der  Gesandten  der  christlichen 
Machte),  die  erste  Seestadt  der  Turkei,  besitzt  wenige  Fabriken  (in  Filz  und 
Filztuch,  Saffian,  Waffen,  Gold  und  Bijouterie) ;  der  Handel  ist  fast  ausschliess- 
lich  in  den  Handen  der  Europaer  und  gestaltet  sich  immer  grossartiger. 
Die  Einfuhr  umfaast  alle  Industrie-Erzeugnisse  des  Abendlandes  (Wenh 
35  Millionen  Gulden),  die  Ausfnhr  vorzuglieh  Wolle,  Ziegenhaare,  Tep- 
piche,  Seide,  Droguen,  Leder.  Die  Dampfschiffahrt  in  das  schwarze  Meer 
und  die  Lloyd  schiffahrt  von  Triest  tragen  sehr  viel  zur  Hebung  des  Han- 
dels  bei, 


874 

Adrianopel,  an  der  schiffbaren  Maritza,  bat  lebhafte  Industrie,  besonders 
Saffian  and  BosenCl,  dann  Teppicbe,  Webewaaren  in  Seide,  Baum- 
wolle,  Wolle,  Turkischrothfarberei.  Sehr  blahender  Handel  zu  Lande  nacb 
Konstantinopel  und  fiber  den  Hafen  Enos  an  der  Maritzamundung.  Mehrere 
europaische  Handelshauser  sind  bier  etablirt,  welche  viele  levantinische 
Bohstoffe,  sch6ne  Wolle,  Seide,  Tabak  und  Wachs,  ferners  aus  Bussland 
Hanf,  Talg  nnd  Haute  zu  Markte  bringen.  Erwahnenswerth  ist  der  Bazar, 
einer  der  sch6nsten  im  Oriente. 

Saloniki,  «we\te  Seestadt  der  Turkoi,  Sitz  der  europaischen  Handelskonsulate, 
wichtig  durch  ihre  vorziiglichen  Teppiche,  Seiden-  und  Banmwollenzeuge, 
Turkischrothfarbereien,  Saffian  u.  s.  f.  Der  sehr  bedeutende  Eigenbandel 
umfasst  die  genannten  Fabrikate,  dann  Getreide,  Keis,  macedonische  Baum- 
wolle,  Tabak.  Bohseide,  Sadfrachte,  Opium.  Wechselplatz  fiir  Frankreich, 
Italien  und  Oesterreich. 

Seres  (in  Macedonien,  in  der  Nahe  des  Takinos-Sees  and  der  Bai  von  Con- 
tessa)  ist  der  Mittelpunkt  der  Baumwoll-  und  Tabakpflanzungcn,  mit  wel- 
chen  Prodnkten  ein  bedeutender  Handel  getrieben  wird. 

Larissa,  die  erste  Fabrikstadt  der  europaischen  Turkei,  beruhmt  dnrch 
Turkischrothfarbereien,  Seiden-  und  Baumwollwebereien,  Saffian-  und  Ta- 
bakfabriken,  Mittelpunkt  des  Handels  der  an  Produkten  reichen  Provinz 
Thessalien,  der  bei  der  Thatigkeit  der  Griecben  sehr  ausgedehnt  ist. 

Varna,  der  beste  turkische  Hafen  am  schwarzen  Meere,  mit  bedeutendem 
Handel;  in  der  Einfuhr  Kolonialwaaren,  in  der  Ausfuhr  Rohprodukte  und 
Getreide. 

Donau-Handelsplatze:  Neu-Orsowa,  am  neisernen  Thor,"  Hauptstation 
far  die  Donau  Dampfschiffahrt  mit  Quarantaine-Anstalt,  bedeutender  Tran- 
sithandel  mit  den  aus  und  nach  Oesterreich  und  dem  Zollverein  bestimm- 
ten  Waaren.  -•  Die  Donauhafen  Widdin,  Nikopolis,  Sistowa  (Ge- 
treide- und  Salzhandel).  Silistria  (Getreidehandel),  Tultscha,  Giur- 
gewo  (der  eigentliche  Hafen-  und  Stapelort  fur  den  See-  und  Flusshandel 
der  Walachei,  wichtiger  Speditionsplatz) ;  Rustschuk,  wichtig  als  Ver- 
einignngspunkt  der  aus  der  Turkei  fuhrenden  zwei  Hauptstrassen,  Stapel- 
platz  fiir  den  osterreichischen  Donauhandel,  mit  Saffian-,  Seiden-  und  Mons- 
selinfabriken.  —  Braila,  Hauptplatz  fiir  den  auswartigen  Handel  der 
Walaehei  auf  der  Donau  und  dem  schwarzen  Meere  ;  den  Hafen  besuchen 
jfthrlich  fiber  11.000  Schiffe,  der  Import  stellt  sich  anf  6,  der  Export  auf 
11  Millionen  Gulden;  —  Galacz,  der  wichtigste  Handelsplatz  far  die 
Moldau,  vermittelt  den  Fluss-  und  Seehandel ;  der  sehr  starke  Verkehr  wird 
beim  Import  mit  uber  10,  beim  Export  uber  7  Millionen  Gulden  bewerthet. 

Jassy  halt  grosse  Messen  in  Landesprodukten,  grosse  Viehzucht  (Kinder, 
Schweine,  Schafe  und  Pferde).  Leipziger  Messwaaren  und  Siebenbiirger 
Produkte  werden  eingefQhrt;  Naturprodukte,  besonders  Pferde,  Binder  und 
Schweine  ausgefahrt.  Botuschani  unterhalt  Wollhandel  nach  Briinn 
und  Leipzig,  Husch  ist  wegen  des  Wein-  und  Tabakbaues,  Okna  wegen 
der  Steinsalzwerke  bekannt. 

Bukarest,  Hauptstapelplatz  fur  den  ungeheuren  Produktenreichthum  der 
Walachei  (viel  Salpeter  und  Steinsalz  zu  Waleni,  Kimpina;  Griechen,  Ar- 
menier  und  Israeliten  unterbalten  einen  sehr  lebhaften  stets  wachsenden 
Verkehr  mit  Wien,  Leipzig  und  Triest.  (Gi  urge  wo  ist  gleichsam  der 
Hafen  fur  Bukarest.) 

Serajewo  ist  der  Mittelpunkt  des  bosnischen  Handels,  ein  Stapelplatz 
fur  osterreichische  Fabrikate  nnd  bosnische  Bohprodukte. 

Belgrad,  Mittelpunkt  des  serbischen  Handels,  wichtiger  Verkehr  mit 
Wien,  Pest,  Saloniki  und  Konstantinopel;  lebhafte  Industrie  in  Seide, 
Baumwolle,  Teppichen,  Leder,  Waffen.  (Von  Semendria  an  der  Do- 
nau ist  eine  Eisenbahn  projektirt  nach  Konstantinopel,  welche  folgende 
Stadte  beruhren  soil:  Semendria,  Kruschewaz,  Nissa,  Scharkoi,  Sofia,  Phi- 
lippopel,  Adrianopel,  Konstantinopel.) 
Far  den  Handel  am  adriatischen  Meere  sin!  bemerkeas worth:  Sku- 

tari    mit   ansehnlichsm  S^hiffbau,   Fiscberei,  badeutendem    Handel,    Gewehr- 

uai  Wollfabriksn ;  —  Durazzo  niit  Hifen  und  Haadel  in  Holz,  Tabak,  Oel, 

Tach  u.  a.  uad  Saffiaafabriken. 


•T 


.  • 


Die  Staaten  von  Asien. 

§   152.  Staatenbildungen. 

Nur  die  angesessenen  Volker  sind  zu  einer  festeren  Ordnung 
ihres  gesellschaftlichen  Zustandes  und  damit  zur  staatlichen  Exi- 
stenz  gekommen;  so  dieJapaner,  Chinesen,  Indo-Chinesen,  Perser, 
Tiirken,  Araber  und  einige  andere  Volkerschaften.  Die  Regierun- 
gen  der  gesitteten  Volker  Asiens  sind  sammtlich  monarchisch 
und  beinahe  alle  in  dem  Masse  unumschrankt ,  dass  sie  zur  d  e  s  p  o- 
tischen  Staatsform  gezahlt  werden.  Sie  stehen  unter  einander 
nur  in  voriibergehender,  meist  feindlicher  Beziehung. 

Neben  der  despotischen  besteht  in  Asien  zugleich  die  pa- 
triarchaliache  Form  des  gesellschaftlichen  Zustandes.  Diese 
findet  sioh  bei  alien  Hirten-,  Jager-  und  vegetirenden  Volkern. 
Die  Oberhaupter  (Sheik,  Khan)  sind  gleichsam  Vater  grosser  Fa- 
milien  und  entweder  unabhangig  oder  hciheren  Oberhauptern  unter- 
worfen.  Auch  gibt  es  noch  Nomadenvolker,  welche  keine  Oberhaup- 
ter haben,  sondern  in  vereinzelten  Familien  leben. 

Ein  grosser  Theil  der  ansassigen  Nationen  und  der  Nomaden- 
vSlker  ist  der  Herrschaft  europaischer  Nationen  unterthan,  ihre 
Lander  sind  Ko  lo  n  i  all  an  d  er  europaischer  Staaten, 
namentlich  der  Russen,  Briten,  Osmanen,  Niederlander,  Spanier, 
Portugiesen  und  Franzosen.  Die  europaischen  Kolonien  umfassen 
beilaufig  380.000  QMeilen  mit  215  Millionen  Einwohnern. 

Die  Staaten  Asiens  Kind: 

Geograph. 


Geograph. 
Einwohner     QMeilen 


Einwobnei 


1.  Asiatische  Tftrkei  :  a)  Kleinasien  oder 
Anadoli  9804         10,700.000 
b)   Armenien    und 
Kurdistan  5693          1,700.000 
c)   Syrien                6873          2  750  000 

d)  Arabistan  9112             900.000 

2.  Arabien     ;',.'.,  w  .,.'.":.  .'(  *  .-I  .'  ,  
3  Iran-  'a)  Persien.  .  ..,.«';  ......       26000        12000000 

31.482 
48.000 

16,050.000 
12,000.000 

b)  Afghanistan  12000          6000000 

c)  Beludschistan  8000          2,500.000 

4.  Vorder-Indien  (Hindustan)  .*i».  v  ,  .>iaJ  
5.  Staaten  Hinter-Indiens  J^siViiiwJt  
6  Indischer  Arcbipel      .•Jnl-frl^Hi-vj,'    i^.. 

46.000 
66000 
40.000 
36000 

20,500  000 
180.000.000 
30,000.000 
23  000000 

7  China             .                                                ... 

200000 

375  000000 

8000 

30000000 

9  Turkestan..            

30  000 

6  000000 

10.  Russisches  Asien  (Sibirien,  Amur  Gebiet,  Kaukasien,  Kir- 
eisensteppe)  .  . 

273.000 

8.000000 

376 

I.  Die  asiatische  Tiirkei. 

§.  153. 

Die  asiatische  Turkei  liegt  zwischen  dem  schwarzen,  dem 
agaischen ,  dem  mittellandischen  Meere,  Arabien,  dem  persischen 
Meerbusen,  Persien  und  dem  russischen  Reiche  ;  ist  uber  31,480  QM. 
gross  und  hat  eine  Bevolkerung  von  fiber  16  Millionen.  Der 
herrschende  Stamm  sind  die  Tiirken  (fiber  10  Millionen),  welche 
sich  zum  Islam  bekennen.  In  Kleinasien  sind  zahlreich  die  Grie- 
chen  (uber  1  Million),  dann  Armenier,  Juden  u.  a.  m.  Die  Turko- 
manen,  Kurden  und  Araber  sind  meist  nomadische  Hirten-  und 
Raubervolker,  oder  Halbnomaden.  In  den  Seestadten  wohnen  viele 
Abendlander  (,,FrankenK). 

Die  asiatische  Turkei  ist  in  16  Ejalete  eingetheilt;  gebrauch- 
licher  ist  die  Eintheilung  in  Landschaften: 

l.Syrien  mit  Palastina.  Das  schmale  Gebirgsland  steht  im  Norden  mit  dem 
Hochlande  von  Kleinasien  in  Verbindung.  Eine  tiefe  Thalspalte  vom  rothen 
Meere  (Busen  von  Akaba)  bis  zum  Taurus,  in  deren  Mittc  das  ,,todte  Meer" 
liegt,  nnd  welche  vom  O  routes  und  Jordan  bewassert  wird ,  scheidet  das 
Bergland  in  ein  westliches  mit  demLibanon  und  ein  fistliches  mit  dem  Anti- 
lib  an  on.  Nach  Westen  fallt  das  siidliche  Land,  Palastina,  in  eine  schmale 
Kustenebene  herab,  welche  nach  Norden  zu  immer  schmaler  wird;  ostwarts  senkt 
es  sich  allmahlich  zur  syrisch-arabischen  Wuste  hinab.  Der  bedentendste  Fluss  ist 
der  am  Fusse  des  Hermon  entspringende  Jordan,  welcher  diesen  Namen  erst 
bei  seinem  Anstritte  aus  dem  See  Merom  erhalt,  spater  den  See  Gene z are  th 
(^Tiberias)  bildet  und  in  das  .todte  Meer"  miindet. 

Das  Land  ist  im  Ganzen  ziemlich  frnchtbar  aber  sehr  im  Verfall.  Die  nord- 
liche  Landschaft  (Soriston)  nnd  die  sudliche  (Palastina)  haben  keine  zum  Ge- 
treideban  geeigneten  weitlaufigen  Ebenen  und  miissen  den  Bedarf  durch  Zufuh- 
ren  decken.  Sftdfruchte,  Wein  und  Oel  gedeihen  vortrefflich.  Ausfuhrprodnkte 
sind  Baumwolle,  Tabak,  Sesam,  Gallapfel,  Wolle  und  Seide. 

Wichtigere  Orte  sind: 

Aleppo  oder  Haleb  Csiehe  S.  381),  Antakieh  (Antiochia)  treibt  Saffiangerberei 
und  bedeutenden  Handel  in  Seide,  Damaskus  (siehe  S.  381),  Ladikijeh 
(Latakia,  Laodicaea),  bedentender  Hafenort ;  der  ehemals  bluhende  Tabakhandel 
ist  wegen  der  Unsicherheit  im  Lande  mehrfach  im  Sinken  ;  Beirut  (20.000), 
ansehnliche  Hafen-  und  Handelsstadt;  die  in  der  Bibel  merkwurdigen,  den 
Christen  heiligen  Platze  Jerusalem  (30.000),  Bethlehem,  Nazareth, 
Jericho;  —  dann  Guzzeh  (Gazza),  Jaffa,  Nablus  (Sich em),  Said  (Si don), 
Tar  (Tyrus). 

Jerusalem  ist  im  Verhaltnisse  zu  seiner  einstigen  Gr6sse  nur  mehr  eine 
kleine,  mit  Mauern  umgebene  Stadt.  Viele  Hauser  sind  fest  gebaut,  die  meisten 
aber  nur  von  Lehm,  mit  flachen  Dachern,  und  ohne  Fenster  auf  die  Strassen. 
Fast  alle  Strassen  sind  eng  und  krumm,  voll  Schutt  und  Unrath  und  schlecht 


OOO.C 
000,1 


gepflastert.  Von  den  30.000  Einwohnern  sind  etwa  12.000  Christen,  8000  Ju- 
den und  10000  Muhamedaner.  Die  Stadt  zerfallt  in  4  Viertel ;  das  arme- 
nische  auf  dem  Berge  Zion  mit  armenischen  Klostern,  der  Citadelle,  der 
evangelischen  Christuskirche;  —  das  Christenviertel,  im  nordwestlichen 
Theile,  enthalt  die  heil.  Grabeskirche,  den  Hiskias-Teich,  das  Hans  des  lateini- 
schen  und  des  griechischen  Patriarchen,  des  evangelischen  Bischofs,  des  koptischen 
Khans  nnd  das  Franziskanerkloster ;  —  das  Judenviertel  nimmt  den  Mit- 
teltbeil  im  Suden  ein;  —  das  mohamedan  is  che  Viertel  ist  das  grSsste, 
hier  befinden  sich  :  der  alte  Tempelplatz,  der  Schmerzensweg  des  Heilandes 
(via  dolorosa),  der  Teich  Bethesda,  die  verfallene  St.  Annenkirche,  und  die 
Wohnung  des  Pascha.  Die  verehrungswurdigste  Merkwiirdigkeit  fur  die 
Christen  ist  die  Grabeskirche,  eigentlich  drei  verschiedene  Raume  nnter  einem 
Dache:  westlich  die  Kirche  des  heil.  Grabes  mit  der  Engelskapelle,  der 
GrabeshShle  und  dem  Sarkophage,  in  welchen  man  den  gekreuzigten  Gottes- 


877 

sohn  gelegt  batte;  in  der  Mitte  die  des  Kalvarienberges  mit  dem  Orte 
der  Kreuzigung;  ostlich  die  der  K  reuzer  findung  mit  der  Helenenkapelle, 
in  welcher  der  Erzherzog  Ferdinand  Max  in  jungster  Zeit  einen  neuen 
Altar  aus  Marmor  aufstellen  liess.  Im  heiligen  Andenken  sind  noch  viele 
andere  Platze.  Hier  sind  ferners  mehrere  KlOster  und  Wohlthatigkeits-Anstalten 
zur  Aufnahme  von  Pilgern.  Auch  die  Umgegend  tragt  das  Geprage  der  reli- 
giosen  und  geschichtlichen  Denkwurdigkeiten  an  sich.  —  Bethlehem,  zwei 
Stunden  von  Jerusalem  entfernt,  die  Geburtsstatte  des  kOniglicheil  Sangers 
David  und  des  gQttlichen  Stifters  des  Christenthums,  hat  eine  malerische  Lage 
auf  zwei  llugeln.  Die  Hauptbeschaftigung  der  jetzigen,  fast  nur  christlichen 
Bevolkerung  der  Stadt,  3000  an  Zahl,  besteht  nebst  dem  Ackerbaue  in  der 
Verfertigung  von  Rosenkranzen,  Kruzifixen,  und  ahnlichen  Gegenstanden  aus 
Olivenholz,  Dattelkernen  und  Perlmutter.  Hier  ist  die  Gebnrtsh6hle,  zu 
welcher  52  Stnfen  hinabfiihren,  mit  einem  Altar  und  mit  einer  weissen  Mar- 
mortafel  mit  der  Inschrift:  »Hier  ist  von  der  Jungfrau  Maria  Jesus  Christus 
geboren  worden".  In  einer  besondern  Grotte  ist  der  nAltar  der  Krippe"  ; 
dann  die  nKapelle  der  unschnldigen  Kinder"  nnd  die  Grotte  des  grossen  Kir- 
chenvaters  Hieronymus.  —  Nazareth  liegt  am  Tabor  und  zahlt  3000  Ein- 
wohner,  welche  rSmisch-katholisch,  griechisch-katholisch,  griechisch-  nichtunirt, 
maronitisch  und  mohamedanisch  sind.  Grossartiges  lateinisches  Kloster  und 
daran  stSsst  die  „  Kirch  e  der  Verkandigung",  nach  der  heil.  Grabeskirche  die 
sch8nste  des  Landes.  Unter  dem  Hochaltar  befindet  sich  die  Grotte  der  Ver- 
kflndignng.  Das  Hans  des  heil.  Joseph,  wo  Jesus  bei  seinen  Eltern  lebte,  ist 
ebenfalls  eine  hochverehrte  Statte. 

2.  II ctlsc has,  das  ist    der  turkische  Antheil    von    Arabien    mit    den  Ejalets    von 
D s  chid  da  nnd  Medina,  ein    ausserst    trockenes    Land    mit    fast    tropischem 
Klima.     Im  Norden  ist  die  syrisch-arabische  Wiiste   mit  wenigen  kleinen  Oasen, 
im  Sfiden  steigt  es  zum  arabischen  Tafellande  empor.  —  Bemerkenswerthc  Orte 
sind:  Dschidda  (12.000),  wichtig  fur  den  Handel  zwischen  Arabien,  Aegypten 
nnd  Indien,  zugleich  der  Hafen  fur  Mekka  (80.000),  die  heilig  gehaltene  Stadt 
der  Moslem;  dann  Medina  (20000)  und    dessen  Hafenstadt  Yembo,    endlich 
Akaba  am  Nordende  des  gleichnamigen  Basens.  —  Mekka  ist  mit  Medina  dnrch 
zwei  Karawanenstrassen    verbunden,    so    wie    mit  Yemen,    El   Chatif   (am 
persischen  Golf),  Bagdad,  Basra  und  Dschidda. 

Zur  Provinz  Hedschas  rechnet  man  auch  die  Sinai -Ha  Ibi  nsel  zwischen 
den  nordlichen  Busen  des  rothen  Meeres  (von  Suez  nnd  Akaba).  Die  gebirgi- 
gen  Theile  in  der  sudlichen  Halfte  enthalten  schone  und  fruchtbare  Thaler,  nnd 
zahlreiche  kleine  Quellen  ;  nordlich  geht  das  Plateau  in  eine  Wflstenlandschaft 
fiber,  die  sich  bis  zum  Mittelmeer  erstreckt.  Den  Mittelpunkt  der  historischen 
und  religiosen  Erinnerungen  bildet  dieGruppe  des  Sinai  mit  demDschebl 
Musa  (Berg  Mosis),  dem  geheiligten  Berge  der  Gesetzgebung,  dem  nordOstlichen 
Vorberge  Horeb,  und  dem  h6chsten  Berge  der  Grnppe,  dem  St.  Kathari- 
nenberg.  In  einem  fruchtbaren  Thale  am  Fusse  des  Horeb  liegt  das  alte  Ka- 
tharinenkloster. 

3.  Kleinasicn    (Natolien  oder  Levante).     Diese    Halbinsel,    welche    ndie    Kultur- 
brucke  von  Asien  nach  Europa"    bildet,   besteht    aus   einer    Beihe    von  Plateau- 
landschaften,  durch  Berggruppen  und  Ketten  von  einander  getrennt,  welche  letz- 
teren    vom   armenischen  Hochlande   herfiber    greifen.     Das  centrale  Plateau 
fallt  am  steilsten  gegen  Saden  ab;  im  Westen  ist  es  em  durch  parallele  Ketten- 
gebirge   und  Tiefthaler    reich    gegliedertes    Tiefland    (Bdie    Kustenlandschaft   der 
Levante");    im    Norden   sind   die    Randgebirge    durch    ansehnliche    Parallelfliisse 
durchbrochen ;   die   Ostbegrenzung    Kleinasiens    bildet   der    Antitaurus.     Von 
den  beiden  Endpunkten  des  Antitaurus  gehen  die  beiden  Gestadeketten  des  Tau- 
rus aus.     Das  nOrdliche  Randgebirge    oder  das  pontische   Knstengebirge 
nnd  im  Suden  der  (cilicisch-lycische)    Taurus.     Das    centrale  Plateau    hat  die 
hochste  Bodenanschwellung  der  Halbinsel  in  dem  Er  d  s  c  hisch  oder  Argaeus 
(12.0000.     Die  Gebirge  gehOren  voizugsweise    vnlkanischen  Bildnngen  an;  Erd- 
beben  sind  haufig  und  von  furchtbarer  Wirkung  (1855  in  Brussa).  —  Kleinasien 
ist  zwar  gat  bewassert,  doch  sind  nur  wenig  Fliisse  auf  karze  Strecken  schiff- 
bar.     Die  Binnenflftsse  des    centralen  Plateaus    bewassern   die  Steppen    und 
ergiessen  sich  in  Salzseen  oder  in  Schilfsumpfe;   die  Meerzufliisse  durchbre- 
chen  die  nOrdlichen  Randgebirge  odor  stftrzen  sich  als  kurze  Kflstenflttsse  sftdlich 


378 

in  das  Mittelmeer,  die  westlichen  bewassern  in  vielfach  gekrummtem  Laufe  pa- 
rallele  Langenthaler,  die  fruchtbarsten  Kulturlandschaften.  Der  bedeutendste 
Fluss  ist  der  Kizil  Irmak  (Halys),  welcher,  ohne  schiffbar  zu  sein,  in  den 
Pontus  mflndet.  Die  Westkuste  Kleinasiens  ist  nngemein  gegliedert  und  hat 
viele  vortreffliche  Hafen. 

Mit  Ausnahme  der  heissen  Kiistenstriche  und  der  rauheren  Berglandschaften 
hat  Natolien  ein  gemassigtes,  gesundes  Klima  und  ist  bis  auf  die  holz-  und 
wasserarmen  Steppen  im  Innern  von  grosser  Fruchtbarkeit.  Trotz  der  mangel- 
haften  Bodenkultur  gedeihen  nebst  den  europaischen  Getreidearten  vorzQgli- 
cherWein,  edles  Obst,  Sudfrfichte  (Smyrna'er  Feigen,  Rosinen,  Korinthen),  Mohn, 
Oel,  ausgezeichneter  Tabak,  Baumwolle,  Krapp,  Safran,  Safflor,  Buchsbanmholz 
u.  s.  w.  Unter  der  sehr  bedeutenden  Viehzncht  nehmen  das  Schaf,  die  An- 
gora-Ziege,  Buffel  and  Esel  einen  bedeatenden  Bang  ein;  das  Pferd  ist  klein 
aber  ausdauernd,  das  Kameel  wird  bei  den  KarawanenzQgen  verwendet.  Von 
besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Seidenzucht.  Ueberbaupt  bildet  die  Viehzucht 
einen  der  Hauptnahrungszweige  der  BevOlkerung.  Der  Bergbau  ist  sehr  zu- 
ruck;  erwahnenswerth  sind:  Kupfer  (von  Tokat),  der  feinste  Meerschaum  (von 
Kiltschik  bei  Karahissar),  Siegelerde  (von  Sinope),  Asphalt  und  Naphta  (aus 
Syrien).  etwas  Steinkohlen  u.  s.  f. 

Wichtigere  Orte  sind: 

(Seestadte):  Smyrna  (130.000;  siehe  S.  380),  Tarsus  (30.000,  Hauptexport 
des  levantinischen  Kupfers),  Chanek-Kalessi  (Stationsplatz  des  Osterreichischen 
Lloyd  in  den  Dardanellen),  Skutari  (60,000);  —  (am  schwarzen  Meere): 
Sinope  (8000),  Samsun  (Blutegel-  und  Tabakhandel),  Trebisonde  (Trape- 
zunt,  Tarabison,  50.000;  siehe  S.  381);  —  (im  Innern):  Bolih,  Brussa 
(mit  dem  Hafenort  Mundania),  Kutahija  (50.000),  Karahissar  (60.000), 
Konieh,  Tokat  (100.000),  Siwas,  Angora. 

4.  Die  In.selll.     Cypern,  eine  der  fruchtbarsten  Inseln,    produzirt   vortrefflichen 
Wein,    Baumwolle,    Oel,    Sudfruchle,   die   feinste   Wolle    der  Levante,   u.  a.;  — 
Nikosia  (oder  Levkosia  16.000),  Larnaka.  —  Rhodus  mit  der  gleichnamigen 
Hanptstadt  (10.000),    Schiffswerfte    ffir   die    turkische   Flotte.    —    Die    gesunde 
nnd    fruchtbare,    besonders    an  Wein    reiche  Insel     Samos    mit   dem  {Hauptort 
Kora.  —  Die  ehemals  reichste  griechische  Insel  Chios    mit  dem  gleichnamigen 
Hauptorte  hat  sich  von  der  ungeheuren  Verwfistung  (im  Jahre  1822)  noch  nicht 
erholt,  producirt  Mastix,  Wein,  Feigen,  Seide,  Wolle,  Ease.  —  Ausserdem  zahl- 
reiche  kleinere,  meist  fruchibare  Inseln  im  Archipel  und  im  Marmara-Meere. 

5.  Armenicn.  Das  armenische  Hochland   hat    seine   grOsste  Erhebnng  im  Plateau 
von  Erzerum,  an  dessen  Nordostrande    sich    der  Ararat   (16.000)    erhebt.     An 
das  Hochland  schliessen  sicb  im  Westen  die  Plateaux    von  Kleinauien    an,    zum 
Pontus  fallt  es  steil  ab,  gegen  Sfidosten  hangt  es  mit  dem  persischen  Hochlande 
zusammen.     Die   Gebirge,    von    vorherrschend    vulkanischer    Bildung,  schliessen 
viele  Gebirgsseen  ein,  deren  mehrere   salzhaltig   sind  ;   der  grosste  ist   der  fisch- 
reiche  Wan.     Die  Plateaux  sind  steppenartig,    waldlos;    die    Thaler   tief  einge- 
schnitten,  moistens  gut  bewassert  und  fruchtbar.    —   In    diesem   Hochlande   sind 
die  Quellen   der   grOssten    vorderasiatischen  Flfisse:   in   den    Pontns   fliesst    der 
Kizil  Irmak,  in  das  kaspische  Meer  der  Kur  und  Aras,  in  den  persischen 
Meerbusen  der  Euphrat  und  Tigris. 

Armenien  ist  ein  rauhes,  nicht  eben  fruchtbares  Land.  Eisen,  Kupfer,  Blei, 
Getreide,  Wein,  Seide  und  Baumwolle  sind  die  Hauptprodukte.  Die  vielen  und 
grossen  Weiden  begiinstigen  die  Viehzucht,  namentlich  sind  die  vortrefflichen 
Pferde  geschatzt.  Armenier  leben  als  christliche  Kaufleute  in  ganz  Vorderasien 
und  in  Osteuropa;  auf  den  Steppen  finden  sich  nomadische  Kurden.  —  Hauptort 
ist  Erzerum  (100.000)  mit  vorziiglichen  Waffen-,  Seide-  und  Lederfabriken, 
wichtigem  Transit-  und  Speditionshandel  (namentlich  Karawanenhandel)  nach 
Trapezunt,  mit  welchem  Platze  es  in  direkter  Geschaftsverbindung  steht  (siehe 
Trapezunt).  Wan  (40.000)  am  Wan-See,  treibt  gleichfalls  lebhaften  Handel. 

6.  Mesopotamien  umfasst  das  Land   zwischen   dem   armenischen  Hochlande  und 
dem  persischen    Meerbnsen  am   mittleren    und  unteren  Laufe   des   Euphrat    nnd 
Tigris.     Der   nSrdliche   Theil    heisst   Al  Dschesirah   (Bdie    Insel,"    Assyrien), 
der  sudliche  Irak  Arabi  (Land  dec  Araber,   Babylonien,    Chaldaea).  Der  nord- 
liche  Theil  mit  dam  Sftdabfall    des   annanischen  Hochlandea   ist  ein    zwar  wenig 
angebautes,  aber  hochst  reizendes  und  fruohtbares  Land;  der  mittlere  Theil  (von 


879 

Mossul  bis  Bagdad)  ist  eine  ebene,  baumlose,  diirre  Steppe;  der  untere  Theil 
(von  Bagdad  bis  zar  Vereinigung  der  beiden  Flusse  bei  Korua)  ist  das  durch 
unglaubliche  Fruchtbarkeit  ansgezeichnete  alte  Babylonien,  von  tausend  Be- 
wasserungskanalen  durchschnitten,  wo  zahlreiche  DCrfer,  herrliche  Palmenhaine 
und  ein  trefflicher  Anbau  sich  finden.  Von  Korna  bis  an  den  Meerbusen  bietet 
das  Land  den  Anblick  schilfreicher  Kaniile  mit  zahlloscn  Inseln,  Laguncn  und 
Morasten  dar. 

Wichtigere  Orte  sind: 

a)  (In  Al  Dschesirah):  Diarbekir  (60.000),    in    einem  sehr  fruchtbaren  Thale 
am  Tigris,  Fabriken  von  TSpfergeschirr,  Baumwoll-    und    Seidenweberei,    Le- 
derbereitung ,    wichtiger    Handelsplatz ,     Ma'aden-Kapur    (die    wichtigsten 
Kupfergruben),  Mossul  (70.000,  sebr  bedeutende  Fabriken    feiner  Baumwoll- 
stoffe  [Musseline]    und  Leinwand,    Saffian),    Or  fa    (einst  Edessa,   bedeutende 
Gerbereien  und  Webereien). 

b)  (In  Irak-Arab i):    Bagdad    (70.000),   Hauptemporium  fur   den    indischen 
Handel,  blfihende  Industrie  in  Leinen-,  Seide-,    Baumwollen-  und  Wollstoffen, 
Leder,  Seife;  Hi  11  eh  (Ruinen  von  Babylon)    Basra  (oder   Bassora,  80.000), 
nngesnnde  Gegend,  bedeutender  Handel  mit  Perleii,  Kaffee,  indischen  Waaren, 
Fferden  u.  a.,  gleichsam  Hafen  von  Bagdad. 

Allgemeines  Knlturbild  der  Levante. 

Die  Erzeugnisse  der  Urproduktion  stehen  in  gar  ketnem 
Verhaltnisse  zu  den  ausserst  gunstigen  Vorbedingungen,  welche  die 
Natur  hier  gegeben  hat.  Seit  der  Erlassung  des  Hatti-Sheriff's  *) 
von  Gulhane,  der  dem  Landmanne  gewisse  Rechte  zusiohert,  hat 
sich  zwar  der  Landbau  in  mehreren  Gegenden  gehoben,  allein  die 
gesammte  Urproduktion  steht  auf  noch  sehr  geringer  Stufe.  Zu  den 
wichtigsten  Erzeugnissen  gehoren:  Seide  von  Brussa  und  Smyrna 
(fiber  6000  Zentner  jahrlich),  von  Akre  und  Damascus  (in  Syrien), 
von  Basra  und  Bagdad  (in  Babylonien)  ,  Diarbekir  und  Mossul  (in 
Mesopotamien),  Erzerum  (in  Armenien),  und  von  mehreren  Inseln. 
Baumwolle  (smyrnische,  syrische,  cyprische);  Schafwolle,  Kameel- 
und  Ziegenhaar  von  Angora  (Natolien) ;  Straussfedern  aus  Aleppo 
(Syrien);  Krappwurzel,  Safran,  Safflor  aua  Natolien;  Tabak  von 
Latakia  (an  der  syrischen  Kuste,  geht  zumeist  nach  Konstantinopel) ; 
vortreffliche  Weine  (Smyrna,  Cypern,  Samoa);  Rosinen  (Damascus, 
Smyrna,  Samos),  Korinthen,  Mandeln,  Datteln ,  Feigen  (Smyrna); 
verschiedene  Oele ,  Opium ,  Gummi ,  Terpentin  (von  Chios) ;  das 
schonste  Buchsbaumholz  aus  Natolien ;  die  meisten  und  besten 
Badeschwamme  (syrische  Kuste  und  Archipel) ;  Kupfer  aus  Na- 
tolien und  von  Erzerum;  der  feinste  Meerschaum  von  Kiltschik 
(bei  Karahissar) ,  Siegelerde  von  Sinope  und  der  Insel  Lemnos 
u.  s.  w.  Sehr  ausgebreitet  ist  die  Rosenkultur  zur  Bereitung  der 
unter  Orientalen  wichtigen  Handelsartikel :  Rosenol  und  Rosen- 
wasser.  An  Waldern  ist  vielfach  Mangel,  der  Bergbau  ungemein 
vernachlassigt. 

In   der  gewerblichen  Industrie,    welche  in  der  asiatischen 

*)  Hatti- Sheriff  =  ,Bulle  des  Chalifen"  ist  ein  vom  Sultan  erlassenes  Ge- 
setz;  Tanzimat  ist  die  Verordnung  zur  Durchfnhrung  des  Hatti-Sheriffs  von  Gul- 
hane; Irads  ist  eine  vom  Sultan  als  politischem  Souverin  unterzeichnete  Verord- 
nung; Ferman  ist  ein  vom  Sultan  unterzeichnetes  Dekret,  das  sich  auf  Gegenstande 
der  Verwaltung  bezieht ;  Berat  ist  ein  Diplom,  welches  nur  persSnliche  Angelegen- 
heiten  batrifft,;  Sennod  ist  eine  diplomatische  Convention,  za  deren  Unterzeichnung 
der  Minister  ermachtiget  ist. 


380 

Tftrkei  auf  einer  hoheren  Stufe  steht  als  in  der  europaischen,  sind 
am  starksten  verbreitet:  die  Fabrikation  in  Seide,  Baumwolle,  Ka- 
meelhaar,  dann  Teppiche,  Saffian,  Waffen  (Damascener)  und  Kupfer- 
waaren,  endlich  die  Tiirkischrothfarbereien,  die  Bereitung  von  Rosenol 
und  Rosenwasser.  Die  gewerbreichsten  Stadte  sind:  (in  Klein- 
ns  ien)  Brussa,  Angora,  Smyrna,  Konieh  und  Tokat,  —  (inSyrien) 
Damascus  und  Haleb  oder  Aleppo,  —  (in  Babylon  ien)  Bagdad 
und  Basra,  —  (in  Mes  o  pot  ami  en)  Mossul  und  Diarbekir,  — 
(in  Armenien)  Erzerum. 

Ilandelsverhaltiii&se.  Seit  den  altesten  Zeiten  \varen  die 
stidostlichen  Kuetenlander  des  Mittelmeeres,  das  ist  die  Levante, 
wegen  des  Reichthums  an  wichtigen  Naturerzeugnissen,  wegen  der 
Kunstarbeiten  seiner  bliihenden  Stadte,  noch  mehr  aber  durch  die 
gtinstige  geographische  Lage  zwischen  den  Handel  treibenden  Vol- 
kern  Europas  und  Indiens  ein  wichtiger  Platz  des  Weltverkehrs 
und  der  kommerziellen  Interessen,  der  Ausgangspunkt  des  Handels, 
der  Vermittler  zwischen  der  abendlandischen  und  morgenlandischen 
Kultur  und  Wissenschaft.  Selbst  die  Auffindung  des  Seeweges  um 
das  Cap  der  guten  Hoffnung  und  die  langwierigen  tiirkischen  Kriege 
haben  diese  Handelsbewegung  nicht  unterbrochen ,  welche  sich  seit 
dem  enormen  Steigen  Lder  europaischen  Industrie  nur  noch  ver- 
mehrt  hat. 

Im  Mittelalter  nahmen  Venedig  und  Genua  den  ersten  Rang 
ein,  seit  dem  16ten  Jahrhunderte  trat  Marseille  in  den  Vordergrund, 
gegenwartig  stehen  England  und  Oesterreich  an  der  Spitze; 
doch  sind  auch  Livorno,  Russland,  Holland,  Belgien  und  Alexandria 
ansehnlich  dabei  betheiligt.  In  alien  wichtigeren  Platzen  bestchen 
Konsulate  und  Faktoreien  der  Europaer,  mit  denen  Griechen,  Ar- 
menier  und  Juden  den  meisten  Verkehr  unterhalten.  —  Der  Han- 
del im  Innern  und  nach  den  Kusten  der  Levante  wird'bei  dem 
Mangel  an  schiffbaren  Fliissen  und  an  regelmassigen  Strassen  mit 
Sicherheit  nur  durch  Karawanen  betrieben,  welche  direkte  Handels- 
verbindungen  mit  den  grossten  Stadten  des  Landes  und  den  Nach- 
barlandern  unterhalten. 

Die  wich  tigs  ten  Haildclsplutze  sind: 

Smyrna,  die  wichtigste  und  reichste  Stadt  der  Levante  mit  vortrefflichem 
Hafen.  Grosse  Karawanen  'bringen  die  zum  Levante-Handel  gehorigen 
Produkte  nnd  Waaren  aus  Kleinasien,  Arabien  und  Persien  auf  diesen 
Stapelplatz  des  Levantiner  Handels.  Die  einheimische  Industrie  (zwar  im 
Ganzen  bedeutend  geringer  als  ehemals,  doch  immer  noch  ansehnlich)  er- 
zeugt  hanptsachlich  Teppiche,  welche  nebst  Baumwolle  und  Opium  zu  den 
Hauptartikeln  des  Handels  gehOren.  Die  Einfuhr  betrftgt  mindestens  13, 
die  Ausfuhr  fiber  16  Millionen  Gulden  Bei  der  Einfuhr  sind  nebst  Kolo- 
nialwaaren  sammtliche  europaische  Manufaktur-  und  Fabrikswaaren  vertreten. 
Nachst  England,  welches  den  starksten  Verkehr  unterhalt,  stehtTriest  vor- 
zQglich  dnrch  die  Dampfschiffahrt  des  Ssterreichischen  Lloyd  mit  der  Levante 
in  Verbindung;  auch  Frankreich,  Nordamerica,  Holland  u.  a.  nehmen  An- 
theil  am  Smyrna'er  Handel.  Als  Vorhafen  von  Smyrna  dienen  die  kleinen 
Seeplatze  Tschesme  und  Burl  a,  welche  hauptsachlich  Smyrna'er  Ro- 
sinen  verladen.  In  Smyrna  herrscht  relativ  die  gr8sste  Ordnung,  Handels- 
freiheit  und  Begiinstigang  der  wFremden"  unter  den  Levantiner  Platzen, 
desshalb  haben  sich  hier  auch  viele  earopiiische  nnd  amerikanische  Hauser 
etablirt.  Fast  alle  Handel  treibenden  Staaten  haben  zum  Schutze  ibrer 


381 

Interessen  hier  ihre  Konsulate,  welche  die  Jurisdiction  in  bfirgerlichen  und 
kommerziellen  Angelegenheiten  fiber  ihre  Landsleute  ausBben. 

Trebisonde  (Trapezunt,  100.000  E.),  Stapelplatz  fur  den  gesammten  enro- 
paischen  Handel  nach  Persien  and  Armenien,  sowie  der  eigentliche  Hafen 
fur  Erzerum,  Tauris  (richtiger  Tabris)  und  Teheran,  hiermit  ein  Haupt- 
entrepot  fur  Central-Asien.  Den  grOssten  Aufschwung  verdankt  diese 
Stadt  dem  persischen  Transit,  welcher  sich  hieher  zu  ziehen  begann, 
als  im  Juhre  1831  der  Weg  uber  Redutkale  durch  rnssische  Zollmassregeln 
gleichsam  gesperrt  und  der  bis  dahin  gebrauchliche  Landweg  durch  Klein- 
asien  zu  langsam  und  zu  kostspielig  be fun den  wurde.  In  dem  Zeitraume 
von  1831  bis  1856  weiset  der  Transit  ein  stetiges  Wachsen,  die  Steigerung 
zeigte  im  Jahre  1856  das  enorme  Verhaltniss  von  1  :  13  i&r  die  Einfuhr, 
von  1  :  9  f'iir  die  Ausfuhr.  Von  besonderer  Bedeutung  ist  dieser  Hafen 
far  Oesterreich  wegen  der  Verbindungen  von  Triest  mit  der  Levante, 
namentlich  dem  schwarzen  und  agaischen  Meere  sowohl  durch  den  Lloyd, 
die  rfihrige  Segelschiffahrt,  als  auch  wegen  des  Einflusses,  den  die  Dampf- 
schiffahrt  auf  der  Donau  auf  den  Handel  im  schwarzen  Meere  ubt.  Die 
rnssischen  Waaren  nehmen  ihren  Weg  aus  den  russischen  Hafen  ebenfalls 
fiber  Trebisonde  nach  Persien,  dessgleichen  die  englischen  und  griechischen. 
Trapezunt  ist  der  Sammelpunkt  aller  Seelinien,  die  dem  persischen  Verkehr 
auf  dem  nOrdlichen  Wege  dienen,  sie  ist  die  eigentliche  Seestadt  far 
Per  si  en.  —  Tiflis,  die  persischen  Markte  Tabris,  Rescht,  Balfrutsch  und 
Teheran  unterhalten  mittels  dieses  Hafens  ihre  Verbindung  mit  Konstan- 
tinopel,  Wien,  Triest,  Leipzig  und  Hamburg,  und  die  projektirte  Eisen- 
bahnverbindnng  von  Trebisonde  nach  dem  Euphrat  durfte  den  gesammten 
vorderasiatischen  Verkehr  noch  ungemein  heben.  Gegenwartig  hat  der 
Import  einen  Werth  von  mindestens  20  und  der  Export  von  14  Millio- 
nen  Gulden.  Die  Haupteinfuhr  besteht  in  Kolonial-  und  Manufaktur- 
waaren,  in  Eisen-,  Stahl-,  Quincaillerie-  und  Glaswaaren,  Waffen,  Pelzwerk, 
Wein,  Salz  und  Seife;  —  die  Ausfuhr  in  persischer  Seide,  Baumwolle, 
Wolle,  Teppichen,  Shawls,  Hanf,  Hauten,  Tabak,  Wachs,  Kupfer  u.  a.  m. 

Damascus  (uber  150000  E.),  die  bedeutendste  Fabriks-  und  Handelsstadt 
Syriens,  unterhalt  ansehnliche  Fabriken  in  Baumwoll-,  Seiden-  und  Gold- 
stoffen,  Gold-  nnd  Juwelierarbeiten,  Leder  und  Lederwaaren  (vorziiglich 
Pferdegeschirr) ,  beruhmten  Waffen  (Damascenerklingen),  sch6nen 
Perlmutterarbeiten  nnd  Bereitung  von  Rosen-Essenzen.  Seit  Jahrhunderten 
geniesst  die  Stadt  in  diesen  Artikeln  einen  Weltruf.  Im  Mittelalter  war 
sie  die  Lehrerin  von  Venedig  und  Genua  in  diesen  Industriezweigen.  Zu- 
gleich  ist  der  Handel  dieser  an  der  grossen  Mekka-Strasse  gelegenen 
Stadt,  in  welcher  sich  jahrlich  die  grosse  Pilgerkarawane  sammelt  und 
durch  welche  die  Handelskarawanen  nach  Bagdad  und  Aleppo  ziehen,  von 
hochster  Bedeutung.  Die  Stadt  ist  ein  wichtiger  Stapelplatz  fur  die  ans 
Enropa  uber  Konstantinopel  und  Beirut,  nnd  ifir  die  aus  Ostindien,  Per- 
sien, Arabien  und  dem  inneren  Asien  kommenden  und  die  dorthin  ab- 
gehenden  Waaren.  Die  wichtigsten  Handelsartikel  sind:  ausge- 
zeichnete  Sudfriichte ,  Oel ,  Wein  ,  Banmwolle,  die  zahlreichen  Erzeug- 
nisse  Asiens  ,  welche  die  Karawanen  mitbringen  und  die  Prodnkie 
der  Stadt.  In  den  grossen  Bazars  werden  die  ostindischen  und  persischen 
Fabrikate,  sowie  die  europaischen  leichten  Stoffe  von  heller  Farbe,  Druck- 
waaren,  Game  u.  a.  m.  nmgesetzt.  Unter  den  Earop&ern  sind  die  Eng- 
lander  und  Franzosen  am  starksten  betbeiligt,  obwohl  auch  andere  Nationen 
die  Produkte  des  Abendlandes  hier  zu  Markte  bringen. 

Aleppo  oder  Haleb  (100.000  E.)  hat  wie  Damascus  ansehnliche  gewerb- 
liche  Thatigkeit  in  den  gleichen  Artikeln.  Bedeutender  noch  ist  die  Stadt 
als  Mittelpunkt  des  Verkehrs  zwischen  dem  Mittelmeere  und  dem  persischen 
Golfe,  welcher  durch  die  projektirte  Eisenbahn  zwischen  Antakieh-Aleppo- 
Balis  noch  ungemein  eihdht  werden  durfte.  Die  Handelsstrasse  zu  Land 
uber  Persien  nach  Ostindien  hat  auch  nach  der  Auffindung  des  See- 
weges  nach  Ostindien  an  ihrer  Wichtigkeit  nicht  eingebnsst,  wesshalb  die 
Stadt  als  Hauptniederlage  von  europaischen,  turkischen,  persischen  und 
indischen  Waaren  nachst  Smyrna  vielleicht  der  bedeutendste  Handels- 
platz  der  asiatischcn  Turkei  ist.  Seit  Jahrhunderten  besitzen  Europaer 
hier  kommerzielle  Etablissements  und  in  neuester  Zeit  ist  vorznglich 


882 

England  fur  Griindung  von  Handelshansern  thatig ,  die  mit  London 
und  Liverpool  in  direkter  Verbindnng  stehen.  Auch  Livorno  und  Mar- 
seille unterhalten  hierher  direkte  Geschaftsverbindungen.  Aus  Bagdad  brin- 
gen  zweimal  im  Jahre  die  Karawanen  persische  und  indische  Rohprodukte 
und  Industrieerzengnisse;  durch  die  grosse  Mekka- Kara  wane  erhalt  die 
Stadt  nebst  indischen  und  agyptischen  Produkten  vorzuglich  Mokka-Kaffee 
und  arabisches  Gummi.  Nach  Europa  geben  die  levantinischen  Rohpro- 
dukte; dagegen  erhalt  Syrien  Mannfakte  aller  Art,  besonders  Eisen  und 
Stahlwaaren,  Papier,  Glas,  Porzellan,  Kolonial-  und  Farbwaaren  u.  a.  m. 

II.  Arabien. 

§.  154. 

Im  Siiden  der  asiatischen  Tiirkei  zwischen  dem  persischen 
Meerbusen  und  dem  roth  en  Meere  liegt  die  beilaufig  48  000  QMei- 
len  grosee  und  von  etwa  10 — 12  Millionen  Menschen  bewohnte 
Halbinsel  Arabien.  Bekannt  durch  seine  Beduinen,  Kameele  und 
Rosse,  seinen  Weihrauch,  Balsam  und  Kaffee,  und  als  Wiege  des 
Islam  ist  Arabien  im  Ganzen  doch  ein  von  Natur  nur  sparlich 
bedachtes  Land.  Die  das  Land  an  drei  Seiten  bespulenden  Meeres- 
arme  entsenden  keine  Glieder  in  das  Festland,  grosse  Strome  feh- 
len  ganzlich,  eelbst  Steppenfliisse  sind  sparsam  vorhanden ;  Arabien 
ist  sonach  uberwiegend  trocken  und  sandig.  Nach  vertikaler  Ge- 
staltung  ist  es  ein  grosses  Tafelland  von  massiger,  aber  doch  viel- 
leicht  bis  7000'  gehender  Erhebung  in  der  Mitte  des  Landes. 
Nordlich  senkt  sich  dieses  Bergland  (Nedsched)  zur  syrisch- 
arabischen  Wuste,  welche  sich  von  der  Landenge  von  Suez  bis 
zum  untern  Euphrat  ausbreitet ;  gegen  Westen  fallt  es  steil  zum 
Kiistenstriche  am  rothen  Meere  herab;  nach  Suden  dehnt  sich 
eine  noch  grossentlieils  unerforschte  Wuste  aus ;  hier  scheint  das 
Land  ein  fast  endloser  Ocean  von  Flugsand ,  den  der  Sturm  in 
Wolken  forttragt.  Die  reichste  Vegetation  hat  das  eiidliche  Kusten- 
land  (Jem  en,  wgluckliches  Arabien");  im  Ganzen  mag  etwa  ein 
Sechstel  der  Halbinsel  als  Weide-  und  Kulturland  brauchbar 
sein.  --  Das  Klima  ist  heiss  und  trocken,  nur  auf  den  Hoch- 
flachen  kommen  Nachtfroste  vor.  Im  Norden  weht  zur  heissen 
Jahreszeit  der  Samum,  an  den  Kustenstrichen  tragen  Monsune  zur 
Feuchtigkeit  viel  bei. 

Das  \\-ichtigste  Produkt  Arabiens  ist  der  Kaffee,  vorzuglich 
aus  der  Landschaft  Jemen  (Mokka).  Weiters  liefert  das  Land: 
Gummi,  Balsam,  Weihrauch,  Myrrhen,  Aloe,  Sennesblatter, 
Tamarinden,  Datteln,  Baumwolle  u.  a.;  am  reichsten  sind  Jemen 
und  Oman.  —  Vorzugliche,  wegen  der  Schnelligkeit ,  Ausdauer, 
Gelehrigkeit  und  Schonheit  ausgezeichnete  Pferde  (Landschaft 
Nedsched);  viel  Kameele,  Esel,  Maulesel,  viele  sonstige  zahme 
und  wilde  Thiere,  sehr  ergiebige  Perlenfischerei.  —  Edle  Metalle 
fehlen,  die  Ausbeute  von  Blei,  Kupfer  und  Eisen  ist  geringe,  star- 
ker an  Edelsteinen  und  Schwefel.  —  Von  Gewerbeindustrie 
kann  nicht  die  Rede  sein. 

Der  Handel  ist  sowohl  wegen  der  Erzeugnisse  des  Lan- 
des, als  noch  mehr  wegen  seiner  Lage  als  Station  fur  den  indisch- 
europSischen  Verkehr  ansehnlich.  Neben  dem  Seehandel  ist  auch 


383 

der  Karawaneuhandel  von  Bedeutnng.  Export irt  werden  die 
fruher  erwahnten  Landesprodukte ;  import  irt  alle  benb'thigten 
Manufaktur-  und  Kunsterzeugnisse  aus  Europa  und  andern  Indu- 
strielandern. 

Die  Bewohner  sind  entweder  Fellah's,  das  ist  Feldbauer 
und  Viehzfichter,  oder  Beduinen,  das  ist  ,,Kinder  der  Wuste", 
welche  in  derselben  nomadisch  streifen  und  nur  ihren  Scheiks 
und  Emiren  folgen;  die  Stadtebewohner  heissen  Had  he  si  und 
die  Halbnomaden  Maehdis.  Die  Araber  sind  meist  grossen 
Wuchses,  hager,  muskulos,  von  wurdevoller  Korperhaltung ,  glii- 
hender  Phantasie  und  grosser  Freiheiteliebe.  Sie  sind  Freunde 
der  Dichtkunst,  besitzen  viel  Sinn  fur  Spekulation  und  Handel, 
aber  nicht  fQr  Industrie.  Ihr  Charakter  iet  edel,  ihre  Sitten  eind 
einfach,  Gaetfreiheit  gehort  zu  den  ersten  Tugenden  der  Araber. 
Den  Raub  halten  die  Beduinen  fiir  ehrlichen  Erwerb ;  nur  wo  sie 
Widerstand  finden,  thun  sie  den  Reisenden  Gewalt  an.  Die  Stadte- 
bewohner haben  auch  noch  vieles  von  den  Sitten  der  Beduinen, 
beibehalten. 

Nur  Hedschas  anerkennt  die  Oberhoheit  der  Pforte ;  das  iibrige 
Arabien  hat  eich  die  alte  Unabhanigkeit  bewahrt  und  folgt  nur 
seinen  Scheiks  und  Emiren.  Unter  den  Fursten  der  Kiistenlander 
sind  die  zwei  machtigsten  :  der  Imam  von  Sana  (in  Jemen)  und 
der  Imam  von  Mascate  (in  Oman). 

Die  alte  Eintheilung  Arabiens  in  das  petraische,  das  gluck- 
liche  und  das  wuste  ist  im  Lande  selbst  unbekannt;  man  unter- 
scheidet  nur  L  andschaften: 

1.  Hedschas  mit  der  Sinal-Halbinsel  (siehe  ,,asiatische  Tarkei"  S.  375) 

2.  Jemen,  Haupttheil  des  .gliicklichen  Arabien",    der   sftdliche    Kiistenstrich 
bis  Bab    el  Mandeb,    unter   mehreren  FBrsten    stehend.     Der   Sommer    ist 
heiss  und  regenlos  ;  aber  yon  Oktober  bis  Marz  regnet  es  drei-  bis  viermal 
des  Monats,  wodurch   sich    die   Thaler  (Wadys)    der    Gebirgsgegenden  mit 
laufendem  Wasser  fallen  und    eine   flppige  Vegetation   sich  rerbreitet.     In 
der  breiten  Kastenebene  versiegen  zwar  die  Bache,  doch  gedeihen  der  Sor- 
gohirse  und  die  Dattelpalme;    in    der   H6he    von    1500—2000'    liegen    die 
Kat'f  eewaldchen  ;  hier  gedeihen  auch  Arabiens  vorzugliche  Spezereien  : 
Balsam,   Myrrhen,   Aloe,   Manna,    Sennesblatter,    Sadfracbte,    Gummi    von 
Akazien.     HSher  hinanf  liegen    Feigenwaldnngen.    Bemerkenswerthe    Orte 
sind:  Mokka  (20000;  mit    einein    gnten  Hafen,  Hanpthandelsplatz  Ara- 
biens,  welcher    von    Enropaern  besucbt    wird,    die   hier  vorzflglich  Kaffee, 
Gammi  nnd  Weihrauch  holen.   —   Beit   el   Fakih  (8000),   Hanptnieder- 
Jage   des   Kaffees    aus    dem    Innern,   wo    zameist  TBrken    und  Perser    ihre 
Kaffee-Einkanfe  machen.  —  Die  Insel  Farsan  ist  wegen  der  Perl enfischerei 
bekannt.  —  Aden  (36.000),  hat  einen  guten  Hafen;  wichtige  Station   fur 
die  Dampfschiffalirt  zwischen  Indien  und  Egypten,  ist  stark  befestigt    (ndas 
arabische  Gibraltar"),  geh6rt  seit  1839  den  Briten,  dessglcichen  die  kleine 
Insel    Perim    in   der   Strasse   Bab   el  Mandeb.    —    Sana    (oder    Szana, 
40.000),  die  schOnste  und  volkreichste  Stadt  Arabiens,  mit  schdnen  Garten 
nnd  vortrefflichem  Obst. 

Hadraiuaut,  Ostlich  von  Jemen,  die  einformige,  von  Gebirgszagen  bcglei- 
tete  Sudkiiste  von  Bab  el  Mandeb  gegen  Osten.  Der  Abhang  der  Hoch- 
ebene  soil  frucbtbar  sein  und  vorzuglich  Gammi,  Kaffee  nnd  den  soge- 
nannten  Balsam  von  Mekka  hervorbringen.  Es  ist  gleichfalls  unter  mehrere 
Fursten  gctheih. 

Oman  am  persiscben  Meerbusen,  mit  der  Hauptstadt  Maskat  (60.000) 
gebort  dem  machtigen  Imam  von  Maskat,  welcher  auch  jenseits  des  persi- 
schen  Golfes  (Bender  Abassi)  and  an  der  afrikanischen  Ostkaste  Besitzun- 


38* 

gen  hat.  Die  Landschaft  soil  fruchtbar  scin  und  viel  Getreide,  Obst,  Dat- 
teln  and  Trauben  produziren.  —  Die  gebirgige,  wenig  frnchtbare  Insel 
Sokotora  geh6rt  (seit  1835)  den  Briten.  Sie  liefert  die  meiste  nnd 
beste  Aloe  (sokotrinische  Alog). 

5.  Lahsa   am    persischen   Meerbusen,   wo    Ackerbau    und    Handel    getrieben 
werden;  der  Seerauberei   ist    durch    die  Englander   gesteuert    worden.     Der 

wichtigste  Platz  ist  El  Katif  (6000).  —  In  geringer  Entfermmg  von  der 
Kfiste  sind  die  unter  britischem  Schulze  stehenden  Bahrein -Inseln, 
beruhmt  wegen  der  Perlenfischerei,  zn  welchem  Zwecke  sich  in  den  heis- 
sesten  Monaten  mehrere  tausend  Boote  versammeln;  der  jahrliche  Geld- 
werth  dieser  Fischerei  im  persischen  Golfe  betragt  sicherlich  an  4  Mil- 
lionen  Gulden. 

6.  Nedsched   umfasst   das    Innere    der    arabischen  Halbinsel    und  gehSrt  zu 
den  wenigst  bekannten  Landstrichen  der  Erde.  Diese  Landschaft  bewohnen 
kriegerische  Nomaden,  die  Wehabiten  (eine  reformirte,  muhamedanische 
Sekte),    eine  Geissel    der    Nachbarn   und  der   durch   ihr   Gebiet   ziehenden 
Karawanen.     Ihr  Hauptsitz  ist  Derreyeh. 

III.   Iran. 

(Persien  ;  Afghanistan ;  Beludschistan.) 
§.  155 

Zwischen  dem  persischen  Meerbusen,  Vorder-Indien ,  Tiibet, 
der  freien  Tartarei,  dem  kaspischen  Meere ,  Kaukasien  und  dem 
tiirkischen  Gebiete  liegt  das  von  Gebirgen  eingeschlossene  Hoch- 
plateau  von  Iran;  der  westliche  Theil  ist  Persien,  der  ost- 
liche  im  Norden  Afghanistan  (oder  Kabulistan)  im  Siiden  Be- 
ludschistan.  (Die  Randgebirge  des  Plateaus  siehe  §.  30.) 
Den  Boden  des  mittleren  Plateau  (durchschnittlich  4000'  hoch)  be- 
decken  vielfach  grosse  Steppen  und  er  ist  so  wasserarm,  dass  nur 
eine  kiinstliche  Bewasserung  den  Ackerbau  moglich  macht;  doch 
gibt  es  auch  anmuthige  fruchtbare  Thaler,  namentlich  am  Nord- 
und  Wesfrande.  Der  Kiistenrand  am  persischen  Meerbusen  ist 
grossentheils  Wuste  (Gedrosia).  Ueber  dem  Tafellande  spannt  sich 
ein  fast  immer  wolkenloser  Himmel  aus,  die  Luft  ist  ungemein 
trocken ,  der  Pflanzenwuchs  armlich ;  nur  in  der  Regenzeit  des 
Fruhjahrs  bekleidet  sich  der  Boden  mit  frischem  Griin.  Der  Win- 
ter ist  beilaufig  wie  im  mittlern  Deutschland;  dagegen  herrscht  im 
Sommer  eine  versengende  Hitze.  —  Ausser  dem  Grenzflusse  S chat- 
el -Arab  hat  das  Land  ineist  nur  kleine,  salzige  Lachen  und 
Moraste,  Steppenseen  und  SteppenflQsse.  (Der  Zareh-See,  dem  der 
Hilmend  zufliesst;  der  Kisil  Osen  mundet  in  den  Caspi-See ;  der 
Urmia -See;  der  Kabul.) 

Die  iiberwiegende  Mehrzahl  der  Bewohner  sind  Perser 
(Tadschik's);  ausserdem  gibt  es  Par  sen  (Guebern,  Nachkommen 
der  alten  Perser),  insbesondere  im  Suden.  Die  Perser  sind  ein 
ungleich  feineres,  gewandteres  und  bildsameres  Volk  als  die  Tiirken, 
mit  denen  sie  jedoch  Habsucht,  List  und  Falschheit  gemein  haben. 
Ihre  Sprache  hat  eine  reiche  und  interessante  Literatur,  besonders 
in  Werken  der  Dichtkunst;  sie  ist  in  den  gebildeten  Kreisen  der 
benachbarten  Volker  so  verbreitet,  wie  in  Europa  die  franzosische 
Sprache.  Die  Afghanen  (persisch  -  medischer  Abstammung) 
sind  theils  Nomaden,  theils  Halbnomaden ;  die  Beludschen  be- 


385 

stehen  aus  verschiedenen  nomadischen  Stammen.  Die  Parten  sind 
noch  immer  Feueranbeter,  die  Perser  und  Afghanen  sind  Muhame- 
daner  (eretere  Schiiten,  letztere  Sunniten). 

I.  Persien  (26.000  QMeilen,  12  Millionen  Einwohner).  Das 
Staatsoberhaupt  der  despotischen  Erbmonarchie  fiihrt  den  Titel 
S  c  h  a  h  (=  Konig) ;  das  Land  wird  in  1 1  Provinzen  eingetheilt. 

Bemerkenswerthe  Orte,  insbesondere  wichtigere  Fabriks-  und 
Handelsplatze  Bind: 

o)  (im  mittleren  Persien):  Teheran  (130.000,  im  Sommer  kaum  halb  so 
viele  Einwohner),  die  Residenz  des  Schah,  weniger  wichtig  durch  seine 
prodnktiven  Etablissements,  als  dnrch  seinen  Bedarf  und  Verbranch  an 
Artikeln  der  europaischen  Einfuhr,  wclche  bei  dem  grossen  Luxus  und 
Aufwand  eine  sehr  bedeutende  ist,  nnd  vielfach  durch  enropaische  Han- 
delshauser  vermittelt  wird.  Die  Fabrikation  von  Glas,  Porzellan,  Papier, 
Metall-  und  Webewaaren  ist  ohne  Belang  far  den  auswartigen  Handel. 
HCher  steht  in  dieser  Hinsicht  Ispahan  (oder  Isfahan,  180000  E.),  des- 
sen  Bazars  reichlich  mit  einheimischen  Erzeugnissen  gefQllt  sind.  (Seiden- 
und  Baumwollenzeuge,  wollene  Stoffe,  Waffen,  Bijouterien,  dann  Baum- 
wolle,  Droguen,  Tabak,  Reis  und  Haute.)  Es  ist  der  Mittelpunkt  fur 
die  binnenlandischen  Handelsbeziehungen  im  eigentlichen  Persien.  K  a- 
sc-han,  zwischen  beiden  Rcsidenzen  gelegen,  ist  durch  Gewerbfleiss  und 
seinen  Produktenhandel  ansehnlich.  Kaswin  zeichnet  sich  durch  Webe- 
reien  und  Gerbereien  aus;  erheblicher  Speditionsplatz. 

6)  (Im  westlichen  Theile):  fur  den  Verkehr  mit  der  Turkei  und  dem 
Mi  ttelmeere  sind  Hauptknoten:  Ham  a  dan  und  Kir  mans  chah,  beide 
sind  bekannt  wegen  der  Teppiche,  der  Gerbereien,  des  Handels  mit  Hau- 
ten,  Fellen  und  Rohprodukten ;  sie  nnterhalten  Geschaftsverbindungen  mit 
Bagdad  nach  auswarts,  mit  Tabris  und  Ispahan  im  Innern. 
c)  (Im  Suden  ijersiens):  Schiras  (50.000)  und  Kir  man  (30.000)  sind 
wichtig  fflr  den  indiscben  Handel;  die  Umgegend  ist  sehr  fruchtbar 
nnd  gut  angebaut  (vorzuglicher  Tabak,  Weine,  Pfeifenrohre,  Schaf-  und 
Ziegenzucht);  die  Industrie  in  Geweben,  namentlich  Shawls  und  Teppichen, 
ist  schwnngbaft.  Die  beiden  Hafen  des  Per  sergolf  es  Abuse  h  eh  r  (Bender 
Buschir)  und  Gamrun  (Bender  Abassi)  kSnnten  eine  bedeutende  Stellung 
unter  den  Handelsplatzen  einnehmen,  wenn  sich  Persien  dem  Seehandel 
zuwenden  wollte.  Gegenwartig  ist  fast  der  ganze  Handel  den  Karawanen 
nberlassen. 

d*)  (Im  nordlichen  Theile):  Die  Provinzen  am  Sftdrande  des  kaspischen  Meeres 
sind  fur  den  europaischen  Handel  von  grosster  Wichtigkeit.  Die  be- 
deutendsten  Platze  sind:  Rescht  (60.000),  Balfrnsch  (100.000),  und 
Asterabad  (40.000),  zngleich  Hauptsitze  der  Seidenzucht  nnd  verschie- 
dener  industrieller  Etablissements,  dann  fur  den  Pelz-  und  Fellhandel; 
auch  die  Fischerei  liefert  Exportartikel.  Der  Verkehr  besteht  zumeist  mit 
Russland  (Astrachan,  Baku  etc.). 

e)  (Im  ostlichen  Theile):  Der  grOsste  Stapelplatz  des  indischen  Handels 
in  Persien  ist  Jesd  (60.000),  der  Knotenpunkt  in  dem  Netze  der  Karawa- 
nenstrassen,  welche  Schiras,  Kaschan,  Ispahan,  Mesched,  Herat,  Kandahar 
and  Kinnan  mit  einander  verbinden.  Auch  die  eigene  Industrie  ist  an- 
sehnlich (Gewebe,  Farbstoffe,  Zucker,  Papier).  —  Im  Nordosten  ist  Me- 
sched (fiber  100.000)  einer  der  gr6ssten  Handelsplatze  Mittelasiens  und 
fiir  den  os  tpersis  chen  Handelsverkehr  (mit  Bocbara,  Chiwa,  Khokand 
u.  s.  w.)  eben  so  wichtig  als  Tabris  fur  den  westpersischen ;  zugleich  sehr 
nmfangreiche  Industrie.  Nischabur  treibt  Handel  mit  Tiirkisen  aus  den 
benacbbarten  Turkisen-Minen. 

Der  wichtigste  Handelsplatz  als  Mittelpunkt  des  gesammten  Verkehrs 
zwischen  Persien  und  Europa  ist  Tabris  (oder  Tauris,  160.000  E.),  im  Centrum 
der  dnrch  Agrikultur,  Gewerbefleiss  und  mineralischen  Reichthnm  am  meisten  ans- 
gezeichneten  Provinz  Adherbeidschan.  Auf  dem  Bazar  sammeln  sich  alle  nach 
Konstantinopel  und  nach  Russland  bestimmten  persischen  Erzcugnisse,  nnd  die 
nach  dem  Oriente  bestimmten  europaischen  Einfuhrcn.  Tabris  ist  der  bcdcu- 
Kiuu's  Handcls-Gcographie.  Z.  And.  25 


886 

tendste  Knotenpunkt  des  Netzcs  von  Handelslinien,  welches  Persien  uberzieht 
nnd  mit  dem  Auslande  verbindet.  Die  Stadt  ist  vermoge  des  Wasserreiththums, 
der  gesunden  Lage  inmitten  produktenreicher  Landerstriche  der  Sitz  bedeutender 
Industriezweige  (Weberei,  Druckerei,  Farberei). 

II.  Afghanistan  (oder  Kabulistan,  12.000  QM.  6,000.000  E.) 
Es  zerfallt  in  mehrere  Chanate,  unter  welchen  die  Chane  von  Ka- 
bul und  Herat  die  machtigsten  eind.  Der  Boden  ist  eine  Fort- 
setzung  des  persischen  Hochlandes  und  sparlich  bewassert.  Im 
Osten  fliesst  der  Sind  (Indus)  mit  dem  Nebenflusse  Kabul,  im 
Norden  der  Amu.  Sowohl  die  Natur-  als  die  Kunstprodukte  sind 
im  Allgemeinen  wie  in  Persien.  Die  bedeutendsten  Orte  sind: 

Kabul  (80.000)  auf  der  fruchtbaren,  gut  angebauten  Hochebene  am  Kabul, 
mit  lebhaftem  Handel  und  dem  grOssten  Pferdemarkte.  Dschellabad,  eine 
relativ  wichtige  Fabriks-  und  Handelsstadt.  Kandahar  (100.000)  unterbalt 
den  starksten  Handel  mit  Persien.  Herat  (100.000),  eine  der  schonsten  asiati- 
schen  Stadte  mit  ansehnlichem  Gewerbefleiss  und  Handel.  Pischaur  (100.000) 
mit  Seiden-  nnd  Baumwollfabriken  nnd  einer  muhamedanischen  Hochschule. 

HI.  Bcludschistan  (8000  QMeilen,  2'/a  Millionen  Einwoh- 
ner).  Der  siidostliche  Theil  von  Ost-Iran  ist  zum  grossten  Theile 
ein  wiistes,  odes,  vegetation sarmes  Land,  ohne  Fliisse  von  Bedeu- 
tung.  Die  verschiedenen  Nomadenstamme  haben  ihre  eigenen 
Hauptlinge,  welche  jedoch  die  Oberhoheit  des  Chans  von  Kelat 
anerkennen.  Der  bedeutendste  Ort  ist  die  Residenz  Kelat 
(20.000),  welche  Handel  treibt.  Erwahnenswerth  sind  noch  Gun- 
dava  und  Bel  a. 

Knltnrverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Iran  ist  von  Natur  ein  mannigfach  gesegnetes  Land  g ewe- 
sen;  allein  Jahrhunderte  der  Verodung  und  Barbarei,  und  die  ganz- 
liche  Vernachlassigung  der  Bewasserungeanstalten  baben  den  Ack  er- 
bau  so  in  Verfall  gebracht,  dass  jetzt  die  Bewohner  nur  durch 
angestrengten  Fleiss  dem  Boden  das  abzugewinnen  vermogen,  was 
er  ihren  Vorfahren  freiwillig  gegeben  hatte.  Doch  ist  der  Ertrag 
an  Reis,  Getreide,  Wein,  Mohn,  Tabak  und  Obst  ziemlich  bedeu- 
tend;  auch  der  Maulbeerbaum,  Farbepflanzen,  Baumwolle,  Zucker- 
rohr  und  Rosen  werden  gut  gepflegt.  Mit  Ausnahme  in  den  Rand- 
gebirgen  gibt  es  sehr  wenige  Waldungen,  desshalb  herrscht  im 
Innern  empfindlicher  Holzmangel.  In  der  Viehzucht  nehmen 
die  vortrefflichen  Pferde  den  ersten  Rang  ein,  auch  die  Zucht  der 
Maulthiere,  Kameele,  Ziegen  und  Schafe  ist  betrachtlich.  Sie  wird 
iiberhaupt  im  grossen  Massstabe  von  den  Wanderstammen  betrieben, 
welche  fast  ausschliesslich  von  der  Zucht  der  Hausthiere  leben. 
Der  Bergbau  liefert  Eisen  und  Kupfer  (am  Elbrus),  Schwefel 
(am  Urmia-See),  Steinol,  Borax,  schone  Tiirkise,  Salz,  und  im  per- 
sischen Golf  gibt  die  Perlenfischerei  lohnenden  Gewinn. 

Die  Industrie  steht,  mit  geringen  Ausnahmen,  im  Allge- 
meinen noch  auf  der  Stufe  des  Handwerks.  Mehrfache  innere  und 
aussere  Erschutterungen ,  Mangel  an  Kapital  und  Kredit  bei  der 
Unsicherheit  des  Besitzes,  Mangel  an  Eisen,  Brennmaterialien  und 
an  Arbeitskraften  sind  die  Hindernisse ;  dagegen  besitzen  die  Perser 
technische  Fertigkeiten ,  Geschmack,  Fleiss  und  Ausdauer,  wess- 
halb  sie  sich  in  einzelnen  Zweigen  der  Fabrikation  auszeichnen. 


387 

Eiuen  gewissen  Grad  von  Vollkommenheit  haben  sie  in  der 
Fabrikation  vonWaffen,  Lederwaaren,  Seidenwaaren,  Shawls,  Tep- 
pichen,  Gold-  und  Silberstoffen,  Rosen 51,  in  der  Garberei,  TSpferei 
und  Schonfarberei  erreicht. 

Der  Handel  ist  uberwiegend  Karawanenhandel ,  welcher 
in  den  Handen  der  armenischen  ,  indischen  und  europSischen 
Kaufleute  liegt ;  im  Norden  geht  er  nach  Russland,  im  Westen 
nach  der  Tiirkei.  Lebhaft  ist  die  Durchfuhr.  Die  wichtigsten 
Handelsplatze  und  Handelsartikel  sind  bereits  oben  erwahnt  worden, 

IV.  Ostindien, 

Unter  Ostindien  im  weitesten  Sinne  vereteht  man  die  bei- 
den  sudlichsten  Halbinseln  Asiens,  nebst  den  siidlich  und  stid- 
ostlich  von  ihnen  im  indischen  Ocean  liegenden  Inseln.  Es  zer- 
fallt  in  drei  Haupttheile:  1.  Vorder-Indien  (oder  Hindu- 
stan, Ostindien  im  engeren  Sinne) ;  2.  Hinter-Indien;  3.  die 
Inseln, 

A.  Vorder-Indien. 
§.  156. 

Vorder-Indien,  mit  einem  Flacheninhalte  von  beilaufig  66.000 
QjMeilen  und  einer  Bevolkerung  von  180  Millionen,  besteht  aus 
zwei  deutlich  gesonderten  Theilen:  das  eigentliche  Hindu- 
stan, im  Siiden  des  Himalaya ,  vorherrschend  Tiefland  ;  die 
Halbinsel  Dekan,  ein  ^Tafelland  mit  Randgebirgen.  (Siehe 
§.  31.). 

Im  Norden  von  Hindustan  erhebt  sich  das  hochste  Gebirge 
der  Erde,  der  Himalaya,  der  in  stets  niedereren  parallelen  Zugen 
nach  Suden  abfallt  und  dessen  Fuss  mit  einem  breiten  Giirtel 
dichter  W  alder  umgeben  ist.  Die  fruchtbare  Tiefebene  durchstromt 
der  Ganges  mit  seinem  vielverzweigten  Geader;  —  im  Westen 
erstreckt  sich  langs  des  Indus  bis  nahe  an  dessen  Deltaland  die 
unwirthbare  hiigelige  Flugsandwiiste  Thurr,  welche  nur  zur  Re- 
genzeit  einige  Vegetation  aufweiset.  Dekan  ist  im  Innern  eine 
weniger  fruchtbare  Hochflache ,  der  Abfall  der  westlichen 
Randgebirge  ist  steil  und  gut  bewaldet,  die  Kiiste  (Malabar)  ist 
sandig  und  hat  gute  Hafen;  nach  Osten  fallt  die  Hochebene  sanf- 
ter  ab ,  hier  munden  die  meisten  grosseren  Flusse  Dekans,  die 
Kuste  (Koromandel)  ist  nach  und  der  Schiffahrt  gefahrlich.  Den 
Nordrand  des  Plateaus  bildet  das  rauhe,  fast  unzugangliche  Vind- 
hy  a- Gebirge;  die  ausserste  siidliche  Spitze  bis  zum  Cap  Como- 
rin  fiillt  die  Berglandechaft  Nil  Gerri  aus,  welche  vom  Hoch- 
platcau  durch  das  Gap-Thai  getrennt  ist. 

Das  Klima  ist  bei  der  grossen  horizontalen  Ausdehnung 
verschieden,  doch  liegt  der  grosste  Theil  in  der  heissen  Zone.  Die 
Himalaya  -  Thaler  haben  Alpenklima;  die  Tiefebene  hat  heisses, 
feuchtes  Klima,  die  grosste  Hitze  herrscht  am  Indus  und  im  Mun- 
dungsgebiet  des  Ganges;  das  Plateau  von  Dekan  hat  eine  gemas- 
sigtere  Temperatur,  eine  heissere  die  Kiistenstriche.  Einen  grossen 
und  regelmassigen  Einfluss  iiben  die  Winde  hier  auf  die  Witte- 

25* 


rung  aus,  da  Land-  und  Seewinde  taglich  regelmassig  abwechseln. 
(Siehe  §.  56.)  Fast  ebenso  regelmassig  sind  die  Passate  und 
Monsune.  Auch  furchtbare  Orkane  (Taifung)  sind  nicht  sel- 
ten.  Die  Regenmenge  ist  sehr  bedeutend  und  verursacht  ofters 
Ueberschwemmungen ;  anhaltende  Trockenheit  erzeugt  hingegen 
Hungersnoth,  weil  dann  das  Hauptnahrungsmittel ,  der  Reis  nicht 
gedeiht. 

Vorder  -  Indien  zeigt  ein  grosses  Volkergemisch,  dessen 
Bestandtheile  nach  Abstammung  und  Sprache  von  einander  sehr 
verschieden  sind.  Die  Hauptmasse  bilden  die  Hinduvolker,  welche 
si  ch  zum  Brahmaismus  bekennen.  Ferners  leben  hier  Mongolen, 
Araber,  Afghanen,  Beludschen  u.  a.;  verhaltnissmassig  gering  ist 
die  Zahl  der  Europaer.  Desshalb  trifft  man  alle  Abstufungen  in 
der  geistigen  Kultur,  von  den  rohen  Barbarenstammen  im  Innern 
von  Dekan,  bis  zu  den  brahmanischen  und  muhamedanischen  Gelehr- 
ten.  Den  grossten  Einfluss  aber  fiben  die  sich  stets  mehrenden 
Missionsschulen,  welche  Gesittung  und  Aufklarung  mit  dem  be- 
seligenden  Christenthume  verbreiten. 

Die  Staaten  Vorder-Indieus  werden  eingetheilt : 

1.  Britisch-Indien  *),  und  zwar 

a)  unmittelbare  Besitzungen, 

b)  verbiindete  und  Schutzstaaten, 

2.  Unabhangige  Staaten, 

3.  Portugiesische  und  franzosische  Besitzungen. 

I.  Die  iinmittelbarcn  Besitzungen  sind  in  vier  Priisident- 
schaften  eingetheilt: 

a)  Bengalen  (oder  Calcutta,  fiber  10.000  n^eilen  und  fiber  55  Millionen  Ein- 
wohner) :  Calcuta  (eigentliche  Stadt  gegen  1  Million  Einwohner,  mit  den 
Vorstadten  doppelt  so  viel)  Hauptstadt  von  britisch  Indien,  der  reichste  und 
grosste  Siapelplatz  in  Asien,  am  westlichen  Hauptarme  des  Ganges  (Hugli). 
Ausgebreitete  Industrie  in  Baumwoll-  und  Seidengeweben,  Gold-,  Silber-  und 
Topferwaaren,  Tabak-  und  Arakfabrikation,  Schiffbau  u.  a.  Die  Hauptartikel 
des  Exportes  sind:  Seide  und  Seidenwaaren,  Indigo,  Zucker,  Rhum,  Reis, 
Arak,  Baumwolle,  Hanf,  Opium;  des  Importes  (aus  Europa) :  Twist,  Baum- 
wollen-,  Wollen-,  Eisen-,  Stahl-,  Silber-  und  Kurzwaaren,  Uhren,  Glas,  Weine, 
Spirituosen.  Der  Verkehrgwerth  wird  jahrlich  auf  283  Millionen  Rupien 
(k  1  Gulden;  —  1  Lack  Rapien  =  100.000  Rupien,  oder  10000  £;  100 
Lacks  =  1  Crore)  geschatzt.  Dampfschiffahrts-Verbindungen,  mehrere  Banken 
(Bank  von  Bengalen  und  die  Union-Bank),  Assekuranzen,  wichtige  Munze 
o.  8.  w.  fordern  den  Handel.  —  Dacca  (200.000)  grosse  Mousselinfabrika- 
tion  und  Seidenweberei ;  Murscb.  edabad  (170.000)  Fabriks-  und  Handcls- 
stadt;  Patna  (350.000)  Bereitung  von  Opium  und  Indigo,  Zuckerfabrikation, 
Industrie  in  Baumwolle  und  Seide,  sehr  bedeutender  Handel. 
6)  Agra  (oder  Allahabad,  4000  nMeilen,  30  Millionen  Einwohner):  Allaha- 
bad (200.000)  starke  Festung,  berfihmter  Wallfahrtsort  der  Hindus;  Benares 
(fiber  600.000),  Hauptsitz  der  Brahminen,  Shawlsweberei,  Seiden-,  Baumwoll- 

*)  Im  Jahre  1600  bildete  sich  die  britisch-ostindische  Handelskompagnie  zur  Un- 
terstiitzuBg  des  Handels  nach  Indien.  Im  Jahre  1639  wurde  den  Briten  Madras  von 
indischen  Fursten  abgetreten,  im  Jabre  1664  erlangten  sie  von  den  Portugiesen  Bern- 
bay  und  im  Jahre  1696  kanften  sie  den  Bezirk  in  Bengalen,  wo  Calcutta  liegt.  Im 
Jahre  1835  horte  sie  auf,  eineHand  elskompagnie  zu  sein.  indcm  sowohl  der  Han- 
del als  die  Ansiedlung  in  Indien  frcigegeben  wurden.  Im  Jahre  1858  wurde  auch 
die  Verwaltung  Indiens  von  der  koniglich  britischen  Regicrung  iibernomnien.  Ceylon 
war  seit  jeher  Eigenthnm  der  Krone. 


nnd  Wollindustrie,  Handel  mit  Edelsteinen ;  Delhi  (300.000)  einstige  Residenz 
des  Grossmoguls,  ist  sehr  herabgekommen,  dessgleichen  Agra  (160.000); 
Hurdwar  zar  Zeit  der  grossen  Messen,  welche  viele  Wallfahrer  herbeiziehen, 
bisweilen  von  2  Millionen  Hindns  besucht.  Luknow  (300.000),  Hauptort 
des  jetzt  unterworfenen  KOnigreiches  Oude  (Ande),  Fabriken  in  Baumwolle, 
Seide,  Leder  und  Waffen. 

c)  Madras  (7000  DMeilen,  22  Millionen  Einwohner):  Madras  (500.000),  Mit- 
telpunkt  des  Handels  auf  der  Kftste  Koromandel,  Indigo-,  Zucker-  und  Arak- 
fabrikation,  Opiumbereitung,  Banmwollweberei  (Indiennes,   Mousseline,  weisse, 
blaae  und  rothe  .Madras-Tucher"  zu  Turbanen).     Europaische    und  amerika- 
nische  Hauser  sind  bier  etablirt;  Bank,  Assekuranzen,  Miinze;    Industrie  und 
Handel   sind   minder   bedeutend    als  zu  Anfang    des  Jahrhunderts,    da  es  das 
^Manchester   des    Orientes"    genannt   wurde.     Mit    der    grossartigen    Einfuhr 
englischer    Fabrikatc    konnte    die    heimische    Industrie   nicht    konkurriren.    - 
Seringapatnam  (300.000\    Cochin  (die  alteste  Besitzung  in  Indien,  Al- 
buquerque eroberte    sie   im  Jahre  1503),    der    wichtigste    Handelsplatz  in  der 
Provinz  Malabar ;    Calicut    mit  Calico-Fabriken    (hier   landeten    die    ersten 
Portugiesen  nnter  Vasco  de  Gama  im  Jahre  1498) ;  Masulipatnam  (80.000), 
der  beste  Hafen   auf  der  Kiiste  Koromandel,    liefert    die    durch  Farbenpracht 
beriihmten  Baumwollstoffe ;  Tranquebar  (im  Jahre  1845  von  Danemark  ahr- 
gekauft),  Banmwollindnstrie,  starker  Handel. 

d)  Bombay    (3000   QMeilen,    11  Millionen   Einwohner),    Bombay   (250.000), 
zweiter  Handelsplatz  in  Ostindien,    Hauptstation    der    britischen   Flotte  in  den 
indischen  Gewassern,   regelmassige  Dampfschiffahrt   nach    England    iiber  Aden 
und  Suez,  Dampfschiffahrt   anf  dem  Indus,    Emporium   fur  die  indischen,  per- 
sischen,  abyssinischen  und  arabischen  Waaren ;    Hauptniederlage  des  Pfeffers  : 
im  Grosshandel  geringer  als  Calcutta,   aber  lebhaftere  Kiistenfahrt.  Verkehrs- 
werth    gegen  200  Millionen  Rnpien.     Starker  Schiffbau,   grossartige    Werften, 
Docks,    Seearsenal,   Fabriken    fur  Indigo,    Zucker,    Baumwollwaaren.     (Erste 
Eisenbahn  in  Asien  —  von  Bombay  nach  Patna  —    rm  Jahre  1852  eroffnet). 
—  Surate  (450.000,  Provinz  Guzerat),  Fabriken  in  Seide,  Baumwolle,  Thon- 
waaren,    Tabak,   Handel  mit    Arabien  und  Persien,    bedeutende   Ausfuhr   von 
Baumwolle,  Seide  und  Tabak. 

e)  I  list  1  Ceylon    (oder  Seilan,    Taprobane)    mit  1181    QMeilen  und  I1/,  Mil- 
lion Einwohnern,  liegt  vor  der  Sudostspitze  Vorder-Indiens,  von  der  sie  durch 
die  Palks-Strasse  getrennt  ist.     Die  Nordkuste    ist  in  Inseln  und  Klippen  zer- 
rissen,    einige  Sandbanke    (Adams-Briicke)    sind   bei    der  Ebbe   sichtbar.     Iin 
Innern    ist  ein  schSnes,    wohlbewassertes   Hugel-   und  Bergland,    die   MJuwele 
der  ostlichen  Meere."     Die  Fruchtbarkeit  ist  gross,  aber  der  Anbau  noch  ge- 
ringe;  man  erzeue;t  nur  wenig  Reis,  im  Ueberfluss  wachsen  Kokuspalmen  und 
der  Brotbanm.     Der    beste  Zimmt  gedeiht   in  Menge ;   auch    die    Pflanzungen 
von    Kaffee,   Zuckerrohr,   Baumwolle   und  Pfeffer    gewinnen    an    Ausdehnung. 
Grossen  Reichthum  hat  die  Insel  an  Mineralien,  besonders  an  Edelsteinen  und 
an  der  Kuste    ist  die    Perlenfischerei    von    Wichtigkeit.     Die  Hauptstadt,  zu- 
gleich  Sitz  der  britischen  Regiernng,  mehrerer  Missionsgesellschaften  und  Mit- 
telpunkt  des  auswartigen  Handels    ist  Colombo  (70.000).     ZunEchst    ist  be- 
deutend wegen  des  Handels,  vorziiglich    mit  Fischen,   Point    de  Galle,  wo 
auch  gewohnlich  die  nach  Europa  bestimmten  Schiffe   befrachtet    werden    und 
die  von  Calcutta  nach  Suez  gehenden  Dampfschiffe  anlegen. 

II.  Verbiiiidete  und  Schutzstaaten. 

1.  Der  Staat  des  Raja  von  Panna  (Provinz  Allahabad)    mit  der  gleichnamigen 
Hauptstadt,  in  deren  Nahe  reiche  Diamantengruben. 

2.  Hyderabad  (Heidrabadj  oder  Golconda    im  nordlichen  Theile   des  Innern 
von  Dekan,  der  grosste  Vasallenstaat  (4500  QMeilen,    10  Millionen  Einwoh- 
ner); Hyderabad  (200.000)  reiche  Diamantengruben  (namentlich  bei  Raol- 
conda),   Bijouteriefabriken,    Seiden-    nnd  Baurawollweberei,  viele    Diamanten- 
schleifereien,    -  Aurungabad  (60,000)  die  bedeutendste  Fabriks-  und  Han- 
delsstadt. 

3.  Der  Mahrattenstaat   Nagpu  r  oder    Bunslah(3000   QMeilen,    3   Millionen 
Einwohner),  mit  dem  gleichnamigen  Hauptorte. 

4.  Sat  tar  a  (l'/2  Millionen  Einwohner),  mit  der  Hauptstadt  gleichen  Namens. 


890 

5.    Der  Mahrattenstaat  Scindiah  (1900  nMeilen,    4  Millionen  Einwohner).  — 

Udschen  (120.000)  und  die  Felsenfestung  Gwalior. 
Q.    Der  Staat  Sind  am  untern  Indus  (iys  Millionen  Einwohner)  mit  dem  Haupt- 

orte  Hyderabad  (200.000)  und  den  Handelsplatzen    Tatta  und  Schikarpur. 

7.  Mysore  (Meissur,    1300  QMeilen,   3  Millionen  Einwohner),    Mysore    und 
die  Fabriks- und  Handelsstadt  Bangalur  (60.000)  sind  die  wichtigsten  Pliitze. 

8.  Travancore  am  sudlichen  Theile  der  Kiiste  Malabar,  produzirt   viel  Pfeffer 
und    andere  Gewurze,    1  Million   Einwohner,    etwa  10%  Christen.     Die   paar 
Stadte  sind  unbedeutend.    —   Nordlich  davon    liegt  der  kleine  Staat  Cochin. 
—  Am  Siidabhange  des  Himalaya  das  kleine  Fiirstenthum  Sikkim. 

9.  Der  Staat  der  Shiks  im  Pendschab    (oder  Punjab  iiber    4000  nMeilen  und 
11  Millionen  Einwohner),  mit  den  Provinzen  Kaschmir  und  Kohestan.  —  Die 
Provinz   Kaschmir   ist  eine  der  schonsten   und    gesegnetesten  Landschaften 
der  Erde;  die  Ebene   prangt  mit    alien    Blumen   und   Fruchten    der  reichsten 
Gegenden  des  Siidens.     Der  Anbau  des  Landes  ist  vortrefflich ;   in   den    Ebe- 
nen  und  Thalern  herrscht  der  Ackerbau,   in    den  reich  bewaldeten  Gebirgsge- 
genden  die  Viehzucht.     Die  Hauptindustrie  bilden  wollene  Zenge,    vorziiglich 
die  weltberfihmten,  durch  Feinheit    und  Farbenschonheit   sich    auszeichnenden 
Shawls,  von  denen  jahrlich  an  80.000  Stuck  verfertiget  werden  und  viele  nach 
Europa  gehen.     Viel  der    besten    Wolle   wird    atis   Tiibet    bezogen.     Hauptort 
ist  Kaschmir   (60.000)  mit  etwa   6000  Webestuhlen  fur  Shawls;  ausserdem 
werden   Papier,  lackirte   Waaren,    Stahl-    und  Farbwaaren,   Essenzen   u.  s.  w. 
erzeugt.     Ueberhanpt    ist  die  BevSlkerung  sehr  gewerbfleissig,  gewandt,  intel- 
ligent,   aber    unkriegerisch.    —    Die   Provinz    Kohestan    (Bergland)    ist  der 
nordliche,  gebirgigere  Theil  des  Pendschab ;  die  Viehzucht,  besonders  Pferde- 
zucht,  ist  bedeutender  als  der  Ackerbau.     Hauptort  L  a  h  o  r  e  (Lahnr,  100.000) 
in  einer  fruchtbaren  Gegend,  erzeugt  Seide  und  Wollenzeuge,  beruhmte  Shawls  ; 
Multan    (60.000),    eine    der    altesten    Stadte   Indiens,    ist    beriihmt    wegen 
ihrer   Seidenmanufaktur ;   Amretsir   (100.000),    treibt    ansehnlichen    Handel 
mit  Safran,  Shawls  und  Baumwollgeweben :    Hauptniederlagsort     fiir  die  indi- 
schen  Shawls. 

10.  Die  Inselgruppe  der  Lakka-Diven,  westlich  von  der  Kuste  Malabar.  Diese 
meist  kleinen  und  schwach  bevOlkerten  Inseln  sind  durch  die  hier  in  Menge 
vorkommenden  Kauris  (Mnnzmuscheln)  beriihmt.  —  Die  Inselkette  der  Mala- 
Diven,  sehr  zahlreiche  von  Korallenriffen  umgebene  Inseln,  deren  Be- 
wohner  unter  einem  zinsbaren  muhamedanischen  Fursten  stehen  und  wo 
gleichfalls  Kauris  in  Menge  gefunden  werden. 

HI.  Unabhangige  Staaten. 

!.  Das  Reich  Nepal  (2500  QMeilen,  3  Millionen  Einwohner),  ein  hochliegendes 
Gebirgsthal  am  Siidabhange  der  hbchsten  Himalaya-Kette.  In  den  fruchtbaren 
Thalern  ist  das  Klima  milde  und  gesund.  Hauptort:  Katmandu  (50.000). 
2.  Das  Reich  But  an  (oder  Bhotan)  zwischen  Tiibet  und  der  Prasidentschaft  Benga- 
len,  mit  vielen  Riesenbergen  in  der  nbrdlichsten  Schneekette,  mit  dem  Haupt- 
orte  Tassisudon. 

IV,  Portugiesische    Besitzungen    (1100    QMeilen,    fiber 
400.000  Einwohner). 

Das  Gebiet  von  God  (auf  der  Kiiste  Malabar),  die  Insel  und  Stadt  Diu  (an 
der  Stidspitze  von  Guzerat)  und  die  Hafenstadt  Daman  (zwischen  Bombay 
undSurate).  Baumwolle,  Pfeffer,  Reis,  Hanf,  Seide  und  Salz  sind  die  Han- 
delsartikel,  sowie  der  vorzu'gliche  Arak  (de  Goa).  Alle  diese  Orte  treiben  leb- 
haften  Handel.  Der  Gouverneur  von  Goa  verwaltet  auch  das  Gebiet  auf  der 
Sunda-Insel  Timor  und  die  bei  China  liegende  Insel  Macao. 

V.  Franzftsische  Besitzungeu. 

Das  Gebiet  von  Pondichery  und  von  Carical  auf  der  Kiiste  von  Koro- 
mandel.  Baumwollweberei  und  Opiumbereitung ;  Reis,  Indigo,  Baumwolle,  Zucker- 
rohr  und  die  Seidenzucht  sind  die  Hauptnahrungsquellen.  Die  Hafenstadt 
Mah6  (6000)  auf  der  Kiiste  Malabar  beschaftiget  sich  mit  Pfefferhandel ,  zu 
Chandernagur  bestehen  ebenfalls  kleine  Faktoreien. 


391 

Kulturverlialtnisse  im  Allgemeinen. 

Wenige  Lander  der  Erde  sind  so  reich  an  schonen  und  man- 
nigfaltigen  Produkten  als  Hindostan.  Der  iiberaus  ergiebige  und 
besonders  in  den  Ebenen  und  an  den  Kiistenterrassen  meist  sehr 
sorgfaltig  angebaute  Boden  liefert  eine  unzahlige  Menge'  der  kost- 
lichsten  Produkte.  Wahrend  der  langen  Trockenheit  bewassern  zahl- 
reiche  kiinstliche  Teiche  und  Kanale  den  Boden ;  die  fleissigen  Hin- 
dus haben  den  Ackerbau  zu  einem  hohen  Grade  der  Vollkommen- 
heit  gebracht.  Unter  den  Getreidearten  nimmt  der  Reis  bei  weitem 
den  ersten  Rang  ein;  er  wird  allein  in  den  Niederungen  Bengalens 
in  solcher  Menge  gebaut,  dass  der  Bedarf  von  ganz  Hindostan 
damit  gedeckt  wird ,  er  ist  das  wichtigste  Nahrungsmittel  dieser 
Lander  und  gibt  jahrlich  zwei  bis  vier  Ernten.  Ausser  dem  gros- 
sen  eigenen  Bedarfe  und  der  Arakbereitung  wird  noch  sehr  viel 
aus  Calcutta  nach  Europa  exportirt  (im  Jahresdurchschnitt  etwa 
1V4  Million  Zentner).  Fiir  die  europaische  Kolonisation  ist  der 
Anbau  von  Weizen  in  den  nordwestlichen  Provinzen  und  im 
obern  Pendschab  sehr  wichtig ,  und  konnte  noch  derart  gesteigert 
werden,  dass  Pendschab  nicht  bloss  eine  Kornkammer  fur  Indien, 
sondern  auch  fur  auswartige  Lander  werden  wiirde  *).  Auch  Gerste, 
Hirse,  Mais,  Hafer,  Hiilsenfruchte  und  Gartengewachse  gedeihen 
in  grosser  Menge. 

Zu  den  wichtigsten  Produkten  Indiens  gehort  die  B  a  u  m  w  o  1 1  e , 
welche  fast  u'berall  gedeiht ,  am  vorzuglichsten  in  Bengalen ;  der 
eigentliche  Baumwollmarkt  ist  jedoch  Bombay,  namentlich  entfallen 
auf  Guzerat  56%  des  ganzen  indischen  Baumwoll-Exportes.  In  den 
iunf  Jahren  1849/50  bis  1853/54  exportirte  die  Prasidentschaft 
Bengalen  nur  10 '/2  Millionen  Pfund,  die  Prasidentschaft  Madras 
fast  44  Millionen  Pfund,  die  Prasidentschaft  Bombay  dagegen  nahe 
an  600  Millionen  Pfund  nach  England;  der  Ge  sammtexpo  rt 
Indiens  an  Baumwolle  wechselte  in  diesen  fiinf  Jahren  zwischen 
166  und  263  Millionen  Pfund.  Da  in  diesem  Zeitraume  iiberhaupt 
uber  4000  Millionen  Pfund  Baumwolle  nach  Grossbritannien  kamen 
und  davon  etwa  654  '/2  Millionen  Pfund  aus  Indien ;  so  liefert  die- 
ses Land  beilaufig  16%  des  Bedarfes  von  Grossbritannien.  Es 
wird  ubrigens  behauptet,  dass  Indien  so  weit  gebracht  werden 
konnte,  den  vollen  Bedarf  Grossbritanniens  zu  decken.  —  Sehr 
wichtig  ist  die  Farbepflanze  Indigo  (Hindi-Kuk  das  ist:  indische 
Farbe),  namentlich  in  den  ndrdlichen  Provinzen  von  Bengalen  (im 
Norden  des  Ganges  zwischen  dem  Brahmaputra  und  Gunduck). 
Die  Prasidentschaft  Bombay  produzirt  gar  keinen  Indigo  fiir  den 
Export,  Madras  nur  wenig,  Bengalen  dagegen  11  '/2  Millionen  Pfund 
im  Werthe  von  2  Millionen  £.  —  Der  Stapelplatz  fiir  denselben 
und  der  wichtigste  Platz  der  Erde  fur  diesen  Artikel  ist  Calcutta. 
(Bengal-,  Oude-,  Koromandel-,  Manilla-,  Java-Indigo).  —  Zunachst 
steht  die  Seide,  welche  in  grosser  Menge  und  von  vorziiglicher 

*)  In  Lahore  und  Mooltan  ist  der  Preis  des  Weizens  fiir  den  Bushel  &  60  Pfund 
nur  l'/t  bis  I1/,  Schilling,  wahrend  er  in  Nordamerica  an  den  Hafen  des  Erie-  und 
Michigan-Sees,  wo  sich  das  Getreide  aus  Ohio  und  demWesten  zum  Export  konzen- 
trirt,  2'/s  bis  2Vt  Schillinge  betragt. 


Giite  in  Bengalen,  dann  in  der  Prasidentschaft  Bombay  gewonnen 
wird;  die  Ausfuhr  von  bengalischer  Rohseide  betragt  jahrlich  fiber 
20.000  Zentner ;  Hauptmarkte  sind :  Calcutta,  Bombay  und  Surate. 
—  Der  Anbau  dee  Mohns,  welcher  das  Opium  liefert,  ist  auf 
verhaltnissmassig  kleine  Distrikte  beschrankt  (Patna,  Benares  und 
Malwa  liefern  den  meisten  und  beaten) ;  die  Opiumbereitung  in 
Bengalen  ist  Monopol  der  Regierung  und  sichert  ihr  anaehnliohe 
Einkunfte  (z.  B.  im  Jahre  1849/50  uber  3  Millionen  £).  Der  Ex- 
portwerth  des  Opiums  betrug  im  Jahre  1853/54  an  6'/?  Mil- 
lionen £,  davon  beilaufig  drei  Fiinftel  aus  Bengalen  und  zwei  Funf- 
tel  aus  Bombay. 

In  fortwahrender  Steigerung  istauch  der  Anbau  des  Zucker- 
rohrs,  insbesondere  sind  Boden  und  Klima  von  Bengalen,  Madras 
und  Bombay  dieser  Kultur  sehr  giinstig.  In  Benares  und  Patna 
wird  die  Zuckerfabrikation  ungemein  sorgfaltig  betrieben.  Der 
Zuckerertrag  belauft  sich  allein  in  britisch  Indien  jahrlich  auf  mehr 
als  3  Millionen  Zentner;  Stapelplatze  fur  Zucker  und  Rum  sind 
Calcutta  und  Madras.  —  Die  T h  e  e  pflanzungen  gewinnen  an  Aua- 
dehnung.  Wichtig  sind  ferners  •.  P  f  e  f  f  e  r  auf  Malabar,  der  beste 
Zimmt  auf  Ceylon,  wo  auch  der  Kaf  febau  stark  betrieben  wird. 
Gewurznelken,  Muskatniisse  von  Malabar,  Koromandel  und 
Ceylon,  brauner  und  weisser  Ingwer,  der  eingemacht  und  kan- 
dirt  sehr  viel  nach  Europa  geht ;  guter  Flachs  und  Hanf  am 
Fusse  des  Himalaya  und  in  Bengalen,  der  Leinsamen  wird  dem 
russischen  vorgezogen ;  Krapp  im  Himalaya;  Safran  in  Lahore; 
Sago-,  Kokos-  und  andere  Pal  men  (Palmwein),  viele  Arzneipflan- 
zen  u.  s.  w.  Die  Waldungen  enthalten  viel  kostbare  Hiilzer,  beson- 
dere  Pflege  geniessen  die  Theka-  und  Saul-Walder,  welche  hoch- 
gepchatztes  Zimmerholz  liefern.  Unter  den  animalischen  Produk- 
ten  sind  nebst  der  Seide  noch  hervorzuheben  :  Schafwolle  (in 
der  Ebene  grobwollige  Schafe ,  das  Bergschaf  mit  feiner  Wolle, 
und  die  werthvollate  Spezies :  das  Himalaya-Schaf),  Thibetanisches 
Ziegenhaar,  Elfenbein,  Schildkrot,  Wachs  von  Bengalen  und  Pon- 
dichery,  Zibeth  (von  der  Zibethkatze),  Moschus  (vom  Moschusthier,) 
Ambra  (vom  Pottfische),  Perlen,  Vogelnester,  Tiger-,  Panther-  und 
Leopardenfelle  u.  s.  w. 

Der  Bergbau  steht  im  Allgemeinen  noch  auf  niederer  Stufe, 
doch  gewinnt  man  etwas  Gold  und  Silber;  Eisen  auf  Malabar  und 
Koromandel,  in  Sind  und  Nepal,  das  beste  in  der  Prasidentschaft 
Madras,  sudlich  von  Pondichery,  welches  nach  England  ausgefiihrt 
und  zu  Stahl  (^Wuzstahl")  verarbeitet  wird;  Kupfer,  Blei,  Zinn, 
Sal  peter  (in  Bengalen,  Ausfuhr  nach  England),  Schwefel,  Borax, 
Steinkohlen,  Salz.  Fur  Edelsteine  war  Ostindien  schon  von 
Alters  her  das  Hauptland;  die  reichsten  D  iamanten  gruben  sind 
in  Golkonda,  Bundelkund  (bei  Panna)  und  auf  Ceylon,  die  schon- 
sten  Rubine,  Saphire,  Smaragde,  Granaten  auf  Ceylon  und  der 
Koromandelkiiste  (Salem  und  Nellore). 

Indien  ist  das  Vaterland  der  gewerblichen  Industrie.  Viel 
friiher  als  Europa  erzeugte  es  Baumvvoll-  und  Seidenstoffe,  Shawls 
und  Tepiche,  welche  sich  durch  Schonheit,  Feinheit  und  Farben- 


pracht  auszeichnen ,  die  beruhmten  Farbereien  lieferten  die  schon- 
sten  Manufakte.  Der  Aufschwung  in  Europa,  namentlich  in  Eng- 
land, verminderte  jedoch  in  neuester  Zeit  diese  Industrie.  Viele 
Erzeugnis8e  behaupten  fortwahrend  noch  ihren  alten  Ruf,  insbe- 
sondere  Shawls  und  Teppiche  (Kaschmir,  Delhi,  Lahore),  dann 
Indigofabriken,  Zuckersiederei,  Rum-  und  Arakbrennerei,  Oelbe- 
reitung,  Leder-  und  Waffenfabriken  (Luknow),  Gold-,  Schmuck-, 
Perlmutter-,  Schidkrot-  und  Elfenbeinarbeiten  (Delhi),  Diamanten- 
schleifereien. 

Handel.  Der  grosse  Reichthum  an  Naturprodukten  aller  Art 
hat  seit  den  altesten  Zeiten  alle  handeltreibenden  Volker  gelockt, 
inHindostan  Geschaftsverbindungen  anzuknupfen  und  zu  unterhalten  ; 
das  Land  war  seit  jeher  der  Mittelpunkt  eines  grossartigen  Han- 
dels.  Der  Handel  im  Innern  wird  vorziiglich  durch  die  unter 
dem  Namen  Banian  en  bekannten  Hindu  betrieben;  der  Handel 
mit  den  nordlichen  Nachbarvolkern  ist  Karawanenhandel,  den  Per- 
ser  und  Armenier  zumeist  unterhalten;  die  Stadte  Mult  an,  La- 
hore und  Kaschmir  sind  Hauptplatze  dieses  Handels.  Der 
Seehandel  ist  uberwiegend  in  den  Handen  der  Briten,  doch  be- 
theiligen  sich  seit  der  Aufhebung  des  Monopols  der  ostindischen 
Handelskompagnie  auch  Amerikaner,  Franzosen,  Portugiesen,  Hol- 
lander in  wachsender  Ausdehnung  an  demselben.  Die  Bedeutung 
des  ausseren  ostindischen  Handels  Hegt  sowohl  in  dem  Vortheil, 
den  der  Export  der  kostbaren  indischen  Stoffe  in  Europa  gewahrt, 
als  auch  in  dem  Absatze,  welcher  den  europaischen  Industrie- 
Erzeugnissen  hier  eroffnet  ist.  Die  Verbindung  von  Calcutta  nach 
England  geht  iiber  Madras,  Ceylon  (Point  de  Galk),  Bombay,  Aden 
und  Suez,  wo  regelmassige  Dampfschiffahrt  den  Verkehr  beschleu- 
nigt.  Der  Waarenzug  nimmt  gewohnlich  den  Weg  um  das  Kap 
der  guten  Hoffnung.  —  Dampfschiffahrt  auf  den  grosseren  Stromen, 
Anlegung  von  Eisenbahnen ,  guten  Landstrassen  und  Kanalen. 
direkte  Dampfschiffahrtsverbindungen  mit  Europa,  China  und  Austra- 
lien  befordern  den  Verkehr.  Hauptprodukte  der  Ausfuhr  sind: 
Baumwolle,  Indigo,  Reis,  Zucker,  Pfeffer,  Opium,  Hanf,  Zimmt, 
Seide,  Wolle,  Haute,  Salpeter  u.  a.  m.,  —  der  E  i  n  f  u  h  r :  euro- 
paische  Fabrikate,  als :  Twist,  Tuch,  Sammt,  Eisen-  und  Stahlwaa- 
ren,  Uhren,  Spiegel  und  Glaswaaren,  Papier,  kurze  und  Galanterie- 
waaren;  Thee  aus  China,  Metalle,  Weine  u.  v.  a. 

B.  Hinter  -  Indien. 
%  5   157. 

Hinder  -  Indien  oder  die  Halbinsel  jenseits  des  Ganges,  mit 
einem  FJachenraume  von  beilaufig  40.000  QMeilen,  ist  im  Nord- 
westen  und  Norden  von  Vorder-Indien  und  China,  im  Osten  und 
Suden  vora  chinesischen  Meere ,  im  Westen  vom  Meerbusen  von 
Bengalen  begrenzt.  Die  Bevolkerung  wird  etwa  auf  30  Millionen 
geschatzt;  sie  gehort  grosstentheils  dem  mongolischen  Stamme  an, 
nur  auf  der  Halbinsel  Malakka  und  auf  den  Inseln  wohnen  Ma- 
layen,  und  im  Nordwesten  Hindustamme.  Im  Allgemeinen  herrscht 
im  westlichen  Theile  der  malayische,  im  ostlichen  der  chinesische 


394 

Charakter  unter  der  Bevolkerung,  sowie  in  politischer  Hinsicht 
vor.  •  Am  ausgebreitetsten  ist  der  Buddhaismus,  die  Malayen  sind 
Muhamedaner ;  dpch  gewinnt  auch  das  Christenthum  an  Aus- 
dehnung. 

Die  Oberflache  ist  vielfach  noch  unbekannt.  Im  Norden 
sind  die  Fortsetzungen  des  hinterasiatischen  Hochlandes,  welche  in 
Parallelketten  von  Norden  nach  Siiden  die  Halbinsel  durchziehen 
und  von  machtigen  Stromen  bewasserte,  grosse  Langenthaler  ein- 
schliessen.  Dichte  Walder,  der  Aufenthalt  einer  Menge  der  grossten 
und  reissendsten  Thiere,  bedecken  die  Gebirge ;  alle  tropischen 
Fruchte  erreichen  die  grosste  Vollkommenheit ;  die  meisten  Fliisse 
iiberschwemmen  regelmassig  das  Land,  wodurch  die  Fruchtbarkeit 
unglaublich  gesteigert  wird;  zudem  sind  Fliisse  und  Meere  sehr 
reich  an  Fischen  und  Schalthieren.  (Die  Meerbusen  von  Bengalen, 
Martaban,  Siam  und  Tonkin,  die  Fliisse  Burremputr,  Irawaddy, 
Thalayn,  Menam-Kong  oder  Cambodja  und  Menam).  Das  Land 
erzeugt  im  Allgemeinen  die  gleichen  Produkte,  wie  Vorder-Indien, 
nur  fehlt  hier  jede  Veredlung  durch  gute  Kultur.  Die  vom  Boden 
und  Klima  ausserordentlich  begiinstigte  Land  w  irt  hs  chaft  er- 
zeugt Reis,  Palmen,  Zimmt,  Pfeffer,  Thee,  Zuckerrohr,  Seide  und 
andere  tropische  Produkte  in  grosser  Menge  und  Giite.  Der  Berg- 
bau  liefert  viel  und  vortreffliches  Zinn  (Kalin),  dann  Eisen ,  Ku- 
pfer,  Blei,  Silber;  in  mehreren  Flussen  wird  Gold  gewaschen.  Aus- 
gezeichnet  schon  sind  die  bunten  Edelsteine,  Rubine,  Saphire,  To- 
pase  u.  a.  Sehr  grossen  Reichthum  hat  das  Land  an  trefflichem 
Schiffbauholz  und  Naphta. 

Die  Industrie  ist  gering;  sie  liefert  hauptsachlich  Seiden- 
und  Baumwollengewebe,  einige  Metallarbeiten  und  gute  Schiffe.  Der 
Seehandel  ist  meistens  in  den  Handen  der  Chinesen  und  Eng- 
lander;  die  grosstentheils  tief  ins  Land  hinein  schiffbaren  Fliisse, 
welche  an  den  Miindungen  sehr  gute  Hafen  bilden,  unterstiitzen 
denselben  bedeutend. 

Politische  Eintheilung. 

1.  Britisch  Hinter-Indien  (beilaufig  4000  QMeilen,  2  Millionen  Einwohner)  be- 
steht  aus  den  Landern : 

o)  Assam,  der  nordwestlichste  Theil  der  Halbinsel,  ein  vom  Burremputr  be- 
wassertes,  von  hohen  Gebirgen  eingeschlossenes  Thai  (2  bis  3000  QMeilen 
und  1  Million  Einwohner) ;  seit  1826  unter  englischem  Schutze.  Der  Boden 
ist  sehr  fruchtbar,  reich  an  schb'nen  Waldungen ;  das  wichtigste  Produkt  ist 
Thee.  Die  Seidenzucht  und  Seidenweberei  ist  betrachtlich.  Die  Bevolke- 
rung steht  unter  mehreren  Raja,  welche  in  ewigen  Fehden  unter  einander 
leben.  Hauptort:  Gowahatti;  bedeutender  ist  Eangpur,  die  grosste 
und  bevolkerteste  Stadt. 

6)  Aracan,  ein  schmaler  Kustenstrich,  langs  des  bengalischen  Meerbusens. 
Auf  etwa  400  nMeilen  leben  iiber  200.000  Menschen ,  von  verschiedenen 
rauberischen  und  rohen  Birmanenstammen.  Hauptort:  Aracan  (20.000), 
oberhalb  der  Mundung  des  ^hisses  Mahutte,  treibt  einigen  Handel. 

c)  Pegu,  im  Miindungsgebiete  des  Irawaddy,  mit  den  Stadten  Pegu,    Ran- 
gun    (die  ansehnlichste  Handelsstadt,    starke  Ausfuhr  von  Teak-Holz)  und 
Prome,  wurde  in  jiingster  Zeit  dem  britischen  Gebiete  einverleibt. 

d)  Martaban    und   Tenasserim,    der  nordwestliche  Kustenstrich  der  Halb- 
insel Malacca  (circa  1200  QMeilen  und  iiber  100.000  Einwohner),  mit  den 
Stadten:    Martaban,  Moulmein  (Sitz  der  britischen  Behorden,  mit  an- 
sehnlichem Handel),  die  neu  angelegte  Stadt  Amhersttown  (20.000).  Der 


895 

sudliche  Theil,  Tenasserim,  hat  nur  einen  fast  ganz  zerstb'rten  gleich- 
namigen  Ort  im  Innern  und  die  kleine  Stadt  Mergui  auf  einer  der  an 
der  Kiiste  liegenden  Mergui-Inseln. 

e)  Pulo-Pinang   oder  Prinz  Wales-Insel.     Sie  liegt  am  Eingange  der 
Strasse  von  Malacca,  ist  vortrefflich  angebaut,  liefert  Keis,  Pfeffer,  Muskat- 
niisse,  Gewiirznelken,  feine  Holzarten  u.  a.   Die  Hafenstadt  Georgetown 
(25.000)  treibt  lebhaften  Handel. 

f)  Das    Gebiet  von   Malacca    (12pMeilen)  init  reichen  Zinngruben;  im 
Jahre  1824  traten  es  die  Hollander  im  Tauschwege  an  die  Briten  ab.     Die 
Stadt  Malacca  (15.000)  treibt  umfangreichen  Handel;  die  meisten  Schiffe, 
welche    die  Strasse  von  Malacca  passiren ,    nehmen  hier  Lebensmittel  und 
Wasser  ein. 

g)  Singapore  (spr.  Singapur).  Eine  rasch  aufbluhende  Handelsstadt  (60.000 
E.)  auf  der  gleichnamigen  Insel  vor  der  Siidspitze   der  Halbinsel  Malacca. 
Dieser  Freihafen  ist  der  wichtigste  Stapelplatz  fur  den  Zwischenhandel  von 
Ostindien  und  China,  Sammelplatz  fiir  Schiffe  aller  Nationen  mit  vielen  eu- 
ropaischen  Handels-  und  Kommissionshausern.     Mittelpunkt  des   Goldhan- 
dels  im  indischen  Archipel.  Ausgedehnte  Industrie,  iiberhaupt  einer  der  be- 
deutendsten  Platze  im  Oriente. 

2.  Birina  oder  Awa  (Kaiserthum,  mit  9000  Q  Meilen  und  5— 8  Millionen  Einwoh- 
nern).     Das  Land  ist   (soweit  bekannt)  ein  grosses  Thai,    das  der  Irawaddy  von 
Norden  nach  Siiden  durchstromt  und  welches  eine  grosse  Menge  Seen  besitzt.  Die 
Produkte  sind  wie  in  Vorder-Indien,  nur  in  noch  grosserer  Vollkommenheit  und  Fiille. 
Erwahnenswerth  ist  auch  die  grosse  Menge  von  Steinol.    Die  Bewohner  gehoren 
mehreren  verwandten  Volkerschaften  an ,    sind  tapfer  und  kriegerisch ,    mit  einer 
despotischen ,    doch  geordneten  Regierung.     Haupt1-  und  Residenzstadt  ist   Awa 
(50.000)    am  Irawaddy.     Amerapura,    die  friihere  Residenz,   wurde  durch  ein 
Erdbeben  (1840)  fast  ganz  zerstort. 

3.  Slain  (Konigreieh,  mit  14.000  Q  Meilen  und  beiiaufig  5  Millionen  Einwohnern). 
Der  Haupttheil  des  Reiches  ist  das  fruchtbare  Thai  des  Menam ;  die  ansehnlichste 
Stadt   ist   Bank  ok   (400.000),    zugleich   einer  der  bedeutendsten  Handelsplatze 
Hinter-Indiens. 

4.  Aiiam  (Kaiserthum ,  mit  10.000  Q  Meilen  und  10  bis  12  Millionen  Einwohnern). 
Es  besteht  aus  den Landern  Tonkin,  Cochinchina,  Cambodja  und  einigen 
Gebieten  an  der  Nordgrenze ,    welche  von  unabhangigen  Hauptlingen   beherrscht 
werden.  Der  Reichthum  an  Naturprodukten  ist  sehr  gross  (Zucker,  Pfeffer,  Baum- 
wolle,  Indigo).     Der  Seidenbau  wird  eifrig  betrieben,   die  Industrie  in  Seide  und 
Baumwolle  ist  schwunghaft.     Der  Binnenhandel  ist  lebhaft,  aber  der  Verkehr  mit 
Europaern  wird  fast  nur    durch  Chinesen   unterhalten.     -Residenzstadt    ist    Hue 
(oder  Fu-tschuan,  100.000),  gute  Festung  mit  einem  Kriegshafen ;  die  wichtigsten 
Handelsstadte,  in  welche  auch  Europaer  kommen,  sind  Huehan  (oder  Faifoe)  und 
Saigon    (100.000).     Fiir  den  Binnenhandel  ist  bekannt  Ketscho   (oder  Dong- 
King);   die  ehemaligen  europaischen  Faktoreien  sind  eingegangen. 

5.  Das  unabhiingige  Malacca  (mit  etwa  3000  Q Meilen  und  1  Million  Einwoh- 
ner)   ist  reich  an  Zinn,  Pfeffer,  Reis  und  andern  fiir  den  Handel  wichtigen  Pro- 
dukten.    Die  Bewohner  sind  Malayen,  meist  Muhamedaner,  kiihne  Seerauber  und 
werden  von  einzelnen  despotischen  Fiirsten  beherrscht. 

C.  Der  indische  Archipel. 

§.  158. 

Der  indische  Archipel  umfaset  die  Inselgruppen  zwischen 
Hinterindien ,  China,  Neu- Guinea  und  Neu-Holland.  Weder  iiber 
die  Gesammtzahl  der  Inseln,  noch  iiber  deren  Grosse,  Bevolkerung 
und  natiirliche  Beschaffenheit  besitzen  wir  ausreichende  Kenntnisse; 
annahernd  wird  der  Flachenraum  der  bekanntea  Ineeln  auf 
36.000  QMeilen  und  die  Bewohnerzahl  auf  23  Millionen  geschatzt. 
Die  meisten  Inseln  siad  gebirgig  und  vulkanischer  Natur,  ferners 


396 

uberaus  reich  an  den  mannigfaltigsten  und  kostlichsten  Produkten 
der  Tropenzone,  an  grossen  Schatzen  des  Mineral-  und  des  Thier- 
reiches.  Sie  sind  meist  von  malayischen  Stammen  bewohnt,  doch 
auch  von  Europaern;  besonders  befindet  sich  der  Handel  in  den 
Handen  der  Niederlander.  Nur  wenige  portugiesische ,  spanische 
und  britische  Niederlassungen  abgerechnet,  sind  die  Niederlander 
Herren  von  dem  grossten  Theile  des  Archipels. 

Die  bedeutendsten  Inselgruppen  sind:  1.  Die  grossen  Sun  da- 
Inseln,  —  2.  die  kleinen  Sunda-Inseln,  —  3.  die  Molukken 
oder  Gewiirz  -  Inseln,  —  4,  die  Philippinen,  —  5.  die  Sulu- 
Inseln,  —  6.  die  Andamanen  und  Nikobaren. 

In  politischer  Beziehung  theilt  man  sie:  1.  General-Gouverne- 
ment  von  Niederlandisch-Indien,  —  2.  spanisches  General-Kapitanat 
der  Philippinen,  —  3.  unabhangige  Malay enstaaten. 

1.  Die  grossen  Suiida-Iiiseln. 

a)  Sumatra  (7474  Q  Meilen,  31/,  Millionen  Einwohner ;  darunter  hollandisch 
2000  D  Meilen  mit  2'/?  Millionen  Einwohner).  Die  Westkuste  ist  gebirgig 
und  gesund,  die  Ostkiiste  flach  und  vielfach  sumpfig.  Die  Insel  ist  reich 
an  Gold,  Diamanten,  tropischen  Gewachsen  nller  Art,  an  Eeis,  Zucker,  Sago, 
Kaffee,  Tabak,  Pfeffer  (Kampfer,  Benzoe,  Cassia).  In  den  Kiistenstadten  be- 
ginnt  die  Industrie  inBaumwolle  und  Seide,  Eisen,  Stahl  und  Gold  sich  zu 
entfalten.  Padang  (12.000),  eine  bliihende  Handelsstadt,  Sitz  des  hollan- 
dischen  Gouverneurs;  Benkulen  (12.000),  ein  befestigter  Handelsplatz  in 
ungesunder  Gegend;  Pal  e  mb  an  g  (25.000).  —  Unabhangige  Staa- 
ten:  der  Staat  Atschin  mit  der  gleichnamigen  Hauptstadt  an  der  Nord- 
westspitze  der  Insel;  das  Land  der  Batta  im  nordb'stlichen  Theile,  von 
heidnischen  Malayen  (Menschenfressern)  bewohnt.  —  Von  den  in  der  Nahe 
liegenden  Inseln  sind  Banca  und  Billiton  (vor  der  Ostkiiste)  erwahnens- 
werth.  Banca  wegen  seines  Reichthums  an  feinemZinn  (Banca-Zinn),  wo- 
von  jahrlich  an  40—50.000  Zentner  fiber  Batavia  nach  Europa  verladen 
werden;  Billiton  wegen  seiner  werthvollen  Eisenminen. 

6)  Java  (2325  Q Meilen,  10  Millionen  Einwohner).  Die  wichtigste  hollandi- 
sche  Besitzung  in  Indien,  wegen  der  ungemeinen  Fruchtbarkeit  und  Man- 
nigfaltigkeit  der  Produkte  eine  der  schonsten.  Kolonien  auf  der  Erde,  die 
,,Perle  in  der  Krone  der  Niederlande"  genannt.  Beilaufig  75%  der  Gesammt- 
flache  nehmen  die  hollandischen  Besitzvmgen  ein,  und  zwar  den  ganzen  west- 
lichen  Theil  und  die  Nordkiiste ;  im  Siiden  und  Osten  herrschen  eingeborne 
Hauptlinge.  Die  Bewohner  sind  Malayen,  chinesische  und  arabische  Han- 
delsleute,  Mischlinge,  Negersklaven,  welche  von  einigen  Tausend  Hollandera 
beherrscht  werden.  Hauptprodukte  der  Insel  sind:  Kaffee,  Zucker,  In- 
digo, Baumwolle,  Reis,  Cochenille,  Thee,  Pfeffer  und  alle  Fruchte  Indiens. 
An  der  Kfiste  wird  ferners  viel  Seesalz  gewonnen;  Metalle  hat  das  Land 
keine.  Der  Hauptsitz  der  hollandischen  Macht  ist  Batavia  (60.000);  in 
Folge  eines  Erdbebens  ist  die  Luft  so  ungesund  geworden,  dass  die  Stadt 
das  Grab  der  Europaer  genannt  wird.  Der  General-Gouverneur,  die  Behor- 
den,  die  Kaufleute  und  Wohlhabenden  wohnen  einige  Stunden  landeinwarts 
in  den  reizenden  und  gesunden  ,,Vorstadten  Batavias"  (Ryswik,  Nordwik, 
Molenvliet,  Buitenzorg  u.  a.),  und  kommen  in  das  verodete  Batavia  nur  herab, 
um  ihre  Geschafte  abzumachen.  Der  Handel  ist  stets  im  Steigen,  der  Ver- 
kehrswerth  mag  auf  100  Millionen  Gulden  (30  Millionen  Import,  70  Millio- 
nen Export)  jahrlich  sich  belaufen.  Die  niederlandischeHandels-Maatschappy 
besitzt  das  Monopol  des  chinesischen  Theehandels.  Sumatra  und  Java  ver- 
sorgen  einen  grossen  Theil  von  Malacca  und  Hinterindien  mit  Reis.  Ansehn- 
lich  sind  noch  die  Stadte  Samarang  (40.000)  und  Surabaya  an  der 
Nordkuste,  welche  Handel  treiben. 

c)  Borneo,  die  grosste  der  Sunda-Inseln,  an  13508  Q)  Meilen  gross,  gehort 
zu  den  wenigst  bekannten  Landern  der  alten  Welt  Die  Kiisten  sind  durch- 
gehends  flach,  sumpfig,  daher  ungesund;  das  Innere  soil  von  vielen  Gebir- 


397 

gen  und  grossen  Waldungen  angefiillt  sein.  Die  Bewohner  sind  roh  und 
grossen  Theils  noch  in  vieler  Wildheit.  Die  Naturprodukte  sind  im  Allge- 
meinen  die  gleichen  wie  auf  den  ubrigen  Sunda-Inseln ;  die  wichtigsten  sind 
Gold  (vorziiglich  an  der  Westkiiste),  Diamanten,  viel  Pfeffer,  der  beste  Kam- 
pfer.  Auf  der  West-  und  Siidkiiste  sind  diejhollandischen  Besitzungen,  mit 
den  Orten  Bandjermassin  und  Pontianak;  der  iibrige  Theil  der  Insel 
wird  von  zahlreichen  Hauptlingen  beherrseht.  Die  bier  lebenden  Chinesen 
raachen  ansehnliche  Handelsgeschafte  in  dem|Hafen  B6rneo  oder  Bouren 
(an  der  Nordwestkuste).  Auch  die  Englander  haben  eine  kleine'Niederlas- 
sung  begriindet. 

d)  Celebes,  beilaufig  3316  D  Meilen  gross,  besteht  eigentlich  aus  vier  Halb- 
inseln,  welche  nur  in  der  Mitte  des  Landes  zusammenhangen.  IGebirgsket- 
ten  (mit  mehreren  Vulkanen)  bilden  das  Gerippe  der,  Insel,  ^welche  gut  be- 
wassert  ist,  und  das  Klima  so  wie  die  Produkte  der  benachbarten  Inseln 
hat,  namentlich  sind  ergiebige  Goldwaschen  uud  bedeutende  Kaffeepflanzun- 
gen  hervorzuheben.  Der  siidlichste  und  nordlichste^Theil  gehort  den  Hol- 
landern, doch  sind  auch  die  iibrigen  kleinen  Gebiete  von  den  Hollandern 
abhangig.  Als  Handelsplatze  sind  bekannt:  Vlaardingen  (sonst  Ma- 
cassar) und  das  Fort  Rotterdam.  —  Um  CelebeSiliegt^ (vorziiglich  im 
Osten  und  Siiden)  eine  Unzahl  kleiner  Inseln. 

2.  Die  kleinen  Sunda-Inseln. 

Diese  ziehen  sich  von  der  Ostspitze  Java's  bis  gegen  Neu-Holland  bin.  Die 
meisten  sind  hochgebirgig,  vulkanisch,  sehr  fruchtbar,  von  Negerstammen  und 
Malayen  bewohnt,  welche  unter  dem  Einflusse  der  Hollander  stehen.  Die  wich- 
tigsten  sind :  Bali  (nahe  bei  Java)  und  L  o  m  b  o  k  wegen  der  Reisausfuhr 
nach  Australien,  guter  Baumwolle  und  der  geschatzten  Pferde  beachtenswerth ; 
S  u  m  b  a  v  a  mit  einer  hollandischen  Niederlassung ;  T  s]c  h  i  n  d  a  n  a  wegen 
der  vielen  Sandelholzwaldungen  auch  Sandelbosch  genannt ;  auf  F 1  o- 
r  e  s  waren  friiher  portugiesische  Niederlassungen  ;  die  grossen  Theils  ode  aber 
grosste  Insel  Timor  mit  dem  hollandischen  Hauptorte  K  u  p  a  n  g  und  dem 
portugiesischen  Hafenort  D  i  1 1  i.  Handelsgegenstande  bilden  :|jReis  ,|  Baum- 
wolle, Indigo,  Sago,  Tabak,  Zimmt,  Sandelholz  u.  a.  m. 

3.  Die  Molukken  oder  Gewurz-Inseln. 

Diese  Inseln  liegen  zwischen  Celebes  und  Neu-Guinea,  sind  den  Hollandern 
theils  mittelbar,  theils  unmittelbar  unterworfen  und  wegen  der  Hauptprodukte 
Gewiirznelken,  Muskatnusse  und  Sago  beruhmt  und  werthvoll.  Sie 
zerfallen  in  drei  Gruppen:  1.  die  siidlichen  Banda-Inseln  (Banda,  Timorlaut, 
Larat  u.  a.)  mit  Muskatnussbaumen,  Bliithe  und  Frucht  bilden  einen  sehr  ein- 
traglichen  Handelsartikel ;  nordwestlich  davon :  2.  die  Ambo'ina-Gruppe  (Am- 
bo'ina,  Ceram,  Euro  u.  a.)  mit  Gewurznelkenbaumen  und  Sagopabnen ;  3.  die 
eigentlichen  Molukken,  die  nordlichsten  (Dschilolo,  Temate,  Tidor  u.  a.) 

4.  Die  Philippineii. 

Sie  bestehen  aus  etwa  zwolf  grosseren  und  iiber  hundert  kleinen,  sehr  ge- 
birgigen,  vulkanischen  Inseln ,  nehmen  wahrscheinlich  iiber  6000  [J  Meilen  ein 
und  die  Bewohnerzahl  wird  auf  6  Millionen  geschatzt.  Die  Einwohner  sind  theils 
Papuas,  theils  Malayen.  Der  grossere  Theil  gehort  den  Spaniern.  Die  grosste 
Insel  ist  Luzon  oder  Manilla  (iiber  2500  Q Meilen)  mit  dem  Hauptorte  Ma- 
nilla (140.000).  Eines  der  Hauptprodukte  ist  Tabak;  die  k.  Cigarrenfabrik 
beschaftiget  iiber  5000  Menschen  und  soil  jahrlich  iiber  800  Millionen  Cigarren 
fur  den  Export  erzeugen.  Auch  Baumwolle,  Zucker,  Indigo  und  Hanf  werden 
ausgefiihrt.  Diese  Insel  ist  in  Hinsicht  auf  Klima,  Schbnheit  der  Landschaften 
und  Fruchtbarkeit  des  Bodens  einer  der  reichsten  und  schonsten  Erdstriche. 
Die  siidlich  von  Manilla  gelegenen  Inseln  heissen  die  bissajischen  Inseln. 
Die  siidlichste,  gleichfalls  sehr  fruchtbare  Insel  ist  Magindanao  oder  Min- 
danao (1200  G  Meilen)  mit  der  gleichnamigen  Hauptstadt  Die  spanischen 
Besitzungen  liegen  an  der  Nord-  und  Ostkiiste;  die  Bewohner  der  iibrigen  Ge- 
biete stehen  unter  muhamedanischen  Herrschern  und  treiben  viel  Seeriiuberei. 


398 

ter,  Scbildkrot  und  Sago ;  sie  stelien  unter  muhamedanischen  Herrschern.     Die 
bedeutendste  Insel  ist  Palawan. 

6.  Die  Andaittaneii  und  frikobaren. 

Beide  Inselgruppen  liegen  im  Meer  von  Bengalen,  nordlich  von  der  Nord- 
spitze'von  Sumatra.  Die  Inseln  sind  bergig,  rnit  undurchdringlichen  Waldern 
bedeckt  und  wegen  des  ungesunden  Klimas  sind  die  friiheren  europaischen  Nie- 
derlassungen  aufgegeben  worden.  Auf  den  (nordlicheren)  Andamanen  leben  Ne- 
ger,  welche  auf  der  niedersten  Stufe  der  Kultur  stehen  und  sich  fast  nur  von 
Fischen  nahren.  Die  Bewohner  der  Nikobaren ,  meist  Malayen,  leben  in  zer- 
streuten  Hiitten  und  Dorfern  ohne  Oberherrn,  und  treiben  fast  ausschliesslich 
Fischerei. 

C.  Das  chinesische  Reich. 

§.  159. 

Das  chinesische  Eeich  grenzt  in  Norden  an  das  asiatische 
Russland,  im  Westen  an  die  freie  Tatarei  und  Afghanistan,  im 
Siidwesten  und  Slid  en  an  die  indischen  Halbinseln,  im  Osten  an 
den  grossen  Ocean.  Auf  einer  Flache  von  mehr  als  230.000  GM. 
leben  an  360  bis  400  Millionen  Einwohner.  China  ist  der  bevol- 
kerteste  und  alteste  Staat  der  Erde. 

In  Beziehung  auf  die  Bodenbe  schaf  fenhei  t  gehb'rt  es 
zum  Hochlande  Hinterasiens  (siehe  §.  29).  Zwei  machtige  Ge- 
birge  begrenzen  dieses  Hochland:  im  Norden  das  Gebirgssystem 
des  Altai,  im  Silden  jenes  des  Himalaya;  das  dazwischen  lie- 
gende  Tafelland  von  Hochasien  durchziehen  die  Ziige  des  Kiien 
Lun  und  Thian  Schan.  Diese  Gebirgszuge  theilen  das  Tafel- 
land in  vier  Plateaulander :  Tubet,  die  hohe  Tatarei,  die  Dsungarei 
und  die  Mongolei  (siehe  S.  35).  Zwischen  dem  Hochlande  und 
dem  gelben  Meere  liegt  das  ausserordentlich  fruchtbare  und  muster- 
haft  angebaute  chinesische  Tiefland  (an  10.000  n^eilen  gross). 
Die  Mongolei,  sowie  der  ostliche  Theil  der  Dsungarei  und  der  ho- 
hen  Tartarei  sind  theils  baumlose ,  ode  Steppen,  theils  ist  es  die 
sandig-steinige  Wiiste  Gobi  oder  Schamo. 

China  ist  reich  an  grossen  und  wichtigen  F 1  ii  s  s  e  n ,  welche 
(namentlich  im  eigentlichen  China)  durch  unzahlige  Kanale  mit 
einander  verbunden  sind,  wodurch  sich  auf  den  fliessenden  Wassern 
ein  so  regerVerkehr  gestaltet,  \vie  vielleicht  nirgends  auf  der  Erde ; 
iiberhaupt  steht  das  ganze  Leben  und  Wirken  der  Bewohner  im 
innigsten  Zusammenhange  mit  der  grossartigen  Bewasserung.  In 
jeder  Beziehung  sind  die  bedeutendsten  Flusse  der  Amur,  der 
Hoang-Ho  (gelber  Fluss)  und  der  Yan-tse-Hiang  (blauer 
Fluss).  —  Siehe  S.  59. 

Bei  der  grossen  horizontalen  Ausdehnung  und  den  verschie- 
denen  vertikalen  Erhebungen  ist  das  Klima  sehr  ungleich;  im 
Ganzen  ist  es  im  Osten  und  Siidwesten  sehr  milde  (wie  in  Indien 
oder  Italien),  im  Norden  und  Nordwesten  ist  es  rauh  und  k'alter 
ala  in  Europa  unter  gleichen  Breitegraden.  An  den  Siidkiisten, 
wo  die  Jahreszeiten  noch  von  den  Monsunen  abhangen,  toben  haufig 
die  Teifuns. 


899 

Die  Bodenkultur  wird  musterhaft,  ja  gartenmassig  betrie- 
ben  und  liefert  den  hochsten  Ertrag.  Selbst  auf  Felsen  und  Ab- 
hange  wird  Erde  getragen ,  und  Flosse  auf  dem  Wasser  werden 
zu  Gartenbeeten  eingerichtet.  Die  wichtigsten  Handelsprodukte 
aus  dem  Pflanzenreiche  sind :  Thee,  Zucker,  Kampfer ,  Rhabarber, 
Zimmtkassia,  Bambusstocke  u.  a.  m.  Der  Viehstand  ist  bei  dem 
Mangel  an  Weidenplatzen  geringer,  am  starksten  ist  die  Zahl  der 
Schweine.  Ausserordentlich  stark  Jst  die  Kultur  der  Seidenwurmer 
und  Maulbeerbaume  in  dem  Vaterlande  der  Seide.  Die  chinesische 
Seide  iibertrifft  alle  bekannten  Sorten  an  Weisse,  Glanz  und  Weich- 
heit,  vorziiglich  die  im  ostlichen  China.  An  Miner  alien  hat 
das  Land  keinen  Mangel,  inebesondere  ist  es  reich  an  Eisen,  Zink, 
Zinn,  Blei,  Quecksilber  und  Kupfer;  vortrefflich  ist  die  Porzellan- 
erde.  In  der  gewerblichen  Industrie  haben  die  Chinesen, 
ohne  die  Maschinen  der  Europaer  zu  kennen,  grosse  Fortschritte 
geraacht ;  in  manchen  Zweigen  rivalisiren  sie  mit  den  Europaern. 
Ausgezeichnet  sind  ihre  Seidenstofle  und  Bander ,  Porzellan  und 
lackirten  Waaren ;  auch  in  Baumwollgeweben,  Papier,  Elfenbein- 
arbeiten,  kiinstlichen  Blumen,  Galanteriewaaren,  Draht-  und  Stroh- 
geflechten  leisten  sie  recht  Anerkennenswerthes.  Der  Binnenhan- 
del,  unterstiitzt  durch  zahlreiche  Kanale  und Hauptlandesstrassen, 
und  gefordert  durch  grossere  Freiheiten  als  der  aussere  Handel, 
soil  ausserst  lebhaft  sein.  Der  auswartige  Landhandel  fin- 
det  mittels  Karawanen  statt,  und  zwar:  mit  Russland  nach  Kjachta, 
mit  Turkestan  iiber  Jarkand,  mit  Indien  fiber  Tubet  (Lhassa),  nach 
den  Reichen  Birma  und  Anam.  Gegen  den  auswartigen  See- 
handel  herrschte  grosse  Abneigung  ,  doch  sind  demeelben  jetzt 
fiinf  grosee  Frei-Handelshafen  geoffnet  (Fu-tsch^u-fu,  Ning- 
pho,  Amoy,  Kan  ton  und  Schanghai).  Am  starksten  be- 
theiligen  sich  daran  die  Engender  und  Nordamerikaner ,  dann 
Hollander,  Spanier,  Portugiesen  und  Franzosen.  Es  ist  nicht 
zu  zweifeln ,  dass  dieser  Handel  noch  grosse  Ausdehnung  ge- 
winnen  wird. 

Die  grosse  Masse  der  Bewohner  besteht  aus  Chinesen;  das 
herrschende  Volk  aber  sind  die  Mandschu,  zu  welchen  auch 
die  kaiserliche  Familie  gehort.  Die  Chinesen  sind  eines  der  alte- 
sten  Kulturvolker.  Stolz  auf  das  Alter,  die  Macht  und  Kultur 
ihres  Stammes,  halten  sie  zahe  an  alien  Gebrauchen,  verachten  die 
Fremden  als  JBarbaren ,  wahrend  sie  ihr  Land  »das  himmlische 
Reich,"  ihren  Kaiser  »Sohn  des  Himraels"  nennen.  Der  Charakter 
der  Chinesen  wird  von  alien  Reisenden  mit  ausserst  ungunstigen 
Farben  geschildert;  sie  werden  als  feige,  entsittlicht  und  yer- 
weichlicht,  unmenschlich  gefiihllos,  schmutzig  eigenniitzig  bezeich- 
net.  Ihre  Sprache  gehort  zu  den  einsilbigen ,  flexionslosen  (siehe 
§.  69);  far  jeden  Begriff  besteht  ein  eigenes  Schriftzeichen. 

Die  Verfassung  des  Staates  ist  unumschrankt  monarchisch. 
Die  Statthalter  und  hochsten  Reichsbeamten  heissen  Mandarine. 
Das  Innere  des  Reiches  ist  gegen  die  Fremden  abgesperrt.  In  Tubet 
ist  eine  durch  chinesische  Statthalter  beaufsichtigte  Priesterherr- 


400 

schaft.     Die  Nomadenstamme    stehen    unter  raehr  oder  weniger  ab- 
hangigen  Hauptlingen. 

Das  Gesamnatreich  wird  eingetheilt  in  :  1.  das  ei  gentliche  China, 
—  2.  die  unterworfenen  Nebenlauder,  —  3.  die  unter  chinesischem 
Schutze  stehenden  Vasallen-Staaten. 


I.  Das  eigentliche  China   (beilaufig   72.000  QMeilen  mit 
350  Millionen  Einwohnern)  wird  in  18  Provinzen  eingetheilt  *). 

Die  Zahl  der  Stadte  ist  sehr  gross,  ihre  Einwohnerzahl  sehr  bedeutend.  Meh- 
rere  haben  fiber  erne  halbe  Million  Einwohner,  sehr  viele  zwischen  100.000  und 
300.000.  Es  ist  im  Nordwesten  und  Westen  sehr  gebirgig,  der  mittiere  ostliche 
Theil  ist  eine  ausserst  fruchtbare,  musterhaft  angebaute  Niederung,  von  den  bei- 
den  grossten  Stromen  bewassert,  von  zahllosen  Kanalen  durchschnitten.  Im  Nor- 
den  steht  die  beruhmte,  fast  300  Meilen  lange  chinesische  Mauer,  schon  vor  2000 
Jahren  zum  Schutze  gegen  die  Einfalle  der  Barbaren  erbaut,  jetzt  nutzlos  und 
imVerfalL  —  Das  Hauptprodukt  ist  Thee,  wo  von  jahrlich  an  90  Millionen  Pf  und 
exportirt  werden  (etwa  50  nach  England,  20  nach  Nordamerika,  8  nach  Kussland), 
danii  Seide  und  Baumwolle.  Grosser  Reichthum  ist  an  Eisen,  Blei,  Zinn  und 
Kupfer,  sowie  an  Erdarten,  woraus  Porzellan  (chin.  Tski)  gemacht  wird.  An- 
sehnlich  sind  noch  die  Bereitung  von  Papier  und  Tusch.  —  Bedeutende 
Orte  sind: 

Peking,  die  Kesidenz  des  Kaisers,  iiber  2  Millionen  Einwohner,  Universitat, 
kaiserliche  Bibliothek  ((mit  300.000  Banden),  zahlreiche  Fabriken,  prachtvolle 
Kaufladen,  [ungemein  lebhafter  Handel';  —  Nanking  (1  Million  Einwohner), 
Hauptsitz  der  chinesischen  Gelehrsamkeit  ;  bedeutende  Fabriken  in  Baumwolle 
(Nankingstoffe)  und  Seide  ;  wenige  Meilen  siidlich  davon  die  den  Europaern  geb'ff- 
nete  Hafenstadt  Schanghai;  —  Kanton  (1  Million  Einwohner),  viele  Fabri- 
ken, Hafen,  Mittelpunkt  des  europaisch-chinesischen  Handels;  die  Europaer  kb'n- 
nen  nur  mit  einer  Handelskompagnie  (Hong-Kaufleute)  Handel  treiben.  Im  Meer- 
busen  Bocca  Tigris  vor  Kanton  liegen  mehrere  Inseln  :  bei  der  Insel  Wampu 
legen  die  europaischen  Schiffe  an,  auf  der  englischen  {  Insel  Hongkong  bliiht 
die  Stadt  Viktoria  rasch  empor,  auf  der  portugiesischen  Insel  Macao  liegt 
die  gleichnamige  Stadt.  —  Hangt-tscheu-fu,  Stapelplatz  ^fur  den  Handel 
mit  schwarzem  Thee;  Nan-tschang-fu,  Mittelpunkt  des  Porzellanhandels  ; 
King-te-tschin,  ein  Dorf  mit  1  Million  Einwohner,  Hauptort  fur  die  Por- 
zellanfabrikation  mit  mehr  als  3000  Oefen.  Zu  China  gehort  auch  die  Insel 
Hainan  und  die  von  vulkanischen  Gebirgsketten  durchzogene  Insel  Formosa 
oder  T.aiwan. 

II.  Die  uiiterworfenen  Nebenlauder. 

1.  Die  Mandschurei  (oder  Tungusien,  auch  A  m  u  r- 
\4  a  n  d). 

Der  nordostlichste  Theil  des  hinterasiatischen  Hochlandes  (mehr  als  30.000 
QMeilen  gross)  senkt  sich  gegen  Osten  und  lasst  nur  einen  schmalen  Kiistenstrich 
iibrig.  Das  Klima  ist  streng,  der  Winter  dauert  von  Ende  September  bis  Mitte 
April,  die  Fltisse  frieren  zu,  die  Ka'lte  steigt  bis  30°  K.  ;  dagegen  ist  der  Sommer 
sehr  heiss,  die  Vegetation  in  dieser  Jahreszeit  iippig,  der  Boden  im  Ganzen 
fruchtbar,  doch  ausserst  diinn  bevolkert.  Herrliche  Walder  voU  Pelzwild 
und  gute  Weiden  sind  zahlreich.  Die  Bewohner  sind  Nomaden,  Hirten  und 
Fischer;  nur  die  hieher  verbannten  Chinesen  treiben  Ackerbau.  Der  wichtigste 
Fluss  ist  der  fischreiche  Amur.  Einen  grossen  Theil  der  Mandschurei  haben 
die  Russen  in  Besitz  genommen.  Auch  der  nordliche  Theil  der  Insel  Karafta 
(oder  Sachalin,  oder  Tarakai)  gehort  hierher.  Das  Meer  ist  wegen  der  haufigen 


*)  Die  Provinzen  werden  in  Bezirke  (Fu),  diese  in  Kreise  (Tschdu)  und  diese  in 
Distrikte  (Hian)  eingetheilt.  Die  Stadte  haben  keine  besondern  Namen,  sondern  man 
bezeichnet  sie  mit  dem  Namen  des  Bezirkes,  des  Kreises  und  des  Distriktes,  dessen 
Hauptstadt  sie  sind,  vermittelst  der  Anfiihrung  der  Worte  Fu,  Tsch^u  und  Hian. 


401 

Nebel  den  Schiffen  gefahrlich.  Stadte  von  einiger  Bedeutung  sind:  Mukden 
(Schinjang)  mit  dem  Sitze  der  Regierung;  Girin-Ula  am  Songari;  Sacha- 
lin-Ula  (oder  Aigun)  am  Amur,  treibt  starken  Pelzhandel. 

2.  Die  Mo  ngole  i. 

Im  Westen  der  Mandschurei  (mit  unbestimmter  Grenze)  breitet  sich  das  Hoch- 
land  der  Mongolei  auf  der  Scheitelflache  Hochasiens  aus.  Die  Grosse  wird  zwi- 
schen  50.000  und  90.000  QMeilen  angegeben;  doch  gehb'rt  das  Land  zu  den 
wenigst  bekannten  Erdstrichen.  Einen  grossen  Theil  des  b'den,  unfruchtbaren  Lan- 
des  nimmt  die  Hochwiiste  Schamo  oder  Gobi  ein,  welche  nur  Handelskarawa- 
nen  zwischen  China  und  Russland  durchziehen;  nur  einzelne  Landstriche  sind 
grasreiche  Steppen,  manche  Thaler  haben  reiche  Vegetation.  Die  grb'ssten  Strb'me 
Asiens  haben  auf  dieser  Hochflache  ihre  Quellen  (Irtisch,  Jenisei,  Selenga,  Amur, 
Hoang-Ho,  Yan-tse-Kiang).  Ausserdem  gibt  es  viele  Steppenfliisse ,  welche  sich 
in  salzige  Binnenseen  (Balkasch,  Dsaisang,  Kuku-noor)  ergiessen.  Das  Klima  ist 
nur  in  den  siidlicheren  Thalern  gemassigt,  sonst  ausserst  strenge.  Die  wichtig- 
sten  Produkte  aus  dem  Pflanzenreiche  sind  Ginseng  und  Rhabarber  (in  der  Ge- 
gend  des  Kuku-noor).  Viele  unserer  Hausthiere  kommen  hier  im  wilden  Zustande 
vor.  Die  Bewohner  (etwa  3  Millionen)  sind  Nomaden,  deren  Khane  unter  chine- 
sischer  Oberhoheit  stehen.  Die  wenigen  Stadte  und  Db'rfer  bestehen  meistens  nur 
aus  wenigen  Filzhiitten  (Jurten).  Am  nordlichen  Rande  der  Mongolei  (auch 
Dsungarei  oder  Kalmiikenland  genannt)  liegt  die  Hauptstadt  Urga  (oderKurgen), 
der  fiir  heilig  gehaltene  Ort  des  mongolischen  Buddhaismus  und  nebst  Mai- 
matschin  (gegeniiber  dem  russischen  Grenzorte  Kjachta)  der  wichtigste  Stapel- 
platz  aller  Waaren  des  russisch-chinesischen  Tauschhandels. 

3.  Die    hohe    Tartarei   (oder    ..Os  t-Tur  kestan ,"    die 
«kleine  Bucharei,"    .Ost-Ds  chag  atei,"  das  »Land    Tur- 
fan"  genannt). 

Grosstentheils  eine  wiiste  Hochebene  (20.000  bis  25.000  nMeilen  gross,  mit 
beilaufig  l'/2  Millionen  Einwohner);  nur  an  den  Fliissen,  namentlich  am  Tarim 
(oder  Jarkiang)  findet  sich  fruchtbares,  gut  angebautes  Land,  welches  ausgezeich- 
nete  Melonen,  Getreide,  Obst,  Wein  und  Baumwolle  liefert.  Da  ein  grosser  Theil 
der  Bevolkerung  ein  nomadisirendes  Leben  ftihrt,  so  ist  die  Viehzucht  von  Bedeu- 
tung ;  die  Stammhaupter  sind  von  China  abhangig.  In  den  Stadten  und  Dbrfern 
wohnen  persisch  redende  Muhamedaner,  welche  Handel  treiben.  Bekanntere  Orte 
sind:  Turfan,  ein  Stationsplatz  fiir  die  aus  China  nach  Westen  ziehenden  Ka- 
rawanen;  in  Kaschgar  ist  der  Sitz  des  chinesischen  Statthalters,  die  Einwohner 
treiben  verschiedene  Gewerbe  und  ansehnlichen  Handel;  der  bedeutendste Ort  ist 
Jarkand  (200.000),  der  Mittelpunkt  des  Handels  nach  den  benachbarten  Lan- 
dern.  Die  Einwohner  arbeiten  in  Seide,  Baumwolle  und  Leinen ;  bis  hieher  gehen 
die  chinesischen  Karawanen,  und  hier  treffen  Kaufleute  aus  dem  fernsten  Westen 
ein,  welche  Kashmirshawls,  Edelsteine,  Moschus  bringen,  um  sie  gegen  Thee, 
lackirte  Waaren,  Porzellan  u.  dgl.  zu  vertauschen.  H  a  m  i  (oder  Komun)  liegt  in 
einer  fruchtbaren  Oase,  welche  viel  Weintrauben  und  Melonen  liefert ;  A  k  s  u  lie- 
fert viel  Baumwollenzeuge  und  treffliche  Jaspisarbeiten. 

III.  Die  tributpflichtigen  Staaten. 

1.  Tiibet  (oder  Tibet). 

Dieses  grossartigste  Hoch-  und  Gebirgsland  der  Erde,  mit  einer  Gesammtflache 
zwischen  25.000  bis  30.000  Q  Meilen  und  mit  Plateau-  und  Thalflachen  von 
8000  bis  15.000'  wird  von  beilaufig  5  Millionen  Menschen  bewohnt  und  liegt  zwi- 
schen dem  Himalaya  mit  den  hochsten  Schneegipfeln  der  Erde  und  dem  Kiien- 
Liin.  Die  grossen  Flusse  (Indus,  Brahmaputra,  Irawaddy  u.  a.)  haben  hier  ihre 
Quellen;  zahllose  Bache  stiirzen  in  den  herrlichsten Wasserfallen  aus  den  Glet- 
schern,  viele  und  grosse  Seen  breiten  sich  in  den  Hochgebirgslandschaften  aus. 
Der  Boden  ist  meist  wenig  fruchtbar  und  deckt  trotz  der  fleissigen  Bebauung 
nicht  den  Bedarf.  Die  Hauptbeschaftigung  bildet  die  Viehzucht;  Fleisch,  Milch, 
Butter  und  Kase  sind  die  wichtigsten  Nahrungsmittel.  Unter  den  Thieren  sind 
bemerkenswerth :  der  Biiffel  mit  dem  schon  behaarten  Pferdeschweife ,  der  zum 
Putze  sehr  geschatzt  wird  ;  die  Schafe  mit  sehr  feiner  Wolle ;  die  tube  tanische 
Ziege  liefert  das  Hauptmaterial  fiir  die  Kashmirshawls,  und  das  Moschusthier. 
Tiibet  ist  der  Hauptsitz  des  Buddhaismus  und  Lamaismus.  Die  vielen  pracht- 
Klim's  nandels-Geof^raphie.  t.  Aufl.  26 


402 

vollen  Tempel  und  Kloster  niit  Schulen  und  Bibliotheken  sind  die  Sitze  der  Ge- 
lehrsamkeit  An  der  Spitze  steht  der  Dalai-Lama,  ihm  zunachst  der  Bogdo-Lama ; 
beide  stehen  unter  dem  Schutze  des  chinesischen  Kaisers  und  erhalten  von  den 
vielen  Staaten  Tiibets  einen  Tribut.  Die  religiosen  Verhaltnisse  greifen  tief  in 
alle  biirgerlichen  Zustande  ein.  Hauptstadt  mit  dem  Sitze  des  Dalai-Lama  ist 
Lhasa  a  (80.000)  mit  prachtigen  Tempeln,  Klostern,  ansehnlichem  Gewerbefleisse 
und  Handel.  Der  Bogdo-Lama  residirt  in  Teschu-Lumbu. 

2.  Korea. 

Die  Halbinsel  ist  ein  reich  bewassertes  Gebirgsland.  Die  Ostkiiste  ist  schroff 
und  gefahrlich,  die  Westkuste  minder  steil  und  hat  gute  Hafen ;  vor  der  West- 
und  Siidkiiste  liegen  ungemein  viele  kleine  Inseln.  Die  Bewohner  (5  bis  8  Mil- 
lionen)  sind  fleissige  Landbauer ,  geschickte  Gewerbsleute ,  welche  Seiden-  und 
Baumwollenzeuge,  vorziigliches  Papier,  guten  Firniss  u.  a.  m.  erzeugen,  und  un- 
ternehmende  See-  und  Handelsleute ,  die  aber  nur  mit  China  und  Japan  Handel 
treiben ;  alien  andern  Nationen  ist  Korea  ganzlich  verschlossen.  Die  Hauptstadt 
Han -y an  (nach  Andern  King-ki-tao)  soil  in  der  Mitte  des  Landes  zwischen 
zwei  Fliissen  liegen. 

3.  Likejo-  (oder  Lieu-Khieu-)  Inseln. 

Dieser  Staat  besteht  aus  zwei  Inselgruppen,  die  nb'rdlichen  Lieu-Khieu,  die  siid- 
lichen  Madschicosima  genannt;  er  liegt  nordlich  von  der  Insel  Formosa.  Die  Be- 
volkerung,  aus  etwa  einer  halben  Million  Chinesen  und  Japanesen  bestehend, 
baut  Reis,  Thee,  Siidfriichte ,  Zucker,  Kaffee  und  Wein;  sie  weben  Seiden-  und 
andere  Zeuge,  und  treihen  eine  lebhafte  Schiffahrt  mit  China  und  Japan,  wohin 
der  Beherrscher  tributpflichtig  ist.  Die  Residenz  ist  King-tsching  auf  der 
Insel  Gross-Lieu-Khieu ;  auf  der  Nordwestkiiste  dieser  Insel  liegt  der  Handelsplatz 
Wapakiang. 

China  betrachtet  auch  die  Staaten:  Nepal,  But  an,  Si'am  und  An  am  als 
seine  Vasallenlander. 

Xxl.t'.?  5*M  COV;'*  <MHa»#tf.'j-(i 

VI.  Das  japanische  Reich. 

g.   160. 

Das  Kaiserthum  Japan  besteht  aus  vier  grosseren  und  vielen 
kleineren  Inseln,  mit  einer  Gesammtflache  von  beilaufig  8000  QM. 
und  ist  bewohnt  von  etwa  30  Millionen  Einwohnern.  Das  japanische 
Meer  scheidet  diese  Inselgruppe  von  Ostasien.  Die  Inseln  sind 
hochgebirgig,  mit  vielen  iiber  12.000'  hohen  Schneebergen  und  der 
Hauptsitz  vulkanischer  Erscheinungen.  —  Mehrere  der  zahlreichen, 
doch  unbedeutenden  Flusse  sind  fur  Barken  schiffbar;  auch  die 
Zahl  der  Seen,  der  warmen  und  sonstigen  Mineralquellen  soil  er- 
heblich  sein.  Ausserdem  gibt  es  viele  Bewasserungs-  und  Schiff- 
fabrtskanale.  Das  japanische  Meer  ist  wegen  seiner  Stiirme  und 
Nebel  beriichtigt.  —  Das  K  lira  a  ist  nach  Verschiedenheit  d^r 
Bodenerhebung  und  horizontalen  Ausdebnung  verschieden  ;  im  All- 
gemeinen  ist  der  Winter  strenge  und  schneereich,  der  Sommer  sehr 
heiss.  Der  haufige  Rfgen  befordert  die  Fruchtbarkeit  des  Bodens; 
Gewitter  und  Orkane  sind  im  Juni  und  Juli  sehr  heftig.  Der  Bo- 
den  ist  zwar  nicht  be^onders  fruchtbar,  allein  die  Bebauung  so 
fleissig  und  musterhaft ,  wie  vielleicht  in  keinem  Lande  der  Erde. 
Unter  den  Kulfurpflanzen  nimmt  der  vorzQgliche,  in  grosser  Menge 
gebaute  Reis  die  erste  Stelle  ein;  er  ist  die  Hauptnahrung  der 
Japaner.  Dessen  Stroh  wird  wie  in  China  zu  Papier  und  vieler- 
lei  Geflechten  verwendet.  Auch  andere  Getreidearten ,  Obst  und 
Siidfriichte  werden  im  Ueberflusse  gewonnen.  Der  Theestrauch' 
wird  im  ganzen  Lande  gebaut,  der  beste  auf  Nipon.  Der  Anbau 


403 

der  Baumwolle  geschieht  sehr  sorgfaltig  und  in  grosser  Ausdeh- 
Bung.  Die  Japaner  kleiden  eich  uberwiegend  in  Baumwollstoffe, 
die  Watte  vcrtritt  die  Stelle  der  Pelze  und  Matrazen ,  und  au8 
Baumwolle  wird  feines  Papier  fabrizirt.  Tabak  und  Kampfer  sind 
sehr  verbreitet;  schlieeslich  verdienen  Hanf,  Zuckerrohr,  Firniss- 
baume,  Sago  (die  seltenste  und  theuerste  Sorte)  besondere  Her- 
vorhebung.  —  Von  animalischen  Produkten  sind  fur  den  Handel 
wichtig:  die  Seide ,  welche  in  Menge  gewonnen  und  verarbeitet 
wird,  und  die  Perlen,  sowie  Korallen,  Schildkrot.  Hochst  wichtig 
ist  die  Fischerei ,  dagegen  die  Pflege  der  europaischen  Hausthiere 
sehr  vernachlassigt,  weil  die  Japaner  selten  Fleisch  geniessen  und 
meist  nur  von  Vegetabilien,  Eiern  und  Fischen  leben.  —  Unter  den 
Met  alien  iet  das  Kupfer  als  das  feinste  btkannt  und  findet  sich 
in  grosser  Menge,  dessgleichen  Gold  und  Silber;  wenig  aber  sehr 
feines  Zinn ,  ausgezeichnet  schones  Eisen ,  woraus  vortreff  liche 
Klingen  und  Stahlarbeiten  verfertiget  werden. 

In  der  gewerblichen  Industrie  stehen  die  Japaner  un- 
ter  alien  ostlichen  Volkern  am  hochsten.  Ihre  Seiden-,  Gold-  und 
Silberstoffe,  das  ausgezeichnete  Porzellan,  die  Tischler-  und  Drechs- 
lerarbeiten,  lackirten  Waaren,  die  beruhmten  Stahlarbeiten,  Degen- 
klingen  u.  e.  w.  zeigen  von  der  grossen  Be'riebsamkeit ,  der  Kunst 
und  dem  Geschmacke  dieses  Kulturvolkes.  Auch  Glas,  Uhren, 
optische  Instrumente  und  dergleichen  werden  in  neuester  Zeit  er- 
zeugt,  indessen  Papier  und  Pulver  fruher  ale  in  Europa  fabrizirt 
worden  sind. 

Der  inn  ere  Handel,  begunstigt  durch  gute  Landstrassen, 
zahlreiche  Kanale  und  die  reichgegliederte  Kuste,  soil  lebhaft  sein. 
Dem  Auslande  gegeniiber  war  Japan  streng  ab^esperrt ,  nur 
Chinesrn  und  Hollander  durften  in  Nangasaki  (auf  Kiusiu)  Han- 
del treiben ;  gegenwartig  sind  funf  Hafen  den  seefahrenden  Nationen 
g(  Offnet. 

Die  Japaner  sind  das  aufgeklarteste  Volk  Asiens,  welches  in 
alien  Zweigen  der  Kulfur  (soweit  es  bei  der  Abgeschlossenheit  mog- 
lich  war)  grosse  Fortschritte  gemacht  hat.  Zahlreiche  Schulen 
pflegen  den  Volksunterricht,  in  den  hoheren  Anstalten  werden  die 
Wiesenechaften  eifrig  betrieben.  Leider  steht  die  Sittlichkeit  des 
Volkes  auf  sehr  niederer  Stufe.  Sie  bekennen  sich  zum  Buddhais- 
mus,  doch  hat  sich  auch  die  Religion  des  Sinto  erhalten  sowie  die 
des  Cocfuciup.  —  Die  Staatsverfaesung  ist  deepotisch.  Das  geist- 
liche  Oberhaupt  (Dai'ri  Sama)  residirt  zu  Miako,  das  weltliche 
(Kubo)  zu  Jeddo. 

Bcmerkonswerthe  Orte  sind : 

1.  Insel  Nipon  (oderNiphon,  uber  4000  D Meilen) :  Jeddo  (I1/,  bis  2  Mil- 
lionen  Einwohner),  Miako  (600.000),  beide  mit  ausgedehnter  Industrie,  die 
Ilauptstadte  des  Reiches ;  —  dieHafenstadt  Osaka  (250.000)  eine  der  reich- 
sten  und  grossten  Handelsstadte,  der  Hafen  von  Miako. 

2.  Insel  Kiusill  (oder  Ximo,  an  800  nMeilen):    Nangasaki  (70.000),  be- 
riihmter  Handelsplatz.     Die  Hollander  besitzen   im  Hafen   die  kleine  Insel 
Desima. 

3.  Insel  Sikok,  noch  von  keinem  Europaer  beb-eten ;  sie  soil  eben  so  bevbl- 
kert  und  gut  angebaut  sein  als  die  vorige. 

•i.  I  use  1  Jesso,  deren  Inneres  ebenfalls  ganzlicb  anbekauut  ist;  nur  der  siid- 

26* 


liche  Theil  soil  gut  angebaut  und  bevolkert  sein,  der  nb'rdliche  hat  ein  sehr 
rauhes  Klima.     Die  vorzuglichste  Stadt  1st  Matsmai. 

5.  Inscl  Sachalin  (Karafta  oder  Tarakai)  gehort  nur  im  siidlichen  Theile  zu 
Japan.  Von  den  Kurilen  sind  Kunaschir  und  Iturup  japanisch. 

VII.  Turan 

(oder    Turkestan,  aucTi  die   freie  Tatarei,   die  Dschagatei,  die  grosse 
Bucharei  genannf). 

§.   161. 

Im  Norden  von  Iran,  zwischen  dem  Caspi-See,  Russland  und 
dem  chinesiBchen  Reiche  liegen  die  Lander,  welche  m?n  mit  dem 
gemeinschaftlichen  Namen  Turan  bezeichnet.  Der  Flacheninhalt 
wird  auf  30-  bis  38.000  QMeilen  (nach  Andern  fiber  5  3.000  M. 


angenommen.  Nur  im  Oaten  und  Stiden  ist  das  Land  gebirgig. 
Die  westlichen  und  nordwestlichen  Auslaufer  des  Thian  Schan,  der 
Kamm  und  der  Nordabfall  des  Hindo  Kho,  die  Abhange  des  Belur 
Tagh  mit  anmuthigen  Thalern  nehmen  jedoch  nur  einen  verhalt- 
nissmassig  geringen  Raum  ein  ;  der  groaste  Theil  ist  das  turanische 
Tiefland,  theils  Hiigelland,  theils  ein  fast  ununterbrochenes,  baum- 
loses,  von  Ost  nach  West  sich  senkendes  Steppen-  und  Wiistenland, 
welches  nur  in  einzelnen  Oasen  und  an  Flussufern  anbaufahig 
ist,  Im  Norden  hangt  es  mit  dem  sibirischen  Tieflande  und  den 
Kirgisen-  Steppen  zusammen. 

Im  Westen  ist  der  Caspi-See,  welcher  aus  Turan  nur 
eehr  unbedeutende  Zufliisse  erh'alt;  in  den  Aral  -See  miinden  der 
Amu  (oder  Gihon,  Oxus)  und  der  Sir  (oder  Sihon,  Jaxartes). 
Ausserdem  gibt  es  zahlreiche  Steppenflusse.  —  Das  Klima  ist 
verschieden.  Die  hohen  Gebirgsregionen  sind  mit  Schnee  bedeckt, 
die  Mittelgebirgslandschaften  haben  gemassigtes,  die  Thaler  war- 
mes  Klima.  Der  Sommer  ist  in  den  Ebenen  gluhend  heiss,  der 
Winter  sehr  etrenge  und  schneereich;  Regen  fallt  im  Fruhlinge 
und  Herbste. 

Die  vorherrschende  Beschaftigung  bilden  der  Ac  kerb  au  und 
die  Viehzucht.  Ersterer  liefert  Getreide,  Reis  ,  Baumwolle, 
Flachs,  Tabak,  Sudfriichte  und  vortreffliche  Melonen;  letztere 
schSne  Pferde,  Kameele,  Rindvieh,  Schafe  mit  Fettschwanzen. 
Der  Bergbau,  obwohl  vernachlassigt  ,  gibt  vorziiglich  schone 
Tiirkise,  Rubine  und  Lasursteine,  auch  die  Gewinnung  von  Stein- 
kohlen  ,  Steinsalz  ,  Naphta  (im  Caspi  -  See)  ist  ansehnlich.  Der 
Karawanenhandel  mit  Indien,  China,  Persien  und  Russ- 
land  ist  ziemlich  bedeutend;  leider  ist  der  Sklavenhandel  noch  im- 
mer  sehr  lebhaft. 

Die  Einwohner,  etwa  6  Millionen,  sind  tatarischer  Abstammung, 
theils  Heiden,  theils  Muhamedaner.  Die  Hauptstamme  sind  diells- 
beken  und  Kirgisen  (Kara  Kirgisen  =  schwarze  Kirgisen)  im  Osten, 
die  Turkomanen  (Turken)  im  Westcn,  die  civilisirtesten  sind  die 
Bucharen  (oder  Tadschiks),  welche  Ackerbau,  Gewerbe  und  Handel 
treiben  und  Stadte  bewohnen. 

Die  verschiedenen  Stamme  fuhren  theils  ein  Nomadenleben, 
theils  sind  eie  in  despotischcn  Monarchien  vereinigt.  Jeder  Stamm 


405 

hat  semen  Khaii,    doch    sollen  die  meisten  den  Khan    von  Buchara 
als  Oberhaupt  anerkennen. 
Eintheilung  nnd  Orte  : 

1.  Klnumt  Buchara:    Buchara  (150.000)  eine  der  grossten  Stadte  im  In- 
nern  Asiens,  mit  bedeutender  Baumwollen-,  Wollen-  und  Seidenfabrikation, 
Leder-  und  Waffenbereitung,  vielen  Bazars  und  Karawansereien.  Mittelpunkt 
des  gesammten  Handelsverkehrs.    Von  bier  gehen  Karawanen  nach  Chiwa, 
an  das  kaspische  Meer,  nach  Astrabad,  Herat  und  Kabul.    Sehr  wichtig  ist 
die  Verbindung  mit  Orenburg  und  Astrachan.     Buchara    ist   der  Markt   fur 
alle  Erzeugnisse  Russlands  und Mittelasiens.   Samarkand,  einst  beruhmter 
Sitz  muhamedanischer  Gelehrsamkeit ;  der  prachtvolle  Sitz  Timurs  (f  1405) ; 
erzeugt  das  beste  Seidenpapier  in  Asien.     Balk    (Bactra)  treibt  wegen  der 
guten  Lage  noch  immer  bedeutenden  Handel,  ist  jedoch  von  seiner  einstigen 
Grb'sse  sehr  herabgekommen. 

2.  Khanat  Khokand:    Khokand  (60.000  E.),  als  Handelsplatz  bekannt, 
Taschkend   (40.000)  mit  Seiden-  und  Baumwollwebereien. 

3.  Khanat  Chiwa:  Chiwa  (20.000)  in  einer  gartenmassig  angebauten,  frucht- 
baren  Gegend  mit  starkem  Karawanenhandel ;  der  grosste  Sklavenmarkt  in 
Turkestan.    —    Zwisehen   dem  Aral-   und  dem  Caspi-See   ist  eine  sandige, 
meist  unfruchtbare  Steppe  (Truchmenen-Land),  und  in  einer  Oase  die  einst 
bliihende,  jetzt  verfallene  Stadt  Merw. 

4.  Khanat  K  mid  us  (am  Westabhange  des  BelurTagh):  Feizabad  mit  be- 
riihmten  Rubingruben  und  Briichen  von  Lasurstein ;  Badachschan,  eben- 
falls  mit  Rubingruben.  —  Zwisehen  Kundus  und  Buchara  sind  die  Khanate 
Darwas    und  Hissar.     An   den  Abhangen   des  Thian  Schan   leben    die 
Nomadenstamme  der  Kara-Kirgisen  und  Buruten. 

VIII.  Asiatisches  Russland. 

S-  168. 

Als  eine  Fortsetzung  des  europaischen  Ruasland  breitet  sich 
das  asiatische  vom  Ural  bis  an  den  grossen  Ocean  und  das  Beh- 
ringsmeer  aus ;  die  Nordgrenze  bildet  das  nordliche  Eismeer,  im 
Siiden  sind  Turan  und  China  die  Grenzlander.  Zwisehen  dem  schwarzen 
und  kaspischen  Meere  liegen  die  Kaukasuslander,  welche  man 
zusammenhangend  haufig  zu  Europa  rechnet,  obwohl  der  Charakter 
des  Landes  und  der  Bevolkerung  ein  iiberwiegend  asiatischer  ist. 
Zwischen  dem  Ural,  dem  Caspi-See  und  dem  Irtisch  dehnt  sich  die 
Kirgisensteppe  aus,  an  welche  sich  in  nordostlicher  Richtung 
Sibirien  anschliesst,  zu  welchem  administrativ  auch  das  neuer- 
worbene  Amurland  hinzugerechnet  wird*  Der  wichtigste  Bestand- 
theil  des  asiatischen  Russland  ist  Sibirien;  das  gesammte  Gebiet 
diirfte  eine  Flache  von  nahezu  273.000  Q  VIeilen  einnehmen  und  die 
Bevolkerung  betragt  fiber  8  Millionen. 

I.  Sibirien  (mit  dem  Amurland  an  263.000  QMeilen,  5  Mil- 
lionen Einwohner). 

Sibirien  ist  im  weatlichen  und  nordwestlichen  Theile  Tiefland, 
im  siidlichen   und  ojtlichen  Theile  zieht  sich    vom  Irtisch   bis  zum 
Ostkap  (an  der  Bshringsstrasse)  das  Altaigebirge  als  Nordrand 
des  hinterasiatischen  Hochlandes.     Es  zerfallt  in  mehrere  Gruppen: 
a)  das   wilde  Gebirgsland  des   kleinen  und  grossen  Altai  mit 
vielen  Schneebergen,  Gletschern  und   wichtigem  Bergbau   zwischen 
dem  Irtisch,  der  Selenga,  dem  Baikal-See  und  der  unteren  Angara; 
—  b)  dag  metallreiche  daurische  Alpenland  zwischen  den  Fluss- 
thalern  der  Lena  und  des  Witim;  —  c)  das  wilde,  junzug&ngltche, 


406 

eumpfreiche  Bergland  des  nordostlichen  Sibirien  (Jablanoi-, 
Aldanisches-  und  Stanowoigebirge)  bis  zum  Ostkap;  —  d)  das  an 
Schneebergen  und  Vulkanen  reiche  Bergland  von  Kam  tech  atka. 
—  In  diesem  Berglande  haben  machtige  Stroine  ihre  Quellen: 
der  Ob  (mit  dem  Irtisch),  der  Jenisei  (mit  der  Angara  und 
Tunguska),  die  Lena  (mit  dera  Witim),  die  Indigirka,  Ko- 
lyma und  der  Amur  (siehe  S.  58  und  59).  Von  Bedeutung  sind 
auch  die  grossen  Seen  Balkapch  uad  Baikal.  Gegen  Norden 
geht  das  Bergland  in  ein  kulturfahiges,  ziemlich  fruchtbares  Hugel- 
land  fiber,  an  welches  sich  die  Steppenzone  anschliesst,  die  im  Siid- 
westen  mit  den  Steppen  Turans  zusammenhangt.  Der  westliche 
Theil  mit  vielen  Salzsaen  ist  im  Somtner  und  Winter  eine  Wuste, 
nur  im  Fruhling*}  ist  er  mit  sparlichem  Pflanzenwuchee  bekleidet. 
Nordwarts  verschwinden  nach  und  nach  Walder  und  Biische,  ein- 
zelne  Gruppen  von  Zwergbirken  nehmen  deren  Stelle  ein,  bis  auch 
diese  auf horen  und  beerentragenden  Strauchern,  dann  Moosen  Platz 
machen.  Endlich  beginnt  die  ode  Tundra,  die  Schnee-  und  Eis- 
wiiste  mit  zahllosen  Seen;  im  Sommer  ein  undurchdringlicher  Mo- 
rast,  Massen  von  Skeletten  urweltlicher  Thiere  und  machtige  Lager- 
statten  zu  Grunde  gegangener  Walder  einschliessend ,  im  Winter 
eine  furchtbare  Eiswuste.  Die  Kiiste  des  Eismeeres  tragt  eine 
nie  schmelzende  Eis-  und  Schneedecke,  uud  ist  sonach  zuganglicher 
als  die  Tundra.  —  Die  mittlere  Jahreswarine  der  sudlichen  Gegen  - 
den  erreicht  etwa  -}-  4°  R.,  bei  60°  n.  Br.  sinkt  diese  auf  0°  R.,  bei 
66°  n.  Br.  auf  —  4°R,;  nordlich  vo:n  60°  ist  das  Land  den  grossten 
Theil  des  Jahres  mit  Eis  und  Schnee  bedeckt.  An  der  Ostkiiste  und  in 
Kamtschatka  ist  eine  Winterkalte  von  —  40°  R.  nicht  selten. 

Durch  denJenisei  wirdSibirien  inein  westliches 
und  ein  ostliches  eingetheilt;  im  westlichen  Theile  ist  noch 
der  russische  Typus  in  der  Bevolkerung  vorherrschend,  im  ostlichen 
ist  der  asiatische  Charakter  ausgepragt.  Unter  alien  Nomaden  Ost- 
sibiriens  Bind  die  Tungusen  (ostlich  vom  Jenisei)  die  rohesten, 
welche  meist  von  der  Jagd  leben ;  am  Baikal-See  ziehen  die  B  u- 
raten,  im  Sudwesten  die  Kalmucken  herum.  Die  Jakuten 
an  der  Lena,  ebenfalls  Jagervolker,  sind  von  verhaltnissmassig  fried- 
fertigerem  Charakter.  Die  Tschuktschen,  im  aussersten  Osten 
wohnend,  betreiben  den  Fuchs-  und  Zobelf'ang,  und  sind  die  eigent- 
lichen  Handelsleute  von  Ostsibirien.  In  grossen  Karawanen  ziehen 
sie  mit  ihren  Familien  und  dem  ganzen  Hausrathe  auf  Ronnthier- 
schlitten  nach  dem  Markt  von  Obtrownoje  (wozu  sie  bisweilen  funf 
Monate  brauchen),  wo  ein  sehr  lebhafter  Tauschhandel  getrieben 
wird.  Am  armseligsten  leben  an  den  Kiisten  des  nordlichen  Eis- 
meeres  die  Samojeden,  welche  von  Fischen,  Vogeln,  wilden 
Rennthieren,  Wallfischen,  welche  die  Wellen  an  die  Kuste  spulen, 
leben.  Auf  Kamtschatka  lebt  das  Jiigervolk  der  Kamtschadalen; 
auf  der  Kir  gi  sen  steppe,  zwischen  dem  Ural,  dem  kaspischen 
See  und  dem  Irtisch,  wohnen  die  nomadischen  Kirgisen.  Diese 
Hochebene  mit  salzigera  und  steinigem  Boden,  von  herrlichen  Triften 
unterbrochen,  begunstiget  die  Viehzucht.  Europai^che  Kultur  findet 


sich  imr  unter  den  freien  Kolonisten  und  Arbeitern,  eowie  den  aus 
Russland  hieher  Verbannten. 

Der  Ackerbau  wird  wegen  des  rauhen  Klimas  und  des 
unwirthlichen  Bodens  nur  wenig  betrieben  und  liefert  in  den  sud- 
lichen  Theilen  Tabak,  Hiilsenfruchte,  Getreide,  Hanf,  Siissholz  und 
Hopfen.  Wichtiger  sind  die  Produkte  aus  dem  Thierreich, 
namentlich  kostliches  Pelzwerk  (Zobel,  Hermeline,  schwarze  und 
blaue  Fiichse,  Rennthierfelle  u.  a.),  Rosshaute  und  Rosshaar,  Talg, 
kirgisische  Ziegenfelle,  deren  weiches  langes  Haar  zu  Kamelgarn 
versponnen  wird,  Eiderdunen,  Honig  und  Wachs,  Fische  und  Thran, 
Mammuthszahue  (fossiles  Elfenbeiu)  und  dergleichen.  Sehr  umfang- 
reich  und  ergiebig  ist  der  Bergbau  auf  edle  und  unedle  Metalle, 
welcher  theils  auf  Rechnung  der  Krone,  theils  von  Privaten  betrieben 
wird.  Der  grosste  Reichthum  findet  sich  iin  nordlichen  Ural,  um 
Jeniseisk,  im  Altai  und  im  Gebirge  von  Nertschinsk.  Gold  liefern 
der  eibirische  Ural,  die  Waschereien  um  Jeuiseisk  und  der  Altai 
(iin  Ganzen  jahrlich  etwa  1200  Pud);  Silber,  hauptsachlich  aus  den 
Gruben  im  Altai,  im  Kolywan'schen  (Barnaul)  und  Nertschinski- 
schen  Huttenbezirke  (jahrlich  iiber  1500  Pud);  Kupfer  langs  des 
ganzen  Altai  (Nertschinsk);  Eisen  im  Ural  und  Altai,  viel  Salz 
aus  den  Seen  der  Gouvernements  Tomsk  und  Irkutsk,  sowie  in  der 
Kirgisensteppe ;  endlich  Blei  (Nertschinsk),  Edel-  und  Halbedelsteine, 
Alaun,  Schwefel  u.  a.  m.  Von  gewerblicher  Industrie  im 
europaischen  Sinne  kann  hier,  wo  ein  grosser  Theil  der  Bevolkerung 
noch  ein  Nomadenleben  fiihrt,  und  auch  die  ansassigen  Stamme 
einen  geringen  Kulturgrad  mit  wenig  Bediirfnissen  einnehmen,  keine 
Rede  sein.  Nur  in  den  Hauptorten  Irkutsk,  Tobolsk  und  Tomsk 
kommen  gewerbliche  Beschaftigungen  vor.  Am  staiksten  ist  die 
Verarbeitung  der  Metalle. 

Der  Handel  ist  im  Allgemeinen  ziemlich  ansehnlich.  Im 
Inneren  werden  die  Produkte  des  Sudens  (Getreide,  Webewaaren) 
gegen  jene  des  Nordens  (Pelzwerk)  ausgetauscht.  Der  Waarentraus- 
port  geht  auf  den  Fliissen  und  dem  Baikal-See,  der  mit  Dampf- 
schiffen  befahren  wird,  aber  auch  auf  Schlitten,  welche  im  Westen  von 
Pferden,  im  Norden  von  Rennthieren,  in  Kamtschatka  von  Hunden 
gezogen  werden.  Auch  mit  den  Kirgisen  und  Tataren  werden  von 
Jeniseisk  und  Tomsk  nach  Buchara  und  Chiwa  Verbindungen  unter- 
halten.  Nach  dem  europaischen  Ruseland  geht  der  Waarenzug  iibar 
Perm,  Kasan,  Nishnij-Nowgorod  nach  Moskau.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  ist  der  Verkehr  mit  China  in  dem  Grenzort  Kjachta. 

Bedeutendere  Orte  sind: 

1.  Westsibirien  (Gouvernements  Tobolsk  und  Tomsk) :  Tobolsk  (20.000)  am 
Einflusse  des  Tobol  in  den  Irtisch,  Sitz  des  Generalgouverneurs.  Lebhafte 
Gewerbsindustrie  in  Gerbereien,  Seifensiedereien,  Zeugwebereien  u.  a.  m.  Diese 
Produkte  gehen  durch  ganz  Sibirien.  Hauptniederlage  fur  das  Pelzwerk,  wel- 
ches  als  Tribut  an  die  Krone  entrichtet  wird;  —  fur  den  europaisch-sibirischen 
Handel  ist  von  Bedeutung  Tjumen  (an  der  Tura)  an  dor  grossen  Strasse 
von  Moskau  nach  Kjachta,  wo  auch  der  beste  Juchten  und  sehr  gute  Decken 
erzeugt  w'erden;  —  Barnaul  (10.000)  mit  dem  Sitze  Ues  Kolywau'schen 
Huttenbezirkes  (Silber,  Kupfer,  Blei  und  Edelsteine);  —  Kolywan  (bedeu- 
tender  Bergbau),  Omsk,  wichtiger  Tauschhandel  mit  denKirpisen;  Tomsk, 
mit  vielcn  Juchtenfabriken  und  Zcugdruckereicn  ,  einer  der  Hauptplatze  fQr 


408 

den  russisch-chinesischen  Handel.     B  e  r  e  s  o  w ,    einer    der   hiirtes  ten  Verban- 
nungsorte. 

2.  Ostsibirien  (Gouvernements :    Irkutsk,   Jeniseisk,   Jakutsk,  Oschotsk) :  Ir- 
kutsk (25.000  Einw.;  —  800  Meilen  von    St.  Petersburg,   300  Meilen    von 
Peking,  nur  einige  Meilen  vom  Baikal-See  entfernt) ;  Sitz  des  Generalgouver- 
neurs  von  Ostsibirien.  Mittelpunkt  des  ganzen  sibirischen  Handels  und  Haupt- 
niederlage  fur  den  russisch-chinesischen  Handel.    Hauptcomptoir  der  russisch- 
amerikanischen  Handelsgesellschaft ;  —  grosse   Magazine    fur   die    Pelzwaaren 
der  Nordwestkiiste  Amerikas  und    des    nSrdlichen  Sibirien.    —  Das  Gewerbe- 
wesen  ist  verhaltnissmassig  sebr   vorgeschritten,    auch   bestehen  mebrere  Fa- 
briken  (Tuch-,  Glas-,  Steingutfabriken,  Branntweinbrennereien ,   Gerbereien  u. 
s.  w.);  —  ferners  eine  Scbiffahrtsscbule  (worin  chinesisch    und  japanisch    ge- 
lehrt  wird),  ein  Gymnasium,  mit  Bibliothek  und  Naturaliensammlung  n.  a.  — 
Kjachta,  nur  durch  den  Bach  gleichen  Namens  von  der  chinesischen  Stadt 
Maimatschin  getrennt,  mit  4000  Einwohnern,  grSsstentheils  Kaufleuten;  Haupt- 
Handelsplatz  Busslands  mit  China;  zahlreiche  Agenturen   der   rsichsten   Han- 
delshauser  aus  Petersburg  und  Moskau ;  im  Dezember  grosse  Messe,  auf  wel- 
cher  jahrlich  Waaren  im  Werthe  von  mindestens  30  Millionen  Eubeln  umge- 
tauscht   werden.     Die   nach  China   bestimmten   Waaren    werden    zumeist  aus 
Moskau  bezogen  und  nehmen  den  Weg  uber  Tinmen ,    Tomsk    und    Irkutsk  ; 
der  900  Meilen  l»nge  Weg  wird   in  70—80  Tagen   zurQckgelegt,    wobei    die 
eisfreien  Fliisse  und  der  Baikal-See  benutzt  werden ;    die   von   der    Messe    zu 
Nishnij-Nowgorod  nach  Kjachta   bestimmten  Waarentransporte   gehen    direkte 
fiber  Kasan  und  Orenburg  zu  Lande  bis  Kjachta.    Die  Bussen  bringen  hieher: 
Pelzwerk,  Tuch,  Wollenzeuge,  Baumwollsammt,  Leinwand,  Leder,  Eisen-  und 
Stahlwaaren,  Glas,  Spiegel  und  dergleichen ;  —  die  Chinesen  geben  als  Tausch- 
waare  den  Russen :  Thee  (Karawanenthee,  jahrlich  an  200.000  Pud,  iu  Kisten 
a  2—3  Pud),  Seide  und  Seidenstoffe,  Nanking,  Porzellan,    Edelsteine ,   Silber 
und  Goldstaub,  Farben,  Tusche,  Droguen  u.  s.  w.  Die  Erzeugnisse  Chinas  ge- 
hen meist  nach  Moskau,  St.  Petersburg,  Nishnij-Nowgorod  und  Kasan.   —  In 
der  Umgegend  von  Krasnojarsk  (4000)  und  Jeniseisk  (6000)  befinden 
sich  reiche  Goldwaschereien;  in  letzter  Stadt   wird  auch   eine    stark    besuchte 
Messe  gehalten.  —  In  der  Nahe  des  strengen  Verbannungsortes  Nertschinsk 
(an  der  Schilka)  sind  sehr  wichtige  Silber-  und  Bleibergwerke.  Jakutsk  an 
der  Lend,  Stapelplatz  der  ostsibirischen  Bauhwaaren,  Sammelplatz  der  Jager; 
lebhafte  Messen  vom  Juni  bis  August  und  im  Dezember.    Die  vor  der  Nord- 
kuste  von  Sibirien    gelegene    unbewohnte    Inselgruppe  Neu-Sibirien   wird 
nur  von  Jagern  und  Fischern  wegen  des  Beichthums  an  Pelzthieren   und    Fi- 
schen  besucht.     Grosse  Mengen  von  Treibholz  und  fossilen  Knochen  vorsiind- 
fluthiger  Thiere.  —  Nikolajewsk,  unweit  der  Amur- Mundung,  Kriegs- und 
Freihafen,  wichtig  fur  den  sibirischen  Handel  auf  dem  Amur,    welcher  schon 
mit  Dampfschiffen  befahren  wird;  —  Ajan,  am  ochotzkischen   Meere ,    be- 
deutender  Stapelplatz  fur  den  Waarenverkehr  des  russischen  Nordamerika  mit 
China ;  —  der  fruhere  Hafenplatz  O  c  h  o  t  z  k   hat   seine  Bedeutung  verloren. 
—  Petropawlowsk,  Hanptort  von  Kamtschatka,   der  schSnste  Hafen  auf 
der  asiatischen  Ostkuste  und  einer  der  schonsten  auf  der  Erde. 

Zum  Am  u  r  1  a  n  d  gehoren  die  Landschaften  auf  dem  linken  Ufer  des  Amur 
vom  Zusammenfluss  der  Schilka  mit  dem  Argun  bis  zum  AusflusS  des  Ufferi. 
In  den  Sommermonaten  wird  der  Fluss  von  Dampfern  befahren  ;  1'angs  des 
Flusses  und  zu  beiden  Seiten  seiner  Mundung  sind  Forts  angelegt.  Hauptort 
ist  Blago  weschtschensk,  am  Einfluss  des  Sejo  in  den  Amur. 

3.  Die  vulkanischen  Inselgruppen    der  Kuril  en    und  A  leu  ten    sind    nur 
von  Jagern  und  Fischern   bewohnt,   und  fur  den  Fuchs  -    und    Seeotternfang 
wichtig. 

4.  Die  Kirgisensteppe  (zwischen  dem  Ural,  dem  Caspi-See  und    dem  Irtisch) 
umfasst  eine  vielfach  salzige  und  steinige  Hochebene  mit  einem  Flachenraume 
von  beilaufig   25.000  QMcilen,  auf   welcher  2  bis  3  Millionen  nomadisirende 
Kirgisen    mongolischen  Stammes  leben.     Viehzucht   (schone    Pferde ,    viel 
Bindvieh,  Kameele,  Schafe)  bildet  die  Hauptbeschaftigung  der  Nomaden,  welche 
in  Zelten  oder  Filzhiitten  leben,  in  Horden  sich  unterscheiden,  derenjede  nnter 
einem  Khan  steht.     Bussland  ubt  die  Oberhoheit  aus    und  halt  hier     standige 
Besatzungen.    Die  Kirgisen  leisten  den  Karawanenzagen  grosse  Dienste,  indem 
sie  Lastthiere  herbeischaffen  und  als  Wegweiser  durch  die  Steppen    dienen. 


Die  Staaten  von  Afrika. 

§.  163,  Staatenbildnngen. 

Die  auf  beiliiufig  200  Millionen  Seelen  geschatzte  Bevolkerung 
dieses  vielfach  noch  unerforschten,  weil  schwer  zuganglichen  Erd- 
theiles  steht,  in  unabhangige  Stamme  zertheilt,  unter  einheimischen 
Herrachern,  oder  unter  der  Botmassigkeit  europaiacher  Nationen. 

Die  unabhangigen  Stamme  bilden  eine  sehr  grosse  Menge  ab- 
geaonderter,  mehr  oder  minder  geregelter  Gemeinden  mit  den  ver- 
schiedenartigaten  Regierungsforrnen ,  die  im  Allgemeinen  entweder 
patriarchal! s che  Verbindungen  oder  roheDeapotien  aind. 
Die  unter  fremden  Herrachern  stehenden  Lander  aind  theils  V  a  a  a  1- 
lenstaaten  derTiirkei,  theila  Be  sitzungen  europaischer 
Nationen  und  des  Imam  von  Maskat. 

Bei  der  sehr  unvollstandigen  Kenntnias  des  Erdtheilea  im  All- 
gemeinen iat  die  Kenntnias  der  Begrenzung  der  einzelnen  Staaten 
begreiflich  hochst  mangelhaft ;  eine  Eintheilung  Afrika's  nach  poli- 
tiachen  Beziehungen  iat  demnach  nicht  auafuhrbar.  Nur  die  geo- 
graphiache  Vorfuhrung  der  Lander  gibt  einen  uberaichtlichen  Zu- 


I.  Vicekonigreich  Aegypten. 
§•  164. 

A.  Aegypten.  —  Das  unter  turkischer  Oberhoheit  stehende 
Vicekonigreich  Aegypten  besteht  aus  dem  eigentlichen  Aegypten 
mit  einer  Flache  von  beilaufig  9000  QMeilen  und  einer  Bevolkerung 
von  3  Millionen,  und  aus  Nubien  (mit  Senaar  und  Kordofan)  mit 
nahezu  19.000  QMeilen  und  etwa  1  Million  Einwohnern.  Die  Gren- 
zen  des  Vicekonigreiches  sind:  im  Osten  daa  rothe,  im  Norden 
das  mittellandiache  Meer,  im  Westen  die  lybische  Wiiate  und  im 
Siiden  die  Negerlander  am  obern  Nil.  Daa  eigentliohe  Kulturland 
ist  das  etwa  112  Meilen  lange,  im  Oaten  und  Weaten  von  oden, 
wasaer-  und  pflanzenlosen  Gebirgen  begrenzte  Nil  thai;  diesem 
Fluaae  verdankt  das  Land  seine  ganze  Bedeutung.  (Siehe  §.  47, 
Seite  62,  ,,der  Nil").  Durch  die  auf  15—16'  steigende  Ueber- 
schwemmung  (Juli  —  September)  wird  die  Thalaohle  reich  befruchtet ; 
zahlreiche  Kanale,  Damme  und  Basains,  theils  aua  alterer  Zeit 
stammend,  theila  auagefuhrt  durch  Pascha  Mehemet-Ali,  der  sich 
grosse  Verdienste  um  das  Bewasaerungsaystem  erworben,  leiten  das 
Wasaer  in  die  entfernteren  Gegenden  und  verhindern  den  zu  raschen 
Abfluas.  Unter  den  Kanalen  ist  der  Mahmu  dieh -Kanal  von 
grosser  Wichdgkeit;  er  beginnt  am  weatlichen  Nilarme  (Rosette), 
endigt  bei  Alexandria,  und  leitet  in  dieser  Art  den  Handel  nach 
Alexandria.  Das  Land  hat  mehrere  kleine  Seen,  darunter  den  Ka- 


410 

run  (Moris)  und  einige  Natron-Seen  westlich  vorn  Nil  in  Unter- 
agypten.  —  Das  Klima  ist  iin  Nilthale  sehr  warm;  Siidagypten, 
mit  dem  trockenen,  heissen,  fast  fortwahrenden  Sommer,  gehort  zu 
den  heissesten  Landern  der  Erde ;  in  Unteragypten  regnet  es  in  der 
kiihlen  Jahreszeit  (April  bis  Oktober)  haufig.  Landplagen  sind: 
der  aus  dein  Suden  koinmende  gefahrliche  Wind  Chamsin  ;  in  Unter- 
agypten haufig  die  Pest,  sowie  Heuschreckenschwarrne,  Augenent- 
zundungen  u.  s.  w. 

Die  Mehrzahl  der  Bewohner  wind  muhamedanische  Araber, 
grosstentheils  Ackerbauer  (Fellahs),  nur  zum  kleineren  Theile 
nomadisirende  Beduinen ;  ausserdem  gibt  esKopten,  Nachkommen 
der  alterj  Aegypter,  dann  Tiirken,  Juden  und  christliche  Europaer. 

An  der  Spitze  der  Regierung  steht  der  Fascha  oder  Vicekonig 
von  Aegypten  mit  unumschrankter  Macht ,  dem  auch  die  Verwal- 
tung  von  Nubien,  Senaar  und  Kordofan  Cibertragen  ist,  und  der  an 
die  Pforte  einen  jahrlichen  Tribut  von  60.000  Beuteln)  =  3,600.000  Gul- 
den) bezahlt.  Die  Statthalterschaft  ist  erblich  in  der  Familie 
des  gegenwarti.gen  Vicekonigs. 

Politische  Eintheilung. 

1.  Unteragypteii :  Alexandria  (uber  80.000  Eimvohiier,  darunter  an  15.000 
Franken),  Hauptstapelplatz  Aegyptens  t'tir  den  auswartigen  Handel    und   einer 
der  wichtigsten  Handelsplatze  im  Oriente.    Sitz  der  fremden  Handelskonsulate. 
Dampfschiffahrtsverbindungen    mit   den  Liindern    des   Mittelmeeres    (Marseille 
Triest,  Konstantinopel,  Smyrna)  und  Verbindungsglied  in  der  englisch-ostinJi- 
schen  Route.    Eiseubahn  fiber  Kairo  nach  Suez.  —    Damiette   (28.000)  aui 
ostlichen  und  Rosette  (15000)  am  westlichen  Nilarm.   Zwischen  diesen  bei- 
den  Hafenstadten  liegt  das  Nil-Delta,  eine  uniibcrsehbare,    von    unzahligen 
Kanalen  durchscbnittene,    hochst  fruchtbare  und    gut  angebaute    Ebene,    mit 
vielen  Ortschaften.    Weizen,  Mais,  Reis,  Hirse,  Hanf,  Flachs,  Baumwolle,  In- 
digo, Zuckerrohr,  Datteln,  Feigen  und  andere  Sudfruchte  gedeihen  in  grSsster 
Fulle.    Indigofabriken,  sowie  die  Bixumwollen-    nnd   Seidenkultur   liefern   eine 
starke  Ausfubr.  —  Zwischen  Rosette  und  Alexandria  liegt  das  historisch  merk- 
wiirdige  Dorf  Ab  ukir. 

2.  mittcliigypten :  Kairo  (Kahira,  300.000  Einwohner;,    die  grosste  Stadt    in 
Afrika.  Residenz  des  Vicekonigs,  mit  grossen  Platzen  (aber  engen,    ungepfla- 
sterten  Strassen),  prachtvollen  Moscheen  (an  300),  uber  700    otfentlichen   Ba- 
dern,  Cisternea  u.  s.  w. ;  einer  polytechnischen  Sehule  mit  europitischen  Leh- 
rern.     Mittelpunkt  des  ausseiordentlichen  Veikehrs  mit  Laudesprodukten   und 
den  Industrie-Erzeugnissen  dieser  fabrikreichen  Stadt,  sowie  des  Handels  mit 
den  afrikanischen  Landern,  mit  Arabien  und  Indien.    Fast  der  gesammte  Han- 
delsverkehr  bewegt  sich  in  der  Vorstadt  Bulak,  wo  sich  nebst  grossen  Korn- 
hausern,  Seiden-  und  Kattunfabriken  befinden,  sowie  der  Nilhafen  und  die  Ma- 
gazine fur  Waaren,  die  aus  den  siidlichen  Landern    kommen   und    dann   nach 
Alexandria  oder  nach  Damiette  und  Rosette  gehen.  Gegenuber  von  Kairo  am  Nil 
liegt  der  gewerbreiche  Ort  Gizeh,  in  dessen  Niihe  die  drei  hochsten  der  nodi 
vorhandeuen  Pyramiden  und  die  grosse  Spbynx.    Die  ganze  Umgegend  ist  ein 
weites  Muinienfeld  mit  Grotten,  in  Schutthiigel  verfallenen  Pyramiden.  —  Suez, 
eine  kleine  Hafenstadt  (mit  2000  Einwohneru)  am  rothen  Meere,  bedeutend  wegen 
der  Dampfschiffahrtsverbindung  der  englischen  Route  Bombay  -  Alexandria  *). 


*)  Die  Landenge  von  Suez  ist  nur  17%  Meilen  breit  und  die  schon  im  Alterthume 
angeregte  Durchstechung  derselbcn  zur  Verbindung  des  rothen  Meeres  mit  dem  mit- 
tellandischen  ist  in  neuester  Zeit  wieder  ernstlich  aufgegriffon  worden.  Der  projek- 
tirte  Kanal  wurde  23  Kilometer  lang  werden,  in  einen  kunstlichen  Hafen  im  Mittel- 
meere  miinden  und  etwa  200  Millionen  Francs  kosten.  Der  Weg  nach  Ostindien 
wurde  um  etwa  die  Halfte  abgekurzt  und  die  Fra^htkosten  verminderten  sich  um 
beilaufig  48  Francs  per  Tonne. 


411 

—  F  a  y  u  m  (Arsinog,  15.000  Einwohner)  in  der  schonen  and  fruchtbaren,  durch 
die  Kosenkultur  und  das  RusenSl  beriihmten  Landschaft  gleichen  Namens   am 
linken  Nilufer;  in  der  Nahe  die  Ruinen  des  Labyrinthos  uud  der  Riesendamme 
des  Sees  Moeris. 

3.  Oberfigyptcil :  Siut  (20.000),  Sammelplatz  der  Rarawanen  aus  Nubien  uud 
Sudan;  dessgleichen  Esneh  am  linken  Nilufer.  Kosseir  am  rothen  Meere, 
der  Einschiffungsort  fur  Mekkapilger  |  ansehnlicher  Handel  mil  Aiabien.  — 
Assuan,  die  sudlichste  Stadt  in  Aegypten  ;  die  letzten  Nil-Katarakten,  wel- 
che  indess  bei  hohem  Wasserstande  beschifft  werden.  Bei  den  Dorfern  L  u- 
xor  and  Karnak  die  grossartigen  Ruinen  des  ,hundertthorigen  Theben." 

In  der  wQsten  Ebene  von  Westagypten  kommen  mebrereOasen  vor,  reich 
an  Datteln  nnd  Edelfriichten,  und  als  Stationsplatze  fur  die  Karawanen  be- 
merkenswerth  Die  sesshifte  BevClkerung  lebt  hauptsachlich  von  Datteln, 
zahlt  damit  ihren  Tribut  und  treibt  auch  damit  Handel.  Die  wichtigsten 
Oasen  sind:  die  grosse  oder  Oase  von  Chardscheh  (die  sQdlichste):  die 
kleine  oder  Oase  von  Bacherieh  (nOrdlicher);  die  Oase  von  Siwah  (im 
Alterthuin  mit  dem  Orakel  des  Jupiter  Ammon),  die  westlichste. 

B.  Nubieu  mit  Seuaar  und  Kordofan.  —  Die  grosse 
Hochebene ,  welche  sich  von  Oberiigypten  bis  zum  Alpenlande 
Habesch  zwischen  dein  rothen  Meere  und  der  lybischen  Wiiste 
ausbreitet,  und  in  welche  das  Nilthal  ziemlich  tief  eingegraben 
ist,  hat  im  Suden  hinreichende  Bewasserung,  eine  reiche  Vegetation 
mit  dichten  Waldungen;  Mittel-  und  Nordnubien  dagegen  sind  eine 
unermessliche  Sandwu'bte,  die  heissesten ,  regenlosen  Landstriche 
auf  der  Erde  (monatelang  iet  die  Tageshitze  -f  35  bis  45°  R).  Der 
Nil,  welcher  das  Land  durchfliesst,  ist  wegen  des  starken  Gefalles 
und  der  vielen  Kafarakte  zur  Schiffahrt  wenig  geignet;  durch 
seine  Ueberschwemmungen  befruchtet  er  jedoch,  wie  in  Aegypten, 
das  nicht  sehr  breite  Thai.  —  Die  Bevolkerung  gehort  dem  muha- 
medanischen  Nuba  Stamme  an;  doch  gibt  es  auch  andere  noma- 
dische,  meist  eiugewanderte  Stamme  arabischer  Abkunft. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

Char  turn  (30.000  Einwohner)  am  Zusammenfluss  des  weissen  und  blauen 
Nil,  Sitz  des  Gpuvorneurs,  eines  oster  reic  hi  schon  Konsulates  uud 
einer  katkolischen  Missionsanstalt;  der  bedeutendste  Handelsplatz  fur  Nubien 
und  den  Suden;  —  (am  Nil):  Metemmeh,  Stationsplatz  der  Karawanen  zwi- 
schen Chartum  and  Dongola,  mitLeder-  und  Indigo-Manufakuiren  :  Schendy, 
ansehnlicher  Sklavenmarkt;  —  Darner  am  Einflusse  des  Atba:a  in  den  Nil; 
Neu-Dongola,  bedeutender  Handelsplatz;  —  Korosko,  der  nOrdliche 
Ausgangspunkt  der  Karawanen  durch  die  grosse  nubische  Wiiste.  —  Am 
rothen  Meere  ist  Suakim  ein  wichtiger  Hafen  fur  den  Handel  mit  Arabien. 

—  Im  Senaar    liegt   die    ehemalige  Hauptstadt    Senaar   aoa    blauen  Nil;  in 
Kordofan  die  bedeutende  Handelsitadt  El  Obeid  (20.000). 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  wichtigste  Nahrungsquelle  der  Bewohner  dieser  Land- 
striche  ist  der  Ackerbau,  obwohl  in  Aegypten  kaum  10%  der 
Area  eigentliches  Kulturland  siud;  auch  in  Nubien  ist  die  Boden- 
kultur  auf  das  Nilthal  beschrankt  und  auf  die  Utberschwemmung 
des  Flusses  angewiescn.  Ehemala  bildeten  Weizen  und  Gerste, 
wulche  in  ungeheurer  Menge  gewonnen  und  nach  It  alien  uud  Grie- 
chenland  ausgefiihrt  wurden,  die  Hauptprodukte;  jetzt  ist  der  Er- 
tragswcrth  der  Baumwollen-  und  Re  ispflanzungen  ein  grosse- 
rer,  obgleich  der  GetreiJe-Export  noch  immer  bedeutend  ist.  Bei 
dem  herrschenden  Systeme ,  dass  der  Pasch  i  als  Besitzer  alles 
Grundeigenthurns  und  der  Fellah  nur  als  Bjwirthschifter  ango- 


sehen  wird ;  dass  die  Regierung  gegen  einen  von  ihr  festgesetzten 
Preis  die  Ablieferung  des  Ertrages  verlangen  kann ;  dass  sie  bestim- 
men  kann,  welche  Produkte  gebaut  werden  sollen  u.  s.  w.  ist  die 
Lage  der  Ackerbauer  trotz  des  gunstigen  Klimas  und  des  frucht- 
baren  Bodens  eine  hochst  durftige.  Nebst  den  erwahnten  Hauptpro- 
dukten  sind  Indigo,  Zucker,  alle  Hills  enfriichte,  Tabak,  Hanf  und 
Flachs,  Safran,  Saflor,  Krapp,  Gummi,  Datteln  und  edle  Sudfruchte 
wichtige  Produkte.  —  Von  animalischen  Produkten  bilden 
Haute  und  Felle,  Straussfedern,  Elephantenzahne  nennenswerthe  Ex- 
portartikel.  Von  Mineralien  kommen  in  den  Handel  Salpeter, 
Salmiak,  Salz,  Natron ;  grossen  Reichthum  hat  das  Land  an  scho- 
nem  Granit,  Porphyr  und  Sandsteinen  ;  Gold  und  andere  Metalle 
fehlen  fast  ganz. 

Die  Industrie  verdankt  (sowie  der  ausgedehntere  Landbau) 
dem  verstorbenen  Pascha  Mehemet  AH  ihr  Entstehen.  Er  legte 
Fabriken,  besonders  Baumwollen-,  Leinwand-,  Wollen-  und  Seiden- 
fabriken  in  grossem  Massstabe  an,  von  denen  jedoch  einige  bereits 
eingegangen  sind;  aber  es  bestehen  noch  mehrere  Staatsfabriken 
fiir  Indigo,  Zucker,  Rum,  Alaun,  Salpeter.  Bei  dem  Mangel  an 
Metallen  und  an  Heizmaterial  und  dem  Monopol  der  Regierung 
nimmt  ubrigens  die  kiinstlich  hervorgerufene  Industrie  nicht  den 
gehoftten  Aufschwung. 

Die  Lage  des  Landes  ist  dem  Handel  ausserst  giinstig ; 
es  ist  die  natiirliche  Niederlage  zwischen  Europa  und  dem  gesamm- 
ten  Oriente.  Alexandria  und  Kairo  gewinnen  im  Welthandel  wie- 
der  an  Bedeutung,  seitdem  das  Abendland  dem  Wege  iiber  Suez 
nach  Indien  seine  Aufmerksamkeit  zuwendet.  Alexandria  vermittelt 
den  Verkehr  mit  Europa ,  Damiette  mit  Syrien ,  Suez  ist  Stations- 
platz  fiir  Indien  und  Kosseir  fur  Mekka  und  Arabien.  Nachst  dem 
Seehandel  ist  der  Landhandel  von  Bedeutung.  Grosse  Karawanen 
bringen  aus  den  westlichen  und  sudlichen  Landern  die  Produkte 
nach  den  grosseren  Stapelplatzen,  welche  theils  auf  Nielbarken, 
theils  mittels  Karawanen  nach  den  Hauptsitzen  des  Handels  be- 
fordert  werden.  Die  bedeutendsten  Exportartikel  sind;  Baum- 
wolle  (jahrlich  an  200.000  Zentner),  Reis,  Weizen  und  Gerste, 
Hiilsenfruchte,  Indigo,  Hanf  und  Flachs,  Datteln,  Salpeter  und  die 
friiher  erwahnten  Produkte.  Importirt  werden  (aus  Europa):  Bau- 
und  Brennholz ,  Bergwerksprodukte ,  alle  Arten  von  Fabrikser- 
zeugnissen,  besonders  Webewaaren ,  Porzellan ,  Glas ,  Kurzwaa- 
ren ;  (aus  Asien) :  Seide,  Shawls,  Balsam,  Kaffee ;  aus  dem  Innern 
Afrikas :  Elephantenzahne ,  Datteln,  Wachs,  Tamarinden,  Gummi 
u.  a.  m. 

Sowie  Mehemet  Ali  durch  Einfuhrung  von  Fabriken  euro- 
paische  Zustande  hervorzurufen  suchte ;  so  erstrebte  er  dasselbe 
Ziel,  indein  er  Schiffswerften  und  Arsenale  errichtete,  Dampfschiffe 
anschaffte,  Hospitaler,  Schulen  und  Buchdruckereien  grundete, 
junge  Aegypter  zur  Ausbildung  nach  Europa  schickte,  und  die 
Arrnee  mehr  oder  weniger  auf  europaischen  Fuss  setzte.  Im 
Ganzen  hat  das  Land  in  den  letzten  vierzig  Jahren  eine  gewisse 
Kultur,  Selbststandigkeit  und  grossere  kommerzielle  Bedeutung 
erlangt. 


413 

II.  Habesch  oder  Abyssinien. 
§,  165. 

Im  Suden  von  Nubien  und  westlich  vom  rothen  Meere  er- 
hebt  sich  als  der  nordostlichste  Vorsprung  des  grossen  siidafrika- 
nischen  Hochlandes  das  Alpenland  Habesch  oder  Abyssinien. 
Die  Grosse  wird  zwischen  10  und  15.000  nMeilen>  die  Bevolke- 
rung  auf  4  bis  5  Millionen  geschatzt.  Auf  6 — 10.000'  hohen  Gras- 
flachen  erheben  sich  Gebirge  mit  Gipfeln  uber  14.000';  im  Osten 
fallt  das  Bergland  zur  schmalen,  heissen  Kustenebene  Samhara  ab, 
im  Westen  und  Nordwesten  ist  es  von  der  Sumpf-  und  Waldregion 
Kolla  begrenzt.  Unter  den  Alpenseen  ist  der  grosste  der  Ts ana- 
See  auf  dem  Plateau  von  Dembea;  von  den  zahlreichen  Fliissen 
sind  bemerkenswerth  der  blaueNil,  der  Takazze  und  der 
A'tbara,  welche  hier  ihre  Quellen  haben.  —  Das  Klima  ist  in 
den  Thalern  und  an  der  Seekuste  sehr  heiss;  in  den  mittleren  Ge- 
birgsgegenden  und  auf  den  Hochebenen  gemassigt,  angenehm  milde 
und  sehr  gesund;  im  Hochgebirge  ist  es  rauher.  Die  tropischen 
Regen,  oft  von  furchtbaren  Hagelwettern  begleitet,  bewirken  Ueber- 
schwemmungen  der  Fliisse. 

Im  Norden  wohnen  die  braunen  Abyssinier  kaukasischer 
Race  ;  das  herrschende  Volk  sind  jedoch  die  aus  dem  JSuden  vor- 
dringenden  Galla-Stamme.  Erstere  sind  koptische  Christen,  letz- 
tere  theils  Moslim ,  theils  noch  Heiden ;  die  wildesten  sind  die 
S  c  ha  a  gal  la-  Neger  in  der  Sumpf-  und  Waldregion,  welche 
Fetischdiener  sind.  Am  Takazze  wohnt  seit  Jahrtausenden  ein 
zahlreicher  Stamm  Israelite n.  —  Die  alten  Konigreiche  Tigre, 
Goudar  und  Schoa  wurden  in  neuester  Zeit  vereinigt,  und  der 
neue  Beherrscher  ^Kaiser  Theodor  I."  ist  Regent  von  ganz  Ha- 
besch. Er  befordert  den  Landbau  und  ist  fur  die  Verbreitung  der 
Civilisation  und  des  Christenthums  sehr  thatig. 

Das  Land  ist  im  Ganzen  sehr  fruchtbar,  der  Ackerbau 
jedoch  stark  vernachlassigt»  Cerealien,  Tabak,  Baumwolle,  Farb- 
holzer  und  Droguen  sind  die  wichtigsten  Produkte ;  die  Landschaft 
Kafa  (im  Siiden)  soil  dem  Kaffee,  der  hier  vorzuglich  gut  ge- 
deiht  und  hier  sein  Vaterland  haben  soil,  den  Namen  gegeben  ha- 
ben. Die  Viehzucht  ist  in  diesem  Alpenlande  bedeutend;  da- 
gegen  die  gewerbliche  Industrie  kaum  nennenswerth.  Ver- 
haltnissmassig  am  starksten  sind  der  Bergbau  auf  Eisen ,  die 
Verarbeitung  der  Metalle  und  Leder.  Das  Land  hat  keine  Heer- 
strasse,  keinen  schiffbaren  Flues  und  nur  die  von  Tiirken  besetzten 
Hafenplatze  Arkiko  und  Massuah  am  rothen  Meere;  dessun- 
geachtet  ist  der  Zwischenhandel ,  sowie  die  Ausfuhr  eigener  Pro- 
dukte (Baumwolle,  Kafiee,  Droguen,  Elfenbein)  ziemlich  ansehnlich  ; 
importirt  werden  Manufakte,  Glaswaaren,  Zucker. 

Bemerkenswerthe  Orte  sind: 

(In  der  Landschaft  Amhara):  Gondar  (10.000),  Eesidenz  des  Abuna 
(.unser  Vater"),  das  ist  des  geistlichen  Oberhanptes  der  Christen  in  Abys- 
sinien. 

(In  der  Landschaft  Tigre,  durch  den  Takazze  von  der  vorigen  getrennt): 
Adowa  (8000),  die  lebhattcstc  Handelsstadt  mit  sehr  geschatzten  Baumwoll- 
webereien.  Westlich  davon  die  Kuinen  der  alten  Hanptstadt  Axum. 


4(4 

(In  der  Landschaft  Schoa,  im  s ados ilichs ten  Theih):  Angollola  (4000) 
und  A  n  k  o  b  e  r. 

Der  Kfistenstrich  Samhara  versorgt  Habesch  mit  Sulz}  die  Hafenplatze 
des  Landes  sind  bereits  oben  genannt  worden. 

III.  Die  Berberei 

(oder  die  Barbaresken-Staaten). 

§.  166. 

A.  Tripolis.  —  Im  Westen  von  Aegypten  zieht  sich  langs 
dee  Mittelmeercs  von  der  grossen  bis  zur  kleinen  Syrte  das  unter 
tiirkischer  Oberherrschaft  etehende  Land  Tripolis.  Die  Grosse 
wird  auf  8000  bis  14.000  QMeilen,  die  Bevolkerung  auf  ll/a  bis 
2  Millionen  Meelen  geschatzt.  Zwischen  Aegypten  und  der  grossen 
Syrte  1st  das  wiiste  FeUenplateau  von  Barka  rait  einigen  Oasen 
und  einem  schmalen,  fruchtbaren  Kiistenstriche.  Darch  die  Sultin- 
Ebene  von  diesera  Plateau  getrennt  ist  das  eigentliche  Tripolis 
rait  einem  niederen,  sandigen  Kustensaum  und  mit  schlechten  Hafen  ; 
gegen  Siiden  steigt  es  in  mehreren  Stufen  zum  Plateau  von  Ha- 
mdda  (2000').  Dieses  ist  fast  durchgehends  wasserlos,  mit  steppen- 
und  wustenartiger  Bodenbeschaffenneit ;  doch  sind  unterirdische, 
durch  Brunnen  von  wenig  Fuss  Tiefe  erreichbare  Waseerbecken 
nicht  selten.  Die  tiefen  Thaler  sind  fruchtbarcr,  besonders  reich  an 
Datteln  ,  Safran  und  Sudfriichten  aller  Art.  Die  Einwohner  sind 
unter  den  Bewohnern  der  Berberei  die  in  der  Kultur  am  meisten 
vorgeschrittenen.  Ihre  Hauptbeschaftigungen  sind  Viehzucht 
und  Handel;  erstere  wird  zumeist  von  den  Beduinen,  letzterer 
als  Kai  awanechandel  von  den  Mauren  betrieben  ;  der  Seehandel  liegt 
in  den  Handen  der  Italiener  und  Franzosen.  Die  Industrie  ist  un- 
bedeutend,  doch  liefert  sie  Webewaaren,  Metallwaaren,  Waffen. 
Hauptgegenstande  des  Handels  sind  europaische  Manufakte,  dann 
die  aus  dem  Innern  Afrikas  ankommenden  und  dorthin  abgehenden 
Waaren,  als :  Weizen,  Oel,  Vieh,  Elephantenzahne,  Wolle,  Straussen- 
federn,  Saffian  u.  s.  f. 

Hauptort  ist:  Tripolis  (25.000)  mit  einem  befcstigten  Hafen,  der  Mittel- 
punkt  des  Waarenverkehrs  mit  Inner-Afrika.  In  Barka  ist  die  Hafen-  und  Handels- 
stadt  Ben  gas  si. 

Zu  Tripolis  gehoren  auch  die  Oasen  Fezzan  (oder  Fesan),  Augila  und 
Gad  am  us.  Die  Oase  Fezzan  ist  sehr  fruchtbar,  wird  von  Arabern  und  Ne- 
gern  bewohnt,  und  der  Hauptort  Mnrzuk  (10.000)  ist  einer  der  wichtigsten 
Handelsplatze  der  Wiiste,  wo  ans  alien  Bichtungen  Karawanenzuge  zusammen- 
treSen;  der  Markt  danert  von  Oktober  bis  Januar.  —  Die  Oase  Augila  (sud- 
licb  von  Barka)  treibt  starken  Handel  nach  Kairo,  vorziiglich  geruhmt  werden 
die  Dattdn.  —  Gadames  mit  dem  gleichnamigen  Hauptort  ist  der  wichtigste 
Platz  anf  der  Strasse  von  Tripolis  nach  Tuat  (in  der  Waste)  and  nach  Murzuk. 

II.  Tunis.  —  Zwischen  Tripolis  und  Algier  liegt  Tunis,  etwa 
3700  QMeilen  gross  und  mit  2'/2  bis  3  Millionen  Einwohnern, 
meist  Arabern  und  Mauren,  deren  Herrscher  (Bey)  fast  ganzlich 
unabhangig  von  der  Pforte  ist,  obgleich  letztere  Tunis  noch  immer 
als  einen  Vaeallenstaat  betrachtet.  Aus  Algier  streicht  das  b'etliche 
Ende  des  A 1 1  a  s  -  Gebirges  ins  Land,  dessen  letzter  Auslaufer  das 
Kap  Bon  ist.  Im  Nordwesten  ist  das  Land  gut  bewassert  (unter 
den  Kiisterflufsen  der  Medscherda)  und  sehr  fruchtbar;  im  Sii- 


415 

den  des  grossen  Atlas  ist  die  felsige  Ebene  Biledulgerid  (Belad 
el  Dscherid  =  Dattelland).  Der  sehr  ergiebige  Boden  liefert  bei 
einem  meist  herrlichen  Klima  trotz  der  nachlassigen  Bebauung 
sehr  viel  Oel,  Cerealien  und  Fruchte  aller  Art,  besonders  Datteln 
in  grosser  Menge,  auch  etwas  Baumwolle.  Bedeutend  ist  die  Rind- 
viehzucht,  dann  jene  der  Schafe  mit  viel  und  sehr  feiner  Wolle, 
vortrefflicher  Pferde  und  Dromedare.  Die  Industrie  ist  relativ 
bedeutend,  insbesondere  sind  bekannt  die  turkischen  Mutzen  (Fes), 
gefarbte  Saffiane ,  Seiden,  und  Wollenwaaren  sowie  schone  Topfer- 
waaren.  Fiir  den  Seehandel,  der  fast  ganz  von  Marseille  be- 
herrscht  wird,  sind  wichtig:  Tunis  (100.000)  und  Susa;  f iir  den 
Karawanenhandel  K  air  wan  (40.000).  Die  Handelsprodukte  sind 
wie  in  Tripolis. 

Grossere  Orte  sind: 

Tunis,  die  grosste  und  schonste  Stadt  in  Nordafrica,  mit  ansehnlichen  Fabri- 
ken  in  Scide,  Sammt,  Tuch  nnd  Fes,  und  bedeutendem  Handel.  (Am  Eingange 
der  Lngune  ist  der  Hafen  La  Goletta ;  in  der  Nahe  die  Kuinen  von  Carthago, 
Utica,  Thapsus).  Die  KQstenstadte :  Biserta  (8000),  Susa  (10.000),  Mona- 
stir  (12.000)  nnd  Cabes  (20.000),  davor  die  Insel  Dscherbi  (vorziigliche  Tucher 
und  Shawls);  —  im  Innern :  K  air  wan  (nur  Muselmanncr  diirfen  sich  hier 
aufhalten),  Toser  (20.000)  am  grossen  Salzsee  Melrir,  mit  bedeutender  Woll- 
manufaktur  und  grossem  Dattelhandel ;  N  efta  (18.000)  erzeugt  vorzugliche  Haik 
(Umschlagtucher)  und  ist  einer  der  grossten  Dattelmarkte. 

C.  Algier.  —  Ueber  10.000  nMe»en  un(J  beilaufig  3  Mil- 
lionen  Einwohner).  Ln  Westen  von  Tunis  langs  des  Mittelmeeres 
ist  das  (seit  1830)  franzosische  Besitzthum  Algier.  Das  Land 
ist  sehr  gebirgig,  vora  mittleren  Theile  des  grossen  und  des  kleinen 
Atlas  durchzogen.  Gegen  Nor  Jen  ist  dem  grossen  Atlas  das 
gut  bewasserte,  fruchtbare  Plateau  Mdas  Tell"  vorgelagert,  dessen 
Abfall  gegen  die  Kuste  durch  das  vielfach  durchbrochene  Gebirge 
des  kleinen  Atlas  gebildet  wird.  Gegen  Siiden  senkt  sich  der 
grosse  Atlas  zum  Steppenplateau  Biledulgerid.  Zu  dem  hat 
Algier  viel«  schone,  iruchtbare  Ebenen  (Metidscha  bei  Algier, 
Egres- Ebene  bei  Maskara) ,  mehrere  Flussthaler  und  einen  meist 
sehr  ergiebigen  Boden.  Unter  den  Kustenfliissen  ist  der  Schelif, 
das  Tell  durchfliessend,  bemerkenswerth  ;  mehrere  kontinentale  Fliisse 
versiegen  im  Sande  oder  ergiessen  sich  in  die  zahlreichen  Salzseen. 
In  der  algieriechen  Sahara  gelingt  die  Bohrung  artesischer  Brunnen 
vortrefflich.  —  Der  Sommer  ist  heiss  und  trocken ,  der  Winter 
reich  an  Regen  und  Gewittern,  auf  den  Hochebenen  strenge  mit 
Schneefall.  —  Die  Bcvolkerung  gehort  grosstentheils  dem  arabischen 
Stamme  an,  nachst  ihnen  sind  am  zahlreichsten  die  Berber  (Ka- 
bylen),  Europaer  diirften  hier  an  250.000  leben. 

Trotz  der  Aufmunterung  zur  Kolonisation  schreitet  die  Civili- 
sation in  Algerien  doch  nur  eehr  langsam  vorwarts.  Der  eehr 
fruchtbare  Boden  und  die  gunstigen  klimatischen  Verhaltnisse 
liefern  einen  reichen  Ertrag  an  Getreide,  Tabak,  Krapp,  Hanf, 
Wein,  Oel,  Gemusepflanzen,  Friichten,  BaumM'olle  u.  s.  f.  Die  dich- 
ten  Waldungen  enthalten  grosse  Mengen  Baumaterial  und  ausge- 
zeichnete  Holzer  fiir  die  Pariser  Mobelfabriken.  Die  Viehzucht 
ist  bedeutend ;  vor  all  em  nimmt  die  Zucht  der  ausgezeichneten 
Berberpferde  grossen  Aufschwung,  das  Schaf  und  Kameel  erfreuen 


416 

eich  besonderer  Pflege,  und  die  Kultur  der  Cochenille  gewinnt  stets 
an  Ausbreitung. 

Ziemlich  ansehnlich  ist  der  Bergbau,  die  Eisen-,  Kupfer- 
und  Bleierze  sind  von  vorzuglicher  Qualitat.  Die  gewerbliche 
Industrie  ist  sehr  unbedeutend ;  erwahnenswerthe  Manufakte 
sind  Teppiche,  Mantel,  Leder,  Pferdegeschirr,  Waffen  und  derglei- 
chen.  —  Der  Handel  erreichte  in  den  letzten  Jahren  den  Werth 
von  etwa  180  Millionen  Francs ;  Frankreich  hat  wohl  90%  des 
Gesammtverkehrs  in  Handen.  Die  Kustenfahrt  ist  fiir  alle  Flaggen 
frei,  der  Handel  mit  Frankreich  aber  ist  an  die  franzosische  Flagge 
gebunden.  Der  Import  aus  Frankreich  (von  Marseille  nach 
Algier )  umfasst  nebst  alien  Arten  von  Industrie  -  Erzeugnissen 
(Baumwollen-  ,  Wollen- ,  Seidenstoffe  ,  Branntwein  ,  Luxusartikel 
etc.)  auch  Bauholz,  Kolonialwaaren,  Wein;  zum  Export  (zumeist 
aus  dem  Hafen  von  Bona)  gelangen :  Getreide ,  Oel ,  Tabak, 
Baumwolle,  Gernuse,  Sudfriichte  u.  a.  m.  Sehr  betrachtlich  ist 
auch  der  Getreidehandel  nach  dem  Innern  Afrikas ,  der  (sowie 
der  Verkehr  mit  Marokko  und  Tunis)  durch  Karawanen  vermit- 
telt  wird. 

Das  Land  bildet  ein  franzosisches  General  -  Gouvernement 
mit  militarischer  Einrichtung  und  wird  in  drei  Provinzen  ein- 
getheilt : 

1.  Algier.—  Algier  (100.000)  befestigte  Haupt-  und  Hafenstadt  mit  Arsenal, 
Werften,   Bank,   Waarenborse,   Handelskammer,   mehreren  Bazars;    stark    be- 
suchte  Messe  im  September;  wichtigster  Handelsverkehr  (zumeist  der  Import) 
mit  Marseille.     Auch    die  Industrie    in    Seide,    Leder,    Gewehren,    Bijouterie- 
\vaaren  ist  bedeutend. 

2.  Oran.  —  Oran  (30.000)  am  Mittelmeer,  bedentender  Seehandel :    —  Mas- 
kara,  ehemalige    Residenz  Abd-el-Kaders ;    —  Tlemsen,   umfangreiche  In- 
dustrie, Erzeugiing  von  Burnns,  Haiks  und  Wollgiirteln. 

3.  Const  an  tine.   —    Constantino    (30.000),    wichtig    wegen    des   Handels 
nach  dem  Innern  des  Landes;  —  Bona  (12.000)  mit  starker  Korallenfischerei 
und  grossem  E  x  p  o  r  t  geschaft  nach  Frankreich. 

D.  Marokko  und  Fez.  —  Im  aussersten  Westen  der  afrika- 
nischen  Nordkiiste  ist  der  machtigste  Berberstaat,  das  MKaiserthum 
Marokko."  Die  Gesammtflache  wird  auf  10  bis  12.000  QMeilen, 
die  Bevolkerung  zwischen  8  und  9  Millionen  angenommen.  Es  ist 
das  hochste  Bergland  der  Berberei.  Der  hohe  Atlas,  mit  Gipfeln 
bis  11.000',  zieht  sich  vom  Kap  Geer  von  Siidwesten  nach  Nord- 
ost;  gegen  den  Ocean  senkt  er  sich  iiber  ein  gut  bewassertes  Berg- 
land  zur  Tiefebene  der  Kuste  herab;  an  der  Nordkiiste  erhebt  sich 
der  kleine  Atlas.  Im  Siiden  des  grossen  Atlas  ist  das  Steppen- 
plateau  Biledulgerid ,  und  jenseits  desselben  beginnt  die  Sahara. 
Von  den  zahlreichen  Kustenflii  ssen  im  Norden  ist  der  Mulvia  der 
ansehnlichste,  jene  der  siidlichen  Abdachung  verlieren  sich  meist 
in  der  Wiiste. 

Das  Klima  ist  vortrefflich,  der  Boden,  mit  Ausnahme  des 
Wiistenstriches,  fruchtbar  und  reich  an  Produkten ;  doch  steht  der 
Ackerbau  noch  auf  sehr  niederer  Stufe.  Nebst  den  Cerealien 
gedeihen  vorziigliche  Hulsenfruchte  und  Sudfriichte  (besonders  Man- 
deln),  Oliven,  Wein,  Tabak,  Baumwolle,  Kork  u.  a.  m.  Ansehnlich 
ist  die  Viehzucht;  Kinder,  Pferde,  Schafe  und  Kameele  sind 


417 

zahlreich;  die  ausgedehnte  Bienenzucht  liefert  Honig  und  Wache 
in  grosser  Menge.  Unter  den  Industrie- Produkten  ist  das  vor- 
treffliche  Leder  (Maroquin  von  Marokko  und  Saffian  von 
Saffi)  sehr  beruhmt ;  geschatzt  sind  ferners  die  Fee,  Leibgurtel, 
Teppiche,  Seife,  Topferwaaren,  Metallwaaren,  Waffen.  —  Der  K  a- 
rawanenhan  del  geht  hauptsachlich  nach  dem  SQden,  die  Pilger- 
karawanen  nach  Mekka  sind  in  der  Abnahme,  da  zumeist  der  See- 
weg  eingeschlagen  wird.  Fur  den  Seehandel  nach  Europa  sind 
wichtig  Tanger,  Rabat  und  Mogador.  Exportirt  werden  die 
erwahnten  Erzeugnisse  der  Agrikultur  und  Viehzucht,  Leder  und 
die  aus  Inner-Afrika  bezogenen  Waaren ;  importirt  werden  euro- 
paische  Fabrikate  und  Kolonialwaaren.  Mit  vielen  Produkten  ist 
der  Handel  Monopol  des  Sultans;  der  auswartige  Handel  ist  gros- 
sentheils  in  den  Handen  der  hier  zahlreich  lebenden  Israeliten  (iiber 
eine  halbe  Million). 

Ansehnlichere  Orte  sind: 

Marokko  (80-  bis  100.000  Einwohner)  in  einer  fruchtbaren  Hochebene  mit 
prachtvollen  Gebauden,  Bazars,  Getreidemagazinen,  bedeutender  Maroquin-  (Le- 
der-) Fabrikation  und  ansehnlichem  Karawanenhandel;  —  Fez  (100.000  Ein- 
wohner), zweite  Hauptstadt,  die  wichtigste  Industriestadt,  besonders  erheblich 
ist  die  Fabrikation  von  Fes,  Maroquin,  Waffen ;  — mit  ausgebreitetem  Handel;  — 
Mogador  (12.000),  der  bedeutendste  Seehandelsplatz,  namentlich  fur  den  eu- 
ropaischen  Handel;  —  Mekines  (60.000),  die  jetzige  Residenz  des  Sultans, 
beruhmt  als  Sitz  muhamedanischer  Gelehrsamkeit  und  durch  die  reicheOelgewin- 
nnng,  sowie  die  Topferwaaren;  —  Tafilet  mit  lebhafter  Industrie;  wichtiger 
Karawanenhandel  nach  dem  Sudan;  —  Tatta  (oder  el  Ass  a)  ist  der  Sammelplatz 
fur  die  Karawanen  nach  Timbuktu;  —  (am  Mittelmeere) :  Tetuan  in  schOner, 
gesunder  Lage,  bedeutend  wegen  des  Handels  mit  Frankreich  ("das  ostliche  Ku- 
stengebirge  ist  der  Sitz  der  beriichtigten  Riff-Pirateo) ;  —  an  diesem  Meere  liegen 
auch  die  spanischen  Kustenorte  .Presidios"  (siehe  Spanien);  —  am  atlantischen 
Ocean  sind  die  Handelsplatze  Tanger,  Rabat  und  Saffi. 

Die  Sahara. 
§  107. 

Im  Siiden  der  nordafrikanischen  Hochlander  breitet  sich  auf 
einer  Flache  von  mehr  als  120.000  QMeilen  vom  atlantischen 
Ocean  bis  zu  den  Bergwanden  des  Nilthales  die  grosste  Wiiste  der 
Erde,  die  Sahara,  aus.  —  (Siehe  §.  36). 

Die  Vegetation  ist  in  Folge  der  geologischen  und  me- 
teorologischen  Verhaltnisse  eine  dOrftige.  Jede  nur  einigermassen 
bewasserte  Stelle  nimmt  die  wichtigste  Pflanze  des  Wiistenlandes, 
die  Dattelpalme  ein.  Dieser  steht  zunachst  als  wichtigste  Nah- 
rungspflanze  die  Doumpalme,  dann  folgen  Akazien  und  Arte- 
misien ;  namentlich  ist  die  Artemisienart  Schih  als  Kameelfutter 
und  Brennstoff  den  Reisenden  sehr  wichtig.  Die  Thierwelt  ist 
ebenfalls  schwach  vertreten.  Antilopen  kommen  nur  in  kleinen 
Herden  vor ;  dagegen  halten  die  Nomaden  grosse  Herden  von 
Kameelen,  unter  denen  die  unter  dem  Namen  ^Mehari"  beruhmte 
Varietal  durch  Schnelligkeit  und  Ausdauer  sich  auszeichnet.  (Man 
legt  mit  den  Mehari  15  deutsche  Meilen  per  Tag,  den  Weg  von 
Marokko  nach  dem  Senegal  in  7  Tagen  zuriick).  Bei  der  gros- 
sen  Menge  von  Salzseen  bildet  Salz  einen  Haupthandelsartikel. 

Kluo's  Handels  -  Geogrraphle.     2.  Aiifl.  27 


418 

Audi    Salpeter,   Natron,   Alaun   werden   an   mehreren  Stellen    ge- 
wonnen. 

Die  Bevolkerung  der  Sahara  ist  zumeist  nomadisch,  treibt 
Viehzucht  und  Handel;  nur  in  den  grosseren  Oasen  treiben  sess- 
hafte  Stamme  auch  Ackerbau.  Sie  gehort  drei  Stammen  an:  langs 
der  atlantischen  Kfiste  bis  zum  Senegal  hausen  im  Westen  der 
Wiiste  die  Beduinen  (Mauren,  Araber),  in  kleine  Stamme  zer- 
theilt ,  die  sich  haufig  befehden.  Im  mittleren  Gebiete  wohnt 
der  zahlreiche  Berbernstamm  der  Tuarik;  sie  sind  Fiihrer  der 
Karawanen,  Makler,  Kaufleute,  behende  Rauber.  Im  Osten  sind 
die  T  i  b  b  u ,  die  am  weitesten  gegen  Norden  und  ostlich  bis  in 
den  agyptisch-nubischen  Oasenzug,  bis  Darfur  und  Kordofan  ver- 
breitet  sind. 

Nur  die  O  as  en,  die  grossen  Inseln  in  dem  ausgedehnten 
,,Meere  ohne  Wasser"  haben  fur  die  Menschheit  grosseren  Werth. 
Einige  derselben  sind  ziemlich  bevolkert,  haben  100  bis  300  und 
mehr  Ortschaften  (darunter  welche  mit  mehreren  tausend  Einwoh- 
nern);  sie  sind  die  grossen  Hafenplatzc  der  Karawanen,  Die  wich- 
tigsten  Oasen  sind:  1.  die  drei  grossen  Oasen,  eigentlich 
Oasengruppen :  Fezzan  (oderFesan,  zuTripolis  gehorig)  mit  dem 
Hauptorte  Murzuk;  —  Tuat  (mit  fiber  100,  nach  Andern  fiber 
350  Ortschaften)  mit  der  ummauerten  Haupt-  und  Handelsstadt  T  i- 
mimun  (10.000  Einwohner) ,  dann  den  Orten  Ain  Salah  (oder 
Insalah)  Agabli  u.  a.  m. ;  —  Air  (mit  etwa  60  Ortschaften,  u'ber 
50.000  Einwohner)  mit  den  Hauptorten  A  g  h  a  d  e  s  (8000,  ehemals 
50.000  Einwohner)  und  Tin  Tellust.  2.  Ausser  diesen  Oasen- 
landern  erstcr  Grosse  sind  noch  erwahnenswerth  die  Oasen:  am 
atlantischen  Meere  Arguin;  ostlich  davon  Wad  an  (oder  el  Ho- 
den),  nordlich  davon  Gualata;  Ostlich  von  der  fruheren  A  r  a  u  a  n 
(Timbuktu),  Taodenni,  Ghat  (westlich  von  Fezzan)  ;  im  Lande 
der  Tibbu:  Bilma,  mit  dem  Hauptorte  gleichen  Namens,  mitgros- 
sem  Salzreichthume  u.  m.  a, 

Seit  Jahrhunderten  ziehen  die  Karawanen  auf  den  namlichen 
Wegen  von  Oase  zu  Oase,  von  Nord  nach  Slid,  von  West  nach 
Ost.  Die  Saharabewohner  tauschen  ihre  Hauptartikel  Salz  und 
Vieh  an  die  Sudanbewohner  gegen  Getreide,  Goldstaub,  Elfenbein, 
Sklaven  und  dergleichen  aus.  Letztere  Artikel ,  sowie  Gummi, 
Alaun,  Straussfedern  tragen  sie  nach  den  westlichen  und  nordlichen 
Kiistenstadten  und  holen  sich  von  Europaern  Wa£fen,  Pulver,  Klei- 
dungsstiicke  u.  a.  m.  Die  wichtigsten  Stapelplatze  fiir  den  aus- 
wartigen  Handel  sind :  St.  Louis  (am  Senegal),  Fez,  Algier,  Tunis, 
Tripolis,  Bengassi,  Kairo  und  Suakim. 

Die  bedeutendsten  Karawanen-Strassen  sind: 

(In  siid-nordlicher  Richtung):  Von  Marokko  nach  St.  Louis  langs  der 
Kuste;  —  von  Marokko  nachGalam  am  obern  Senegal  iiber  die  Oase  Siid-Walat 
(51  Tage);  —  der  bedeutendste  Handelsplatz  und  Mittelpunkt  der  wichtigsten 
nordafrikanischen  Karawanenstrassen  ist  Timbuktu,  wohin  von  Marokko,  Al- 
gier und  Tunis  Strassen  fiihren,  und  zwar  von  Fez  und  Marokko  iiber  El  Assa 
und  die  Oasen  Nord-Walat  (Gualata),  Taodenni  und  Arauan ;  bei  Taodenni  verei- 
nigt  sich  mit  dieser  Strasse  auch  jene  von  Tripolis  iiber  die  Oase  Tuat  (Agabli) 
und  hier  miindet  ferner  die  Strasse  von  Tafilet,  also  von  Algier  ein.  Agabli 


419 

ist  eine  Hauptstation  fiir  die  Karawanen  von  Algier  iind  Tunis  nach  Timbuktu. 
—  In  der  mittleren  Sahara  sind  die  Zielpunkte  der Karawanen  S6koto 
(Sukatu,  20.000  Einwohner)  und  Kuka  (am  Tsad-See),  die  Ausgangslander 
sind  Tunis  und  Tripolis.  Gadames  in  Tripolis  ist  der  Vereinigungs-  und  Aus- 
gangspunkt  fur  die  beiden  Kichtungen.  Von  hier  geht  die  westliche  Karawanen- 
strasse  iiber  Tuat  (Agabli)  nach  der  Oase  Asben  (Aghades),  wo  auch  eine 
Strasse  von  Timbuktu  und  eine  andere  von  Gadames  iiber  Murzuk  einmiindet. 
Von  Aghades  gabelt  sich  der  Weg  nach  Sokoto  und  nach  dem  Tsad-See.  —  Der 
zweite  und  der  eigentliche  Hauptweg  aus  Tripolis  nach  dem  Tsad-See  geht  iiber 
Murzuk  und  Bilma.  Von  Murzuk,  dem  Hauptvereinigungspunkte  der  nordafri- 
kanischen  Handels  -  und  Pilgerkarawanen ,  geht  auch  ein  Weg  durch  das  Land 
der  Tibbu  nach  Wadai  und  weiter  nach  Darfur.  —  Von  der  Hafenstadt  Ben- 
gassi  (am  Fusse  des  Plateau  von  Barka)  fiihrt  ebenfalls  ein  Karawanenweg  iiber 
die  Oasen  Augila  und  Febabo  nach  Wadai  und  Darfur,  auf  welchem  viele  euro- 
paische  Waaren  nach  Inner- Afrika  gelangen. 

(In  ost- westlicher  Richtung)  geht  der  nordliche  Hauptweg  von  Ma- 
rokko  nach  Aegypten  am  Fusse  des  Atlas  iiber  die  kleinen  Oasen  und  den  Sta- 
pelplatz  Gadames ;  —  der  siidliche  von  Senegambien  iiber  Timbuktu,  Aghades 
nach  Nubien.  Der  letzte  Weg  wird  jedochl  minder  benutzL 

V.  Sudan  oder  Nigritien. 

§.  168.' 

Siidlich  der  Sahara,  von  den  Kustenlandern  dea  atlantischen 
Oceans  bis  zu  den  Landern  am  obern  Nil  sind  die  Landschaften, 
die  man  mit  dem  Kollektivnamen  Sudan,  Nigritien  oderCen- 
tral-Afrika  bezeichnet.  Ihre  Ausdehnung  nach  dem  Hochlande 
Sud-Afrika's  ist  ganzlich  unbekannt.  Nach  den  bisherigen  Erfor- 
schungen  konnen  sie  in  drei  grossere  Gruppen  geschieden  werden: 
1.  Die  west  lichen  Landschaften  am  Niger  und  dessen  Zuflussen ; 
—  2.  die  mittleren  mit  dem  Binnenbecken  des  Tsad-Sees;  — 
3.  die  ostlichen  am  obern  Nil. 

Die  Bevb'lkerung  besteht  aus  zahlreichen  eingeborenen 
Negerstammen ,  Fetischanbetern  der  grobsten  Art  oder  Muhame- 
danern,  und  aus  eingewanderten  muhamedanischen  Arabern, 
Fulah,  Tuariks  und  andern.  Neben  vielen  Erbmonarchien  mit  dem 
grossten  Despotismus,  deren  Oberhaupter  den  Titel  Sultan  fiihren, 
bestehen  zahlreiche  kleinere  Staaten,  in  denen  der  Titel  des  Reiches 
und  des  Hauptlinges  gleich  lautet.  Diese  Staaten  leben  in  bestan- 
digen  Fehden  unter  einander. 

Der  grosste  Theil  des  Bodens  ist  in  den  Sudan  -  Landern 
fruchtbar  und  dem  ziemlich  stark  betriebenen  Ackerbau  gQnstig. 
Durra,  Weizen ,  Mais,  Reis ,  Hulsenfruchte,  Tabak ,  Baumwolle, 
Indigo,  werden  in  bedeutender  Menge  gewonnen.  Die  Viehzucht 
ist  insbesondere  bei  der  arabischen  Bevolkerung  eine  Hauptbeschaf- 
tigung  (Dromedare,  Kinder,  Schafe  und  Pferde);  die  Seen  und 
Flusse  sind  reich  an  Fischen.  Die  Ausbeute  an  Miner  alien  ist 
relativ  geringer,  doch  bietet  sie  ziemlich  viel  Eisen,  Kupfer,  Zinn; 
eintraglicher  ist  die  Goldwascherei.  Die  Gewerbe  sind  mitunter 
nicht  ohne  Bedeutung,  namentlich  die  Verarbeitung  der  Baumwolle 
und  die  Farberei  verschiedener  Stoffe  mit  Indigo  ,  dann  die  Ver- 
fertigung  von  Leder-,  Holz-,  einigen  Metallwaaren  und  Thonge- 
schirren,  von  Matten  und  andern  Bedurfnissen  des  Haushaltes; 
mehrere  dieser  Artikel  werden  auch  in  den  Handel  gebracht.  Der 

27* 


Handel,  zumeist  ,in  den  Handen  der  Araber  und  Tuarik,  wird 
mittels  Karawanen  nach  alien  Richtungen  verhaltnissmaesig  lebhaft 
betrieben  und  umfasst  die  beim  Kara  wanenhan  del  der  Sahara  er- 
wahnten  Artikel. 

Die  bedeutendsten  Staaten  sind: 

(Von  West  nach  Ost):  Der  Mandingo-Staat  Bambaira  am  obera  Niger  mit 
dem  Hauptort  Sego  (30.000  E.). 

Das  Fellatareich  Massina  mit  den  Handelsplatzen  Djenne  (20.000),  Tim- 
buktu (13.000  ndie  Konigin  der  Wiiste")  und  K&bara  am  Niger,  der  Hafen  fur 
Timbuktu. 

Das  Reich  BortfU  am  Quorra-Fluss ,  Hauptort  Bussa  (15.000).  An  diesem 
Flusse  sind  noch  die  Reiche  Yarriba  (rechts),  Yauri  und  Nyfi  (links). 

Das  grosse  Fellatareich  Haussa  mit  der  gewerbreichen  Handelsstadt  S6koto 
(25.000)  und  der  Hauptstadt  Wurno;  einer  der  grbssten  Marktplatze  in  Central  - 
Afrika  ist  Kan 6  (40.000). 

Von  den  Reichen  urn  den  Tsad-See  ist  am  bedeutendsten  Boriill,  dessen  Be- 
volkerung  auf  2  Millionen  geschatzt  wird.  Hauptort  ist  Kuka  (10.000),  unweit 
vom  Westufer  des  Tsad-Sees,  ein  wichtiger  Handelsplatz ;  dessgleichen  Angornu 
(30.000  bis  50.000  E.). 

Siidb'stlich  vom  Tsad-See  im  Gebiete  desFlusses  Schari  ist  das  Reich  Bagirmi 
mit  der  Hauptstadt  Masenja. 

Im  Nordosten  vom  Letzteren  ist  das  noch  wenig  bekannte  Reich  Wadai  mit 
dem  Hauptorte  War  a. 

Zwischen  Wadai  und  Kordofan  Hegt  das  Reich  Dariur  (mit  beilaufig  4  Mil- 
lionen E.),  dessen  bedeutendste  Orte  Ten  deity  und  Kobeh  StationsplStze  fiir 
die  agyptischen  und  nubischen  Karawanen  sind  *). 


*)  Erforschuugsreisen  in  Central-Afrika.  Die  Kenntniss  der  central-afri- 
kanischen  Lander  und  Volker  ist  in  unserem  Jahrhunderte  durch  englische  und  deutsche 
Forscher  und  christliche  Missionare  ungemein  bereichert  worden.  Trotz  der  Miihse- 
ligkeiten  und  Gefahren  sind  diese  Helden  des  Glaubens  und  der  Wissenschaft  tief  in 
das  Innere  des  Kontinentes  vorgedrungen.  Sind  auch  mehrere  mitten  in  ihrer  edlen 
Wirksamkeit  in  fernen  Landern  dahingeschieden ,  so  gelang  es  doch  Einigen  in  ihre 
Heimat  zuriickzukehren  und  Kunde  von  unbekannten  Landern  uns  zu  bringen.  Einige 
derselben  sind:  Mungo  Park  (Englander)  bereiste  im  Jahre  1796  die  Lander  der 
Mandingo  am  Flusse  Dscholiba  (Niger),  kehrte  nach  England  zurtick,  veroffentlichte 
im  Jahre  1799  seine  Reiseberichte ,  ging  im  Jahre  1805  neuerdings  nach  Afrika,  er- 
reichte  das  Reich  Haussa  und  ertrank  wahrend  einer  Verfolgung  im  Flusse  Quorra 
unweit  Bussa  im  Reiche  Borgu.  —  Die  Briider  Richard  und  John  Lander  (Eng- 
lander) bereisten  die  Nigerlander,  stellten  die  Miindung  des  Niger  in  die  Bai  von 
Benin  fest,  kehrten  1830  nach  England  zuriick,  unternahmen  1832  eine  zweite  Reise, 
beschifften  den  Niger  und  den  Tschadda.  Richard  starb  in  Folge  einer  Schusswunde 
auf  der  Insel  Fernando  Po  (1834);  John  starb  in  England  1839.  —  James  Richard- 
son (Englander)  und  die  Deutschen  Heinrich  Barth  (geb.  1821)  und  Adolpli 
Overweg  (geb.  1822)  reisten  1850  nach  den  Landern  am  Tsad-See.  Allein  Richard- 
son starb  am  4.  Marz  1851  in  Unguratua  (sechs  Tagreisen  von  Kuka  in  Bornu), 
und  Overweg  im  Jahre  1852  in  Maduari,  beide  an  klimatischen  Einfliissen.  Dr. 
Barth  durchforschte  nun  allein  die  Lander  im  Gebiete  des  Tsad-Sees,  kam  nach 
Timbuktu,  wo  er  vom  7.  September  1853  bis  8.  Juli  1854  verbleiben  musste,  kehrte 
nach  mancherlei  Angst  und  Noth  im  Jahre  1854  nach  Kuka  zuriick  und  gelangte 
gliicklich  nach  Europa.  Am  8.  September  1855  trat  er  in  Marseille  an  das  Land, 
nachdein  er  in  fiinf  Jahren  und  fiinf  Mouaten  iiber  3000  deutsche  Meilen  zuriickge- 
legt  hatte.  —  Nach  Overweg's  Tode  ging  Dr.  Vogel  (geb.  1829  zu  Crefeld)  nach 
Afrika.  Er  ging  iiber  Murzuk  und  Bilma  nach  dem  Tsad-See,  erreichte  das  Land 
der  Tibbu  und  Kanem  und  langte  1854  in  Kuka  an.  Auf  der  Reise  von  Knka  nach 
Kano  begegnete  er  unerwartet  in  einem  Walde  dem  in  Europa  todt  geglaubten  Dr. 
Barth.  Nach  kurzem  Beisammensein  trennten  sich  die  deutschen  Forscher.  Vogel 
setzte  seine  Reisen  im  Siiden  des  Tsad-Sees  fort,  zog  dann  nordostlich  uud  erreichte 
1856  Wadai,  das  noch  kein  Europaer  betreten  hatte.  Ob  er  in  Wara  vom  Sultan 
hingerichtet  worden  ist,  wie  einige  Berichte  aussagen,  ist  noch  nicht  erwiesen.  —  Der 
englische  MissionSr  Dr.  Livingstone  erforscht  das  siidliche  Central  -  Afrika.  Er 


421 

VI.  Lander  und  Staaten  an  der  Westkuste. 

§.  109. 

A.  Seiiegambieil.    —    Beilaufig   zwischen  deni  11.  nnd  18.°  n.  Br.  liegt  an 
der  Kiiste  des  Atlantik  und  niit  den  Flussgebieten  des  Senegal,  Gambia  und  Rio  grande 
die  Landschaft  Senegambien.     Irn  Innern  Gebirgsland  (K o n g - Gebirge),  verflacht 
sie  sich  gegen  das  Meer  zum  Tieflande,  welches  sumpfig,  ungemein  heiss  und  hochst 
ungesund   fiir  Europ&er  ist.     Bei    der   reichen  Bewasserung  und   der  grossen  Warme 
entfaltet  sich  ein  ungemein  iippiger  Pflanzenwnchs,  so  dass  ein  kunstlicher  Ackerbau 
fast  unnothig  wird.     Ausser  den  Getreidearten  gedeihen  Tabak,    Zuckerrohr,   Pfeffer, 
viele  Pahnenarten;  grossen  Reichthum  hat  das  Land  an  schonen  Holzarten  (Acajou- 
Holz  [Export  nach  Frankreich],  der  Gummibaum  und  andere).     Im  ausgedehnteren 
Masse  wird  die  Viehzucht  betrieben;  dieGewinnung  vonEisen  und  Gold  ist  ziem- 
lich  bedeutend.     Die  gewerbliche  Thatigkeit  beschrankt  sich  auf  die  Verarbeitung 
von  Eisen  und  die  Erzeugung  von  Baumwollstoffen,  Leder,  Thonwaaren  und  derglei- 
chen.  Der  See- Handel  ist  in  denHanden  derEuropaer,  welche  hier  Niederlassungen 
besitzen  und  umfasst  Gummi,  Goldstaub,  Elfenbein,  Palmenol,  Farb-  und  Bauholz  und 
andere ;   —   den  Karawanenhandel  nach  Timbuktu  und  Sudan  betreiben  zumeist 
die  Mauren;  der  Sklavenhandel  hat  fast  ganz  aufgehort. 

Senegambien  ist  von  Negern  bewohnt,  welche  in  viele  kleine  Stamme  und  Reiche 
sich  theilen,  und  grosstentheils  Fetischdiener  sind.  Die  bedeutendsten  Stamme 
sind:  die  Joloffen  zwischeri  dem  untern  Senegal  und  Gambia ;  die  Mandingo 
am  untern  Gambia  und  Rio  graude ;  die  meist  muhamedanischen  Fulah  am  obern 
Gambia  und  am  Westrande. 

Besitzungen  der  Europ&er: 

1.  F  ranziisis  ch  e.   —    Meist   am   Senegal,    der  jedoch    nur  in  der  Regenzeit 
(Juli  bis  November)  schiffbar  ist;    wichtig  vvegen   der   grossen   Gummiwalder. 
St.  Louis  (10.000  E.),    an    der  Mnndung  des    Senegal,  Stapelplatz  fur    den 
Gummihandel.    Bakel  (am  Senegal,  im  Inneren  des  Landes);  Insel  und  Fort 
Gore  am  Kap  Verd. 

2.  Englische.  —  Bathurst  (spr.'Bad'orst)  an  der  Gambia-Mundung  und  einige 
Faktoreien  am  Gambia  (Georgetown,  spr.   Dschordschdtaun,    St.  James,  spr. 
Dschehms  und  andere). 

3.  Port  ugies  i  sche.  —  Zwischen  den  Mundungen  des  Gambia  and  Rio  grande. 
Stationsplatze  sind:  Cachao  (Eascheo  oder  Cacheu),  Geba  and  die  grosste 
der  B  i  s  s  a  o  -  Inseln . 

B.  Ober -Guinea.  —  Unter  Obor-Guinea  versteht  man  den  Kustenstrich  von 
11°  n.  Br.  bis  zum  Aequator;  nach  dem  Innern  des  Kontinentes  zu  lassen  sich  keine 
bestimmteren  Grenzen  angeben.     Die  flache  Kuste   ist  vielfach  sumpfig   und    bei  der 
tropischen  Hitze  ungesund;  im  Innern  streicht  das  K  o  n  g-Gebirge ,    von  dem  einige 
Auslaufer  die  Kiiste  erreichen  (die  Vorgebirge:   Kap   Sierra    Leone,    Mesurado, 
Palmas,  der  drei  Spitzen  und  andere).     Der  wichtigste  Fluss  ist  der  Niger,  der  sich 
in  die  Bai  von  Benin    ergiesst.    Gebrauchlich    ist  die    Benennung    der   einzelnen 
Kustenstriche  nach  ihren  bedeutendea  Export-Erzeugnissen :  Sierra  Leone -Kiiste, 
Pfeffer-  (oder  K6rner-),  Zahn-  (oder  Elfenbein-),  Gold-   und  S kl a ven- Kiiste. 

Der  Bo  den  ist  bei  der  langen  Dauer  der  tropischen  Regen  und  der  grossen 
Warme  sehr  fruchtbar,  und  liefert  viele  Nahrungs-  und  Handelspflanzen  ,  namentlich 

ebte  16  Jahre  im  Innern  Afrika's,  entdeckte  den  Ngami-See,  den  Oberlauf  der  Zam- 
bese,  den  Quilimance  und  andere,  bereiste  die  Ostkuste  und  veroffentlichte  hochst 
werthvolle  Berichte.  Jetzt  soil  er  sich  in  den  Landern  am  Nyassi-See  befinden. 

Von  6sterreicllischeii  Reisenden  sind  beriihmt  geworden :  Russegger  (geb. 
zu  Salzburg  1802)  ging  im  Jahre  1834  nach  Afrika,  bereiste  die  Nil-Lander  und  ver- 
offentlichte sehr  gediegene  Berichte.  Der  katholische  Missionar  Dr.  Knoblecher 
(geb.  1819  zu  St.  Canzian  in  Krain)  fuhr  auf  dem  weissen  Nil  bis  2°  n.  Br.  und  be- 
griindete  in  Chartum  eine  katholische  Mission.  Er  starb  in  Neapel  bei  seinem  zweiten 
Aufenthalte  in  Europa.  Die  osterreichischen  Konsuln  in  Chartum  Dr.  Reiz  (gestor- 
ben  in  Chartum)  und  Dr.  von  Heuglin.  Letzterer  hat  namentlich  Abyssinien  bereist 
und  werthvolle  Berichte  veroffentlicht ;  er  ist  in  den  verschiedensten  Beziehungen  noch 
immer  in  jenen  Landern  thatig.  Die  katholische  Mission  von  Chartum  dehnt  ihre 
segensreiche  Wirksamkeit  immer  weiter  nach  Senaar,  Kordofan  und  Darfnr  aus,  nnd 
ist  auch  in  wissenschaftlicher  Beziehung  ungeraein  thatig. 


422 

Getreide,  Zuckerrohr,  Kaffee,  Gewiirz-  und  Farbepflan/en.  Die  dichten  Walder  sind 
reich  an  Farb-  und  Nutzholzem.  Die  Gewinnung  von  Gold  ist  betrachtlich ,  dess- 
gleichen  von  Eisen  (Sierra  Leone).  Die  Hauptbeschaftigung  bilden  Feldbau,  Jagd 
und  Fischerei.  Gewerbe  werden  verhaltnissmassig  am  meisten  im  Lande  der 
Aschanti  betrieben  (Gewebe,  Metallwaaren,  Thongeschirre).  Seit  der  Unterdriickting 
des  Sklavenhandels  hat  sich  der  Handel  mit  den  Landeserzeugnissen,  welche  an 
der  Kiiste  gegcn  europaische  Erzeugnisse  umgetauscht  werden,  becleutend  gehobec. 
Fur  den  nach  Timbuktu  gehenden  Karawanenhandel  ist  Kumassi  (im  Reiche 
der  Aschanti  [Goldkuste])  Stapelplatz. 

Unter  den  zahlreichen  Negerstammen  sind  die  bedeutendsten  Reiche : 

1.  Reich  der  Aschanti  (Goldkfiste),  das  grosste  in  Guinea,  mit  einigen  Millio- 
nen  Einwohnern  und  dem  Hauptorte  Kumassi. 

2.  Das  Negerreich  Dahomeh  (ostwarts  an  der  Sklavenkuste)   mit   dem   Haupt- 

orte A  b  o  m  e  h. 

3.  Das  Negerreich  Benin  mit  dem  gleichnamigen  Hauptorte. 

4.  Das  Hochland  der  Amboser  an  der  Bai  von  Biafra    mit  dem  Hauptorte 
Biafra. 

5.  Liberia,    eine  Republik    christlicher   Neger   auf  der    Pfefferkuste   mit 
etwa  1400  Q  Meilen  und  fiber  300.000  Einwohnern ,  wolche  Ackerbau ,  Vieh- 
zncht   und  Gewerbe   treiben,    auch  einen   lebhaften   Handel   unterhalten.     Die 
Republik,  im  Jahre  1821  von  amerikanischen  Burgern  begrundet,  hat  eine  der 
nordamerikanischen  nachgebildete  Verfassung;  sie  ist  der  erste  und  einzige  von 
freien  Negern  verwaltete  christliche  Staat  in  Afrika,  welcher  einen  sehr  gliick- 
lichen  Fortgang  nimmt,  fur  die  Ausbreitung  des  Christenthnms  und  der  Civi- 
lisation sehr  thatig  und  durch  den  freien  Anschluss  benachbarter  Negerstamme 
stets  im  Wachsen  begriffen  ist. 

Besitzungen  der  Enropaer: 

1.  Englische.  —  Anf  der  Sierra-Leone-Ktiste:  Freetown  (spr.  Frihtaun,  20.000) 
fiir  befreite  Negersklaven ;  Sitz   des   General-Gouverneurs.   —   Auf  der   Gold- 
kuste:  Cape    Coast   Castle   (spr.    Kep   Kost    Kassl ,    10.000   Einwohner), 
Christiansborg  (vormals  danisch)  und  andere. 

2.  Niederlandische.  — Auf  der  Goldkuste:  Elmina,  Hollandia  nnd  andere. 

3.  Franzosische.  —   Auf  der  Zahnkiiste  mehrere  Forts. 

C.  Nieder-Gninea  und  Slid-  Vfrika.  —  Nieder-Guinea  ist  der  Kustenstrich 
vom  Kap  Lopez  bis  zum  Kap  Frio  (nordlich  der  Nevas-Bai)  das  ist  1°— 18°  s.  Br. ; 
die  Ausdehnung  nach  dem  Tnnern  ist  ganzlich  unbekannt.  Vom  Kap  Frio  bis  zum 
Kaplande  sind  die  von  Ho  ttent  ottenstammen  (Buschmannern ,  Namaqna  und 
andern)  bevSlkerten,  wusten,  wenig  bekannten  Landschaften ,  mit  einigen  Stations- 
platzen  christlicher  Missionare*).  —  Das  siidafrikanische  Hochland  fallt  hier  terassen- 
formig  ab  ;  die  hOher  gelegenen  Landschaften  zeichnen  sich  durch  Fruchtbarkeit  und 
gesundes  Klima  aus,  die  Flachkiiste  ist  mehrfach  sumpfig  und  hochst  ungesund.  Die 
Produkte  dieser  Landstriche  sind  die  namlichen  wie  in  Ober-Guinea,  namentlich  wird 
viel  Reis,  Maniok,  Mais,  Hirse  und  Tabak  gebaut.  Die  Berge  sind  reich  an  Me- 
tallen  und  Holzarten.  Ungemein  zahlreich  sind  hier  die  grossen  Vierfasser.  Die 
schwarze  BevOlkerung  der  Bunda-Stamme  ist  meistens  trage,  in  fortwahrenden 
Fehden  unter  einander,  urn  Menschen  fur  den  Sklavenhandel  zu  erbeuten  und 
dem  rohesten  Fetischdienst  ergeben. 

Unter  den  einheimischen  Reichen  sind  die  bedeutendsten: 

1.  Loan  go,  vom  Kap  Lopez  bis  znm  Za'ire-Fluss,  mit  sehr  fruchtbarem  Boden, 
aus  vielen  kleinen  Staaten  bestehend,  mit  den  StadtenLoango  und  Mayumba. 
Exportartikel :  Elfenbein,  Gummi,  FarbhSlzer. 

2.  Congo,  reich  bewassert,  sehr  frnchtbar,  reich  an  Kupfer-  und  Eisenerzen  im 
Innern.    Hauptort  Congo  (oder  S.  Salvador)  am  untern  Laufe  des  Congo. 

Portugiesische  Besitzungen:  Angola  und  Benguela  mit  beilauiig 
600.000  Einwohnern.  Hauptort  Laonda  (10.000),  Sitz  des  General-Gouver- 
neurs, dann  S.  Felipe  de  Benguela,  Mossamedes.  —  Exportartikel: 
Sklaven,  Elfenbein,  Wachs,  Gummi,  rothes  Sandelholz  und  andere. 


*)  Siehe  A.  Petermaun's  MKarte  von  Sud-Afrika  zur  Uebersicht  der  neue- 
sten  Entdeckungen  etc."  und  E.  Behm's  wgeographische  Skizze  der  neu  erforschten 
Regionen  des  Innern."  Petermann's  ^Mittheilungen"  1858.  V. 


428 

VII.  Das  Eapland. 
§.  170. 

1.  Das  Kaplaml,   eine   britische   Besitzung   an  der    Siid- 
spitze  Afrika's  mit  etwa  6—7000  QMeilen  und  an  400.000  Einwoh- 
nern,    reicht    vom  Kaffernlande    im   Osten    bis  zum  Atlantik ,    und 
nordlich  bis  zum  Oranje-  (oder  Garib-)  Flusse.     Das   Hochland 
Sud  -  Afrika's    senkt   sich   von    den    Roggeveld  -    und    Nieuweveld- 
Bergen  zur  Karroo-Hochebene ,   welche  dutch  die  schwarzen  Berge 
von  der  Kustenebene  des  Kaplandes  geschieden   ist.     (Siehe  §.  34.) 
Daa   Land    1st   im  Allgemeinen    wasserarm,    das  Klima  gemassigt, 
die    Luft    ausserordentlich    trocken    und    rein.    Im    Kaplande    gibt 
es    zwei    durch   die    herrechendeu  Winde    charakterisirten  Jahres- 
zeiten:  den  durch  kalte,  trockene  Siidostwinde  gemassigten  Sommer 
vom  September  bis  April,  dann  den  Winter   (April  bis  September) 
mit  feuchten  Nordwestwinden.     Die  Heidenvegetation  ist  sehr  reich 
und  mannigfaltig,    sonst    gibt    es  wenig  einheimische  Nutzpflanzen; 
dagegen  gedeihen  die  hierher  verpflanzten  Gewachse  und  Hausthiere 
vortrefflich.     Ackerbau,     Weinbau    und  Viehzucht    bilden  die 
Hauptbeschaftigung  der    Kolonisten;    insbesondere  ist  der  Kapwein 
(um  Konstantia)    beriihmt.     Die  Schaf-  und   Rinderzucht   sind  sehr 
bedeutend.     Die    Hauptprodukte    sind:    Wolle,    Weizen    und 
W  e  i  n.     An  Mineralprodukten  besitzt  es:  Salz  im  Ueberfluss,  Sal- 
peter  ,    trefflichen    Kalk ,    aber    wenig   Erze    und  Steinkohlen.     Die 
Gewerbethatigkeit   ist  eine   geringe,    dessgleichen  der  Handel  nach 
dem  Innern. 

Die  Bevolkerung  besteht  aus  Kolonisten  und  Einheimischen 
(Hottentotten,  Kaffern,  Betschuanen  und  andere).  Die  Kapkolonie, 
2000  Meilen  (die  in  50  Tagen  zuruckgelegt  werden)  vom  Mutter- 
lande  entfernt,  fst  fur  dieses  sowohl  als  ein  stark  konsumirender 
Markt,  als  auch  als  Erfrischungsplatz  und  Entrepot  fiir  den  See- 
verkehr  auf  dem  Wege  nach  Indien  sehr  wichtig.  Der  Import 
aus  dem  Mutterlande  berechnet  sich  im  Jahresdurchschnitt  auf 
800.000  £. 

Das  Kapland  hcsteht  aus  zwei  Provinzen: 

o)  Westprovinz:  Kapstadt  (25.000)  nordwarts  vom  Kap  der  guten  Hoffnung, 
an  der  weiten  aber  gefahrlichen  Tafelbai ,  welche  jahrlich  von  5 — 600  Schiffen 
besucht  wird.  Die  Stadt  ist  schdn,  regelmassig  gebaut,  hat  wissenschaftlichc 
und  kommerzielle  Anstalten  und  alien  europaischen  Comfort.  In  der  Nahe  Kon- 
stantia mit  beruhmtem  Weinbau,  dann  S  tell  enbosch,  Worcester. 

6)  Ostprovinz:  Ujtenhage,  Graham  stown  (spr.  Grehams  taun),  der  rasch 
aufbliihende  Hafenplatz  Port  Elisabeth  und  der  Hauptort  im  biitischen 
Kaffernlande  King  Williams  Town  (spr.  King  Uilliems  Taun). 

2.  Getrennt  vom  Kaplande  Hegt  an  der  Ostkuste  die  britische 
Kolonie    Natal    (oder    Victoria)   mit    einem    Flachenraume    von 
etwa    900    QMeilen    und    120.000    Einwohnern    (darunter    nur    an 
8000  Weisse).     Das  Land  hat  trefflichen  Boden ,  ein  der  Gesund- 
heit  und  der  Vegetation    sehr   zutragliches  Klima ,    erzeugt  ausge- 
zeichneten  Tabak,    Weizen  u.  a.  und   eignet   sich  ungemein  fur  die 
Viehzucht.     Die    zwei    Stadte     sind:    Pieter-Maritzburg   im 
Innern  des  Landes,  mit  dem  Sitze   des  Vice-Gouverneurs  und  die 
Hafenstadt  Port  d' Urban  (ehemals  Port  Natal). 


424 
VIII.  Lander  mid  Staaten  an  der  Ostkiiste. 

§.  171. 

Die  Ostkiiste  Afrika's  kann  in  drei  Haupttheile  geechie- 
den  werden : 

1.  Das    Ka fern -Land,    vom    Kaplande    bis    zum  Liwuma- 
Flusse  und  dem  Kap  Delgado  (10°  s.  Br.); 

2.  das  Suaheli-Land  (auch  Sawahili  oder  Wazumba),  vom 
Liwuma-  bis  zum  Dschuba-  (oder  Tschub-)  Flusse  (auch  Wumbu- 
oder  Gowina-Fluss)  unter  dem  Aequator; 

3.  das    Somal-Land,  vom  Dschuba-Flusse   langs  dem  in- 
dischen    Meere    und  dem  Golf    von    Aden    bis    zum    abyss inischen 
Hochlande. 

A.  Das  Kafern-Land.  —  Die   Kafern  nnd  die  fibrigen  Volker  der  Ostkfiste 
bilden  nur  GJieder  einer  einzigen    grossen    sud-afrikanischen  Volkerfamilie.    Es    sind 
kriegerische  Stamme,  gross  und  stark  gebaut,  ausgezeichnet  durch  Muth   und  Gelen- 
kigkeit.     Sie  treiben  bauptsachlich  Viehzucht  und  Jagd,  auch   etwas  Ackerbau   und 
Fischerei ;  verarbeiten  Eisen  und  Knpter  nnd  bringen  ihre  Erzeugnisse    theilweise   in 
den  Handel.    Sie  leben  unter  einander  in  haufigen  Fehden.    Als  Heiden  sind  sie  voll 
Aberglauben.     Christliche  Missionare  sind  bemuht,  den  christlichen  Glauben  und  mit 
diesem  Bildung  und  Gesittung  zu  verbreiten.  Die  von  ihnen  bewohnten  Kflstenstriche 
sind :  die  Kafernkuste,  Sofala  und  M  ozambiq  u  e  ;  ersteie   wird  welters  ein- 
getheilt  in  das  Land  der  Amatemba,    der    Amakosa,   der    Arnaponda    und 
das    Delagoa-Land   an    der    gleichnamigen   Bai.     Zudem    liegen    im   Kafernlande 
ausser    der  britischen  Kolonie   Natal    die   beiden   hollandischen    Kepubliken :   Ora- 
nien  -  R  ep  nb  l,ik  jenseits   des  Oranienflusses  mit  dem  Hauptorte  Bloemfontain 
(spr.  Blumfontan)  und  die  Tr  ans  v  aal-R  epu  bli  k  am  Vaal-Flusse  mit  dem  Haupt- 
orte Potch  e  fs  tr  om  (oder  Vrijburg).*)    Beide  Republiken    exportiren    viel   Wolle 
und  Schlachtvieh  nach  der  Kapstadt. 

Die  Kustenstriche  Sofala  und  M  oz  a  mbiq  u  e  werden  von  denPortugie- 
sen,  welche  cine  Anzahl  Platze  innehaben,  als  Besitzthum  betrachtet.  Ihre  Macht 
hat  im  Innern  fast  ganz  aufgehort  und  beschrankt  sich  auf  einige  Stationen  am  Zam- 
besi-Flusse  und  mehrere  KQstenplatze.  Die  wichtigsten  Exportartikel  sind:  Gold, 
Elfenbein,  Wachs,  Cerealien,  Vieh.  P  or  t  u  gi  esisc  h  sind  die  Stadte  (in  Sofala): 
Sofala  an  der  gleichnamigen  Bai;  siidlich  davon  das  unter  Palmpflanzungen  gele- 
gene  Jehambana,  nnd  eine  Faktorei  an  der  Delagoa-Bai.  Das  goldreiche  Land 
Manika,  im  Innern  des  Landes,  ist  jetzt  unabhangig.  —  (In  Mozambique): 
der  Hafenplatz  Mozambique  mit  dem  Sitze  des  Generalgouvernenrs  ;  die  unge- 
sunde  Kustenstadt  Guilimani,  mit  ansehnlicher  Ausfuhr  von  Gold  und  Elfenbein. 
Die  am  tiefsten  im  Innern  gelegene  Station  ist  Tete  an  den  Katarakten  des  Zambesi. 

B.  Das  SualM'li-LasuI.  —  Dieser   Landstrich.,    die   Zanzibar-Kiiste    ge- 
nannt,  hat  seinen  Namen  von  dem  Kiistenvolke  Suaheli  (=  Tieflandsbewohner).     Das 
Volk  ist  zwar  schwarz,   aber  von  schoner  kaukasischer  Korperbildung ,  muhamedani- 
schen  Glaubens  und  steht,  mit   den  Arabern  seit  alten  Zeiten  in  Verbindung,   welche 
hier  eine  Herrschaft  zu  griinden  und  der  Anarchie  der  kleinen  einheimischen  Staaten 
ein  Ziel  zu  setzen  sich  bestrebten.     Gegenwartig  gehort  es  dem  Imam  von  Maskate. 
In  den  Seestadten  leben   viele  arabische   nnd  indische  Kauflente  ;   im  Innern  Stamme 
der  Gallas,  welche  immer  niiher  an  die  Kiiste  vordringen.     Die  Ku'ste  und  das  Innere 
sind  sehr  fruchtbar,  die  Vegetation  reich,  das  Klima  grosstentheils  gesund.     Auf  den 
Inseln  gedeihen  tropischeFriichte.  Die  Eingebornen  betreiben  Ackerbau  und  Viehzucht ; 
von  Gewerben,  ausser  dem  Schmiedegewerbe,    kann   kaum   die  Rede   sein.     Dagegen 
ist  der  Handel  von  Bedeutung.     Zum  Export  gelangen:  Sklaven,  Vieh,  Reis,  Elfen- 
bein, Kopal,  Kauris  u.  v.  a. ;  —  importirt  werden :  Webewaaren ,  Waffen ,  Kurz-  und 

*)  Im  Jahre  1836  wanderten  viele  hollandische  Bauern  (Boers,  spr.  Buhrs) 
aus  der  Kapkolonie  ans  nnd  grundeten  di  e  Oranien-Republik,  welche  im  Jahre  1854 
von  England  anerkannt  wtirde.  Dieser  Staat  hat  etwa  2300  Q  M.  mit  30.000  Ein- 
wohnern.  —  Die  zweite  Republik,  bei  3700  Q  M.  gross,  mit  beilaufig  140.000  Ein- 
wohnern  wurde  im  Jahre  1848  begrundet. 


425 

Glaswaaren  u.  a,  m.    Die  bedeutenden  Orte  liegen  auf  Gestadeinseln,  als:  Zanzibar 
(10.000),  Mombas  init  dem  besten  Hafen,  Pemba  mit  grossem  Reisbau. 

C.  Das  Somal-Laud.  —  Das  ostlichste  Ende  des  Kontinentes,  ein  gebirgi- 
ges  Plateau,  wird  von  dem  kraftigen  Stamme  der  Somalia  bewohnt,  welche  mit  den 
Gallas  und  Adal  zu  einem  Stamme  gehb'ren.  Sie  sind  meistens  Muhamedaner,  wah- 
rend  die  immer  weiter  gegen  die  Kiiste  vordringenden  Galla  Heiden  sind.  Sie  leben 
in  einzelnen  Horden  unter  Hauptlingen  auf  patriarchalische  Art ;  nur  die  Bewohner 
der  Oase  Harrar,  fanatische  Muhamedaner,  haben  eine  festere  Regierung.  Durch 
gesundes  Klima,  reiche  Bewasserung  und  Vegetation  ist  Somal  einer  der  schonsten 
Theile  des  afrikanischen  Kontinentes.  Viehzucht  und  Handel,  zum  Theil  auch  Acker  - 
bau  bilden  die  Hauptbeschaftigungen  der  Bewohner.  Myrrhen,  Gummi ,  vorziiglicher 
Kaffee,  Straussfedern,  Thierhaute  u.  a.  m.  sind  die  Haupt  -  Exportartikel  nach  Mekka 
;ind  Bombay.  —  Die  bekanntesten  Orte  sind:  Zeila  am  Golf  von  Aden,  und  bstlich 
davon  Berbera;  Makadschu  und  Brawah  am  indischen  Ocean.  Im  Innern  des 
Landes,  mitten  unter  Kaffeepflanzungen  die  grosste  Stadt  des  Landes  Harrar  (oder 
Adar).  Die  ostlichste  Spitze  ist  das  Kap  Guardafui. 

IX.  Das  siidafrikanische  Hochland. 

§•  172. 

Das  Innere  des  siidafrikanischen  Hochlandes  ist  noch  weni- 
ger  bekannt  als  dessen  Rander  (siehe  §.  34).  Dessen  nordliche 
Grenze  um  den  Aequator  ist  fast  ganz  unbekannt ;  an  den  drei 
Meerseiten  findet  dagegen  ein  terassenformiges  Aufsteigen  zu  hohen 
Erhebungen  Statt;  namentlich  ist  der  Ostrand  als  die  Haupterhe- 
bung  zu  betrachten.  Im  Norden  des  Kaplandes  und  im  Westen 
der  hollandischen  Boers-Republiken  hat  man  die  mit  dichtem  Busch- 
werk  bedeckte  Wiiste  Kalahari  aufgefunden ;  die  Aufzahlung 
der  weiter  gegen  Norden  gelegenen  Lander  und  Orte  ist  noch  viel- 
fach  schwankend.  —  Die  Bevolkerung  scheint  grossentheils  dem 
Negervolke  B  u  n  d  a  anzugehoren  ,  unter  welchen  die  den  Kafern 
ahnlichen  Betschuanen  (im  Norden  des  Garib)  die  bekanntesten 
sind.  Sie  haben  •  einen  milderen  Charakter ,  leben  in  grosseren 
Ortschaften,  treiben  Ackerbau,  Viehzucht  und  auch  mancherlei  Ge- 
\verbe  ;  die  Bergvolker  gewinnen  und  verarbeiten  Eisen-  und  Kupfer- 
erze.  Der  Handel  mit  den  Nachbarn  ist  geringe  und  beschrankt 
sich  auf  Elfenbein,  Thierhaute,  Sklaven  u.  dgl. 

Bekanntere  Landschaften  sind:  Die  Gebiete  des  Galla-  und  des  Wakamba- 
Stammes  ;  —  die Landschaft  am  grossen  See  Uniamesi  (0° — 6°  s.  Br.)  ;  —  das 
Land  Muene  Muesi,  nordostlich  vom  Nyassi ;  —  das  Gebiet  der  Kazembe 
mit  der  handeltreibenden  Stadt  Lunda,  westlich  vom  Nyassi;  —  das  Reich 
Moropua  im  Quellgebiete  des  Zai're  mit  Ablagerung  von  Kupfererzen  und  mit 
fischreichen  Gewassern ;  die  Landschaft  Kalihari  und  anderer  Stamme. 

Seit  einem  Jahrzehent  haben  die  Entdeckungen  der  deutschen  Missionare  R  e  fa- 
in an  n  und  Krapff,  der  englischen  Reisenden,  insbesondere  des  Missionars  Li- 
vingstone und  des  Ungarn  Magyar  Laszlo  in  diesen  Gegenden  grosse 
Aufmerksamkeit  erregt. 

X.  Die  afrikanischen  Inscln. 

§   173. 
A.  Im  atlantischen  Ocean. 

1.  Die  Azoren,  Madeira  und  die  C'apverdischen|Inseln ;  portugie'sische 
Besitzungen. 

2.  Die  Canarischen  Inseln  ;  spanisch. 

3.  Die  Guinea-  Inseln,  in  der  Bai    von  Biafra,    mit  fruchtbarem,    gut    kultivirtem 
Boden,  welche  Kaffee,  Siidfriichte,  Getreide,  Farlje-  und  Bauholz  zum  Export  lie- 


fern.  —  Fernando  Po  and  Annabon  sind  spanisch;  —  die  Prinzeniusel  und 
St.  Thomas  portugiesisch  (auf  letzterer  ist  S.  ThomS  Hauptort). 
4.  Die  britischen  Felseninseln  Ascension  und  St.  Helena  sind  Stations- 
platze  fiir  Ostindienfahrer  und  Wallfischfanger  im  Siidpolar  -  Meere.  Hafenplatz 
auf  der  ersteren  ist  Georgetown,  auf  der  let/teren  Jamestown.  Hier  ist 
auch  der  Pachthof  Long  wood  (im  Innern  der  Insel)  als  Aufenthalt  Napoleons 
vom  Jahre  1815  bis  1821  bekannt.  —  Auf  der  britischen  Insel  Tristan  da 
Cunha  nehmen  die  nach  Indien  und  Australien  fahrenden  Schiffe  Wasser  und 
Proviant  ein.  Die  Bevolkemng  besteht  aus  Briten,  die,vom  Kapland  eingewan- 
dert  sind. 

B.  Im  indischen  Ocean. 

1.  Madagascar  (10.900  QMeilen,  4  bis  6  Millionen  Einwohner).  —  Das  8000' 
bis  12.000'  hohe  Gebirgsland,  welches  die  Insel  von  Slid  nach  Nord  durchzieht, 
fallt  zu  breiten  Kiistenebenen  herab.  Die  flachen,  sumpfigen  Kiistenstriche  ?sind 
ungesund  und  heiss ;  auf  dem  Binnenplateau  ist  das  Klima  gemassigt.  Die  Insel 
hat  grossen  Keichthum  an  Fliissen  und  Seen.  Die  geologischen  und  meteorolo- 
gischen  Verhaltnisse  gestalten  Madagascar  zu  einem  Verbindungsglied  zwischen 
der  afrikanischen  und  indischen  Tropenvegetation.  Die  Flora  ist  reich  an  kolos- 
salen  Bau-  und  Farbeholzern,  Arzneigewachsen,  Oelpflanzen,  Reis,  Tabak,  Indigo, 
Bananen,  Maniok,  KafFee  u.  s.  w.  Von  eingefiihrten  Gewachsen  gedeihen 
Siidfriichte  und  Wein  so  gut  als  Kartoffel  und  Kaft'ee.  Die  grossen  afrikanischen 
Thiere,  Dickhauter  sowohl  als  Raubthiere,  fehlen  zwar;  dagegen  sind  in  grosser 
Anzahl  vorhanden  wilde  Schweine,  Biiffel,  Schafe  mit  Fettschwanzen,  Seidenrau- 
pen,  aber  auch  Schlangen  und  Krokodille.  Der  Bergbau  liefert  Eisen,  Kupfer, 
Schwefel,  Steinsalz,  Kohlen.  In  den  gewerblichen  Beschaftigungen  sind  nur  sei- 
dene  und  wollene  Waaren,  sowie  Metallwaaren  erwahnenswerth. 

Die  Bewohner,  allgemein  Madegassen  (Malagasi)  gcnannt,  zerfallen  in  viele 
Stamme.  Die  an  der  Westkiiste  sind  afrikanischer  Race ;  im  Innern  ist  das  ma- 
layische  Geprage  vorwiegend.  Der  herrschende  Stamm  sind  die  kriegerischen  H  o- 
was;  die  Regierung  ist  ausserst  despotisch.  Hauptstadt  ist  Tananarive  (an- 
geblich  25.000,  mit  den  nahen  Dorfern  60—80.000  E.),  auf  einem  Hochplateau 
im  Innern.  Die  Einwohner  erzeugen  Gold-  und  Silberschmuck,  Teppiche,  wasser- 
dichte  Zeuge.  Ueberdiess  gibt  es  im  Innern  und  an  der  Kiiste  noch  mehrere 
Ortschaften. 

Diese  fruchtbare,  gut  bewasserte,  mit  herrlichen  Waldungen  bedeckte  Insel  mit 
trefflichen  Hafenbuchten  war  schon  haufig  das  ersehnte  Ziel  europaischer  Kolo- 
nisationsversuche ,  welche  jedoch  stets  gescheitert  sind.  Nur  die  Franzosen 
behaupten  an  der  Ostkuste  die  Insel  St.  Marie  (GOOO  E.)  mit  dem  Hafenorte 
Port  Louis. 

2.  Die  vulkanisch-gebirgigen    Comoren-Inseln    im  Kanal   von   Mozambique,    von 
Suaheli  und  Arabern  bewohnt,  sind  reich  an  schonen  Palmenarten,  Bauholz,  Zucker- 
rohr,  Reis  und  Mais.  —  Die  Insel  Mayatta  ist  von  Franzosen  besetzt. 

3.  Die  Mascarenen:   a)  Mauritius  (oder  Isle  d^e  France)  mit  dem  Hauptort 
Port  Louis  (30.000);  b)  Reunion  (oder  Bourbon)  mit  dem  Hafenort  St.  De- 
nis (12.000);  die  erste  den  Briten,  die  zweite  den  Franzosen  gehorig.  Beide 
Inseln   sind   ausserst  fruchtbar  an  Troppengewachsen  aller  Art,    doch  werden  in 
neuererZeit  iiberwiegend  Handelspflanzen,  weniger  Cerealien  gebaut.    Der  Export 
an  Zucker,  Kaffee,  Baumwolle,  Gewiirzen  ist  bedeutend. 

4.  Die  Sechellen  und  Amiranten,  den  Briten  gehorig,  sind  reich  an  tropischen 
Produkten;   Hauptort  ist  Victoria    auf  Mache  (Sechellen);    die  Amiranten  sind 
unbewohnte  Koralleninseln. 

5.  Im  siidlichen  Theile   des   indischen  Oceans  zwischen  Afrika   und  Australien  sind 
mehrere  gebirgige,  vulkanische  Inseln,  welche  meistens  als  Stationsplatze  den  Wall- 
fischfangern  dienen.  Erwahnenswerth  sind :  die  Prinz  Edwards-  Insel,  die  C  r  o- 
zet-Inseln,  Amsterdam  und  St.  Paul,  Kerguelensland. 


Die  Staaten  von  Amerika. 

A.    Nord-Amerika. 
§.  174.  Cronlaiid. 

Grronlaud,  nachst  Neu-Holland  die  grosste  Insel  der  Erde,  wird 
bespiilt  vom  atlantischen  Ocean,  dem  arktischen  Polarmeer,  dem 
Smith- Sund,  der  Baffins-Bai  und  der  Davis-Strasse.  Die  Insel  ist 
ein  arktisches  Hochland,  das  wegen  der  Schnee-  und  Eismassen  im 
Innern  und  iin  Norden  unzuganglich  ist.  Die  Ostkiiste  steigt  in 
steilen  Eis-  und  Felsmassen  aus  dem  Meere ,  welches  das  ganzc 
Jahr  mit  Eiefeldern  bedeckt  ist.  Die  ganze  Westkiiste  ist  eine  zer- 
rissene  Fjordenkiiste ,  aber  im  siidlicheren  Theile  mehrere  Monatc 
eisfrei.  Die  grosste  unter  den  zahlreichen  vorgelagerten  Inseln  an 
dieser  Kiiste  ist  Disko.  Der  siidlichste  Punkt  von  Gronland  ist 
das  Kap  Farewell;  nach  Norden  erstreckt  sich  die  Insel  in  un- 
bekannte  Feme.  In  dem  rauhen  Klima  kommen  nur  in  den  siidlichen 
Theilen  verkriippelte  Birken ,  Erlen  und  Weiden ,  beerentragende 
Straucher  und  das  Loffelkraut  vor.  An  Thieren  hat  es  wilde  Renn- 
thiere ,  Eisbaren ,  Fiichse ,  viele  Seevogel ,  vorziiglich  aber  viele 
Wallfische,  Seehunde  und  Fische,  welche  den  Bewohnern  Nahrung 
und  Kleidung  geben.  An  Hausthieren  ist  ausser  dem  wenigen  Horn- 
vieh  ,  welches  in  der  Kolonie  Julianeshaab  gehalten  wird,  nur  der 
Hund  allgemein,  der  zmn  Schlittenfahren  verwendet  wird.  Die  von 
Europaern  eingefiihrteu  Pflanzen  und  Thiere  gedeihen  nur  sparlich 
und  verkiimmert.  —  An  den  Kiisten  wohnen  Eskimos  (etwa  20 
bis  25.000),  welche  Seehundsfang  und  Fischerei  treiben.  Sie  haben 
Aehnlichkeit  mit  der  mongolischen  Race ,  sind  klein  aber  stark, 
scheinen  ein  friedliches,  lenksames  ,  aber  hochst  unreinliches  Volk 
zu  sein ,  das  ohne  gemeinsame  Regierung  familienweise  friedlich 
neben  einander  lebt.  Im  Winter  wohnen  sie  in  geraumigen  Erdhiitten 
an  geschiitzten  Steilen  des  Ufers  dreissig  bis  vierzig  beisammen ;  den 
Sommer  bringen  sie  in  Zelten  unter  Robbenfellen  zu.  Sie  sind  Hei- 
den  mit  allerlei  Aberglauben  ;  doch  findet  das  Christenthum  schon 
einige  Verbreitung. 

Danemark  besitzt  an  der  Westkuste  cinigc  Kolonicn  odcr  viclmehr  Herrn- 
huter-Missionen  mit  Handelsstationcn.  Auf  etwa  200  Q  Mcilen  le^pn  uber  10.000, 
meist  christlicher  Gi-Onlander,  welche  den  Danen  Thran,  Haute,  Pelzwerk,  Fedcrn 
und  derglcichen  licfern,  und  von  diescn  europiiische  Produkte  erhalten.  Die  danische 
Besitzung  wird  in  ein  nOrdlichcs  und  ein  siidliches  Inspektorat  einge- 
theilt :  im  ersteren  bind  die  Kolonien :  Godh  avn  (auf  Disko),  Christianshaab,  Ege- 
desminde  u.  a.;  —  im  letzteren  Goodhaab,  Julianeshaab,  Fredevikshaab  u.  a. 

§.  175.    Das  britischc  Nord-Amerika. 

Das  britische  Nord-Amerika  liegt  nordlich  von  den  Vereinig- 
ten  Staaten  bis  zum  Polarmeer;  im  Westen  grenzt  ea  an  den 


428 

grosser!  Ocean  und  die  russischen  Besitzungen ,  im  Ostea  an 
den  atlantischen  Ocean.  Der  Flachenraum  wird  auf  mindestens 
200.000  QMeilen  geschatzt,  obwohl  nur  ein  kleiner  Theil  wirk- 
lich  kolonisirt  ist.  Das  ganze  Territorium  zerfallt  in  zwei  grSssere 
Gruppen:  A.  Canada  nebst  Akadien  und  den  Inseln;  —  B.  die 
Hudsonsbai-Lander. 

A.  Das  eigentliche  Kolouieland ,  etwa  ein  Achtel  des  Ge- 
sammt-Territoriums  umfassend,  zerfallt  in  funf  Provinzen  oder  Gou- 
vernements:  1.  Canada,  —  2.  Neu -Braunschweig,  —  3.  Neu-Schott- 
land  mit  Kap  Breton,  —  4.  Prinz  Edwards-Insel,  —  5.  Neufund- 
land  mit  Anticosti. 

a)  Canada  (beilaufig  15.000  DMeilen,  I1/,  bis  2  Millionen  Einwohner).  Es  um- 
fasst  die  nOrdlichen  Ufer  der  fflnf  grossen  Seen  und  von  Montreal  an  beide  lifer 
des  St.  Lorenz  bis  zu  seiner  Mundung.  Die  Hochebene  von  Canada  nnd  Labra- 
dor wird  von  einzelnen  Landrucken  uud  Bergketten  durchzogen,  die  in  Labrador 
mit  ewigem  Schnee  bedeckt  und  reich  an  Gletschern  sind.  Die  Flussufer  und 
einige  Seitenthaler  sind  vollkommen  angebaut,  im  Westen  und  Norden  liegen 
noch  ungeheure  Strecken  mit  schOnen  Waldern  bedeckt,  welche  den  Hauptreich- 
tham  des  Landes  bilden.  Gate  Strassen  feblen  noch  vielfach.  Das  Klima  ist 
rauher  als  in  Europa  unter  gleicher  Breite  (Frankreich ,  Siiddeutschland) ,  der 
St.  Lorenz  ist  von  Dezember  bis  April  in  grossen  Strecken  zugefroren ;  der 
Sommer  ist  sehr  heiss,  die  Luft  gesund,  der  Boden  ausserst  fruchtbar.  Canada 
liefert  fur  den  Export:  Getreide,  Holz,  Produkte  der  Viehzucht,  dann  Eisen, 
Steinkohlen,  Salz,  Gyps  und  fertige  Schiffe.  In  der  Industrie  ist  bedeutend  der 
Schiffbau  nebst  den  darauf  beziiglichen  Gewerben,  dann  die  Bereitung  von  Ahorn- 
Zucker.  die  Brauereien  und  Brennereien.  An  dem  Fischfang  betheiligen  sich 
die  Canadier  weniger  als  die  Bewohner  der  nahen  Inseln.  Besonders  lebhaften 
Robben-  und  Kabeljaufang  betreiben  die  Neufundliinder.  — •  Obgleich  Canada  nur 
Eine  Provinz  bildet,  so  treten  zwischen  dem  Osten  (Unter-Canada)  und  Westen 
(Ober-Canada)  mehrfache Unterschiede  bervor.  In  Ober-Canada  ist  das  Klima 
milder,  der  Temperaturwechsel  gelinder,  es  gedeihen  Wein  und  Pfirsiche;  es  ist 
ein  vorwiegend  englisches  Land  mit  englischem  Recht  und  grosser  Mischung  in 
den  Konfessionsverhaltnissen.  Unter- Canada  ist  halbfranzosisch  und  katho- 
lisch  unter  einem  Bischofe  in  Quebec.  Im  Allgemeinen  zeigt  sich  in  Canada  ein 
grosser  Fortschritt  und  Aufschwung  nach  alien  Richtungen. 

Die  wichtigsten  Orte  sind:  Quebec  (45.000),  prachtvoll  gelegen ,  theils  am 
Flusse,  theils  am  Abhange  des  Kap  Diamond,  mit  Festungswerken ,  lebhafter 
Industrie  (Schiffbau,  Sagemuhlen)  und  starkem  Handel.  Montreal  (60.000), 
an  der  Grenze  der  Seeschiffahrt  auf  dem  Strom,  die  erste  Handelsstadt  des  bri- 
tischen  Amerika,  der  bedeutendste  Pelzhandel  auf  der  nordwestlichen  Wasser- 
strasse,  mit  grossem  Arsenal,  einer  Universitat,  zahlreichen  wissenschaftlichen 
Instituten.  Die  ubrigen  Stadte  in  Unter-Canada  (Trois  Rivieres,  Loretto,  Wil- 
liam Henry  —  ehemals  Sorel  — )  sind  von  geringer  Bedeutung.  In  Ober-Ca- 
nada ist  die  lebhafteste  Handelsstadt  (namentlich  Mehlhandel)  Toronto 
(23-000  E.  —  ehemals  hiess  sie  York),  dann  folgt  Kingston  am  Ausfluss 
des  St.  Lorenz  aus  dem  Ontario,  ferners  die  Stadte  Hamil  to  n  (10.000),  Nia- 
gara u.  a.  m.  Ottawa  (friiher  By  town)  an  der  Mundung  des  Rideau- 
Flusses  in  den  Ottawa  ist  der  Stapelplatz  far  den  Holzhandel.  Nicht  weit  davon 
liegt  Hull  mit  reichen  Eisengruben. 

6)  Nen-Brautrsclnveig  (von  dem  untern  Canada  darch  den  St.  Lorenzfluss  ge- 
trennt),  wird  begrenzt  vom  St.  Lorenz-Golf,  der  Halbinsel  Neu-Schottland  ,  der 
Fundy-Bai  und  den  Vereinigten  Staaten.  Das  Land,  welches  im  Innern  noch 
wenig  bekannt  und  nur  an  den  Knsten  angebaut  ist,  dnrchziehen  reich  bewaldete 
Berggrnppen  von  geringer  HOhe.  Die  Bewohner,  nahe  an  200.000,  sind  theils 
ans  der  Union,  theils  aus  Grossbritannien  eingewandert ;  die  Zahl  der  eingebor- 
nen  Indianer,  welche  meistens  das  Christenthum  angenommen  haben  nnd  in  Dor- 
fern  leben,  ist  ausserst  geringe.  Hauptstadt  ist  F  r  e  d  eri  ckstown  am  wich- 
tigsten Flnsse  des  Landes,  St.  John,  an  dessen  Mundung  die  Stadt  St.  John, 
der  ansehnlichste  Handelsplatz,  liegt. 


429 

c)  .Vt'U-Schottland  (ehemals  mit   Neu-Braunschweig    Akadien   gcnannt)   hat   mit 
der  dazu  gehorigen  Insel  Kap  Breton  etwa  900  QMeilen  mit    350.000  Ein- 
wohnera.     Das   Innere  ist  noch   von   grossen  Waldern  bedeckt;   der  Boden   ist 
sehr  ergiebig,  aber  noch  wenig  bebaut*     Nachst   der   Landwirthschaft    bildet  die 
iiberaus    reiche    Fischerei    (Hftringe   nnd  Stockfische)    die   Hanptnahrongsqaelle. 
Die  Hauptstadt  Halifax  (30.000)  ist  der  wichtigste  Kriegshafen    im   britischen 
Ainerika,  hat  grosse  Schiffswerften,  Dampfschiffahrtsverbindungen   mit  Falmoath 
und  Liverpool,  uberhaupt  bedeutenden  Seehandel.     Andere  Seeplatze   sind:   Li- 
verpool, Anapolis;  —  New-Glasgow  hat  reiche   Eisen-    und    Kohlen- 
grnben  und  auf  Kap  Breton,  wo  sich  wichtige  Kohlengrnben  vorfinden:  Sidney. 

d)  In  dem  St.  Lorenz-Busen  ist  die  Prinz  Edward's-Insel,    welche    ein  eigenes 
Gonvernement    bildet.     Sie    ist   sehr   fruchtbar,   liefert   viel  Getreide,    auch    die 
Viehzucht  ist   ansehnlich.     Hauptort  ist  die  befestigte  Hafenstadt  Charlotte- 
town  (5000). 

e)  Die  Inseln  \t\v- Found luud  (spr.  Nju-Faundland,  oder  Neufundland)  und  An- 
ticosti  and  die  kleine  Gruppe  der  Magdalen  en- Inseln    bilden   ein  Gonver- 
nement mit  dem  Hauptort  St.  John   (auf  New-Foundland).     Die    grosse  Kalte, 
Nebel  nnd  Sturme  verhindern    den  Ackerbau,  dessgleichen    die  Viehzucht.     Den 
Haupterwerb  bildet  die  ungemein  reiche  Fischerei,  insbesondere  anf  der  „ grossen 
Bank"  im  Siidosten  der  Insel,  wo  im  Sommer  Tausende  von  Schiffen  zu  diesem 
Zwecke  erseheinen. 

Die  Franzosen  besitzen  hier  die  kleinen  Inseln  St.  Pierre,  Miquelon 
nnd  Lang  lade. 

Zu  England  gehoren  endlich  die  Bermudas-  oder  Sommer  s- Inseln,  von 
denen  nur  wenige  bewohnt  sind.  Sie  dienen  als  Stationsplatze  fur  Seefahrer  nach 
West-Indien.  Schiffbau,  Fischerei  und  Seesalzbereitung  bilden  die  Hauptbeschaftigung 
der  etwa  12.000  Einwohner. 

B.  Die  Hudsonsbai  -  LSnder.  —  Dieses  grosse  Territorium 
wird  in  drei  Theile  geschieden  :  a)  die  Halbinsel  Labrador 
(auch  Neu-Britannien  genannt)  vom  St.  Lorenzbusen  bis  zur  Sud- 
epitze  der  Hudsonsbai,  —  b)  das  eigentliche  Hudsonsbai-Ter- 
ritorium  zwischen  der  Hudsonsbai  und  dem  Felsengebirge,  — 
c)  das  Nor  dwe  s  t-T  err  i  toriu  m  (oder  Neu  -  Caledonien  oder 
britisch  Columbia)  im  Westen  des  Felsengebirges  bis  zum 
grossen  Ocean. 

a)  Labrador  (etwa  25.000  QMeilen  mit  kaum  fiber  4000  Einwohnern),  gehtirt  zu 
den  rauhcstcn  und  odesten  Landern  der  Erde,  besonders  die  Nordostkuste,  welche 
ungeheure  Eismassen  aus  der  Baffinsbai  von  GrOnland  erhalt  nnd  nur  fur  Es- 
kimos bewohnbar  ist.  Es  wird  nur  wegen  der  Fischerei  besncht.  Das  Innere 
ist  eine  unebene  felsige  Plateauflache.  Hinsichtlicjh  der  Flusse  und  Seen  ist 
Labrador  wie  die  fibrigen  Hudsonsbailander  beschaffen ;  bemerkenswerth  ist  nur 
der  Miss  tass  inni-See  mit  dem  Rupertsflnss.  Die  Herrnhnter  haben 
einige  Missionsplatze  (Nain,  Okak,  Hoffenthal,  Hebron);  die  Hudsonsbai. 
Kompagnie  mehrere  Handelsposten  (Ostmain-Faktorei  an  der  Mnndnng  des 
Ostmain-Musses,  Kapertshouse  an  der  Mftndung  des  Ruperts-Flusses) ;  an  der 
Sudostknste  sind  einige  Fischerposten.  Die  Hauptprodukte  sind  Pelze  nnd  Fische. 

6)  Das  IludKOiisbai-Territoriiini  hat  die  grSsste  Anzahl  Seen  anf  der  Erde,  wel- 
che dnrch  zahlreiche  Flnsse  unter  einander  in  Verbindung  stehen.  Drei  Haupt- 
Husse  fiihren  die  Wasser  der  ausgedehnten  nordamerikanischen  Secnplatte  nach 
drei  Meeren,  und  zwar:  der  Atbabaska-,  der  Sklaven-  und  der  grosse  Baren-See 
geben  ihre  Wasser  an  den  Mackenzie  -Fluss  ab,  der  (an  Grosse  fast  der  Uo- 
nau  gleich)  sich  in  das  Polarmeer  ergiesst;  —  osilich  davon  steht  eine  Reihe 
von  Seen,  darunter  der  Winnipeg-See  der  grdsste,  durch  Fliisse  in  Verbindung, 
deren  letzter  der  Nelson,  in  die  Hudsons-Bai  miindct;  —  der  Abfluss  der 
fnnf  meerartigen  canadischen  Seen  ist  der  S  t.  Lorenz-  Fluss  mit  der  Mundnng 
in  den  gleicbnamigen  Golf.  —  Nach  der  Vegetation  unterscheidet  man  drei 
Regionen.  Der  westliche  Theil  (nordwarts  bis  zum  Friedens-Fluss,  Athabasca- 
See)  ist  die  Region  der  Prairien,  wo  auch  reiche  Kochsalzlager  nnd  zahl- 
reiche kleine  Salzseen  vorkommen ;  —  der  Osten  ist  die  Region  der  Wai- 


der,  welche  nordlich  bis  etwa  zum  61°  n.  Br.  reicht;  —  der  nordliche  Theil, 
jenseits  dieser  Kegionen  bis  zum  Polarmeer,  ist  voll  Unebenheiten  und  Felsen, 
nur  noch  mit  niederem  Buschwerk  bedeckt,  die  Wohnstatten  arktischer  Fiichse 
und  Baren.  Das  unguustige  Klima  ist  der  Landwirthschaft  iiberall  hinderlich, 
sie  wird  nur  an  einzelnen  Missionssitzen  betrieben.  Am  arktischen  Kustenstriche 
wohnen  Eskimos,  in  den  ubrigen  Theilen  ziehen  zahlreicbe  Horden  Indianer- 
stamme  herum,  welche  von  Jagd  und  Fischerei  leben.  —  Diese  Territorien  be- 
trachtet  die  engliscbe  Hudsonsbai-Kompagnie,  welche  im  Jahre  1670 
ein  Privilegium  (mit  Regierungsrechten  fur  den  Handel)  erhalten  hatte,  als  ihr 
Eigenthum.  Sie  verwaltet  das  Land  durch  einen  Gouvernenr,  darch  Oherfaktoren 
und  Oberhandler.  Sie  betreibt  den  Pelzhandel  nnd  hat  gegen  140  feste  Nieder- 
lassungen,  in  deren  Umgebungen  etwas  Landwirthschaft  und  sehr  ergiebige 
Fischerei  betrieben  werden.  York  Faktory,  an  der  Miindung  des  Nelson  in 
die  Hudsonsbai,  ist  die  Hauptniederlassung,  der  Haupthafen  der  Kompagnie,  wo 
auch  der  Bath  der  Oberfaktoren  gehalten  wird.  Andcre  bedeutende  Niederlas- 
sungen  sind :  Churchill  (an  der  Hudsonsbai),  Fort  Chippewaya  (am  Atha- 
baska-See),  Fort  Resolution  (am  grossen  Sklaven-See) ,  Fort  Franklin 
(am  grossen  Baren-See)  n.  a.  m.  Die  einzige  Kolonie  in  dem  ungeheuren  Ge- 
biete  ist  die  Kolonie  am  Redriver  mit  dem  Hauptorte  Fort  Garry  (7000). 
Die  Nordpolar-Lander  :  Baffinsland,  Southampton,  Nord-Devon,  die  Parry- 
Inseln  mit  der  Halbinsel  Melville ,  die  Inseln  Somerset ,  Prinz  Wales ,  Boothia, 
Victoria ,  Prinz  Albert-  und  Banksland  sind  fast  durchgehends  Eiswiisten  mit 
hbchst  sparlicher  Vegetation  (Lbffelkraut) ,  nur  von  wenigen  Eskimos  bewohnt, 
welche  vonFischfang  und Robbenschlag  leben.  Die  nnordwestliche  Durch- 
fahrt"  aus  der  Baffins-Bai  in  die  Behringsstrasse  ist  wohl  aufgefunden  worden; 
doch  ist  sie  fur  den  Handelsverkehr  von  keiner  Bedeutung,  weil  diese  Strassen 
nur  selten  eisfrei  sind. 

c)  Das  Nordwest-Tcrritorium  befindet  sich  im  Westen  des  Felsengebirges  bis 
an  den  grossen  Ocean,  als  eine  Kolonie  der  britischen  Krone  mit  einem  be- 
sondern  Gouverneur.  (Der  siidliche  Theil  hiess  Neu-Georgia,  der  nbrdliche  Neu- 
Hannover.)  Die  Grenzen  gegen  das  russische  Amerika  und  gegen  die  Union  sind 
nicht  iiberall  festgestellt  *).  Da  das  Klima  gleichmassig  und  ziemlich  milde  ist,  so 
bilden  Getreidebau  und  Rindviehzucht  nachst  Jagd  und  Fischerei  die  wichtigsten 
Nahrungsquellen ;  die  Kolonisation  macht  Fortschritte.  An  den  Fltissen  Fraser 
und  Thompson  sind  nicht  unerhebliche  Goldlager  entdeckt  worden ;  an  der  Miin- 
dung des  ersten  liegt  die  Hauptfaktorei  Fort  Langley.  —  Unter  den  vor  der 
Kiiste  liegenden  grossen  Inseln  ist  die  nordliche  Kb'nigin  Charlotten-Insel 
noch  ohne  Kolonisation ;  die  siidliche  Quadra  oder  Vancouver  mit  dem  Haupt- 
orte Victoria  (6000  E.)  an  der  Siidkuste  ist  der  Hauptplatz  der  Kolonie  im  Nord- 
westen.  Sie  ist  zwar  rauh,  felsig,  mit  grossen  Waldern  bedeckt ;  die  etwa  20.000 
Menschen  auf  derselben  leben  meist  vom  Fischfange;  doch  wird  die  Nahe  von 
Californien  und  des  Oregon-Gebietes  sicherlich  Grundlage  fur  einen  lebhaften  Ver- 
kehr  werden. 

§.  176.  Das  russische  Nord-Amerika. 

Der  nordwestlichste  Theil  des  Kontinents ,  ein  kaltes ,  nebel- 
reiches  Gebirgsland  mit  iiber  24.000  QMeilen  ist  das  russische 
Nord- Amerika.  Von  den  zahlreichen  Schneebergen  sind  die  Vulkane 
Schonwetterberg  (13.800')  und  der  Eliasberg  (16.400')  die  hochsten. 
Die  vulkanische  Kette  setzt  sich  dann  in  der  Kette  der  Aleuten  fort. 
Die  Nordkiiste  ist  ohne  Gliederung  und  hat  als  nordlichsten  Punkt 
die  Barrows-Spitze ;  dagegen  sind  die  West-  und  Sudkuste  reich  an 
Buchten  und  Halbinseln.  Die  bedeutendsten  Halbinseln  sind  Aljaska 
und  die  Tschugatschen  Halbinsel.  In  den  Norton-Sund  ergiesst  sich 
der  Jukon- Flues  (bei  der  Mundung  Kwichpak  genannt).  Der 

*)  Durch  die  Vertrage  von  1824  und  1825  wurde  als  Grenze  zwischen  den  briti- 
schen und  russischen  Besitzungen  die  Linie  des  Meridian  von  236  b.  L.  (vom  Elias- 
berge  an  .der  Kiiste  des  grossen  Ocean  bis  zum  Nordende  des  Felsengebirges  am 
Eismeere)  festgesetzt. 


431 

Osten  ist  Plateauland.  Die  Bevolkerung,  fiber  50.000  Seelen ,  be- 
steht  meistens  aus  nomadisirenden,  heidnischen  Ureinwohnern  (Es- 
kimos, Tschuktschen,  Indianer),  welche  Jagd,  Fischerei  undTausch- 
handel  mit  der  (1797  gegrtindeten)  russisch-amerikanischen 
Handelsgesellschaft  treiben.  Die  Zahl  der  russischen  Ansiedler 
wird  auf  etwa  1000  gerechnet.  Die  Verwaltung  des  Landes,  der 
Handel  und  Verkehr  ist  der  genannten  Gesellschaft  uberlassen, 
welche  den  Fang  von  Pelz-  und  Seethieren,  besonders  den  der  See- 
otter  sehr  gewinnreich  ausbeutet  und  10  %  des  Ertrages  an  die 
Krone  abgibt.  An  Mineralien  werden  Steinkohlen,  Eisen  und  Kupfer 
gewonnen.  Die  Lieferungen  an  Pelzwerk  gehen  uber  Sibirien  nach 
Moskau.  Das  Land  ist  in  sechs  Verwaltungsbezirke  getheilt ,  die 
Niederlassungen  der  Handelsfaktoreien  befinden  sich  auf  den  west- 
lichen  Inselgruppen  und  an  der  Kiiste. 

Die  wichtigsten  sind:  Neu-Archangelsk  (1000E.)  auf  der  Insel  Sitka  (Ba- 
ranow)  mit  dem  Sitz  des  Gouverneurs  und  dem  Hauptkomptoir  der  Kompagnie. 
Jahrlicher  Exportwerth  des  Pelzwerkes  gegen  400.000  Gulden.)  Von  den  Aleuten 
ist  Unalaschka  am  meisten  bevolkert,  Unimak  die  grb'sste.  Ausserdem  ge- 
horen  zu  diesem  Verwaltungsgebiete :  der  Prinz  Wales-  und  Konig  Georg- 
Archipel,  die  Insel  Kadjak,  die  Inseln  im  Behringsmeere.  Das  Christenthum 
findet  stets  grossere  Verbreitung  und  mit  ihm  schreitet  auch  die  Civilisation  vorwarts. 

§.  177.  Die  Vereinigteii  Slaatcn  von  IVord-America , 

(United  States  [spr.  Juneited  Stehts]  oder  Unions-Land.) 
150.000  nMeilen,  —  28  V,  Million  (relativ  190)  Einwohner*),  damnter  circa  24 
Millionen  Weisse,  3'/t  Millionen  Sklaven,  wenig  iiber  400.000  Indianer.  —  Nach  dem 
Glaubensbekenntnisse  V3  Millionen  romisch  Katholische,  dann  iiber  20  christliche  Sek- 
ten;  ausserdem  Juden,  sehr  wenig  Muhamedaner  und  Heiden.  —  GrenzenrimN. 
britisch  Amerika,  im  0.  der  Atlantik,  im  S.  der  Golf  von  Mexiko  und  Mexiko,  im  W. 
der  grosse  Ocean. 

Bodenverhaltnisbe.  —  Das  ganze  Unionsland  wird  durch 
zwei  Gebirgsziige  in  drei  Haupttheile  geschieden :  a)  das 
Os  tla  nd  zwischen  dem  atlantischen  Ocean  und  dem  unter  verschie- 
denen  Namen  von  Siidwest  nach  Nordost  streichenden,  vielfach  von 
Eisenbahnen  und  Kanalen  durchschnittenen  A  lie  gh  any-  (epr. 
Aellege"hni's)  -  Gebirgen  (oder  den  Apalachen  [spr.  Aepalatschen]) ; 
—  b)  das  Mittelland  zwischen  Alleghanies  im  Osten  und  dem 
Felsengebirge  im  Westen  ,  das  grosse  Becken  des  Mississippi  und 
Missouri ,  theils  Hiigelland,  theils  eine  von  wenig  Waldungen  unter- 
brochene  wellenformige  Ebene ,  der  ausserst  fruchtbare  Boden  der 
Savannen  oder  Prairien;  —  c)  das  Westland,  im  Westen  des 
Felsengebirges,  welches  durch  ein  niederes ,  von  Californien  nahe 
an  der  Kuste  nach  Norden  ziehendes  Gebirge  vom  Meere  getrennt 
ist.  —  Das  Ostland  hangt  mit  dem  Kiistentiefland  am  mexikanischen 
Golfe  zusammen. 

Bestehen  auch  keine  naturlichen  Scheidegrenzen ,  welche  das 
grosse  Territorium  in  der  Ausdehnung  von  Norden  nach  Siiden  in 

*)  Ueber  2000  betragt  die  Volksdichte  nur  in  den  Staaten  Massachusets  (nahe 
an  3000),  —  iiber  1000  in  Connecticut,  New-  Jersey,  New  -  York,  Ohio  und  Pennsyl- 
vanien,  —  unter  1000  in  Jowa ,  Arkansas,  Florida,  Texas  und  Californien,  —  unter 
10  in  den  Territorien  von  New-Mexiko.  Utah,  Minnesotta  und  Oregon.  —  Im  Jahre 
1790  betrug  der  Census  4  Millionen;  im  J.  1835.  .  .T4,9G7.000 ;  —  im  J.  1850... 
23,246.000 ;  im  J.  1857  wurde  obige  Zahl  angenommen. 


432 

Hauptgruppen  sonderten ,  so  trennen  die  kliraatischen  Gegen  satze 
dasselbe  doch  in  ein  Nordland  oder  die  ,,Kornregion,"  in  ein 
Mittelland  oder  die  ,,Baum  wollregi  on"  und  ist  ein  Sftd- 
land  oder  die  ,,Zu  cker region;"  so  benannt  faach  den  Haupt- 
kulturen  in  den  angebauten  Landstrixihen. 

Gewasser.  Das  Unionsland  ist  ungemein  reich  an  fliessenden 
und  schiffbaren  Gewassern,  welche  dem  Atlantik,  dem  mexikanischen 
Golfe  und  dem  grossen  Ocean  zufliessen.  Im  Norden  ist  der  St.  Lo- 
renz  auf  einer  kurzen  Strecke  Grenzfluss ,  im  Sildwesten  der  Rio 
grande.  Die  Kuste  des  Atlantik  ist  im  nordlichen  Theile,  wo  die 
Gebirge  nahe  an  das  Meer  treten,  felsig  und  ungemein  stark  ge- 
gliedert;  gegen  Stiden  wird  sie  breiter  und  flacher,  haufig  mit 
JSiimpfen  bedeckt.  Die  in  den  Atlantik  miindenden  Kustenfltisse 
haben  ihre  Quellen  in  den  Alleghanies  ;  sie  haben  kurzen  Lauf  aber 
bedeutenden  Wasserreichthum.  Die  ansehnlichsten  sind:  St.  John, 
Connecticut,  Hudson,  Delaware,  Susquehanna,  'Po- 
tomak  und  St.  James. 

Der  machtigste  Fluss  in  Nord-Amerika  mit  dem  vielgegliederten, 
reichen  Geader,  die  zukunftige  Hauptpulsader  des  Unions-Landes 
ist  der  Mississippi  (in  der  Algonkin-Sprache  bezeichnet  dieser 
Name  ,,alle  Fliisse4') ,  welcher  auf  dem  plateauartigen  Riicken  der 
schwarzen  HGgel  aus  dem  kleinen  Itaska  -  See  entspringt,  mehrere 
Wasserfalle  bildet  und  bei  seinem  Eintritte  in  die  Ebene  (bei  Fort 
Snelling)  schiffbar  wird.  Er  nimmt  rechts  den  St.  Peter  (oder 
Minisotah)  und  Moingonan,  links  den  Wisconsin  und  Il- 
linois auf.  An  Stromlange  und  Wasserreichthum  wird  der  Mis- 
sissipi  von  seinem  machtigen  Nebenflusse,  dem  Missouri  iibertroffen. 
Dieser  entsteht  aus  drei  Quellen  im  Felsengebirge  (zwischen  42° 
bis  43°  n.  Br.);  beim  Austritte  aus  dem  Felsengebirge  folgt  das 
Kataraktengebiet  mit  zahlreichen ,  grossartigen  Wasserfallen.  Er 
sammelt  alle  Gewasser  des  Mittellandes  und  vereinigt  sich  nach 
einem  Laufe  von  600  Meilen  mit  dem  Mississippi  bei  der  Stadt 
St.  Louis.  Der  vereinigte  Strom  durchfliesst  noch  gegen  300  Mei- 
len und  beide  Strome  sind  von  der  Mundung  in  den  Golf  bis  zu 
den  Katarakten  hinauf  schiffbar,  also  der  Mississippi  480,  der  Mis- 
souri 850  Meilen  weit.  Rechnet  man  dazu  dievielen  grossen  Neben- 
flusse, welche  von  ihren  Miindungen  an  zum  Theile  auf  Hunderte 
von  Meilen  schiffbar  sind,  so  erstaunt  man  fiber  die  Grossartigkeit 
und  Verzweigung  von  Wasserstrassen,  welche  bereits  von  mehr  als 
400  Dampfschiffen  befahren  werden.  Der  vereinigte  Strom  erhalt 
den  grossen  Nebenfluss  Ohio,  welcher  die  Wasser  an  der  West- 
seite  der  Alleghanies  sammelt ;  dann  am  rechten  Ufer  den  mach- 
tigen Arkansas  (mit  dem  grossen  Zuflusse  Canadian)  und  den 
Red  River.  Grossartig  ist  die  AUuvialbildung  im  Miindungsgebiete 
des  Mississippi;  es  bildet  sich  fortwahrend  neues  Land  durch  Er- 
hohung  des  Bodens  und  dessen  Wachsthum  ins  Meer  hinaus.  — 
In  den  mexikanischen  Golf  munden  noch  der  schiffbare,  von  der 
Hochebene  in  Texas  kommende  Colorado  (de  Texas)  und  der 
gleichfalls  schiffbare  Grenzfluss  zwischen  Texas  und  Mexiko  Rio 
grande  del  Norte.  —  Dem  Gebiete  des  grossen  Oceans  gehoren: 


483 

der  Colorado  des  Westens,  der  San  Joaquin  und  Rio 
del  Sacramento,  beide  von  entgegengesetzter  Richtung  (der 
erste  von  Siiden  nach  Norden,  der  zweite  von  Norden  nach  Suden) 
bewassern  ein  durch  seinen  Goldreichthum  beriihmt  gewordenes  Lan- 
genthal  innerhalb  der  kalifornischen  Seealpen  und  vereinigen  sich  nahe 
bei  derMundung  in  die  Bai  von  S.  Francisco.  Endlich  der  O  regon 
oder  Columbia. 

Von  den  grossen  canadischen  Seen  liegt  nur  der  Michigan- 
See  ganz  im  Gebiete  der  Union,  die  iibrigen  bilden  die  Nordgrenze. 
Die  meisten  Seen  liegen  in  dem  grossen  abgeschlossenen  Becken, 
dem  ,, grossen  Bassin,"  zwischen  dem  Felsengebirge  und  den  cali- 
fornischen  Seealpen,  darunter  der  ,,grosse  Salzsee,"  der  Siise- 
wassersee  Utah  und  viele  Salzseen. 

Diese  zahlreichen  und  grossen  natiirlichen  Wasserstrassen  ge- 
winnen  npch  an  Bedeutung  durch  die  umfassende  Kanalverbin- 
dung  mit  mehr  als  1000  Meilen  Lange,  deren  Anlage  an  90  Mil- 
lionen  Dollars  gekostet  hatte ;  beide  aber  befordern  ungemein  den 
Transport  der  Produkte  des  Bodens  und  der  Industrie,  sowohl  unter 
den  einzelnen  Staaten  als  nach  den  Seehafen.  Die  wichtigsten  unter 
den  mehr  als  100  Kan  ale n  sind  :  der  Erie-Kanal  von  Albany 
am  Hudson  bis  Buffalo  am  Erie  -  See  (75  Meilen);  —  der  Ohio- 
Kanal  von  Cleveland  am  Erie-See  bis  Portsmouth  am  Ohio  (65  Mei- 
len);  —  der  Pennsylvania-Kanal  von  Pittsburg  am  Ohio  nach 
Columbia  am  Susquehanna  (70  Meilen);  —  der  Ches  apeak-Ohio- 
Kanal  von  Pittsburg  am  Ohio  bis  nahe  Washington  am  Potomak; 
—  der  Ch  ampla  in-Kanal  verbindet  mittelst  des  gleichnamigen 
Sees  den  St.  Lorenz  mit  dem  Hudson;  —  der  Miami-Kanal  von 
Cincinnati  am  Ohio  zum  Erie-See  u.  v.  a. 

Klinia.  Das  Klima  ist  durchschnittlich  k'alter  als  unter  glei- 
chen  Breitegraden  in  Europa.  In  Florida  und  Siid-Texas  nahert  es 
sich  dem  tropischen,  am  Oregon  ist  oceanisches  Klima;  seit  der 
Ausrodung  der  Walder  und  dem  Anbau  des  Landes  ist  es  in  vie- 
len  Landstrichen  bedeutend  milder  geworden.  Im  Gebiete  des  Mis- 
sisippi  ist  es  minder  excessiv  als  im  Nordosten  ,  an  der  Westkiiste 
milder  als  an  der  Ostkiiste,  wo  der  Temperaturvrechsel  ein  rascher, 
die  Regenmenge  eine  bedeutende  ist.  Die  Niederungen  an  den  Ost- 
und  Sudkusten  sind  ungesund,  insbesondere  das  Mississippi -Delta. 

Verfassung.  Am  17.  September  1787  grundeten  dreizehn 
Staaten  auf  dem  Kongresse  zu  Philadelphia  die  Union  der  Ver- 
einigten  Staaten  Nord-Amerikas.  Gegenwartig  sind  der  B  u  n  d  e  s- 
distrikt  Columbia,  32  Staaten  und  8  Territorien  oder 
Gebiete  zu  einem  Bundesstaate  (Union)  mit  vorherrschend  de- 
mokratischem  Charakter  verbunden  *).  Die  gesetzgebende  Gewalt 

*)  Die  dreizehn  alten  Staaten  sind:  New-Hampshire,  Massachusets,  Connecticut, 
Neu-York,  Neu-Jersey,  Khodeisland ,  Pennsylvanien ,  Delaware ,  Maryland  ,  Virginien, 
Nord-  und  Siid-Carolina ,  Georgia.  —  Der  Name  Distrikt  wird  solchen  Landereien 
beigelegt,  welche  noch  nicht  kolonisirt  sind  und  als  Jagdrevier  vorzugsweise  von  In- 
dianern  besucht  werden.  Finden  sich  in  einem  Distrikte  Kolonisten  ein,  so  wird  er 
von  der  Central-Kegierung  vermessen  und  in  Sectionen  getheilt,  welche  dann  ver- 
kauft  werden.  Dadurch  ist  der  Distrikt  ein  Territorium  oder  Gebiet  geworden; 
zahlt  das  Territorium  60.000  weisse  Einwohner,  so  wird  es  zu  einem  Staate  undGlied 

Klnn't  nandels-Geographie.     9.  And.  28 


434 

der  Union  ruht  in  den  Handen  des  Kongresses  (Senat  und  Haus 
der  Reprasentanten),  die  vollziehende  wird  von  einem  auf  vier  Jahre 
gewahlten  Prasidenten  ausgeubt.  Bundeshauptstadt  ist  Washington 
(apr.  Uaschingt'n).  Jeder  einzelne  Staat  hat  dann  seine  besondere 
gesetzgebende ,  vollziehende  und  richterliche  Gewalt  oder:  einen 
Senat,  einen  Gouverneur  und  ein  O  b  erg  eric  ht. 

Der  Census  von  1850  theilt  die  Staaten  nach  der  geographi- 
schen  Lage ,  den  Produkten ,  der  Lebensweise  und  den  Haupt- 
erwerbszweigen  in  mehrere  Gruppen,  die  wir  hier  wegen  der  gros- 
sereri  Uebersichtlichkeit  beibehalten. 

a)  Die    Staaten*). 

I.  Die  sechs  Staaten  von  Nen-England: 

1.  Maine  (spr.  Mehn,  1648  QM.;  654.000 E.):  Augusta  (9000),  Portland  (28.000) ; 

2.  New-Hampshire    (spr.  Njtihammschir ,  378  Q  M. ;  340.000   E.) :    C6ncord 
(9000),  Portsmouth  (Pohrtsmods)  ; 

3.  Vermont  (377  G  M- »  328.000  E.) :  Montpellier  (5000),  Burlington  (6000); 

4.  Massachusetts    (spr.    Massatschusets ,    350  Q  M. ,    1,150.000  E.):     Boston 
(Bost'n,  160.COO  E.),  Cambridge  (Kehmbridsch,  15.000),  Charlestown  (Tscharlstaun, 
36.000),  Salem  (37.000),  Lowell  (Lohl,  34.000) ; 

5.  Rhode-Island  (Rohd  Eiland,  57  QM. ,  170.000  E.):  Providence  (Proawidens, 
43.000),  Newport  (Njuport)  ; 

6.  Connecticut  (Kanettikot,  224  Q  M. ,  400.000  E.) :    Hartford  (20.000),  New 
Haven  (Njuhew'n  24.000),  New  London  (Nju  Lond'n). 

II.  Die   fiinf  mittleren  Staaten    (zwischen  Neu- England  und  dem  alten 
Virginien) : 

7.  New-York    (Nju    Johrk,  2167  Q  M. ,  3%  Millionen  E.)  :    Albany    (Albany, 
60.000),  New -York  (800.000),  Brooklyn  (Bruhklin),  auf  Long  Island  [Longeiland] 
gegeniiber  von  New-York  (150.000),  dann  Williamburg,  (50.000),  Rochester  (Rot- 
schestr,  60.000),  Buffalo  100.000),  Oswego  (25.000) ; 

8.  New  Jersey  (Nju  Dschersi,  360  QMM  580.000  E.) :  Trenton  (8000),  Newark 
(Njuark,  40.000),  Paterson,  New-Brunswick; 

9.  Pennsylvanien    (2180  QM.,  2,600.000  E.) :   Harrisburg  (10.000),  Phila- 
delphia (500.000).  Pittsburg  (150.000); 

10.  Delaware  (Delawar,  100  QM.,  95.000):  Dover  (4000),  Wilmington; 

11.  Maryland  (Merilaml,  500  QM.,  6PO.OOOE.):  Annapolis  (5000),  Baltim  ore 
(175.000). 


der  Union  erhoben.  Die  Temtorien  erlialten  vom  Prasidenten  der  Union  ihren  Gou- 
verneur und  dessen  Stellvertreter ;  sie  schicken  je  zwei  Abgeordnete  zum  Kongress 
nach  Wasliington,  welche  aber  im  Kongress  keine  Stimme  haben.  —  Die  fi'iiher  er- 
wahnte  Vermessung  und  Eintheilung  cines  Temtoriums  geschieht  in  Quadrate  (t  o  w  n- 
ships,  spr.  Taunschips)  von  36  Sektionen  (=  36  englischen  Q]  Meilen) ;  von  die- 
sen  36  Sektionen  wird  die  16.  fiir  Volkssclralen  zuriickbehalten,  die  iibrigen  verkauft 
man.  57%  ^es  Erloses  sind  zur  Eroffnuug  der  Strassen,  38%  zu  andern  Unionszwecken 
bestimmt,  5%  bekommt  der  betreffende  neue  Staat,  in  dessen  Umkreis  die  verkauf- 
ten  Landereien  lagen.  Der  Bundesdistrikt  Columbia  ist  der  Gesammt  -  Union  von 
zwei  Staaten  (Maryland  und  Virginien)  geschenkt  worden.  Columbia  steht  nun  un- 
mittelbar  unter  dem  Kongress  oder  dor  Central-Regierung,  wahrend  die  andern  Staaten 
selbststandige  Verwaltungen  haben. 

*)  Der  Umstand,  dass  die  neuen  Stiidte  haufig  nach  grossen  Mannern,  nach  Or- 
ten  der  alten  Welt  u.  s.  w.  benannt  werden,  macht  das  oftmalige  Wiederkehren  des- 
selben  Namens  erklarlich.  Es  ist  rathsam,  bei  Brief-Adressen  dem  Namen  der 
Stadt  auch  jenen  des  Staates  beizufiigen.  Den  mangelhaften  Adressen  ist  es  zuzn- 
schreiben,  dass  z.  B.  im  Jahre  1855  iiber  51/*  Million  Brief e  ihre  Adressaten  nicht 
eireicht  haben.  Es  gibt  z.  B.  12  Amsterdam,  13  Athen ,  16  Berlin,  12  Frankfurt, 
19  Hannover,  18  Manchester,  21  Richmond,  9Wien,  25  York,  15  Columbus,  82  Frank- 
lin, 164  Washington,  21  Lafayette,  1 7  Milton,  71  Jefferson,  8  Napoleon,  24  Fairfield 


435 

a)  Bundes-Distrikt  Columbia  (westlich  von  Annapolis,  21/,  DM.,  50.000  E.): 
Bundeshauptstadt  Washington  (40.000). 

III.  Die  fiinf  siidlicben  Staateii    am  atlantischen  Ulcere   (mit  vor- 
herrschendem  Plantagenbetrieb  und  Sklavenarbeit) : 

12.  Virgin ien    (3000  QM.,    1,550.000  E.)*) :  Richmond    (Ritschmond ,  30.000), 
Alexandria  (10.000),  Norfolk  (14.000),  Portsmouth,  Wheeling ; 

13.  Nord-Carolina  (2200  QM.,  940.000  E.) .  Raleigh  (Rahli,  5000),  Wilmington 
(12.000) ; 

14.  Siid-Carolina    (1400   QM.,    700.000   E.) :    Columbia   (6000),    Charleston 
(Tcharlst'n,  50.000) ; 

15.  Georgien  (2750  QM.  ,  950.000  E.):  Mille'dgeville    (Milledschwil ,   4000), 
Savannah  (24.000),  Augusta,  Columbus; 

16.  Florida  (2790  QM.,  112.000 E.) :  Tallahassee  (Tallahassi,  3000),  Pensocola, 
St.  Augustine. 

IV.  Die  vier   siidlichen  Staateii   am  mexikanischen  Wolfe    (Planta- 
genbetrieb, Sklavenarbeit) ; 

17.  Alabama  (2400  QM. ,    850.000  E.) :   Montgomery   (Mauntgammeri,,  5000), 
Mobile  (24.000),  Tuscaloosa  (4000)  ; 

18.  Mississippi  (2220  QM.,  720.000 E.):  Jackson  (Dschaks'n,   3000),    Natchez 
(Nattsches,  6000) ; 

19.  Louisiana  (2000  QM.,  600.000  E.) :  Baton  Rouge  (4000),  New-Orleans 
(140.000) ; 

20.  Texas  (16.000  QM.,  500.000 E.):  Austin  (3000),  Galveston  (6000),  Washington. 

V.  Die  vier  siidwestlichen  Staaten  im  Innern  (Sklavenarbeit,  Farmen- 
Wirthschaft) : 

21.  Arkansas  (2500  QM.,  280.000  E.)  :  Little  Rock  (5000); 

22.  Missouri  (3100  QM.,  900.000  E.)  :  Jefferson  City  (Dscheffers'n  Sftti,  4000 
Saint  Louis  (185.000)  ; 

23.  Tennessee    (Tennessih ,    2050  QM.,    1,200.000  E.) :   Nashville    (Naschwil, 
16.000),  Memphis  (12.000) ; 

24.  Kentucky    (1800  QM.,  1,300.000  Einw.):    Francfort    (5000),    Louisville 
(50.000). 

VI.  Die  sieben  nordwestlichen  Agrikultiirstaaten  (ohne  Sklaverei): 

25.  Ohio  (1880  QM.,  2'/2  Millionen  E.):  Columbus  (20.000),  Cincinnati  (Sin- 
sinneti,  180.000),  Cleveland  (Kliwland,  25.000); 

26.  Indiana  (1650  QM.,  1,200.000  Einw.):  Indianopolis  (10.000),  New  Albany 
(10.000),  Madison,  Evansville; 

27.  Illinois  (Dlineus),  2610  QM.,  1,400.000 Einw.) :  Springfield  (6000),  Galena 
(6000),  Chicago  (Tschikego); 

28.  Michigan  (Mitschigann,  2600  QM.,  550.000  E.):   Lansing  (2000),  Detroit 
(32.000),  Monroe; 

29.  Wisconsin  (2540  QM.,  600.000  E.);    Madison    (Madis'n,  4000),    Milwaukee 
(Milwahki,  50.000); 

30.  Jowa  (Ei6-uah,  2400  QM.,  520.000  E.):   Jowa   City  (3000),  Burlington,  Da- 
venport, Dubuque; 

31.  Minnesota  (6600  QM.,  200.000  E.):  Sanct  Paul  (10.000),  Stillwater. 

VII.  Der  westlicbe  Staat 

32.  Californien  (7500  QM.,  600.000 E.):  San  Francisco  (80.000),  Sacramento 
(25.000). 

&)  Die  Territorien:**) 

1.  Nebraska  (15.800  QM.,  westlich  von  Jowa  und  Minnesota).  Die  Bevb'lkerung 
besteht  meistens  auslndianera  und  aus  etwa  20.000  Weissen.  —  Fort  Laramie; 


*)  In  diesem  Staate  wurde  Washington  auf  dem  Landsitze  Bridge-Creek  am  11, 
Febr.  1732  geboren,  und  in  diesem  Staate  starb  er  auf  seinem  Landsitze  Mount  Vernon 
im  J.  1799. 

**)  Im  „ American  Almanac  for  1859,"  in  welchem  die  Arealgrosse  mancher  Staaten 
mit  geringeren  Ziffern  erscheint  als  in  den  friiheren  Jahrgangen,  sind  Kansas  und 
Oregon  als  Staaten  aufgefuhrt;  ersteres  unter  Bedingungen,  welche  erst  zu  erfiil- 
len  sind. 

28* 


2.  Indianer-Gebiet  (8800  QM.,  zwischeu  Kansas  und  Texas),  fast  durchgehends 
von  Indianern,  welche  lueher  iibersiedelt  warden,  bewohnt.  Zahlreiche  christliche 
Missionen  sind  bemiiht,  Civilisation  unter  die  heidnischen  Stamme  zu  verbreiten ; 

3.  Kansas  (51OO  QM.).     Die  im  Jahre  1854  am  Missouri   gegrundete  Hauptstadt 
Leaven  worth  hat  bereits  iiber  10.000  E.; 

4.  Washington  (5800  Q M.)  im  Siiden  und  Siidosten  von  Oregon,  im  Westen  vom 
Ocean  begrenzt,  mit  den  Orten  (0 1  y  m  p  i  a    an  der  Siidspitze  des  Pnget-Sundes : 
am  Oregon:  Pacific-City  und  Fort  Vancouver ; 

5.  Oregon  (8700  Q M.), ' Hauptort :  Salem;  Portland  (8000); 

6.  Utah  (Jutah,  8850  [JM.,  das  Gebiet  der  Mormon  en):  Fi  llm  ore-City;  Neu- 
Jerusalem  (oder  Salzseestadt,  Mormonenstadt,  8000)  an  der  Miindung  des  Jor- 
dan in  den  grossen  Salzsee; 

7.  Neu-Mexiko    (10.000  QM.)  mit  der  Hauptstadt  Santa   F6   (8000)  im  Hoch- 
thale  des  Rio  grande  del  Norte; 

8.  das  Territorium  Arizona. 

Zu  den  Vereinigten  Staaten  gehb'reu  ferners  die  beiden  Inseln  Tiger  und  Sac- 
cate in  der  Bai  von  Fonseca  an  der  Westkuste  des  Staates  Nicaragua;  endlich  die 
vulkanreiche  Inselgruppe  der  Galapagos  im  grossen  Ocean,  reich  an  grossen  (bis 
400  Pfund  schweren)  Schildkrb'ten,  Holz  und  Guano. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Boden-  und  Temperaturverhaltnisse 
und  die  horizontale  Ausdehnung  des  Unionslandes  bedingen  eine 
grosse  Mannigfaltigkeit  in  Hinsicht  des  Pflanzenwuchses.  Alles 
Land  von  den  kanadischen  Seen  bis  zum  mexikanischen  Golfe,  vom 
Atlantik  bis  iiber  den  Missisippi  ist  sehr  fruchtbar,  mit  Aus- 
nahme  der  felsigen  Gegenden  des  Nordostens;  die  Kultur  die- 
ser  Landstriche  weiset  uns  alle  Stufen  vom  Urwalde  bis  zum  ra- 
tionellsten  Gartenbau.  Ueberall  befindet  sich  das  Land  in  einer 
so  raschen  Fortentwickelung  und  Umgestaltung ,  dass  sich  die 
Physiognomic  der  Landschaften  gleichsam  unter  unsern  Augen  ver- 
andert.  Einwanderung  und  Kolonisation ,  Ausrodung  der  W  alder, 
Anlegnng  von  Stadten,  Strassen,  Eisenbahnen,  Kanalen  folgen  un- 
aufhaltsam  auf  einander  ;  der  Reichthum  der  landwirthschaftlichen 
Produktion  steigert  sich  fortwahrend  und  mit  diesem  heben  sich 
gleichzeitig  Industrie  nnd  Handel.  Gegenwartig  steht  die  laiid- 
wirthschaftliche  Produktion  an  der  Spitze  der  Erwerbs- 
und  Nahr  ungs  quellen  in  der  Union*).  Das  wichtigste 
Produkt  (als  Hauptnahrungsmittel)  ist  der  Mais,  dessen  Anbau 
gleich  dem  des  Tabakes  fast  alle  Staaten  betreiben.  Der  Mais- 
b  a  u  ist  am  verbreitetsten  in  Illinois,  Indiana,  Ohio,  New  -  Jersey, 
Delaware,  Kentucky  und  Tennessee ;  der  Tabakbau  in:  Maryland, 
Virginien,  Nord-Carolina,  Kentucky,  Tennessee  und  Missouri.  Der 
jahrliche  Ertrag  des  Ersten  wird  auf  600  Millionen  Bushel  (k  60  Pfund), 
des  Zweiten  auf  250  Millionen  Pfund  geschatzt.  W  e  i  z  e  n  wird 
vorzugsweise  in  Pennsylvanien ,  Ohio,  New- York  und  Virginien 
(110  Millionen  Bushel)  in  stets  steigendem  Masse  gebaut ;  doch  soil 
die  Qualitat  durchschnittlich  geringer  sein  als  die  europaische.  Auch 
der  Anbau  von  Hafer,  Roggen ,  Gerste  und  Buchweizen  ist  in  den 
Ackerbauetaaten  zunehmend.  Der  Reis  ist  am  starksten  verbreitet 
in  Nord-  und  Slid  -  Carolina,  Georgia,  Louisiana  und  Texas;  im 
*)  DasAckerland  betrag  im  Jahre  1856  iiber  113  Millionen  englische  Acres  (1  Acre 
=•  1136  osterreichische  QKlafter),  der  Werth  der  Landgiiter  3271  '/2  Million,  der 
Ackergerathschaften  lol'/j  Million,  des  Viehstandes  556  Milliouen,  der  gesammten 
Agrikultur-Erzeugnisse  xiber  1750  Millionen  Dollars  u.  s.  w. 


487 

Jahre  1853  bctrug  die  Ernte  an  250  Millionen  Pfund,  ira  Werthe 
von  8%  Millionen  Dollars;  wovon  95%  auf  Carolina  und  Georgia 
entfielen,  und  der  Exportwerth  war  nahezu  3  Millionen  Dollars.  — 
Eines  der  wichtigsten  Produkte  ist  die  Baumwolle,  deren  Ver- 
breitungsbezirk  sudlich  dem  34°  n.  Br.  liegt.  Sie  ist  eigentliches 
Stapelprodukt  fiir  Alabama,  Georgien,  Mississippi,  Sud-Carolina, 
Louisiana ,  Tennessee  und  Texas.  Die  Ernte  wird  jetzt  auf  nahe 
1200  Millionen  Pfund  im  ungefahren  Werthe  von  90  Millionen 
Dollars  geschatzt,  das  ist  fast  zwei  Dritttheile  der  Quantitat, 
welche  auf  der  ganzenErde  in  den  uns  bekannten  Handel  kommt 
(16—18  Millionen  Zentner);  —  von  obiger  Summe  entfallen  82% 
auf  die  fiinf  erstgenannten  Staaten  (Alabama  an  200  Millionen 
Pfund).  In  20  Jahren  ist  die  Produktion  urn  300%  ,  der  eigene 
Verbrauch  um  325%  gestiegen  *).  Die  besten  Qualitaten  sind 
Sea  Island,  Tennessee  und  Texas.  —  Fur  Z  u  c  k  e  r  plantagen  eig- 
nen  sich  nur  die  siidvvestlichen  Niederungen  (bis  32°  n.  Br.)  beson- 
ders  Louisiana,  Texas ,  Mississippi ,  Alabama,  Sttd  -  Carolina, 
Florida.  In  dem  ungunstigen  Jahre  1856  entfielen  von  der 
Zuckerproduktion  in  den  transatlantischen  Landern  (1,357.000  Ton- 
nen)  auf  Louisiana  etwa  125.000  Tonnen.  In  den  nordichen 
Staaten  (New- York,  Massachusetts,  Vermont,  Pennsylvanien,  New- 
Hampshire)  wird  viel  Ahorn-  und  Maiszucker  gewonnen. 

Nachst  diesen  Hauptprodukten  sind  noch  erwahnenswerth  die  Sudfruchte,  Pal- 
menarten  und  Indigo  in  Louisiana  und  Texas  (doch  von  geringerer  Art  als  in  Asien) ;  — 
Thee  in  Nord-  und  Sud-Carolina;  —  Hiilsenfriichte ,  Kartoffeln  ;  Hanf  und  Flachs 
(letztere  hauptsachlich  aus  Missouri  und  Kentucky,  obwohl  nicht  ausreichend  fur  den 
Bedarf).  Im  Weinbau  sind,  namentlich  in  Hinsicht  auf  Qualitat,  keine  grossen 
Fortschritte  gemacht  worden ;  den  besten  liefert  das  Ohio  -  Thai  bei  Cincinnati ,  das 
Thai  an  der  Missouri-Miindung,  Californien  und  •  Neu-Mexiko.  —  Die  inneren  Staaten, 
zwischen  den  Alleghanies  und  dem  Mississippi  haben  ungemeinen  Reichthum  an  nutz- 
baren  Holzarten;  nebst  Nutz-  und  Bauholz  (Mahagoni-,  Cedern-,  Eisenholz  u.  a.) 
ziehen  diese  Staaten  auch  durch  Gewinnung  von  Theer,  Pech,  Harz,  Pottasche  gros- 
sen Gewinn. 

Die  Viehzucht  hat  im  Allgemeinen  bedeutende  Fortschritte 
gemacht.  Sie  ist  zwar  nebst  dem  Landbau  die  wichtigste  Nahrungs- 
quelle;  allein  im  Verhaltnisse  zum  Ackerbaue  und  zu  den  nattir- 
lichen  Forderungsmitteln  ist  ihr  Aufschwung  noch  ein  geringer. 
Die  europaischen  Hausthiere  kommen  in  alien  mittleren  und  nord- 
lichen  Staaten  vor.  Besonders  zeichnen  sich  aus :  Virginien  durch 
schone  Pferde;  Connecticut,  Vermont  und  New- York  durch  den 
grossten  Hornviehstand ;  Ohio  ,  Kentucky ,  Tennessee  durch  die 
Schweinezucht  (Hauptplatze  fiir  den  Schweinehandel  sind  Cincin- 
nati und  Burlington  in  Jowa).  Die  Schafzucht  vermag  den  Bedarf 
der  heimischen  Fabriken  an  Wolle  nicht  zu  decken;  auch  steht 
die  amerikanische  Wolle,  trotzdem  das  Streben  nach  Veredlung  all- 
gemein  vorherrscht  und  auch  gute  Resultate  aufweiset,  der  euro- 
paischen veredelten  weit  nach.  Die  meisten  Schafe  hielten  Ver- 

*)  Im  Jahre  1859  verbrauchten : 

Die  Vereinigten  Staaten 772.000  Ballen  k  362  Zoll-  foder  400  leichte)  Pfund, 

Grossbritannien 2,315.000       „  B 

Frankreich 425.000       „  „ 

Das  iibrige  Europa 855.000       „  „ 


438 

mont,  Ohio  und  New -York;  im  Jahre  1850  betrug  die  Gesammt- 
zahl  in  der  Union  etwa  30  Millionen  Stiick,  der  Gesammtertrag 
der  Wolle  52T/2  Millionen  Pfund;  der  Import  der  zu  Teppichen, 
Decken  etc.  benothigten  Wolle  hatte  den  Werth  von  l,a  Millionen 
Dollars.  —  DieSeidenzucht  hat  keine  grosse  Ausdehnung,  relativ 
am  starksten  ist  sie  in  Connecticut,  Massachusetts  und  Pennsylva- 
nien ;  die  Bienenzucht  wird  iiberall,  mit  Ausnahme  der  Ktiste 
am  grossen  Ocean,  am  starksten  in  Pennsylvanien,  Ohio,  New-York, 
Carolina  betrieben.  —  Jagd  und  Fischerei  gewahren  sehr  reiche 
Beute. 

Der  Bergbau  liefert  ungemein  reichen  Ertrag.  Zunachst 
verdient  Californien  mit  seinem  Goldreichthum  (seit  1848)  die 
Beachtung.  Die  Minenproduktion  Californiens  wurde  im  Jahre  1857 
auf  70  Millionen  Dollars  geschatzt,  wovon  nahezu  49  Millionen 
Dollars  ausgefiihrt  wurden.  Im  Ganzen  hat  Californien  in  den 
8  Jahren  (1849—1857)  fur  beilaufig  400  Millionen  Dollars  Gold 
in  die  Munzen  Amerikas  und  Europas  geliefert.  Die  Goldgewin- 
nung  von  Georgia  und  Nord- Carolina,  Virginien  etc.  verschwindet 
dermalen  gegeniiber  dem  Goldreichthume  Californiens.  Jetzt  wirft 
die  Goldarbeit  nur  mehr  grosseren  Unternehmungen  bei  Zuhilfe- 
nahme  von  Maschinen  einen  ansehnlicheren  Gewinn  ab.  Allein 
der  fruchtbare  Boden  und  das  herrliche  Klima  Californiens  be- 
giinstigen  auch  ungemein  die  Landwirthschaft  und  Viehzucht.  Die- 
ses vor  10  Jahren  noch  wuste  Land  ernahrt  gegenwartig  iiber  eine 
halbe  Million  Einwohner  und  exportirt  um  einige  Millionen 
Dollars  Getreide,  Mehl,  Haute,  Wolle,  Holz  u.  a.  m.  —  Silber 
kommt  in  geringer  Menge  vor;  an  Quecksilber  ist  Californien 
(das  Thai  S.  Clara)  ungemein  reich;  reichhaltig  sind  die  B lei- 
lager  in  Wisconsin  (Madison),  Missouri,  Jowa,  Illinois;  Kupfer 
besitzen  die  meisten  Staaten ;  vorziiglich  Nord-Carolina,  Michigan, 
Wisconsin  und  Missouri.  —  Ungemeinen  Reichthum  besitzen  meh- 
rere  Staaten  an  Eisen,  namentlich  Michigan  und  Wisconsin,  deren 
Lager  den  Bedarf  der  ganzen  Union  zu  decken  vermochten.  Ln 
Staate  Missouri  liegt  der  Iron  Mountain,  der  1  QMeile  be- 
deckt,  200'  hoch  ist  und  ganz  aus  Erz  (von  77—80%  Gehalt)  be- 
steht;  man  rechnet  sein  Volumen  auf  1000  Millionen  Tonnen.  Fiinf 
Meilen  sudlicher  liegt  der  Pilot  Kob,  welcher  2  bis  3  Meilen  im 
Umfange  und  500'  Hohe  hat,  ein  beinahe  unerschopfliches  Lager. 
—  An  Steinkohlen  diirfte  die  Union  das  reichste  Land  auf  der 
Erde  sein;  die  Lager  ziehen  sich  an  der  Westseite  des  Alleghany- 
Gebirges  durch  Missouri,  Ohio  und  Indiana,  aber  auch  Pennsyl- 
vanien, Maryland,  Virginien,  Texas  u.  a.  haben  Kohlenlager.  An- 
nahernd  schatzt  man  die  Kohlenregion  auf  70- -100.000  QMeilen. 
An  Salz  ist  Ueberfluss.  Grosse  Salzwerke  sind  in  New- York 
(Sulina),  Virginien,  Kentucky,  Missouri;  viel  Seesalz  liefern  die 
Ostkuste  und  die  Salzseen  im  Innern.  —  Endlich  kommen  in  gros- 
serer  Menge  Salpeter  (Kentucky),  Schwefel,  Alaun,  Naphta,  Mar- 
mor,  Gyps  u.  a.  vor. 

Die  gewerbliche  Industrie  hat  in  den  letzten  25  Jahren 
so  grosse  Fortschritte  gemacht,  dass  das  Unionsland  in  vielen  Ar- 


tikeln  vom  Auslande  unabhangig  ist,  in  manchen  Gegenstanden 
konkurrirt  es  bereits  mit  den  europaischen  Industrie-Staaten.  Wie 
in  der  Landwirthschaft,  so  nehmen  auch  auf  dem  Felde  der  Ge- 
werbethatigkeit  New-York  und  Pennsylvanien  den  ersten  Rang  ein ; 
im  Uebrigen  entwickelt  sich  die  industrielle  Th'atigkeit  mehr  in 
den  nordostlichen  Staaten;  indess  im  Innern  der  Union  uberwiegend 
Agrikultur  betrieben  wird.  Am  hochsten  steht  der  Maschinen- 
b  a  u  aller  Art ;  kein  Staat  hat  auf  diesem  Gebiete  so  sinnreiche, 
mitunter  hochst  wichtige  Erfindungen  gemacht.  Zu  den  bedeuten- 
den  Gewerbserzeugnissen  gehoren:  Baumwollwaaren  (Do- 
mestiks,  d.  i.  dichte,  glatte  Zeuge).  Dieser  Fabrikationszweig  hat 
den  Hauptsitz  in  Lowell*)  (Massachusetts),  dann  in  Baltimore, 
Patterson,  Philadelphia,  Cincinnati  u.  a.  Im  Jahre  1859  verarbei- 
teten  fiber  6  Millionen  Spindeln  gegen  280  Millionen  Pfund  Baum- 
wolle ;  die  Manufakturen  beschaftigen  nahezu  1  Million  Menschen; 
die  Weberei  liefert  in  mehr  als  1000  Fabriken  fur  fast  62  Millio- 
nen Dollars  Waaren.  —  Die  Schaf  wo  11  Industrie  beschaftiget  in 
Neu-England  und  den  Mittelstaaten  an  1560  Fabriken  (im  J.  1815 
waren  deren  nur  10),  welche  tiber  70  Millionen  Pfund  Wolle  ver- 
arbeiten  und  Waaren  im  Werthe  von  mehr  als  43  Millionen  Dol- 
lars erzeugen.  Lowell  verarbeitet  allein  iiber  5  Millionen  Pfund 
Wolle ;  andere  Industrieplatze  sind  Philadelphia,  Boston,  New-York, 
Pittsburg.  Erzeugt  werden  grobe  und  feine  Sorten  (Lowell  erzeugt 
feines  Tuch  und  Casimir);  sonst  werden  besonders  viel  Teppiche  in 
den  Handel  gebracht.  Die  Produktion  in  L  e  i  n  e  n  -  und  S  e  i  d  e  n- 
waaren  deckt  bei  weitem  nicht  den  Bedarf.  Beachtenswerth  ist 
ubrigens  in  Boston  und  einigen  Seestadten  die  Leinwand-  und 
Segeltucherzeugung.  Sehr  ausgebreitet  ist  die  Led  erfabrikation, 
deren  Werth  man  auf  33  Millionen  Dollars  angibt.  Auch  Schuh- 
waaren  werden  in  grosser  Menge  (im  Stadtchen  Lyen)  fur  den 
Export  nach  Central-Amerika  verfertigt.  Die  grosste  Fabrik  ist 
zu  Prattsville  (in  New- York),  welche  jahrlich  tiber  60.000  Haute 
gerbt,  ausgezeichnetes  Glanzleder  und  Maroquin  liefert.  New-York 
ist  der  grosste  Weltmarkt  filr  Leder.  Kautschuk  -  Schuhe  werden 
in  New-York,  Connecticut,  New-Haven  in  mehr  als  20  Fabriken  im 
Werthe  von  iiber  12  Millionen  Dollars  erzeugt.  In  Metall- 
waaren  stehen  die  Maschinen  obenan,  in  Bush  Hill  bei  Phi- 
ladelphia, dann  Pittsburg,  Cincinnati,  Baltimore,  Louisville,  Wil- 
mington. Die  Fabriken  von  Eiaenbahnschienen  erzeugen  jahrlich 
iiber  4  Millionen  Zentner ;  —  Giessereien  in  Eisen  ,  Kupfer  und 
Messing  bestehen  in  Ohio,  Virginien,  New- York  etc.  (Cincinnati 
und  Pittsburg);  —  grossartig  ist  die  Nagelfabrikation  (eine  einzige 
Fabrik  in  Wheeling  liefert  wochentlich  1000  Fasser  Nagel);  — 
Gussstahlfabrikation  in  New-Jersey  aus  dem  dort  gewonnenen  vor- 
ziiglichen  Eisenerz.  Stecknadeln  und  Schneide-Instrumente  werden 
mehr  als  die  englischen  geschatzt.  Waffen  und  vorziigliche  Ge- 
wehre  liefern  die  Arsenal werksta; ten  der  Union  zu  Alleghany  und 
Fort  Monroe,  Springfield,  Harpers,  Ferry  -  Washington.  —  Die  gross- 

*)  Der  Begriinder  der  Kottonmanufaktur  ist  Lowell,  dessenNamen  die  grosste  Baum- 
woll-Manufakturstadt  augeiiommen  hat 


440 

ten  T  abakfabriken  Bind  in  Virginia,  Louisiana  und  Maryland; 
doch  werden  nur  etwa  25%  der  Produktion  im  Lande  verarbeitet. 
Die  bedeutendsten  Zuckerraffinerien  sind  in  Boston,  Philadelphia, 
New-York,  Baltimore;  doch  deckt  die  inlandische  Erzeugung  nicht 
den  Bedarf;  das  Gleiche  gilt  von  den  chemischen  Fabrikaten, 
sowie  den  sehr  umfangreichen  Branntwein-  und  Whisky- 
brennereien  (die  grosste  zu  Louisville),  deren  Erzeugung  von 
jahrlich  etwa  7  Millionen  Fass  dennoch  eine  Einfuhr  aus  Europa 
nothwendig  macht.  In  den  Weizen-  und  Maisgegenden  wird  in 
Dampfmtihlen  Mehl  bereitet;  am  ausgedehntesten  ist  dieser  Be- 
trieb  in  Baltimore,  Philadelphia,  New- York,  St.  Louis.  Grossartig 
sind  die  Bier  brauereien  zu  Pouorhkeepsie ,  Boston,  Albany, 
New- York,  Philadelphia;  dann  die  Oelmiihlen,  Seifen-,  Lichter-, 
Talg-  etc.  Ziehereien.  Von  grosstem  Umfange  sind  die  Wall- 
fischthran-  und  Sp  erm  a  ceti -Siedereien  zu  Nantuket.  — 
Pergament  wird  in  New- York,  Papier  (insbesondere  aus  Schilf, 
Laub,  Stroh  etc.)  in  Connecticut,  Massachusets  und  Pennsylvanien 
erzeugt ;  an  Hadern  werden  fur  das  Leinenpapier  grosse  Quantita- 
ten  aus  Europa  eingefuhrt.  Die  Fabrikation  von  Glas  undGlas- 
waaren,  Porzellan  und  Fayence  (in  Philadelphia)  ist  bei 
weitem  nicht  ausreichend ;  erstere  werden  aus  Bohmen  und  Frank- 
reich,  letztere  aus  China,  Frankreich  und  Deutschland  bezogen. 
In  den  waldreichen  Landstrichen ,  insbesondere  am  Mississippi  er- 
zeugen  die  vielen  Sagemtihlen  ungeheure  Mengen  von  Brettern 
u.  dgl.;  —  Im  Allgemeinen  nimmt  die  gewerbliche  Industrie  von 
Jahr  zu  Jahr  einen  so  grossen  Aufschwung,  dass  stets  neue  In- 
dustriebezirke  entstehen,  oder  die  bestehenden  sich  derart  verandern, 
dass  sie  ala  neue  gelten  konnen.  Das  Unionsland  ist  eben  in  dem 
Stadium  des  kraftigsten  Schaffens  und  Umgestaltens.  Die  wich- 
tigsten  Industrieplatze  sind:  New- York ,  Lowell,  Salisbury, 
Boston,  Philadelphia,  Baltimore,  Cincinnati ,  Patterson,  Pittsburg. 
Der  Werth  sammtlicher  Fabrikserzeugnisse  wurde  fur  das  J.  1852 
mit  1133  Millionen  Dollars  angegeben. 

Handel.  Die  vereinigten  Staaten  sind  nachst  Grossbritannien 
die  grosste  Handelsmacht.  Die  gilnstige  Lage  an  zwei  Oceanen, 
die  reiche  Gliederung  der  Kiiste,  machtige  schiffbare  Seen,  Fliisse 
und  Kanale,  ein  Eisenbahnnetz  von  mehr  als  6000  deutsche'n  Mei- 
len,  eine  Handelsmarine  starker  als  jene  von  Grossbritannien,  die 
freie  Bewegung  im  Innern,  Spekulationsgeist,  Unternehmungslust 
und  Willenskraft  des  Volkes;  —  diess  Alles  hat  dazu  beigetragen, 
dieses  Volk  unter  die  ersten  Handelsnationen  zu  reihen.  Zunachst 
ist  die  Verbindung  mit  Europa  von  hochster  Bedeutung,  und  an 
der  buchten-  und  hafenreichen  Ostkiiste  sind  die  wichtigsten  Platze: 
New-York,  Boston,  Philadelphia,  Baltimore,  Charlestown  ;  an  der 
Siidkuste  haben  lebhaften  Verkehr  New -Orleans  und  Galveston; 
an  der  Westkiiste  San  Francisco  und  Astoria.  New-York,  mit 
sehr  grossem  Hafen,  ist  der  erste  Handelsplatz  der  Union ;  er  steht 
mit  alien  wichtigen  Hafenplatzen  der  Erde  in  direkter ,  zum  Theil 
regelmassiger  Dampfschiffahrts-Verbindung  ;  Haupt-Speditionsplatz 
zwischen  Europa  und  der  Union.  Dampfachiffe,  Eisenbahnen,  viele 


441 

Banken,  Assekuranzen  und  Verkehrsanstalten  aller  Art  fordern  den 
in  kolossalen  Dimensionen  steigenden  Handel.  Zudem  ist  die  Stadt 
auch  beriihmt  durch  die  Grossartigkeit  und  .Mannigfaltigkeit  ihrer 
Industrie.  Der  zweite  Handelsplatz  ist  New-Orleans,  zunachst 
fiir  die  Ausfuhr  von  Zucker,  Baumwolle,  Tabak  und  Reis,  dann  fur 
den  Gesammtverkehr  auf  dem  Mississippi  nach  dem  Innern.  Die 
Industrie  ist  nur  in  den  zum  Schiffbau  gehorigen  Gewerben  ver- 
treten.  Boston  hat  nebst  bedeutender  Gewerbethatigkeit  (grosse 
Kleiderfabrik  mit  3000  Arbeitern)  starken  Handel  nach  Siid- 
Amerika  und  Europa;  am  bedeutendsten  ist  jedoch  die  Fischerei 
(Stockfische,  Wallfische).  Die  erste  Industriestadt  der  Union 
ist  Philadelphia,  vorzuglich  in  Leder  und  Porzellan;  als  Han- 
delsstadt  folgt  sie  unmittelbar  auf  die  friiher  Genannten.  Hier  ist 
der  Sitz  der  Unionsbank,  eines  See- Arsenals ,  grosser  Schiffswerf- 
ten;  der  Hauptverkehr  geht  fiber  Lancaster  nach  Pittsburg  und 
Cincinnati.  Fur  den  Verkehr  nach  dem  Ohio  ist  Baltimore 
Hauptplatz,  dessgleichen  fiir  den  Handel  in  Tabak  und  Getreide. 
Unter  den  vielen  industriellen  Etablissernents  dieser  Stadt  nehmen 
die  vielen  und  grossen  Tabak-,  Sage-  und  Getreidemiihlen  den 
ersten  Rang  ein.  Charles  town  ist  Hauptstapelplatz  fur  Baum- 
wolle und  Carolina  -  Reis.  San  Francisco  diirfte  berufen  sein, 
ein  „  New- York  des  Pacific"  zu  werden,  den  Handel  im  stillen  Ocean 
zu  beherrschen  und  mit  Japan,  China,  Australien  einen  grossartigen 
Verkehr  zu  entfalten. 

Die  Schiffe  der  Union  befahren  fast  alle  Meere ;  Handels- 
verbindungen,  direkte  Dampfschiffahrten  u.  a.  m.  arbeiten  unaus- 
gesetzt  an  der  Hebung  des  Verkehrs.  Ackerbau  und  Industrie, 
Handel  und  Schiffahrt  haben  namentlich  seit  dem  Jahre  1840 
wahrhaft  riesige  Fortschritte  gemacht,  und  die  beiden  Stockungen 
(im  Jahre  1847  und  1857)  haben  nur  vorubergehend  auf  den  all- 
oremeinen  Welthandel  nachtheilig  gewirkt.  In  der  Periode  von 
1840  bis  1859  zeigt  sich  im  auswartigen  Handel  folgende 
Steigerung  (die  Rechnungsjahre  vom  1.  Juli  bis  Ende  Juni  des 
nachsten  Jahres): 

Ausfuh  r  : 

1839—1843  (durchschnittlich) 117V, 

1846-1847 158  , 

1851—1852 209.6 

1856—1857  362.o 

1857—1858  *) 324-0 

1858-1859 356.7 

E  i  n  f  u  h  r  : 

1839—1843  (durchschnitllich) 109 1/2 

1846-1847 146  V, 

1851-1852   212.o 

1856-1857  360.8 

1857-1858  282.0 

1858-1859   338.7 

*)  Buckschlag  in  Folge  der  Krisis  im  Jahre  1857. 


Dieser  kolossalen  Zunahme  des  Handels  entspricht  der  Auf- 
schwungdes  Schiffbaues,  die  Vergrosserung  der  Handels- 
flotte.  Die  Schiffe  hatten  im  Jahre  1840  etwa  zwei  Millionen  Tonnen- 
gehalt;  —  in  den  Jahren  1852  bis  1857  sind  nicht  weniger  als 
8655  Schiffe  ( darunter  1289  Dampfer)  von  fast  2.4  Millionen 
Tonnen  neu  gebaut  worden;  —  jetzt  besitzt  die  Union  etwa 
30.000  Schiffe  mit  5l/3  Millionen  Tonnen  (wahrscheinlich  mehr  als 
2400  Dampfschifte  mit  iiber  zwei  Drittel  Millionen  Tonnen)1  und  fiber 
200.000  Matrosen. 

Die  wichtigsten  Export- Art ikel  sind:  Baumwolle,  Getreide 
und  Mehl,  Tabak,  welche  etwa  zwei  Drittel  des  Werthes  beim  Ex- 
port einnehmen  *). 

Der  Im  por  t  besteht  hauptsachlich  in:  Zucker,  Kaffee,  Wollen-, 
Baumwollen-,  Seiden-  und  Leinenwaaren,  Eieen  und  Eisenwaaren, 
Glas,  Porzellan  u.  a,  m. 

Unter  den  mit  der  Union  im  Handelsverkehr  stehenden  Lan- 
dern  sind  bei  der  Ausfuhram  starksten  vertreten:  England 
(wohin  dieHalfte  derAusfuhr  geht),  dann  Frankreich,  britisch 
Nord-Amerika,  Bremen  und  Hamburg,  Cuba,  Spanien  u.  s.  w.:  — 
bei  der  Einfuhr  reprasentirt  England  iiber  ein  Drittel  der  Ge- 
sammteinfuhr ;  dann  folgen  Frankreich,  Cuba,  Brasilien,  britisch 
Nord-Amerika,  Bremen  und  Hamburg,  Ostindien  u.  s.  w.  **).  — 
Aus  den  deutschen  Zollvereins-Staaten  werden  hauptsachlich  Wollen- 
und  Seiden  waar en  bezogen. 

Der  Verkehr  nach  dem  Innern  des  Kontinentes  wird 
vvesentlich  gefordert  durch  die  zahlreichen  Wasserstrassen  und 
Eisenbahnen.  Die  Hauptzuge  des  Verkehrs  gehen  :  1.  von  New- 
York  fiber  Albany,  Eriesee,  Detroit,  Chicago  nach  St.  Louis  ;  — 
2.  von  New-York  per  Eisenbahn  nach  Dunkirk  am  Eriesee,  von  da 
per  Dampfschiff  nach  Cleveland,  dann  per  Eisenbahn  nach  Cincin- 
nati ;  —  3.  von  Baltimore  an  den  Ohio ;  —  4.  von  Philadelphia 
iiber  Lancaster  nach  Pittsburg  und  Cincinnati;  —  5.  von  New- 
Orleans  auf  dem  Mississippi  und  dessen  Nebenfliissen  nach  dem 
Innern.  Die  wichtigsten  Punkte  fur  den  inneren  Verkehr  sind 
St.  Louis,  Pittsburg,  Cincinnati.  —  St.  Louis,  der 

*)      Export  1856—1857  Import 

Banmwolle    131% 


Getreide,    Mehl,    Reis  ,    Mais  58%  I 


Thiere     und     thierische  Pro- 
dukte  ..................   163/4 

Holz,  Asche  etc  ...........   14  , 


Zucker 

Kaffee 22., 

Wollwaaren 28.B  ' 

Baumwollwaaren 28.,  I 

Seide  und  Seidenwaaren 28., 

Leinenwaaren ll.4J 


")      Export  1858—1859  Import 


nach  England  (Baumwolle  und 

Brodstoffe) 172., 

„      Britisch  Nord-Amerika.  21 
„      Frankreich  (Baumwolle, 

Tabak) 43.0 

„      Cuba 11., 

,,      Bremen     )  ,, 
„      Hamburg)"  • 

„  "  Spanien 8.4i 


aus  England   125., 

Britisch  Nord-Amerika  ....  19., 

Frankreich 41.3 

Cuba    34.0 

Brasilien 22.4 

Bremen     I  17 

Hamburg  \  ' ' 

Otitindien 10., 


443 

Knotenpunkt  fur  den  Verkehr  mit  dem  Westen,  ist  der  Mittelpunkt 
fur  den  angle  -  amerikanischen  Holz-  und  Pelzhandel.  Hier  kon- 
zentriren  sich  die  Produkte  des  Ackerbaues,  der  Blei-  und  Eisen- 
minen  und  der  Stapelprodukte  fur  den  Santa  Fe- Handel  (der  Ge- 
halt  der  hier  ankommenden  Schiffe  wird  auf  eine  halbe  Million 
Tonnen  geschatzt);  Santa  Fe,  an  der  grossen  Strasse  von  New- 
York  nach  Californien ,  ist  Mittelpunkt  des  Karawanenhandels.  — 
Pittsburg,  das  ,,amerikanische  Birmingham,"  am  An  fang  der 
Dampfschiffahrt  auf  dem  Ohio,  ist  der  naturliche  Stapelplatz  zwi- 
schen  dem  Norden  und  dem  Suden  der  Union.  —  Cincinnati 
ist  der  Hauptmarkt  fur  landwirthschaftliche  Produkte  (gegen  1  Mil- 
lion Schweine  und  Kinder  wird  hier  jahrlich  geschlachtet  und  das 
Fleisch  verpackt).  Hier  sind  auch  grosse  Gerbereien  und  sehr  viele 
Getreidemiihlen. 

Als  Forderungsmittel  des  Handels  verdienen  beson- 
dere  Hervorhebung :  das  Postwesen,  die  zahlreichen  vielverzweig- 
ten  Telegraphenlinien,  die  Eisenbahnen,  Banken,  die  zahlreichen 
Eisenbahn-,  Kanal-,  Schiffahrts-,  Assekuranz-  und  andere  Gesell- 
schaften  *). 

Bei  der  grossen  Verschiedenheit  der  Volksstamme,  welche  das 
Unionsland  bewohnen,  lasst  sich  ein  allgememea  Bild  der  geistigen 
Kultur  in  dem  weit  ausgedehnten  Gebiete  kaum  entwerfen.  Die 
Bewohner  sind  theils  W  e  i  s  s  e ,  theils  F  a  r  b  i  g  e  (Neger,  Mulatten  etc.), 
theils  Indianer.  Die  Weiss  en,  iiber  zwei  Drittel  der  Gesammt- 
bevolkerung ,  bilden  das  europaische  Element ,  in  welchem  die 
britische  Nationalitat  so  sehr  iiber wiegt,  dass  die  englische 
Sprache  die  herrschende  Geschafts-  undSchriftsprache  ist.  Deutsche, 
deren  sich  in  jeder  grosseren  Ortschaft  vorfinden,  diirften  5—6  Mil- 
lionen  im  Unionslande  wohnen  ;  an  Zahl  zunachst  stehen  die  I  re  n 
und  Franzosen.  —  DieFarbigen  sind  etwa  der  sechste  Theil 
der  Bevolkerung;  doch  sind  kaum  '/2  Million  freie  und  an3'/2Mil- 
lionen  Sklaven  in  den  siidlichen  Staaten,  wahrend  die  nordlichen 
die  Sklaverei  abgeschafft  haben.  —  Die  Zahl  der  Indianer  (Ur- 
einwohner)  vermindert  sich  fortwahrend ,  man  schatzt  sie  nur  noch 
auf  400.000.  Das  unstete  Leben,  fortwahrende  Kriege  unter  ein- 
ander,  Krankheiten  und  der  unmassige  Genus  s  des  Branntweines 
fuhren  diese  Ueberreste  der  Chippewaer,  Irokesen,  Huronen,  Illine- 
sen  u.  s.  w.  dem  Untergange  zu.  Manche  Stamme  wurden  zum 

*)  Posten.  —  Im  Jahre  1856  bestanden  25.565  Postamter,  219,935  englische 
Meilen  Poststrassen ;  Briefe  warden  fast  120  Millionen  befOrdert. 

Telegraphen:  Im  Jahre  1852  fiber  16.000  (mit  den  Doppellinien  27.177) 
englische  Meilen. 

Eisenbahnen  (je  am  1.  Januar)  : 

Im  Jahre  1836        1850        1852         1854         1856         1859 

1421        7350       10.878     15.511      23.242     27.857  englische  Meilen, 
deren  Baa  tiber  961  Millionen  Dollars  gekostet  hat. 

Die  Neu-England-Staaten,  dann  New- York,  Ohio,  Indiana  und  Illinois  bcsit/.cn 
an  12.000  Meilen  Bahnen.  —  Im  Jahre  1854  bestanden  etwa  325  Eisenbahngesell- 
schaften.  Die  Bahnen  sind  grossentheils  unsolid  gebnut ;  viele  Gesellschaften  haben 
Bankerott  gemacht  u.  dgl. ;  doch  ist  das  Eisenbahnnetz  ein  ungeheures. 

Banken:  Zu  Anfang  des  Jahres  1859  bestanden  1478  Banken  (im  Staate 
New-York  300,  in  Massachussets  174)  mit  eincna  Capital  von  iiber  403  Mill.  Doll. 


444 

Christenthume  bekehrt,  griindeten  feste  Wohnsitze  und  schreiten  in 
der  christlichen  Kultur  und  Gesittung  vorwarts.  —  In  kirchlicher 
Beziehung  findet  eich  eine  noch  grossere  Mannigfaltigkeit  als  in 
nationaler.  Die  Mehrzahl  der  Weissen  sind  Protestanten  von  ver- 
schiedenen  Sekten;  in  Louisiana,  Kentucky  und  Florida  sind  Ka- 
tholiken  vorherrschend ;  Israeliten  sind  minder  zahlreicb.  Die  An- 
zahl  der  christlichen  Kirchen  und  Gotteshauser  ward  im  Jahre 
1854  auf  38.061  und  der  Gesammtwerth  des  Kirchenvermogens  auf 
mehr  als  87  l/3  Million  Dollars  angegeben.  In  den  ostlichen 
Staaten  sind  Sitten  und  Lebensweise  europaisch;  iiberhaupt  schreitet 
die  Civilisation  von  Ost  nach  West  immer  vorwarts;  Walder  wer- 
den  ausgerodet,  neue  Stadte  angelegt  und  diesen  haufig  der  Name 
der  lieben  alten  Heimat  gegeben.  In  intellektueller  Kultur 
sind  die  Staaten,  in  denen  die  Sklaverei  abgeschafft  ist,  den  Skla- 
venstaaten  ausserordentlich  voraus.  In  den  letzten  ist  namlich  die 
ganze  Sklavenbevolkerung,  zum  Theil  auch  die  freien  Farbigen, 
sei  es  faktisch  oder  sogar  gesetzlich  vom  offentlichen  Unterrichte 
ausgeschlossen ;  gilt  doch  in  einigen  Sklavenstaaten  selbst  die 
Unterweisung  der  Sklaven  im  Lesen  und  Schreiben  als  ,,An8tif- 
tung  zum  Aufruhr."  Fiir  die  Elementarbildung  vvirken  die  Staats* 
und  Nationalschulen  (wohl  an  100.000  in  der  Union),  obwohl  hier- 
bei  kein  Schulzwang  besteht;  das  mittlere  und  hohere  Unterrichts- 
wesen  ist  Sache  der  freiwilligen  Thatigkeit  und  verschiedener 
Vereine,  von  denen  die  Akademien  und  grammatischen  Schulen, 
die  Universitaten  und  Kollegien  gegrundet  sind  und  unterhalten 
werden.  Unter  den  etwa  180  ^Colleges"  (hohere  wissenschaftliche 
Anstalten)  fuhren  18  den  Namen  ..University,8  welche  jedoch  nicht 
auf  der  Hohe  deutscher  Universitaten  stehen.  Die  besuchtesten 
sind  die  Harvard  University  zu  Cambridge  (Massachusetts),  New- 
haven,  New-York,  Philadelphia,  Providence,  Norwich  (Vermont), 
Middletown  und  Pitteburg.  Die  Zahl  der  Bibliotheken  ist  sehr 
bedeutend,  im  Jahre  1859  gab  es  deren  40.890  mit  12%  Millionen 
Banden  (darunter  1297  offentliche  mit  iiber  4l/4  Million  Ban- 
den).  Trotz  der  vorherrschenden  Richtung  des  Amerikaners  auf 
das  flPraktische"  herrscht  in  den  Stadten  doch  auch  auf  dem 
wissenschaftlichen  Gebiete  grosse  Riihrigkeit.  Dass  bei  diesem  viel- 
seitigen  enormen  Vorwartsdrangen  und  Stiirmen  nicht  Alles  den 
geregelten  Gang  geht,  ist  begreiflich;  aber  neben  den  emporend- 
sten  Barbareien  und  Rohheiteu,  neben  den  schamlosesten  Betruge- 
reien  und  dem  ehrlosesten  Missbrauche  jedes  Vertrauens  sehen  wir 
eben  doch  die  Nation  in  ihrer  Gesammtheit  emporkommen  und 
bluhen,  an  Macht  und  Wohlstand  wachsen.  Schatzt  man  doch  in 
jenem  Lande ,  wo  Mder  allmachtige  Dollar  Alles  regiert"  und  wo 
der  nWerth  des  Mannes*  nach  der  Anzahl  seiner  Dollar  bestimmt 
wird,  das  gesammte  Privateigenthum  im  Jahre  1856  auf  11. 317  Mil- 
lionen Dollars !  *)  Ungeachtet  der  vielen  und  begriindeten  Vor- 

*)  Vom  J.  1835—1857  sind  gestiegen :  die  Bevolkerung  urn  90  % 

der  Import  um 140  „ 

der  Re-Export  um 17  „ 

der  Verbrauch  im  Allgemeinen  um  160  ,, 

„          ,,         per  Kopf  um 38,, 


445 

wurfe,  welche  der  aus  alien  Landern  hier  zusammenstrb'menden 
Bevolkerung  mit  den  vielen  Licht-  und  Schattenseiten  der  Nationen 
und  Individuen  gemacht  werden,  scheint  Nord-Amerika  providentiell 
die  Aufgabe  zu  haben,  das  Christenthum  und  die  Kultur  Europas 
fiber  den  grossen  Erdtheil  zu  verbreiten ,  und  fiber  den  grossen 
Ocean  nach  den  ostlichen  Staaten  Asiens  zu  tragen.  Die  zahlreichen 
noch  unvermittelten  und  unversohnten  Widerepruche  haben  grossen- 
theils  in  dem  stiirmischen  Drangen  dieser  Junglings-Nation  ihren 
Hauptgrund ,  auf  welches  sicherlich  das  besonnene,  ernste  Mannes- 
alter  der  Nation  folgen  wird.  In  dies  em  Sinne  kann  der  Staat 
das  ,,Land  der  Zukunft"  genannt  werden. 

B.  Mittel-Amerika. 
§    178.  Die  Repablik  Mexiko. 

40.000  QMeilen;  8,287.400  Einwohner  (nahezu  31/2  Millionen  Indianer  [die 
Mehrzahl  civilisirt  und  Christen,  die  ubrigen  heidnisch,  wie  die  Unions- Indianer], 
1 V,  Million  Weisse,  an  2 3/4  Millionen  Mischlinge  [Creolen,  Mestizen]  und  an  16.000 
Neger).  —  Die  romisch  -  katholische  Kirche  ist  vorherrschend  ;  die  fast  allgemeine 
Sprache  des  Landes  ist  die  spanische.  —  Grenzen:  im  0.  Honduras-Bai  und  Meer- 
busen  von  Mexiko;  —  im  N.  die  Vereinigten  Staaten  von  Nord-Amerika;  — •  im 
W.  der  grosse  Ocean  und  der  Golf  von  Californien  ;  —  im  S.  der  grosse  Ocean, 
Guatemala,  die  britische  Kolonie  Honduras. 

Mexiko  (spr.  Mechiko),  das  ehemalige  nNeu  -  Spanien"  ist 
ein  breites  Tafelland  (5000—8000'  hoch),  der  wbreite ,  wellenformig 
verflachte  Riicken  der  Andeskette",  welcher  nordwarts  an  der  Ein- 
senkung  von  Tehuantepec  beginnt  und  nach  den  heissen  Kiistenebenen 
der  beiden  Meere  in  Terrassen  abfallt.  Den  siidlichen  Theil  des 
Plateau's  die  Hochflache  von  Anahuac  durchziehen  vul- 
kanische  Bergketten ;  auf  dem  Plateau  von  Guanaxuato  (21° 
n.  Br.)  beginnt  der  Charakfer  der  Gebirgserhebung,  die  Cordilleren 
theilen  sich  in  drei  Zweige.  (Siehe  S.  43,  c.)  —  An  der  Siidspitze 
von  Californien  beginnen  die  nordamerikanischen  Seeal- 
pen,  welche  langs  der  Westkfiste  nordwarts  ziehen.  —  Die  horizon- 
tale  Gliederung  des  Landes  ist  nicht  besonders  gQnstig.  Die  Ost- 
kuste  ist  eehr  flach,  einfb'rmig,  fast  uberall  mit  Lagunen  und  Sand- 
diinen  besetzt,  somit  arm  an  guten  Hafen ;  die  Westkuste  ist  steil 
und  bergig  und  hat  ebenfalls  nur  wenig  bessere  Hafen.  Das  Land 
besitzt  weder  viele  noch  groese  Flusse,  namentlich  leiden  die  nord- 
lichen  Plateaux  an  grosser  Trockenheit.  Die  bedeutendsten  Flusse 
sind  der  Rio  del  Nor te  und  der  Colorado  des  Westens 
mit  dem  Gil  a. 

In  klimatischer  Beziehung  scheidet  man  das  Land  in  drei 
Abtheilungen,  den  heissen  Landstrich  (tierra  caliente)  an  der  Ost- 
kiiste  mit  der  hochsten  Temperatur  des  amerikanischen  Festlandes  ;  — 
den  gem§,ssigten  (t.  templada) an  den  Sstlichen  und  westlichen  Ab- 
hangen  und  den  niederen  Plateaux  (3500—5000'  hoch),  wo  fast  ein 
fortwahrender  Friihling  herrscht ,  mit  geringem  Temperaturwechsel 
und  der  iippigsten  Vegetation;  —  den  kalten  (t.  fria)  auf  der 
Hochebene  mit  relativ  strengem  Klima,  obwohl  z.  B.  in  Mexico  das 
Thermometer  fast  nie  auf  den  Gefrierpunkt  sinkt  (mittl.  Jahreetem- 
peratur  -|-  13°  R.). 


^446 

Die  terras senformige  Bildung  in  dieser  Zone  bewirkt,  dass  in 
diesem  Lande  sowohl  nordische  Kulturgewachse  als  tropische  Nah- 
rungspflanzen  gezogen  werden.  Den  fruchtbarsten  Boden  hat  das 
Plateau  von  Anahuac.  Leider  wird  der  ausserordentliche  Produkten- 
reichthum  bei  weitem  nicht  genugend  ausgebeutet ;  der  Acker bau 
wird  ungemein  vernachlassigt.  Nebst  den  europaischen  Getreide- 
und  Obstarten  werden  auch  Reis,  Zucker ,  Baumwolle ,  Tabak, 
Kaffee  ,  der  Oelbaum  und  der  Weinstock  gepflanzt.  Zu  den  ein- 
heimischen  Pflanzen  gehoren  die  Banane,  der  Cacao-Baum  und  die 
Agave  (aus  welcher  das  berauschende  Getrank  »Pulque"  bereitet 
wird),  der  Maniok,  spanischer  Pfeffer  und  viele  tropische  Fruchte. 
An  Handelspflanzen  gedeihen:  die  Vanille,  Jalappa,  Sarsaparilla, 
der  Piment  u.  a.  m.  Unter  den  Farbe-  und  Nutzholzern  sind  her- 
vorzuheben:  das  Campecheholz  von  Yucatan  und  Tabasco,  das 
Gelbholz  von  Tabasco  und  Vera  Cruz,  das  Brasilien-  oder  Fernam- 
bukholz  von  Jalisco,  Mahagony-  und  Cedernholz  u.  a.  —  Noch 
geringere  Pflege  findet  die  Viehzucht,  obwohl  alle  natiirlichen 
Bedingungen  reichlich  vorhanden  sind.  Verhaltnissmassig  am  meisten 
wird  das  mexicanische  Pferd  geschatzt.  Mit  mehr  Sorgfalt  wird 
die  Pflege  der  Cochenille  betrieben.  —  Von  hochster  Wichtig- 
keit  sind  die  Minen  auf  dem  Plateau  von  Anahuac.  Das  Hoch- 
land  ist  reich  an  edlen  Metallen ,  es  ist  das  erste  Silberland 
der  Erde;  ausserdem  gewinnt  man  Gold,  Quecksilber,  Kupfer, 
Eisen ;  ferner  Smaragde ,  Tiirkisse,  und  in  neuerer  Zeit  sind  auch 
Diamanten  (in  der  Sierra  madre)  gefunden  worden.  Seit  der  Re- 
volution liegt  der  Bergbau  zwar  sehr  darnieder,  dennoch  betragt 
die  durchschnittliche  Jahresausbeute  etwa  4000  Mark  Gold  und 
gegen  2  Millionen  Mark  Silber.  Einige  englische ,  amerikanische 
und  deutsche  Bergwerksgesellschaften  haben  den  Bergbau  auf  mehre- 
ren  Punkten,  wo  sich  Colonien  angesiedelt  haben,  von  der  Regie- 
rung  in  Pacht  genommen.  Die  meisten  Minen  sind  in  Guanaxuato 
(Gold  und  Silber),  Zacatecas  und  Catorce. 

Dem  grossen  Reichthume,  welchen  die  Natur  in  Hinsicht  auf 
Pflanzenwuchs,  Thierwelt  und  Mineralien  iiber  Mexico  fast  ver- 
schwenderisch  ausgeschiittet ,  stehen  als  Schattenseite  des  Landes 
die  menschlichen  Verhaltnisse  entgegen.  Die  gewerbliche  In- 
dustrie ist  noch  mehr  vernachlassigt  als  die  Landwirthschaft, 
in  manchen  Artikeln  wirklich  im  primitiven  Zustande  ;  nur  in  der 
Cochenille-Produktion ,  in  der  Erzeugung  von  gebrannten  und  ge- 
gohrenen  Fliissigkeiten  ist  sie  von  einiger  Bedeutung.  Etwas  hoher 
stehen  die  Gold-  und  Silberarbeiten.  Unter  den  Webewaaren  nimmt 
die  Verarbeitung  von  Baumwolle,  sowohl  hinsichtlich  der  Quantitat 
als  der  Qualitat,  relativ  den  ersten  Rang  ein;  doch  beschrankt  sie 
sich  auf  grobe ,  weisse  Cattuue  (manias),  Shawls  (re"bozos),  Tisch- 
zeug,  Bettdecken  u.  dgl. 

Der  Handel  ist  schon  nach  den  geschilderten  Verhaltnissen 
ein  geringer;  nur  der  Schmuggelhandel  scheint)  bedeutend.  Die 
hauptsachlichsten  Hemmnisse  sind:  der  Mangel  an  guten  Hafen,  die 
ungesunde  Kiiste,  der  Mangel  an  Strassen  und  schiffbaren  Fliissen, 
die  Unsicherheit  wahrend  der  so  haufigen  politischen  Umwalzungen. 


447 

Ein-  und  Ausfuhr  sind  so  ziemlich  gleich,  doch  nehmen  trotz  des 
Produktenreichthums  die  edlen  Metalle  an  dreiViertel  der  Gesammtaus- 
fuhr  ein.  Die  bedeutendstenfExportartikel  sind :  Silber,  Mahagony-  und 
Campecheholz,  Vanille,  Cochenille,  Cacao  und  Tabak.  Der  aus- 
wartige  Verkehr  liegt  iiberwiegend  in  den  Handen  deutscher  Kauf- 
leute  ;  er  geht  aus  den  Hiifen  von  Vera  Cruz,  Tampico,  Campeche, 
Matamoros,  Acapulco  nach  dem  Unionslande,  nach  England,  den 
Hansestadten  und  Frankreich. 

Die  Bevolkerung  ist  eine  gemischte,  ausserst  dunne  und 
vielfach  moralisch  und  physisch  versunken;  daher  sowohl  in  den 
Stadten  als  auf  dem  Lande  grosse  Unsicherheit  des  Lebens  und 
Eigenthums  herrscht. 

Politische  Eintheilnng  and  Orte : 

Bis  zum  Jahre  1821  wurde  ,,Neu-Spanien"  von  einem  Vice-Konige  regiert 
(dem  ein  Rathskollegium  znr  Seite  stand)  und  das  Reich  war  in  zwolf  Inten- 
daaturen  und  drei  Provinzen  eingetheilt.  Die  darauf  folgenden  Wirren  und 
Umwalzungen,  die  stets  sich  wiederholenden  Kampfe  der  Centralregierung  und 
der  Foderalisten  um  die  Herrschaft  batten  verschiedene  Eintheilungen  des 
Landes  zur  Folge.  Jetzt  wird  Mexiko  iu  viernndzwan/ig  Departimentos  (Pro- 
vinzen), drei  Territorien  und  den  Bundesdistrikt  mit  der  Hauptstadt  eingetheilt. 
Mexiko,  in  der  Mitte  des  Plateau  von  Anahuac,  mit  170.000  Einwohnern ; 
eine  der  schonsten  Stadte  Amerikas,  mit  der  schSnsten  Kathedrale,  prachtvollcn 
Gebauden  nnd  zwei  grossen  Wasserleitungen.  Universitat,  Fabriken,  wichtiger 
Handel.  —  La  Puebla  (70.000)  auf  dem  Plateau  von  Anahuac;  —  Vera 
Cruz  (8000  Einwohner),  Haupthandelsplalz  in  hochst  ungesunder  Lage  am 
Golf;  —  Me  rid  a  (40.000)  auf  Yucatan,  nabe  der  Nordwestkuste,  treibt  See- 
handel  fiber  den  Hafenplatz  Sizal;  —  Oaxaca  (25.000)  am  Rio  verde, 
starke  Cochenille-Zncht,  Fabriken  und  Handel;  —  Tehuantepec  (14,000) 
am  grossen  Ocean;  —  Acapulco  (4000)  mit  dem  besten  Hafen  Mexikos  am 
grossen  Ocean;  —  Morelia  (25.000);  —  Guadalaxara  (60.000)  in  der 
Nahe  des  Chapala-Sees;  Universitat,  Bergbau ,  Fabriken;  —  Quere"taro 
(30000),  Bergbau,  Gewerbe;  —  Guanaxuato  (50.000),  Silberbergwerke, 
Gewerbe;  —  Zacatecas  (30.000),  Silbergruben ;  —  San  Luis  Potosi 
(40.000)  Silbergruben,  Handel;  —  Durango  (25.000)  Gold-  und  Silbergru- 
ben. —  Die  Halbinsel  Californien  hat  sandigen,  unfruchtbaren  Boden  ,  ist 
sehr  dflnn  bevOlkert  (kaum  10.000  Bewohner,  meist  Indianer),  und  hat  nur 
unbedeutende  Ortschaften.  Im  Territorium  Colima  am  grossen  Ocean  ist 
die  gleichnamige  Hauptstadt  mit  20.000  Einwohnern.  —  Das  kleine,  von  In- 
dianern  bewohnte  Gebiet  Tlasc  ala  ,  mit  dem  Hauptorte  gleichen  Naraens, 
liegt  im  Norden  der  Provinz  la  Puebla.  —  An  der  Siidostkuste  der  Halbinsel 
Yucatan  bis  zur  Sudwestspitze  des  Golfcs  von  Honduras  liegt  die  britische 
Kolonie  Honduras,  hauptsachlich  wegen  der  Ausfuhr  von  Mahagoni- 
und  Campecheholz,  von  Cochenille  und  Indigo,  sowie  wegen  des  Schleichhan- 
dels  nach  den  benachbarten  Staaten  von  einiger  Bedeutung.  Hauptort  ist 
Balize  an  der  Mundung  des  gleichnamigen  Flusses.  Der  Flachenraum  dieser 
Kolonie  betragt  etwa  250  [JM.,  die  Bevolkerung  an  30.000  Seelen. 

§    179.  Ccntral-amcrikaiiische  Repnbliken. 

Zwischeu  den  zwei  Landengen  von  Tehuantepec  und  von 
Panama  liegen  breite  Tafellander ,  von  einzelnen  Gebirgsketten 
durchzogen  und  an  den  Randern  von  hohen  Vulkangipfeln  iiber- 
ragt.  Aus  der  Einsenkung  von  Panama  erhebt  sich  das  Plateau 
von  Veragua,  welches  mit  dem  Plateau  von  Costa  Rica 
zueammenhangt.  Dieses  fallt  5m  Norden  zur  Ebene  von  Nicara- 
gua herab,  aus  welcher  sich  nordlich  das  Hochland  von  Hon- 
duras erhebt.  An  dessen  Ostseite  breitet  sich  das  Tiefland  der 
Mosquito-KOste  aus;  zum  groesen  Ocean  fallt  es  in  eteilen  Teras- 


448  _ 

sen  herab.  An  dieses  Hochland  schlies8t  sich  im  Nordwesten  das 
Hochland  von  Guatemala  an,  welches  sich  nach  Nordosten 
als  Hiigelland  in  die  Halbinsel  Yucatan  fortsetzt  und  an  derKiiste 
verflacht;  im  Nordwesten  aber  bildet  das  Ber  gland  vonChiapa 
den  Uebergang  zur  Thalspalte  von  Tehuantepec. 

Die  Kusten  an  beiden  Oceanen  sind  reich  gegliedert  und 
bilden  mehrere  gate  Hafen.  Mit  Ausnahme  der  hoheren  Ebenen 
ist  Centralamerika  gut  bewassert,  zahlreiche  Fliisse  fallen  (aller- 
dings  nach  kurzem  Laufe)  in  die  beiden  Meere.  Der  grosste  Land- 
see  ist  der  von  Nicaragua  (242  QJMeilen),  von  hohen  Vulkanen 
umgeben;  sein  Abfluss  in  das  karaibische  Meer  ist  der  Fluss 
San  Juan. 

Das  Klima  ist  auf  der  Hochebene  gemassigt  und  milde,  an 
den  Kusten  zwar  heiss  ,  doch  nicht  so  ungesund,  als  in  Mexico ; 
im  Allgemeinen  ist  es  in  den  meisten  Landstrichen  von  immer- 
wahrender  Fruhlingsmilde.  Wahrend  der  Regenzeit  ereignen  sich, 
vorziiglich  im  October,  Stiirme ,  Ungewitter  und  Erdbeben ;  in 
der  trockenen  Jahreszeit  ( vom  November  bis  Mai )  ist  an  der 
Kiiste  starker  Thaufall ,  allein  die  Hochebene  ist  eine  ausge- 
brannte  Wiiste.  —  Der  Boden,  der  nie  gediingt  zu  werden  braucht 
und  gleichwohl  zwei  bis  drei  Jahresernten  gibt,  ist  der  Landwirth- 
schaft  ungemein  gunstig;  nameutlich  gibt  es  auf  den  Plateaux  von 
Costa  Rica,  Honduras  und  Guatemala  (in  einer  Hohe  von  3 — 5000') 
kultivirbare  Strecken  von  unermesslicher  Ausdehnung  und  Frucht- 
barkeit. 

Die  Produkte  sind  die  gleichen  wie  in  Mexico.  Auf  den 
Hochebenen  wird  Ackerbau,  an  den  Abhangen  und  Kusten  Plan- 
tagenbau  betrieben.  Die  wichtigsten  Erzeugnisse  sind :  Kaffee 
(Costa  Rica),  Cacao  (Nicaragua),  Tabak  und  Nutzholzer,  nament- 
lich  Mahagoni-  und  Campecheholz  (Nicaragua,  San  Salvador,  Hon- 
duras), Indigo  (San  Salvador,  Guatemala),  Cochenille  (Guatemala 
producirt  mehr  als  die  Halite  des  Bedarfes  der  ganzen  Erde), 
Baumwolle,  Zucker  (namentlich  die  braune  Art  Panela),  Balsam  u.  a.  m. 
—  Die  Viehzucht  ist  ziemlich  erheblich.  —  An  Metallen  fin- 
det  man  Gold ,  Silber ,  Blei,  Kupfer  (in  Honduras)  und  Eisen 
(San  Salvador);  doch  ist  die  Ausbeute  bei  weitem  geringer  als  in 
Mexico. 

Die  gewerbliche  Thatigkeit  ist  einegeringe;  Manufacte  wer- 
den iiberwiegend  aus  Grossbritannien  importirt.  Die  dem  Welt- 
handel  giinstige  geographische  Lage  erregt  noch  mehr  als  der 
grosse  Produktenreichthum  dieser  Lander  die  Aufmerksamkeit  der 
grossen  Handelsstaaten  ,  insbesondere  Nordamerikaa  und  Englands. 
Die  nachste  Aufgabe  ist  eine  kurze  Verbindung  zwischen  dem  gros- 
sen  und  atlantischen  Ocean  herzustellen.  Unter  mehreren  darauf 
bezuglichen  Projekten  ist  eines  ausgefuhrt  worden ,  namlich  eine 
Eisenbahn  uber  den  Isthums  von  Panama,  welche  im 
Jahre  1855  eroffnet  worden  ist.  Sie  verbindet  die  Stadt  A sp in- 
wall  (auf  der  Koralleninsel  Manzanillo  im  kara'ibischen  Meere)  mit 
der  Stadt  Panama  am  gleichnamigen  Golfe,  Diese  Strecke  er- 
fordert  eine  3— 48tiindige  Fahrt. 


Die  Staaten  auf  dem  bezeichneten  Landstriche  sind  die  6  Re- 
publiken:  Guatemala,  San  Salvador,  Honduras,  Nica- 
ragua, Costa  Rica  und  Panama  (oder  Isthmo),  sowie  das  un- 
abhangige  ,,Konigreich  der  Mo  squit  o  k  iis  te." 

Die  Bevolkerung,  etwa  2 '/2  Million  Seelen ,  ist  sehr 
gemischt.  Ueber  V2  Million  sind  Weisse,  beilaufig  80,000  Indianer, 
kaum  10,000  Neger;  der  ganze  grosse  Rest  entfallt  auf  Mischlinge 
(Mulatten ,  Creolen  u.  s.  w.).  Die  Indianer  sind  theils  abhangige, 
zum  Christenthume  bekehrte  (Ladinos  oder  Quiche),  oder  unab- 
hangige,  an  der  Mosquitokiiste  (Bravos  oder  Barbaros).  —  Die 
V  erf  as  sung  dieser  Staaten  ist  jener  im  Unionslande  nachgebildet. 
An  der  Spitze  jedes  Staates  steht  ein  President.  Die  Sklaverei  ist 
vollig  aufgehoben.  Die  romisch  -  katholische  Kirche  ist  die  vor- 
herrschende. 

1.  Guatemala  (3060  DM.,  1,100,000  E.):  Guatemala  (60,000  auf  einer  frucht- 
bareu    Hochebene;    die   bedeutendste   Cochenillezucht ;    Industrie   in    Baumwolle, 
Thonwaaren,  Tabak,  Bijouterien.  Lebhafter  Handel  init  Maulthierkarawanen  nach 
den  beiden  Oceanen ;  —  Hafenplatze :  St.  Thomas  an  einer  Bucht  des  Honduras- 
Golfes,  Is  tap  a  am  Pacific. 

2.  San  Salvador  (400  Q  M.,  500,000  E.):  Die  fruhere  Hauptstadt  San  Salva- 
dor ist  im  Jahre  1854  durch  ein  Erdbeben  fast  ganz  zerstbrt  worden;   in  deren 
Nahe  ist  mm  die  neue  Hauptstadt  Cojutepeque  zum  Theile  schon  aufgebaut. 
Starker  Indigo-  und  Tabakbau.     Der   wichtigste  Hafen    ist  La  Union   an  der 
Fonseca-Bai. 

3.  Honduras    (2500    n  M.,   380,000  E.):    Comayagua"  (20,000),    bedeutender 
Bergbau.     Hafenplatze    an    der    Honduras-Bai :    Caballo    und    Truxillo;  — 
Olancho  hat  die  reichsten  Goldgruben. 

4.  Nicaragua  (2200  Q  M.,  300,000  E.):  Leon  (25,000),  in  der  Nahe  des  grossen 
Oceans,  auf  einer  gut  bebauten  Hochebene,  treibt  lebhaften  Handel ; —  Granada 
(20,000)  an  der  Nordwestseite  des  Nicaragua-Sees;  —  Nicaragua  (14,000);  — 
Realejo  hat  den  besten  Hafen  am  grossen  Ocean;  —  Greytown  (spr.  Grehtaun) 
—  oder  San  Juan  de  Nicaragua  (5000)  an  der  Mundung  des  San  Juan-Flusses. 

Im  Osten  der  Staaten  Nicaragua  und  Honduras  (vom  Kap  Honduras  iiber 
Kap  Gracias  a  Dios  bis  zur  Miindung  des  Blewfield-Flusses)  ist  das  unabhan- 
gige  nKonigreich  der  Mosquito-Kiiste"  (oder  Mosquitia)  an  2000  Q  M- 
gross,  mit  etwa  10,000  (nach  einigen  Angaben  200,000)  heidnischen  Indianern. 
Fast  das  ganze  Land  ist  ein  grosser  Wald,  von  Flussen  durchschnitten ;  der 
Boden  ist  ausserst  fruchtbar,  das  Klima  milde  und  gesund.  Besondern  Einfluss 
ttbt  England  aus.  Der  ansehnlichste  Ort  ist  Blewfield. 

5.  Costa  Rica  (746  D  M.,  215,000  E.):  San  Jose  (30,000);  Cartago  (20,000); 
Puntas  Arenas,  Hafenplatz  am  Golf  von  Nicoya. 

6.  Panama    (1300    QM.,    144,000  E.):    Panama   (25,000),  Freihafen,    seit  der 
Vollendung  der  Eisenbahn  nimmt  der  Handel  sehr  zu;  —    Aspinwall;  —  die 
Perlen-Inseln  im  Golf  von  Panama  sind  wegen  der  Perlenfischerei  beachtens- 
werth.  —  Die  Kiistengegenden  sind  sehr  ungesund  (gelbes  Fieber). 

§.  180.  Westiudien. 

Unter  Westindien  oder  den  Antillen  versteht  man  den 
•rrossen  Arcbipel ,  welcher  sich  von  den  Halbinseln  Florida  und 
Yucatan  bis  zu  den  Miindungen  des  Orinoco  erstreckt  und  das 
mexicanische  nebst  dem  karai'bischen  Meere  vom  atlantischen  Ocean 
trennt.  Der  gesammte  Flachenraum  betragt  beilaufig  4500  nMei- 
Icn,  auf  welchem  nahe  an  4  Millionen  Menschen  leben.  Der  Ar- 
chipel  besteht  aus  3  Gruppen :  den  grossen  Antillen,  den 
ihnen  nordlich  vorgelagerten  Bahama-  (oder  Lucayas-)  Inseln, 
und  den  kleinen  Antillen. 

Klun's  HandPls-Gcograpbie.     2.  Anil.  29 


450 

Die  Antillen  sind  gebirgig,  mit  Auenahme  von  Tabago  und 
Trinidad,  welche  den  Charakter  ISudamerikas  tragen ;  die  Bahamas 
nieder  und  flach.  Die  nordwestlichen  (Bahama,  Cuba  und  Jamaica) 
eind  von  machtigen  Banken  umgeben ,  zwischen  welchen  oft  nur 
schmale,  der  Schiffahrt  gefahrliche  Kanale  fiihren,  unter  denen  der 
,,alte  Bahama-Kanal,"  nordlich  von  Cuba,  besonders  beruchtigtist*). 
Die  meisten  Kiisten  sind  steil  und  haben  zahlreiche,  eichere  Hafen. 
Die  grossen  Ineeln  sind  fruchtbar  und  wasserreich;  die  kleinen 
leiden  haufig  Wassermangel,  woran  die  Ausrottung  der  Wilder  die 
Hauptschuld  tragt.  —  Das  Klima  ist  eines  der  herrlichsten  unter 
den  Tropenklimaten  der  Erde ;  die  allerdings  bedeutende  Hitze  wird 
durch  Landwinde  aus  den  Bergthalern  und  durch  Seewinde  etwas 
abgekuhlt.  Von  hochst  zerstorender  Wirkung  eind  jedoch  die  hau- 
figen  Herbstorkane  mit  furchtbaren  Regengiissen  und  Gewittern 
gegen  das  Ende  der  nassen  Jahreszeit  (Mai  bis  November)  ;  doch 
ist  der  Temperatur-Unterschied  in  der  trockenen  und  nassen  Jahres- 
zeit ein  geringer. 

In  Folge  dieser  geologischen  und  meteorologischen  Verhalt- 
nisse  ist  Westindien  ausserordentlich  reich  an  den  mannigfaltigsten 
einheimischen  und  an  hierher  verpflanzten  Produkten ;  es  ist  (im  Ver- 
haltniss  zur  Grosee)  das  erste  Plantagenland  der  Erde ,  welches 
die  civilisirte  Welt  seit  Jahrhunderten  mit  ungeheuren  Mengen 
tropischer  Produkte  versehen  hat.  Eigentliche  Stapelartikel  sind: 
Kaffee,  Zucker,  Tabak,  Piment  und  Baumwolle,  dann 
folgen  Indigo,  Cacao,  Kokos,  Mais,  Vanille,  treffliches  Bau-  und 
Nutzholz  u.  s.  w.  Beim  Plantagenbau  werden  auf  den  spanischen 
und  niederlandischen  Besitzungen  Negersklaven  verwendet,  deren 
es  wohl  iiber  l/z  Million  gibt.  —  Die  Viehzucht  wird  am  be- 
deutendsten  aui  Cuba  betrieben;  im  Innern  der  grossen  Inseln 
findet  man  auf  den  Savannen  groese  Rindvieh-  und  Pferdeheerden  im 
halbwilden  Zustande.  —  Die  gewerbliche  Industrie  ist  nur 
in  jenen  Richtungen  vertreten,  welche  mit  dem  Plantagen-  und 
Schifl'sbau  in  Verbindung  stehen;  alle  Fabrikwaaren  und  feineren 
technischen  Erzeugnisse  werden  aus  Europa  eingefiihrt.  —  Nachst 
dem  Plantagenbau  bildet  der  Handel  die  Hauptbeschaftigung.  Er 
gewinnt  stets  an  Ausdehnung,  sowohl  zwischen  den  Colonien  und 
den  Mutterstaaten,  als  auch  den  andern  Landern  Amerikas  und 
Europas.  —  Der  Bergbau  ist  vmbedeutend,  die  Ausbeute  an 
Metallen  eine  geringe.  Nur  Salz  wird  eowohl  aus  dem  Meere 
als  aus  einigen  Salzseen  gewonnen. 

Die  Bevolkerung  ist  gemischt.  Etwa  850.000  sind  Euro- 
paer  und  Creolen ,  an  2  Millionen  Neger,  iiber  1,300.000  Farbige 
(Mulatten)  und  beilaufig  9000  Indianer  (auf  einigen  kleinen  Inseln). 
Die  Weissen  und  Farbigen  in  den  spanischen  und  franzosischen 
Colonien,  eowie  auf  Haiti,  sind  romische  Katholiken ,  in  den  ubrigen 

*)  Die  grossten,  fiir  den  Schiffahrtsverkehr  mit  Europa  bedeutendsten  Strassen 
sind :  zwischen  Tabago  und  Granada,  —  zwischen  Guadeloupe  und  Montserrat  (Strasse 
von  Europa),  —  zwischen  St.  Martin  und  den  Virginischen  Inseln,  —  die  Mona-Passage 
zwischen  Porto  Kico  und  Haiti,  —  die  Windward-Passage  zwischen  Haiti  und  Cuba, 
—  die  Florida-Strasse  zwischen  der  Bahama-Bank  und  Florida. 


451 

Kolonien  racist  Protestanten.  Die  Neger  eind  zum  Theil  noch 
Heiden,  auf  Haiti  und  den  gpanischen  Colonien  romische  Ka- 
tholiken. 

Mit  Ausnahme  von  Haiti  gehoren  die  Inseln  mehreren  euro- 
pftiechen  Handelestaaten. 

Haiti  (vonnals  Hispaniola  oder  St.  Domingo),  1368  Q  M. ,  beilaufig 
1  Million  Einwohner;  —  darunter  an  30,000  Weisse,  iiber  eine  halbe  Million 
Neger,  der  Rest  Mulatten.  Das  Innere  ist  gebirgig  bis  zu  6000'  Hohe  im  Cibao- 
Gebirge.  Die  grosste  Ebene,  vom  Yuna  bewassert,  breitet  sich  im  Siidosten 
aus,  im  Westen  durchfliesst  den  ehemaligen  rZuckergarten"  der  Artibonite; 
diese  beiden  Fliisse  sind  auf  lange  Strecken  schiffbar.  Nebst  mehreren  kleineren 
Fliissen  hat  die  Insel  auch  einige  Salzseen.  Das  Klima  ist  im  Allgemeinen  un- 
gesund  (gelbes  Fieber).  Der  ehemals  grosse  Produktenreichthum  hat  unter  der 
Negerherrschaft  ausserordentlich  abgenommen.  Der  Bergbau  ist  noch  mehr  ver- 
nachlassigt,  Der  Export  von  Zucker,  Kaffee,  Baumwolle  ist  sehr  gesunken,  am 
erheblichsten  ist  er  noch  in  Mahagoni-  und  Werkholz,  Tabak  und  Baumwolle, 
und  wird  auf  etwa  25  Millionen  Francs  bewerthet.  Diese  Insel  hat  eine  wechsel- 
volle  Geschichte.  Gegenwartig  ist  sie  unter  zwei  Republiken  getheilt.  Haiti  (im 
Westen)  558  Q  M.,  iiber  600,000  E.,  meistens  Neger  oder  Mulatten  (bis  zum 
Januar  1859  despotische  Erbmonarchie  unter  dem  Negerkaiser  Soulouque  oder 
Faustin  I.),  welche  sich  zur  rb'misch-katholischen  Kirche  bekennen.  Hauptort  ist 
Port  au  Prince  (20,000),  in  einer  sumpfigen,  ungesunden  Gegend,  mit  bedeu- 
tendem  Handel;  —  Kap  Haiti  en  (15,000),  gesund  und  schbn  an  der  Nord- 
kttste  gelegen,  treibt  gleichfalls  Seehandel.  —  Republik  San  Domingo  (im  Osten) 
810  D  M->  etwa  300,000  E.,  iiberwiegend  Weisse  und  Mulatten,  weniger  Neger, 
fast  alle  romisch-katholisch.  Hauptort:  San  Domingo  (16,000),  die  alteste, 
von  Europaern  in  Amerika  gegriindete  Stadt,  an  der  Miindung  des  schiffbaren 
Ozama,  mit  Arsenal,  Hafen,  ausgebreitetem  Seehandel.  Im  Innern  des  Landes 
sind  Sant  Jago  (14,000)  und  Vega  (9000). 
1.  Spaniscke  Kolonien. 

a)  Cuba  (1966  D  M.,  iiber  1,400,000  E.,  worunter  fast  die  Halfte  Weisse,  iiber 

200,000   freie    Farbige  und  500,000  Negersklaven).     Die  grosste,    fruchtbarste 

und  reichste  der  Antillen.     Im  Innern    gebirgig  und   von    vielen,    wenngleich 

nicht   schiffbaren    Fliissen  bewassert,    hat    sie  an  den  vielfach  flachen  Kiisten 

zahlreiche  Buchten  und  Hafen.     Das    Klima   ist   zwar  heiss,   doch  milder  als 

auf  den  iibrigen  Antillen;    im  Innern  ist  es  gesund,  aber  an  den  Flachkiisten 

wiithet  haufig  das  gelbe  Fieber.     Der  wirkliche    Ertrag  dieser  ausserst  frucht- 

baren,  aber  kaum  zum  dritten  Theile  bebauten  Insel  steht  in  keinem  Verhalt- 

nisse  zur  Ertragsfahigkeit ;  dennoch  ist  sie  die  Goldquelle  Spaniens.  Die  wich- 

tigsten    Produkte    sind  Zucker,    Kaffee   und   Tabak;    ausserdem  werden 

Baumwolle,    Cacao,   Indigo,   Lebensmittel  u.  a.  m.  gewonnen.     Die  jfihrlichen 

Ertragnisse  werden  auf  300  Millionen  Dollars  geschatzt,  davon  entfallen  beilaufig 

auf  Zucker  95  Millionen,  Tabak  55  Millionen,  Kaffee  30  Millionen.     Die  Aus- 

beute  an  Kupfer  ist  bedeutend,    woven  urn  etwa  4  Millionen   Dollars  (meist 

nach  England)  exportirt  werden.     In  neuerer  Zeit  sind  in  der  Landwirthschaft 

und    im    Fabrikwesen    bedeutende   Fortschritte   gemacht  worden;   in  letzterer 

Hinsicht  sind  die  Tabak-  und  Chokoladefabriken ,  dann  die  mit  der  Schiffahrt 

und  dem  Plantagenbau    zusammenhangenden    Gewerbe  am  starksten  vertreten. 

Auch  fiir  den  Yerkehr  ist  Vieles   (durch  die  Nord-Amerikaner)  geschehen,  in- 

dem  alle  starker   bevolkerten  Platze  mittels    Eisenbahnen  verbunden  sind  und 

zahlreiche  Dampferlinien  nach  alien  Richtungen  laufen.     Der  Import  betragt 

im  Durchschnitte  150,  der  Export  an  140  Millionen  Dollars.  —    Orte:   La 

Havana  (180,000),  stark  befestigte  Hauptstadt,  Sitz  des  Generalkapitans,  mit 

einem  der  besten    Ha'fen   auf   der  Erde,   reichen   Pala'sten,    grossem   Arsenal, 

Schiffswerften ,    Mittelpunkt    des  spanisch  -  amerikanischen   Handels;   Cigarren- 

und    Chokoladefabriken.     Universitat,  Navigationsschule.  —   Sant   Jago    (do 

Cuba,  30,000),  ehemals  Hauptstadt,  doch  wird  der  Hafen  weniger  besucht,  weil 

sich  fast  der  ganze  Verkehr  nach  Havana  gezogen  hat. —  Die  zweite  Handels- 

stadt  ist  Matanzas  (25,000),    mittels   Eisenbahn  mit  La  Havana  verbunden. 

Fiir  den  Verkehr  im  Innern  ist  Puerto  Principe  (50,000)  bedeutend;  grosse 

Cigarrenfabriken. 

29* 


452 

b)  Puerto  Rico  (185  Q  M.,  400,000  E.,  die  Mehrzahl  Kreolen,  an  60,000  Skla- 
ven),  die  kleinste  der  grossen  Antillen,  ist  gebirgig,  gut  bewassert,  hat  ein  herr- 
liches  gesundes  Klima  und  sehr  fntchtbaren  Boden.  Hauptprodukte  sind 
Zucker  (Jahresproduktion  etwa  800,000  Zentner)  und  Tabak ,  weniger  (aber 
guter)  Kaffee  und  Baumwolle.  Die  Viehzucht  (Kinder  und  Pferde)  ist  bedeu- 
tend,  dessgleichen  der  Bergbau.  —  Hauptort  ist:  St.  Juan  de  Porto  Rico 
(30,000),  stark  befestigt,  mit  ausgebreitetem  Seehandel.  Hafenplatze  sind  nocli 
Guaynia  und  San  German. 

Von  den  Virginischen    Inseln   gehoren    zu   Spanien:    Culebra,    Bieqne, 
Culebrita. 

2.  Britische  Kolonien. 

o)  Jamaica  (278  QM.,  400.000  E.,  nur  an  35.000  Weisse,  die  ubrigen  Far- 
bige  und  Neger;  keine  Sklaven,  dagegen  werden  BKulisa  (meist  aus  China) 
als  pfreie  Arbeiter"  zur  Plantagenarbeit  gedungen).  Die  Insel  ist  gebirgig ; 
ihre  hocbsten  Berge,  die  ,blauen  Berge"  steigen  wie  die  auf  Caba  gegen 
7000'  an.  Das  reich  bcwasserte  Land  ist  an  der  hafenreichen  Kfiste  und  in 
den  Thalern  sehr  gut  angebaut.  Das  Klima  ist  sehr  heiss,  nur  in  den  Berg- 
gegenden  gemassigter  ;  die  Nachte  sind  feucht  und  kuhl,  daher  der  Gesundheit 
gefahrlich.  Der  Bodcn  ist  minder  fruchtbar  als  auf  den  andern  Inseln,  er  be- 
nothigt  vieler  Arbeit  und  Dungung.  Die  bedeutendsten  Produkte  sind  Kaf- 
fee, Zucker,  Rhum  und  Piment,  dann  Baumwolle,  Indigo,  Ingwer, 
sowie  Mais  und  andere  Nahrungspflanzen.  Die  grossen  Waldungen  sind  reich 
an  Farb  -  und  Nutzholzern.  Die  Viehzucht  ist  bedeutend.  Der  Export  ist 
am  starksten  in  Zucker,  Rhum,  Kaffee,  Piment,  Mahagonyholz  und  Indigo.  — 
Die  Hauptstadt  mit  dem  Sitze  des  Gouverneurs  ist  San  Jago  de  la  Vega 
(oder  Spanishtown,  6000  E.)  unweit  der  Kuste;  die  wichtigste  britische  Han- 
delsstadt  dagegen  ist  Kingston  (36.000)  mit  befestigtem  Hafen.  Kusten- 
stadte  sind  noch  Port  Royal  (15.000)  und  Montego  (6000).  —  Nordwest- 
lich  von  Jamaica  liegen  die  drei  Cay  m  a  n -Inseln,  welche  viel  Schildkro- 
ten  liefern, 

b)  Bahama-Inseln.     Die  14  grosseren  und  an  500   kleinen  Inseln,    mit  einer 
Gesaramtflache    von    240  OM-    ltnd  25000  E.    sind  moistens  niedere,    flache 
Felseninseln,  jedoch  in  Waldern  und  Plantagen    nicht   unbedeutend.     Sic  zer- 
fallcn  in  drei  Gruppen:    die  nordlichen  (eigentlichen  Bahamas)   sind  unbe- 
wohnt;  die  m  i  ttl  er  en  (Lucayischen)  mit  dem  Hauptorte  Nassau  (6000  E.) 
auf  der  Hauptinsel  Ne  w  -  Pro  v  idence  und  die  Insel  San  Salvador  oder 
Guanahani  mit  Port  Howe  (Columbus'  ersier  Landungsplatz  am  12.  Ok- 
tober    1492);    —    die    sudlichen    (Passage-Inseln),   wo  Crooked   Island 
(spr.  KruhkM  Eiland),  cine  der  Crooked-Gruppe  mit  Pittstown   die  Haupt- 
insel ist. 

c)  Kleine  Antillen.     Die  wichtigsten  sind  von  Norden  nach  Suden:  Tortola. 
Virgin    Gorda    (zu    den    virginischen  gehorig;,  dann:    Anguilla,  Barbuda,  St. 
Christoph  (oder  Kitts),    Nevis,  Antigua,    Montserrat,  Dominica,    Santa  Lu- 
cia,  St.  Vincent,    Barbadoes,    Grenada,    Tabago,    Trinidad.    —  Am 
besten    angebaut    und    dicht    bevolkcrt    ist    Barbadoes;    Hauptprodukt    ist 
Zuckerrohr.     Bridgetown    (spr.    Bridschtaun,     15.0CJO),    stark   befestiget   ist 
der  bedcutendste  Handelsplatz  der   kleinen  Antillen.    —    Trinidad  (60.000) 
mit    dem    Hauptorle     Puerto   de    Espana   (oder    Port   Spain,    10.000  E.) 
hat  Sdiwcielquellen  und  einen  Asphaltsee.    —    Andere   britische  Stiidte    sind : 
Scarborough  auf  Tabago;  —  Georgetown  auf  Grenada;  —  Kingston 
(8000)    auf  bt.  Vincent;    —    Castries    auf  Santa  Lucia;    —    Roseau  auf 
Dominica;  —  Johnstown  (16.000)  auf  Antigua. 

•  Frauzih>isc)ie  Kolonieii. 

Von  den  kleinen  Antillen  gthoren  zu  Frunkmch:  Guadeloupe  (mit  den 
Nebeninseln;  Desirade,  Marie  Galaute  uud  Les  Saiutes),  dann  zwei  Driuel  der 
Tnsel  St.  M  HI  tin,  endlich  die  reichntc  (ranzosiscLe  Besitzung  in  Westiudien 
Martinique.  —  Auf  Guadeloupe  i*t  Hauptort  Basse-terre  (10.000),  der 
wicbtigste  llanduUplalz  aber  Pointe  a  Pitre  (15,000).  —  Auf  Martinique  ist 
Fort  Royal  (7000)  die  befestigte  HHiiptstadt  mit  dem  Sitze  des  Gouverneurs; 
hipgegen  Saint  Pieire  (20.000)  die  gi6bBte  Stadt  der  franzobischen  Antillen 


453 

mit  sehr  ansehnlichem  Handel.  Frankreicb  bezieht  aus  diesea  Kolonien:  Zucker, 
Kaffee.  Cacao.  Khum,  Tabak,  Nutz-  und  Farbholzer,  and  export  in  dor  thin  In- 
dastrieprodukte. 

4.  XiederlSndiselie  Kolonien: 

Zum  Gouvernement  Saint  Eustacbe  gehoren  von  den  kleinen  Antillen:  Saint 
Eustache  mit  der  gleichnamigen  Hanptstadt  (6000  £.),  mit  lebhaftern  Handel 
nnd  einem  Freihafen ;  —  die  Insel  Saba  und  ein  Drittel  der  Insel  St.  Martin. 
—  Zum  GouYemement  Curasao  gehoren  die  Inseln  .unter  dem  Winde :'  Cu- 
rai;ao  mit  dem  befestigten  Hauptort  Wille  ms tadt  (8000),  dannBaenAyre 
(oder  Bonaire),  Aves  und  A  rub  a.  Dem  diirren  Boden  der  letztern  Inseln 
warden  dnrch  neissige  Bebannng  ansehnliche  Mengen  Zucker,  Tabak,  Baumwolle, 
Kaffee,  Cacao  u.  a.  abgewonnen;  ein  Hanptprodokt  ist  Salz. 

5.  Danische    Kolonien 

Die  virginischen  Inseln:  St.  Croix  mit  dem  Haupthandels-  uud  Hafenplatze 
Christian  sstadt  (6000),  St.  Jean  und  St.  Thomas  mit  der  befestigten 
Handelsstadt  Charlotte  Amalic  (12000).  Diese  Inseln,  etwa  ~QM.  gross, 
mit  beilaufig  45.000  E.,  sind  sehr  frachtbar;  die  Hauptprodukte  sind  Zucker 
und  Rhum. 

6.  Schwedisch  ist  nur  die  Insel  St.   Barthelemy  mit  dem  Hauptort  nnd  Frei- 

hafen Gnstavia  (10000).  Das  Eiland  ist  dicht  bevOlkert,  trefflich  kultivirt, 
gesnnd,  leidet  aber  Mangel  an  Quellwasser.  Landesprodukte  sind  Banmwolle, 
Zncker,  Indigo,  Cacao,  Tabak  und  Seesalz. 

C.  Siid-Amerika. 

f.   181. 

Nach    der    natiirlichen   Beschaffenheit    kann    Siid-Ainerika    in 
drei  grossere  Abtheilungen  geschieden  werden: 

1.  Der  tropische  Norden  Sudamerikas,   nordlich  vom 
Aequator,  oder  das  Nord  -  An  denland  und  das  O  ri  noco-Gebiet 
(Guyana,  Venezuela,  Neu-Granada) ;  — 

2.  der    tropische    Siiden   Suda  m  erik  as,    sudlich    vom 
Aequator,    oder    das   Mittel  -  An  d  en  land    und    das   Becken    des 
Amazon  en stroms  (Ecuador,  Peru,  Bolivia,  Brasilien);   - 

3.  der  aussertropische  Siiden  oder  das   Siid-Auden- 
land  und  das  L  a  Plata-Gebiet  (Chile,  Argentina,  Buenos- Ayres, 
Uruguay,    Paraguay).     An    dieseu    schliesst    sich    im    Siiden    Pa- 
tagonien  an ;    im  Siiden  und  Osteu  desselben  liegen  mehrere  Insel- 
gruppen. 

§.  1-2  Der  u  OJM-I  In  Norden  MI.!  \iiMiik,, - 
1.  Guyana.  Die  Oberflache  dieses,  beilaufig  4850  QMeilen 
grossen  Landstriches  ist  von  verschiedener  Beschaffenheit.  An 
der  Kiiste  des  Atlantik  ist  es  ein  flaches,  aufgeschwemmtes  Land, 
beriichtigt  wegen  seines  hochst  ungesunden  Klima's.  Das  Land 
steigt  nach  dem  Innern  allmahlich  uber  die  Region  der  Savannen 
bis  zum  (noch  wenig  bekannten)  Hochlande  empor ,  welches  dicht 
bewaldete,  durch  grasreiche  Hochebenen  von  einander  getrennte 
Bergketten,  zum  Gebirgssysteine  der  Sierra  Parime  gehorig, 
durchziehen.  Guyana  ist  sehr  reich  bewassert ,  die  Regenmenge 
ungemein  gross.  Der  nicht  uberschwemmte ,  oder  der  durch  Damme 
gegen  Ueberschwemmungen  geaicherte  und  durch  Kanale  ent- 
wasserte  Boden  ist  aueserst  fruchtbar  und  liefert  Kaffee,  Baum- 
wolle, Zucker,  Cacao,  Tabak,  Indigo,  Pfeffer  u.  a.  in.  Die  Wal- 
der  sind  ungemein  reich  an  Nutz-  und  Farbholzern.  Das  Colonial- 


454 

gebiet  der  Briten,  Niederlander  und  Franzosen  erstreckt  eich  von 
der  Kiiate  nicht  weit  in  das  Land  ;  im  Innern  leben  viele  Stamme 
freier  Indianer. 

a)  Britiscll  Guyana  (auch  Demerara  genannt)  mit  einer  Gesammtflache  von  etwa 
1200  nM-  u*1*1  an  150.000  Einwohnern  (nur  beilaufig  7000  Weisse  ,  an  90.000 
freie  Neger).  Die  hier  miindenden  Fliisse  sind  :  Essequibo  (mit  dem  Cujuni), 
Berbice,  Demerara,  Corentyn  (Grenzfluss  gegen  niederlandisch  Guyana). 
Der  Hauptexport  besteht  in  Zucker,  Rhum,  Kaffee,  Holz.  —  Hauptort  und  be- 
deutendster  Handelsplatz  ist  Georgetown  (25.000)  an  der  Demerara-Mundung  ; 
—  an  der  Berbice-Miindung  liegt  Neu-Amsterdam  (5000). 

6)  Niederlaiidisch  Guyana  (oder  Surinam),  iiber  1800  nM-  und  an  80.000  E. 
(nur  an  13.000  Weisse  und  freie  Farbige  ,  sonst  Negersklaven).  —  Grenzflusse 
sind  :  Corentyn  (gegen  britisch  Guyana)  und  Maroni  (gegen  franzb'sisch  Guyana), 
zwischen  beiden  ist  der  Hauptfluss  des  Landes  Surinam.  Der  niederlandische 
Fleiss  hat  durch  Anlegung  von  Da'mmen  und  Kanalen  ein  flaches  ,  den  Ueber- 
schwemmungen  ausgesetztes  ,  hochst  ungesundes  Land  zu  einer  der  fruchtbarsten 
und  bestangebauten  Gegenden  umgeschaffen.  E  x  p  o  r  t  artikel  sind:  Kaffee,  Zucker, 
Cacao,  Baumwolle,  Indigo,  Tabak,  Holz.  Die  befestigte  Hauptstadt  Paramaribo 
(24.000)  ist  im  hollandischen  Geschmacke  gebaut,  die  breiten  Strassen  sind  mit 
Alleen  von  Orangen-  und  Limonieubaumen  besetzt,  zwischen  den  Alleen  und  den 
vortrefflich  eingerichteten  Hausern  liegen  Garten.  Die  Umgebung  ist  sehr  gut  an- 
gebaut  und  mit  Landhausern  geziert.  —  In  der  Nahe  'ist  die  jiidische  Kolonie 
Savana. 

c)  Franzosisch  Guyana  (oder  Cayenne),  beilaufig  1800  [J  M.  gross,  mit  30.000 
E.  Die  Kolonie  ist  in  einem  vernachlassigten  Zustande  ;  nur  ein  geringer  Theil 
des  fruchtbaren  Landes  ist  angebaut,  der  grosste  Theil  derKiiste  steht  unterWas- 
ser.  Hauptprodukte  sind  Baumwolle  ,  Pfeffer  und  Gewiirznelken.  Die  befestigte 
Hauptstadt  Cayenne  (3000)  liegt  auf  einer  mitWaldern  und  Siimpfen  bedeckten 
Insel.  Auf  dem  Festlande  und  einigen  Kiisteninseln  sind  mehrere  Detentionsplatze, 
welche  meist  ein  tb'dtliches  Klima  haben. 


2.  Republik  Venezuela  (18.400  DMeilen;  —  1,400.000  Ein- 
wohner,  —  darunter  an  300  000  Indianer  [etwa  T/4  unabhangig]  ,  an 
60.000  Neger,  der  Rest  Mischlinge). 

Im  Westen  zieht  die  Ostcordillere  von  Neu-Granada,  oder 
die  Kette  des  Suma  Paz  in  das  Land,  welche  als  Kustenkette  von 
Venezuela  langs  der  Nordkiiste  in  ostlicher  Richtung  (Silla  de  Ca- 
racas) sich  hinzieht.  Im  Sudosten  erhebt  sich  das  Bergland  der 
Sierra  Parime,  welche  bis  an  das  rechte  Ufer  des  Orinoco  her  an  - 
reicht  und  dieses  begleitet.  Zwischen  den  beiden  Hochlandschaften 
breitet  sich  die  ungeheure,  reichbewasserte  Ebene  des  Orinoco  aus, 
welche  zwei  Drittel  des  ganzen  Staatsgebietes  einnimmt,  theils  bewaldet, 
theils  baumlos  ist.  Der  westliche  und  nordliche  Theil  der  Ebene 
sind  die  Llanos  des  Orinoco,  in  der  trockenen  Jahreszeit 
diirre,  fast  baumlose,  ebene  Steppen,  aus  denen  sich  nur  wenige 
(300  —  400'  hohe)  Plateaux  oder  nMesasa  erheben;  zur  Regenzeit 
ein  griines  Weideland  mit  mannshohen  Grasern,  das  Krautermeer 
(mare  de  yerbas)  genannt.  Die  waldige  Ebene  (Hylaa),  zum  Theil 
hugelig,  mit  undurchdringlichen  Waldungen  bedeckt,  nimmt  den 
sudostlichen  Theil  (zwischen  den  bedeutenden  Nebenflussen  des 
Orinoco,  dem  Meta  und  Gu  a  via  re)  ein;  diese  Urwalder  h'angen 
mit  jenen  am  Amazonenstrome  zusammen. 

DasLand  hat  grossen  Produkten  r  e  ich  thum,  namentlich 
an  Baumwolle,  Tabak  (Varinas),  Zucker,  Kaffee,  Cacao;  mehreren 
Droguen;  dann  Getreidearten,  Sudfriichte  u.  a.  m.  Die  Urwalder 
liefern  vortreffliche  Bau-  und  Farbeholzer,  In  den  Llanos  sind 


455 

groase  Heerden  halb wilder  Pferde  und  Kinder,  deren  Zucht  nebat 
dem  Ackerbau  die  Hauptbeachaftigung  der  Bewohner  bildet.  Der 
Bergbau  wird  nur  erat  in  geringem  Grade  betrieben ;  am  atark- 
sten  ist  die  Auabeute  an  Kupfer.  Die  induatrielle  Thatigkeit 
iat  von  keinern  Belange;  dagegen  wachat  der  Handel,  begiinatigt 
durch  den  Keichthum  der  Urproduktion  und  die  betrachtliche 
Anzahl  von  Buchten  und  Hafen,  hauptaachlich  mit  dem  Uniona- 
lande ,  England ,  Holland ,  den  Hanaeatadten  und  andern  euro- 
paiachen  Seeataaten.  Im  Jahre  1856/57  wurde  die  Auafuhr 
mit  8.3,  die  Einfuhr  mit  7  Millionen  Peaos  (a  1  Thlr.  2%  Sgr.) 
berechnet. 

Venezuela,  ehemals  ein  Theil  des  McolumbischenBundesstaatesu  (Neu- 
Granada,  Venezuela  und  Ecuador),  wird  gegenwartig  in  dreizehn  Provinzen  ein- 
getheilt.  Die  ansehnlichsten  Orte  sind  : 

Caracas  (50.000)  mit  dem  befestigten  Hafenplatze  La  Guai'ra  (8000);  — 
Ciudad  Bolivar  (friiher  Angostura,  5000),  der  bedeutendste  Ort  am  Orinoco; 
Valencia  (15.000)  in  gesunder ,  fruchtbarer  Lage,  hat  lebhafteu  Handel;  — 
Aroa  mit  reichen  Kupferminen  ;  —  Varinas,  wegen  seines  Tabaks  beriihmt.  — 
Maracaibo  (25.000)  am  Kanal,  welcher  den  gleichnamigen  See  mit  demMeere 
verbindet,  mit  Schiffswerfte  und  ansehnlichem  Seehandel ;  —  Coro  (10.000,  ehe- 
mals Venezuela  genannt) ;  —  Cumana,  Puerto  Cabello  und  andere  Hafen- 
platze haben  wegen  des  Seehandels  einige  Bedeutung.  —  Die  Insel  Margarita 
war  ehemals  wegen  der  reichen  Perlenbiinke  bekannt;  jetzt  ist  sie  ein  nicht  be- 
sonders  fruchtbares  Plantagenland. 

3.  Republik  Neu-Graiiada  (20.000  QMeilen;  2,400.000  Ein- 
wohner,  darunter  nahezu  %  Million  Weiaae  und  Creolen,  iiber  '/,  Mil- 
lion Indianer,  der  Eeat  verachiedene  Miachlingaarten). 

Die  Cordilleren  von  Neu-Granada  kennzeichnet  die  Gabelung 
in  3  Ketten,  welche  nicht  mehr  in  Gebirgsknoten  zuaammenlaufen, 
sondern  ala  Wande  weit  sich  b'ffnender  Langenthaler  divergiren. 
An  der  Sudgrenze  Neu  -  Granada's  erhebt  aich  daa  Hochland  der 
Almaguer  bia  zum  Gebirgaknoten  Los  Pastoa,  wo  die  erwahnte 
Gabelung  beginnt;  die  Gebirgaketten  schliessen  nun  die  beiden 
Langenthaler  dea  Magdalen  a-  und  aeinea  weatlichen  Parallel- 
und  Nebenfluaaea  Cauca  («Neu-Granada'a  Paradies")  ein.  Im 
Norden  miinden  die  beiden  Langenthaler  in  die  heiaae ,  wellen- 
formige  Kulturebene  dea  Magdalenafluaaea,  aus  welcher  aich  im 
Oaten  der  Magdalena-Miindung  daa  Masaengebirge  der  Sierra  Ne- 
vada de  Santa  Marta  (mit  Schneegipfeln  von  18.000')  erhebt.  Die 
Ostcordillere  von  Neu  -  Granada  senkt  aich  zu  den  mit  Urwaldern 
bedeckten  Ebenen  an  Orinoco  und  Maranon  herab. 

Die  Produkte  dea  Landea  aind  im  Allgemeinen  die  bei 
den  Nachbarataaten  aufgezahlten,  ala:  Baumwolle,  Saraaparille, 
Tabak,  Kaffee,  Chinarinde,  Getreidearten ,  verachiedene  Bau-  und 
Farbeholzer.  Groaa  iat  der  Reichthum  an  Met  a  11  en;  doch  iat 
der  Bergbau  noch  vielfach  vernachlaaaigt.  In  den  weatlichen 
Anden  und  im  Caucathale  iat  namentlich  die  Goldausbeute  erheb- 
lich  (jahrlich  etwa  18.000  Mark),  dann  Platina  und  Silber;  in  den 
oatlichen  sind  reiche  Smaragd-  (bei  Bogota)  und  Kupfergruben 
(bei  Tunja).  Der  Haupt  export  an  Tabak,  Chinarinde,  Kaffee, 
Panamahaten ,  Cerealien,  Holzern ,  Gold  u.  a.  m.  geht  nach  Eng- 
land, Nordamerika,  Venezuela  und  Deutachland  (Tabak),  und  er- 


456 

reichte  im  Jahre  1857  den  Werth  von  7  Millionen  (neuer)  Piaster 
(oder  Pesos,  a  5  Frcs.);  der  Import  wurde  auf  3V4  Million 
Piaster  berechnet. 

Die  ansehnlichsten  Orte  sind: 

Bogota  (oder  Santa  Fe  de  Bogota,  50.000)  auf  einer  (8000'  hohen)  Hoch- 
ebene,  hat  rauhes,  feuchtes  Klima;  haufig  Erdbeben;  —  Tunja  (16.000);  — 
Muz  a  und  Somondoco  mit  den  reichsten  Smaragdgruben  der  Erde;  —  Po- 
payan  (8000)  unweit  der  Cauca-Quelle ;  Antioquia  (18.000)  in  goldreicher  Ge- 
gend,  umgeben  von  Mais-,  Zucker-  und  Pisangpflanzungen ;  —  Pamplona  und 
Moniquira  haben  reiche Kupferminen ;  —  am  Cauca  bei  Cali  und  Iscuande 
sind Platinaminen ;  bei  Barbacoas  bedeutende  Goldwaschereien,  bei  Zipaquire 
ein  grosses  Salzbergwerk.  —  Seestadte:  La  Hache  mit  Perlenfischerei ;  —  der 
befestigte  Freihafen  St.  Mart  a;  —  der  wichtigste  Handelsplatz  ist  Cartagena 
(20.000)  auf  einer  sandigen  Insel,  ist  befestiget,  hat  ein  hochst  ungesundes  Klima. 
—  Am  stillen  Ocean  ist  der  Hafen  von  Bonaventura. 

§.  183.  Der  tropische  Siiden  von  Siid-Amerika. 

1.  Republik  Ecuador  (13.500  QMeilen,  an  900.000  Ein- 
wohner,  worunter  viele  Indianer). 

Der  kleinere  Westtheil  des  Landes  ist  Hochgebirgsland ,  der 
viel  grossere  Osttheil  gehort  zur  wasser-  und  waldreichen  Tief- 
ebene  des  Maranon.  Von  dem  erwahnten  Hochland  der  Almaguer 
zieben  die  Cordilleren  von  Ecuador  oder  von  Quito  durch 
Ecuador  in  zwei  Ketten  bis  zur  sudlichen  Landesgrenze,  wo  sie  in 
dem  Knoten  von  Loxa  zusammenlaufen.  Diese  Ketten  schliessen 
mehrere  Hochthaler  und  Plateaux  ein,  welche  durch  schauerliche, 
bochgelegene ,  fiir  die  Passage  bisweilen  hochst  gefahrvolle  Passe 
mit  einander  verbuuden  sind.  Am  beruhmtesten  ist  das  durch  ein 
herrliches  Klima,  einen  fast  immerwahrenden  Friihling,  die  uppige 
Vegetation  und  dichte  Bevolkerung  ausgezeichnete,  leider  aber  auch 
Erdbeben  und  vulkanischen  Auebriichen  ausgesetzte  Hochplateau 
von  Quito  (8500').  Die  Cordilleren  erreichen  in  Ecuador  die  grosste 
Massenerhebung ;  —  hier  ragen  die  Riesenspitzen  und  Vulkane  in 
der  Westkette:  Yliniza  (16.300'),  Pichincha  (14.950')  und  Chim- 
borazo  (20.150'),  —  in  der  Ostkette:  Cotopaxi  (17.700'),  An- 
tisana  (17.960')  und  der  Cayambe  (18.420')  empor.  Im  Westen 
ist  der  Abfall  zum  grossen  Ocean  steil ,  in  welchen  sich  kurze 
Kustenfliisse  stiirzen;  die  Ostkette  falit  gleichfalls  steil  in  die 
Ebene  des  Maranon  mit  den  undurchdringlichen  Urwaldern.  Der 
Maranon  bildet  auf  einer  langen  Strecke  die  Grenze  zwischen 
Ecuador  und  Peru,  und  nimmt  in  der  ostlichen  Tiefebene  Ecuadors 
zahlreiche  Fliisse  auf,  darunter  die  bedeutendsten  Napo  und  Pu- 
t  u  m  a  j  o. 

Die  Naturprodukt  e  sind  denen  von  Neu  -  Granada  sehr 
ahnlich.  Auf  dem  Hochplateau  von  Quito  werden  Ackerbau  und 
Viehzucht  ausgedehnt  betrieben ;  zudem  ist  die  Cochenillezucht 
von  Bedeutung  und  ein  vorziigliches  Waldprodukt  die  Chinarinde. 
Aus  dem  Mineralreiche  gewinnt  man  Gold,  Silber,  Queck- 
silber ,  Schwefel ,  Smaragde  u.  a.  Die  Industrie,  besonders 
in  Webewaaren  ist  im  Steigen ,  dessgleichen  der  Handel,  der 
in  d-jr  Ein-  vvie  Ausf  uhr  ziemach  glsiohe  W^rtha  (je  2'/2  Mil- 
lion Piaster  a  5  Frajca)  auftfdisjt.  Zir  A  u  3  f  u  h  r  ko.a- 


457 

men  Maulthiere  und  Kinder ,  getrocknetes  Rindfleisch ,  Butter 
und  Kase,  Wachs ,  Getreide,  Salz,  Chinarinde,  Cacao,  Tabak, 
Baumwolle  u.  a. 

Die  politische  Eintheilung  des  Landes  ist  in  drei 
Departimentos  (Ecuad6r,  Guayaquil,  Assuay) ;  ansehnliche  Orte  sind : 

Quito  (75.000)  am  Fusse  des  Pichincha,  an  9000'  hoch,  mit  dem  fortwahren- 
den  Friihling  (die  Temperatur  schwankt  nur  zwischen  +  11 '/2  und  +  13°  R.),  zu 
beiden  Seiten  von  riesigen  Schneebergen  umgeben,  eine  der  schb'nsten  Aussichten  auf 
der  Erde.  Die  Stadt  gehort  zu  den  prachtvollsten ;  der  Palast  der  Republik,  das  frii- 
here  Jesuitenkollegium  und  das  Franziskanerkloster  gehb'ren  zu  den  grossten  und 
schonsten  Gebauden  der  Erde.  Stark  besuchte  Universitat.  In  dem  reizenden  Thale 
wechseln  Citronenhaine,  Obstgarten,  Saatfelder  und  Weiden.  Lebhafte  Industrie  in 
Webewaaren  und  reger  Handelsverkehr  mit  der  bedeutendsten  Seestadt  des  Landes, 
Guayaquil  (22.000);  auch  die  Seestadte  Esmeraldas  und  Atacames  nehmen 
an  Wichtigkeit  zu;  —  Riobamba,  in  der  Nahe  des  Chimborazo,  hat  reiche  Schwe- 
felgruben.  —  bei  Loxa  (10.000)  grosse  Cinchona- Walder  mit  der  besten  Chinarinde ; 
—  Cuenca  (25.000)  liefert  Baumwolle,  Panamahute  und  Confituren. 

2.  Republik  Peru  (24.000  QMeilen,  —  iiber  3  Millionen 
Einwohner,  darunter  uber  1  Million  Indianer ;  iHauptbestandtheil 
der  Bevolkerung  bilden  die  Nachkommen  der  alten  Peruaner,  eines 
in  Gewerben  und  Kiinsten  vorgeschrittenen  Kulturvolkes). 

Die  Cordilleren  von  Peru,  mit  den  hochsten  iiber  20.000' 
emporragenden  Berggipfeln  ( Pomarape  ,  Gualatieri ,  Parinacota, 
Sahama,  Chuquibamba),  ziehen  sich  vom  Plateau  von  Potosi  bis 
zum  Knoten  von  Loxa,  in  einer  mittleren  Entfernung  von  20  Mei- 
len  von  der  Kiiste  des  Pacific.  Sie  schliessen  mehrere  Hochebenen 
ein,  unter  denen  jene  des  Titikaka-Sees  die  grosste  ist.  Am  Nord- 
ende  dieses  Plateau's  vereinigen  sich  die  Andenketten  zum  Gebirgs- 
knoten  von  Cuzco.  Die  peruanischen  Anden  (zwischen  den  Knoten 
von  Cuzco  und  Loxa)  bestehen  aus  zwei  Abtheilungen.  Der  kleinere, 
sudliche  Theil  (von  Cuzco  bis  zum  Knoten  von  Pasco)  begrenzt 
ein  grosses  Hochthal,  das  Quellenland  des  Ucayali;  der  nord- 
liche  Theil  (voin  Knoten  Pasco  an)  besteht  aus  drei  Parallelketten, 
von  denen  die  zwei  westlichen  das  Hochthal  des  nordwarts  fliessen- 
den  Mar  anon  einschliessen,  die  ostliche  aber  das  Parallelthal  des 
Nebenflusses  Huallaga  begrenzt.  Nur  ein  kleiner  Theil  des 
Landes,  im  Miindungsgebiete  des  Ucayali,  gehort  zum  Tieflande  des 
Maranon.  —  Unter  den  Produkten  des  Landes  ist  der  "Reichthum 
an  edlen  Met  a  lien  spruchwortlich  geworden.  Peru  war  seiner 
Zeit  das  erste  Goldland  der  Erde  und  in  S  iiber  nur  von  Mexico 
ubertroffen;  die  Silberminen  von  Potosi  gaben  die  ausgiebigsten 
Silbererze,  die  Goldgruben  von  Lapaz  das  f ein ste  Gold  in  .Stufen. 
Ausserdem  gibt  es  Platina,  viel  Queckeilber,  Kupfer  und  Zinn, 
Salpeter  in  ausserordentlicher  Menge,  endlich  Steinkohlen  und  Salz. 
Die  jahrliche  Goldau&beute  wird  jetzt  nur  auf  etwa  1000  Mark, 
und  die  des  Silbers  mit  220.000  Mark  geschatzt.  Das  Pflanzen- 
reich  entfaltet  sich  am  reichsten  in  den  fruchtbaren,  gutangebau- 
ten  Hochthalern;  gebaut  werden  nebst  Getreide  auch  Baumwolle, 
Kaff'ee,  Zucker,  Indigo,  dann  Arzneipflanzen :  Chinarinde,  Ipeca- 
cuanha, peruanischer  Balsam;  ferner  Nutz-  und  Farbeholzer.  Unter 
d3a  Thieren  werdea  Latni,  Vicuaa  und  Alpaca  wegen  derfeinen 
Wolle  auf  den  Hochebsnen  ia  grossen  Heerden  gehalten;  auch  die 


458 

Zucht  der  Schafe  1st  im  Steigen.  Eine  wichtige  Einnahtnsquelle 
ist  der  in  ungeheuren  Massen  auf  den  Gestade-Inseln  vorkommende 
Guano  (Vogeidiinger).  Die  erwahnten  Produkte  kommen  in  grosser 
Menge  in  den  Handel,  der  sich  iiberwiegend  in  den  Handen  der 
Englander  befindet,  und  seine  Richtung  nach  dem  Unionslande  und 
Europa  nimmt. 

Der  Staat  wird  in  13  Departimentos  eingetheilt.  Wichtigere 
Stadte  eind  : 

Lima  (80.000)  1%  Meile  von  der  Kiiste  entfernt,  mittelst  Eisenbahn  mit  der 
wichtigsten  Hafenstadt  des  Landes,  Callao  (10.000),  verbimden.  Die  befestigte  Haupt- 
stadt  Lima  hat  ausserordentlich  reiche  Kirchen,  die  alteste  und  beruhmteste  Univer- 
sitat  Amerika's,  viele  wissenschaftliche  Anstalten.  Wichtige  Industrie  in  Wolle  und 
Baumwolle,  Gold-  und  Silberwaaren,  Leder,  Glas;  ausgebreiteter  Handel.  Seehandel 
treiben  auch  Truxillo  und  Payta.  —  Bergstadte  sind:  Huanca  Velica,  Gold-, 
Silber-  und  die  reichsten  Quecksilber-Gruben  der  Erde,  —  Pasco,  Lauricocha 
und  Tar  ma,  Silbergruben  (letztere  Stadt  liefert  monatlich  fur  '/,  MiUion  Dollars  Sil- 
ber). —  Arequiba  (40.000),  die  zweitgrb'sste,  indtistriellste  Stadt  mit  ausgebreitetem 
Handel. 


3.  Republik  Bolivia  (22.400  [JMeilen,  1,987.350  Einwohner, 
darunter  1%  Millionen  Weisse). 

Im  Gebirgsknoten  von  Potosi  spalten  sich  die  Anden  in  zwei 
Ketten,  deren  westliche  (Kusten-Cordillere)  sich  nach  Peru  zieht; 
die  niedere,  ostliche  (Cordillera  Real)  mit  den  hohen  Schneegipfeln 
des  Illimani,  Nevada  de  Sorata  u.  a.  begrenzt  das  Plateau  von  Bo- 
livia, zu  welchem  die  Hochebene  des  Titikaka-Sees  gehort.  Die 
Cordillera  Real  entsendet  schneehohe  Seitenketten  unter  dem  Namen 
Sierra  Nevada  de  Cochabamba  und  Santacruz  nach  Nordosten.  Die- 
ses Gebirgsland  senkt  sich  ostwarts  zu  den  Ebenen  des  Maranon 
und  des  Rio  de  la  Plata;  an  der  Kuste  des  Oceans  breitet  sich  die 
regenlose  Wiiste  Atacama  aus.  Die  zahlreichen  Fliisse  ergiessen 
sich  theils  in  den  Maranon,  theils  in  den  La  Plata;  der  wich- 
tigste  Nebenfluss  des  ersten  ist  der  Madeira,  des  zweiten  der 
Pulcomaj  o. 

Die  Bodenprodukte  in  den  schonen  Thalern  der  Cordil- 
leren  und  den  fruchtbaren  Tiefebenen  im  Oaten  sind  ziemlich  die 
gleichen,  wie  in  Peru;  das  Namliche  gilt  von  der  Viehzucht  und 
den  thierischen  Proclukten.  Am  wichtigsten  ist  der  Bergbau, 
insbesondere  die  Silberminen  zu  Potosi  und  Chuquisaca,  die  Gold- 
lager  von  Curabaya  ;  auch  die  Gewinnung  von  Kupfer,  Zinn,  Eieen, 
Salpeter,  Schwefel  u.  s.  w.  ist  bedeutend.  Ein  Hinderniss  des 
Bergbaues  ist  der  schwierige  Transport  aua  den  hochgelegenen 
Gruben  bis  zu  den  Stapelplatzen.  Die  Industrie  ist  von  keinem 
Belange  ,  dagegen  ist  der  Handel  zunehmend.  Bolivia  hat  den 
einzigen  ,  wegen  der  dazwischen  liegenden  Andenkette  schwer 
zuganglichen  Seehafen  C  o  b  i  j  a  und  exportirt  vielfach  durch 
die  peruanischen  Hafen  (Arica).  Gegenstande  des  Exportes 
sind  die  erwahnten  Landesprodukte.  Der  auswartige  Verkehr 
wird  zumeist  von  Englandern,  Amerikanern  und  Franzosen  be- 
trieben. 

Bolivia  wird  in  7  Departimentos  und  2  Provinzen  eingetheilt. 
Wichtigere  Orte  sind: 


459 

Chuquisaca  (23.980)  auf  einer  Hochebene,  Hauptstadt;  die  bedeutendste  In- 
dustriestadt  ist  La  Paz  (76.370)  auf  dem  inneren  Titikaka-Plateau ;  —  die  wichtigste 
Bergstadt  Potosi  (22.850),  iiber  12.000'  iiber  der  Meeresflache  gelegen;  —  Cocha- 
bamba  (40.680)  mit  starkem  Getreidebau. 

4.  Kaiserthuin  Brasilien. 

147.600  n  Meilen,  —  8  Millionen  Eimvohner  (fiber  5  Millionen  Freie  [damnter 
1. 3  Million  Weisse],  2V,  Million  Negersklaven,  '/»  Million  wilde  Indianer) ;  die 
relativ  dichteste  Bevb'lkerung  ist  in  den  Kiistenprovinzen ,  insbesondere  in  den 
Stadtenund  deren  Umgebungen ;  in  den  Binnenprovinzen  rechnet  man  3,  4  bis  13 
Menschen  auf  I  QMeile.  —  Vorherrschend  ist  die  romisch-katholische  Kirche. 
—  Konstitutionelle  Erbmonarchie ;  die  Thronfolge  nacb  dem  Reclite  der  Erstgeburt 
ans  dem  portugiesischen  Hause  Braganza. 

Beinahe  ein  Dritttheil  der  Gesammtflache  Braeiliens  ist  Berg- 
land,  fiber  zwei  Dritttheile  sind  Ebenen. 

Das  Bergland,  zwischen  der  langen  aber  schmalen  Kiisten- 
ebene  und  den  Ebenen  des  Maranon  und  des  La  Plata,  besteht 
aus  1000 — 3000'  hohen  Plateauflachen ,  aus  welchen  sich  mehrere 
meist  von  Suden  nach  Norden  vorherrschend  der  Kiiate  parallel 
ziehende  Bergketten  erheben ,  unter  denen  die  Kustenkette  (Serra 
do  Mar) ,  die  Centralkette  (Serra  do  Villa  Rica)  und  die  Wasser- 
scheidekette  (Serra  dos  Vertentes)  die  bedeutendsten  sind.  Diese 
Ketten,  deren  Gesarnmterhebung  nirgends  iiber  die  Hohengrenze 
der  Tropenprodukte  hinausgeht,  und  deren  hochste  Gipfel  nur 
iiber  7000'  reichen ,  sind  durch  breite  Langen  thaler  von  einander 
geschieden  und  durch  Querketten  wieder  mehrfach  verbunden. 
Zwischen  dem  brasilianischen  Hochlande  und  der  Sierra  Parime 
dehnt  sich  vom  atlantischen  Ocean  bis  an  die  Cordilleren  von  Neu- 
Granada,  Peru  und  Bolivia,  das  ungeheure  B  ecken  des  Maranon 
aus,  dessen  Nebenbecken  die  Tiefebenen  des  Orinoco  und  des  La 
Plata  sind.  Die  schmale  Kustenebene  ist  vielfach  eingeschnit- 
ten  und  mit  mehreren  guten  Hafen  versehen. 

Unter  den  Flu  s sen  nimmt  der  Maranon  den  ersten  Rang 
ein  (Siehe  S.  65,  Nr.  11). 

Merkwiirdig  ist  die  Wechselwirkung  des  Stromes  mit  dem  Ocean;  wahrend 
seine  StrOmnng  sich  an  60  Meilen  weit  in  den  Ocean  hinaus  erstreckt,  schreitet 
die  Bewegung  der  Ebbe  und  Fluth  bis  zum  Engpasse  von  Obydos  an  120  Meilen 
weit  im  Strome  aufwarts.  Zwischen  dem  abwarts  fliessenden  Strome  und  der 
aufwarts  dringenden  Fluth  entspinnt  sich  taglich  ein  furchtbarer  Kampf ;  die 
scbaumende  Brandung  erhebt  sich  bisweilen  bis  180'  Hohe.  Dieser  farchtbare 
Sturm  (,,Pororoca")  mit  seinem  DonnergetSse  verscheucht  Menschen  und 
Thiere,  und  richtet  bisweilen  gewaltige  Verheerungen  an.  Die  Uebersch wern- 
iii  un  gen  des  Maranon  flberbieten  an  Grossartigkeit  Alles,  was  von  Tropen- 
fliissen  bekannt  ist.  Das  Hochwasser  steigt  im  Strom  und  seinen  grossen  Zu- 
flfissen  30—40'  iiber  den  mittleren  Wasserstand,  und  wahrend  die  Baumstammc 
im  schlammigen  Wasser  stehen  ,  sind  die  Kronen  der  Baume  voll  Bluthe,  der 
Wald  des  Ueberschwemmungsgebietes  wird  zum  Wassergarten.  Merkwiirdig  sind 
endlich  die  Selvas  dieses  Stromes,  die  ungeheuren  Strecken  von  Urwald,  be- 
lebt  von  alien  Klassen  der  tropischen  Thierwelt.  Dieses  Zentralbecken  unter- 
scheidet  sich  eben  dadurch  von  den  angrenzenden  Tiefebenen  des  Orinoco  und 
La  Plata,  welche  vorherrschend  baumlos  sind. 

Der  Maranon  nimmt  iiber  100  schiffbare  Fliisse  auf;  er  selbst 
hat  eine  ununterbrochene  Schiffahrtslinie  von  raehr  als  600  Meilen. 
Seine  bedeutendsten  Nebenflfisse  sind  (rechts):  Ucayali,  Purus, 
Madeira ,  Tapajoz ,  Xingu  ,  Tocantin ;  -  -  (links) :  Japure  (oder 
Caqueta),  Rio  Negro  (mit  dem  Cassiquiare). 


460 

In  den  atlantischen  Ocean  ergiessen  sich  ferners :  der  Pa- 
ranahyba  und  San  Francisco.  —  Der  Parana,  mit  seinen 
Nebenfliissen  Paraguay  und  Uruguay,  hat  gleichfalls  im  bra- 
silianischen  Berglande  seine  Quellen,  —  Unter  den  vielen  Seen 
sind  der  Patos  und  Mi  rim  die  grossten. 

Das  Klima  ist  trotz  der  grossen,  horizontalen  Ausdehnung, 
aber  wegen  der  relativ  geringen  vertikalen  Verschiedenheiten 
ziemlich  gleichmassig ,  ein  meist  gesundes  und  angenehmes 
Tropenklima.  Charakteristisch  sind  die  zwei  Jahreszeiten :  die 
n  a  s  s  e  mit  der  grossten  Hitze,  furchtbaren  Gewittern  und  star- 
kem  Regen  vom  November  bis  Marz ;  die  trockene,  kuhlere 
vom  April  bis  Oktober  (Rio  de  Janeiro  hat  eine  Mitteltemperatur 
von  -f  18°  R.). 

Politische  Eintheiluiig  und  Orte. 

Brasilien  ist  in  zwanzig  Provinzen  eingetheilt : 

A.    Ktistenpr  ovinzen  : 

1.  Para,  2.  Bio  negro  (die  nordlichsten  Provinzen,  das  Tiefland  des  Maran  on ; 
Ostlich  Para,  westlich  Rio  grande;  beilaufig  54.000  Q  M.,  hochstens  250.000  E.) : 
1.  Para  (20.000)  nahe  der  Mundung  des  Rio  Para,  wichtiger  Exporthandel ; 

—  an  der  Mfindung  des  Tocantin:  Cameta  (oder  Villa  Vi£osa,   12.000)  und 
an  jener  des  Tapajoz  :     Santarem,    zwei    ansehnliche  Hafenplatze    fur    den 
Flussverkehr.     2.  An  der  Mundung  des  Rio  negro:    Barra  do  Rio  Negro 
(oder  Manoas,  3000);  Obydos  (am  linken  Maranonufer,  ostlich  der  vorigen) ; 
im  Innern  des  Landes  die  ehemalige  Hauptstadt  Barcellos  am  Rio  Negro. 

3.  Maranhao,  4.  Piauhy,  sudOstlich  der  Maran onmuudnngen  (ll.OOOQM., 
350.000  E.);  —  3.  S.  Luis  do  Mara-nhao  (30.000),  auf  der  Insel  Maran- 
hao, bedeutender  Seehandel;  —  4.  Hafenstadt  Paranahyba  (15.000),  im 
Innern  Oeiras  (3000). 

5.  Ceara,  6.  Rio  Grande  do  Norte,  7.  Parahyba,  8.  Pernambuco 
(oder  Fernambuco),  9.  Alagoas  (7300  QM.,  I'/,  Mil.  E);  gehoren  zu  den 
reichsten  Provinzen,  —  5.  Ceara  (20.000)  und  Aracati  (25.000)  Kusten- 
stadte;  —  6.  Hafenstadt  Natal  (18000);  —  7.  Hafenstadt  Parahyba 
(15.000);  —  8.  Pernambuco  (80.000),  dritte  Hafen-  und  Handelsstadt  des 
Reiches,  bedeutender  Handel  mit  Europa,  Ostindien  und  Africa;  viele  eng- 
lische  und  hollandische  Handelshauser;  —  9.  Al  a  goas  (14.000)  ,  Porto 
Calvo  (6000J)  starker  Holzhandel. 
10.  Sergipe,  11.  Bahia,  12.  Espiritu  Santu  (7000  QM.,  fiber  IMill.E.) 

—  10.  Sergipe  del  Rey  (30.000),  Villa  nova  (10.000)  nabe  der  Mundung 
des  St.  Francisco;  —   11.  Bahia    (oder  San  Salvador  150.000),    an  der 
herrlichen    Allerheiligen -Bai ,    die    zweite  Handelsstadt    des  Reiches,    grosse 
Schiffswerfte ,  Industrie  in  Zucker,  Baumwolle,  Tabak  ,  mit  mehreren  wissen- 
schaftlichen  Anstalten,  gesund  und  schon  gelegen.  —  12.  Victoria  (10.000) 
auf  einer  Insel  der  h.  Geist-Bai;  —  in  Porto  Seguro    laudete  Cabral    (im 
J.  1500),  der  Entdecker  der  Kiiste  von  Brasilien. 

13.  Rio  de  Janeiro  (oder  nur  Rio  genannt),  660  Q  M.,  1  Million  E.)  ;  —  die 
wichtigste,  bestangebauteProvinz  des  Reiches.  —  Rio  de  Janeiro  (300000), 
Haupt-  und  Residenzstadt  des  Kaiserreiches ,  mit  einem  der  schonsten  Hafen 
der  Erde,  in  welchem  im  Jahresdurchschnitte  etwa  800  Schiffe  (davon  ein 
Drittel  amerikanische  und  englische)  einlaufen,  ist  befestigt  darch  mehrere 
Forts.  Die  erste  Industrie-  und  Handelsstadt  Brasiliens,  und  einer  der  wich- 
tigsten  Handelsplatze  Amerika's.  Die  Neustadt  ist  sch8n  und  regelmassig 
gebaut ;  —  Universitat,  Sternwarte  ,  botanischer  Garten,  viele  Spezialschulen, 
Bank,  Diamantenschleifereien,  Juwelierarbeiten,  Zucker-,  Baumwoll-  und  Segel- 
tuch  -  Fabriken ,  grosse  Siedereien  von  Wallfischthran.  Mittelpunkt  des  sud- 
amerikanischen  Handels,  der  besonders  von  englischen,  deutschen  und  franzO- 
sischen  Kaufleuten  betrieben  wird.  Charakteristisch  fiir  das  produktenreiche 
Land  ist  besonders  der  Viktualienmarkt  zu  Rio.  —  Dampfschiffahrtsverbin- 
dungen  mit  Liverpool,  Lissabon,  Marseille  und  Genua.  Die  Umgebung-  ist 


fiberaus   reizend,  gut  angebaat  and  mit  vielea  Landhausern  bedeckt.  —  Boa 
Vista  ist  der  gewShnliche  kaiserliche  Landsitz. 

14.  San  Paulo,  15.  San  ta  Ca  tharina  (8000  Q  M.,  fiber  600.000  E.);  — 
Kaffee ,  Zucker  und  Baumwolle  gedeihen  hier  nicht  mehr  gut ;  dagegen  aus- 
gedehnter  Maisbau  und  Viehzucht;  anmuthiges,  gesnndes  Klima;  —  die  ,, Pan- 
listen"  zeichnen  sich  durch  Kiihnheit,  Tbiitigkeit  und  Unternehmungsgeist 
aus.  —  14.  San  Paulo  (30.000),  Industrie  und  Handel;  —  15.  Desterro 
(8000)  auf  der  Insel  S.  Catharina  ,  uppige  Vegetation ,  gesundes  Klima ,  sehr 
guter  Hafen. 

16.  Rio  Grande    do  Sul    oder  S.  Pedro  (4000  DM.,  200.000  E.):    Porto 
Alegre    (15.000)    an   der  Mundang    des  Rio    grande  in  den  Patos-See;  — 
S.  Francisco  (8000),    in  der  Nahe    eine  bluhende  d  eu  t  s  c  h  e  Kol  o  nie 
(8000   E.)     mit    dem    Hauptorte    S.    Leopoldo:    —    die  Hafenstadt    Rio 
grande  (8000). 

B.  Provinzen  5m  Innern. 

17.  Parana  mit  dem  Hauptorte  Curitiba    (12.000),    im  Gebirge ,    sudwestlich 
von  San  Paulo. 

18.  Minas    Geraes  (d.  h.  generales,  zwischen  Bahia,  Rio,  St.  Paulo  u.  s.  w., 
—  11.400  QM.,  900.000  E.,  wichtiger  Bergbau) :  Ouro  Preto  (oder  Villa 
imperiale,    fruher  Villa  Rica,    15000)  Mittelpunkt    des  Diamanten-  und 
Goldbezirkes  ;  —  Marianna  (7000);  —  Hauptfundorte   der  Diamanten  sind 
Tejuco  (oder  Diamantina,  6000)  und  Villa  nova  do  Principe. 

19.  Goyaz  (fiber  13,500  QM.,  150.000  E.):  Villa  Boa  (oder  Goyaz,  7000), 
in  deren  Nahe  reichliche  Goldwaschereien. 

20.  Matto    grosso    (nahezu  29.000  Q  M- ,    100.000  E.);  Cuyabn  (10.000)  in 
dem    gleichnamigen,    beruhmten  Bergwerksdistrikte;  —    Villa  Bella   (oder 
Matto  grosso,  10.000). 

Von  den  kleinen  zu  Brasilien  gehorigen  Inseln  sind  die  ansehnlichsten  : 
Fernando  do  Noronha  (600  E.),  Zucker  und  Obstbau,  Mangel  an  Quell- 
wasser ;  —  Trinidade,  ein  Felseneiland  mit  gutem  Landungsplatze. 

Kulturverhaltnisse  im  Allgemeinen. 

Brasilien ,  eines  der  grossten  Reiche  auf  der  Erde ,  ist  durch 
Fulle  und  Mannigfaltigkeit  der  Naturprodukte  so  ausgezeichnet, 
wie  wenige  Lander  der  Erde;  das  Tropenklima  und  der  ausser- 
ordentliche  Wasserreichthum  bedingen  eben  eine  Fiille  der  Pflanzen- 
und  Thierwelt,  die  nicht  leicht  irgendwo  vorkommt.  Allein  an 
68%  (iiber  100.000  QMeilen)  des  Landes  befinden  sich  noch  im 
Naturzustande,  12  bis  15  %  sind  mit  Wasser  bedeckte,  unkultivir- 
bare  Strecken  (Fliisse,  Seen,  Siimpfe),  fast  eben  so  viel  Terrain  ist 
zwar  schon  im  Privatbesitze,  aber  noch  nicht  angebaut,  und  hoc  fa- 
stens drei  Procent  (oder  beilaufig  nur  4500  QMeilen)  sind 
wirklich  angebautes  Land.  Hierher  gehoren  zunachst  die  Kiisten- 
landschaften ;  im  Innern  nur  die  fiir  den  Bergbau  bedeutenderen 
Gegenden  mit  der  dichteren  Bevolkerung.  Die  ungeheuren  natur- 
lichen  Hilfsquellen  des  Landes  sichern  ihm  fiir  die  Zukunft  eine 
bedeutende  Rolle.  Brasilien  hat  die  reichste  Flora  auf  der  Erde  ; 
es  ist  gleichwie  eines  der  ersten  Plantagenlander  auch  eines 
der  ersten  Minenlander.  In  grosster  Menge  werden  KafFee*), 

*)  Die  Kaff  ee-Produktion  hat  ungemeino  Forlschritte  gemacht :  Europa  cr- 
hielt  aus  Biasilien  : 

im  Jabre  1823 beilitutig     184000  Zcnlncr 

„       ,,       1843  betrug  die  Jahreseinte  ...         „     1,600.000      „ 
„       „       1853  „          „  ...         „     2,480.000      ,, 

Die  Zu  cker -Erzeuguug  bob  sich  miudor  bchnell : 

Export  davou  im  Jahre  1823 476.000      „ 

„  „      „       „       1853 1,500.000      ., 


462 

Zuckcr,  Baumwolle,  Tabak,  Cacao  und  Reis  gebaut ;  auch  mit  Thee- 
pflanzungen  hat  man  begonnen ;  ferner  gedeihen  vorzuglich  Palmen, 
Bananen,  Gewiirze,  Balsame  und  Arzneipflanzen  (Ipecacuanha,  Sar- 
saparilla,  Ricinus). 

Die  ausgedehntesten  Walder  bieten  Bau-  und  Farbeholzer 
(Brasil-,  Gelbholz  u.  a.)  in  unberechenbarer  Menge.  In  Brasilien 
fehlen  zwar  die  kolossalen  Thierformen  der  alten  Welt,  dagegen 
ist  es  mit  einer  unendlichen  Mannigfaltigkeit  von  Formen  und 
Schonheit  der  Farben  ausgestattet.  Die  Gppigen  Weiden  und 
die  Menge  der  FutterkrSuter  begiinetigen  die  Viehzucht,  ins- 
besondere  der  Rinder,  Pferde,  Maulthiere,  Schweine  und  Ziegen. 
Den  ersten  Rang  in  der  Urproduktion  nehmen  Qbrigens  Edel- 
steine  und  Metalle  ein ,  namentlich  ist  es  das  reichste  Dia- 
mantenland.  Die  Binnenprovinzen  (Minas  Geraes,  Matto  Grasso, 
Goyaz)  und  San  Paolo  sind  die  eigentlichen  Minendistrikte.  Ausser 
Diamanten  und  Gold  (jahrlich  nur  an  1500  Mark)  findet  man 
Topase ,  Granaten ,  Amethyste  u.  a. ;  dann  Eisen ,  Zinn ,  Blei, 
auch  Platina  und  Quecksilber ,  Alaun  und  Steinkohlen,  Der  Er- 
trag  ist  jedoch  ein  relativ  geringer,  woran  die  vielfach  primitiven 
Gewinnungs  -  Methoden  und  die  handwerksmassige  Bearbeitung 
Schuld  tragen. 

Von  Industrie  im  europaischen  Sinne  ist  kaum  die  Rede. 
Mit  Ausnahme  der  bedeutendsten  Stadte  fehlen  selbst  die  gevvohn- 
lichsten  Handwerke,  weil  die  Bedurfnisse  des  Volkes  sehr  geringe 
sind,  und  der  Bezug  der  Fabrikate  aus  dem  Auslande  sehr  leicht 
ist.  In  neuerer  Zeit  verarbeitet  man  Baumwolle,  Leder,  Zucker 
11.  dgl. ;  in  Bijouterie waaren  sind  erheblichere  Fortschritte  gemacht 
worden. 

Der  Handel  im  Innern  wird  zwar  durch  die  vielen  echiffbaren 
Flusse  erleichtert,  welche  zum  Theil  mit  Dampfschiffen  befahren 
werden  (der  Maranon,  Rio  Negro  und  Tocantin);  allein  es  herrscht 
grosser  Mangel  an  Fahrstrassen,  und  er  wird  desshalb  vielfach 
mittels  Maulthierkarawanen  (tropa)  auf  den  schlechten  Wegen  be- 
trieben.  Gegenwartig  sind  2  Eisenbahnen  (etwa  30  deutsche  Mei- 
len)  im  Bau ;  zwischen  Rio  und  der  Provinz  Minas  Geraee,  und 
von  Bahia  nach  Pernambuco.  Der  auswartige  Handel  iet  be- 
deutend  und  in  stetem  Wachsen.  Es  betrug: 

dieEinfuhr  dieAusfuhr 

im  Jahre  1840 57.7|  s^l  41.6]  si  *) 

„       1855/56 91-rflB  96.4>lf 

„        .       1856/57 123.J-  g|  HAJrl 

Die  Ausfuhr  ist  am  starksten  nach  der  Union,  England 
und  Hamburg;  der  Hauptartikel  war  im  Jahre  1855/56  Kaffee 
(fur  48  Millionen  Milreiis,  aleo  50  %  der  Gesammtausfuhr).  Bei 
der  Einfuhr  sind  am  staiksten  England  und  dessen  Kolonien 

*J  Das  ^ilrels"  (1000  Reis)  in  Silber  ist  gleich  1  Thlr.  15  Sgr.  2  Pf. 
(in  P  a  pier  ist  der  Werth  sihwackend,  circa  22  Sgr.).  Der  ,,Conto  de  Reis" 
=  1000  Milreiis  oder  1  Million  Reis.  GrOssere  Snmmen  werden  in  Contos  gerechnet; 
die  Schreibweise  ist  eigenthumlich,  z.  B.  ,,20,039:  858  U  567  Reis"  =  20.039 
Contos,  858  Milre'is  und  567  Reis. 


463 


vertreten  (mit  fast  50%  der  Gesanomteinfuhr),  und  der  grosste 
Betrag  (gegen  27  Millionen  Milreie)  entfiel  auf  Baumwollwaaren  *). 
Die  Handelsflotte  zahlte  148  Schifie  langer  Fahrt  und  1400  Kusten- 
und  Flussfahrzeuge. 

Fiir  die  geistige  Bildung  des  Volkes  ist  leider  noch  zu 
wenig  geschehen  ;  Volksschulen  sind  verhaltnisemaesig  wenige  und 
schwach  besucht  (1  Schiller  auf  100  Einwohner  im  Jahre  1856;  — 
1460  Schulen  mit  82.500  Schiilern).  Doch  zeigt  sich  auch  in  dieser 
Richtung  in  neuester  Zeit  ein  beharrlicher  Fortschritt. 

§.  184.  Der  aussertropische  SUden  von  Sttd-Amcrika. 

1.  Republik  Chile  (spr,  Tschile,  —  oder  Chili;  6630  QM,, 
1,439.120  Einwohner;  nur  etwa  150.000  Weisse,  Y4  Million  Neger, 
die  Uebrigen  Mischlinge  und  Indianer). 

Chile  ist  ein  20  bis  40  Meilen  breiter  Kilstenstrich,  welcher 
sich  vom  Golf  von  Chiloe  (im  Siiden)  bis  zum  25°  nordl.  Breite 
langs  des  grossen  Oceans  ausdehnt.  Die  Ostgrenze  bildet  der 
Kamin  der  einkettigen  Sfld-Anden,  welche  von  Siiden  nach  Norden 
an  Hohe  zunehmen,  reich  an  Schneebergen  (Aconcagua  fiber  21.000', 
der  huchste  Berg  Amerika's)  Vulkanen  ucd  Metallen  sind,  und  im 
Westen  steil  abfallen.  Von  den  Anden  ergiessen  sich  zahlreiche 
Kustenflusse  in  den  Ocean,  unter  denen  der  Valdivia,  Biobio, 
Aconcagua,  Coquimbo  und  Copiapo  nennenswerth  sind.  — 
Im  Norden  des  Ccquimbo  kommen  grosse  Strecken  mit  Felsboden 
und  Sand  vor  (die  \\uste  Atacama):  der  siidliche  Theil  ist  so- 
wohl  in  der  Kustenebene,  als  in  den  Vorbergen  mit  den  anmuthigen 
Thalern  und  Waldungen  malerisch  schon,  gut  angebaut,  dann  wegen 
seines  gesunden,  milden  Klimas  und  der  grossen  Fruchtbarkeit 
eines  der  schonsten  Lander  auf  der  Erde.  Tropenpflanzen  gedei- 
hen  in  Chile  nicht;  jdagegen  bringt  das  ^siidamerikanische  Italien" 
Sudfruchte,  Oliven,  Wein,  Obst,  Tabak,  Hanf  und  Flachs  in  vor- 
ziiglicher  Gute  und  reicher  Ftille  hervor.  Der  Getreidebau  deckt 
nicht  nur  den  heimischen  Bedarf,  sondern  liefert  auch  fin*  den  Ex- 
port nach  Peru,  Brasilien,  Neuholland  und  Manilla.  Der  Vie  li- 
st and  ist  ausserordentlich  gross;  vorziiglich  zahlreich  sind  Kin- 
der und  Pferde ,  daher  gehoren  Haute,  Homer  und  Talg  zu  den 
wichtigsten  Handelsprodukten  des  Lances.  Unter  den  Metallen 
kommt  Kupfer  (in  den  nordlichen  Landestheilen)  am  meieten  vor, 
die  Jahresausbeute  diirfte  an  150.000  Centner  betragen.  Auch 
Gold  (etwa  4.500  Mark)  und  Silber  (bei  Copiapo;  —  im  Ganzen 
an  200.000  Mark),  dann  Eisen,  Blei,  Steinkohlen,  Salpeter  u.  e.  w. 
werden  gefunden.  In  neuester  Zeit  wird  der  Bergbau  lebhafter 
betrieben.  Die  Industrie  ist  im  Ganzen  noch  geringe;  grobes 


Einfuhr 

Baumwollwaaren 26., 

Wollenwaaren 4., 

Weizenmehl 4., 

Eisenwaaren 3.8 

Wein 2., 

Leinwaaren ,    Seidenwaareu 

Gold-  and  Silberwaaren  je. . .  2., 


1856  Ausfuhr 

Kaffee 48 

Zucker 18., 

Haute 6., 

Baumwolle 5.4 

Diamanten 4., 

Tabak 2.0 

Mat6  (Paraguaythee) 1., 


464 

Wollentuch,  kupferne  und  irdene  Waaren  sind  die  namhaf  tea  ten 
Erzeugnisse.  Der  Seehandel  ist  verbal  tnissmassig  bedeutend ; 
im  Jahre  1857  hatte  die  Einfuhr  einen  Werth  von  fiber  313/4, 
die  Ausfuhr  iiber  193/4  Millionen  Pesos  (1  Peso  fuerte  =  5  Frcs.). 
Der  Handel  concentrirt  sich  in  Valparaiso*  Die  wichtigste  Ver- 
bindung  iet  mit  England  und  dessen  Colonien,  zunachet  stehen 
Frankreich,  die  Union  und  Deutschland.  Zum  Export  koramen: 
Mehl,  Getreide,  Kupfer,  Silber,  Wolle,  Haute,  Holz,  Talg.  Zur 
Forderung  des  inneren  Verkehrs  sind  Eisenbahnen  von  Santjago 
aus  eroffnet. 

Chile  ist  der  bestgeordnete  Staat  unter  den  sudspaniachen 
Republiken;  die  Bewohner  sind  gastfreundlich,  von  einfachen  Sitten, 
fleissige  Landwirthe.  Nur  im  aussersten  Suden  (Araucania) 
wohnen  unabhangige  Indianer  (Araucaner),  welche  Ackerbau  und 
Viehzucht  treiben,  und  zum  Theile  schon  civilisirt  sind. 
Die  ansehnlichsten  Orte  sind: 

Santjago  (70.000),  in  fruchtbarer,  weinreicher  Ebene,  eine  freundliche,  rein- 
liche,  regelmassig  gebatite  Stadt,  mit  einer  Universitat  und  guten  Schulen.  Nord- 
lich  davon  liegen  das  bedeutendste  Kupferbergwerk  Quillote  und  die  Goldgru- 
ben  von  Petorca;  —  Valparaiso  (50.000),  eine  rasch  aufbluhende  Handels- 
stadt,  einer  der  bedeutendsten  Hafenplatze  an  der  Siidsee,  befestiget;  wichtige 
Station  fiir  die  urn  das  Kap  Hoorn  fahrenden  Schiffe ;  —  Valdivia  (2000),  einer 
der  besten  Hafen  mit  starken  Festungswerken ;  in  der  Provinz  Valdivia  (und  im 
Territorium  von  Llanquihue)  befinden  sich  mehrere  deutsche  Ansiedlungen; 
—  Neu-Conception  mit  dem  Hafenorte  Talcahuana,  wurden  (1835)  durch 
Erdbeben  arg  verwiistet;  —  Copiapo,  Ausfuhrhafen  der  reichen  Kupfergruben 
von  Copiapo. 

Die  Insel  Chiloe  ist  fruchtbar,  allein  schwach  bevolkert;  sie  liefert  die  besten 
Matrosen.  Hauptort  ist  Castro.  —  Die  Juan-Fernandez-Inseln  sind  frucht- 
bar und  geniessen  ein  herrliches  Klima. 

2.  Argentina  (oder:  die  ^argent  i  n  ische  Confo  dera- 
tion,"—  ,,die  vereinigten  Staaten  desRio  de  la  Plata;" 
—  31,800  QMeilen,  1,550.000  Einwohner). 

An  der  Westgrenze  zieht  sich  die  Andenkette  von  Chile  mit 
vorgelagerten  Berglandschaften,  namentlich  im  nordwestlichen  Theile 
der  Confederation.  Am  Fusse  der  Berglandschaft  dehnen  sich  die  unge- 
heuren,  theils  ebenen,  theils  hugeligen  aber  baumlosen  Grasfluren  oder 
Pampas  des  Rio  de  la  Plata  aus.  Im  Westen  gehen  die  Pam- 
pas in  das  (etwa  2000'  hohe)  Plateau  der  Salzsumpfe  mit  zahlreichen 
Salzseen  iiber.  An  den  Flussen  ist  der  Boden  sehr  fruchtbar,  aber 
haufigen  Ueberschwemmungen  ausgesetzt. 

Der  Hauptfluss  ist  der  Parana  (an  der  Miindung  Rio  de 
la  Plata  genannt),  mit  Anschwellungen  und  Ueberschwemmungen 
im  Juni  und  Dezember.  Er  nimmt  (rechts)  den  Grenzfluss  Para- 
guay (bei  Corientes)  und  (links)  den  Grenzfluss  Uruguay  (im 
Miindungsgebiete)  auf.  Ferners  fliessen  dem  Atlantik  der  Colorado 
und  der  Grenzfluss  (gegen  Patagonien)  Negro  zu.  Viele  Fliisse 
ergiessen  sich  im  Innern  in  Salzseen. 

Trotz  der  grossen,  ausserst  fruchtbaren  Strecken  ist  der  Acker- 
bau doch  vielfach  noch  sehr  vernachlassigt ;  bedeutender  ist  die 
Viehzucht,  vorziiglich  in  den  Pampas,  wo  ungeheure  Heerden 
von  Rindvieh  und  Pferden  im  halbwilden  Zuelande  weiden,  welche 
den  Hauptreichthum  des  Landes  bilden.  Der  Bergbau  ist 


465 

unbedeutend,  deesgleichen  die  ge  wer  bl  i  ch  e  Thatigkeit.  Da- 
gegen  ist  der  Handel  in  der  Zunahme,  welcher  nach  den  iiber- 
seeischen  Landern  fiber  Buenos  Ayres  und  Montevideo  vermittelt 
wird.  Zum  Export  gelangen  Haute,  Homer,  Wolle  Talg,  ge- 
salzenes  Fleisch  u.  a.  ra. 

Die  Confederation  besteht  aus  vierzehn  Staaten:  Entre  Eios,  Corrientes, 
Santa   Fe,    Ingui,    Salta,    Tucuman,    Santjago    del    Estero,    Cata- 
marca,  Kioja,  Cordova,    San  Juan  de  la  Frontera,    Mendoza,   San 
Luis  de  la  Punta,  Buenos  Ayres*). 
Ansehnlichere  Orte  sind: 

Parana  (15.000),  Hauptstadt  der  Confederation ;  der  bedeutendste  Handelsplatz 
ist  Gualeguaychu  (J 0.000)  mit  vielen  europliischen  Kaufleuten.  —  Die  iibrigen 
bedeutenden  Stadte  sind  Hauptorte  der  gleichnamigen  irtiher  genannten  Provinzen. 
Besonders  sind  beraerkenswerth :  Cordova  als  Handelsplatz  mit  Tuch-  und  Wol- 
lenzeugmanufakturen,  Salta  als  bedeutendster Viehmarkt,  Catamarca  mit  vor- 
ziiglichen  Baumwollpflanzungen ,  Mendoza  mit  trefflichem  Weinbau.  Nbrdlich 
davon  liegen  die  reichen  Silberminen  von  Uspalata.  —  Da  Buenos  Ayres 
zum  grossten  Theil  in  der  Region  der  Pampas  gelegen  ist,  so  bildet  die  Viehzucht 
den  grossten  Reichthum  des  Landes;  zunachst  steht  der  Ackerbau  und  in  der 
Landeshauptstadt  der  iiberseeiscbe  Handel,  welcher  (wahrend  der  Unabhangigkeit 
des  Landes)  im  Jahre  1856'  bei  der  Einfuhr  mit  277 % ,  bei  der  Ausfuhr 
mit  274  V4  MiUionen  Papier-Piaster**)  berechnet  wurde. 

Der  bedeutendste  Ort  ist  Buenos  Ayres  (sammt  den  Vorstadten  uber  122,000 
E.),  an  vierzig  Meilen  vom  offenen  atlantischen  Ocean  am  rechten  Ufer  des  bier 
acht  Meilen  breiten  La  Plata.  Der  Landungsplatz  ist  sehr  seicht,  die  grossen 
Schiffe  legen  bei  dein  Dorfe  Barragon  an.  Der  Land-  und  Seehandel  ist  sehr 
bedeutend.  Die  Stadt  ist  der  Stapelplatz  fur  das  ganze  Innere  von  Siidamerika 
(Brasilien  ausgenommen),  und  fiihrt  Thierhaute ,  Horner,  Talg  in  ungeheurer 
Menge  aus.  Der  Hauptverkehr  geht  nach  England ,  dem  Unionslande  und  den 
westeuropaischen  Staaten.  Binnenstrassen  fiihren  uber  Mendoza  nach  Chile,  eine 
zweite  iiber  Cordova ,  Santjago ,  Tucuman ,  Salta ,  Ingui  nach  Bolivia.  —  Die 
Kiiste  ist  unsicher  und  hat  nur  wenige  Landungsplatze  und  Forts. 

3.  Republik  Uruguay  (oder  Ban  da  oriental,  auch 
Montevideo  genannt ,  4800  QMeilen,  V4  Million  Einwohner). 
Aus  dem  im  Norden  gelegenen  Brasilien  streichen  bis  an 
3000'  hohe  Gebirge  in  das  Land ,  zwischen  denen  sich  die  weite 
Ebene  des  Rio  negro  ausbreitet;  im  Westen  und  Siiden  ist  es 
eine  flache,  baumlose,  zwar  nicht  schone,  aber  gewinnbringende 
Ebene  mit  vorziiglichen  Weideplatzen.  Zahlreiche  Fltisse  bewas- 
sern  das  Land ,  die  bedeutendsten  sind  jedoch  die  Grenzfliisse, 
im  Westen  der  Uruguay  (mit  dem  Rio  negro),  im  Suden  der 
La  Plata.  —  Mit  Ausnahme  einiger  sandiger  Kiistenstriche  ist 
der  Boden  fruchtbar ,  wird  aber  vorziiglich  nur  zur  Viehzucht 
benutzt,  besonders  der  Pferde  und  Rinder;  thierische  Produkte 
bilden  die  wichtigsten  Exportartikel.  In  Folge  innerer  Zerruttung 
ist  das  Land  in  der  Kultur  sehr  zuriick ,  Gewerbfleiss  fehlt  fast 
ganzlich. 

Die  Eintheilung  ist  in  neun  Departimentos ,  welche  nach  den  meist  unbedeu- 
tenden  Hauptorten  benannt  werden.  Die  ansehnlichsten  Orte  sind  :  Montevideo 
(45.000)  am  hohen  Ufer  des  La  Plata ;  der  Hafen  ist  zwar  geraumig,  aber  den 
Pamperos  (West-  und  Siidwestwinden)  ausgesetzt,  und  wegcn  der  geringeren  Tiefe 
kbnnen  nur  kleinere  Fahrzeuge  unmittelbar  bei  der  Stadt  anlegen.  Der  lebhafte 

*)  Vom  Jahre  1853  bis  1859  war  Buenos  Ayres  eine  selbststfindige  Republik.  In 
Folge  des  am  10.  November  1859  zu  San  Jos6  de  Flores  unterzeichneten  Friedens- 
vertrages  ist  es  mit  der  argentinischen  Konfo'deration  wieder  vereinigt  worden. 

**)  Im  Jahre  1857  galten  20  Papier-Piaster  nur  noch  1  wirklichen  Piaster. 

Klmi's  Handels-Gcugraphie.  2.    Mill.  30 


466 

Handel  liegt  vorziiglich  in  franzosischen  Handen.  —  Am  Eingange  des  La  Plata 
ist  die  feste  Hafenstadt  Maldonado  (5000);  auch  die  stark  befestigte  Stadt 
Colonia  del  Sacramento  hat  einen  guten  Hafen.  Uruguay  besitzt  die  drei 
besten  Hafen  an  der  Miindung  des  La  Plata  und  diesem  Umstande  verdankt  der 
Staat  eine  grosse  kommerzielle  Wichtigkeit. 

4.  Republik  Paraguay    (4000  QMeilen,    1,200.000  Einwoh- 
ner,    etwa    10  %  Weisse,   sonst    viele   Indianer,    zum    Theile  noch 
Heiden). 

Dieser  Binnenstaat  wird  im  Westen  und  Osten  begrenzt  von 
den  FlQssen  Paraguay  und  Parang  bis  zu  ihrer  Vereinigung  im 
Suden  ;  die  Nordgrenze  ist  noch  vielfach  unbestimmt.  Der  ostliche 
Theil  wird  von  Verzweigungen  des  brasilianischen  Berglandes 
durchzogen;  der  westliche  Theil  ist  Flachland,  theilweise  sumpfig, 
den  Ueberschwemmungen  des  Paraguay  ausgesetzt.  Der  wichtigste 
Nahrungszweig  ist  der  Ackerbau,  obwohl  er  noch  wenig  fur  den 
Export  producirt.  Nebst  Nahrungspflanzen  werdeh  auch  Baumwolle, 
Zucker  und  Tabak  gebaut;  ausgedehnt  sind  die  Pflanzungen  von 
Paraguay-Thee  (Mate*).  An  Nutzholzern  ist  bei  dem  ausge- 
dehnten  Waldstande  ein  Ueberfluss.  In  der  nicht  sehr  bedeutenden 
Viehzucht  nehmen  die  Kinder-  und  Pferdeheerden  den  ersten  Rang 
ein.  Die  Industrie  ist  auf  sehr  geringer  Stufe;  sie  erstreckt  sich 
nur  auf  einige  Webe-,  Leder-  und  Metallwaaren.  Auch  der  Han- 
del ist,  bei  dem  Abschliessungs-Systeme  gegen  das  Fremde,  min- 
der umfangreich  ,  als  er  bei  der  gunstigen  Lage  des  Landes  und 
wegen  seiner  grossen  Fliisse  sein  konnte.  Exportirt  werden  Holz, 
Haute,  Tabak,  Paraguay-Thee. 

Die  politische  Eintheilung  ist  in  acht  Departimentos,  welche  nach  den  meist 
unbedeutenden  Hauptorten  benannt  werden.  Hauptort  des  Landes  ist  Asun- 
cion (25.000)  am  Paraguay,  der  Stapelplatz  fur  den  gesammten  auswartigen 
Handel.  In  der  Umgegend  von  Villarica  (9000)  wird  der  meiste  Paraguay- 
thee  gesammelt. 

5.  Patagonien;  —  die  sudainerikanischen  Inselgruppcn 
und  Sudpolarlander. 

1.  Im  Suden  von  Chile,  Argentina  und  Buenos  Ayres  dehnt  sich  bis  zur  Su'd- 
spitze  des  Kontinentes  Patagonien  mit  einem  Flachenraume  zwischen  16  bis 
18.000  Q  M.  aus.  Es  zerfallt  in  zwei  Theile.  Im  Westen  ziehen  sich  bis  hart 
an  die  fiordenreiche  Ktiste  des  grossen  Oceans  die  patagonischen  Cordilleren, 
von  Siiden  nach  Norden  in  der  Hohe  zunehmend,  mit  einer  durchschnittlichen 
Kammhbhe  von  3000',  mit  vielen  Gipfeln  fiber  6000,  einzelnen  mit  und  iiber 
7000'.  In  der  untern  Region  sind  die  Gebirge  mit  reichen  Waldungen  (Buchen, 
Birken  u.  a.)  bedeckt.  Der  Boden  an  der  Westkiiste  ist  nass,  das  Klima  zwar 
milde  und  gleichformig ;  aber  fast  bestandig  herrschen  Eegen  und  Nebel  und 
oft  brechen  furchtbare  Stiirme  aus.  Der  Kiiste  sind  zahlreiche  Inselgruppen 
vorgelagert.  —  Nach  Osten  fallen  die  Anden  terrassenformig  zum  baumlosen,  ve- 
getationsarmen ,  aber  an  Seen,  Siimpfen  und  Steppen  reichen  Tieflande  herab, 
welches  sich  bis  zum  Atlantik  ausbreitet  und  nur  in  den  tief  eingeschnittenen 
Flussthalern  eine  reichere  Vegetation  besitzt.  Im  Norden  sind  ausgedehnte  Vieh- 
weiden,  eine  Fortsetzung  der  Pampas ;  nirgends  aber  findet  sich  ein  regelmas- 
siger  Anbau.  Das  Klima  ist  zwar  nicht  so  streng  und  unfreundlich ,  als  haufig 
angenommen  wurde,  doch  sind  die  Sommer  driickend  heiss,  die  Winter  kalt.  Die 
Thierwelt  ist  besonders  im  Norden  stark  vertreten ,  namentlich  Pferde  und  Kin- 
der, dann  Schafkameele  (Guanacos),  Hasen,  Ftichse  u.  s.  w.  —  Das  Land  be- 
wohnen  wilde  und  heidnische  Indianerstamme,  im Allgemeinen  Patagonier  ge- 
nannt,  welche  in  viele  aber  nicht  zahlreiche  Stamme  zerfallen.  Sie  ernahren  sich 
meistens  von  der  Jagd,  einige  auch  von  der  Viehzucht  und  leben  in  Pfahlhiitten, 
die  mit  Pferdehauten  gedeckt  sind.  Sie  sind  gewohnlich  5'/2  bis  6  Fuss  hoch, 


_46I_ 

kraftig  gebaut,  gewandte  Reiter  und  Jager.  An  der  Magelhaensstrasse  und  auf  den 
siidlicheren  Inseln  wohnen  die  wenig  zahlreichen,  auf  der  niedersten  Stufe  der 
Kultur  stehenden  Peschera'h  (oder  Yocaifas),  die  ^Eskimos  des  Siidens."  Nord- 
amerikanische  und  europaische  Schiffe  besuchen  bisweilen  wegen  des  Wallfisch- 
und  Robbenfanges  die  Kiisten  Patagoniens.  See-Elephanten  und  Pinguine  er- 
scheinen  in  grosser  Menge  an  den  Kiisen. 

2.  Ira  Siiden  der  Magelhaens-Strasse  liegt  der  beilaufig  1300  QMeilen  grosse 
Feuerlands  Archipel,  bestehend  aus  sieben  grossen  und  einer  grossen  Menge 
kleinerer  Inseln.  Die  grosste  ist  das  eigentliche  Feuerland;  von  dieser  durch 
die  Strasse  Le  Maire  getrennt,  liegt  sudlich  die  Staaten-Insel  mit  dem  briti- 
schen Wallfischposten  Hopparos;  die  Siidspitze  der  sudlichsten  Insel  Hoorn 
ist  das  Kap  Hoorn.  Das  Ganze  ist  ein  furchtbar  zerrissenes,  abschreckendes 
Inselchaos;  imWesten  Gebirgsland  mit  fast  bestandigem  Regen  und  Sclmeefall, 
imOsten  wellenfdrmige  Ebene,  u'ber  welcher  sich  ein  heiterer  Himmel  ausspannt. 
Die  Inseln  sind  meist  bewaldet,  vielfach  morastig,  das  Klima  kalter  als  unter 
gleicher  Breite  auf  der  nordlichen  Halbkugel.  Dieser  armen  Natur  der  harten 
Felsen  in  ewigem  Sturm,  Regen  und  Wind  entspricht  auch  der  Mensch.  Die  zu 
2000  geschatzten  kulturlosen  Pescherahs  leben  hauptsachlich  vom  Fischfange, 
kleiden  sich  in  Robbenfelle,  wohnen  in  Hu'tten,  die  nur  aus  Zweigen  zusammen- 
gefiigt  oder  mit  Seehundsfellen  bedeckt  sind,  oder  auch,  trotz  Sturm  und  Regen, 
Tag  und  Nacht  im  Freien. 

An  70  Meilen  vom  Osteingange  der  Magelhaens-Strasse  liegen  die  britischen 
Falkland*-  (oder Malouinen-)  Inseln,  an  280  QM.  gross.  Die  zwei  grossen 
heissen  West-  und  Ostfalkland;  auf  letzterer  ist  Port  William  Hauptort 
der  Kolonie.  Das  Klima  ist  nicht  kalt,  doch  herrschen  fast  bestandige  Stiirme. 
Die  Inseln  sind  gebirgig,  wasserreich,  mit  iippigem  Graswuchs,  aber  holzlos; 
reich  an  Heerden  verwilderter  Pferde,  Rinder  und  Schweine.  Die  Inseln  versor- 
gen  die  um  das  Kap  Hoorn  segelnden  Schiffe  mit  Proviant. 

Die  Gruppen  der  Aurora -Inseln,  Siid-Georgien,  das  Sandwichland,  die 
siidlichen  Orkaden,  die  Siid-Shetlands-Inseln,  welche  ostlich  und  siid- 
ostlich  von  den  friiher  genannten  Inselgruppen  liegen,  sind  nackte  (2000 — 7000' 
hohe)  Felseninseln  ohne  alle  Vegetation,  theilweise  mit  Schnee  bedeckt,  in  ewige 
Nebel  gehiillt  und  von  rauhen  Stiirmen  umtobt.  Nur  grosse  Schaaren  von  See- 
vbgeln,  Robben  und  anderen  Thranthieren  beleben  diese  Gegenden. 

3.  Den  Siidpol  scheint  ein  Kontinent  oder  eine  Menge  grosserer  und  kleinerer 
Inseln  zn  umschliessen ;  man  bezeichnet  die  entdeckten  Landerstriche  mit  dem 
Namen  antarktischer  Kontinent  oder  das  Slid  polar  land.  Die  polarischen 
Lander  und  Inseln  zeigen  die  Natur  in  volliger  Erstarrung  und  Oede.  Das  Meer 
fiillen  Thranthiere,  meistens  dem  Siidpolarlande  eigenthiimliche  Arten.  Der  siid- 
liche  Wallfisch  ist  vom  nordischen  vcrschieden ;  dei- See-Elephant  tritt  stattdes  nor- 
dischen  Walbrosses  auf.  Das  Pflanzenreich  wird  nur  durch  Moose  und  Flechten, 
die  Thierwelt  durch  Seevogel  und  Fettganse  (Pinguine)  reprasentirt,  welche  in 
ungeheuren  Schaaren  an  den  Ufern  sitzen.  Spuren  von  eingebornen  Menschen 
sind  nirgends  gefunden  worden.  Das  stiirmische  Meer  ist  sehr  tief,  und  vom  (JOU 
s.  Br.  mit  ungeheuren  Eismassen  und  dicken  Nebelu  bedeckt.  (Die  entdeckten 
Kiistenstriche  siehe  auf  S.  13.) 


30* 


Australian. 

Australien  (auch  Polynesien  oder  Oceanien  genannt) 
1st  der  kleinste,  mindest  bekannte  Erdtheil.  Man  unterscheidet  das 
,,Festland  Australien"  (oder  Austral-Land,  Neu-Hol- 
land)  und  die  ,,austr  al  isch  e  Inselwelt;"  auf  ersteres  entfallen 
beilaufig  138.000,  auf  letztere  22.000  QMeilen. 

§.  185.  Das  Festland  Australian. 

Die  horizon! ale  Gliederung  des  Festlandes  ist  im  Norden 
und  Siiden  eine  relativ  geringe;  dagegen  ist  sie  im  Siidosten  un- 
gemein  reich,  und  die  grosse  Menge  von  Buchten  und  Hafen  ist 
ein  Mittelpunkt  fur  die  Schiffahrt  der  Slid  -  Hemisphare  und  der 
Kolonisation  geworden.  Ueber  die  vertikale  Erhebung  lasst  sich 
wenig  Bestimmtes  sagen,  indem  iibcr  drei  Viertheile  des  Kontinentes 
noch  ganzlich  unbekannt  sind ,  und  das  von  Europaern  besuchte 
Terrain  noch  mehrfach  nicht  genau  durchforscht  worden  ist.  Aus 
dem  bisher  Bekannten  geht  iibrigens  hervor,  dass  die  Bodengestal- 
tung  im  Innern  nicht  jene  Einformigkeit  aufweiset,  die  man  friiher 
als  vorherrschend  annahm.  Das  Innere  ist  nicht  fast  ausschliess- 
lich  Sand-  oder  Steinwiiste;  man  hat  vielmehr  eine  mannigfaltige 
Abwechslung  von  nutzbaren  und  nutzlosen  Landstrichen  gefunden. 
Im  Allgemeinen  scheint  das  Flachland  vorzuherrschen ;  aus  den 
Kustenlandschaften  steigen  isolirte  Bergketten  als  Kand-  und  Kiisten- 
gebirge  auf,  die  sich  jedoch  weder  durch  Mannigfaltigkeit  noch  durch 
Grossartigkeit  auszeichnen.  —  (Siehe  §.  41.) 

Das  Festland  hat  wenig  bestandig  flies  sen  de  Gewasser; 
es  ist  der  wasserarmste  Erdtheil,  dessen  lehmiger  Boden  die  ath- 
mosphiirischen  Nicderschlage  rasch  einsaugt.  Alle  uns  bekannten 
Fliisse  Australiens  bieten  fast  die  gleichen  Erscheinungen  dar.  — 
(Siehe  §.  51.) 

Die  grosse  horizontale  Ausdehnung  (von  mehr  als  30  Graden) 
bedingt  mehrfacho  Verschiedenheiten  des  Klimas.  Man  unter- 
scheidet drei  grossere  Regionen:  das  nordliche,  ganz  tropische 
Australien  umfasst  die  Nordwest- ,  Nord-  und  Nordostkiiste  (von 
11— 25°  s.  Br.);  —  das  mittlere  subtropische,  in  der  Siidhalfte 
des  Kontinentes;  —  das  sudlich  gemassigte  (wozu  Tasmania 
und  Neu-Seeland  gehoren).  Im  tropischen  Australien  ist  das 
Wetter  durch  die  Monsune  (wie  in  Indien)  bedingt;  im  subtro- 
pis  chen  wechseln  die  trockene  und  nasse  Jahreszeit  ab;  oftherrscht 
grosse  anhalteude  Diirre,  dabei  heisser,  sengender  Wind  und  Wol- 
ken  von  Staub ;  nicht  ein  Grashalm  ist  da  zu  sehen ,  Tausende 
von  Schafen  und  Rindern  gehen  da  zu  Grunde*);  —  in  Sud- 
au s  t  r  a  1  i  e  n  ist  das  Klima  gemassigt  und  wird  trotz  der  ausserordent- 
lich  schnellen  Veranderung  der  Temperatur  fiir  sehr  gesund  gehalten. 
Der  Winter  bringt  selten  Schnee  und  Eis;  dagegen  trocknet  die 
Hitze  in  den  Sommermonaten  den  Erdboden  ebenfalls  vollstandig  au&; 
*)  In  Nen-Siid-Wales  dauerte  die  Diirre  einmal  4  Jahre  (1841—1844);  im  Jahre  1813 
reguete  es  in  lOMonaten  mir  2  Stunden,  wodurch  ein  so  grosser  Ftittermangel  entstand, 
dass  Tausende  von  Eindern  und  Schafen  zu  Grunde  gingen.  Eine  gleiche  Diirre 
hen-schte  im  Jahre  1851,  wo  seit  16  Monaten  kein  erfrischender  Regen  gefallen  war. 


_469 

doch  sind  weder  die  Durre  noch  der  heisse  Wind  so  andauernd  als 
in  der  subtropischen  Region.  Die  starken  Regengtisse  bringen  iibri- 
gens  in  wenigen  Tagen  den  iippigsten  Pflanzenwuchs  hervor. 

Der  Pflanzenreichthuiii  ist  sehr  gross;  man  hat  dort  schon 
fiber  1000  nene  Pflanzenarten  entdeckt ,  und  an  Schonheit  der 
Waldblumen  und  Bliithen  iibertrifft  wohl  kein  Land  Australian. 
Eigentliche  Urwalder  findet  man  jedoch  nicht;  die  Baume  kommen 
meist  in  Gruppen  vor.  Zu  den  vorherrschenden  weit  verbreitetsten 
Pflanzen  gehoren  die  (bis  180'  hohen)  Gummibaume,  so  wohl 
wegen  des  Gumrni  als  wegen  der  Harte  des  Holzes  sehr  geschatzt; 
dann  Akazien,  Fichten,  Cedern ,  das  Malli-Strauchwerk  (Zwerg- 
Gummibaume),  die  fur  Schafziichtereien  wichtige  Salzpflanze  u.  e.  w. 
In  Ost-  und  Siidanstralien  gedeihen  die  europaischen  Obst-  und 
Fruchtesorten,  Kiichengewachse  und  Getreide  (Weizen,  Roggen, 
Mais  etc.).  Der  Weinbau  wird  am  Hunter  und  in  der  Gegend 
von  Adelaide  mit  Erfolg  betrieben.  Mit  Tabak,  Baumwolle  und 
Zucker  sind  an  der  Moreton-Bai  und  anderwarts  Versuche  gemacht 
worden ;  doch  fehlt  es  noch  vielfach  an  Arbeitskraften.  Die  Haupt- 
gewachse  Ostindiens  kommen  aber  selbst  in  den  tropischen  Gegen- 
den  Australiens  nicht  vor. 

Neu-Holland  scheint  in  Bezug  auf  die  Thierwelt  vielfach 
das  ,,Land  des  Widerspruchs"  zu  sein.  Es  gibt  dort  Vogel  ohne 
Fliigel,  mit  Haaren  statt  Federn,  Vierfusser  mit  Entenschnabeln, 
schwarze  Schwane,  weisse  Adler;  die  Bienen  sind  ohne  Stachel, 
viele  Vogel  sind  stumm,  viele  Blumen  geruchlos,  die  Baume  geben 
keinen  Schatten ,  das  Holz  sinkt  im  Wasser  unter,  der  Kuckuck 
schreit  bei  Nacht ,  die  Eule  am  Tage  u,  s.  vv.  Unter  den  Vogeln 
zeichnen  sich  durch  Farbenpracht  aus:  Papageien,  Paradiesvogel, 
Pfau-Fa^anen,  Tauben  ;  sehr  zahlreich  sind  die  Wasser-  und  Sumpf- 
vb'gel.  Der  grosste  Vogel  ist  der  Casuar,  sehr  zahlreich  sind  die 
larmenden  Kakadu.  Grosse  Vierfusser  und  eigentliche  Raubthiere 
gibt  es  in  Australian  nicht.  Das  merkvviirdigste  Saugethier  ist  das 
in  grossen  Heerden  lebende,  von  Pflanzen  sich  nahrende  Kanguruh 
und  das  kleine  fliegende  Beutelthier  Walloby.  Ungemein  gross  sind 
die  Schaf-  und  Rindviehheerden  in  den  englischen  Besitzungen. 
Landplagen  sind  der  wilde  australische  Hund  (Dingo) ,  die  Heu- 
schrecken ,  welche  nicht  selten  die  Pflanzungeu  der  Kolonisten  ver- 
heercn,  und  die  vielen  Stechfliegen  (Moskito's).  Von  den  Sauge- 
thieren  des  Meeres  findet  sich  vielleicht  die  Halfte  an  den  Kusten 
Australiens ;  dagegen  besitzt  das  Land  kaum  den  zwanzigsten  Theil 
von  den  Saugethieren  des  Landes. 

Die  Urbevolkerung  gehort  zu  den  Au  stral-N  egern  (Ne- 
grito's), dem  ausseren  Ansehen  nach  eine  Vermischung  der  ma- 
layischen  mit  der  athiopischen  Race.  Im  Urzustande  sind  sie  wild, 
schmutzig,  heimtiickisch  und  boshaft,  abschreckend  hasslich,  mit 
diirren  Beinen  und  Armen,  und  weiss  und  roth  tatowirtem  Korper. 
Im  Zustande  ausserster  Rohheit  ziehen  sie  ohne  Bekleidung, 
ohne  feste  Wohnsitze  in  kleinen  Horden  umher,  die  Befriedigung 
des  Hungers  ist  fast  ihr  einziges  Lebeneziel ;  sie  sind  der  Civilisation 
unzuganglicher  als  irgend  ein  Volk  der  Erde.  Die  Versuche,  sie 
fur  Ansassigkeit  und  Bodenkultur  zu  gewinnen,  sowie  die  Bemii 


470 

hungen  der  christlichen  Missionare  sind  bis  jetzt  vielfach  gescheitert; 
sie  verschwinden  mehr  und  mehr  aus  den  kolonisirten  Kustenlan- 
dern  und  gehen  in  den  Oden  Wtisten  des  Innern  dem  Untergange 
entgegen.  —  In  ihrer  Sprache  herrscht  unter  den  verschiedenen 
Stammen  eine  grosse  Verschiedenheit.  —  Desto  starker  ist  dieEin- 
wanderung  aus  Europa  und  Amerika,  namentlich  von  Englan- 
dern,  Deutschen,  Chinesen  und  Franzosen  *). 

Grossbritannien   nimmt    die    Herrschaft    iiber    das    ganze 
kontinentale  Australien  in  Anspruch.    An  der  Spitze  jeder  Kolonie 
steht  ein  Gouverneur,   ihm  zur  Seite  ein  exekutiver  und   ein  legis- 
lativer  Rath;    alle  administrativen    und    gerichtlichen   Einrichtungen 
sind  denen  des  Mutterlandes  nachgebildet. 
Die  britischen  Koloiiien. 
Diese  umfassen  vier  Gouvernements : 

1.  Neu- Sud -Wales  (266.000  E.):  Die  Hauptnahrungszweige 
dieser  Kolonie  sind  Ackerbau  und  Viehzucht,  vor  Allem 
Schafzucht.  Im  Jahre  1857  waren  schon  fiber  185.000  englische 
Acres  angebaut;  die  Zahl  der  Schafe  belief  sich  (im  Jahre  1857) 
an  73/4  Millionen,  der  Kinder  iiber  2  Millionen.  An  industriellen 
Anstalten  ist  nur  Sydney  ziemlich  reich,  es  besitzt  Eisengiesse- 
reien,  Maschinenfabriken ,  Schmelzhiitten,  Bierbrauereien,  Zucker- 
siedereien,  Gerbereien ,  viele  Miihlen ,  eine  geraumige  Werfte, 
3  Docks  u.  a.  m.  Der  Handel  der  Kolonie  ist  stets  ina  Wachsen; 
die  Einfuhr  betrug  im  J.  1856  iiber  3,43  Millionen  £.,  die  Aus- 
fuhr fiber  5,^  Millionen  £.,  —  im  J.  1857  die  Einfuh'r  3.61 
Millionen  £  die  Ausfuhr  6,36  Millionen  £.  Den  grossten  Werth 
reprasentiren  in  der  Einfuhr:  Brod  und  Mehl,  Spirituosen,  Zucker, 
Bier,  Thee,  Tabak;  in  der  Ausfuhr  Wolle,  Schafe,  Baumwollwaaren 
und  Gold.  Der  grosste  Verkehr  ist  mit  England  und  den  ubrigen 
Kolonien.  Die  Zahl  der  angekommenen  Schiffe  belief  sich  auf  1143, 
der  abgegangenen  auf  1219 ;  die  meisten  im  Hafen  zu  Sydney,  dann 
Newcastle,  vorherrschend  unter  britischer  Flagge.  Zu  Anfang  des 
Jahres  1857  besass  die  Kolonie  60  eigene  Darnpfschiffe  und  eine 
starke  Handelsflotte. 

Sydney  (spr.  Sidni,  70.000 E.),  auf  der  kleinen  Halbinsel  zwisclien  Port  Jack- 
son (spr.  Dschaks'n)  und  Botany-Bai;  die  erste  australische  Handelsstadt,  Mittel- 
punkt  der  Dampfschiffahrt  und  des  Wallfischfanges  im  Siiden ,  mit  ansehnlicher 
Gewerbsthatigkeit,  grossen  Gebauden,  Universitat,  Sternwarte,  botanischem  Garten, 
iiberhaupt  ini  europaischen  Geschmacke  gebaut  und  eingerichtet.  Eine  Eis en- 
fa  ah  n  fiihrt  nach  Paramatta,  von  da  nach  Liverpool,  Campbell-Town  und  Goul- 
bourne,  in  der  Mitte  grosser  Schafereien  gelegen.  Eine  Telegrafenlinie  zwi- 
schen  Sydney  und  Melbourne,  und  von  da  nach  Adelaide  und  Tasmania;  der 
Postwagen  fahrt  iiber  Penrith  nach  Bathurst.  —  Paramatta  (12.000)  an  der 
Mundung  des  gleichnamigen  Flusses  in  den  Port  Jackson;  —  Bathurst  (spr. 
Bads'ort,  6000)  am  Macquarieflusse ,  Mittelpunkt  reicher  Land-  und  Viehwirth- 
schaft  sowie  des  bedeutendsten  Goldbezirkes  der  Kolonie ;  —  am  Hunter  im  Koh- 
lendistrikte  siud  die  aufbliihenden,  mittelst  Eisenbahn  verbundenen  Stadte  New- 
castle (spr.  Njucass'l)  und  Maitland  (spr.  Mehtla'nd);  in  einer  der  schonsten 
*)  Die  Einwanderung  betrug: 

im  Jahre  1857  nach  Victoria 62.230 

„        „       1856      „      Neu-Siid-Wales    16.001 

„        „       1855      „      Siid-Australien 11.471 

„       „       1856      „  dto 4177 

„        „       1856      „      Tasmania 4988 

Die  deutsche  Einwanderung  nach  Neu-Siid-Wales  hat  sehr  abgenommen. 


471 

Kustenebenen  Brisbane  (spr.  Brisbehn),  durch  den  Verkehr  mit  Sydney  iii  Holz 
und  Wolle  bedeutend;  Ophir  im  Golddistrikte. —  Ira  April  1859wurde  Queen's- 
land  (spr.  Kwinsland)  an  der  Moreton-Bai  von  Neu-Siid- Wales  getrennt  und  zn 
einer  selbststandigen  Kolonie  mit  dem  Hauptorte  Brisbane  erhoben. 

2.  Victoria,  friiher    ,,das    gliickliche  Australien,"    mit   einer 
Gesammtflache    von   fiber    56%    Millionen    Acres,   wovon   erst    die 
Halfte    verkauft    und  darunter    nahezu   240.000  kultivirt  sind.     Vor 
20  Jahren  war  die  Bevolkeruug  kaum  einige  Tausend  Kopfe  stark, 
jetzt  betragt  sie  fiber  T/2  Million.     Hier  ist  das  Land  der  Gold- 
graber,   deren  Zahl    gegenwartig    iiber   hundert  Tausend  betragt, 
und  stets  noch  wachst.     Die  Goldgraber  haben  jedoch  auch  Acker- 
bauer,  Viehzuchter,  Handwerker  und  Kaufleute  nach  sich  gezogen. 
Fur  den  Erlaubnissschein  zahlt  der  Goldgraber  monatlich  10  Schil- 
ling an  die  Regierung;    dafiir  kann  er  Locher  graben,    so   viele   er 
will,    aber  keines    grosser    als  12  Q'.     Vom    Jahre    1851  bis  Ende 
1857  wurden  aus  Victoria  17,831.334  Unzen  Gold,   im  Werthe  von 
fiber  67  V2  Millionen   £  ausgefiihrt  *).     Nachst    Gold   ist   bedeutend 
die  Ausfuhr  an  Wolle,  welche  jedoch  etwas  abgenommen  hat  (5m 
Jahre  1852  iiber  20,  im  Jahre  1857  nicht  ganz  17V5  Millionen  Pfd.), 
ferner  Talg.     Der  Handel  ist  ungemein  im  Steigen.     Im  J.  1851 
betrug    die    Ausfuhr    1.42    Millionen  £. ,    und   im    J.  1857    iiber 
15.07  Millionen  £.;  die  Einfuhr  im  J.  1851   nur  1.05  Millionen  £., 
im  J.  1857    dagegen    fiber  17.25  Millionen  £.     Fast  der  Gesammt- 
verkehr   findet    mit    England    und   dessen  Kolonien  statt ;   die  Zahl 
der  eingelaufenen  Schiffe  betrug  im  Jahre  18572190  (mit  nahe  700.000 
Tonnen),  jene  der  ausgelaufenen  2207  (fiber  684.000  Tonnen).  Auch 
die  Zahl  der  industriellen  Etablissements  mehrt  sich  fortwahrend  **). 

Melbourne  (spr.  Mel'born,  im  Marz  1859  hatte  sie  iiber  89.000  E.,  jetzt  an 
100,000  E.),  ungemein  rasch  aufbliihende  Hauptstadt  im  (Norden  der  Bai  Port 
Philipp  in  sehr  fruchtbarer  Gegend,  -vvichtiger  Handelsplatz ,  insbesondere  Aus- 
fuhr von  Wolle,  Gold  uud  Wein ;  mit  allem  europaischen  Luxus,  zahlreichen  ge- 
lehrten  und  Handelsanstalten ,  grossem  botanischen  und  zoologischen  Garten ; 
Post-  und  Telegraphenverbindung  mit  Sydney  und  Adelaide,  unterseeischer  Tele- 
graph nach  Launceston  auf  Tasmania,  Eisenbahn  nach  den  Golddistrikten  von 
Sandhurst,  Dampfschiffahrt  u.  s.  w. ;  —  Williamstown  (spr.  Uiljams'taun, 
5000)  Hafenplatz  von  Melbourne  am  Port  Philipp:  —  Greelong,  (an  30.000), 
am  Westende  des  Port  Philipp ,  vom  reichsten  Ackerbaudistrikte  umgeben  und 
Hauptstapelplatz  fiir  die  zahlreichen  Wollenstationen  der  Kolonie.  Im  Osten  lie- 
gen  die  fruchtbaren  Kiistenebeneu  des  ^Gipslandes"  mit  dem  Hauptorte  Al- 
berton;  —  Portland  imSiidwesten  von  Melbourne ;  —  Goldstadte  sind :  Bal- 
laret,  Bendigo,  Sandhurst,  Forest  Creek. 

3.  Siid- Aiistra lien    (uber    14.800   deutsche   pMeilen,    iiber 
104.000  Einwohner,  darunter  an  3000  Eingeborne;  die  Deutschen 
bilden  nahezu   '/7  der   Gesammtbevolkerung).     Die  Kolonie  zeichnet 
sich  besonders  durch  ihre   Bergwerke  auf  Kupfer  und  Blei  aus. 
Beriihmt  sind  die    Kupfergruben    von  Burra-Burra,    welche  im 

*)  Export  aus  Victoria:  im  Jahre  1856  2,762.460  Unzen;  10,987.591  £ 

„          „  „  „        „      1857  2,555.263       „     ;  10,921.052  „ 

„          „     Califoruieu:      „        „      1856   ;  10,139.487  „ 

„       „      1857  ;    9,795.339  „ 

„       „     1858  ;     9,507.605  „ 

**)  Im  Jahre  1859  besass  die  Kolonie  Victoria :  35  Bierbrauereien ,  15  Seife-  und 
Lichterfabriken ,  12  Gerbereien  ,  11  Giessereien ,  77  Getreidemiihlen  (darunter  61  mit 
Dampf),  45  Sagemiihlen,  80  Dampfinaschinen  (ohue  die  obigen  Damufmiihlen). 


473 

Jahre  1857  an  274.000  Zentner  Kupfererz  (mit  einem  Durchschnitts- 
gehalt    von   25%)    lieferten ,    das    Kapund  a  -  Bergwerk    lieferte 
(1857)  iiber    80.000  Zentner  Erz.     Bei  der  eersten  Grube   ist  zwar 
ein  Schmelzwerk  errichtet,  doch  gcht  das  meiste  Erz  nach  England 
(Swansea  in  Wales).     Der   Hafen    zur  Verschiffung  der  Kupfererze 
ist  Port  Henry.     Aucfr  die  Blei-    und   Silberbergwerke    sind  von 
Bedeutung  ;  die  Ausbeute  der  ersten  war  (im  J.  1857)  iiber  12.000  Zent- 
ner,   der    zweiten  iiber  90.000  Unzen.     Besonders   beliebt    sind   die 
deutschen    Grubenarbeiter.     Der    Ackerbau    wird    sehr  stark, 
namentlich  von  den    Deutschen,    betrieben.     Im   Jahre  1857   waren 
nahe  an  236.000  Acres    angebaut.     Weizen    bildet  die  Hauptfrucht, 
und    die    Mehlausfuhr    belief    sich    im    mehrgenannten    Jahre    iiber 
580.000    Zentner.     Unter   den    70    Getreidemiihlen    werden    63    mit 
Dampfkraft  betrieben.     Ohne  je  gedungt  zu  werden,  hat  der  Boden 
noch  nie  eine    eigentliche  Missernte  geliefert;  erst  jedes  dritte  Jahr 
wird  der  Acker  ordentlich  umgepfliigt  und  beeaet.   Die  Viehzucht 
ist  geringer,  als  in  Victoria,  doch  in  Aufnahme;  dessgleichen  meh- 
ren  sich  die   industriellen  Unternehmungen.  Zum  Export  gelangen 
Wolle,   Mehl,    Kupfer    und    andere  Metalle;   im  Jahre  1857  betrug 
die    Einfuhr    fiber    1.4,    dieAusfuhr    iiber    1.0    Millionen    £. 
Ansehnliche  Orte  sind:  Adelaide  (25.000)  nahe  derMiindung  des  Torrens  in 
den  St.  Vincent-Golf,  schb'n  gebaut,  mit  mehreren  Schulen  (auch  eine  deutsche 
hohere  Burger  schule),  Haupthandelsplatz  der  Kolonie.      Zum    Hafen  Port 
Adelaide  fuhrt  eine  Eisenbalm,  wo  sich  das  Zollhaus,  eine  Schiffswerfte,  Waa- 
renmagazine  u.  s.  w.  befinden.     Andere  Hafenplatze  sind :  Port  Henry  (fur  die 
Ausfuhr  von   Kupfererz),    Port  Wakefield    (fur    Kupfererz  und  Wolle),  Port 
Robe  (fur  Wolle),  Port  Elliot  (fur  Mehl).  —  Am  Siidende  des  Golfes  St.  Vin- 
cent  liegt    die    Insel   Kanguruh   (92  QM.).     Viele    Kanguruhs.     Ansiecllung 
Kingscote  fiir  Eobben-  und  Wallfischfanger. 

4.  West-Australien  (45.000  QMeilen,  13.400  Einwohner).— 
Das  grosse  westliche  Kiistenland  besteht  grossentheils  aus  sandigem 
Flachlande  oder  steilen  Diinen,  hat  weder  gute  Hafen  noch  grosse 
Fliisse,  und  ist  zur  Kolonisation  minder  geeignet.  An  gutem  Weide- 
land  fehlt  es  nicht,  auch  gibt  es  einige  Striche  guten  Ackerlandes,  sowie 
man  Spuren  von  Metallreichthum  findet.  Hauptort  ist  P  e  r  t  h  (3000) 
am  Schwanenfluss  mit  einigem  Handel,  der  sich  jedoch  mehr  in  der  Ha- 
fenstadt  Freeman  tie  (sp^r.  Frihmantl,  3000),  an  der  Miindung  des 
Schwanenflusses,  concentrirt.  Andere  Hafenplatze  sind  Albany  und 
Guildford.  Zwischen  diesen  Orten  und  Perth  besteht  eine  Dampf- 
bootverbindung;  Perth,  Freemantle  und  Albany  treiben  Wallfischfang. 
Am  obern  Schwanenflusse  ist   die  Stadt  York  begriindet  worden. 

5.  Nord-Australien.     In  den  Jahren   1824  und  1826  ist  eine 
Ansiedleung  an  der  aussersten  Spitze  der   Nordwestkiiste  gegrundet 
worden;    allein  die  Niederlassungen  auf  den  Inseln    Melville  und 
Bathurst  mussten   wegen    des    ungesunden  Klima's  und  Mangels 
an  frischen  Lebensmitteln   (im  Jahre  1829)   aufgelassen  werden.  — 
Im  Jahre  1831   wurde  ostlich    von  Melville  auf  der  Halbinsel  Co- 
burg  der  Ort  Victoria  am  Port  Essington   begriindet;  allein 
auch    diese    vereinsamte    Station    wurde    spater    aufgegeben.     (Im 
J.  1857  bewilligte  iibrigens  die  britische  Regierung  die  Summe  von 
5666  £.  fiir  Nord-Australien ;  es  ware  demn  ach  moglich,  dass  man 
die  Station  doch  noch  beizubeh alien  wiinscht). 


473 

§.  186.  Die  australischcn  lust-In. 

A.  Der  innere  In  s  el  giir  t  el. 

1.  Tasmania  *),  eine  britische  Insel,  durch  die  32  Meilen  breitc  Bass-Strasse  von 
der  Siidspitze  des  australischen  Kontinentes  getrennt,  ist  etwa  1150  Q  M.  gross, 
hat  auf  alien  Seiten  schone  und  sichere  Steilkiisten,  namentlich  gehoren  die  Hafen 
dor  stark  gegliederten  Sudostkiiste  zu  den  besten  der  Erde.     Die  Oberflache  zeigt 
einen  Wechsel  von  rauhen  Gebirgslandern  (Western-Mountains,  Benlomond  4700', 
Huraboldt  5200')  und  reich  bewasserten,  fruchtbaren  Hochebenen;  Der  went,  Ta- 
mar  und  Arthur  sind  die  grb'ssten  Fliisse;  die  Form  des  Flachlandes  fehlt.  Das 
Klima  ist  ahnlich  dem  von  Siiddeutschland ,    obgleich  niehr  dem  Wechsel  unter- 
worfen.     Die  Vegetation  ist  viel  frischer  und  iippiger  als  auf  dem  Festlande.     Von 
den  ungefahr  16  Millionen  Acres,  welche  Tasmania  besitzt,  ist  das  meiste  Wald- 
land ;  iiber  2  Millionen  Acres  sind  Weideland,  wahrend  kaum  20,000  Acres  ange- 
baut  sind ;  doch  wird  an  Weizen  noch  fiir  den  Export  (nach  Victoria)  gewonnen. 
Die  Zucht  der  Schafe,  Kinder,  Schweine  und  Pferde  ist  sehr  im  Zunehmen.     An 
Mineralien  findet  man  Eisen,  Kupfer,  Blei,  Silber,  Gold  und  Steinkohlen  (zu  Fingal). 
Die  A  u  s  f  u  h  r  geht  zumeist  nach  dem  australischen  Kontinent  und  England,  und 
umfasst  Bauholz,  Schafwolle,  Getreide,  Wallfischthran,  Seehundsfelle  u.  s.  w.,  welche 
im  Jahre  1856  an  700,000  £  betrug;  die  Einfuhr  aus  England  und  den  Kolonien 
erreicht  den  Werth  von  fast  I1/,  Millionen  £.  —  Im  Ma'rz  1857  war  die  Bevblkerung 
schon   iiber  80,000  und  hatte  wahrscheinlich  keine   Eingebornen    mehr  (im 
Jahre  1815  zahlte  man  noch  5000  Eingeborne,  im  Jahre  1835  nur  noch  210  und  im 
Jahre  1854  nur  mehr  16). 

Ansehnlichere  Orte  sind:  Hobarton  (oder  Hobarttown,  20,000) ,  die  modern 
und  geschmackvoll  gebaute  Hauptstadt,  liegt  am  Fusse  des  Tafelberges  (3064')  und 
am  Derwent,  nicht  weit  von  dessen  Mundung  in  die  Sturmbai ;  der  Hafen  ist  sehr 
giinstig  fiir  die  Wallfisch-  und  Seehundfanger  der  Stidsee.  Ausser  mehreren  Thran- 
brennereien  gibt  es  hier  Bierbrauereien,  eine  grosse  Tuchfabrik  u. a. ;  Launceston 
(8000),  Binnenstadt  am  Tamar,  Stapelplatz  fiir  den  Nordtheil  der  Insel.  Der  AVest- 
theil  enthalt  ausser  einzelnen  Stationen  noch  das  Gebiet  der  Agrikulturgesellschaft 
von  Tasmania,  welche  die  Viehzucht  in  grossem  Umfange  betreibt.  —  In  der  Bass- 
Strasse  sind  die  Inseln  (Flinders-,  Kings-Insel  u.  a.)  Stationsplatze  fiir  den  WTall- 
fisch-  und  Robbenfang. 

2.  Ncu-Seeland,  eine  Doppel-Insel,  gehbrt  den  Brit  en. 

Die  Nord-Insel  (Neu-Ulster,  von  den  Eingebornen  Ikanamawi  oder 
Ainornawi  genannt)  ist  durch  die  Cook's-Strasse  von  der  Siid-Insel  (Neu- 
Munster,  Punamu  oder  Tawai)  getrennt;  im  Siiden  der  letzten  liegt  die  Ste- 
wart- (spr.  Stjuh'b'rd)  Insel.  Der  Flacheninhalt  betragt  2853  Q  Meilen,  wo- 
von  1200  auf  die  nb'rdliche,  1653  auf  die  beiden  siidlichen  kommen.  Die  Ge- 
sammtbevblkerung  wird  auf  etwa  200,000,  darunter  die  europaische  auf  50,000 
(im  Jahre  1858)  angegeben. 

Die  Nord-Insel  ist  an  der  Ostkiiste  stark  gegliedert.  Die  Nord-Halbinsel 
ist  niedere  Hochebene,  das  Uebrige  ein  von  Fliissen  zerschnittenes  Langengebirge, 
mit  schneebedeckten  Bergriicken.  Die  hbchsten  Gipfel  sind:  Berg  Egmont  (8290'), 
Ruapahu  und  Tongariro.  Von  den  zahlreichen  Vulkanen  (Dr.  Hochstet- 
ter  fand  deren  iiber  60)  ist  (ausser  dem  Tongariro)  keiner  tha'tig;  dagegen  gibt 
es  eine  Menge  Solfataren,  Dampfhohlen,  Seen  mit  heissem  Wasser  und  heisse 
Quellen.  Fruchtbare  Landstriche  liegen  nur  vereinzelt ;  Waldungen  und  Farren- 
krauter  bilden  den  Pflanzencharakter  des  Landes.  Hauptort  ist  Auk  land  (10,000) 
mit  dem  Sitze  der  Regierung,  sehr  gutem  Hafen  uud  lebhaftem  Seehandel;  — 
Kororarika  ist  der  Hauptsammelplatz  der  Wallfischfanger ;  Wellington 
(6000)  bliiht  rasch  empor. 

Die  Siid-Insel  hat  eine  hafenreiche  Ostkiiste  mit  fruchtbaren  Thalern  und 
gi-asreichen  Ebenen  bis  an  das  Bergland  im  Innern,  aus  welchem  sich  schnee- 
bedeckte  Gipfel  erheben.  Die  hbchst  eigenthiimliche  Vegetation  weisct  indische, 
australische  und  siidamerikanische  Pflanzen  auf.  Unter  den  Baumen  zeichnen 
sich  die  Fichten  durch  ungewohnliche  Grosse  und  Starke  aus.  Der  neuseelHndi- 
sche  Flachs  ist  beriihmt.  Europaische  Kulturpflanzen  gedeihen  vortrefflich.  Land- 
thiere  sind  reich  vertreten;  der  Fischfang  ist  ansserst  ergiebig.  Auch  an  Mine- 

*)  Der  seitherige  Name  nVan  Diemen's-Land"  wurde  im  Jahre  1855  von  der 
britischen  Regierung  in  Tasmania  umgeandert,  zu  Ehren  des  ersten  hollandischen 
Entdeckers  Abel  Jansen  Tasman  (1642),  und  weil  auch  schon  im  Norden  von 
Australien  ein  Van  Diemen's-Land  liegt. 


474 

ralien  ist  Neu-Seeland  reich;  Steinkohlen  und  Eisen  werden  auf  der  Nord-,  Ku- 
pfer  und  Gold  auf  der  Sud-Insel  gefunden.  Das  Klima  ist  oceanisch;  milde 
Winter,  kuhle  Sommer;  Nebel  und  Orkane  haufig.  Das  Thermometer  sinkt  sel- 
ten  auf  -4-6°  und  steigt  nicht  leicht  iiber  +  24"  R.  —  Orte  sind:  Nelson 
(9000);  —  Canterbury  (7000)  au  der  Ostkiiste,  starke  Ausfuhr  von  Wolle;  — 
die  schottische  Kolonie  Ottago  (4000),  gleichfalls  an  der  Ostkiiste. 

Auch  die  Stewart- Insel  ist  bewohnt,  und  reich  an  Borstenvieh  und  Gefliigel. 
Englisch  sind  ferners  mehrere  Inseln  und  Gruppen,  die  um  Neu-Seeland  her 
zerstreut  sind.  (Kermandec-,  Chatam-  [spr.  Tschattamm]  Inseln  ,  dann  Bounty 
[spr.  Baunti),  Campbell,  Macquarieu.  a.  m.  Die  meisten  sind  unbewohnt, 
nur  Stationsplatze  fiir  Wallfisch-  und  Robbenfanger.) 

3.  Das  franz&sisrhe  GouviTiieinent  Ncn-Caledonicn  mit  der  gleichnamigen 
Insel  und  dem  Hafen  Balade  (Porte  de  France),  dann  den  Loyalty-  (spr. 
Leualti)  Inseln,  von  Menschenfressern  (Papuas)  bewohnt,  an  denen  die  Bekeh- 
rungsversuche  der  franzosischen  Missionare  nur  sehr  geringe  Fortschritte  machen. 
Auf  den  Loyalty-Inseln  waren  Gotzendienst  und  Menschenfresserei  im  Jahre  1855 
schon  ausgerottet. 

4  Die  nt'uen  Hebriden  sind  hohe  Gebirgs-  und  Wald-Iiiseln,  die  Kiistenstriche 
nieder  uud  ausserordentlich  fruchtbar.  Im  Innern  Vulkane  und  heisse  Quellen.  Die 
Bevb'lkerung  bilden  Papuas,  wilde  Menschenfresser.  Auf  einigen  Inseln  hat  das 
Christenthum  Eingang  gefunden,  auf  den  meisten  aber,  ist  der  Boden  mit  Martyrer- 
blut  gediingt.  Die  grosste  Insel  istEspiritu  Santo  oder  nHeiligen-Geist-Insel." 

5.  Archipel  von  Santa   Ouz.     Die  grosseren  Inseln  sind  gebirgig  mit  thatigen 
Vulkanen,  die  kleineren  Flachholme,  von  Korallenriffen  umgeben.     Es  gedeihen 
Pisang ,  Kokospalmen ,   Bataten  und  andere  tropische  Gewachse.     Die  Bewohner 
sind  Papuas.  Die  grossten  Inseln  sind  Nitendi  und  Santa  Cruz. 

6.  Die  Salomons- Insoln,  noch  sebr  ungeniigend  bekannt,   ziehen   sich  in  zwei 
Reihen.     Die  grosste  ist  Bougainville  (dann:  Choiseul,  Isabel,  Malay ta,  Neu- 
Georgia,  Guadalcanal,  San  Cristoval).    Alle  Inseln  sind  gebirgig,  zum  Theil  vul- 
kanisch  (Lamas  8000');   die   Vegetation    ist  reich  und  iippig.     Die  Schiffahrt  ist 
wegen  der   zahlreichen    Korallenriffe   sehr    gefahrlich.     Die    menschenfressenden 
Papuas  sind  im  Verkehr  mit  den  Europaern  schlau  und  hinterlistig ,  im  Kampfe 
muthig  und  tapfer.     Vor  wenigen  Jahren  sind  alle  katholischen  Missionare  (aus 
Frankreich)  grausam  ermordet  worden. 

7.  Neil -Britannien    besteht    aus   mehreren    grosseren  und  kleineren  Inseln  (iiber 
TOO  O  Meilen) ,  welche  meist  gebirgig  und  waldig',    zum  Theil  vulkanisch  sind. 
Ueppige  Tropenvegetation,    zahlreiche   Thierwelt.     Die   Bevolkerung  gehort  dem 
Stamme  der  Papuas  an,    unter  denen   sich    katholische    Missionare  (aus  Italien) 
angesiedelt  haben.   Die  grossten  Inseln  sind :Neu   Britannien  (oder  B i r a r a) 
und  Neu-Irland  (oder  Tombara). 

8.  Die  Admiralitiits-Inseln,  eine  grossere,  die  Admiralitats-Insel,  undviele 
kleinere,  theils  hohe  und  waldige  Inseln,  theils  flache  Koralleneilande,  im  Ganzen 
noch  wenig  erkundet.     Die  Bewohner  sind  menschenfressende  Papuas. 

9.  Die  Louisiade,  eine  Kette  bergiger,    von  Papuas  bewohnter  Inseln,    die    sich 
als  Fortsetzung  von  Neu-Guinea  nach  Ostsiidost  ziehen.  Die  Gruppe  ist  noch  die 
unbekannteste,  kein  europaisches  Schiff  hat  hier  noch  gelandet. 

10.  Non-Guinea  (auf  12.600  n  Meilen  geschatzt).  Die  Insel  besteht  aus  einer  kom- 
pakten  Masse  im  Innern,  von  welcher  2  weitgestreckte  Halbinseln  nach  Westen 
und  Osten  auslaufen ;  die  erste  Halbinsel  ist  der  bekanuteste  Theil  von  Neu- 
Guinea,  sonst  kennen  wir  nur  erst  einzelne  Stellen  der  Kiistenrander.  Diese  sind 
iiberall  mit  dichten  Waldern  bedeckt  und  zeigen  die  iippigste  Vegetation.  Unter 
der  Thierwelt  sind  bemerkenswerth  die  prachtigsten  Vogel  der  Erde  (Paradies- 
vogel,  Korntaube).  Das  Innere  scheint  ein  hohes  Gebirgsland  zu  sein.  Die  un- 
gemein  hasslichen  Papuas  und  Alfurus  sind  Menschenfresser ,  kriegerisch  ,  doch 
stehen  sie  im  Westen  mit  den  Niederlandern  und  Chineseu  im  Handelsverkehr. 
Die  Niederlander  nehmen  den  Westtheil  der  Insel  in  Anspruch ,  und  habeii 
(im  August  1858)  wieder  eine  Expedition  dorthin  abgeschickt,  um  die  Insel  wis- 
senschaftlich  zu  erforschen  und  zu  kolonisiren.  Im  Hafen  von  Dorey  (Dori)  an 
der  Nordwestkttste  der  Geelvinks-Bai  soil  ein  Fort  angelegt  werden. 

B.  Der  aussere  Inselgiirtcl. 

1.  Die  Pelew-  (Palaos-)  Inseln  (im  Norden  von  Neu-Guinea,  im  Osten  von  den 
Philippinen).  Die  Gruppe  besteht  aus  mehreren  Attols,  welche  grossere  und 
kleinere  Inseln  umschliessen.  Die  grosste  ist  Babethuap. 


475 

2.  Die  Marianen  oder  Ladronen  (spanische  Kolonie,  etwa  57  nMei'cn  mit 
5500  Einwohnern).     Von  den  17  von  Norden  nach  Suden   sich  ziehenden  Inseln 
sind    nur  Guahan    und  Rota    (die  siidlichsten)    bewohnt.     Die    siidlichcn  sind 
fruchtbare,  hugelige  Kalkeilande,  an  den  flachen  Kiisten  mit  Korallemiffen  um- 
geben,    hinter  denen  schone  Hafen  liegen;  die  nordlichen  sind  steil ,  bergig  und 
vulkanisch.     Die  Bewohner    (ein  Gemisch    von    Ureinwohnern    der    Philippinen, 
Spaniern  und  Indianern  aus  Peru,  —  Ureinwohner  gibt  es  nicht   mehr)    treiben 
Landban.     Hauptort  ist  Agana  (auf  Guahan,  2000  Einwohner). 

3.  Die  Carolinen,  an  400  grossere  und  kleinere  Lagunen-Inseln  von  korallinischer 
Natur.     Auf  mehreren  erheben  sich  Vulkane.    Das  Hauptgewachs  ist  der  Brod- 
fruchtbaum.     Die  Einwohner,  malayischer  Race,    stehen  unter  kleinen  KSnigen, 
zeichnen  sich  durch  Handelsverkehr  (nach  Guahan)    und    kuhne  Seefahrten  aus, 
und  sind  friedlicher  Natur. 

4.  Der  Lord  Mulgrave's-Archipel  (oder  anch  ,,Central-Archipel'-)  besteht 
aus    2  Inselgruppen :    1)  die  Marschalls-Inseln,    welche    aus    2  parallelen 
Reihen    von  Attols    (einer  ostlichen  und  einer  westlichen  Reihe)  bestehen,    und 
deren  Bewohner    als    freundlich    und    milde  geschildert  werden.  —  2.  Die  Gil- 
berts-Inseln  zerfallen  in  eine  n5rdliche  und  eine  sudliche  Reihe.  Die  hochste 
dicser  Korallen- Inseln  ragt  nicht  iiber    20'  iiber  den  Meeresspiegel.     Die  Vege- 
tation ist  durftig;    die  Bewohner   sind  wie    auf    den  Marschalls-Inseln,    stehen 
jedoch  in  fast  ear  keinem  Verkehr  mit  den  Europaern. 

5.  Die  Schiffer-Inseln  (oder  Sam o  a- Inseln,  Navigat  or  en),  alle  vulkanischen 
Ursprungs ,    hoch  und  bergig,  die  KQsten  steil  und  sicher,  KorallenrifFe    selten. 
Die  grSsste  (westllchste)  ist  Sawaii;  die  wichtigste  am  meisten  bevolkerte  Insel 
ist  Upolu.     Ueberall   frucbtbarer  Boden,    prachtvolle    Tropenwalder.     Die  Be- 
wohner sind  (in  den  letzten  30  Jahren)  fast  sammtlich  zum  Christenthume  bekehrt 
worden;  es  bestehen  zahlreiche  katholische  Kirchen  und  protestantische  Bethauser, 
150  Wochen-  und  147  Sonutagsschulen.     ..Die  Leute  verlangen  nur  Missionare, 
Biicher,  Federn,  Tinte,  Schreibtafeln  und  Papier ;  es  ist  vergeblich,  Flinten  und 
Pulver  zu  Markte  zu  bringen"  —  lautete  der  Bericht  eines  englischen  Capitains. 

(3,  Die  Frenndschafts-  Inseln  oder  die  Tonga- Gruppe  sind  meist  niedere 
Korallen -Inseln,  einige  darnnter  jedoch  hohe  vnlkanische  Gebirgsinseln ,  mit 
reicher  Vegetation  und  grosser  Fruchtbarkeit.  Sie  zerfallen  in  drei  Grnppen. 
In  der  nordlichen  ist  Vavao  die  gr6sste,  in  der  mittleren  Namuka,  in  der 
sudlichen  Tongatabu  mit  dern  Hauptorte  Nikualofa.  Die  Bewohner  waren 
unter  alien  Inselv61kern  des  Oceans  in  der  Kultur  am  meisten  vorgeschritten. 
Sie  leben  in  kleinen  Staaten ,  treiben  Feldbau,  Fischerei,  zeichnen  sich  durch 
nicht  geringc  Kunstfertigkeit  aus,  und  sind  fast  sammtlich  Christen,  welche  zahl- 
reiche Gotteshauser  haben.  Auf  den  nSrdlicben  und  mittleren  sind  uberwiegend 
Protestanten  ,  auf  der  siidlichen  Katholiken. 

7.  Der  Fidschi-Archipel    besteht  aus  vielen  Inseln,  von  denen  die  grosseren  vul- 
kanisch und  gebirgig,  die  kleineren  Koralleninseln  sind.  Unter  der  uppigen  Tropen- 
vegetation  bildet  das  Sandelholz  den  ansehnlichsten  Artikel.  Die  Bewohner  treiben 
Landbau  und  leben  in  vielen  kleinen  Staaten.  Das  Christenthum  gewinnt  stets  an 
Ausbreitung  und  mit  ihm  Civilisation  und  Kultur.  Die  grSsste  Insel  ist  W  i  t  i  -  L  e  w  u. 

Die  Walli  s -Inselgruppe    mit  der  prachtvollen  Vegetation    steht   unter  dem 
Protektorate  Frankreichs. 

8.  Die   Cooks-    (spr.   Kuhk's)  Inseln    (oder  Hervey-Gruppe)    sind   niedere 
Koralleninseln,    nur  die  Hauptinsel  Rarotonga   ist   gebirgig   und    vulkanisch, 
mit  breiten,  sehr  fruchtbaren  und    gut   bewasserten  Kustenebenen ,    die    bewohnt 
und    angebaut   sind.     Die  Bewohner  sind    zum    Christenthume    bekehrt,    treiben 
Landbau,  verfertigen   hiibsche  Zeuge,  europaische  Gerathschaften,  Kleider,    kurz, 
schreiten  in  der  Kultur  rasch  vorwarts.     Die  ganz    gleichen  Verhaltnisse    finden 
sich  auf  dem  Tubai-Archipel  oder  den  Austral-Inseln. 

f».  Die  ftesellschafts-  (oder  Societats-)  Inseln  oder  Tahiti  -  Archipel. 
Alle  Inseln  sind  hoch  und  bergig,  vulkanischer  Natur,  von  Korallenriffen  umge- 
ben.  Von  den  fruchtbaren,  gut  angebauten  Kustenebenen  steigt  das  Land  in  Ter- 
rassen  bis  zu  den  dichtbewaldeten  Gebirgen  hinan.  Die  Vegetation  ist  ebenso 
iippig  als  prachtvoll,  das  Klima  angenehm  und  gesund ,  der  Reichthum  an  Kul- 
turpflanzen  sehr  gross.  Diesem  freundlichem  Gemalde  entsprechen  auch  die  gast- 
lichen  milden  Bewohner.  Das  Christenthum  hat  milde  Sitten  und  Redlichkeit  er- 
zeugt ;  Menschenopfer  und  andere  Grauel  und  Laster  sind  verschwunden ;  kurz, 
die  beseligenden  Wirkungen  des  Christenthums  treten  bier  besonders  lebendig 


476 

hervor.  Es  gibt  schon  zahlreiche  Kirchen,  Schulen,  Buchdruekereien  fiir  Biicher 
in  der  Landessprache,  hiibsche  Hauser  und  Orte,  Fabriken ,  religiose,  politische 
und  burgerliche  Gesetze ,  ein  regelmassig  gerichtliches  Verfahren  u.  s.  w.  Und 
so  grosse  Erfolge  sind  seit  der  Bekehrung  des  verstorbenen  Kb'nigs  Poraare  II. 
im  Jahre  1813  erzielt  worden  !  Jetzt  ist  es  ein  geordnetes,  christliches  Konigreicli.  — 
Die  bedeutendsten  Inseln  sind;  Tahiti,  Maitea  und  Eimeo.  Die  Hafenstadt 
Papaiti  (oder  Papiti)  ist  Sitz  des  franzosischen  Gouverneurs ,  da  Frankreich 
iiber  die  b'stliehe  Gruppe  der  Inseln  (,,uber  demWinde")  das  Protektorat  ausiibt. 
Die  Konigin  (Pom are)  herrscht  unumschrankt  noch  iiber  die  westliche  Gruppe 
(Inseln  nunter  dem  Winde")  und  residirt  zu  Utumadro  auf  derlnsel  Eajatea. 

10.  Pauinotu-Archipel  (auch  rPerlen -Inseln,"  —  nNiedrige"  oderrGefahr- 
liche  Inseln").     Dieser  Archipel    besteht    aus  etwa  80  Attols ,    welche  kleine, 
langliche  Inseln  einschliessen.     Alle  sind  sehr  flach ,    der  Boden   ist   sandig  und 
kalkig    mit   diinner  Erdschichte   und    leidet  Wassermangel.     Bei   der    sparlichen 
Vegetation  leben  die  Bewohner,  welche    im  Ganzen  den  Tahitiern    ahnlich    sind, 
kiimmerlich  vom  Fischfang  oder  dienen    den  Schiffen    in   diesen  hochst  gefahrli- 
chen  Gewassern.     Die  ansehnlichste  ist  die  vulkanische  Insel  Pitcaire,  welche 
jedoch  nuran  zwei  Puncten  eine  Landung  zulasst.  —  Die  Gam  bier-  oder  Ma n- 
gareva-Gruppe  stehtunter  franzb'sischem  Protektorate ;  die  Bewohuer  sind 
romisch-katholisch. 

11.  Die  Mendaiia- oder  MarqiiesaK-Inseln  sind  franzosiscb.es  Besitzthum. 
Die    siidliche  Gruppe   heisst    Marquesas-    oder  Nukahiwa -,    die   nb'rdliche 
W  a  s  h  i  n  g  t  o  n  -  Archipel.  Es  sind  durchgehends  gebirgige,  vulkanische  Inseln  mit 
heissem,  doch  gesimdem  Klima.     Im  Innern   gibt  es  gut   bewasserte ,    fruchtbare 
Thaler  mit  heniicher  Vegetation ;  die  Landschaften  sind  dicht  bevolkert  von  den 
schb'nsten  und  kraftigsten  aller  Oceanier ;  sie  sind  jedoch  wild,  kriegerisch ,    der 
Kultur  fast  unzuganglich  und  Menschenfresser.     Nur  ein   geringer  Theil  ist  zuin 
Christenthume  bekehrt  und  dadurch  fiir  die  Civilisation  zuganglich  gemacht  wor- 
den. Der  Hauptverkehr  ist  in  Tahuata  auf  Nukahiwa  concentrirt.  Zwei  Inseln 
sind  zu  franzosischen  Deportationsorteu  bestimmt. 

12.  Der  Sandwich-  (spr.  Sanduitsch)  Archipel  (oder  Hawaii -Inseln).     Diese 
Gruppe  besteht  aus  14,  darunter  4   grosseren  Inseln  ;    alle  vulkanischer  Gebirgs- 
natur,  mit  Steilkusten  aber  wenig  guten  Hafen.     Die  grbsste  Insel  Hawaii  oder 
Owaihi  (187  Q  Meilen)  ist  im  Innern  Hochland,  welches   im  Westen  steil  zur 
Kiiste  abfallt,  gegen  die  iibrigen  Kiisten  aber  sich    zur  fruchtbaren  Ebene  senkt. 
Das  Hochland  ist  waldig,  die  Thaler  dagegen  sind  fruchtbar.     Aus  der  Hochebene 
erhebenj  sich  die  machtigsten  thatigen  Vulkane  der  Siidsee  :  Maun  a  K e a  (12.800'), 
Mauna    Roa  (12.000')    Hualai  u.  a.  ;  auf   der   Insel   Maui    erhebt    sich    der 
Halaa  Kala  (10.000).    In  dem  gleichf  b'rmig  tropischen  Seeklima  gedeihen  Tro- 
pengewachse,  sowie  eingefiihrte  Pflanzen ;  auch  sind  alle  europaischen  Hausthiere 
einheimisch  geworden.     Die  Bevb'lkerung  ist  (seit  dem  Jahre  1820)  fast  ganzlich 
zum  Christenthmne  bekehrt  und    fiir  die   europaische  Bildtuig  gewonnen  worden, 
welche    ungemeine  Fortschritte  macht.     Die  Inseln    bilden    ein    christliches  Erb- 
kb'nigreich  mit  europaischen  Staats-Einrichtungen.     Landbau,  Viehzucht,  mehrere 
Gewerbe  und  Handel  werden  mit  Erfolg  betrieben ;   namentlich   ist    die  giinstige 
geographische  Lage  auf  dem  Wege  von  Amerika  nach  China  fiir  den  Seeverkehr 
von  hoher  Bedeutung.     Zahlreiche  Schuleu,  nach  europaischem  Muster ,  erfreuen 
sich  ernes  wahrhaften  Zudranges  von  Jung  und  Alt ;  christliche  Biicher  und  Zei- 
tungen  erschehien  in  der  Landessprache  ;  kurz,  der  ausgestreute  Same    des    ver- 
edelnden  und  beseligenden  Christentluuns  tragt  schon  in  so  kurzer  Zeit  segensreiche 
Friichte.     DieHaupt-  und  Eesidenzstadt Honolulu  (12.000)  auf  der  Insel  Oahu 
ist    ganz    europaisch    eingerichtet.     Das  Eegierungsgebaude,  das  Reprasentauten- 
haus,  der  Kbnigspalast,  zahbreiche  Kirchen,  Kaufladen,  das  Waisenhaus,  die  Forts 
zeichnen  sich   durch    die  Bauart  aus.     Der  Handel    der  Siidseeinseln    concentrirt 
sich  inimer  mehr  in  dieser  Stadt.  —  La  bain  a,  auf  der  Insel  Maui,  10000  Ein- 
wohnerii,    ist  nach  Honolulu    der    grosste  Handelsplatz  ;  in  der  nHohen  Schule" 
werden  die  europaischen  Wissenschaften  gelehrt.       Ausserdem  gibt  es  zahlreiche 
Ortschaften  iind  Missions-Statiouen. 

13.  Vollig    i.solirt   und    am    weitesten    gegen    Osten    liegen :    die    Oster-Iusel    und 
Sala  V   Gomez.    Die  Erste  ist  eine  gebirgige,  vulkanische,  schwer  zugangliche 
Insel,  deren  Bewohner  (etwa  2000)  ziemlich  regelmassige  Wohntiugen  und  Pflan- 
zungen  haben,  Korbe  und  Zeuge  verfertigen ;    die  Zweite  nragt  aus  den  Fluthen 
—  ein  Steingestell,  ohn'  alles  Gras  und  Moos";  nur  zahllose  Schwarme  von  See- 
vogeln  haben  hier  ihren  Aufenthalt. 


I  n  halt. 


Scite 
Kiiilcitiing.     §.  1.  Allgemeine  Vorbegriffe 1 

I.  Astronomischc  (icogrnphic 2 — 9 

A.  Die    Erde    als    mathematischer   Korper.     §.2.  Vorbegriffc 
S.  2.  —  §.  3.  Grossenverhaltnisse  S.  3.  —  §.'4.  Entfernung  einzelner 
Punkte  auf  der  Erdoberflache  S.  4. 

B.  Das    Verhaltniss    der   Erde    zur    Sonne.     §.  5.  Vorbegriffe 
S.  6.  —  §.  6.  Bewegung  der  Erde  S.  6.  —  §.  7.  Tages-  und  Jahres- 
zeiten  S.  7.  —  §.  8.  Das  Planetensystem  S.  8. 

II.  Topisohe  (icograpliie , 10—67 

§.  9.  Kaumliche  Verhaltnisse  im  Allgemeinen  S.  10.  —  §.  10.  Die 
Meeresraume  im  Allgemeinen  S.  10.  —  §.11.  Die  Landmasse  im 
Allgemeinen  S.  11. 

A.  Beschreibung  der  Meere.  §.  12.  Das  nordliche  Eismeer  S.  12. 
—  §.  13.  Das  siidliche  Eismeer  S.  13.  —  §.  14.  Der  indische  Ocean 
S.  13.  —  §.  15.  Der  atlantische  Ocean  S.  14.  —    §.  Ifi.  Der  grosse 
Ocean  S.  17. 

B.  Beschreibung  der  Erdtheile.  §.  17.  Die  horizontale  Glie- 
dernng   Europas  S.  18.  —  §.  18.  Die   horizontale  Gliederung  Asiens 
S.  18.  —  §.  19.  Die  horizontale  Gliedertmg  Afrikas  S.  19.  —  §.  20. 
Die  horizontale  Gliederung  Amerikas  S.  19.  —   §.'21.  Die  horizon- 
tale  Gliedemng  Australiens  S.  20.  —  §.  22.  Die  horizontale  Gliede- 
rung der  Erdtheile  im  Allgemeinen  S.  20. —  §.23.  Die  vertikale 
Gliederung  S.  21.  —   §.  24.  Die  vertikale  Gliederung  von  Europa 
S.  22.  —    §.  25.    Uebersicht  des  europaischen  Gebirgslandes  (a.  Im 
kontinentalen   Dreiecke)    S.  22.  —    §.  20.    Fortsetzung   (A.  Die|  ge- 
trennten    Gebirgsglieder    Europas)    S.  32.  —    §.  27.    Das    Tiefland 
von  Europa  S.  34.  —  §.  28.   Die  vertikale  Gliederung  von  Asien 
S.  34.  —    §.  29.    Das  Hochland  von  Hinter-Asien  S.  35.  —    §.  30. 
Das  Hochland  von  Vorder- Asien    S.  36.  —    §.  31.    Die    getrennten 
und  auslaufenden  Gebirgsglieder  in  Asien  S.  36.  —  §.  32.  Die  Stu- 
fen-  und  Tief-Lander  in  Asien  S.  38.  —   §.  33.  Die  vertikale  Glie- 
derung von  Afrika  S.  38.  —  §.  34.  Hoch-Afrika  S.  38.  —  §.  35.  Die 
getrennten  Gebirgsglieder  in  Afrika  S.  39.  —  §.  36.  Die  Tief-  und 
Stufen-Lander  in  Afrika  S.  40.  —    §.  37.    Die  vertikale  Gliederung 
von  Amerika  S.  41.  —  §.  38.  Die  Cordilleren  S.  41.  —  §.  39.  Die 
getrennten  Gebirgsglieder   von  Amerika    S.  44.  —    §.  40.  Die  Tief- 
lander  in  Amerika   S.  45.  —    §.41.    Die   vertikale  Gliedemng  von 
Australien  S.  45. 

C.  Beschreibung  der  Gewasser  des  Festlandes.    §.42.  Vor- 
begriffe   S.  46.  —    §.43.    Das  Flussgeader  in  Europa    S.  48.  - 
§.  44.   Landseen  von  Europa   S.  57.  —    §.  45.    Das  Flussgeader  in 
Asien  S.  58.  —    §.  46.  Landseen  von  Asien  S.  HI.  —    §.  47.  Das 
Flussgeader  in  Afrika  S.  61.  —  §.48.  Landseen  in  Afrika  S.  63. 
—  §.  49.  Das  Flussgeader  in  Amerika  S.  63.  —  §.  50.  Landseen 
von  Amerika  S,  <>6.  —  §.  51.  Die  GewSsser  von  Australien  S.67. 


Seite 

III.  Physische  Geographie.    §.  52.  Vorbegriffe 68-89 

A.  Die  Luft.     §.53.  Allgemeines  S.  68.  —  §.54.  Geographische  Ver- 
breitung  der    Warme  nach   horizontaler  Ausdehuung    S.  68.  — 
§.  55.  Geographische  Vertheilung  der  Warme  in  vertikaler  Kich- 
tung   S.  70.  —    §.  56.   Winde   S.  70.  —    §.  57.   Lufterscheinungen 
S.  72. 

B.  Das  Wasser.     §.58.    Zur  Physik  des  Oceans    S.  74.  —    §.  59. 
Die  Bewegungen  des  Meeres  S.  75.  —  §.  60.  Einige  der  gebrauch- 
lichsten,   auf  die  Schiifahrt  beziiglichen  Seemanns-Ausdriicke 
S.  77. 

C.  Das  Land.     §.  61.   Der  Ban  der  Erdrinde  S.  80.  —    §.  62.  Ver- 
breitung  der  Miner  alien  S.  81.  —    §.  63.  Die  vulkanische  Tha- 
tigkeit    der   Erde    S.  81.  —    §.  64.    Physische    Beschaffenheit   des 
Flachlandes  S.  83.  —  §.65.  Geographische  Verbreitung  der  Pflan- 
zen    S.  84.    —    §.  66.    Geographische   Verbreitung  der  T  hi  ere 
S.  F~. 

IV.  Polftische  Geographie. : 90—96 

§.  67.  Die  Bevolkerung  der  Erde  im  Allgemeinen  S.  90.  —  §.  68. 
Die  Bevolkerung  der  Erde  nach  ihren  korperlichen  Verschie- 
denheiten  S.  90.  —  §.  69.  Die  Bevolkerung  der  Erde  nach  ihren 

feistigen    Verschiedenheiten.  1.  Die  Sprache   S.  91.  —    §•  70. 
'ortsetzung.  2.  Die  Eeligion  S.  92.  —  §.  71.  Fortsetzung.  3.  Der 
Kulturgrad  S.  93.  —    §.  72.  Schluss.    4.  Die  Staatsverhalt- 
nisse  S.  94. 

Staaten  von  Europa  —  Das  Kaiserthum  Oesterreich .  • 97—183 

A.  Die    Monarchic    im    Allgemeinen.     §.  73.    Lage,    Grenzen, 
Grosse    S.  97.    —    §.  74.    Bestendtheile    der   Monarchic   S.  97.    — 
§.  75.    Bodenverhaltnisse    und    Klima    im    Allgemeinen    S.  98.  — 
§.  76.  Gewasser  S.  101.  —  §.  77.  Fortsetzung  S.  105.  —  §.  78.  Be- 
volkerung S.  106.  —    §.  79.  Kulturverhaltnisse  im  Allgemei- 
nen S.  106. 

B.  Die  einzelnen  Bestandtheile  der  Monarchic.     §.80.  Nie- 
derosterreich    S.  109.  —    §.  81.    Oberosterreich    S.  113.  —    §.  82. 
Salzburg    S.  115.  —    §.  83.  Steiermark  S.  117.  —   §.  84.  Karnten 
S.  121.  —    §.  85.  Krain  S.  124.  —   §.  86.  Kiistenland   S.  127.  — 
§.  87.  Tirol  und  Vorarlberg  S.  130.  —    §.  88.  Bohmen  S.  133.  — 
§.  89.  Mahren  S.  139.  —  §.  90.  Schlesien  S,  142.  —    §.  91.  Gali- 
zien  S.  145.  —  §.  92.  Bukowina  S.  150.  —  §.  93.  Dalmatien  S.  152. 
—  §.  94.   Kroatien  und  Slavonien  S.  156.  —    §.  95.   Militargrenze 
S.  159.  —    §.  96.    Serbien  und    Banat   S.  163.  —    §.  97.    Ungarn 
S.  165.  —  §.  98.  Siebenbiirgen  S.  174.  —  §.  99.  —  Das  Lombardisch- 
Venetianische  Konigreich  S.  178. 

Dentschland 183—253 

A.  Deutschland   im  Allgemeinen.     §.  100.   Bestandtheile.   Be- 
volkerung S.  183.  —  §.  101.  Bodenverhaltnisse  und  Klima  im  All- 
gemeinen S.  185.  —  §.  102.  Gewasser  S.  186.  —  §.  103.  Kulturver- 
haltnisse im  Allgemeinen   S.  188. 

B.  Die    einzelnen    Staaten     Deutschlands.      §.    104.    Baiern 
S.  190.  —  §.  105.  Wiirttemberg  S.  195.  —  §.  106.  Baden  S.  198. 
—  §.  107.  Liechtenstein  S.  201.  —    §.  108.  Kurhessen   S.  202,  — 
§.  109.    Hessen- Darmstadt    S.  204.  —    §.  110.    Hessen  -  Homburg 
S.  206.  —    §.  111.  Nassau  S.  206.  —   §.  112.  Frankfurt  am  Main 
S.  208.  —    §.113.  Waldeck   S.  209.  —    §.114.    Luxemburg  und 
Limburg  S.  210.  —  §.   115.  Sachsen   S.  210.  —  §.  116.    Sachsen- 
Weimar- Eisenach  S.  215.  —   §.  117.  Sachsen-Meiningen-Hildburg- 
hausen  '  S.  216.    —    §.  118.    Sachsen  -  Koburg  -  Gotha    S.  217.    - 


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Seite 

§.  119.  Sachsen-Altenburg  S.218.  —  §.  120.  Schwarzburg-Sonders- 
liausen  S.  219.  —  §.  121.  Schwarzburg-Rudolstadt  S.  220.  —  §.  122. 
Reuss-Greiz  S.  220.  —  §.  123.  Reuss-Schleiz  S.  221.  —  §.  124. 
Preussen  S.  222.  —  §.  125.  Hannover  S.  231.  —  §.  126.  Oldenburg 
S.  236.  —  §.  127.  Braunschweig  S.  238.  —  §.  128.  Lippe-Dettmold 
S.  241.  —  §.  129.  Lippe-Schaumburg  S.  242.  —  §.  130.  Anhalt- 
Dessau-Kothen  S.  242.  —  §.  131.  Anhalt  -  Bernburg  S.  243.  — 
§.  132.  Mecklenburg  -  Schwerin  S.  244.  —  §.  133.  Mecklenburg- 
Strelitz  S.  246.  -  §.  135.  Liibeck  S.  247.  -  §.  136.  Bremen  S.  249. 
—  §.  137.  Hamburg  S.  251. 

Die  Schweiz 253—263 

Italienische  Staaten 263—274 

Das  Konigreich  Spanien „ 275—282 

Das  Konigreich  Portugal 282—285 

Das  Kaiserthum  Frankreich 285—303 

Das  Konigreich  Belgien 303—309 

Das  Konigreich  der  Niederlande 310—315 

Das  Konigreich  Grossbritannien 316 — 332 

Das  Konigreich  Danemark 332—336 

Die  Konigreiche  Schweden  und  Norwegen . .   336—342 

Das  Kaiserthum  Russland 342—362 

Republik  der  jonischen  Inseln 362—364 

Das  Konigreich  Griechenland 364—368 

Das  osmanische  Kaiserreich 368—374 

Staaten  von  Asieil.     Staatenbildungen ;  die  Staaten  Asiens 375 

Die  asiatische  Tiirkei 376—382 

Arabien 382—384 

Iran  (Persien  S.  384;  Afghanistan  und  Beludschistan  S.  386) 384-387 

Vorder-Indien 387—393 

Hinter-Indien 393—395 

Indischer  Archipel „ 395—398 

China 398—402 

Japan 402 — 404 

Turkestan 404—405 

Asiatisches  Russland 405—408 

Staaten  von  Afrika.     Staatenbildungen 409 

Vicekonigreich  Aegypten  (Aegypten,  Nubien  init  Senaar  und  Kordofan)  409 

Habesch  oder  Abyssinien 413 

Die  Berberei  (Tripolis  und  Tunis  S.  414,  Algier  S.  415,  Marokko 

S.  416) 414 

Die  Sahara 417 

Sudan  oder  Nigritien 419 

Lander  und  Staaten  an  der  Westkiiste  (Senegainbien  S.  421,  Ober- 

Guinea  S.  421,  Nieder-Guinea  S.  422) 421 

Das  Kapland 423 

Lander  und  Staaten  anlder  Ostkuste  (Kafern-,  Suaheli-  und  Somal- 

Land) 424 

Das  siidafrikanische  Hochland „ 425 

Die  afrikanischen  Inseln .  . .  425 


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Seite 

Staatcn  von  Amerika 427 

A.  Nord-Amerika.     §.  174.  Gronland  S.  427.  —    §.  175.  Das  bri- 
tische  Nord-Amerika  S.  427.  —  §.  176.  Das  russische  Nord-Amerika 
S.  430.  —  §.  177.  Die  Vereinigten  Staaten  von  Nord-Amerika  S.  431. 

B.  Mitt  el -Amerika.     §.  178.    Die    Republik    Mexiko    S.  445.  — 
§.  179.  Central-amerikanische  Republiken  S.  447.  —  §.  ISO.  West- 
Indien  S.  449. 

C.  Siid- Amerika.  §.181.—  §.  182.  Der  tropische  Norden  von  Siid- 
Amerika  S.  453.   —  §.  183.  Der  tropische  Siiden  von  Siid-Amerika 
S.  456.  —  §.  184.  Der  aussertropische  Siiden  von  Siid-Amerika  S.  4G3 

Australian • 468 

§.- 185.  Das  Festland  Australien  S.  468.  —  §.  186.  Die  australischen 
Inseln  S.  473. 

A.  Der  innere  Inselgiirtel 473 

B.  Der  ausscre  Inselgiirtel 474 


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