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Allgemeine
und
Handels-Geographie.
Ein Lehrbuch
fur kommerzielle und tcchnische Lehranstalten, fur Raufleutc und Industrielle
•
von
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Dr. V. F. KLUN,
Professor der Geographic und Statiitik an der Wiener Handels-Akademie etc. etc.
Zweite verbesserte Auflage.
1. Theil: Allgemeine Geographic.
WIEN.
Druck und Verlag von Carl Gerold's Sohn.
1860.
Allgemeine
GEOGRAPHIE.
Von
Prof. Dr. V. F. RLT.V
Zweite verbesserte Auflage.
WIEN.
Druck undVerlag von Carl Gerold's Sohn.
1860.
•! f if 1
Seiner Ilocliwolilgeboren,
HERRN HERRN
Medrich Schey, Edlen von Koromla,
PrSsidenten des Verwaltungsrathes der Wiener Handels-Akademie,
grossherzogl. hessischen General-Consul, Commandenr des grossherzogl. hessischen Philipp-Ordens, dcs kon. gric-
<"hischen Erloser- and des kon. hannorer'schen Guelphen-Ordens, Censor der priv. osterr. Nationalbank, Verwaltnngs-
rath der Kaiserin Etisabeth-Westbahn, der k. k. priv. Theissbahn und der n. o. Escompte-Gesellschaft, k. k. Bor-
senrath, Mitglied der n. o. Handels- und Gewerbebmmer, der Inventur- und Schatzungs-Commission ett.
in besonderer Hochachtnng
gewidmet
Ver f asser.
11797v59
Yorrede zur ersten Auflage.
Jedes Lehrbuch soil aus der Schule hervorgehen. Nur die
gemachten Erfahrungen sind massgebend in Bezug auf das Was
und das Wie des zu behandelnden Stoffes, d. h. wie viel aus dem
Gesammtschatze der Wissenschaft herausgehoben, - - in welcher
Form das Herausgehobene zu einera Ganzen verbunden und der
Jugend geboten werden soil.
Bei Verfassung des vorliegenden Lehrbuches hatte ich zu-
nachst jene Kategorie unserer Mittelschulen vor Augen , welche
unmittelbar fur das Leben, fiir den Verkehr in Handel und
Gewerbe die Jugend vorbereiten , d. h. unsere Handels- und
Realschulen. — Fiir das »Wie viel" des zu behandelnden
Stoffes war mir das im Organisations-Statute der osterreichischen
Realschulen ausgesprochene MZiel" massgebend , namlich : »Ueber-
sichtliche Kenntniss der Erdoberflache nach ihrer natiirlichen und
politischen Eintheilung und nach ihren fur Gewerbe und Handel
wichtigsten Beziehungen. Genauere Kenntniss des osterreichischen
Staates." In der obersten Klasse wird ein tieferes Eingehen in die
Handels- und Industrie - Statistik Oesterreichs »im Vergleiche mit
den ubrigen Hauptstaaten" gefordert.
Nach dieser Feststellung des Standpunktes und desAus-
masses des zu behandelnden Stoffes kame die Frage des »Wie"
oder die Methode der Darstellung und Behandlung zu besprechen.
Das Wachsthum der geographischen Wissenschaft und die Theorie
ihrer Behandlungsweise sind stets Hand in Hand gegangen ; hier
handelt es eich jedoch zunachst um die in einem Schulbuche
zu beachtende Methode. Ich schliesse mich im Allgemeinen jenen
Lehrern an, welche fQr die Volksschule ein syn t h e tisches
Verfahren , fur die reifere Altersstufe hingegen die analy-
tische Methode als passend befflrworten. Da vorliegendes Buch
fur die ^reifere Alterss tufe" berechnet ist, so habe ich den
topischen Theil , die Grundlage des ganzen geographischen Unter-
richtes , zusammenhangend behandelt. Nur durch das Zusarnmen-
VIII
fassen der zusammengehorigen Theile gewinnt der Schiller eine
Total- Uebersicht ; — die Zerstuckelung der Gebirge , des Flussge-
aders, iiberhaupt der natiirlich zusammenhangenden Gebiete kann
hingegen niemals einen Ueberblick gewahren und erschwert jede
Vergleichung, welche allein ein tieferes Eindringen ermoglicht.
Dass bei der Beleuchtung der horizontalen und vertikalen Verhalt-
nisse , bei der Oro- und Hydrographie auf deren Einfluss fiir den
Verkehr besonders hingewiesen wurde, ist durch den bezeichneten
Standpunkt des Verfassers begriindet. — Besitzeri die Schiller eine
moglichst klare Uebersicht der Erdoberflache, dann gehe der Lehrer
zur Betrachtung der Theile der Erdrinde und der Naturgegenstande
auf dereelben nach ihrer inneren natiirlichen Verbindung und Ver-
wandtschaft, d, h. auf die physische Geographic, welche wohl erst
dann mit Erfolg gelehrt werden kann , wenn die Schiller auf der
Karte im grossen Ganzen sich zu orientiren vermogen.
In der politischen Geographic ist auf die Betrachtung der
physischen und technischen Kultur der Schwerpunkt ge-
legt worden. In wenigen, moglichst scharfen Ziigen suchte ich die
natiirliche Beschafienheit des Bodens zu charakterisiren ; auf diese
sich stiitzend folgt die Beleuchtung der Tbatigkeit der Menschen
in Hinsicht anf Landwirthschaft , Gewerbe und Handel und zum
Schlusse mit wenigen Strichen ein Bild der geistigen Kultur.
Mein Streben war , statt der trockenen Aufzahlung von ,,Merkwiir-
digkeiten," iiberall ein ,,Kulturbild von Land und Leuten"
zu geben. Hier war allerdings ein Masshalten in Zahlenangaben
u. dgl. dringend geboten; randernseits aber sind eben Zahlen der
Beweis fur das Vorwartsschreiten oder den Rtickschritt. Die sta-
tistischen Materialien haufen sich massenhaft; wir besitzen volu-
minose Compendien iiber einzelne Zweige der Statistik , aber fiir
wen? fiir Fachmanner! — Statt der nur unzusammenhangenden
Daten oder leeren Phrasen (,,gewerbreiche Stadt," — Mtreibt Han-
del" u. s. f.) sollen nun Baumaterialien fur ein selbststandiges Schaf-
fen geboten werden. Es liegt durchaus nicht in der Absicht des
Verfassers alle im Buche vorkommenden Angaben wauswendig
lernen" zu lassen; ein Lehrbuch soil nur das Materiale an die
Hand geben , welches die Schiller zu verarbeiten haben ; es soil
ihnen hiedurch Gelegenheit zur Selbstthatigkeit geboten
werden. Man lasse z. B. die Schiiler tabellarische Uebersichten
verfassen, das Analoge zusammenstellen und mit andern Staaten
vergleichen. Ich erlaube mir meine Ansicht an einem Artikel bei-
spielweise darzulegen und wahle ,,die Baumwolle," wobei nach und
IX
nach folgende Fragen zur Beantwortung kamen: Geographischer
Verbreitungsbezirk der Baumwolle; — die wichtigsten Produktions-
lander ; — Markte; — Wege, auf welchen, wohin und beilaufig in
welchen Quantitaten sie verfiihrt wird ; — Platze der Verarbeitung ;
— wesentliche Kennzeichen der Fabrikate in einzelnen Industrie-
kreisen ; — Uebersicht der Baumwoll - Industrie in Oesterreich, in
Deutschland, Frankreich u. s. f. ; — Uebersicht der Baumwoll-
Industrie in West-Europa; — Vergleich zwischen der deutschen
und f'ranzosischen Baumwoll-Industrie u. s. w. — Es gibt Hundert
Vergleichsraomente , die sich dem denkenden Lehrer aufdringen.
Haben die Schuler unter Anleitung des Lehrers nur Einen Indu-
striezweig ausgearbeitet, das Weitere kann man in dieser Richtung
getrost dem Privatfleisse iiberlassen. Es wird dadurch kein todter
Gedachtnisskram , sondern ein lebendiges , fruchtbares Wissen er-
zeugt. Der Schuler gewohnt sich an Selbstthatigkeit, die
gewonnenen Resultate sind wirklich seine selbststandige Arbeit.
Mit derlei vergleichen d en, s elb st standi ge n Arbeiten kann
sofort begonnen werden, sobald nur einige Partien vorgetragen wor-
den sind; in der Folge erweitern sich die Vergleiche und werdeu
um so anziehender und belehrender, je mehr Lander man nach und
nach zu vergleichen in der Lage ist. Wie interessant sind schon
die Vergleiche zwischen dem Westen und Osten Oesterreichs,
zwischen den industriellen Kronlandern mit den vorwiegend agri-
kolen. Dass zu derartigen Vergleichen nur die bedeutendsten In-
dustrie- und Handelsstaaten hervorzuheben , wahrend die minder
wichtigen mehr cursorisch zu behandeln waren (die aber wegen
der Vollstandigkeit in einem Lehrbuche doch moglichst genau be-
handelt werden miissen), versteht sich wohl von selbst. — In dieser
Weise behandelt wird das Lehrbuch , das ja niemals zum mecha-
nischen Memoriren verwendet werden darf, sicherlich nicht zu
viel enthalten.
Andernseits ist ein derartiges Lehrbuch kein ..Adressen-
buch," in welchem jede Fabrik u. dgl. verzeichnet stiiode; es soil
nur eine Charakteristik desLandes in seinen bedeu-
tendsten Beziehungen geben. Das gleiche gilt von Zahlen-
angaben, welche so haufig wechseln; an manchen Scellen habe ich
die Angaben aus mehrfachen Griinden in Prozenten ausgedriickt.
Eine ausfuhrlichere Hervorhebung und Verarbeitung des handels-
statistischen Materials , insbesondere der grosden Handelsstaaten,
mit spezieller Riicksicht auf Bezugs- und Absatzorte, Kouamunika-
tionen, das Bank- und Versicherungswesen, den Welthandel in den
bedeutendsten Natur- und Kunstprodukten u. s. f., wird im zwei-
ten (selbststandigen, zunachet nicht fiir die Mittelschule
bestimmten) Theile folgen, wobei ich das Verhaltniss der ,,Allge-
meinen" zur ,,Handelegeograpbie" darzulegen mich bestreben werde.
Dass Oesterreich ganz besonders beriicksichtigt wurde ist
wohl begreiflich ; sein Vaterland kennt man niemals zu
genau und die genauere Kenntniss des Vaterlandes erhoht noth-
wendigerweise die Liebe zu demselben. Zunachst wurde auf D eu t s ch-
land, das grosse Bruderland, spezielle Riicksicht genommen, sowie
auf die wichtigen Industri estaaten, wobei die zuganglichen
neuesten Daten als Grundlage der Betrachtungen nach Thunlich-
keit beniitzt worden sind.
In wie weit die That dem redlichen Willen entspricht mogen
kompetente Stimmen entscheiden ; fiir jede Belehrung werde ich
dankbar sein. Ebenso spreche ich den Herren Sekretaren der
osterreic hi schen Han delskammer n , welche mich durch
freundliche Mittheilungen unterstiitzten , meinen besten Dank aus.
Moge dieses Buch zum Besten des Aufbliihens unserer Schu-
len und dadurch des Gesammtvaterlandes auch ein bescheidenes
Scharflein beitragen.
Wien, 13. April 1860.
Der Verfasser.
Yorredezurzweiten Auflage.
Die gunstige Aufnahme , deren sich dieses Lehrbuch sowohl
bei Schulmannern als auch in kommerziellen und industriellen
Kreisen erfreute , machte schon nach wenigen Monaten eine neue
Auflage nothwendig, und zwar noch vor dem Erscheinen des 2, Ban-
des des Werkes. — Zu einer wesentlichen Aenderung in An-
lage, Methode und Stoffvertheilung war kein Grund vorhanden;
dagegen habe ich die von Fachmannern, insbesondere von dem um
die geographischen Studien in Oesterreich so hochverdienten kais.
Rath Steinhauser mir ertheilten Winke und gemachten Bemer-
kungen thunlich beriicksichtiget, wodurcb, wie ich hoffe, diese Auf-
lage in der That zu einer ,,verbessert e n" ward. Fur weitere
begrundete Bemerkungen der Fachgenossen werde ich recht dankbar
sein und dieselben bei einer allfallig folgenden Auflage beriick-
sichtigen.
Die Verlagshandlung hat den Preis des Buches bei dieser
Auflage um mehr als 40% h er abges e tzt.
Wien, 23. September 1860.
Der Verfasser,
Einleitung.
g. 1. Allgemeiue Vorbegriffe.
Die Geographie oder Erdbeschreibung lehrt uns die
Oberflache der Erde kennen.
Wird die Erde als ein Korper im Weltenraum und deren
Verhaltniss zu andern Weltkorpern betrachtet, so heisst sie astro-
nomische (mathematische) Geographie.
Die t o p i s c h e Geographie beschreibt die Theile der Erdober-
flache bloss nach ihrem ausseren, raumlichen Zusammenhange; die
physische hingegen betrachtet die Theile der Erdrinde und die
Naturgegenstande auf derselben nach ihrer inneren, natiirlichen Ver-
bindung und Verwandtschaft.
Die politische Geographie schildert die Erde als den
Schauplatz fur die Entwickelung des Menschenge-
schlechtes, und ihr Inhalt andert sich wie das Schicksal der Lan-
der und Volker.
Hinsichtlich des Zweckes , den man mit der Darstellung er-
reichen will, wird das demselben Enteprechende aus dem allgemei-
nen geographischen Stoff hervorgehoben und daher die Benennun-
gen : landwirthschaftliche, Industrie-, Handels-, Militar-Geographie.
Unter Handels-Geographie versteht man die Beschrei-
bung der Erdoberflache, insofern diese als Schauplatz der Handels-
thatigkeit der Volker auf Grundlage der Urproduction und Industrie
betrachtet wird.
lilun's Handels-Geographie. 2. Aufl.
I. Astronomisclie Geographie.
A. Die Erde als mathematischer Korper.
§. 2. Vorbegriffe.
Die Erde hat die Gestalt eines Spharoids, d. i. einer
an zwei entgegengesetzten Stellen abgeplatteten Kugel. Denkt man
sich eine gerade Linie durch den Miuelpunkt der Erde, die diese
zwei Stellen verbindet und dadurch der kiirzeste Durchmesser des
Spharoids ist, so ist diese Gerade die Erdachse, und deren End-
punkte sind die Pole dea Erdkorpers. Achse nennt man sie, weil
sie jene Linie ist, um welche sich die Erde ohne Aufhoren gleich-
formig dreht.
Wegen der Kugelgestalt der Erde kann man nur einen klei-
nen Theil von dereu Oberflache auf einmal iibersehen. Diejenige
Kreislinie nun, in welcher sich — von jedem Standpunkte der Be-
trachtung aus gesehen — Himmel und Erde zu beriihren scheinen,
heisst Gesichtskreis oder Horizon t. (Schein barer, wirklicher.)
Er wird in Welt- oder Himmelsgegenden eingetheilt,
Die Richtung, in welcher die Sonne (am 21, Marz und am
23. September) aufzugehen scheiut, heisst Osten (Orient, Morgen),
— wo sie unterzugehen scheint, West en (Occident, Abend), —
wo sie zu Mittag uns erscheint, Sii den (Mittag), — und dem Suden
gerade gegeniiber, oder die Richtung, in welcher zur Mittagszeit
unser Schatten fallt, Nor den (Mitternacht).
(Nebcmveltgegenden : NO, NW, SO, SW; — Zwischenweltgegenden: NNO,
ONO, OSO, SSO, SSW, WSW, WNW, NNW; — Magnetnadel, Windrose,
Kompass.)
Eine kunstliche Erdkugel heisst Globus. Landkarten stel-
len grossere Abschnitte der Erde stark verkleinert vor (20.000mal
bis viele millionenmal); — Plane kleinere Erdabschnitte, aber in
geringerer Verkleinerung; Seekarten sind verkleinerte Darstellun-
gen ganzer Meere oder einzelner Bestandtheile derselben.
Um die Lage eines Ortes auf der Erdoberflache zu bestimmen,
denkt man sich dieeelbe mit einem Netz von Linien (Gradnetz)
uberzogen, welches mit dem Netz, das auf dem Globus zum Theil
wirklich gezogen ist, iibereinfetimmt.
In gleicher Entfernung von den beiden Polen (Nord- und Siid-
pol) ist auf dem Globus eine Kreislinie gezogen , welche die Erd-
kugel in eine nordliche und eine sudliche Halbkugel (Hemisphare)
theilt, und der Aequator (der Gleicher, die Linie) heisst.
In stets gleicher Entfernung vom Aequator (parallel mit die-
sem) laufen um die Erde Kreislinien, welche um so kleiner werden,
je naher sie den Polen kommen; sie heissen Parallel- oder
Breitenkreise.
Andere Kreise werden um die Erde in der Weise gezogen,
dass sie dutch beide Pole gehen und den Aequator nebst alien
Parallelkreisen rechtwinklig durchechneiden. Diese unter einander
gleich grossen Kreise heissen Meridiane, Mittags- oder Lan-
genkreise.
§. 3. Grtissenverhftltniss.
Den Aequator theilt man, wie gewohnlich den Umfang eines
Kreises, in 360 Theile, Grade genannt. Der 15. Theil ernes solchen
Grades gilt als die Lange einer deutschen oder geographi-
schen Meile. Das ubliche Meilenmass ist je nach den Landern von
verschieclener Liinge*). Ein Grad (°) wird dann in 60 Minuten ('),
diese in 60 Secunden (") u. s. w. eingetheilt.
Der Aequator oder cler Umkreis der Erde ist eomit gross:
360 X 15 = 5400 deutschen Meilen.
Dividirt man den Umkreis der Kugel durch die Z-wcZo//'sche
Zahl n = 3.14159 ..., so ist der Durchmesser des Aequators
5400 : 3.14159 — 1718.843 deutschen Meilen gross.
Die Abplattung der Erde an den Polen ist beilaufig 1 : 299; —
demnach ist der Polar- Durchmesser oder die Erdachse um
etwa 5.75 kleiner als jener des Aequators, also beilaufig 1713 deut-
sche Meilen gross.
Multiplicirt man den Erddurchmesser mit dem Umfang des
Aequators, so erhalt man den Flacheninhalt der Erdober-
flache, also :
1718 X 5400 = 9,277.200 Quadratmeilen,
imd mit Rucksicht auf die Abplattung = 9,260.500 Quadratmeilen.
Wird der Flacheninhalt der Oberflache mit % des Durch-
messers multiplicirt, so erhalt man den korperlichen Inhalt
(Kubikinhalt) der Erde ; somit
•I *T1 Q
9.260,500 X 4r = 2651,589.833 Kubikmeilen.
*) Die wichtigsten Meilenmasse sind:
1° des Aequators = 15 geographischen Meilen.
14 67 osterreichischen Meilen (a 4000 Klafter).
11. 13 franzosischen oder belgischen Myriametern.
25. 00 franzosischen Lieues.
20.00 franzosischen Lieues marines oder englischen (Sea-
League) Seemeilen.
69., 6 englischen Statute Miles.
73.00 englischen gewobnlichen Meilen.
60-Qo englischen geographischen oder Nautical Miles.
69., 8 nordamericanischen Miles.
14.78 preussischen oder danischen Meilen.
20.03 belgischen oder Brabanter Meilen.
10.87 schwedischen Meilen.
104.33 russischen Wersten.
74.47 r6mischen Meilen.
66.e, tiirkischen Berri.
zehnmillionte Theil des Meridian - Quadranten = 1 franzSsischen Meter.
1 Meter = 3-M8116 Wiener Fuss.
0., „ = Decimeter.
O-oi n = Centimeter.
°-ooi = Millimeter.
10 Meter = Decameter.
100 „ = Hectometer.
1000 „ = Kilometer.
10000 - = Myriameter.
1*
§. 4. Entfernung einzelner Punkte auf dcr Erdoberflache.
Dutch jeden Punkt der Erdoberflache lasst sich ein Meridian
ziehen. Da aber der Aequator in 360 Grade getheilt wird, so denkt
man sich durch alle diese Theilungspunkte Meridiane gezogen, und
erhalt somit 360 Meridiane. Einer derselben wird als Nullmeridian
angenommen, welcher die Erde in eine ostliche und eine westliche
Halbkugel theilt, weil man haufig nicht bis 360 fortzahlt, sondern
180 nach Osten und 180 nach Westen*). Die Entfernung ei-
nes Ortes vom Nullmeridian heisst geographische Lange,
und ist demnach eine ostliche oder westliche.
Durch jeden beliebigen Ort kann man sich auch einen Breiten-
kreis gezogen denken. Der Theil eines Meridians, der vom Aequa-
tor bis zum Pol reichi, ist der vierte Theil des Kreises
(Quadrant), und somit 360 : 4 = 90° gross. Denkt man sich
nun durch jeden dieser Grade des Quadranten einen Breitenkreis
gezogen, so erhalt man auf der nordlichen Halbkugel 90, und eben
so viele Kreise auf der sudlichen ; der Aequator selbst ist der Null-
parallel. Die Entfernung eines Ortes vom Aequator ge-
gen einen der Pole zu heisst geographische Breite, und
ist eine nordliche und eine siidliche.
Jene zwei Parallelkreise, welche 23° 30' vom Aequator entfernt
auf der nordlichen und auf der sudlichen Halbkugel liegen, heissen
Wendekreise (nordl. Wendekreis des Krebses, siidl. Wende-
kreis des Steinbockes); jene zwei, welche 23°.30' von den Polen ent-
fernt liegen, nennt man Polar kreise (nordl. arktischer, siidl.
antarktischer). Zwiscben diesen Kreisen liegen die mathematischen
Zonen, und zwar zwischen den beiden Wendekreisen die heisse,
zwischen den Wende- und den Polarkreisen die beiden ge mas-
si g ten, und um die Pole herum bis zu den Polarkreisen die bei-
den kalten Zonen.
Die Entfernung eines Ortes von einem andern, oder tiberhaupt
zweier gegebener Punkte auf der Erdoberflache kann auf dem Glo-
bus oder den Land- und Seekarten durch Messungen gefunden
werden.
Alle Meridiane sind als grosste Kreise unter einander gleich
gross, und jeder Grad des Meridians ist nahezu = 15 d. M. —
Auf den Meridianen werden die Breitengrade gemessen; mit-
hin ist jeder Breitengrad = 15 d. M.**).
*) Gewohnlich wird derjenige als Nullmeridian angenommen, welcher die Spitze
der Insel Ferro (eine der canarischen Inseln an ,der Westkuste von Africa) durch-
schneidet.
In England (und gewOhnlich bei Seefahrern) gilt dafur der Meridian
von Greenwich = 17°.S9 ostl. v. Ferro.
Frank reich „ Paris =20° „ „
Spanien „ Cadix = 11°.30'
Russland „ St. Petersburg = 47°,,' " I „
America „ Washington = 59°.2l' westl. „
**) D e Grade des Meridians nehmen zwar (wegen der Abplattung der Erde) nach
den Polen nm ein Geringes zu, doch ist diese Differenz sehr unbedeutend. Unter
dem 0-Grade der Breite ist die Grosse eines Meridiangrades 14. d. M., — unter
dem 45, Grade = 14., 7, und unter dem 90. Grade 15,nt.
Unter den Parallelkreisen ist der Aequator der einzige grOsste
Kreis, also der einzige Parallel kreis, auf dem 1° = 15 d. M. ist.
Mit der wachsenden Entfernung vom Aequator werden die Parallel-
kreise immer kleiner, folglich werden auch die Langengrade,
welche auf den Parallelkreisen gemessen werden, bei zuneh-
mender Entfernung vom Aequator immer kleiner*).
Alle Orte, welche anf der gleichen Hemisphere liegen, haben gleichnamige
Breite oder Lange; im anderen Falle haben sie entgegengesetzte Breite
oder Lange. — Haben zwei Orte ungleiche, aber gleichnamige Breite, trad zieht
man die kleinere von der grSsseren ab, so erhalt man die Breitendifferene der
beiden Orte; ebenso erkliirt sich der Ausdruck La ngen di ffere nzr**).
Haben zwei Punkte gleiche und gleichnamige Breite, aber ungleiche und
gleichnamige Lange, so bezeichnet ihre Langendifferenz so ziemlich den kiirzesten
Abstand derselben auf der Erdoberflache***). Ist die Lange der zwei Punkte gleich
und gleichnamig, die Breite aber ungleich, obwohl gleichnamig, so druckt die Breiten-
differenz deren kiirzesten Abstand ausf).
Haben zwei Punkte gleiche und gleichnamige Breite, aber entgegengesetzte
Lange, so ist die Langensumme ihr kurzester Abstand; ist die Lange zweier
Punkte gleich und gleichnamig, aber ihre Breite entgegengesetzt, so ist die Brei-
tensumme ihre kiirzeste Entfernnng ff).
*) Die annahernden Werthe sind folgende :
1° auf dem Nullparallel (Aequator) misst 15 deutsche Meilen.
10. Parallel 14 77
20. 14.09
30. 12.9
40. 11..
50. 9.,
60. 7.5
70. 5.,
80. 2..
90. O.oo
B. und 35° n. B. = gleichnamig.
B. und 35° s. B. = entgegengesetzt.
*) Z. B. 25
25
20
d>. L. und 45* o. L. = gleichnamig.
20° o. L. und 45° w. L. = entgegengesetzt.
Der Ort A hat 35° n. B., — der Ort B. 25° n. B., die Breitendiff erenz
ist = 10°, d. h. A liegt um 10° = 150 d. M. weiter vom Aequator gegen den
Nordpol zu als B.
A hat 35° 6. L., — B 25° 6. L. = 10° Langendifferenz; diese wird
am 0- Parallel mit 15, am 10. mit 14.,, u. s. w. multiplicirt, und das Product zeigt
an, urn wie viele Meilen A von Ferro weiter gegen Osten liegt als B.
***) A hat 20° n. B. und 30° 6. L.
B hat 20° n. B. und 20° 6. L.
Langendifferenz = 10° X 14.09 = 140., d. M., d. h. A liegt um so viel
Meilen von B entfernt, u. z. weiter gegen Osten.
t) A hat 30° n. B. und 25° 6. L.
B hat 20° n. B. und 25° 6. L.
Breitendifferenz = 10° X 15 = 150 d. M. — d. h. A liegt von B 150 d. M.
entfernt, u. z. weiter gegen Norden.
ft) A liegt 30° n. B. und 25°
B liegt 30° n. B. und 45°
L.
. L.
Langensumme 70°
directe Entiernung der beiden Pu
A liegt 30° o. L und 25°
B liegt 30° o. L. und 45°
X 12.,, (oder app. X 13) = 910 d. M., d.
kte von einamler.
. B.
. B.
i. die
Breitensumme 70" X 15 — 1050 d. M.
6_
B. Das Verhaltniss der Erde zur Sonne.
§. 5. Vorbegriffe.
Die Erde ist ein Welt- oder Himmelskorper, wein Stern unter
Sternen", der frei im Weltenraume schwebt.
Die Sterne werden eingetheilt in :
1. Fixsterne, welche mit eigenem, zitterndem Lichte leuch-
ten und im Allgemeinen ihre Stellung zu einander nicht verandern;
2. Planeten, welche ihr Licht von einem Fixsterne (Sonne)
erhalten, um welchen sie sich in regelmassigen Bahnen bewegen;
3. Monde (Nebenplaneten, Trabanten, Satellites), welche von
der Sonne erhellt werden, sich zunachst um einen Hauptplaneten,
und mit diesem um die gemeinschaftliche Sonne bewegen;
4. Kometen, welche echeinbar unregelmassige Bahnen um
Fixsterne beschreiben, sich bald dem einen, bald dem andern nach
bestimmten Gesetzen nahern, eine veranderliche Grosse und Ge-
schwindigkeit zeigen, und dann wieder verschwinden.
Man hat gewissen Sterngruppen Bilder von Thieren , Heroen
und anderen Gegenstanden unterlegt , daher lesen wir von Stern-
bildern des nordlichen und sudlichen Himmels, des Thierkreises
(Widder, Stier u. s. f.) — Orion, Perseus u. a. m.
Die Erde ist ein Planet, der Mond ihrTrabant, und die
Sonne ist der Fixstern, um welchen sie sich bewegt, von dem
sie Licht und Warme empfangt. Ausser der Erde drehen sich aber
noch mehrere Planeten von geringerer oder bedeutenderer Grosse,
in engeren oder weiteren Bahnen um denselben Fixstern. Die Sonne,
die Planeten und Nebenplaneten zusammen nennt man das Plane-
t ensyste m.
Denkt man sich die Erdachse zu beiden Seiten bis an das
Himmelsgewolbe verlangert, so wird sie zur Welt- oder Hi ra-
in elsachse, und die Endpunkte derselben sind Himmelspole.
Um die Weltachse erfolgt die scheinbare Umdrehung des ganzen
Himmelsgewolbes. Der nordliche Himmelspol liegt in der Nahe des
Polarsternes (im Sternbild des ,,kleinen Baren"). Der Him-
mels-Aequator ist jene Kreislinie, welche genau in der Mitte
zwischen den beiden Himmelspolen gedacht wird, und die Himmels-
kugel in eiue nurdliche und siidliche theilt. Parallel mit dem Him-
mels-Aequator laufen die Wende-, Polar- und alle iibrigen Parallel-
kreise der Himmelskugel, welche alle rechtwinklig von den Re et-
as cens ions -Kreisen durchschnitten werden. Die kilnstliche Him-
melskugel heisst Himmelsglobue.
y, §. 0. Bcwegung der Erde.
Die Erde hat eine zweifache Bewegung : a) um ihre Achse
(Rotation), und b) um die Sonne (Revolution).
Um die eigene Achse dreht sich die Erde von Westen nach
Osten in 24 Stunden, wodurch Tag und Nacht entstehen. Bei die-
ser Bewegung werden die verschiedenen Theile der Erdoberflache
nach und nach der Sonne zugewendet, und zwar die ostlicher ge-
legenen friiher als die weatlicheren. Unter den verschiedenen Meri-
dianen haben somit die Orte zu verschiedener Zeit Sonnenaufgang
und Mittag. Ein urn den 24. Theil des ganzen Kreises (also
urn 15°) welter nach Westen gelegener Ort muss auch um den
24, Theil der Umlaufszeit spater Mittag haben, d. h. um 1 Stunde;
also ein um 1° westlicher gelegener hat yj5 Stunde oder 4 Minuten
spater Mittag.
Bei der Rotation bleiben die Pole in Ruhe, die iibrigen Punkte
auf der Erdoberflache aber befinden sich in einer desto schnelleren
Bewegung, je n'aher sie dem Aequator liegen ; denn ein Punkt am
Aequator wird in 24 Stunden 5400 d. M. durchlaufen,
am 10° jedoch nur 360 X 14.77
„ 20° „ „ 360 X 14-09
„ 90° „ „ 360 X 0.
Den Umlauf um die Sonne vollendet die Erde in 365 Ta-
gen, ^Stunden, 4tf- Mmiiten", 48 Secunden. Die Linie, in welclier
die Erde diese Bewegung ausfuhrt , ist eine langlich - runde
(Ellipse), und wird die Erdbahn otter Ekliptik genannt.
Die SOnne steht ntch't irn Mittelpunkte der Ellipse , sondern
in einem der beiden Brennpunkfe ; ( ie Erde ist eonach einmal im
Jahre der Sonne uaher, und einmal im Jahre ferner. Den der Sonne
am nachsten und den ihr am fernsten gelegenen Punkt~3er Erd-
bahn rif-nnt' man Solstitial- oder Wendepurikt; der erstere
•Jleisst Winter-, der letztere Sommer-S ol s tit ial punk t. Die
Hintierniiri'|f""fl{?3 Winter- Sblstitialpunktes von der Sonne heisst Son-
— 11.926 Erddurchmessern), jene ^des Sommer-
^
Solstitialpunktes Sonnenferne (Aphelium = 12.333 Erddurch-
~ttre sserir) . ' Jene zwel Punkte^der Ejrdbahn, welche fast gleich weit
von beiden Solstitialpunkten en t fern t "sin o!^ werden Aequinoctial-
punkte (Tag- und Nachtgleiche) genannt. v
X §• '• Tages- und Jahreszeiten.
Die Sonne erleuchtet stets nur die halbe Oberflache der Erd-
kugel. Die Grenze zwischen der erleuchteten und dunklen Halb-
kugel heisst Erleuchtungskreis. Stande die Erdachse senkrecht
auf der Ebene der Ekliptik , so hatten alle Punkte der Erdober-
flache fortwahrend gleiche Tages- und Nachtlange. Die Erdachse
steht jedoch nicht senkrecht auf der Erdbahn, sondern sie bildet
mit derselben einen Winkel von 66y2° sie weicht daher um 23 ]/z°
von der senkrechten Stellung ab. Diese Stellung behalt die Erd-
achse wahrend der rotirenden Bewegung der Erde um die Sonne
stets unverandert bei, d. h. dieLage der Erde imWelten-
raum bleibt unverriickt die gleiche, die Stellung ge-
gen dieSonne ist hingegen in jedem Augenblick eine
veranderte.
Aus der eigenthumlichen Neigung der Erdachse folgt die un-
gleichmassige~ErlendifiTng der Erde, d. i. die Verschiedenheit der Ta-
geslange unter verschiedenen Parallelkreisen. Die Ab- und Zunahme
^er~T«g6«laDge ges^hicht fiir einen und dcnsclben Punkt allmah-
lich, und zwar in dem Masse, als sich die Erde von den Aequinoc-
tialpunkten entfernt und den Solstitien nahert. Nach dem Aequi-
noctium am 21. M&rz wachsen die Tage auf der nordlichen, ver-
8
ktirzen sich jedoch auf der sudlichen Halbkugel ; am 22. Juni hat
die nordliche Halbkugel den langsten, die sudliche den kiirzesten
Tag. Nach dem Aequinoctium am 22. September wachsen die Tage
auf der sudlichen , verkilrzen sich aber auf der nordlichen Halb-
kugel bis zum Solstitium am 21. December, wornach die Zunahme
der Tageslange auf der nordlichen und die Abnahme auf der sud-
lichen Halbkugel bemerkt wird.
Auch die Unterschiede der Tageslange vom Aequator nach den
Polen zu wachsen allmahlich, und es erfolgt das Wachsen und Ab-
nehmen der Tage und Nachte nach Massgabe der geographischen
Breite um so schneller, je weiter ein Punkt vom Aequator entfernt
ist. Zwischen dem Aequator und den Polarkreisen ist dieses Zu-
und Abnehmen der Tage und Nachte minder rasch, als zwischen
den Polarkreisen und den Polen. Unter dem Aequator und an den
Polen sind Tag und Nacht stets von derselben Dauer; unter dem
Aequator je zwolf Stunden, an den Polen je ein halbes Jahr.
j)ie schiefe Stellung der Erdachse zur Erdbahn bedingt die
Verschiedenheit der Jahreszeiten unter denselben Breiten ;
der Wechsel und die Dauer dieser' Jahreszeiten aber werden
durch die jahrliche Bewegung der Erde bedingt. Steht die Erde am
21. Marz in einem der Aequinoctialpunkte ihrer Bahn, so beginnt
der Friihling auf der nordlichen und der Herbst auf der sudlichen
Halbkugel (zwischen den Wende- und Polarkreisen). Steht sie im
Solstitium der Sonnenferne (am 22. Juni) , so fangt der Sommer
auf der nordlichen Halbkugel, der Winter auf der eiidlichen an, Im
Herbst- Aequinoctium (am 22. September) ist der Friihlings-Anfang
auf der sudlichen und der Herbst- Anfang auf der nordlichen Halb-
kugel.
Vf. 8. Das Planetensystem.
Die Sonne ist der Mittelpunkt eines Systems von Planeten.
Fiinf derselben sind dem freien Auge sichtbar, die iibrigen sind
nur teleekopisch, d. h. nur dem bewaffneten Auge erkennbar.
Die Planeten sind wie die Erde spharoidische Korper, bewe-
gen sich um ihre Achse und in elliptischen Bahnen um die Sonne,
von welcher sie Licht und Warme empfangen, und ihre Achse ist
gegen die Sonnenachse geneigt. Einige sind von Nebenplaneten
begleitet.
Die Planeten werden in drei Gruppen eingetheilt:
1. die sonnennahe oder innere Gruppe;
2. die sonnenferne oder aussere Gruppe;
3. die mi 1 1 1 e r e Gruppe der P 1 a n e t o i d e n , als Uebergangs-
glied von der inneren zur ausseren Gruppe.
Zu der sonnennahen Gruppe gehoren Merkur, Venus,
Erde, Mars; sie sind von geringerer Grosse (670, 1678, 1719,
1000 Meilen Durchmesser), minder abgeplattet, haben eine kiirzere
Umlaufszeit um die Sonne, drehen sich in nahezu 24 Stunden um jhre
Achse, und sind — mit Ausnahme der Erde — nicht von Monden
begleitet.
Die sonnenfernen Planeten Jupiter, Saturn, Uranus
und N e p t u n iibertreffen die erstere Gruppe an Groese (20,000,
16,300, 7209, 9700 Meilen Durchmesser) und Abplattung, haben eine
Achsenrotation von nur 10 Stunden, wegen der grosseren Entfer-
nung von der Sonne lange Umlaufszeiten, und sind reicher an Monden.
Die mittlere Gruppe oder die Planetoiden, welche zwi-
schen den Bahnen des Mars und Jupiter kreisen, sind teleskopische
Sterne, deren Bahnen zum Theil einander einschliessen, zum Theil
in einander greifen wie Ringe einer Kette. Der Durchmesser des
grossten soil hochstens 145 , jener der Vesta nur 60 Meilen betra-
gen. Die Umlaufszeit betragt von drei Jahren und 97" Tagen (Flora)
bis auf 5 Jahre 188 Tage (Hygiea). Die Zahl der nach und nach
entdeckten ist bereits auf mehr als 60 angewachsen.
Uebersicht unseres Planetensystems.
Planeten
Abstand von der
Sonne
Umlaufszeit
Monde
Ort und Zeit der Ent-
deckung
1. Merkur. .
2. Venus . . .
3. Erde
4. Mars
8 MilLMeilen
15 „
21 „
31 „ „
88 Tage
224 »
365 „
1 Jahr 322 Tage
1
Merkur , Venus und
Mars waren schon den
Griechen und Romern
als Planeten bekannt ;
die Erde wurde erst seit
Kopernikus als Planet
betrachtet.
5. DieGrup-
pen der Pla-
netoiden. . . .
46-60 „
3— 6'/2 Jahre
—
Alle erst im laufen-
den Jahrhundert ent-
deckt.
6. Jupiter . .
7. Saturn ..
107 „
197 „
12 Jahre
29 „
4
8
Jupiter und Saturn
waren schon im Alter-
thum als Planeten be-
kannt.
8. Uranus . .
396 „
83 „
8
Herschel in Bath am
13. Marz 1781.
9. Neptun . .
(Die beiden
Letzten tele-
skopisch.)
626 „ „
227 „
2
Berechnet von Lever-
rier in Paris, aufgefun-
den von Galle in Berlin
am 23. September 1846.
X
II. Topische Geographic.
§. 9. Iliiuinlifht- Verhaltnisse im Allgemeinen.
Dreierlei Formen bilden die Hiille des Erdkorpers und sind
die Lebensbedingungen fur alle organischen Wesen auf der Erde,
namlich: Wasser, Erde und Luft.
Die grossen Tiefbecken der Erdrinde sind so iiberwiegend mit
Wasser angefiillt, dass kaum der dritte Theil der Erdoberflache als
Land fiber den Spiegel des Oceans hervorragt; es entfallen auf
das Land 2,500.000 und auf das Wasser 6,780.000 geographische
Quadratmeilen, somit beilaufig 29% auf das Land, und 71% auf
das Wasser. Nach den Hemispharen vertheilt, ist das Verhaltniss
von Land zu Wasser auf der Os thai be wie 1 : 1V2, auf der We st-
halbe wie 1 :5; auch auf der Nordhalbe ist das Verhaltniss wie
1 : 1V2; und auf der Siidhalbe wie 1 : 5. Die nordliche Halbkugel
ist somit ebenso continental , wie die ostliche, und die siidliche
ebenso oceanisch wie die westliche. Das meiste Land drangt sich
folglich nach Nord und Ost, der grosste Theil des Wassers nach
Siid und West- Construirt man sich eine kontinentale Nord-
ost- und eine oceanische Sudwest-Hemisphare, so bildet
Europa das Centrum der ersten, und die australieche Inselwelt jenes
der zweiten Halbkugel ; auf der ersten iiberwiegt das Wasser das
Land nur urn 10%, auf der zweiten aber stellt sich das Verhalt-
niss von Land zu Wasser wie 1 : 16.
§. 10. Die MeeresriUime im Allgemeinen.
Die zusammenhangende Wasserflache (das Weltmeer) wird
durch die Zonen und die emporragenden Landmassen in 5 Haupt-
meere oder Oceane eingetheilt:
1. Das nordliche Eismeer 200.000 Quadratmeilen.
2. Das siidliche Eismeer 350.000
3. Der indische Ocean 1,380.000 „
4. Der atlantische Ocean 1,626.000 „
5. Der grosse oder stille Ocean . . . 3,300.000 ' ,,
Das nordliche Eismeer hat den Nordpol zum Mittelpunkt, erstreckt sich
bis zum arktischen Polarkreise herab, und bespult die Nordkusten von Europa, Asien
und America. Das Standeis reicht bis zum 78., das der Schifffahrt hochst gefahr-
liche Treibeis bis zum 68.° n. Br. herab. Neben den Eismassen schwimmt viel
Treibhola, das an den Kusten abgesetzt wird. Der Wallfisch- und Haringsfang,
so wie der Pelzhandel werden lohnend betrieben.
Das sudliche Eismeer hat den Sudpol zum Mittelpunkt, erstreckt sich
bis znm antarktischen Polarkreis, und beruhrt keinen der Coutinente. Das Stand-
eis reicht bis zum 72., das Treibeis bis zum 62.° s. Br. herauf. Die Eisfelder und
Eismassen sind noch grosser als im nSrdlichen Eismeer, und den Erforschungsreisen
haben sich hier noch grSssere Hindernisse entgegengestellt. Die Wallfischfanger ge-
winnen jedoch hier eine grossere Beute.
Der indische Ocean erstreckt sich von der Sudkuste Asiens bis zum sud-
lichen Eismeer, im Westen bilden die Ostkuste von Africa und der durch die Sud-
spitze von Africa gehende Meridian, — im Osten der indische Archipel, das Fest-
11
land von Neu-Holland bis zum Meridian, der durch die Torres-Strasse, Neu-HoIIand
und westlich von Van Diemens-Land geht, die Grenze.
Der atlantische Ocean fluthet zwischen Europa, Africa und America,
und ist im Norden und Suden von den beiden Eismeeren begrenzt. Seine Ostgrenze
sind die Westkusten von Europa, Africa und der Meridian der Siidspitze Africas, —
seine Westgrenze die Ostkuste Americas und der Meridian der Sudspitze Americas.
— Der atlantische Ocean ist die grosse Fahrstrasse fur den Welthandel; er bespiilt
die Kiisten der von den culttirfahigsten Volkern bewohnten Lander, er dient zur
Verbindung der entferntesten Gegenden der Erde nnd ist sonach von der grOssten
Bedentung. Charakteristisch sind der Inselreichthum in seiner nordlichen und die
Armuth der Inselbildung in der sudlichen Halfte.
Der grosse oder stille Ocean bespiilt die Ostkuste von Asien und Neu-
Holland, und die Westkiiste von America. Die Nord- und Sudgrenze sind die bei-
den Eismeere, im Westen die Ostkuste Asiens und der Meridian der Torres-Strasse
und Van Diemens-Land, im Osten die Westkiiste Americas und der Meridian von
Americas Sudspitze. Die rnhigeren StrOmungen und regelmassigen Windc sind der
Schifffahrt sehr gunstig. Er scheint ein Riesenbecken, wahrend der Atlantik ein
Riesenthixl scheint. Der nSrdliche Theil ist mit dichtgedrangten Inselreihen iiber-
saet und das Becken urugibt ein Kranz thatiger Vulkane. Im sudlichen Theile zeigt
sich ebenfalls Armuth der Inselbildung.
§. 11. Die Laudmasse im Allgemeinen.
Die Landmasse zerfaUt in drei grossere zusammenhanfrende
und in viele kleinere, vereinzelte Theile; die ersteren heissen K on-
tin en te, die letzteren Ins ein.
Die grosste zusaminenhangende Landmasse liegt auf der ost-
lichen Halbkugel, wird in 3 Erdtheile: Europa, Asien und
Africa eingetheilt, und heisst auch die ,,alteWelt;" — diezweite
liegt auf der westlichen Halbkugel und heisst der westliche Konti-
nent, die ,,neue Welt," America; — die dritte liegt auf der siid-
lichen Halbkugel, eiidOstlich von der alten Welt, und heisst der
siidliche, australische Kontinent oder Neu-Holland.
Die Inseln, welche zuuachst den Festlanden liegen und kon-
tinentale oder Gestade-Inseln heissen, werden nicht als selbst-
standige Individuen angesthen ; dagegen vverden die Inseln beider
Polarzonen und jene Australiens ak to c^a-n
1 a <y i s^Ji^Jii^enden Kontiuenten^egenuoe
t 'isc n e
a a ie c h e und trqpische Inselwelt Be^elcnner
"Tlaclit r.raum def Ko'nfinente, Itiseln, ITalBinseln und der
fiinf Erdtheile uberhaupt ersieht man aus folgender Uebersicht :
(Flacheninhalt in deutschen Quadratmeilen).
Kontineutaler Stamm Inseln Halbinseln Gesammtflache
l60.00(T
168.000
545.000
688.000
883.000
Australicn ..."..
Europa
Africa .
134.000
120.000
534 000
22.000 4.000
8.000 40.000
11 000
America
Asien
627000
675.000
25.000 36.000
53.000 155.000
2,090.000 119.000 235.000 2,444.000
Nach dieser Berechnung entfallen somit:
5% auf die Inseln (genauer: 47/8%),
10% „ „ Halbinseln (genauer: 9%%),
85% „ ,, eigentlichen Kontinente (genauer: 85*/8%).
Wird Europa — 1 angenommen, eo entfallt auf Australien
0.9., auf Africa 3V4, auf America 4 uad auf Asien 5V4.
12
In jedem Erdtheile kann man durch Abschneiden der Halbinseln eine mehr
Oder minder regelmassige geometrische Figur construiren , welche der Stamm des
Kontinentes heisst. Die ausserhalb der Umfangslinien des Stammes liegenden Theile
des Kontinentes werden G lie der genannt. Die Grenzlinie des Kontinentes gegen
das Meer bildet dessen Kiistenlange, und das Verhaltniss der Kiistenlange zum
riacheninhalte eines Landes nennt man dessen Kiistenentwickelung. Diese ist
von bedeutendem Einflusse auf die Kultur des Landes; denn je mehr ein Erdtheil
Oder ein Land durch Meerbusen und Buchten eingeschnitten ist, je mehr Inseln vor
oder langs der Kiiste liegen, desto mehr Punkte sind an die grosse Strasse des Ver-
kehrs hinausgeriickt, wodurch sowohl der Verkehr der Bewohner nach auswarts als
die Zuganglichkeit von anderen Erdtheilen erleichtert werden. Eine grosse Kusten-
entwickelung ist im Allgemeinen die Vorbedingung zu giinstiger Gestaltung des
Handels und der Kulturverhaltniase eines Landes.
A. Beschreibung der Meere,
§. 12. Das nordliche Eismeer.
(Grenzen siehe §. 10.}
Theile des nordliehen Eismeeres:
1. Das gronlandische Meer an der Ostkuste Gronlands ;
2. das spitzbergische Meer mit dem Archipel von Spitz-
berg en ;
3. das lapplandische Meer mit der Inselgruppe der L o f o d-
den an der norwegischen Kiiste;
4. das weisse Meer mit der Kandalsk'ischen , der Onega-
und der Dwina- (oder Archangel-) Bucht ;
5. die Tscheskaj a-Bai mit der Insel Kalguew, und die
Petschora- Bai ;
6. das karische Meer mit der Waj at sch- Strasse (zwischen
dem Festlande und der Insel Waj at sch), welche in den karischen
Golf fiihrt, — und mit der karischen Pforte zwischen der Insel
Wajatsch und der Doppel-Insel Nowaja Semlja;
7. das s i b i r i s c h e Meer mit der Inselgruppe Neu-Sibirien
(Neu-Sibirien, Fadejevskoj , und Kotelnoj) und den Meerbusen Ob
(mit dem Taz'ischen Golf), Tydansky, Jenisei, Taimur und
den Limanen an den Miindungen der Lena, Indigirka und
Kolyma *);
8. die Behrings- Strasse (welche das nordliche Eismeer mit
dem stillen Ocean verbindet) mit dem Kotzebue-Sund;
9. das Meer der nordliehen Durchfahrten oder
Parry-, auch Mel ville-Sund , d. i. die westliche H'alfte des
arktischen Polarmeeres an der nordamericanischen Kiiste, mit der
Banks-Strasse (zwischen der Insel Banks-Land [im Suden]
und den Prinz Patrick-, Eglinton- und Melville -Ins ein
[irn Norden], und der Prinz Wales-Strasse (zwischen dem
Banks-Land [nordwestlich] und dem Prinz Albert-Land [siidostlich]).
— Ausser den genannten sind noch folgende Inseln bemerkens-
werth: Cornwallis, Nord-Devon, Grinnell-Land, Prinz
Wales-Land, Nord-Somerset oder Boothia Felix und
*) Kleinere Golfe sind jene von Khatansk (125° 6.), Anabara (130° o.)
Borkhaja (148° 6.), Chroinskaja (165° 6.), Tschaun (173° w.), Kumotschin
(158° w).
13
Baffin s- Land *). — Aus dem Melville-Sund gel an gt man durch
dieBarrow-Strasse in den Lane aster- Sun d, und von daindie
10. Baffins-Bai, welche die Westkuste Gronlands bespiilt und
in ihrem siidostlichen Theil durch die Davis-Strasse mit dera
atlantischen Ocean verbunden ist. Aus der Davis-Strasse fiihren die
11. Cumberland's und die Hudson's-Bai mit der Insel
Southampton, der Chesterfield's Einfahrt und der James-Bai.
§. 13. Das siidliche Eismeer.
(Grenzen, siehe §. 10.)
Dieses Meer ist fast ganzlich unbekannt ; es ist noch zwei-
felhaft, ob die in demselben entdeckten unbewohnten Kusten ein-
zelnen Inseln angehoren oder Theile eines vierten Kontinentes, d. i.
eines sechten Erdtheiles, sind**).
g. 14. Der indische Ocean.
(Grenzen siehe §. 10.)
Theilo des indischen Oceans sind:
1. Das Meer von Madagascar mit dem Kanal von Mo-
zambique, welcher die Insel Madagascar vom Festland trennt,
und in dieses die Lagoa-Bai und die Busen von Sofala und
Zanzibar schneidet. Im Kanal von Mozambique liegen die Co-
moro-, nordlich die Amiranten- und Seychellen-, ostlich
die M as carenen -Inseln (Bourbon oder Reunion, und Mauritius
oder Isle de France) ;
2. das arabische Meer mit dem Busen von Aden, welcher
mittels der Strasse von Babel Mandeb mit dem rothen Meere
(arabischen Meerbusen) verbunden ist , das mit den Buchten von
Suez und Akaba endigt. Vor dem Busen von Aden liegt die Insel
Socotora;
3. das persische Meer, welches durch die Strasse von Or-
mus mit dem persischen Meerbusen (dem griinen Meer) ver-
bunden ist ; im siidostlichen Theil liegen die Inselgruppen der
Lakkediven und Malediven, durch die Palks-Strasse (zwi-
schen der Sudostspitze Vorder-Indiens und der Insel Ceylon) ge-
langt man in den
4. Busen von Bengalen mit dem Busen von Mar tab an
*) Die Auffindung einer ,,nordwestlichenDurchfahrt" (North- West-Passage)
ans dem Melville-Sand nach der Behrings- Strasse (beziiglich aus dem atlantischen in
den stillen Ocean langs der Nordkuste von America) ist von England besonders
seit dem Jahre 1818 angestrebt worden. (Ross, Parry, Lyon, Franklin,
Beechey, M'Clure, Dr. Kane.) Diese Durchfabrt ist sowohl nordlich (durch
die Banks-Strasse) als sudlich (durch die Prinz Wales-Strasse) gefunden worden, doch
ist sie fur eine regelmassige Schifffahrtsverbinduug fast ganzlich unbrauchbar, weil
die Kanale dieser zwischen polarischen Insellandern sich windenden Durchfahrt fast
me vom Eis ganz frei sind. — Die bis zum Jahr 1855 diessfalls gewonnenen Re-
sultate der nNordpol-Expedi tionen" sind in A. Petermann's vortrefflichen
,,Mittheilungen", 1855, pag. 98—119 und Tafel 8 enthalten.
**) Einzelne Kustenstriche sind: Victoria-Land mit dem Erebus- Vulkan (auf
12,400' geschatzt) und dem erloschenen Krater Terror, — Alexander-, Graham-,
Louis Philipp-, Enderby-, Ade"Iie-Land u. s. w. — Inseln: Franklin-, Peter I.-,
Biscoe-, Sud Schetlaud's- und Sud Orkaden-Inseln. Capitan Ross war bis 78° 11'
sudl. Br. gelangt.
14
(oder Pegu). Er umspult die Andaman- und Nikobar en -Inseln,
und steht mittels der Straesen von Malacca (zwischen der Halb-
insel Malacca und der Insel Sumatra) und von Singapore in
Verbindung mit dem
5. hinterindischen Meere, welches den Busen von
Si am bildet;
6. das siid-chinesische Meer mit dem Busen von Ton-
kin (Ineel Hainan) und von Kan ton, nordostlich davon die In-
sel Formosa, durch die Strasse von Fukian vom Festlande
getrennt;
7. die Sunda-, Flores-, Banda-, Celebes- und Min-
doro-See. In diesen Gewassern liegen die grossen Sunda-
Inseln (Sumatra, Java, Borneo, Celebes), die kleinen Sunda-
Inseln (Banka, Sumbava, Flores, Timor u. a.), die Banda- und
Molukk en -Inseln (Ceram, Bui'o, Amboina, Dehilolo), die Philip-
pin en (Luzon oder Manila, Magindano) und die Sulu-Inseln.
Die bedenteudsten Strassen sind:
S und a- Strasse zwischen Sumatra und Java,
Mac as sar- Strasse zwischen Borneo und Celebes,
Molukken- Strasse zwischen Celebes und den Molukken.
8. Die Bai von Carpentaria an der Nordkiiste von Neu-
Holland, aus welcher die Tor res- Strasse in den grossen Ocean
(in das Korallen-Meer) fiihrt ;
9. die Flinder's- See an der Siidkuste von Neu-Holland mit
dem Spencer's-Golf und der Insel Kanguru.
§. 15. Der atlantische Ocean.
(Grenzen, siehe §. 10.)
Thette des atlantischen Oceans sind:
A. Im Osten.
1. Das skandinavische Meer zwischen Island, Norwegen
und Grossbritannien mit der Insel Island und den Faroer-,
Shetland- und Orkney- (oder Arkaden) Inseln;
2. das caledonische Meer an der Nordwestkiiste Gross -
britanniens, mit der Inselkette der Hebriden;
3. die irische See, Irland umschliessend und durch den Nor d-
und St. Georgskanal mit dem Ocean verbunden. Sie enthalt die
Inseln Man und Angle sea, und bildet den Kanal von Bristol,
und die Buchten von Liverpool, Dublin und Belfast;
4. der Canal la Manche mit dem normanni schen Busen
und der Strasse von (pas de) Calais oder Dover, und den Inseln
Whigt, Guernesey und Jersey;
5. die Nordsee oder das deutsche Meer bildet an der
Kuste Grossbritanniens die Busen Murray, Firth of Forth und
Wash, an der Kuste des Continentes die Zuyder-See, das
Harlemer Meer, den Jahde-Busen und Dollar t, umspult
die Inseln Tex el und Helgoland, und steht mittels des Ska-
gerrack, des Kattegat, des grossen und kleinen Belt und des
Sund in Verbindung mit der
6. Ostsee oder dem baltischen Meere (7267
15
Die Ostsee umschliesst die danischen Inseln Seeland, Fiinen,
Langeland, Laaland, Falster und andere kleinere, dann die
Inseln Riigen, Bornholm, O eland, Gothland, Oes el, Dago,
die Aland's -Inseln und viele felsige Eilande (Skaren); sie bildet
den bothnischen, finnischen und ri gai schen Meerbusen ;
7. das biscayische oder aquitanische Meer, auch Golf
von Gascogne mit der Bai von Brest;
8. durch die Strasse von Gibraltar steht der Ocean in Ver-
bindung mit dem mi ttellan dischen Meere (45.131 QMeilen),
welches in ein westliches und ein ostliches Bee ken getheilt
wird. Das westliche Becken reicht von Gibraltar bis zur West-
spitze Siciliens (30° o.) und wird durch die Inseln Corsica und
Sardinien in zwei Half: en getrennt. In der westlichen Halfte ist
der Golf von Valencia mit den Inselgruppen Pi thy u sen (Ivica,
Formentera) und Balearen (Mallorca, Meuorca) , der Golf von
Lyon mit den hyerischen Inseln und der Golf von Genua.
Die Strasse von S. Bonifacio (zwischen Corsica und Sardinien)
verbindet die Westbalfte mit der Osthalfte oder mit dem tyrrheni-
schen (toskanischen) Meere, — der Straese von Piombino zwi-
schen der Westkuste Italiens und der Insel Elba, — die Inseln
Ischia und Capri, endlich die Liparischen und A eg ad i-
schen Inseln (crstere im Norden, letztere im Westen Siciliens). An
der africanischen Kiiste ist die Bai von Tunis. Die Strasse von
Messina (Faro) zwischen Sicilien und dem Festlande Italiene.
Das ostliche Bee-ken wird durch Griechenland und Candia
fcbenfalls in eine westliche und ostliche Halfte getrennt. In der west-
lichen Halfte eind die Inseln Malta, Gozzo und C o m i n o , der
Busen von T a r a n t o (Tarent) ; die Strasse von O t r a n t o verbin-
det das j o n i s c h e Meer mit dem adriatischen (2730 [jMeilen),
in welchem die Golfe von Venedig, Triest und F i u m e (Quar-
nero) mit der Kette der dalmatinischen Inseln eich befinden.
Im jonischen Meer i^t die Kette der jonischen Inseln (Corfu,
Paxo, Sta. Maura, Thiaki, Cephalonia, Zante, Cerigo) und sind die
Busen von Arta, Lepanto, Koron und Kolokythia. — In der ost-
lichen Halfte — dem agaischen Meere — sind die Busen von
Napoli (Nauplia), Egina, Volo, Salonik, Contessa, und (auf der
asiatischen Kiiste) Smyrna , ferner die zahlreichen Inseln des grie-
chischen Archipels, als : Candia, die Cycladen (Paros, Naxos,
Milos u. s. w.), die Sporaden (Mytilene , Skios , Samoa , Cos,
Patmos, Rhodus u. a.). Aus dem agaischen Meer fiihrt die Strasse
der Dardanellen (Hellespont) in das Marmara- Meer (Pro-
pontis), von hier die Strasse von Konstantinopel (thraci-
echer Bosporus) in das schwarze Meer (7860 QJMeilen), und
aus diesem die Strasse von K e r t s c h (oder von Jenikale, Feodo-
sia) in das asow'sche Meer (mit der faulen See). — Der ost-
liche Theil des Mittelmeeres heisst das s y r i s c he Meer (mit der
Insel Cypern); an der africanischen Kiiste bildet es den Busen
von S i d r a (grosse Syrte) und von C a b e s (kleine Syrte) ;
9. das Meer von M a r o c c o. Westlich liegen die c a n a r i-
schen Inseln (F e r r o , Teneriffa, Canaria), dann Madeira und
die A z o r e n ;
16
10. das Meer von Senegambien mit den Capverdi-
s c h e n und den Bissagos- Inseln ;
11. das a t hi o p i s c h e Meer mit dem Busen von Guinea,
den Baien von Benin und Biafra und den Guinea-Inseln (Fer-
nando de Po und St. Thomas) ;
12. das Meer von Congo; westlich im offenen Ocean liegen
die Inseln St. Helena, Ascension und Trinidad;
13. das Capmeer mit der Tafelbay und dem «Cap der
guten Hoffnung,"
B. ImWesten.
1. Der St. Lorenz- Busen mit den Inseln Anticosti, Pi%
Eduard und Magdalena, vor demselben die Inseln Neu-Found-
land und Breton; zwischen dem Festland (Labrador) und der
Insel Neu-Foundland ist die Strasse Belle Isle;
2. die Fundy-Bai zwischen Neu - Braunschweig und Neu-
Schottland ;
3. die Massachusets-Bai mit dem Hafen von Boston, —
siidlich davon die Insel Long Island im gleichnamigen Sund
und die Bucht von New- York;
4. die Chesapeake-Bai erstreckt sich weit ins Land und
bildet zahlreiche Einbiegungen. Oestlich davon sind die Bermu-
das- oder Sommer-Inseln;
5. der Canal von Florida zwischen Florida und Cuba fiihrt
in den
6. Meerbusen von Mexico mit der Apalache-Bai (im
Nordosten) und der Campeche-Bai (im Siidwesten), und aus die-
sem die Strasse von Yukatan in das
7. karaibische oder Antillen- Meer mit der Honduras-
Bai und den Golfen von Guatemala (oder Nicaragua), von D a r i e n ,
von Maracaybo und von Paria. Das karaibische Meer beepiilt die
grossen Antillen: Cuba, Jamaica, Haiti (oder St. Do-
mingo, zuerst Hispaniola genannt) und Portorico, — vor der
Ostktiste der letztgenannten Insel ist die Gruppe der Virgini schen
Inseln (St. Croix, St. Jean u. s. w.), an welche sich in zwei Paral-
lelreihen die Kette der kleinen Antillen anschliesst (darunter
Guadeloupe, Martinique, Sta. Lucia, Grenada, Barbuda, Antigua,
Mariegalante, Barbados, Tabago, Trinidad) ; — nordostlich von den
grossen Antillen liegen die Lucayas- oder Bah a ma- Inseln (Ba-
hama , Abaco , Neu - Providence , Guanahani oder St. S a 1-
v a t o r u. s. w.) ;
8. das brasilianische Meer mit dem Marahon-Busen, der
Allerheiligen-Bai und der Bai von Rio de Janeiro;
9. das La Plata-Meer mit dem Busen von Buenos-Ayres
und das Meer von Patagonien mit dem Golf von St. Antonio;
10. das Magelhaens-Meer mit der Magelhaens-Strasse
zwischen der Siidspitze des amerikanischen Festlandes (Cap For-
ward) und der Insel Feuerland, dann der Strasse Le Maitre
zwischen dem Feuerland und den Staaten -Inseln (Siidspitze
Cap Hoorn). Ostwarts im offenen Meere liegen die Falklands-
Inseln, Siid-Georgien und kleinere Inseln.
17
§. 16. Der grosse (oder stille) Ocean.
(Grenzen, siehe §. 10.)
Theile des grossen Oceans sind:
A. Im Osten.
1. Das Behrings-Meer (oder von Kamtschatka) mit dem
Norton -Sund und der Bristol-Bai, und den Inseln St. Lorenz,
Nunniwak und der Kette der Aleut en;
2. durch die Strasse von S ch ele k off (vor derselben die Ineel
Kadjak) gelangt man in den Kenai-Sund (Cook's Einfahrt),
welcher im Siidosten in Verbindung steht mit dem
3. Tschu gatschki- oder Prinz Willia m-Sund, welcher
mit kleinen Inseln gefullt ist ;
4. der Cross- (oder Kreuz-) Sund mit der Insel Sitka,
dann der Prinz v. Wales -Archipel;
5. der Meerbusen von Georgia und die Admiralitat-
Bucht mit dem Konigin Charlo t te-Sund und Juan de Fuca-
Strasse, und den Inseln: Konigin Charlotte und Quadra oder
Vancouver;
6. der Meerbusen von Californien (oder das Purpurmeer).
7. Im tropischen grossen Ocean sind: die Baien von T ehu an-
te pek (16° n. B.), Papagayo (11° n. B.), Panama (bis 9° n. B.),
Choco (4° n. B.) und Guayaquil (3° s. B.); westwarts (unter
dem Aequator) liegen die Ga lop ago s - Inseln;
8. das Meer von Peru mit der Callao-Bai;
9. der Golf von Valparaiso;
10. der Chonon- (oder Guayteca-) Golf, mit der Chiloe-
Insel, — siidlich von diesem der Pen as -Golf, dann der Campana-
Kanal und die C one epci on -Strasse.
B. Im Westen.
1. Das Behrings-Meer mit dem Anadyr-Busen und der
Oliutorskaja- Bai;
2. das Ochozki'sche Meer mit der Insel K a raft a (oder
Sachalin), und zwischen dieser und dem Festlande die tartari-
sche Strasse, dann mit der Inselkette der Kuril en. Mittelst der
Strasse von la Perouse (zwischen Karafta und der Insel Jesso)
steht es mit dem
3. Japanischen Meer in Verbindung, vor welchem die
Japanischen Inseln liegen (Nipon, Sikokf, Kiusiu u. s. w.) ; die
Sangar-Strasse (zwischen den Inseln Jesso und Nipon) verbindet
es mit dem grossen Ocean, und die Strasse von Korea mit dem
4. ost-chinesischen Meer, dessen nord westlicher Theil das
gelbe Meer (Whang-Hai), den Pe-tsche-li- (oder Tschili) Bu-
sen und die Bucht von Liao-toung bildet; siidlicher ist die
Bucht von Nangae'aki, und im Sudosten davon der Liu-Kiu- (oder
Likejo-) Archipel. Die Strasse von Fu-Kian (zwischen dem Fest-
lande und der Insel Formosa oder Taiwan) fiihrt in das
5. slid- chinesische Meer (§. 14, N. 6);
6. das Inselmeer der Marianen- (oder Ladronen), Caro-
linen-, Salomons-, Neuhebriden-, Freundschaf ts-, Ge-
Klun's Handels-Gcographie. 2. Aufl. 2
18
sellschafts-, der niedrigen Inseln-, Marquesas-, Lord
Mulgrave-, Sandwich- und mehrere andere Archipele von
Australian ;
7. das Meer von Neu-Guinea, die Torres-Strasse (§. 14,
Nr. 8) fiihrt in das Cor alien -Meer (an der Nordostkiiste von
Neu-Holland). An der Oatkiiste von Neu-Holland ist dieBotany-
oder Port-Jackson's-Bai ;
8. das Meer von Neu-Seeland init der Cook's-Strasse,
welche Neu-Seeland in z\vei Inseln theilt;
9. das Van-Diernens - Meer mit der Van-Diemens-
(oder Tasmania-) Insel und der Bass-Strasse zwischen dieser Insel
und dem Kontinente.
B. Beschreibung der Erdtheile.
§. 17. Die horizontals Gliederung Europas.
JDnter horizon taler Gl ied erung versteht man die r'aum-
liche Ausdehnung des Kontinentes nacb Breite und Lange, die Ge-
stalt des Stammes, die daran hangenden Glieder und die Verbrei-
tung der zu dem Kontinente gehorigen Inseln.
Europa ist 168.000 QM. gross; davon kommen etwa 120.000
auf den Stamm, 40.000 auf die Glieder (Halbinseln) und an 8000
auf die Inseln. Die Kiistenentwickelung betragt an 4300
Meilen, wornach auf je 38 QM. Flachenraum 1 M. Kustenlange
entfallt.
Der Stamm hat die Gestalt ernes Dreiecks, dessen Endpunkte
in die sudostlichste Ecke des biscayischen Meerbusens, in die Nord-
spitze des kaspischen Sees und in die Siidspitze des karischen
Meeres fallen.
Die bedeutendsten Glieder (Halb-
inseln) Europa's sind :
Die grossten zu Europa geborigen
Inseln sind:
Kanin 160 DM.
Kola (lappische Halbinsel) . 1800
Skandinavien 16,000
Jutland 590
Nord-Holland J ' 30
Cotentin (normannische
Halbinsel) 40
Bretagne 350
Hesperische oder pyrenaische
Halbinsel 10,600
Italien 2930
Istrien 35
Griechische Halbinsel 6600
Taurien oder die Krvm .. 360
Novaja- Semlja 2000 DM.
Grossbritannien 4188
Irland 1526
Island 1840
Corsica 160
Sardinien 433
Sicilien 477
Candia oder Creta 145
§. 18. Die horizontal!; Gliederung Asiens.
Der Flachenraum von Asien betragt an 883-000 QM.; davon
entfallen an 675,000 auf den Stamm, 155,000 auf die Glieder und
53,000 auf die Inseln. Die Kustenentwickelung betragt etwa
7700 M., wornach auf je 114 QM. Flachenraum 1 M. Kustenlange
entfallt.
19
Der Stamm hat die Gestalt eines Trapezes, dessen 4 End-
punkte sind : die Landenge von Suez, die Strasse von Hainan, das
Cap Schelagskoj und der karische Golf.
Die bedentendsten Glieder von
Asien sind :
Die grossten asiatischen Inseln
sind:
Die Tschnktschen Halbinsel
3000 DM.
4000
7000
33,000
50,000
48,000
10,000 „
Die Inselreihe der Kurilen .
Karafta (oder Sacbalin) ....
Die japanischen Inseln .
Die chinesischen Inseln mit
320 Dl
2000
10,000
1060
758
3680
1070
3316
13.508
2325
7474
1181
128
Korea ...
Hinterindien mit Malakka..
Vorderindien mit Guzerat..
Arabien
Hainan
Die Philippinen . ...
Kleinasien (Natolien, Ana-
doli)
Die Molukken . . .
Celebes
Ceylon
Cvoern . .
§. 19. Die horizontals Gliederung Africas.
Der Flachenraum von Africa betragt an 545.000 QM. ; davon
entfallen auf den Stamm an 534.000, auf die Inseln 11.000 DM-5
die Kus tenen twicke 1 u ng betragt nur 3500 Meilen, wornach
erst auf je 155 Q M. Flachenraum 1 Meile Kiistenlange entfallt.
Dieser Kontinent ist einformig, massenhaft und nicht gegliedert;
die Kiisten weisen auf langen Strecken fast gerade Linien und ent-
weder gar keine oder nur geringe Meereseinschnitte.
Der Stamm kann durch eine Linie, welche die innersten
Winkel der Busen von Biafra und Aden verbindet, in zwei Halften
getheilt werden. Die nordliche Halfte hat die Gestalt eines unregel-
massigen Viereckes, dessen Lange (von Ost nach West) etwa zwei-
mal so gross ist als die Breite (von Nord nach Siid) ; die sudliche
Halfte hat die Gestalt eines Dreieckes. Auf der nordlichen Hemi-
sphare liegen 363.000, auf der siidlichen nur 171.000 D^.
Die zu Africa gehorige Inselwelt ist verhaltnissmassig unbe-
deutend. Die einzige grosse Insel ist Madagascar (10.900 QM.),
ferners gehoren zu Africa die im §. 15. A. N. 9. 10. 11. 12 ge-
nannten Inseln.
§. 20. Die horizontal^ Gliederung Americas.
Der Flachenraum von America betragt an 668.000 O^., da-
von entfallen an 627.000 auf den Stamm, 61.000 QM. auf die
Glieder und Inseln. — Americas grossere Halfte liegt auf der nord-
lichen Hemisphere und es breitet sich sowohl gegen den Nordpol
als auch gegen den Siidpol weiter aus , als irgend ein Kontinent.
Durch die (6 Meilen breite) Landenge von Panama werden die
zwei grossen Halbinseln Nord- und Siidamerica mit einander ver-
bunden. America hat eine Kustenentwickelung von 9400 M.,
wornach auf je 71 O^. Flachenraum 1 M. Kiistenlange entfallt.
Nordamerica hat einen Flachenraum von 342.000
2*
20
erne Kustenentwickelung von 6000 M.; es entfallt demnach 1 M.
Kuatenlange auf 57 \^]M. Flachenraum ;
Siidamerica hat einen Flachenraum von 321.000 QM., eine
Kustenentwickelung von 3400 M. ; es entfallt demnach 1 M. Kiisten-
lange erst auf 94 QM. Flachenraum.
Der Stamm von Nordamerica hat die Gestalt eines Dreieckes
und auch jene von Siidamerica nahert sich einem rechtwinkeligen
Dreiecke.
Die bedeutendsten Glieder von Nord-
america sind:
Zu den grosseren Inseln Americas
gehoren :
Melville 4500 DM.
Labrador 24.000 „
Neu - Schottland (oder
Akadia) 650
Maryland
Florida
Yucatan
Aljaska
Tschugatschen-Halbinsel.
Californien
290
1100
2200
400
250
2600
GrSnland 20,000 DM.
Spitzbergen 1024
Neufundland 1000
Cuba 1966
Haiti 1368
Jamaikn 270
Portorico 185
Feuerland 1304
Sudamerika hat keine bedeutenden
Meerbnsen, daher auch keine Gliederung.
§. 21. Die liorizontale Gliedernng Australians.
Der Flachenraum von Australien betragt etwa 160.000
wovon an 134.000 auf den Stamm, 26.000 QM. auf die Inseln und
die einzige bedeutende Halbinsel Carpentaria entfallen. Die
Kustenentwickelung betragt an 1930 M., wornach auf je
82 QM- Flachenraum 1 M. Kiistenlange entfallt.
Der Stamm hat die Gestalt eines langlichen Viereckes, wel-
ches eich mehr von Oaten nach Westen (600 M.) als von Nord nach
Sud (400 M.) ausdehnt.
Grossere australische Inseln sind :
Neu-Guinea 12,599 QM.
Neu-Seeland (und die Nebeninseln) 4828 „
Van Diemens-Land oder Tasmania. . . . 1254 „
Neu-Caledonien (und die Nebeninseln) . 434 „
Sandwich (und die Nebeninseln) 342 „
§. 22. Die horizontale Gliederung der Erdtkeile im Allgemeinen.
Die Kustenentwickelung von Euro pa ist im Vergleiche zu
den anderen Erdtheilen die bei weitem ausgebildetste (1 : 38) und
nimmt von Osten nach Westen zu ; die grosste Kustenentwickelung
besitzen Griechenland und Grossbrit annien. Auch die Be-
schaffenheit und Lage der europaischen Inseln ist dem Verkehr
und der sich ausbreitenden Kultur sehr gunstig.
Nordamerica hat durch grossere Kustenentwickelung (1 : 57),
durch reichere fur die Kultur sehr wichtige Inselbildung, durch sein
zugangliches Flussgeader und durch zwei bedeutende Binnenmeere
Aehnlichkeit mit der vortheilhaften Gestaltung von Europa, mit dem
es in grosserer Verbindung steht als mit der asiatischen Ostkiiste.
21
Die Nordostseite Americas ist aber auch durch Buchten, Hafen und
Inseln vollstandiger entwickelt als die Westseite.
Sudamerica dagegen erinnert durch seine Gestalt, die Ein-
formigkeit des Kiistensaumes (1 : 94) und die Armuth der Inselbil-
dung mehr an Africa.
A si en (1 : 114) hat die starkste Gliederung im Siiden und
hier auch die reichste Inselbildung. Diese grosste Inselgruppe der
Erde bildet gleichsam eine Welt fur sich. Im W eaten ist nur
Eine grossere Halbinsel, doch bilden die vielen kleineren Ineeln die
Brucken fur die Kultur nach Europa. Im Nor den entsteht durch
die erweiterten FlussmQndungen zwar eine reichere Gliederung, doch
dringen die Meereseinschnitte nicht in die gemassigte Zone, wesshalb
jene Erdtheile fur Ansiedlungen minder geeignet sind. Die Glie-
derung im Os.ten ist beinahe zehnmal geringer als jene im Siiden.
Africa hat die einfachste horizontale Gliederung (1 : 155), es
ist ein Stamm ohne Glieder, so dass sich die Gestalt einer ovalen
Figur nahert, und dieser Kontinent hat somit die geringste Zugang-
lichkeit. Auch entbehrt er der Vortheile der Inselbildung, da er
fast keine bedeutenden Gestade-lnseln besitzt.
Die horizontale Gliederung des Kontinentes von Australien
ist fast ebenso entwickelt wie America (1 : 82). Im Norden wie im
Siiden ist nur je Ein tiefer Einschnitt; im Siidosten dagegen hat
es im kleinsten Umfange den grossten Hafenreichthum der Erde
und iat der Mittelpunkt fur die Schifffahrt der Siid-Hemisphare und
der Colonisation Australiens geworden.
§. 33. Die vertikale Gliederung.
Unter vertikaler Gliederung (oder senkrechter Erhebung)
verstent man""die~lraumliche Ausdehnung der cinzelnen Theile des
Kontinentes vom Meeresspiegel nach den ausseren Grenzen der Luft-
hiille zu. Sie ist \veit einflussreicher auf das Natur- und Volker-
leben als die horizontale Gliederung. Einerseits findet auf kleinen
horizontalen aber bedeutenden vertikalen Dimensionen die grosste Ver-
schiedenheit in Bezug auf Temperatur, Klima und Vegetation statt;
andererseits bilden vertikale Erhebungen Hemmnisse fiir den Verkehr
und die Ausbreitung der Kultur der Volker. Der Zug der Gebirge
bestimmt weiters die Abdachung, folglich die Hauptrichtung der
Fliisse, und Gebirge sind nicht selten nicht nur Wasserscheiden,
sondern auch Sprachscheiden , Grenzen der Kulturentwickelung
stamm- oder sprachverschiedener Nachbarn. Gebirgsiibergange und
Gebirgspasse verbinden hingegen oft nach verschiedenen Richtungen
auslaufende Strassen, sie vermitteln den materiellen und geistigen
Verkehr. An den Zug der Gebirgsthaler und Gebirgsubergange, an
den Lauf der Fliisse und ihre Miindungen, an die Kiistenentwicke-
lung iet fast die gesammte Kultur und JSittigung der Vdlker, die Ge-
schichte des materiellen und geistigen Aufbluhens, die der Volkerziige,
Kriegsthaten, des Handels und der Industrie gekniipft. Die Kenntniss
der Gebirgssysteme und des Flussgeaders ist demnach fiir den Ver-
kehr von hoher Bedeutung.
Der Meeresspiegel wird als eine Flache betrachtet, deren
Punkte vom Mittelpunkte der Erde gleichweit abstehen (etwa 860 Mei-
len). Das Festland erhebt sich nun (mit seltenen Ausnahmen) iiber
den Meeresspiegel, und diese Erhebung iiber dem Meere heisst ab-
solute Hohe eines Punktes (Seehohe), wahrend die Erhebung eines
Punktes uber die nachste Umgebung (z. B. fiber einen See, die Thal-
sohle u. dgl.) dessen relative Hohe genannt wird. Jene Theile der
Erdoberflache, deren Seehohe 600' oder mehr betragt, heissen Hoch-
lan der, unter 600' aber Tieflander.
§. 24. Die vertikale GHederung von Earopa.
Europa besitzt eine noch grossere Mannigfaltigkeit in der ver-
tikalen Gliederung als in der horizontalen Bildung und diese Mannig-
faltigkeit, welche das Charakteristische dieses Erdtheiles ist, ersetzt die
fehlende Grossartigkeit. In Europa findet man alle Hauptformen der
Bodenbildung (Hochgebirge, Mittelgebirge , Tiefebene, Tafelland,
Stufenland) ; aber nirgends kommen massenhafte Bildungen oder koloa-
sale Diraensionen vor. Eine Linie von der Rhein- zur Dnjestr-Miin-
dung scheidet im Kontinentalkorper das grosse zusammenhangende
^iefland von Nordost-Euro pa von dem Gebirgslande
Sudwest- Europa s. DaseuropaischeBergland nimmt 53,OQOQM.,
das Tiefland 115,000 QM. ein ; das Verhaltniss von Bergland zu
Tiefland ist somit 2 : 5, und Europa iibertrifft im Vorherrschen der
Form des Tieflandes alle ubrigen Erdtheile, Die Form des Tief-
lapdes herrscht jedoch nur im Kontinental-Korper vor; in den Glie-
dern (Halbinseln sowohl als Inseln) ist die Form des Berglandes iiber-
wiegend ; — beide Formen aber stehen in vielfaltiger Beriihrung zu
einander, wodurch die Einformigkeit des einen wie des anderen be-
seitigt und die Verbindungen der verschiedenen Gegenden dieses
Erdtheiles unter einander erleichtert werden.
§. i5. Uebersicht des enropaischen Gebirgslandes.
a) Im kontinentalen Dreiecke.
Das bedeutendste Gebirgssystem in Europa eind die Alpeu.
Zwischen 12 Langengraden und in einer von Westen nach Osten
(zwischen 20 — 40 Meilen) wachsenden Breite nehmen sie einen
Fliichenraum von beilaufig 4500 DM. ein. Sie sind keineswegs em
regelmassig gegliedertes Gebirgssystem, sopdern das Alpenganze ist
gleichsam eine Summe von selbststandigen Erhebungsmassen, von
Berg- und Gipfelfamilien , die durch Firste oder mittelbare Ver-
bindungsglieder mit einander in Verbindung stehen ; sie sind grosse,
durch Einsattlungen getrennte, vielgipfelige Hochgebirgsmassen, deren
Glieder sich nach alien Richtungen als Langen- und Querketten ver-
zweigen. Nach der horizontalen Erstreckung konnen sie in VVest- und
Ostalpen eingetheilt werden. Als Grenze zwischen beiden kann
das Rhonethal bis zur Einsattlung am grossen St. Bernhard, das
Dorathal, der Po und das Thai bis zum Bocchetta-Passe(bei Genua) an-
genommen werden. In Bezqg auf die vertikale Erhebung unterschei-
det man drei Abstufungen : a) Voralpen (2000—5000'), haupt-
sachlich auf der Nordseite, reich an Waldern, Weiden und bevolker-
ten industriereichen Thalern ; b) Mittelalpen, mit einer durch-
schnittlichen Kammhohe von 5000 — 8000', von der Grenze dea Baum-
wuchses bis zu jener dea ewigen Schneea, — Alpenwirthschaft und
Jagdbieten reichen Erwerb; — c) Ho c ha Ip en (8000 — 12000') oder
die Region des ewigen Schneea und Eisea mit Schneefeldern auf den
Riicken der Alpenketten und Gletschern an den muldenformigen
Enden der Schneefelder.
A. Die Westalpen. Sie ziehen sich zwischen den Golfen von
Genua und Lyon im Halbbogen bia zur obgenannten Grenzlinie.
Die mittlere Kammhohe ao wie die Hohen der Gipfel nehmen von
Siiden nach Norden zu, der Weatabhang iat breiter, der Ostabhang
vielfach steil. Sie zeichnen aich durch Schroffheit und Wildheit der
Gestaltung, Hohe der Gipfel, kiirzere, enger geschloaaene, meist von
Westen nach Oaten ziehende Ketten aus und werden in 3 Gruppen
geachieden :
1. Die Seealpen — von der Bocchetta bia zur Po-Quelle;
(M. Viso 11.800');
2. die Cottiachen Alpen, — von da bis zum Thale der Dora
Ripera, dann begrenzt vom M. Cenis-Paas (6000') und dem
Thale der Isere; aie reichen am weitesten nach Westen;
(M. Cenis 8670', M. Genevre 11.000');
3. die grauen (oder grajiachen) Alpen, zwischen den Rhone-
thalern, dem Genferaee, der Einaattlung am grossen St. Bernhard
(7700') und dem Dora baltea-Thale.
(M. Blanc 14.800', M. Iseran 12.400'.)
B. Die Ostalpen. Die Hauptgruppen der Ostalpen ziehen
aich in langeren Ketten in ostlicher Richtung, werden stets niederer,
je breiter aie sich entfalten , zeichuen aich durch einen eigenthiim-
lichen Parallel iamus aus, und bestehen aus einer Mitt el zone und
aus zwei begleitenden Nebenzonen. In der ganzen Lange der
Ostalpen zieht aich namlich eine Reihe abgeaonderter Centralmaasen
aus primitiven Felsmauern (hauptsachlich Granit) ala Central-
oder Ural pen hin. Die zerrissenen schroffen Grate und pyramida-
len Gipfel mit steil abgeriasenen Felawanden ragen hoch in die
Schneeregion , ihre Hochthaler aind mit Gletschern bedeckt, zwi-
schen den nord- und audwarts auslaufenden Seitenarmen ziehen
sich tiefgefurchte Parallel-Thaler und acheiden die Centralmassen
in viele abgesonderte Gruppen. Diese Centralalpen werden an
der Nord- und Siidaeite von fast parallelen Giirteln begleitet, deren
vorherrachendes Gestein der Kalkatein iat, wo von sie den Namen
der nurdlichen und aiidlichen Kalkalpen erhalten haben.
Die lichtgraue Farbung, die zerkliifteten unregelmassigen Formen
und kahlen Wande, die aeltene Gletscherbildung, die zahlreichen
Engpasse, durch welche sich haufig Wildbache stiirzen, kennzeich-
nen im Allgemeinen die Kalkalpen.
a) Die Central-Alpen.
Die einzelnen Gruppen der Central-Alpen aind:
1. Die Walliser- (oder Penninischen) Alpen zwischen den
Einsattlungen des grossen St. Bernhard und Simplon. den Thalern
der Rhone und Dora baltea und der lombardischen Ebene mit einer
24
mittleren Hohe von 6600', zahlreichen Schneegipfeln , grossartigen
Gletschern, der hochste und wildeste Theil des Alpengebirges , die
kompakteste und grossartigste Gruppe in der Schweiz, mit einer
Menge enger, bewohnter Seitenthaler.
(M. Rosa 14284', M. Cervin 13.864'.)
2. Die Adular- (oder lepontinischen) Alpen, ein weitver-
zweigter Gebirgsstock zwischen dem obersten Rhonethal und jenem
des Hinterrheins , vom Simplon - Passe (6200') bis zur Splugen-
scharte (6500') mit den drei Einsenkungen des St. Gotthard, Bern-
hardin und Spliigen , nebst den Siidauslaufern zwischen dem Lago
maggiore, dem Lugano- und Como-See.
(St. Gotthard's Passhohe 6400', Lukmanier 6135', Splugen-Passhuhe 6500'.)
3. Die Berner- Alpen, begrenzt von den Thalern der Rhone
und Aar (welche der Grimsel-Pass mit einander verbindet) und der
Schweizer Hochebene, laufen fast parallel mit den Walliser-Alpen,
denen sie an Hohe nur wenig, an Mannigfaltigkeit und Schonheit
der Formen gar nicht nachstehen , mit sehr steilem Sudabfall ins
Rhonethal. Kein anderer Theil der Hochgebirgs-Schweiz hat eine
solche imposante Langenauedehnung , keiner so flachenhaft-zusam-
menhangende Gletscher und Firnfelder, und bei keinem ist die
Gipfelbildung so reichhaltig, formenkeck, und darum fur das Auge
so fiberraschend entwickelt als bei diesem.
- (Finsteraarhorn 13.160', Jungfrau 12.800', Schreckhorn, Wetterhorn, M6nch.)
4. Die Glarner-, Schwyzer- und O s t urne r- Alpen
(oder Todi-Gruppe) in der Richtung der Berner-Alpen , zwischen
dem Reuss- und Vorderrheinthal.
(BerghShen: Todi 11.100', Calanda, Glarnisch, Mythen, Rigi.)
5. Die Vierwaldstatter-Alpen (oder Titlis- Gruppe) zwi-
schen den Thalern der Reuss und Aar mit den bedeutendsten Hohen:
Titlis, Uri-Rothstock, Pilatus, Napf,
6. Die Thur- Alpen mit dem Santis und den Appenzeller-
Alpen zwischen dem Wallenstadter-See, dem Rhein und Bodensee.
7. Die rhatischen Alpen beginnen an der Spliigenscharte
und endigen an den tiefen Einsenkungen des Brenner-Passes (4425'),
Sie bestehen aus zwei Hochgebirgsketten und mehreren Verzweigungen.
a) Die S ept im er-Kette (oder die Graubiindtner- Alpen) am lin-
ken Inn-Ufer mit dem Septimer (7560'), Julier (6440'), [uber wel-
chen eine Kunststrasse fiihrt,] Albula und dem Jamthaler-Fer-
ner, von wo ein Arm uber den Albuinkopf (10.230') als Rhati-
kon-Kette zum Rhein, ein anderer zum Arlberg (Sattel 5651',
hochster Punkt 9158'), und der Hauptzug durch das Paznaun-
Thal bis zur Mundung der Trisana in den Inn sich hinzieht, und
b)die Bernin a-Kette zwischen dem Inn und der Adda bis zum
Wormser- und Stilfaer-Joche (8850'), (Bernina-Pass 7000'), und
die Veltliner- Alpen am linken Adda-Ufer, welche am Como-
See (M. Ligonico 10.500') endigen.
8. Oestlich von der tiefen Scharte des Rechenscheideck (4840',
in der Nahe der Etschquelle) sind die Ti roler- Alpen mit den
ausgedehnten Gletschergruppen des Gebatsch-, Hochvernagt-, Oetz-
25
thaler- und Stubai-Ferners , uber denen hohe Spitzen emporragen,
und mit tiefen Thalspalten.
(Bergspitzea : Weisskngel oder hintere wilde Eisspitze 11.800', — Wild-
spitz 11.900', — Similaunspitz 11.400', — der hohe First 10.700'.)
9. Ostwarts vom Wormser- und Stilfser-Joch (8600') ziehen
sich zwischen der Adda und Etsch die Or t el er- Alpen mit den
Zufall-, Forno-, Lavis-Fernern u, e. w.
(Berghohen: Ortelsspitze 12.350' — Oesterreichs und Deutschlands
hochster Punkt — , M. Zebru 12.200', — M. Adamello 11.250'.)
10. Das untere Inn- und Wip-Thal und die Brenner-Einsen-
kung (4450') zum Eisack- und Etschthale bilden ebenfalls eine
natiirliche Grenzscheide ira Alpengebiete. Im Osten dieser Scheide-
linie sind die Gletscher des Ziller - Thales und dann die ho hen
Tauern, in mehrere Gruppen getrennt, mit ausgedehnten
Gletschern und hohen Bergspitzen iiber denselben.
(Dreiherrnspitz 11.349', — Snlzbacher Venediger 11.600', — Grossglockner
12000', — Wiessbachhorn 11.300', — der Hochnarr*) 10.900', — Ankogel
10.300'.)
Am Hafnerspitz , im Westen der Einsattlung am Katsch-
berge (5100') trennt sich davon die Kette der niederen Tauern,
welche sich von der Gabelung an der Murquelle nordlich (zwi-
schen der Enns und Mur) als Radstadter- (Hochgolling 9000') und
Rottenmanns-Tauern unter vielen Lokalbenennungen hinziehen, und
dann in der Hohe von Voralpen zur Mur herabsenken. Sie ver-
ISeren auf ihrem Zuge nach Osten an Schroffheit, Gletscherbildung,
Hohe und Kettenverbindung. Der sudliche Zug geht zwischen der
Mur und Drave, gewinnt an Breite, wird von der Mur (bei der
Einmundung der Miirz) durchbrochen, zieht sich langs dem linken
Murufer (Plankogel, Schockl (4545'), und langs der Miirz, erreicht
im Wechsel (5500') den lezten bedeutenden Hohepunkt der Ur-
alpen, und senkt sich im Leithagebirge zur Donau herab,
Vom Murdurchbruche ziehen sich am rechten Murufer bis jen-
seits der Drave im convexen Halbbogen mehr oder minder zusam-
menhangende, die Parallelketten der Alpen abschliessende Gruppen
mit localen BenennUngen (Stub-, Pack-, Sau-, Kor- und Schwab-
Alpe, Posruck, Bacher-Gebirge), bis sie in den Windischen Buheln
zwischen der Mur und Drave zur Ebene sich senken.
b) Die nordlichen Kalkalpen.
Die nordlichen Kalkalpen erstrecken sich vom Bodensee
und dem Rheinthale bis zum Donaubecken bei Wien , haben einen
steilen Abfall nach Suden und werden durch Querthaler und Neben-
fliisse der Donau in mehrere Gruppen geschieden :
1. Die Algauer- Alpen vom Rheinthale und dem Ufer des
Bodensees bis zum Durchbruche des Inn bei Kufstein. Gegen das
Innthal fallt das Gebirge steil ab, gegen Oberschwaben und die
bairische Hochebene senkt es sich allmahlich mit vielen Widerlagen
und Armen. Die grosste Masse davon liegt in Baiern, daher der
Name bairische Alpen. Sie werden durch die Thaler der Bre-
genzer-Ach, der Iller, des Lech und der Isar in mehrere Gruppen
*) Der alteste dokumentirte Name ist Hochhorn.
geschieden, nur am nordlichen Rande des Innthales ziehen sie sich
in zusammenhangender Kette.
(Rothe Wand 8500', in der Nahe der Lechquelle, — Hochkogel 8167',
zwischen Iller und Lech, — der grosse Sol Is tein 9357', nordlich von Zirl,
— der kleine Sollstein rait der Martinswand 8000', nordwestlich von
Innsbruck; — zwischen der Loisach und Isar das Wetter steingebirge
(Zugspitze 9300), — ostlich der Isar das Kahrwandelgebirge.)
Im Osten vom Inndurchbruche zerfallen die Kalkalpen in viele
Gruppen , mit tiefeingeschnittenen Thalern und zahlreichen Seen.
Diese Gruppen, welche sich auch durch Mannigfaltigkeit der For-
men und malerische Schonheit in einzelnen Partien auszeichnen,
bilden gewohnlich Plateaux, iiber welche einzelne Gipfei emporragen.
— Die bedeutendsten Gruppen sind :
2. Die Ber cht e sgadner-Gruppe zwischen Saale und Salza
mit dem Msteinernen Meer" und der ..iibergossenen Aim."
(Ewiger Schneeberg 9298', — Watzmann 9058', — der hohe Goll 8030',
— der Untersberg 5860'.)
3. Das Tannengebirge, ostlich der Salza, rauh und vege-
tationsarm. (Rauchek 7682').
4. Die Dachstein-Gruppe mit dem Dachstein (9490') und
den 6'stlichen Gletschern der Nordalpen , endet mit dem Laufner
in das Ischl-Thal. Nordlich davon, zwischen dem Mond-, Traun-
und Wolfgang-See steht der Schafberg (5630') mit einer sehr
malerischen Rundschau und ostlich von diesem das Plateau des
Hollengebirges. Zwischen der Traun und dem Inn zieht sieh die
Hugelmasse des Hausruck.
5. Die Priel-Gruppe mit einer Reihe von Hochplateaux und
vielen Verzweigungen zwischen der Traun, Enns und Steier ; ostlich
vom Steierthale das Hochsengsen- Gebirge und ostlich vom
Gmundner-See die Gruppe des Traunstein.
(Grosser Priel 7940', — kleiner Priel 6740', — Traunstein 5340'.)
6. Das Felsenplateau des Hochschwab (7174') eine der
grossartigsten Alpenmassen , dessen Vorberge zur Enns, Mur und
Miirz reichen. Ueber die Einsattlung des Seeberges steht der Hoch-
schwab in Verbindung mit der Veitsch-Alpe (6246') , und von
dieser ist durch die Miirz die Schnee-Alpe (5988') getrennt, welche
fiber den Nassberg-Sattel mit der Rax-Alpe (Heukuppe 6338') zu-
sammenhangt. Ala letzter Hochgipfel der nordlichen Kalkalpen steht
der Schneeberg (6566'). In der Nahe der Erlaf- und Ypsquelle
steht der Oetscher (5969').
Der Zug dieser Hochgipfel senkt sich allmahlich zu niederen
Vorbergen unter dem gemeinsamen Namen des Wi ener- W aid es
gegen die Donau herab und endet in dem Kahlenberge (1329')
bei Wien.
c) Die siidliclien Kalkalpen.
Die siidlichen Kalkalpen ziehen sich von dem ostlichen^ Ufer
des Lago maggiore im Norden der lombardisch - venezianischen
Ebene, des Karstplateau und der Save bis zur Theissmiindung. —
Ihre bedeutenderen Gruppen sind:
1. Die lombardischen Alpen, ein Gebirgszug zwischen
den Central- Alpen und der lombardischen Ebene, dem Ostufer des
27
Lago maggiore und der Etsch, welcher durch tiefgelegene Seen und
Flussthaler in viele Gruppen geschieden wird. Den Uebergang vora
Hochland zur Tiefebene bilden niedere Vorgruppen (die Hiigel der
Brianza zwischen Lecco uud Monza). Zwischen dem Garda-See
und der Etsch zieht sich der schroffe Riicken des M. Baldo
(M. maggiore 7300'), der gegen Peschiera terrassenformig abfallt,
2. Die venezianischen Alpen , begrenzt von der Etsch,
dem oberen Piavethal und durch das Sextenthal zum Pusterthale
(Ampezzaner-Strasse), mit der Gruppe der lessinischen Gebirge
(zwischen Etsch und Brenta) ; — die Gruppe des M. Mar mo-
la ta (10.500'), letztere mit eehr zahlreichen Verzweigungen zwischen
der Brenta und Piave, mit Gletscherbildung und wildem Gebirgs-
charakter; — endlich der Gruppe von C ado re zwischen der Piave
und dem Tagliamento (M. Antelao 10.297') und mehreren steil in
die friaulische Ebene abfallenden Parallelgruppen,
3. Im Osten des Sextenthales erhebt sich die Gruppe des
Biirkenkogel , von wo sich der Hauptzug als karnische Alpen
bis zur Gailitzschlucht (Canalthal) in ostlicher Richtung hinzieht
und mehrere Queraste nach Siiden aussendet. Fast parallel mit die-
sem Zuge und nordlich durch das Gailthal von ihm getrennt, ziehen
sich die Gailthaler- Alpen , durchschnitten von drei bedeutenderen
Passen , bis zum Dobrac (6800').
4. Ostwarts der Gailitzechlucht setzt sich der Hauptzug als Kar-
wanken (iiber welche zwei Uebergange — Wurzen undLoibl (3900')
— fiihren) zwischen dem Drave- und Savethal fort. Zur Save zieht
sich dann das K o c n a - Gebirge und die Grintouc- Gruppe (8086',
Steiner-Alpen). Die letzten ostlichen Auslaufer (Matzel- und.Waras-
diner-Gebirge zwischen Save und Drave , — Fruska gora und
Wrdnik- Gebirge in Syrmien) sind theils vereinzelte, theils zu-
sammenhangende waldige Hiigelreihen.
5. Der machtigste Gebirgsstock der sudlichen Kalkalpen liegt
in den siidlich von den karnischen Alpen gelegenen Gruppen, welche
durch das Thai des Isonzo getrennt sind: a) die Gruppe des M. Ca-
nin (7200') zwischen der Fella und dem Isonzo steht iiber die
Predil-Senkung (3692') mit der nordostlichen hoheren Mangart-
Gruppe in Verbindung; — b) zwischen dem Isonzo und den beideu
Langenthalern der Save ist die Triglav- Gruppe (Triglav 9037'),
welcher eine ausgedehnte Alpenplatte gegen Siidosten vorgelagert
ist, die zum oberkrainischen Becken herabfallt.
Die Thaler des Isonzo, der Idrica und Zeyer (Zora) bis zur
Save schliessen die siidlichen Kalkalpen ab, jenseits dieser Thaler
hort der Alpencharakter a(uf, es beginnt das merkwiirdige Gebilde
des Karstes.
Der Karst. Dieses grosstentheils ode Kalkplateau mit den
vielen Mulden, Trichtern und Hohlen, unterirdischen Grotten und
Wasserlaufen, fast ohne offene Flussthaler, mit geringer Hohe, aus
der nur vereinzelte Berghohen emporragen, zieht sich von der fruher
bezeichneten Grenze zum adriatisohen Meere, durch Istrien , langs
der Kuste des Quarnero-Busens, auf den benachbarten Inseln, durch
Dalmatien und in die Tiirkei bis zu den Vorbergen des Haemus.
28
Der nord westliche Theil kann hoher Karat, der sich daran
schliessende der niedere genannt werden. Im Oaten dea Quarnero-
Busena treten zwei parallele Arme (groaae und kleine Kapella),
im nordlichen Dalmatien der Velebic als zusammenhangende Ketten
bemerkbar hervor. Die vielen Langen- und Quergruppen werden
zudem vielfach unterbrochen, doch tragen sie alle den auagepragten
Karatcharakter.
Der Jura bildet ein von den Alpen vollig unabhangigea Ge-
birgssystem, von denen er sich sowohl geologisch durch sein Ge-
stein, ala auch durch seine aussere Gestalt und Hone unterscheidet.
Er tritt aua dem Rhonewinkel (westlich von Chambery) durch fran-
zosischea und sardinischea Gebiet in die westliche Schweiz ein.
Seine Langenauadehnung mag an 100, seine grosate Breite an 6 geo-
graphische Meilen betragen. Der grosate Theil dieses Gebirges
gehort der Form der Ketten zone an, welche von Durchgangen
(cluses) aua einem Thale in daa andere diagonal durchbrochen iat;
doch tritt im nordlichen Jura auch die Tafelform auf, und die
Thaler dea Plateau-Jura aind im Allgemeinen dichter bevolkert ala
jene dea kettenformigen Jura. (Auanahmen davon sind die Langen-
thaler Val St. Imier, Locle und Chaux-de-Fonds). — Die mittlere
Kammhohe reicht zwiachen 2000 bis 3400'; der hochste Punkt
(Crete de la Neige 5304 franz/) liegt in Frankreich. Nach den Land-
schaften, die er durchzieht, zerfallt er in den achweizerischen
Jura zwischen Rhone und Rhein , den schwabiachen zwischen
Rhein und Altmuhl , und den frankiachen zwiachen Altmuhl
und Main.
Dem Alpengurtel iat ein Mittelgebirge in drei Hauptgruppen
vorgelagert: a) daa franzosische Mittelgebirge im Westen, —
b) das deutsche im Norden, — c) daa ungarische im Oaten.
a) die franzosische Gruppe: daa Hochland liegt zwiachen
44° n. Br. und 21° o. L. Von hier ziehen die Sevennen siidwest-
lich zum Rhonethale; — gegen Norden ziehen drei Hauptketten,
daa Au vergn e - Gebirge (das westliche), daa Lyonnaia- und
Charolais-Gebirge(das oatliche) und daa Forez- Gebirge (daa mitt-
lere). Im Norden des Lyonnaia iat daa Cote d'or, welches aich
zum Plateau von Langres herabsenkt. Dieses Plateau wird im Osten
von den Vogesen begrenzt, welche die franzoaische Gruppe mit
der deutschen verbinden. Im Westen Frankreicha sind die Gebirge
der Bretagne.
b) Die deutsche Gruppe liegt zwiachen dem Nordfuase der
Alpen und dem germaniachen Tieflande und kann in drei Gruppen
getheilt werden:
1. Daa aiiddeutache Bergland, begrenzt im Siiden von den
Alpen und dem Rhein, im Weaten von der oberrheinischen
Ebene , im Norden von der Main- und Eger-Linie, im Osten
von der Moldau. Aus der oberrheinischen Ebene erhebt sich
der weatliche Bergzug des Plateaus von Deutachland, der
Schwarzwald (Feldberg 4600'), an welchen aich im Norden
der Neckarwald und an diesen der Odenwald (Katzen-
buckel 2100') anachliesst, der sich in nurdlicher Richtung bis
29
zum Main zieht. Der mittlere Bergzug zieht als Rauhe Alp
oder schwabischer Jura vom Rhein bis zur Altmiihl und
scheidet die schwabische Hochebene von der schwabischen
Terrasse. Die hohlenreiche, gipfel- und wasserarme Hochebene
fallt gegen Nordwesten steil, gegen Sudosten sanft ab. Jenseits
der Altmiihl zieht der frankische Jura bogenformig bis
zum obern Main. — Am linken Donauufer erhebt sich der
bairische Wald als Vorgruppe des vom Fichtelgebirge
(mit den Main- und Egerquellen) sudostlich ziehenden Boh-
merwaldes, dessen Auslaufer bis zur Donau reichen und sie
begleiten.
2. Das norddeutsche Bergland, im Westen durch den Rhein,
im Suden durch den Main und die Eger, im Osten durch die
Elbe begrenzt. Fast in der Mitte Deutschlands erhebt sich das
Fichtelgebirge, von welchem gegen Nordosten das E r z g e-
birge mit steilem Siidabfall sich hinzieht und dem im Nord-
westen das sachsische Hugelland vorgelagert ist. Nordwestlich
yom Fichtelgebirge, von den Quellen der weissen Elster bis zu
jenen der Werra sind das Voigtland und der Frankenwald,
und der Werra entlang zieht sich der Thuringerwald. Im
Norden des Letzteren erhebt sich der Harz (Brocken 3510'),
welcher das Thiiringer Hiigelland vom Tieflande scheidet. In
der nordwestlichen Verlangerung des thuringischen Plateaus
und des Harzes liegt das Wesergebirge, durch die Weser
in ein ostliches und ein westliches geschieden. Als das nord-
lichste Gebirge Deutschlands schliesst sich an das Weser-Berg-
land in nordwestlicher Richtung der Teutoburger Wald
an. Zwischen der frankischen Saale, der Fulda und Werra zieht
sich nordlich vom Main die ho he Rhon, an welche sich im
Sudwesten der Spessart anschliesst. Im Westen der Fulda
erhebt sich der Vogelsberg, an dessen Sudwestseite sich
die fruchtbare Wetterau und an der Nordseite das hessische
Berg- und Hiigelland ausbreitet.
Zu beiden Seiten des Rhein erhebt sich das niederrhei-
nische Schiefergebirge. Er theilt es in eine ostliche und
westliche Halfte. Dieses Gebirge zeigt eine vorherrschende
Plateauform mit tiefeingeschnittenen Thalern , Gipfeln erlosche-
ner Vulkane und sonstigen Spuren einstiger vulkanischer Tha-
tigkeit. Die ostliche Halfte wird durch Nebenfliisse des
Rhein in folgende Gruppen getheilt : a) der Taunus zwi-
schen der Lahn, dem Rhein und Main mit steilem Abfall zum
Rhein (Feldberg 2600'); b) zwischen der Lahn, dem Rhein und
der Sieg der Wes terwald, dessen aussere Form dem friihe-
ren ahnlich ist , doch ist er hoher ; am Rhein zieht sich die
Gruppe des Siebengebirges hin mit mehreren Gipfeln
und malerischen Fernsichten ; c) zwischen Sieg und Ruhr
ist die an 2000' hohe Hochflache des Sauerlandes, welche
gegen den Rhein hin abfallt , und das Rothlager - Gebirge ;
d) nordlich der Ruhr erhebt sich der kahle Rucken des Haar-
s t rang, welcher sich allmalich zur norddeutschen Tiefebene
30
herabsenkt. Zwischen dem Haarstrang und dem Teutoburger
Wald ist das westphalische Flachland, Avelches sich zum nie-
derrheinischen Tieflande hinabsenkt. — Die westlicheHalfte
steht mit dem franzosischen Mittelgebirgsland in Verbindung
und kann in folgende Gruppen zerlegt werden : a) der Hardt,
das Nordende der Vogesen ; b) das pf alzisch -saar briicki-
sche Gebirge zwischen der Ebene von Kaiserslautern , der
Nahe und dem Rhein (Donnersberg 2000'), c) der Hunsruck
zwischen der Nahe, dem Rhein, der Mosel und Saar, ein 1500'
hohes Plateau mit steilen, felsigen Thalern (Walderbsenkopf 2500') ;
d) das flache Plateau (1600' hoch) der Eifel zwischen Mosel
und Our; e) die waldlose, mit unubersehbaren Torfmooren
bedeckte, ode Hochebene, die hoheVeen; f) die Ardennen
ziehen sich als eine waldige Hochebene (2000') zumeist am
rechten Maasufer hin, gehen im Westen und Norden allmalich
ins Tiefland iiber, am linken Maasufer stehen sie durch den
Argonnen - Wald mil dem franzosischen Mittel-Gebirgslande in
Verbindung.
3. Das sudetische Bergsystem zwischen der Oder und Elbe;
im Nordosten breitet sich das Tiefland aus und im Siidwesten
die bohmische und mahrische Terrasse. Hierzu gehoren : das
schlesisch-mahrische Gebirge bis zu den Marchquellen
(Altvater 4800'), das I s e r- und Riesengebirge (Schnee-
koppe 5000'), das Lausitzer Bergland und das Glatzer
Hochland (Glatzer Schneeberg 4350').
c) Die ungnrische Gruppe oder die Karpathen. Vom 44T/2°
bis 50° n. Br. und vom 35%° bis zum 45° 6. L. streckt sich das
Karpathengebirge in einern grossen Halbbogen , dessen Endpunkte
von der Donau geschnitten werden , um das ungarische Tiefland,
siidlich durch die Donau von den Alpen und deren Verzweigungen
in der Balkanhalbinsel , westlich durch die Thaleinsenkung der
March, Becwa und der oberen Oder vom herzynischen Berg-
system getrennt, nordlich in die galizische Niederung verlaufend,
ostlich von der bessarabischen Tiefebene begrenzt. Das Gesammt-
gebiet des Gebirges kann auf 4360 nMeilen angenommen werden.
Oberhalb Pressburg, wo die March in die Donau fallt, beginnt
am linken Ufer derselben der Zug des Gebirges mit sanft gewolb-
ten, dicht bewaldeten Riicken, deren Hohe allmahlich zunimmt, an-
fangs in nordlicher Richtung streichend, dann gegen Nordosten um-
biegend, bis es sich um die Quellen der Arva plotzlich nach Osten wen-
det, und in einen Gebirgsknoten von 7500' Hohe ubergeht. Weiterhin
behalt es seine Richtung gegen Osten bis zu 39l/2° o. L. bei, sinkt
Anfangs jah, und wendet sich dann in sanfteren, niederen Riicken
gegen Sudosten, wo unter dem 47° 35' n. Br. und 42° 40' 6. L.
ein zweiter gewaltiger Bergknoten den Zug unterbricht. Von diesem
Bergknoten wendet sich der Hauptzug siidlich, theilt sich spater in
zwei Arme , der eine in siidwestlicher , der andere in siidostlicher
Richtung streichend, und zieht dann ununterbrochen , aber vielfach
verzweigt, bis an die Donau.
Vom geognostischen Gesichtspunkte kann der ganze Zug in
31
ein inn ere s und in ein aus seres Gebirge gesondert werden.
Das innere ist das hohere und heisst gewohnlich Central-
karpathen. Es erreicht seine grosste Hohe in der Gruppe der
Tatra am Ursprunge der Waag, mit den hochsten Gipfeln und
einer mittleren Hohe von 6500'. Sie reichen bis an die oberste Theiss,
die einzelnen getrennten Gruppen steigen meist inselartig empor.
Das a us sere Gebirge besteht aus einem fortlaufenden, reichbewal-
deten Sandsteinzuge (mittlere Hohe 4000') , der an einigen Stellen
mit den Centralkarpathen verbunden iet. Er kann dort, wo er durch
die Hochkarpathen unterbrochen wird, in zwei Gruppen gesondert
betrachtet werden, von denen die Bieskieden (ira weiteren Sinne)
den westlichen, das karpat hi s che Wald geb irge den ostlichen
Theil bezeichnen. — Das siebenburgis che Hochland hat
Randgebirge aus Urgestein , welche nach Aussen steiler abfallen,
als nach Innen, und im Siidosten die grosste Hohe erreichen. Der
Ostrand heisst auch die siebenbfirgischen Karpathen, der
Siidrand das Fogarascher Gebirge, der Westrand das s i e-
benbiirgischeErzgebirge, der Nordrand ist ein Arm der grossen
Karpathen. Die Mitte besteht aus einem niederen, tertiaren Gebirge.
Die einzelnen Theile sind :
A. Der wcstliclie Zug (Bieskiden im weiteren Sinne): 1) die Pressbnr-
ger Gruppe (kleine Karpathen) von der Donau bis zur Thalhohe von Miava, zwischen
der March und den Zufluseen der unteren Waag; — 2) die Miava- Gruppe (weisses
Gebirge) vom Miavathale bis zurKisucsa zwischen den Zufliissen der mittleren March
und der oberen Waag (Jawofina 3060'); — 3) die eigentlichen Bi esk idcn von der
zur Oder fliessenden Ostra im W. und der zur Weichsel fliessenden Skava im O. be-
grenzt (Lissabora 4166', Bieskid 3000'); — 4) die Arvaer- Grnppe (auch Babia
Gura oder Magura) den Bieskiden siidlich vorliegend, zwischen der oberen Waag
und den Arvaquellen (Babia Gura 5660', Baranio 4300'); —
B. Die Hochkarpathen und das innere Bergland begreift: 1) die hohe
Tatra zwischen der Arva, Waag, dem Poprad und Dunajec (Gerlsdorfer Spitze
8354', Lomnitzer Spitze 8304', Eisthaler Spite 8100', der hohe Kriwan 7818'); —
2) das Neutraer Gebirge zwischen den Flussthalern der Waag, Neutra und Thu-
rocz; — 3) die Fatra zwischen den Thalern der Neutra und Gran, der Thurocz,
Gran und Revucza (grosse Fatra 5628'); — 4) die niedere Tatra zwischen der
oberen Waag im N., der oberen Gran im S., dem Hermanetz und der Revncza im
W., und dem Zusammenfluss der Gollnitz und des Hernath im O. (Kralowa Hora
5877'); — 5) die Os t rov sk i- Gruppe zwischen der Gran, Donau und Eipel (Mit-
telpunkt der Gruppe Schemnitz) ; — 6) Gruppe des eisenreichen karpathischen
Vorgflbirges von der oberen Gran bis zum Zusammenfluss der Gollnitz und
Hernath; — 7) zwischen dem Sajo, der Eipel, der Donau, nnd der grossen ungari-
schen Ebene sind die Berggruppen des Karancs, der Czerhat und Matra; —
8) das Hegy ally a- Gebirge zwischen der Traissa, Topla und dem Bodrog zieht
sich von Eperies in gerader Linie siidlich bis Tokay und ist ausgezeichnet durch
schone Form, den uppigen Pflanzenwuchs und die kostlichen Reben.
C. Der (istliehe Zug begreift das karpathische Waldgebirge zwischen
Poprad, Topla, den Zuflussen der Weichsel und des Dnjestr, dem Pruth und dem
oberen Gebiete der Theiss. Es bildet das Verbindungsglied mit dem siebenbiirgi-
schen Hochlande. Der nach SO. ziehende Kamm iiberragt nirgends 3600', besteht
vorherrschend aus Sandstein, ist steil, triimmervoll, ungastlich.
Wichtigere Uebergange sind: aus dem March- in das
Waagthal liber den Pass von Szikany; aus dem Olsa- in das
Waagthal iiber den Pass von Jablunka; aus dem Dunajec- in
das Popradthal uber den Hauptrucken der Magura; der Pass von
Dobschan zwischen dem Sajo- und Hernadthale; der Pass von
Dukla zwischen dem Ungh- und Santhale.
§. 26. Fortsetzung.
b) Die getrennten Gebirgsglieder Europas.
Die bedeutenden Halbinseln und Inseln Europas gehoren vor-
zugsweise der Form des Gebirgslandes an. Die gebirgigen Halb-
inseln sind sud warts, die flachen gegen den Norden des Erdtheils
ausgestreckt; von den Inseln sind die siidlichen (im Mittelmeer)
sammtlich gebirgig, — die nordwestlichen (im Atlantik) gehoren
beiden Formen, — die Ostsee-Inseln aber fast ausschliesslich dem
Tieflande an. Die Halbinseln Kola, Kanin, Jiittland und Holland
sind Flachlander. Die grossere (nordwestliche) Halfte der skan-
dinavischen Halbinsel iet mit Gebirgen bedeckt. Die Kjolen
(skandinavischen Alpen) ziehen sich auf einem Flachenraum von
9500 QMeilen von Norden nach Siiden, und werden in vier Haupt-
theile getheilt: das lapplandi sche Gebirge im Norden (bis
67° n. Br.), die Kjolen (bis 63° n. B.), von da gegen Suden das
Longfjeld und gegen Siidwesten das Dovrefjeld. — Die
danischen und Ostsee-Inseln sind Fortsetzungen der be-
nachbarten Tieflander und nur die ostlichen Gestade haben felsige
Formen ; eigentliche Gebirgsbildung findet sich nirgend vor , nur
die Klippen-Inseln (Skaren) sind felsiger Natur.
Die Insel Grossbritaunien ist im Westen Hochland , im
Osten Tiefland. Das Hochland wird vom Tieflande offers durch-
brochen, wornach ersteres in sechs Gruppen getrennt wird, welche
grossentheils durch niedere Hugelreihen unter sich in Verbindung
stehen. Die Gruppen sind: das Gebirge von Devonshire und
Cornwallis (im Siiden des Kanals von Bristol); — das Hoch-
land von Wales; — die Gebirge von Nord-England in eine
westliche kleinere Halfte (Bergland von Cumberland) und eine
ostliche, grossere (Peak -Gebirge) getrennt; — das schottische
Grenzgebirge, im siidlichen Theile das Che vio t- Gebirge ge-
nannt, welches mit dem P en t land- Gebirge zusammenhangt ; das
schottische Hochland, durch ein langes tiefes Thai (zwischen
dem Murray- und Linnhe - Busen) in einen siidlichen Theil —
das Gr amp i an - Gebirge — und in einen nordlichen — das nor d-
kaledonische Gebirge — getrennt. Gleiche Bodenbeschaffen-
heit wie Nord-Schottland haben die Hebriden, Orkaden und Shet-
lands-Inseln. — Irland ist im Innern eine Tiefebene; an den
Kilsten erheben sich Felsk'amme und isolirte Felshohen.
Die hesperische Halbinsel wird vom pyrenaischen Ge-
birgssysteme durchzogen , welches aus vier parallelen von Osten
nach Westen streichenden Gebirgsziigen besteht. Der nordlichste
und eiidlichste haben Hochgebirgscharakter, die zwei mittleren Ket-
ten begrenzen zwei Hochebenen. Das nordlichste Randgebirge sind
die Pyrenaen, in ihrer Fortsetzung gegen Westen das kan-
tabrische, asturische und galizische Gebirge genannt ; —
die zweite Kette ist das kastilische Sch ei d eg e b irge , zwi-
schen diesem und dem ersten liegt die Hochebene von Alt-Kastilien,
welche im Suden vom andalusischen Scheidegebirge
(Sierra Morena) begrenzt wird; an der Siidseite des Letzteren liegt
die andalusische Tiefebene, aus welcher sich das Gebirge von
Granada mit der Sierra Nevada erhebt, das sich nahe der
Kuste des Mittelmeeres hinzieht. Diese Halbinsel, ein abgeschlos-
senes Gebirgsganzes, hat nur wenige unbedeutende Tiefebenen an
den Kiisten. Die ausgedehntesten sind die aragonische (am un-
teren Ebro) und die andalusische am unteren Quadalquivir.
Die apenninische Halbinsel ist fast ganz mit Gebirgen er-
fiillt, nur schmale Kiistenebenen gehoren der Form des Tieflandes
an. Das Gebirgsland besteht aus der Hauptkette derApenninen,
welche im Osten der Bocchetta (bei Genua) ihren Anfang nehmen.
Anfangs streichen sie hart an der ligurischen Kuste, ziehen
sich dann naher zur adriatisehen, gewinnen etwa in der Mitte der
Halbinsel die grosste Hohe (Gran sasso d'ltalia 10 000') und Breite,
steigen jedoch nirgends zur Region des ewigen Schnees. Nach der
vertikalen Erhebung werden sie inHoch- und Sub-Apenninen
eingetheilt, nach der horizontalen Ausdehnung in nordliche (Hgu-
rische — bis zur Magra-Quelle, — hetrurische — bis zur Tiber-
Quelle), — mittlere (romische — von der Tiber- bis zur Nera-
Quelle, — und das Hochland der Abruzzen — bis zum Celano-
See) , — sudliche oder n e apolit anische (apulische , um
den Meerbusen von Tarent, — calaWische, bis zur Meerenge von
Messina). Getrennt von den Apenninen erhebt sich aua der cam-
panischen Ebene der Vesuv. — Eine Fortsetzung der Apenninen
ist die Kette der pelorischen und nebrodischen Gebirge auf
Sicilien, welche langs der Nordkuste streichen. An deren Siidseite
ist ein plateauartiges Hochland, an der Ostkiiste dehnt sich die
Ebene von Catanea aus, aus welcher der Aetna (Monte Gibello)
bis zur Eisregion emporsteigt. Die Balearen- und Pithyusen-Inseln
sind hoch, rauh und felsig, und lassen auf plutonische Bildung
schliessen. — Auf der Insel Sardinian streicht an der Ostseite eine
Gebirgskette, wahrend die Westseite zwei Gebirgsgruppen hat, zwi-
schen denen sich eine Tiefebene (Campidano) ausbreitet. Der Wechsel
von Gebirgen und Ebenen ist mannigfaltig. Corsica ist fast ganz
mit Gebirgen bedeckt, nur an der Ostkiiste findet man schmale
Ebenen.
Die griechische Halbinsel ist ebenfalls mit Gebirgen gefullt,
die Tieflander sind sowohl an Zahl als an Grosse untergeordnet.
Das Bergland wird durch den Isthmus von Korinth in ein nordlichea
und ein siidliches geschieden, welche mit einander in keiner Verbin-
dung stehen. Die Centralmasse im nordlichen Theile bilden der
Schar Dagh (Skardus, 42° n. 40° o.) und die wildeste Masse des
Orbelus (Skonius). Vom Ersteren lauft gegen Nordwesten das
Argentaro-Gebirge aus, welches mit den zahlreichen parallelen Ketten
der dalmatinischen Karsthohen in Verbindung steht, zu^ denen
auch die serbischen Bergmassen gehoren, gegen Osten bis zum
Schwarzen Meer der Balkan (Haemus) mit dem Auslaufer des
kleinen Balkan. In sudustlicher Richtung zieht sich das Rhodope-
Gebirge (Despoto Dagh) und gegen Suden ein langer Bergzug, an-
fanglich Bora Dagh, siidlicher der Pindus genannt.
Letzterer sendet gegen das agaische Meer mehrere Querketten
Klun's Handels- Geographic. 2. Aufl. 3
34
aus, als das Voluzza-Gebirge (mit dem Olymp) , eine zweite siidli-
chere (mit dem Ossa), und eine dritte, den Othrys-Zug (mit dem
Oeta). Zwischen diesen liegt die Landschaft Thessalien. Gegen
Stiden erheben sich aus der Pindus-Kette noch die Hohen des Par-
nass, Helikon, Citharon und Hymettos. — Das siidliche Bergland,
der Peloponnes oder Morea, ist ein abgesondertes von Rand-
gebirgen eingefasstes Hochland. Es lauft in drei Halbinseln aus,
deren ostliche das Malevos-, und die mittlere das Taygetos-
Gebirge durchziehen. — Die griechischen Inseln sind alle hoch, die
hochste Candia.
Die taurische Halbinsel (Krim) gehort mit zwei Dritteln ihres
Areals dem Tieflande an, nur an der Sudostkuste ist das ,,taurische
Kiistengebirge."
§. 21. Das Tiefland von Europe.
Im Nordosten Europa's, zwischen der Ostsee, dem Eismeer,
dem schwarzen Meer, dem Balkan, den Karpathen, dem deutschen
Berglande und der Nordsee breitet sich als Fortsetzung der sibiri-
schen Steppenflachen das nordostliche Tiefland von Europa
(100.000 QMeilen) aus. Der grossere, ostlich von der Weichsel
gelegene Abschnitt heiest die sarmatisclie oder slawische,
der westliche, kleinere (7400 QM.) die germanische Tiefebene.
An diese schliesst sich das franzosische Tiefland (4400 QM.)
zwischen dem Kanal, den Berglandschaften der Bretagne, dem Bu-
sen von Biscaya und den franzosischen Mittelgebirgen an. Die
provenca lis che Tiefebene liegt vom Sudrande der Sevennen und
Siidalpen bis zur Kuste des Mitte'meeres. Die andalusische
Tiefebene im Siiden der pyrenaischen Halbinsel zwischen der Sierra
Morena, Sierra Nevada und dem atlantischen Meere. Die lombar-
dische Ebene (600 nM-) langs dem Sudfusse der Alpen auf der
apenninischen Halbinsel; — die beiden ungarischen (1800 [HMO*
die grosse langs dem Siidfuese der Karpathen und im Osten des
Bakony-Waldes und des pannonischen Berg- und Hflgellandes, —
die kleine begrenzt im Norden und Nordosten von den kleinen
Karpathen, dem ungarischen Erzgebirge, im Osten und Siiden vom
Bakony-Walde und den Ausliiufern des Leytha-Gebirges. Das skan-
dinavische Flachland im ostlichen und sudlichen Theile dergleich-
namigen Halbinsel.
Kleinere Tiefebenen sind: die oberrheinische, die niederrlieini-
sche, die osterreichische bei Wien (50 QM.), die walachische u. s. w.
§. 28. Die vertikale Gliederung von Asicn. ,
Asien hat in vertikaler Dimension die ausgedehnteste Mas-
senerhebung, die hochsten Bergspitzen, die grossten Plateaux
und die machtigsten Randgebirge. Der Charakter dieses Erdtheils
ist der des Hochlandes; — das asiatische Hochland ist jedoch
nicht eine einzige Erdmasse, sondern besteht aus verschiedenen
Terrassen und isolirten Plateaux. Ueberhaupt drangen sich in Asien
alle vertikalen Hauptformen an einander, die plastische Gliederung
ist eine sehr reiche und mannigfaltige. Auf das aeiatische Bergland
entfallen beilaufig 517.500 QM., auf das Tiefland 292.500 QM. ; das
Gebirgeland verhalt sich also zum Tieflande wie 5 : 3. Eigenthiim-
lich ist es, dass der grosse Gebirgsstamm Asiens in der Mitte des
Erdtheiles liegt, wo das System des Hindu Kho (unter 90° 6. L.)
Asien in ein westliches — vorderasiatisches — und ein ost-
liches — hinterasiatisches — Hochland scheidet. An jedes
dieser beiden Hochlander schlieest sich nordlich und siidlich ein
auslaufendes Gebirge an. Nordlich liegt dein Hochlande ein unge-
heueres Tiefland, Sibirien (186.300 QM.) vor, das sich in eiid-
westlicher Forteetzung, Turan (53.700 QM.), ausdehnt. Im Osten
des hinterasiatischen Hochlandes liegt das chinesische Tiefland
(10.000 QM.), siidlich liegen die Ebenen Hin terin diens und das
Tiefland von Hindostan (24.000 QM.), sudlich und siidwestlich
vom vorderasiatischen Hochlande breiten sich Mesopotamien
und die syrisch-arabische Wuste aus.
§. 29. Das Hochland von Hiuter-Asicn.
Das Hochland von Hinter-Asien, mit einer durchschnittlichen
absoluten Hohe von 8 — 10.000' und einer Ausdehnung, die dera
Drittheil der Gesammtflache Asiens gleichkommt (266.000 QM.),
wird von vier Randgebirgen begrenzt und die Scheitelflache durch-
ziehen machtige Parallelketten. Den Siidrand bildet das hochste
Riesengebirge der Erde, der Himalaya (vom Durchbruch des In-
dus bis zu jenem des Brahmaputra) mit seinen amphitheafralisch
ansteigenden Parallelketten, deren nordlichste und hochste bei einer
inittleren KammLohe von 15.000' die groseten Erhebungen besitzt.
(Mount Everest 27.200', Kinchinjinga 26.400', Dhawalagiri 26.300'
und viele uber 20 000'.) Langs dem Siidfusse liegt ein waldig-
sumpfiges Hiigelland (Tarai). Jenseits des Brahmaputra erhebt sich
der noch wenig bekannte, mit ungeheueren Gletschern bedeckte
(und vielleicht mit noch hoheren Schneegipfeln) SineSchan, an
welchen sich noch weiter gegen Oeten der breite Gebirgsrucken
Nan- Ling anschliesst. — Der Ostrand besteht aus vielverzweig-
ten Gebirgsmassen, welche durch das Flussthal des Yantsekiang in
zwei Theile gesondert sind. Der siidliche — das chinesische
Alpenland oder der Yiinling mit zwei nach Osten ziehenden
Ketten (Nanling und Peliug), — der nordliche — das mandschu-
rische Alpenland — mit dem Inschan und dem Khinggan-
Oola, welcher seine Ausastungen nach der Halbinsel Korea sendet
und sich mit dem Ostende des nordlichen Eandgebirges vereinigt.
— Den Nordrand bildet das mongolische Grenzgebirge
(bis zum Baikal- See), welchem im Norden das an Gletschern und
Schneebergen reiche daurische Alpenland vorgelagert ist. Vom
Baikal- bis zum Dzaisang-See zieht sich gegen Westen das Alt ai-
Gebirge, vor welchem gegen Nordwesten die Alpenlandschaft des
kleinen Altai liegt. Vom Dzaisang-See gegen Sudvvesten ist das
vielfach durchbrochene , unzusamrnenhangende dsungarische
Grenzgebirge, welches sich an den Westrand (nordlich der
Muz Tagh, siidlich derBelur Tagh genannt) anschliesst. Gegen
Westen und Nordwesten liegt das Alpenland Turkestan. Das Binde-
glied zwiechen dem West- und Siidrand bildet das natiirliche Bindeglied
zwischen dem ostlichen und westlichen Hochasien, der Hindu Kho»
3*
36
Die Scheitelflache des ostlichen Hochlandes durchziehen zwei
Parallelketten von Westen nach Osten. — Die nordliche, eine Fort-
setzung des Muz Tagh, ist das Thian Schan (mit der hochsten
Gruppe Bokdo Oola — heiliger Berg), — die siidliche, eine Fort-
setzung des Belur Tagh, das Kuen Ltin oder Kulkun.
Zwischen dem Himalaya und dem Kiien Ltin liegt das Hochplateau Tubet,
zwischen dem Kiien Lun und dem Thian Schan erstreckt sich die hohe Tartarei,
zwischen dem Thian Schan und dem Nordrand liegt im Westen die Dsungarei,
im Osten die Mongolei. Die Mongolei, der 6stliche Theil der Dsungarei und der
hohen Tartarei, ist theils eine baumlose, ode Steppe, theils sandig-steinige Wuste,
Gobi oder Schamo genannt, und erstreckt sich etwa 400 M. in die Lange und
100 M. in die Breite.
§. 30. Das Hochland von Vorder-Asien.
Das Hochland von Vorder-Asien, mit einer mittleren Erhebung
von nur 4000' und einer Ausdehnung, die etwa dem eilften Theile
der Gesammtflache Asiens gleichkommt (71.000 QM..), zerfallt in
3 Hochflachen : a) das Plateau von Iran, b) die medisch-
armenischen Alp enlandschaf ten und c) das Hochland
von Anatolien oder Kleinasien.
a) Das Plateau von Iran (20.000 QM-), mit dem Steppen-
boden und den vielen Salzseen im Innern, ist von vier Randgebirgen
begrenzt. Im Osten ist das indisch-persische Grenzgebirge
mit dem Salomonsthron (12.800'); — den Siid- und Westrand bil-
den mehrere terrassenformig aufsteigende Parallelketten ohne ge-
meinschaftlichen Namen, bis sie sich an den Nordrand anschliessen ;
— am Nordrand zieht sich vom Hindu Kho gegen Westen der
Paropamisus, eine niedere Felsenkette, die sich erst an der
Siidostkiiste des caspischen Sees zum Hochgebirge erhebt, und dann
als Elbrus (mit dem Vulkan Demavend, 13.000') den genannten
See umzieht. — Der westliche Theil von Iran heisst Per si en, der
eudostliche Beludschistan, der nordostliche Afghanistan.
b) Die medisch-armeniscben Alpenlandschaften,
darunter Aserbeidschan an der Nordwestecke Irans; gegen das
schwarze Meer zieht sich das Hochland von A r m e n i e n mit der
Hochebene von E r s e r u m (7000'), aus welcher sich der Ararat
(16.000') erhebt; gegen Siiden und Siidosten liegt das minder hohe
Bergland Kurdistan.
c) Das Hochland von Anatolien. An der Grenze von
Armenien und Kurdistan zieht gegen Westen der Ala-Tagh,
dessen westliche Kette als Taurus langs der Nordkuste des Mittel-
meeres bis an das agaische Meer sich hinzieht. Gegen Siiden steil,
fallt er an der nordlichen Seite terrassenformig gegen das Tafelland
Anatolien herab; auch der Nordrand des Tafellandes ist steil. Ge-
gen den Westen lauft das Hochland in mehrere Bergzuge gegen
die «Kustenlandschaft der Levante" aus.
$. 31. Die getrennten und anslaufenden Gebirgsglieder in Asien.
Das asiatische Hochland ausserhalb des kontinentalen Trape-
zes zerfallt in zwei von dem Hochstamme vollstandig getrennte
Glieder: den Ural und das Plateau von Dekan, — und in
vier auslaufende Glieder: von dem Hochlande Hinter-Asiens
37
je em nordlich und ein siidlich auslaufendes Gebirgsglied, dess-
gleichen vom Hochlande Vorder-Asiens.
1. Der Ural, vom Hochstamme durch weite Ebenen getrennt,
aus mehreren Parallelketten bestehend, zieht sich an 250 M. von
Nord nach Siid (Meridian - Gebirge). Nach Oaten fallt er steil ab,
im Westen hat er mehrere Stufen und sendet Landrucken in die
osteuropaische Tiefebene.
2. Das Plateau von Dekan oder Vorder-Indien ist
ein von Randgebirgen begrenztes Plateau in Gestalt ernes Dreieckes
(50.000DM-)- Den Nor d -Rand des Plateaus bildet das Vindhya-
Ge t>irge, den West- Rand die West- Ghats, den Ost-Rand
die Ost-Ghats; die Sudenden der beiden letzten verbinden sich
zur Berglandschaft Nil Gerri (blaue Berge).
3. Das nordlich auslaufende Gebirgsglied Hinter-Asiens,
d. i. die ostsibiri sche n Bergketten, heissen im Westen (vom
Anschlusse an die daurischen Alpen bis zur Aldan-Quelle) das
Jabl onoi- Chrebet (Jablonoi-Riicken), von da (bis zur Koliima-
Quelle) Aldan -Gebirge und von da (bis zum Ostkap) S tano w oi-
Chrebet. An das letzte schliessen sich die Gebirge von Kamt-
schatka (mit einer Doppelreihe von 21 thatigen Vulkanen) an.
4. Das sudlich auslaufende Gebirgsglied Hinter-Asiens
zieht sich als malayische Bergketten in fiinf Parallelketten
durch die Halbinseln Hinter-Indien, deren eine (das west-siamesische
Scheidegebirge) bis zur Siidspitze von Malacca reicht. Die Ge-
birgsketten laufen wahrscheinlich im Norden in einer hohen Alpen-
masse zusammen.
5. Das nordlich auslaufende Gebirgsglied Vorder-Asiens
— der Kaukasus — hangt durch bergige Landsch^ften mit dem
armenischen Hochlande zusammen und besteht aus mehreren zwi-
schen dem schwarzen und kaspischen Meere nach Nordwesten ge-
richteten Parallelketten mit einer mittleren Kammho'he von 10.000'.
Auch im Norden sind Vorberge.
6. Das siidlich auslaufende Gebirgsglied Vorder-Asiens
ist das syrisch-arabische Hochland, und man unterscheidet
eine dreifache Gliederung: a) das syrische Hochland, b) das
Sinai-Gebirge in der nordlichen Gabelung des rolhen Meeres
(zwischen den Golfen von Akaba und Suez), c) das arabische
Gebirgsland. Die ansehnlichste (bis jetzt bekannte) Depression der
Erdoberflache *) theilt das syrische Hochland in einen westlichen
Abschnitt mit dem Lib an on und einen ostlichen mit dem Anti-
lib an on. — Das Innere der Halbinsel Arabien ist eine Hochflache,
welche sich nach alien Richtungen in Terrassen abdacht. Die Mitte
dieser Hochflache — Nedsched — ist von hohen Felsketten durch-
zogen. Der Nordrand ist noch unbekannt.
Von den asiatischen Inseln sind mit Ausnahme der Maladiven
und Lakkediven und einigen kleineren Eilanden alle iibrigen von
*) Nach Russeggers Messung soil die Depression des Spiegels des todten Meeros
1340' betragen; Jerusalem liegt also auf einem Plateau 2000' ttber, das todte
Meer 1340' unter dem Spiegel des mittellandischea Meeres.
38
Gebirgsketten durchzogen. Ceylon 1st im Innern eine Hochflache
(3000') mit dem hochsten Punkt Adams-Pik (6000').
§. 32. Die Stufen- and Ticfllinder in Asien.
Den Uebergang von dem machtigen Hochlande zum Tieflande
bilden verschiedene reichgegliederte Stufenlander mit weitver-
zweigten Stromsystemen, welche sich strahlenformlg nach alien Rich-
tungen wenden. Diese giinstige Bewasserung verdankt Asien nebst
der centralen Stellung des Hochlandes auch dem Umstande , dass
letzteres von grossen Tieflandern umgeben ist, wodurch eine bedeutende
Stromentwicklung ermoglicht wird. Das Tiefland (292.500 QM.)
fiillt mehr als ein Drittheil des Erdtheiles aus. Dem Hochlande
liegt im Norden das ungeheuere Tiefland Sibirien (186.300
vor, dessen siidwestliche Fortsefzung bildet Turan (53.700
der Uebergang des asiatischen Tieflandes zum sarmatischen in Eu-
ropa. Im Osten des Hochlandes von Hinterasien (am Unterlaufe
des Yantsekiang und Hoangho) ist das reichlich bewasserte und
vortrefflich angebaute chinesische Tiefland (10.000 QM.);
sudlich liegt an den Ufern der hinterindischen Strome das
gleichnaraige Tiefland. Im nordlichen Theile Vorderindiens liegt am
Indus und Ganges das Tiefland von Hindostan (24.000 QM.).
Das Tiefland von Mesopotamien und Babylonien (am Euphrat
und Tigris) zwischen dem armenischen Berglande und dem persi-
schen Meerbusen mit fruchtbaren Landschaften (am Mittel- und
Unterlauf der genannten Fliisse). Westlich davon dehnt sich die
syr isch- arabische Wuste aus, bereits ein Uebergang zu den
Sandwiisten Africas.
§. 33. Die vertikale Gliedcrung von Africa.
Wie in Hinsicht der horizontalen so bietet Africa auch in Hin-
sicht der vertikalen Gliederung ein Bild der Massenhaftigkeit
dar ; dagegen ist nach den neuesten Forschungen die Einformigkeit
eine geringere, die vertikale Gliederung und die Zuganglichkeit im
Innern eine grossere, als man friiher angenommen hatte. Das Hoch-
land nimmt etwa zwei Drittel, das Tiefland ein Drittel der Gesammt-
flache ein ; ersteres liegt vorzugsweise im Siiden, letzteres im Norden,
beide sind von Bergzugen durchschnitten. Den Siiden nimmt Ho ch-
africa (gegen 285.000 [U^O ein> an welches sich im Norden das
hohe Sudan und das Alpenland von Habesch (oder Abessinien)
anschliessen. Dem Nordrande von Hochafrica ist das flache Su-
dan vorgelagert. Zwei getrennte Gebirgsglieder, das Plateau der
Berberei und jenes vonBarka, begrenzen die grosse africanische
Hochebene, die ,,Sahara/c
§. 34. Hoch-Africa.
Die Sudhalfte von Africa (vom 6° n. B. an) scheint grossen-
theils eine Hochebene zu sein mit einer tiefen Einsenkung in der
Mitte, im Westen und Siiden von Randgebirgen umgeben, welche
in terrassenformigen Absatzen fast bis zum Meere abfallen, und nur
einen schmalen Kiistensaum iibrig lassen; an der Ostkuste dehnt
sich eine groase Tiefebene aus, mit isolirten Gebirgsgruppen.
Der Sftdraiiil, oder das Kapland iat eine Terrasse von drei
Stufen. Die erste (unterste) bilden die Kiist enebenen des Kap-
landes (5—7 M. breit); — die zweite Stufe ist die 3000' hohe an
1000 GMeilen grosse Karroo -Ebene; — die dritte 5000' hoch
ist die Hochebene des O ranje-S tromes und wahrscheinlich
schon ein Theil der Scheitelflache Hochafricas. Jede dieser Stufen
ist von der nachsthoheren durch Randgebirge geschieden; die erste
von der zweiten gegen den Atlantik durch das B ok keveld-Gebirge,
gegen das indische Meer durch die Zwarten-Berge (beide
4 — 5000'), — die zweite von der dritten durch ein Gebirge mit
mehreren Namen: Roggeveld-, Nieuweveld-, Koudvelds-
Berge (mit Gipfeln von 10.000').
Der Ostraud durfte zum Theile ahnlich gebaut sein ; zwischen
dem 2° bis 13° sndlicher Breite erscheint die Ostkiiste jedoch als
eine Ebene, die sich kaum merkbar erhebt, dann sich gegen Westen
senkt, zu einem grossen See, der ira nordlichen Theile Ukerewe
(oder Niassi , oder Uniamesi) genannt wird. Aus dieser Ebene
(1 — 5° sudlicher Breite) soil sich der siidliche Abfall des Plateaus
von Habesch erheben, dessen hochste Gipfel: Kignea (oder Kenia)
und Kilimandscharo (zwischen 18 bis 20.000') in die Region
des ewigen Schnees ragen.
Als Fortsetzung der fruher genannten Bergketten (Koud velds -Berge) ziehen
sich (von Suden gegen Nordosten) die Storm- Witte- Kalamba- (oder Drachen-)
Berge, vor denen sich gegen das indische Meer die Kaffernkuste (Kaffraria und
Natal), die Kuste von Sofala und Mozambique, ferner jene von Zanguebar
(Zanzibar) und Adjan, endlich (vom Kap Guardafui bis zur Strasse Bab-el-Mandeb)
die Kuste Somal ausbreiten. Das L u p a t a - Gebirge scheint die zweite Stufe von
der dritten, und das Fura- Gebirge die dritte von der Hochflache zu scheiden. Welter
nordwarts wissen wir bis jetzt vom Ostrande nichts Gewisses.
Der Nordrand ist nur auf seiner Ost- und Westseite zum
Theile bekannt; die Mitte des Nordrandes ist noch nicht erforscht.
Auf der Ostseite bilden den Nordrand die drei Terrassen von Ha-
besch, deren mittlere etwa 4800—9000', und die hochste 9.000 — 13.800'
hoch sind; auf der Nordwestseite erhebt sich das hohe Sudan mit
der Bergkette Kong, welche unter 20° o. zu einem breiten Ge-
birgsriicken wird , und als solcher bis zur Sierra Leone sich hin-
zieht. Nur die Vorstufen an dem Meerbusen von Benin sind etwas
genauer bekannt.
Der Westrand steigt aus der Bai von Biafra 13.000' hoch
empor (Hochland der Amboser). Zwischen 6° und 16° siidlich
wiederholt sich die Terrassenbildung des Kaplandes. Die Hochflache
scheint 8000' hoch; im Uebrigen ist der Westrand ebenfalls wenig
bekannt.
§ 35. Die getrennten Gebirgsglieder in Africa.
Nur der nurdlichste Theil Africas enthalt getrennte Gebirga-
glieder: das Hochland der Berberei mit dem Atlas gebirge
und das Plateau von Barka, beide von einander getrennt durch
den Wiistenstreif der Sultinebene.
a) Das Hochland der Berberei (von Ritter als wKlein-
africa" mit ^Kleinasien" zusammengestellt) steigt auf einer Flache
von 21.000 QMeilen zwischen 1500—2000' hoch. Den Nordrand
40
bildet der kleine Atlas, den Westrand der ho he Atlas (mit
Gipfeln von 13.000'), den Siidrand der grosse Atlas, dessen ost-
liche Verlangerung die Soudah- oder schwarzen Berge heis-
sen, den Ostrand die Felshohen von Tunis.
b) Das Plateau von Barka, ohne hohe Bergketten, 1500'
hoch und 2000 QMeilen gross, fa-lit im Norden steil ab, im Siid-
Osten senkt es sich zu der libyschen Wiiste herab.
Unter den africanischen Inseln hat Madagaskar ein bedeutendes
Kettengebirge (mit Gipfeln tiber 10.000'). Die Azoren, die kana-
rischen (der Pik auf Teneriffa 11.000') und die kapverdischen
Inseln, dann Ascension, St. Helena u. s. w. sind gebirgig und meist
vulkanischer Natur.
§. 36. Die Tief- and Stufenlander in Africa.1
Dem Ostrande des Kong-Gebirges ist ein wellenformiges Flach-
land (von 1.200' mittlerer Erhebung und von etwa 40.000 QMeilen
Flache) vorgelagert, welches eine Stufe zum Tieflande bildet, — es
ist Flach-Sudan, in eine westliche und ostliche Halfte getheilt.
— Im Silden der nordafrikanischen Hochlander, fast durch die ganze
Breite des Erdtheils breitet sich vom atlantischen Ocean bis zu den
Bergwanden des Nilthales die grosste Wiiste der Erde — die Sa-
hara — auf einer Flache von mehr als 120.000 QMeilen aus. Sie
ist eine Hochebene von ziemlich gleicher Erhebung (1.200 — 1.500'),
aus der einzelne Bergziige und Berggipfel (bis zu 5.000 — 6.000')
emporsteigen. Ein Zug klippiger Hohen, Felsenriffe und Oasen zieht
sich von Tripoli nach dem Tsadsee (32° 6'stlicher Lange), und
theilt die Wiiste in zwei an Umfang, Bodenbeschaffenheit und Cha-
rakter verschiedene Halften. Die grossere Westhalf te, die Sahel,
ist das eigentliche Flugsandmeer, dessen Anhaufung an der Meeres-
kiiste die hochsten Diinen der Erde (bis 400' am Kap Bojador) ge-
bildet hat, und eine Fortsetzung dieses ,,Wandermeeres" in das
Meer hinein ist die ausgedehnte, der Schiffahrt hochst gefahrliche
Sandbank. Das innere der Westhalfte hat wenig Brunnen und
Oasen, und eine grosse Armuth in der Pflanzen- und Thierwelt. Die
kleinere Osth alf te — die eigentliche Sahara oder die libysche
Wiiste — hat geringere Massen von Flugsand, an der Oberflache
treten Kalk- und Thonboden, schwarzer Sandstein, Kiesel und (wo
Felsen fehlen) Salzflachen hervor, Quellen gelangen leichter zur
Oberflache , kunstliche Brunnen geben schon bei geringer Tiefe
(6 — 8') Wasser, die Oasen sind zahlreicher und grosser, am Ost-
und Nordrande bilden sich Kulturstellen, Der ostliche Oasen-
zug, parallel mit dem Unterlauf des Nil, hat im Siiden die grosse
(22 Meilen lang), im Norden die kleine (4 Meilen lang) Oase, beide
von geringer Breite. Der nordostliche Oasenzug schliesst sich
im Osten an den friiheren an, und hat die Oase Siwah (Ammo-
nium) und Fezzan (Hauptstadt Murzuk). — Das Ostende dieser
Zone nehmen die Stufenlander des Nil ein, und zwar: a) das
mittlere Stufenland Nubien, ein von 3.000' bis 600' sich
senkendes Plateau mit den drei Stufen: Senaar, Dongola und Nuba;
— b) das untere — Aegypten — von dem Nilthal mit dem Delta
41
durchzogen (bis 30° nb'rdlicher Breite), zwis<5hen der arabischen
Bergkette (im Osten) und dem libyschen Felsdamme (im
Westen).
§. 37. Die vertikale Gliedcrung von America.
Die vertikale Gliederung Americas unterscheidet sich von der
Asiens und Africas dadurch, dass in America die Form des Tief-
1 a n d e s vorherrscht ; die Erhebung des Bodens tritt nicht als massen-
haftes Plateausystem, sondern als das grosste System der Ketten-
gebirge mit untergeordneter Plateaubildung auf. Die Ebene nimmt
etwa 2/3 , das Bergland T/3 der Geeammtflache ein ; die Vertheilung
ist im Allgemeinen eine einformige, indem sich das Hoch-
gebirgssystern der Cordilleren auf einer langausgedehnten Basis (an
216.000 QMeilen, oder fast % Americas) an die Westgeatade
lagert, wahrend aus den ostlich ausgebreiteten Flachen nur isolirte
Gebirge sich erheben. Sie scheiden somit America in eine breite
ostliche, und in eine sehr schmale westliche Halfte. Die Einsenkung
in der Landenge von Panama trennt die Cordilleren in zwei an
L'ange ziemlich gleiche, an Breite und Hohe sehr verschiedene Half-
ten, in die Cordilleren von Siid- und Nord- America,
§. 38. Die Cordilleren oder Anden (Cordilleras tie los Andes).
a) Cordilleren von Slid - America.
Nach dem Bau des Gebirges konnen sie eingetheilt werden
in: die einkettigen Siid-Anden, — die doppelkettigen
Mittel-Anden mit Hochth'alern , Gebirgsknoten und salzigen
Hochseen, — und die divergirenden Nord -Anden ohne Ge-
birgsknoten und mit Tiefthalern ; — nach den Landschaften, welche sie
durchziehen , in: Cordilleren des Feuerland-Archipels und
der Magelhaens-Strasse, von Patagonien, Chile, Bo-
livia und Peru, Quito und Neu-Granada.
Der sudlichste Punkt der ganzen Gebirgskette ist das Cap
Hoorn (2940'), einzelne Zweige derselben sind auf dem Feuerland
und den benachbarten Inseln, doch scheint kein Gipfel fiber 7.000'
sich zu erheben (Sarmiento, Darwin). Schneelinie 3.500 — 4.000'.
Die Cord, von Patagonien (bis 42° sudlicher Breite) dicht an der
Kuste des grossen Oceans, mittlere Kammhohe 3.000', Schneelinie
5.000', von Siiden nach Norden an Hohe zunehmend. (Nevados oder
Schneeberge, Paramos sind hohe Bergeinoden unter der Schnee-
region, — Minchinmadom 7.640'). Die Cord, von Chile (42—20°
siidlicher Breite), an Hohe zunehmend (mittl. Hohe 12.000'),
nach Westen steil, im Osten stufenhaft abfallend, bis 35° sudlicher
Breite. Bis hieher Eine Kette , von hier drei ostliche Verzweigun-
gen, noch wenig bekannte Hochebenen umschliessend (unter 37°
siidlicher Breite Aconcagua 21.000'), mit metallreichen Bergland-
schaften (Erzgebirge von Uspallata). — Die Cord, von Bolivia und
Peru beginnen mit dem Plateau von Potosi (11 — 12.000' hoch,
unter 20° sudlicher Breite) mit mehreren Berggruppen (Lirima,
22—23.000' hoch ? ?). Von diesem Plateau laufen zwei Gebirgsaste aus
der westliche, die Kustencordillere oder Cord, von
Peru mit den hochsten Theilen des CorJillerensystems (Cord de
la cuesta) ; jah zutn grossen Ocean abfallend (mittlere Kammhb'he
fast 14.000', — Schneelinie 17.000') mit einer Kette theils erlosche-
ner, theils thatiger Vulkane und kegelformiger Gipfel (Saharaa
20.971', — Parinacota 20.670', — Gualatieri 20.604', — Pomarape
20.360', — Chuquibamba 19.700') — der o s 1 1 i c h e , die C o r d. von
Bolivia mit geringerer Kammhohe (13500') und zerrissenen zacki-
gen Pics (Sorata 19.974', Illimani 19.843'). Zwischen dem westlichen
und ostlichen Cordillerenaste liegt das Plateau desTitica-
casees (250 Q Meilen 13.000' hoch) oder Hochplateau von
Peru und Bolivia (1.000 QMeilen). Am Nordende dieses Pla-
teaus vereinigen sich die beiden Aeste zum Gebirgsknoten
von Cuzco, dem ausgedehntesten in der ganzen Andenkette.
Nordlich vom Gebirgsknoten Pasco (11 — 10° siidlicher Breite) spal-
tet sich das Gebirge in drei Ketten , dessen westliche Gipfel rnit
ewigem Schnee bedeckt sind und welche sich in dem Bergknoten
von Loxa (5.5 — 3.75° siidlicher Breite) wieder vereiuigen. — Die
Cord, von Ouito zwischen dem Knoten von Loxa und von los
Pas to s (4° siidlicher — !T/2 nordlicher Breite) bestehen aus zwei
Parallelketten, welche ein Hochthal (8.500' hoch) einschliessen. In
der westlichen Kette ragt zwischen dem Y 1 i n i z a (16.300') und
dem Vulkan P i c h i n c h a (14.950') der C h i m b o r a z o (20.150'),
— in der ostlichen der Vulkan Cotopaxi (17.700'), der A n t i-
eana (17.960'), mit der hochsten Menschenwohnung auf der Erde
(12.630' hoch) und der Cayambe (18.420', dessen Gipfel vom
Aequator geschnitten wird). — Die Cord, von IVeu-Granada zer-
fallen in drei vom Knoten los Paslos auslaufende Parallelketten,
welche durch den Kauka-Fluss und den Magdalenenstrom von ein-
ander geschieden sind. Die ostliche, die Kette der Sum a Pa
mit Schneegipfeln und dem Plateau von Bogota gabelt sich (un-
ter 8° nordlich,) in einen westlichen Zweig, der am Meerbusen von
Maracaybo, und einen ostlichen, der bei Caracas endiget ; — die
mittlere, die Kette von Quindiu, mit dem Vulkan Pic von
Tolima (14.200') senkt sich im Norden zum Hugellande und dann
zum Tieflande herab ; — die westliche, die Kette von C h o c o ,
die eigentliche Fortisetzung der vulkanischen Kiisten - Cordilleren,
senkt sich (zu 5000'), erhebt sich noch einmal zu Hohen von 8- bis
9000', gabelt sich in niedere Ziige und verflacht sich gegen den
Isthmus von Panama.
b) Das Gebirgsland von Central - America.
Mittel-America bildet ein System breiter Tafellander,
von einzelnen Gebirgsketten durchzogen und an den Randern von
hohen Vulkangipfeln uberragt. Die Kette von Choco sinkt zu
einer Hiigelreihe (von 600' und sogar bis 280') herab, steigt bei Pa-
nama (zu 1000'), sinkt dann wieder (zu 300') ; somit sind die Cor-
dilleren Sud-Americas von dem noch nicht genau durchforschten
Gebirgssysteme Mittel-Americas geschieden. Von der Einsen-
kung bei Panama bis zu der von Tehuantepec wer-
den sie in drei gesonderte Gruppen zerlegt. Nordlich von Panama
43
erliebt sich das Plateau vonVeragua (Silla de Vcragua 8000'),
welches durch die Kette der Cabeceras-Berge mit dem
a) Plateau von Costa Rica (2000') in Verbindung steht, aus
welchem sich zahlreiche Pics (fiber 10.000' hoch und vulkanisch)
erheben. Gegen Norden fallt das Platean in die Ebene von Nica-
ragua, nordlich erhebt sich aus dieser Ebene b) das Tafelland
von Honduras , das aus Bergzugen und Hochebenen (bis 4000')
besteht , an dessen Ostseite sich das Tiefland der Mosquito-Kuste
ausbreitet, wahrend es im Westen in steilen Terrassen abfallt, und
an der Siidseite von zwei Vulkanreihen begrenzt wird. Das Plateau
von Honduras ist mittels eines Bergruckens (2000') mit dem c) Ta-
felland von Guatemala verbunden, das bis 6000' steigt, nirgends
unter 4000' sinkt und auf welchem ausgedehnte Ebenen mit niede-
ren Bergzugen abwechseln. Der Sudwestrand ist von einer Reihe
von Vulkanen (mit liber 12.000') eingeschlossen , nach Nordosten
veiflacht es sich als Hiigelland in die Halbinsel Yucatan und im
Nordwesten bildet das Bergland von Chiapa den Uebergang
zu der Thalspalte von Tehuantepec.
c) Cordilleren von Nord-Ameriea.
Die Cordilleren von Nord-America beginnen an der Einsen-
kung von Tehuantepec und enden am nordlichen Eismeere. Im
Nordwesten der genannten Einaenkung breitet sich das Gebirge zu
einem machtigen Landrucken, der Hochflache von A n a-
huac (7000') aus, durchzogen von Bergketten mit 13 ,,schwach
entziindeten" Vulkanen (Popocatepetl 16.000', — Orizaba 16.300',
— Coffre de Perote 13.416) und Schneegipfeln. Unter 21° n. Br.,
auf dem Plateau von Guanaxuato beginnt der Charakter der
Gebirgserhebung, und die Cordilleren theilen sich in drei Zweige:
a) der westliche Zweig , die Cordilleren von Sonora, eine
Fortsetzung des Westrandes der Hochflache von Anahuac, begleitet
die Kiiste des kalifornischen Busens bis zu dessen Nordspitze; —
b) der mittlere Zug , die Sierra madre oder die Central-
Cordillere von Nord-America, eine Fortsetzung des Ost-
randes der Hochflache von Anahuac ; — c) der ostliche Zug scheint
mit dem mittleren parallel zu laufen und schliesst mit diesem die
Hochflache von Neu-Mexiko (4 — 5000') ein. Er zieht langs
des Rio del Norte und tritt in dessen Quellgegend zur Central-
Cordillere heran. Ein nordostlicher Zweig dieser Kette ist die
Sierra von Texas, welche bis zum Znsammenfluss des Mis-
sisippi und Missouri den Namen Ozark-Gebirge (1800') fuhrt.
Im Westen de-* Plateau von Neu-Mexiko liegen erloschene Vulkane
(Mont Taylor 11.500'). Zwischen der Central-Cordillere und den nord-
lich ziehenden Ketten findet nur duroh Plateau-Landschaften ein Zu-
eammenhang statt. Von diesem Plateaulande verzweigen sich unter
verschiedenen Namen Gebirgszuge nach Nordwesten und Siidosten
mit hohen Gipfeln (Spanish-Peak, James-Peak, Long-Peak). Vom
Knoten der Wind-River-Mountains (42—44° n. B.) laufen
vier Gebirgszuge aus. Der westliche und sudwestliche Zweig (Wah-
eatch-Mountains) umachliessen ein (8000 QMeilen grosses) Becken
44
mit elnem abgeschlossenen System von Seen und Flussen; — der
nordostliche sind die Black Hills oder die schwarzenHugel,
welche am Missouri (unter 46° n. B.) endigen ; — der nordliche
und bedeutendste Zug sind das Oregon- und Felsengebirge
(Rocky-Mountain a) , welche bis zum Polarmeere ziehen. Zwischen
den hochsten Gipfeln (Mount Hooker und Mount Brown, iiber
15.000' hoch, zwischen 52 und 53° n. Br.) liegt die merkwiirdige
Einsenkung Athabasca-Portage (7000') , und nordlicher zer-
epaltet sich der Zug in mehrere Ketten mit geringen Erhebungen.
§. 39. Die getrennten Gebirgsglieder von America.
Die isolirten Gebirgegruppen Americas gehoren ihrer Erhe-
bung nach zum Mittelgebirgsland , streichen (mit Ausnahme einer
Kette) an der Ostseite des Kontinentes, welche keine Vulkane tragt.
Zu diesen gehoren:
1. Das Bergland von Brasilien, bestehend aus Plateau-
Flachen (1—2000 hoch), auf denen drei bedeutende, der Ktiste
fast parallel streichende Ketten hervortreten : a) die Kustenkette
(Serra do Mar), von welcher (unter 26° s. Br.) sich b) die Cen-
tralkette oder die von Villa Rica trennt, — und c) die Was-
serscheidekette, Serra dosVertentes. Sie sind durch weite
Thalflachen von einander geschieden und durch Querketten wieder
mehrfach verbunden;
2. das Hochland von Guyana mit der aus mehreren Pa-
rallelketten bestehenden Sierra Parime, welche durch Savannen
von einander geschieden sind (Pik Duida 7800' hoch);
3. das Kustengebirge von Venezuela aus zwei Parallel-
ziigen bestehend , welche sich an einen Zweig der Cordilleren an-
schlieesen (Silla de Caracas 8100');
4. die Sierra nevadade Santa Marta, ein aus der
Ebene sich erhebendee, kleines Massengebirge , westlich vom See
Maracaybo, mit Schneegipfeln von 18.000';
5. die Alleghanies oder das apalachisch-akadische
Gebirge, aus mehreren Parallelketten bestehend, liber 350 Meil. lang
(miltlere Kammhohe 2700', Gipfel mit 6000'), und durch das Fluss-
thal des Hudson in zwei ungleiche Halften getrennt. Die Ketten
am atlantischen Ocean heissen blaue und griine Berge und Allegha-
nies. Eine Fortsetzung derselben ist das Felsenplateau von La-
bra dor. Die gronlandischen Gebirge sind noch wenig bekunnt ;
6. die n ordamericanischen Seealpen beginnen an der
Sudspitze von Californien, folgen der Westkiiste, tragen die hoch-
sten Berge von Nord- America (Vulkan Elias berg 16.900', Schon-
wetter-Berg 13.800'), und wenden eich zur Halbinsel Aljaska und
den Aleuten (Gipfel von Unimack 8000'), Sie stehen durch Quer-
joche mit den Cordilleren in Verbindung.
Alle grossen und fast alle kleinen Antillen sind gebirgig, am
hochsten Jamaika (blaue Berge 7000'), Cuba, Haiti und die vulka-
nische Insel St. Vincent. — Die ostlichsten der kleinen Antillen, die
Bahama-Inseln u. s. w. eind flach und nieder.
45
§. 40. Die Tieflander in America.
Das grosse americanische Tiefland dehnt sich im Osten der
Cordilleren von Patagoniens Sudspitze bis zu den arktischen Kusten
aus. Die siidamericanischen Ebenen bedecken zwei Drittel, die nord-
americanischen ein Halbes ihres Festlandes ; bei beiden lasst sich
eine Aehnlichkeit in horizontaler Gruppirung erkennen.
1. In Siid-America findet man drei grosse Niederungen :
die des Rio de la Plata, — des Amazonenstromes — und
des Orinoco. Die erste und dritte sind Steppen oder Grasfluren,
die zweite eine Waldebene.
a) Die patagonische Steppe, eine unwirthliche Kalkebene von
diirftiger Vegetation, von ISalzseen und Morasten durchzogen ;
b) die Pampas des Rio de la Plata zwischen den Cordilleren
von Chile und Peru und dem brasilianischen Gebirgslande, eine
unubersehbare hohe Grasnache ohne Baumwuchs, in der heissen
Jahreszeit vollkommen ausgebrannt;
c)die Selvas des Amazonenstromes (146.000 QMeilen),
undurchdringliche, sumpfige Urwalder , in deren Inneres man
nur auf dem Wasserwege gelangen kann ;
d) die Llanos im Orinoco-Gebiete, in der trockenen Jah-
reszeit diirre , baumlose Steppe , nach der Regenzeit aber das
,,Krautermeer" (mare de yerbas) genannt , mit mannshohen
Grasern ;
e) die Ebene am Magdalenenstrome (7.300 QMeilen) ist eine
heisse, wellenformige Kulturflache.
2. In Nord-America erstreckt sich eine Niederung zwi-
schen dem Felsen- und dem Alleghanies-Gebirge , vom Golf von
Mexico langs der Kiiste des atlantischen Oceans und im Norden die
arktische oder canadische.
a)Die Savannen und Prairien am Missisippi undMis-
souri (52000 QMeilen) , deren ostliche Halfte theils noch
mit Waldungen bedeckt, theils fruchtbares, angebautes Hiigel-
land ist ; die westliche Halfte bilden theils unubersehbare Gras-
fluren, theils Waldland;
b) die wellenformige E b e n e der atlantisc hen Kus tenflusse
ist fruchtbar, die siidlichen Kustenstriche, besonders in Florida,
sind sumpfig;
c) die Ebene der arktischen Abdachung oder die ark-
tische Fels- undSeeplatte ist bis zum auseersten Norden
ohne Gebirge, steinig, und desshalb so wie wegen der Ungunst
des Klimas kaum empfanglich fur die Kultur.
§. 41. Die vertikale Gliederung von Australian
Drei Viertheile des australischen Kontinentes sind noch ganz-
lich unerforscht, und selbst das von Europaern betretene Terrain
ist nur zum kleineren Theile genau untersucht; es kann sonach
eine charakteristische Gesammtansicht nicht gegeben werden. Nach
den neuesten Mittheilungen scheint es, dass Australien eine man-
nigfaltigere Gestaltung und Beschaffenheit in seinem Inneren berge,
als man gewohnlich angenommen hatte ; dass auch hier keine ein-
4S
formige Sand- oder SteinwQste existire, sondern ein Wechsel von
nutzbaren und nutzlosen Strichen. Auf dem Kontinente scheint das
Flachland vorzuherrschen , aus den Kustenlandschaften steigen iso-
lirte Bergketten als Rand- und Kustengebirge auf , die sich jedoch
weder durch Mannigfaltigkeit noch durch Grossartigkeit auszeichnen.
Die bekannteeten Gebirgslander sind:
1. Das Bergland von N eu-Siid walea, an der Siidost-
Kuste, aus einer Reihe schmaler Hochebenen bestehend, auf denen
Bergketten gegen Norden ziehen, der Abfall zur Kuste ist steil,
gegen das Innere allmahlich. Einzelne Bergketten sind die Austral-
Alp en oder weissen Berge (Kosciusko-Berg an den Quellen
des Murray 6.200'), — die blauen Berge, die Liverpool-
Kette, das Bogong-Gebirge, der Bullerberg, der Cob-
boras, leztere drei je iiber 6.000' hoch.
2. Das nordliche Bergland scheint analog dem fiiiher ge-
nannten zu sein, und zieht sich bis zur Siidspitze des Carpentaria-
Golfes.
3. Fur das Dasein eines nordlichen Gebirgslandes
eprechen die in den Carpentarie-Golf miindenden ziemlich bedeu-
tenden Flusse, doch fehlt bis jetzt jeder nahere Aufschluss.
4. An der Westkiiste ist nur der sudwestliche Theil
einigermassen bekannt. Sudlich vom S chwa nenf lusse (32° siid-
licher Breite) streicht die Darling-Kette (2000'), als Rand eines
gegen das Innere sich verflachenden Tafellandes.
5. Landein warts der Siidkiiste von Australien (vom
Cap d'Entrecasteaux — 133° OstlicherLange, 35° siidlicher Breite —
bis zum Spencer-Golf) besitzen wir nur wenige Andeutungen eines
Gebirgslandes. Im Norden von Albany (135° ostlich und 35° sudlich)
streichen die Stirling-Berge, und im Nordwesten vom Cap
Pasley (141° ostlich 33° sudlich) die Russel- Kette. Nordlich
vom Spencer- Golfe und gegen Osten ziehet die (2.000—3.000' hohe)
Gawler-Kette. Sowohl im Osten als im Suden dieses Hochlan-
des ziehen zahlreiche Bergketten, welche zum Theil an das Berg-
land von Neu-Sudwales sich anschliessen.
Von den australischen Inseln gehort die Mehrzahl den
hohen Gebirgsinseln an, theils mit erloschenen, theils noch thatigen
Vulkanen. Die Ausbriiche der Vulkane auf Neu-Seeland und des
Mauna Roa (14—15.000') auf Oweihi sind besonders heftig. Die
niederen Inseln sind Korallen-Inseln , in deren Mitte gevvohnlich
eine Lagune liegt, welche mit dem Ocean in Verbindung steht
(Atolle oder Lagunen-Inseln), oder es sind Korallenriffe oder
Korallenbanke.
G. Beschreibung der Gewasser des Festlandes.
§. 42. Vorbegriffe.
Die wichtigste Verkehrsstrasse ist das Wasser ; eie ist die
natiirliche Verbindung verschiedener Volker und Kulturverhaltnisse,
Producte und Bediirfnisse. Das volkerverbindende Meer, die Flusse,
Seen und Kan ale bilden die Adern des Verkehrs, in welchem
47
das kommerzielle und industrielle Leben pulsirt, ZunSchst ist das
Meer die grosse belebte Wasserstrasse , welche die entlegensten
Glieder der menschlichen Gesellschaft mit einander verbindet , die
grossen Markfplatze des Welthandels einander naher bringt und
die Thatigkeit der Volker nach alien Richtungen entwickelt. Dessen
Bedeutung fur den Verkehr nimmt in dem Masse zu , als die An-
zahl der Beruhrungspunkte deeselben mit dem Festlande wachst.
Je langer also die Ku'ste und je entwickelter sie ist , desto wichti-
ger ist sie fiir die Kulturverhaltnisse und den Handel des Landes,
desto mehr ist das Land berufen, an dem grossen Weltverkehr An-
theil zu nehmen. Die Kiistenlange und die Kustenen t wick lung
oder Kusten glie derung sind, wenn dieselben nicht durch allzu-
grosse natiirliche Hindernisse paralisirt werden, die Vorbedingungen
und die sichere Gewahr fiir den Aufschwung eines Landes in mer-
kantiler und mittelbar auch in industrieller Beziehung.
Die Flusse eind die wahren Lebensadern des ganzen Pflan-
zen-, Thier-, Menschen- und Volkerlebens , sie iiben den machtig-
sten Einfluss auf den Menschen und seine Lebensart aus. An den
Stromufern begann die Civilisation zu dammern, an diesen erbliih-
ten Industrie und Handel, Kiinste und Wissenschaften. Fast alle
grossen Stadte liegen an bedeutenden Fliissen , und der Lauf der
Flusse ist in fernen Landern der Wegweiser fur Einwanderer und
Colonisten.
Je vielfaltiger ein Land von schiffbaren Fliissen durch-
schnitten wird, desto leichter gestaltet sich der Binnenverkihr. Die
an solchen Flussen gelegenen Stadte geniessen zum Theile die Vor-
theile der Seestadte, insbesondere, wenn der Fluss auch auf heimat-
lichem, somit freiem Boden in das Meer sich ergiesst In der Regel
nimmt die Grosse und Bedeutsamkeit der Stadte in dem Masse zu,
als sie naher der Mundung rticken. Allein nicht bloss die Lange
des Flusses ist beachtenswerth, mehr noch die vertikale Erhebung
des Ursprunges uber dem Meere , denn von dieser hangt die Re-
gelmassigkei t des Rinnsales und das Gefalle ab, und
diese beiden sind es vorziiglich, welche den Werth eines Flusses,
d. i. dessen Schiffbarkeit, bestimmen. In ihrem Quellgebiete sind
die auf hohen Gebirgen entspringenden Flusse wegen des zu star-
ken Gefalles und der Unregelmassigkeit des Rinnsales entweder gar
nicht oder hochstens fiir die Thalfahrt schifibar; sie gewahren
also nur den hal b en Vortheil gegeniiber jenen, welche fiir Thal-
und Bergfahrt schiffbar sind. Erst im Mittellaufe und iin Miin-
dungsgebiete erhoht sich ihre Bedeutsamkeit, welche durch die ein-
mvindenden Neben- und Zuflusse, durch die anschwellende Wasser-
masse und groesere Tragfahigkeit vergrossert wird. Inebesondere
mu'ssen schift'bare Fliisse in dieser Hinsicht beriicksichtigt werden,
da sie die Faden des Verkehrs mitunter in industriereiche Hinter-
lander ziehen, letztere mit dem grossen Verkehr in Verbindung setzen,
und dadurch ein wahrhaftes Verkehrsnetz ausspannen.
Unter den Seen bieten die eigentlichen Fluss -Seen die mei-
sten Vortheile schiffbarer Flusse , gewohnlich in erhohtem Masse ;
bei den in Ebenen oder Tieflandern liegenden Binnenseen kommen
48 __
ihre Grosse und Kiistenentwicklung vorziiglich in Betrachtung. Jeden-
falls sind auch sie bequeme und billige Verbindungsstrassen.
Kanale dienen theils als Wasserstrasse , theils zur Entwas-
serung oder Bewasserung , und sind daher entweder zunachst fiir
den Handelsverkehr oder fiir den Landbau von Wichtigkeit. Der
Zweck der ersteren Art von Kanalen ist die Verbindung schiffbarer
Fliisse, des eigentlichen Fahrwassers, wodurch gewb'hnlich getrennte
Flussgebiete, verschiedene Meere mittelbar einander naher geriickt,
mit einander verbunden werden. Der Kanal durchschneidet in der
Regel die Wasserscheide, und diese bestimmt sonach ebenso die
Schwierigkeit des Unternehmens, als die Beschaffenheit der zu ver-
bindenden Fliisse die Wichtigkeit des Kanals bestimmt. In kommer-
zieller Beziehung waren solche Kanale von grosster Bedeutung,
welche Meere mit einander verbanden.
§. 43. Das FlussgeSder in Europa.
Das gesammte europaische Flussgeader gehort drei Meeres-
gebieten an, namlich:
I. dem Gebiete des nordlichen Eismeeres ,
II. dem Gebiete des atlantischen Oceans, und
III. dem Gebiete des Caspi-Sees.
I. Das Gebiet des nordlichen Eismeeres.
1. Die Petschora, U. *) am Ural, schiffbar aber unwirth-
liche Ufer, Limanmiindung **) in die Petschora-Bai, unterhalb Pu-
stosersk ;
2. der Me sen, schiffbar, M. bei Mesen in das weisse Meer;
3. die Dwina, entsteht aus zwei Quellfliissen (Suchona und
lug), wird bei Nikolsk schiffbar, M. bei Archangel in die Dwina-
Bucht des weissen Meeres;
4. die Onega, U. Wosche-See, durchfliesst den Latscha-See,
aus welchem sie schiffbar tritt ; M. bei Onega in die Onega-Bucht
des weissen Meeres.
II. Das Gebiet des atlantischen Oceans, u. z.
A. In die Ostsee :
1. Die Newa, Abfluss des Ladoga-Sees mit hohen, steilen
Ufern, fahrbar ; M, finnischer Busen ;
2. die Narwa, schiffbarer Abfluss aus dem Peipus-See, J/.
bei Narwa in den finnischen Busen;
3. die Dun a, U. aus den Sump fen des Wolchonski-Waldes,
hat flache, sumpfige Ufer und in ihrem Bette viele Klippen; M. bei
Riga in den rigaschen Busen;
4. der Nje'men (im Unterlaufe Mem el), U. uralisch-baltischer
Landriicken, von Grodno an fiir grossere Fahrzeuge schiffbar;
Delta- M. in das kurische Haff; Delta-Spaltung unterhalb Tilsit;
*) U. = Ursprung; M. «= Miindung.
**) Limans im russischen Sinne sind Baien mit vom Meere gebildeten Sand-
dammeh umschlossen. Die meisten Limans sind am schwarzen und asowschen
Meere, und den wenigsten sind Inseln vorgelagert, was man haufig, aber irrig, als
Eennzeicben cines Limau anzunehmen pflegt.
49
5. der Pregel , U. mehrere Quellen auf der Landhb'he von
Ostpreussen, echiffbar; M. unterhalb Konigsberg in das frische Haff ;
6. die Weichsel, U. Bjeskiden in Schlesien, der grosste
Fluss dea Ostseegebietes, bildet die Grenzscheide zwischen dem
germanischen und slawischen Tieflande, wird bei Dwory fiir kleine,
bei Krakau fur mittlere , bei Sandomirz fur grossere Fahrzeuge
schiffbar, vermittelt den Verkehr von Westgalizien mit der Ostsee ;
ihre schiffbare Lange betragt an 84 Meilen. M. in drei Hauptarmen :
No gat und alte Weichsel in das frische Haff, Danziger
Weichsel (bei Danzig) in die Danziger-Bucht.
Nebenf'lusse:
links:
l.Brahe, — M. nahe bei Bromberg,
Kanalisation der Weichsel mit der
Oder;
7. Die Oder, U. in den Sudeten in Mahren, tritt bei Ratibor
— von wo an sie schiffbar ist — in die norddeutsche Tiefebene,
der sie grosstentheils angehort, durchbricht spater den pouimerschen
Landrucken , und erweitert sich nach mehrfachen Stromspaltungen
zum Stettiner Haff, welches durch drei Strassen (Peene, Swine,
die wichtigste fiir die Schiffahrt — und Diwenow) mit der pom-
merschen Bucht zusammenhangt.
Nebenflttsse:
rechts:
1. Dunajec von der Tatra,
2. San vom karpathischen Waldgebirge,
3. der Bug vom ostgalizischen Plateau.
links:
1. die Oppa,
2. die Glatzer Neisse,
3. die K a t z b a c h ,
rechts:
1. die Warthe (mit derNetze, welche
dnrch den Bromberger Kanal mit der
Brahe verbunden ist).
4. der Bober,
5. die L a u s i t z e r oder Gorlitzer Neisse;
8. Die Trave, U. aus dem Plb'n-See, schiffbar, durch den
Stecknitz-Kanal mit der Elbe verbunden. M. bei Travemiinde (Hafen
von Liibeck) ;
9. die Fliisse (Elfe) der skandinavischen Halbinsel sind wegen
der vielen Stromschnellen zur Schiffahrt nicht geeignet. Die bedeu-
tendsten sind: der Tornea (mit dem MunSo) , Lulea, Pitea,
Umea, Angermann, Dal, welche in die Ostsee miinden.
B. In die Nordsee :
1. Der Gota-Elf, U. aus dem Wenern See, M. bei Goteborg
in das Kattegat;
2. der Glomen, Abfluss des Oresund-Sees, M. bei Frede-
rikstadt in das Skagerack;
8, die Eider, aus kleinen Seen in Holsfein, der Grenzfluss
Deutschlands, M. bei Tunning (durch einen Kanal mit der Ostsee
verbunden) ;
4. die Elbe, U. Siidabhang des Riesengebirges; (Quellen:
Elbebrunnen und Weisswasser) ; von Pardubitz mit Flossen, von Mel-
nik mit Schiffen , von Aussig mit Dampfschiflen befahren; der
grosste Fluss der norddeutschen Tiefebene, welche sie in vorherr-
schend nordwestlicher Richtung durchstromt. Ist sie auch fiir das
industriereiche Bohmen nicht ohne Bedeutung, so gewinnt sie doch
ihre Wichtigkeit erst nachdem sie verstarkt durch Bohmens grosste
Klun's naadels-Geographie. 2. Aufl.
50
Fliisse nach Deutschland getreten; M. bei Cuxhafen (unterhalb
Hamburg).
Nebenflusse:
links:
l.Moldau, U. Bohmerwald, gchiffbar von
Budweis bis zu ihrer Mundung auf
einer Strecke von 42 Meilen, vermit-
telt den Verkebr im Innern BShmeus,
M. bei Melnik;
2. Eger, U. Fichtelgebirge, M. bei The-
resienstadt.
3. Mulde, U. sachsisches Erzgebirge, M.
unterhalb Dessau;
4. Saale, U. Fichtelgebirge, M. unterbalb
Calbe ;
a) Ilm (Weimar),
b) Unstrut (Muhl-
hausen),
a) weisse Elster mit
der Pleisse (Leip-
zig).
rechts:
1. Iser, U. Riesengebirge, M. bei Brandeis ;
2. schwarze Elster, U. Lausitzer Gebirge,
M- oberhalb Wittenberg;
3. Havel, U au8 mehren meklenburgischen
Seen, M. unterhalb Havelberg. (Nimmt
links die Spree [Berlin] auf.)
5. Die Weser entsteht aus der Vereinigung der Werra und
Fulda bei Miinden, durchfurcht das Weser Bergland in einem engen
Thale und trittt dutch die Porta Westphalica in die germanische
Tiefebene. Die Weser ist sowohl fiir Bremen als die Uferstaaten
von hoher Bedeutung, sowohl fiir die Ausfuhr deutscher Natur-
und Kunsterzeugnisse (nach Nord-America) , als fiir die Einfuhr
fremder Produkte. M. bei Bremerhafen unterhalb Bremen. U. der
Werra ist im Thiiringer Wald, der Fulda in der Rhon;
6. die Ems, U. auf dem Siidabhangc des Teutoburger Wal-
des, M. bei Emden in den Dollart-Busen ;
7. der Rhein, U. Vorderrhein im kleinen Toma-See am
St. Gotthard, Mittelrhein am Lukmanier, Hinterrhein am Rheiq-
wald-Gletscher des Vogelberges. Vorder- und Mittelrhein vereinigeh
sich bei Dissentis, bei Reichenau tritt der Hinterrhein hinzu. Schon
von Chur an wird er schiffbar, er durchstromt sodann den Boden-
see (den Mittelpunkt eines regen, durch Dampf- und Segelschiffe
vermittelten Verkehrs zwischen seinen ftinf Uferstaaten), den er bei
Stein verl§sst, und bildet bei Lauffen den durch Breite und Wasser-
fiille beriihmten Fall. Von hier bis Basel ist der reissende Fluss
fiir die Schiffahrt wenig geeignet. Auch in seinem Laufe durch die
oberrheinische Tiefebene (von Basel bis Bingen) hat er nur den
Charakter eines grossartigen Wildwassers, ist in viele Arme voll
sandiger Inseln und Untiefen gespalten, und erst in neuester Zeit
fur die Schiffahrt von einiger Bedeutung. Die kommerziell bedeu-
tenderen Stadte liegen an seinem rechten Ufer. Von Bingen bis
Bonn ist er der natiirlichste und direkteste Weg fur den Verkehr
zwischen Ober- und Niederrhein , Nord- und Siiddeutschlaud, von
Dampf- und Segelschiffen so sehr belebt, wie kein zweiter Fluss
auf dem Kontinente, verbunden mit dem inneren Frankreich (Mosel)
und dem Herzen des intelligenten, industriereichen Deutschland
(Main, Lahn). Nachdem er unterhalb Bonn in das niederrheinische.
Tiefland getreten, tragt der breite und machtige Strom die grossten
Fahrzeuge. An seinen Ufern und in den Thalern seiner Nebenfliisse
herrscht die schwunghafteste Industrie (Wupper, Ruhr), die sehr
dichte Bevolkerung empfangt und versendet die reichenErzeugnisse
51
der AgrJkultur und des Gewerbefleisses auf dieser bequemen Wag-
serstrasse. Unterhalb des Einflusses der Lippe beginnt bald der
Uebergang zum Deltalande. Bei Pannerden, an der Grenze Deutsch-
lands, spaltet er sich in zwei Arme, die Waal (sudlich), der nord-
liche Arm behalt den Namen Rhein. Die Waal miindet nach der
Vereinigung mit der Maas (bei Gorkura) in die Nordsee, der Rhein
spaltet sich wieder in zwei Arrae, der rechte (Yssel) ergieest sich
in die Zuider-See, der linke bekommt nach kurzem Laufe den Na-
men Leek. Der Leek spaltet sich neuerdings, sendet den ,,krummen
Rhein" bis Utrecht, von wo dessen Wasser als Vecht und Amstel
in die Zuider-See sich ergieesen, der ,,alte Rhein" fallt bei Katwyk
in die Nordsee, und der Hauptarm des Leek verbindet sich mit der
nordlichen Mundung der Maas.
Die bedeutendsten Nebenflusse sind:
links:
l.Dic Thur, U. bei Wildhaus (Canton
St. Gallen), M. bei Martbalen,
2. die A a r , U. Aargletscher auf der
Grimsel, M. bei Koblenz (in der
Schweiz),
a) der Giessbach a) die Reuss ans
im Berner-Ober- dem Vierwaldstat-
land, ter-See,
b)die Zihl (dnrch- bjdieLimmat aus
tiiesst den Neuen- dem Zurcher-See,
burger- und Bie-
ler-See,
3. der 111, U. franz. Jura, M. nahe bei
Strassburg,
4. die Nahe, U. am Hunsruck, M bei
Bingen,
5. die Mosel, U. in den Vogesen, bei
Metz scbiffbar, M. bei Coblenz.
Zuflusse, rechts : Meurthe und
Saar;
6. die Maas, U. auf dem Plateau von
Langres, schiffbar bei Verdun, vereinigt
sich mit der Waal (bei Gorkum), wird
bei Bourmont fur kleine Fahrzeuge
sch'ffbar, bei Rotterdam und im Hol-
lands-Deep ittr Seeschiffe. M. in drei
Hanptarmen in die Nordsee.
rechts:
l.Der Plessur, U. Churer-Alpe, M.
unterhalb Chur,
2. die Landquart, U. Selvretta-Glet-
scher im Prattigau mundet nach eincm
7 Meilen langen Laufe,
3. die badische Kinzig, U. im Schwarz-
wald, I/, bei Kehl,
4. die Marg, U. im Schwarzwald, trennt
den Schwarzwald vom Odenwald, M.
nnterhalb Rastatt,
5. der Neckar, U. am Sudost-Fusse
des Schwarzw aides, begrenzt die Rauhe
Alp gegen Nordwesten, durchbricht
den Odenwald, M. bei Mannheim,
6. der Main, U. am Fichtelgebirge, M.
gegenuber von Mainz,
a)die Regnitz, M. a) die frankische
bei Bamberg, Saale, Jf.beiGe-
b)dieTauber, M. miind,
bei Wettheim, b)die Hanauer
Kinzig, H. bei
Hanau :
7. die Lahn, U. im Sanerland, trennt
, den Taunus vom Westerwald, 3f.
unterhalb Ems,
8. die Si eg, U. im Sauerland, begrenzt
im Norden den Westerwald, M. unter-
Sambre beiNa- O nrt (bei Luttich) halb Bonn,
mur), Roer (bei Roer- 9. die Ruhr, U. am Rothlager-Gebirge,
monde); M. bei Ruhrort,
10. die Lippe, U. im Teutoburger Walde,
nahe der Ems-Queile, M. bei Wesel.
8. Die Schelde, U. am Westende der Ardennen, von Cam-
bray fur kleinere Fahrzeuge schiffbar, von Antwerpen filr Seeschiffe.
Am letzteren Orte sind Ebbe und Fluth sehr stark, und selbst noch
bei Gent bemerkbar; der westlichste Fluss des niederrheinischen
Tieflandes; — M. in zwei Hauptarmen (Wester-Schelde und Oster-
Schelde), siidwestlich vom Rhein-Delta ;
9. die Themse, U. aus der Vereinigung des Charwell und
lais bei Oxford, ist gleich fur kleine Fahrzeuge schiffbar, und bei
52
London fiir Seeschiffe, iiber welchen Ort noch hinauf Ebbe und
Fluth bemerkbar sind; auf ihrem ungefahr 30 Meilen langen Laufe
hat sie nirgends hohe Ufer und ist Englands bedeutendster Fluss.
M. unterhalb London;
10. der Humber, U. aus der Vereinigung der Ouse und
Trent, M. bei Hull.
Die ubrigen Fliisse Grossbritanniens, welche znm Gebiete der Nordsee gehiJren,
sind meist KiistenflQsse und zunachst wegen der verzweigten Kanalverbindung unter
einander von Bedeatung. (Forth, Ness, Severn — U. im Gebirgslande von Wales,
M. bei Bristol — , Shannon in Irland, verbindet mehrere Seen unter einander,
M. unterhalb Limmerick.)
C. In den Canal la Manche und den Wscayischen Golf:
1. Die Somme, Kustenfluss, M. unferhalb Abbeville;
2. die Seine, U. am Coted'or; von Troyes an ist sie schiff-
bar fiir Flues-, von Rouen an fur Seeschiffe; sie hat einen ruhigen
Lauf, Ebbe und Fluth erstrecken sich bis auf 18 Meilen von der
Miindung aufwarts. M. bei Havre de Grace.
a) Yone,
b) Enre,
a) A u b e ,
b) Marne, M. bei Paris,
c) Oise.
3. die Loire, U. am Gerbier le Joux in den Sevennen, der
grosste Fluss Frankreichs, die Haupfpuleader des Verkehrs zwiechen
dem Innern Frankreichs und den seine Kiisten bespulenden Meeren,
indem das grosse Flussgebiet durch Kanalanlagen kiinstlich noch
bedeutend erweitert wurde, — trennt das Forez-Gebirge von dem
Gebirgszug von Lyonnais und Charolais, schiffbar fur grossere Fahr-
zeuge von Orleans an, im Mittellaufe ist die Schiffahrt mehrfach
durch Sandbanke und Inseln, im Sommer auch durch Wassermangel
gehemmt; M. unterhalb Nantes (bei St. Nazoire).
a) Allier, trennt die Gebirge von
Forez und Auvergne, M. unterhalb
a) Mayenne (mit der Sarthe und
dem Loir), M. bei Angers,
Nevers,
b) Cher, M. bei Tours,
c) Vienne, M. nahe bei Saumur,
4. Die Charante; Kustenfluss, M. bei Rochefort;
5. die Garonne, U. an der Ostseite des Pyrenaen-Thales
Aran (in Spanien) nach der Einmlindung der Dordogne (unter-
halb Bordeaux) heisst sie Gironde, und ist nun iiber eine Meile
breit. Von Muret ist sie schiffbar fur kleine, von Toulouse fiir grosse
Fluss-, bei Bordeaux , bis wohin Ebbe und Fluth bemerkbar sind,
fiir Seeschiffe; M. bei Royan;
6. der Adour, Kustenfluss, aus den Pyrenaen, M. unterhalb
Bayonne.
D. In den atlantischen Ocean (unmittelbar) :
1. Der Minho, U. im galizischen Gebirge, fliesst reissend,
meist in einem breiten von hohen Gebirgen begrenzten Thale; M.
bei Caminha;
2. der Duero (Douro), U. im kastilischen Scheidegebirge, er
ist fortwahrend reissend, stromt zwischen hohen und steilen Ufern;
insbesondere ist das rechte Ufer von eteilen Wa'nden begleitet; M.
bei Oporto ;
53
3. der Tajo (Tejo), V. auf der Sierra Albaracin (Osttheil des
kastilischen Scheidegebirges), der bedeutendste Fluss der pyrenai-
schen Halbinsel, fliesst bis Abrantes, wo er schiffbar wird, und bis
wohin die Meeresfluth bemerkbar iet , zwischen felsigen , steilen
Ufern, von da an tritt er in ein breiteres Thai ; M. bei Liesabon ;
4. die Quadiana, U. auf der Sierra Alcaraz (nordostlicher
Theil der Sierra Morena); M. bei Ayamonte;
5. der Guadalquibir, U. auf der Hochebene von Murcia,
der breiteste Strom in Spanien , hat durch das ganze Jahr die be-
deutendste Wassermenge — im Gegensatze zu den drei erstgenann-
ten Flussen — und wird von kleineren Seeechiffen bis Sevilla, von
Flussschiffen bis Cordova befahren ; M, bei St. Lucar (in den Golf
von Cadix).
£. In das mitteUandische Meer:
1. Die Kiistenflusse an der Odtkuste der pyrenaischen Halb-
insel: Segura, Xucar, Guadalaviar (M. bei Valencia);
2. der Ebro, U. auf dem kantabrischen Gebirge, von Am-
posta an versandet, fur die Schiffahrt von keiner Bedeutung, nur
der mit dem M'ttellauf parallel laufende Kaiserkanal wird befahren;
M. unterhalb Tortosa ;
3. die Rhone, U. aus den Furka-Gletschern, wird in Frank-
reich mit Dampfern befahren, ist von Genf bis zumFort de TEcluse
und von Seyssel bis Aries sehiffbar, die Kanale von Aries und von
Beaucaire setzen den Fluss Gstlich und westlich von seinen Miin-
dungen mit dem Meere in Verbindung; M. unterhalb Aries.
1. Die Arve aus dem Chamonny-Thale,
M. bei Genf,
2. die Is ere, U. in den cottischen Al-
pen, M. bei Valence,
die S a 6 n e , U. am Plateau yon
Langres, M. bei Lyon,
Zufluss: Doubs vom Schweizer
Jura, M. oberhalb Chalons s/S.
3. die Duran ce, U. in den Seealpen,
M. nnterhulb Avignon;
4. Der Kustenfluss Var, M. bei Nizza;
5. der Arno, U. Monte Falterona (toskanische Apenninen),
M. unterhalb Pisa;
6. die Tiber, U. in den toskanischen Apenninen (Fumajolo),
von Rom an schiffbar , Deltamiindung unterhalb Ostia (Nebenfluss
— links — Nera) ;
7. der Kiistenfluss Garigliano, M. Golf von Gaeta;
8. die Kustenfliisse Volturno, M. bei Castel Volturno (unter-
halb Capua), Sele (oder Silaris) in den Busen von Salerno, und
Brandano in den Golf von Tarent.
F. In das adriatische, jonische und agaische Meer:
1. Die Kiistenflusse, welche von den Apenninen dem adriati-
schen Meere von Slid west nach Nordost zufliessen, sind meistens
unbedeutend; die wichtigsten : der Ofanto, M. in den Golf von
Manfredonia, — Marechia, M. bei Rimini, — Montone, M.
unterhalb Ravenna ;
2. der Po, U. an der Nordseite des Monte Viso in den West-
alpen , der wichtigste und grosste Fluss Italiens , echon oberhalb
Turin schiffbar, wird von osterreichischen Dampfschiffen befahren.
in seinem Mittellaufe mussen die Ufer durch Damme gegenUeber-
schwemmungen geschiitzt werden. Eine auegebreitete Kanalverbin-
dung mit den Nebenfliissen durchschneidet sein linkes Ufer, und er-
hoht den Werth fur Schiffahrt und Verkehr. An seinen Miindungen
sind haufige Ueberschwemmungen , und in dem Sumpflande liegen
die Ortschaften grossentheils auf kunstlich erhb'htem Boden. Miin-
dungs-Delta (Po della Gnocca und Punta della Maestra 45° nord-
licher Breite, 30° ostlicher Lange).
1. Dora ripera (M. bei Turin),
2. Dora baltea (M. unterhalb Ivrea),
3. Sesia (M. unterbalb Casale),
4. Tessin (Ticino), U. in den lepontini-
schen Alpen, M. sfldlich von Pavia,
5. die Adda, U. in der Nahe des Ortler,
M. oberhalb Cremona,
6. der Oglio, U. in der Nahe der Adda-
1. der Tanaro, U. am Nordabhange
der Apenninen (M. Cassini), M. unter-
halb Alessandria,
2. die T r e b i a vom Nordabhange der
Apenninen, M. nahe bei Piacenza,
3. die Enza, M. oberhalb Guastala,
4. die S e c c h i a , .ft/, gegenuber der Mincio-
Mundung.
Quellen, M. oberhalb Borgoforte,
7. der Mincio (vor dem Eintritte in den
Garda-See Sarca), U. gegenuber den
Oglio-Quellen, M. unterhalb Mantna;
3. Die Etsch, U. erhalt ihr Wasser aus dem Oetzthaler-Fer-
nerstock (Langtauferer-Ferner), schiffbar unterhalb Botzen nach dem
Einflusse der Eisack, das Bett ist im Oberlaufe felsig, im Miin-
dungsgebiete schlammig, der Lauf in Tirol reissend, spater gemas-
sigt; die schiffbare Lange betragt iiber 40 Meilen; M. bei Porto
fossone (nordlich vom Po-Delta);
4. unter den Kustenflussen, welche in den nordlichen Theil
des adriatischen Meeres fallen, eind die bedeutendsten : der Bac-
chiglione, die Brenta, die Piave, der Tagliamento und
der Isonzo;
5. die dalmatinisch en Kustenflusse sind sammtlich unbe-
deutend: Zermagna (M. bei Novigrad), Kerka (M. bei Sebenico),
Ce"ttina (M. in den Brazza-Kanal) , Narenta (M. in den Na-
renta-Kanal) ;
6. der Drino, U, im Ochridasee, M. bei Alessio (oder Leech);
7. der Aspropotamos, U. am Zigos-Berge (Pindus), M. in
den Golf von Patras;
8. der Vardar, U. am Schar Dagh (Skardus), M. in den
Busen von Salonik ;
9. der Strymon oder Kar'asu, U. am Balkan, M. in den
Busen von Contessa;
10; die Maritza (Hebrus), U. am Balkan, M. in die Bai
von Enos.
G. In das schwarze Meer:
1. Die Donau, U. im Schwarzwalde (Quellen: Brege, Bri-
g a c h , Vereinigung bei Donaueschingen), Die Donau ist der m'ach-
tigste Strom Mitteleuropas, und ausser der Wolga der grosste Euro-
5 as. Sie ist die Hauptpulsader fur den gesammten Verkehr zwischent
em kraftig schaffenden Occident und dem reichen, aber industrie-
armen Orient; sie ist fiir Oesterreich und Siiddeutschland von nicht
geringerer Bedeutung als der Rhein fur West- und Norddeutsch-
land ; beide aber haben die e i n e gemeinschaftliche Bestimmung :
sie sind die wichtigsten Vermittler deutschen Fleisses, deutscher
Kultur mit dem Auslande. 1st sie schon als Bindeglied der deut-
schen Zollvereinsstaaten mit Oesterreieh von Bedeutung, so 1st ihr
Lauf mitten durch das Herz des Kaiserstaates, durch das auf-
bliihende iiberreiche Ungarn und die siidlichen, an Agrikultur-Er-
zeugnissen reichen Kronlander gleichsam die Pulsader fur das ge-
sammte kommerzielle Leben unseres Vaterlandes. Wahrend sie beim
Beginne ihrer Schiffbarkeit (Ulm) nur Schiffe bis 500 Zentner Last
tragt, wird sie bei Donauworth schon von Dampfschiffen befahren,
und im Kaiserstaate steigert sich ihre Tragfahigkeit bis auf 6.000
Zentner, ja sogar fur Kriegsschiffe mit 40 Kanonen. Ihre Quellen
liegen etwa 2200' hoch, bei Press burg betragt die Seehohe je-
doch nur mehr 400'; die Ebenen der mittleren und unteren Donau
liegen demnach tief, der Lauf des Stromes, der von Of en an noch
zwei Drittheile seines Weges zuriickzulegen hat, ist langsam, und
zur Thai- und Bergfahrt sehr geeignet. In Oesterreieh und bis zur
Miindung vermittelt den Hauptverkehr die ,,Donau-Dampfschiffahrt8-
Gesellschaft" *), deren Dampf- und Schleppschiffe regelmassig nicht
nur die Donau von Linz bis Galacz, sondern auch die Theiss bis
Tokay, die Save bis Sissek, die Drave bis Essek und den Bega-
Kanal befahren. — An diese grosse Wasserstrasse, welche der
osterreichischen und deutschen Industrie und dem Handel viele Ab-
satzquellen eroffnet, schliessen sich die schiffbaren Fliisse der mei-
sten Kronlander an; insbesondere sind die Alpen- und Karpathen-
Lander mit ihren materiellen Interessen durch ihre bedeutendsten
Flusse enge mit der Donau verkniipft und dem Haupthandelszuge
naher gebracht. An den Einmundungen in die grosste Verkebrs-
ader des Reiches entwickelt sich ein lebhafter, stets wachsender
Handel. Der innere Verkehr, so wie der osterreichische Export- und
der deutsche Durchfuhrhandel geben diesem deutschen Strome eine
Wichtigkeit, welche nach Beseitigung mancher Storungen an des-
sen Miindung und durch dessen vollstandige Freimachung noch ge-
steigert werden wird. Die schiffbaren Strecken der zum osterreichi-
schen Donaugebiete gehorigen Flusse haben eine Lange von bei-
laufig 630 Meilen. Sie miindet in fiinf Hauptarmen, die drei grOss-
ten : Kilia-, Sulina- und St. Georgs-Miindung.
Die bedeutendsten
links:
1. Die Altmuhl, U. auf der schwEbisch-
frankischenTsrrasse, M. beiKehlheim,
2. die Naab, £7. im Fichtelgebirge, M.
oberhalb Regensburg,
3. der Beg en, U. im Bohmerwalde, M.
bei Regensburg,
4. die March, U. am Glatzer-Schnee-
berge, M. bei Theben,
5. die Waag, U. am Liptauer-Gebirge
(Kralova hora — KOnigsberg), M. bei
Komorn,
Nebenflusse sind:
rechts:
1. die Iller, V. auf den AJgauer- Alpen,
M. bei Ulm,
2. der L e c h , U. am Hornspitz in Vorarl-
berg, M. unterhalb Donauwdrth,
3. die Is ar, U. auf den bairischen Al-
pen, M. unterhalb Straubing,
4. der Inn, U. aus dem Lac d>e Lugni
auf dem Septimer (Schweiz) in seinem
Unterlaufe schiffbar, M. bei Passau,
(Zufluss: Salza),
*) Im J. 1857- befOrderte sie uber 15% Mill. Pfd. Frachtguter und fiber 600.000
Personen; im J. 1838 zeigte sich beim Transports von Frachtguteru eioe Vermeh-
rung urn mehr als 7%, bei jenem von Personen (einschliessig des Militars) eine
Verminderung um beilaufig 10%.
56
links:
6. die Gran, U. am Sudabhange der
Kralova bora, M. gegeniiber von Gran,
7. die Eypel (oder Ipoli), U. am Ho-
melka-Berge, M. unterhalb Gran,
8. die Theiss, U. im siidl. karpathi-
scben Waldgebirge, M. unterhalb Titel,
(Znflusse: Szamos, Kor6s, Maro?),
9. die Alata, U. auf dem Borszek-
Gebirge, M. gegeniiber von Nikopoli,
10. der S ereth, U. auf dem Ostabbange
des karpathischen Waldgebirges, M.
zwischen Braila und Galacz,
11. derPruth, U. auf dem Nordabhange
des karpathischen Waldgebirges, M.
unterhalb Galacz;
rechts:
5. die Enns, V. auf dem Tauern-Zuge,
M. unterhalb Enns,
6. die Raab, U. in den Fischbacher Al-
pen, M. unterhalb Eaab,
7. die Drave (Drau), U. im Pusterthale
(Toblacher-Fekl in Tirol), M. unterhalb
Essek,
(Zufluss: Mur),
8. die Save (SauJ, U. in den Krainer-
Alpen (Nahe des Triglav) , M. bei
Semlin (gegeniiber Belgrad),
9.die Morawa, U. (Ost-Morawa am
Schar Dagh, West -Morawa 'auf den
dinarischen Alpen , Vereinigung bei
Krusewac in Serbien), M, unterhalb
Semendria.
2. Der Dnjestr, U. am Nordabhange des karpathischen
Waldgebirges, von Sambor bis zur Stry-Mundung (Galizien) breiten
sich grosse Siimpfe am rechten Ufer aus, er ist reissend, Belt und
Wasser sind schlammig, bei Chotym (Eintritt nach Russland) tritt
er in die Ebene, bei Jampol (Podolien) wird die Schiffahrt durch
einen Wasserfall unterbrochen; M. oberhalb Akjermann ;
3. der Dnjepr, U. am Siidabhange der uralisch-baltlschen
Landhohe, wird schoji bei Smolensk schiffbar, unterhalb Kiew ge-
fahrliche Strudel, steht durch Nebenfliisse, aus welchen Kanale in
die Weichsel, den Bug, Niemen und die Diina fiihren , mehrfach
mit der Ostsee in Verbindung; M. bei Cherson;
4. der Don, U. in den Morasten des Gouvernements Tula
(See Iwanow) ; M. oberhalb Asow.
III. Dos Gebiet des Caspi- See's :
1. Die Wolga, U. auf der Waldai-Hohe (oder dem Wol-
chonski-Gebirge), der grosste Fluss Europas, schon bei Rzew Wla-
di^mirow fiir mittlere, bei Twer fur sehr grosse Fahrzeuge schiffbar,
\v^rd auch mit Dampfern befahren. Die Wolga ist der Mittelpunkt
des grossen russischen Kanalsystems, welches einen lebhaften Ver-
kehr zwischen dem holz- und pelzreichen Norden, dem metallreichen
Osten, dem fisch- und salzreichen Suden und dem getreidereichen
Innern vermittelt ; die Kunst hat eine vielfache Verbindung der
bedeutendsten Seekiisten mit dem Innern hergestellt. Die Ufer sind
meist flach und Ueberschwemmungen ausgesetzt ; bei Nishnji Now-
gorod treten steile Berge an das linke Ufer, bei Saratow ist sie
eine halbe Meile, spater drei Meilen breit; M. in einem sechzig-
bis siebzigarmigen Delta unterhalb Astrachan.
1. die Ok&, U. in der Nahe der Don-
Quellen, M. gegeniiber von Nishnji
1. Die Kama, U. am Ural, M. unter-
halb Kasan.
Nowgorod.
(Zufliisse: Moskwa, Upa.)
2. Der Ural, U. am siidlichen Ural; M. bei Gurjew, Grenz-
fluss zwischen Europa und Asien.
57
Vergleichende Uebersicht einiger Hauplflusse Europa's,
Name des Flusses
Seehohe der
Quelle
Direkter Ab-
stand zwi-
schen Quelle
and Miindung
Strom-
entwickelang
Stromgebiet
Wol^a
840'
210 Meilen
430 Me len
beilaufig 30000 QM
Donau ...
2200'
220
380
14400
Elbe . . .
4^60'
80
155
2800
Rhein
7940'
90
150
4000
Weichscl
Loire . . .
3500'
4310'
70
80
130
130
3.600
2400
2000'
70
120
2 100
Rhone
5750'
60
109
1.760
Seine .
2340'
55
92
1.200
Weser . .
2100'
50
70
870
§. 44. Landseen von Enropa.
Europa hat viele, aber (im Verhaltnisse zu den andern Erd-
theilen) nur kleine Seen; die Gesammtflache derselben betragt etwa
2100 QMeilen, woven auf Russland iiber 1600, auf Sehweden und
Norwegen 240 QMeilen entfallen. Die meisten derselben sind Fluss-
seen, einige eind Quellseen.
Um die Osteee zieht sich im angrenzenden Tieflande ein Ring
von zahlreichen grosseren und kleineren FJuss- und Quellseen (,,bal-
tischer Seengiirtel"). Die ebenen Kiistengegenden an der Westseite
der Ostsee werden 'vom Hochlande durch eine Reihe grosserer
L mdseen geschieden: der Wenern-, Wettern-, Hjalmar- und
Malar-See auf der skandinavischen Halbinsel; in den Landschaf-
ten um den finnischen Meerbusen sind die Seen meist von Siiden
nach Norden gestreckt: Ladoga-, Onega-, Ilmen- und Pei-
pus-See; langs der Siidkuste liegen gleichfalls viele kleine Seen
im norddeutschen Tieflande.
Um die Nordsee sind auf der Halbinsel Juttland und in Gross-
biitannien mehrere kleinere Seen gelagert, der grosste Loch Ness
in Schottland.
Die in den Hochthalern der Alpen liegenden Seen sind sammt-
lich klein , die urn den Fuss derselben an der Nord- und an der
Siidseite ausgebreiteten dagegen meist von betrachtlicher Grosse.
Am Nordfusse der Alpen: der Genfer-, Neuf chat eler-
(oder Neuenburger-), Murtener-, Bieler-, Thuner-, Brien-
zer-, Vierwaldstadter-, Zuger-, Wallenstadter-, Zur-
cher-See, der Bodensee, der Ammer-, Wurm-, Tegern-,
Chiem- und Konigssee, der Traunsee.
Am Siidfusse der Alpen: der Lago maggiore, L ago
di Lugano, di Como, d'Iseo und di Garda.
Am Ostabhange der Alpen: der Neusiedler- und der
Flatten- See (in Ungarn).
Die Seen auf der apenninischen Halbinsel sind meist kleinere,
abgeschlossene Seebecken : Lago di Perugia (Trasimenus), di B o 1-
58
s en a und di Celano (lacus Fucinus). — Das gleiche Verbal tniss
findet sich auf der griechischen Halbinsel; die bekannteren sind:
der See von Ochrida und von Janina (in Albanien), der Topo-
lias- oder Kopais-See (in Mittelgriechenland).
Ladoga-See.
Onega
Wenern
Ilmen
Hjalmar
Malar
Flatten
Genfer
GrOsse einiger Seen in Europa:
... 325 DM.
... 195
...108
10
15
12
9.,
Bodensee 8.5
Nensiedler-See 7.,
Garda „ 6.s
Lago maggiore 4..
Neufchateler-See 4.2
Comer-See 3.,
Vierwaldstadter-See 2.,
Lago di Celano 3.7l
, „ Perugia 2
Chiemsee 1.4
Zurcher-See • 1..
Loch Ness l.s
Janina See 1.,
§. 45. Das Flassgeftder in Asien.
Das asiatische Flussgeader gehort folgenden Gebieten an:
I. dem Gebiete des nordlichen Eismeeres,
II. „ „ „ grossen Oceans,
III. „ ,, „ indischen Oceans,
IV. „ ,, „ mittellandischen und schwarzen Meeres,
V. „ „ der Binnenseen (und die Steppenfliisse).
1. Das Gebiet des nordlichen Eismeeres.
1. Der Ob, U. am kleinen Altai, hat das grosste Flussgebiet
unter den asiatischen Flussen , M, bei Obdorsk in den Obiechen
Busen,
Nebenflusse:
links:
l.Irtisch, Z7. auf dem grossen Altai,
durchfliesst den Dzaisang-See, M. un-
terhalb Tobolsk. (Zuflusse: Ischim
und Tobol.)
rechts:
I.Tom, U. im Kuznezk-Erzgebirge, M.
unterhalb Tomsk,
2. Tschulym, miindet nBrdlich von der
Tom-Mundung.
2. Der Jenieei, U. im Altai im chinesischen Reiche, hat nach
dem Ob das grosste Flussgebiet in Asien ; M. in den Jenisei-Busen.
Nebenflusse:
links: rechts:
1. die obere Tunguska (oder An-
gara), U. am Altai, durchfliesst den
Baikal-See, M. oberhalb Jeniseisk,
2. die mittlere oder Stein-Tunguska,
3. die ant ere Tunguska.
3. die Lena, U. im Baikal- Gebirge, Delta-Mundung in den
gleichnamigen Busen.
Nebenflusse:
links: rechts:
1. der Witim, U. in den Daurischen
Alpen, M. bei Witimska,
2. der Aldan, U. anf dem Jablonoi-
Gebirge, M. unterhalb Jakuzk.
4. Die Indigirka, U. am Alanischen Gebirge, Delta-Mun-
dung (167° ostl. Lange);
59
5. die Kolyma, U. auf dem Stanowoj-Gebirge, Delta-Miin-
dung unterhalb Nishnji Kolymsk.
II. Das Gebiet des grossen Oceans:
1. Der Amur (oder Saghalian) enfsteht aus der Vereinigung
des Schilka mit dem Argun (im Oberlaufe Kerlon), beider U.
in den Daurischen Alpen; er ist breit und tief, reich an Zufliissen
und Inseln , und scheint bestimmt zu sein , die Hauptverbindung
zwischen dem asiatischen Russland und dem Weltmeere zu vermit-
teln, obgleich seine Miindung in das ochozkische Meer seicht und
nur drei Monate vom Eise frei ist;
2. der Hoang-Ho (oder gelbe Fluse), U. am Kuen-Lin, M.
in das gelbe Meer;
3. der Yan-tse-Ki an g (oder blaue Fluss), U. aus der Ver-
einigung von drei Armen, wovon der Hauptarm (Kin-cha-Kiang)
in Tiibet entspringt ; M. unterhalb Nanking in das chinesische Meer.
Diese beiden Zwillingsstrome bewassern mit ihren zahlreichen Neben-
fliissen ein ausgedehntes, dicht bevolkertes Kulturland , die grosste
Kornkammer der Erde. Der Hoang-Ho wird wegen des reissenden
Laufes fast nur zur Thalfahrt beniitzt, und das Miindungsgebiet
wird durch grosse Wasserbauten und Kanale vor Ueberechwemmun-
gen geschutzt; auf dem Yan-tse-Kiang hingegen herrscht eine un-
gemein lebhafte Schiffahrt in den vielen Provinzen, die er durch-
stromt, welche durch da3 grossartige Kanalsystem Chinas derart ge-
steigert wird, dass die Binnenschiffahrt Chinas einen der ersten
Platze auf der Erde einnimmt.
///. Das Gebiet des indischen Oceans i
1. Der Menam-Kong (oder May-Kaung, oder Cam-
fa odja^, U. am tiibetanischen Hochgebirge, M. in das sudchine-
sieche Meer (nordostl. vom Cap Cambodja^;
2. der Men am, U. am tiibetanischen Hochgebirge, Mt bei
Bangkok in den Busen von Siam;
3. der Thalayn, U. im tiibetanischen Hochlande, M. bei
Martaban in den gleichnamigen Golf;
4. der Irawaddy, U. im tubetanischen Hochlande, bewassert;
das Land der Birmanen, wo er sich in viele Arme spaltet, M. in
vielen Armen bei Rangun in den Busen von Martaban ;
5. der Brahmaputra (oder Burremputr), U. nicht genau be-
kannt (der Dzangbotsiu soil der Oberlauf des Brahmaputra oder dea
Irawaddy eein), M. in mehreren Armen (die grossten vereinigt mit
jenen des Ganges) in den Busen von Bengalen;
6. der Ganges, U. am Himalaya, der heilige Fluss der In-
dier. Durch zahlreiche Nebenfliisse verstarkt tritt er jahrlich fiber
sein.e niederen Ufer, und befruchtet durch Ueberschwemraungen das
eigentliche Land, wo der Reis, das Zuckerrohr, die Baumwolle und
die Banane gedeihen. Ira unteren Laufe nahert er sich dem Brah-
maputra, beide bewassern Bengalen, vereinigen sich im Miindungs-
gebiete und der Strom ftieest durch morastige Waldungen — die
Heimat des Tigeijs — in sehr vielen Armen (der westliche bei Cal-
cutta) dem Buaen von Bengalen zu ;
_JO__
7. die kleineren Fliisse auf der vorderindischen Halbinsel, der
Godavery, Kistnah (oder Krischna) und Ca very entspringen
am Ostabhange des West -Ghats, durchstromen das Plateau von
Dekan, und milnden in den Busen von Bengalen; der Nerbudda
miindet auf der Westseite der Halbinsel in die Bai von Cambay;
8. der Indus (oder Sind), U. im Kailas-Gebirge (Nordseite
des Himalaya). An den ostlichen Ufern seines Mittellaufes liegt das
fruchtbare Hiigelland des Pengab (Pendschab), im Unterlaufe dehnt
eich eine weite, waseerlose, von Biiffelheerden und Kameelen be-
wohnte Steppe aus, welche wegen der hohen Flussufer durch Ueber-
schwemmungen nicht befruchtet werden kann. Er epaltet sich in ein
grosses Miindungsdelta unter Hydrabad, und fallt in vielen Armen
in das persische Meer,
links:
Nebenflusse:
1. Dschunab, welcher mit seinen vier
grossten Zuflussen Satadru, Beas (fli-
phasis), Dschylum (Hydaspes), und Ravi
(Hydrastes) das Pendschab (Funfstrom-
rechts
l.der Kabul aus Afghanistan, durch-
bricht dea Ostrand des Plateaus von
Iran (Verbindungsstrasse nach Hin-
dostan).
land) bewassert.
9. Der Euphrat und Tigris, U. der beiden im armenischen
Hochlande; sie fliessen fast parallel, und schliessen die im Alter-
thume fruchtbare, jefzt aber wtiste Ebene Meeopotamien ein. Der
Lauf des Euphrat ist fiir eine Verbindung des Orients mit dem
Occidente besonders giinstig, und dessen Bedeutung wiirde durch
die Ausfiihrung der projectirten Dampfschifiahrt und Eisenbahnver-
bindung fiir Europa sehr erhoht werden. Diese Zwillingsfliisse ver-
einigen sich vor ihrer Miindung (in den persiechen Meerbusen) und
fiihren vereint den Namen Schat-el-Arab, welcher ein herrliches Kul-
turland, fruchtbar und gut bevolkert, durchstromt.
IV. Das Gebiet des mittelldndischen und schwarzen Meeres:
1. Der Assy (Orontes), V. an der Ostseite der syrischen Berg-
kette, M. unterhalb Antakieh (Antiochia) in das syrische Meer;
2. mehrere Kiistenfliisse, darunter Seihun (Cydnus), M. bei
Tarsus; Minder (Maander) und viele kleinere ;
3. der Kisil-Irmak (Halys), U. im Anti-Taurus, M. unter-
halb Bafra m das schwarze Meer;
4. der Kuban, U. im Kaukasus, unweit des Elbrus, M. ein
Arm ins schwarze, der zweite ins asow'sche Meer.
V. Das Gebiet der Binnenseen und die Steppenfltisse :
a) des Caspi-Sees:
1. Der Kur, U. im armenischen Hochlande (nordlich der Eu-
phrat-Quelle), M. unterhalb Saljan. (Nebenfluss Aras [Araxee]) ;
2. der Terek vom Kaukasus, mundet in vielen Armen.
b)Des Aral-Sees:
1. Der Gihon (oder Amu Darja — Oxus), U. am Hindu
Kho, M. in das Sudende (unterhalb Conrad);
2. der Sihon (oder Sir Darja, -- Jaxartes), U. am Mus Tagh,
Delta-Munduug an der Nordostseite.
61
c) Unter den zahlreichen Flussen , welche in die kleineren Seen
miinden, sind: der Jordan, U. am Berge Hennon (Antiliba-
non); er durchfliesst den kleinen, im Sommer meist ausgetrock-
neten See Merom und den durch seine tiefe Lage, das fast
tropische Klima und die reizende Umgebung ausgezeichneten
See Genezareth, und fallt in das todte Meer; — der Tarim,
U. im Quellbezirke des Gihon, fliesst in den Lop No or (40°
nordlicher Breite).
Vergleichende Uebersicht der Hauptflusse Asiens:
Name des Flusses
Direkter Ab-
stand zwi-
schen Quelle
und Miindung
Strom-
entwickelnng
Stromgebiete
Yan-tse-Kiang ....
Hoang-Ho .
390 Meilen
280
650 Meilen
570 „
35.000
34.000
UMeilen
Ob
270
475
64000
300
440
37.000
290
430
38000
Jenisei
Indus
315
200
410
340 „
47.000
19.000
200
300 „
30000
}mit dem
Enphrat
150
170
300
230
11.200
8000
Cmit dem Tigris)
Sihon
190
230 „
6000
Tarim . .
180
200
10.000
§. 46. Landseen von Asien.
Die meisten Seen Asiens, welche zusammen (ohne den Caspi-
See) an 4500 Q M. einnehmen, liegen im nordlichen Theile und
auf der Scheitelflache Ostasiens. Die Seen von Inner-Asien liegen
meist sehr hoch, die sibirischen schon tiefer, die westlichen am tiefsten.
(Aral-See nur 34' fiber dem Meere, der Caspi-See an 76', das gali-
laische Meer 625', das todte Meer beilaufig 1300' unt er dem Niveau
des Mittelmeeres.)
Grosse einiger Seen in Asien :
Caspi See etwa 7500 DM.
Aral- „ „ 1380
Baikal-See „ 558
Balkasch-See etwa 300
Wan-See etwa 78 DM.
Urumia-See „ 77 »
Dzaisang-See etwa 56 „
Todtes Meer 20 „
§. 47. Das Flussgettder in Africa.
Die hydrographischen Verhaltnisse Africa's eind bis jetzt nur
sehr unvollstandig bekannt. Das grosste Flusegeader ist im Hoch-
Sudan und im Hochlande Siid-Africa's ; von den getrennten Gebirgs-
gliedern kommen nur Kiistenflusse; weiters sind die haufigen Strom-
schnellen der Schiffahrt hinderlich, wodurch das Eindringen in das
Innere des Kontinentes fast unmoglich wird.
Das africanische Flussgeader gehort drei Gebieten an:
I. dem Gebiete des Mittelmeeres,
II. „ » » atlantischen Oceans,
III. „ „ indischen „
62
I. Das Gebiet des mittelldndiscJien Meeres:
1. Der Nil, entsteht aus zwei grossen Fliissen, Bahr el Azrak
(blauer Fluss) und Bahr el Abiad (weisser Fluss), welche eich bei
Chartum vereinigen. Der blaue Nil entsteht auf dem abyssinischen
Plateau von Dembea , und durchfliesst den Tsana-See; die Quelle
des weissen Nil ist noch nicht bekannt (vielleicht im Nyassi-See ?).
Nach der Vereinigung nimmt der Nil den Atbara (im Oberlauf
Tacazze genannt) und dann keinen Nebenfluss mehr auf. Der Nil
ist erst in seinein untern Laufe (nach den letzten Katarakten bei
Syene) fiir die Schiffahrt von Bedeutung. In Folge der tropischen
Regen in seinem Quellgebiete echvvillt er vom Ende Juni bis Ende
September an, uberschwemmt das ganze Thai, fiihrt guten Frucht-
boden herbei, und erhuht allmahlig das Flussbett. Kiinstliche Seen
und Kanale fiihren das Wasser auch in entferntere Gegenden. Im
Friihjahr ist das Land eine diirre Wiiste, im Sommer ein See, aus
welchem Hauser und Dorfer gleich Inseln hervorragen, im Spatherbste
die reichste Kulturlandschaft, statt dem Alterthume eine Kornkammer.
Unterhalb Cairo erweitert sich das Thai, die Ufer sind wiiste, es
beginnt die Deltabildung, deren bedeutendste Arme bei Rosette und
bei Damiette in das Meer sich ergiessen.
2. Einige unbedeutende Kilstenfliisse.
77. Das Gebiet des atlantisclien Oceans:
1. Der Oranje (oder Gariep) entsteht aus der Vereinigung
des schwarzen Flusses (Nu-Gariep) und des gelben Flusses (Ky-
Gariep), und miindet beim Cap Voltas (29° siidl. 34° ostl.) ; trotz
der bedeutenden Lange wird er wegen der geringen Tiefe zur Schiff-
fahrt nicht benutzt;
2. der Coanza; M. unter 9° siidl.;
3. der C o n g o (oder Zaire), Ursprung unbekannt, M. unter 6° sildl. ;
4. der Niger (im Oberlauf Djoliba, spater Quorra geheiesen)
entsteht im Hoch-Sudan, nimmt links dieTschadda auf (ein wasser-
reicher Fluss aus dem Tubori-See, eudostlich vom Tsad-See). Der
Niger (Isa) bildet die grosste schiffbare Wasserstrasse des Konti-
nentes, und bei Kdbara den Hafen fiir das fiinf Stunden vom Haupt-
strome entfernte Timbuktu, den Mittelpunkt der nordafricanischen
Handelsstrassen, den bedeutendsten Marktplatz des ganzen Niger-
febietes, welches von ziemlich civilisirten Negern (Fellata), die Acker-
au und Gewerbe treiben, dicht bevolkert ist. Der Handel ist in den
Handen der Fremden. Der Nebenfluss Tschadda scheint die einzige
raturliche Strasse in das Innere zu eein , da Stromschnellen und
Felsbanke die Schiffahrt auf dem Niger vielfach hemmen. Das Mun-
dungsgebiet ist ein sumpfigee, von undurchdringlichen Waldungen
bedecktes Delta, und die starken Schlammablagerungen erweitern
stets die Kiiste. Er miindet in einem grossen Delta zwischen den
Golfen von Benin und Biafra;
5. der Rio grande, kommt aus dem Hoch-Sudan (Quelle
ungewiss), und mundet gegeniiber den Bissagos-Inseln ;
6. der Gambia, aus dem Hoch-Sudan (Quellen ungewiss),
M. unter 13l/2° nordl.;
V. der Senegal aus dem Hoch-Sudan, entsteht aus zweiFltis-
sen, dem Bafing und dem Kokoro; M. unter 16° nordL
Die drei letztgenannten Fluase ergiessen sich in grossen Delta-
Miindungen in das Meer, iiberschwemmen vom Juli bis October das
Land (Senegambien), wovon eine so ausserordentliche Fruchtbarkeit
herriihrt, dass kiinstlicher Ackerbau gar nicht Bediirfniss ist. Der
Gambia und der Senegal sind durch das Steigen der Meeresfluth
(bis etwa 40 Meilen auf warts) auch fur Seeschiffe fahrbar. Der
Senegal scheidet die Wiiste Sahara von den fruchtbaren, angebauten
Kustenlandern Westafrica'a, die nomadischen Araber von den sess-
haften Negern, die Viehzucht und Gewerbe betreiben. Der Export
am Senegal ist in den Handen franzosischer, am Gambia eng-
lischer und in den siidlichsten Theilen des Landes portugie-
eischer Colonisten.
III. Das Gebiet des indischen Oceans :
1. Der Limpopo, U. auf den Drachenbergen, M. in die La-
goa-Bai ;
2. der Zambesi, U. auf der Hochebene Lobale, durcbbricht
das Lupata-Gebirge, und milndet in fiinf Hauptarmen (bei Quilli-
mani); einer der grossten Strome Siidafrica's. Ungeachtet des Reich-
thums der Vegetation und der Thierwelt ist das Milndungsgebiet
wegen der Versumpfungen hochst ungesund, eo dass in der portu-
giesischen Strafkolonie nur 5 bis 7% Europaer das fiinfte Jahr
iiberleben. Diese Besitzungen sind nur als Stationen fiir die Schiff-
fahrt nach Indien von einiger Bedeutung;
3. der Liwuma, M. N. W. vom Cap Delgado ;
4. der Sabaki, M. bei Melindah;
5. der Wabbi (oder Web) ergiesst sich in den Strandsee
Ballis, 1° nordl., ohne das Meer zu erreichen.
§. 48. Landseen in Africa.
Unter den Binnenseen, welche sich im Innern Afrika's er-
etrecken, sind verhaltnissmasgig am besten bekannt:
1. Der Ngami-See (14 Q M.) auf der Hochebene des Innern,
im Norden der Waste Kalahari (22 '/2° sudl. B.);
2. der Nyassi-See (Niandscha-See, Ukerewe-See) mit sehr
vielen Zufliissen, wichtig iftr die Schifiahrt und Strassen nach dem
indischen Ocean;
3. der Fittre'-See im Lande Wadai;
4. der T sad- See, westlich vom vorigen, mit vielen bewohn-
ten Inseln ; Zufliisse: der Schari vom Suden, der Yeou vom
Westen ;
5. von Marokko bis an das Gebiet von Tunis, im und sudlich
vom Atlas zieht sich ein Giirtel von Salzseen hin;
6. unter den abyssinischen Alpenseen ist der Tsana- (oder
Dembea-) See der grosste (etwa 150 Q M.), mit vielen Inseln;
dann der Salzsee Assal, welcher tiefer als der Meeresspiegel liegt.
§. 49. Das Flussgciider in America:
Amerika hat die grossten Strome und Susswasserseen der
64
Erde; es ist der wasserreichste und der wohlbewasserteste Konti-
nent. Das amerikanische Fiussgeader gehort drei Meergebieten an:
I. Dem nordlichen Eismeere,
II. „ atlantischen Oceane, und
III. „ grossen Oceane.
I. Das Gebiet des nordlichen Eismeeres:
1. Der Mackenzie, U. unter dem Namen Athapaska im
Felsgebirge, durchfliesst den Athapaska-See, tritt als Skla-
venfluss aus diesem heraus und in den grossen Sklaven-
See, welchen er als Mackenzie verlasst. Vom grossen Baren-
see nimmt er den grossen Barenfluss auf. M. in einem Delta
(unter 69° n. und 117 w.);
2. der Kupferminenfluss, ein Abfluss einer Reihe kleiner
Seen, miindet in den Kronungs- (Coronations-) Golf;
3. der Back-Fluss, Abfluss des Aylmer-Sees, fliesst durch
den Garry-See (miindet unter 67° n. 77° w.).
II. Das Gebiet des atlantischen Oceans:
1. Der Churchill, entsteht in einem kleinen See, fliesst
durch mehrere Seen, und miindet (bei Fort Churchill) in die Hud-
sons-Bai ;
2. der Nelson, der Hill, der Severn und der Albany,
— sammtlich Abfliisse des W in i peg -Sees (welcher den Fluss
Saskatchawan und mehrere Steppenfltisse aufnimmt), miinden in
die Hudsons-Bai;
3. der St. Lorenzstrom, der Abfluss fiinf grosser Seen,
namlich des Oberen Sees, des Michigan-, Huronen-, Erie-
und Ontario-Sees. M. bei Quebeck in den St. Lorenz - Busen.
Zwischen dem Erie- und Ontario -See der Niagara-Fall (Welland-
kanal) ;
4. die Kustenfliisse des atlantischen Ocean?, wasserreich aber
mit kurzem Laufe, entspringen auf den Alleghanies. Die bedeuten-
deren (von Norden nach Siiden) sind: St. John, Connecticut,
Hudson, Delaware, S usqu ehannah, Potomak und St.
James;
5. der Missisippi, der zweitgrosste Strom der Erde, hat
seinen Ursprung im Itaska-See, mit vielen Stromschnellen, wird
schiffbar beim Fort Antony, M. unterhalb Orleans in den Busen
von Mexico. Sein Miindungsgebiet ist ein sumpfiges, vielarmiges
Delta, welches jahrlich iiberschwemmt wird.
Nebenfliisse:
links: i rechts:
1. der Illinois. U. nahe dem Siidufer 1. der Missouri, U, im Felsengebirge,
des Michigan -Sees (mit dem er in
periodischer Verbindnng steht); — M.
M. bei St. Louis ;
2. der A r k a n s a s , U. im Felsengebirge,.
nahe bei St. Louis (gegenuber der M. unterhalb Little Rock;
Missouri-Miindung) ; I 3. der rothe Fluss (oder Red River).
2. der Ohio, U. in den Alleghanies,
wasserreich , schiffbar , M. oberhalb
Nen-Madrid.
(Zufluss, Tenesse aus den Allc-
ghanies ;
65
6. Der Rio del Nor te, U. im Felsengebirge, Delta-M. in
den mexikanischen Busen (unterhalb Matamoros). In seinem Unter-
laufe gefahrden Sandbanke und Untiefen die Schiffahrt;
7. der St. Juan-Fluss, der kurze Abfluss des Nicaragua-
Sees in das Antillen-Meer;
8. der Magdalenen - S trom mit eeinem Nebenflusse Kaukar
U. am Gebirgeknoten los Pastes, er wird vielfacb fiir den Waaren-
transport benutzt; M. in der Nahe von Cartagena;
9. der Orinoko, U. 5m Hochlande von Guyana, M. in einenv
vielarmigen Delta in Venezuela.
(Vom Orinoko geht der Cassiquiare zum Rio negro — Nebenfluss des
Maranon — ; die bedeutendste bekannte Bifurkation.)
10. Die Kiistenfliisse von Guyana: Essequibo, Deme-
rary, Surinam, Maroni, Oyapok etc.;
11. der Amazonen strom oder Maranon, der grosste Strom
der Erde, U. in den Anden von Peru (See Lauricocha 10 '/2° s.
59° w.), M. unter dem Aequator in zwei Hauptarmen , der nord-
liche (12 Meilen breite) Maranon, der siidliche (5 Meilen breite)
Para ; zwischen beiden Hegt die Insel Maranho oder Joannes. ,,Noch
,,liegt diese hydrographische Riesengestalt 7 fast ungebandigt von
,,der Herrschaft der Menschen, durch die am reichsten ausgestattete
,,Mitte der sudamericaniachen Tropenwelt ausgestreckt, grossten-
,,theils ganz unbekannt , unerforscht, gleich dem Innern Africa'?,
,,und darum noch nicht zu einem lebendigen Gliede in die tausend-
,,ringige Kette des Weltverkehrs eingereiht." Das breite Flusebett,
der trage Lauf mit vielen Windungen und Inseln charakterisiren
seinen Unterlauf.
Die bedeutendsten Nebenflusse :
links:
1. der Jap Bra (oder Caqueta),
2. der Rio negro;
r e c h t s :
1. der Ucayali, entsteht aus den zwei
Quellen Tambo und Parobeni (Ver-
einignng unter 14 s.) ;
2. der Madeira, ans mehreren Qnellen
(die bedeutendste Rio grande unter 18°
s. 49° w.), M. unterhalb des Rio negro ;
3. der Tapajoz, M. bei Santarem;
4 der Xingu;
5. der Toe an tin (mit dem bedeutenden
Zufluss Araguaya), M. in den Park.
12. Der Paranahyba und der San Francisco, beide aus
dem braeilianischen Berglande, beide schiffbar, M. des ereten bei
Paranahyba, des zweiten unter 10° sudl. ;
13. der Rio de la Plata. Der Hauptfluss ist der aus dem
brasilianischem Berglande kommende Parana; mit diesem vereinigt
sich (bei Corrientes) der ebenfalls aus Brasilien kommende Pa-
raguay. Die vereinigten Fliisse fiihren den Namen Parana, und
erst nach der Einmiindung des reissenden Uruguay (gegeniiber
von Buenos Ayres) heisst er Rio de la Plata;
14. der Rio Colorado und der Rio negro aus den Anden
von Chili, M. unter 40° eiid!. und der zweite unter 41° siidl.
///. Das Gebiet des grossen Oceans:
1. Der Fraser, U. am Felegebirge, M. unterhalb Langlay
(Grenze zwischen British Columbia und den Vereinigten Staaten^;
Elun's llandels-Geograihic. 2. Aufl. 5
2. der Columbia oder Oregon, vom Felsgebirge, M. bei
Fort Astoria;
3. der Sacramento, M. in die Bai von St. Francisco (Ca-
lifornien) ;
4. der Colorado; beim Ursprunge irn Felsgebirge heisst er
S. Rafael; M. in die Spitze des Golfes von Californien.
Yergleichende Uebersicht der Hauptfliisse America's :
Name
Direkter Abstand
zwischen Quelle
und Mundung
Strom-
entwickelung
Stromgebiet
430 Meilen
730 Meilen
88 400 QMeilen
Missisippi (Missouri-
Quelle) . . .
320 „
730
53600 „
La Plata (Parana-
Quelle)
260
470 „
La Plata (Paraguay.
Qnelle)
330
460
72.000
St. Lorenz
250
460
62300
Mackenzie
Orinoko
225
100
90
450 (?)
320
250 (?)
27.000 (?)
20.000
15.000 (?)
Kio del Norte
Colorado
Magdalenenfluss ....
220
130
137
140
300 (?)
200 (?)
200 (?)
186
13.500
9000 (?)
5000
7000
190
260 [?}
8000
§. 50. Landseen von America.
Nordamerica ist reicher an Seen a^ Siidamerica, es iibertrifft
hierin auch alle iibrigen Erdtheile; die Siisswasserseen Nordamerica' a
enthalten mehr als die Halfte des siissen Wassers auf der ganzen
Erde. Alle diese Wasserflachen sind Fluss- und Quelleeen , und
nirgends ist in Nordamerica ein Steppensee von Bedeutung. In Siid-
america findet sich nicht dieser See - Reichthum , indem nur zwei
grossere Binnenseen nebst einer grosseren Anzahl kleiner Steppen-
seen vorkommen *).
Grosse einiger americanischen Seen :
der grosse Barensee . . . 310
Sclavensee 490
Athapaska-See 150
Winipeg-See 551
Maraealbo 281
Nicaragua 242
Salzsee Titicaca . . . 240
i
der obere See (Lac Su-
perior) ... 1518
Michigan-See 1124
Huronen-See 1114
Erie-See 446
Ontario- See 360
grosse Salzsee . . . 120
*) Die Binnenseen America's nehmen eine Flache von iiber 10.330 QMeilen
ein; davon entfallen auf: die St. Lorenz-Scen 4599.30, — die Seen in Labrador
329.so, — in Canada 142.50, — im ubrigen nordlichen America 3847, — in Ober-
Californien 212.50, — in Central-America 291, — in Sud-America 909.70 QMeilen.
67
§. 51. Die GewSsser von Anstralien.
Die Hydrographie Neu-Hollands iet bis jetzt sehr unvollstandig
bekannt. Australien scheint der wasserarmste Erdtheil zu sein, und
besitzt nur wenig bestandig fliessende Gewasser. Die meisten Fliisse
schwellen nur bei heftigen Regengussen an; sonst trocknen sie zu
einer Reihe zusammenhangender Pfutzen aus, oder vertrocknen bald
nach ihrem Austritte aus der Berglandschaft. Sie zerstoren viel-
mehr die Landschaft , als dass sie zu deren Befruchtung beitrugen.
Die meisten bis jetzt bekannten Fliisse bieten die gleichen Er-
scheinungen: flaches, meist seenartig erweitertes Flussbett und viele
Hindernisse fur die Schiffahrt, welche auf den meisten nur so weit
ins Land betrieben werden kann, als die Meeresfluth hineinreicht.
Zu grossen Handelsstrassen in das Innere sind sie somit nicht
geeignet.
1. Der Murray (Lange 176 M., Stromgebiet ungefahr 20,000
Q Meilen), U. in den australischen Alpen (siidl. vom Berge Wel-
lington), durchfliesst die Ebenen von Neu-Siidwales, Victoria und
Siid -Australien, und miindet in den See Alexandrina (15 M.
lang, 8 M. breit), aus dem ein Kanal in die Encounter-Bai
fiihrt. Der Strom ist fur Dampfschiffe fahrbar. Ueberschwemmungen
vom Juni bis Januar.
links:
1. der Goulbourn,
2. der L o d d o n ;
Nebenflusse desselben :
rech ts:
1. der Mornmbidschi mit dem Zuflusse
Lachlan (rechts);
2. der Darling Cder Quellfluss ist der
Barwan — oder Karaula — ).
Zuflusse:
links: rechts:
a) Gwydir, a) Condamine;
b) Peel (oder Na-
moy),
c) Macquarie,
d) Bogan,
2. der Schwanenfluss; U. unbekannt, miindet (unter 32° s.)
bei Perth in den indischen Ocean ;
3. der See Torrens in Sudaustralien (fiber 900' tiefer als das
Meer), dessen Boden mit Salzkrystallen bedeckt ist ;
4. der Salzsee Gairdner, im Westen des Vorigen.
III. Physische Geographie.
§ 52. Voibegriffe.
J_/ie physische Geographie betrachtet die Theile der Erdrinde
und die Naturgegenstande auf derselben nach ihrer inneren nattir-
lichen Verbindung und Verwandtschaft. Sie handelt somit von der
Natur der drei Formen, welche die Hiille des Erdkorpers bilden,
namlich : Luft, Wasser und Erde, von ihrer gegenseitigen
Wirkung, und den Beziehungen derselben auf die drei Naturreiche.
A. Die Luft.
§. 53. Allgemcines.
Der Luftkreis (Luftocean) umgibt die Erdoberflache bis zu
einer Hohe von 9 — 10 Meilen, gewissermassen in Schichten, welche
nach unten wegen des Druckes der ilbergelagerten an Dichtigkeit
zunehmen. Der untere Theil des Luftoceans , etwa bis zu 1 Meile
Hohe, heisst Dunstkreis oder Atmosphare. Die Atmosphare
besteht aus gasartigen Stoffen : 21% Sauerstoff und 79% Stickstoff.
Die Luft umhullt nicht nur die Erde, sondern sie durchdringt
auch iiberall den Erdorganismus, und ist die Grundbe-
dingung des Pflanzen-, Thier- und Menschenlebeng.
Die Luft beeitzt — eowie alle Korper der Erde — ein ge-
wisses, sehr oft wechselndea Mass von Warme. Die jedeemalige
fiihlbare Warme der Korper heisst ihre Temperatur. Auf dem
Grundsatze, dass Warme alle Korper ausdehnt und Kalte dieselben
zusammenzieht, beruht das Thermometer. Beobachtet man die
Temperatur der Luft am Thermometer wahrend eines Tages mog-
lichst oft in gleichen Zeitabstanden, addirt dann die beobachteten
Thermometerstande und dividirt diese Summe durch die Anzahl
der Beobachtungen, so erhalt man die mittlere Tagestempe-
ratur fur den Ort der Beobachtung. Addirt man die mittleren
Tagestemperaturen eines Monates und dividirt diese Summe durch
die Anzahl der Tage des Monates, so erhalt man die mittlere
Monat stemperat ur und endlich in analoger Weise die mittlere
Jahrestemperatur.
Der Gang der taglichen und monatlichen Warme ist nicht immer gleich. Be-
obachtungen hahen gezeigt, dass die geringste Tageswarme etwa eine halbe Stnnde
vor Sonnenaufgang, die grosste aber in den kiirzesten Tagen um 1 Uhr, in den
langsten zwischen 2 und 3 Uhr Mil tags stattfindet. Die geringste Jahreswarme fallt
bei uns in die Mine Januar, die grosste in die zweite Halfte Juli. Die taglichen
Temperatur-Unterschiede sind endlich im Sommer grosser als im Winter.
§. 54. Geographische Vcrbreitung der Warme nach horizontaler
Ansdehniing.
Die Orte unter einem und demselben Parallelkreise haben
nich t imraer gleiche mittlere Jahresternperatur. Jene Linien, welche
Orte von gleicher mittlerer Jahreste^pgratur mit einander verbin-
-den, heissen I s o_ t h e r m en ^"""ffffTCiDienVweTche Orte von gleicher
verbinden, heissen I s o t h e r e n . von
und von^^feicTeTTgodenj^
Isothermen laufen mff^feTF1
"paraTIei (nur unter den Wendekreisen ist diess
ziemlich der Fall) ; die Beugung ist auf der nordlichen Halbkugel
weit grosser als auf der siidlichen , in der heissen Zone geringer
als in der kalten. Die Isotherme jener Orte, welche die hochste
mittlere Jahreswarme HaWBT^^isst der
sondern lauft mit verschiedenen Biegungen nOrdlich von demselben,
nur zweimal liegt er siidlicher (im Meridian der Sandwichsinsel
Hawaii und in Hinter-Indien — Singapore).
Auch die kaltesten Punkte der Erdoberflache — ^jjy^fiiAfcte
TM^^^HI fallen nronRiBfPtBffBBBftRSBMistiifo^'^^ zusammen. AuT
uer nordlichen Halbkugel sind zwei Kaltepole, der america-
nische (77V2° n. 78° w. — nordlich von Boothia Felix), der
asiatische (78I/2°n. 140'/20«' — nordlich von derLenamundung); der
siidliche Kaltepol scheint vom mathematischen kaum abzu weichen.
.Die wichtigste Ursache fiir die verschiedenen Kriimmun^en
d T Isothermen liegt in der ungleichen Vertheilung von Festlaiid .
und Meer, -\vozu noch Luft- und Meeresstromungeu und die Boden-
beschaffenheit beitr-igen. 'Die nordliche Halbkugel ist warmer als
~Ttte' '&MlfCn1rf^>ucfi19:*rElttr^a ist durch die Beugung der Isotherm sn
am meisten begiinstigt.
Auch die Isothereu und die Isochimenen laufen weder mit
den Breitenkreisen, noch mit den Isothermen parallel, d. h. Orte
von gleicher mittlerer Jahreswarme haben h'aufig verschiedene mitt-
lere Sommerwarme und verschiedene mittlere Winterwarme. Die
Isotheren weichen von den Isothermen in der Regel nach den Po-
len, die Isochimenen nach dem Aequator ab.
Die Beschaffenheit der Luft eines Landes in Bezug auf Trocken-
heit,~~Heiterkeit, Gleichmflssigkeit, Winde und vorziiglich a'uf Warme
heisst das Klima. Insofern es bios von dem senkrechten oder
schreferr Auffallen der Sonnenstrahlen abhangig ist, heisst es mathe-
matisches, — insofern dieses jedoch durch die Beschaffenheit
der Atmosphere und die Veranderungen in derselben beeinflusst
wird, heisst es physisches Klima. Das mathematisehe und das
physische Klima weichen oft sehr von einander ab, am nachsten
kommen sie in den Kiistenlandschaften der heissen Zone. Da8
physische Klima zerfallt in das oceanische (oder Insel-, KQsten-,
See-Klima) mit warmen Wintern und Nachten, und kiihlen Som-
mern und Tagen , also mit verhaltnissmassig geringerem Tempe-
raturwechsel, und in das kontinentale mit kalten Wintern und
Nachten und warmen Sommern unl Tagen, also mit verhaltniss-
massig viel starkerem Temperaturwechsel. Ersteres hat einen kon-
stanten, letzteres einen exceesiven Charakter.
§. 55. Geographische Vertheilung der Wiirinc in vertikaler Riclitnng.
Die Temperatur eines Ortes steht mit dessen Heine fiber dem
Meere in umgekehrtem Verhaltnisse, d. h. je hoher ein Punkt liegt,
desto niederer ist im Allgemeinen seine Temperatur; denn die Luft
wird unmittelbar durch die Sonne nur wenig erwarmt, die untersten
Luftschichten erhalten vielmehr ihre Warme fast ausschliesslich
von der Erde und theilen sie den oberen Schichten mit. Weiters
sind die unteren Lufrschichten dichter und desshalb warmer , die
oberen diinner und kalter.
Die Abnahme der Warme in vertikaler Richtung ist vorzug-
lich auch durch die Bodenbeschaffenheit bedingt. Bei einzeln ste-
henden, steilen Bergen nimmt die Temperatur rascher ab, als in
Hochebenen und in zusammenhangenden Gebirgsketten. Auch die
Unterschiede der taglichen und jahrlichen Temperatur vermindern
sich im Verhaltnisse zu der vertikalen Erhebung und horen end-
lich ganz auf.
In Folge dieser Warmeabnahme kann man in jeder Zone bis
zu einer Hohe gelangen, wo der Schnee das ganze Jahr nicht
mehr schmilzt. Diese Grenzlinie heisst die Region des ewigen
S chnees (Schneegrenze, Sc hn eel ini e). Je mehr man sich dem
Aequator n'ahert, desto hoher wird sie hinaufsteigen, je weiter man
sich von demselben nach den Polen hin entfernt, desto tiefer wird
sie herabsinken. Das ozeanische oder das kontinentale Klima der
Gegend wirkt ebenfalls auf die Schneelinie modificirend ein. Die
verschiedene Bodenbeschaffenheit bringt jedoch auch hierin Ver-
"anderungen hervor.
Lagern sich Eismassen unter der Schneelinie in den Hoh-
lungen, von denen die Seiten der Gebirge durchfurcht sind, so heis-
sen sie Glet sober.
§. 56. Winde.
Durch Stoning des Gleichgewichtes der Atmosphare in Folge
der Warmeunterschiede in verschiedenen Gegenden entstehen die
Bewegungen der Luft , welche W i n d e genannt werden. Man
theilt eie ein:
a) nach der Richtung, aus welcher sie wehen (32 Abtheilungen
der Windrose),
b) nach der Geschwindigkeit,
(leichte Winde oder nBrisen" legen in einer Sekunde 5 — 20', — starke Winde
25—40', — Stiirme 60-70', — Orkane 100—150', — oder an 30 Meilen in
einer Stunde zuruck. Letztere kommen fast nur in der tropischen Zone vor,
auf den Antillen und in der Nahe der Maskarenen) —
c) nach ihrer Regelmassigkeit entweder regelmassige oder
unregelmassige. Zu den ersteren gehoren die Land- und
Seewinde, die Pas sate (oder Streichwinde ) und die
Moussons (Monsune oder Wechselwinde).
Die Land- und Seewinde wehen des Tags von der See
zum Lande, und des Nachts umgekehrt; sie haben ihren Grund
in der ungleichen Erwarrnungsfahigkeit des Wassers und des Lan-
des. Das Land erwarmt sich bei Tage schneller und starker als
das Wasser, desshalb zieht die kaltere Seeluft landwarts ; das Was-
71
ser kiihlt sich hingegen langsamer ab als das Land, und der kaltere
Landwind zieht des Nachts seewarts. Diese periodischen Winde
wehen nicht nur in Kiistengegenden, sondern auch an den Ufern
grosser Seen und am regelmassigsten in den Tropengegenden.
Pie Pa ssat^ wehen beatandig XS^ 'n
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~£fund in diT Ei;\viinnunj^'der;^Atnio?p11are (lurch di
' At Hi MCTrptTfrmr ^PT ""Hr'rVp nnri
er troiscnen one am
starksten. Pie Luft wird dadurch leichter, steigt in hohere Regio-
nen, und stromt dann gegen beide Pole, wodurch die beiden obern
Hauptstromungen vom Aequator nach Nord und Slid ent-
stehen. Gleichzeitig stromt die kaltere Luft aus den kalteren
Zonen nach dera verdunnten Raume und es entstehen die beiden
unteren Hauptstromungen von denPolen nach dem Aequa-
tor. Hat sich nun die Luft der oberen Stromungen auf ihrem
Zuge nach den Polen abgekuhlt, so senkt sie sich herunter, und
hat sich die kaltere Luft der untern Stromungen in den Tropen
erwarmt, so steigt sie hinauf. So entsteht aus dem oberen und
dem unteren Luftstrome ein unaufhorlicher Kreislauf ( Polar -
Stromungen). — Bei der Achsendrehung der Erde, an "Wl'ltl'iiM. '
l!6T**'B!lflltfWII Antheil nimmt , haben die Tropengegenden die
grosste Geschwindigkeit , die Luftmassen der kalten Zone rotiren
eonach langsamer als jene der heissen Zone, sie bleiben also hinter
der rotirenden Oberflache der Aequatorialjjegenden zuruck, und hier-
durch entsteht in jenen Gegenden ein unaufhorlicher Ostwind^^yy^-
f a ^^e P°lar8tromungen unc^ Aequatorial-
stromungen der Luit meinander iibergehen , tritt in der nordlichen
Hemisphare der Nordost-, in der siidlichen der Siidostwind auf.
Piese Nordost- und Siidost-Passate wehen bis iiber die
Wendekreise auf dem atlantischen und dem grossen Ocean mit
ausserordentlicher Regelmassigkeit das ganze Jahr hindurch und
sind fiir die Schiffahrt von hoher Wichtigkeit.
Pie Monsune wehen ein Halbjahr aus der einen und das
andere Halbjahr aus der beinahe entgegengesetzten Richtung; sie
gehen meiftens aus den Passaten hervor. Wenn sich die Kusten-
striche Asiens und Africa's zur Sommerszeit ini Zustande der gross-
ten Erwarmung (bis uber 65° C.) befinden, steigt die dariiber
ruhende Luft in anhaltendem Strome empor, so dass der Nord-
ost-Passat stellenweise abgelenkt wird. Er wendet sich also
um und wird zum Siidwest-Monsun des indiachen Oceans,
der vom April bis October weht. — Wird zur Winterszeit das Land
nordlich vom Aequator kiihler, und die iiber ihm ruhende Luft
dichter, siidlich vom Aequator aber erfolgt ein lebhaftes Aufsteigen
der Luft, — dann stromt die kaltere Luft vom Lande gegen das
Meer, und es entsteht der Nordost-Monsun, der vom Novem-
ber bis Marz weht. — Pie Monsune wehen zwischen dem Aequa-
tor und dem Wendekreis des Krebses und reichen von der Ost-
kuste Africa's bis zu den Kusten von Indien, China, den Philippinen
und bis zu den Marianen. Per Wechsel der Monsune ist haufig von
heftigen Stiirmen begleitet, und diese Zeit ist fiir die Schiffahrt in
den indischen Gewassern sehr gefahrlich. Im Allgemeinen sind
die Passate trockene Winde, die Monsune hingegen Regenwinde.
Unregelmassige Winde wehen besonders auf der nord-
lichen Hemisphare und haben ihren Entstehungsgrund hauptsach-
lich in ortlichen Warmeveranderungen der Atmosphare, in ortlichen
Ausdiinstungen u. s. w. Manche Winde sind der Gesundheit des
Menschen , dem Leben der Thiere und dem Pflanzenwuchse sehr
sch'adlich, als die heissen, aus Africa heriiber wehenden (in
Italien und Griechenland Sirocco, in Spanien ^.o|laji.Q . in der
JSchweiz F5n genannt), ^HSPJJJJJimimi in Aegypten, derJEar...-
C'lR "Lruinea , der SaSHHCJSuch die iiber Eisfelder mid
neegebirge her wenendenW inde sind mitunter schadlich.
§. 57. Lufterscheinungen.
Die Atmosphare ist der Schauplatz der Lufterschei-
nungen oder Meteore, welche in wassrige (Regen, Schnee,
Thau u. s. w.), in elektrische (Gewitter, Wetterleuchten u. s. w.)
und in optische (Regenbogen, Hofe, Nebensonnen und Neben-
monde, Luftspiegelungen , Abend- und Morgenrothe, u. s. w,) ein-
getheilt werden.
a) Die wasserigen Meteore nennt man im Allgemeinen
den Niederschlag, und die Vertheilung desselben nach Be-
schaffenheit und Menge ist eine der Hauptbedingungen fiir das Ge-
deihen der Pflanzen.
Die Erdoberflache wird in fiinf N ieder schlags-Regi o-
nen (oder physische Zonen) eingetheilt :
1. die Region des f lils sigen Niederschlages (die Regenzone),
in der es — mit Ausnahme bedeutender Gebirgshohen — niemals
schneit ;
2. u, 3. die beiden Regionen des veranderlichen Nieder-
schlagrs, innerhalb welcher der Niederschlag im Sommer als Regen,
im Winter als Schnee herabfallt ;
4. u. 5. die beiden Regionen des festen Niederschlags, d. h,
des blossen Schneefalls.
Die Regenzone entspricht im Wesentlichen der heissen
Zone und liegt zu beiden Seiten des Aequators. Auf der nord-
lichen Halbkugel reicht sie in America bis etwa 36° nordl. Br.,
in Asien bis 40° nordl. Br., in Europa bis 40 — 45° nordl. Br. ;
auf der siidlichen reicht sie ungefahr bis zum 46 — 48° siidl. Br.
An diese schliessen sich die beiden Regionen des verander-
lichen Niederschlags an. Auf der nordlichen Halbkugel ist
die Nordgrenze im westlichen America etwa unter 73° n., im osfe-
lichen unter 68 — 70° nordl., — in Europa unter 74° nordl., —
in Asien unter 69 und 70° nordl. — Auf der sudlichen Halbkugel
ist die Siidgrenze in der Mitte des indischen Oceans unter 53 ,
im Westen von America unter 56°, in den iibrigen Theilen unter
60° sudl. Breite.
Die Regenmenge nimmt wie die Warme vom Aequator gegen die Pole ab,
ebeaso von den Meereskusten nach dem Innern der Kontinente; — die Zu- und Ab-
73
nahme der Regenmenge in vertikaler Beziehung wechselt je nach Beschaffenheit der
Gebirgsformationen und der am Fusse sich ausdehnenden Ebenen.
Wichtig ist die Vertheilung des Regens in der jahrlichen Periode, und man
unterscheidet in dieser Beziehung eine regen lose Zone (Aegypten, Nubien, Sahara,
Nordarabien, Plateau von Iran, Wiiste Gobi, an der Kuste von Pern); — die Zone
des periodischen Niederschlags, welche im Allgemeinen mil der tropischen
Zone zusammenfallt, wo die Regentropfen sogar die Giosse von 1 Zoll Durchmesser
erreichen ; die tropischen Regengusse fallen nur bei Tage ; — die nordliche und siid-
liche Zone der bestandigen Niederschl age, d. i. in den verschiedenen Jahres-
zeiten mehr oder minder (Winter-, Herbst- und Sommerregen).
Auch die Zahl der Regentage an einem Orte ist fiir das Klima und die
Vegetation von Bedeutung ; denn die Einwirkung ist eine verschiedene, wenn es in
wenig Tagen auf einmal viel Niederschlag gibt, oder wenn derselbe auf mehrere Tage
vertheilt ist. (So haben z. B. Regentage im Jahre: Ost-Irland 208, London, Paris,
St.. Petersburg 152— 170, Munchen 131, Pest 112, Rom 89, Gibraltar 68, Jakutzk
60, u. s. w.)
Die beiden Zonen des feat en Niederschlags erstrecken sich
von den beiden Polen gegen die Polarkreise bis zu den bezeichne-
ten Grenzen der vorher genannten Regionen. Hieher gehoren auch
alle fiber die Schneegrenze ragenden Gebirgshohen innerhalb der
andern Regionen.
b) Elektrische Erscheinungen sind: das Gewitter, der
Hagel, das Wetterleuchten und das St. Elmsfeuer.
Die Gewitter. — In der Zone der Passate ist — besonders
auf dem Meere — der Himmel in der Regel heiter und wolkenlos.
Nur in jenem schmalen Giirtel, welcher den Nordost- Passat vom
Siidost-Passat trennt, kommen fast taglich die furchtbarsten Gewit-
ter vor, und er heisst davon die Zone der ewigen Gewitter.
Ausserhalb dieser Zone ereignen sich die Gewitter in den Tropen-
landern meistens zur Regenzeit. — In der gemassigten Zone herr-
schen die Gewitter hauptsachlich in der warmeren Jahreszeit , ihre
Zahl und St'arke nimmt gegen die Pole und gegen das Innere der
Kontinente ab, sie sind haufiger an Gebirgsabhangen als in der
Ebene, in der kalten Zone hingegen sehr selten. Auch ortliche Ver-
haltnisse bedingen eine ungleiche Vertheilung der Gewitter unter
die Jahreszeiten.
In den mittleren Breiten sind die Gewitter ofters von Hagel,
in den warmeren Gegenden von furchtbaren Orkanen n
winden begleitet. Letztere erzcugcn au^l!^§!Sl|lMe^.rl^, die i
hosen (Tromben), — in grossen tfockencn Sandwii.sten d
'MVS'eTf!' Difci" "SlttwTtter trag^B ' lltJrt^B'iJl'V1feTflyiS¥^rucntbareit der
Bidu 1WfT' sie reinigen die Luft, mindern die Hitze und erquicken
alle organischen Wesen.
Das Wetterleuchten ist theils der Widerschein von Blitzen
eines fernen Gewitters , theils ein langsames und sanftes Entladen
der Elektrizitat des Gewolkes. Am haufigsten ist es in den Aequa-
torialgegenden.
Das St. Elmsfeuer ist eine elektrische Flamme, welche sich
besonders h'aufig an den Spitzen der Hasten , an den Enden der
Segelstangen u. s. w. zeigt, do<»h ohne nachtheilige Folgen ist.
Die optischen oder Lichterscheinungen entstehen durch diu
Vcraiideranffen, welche" das Sonften- oder Mondliclit in der Atino-
?I>hUre erleidet.
B. Das Wasser.
§. 58 Zur Pbysik des Oceans.
Der Meeresgrund ist die Fortsetzung der Qberflache des
Festlandes und hat , wie dieses, Erhb'hungen und Vertiefungen auf-
zuweisen. Einzelne Inseln und Klippen sind als die hochsten Gipfel
und Spitzen von unterseeischen Bergmaasen, Inselketten und Riffe
als die Kamme derselben , grossere Inseln und Untiefen als die
Oberflache von Hochebenen anzusehen ; die Meerengen dagegen als
die Einschnitte derselben, die grosseren Tiefen als die Thaler und
die Ebenen des Meerbodens.
Die Tiefe des Oceans ist nur unvollstandig bekannt, und die
Messungen mit dem Senkloth geben haufig unbefriedigende Ergeb-
nisse , weil unterseeische Stromungen das Senkblei seitwarts ab-
ziehen. Die grossten, wirklich erreichten Tiefen sind im atlantischen
Ocean (circa 27.000'). Die Binnenmeere haben in der Regel eine
weit geringere Tiefe.
Wenn man bei einigen Tiefmessungen bei 46.000', oder bei 49.000' keinen
Grund erreicht hat, so ist das kein Beweis, dass das Meer dort wirklich so tief
sei, und zwar, wie gesagt, wegen der unterseeischen Stromungen. Bemerkenswerth
ist die Flache des Meeresgrundes zwischen Cap Race in Neufoundland und Cap Clear
in Irland — vonMaury das MTelegraphen-Plateau" genannt, — auf welcher man den
Draht des unterseeischen Telegjraplien zwischen America und Europa zu legen beabsich-
tet. Die Entfernnng ist 1600 Seemeilen und die Tiefe wahrscheinlich nirgends grosser
als 10000'.
Das Meerwasser hat einen eigenthumlichen Salzgeschmack.
Ausser dem Salze (nahezu l/z Unze auf 1 Pfund Wasser) enthalt
es noch iibelriechende Substanzen, welche von der zahllosen Menge
in Faulniss ubergegangener thierischer und ande^er Korper herriih-
ren. Bleibt das Meerwasser eine Zeit lang ruhig, so geht es leicht
in Faulniss fiber, und diese widerlichen Geruche erzeugen jene
Krankheitsstoffe, welche so viele Kiisten in der heissen Zone unbe-
wohnbar machen. Da mit dem Salzgehalte auch die specifische
Schwere des Meeres in Verbindung steht, und von dieser die Trag-
kraft abhangt, so ist die Kenntniss des Salzgehaltes der verschie-
denen Meere fiir die Schiffahrt von Bedeutung.
Unter den europaischen Meeren hat das Mittelmeer den grossten Salzgehalt.
Je salziger, also je dichter das Wasser ist, desto mehr Segel kann das Schiff fuhren,
desto mehr Dampfkraft muss angewendet werden. Wollte man z. B. von Triest ein
Schiff nach Odessa ebenso befrachten als nach Marseille, so wiirde es sich im schwar-
zen Meere als uberladen zeigeu, tiefer ins Wasser gehen und leek werden.
Auch die Farbe des Meeres wird von Seefahrern beachtet,
denn es zeigt z. B. eine plotzliche Aenderung derselben eine Un-
tiefe an. Im Allgemeinen ist es von blaulich-griiner Farbe, welche
Grundfarbe jedoch durch Tiefe, Beschaffenheit des Grundes, durch
Seegewachse u. s. w. vielfach verandert wird. So hat das ,,rothe"
Meer diese Benennung von den zahllosen, rothgefarbten Korallen-
banken an der Kiiste, das ,,gelbe" von dem gelben Schlamm ; das
,,8ch\varze" Meer ist jedoch nicht dunkler, das vweisse" nicht heller
als andere.
Mit der Farbenerzeugung der See hangt ihr Leuchten nahe
zusammen, welches von dreifacher Art ist. Entweder leuchtet das
Wasser nur um das Schiff und die Furchen, die es zieht; — die
zweite Art wird nur in warmeren Gegenden, bei Windstille, star-
ker Hitze und kleinem Wellenschlag wahrgenommen, in welchem
Falle alle Wellen glanzen , die an einem festen Korper anschlagen ;
— die dritte Art bietet die grossartigste Erscheinung dar, indem
nicht bios die ganze Flache des Oceans flammend erscheint, son-
dern der feurige Glanz auch noch weit in die Tiefe hinabgesenkt
sichtbar ist. Die Ursache des Leuchtens wird der Phosphorescenz
einer unendlichen Menge kleiner, gallertartiger Thiere zugeschrieben,
welche den Ocean bewohnen.
Die Temperatur des Meeres hangt , wie die des Landes,
von der geogr. Breite und den Jahreszeiten ab, ist aber im Allge-
meinen viel regelmassiger; denn der Wechsel der Tages- und Jah-
reszeiten bringt in offener See einen nur halb so grossen, zuweilen
nur Y5 so grossen Temperaturwechsel hervor. Eine plotzliche Ab-
nahme der Warme des Oceans ist fur den Schiffer beachtenswerth,
da sie ihm eine Veranderung der Stromung oder eine Untiefe an-
kiindigt. Im ^tllgemeinen wird das Wasser kalter, je tiefer man
kommt. Die Bestimmung der Temperatur des Meeres ist daher zu-
gleich ein wichtiges Mittel zur Bestimmung der Stromungen.
§. 59. Die Bewegungen des Meeres.
Das Meer erscheint nur selten, auf kurze Zeit und in kurzen
Strecken vollig ruhig, im Grossen ist es in fortwahrender Bewe-
fung. Diese wird bewirkt durch Winde, durch die Anziehungs-
raft des Mondes und der Sonne, durch die Achsendrehung der
Erde und die Temperatur.
lenbeweffung, (fo Gje(E^
""TJVDie durch oenT/rucKf aes Windes auf der Obernache des
Wassers hervorgebrachten Erhebungen und Senkungen heissen Wel-
len, deren Fortdauer der Wellen sch lag, und wenn sie hoch
sich aufthurmen — Wo gen. Die Hohe und Breite der Wellen ist
nach der Tiefe der Meere und nach der Heftigkeit der Winde ver-
schieden, und eine genaue Bestimmung derselben kaum moglich.
Die scheinbare Geschwindigkeit der WelJen kann 20 bis 30 Meilen
in der Stunde betragen, und diese wird noch vermehrt, wenn andere
Ursachen, z. B. Erdbeben, mitthatig sind.
2. Die Gezeiten oder Ebbe und Fluth sind das von 6 zu
6 Stunden regelmas.-ig erfolgende Steigen und Fallen des Meeres
an den mit dem Ocean in offener Verbindung stehenden Kiisten.
Jeden folgenden Tag treten Ebbe und Fluth 50 Mmuten sp'ater
ein, und erst in ungef'ahr 30 Tagen kehren sie wieder auf die Zeit
ihres ersten Anfanges zuriick. Diese monatliche Periode weiset auf
den Mond, der taglich 50 Minuten sp'ater aufgeht, und durch den
Meridian eines Ortes. Die hochsten Fluthen (S p rin gfl ut h en) fin-
den zur Zeit des Voll- und Neumondes, die nieder.-ten (N i p p f 1 u t h e n)
zu jener des ersten und letzten Viertels statt. Zur Zeit der Aequi-
noctien sind die Gezeiten besonders stark, was die Mitwirkung der
Sonne beweiset. Ebbe und Fluth wechseln jedoch sowohl der Starke
als der Zeit nach an einem und demselben Orte bedeutend ab.
3. Die Meeresstromungen sind jene Bewegungen der
76
See, in welchen einzelne Theile derselben wie in einem Bette zwi-
schen zwei Ufern durch die iibrige Wassermasse dahinfliessen. Es
sind wirklich sehr breite Strome im Ocean , welche an gewissen
Stellen des Meeres theils bestandig, theils periodisch nach bestimm-
ten Richtungen etreichen. Maury nennt sie ,,Pulsschlage des Mee-
res, welche seine Gewasser durch alle Theile des Oceans treiben
und so eine fortwahrende Circulation hervorrufen." Die Anzahl der-
selben ist sehr gross, aber noch sehr unvollstandig gekannt. In den
Meerestromungen haben die Oceane ihre von der Natur vor-
gezeichneten Strassen, auf denen die Schiffe einherziehen. Die
zunehmende Kenntniss derselben, verbunden mit der Beniltzung der
periodischen Windstromungen desLuftoceans hat die Zwischenraume
fiir die Schiffahrt sehr verkiirzt.
Bei diesen Stromungen werden beriicksichtigt:
a) ihre Rich tun g; in dieser Beziehung unterscheidet man Po-
larstromungen, die von den Polen gegen den Aequator,
und Aequatorialstromungen, die in def»,Richtung der
Parallelkreise von O. nach W. fliessen ;
b) ihre Geschwindigkeit, nach welcher sie eingetheilt wer-
den: in Driftstromungen, eine langsame und wenig tiefe
Bewegung, welche durch Einwirkung des Windes auf die Ober-
fiache des Meeres erzeugt wird, — oder Meeresstrome, welche
bei einer ausserordentlichen Breite auch sehr tief und mit einer
Geschwindigkeit fliessen, welche die der Strome des Festlandes
nicht selten ubertrifft;
c) der Temperatur nach sind die Strome mit kaltem oder
war mem Wasser, welche sich nicht leicht vermiachen, sondern
sich zu verdrangen suchen. Eben durch ihre Temperatur un-
terscheiden sich die Stromungen von den iibrigen Wassermas-
sen des Oceans.
Am meisten bekannt und ausserordentlich entwickelt ist das
System der Stromungen im atlantischen Ocean, der am haufig-
sten befahrenen Volkerstrasse der civilisirten Nationen,
Einige der wichtigsten StrOmungen sind :
1. Das iturdliche Eismeer, welches wegen seiner Eismassen, seines rauhen
Klimas und der gefabrlichen Nebel- nnd Schneesturme der Sch:ffahrt bedentende,
mitnnter nicht zu bewaltigende Hindernisse entgegensetzt, ist in Bezug auf die Str5-
mungen minder bekannt. In dem asiatischen Eismeere herrscht eine westliche
StrCmung vor, welche die Wasser von den asiatischen Kiisten gegen Spitzbergen
und von hier aus durch den Kanal zwischen Island und Gronland treibt. Aus dem
americanischen Eismeere kommt eine ostliche Stromung durch die Davisstrasse
und Hudsons-Bai herab. Beide Stromungen vereinigen sich an der Ostseite von Neu-
Fonndland, wo sie auf den Golfstrom treffen.
2. Im siidliclien Kismeere kennt man nnr die antarktische Drift-
Stromung welche durch herrschende Sudwestwinde in den grossen Ocean ge-
trieben sich vom Sudpol zwischen Neu-Seeland und America nach Nordosten zieht,
dann die americanische Kuste erreicht und sich spnltet. Die Cap Hoorner-Str6-
mnng fliesst um die Sudspitze America's in den atlantischen Ocean; — der kalte
peruanische Strom oder die Humboldt's-Stromung eilt mit bedeutender
Schnelligkeit langs der Kusten von Chili nnd Peru, wendet sich in der heissen Zone
gegen Westen und bildet den breiten Aequatorialstrom des grossen Oceans.
3. Die Stromungen des atlantischen Oceans sind in Folge seiner eigen-
thiimlichen Formationen unregelmassiger aU bei den Qbrigen Oceanen. Dio siid-
atlantische Stromnng ist eine Fortsetzuug der StrOmung, welche aus dem in-
77
dischen Ocean um die Siidspitze Africa's kommt. Unter dem Aequator wird sie
durch eine von Norden her ihr begegnende Stromung — die Nordafrican ische
und Guinea-StrSmung — gegen Westen abgelenkt, und durchschneidet als
Aequatorialstrom den atlantisehen Ocean von Osten nach Westen. An der
aussersten Ostspitze Sadamericas theilt sich der Aequatorialstrom in zwei Arme :
einen slid lie hen (die brasilianische Stromung) und einen nSrdlichen,
welcher durch das Karaibische Meer in den Golf von Mexiko geht, aus diesem
durch den Kanal von Florida als der durch seine hohe Temperatur (22°) ausgezeich-
nete Golfs trom heraustritt und mit zunehmender Breite aber abnehmender Ge-
schwindigkeit die Kuste Nordamericas begleitet, bis ihm bei Neufoundland eine kalte
PolarstrQmung begegnet (siehe n6rdliches Eismeer, ostliche Stromung), in Folge deren
er sich gegen Osten wendet und bei den azorischen Inseln nach Siiden, der africani-
schen Kiiste zu. Durch diese Nor daf ricanisch e oder G uin ea-S tromung voll-
endet er seinen grossen Rundlauf, um ihn aufs Neue zu beginnen. Das warme
Tropenwasser des Golfstromes erreicht zuweilen die Westkiisten Europas, welche
desshalb ein relativ milderes Klima haben ; er bildet die Strasse von Nord-'und
Mittelamerica nach Europa. Zu beiden Seiten des Golfstromes befinden sich mthrere
GegenstrCmungen theils nach West, theils nach Sud. Maury sagt, es gibt auf der
Erde keine zweite Wasserflutb, die dem Golfstrom an majestatischer Grosse gleieh-
karoe. Seine Stromung ist reissender als die des Missisippi und des Amazoncn-
stromes.
4. Tm nordlichen Theile des indischen Oceans und alien seinen Binnen-
mecren hangen die Str5mungen von den Monsunen ab. Nordlich vom Aequator
fliessen sie vom April bis Oktober nach Sud west, von Oktober bis April nach
Nordost; zwischen dem Aequator und dem 10° s. Br. herrscht vom April bis
Oktober die Siidost-, vom Oktober bis April die Nordwest-Stromung. Unter
den periodischen Stromungen dieses Theiles ist jene des persischen Meerbusens
beachtenswerth, denn vom September bis Mai stromt das Wasser heraus, vorn Mai
bis September hinein. — In der siidlichen Halfte dieses Oceans herrscht eine bestan-
dige Stromung des warmen Wassers nach Sudwest, gegen Africa, durch dessen Ost-
kuste sie in den Kanal von Mozambique gedrangt wird (Mozambiqu e- S trOmun g)
und um das Vorgebirge der guten Hoffnung als Capstrom in den atlantisehen
Ocean iibergeht.
5. Im grossen Ocean ist ausser der antark tischen Drif t- S t r6mung
(siehe sudliches Eismeer) auch der kalte Strom aus dem nordlichen Eismeere
bemerkbar, welcher zwischen der Kiiste Asiens und dem warmen Japan-Strom
fliessf, ahnlich dem kalten Strome an der Ostkiiste Nordamerica's und dem warmen
Golfstrome. Die warme Aequatorial-Stromung hat in dem tropischen Theile
des Oceans wegen dessen weiter Ausdehnung einen ungehinclerten Lauf bis znm
grossen Archipel Sud- Asiens und eine grosse.Regelmassigkeit. Bei der Insel Formosa
wendet sie sich gegen Nordosten nnd bespult die ostjapanischen Ufer als japani-
scher Strom. Dieser fuhrt, ahnlich dem atlantisehen Golfstrom und mit gleicher
Schnelligkeit den nordlichen Breiten warmes Wasser und Treibholz zu; ihm verdan-
ken die Aleutischen Inseln und Kamtschatka ihr milderes Klima, sowie das nftrdliche
Skandinavien dem Golfstrom. — Die mexikanische StrQmung, welche nach
Suden gerichtet ist, wie die an der Westkiiste von Africa, ist noch nicht hinlanglich
erforscht; doch scheint der Kreislauf des grossen Oceans (gleich jenem des
atlantisehen Oceans) vollstandig nachgewiesen zu sein.
§. 60. Einige der gcbrftncliliclisteii, auf die Schiffahrt bezugliclien
SeemaniiKansdriicJke.
Abandon ist das Ueberlassen eines versicherten, ganzlich unbrauchbar gewordenen
Gegenstandes an den Versicherer. (Die Ladung abandonniren.)
Ballast nennt man jene Belastung, welche einem Schiffe nur in der Absicht gege-
ben wird, um es hinlanglich zu beschweren, damit der Schwerpunkt unter das
Wasser kommt, und es nicht umschlagt. (Ein Schiff ballasten = mit Ballast
versehen ; belasten — uberhaupt beladen )
Baratterie nennt man alle unredlichen oder kontraktwidrigen Handlnngen des
Schiffers oder Schiffsvolkes. (In Hamburg wird gegen Baratterie versichert.)
Bodmerei heisst ein Darlehensgeschaft gegen Verpfandung eines Schiffes oder auch
der Ladung desselben. Sie kommt besonders vor, wenn ein Schiff wegen eilit-
tener Unfalle in einen Nothhafen einlaufen und ansgebessert werden muss, nnd
78
der Kapitan sich genothigt sieht, Geld dazu aufzunehmen. (Bodmereigeld,
Bodmeriebrief.)
Casco ist eigentiich nur der Rumpf eines SchiiBfes, ohne die Hasten, das Tauwerk
u. s. w. ; beim Assecuranzwesen jedoch nennt man so das ganze Seeschiff mit
allem Zubehor, im Gegensatze zur Ladung.
Certepartie (Chartepartie) nennt man den Kontrakt, den Jemand mit einem
SeeschifFer iiber die Befrachtung seines ganzen Schiffes, Oder zuweilen aucb nur
eines Theiles desselben abschliesst.
Connossament heisst bei Waarensendungen zur See die Urkunde, welche der
Schiffer uber den Empfang der Waare ausstellt, und worin alle in der Certepartie
festgesetzten Bedingungen aufgefuhrt werden.
Dispache naufmachen" oder ,,anfertigen" heisst den Scbaden, welchen ein Schiff
erlitten, genau berechnen und unter die Interessenten vertheilen. (Siehe aucb.
H a v a r i e.)
Docks sind grosse ausgemauerte Bassins, welche in der Nahe des Meeres, eines
Hafens oder grossen Flusses angelegt und mit diesen durch Schleussen verbunden
sind, so dass man mit der Ebbe das Wasser aus ihnen abfliessen lassen, sie ge-
gen die Fluth absperren nnd dann nach Belieben das Wasser wieder einlassen
kann. Sie haben den Zweck, dass darin Schiffe zum grossten Theil trocken
gelegt und ausgebessert werden konnen ; auch werden darin Sfhiffe auf- und
ausgeladen, und sind desshalb mit grossen Waarenmagazinen und einer Mauer
umgeben. (London, Liverpool; — in Antwerpen fur Kriegsschiffe.) Schiff-
baudocks; — Schwimmende Docks sind grosse holzerne Flosse mit
Seitenwanden und Thoren, die, wenn ein Schiff in denselben aufgenommen wer-
den soil, durch Ballast versenkt, und wenn das Schiff durch das Thor einge-
ffihrt ist, mittelst Dampfmaschinen ausgepumpt werden, so dass sie sich mit dem
Schiffe emporheben.
Escalen (Echelles) sind die erlaubten Abweichungen, die ein Schiff von der direkten
Linie seiner Heise macht, nm Proviant oder Wasser einzunehmen, Waaren zu
verkaufen oder anfzunehmen, u s. w. (nEscallen machen").
Fa den ist das gew6hnliche Langenmaas fur die Bestimmung der Meerestiefe und
ist meist 6 Fuss lang. (Knot en — siehe bei Log.)
Fanal (Faro, Pharus, Leuchtthurm) ist ein an der Meereskiiste errichteter
Thurm, in dessen oberstem Stookwerke des Nachts ein starkes, gewohnlich durch
Spiegel oder geschliffene Glaser noch verstarktes moglichst weit sichtbares Licht
angeziindet wird , nach welchem die Schiffe des Nachts ihre Richtung nehmen
k&nnen.
Hafen ist ein gegen Sturme und Brandung geschiitzter Ort an der Meereskiiste,
der entweder von Natur (Bucht) oder durch Kunst gebildet ist. (Handelshafen,
Kriegshafen, Freihafen — in welchem die im Lande sonst eingefiihrten Zolle
und Steuern auf die ein- und ausgefiihrten Waaren nicht erhoben werden, —
Nothhafen, Binnenhafen a. s. w.)
Havarie (avarie, Haferei) nennt man jeden nicht totalen Schaden, den ein
Schiff und die darin verladenen Giiter wahrend der Seereise erleiden. Kleine
oder or din are Havarie sind jene Auslagen fur Schiff und Ladung, welche bios
den gemeinsamen Zweck haben, die Fahrt unbehindert zu vollenden und die
Ladung wohlbehalten und moglichst schnell nach dem Bestimmungsorte zu lie-
fern. Die grosse oder extraordinare Havarie begreift alle Seegchaden,
Verluste und Kosten, die dnrch ein frei williges Opfer entstehen, das in drin-
gender Gefahr zur Vermeidung grosserer Schaden an Schiff und Ladung, zur
Rettung beider sowie des Lebens der Menschen gebracht wird. (Ueber
Bord werfen, das Kappen der Hasten u. s. w.) — Die besondere oder par-
ticulare Havarie sind jene Secscbaden und Kosten, welche das Schiff oder
einon Theil der Ladung durch einen Unfall, d. i. rein zufallg wahrend der
Seereise treffen.
Kaplaken (Primage, Primgeld) ist eine Vergutung, welche der Befrachter dem
Schiffer nebst der Fracht macht (ein Trinkgeld), und wird jetzt gewohnlich nach
Procenten (8 bis 1270) in die Fracht mitbezogen, wovon der Rheder dem Kapitan
einen Antheil gibt.
Klippen sind aus dem Meere emporragende Felsenspitzen; blinde Klippen
solche, die nahe an die Oberflache des Meeres reichen; ganze Reihen von Klip-
pen heissen Riffe, Felsenriffe (in der Ostsee Skaren).
79
Knot en (siehe Log).
Last ist eine Gewichtsbestimmung von 2 Tonnen, jede zu 2.000 Pfund.
Leccage nennt man das, was aus einem geschlossenen abernicht ganz dichten Fasse
ausgeflossen und verloren gegangen ist. (Bei atberischen und letten Oelen.)
Licgetage (Liege zeit) sind die fur Ladung und LOschnng bedungenen Tage.
Die iiber die bestimmte Zeit hinausgehenden, hierzu verwendeten Tage werden
Ueberliegetage genannt, und fur jeden Tag ist dem Schiffer eine Gebuhr
(Liege- oder Wartegeld) zu bezahlen.
Log (oder das Logg) ist ein Instrument, mil welchem man die Geschwindigkeit eines
Schiffes abmisst. Es besteht aus einem dreieckigen Brettchen, am Boden mil
Bleistreifeii verseben, damit es aufrecbt schwimmen kann, hat an den drei Ecken
Sehnure, die zusammengeknupft in eine lange Schnur — die Logleine — ans-
laufen. Diese ist um cine Rolle gewunden, die sich sehr leicht urn ibre Achse
dreht, und am Hintertheile des Schiffes befestigt ist. Wenn man das Log ins
Wasser wirft, bleibt es senkrecht und unbeweglich auf der Oberflache stehen,
•wahrend man die Leine genau '/, Minute (oder '/12? Stunde lang) von der
Rolle ablaufen lasst. Die Leine ist durch Knot en in gleicbe Abtheilungen
von je '/uo Seemeile getheilt, und so viel solcher Knoten in VI10 Stunde ab-
gelaufen sind, so viel Seemeilen hat das Schiff in einer Stunde zuruokgelegt. —
Das Ergebniss dieser Beobachtungen wird dann in das Logbuch eingetragen.
Lootsen (oder Piloten) sind Steuerleute, welche Schiffe durch ein gewisses Fahr-
wasser in einen Hafen , eine Flussmundung, durch einen schmalen Meeresarm
oder sonst auf einem Wege, der fur den Unkundigen mit Gefahren verbunden
ist, fiihren. (Ein Schiff einlootsen oder auslootsen, — Lootsenflagge,
Lootsengeld oder Pilotage.)
Loschen (entloschen) heisst die Guter eines Schiffes ausladen ; Loschnngs-
platz ist der Bestimmnngsort der Fahrt des Schiffes.
Molo ist ein an einem Hafen in's Wasser hinein aus grossen Quadersteinen aufge-
fuhrter Damm, der dem Hafen mehr Sicherheit gibt, denselben vor Versandung
und die Schiffe gegen Wellen und feindliche Angriffe schiitzt.
Primage (siehe Kaplaken).
Rhode ist eine Stelle in der See in einiger Entfernung vom Lande oder von einem
Hafen, die einen guten Ankergrumi hat und wenigstens zum Theil gegen Sturme
geschutzt ist. Die Schiffe gehen auf derselben vor Anker, um gunstigen Wind
oder einen Lootsen abznwarten, Lebensmittel einzunehmen, die Ladung zn 16-
schen u. e. w. Rheder heisst der Besitzer eines oder mehrerer Handelsschiffe.
mit denen er die Seefrachtfahrt als Gewerbe betreibt, oder diese auch fur eigene
Rechnung benutzt.
Schiffe. — Nach ihrer Bestimmung sind sje Han delsschiffe (Kauffartheischiffe,
Kauffahrer) oder Kriegsschiffe; wenn sie in regelmassigen Fahrten fiir Zwecke
der Postanstalten benutzt werden. heissen sie Packet- oder Postschiffe. Se-
gelschiffe werden durch den Wind, Dampfschiffe durch Dampfkraft, Ru-
derschiffe (nicht mehr im Grossen gebrauchlichj durch Ruder getrieben. Die
Grosse der Handelsschiffe wird nach der Gewichtsmasse ihrer Ladung (nach
Tonnen) bestimmt; die grossten (z. B. Ostindienfahrer) haben mehr als 1000
Tonnen. Die grossten Kriegsschiffe sind die Liniensch if fe, dann folgen
Fregatten, Corvetten, Kutter, Schaluppen u. s. w. Eine grossere
Anzahl von Kriegsschiffen nennt man eine Flo tte , eine kleinere Gesch wader,
Flottille,Eskadre u. s. w. Platze, wo Schiffe gebaut werden, heissen
Schiffswerften. Das Seewesen im Allgemeinen, mit Ru<-ksicht anf die Schiff-
fahrt nennt man Marine.
Tonne ist eine Gewichtsmenge von 2000 Pfund.
Verklarnng Bbelegen" (oder Seeprotest aufnehmen) nennt man die schrift-
liche Erklarung des Schiffers , wenn er grosse Havarie gemacht hat , die er im
nachsten Hafen vor der betreffenden Obrigkeit zu Protokoll abgibt und beeidet,
um sich vor aller Verantwortung zu schutzen.
Wrack ist der KOrper eines gescheiterten oder sonst untauglich gewordenen Schif-
fes, uberhaupt Alles, was das Meet von verungluckten Schiffen an das Ufer
treibt. (Wrackrecht, Strandrecht.)
80
C. Das Land.
§. 61. Der Ban der Erdrinde.
Die sfarre Erdrinde, welche fiber dem Meeresspiegel mehr oder
weniger erhaben ist, nennen wir Land. Nach der fast allgemein
angenommenen Hypothese war der Erdball einst eine feurigfliissige
Kugel, deren Obeiflache durch allmalige Erkaltung fest wurde (die
Gesteinsdecke oder Erdrinde), wahrend das Innere derselben noch
immer gluhendfliissig blieb. Die Erdrinde besteht aus zwei ver-
schiedenen Gesteinsarten: Massengestein (plutonische Bildung),
und geschichtetes Ge stein (neptunische Formation, Sediment-
gesteine).
Das Massengestein hat entweder den Charakter geschmol-
zener Massen (vukanisches Gestein), oder es ist von vorherrschend
krystallinischer Bildung, dessen Felsarten ohne Regelmassigkeit in
der Lagerung liegen (Urgebirge). Das Massengestein enthalt nirgends
Versteinerungen, dagegen ist es sehr reich an Metallen und erdigen
Fossilien, besonders an Edelsteinen. Unter dem Namen Urgebirge
fassen wir die (wahrscheinlich altesten) Gebirge der Erdrinde zu-
sammen, welche die Grundlage der ilbrigen Gesteine, in der Regel
den Kern der Hauptgebirge bilden. Zum Urgebirgsgesteine gehoren :
der Granit, der Syenit, der Griinstein, Porphyr u. s. w. ; — zu den
vulkanischen Felsarten: Basalt, Trachyt, Lava, Bimsstein u. s. w.
Die geschichteten Felsarten sind in parallel laufenden
Flatten oder Schichten nach einer bestimmten Ordnung iiber einan-
der gelagert, und echliessen eine Menge von Versteinerungen (Petre-
facten) von Thieren und Pflanzen ein. Die verschiedenen Sediment-
bildungen oder Formation en werden in drei grosse Schichten,
deren jede in mehrere Gruppen zerfallt, geschieden: 1. prim ares,
2. sekundares und 3. tertiares Gebirge.
1. Das Pri m a rgebirge besteht aus folgenden Gruppen : Grau-
wacke n gebirge (Uebergangsgebirge), S te ink ohlengebirge und
Kupfers chief ergebirge. Die erste dieser Gruppen enthalt Kalk,
Schiefer und Sandsteine, die zweite Schieferthone, Kalk- und Sand-
steine und dazwischen Steinkohlen , und die dritte Kupferschiefer
mit Kupfererzen und Zechstein.
2. Dassekundare Gebirge besleht aus drei Gruppen : Trias,
Jura gebirge und K reid e gebirge , und ist reich an Erzen, Salz,
Gyps und Steinkohlen, so wie an Versteinerungen.
3. Das tertiare Gebirge lasst sich in eine u nt ere (antediluvia-
nische) Gruppe, die aus Thon und Sandsteinlagern besteht, zwischen
denen Braunkohlen eingeschoben sind, — und in die obere einthei-
len. Letztere ist das Diluvium (A uf geschwemmtes), welches aus
Lagern von Lehm, Thon, Kies und Gerolle besteht. Auf das Dilu-
vium folgt als letztes , oberstes Glied das Alluvium (An ge-
schwemmtes), die Gebilde der Gegenwart , besonders Lehm, Sand,
der sich stets neubildende Torf und Dammerde (Humus).
Die aus dem Erdinnern emporgeclrungenen plutonischen Massen werden auch
Eruptivgest eine, die Schiefergesteine Urformation, die Grauwackebildungen
Uebergangsgebirge und alle iibrigen Sedimente zusammen FlStzgebirge
genannt.
81
§. 62. Verbreitnng der Mineralien.
Die Mineralien sind Bestandtheile des festen Erdkernes. Ihre
Verbreitung ist an kein geographisches Gesetz gebunden, keine Zone
hat eigenthiimliche, sie besonders charakterisirende Gattungen, aueli
lasst sich fiber die vorhandene Menge einer Mineralgattung nichts
Zuverlassiges angeben.
Die wichtigsten Fundorte sind far:
l.Edle Metalle:
Platina, Russland (am Ural); Brasilien; Bdrneo ; St. Domingo;
Gold, Nordamerica (Calif ornien), Mexiko, Peril, Bolivia, Brasilien; in Asien
der Ural, Sibirien, Tiibet, China, der indische Archipel; Neuholland; die Lan-
der Mittelafricas ^Goldstanb und Goldsand); in Europa Siebenbiirgen und
Ungarn. (Jahrliche Ansbeute beilaufig 200.000 Pfund, davon die Halfte auf
America.)
Silber, Mexiko, Pern, Chili, Russland, China, Norwegen, Sachsen, Hannover,
Ungarn und Siebenbiirgen. (Jahrliche Ausbeute beilaufig 1,800.000 Pfund,
davon zwei Driitel auf America und etwa ein Sechstel auf Europa.)
3. Unedle Metalle :
Qnecksilber, Almaden (Spanien), Idria (Krain), bairische Rheinpfalz, Ost-
indien, Japan, Peru, Brasilien, Mexiko.
Kupfer, England, Norwegen und Schweden, Russland, Ungarn, Harz, Frank-
reich, Chili, Nordamerica, Brasilien, Cuba, Japan, Kleinasien. (Europa ge-
winnt jahrlich an 550.000 Zentner, davon entfallt die Halfte auf England ;
Russland und Deutschland je ein Sechstel.)
Eisen, Schweden, England, Steiermark und Karnten, Belgien, Russland, Deutsch-
land, Frankreich, zahlreiche Fundorte in America, Asien und Africa.
Blei, England, Spanien, Karnten, Harz, Nordamerica.
Zinn, die Sunda-Insel Banka, die Halbinsel Malakka, bShmisches und sachsi-
sches Erzgebirge, England.
Zink, Schlcsien, Rheinpreussen, Belgien, England, China, Vorderindien.
Kobalt, Sachsen, Schweden, England, Schlesien, Rheinpreussen.
3. Edelsteinc. Die meisten und schonsten Edelsteine liefert Ostindien ; auch
Brasilien und Peru haben einen grossen Reichthum an einigen ausgezeichneten
Gattungen von Edelsteinen. Es werden gefunden: der Diamant in Vorder-
indien, auf Borneo, in Brasilien und am Ural; — Rubin e auf Ceylon, in
Hinterindien nnd in der freien Tatarei; — Saphire auf Ceylon, in Birma,
Brasilien und Columbia; Smaragde in Peru, Brasilien und Sibirien ; Topas,
Hyacinth, Amethyst am schonsten auf Ceylon und in Brasilien, minder
schon in Europa, Opal am schonsten in Ungarn u. s. w.
4.Unter den unedlen erdigen Mineralien sind erwahnenswerth: der G rap hit
in England, Oesterreich, Frankreich und Spanien; — die Porzellanerde
in Sach en, Bohmen, Frankreich, Baiern, China und Japan; Meerschaum
in Kleinasien, Griechenland, Siidrussland, Spanien und Mahren ; Marmor in
Mittelitalien, Paros, Frankreich.
5. Die brennbaren Mineralien: Schwefel (den meisten und besten) liefern
Sicilien, der Kirchenstaat und Toscana, dann Island, Croatien, Ungarn, Spanien
u. s. w. ; — Steinkohlen, die grOsste Ausbeute hat England, dann Belgien,
Frankreich und Deutschland, Nordamerika, China; — Bernstein wird am
meisten an der Ostseekuste (zwischen Danzig und Memel), Asphalt in Sy-
rien (am todten Meere), anf Trinidad in Westindien und auch in Dalmatian
gewonnen; der Torf ist in Europa hauptsachlich in den norddeutschen Nie-
dernngen, in Holland, dann in Sud-Baiern, Oesterreich u. s. w. verbreitet.
6. Die salzigen Mineralien: Kochsalz, das meiste Sieinsalz in Europa liefern
die Karpathenlander, das meiste Sudsalz Dentschland, das meiste Se<salz
Frankreicb, Spanien, Portugal.
§. 63. Die valkanische Thatigkeit der Erde.
Die vulkanischen Erscheinungen kunncn ala eine Reaction des
Innern der Erde gegen deren Rinde und Oberflache betrachtet wer-
liluu's Handcls- Geographic. 2. Aufl. Q
82
den. Unter einer festen Erdkruste (von etwa 5 bis 20 Meilen Dicke)
liegt das heissfliissige Innere des Erdkorpers , in welchem durch
Ursachen mancherlei Art Bewegungen und Stromungen entstehen
konnen, welche plotzliche oder allm'ahliche Hebungen oder Senkungen
der Erdrinde erzeugen. Die gewaltige Wirkung vulkanischer Tha-
tigkeit aussert sich in der^eniBgftng"'einzcIner Theile derErdober-
""flacne, "in dcm Erdbeben. Die Erschiitterungen des Erdbodens sind
{'h'SHS 'Avellenror^fg^eTcK^^f&rtbewegende, theils auf- und niederstos-
sende und gewohnlich von unterirdischem Getose begleitet, mit Bo-
denzerspaltungen und mannigfachen Naturerscheinungen verbunden.
Die Erdbeben sind viel haufiger, als man gewohnlich glaubt,
und ist auch kein Gebiet der Erde yon Erdbeben ganz frei, so ist
doch ihre haufige Erscheinung zumeist auf wenige Erdstriche aus-
gedehnt. Die bedeutendsten Erdbebenzonen sind: 1. die siid-
americanische (in den Cordilleren bis auf die kleinen Antillen) , —
2. die mexikanische folgt der Vulkanreihe von Westen nach Oaten,
— 3. die europaische (von den Pyrenaen durch die Alpen bis zum
Kaukasus, die zweite langs der beiden Kiisten des Mittelmeeres),
— 4. die asiatische (die eine von der Uralmundung bis Irkutzk, die
zweite vom Aral bis nach China, die dritte durch die Lander am
Himalaya), — 5. die oceanische auf den Inselgruppen des sudchine-
eischen Meeres und des grossen Oceans bis nach Nordam erica, —
6. die australische.
D.urchbricht ein Erdbeben die Erdschichten und bring! da-
durch eine bleibende Verbindung zwischen dem Innern^d.Qr jrde
mT?i-rlcr Atmosphare hervor, so entsfeht ein Vulkaii , welclier
SrcTierhelfsventil gegeh die Erdbeben angesehen werden kann. Man
kennt gpgen 407 in historischen Zeiten thatig gewesene Vulkane,
von denen 225 noch thatig sind. Die Erzeugnisse der vulkanischen
Thatigkeit, welche durch den Ausbruch (Eruption) zu Tage tritt,
bestehen in Rauch, Asche, emporgeschleuderten gliihenden Substan-
zen und Lava. Sobald die gliihenden Massen durch die aus dem
Innern der Erde bis zum Gipfel des Berges reichende schlottahn-
liche Eohre, deren Oeffnung zu oberst bedeutend erweitert ist (Kra-
ter), emporgestiegen eind, stromen sie heraus, und geben dem Berge
die Kegelform. Die heraustromende Lava verwustet oft meilenweit
die Umgebung, erkaltet eehr langsam (oft erst nach Jahren) , und
die Rinde wird erst nach Jahrhunderten wieder fur die Vegetation
empfanglich.
Dip aus denSpalten der Lava hervorbrechenden Pampfa h^lflflfji
larolen. Jene Ki-ater, aus denen Sch \vefeldampfe heraus-
iTwercl'en S^oTTa~t°a r e n genannt. Eine andere Art von Vulka-
tves Avirff •flta'tfa^r" 'glttti'gga'elff fi^fg" und der Rauchsaulen einen halb-
flussigen, thonigen Schlamm aus, der sich an der Oeffnung ablagert
und einen kleinen Vulkankegel bildet ; diese heissen Schlamm-
_vjilkane oder Sal sen. (Der Berg Maccaluba BeT'CRfgyilll Suf
^cTnMV"-^'"'dte''^eh1ammvulkane auf der Halbinsel Tanaan am
asow'schen Meere und die bei Baku am caspischen Meere.)
Nach der Lage theilt man sie ein in C entral- Vulkane ,
d. i. einzelne Gruppen , die einen Hauptvulkan einschliessen, oder
Reihen-Vulkane, d. i. grosse Reihen, welche eich in bedeuten-
den Strecken, oft in der Nahe des Meeres, hinziehen.
Von den 225 bekannten thatigen Vulkanen liegen etwa 70,
d. i. y3, auf den Kontinenten, und 155 oder 2/3 auf der Inselwelt,
und zwar auf den Inseln des gross en Oce a ns und urn denselben
her finden wir 198 oder nahe an 7/g. Von den 70 Kontinental- Vul-
kanen gehoren 53 oder % zu America, 15 zu Asien, 1 zu Europa,
1 oder 2 in den bisher bekannteu Gegenden Africa's. In den siid-
asiatischen Inseln (Sunda-Inseln und Molukken) wie in den Aleuten
und Kurilen liegt auf dem engsten Raume die grosste Menge der
Insel- Vulkane.
Zahl der Vulkane Zahl der noch
iiberhaupt thatigen Vulkane
Europa 7 4
Inseln des atlantischen Oceans 14 8
Africa 3 1
Kontinentales Asien 25 15
a) Westlicher Theil und das Innere (11) (6)
b; Halbinsel Kamtschatka (14J \ 9f
Ostasiatische Inseln 69 54
Sudasiatische Inseln 120 56
Indischer Ocean 9 5
Sudsee 40 26
Kontinentales America 115 53
Sudamerica (561 (26|
Ccntralamerica J29l lisl
Mexiko j 6j 1 4j
Kordwestamerica 124' I 5)
Antilleu .. 5.3
407 225
Cen tralvulkane:. Auf Island (Hekla, Krabla) auf den liparischen Inseln
(Stromboli), der Aetna, der Vesuv, die Vulkane der Azoren, der kanarischen,
kapverdischen, Gallopagos-, Sandwichs-, Marquesas-, Gesellschafts- und Freund-
schafts-Inseln.
Reihenvulkane: die westaustralischen von Neu-Seeland, der Neu-Hebri-
den, St. Cruz, Neu-Britannien und Neu-Guinea, die Reihe der Molukken und
Sunda-Inseln, besonders zahlreich auf Java und Sumatra, die der Philippinen
Bnd Marianen, die japanischen und kurilischen, die von Kamtschatka, der
Aleuten, von Nordwest- America, von Mexiko, von Central - America, von
Quito, Bolivia, Peru, Chili, den Antillen und die der griechischon Inseln im
Mittelmeere.
§. 64. Pbysische Bcscliaffenheit des Flacklandes.
Nach der Beschaffenheit des Bodens und des Klima's, wovon
die Moglichkeit des Pflanzenwuchses , die grossere oder geringere
Fruchtbarkeit des Erdstriches abhangt , unterscheidet man auf dem
Flachlande:
a) Kul tureben en, d. i. reich bewasserte Flachlander, in
denen feste Ansiedlungen begriindet eind , weil der Anbau von
Pflanzen moglich und ergiebig ist (Wiesen, Felder, Aecker, Wal-
der, Marschland, Geestland u. s. w.) ;
b) Steppen, welche reichlich mit kleinen Gewachsen be-
deckt aber waldlos, wasserarm, wenig bewohnt und einformig sind;
c) II aid en sind weithin sich ausdehnende Ebenen, meist
sandig und unfruchtbar, mitunter sumpfig, gewohnlich nur mit Haide-
kraut und hie und da mit Kieferwald bewachsen ;
6*
84
d) die Savannen und Prairie n (am Missisippi und Mis-
souri) sind uniibersehbare Grasfluren, bisweilen mit einer riesenhaf-
ten Vegetation, oder undurchdringlichenSchilfwaldungen; derBaum-
wuchs kommt in denselben bald dicht wie in den Urwaldern, bald
vereinzelt, bald gar nicht vor; die Llanos (am Orinoko) sind in
der trockenen Jahreszeit diirre, baumlose ausgebrannte Steppen,
nach der Regenzeit aber ein wahres ,,Krautermeer" mit hohen Gra-
sern; — die Selvas (am Amazonenstrom) sind undurchdringliche
Urwalder, mit dem grossartigsten Pflanzenwuchs, riesenhaften Schling-
gewachsen ; — die Pampas (am la Plata) sind in der trockenen
Jahreszeit vollkommen ausgebrannte Steppen, zur Regenzeit sind
sie mit hohem Grase bedeckte Ebenen ohne Baumwuchs;
e) wasserarme Landstriche, meist mit Sand und kleinen Stei-
nen bedeckt , in denen Pflanzen gar nicht oder nur sehr sparsam
gedeihen, heissen Wilsten, und die einzelnen, anbaufahigen und
bewohnten Stellen in denselben -- Oasen, welche Rastplatze fur
Karawanen bilden.
§. 65. Geographische Verbreitung der Pflanzen.
Das Leben und Gedeihen der Pflanzen hangt besonders von
der Peuchtigkeit, dem Lichte und der Warme ab. Da das
vegetabilische Leben fur die Temperatur am meisten empfindsain
ist, und in der innigsten Beziehung zu den physischen Verhaltnissen
der Erdoberflache steht ; da ferners das Gedeihen der Pflanzen nicht
bloss von der mittleren Jahreswarme , sondern noch mehr von der
mittleren Sommerwarme abhangt: so sind die Pflanzen das
sicherste Kennzeichen fiir das wahre Klima. Auf diese
Abhangigkeit der Pflanzen griindet sich die Eintheilung der Erd-
oberflache nach horizontaler Richtung in Pflanzenzonen und
nach vertikaler in Pflanzen regi one n.
Die Pflanzenwelt erstreckt sich fiber die ganze Oberflache der
Erde , vom Aequator bis zu den Polen, vom Meeresgrunde bis in
die Schneeregion , jedoch unendlich verschieden in der Menge der
Arten und der Mannigfaltigkeit und Physiognomie der Pflanzen. Die
Zahl der Pflanzenarten nimmt von den Polen gegen den Aequator
zu, ebeneo die Mannigfaltigkeit der Bildungen, die Schonheit der
Form und des Farbengemisches, die Frische, Kraft und Grosse des
Pflanzenlebens. In der heissen Zone herrscht die uppigste Vegeta-
tion, die meisten Gewachse bleiben stets griin (perennirend) ; woge-
gen in den mittleren Breitegraden die Pracht und Fulle schwinden,
der Laubfall sich einstellt, und in den kalten Zonen nur mehr sp'ar-
lich niederes Strauchwerk, Beeren und Moose vorkommen. Die heisse
Zone enthalt in den verschiedenen Regionen ihrer Hochgebirge die-
selbe Reihenfolge der Pflanzenarten iiber einander, welche vom
Aequator gegen die Pole neben einander liegen, Jede Bodenart
hat weiters ihre besonderen Pflanzen; einige gedeihen nur im Ge-
birge, andere nur am salzgetrankten Meerestrande, andere nur im
Wasser der Flusse, Seen und Oceane ; eigentlich kosmopolitische
Pflanzen gibt es nur sehr wenige. Jede Pflanze hat ihr Vaterland,
d, i. ihre ursprungliche Heimat und ihren geographischenVer-
breitungsbezi rk; jeder Erdstrich seine weit verbreitete Nah-
r un gspflanze. Diejenigen Pflanzen, welche der Mensch zu irgend
einem Zwecke erzieht, anbaut und mit Sorgfalt pflegt (kultivirt),
heissen Kulturpflanzen, im Gegensatze zu den wildwachsenden.
Viele Pflanzen hat der Mensch in Gegenden, wo sie ursprunglich
nicht einheimisch waren , akklimatisirt, d. h. er hat sie unter
Bedingungen gebracht, welche ihrem Gedeihen in dem neuen Vater-
lande zusagen.
Nach der Nutzanwendung werden die Kulturpflanzen in ver-
echiedene Gruppen getheilt :
1. Kulturpflanzen, welche dem Menschen die g e-
wohnliche Nahrung liefern, als : Getreidepflanzen (Cerea-
lien), Weizen, Roggen, Gerste, Reis, Mais, Durra, Dattelpalme,
Kartoffel u. s. w. ;
2. Kulturpflanzen, welche Luxus-Nahrungs stoffe
liefern, als: das Zuckerrohr, der Kaffeebaum, der Theestrauch,
der Cacaobaum, die Vanille, der Pfefferstrauch, der Zimmtbaum, der
Gewiirznelkenbaum, der Muskatnussbaum, die Ingwerpflanze u. s. w. ;
3. Kulturpflanzen, welche geistige Getranke lie-
fern, als: der Weinstock, mehrere Palmen u. s. w.,;
4. Kulturpflanzen, welche allein zum Luxus b e-
niitzt werden, als: die Tabakpflanze , der Mohn, die Coca-
pflanze u. s. w, ;
5. Kulturpflanzen, welche Bekleidungsstof f e lie-
fern, als: die Lein-, Hanf- und die Baumwollenpflanze , der neu-
seelandische Flachs u. s. w. ;
6. Kulturpflanzen, welche Farbstoffe liefern, als:
Indigo, Waid, Krapp, Safran, Farbhb'lzer u. s. w. ;
Uebersicht der Durchschnittswerthe fur die Grenzen der
Pflanzen-
Eegion der
Pflanzen-Zonen
1 heisse
2-8
zweitro-
pische
4-5
rwei
subtro-
pische
6—7
zwei
war-
mere ge-
massigte
8—9
zwei
kflltere
gemas-
sigte
10-11
zwei
snbark-
tische
1U-13
zwei
ark-
tische
14—15
zwei
Polar
Grad
Breite
0_15|15— 23
23-34
34-45
45-58)58-66
66-72)72-90
Mittlere
Jahres-
warme
Grad K.
20-23
18-20
13—17
9-14
5-9
3-5
2
-J2
Flechten
Graser
1
I
I
3
1
8
02
15.200
13.300
11.400
9500
7600
BYOO
3800
1900
13.300
11.400
9500
7600
5700
3800
1900
11.400
9500
7600
5700
3800
1900
9500
7600
5700
3800
1900
7600
5700
3800
1900
5700
3800
1900
3800
1900
1900
Alpenpflanzen . .
Nadelholzer ....
europ. Laubhol-
immergrunen
Laubholzer. . .
Myrthen und
Lorbeeren . . .
Farnbaume ....
Palmen und Ba-
nanen
~
—
— "'
-
—
Die wirklichen Grenzen der Vegetationsregionen weichen je nach den Lokali-
taten von diesen Durchschnittswerthen mehr oder minder ab.
_80_
Verbreitung einiger Kulturpflanzen.
1. Die Getreidepflanzen oder Cerealien liefern dem Menschen den haupt-
s'achlichsten Nahrungsstoff. Zu den wichtigsten Arten derselben gehoren: der Wei-
zen, der Roggen, dieGerste und derHafer fur Europa, das angrenzende Asien
und die gemassigten Gegenden Americas; — der He is und mehrere Hirsearten fur
den Suden und Osten Asiens ; — der Mais fur die warmeren Theile Americas; —
und die Sorgho, die Durra (Negerkorn) fur das tropische Africa. Am weitesten
gegen Norden wachst die Gerste (fast bis 70° n. Br. in Europa, in Asien 60°, in
Nordamerica 56°) ; um einige Grade weniger nach Norden reicht der Eoggen, der
seinen Hauptsitz in der subarktischen Zone hat; noch weniger nordwarts reicht der
Weizen, der eine mittlere Sommerwarme von 13° R. bencithiget und dessen Be-
zirk sich von der subtropischen Zone fast durch die ganze warmere und kaltere ge-
massigte Zone erstreckt. Der Hafer reicht bisweilen tiber die Curve der Isothere
des Roggens hinaus, und sein Anbau erstreckt sich bis 67° n.Br. Der Reis braucht
viel Feuchtigkeit uud eine mittlere Sommerwarme von 23" R. ; er gehort vcrzugs-
weise der tropischen Zone, doch gedeiht er noch fiber 45°. Der Mais, durch sehr
ergiebigen Ertrag ausgezeichnet, benSthiget eine mi'.tlere Sommerwarme von 15° R.
und reicht in Europa bis fiber 50°, in Nordamerica bis 54°, in Siidamerica bis 40°.
Die Kartoffel kommt in noch hoheren Breiten als dieGerste vor (bis 71° n.Br.);
dagegen artet sie in heissen Landern leicht aus. (Grosse Getreidemarkte in
Odessa, den russischen und prenssischen Ostseestadten, Marseille, Triest, Wieselburg,
Oedenburg, Arad u. s. f. Mehlhandel in alien grosseren Seestadten.)
2. Colonialprodllkte. Zu diesen gehoren jene Kulturpflanzen, welche haupt-
sachlicli in den tiopischen Colonien der Enropaer gebaut werden und, da sie fur
viele Volker Gegenstand des fast taglichen Bedurfnisses gewoiden sind, einen der
Hauptanikel des Welthandels bilden. Zu diesen gehoren : Zucker, Kaffee, Thee,
Gewiirze und Spezereien, Baumwolle, Farbe- und Nutzholzer. Das Zuckerrohr
gedeiht am besten in Landern, die eine mittlere Jahrestemperatur von 20° R. haben ;
doch findet man grosse Anpflanzungen selbst in Gegenden, in denen die mittlere
Jahrestemperatur nur 16° betragt. Die Heimat ist das warmere Asien, von wo es
im zwolften Jahrhunderte nach Cypern, Rhodus, Candia, Sicilien und Spanien, spater
auf Madeira und die kanarischen Inseln verbreitet wurde. Um die Mitte des sieben-
zehnten Jahrhunderts wurde es nach Brasilien, Guyana und den Antillen verpflanzt,
wo es jetzt in grosser Menge gebaut wird. (Gesammteinfuhr in Europa etwa 10
Millionen Zentner ; grosse Raffinerien in Hamburg, Marseille, Rouen, Amsterdam, Li-
verpool nnd anderen Seestadten.) — Der Kaffeebaum fallt bezuglich seiner geo-
graphischen Verbreitung im Allgemeinen mit dem Znckerrohr zusammen, wird bis
36° n.Br. kultivirt, und beansprucht eine mittlere Jahrestemperatur von 20° R. Seine
Heimat ist Abyssinien und Mittel-Africa, von wo sich seine Kultur nach Asien (be-
sonders nach Arabien) verbreitete. In grosser Menge wird er auf den Antillen, in
Brasilien, auf den Sunda-Inseln (besonders Java) gebaut. (Jahrliche Gesammtproduc-
tion beilaufig 500 Millionen Pfund, woven fast die Halfte auf Brasilien, 80 Millionen
auf Java kommen.) — Der Theestranch ist hauptsachlich in China einheimisch
nnd kommt auch hier fast nur in der subtropischen Zone vor; fur sein Gedeihen
genugt eine mittlere Jahrestemperatur von 13° R. (Jahrliche Ausfuhr aus China an
90 Millionen Pfund, woven bei 50 nach England, 20 nach Nord-America, 8 Millionen
Pfund Bach Russland gehen.) — Unter den Gewurzen haben die kraftigsten in den
heissen Landern ihre Heimat, und ihre Verbreitung ist meistens auf kleinere Bczirke
beschrankt. So gedeiht die Vanille nnr in Mexiko (auf dem Ostabhange der Cor-
dilleren von Anahuac), der Zimmtbaum auf Ceylon (er hat die Grenzen von
Ostindien kaum fiberschritten), der Muskatnus s- und der Gewfirznelkenbaum
auf den Molukken (ersterer besonders auf den Banda- Inseln, derzweite aufAmboina),
— der Pfefferstrauch auf Sumatra, Borneo, Hinterindien nnd der Kiistc von
Malabar, die Ingwe r p flanze in China und Ostindien. — Sowie die besseren
FarbehOlzer so erhalt Europa auch die edleren Nutz- oder Werkholzer
aus den warmeren Erdstrichen, z. B. Fernamb ukhol z aus Brasilien, Sandelholz
aus Ostindien, Campeche- und Mahagoniholz aus Westindien und den Kusten-
gegendeu der Campeche- nnd Hondurasbai , Ebenholz aus Ceylon und den ost-
africanischen Kfistenlandern u. s. w.
3. Der Wcinstock, eine Kulturpflanze, welche ein Produkt des Luxus aber
auch der Nahrung liefert, bat ihre Heimat zwischen dom schwarzen und dem caspi-
87
schen Meere, doch hat sich der Anbanbezirk bis 52° n. nnd 38° s. Br. ansgedehnt.
Der Weinstock gedeiht am besten bei einer mittlerea Jahrestemperatur von 12 — 13° R.
und wird am starksten in Frankreich und Oesterreich gebaut, dann in Spanien, Por-
tugal, Deutschland, Madeira, Turkei, Sudrussland, Kapland. Von hSchster Wich-
tigkeit fiir die Bewohner der heissen Gegenden sind die Palme n, welche znmeist
zwischen den Wendekreisen vorkommen und zur Befriedigung maucherlei Bediirfuisse
dienen. (Palmol, Palmwein, Material fiir Wohnungen und Gerathschaften etc.)
4. Der Tabak, dessen Anbau von der ursprunglichen Heimat, dem tropischcn
America, nach Europa und Asien ubergegangen und bis 55° n. Br. vorgedrungen
ist, benothigt eine mittlere Jahrestemperatur von 13° R. Er \vird hauptsachlich an-
gebaut in America, Kleinasien, Griechenland, Russland, Deutschland, Oesterreich etc.
5. Unter den Kulturpflanzen, welche Beklridangsstoffu liefern, und einen
Hauptartikel im Handelsverkehr bilden, nimmt die Baumwolle den ersten Rang
ein. Ihre urspriingliche Heimat war Ostindien, China, uberhaupt die Tropenzone der
alten Welt; doch ist ihr Verbreitungsbezirk gegenwartig so ausgedehnt, wie fast
bei keiner andern Nutzpflanze, besonders in America, Siid- und Ost-Asien, Nord-
Africa und Siid-Europa. Sie reicht auf der nordlichen Hemisphare bis aber den 40°,
auf der siidlichen bis zum 28° Br. Die jahrliche Gesammtproduction wird auf etwa
18 Millionen Zentner berechnet, wovon England allein mehr als die Halfte (uber
9 Millionen Zentner) zur Verarbeitung bezieht. — Dieser zunachst steht die Lein-
pflanze, welche bis 64° n. Br. reicht nnd in fast ganz Europa, im nfirdlichen Asien,
auf den Hochebenen von Indien, in Egyplen, Nord-America gebaut wird, uberhaupt
in Gegenden, in denen die mittlere Jahrestemperatur bis 11° R. reicht. Die Hanf-
pflanze reicht bis zur Polargrenze der Leinpflanze, aber nicht in so hohe Regionen
als diese. Der neuseelandische Flachs hat seine Verbreitung uber die urspriing-
liche Heimat — Neuseeland — nicht ausgedehnt.
6. Von den Farbepflanzen gedeiht der Indigo in den warmeren Erdstri-
chen Asiens (Ostindien) von 20—30° n. Br., dann im tropischen America und in
Egypten. Der Waid ist fast uberall in Europa einheimisch, besonders in Deutsch-
land, der Krapp ist aus Kleinasien nnd Ostindien nach Europa verpflanzt woiden,
wo er in Frankreich, Holland, Deutschland und Oesterreich gut fortkommt. Der
Safran ist durch die Kreuzfahrer ebenfalls aus Asien nach Europa gebracht worden
nnd gedeiht besonders in den warmeren Gegenden.
§. 66. Geographische Verbreitung der Thiere.
Die Thierwelt bestimmt nicht in dem Masse den Charakter
einer Gegend, wie die Pflanzenwelt, da deren Verbreitung noch von
anderen Verhalfnissen bedingt ist als jene der Letzteren. Im All-
gemeinen gilt indess auch hier das Gesetz von der Armuth an den
Polen und dem Reichthum am Aequator. In der Regel ist eine
grosse Mannigfaltigkeit und iippige Entwicklung des Pflanzenwuch-
ses auch von einer enteprechenden Mannigfaltigkeit und Fiille der
Thierformen begleitet; demzufolge ist das animaliache Leben inner-
halb der Tropen auf der hochsten Stufe, gegen die Pole hin aber
nimmt es allmahlich ab. Nur die Seethiere folgen dem umgekehrten
Gesetze und nehmen gegen die Pole an Urnfang und Masse zu.
Die verschiedenen Erdzonen pragen endlich den ihnen vorzugs-
weise eingenthiimlichen Thiergattungen eine bestimmte Physiognomie
auf, welche sie kennzeichnet.
Die h e i s s e Zone hat nicht nur eine grossere Mannigfaltig-
keit in den Geschleehtern und Gattungen, sondern auch eine gros-
sere Verschiedenheit des Baues und der Farbe der Thiere. Die
riesenhaften und priichtigsten aber auch die reissendsten Landthiere
bewohnen diese Zone ; 9/lo von alien Vb'gelarten gehoren den Tro-
pen, darunter die grossten und mit dem buntesten Gefieder, doch
zeichnet sie jener angenehme Gesang nicht aus , wie die der ge-
massigten Zone; unzahlige zum Theil sehr gefahrliche Amphibien
__88_
und Insekten bewohnen nebst anderen sehr nutzlichen diesen heissen
Erdstrich.
In den gemassigten Zonen weiset die Fauna eine gerlngere
Menge, Grosse und Wildheit der Thiere, nur die Raubthiere des
Hundegeschlechtes und die Baren fiigen noch Schaden zu. Dagegen
leben hier die nutzlichsten Hausthiere; die Vogel sind meistens
kleiner, von minder schonem Gefieder, aber im Gauzen sangreicher,
einige ziehen zur Winterszeit in warmere Gegenden (Zugvogel) ;
die Amphibien werden seltener, kleiner und nur wenige davon sind
giftig ; die ganze Fauna hat einen gemassigteren Charakter.
In den Polarlandern schrumpft auch die Thierwelt zu-
sammen, und dem winterlichen Abfallen der Pflanzenblatter in den
kalteren Gegenden entspricht gleichsam der Winterschlaf der Thiere.
Wegen der kiimmerlichen Vegetation und der ungiinstigen klimati-
schen Verhaltnisse konnen nur wenige Arten von Saugethieren ge-
deihenj das Bennthier ist der Reprasentant dieser Zone. Im Allge-
meinen bswohnen Landthiere und Vogel, welche geschatztes Pelz-
werk und Bettfedern liefern, die Polarlander. Die Reptilien sind
ausserst sparlich, dagegen schwarmen auch dort im kurzen Sommer
Myriaden Mticken u. dgl., da die Menge der Insekten weniger an die
geograpbische Breite gebunden ist.
Auch die Seethiere haben im Allgemeinen ihre abgeson-
derten Gegenden, von denen sie sich nicht entfernen , weil sie dort
Nahrung und die ubrigen Bedingnisse ihres Gedeihens finden. Ein-
zelne jedoch durchstreifen fast den ganzen Ocean von Nord nach
Sud, andere treten wie die Zugvogel periodische Wanderungen an.
Die Thiere haben ebenfalls ihre urspriingliche Heimath und
ihren Verbreitungsbezirk. Der Selbsterhaltungstrieb oder grosse
Elementar - Ereignisse haben jedoch deren Verbreitungsbezirk aus-
gedehnt ; noch haufiger hat sie der Mensch ihres Nutzens wegen
in feme Gegenden verpflanzt (Hausthiere). Diese erleiden unter
verschiedenen Verhaltnissen auch mancherlei Veranderungen. Das
Schaf tr'agt z. B. in der gemassigten Zone die feinste Wolle , in
heissen Landern wird sie grob; — der Fuchs ist in warmen Lan-
dern dunn und grob behaart , in kalten tr'agt er den weichsten
Pelz ; — ahnliche Veranderungen erleidet der Bar ; — in den
Aequatorial - Gegenden verandert der Hund sein Bellen , in den
Polarlandern heult er mehr, auch wird er hier langhaariger , und
nimmt viel von der Wildheit des Wolfes an u. s. f. — Endlich
hat auch jeder von den beiden grossen Kontinenten seine eigene
Thierwelt; doch sind die Formen auf dem alten Kontinente gewal-
tiger und kolossaler.
Verbreitung einiger der niitzlichsten Thiere.
Das Pferd. — Ausgezeichnet in Arabien, sehr gute Pferdezucht ist in England,
Spanien (Andalusien), Deutschland, Ungarn, Mittelrussland. (Handel mit Eoss-
haar in Dublin, Amsterdam, Archangel, St. Petersburg, Danzig, Rouen, Ham-
burg.)
Das Rind. — Ungarn, Polen, Rnssland, die norddeutschen Marschen, Holland, Ir-
land, die Alpenlander; — Nordamerica, La Plata, Brasilien. (Die meisten Rind-
viehprodukte, als: rohe Hante, H6rner, Talg u. s. w. bringen in den Handel
Buenos Ayres, Montevideo, Columbia, Brasilien, Russland, Ungarn, Polen.)
89
Das Schaf. — Die meiste und beste Wolle in Dentschland (Sachsen, Prenssen) und
Spanien, dann Ungarn, England, Kapland und Neuholland ; auch Russland, Frank-
reich, Mittelasien, und Nordamerica.
Pelzthiere am haufigsten und schonsten in Russland (Sibirien, Kamtschatka, Al6u-
ten und Kurilen) und Nordamerica (Canada, Nordwestkuste). — Bedeutender
Pelzhand'el in London (Hudsonsbai-Compagnie), Archangel, St. Petersburg,
Nishnij Nowgorod und Leipzig.
Wallfische undKobben werden um Gr6nland, Spitzbergen und Nowaja Semlja ge.
fangen, dann im sudlichen Eismeer. (Hauptstation anf den Sandwichsinseln.)
Stockfisch oder Kabljau wird am starksten gefangen an den Kusten von Neu-
Foundland, Neu-Schottland, dann auch an den Kusten von Norwegen, Island
und Holland.
Haringe werden in zahlloser Menge unweit den Kusten von Holland, England,
Schottland und Norwegen gefangen (in der Ostsee nStromlingett).
Sardellen hauptsachlich im Mittelmeere und an den Kusten des Atlantik, an der
West- und Sudkuste von Frankreich, im Kanal, Meerbusen von Genua, Spanien,
Istrien und Dalmatian.
Der Hausen (\vegen der Hausenblase und des Kaviars) hauptsachlich im Schwarzen
und Kaspischen Meere und in den dort einmundenden Strfimen.
Die Seidenraupe. — Ihre Verbreitung ist von jener des weissen Maulbeerbaumes
abhangig, welcher in warmeren Gegenden (bis 46° n. Br.) gedeiht. Die Heimat
ist China und Persien, sorgfaltig wird sie in Ober-Italien und Frankreich, minder
in Spanien und der Turkei gepflegt. In den sudlichen Kronlandern Oesterreichs
hat man sehr gluckliche Versuche mit der Seidenkultnr gemacht. Sehr viel
und ausgezeichnete Seide liefern China und Ostindien nach Europa. (Sei den-
hand el in Genua, Livorno, Neapel, Messina, Marseille, Lyon, Mailand, Bergamo,
Como, Wien, Brnssa.)
Das Cochenille-Insekt liefert ausgezeichneten rothen Farbstoff (Carmin), kommt
hauptsachlich in America vor (Mexiko, Guatemala, Columbia, Peru, Brasilien).
Akklimatisirungsversuche in Spanien sind gelungen.
Die Bienenzucht wird in den sudlichen Landern Europa's stark betrieben. Berflhmt
sind der ungarische, griechische und franzosische Honig, — das beste Wachs
liefern Russland, Polen, die Turkei, Berberei und Sumatra. — Bedeutender
Wachshandel in Breslau, den Ostseestadten, Hamburg etc.
Perl en. Die beriihmtesten Perlenfischereien sind in Ostindien, Japan und Arabien,
die im mexikanischem Busen haben stark abgenommen; die Ausbeute in einigen
Flussen von Mittel-Europa ist schwach und von geringerer Art.
Korallen an den Kusten von Algier und Tunis, Sicilien, Corsika und Sardinien,
Sudfrankreich, Catalonien, Neu-Guinea. (Korallenarbeiten von Genua, Pisa, Li-
vorno, Neapel.)
IV. Politische Geographic.
§. 67. Die Bevdlkerung der Erde iin Allgemeinen.
_L)ie politische Geographic betrachtet die Erde nicht bloss
als den Wohnplatz der Menschen, sondern auch als den Schau-
rjTa't'z ilirer geistigen und sittlich'en Entwickelung. Sie
'mfaltt'iu'TWUi''HfH^t Volker-
kunde und die Elemente der Staatenkunde.
Die Zahl der Menschen auf der Erde genau zu bestimmen
ist unmoglich* Gewiss ist, dass dieselbe auf die verschiedenen
Erdtheile und Lander eehr ungleich vertheilt ist. Ein Land hat im
Allgemeinen desto mehr Bewohner, je leichter sie sich in demsel-
ben ernahren konnen. Gegliederte Erdtheile und meerumflossene
Lander haben mehr Bewohner als solche, deren Kiisten fast gerade
Linien bilden, weil die Gliederung den Seeverkehr befordert und
eine reiche Quelle fiir Ernahrung bietet, Ein Land, dessen Boden-
beschaffenheit und Gewasser den Verkehr begunstigen, kann mehr
Bewohner ernahren, als ein unwegsames, wasserarmes Land; ebenso
fordert ein milder Himmelsstrich die Zunahme der Bevolkerung.
Die Bevolkerung der ganzen Erde wird gegenwartig auf bei-
laufig 1300 Millionen Menschen gerechnet, — welche sich (in run-
den Summen) annaherud folgendermassen vertheilt:
Europa mit 272 Millionen; also pro QMeile 1619 Einwohner;
Asien „ 755 „ „ „ „ 855 „
Africa „ 200 „ „ „ „ 367 „
America „ 59 „ „ „ „ 85 „
Australien „ 2 „ „ „ ,. 12 „
1288 Millionen; also pro nMeile 531 Einwohner.
Europa, und zwar vorzugsweise in seinen nordlichen und westlichen Theilen,
zeigt die gunstigste Ehtwickelung nnd kann noch ausserordentlich fortschreiten. Zu-
nachst scheint dann America der Erdtheil der Zukunft fiir die menschliche Ent-
wickelung zu sein, denn bei dem ausserordentlich reichen Naturfond ist dieser Erd-
theil noch sehr diinn bevolkerr. Weiters durften Australien und die Inselwelt
dieser Entwickelung folgen. Die Civilisations-Zustande in Asien (besonders China
und Indien) lassen eher ein Stillestehen oder Riickgehen als einen Fortschritt er-
warten. Die Zustande und Verhaltnisse in Africa sind noch viel zu wenig bekannt,
um wahrscheinliche Schliisse ziehen zu konnen. Welche Hohe jedoch die Zahl der
Menschen auf der Erde erreichen kann, das zu bestimmen gibt es keine nur einiger-
massen sichere Anhaltspunkte, seitdem fast nnaufhaltsam die erfolgreichsten Erfin-
dungen neue Beforderungsmittel aller Kultnrverhaltnisse werden.
§. 68. Die Bevtilkernng der Erde nach ilircn ktirperlichen Ver-
schiedenheiten.
Das eine Menschengeschlecht zerfallt nach der Verschieden-
denheit "der k o r p e r IT cli e ri Beschaffenneft ^m fifnf Eacen*) : die
*) Curier und Lacepede nehmen deren nur drei an: Kaukasier, Mongo-
len, Neger, und bringen die malayische und americanische unter die mogolische Race.
Zeune unterscheidet Hochschadel, Breitschadel und Langschadel, Bory de St.
91
k aukasia.cjje, mongo^lls^he, athi opijaxJie, Darner i c aniscjij?
"Ulld ntaTayis ch?*1B!fflBT^ '"•••••••••••w***"''**1'1
-1. 4>i'e kaukasische oder weisse; — hierher gehoren die
Europaer mit Ausnahme (lerXappen und Finnen, die West-Asiiucu
diesseits des Ob, des caspischen Meeres, theihveise sogar'bis zum
Ganges, die Nord-Africaner, und die in America und den europal-
schen Colonieif 'Avohnenden Europaer, zusammen an 369 Millionen;
2. Die mongolische: gelb, mit gesdilitzten
Augen, hervortretcnden BackenKno'clien; — Chine-
seW; MongTlen, iiberhaupt Asiaten (mit Aus-
nahme der bei 1. Genannten und der Malayen), zu-
eammen an 522 „
3. Die a t h io pise lie: schwarz, mit krausem
Haar, vorTreTenden Kiefern, Avulsttgen Lippen, stum-
pfenf'l^as'e1; ^^dtfr^afrt^ftftlschen Neger an 196 ,,
4. Die &,me r i.c an i s c h e : rothlich
sclnvarze Ilaare, von brcitcr aber m^iT~"
sichtsbililunfT, inei^t mTt stark ausgepri'
5. Diem a 1 a y i s c h e ; braun, sch i warze Haare,
breite ^{(SG^tJlf99ff!9''l'^rif(fVff^^^^vK^>5fKlffS^<fl^i--
latrwj-^TC Bcwofener der Philippinen, Molukken, Sunda-
Inseln, auch wohl die Australier, zusammen bei-
laufig an 200 „
Von der Gesammtbevolkerung der Erde gehoren somit an-
nahernd :
28.85 % der kaukasischen,
40.61 % ,, mongolischen,
15.38 % „ malayischen,
15.08 % „ athiopischen,
0.08 °/0 „ americanischen Race an.
§. G9. Die Bevulkernng der Erde nach den geistigen Verschiedenheiten.
Die geistigen Verschiedenheiten unter den Menschejt^Jj^-
ziehen sich auf Sprache, Religion, Kulturgrad und Staat s-
TeTE"aTtrrtrse. ."
1. Die Sprache. Man unterscheidet drei Sprachenreiche :
a) flee tirende Sprachen (in welchen den vTorlen durch inii'ere
Verahdefurig — Flexion — eine wechselnde Bedeutung ge-
geben wird) ; b) einsilbige, flexion sjpse. S.praclien (in
•\velclicn die Worto urivcrandert blciben, und alle grammatischen
Formen durch VorseT'zworte, deren Stellung und den Zusam-
menhang des Sinnes angedeutet werden) ; — c) agglutini-
,* .. , ,-, D! / • i i i» »-!••»— • C3 «. »
bprachen (sie haben keme
•\vivd durch das lose Anfugen der Beziehungslaute an den Be-
deutun^sTaii>, d. Ii. durch aussercn Zuwachs am Ende oder in
fler Mitte%"3fi[iB Bedeutung des Wortes gewechselt).
Vincent nimmt 15, Pri chart 7 Racen an. Eetzius hetrachtete wieder die
Schadelform als Grundlage der Eintheilung und unterschied Delichocephalen (mit
langlichem, ovalem) und Brachycephalen (mit breitem und kurzem Schadel).
a) Die flectirenden Spracben oder der imlo-europaisclie Sprachstamm, von
der kaukasischen Race und fast von der Halfte des Menschengeschlechtes
gesprochen, stehen am hSchsten auf der Stufenleiter der Sprachen und zer-
fallen in zwei grosse Familien : die indo-germanische und a gyp tisch-
semitische. Zu der ersteren gehoren die asi at ische Gruppe (indische,
persische, und jene der Kaukasus-Volker), und die europaische (grie-
chisch, lateinisch — mit ihren T6chtern — dann slawische Sprachen, keltisch
und die deutschen Sprachen) ; zu der zwei ten nordsemitisch (syrisch
und chaldaisch), mittelsemitisch (hebraisch) und sudsemitisch
(arabisch).
b) Der Sprach'stamm der einsilbigen aber flexionslosen Worter, aucb der ost-
asiatische oder chinesische genannt, wird von vielleicht 500 Millionen
Menschen in China, Japan und dem grossten Theile von Hinter-Indien ge-
sprochen, und zerfallt in die chinesische, koreanische, japanische und indo-
chinesische Farailie.
c) Die agglntinirenden Sprachen, zn welchen bei Weitem die meisten
Sprachen gehdren, bilden eine Mittelstufe zwischen den friiher erwahnten
Sprachieihen und werden in den tatarischen Stamm, die kaukasi-
schen und die einverleiben den Sprachen geschieden. Zum tatarischen
Stamme gehoren die tatarischen n\m engereh Sinne" (mongolisch,
tiirkische Familie, kirgisisch baschkirisch u. s. w.) und die f inischen Spra-
chen (samojedisch, ugrisch, bnlgariscb, lappisch, finisch, estniscb, magya-
risch u. s. f.); — zu den kaukasischen gehoren der iberische Sprach-
stamm, georgisch, abchasisch, lesgisch u. s. w, ; — zu den ein-
verleibenden gehort der baskische Sprachstamm (im innersten Winkel
des Meerbusens ^von Biscaya), als Rest eines ehcdem weit verbreiteten
Sprachstammes.
Die Angaben iiber die muthmassliche Anzahl der Sprachen
wechseln zwischen 800 und 3000 nebst einigen Tausend Mundarten;
doch ist deren Menge von keiner Bedeutung, da einerseits manche
Sprachgebiete so klein sind, dass sie nur von 15- bis 20,000 Men-
Bchen geeprochen werden (in America), anderseits breiten sich die
Sprachen der Kulturvolker immer mehr auf Kosten der ungleich
zahlreicheren Sprachen der ungebildeten Volker aus, wie z. R die
mehr als 100 einheimischen Sprachen der Amerikaner vor drei
europaischen (der englischen , spanischen und portugiesischen) zum
Theil verschwunden eind. Im Allgemeinen ist die Sprache ,,die
ausserliche Erscheinung des Geistes der Volker : ihre Sprache ist
ihr Geist und ihr Geist ist ihre Sprache*"
§. 70.2Fortsetznng.
2.JPie Religion. Die Religion der Volker, d. i. die Art und
Weise, wie sie ihr VefHalfmss zu Gott auffassen, ist nach dem
Grade der Gesittung sowie nach der Mstorischen' Entwickeliing uri'd
Heranbildung verschieden. Das angeborne Gottesbewusst-
sein suchet Gott, und es hat nie ein Volk ohne Reli-
gion gege,i>«n.
'"Tnoer politischen Geographic theilt man in dieser Beziehung
das Menschengeschlecht zuvorderst in zwei Klassen: Bekenner
Eines Gottes oder Monotheisten und Bekenner mehrerer
Ghrttheiten oder P o 1 y t h e i s t e n (eigentlich Pantheisten),
Zu den Ersteren gehoren die Christen, Juden und Mu-
hamedaner; die Letzteren nennt man He id en.
Die Bevolkerung der Erde vertheilt sich in:
93
1. Christen 335 Millionen ; d. i. 25.77 Procent,
2. Juden 5 „ „ 0.38 „
3. Muhamedaner 160 „ „ 12,31 „
4. Heiden, u. z.
asiatische Religionen... 600 ,, 46.15 ,,
die iibrigen Heiden .... 200
Von den Christen sind:
Romisch-katholisch .... 170
Protestanten 89
Griechen 76
15.39
50.7
26.6
23.7
In Europa bekennen sich zum Christenthiime iiber 262
Millionen, in America (unter 59 Millionen Bewohnern) an 57, in
Asien zwischen 10 — 11, in Africa an 4, und in Australien
beilaufig ll/z Million Menschen.
Die Juden leben unter fast alien ansassigen Volkern, und
desshalb finden sich fiir die jiidischen Bevolkerungen in den ausser-
europaischen Landern nirgend bestimmte Zahlen, daher deren Merge
nur annahernd geschatzt werden kann. In Europa konnen 3l/2
Million, in der asiatischen Tiirkei mindestens 350,000 ange-
nommen werden. Sie leben auch in den iibrigen Theilen Asiens,
in den cordlichen Theilen Africas, in Australien, auf den
Sudsee-Inseln, und in America (an 100,000), besondera in
den Nord-Americanischen Freistaaten.
Muhamedaner wohnen in Europa etwa 6l/2 Millionen, in A si en
durfte deren Anzahl mit 50 Millionen (inbegriffen 12,650,000 in der
asiatischen Tiirkei), in Africa (da im Innern Nordafrica's nach
Earth's Reiseberichten fast durchgehends Muhamedaner wohnen),
— mit 100 Millionen anzunehmen sein; America und Austra-
lien mochten keine irgend nennenswerthe Zahl von Muhamedanern
haben.
Unter den Polytheisten sind der Buddhaismus und der
Brahmaismus die verbreitetsten; jener in Hinterindien , auf den
malayischen Inseln, China und Japan, dieser in Vorderindien. Die
mongolischen Volker bekennen sich zum Schamanenthum, ei-
nem von Zauberwahn und Damonenfurcht befangenen Geisterdienst.
Die niederste Stufe des Heidenthums, der Fetischdienst, wel-
cher Gegenstande der belebten und unbelebten Natur bis zu Klotzen
und Holzpuppen herunter fur Kulturobjekte nimmt, findet eich nur
bei Negern.
§. 71. Fortsetzung.
3. Der Kulturgrad. — Die verschiedene Leben sweise und
die Kulturstufe der Vulker beruht hauptsachlich auf dem Begriffe
des Elgerithunis.
-"Auraer^Ulitersten Stufe stehen die Sammelvb'lker, welche
von wilden Pflanzen und Thieren leben, wie sie ihnen eben vor-
kommen. Die Jager- und Fischervolker stellen bisweilen
mit grosser Gewandheit den Thieren des Waldes und Wassers nach,
erwgrben eich die Mittel zur Befriedigung ihrer Bediirfnisse stets
94
von Neuem, haben keine bleibenden Outer, vereinigen sich nur wider-
strebend zu grosseren Gesellschaften, und ihre Geisteskrafte ge-
langen zu keiner hoheren Entwickelung.
Die Volker mit Eigenthum sind theils Wandervolker
(Hirtenvolker, Nomaden), theils ansassige Volker.
Die Lebensweise der W and ervolk er ist eine friedlicbere.
Sie zahmen und nahren die Thiere, ihr Lebensunterhalt ist weniger
dera Zufall ausgesetzt, es entwickeln sich die ersten Begriffe von
Eigenthum und geordneten, geselligen Verhaltniss n, die Betrach-
tung der Natur belehrt und erhebt Geist und Gemtith. Doch folgt
der Nomade mit seinem beweglichen Zelte der weidesuchenden
Heerde von Steppe zu Steppe, er hat keine Heimath, und die feind-
eeligen Reibungen der Nomadenstamme unter einander halten sie
noch auf einer niederen Kulturstufe,
Vom Hirtenleben zum Ackerbau ist ein kleiner Schritt,
und mit den fee ten Ansiedlungen beginnt die zusammen-
hangende Kette der menschlichen Entwickelung und geordneteren
Verhaltnisse. Der Ackerbau mit der Viehzucht begiinstigt das Zu-
sammenleben Vieler, und begrundet feste Wohnsitze, Ortschaften.
Das Bediirfniss der nothigen Gerathe und Werkzeuge ruft das
Handwerk hervor, welches zuerst die nothwrendigen, dann die
niitzlichen und endlich luxuriose Gegenstande fiir Wohnung, Be-
kleidung und Bequemlichkeit liefert. Bald fiihrt der Ueberfluss an
Produkten der Natur oder des Gewerbfleisses zu friedlichem Ver-
kehr, zum Handel mit den benachbarten, dann auch entfernteren
Volkern. Auf dem Ackerbaue ruht Alles, was die Menschheit er-
rungen hat in Sitte und Bildung, ,,der Pflug hat die ersten Staa-
ten gegriindet." An die Befriedigung der bloss materiellen Bediirf-
nisse kniipfte sich in der Folge auch das Streben nach Befriedigung
der geistigen und gemuthlichen ; die Fahigkeiten des menschlichen
Geistes entwickeln sich in Wissenschaft und Kunst zur hoch-
eten Stufe der Kultur eines Volkes.
Sammelvolker (oder vegetirende) findet man noch auf Neu-
Holland, auf den australischen Inseln , vielleicht auch im Innern
von Africa. Jagerhorden streifen in America (in den Hudsons-
bai-Landern, im Innern des Kontinentes) und im Innern Africa s ;
zu den Fischer v olkern gehoren mehrere Stamme am arktischen
Polarmeere und auf der Inselwelt Australiens. Wandervolker
trifft man in Europa, America und Australien fast gar nicht; da-
gegen sind sie zahlreich auf den ausgedehnten Steppen Asiens
und Africas. Fast 5/6 der gesammten Menschheit fuhren sonach
die Lebensweise der ansEssigen Volker."
§. 72. Schlnss.
4. Die Staatsverliiiltnisse. — Die .inp'ussigen Menschen
haben sich in Gesellschaften unter bestimmten Gesetzen vereinigt,
um in iiupserer Kuhe und Sicherheit zu'leben und ihrem 'geistigen
Tri'teres&e""materielleh "Schutz zu yerleihen ; — diese Gesellschaften
ii^isseri Staaten. Fur die Ertheffung und Vollziehung der Ge-
eetze, fur den Schutz der Persbnen und des Eigenthums, fur die
95
Beforderung der offentlichqn Wohlfahrt des Staatesjhn^
^SOTgt^thV'ft e g i e r u n-g»~ t^wee-^zerfattf 'tft*1Jie'"S t aTOTvj
irmt- «i die 'S t a a t s v e r wjiilu^g^ (Jiigei'-i1 FlffcTier^i
volker bilden ke'lne S'taaten7'die''"emzelnen Familien leben unter der
patriarchalischen Leitung von Familienaltesten oder Hauptlingen).
a) Die Form (liir,.. JtfiSiMmilflLillffiff fit V erfaflHiin g._ 1st die Re-
^jperun|^einen^emzTgeti (JberrjaupreafWWR^!uiVy*80 ist sie eine
monarchische; wird dje hQphste/£fouttau!|inviil^^
ausgeiibt, so ist sie eine r e p u rjlTTv' all i s^iiJeLrJJer8iereolaaten
•"fceiooen KM OTT a r eh i c h "(Kaiscrthum, Kunigreich, Ilerzogthum
u. s. f.), IeTzt8Fe""Tte'p i"'ut)Tllj: en. Eine Monarchic ist erblich,
wenn sich die huchste Gewalf in der Familie des Regierenden
T^&yrtastie) forterbt; wird nach deni Ableben des Monarchen
ein anderer ftB^seine Stellefij^jj^iJ-L.: — jiin^ W^ ajil r e i c h. Ver-
waltet der Monarch die Re^ierung al 1 e i n j^a^cTrt^esel'zen", denen
er selbst mit unterworfen ist, und durch nur ihm allein ver-
antwortliche Behorden , so heisst die Regierung eine u n u m-
schrankte (absolute) M o n a r c^Ri1™; '"" ' "isV* duf c'h" organ! sche
Cjruno!gese*!^e (Constitution, Charte) die GNjSetzgebung und die
allgemeine Controle deT Staatsv^rvTciltung zwischen"dem Mon-
archen und den Vertretern einze^er Stande oder des gesamrh-
ten Volkes getheilt, so nennt man sie eine eingeschrankte
(konstitutionelle) Monarchic. Kamj^fiuj.. Monarch nac^^yr-
Idirjaber Fre|heit, Leben und iJesJtz seiner Unterflianen ver-
fiigien7**TsT er daT^ei an kein Gesetz, sondern riochstens an ein
gewisses Herkotnmen gebifnden, so ist die Regierung eine des-
potische, der Staaf eine Despotic.
Die Re pub liken (Freistaaten) heissen demokratische,
in d^ne13r*TI1^^e^rn^uti ei t des Yolkes durch ihre gewahltea
Vertreter die hochste Staatsgewalt ausiibt; 9der aristokra-
tische, in denen zur Verwaltung der Staatsangelegenheiten
nur ein bestimmter Kreis yon beyorzugten .Familien berufen
ist. Die Ausartung der ersteren ist D chlokr a tie (Pobelherr-
schaft), ein Zustand, der bald jedern^lilllHHHW^IWfiid geord-
neten Staatsleben ein Ende macht; die Ausartung der zweiten
ist Q^UUJg^hU^i^di^ widerrechtliche Anmassung der Herr-
schaiteinigerC^walthaber.
b^DieSttaatsverwaUung iat die Ausiibung der StaatgflfiiBilL uin
'ffirT^'giiigflgrrliPB^
des Staatslebenfzu" 'leiten. Das S-aatsoberhaupt bedient sich
ill flI8HSBTWWiBW*WIWIl*Anzahl von Behorden, denen ein
bestimmter Geschiiftskreis zugewiesen ist. Diese Bind theils
Centralbehorden, die hochsten , um das Staatsoberhaupt
versammelten, welche die Geschafte des Gesammtstaates leiten;
— theils Provinzialbehorden, welche den Centralbehor-
den untergeordaet sind, und die Staategeschafte innerhalb eines
bestimmten Verwaltungsgebietes und Verwaltungszweiges be-
eorgen.
_96
Das Verhaltniss , in welchem ein Staat zu anderen Staaten
steht, ist entweder ein selbststandiges und unabhangiges
(souveraine Staaten), d. h. der Staat ist in Hinsicht auf
innere Verwaltung und aussere Verhaltnisse von keinem an-
deren Staate abhangig; im Gegentheile heissen sie halbsou-
veraine. Vereinigen sich Staaten zu ihrer gemeinschaftlichen
Sicherheit in einem immerwahrenden Bunde , so heissen sie
confoderirte (Staatenbund) ; ween sie sich nur zu einem be-
stimmten Zwecke anf unbestimmte Zeit verbinden, alliirte
Staaten.
Die Darstellung des inneren und ausseren Lebens der Reiche
und Staaten im Kreise der Gegenwart heiest Staatenkunde
oder Statistik (im weiteren Sinne).
Die Staaten von Europa.
I. Das Kaiserthuin Oesterreicli.
Ja,
Der Oesterreicher hat ein Vaterland,
Uiid liebt's, und hat auch Ursach' es zu lieben.
Schiller's ,,Wallenstein."
A. Die Monarchic ini Allgemeinen.
§. 73. Lage, Greuzjen, GrOsse.
Jjas Kaiserthum Oesterreich Hegt zwischen 42° 10' und 51°
3' n. Br., und zwischen 27° 15' und 44° 7' o. L, Es dehnt sich so-
mit zwischen fast 9 Breiten- und doppelt so viel Langengraden aus.
Politische und natiirliche Grenzen — (siehe die Karte).
Der Fl'acheninhalt der Monarchic betragt 11.751 geogr. Geviert-
Meilen. In Bezug auf die Bodengrosse ist es der dritte Staat in
Europa, da es nur von Russland und Schweden-Norwegen iiber-
troffen wird.
§. 74. Bestandtheile der Monarchic.
Oesterreich, eine der fiinf europaischeu Grossmachte, ist eine
erbliche, untheilbare, unumschrankte Monarchic. Die Thronfolge ge-
schieht nach dem Rechte der Erstgeburt in dem romisch-katholi-
schen Hause Hab s burg-Lo thringen mit Vorzug der gesamrn-
ten mannlichen Linie.
Die Monarchic besteht aus 20Kronlandern, deren einige in
K r e i s e (im Lombardisch-Venetianischen ,,Provinzen" oder ,,Delegatio-
nen," in Ungarn ,,Comitate," in der Militargrenze ,, Regiments- und
Bataillonsbezirke"genannt) und in besondere den administrativen Lan-
desbehorden untergeordnete Stadtbezirke zerfallen; die Kreise wer-
den in Bezirke (im Lombardisch-Venetianischen ,,Distrikte," in
Dalmatien ,,Praturen ," in Ungarn ,.Stuhlbezirke ," in der Militar-
grenze ,,Compagniebezirke") eingetheilt. Bei den kleineren Kron-
landern, deren mehrere administrativ Einer Statthalterei untergeord-
net sind, besteht keine Kreiseintheilung.
Uebersicht der Ssterreicbischen Kronliinder.
Kronland
Geogra-
phische
[JMeilen
BevBlkernng (nach
der Zahlung vom
31. Oktober 1857)
Hauptstad t
und deren
Einwohnerzahl
(am 31. Okt. 1857)
absolute
relative
(Zum deutscben Bunde gehorig):
1. Erzherzogthum Oesterreich
360.,.
217.,,
130.,,
407.,t
nfl.
1,681.697
707.450
146.769
1,056.773
4669
3246
1127
2590
Wien 476.222
Linz 27.628
2. Erzherzogthum Oesterreich
ob der Enns
3. Herzogthnm Salzburg ....
4. „ Steiermark . .
Elan's Handels-Geographie. 2. A
Salzburg 17.253
Graz 63.176
7
98
K r o n 1 a n d
Geogra-
phische
(JMeilen
Bevolkerung (nach
der Zithlung vom
31. Oktober 1857)
Haup tstadt
und deren
(Einwohnerzahl
amSl.Okt. 1857)
absolute J relative
5. Herzogthum Karnten.. ..
6. . Krain
7- das Kustenland
188.J6
181..
145,
522.,
943,
403.8
93,
1422.5,
189,7
3265.4t
544.83
332;4
1102.2t
232.4I
456 „
609.S1
332.456
451.941
520.978
851.016
4,705.525
1,867.094
443.912
4,597470
456.920
8,125.785
1,540.049
865.009
2,172.748
404.499
2.444.952
1,064.922
564.989
1764
2491
3589
1627
4985
4623
4747
3232
2410
2489
2829
2599
1971
1740
5355
1747
Klagenfurt.. 13.479
Laibach 20.747
Triest 104.707
Innsbruck . . 14.224
Prag . 142 588
8. Gefiirstete Grafschaft Tyrol
mit V orarlberg ... .
9. Konigreich BOhmen... .
10. Markgrafschaft Mahren . .
11. Herzogthum Schlesien. ..
(Ausser-deutsche Kronlander):
12. KSnigreich Galizien one
Lodomerien *)
Brunn 58.809
Troppau 13.861
Lemberg 70.384
Krakau 41.086
Czernowitz.. 26.315
Ofen. . . 55 240
13. Herzogthum Bukowina . . .
14. Konigreich Ungarn
15. Serbische Wojwodschaft u.
Temeser Banat
Pest 131 705
Temesvar... 22507
Agram 16.657
Sermannstadt 18.588
Zara 8 000
16. KSnigreich Kroatien und
17. Grossfurstenthum Sieben-
18. Konigreich Dalmatien. . . .
19. Lombardisch-venetianisches
Konigreich
Venedig .... 125.000
20. Militargrenze
K, k. Militar
Zusammen. . . .
11.751.41
35,002.953
2935
§. 75. Bodenverhaltnisse and Klima im Allgemeinen.
Der Boden des Kaiserstaates ist grosstentheils gebirgig, denn
iiber 75% der gesammten Oberflache sind Gebirgs- oder Berg-
land ; doch dehnen sich auch weite Ebenen und Thaler aus und
verleihen dem Lande eine grosse Mannigfaltigkeit. Eigentliche Ge-
birgslander, d. h. zumeist mit Gebirgen erfullt, sind Tirol, Salzburg,
Obersteiermark, Oberkarnthen und Siebenbiirgen, in welchen Kron-
landern sich auch die hochaten Berge erheben. — Zwischen der bai-
risch-schwabischen Hochebene und dem lombardisch-venetianischen
Tieflande breitet sich das Al pen land aus, mit vielen Langen- und
Querthalern, aber ohne grossere Ebenen. Im Nordosten des letzteren
erhebt eich das bohmisch-mahrische Randgebirge als eine
Terrasse der Alpen zum norddeutschen Tieflande. Im Osten der
March zieht sich das karpathische Gebirge bogenformig zwi-
echen Mahren, Schlesien, Ungarn, Galizien und der Bukowina zum
siebenburgis chen Hochlande, welches eine Terrasse zum
moldau-walachischen Tieflande bildet. Umschlossen von Alpen- und
Karpathenzweigen ertreckt sieh die grosse ungarische Tiefebene in
*) Die Herzogthiimer Auschwitz (Oswiecim) und Zator in Westgalizien
(36 nMeilen mit 190.000 Einwohnern) gehoren zum deutschen Bnnde. Diese sind
in den Ziffern unter Nr. 12 inbegriffen.
99
fast gleicher Seehohe mit der oberitalischen. Oesterreich gehort so-
mit dem Alpenlande, dem deutschen und ungarischen Mit-
telgebirgs- und dem Tieflande an.
(Siehe die Einzelnheiten im §. 25.)
Von der Gesammtflache der Monarchic entfallen beilaufig 25%
auf die Ebenen , deren grosste in Ungarn, Galizien und im lom-
bardisch-venetianischen Konigreiche vorkommen. Die grosse un-
garische Tiefebene erstreckt sich auf einem Flachenraume von
etwa 1.700 QMeilen von den Karpathen bis zur sudlichen Do-
nau, vom Bakonywalde bis iiber Grosswardein. Zwischem dem Ba-
konywalde, dem karpathischen Hochlande und dem Leitha-Gebirge
dehnt sich die kleine (etwa 160 QMeilen) oder westliche Ebene
aus, welche nach Niederosterreich und Steiermark hineinreicht. —
Die grosse Ebene hat eine durchschnittliche Seehohe von 300', ist
an einigen Stellen ausserst fruchtbar , an anderen eine diirre Haide
oder mit Sumpfen bedeckt, durch welche die Theiss im tragen Laufe
die Wasser fortwalzt; mhunter trifft man selbst auf wahrhaft ode,
mit Flugsand bedeckte Wusten. Zwischen der Donau und Theiss
ist die Kecskemeter-, zwischen der Theiss und Koros die Debre-
cziner Haide mit ihrem ausserordentlichen Reichthum an Soda. In
diesen waldlosen, nur von Hirten und Heerden zerstreut bewohn-
ten Flachen sind Luftspiegelungen (Fata morgana, — Delibab) sehr
haufig. Im sudlichen Theile der Tiefebene , an welche sich die
iiberaus fruchtbare kroatisch-slavonische Ebene anschliesst, gedeiht
das beste Getreide in reichem Masse. — Am Nordabhange der
Karpathen beginnt die galizische Ebene, eigentlich ein von m'as-
sigen Hiigeln durchzogenes, wellenartiges Plateau , an welches sich
die grosse sarmatische Tiefebene anschliesst, die an der Ostsee,
am weissen Meere und am Ural ihre Begrenzung findet. Die gali-
zische, an 900 QMeilen grosse Flache hat theils ausgedehnte Weide-
platze und sehr fruchtbare Gefilde, theils ist sie ode, nur durch
Lehmhiigel, Moraste und tiefere Flussthaler unterbrochen. — Weit
gesegneter und in reicher Fruchtbarkeit breitet sich die beilaufig
400 QMeilen grosse lomb ardisch- ven etianische Tiefebene
zwischen dem Siidabhange der Alpen und dem Po aus, welche nur
durch die getrennten Hiigelgruppen der berici'schen und euganei'-
schen Hiigel (jene bei Vicenza, diese bei Padua), voll flppiger Ve-
getation und mit malerisch zerstreuten Landhausern bedeckt, unter-
brochen ist. Der westliche Theil, reich an Kornfeldern , Maulbeer-
baumen und Weinreben , durch natftrliche uud kunstliche Wasser-
adern reich bewassert, ist im Norden von den anmuthigen Hiigeln der
Brianza begrenzt, an den sudlichen Reisfeldern ist er sumpfig und
Ode. Der ostliche Theil dehnt sich bis zum Isonzo-Thale aus, gleicht
anfanglich der lombardischen Ebene, gegen die Kuste zu iet er je-
doch versumpft, theilweise auch vom Gerolle bedeckt, welches die
stromenden Alpenfliisse absetzen.
Ebenen von geringerer Ausbreitung sind: die fruchtbare us tcrreic hi sche
mit dem Marchfelde uod das Tulnerfeld; — die Welser Haide in Ober-
osterreich; — das Grazer-, Leibnitzer- und Pettauer-Feld in Steiermark; — die
Klagenfurter Ebene mit dem lieblichen, fruchtbaren Larantthale in Earn ten; —
das Laibacher Feld in Krain; — das Innthal in Tirol und das Rheinthal nebst
7*
100
der Flache am Bodensee inVorarlberg; — in Bohmen kommen die gr5ssten
Flachen im Budweiser, Chrudimer und Koniggratzer Kreise vor ; — in M ah r en
die fruchtbare Hanna ; Siebenbiirgen hat keine eigentlichen Ebenen, nur Flachen,
erweiterte Thaler, terrassenfSrmige Formen und kleine Hochebenen (die Klausenbur-
ger nKampia" oder Mezoseg, bei Kronstadt etc.); — der Karstboden Dalmatic ns
hat nur wenige Flachen, wie zwischen der Kerka und Narenta.
Die Zahl der Thaler ist in einem Gebirgslande wie Oesterreich begreiflich
sehr gross. Viele derselben zeichnen sich durch Naturschonheiten aus, in sehr vielen
hat die Industrie ihren Sitz aufgeschlagen ; denn eben die Thaler mit dem Reich-
thnm an Wasserkraften und Heizungsmateriale sind fiir viele Industriezweige von
hochster Bedeutung.
Das Klima. — Der ganze Staat liegt in der gemassigten Zone
und geniesst im AUgemeinen ein mildes, dem vegetabilischen und
animalischen Leben zutragliches Klima, wovon nur die N^ederungen
in Ungarn und Slavonien und die wenigen ubrigen Sumpfgegen-
den eine Ausnahme machen. Die kontinentale Lage, die Ausbrei-
tung gegen Osten , vorziiglich aber der grosse Unterschied in der
Erhebung des Bodens der einzelnen Landestheile der Monarchic
bewirken eine grosse Verschiedenheit in der mittleren Jahrestempe-
ratur *). Der starkste Temperaturwechsel ist in der ungarisehen
Ebene, wo nicht selten die Sommerhitze iiber 30° R., und die Kalte im
Winter gegen 20° R. erreicht. Die Kustenstriche sind im AUgemeinen
geringeren Schwankungen ausgesetzt als die Binnenlander , obwohl
auch hierin etarke Ausnahmen vorkommen.
Trotz dieser vielfachen Verschiedenheiten lassen sich drei
klimatische Regionen unterscheiden :
a) Die sudliche Region (von 42—46° n. Br.) begreift das
lombardisch-venetianischeKonigreich, Siidtirol, das Kiistenland**), den
sudlichen Theil Kroatiens, Slavonien, die Militargrenze, die Wojwo-
dina und ganz Dalmatien. Der Winter ist kurz, mit wenig Schnee
und Eis ; es gedeihen ausser den Getreidearten der Maulbeerbaum,
Reis, Mais, Wein, der Oelbaum, hie und da Sudfriichte;
b) die mittlere, vollkommen gemassigte (von 46 — 49° n. Br.)
umfasst Oesterreich ob und unter der Enns, Salzburg, Steiermark,
Karnthen , Krain , Mittel- und Nordtirol, Siidmahren, Sudbohmen,
Ungarn, die Bukowina und Siebenburgen. Der Winter ist im AU-
gemeinen langer und stronger, es gedeihen Getreide und Mais in
Menge, in einigen Landstrichen sehr gute Wein- und Obstsorten;
c) in der nordlichen Region (uber 49° n. Br.) liegen Boh-
men, Nordmahren, Schlesien und Galizien ; die mittlere Jahrestem-
peratur schliesst — mit sehr geringen Ausnahmen — den Mais-
und Weinbau aus, dagegen ist sie fiir Getreide, Flachs und Hanf
giinstig.
Die Regenmenge ist in den Alpenlandern am grSssten, in Dalmatien,
Istrien und in der ungarischen Ebene am geringsten ; doch wird der Regen hier
einigermassen durch haufigen Thau ersetzt. Im grossten Theile der Monarchie sind
die Herbstregen, — in Tirol, Bohmen und im ungarischen Tieflande die Sommerregen
am zahlreichsten.
*) Mittelwarme in: Cattaro 11.. °, — Venedig 108°, Temesvar .9.2°, —
Wien 8.3°, — Ofen 7.,°, — Gratz 7.,°, — Prag 7.,°, — Olmutz 7S°, — Lemberg
5.,°, — Hohenfnrt in Bohmen 5.2° R. —
**) So hat z. B. Triest bisweilen eine mittlere Hitze wie Neapel und beim
Sturmen der Bora eine Kalte wie Prag, dazu haufig raschen und grossen Tempera-
turwechsel.
101
Von den Win den ist der feuchte West wind in den meisten Kronlandern
vorherrschend, auf den lombardisch-venetianischen Flachen der No rd wind. Hier,
sowie in Tirol, Istrien, Triest weht aucb der Sirocco (=» FOhn oder „ warmer
Wind"), welcher insbesondere im Friihlinge den Schnee auf den Alpen schmilzt und
hierdurch Ofter Lawinensturze und Ueberschwemmungen verursacht. Im Kustenlande,
namentlich auf dem Karst-Plateau, sturmt besonders in den ersten Monaten des
Jahres die Bora (Nordostwind, slawisch: burja) mit angeheuerer Wuth und wird
der Schiffabrt sehr hinderlich und gefahrlich.
Die wenigsten Ge witter sind in Niederosterreich, ihre Zahl und Heftigkeit
nimmt gegen den Suden zu ; die haufigsten ereignen sich in der italienischen Ebene,
in den hohen Alpen- und Karpathengegenden; beruchtigt, zahlreich und hagelschwer
sind auch die Ge witter des Bohmerwaldes. Der Ha gel richtet im Mailandischen,
in Tirol, Sudsteiermark und Unterkrain verhaltnissmassig die meisten Verheerun-
gen an.
§. 76. Gewasser.
A. Das Meer.
Das adriatische Meer bespiilt auf einer Lange von 255 Mei-
len die vielfach gegliederte osterreichische Kuste von der Po-Mun-
dung bis zur albanesischen Grenze uud zwar die Kronlander Vene-
dig, das Kiistenland (Gorzer Gebiet, Triest, Istrien), das kroatische
Kiistenland, die kroatische Militargrenze und Dalmatien. Die vene-
tianische Kiiste (23 Meilen lang) ist flach, nieder; vor den Miin-
dungen "der italienischen Fliisse haben sich Banke von Sand und
Schlamm gelagert, eine Reihe schmaler Diinen (Lidi) trennt die all-
mahlich in Siimpfe tibergehenden Lagunen vom offenen Meere; die
illirische (von Aquileja bis Fiume, iiber 60 M. lang) ist steiler,
zum Theile felsig und die vielen Einschnitte und Buchten bilden na-
tiirliche, sichere Hafen ; — die kroatische (von Fiume bis siid-
lich von Carlopago, 19 Meilen lang) ist ebenfalls felsig, aber min-
der zuganglich als die frtihere; — die dalmatinische (iiber 152
Meilen lang) ist theils sehr steil und zerrissen, theils ganzlich un-
zuganglich; dagegen bilden die vielen dalmatinischen Inseln in ihren
Buchten treffliche Ankerplatze. — Die geringste Tiefe hat das
Adria-Meer bei der Po-Mundung, die grosste an der Dalmatiner-
Kiiste (bei Meleda iiber 2800'); — an der Westkuste ist der Mee-
resgrund wegen der vielen einmiindenden Alpenfliisse lehmig oder
sandig, an der Ostkiiste steinig, mitunter mit Korallenstammen be-
legt. Ebbe und Fluth sind in der Regel nicht bedeutend; die Stro-
mung an der Dalmatiner-Kiiste ist nord warts, an der Venetianer
siidwarts, wird jedoch haufig durch die Hauptwinde (Sirocco und
Bora) abgelenkt, welche im Spatherbst und Winter nicht selten be-
deutende Stiirme, insbesondere im Suden der Istrianer-Kuste (Cap
Promontore) und im Quarnero erregen. Die Ostkiiste hat einen gros-
seren Salzgehalt als die Westkuste; im Ganzen hat dieses Meer
eine grossere Menge an salzigen Bestandtheilen als der Ocean, da-
her verhaltnissmasig eine grosse Tragfahigkeit. Die grossten Golfe
sind jene von Venedig, Triest, Fiume (Quarnero) und die bocche
di Cattaro mit einer grossen Zahl von sicheren Buchten.
Das adriatische Meer vermittelt den Verkehr theils zwischen den Oster-
reichischen Seehafen, theils mit dem Auslande. Seine Bedeutnng ist durch die
mittels der Siidbahn hergestellte direkte Verbindnng mit der Resident und den in-
dustriellen Hinterlandern fiir Oesterreich noch gestcigert worden. Die bedeutenderen
Hafen sind: an der venetianischen Kiiste Malamocco, Treporti und Lido,
102
welche in den Freihafen von Venedig fuhren. Zur Vermittlung des Verkehrs sind
die Lagnnen von zahlreichen Kanalen durchschnitten und gegen die Brandung des
Meeres mittels grossartiger Felsendamme (Murazzi) geschutzt. Zu der illyrischen
Kuste gehort die Bucht von Triest, dann jene von Capod'Istria, Pirano,
Rovigno, der ausgezeichnete Kriegshafen Pola; an der Ostkiiste Istriens die Hafen
von Raba£ (bei Albona) und Volosca. Unter den 30 Quarnerischen Inseln haben
Veglia, Cherso, Ossero nnd Lussin piccolo tiefe geraumige Hafen, von
denen der letzte in jungster Zeit einen sebr scbwunghaften Verkehr entfaltet bat.
Die kroatische Kuste hat die Hafen von Fiume, Biiccari, Portore, Zengg
und Carlopago. Die Ostkuste gewabrt der Schiffahrt viele Vortheile, welche von
den Seefahrern benutzt werden, indem sie den Weg aus dem Mittellandischen Meere
nach Triest vorzngsweise langs derselben einschlagen. Die bedeutenderen Hafen an
dieser Kuste sind: Zara, Trail, Spalato, Almissa, Macarsca, Kagusa,
Cattaro.
Der Reprasentant des 5sterreichischen Verkehrs auf dem adriatischen Meera
ist der osterreichische Lloyd in Triest. Er unterhalt regelmassige Verbin-
dnngen mit Venedig, Ancona, den dalmatinischen Hafen, den jonischen Inseln, mit
Griechenland, Egypten und der Turkei, nnd dehnt seine Fahrten nach den Hafen
des schwarzen Meeres und der unteren Donau aus. Nachst Triest sind auch Venedig,
Fiume und die sebr zahlreichen grossen und kleinen dalmatinischen und istrianischen
Kustenfahrer fur den osterreichischen Verkehr von Bedeutung.
B. Gewasser des Festlandes.
Das Flussgeader Oesterreichs scheidet sich nach mehreren
Abdachungen. Der Grenzfluss Rhein und die Elbe fliessen mit
ihren Nebengewassern zur Nordsee, die Oder und Weichsel zur
Ostsee, der Po und die Etsch nebst mehreren Kustenfliissen
zum adriatischen, die Donau und der Dnjestr zum schwarzen
Meer. Mit Ausnahme von Istrien , welches selbst an Kiistenflussen
arm ist , erfreuen sich alle ubrigen Kronlander (einzelne Distrikte
von Krain, Dalmatien und Militar-Kroatien abgerechnet) einer ent-
sprechenden Zahl von fliessenden Gewassern , welche der Binnen-
schiffahrt eine Ausdehnung von uber 1150 Meilen schiff- und flosg-
barer Fltisse bieten. Der Procentenantheil an dem gesammten Fla-
cheninhalte der Monarchic stellt sich bei der Donau auf 65.9 , bei
der Elbe auf 8.4 , — bei der Weichsel auf 6.0 , — beim Dnjestr
auf 4.9, — beim Po auf 3.6 — und bei der Etsch auf 2.2 heraus;
— alle ubrigen Flusse, auf deren Gebiet zusammen nur 9% der
Gesammtflache entfallen, konnen somit nur eine lokale Bedeutsam-
keit haben.
Die schiffbaren Gewasser werden von Ruder- oder von Dampfschiffen befahren.
Der lebhafteste Verkehr zu Wasser ist im lombardisch-venetianischen Kronlande, in
Ungarn, Bohmen, Ober- und NiederSsterreich. Dampfschiffe beiahren die Donau (auf
181 Meilen), die Theiss (148 M.), die Save (87 M.), die Drave (4 M.;, die Weichsel
(36 M.), die Elbe (14 M.), den San (26 M.), den Po (55 M.).
(Die einzelnen Flusse siehe im §. 43.)
Die Landseen sind nicht bloss ein Schmuck der Landschafr,
sie sind auch wegen ihrer vielfach unmittelbaren Verbindung mit
Flussen, von denen sie gespeist werden, oder welche in diesen ihren
Ursprung nehmen, von Bedeutung fur den Verkehr und die Kultur-
verhaltnisse der anliegenden Landschaften. Die meisten osterreichi-
schen Seen sind Fluss-Seen, denn nur der Neusiedler-See hat (mit
Ausnahme des Sumpfes Hansag) keinen sichtbaren Abfluss. Die
grosste Zahl der Seen findet man an der Nord- und Siidseite
der Alpen, denn im Lombardisch-Venetianischen zahlt man deren
103
fiber 40 , eben so viel in Tirol, in Oesterreich mit Salzburg sogar
iiber 100. Auch in den Karpathen sind zahlreiche Gebirgs-Seen
(,,Meeraugen")j; die grossten Seen sind im ungarischen Tieflande;
die Lander des bohmisch-mahrischen Gebirgssystems haben dage-
gen keine bedeutenden Seen. Mehrere Seen (Garda-, Traun-, Wor-
ther- und Platten-See) werden mit DampfschifTen befahren; dage-
gen sind auf dem vollstandig freigegebenen Bodensee noch keine
osterreichischen Schiffe *). Zu den bedeutendsten im Kaiserstaate
gehoren:
a) Am Sudabhange der Alp en (im Flussgebiete des Po)
ist der Garda-See, dessen Zufluss die Sarca , der Abfluss der
Mincio ist.
b) Am Nordabhange der Alpen:
1. Im Flussgebiete des Rhein ist der Bodensee, in jenem
der Donau sind in Tirol der Achensee (bei Schwatz) und der
PI an see (bei Reutte), welcher mittels eines Kanals mit dem Hin-
terwangsee verbunden ist und seinen Abfluss in den Lech hat.
2. Die Seen in Salzburg und Oberosterreich zeichnen
sich zumeist durch ihre malerische Lage und Umgebung aus. Er-
stere sind durchgehends klein (Wolgang-, Fuschel-, Waller- und
Trummer-See), letztere gehoren grossentheils zum Flussgebiete der
Traun, in deren Quellengebiete an zwolf grossere und kleinere
liegen. Auf ihrem Laufe durch Oesterreich bildet sie den Ha li-
st ad ter- und den Traun- (oder Gmundner-) See, wahrend durch
Zufliisse der Atter-, der Mond-, der Aber- und Aim-See nebst neun-
zehn kleineren mit ihr in Verbindung stehen.
3. Im Flussgebiete der Drave liegen der Worther- (Kla-
genfurter-) , Ossiacher- und Mil Istadter-See in Karnten.
4. In Krain sind der naturwissenschaftlich interessante Zirk-
n i z - See, dessen Wasser haufig in den Sauglochern des zerkliifte-
ten Kalkbodens abfliesst , worauf einzelne Theile des Bettes zum
Feldbau beniitzt werden; — dann die wegen der pittoresken Lage
bekannten Seen im Quellengebiete der Save (Veldeser-, Wohei-
ner-, Wurzner-See).
5. Einen ahnlichen unterirdischen Abfluss in die Hohlen des
Kalksteines haben der Cepicer-See (in Istrien) und mehrere
kleinere in der kroatischen Militargrenze und in Dalmatien , von
denen einige im Sommer angebaut werden konnen. Der Vr ana-
See (bei Zara) hat etwas salziges Wasser.
6. Im ungarischen Tieflande ist der Flatten- (Balaton-)
See, mit den Siimpfen an 18 QMeilen gross, doch wegen des un-
ruhigen Wassers minder zur Schiffahrt geeignet. Seinen Zufluss er-
halt er hauptsachlich durch die Szala, sein Abfluss ist durch die
Sumpfe in den Sio und die Sarviz in die Donau. — Auch der
(ohne den Sumpf Hansag) etwa 7 QMeilen grosse Neusiedler-
See ist wegen der meist geringen Tiefe und des haufigen Rohr-
wuchses wenig fiir die Schiffahrt geeignet; sein Wasser hat einen
*) Der Betrieb der Dampfschiffahrt auf den Landseen und FlUssen ist in Oesterreich
durch das Gesetz vom 4. Januar 1855 geregelt worden.
unangenehmen Salzgehalt. Salzhaltig ist auch der Palitser-See
(bei Theresiopel). Die meisten der ubrigen sogenannteu ,,Seen" in
Ungarn sind nur Sumpfe.
7. Zahlreich sind die durch das Anschwellen der Fliisse in der
galizischen Ebene und an den Abhangen der Karpathen sich
bildenden kleinen Seen, sowie die GeHrgs-Seen der Karpathen. In
Siebenbiirgen sind der St. Ann en- See, der wahrscheinlich mit
der Aluta in Verbindung steht, dann der wegen der Ausstromung
von kohlensaurem Gas bekannte Piriczker- und der fischreiche
H o d o s - See bemerkens werth.
Teiche. In den Landern des bohmisch-mahrischen Gebirgs-
systems kommen keine bemerkens werthen Seen vor, dagegen kommt
die grosste Menge der in Oesterreich zahlreichen Teiche auf Bob-
men. Einige von diesen werden durch atmospharischen Niederschlag
gebildet und heissen ,,Himmelsteiche," andere sind kiinstlich ange-
legt und werden theils zur Ableitung von Siimpfen, theils zur Ver-
edlung und Hebung der Fischerei oder zum Fabriksbetriebe be-
niitzt. Die ausgebreitetste Teichwirthschaft wird im siidlichen Boh-
men vbetrieben. Die grossten Teiche sind der Rosenberger- und
der Ceperka-Teich (jeder iiber 1100 Joch a 1600 Q°). Auch in
Mahren, Schlesien, Galizien und Ungarn kommen Teiche vor; doch
wird der grb'ssere Theil ihres ehemaligen Flachenraumes gegenwar-
tig zum Ackerbau verwendet.
Sumpfe. An 200 n^eilen der Bodenflache sind in Oester-
reich mit Siimpfen bedeckt, welche theils durch Gebirgswasser ent-
stehen , die bei starkem Gefalle rasch in die Thalniederung treten ;
theils erscheinen sie als eine Uebergangsperiode in dem Phanomen
der ausgedehnten Wasserbedeckung, indem durch die fortwahrende
Abnahme der Wasserhohe Seen zu Siimpfen werden. Beide Arten
finden wir in unserem Vaterlande, zumeist in der ungarischen
Tiefebene, welche schon ihres fetten Thonbodens wegen zur
Sumpfbildung mehr geeignet ist, und dann bei ihrer sehr geringen
vertikalen Erhebung die zahlreich ihr zustromenden Gewasser nicht
rasch genug vorwarts walzen kann. Desshalb bilden fast alle Fliisse
des ungarischen Tieflandes Ufersumpfe, insbesondere die Theiss, die
untere Donau , die Save, Drave , Kulpa, Temea und Koros, Die
grossten darunter sind die morastigen Wiesen (Sarret) von grosser
Ausdehnung in den Komitaten Bihar, Szabolcs, und Bekes, der
Eseder-Sumpf (in Szatmar) und der bereits erwahnte Hansdg am
Neusiedler-See.
Auch in der galizischen Tiefebene finden sich an den Ufern
der Weichsel, des San, Bug und Dnjestr an 30 QMeilen Sumpf-
land; ferner an der March, in den Niederungen der lombardisch-
venetianischen Ebene, in der Tiefebene der Narenta u. s. w. Klei-
nere, meist hochgelegene Sumpfstrecken findet man in Salzburg im
Pinzgau, in Bohmen auf seinen Randgebirgen, in Schlesien im Ge-
senke, in Steiermark am Bacher, andere in Karnten, Krain, Kroa-
tien, Siebenburgen (der verrufene Hollenmorast) u, s. w.
Die Siimpfe gewahren einen Nutzen durch ihre Mengen an
Rohr, Wasservogeln , Fischen oder Bitterealz; dagegen sind ihre
105
Ausdunstungen der Geeundheit nachtheilig und ein namhafter
Theil der Bodenflache wird der Produktion entweder ganzlich ent-
zogen oder ist hochstens einer sehr ungenugenden, unregelmassigen
Bebauung zuganglich. Die Torfgriinde liefern in einigen Gegenden
ein fortwahrend mehr beniitztes Brennmaterial.
§. 77. Fortsetzung.
Kanale. Im Verhaltnisse zu den zahlreichen naturlichen
Wasserstrassen kann jene der kunstlichen — Kanale — nur
eine geringe in Oesterreich genannt werden; denn die L'ange der
gesaminten kunstlichen Binnenschiffahrt betragt etwa nur 111 Mei-
len. Auf 109 QMeilen der Gesammtflache Oesterreichs entfallt
somit nur Eine Meile Kanal, und das Verhaltniss der kunst-
lichen Wasserstrassen zu den naturlichen ist 1 : 10. Dem Kanalbau
geht allerdings naturgemass die Erweiterung der Schiffbarkeit der
Fliisse, die Regelung des Fahrwassers voraus. Dadurch werden
einerseits die Verheerungen und Ueberschwemmungen vermindert,
anderseits werden der Kultur und der Ansiedlung neue Strecken
gewonnen und die Wasserstrasse, das wohlfeilste*) Kommu-
nikationsmittel, wird verlangert und vervollkommt.
Nur drei Kronlander haben kiinstliche Wasserstrassen : das
lombardisch-venetianische Konigreich, Niederosterreich und Ungarn.
In grosserer Zahl und in zweckmassiger Durchfiihrung haben deren
fast nur die italienischen Provinzen des Kaiserstaates. Im Vene-
tianischen stellt der Tartaro mit dem Canal bianco, dem
Canal Adi get to und jenem von Legnago eine Verbindung des
unteren Po mit der Etsch her, welche durch den Canal di Valle
mit der Brenta verbunden ist. — Nieder- Oesterreich hat den
Wien-Neustadter-Kanal; die Wojwodschaft den Fran-
zens-Kanal, welcher mitten durch die fruchtbare Bacska ge-
schnitten die Donau mit der Theiss verbindet, und den Bega- Ka-
nal, Avelcher die Bega schiffbar macht; — Ungarn den Sarviz-
Kanal zur Entwasserung des Sumpfbodens zwischen Stuhlweissen-
burg und Szekszard, und den Al b rech t-Kar asicza-Kanal zu
gleichen Zwecken in der Baranya.
Mineralquellen. Oesterreich ist sehr reich an den verschie-
denartigsten Heilquellen (besonders in Bohmen und Ungarn) , und
kein Staat in Europa steht in dieser Beziehung unserem Vater-
lande gleich.
Die wichtigsten sind:
1. Echte Sauerlinge zu Karlsbad, Bilin und Giesshubel
(Bohmen), Luhatschowitz (Mahren), Rohitsch und Gleichenberg
(Steiermark), Probel (Karnten), Bartfeld (Ungarn);
2. alkalische Sauerlinge zu Gastein (Salzburg), Fella-
thai (Karnten), Teplitz (Krain), Marienbad und Teplitz (Bohmen);
3. Eisen-Sauerlinge zu Franzensbrunn und Liebwerda
(Bohmen), Freudenthal (Schlesien), Recoaro (im Venetianischen) ;
4. Soolen zu Hall (Tirol), Wieliczka (Galizien), — die See-
b'ader in Triest und Venedig;
*) Eg kostete z. B. die Seefracht fur den Reis von Indien bis Triest weniger,
als die frtihere Landfracht per Achse von Triest nach Laibach.
_106_
5. Jod-Quelle zu Hall (Oberosterreich) ;
6. Bitter wasser zu Seidschitz, Sedlitz und Piillna (Boh-
men), Gran und Fiired (Ungarn), Iwonicz (Galizien);
7. Schwefelquellen zu Baden und Pirawart (Niederoster-
reich), Teplitz (Kroatien), Pistjan und Ofen (Ungarn), Mehadia
(Militargrenze), Monfalcone (Gorz), Abano (iin Venetianischen).
§. 78. Bevolkerung.
Die drei Hauptvolker Europa's : Deutsche, Slawen und
R o m a n e n , vertheilen sich in den Gebirgslandern der Monarchie,
wahrend der asiatische Volksstamm der Magyaren das Flachland
der mittleren Donau bewohnt.
In Hauptrnassen genommen gehoren die Nordabhange der Al-
pen, dann die Gebirgsstrecken des Bohmerwaldes, des Erz-, Riesen*
und Sudetengebirges den Deutschen an, die auch in zahlreichen
Inseln langs der Donau und an beiden Seiten der Karpathen weit
nach Osten eich ausdehnen ; wahrend die Sudabhange der Alpen im
Siidwesten von West-Romanen (Italienern, Ladinern und Fri-
aulern oder Furlanern), im Siidosten von Siid-Slawen (Slowe-
nen, Kroaten und Screen) bewohnt sind, — und in den Gebieten
der Sudeten und Karpathen die Wohnstatten der Nord- Slawen
(Cechen, Mahrer, Slowaken, Polen und Ruthenen), in den ostlichen
Karpathen aber jene der Ost-Romanen (Walachen und Mol-
dauer) aufgeschlagen sind, — die Magyaren fiber die pannonische
Ebene sich verbreiten, und die kleineren Stamme der Juden, Ar-
menier und Zigeuner sich fast allenthalben hin eporadisch verbreiten.
Die Bevolkerung vertheilt sich annaherungsweise in :
7,870.000 Deutsche (7,450.000 Ober- und 245.000 Nieder-Deutsche);
14,800.000 Slawen (10,850.000 Nord- und 3,950.000 Sud-Slawen);
4,900.000 Roman en (2,450.000 walscher Stamm, — 2,450.000
Roman en);
5,960.000 asiatische Stamme (4,860.000 Magyaren, 16.000 Ar-
menier, iiber 1 Million Juden, 84.000 Zigeuner).
Die jahrliche Zunahme der Bevolkerung betragt im Mittel fast 1°/0 (0.?98°/0)
und ist im Osten und Norden bedeutender als im Westen und Suden, die geringste
ist in den Alpenlandern. Vom Jahre 1818 bis Ende 1854 zeigt sich eine Zunahme vou
uber 9,200.000 Einwohnern. Gegenwartig belauft sich die Bewohnerzahl auf mehr als
35 Millionen Seelen, wornach durchschnittlich 2935 Bewohner auf 1 QMeile kommen.
Die uberwiegende Mehrzahl der Bewohner Oesterreichs — iiber
23,000.000 — bekennt sich zur romisch-kath olischen Kirche ;
zur griechischen Religion gehoren 6 l/z Million (davon etwa 3/5
unirte und % nicht unirte), welche hauptsachlich Galizien, Ungarn,
Siebenbiirgen und die Militargrenze bewohnen. Die Zahl der Pro-
testanten betragt etwas iiber 3 Millionen (zumeist in Ungarn);
ferner leben in Oesterreich Unitarier und andere christliche Sek-
ten, und iiber 1 Million Israeliten.
§. 79. Kalturverhaitnisse im Allgemeinen.
Oesterreich ist mit den mannigfaltigsten Ppodukten aus den
drei Reichen der Natur reichlich ausgestattet. Der Boden gehort
zu dem fruchtbarsten in Europa, obwohl hierin vielfache Abstufungen
107
unter den einzelnen Kronlandern vorkommen, welche von deren
horizontaler Lage, der Seehohe, der Temperatur, der Menge des
Niederschlages u. s. f. abhangen. Von der Gesammtflache der Mon-
archie entfallen an 86% auf produktiven Boden, welcher alle we-
sentlichen Erhaltungsmittel der Bevolkerung bietet. Wahrend die
ungarischen und italienischen Lander, Bohmen , Mahren und Gali-
zien gleichsam die Kornkaramern bilden ; sind Tirol, Salzburg und
Oberosterreich zur Viehzucht besonders geeignet ; die Alpen- und
Karpathengegenden sind reich an Salz und Erzen. Die Grundlage
des Nationalreichthums liegt im Kaiserstaate sonach in den Ergeb-
nissen der Bodenbenatzung. Die Land wirthschaf t, welche theils
ausschliessend, theils vorwiegend an 29 Millionen Bewohner beschaf-
tigt , ist wohl die erste Erwerbsquelle. Kann auch der durchschnitt-
liche Werth der jahrlichen Bodenerzeugnisse mit 1700 Millionen
Gulden veranschlagt werden, so ist die physische Kultur im
Allgerreinen in Oesterreich doch noch nicht so hoch, als sie bei der
natiirlichen Beschaffenheit und dem Produktenreichthum sein konnte.
Einige Kronlander, wie Bohmen, Mahren, Niederosterreich, Venedig
u. a. konnen den physisch kultivirtesten Landern an die Seite ge-
stellt werden; hingegen stehen die ostlichen Kronlander noch viel-
fach zuriick. An Mannigfaltigkeit der Produkte des Mineral-
reiches wird es von keinem europaischen Staate iibertroffen; es
fehlt ausser Platina keines der nutzbaren Metalle, namentlich wird
Eisen von vorziiglicher Gute (in Steiermark, Karnten u. s w.) ge-
wonnen. An brennbaren Fossilien ist ein ausserordentlicher Reich-
thum, und an Salz gewinnt es weit iiber den Bedarf.
Der grosse Reichthum an mannigfaltigen Rohstoffen , die vie-
len Wasserkrafte und das grosse Absatzgebiet sowohl im Inneren
des Staates als auch in den benacbbarten siidlichen und ostlichen
Landern riefen in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Industrie und
des Handels viele schlummernde Kr'afte wach; es entfaltete sich eine
vielseitige Thatigkeit, die in steter Zunahme begriffen ist und welche
durch zeitgemaase Reformen in der Gesetzgebung wesentlich unter-
stutzt und gefordert wurde. Die jugendliche Industrie Oesterreichs
als Ganzes hat bereits eine weit hohere Stufe der Vollkommen-
heit erreicht, als die Landwirthschaft und der Bergbau; in einigen
Zweigen steht sie sogar unerreicht da. Die technische Kultur
weiset demnach ein mehrfach erfreuliches Bild. Allerdings herrscht
bei der grossen Ausdehnung des Reiches und den Abstufungen in
der geistigen Bildung und den gesellschaftlichen Zustanden der yer-
schiedenen Volksstamme des Reiches eine grosse Verschiedenheit in
den einzelnen Kronlandern, Wahrend in Bohmen, Mahren, Schlesien,
Niederosterreich und Vorarlberg das Fabriks- und Manufakturwesen
sehr bliihend ist; sind inGalizien, der Bukowina, Ungarn, derWoj-
wodschaft und Siebenburgen grussere Unternehmungen seltener, doch
gewohnliche Handwerker in geniigender Anzahl yorhanden ; aber in
Kroatien, Slawonien, Dalmatien und der Militargrenze kommen
selbst die letzteren kaum hinreichend vor. Den Glanzpunkt der
vaterlandischen Industrie bilden Leinen-, Tuch-, Seiden-, Gold-,
Silber-, Eisen-, Glas- und Spiegelwaaren. Zahlreiche geistige und
108
materielle Forderungsmittel sind fortwahrend thatig, die b'sterreichische
Industrie auf den ihr gebiihrenden Standpunkt zu heben. Der Werth
der Industrie-Erzeugnisse ist auf 1000 — 1200 Millionen Gulden zu
schatzen, wovon */fl auf Bohmen, J/T auf Niederosterreich und Wien ;
auf Mahren mit Schlesien l/lo entfallen; Dalmatien und die Militar-
grenze haben daran den geringsten Theil. Die Industrie beschaftigt
— (mit Einschluss der Familienglieder und jener, die noch eine
,,landwirthschaftliche Nebenbeschaftigung" haben) — etwa 25% der
Gesammtbevolkerung.
Der Handel Oesterreichs ist gleichfalls ansehnlich und zwar
sowohl der Verkehr zwischen den einzelnen Kronlandern als mit
dem Auslande; er wird durch die Lage der Monarchic in hohem
Grade begiinstigt. Die Urproduktion, der Gewerbefleiss , die Be-
triebsamkeit, Ausdauer und Bildung der Bewohner sind Grundlagen
fiir die wachsende Bluthe des kommerziellen Lebens.
Die Stufe der geistigen Kultur, auf welcher die einzel-
nen Volksstamme Oesterreichs stehen, ist ebenfalls sehr verschieden.
Tragen die Deutschen im Allgemeinen auch hier das Geprage
ihres geachteten Stammes an sich ; so bieten doch die einzelnen
,,deutschen Kronlander" vielfache Abstufungen in dem ,,deutschen
Charakter" dar, obvvohl die hervorragendsten Lichtpunkte nirgends
ganz verdunkelt werden. Sie sind in vielfacher Beziehung die Tra-
ger der Wissenschaft und des geistigen Lebens in Oesterreich. Noch
verschiedener als die Deutschen gestaltenv sich die slawischen
S tarn me Oesterreichs, unter denen die Cechen den ersten Rang
einnehmen ; das andere Extrem bilden die Morlaken in Dalma-
tien und die Ruthenen. Regsamer und entwickelter sind die
Kr oaten und Slow en en. Die im Allgemeinen reich begabten
Slo waken bilden sprachlich das Uebergangsglied zwischen Ost-
und West - Slawen , ihren Erwerb suchen sie vielfach im Handel.
Unter den Polen findet man die Unterschiede zwischen ,,Adel"
und ,,Volk" ziemlich stark; ersterer gilt haufig als der ,,Franzose
des Nordens," da sich viel von franzosicher Lebhaftigkeit und den
feinen ausseren Formen vorfindet; das Landvolk steht verhaltniss-
massig noch weit in der Kultur und Bildung zuriick. Die Serben,
die kraftvollsten, aber auch die rohesten und wildesten unter den
Slawen, zeichnen sich durch ungewohnliche Tapferkeit aus, auch
ist der Reichthum ihrer Volkspoesie im Auslande weit bekannt.
Der Volkscharakter des Italieners mit seinen vielen Licht- und
Schattenseiten, seiner Beweglichkeit und Leidenschaftlichkeit, seiner
reichen geistigen Begabung und grossen Empfanglichkeit fiir die
Kiinste, dabei nicht selten hinterlistig, rachsuchtig — ist vielfach
bekannt. Der stolze, offene, tapfere Magyare hat im Ganzen die
Ritterlichkeit des Charakters seiner Voraltern treu bewahrt, die
reiche geistige Begabung ist jedoch haufig nicht hinreichend ent-
wickelt; in neuerer Zeit sind iibrigens in der Volksbildung durch
Errichtung zahlreicher Lehrans taken grosse Fortschritte gemacht
worden. Die R o m a n e n (Rumunen), welche die Grundbevolkerung
in Siebenbiirgen bilden, stehen ihren benachbarten Magyaren und
Sachsen in der Kultur weit zuruck. Von den kleineren Stammen
109
des vielsprachigen Oesterreich lassen sich bezeichnende Charakte-
ristiken schwieriger geben, auch verschwinden nach und nach so
viele Eigenthumlichkeiten. Am tiefsten steht der rohe, arbeitescheue
aber schlaue und gewandte Zigeuner, der vielfach noch Nomade ist.
Gelingt es, ihn standig anzusiedeln, so befasst er sich mit dem
Schmiedehandwerk und der Goldwascherei. — In Oesterreich findet
man sonach alle Abstufungen der Kulturverhaltnisse vom Nomaden-
leben bis zum Standpunkte der hochsten Civilisation. Die Mannig-
faltigkeit der Bevolkerung hinsichtlich ihrer Abstammung und
Sprache wird unter den europaischen Staaten nur von Russland
iibertroffen ; — sie ist ahnlich der Mannigfaltigkeit der Bodenver-
haltnisse. — Es sind jedoch keine schroffen Gegensatze, die sich
gegeniiber stehen; die Schattirungen im Volksleben, in Sitte, Tracht,
Beschaftigung greifen in einander und dies urn so rascher, je mehr
die Begriffe von Entfernung und Zeit bei den grossen Erfindungen
der Neuzeit verschwinden. Bleibt auch der Typus des Stammes
und seine Sprache aufrecht; in der Beschaftigungsart, im Gange
der geistigen und technischen Kultur vereinigt sich das gesammte
osterreichische Volksleben zu Einem zwar bunten aber harmonisch
geordneten Volksbilde.
Dass fur die Hebung der geistigen Kultur des osterreichischen
Volkes in neuerer Zeit viel geschehen, bedarf kaum der Erwahnung.
Im gesammten Unterrichtswesen sind zeitgemasse Reformen einge-
fiihrt worden. Die Vermehrung und Hebung der Volksschulen, die
Errichtung zahlreicher Real- und Spezialschulen, die Organisirung
der gelehrten Mittel- und Hochschulen bekunden laut den entschie-
denen Fortschritt, dessen wohlthatige Folgen auch vielfaoh schon
bemerkbar sind. Insbesondere werden — vom industriellen und
kommerziellen Standpunkte aus betrachtet — die vielen Real-, Spe-
zial- nnd technischen Lehranstalten nicht verfehlen, auf die gesamm-
ten Kulturverhaltnisse der Bewohner entscheidend gunstig einzuwir-
ken. Wissenschaft und Kiinste sind im Aufbliihen, Gelehrte und
Kunetler ersten Ranges reprasentiren unser Vaterland in wiirdiger
Weise gegeniiber dem Auslande; kurz — in alien Zweigen der
physischen, technischen und geistigen Kultur erblicken wir die
,,Neugestaltung Oest e rr eichs."
B. Die einzelnen Bestandtheile der Monarchic.
§. §0. Das Erzherzogthom Oesterreich nnter der Enns.
(Nieder- Oesterreich.)
360 DM. ; 1,681.700 (relativ 4669) Einwohner. — Mit Ausnahme der Residenz
(mit etwa 12.000 Protestanten, 1000 Griechen und 6000 Israeliten) fast durchgehends
Katholiken; — nach der Nationalitat (mit Ausnahme der Residenz) Dentsche. —
Grenzen: im N. Mahren, Bohmen, — im W. Oesterreich ob der Enns, im £
Steiermark, im 0. Ungarn.
Der Boden. Sudlich von der Donau ziehen Theile der no'rd-
lichen Kalkalpen, welche aus Ober-Oesterreich und Steiermark her-
iiberstreichen ; im Sudosten tritt die letzte Bergreihe der Central-
alpen ( Wechsel) in das Land ; nordlich von der Donau ziehen Aus-
laufer des bdhmisch-mahrischen Gebirges (der Manhartsberg)* Die
110
grosste Ebene enthalt das Wiener Becken an beiden Ufern der
Donau. Am linken Donau-Ufer bis zu den kleinen Karpathen liegt
das fruchtbare Marchfeld, am rechten das Wiener Becken im enge-
ren Sinne, eine anmuthige, fruchtbare Landschaft; dann das Neu-
stadter Steinfeld. Die nachstgrosse Ebene ist das Tulnerfeld.
Die Donau, der Hauptfluss des Landes, nimmt
_
fast alle Gewasser des Landes auf, deren bedeutendste ihr am rech-
ten Ufer zufliessen (Enns, Ybbs, Erlaf, Bielach, Traisen, Schwe-
chat, Fischa, Leitha); am linken die Krems, Kamp und die March
(mit der Thaya). Schiffbar sind nur die Enns und March, die
iibrigen sind theils fiir die Holztriftung, theils fur industrielle Zwecke
von Bedeutung. Das starke Gefalle der Alpengewasser bietet der
Industrie bedeutende Wasserkrafte, welche von den vielen Hammer-
werken und Milhlen auch sehr gut benutzt werden. — Der Wien-
Neustadter-Kanal (im Jahre 1803 eroffnet) fur Schiffe mit
5 — 800 Zentnern Last, dient hauptsachlich fiir den Transport von
Brenn- und Baumaterialien.
Politische Eintheilung. Der k. k. n. 6. Statthalterei unterstehen die
Bezirksamter. Die Landes- zugleich Reichshaupt- und Residenzstadt des Kaisers ist
Wien (gegenwartig liber 500.000 Einwohner), die grOsste, bevolkerteste, in alien
Zweigen der technischen nnd geistigen Kultur die bedeutendste Stadt der Monarchic.
Die Stadt mit ihren 34 Vorstadten hat einen Flacheninhalt von l.ot QMeilen und an
9000 Hauser. Sie ist der Sitz der hGchsten Reicbsbehorden und eines Erzbischofes.
Zu den vorziiglichsten Gebauden gehoren: die kaiserliche Burg, das Belvedere, das
Arsenal, mehrere offentliche und Privatpalaste ; — die im gothischen Style erbaute
Metropolitankirche zu St. Stephan (Thurm 435'), die Karlskirche, die Kirche zu Maria
Stiegen, die Kapnzinerkirche mit der kaiserlichen Gruft u. v. a. Beruhmt sind die
grossen kais. Hofsammlungen : Hofbibliothek, Naturalien-, Munz-, Antikenkabinet,
Schatzkammer, Gemalde-Gallerie, Ambraser-Sammlung und einige Monumente. Staats-
anstalten sind : Akademie der Wissenschaften, Universitat, polytechnisches Institut,
orientalische Akademie, 4 Gymnasien, Realscfculen u.'s. w., auch die Stadt errichtete
mehrere Realschulen. Privatanstalten: Handels-Akademie, mehrere Handelsscbnlen und
Privatinstitute. Fiir Handel und Industrie sind wichtig: die Nationalbank, die
Creditanstalt, die n. 6. Escompteanstalt, die Immobiliengesellschaft, die Geld- und die
WaarenbOrse, die Sparkasse, mehrere Assekuranzgesellschaften (Anker, Austria, PhSnix,
Vindobona, wechselseitigeVersicherungsgesellschaft); die Handels- und Gewerbekammer,
die Gewerbeschulen, der n. 6. Gewerbeverein, die Landwirthschafts-Gesellschaft, 'der In-
genieurverein. Zahlreich sind die Sanitats- und Wohhhatigkeitsanstalten. Wien ist der
Knotenpunkt des Reichsstrassennetzes. Von hier laufen folgende Eisenbahnen aus : die
Nordbahn an die preussische Grenze; die Siidbahn nach Triest und Italien ; die Raaber-
bahn ; die Westbahn nach Salzburg; zwischen den ersteren zwei besteht eine BVerbin-
dungsbahn." Die Donau-Dampfschiffahrts-Gesellscbaft vermittelt den gr6ssten Ver-
kehr auf der Donau durch nahezu 100 Dampfer und 500 Schleppschiffe. — Wien ist
die erste Fabriks- und Handelsstadt des Reiches. Kaiserliche Lustschlosser : Schdn-
brunn, Hetzendorf, Laxenburg.
Andere bemerkenswerthe Orte sind:
1. Wiener. Neustadt (13.000 Einw.), Baden, Bruck an der Leitha, Ham-
burg, Neunkirchen, Gloggnitz, Pottendorf, Truman, Pitten, Klein- Neusiedl, Eben-
fnrth, Schwechat, Liesing, VSslau, Gumpoldskirchen, Klosterneuburg, Mariabrunn ;
2. St. PSlten (6000), Molk, Tuln, Ybbs, Waidhofen an der Ybbs, Scheibs,
St. Egyd, Lunz, Viehofen, Wilhelmsburg ;
3. Korneuburg (3000), Stockerau, Gross -Enzersdorf, Aspern, Rotz, Mail-
berg, Meissau, Diirnkrut, Zistersdorf;
4. Krems (6000), Stein, Marbach, Waidhofen an der Thaya, Gross- Sieg-
hardts, Durnstein, Zwettl, Horn.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Der grosste Thei? des Landes ist Hugelland mit lockeren sand-
Ill
und kalkhaltigen Lehmabhangen. Mehr als 90% der Flache sind
produktiv und davon entfallen iiber 40°/0 auf das Ackerland, 34% auf
Waldungen, auf Wiesen und Garten nur 14%. Der Ackerboden
ist im Allgemeinen nur miltelgut; der fruchtbarste Theil ist das rechte
Donau-Ufer im vormaligen Kreise ,,Ober dern Wiener -Walde" bis zum
Tulner Felde und das gegeniiber liegende linke Ufer mit dem March-
felde. Eigentlicher Ackerbau berrscht in den Donauebenen, an der
March und Thaya ; doch geniigt die Produktion filr den grossen
Bedarf, zunachst der Residenz mit der starken Bevolkerung nicht, —
Handelspflan zen werden nicht bedeutend kultivirt, denn mit
dem steigenden Verbrauch der Baumwolle nimmt jener von Flachs
und Hanf vielfaltig ab. Bekannt ist iibrigens der Senf und Safran
von Krems, letzterer auch von Maissau, dann Krapp (Atzgerdorf),
vorziiglich aber steigt die Kultur der Oelfriichte. Das Hiigelland
im ostlichen Landestheile ist der Sitz des sehr vortheilhaft be-
kannten osterreichischen Weinbaues auf etwa 8 QM., welcher einen
beilaufigen Ertrag von 2 Millionen Eimern liefert (Gumpoldskirchen,
Voslau, Rotz); im westlichen Theile wird die Viehzucht betrieben,
darunter verdienen die Zucht des Rindviehes , jene der veredelten
Schafe, des Gefliigels und der Bienen besondere Hervorhebung. —
Unter den Produkten des Bergbaues ist nur die Gewinnung der
Steinkohle im Umkreise des Wiener- Waldes bedeutend; ferners
werden etwas Eisen, Graphit, Alaun, vortrefflicher Kalk, Gyps und
Muhlsteine gewonnen. — In der Industrie nimmt dieses Kronland
im Verhaltniss zur Volkszahl den ersten Rang unter den oster-
reichischen Kronlandern ein, und im grossen Ganzen hat sie sich
— nur wenige Zweige ausgenommen — auf eine befriedigende JBohe
emporgeschwungen. Hauptsachlich ist Wien nebst TJmgebung, auf
welches \vohl die Halfte des gesammten niederosterreichischen Pro-
duktionswerthes, d. i. uber 40 Millionen Gulden entfallt, der Haupt-
trager der bedeutendsten Industriezweige, als Seidenotoffe (der
grosste Theil der osterreichischen Seidenwaaren entfallt auf Wien),
Gold- und Silberar b eiten, phy sikalisch e und musikali-
8 c h e Instrumente (jahrlich etwa 2600 Klaviere) , Chemikalien,
Galanterie- und Modewaaren. Grossartig ist die Baum-
wollindustrie zwischen dem Wienerwalde und der Leifha,
namentlich liefern die grossen 46 Spirnereien mit circa 550.000
Spindeln V8 des in der Monarchic gesponnenen Games (Pottendorf,
Trumau, Neunkirchen, Schwadorf, Fahrafeld, Schonau, Mollersdorf,
Solenau, Felixdorf, Ebenfurth etc.) ; — L ein en- und Zwin»-Er-
zeugung um Waidhofen an der Thaya, Weitra, Zwettl, Gross- Sieg-
hardts. Riihmlich bekannt sind die Papie rf ab r i ka tion (Klein-
Neusiedl, Schlogelmiihle bei Gloggnitz, Pitten, Ebenfurth, Ober-
Eggendorf u. a.) ; die Zuckerraff inerien (Wien, Wiener-Neustadt)
und die Rubenz uckerf abri ken (Diirnkrut, Absdorf ) ; die Zie-
gelfabrik am Wienerberge (wohl die grosste auf der ErdeJ. Aus-
gezeichneten Rufes erfreuen sich: die chemischen Produkte
und Farben von Wien, Liesing, Modling, Klosterneuburg ; Oel-
fabriken, Glashutten, S pi ege Ifa briken (Viehofen). —
Die Brauereien (Liesing und Schwechat erzeugen fiber '/, Mil-
113
lion Elmer, — in Nieder - Oesterreich im letzten Jahre im Ganzen
iiber 3 Millionen Eimer); — die ararischen Etablissements:
Staatsdruckerei, Porzellanfabrik und die ararische Tabakfabrikin
Hainburg u. s. w. — Die Produktion von Eisenwaaren hat ihren
Hauptsitz in der Umgebung von Waidhofen an der Ybbs (in den
Thalern der Ybbs, Erlaf, Traisen (,,die Eisenwurzen"); die Schrau-
benfabriken (Neunkirchen, Wiener - Neustadt, Kirchberg am
Wechsel, St. Polten u. a.). Die Leistungen und Fortschritte der
Maschinenfabrikation, dieses Grundpfeilers der meisten an-
dern Industrien, haben sich bereits die ungetheilte Anerkennung
erworben , da sowohl wissenschaftliche Bildung als praktische Be-
fahigung allerorts in den einheimischen Werkstatten zu treffen
sind. Nebst der ,,F a b r i k der osterreichischen Staats-
Eisenbahn-Gesellschaft" sind 35 Maschinfabrikanten
und Konstrukteure in Nieder - Oesterreich thatig , davon 26 in
Wien, die iibrigen in Flor'sdorf, Korneuburg, Leobersdorf u. s. w.
Die Erzeugnisse finden nicht nur im Inlande Absatz, eondern ge-
langen auch zum Export. Die Industrie Nieder- Oesterreichs repra-
sentirt in einem raumlich kleinen Rahmen fast alle namhafteren
Zweige des osterreichischen Gewerbfleisses, und Wien bildet in dieser
Hinsicht gleichsam eine permanente Industrie - Ausetellung im
Kleinen; es bietet ein Gesammtbild der Industrie des Kaiserstaates,
welche bereits auf den grossen Ausstellungen zu London, Mun-
ch en und Paris ehrenvolle und wohlverdiente Anerkennung ge-
funden hat. Sie hat sich in der Epoche schwerer Priifungen stand-
haft behauptet, und wird im grossen Ganzen neue tiefgreifende
Erschutterungen kaum mehr zu befiirchten haben. Durch den neuen
Zolltarif, wie durch die Ausdehnung der Eisenbahn- und Schiffahrts-
linien ist unserer Industrie der Bezug der wichtigsten Roh- und
Hilfsstoffe wie auch der nothigen Werkzeuge und Maschinen wesent-
lich erleichtert worden. — Der Aufschwung unseres Handels wird
unzweifelhaft auch den einheimischen Gewerbfleiss immer mehr in
Anspruch nehmen. — Den Hauptsitz des Handels bildet Wien,
wo alle bedeutenderen Fabriken ihre Niederlagen halten. Die Ar-
tikel des Gewerbfleisses finden nicht nur in den (ibrigen Kronlandern
Absatz ; viele werden nach dem Auslande exportirt, zunachst nach
den Donaulandern und der Levante, aber auch nach America, Ost-
indien (Kirchenstoffe) und selbst nach Australien. Durch die Un-
terstiitzung von Seiten der Staatsverwaltung und die Bestrebungen
der n. 6. Handelskammer, des n. o. Gewerbevereins, mehrerer Ge-
sellschaften und unternehmender Privaten hat der Import- und Ex-
porthandel in den letzten Jahren an Ausdehnung gewonnen ; er ist
bereits von Bedeutung, und ohne Zweifel wird er noch erheblich
gesteigert werden. Sowie die Residenz der Mittelpunkt der staat-
lichen und volkswirihschaftlichen Thatigkeit des Kaiserstaates ist,
so bildet sie auch den Mittelpunkt fur das geistige Leben. Das
Unterrichtswesen findet sowohl durch Volksschulen , als die stets
wachsende Zahl der gewerblichen, Real- und kommerziellen Lehr-
anstalten immer groesere Verbreitung. Die reichen Schatze an wissen-
schaftlichen und Kunstsammlungen in Wien wecken und fordern
113
die gelehrten Forschungen und Kunste, worin in neuerer Zeit grosse
Erfolge erzielt worden sind. Die Residenz bildet somit den Ver-
einigungspunkt des materiellen und geistigen Lebens des grossen
Kaiserstaates.
§. 81. Das Erzherzogtham Oesferreich ob der linns.
(Ober-Oesterreich.)
218 GMeilen — 707.450 (relativ 3246) Einwohner; fast ausschliesslich
Katholiken; nach der Nationalitat Deutsche. — Grenzen im N. BShmen, —
im W. Baiern, Salzburg, — im S. Steiertnark, — im 0. Nieder-Oesterreich.
Boden. — Dieses Kronland ist dem grossten Theile nach ein
Gebirgsland, dessen siidliche Halfte die nordlichen Kalkalpen aus-
fiillen. Hier erheben sich die Dachstein-Gruppe, die Gruppe de8
grossen Priel, das Hochsengsen-Gebirge, der Schafberg mit seinem
pittoresken Panorama und die letzten Gletscher der Nordalpen. Das
linke Donau-Ufer wird von Abhangen und Auslaufern des Bohmer-
waldes erfiillt. Das Hauptthal des Landes ist das der Donau, die
meisten Nebenthaler sind an der Siidseite (Traun- und Ennsthal). Die
bedeutendste Ebene ist die Welserhaide zwischen Wels und Linz.
Gewfisser. Das Land ist im Ganzen wasserreich und mit
einer sehr geringen Ausnahme gehort es ganz zum Gebiete der
Donau, welche in Ober - Oesterreich einige Stromschnellen hat.
Der fiir die Schiffahrt friiher gefahrliche ,,Strudel" (unterhalb Grein)
und der ,,Wirbel" sind durch Felsensprengungen fast ganzlich un-
schadlich gemacht worden. Die grossten Nebenfliisse hat die Donau
am rechten Ufer, den Inn, die Traun, welche durch den Hall-
stadter- und Gmundner-See fliesst, die herrlichen Wasserfalle bildet
und deren oberes Thai mit den umliegenden pittoresken Alpengrup-
pen das wegen der landschaftlichen Schonheit beruhmte ,,Salzkam-
mergut" bildet, — dann die reiesende Enns mit der Steier; —
am linken Ufer ist die M il h 1 , auf welcher grosse Quantitaten Holz
geschwemmt werden , am bedeutendsten. Ausserdem hat das Land
zahlreiche , prachtvoll gelegene Seen (Hallstadter- , Gmundner-,
Atter-, Mond-, Wolfgang-See u. s. w.), von denen der Gmundner-
See auch fiir den Verkehr (Salztransport) wichtig ist; die meisten
aber liegen im Gebiete der Traun.
Politische Eintheilung : Der S tatthalterei in Linz ist
nebst Oestereich auch das Herzogthum Salzburg administrativ
untergeordnet. —
Bemerkenswerthe Orte sind :
1. Linz (27.600), Mauihhausen, Grein, Freistadt, Haslach, Perg, Bohrbach,
Aigen.
2. Hied (3300), Braunau, Scharding, Engelhartszell, Obernberg.
3. Steier (10.500), Enns, Kremsmiinster, St. Florian, Molln, Mfihldorf, Spital
am Pyhrn.
4. Wels (6000), Gmunden, Ischl, Hallstadt, Ebensee, Grieskirchen, Lambach,
V&klabruck, Schwaucnstadt.
Kulturverhfi-ltnisse im Allgemeinen.
Dieses an Naturschonheiten reiche, von einer ernsten, beeonnenen,
den Fortschritt redlich anstrebenden Bevolkerung bewohnte Kronland
weiset in neuester Zeit Resultate der Landwirthschaft, der Industrie
Kluu's Haadcls-Geographic. 2. AuQ. Q
114
und des Verkehrs, eowle des Unterrichts und der humanen Anstal-
ten, welche fast durchweg zu den besten Hoffnungen berechtigen.
Dass an diesem Aufschwunge die eifrige Vertretung der materiellen
Interessen durch die Handels- und Gewerbekammer in Linz einen
bedeutenden Antheil hat, darf nicht unerwahnt bleiben. — Von der
Gesammtflache entfallen nur etwa 9.2°/0 auf unproduktiven Boden
— Gewasser, Felsen und Bauarea. Fast T/3 des produktiven Bodens
Jst Ackerland und liefert bei der rationellen , sehr fleissigen Be-
bauung an Getreide iiber den Bedarf; — eine rationelle Wiesen-
kultur und treffliche Alpenweiden befordern die Viehzucht; der
Waldstand ist sehr ausgedehnt; er nimmt nahezu l/3 der Gesammt-
flache des Kronlandes ein. Das Flachland an beiden Ufern der Do-
nau und im Miindungsgebiete ihrer Nebenfliisse ist fiir den Getreide-
bau, insbesondere fur den Roggen und Weizen sehr giinstig; sehr
ausgedehnt ist die Kultur von Most-Obst, woraus der Cider
(Aepfelwein , Birnen- und Aepfelmost) bereitet wird. Ausgedehnt
und machtig sind die Braunkohlenlager des Hausruckgebirges,
aus welchen (im Jahre 1858) nahe an eine Million Zentner gefor-
dert warden. Besonders riihrig werden die Bergbaue zu Wolfs egg,
Thomasroith, Haag, Pramet und Kaletsberg betrieben. An Koch-
salz liefern Hallstadt, Ischl, Ebensee, Langbath iiber eine Million
Zentner ; ausserdem bietet der Bergbau Eisen, Kupfer, Arsenik,
Schwefel, jedoch in geringerer Menge. — Den wichtigsten Indu-
striezweig bildet die theils fabriksmassige, haufiger jedoch hand-
werksmassige Erzeugung von Eisen- und Stahlwaaren, wofiir
das Rohmaterial auf der Enns aus Steiermark bezogen wird. In
Sensen und Sicheln behauptet es den ersten Rang (Miihldorf- und
Kirchdorfer Innung im Kremsthale) ; doch hat es auch in Messern
(Steier), Nageln (Losenstein), Handwerkzeugen, in hauslichen und land-
wirthschaftlichen Gerathen guten Ruf, und ein steter Fortschritt ist
ubcrall bemerkbar. Der Mittelpunkt fiir diese Industrie, fiir welche
iiber 700 Etablissements bestehen und deren jahrliche Produktion einen
Geldwerth von 4 Millionen Gulden reprasentirt , ist Steier (das
,,osterreichische Birmingham"); nachst Steier sind Molln, Miihldorf,
Spital ana Pyhrn u. a. in dieser Industrie hervorragend. An Bedeu-
tung nur von der Eisenindustrie iibertroffen, zeigt sich die Webe-
Industrie, welche ausser den Kleingewerben und der Hausindustrie
(im Miihlkreise) 24 Fabriks-Etablissements beschaftigt und (im Jahre
1858) Waaren im Werthe von nahe 3,660.000 Gulden erzeugte. Die
ehemals bekannte Le in en -Industrie hat zwar im Ganzen nicht
gleichen Schritt mit den Verbesserungen im Auslande gehalten und
verlor ibren Ruf; doch zeigen die paar Fabriken im Miihlkreise
ein regsames Auf^treben im Sinne der Neuzeh. Die Linzer-Tep-
piche finden fast nur im Inlande Absatz. Die Baumwollspin-
nerei ist mit den zweckmassigsten Maschinen der neuesten und
bewahrteaten Konstruktion versehen. Unter den etwa 20 Unterneh-
mungen fiir Papier-Erzeugung ist nur die Maschinenpapier-
Fabrik zu Nettings d or f beachtenswerth, deren Erzeugnisse sich
beliebten Absatzes erfreuen. Die Holz-Indus trie stellt sich durch
Schiffbau, Erzeugung von ordinaren Holzwaaren und den Berchtes-
115
fadner-Waaren (in der Umgebung von Traunkirchen) als bedeutend
eraus. Der Schiffbau (in Linz) ist vortrefflich , die eisernen
Schiffe lassen nichts zu wiinschen iibrig, und bei grosserem Absatze
konnte dieser Zweig auf eine sehr hohe Stufe gebracht werden.
Ausserdem erzeugt das Kronland chemische Produkte, Leder u. a. m.
Die Bierbrauereien stehen im guten Rufe. — Der Handel.
Fur den inneren Verkehr des Kronlandes ist die Schiffahrt auf
der Traun mit ihren ZunQssen die bedeutendste. Ihr zunacht kom-
men jene auf der Enns und Salzach. Der groaste Theil des Fluss-
verkehrs geht dann anf die Donau fiber, welche nebst dem Inn,
dessen Hauptbedeutung in der Vermittlung des Verkehrs von Tirol
und Baiern nach der Donau ist, die weitere Verfrachtung der Outer
iibernimmt. Ausser den zahlreichen schiffbaren Flussen und floss-
baren Bachen hat das Land ein auegedehntes Netz von Reichs-
p t r as sen und Komraerzial strassen (fur welche in den letzten
Jahren von Seite der Staatsverwaltung sehr viel gethan wurde), die
Gmunden-Linz-Budweis-Eisenbahn *) und die Kaiserin
Elisabeth-Westbahn, als die kilrzeste Linie zwischen Wien
und Paris durch Siiddeutschland. — Im Verkehr mit dem Auslande
hat der Handelsverkehr Ober-Oesterreichs mit Ungarn und den
Donaufiirstenthumern eine kaum zu berechnende grosse Zukunft,
und letztere bilden schon jetzt einen immer mehr sich steigernden
Markt. Besondera hat der Speditionshandel in Linz zugenommen.
Die wichtigsten Orte fiir den Verkehr sind Linz, Steier, Braunau,
Scharding.
§. S2. Das Herzogthum Salzburg.
130 nMeilen> — 146770 (relativ 1127) Einwohner; fast ausschlies slich
Katholiken; nach der Nationalhat Deutsche. — Grenzen: im N. Baiern und
Ober-Oesterreich, — im W. Baiern und Tirol, — im S. Tirol und Karnten, — im
O. Steiermark nnd Oberosterreich.
Boden. Salzburg ist ein Gebirgsland , eine Fortsetzung des
Tiroler Alpenlandes; nur im Norden geht das Salzathal in die grosse
bairische Ebene uber. Die Kette der hohen Tauern bildet beinahe
fortlaufend die Grenze gegen Tirol , dann gegen Karnten ; gegen
Siiden hat sie wenig Widerlagen und Arme , desto mehr an der
Nordseite und die parallelen Steilthaler bilden das ,,Ober-Pinzgau"
zu einer der grossartigsten Alpen-Scenerien. In den nordlichen Kalk-
alpen, welche in Salzburg in mehrere, durch tiefeingeschnittene Was-
eerlaufe getrennte Gruppen zerfallen, ist hier die imposante Gruppe
das ,,steinerne Meer," dessen ode Kalkfelsen mit ihren muldenfor-
migen Vertiefungen wirklich versteinerten Meereswogen gleichen.
Ueber 90 QMeilen nehmen die Gebirge ein und gegen 6 QMeilen
soil die Flache der Gletscher (,,Keeseft) betragen. Die bedeutend-
e ten Thaler ffthren lokale, altherkommliche Benennungen: Pinzgau
(Saalethal), Pongau (Salza- uud Ennsthal) , Lungau (Murthal)
und Salzachgau oder Flachland. An Engpaseen, hier »die Klamm"
genannt, ist das Land ebenfalls reich.
Gewasser. Der grosste Fluss des Landes ist die Salza (oder
*) Die alteste Eisenbahn auf dem europaischen Kontinentc/ deren Ban im Jahre
1825 begonnen wurde.
8*
116
Salzach), welche von Golling ab flossbar und von Hallein ab schiff-
bar ist, unterhalb Salzburg an die bairisch-osterreichische Grenze
tritt und am rechten Ufer mehrere verheerende Wildbache, darun-
ter die Saale und die Krimmler Ache die bedeutendsten, auf-
nimmt. Die Enns bricht durch den Mandling-Pass nach Steiermark,
auch die Mur tritt nach kurzem Laufe durch den Lungau nach
Steiermark. — Dieses Kronland hat den grossartigsten Wasserfall
der Monarchic, den Krimmler-Fall (die Ache sturzt durch eine
Reihe von funf Fallen von einer Hohe von mehr als 2000 Fuss),
sowie mehrere andere prachtvolle. An Seen steht es jedoch den
Nachbarlandern Tirol und Ober-Oesterreich zuriick. Die beriichti^-
ten Pinzgauer Siimpfe verlieren durch Entsumpfung immer
mehr an Umfang. Unter den wenigen Mineralquellen ist das
weltberiihmte Gastein.
Politische Eiiitheilung. Das Herz: Salzburg ist adminiatra-
tiv der Statthalterei in Linz untergeordnet, jedoch untpr ausdriick-
licher Wahrung der Stellung als Kronland des Reiches mit eigener
Landesvertretung. Der politische Chef in Salzburg ist der Landes-
hauptmann.
Bemerkenswerthe Orte sind :
Salzburg (17.300), Hallein, Oberalm, Bad Gastein, Hof Gastein, Gross- Arl,
Krimml, Badstadt,Golling, Ebenau, Zell, St. Johann, Mittersill, Tamsweg.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Sind auch an 80°/0 des Landes produktiver Boden, so ist doch
wegen der Ungunst des Terrains und des Klimas der Ertrag des
muhsamen Ackerbaues so geringe, daes fast die Halfte des jahr-
lichen Bedarfes an Kornerfrtichten eingefiihrt werden muss. Dage-
gen ist die Viehzucht und die Milchwirthschaft vorherrschend,
insbesondere steht die Rindviehzucht auf einer so bedeutenden Hohe
wie nur in wenig Kronlandern. Hierbei sind der zur Zucht geeig-
netere Pinzgauer- und der fur Milchwirthschaft und Mastung bes-
sere Pongauer-Stamm auch im Handel bekannt. In der Pferdezucht
gilt die Pinzgauer Gebirgsrace als das ausgezeichnetste schwere
Zugpferd in Oesterreich. Der Schafstand besteht meist aus grob-
wolligem Vieh. Einen eintraglichen Exportartikel konnte die Biber-
zucht bilden; denn der salzburgische Biber, welcher an den Ufern
der Salzach und Saale entsprechende Nahrung findet , hat von Al-
ters her wegen des ausgezeichneten Kastoreums, welches dem der
russischen , englischen und americanischen Biber weit vorgezogen
wird , grosse Beriihmtheit erlangt. Auch die Forst- und Torf-
wirthschaft verdient Beachtung, erstere exportirt an 70.000 Klaf'ter,
letztere hat ihre Bedeutsamkeit fur die Feuerung in industriellen
Etablissements. — Unter den Produkten des Bergbaues ist Salz
das bedeutendste (Hallein liefert iiber 400.000 Zentner); die Eisen-
gruben in der Flachau u. a. liefern zu wenig Erz fur den Bedarf,
der aus Steiermark und Karnten gedeckt werden muss. Nickel, Ko-
balt und Arsenik (iiber 900 Zentner) werden erheblich gewonnen,
die ihren Absatz auch nach Frankreich , Griechenland und der
Levante finden. Einen grossen Reichthum hat das Land im Marmor
des Untersbergea u. a.; bei Adneth bestehen 14 Briiche und die
117
Abfalle der Marmorsagen werden in vier KugelmDhlen (BSchu8ser-
muhlen") zu den kleinen Marmorkiigelchen verarbeitet, die bis nach
America ihren Absatz finden. Auch an vorziiglichem Gyps (bei
Golling) ist das Land reich ; — der Alabaster von Leogang ist be-
kannt. Die Gewinnung von Gold und Silber ist verhaltnissmassig
geringe.
Die Industrie dieses diinn bevolkerten Kronlandes ist zwar
verhaltnissmasig sowohl hinsichtlich der Menge der Produktion als
der Mannigfaltigkeit der Produktionszweige noch unbedeutend; die
Etablissements kommen nur vereinzelt vor und der Betrieb dersel-
ben ist im Allgemeinen kein ausgedehnter; dessenungeachtet ist
nicht zu verkennen, dass die Gewerbindustrie in neuerer Zeit in
nachhaltigem Aufbliihen begriffen ist. In grosserer Menge
und zum Theil fur den Export werden erzeugt: chemische Pro-
dukte (zu Oberalm), Papier tap et en (in Stein), Kunstwolle
(in Lehen) , Holzwaaren (in Hallein); — einige Etablissements
bestehen fur Erzeugung von Thon- und Eisenwaaren, dann
Branntw einbrennereien (Salzburger Kirschengeist) , Bier-
brauereien (Kaltenhausen) u. s. f. — Fiir den Verkehr hat die
Salzach , als die einzige Wasserstrasse, Bedeutung fiir das Kron-
land ; auf ihr werden an Holz, Salz und Gyps an 700.000 Zentner
jahrlich verfiihrt. Auch der Inn bildet einen natiirlichen Verkehrs-
weg. In kommerzieller Beziehung kniipft man Hoffnungen an die
Westbahn und an die Pinzgauer Aerarialstrasse. Durch letztere wird
eine Querverbindung der zukiinftigen Karntner-, Steiermarker- und
Tiroler-Bahnen in direkter Linie durch die Hochgebirgsthaler her-
gestellt und sie verspricht von Bedeutung zu werden.
§. 83. Das Herzogthnm strict-mark.
408 nMeilen» — 1,056.770 (relativ 2590) Einwohner; fast durchgehends
Katholiken, nur etwa 6000 Protestanten und einige wenige Israeliten ; nach der
Nationalitat an 7/n Deutsche, die nbrigen Slawen (Sloweaen). — Gren-
zen: in N. Oesterreich ob und unter der Enns, — im W. Salzburg und Karnten, —
im S. Krain und Kroatien, — im 0. Kroatien und Ungarn.
Boden. Steiermark gehort zu den Alpenlandern und ist gleich
ausgezeichnet durch einen seltenen Reichthum hochst malerischer
Landschaften und grossartiger Alpenpartien , wie durch die Fulle
und Ueppigkeit der Vegetation in seinen Ebenen. Der nordliche
und westliche Theil sind Gebirgsland ; der siidliche und ostliche
weisen anmuthige Berg- und Hiigellandschaften , fruchtbare Thaler
und Ebenen. Das Gebirgsland hat Antheil an alien drei Alpenziigen.
Die Centralalpen treten aus Salzburg ein, durchziehen den nord-
lichen Theil des Landes bis zum Wechsel , so wie zwischen der
Mur und Drave, und auf beiden Ufern der Mur. (Siehe §. 25. Cen-
tralalpen Nr. 10.) Die nordlichen Kalkalpen treten mit der
Dachsteingruppe als Grenzgebirge gegen Oesterreich in das Land und
ziehen sich bis zur Schnee- und Raxalpe. (Siehe §. 25. Nordliche
Kalkalpen Nr. 4. 5. 6.) Die sudlichen Kalkalpen ziehen sich aus
Krain heruber, und setzen den Zug nach Kroatien fort. — Da die
Alpen schon bedeutend an Hohe abgenommen , eo gibt es auch
zahlreiche Passe, von denen nur der fahrbare Rottenmauner-Tauern
118
die Hohe von 5400', von den ubrigen jedoch keiner 4000' erreicht.
Die Kalkalpen sind zudem reich an hochst romantischen Engpassen,
wie an wilden Schluchten und prachtvollen Thalern. Das wichtigste
Thai ist das Murthal, das obere ist uberall Engthal, das untere
erweitert sich bis zu einer Breite von fiber drei Meilen; — das
freundliche Miirzthal, das Drauthal, das Ennsthal mit dem
langen pittoresken Seitenthal der Salza u. a. m. Die bedeutendste
Ebene des Landes ist das Pettauer- oder Draufeld, dann das an-
muthige Grazer- und das fruchtbare Leibnitzerfeld.
(jJewiisser* Das Land ist reich an fliessenden Wassern, welche
sammtlich zum Flussgeader der Donau gehoren und von denen die
meisten zu Verkehrs- oder industriellen Zwecken beniitzt werden.
Der grosste und fiir den Verkehr bis jetzt wichtigste Fluss des Lan-
des ist die Mur, der ansehnlichste Nebenfluss der schon schiffbar
aus Karnten kommenden Drave (Drau). Die Mur wird zwar schon
bei Murau schiffbar, doch erschweren das starke Gefalle, Klippen
und Sandbanke, sowie der haufig niedere Wasserstand die Schiffahrt,
die iiberhaupt nur zu Thai geht und sich zumeist auf den Trans-
port von Brenn- und Bauholz beschrankt. Die Enns durchfliesst
grosstentheils als reissender Wildbach vom Mandlingpaes bis Al-
tenmarkt das Land, und wird erst schiffbar, nachdem sie die (stei-
rische) Salza aufgenommen. Wichtiger fiir den Verkehr ist die Save.
Sie kommt aus Krain, bildet die Grenze zwischen den beiden Kron-
landern und nimmt die Sann auf, welche auf dem Sulzbacher Ge-
birge entspringt und das liebliche Sannthal bewassert. Die Traun
und die Itaab entspringen ebenfalls im Lande. Wasserfalle und
Seen hat das Land verhaltnissmasig weniger als die ubrigen Alpen-
lander; dagegen besitzt es sehr viele Mineralquellen , davon die
Mehrzahl Sauerbrunnen, und unter den letztern der Rohitscher
der bekannteste. Der wichtigste Kurort ist Gleichenberg, danu
erfreuen sich eines zahlreichen Besuches Neuhaus, Tiiffer (Ro-
merbad) und das Tobelbad bei Graz.
Politische Eintheilung. Der Statthalterei in Graz ist nebst
dem Kronlande Steiermark auch das Kronland Karnten administra-
tiv untergeordnet.
Bemerkenswertbe Orte sind :
1. Graz (63.000 Einw.), Tobelbad, Gleichenberg, Furstenfeld, Feistritz, Rein,
Eadkersburg, Hartberg, Frohnleiten, Wildon, Vorau.
2. Brack a. d. Mar (3000), Vordernberg, Eisenerz, Leoben, Judenburg,
Mariazell, Admont, Schladming, Neuberg, Murau, Krieglach, Kindberg, Murzznschlag.
3. Marburg (8000), Cilli, Luttenberg, Pettau, Rohitsch, Tuffer, TSplitz
Windisch-Feistritz, Rann, Lichtenwald.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache Steiermarks entfallen nahezu 90% auf
produktiven Boden ; doch sind davon fast die Halfte Walduogen,
20°/? Aecker, 6 QMeilen Weingarten ; den Rest nehmen Wiesen und
Weiden ein. Um jedoch einen richtigen Ueberblick zu gewinnen,
ist die Trennung des Gebirgslandes von dem Hiigel- und Flach-
lande nothig, wie sie schon oben bei der Schilderung der Boden-
verhaltnisse angedeutet wurde; und zwar bieten die ehemaligen bei-
119
den Kreise Graz und Marburg (Untersteiermark) em wesent-
lich verschiedenes Bild von dem friiheren Brucker Kreise (Ober-
steiermark).
Die Hauptnahrungsquelle der Bewohner Untersteiermarka
besteht in dem Ertrage der Landwirthschaft, welche sehr fleissig
betrieben wird und reichen Ertrag an alien Getreidearten , beson-
ders Roggen, Weizen, Hafer, Mais und Haidekorn liefert , obwohl
sie den Bedarf des gesammten Kronlandes nicht zu decken ver-
mag. Besondere Sorgfalt wird auf den Wein- und Obstbau ver-
wendet. Ein Drittheil der Flache fur den Weinbau entfallt auf den
Grazer-, */3 auf den Marburger Kreis (Luttenberger, Kerschbacher,
Radkersburger , Pickerer u. a.) ; aua dem Mostobst werden an
300.000 Eimer Cider bereitet. Auch die Pflege des Maul be er-
baumes und die Anfange der Seidenkultur sind beachtenswerth.
Unter den Handelspflanzen haben der Hanf (von Radkersburg) und
die Weberkarden (um Graz und im Bezirke Voitsberg) guten
Ruf. Im Allgemeinen macht die Agrikultur, kraftig gefordert durch
die Landwirthschafts-Gesellschaft in Graz, stets wachsende Fort-
schritte, wie es auch der rationelle Wiesenbau bethatigt, welcher
zumeist den bedeutenden Viehstand ermb'glicht. In dieser Bezie-
hung ist auch die Gefliigelzucht in Untersteiermark erwahnenswerth,
sie ist sehr auegedehnt und vortheilhaft bekannt (steirische Kapaune).
— Schlachtvieh , animalische Produkte und Getreide werden zum
grosseren Theile nach Obersteiermark und Karnten, aber nur in
sehr geringer Menge nach andern Kronlandern ausgefiihrt. In neue-
rer Zeit hat ferners in Untersteiermark der Bergbau auf Stein-
und Braunkohlen an Wichtigkeit derart zugenommen, dass die
Ausbeute an ersteren im Jabre 1857 iiber 130.000 Zentner (Bezirk
Wiudisch-Feistritz , Gonobitz und Schonstein) , und an letzteren
nahezu drei Millionen Zentner (Koflach , in den Bezirken Tuffer,
Cilli u. a.) betragen hat. Der Bergbau auf Metalle ist im Ganzen
geringe; dagegen ist Untersteiermark sehr reich an Mineral wassern.
Die Industrie ist in diesem Landestheile nicht von grosser
Bedeutung, indem sie in den meisten Zweigen nur den Lokalbedarf
des Landes im Auge hat und in einigen nicht einmal diesen voll-
standig deckt. Die Maschinen-Fabrikation ist durch neun
groscere Etablissements vertreten, von denen jenes ,,auf der Andritz"
(bei Graz) sich mit dem Baue von Dampf- und anderen Maschinen
befasst, wahrend die ubrigen ausschliessend nur landwirthschaftliche
Maschinen und Werkzeuge liefern. Die Verarbeitung von Me-
t alien liegt zumeist in der Hand der Kleingewerbe, und trotzdem
die Eisenindustrie von geringer Ausdehnung ist , ubersteigt. die
Produktion doch den Lokalbedarf. Die chemische Industrie
zahlt wenig grossere Anstalten und deckt nicht den heimischen Be-
darf. Die Erzeugung von Nahrungsmitteln und eonstigen Verzeh-
rungssteuer-Gegenstanden beschaftigt an grosseren Unternehmungen
eine Kolonialzucker-Raffinerie, Kaffeesurrogat-Fabriken, Bierbraue-
reien, Glasfabriken am Bacher-Gebirge, an der Kor-Alpe und
im Savegebiete, Tabak in Fiirstenfeld u. a. f. Auch dte Webe-
und Wirkwaaren -Industrie ist von geringer Ausdehnung
120
(Baumwollspinnereien in Burgau, Pragwald u. a.). Die Ver-
arbeitung desLeders beschaftigt ausschliesslich nur Kleingewerbe.
Die Papier-Industrie ist etwas schwunghafter , sie beschaftigt
sieben Fabriken und zwei Muhlen (Graz, Voitsberg, Pols). Das
Kleingewerbe ist in alien Zweigen iiberwiegend vertreten.
Einen Gegensatz bildet Obers teiermar k. Hier ist die Acker-
flache eine geringe, die Arbeitskrafte sind unzureichend, der Boden
ist nicht fruchtbar, das Klima rauh, und die Landwirthschaft
vermag nicht den eigenen Bedarf zu decken. Von der Gesammt-
flache (iiber 165 Q^) entfallen 9% auf das Ackerland, 242/3% auf
das Grasland', tiber 52% auf den Wald und nahe 133/4% auf un-
bebauten und unbeniitzbaren Boden. Im Durchschnitte leben auf
einer Quadratmeile 1226 Menschen; doch iiben die Industrie und
der Bergbau einen grossen Einfluss auf die Anzahl der Bewohner
aus, wie es eine Vergleichung der Bezirke Leoben und Judenburg
mit Grobming und St. Gallen beweiset. Die Hornviehzucht, fur
welche Weiden und Alp en reichlich vorhanden sind, bildet eine be-
deutende Erwerbsquelle, namentlich ist die Miirzthaler Race gesucht.
Das Ennsthal liefert einen tiichtigen Schlag schwerer Pferde. Im
Allgemeinen befriedigt jedoch der Boden die Lebensbediirfnisse der
Bewohner nicht und der Abgang muss durch den Erwerb in der
Industrie herbeigeschaftt werden. Diese Aufgabe erfiillt fast aus-
echliessend die Eisenindustrie. Die wichtigsten Produkte des stei-
rischen Bergbaues sind Eisen , Kohlen und Salz. Die Ro hei sen-
Pro duktion betrug im Jahre 1857 iiber lT/2 Million Zentner und
hat im Zeitraume 1850 — 1857 um 59% (bei ararischen Werken um
57, bei Privatwerken um 60%) zugenommen; iiber 2T/2 Million
Zentner Braunkohle und T/4 Million Zentner Salz (der ,,Sandling"
im ^steirischen Salzkammergut"), dann etwas Gold, Silber, Kupfer,
Graphit u. s. w. In Eisen ist es der starkste Produzent
Oesterreichs (von dessen Gesammtproduktion im Jahre 1858
iiber 2% Million Zentner auf die Alpenlander entfallen); zudem
ist die Trefflichkeit des steirischen Eisens (Vordernberg, Ei-
senerz) seit dem Alterthume schon ruhmlichst bekannt. Die Haupt-
industrie beschaftigt sich sodann mit der Verarbeitung der Metalle,
insbesondere in den Gebirgsthalern der obern Mur bis in die Nahe
von Graz. Schwarzblech, gehammertes Streck- und Feineisen , ge-
walztes Puddlingeisen, Rails und Tyres sind von vorziiglicher Giite ;
ausgezeichneten Stahl erzeugt Steiermark am meisten unter alien
osterreichischen Provinzen, wobei eine grosse Produktions-Ver-
mehrung in den letzten Jahren nur bei jenen Werken stattfand,
die vorwiegend auf die Verwendung von Steinkohle und Torf
basirt sind (Murau, Leoben, Krieglach, Trieben, Mi sling, Frohn-
leiten, Kindberg, Bruck, Judenburg, Gosting, Graz u. a.). Beruhmt
ist das kaiserliche Gusswerk bei Mariazell (auch fur Kanonen), Neu-
berg fur Eisenbahnschienen ; an Sensen, Sicheln, Hausgerathen u. s. f.
werden grosse Mengen erzeugt und exportirt. Der steirische Stahl
geniesst au.( dem Weltmarkte einen eben so bedeutenden Ruf als
ehemals das »norische Eisen."
Der Eisensteinbergbau ist insbesondere in Riicksicht auf
Forderung und Rostung der Erze in einer Weise und mit einem
Kostenaufwande vervollkommt worden, wie noch bei keinem Eisen-
eteinbau in Europa. Die Vollkommenheit des technischen Betriebes
der Hochofen erhellet daraus , dass der Aufwand an Brennstoft
per Zentner Roheisen auf ein Minimum gebracht wurde, wie sonst
nirgends. Durch die gelungene Verwendung der Braunkohle zur
Stabeisenfabrikation ist es moglich geworden , grossartige
Puddlings- und Walzwerke auzulegen; diese Fabriken stehen
im chemischen wie im mechanischen Theile auf gleicher Hohe mit
derartigen Anlagen des Auslandes, und haben die sen in meh-
reren Fallen selbst als Muster gedient. — Seine Eisen-
un8 Stahlwaaren exportirt das Land nach alien Kronlandern, nach
Deutschland, Frankreich, Italien und Russland. Der Werth des in
Handel gebrachten Roheisens und der verarbeiteten Eisen- und
Stahlwaaren betrug im Jahre 1857 an ll1/, Mill Gulden und auf
Einen Arbeiter entfiel ein durchschnittlicher Jahresverdienst von
280 Gulden.
Im Ganzen unterhalt dasKronland somit einen lebhaften Ver-
kehr und der dabei erzielte Gewinn wird durch einen bedeuten-
den Transithandel betrachtlich vermehrt. Gute Reichsstrassen ver-
binden das Land mit den Nachbarprovinzen ; die Siidbahn durch-
zieht von Nord nach Stid das Land, an welche sich Ausastungen
nach Osten und Westen anschliessen werden, und die Wasserstras-
sen tragen ebenfalls zur Ausdehnung des Verkehres bei. Die ver-
dienstliche Thatigkeit der Handelskammern in Leoben (insbesondere
bezQglich der Statistik der gesammten Eisenindustrie), und jener in
Graz muss ruhmend hervorgehoben werden.
§. 84. Das Herzogthnm Karntcn.
188 nMeilen: — 332.456 (relativ 1764) Einwohner, uberwiegend Katho-
liken und etwa 18.000 Protestanten ; nach der National! tat mehr als % Deut-
sche, die ubrigen Slawen (Slowenen). — Grenzen: im N. Salzburg und Steiermark,
— im W. Tirol, — im £. Venedig, Gorz und Krain, — im 0. Steiermark.
Boden. Karnten ist groastentheils Gebirgsland, mit langge-
streckten , durch hohe Gebirgsziige scharf abgegrenzten Thalern,
wslcne eich im Innern des Landes zu grosseren Ebenen erweitern.
Der Westen ist ganz von Hochgebirgen erfullt (Oberkarnten) , im
Osten ist es Hugelland von Gebirgen umschlossen (Unterkarnten).
Die Gebirge gehoren im nordwestlichen und nordlichen Theile zu
den C en t r alalpe n, die ubrigen zu den siidlichen Kalkalpen,
und werden in mehrere kleinere Gruppen zerlegt, welche nach ihren
hochsten Gipfeln benannt werden. Zum nordlichen Alpenzuge oder
den Centralalpen , welche bis zum Hafnerspitz »die hohen
Tauern" heissen , gehoren: die Gruppe des Gro ssglockn er
im Nordwesten, -- die Kreuzeckgruppe, eine kurze Parallel-
kette des Hauptriickens, — die Gruppe des Hochnarr mit zwei
Hauptrucken, der kiirzere vom Heiligenblut- zum Korntauern, der
langere von Norden nach Siiden zum Laitenkogel, — die Gruppe
des Ankogel, — und jene des Hafnerspitz; — dann die
Gurkthaler Alpen vom Katschbergsattel bis zum Sattel von
Obdach (im Osten) mit den Hauptthalern der Gurk , Glan , des
122
Worthersees und der Drave. — Zu den eudlichen Kalkalpen ge-
horen die karnischen und die Gailthaler-Alpen, die Monte Canin-
Gruppe , die Karawanken und die Grintouc-Gruppe, welche nur
die siidostliche Grenze des Landes beriihrt. — Siehe §. 25. B. c.
N. 3. 4. 5.)
Von den Gipfeln dieser Gebirge, insbesondere vom Gross-
glockner, Dobrac, von der Saualpe, dem Speick- und dem Staff-
kogel geniesst man herrliche Fernsichten. Das Land besitzt zwar
keine ausgedehnten Eisfelder, aber dafiir den schonsten Gletscher
der Tauernkette, die Pasterze.
Das Hauptthal ist das Drauthal mit vielen Nebenthalern,
als: das Mo 11 thai, im untern Theile gut angebaut und bevolkert,
im oberen enger nnd erhabener mit der grossartigen Alpenwelt 5m
Hintergrunde, — das Gurkthal mit dem fruchtbaren Krapfeld,
dem Glanthale und der wciten Flache des Zollfeldes, das frucht-
bare und gewerbreiche Lavantthal, das Lieser- mit dem h'aufig
beeuchten Maltathale u. a. Zahlreiche Sattel vermitteln den
Uebergang iiber die Tauern , die Gurker- und die siidlichen Kalk-
Alpen.
Gewasser. Der grosste Theil der Gewasser gehort zum Ge-
biete der Drave, welche auf 22 Meilen das Land durchfliesst und
zum Flossen beniitzt wird. Die bedeutenderen Zufliisse erhalt sie
am linken Ufer (die Moll, die Gurk mit der Glan und die Lavant),
am rechten die Gail. — Unter den Seen gilt der Mills tad ter fur
den schonsten, der Wort her wird mit Dampf befahren und bietet
viele herrliche Bilder, der Ossiachersee nebst vielen kleineren ;
an den zwei letzten Seen finden sich hie und da Siimpfe. Auch
mehrere Mineralquellen eind beachtenswerth, darunter der Sauer-
brunnen bei Vellach.
Politische Eintheilung. Das Kronland Karnten ist admini-
strativ der Statthalterei in Graz untergeordnet, jedoch unter aus-
driicklicher Wahrung der Stellung als Kronland des Reaches mit
eigener Landesvertretung. Der politische Chef in Karnten ist der
Landeshauptmann.
Bemerkenswerthe Orte sind :
Klagenfnrt (13.500 Einw.) ; Villach, Bleiberg, Wolfsberg, Hiittenberg,
Lolling, St. Leonhard, Gark, Friesach, St. Veit, Volkertnarkt, Ferlach, Spital, Tar-
Tis, Pontafel (Ponteba), St. Paul, Gmund, Lavamund, Prevail.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache des Landes sind iiber 84% produk-
tiver Boden; doch entfallt davon nur etwa T/7 auf das Ackerland,
wahrend die Halfte desselben die Waldungen und beilaufig T/8 die
Wiesen und Garten einnehmen. Karnten hat demnach zu wenig
Ackerland, um den Bedarf des Landes an Getreide zu decken;
zudem ist auch der Ertrag in der Regel verhaltnissmassig geringer
als am Flachlande. Im Lavantthale wird vorherrschend Weizen, auf
dem Krapfelde Korn und Gerste, in den warmeren Gegenden Mais
und Buchweizen — letzterer sowie die Hirse vorwiegend von
der slawisehen , doch auch von der deutschen Bevolkerung ange-
baut. In den Thalern und an den Bergabhangen ist die Wiesen-
123
kultur, welche viel Kleesamen in den Handel liefert, vorherr-
schend. Bedeutender ist die V i e h z u c h t , deren Betrieb die
ausgedehnten uppig bewachsenen Alpenweiden sehr zu Gute kom-
men, besonders jene des Hornviehes, der Pferde und zum Theil
veredelter Schafe ; auch ist der Karntner als ein eehr fleissiger
Bienenzuchter bekannt.
Wichtig ist der Birgbau und die darauf sich griindende Me-
tallindustrie. Es leben in keinem Kronlande relativ so viele
Bewohner davon wie in Karnten. Das Rohmaterial hat einen Werth
von mindestens drei Millionen Gulden. Die Roheisen-Produk-
tion betrug ira Jahre 1857 iiber 900.000 Zentner, und stieg die-
selbe in dem Zeitraume 1850—1857 um mehr als 55%. Besonders
reich ist die Gegend von Friesach bis in die Umgegend von St.
Leonhard und Wolfsberg, dann die ,,Eisenwurze<4 bei Huttenberg,
endlich Lolling, Lippitzbach u. a. Ferner liefert Karnten das meiste
Blei in Oesterreich (an 60.000 Zentner) — im Erzberg bei Blei-
berg, Raibel beim Predilsattel, — an fossiler Kohle iiber 1 Million
Zentner, nebstdem Zink, Kupfer, Silber, jedoch in geringerer Menge.
Die Industrie Karntens ist stets im Wachsen. Zunachst be-
schaftigt si e sich mit der Verarbeitung der Metalle und zwar in
einem Grade, dass die karntische Eisen- und Stahlwaaren-
Fabrikation sich den starksten osterreichischen Produzenten an-
reiht ; der Export der sehr vortheilhaft bekannten Artikel geht vor-
nehmlich nach Italien. Prevail, mit den grossartigen Eisenwer-
ken, lieferte die ersten Eisenbahnschienen in Oesterreich. Nebst den
Ei senhamm ern im Nordwesten sind noch die Walzwerke von
Frantschach, Lippitzbach und Buchscheiden bekannt, die Maschi-
nengusswerke zu Pre'vali und St. Johann am Briickl. Die
Gewehre von Ferlach waren sehr beriihmt; die Bleiweissfabri-
ken von Klagenfurt und Wolfsberg geniesen europaischen Ruf;
Victring liefert ausgezeichnete Tiicher. Beachtenswerth sind die
Fabrikation in Leder, die chemischen Erzeugnisse, der Maschinen-
bau, die Schrotfabriken in Klagenfurt, Villach, Prevail, die Spiegel
von St. Vincenz u. m, a. Fur den gewohnlichen Bedarf sorgen die
Kieingewerbe in befriedigender Weise. Das kleine, aber an Natur-
schonheiten reiche, von einer strebsamen Bevolkerung bewohnte
Land besitzt an 250 Fabriken und Manufakturen. Ist im Ganzen
die Gewerbthatigkeit auch nicht m annigfal tig; so erfreuen sich
doch die Produkte der Anerkennung im Handel und die Verarbei-
tung der heimischen Rohetoffe ist unbedingt ebenso rationell als
verhaltnissmassig grossartig.
Karnten ist durch seine geographische Lage das natiirliche
Verbindungsglied zwischen dem mittleren Donaugebiete und Italien;
die ,,italienische" Strasse ftihrt aus Obersteiermark nach Italien,
und die vielen Einsattlungen an den Grenzgebirgen sind die natfir-
lichen Fingerzeige fiir den Verkehr. Berechtigte Hoffnungen setzt
das Land auf die im Bau begriffene Eisenbahn, welche es mit
Steiermark, Tirol und dem Venetianischen unmittelbar in Verbin-
dung bringen, und welche die Vortheile der Lage Karntens erhohen
wird. Es exportirt Produkte der Montan-Industrie und animalische
124
Produkte; dagegen fiihrt es Nahrungsmittel, Manufakturen und Hilfs-
stoffe der Industrie und Gewerbe ein.
§ 85. Das Herzogthnin Krahi.
181 GMeilen; — 451.940 (relativ 2491) Einwohner, fast aus schliesslich
Katholiken (etwa 250 Protestanten und 500 Griechen); nach der Nationalitat
Slawen (Slowenen) ; nur 25.000 Gottscheer, dann die Bewohner an der nordwestlichen
Grenze und einige der Hauptstadt gehoren zum deutschen Stamme. — Grenzen:
im N. Karnten, — im W. G5rz, — im S. Istrien und Kroatien, — im 0. Kroatien
und Steiermark.
Boden. Krain, iiberwiegend ein Gebirgsland, ist durch die
Verschiedenheit der Formation von Natur in drei Theile geschie-
den. Oberkrain begreift das obere Flussgebiet der Save bis zur
Eimniindung der Laibach ; der obere nordwestliche Theil ist wahres
Alpenland mit schroffen hohen Bergen und engen Thalern, der un-
tere bildet die grosste Ebene des Landes (das oberkrainische Becken),
aus welcher sich vereinzelte Berge inselartig erheben (Grosskahlen-
berg, Vrasica, Siska). Unterkrain, zwischen der mittleren Save
und der oberen Kulpa ist mit Ausnahme der Gurkfelder Ebene
ein Hiigelland ; im westlichen Theile beginnt schon die muldenfor-
mige Bodenformation, welche in Innerkrain, mit Ausnahme der
ofienen Thaler der Wippach und Idrica, die vorherrschende ist.
Die Gebirge Oberkrains gehoren zu den siidlichen Kalkalpen, und
zwar theils zur Mangart-, theils zur Triglav-Gruppe ; die Karawan-
ken trennen das Land von Karnten ; in nordostlicher Richtung ist die
Grintouc - Gruppe. (Siehe §. 25, B. c. 3. 4. 5.) In der Mangart-
Gruppe findet sich eine Anhaufung von Passbildungen, wie sie nur
zweimal in den Alpen noch vorkommt (am St. Gotthard und am
Ursprung des Inn). Der Triglav-Gruppe ist eine ausgedehnte Al-
penplatte vorgelagert, die im Sudosten zum oberkrainischen Becken
herabfallf. Die Thaler des Isonzo, der Idrica und Zeyer bis zur
Save schliessen die siidlichen Kalkalpen ab; der grosste Theil von
Innerkrain und der nordwestliche von Unterkrain gehoren der Karst-
bildung an. (Siehe §. 25 der Karst.) Innerkrain ist interessant
durch die unterirdischen Gestaltungen, durch seine Grotten (Adels-
berger-, Magdalenen-, Lueger-Grotte u. a.) mit den Tropfsteinge-
bilden, Seen und rauschenden Wassern, durch seine reiche Grotten-
fauna; das Wippachthal mit dem milden Klima ist bekannt durch
eein edles Obst und den guten Wein. — In Oberkrain ist die
grossartige Alpenscenerie mit den wilden Schluchten, Wasserfallen
und Seen, den dichtbevolkerten, gewerbfleissigen Ortschaften in den
Thalweitungen, — in Unterkrain ist das freundliche Hiigelland
mit seinen zahlreichen Weinbergen das Charakteristische des Lan-
des. — Die bedeutendsten Thaler sind — im Osten des Landes
— das Save- und das Gurkthal nebst mehreren kleineren.
Gewasser. Der bedeutendste Fluss des Landes ist die Save,
welche das Land in einer Lange von 26 Meilen durchfliesst, von
Salog (bei Laibach) schiffbar ist und die meisten Gewasser (Zeyer
{Zora], Laibach, Feistritz, Gurk) aufhimmt. Der merkwiirdigste
Fluss ist die Laibach, welche als Poik (Piuka) nach einem drei
Meilen langen Laufe in die Adelsberger Grotte sturzt , dort sich
125
mit mehreren Bachen vereinigt, die am Fusse des Nanos in die
Erde verschwinden. Sie tritt dann als Unz wieder zu Tage, durch-
fliesst das Thai von Planina , verschwindet abermals und kommt
nordostlich von Oberlaibach als Lai bach wieder hervor, wo sie
nach sehr kurzem Laufe schiffbar wird und bei Salog in die Save
mundet. Die Kulpa bildet eine grosse Strecke die Sudgrenze
Krains. Die Wippach und die Idrica flieesen dem Isonzo
zu. In Inner- und Unterkrain gibt es eine grosse Zahl von Bachen,
welche im Kalkboden verschwinden und wieder hervorquellen ;
bei Regengiiesen aber Ueberschwemmungen verursachen. Von den
Seen sind der Zirkniz-, Woheiner- und Veldes-See bereits
friiher'erwahnt worden. Moriiste sind bei Laibach (an 4 QM,) und
an der untern Gurk; ein grosser Theil des ersten, iiber welchen die
Eisenbahn geht, ist bereits trocken gelegt und urbar gemacht wor-
den. Mineralquellen sind zu Toplitz (bei Neustadtl) und am
Veldes-See.
Politi§che Eintheilung. Das Kronland Krain ist admini-
strativ der Statthalterei in Triest untergeordnet, jedoch unter aus-
driicklicher Wahrung der Stellung als Kronland des Reiches mit
eigener Landesvertretung. Der politische Chef in Krain ist der
Landeshauptmann.
Bemerkenswerthe Orte *) sind :
Laibach (21.000 Einw.), Krainburg, Radmannsdorf, Assling, Sava, Eisnern,
Kropp, Steinbuchl, Neumarktl, Stein, Lack, Idria, Wippach, Adelsberg. Planina,
Oberlaibach, Zirkniz, Laas, Reifnitz, Gotschee, Weixelburg, Neustadtl, Toplitz,
Tschernembl, Mottling, Gurkfeld, Landstrass.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache des Landes sind nur beilaufig acht
QM. unproduktiver Boden ,• vom produktiven gehoren tiber 40%
dem Walde an und nur etwa 15% 8in^ Ackerland, welches zudem
ungemein zerstiickelt ist. Ausgedehnter sind die Wiesen, leider
noch mehr die Weiden, auf Weingarten entfallen iiber zwei QMei-
len. Krain ist zwar durch seine Bodenbeschaffenheit und die kli-
matischen Verhaltnisse im Ganzen mehr begunstiget als Karnten,
doch deckt auch hier die landwirthschaftliche Produktion nicht
den Bedarf. In den Handel bringt es Rohprodukte (Kleesamen,
Hanf, den Kohlkopf nach Triest , Obst aus dem Wippacher Thale,
auch Wirthschaftsobst in gedorrtem Zustande) ; — nach Trieet und
Fiume liefert es bedeutende Mengen von Merkantilholz aus den
Schneeberger Waldungen (Innerkrain) und Oberkrain (Stapelplatze :
Planina und Senozec). Die Viehzucht steht nicht auf wunschens-
werther Hohe, woran die grosse Zerstiickelung des Bodens und ala
Folge dessen der Mangel an Viehfutter die Hauptschuld tragen.
Die Bienenzucht wird sehr umfangreich betrieben und liefert viel
Honig und Wachs von geeuchter Qualitat nach Deutschland. Auch
mit der Pflege des Maulbeerbaumes sind gunstige Versuche gemacht
*) Zur Aussprache der slowenischen Worte:
c = z ; — 6 = tsch ;
z = gelindes s ; — z = gelindes sch (= franz. / in jour) ;
s =i sckarfes sch.
126
worden. Ueberhaupt verdient die erfolgreiche Thatigkeit der ,,Land-
wirthschafts-Gesellschaft" mit ihren zahlreichen Filialen fur die He-
bung der Agrikultur und Viehzucht rubmenswerthe Hervorhebung..
Unter den Produkten des Bergbaues nimmt die Gewinnung
des Quecksilbers in Idria (an 3000 Zentner jahrlich, — am meisten
in Oesterreicb, nachst Almaden in Spanien am meisten in Europa — )
den ersten Rang ein. Ausserdem werden zu Tage gefordert: Roh-
eisen, im Jahre 1857 iiber 91.000 Zentner, und zeigt sich fiir die
Periode 1850 — 1857 hierbei eine Produktions- Vermehrung um
59%, Steinkohlen (an */2 Million Zentner, am meisten in Sagor),
Blei (in Knapouze und Sagor), Zink u. a.
Die Industrie ist noch im ersten Stadium ihrer Entwickelung;
man findet wenig grosse Fabriken, dagegen sehr ausgedehnte haus-
liche Gewerbthiitigkeit unter dem Landvolke. Die meisten industriel-
len Unternehmungen hat Oberkrain. Hier bildet die E i s e n verarbeitung
(Jauerburg, Althammer, Feistriz, Sava) den Hauptzweig, dessen Mittel-
punkt Neumarktl ist; Eisnern, Kropp und Steinbiichl erzeugen zumeist
Nagel. Riihmlichen Aufschwung nimmt das Eisengusswerk in Hof (Un-
terkrain). Die grossten Fabriken des Landes sind in und bei Laibach
(Baumwollspinnerei, Ziindwaarenfabrik, Dampfmiihle, Papierfabrik [Jo-
sefsthal bei Laibach], Oelfabriken [Josefsthal, Salog] u, s. f.). Andere
Industriezweige sind: die Spitzenkloppelei (Idria und Stein), Wollspin-
nerei und Strickerei (Oberkrain), ordinare Kotzen, Lodentuch, Fusstep-
piche, Pferdedecken (in und bei Krainburg), Lederbereitung (Stein),
Rosshaarsiebe (Strazise bei Krainburg), ordinare Holzwaaren (Reifnitz
und Gottschee) u. a. m. Das Kleingewerbe ist befriedigend ver-
treten und deckt im Ganzen den Bedarf; besonders zeigt sich
hiebei in Laibach ein Aufachwung. Auch der ,,Gewerbe-Aushilfs-
Verein" in Laibach entfaltet gleich dem ahnlichen Kredit-Institute
in Klagenfurt eine erfolgreiche Thatigkeit, zunachst im Kreise der
niederen Gewerbe,
Der Handel mit Landesprodukten (Honig, Kleesamen, gedorr-
ten Obst, Knoppern, Leinol) und der Getreidehandel mit den Ver-
bindungen in Siasek und Kaniza werden schwunghaft betrieben ;
der ehemals sehr lohnende Speditionshandel hat seit der Beendigung
der Wien-Triester Eisenbahn seine Wichtigkeit grossen Theils ver-
loren. Auch der innere Verkehr entwickelt sich reger , da die In-
dustrie in der Zunahme begriffen ist. Sowie die natilrliche Be-
schaffenheit des Landes, der Reichthum an Heizungsmateriale und
Wasserkraften, die relativ dichte, arbeitsame und geniigsame Be-
volkerung willkommene Vorbedingungen fiir eine aufstrebende In-
dustrie sind; so gewahren die geographische Lage in der Nahe der
ersten Seestadt der Monarchic und die Verbindungsstrassen nach
den benachbarten Kronlandern eine geniigende Biirgschaft fiir den
sich stets entfaltenden Handel. Der Hauptsitz des Handels ist in
Laibach ; Lack kat seine Wichtigkeit verloren, die es ehemals durch
seine Verbindung mit Italien und den Absatz seiner Leinenwaaren
dorthin genossen; dagegen sind Krainburg, Gotschee, Laas und Se-
nozec in kommerzieller Hinsicht von einiger Bedeutung.
127
§. 86. Das Kiistriilaiiil.
(Die gefurstete Grafschaft Gorz und Gradisca, die Markgrofschaft
Istrien und die Stadt Triest mit ihrem Gebiete.)
n; — 520.980 (relativ 3589) Einwobner, mit Ausnahme von Triest,
wo Geschaftsleute verschiedener Glaubensbekenntnisse wohnen, fast ausschliess-
lich Katholiken; nach der Nationalitat uber 3/5 Slawen, '/3 Italiener, bei-
laufig 2% Deutsche, und AngehSrige verschiedener Stamme in grosserer oder gerin-
gerer Anzahl. — Grenzen: im N. Krain und Karnten, — im W. das veHetianisehe
Gebiet, — im S. das adriatische Weer, — im 0. Kroatien und Krain.
Boden. Der nordwestliche Theil des Kronlandes Kiistenland
gehb'rt zum Gebiete der sudlichen Kalkalpen, der iibrige zum
Kalkplateau des Karstes; mit Ausnahme des Miindungsgebietes
des Isonzo und einiger Thalweitungen gehort es somit dem B erg-
Ian de an. Das Alpengebiet wird durch das Isonzothal in die
beiden Gruppen des Monte Canin und des Trig lav geschieden,
welche sich am Engpasse der Fli t sc her - K lau se am nachsten
beruhren. (Siehe §. 25. B. c. N. 5.) Jenseits der Thaler des Isonzo
und der Idrica 1st das Karstplateau, u. z. der Tarnovaner-
Wald, eine fast 2500' hohe, grosstentheijs bewaldete Hochplatte,
dann der eigentliche Karst mit dem Cicer-Boden. Hier ist
die Karstnatur am scharfsten ausgepragt; eine einformige , fast
nackte Hochflache mit karglichem Pflanzenwuchse in den vor der
Bora geschiitzteren Mulden , mit vielen trichterformigen Senkungen
(Doline), in denen sich zu Zeiten Wasser ansammelt, aber bald im
Kalkboden versiegt. In den Gegenden, in denen ein ohnehin kar-
ger Ackerboden vorkommt, wohnt eine arme Bevolkerung. Die Land-
\virthschaft kann nicht ausreichend fur den Bedarf betrieben werden,
fur Errichtung industriellef Etablissements fehlen die Grundbe-
dingungen — Wasser und Heizmateriale ; — den meisten Erwerb
bot vor der Eroffnung der Eisenbahn die Landfracht (das ,,Schlit-
teln"). Zur Bewaldung dieser Flachen ist unter dem Schutze der
Regierung ein ,,Karstbewaldungs-Verein" thatig , dessen bisherige
Versuche zu einigen Hoffnungen berechtigen. — Istrien ist ein
Stufenland, das sich gegen das Meer herabsenkt und durch die in
tiefen Rinnsalen nach Osten, Westen und Siiden fliessenden Ge-
wasser in mehrere Plateaux zerlegt wird. Nur an der Siidwest-
eeite ist ein freundliches, ergiebigeres Hiigelland, sonst ist der ode
und diirre Karstboden wenig fruchtbar ; doch sieht man auch herr-
liche Eichenwalder und weite mitOelbaumen und Reben bepflanzte
Strecken. Die Inseln sind gebirgige Fortsetzungen des Karstbodens.
— Eben er Boden finden sich im Miindungsgebiete der Kiistenfliisse,
die grosste Flache an der Miindung des Isonzo, dessen Thai das
bedeutendste ist. In Istrien sind das Quieto- und Arsathal beach-
tenswerth. Reich ist das Karstland an grossartigen Hohlen mit
den prachtvollsten Tropfsteingebilden und wunderbar seltsamen
Formationen (die Grotte von Corgnale und von S. Servolo,
jene von St. Canzian, von Ospo, auf der Insel Cherso u. a.).
Gewasser. Die Fliisse dieses Kronlandes eind Kiistenfliisse,
welche sich in das adriatische Meer ergiessen. Der bedeutendste
ist der Isonzo, der von der Westseite des Triglav in grossen
128
Windungen das grosste Querthal der Siidalpen durchfliesst , die
Idria und Wippach aufnimmt , reiasend mit starkem Gefalle
und reich an Stromschnellen bis oberhalb Gorz fliesst, wo er in die
Ebene tritt , an Schnelligkeit des Laufes verliert , aber an Breite
zunimmt und (als Stobba) in die von Siimpfen umlagerte Bucht
von Monfalcone miindet. In Istrien sind der Quieto und die Arsa.
— Dieses Kronland wird im Siiden vom adriatischen Meere
bespiilt , iiber dessen Bedeutung friiher gesprochen worden ist.
(Siehe §. 76. S. 101.) Auch der Cepicer-See in Istrien ist be-
reits erwahnt worden.
Politische Eintheilung. Der Statthalterei in Triest sind
nebst der ,,reichsunmittelbaren Stadt Triest" das Gorzer Gebiet,
die Halbinsel Istrien und das Herzogthum Krain untergeordnet.
Die Hauptstadt des Kronlandes ist:
Triest, mit dem Stadtgebiete l.s Q]M. gross, mit einer Bevolkerung von fiber
104.000 Seelen, besteht aus der Alt- und der regelmassig erbauten Neustadt. Sie
ist die bedeutendste Seestadt und nachst Wien die wichtigste Handelsstadt der Mon-
archic, und von grossem Einflusse sowohl fur den einheimischen Verkehr als
1'ur die Beziehungen des Kaiserstaates zum Auslande; insbesondere hat Triest einen
wesentlichen Antheil an der Stellung Oesterreichs im Orient e. Das grossartigste
Institut ist die im J. 1833 gebildete Aktiengesellschaft des nosterreichis chen
Lloyd" (Aktienkapital 9,450.000 fl.), welche regeimassige Veibindungen mit dea
grosseren Haftn des adriatischen, mittellandischen und schwarzen Meeres unterhalt
und die Dampfschiffahrten nach Marseille, Barcellona und Liverpool ausgedehnt hat.
In neuester Zeit bedroht Marseille den Lloyd mit einer gefahrlichen Concurrenz im
Mittelmeere. Im J. 1859 beliefen sich die Brutto-Einnahmen des Lloyd auf 6,804.378,
darnnter die Staats-Subvemion von 1,636000 fl. ; doch trugen mancherlei ungiinstige
Verhaltnisse die Schuld an einem ansehnlichen Deficit, wie sich uberhaupt der See-
verkehr von Triest im J. 1859 ungiinstiger gestaltete als in den Vorjahren. Triest
ist derSiiz der Consulate von alien grosseren Handelsstaaten, der Central-Seebehorde,
des Marine-Oberkommando u. s. w. Andere Anstalten zur Forderung der Industrie
nnd des Handels sind: die Handelskammer, BSrse, Bankfiliale, das Tergesteum, die
stadtische Gommerzial-Leihanstalt, iiber zwanzig Assekuranz-Institute, die nautische und
Handels-Akademie, das grosse Arsenal des Lloyd, mehrere Schiff»werften u. s. w.
Der Scbiffsverkehr gestaltete sich in den letzten Jahren in folgender Art:
1859 1858 • 18bT_
Schiffe Tonnengehalt Schiffe Tonnengehalt Schiffe Tonnengehalt
Angekommen: . 10.969. 779.173 ...10356. 766.915 ...10.733. 747.706
Abgegangen: ..10.710. 777.555 ...10275. 764.850 ...10.772. 773195
Ein specielleres Eingehen in die Ausweise zeigt, dass im J. 1859 nur 7677
beladene Schifie mit 393.713 Tonnen einliefen ; dagegen im J. 1858 8111 Segel-
schiffe mit 479.635 Tonnen; dessgleichen litt die inlandische Dampfschiffahrt, indem
mehrere Linien in Folge der Kriegsereignisse suspendirt werden mussten. Selbst die
neutrale Flagge betheiligte sich im J. 1859 weniger an dem Seeveikehre von Triest.
Gegenwartig werden allseitig Anstrengungen gemacht, um diesen fur Oesterreich hoch-
wichtigen Platz auf den ihm gebuhrenden Rang zu heben. Im J. 1859 zahlte die
Handelsmarine Oesterreichs 9646 Schiffe von 373.016 Tonnen und mit 35.213
Matrosen. Die Kriegsmarine zahlt 37 Fahrzeuge (darunter 1 Linienschiff, 5 Fre-
gatten, 12 Dampfer u. s. w.), der Personalstand derselben (im J. 1860) 6952 Mann.
Andere bemerkenswerthe Orte sind :
1. Gorz (11.000), Gradisca, Monfalcone, Aquilej a, Cormons, Flitsch, Tollmein,
Duino, Heidenschaft ;
2. (in Istrien) Mitterburg (Pisino, 3500), Capo d'Istria (8500), Isola,
Pirano (9500), Rovigno (12.000), Pola, Parenzo, Cittanuova, Dignano, Volosca,
Albona, Montona.
Inseln: die Brioni'schen Inseln in (Nordwesten von Pola); im Quarnero:
Veglia, Cherso, Lussin und viele kleinere Inseln und felsige Eilande (scoglj).
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Obwohl an 90 % der Gesammtflache zum produktiven Boden
129
zu rechnen sind, so 1st doch die Ertragsfahigkeit eine sehr geringe,
da Wasser- und Regenmangel dem Getreidebau, welchem nur
etwa Yo des Bodens zugewiesen ist, sehr hinderlich sind. Ueberdiess
ist die kultivirbare Flache ungemein zerstiickelt, der Ertrag auch
ein relativ geringer und die Produktion deckt demnach bei Weitem
nicht den Bedarf. Die Hauptfruchte sind Mais und Weizen, als
Nachfrucht der Buchweizen. Wahrend auf die Wiesen % des
Terrains entfallt, nehmen die "VVeiden uber 2/5 ein; ausgebreitet
dagegen sind der Weinbau und die Olivenwalder. Der Wald-
stand ist im Ganzen ein geringer (nur T/3 des Bodens) ; nur die
grosaen Eichenwaldungen bei Montona , welche Schiffbauholz fur
die kaiserliche Marine liefern, machen davon eine Ausnahme. Die
Obstkultur erfreut sich — ausser bei Gorz — keiner besonderen
Pflege; dagegen liefert der Oelbaum in Istrien und auf den quar-
nerischen Inseln Oel von guter Qnalitat und trotz des grossen Ver-
brauches uber den Bedarf. Die Viehzucht ist in keiner Richtung
erheblich, nur im Gorzer Gebiet wird mehr Sorgfalt darauf ver-
wendet, wo auch die Seidenkultur sehr giinstige Fortschritte
macht. Von Wichtigkeit ist die Seefischerei.
Ein Merkmal des Landes ist der vollige Mangel an Me-
t a 11 en. An Steinkohlen wurden in letzter Zeit etwa % Million
Zentner zu Tage gefordert (Albona und Pinguente in Istrien).
Meersalz wird in den Salioen zu Capo d'Istria und Pirano — im
mittleren Jahresdurchschnitt an 600.000 Zentner im Werthe von 3
Mill. Gulden — gewonnen. Istrien hat sehr viel Baust ei n e (Istria-
ner Marmor), welche ehemals einen Hauptartikel des Handels nach
Venedig bildeten.
Der Gorzer Kreis, die Stadt Triest und die Halbinsel Istrieu
bilden in Bezug auf die Be schaf tigung der Bewohner drei
verschiedene Landstriche. Im nordlichen und nordostlichen Theile
des Gorzer Kreises bildet die Rindviehzucht den wichtigsten
Nahrungszweig , im siidwestlichen der Wein- und Seidenbau.
Weiters sind in diesem Kreise zwei Baumwollspinnereien, eine grosse
Zuckerraffinerie , Seidenzeug-Fabriken, die europaisch bekannte (in
Oesterreich grosste) Rothgarnfarberei in Heidenschaft (Aidussina,
slaw. Ajdovsna). — Triest ist verhaltnissmassig keine Fabriks-,
sondern eine sehr wichtige Handelsstadt , erzeugt jedoch nebst den
fur den Schiffbau erforderlichen Gegenstanden (Seilerwaaren, Se-
geltuch, Zwieback u. s. f.) viel Rosoglio, Leder, Oelseife, Kerzen u. a.
Grossartig sind die technischen Werkstatten der Gesellschaft des
osterreichischen Lloyd. — Istrien hat keine Fabriken, die
Hauptthatigkeit beschrankt eich ausser dem Wein- und Oelbau
auf die Gewinnung von Seesalz und auf die Fischerei, den
Schiffbau und jene Gewerbe, welche mit der Ausrustung der
Schiffe in Verbinduug stehen. Das Gleiche gilt von den zu diesem
Kronlande gehorigen Inseln.; insbesondere hat L us a in piccolo
in jiingster Zeit sehr grosse Fortschritte im Schiffbau und den da-
mit verbundenen Gewerben gemacht. — Fiir den Handel Oester-
reichs sind Triest und das Kustenland von grosster Bedeutung.
Klua's Handels- Geographic. 2. Ann.
130
§. 87. Die gcfiirstete Grafschaft Tirol mid Vorarlberg.
523 QMeilen; — 851.000 (relativ 1627) Einwohner, fast ausschliess-
lich Katholiken; — nach der National! tat 8/s Deutsche und 2/5 Walsche
(320.000 Italiener, 9COO Ladiner). — Grenzen: im N. Baiern, — im W. die
Snhweiz, Lichtenstein, Lombardei, — im S. Lombardei und Venedig, im 0. Venedig,
Karnten, Salzburg.
Boden. Tirol ist ein wahres Gebirgsland, denn das Bergland
nimmt fast 9/1(, der Oberfiache ein; es ist das hochste Gebirgsland
Oesterreichs, eine Fortsetzung der hohen Alpenmassen der Schvreiz.
Die Central-, die nordlichen und siidlichen Kalkalpen durchziehen
das Land, zwischen denen sich drei Hauptthaler (das Inn-, das
Etsch- und das Pueterthal) mit sehr vielen Nebenthalern ausdeh-
nen. Die nordlichen Kalkalpen (Algauer Alpen) erstrecken
sich vom Bodensee bis zur ostlichen Landesgrenze. (Siehe nordliche
Kalkalpen S. 25.) Die C entralalpen, die eigentlichen Tiroler-
Alpen sind das bedeutendste Massengebirge , in der ganzen Aus-
dehnung von Gletschern bedeckt, mit hohen Spitzen, zahlreichen
Widerlagen und Armen. Die Hauptmasse durchzieht das Land von
West nach Ost ; die bedeutendste Widerlage langs der westlichen
Landesgrenze von Norden nach Siiden enthalt die hochste Berg-
spitze der Monarchic (den O'rtler). Die B renne r-Einsenkung
scheidet sie in zwei Hauptgruppen. (Siehe Central-Alpen, S. 24 und
25.) — Die siidlichen Kalkalpen gehoren zumeist als Grenz-
gebirge dem Lande an. Zwischen dem Garda-See und der Etsch ist
der schroffe Riicken des Monte Baldo ; ostlich von der Etsch sind
die Gruppen der Venetianer- Alpen, deren Masse im Venetianischen
liegt und wovon nur Verzweigungen nach Tirol auslaufen. (Siehe
siidliche Kalkalpen S. 27.) — Die Tiroler Gletscher (^Ferner"
genannt) nehnien einen Raum von fiber 23 QMeilen ein; der Haupt-
stock ist die Eismasse der Oetzthaler Ferner, zu welchen der Hoch-
vernagt , der Gebatschferner u. a. gehoren, iiber mehrere derselben
fiihren Saumpfade (der belebtesfe iiber den Jaufen von Sterzing
in das Passeyerthal). — Von Bedeutung fiir die gesammten Kultur-
verhaltnisse des Hochgebirgslandes sind die sehr zahlreichen T h a-
ler, welche in der Regel enge, selten iiber eine Stunde breit, da-
gegen langgestreckt sind; bedeutende Thalweitungen und Ebenen
kommen gar nicht vor. Das langste Thai ist das Inn thai (33 M.
lang, bis zur Melach-Miindung Ober-, dann Unterinnthal), in
welches das Oetz thai und das Zillerthal miinden; dem Flachen-
inhalte nach ist jedoch das Etschthal grosser; der obere Theil
— Vintschgau — ist durch die grossartige Alpennatur, der untere
durch seine uppige Vegetation und sein mildes Klima ausgezeich-
net. Das von der Rienz bewasserte Pusterthal ist besonders we-
gen der Zucht des Hornviehes bekannt. Im Vorarlberg sind das
Rh ein thai, das 111 thai (Ochsenthal), Vermontthal , Montavon-
thal) und bei Bludenz der Walgau.
Oewasser. Die Gewasser Tirols gehoren drei Flnssgebieten
an, jenem des Rhein, der Donau und der Etsch. Der Rhein
gehort nur etwa auf einer fiinf Meilen langen Strecke als Grenz-
fluss zu Oesterreich. Er nimmt die meisten Wildbache Vorarlbergs
auf, der namhafteste Nebenfluss desselben ist die II }. — Die be-
131
deutendsten Fliisse des Landes gehoren zum Geader der Donau.
Der Lech und die Isar erhalten ihre Bedeutung erst nachdem
sie nach Baiern getreten (ersterer unterhalb Fiissen , der zweite
durch den Scharnitz-Pass). Der grosste Fluss des Landes ist der
Inn, der durch Finstermiinz-Clus nach Tirol eintritt und es unter-
halb Kufstein verlasst. Schon nach der Einmundung des Oetzbaches
wird er flossbar , doch erst von Hall ab schiffbar. Er nimmt
sehr viele Wildbache auf, die wegen der haufig wiederkehrenden
Verheerungen beruchtigt sind. Die Drave vom Toblacher Felde
wird erst nach ihrem Eintritte in Karnten schiffbar. — Die E t s c h,
welche bei Gargazan flossbar, unterhalb Botzen schiffbar wird, nimmt
den Eisack, den La vis und den Nosbach (Noce) auf. Dem
Gebiete des adriatischen Meeres gehoren noch die Brenta, Sarca,
Chiese und Piave. Seen hat das Land sehr viele, aber meist hoch-
gelegene, kleine Alpenseen. Vom Bodensee gehoren 4'/2 Meile zu
Vorarlberg , vom Garda-See 2T/4 Meile zu Tirol. An Gesund-
brunnen ist das Land ebenf alls reich, die besuchtesten sind Mit-
terbad (im Ultenthale), Rabbi und Pejo (im Sulzberg), May-
statt, Innichen, Altprax u. a. im Pusterthale.
Politische Eintheiliing. Die Landeshauptstadt Innsbruck
ist der Statthalterei unmittelbar untergeordnet.
Bemerkenswerthe Orte sind in:
1. (Nordtirol) Innsbruck (14.200 Einw.), Hall, Kufstein, Schwatz, Rattcnberg,
Kitzbuchel, Achenrain, Imst, Landeck, Zirl, Reute ;
2. (Mittel-Tirol) Brixen (3500), Sterzing, Brunecken, Innichen, Lienz, Win-
disch-Matrei, Botzen, Klansen, Meran, Glurns;
3. (Siid-Tirol) Trient (14.000), Roveredo, Riva, Arco, Ala, Levico, Lavis ;
4. Vorarlberg: Bregenz (3500), Feldkirch, Bludenz, Hohenembs, Dornbirn.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Bodenverhitltnisse des Landes sind mit Ausnahme eini-
ger Thaler fiir die physische Kultur nicht gunstig. Werden auch
etwa 2/3 der Gesammtflache auf nutzbaren Boden im Allgemeinen
gerechnet , so entfallen von der produktiven Flache doch nur an
8% auf das Ackerland, doppelt so viel auf Wiesen und Garten, an
6 QMeilen auf Weingarten ; dagegen iiber 50% auf Waldungen
und iiber 20% auf Weiden ; — an 195 QMeilen (oder mehr als ein
Drittheil des Landes) aber ist ganz odes, unkultivirbares Land. Es
hat somit kein Kronland in Oesterreich so viel unbenutzbaren Boden.
Im Siiden kommen in geringerer Ausdehnung auch Kastanien- und
Olivenwalder vor.
Der Ackerbau ist vielfach mit grossen S chwierigkeiten ver-
bunden und liefert auf der geringen Flache bei weitem nicht fiir
den Bedarf, welcher durch Getreidezufuhren aus dem benachbarten
Baiern gedeckt wird. Auf den Wiesenbau wird grosse Sorgfalt ver-
wendet, die vortrefflichen Alpenwiesen («Almu) sind der Viehzucht
sehr dienlich, welche eine Haupterwerbsquelle bildet. Trotz des gros-
sen heimischen Bedarfes an Milchprodukten gelangt (zumeist aus
dem Bregenzer Walde) doch vorziiglicher Kase zum Export. Unter
der Viehzucht hat jene des Rindviehes den ersten Rang ("Bregenzer
Wald, Lechthal, Pusterthal); — die Schafzucht wird nur fiir
den Hausbedarf betrieben; — die Bienenzucht ist in Vorarl-
9*
132
berg, jene der Seidenraupe sehr schwunghaft in Siidtirol. Die
Obstkultur ist sehr bedeutend, namentlich bei Meran ; die Citro-
nengarten am Garda-See diirften ihresgleichen schwerlich irgendwo
finden; auch das Montavon-Thal ist im Obstbau bekannt. Der Wein
ist em Hauptprodukt in Siidtirol, doch gibt es nur wenig bessere
Sorten; bei Feldkirch kommt ebenfalls einiger Weinbau vor. Flachs,
Hanf und Tabak werden in grosseren Mengen gebaut. Den be-
sten Flachs liefert das Oetzthal (an 3500 Zentner), der Leinsamen
aus dem Inn- und Oetzthale wird exportirt.
Der ehemalige Reichthum an edlen Metallen besteht nicht
mehr. Den Hauptreichthum in dieser Beziehung hat jetzt das Land
an Salz (Hall), Kohl en und Eisen; doch erreichen die Produkte
des Bergbaues (mit Ausuahme von Salz) kaum den Werth von
Vg Million Gulden jahrlich, wovon an 3/4 auf ararische Werke ent-
fallen.
Tirol ist im Allgemeinen zwar kein Industriclaiid ; doch
lassen sich in dieser Richtung drei Hauptgruppen aufstellen : Vor-
a rib erg, Siidtirol mit dem Charakter der italienischen Land-
schaft und das iibrige Deutschtirol mit seinen zahlreichen Tha-
lern. — Vorarlberg hat eine ausgedehnte Industrie, insbesondere
eine sehr schwunghafte Baumwollindustrie (an 20 Spinnereien, viele
Webereien, Druckereien , Rothfarbereien , Bleich- und Appretur-
Anstalten), und ist nachst Niederosterreich und Bohmen der starkste
Produzent (Geldwerth der jahrlichen Fabrikate beilaufig 2 Millio-
nen Gulden). Fabriksorte sind: (Spinnereien) Kennelbach, Feld-
kirch, Burs, Thilringen, Fussach, Bludenz, Dornbirn ,• Hohenembs,
Mehrerau, — (Gusswerke) in Dornbirn und Frastanz, — (Ma-
schinenbau) in Frastanz und Feldkirch, Papier fabrik in Blu-
denz, Schiffbau und Verfertigung von Alpenhiitten fur die Schweiz.
— Die relativ meisten Fabriken sind im Rheinthal und im Wall-
gau; — auch die Handweberei und Stickerei ist wie im Nachbar-
gebiete der Schweiz.
In Siidtirol gibt die Seide den Haupterwerb durch die
zahlreichen Filanden (uber 800) und Filatorien (iiber 50); dagegen
bestehen wenige Etablissements fiir die Verfertigung von Seiden-
waaren. Die grosste Filande in der Monarchic ist zu Lizzanella (bei
Roveredo), auch die umfassenderen Filatorien sind um Roveredo,
Mori, Borgo u. s. w. ; bei Ala bestehen (schon seit dem Jahre 1640)
Sammtfabriken.
In den iibrigen Theilen von Deutschtirol kommt die In-
dustrie nur vereinzelt, hauptsachlich in den Thalern vor, und
treten die Leder- und Eisenindustrie verhaltnissmassig am stark-
eten hervor; erstere um Roveredo, letztere hauptsachlich im Stubai-
thale, dann im Puster- und Fleimserthale und in den sudlichen , in
das Venetianische ausmiindenden Thalern. Im Oetz-, Passeyer-, Inn-
und Pusterthale kommt die Leinen-Handweberei , die Verfertigung
von Lodentuch und Teppichen vor, — im Zillerthale und im Pu-
sterthale jene der Handschuhe, — im Grodnerthale herrscht die
Holzschnitzerei und die Spitzenkloppelei. Einzelne dieser wohlfeilen
Erzeugnisse kommen sogar zum uberseeischen Export. Bedeutendere
Industrieorte im genannten Theile Tirols sind: Imst, Innsbruck,
Telfs (fur Baumwollwaaren) ; — fiir Metallwaaren : Brixlegg, Achen-
rain (Messingwerk) , Stans, Schwatz; — endlich kommen Papier-,
Tabakfabriken, Zuckerraffinerien u. a. w. vor.
Hauptplatze fiir den Handel sind: Innsbruck, Botzen (mit
vier stark besuchten Messen), Feldkirch (bedeutender Speditions-
handel), Trient (Viehmarkte und Handel mit den Industrie-Erzeug-
nissen der Umgebung) , Roveredo (Haupthandelsplatz fiir Seide),
Riva (Haupthafen des Garda-Sees, Handel mit Holz, Kohle, Oel
und Seide). Der Hausirhandel wird in sehr ausgedehntem Masse
betrieben, und man nimmt an , dass bei 30.000 Tiroler mit ein-
heimischen Produkten halb Europa durchziehen ; aber mit dem
ersparten Gewinne kehrt der Tiroler gerne in die mm Hebe Heimat
zuruck.
§. 88. Das Konigreich Bohinen.
944 n^eilen; — 4,705.530 (relativ 4985) Einwohner, — iiberwiegend
Kat ho liken (etwa 90.000 Protestanten, 76.000 Israeliten); — nach der Natio-
nalitat uber s/5 Slawen (Cechen) und nahezu 2/5 Deutsche. — Grenzen: im N.
Preussen, Sachsen, — im W. Baiern, — im S. Ober- und Nieder-Oesterreich, — im
0. Mahren.
Boden. Bohmen ist mit Ausnahme des Elbethales (von Pode-
brad ab) ein Hochland. Das bohmi sch-mahrische Plate au
mit durchgehends wellenformigem Charakter und einer zwischen
1200 — 2000' wechselnden Erhebung erfiillt den ganzen ostlichen,
siidlichen und westlichen Theil des Landes. Im Inneren des Landea
ist es gebirgiger als im Osten, es ist der relativ minder fruchtbare
Theil, reich mit Waldern bedeckt, erzeugt Getreide, Obst, aber kei-
nen Wein und wird nur von der Wittingauer und Budweiser Ebene
unterbrochen. Die Moldau durchzieht das ganze Plateau in einem
engen felsigen Thale, dessgleichen beinahe alle in die Moldau sich
ergiessenden Fliisse, Mit diesem Plateau hangt im Westen der Boh-
merwald zusammen, der jedoch ein eigenes Gebirge bildet; cha-
" raktenstisch sind dessen langgezogene Rticken, durch Langenthaler
von einander getrennt, und die dichten Waldungen. Er erstreckt
sich in einer Lange von 28 Meileii bis zur Donau herab, fallt an
der bairischen Seite steiler ab und wird in einen hoheren (siid-
lichen) und einen niederen (nordlichen) Theil getrennt. Das FTcjL=— >
telgebirge gehort nur zum geringsten Theile nach Bohmen ; der
Fuss dieses Schieferplateaus zieht sich nach Bohmen bis Eger.
Durch die Einsenkung nordostlich von Eger ist davon daaE r z-
gebirge getrennt, welches nach Bohmen steil abfallt, von vielen
Klein en Thalern durchschnitten ist und eine mittlere Kammhohe
von 2200' mit einzelnen hoheren Kuppen besitzt. Es ist gut bebaut
oder bewaldet und der Sitz eines regen Bergbaues so wie einer leb-
haften Industrie. — Am rechten Elbeufer ist das LausiLz-er-
Plateau (2000'), bestehend aus einzelnen, unzusammenhangenden
"€hPnpp^n7*H6her erheben sich die parallelen Kamme (durchschnitt-
lich 3000') dea laergebirgea^-welchea durch die Einsattlung von
Neuwelt vom"~noch hSheren (iiber 4000' hohen) Granitriicken dea
Riesengebirgea getrennt ist. (Schneekoppe 5095', Sturmhaube
4666'). Das Kiesengebirge hat den ausgepragtesten Gebirgscharakter ;
die Gipfel reichen schon fiber die Baumgrenze hinauf, auf dem brei-
ten Rticken kommen sumpfige Wiesen und Knieholz vor, wahrend
an dem tieferen Gehange' ansehnliche Waldungen stehen. Das Ad-
lergebirgs (Schneeberg 4429') endigt mit der ,,hohen Mense"
(3614') und ist durch die Triibauer Einsenkung vom bohmisch-
mahrischen Plateau geschieden. — Breite Thaler hat Bohmen
wenige. Die Elbe bildet zwischen Josephstadt und Leitmeritz,
die Moldau erst unterhalb Prag , die Eger die E b e n e von Laun ;
Tiefebene ist jedoch bios das erwahnte Elbethal von Podebrad an.
Ausser den bereits friiher genannten Ebenen ist die Georgenthaler
Ebene im Saazer Kreise vielleicht die am meisten horizontale Flache
Bb'hmens.
Gewasser. Bohmen erfreut sich eines grossen Wasserreich-
thums und gehort fast ganz zum Gebiete der Elbe, welche jedoch
sowohl nach der Wassermenge, als der Lange des Laufes und der
Grosse des Gebietes von ihrem bedeutendsten Nebenflusse — der
Moldau — iibertroffen wird. Nachst der Moldau ist der wichtigste
Nebenfluss die Adler. Vom Fichtelgebirge fliesst ihr die Eger,
vom Erzgebirge die Be la zu. Die Iser ergiesst sich, nachdem sie
mehrere Zufliisse aufgenommen, oberhalb Alt-Bunzlau in die Elbe.
Die Moldau fiihrt die Wasser der Luschnitz, Wotawa, Sa-
zawa, Beraun mit zahlreichen kleineren Fliissen zu. Ausser eini-
gen unbedeutenden Gebirgsseen im Bohmerwalde besitzt das Land
Seine Seen, dagegen im Siiden viele, mitunter grosse Teiche,
aber nur einen Kanal, der die kalte Moldau mit dem Muhlflusse
(oberhalb Haslach in Oesterreich) verbindet und zum Flossen des
Holzes aus den filrstlich Schwarzenbergischen Waldungen benutzt
wird. Von Wichtigkeit sind die Torfrnoore im Bohmerwalde. —
Weltberiihmt sind die ^bohmischen B'ader," welche alljahrlich
von Tausenden von Kurgasten aus alien Landern Europas, ja aus
den andern Erdtheilen besucht werden. Darunter sind besondcrs be-
ruhmt: Karlsbad, Marienbad, Franzenabad, Teplitz, Bilin,
Seidschitz, Piillna, Sedlitz, Giesshiibel u. a., deren Wasser auch
weithin versendet werden.
Politische Eintheilung. Das Konigreich Bohmen wird in 13
Kreise eingetheilt, welchen die Bezirksamter unterstehen. Der Sitz
der Statthalterei ist in der Landeshauptstadt Prag (143.000 Ein-
wohner).
Prag (cechisch Praha) besteht ans vier Stadten, der Alt- und Neustadt, der
Kleinseite ond dem Hradschin, und den Vorstadten Smichov und Karolinenthal. So-
wohl die herrliche Lage der Stadt an beiden Ufern der schiffbaren Moldau und zum
Theil auf den sie begleitenden Anh5hen, als auch die Menge alter und kunstreicher
monnmentaler Gebaude zeichnen die altehrwiirdige Residenz der b5hmischen Konige
vor den meisten andern Stadten der Monarchie aus. Zahlreiche Palaste, darunter die
weitlaufige k. k. Burg, herrliche Kirchen (Metropolitankirche St. Veit, die Teinkirche
u. v. a.), die grosse Karlsbrucke und viele historische Monumente gehoren zu den
Sehenswurdigkeiten. Die Stadt ist der Sitz der hochsten Landesbehorden und eines
Fursterzbischofes. An Bildungsanstalten besitzt Prag die alteste Universitat Deutsch-
lands (gegrundet von Carl IV. im J. 1348) mit alien nothigen Hilfsanstalten, die
kSnigl. Gesellschaft der Wissenschaften, die Gesellschaft des vaterlandischen Museums
(eine Abtheilung bildet die Matice ceska fiir die wissenschaftliche Pflege der bohmi-
schen Sprache und Literatnr) und andere wissenschafcliche Vereine, Ferner eine
135
standische technische Lehranstalt, 3 Gymnasien, eine deatsche und eine cechische
Oberrealschale, eine hohere Handelslehranstalt, eine Kunstakademie, Conservatorium
der Musik u. s. \v. Nicht minder zahlreich sind die Wohlthatigkeits- und Heil-
anstalten. Sehr bedeutend ist der Gewerbfleiss dieser beruhmten Stadt und ihrer
nachsten Umgebung; die meisten Zweige der technischen Kultur sind rubmenswerth
vertreten. Besonders sind die Kattnndruckerei, chemische Prodnkte, Leder, Hand-
schuhe, Silberarbeiten, Maschinen, musikalische Spiehverke n. s. w. erwahnenswerth.
Prag ist der Mittelpunkt des bohmischen Handels; die grossen Fabriken des Landes
halten hier ihre Niederlagen, und die Eisenbahn begnnsiiger, auch den Durchfuhr-
handel. In nenester Zeit sind Industrie und Handel dnrch mehrere zeitgemasse An-
stalten gehoben worden.
Andere bemerkenswerthe Orte *) sind :
1. Prager Kreis: Melnik, Pribram, Bastehrad, Konigsaal, Eule, Beraun,
Brandeis, Rakonitz, Schlan, Bohmisch-Brod, Hofowic, Kladno, Alt-Bunzlau ;
2. Leitmeritzer Kreis: Leitmeritz (5500), Theresienstadt, Bohmisch-
Leippa, Rumburg, Teplitz, Tetscben, Biirgstein, Bodenbach, Lobositz, Warnsdorf,
Haida, Auscha, Aussig, Grauppen, Zinnwald, Raudnitz, Sandau, Nixdorf, Sclionlinde,
Schluckenau, Zwickau, Georgenthal;
3. Ji6iner Kreis: Ji6in (oder Gits chin 4500), Hohenelbe, Arnau, Lom-
nitz, Jungbuch, Starkenbacb, Trautenau, Chlumetz, Lauterwasser, Neuwelt, Rochlitz,
Schatzlar, Semil ;
4. Bunzlauer Kreis: Jung-Bunzlau ("5500), Reichenberg (18.000),
Reichstadt, Niemes, Friedland, Liebwerda, Tannwald, Gablonz, Libenau, Turnau,
Munchengratz, Hirschberg, Gabel, Kosmanos, Josephsthal, Bohmiscb-Aicha, Eisenbrod,
Kratzan;
5. K6niggratzer Kreis: Koniggratz (8000), Josephstadt, Braunau,
Koniginhof, Reichenau, Grulich, Senftenberg, Adersbach, Skalitz, Wiesen, Weckelsdorf ;
6. Chrndimer Kreis: Chrudim (6000), Pardubitz, Leitomischl, Hohen-
mautb, Policka, Landskron, WHdenschwert;
7. Caslauer Kreis: Caslau ("3500), Kuttenberg, Hampolec, Polna, Cho-
tebor, Kladrub, Kaui-im, Kolin, Ledec, Peles, Elbe-Teinitz, Switla, Podebrad ;
8. Taborer Kreis: Tabor (4500), Beneschau, Patzau, Pilgram, Wlasim ;
9. Bndweiser Kreis: Budweis (11.000), Krumau, Neuhaus, Rosenberg,
Wittingau, Gratzen, Adolphsthal, Goldenkron;
10. Piseker Kreis: Pisek (6300), Horazdiowic, Bergreicbenstein, Strako-
nic, Winterberg, Adolph- und Eleonorenhain, Schuttenhofen, Prachatic ;
11. Pilsner Kreis: Pilsen (12.000) Klattau, Mies, Neugedein, Nepomuk,
Taus, Plas, Rokycan, Radnitz, Bischofteinitz ;
12 Eger Kreis: Eger (11.000), Franzensbad, Marienbad, Karlsbad, Elbo-
gen, Joachimsthal, Asch, Gottesgab, Schlaggenwald, Graslitz, Konigswart, Flatten,
Maria-Kulm, Altsattel, Hirschenstand, Dallwitz, Alt-Rohlau, Pirkenhammer (Ham-
mer), Heinrichsgriin, Neudeck, Tachau, Buchau ;
13. Saazer Kreis: Saaz (5700), Brux, Kaaden, Klosterle, Pressnitz, Dux,
Bilin, Sedlitz, Pulna, Seidschitz, Komotan.
Kulturverhaltnisse im Allgeminen.
Ueber 7/8 der Gesammtflache Bohmens sind nutzbarer Bo-
den; fast die Halfte davon (an 400 CjMeilen) ist fruchtbares,
gut bestelltes Ackerland, nahezu V3 entfallt auf Waldungen , '/8
auf Wiesen und Garten und an 60 QMeilen sind Weideland. Die
Flache des Ackerlandes ist somit so gross , als jene der iibrigen
Kulturgattungen zusammen genommen, und Bohmen nimmt in Be-
zug auf den Ackerbau den zweiten Rang im Kaiserstaate ein. Der
Brutto-Ertrag der Kornerfrucht, wovon im Jahresdurchschnitt uber
1 l/s Million Metzen exportirt werden, hat einen Werth von mehr als
*) Zur Aussprache: c = z; — 6 =» tsch ; — 6 = je; — z = gelindes s ;
— 2 =» gelindes sch (= franz. j in jour) ; — s = scharfes sch ; — r -= rz.
136
90 Millionen Gulden. Geringere Sorgfalt wird der Wiesenkul-
tur zugewendet; im Siiden wird viel Klee gebaut. Der Obstbau
wird stark betrieben ; der Ertrag deckt nicht nur den bedeutenden
Bedarf, sondern liefert auch f'iir den Export nach Norden. Auf
gleicher Hohe steht im Allgemeinen derGemusebau, wovon jahr-
lich an 50.000 Zentner ausgefiihrt werden. Der Weinbauhat
einen beschrankten Bezirk und ist elier in der Abnahme, er liefert
ejtwa 13.000 Eimer, darunter die geschatzten Sorten Melniker und
Cernoseker. Von besonderer Wichtigkeit ist der Hopfenbau im
Saazer- und Leitmeritzer Kreise, welcher nicht nur den ansehn-
lichen inlandischen Bedarf deckt, sondern auch sehr gesuchte Waare,
die keine Konkurrenz zu scheuen braucht, zum Export bringt.
Flach s wird in alien Gebirgsgegenden angebaut und sind in neue-
ster Zeit im Riesengebirge wesentliche Verbesserungen im Anbau
und in der weiteren Bearbeitung eingefiihrt worden. — Der Anbau
der Runkelruben wachst fast mit jedem Jahre, — Einen grossen
Reichthum bilden endlich die Wai dun gen, deren durchschnitt-
lichen Holzertrag man jahrlich mit mindestens 3'/2 Million Klafter
veranschlagt. Den Gesammtwerth der landwirthschaftlichen Produk-
tion (mit Ausschluss der Viehzucht) schatzt man im Jahresdurch-
schnitt auf beilaufig 190 — 200 Millionen Gulden. — Diese allge-
meine Charakteristik erleidet jedoch in dem ausgedehnten Lande
mancherlei Abstufungen, insbesondere in Bezug auf die vier nord-
ostlichen Kreise Bohmens : Leitmeritz, Jicin, Bunzlau und Konig-
gratz oder den ,,Bezirk der Reichenberger Ha ndelskammer.'4
Ungeachtet der relativ grossen Ackerflache reicht deren Ertrag doch
lange nicht hin, den Getreidebedarf dieses Kammerbezirkes zu decken,
da in Folge der Lage die durchschnittliche Fruchtbarkeit des Bodens
eine geringe, die Bevolkerung dagegen ausserordentlich dicht ist *).
Auch das Verhaltniss des Waldbodens ist, trotzdem der Kam-
merbezirk vorwiegend Gebirgsland ist, ein auffallend geringes und
erklart die Hohe der Holzpreise, was namentlich auf die Rohglas-
erzeugung nachtheilig einwirkt.
Die Viehzucht steht noch nicht durchgehends auf der wiin-
schenswerthen und erreichbaren Hohe; nur die S c h afzucht macht
die grossten Fortschritte, denn mehr als die Halfte sind bereits hoch-
veredelt. Fur die Pf erdezucht ist das Hofgestiit zu Kladrub wich-
tig. Die Zucht des Gefliigels (besonders Ganse und Huhner) ist
sehr bedeutend ; im Budweiser Kreise und um Pardubitz die Teich-
wirthschaft. Der Wildstand ist gegen fruher sehr gesunken.
Wichtig und von Alters her beruhmt ist Bohmens Reichthum
an Produkten des Mineralreiches; gait es doch ehemals fiir das
gold- und silberreichste Land. Eule liefert noch immer etwas Gold,
in PHbram und Joachimsthal wird Silber, in dem ehemals be-
riihmten Kuttenberg Kupfer und Blei gewonnen, dann findet man
Zinn, Bleiglatte, Eisen, Schw efel u. s. f. — Die Aus-
beute an Stein kohlen (in Kladno, Radnitz, Nachod, im Bud-
*) Im Dnrchschnitte kommen hier anf 1 QMeile iiber 6600 Bewohner ; im Bezirke
Warnsdorf uber 19.100, — Reichenberg fast 15.740, — Starkenbach 11.100, — Na-
chod iiber 8600 Einwohner auf eine
137
weiser Kreise) betrug im Jahre 1855 an 18 Millionen Zentner, auch
Torf wird viel gewonnen. Nur Salz fehlt, Bohmen hat weder
Salzberge noch Salzquellen. — In den nordostlichen Theilen hat
Bohmen einen ansehnlichen Reichthum an Edel- und Halbedelstei-
nen ; die zahlreichen Mineralquellen im Nordwesten sind weltberuhmt.
Die natiirliche Beschaffenheit des Landes ist auch fur die In-
dustrie ausserst gunstig , in manchen Beziehungen vielleicht noch
giinstiger als jene von England. Der Reichthum an Waldern, Stein-
kohlen und Wasserkraften ist dem englischen ve r hal tnissm as-
sig fast gleich; dazu aber kommt in Bohmen die grossere Produk-
tion des Bodens und darum viel geringere Arbeitslohne. Bei giin-
stigen Handelsverhaltnissen wird Bohmen den besten rheinischen,
belgischen und englischen Industriebezirken zur Seite gestellt wer-
den konnen. In Oesterreich nimmt es in dieser Richtung unbestritten
den ersten Rang ein. Sind auch einzelne Industriezweige im
ganzen Lande vertheilt ; so sind doch die Gegenden langs des Erz-
und Riesengebirges bis zur mahrisch-schlesischen Grenze, zumeist
die Kreise Leitineritz, Bunzlau, Jiein und Koniggratz, welche den
Bezirk der Handels- und Gewerbekammer zu Reichenberg bil-
den, die Hauptsitze der Industrie.
Den ersten Rang mit dem relativ hochsten Ertrage nehmen
die beilaufig 150 Fabriken fiir Schafwollwaaren ein, unter de-
nen Reichenberg den Hauptsitz fiir Tuche und Wollwaaren
bildet. Die Schafwoll-Industrie dieses Kammerbezirkes beschaftigte
(im Jahre 1856) iiber 25.400 Arbeiter, und der Gesammtwerth der
Produktion erreichte die Hohe von fast 18 Millionen Gulden. Aus-
ser Reichenberg sind hierin bemerkenswerth Gablonz, Senftenberg,
Bodenbach, Pisek, Klattau, dann viele Orte langs der bohmisch-
mahrischen Grenze; — tiirkische Miltzen in Strakonic und Pisek.
Die Fabrikate haben nicht bios im Inland guten Absatz, sie gehen
auch nach Italien, der Levante und nach Nordamerica. Reichenberg
ist gleichfalls der Hauptsitz fiir die Kammgarnmanufaktur, welche
sich mit grosser Schnelligkeit entwickelt hat.
In der Leinenindustrie, welche ihren Hauptsitz gleich-
falls im nordlichen und nordostlichen Bohmen hat , steht Bohmen
alien Kronlandern voran, wozu sowohl der treffliche Flachs der
Sudeten, als die bessere Zubereitung des Rohmaterials und die Ein-
iuhrung mechanischer Flachsspinnereien (mit mehr als 52.000 Spin-
deln) wesentlich beitragen. Dessenungeachtet zahlt man noch iiber
15.000 Handspinner im Reichenberger Kammerbezirke. Im Ganzen
linden iiber 52.000 Arbeiter bei dieser Industrie ihren Erwerb, deren
Produktionswerth auf mehr als 24 Millionen Gulden geschatzt wer-
den kann. Die bedeutendsten Orte und Bezirke fiir diesen Industrie-
zweig sind: Rum burg, Warnsdorf, Starkenbach, Georgswalde,
Reichenberg, Hohenelbe, Braunau ; — fur die Bandweberei : Taus ;
fiir Zwirnwaaren: Schonlinde, Hainspach, Kamniz (im Rei-
chenberger Kammerbezirke beschaftigen eich mit der Zwirnerei auf
Maschinen 13 Etablissements, mit der Handzwirnerei etwa 1260 Fa-
milien); — die Sp itzenkloppele i und Stickerei finden sich
am starksten ini Erzgebirge (um Gottesgab, Wiesenthal, Pressnitz).
138
Die Baumwollindustrie beschaftiget wohl fiber 80 Fabri-
ken mit mehr als J/2 Million Spindeln, welche iiber 90.000 Ztr.
Garn liefern. Der Hauptbezirk dieses Industriezweiges zieht
sich gleich jenem der Leinen- und Wollindustrie vom Fichtelge-
birge langs des nordlichen und nordostlichen Gebirgssaumes bin,
und ist am starksten in der Uragebung von Reichenberg*). —
Das Garn wird zum grossen Theile zu Kattun verarbeitet , dessen
Druck von Prag, Kosmanos, Reichstadt, Bohmisch-Leippa, Hirsch-
berg u. a. 0. sehr vortheilhaft bekannt ist. Bedeutend sind in die-
ser Industrie: Reichenberg, Hirschberg, Friedland, Warnsdorf, Kru-
mau, Neugedein, Asch, Hohenelbe, Bodenbach, Schluckenau, Boh-
mischbrod u. s. w.
In der Glasfabrikation nimmt Bohmen den ersten Rang
auf der Erde ein, trotz der in neuester Zeit aufgetretenen Konkur-
renz von England, Belgien und Frankreich, wahrend es friiher un-
beschrankt auf dem Weltmarkte herrschte. Unter den 23 Glas-
fabriken im nordlichen Bohmen sind die Fabrikate aus Haida,
Gablonz, Steinschonau, Neuwelt u. a. O. auf alien bedeu-
tenden Handelsplatzen geschatzt. Im Bohmerwalde sind etwa 85
Glashiitten (darunter Eleon o renh ain ), welche viel und gesuchte
Waaren liefern. Im Reichenberger Kammerbezirke wird die Roh-
g 1 a s - Produktion in 12 Glashiitten betrieben. Die Hiitte zu Kosten
(bei Teplitz) erzeugt ausschliesslich Tafelglas, drei andere ordinares
Hohl- und Tafelglas, die iibrigen nur Stangen- und Hohlglas fiir
die Raffinerien. Neuwelt allein veredelt das eigene Rohglas in
den eigenen Schleifwerken. Den Mittelpunkt der Raffinirung
des Hohlglases bilden Haida und Steinschonau, welche an
10.000 Arbeiter beschaftigen , und der Produktionswerth betragt
iiber 2,600.000 Gulden. Fur die Quincaillerie - Produktion ist
Gablonz sammt Umgebung der Hauptsitz, wo nahezu 15.000 Ar-
beiter Bijouteriewaaren im Werthe von fast 2,600.000 Gulden er-
zeugen. Die kunstlichen Edelsteine, Luster- und Schrnucksteine,
Glasperlen , Glaskorallen (worin Turnau gute Waare in grosser
Menge liefert) sind weltberuhmt. Fur die Spiegelfabrikation
ist am bedeutendsten Burgstein, dann auch Ne uh urkenthal,
deren Fabrikate sich eines wohlbegrundeten Rufes erfreuen. Der
Gesammtwerth dieser Erseugnisse betragt jahrlich iiber 10 Millionen
Gulden und iiber 5000 Zentner gelangen zum Export.
Nachst diesen Hauptzweigen der Industrie sind auch fast alle iibrigen Zweige
gewerblicher Thatigkeit mehr oder minder vertreten. So verarbeiteten 52 Biiben-
zuckerfabriken, welche den Colonialzucker in Bohmen grosstentheils verdriingt
haben (im Jahre 1858) an 4,600.000 Zentner Kuben, unter denen Cakowic, Libnowes,
Caslau, Schonhof, Postelberg, Konigsaal die bedeutendsten sind. Wichtig sind die
Eisenwerke, welche Guss- und Schmiedeeisen, die grossten Maschinen (Prag,
lleichenberg, Tannwald und Harzdorf, Miihlwerke, Spinn- und Webe-
*) Dieser Kammerhezirk allein zahlte im Jahre 1856 — 42 Spinner eien
mit uber 256.600 Garn- und fiber 8900 Zwirnspindeln, — 48 Fabriks- und 2175 kleinere
Webereien mit 570 Maschinenstuhlen, 1238 Regulator- und 56.874 gewohnlichen
Handstuhlen; — dann 25 grfissere Druckfabriken mit 17 Peroutinen, 15 Rouleaux
und 2000 Drucktischen ; — 5Rothgarnfarbereien,10 grossere Bleichereien,
4 Ban dfabriken. Das Arbeitspersonale betrug nahezu 98.000 Individuen, und
der Werth der Produktion belief sich auf mehr als 28 Millionen Gulden.
139
maschinen, Chlumetz Dampfmaschinen nnd landwirthschaftliche Maschinen) nnd
die feinsten, elegantesten Gusswaaren liefern (Plass, Pilsen, Hofowic, Alt- und Neu-
hutten). In der Lederfabrikation mit einem Werthe von liber 10 Millionen
Gulden steht dieses Kronland den ubrigen deutschen und slawischen Provinzen eben-
falls voran (Koniginhof, Elbe-Teinitz) ; — die Papier fa brikation mit etwa 20
Fabriken und fiber 100 Papiermiihlen (Wran, Arnau, Trautenau, Lauterwasser n. a.),
sowie die der chemischen Produkte sind sehr belangreich. Ueber 1000
Bierbrauereien liefern fiber 15 Millionen Eimer Bier, mitunter von vorztiglicher
Qualitat (Pilsen, Prag). Dazu kommen die zahlreichen vorzfiglichen Porzellan-
und St eingutfabriken (in und urn Karlsbad, Dallwitz, 1'irkenhammer (Ham-
mer), Elbogen, Alt-Rohlau, Budweis u. a.), — Stahl- und Nfirnbergerwaaren
(Nixdorf), Eisenkochgeschirr (Purglitz), Waffen, Handschuhe, Hute u. s. w.
Der Gesammtwerth der jahrlichen Industrie-Erzeugnisse in den beilautig 1400 Fabriken
und Manufakturen B6hmens diirfte wohl mit 200 Millionen Gulden angenommen
werden; berechnete man doch die Produktionswerthe in der Fabriks-Tndustrie des
Keicheuberger Kammerbezirkes (mit Ausschluss der Produktion der Kleingewerbe)
iui Jahre 1856 mit fast 105 Millionen Gulden C. M.
Der Handel Bohmena ist schwunghaft. (Einfuhr etwa 19, Aus-
fuhr 20, Durchfiihr 40 Millionen Gulden). Es iniportirt Salz aus
dem Salzkammergute iiber Budweis, Kolonialwaaren und Baumwolle
meistens aus Hamburg; zum Export gelangen die Erzeugnisse der
Landwirthschaft und der Industrie. Ausser den bereits im Betriebe
stehenden Eisenbahnen sind noch einige projektirt, darunter die
bohmische Westbahn zum Anschlusse nach Baiern (bereita conces-
sionirt). An Wasserstrassen ist es im Verhaltnisse zur grossen An-
zahl der Fliisse arm, da nur die Elbe von Melnik und die Moldau
von Budweis ab fiir Schiffe fahrbar siud. Dagegen hat es treffliche
Reichestrassen (iiber 500 Meilen) und mehr ala dreimal soviel gut
unterhaltener Landesstrassen. Das Centrum des Strassennetzes bil-
det Prag, der Hauptsitz fur den Handel und die Gewerbe mit
mehr als 270 Fabriken und Manufakturen, sowie das Centrum des
geistigen Lebens in Bohmen mit mehreren Lehranstalten fiir kom-
merzielle und technische Bildung. Die Handelskammer, der Gewerb-
verein, Geld- und Creditinstitute u. s. w. fordern den materiellen
Aufschwung dieses gesegneten Landes. Aus den meisten bedeu-
tenden Stadten verzweigen sich zahlreiche Strassen und Kommu-
nalwege, und dehnen die Adern des Verkehrs durch das ganze
Land aus.
§. 89. Die Markgrafschaft Mahren.
404 nMeilen; — 1,867.100 (relativ 4623 Einwohner); nberwiegend Ka-
tho liken (beilaufig 53.000 Protestanten und gegen 40.000 Israeliten); — nach der
Nationalitat uber 7/10 Slawen (Mahrer), sonst Deutsche, einige Kroaten u. s. f.
— Grenzen: im N. osterr. und preuss. Schlesien, — im W. Bohmen, — in S.
Nieder-Oesterreich und Ungarn, — im 0. Ungarn und 6sterreichisch Schlesien.
Boden. Mahren ist im Allgemeinen betrachtet eine Hochebene,
welche im Westen, Norden und Osten von grosaeren Bodenerhebun-
gen eingeschlossen iet, wahrend die tiefaten Punkte in der Mitte des
Landea von Norden nach Siiden ziehen. Im Westen senkt sich das
wellenformige bohmi sch -mahri s ch e Plateau bis zum Thale
der March, welche es vom Adlergebirge trennt. Eine Fortsetzung
des Letzteren ist das Gesenke (,,Jeseniku-Eschengebirge) oder
das mahrisch-schlesische Gebirge, welches vom Spieglitzer Schnee-
berge an der Nordgrenze Mahrens iiber die Einsattlung von Gol-
denstein (2000') zum Altvater (4700') streicht und sich bis zum
140
Marchthale herabsenkt. Die siidostlichen, hiigelformigen Verzweigun-
gen bilden als Odergebirge den Uebergang zu den Karpathen. Iin
Osten sind die mahrischen Karpathen; durch das Thai der
obern Becwa in zwei Theile geschieden, namlich : a) die kleinen
Karpathen zwischen der March und Waag bis an die Quellen
der Becwa , mit einer mittleren 'Kammhohe von 2000' und Kuppen
mit uber 3000' (Jawofina 306Q) , im Ganzen steil und mit wenigen
Passen nach Ungarn ; — b) die Bieskiden in zwei Hauptarmen
von Wisoka nordwestlich und westlich. — Das Innere des Landes
ist eine Fortsetzung des Wiener Tertiar-Beckens, theilweise Hiigel-
oder Wellenland, theilweise Ebene. — Unter den Thalern ist das
b.edeutendste das Marchthal, dann das ,,Kuhlan d ch en" oder das
Oderthal , die fruchtbare und weite Hanna siidlich von Olmiitz
(die eigentliche Kornkammer des Landes), das pittoreske Thai der
Thaya und jenes der T ess (Schonberg), endlich die Thalweitungen
der Iglawa, Schwarzawa und Zwittawa. Mahren ist ferners durch
grossartige Erdfalle ausgezeichnet, unter denen die Mazocha der
grosste in Oesterreich ist; auch hat das Land n'achst dem Karst-
lande die meisten Hohlen (Slouper-Hohle mit Tropfsteingebilden,
im Nordosten von Blansko, — Bejci Skala bei Adamsthal, — Tu-
raldshohle bei Nikolsburg).
Gewasser. Mit Ausnahme des geringen Geaders der Oder,
welche ihre Wasser der Ostsee zufiihrt, gehort das ganze Land zum
Gebiete der Donau , denn fast alle Gewasser des Landes fliessen
der March zu , deren Quellen vom Spieglitzer Schneeberge kom-
men und die von Goding ab schiffbar ist. Ihr bedeutendster Neben-
flu9s ist die Thaya, zu deren Gebiet der ganze Siidwesten des
Landes gehort, und welche die durch die Iglawa und Zwittawa
verstarkte Schwarzawa aufnimmt. Die Nebenflusse der March
am linken Ufer (Oskawa, Beowa) sind unbedeutend. Die Oder,
deren Quellen im Gesenke liegen , nimmt auf ihrem kurzen (etwa
12 Meilen langen) Laufe durch Oesterreich mehrere Bache auf ;
ihre eigentliche Bedeutung fiir die Schiffahrt erlangt sie jedoch erst
nachdem sie die Monarchic verlassen. Ein paar Bache senden ihre
Wasser der Waag zu. — Seen hat das Land keine, dagegen ziem-
lich viel Teiche; die Zahl und Grosse der Siimpfe an der March,
Hanna und Ostravizza vermindert sich fortwahrend. Unter den zahl-
reichen Mineralquellen sind die Schwefelquelle zu Ullersdorf (im
Tessthale) und die alkalischen zu Luchaeowic (Luchatschowitz)
die bekanntesten.
PolitischeEintheilung. Der Statthalterei inBriinn istnebst
dier Markgrafschaft Mahren auch das Herzogthum Schlesien admi-
nistrativ untergeordnet.
Bemerkenswerthe Orte sind:
1. Brttnn (59.000 Einw.), Lundenburg, Mahrisch-Triibau, Wischaa, Gross-
Seelowitz, Raigern, Bossitz, Oslawan, Eibenschitz, Austerlitz, Blansko, Lettowitz,
Auspitz, Boskowitz, Budschowitz, Zwittau;
2. Olmutz (14.000), Sternberg (12.000;, Mahrisch-Neustadt, Schonberg,
Wiesenberg, Prossnitz, Prerau, Janowitz, Friedland, Altstadt, Hohenstadt, Komerstadt,
Littau, Maglitz;
3. Neutitschein (8000), Fulnek, Weisskirchen, Freiberg, Frankstadt, Mistek,
Leipnik, Mahrisch-Ostrau, Walachisch-Meseritsch (Meseric), Bistritz;
141
4. Hradisch (Ungarisch-Hradisch 2500), Kremsier, GSding, Napagedl, Klo-
bauk, Gaya, Holleschau, Ungarisch-Ostrau, Ungarisch-Brod, Wisowitz, Bisenz, Pole-
schowitz, Straznic;
5. Znaim (6500), Nikolsbnrg, Namiescht, Frain, Krawska, Kromau, Budwitz;
6. Iglau (18.000), Gross-Meseritsch, Teltsch, Trebitsch, Datschitz, Ingrowitz,
Neustadtl.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Der grosste Reichthum des Landes liegt in den Produkten der
Landwirthschaft. Von der Gesammtflache Mahrens sind iiber
93% produktiv und mehr als die Halfte davon ist dem sorgfaltig
betriebenen Ackerbau gewidmet, worin es den ersten Rang un-
ter den Kronl'andern Oesterreichs behauptet und bedeutende Quan-
titaten an Kornerfriichten exportirt. Auf Waldungen entiallen etwa
25 %, auf Weiden 10 %, — die Wiesen und Garten nehmen bei-
laufig 33, die Weingarten an 4 QMeilen ein. — Hauptfriichte des
Ackerbaues sind Hafer und Roggen, an welche sich Gerste und
Weizen sowie der geschatzte Spelz in der Hanna anschliessen. Die
Runkelriibe gewinnt immer mehr an Ausdehnung, der Kleesamen
bildet einen ansehnlichen Ausfuhrartikel, sowie einige Gewiirz- und
Apothekerpflanzen. Der fruchtbarste Theil des Landes ist die Ebene
der ,,Hanna." Auf die Wiesenkultur wird verhaltnissmassig
geringere Sorgfalt verwendet ; die beaten Wiesenprodukte sind in
den Flussgebieten der Thaya, Zwittawa und Schwarzawa. Der Ob s t-
bau ist am vorziiglichsten im Kuhlandchen, besonders nimmt die
Zwetschke einen bedeutenden Platz ein, welche zumeist gedorrt in
den Handel kommt. Der Gemiisebau wird sorgfaltig betrieben
(Spargel von Eibenschitz). We in wird wenig, aber von ziemlich
guter Qualitat in der Gegend von Bisenz, iiberhaupt an den Hii-
geln langs der Thaya, von Znaim bis zur March gebaut. Der
Hanfbau ist urn Holleschau und Kremsier, Hirse in der Um-
gebung von Prossnitz erwahnenswerth ; an M o h n liefert die Hanna
iiber 30.000 Metzen, wovon der grosste Theil ausgefilhrt wird. In
den Gebirgsgegenden wird trefflicher Flachs in grossen Mengen
angebaut. Die jahrliche Holzproduktion belauft sich iiber lJ/4 Mil-
lion Klafter.
Unter der Viehzucht nimmt jene der hochveredelten Schafe
den ersten Platz ein und die mahrische Wolle wird zu den feinsten
und gesuchtesten gezahlt. Zudem hat das Land schones Rindvieh;
die Hanna liefert starke und schone Pferde und Ganse in gros-
ser Menge. Endlich verdient noch die Bienenzucht Beachtungj
das mahrische Wachs ist von vorziiglicher Giite.
Mahren besitzt kein Kochsalz und keine edlen Metalle; der
Bergbau ist auf Eisen, Steinkohlen, Alaun und Graphit beschrankt.
An Steinkohlen wurden (1856) 3% Million Zentner gewonnen
(in Rossitz, Mahrisch-Ostrau , Oslawan, Trubau, Lettowitz, Bosko-
witz, Gaya und Goding), an Roheisen 2% Millionen, an Guss-
eisen V7 Million, an Graphit 20.000 Zentner, im Gesammtwerthe
von etwa 2Va Million Gulden.
Die Industrie steht in Mahren auf einer hohen Stufe. An Man-
nigfaltigkeit der Produkte steht sie zwar der bohmischen nach, doch
ist der Werth der Produktion relativ grosser. Die Hauptartikel
sindTuch, Leinen und Rubenzucker. Der Hauptsitz der
U2
industriellen Thatigkeit ist Brunn. Der bedeutendste Industrie-
zweig ist der in Schafwoll waaren, worm Mahren fast die Halfre
des Gesammtwerthes der Monarchic reprasentirt, und durch die
Menge und Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse von den ordinarsten
bis zu den feinsten Qualitaten den ersten Rang in Oesterreich ein-
nimmt. Die bedeutendsten Orte sind: Briinn, Iglau (ordinare Waare),
Zwittau und Namiest (feine Tiicher), Teltsch, Gross-Meseritsch,
Neutitschein und Freiberg, nebat vielen Orten im Gebiete der Baum-
wollindustrie. Mahren liefert jahrlich iiber 600.000 Stiick Tuch im
Werthe von iiber 25 Millionen Gulden. Die Leinenindustrie
bluht im Gesenke und im bohmischen Scheidegebirge. De^ Haupt-
sitz ist Schonberg, wahrend Gross-Meseritsch mil seinen
Flachsspinnschulen der Reformator der Leinenkultur und Flachs-
bereitung genannt werden kann. Weiter sind bemerkenswerth : Stern-
berg, Janovie, Mahrisch-Trtibau, die grossartigste Bobbinetfabrik
der Monarchic Jst zu Letovic, endlich Briinn, Rumerstadt u. s. w.
Die jahrliche Erzeugungsmenge iibersteigt 600.000 Stuck im Werthe
von fiber 4 Millionen Gulden. — Die Industrie in Baumwoll-
und Halb wollstoffen schliesst sich an das Gebiet der Leinen-
industrie an, ist in rascher Zunahme begriffen und wird nur von
Bohmen iibertroffen. Sie liefert hauptsachlich Barchents, Kannevas
und Ttichel. Am schwunghaftesten ist sie in und um Sternberg
(iiber 1 Million Stuck), dann in Prossnitz, Zwittau, Trubau, Tre-
bitsch und imNordosten zu Mistek, Frankstadt, Braunsberg u. s. w.
In der Eisenindustrie liefert Blansko Guss waaren und Maschi-
nen, Petersdorf Dampfkessel, Friedland und Witkowitz Maschinen-
bestandtheile, Zoptau Eisenbahnschienen. Im Ganzen zahlt Mahren
an 115 Eisen- und Schmelzwerke. — Auch die Runkelruben-
zucker-Erzeugung ist in der Aufnahme, worunter die Fabriken
zu Selowitz, Doloplas, Grussbach, Martinitz, Rossitz, Modritz die
bedeutendsten sind. — Wichtig ist ferners die Fabrikation in Lede,r
zu Briinn, Trebitsch, Iglau und Znaim, dann die Rosoglio- und
Branntweinerzeug ung, die B ierbrauer ei, Steingutfab-
rikation, die Wagen von Neutitschein (Neutitscheinka); minder
wichtig die Papier- und Glasfabrikation,
Der Handel ist bedeutend, denn es kommen sowohl Rohpro-
dukte als Manufakturwaaren zum Export, und die vier Briinner-
markte gehoren in letzterer Beziehung zu den besuchtesten in der
Monarchic. Olmiitz ist der Hauptstappelplatz fur den Viehhandel
(es kommen jahrlich iiber 100.000 Ochsen auf den Markt). Auch
der Speditionshandel ist von Bedeutung. Dem Mangel an Wasser-
strassen helfen die im Ganzen gut unterhaltenen Strassen und Ei-
senbahnen ab, welche das Land durchziehen. Dieses Kronland nimrat
sonach in der physischen und technischen Kultur einen der ersten
Platze im Kaiserstaate ein, und ist noch fortwahrend im Vorwarts-
schreiten begriffen , woran die Briinner Handelskammer redlichen
Antheil hat.
§. 90. Das Herzogtlmm Schlcsien.
93V, QMeile; — 443.900 (relativ 4747) Einwohner, uberwiegend Ka-
t ho liken (beiliiufig 62.000 Protestanten und an 2500 Israeliten); — nach der
143
Nationalitat nahezu die Halfte Deutsche — im westlichen Theile — , die andere
Halfte Slawen (30% Folen, 22% Mahrer). — Grenzen: im N. Preussiscb-Schle-
sien, — im W. die preussische Grafschaft Glatz und Mahren, — im S. Mahren, —
im 0. Cngarn und Galizien.
Boden. Schlesien, welches aus zwei getrennten Gebietstheilen
besteht, ist im Ganzen ein Hochland, insbesondere ist der westliche
Theil sehr gebirgig. Diese Gebirge gehoren theils zum Hauptkamme,
theils zu den Auszweigungen desGesenkes; der ostliche kleinere
Theil des Landes liegt am Nordabhange der Bieskiden, durch
welche der J abl unka-P as s geht, der Schlesien mit Ungarn ver-
bindet. (Lissahora 4176', der grosse Baranio 4300'). Die flachen
Stellen sind an der Oder und gegen Galizien zu. Von Ben Tha-(
lern sind das Oderthal mit theilweise sumpfigen Ufern, das rechte
Ufer der Oppa und das Weichselthal , sowie die fruchtbaren Flachen
von Wei'denau, Troppau und Skotschau bemerkenswerth.
Gewasser. Schlesien gehort zu dem Gebiete der Ostsee, wo-
hin sich die beiden Hauptfliisse Oder und Weichsel ergiessen.
Die bedeufendsten Nebenflusse der Oder sind die^)ppa und die
Mora, welche durch den westlichen Theil fliessen und die kleine-
ren Gewasser aufnehmen ; erstere bilden von Jagerndorf bis zur
Einmundung die Reichsgrenze. Auf der rechten Seite nimmt die
Oder die Ostravizza und die Olsa auf, welche aus dem west-
lichen Landestheile ihr zufliessen. Der wichtigste Nebenfluss der
Weichsel ist die Biela, der Grenzfluss gegen Galizien. — Nebst
ein paar kleinen Seen in den Sudeten hat das Land mehrere grosse
Teiche theils im Oder-, theils im Weichselthale. Unter den Mi-
neralquellen ist die bedeutendste der Sauerbrunnen Carls-
brunn am Fusse des Altvaters.
Politische Eintheiliiiig. Schlesien mit der Landeshauptstadt
Troppau (14.000), iet der Statihalterei in Briinn administrativ
untergeordnet, jedoch unter ausdriicklicher Wahrung der Stellung als
Kronland des Reiches mit eigener Landesvertretung. Der politische
Chef in Schlesien ist der Landeshauptmann.
Bemerkenswerthe Orte sind:
Teschen (7000), Bielitz, Jagerndorf, Freivvaldau, Grafenberg, Jauernig, Karwin,
Wicgstadtl, Odrau, Wurbenthal, Freudenthal, Zuckmantel, Olbersdorf, Endersdorf,
Jablunka, Benisch, Freistadt, Hotzenplotz, Polnisch-Ostrau, Oderberg, Wagstadt.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache des Landes sind nahe an 84 QMei-
len, d. i. beilaufig 96 % produktiv, wovon etwa 41 QMeilen auf
Aecker, iiber 30 QMeilen auf Waldungen, der Rest zur Halfte auf
Wiesen und Garten, zur Halfte auf Weiden entfallen. Trotz des
Fleisses und der rationellen Bebauung deckt wegen des rauhen
Klimas und der relativ geringeren Fruchtbarkeit des Bodens der
Ertrag der Landwirthschaft selbst in ,,guten<l Jahren nicht
den Bedarf der relativ dichten Bevolkerung. Hauptsachlich werden
Roggen, Hafer und Gerste , weniger der Weizen angebaut. Der
Flachsbau wird im nord westlichen Theile, um Freiwaldau, Freu-
denthal und an der Oder mit Eifer betrieben. Der Gartenbau
hat geringe Ausdehnung; auf die Obstkultur wird zwar Sorgfalt
verwendet, doch ist eie von keinem Belange. Auch die Wald-
144
wirthschaft ist nicht besonders erfreulich. Die Viehzucht liefert
schone Pferde, die ausgefiihrt werden; die Horn vie hzucht ist im
Steigen, den Glanzpunkt aber bildet die musterhaft veredelte Schaf-
zucht. Einige schlesische Schafereien genieasen europaischen Ruf
(Freistadt, Hennersdorf, Hotzenplotz, Gross-Herrlitz, Kreuzendorf).
Die hochfeine Wolle wird nach Briinn, Reichenberg und nach Frank-
reich ausgefiihrt, wahrend zur einheimischen Verarbeitung vielfach
geringere Qualitaten der ungarischen und russischen Wolle einge-
fiihrt werden.
Der Bergbau wird nur auf Steinkohlen und Eisen in grosse-
rem Umfange, dagegen auf Gold, Silber, Blei und Gyps nur wenig
betrieben. In Bezug der Steinkohlenausbeute wird es nur von Bob-
men ubertroffen (im J. 1856 — 5l/5 Million Zentner) , und die vor-
ziigliche Kohle deckt nicht nur den grossen Bedarf des- Landes,
sondern wird auch (vorziiglich nach Wien) ausgefiihrt. An Roh-
und Gusseisen werden fiber 100.000 Zentner erzeugt. Die wichtig-
sten Orte fur den Bergbau sind : Steinkohlen: Polnisch-Ostrau,
Karwin, Hruschau, Orlau, — Eisen: Klein-Mohrau, Ludwigsthal
(bei Wiirbenthal), Raschka, Wildschitz, Buchbergihal, Teschen, —
Gold: am Goldgrunde bei Zuckmantel, — Silber und Blei:
Benisch, Kleinmohrau, Jahannisberg. In der Gegend von Troppau
(Diirstenhof) wird ein lebhafter Schiefer abbau betrieben, dessen
Werth wohl die Summe von '/4 Million Gulden jahrlich iibersteigt.
Die Qualitat ist vorziiglich und steht dem besten englischen Schie-
fer nicht nach. Nebst dem bedeutenden Absatze im Lande selbst
wird auch viel (etwa 2/3 der Produktion) exportirt.
Die Bevolkerung zeichnet sich durch Gewerbfleiss wie durch
Genugsamkeit aus. Viele Produkte der schlesischen Industrie wer-
den im Handel geschatzt. Der wichtigste Zweig ist die Leinen-
industrie, und die schlesischen Leinen, so wie Zwirnprodukte ge-
niessen wohlverdienten Ruf. Die Musterbleichen und Flachsspinn-
schulen trugen zum Aufschwunge dieses Industriezweiges, der sich
hauptsachlich langs der mahrischen Grenze hinzieht , wesentlich
bei. Die armere Gebirgsbevolkerung beschaftigt sich auch mit der
wenig lohnenden Handweberei (Freiwaldau, Zuckmantel, Wiirben-
thal, Engelsberg, Freudenthal, Bennisch, Wiegstadtl und im Tesch-
ner Kreise). — In der Tu chf ab ri kation ist hervorragend Bie-
litz , dann im westlichen Theile : Jagerndorf, Troppau, Wagstadt,
Odrau. — Im Teschner Kreise, zu Frideck ist die Baumwoll-
industrie vorherrschend. Die Zuckererzeugung aus Runkelriiben
beginnt ebenfalls sich auszubreiten ; ansehnlich sind die Fabriken
zu Ober-Suchau, Barzdorf, Standing, Troppau, Hotzenplotz u. s. f.
— Die Eisenindustrie findet sich sowohl in den Thalern des Ge-
senkes als der Karpathen vor. Bemerkenswerth sind die Hutten-
werke zu : Baska, Tfiniez, Ustron und Karlshutte, die Drahtfabriken
bei Wiirbenthal und Klein-Mohrau, die Blecherzeugung an Enders-
dorf, die Maschinenfabriken zu Freudenthal und Bielitz. — Die
Branntweinbrennereien sind bedeutend, auch die Liqueur-
fabriken und die Kasebereitung bei Teschen sind erwahnenswerth,
Die Wag en von Bielitz werden nach Galizien, in die Bukowina
ja selbst nach der Moldau und Walachei ausgefiihrt. Die Loh-
und Weissgarbereien werden umfangreich, obwohl nur hand-
werksmassig betrieben; die iibrigen industriellen Beschaftigungeu
sind von geringerem Belange. Ein eigenthiimlicher Industriezweig
ist die Bereitung von Waldwolle (Weiss in Zuckmantel), wel-
ches Material aus den grunen Nadeln der Kiefern und Fohren er-
zeugt, anstatt Rosshaar mit Vortheil verwendet und in jungster Zeit
sogar nach America und Ostindien versendet wurde. In letzterer
Zeit ist auch ein Seiden bau - Verein begriindet worden, welcher
bereits eine Ausstellung mit Pramienvertheilung veranlasst hat.
Der Handel wird mit den Fabrikserzeugniesen nach auswarts
betrieben ; der Kommissions- und Speditionshandel ist belangreich
mit osterreichischen und ungarischen Weinen, mit russischen Juch-
ten, Talg, Leinsamen und Pelzwerk, — mit galizischem Steinsalz,
moldauischem Schlachtvieh und Wiener Modewaaren. Sehr forder-
lich sind die grosstentheils guten Strassen und die Eisenbahn von
Wien nach Breslau.
§. 91. Das Kimigreich Galizien and Lodomerien
(mit den Herzogthilmern Auschwitz und Zator und dem Gross-
herzogthume Krakau).
1422 T/2 nMe'le; — 4,597.470 (relativ 3232) Einwohner, uberwiegend
Katho liken (beilanfig die Halfte rOmisch-katholisch und die Halfte griechisch-ka-
tholisch), dann bei 300,000 nicht unirte Griechen, 30.000 Protestanten und 400.000
Israeliten; — nach der National] tat etwa 50% Ruthenen, 48% Polen, 1% Deut-
sche, dann Slovaken, Aimenier und Juden. — Grenzen:im N. Russland, — im
W. Schlesien, — im >S. Ungarn und die Bukowina, — im 0. Russlaml.
Boden. Galizien ist im siidlichen Theile Gebirgsland, im nord-
lichen Tiefland , welches zur grossen slawischen (aarmatischen)
Ebene Nordost-Europas gehort. Die Bieskiden treten aus Schle-
sien in das Land, breiten sich zwischen der Sola und Skava aus
und werden durch das Thai des Dunajec von den Central-Kar-
p a then geschieden. Letztere sind wildromantische, dichte Walder,
deren rauhe Felsgruppen, saftiggriine Matten, Wasserfalle und BMeer-
augen" diesem Hochgebirgslande den Charakter grossartiger Alpen-
natur gewahren, obwohl keine Gletscher vorkommen und die gali-
zischen Centralkarpathen den ungarischen an Hohe nachstehen. Ost-
warts vom Popradthale ist das karpathische Waldgebirge
(Werchowyna), ein steiler, minder hoher, jah abfallender Gebirgs-
zug mit einigen P'assen und kurzen Querthalern. Zwischen den Kar-
pathen und der podolischen Landhohe, einem wellenformigen
Plateau (urn Lemberg), erheben sich die mazurischen Iliigel,
welche das ganze Land von den Vorbergen der Bieskiden bei Boch-
nia bis an den Dnjestr erfiillen. Die Tarnowitzer (oder polnische)
Platte reicht nur in den Umgebungen von Krakau nach Galizien
herein. Jenseits des Dnjestr und der podolischen Landhohe dehnt
sich die galizische Ebene aus. Die wenigen Uebergange fiber
die Bieskiden sind meistens beschwerlich , somit fur den Ver-
kehr von geringerer Bedeutung; wichtig ist der Dukla-Pass im
Waldgebirge fur die Handelsverbindungen zwischen Galizien und
Ungarn.
Klun's Daodels-Geocraphic. 2. Anil. 10
U6
. Galizien ist ein wasserreiches Land. Die zahlrei-
chen Fliisse und Bache mit vielen Wasserfallen , welche in den
Karpathen entspringen, sind raeistentheils flossbar und ergiessen sich
entweder in die Weichsel (Ostsee) oder durch den Dnjestr, den
Pruth und den Styr in das schwarze Meer. — Die schiffbare
Weichsel bildet auf einer grossen Strecke die Reichsgrenze, welche
sie bei Popowice verlasst und nimnot in Galizien die Skawa, Sola,
die Wisloka, denDunajec (mit dem Poprad), den San und
den Bug auf, welche ihr alle Gewasser von Westgalizien zufiihren.
— Der wichtigste Flues Ostgaliziens ist der Dnjestr, der den
Stryi, die Lomnica, den Grenzfluss Podho rce unddenSered
nebst sehr vielen kleineren Zufliissen des ostlichen Abdachungs-
gebietes aufnimmt. DerPruth ist auf osterreichischem Gebiete, das
er bei Nowosielica verlasst, von keiner Bedeutung. — Seen hat das
Land nicht, dagegen an Umfang zwar kleine, aber sehr tiefe ,,Mee r-
augen," und viele fischreiche Teiche, welche einen Gesammt-
flachenraum von fast 10 QMeilen einnehmen. Fast alle galizischen
Fliisse bilden Siimpfe (Bory-Sumpf in den Centralkarpathen). —
Unter den zahlreichen Mineralquellen sind besonders bekannt:
der Sauerling Szcawnica (am Nordabhange der Tatra), die Schwe-
felquellen Konopkavka, Lubien, Sklo u. s. f.
Politische £intbeilung. In administrativer Beziehung bilden
Galizien, Krakau und die Bukowina das Verwaltungsgebiet der
Statthalterei in L em berg, welcher auch die Landeshauptstadt
Lemberg unmittelbar untersteht.
Bemerkenswcrthe Orte sind:
1. Lemberger Kreis: Lemberg (70.000 Einw., — an 20.000 Israeliten),
Grodek, Janow, Winniki.
2. Zolkiewer Kreis: Zolkiew (5000), Belz, Sokal, iubaczow, Glinsko
3. Przemysler Kreis: Przemysl (5000), Jaroslaw, Jaworow, Sklo,
Mosciska, Sieniawa.
4. Sanoker Kreis: Sanok (3000), Dobromil, Lisko.
5. Zloczower >Krei s: Zloczo w.(7000), Brody (18000), Busk, Zatosce.
6. Brzezaner Kreis: Brzezan (8000), Bobrka, Robatyn, Przemyslany.
7. Tarnopoler Kreis: Tarnopol (18000), Mikulince, Zbara2.
8. Czortkower Kreis: Czortkow (4000), Zaleszczyki, Borszczow.
9. Stanislawower Kreis: Stanislau (Stanislawow 12000), Halicz,
Tysmienica, Nadworna, Bnczasz, Ttnmacz, Delatyn.
10. Kolomea'er Kreis: Kolomea (13.000), Sniatyn, Kutty, Obertyn,
Kossow, Horodenka.
11. Samborer Kreis: Sambor (12.000), Drobobycz, Komarno.
12. Stryi 'er Kreis: Stryi (5500), Kahisz, Bolechow, Dolina.
13. Krakauer Kreis: Krakau (41.000 Einw.), Chrzanow.
14. Wadowicer Kreis: Wadowice (4000), Biala, Auschwitz (Oswiecim),
Zator, Lipnik, Kenty, Seybusch (Zywiec^), Mislenice, Andrychau, Swoszowice.
15. Sandecer Kreis: Neu-Sandec (6300), Alt-Sandec, Neumarkt, Zako-
pane, Kamienica.
16. Jaslo'er Kreis: Jaslo (2500), Dukla, Krosno. Gorlice, Kolaczyce, Ropa.
17. Rzeszower Kreis: Rzeszow (6300), Przeworsk, Rozwadow, Lancut.
18. Tarnower Kreis: Tarnow (17-000). Dembica, Pilsno.
19. Bochnia'er Kreis: Bochnia (6000), Wieliczka, Podgorze.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Mehr als in irgend einem Kronlande Oesterreichs werden in
Galizien alle Interessen des Handels und der Gewerbe, die Regsam-
keit des Verkehrs , die Steuerkraft der Gesammtbevolkerung , der
Privatkredit, kurz alle Elemente des Nationalwohlstandes dutch die
landwirihschaftliche Produktion bestimmt. Von der Gesammt-
flache sind fiber 1100 QMeilen produktiver Boden; davon entfallen
etwa 650 QMeilen auf Aecker , 350 QMeilen auf Waldungen,
315 QMeilen auf Weiden und an 77 QMeilen auf Wiesen und
Garten. Die natiirliche Bodenbeschaffenheit ist dem Ackerbau
giinstig, insbesondere die grosse Ebene ira nb'rdlichen und nordost-
lichen Theile ; eigentlich steriler Boden ist fast gar nicht vorhan-
den. Bin Joch Ackerland liefert in fruchtbaren Jahren 12—14, in
schlechten 6 — 8 Metzen Getreide ; im letzten Falle deckt somit die
Production nicht den Bedarf, im ersteren uberschreitet sie um ein
Bedeutendea das Bediirfniss des Verbrauches. Leider kann dieser
Ueberschuss wegen der Entlegenheit von den westlichen Kornmark-
ten und wegen Mangels ausreichender Kommunikationsmittel nur
selten als Getreide verwerthet werden, sondern muss zum Maisch-
bottich wandern, um als Spiritus leichteren Absatz und billigeren
Frachtlohn zu erzielen. Dieses gilt jedoch nur von der Produktion
des ^grossen Grundbesitzes," denn der eigentliche Bauer produzirt
selten uber seinen eigenen Badarf, und die im Allgemeinen niedere
Stufe der lotelligenz, auf der sich das galizische Landvolk befindet,
ist eines der grossten Hindernisse im Fortschritte der Landwirth-
schaft. Die Bestrebungen der galizischen Landwirthschaftsgesellschaft
zur Hebung des Landbaues und der landwirthschaftlichen Industrie,
die angestrengtesten Bemiihungen der grossen Grundbesitzer, die
Wirthschaft zu heben und dem Boden eine grossere Rente abzu-
gewinnen, sind bis jetzt vielfach an der Lassigkeit und Arbeits-
scheu des Bauers gescheitert , wodurch auch die Arbeit vertheuert
wird und die Produktionskosten sich steigern. Es ist jedoch in die-
ser Hinsicht Aussicht auf Besserung vorhanden. Einerseits wird die
Aufhebung der Kobot nach und nach die freie Thatigkeit for-
dern und andererseits werden die im Baue begriffenen Eisenbah-
nen (galizische Karl-Lud wigs-Bahn) , denen wohl auch die
nothwendige Regulirung der schiffbaren Fliisse (Dnj«str,
"Weichsel, San und Bug), so wie die Schiffbarmachung der bis nun
flussbaren folgen wird, den Handel in Landesprodukten beleben und
heben.
Ausser den Cerealien produzirt das Land an Han del 8-
pflanzen: Tabak (uber 100.000 Zentner), Flachs und Hanf, Mohn,
Khabarber, Raps u. a. w. Der Gartenbau ist noch in der Kind-
heit, nur beim Obstbau ist ein erfreulicher Fortschritt bemerkbar.
Der W a Id stand ist im Ganzen ziemlich bedeutend; im Rzeszo-
wer Kreise wird der Holzhandel schwunghaft betrieben, es wird viel
Schiffbauholz nach Danzig exportirt. Der Tarnopoler und der Czort-
kower, zum Theil auch der Bochnia'er und Krakauer Kreis leiden
hingegen mitunter Holzmangel. Die Waldungen im Kammerbezirke
Brody bestehen zumeist aus Eichen und Buchen, und werden fast
nur fur den eigenen Bedarf an Brenn- und Bauholz ausgebeutet.
D)r Kohlen- und Holzhandel nach dem Westen so wie auf dem
10*
148
Dnjestr hat bis jetzt die wunschenswerthe Ausdehnung noch lange
nicht erreicht.
Die Viehzucht bildet nachst der Feldwirthschaft die Haupt-
nahrungsquelle der Bewohner. Die Zucht von Pferden, Schafen und
Borstenvieh erfreut sich keiner besonderen Ausdehnung, obwohl das
Land in neuerer Zeit yiel dauerhafte Pferde erzeugt, und die ver-
edelte Schafzucht im Aufnehmen ist. Die Branntweinbrennereien
befassen sich mit der Mastung von Rindvieh, welches auf dera
Olmiitzer Markte Absatz findet. Die Bienenzucht wird vorziiglich
in den Kreisen Tarnopol , Zolkiew , Przemysl , Stry und StanisJaw
gepflegt. Der Honig wird zumeist zum Methbrauen (Lemberg) ver-
wendet, das Wachs gelangt in den Handel. Gefliigel wird in gros-
ser Menge gezogen ; sehr ergiebig ist die Fischzucht ; die Jagd hin-
gegen bietet nicht mehr den ehemals gekannten reichen Ertrag.
Unter den Produkten des Bergbaues nimmt das Salz den
ersten Rang ein. Das unerschb'pfliche Salzflotz dehnt sich vonWie-
liczka bis in die Bukowina im Halbkreise aus, und Salz wird vor-
zuglich zu Wieliczka und Bochnia bergmannisch zu Tage gefordert.
Die jahrliche Ausbeute betragt uber 2 Millionen Zentner. — An
Steinkohlen wurden im Jahre 1856 an 1 /2 Million Zentner
gewonnen. Die Gebirgegegenden im Sandecer , Samborer und
Stryi'er Kreise sind zudem reich an Eisenerz, zu dessen Bearbei-
tung mehr als 20 Schmelz- und Eisenhammerwerke bestehen. Aus-
serdem liefert das Land etwas Silber, Blei, Kupfer, Zink, Schwefel,
Kreide u. s. f.
Mit der Hebung der Landwirthschaft halt auch die Beniitzung der
Naturschatze und die Verwerthung der Arbeitskrafte zu industriellen
Zwecken gleichen Schritt und ist ein Aufschwung in der Industrie
insbesondere in jenen Zweigen bemerkbar, welche landwirthschaft-
liche Produkte verarbeiten. Einzelne Gewerbe, namentlich im west-
lichen Theile, sind im bluhenden Zustande ; aber eine selbstandige,
von der Urproduktion des Landes unabhangige Fabriksindustrie hat
sich noch nicht herangebildet, trotzdem die Bedingnisse hierzu im
Lande nicht fehlen. Der Reichthum an Flachs und Hanf begiinstigt
die Leinenindustrie in den westlichen Kreisen, wo auch Da-
mast und feinere Waaren erzeugt werden , wahrend die mittleren
und ostlichen Kreise ordinare Sorten, Packleinwand, Segeltuch,
Seilerwaaren (in Radymno) fabriziren. Komarno liefert den be-
sten Zwillich, Jaroslaw den grossten Theil fur den Bedarf der
Militarverwaltung. Die bedeutenderen Orte fur diese Industrie sind :
Kenty, Biala, Dukla, Tarnow, Rzeszow, Lancut, Przemytl, Zloszow,
Tarnopol, Andrychau, Jordanow und Gorlice. Die meisten Bleichen
sind im Ropa-Thale (Gorlice), zu Krasiczin, Lancut u. s. f. Die
Sackleinwand wird haupteachlich nach Ungarn, Russland und der
Moldau exportirt. An der Erzeugung von Leinen-, Hanf- und
Sc haf wollge web en (letztere zu Halina-Tuch) sind vorzugsweise
die kleinen Grundbesitzer zur Winterszeit betheiligt , in den Stad-
ten bestehen Weberzunfte. Eine Spezialitat der Wollenindustrie bil-
det die im Kreise Przemysl fabriksmassig betriebene Erzeugung von
Bethmanteln (Tales). — Die Spiritus-Erzeugung bildet den
149
Hauptzweig gewerblicher Thatigkeit. In den letzten Jahren ist die-
ser Geschaftszweig zwar im Abnehmen , dessenungeachtet ist er
noch immer sehr bedeutend, da er z. B. im Lemberger Kammer-
bezirke (1854 — 1856) im Durchschnitte jahrlich an 180.000 Eimer
(dreissiggradig) lieferte (gegen 225,000 Eimer in den Jahren 1851
bis 1853.) Auch im Kammerbezirke Brody ist er im Abnehmen (im
Jahre 1856 fiber 211.000 Eimer). Die Bierbrauerei ist in Gali-
zien im Allgemeinen von geringer Ausdehnung und gleichfalls in
der Abnahme, — Wichtig ist die Lederfabrikation mit dem
Hauptsitze zu Bole chow (Kreis Stry), wo, sowie in den zahlrei-
chen Garbereien der Kreise Stry, Zolkiew, Przemysl, Sanok, Sam-
bor und Stanislaw, Loh-, Alaun- und Samiech-Leder, dann Juch-
ten, im Kreise Kolomea (zu Kutty) hingegen vorwiegend Korduan-
leder erzeugt wird. — In der Runkelriibenz u c k e r - Fabrikation
nimmt Tlumacz den ersten Rang in der Monarchic ein; es verar-
beitete (in der Campagne 1857 — 1858) nahezu % Million Zentner
Ruben; auch Lancut ist bedeutend. — Weiters werden erzeugt:
Tuch (in Mikulince, Brzezany, Zolkiew, Jaroetaw, Biala u. a. O.) ;
— Glas — ordinare Sorten — zu Sokal, Milkow und in mehreren
Glashiitten; — die westgalizischen Papiermuhlen erzeugen zumeist
ordinares Biittenpapier , im Kammerbezirke Brody bestehen drei
grossere Etablissements. Die Erzeugung von Pottasche vermin-
dert sich ; dagegen gewinnt die Theer-, Terpentin- undCam-
ph in -Erzeugung an Bedeutung; — fur Baumwoll- und Galan-
teriewaaren, far Stearinkerzen, Zundholzch en, Surro-
gat-Kaffee u. s. w. bestehen vereinzelte Etablissements. — Die
Me tall-Indus trie (mit Ausnahme einiger Kupferbammer) ist
verhaltnissmassig unbedeutend; sie ist zumeist durch Kleingewerbe
vertreten und beschrankt sich auf ordinare Waare. — Im Betriebe
der Kleingewerbe ist kein wesentlicher Aufschwung bemerkbar;
dagegen hat der Besuch eowohl der Volksschulen als der Real- und
Handel sschulen in den letzten Jahren an Ausdehnung sehr gewon-
nen, wodurch ein Aufschwung in der technischen Kultur in siche-
rer Aussicht steht.
Der Handel erstreckt sich zumeist auf die Au sfuhr von
Rohprodukten , als : Getreide, Salz, Holz, Rindvieh, Wachs und
Honig, auf ordinare Webe- und Seilerwaaren; auf den Transit der
osterreichischen Industrie-Erzeugnisse nach Russland und auf die
Einfuhr von Manufakten und Kunstprodukten. Der Holzhandel
auf den Flussen Bug, San, Dnjestr und Pruth ist sehr bedeutend,
und sieht noch einer grosseren Entwickelung entgegen , wenn die
Karpathenwaldungen mit Hilfe der zahlreichen Gebirgsbache zur
Ausnutzung gelangen werden. Von Wichtigkeit ist der Verkehr von
Brody mit Russland. Als Zollausschluss vermittelt Brody einen
bedeutenden Absatz von Manufakten aus England und dem Zoll-
vereine nach Russland; aus Oesterreich werden dorthin exportirt:
Sensen (2y2 Million Stiick), ungeschliffene Glaswaaren, Glasperlen,
Leinwand , Handschuhe und Weine. Die Hauptartikei der Einfuhr
aus Russland bilden Schafwolle, Unschlitt, Felle, Haute, Leder und Ge-
treide. Der Jahrmarkt zu Ulaszkowce (Kreis Czortkow) ist fiir
den Verkehr von Getreide, Vieh und Manufakten (Schnittwaaren)
von Bedeutung und wird auch vom Auslande besucht. — Auf die
Ausdehnung und Verbesserung der Kommunikationsverbindungen
wird gegenwartig grossere Aufmerksamkeit verwendet.
§. 92. Das Hcrzogtluim Bukowina.
189V, [DMeile;— 456.920 (relativ 2410) Einwohner; uberwiegend nicht-
nnirte Griechen (an 36.000 Katholiken, bei 10.000 unirte Grie^hen, 8000 Pro-
testanten, 15000 Israeliten) ; nach — der National! tat etwa 48% Ruthenen, 40%
Komanen, 6%Dcutsche, nahezu 4% Israeliten und 2°/0 entfallen auf Polen, Magya-
ren, Zigeuner u. s. w. — Grenzen: 4m N. Galizien, — im W. Galizien, Ungarn,
Siebenburgen, — fm S. die Moldau, — im 0. die Moldau, Russland.
Boden. Die Bukowina ist im Ganzen ein Hochland, nur am
Dnjestr und am Pruth ist Tiefland; zwischen diesen Fliiasen befin-
det sich ein wellenformiges Plateau, das vom Dnjestr-Ufer rasch
aufsteigt, dagegen zum Pruth sich langsam herabsenkt. Am rechten
Pruth-Ufer findet wieder eine rasche Stufenerhebung statt. Diese
terrassenformige Erhebung der Flussthaler wiederholt sich noch
beim Sereth und bei der goldenen Bistritz. Im Westen des Landes
erheben sich die Karpathen, die theils Auslaufer des Waldgebirges,
theils des siebenbiirgischen Hochlandes sind, die Schneegrenze zvvar
nicht erreichen, aber die Waldregion iiberragen, grosstentheils mit
dichten Waldern bedeckt sind, ihre hochsten Spitzen jedoch nicht
im Lande haben. — Groseere E ben en besitzt das Land nicht, son-
dern nur mehr oder minder erweiterte Flussthaler , — die bedeu-
tendste ist bei Eadautz an 4 QM. gross* Einige Jochtibergange
fuhren in die Nachbarlander.
Gewasser. Das an Naturschonheiten reiche Landchen wird
von mehreren Fliissen fast parallel von West nach Oat durchflos-
sen, doch werden diese bis jetzt noch nicht als Wasserstrassen be-
niitzt. Alle Flusse der Bukowina gehoren zum Gebiete des schwar-
zen Meeres. Mehrere derselben sind im Sommer wasserarm, im
Friihlinge und nach starken Eegengiissen tibersteigen sie hingegen
ihre Ufer und richten bieweilen arge Verheerungen an. Der Dnjestr
bildet im Norden die Grenze und ist die einzige benQtzte Wasser-
strasee. Der wichtigste Landesfluss ist der Pruth, dann der Se-
reth, welchem ausserhalb der Monarchic die Suczawa, die
Moldawa und die goldene Bistritz aus der Bukowina zuflies-
sen. Das Land hat keine Seen; einige Teiche liegen zwischen
dem Pruth und dem Dnjestr. Das Klima ist im Ganzen zwar rauh
aber gesund, mit starken , vorherrschenden Sommerregen und Som-
mergewittern, worauf ein langerer angenehmer Herbst folgt.
Politische Eintheilung. Die Bukowina mit derLandeshaupt-
stadt Czernowitz (26.000 Einwohner) ist administrate der Statt-
halterei in Lemberg untergeordnet, jedoch unter ausdriicklicher
Wahrung der Stellung als Kronland des Reiches mit eigener Lan-
desvertretung. Der politische Chef ist der Landeshauptmann.
Bemerkenswerthe Orte sind:
Suczawa, Sereth, Kadautz. Kimpolang, Kirlibaba, Jakcbeny, Nowosielitza,
Patna, Sadagora, Schipat.
_8L_
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Beilaufig 94% der Gesammtflache konnen zum produktiven
Boden gerechnet werden ; doch entfallen davon 47°/0 al»f Walflun-
gen, von\ denen ein grosser Theil noch unbeniitzt ist. Dem Acker-
lande gehoren etwa 36, den Wiesen und Garten an 29 und den
Weiden an 26 QMeilen an. Das eigentliche Kulturland Hegt ioi
nordostlichen Landestheile zwischen dem Dnjestt und! Pruth (an
24 QMeilen), wo der Fefdbau betrieben wird. Nur der Wgr6ssere
Grundbesitz" und der mit Landeigenthum dotirte Klerus , so wie
die fremden Ansiedler haben eine ratiorjelle Bewirthschaftung und
landwirthschaftliche Reformen eingefiihrt ; der Bildungsgrad des
Bauers ist' ein sehr geringer, die Zahl der Volksschulen verhaltniss-
raassig sehr kleirt, daher die Landwirthschaft im Allgemeinen viel-
fach unbefriedigend. Trotz der unvollkommenen Bearbeitung gibt
der fruchtbare Boden doch ein lohnendes ErtrS-gniss. Die Haupt-
frucht bildet der Mais (die ,Mamaliga*' — Maiskuchen , ist eine
allgemein verbreitete Speise des Landmannes) , der fiber 60% des
Ackerlandes einnimmt; doch werden davon noch bedeutende Quan-
titaten aus der Moldau und Bessarabien eingefiihrt. Diesem zunachst
steht der Hafer; von geringerem Umfange ist der Roggen- und
Weizenbau. Die Produktion an Gerste im Dnjestrgebiete reicht
nicht einmal fiir den Bedarf der Branntweinbrennereien und Bier-
brauereien aus. Der Hanf- und Flachsbau deckt nur nothdiirftig
den eigenen Bedarf. Die Wiesenkultur steht noch auf sehr un-
tergeordneter Stufe. — Die Obstbaumzucht entspricht nioht
den gunstigen klimatischen Verhaltnissen des Lancles ; veredeltes
Obst findet man nur in Sradten und bei den deutschen Colonisten ;
namentlich Aepfel, Weichseln, Wallniisse undPflaumen. — Der Wein-
bau ist kaum nennenswerth , da nur in der Gegend von Suczawa
eine sehr gewohnliche Sorte vorkommt.
Auch die ViehzucHt, fur deren Gedeihen die giinstigsten Be-
dingnisse vorhanden sind, hat nicht die wiinschenswerthe Ausdeh-
nung. — Die Pferdezucht im k. k. Militargeatute zu Radautz
(2000 Stiick) nimmt den ersten Rang in Oesterreich ein, dagegen
wird sie von den kleineren Grundbesitzern arg vernachlassigt. Aus-
gedehnter wird die Hornviehzuch t betrieben, so wie jene der
gemc-inen S chafe; doch ist auch jene der edleren bereits im Stei-
gen. Die Wolle der letzteren wird nach Preussisch-Schlesien und
Mahren abgesetzt. Die Zucht der Ziegen, Schweine und des Geflii-
gels deckt den Bedarf; die Bienenzucht steht auf einer sehr
primitiven Stufe trotz aller natiirlichen sehr gunstigen Bedingnisse.
Der Verbrauch an ungebleichtem Wachs ist (durch den griechisch-
nichtunirten Cultus bedingt) sehr stark und wird durch die Lan-
desproduktion kaum gedeckt. Mit Ho nig wird ein ansehnlicher
Handel betrieben. Die Jagd ist sehr ergiebig; die Fischerei hin-
gegen hat gegen ehemals abgenommen.
Die Industrie in der Bukowina ist kaum im EntsteHen, selbst
die kleineren Gewerbe sind auf einer noch vielfach primiitiven Stufe.
Das Kapital und die Arbeitskraft sind verhaltnissmassig theuer,
die Bildungsstufe der Bewohner eine geringe, die Kommunikatioo
152
noch sehr ungeniigend. Am ausgedehntesten ist die Branntwein-
brennerei, an welche sich die Verarbeitung einiger landwirth-
schaftlicher Produkte anschliesst, ohne jedoch die Hohe einer selbst-
standigen Fabriksindustrie zu erreichen. Die Bierbrauereien
decken nicht den Bedarf; die Pot t aschensiederei wird nicht mehr
in der friiheren Ausdehnung betrieben. In der Eisenindustrie
nimmt Jakobeny und die dazu gehorigen Hammerwerke einen be-
achtenswerthen Rang ein. Die Gewinnung des Waschgoldes
aus der ,,goldenenBi8trica" nimmt stets ab und ist hochst unbedeu-
tend ; — das Silbergewerkin Kirlibaba erzeugt nur 3 — 400 Mark
Silber ; — zu Poczoritta mit der Bergkolonie Louisenthal wird K. u-
pfer gewonnen. Salz gewinnt man ebenfalls nicht hinreichend fur
den Bedarf, die bedeutendste Saline ist zu Kaczika , welche an
20.000 Zentner liefert. — Fabriksmassig werden betrieben die
zwei P a p i e r fabriken zu Radautz und Wasskouz, die M asc ni-
ne n- und die Broncefabrik in Czernowitz, ferner drei Glashut-
ten (Fiirstenthal, Czudin und Serecel) ; Suczawa liefert Saffian und
Korduan.
Der Handel beschrankt sich fast ausschliesslich auf Rohpro-
dukte, als: Getreide, Branntwein, Schlachtvieh , Holz, Rohhaute,
Wolle und Pottasche. Von Wichtigkeit ist der Grenzverkehr
nach Bessarabien und der Moldau, zunachst der GrenzortFolticzeny
(in der Moldau) — wohin auch osterreichische Fabrikate jahrlich
im Werthe von 3/4 Millionen Gulden exportirt werden; — auch der
Transit nach Galizien, Ungarn und Siebenbiirgen ist belangreich.
Jahrmarkte werden in Czernowitz, Suczawa, Sereth, Radautz, Sada-
gura, Kimpolung, Wiznitz und Bojan abgehalten.
§. 93. Das Kftnigreich Dalmatien.
232 OMeilen; — 404.500 (relativ 1740) Einwohner, uberwiegend Katho-
liken (an 80.000 Griechen, einige wenige Protestanten und Israeliten) ; — nach der
Nationalitat iiber */i0 Slawen (Kroaten, Serben, Morlaken), dann Italiener, Deut-
sche. — Grenzen: im N. die kiistenlandische Militargrenze, das adriatische Meer,
— im W. das adriatische Meer, — im S. das adriatische Meer, die Turkei, — im
0. die Turkei. Es wird zweimal vom turkischen Gebiete, das bis an das Meer
reicht, in der Art unterbrochen, dass der Kreis Ragusa nirgends an 6sterreichiscb.es
Gebiet grenzt.
Boden. Dalmatien ist ein Terrassenland , welches, so wie die
zahlreichen vorgelagerten Inseln, zum Karstgebiete gehort. DerHoch-
rand streicht aus der kiistenlandischen Militargrenze nach Dalma-
tien unter dem Namen V e 1 e b i c , auf einer langeren Strecke als
Kronlandsgrenze ; — mehrere parallele Gruppen ziehen in eiidost-
licher Richtung, erheben sich jedoch nirgends iiber die Mittelhohe
(,,dinarische Alpen"). Vom Urlica-Berge bei Knin (an der drei-
fachen Grenze von Dalmatien, Militargrenze und Turkei) zieht sich
der eine Zug als Reichsgrenze gegen die Turkei in siidostlicher
Richtung (Dinara 5700'), bei Sebenico erhebt sich das Tartaro-
Gebirge, sudlicher das Moss o r-Gebirge. Hier beginnt ein eigent-
liches Bergland mit zahlreichen fruchtbaren Mulden und Thalfurchen.
Gegen die Kuste haben die Berge zumeist einea sehr steilen Abfall,
der vielfach zerkluftet und zerrissen ist. Die Jura-Kalkformation des
Festlandes von Dalmatien findet sich auf den Inseln vor, welche
nur eine Fortsetzung der Gebirge des Festlandes sind, und gross-
tentheils mit diesem parallel laufen. — Das Land besitzt keine aus-
gedehnte^n Ebenen, die fruchtbarsten flachen Strecken sind bei
Trau und Spalato , bei Macarsca und Cattaro. Das Karstland hat
keine grosseren offenen Thaler, doch kommen auch hier die cha-
rakteristischen muldenformigen Einsenkungen im Karstboden zahl-
reich vor. Unter den Einsattlungen, welche aus Dalmatien
nach der Militargrenze fuhren, ist jene von Popina (zwischen dem
Velebic und der Urlica) fur den Verkehr die bedeutendste. Sehr
reich ist endlich das Land an Engpassen und Hohlen, mit pracht-
vollen Stalaktiten (Aeskulap-Grotte im Snjznica-Berg, grotta di Ver-
licca, Risano, auf Meleda u. s. f.).
Gewasser. Dalmatien ist im Ganzen arm an fliessendem Ge-
wasser; es hat nur vier grossere und mehrere kleine Flusse. Die
Quellen derselben liegen im Verhaltnisse zu ihrem kurzen Laufe
hoch, daher ist das Gefalle grosstentheils stark, was nebst mehreren
Wasserfallen ihre Bedeutung fur die Schiffahrt vermindert. Mit Aus-
nahme der Narenta sind die grosseren Flusse in hohe Felsenufer
eingeengt, welche einen natiirlichen Schutz gegen Ueberschwemmun-
gen bilden. Die kleineren Flusse trocknen zur Sommerzeit im Kalk-
boden ganz aus. Die bedeutenden Flusse sind: 1. Die Zermagna
aus der Licca, hat ein starkes Gefalle bis Obrovazza, eine mittlere
Breite von 20°, wird vom Meere bis Obrovazzo mit kleinen See-
schiffen befahren und miindet bei Novigrad. 2. Die K e r k a ent-
springt in der Nahe von Knin, bildet auf ihrem etwa 8 Meilen Ian-
gen Laufe mehrere Wasserfalle (den bedeutendsten bei Scardona),
und miindet nordlich von Sebenico ins Meer. Von ihrer Mundung
bis zum Wasserfalle bei Scardona wird sie selbst bei niederem Was-
serstande von Seeschiffen mit 30 — 50 Tonnen, zwischen den Was-
serfailen mit Kahnen zu Thai und zu Berg befahren. 3. Die Ce"-
tina kommt fast vom Fusse des Dinara, fliesst anfanglich zwischen
niederen Ufern , iiber die sie haufig hinaustritt und Ueberschwem-
mungen verursacht; spater ist der Fluss bis zur Mundung bei Al-
missa in steile Felsen eingeengt und bildet den imposanten Wasser-
fall bei Duare. Er wird nur vom Meere bis Vissech ('/2 Meile weit)
von kleinen, flachen Schiffen befahren, 4. Die fischreiche Narenta
entspringt im Grenzgebirge zwischen Bosnien und der Herzegowina
(Berg Weljak), tritt bei Metkovich, bis wohin sie von ihrer Mundung
(unterhalb Fort Opus) mit Segelschiffen von 100—150 Tonnen be-
fahren wird, nach Oesterreich. Durch Regulirung des Flussbettes
k5nnte die Narenta zum Flossen des Schiffbauholzes aus der Herze-
gowina benutzt werden.
Die Landseen Dalmatiens sind (mit Ausnahme des salzigen
Sees von Vrana) periodische Seen, d. h. sie bestehen nur zur Re-
genzeit und trocknen im Sommer ganz oder zum Theile aus. Be-
deutendere Seen sind: der Boccagnazzo, nordlich von Zara, des-
sen hohere Stellen im trockenen Zustande kulturfahig sind; derNa-
din, Prolosaz u. s. w. — Auch die von den Fliissen gebildeten,
verhaltnissmassig zahlreichen Sumpfe, welche eine Flache von
beilaufig 23.600 osterreichischen Jochen einnehmen , trocknen im
154
Sommer aus. — An Mineralquellen hat Dalmatian nur den
schwachen Gesundbrunnen bei Verlicca und das kalte Schwefelwas-
ser bei Spalato.
(Das adriatische Meer siehe Seite 101.)
Politische Eintheilung. Dalmatien mit der Landeshauptatadt
Zara untersteht der Statthalterei in Zara.
Bemerkenswerthe Orte sind:
1. Zara (7500 Einw.), Scardona, Sebenico, Knin, Novigrad, Nona, Obrovazzo ,
Dernis. Die Inseln Arbe, Pago.
2. Spalato (11.000), Salona, Almissa, Makarska, Trau, Sign, Metkovich,
Fort Opus. Die Inseln : Brazza, Lesina, Lissa.
3. Ragusa (5000), Stagno, Slano. — Die Halbinsel Sabioncello. Die Inseln:
Curzola, Lagosta, Meleda.
4. Cattaro (2000), Castelnnovo, Budua, Castel Lastun.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Erwerbsquellen der frugalen Dalmatiner sind Ackerbau,
Viehzucht, Fischfang, Schiffahrt und Handel ; im Ganzen bietet je-
doch dieses Land kein erfreuliches Bild der Volkswirthschaft. Sind
auch die Bewohner geistig reich begabt und ist das Klima ein
ausserst mildes , so geniigt doch die Produktion nicht fiir den Be-
darf. Der Ackerbau befindet sich in Dalmatien, trotz der vielfachen
Bemiihungen der Landwirthschafts-Gesellschaft, in einem traurigen
Zustande ; der Grundbesitzer bezieht ein hochst geringes Einkom-
men von seinen Grundstiicken. Nur die Halfte der gesammten Bo-
denflache ist kultivirt und von dieser entfallt etwa yio auf den
Weinbau; die andere Halfte nehmen unkultivirte Weidegriinde,
Siimpfe, Seen, Fliisse u. s. w. ein. Dem Wiesen- und Garten-
bau sind nur an 2'/3 QM. zugewandt, etwas mehr kommt auf die
Oliven-, Lorbeer- and Kastanienwalder *),.
Die Hauptfriichte sind Mais und Gerste ; die wichtigeren Han-
delspflanzen anderer Kronlander werden gar niclit, Hanf und Flachs
nur seh? wenig angebaut; dasAckerland wird vielfach zugleich mit
Oelbaumen und Reben bepflanzt. — Das Hauptprodukt des Lan-
des ist der Wein, doch iet er durchschnittlich von geringem
Werthe ; ausgezeichnet sind nur die vielen Sorten von Dessert- Wei-
.nen (Sebenico, Almissa). — Zun'achst steht das Olivendl, da der
Olivenbaum langs der Kiiste sehr verbreitet ist, und hierin behaup-
tet Ragusa den ersten Rang. Auch Feigen, Mandeln und das Jo-
hannisbrot gedeihen gut , vorziiglich aber die Steinvveichsel (Ma-
rasca), aus welcher der bekannte Maraschino-Liqueur gebrannt wird.
Die Viehzucht steht gleichfalls auf sehr niederer Stufe ; nur
die der Forstkultur nachtheilige Ziege ist sehr verbreitet, deseglei-
chen das gemeine Schaf, dessen Wolle filr die Bedurfnisse der Na-
tionaltracht verwend'et wird. Die Stallfutterung , der Anbau von
*) Als Ursachen dieses unbefriedigenden Zustandes des Ackerbaues werden ange-
geben: Mangel an Arbeitskriiften, Annuth der Colonen und kleineren Grundbesitzer,
die geringe Stufe der Bildung unter den Morlaken, deren A<kergerathe sich vielfach
in einem fast noch primitiven Zustande befinden, Mangel an brauchbaren Geraeinde-
strassen, Vorliebe der Gebirgsbauern fiir das Hirtenleben, endlich die grosse Zer-
stfickelung der Grlinde.
Futterkrautern u. dgl. sind in Dalmatien so zu sagen unbekannt ;
der Bauer zieht seine Kinder bios zum Behufe der Feldarbeit auf.
Den sear beliebten Kase bereitet er in der einfachsten Art fur den
eigeneri Bedarf. — Der Fischfang an den Ktteten ist sehr be-
deutend. — Die Zucht der Seid enraupen und Bienen steht
ebenfalls nicht auf der dem Klima entsprechenden Hohe, nur der
weisse Honig der Insel Solta ist ausgezeichnet. In den letzten Jah-
ren hat jedoch die Zucht der Seidenraupe ungemein zugenommen
(Scardona, Sign) ; die Regierung sieht in dieser Richtung ihre viel-
jabrigen Bemiihungen mit dem besten Erfoige gekront und die
Landwirthschafts-Gesellschaft, welche im Laufe der letzten Jahre
Tausende von Maulbeerbaumchen im Lande unentgeltlich im
Auftrage der Regierung vertheilt hatte *), sieht bereits ansehn-
liche Summen fur den Samen etc. in das Land fliessen. Dalmatien
scheint fur die Seidenkultur mindestens gleich giinstige Verhaltnisse
zu besitzen als das Venetianische; Kenner meinen sogar, Dalmatien
sei daftir noch vortheilhafter. Wein, Oel, Seide, Fische, Seesalz kon-
nen noch bedeutende Kapitalien ins Land ziehen. — Gelingt es,
Dalmatien durch eine Reihe von Jahren auf der Bahn des Fort-
schrittes zu erhalten und die Gewohnheiten des Landmanns den
eigenthiinalichen Anforderungen der Seidenkultur in alien ihren
Stadien anzupassen, so wird sich bald die Physiognomic Dalmatiens
verandern und aus einem armenLaudewird ein reiches
werden.
Auch das Mineralreich bietet kein erfreuliches Bild, die Ar-
muth an Metallen ist grosser, als in jedem der iibrigen Kronlander.
Die Ausbeute an Braunkohlen bei Dernis und Sign ist sehr
geringe. — As phal t haltige Steine werden vorzuglich auf der In-
sel Brazza gebrochen un.d nach Venedig gefiihrt, wo der Dalmatiner-
Asphalt daraus destillirt wird. — Die Erzeugung von Meersalz
wird zu Stagno und auf der Halbinsel Sabioncello vom Aerar , auf
den Inseln Arbe und Pago von Privaten betrieben.
Die technische Kultur steht auf eben so niederer Stufe als
die Landwirthschaft, und der Werth der Kunstprodukte iibersteigt
kaum 4 Millionen Gulden, wovon fiber die Halfte auf die Hand-
werke entfallt. Dalmatien ist in Bezug auf den Produktionswerth
das schwachste aller osterreichischen Kronl§,nder. Grosse industrielle
Etablissements bestehen gar nicht, aber auch die Zahl der Gewerbe
ist eine geringe. Nur der Schiffbau ist bedeutend, besonders die
Werften in Luesin piccolo, Gravosa und Curzola, wo die meisten
Schiffe (allerdings iiberwiegend Kiistenfahrer) gebaut werden. Die-
sem folgen die Gewinnung des Meersalzes, dann die Erzeugung
von ordinaren Schafwoll waaren (Rasche) , welche auf hochst
einfachen, fast prirnitiven Wobestiihlen fur den bescheidenen Haus-
gebrauch von der Landbevolkerung erzeugt werden. Am zahlreich-
pflanzt
In. J.
) Die Anzahl der Maulbeerbaume, die in Dalmatien in den letzten Jahren ge-
wurden, hat in folgencier Progression zugenornmen :
. 1855 35 000 Maulbeerbaume
IS5i; 62.000
1857 95.000
Im J. 1858 130000 Maulbeerbaume
1859 fiber 200.000
156
sten sind die Maraschino- und Rosoglio-Fabriken (in Zara und Ra-
gusa), — in Lederarbeiten Cattaro, Spalato undRagusa; — hier-
zu kommt die Erzeugung von Unschlitt- und Wachskerzen u. dgl.
Vortrefflich ist der dalmatinische Weinessig, und bei dem gros-
sen Reichthum des Landes an aromatischen Krautern konnte dieser
Zweig eine sehr lohnende Ausdehnung erlangen, wie dieses in Frank-
reich bereits der Fall ist.
Dass bei dem dargelegten Stande der physischen und tech-
nischen Kultur des Landcs, sowie der geringen Bildungsstufe und
schwachen Consumtion der Bevolkerung der Handel im Allgemeinen
in beschrankteren Kreisen sich bewegt, ist begreiflich.
Zur Ausfuhr gelangen: Baumol, Wein, Feigen, Sardellen,
rohe Haute, Schafwolle, Rosoglio, Meersalz; — eingefiihrt wer-
den: Getreide, Mehl, alle Arten der Webe- und Wirkwaaren, Ta-
bak, Rindvieh nebst den Kunstprodukten der deutschen Kronlander.
Lebhafter Verkehr findet zur See, dann auch zu Land mittelst Ka-
ravanen und Saumthieren nach der Tilrkei und Montenegro Statt;
in Cattaro und an verschiedenen Punkten an der tiirkischen Grenze
bestehen desshalb Bazare. Ziemlich bedeutend ist auch der Transit-
handel. Die Hauptstadt Z a r a weiset die grosste Einfuhr und die
grosste Geldcirculation aus; der MGrosshandel" und die Schiffahrt
sind unbedeutend. Wich tiger ist Spalato in beiden Beziehungen
so wie fur den Binnenhandel ; Cattaro unterhalt seinen Verkehr mit
Montenegro; Ragusa treibt Schiflfbau und ansehnlichen Handel.
Die Inseln finden in der Seefischerei bedeutenden Erwerb.
§. 94. Die Konigreiche Kroatien und Slavonien.
333 nMei'en; — 865.000 (relativ 2599) Einwobner, uberwiegend Katho-
liken (an 90.000 Griechen, 5000 Protestanten, 4000 Israeliten); — nach der Na-
tionalitatan 98% Slawen (*/3 Kroaten), dann Deutsche, Magyaren, Italiener a. s. f.
— Grenzen: im N. Steiermark, Ungarn, die Wojwodina, — im O. die Wojwodina,
— im S. die Militargrenze, — im W. das adriatische Meer, Istrien, Krain und Steiermark.
Bo den. Dieses Kronland besteht aus zwei getrennten, nur im
Siiden zusammenhangenden Theilen. Der grossere , westliche ist
Kroatien mit dem (kroatischen) Kiistenlande; der kleinere, ostliche
Slavonien. Beide sind theils Berg- theils Tiefland; doch herrscht
im Allgemeinen im Westen die Form des Berglandes, im Osten
und Sudeu jene des Tieflandes vor. Das nordliche und nordwest-
liche Bergland Kroatiens gehort zura Alpensysteme , der nordliche
Bergzug durchzieht als Warasdine r- Gebirge mit verschiedenen
Lokalbenennungen das Land; — das sudwestliche Bergland gehort
zum Karstgebiete, zu welchem auch das aus Unterkrain nach Kroa-
tien sich hinziehende Uskokengebirge (Goriance) gezahlt wer-
den kann. In Slavonien ziehen sich die letzten Vorberge der
Ostalpen (Fruska gora, Wrdnik- Gebirge) bis zur Donau. —
Das Tiefland breitet sich an der Save und Drave aus, beide sind
fruchtbar, vorzuglich die Murinsel (zwischen Mur und Drave) sowie
die Flussthaler der Kulpa und Krapina ; in Slavonien sind die Drave-
ufer stellenweise sumpfig und morastig.
Gewasser. Mit Ausnahme einiger Bache, welche ihren Lauf
in westlicher Richtung gegen das adriatische Meer nehmen, aber
157
grosstentheils in dem Kalkboden sich verlieren, gehort das Kron-
land zum Flussgebiete der Donau. Der wichtigste Fluss ist die
Save, welche an der krainisch-steierischen Grenze (bei Rann) nach
Kroatien kommt, das Land in sudostlicher Richtung durchschneidet,
von der Einmiindung der Kulpa (bei Sissek) die Grenze gegen
Militar-Kroatien bildet und dann ganzlich in die Militargrenze tritt.
Sie iet zunachst fur den Getreidetransport nach Krain wichtig, in
welcher Beziehung Sissek den Hauptstapelplatz bildet. — Die
Drave kommt aus Steiermark (unterhalb Friedau), bildet nach der
Einmiindung der Mur (bei Legrad) die Grenze gegen Ungarn und
ist von hier bis zu ihrer Mundung in die Donau (unterhalb Essek)
schiffbar. Durch die vorgenommene Regulirung wurden Ueber-
schwemmungen vermindert, die Schiffahrt verbessert und die Lange
des Flusses um 24 Meilen abgekiirzt. — Von der Dravemundung
an bespult die Donau die Nordgrenze des Kronlandes und der
Dampfschiffahrtsverkehr belebt diese an Naturprodukten reiche Pro-
vinz. — Eigentliche Seen hat das Land keine, im Karstboden fin-
don sich iibrigens auch hier die bereits mehrerwahnten periodiechen
kleinen Seen; dagegen ziehen sich langs- der Drave und Donau
auegedehnte Siimpfe hin. Diese sumpfigen Niederungen sind die
einzigen ungesunden Strecken, wahrend in den ubrigen Landesthei-
len zumeist ein mildes und gesundes Klima herrscht. — An Mi-
neralquellen besitzt das Land die Schwefelquelle Toplice (bei
Warasdin), Krapina, dann bei Daruvar in Slavonien, Jamnica, Stub-
nica und Lippik.
Politische Eintheiluiig: Die Konigreiche Kroatien und Sla-
vonien bilden das Verwaltungsgebiet der Statthalterei in Agram,
welches in funf Comitate (Kreise) eingetheilt wird. Die Hauptstadt
Agram ist der Statthalterei unmittelbar untergeordnet.
Bemerkenswerthe Orte sind:
1. Comitat Agram: Agram (16.600 Einw.), Cyarlstadt, Sissek, Szamobor.
2. ComitatWarasdin: Warasdin (10.000), Cakathurn, Legrad, Krapina,
Toplice, Kreutz, Kopreinitz, Radaboj.
3. Comitat Finme: Fiume (14.000), Buccari, Portore, Delnice.
4. Comitat Pozega: Pozcga (2700), Ver66e (= Verovitiz, Werowitz).
5. Comitat Essek: Essek (14.000), Djakovar, Vukovar.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache des Kronlandes sind etwa 87% pro-
duktiver Boden und davon entfallen mehr als 40% auf Waldungen,
an 30°/0 auf das Ackerland, 16% auf Wiesen und Gartenland,
13% auf das Weideland und 1% auf Weingarten.
Die wichtigste Nahrungsquelle ist die Landwirthscliaft, vor-
ziiglich der Ackerbau in der sehr fruchtbaren Drave- und Save-
Ebene und in der sogenannten Mur-Insel (Murakoz, zwischen Drave
und Mur). Kroatien erzeugt nicht genugend fur den Bedarf; da-
gegen bringt Slavonien einen ansehnlichen Ueberschuss zum Export.
Hauptfruchte sind Weizen, Mais und Bohnen. Der Weinbau ist
sehr ergiebig, die Mur-Insel erzeugt grosse Quantitaten, doch ist
der sonst kraftige Wein nicht dauerhaft. Der Obstbau liefert be-
deutende Mengen guter Zwetschken, aus denen der Pflaumen-Brannt-
158
wein (Slivovic, von Sliva = die Pflaume) gebrannt wird, nebst alien
Arten von Wirthschaftsobst. — Der Waldstand (mehr Eichen
urid Buchen, weniger Nadelholz) ist ein befriedigender und liefert
viel treffliches Bauholz, sowie als Nebennutzung Knoppern und
Eicheln; dagegen ist das Wiesland sowohl der Menge als der
Kultur nach unzureichend. — Die Viehzucht ist unzulanglich und
auf einer niederen Stufe, mit Ausnahrae der Schweinezucht, nament-
lich in Slavonien, wo grosse Eichenwalder vorkommen; Kroatien
iibertrifft nur in der Zucht des Gefliigels und der Schafe (zum Theil
auch schon veredelte) sein Nachbarland. Die B i e n e n zucht ist
schwunghaft, die S eidenraupen zucht in fortwahrendem Steigen.
Die kroatische Seide ist fein, aber ihre Menge gering; in Slavonien
ist das gerade Gegentheil. Die Teiche und Sumpfe um Essek lie-
fern grosse Mengen von Blutegeln in den HandeL Im Allge-
meinen kann die Produktion in diesem Kronlande noch namhaft
gesteigert werden.
Die Produkte des Mineralreiches nehmen eine untergeord-
nete Stelle ein, nur die vorziigliche Qualitat des Schwefels in
Radaboj (Kroatien) ist hemerkenswerth, sowie die Kupfergruben
zu Rude bei Szamobor und einige Mar m or- und Baustein-
briiche im kroatischen Kiistenlande.
Die Industrie beschrankt sich zumeist auf die stadtischen Ge-
werbe und die Hausindustrie auf dem Lande; auch raacht die fleissige
Bevolkerung hierin merkliche Fortschritte. Eine selbststandige, von
der Urproduktion des Landes unabhangige Fabriksindustrie ist kaum
im Entstehen. Die bedeutenderen grosseren Etablissements sind
in F i u m e (Papier, Zucker, Seife, Rosoglio, Tabak, chemische Pro-
dukte, Schiffbau und Segeltuch u. s. w.), Agram liefert Porzellan,
Eisenwaaren, Leder; — Glas erzeugen mehrere Fabriken (Marien-
thal bei Essek, Zvecevo im Pozeganer Comitat) ; — Steingut in
Warasdin und Krapina; — Messer in Legrad; ferner Pottasche,
Holzwaaren, Slivovic, ordinare Hausleinwand und derlei Tiicher,
welche zum Familienbedarfe auch zu Hause gefarbt werden.
Der Handel Kroatiens ist hauptsachlich Zwischenhandel fiir
Cerealien und sonstige Naturprodukte, welche aus den Kornkammern
(Banat und Ungarn) nach dem Westen abgesetzt werden ; dann Holz-
und Weinhandel. Im Kustenland ist der Export an Nutzholz wie
der gesammte Handel sehr im Wachsen. Slavonien hat bedeutende
Ausfuhr in Getreide nach Sissek, in rohen Hauten und Fellen
(Essek), dann Ochsen, Schweinen, Honig und Wachs. — Eingefiihrt
werden alle Arten osterreichischer Manufakte, Kunst- und Luxus-
artikel. Die wichtigeren Handelsplatze sind: Fiume, Buccari, und
Portore, Agram, Sissek, Carlstadt und Essek. An der Verbesse-
rung alter und der Herstellung neuer Strassen und dem Bau von
Eisenbahnen wird riistig gearbeitet, die Schiffahrt auf der Save,
Kulpa und Drave sowie die Seekiiste sind beachtepswerth; insbe-
sondere macht Fiume grosse Anstrengungen und der jahrliche See-
verkehr dieser Stadt ubersteigt bereits den Werth von 10 Millionen
Gulden (Import etwa 5, Export 5l/5 Million Gulden).
.'. 'iin&b
159
§. 05. Die Militargrenze.
(Die kroatisch-slavonische und banatisch-serbiscJie Militdrgrenze.}
609 [JMeilen ; — 1,064.900 (relativ 1747) Einwohner, darunter etwa 45%
Katholiken, 52% Griechen, 2% Protestanten, an 500 Israeliten ; — nach der Nationa-
litat fast 84% Slawen (51% Kroaten, 32% Serben. dann Cechen und SlovakenJ,
12% Romanen, 4% Deutsche. — Grenzen: im W. das adriatische Meer, — im
N. Kroatien, Slavonien, Ungarn, — im 0. Sicbenbflrgen, die Walachei, — im 5.
Serbien, Bosnien.
JBoden. Die Militargrenze 1st theils Bergland, theils Tiefland.
Das Bergland des westlichen Theiles (kroatische Militargrenze) ge-
hort zum Karat ge biete, in welchem die parallelen Arme der
grossen und kleinen K ape 11 a sowie des Velebic hervortreten.
Jener Theil, welcher siidlich der Drave zwischen Kroatien und Sla-
vonien liegt, wird von Vorbergen der Alpen (Warasdiner Gebirge)
ausgefiillt. In dem aussersten Osten der serbischen Militargrenze
ziehen sich Auslaufer der siebenburgischen Karpathen (Banater
Gebirge) herein. Die slavonische, banatische und zum Theil die
serbische Militargrenze sind theils Ebene, theils Hiigelland. Die
Ebenen an der Drave und Save sind ungeraein fruchtbar. —
Das Karstgebiet beh'alt auch hier seinen Charakter mit den zahl-
reichen Tropfsteinhohlen ; im ostlichen Theile sind die Herkules-
Dampfhohle mit den heissen Dampfen und die historische vete-
ran is che Hohle besonders bekannt.
Gewasser. Das adriatische Meer bespiilt die kroatische
Militargrenze auf einer Lange von etwa 16 Meilen; die Kuste ist
steil, hat wenig zugangliche Buchten und bildet mit den gegenuber-
liegenden Inseln den ,,Canale di Morlacca." Zwischen dem Velebic
und der Kapella sind zahlreiche Bache, welche gleich den iibrigen
Karstgewasaern plotzlich hervorquellen, nach Regengiissen Ueber-
schwemmungen verursachen, und sich dann in den Sauglochern des
Kalksteinplateaus verlieren, ohne einen sichtbaren Abfluss zum Meere
zu haben. Der bedeutendste unter diesen ist die Lika. — Das
ganze ubrige Land gehort zum Gebiete der D o n a u , welche von
Peterwardein bis Semlin das Land durchstromt und von hier bis
Orsowa die Reichsgrenze bildet. Die Drave scheidet einen Theil
des Kronlandes von Ungarn; — die Save kommt aus Kroatien,
nimmt die an der kroatischen Grenze fliessende und durch die Glina
verstarkte Kulpa, spater den Grenzfluss Unna auf, von dessen
Einmundung sie bis Semlin-Belgrad die Reichsgrenze bildet. Aus
der Wojwodina kommt die T ernes, welche unterhalb Pancowa
in die Donau miindet, ferner die Karas und Nera. Auf einer
kurzen Strecke gehort auch die Theiss der Militargrenze an. —
An der Save, Drave und an der Miindung der Temes breiten sich
weite Siimpfe aus; uberdiess hat das Land auch mehrere Seen.
— Unter den Mineralquellen haben die Schwefelquellen der Her-
kulesbader von Mehadia verbreiteten Ruf und werden sehr
stark besucht, auch die eisenhaltigen Quellen von Topuszko er-
freuen sich eines zahlreichen Besuches und steigender Anerkennung.
Pulitische Eintheiluiig. Die politische Eintheilung dieses
Kronlandes ist militarischer Natur. In militarischer und admini-
strativer Beziehung ist die Militargrenze in zwei Landes-Militar-
160
Commanden eingetheilt, u. z. das kroati sch-slavonische
mit dem Sitze des Commandanten in A gram, und das banatisch-
serbische mit dem Sitze des Commandanten in Temesvar.
Jedes Commando wird in Regiments- oder B a tail Ion sb e-
zirke eingetheilt; von den ersteren zerfallt jedes wieder in 12,
von den letzteren jedes in 6 Compagniebezi rke. Einen Com-
pagniebezirk bilden endlich entweder eine oder mehrere klein ere
Ortegemeinden. In jedem Landes-Militar- Commando bestehen
freieMilitar-Communitaten, im ersteren 7 (Carlopago, Zengg,
Petrinia, Kostainica, Bellovar, Ivanic, Brod), im letzteren 5 (Peter-
wardein, Karlovic, Semlin, PanSova, Weieskirchen). Diese 12 Mi-
litar-Communitaten sind von der besonderen Wehrpflicht der Gren-
zer ausgenommen und nur der allgemeinen Wehrpflicht unterwor-
fen; sie sind von dem Regiments -Commandanten unabhangig und
unterstehen direkt dem Militar- und Civilgouverneur. Ihre. vorge-
eetzten , aber ebenfalls militarisch organisirten Lokalbehorden sind
die Magistrate. Sie haben die Bestimmung, Gewerbe und Handel
zu treiben und die Produktion wie den Absatz zu erleichtern und
zu fordern.
Bemerkenswerthe Orte sind:
1. Im St. Georgner Regiment: St. Georgen.
2. Im Kreutzer Regiment: Belovar.
3. Im ersten Banal-Regimente: Glina.
4. Imzweiten Banal-Regimente: Petrinia (5000), Kostainica, Dabica.
5. Im Sluiner Regimente: Sluin, Carlstadt.
6. Im Oguliner Regimente: Ogulin.
7. Im OtoSaner Regimente: Zengg (3000), OtoSaS (oder Otochaz).
8. Im Likkaner Regimente: Carlopago, GospiS.
9. Im Gradiskaner Regimente: Al t- Gradiska, Nen-Gradiska.
10. Im Broder Regimente: Brod, Vinkovce.
11. Im Peterwardeiner Regimente: Carlovic (6000, Karlowitz), Pe-
terwardein (5000), Semlin (10000), Mitrovic (Mitrowitz), Slankamen.
12. Im Caikisten-Bataillon: Titel.
13. Im Deutsch-Banater Regimente: Pancova (12.000).
14. Im Romanen-Banater Regimente: Karansebes, Mehadia, Alt-
Orsova, Neu-Palanka.
15. Im Illirisch-Banater Regimente: Weisskirchen (6000).
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die eigenthiimlichen Einrichtungen und das patriarchalische
Leben des Grenzvolkes iiben ihren unmittelbaren Einfluss auf Acker-
bau und Viehzucht , auf Gewerbe und Handel aus. Alle waffen-
fahigen Manner sind vom zwanzigsten Lebensjahre waffenpflichtig.
Die Wehrpflicht besteht in der Bewachung und Vertheidigung der
Landesgrenze , in der Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung im
Innern, und in der Pflicht, auch ausser Landes ins Feld zu rticken.
Der Grenzsoldat erhalt vom Staate vollstandige Bekleidung, Be-
waffnung und Munition, den Sold jedoch nur im Felddienste. Zur
Erfiillung der Zwecke der Grenze besteht der Cordon, der nach
Massgabe der Gefahr 5000, 7000, bei naher Gefahr 11.000 Mann
bedarf. Den Cordon bilden Wachhauser (Cartake) langs der gan-
zen Grenzlinie , jede mit 4, 8 oder 12 Mann ; in den sumpfigen
Niederungen stehen die Wachhauser auf erhohtem Mauerwerke und
sind durch Dammwege mit einander verbunden. In der Regel ist
161
der Grenzer cine Woche ,,im Dienste," zwei Wochen bei der Wirth-
schaft. Im Falle der Noth bilden die Grenzer ein Kriegsheer .von
100.000 Mann, welche zu den beeten Truppen geho'ren. Die nicht
im aktiven Dienete stehenden Grenzer beschaftigen sich mit Acker-
bau, Viehzucht, Gewerben und Handel.
In bauslicher Bezithung fiihren die Grenzer ein patriarcha-
lischea Familienleben und diese Nationalsitte steht unter dem Schutze
des Gesetzes. Die Folge dieser patriarchaliscben Verbaltnisse ist,
dass Industrie und Handel sich grosstentheils auf die M i 1 i t & r-
Communitaten beschranken , wahrend die Mebrzahl der Bevol-
kerung sich rait Ackerbau und Viehzucht beschaftigt und die hochst
geringen Bediirfnisse an Kleidung durch die Hausfrauen befriediget
werden, welche die Kleider fur Mann und Kind spinnen, weben,
farben und uahen.
Mehrere vemandte Oder verschwagerte, oder frei in die Hausgesellschaft auf-
genommene Personen oder Familien bewohnen Ein Haus und bilden zusammen en;e
Haus-Communion. Alle liegenden Outer der Greuzbewohner sind gegen Erfiil-
lung der Grenzobliegenheiten vollstandiges Eigenthutn der Grenz-Communionen. Alle
Manner der Haus-Communion haben gleiche Rechte auf das unbewegliche Eigenthum
des Hauses ; bei dem Austritt ans dem Hause verliert jedoch das Mitglied sein Recht,
welches von selbst den ubrigen zawiichst. Ist kein Mann mehr im Hause, so gent
das Recht in gleicber Weise auf die Weiber fiber. Der letzte Sprosse einer Haus-
Communion kann iiber das unbewegliche Vermogen letztwillig verlugen ; ist keio,
Testament und keine erbfahige Person verhanden, so t'&llt das VermSgen dem Grenz-
institute anheim.
Als Familie eines Hauses werden alle Personen betrachtet, welche bei dem
Hause konskribirt und nicht Dienstboten sind. Urn Ruhe, Ordnung, Eintracht, Reli-
giositat und Sittlichkeit unter der der Haus-Communion zu erhalten, hat in der Regel
der alteste fahige nnd dienstfreie Mann die Hausvaterstelle zu fuhren und das Ver-
mOgen zu verwalten ; sein, oder ein hierzu geeignetes Weib hat die Hausmutter zu
sein. Die Wahl des Hausvaters muss durch die Familie geschehen, und der BehOi de
angezeigt werden. Alle Mitglieder der Haus-Commuuion nehmen alle Obliegenheiten
des Hauses und die Feldwirthschaft ohne Lohn auf sich ; was die Haus-Communiou
mit gemeinsamen Eraften erwirbt, ist gemeinsames Hausgut. welches zar Bestreitung
der Auslagen des Hauses und des Unterhaltes aller Familienglieder dient. Kein
Hausgenosse darf fiir sich oder seine Familie eine abgesonderte Wirthschaft treiben,
uberbaupt nichts unternehmen, was die gemeinsame Hausarbeit stort. Nur wenn an
Zeit eriibrigt wird, darf er dieselbe fflr sich verwenden, Geld oder Gerathe erwerben
und besitzen; doch muss ein Theil davon in die Hauskasse abgegeben werden. Die
Theilang einer Communion ist nur unter gewissen Bedingungen gestattet.
Von der Gesammtflache der Militilrgrenze sind nur etwa 79%
produktiver Boden. Dieses ungiinstige Verhaltniss hat seinen Grund
in den vielen Sumpfdtrecken der Ebenen und in der steinigen Hoch-
flache des westlichen Karstgebietes. Vom produktiven Boden ent-
fallen % auf Waldungen (162 QM.), T/4 auf Aecker (137 QM.),
77 DM. auf Weiden, 79 CM. auf Wiesen und Garten, und faat
5 QM. auf Weingarten.
Die Produktion des Ackerbaues genugt nicht fiir den Be-
darf und es findet ein ansehnlicher Import statt. Die Hauptfruchfc
ist der Mai?, dena folgen Weizen und Hafer, endlich Roggen und
Gerstp, auch Hanf, Flachs und Tabak werden angebaut. Futter-
krauter gedeihen trotz des ganzlich ungeregelten Wiesenbaues
in grosser Menge. Wein wird uberall gebaut (iiber 500.000 Eimer),
darunter ist jener von Karlowic, Weisskirchen und Mehadia von
vorziiglicher Qualitat. Unter den Obsteorten nimmt auch hier dis
Kluu's Hundels-Geographie. 2. Aufl. H
162
Zwetschke und die Bereitung des Slivovic eine hervorragende Stelle
ein. Die ausgedehnten W aldungen (insbeeondere die Eichenwal-
der an der Save , Kulpa und Drave) gewahren reiche Ausbeute an
Bau- und Schiffbauholz. — Der Viehstand ist gross, aber von
minderer Qualitat, nur die syrmiscben Pferde haben besseren Werth.
DasHornvieh wird hauptsachlich als Zugvieh beniitzt, dasSchaf
wird mehr wegen des Fleisches als wegen der Wolle gehalten. Sehr
stark ist die GeflQgelzucht, dann jene der Schweine; auch die Bie-
nen und Seidenraupen finden gute Pflege, und die Blutegel bilden
einen namhaften Ausfuhrartikel.
Der Bergbau und die Mineralproduktion sind unbedeutend.
Zwischen der Unna und Save kommt Eisen, in den Auelaufern der
Karpathen kommen silberhaltige Bleierze vor und in den Gebirgs-
bachen wird etwas Waschgold gesammelt.
Sowohl die vorwaltend militarische Bestimmung dieses Kron-
landes , als auch die geringen Bediirfnisse der Bewohner erklaren
den tiefen Stand, auf dem sich die Gewerbsthatigkeit in diesem
Lande befindet; von hoherer Industrie kann nicht die Rede
sein. Die in den Militar-Communitaten lebenden Handwerker sor-
gen nebst den Weibern durch die hausliche Regeamkeit fur die
Bediirfnisse, zunachst fur die Bekleidung und die militarische Aus-
rQstung. Lederarbeiten, L ein wand und die Verarbeitung der
Schafwolle bilden die Hauptbeschaftigung ; am gewerbereichsten
sind die ostlichen Bezirke. Einen besonderen Zweig der Thatigkeit
bilden Teppiche und Tape ten, welche von den Klementinern
in guter Qualitat geliefert werden, Erwahnenswerth ist die steigende
Kultur des Seidenbaues, zu welchem Zwecke schon iiber 30
Filanden bestehen und wofiir Klima und Bodenbeschaffenheit vor-
zuglich geeignet scheinen, so dass auf diesen Zweig alle Sorgfalt
verwendet werden wird. Auch der Schiffbau zu Jasenovac (an
der Save) und in Zengg ist nicht ganz unbedeutend. Die Ei sen-
hammer zu Russberg, Ferdinandsberg und Tergove, die Verfer-
tigung von Thon ges chi rren und Holz waaren, die Brannt-
weinbrennereien u. s. w. sind nicht von erheblichem Umfange.
Der Eigenhandel ist bei dem geringen Umfange gewerblicher
Thatigkeit unbedeutend; desto wichtiger ist der Tran sith andel,
vornehmlich zu Semlin, dann in Pancova, Orsowa, Brood und
Mitrovic. Salz und Getreide werden importirt, Holz und Vieh ex-
portirt, zur Durchfuhr gelangen die osterreichischen Manufakte und
die Rohprodukte der Donaulander. Fur den unter strengster Auf-
sicht betriebenen Verkehr mit den Tfirken bestehen Rastelle (um-
zaunte Marktplatze). Die vier Seehafen: Zengg, Carlopago, St.
Giorgio und Jablonac sind nicht bedeutend, doch betrug der Ver-
kehr im Jahre 1851 nahe an 4 Millionen Gulden (ttber 2l/s Millio-
nen Gulden die Einfuhr und faat s/« Millionen Gulden die Ausfuhr).
Die Landstrassen der Militargrenze sind unstreitig viel besser
und zahlreicher als in den Nachbarlandern. Wichtiger sind die
Wasserstrassen und vorzflglich das Meer. Auch ist es bereits
in das Eisenbahnnetz der Monarchic einbezogen.
§. 96. Die Wojwodschaft Serbien und das Temeser Banat.
( Wojwodina und Banat.}
545 DMeilen; — 1,540.050 (relativ 2827) Einwohner, darunter etwa 49%
Griechen, 43% Katholiken, 6% Protestanten, an 17.000 Israeliten n. a. ; — nach der
National! tat 29% Slawen, 28% Komanen. 24% Deutsche, 18% Magyaren, dann
Armenier, Juden n. s. f. — Grenzen: im N. Ungarn, — im 0. Ungarn und die
Militargrenze, — im S. die Militargrenze und Slavonien, — im W. Slavonien und
Ungarn.
Boden. Der grosste Theil dieses Kronlandes gehort der gros-
sen ungarischen Tiefebene an ; im Oaten verzweigen sich die Aus-
laufer der siebenbiirgischen Karpathen und im Sfiden erheben sich
die syrmischen Hugel als ausserste Vorberge der Alpen. In der
Tiefebene, welche durchschnittlich 2 — 300' Seehohe hat , kommen
bedeutende Siimpfe vor ; sonst aber ist die Oberflache des Landes
die fruchtbarste Dammerde.
GewSsser. Das ganze Kronland gehort zum D o n a u - Ge-
biete, welche die Theiss, die T ernes und den Karas aufnimmt.
Die Theiss theilt die westliche Halfte (Backa) von der ostlichen
(Banat) und nimmt die Maros und Bega auf. Die Lange der schiff-
baren Strecken betragt fiber 80 Meilen, die Donau und Theiss wer-
den mit Dampfschiffen befahren , die Maros ist schiffbar und die
Temes von Lugos an flossbar. Wichtig sind auch die beiden Ka-
nale: der Franzens- oder Backer- und der B e g a - Kanal. Der
erste ist uber 14 Meilen lang, tragt Schiffe bis 8000 Zentner Last
und fiihrt aus der Donau durch die Backa in die Theiss. Der Bega-
Kanal ist 16 Meilen lang; er besteht zum Theil aus dem regulir-
ten Bette der Bega, wird durch die Temes mittelst eines Verbin-
dungskanals gespeist und verbindet Temeevar mit Gross-Beckerek.
— Unter den Seen ist nur der Palicer Salzsee (bei Theresiopel)
bemerkenswerth. — Siimpfe und Moraste hat das Land viele
und weit ausgebreitete in den Niederungen der langsam hinfliessen-
den Donau und Theiss. Von den Mineralquellen sind die be-
kanntesten jene zu Buzias, zu Murany und die Wasserkuranstalt
zu Lunkany.
Politische Eintheilung. Ausser der Landeshauptstadt Te-
mes var, welche der Statthalterei unmittelbar untergeordnet ist,
wird dieses Kronland in fiinf Kreise eingetheilt.
Bemerkenswerthe Orte sind:
1. Kreis Temesvar: Temesvar (22.500 Einw.), Neu-Arad, Werlec.
2. Kreis Lngos: Lugos (6000), Oravica, Moldova, Ciklova, Bogsan.
3. Kreis Gross-Befikerek: Gross-Beckerek (16.000), Gross-Szent-
Miklos (17.000), Gross-Kikinda (18.000).
4. Kreis Zombor: Zombor (22000), Apathin, Theresiopel (= Maria-
Theresiopel, Szabatka, 48.000), Baja (16.000). Zenta (15.000).
5. Kreis Neusatz: Neusatz (10.000), Alt-Befie (12.000), Palanka, Ba-
ma, Illok.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache des Kronlandes sind fiber 86% pro-
duktiver Boden, davon entfallen iiber die Halfte (uber 250 QMei-
len) auf das Ackerland , fiber 86 QM- auf Weiden, an 68 QM-
auf Waldungen, 48 OM- auf Wiesen und Garten und fast 8 QM.
auf Weingarten.
11*
164
Die Landwirthschafi 1st hauptsachlich wegen des ausserst
fruchtbaren Bodens von hoher Bedeutung; der Ackerbau, der
wichtigste Theil der Landwirthschaft, liefert nebst der Befriedigung
des eigenen Bedarfes noch bedeutende Mengen Getreides zum Ex-
port und nimmt den ersten Rang im 6 s terrei chischen Ge-
treidehandel ein. Der Banater Weizen gilt als der beste, der
Hafer aus der Backa ist der ausgezeichnetete in der Monarchic,
auch der Hanf und der Mais sind sehr geschatzt. Der Reisbau ist
in der Abnahme, dagegen hat der Repsbau in neuester Zeit grosse
Bedeutung gewonnen. Der Obstbau liefert grosse Mengen des
gewohnlichen Wirthschaftsobstes ; die Bienen- und Seidenrau-
penzucht sind jedoch eher im Ruckschritte ; auch das Forst-
wesen befindet sich nicht in wiinschenswerthem Zustande.
Nachst dem Ackerbau bildet die Viehzucht die wichtigste
Erwerbsquelle. Im Allgemeinen ist die Viehzucht zwar erheb-
lich , doch keineswegs auf dem Standpunkte, den sie in diesem
Lande einnehmen konnle. Insbesondere ist die Zucht der Pferde,
Schafe und Schweine beachtenswerth; die Wojwodschaft hat rela-
tiv die meisten Pferde in Oeeterreich (762 auf 1 QMeile). Die
Pferdezucht wird vorziiglich von den Deutschen und Magyaren be-
trieben, wahrend sich die Serben mehr mit der Hornviehzucht
befassen, welche jedoch der Grosse und dem Naturalreichthum des
Landes durchaus nicht entspricht. An Borstenvieh muss eine be-
trachtliche Menge aus Serbien und der Walachei eingetrieben wer-
den ; — die Schafzucht, hauptsachlich im Berglande, befriediget
weder durch die Quantitat noch die Qualitat der Wolle.
Der Bergbau ist zumeist auf das karpathische Bergland im
Osten beschrankt. Oravica und Dognacka liefern etwa 40 Mark
Gold ; in den genannten Orten sowie in Szaszka und Neu-Moldova
wird auf Silber gebaut (circa 4000 Mark jahrlich), — die Kupfer-
ausbeute betragt jahrlich an 10.000 Zentner, ferner findet man Ei-
sen und Blei. Machtige Lager ausgezeichneter Steinkohle sind
in Oravica, Steierdorf und Gerlistje, und betrug die Ausbeute im
Jahre 1855 an 1 1/2 Million Zentner.
In gewerblicher Beziehung nimmt das Land noch keinen be-
deutenden Platz ein; es ist eben ein vorwiegend Ackerbau treib^n-
des Kronland. Eine eigentliche Fabriksiiiduistfie hat sich (rotz des
Ueberflusses an einheimischen Rohstoffen noch nicht entwickelt und
beschrankt sich die ganze Industrie auf Kleingewerbe, sowie auf die
Nebenbeschaftigungeu der Landleute, welche sich mit Flachs-, Hanf-
leinwand- und Schafwollwebereien sowie mit Branntweinbrennerei
fur den Hausbedarf beschaftigen. Gewerbreicher ist die Backa,
wo Teppiche, Kotzen und Flechtwerk erzeugt werden; — beach-
tenswerth sind die Lederfabrikation in Syrmien, die Pottaschensiede-
reien und Oelmtihlen. Zu den grosseren industriellen Etablissemer.ts
gehoren : die ararischen Eisenwerke zuReschica, die Glasfabrik
-zu Tomest, die Tabak- und Kerzenfabriken zu Temesvar, die
Kunstmahlmiihle in Lugos und die Seidenfilanden in Apathin,
Palanka, Kolluth und V e r s e c z. Ueberhaupt sind Syr-
mien und die Backa in dieser Richtung am meisten vorgeschritten.
165
Der geringe Stand der gewerblichen Industrie und die ver-
baltnissmassig wenigen Bedurfnisse der Bevolkerung erklaren den
wenig ausgedehnten Handel. Am ausgebreitetsten ist jener in Roh-
produkten, welche exportirt werden , insbesondere Getreide ; wo-
gegen Colonialwaaren und Industrieerzeugnisse eingefuhrt werden;
auch der Detailhandel ist im Steigen. Die Donau und die Theiss,
welche mit Dampfschiffen befahren werden, vermitteln den Verkehr,
zum Theil auch die Maros und Temes , sowie der Franzens- und
der Begakanal. Von grosserer Wichtigkeit werden die Eisenbahnen
sein. Dieses Kronland tragt alle Bedingungen in sich , um einer
hoheren Kultur entgegen zu schreiten.
§. 97. Das Ktinigreich Ungarn.
3266 QMeilen; — 8,125.800 (relativ 2489) Einwohner, — fiber die Halfte
Katholiken, gegen 2 Millionen Protestanten, an l'/5 Million Griechen,
330.000 Israel it en; — nach der National! tat 48% Magyaren, 32% Slawen
(Slowaken 23%, Buthenen, Kroaten, Serben, Slowenen), 11% Deutsche, 6% Roma-
nen, dann Juden, Zigeuner n. a. — Grenzen: im N. Schlesien, Galizien, — im
0. die Bukowina, Siebenburgen, — im S. Serbien mit dem Banate, Slavonien, die
Militargrenze, Kroatien, — im W. Steiermark, Nieder-Oesterreich, Mahren.
Boden. Ungarn ist zum Theile Tiefland, zum Theile Ge-
birgsland. Zum Tieflande gehoren die kleine und die grosse
ungarische Ebene (siehe §. 75 S. 98); das Bergland gehort
theils den Karpathen an (siehe Seite 30), theils sind es Vor-
gruppen der Alpen, u. z. das Leithagebirge, der Bakony-
wald vom Platten-See gegen die Donau, die minder hohe Fiinf-
ki rchner- Gruppe zwischen der Drave, Sarviz und dem Platten-
See. Der gebirgigste Theil ist somit Nordungarn, wahrend sich im
Innern des Landes das grosse einformige Tiefland ausbreitet.
Gewasser. Ungarn gehort mit Ausnahme des P o p r a d
(Popper), der zum Geader der Weichsel gehort und einigen zum
Sereth abfliessenden Bachen zum Flussgebiete der Donau, welche
bei Pressburg das Land betritt. Sie durchetromt die kleine ungarische
Ebene; an beiden Ufern treten unterhalb Gran Berghohen heran,
welche den Flues bis unterhalb Ofen begleiten. Mit geringem Ge-
falle fliesst sie dann zum Theile zwischen waldigen und morastigen
Ufern durch die grosse ungarische Tiefebene, tritt unweit Baja auf
die serbische Grenze und verlasst Ungarn unterhalb der Dravemun-
dung. Sie bildet zahlreiche Inseln : die grosse und kleine
Schiitt (unterhalb Pressburg), die St. Andreas -Insel, Csepel
und Mar git a in der grossen ungarischen Ebene. Zu den bedeu-
tenderen Nebenflussen gehoren: die March mit der Miava; — die
Waag, welche bei Szered in die Ebene tritt, sich bei Guta im
Sumpflande mit der Neuhausler Donau vereinigt und als Vagduna
bei Komorn mundet, nachdem sie kurz vorher die Neutra aufge-
nommen ; — die Gran (von der Kralova horj, Konigsberg, Kiraly-
hegy) fliesst im Unterlaufe durch Sumpfstrecken und mundet, ohne
schiffbar zu sein, gegeniiber von Gran; — die Eipel (Ipoly) mun-
det nach einem tragen, zwischen engen Hugelthalern vielfach ge-
kriimmten Laufe bei Szob; — die Theiss (Tisza) entspringt in
der Marmaros (schwarze und weisse Theiss), welche sie mit etarkem
Gefalle durchfliesst, wird bei Sziget far kleine Fahrzeuge schiffbar,
tragt von Tokaj an Dampfschiffe. In unzahligen Kriimmungen,
zwischen ausgedehnten Siimpfen fliesst sie durch das ungarische Tief-
land und tritt bei Szegedin in die Wojwodina. Die ,,Theiss-Regu-
lirungs-Commission" entfaltet bereits eine anerkennenswerthe Tha-
tigkeit in der Regulirung dieses fur den Verkehr und wegen des
ausserordentlichen Fischreichthums wichtigen Flusses. Am rechten
Ufer nimmt sie die Borzova, den Bodrog, den Hernad, die
Eger und die Zagyva, am linken die Szamos, Koros und
Mar os auf. — Die Leytha aus Nieder-Oesterreich miindet bei
Ungarisch - Altenburg. — Die liaab kommt aus Steiermark und
wird von Kormend, wo sie in die kleine ungarische Ebene tritt,
bis zu ihrer Miindung bei liaab befahren. — Die S a r v i z entsteht
aus den Sumpfen des Bakonywaldes, hat vielfach sumpfige Ufer,
fliesst (von Stuhlweissenburg) in einem Kanale und nimmt vom
Plattensee den Si 6 und von der Fiinf kirchner Hochebene den Ka-
pp s auf. — Die Drave bildet die Grenze des Landes gegen
Kroatien und Slavonien. — Die bedeutendsten Seen sind der Plat-
tensee und der Neusiedlersee, erwahnenswerth sind uberdiess
die zahlreichen kleinen Hochgebirgsseen (Meeraugen) in den Kar-
pathen. — Beide Tiefebenen haben grosse Moraste langs der
Donau, Theiss und deren Zufliissen, zwischen der dreifachen Koros.
— Sehr reich ist Ungarn an Min eralquellen , als: Szlatina
(Slatna), Bartfeld (Bdrtfa), am Siidabhange der Karpathen, die
Trentschiner Quellen, die Ofner Schwefelquellen, Postye'n
(Piestjan) im Waagthale, die Parader Stahlquellen, die Sauerlinge
Lublo, Schmecks (Tatra-Fiired), Szulin u. a.
Politische Eintheilung. An der Spitze der Verwaltung des
Konigreichs Ungarn steht der kaiserliche Statthalter (Civil- und
Militargouverneur), welcher in Of en residirt. In administrativer Be-
ziehung ist das Land in 43 Comitate (Kreise), und diese sind in
Stuhlbezirke eingetheilt. Die Hauptstadt des Landes ist.
Of en (magy. Bada) mit 55 240 Einwohnern. Hier sind das k. Residenzschloss,
die Statthalterei and andere Landesbehorden. Die Stadt liegt auf dem rechten Donau-
ufer, theils auf einem Berge (Festung), dnrch welchen ein Tunnel fiihrt, theils ringsum
am Fusse desselben. Scblosskirche mit den Reichskleinodien; Hentzi-Monnment.
Polytechniscb.es Institut, Obergymnasinm, Oberrealschule. Am Fusse des Blocks-
berges warme Schwefelbader ; in den sch5nen Umgebungen ausgezeichneter Weinbau.
Zwei Dampfmuhlen; Arsenal und Altofner Schiffswerfte der Donau-Dampfschiffahrts-
Gesellschaft. Am linken Donanufer, mittelst einer Kettenbrucke von 1230' Span-
nnng mit Ofen rerbunden liegt die schSnste, reichste und bevolkerteste Stadt Ungarns,
Pest (magy. Pest) mit 131.700 Einwohnern. Sch6ne Platze, Strassen und
stattliche Gebaude zieren diese rasch aufbluhende Stadt. Wissenschaftliche Anstalten
sind: die Universitat, die ungarische Akademie der Wissenschaften, das reiche Na-
tional-Museum, mehrere wissenschaftliche Vereine, die Handels-Akademie, Maler-
Akademie, Gymnasium, Eealschnle u. s. w. Fiir den Handel und Industrie sind
thatig: die Handelskammer, Bankfiliale, Filiale der Wiener Creditanstalt, ungar.
Commerzialbank, die Lloyd-Gesellschaft u. a. Pest hat ansehnliche Fabriken in Seide,
Tuch, Leder, Oel, Tabak, Bijouterien; besonders wichtig sind die Branntwein- und
Mehlerzeugung. Hier ist der Mittelpunkt des reichen nngarischen Handels, vorzflglich
in Landesprodukten und Manufakten. Der Umsatz auf den 4 grossen Messen ist
ein sehr bedeutender (iiber 30 Millionen Gulden). Die Lage der Stadt ist fur den
Handel uberaus gflnstig; hier ist eine Hauptstation der Dampfschiffe; Eisenbahnen
verbinden Pest mit der Residenz und den bedeutendsten Stadten des Landes. In der
Umgebnng ist vortrefflicher Weinbau.
167
Andere bemerkenswerthe Orte in Ungarn sind *) :
1. Comitat Pest (Pest-Pilis): Pest, Ofen, Waizen (Vacz), GSdollO,
Pilis, Raezkeve.
2. Comitat Solt (Pest-Solt): Kecskemet (40.000), Czegled, Kalocsa
Nagy-K6r6s. Dnna-Vecse, Solt.
3. Comitat Stnhlweissenburg: S tahl weissenburg (Szekes-Fehe'r-
var, 24.000), Modr, Csakvar, Bicske.
4. Comitat Gran: Gran (Esztergom 13.000), Dotis, Babolna, Almas,
Neszme'ly.
5. Comitat Borsod: Miskolcz (30000), Borsdd, Mezo-K6vesd.
6. ComitatHeves: Erlau (Eger 19.000), Gy6ngy6s, Hat van, Debro, Parad.
7. Comitat Szolnok: Szolnok (12.000), Mezo-Tur, Tisza-Fnred.
8. Comitat Csongrad: Szegedin (40.000), Csongrad (16.000), Szentes,
Vasarhely.
9. Comitat Jazygien und Kamanien: a) in Jazygien: Jasz Bere"ny
(19.000;, Jasz Apati, Arok-Szallas ; — b) in Klein-Kumanien : Fe'l egyhaza (18.000),
Dorosma, Halas, Knn Szt. Miklds; — c) in Gross-Kumanien : Kardszag-Uj-Szallas,
Tiirkeve, Madaras, Kis-Dj-Szallas, Kun Szt. Marion.
10. Comitat Oedenbnrg: Oedenburg (Soprony, 16.000), Eisenstadt
(Kis Marton), Eszterhaz, Rust, Letting, Mattersdorf, Kapuvar.
11. Comitat Wieselburg: Wieselburg(Mosony, 4000), Ungarisch-Alten-
burg (Magyar Oar), Neusiedl (am See, NezideV), Kittsee (K6pcsen).
12. Comitat Eisenburg (Vasvar) : Steinamanger (Szombathely, 5000),
Guns (Koszegh), Pinkafeld (Pinkafo), Oberschatzen (Fels6-L6v6), Tatzmannsdorf,
St. Gotthard, Kormend, Eisenburg, Sarvar.
13. Comitat Zala: Zala-Egerszeg (4000), Gross-Kanizsa, Keszthely,
Siimegh, Fured.
14. Comitat Somogy (Sumegh): Kaposvar, Szigetvar, Marczali.
15. Comitat Funfkirchen (BaranyaTrFTTo'f k i r c h e n (Pecs, 16.000), Mo-
hacs, Villany, Siklo's. *
16. Comitat Tolna (Szekszard): Szekszard (oder Szexard, 12.000),
F61dvar, Bonyhad, HSgyesz.
17. Comitat Veszprim: Veszprim (11.000), Papa (16.000), Vasarhely,
Palota, Deveczer, Herend.
18. Comitat Raab: Raab (Gyor, 18000), Szent-Marton (Martinsberg\
19. Comitat Pres sburg:Pre s sburg(Pozsony, 45.000), St. Georgen (Szent-
gyOrgy), Theben, Bosing (Bazin), Modern (Modor), Wartberg (Szempes), Sommerein
(Somorja).
20 Comitat Ober-Nentra (Nyitra) : Tj man (Nagy-Szombat, 7500),
Leopoldstadt, PSstyen (oder Pistyan), Neastadtl, Miava, O Tura, Holies, Skalitz
(Szakolcza), Brezova.
21. Comitat Unter -Nentra: Nentra (9500), Neubausl (Ersek Ujvar),
Urmeny, Freistadtl (Galgdcz), Gross-Topolcsany.
22. Comitat Komorn: Komorn (Komarom, 11.000), Perbete, Gnta.
23. Comitat Bars: Aranyos -Maro t (1300), Kremnitz (Kormoczbanya
5000), Konigsberg (Ujbanya), Szkleno, Vereb^ly.
24. Comitat Hont: Ipolysag (2000;, Schemnitz (Selmecz, 20000), Dilln
(B^labanya), Pnkancz (Bakabanya).
25. Comitat Neograd: B al as s a - G yar m at (4600), Neograd, Lo-
soncz, Gacs.
26. Comitat Sohl (Zolyom): Neusohl (Beszterczebanya, 6000), Altsobl
(Zolyom), Bries (Breznobanya), Libeten (Libetbanya), Herrengrund (Urvdlgye), Her-
manetz, Rdnecz, Szliacj.
*) Zur Aussprache: a =» lantes, belles a, sonst oa ; — € — Mittellaut zwi-
scben e und i; — cs = tsch ; — cz = z; — ds = dsch ; — gy «• dj; — b =
nur vor Vokalen wie h, am Ende lautlos; — ly = Ij (in billet) ; — ny = dem franz.
oder italien. gn. (compagnie, vergogna) ; — s = sen; — sz = ss; — v = w; —
z =• gelindes s; — zs oder 's = franz. j (jour).
Hier sind grOsstentheils die nngarischen und die dentschen Namen der
Ortschaften angegeben, insoweit solche im Gebrauche sind.
27. Comitat Liptau: Szent-Miklos (Nicolau, 2000), Bdcza, Deutsch-
Lipcse, Rosenberg, Szlecs, Lucski.
28. Comitat Arva-Turdcz: Szent-Marton (1500), Alsd-Kubin, Mo-
sdcz, Arva, Stuben (Stubnya), Jablonka, Turdosin, Trsztena.
29. Comitat Trencsin: Trencsin (2600). Teplitz, Waag-Bistritz, Rajecz,
Sillein (Zsolaa).
30. Comitat Abauj - Torna: Kaschau (Kassa, 14.000), Torna, Moldau
(Szepsj), Metzenseif, Goncz, Szantd, Szikszd.
31. Comitat GOmor: Rima Szombat (Gross-Staffelsdorf, 8300), Rima
Brezd, Theissholz (Tiszolcz), Dobsina (Dobscbau), Pohorella, Csetnek, Rosenau (Ros-
nyo), GomSr, Aggfelek.
32. Comitat Zips (Szepes) : Leutschau (Locse 6000), Wallendorf (Szepes
Olaszi), GSllnitz, Sclim61nitz (Szomolnok), Neudorf (Igld), Kesmark, Lublau (Lnbld),
Schmecks (Tatra-Fflred;.
33. Comitat Saros: Eperjes (10000), Sdvar (Salzburg), Cservenicza
(V6ros-Vagas), Gross- Saros, Klein-Szeben, Bartfeld (Bartfa), Szulin.
34. Comitat Zemplin: Sdtorallya Ujhely (7200), Zemplin, Saros-
Patak, Tokaj.
35. Comitat Ung: Ungvar (6000), Dubrinics, Szobrancz.
36. Comitat Bereg-Ugocsa: Mnnkacs (4300), Beregszasz, Tisza-Ujlak,
Nagy-Sz6ll6s.
37. Comitat Marmaros: Nagy Sziget CMarmaros Sziget, 6000), Huszt,
Rdnaszek, Borsa, Suliguli.
38. Comitat Sud-Bihar: Grosswardein (Nagy-Varad, 25.000), Bihar,
Margitta, Bel£nyes, Rdz-Banya, Nagy Szalonta, Sarkad.
39. Comitat No rd-Bihar: D ebrecz en (40.000). Did szeg, Pusp6k-Ladany,
Nadudvar, B6szBrm«ny, Szoboszld, Nanas, Dorog.
40. Comitat Arad: Arad (28.700), P6cska, Menes, Vilagos, Magyarat.
Dczna.
41. Comitat B^k^s- Csanad: Gyula (16000), Be'k^s. Szarvas, Oroshaza,
MezSbereny, Csanad, Nagylak, Szeghalom, Makd.
42. Comitat Szabolcs: Na gy - Kail d (6000), Nyiregyhaza, Nyir-Bator.
43. Comitat Szatmar: Szatmar (15.000), Nagy-Banya , FelsO-Banya.
Nagy-Karoly, Ecsed.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache Ungarns sind iiber 85% produktiver
Boden, wovon 45% (an 1012 QMeilen) auf Aecker, 30% auf Wal-
dungen, 14°/0 auf Weiden, 8% aufWiesen und an 3% (= 43QM.)
auf Weingarten entfallen.
Die Landwirthschaft wird in neuerer Zeit besonders auf den
grossen Grundkomplexen weit rationeller betrieben als ehemals. Die
Produktion iibersteigt jederzeit den heimischen Bedarf, daher gelan-
gen ansehnliche Quantitaten zum Export. Die eigentlichen Getreide-
diatrikte sind die beiden Tiefebenen, und ganz vorzuglich die grosse
Ebene jenseits der Theiss ; der Flugsand an der Donau und Theiss
sowie die haufigen Ueberschwemmungen sind hingegen Hindernisse
des Getreidebaues. Die grossten Quantitaten erzeugt das Land an
Hafer, danu Gerste , Roggen , Mais und Weizen. Der Weizen
widr am starksten in jenen Gegenden angebaut, wo geregelte Ver-
kehrsverbindungen den Absatz erleichtern; von vorzuglicher Quali-
tat ist die Frucht aus der Umgebung von Miskolcz und Arad ; das
Arader-Mehl ist ein sehr geschatzter Artikel. Der Roggen
wird iiberwiegend von den Slawen in den nordlichen Theilen, in ^ge-
ringerem Grade jedoch uberall in Ungarn angebaut; das gleiche
Verhaltniss findet bei Hirse und Buchweizen Statt. Die
Gerste wird bedeutend starker angebaut, sowohl zur menschlichen
169
Nabrung als zur Bierbrauerei und das Gerstenstroh als Viebfutter
verwendet. Die Produktion des Ha f era ist am starksten in den
nordlichen armeren Comitaten (Arva, Trencsin), aber auch im Siiden
von beachtenswerther Menge ; viel davon wird exportirt. Der unga-
rische Mais ist vorziiglich, dessen Produktion sehr gross, insbe-
sondere im ostlichen und siidlichen Theile; im Innern des Landes
wird davon auch viel zur Viehmast verwendet.
Unter den Handelspflanzen nimmt der Tabak den ersten
Rang ein und wird die Produktion fiber l/2 Million Zentner berech-
net. Im Jabre 1851 war die Tabakpflanzung auf etwas iiber 31.000
Joch beschrankt, im Jahre 1858 war sie bereits auf 133.000 Joch
gestiegea. Dieser Aufschwung wurde durch die Aufmunterung und
Unterstutzung der Regierung erzielt, welcbe den Pflanzern Geldvor-
schiisse machte und deren Streben dahin ging, nicht nur das zur
Deckung des Staatsbedarfes erforderliche Quantum zu erzeugen,
sondern auch einen Absatz nach demAuslande eicherzustellen. Die
besten Qualitaten liefern die Komitate Oedenburg (Lettinger) , He-
ves, Neograd, Komorn, Eisenburg u. s. w. Hopfen wird bei der
gesteigerten Bierkonsumtion aus Bohmen eingefiihrt, da dessen An-
hau nur in wenig Komitaten landwirthschaftlich betrieben wird. Der
Hanf kommt in grosser Menge und in guter Qualitat in den siidlichen
Landestheilen vor, die Fl ach s kultur ist dagegen mit geringen Aus-
nahmen (darunter die Zips und einzelne Gegenden der Komitate Arva,
Turocz , Liptau, Marmaros und Eisenburg) nicht befriedigend. Der
Anbau von Reps ist im Steigen, decsgleichen von Runkelriiben.
Das Land ist weiters reich an Farbpflanzen, an Zwiebelgewachsen,
Melonen, Kiirbissen, Hiilsenfriichten u. s. w. Die Obstkultur, ob-
wohl gegenwartig im erfreulichen Aufschwunge, steht doch nicht auf
jener Stufe, zu der sie durch Klima und Boden befahigt ist. In den
Handel kommt das Oedenburger Obst, bekannt ist jenes aus Gomor,
dann die ,,Brunner Zwetschke" aus den deutschen Kolonien der nie-
deren Karpathen.
Dieses an alien Naturprodukten so reich gesegnete Kronland
ist relativ auch das erste Weinland der Erde, denn in
Hinsicht der Qualitat wird es von keinem Lande, hinsicht-
lich der Quantitat nur von F rankr eic h ubertroffen. Den
ersten Rang nimmt der auf der Hegyallya auf 5 QMeilen wach-
sende Tokajer ein ; weiters sind der Menescber, Ruster, Ofner, Er-
lauer, Visontaer, Villanyer, Schomlauer, Szekszarder , St. Georg-
ner u. s. w. als vorzugliche Weine bekannt. — Die Weinkultur Un-
sarns ist ubrigens noch einer sehr grossen Vervollkommnung fahig.
In der That ist der Wein Oesterreichs ein Artikel , welcher mit
Siegeszuversicht den Weltmarkt betreten kann und keine Konkur-
renz zu scheuen braucht.
Die W aid kultur befindet sich nicht in wunschenswerthem
Zustande, auch ist der Waldboden ungleich vertheilt, indem sich
die waldigen Berghohen langs der Grenzen hinziehen, zwar einzelne
Zweige, namentlich im nordlichen und westlichen Theile, in das
Land hineinsenden ; allein im Inneren des Landes, in den Tiefebe-
nen herrscht empfindlicher Holzmangel. Zudem eind die nooh unge-
170
nugenden Kommunikationsverbindungen des Landes ein Hinderniss,
um diese Gegensatze auszugleichen, und fur Waldanlagen ist man
bis jetzt noch wenig thatig gewesen.
Trotz der grossen als Weide beniitzten Flachen, welche das
Wiesland fast um das Doppelte ubersteigen, bietet das Land
doch einen reichen Viehstaud, und bildet dieser einen eintrag-
lichen Handelsartikel Ungarns. Das Hornvieh, die mitunter hoch-
veredelten Schafe und dauerhaften Pferde werden in denEbenen
gezogen; in den fruchtbareren Gegenden kommt das ungarische
Zackelschaf, in den sumpfigen Landstrichen und in den grossen
Eichenwaldern der Baranya, des Zalaer, Arader, BiharerKomitates,
im Bakonywalde 13. s. w. das Borstenvieh in ungeheuerer Menge
vor. Auch die Zucht der Ziegen und des Geflugels ist sehr ausge-
breitet; dagegen jene der Bienen von relativ untergeordneter Be-
deutung und jene der Seidenraupe erst im Entstehen. Auch die
Blutegel bilden einen namhaften Exportartikel nach Deutsch-
land, der Schweiz, Frankreich und England. Ungarn besitzt die Be-
dingungen fur eine grossartige Entwickelung der Viehzucht und
konnte dahin gebracht werden, den noch mangelnden Bedarf der
Monarchic, wofur gegenwartig an 10 Millionen Gulden an dasAus-
land bezahlt werden , vollstandig zu decken. — Die Jagd bietet
ebenso mannigfaltige und reiche Ausbeute als der Fischfang. In letz-
terer Beziehung sind die fischreiche Theiss, die Donau, der Poprad
(Forellen und Lachse) und der Plattensee besonders bekannt. Der
reiche Segen an fast alien Naturalien Ungarns kann jahrlich auf
wenigstens 600 Millionen Gulden bewerthet werden.
Bergbau. Ungarn ist ebenso durch die Mannigfaltigkeit an
Mineralien uberhaupt, als durch deren Menge und die Qualitat der
edlen Metalle ausgezeichnet. Das Gold kommt hier meist mit Sil-
ber vermengt vor. Die reichhaltigsten Goldgruben sind zu Schem-
nitz, Kremnitz, Nagybanya, Neusohl, welche nebst den geringen
Goldwaschereien im Jahre 1855 an 1587 Mark (a 385 fl. Oe. W.)
liefertQn ; die Silbergewinnung belief sich im genannten Jahre
nahe an 53.900 Mark (a 25 fl. 20 kr. 6. W.), welches in den erwahn-
ten Goldbergwerken, dann in Schmollnitz, Kapnik etc. zu Tage ge-
fordert wurde. Die Ausbeute an Kupfer (vorziiglich im Schmoll-
nitzer Distrikt , dann bei Neudorf, Szlovenka etc.) ist so ergiebig
wie in keinem anderen Kronlande, denn sie betrug mehr als 32.000
Zentner. — E i s e n wird am meisten im Gomorer- und im Zipser-
Komitate (an 160.000 Zentner), dann in der Gegend um Kaschau,
Torna, Saros, Zemplin, so wie im Liptauer- und Sohler-Komitate
gewonnen ; doch steht es in der Qualitat dem steirischen nach.
Stein salz liefert das Marmaroser- (uber I1/* Million Zentner)
Kochsalz das Saroser- (nahe an 200.000 Zentner) Komitat. Soda,
Glaubersalz , Salpeter, Alaun u. s. w. kommen in erheblichen Men-
gen in den Handel. — An Steinkohlen betrug die Ausbeute
(1855) nahe an 3 V2 Million Zentner, insbesondere kommt die Braun-
kohle sehr haufig und in grosser Machtigkeit vor.
Die Neugestaltung unseres Vaterlandes , das Vorwartsstreben
auf dem Gebiete der materiellen Entwickelung macht verhaltniss-
171
massig in keinem Kronlande so grosse Fortschritte als in Ungarn,
wo von Jahr zu Jahr die Herrscherin unseres Jahrhunderts — die
Industrie — neue Distrikte sich erobert und ihr Reich im raschen
Siegesfluge vergrossert. Allerdings hat die Natur hierzu viele na-
turliche Grundlagen geboten; allein die Regierung hat durch Hin-
wegraumung so vieler Hindernisse, welche fruher den industriellen
Aufschwung hemniten, eigentlich den machtigsten Anstoss gegeben,
die reichen Naturschatze zu heben und sie hoher zu verwerthen.
Dessenungeachtet deckt die ungarische Industrie bis jetzt noch
lange nicht den Bedarf, denn sie ist erst auf einzelne Gegen-
den und auf verhaltnissmassig wenige Fabriken beschrankt. Die rei-
chen Geldmittel, der sichtliche Wetteifer zwischen dem Adel und den
Stadten, die rasche Errichtung zahlreicher technischer Anstalten
sichern dem Lande auch auf diesem Gebiete eine grosse Zukunft.
Betrachtet man die gewerbliche und industrielle Thatigkeit
nach deren geograp hi sch e r Verbreitung in Ungarn, so
kann man folgende Gebiete hervorheben: Ober-Ungarn ist ver-
haltnissmassig reich an gewerblichen Unternehmungen. Im ehemali-
gen Pressburger Verwaltungsgebiete sind das Neograder und
das Neutraer Komitat beachtenswerth, wo Garbereien und Tuch-
webereien, Runkelriibenzucker- und Glasfabriken bestehen; auch die
Handweberei und Leinenweberei, obwohl iiberwiegend als hausliche
Nebenbeschaftigung, werden ziemlich lebhaft betrieben. Das friihere
Oed en burger Verwaltungsgebiet hat die meiste Riibenzucker-
fabrikation in Ungarn, ausserdem Rosoglio-, Spiritus- und Brannt-
weinbrennereien, Bierbrauereien und Eisenwerke; — die grossarti-
gen Schmieden liefern vorziigliche Ackergerathe.
Im mittleren Ungarn nimmt nur Peet eine bemerkenswerthe
Stellung sowohl in Bezug auf das niedere Gewerbewesen als auf
die Fabriksindustrie ein. Dampfmuhlen, die Erzeugung von Seiden-
und Baumwollwaaren, Kerzen, Leder, Maschinen , dann chemische
Produkte u. s. w. sind gut vertreten; auf dem Flachlande ist ein
Aufschwung im Gewerbewesen kaum merkbar. Die Alt-Ofner Do-
nauschiffswerfte ist bestens bekannt.
Im ostlichen Theile Ungarns ist die technische Kultur imGan-
zen minder vorgeschritten als im westlichen. Die niederen Gewerbe
beschaftigen sich fast ausschliesslich nur mit Artikeln, welche fur
den taglichen Bedarf unumg'anglich nothig sind. Die relativ gerin-
gere Kulturstufe der Bevolkerung kennt noch wenig hohere Bediirf-
nisse ; desshalb sind diese Erzeugnisse mehr durch ihre M e n g e ,
als wegen der technischen Vollkommenheit bemerkenswerth. Fabriks-
massig werden im Grosswardein er Distrikte Eisenwerke, Oel-
miihlen , Spiritusbrennereien betrieben ; erheblich sind die Dampf-
und Kunstmiihlen, Bierbrauereien und die Fabrikation von Glas,
Seife, ordinaren Thon waaren, Lederarbeiten u. dgl. — ImKaschauer
Gebiete gehoren in den Rang der hoheren industriellen Unterneh-
mungen nur die vielen (178) Eisenwerke, einzelne Steingut-
und Porzellan-Fabriken und jene fur Glas und Papier. Der
wichtigste Gewerbszweig ist unstreitig die Eisenindustrie, na-
mentlich im Gomorer und Zipser Komitate. An diese schliesst
172
sich zunachst nach ihrer relativen Wichtigkeit die Erzeugung ge-
brannter Fliissigkeiten an. Die Zahl der Branntweinbrennereien
belief sich im Jahre 1858 auf nahe 4000, und wird dieser Industrie-
zweig hauptsachlich im Interesse der Landwirthschaft betrieben. Die
Biererzeugung ist in der Zunahme begriffen; von Riiben-
zuckerfabriken besteht nur eine in Kaschau, welche im Jahre
1858 an 26.000 Zentner Riiben verarbeitete. Das Kleingewerbe sorgt
fiir die gewohnlichen Bediirfnisse.
Im Allgemeinen wird die Verarbeitung der Rohstoffe ii b e r-
wiegend gewerbsmassig betrieben; die Zahl der Fabriken
(wovon relativ die meisten auf das vormalige Kaschauer Verwaltungs-
gebiet kommen), ist verhaltnissmassig geringe. Auch die Zahl der
in Verwendung stehenden Dampfmaschinen ist relativ eine geringe;
doch werden hierin von Jahr zu Jahr riesige Fortschritte gemacht.
Von den Gewerben kommt die grosste Anzahl auf den Dislrikt
Oedenburg, dann Pest-Ofen, Pressburg; in Kaschau ist deren An-
zahl schon geringer und am kleinsten ist sie im Grosswardeiner
Gebiete. Die Hauptsitze gewerblicher Thatigkeit sind sonach im
Norden und Westen des Landes; die Ausbreitung nach Osten und
Siiden geht in Bezug auf die Anzahl der industriellen Unterneh-
mungen Jangsam vorwarts, dagegen werden die neuen Etablissements
grosstentheils im grossartigen Umfange und nach den neuesten Sy-
stemen angelegt. Die Industrie gewinnt sonach inUngarn
sowohl an Umfang als an Ausdehnung.
Betrachtet man die Industrie Ungarns nach den verschiedenen Zwei-
gen, so findet man, dass die Lcderb erei tung relativ am ausgedehntesten betrieben
wird. GrSssere Fabriken bestehen zu Buda-Pest, Erlau, Eisenstadt, Finta (C. Saros),
grossere Garbereien zu Funfkirchen, Oedenburg, Raab, Pressburg, Pest, Debreczin,
Grosswardein, Kaschau, in den Comitaten Gomor und Neutra. — Die Leinen-
weberei hat ihren Hauptsitz in Nordungarn, vorzuglich in den Comitaten Zips, Saros.
Arva, Trencsin, Thurocz, Zemplin, Sohl, Liptau, Marmaros; in Pinkafeld (an der
steirischen Grenze) Battist ; auch die Kunstweberei, Farberei und Druckerei beginnen
sich anszubreiten. • — • Die Industrie in Schafwollwaaren berfihrt Ungarn wegen
der erheblichen Menge des Rohproduktes, welche dieses Land produzirt, sehr nahe.
Ungarn erzeugt viel und darunter ausgezeichnete Wolle, und diese nurwuchsigeu In-
dustrie kann noch hohen Aufschwung uehmen. Industrielle Etablissements, welche
sich mil der Erzeugung von Schafwollstoffen befassen, bestehen fast gar nicht. Da-
gegen ist der Pester Platz fur diese Artikel in kommerzieller Beziehung von Be-
dentung, indem der Umsatz von inlandischen Tuchwaaren und HosenstoiFen auf
4 — 5 Millionen, in anderen Scbafwollwaaren auf das Zwei- bis Dreifache geschatzt
wird. Briinn nimmt hierbei einen ehrenvollen Platz ein. Zu Skalitz, Zay-Ugrocz,
Gacs bestehen Tuchfabriken; langs der Grenze gegen Steiermark, Oesterreich,
Mahren, Schlesien und Galizien wohnen Tuchnoaeher in grosser Anzahl, welche je-
doch uberwiegend nur die gewOhnlichen ordinaren Tuche fur den Hansbedarf liefern.
— Die Ei sen Industrie ist am starksten in Nordungarn, irn GomOrer Comitate ver-
rrsten, wo bedeutende Walzwerke und Giessereien bestehen ; Maschinen werden in
Buda-Pdst und Munkacs, Rails in Rohnitz, Brzova tind Pohorella, sehr gater Stahl
in DiosgySr verfertiget. Beachtung verdienen die Kupferwaaren, die chemischen
Produkte, die Fabriken fur Tabak, Pnlver, die Oel- und Dampfmiihlen, die Seifen-
siedereien von Debreczin, Szegelin, Ketskemet nnd Kumanien; — die vielen Glas-
hiitten und PapiermQhlen im Norden, die Ziegelbrennereien bei Pest nnd die Erzeugung
von gebrannten Fliissigkciten. Im Steigen sind die Rubenzuckerfabriken; anch die
Baumwolle kommt zur Galtung. Im Sohler Comitate (Bries) und im Liptauer bildet
die Kasebereitung einen nambtften Erwerbszweig.
Ungarn besitzt die Vorbedingungen fur die Entwickelung eines
schwunghaften Handels sowohl fiir den Verkehr imlnnern
173
als nach den Nachbarlandern. Die mannigfache Verschiedenheit in
der Lebeneweise und Gesittung der Bewohner des Landes bedingt
einen lebhaften wechselseitigen Austausch. Der Uebcrfluss an Roh-
produkten und der Mangel an Industrie-Erzeugniesen, welche iiber
den nothdiirftigsten Bedarf reicben, veranlassen den Handel mit den
Nachbarprovinzen, welche aus Ungarn Getreide, Mehl, Wein, Thiere
und thierische Produkte beziehen, und dagegen Colonial-, Baum-
woll-, Schafwoll-, Seiden- und Eisenvvaaren, sowie Leinen, Luxus-
und Modeartikel dorthin importiren. Der Haupthandel konzentrirt
sich auf den vielen Jahrmarkten, welche in mehr als 900 Ortschaf-
ten gehalten werden und worunter die Markte von Pest, Debreczin,
Alt-Arad und Szegedin den ersten Rang einnehmen. Auf die^en
grossen Markten ist eine erhebliche Konkurrenz verechiedener Waa-
ren bemerkbar, wahrend fiir den Absatz der einzelnen nationalen
Produkte einzelne Platze dienen. Hieher gehoren unter anderen die
Viehmarkte in Pes*, Waitzen, Kecskemet, Debreczin, Arad, Oeden-
burg ; — die Pferdemarkte in Raab, Debreczin, Stuhlweissenburg;
die Schweinemarkte in Oedenburg , Gross-Kaniza, Debreczin, die
Wollmarkte in Pest, Losoncz, die Tuchmarkte in Tyrnau ; von be-
sonderer Bedeutung sind die grossen und vielen Getreidemarkte,
als in: Debreczin, Kaschau, Miskolcz, Nagy-Kanizsa, Wieselburg,
Szegedin, Raab u. a. w.
Jedes der vormaligen Vemaltnngsgebiete hat gewisse Eigenthumlichkeiten in
Hinsicht der Handelsartikel nnd der Richtung des Verkchrs. Im Pressburger
Distrikte betreiben Tyrnau und das Trencsiner Comilat einen ansehnlichen Export-
handel mit gedOrrten Zwetschken, das Thuroczer und Liptauer Comitat mit alien
Arten Holz, das Sohler Comitat exportirt viel Brinsenkase.
Im Oedenburger Bezirk bilden der Kornerfriichten- und der We in-
hand el die bedeutendsten Zweige des Verkehrs. Fur ersteren ist Wieselburg
das Entrepot fast aller bedeutenden Fmchtenhandler Ungarns, der Bacska und ties
Banates, und der Umsatz auf diesem Platze, der zu den Fruchtplatzen ersten Ranges
in Oesterreich gehGrt, belauft .-ich zwischen 4 bis 7 Millionen Metzen. Auch der
Raaber Platz erhalt seine Getreidezufuhren von der Donau aus dem Banate und
der Umsatz ist beilanfig 2 Millionen Metzen. Der Viehhandel konzentrirt sich in
Oedenburg. Der ehemals starke Transitohandel hat bedeulend abgenommen, dage-
gen wird in Oedenburg der Hausirhandel sehr stark betrieben.
Im Pest-Ofner Distrikte kon/entrirt sich fast der gauze Handel in Pest,
welches fur den Handel eine so gunstige Lage hat, wie vielleicht keine Stadt der
Monarchic, Pest ist der naturliche VermiUlungspunkt fur den Handel zwiechen den
Hafenplatzen des schwarzen Meeres nnd der Donaulander mit dem industritllen
Westen und Nordwesten der Monarchie. Die Pester Jahrmarkte gehOren zu den
besuchtesten der Monarchie und der jedesmalige Verkehr belauft sich auf mehrere
Millionen Gulden. In der Aasdehnung und dem Aufschwunge des Handels liegt
die Gr6sse und Bedeutnng, die Zuknnft dieser Stadt. Unter den flbrigen Stadten
dieses Bezirkes, welche Handel mit Rohprodukten betreiben, ist nnr noch Miskolcz
erwahnenswerth.
Im Gross ward ei ner Distrikte wird der Handel in Schafwolle, Fedcrn,
Lammfellen, in Getreide, Tabak, dann mit Pferden, Hornvieh und Schweinen lebhaft
betritben. Die Tier Debrecziner Jahrmarkte werden aus alltn Theilen von Ungarn
und Siebenburgen, ja selbst aus dem Aushmdc stark besucht und ist der Verkehr
anf denselben ein sehr bedeutender, nicht nur in Hornvieh, Pferden und Schweinen,
sondern auch in den Erzengnissen der mannigfaltigen Industrie von Debreczin (wolene
Zeuge, Mantel, Miitzen, Csizmen, Schafpelze, thonerne Tabakspfeifen u. s. w.). Be-
rilhmt sind die Soda-Seife und der Debiecziner Tabak. Auch der Fischhandel ist
von Belang, da die aus der Tbeiss urid Maros gewonnenen Fische an der Luft ge-
trocknet, in grosser Menge in den Handel kommen.
Der Handel im Kaschauer Distrikte umfasst ebenfalls vorwiegcnd die Er-
174
zeugnisse der Bodenwirthschaft, worunter sowohl das Gctreidc als die Hamlelspflan-
zen, noch mehr aber Holz und die oberungarischen Weine ansehnlicben Absatz fin-
den ; — auch die Erzeugnisse der Metallindustrie bilden eincn erwahnenswerthen
Handelsartikel.
Von nicht geringerer Wichtigkeit als der innere Handel ist
jener mit den Nachbarlandern. Seit dem Auflassen der Zoll-
schranken gegenuber den westlichen Kronlandern (im J. 1851) und
der grossen Energie, mit welcher an Kommunikationsverbindungen
durch die Ervveiterung der Schiffahrt *), die Regulirung der Fliisse,
den Bau der Eisenbahnen, die Verbesserung der Landstrassen und
Gemeindewege u. s. f. gearbeitet wird, — ist der Verkehr stets im
Steigen und er sichert dem Lande eine erfreuliche Zukunft.
§. 98. Das Grossforstenthum Siebenbiirgcn.
1102 GMeilen; — 2,172750 (relativ 1971) Einwohner, — davon fiber 230.000
Katholiken, fiber 1,3000.000 Griechen (die grOssere Halfte unirte Griechen),
fiber '/i Million Protestanten (etwa % A. C. and iiber */» H. C.), dann Uni-
tarier, Israeliten; — nach der Nationalitat fiber 1,200.000 Roman en, etwa 540.000
Magyaren, 200.000 Deutsche, 80.000 Zigeuner, dann Armenier, Bulgaren, Friauler,
Juden. — Grenzen: im N. Ungarn und die Bukowina, — im 0. die Tfirkei(Mol.
dau), — im S. die Turkei (Walachei), — im W. die Militargrenze, das Banat, Ungarn.
Boden. Siebenbiirgen ist ein Hochland. Die in Gestalt eines
unregelmassigen Viereckes emporgehobene, nur im Nordosten der
Theissquellen mit dem karpathischen Waldgebirge zusammenhan-
gende Bergmasse ist von 4 — 6000' hohen Randgebirgen umschlossen,
welche im Osten die SiebenbQrger Karpathen genannt wer-
den. Der grossartige sudliche Hohenzug heisst das Fogaraser-
Gebirge (ostlich der Aluta das Slaragascher-, westlich das Hatsze-
ger-Gebirge) ; — am Nordrande zieht das Nagy-Banya und das
Bukk-Gebirge, am Westrande das siebenburgische Erzge-
birge (das Reuss-Gebirge, der Bihar). Im Innern des Landes strei-
chen zahlreiche Berggrnppen und Hiigelreihen, unter denen die zwei
bedeutendsten, von Nordosten nach Sudwesten streichenden die drei
Hauptflussgebiete des Landes abgrenzen. Der Boden ist nirgends
eine weit ausgedehnte Hochebene, sondern uberall von Thalern mit
vorherrscherid westlicher Richtung durchschnitten. Das tiefstgelegene
Thai ist das der Maros , hoher liegt das Szamosthal , am hochsten
das verhaltnissmassig breiteste Alt- (oder Aluta-) Thai; von ziem-
licher Breite sind noch das Aranyos-, Hatszeger- und Zibinthal,
wahrend die Kokelthaler schmaler und kiirzer sind. Eine der am
meisten ebenen Gegenden des Landes ist die Klausenburger
aKampia" oder aMezose'g.u Fiir den Verkehr mit den Nach-
*) Die Flussschiffahrt in Ungarn umfasst auf der Donan und deren Neben-
fliissen 552 grSssere und 186 kleinere, zusammen 738 Fahrzeuge. Den grOssten
Schiffsverkebr hat Szegedin, welches allein 115 grossere und 94 kleinere Fahr-
zeuge besitzt, und yermSge seiner glucklichen geographischen Lage an der Miindung
der Maros in dem getreidereichsten Theil Ungarns diesen Vorzug auch in der Folge
behanpten wird. Den zweiten Rang hinsichtlich der Anzahl der Schiffe nimmt
Raab mit 73 ein, dann Sissek mit 59, Pest mit 31 u. s. f. Die Baukosten eines
Ruderschiffes grosster Gattung betragen 10—12.000 fl., kleiner Art etwa 2000— 3000 fl.
1m Jabre 1858 befSrderten diese Schiffe 7,680000 Metzen Getreide. in welcher
Ziffer jedoch der Verkehr auf der Save und Kulpa, sowie auf der Donaustrecke
oberhalb Pest nicht mit inbcgriffen ist.
175
barlandern sind die Passe von Bedeutung. Der Pass Rodna
fiihrt nach der Bukowina, — der Borgo-, Gymes- und Oj toe-
Pass nach der Moldau, — - der TSrz burger-, Rothenthurm-
und Vulkan-Pass nach der Walachei; der Pass des ei semen
Thores in die Militargrenze (von Hatszeg nach Karansebes).
GewSsser. Siebenburgen, welches von zahlreichen, vielver-
zweigten aber diinnen Wasseradern durchzogen wird, gehort zum
Gebiete der Donau. Am wasserreichsten ist die Maros, welche im
ostlichen Karpathenzuge entspringt , im grossen Bogen das Land
durchfliesst, von Karlsburg an schiffbar ist und die Aranyos, die
Kokel (Ktikullo) und den Miihlenbach aufnimmt. Die Szamos
entsteht aus der Vereinigung der grossen und kleinen Szamos (bei
De"e8), wird zum Holzflossen benutzt, nimmt zahlreiche Bache auf
und verlasst in nordwestlicher Richtung das Land. Die A 1 u t a (Alt)
hat ihren Ursprung in der Nahe der Maros-Quellen ; sie wird we-
der zum Flossen noch zur Schiffahrt benutzt und tritt durch den
Rothenthurmpass in die Walachei. Auch die Kerb's hat zwei ihrer
Quellen in Siebenburgen. — Das Land hat keine nennenswerthen
Seen und nur wenige kleine Teiche; dagegen viele Heil-
quellen, darunter jene von Borsze'k die bekanntesten sind. In
bedeutender Menge werden auch die Sauerbrunnen von Rakos und
E 11 op at a k versendet; letzter Ort erfreut sich zudem eines leb-
haften Besuches von Badegasten. Auch die Bader von Thorda, Salz-
burg, Korond u. s. w. werden besucht.
Politische Eintheilung. Das Grossfurstenthum Siebenburgen
wird in zehn Kreise eingetheilt. Die Landeshauptstadt Hermann-
stadt ist der Statthalterei unmittelbar untergeordnet.
Bemerkenswerthe Orte sind:
1. Kreis He rmanns tadt: Hermannstadt (Nagy Szeben 18.600 E.),
Schaseburg (Segesvar), Mediasch (Medgyes), Salzburg (Viz-Alna), Muhlenbach
(Szasz-Sebes), Olah-Pian, Elisabeths tadt (Erzsebetvaros), Reismarkt (Szerdahely).
2. KreisBroos: Broos (Szaszvaros 5000), Hatszeg, D^va, Gyalar, Vajda-
Hunyad, Nagyag.
3. Kreis Karlsburg: Karlsbiirg (Karoly-Fehervtir 12.000), Abrndbanya
(=- Gross-Schlatten), Zalatna (= Klein-Schlatten;, V6r6spatak, Offenbanya.
4. Kreis Klausenburg: K 1 a u s e n b u r g (Kolosvar 25.000), Torda (= Tho-
renbnrg), Toroczk<5, Kolos.
5. Kreis Szilagy -Somlyd: Szilagy-Soml yd (3300), Zilah (— Zillen-
markt), Tasnad.
6. Kreis Dees: Dees (5500), Szamos -TJjvar, Oliih-Lapos, Kapnik-Banya.
7. Kreis Bistritz: Bistritz (7000), Bodna, Borgo, Szasz-Regen.
8. Kreis Ma ros-Vasarhely: Maros- Vasarhe ly (10.000), Bonyha,
Parajd.
9. Kreis Udvarhely: Ud var hely (6000), Bors«ek, Gyergyd-Szent-Miklds,
Csik-Szereda.
10. Kreis Kronstadt: Kronstadt (Brasso' 32.000), Zeiden (Feketehalom),
Fogaras, Reps (KOhalom), Kezdi-Vasarhely, Bereczk.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Von der Gesammtflache dieses Kronlandes entfallen nur bei-
laufig 76% auf produktiven Boden ; davon gehoren jedoch 43% den
Waldungen und 12% den Weiden an. Dem Ackerbau sind etwa
216 QMeilen, dem Wiesen- und Gartenbau nahezu 160 QMeilen
und dem Weinbau 4.a QMeilen gewidmet. Das Bergland weiset
176
herrliche Laubwalder mit sanften Abhangen, welche gut bebaut und
mit aufgedehnten Rebenanlagen geschmiickt sind ; in den wiesen-
reichen Thalern stehen Dorfer mit zahlreichen Obstgarten und bie-
ten in den meisten Landstrichen ein sehr freundliches Bild. Die
Fruchtbarkeit des Landes ist im Ganzen befriedigend, obwohl sehr
verschieden in den einzelnen Landestheilen. Zu den fruchtbarsten
Gegenden gehoren das Marosthal, die beiden Kukullo- (Kokel-)
Thaler, das Szamos-Thal und die Mezose'g. Relativ die meisten
aber minder fruchtbaren Aecker sind im Aluta-Thale, auch an der
Aranyos ist der Ackerbau bedeutend mehr ausgedehnt, als in den
beiden Kokelthalern ; den relativ grossten Ertrag liefert der Acker-
bau im Maros- und Szamosthale. Unter alien Kornerfruchten nimmt
der Roggen den ersten Rang ein, doch werden auch Weizen, Mais?
und Hafer angebaut. Gegeniiber der Ertragsfahigkeit des vorhande-
nen Ackerbodens bleibt in Folge der mangelhaften Bewirthschaf-
tung der wirkliche Ertrag mitunter um 50°/0 zuriick; er deckt nur
bei gunstigen Ernten den einheimischen Bedarf, in gewohnlicheu
Jahren werden namhafte Mengen von Getreide aus den Donaufiir-
stenthiimern und dem Banate eingefiihrt. In Bezug auf die laiid-
wirth&chaftliehe Produktion lassen sich drei geographische Be-
zirke unterscheiden : a) daa Weinland, wozu das Szamosthal, die
beiden unteren Kokelthaler, das untere Marosthal und zum Theil
die Mezose'g gehoren ; Mediasch und Umgebung stehen an der
Spitze der Weiriproduktion beziiglich der Quantitat und Qualitat ;
— b) der Landstrich mit iiberwiegendem Mais- und Weizen bau,
wozu der giosste Theil des kultivirten Landes gerechnet werden
kann, und c) das Haferland mit theilweisein Roggen- aber hochst
sparlichem Mais- und Weizenbau, hauptsachlich in den Gebirge-
gegenden an den Grenzen. In der O b s t kultur , welche sich einer
ziemlichen Aus dehnung erfreut, sind die Pflaumen im Kreise Broos
(zur Produktion von Slivoviz) und die Kirsche um Hermannstadt be-
sonders erwahnenswerth. Tabak gedeiht am besten bei Blasendorf
(Balasfalva), Fogaras und Maros- Va*arhely ; von der Gesammtpro-
duktion entfielen (im Jahre 1855) etwa 86% (d- i- 21^0 Zentuer)
auf den Kronstadter Kreis ; — Flachs um Kronsfadt, Karlsburg
und Dees, Hanf im Hermannstadter Kreise und in den nordlichen
Theilen ; der Anbau des Hop fens, fast ausschliesslich in der Um-
gegend von Biatritz, beschrankt sich auf den geringen Lokalbedarf.
Der Ertrag des Graslandes und der Wai dung en ist im Ver-
haltnisse zu der grossen Ausdehnung ein geringer.
Der Viehzucht wird iin Allgemeinen eine grossere Pflege zu-
gewendet, als der Bodenkultur. Die Pferdezucht, begiinstigt duroh
Naturverhaltnisse, ist besonders bei den Deutschen derart ausgebil-
det , dass das Land hierin alien ubrigen Kronlandern voransteht.
Nicht minder ausgedehnt wird die Rindviehzucht (besonders
im Hermannstadter Kreise) betrieben, am liefsten steht sie unter den
Szeklern. Sehr gross ist der Reichthum an Schafen (Zigaja- mit
krauser, kurzer und feiner, — Zurkan-Schaf mit langer aber grober
Wolle), darunter vielfach veredelt. Schafe und Rinder uberwintern
auf den Weiden der benachbarten turkischen Provinzen. Leider ist
177
auch die Ziegenzucht noch sehr verbreitet. Die grossen Buchen- und
Eichenwaldungen begiinstigen die Sch w eine zucht, doch wird viel
Borstenvieh aus den Donaufurstenthiimern eingetrieben, um den Aus-
trieb nach Ungarn , welcher an der westlichen Grenze stattfindet,
auszugleichen ; — in der Bienenzucht ist nur der Kronstadter Be-
zirk bemerkbar. Die Seidenraupenzucht und die Pflanzung von
Maulbeerbaumen hat im Ganzen noch wenig Fortschritte gemacht.
Die Fischerei deckt nicht den grossen Bedarf der Bevolkerung,
es werden (jahrlich an 6000 Zentner) Donaufische aus den Fiirsten-
thiimern importirt. Siebenbiirgen gehort endlich zu den wildreichsten
Landern, doch bilden hauptsachlich nur Hasen- und Fuchsfelle einen
ergiebigen Handel nach der Walachei.
Der Bergbau liefert die grossten Mengen an edlen Metallen ;
voran steht die Goldgewinnung, welche (im Jahre 1855) 3467
Mark, und jene von Silber, welche 7971 Mark lieferte. Die wich-
tigsten Fundorte von Golderzen sind bei Zalatna, Abrudbanya, Vo-
rospatak, Offenbdnya und Nagyag, die bedeutendsten Goldwasche-
reien bei Olah-Pian, an der Maros, Szamos und Aranyos. Die Aus-
beute an Quecksilber (135 Zentner), Kupfer (2364 Zentr.) ist
erheblich ; dagegen jene von Eisen verhaltnissmassig noch geringe,
obwohl zunehmend; auch ziemlich viel Steinsalz wird im Innern
des Landes in Vizakna gewonnen. Im Jahre 1857 beschiiftigten sich
nahe an 11.000 Personen mit dem Bergbaue. Die Zahl der mon-
tanistischen Unternehmungen belief sich auf 1323, wovon 135 auf
das Aerar, die iibrigen auf Private entfielen. Gold- und Silber-
unternehmungen waren 1189, Gruben von Eisenerzen 80, Gru-
ben von andern Erzen 64 im Gange. Das durch diesen Bergbau in
Anspruch genommene Bodenareal nahm einen Flachenraum von fiber
2.000 Jochen ein , und der Gesammtwerth der Montanerzeugnisse
uberstieg die Summe von 2T/4 Million Gulden. — Dass die Aus-
beute an fossiler Kohle noch unbedeutend ist, kann aus der
Grosse des Waldstandes und dem Mangel an grosseren industriel-
len Unternehmungen erklart werden ; doch sind bei Kronstadt, Her-
mannstadt und Schassburg Braunkohlen flcitze im Betriebe.
Die Industrie ist trotz der in den letzten Jahren gemachten
Fortschritte noch unbedeutend; sie beschrankt sich uberwiegend nur
auf die Befriedigung der geringen Bediirfnisse im Lande, und kommt
sowohl in Hinsicht der Industriezweige als der geographischen Ver-
breitung nur sehr vereinzelt vor. Dem Werthe nach nimmt die
Ledererzeugung (viel Corduan), von den Szeklern betrieben, den
ersten Rang ein. Unter den Sachsen findet man die Leinen- und
Schafwollweberei haupteachlich als hausliche Nebenbeschafti-
gung , doch kommen auch Fabrikate von Kronstadt, Schassburg,
Hermannstadt, Heltau u. s. w. in den Handel. Die Baumwoll-
weberei beginnt sich zu entwickeln, besonders bei Schassburg. Mit
der Eisenverarbeitung bescbaftigen sich die Hammerwerke im
»Lande der Ungarn." Stearinkerzen und cheraische Produkte lie-
fern Hermannatadt und Kronstadt, — Holzwaaren die Gebirgsbe-
wohner im Karlsburger Distrikte, — Miihlsteine koramen aus dem
Retteger Bezirke, — Rubenzucker aus Hermannstadt und Klausen-
Klun's Handcls-Geogrrapbie. 2. Aufl. J2
178
burg, — endlich verdienen Beachtung einige Papiermuhlen , Glas-
hiitten, Pottaschesiedereien , welche auch fur den Export erzeugen,
und die Branntweinbrennereien.
Der Handel ist im Ganzen von keiner besonderen Bedeutung.
Ira Innern wird er auf mehr als 500 Markten betrieben, unter de-
nen jene von Kronstadt, Hermannstadt, Klausenburg und Szamos-
Ujvar , die Pferdemarkte zu Maros-Vasarhely und Szent-Szombat,
der Flachsuiarkt zu Mediasch die bedeutendsten sind. Zur Ausfuhr
gelangen vorziiglich Rohprodukte, zur Einfuhr Manufakte ; besonders
Jebhaft ist der Transithandel nach und aus der Turkei. Die bedeu-
tendste Fabriks- und Handelsstadt des Landes ist Kron-
etadt, denn der Verkehr dieser Stadt kann jahrlich mit 5 — 7 Mill.
Gulden bewerthet werden. Die Schiffbarkeit der Maros , der rege
Eifer, der sich bei Verbesserung und Anlegung der Strassen zeigt
und die eeinerzeitige Ausfiihrung der projektirten Eisenbahnen wer-
den dem Lande einen grossen Aufschwung geben.
§. 99. Das Lomba r<l i soli- Yen Hiari ist lie Ktinigreich*).
456 QMeilen; — 2,444.950 (relativ 5355) Einwohner, —fast ausschliess-
lich Katho liken (nahezu 400 Protestanten, 5500 Israeli ten); — nach der N a-
tionalitat beilaufig 2 Millionen Italiener, 350000 Friauler, 27.000 Slowenen,
12.000 des bairisch-alemannischen Stammes (7 Gemeinden in der Provinz Vicenza,
13 in der Provinz Verona = sette und tredici comuni), Juden. — Grenzen: im.
N. Tirol, Karnten, — im 0. Karnten, Kustenland, das adriatische Meer — im S.
der Kirchenstaat und Modena, — im W. die Lombardei.
Bodt'ii, — Den nordlichen Theil des Landes durchziehen vom
Garda-See bis an den Isonzo die zu den siidli chen Kalkalpen
gehorigen Gruppen der venetianischen und karnischen Alpen. (Siehe
S. 27, Nr. 2 und 3.) Am Siidabhange derselben dehnt sich die
venetianische Tiefebene aus, welche nur durch die getrennten, vul-
kanischen Hiigelgruppen der Berici'schen und Euganei'schen
Hiigel (jene bei Vicenza , diese bei Padua) unterbrochen ist. Gegen
die Kiiste zu ist das Land theils von Siimpfen, theils von Gerolle,
welches die Alpenfliisse absetzen, bedeckt.
Gewasser. — Das Land ist verhaltnissmassig reich an flies-
senden Wassern , welche mit starkem Gefalle aus dem Berglande
in die Ebene sturzen , viel Gerolle mit sich ftihren , dadurch das
Flussbett erhohen und haufig Ueberschwemmungen verursachen.
Mehrere sorgfaltig unterhaltene Damme bilden kunstliche Ufer und
gewahren Schutz gegen Ueberschwemmungen. Die bedeutendsten
Fliisse sind: die Etsch, welche als schiff barer Fluss das Land
betritt, und nach einem Laufe von 26 Meilen siidlich von Chioggia
*) Die GrenzeimWesten Venetiens ist in folgender Art festgesetzt wor-
den: Die Grenzlinie beginnt im Norden des Garda-Sees, geht mitten durch den See,
beschreibt um Peschiera einen Halbkreis von 3500 Metres (= 1845 Klafter) Rayon-
Weite, erreicht im Siiden den Thalweg des Mincio, den sie nur beim Eintritt in den
obern See von Mantua verlasst, und wendet sich von Le Grazie in gerader Linie
gegen Scorzarolo und Luzzara am Po. Von diesem Punkte (Luzzara) aus wurde an
der vor dem Kriege bestandenen Begrenzung nichts geandert. Von der Lom-
bardei kommen sonach zu Venedig ausser Peschiera und Mantua ein
Stuck niirdlich von Mantua mit dem Hauptorte Roverbella, das Gebiet des untern
Mincio mit Borgoforte am Po, und der Landestheil sfidlich vom Po langs der mode-
nesischen Grenze mit den grSsseren Ortschaften Gonzaga und Revere.
179
(bel Porto Fossone) in das adriatische Meer miindet. Der Bac-
chiglione ist zwischen Vicenza und Padua schiffbar; seine Ueber-
schwemmungen befruchten die Ebene um Padua, wo er sich in 3
Arme theilt. Aus dem Val-Sugana (in Tyrol) kommt die Brenta,
welche von Campo San Martino an Schiffe mit 600 Zentner tragt,
und bei Fusina miindet. Die Piave von den karnischen Alpen
wird im Unterlaufe schiffbar und mundet zwischen sumpfigen Ufern
bei Cortelazzo; von gleicher Beschaffenheit ist die Livenza, der
kurzeste Kiistenfluss. Der grosste Fluss in Friaul ist der Ta-
gliamento, welcher von Latisana an schiffbar ist, sich in mehrere
Arme spaltet, die nicht selten im Sommer austrocknen, und an
seiner Miindung ebenfalls Siimpfe bildet. Grenzfliisse sind der Po
im Suden, welcher von Dampfschiffen des ,,dsterreichischen Lloyd"
befahren wird, und der Mincio, welcher bei Peschiera aus dem
Garda-See tritt , die Siimpfe bei Mantua bildet , und nach einem
Laufe von 7'/2 Meile bei Governolo in den Po mundet. — Von
hoher Wichtigkeit filr den Verkehr ist das adriatische Meer,
welches auf 23 Meilen die venetianische Kiiste bespult. (Siehe §. 76,
S. 101.) Ausser den zahlreichen natiirlichen Wasserstrassen ist eine
Anzahl Kanale vorhanden, welche theils zur Schiffahrt, theils zur
Bewasserung des Kulturbodens dienen. Der Tartaro stellt mit
dem Canal bianco, dem Canal Adigetto und jenem von
Leg.nago eine Verbindung des untern Po mit der Etsch her,
welche durch den Canal di Valle mit der Brenta verbunden ist.
Der Naviglio Cava Zuccherina verbindet den Sile mit der
Piave, der Naviglio Redevoli die Piave mit der Livenza.
Durch die Lagunen fiihren 23 Kanale. — Von den am Sudabhange
der Alpen gelegenen Seen gehort der sudostliche Theil des Gar da-
Sees, der mit Dampf- und Segelschifien befahren wird, zu Ve-
nedig. — Die Miindungen der Fliisse bilden ausgedehnte Siimpfe,
doch kommen sie auch zwischen der Etsch und dem Po siidlich
von Legnago vor. — Unter den Mineralquelle n sind bekannt
der Eisen-Sauerling von R e c o a r o und die Schwefelquellen von
Abano.
Politische Eintheilung. Das Verwaltungsgebiet des lom-
bardisch-venetianischen Konigreiches untersteht der Statthalterei in
Venedig und wird in 9 Delegationen (Provinzen) eingetheilt.
Die Hauptstadt des Kronlandes ist:
Venedig (ital. Venezia) mit 125.000 Einwohnern und fiber 20.000 Hausern. Auf
zahlreichen Inseln in den Lagunen erbaut, ist die Stadt durch die Insel Lido and
einen 2 Meilen langen Steindamm (murazzi) gegen das Meer geschQtzt. 147 Kanale
(der grOsste Canal grande in <S-Form), auf denen man in schwarzen, gedeckten
Schiffchen (Gondeln) fahrt, vertreten die Hauptstrassen ; doch kann man in den sehr
engen Strassen (3—6') iiber 308Brucken (darunter die beruhmte Rialto-Bracke) fast
uberall bin anch zu Fusse gelangen. Pferde und Wagen sieht man nicbt. Diese
,,Stadt ohne Gleichen" hat 51 Platze, worunter der prachtige St. Marcus-Platz mit
den alten und neuen Procuration (den Palasten der Procnratoren der alien Republik)
nnd der weltberuhmten, prachtvollen St. Marcas-Kirche nebst dem (322' hohen)
Glockenthurme. Daran stOsst die Piazzetta (kleiner Platz) mit dem an Kunstwcrken
aller Art reichen Dogen-Palast, der berahmten Munze (Zecca) und den 2 Granit-
saulen, deren eine den gcfliigelten Marcns-Ldwen, die andere das Standbild des heil.
Theodor tragt. An grossartigen Palasten (vorzQglich am Canal grande), reichen und
prachtvollen Kirchen, fcberhaupt an Kunstachatzen jeder Art, an Monumenten, Pracht-
180
tauten, Gemalden u. s. w. ist Venedig eine der reichsten Stadte der Erde. — Die
Stadt hat ferner fiffentliche Bibliotheken, darunter die von St. Marcus im Dogen-
palaste, das reiche Slaatsarchiv, viele Privatarchive, Antiken- und Kunstsammlungen,
die Akademie der schGnen Kfinste mit grosser Bildergallerie, mehrere gelehrte Ge-
sellschaften und Lehranstalten. Hier ist der Sitz des kath. Patriarchen und eines
griechischen Erzbischofes. — Venedig hat bedeutende Industrie in Bijouterien (Gold-
ketten und Goldwaaren), Glasperlen, Mosaikarbeiten, Spiegeln, Seife, Posamentirartikeln,
eine grosse Tabakfabrik, u. a. Der Handel, obwohl nicht auf jener Hohe als im
Mittelalter, ist ziemlich ansehnlith und hat sich seit der Erklarung des Hafens zum
nFreihafen" bedeutend gehoben. Auch die Eisenbahnverbindung mit dem Festlande
mittelst der grossartigen Brficke tragt zur Hebung des Handels bei, sowie die Borse,
die Handelskammer und andere kommerzielle Institute. Consuln der meisten handel-
treibenden Staaten residiren in Venedig. Der Lloyd nnterhalt tagliche Dampfschiff-
verbindnng mit Triest.
Von den andern Stadten verdienen besondere Hervorhebung : Verona, eine
Festnng ersten Ranges, sehr unregelmassig gebaut, mit engen Gassen, aber grossen
Platzen und herrlichen Gebauden. Sehr reich ist die Stadt an romischen Alter-
thumern, darnnter die beruhmte Arena. Zahlreich sind die Bildungs&nmlten, Samm-
lungen; auch in historischer Beziehnng ist die Stadt seit den altesten Zeiten wichtig.
— Padua ist beriihmt wegen seiner Universitat, der schonen Kirchen, des h. Anton
mit dessen Grabmal, der Justinakirche u. a., mit prachtvollen .Kresco-Gemalden ;
endlich ist das Eathhans mit dem ungeheueren Saale bemerkenswerth. — Vicenza,
die Vaterstadt des berumten Banmeisters Palladio, des Vaters des Renaissance-Styles,
besitzt von ihm zahlreiche prachtvolle Banten.
Andere bemerkenswerthe Orte*) sind:
1. Delegation Venedig: Venedig (125.000 Einw.), Malamocco, Mu-
rano, Mestre, Chioggia, Portogruaro, St. DOD& ;
2. Delegation Padua: Padua (56-000), Este, Abano, Montagnana, Mon-
selice, Arquci;
3. Delegation Rovigo oder Polesina: Rovigo (10.000), Adria;
4. Delegation Verona: V e r o n a (56.000"), Legnago, Cologna, Villafranca;
5. Delegation Vicenza: Vicenza (36.000), Bassano. Asiago, Lonigo;
6. Delegation Treviso: Treviso (21000), Oderzo, Conegliano, Ce'neda,
Asolo, Possagno;
7. Delegation Belluno: Belluno (14.000), Agordo, Feltre, Longarone,
Pieve di Cadore, Anronzo;
8. Delegation Udine oder Friaul: Udine (26.000), Palmanuova, Civi-
dale, Tolmezzo, Ampezzo, Sacile, Pordenone, San Vito.
9. Delegation Mantua: Mantua (27.000), Peschiera, Roverbella, Borgo-
forte, Gonzaga, Revere.
Kultuiverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Ebene zwischen dem Siidabhange der Alpen und dem
Nordabfall der Apenninen , begunstiget dureh einen ausserst frucht-
baren Boden, treffliche Bewasserung und ein mildes Klima, bringt
alle europaischen und viele orientalische Kulturpflanzen hervor. Nur
die erwahnten Sumpflandschaften bilden hiervon eine Ausnahme.
Von der Gesammtflache Venedigs sind an 394 QMeilen produk-
tiver Boden; davon entfallen etwa 194 QM. auf Aecker, 68 Q^-
auf Wiesen und Garten , 50 QM, auf Walder , uber 4 DM. auf
Reisfelder und nahe an 3 QM. auf Weingarten, — leider aber iiber
73 QM. auf das Weideland. An Olivenwaldern ist Venedig reicher,
dagegen an Lorbeer- und Kastanienwaldern armer als das Nach-
barland jenseits des Mincio.
Sowohl wegen der grossen Fruchtbarkeit des Bodens, als we-
*) Zur Aussprache: ce, ci = tsche, tschi ; — che, chi = ke, ki; — see, sci
= sche, schi; — tio, tia, u. s. w. = tio, tia; — v = w; — ge, gi = dsche, dschi
(gelindes sch = franz. j.;; — ghe, ghi = ge, gi; — gli = Ijij — gn = nj.
181
gen der grosaentheils fleissigen Bebauung ist der Reichthum der
Bodenerzeugnisse ein grosser ; doch kunnte der Landbau auf eine
noch hohere Stufe gebracht werden. Hauptprodukte sind Mais und
Weizen, in den Niederungen der Flftsse Reis; auch Roggen und
Hafer wird ziemlich stark, die Gerste selten angebaut. Die Pro-
duktion deckt in der Regel den Bedarf der Bevolkerung , nur in
sehr mittelmassigen Jahren findet ein Import statt. Der Wies en-
fa au wird sorgfaltig betrieben und durch das Bewasserungssystem
begiinstigt. — Der Obstbau erfreut sich besonderer Pflege, und
der Ertrag ist bei den giinstigen natiirlichen Bedingungen ein rei-
cher. Von den Handelspflanzen ist der Hanf (Este, Montagnana)
vorherrschend ; auch Flachs, Hopfen, Tabak und einige Farbepflan-
zen werden gebaut. Die Weinproduk tion ist in normalen Jah-
ren sehr bedeutend (fiber 3 !/2 Million Eimer) , doch ist der Wein
im Allgemeinen von geringerer Qualitat und wird grosstentheils
im Lande verbraucht. Die besten Sorten eind: der vino santo bei
Verona, der Wein am Garda - See, von Vicenza und Conegliano.
Die Pflege des Mau Ib eerbaumes ist in der Ebene sehr erheb-
lich. Maulbeerbaume, an denen sich Reben hinaufranken und von
Baum zu Baum schlingen, schliessen Aecker und Wiesen ein , und
geben der Landschaft den Charakter eines Gartens. Die Zucht der
Seidenraupen sowie die in Oesterreich hochst bedeutende Seiden-
industrie stehen damit im Zusammenhange; leider hat in den letz-
ten Jahren eine Krankheit unter den Seidenwurmern der grossen
Produktion, welche friiher in normalen Jahren nahezu 200.000 Zent-
ner Cocons im Werthe von fast 16 Millionen Gulden betragen hatte,
empfindlichen Eintrag verursacht. Seit dieser Zeit wurden in Dal-
matien Cocons zum Samen verwendet, wo von ein bedeutender Theil
nach dem venetianischen Kronlande abgesetzt wurde. — Die Wald-
kultur ist von untergeordneter Bedeutung, in den Ebenen miissen
die Abfalle der Reben das Brennholz ersetzen.
Die Viehzucht steht im Venetianischen nicht auf der wiin-
schenswerthen, und bei den im Allgemeinen vorhandenen gunstigen
Vorbedingungen auch erreichbaren Hohe. In den gebirgigen Lan-
destheilen und in den Delegationen Padua und Vicenza wird iibrigens
das Rindvieh sehr gut gehalten. Pferde werden eingefiihrt, dagegen gibt
es viele Esel und Maulesel , Schafe (grosstentheils nicht veredelt)
und Schweine, welche in mehreren Gegenden mit Kastanien gefiit-
tert werden und ein sehr wohlschmeckendes Fleisch geben. —
Die Seefischerei ist sehr bedeutend (Venedig, Chioggia), aua dem
Po fischt man Store, aus dem Garda-See Aale, Lachsforellen und
vortreffliche Karpfen.
Der Bergbau ist relativ unbedeutend. Edle Metalle fehlen
ganzlich, dagegen ist das Land reich an Erden und Steinen, dar-
unter sehr schone Marmorarten (bei Verona), Gips, Alabaster und
Kreide. Zu Agordo wird auf Kupfer, zu Auronzo auf Galmei
und Blei gebaut; die Ausbeute an fossiler Kohle ist gleichfall*
noch geringe.
Die Industrie bietet im venetianischen Konigreiche ein be-
friedigendes Bild. Nebst den gunstigen klimatischen und Boden-
182
verhaltnissen haben die ausgedehnten und trefflichen Verkehrsmittel,
die vollstandige Gewerbefreiheit und die relativ geringe Besteuerung
der industriellen Beschaftigungen, dann der Ueberfluss an Geldmit-
teln und die vielfach praktisch durchgefiihrte ,,Theilung der Arbeit"
dieses Land auf eine beachtenswerthe Hohe gebracht, obwohl es
noch immer nicht auf jener Stufe industrieller Ausbildung stehf,
deren es fahig ist. Die Bewohner der groesen Orte, des rauheren
Gebirgslandes und der sehr dicht bevolkerten Gegenden beschaf-
tigen sich vorherrschend mit der Industrie ; jene des Flachlandes
hingegen fast ausschliesslich mit dem Landbaue. Am meisten aus-
gebildet sind jene Zweige, welche sich auf die landwirthschaftliche
Produktion stiitzen. Den ersten Eang nehmen Seide und Sei-
denwaaren ein. Die ausgedehnteren Filanden und Filatorien sind
in und bei Verona, Udine, Vicenza und Treviso. (Im Venetianischen
waren etwa 20.000 Kessel im Betrieb, welche 48 000 Arbeiter be-
schaftigen und an 12.500 Zentner Rohseide erzeugten ; die Zahl der
Filatorien betrug an 250). In der bedeutenden Lederindustrie
sind bemerkenswerth die Erzeugnisse von Verona, Venedig, Bas-
sano und Padua. Der Werth der Milchprodukte ist im Vene-
tianischen ein relativ sehr geringer. Die Eisenverarbeitung ist
zumeist auf die zahlreichen Schlosser- und Schmiedegewerbe be-
schrankt; dazu kommen die Kupferwaaren aus Belluno und Tre-
viso, die Broncewaaren und sehr geschatzten Goldketten in Venedig,
und einige kleinere Betriebsanstalten fur Kurzwaaren. — Die Pa-
pi er fab rikation wird am Gardasee in den Delegationen Udine
(Codroipo, Pordenone) und Treviso schwunghaft betrieben , doch
iiberwiegt die Biittenfabrikation. Die Industrie in W e b e- und Wi r k-
waaren deckt nicht den grossen Bedarf des Landes. Die Provin-
zen Vicenza und Treviso erzeugen Tuch-, Venedig, Verona und
Udine Hanf- und Flachsprodukte; — ansehnliche Baumwollspinne-
reien sind in Verona, Pordenone und Udine. Einen eigenthumlichen
Zweig, der in der gesammten Handelswelt bekannt ist, bildet die seit
dem zwblften Jahrhunderte eingefilhrte Fabrikation vonSchmelz-
perlen in Venedig und auf der Insel Murano , wovon im Jahre
1856 an 42.800 Zentner erzeugt und fiber 39.600 Zentner in das
Ausland abgesetzt wurden. Unter den 76 Buch- und Stein-
druckereien kommen beilaufig die Halfte auf die Hauptstadt;
jene der P. P. Mechitariaten auf S. Lazzaro (bei Venedig) nimmt
unter den orientalischen Buchdruckereien Europa's vielleicht den
ersten Rang ein. Von den iibrigen Industrieartikeln Venetiens ver-
dienen Erwahnung: die Goldsachen, Filigranarbeiten, Glasgespinnste,
Brillantarbeiten, Wachekerzen, Seife, Siegellack, kiinstliche Blumen,
Larven u. s. f. in Venedig, — Bleiwaaren in Chioggia, Darmsaiten
in Padua, Salami in Verona, Schinken in St. Daniele (Udine), N'ah-,
Strick- mit Gold und Silber umsponnene Seide in Verona, Porzel-
lan in Vicenza, Zucker und Tabak in Venedig u. s. w. DasKlein-
gewerbe sorgt in geniigender Anzahl fQr den gewohnlichen Bedarf;
die Gross - Industrie kommt nur vereinzelt vor , ist jedoch eines
raachtigen Aufschwunges fahig.
183
Der Handel 1st sowohl im Innern des Landes als nach aus-
•warts sehr lebhaft; zumeist vermittelt Venedig (seit dem Jahre 1851
wieder Freihafen) den Zwischenverkehr mit Triest , Dalmatien,
den it alienischen Kiistenlandern und der Levante. Beim Export
eind Seide und Seidenwaaren , Glasperlen u. s. w. von Bedeutung,
importirt werden Salz, Webe- und Wirkwaaren und andere Industrie-
erzeugnisse. Besonders stark wird der Jahrmarkt zu Padua (Fiera
del Santo) besucht. Der Handel wird sehr gefdrdert durch ein
vortreffliches Netz von Land- und Wasserstrassen , und vor Allem
bietet das Meer die grossten Vortheile.
II. Deutschland.
A. Deutschland im Allgemeinen.
§. 100. Bestandtheile. Bevolkerung.
Zum deutachen Staate gehoren :
Namen der Staaten
Gr5sse
in
QMei-
len
Bevolkerung
Hauptstadt
Einwoh-
nerzahl
absolute relative
I
2
3
4
~j
6
7
8
9
0
I
2
3
4
.3
tj
7
8
9
u
.1
'.-2
53
4
Kaiserl. Osterreichisch-
dentsche Kronlander.
KSnigl. preussische Bun-
3580
3386
1388
700
354
272
173
278
244
152
116
87
66
50
174
86
68
46
37
28
24
15
22
20
13,380.000
13,163 000
4,600.000
1,820000
1.800.000
2,040.000
756000
1,400.000
539000
855.000
288.000
409.000
264.000
100.000
574.000
432.000
270.000
166.000
151.000
115.000
134000
54.000
58.000
106.000
3737
3852
3393
2600
5085
7500
4832
5035
2112
5625
2482
4701
4000
2000
3299
5023
3970
3368
4081
4106
5583
3600
2636
5300
Wien
476.000
450.000
130.000
44.000
50.000
110.000
36.000
25.000
20.000
32.000
9000
16.000
13.000
8000
6000
17.000
42.000
7000
10.000
13.000
16.000
9000
2300
6000
Berlin ... .
Konigreich Baiern
„ Hannover...
„ Wurttemberg
„ Sachsen ....
Knrfurstenthum Hessen-
Cas8el
Miinchen
Hannover ....
Stuttgart
Dresden
Cassel
Grossherzogthum Baden
„ Mecklenburg -Schwe-
Carlsruhe
Schwerin
Darmstadt. . . .
Oldenburg. . . .
Luxemburg. . .
Weimar
„ Hessen-Darmstadt . .
„ Luxemburg-Limburg
„ Sachsen -Weimar-Ei-
„ Mecklenburg-Strelitz
Herzogthum Holstein-
Lauenbarg
Strelitz ... .
Gluckstadt . . .
Wiesbaden . . .
Braunschweig .
Meiningen .
„ Braunschweig
„ Sachsen-Meiningen .
„ Sachsen - Koburg-
Gotha
„ Anhalt- Dessau -KO-
» Sachsen-Altenburg. .
„ Anhalt-Bernburg . . .
Farstenthum Waldeck .
„ Lippe-Detmold
Altenburg ....
Bernburg ....
Arolsen
Detmold
184
Namen der Staaten
Grosse
in
OMei-
len
Bevolkerung
Hauptstadt
Einwoh-
nerzahl
absolute
relative
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
Furstenthum Schwarz-
burg-Rudolstadt. .
„ Schwarzburg - Son-
17
15
15
8
7
3
5
6
6
4
2
69.000
62.000
80.000
30.000
40.000
7000
25.000
217.000
55.000
89.000
76000
4059
4133
6000
3750
5714
2333
5000
36166
9116
22250
38.000
Rudolstadt . . .
Sondershausen
Scbleiz
Buckeburg . . .
Greiz
Vaduz
6000
6000
6000
4000
8000
1000
6000
150.000
40000
64.000
70.000
„ Beuss (-Schleiz) jun-
„ Lippe-Schaumburg. .
„ Reuss (-Greiz) altere
Landgrafscbaft Ilcssen-
Homburg
Homburg
Freie Stadt Hamburg. .
, „ Lubeck . . .
„ „ Bremen . . .
„ „ Frankfurt .
Lubeck . . .
Bremen
Frankfurt
11.454
44,364.000
Nach der geographischen Lage konnen die Staaten des deut-
schen Bundes geordnet werden:
A. 5 sudlicheStaaten: Oesterreich, Baiern, Wiirttemberg,
Baden, Liechtenstein ;
B. 7 westlich e Staaten: Hessen-Cassel, Hessen- Darmstadt,
Hessen- Homburg, Nassau, Frankfurt a. M., Waldeck, Luxemburg
und Limburg;
C. 9 mittlere Staaten: Sachsen, Sachsen - Weimar - Ei-
senach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Koburg-Gotha, Sachsen-Alten-
burg, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuss
altere Linie, Reuss jiingere Linie;
D. 14 nordliche Staaten: Preussen, Hannover, Braun-
schweig, Oldenburg-, Lippe-Detmold, Lippe-Schaumburg, Anhalt-
Dessau-Kothen, Anhalt-Bernburg, Mecklenburg- Schwerin, Mecklen-
burg-Strelitz, Holstein-Lauenburg, Bremen, Lubeck, Hamburg.
Diese 35 selbstandigen Staaten sind durch die Bundesakte vom Jahre 1815
zu einem Bunde vereinigt, dessen Zweck die Erhaltung der ausseren und inneren
Sicherheit Deutscblands, sowie der Unabhangigkeit und Unverletzlichkeit der deutschen
Staaten ist. Die oberste Behorde des Bundes ist der Bunde stag oder die Bunde s-
versammlung in Frankfurt a. M., bestehend aus den bevoilmachtigten Ge?andten
sammtlicber Bundesglieder. Oes te rreich f iihrt d en Vorsitz. Zum Schutze
wider innere und aussere Feinde stellen die Bundesstaaten einB undeshee r (350.000
Mann) auf. Die Bundesf es tungen sind: Mainz, Luxemburg, Landau,
Rastatt und Ulm.
Ausser der politischen Eintheilnng sind im gewShnlichen Verkehre noch be-
sondere Bezeichnungen fur gewisse Landestheile im Gebranche, welche auf die alien
Volksstamme und die ehemalige Eintheilung Dentschlands in 10 Kreise zuruckweisen
oder der geographischen Lage entnommen sind. Diese sind:
Schwaben — der grossere Theil von Wurttemberg, das sudliche Baden, das
sudwestliche Baiern und Hohenzollern ;
Franken — vorzugsweise die Maingegenden (Bamberg, Schweinfurt, Wiirzburg);
Voigtland — die HGben zwischen Hof und Plauen;
Lausitz — das ostliche Sachsen mit den angrenzenden preussischen Gebiets-
tbeilen ;
185
Thuringen — das Land zwischen der oberen Saale und der Werra ("das Gross-
herzogtham Sachsen- Weimar-Eisenach, die sachsischen Herzogthfimer und die
schwarzbnrgischen Furstenthiimer);
Niedersachsen — zwischen der untern Elbe und Weser;
Ostfriesland — zwischen der untern Weser und der Ems;
Pfalz — Rheinbaiern und das nOrdliche Baden;
Rheinlande — Baden, die bairische Pfalz, Nassau, insbesondere die preussische
Rheinprovinz.
Bevdlkerung. Von den Bewohnern sind mindestena 80%
Deutsche, in den ostlichen und sudb'stlichen Theilen wohnen
SI a wen, im Suden und Westen romanische Stamme. Dem
Glaubensbekenntnisse nach scheidet sich die Bevolkerung in Ka-
tholiken, etwa 3/5 der Gesaramtsumrae, welche vorziiglich in
Siiddeutschland, in Posen und Westphalen vorherrschen, — dann
Protestanten, beilaufig 2/5 > in Norddeutschland , Wurttem-
berg und Hessen ; endlich kleinere christliche Sekten zumeist im
Norden,
§. 101. Bodenverhaltnisse and Klima im Allgemeinen.
Deutschland ist der mittlere Hauptkorper Europa's, In hori-
zontaler Richtung dehnt es sich von Norden nach Suden (150 M.)
fast ebenso weit aus als von Westen nach Osten (140 M.). Es ist
tin Kontinentalland , dessen Meeresgrenzen nur etwa J/4 des Ge-
sammtumfanges betragen, und die Kiistenentwickelung ist verhaltniss-
massig eine geringe (1 M. Kiiste auf 72 QM. Flache).
Nach der vertikalen Erhebung des Bodens zerfallt es in
drei Partien: das sudliche Alpenland, die Hochebene Mit-
teldeutschlands und die germanisc h e Ti ef eben e in Nord-
deutschland. Das erste erstreckt sich von der Schweiz bis nach
Ungarn mit der Hauptabdachung nach Osten , — die zweite , mit
einer nordlichen und nordwestlichen Abdachung von den nieder-
i heinisch - westph'alischen Gebirgen und den Vogesen bis zu den
Karpathen, — die dritte, mit der Abdachung nach Nordwest, ge-
hort zum grossen europaischen Tieflande, welches sich im Westen
und Siiden der Nordsee bis an die sarmatische Ebene hinzieht, von
welcher es durch die Weichsel geschieden wird.
Die Alp en bilden die Scheidewand zwischen dem germa-
ni?chen und romanischen Kulturleben. An ihrem Fusse dehnt sich
die bairische Hochebene (1500') hin. Die mitteldeutsche, an alien
Agrikulturprodukten reiche Hochebene wird hie und da von Ge-
birgen durchzogen , deren mittlere Kammhohe nur bis 2000' reicht,
in dessen die Hochebene nur mehr an 600' iiber dem Meere sich
erhebt. Die norddeutsche Ebene mit einer Flache von 7000 d^'
liegt nur wenig uber, in einzelnen Strichen im Nordwesten sogar
unter der Flache des Meeres, gegen dessen Andrang das Land durch
Dunen und Deiche geschiitzt werden muss. In dieser Ebene ziehen
sich hie und da einige unbedeutende Hiigelreihen, an deren Fusse
sich dQrre Haiden oder Moore zeigen ; nur an den Ufern der be-
deutenderen Fliisse findet sich fruchtbares Marschland *).
*) Dunen = Sandhugel; — Deiche = Erdwalle; — Gast- oder Geestland
= Sandflachen, welche Moore umgeben oder dnrchzichen, mit Haidekraut fiberwach-
sen; — Marschland = fruchtbar, niederer als Geestland ; — Werfen = (3—10'
hohe) AnhShen im Marschland.
186
In der bairischen Hochebene und noch mehr in den norddeut-
schen Niederungen finden sich Siimpfe und Moore vor ; zwischen
der Weser und Elbe grossere und an der Oder kleinere Haide-
strecken, — doch haben deutscher Fleiss und deuteche Intelligenz
manchen von diesen unproduktiven Flachen Nutzen abzuringen
verstanden.
(Die Gebirge Deutschlands siehe §. 25.)
Das Kliiua. — Deutschland nimmt in den klimatischen Ver-
haltnissen eine Mittelstellung ein, da es in der Mitte der gemassig-
ten Zone von der Armuth des Nordens fast ebenso weit entfernt
ist, als von der iippigen Fiille des Siidens. Die mittlere Jahreswarme
ist im Ganzen ziemlich gleichmassig (8 — 9° R-) , und diese Gleich-
fbrmigkeit wird dadurch noch erhoht, dass die Erhebung des Bo-
dens nach Siiden zunimmt, wodurch die Unterschiede zwischen dem
tiefliegenden Norden und dem hochliegenden Suden zura grossen
Theile ausgeglichen werden. Es bildet den gliicklichen Uebergang
vom Kflstenklima Westeuropa's zum kontinentalen Klima von Ost-
europa, Im Westen ist die mittlere Jahreswarme grosser als im
Osten unter gleichen Breitengraden. Die Winde haben vorherr-
schend eine siidwestliche, im Winter eine nordostliche und ostliche
Richtung. Die mittlere Regenmenge betragt 25", in den Al-
penlandern fallt im Herbste, in Mitteldeutschland im Sommer der
meiste Regen. Im Durchschnitte ereignen sich an einem Orte 19
Ge witter, die meisten im Sommer, doch herrscht hierin ein gros-
ser Unterschied (Niederschlesien hat 29, Niederosterreich 8 Gewit-
ter im jahrlichen Durchschnitte). Im Ganzen ist das Klima gesund,
fur die Vegetation zutraglich und der Wechsel der Jahreszeiten
ziemlich regelmassig.
§. 103. Gewiisser.
A. Das Meer.
Deutschland grenzt an drei Meere: an die Nordsee, die
Ostsee und das adriatische Meer. Besitzt auch die Ost-
see in einer Lange von 83 Meilen eine grossere Kustenlange als
die beiden andern zusammen (Nordsee 36, Adria-Meer [deutscher
Antheil] 40 Meilen); so ist doch die Nordsee, mit der kleineten
Kustenlange, fiir den Verkehr und den Handel Deutschlands von
der grossten Bedeutung. Die Kustenentwickelung der Nordsee,
ihre Verbindung mit der grossen Verkehrsstrasse des atlantischen
Oceans, die bedeutenden einmundenden Flusse , welche als Adern
die Verkehrslinien bis tief in das Herz der gewerbreichen, yon einer
intelligenten Bevolkerung dicht bewohnten Hinterlander ziehen, —
der freieste Verkehr, der sich in den bedeutendsten Stadten (Ham-
burg, Bremen) an den grossten einmundenden Flussen (Elbe, We-
ser) entwickelt hat; — diess alles iibt den wohlthatigsten Einfluss
auf die Kulturverhaltnisse und den Handel Deutschlands aus, und
macht die Nordsee zu einem ,,deutschen Meere," welches von
der Ems- bis zur Eider-Miindung Deutschland bespult. Die nieder
gelegenen Kiisten finden einen natiirlichen Schutz in den vorge-
lagerten sandigen Eilanden und Watten (Untiefen), und einen kunst-
187
lichen in den Diinen und Deichen. Die Watten sind allerdings
auch ein Hinderniss fur die Schiffahrt, weil z wise hen ihnen haufig
nur fiir kleinere Schiffe Fahrwasser ist, doch werden die Haupt-
kanale bezeichnet. Die bedeutenderen Busen werden durch die
Einmiindungen der Fliisse Ems (Dollart-Busen), Jahde,Elbe und
Eider gebildet.
Die Ostsee oder das baltische Meer begrenzt Deutsch-
land vom Eiderkanal bis an die Westgrenze der Provinz Preussen
und bespiilt die letztgenannte — nicht zum deutschen Bunde ge-
horige — Provinz bis nordlich von Memel. Sie hat eine mittlere
Tiefe von 120', an einzelnen Stellen auch iiber 300', bei der Insel
Bornholm 480', keine Ebbe und Fluth, wenig Salzgehalt, daher eine
geringere Tragkraft, und friert im strengen Winter leicht zu. Be-
merkenswerth ist die stete Abnahme des Wassers. Die wenig ge-
gliederte Kiiste ist sandig und nieder (doch hoher als jene der Nord-
see), und hat nur wenige grosse gute Hafen. Die Schiffahrt ist
wegen der Untiefen und der haufigen Stiirme nicht gefahrlos. Die
Ostsee ist die Verkehrestrasse fiir Deutschlands Handel von und
nach Russland und den nordischen Staaten. Eine Eigenthumlich-
keit der siidlichen Ostseekiiste sind die Strandseen ,,Haf f" genannt,
und die ,,Nehrun gen," welche aus den Sandablagerungen der
einmiindenden Fliisse durch den Wellenschlag zu Erdzungen ver-
bunden werden. — Die bedeutenderen Busen sind: der S c h 1 e s-
w i g e r Busen , die Lubecker Bucht (Mundung der TraveJ,
der Busen von Greifswalde (Bodden) , die Swinemiin-
d e r - Bucht (mit dem kleinen und grossen Stettiner Haff) ; in
der Provinz Preussen die D a n z i g e r - Bucht mit dem ,,fri-
schen Haff" und Memel, in sudwestlicher Richtung das ku-
rische Haff.
Das adriatische Meer (siehe Oesterreich §. 76, S. 101).
B. Gewdsser des Festlandes»
Die Fliisse Deutschlands ergiessen sich in vier Meere:
die Nord- und Ostsee, das adriatische und schwarze Meer. Die
bedeutendsten sind: die Donau, der Rhein, die Elbe, die Weser,
die Weichsel, die Oder, der Niemen, die Etsch mit ihren Neben-
fliissen. Ferners zahlreiche Kiistenflusse, als: die Ems, die Eider,
Trave, Pregel, Isonzo u. s. f.
(Siehe topische Geographic §. 43.)
Seen. Der Siiden und der Norden Deutschlands sind reich
an Flussseen, dagegen hat Mitteldeutschland keine Seen im eigent-
lichen Sinne. Die meisten Seen sind in Siiddeutschland auf beiden
Seiten der Alpen, demnach in der Schweiz, Baiern und Oesterreich.
Deutschlands bedeutendster See ist der Bodensee, das ,,deutsche
Meer," an welchem sich funf Staaten (Oesterreich, Baiern, Wurttem-
berg, Baden und die Schweiz) zu gegenseitigem Verkehr und Han-
del die Nachbarhande reichen, und der von zahlreichen Dampfachif-
fen befahren wird. Ueber 1200' iiber dem Meere gelegen ist er an
^Va DM- gross, wovon % auf die deutschen Staaten und % auf
die Schweiz entfallen. — Ausser diesem eind in Baiern der Wai-
188
chen-, Amtner-, Tegern-, Chiem-See nennenswerth. In Norddeutsch-
land sind Holstein, Mecklenburg und Pommern reich an
Seen (Ploner-, Eutiner-, Schaal-, Schweriner-, Plau-, Miiritz-, Tol-
len-See, der Ruppiner-See in Brandenburg u. e. w.). Insbesondere
geben die vielen kleinen Seen in Poramern und die Strandseen
langs der Ktiste der Ostsee der Gegend einen eigenthiimlichen
Charakter.
Die meisten Sumpfe und Moraste kommen im norddeut-
schen Tieflande, hauptsacblich in Oldenburg und Hannover, dann
in Mecklenburg und der preussischen Provinz Brandenburg, doch
auch zum Theile auf der schwabischen und bairischen Hochebene vor.
Kan tile. Der bedeufendste ist der Lud wigs -Kanal (23 Va M.
lang) zwischen Donau und Main in Baiern (Bamberg, Erlangen, in
die Altmuhl und miindet bei Kehlheim in die Donau); — Finow-
Kanal zwischen der Oder und Havel; — der Mul Iroser- Kanal
(oder Friedrich - Wilhelms - Kanal) zwischen der Spree und Oder;
— der Br omb erger -Kanal zwischen der Weichsel und Netze
(Warthe, Oder); — der Eider-Kanal aus dem Kieler Fjord in
die Eider bei Rendsburg (Verbindung zwischen Ost- und Nordaee) ;
— der Wien er-Neustadte r- Kanal zwischen Wiener-Neustadt
und Wien etc.
§. 103. Kultnrverhaltnisse im Allgemeinen.
Deutschland ist im Allgemeinen ein sehr fruchtbares Land.
Der mit vielem Fleisse bebaute Boden bringt alle Erzeugnisse der
mittleren gemassigten Zone hervor. Die Grundlagen des National-
wohlstandes sind der Ackerbau, die Viehzucht und in man chen
Gegenden der Bergbau.
Die Laiidwirihschaft wird in den meisten Landstrichen sehr
rationell betrieben, wozu die zahlreichen landwirthschaftlichen Ver-
eine, Unterrichtsanstalten und Zeitschriften nicht wenig beitragen.
Insbesondere steht der Ackerbau, wo die Bodenbeschaffenheit es
nur immer zulasst, in hoher Bliite, er liefert alle Arten von
Getreide in hinreichender Menge, selbst zur Ausfuhr. Die nord-
deutsche Ebene ist nebst der osteuropaischen die Kornkammer
Europa's.
Einer gleichen Sorgfalt erfreut sich die Viehzucht. Die vor-
trefflichen Pferde aus Mecklenburg, Holstein, Westphalen sind all-
bekannt; — die Rindviehzucht ist besonders in den Marschlandern
des Nordens hochst bedeutend, das ostfriesische und holsteinische
Vieh wird am meisten geschatzt. Einen ausserordentlichen Auf-
schwung hat die veredelte Schafzucht genommen, sachsische und
echlesische Wolle wird sogar der spanischen vorgezogen. Die all-
getnein verbreitete Schweinezucht ist in Baiern und Westphalen
bedeutend, der westphalische Schinken geniesst grossen Ruf. Die
Bienenzucht ist, mit Ausnahme der Liineburger Haide, minder
verbreitet. Dem Seidenbau ist das Klima nicht gunstig, doch macht
er in Preussen beach ten swerthe Fortschritte.
Mannigfaltig eind die Produkte des Mineralrciches. Die
Wissenschaft des Bergbaues ist recht eigentlich von Deutschland
189
ausgegangen. Von Deutschland und namentlich von Sachsen, vom
Erzgebirge aus, ist nicht allein die erste grundliche Kenntniss der
Mineralien zu den ubrigen Volkern Europa's gekommen; sondern
noch jetzt dient der deutsche Bergbau andern Volkern zum Muster,
und Russen, Spanier und Portugiesen haben erst durch deutsche
Bergleute den rechten Betrieb ihrer sibirischen und amerikanischen
Schatze kennen gelernt. Bietet auch der Bergbau auf edle Me-
talle eine relativ minder reiche Ausbeute, so sind andernseits bei-
nahe alle Gebirge reich an Blei, Kupfer oder Eisen, vorziiglich an
brennbaren Fossilien und an Salz. Ferner besitzt Deutschland
an 1000 Mineral quellen, von denen sich mehrere eines ausgebreite-
ten Rufes erfreuen.
Trotz der mancherlei Hindernisse, welche sich dera deutschen
Gewerbfleisse entgegenstellten, hat die gewerbliche Thatigkeit
doch eine hohe Stufe erreicht. Steht der deutsche Kunstfleiss auch
nicht auf gleicher Hohe mit dem durch mancherlei Vortheile be-
gunstigten Britanniens, so kommt er doch dem franzosischen und
belgischen nahe. Viele Erfindungen im Gebiete der Technik wur-
den von Deutschen gemacht (Leinpapier, Taschenuhren, musikalische
Instrumente, Porzellan u. a.), — manche Zweige der Industrie sind
von Deutschen zur hochsten Vollkommenheit ausgebildet (Glas-,
Eisen- und Stahlfabrikation), — die Erfindungen anderer Nationen
fanden in Deutschland bald Eingang, zum Theile auch Verbesse-
rung, so dass gegenwartig deutsche Industrie uberall einen ehren-
vollen Platz behauptet. Manufakturen und Fabriken aller Art sind
zahlreich vorhanden ; eine Menge von Lehranstalten und Vereinen
verbreiten und fordern technische Kenntnisse und Fertigkeiten ; —
Gewerbehallen, Gewerbekammern, Gewerbe- Ausstellungen , Kredit-
und Assekuranz - Ges ells chaf ten uben einen wohlthatigen Einfluss
auf die deutsche Industrie. Die industriellsten deutschen Lander
sind: Schlesien, Sachsen, die Rh einpr ovinz, Franken,
Schwaben, Thiiringen, Westphalen, Brandenburg. — Die altesten
und wichtigsten, zugleich fast uberall verbreiteten deutschen Ge-
werbe sind die Leinen- und Wollenweberei. Die Baumwollindustrie
hat namentlich in Sachsen einen ausserordentlichen Aufschwung ge-
nommen. Die deutschen Eisenwaaren, besonders Waffen, Klingen
und die preuesischen Gusseisen - Waaren gehoren zu den vorziig-
lichsten ; das deutsche PorzelJan zeichnet sich durch Schonheit der
Masse , durch Zierlichkeit der Form und die Malerei aus ; — die
Niirnberger- Waaren sind nicht bloss wegen ihrer Wohlfeilheit welt-
beriihmt. In alien Zweigen gewerblicher Thatigkeit finden wir in
Deutschland ein entschiedenes Vorwartsschreiten.
Deutschland ist durch seine Lage in der Mitte von Europa
und an drei Meeren, durch die Richtung der zahlreichen schiff-
baren Flusse, durch die Mannigfaltigkeit und den Reichthum seiner
Naturprodukte, und ganz besonders durch die gewerbliche Thatig-
keit, die hohe geistige und sittliche Kultur der Bewohner zu einem
fur Handel und Verkehr sehr giinstigen Lande geschaffen. Aller-
dings steht Deutschland in Folge seiner mehr oder minder geschlos-
senen Meere dem britischen Reiche, Frankreich, den Vereinigten
190
Staaten' von Nordamerika und Holland im Welthandel nach ; dage-
pen ist es der natiirliche Vermittler des Landhandels zwischen dem
Westen und Oaten, dem Norden und Suden Europa's. Die Indu-
strie und der Handel sind durch die Errichtung des Zollve reins
und den Abschluss von Zoll- und Handelsvertragen ungemein ge-
fordert worden. Die trefflichen und vislen Landstrassen, die wach-
sende See- und Flussschiffahrt, das dichte Netz der zahlreichen
deutschen Eisenbahnen und Telegraphen, die Banken, Borsen, Kre-
ditanstalten, Assekuranz- und Handelsgesellschaften , Konsulate,
Handelskammern, Handelsschulen, Messen u. s. w. sind wichtige
Beforderungsmittel fur den Handel.
Ein noch schoneres Bild weiset uns die geistige Kultur
Deutschlands. Ein gewisser Grad allgemeiner Bildung herrscht im
ganzen Volke wie in keinem andern Lande, und an strengwissen-
schaftlicher Entwickelung wird es von keiner der gebildetsten Na-
tionen iibertroffen. Die Zahl der meist trefflich organisirten Bil-
dungsanstalten ist grosser als in irgend einem Lande , und uberall
finden wireinen stetigenFortschritt. „ Deutsche Intelligenz," ,,deutsche
Wissenschaft und Kunst" sind keine Redensarten, sie sind anerkannte
Thatsachen in dem Leben dieses grossen Kulturvolkes. Rechtsge-
fuhl und Treue, religiose Innigkeit des Germithes, Forschbegierde,
Grundlichkeit und Auedauer kennzeichnen den deutschen Mann, ob
er in die Tiefen der Wissenschaft sich versenkt, oder auf dem Ge-
biete der materiellen Interessen fur die Ehre und den Wohlstand
seines Vaterlandes arbeitet. Auf diesen festen Grundlagen ruht
die Hoffnung auf den geistigen und materiellen Fortschritt des Ge-
sammt-Vaterlandes.
B. Die einzelnen Staaten Deutschlands*).
A. Sildliche Staaten.
§. 104. Das Konigreich Baiern.
1388 nMeilen ? — 4,600.000 (relativ 3393) Einwohner, — iiber 3 Millionea
Katholiken, an l'/2 Million Protestanten, iiber 60.000 Israeliten ; nach der Nationa-
litat fast ausschliesslich Deutsche (in der Pfalz etwa 3500 Franzosen). — Oest-
licher Theil: 1280 QM., — last 4,000.000 (relativ 3125) Einwohner; — west-
licher Theil (Pfalz): 108 QM., — fiber 600000 (relativ 5650) Einwohner. —
Grenzlander des dstlichen Theil es: sachsische und reussische Lande, feach-
sen, Oesterreich, Bodensee, Wiirttemberg, Baden, Hessen; — des westlichen
Theiles: Hessen, liheinpreussen, Baden, Frankreich. — Konstitutionelle Erbmonar-
chie in der mannlichen und weiblichen Linie des romisch-katholischen Hauses W i t-
telsbach.
Boden. Von der meist gebirgigen oder doch wellenformigen
Oberflache des bairischen Staates entfallt ungefahr die Halfte auf
das Bergland. Im sildlichen Theile erhebt sich das bairische
Hochland (die Algauer-, Tiroler- und Salzburger-Alpen) ; die ost-
liche Grenze macht der bairische Wald; von Norden erstrecken
sich der Frankenwald und das Fich telgebir ge in das
*) Die Bdeutschen Kronlander des Kaiserthums Oesterreich" kommen bei Oester-
reich, — das nHerzogthum Holstein-Lauenburg" bei Dan em ark, — das nGross-
herzogthnm Luxemburg" und das BHerzogthum Limburg" bei den BNiederlan-
d e n" vor.
191
Land; — im N. W. liegen die Rhon und der S peas art; — von
W. ziehen Verzweigungen der Rauhen-Alp, der Spessart
und der Steigerwald in das Land. Das Hauptthal des Landes,
das der Donau, erstreckt sich von Westen nach Oaten; siidlich von
der Donau erhebt sich das Land bis zu den Alpen und bildet eine
wenig fruchtbare Hochebene, nur die unteren Gegenden an den Ne-
benfliissen der Donau sind ebener und fruchtbarer. Hugeliger, mil-
der und fruchtbarer sind die Gegenden nordlich von der Donau ;
die Mainufer aber gehoren zu den schonsten in Deutschland. — An
den Ufern der Donau, der Isar und derAmtner ziehen sich stellen-
weise meilenlange Siimpfe und Moore (MMoose") hin, theilweise
sind sie mit niederem Nadelholze bewachsen ; doch sind die Donau-
ufer im Allgemeinen fruchtbar. — Die Pfalz (Rheinbaiern) wird von
den Vogesen, dem Hardt und dem Donnersberge durch-
zogen. — Die sudlichen Gegenden Baierns haben wegen der Nahe
der Alpen und der bedeutenden vertikalen Erhebung ein rauhes
K 1 i m a , in Mittelfranken, in den Thalern des Main und des Rhein
jedoch das mildeste in Deutschland.
Gewasser. Die bedeutendsten Flusse des Landes sind: 1, Die
Donau, welche Baiern von Westen nach Oaten durchfliesst ; sie
nimmt auf der rechten Seite die Iller , den Lech , die Isar und
den Inn mit der Salzach, und auf der linken die AltmQhl, die Naab
und den Regen auf. Von Ulm ist sie schiffbar, und von Donau-
worth ab beginnt die Dampfschiffahrt. — 2. Dir Main fliesst von
Osten nach Westen, nimmt am rechten Ufer die Rodach, die fran-
kische Saale und die Kinzig, am linken die Regnitz und die Tau-
ber auf und wird ebenfalls von Dampfschiffen befahren ; dem Rhein
in der Pfalz fliessen zu: die Lauter, die Queich und die Nahe; zum
Geader der Weser gehoren die Fulda und Ulster, zum Elbe-Geader
die Eger und die sachsische Saale. — (Siehe auch §. 44.)
Die bekanntesten Mineralquellen sind: Steben in Ober-
franken, Kissingen, Briickenau und Wipfeld in Unterfraaken, Neu-
markt in der Oberpfalz, Reichenhall in Oberbaiern.
Baiern hat viele, mitunter sehr fischreiche Seen und Teiche
namentlich im Siiden (in Schwaben und Oberbaiern). Der Bodensee,
der Ammer- , Starenberger- , Chiem- (der grosste) , Konigssee. — -
Die wichtigsten Kanale sind: der Ludwigskanal (Miin-Donau,
Bamberg-Kehlheim) und der Frank enthaler-Kanal (Stadt Fran-
kenthal mit dem Rhein.)
Politische Eintheilung. Baiern wird in acht Kreise ein-
geth ilt. — Die Reichshaupt- und Residenzstadt des Koniges ist :
Munch en (132.000 Einw.) an der Isar, aaf einer Hochebene, eine der schon-
sten Stadt e Deuischlands und wegen der vielen, durcli Konig Ludwig ausgefuhrten
Prachtbauten, sowie wegen der reichen Kanstschatze jeder Art eine der sehenswer-
thesten. Unter den grossartigen Bauwerken sind hervorzuheben : der neae Saal- und
KOnigsbau mit herrlichen enkaustischen und Frescogemalden und Erz-Standbildern,
der Wittelsbacher Palast, die Glyptothek, die alte und die neue Pinakothek, die Ar-
kaden des Hofgartens, die Allerheiligenkirche, die Ludwigskirche, die Basilika, die
gothische Kirche in der Vorstadt Au, das Bibliotheks-, das Ausstellnngs- und das
Universitatsgebaude, das Siegesthor, am Ende der Theresienwiese die Buhmeshalle
mit der kolossalen Bavaria u. a. m. Zahlreiche Statnen und Standbilder u. s. w. —
Akademie der Wissenschaften, Universitat (von Landshut 1826 hieher verlegt), grosse
192
Bibliothek (nachst der Pariser die grosste mit 800.000 Banden und 22.000 Hand-
schriften), Sammlung von Alterthutnern, polytechnisches Central-Museum fur Baiern,
Akademie der Kiinste, reiche Kunstsanimlungen, viele Sanitats- und Humanitats-
Anstalten. — In industrieller Beziehung sind wichtig: die Institute fur mathema-
tische nnd astronomische Instrumente, Steindrnckerei (bier erfunden von Sennefelcler
1796), grosse weltberuhmte Erzgiesserei, Glasmalerei, beruhmte Maschinenfabrik (von
Maffei in Hirschau), ausgedehnte Bierbranerei u. s. w. In der Nahe die konigl. Lust-
schlosser Nymphenburg (k. Porzellanfabrik) und Schleissheim (landwirth.
Centralschule).
Bemerkenswerthe Orte sind :
1. Oberbaiern (309 DM-» 750.000 E.), -Munchen (132.000), Nymphen-
burg, SchleissLeim, Freising, Ingolstadt, Reichenhall, Rosenheim, Berchtesgaden,
Benediktbeuern, Miihldorf;
2. Niederbaiern (195 QM., 555.000 E.), Landshut (11.000), Passau
(12.000), Straubing, Oberzell, Hafnerzell, Kehlheim ;
3. Oberpfalz nnd Regensburg (175 nM-> 475.000 E.), Regensburg
(26.000), Stadt am Hof, Donaustauf, Amberg;
4. Sckwaben undNeuburg (173 QM., 560.000 E.), Augsburg (40.000\
Nen-Ulm, DonanwQrth, Neuburg, Kempten, Memmingen, Kaufbeuern, Nordlingen,
Oettingen, Solnhofen, Lindau;
5. Oberfranken (125 QM., 500.000 E.), — Bayreuth (20.000), Bamberg
(22.000), Kulmbach, Forchheim, Wunsiedel, Hof;
6. Mittelfranken (139 QMM 530000 E.), — Ansb ach (12.000), Nurnberg
(54.0CO), Furth (18000), Erlangen (12.000), Eichstadtl, Schwabach, Weissenburg,
Windsheim, Rothenburg, Spalt.
7. Unterfranken und Aschaffenburg (162 pM., 590.000 E.), Wnrz-
burg (30.000), Aschaffenburg, Schweinfurt, Ochsenfnrt, Kissingen, Oberzelt, Kitzingen.
8. Pfalz Oder Rheinbaiern (108 QM., 600000 E.), Speyer (12.000),
Germersheim, Ludwigshafen, Frankenthal, Anweiler, Landau, Nenstadt an der Hardt,
G6llheim, Kaiserslautern, Zweibriicken, Obermoschel.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die wichtigste Erwerba- und Nahrungsquelle der Bewohner
des Konigreiches Baiern ist die Landwirth^chaft in ihren ver-
schiedenen Zweigen. Namentlich wird der Acker bau, dem fast
die Halfte der Gesammtflache gewidmet ist, eifrig betrieben ; er lie-
fert durchschnittlich noch erhebliche Mengen zur Ausfuhr nach der
Schweiz und Tirol. Am ergiebigsten ist er in Niederbaiern, Franken,
Schwaben und in der Pfalz. Der Anbau von Hulsenfriichten , Ge-
muse und Kilchengewachsen (um Bamberg) ist vom Belange. Unter
den Handelspflanzen nimmt der Hopfen den ersten Platz ein, ins-
besondere in Mittelfranken (BSpalter Stadtgut"), Oberfranken und
Schwaben. Die ausgedehnten Gerstenfelder der bairischen Hoch-
ebene und die Sorgfalt fiir den Hopfenbau sind die Bedingungen
fur die schwunghaften Bierbrauereien. Hanf und Flachs werden in
geniigender Menge gebaut, am vorziiglichaten ist der Flachsbau bei
Nordheim, der Hanfbau in der Pfalz. Tabak wird in der Pfalz
und in Mittelfranken (um Nurnberg) stark gebaut; im Jahresdurch-
schnitte betragt die Ernte 240,000 Zentner, wovon fast 2/3 auf die
Pfalz und iiber '/? auf Mittelfranken kommen. Pfalzer- Tabak geht
sogar nach Amerika. Der Obstbau liefert reichen Ertrag, selbst
zur Ausfuhr (Pfalz, Franken, amBodensee). In der Pfalz, am Main,
in Ober- und Mittelfranken und am Bodensee wird atich dieWein-
kultur betrieben und liefert fiir den Export nach Thiiringen und
Sachsen, Die Wiesenkultur hat in neuerer Zeit ansehnliche
193
Fortschritte gemacht. — Grossen Reichthum hat das Land an Wai-
dun gen, welche fast 30% der Gesammtflache bedecken.
Die Viehzucht 1st nachst dem Ackerbaue der wichtigste Zweig
der bairischen Landwirth8chaft ; eie deckt nicht bloss den inlandi-
schen Bedarf, es kann Vieh auch auagefuhrt werden. Die Rind-
viehzucht ist am ausgebreitetsten in den Alpengegenden. Die
Schweinezucht von Ober- und Niederbaiern, auf der Rhon und
im Spessart erfreut sich eines besonders gunstigen Rufes. Die be-
aten Pferde sind in Niederbaiern und Mittelfranken. Veredelte
Schafzucht ist in Mittel- und Unterfranken auagebreitet und
wird durch die landwirtbschaftliche Lehranstalt in Schleissheim,
welche jahrlich 100 Merinos widder an die Besitzer von Schafereien
abgibt, praktisch gefordert. Die Bienenzucht ist in der Pfalz
und in Franken sehr bluhend, auch beginnt die Pflege der Seiden-
raupen an Ausdehnung zu gewinnen.
Unter den Produkten des Mineralreiehes besitzt Baiern re-
lativ am meisten Eisen und Salz; ersteres wird von besondereu
Gate in der Pfalz (Kaiserelautern) und in Oberfranken (Wunsiedel),
doch nicht ausreichend fur den Bedarf gewonnen ; — letzteres in
den konigl. Salinen, worunter die grosaten zu Reichenhall , Berch-
tesgaden und Traunstein sind, dann in Rosenheim, Kissingen, Orb,
Dikkheim. Auch gewinnt das Land etwas Kupfer, Blei, Galmei,
Zink, Quecksilber und Schwefel ; in Oberbaiern, Oberfranken und der
Pfalz Stein- und Braunkohlen, aber nicht in ausreichender Menge;
viel Torf in Schwaben, Oberbaiern und in der Oberpfalz. Marmor,
Alabaster, Kalkateine und Gyps findet man in Oberbaiern , Mittel-
franken und Schwaben, — schone Porzellanerde bei Passau und in
der Pfalz, lithographische Steine bei Solnhofen, — schone Bausteine
(Kehlheimer Flatten), Graphit bei Passau, und Siegelerde.
Die gewerbliche Thatigkeit stand im Mittelalter auf einer
sehr hohen Stufe der Ausbildung ; spater wurde Baiern von andern
deutschen Staaten (Sachsen, Preusaen, Oesterreich) uberfliigelt ; in
neuerer Zeit hebt sie sich wieder und mehrere Zweige erfreuen sich
bereits eines ehrenvollen Rufes. In Rheinbaiern besteht Gewerbe-
freiheit, in den andern Theilen ein Concessionssystem. Am bedeu-
tendsten ist die Industrie in Ober- und Mittelfranken, doch kommen
eigentliche Fabriken raeistentheiJs nur in den grosseren Stadten vor.
— Die Baum woll-Indust rie hat zwar an Ausdehnung und
Vervollkommnung gewonnen, doch befriedigt sie nicht den inlandi-
schen Bedarf. In der Spinnerei sind hervorragend: Augsburg,
Hof, Kempten, Schweinfurt und Zweibrucken. Die weitere Verar-
beitung des Games ist in Mittelsorten nicht unbedeuteud. Die We-
berei ist besonders in den kleinen Landstadten verbreitet, am be-
deutendsten jedoch in Munchen, Augsburg (treiflicher Kattun hier
und in Kaiserslautern) , Hof und Nordlingen (schone Tuche, Tep-
piche, Strurnpfwaaren u. 8. w.)- Der Import in Baumwollstofl'en isc
ziemlich gross.
Die Leinweberei liefert meist grobere Waare, feinere wird
importirt. Der Damast von Augsburg, Munchen und der Pfalz wird
im Handel geschatzt. Die Seidenw.aaren von Munchen, Augs
Klua's Uaudels-Geograpbie. 2. Aufl. | •;
194
burg und Umgebutfg eind nicht von Belang. Die Papier fa briken
zu Augsburg, Nurnberg, Aschaffenburg, Neustadt an der Hardt,
Filrth erzeugen schemes buntes Papier, aber feinere Papiersorten
werden aus dem Auslande bezogen. In Papiermache'-Arbeiten zeich-
net sich Nurnberg , in Tapeten nebst Nurnberg auch Schweinfurt
aua. — Die Industrie in Holzwaaren bildet in manchen Ge-
genden einen bedeutenden Erwerbszweig und liefert fiir den Export.
Beriihmt sind die Berchtesgadner Schnitzwaaren, die Drechsler- und
Kurzwaaren aus Nurnberg, Erlangen, Fiirth u. s. w. Der Schiff-
bau wird in Kehlheim, Regensburg, Speyer, Wiirzburg und Passau
lebhaft betrieben. — Als eigentliches Nationalgewerbe kann die all-
gemein verbreitete Bierbrauerei angesehen werden. An 5000
Brauereien erzeugen jahrlich iiber 10 Mill. Eimer Bier, das wegen
seiner sehr geriihmten Qualitat nach alien Richtungen ausgefuhrt
wird. — Die Gerbereien sind sowohl wegen der grossen Anzahl
als wegen der Giite der Erzeugnisae von Wichtigkeit, die meisten
sind in Schwaben und Franken. Das Kalbleder von Bamberg wird
sebr geschatzt, dessgleichen die feinen Lederarbeiten von Niirnberg;
Augsburg, Wurzburg und Fiirth. — In der Metallwaaren- In-
dustrie ist jene in Eisen am ausgedehntesten und in der Zunahme.
Hieher gehoren die Nade Ifabrikation in Schwabach, die Messer-
schmied- und Sc hw er tf egerwaaren von Nurnberg und Erlan-
gen, die Gewehrfabrik in Amberg, die S tiickgi e sserei in
Augsburg, vor Allem die konigl. Erzgiesserei und die Mas chi-
ne n-Fabriken in Miinchen, dann Augsburg, Nurnberg, Wurzburg
(Schnellpressen), in Zweibriicken und Kaiserslautern. Musikalische,
mathematische und physikalische Instrumente werden in Miinchen,
Augsburg, Nurnberg, WQrzburg, Fiissen u. a. O. verfertigt. — Vor-
treffliche Bleistifte liefert Nurnberg und Umgebung. Die Stein-
druckerei ist in ihrem eigentlichen Vaterlande in hohem Grade
ausgebildet. — Zuckerfabriken bestehen in Regensburg, Wun-
siedel, Baireuth, Schweinfurt. — Vortheilbaft bekannt sind die G 1 a s-
fabriken des bairischen Waldes (Theresienthal bei Zwiesel) und
Benediktbeuern, die Spiegelglaser von Erlangen, die optischen Glaser
und Instrumente in Miinchen. Porzellan wird in Nymphenburg,
Regensburg, Passau u. a. O. gefertigt. — Grosse Tabakfabri-
ken bestehen in und urn Nurnberg, Erlangen und in der Rheinpfalz.
— Die gewerbliche Industrie fordern viele technische und Gewerbe
schulen, iiber 40 gewerbliche Vereine, dann Handels- und Gewerbe-
kammern, Induetrie-Ausstellungen u. s. f.
Der Handel ist lebhaft und wird gefordert durch die echiff-
baren Fliisse, den Ludwigs- und den Frankenthaler-Kanal , meist
sehr gute Laudstrassen, Eisenbahnen , Telegraphen , Banken , Bor-
sen, Handelsvertrage , Handelsschulen u. s. w. Sehr betrachtlich
ist der Durchfuhrhandel. Im Ganzen ist der bairische Handel aktiv,
denn der Werth der Einfuhr wird im Jahresdurchschnitt auf 35,
jener der Ausfuhr auf 36 Millionen Gulden rheinisch veranschlagt.
— Die vorziiglichsten Handelsorte sind Nurnberg und Augs-
burg, ersteres der vornehmste Platz fiir den Materialhandel in
Suddeutschland, letzteres einer der wichtigsten Wechselplatze. Pas-
195
sau ist der Stapelplatz filr den bairischen Salzhandel; Lin da a
vermittelt den Verkehr mit der Schweiz. Grosse Wollm§rkte
eind in Augsburg, — Getreidemarkte in Memmingen , Miin-
chen, Nordlingen und Straubing, — Viehmarkte in Sonthofen,
— fur den Hopf en bestehen mehrere grossere Hopfenmarkte (Spalt,
Hersbruck, Memmingen).
Die geistige Bildung ist im Allgemeinen gleichfalls fortschrei-
tend. Die Unterrichtsanstalten erfreuen sich in der Regel einer sehr
zweckmassigen Einrichtung, der Beeuch der Volksschule ist streng-
etens anbefohlen. Sowohl fiir die gelehrte Bildung, als fiir die land-
wirthschaftliche, technische und kommerzielle Ausbildung bestehen
zahlreiche, gut organisirte , offentliche und private Lehranstalten.
Ganz besonders werden in Baiern die Kiinste gepflegt. Fiir jeden
Zweig sind zweckmassige Schulen vorhanden und in alien grosse-
ren Stadten finden sich Kunstsammlungen, unter denen jene der
Residenzetadt Miinchen einen der ersten Platze nicht bloss in Deutsch-
land, sondern selbst in Europa einnehmen.
g. 105. Das Kiinigreich Wurttemberg.
354 QMeilen; — 1,800.000 (relativ 5085) Einwohner; — etwa 2/8 Protestanten,
'/, Katholiken, auch Juden; — nach der Nationalitat Deutsche. — Grenzen:
im 0. Baiern, — im N. Baiern, Baden, — im W. Baden, Preussisches Hohenzollern,
— im 5. Bodensee, Baiern. — Konstitutionelle Erbmonarchie in der mannliehen und
weiblichen Linie des Intherischen Hauses Wurttemberg.
Boden. Das Konigreich Wiirttemberg ist mehr gebirgig als
eben, doch herrscht eine mannigfaltige Abwechshing von Gebirgen,
Hiigellandschaften mit anmuthigen oder grotesken Thalern und frucht-
baren Ebenen , wodurch dieses Land als eines der schonsten in
Deutschland erscheint. Auf das Gebirgsland entfallen etwa 29%,
auf das Htigelland 46% und auf die Ebenen 25%. — Im Westen
bildet ein Theil des Schwarzwaldes mit seinen dunklen Nadel-
waldungen die Grenze , wahrend der schwabische Jura (oder
die R a u h e A 1 p) in einer Hohe zwischen 1800' und 2800' von Siidwe-
sten nach Nordosten das ganze Land durchzieht. Dieaer bildet ge-
gen Nordwesten einen sehr steilen, felsigen, durch anmuthige Tha-
ler unterbrochenen Abhang; gegen Suden senkt er sich allmahlig
zur Donau herab, und ist durch viele merkwiirdige Hohlen ausge-
zeichnet, welche Versteinerungen und fossile Knochen vorweltlicher
Thiere enthalten. Nordlich der Alp sind die reizendsten und frucht-
barsten Parthien des Landes ; freundliche Hugelziige , welche ab-
wechselnd mit Laubwaldungen, Reben- und Obtsgelanden prangen
und von fruchtbaren, wiesenreichen Thalern durchzogen sind, wech-
eeln mit flachen, wohlbestellten Aekern, die Getreide in Fiille lie-
fern. Siidlich der Alp und der Donau dehnt sich die Hochebene
Oberachwabens bis zum Bodensee aus, in deren Flachthalern hau-
fige Moorgriinde vorkommen. Zahlreiche Passe und Gebirgs-
strassen durchschneiden den Schwarzwald und die Alp als will-
kommene Forderungsmittel fur den Verkehr.
Gewasser. Das Land ist mit Ausnahme der Hochflache der
Alp reich bewaasert und gehort theils zurn Donau-, theils zum
Rheingebiete. Die Donau betritt bei Tuttlingen das Reich und
13*
196
verlasst es bei Ulra, wo sie erst schiffbar wird. Sie nimmt auf der
rechten Seite die aus Vorarlberg kommende Iller, dann die Riss
und mehrere kleine Bache auf, am linken Ufer ffthrt die Blau ihr
einige Gewasser zu. Der wichtigste Flues des Landes ist der Neckar,
welcher aus dem Schwarzwalde kommt, bei Kannstadt schiffbar wird
und nach einem Laufe von etwa 40 Meilen (unterhalb Gundelsheim)
Wiirttemberg verlasst. Unter eeinen vielen Nebenflussen sind be-
merkenswerth : (rechts) die Fils, der Kocher und die Jaxt, dann
(links) die Enz. In den Rhein fliessen weiters die Murg und Kin-
zig, und in den Main die Tauber, — Nachst dem Bodensee ist
der Federsee der beJeutendste, doch kommen in Schwaben zahl-
reiche kleinere Seen und Weiher vor. Auch an Mineralquellen
ist ein ansehnlicher Reichthiim: Niederau , Boll (bei Goppingen),
Kannstadt, Mergentheim, Wildbad u. a. — Schiffbare Kanalesind:
der Wilh elms k anal, durch welchen der Neckar von Heilbronn bis
Kannstadt schiffbar wird, die Kaniile zu Esslingen, Berg bei Kann-
stadt und Besigheim.
Politische Eintheilung. Das Konigreich Wiirttemberg wird
in vier Kreise eingetheilt, deren Unterabtheilung Oberamter
genannt werden.
1. Neckarkreis (60 QM., -510.000 E.), - Stuttgart (50.000), Ludwigs-
burg, Kannstadt, Hohenheim, Esslingen, Marbach, Heilbronn, Weinsberg;
2. Schwarzwaldkreis (86 DM-> — 450000 E.), Reutlinpen (12.000),
Tuttlingen, Ebingen, Schwenningen, Rottweil, Eottenburg, Tiibingen (80CO), Calw,
Wildbad ;
3. Jaxtkreis (93 QM., — 380.000 E.), — Ell wan gen (4000), Heidenheim,
Schwabisch-Gmund, Schwabisch-Hall, Oehringen, Mergentheim;
4. Donaukreis (113 QM., — 420.000 E.), - Ulm (15.300), Biberacb,
Kavensbnrg, Friedrichshaf'en, Goppingen, Geisslingen, Kirchheim unter der Teck.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Eine der Hauptrahrungsquellen des Volkes bildet die sorgfal-
tig betriebene Laiidwirthschaft. Das verhaltnissmassig mildeste
Klima und die grosste Fruchtbarkeit ist im Neckarthale und dessen
Seitenthalern. Von der Gesammtflache werden iiber 60% landwirth-
schaftlich benutzt, nahezu V3 entfallt auf die Waldungen, das nicht
kultivirte Areale ist demnach sehr geringe. Das meiste Getreide
wird zwischen dem Schwarzwalde und der Alp gewonnen ; Ge-
muse, Kiichen- und Gartengewachse in der Umgegend
von Ulrn, Stuttgart und Heilbronn; edles Obst im Neckarkreise
und am Bodensee; — die hoheren Gegenden , vorziiglich im Do-
naukreise liefern trefflichen Flachs, im Neckar- und Schwarzwald-
kreise Hanf, — Tabak am meisten der Neckarkreis. Ein wichti-
ger Nahrungszweig ist auch der hochst bedeutende Weinbau im
Neckar-, Rems- und Tauberthale und am Bodensee. Das Ertragniss
kann mit etwa 100,000 wurttembergischen Eimern berechnet werden
und ist von guter Qualitat. Die W i e s e n k u 1 1 u r ist sehr ansehnlich,
Futterkrauter sind in Menge vorhanden. Die Waldkultur steht
namentlich im Schwarzwalde auf einer hohen Stufe, mit Holz wird
ein sehr eintraglicher Handel nach Holland getrieben. Auch die
Nebennutzungen der Forste sind betrachtlich. Der Reichthum des
Landes besteht daher in Getreide, Obst, Wein und Holz, welche
197
Produkte nicht nur den Bedarf der Bevolkerung decken, sondern
zum Theile auch exportirt werden.
Die Viehzucht ist ebenfalls bedeutend , vor allem jene des
Hornviehes im Allgau und im Jaxtkreise ; die Pferdezucht wird in
neuerer Zeit mit Fleiss behandelt, die meisten Pferde sind im Do-
naukreise , die schonsten an der Alp. In der sich ausbreitenden
Schafzucht sind die Schaferei auf der Achalm (bei Reutlingen) und
die konigliche Privatschaferei zu Seeheim besonders erwahnenswerth.
Die Schweinezucht ist am erheblichsten im Jaxt- und Donaukreise,
die Schneckenzucht auf der Alp, die Bienenzucht in der ostli-
chen Landeshalfte und im siidlichen Theile des Schwarzwaldkreises.
Zur Einfiihrung und Hebung der Seidenzucht besteht ein Seiden-
bauverein.
Unter den Produkten des Bergbaues sind nur E i s e n und
Salz von Belang ; die Gewinnung beider ist Staatsregal. Das
meiste Eisen liefern die Gruben bei Wasseralfingen und Aalen, die
Gesammtproduktion der Eisenerzgrubsn betragt an 400.000 Zentner
Erze. Die Staatssalinen von Sulz, Friedrichshall, Klemenshall und
Wilhelmshall am Neckar liefern fiber den Bedarf (fiber 700.000 Zent-
ner). An Erden und Steinen trifft man viele Arten, Bau- und Werk-
steine , Gyps , Marmor u. s. w. In Oberschwaben wird auch viel
Torf gestochen. Von Anstalten fur Hebung der Landwirthschaft sind
bemerkenswerth die grosse land- und forstwirthschafdiche Schule
in H o h e n h e i m bei Stuttgart und die BZentralstelle des land-
wirthschaftlichen Vereins" in Stuttgart, mit welcher fiber 40 Be-
zirkavereine in Verbindung stehen ; ferner der Kreditverein und die
Versicherungsanstalten.
Besitzt auch Wiirttemberg nicht die Menge grosser Fabriken
wie manche andere Staaten, so herrscht auf dem Felde gewerblicher
Industrie doch ein reges Leben, das an Umfang und Ausdehnung
progressiv steigt. Einen der wichtigsten Zweige bildet die L i n n e n-
fabrikation, welche, obwohl in der Alp und Oberschwaben fast
durchgehends Handspinnerei , iiber den Bedarf des Landes produ-
zirt. Urach besitzt eine mechanische Flachsspinnerei. Die Bleicherei
und Weberei ist zumeist auf der Alp ausgebreitet. Die W oil in du-
st rie, eine der altesten des Landes, hat sich seit dem Aufhoren der
Hindspinnerei und der Einfiihrung des Maschinenbetriebes sehr ver-
vollkommnet. Calw, Kannstadt, Warthausen, Heilbronn, Reutlingen
nehmen hierin den eraten Rang ein. Unter den grb'sseren Tuchfabri-
ken sind erwahnenewerth jene in Ludwigsburg, Waiblingen, Calw,
Esslingan, Kannstadt, Stuttgart, Goppingen. Die zahlreichen Farbe-
reien leisten Ausgezeichnetes. Die Teppichfabrikation und die Woll-
stickerei sind in der Aufnahme. — Die Baumwoll- Industrie ist
relativ bedeutend und ebenfalls im Wachsen. Die bedeutendsten
Fabriken sind in Bempflingen, Ravensburg, Spiegelberg, Heiden-
heim, Esslingen, Hall. Ausser mechanischen Spinnereien bestehen
grosse Webereien (in Goppingen, Biberach, Ravensburg), Manchester-
Fabriken , Tiirkischroth-Farbereien (Berg, Kannstadt, Esslingen,
Calw) und Strumpfwebereien. In neuester Zeit ist auch die Weiss-
stickerei in grossem Umfange eingeffihrt worden. Die Seideu-
198
Industrie ist noch unbedeutend. Ein besonderer Erwerbszweig
ist (zu Schwabisch-Gmiind und Biberach) die Haubenstickerei
und die Gold- und Seidenstickerei in Stuttgart. Eines guten
Rufes erfreuen sich die Holzwaaren des Schwarzwaldes, darun-
ter aSchwarzwalder-Uhren," Tabakspfeifen aus Ulm und Kinderspiel-
waaren. Die G e r b e r e i wird ausgedehnt in Calw (Saffian), Tuttlingen,
Reutlingen, Heilbronn, Ulm betrieben. — In der Metallwaaren-
Industrie nehmen die Eisenwaaren den ersten Rang ein. Die Ei-
senschmelzwerke befinden sich in Eigenthum und Selbstverwaltung
des Staatee. Die grosste Eisengiesserei ist in Wasseralfidgen ; Ma-
schinen werden in Esslingen und Stuttgart erzeugt, Messerschmied-
waaren in Heilbronn, Heidenheim, Tuttlingen, lackirte Blechwaaren
in Esslingen, Biberach, Stuttgart, Goppingen. — Die meisten Glas-
hutten finden sich im Schwarzwalde und auf der Alp, doch gibt
es auch einige Fabriken. Sehr gutes Porzellan wird in Lud-
wigsburg, Steingut zu Schramberg im Schwarzwald erzeugt,
viel und gutes Papier in Heidenheim, Heilbronn, Ravensburg,
Urach, — mathemathi sche und phy si kalische Instru-
ment e in Stuttgart, Esslingen, Ulm. Von nicht zu unterachatzen-
dem Einflusse ist die Wirkeatnkeit der ^Zentralstelle fur Gewerbe
und Handel," der Handelskammern und Gewerbvereine.
Der Handel ist bedeutend, insbesondere der Binnenhandel.
Die Schiffahrt auf dem Neckar, der Donau und dem Bodensee, die
guten Landstrassen und Eisenbahnen fordern den Verkehr. Zu den
wichtigeren Ausfuhr-Artikeln gehoren: Getreide (nach der
Schweiz), Schlachtvieh (nach Frankreich), Holz (nach den Rheinlan-
den), Salz, Wein und mehrere der genannten Manufakturwaaren. Ein-
fuhr-Artikel sind: Kolonialwaaren, Sudfriichte, Oel, Baumwolle,
Hopfen, Farbepflanzen, Tabakblatter, Eisen, Manufakte. Sehr wich-
tig sind der Holzhandel und der Buchhandel (siiddeutsche Buch-
handlermesse in Stuttgart). Der Eigenhandel ist aktiv. Der Spedi-
tionshandel umfasst hauptsachlich Farb-, Material- und Kolonial-
waaren und Vieh; die wichtigsten Platze hiefiir sind Friedrichshafen,
Ulm, Heilbronn, Kannstadt, Stuttgart. — Unter den vielen Jahr-
und Wochenmarkten verdienen besondere Hervorhebung die Tuch-
messen zu Stuttgart, die Wollmarkte zu Kirchheim, Goppingen und
Heilbronn. — Auch die geistige Kultur weiset einen erfreulichen
Stand. Selbst unter den untern Volksklassen herrscht ein ziemlich
befriedigender Grad allgemeiner Bildung; die vielen Gelehrten die-
ses Landes waren und sind eine Zierde des gesammten deutschen
Vaterlandes. Wiirttemberg bietet sonach in alien Richtungen ein er-
freuliches Bild.
§. 106. Das G rossherzogtlium Baden.
278 QMeilen, — 1,400000 (relativ 5035) Einwohner, — uberwiegend Katho-
liken (tiber 900.000), etwa 450.000 Protestanten, einige Dissidenten und an 24.000
Israeliten; — nach der Nationalitat Deutsche. — Grenzen: im 0 Wurttem-
berg, Hohenzollern, Baiern, — im N. Baiern, Hessen-Darmstadt, — im W. bairische
Kheinpfalz, Frankreich (Rhein), — im S. Schweiz, Bodensee. — Konstitationelle
Erbmonarchie in mannlicher und weiblicher Linie des Hauses Zahringen.
Boden. Das Grossherzogthum Baden gehort zum siiddeutschen
199
Berg- und Hugellande. Etwa 44% konnen auf das Bergland, an
40% auf das Hfigelland und 16% auf die Ebenen gerechnet wer-
den. Fast parallel rait dem Rheine erhebt sich der Schwarzwald
mit steilem Abfall nach Westen, mit sanfterem gegen Oaten und
Norden. Im Nordosten breitet sich der Odenwald aus, auch
Theile des Neckar gebirges und der Rauhen Alp, sowie der
schwabischen Hochebene streichen in das Land herein. Die
Ebene breitet sich nur langs des Rheines aus; das Bergland ist
reich an abwechselnd wilden und reizenden Thalern, welche meist
sehr fruchtbar und gut angebaut sind. Wegen ihrer Schonheit sind
namentlich das Neckar-, das Murg- und das Kinzigthal bekannt.
Am Rhein und Bodensee ist das Klima mild, nur die theils kah-
len und felsigen, theils mit Moorgriinden bedeckten Hohen des
Schwarzwaldes eind rauh.
Gewasser. Das Land ist gut bewassert. Der Hauptfluss ist
der Rhein, in welchen fast alle Flusse sich ergiessen, unter denen
der Neckar der bedeutendste ist; dann die Murg, die Kinzig, die
Wiesen und die Elz (mit der Dreisam). Der Main beriihrt nur die
nordliche Grenze und nimmt bei Wertheim die aus Wiirttemberg
kommende Tauber auf. Die Donau hat ihre Hauptquelle, die
Brege (3/4 Meilen nordwestlich von Furtwangen) am Schwarz-
walde, welche sich durch mehrere Bache verstarkt und (nach einem
Laufe von funf Meilen) unterhalb Donaueschingen mit der Brigach
vereinigt. Der durch die Vereinigung der Brege und Brigach ent-
standene Fluss heisst Donau , welche nach einem Laufe von 16
Meilen nach Wiirttemberg tritt. — Unter den vielen Seen ist der
Bodensee (Ueberlingersee mit der Insel Mainau) fiir Baden der
bedeutendste. — Sehr reich ist das Land an Mineralquellen,
unter denen Baden-Baden, Badenweiler, Rippoldsau die bekannte-
sten sind.
Politische Eintheilung. Das Grossherzogthum Baden wird
in vier Kreise eingetheilt:
1. Mittelrheinkreis (73 DM., — 465.000 E.); — Karlsruhe (26.000),
Rastatt, Lahr, Offenburg, Kehl, Leopoldshafen, Baden, Durlach, Bretten, Bruchsal,
Pforzheim ;
2. Unterrheinkreis (63 QM., - 350.000 E.), Mannheim (30.000), Hei-
delberg, Schwety.ingen, Weinheim, Wertheim ;
3. Oberrhfitikreis (75 QM., — 350.000 E.), — Freiburg (im Breisgau,
17.000,), Tryberg, St. Blasien, Waidkirch;
4. Seekreis (67QM., —200.000), — Congtanz (8000), Meersburg, Ueber-
lingen, Donaueschingen, Stockach.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Der fruchtbare Boden und das gGnstige Klima fordern in
hohem Grade die Landwirthschaft, welche eine der wichtigsten
Nahrungsqueilen der Bevolkerung bildet. An 2/3 der Bevolkernng
betreiben die Landwirthschaft in rationeller Weise und der Ertrag
iibersteigt den Bedarf. Zunachst ist es die Rheinebene, welche grosse
Mengen des schonsten Getreides liefert , in der Pfalz werden
besonders Hulsenfriichte angebaut. Von Handelspflanzen sind
zu erwahnen: der Hanf (auch in betrachtlicher Menge fiir den
Export) um Altbreisach, Ettlingen, Pforzheim, — der Flachs in
200
den Thalern des Schwarzwaldes , — der beste Tab ak Deutsch-
lands um Mannheim und Ladenburg , ferner Raps, Hopfen und
Krapp. Die Wiesenkultur ist musterhaft. — Alle Sorten selbst
des feinsten Obstes sind in Menge vorhanden, namentlich an der
Bergstrasse von Weinheim bis nach Hessen. Sehr betrachtlich ist
der Wei n b au , dessen Jahresertragniss rait etwa 700.000 Eimer an-
genommen wircl (Markgrafler, Wertheimer, Affenthaler und See-
wein). Die F orstwirth schaf t wird ebenfalls sorgfaltig behandelt,
aus dem Schwarzwald und dem Odenwald wird Holz auch ausge-
fiihrt. — Die bliihende Landwirthschaft hat eine vortreffliche Vieh-
zucht zur Folge. Die Rindvieh zuch t ist im ganzen Lande sehr
ausgebreitet und durch fremde Racen vielfach veredelt ; — fur die
Forderung der Pferdezucht sorgen die Landesgestiite , fur die
Veredlung der Schafzucht die Landesstammschafereien, In ein-
zelnen Gegenden kommt die Bienenzucht und hie und da auch
die Seidenraupenzucht vor. Fischerei und Jagd bieten ansehnliche
Beute. — Unter den Produkten des Bergbaues kommen nur Ei-
s en und Salz in betrachtlicher Menge vor; Blei, Kupfer und Sil-
ber sind im Ganzen unbedeutend, eowie auch das Waschgold, wel-
ches (in Darlanden, bei Kehl und in Philippburg) aus dem Rhein-
sande gewonnen wird. Fur die Eisengewinnung sind Kandern,
der Klettgau, die Donaugegend u. s. w. beachtenswerth ; fur Salz
die Staatssalinen zu Diirrheim (im Seekreise) und Rappenau (bei
Wimpfen).
Baden ist iiberwiegend ein Agrikulturstaat ; dessenungeachtet
erfreut sich auch die Industrie eines guten Rufes. Im Kleingewerbe
herrscht eine grosee Riihrigkeit und die mehr vereinzelt vorkom-
menden Fabriken stehen zumeist in hoher Bliithe. Die Garnspin-
n e r e i und Leinweberei istim Breisgau, im Oden- und Soh warz-
walde, vor Allem in und um Lahr am starksten. Die Maschinen-
spinnerei gewinnt an Ausdehnung. In der Baumwollindustrie
sind hervorzuheben die Spinnereien zu Constanz und St. Blasien,
die Webereien zu Waldshut, Lahr, Constanz etc.; — in der Wo 11-
induetrie die Tuchfabriken zu Pforzheim und Neustadt, die Kal-
tunfabriken zu Freiburg, Constanz, Lorrach und Bingen. Ausser
den Seidenwebereien zu Kandern und Lahr gibt es deren noch
an zwanzig im Lande. — Papier wird viel und von sehr guter
Qualitat im Mittelrheinkreise (Ettlingen), im Oberrhein- und See-
kreise erzeugt. Ferner sind zu erwahnen: die Lederfabriken von
Pforzheim, Karlsruhe, Heidelberg, Rastatt , die Strohflech-
tereien, — Papiermiihlen und die Verfertigung der Holz-
waaren (insbesondere Holzuhren in Neustadt, Tryberg und
Hornberg) im Schwarzwalde, — die auegedehnte Tabakfabrikation
(Karlsruhe, Lahr, Mannheim), — die Sagemiihlen an der Murg, —
die Mahlmuhlen, Cichorien- und Runkelriibenzucker - Fabriken in
der Rheinebene, — die Eisenwerke von Pforzheim und Zell, — der
Maschinenbau in Karlsruhe, — die Stein- und Kupferdruckereien
in Freiburg, — zahlreiche Bierbrauereien, Branntweinbrennereien
(Mannheim und Wertheira) u. s. f. Die relativ am meisten indu-
striellen Stadte des Landes sind: Mannheim, Pforzheim, Karlsruhe,
201
Heidelberg, Lahr, St. Blasien. Mehrere Gewerbevereine und tech-
nische Schulen , unter diesen die beriihmte polytechnische
Schule in Karlsruhe, uben auf die Gewerbe einen sehr vor-
theilhaften Einfluss aus.
Der Handel ist sehr lebhaft. Der Bodensee, der Rhein, der
Neckar und der Main werden mit Dampfschiffen befahren, die zahl-
reichen Strassen befinden sich im beaten Zustande und durchschnei-
den nebst den Staatseisenbahnen, welche alle wichtigen Stadte ver-
binden, das Land in alien Richtungen. Die geographische Lage
eignet das Land zunachst fiir den Speditionshandel zwischen Frank-
reich, der Schweiz und den deutechen Nachbarstaaten ; doch hat
auch der Eigenhandel Aufschwung genommen. Zu den wichtigsten
Exportartikeln gehoren : Holz (nach den Niederlanden ^Hollan-
derholz"), Wein (nach der Schweiz), Schlachtvieh (nach Frankreich),
Getreide, Hanf, Tabak, Obst, Holz- und Strohwaaren, Papier u.s. w. ;
— die bedeutendsten Importartikel : Siidfriichte, Kolonialwaaren,
Pferde, Wolle, Baumwolle, Seide und Seidenwaaren, Eisen, Stahl,
Galanterie- und Luxuswaaren u. a. m. Die Hauptorte fiir den Han-
delsverkehr sind: Constanz, Ludwigshafen, Kehl, Pforzheim, Mann-
heim, Heidelberg, Wertheim, Leopoldshafen und Knielingen (am
Rhein). — Grosse Fruchtmarkte sind in Mannheim. — Die gei-
stige Hiihur erfreut sich einer ganz besonderen Pflege und weieet
sehr erfreuliche Ergebnisse. Die Volkebildung steht im Ganzen auf
einer sehr achtenswerthen Stufe, alle Arten von Unterrichtsanstalten,
ob sie die gelehrte oder eine auf das »praktiechea Leben abzielende
Bildung als Aufgabe haben, sind vortrefflich eingerichtet ; Wissen-
schaften und Kiinste bluhen in diesem schunen, fruchtbaren und be-
triebsamen Lande.
§. 107. Das Fiirstenthum Liechtenstein/
Das Fiirstenthum Liechtenstein, nicht ganz 3 QMeilen gross,
ist von Vorarlberg und der Schweiz umgeben, meist von hohen
Bergen bedeckt, vom Rheine, der Samina (Nebenfluss der 111) und
mehreren Bacben bewassert. In den Gebirgen ist das Klima rauh,
milder am Rheine. — Es besteht aus den zwei Herrschaften Va-
duz und Schellenberg. Die Bewohner, 7000 an der Zahl, sind
Deutsche, alemannischen Stammes und, wie ihr in Wien residi-
render Furst, katholischer Religion; ihre Wohnplatze sind iMarkt-
flecken: Vaduz (1000 Einwohner) und 13 Dorfer. Die vorzugliche
Erwerbsquelle ist die Landwirthschaft. Der Boden ist im
Allgemeinen fruchtbar ; Acker- und Flachsbau, Obst- und Weinbau
Cam Rheine) — und die Rindviehzucht werden gut gepflegt. — Die
gewerbliche Thatigkeit beschrankt sich auf Baumwoll-
spinnerei fur die benachbarten Schweizer Fabriken und ordinare
Holzarbeiten.
Liechtenstein ist (am 5. Juni 1852) nnbeschadet der landesberrlichen Hoheita-
rechte dem Ssterreichischen Systeme der Z6lle, Staatsmonopole, Verzehrangsstener
nnd Stempel beigetreten. Untersnchungen gegen Gefallsubertretungen ffihren Sster-
reichische Beamte nnd die Zoll- und Steueramter sind gemeinscbaftlich. Oesterreich
besoldet und beeidet die Zollbeamten. Die Jahreseinkiinfte werden nacb Abzug der
Auslagen den fQrstlichen Kassen zagewendet, auch verburgt Oesterreich ein jahrliches
Reineinkommen von 2 fl. far jeden Kopf der Bcvolkerung. Der Vertrag dancrt bis
Ende 1863, nnd wird, wenn keine Kiindigung erfolgt, als auf weitere 12 Jahre ver-
langert angesehen. Posten, Miinzen, Masse und Gewichte sind die Ssterreichischen.
Das Fiirstenthum hat eine landstandische Verfassung. Die Landstande
bestehea aus der Geistlichkeit und der Landmannschaft, welche in einer Kammer
vereinigt sind, und sich jahrlich im Landtage versammeln, auf welchem der Landes-
verweser von Vaduz als landesfurstlicher Commissarius den Vorsitz hat. Die oberste
BehSrde der Staatsverwaltung ist die nfurstliche Hofkanzlei" in Wien, welcher
der nLandesverweser" und ein nAdjunkt" (fiir die Justiz in erster Instanz) in Vaduz
unterstehen. Gesetze fiir Liechtenstein sind meistens die Ssterreicbischen.
B. Westliche Staaten.
§. 108. Das Kurfiirstenthum Hessen.
(Hessen-Kassel oder Kurhessen.)
173 QMeilen; — 756.000 (relativ 4832) Einwohner, — nberwiegend Pro-
testanten (uber 620.000 E.), an 120.000 Katholiken, dann Mennoniten nnd etwa 11000
Israeliten; — nach der Nationalitat vorwiegend Oberdentsche. — Bestand-
theile: das Hauptland, die Grafschaft Schaumbnrg, die Herrschaft Schmalkalden.
— Grenzen (des Hauptlandes) im N. Hannover, Prenssen, — im 0. Preussen,
Weimar, Baiern, — im S. Baiern, Hessen - Darmstadt, Frankfurt a. M., — im W.
Hessen-Darmstadt, Nassau, Preussen, Waldeck ; — Schaumburg ist von Hannover
and Lippe, — Schmalkalden von den sachsischen Herzogthumern und Preussen
begrenzt. — Konstitutionelle Erbraonarchie im lutherischen Hause Hessen nach
der Linealfolge mit dem Ilechte der Erstgeburt im Mannesstamme.
Boden. Kurhessen ist vorherrschend Bergland , am meisten
gebirgig ist Schmalkalden. Das Hauptland wird von Zweigen des
Spessart, der Rhon und des Vogelgebirges im Sttden, vom
Reinhards- und Habichtswalde im Norden durchzogen.
Schmalkalden ist vom Thiiringerwalde erfiillt, nach Schaum-
burg streichen Theile des ostlichen Wesergebirges (Siintel). —
Die ebenen Gegenden am Main und das Kinzigthal haben mildes,
die Gelande an der Rhon ein rauhes Klima.
Gewasser Die Fliisse des Landes gehoren dem grosseren
Theile nach zum Geader der Weser, im sudlichen Landestheile
zu jenem des Main. Der wichtigste Fluss ist die Fulda (mit der
Schwalm und Edder), welche sich mit der Werra (bei Miinden)
zur Weser vereinigt. Der Main ist auf einer kurzen Strecke
Grenzfluss und nimmt die Kinzig auf. — Kurhessen hat keine
Seen, aber viele fischreiche Teiche, auch mehrere Mineralquellen.
Politische Eintheilung. Das Kurfiirstenthum Hessen wird
in vier Provinzen eingetheilt :
1. Provinz Niederhessen und Schaumburg (80 QM., — 370.000 E.),
— Kassel (37.000), WilhelmshOhe, Karlshafen, Grossalmerode, Hof-Geismar, Esch-
wege, Witzenhausen. Allendorf, Rothenburg; — (in Schaumburg): Rinteln ;
2. Provinz Oberhessen (36 QM., — 130.000 E.); — Marburg (8000),
Ziegenhain. Frankenberg;
3. Provinz Fulda uiid Scbmalkalden (33 QM, — 140000 E.); —
Fulda (10.000), Hersfeld, Hunfeld; — (in Schmalkalden): Schmalkalden;
4. Provinz Hanau (23 DM., — 130.000 E.), — Ha nan (17.000), Geln-
hausen, Bockenheim, Nauheim.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Kurhessen ist vorzugsweiee ein procluzirendes Land. Die
Fruchtbarkeit des Bodens ist sehr verschieden; in einigen Theilen
deckt die Produktion nicht den Bedarf, in andern wird nur durch
Fleiss und Kunst ein massiger Ertrag abgerungen ; am fruchtbarsten
sind die Mainebene und das Werrathal. Die Getreideproduktion ge-
niigt nur in guten Jahren. Gutes Gemuse findet man in Hanau und
in der Umgebung von Kassel. — Unter den Handelspflanzen ist
der Flachsbau in Schaumburg und Niederhessen am bedeutend-
eten, Tabak wird viel im Werrathale und Hanau gepflanzt; in
letzterer Provinz gedeihen auch recht gutea Obst und Wein. — Die
Wiesenkultur macht bedeutende Fortschritte. — Die Forst-
kultur ist sehr ansehnlich und liefert bedeutende Mengen Holz
zum Export. — Die Viehzucht ist befriedigend, sie deckt hinlang-
lich den Bedarf. Relativ vorzuglich ist die Rindviehzucht, jene der
Pferde, Schafe und Schweine geniigt. Bliihend ist die Bienenzucht;
Fiecherei und Jagd gewahren reiche Ausbeute.
Der Bergbau liefert Eisen und Salz, Stein- und Braun-
kohle, dann Kupfer und Kobalt. Grosser Eisenbau ist urn Schmal-
kalden, Kupfer wird zu Richelsdorf, Kobalt zu Richelsdorf und
Bieber zu Tage gefordert. Salz liefern in bedeutender Menge die
Staatssalinen zu Allendorf, Nauheim und Bodenberg ; Steinkohlen
gewinnt man in Schaumburg , Braunkohlen in Niederhessen, —
Vortrefflichen Thon hat das Land bei Grossalmerode, von dem
grosse Quantitaten nach America exportirt werden; endlich viele
und gute Bausteine.
In der gewerblichen Industrie nimmt Kurhessen keinen be-
deutenden Rang unter den deutschen Staaten ein. Das niedere Ge-
werbe ist ziemlich verbreitet; Fabriken sind nur in grosseren Stad-
ten. Die G arnspinn erei und Leinweberei, der alteste In-
dustriezweig , ist im ganzen Lande als Nebenbeschaftigung des
Landmannes verbreitet, am betrachtlichsten in Niederhessen , dann
um Marburg und Fulda, und liefert sogar fur den iiberseeischen
Export. Die Wollweberei ist ansehnlich, besonders in Hersfeld,
Melsungen und Eschwege. Die Baumwollindustrie beginnt
sich auszubreiten, und sind Hersfeld, Fulda, Kassel, Hanau, Esch-
wege hierin nennenswerth. Hanau liefert Seidenzeuge ; auch die
Strumpfwirkerei , die Farbereien und Lederfabriken sind hier an-
sehnlich. Einen guteu Ruf geniessen ferners die Topferwaaren von
Marburg und besonders die Schmelztiegel von Grossalmerode,
dann die Blaufarben von Karlshafen. Die bedeutendsten Eisen-
undStahlfabriken sind in Schmalkalden und zu Steinbach im Thu-
ringerwalde; — Maschinen werden in Kassel gebaut; — Gold- und
Silberwaaren werden zu Kaesel und Hanau, Bijouteriewaaren in letz-
terer Stadt am schonsten verfertigt; Kassel liefert uberdiess Tapeten,
Tabak, Kattune, mathematische und physikalische Instrumente. —
Die wichtigsten Industrieorte sind: Hanau, Kassel, Hersfeld, Mel-
sungen, Eschwege und Bockenheim.
Der Handel ist lebhaft. Die schiffbaren Fliisse (Main, Weser,
Werra und Fulda), gute Landstrassen, Eisenbahnen und die alten
Handelswege zwischen Frankfurt und Leipzig, von Thiiringen nach
Westphalen befordern den Verkehr mit dem Auslande und zumeist
den Tiansithandel. Karlshafen, Eschwege und Hanau sind Haupt-
platze fiir den auswartigen Handel , Witzenhausen ist Stapelplatz
iiir die Almeroder-Waaren. Fur den inneren Handel ist Kassel,
J04
insbesondere die Kas?eler Ostermesse von Bedeutung. Die Werra-
stadte treiben vorzugaweise Getreidehandel. Die wichtigsten Aus-
fuhrartikel sind Leinwand und Garn (,,Hesaengarn"), dann Ei-
sen, Schmalkaldner Eisen- und Stahlwaaren, Thongeschirre, Holz
(nach Bremen), Salz und Hanauer Fabrikate; — Einf uhrartikel
sind Kolonialwaaren, Sudfruchte, Wein, Getreide, Wolle, Baum-
wolle, Seide und Seidenwaaren, Glaa, Luxus- und Galanterieartikel
aus Frankfurt. — Fiir die gei^tige Kultur ist gut gesorgt, die
Lehr&nstalten sind zweckmassig eingerichtet, und sowohl fiir gelehrte
als gewerbliche Bildung in hinreichender Anzahl vorhanden.
§. 109. Das Grosslierzogthmn Hessen.
(Hessen-Darmstadt.)
152 QMeilen, — 855.000 (relativ 5625) Einwohner, — fiber % Protestanten,
nahe J/s Katholiken, fiber 4000 ehristliche Sektirer, an 29.000 Israeliten; — nach der
Nationalitat zumeist Oher deutsche. Zwei durch das Gebiet von Frankfurt
und Kurhessen getrennte Landestheile und mehrere (18) kleine Exclaven. — Gren-
zen: im 0. Baiern, Frankfurt, Kurhessen, — im N. Kurhessen, — im W. Preussen
(Rheinprovinz) Nassau, Landgrafschaft Hessen, — im S. Baiern (Rheinpfalz), Baden.
— Konstitntionelle Erbmonarchie in mannlicher und weiblicher Linie des lutherischen
Hanses Hessen
Boden. Die natiirliche Bodenbeschaffenheit der beiden Landes-
theile ist verschieden. Der nordliche ist vorwiegend HQgel- und
Bergland ; im Osten ist das VogelsgebSrge, an welches sich
das hessische Hiigelland anschliesst, im Norden und Nord-
westen streichen Zweige des W ester w aides und dea Roth-
lagergebirges, im Siidwesten des Taunus in das Land; im
Siidwesten des Vogelgebirges breitet sich die wellenformige, frucht-
bare Ebene der Wetterau aus. Der sudliche Theil wird durch
den Rhein in zwei Parthien getrennt. In der ostlichen erhebt sich
der Odenwald mit herrlichen Thalern. An seinem westlichen
Rande zieht von Suden nach Norden (von Heidelberg nach Darm-
stadt) zwischen Weinbergen und der Ebene des Mittelrhein die
,,B ergstrasse," beruhmt wegen ihrer Naturschonheiten, des mil-
den Klima und der trefflichen Obstbaume. Rheinhessen (am linken
Rheinufer) ist im Ganzen ein Hiigelland, ausgezeichnet durch die
mannigfaltige Abwechslung des landschaftlichen Charakters, durch
ein mildes Klima und eine iippige Vegetation.
Gewasser. Die Fliisse gehoren grosstentheils zum Geader des
Rhein, welcher das Land von Worms bis Bingen durchfliesst und
den Neckar, den Main und die Lahn nebst mehreren kleineren Fliissen
aufnimmt. — Die F u 1 d a nimmt die Edder und Schwalm auf.
— Viele Weiher und Teiche ersetzen den Mangel an Landseen. —
Mineralquellen hat das Land mehrere, abar von keinem be-
deutenden Rufe.
Politische Eintheilung. Das Grossherzogthum Hessen wird
in drei Provinzen und diese in Kreise eingetheilt.
1. Provinz (Furstenthum) Htarkenbnrg (54., QMeilen, — 320.000 E.),
— Darmstadt (31.000), OEfenbach, Heppenheim, Ludwigjhall, Seligenstadt, Erbach ;
— (in Baden) Wimpfen
2. Provinz Rheinhessen (24., g^., — 228.003 E.); — Mainz (38.000),
Worms, Nierenstein, Laabenheim, Ingelheim, Bingen, Oppenheim, Alzey ;
205
3. Proviuz (Fiistenthum) Oberhessen (72, QMeilen, — 310.000 E.), —
Giessen (9000), Friedberg, Laubacb, Lauterbacb, Alsfeld.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die wichtigste Erwerbs- und Nahrungequelle der Bewohner
des Grossherzogihums Hessen ist die Landwirthschaft, welche
rationell betrieben \vird. Der Ackerbau liefert Getreide aller Art,
selbst zur Ausfuhr. Der Odenwald, der Vogelsberg und Rhein-
heesen sind reich an Futterkrautern , — Gemtise wird am vor-
zuglichsten um Darmstadt, Offenbach und Mainz, — Flaehs am
Vogelsberge, Hanf in Rheinhessen, Tabak in Rheinhessen und an
der Bergstrasse angebaut ; — der Hopfenbau reicht filr den inneren
Bedarf nicht aus. Obst kommt in Menge, besonders in den Rheiii-
gegenden, in der Wetterau und an der Bergstrasse, Wein von
bester Art am Rhein und an der Bergstrasse vor (Liebfrauen-
milch bei Worms, Nierensteiner, Laubenheimer, Bodenheimer). -
Sehr viel Holz liefern die Waldungen von Oberhessen und der
Odenwald; in Rheinhessen ist dagegen zum Theil Holzmangel.
Die Viehzucht wird am starksten in Oberhessen uud im siid-
ostlichen Starkenburg betrieben, und zwar vorziiglich die Zucht des
Rindviehes, der Schafe und Schweine ; — in Rheinhessen ist sie
im Allgemeinen nicht geniigend.
Der Bergbau wird relativ am starksten in Oberhessen, am
schwachsten in Rheinhessen betrieben; Hauptprodukte eind Eisen,
Kupfer, Braunkohle und vorzuglich Salz (ttber 200.000 Zentner),
welches in den Salinen zu Wimpfen, Salzhausen und bei Kreuznach
gewonnen wird.
Die gewerbliche Thatigkeit ist namentlich in der Lei n-
weberei, S tr umpf stricke rei und Wollweberei von ziem-
licher Bedeutung und fortschreitend. Die Leinwandfabrika«
tion hat ihren Sitz in Oberhessen (Lauterbach, Alsfeld, Schlitz,
Griinberg etc.); — die Baumwollindustrie ist von geringem
Belange, von grosserem die Tucherzeugung. obwohl in der Abnahme
(Fabriken in Michelstadt und Erbach, Tuchmacher in mehreren
Ortec); — bedeutender ist die Papier fa brikation, sowie die
Papiermache- Waaren, Tapeten u.dgl. in Darmstadt und Offenbach.
Letztere Stadt, die Hauptfabrikstadt des Landes, ist bekannt wegen
der ausgezeichneten Leder- besonders Po rtefeuille arbeiten,
der Holz-, Metall- und Lackirwaaien, des Maschinenbaues, der
Bijouterie-, Luxus- und Seidenfabriken. Weitere Produkte der In-
dustrie sind die Strohflechtereien (in Oberhessen), — die zahlreichen
Tabakfabrlken (Offenbacher Schnupftabak), — die Holzarbeiten, —
der Schiffbau in Mainz, chemische Fabriken, — grosse Mehl- und
Oelmuhlen, — die musikalischen Instrumente (Mainz, Darmstadt)
u. s. w. Von wohlthatigem E;nflusse auf das Gewerbewesen ist
der grossherzoglich hessische Gewerbeverein in Darmstadt,
eine der thatigsten und erfolgreichsten Anstalten dieser Art in
Deutschland.
Der Handel ist ansehnlich, zumeist der Durchfuhr- und Spe-
ditionshandel nach den untern Rheinlanden, nach Baden, Frank-
reich und der Schweiz. Die Dampfschiflahrt auf dem Rhein, dem
206
Main und dem Neckar, die beriihmte Bergstrasse, die Eisenbahn
von Frankfurt nach Heidelberg, sowie die andern Eisenbahnen und
die guten Landstrassen sind weeentliche Forderungsmittel dessel-
ben. Die bedeutendsten Handelsplatze sind Mainz, Offenbach,
Bingen, Worms, Darmstadt, Giessen und Seligenstadt. Speziell
sind bekannt : Worms fur Wein, Getreide und Leder, Mainz fur
Wein und Getreide, Offenbach fur Lederwaaren, Gernsheim
fur Pferde, Erbach und Alsfeld fur Wolle. Hauptartikel der
Ausfuhrsind: Getreide, Wein, Holz, Obst, Krapp, Hanf, Leinen-
und Wollwaaren, Offenbacher und Mainzer Fabrikate; — der Ein-
fuhr: Kolonialwaaren, Sudfruchte, Pferde, Schlachtvieh , Tnbak-
blatter, Seide, Papier, Glas, Kunstartikel u. s. f. — Forderlich filr
den Handel wirken zudem die Telegraphen, die drei Handelskam-
mern zu Mainz, Offenbach und Worms, die ,,Bank fur Handel und
Industrie" und die ,,Bank fur Suddeutschland" zu Darmstadt. —
Die geistige Kiiltur ist bedeutend , fur Volksbildung sowie fiir
spezielle Fachbildung und fiir gelehrte Ausbildung wird sehr gut
gesorgt. Die zahlreichen Handwerks-, Real- und Industrieschulen,
insbesondere die ,,h 6 h e r e G e w e r b e s c h u 1 e" i n D a r m s t a d t
iiben wohlthatigen Einfluss auf Industrie und Handel.
§ 110. Die Landgrafschaft Hessen-llomburg.
Die Landgrafschaft Hessen-Homburg, nahezu 5 QM. gross,
besteht aus den zwei getrennten Gebieten: Herrschaft Hom-
burg vor der Hohe, in der Wetterau gelegen, und der Herr-
schaft Meisenheim an der Nahe. — Der Boden ist im Ganzen
gebirgig, doch sehr fruchtbar, gut angebaut, reichlich bewassert
und das Klima angenehm. Beruhmt sind die Kochsalz - Wasser-
quellen inHomburg. — Die Bewohner, iiber 25.000 an Zahl, sind
deutschen Stammes, iiberwiegend Protestanten (nur an 4000 Ka-
tholiken, dann etwa 1000 Israeliten), und bewohnen vier Stadte,
34 Dorfer, mehrere Weiler und Hofe. Die Stadte sincl: Horn burg
(6000), Meisenheim (2600), Ottweiler (1600) und Merxheim (1400).
Die Hauptnahrungsquelle der Bewohner ist die Landwirth-
schaft, welche viel Getreide, Obst, Wein (in Meisenheim)
und Gemuse liefert. Die Waldungen sind ansehnlich. Von der
Viehzucht ist jene des Rindviehes und der Schafe besonders
bluhend. Bergbau wird (in Meisenheim) auf Eisen und Stein-
kohlen betrieben. — Die gewerbliche Industrie beschaftiget
sich mit Wollenzeug-, Leinen- und Strumpfweberei, sowie (Herr-
schaft Homburg) mit Garnapinnerei ; in Meisenheim auch Eisen-
fabrikation und zwei Glashiitten. — Im Handel ist vorzugsweise
die Versendung des Homburger Mineral wassers (jahrlich fiber 300.000
Kriige) bemerkenswerth.
Die Landgrafschaft ist eine unumschrankte Erbmonarchie im
lutherischen Hause Hessen.
§ 111. Das Herzogtlinm Nassau.
86 n^ei'en, — 432.000 (relativ 5023) Einwohner; — an 225.000 Protestan-
ten, gegen 200.000 Katholikcn, raehrere christliche Sekten und beilaufi-? 7(XXJ Israeli-
ten; — nach der National! tat Deutsche frixnkischen Stammes (auch einige Nach-
307
kommen franz5sischer Hugenotten). — Grenzen: im 0. Frankfurt, Kurhessen,
Hessen-Darmstadt. Preussen (Rheinpreussen), — im N. Preussen (Westpbalen, Rhein -
provinz), — im W. Preussen (Rheinprovinz), — im S. Hessen-Darmstadt. — Kon-
stitutionelle Erbmonarchie im lutherischen Hause Nassau.
Boden. Das Herzogthum Nassau ist fast durchgehends bergig
und von vielen Thalern durchschnitten. In der sfidlichen Halfte
erhebt sich zwischen dem Main und der Lahn der Taunus oder
,,dieHohe" von Nordosten nach Sudwesten streichend, — ein wal-
diges Gebirge, welches gegen die Lahn eanft, gegen Stiden hin steil
abfallt. Siidlich vom Taunus gegen den Rhein und Main breitet
sich das milde Rheingau aus, eine hochst fruchtbare, herrliche Land-
echaft. Nordlich von der Lahn wird das Land vom rauhen Wes t er-
walde durchzogen. Im Ganzen ist der Boden fruchtbar und 'gut
angebaut, einzelne Strecken gehoren zu den schonsten, am meisten
romantischen in Deutschland.
Gewasser. Alle Fliisse gehoren zura Geader des Rhein,
welcher von Biberich bis zur Lahn-Miindung Grenzfluss des Lan-
des ist. Auf einer kurzen Strecke ist der Main, der bei Hochst
die Nidda aufnimmt, ebenfalls Grenzfluss. Der bedeutendste Fluss
ist die echiffbare Lahn, welche mitten durch das Land fiiesst und
bei Nieder-Lahnstein mundet. In Nassau ergiessen sich in dieselbe
(links) : die Weil, Embs, Aar und der Miihlbach. — Seen hat das
Land keine , aber viele Weiher. Sehr reich ist das Land an Mi-
neralquellen (uber 150), unter denen jene von Wiesbaden,
Sellers, Ems, Fachingen, Geilnau, Schwalbach, Schlangenbad,
Soden, Weilbach u. a. besonders beriihmt siud, deren Wasser auch
vveit versendet wird.
Politische Eintheilung. Nassau wird in 28 Aemter eingetheilt.
Bemerkenswerthe One sind :
Wiesbaden (17.000), Biberich, Hochst, Johannisberg, Hochheim, Geisen-
heim, Rddesheim, St. Goarhausen, Sellers, Schwalbach, Scblangenbad, Fachingen.
Geilnau, Kronberg, Dietz, Holzappel, Ems, Nassau, Weilburg, Caus, Eltville, Limburg.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die wichtigsten Nahrungszweige der Bewohner sind die Land-
wirthschaft und der Bergbau. Der grosste Theil des Landes
ist gut kultivirt und gibt ansehnlichen Ertrag. Der Acker bau
wird sehr fleissig betrieben; in den hoberen Gegenden wird vorwie-
gend Roggen, an der Lahn und Aar vortrefflicher Weizen gebaut,
der namentlich in Holland sehr geschatzt wird. Sehr stark ist der
Rapsbau, der fur den Export lieiert; auch Flachs und Hanf erfreuen
sich guter Pflege; an Tabak werden jahrlich uber 150.000 Zentner
producirt. Nassau ist das Vaterland der edelsten, feurigsten Rhein-
weine (Johannisberg, Rudesheim, Markebrunn, Hochheim, As-
mannshausen u. a. — jahrlich an 70.000 Eimer). Der Obstbau
liefert Obst in Menge und von vorziiglicher Gate (grosse Baum-
schule in Dietz). — Die Wiesenkultur ist auegezeichnet ; die sehr
ansehnliche Forstkultur bietet viel Holz zur Ausfuhr.
Auf gleicher Hohe steht die Viehzucht. Die bedeutendste
Hornviehzucht ist am Westerwalde, wo auch ein betrachtlicher
Hand«l damit getrieben wird. Auf die Schafzucht wird in den
Lahngegenden grosse Sorgfalt verwendet, dessgleichen auf die Ver-
edlung der Pferde. Im Rhein ist die Fischerei bedeutend, und die
zahlreichen Forste sind reich an Wild. Mehrere landwirthschaft-
liche Vereine und Assekuranzen sind von wesentlichem Einflusse
fur die Hebung der Landwirthschaft.
Der Bergbau ist lebhaft. Ausser etwas Silber, Blei und
Kupfer wird viel Eisen von vorziiglicher Giite gewonnen, die Erz-
ausfuhr ist auch ziemlich bedeutend. Die Ausbeute an Braunkoh-
len (an 900.000 Zentner) ist erheblich, ebenso an Thon und schonen
Marmorarten (im Westerwalde); hiugegen an Salz nur wenig in den
Salzquellen von Soden.
Im Verhaltnisse zur Landwirthschaft und zum Bergbau ist
die* gewerbliche Thiitigkeit mit Ausnahme des sehr ansehnlichen
Huttenbetriebes eine nur geringe. Nur die Leinen- und Wollwebe-
rei, die Gerbereien (Idstein), Topferwaaren (steinerne Kruge bei
Selters) und die Papiererzeugung sind erwahnenswerth. Ferners
bestehen fiber 1000 Branntweinbrennereien und Bierbrauereien,
einige Schneide- und Pulvermiihlen und viele ^ottascbesiedereien.
Die grossten Eisenwerke sind im Westerwalde und an der Lahn.
— Zur Forderung der technischen Kultur ist (im J. 1856) der
,,Nassau'sche Kreditverein fur Handel, Industrie und Gewerbe"
(Grundkapital 12 Millionen Gulden) concessionirt worden.
Der Handel wird befordert durch die Schiffahrt auf dem
Rhein, dem Main und der Lahn, durch sehr gute Landstrassen und
Eisenbahnen. Nassau selbst ist jedoch kein Handelsstaat; den Ver-
kehr nach auswarts vermitteln Frankfurt, Mainz, Koblenz und
Bingen ; nur fur den Weinhandel sind Biberich, Eltville und Riides-
heim, fiir den Wollhandel Dietz bemerkenswerth. Zur Ausfuhr
gelangen: Wein , Mineral wasser, Eisen und Eisenwaaren, Vieh,
Wolle, steinerne Geschirre, Papier, Getreide aus dem Rheingau
u. a.; — eingefiihrt werden: Kolonialwaaren, Sudfriichte, Salz,
verschiedene Fabrikate (Tuch, Baumwollwaaren aus Preussen, Ga-
lanteriearbeiten u. s. f.).
Die Volksbildung ist bedeutend; sowohl die Volks- als
die Gelehrtenschulen erfreuen sich Jbesonderer Pflege. Fiir die
technische Ausbildung sorgen die Realschulen und Realgymnasien,
dann mehrere Spezialschulen, unter denen das landwirthschaft-
liche Institut auf dem Geisberge bei Wiesbaden besondere Hervor-
hebung verdient.
§. 112 Die freie S tacit Frankfurt am Main.
Das nicht ganz 2 QMeilen grosse, in neun getrennte Theile
zerstuckelte Gebiet der freien Stadt Frankfurt a. M. liegt an den
beiden Seiten des Main zwischen Kurhessen, Nassau und dem
Grossherzogthum Hessen. Der Boden ist eben und fruchtbar,
wird vom Main, der Nidda und Ursel bewassert und gut an-
gebaut, obwohl die Landwirthschaft den grossen Bedarf der star-
ken Bevolkerung nicht zu decken vermag. — Die Bewohner, iiber
76.000, sind iiberwiegend Protestanten , doch leben auch uber
11.000 Katholiken und an 5000 Juden in Frankfurt. Zum Ge-
biete des Freistaates gehoren zudem eine Vorstadt (S achedi 1 ai Mn
und 8 Dorfer.
£09
Frankfurt, seit 1816 der Sitz des deutschen Bundestagee, be-
sitzt zahlreiche M.mufakturen und Fabriken in Baumwollwaaren,
Seiden-, Gold-, Silber-, Bronce- und Galanteriewaaren, Wachstuch,
Tabak, Papiertapeten, mechanischen und physikalischen Instrumen-
ten, chemische Fabriken , Kupferdruckerschwarze , Eisengiesserei
u. s. f. — Wichtiger ist der Handel , Frankfurt ist eine der ersten
Handelsstadte Deutschlands. Die Lage am Main, die von alien
Seiten einmiindenden Landstrassen und Eisenbahnen, die zwei gros-
sen Messen tragen zur Bliithe des Handels nicht wenig bei, Ist
die Stadt auch der wichtigste Platz fur Deutschlands Handel in
Wein, Wolle, Seide, Leder, Tabak und Bauholz, so liegt der Schwer-
punkt doch im Wechsel- und Geldhandel, der Speditions-
handel ist von sehr grosser Auadehnung und auch der Buchhandel
ist betrachtlich. — Unter den Aktiengesellschaften sind jene der
frankfurter Bank," der ,,Rhein- und Main - Schiflahrt" und die
Versicherungsgesellschaft ,,Providentia" besonders bedeutend. —
Zahlreiche Vereine, Lehranstalten und Zeitschriften haben die For-
derung der technischen und geistigen Kultur zum Zwecke; insbe-
sondere entwickeln die wissenschaftlichen und Kunstanstalten und
Vereine in dieser Richtung eine hochst anerkennenswerthe Thatig-
keit, deren wohlthatiger Einfluss auch in den verschiedensten Zwei-
gen bemerkbar ist.
§. 113. Das Fiirstenthura Waldeck.
Das Furstenthum Waldeck, nahezu 22 QM. gross, besteht
aus zwei getrennten Parzellen. Waldeck, iiber 20 QM. gross,
ist* von Preussen und Hessen eingeschlossen, — Pyrmont, iiber
l'/2 DM., umgeben Lippe-Detmold, Hannover und Braunschweig.
Beide Landestheile sind gebirgig, vorziiglich der erstere; die Ge-
wasser gehoren zum Flussgeader der Weser. Nebst vielen Fisch-
teichen hat es einige Mineralquellen, unter denen der Stahlbrunnen
von Pyrmont der beruhmteste in Deutschland ist, von dessen
Wasser jahrlich iiber 400.000 Flaschen versendet werden. — Die
Bevolkerung belauft sich fiber 58.000 Seelen , welche mit
Ausnahme von etwa 1000 Katholiken und 500 Juden sammtlich
Protestanten sind. Die bedeutenderen Orte eind : A r o 1 s e n (2300
Einw.), Korbach (2300), Niederwildungen (2000) und Pyrmont
(1400).
1st auch der Boclen im Ganzen steinig und wenig fruchtbar,
so hat doch der Fleiss der Bewohner denselben fur den Acker-
bau derart giinstig gestaltet, dass er den Bedarf deckt , und in
gunstigen Jahren sogar fiir den Export liefert. Auch die Vieh-
zucht wird rationell und sorgfaltig betrieben und ubersteigt den
Bedarf. Der Bergbau wird zumeist auf Eisen , doch auch auf
Kupfer und Salz betrieben, und in der Edder wird etwaa Gold
gewaschen. Die gewerbliche Industrie ist von geringem
Belange. Der Handel geht auf der Weser nach Bremen, und um-
fasst in der Ausfuhr nebst dem Mineralwasser auch Erzeugnisse
der Landwirthschaft. Das Postwesen wird von Preussen verwaltet.
-- Waldeck ist eine konstitutionelle Erbmonarchie im lutherischen
Hause Waldeck.
Klun's nandels-Geographie. 2. Aufl. 14
810
§. 114. Das Grosskerzogtlium Luxemburg und das Herzogthum
Limburg.
(Siehe Konigreich der ,,Niederlande.")
C. Mittlere Staaten.
§. 115. Das Konigreich Sachsen.
272 nMe'len; 2,040.000 (relativ 7500) Einwohner ; — vorherrschend Pro-
testanten, an 37.000 Katholiken (darunter die regierende Familie), etwa
1200 Israeli ten ; — nach der Na tionalit at Oberdeutsche und gegen 50.000 Wend en
(slawischer Abkunft). — Grenzen: im 0. Oesterreich, Preussen, — im N. Preussen,
— im W. Preussen, Sachsen- Altenburg, Sachsen-Weimar, Reuss, Baiern, — im <S.
Oesterreich. — Konstitutionelle Erbmonarchie in der mannlichen und weiblichen
albertinischen Linie des Hauses Wet tin.
Boden. Der Boden des Konigreiches Sachsen ist zura Theile
hugelig und bergig, zum Theile eben. Beilaufig 2/5 des Areals ent-
f alien auf das Gebirgsland , eben so viel auf das Hiigelland, und
l/5 auf die Ebene. Der eiidliche Theil gehort dem mitteldeutschen
Gebirgslande an. Hier zieht sich das Erzgebirge langs der
bohmischen Grenze hin, an welches sich ostlich das niedere Elbe-
sandsteingebirge anschliesst. Dieses, zu beiden Seiten der
Elbe gelegen, zeichnet sich durch schroffe Felemassen in den sonder-
barsten Gestalten , durch freistehende Felsenkegel , tiefe und enge
Abgriinde, romantische Thaler, Hohlen und Felsenepalten aus, und
heisst die ,,sachsische Schweiz." Noch weiter gegen Osten
erhebt sich das Lau sitzer-Geb irge (der wohlische Kamm)
als das nordlichste Glied der Sudeten. Gegen Norden geht das
Bergland in sanfter Abdachung in das Hiigelland, und dieses in
das Flachland fiber, welches allmalig den Charakter der norddeut-
schen Tiefebene annimmt. — Das Erzgebirge und das Voigtland
(Elstergebirge zwischen der Zwickauer Mulde und Saale) haben
rauhes Klima und wenig ergiebigen Boden ; milder ist das Hiigel-
land, am angenehmsten im fruchtbaren Elbethale.
Gewasser. Dae Land ist gut bewassert und gehort mit Aus-
nahme eines sehr geringen Theiles (in der Oberlausitz) zum Ge-
biete der Elbe, welche auf ihrem 16 Meilen langen Laufe durch
Sachsen von Dampfschiften befahren wird. Ihre bedeutenderen
Nebenfliisse eind : Am rechten Ufer die schwarze Elster und
die Spree; auf dem linken die' Mu Ide , welche aus der Zwickauer-
Mulde (mit der Chemnitz) und der Freiberger - Mulde (mit der
Zschoppau) entsteht (bei Grimma), dann die weisse Elster (mit
der Pleisse), welche der Saale zufliesst; — alle diese Gewasser er-
giessen sich jedoch erst ausserhalb Sachsens in die Elbe. -- Die
Lausitzer-Neis se fliesst der Oder zu. Eigentliche Seen hat
das Land nicht, aber viele Teiche (um Moritzburg). Auch Mine-
ralquellen gibt es in nicht unbedeutender Anzahl.
Politische Eintheilung. Das Konigreich Sachsen zerfallt in
4 Kreisdirektions-Bezirke, welche in Amtshauptmannschaften und
Aemter eingetheilt sind. Die Reichshaupt- und Residenzstadt des
Konigs ist : J't'Litv*
J|jp«sdeiL(ll6o0>Einwohner), in lieblicher Gegend an der Elbe, uber welche
2 steinerne Bracken ffihren. KSnigl. Schloss mit dem ngrunen Gewolbe" und sehens-
werthen Kostbarkeiten ; neues Museum mit der beruhmten Bildergallerie ("Sixtinische
211
Madonna von Raphael, die hell. Nacht von Correggio), Kupferstichkabinet ; der
Zwinger mit dem histor. Museum, Naturaliensammlung; japaniscber Palast mit der
Bibliothek , Antiken-, Miinz- und Porzellansammlung ; schOne kathol. Hofkircbe,
Frauen- und Kreuzkirche. Akademie der Kunste, mediz.-chirurg. Akademie, poly«
technische und Kriegsschule, Handelslehranstalt, 2 Gymnasien nnd zahlreicbe Privat-
lebranstalten. — Industrie in physik. und chirurg. Instrnmenten, Bijouterien, Tapetea
u. a ; Bierbrauereien, Riibenzuckerfabrik, Stuckgiesserei, kunstliche Mineralwasser
{Struve's Anstalt). Lebhafter Handel nnd Verkehr auf der Elbe und den Eisenbah-
nen; Wollmarkt; sehr starke Fremdenfrequenz (das ndeutsche Florenz"). Der
Plauen'sche Grund durch geognostische Merkwurdigkeiten, Steinkohlengruben uud
industrielle Etablissements ausgezeichnet. In der Nahe des kSnigl. Lustschlosses
Pillnitz (an der Elbe) der Eintritt in die vielbesucbte ^sachsische Schweiz." —
Nachst der Residenzstadt verdient besondere Hervorhebung : Leipzig (70000) an
einem Arme der weissen Elster und an der Pleisse, mit einer im J. 1409 gestifteten
Universitat, 2 Gymnasien, Conservatorium fiir Musik, Zeichenakademie, polytechni-
scbe und Handelsschule, zahlreiche Anstalten fiir Beforderung von "Wissenschaft,
Kunst, Gewerbe und Handel. Allgemeine deutsche Kredit-Anstalt, Bank, Diskonto-
kasse, ritterschaftlicher Kreditverein ; ausjredehnte Industrie in Bijouterien, Leder,
Kunstblumen, Mssser- und Nadelwaaren, Wachstuch, Liqueure, musikalische Instru-
mente, Oelraffinerien. Grossartig sind die Buchdrnckereien in alien Bicbtungen die-
ses Kunstzweiges. Leipzig ist der Mittelpunkt des deufschen Binnen- und des nord-
deutschea Buchhandeis und nachst Hamburg die erste Handelsstadt Deutscblands ; auf
den 3 Messen grossar tiger Waarenverkehr. — Sieg der "Verbundeten iiber Napoleon in
der grossen Schlacht vom 16.— 18- Oktober 1813.
Andere bemerkenswertbe Orte sind :
1. Kreisdirektion Dresden (79 HM., — 520.000E.): Dresden
Tharand, Pillnitz, Pjrjia^ Schandau, ^Konigstein^ Meissen. Lommatsch,
Altenberg.
2. Kreisdirektion Leipzig (63 QM., — 450.000 E.):
Hubertsburg, Grimma., Wurzen, Oscnatz, Dobeln. Hainichen. "
. KreTsdlrektion ^^yickan ffis flMeii . - 750.000 F.inw
r Marienberg, Annaberg, Zschoppan. Frankenberg, Mittweida, Chemnitz
(32.000), Johann-Georgenstadt. Eibenstock, GlauchauJ80t«9e)? Schneeberg, Werdan,
Crimmitschaa Plauen_, Reichenbach.
47 KrelsflireKtion Baujztm. CnOberIausitz" 45 QMeilen, — 300.000 E.):
Ban t z en (11 000). Kamenz. -LobauT Herrnhut. Zittau, Waltersdorf, Gross-Schonau,
Hifschfeld', Ostritz. —
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Das Konigreich Sachsen gehort in jeder Beziehung zu den
kultivirtesten Landern Europa's , und der Wohlstand des Landes
hat in der grossen Thatigkeit seiner intelligenten Bewohner eine
sichere und feste Grundlage. Der Boden ist zwar mehr bergig als
eben, in grossen Strichen (wie im hohen Erzgebirge) sogar mager;
dessungeachtet werden fast alle gewohnlichen Produkte in reichem
Masse gewonnen, weil die sehr rationell betriebene Landwirth-
schaft auf einer hohen Stufe steht. Trotz der Sorgfalt jedoch,
welche dem Ackerbau zugewendet wird, deckt der Ertrag an
Getreide nicht den Bedarf der in Deutschland relativ dichtesten
Bevolkerung. Den fruchtbarsten Getreideboden haben die Gegen-
den um Meissen (Lommatsch'scher Pflege), Pegau, Leipzig, Grimma,
Leissnig, sowie um Bautzen^ Lobau und Zittau; dagegen gedeihen
iin rauhen und gebirgigen Siiden des Zwickauer Kreises nur Hafer
wnd KartofFeln. — Der Anbau der Hulsenfru chte ist allgemein;
•die Wiesenkultur wird insbesondere im Erzgebirge und in den
Elbeniederungen gepflegt. Unter den Handelspflanzen sind
Raps und Rubsen (Dresden, Meissen, Oschatz, Leipzig), der Flachs
14*
212
im Erzgebirge, im Voigtlande und in der Lausitz (Jahresproduk-
tion iiber 23.000 Zentner), der Tabak um Dresden und Leipzig
(jahrlich an 900 Zentner), die Weberkarde (Lommatsch, Pegau,
Dobeln u. s. w.), endlich Hopfen, Krapp und Saflor erwahnens-
"vverth. — Der verbreitete Obetbau (Dresden, Meissen, Leipzig,
Kodlitz) liefert vorziigliche Qualitaten , die ,,Borsdorfer Aepfel"
bilden einen ansehnlichen Handelsartikel zumeist nach Nord-Europa.
Auch an der Hebung des Weinbaues (zwischen Pillnitz und
Meissen) wird ernstlich gearbeitet. — Die Forstkultur ist aus-
gezeichnet und erfreut sich eines europaischen Rufes. Der grosse
Reichthum an Waldungen, namentlich im Erzgebirge, deckt nicht
nur den bedeutenden Bedarf des Hiittenbetriebes , es gelangt Holz
auch zur Ausfuhr. Fiir die Ausbildung der gesammten Landwirth-
schaft und des Forstwesens besteht die k. landwirthschaftliche und
Forstakademie zu Tharand.
Unter der bedeutenden Viehzucht nimmt die sachsische Schaf-
zucht nicht bloss in Sachsen, sondern in ganz Deutschland den
ersten Rang ein , und liefert einen der ausgezeichnetsten Rohstoffe
(,,sachsische Elektoralwolle'') fur die inlandische Industrie und zur
Ausfuhr. (Wollproduktion jahrlich an 12.000 Ztr.) Beriihmt sind
die k. Schafereien zu Rennersdorf (bei Stolpen), Hohnstein und
Lohmen (sachsische Schweiz). — Ihr zunachst steht die Rind-
viehzucht im Voigtlande und im Erzgebirge ( erzgebirgische
Butter, voigtlandisches Mastvieh). Von geringerer Bedeutung ist
die Pferdezucht, auch jene des Borstenviehes ist nicht ausreichend,
Viel Federvieh halten die Wenden, die Bienenzucht kommt in der
Lausitz vor, und fur die Seidenraupenzucht beeteht eine Muster-
anstalt in Leipzig.
In Hinsicht des Bergbaues behauptet Sachsen ebenfalls den
ersten Rang unter den deutschen Staaten, Hierin hat es in wiseen-
schaftlicher wie in technischer Beziehung eine hohe Stufe der Voll-
kommenheit erreicht, und die beruhmte Bergakademie in Freiberg
tragt hierzu vorziiglich bei. Der Hauptsitz des Bergbaues und
Hiittenwesens ist das Erzgebirge, namentlich Freiberg.. Der Me-
tallbergbau erstreckt sich auf eine grosse Menge von Erzen ; am
bedeutendsten ist die Gewinnung silber haltiger Erze, der Zinji-^
Eisen- und Kobalterze. Die Anzahl der gangbaren Sergge-
baude (Gruben und Stollen) betragt an 400, die meisten um Frei-
berg. Die Ausbeute betragt jahrlich beilaufig an Silber 80.000
Mark, an Eisen 150.000 Zentner, uber 700 Zentner Zinn u. s. w.
im Gesammtwerthe von mehr als 1 '/2 Million Thaler. — Reiche
S^inkohle nl^g er sind im Plauen'schen Grunde, bei Dresden
und Zwickau, "BTa iink ohle nla_g_er vorzugsweise uin Zittau und
an mehreren Sfetten^~3er" (JberlausHzT Endlich besitzt das Land
viel Torf (auf dem Erzgebirge), Kalk- und Sandsteine (Pirna), vor-
treff liche JPprzellanerde (bei Aue) ; mehrere Arten von E d e 1 s t e i-
nen (im Erzge"blrge~)7~a1's Opale, Karneole, Rubine u. s. w. — Nur
Salz fehlt, doch erhalt es dieses nach einer besondern Ueberein-
kunft von Preussen zu einem bestimmten Preise.
Von grosserer Wichtigkeit als die Urproduktion ist in Sachsen
213
die gewerbliche Industrie, die Hauptgrundlage des Nationalreich-
thums. Schon seit Jahrhunderten genossen die sachsischen Fabri-
kate einen wohlbegriindeten Ruf und in neuerer Zeit haben sie eine
solche Vollkommenheit erreicht, dassSachsen zu den ersten Industrie-
staaten Europa's geburt. Mehr als die Halfte der Bevolkerung fin-
det bierin ihre Hauptnahrungsquelle und ausser Grossbritannien
besitzt kein Land verhaltnissmassig so viele Fabriken als Sachsen.
— In der Gross-Industrie nimmt die Baum w ollf abrikation den-''
ersten Rang ein. Der Hauptsitz der Spinnerei und Weberei ist
CJ^emjLLta-, die erste Fabrikstadt Sachsene, dann Plauen, Franken-
T>erg, Zschoppau, Mittweida, das ganze Voigtland, ein Theil der
Oberlausitz (um Zittau). ,,Chemnitzer - Waare" nennt man
Kattun, Piqud, Tiicher, Strumpfwaaren, halbseidene und halbwollene
Modezeuge, — , JE* I a u.ejilsdae -W-a a r e" sind feine, weisse Baum-
wollengewebe, oder'lSloirffselm, Schleier, Gaze, genahte Waare,
- und ,,Sebnitzer- Waare" bunte Halbleinen, besonders
lich. Die Kattun- und Kaliko-Druckereien sind in und um Chem-**T
nitz, auch in Leipzig, — Strumpfwaaren in den Bezirken Chemnitz,
Augustusburg und Stollberg, — ferner baumwollene Bander, Posa-
mentirarbeiten u. s. f. um Annaberg, Buchholz, Scheibenberg u. a. O.,
— Bleichen zu Chemnitz, Glauchau, Wersau. Die Fabrikate haben
auch im Auslande, selbst auf den iiberseeischen Markten (Strumpf-
waaren, Kattune und Mousseline) guten Absatz und ehrenvollen
Ruf. — Von kaum geringerer Wichtigkeit ist die auf das ausge-
zeichnete sachsische Rohprodukt sich stiitzende JWoll waaren-
iabrikation, und die Fabriken in Tuch, CasimirpMerinos, Thi-
&ef; FlaheTT, Band- und Strumpfwaaren, Miitzen setzen ihre fast
durchgehends auegezeichneten Fabrikate in den Nachbarlandern,
aber auch in Amerika und im Oriente ab. Die Tuchfabrikation
sowohl in hochfeiner als mittelfeiner Waare wird sehr ausgedehnt
betrieben und arbeitet fur den Export; am starksten
(Werdau, Crimitschau, Reichenbach, Kirchberg u. a.), dann Oschatz,
Bischofswerda, Grossenhain, Kamenz, Bautzen, Zittau u. s. w. Un-
ter den Kammwollfabrikaten nehmen die Thibets, Merinos und die
leichten Gewebe einen hohen Rang ein, worin Reichenbach im
Voigtlande eehr vortheilhaft bekannt ist. — Der alteste Industrie-
zweig des Landes ist die Fabrikation von L^in-e-a-w^-ar^», wo-
rin die Lausitz, vorziiglich Zittau nebst tlmgebung den Haupt-
sitz bildet. Die Leinendamaste von Gross- und Neu-Schonau und
Waltersdorf, die Zwilliche und Drells des letzteren Ortes stehen
unerreicht da; erstere zieren die Tafeln der Fiirsten und sind ge-
sucht auf alien Markten. Die Handspinnerei des Flachses ist zwar
im ganzen Lande ausgebreitet, doch ist sie am vorzuglichsten in
der Oberlausitz. Die eachsischen Spitzen, Blonden und ausgenah-
ten Waaren aus dem Erzgebirge (Annaberg, Schneeberg, Johann-
Georgenstadt, Schonheide, Eibenstock u. a. O.) konkurriren mit
Erfolg mit den schweizerischen, englischen und belgischen Waaren.
Die zahlreichen Kloppel- und Nahschulen tragen zur Vervollkomm-
nung dieses Industriezweiges nicht wenig bei. — Die wachsende
Fabrikation inSeidenwaaren kommt zumeist in Annaberg, Chem-
214
m'tz, Frankenberg und Penig vor. Die bedeutenden Pa pier fa-
briken von Bautzen, Leipzig, Plauen u. s. f. decken nicht den gros-
sen Bedarf der zahlreichen und ausgedehnten typographischen An-
stalten von Leipzig, des wichtigsten Platzes in Deutschland in dieser
Richtung. — Sehr bliihend ist die Industrie in Metal] waaren,
Die grossten Eisenhammer und Walzwerke sind um Zwickau, Schnee-
berg und Potschappel bei ^JineadeD, — Maschinenwerkstatten in
Chemnitz. — Bekannt sind endlich die: Lederarbeiten, chemischen
^abrikate, leonische Gold- und Silberwaaren in Freiberg-, — Holz-
waaren iin Erzgebirge ^Seifen^ — die musikalischen Instrumente
in Leipzig und im VoigtlancTe, — ausgezeichnetesJPoj^LeJlan in Meis-
sen^ und Zwickau, — vortreffliche Farben (Meissen, Zwickau, Dres-
? aen) , — Strohwaaren auf dem linken Elbeufer , Tabakfabriken,
iBierbrauereien , Branntweinbrennereien , SchriftgiessereTeif, BucF-
druckereien u. s. w. — Zahlreiche Gewerbvereine, sehr gut be-
stellte technische und gewerbliche Schulen und die permanente In-
dustrieausstellung in Leipzig fcirdern den Aufschwung der sachischen
Industrie.
Die ausgebreitete gewerbliche Thatigkeit hat einen lebhaften
Handel im Gefolge. Die Elbeschiffahrt, die zahlreichen, gut unter-
haltenen Landstrassen , die Eisenbahnen, die Bank zu Leipzig und
andere Kreditanstalten , die Borsen , die Leipziger Messen fordern
den sachsischen Handel, der in Hinsicht auf die Leipziger Mes-
sen (Ostern, Michaelis und Neujahr) mit Recht Welthandel genanut
werden kann. Auf diesen Messen entwickelt sich ein ausgedehn-
ter und vielseitiger Verkehr, wie nur auf wenig Platzen der Erde,
und der Waarenumsatz betragt im jahrlichen Durchschnitte an 75
Millionen Thaler. Nicht nur fast alle europaischen Lander schicken
hieher ihre Kaufer und Verkaufer, auch Asien (vornehmlich aus
Armenien, Grusien, Persien) und Amerika sind dabei vertreten. —
Die Ausfuhr umfasst alle friiher genannten Kunsterzeugnisse des
sachsischen Gewerbfleisses (im Jahre 1856 im Werthe von 216 Mil-
lionen Thaler); — bei der Einfuhr sind ausser Kolonialwaaren,
sonstigen iiberseeischen Importartikeln und den Rohprodukten fiir
die Industrie auch Getreide, Salz, Wein, bohmisches Glas, Papier
u. s. f. im Werthe von etwa 186 Millionen Thaler (im Jahre 1856)
vertreten. Der Kommissions- und Speditionshandel, wie auch die
Wechselgeschafte sind in Leipzig gleichfalls sehr bedeutend. Leip-
zig ist endlich der Hauptort des Buch hand els fur die ganze
civilisirte Welt; auf den sachsischen Buchhandel entfallt ungefahr
der sechste Theil der gesammten deutschen Buchhandlerschaft und
in Leipzig bestehen an 150 Buchhandlungen (davon etwa 50 reine
Verlagshandlungen). Ausser Leipzig sind wichtigere Handelsplatze:
Chemnitz, Dresden, Plauen, Zwickau, Zittau und Bautzen. Be-
deutende Wollmarkte werden jahrlich zu Leipzig und Dresden ge-
halten.
Eine so hohe Stufe in der physischen und technischen Kultur
setzt einen bedeutenden Standpunkt in der geistigen Kultur eines
Volkes voraus. Der Einfluss von Wissenschaft und Kunst auf die
Urproduktion, auf Gewerbe und hohere Industrie, auf den Handels-
215
verkehrist unbestreitbar ein machtiger; — ist er auch unmittelbar
dem gewohnlichen Auge nicht sichtbar, so wird er bald fiihlbar in
dem Wachsen des Nationalwohlstandes , in dem Kampfe mit der
Konkurrenz des Auslandes. In der That -mount Sachsen in der
geistigen Bildung einen der ersten Platze unter den deutschen
Staaten ein; in alien Volksklassen ist ein erfreulicher Fortschritt
bemerkbar. — Die unterste Stufe bildet die Volksschule , welche
jedes Kind vom sechsten Jahre an durch 8 Jahre^u besuchen hat.
Sowohl die gelehrten Schulen, als die technischen und sonstigen
sehr zahlreichen Spezialschulen sind trefflich eingerichtet und ge-
niessen sorgfaltige Pflege und Unterstiitzung. Die polytechnische
Schule in Dresden, die mittleren Gewerbeschulen (in Chemnitz,
Zittau, Plauen), die Baugewerkschulen (Dresden, Chemnitz, Leipzig,
Plauen, Zittau), die Bergakademie in Freiberg, die Akademie in
Tharand, die landwirthschaftliche Anstalt zu Liitzschena bei Leipzig,
die Handelsschulen , Buchhandlerschule, Kloppel-, Weber-, Stroh-
flecht-, Nab-, Stick-, Zeichnenschulen u. s. f. haben glanzende Er-
gebnisse bereits geliefert, und Sachsen auf die hohe Stufe der Bil-
dung und Kultur, zu heben mitgeholfen, auf welcher wir es jetzt
erblicken. /^ir/ \
16. Das Grossherzogtluim Sachsen- Weimar-Eisenach.
Das 66 QMeilen grosse Gross herzogthum besteht aus drei
grosseren, von einander getrennten Landestheilen und 23 Enklaven,
und ist von etwa 264.000 meist lutherischen Thiiringern bewohnt,
unter denen an 11.000 Katholiken und gegen 1500 Juden leben.
Die grSsseren Landestheile sind: ,
Kreis Weimar (33 DM., — 134.000 E.), Weimar (13.000), Jena. (7000), &
Apolda.
Kreis Nenstadt (11 QM., — 48.000 E.), Nenstadt an d e r O r 1 a (6000/1
Kreis Eisenach (22 Q]M-> — 82.000 E.), Eisenach (11.000), Ruhla (zur
Halfte).
Die grOsseren Parzellen sind I Ira en an, Altstedt, Ostheimnnd Kalten-
n 0 r d h e i m.
Der Boden ist theils Berg-, theils Hiigelland, ebene Strecken
finden sich nur in den Flussthalern. Am gebirgigsten ist das Fiir-
stenthum Eisenach, im Norden vom Th-uringcrwal4-«-(Wart-
burg 1315'), im Suden vom Rhongebirge durchzogen , von der
Werra und deren kleinen Zufliissen bewassert. — Der Kreis Wei-
mar liegt im Thiiringer Hugellande, durch welches die Saale
mit der Ilm und einigen anderen Fliisschen den Lauf nimmt. —
Ilmenau liegt im Thiiringerwalde , Altstedt auf dem sudostlichen
Abhange des H a r z e s , der Kreis Neustadt gehort dem V o i g t-
1 a n d e an. f ^> V/A o^v^j
Der Boden ist (mit wenigen Ausnahmen) fur den Acker fr
nicht besonders gunstig; doch hat der Fleiss der Bevolkerung viele
natiirliche Hindernisse besiegt und den Ertrag derart gesteigert,
dass die Produktion in der Regel den Bedarf vollstandig deckt.
Der ostliche Theil erzeugt viel Roggen und Gerste, um Altstedt
Weizen, in den gebirgigeren Gegenden Hafer; im westlichen Theile
ist die Ernte nicht ausreichend. Hulsenfruchte, Gemuse und Kar-
tofteln werden in Menge produzirt. An Handelspflanzen werden
216
viel Flachs, Hanf (an der Saale) , Riibsamen, Mohn (in Eisenach),
etwas Hopfen und mehrere "FarFekrauter gewonnen. Der Obstbau
ist namentlich bei Ostheim bedeutend; die Forstkultur liefert Holz
iiber den Bedarf (Eisenach, Neustadt), und die Wachholderbeeren
gelangen zum Export. — In der Viehzucht steht am hochsten
jene der Schafe, zunachst steht die Rindviehzucht (Eisenach, Neu-
stadt) und die Borstenviehzucht ; die Jagd gewahrt reiche Beute.
— Der Bergbau auf Eisen (Ilmenau), Kupfer (Eckartshausen),
Stein- und Braunkohle ist unwichtig. Salz liefert die Saline Wil-
helmsgliickbrunn (bei Kreuzberg an der Werra).
Fehlen auch grossere Fabriken , so ist die gewerbliche
Thatigkeit im Kleinen doch beachtenswerth, namentlich in Ei-
senach und Ruhla. Die wichtigsten Gewerbe sind: Die Woll- und
Leinweberei (Neustadt, Weida), die Strumpfweberei in Apolda;
Ilmenau erzeugt Eisenwaaren, Glas, Porzellan, — Ruhla Eisen- und
Holzwaaren, vorziiglich Pf eifenkopfe ; — Flanellfabrikation ist in
Lengsfeld; bekannt ist die Stein- und Kupferdruckerei in Weimar
(insbesonders gute Landkarten aus dem geographischen Institute).
Der Handel hat in neuerer Zeit zugenommen, er wird durch
die thuringische Eisenbahn und die Bank in Weimar gefordert. Zur
Ausfuhr gelangen: Wolle, getrocknetes Obst, Beeren, Woll- und
Leinenwaaren, Kurzwaaren aus Ruhla, Fabrikate aus Eisenach und
Ilmenau, Topferwaaren , Landkarten aus Weimar. Bedeutsamer ist
der Transithandel. Hauptplatze des Handels sind Weimar (mit be-
deutenden Wollmarkten) und Eisenach.
Die geistige Kultur steht auf einer hohen Stufe. Die Volks-
bildung sowie die hohere wissenschaftliche und gewerbliche Bildung
erfreuten sich seit jeher besonderer Pflege, Weimar uud Jena haben
stets einen grossen Einfluss auf die geistige Entwickelung des Ge-
sammtvaterlandes ausgeubt ; ein grosser Theil von Deutschlands gross-
ten Mannern wirkte in diesem kleinen Lande (Gothe, Schiller, Herder,
Wieland). Zahlreiche Anstalten fiir WissenschaftundKunst sichern dem
Landchen einen bleibenden Einfluss in dieser Richtung auch fiir die
Zukunft.
§. 117. Das Hcrzogthum Saclisen-Meiningen-HjlAtou'ffliau&cu.
Das Herzogthum Sachsen-Meimngen-Hildburghausen zieht sicli
in der Hauptmasse am eiidlichen Abhange des Thiiringerwaldes hin,
wahrend zwei grossere Gebiete und eilf Parzellen davon getrennt
sind (Krannichfeld zwischen Preussen, Weimar und Schwarz-
burg, — Kamburg zwischen Preussen und Weimar). Auf den
46 [jjMeilen leben an 166.000 meist lutherische Bewohner *
Stadten, mehreren Marktflecken und Dorfern.
Die bedeutendsten Orte sind: Meining^n (7000 E.\ Hildburghanscn (5000 E.),
Salzungen, Saalfeld, Sonnenberg, Possneck, Eisfeld, Wasungen, Steinach.
Das Land ist gebirgig und hat fruchtbare Thaler mit gutem
Ackerbaue und ansehnlichem Viehstande. Das Bergland gehort theils
dem Thuringerwalde, theils der ostlichen Rhon an. Fast das
ganze Land durchstromt die Werra, einen kleineren Theil die
Saale, welche die zahlreichen Flusschen des Landes aufnehmen.
Die Hauptprodukte der Landwirthschaft, der wichtigsten
Erwerbsquelle, bilden Getreide, Obst, Tabak, Gartengewachse und
217
Futterkrauter; der Ackerbau liefert jedoch nicht hinreichend Ge-
treide. Die Forstkultur ist sehr bedeutend. Reich ist das Land an
schonem Rindvieh und Schafen. — Der Bergbau liefert Eisen
(bei Steinach), Steinkohlen, viel Schiefer (bei Sonnenberg und Saal-
feld), sehr viel Salz (Salzungen, Neusulza, Friedrichshall), Kupfer
und Porzellanerde.
In der sehr lebhaften gewerblichen Industrie sind hervor-
zuheben: die starke Eisenfabrikation (im Oberlande, um Saalfeld),
— die Webe- und Wirkwaaren, die Glas- und Porzellanfabriken in
Lauscha bei Steinach, — die Blech- und Holzwaaren, Papiermache"-
arbeiten, Schiefertafeln, Spielwaaren in und um Sonnenberg, — die
Messerschmiedwaaren in Steinbach und Wasungen , — dann che-
mische und Farbwaaren-Fabriken, Gerbereien, Topfereien, Brannt-
weinbrennereien, Tabakfabriken, Getreide-, Schneide- und Schusser-
miihlen u. s. w.
Der Handel ist verhaltnissmassig ziemlich bedeutend und
hierin nimmt Sonnenberg den ersten Platz ein, welches seine ,,Son-
nenberger Waaren" bis nach America versendet. Auf der Werra
ist starke Holzflb'sserei ; ferners werden ausgeftihrt: Mastvieh, Eisen
und Eisenwaaren, Glas, Farben, Porzellan, Grafenthaler Wetzsteine
und Schiefertafeln. Forderlich fiir den Handel sind die ,,Landes-
Kreditanstalt" und die Bmitteldeutsche Kreditbank fiir Industrie und
Handel" zu Meiningen, sowie mehrere landwirthschaftliche und ge-
werbliche Vereine.
Die Volksbildung ist erfreulich vorgeschritten ; fiir gewerbliche
und gelehrte Bildung wird durch mehrere Lehranstalten bestens
Sorge getragen.
§. 118. Das Ilerzogthum Sachsen-Koburg-Gotha.
Dieses Herzogthum besteht aus zwei^ durch Sacnsen-Meinin-
gen und Preussen von einander getrennten Gebieten, dem Herzog-
thume Koburg und dem Herzogthume Gotha (und mehreren Enkla-
ven). Jenes liegt am eudlichen, dieses am nordlichen Abhange des
Thuringerwaldes. Der Flacheninhalt betragt an 37 QMeilen mit
151.000 meist protestantischen Einwohnern, welche in 9 Stadten und
mehreren Marktflecken und Dorfern leben.
Die wichtigeren Orte sind: ^jiluurg (10.000), Ehrenburg, Neustadt; —
G_q,tha ^lo.oWi. Waltershausen (Schnepfenthal), Ohrdruf, Friedrichsroda, Tambach,
' Slanenzella (oder Zella), Ruhla (zur Halfte).
Der Boden von Koburg ist fast durchgangig Hugelland, von
Gotha gebirgig. Koburg gehort dem frankischen Hugellande
an, Gotha ist zumeist von dem nordostlichen Abhange des ThiU
ringorw aides bedeckt. In den ebeneren Gegenden ist der Boden
sehr fruchtbar, das Klima der Produktion zutraglich. — Beide
Landestheile sind gut bewassert. Koburg durchfliesst die Itz,
welche mehrere Fliisschen aufnimmt und nach Baiern zur Miindung
in den Main tritt. In Gotha sind die Leine (spater Horsel ge-
nannt), die Nesse (Nebenfliisse der Werra), und an der nordost-
lichen Grenze die Un strut (Nebenfluss der Saale).
Die wichtigste Nahrungsquelle der Bevolkerung ist die sorg-
faltig betriebene Landwirthschaft, welche namentlich in Gotha
218
viel Getreide, Hiilsenfriichte, dann Flachs, Obst, Anis, Koriander,
Kiimmel , Hopfen und Arzneikrauter liefert. Die Forstkultur ist
hochst bedeutend, der Thiiringerwald hat Ueberfluss an Holz. In der
Viehzucht ist der grosse, starke Schlag der Kinder benierkens-
werth, die Schafe sind meist veredelt, die Pferde von dauerhafter
Race ; die Waldungen beherbergen sehr viel Wild. — Bergbau
findet auf Eisen, Braunstein, Kobalt und Steinkohlen statt ; dann
werden gewonnen Thon und Porzellanerde, vortreffliche Miihlsteine
(Krawinkel bei Ohrdruf), Marmor und Salz.
Die gewerbliche Thatigkeit ist in Gotha viel lebhafter
als in Koburg. Zu den wichtigsten Erzeugnissen gehoren die Garn~
spinnerei und Leinenweberei in den Gebirgsgegenden, — die be-
riihraten Bleichen in Friedrichsroda, — Eisen- und Kupferwaaren
in Blasienzella, Ohrdruf, Ruhla, — Holzwaaren in Ruhla, — Por-
zellan in Gotha, — Lederwaaren, chemische Fabrikate in Gotha
und Koburg, — mehrere Steinschleifereien, Marmormiihlen, Brannt-
weinbrennereien, Tabak- und Seidenfabriken etc. ; — beriihmt sind
die Landkarten und geographischen Lehrmittel aus dem Verlage
von Perthes in Gotha.
Der Eigenhandel ist ziemlich ansehnlich, auch der Transit
ist beachtenswerth. Zum Export kommen: Farbe- und Arzneikrau-
ter, Garn , Leinwand, Ruhla'er Metall- und Holzwaaren (Messer,
Pfeifenkopfe , Pfeifenbeschlage), Theer, Kienruss, Porzellan, Mar-
morkugeln, Gotha' er Landkarten. Die wichtigeren Platze sind Gotha,
Koburg, Neustadt und Ruhla; die zwei ersten versorgen das Land
mit Kolonialwaaren. — Bedeutende Geschafte unterhalt die Feuer-
und Lebensassekuranz-Anstalt in Gotha. Auch die wZettel- und
Diskontobank," die ,,Privatbank" und die ,,Koburg-Gotha'sche Kre-
ditanstalt" entwickeln ansehnliche Thatigkeit. — Die Fliisse sind
nicht schiffbar , doch fordern die thiiringische Eisenbahn und die
guten Landstrassen den Verkehr. — Die Volksbildung steht im All-
gemeinen auf hober Stufe; fur Unterricht und Erziehung bestehen
sehr gute Lehranstalten, und zahlreiche Anstalten fur Wissenschaft
und Kunst iiben einen erfreulichen Einfluss.
§. 119. Das Herzogthnm Sachscn-AItenbur^.
Das Herzogthum Sachsen-Altenburg, iiber 24 QMeilen gross,
und von etwa 134.000 lutherischen Thiiringern bewohnt, besteht aus
zwei, durch Gera und den Weimarer Kreis Neustadt von. einander
getrennten Landestheilen. Der Gstliche Theil, von der Pleisse
und deren Zufliissen bewassert, liegt auf dem aussersten Nordabfalle
des sachsischen Berglandes, ist hugelig, fruchtbar, vortrefflich an-
gebaut und bringf viel Getreide, Hanf, Flachs und Obst hervor,
hat bedeutende Viehzucht, aber keinen Bergbau. Die Einwohner,
welche sich durch eine eigenthumliche Tracht und altherkommliche
Sitten auszeichnen , scheinen urspriinglich wendischen Stammes zu
sein. Die wichtigeren Orte sind: A 1 1 e nb u r ^ (16.000), Ronneburg,
Schmolln, Gossnitz, Meuselwitz. *^~"
Der westliche Theil liegt theils im sachsischen, theils im
thiiringischen Berglande, ist bergig und waldig, weniger fruchtbar
219
und von der Saale bewassert. Die wichtigeren Orte sind: Eisen-
berg (5000), Kahla, Roda.
Die gewerbliche Industrie ist von geringem Belange.
Grosse Fabriken, wie im benachbarten Konigreiche Sachsen, finden
sich nicht. Erwahnenswerth sind nur wenige Gewerbe: die Wollen-
und Leinweberei, die vortreffliche Gerberei (Altenburg, Kahla, Ei-
senberg), Topferei (Altenburg, Kabla), Porzellan- und Steingut-
Fabrikation , Ho.lzwaaren und die Verarbeitung einiger Boden-
Erzeugnisse.N t
Der Handel ist ziemlich bedeutend. Aus dem Osttheile wer-
den exportirt : Getreide, Vieh, Wolle, Wollgarn, aus dem Westtheile:
Brenn- und Nutzholz und Holzwaaren. Auch der Durchfuhr- und
Speditionshandel ist ausgedehnt und Altenburg, der anaehnlichste
Handelsplatz, macht grosse Wechselgeschafte. Die Leipziger Eisen-
bahn und die Saale fordern den Verkehr.
Die geistigeKultur desVolkes steht auf erfreulicher Hohe;
Volksschulen , gelehrte und technische Anstalten sind in entspre-
chender Anzahl vorhanden.
§. 120. Das Furstentbum Schwarzburg-Sondersliauscn.
Die Lander der beiden Fiirsten von Schwarzburg bestehen
ausser einigen kleinen Parzellen je aus zwei Theilen : der oberen
und der unteren Grafschaft (Oberherrschaft und Unterherrschaft).
Schwarzburg - Sondershausen hat den grosseren Theil der Unter-
herrschaft.
Schwarzburg - Sondershausen , mit einer Gesammtflache von
15 QMeilen und von etwa 62.000 lutherischen Thiiringern bewohnt,
besteht aus einer Ober- und einer Unterherrschaft. Die Oberherr-
schaft, aus zwei grosseren Gebieten bestehend, liegt am Nordab-
hange des Thiiringerwaldes und im Thiiringer Hiigelland ; die
Gebiete sind durch Weimar'sches , Rudolstadt'sches und Koburg-
Gotha'sches Gebiet getrennt, und von der Gera und Una bewasserf.
Bemerkenswerthe Orte sind: Arnstadt (6000), Breitenbach, Geh-
ren, Langewiesen. **
Die Unterherrschaft, zwischen Preussen und Schwarz-
burg-Rudolstadt, dehnt sich fiber einen Theil des Thiiringer Hiigel-
landes aus und wird von der Helbe und Wipper bewassert. Grossere
Orte sind: Sondershausen (6000), Greussen.
Der Boden ist in der Unterherrschaft fruchtbarer, das Klima
milder. Die Land wirthsch aft wird rationell betrieben und der er-
giebige Ackerbau liefert in der Unterherrschaft Getreide fiber den Be-
darf. Kartoffel- und Flachsbau sind sehr ergiebig, Gartengewachse und
Obst werden in erheblicher Menge gewonnen. Die Forstkultur lie-
fert Holz ffir den Export. Die Viehzucht, namentlich des Rind-
und Borstenviehes wie der meist veredelten iSchafe ist bliihend. Der
Bergbau geht auf Eisen (bei Gehren), Blei, Mfihlsteine, Salz (Fran-
kenhausen), etwas Silber und Kupfer. — Die gewerbliche In-
dustrie ist von geringer Bedeutung, am starksten in und um Arn-
stadt. Relativ am bedeutendsten sind : die Garnspinnerei, Lein- und
Wollweberei, der Hiittenbetrieb und die Metallwaaren* Weiters die
Gerbereien, ein paar Porzellanfabriken und Glashiitlen, musikalische
Instrumente zu Breitenbach. — Der Handel ist geringe. Zur
Ausfuhr kommen : Holz und Holzwaaren , musikalische Instru-
mente (Drehorgeln), Eisenwaaren, Arzneikrauter. Arnstadt ist der
bedeutendste Handelsplatz. Zu Sondershausen besteht die ^thilrin-
gische Bank" (Zettelbank und Hypotheken-Institut). — Der Volks-
unterricht wird zweckmassig geleitet , die geistige Kultur ist
befriedigend.
§. 121. Das Fiirstentlium .Sf^wnr^ffrpj.Rudol8tadt._
Das Furstenthum Schwarzburg-Rudolstadt, Imt einer Flache
von 17 QMeilen und 69.000 lutherischen Thiiringern, hat den gros-
seren Theil der Oberherrschaft. Die Ober herrsch a f t besteht aus
einem grosseren und mehreren kleinen Gebieten, liegt zwischen den
sachsischen Herzogthilmern und Schwarzburg - Sondershausen am
Nordabhange des Thiiringerwaldes, und wird von der Saale, der Ilm
und einigen Flusschen bewassert. Der Boden ist meist steinig , das
Klima rauh. — Grossere Orte sind : Rudolstadt (6000 E.), Ilm,
Konigsee, Oberweissbach , Blankenburg.
Die Unterherrschaft breitet sich im Thiiringer Hiigel-
lande (Kyfihauser 1400') zwischen Schwarzburg- Sondershausen und
Preussen aus , ist von der Wipper durchflossen, hat einen sehr er-
giebigen Boden und ein milderes Klima. — Wichtigere Orte sind:
Frankenhausen (5000 E.), Schlotheim.
Der Produktenreichthum besteht in Getreide, Kartoffeln,
Flachs, Obst, etwas Wein (Frankenhausen), Holz und Waldproduk-
ten. Der Viehstand ist erheblich. Der Bergbau liefert etwas
Silber (bei Leutenberg;, Eisen, Kupfer, Blei, Schwefel, Steine und
Porzellanerde; bei Frankenhausen ist eine Saline (60.000 Zentner
Salz).
Die Industrie ist schwunghafter als im benachbarten Fiir-
stenthume. Bekannt sind die Medizinalwaaren von Oberweissbach.
Wollenzeug- und Leinweberei sind ziemlich belangreich (in Ilm),
dessgleichen die Branntweinbrennereien und Bierbrauereien , einige
Glashiitten , Papiermiihlen und die Holzwaaren. In Konigsee ist
eine Bleiweiss- und eine Farbenfabrik, in Frankenhausen eine grosse
Runkelrubenzuckerfabrik und Leimsiedereien; zahlreiche Gerbereien
sind zu Leutenberg, zu Blankenburg eine Lederfabrik u. s. w. —
Zum Export gelangen Salz, Holz, Getreide, Eisenwaaren, Wollen-
zeuge, Porzellan u. dgl. — Frankenhausen hat ansehnlichen Woll-
handel. Einige Gewerbevereine und das wohleingerichtete Schul-
wesen sind anerkennenswerthe Forderungsmittel der physischen,
technischen und geistigen Kultur im aufstrebenden Fiirstenthume.
§. 12%. Das Fiirstenthnm Reusa iilterer Linie.
Das Furstenthum Reuss alterer Linie oder Reuss-Greiz ist
ein gebirgiges, nicht ganz 7 QMeilen grosses Landchen, im Voigt-
lande und im Frankenwalde gelegen, welches durch das Fursten-
thum Reuss jungerer Linie in drei Gebiete getrennt ist. Es wird
von der weissen Elster und der Saale bewassert, ist reich bewaldet,
hat in den Thalern einen fruchtbaren Boden und gemassigtes Klima.
221
Die Zahl der Bewohner betragt nahezu 40.000, welche in zwei
Stadten, Greiz (8000), Zeulenroda (5500), zwei Marktflecken und
mehreren Dorfern leben.
Die Landwirthschaft wird zwar rationell betrieben , der
Ackerbau liefert Getreide, Kartoffeln, Flacha, Garten- und Hiilsen-
fruchte, jedoch wegen der gebirgigen Bodenbeschaffenheit und der
ausgedehnten Waldungen fiir den Bedarf nicht ausreichend. — Die
Viehzucht, beaonders des Rindviehes und der Schafe ist bedeu-
tender, das wichtigste Landesprodukt ist Holz. — Der Bergbau lie-
fert nebst Eisen viel Schiefer und Sandstein, — Die gewerbliche
Industrie ist in wollenen und baurawollenen Stoffen zu Greiz und
Zeulenroda recht lebhaft, unter dera Landvolke sind die Spinnereien
und Holzarbeiten verbreitet. — Der gesammte Handel konzentrirt
sich in den genannten zwei Stadten ; zur Ausfuhr kommen nebst
Holz und Vieh die erwahnten Industrie - Erzeugnisse , vorzuglich
Striimpfe, Miitzen und Eiaenwaaren. — Fiir die geis tige Kultur
der Bevolkerung wird bestens gesorgt.
§. 123. Das Furstenthum Reuss jungerer Linie.
Dieses Fiirstsnthura, etwa 15 n^eilen gross und mit einer
Bevolkerung von 80.000 Seelen, liegt im Frankenwalde und im
Voigtlande , wird von der Saale , der weissen Elster und mehreren
Flusschen bewassert, und beeteht aus drei grosseren nebst einigen
kleinen Bestandtheilen. Die grosseren Gebiete sind die Herrschaf-
ten Schleiz, Lobenstein und Ebersdorf, Gera und Saalburg. -
Die bedeutenderen Orte sind; Schleiz (6000 E.), Gera (14.000),
Lobenteein, Ebersdorf, HohenlEuben, .Langenwetzendorf, Kirschdorf,
Kostritz.
Das Land ist theils gebirgig, tbeils hiigelig, mit weiten Tha-
lern und kleinen aber fruchtbaren Ebenen. Die Land wirthschaf t
wird sorgfaltig betrieben und liefert in den meisten Landestheilen
Getreide iiber den Bedarf, dessgleichen viel Flachs, Rubeamen und
Obst. Der Vieh stand, insbesondere des Rindviehes, ist sehr be-
deutend und bildet den Hauptreichthum des Landes; auch gibt es
mehrere veredelte Schafereien. Die Forstkultur ist von Wiehtigkeit.
— Der Bergbau geht auf Eisen und Salz, ersteres im Loben-
steinischen , das zweite liefert die Saline Heinrichshall (bei Gera) ;
auch Alaun, Vitriol, Porzellanerde, Topferthon und Schiefersteine
werden gewonnen. — Die Industrie ist recht lebhaft, namentlich
in Wollle und Baumwolle in fast alien obgenannten Orten. Die be-
deutendste Fabrikstadt ist Gera (Gerbereien, Farbereien, Tabak-,
Hut- und Kutschenfabriken, Eisengiesserei, Bierbrauereien, Brannt-
weinbrennereien u. s. f.), die Bierbrauereien von Kostritz sind be-
riihmt ; vortheilhaft bekannt sind die Eisen werke zu Saalburg, die
chemische Fabrik in Heinrichshall u. s. w. — Der Handel um-
fasst nebst den Fabrikaten noch Holz, Schlachtvieh , Butter und
Kase. Der wichtigste Handelsplatz ist Gera, bedeutend sind uber-
diess: der Holz- und Ochsenhandel zu Saalburg, der Ochsenhandel
zu Tanna, sowie die Platze Schleiz, Lobenstein und Hirschberg.
Zu Gera besteht eine Handelskammer und die »Gera'er Bank." —
222
Das Furstenthum 1st durch hohe geistige Kultur ausgezeichnet
und auch hierin stehen die gelehrten, gewerblichen und kommer-
ziellcn Lehranstalten in Gera obenan. Zu Ebersdorf haben die
Herrnhuter eine Erziehungsanstalt.
D. Norddeutsclie Staaten.
§. 134. Das Kunigreich Preussen.
5103 qMeilen; — 17,200.000 (relativ 3370) Einwohner, darnnter an 6l°/0
Protestanten (in Pommern, Brandenburg, Sachsen, Ostpreussen, Schlesien), 37% Ka-
tholiken (in Ilheinpreussen, Posen, Westphalen), dann Dissidenten und Israeliten; —
uach der National! tat etwa 7o°/n Deutsche, an 4 Millionen Slawen und Jnden. —
Der 6stliche Theil hat 4227 QMeilcn, fiber 12,500.000 Einwohner, — der west-
liche 855 QMeilen, iiber 4'/2 Millionen Einwohner, — Hohenzollern 21 n^ei-
len, fiber 63000 Einwohner, — Gebiet am Jahdebusen V4 QMeile mit 230 Ein-
wohnern. — Untheilbare konstitntionelle Erbmonarchie. Die Krone ist in dem Man-
nesstamme des protestantischen Hauses Hohenzollern nach dem Kechte derErst-
geburt und der agnatischen Linealfolge erblich.
Das Konigreich Preussen besteht aus zwei getrennten Haupt-
theilen, dann einem isolirten Gebiete in Siiddeutschland — Hohen-
zollern — und mehreren kleinen , auf fremdem Gebiete liegenden
Enklaven. Es grenzt mit geringen Ausnahmen an alle deutschen
Bundesstaaten.
Boden. Der ostliche Haupttheil bildet mit geringen Ausnah-
men eine ebene oder wellige Flache ; nur am sudlichen Rande der-
selben sind einige Gebirge, als: die Sudeten, der Ha rz und der
Thiiringerwald. Der Boden gehort im Ganzen zu dem minder
fruchtbaren , besonders sind die Gegenden zwischen der Elbe und
der ostlichen Grenze Preussens eine nur durch reichliche Bewasse-
rung und fleissigen Anbau veredelte, von einzelnen fruchtreichen
Strichen unterbrochene Sandflache. Die Gegenden westlich der Elbe
hingegen gehoren zu den fruchtbarsten in Deutschland. — Der west-
liche Haupttheil zu beiden Seiten des Rhein ist grosstentheils Hii-
gel- und Bergland , und wird von Aesten des Weser gebi rges,
des Wes ter \valde s, des Hunsriick, der Eifel und der ho-
hen Veen durchzogen ; nur der nordliche Theil ist eben. Die lange
Kiiste an der Ostsee ist durchaus flach, den Versandungen ausge-
eetzt und bildet keinen bedeutenden Hafen.
(Siehe das norddeutsche Bergland S. 29.)
Gewasser. Preussen wird im Norden von der Ostsee bespiilt
(siehe §. 102), daa Jahdegebiet liegt an der Nordsee. —
Die Flu's s e der beiden Haupttheile ergiessen sich in diese zwei
Meere ; Hohenzollern hingegen gehort zum Donaugebiete. In die
Ostsee fliessen: die Memel (Nje'men), der Pregel, die Weich-
s el, die Oder (siehe S. 49); — in die Nordsee: die Elbe, die
Weser, die Ems, der Rhein (siehe S. 50). — Die vielen Seen
eind Strand- und Landseen, Die meisten und grossten liegen in
Ost- und Westpreussen, in Brandenburg und Pommern. Die Zahl
der Siimpfe und Moore verringert sich immer mehr, sie werden in
trockenes und fruchtbares Land verwandelt. — Kan ale sind sehr
zahlreich, welche theils zur Schiffahrt, theils zum Holzflossen, theila
zur Entwasserung dienen. (Siehe §. 102.) — Preussen besitzt end-
lich viele Mineralquellen, besonders in Schlesien, in der Rhein-
provinz und Westphalen (Aachen, Kreuznach, Rehme und Salzbrunn
in Schlesien).
Politische Eintheilung. Die preussische Monarchie wird
mit Ausnahme des ,,Regierungsbezirkes der hohenzollern'schen
Lande" und des ,,Jahdegebietes" in acht Provinz en eingetheilt.
Jede Provinz wird in mehrere Regierungebezirke (zusammen
25) und jeder Bezirk inKreise, welche von Landrathen verwaltet
werden, getheilt. Ausser den zwei Provinzen Preussen und Posen
gehoren alle andern zum deutschen Bunde.
Die Haupt- und Residenzstadt ist Berlin (450.000 Einw.) an beiden Ufern
der Spree, Sitz aller hohen StaatsbehGrden. Die Stadt hat neuerbaute, regelmassige
Stadttheile, sehr schone Strassen und offentliche Platze, unter denen der Wilhelms-
platz mit Bildsaulen preussischer Generale; der Lustgarten; der Pariserplatz an dem
schonen (mit der Quadriga geschmuckten) Brandenbnrger Thore. Die Friedrichs-
strasse ; Munter den Linden"; Opernplatz, Gensdarmenplatz, das Schloss, Museum,
Universitats- und Bibliothekgebande, die kathol. HedwSgskirche u. v. a. Berlin ist
Mittelpunkt fur Wissenschaften und Kunste in Norddentschland ; auch Industrie und
Handel nehmen ungemeinen Aufschwnng. Akademie der Wissenschaften, der bil-
denden Kunste und mechaniscben Wissenschaften, Universitat (irn J. 1810 gestiftet)
mit ausgezeichneten Anstalten und Sammlungen, 6 Gymnasien u'nd viele andere
SpeziaJ- und Mittelschulen, sowohl offentliche als private. — Viele Fabriken und
Gewerbe fur Seiden-, Baumwoll-, Gold-, Silber- und Lackwaaren, Mobel, Maschinen,
Eisengusswaaren, Porzellan; Borse; bedeutende Geldinstitute ; wichtiger Buch- uud
Wollhandel. Viele Humanitats- und Sanitatsanstalten.
Andere bedeutendere Orte sind:
1. Provinz Braiideuhurg. — 734 Q M., — 2,254.000 (relativ 3076)
Einwobner: XlftbOO, „
Berlin (450.000). 8 <~v*Jl*4^-*^ L
l.Wvu.'Vtt. Potsdam: Potedttm C41.000), Sanssouci, Charlottenburg, ^paa-
dau, Brandenburg, Neu-Ruppin, Prenzlow ; l~i &
2. Reg. -Be z. Frankfurt: Frankfurt an der Oder (33.000.., _Kustrin, Gu-
Jifin^. Kottbus, Landsberg. ^lillichau, Krossen, Sorati. ±.
2. Proviiiz~ToDlinerj>, — 577 QM., — 1,290.000 (relativ 2240) Ein-
wohner: •*£
l.Reg.-Bez. S te t tin : _S t e 1 1 i n 02 OOO), Swinemunde (auf der Insel Usedom),
Stargard, Wollin (auf deTTnTeTlVollin) ; v
2. Reg.-BezT"ST?"alsund: StralsuntL (20.000). Greifswalde. Bergen (auf der
Insel Rugen), Wolgast, BanEI
3. Reg. -Be z. Koslin: Ko slin (10.000), Koljberg, Stolpe.
"
3. Provinz Sachs^JL — 460 QM., — '"1,862.000 (relativ 4040) Einwohner :
l.Reg.-Bez. Magdeburg: Magdeburg (78000., Schonebeck, Halbsrstadt,
Quedlinburg, Ascherslebun, Burg, Wernigerode, Sal/.wedel ;
2.Reg.-Bez. Mersebnrg; Merseburg (12.000). Halle. Wittenberg, Torgau,
Naumburg. Eisleben. Zeitz, Ufrtzen, Rossbach;
3. Reg.-Bez. Erfurt: Erfurt (34.000), Langensalza, Nordhauscn, Miihlliau-
sen^Sahl. \A
4. Provinz , Schlesien, — 742 QM.. — 3,182.000 (relativ 4300) Einwohner:
l.Reg.-Bez. w> "<«»' Kj^«l n n^"A29. nnn)| Brieg, Glatz, Schweidnitz, Wal-
denburg, Reichenbach, Frankenstein ^ ^
2. R e g. - B e*z. L i e g n i t z : L i e g n i t z (14.000), Gorlitz, Glogan, Grunebergj Hirsch-
berg, Schmiedeberg, Jauer, Zillerthal, Goldberg, Bunzlau;
3.Reg.-Bez. Oppeln: Oppeln (8400), Neisse, Jiosel, Katibor, ^leiwitz^Tar-
nowitz, Malapane. Tr*""
5. Provinz Posen. — 536 QM-, — 1,3&3.000 (relativ 2600) Einwohner:
l.Reg.-Bez. Posen: P OAiJL (^,000), Meseritsch, _Ljssa, Krotoschin, Hempen,
Rawicz ;
2. Reg.-Bez. Bromberg: Brombertr (10.000^. Gnesen.
6. Provinz Jic£ussiui, — 1178 nM-> — 2.637jOoTr(relativ 2240) Einwohner:
l.Reg.-Bez. Konigsberg: KOnigsberg (83.000), Pillau, Memel, Brauns-
berg; — - - —
' f »/> t
224
2. Reg.-Bez. Gumbinnen: Gumbinnen (7000), Tilsit, _Inst£tliurg, Lotzen,
Trakehnen;
3. Reg. -Bez. Danzig! Danzig (70.000), Weichselmiinde, Marienburg, Elbing;
4.Reg.-Bez. Marien werder: Marienwerder (CSOU). Thorn, ^Grauilenz?
7. Provinz Westphalen, — 368 QM., — 1,527.000 (rclativ 4150) Ein-
wohner :
1. Reg.-Bez. Munster: Munster (26.000), Warendorf, Bocholt;
2. Reg.-Bez. Minden: Minden (14.000), Bielefeld, Paderborn, Herford, H5x-
ter, Korvey ;
3. Reg. -Bez. Arnsberg. Arusberg (5000), Iserlohn , Soest, Hamm (in der
Emperstrasse : Hagen, Gewelsberg, Schwelm, Langerfeld), Altena, Dortmund,
Bochum.
8. Rheinprovinz, — 487 QM-> — 3,040.000 (relativ 6240) Einwohner:
I.Reg. -Bez. K6ln (100.000), Bonn, Deutz, Miihlheim;
2. Reg.-Bez. Dusseldorf: Dusseldorf (30.000), Elberfeld (42.000), Krefeld
(46.000), Barmen (42.000) — das Wupperthal — , Solingen, Reroscheid, Cleve,
Wesel, Kaiserswerth, Ruhrort, Burscbeid, Lennep, Mtihlheim, Duisburg, Kempen,
Geldern ;
3. Reg. -Bez. Koblenz: Koblenz (26.000), Ehrenbreitstein, Rhense, Kreuz-
nach, Neuwied, Andernach, Wetzlar;
4. Reg.- Be 2. Trier: Trier (20.000), Saarbrucken, Saarburg, Saarlouis;
5. Reg.-Bez. Aachen: Aachen (54.000), Burtscheid, Stollberg, Eschweiler,
Eupen, Malmedy, Montjoie, Jiilich.
9. Fiirsteiitiiiini Hohenzollern, — 21 QM., — 63.000 (relativ 3040)
Einwohner:
Sigmaringen (2700), Hechingen (3600), Burg Hohenzollern.
10. Hafengebict des Jahdebnsens. Das Kriegshafengebiet zu beiden
Seiten des Jahdebusens ist von Oldenburg begrtnzt und hat seine eigene unter der
Admiralitat stehende Verwaltung.
Die kleineren preussischen Gebietstheile oder Enklaven, die in andern Slaa-
ten liegen, sind: Dnckow, Zettemin, Peenwerder, Rottmannshagen, Rutzenfelde,
Karlsruhe, Pinnow und Lindow (6 QM. znm Reg.-Bez. Stettin) in Mecklen-
burg - Sch werin; — Benneckenstein, Hehlingen, Wolfsburg, Hesslingen, Luch-
tringen, die Enklave bei Calvorde und der Regenstein (9 QM.) in Braun-
schweig; — Schierau, Priorau, Most, PSssigk, Repau, LQbnitz und Klinkow
(7.3, DM0 in An halt: — Kischlitz in Altenburg; — Mollschiitz, Alt-
lijbnitz (l.M QM.) in Meiningen; — Wandersleben, Muhlberg (3.;s QM.)
in Goth a; — der Kreis Ziegenriick zwischen Reuss, Rudolstadt, Meiningen,
Weimar; — Gefell, Sparenberg, Blankenburg, zum Theil Blintendorf in Renss-
Schleiz; — Schleusingen, zwischen Gotha, Kurhessen, Meiningen, Weimar ;
— Wetzlar zwischen Grossherzogthum Hessen und Nassau; • — • Lugde in
Lippe; — Gross-Menow in Mecklenburg; — die Grenzdorfer Porep, Suckow,
Drenikow und das Rittergut Wolde gemeinschaftlich mit Meoklenburg-Schwerin.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Im Konigreiche Preussen sind guter, mittlerer, sandiger oder
felsiger Boden in ziemlich gleichem Verbal tnisse vorhanden, aber auf
verschiedene Weise in den einzelnen Landestheilen vertheilt. Trotz-
dem bildet die Landwirthschaft, mit welcher sich mehr als die
Halfte der Bevolkerung beschaftigt, eine der Hauptquellen des Er-
werbes. Am sorgfaltigsten wird sie in den Provinzen Sachsen, Schle-
sien, Brandenburg, in Pommern und Preussen betrieben. Der Acker-
bau, der immer mehr an Ausdehnung gewinnt, liefert Getreide so-
gar zum Export. Die getreidereichsten Provinzen sind Sachsen,
Schlesien, Posen, Preussen und die Rheinprovinz; relativ werden
weit mehr Roggen und Hafer als die ubrigen Getreidearten ange-
baut , doch ist der Export an Weizen mehr als doppelt so gross,
denn jener des Roggens. Am ausgedehntesten ist der Weizenbau
225
im ostlichen Schlesien, dann um Magdeburg, Erfurt, in Pommern
(Stralsund) , in den Niederungen der Weichsel , in den Bezirken
Aachen und Dusseldorf; — Spelz im Grossen nur in der Rhein-
provinz; — Roggen in Preussen, Schlesien und Westphalen, doch
ist der preussische auf den auslandischen Markten der geschatzteste ;
— die Jahresernte an H a f e r ist die relativ starkste. Unter den Hiil-
senfruchten nimmt der Anbau der Erbse den ersten Rang ein. Von,
hoher Bedeutung ist der Kartoffelbau, namentlich in den ost-
lichen Sandgegenden (uber 280 Millionen Scheffel). Gem use ist in
alien Theilen reichlich vorhanden, feinere Sorten vorzuglich im
Rheinthale. Die Runkelriiben, zumeist ffir die steigende Zucker-
fabrikation, gewinnen immer mehr an Ausdehnung , namentlich in
Schlesien , Sachsen , Brandenburg und in der Rheinprovinz. Der
Flachs, welchen man unter den Handelspflanzen am meisten kul-
tivirt, wird am starksten und sorgfal tigs ten in Schlesien und West-
phalen (den Hauptsitzen der Leinenindustrie) gebaut, und gelangen
erhebliche Mengen noch zur Ausfuhr. Die Produktion an Hanf
deckt hingegen nicht den Bedarf . Der Raps ist stark verbreitet,
am starksten in den Bezirken Magdeburg und Erfurt. Krapp
komrat besonders in Schlesien (Breslau), Waid um Erfurt und in
der Rheinprovinz, Safflor um Erfurt und in Schlesien vor. Die
Cichorie wird um Magdeburg und in Schlesien, Karden um
Breslau, Halle, Burg und Aachen angebaut. Hopfen wird nicht
genQgend produzirt; an Tabak wird am meisten in Brandenburg,
am wenigsten in Westphalen gewonnen (Jahresproduktion etwa
220.000 Zentner). — Durch Gartenkultur sind ausgezeichnet
Erfurt, Halberstadt, Magdeburg, Berlin, Dusseldorf und vorzuglich
Schlesien. Das beste Obst wachst am Rhein und an der Mosel. —
Hinsichtlich des We i n b a u e s ist nur die Rheinprovinz von Bedeutung,
auf welche an 80% des gesammten Weinbodens entfallen; doch ist
die Qualitat nach den Flussgebieten verschieden. Die Jahreeproduk-
tion (mit etwa y, Million Eimer) deckt nicht den Bedarf. — Bei-
nahe 20% der Gesammtflache nehmen die Wai dun gen ein. Den
grossten Holzreichthum hat die Provinz Preussen, zunachst stehen
Schlesien , Brandenburg und die Berggegenden der Rheinprovinz.
Wenig Holz findet sich in den Bezirken Dusseldorf, Merseburg,
Erfurt und Minden. Der Holzbedarf des Landes wird im Allgemei-
nen gedeckt.
Mit den Fortschritten des Wiesenbaues und des Ackerbaues
hat sich die Viehzucht zwar gehoben, doch hat sie die wiinschens-
werthe HOhe noch nicht erreicht. Am bluhendsten ist die Schaf-
zucht (iiber 16 Millionen). Ueber 30% sind Merinos, an 50%
halbveredelt, die ubrigen Landschafe. Am starksten ist die Zucht
in Brandenburg (Potsdam), Schlesien und Sachsen ; geringe in West-
phalen und in der Rheinprovinz. Zu Frankenfelde (im Bezirke Pots-
dam) ist eine Stamm- und Musterschaferei mit einem ,,Schafer-
Lehrinstitute." — Die Rind viehzucht hat sich bedeutend gehoben;
schones Rindvieh wird gezogen an der Havel, Warthe und Netze,
in den Seitenthalern des Rhein , in den Niederungen der Weichsel,
in Pommern, Posen und den Gebirgsgegenden Schlesiens. — Der
Kluu's Baadols-Geogrraphie. 2. Anil. ^5
226
Pferdestand deckt zwar den Militarbedarf, aber nicht den Be-
darf der Landwirthschaft. Die schonsten Pferde hat Ostpreussen.
Hauptgestiite sind zu Trakehnen (bei Gumbinnen), Neustadt an der
Dosse und Graditz. — Die Zahl der Esel und Maulthiere ist ge-
ringe, am grossten in Westphalen und in der Rheinprovinz. — Die
Ziegenzucht findet sich vorzugsweise in den Gebirgsgegenden,
Schweine in Westphalen, Pommern und Preussen, Federvieh
in Pommern (Ganse) und Preussen, die Bienenzucht zurneist
unter der slawischen Bevolkerung ; Honig wird geniigend, Wachs
jedoch nicht ausreichend gewonnen. An der Ostsee und in mehreren
Fliissen ist die Fischerei ansehnlich.
Der Bergbau und das Huttenwesen stehen in Preussen auf
pehr hoher Stufe, insbesondere haben der Ko h 1 enbergbau und das
Eisenhiittenwesen in neuester Zeit einen beispiellosen Aufschwung
genommen. Der Werth der Erzeugnisse betrug im Jahre 1854 fiber
81 Millionen Thaler, wovon auf die Rheinprovinz an 36% und auf
Westphalen 24% entfielen. — Die Gold gewinnung ist unbedeu-
tend, dagegen betrug jene des Silbers nahezu 53.000 Mark (in
den Bezirken Oppeln, Merseburg und in der Rheinprovinz). — Das
meiste Eisen wird im rheinischen und schleeischen, das wenigste
im sachsisch-thiiringischen Hauptbergdistrikte produzirt ; im ersten
namentlich in den Bergamtern Siegen, Saarbriicken und Diiren. Im
Jahre 1857 belief sich der Ertrag aus den gesammten (1615) Gru-
ben auf iiber 3T/2 Million Tonnen Eisenerz. — Zunachst steht an
Wichtigkeit die Gewinnung der Steinkohlen (im Jahre 1857 in
503 Gruben fiber 47T/3 Million Tonnen) und der Braunkohlen
(im Jahre 1857 in 440 Gruben an 18 '/4 Millionen Tonnen). Die
meiste Steinkohle wird in Westphalen, Schlesien und der Rhein-
provinz, die Braunkohle im sachsisch-thiiringischen Distrikte (Mer-
seburg), Brandenburg und der Rheinprovinz gewonnen. — Zink
und Galmei hauptsachlich an der belgischen Grenze bei Aachen,
im Bezirke Diiren und in Oberschlesien, — Kupfer im Mansfeldi-
schen , im Harz , in Schlesien (Tarnowitz), — Blei im Bezirke
Aachen (Stollberg, Gemiind), dann urn Saarlouis, Trarbach, Siegen
und in Schlesien (Tarnowitz) u. s. w. — An der ost- und west-
preussischen Kiiste (zumeist im Konigsberger Bezirke) wird Bern-
stein theils durch Schopfen und Sammeln, theils durch Graben
gewonnen, und viel davon nach dem Oriente ausgeffihrt. - - Auch
an Salz ist der Staat reich ; die 23 Salinen lieferten im Jahre 1857
nahe 77.000 Lasten im Werthe von fiber 1,750-000 Thalern. Grosse
Salinen sind in Halle , Durrenberg (bei Merseburg), Schonebeck,
Kosen (bei Naumburg) u. a. m. Von den nutzbaren Erden sind die
Porzellanerde (Mori in Sachsen) , der Pfeifen- und Tcipferthon er-
wahnenswerth.
In Hinsicht der gewerblichen Industrie nimmt Preussen
eine sehr bedeutende Stelle ein ; es gehort unter die wichtigsten
Manufakturstaaten Europa's. Erst in unserem Jahrhunderte (seit der
Gesetzgebung im Jahre 1810 und der spateren Bildung des
Zollvereines), seitdem der Fabriksindustrie und den technischen
Gewerben alle Freiheit gegeben ist, und diese durch die Konkurrenz
'-
rait dem Auslande zur Nachciferung und zum Wettkampfe in der
vollkomtnensten Bearbeitung gezwungen warden; seitdem einerseits
industrielle Unternehmungen nicht durch kunstliche Mittel und Hil-
fen hervorgerufen, sondern aus freiera Antriebe unternommen wur-
den, wahrend andererseita griindlicher Gewerbeunterricht, vermehrte
und verbesserte Kommunikazionen , Gewerbevereine und Gewerbe-
ausstellungen die junge Industrie krafrigten und forderten; — erst
seit dieser Zeit haben Gewerbe und Handel den Aufschwung ge-
nommen, der dieaem Lande eine so bedeutende Stelle unter den
europaischen Industriestaaten anweiset. Allerdings steht insbesondere
die Grossindustrie mit den klimatischen und sonstigen natiirlichen
Verhaltnissen in vielfacher Verbindung. Grosser Reichthum an Me-
tallen und an Feuerungsmateriale , bedeutende Wasserkrafte , die
Dichtigkeit der Bevolkerung , die landwirthschaftliche Produktion
wirken unmittelbar auf die Fabriksthatigkeit ein ; aber viel wich-
tiger noch sind die geis ti ge n Faktoren , namlich: Volksbildung
und tiichtiger gewerblicher Unterricht, dann die Moglichkeit, seine
geistige und physische Kraft unbehindert und frei auf dem unend-
licben Gebiete der Arbeit verwerthen zu konnen.
Die meiste Fabriksthatigkeit finden wir in den Provinzen:
Rheinprovinz und Westphalen, in Mittel- und Nieder-
schlesien, in Sachsen und in einigen Gegenden der Mark.
Die wichtigsten Erzeugnisse der Industrie sind: die Leinen-, Wol-
len-, Baumwollen- und Metallwaaren. — Die Industrie
in Flachs und Hanf ist eine der bedeutendsten -und altesten in
Preussen. Die Garn sp innerei ist als landvvirthschaftlicbe Neben-
beschaftigung im ganzen Reiche, am starksten im schlesischen Ge-
birge, in Ostpreussen (grobes Garn) , in Westphalen und am Rhein
verbreitet; auch die mechanische Spinnerei gewinnt an Ausdehnung,
besonders in Schlesien. Das Gleiche gilt von der Leinen weberei,
welche ihren Hauptsitz in Schlesien hat, dann in Sachsen , West-
phalen, Brandenburg und einigen Theilen der Rheinprovinz verbrei-
tet ist. Die beste Waare liefert Schlesien in den Regierungsbe-
zirken Liegnitz und Breslau (Hirschberg [Leinwand, Schleier,
Brabanter Spitzen], Schmiedeberg, Jauer, Gorlitz , — Reich en-
bach, Waldenburg, Glatz, Frankenstein); — in Sachsen sind die
Regierungsbezirke Magdeburg und Erfurt, — in Brandenburg jene
von Potsdam und Frankfurt , — in Westphalen die Regierungs-
bezirke Miinster (Warendorf) und Minden (Bielefeld), in der Rhein-
provinz der Regierungsbezirk Dusseldorf (Barmen, Elberfeld, das
Wupperthal) die starksten Produzenten. Die Gesammtproduktion an
Leinwand kann jahrlich annahernd auf 300.000 Zentner (iiber 120
Millionen Ellen) und die Mehrausfuhr auf etwa 50.000 Zentner ge-
schatzt werden. Vorziigliche und grosse Bleichen sind im Wup-
perthale und in Schlesien. Fur Segeltuch sind Haupforte: Stet-
tin, Konigsberg (sehr gute Taue nach Holland) und Danzig. Auch
die preussischen Seilerwaaren sind geschatzt.
Auf einer bedeutenden Hohe steht die S chafwollindustrie.
Die jahrliche Produktion in Wolle- und Halbwollegeweben ist auf
etwa 70 Millionen Ellen (jene in Tuch auf 56 Millionen Ellen) an-
"*"
'.
228
zunehmen , und die Mehrausfuhr an Wolhvaaren betragt an 77.000
Zentner. In der Spinnerei 1st das Handgespinnst vom Maschinen-
gespinnst fast ganz verdrangt worden ; ersteres kommt verhaltniss-
massig am starksten noch in den Regierungsbezirken Erfurt, Trier,
Liegnitz und Diisseldorf vor ; — die Maschinenspinnerei ist amstark-
sten zu Streichgarn (iiber T/2 Million Feinspindeln , fur Kammgarn
etwa 41.000 Feinspindeln), und zwar in Berlin und in der Provinz
Brandenburg, in Schlesien und der Rheinprovinz, wo auch fur
Kammgarn die grossten Spinnereien bestehen. Bei dem Aufschwung
der Fabrik^tion von Tuch und wollenen Zeugen muss iibrigens
Wollengarn noch importirt werden. In der Wollenweberei (vor-
ziiglich Tuchfabrikation) sind bedeutend : die Rheinprovinz (Aachen,
Eupen, Malmedy, Burtscheid, Elberfeld, Lennep, das Wupperthal),
Brandenburg (Kottbus, Guben, Berlin, Potsdam) , Sachsen (Burg,
Magdeburg, Quedlinburg, Miihlhausen) und Schlesien (Breslau, Gor-
litz). Schone Shawls werden in Berlin , Teppiche ebenda und in
Schb'nberg gefertigt; der Hauptsitz der Bandweberei ist im Regie-
rungsbezirke Diisseldorf.
Die Baumwollindustrie macht gleichfalls grosse Fort-
schritte ; sie deckt nicht nur den inlandischen Bedarf, sondern bringt
erhebliche Mengen von Fabrikaten zum Export. Die Gesammtpro-
duktion von baumwollenen und halbbaumwollenen Geweben kann
jahrlich mit mindestens 356.000 Zentnern (an 320 Millionen Ellen)
angenommen werden und die Mehrausfuhr davon betragt an 80.000
Zentner. Auch iiierin ist fast ausschliesslich die Maschinenspinnerei
vorherrschend, obwohl der Bedarf an Garn nicht durch die einhei-
mischen Spinnereien gedeckt wird. Die meisten und grossten Spin-
nereien sind in Westphalen und der Rheinprovinz (Warendorf,
das Wupperthal, Diisseldorf, Gladbach, Lennep, Kempen u. s. w.)
und in Schlesien, — die Webereien im Wupperthale, Bielefeld,
Schwelm, Gorlitz, Berlin, Zeitz, Eilenburg u. a. m.
In der Metallwaaren -Industrie nimmt die Eisen-In-
dustrie den ersten Platz ein. Diese ist zunachst von dem Vorkommen
des Eisenerzes abhangig. Die meisten Eisenwerke besitzen die Regie-
rungsbezirke Oppeln, Arnsberg, Danzig, Aachen und Koln. Am
ausgebreitetsten und grossartigsten ist in dieser Richtung die Indu-
strie in Westphalen, dann in der Rheinprovinz, in einzelnen Zwei-
gen sind aucn Schlesien, Brandenburg und Sachsen beachtenswerth.
Insbesondere sind vortheilhaft bekannt: Gusswaren in Berlin,
Malapane, Gleiwitz, Konigs- und Laurahutte (Schlesien) und Her-
mannshiitte (Westphalen); — Stahl in den Regierungsbezirken Arns-
berg und Diisseldorf, ebenda Bl ech und Blechwaaren, Draht;
— Nadeln in Iserlohn, Altena, Aachen, Burtscheid, Koln, Xan-
ten ; — die E mpers trass e (Westphalen) enthalt zwei Meilen weit
eine ununterbrochene Reihe von Eisen- und Stahlhammern, und
liefert eine grosse MengeMesser, Scheeren, Sensen, Sicheln, alle Ar-
ten grober und kurzer Eisen-, Stahl- und Messingwaaren ; — fiir
Schneidewerkzeuge ist besonders Solingen beruhmt (Klingen,
Messer, Scheeren), dann auch Remscheid; — Gew ehrfabriken
in Potsdam und Sommerda a. d. Unstrut; — Stiickgiessereien
_229
in Spandau und Sayn (bei Koblenz); — der Maschinenbau ist
am erheblichsten in Aachen, Koln, Stettin und Berlin nebst Um-
gebung (Moabit), in Buckau, um Konigsberg, Breslau und Liegnitz;
— die meisten und beaten Messingwaaren liefern Remscheid,
Stollberg (bei Aachen) und die Umgegend von Potsdam. — Die
grossten und zahlreichsten Kupferhammer sind in der Rhein-
provinz, dann in Westphalen, Sachsen, Preussen und Brandenburg ;
die meisten Kupferschmiede haben die Regierungsbezirke Diissel-
dorf und Munster, wo auch viele Roth-, Gelb-, Zinn- und
Glockengiesser thatig sind. — Die Bron ze wa aren-Fabri-
kation ist schwunghaft im Regierungsbezirke Arnsberg und in Ber-
lin; — die Industrie in Go Id, Silber, Neugold und Neusil-
ber u. s. w. ist durch zahlreiche Gewerbe und Manufakturen ver-
treten (in Brandenburg, Sachsen, Westphalen u. a. O.) ; — bedeu-
tend ist die Uhrmacherei (Berlin, Breslau, Diisseldorf). End-
lich bestehen viele Manufakturen und Fabriken fur einzelne Zweige
der reichgegliederten jjMetallwaaren-Industrie," wodurch diese In-
dustrie zu einer der wichtigsten in Preussen heranwachst und nebst
der Deckung des inlandischen Bedarfes noch fur den Export liefert.
Nebst diesen Hauptindnstrien sind in Prenssen noch hervorzuheben :
Die Seidenindustrie hauptsachlich in der Rheinprovinz (Elbe rf eld,
Krefeld, Barmen, Gladbach, fiberhaupt im Regierungsbezirke Diisseldorf), dann in
Berlin, Frankfurt a. d. Oder, Potsdam u. a. O. — Die Produktion betragt fiber 30
Millionen Ellen seidener und halbseidener Waaren, wovon etwa die Halfte ausgefiihrt
wird. — Die Lederindustrie ist theils handwerksmassig, theils fabriksmassig
im ganzen Reiche verbreitet nnd in der Anfnahme, obwohl an Rohprodnkt (schwere
Felle und Haute) zum Theil ein Import stattfindet. Die grossten Gerbereien sind in
der Rheinprovinz (Malmedy, Koln, Siegen), dann in Berlin, Trier, Stendal. Be-
rnhmt sind die Saffiane von Berlin, Stettin, KOnigsberg, — Handschuhe von Berlin,
Halle, Magdeburg, Breslau, Halberstadt u. a., — fur Sattler- und Riemerwaaren sind
bekannt Berlin, Breslau, Aachen, K61n, — fur Kfirschnerwaaren Posen, Schlesien
und Preussen. — Auch in der sehr wichtigeu und ausgebreiteten Tabakfabrika-
tion steht die Rheinprovinz an der Spitze, zunachst stehen Westphalen und Bran-
denburg. — Sowohl die Zuckerraf finer i en als die seit dem Jahre 1837 ent-
standenen Rnnkelriibenzuckerfabriken sind grosse Anstalteu und haben sich
in den mittleren Provinzen, namentlich in Sachsen , ungemein gehoben. Zn den be-
deutendsten Raffinerien fur Kolonialzucker gehOren jene in Berlin, Stettin, Konigs-
berg, Koln, — fur Runkelrfibenzucker Magdeburg, Quedlinburg, Koln, Berlin, Breslau.
— Die Papierfabrikation ist bedeutend, obwohl das Fabrikat in der Qualitat
clem englischen, franzosischen und schweizerischen nachsteht, und die Papier mfi hi en
noch zahlreich bestehen. Das beste Papier liefern die rheinischen, westphalischen
und Berliner Fabriken ; die bekanntesten sind in Aachen, Dfiren, Gladbach, Iserlohn,
Berlin, Liegnitz, Mersebnrg u. a. Das gleiche Verhaltniss besteht bei der Erzeugung
von Papiertapeten. — Die Glasfabrikation ist am starksten in Schlesien, in der
Rheinprovinz und Westphalen ; die meisten Glaser und Glasschleifer sind in den Re-
gierungsbezirken Dusseldorf, Merseburg und Potsdam, Spiegelfabriken in Nenstadt
a. d. Dosse und K6ln. — Vorzugliches Porzellan Hefern Berlin, Waldenburg (Schle-
sien), Trier und die Umgegend von Magdeburg; die meisten Handwerker fur irdenes
Geschirr leben in den Regierungsbezirken KOnigsberg, Posen, Frankfurt und Liegnitz .
— Sehr ehrenvollen Rnf geniessen endlich die ch em i schen Fabriken (Rhein-
provinz, Brandenburg, Sachsen, Schlesien), die Starkefabriken (Halle), Oel-
muhlen (Halle, Tilsit, Konigsberg), Strohhut- nnd Wachstuchfabriken (Ber-
lin), Cichorienfab rik en (Magdeburg), wohlrichende Wasser (KOln pro-
duzirt jahrlich fiber vier Millionen Flaschen nk6lnisch Wasser"; und Seife, Brannt-
weinbrennereien, Bierbrauereien u. s. w. Zu den einflussreichsten F5r-
derungsmitteln kSnnen gerechnet werden : die Gewerbeausstellungen, die Ausdehnung
ler Gewerbefreiheit, technische Vorbereitungsanstalten, Gewerbevereine, Kredit- und
Assekuranz-Gesellschaften u. s. w.
Der Handel ist sehr lebhaft. Zahlreiche schiffbare Fliisse und
eine lange Seekiiste, mehrere Kanale, gute Landstrassen, ein weit-
verzweigtea Netz von Eisenbahnen, die vielen Wochen- und Jahr-
markte, die Messen, Asaekuranzen, Banken, Borsen und Handels-
kammern befordern denselben. Von besonderem Einflusse sind der
,,deu ts che Zoll v ere in," die Konsulate und Handelsagenten, Zoll-,
Handels- und Schiffahrtsvertrage und der hohe Stand der geistigen
Kultur. Auch der Transit- und Speditionshandel ist bei der geogra-
phischen Lage des Reiches ziemlich erheblich.
Die bedeutenderen Handelsplatze fiir den inneren Handel
sind: Berlin als Mittelpunkt des gesammten preussischen Handels,
— Breslau fiir den schlesischen , zum Theil auch polnischen
Handelsverkehr mit einem der wichtigsten europaischen Wollmarkte,
wichtigen Flachsmarkten und einem eigenen Honigmarkt , — EI-
berfeld und Barmen, Koln und Diisseldorf fur die rheini-
schen Industrie-Erzeugnisse; letztere Stadte sind zugleich Haupt-
flatze der Rhein-Dampfschiffahrt und des Rheinhandels, — Kob-
enz fiir den Weinhandel und die Mosel- und Rheinschiffahrt, —
Aachen und Gorlitz fiir Tuchgescbafte, — Bielefeld fiir den
Leinwand- und Malmedy fur den Lederhandel, — Sol ing en,
Remscheid und Iserlohn mit starkem Handel in Eisen-, Stahl-
und Quincailleriewaaren, — Magdeburg fur Kolonialwaaren, Spe-
ditionsplatz fiir den Elbehandel und mit ansehnlichen Wollmarkten,
— Frankfurt a. d. Oder mit drei besuchten Messen , starkem
Transit auf der "Uder und den "mit ihr verbundenen Fliissen. —
Auch Halle, Erfurt, Naumburg (Petri-Paul-Messe) u. a. sind fur
den inneren Verkehr von Wichtigkeit. Der starkste Getreide-
h an del wird in den Ostseestadten getrieben, dann in Neuss, Jauer
in Schlesien.
Fur den Handel nach aussen sind nebst den genannten
Markt-, Mess- und Speditionsplatzen noch die Seeplatze an der
Ostsee wichtig: Memel, Konigsberg mit Pillau, Danzig mit der
Rhede Neufahrwasser, Stettin mit Swinemiinde, Stralsund, Greifs-
walde, Zu Anfang des Jahres 1857 zahlte die Handelsmarine 933
Schiffe langer Fahrt mit nahezu 300.000 Tonnen. Der Seehandel
geht vorziiglich nach Grossbritannien, Danemark, Schweden und
Norwegen, Russland, den Niederlanden, dann nach Frankreich, Spa-
nien, Italien, der Levante und Nordamerika. Gegenatande des Im-
portes sind: Baumwolle, Twist, rohe Seide, Farbstoffe, etwas Rohr-
zucker, Kolonialwaaren und Sudfriichte, Wein, Thiere und thierische
Produkte, Eisen, Hanf und Leinsaat. Ueber die Halfte des Importes
entfallt auf Grossbritannien. Gegenstande des Exportes sind: Ge-
treide und Holz (die wichtigsten Ausfuhrartikel der Ostseehafen)
nach Grossbritannien und den Niederlanden, die Erzeugnisse der
bedeutenden, fruher genannten Industrien. Nahezu 2/3 der Gesammt-
Ausfuhr geht nach Grossbritannien (Getreide, Holz, Flachs, Hanf,
Oelsaat, Talg, Zink), etwa 11% nach den Niederlanden (Oelsaat,
Flachs, Hanf, Getreide, Holz), dann folgen Danemark, Frankreich,
Schweden und Norwegen, Liibeck, Russland u. s. w. — Der Export
ist bedeutend starker als der Import.
231
Zu Folge des seit dem Jahre 1818 freieren Handelssystems sind alle fremden
Waaren (mit Ausnahme der monopolisirten und privilegirten Artikelj zur Ein-, Ans-
nnd Durchfuhr erlaubt; sie bezahlen nach einem bestimmten Tarife einen Ein-, Aus-
oder Durchgangszoll, wenn nicht voile Freiheit stattfindet. — Seit dem 1. Januar
1834 besteht der deutsche Zollverein, welcher mit Ausnahme der beiden meck-
lenburgisuhen Grossherzogtbumer, der Hansestadte, von Limburg, Holstein und Lauen-
burg alle deutschen Staaten umfasst. Mit dem Osterreichischen Zollvereine ist er
seit 1854 und mit Bremen seit 1856 enge verbunden. Freiheit des inneren Ver-
kehrs zwischen den theilnehmenden Staaten, — Annahme eines gemeinschaftlichen,
durch ein verbindliches Zollgesetz gesicherten Zollsystems, — und Theilung der rei-
nen Einkiinfte des Vereines unter die Theilnehmer nach dem Massstabe der Bevol-
kernngsmenge sind die wesentlichen Grnndlagen des deutschen Zollvereines, dessen
Einfluss auf Industrie und Handel Deutschlands ein bedeutender ist.
Die geistige Bildung des preussischen Volkes ist eine hochst
bedeutende. Die Elementarkenntaisse sind allgemein verbreitet , be-
sonders unter der deutschen Bevolkerung. Die Lehranstalten sind
in der Regel trefflich eingerichtet und gut geleitet. Nebst den vielen
mittleren und hoheren Anstalten fiir gelehrte Bildung bestehen auch
viele fur den Erwerb und Verkehr. Die Burger-, Gewerbe- und
Handwerksschulen, die technischen, land- und forstwirthschaftlichen
und bergmannischen Schulen, die Handelslehranstalten (Handels-
akademie in Danzig und viele hohere Schulen zu Dusseldorf, Koln,
Berlin, Magdeburg, Elberfeld, Aachen, Erfurt, Konigsberg u. a.),
die Schiffahrtsvorbereitungs- und die Navigationsschulen verbreiten
die erforderlichen Kenntnisse von der untersten bis zur hochsten
Stufe technischer und kommerzieller Ausbildung; ihr machtiger
Einfluss ist nicht zu verkennen und ein sich stets steigernder. In
jeder Richtung gehort somit Preussen zu den kultivirtesten Staaten
Europa's.
§. 125. itanfi&taugreicb Mannovcr.
700 QMeilen, — 1,820.000 (relativ 2600) Einwolmer7 uberwiegend Prote-
stanten, an 220.000 Katholiken, dann etwa 12.000 Israeliten. — Zwei dnrch Braun-
schweig getrennte Haupttheile und einige kleinere Gebiete. — Grenzenrim
0. Braunschweig, Prenssen (Sachsen, Brandenburg), — im N. Mecklenburg-Schwerin,
Lauenburg, Hamburg, Holstein, Nordsee, Oldenburg, — im W. Niederlande, — im *S.
Preussen (Westphalen), Lippe-Schaumburg, Kurhessen, Lippe-Detmold , Waldeck,
Preusaen (Sachsen). — Konstitntionelle Erbmonarchie im lutherischen Hause Brann-
schweig-Luneburg.
Boden. Der grosste Theil Hannovers gehort dem norddeut-
schen Tieflande an, nur beilaufig 20 °/0 sind Hiigel- oder Bergland.
Gebirgig ist der ganze siidliche Theil, vom nordlichen Theile
nur der Siidrand. Das Hauptgebirge ist der wald- und metall-
reiche Harz, woven ein grosser Theil des Oberharzes und ein
kleiner des Unterharzes zu Hannover gehoren. Ferner durchziehen
das Land Theile des Thiiringer- H iigella ndes (mit dem Gut-
tingerwalde) und des westlichen und ostlichen Wesergebirges;
zum westlichen Wesergebirge gehoren der Teutoburgerwald
und das Osnabriicker-Hugelland, zum ostlichen der Sol-
lingerwald zwischen Weser und Leine, und nordlich von diesem
der Siintel, das Deister- und Oste rgebirge. — Das ebene
Land (mit 80 % der Gesammtflache) ist theils Geest-, theils
fruchtbares M ars chland ; ersteres besteht aus Haiden, Sand- und
Moorboden, letzteres aus fettem Boden. Das Tiefland (an der
Nordsee am niedersten) wird durch kiinstliche Damme (Deiche)
und Schleussen (Siele) vor den Meeresuberschwemmungen geschiitzt
und von einzelnen HQgelgruppen (die jedoch nirgends 600' Hohe
erreichen) durchzogen. Das Geestland ist zum Theile vb'llige Ein-
ode, zum Theile wird es, wie die von grosstentheils wohlhabenden
Landwirthen bewohnte L ii n e burger - Haide, von Jahr zu Jahr
mehr kultivirt. Die am meisten wuste Haide und die odeste Ge-
gend Deutschlands ist der 5 QMeilen grosse Huimling (ostlich
tier Ems, Landdrostei Osnabriick). Von den vielen Mooren (in
Ostfriesland, Meppen, uberhaupt in den Landdrosteien Aurich und
Osnabriick) sind die meisten wegen des grossen Reich thums an
Torf von hoher Bedeutung; in neuester Zeit sind grosse Moor-
strecken durch Entwasserung in fruchtbares Land verwandelt wor-
<len, wie z. B. Theile des grossen Duwels- (Teufels-) Moores (im
Herzogthume Bremen). — Das Marschland nimmt iiber 60 QM.
ein. Bemerkenswerth sind die an den Kiisten liegenden Wat ten
(Sandebenen), welche zur Zeit der Fluth vom Meere uberschwemmt
werden.
Gewasser. — Die Nordsee bespiilt die Landdrosteien Stade
und Aurich, und bildet durch die Miindungen der Elbe, Weser und
Ems Meerbusen, unter welchen der Do liar t (6 QMeilen) an der
Emsmiindung der bedeutendste ist. Sammtliche Fliisse gehoren
zum Gebiete der Nordsee. Die wichtigsten sind: die Elbe (mit
der Ilmenau undOste), — die Weser nimmt rechts die durch
die Leine (mit der Innerste) verstarkte Aller und links die
Aue und Hunte (Dummer-See) auf, — die Ems mit der Hase
und Leda, — die Vechta im Osnabruckschen. (Siehe auch
§. 43.) — Unter den Seen sind der Diimmersee , durch
welchen die Hunte fliesst und das Steinhuder-Meer (an der
Grenze gegen Lippe-Schaumburg , zwischen der Weser und Leine)
die grossten. — Das Land hat mehrere Mineral- und Heil-
quellen (Rehburg, Bentheim, Northeim u. a.); das Seebad zu
Norderney ist beruhmt. — Hannover ist von zahlreichen K a-
nalen durchschnitten ; die wich tiger en sind: der Emskanal, zwi-
schen Lingen und Meppen (neben dem rechten Emsufer), miindet
in die Hase, — der Treckschuitenkanal (Trecktief) zwischen
Emden und Aurich, — der H a d el n'sche Kanal fuhrt aus dem Hadel-
ner Sietlande (Landdrostei Stade) in die Elbe, — der Kanal zwi-
scheii Bremervorde und der Shwinge und dadurch zur Elbe u. s. w.
Die vielen ,,Tiefe" in Ostfriesland dienen theils zur Entwasserung
der Moore, theils fur den Verkehr; auch die Binnenkanale in den
Marschen sind fiir kleinere Fahrzeuge schiffbar.
Politische Eiiitheilung. Das Konigreich Hannover zerfallt
fiir die Verwaltung in sechs Landdrosteien und eine Berg-
hauptmannschaft; den Landdrosteien zunachst untergebene Un-
terbehorden sind die (177) Ae m ter und Magistrate der (44) selbst-
stan dig en St adte.
Bedeutendere Orte sind in der:
1. Landdrostei Hannover (bestehend aus dem Furstenthum Kalenberg und
den Grafschaften Hoya unT~X>fepholz), — 110 DM-> — 350.000 (relativ 3210) Ein-
wohner :
233
Hannover (55.000), Hameln^Nienburg, Rehburg;
2. Landdrostei Hildesheilll (bestehend aus den Furstenthumern Hildcsheia),
Gottingen, Grnbenhagen und der Grafschaft Hohnstein) — 81 QM., — 368.000
(relativ 4540) Einwohner:
Hildesheim (17.000), Goslar, GSttingen (11.000), Uslar, Munden^ Eimbeck
3. Berghauptniannschaft Klausthal, — 12 QM., 36.000 (relativ 3000)
Einwohner :
iM|_|.f«i..i (10.000), Zellerfeld (5000), Andreasberg, Altenaa ;
4. Lniiddrostei Luneburg (umfassend das Furstenthum Luneburg und den
Rest des Herzogthums Sachsen-Lauenburg) — 204 CJM., — 340.000 (relativ 1670)
Einwohner:
Lflneburg (14.000'). Celle (13.000), Uelzen, Harburg (10.000);
5. Landdrostei Stade (enthaltend die Herzogthiimer Bremen und Verden und
das Land Hadeln), — 124 QM., — 280.000 (relativ 2275) Einwohner:
Stade (8000), Verden (5000), Bremerlehe (Lehe), BremervQrde, Buxtehude,
Otterndorf, Geestemiinde ;
6. Landdrostei Osnabriick (bestehend aus dem Furstenthum Osnabruck, der
Niedergrafschaft Lingen, der Vogtei Emsbuhren, dem Herzogthume Arenberg-Mep-
pen und der Grafschaft Bentheim) — 114 QM., — 262.000 (relativ 2320) Ein-
wohner :
n0n^hr.-;,.ir pAfvw) Lingen, Meppen, Papenbnrg; —
7. Landdrostei Aurich (bestehend aus dem Furstenthume Ostfriesland
und dem Harlinger Land nebst den Inseln Hannovers), — 45 DM-> — 185.000
(relativ 3430) Einwohner:
Aurich (5000), Emden (13.000), Leer, Norden. Die Inseln: Norderney,
Borkum, Baltrum nnd einige kleinere.
Ktilturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die wichtigsten Erwerbs- und Nahrungsquellen der Bewohner
sind die Landwirthschaft und der Bergbau. Liegen auch grosse
Strecken ode, wenig oder gar nicht kulturfahig, so ist die Boden-
kultur doch ziemlich bedeutend. Am fruchtbarsten und ergiebig-
sten sind die Marschen an der Elbe, Weser, Nordsee, der grosste
Theil von Kalenberg, Gottingen und Hildesheim. Getreide wird
iiber den Bedarf produzirt , am Harz jedoch fast gar keines. Am
stErksten wird der Roggen, doch auch Weizen, Hafer und Gerste,
in den Haiden Buchweizen angebaut. Die besten Getreideprovinzen
sind Ostfriesland, Bremen, Hildesheim und Gottingen. Unter den
Hiilsenfriichten werden am meisten Bohnen gepflanzt, welche auch
einen ansehnlichen Ausfuhrartikel bilden. Der Gemiise- und Kar-
tofielbau ist bedeutend, letzterer vorzuglich in den siidlichen Pro-
vinzen. Die Runkelriibe gewinnt an Verbreitung, Oelpflanzen kom-
men in grosser Menge, zumeist in Ostfriesland und den nordlichen
Provinzen vor; Oelfriichte werden ausgefuhrt, dagegen Oel einge-
fiihrt. Sehr bedeutend ist der Flachsbau in alien Provinzen mit
Ausnahme Bremens, wo mit Vorliebe Hanf gebaut wird; am vor-
ziiglichsten gedeiht der Flachs um Uelzen und in den Marschlan-
dern, — Flachs sowohl als Hanf werden exportirt. Tabak wird
nicht in hinreichender Menge (zumeist an den Ufern der Weser)
gebaut; Tabakblatter werden importirt, Tabakfabrikate exportirt.
Der Obstbau ist von grosser Wichtigkeit, ausgenommen im Altenlande
und Hadeln ; der wichtigste Graslandbau ist im Harze und in Ost-
friesland. — Die Forstkultur ist in den Gebirgsgegenden bedeutend.
Die Viehzucht ist sehr bedeutend, besonders in Ostfriesland,
Luneburg und am Harze. Namentlich sind die Pferde- und
234
Rindviehzucht vorzuglich, erstere in Ostfriesland und Liineburg,
letztere in den ostfrieslandischen Marschen (nach Hollander Art)
und am Harze (nach Schweizerart). Sowohl Pferde und Kinder,
als auch die ausgezeichneten Produkte der Milchwirthschaft (Emden'er
Kase, Harzbutter) werden exportirt. Die Zucht der veredelten
Schafe ist im Wachsen , eine Eigenthiimlichkeit des Landes sind
die ,,Haids chnucken," d. i. kleine Schafe mit Hornern und mit
grober Wolle, welche heerdenweise in den Haidegegenden gehalten
werden. Sehr verbreitet ist in den Marschen und in den kultivir-
ten Haidegegenden die Schweinezucht; auf der Liineburger Haide
ist die Bienenzucht sehr bedeutend. Sehr lebhaft wird die Fische-
rei in der Nordsee, in Fliissen, Seen und Teichen betrieben; fur
Emden und Ostfriesland ist der Haringsfang von hoher Bedeutung,
welcher an den schottischen Kiisten und Inseln betrieben wird.
Mit Singvogeln unterhalten die Harzbewohner einen erheblichen
Handel.
Der Bergbau iat namentlich auf dem Harze von hochster
Wichtigkeit. Der Mittelpunkt ist Klausthal mit Zellerfeld, wo sich
die reichen Gruben ,,Dorothea" und ,,Karolina" befinden. Silber
(an 50.000 Mark) und Blei (an 75.000, Bleiglatte an 25.000 Zent-
ner) sind hier die Hauptprodukte ; der Bergbau und der Hiitten-
betrieb sind die Hauptbeschaftigung der Bewohner. Auch in den
Gruben von Andreasberg, Altenau und im Rarnmelsberge bei Gos-
lar wird Silber gewonnen. Im Oberharze wird der Bergbau zum
Theil gemeinschaftlich mit Braunschweig betrieben (,,C o m m u n i o n-
Harz"), wovon 4/T auf Hannover, 3/7 auf Braunschweig entfallen.
Ausser den erwahnten Produkten werden auch beilaufig 10 Mark
Gold jahrlich gewonnen. Eisen (fiber 100.000 Zentner) ist von
vorziiglicher Giite, besonders in der Enklave Elbingerode. Auch
die Ausbeute an Kupfer (an 7000 Zentner), Zink, Galmei und Ar-
senik ist erheblich. — Die Ausbeute an Stein- und Braunkoh-
len durfte jahrlich mit nahezu 2 Millionen Zentner anzunehmen
sein. In den Niederungen ersetzt die ungeheure Menge von Torf
den Holzmangel. — An Salz (meist Quellsalz) ist das Land sehr
reich (uber V2 Million Zentner jahrlich). Es bestehen 4 Staats-
und viele Privatsalinen. Die Liineburger Salzquellen gehoren zu
den reichsten in Deutschland. Bekaunt sind endlich die Kalkstein-
bruche in den Landschaften Gottingen, Grubenhagen und Kalen-
berg, der Gyps bei Luneburg, Alabaster bei Osterode, Tafelschiefer
bei Goslar, die Pfeifenerde bei Munden u. s. f.
Die gewerbliche Industrie ist im Ganzen geringer als in
manchen andern Staaten Deutschlands. Grosstentheils befasst sie
sich mit der Verarbeitung der einheimischen Rohprodukte. Die
Zahl der Etablissements ist zwar nicht klein, aber die meisten der-
selben sind von relativ geringerem Umfange und arbeiten iiber-
wiegend nur fur den inlandischen Absatz. Am meisten ausgebreitet
ist die Flachsspinnerei uud Leinwandweberei, vorziiglich
in Hildesheim und Osnabriick ; doch gehort die Maschinenspinnerei
erst der neuesten Zeit an. Zur Forderung dieser Industrie bestehen
in vielen Orteu die ,,Linn enl eg en," in welchen das Fabrikat
von beeideten Aufsehern gemessen, untersucht uad gestempelt wird.
Flachs, Garn und Leinwand werden exportirt. Zwirn wird in Oat-
friesland, Spitzen werden in Libenau und Andreasberg, Segeltuch
und Taue an der Elbe und Weser (Emden, Leer, Papenburg)
verfertiget. — DieSchaf- und Baumwollfabrikation deckt
nur den Bedarf an ordinarer und mittelfeiner Waare, feine wird
importirt. Ansehnliche Tuchfabriken sind in Osterode, Gottingen,
Eimbeck, Hameln, Uelzen u. a. — Fur die im Allgemeinen unbe-
deutende Seidenindustrie sind nur die Webewaaren von Ha-
meln und Hannover nennenswerth. — Verhaltnissmassig sehr er-
heblich ist die L edererzeugung , worun'er die Lohgerbereien von
Eimbeck, Hameln, Hannover, Hildesheim, Harburg, Osnabriick,
Luneburg, Miinden, Celle u. a., dann das lackirte Leder aus Han-
nover und Nienburg, und das Pergament von Bentheim und Schiit-
torf einen ehrenhaften Platz einnehmen. — Wichtiger ist die Pa-
pi e r fabrikation (iiber 60 Fabriken), sowie jene fiir Tapeten, Bunt-
papier und Spielkarten. Fiir die T a b a k fabrikation (Emden,
Osnabriick, Harburg, Buxtehude, Hannover, Celle), die Oelerzeu-
gung (Hannover, Celle, Luneburg) und die Cich or ienfubrikation
(Nienburg) bestehen zahlreiche Etablissements. Erwahnenswerth
sind: die zahlreichen Bierbrauereien (Goslar'sche ,,Gose," Miin-
dener und Hardenberger Bier), Branntweinbrennereien und
Ess i gsiedereien , die Zucker r aff inerien und Fabriken
(Linden, Miinden, Luneburg, Otmabruck), die Seifen fabrikation
{Luneburg), die Gl as fabrikation (am Odterwalde, Siintel, bei
Hildesheim), die Schleifereien fiir optische G laser zu Got»
tingen u. s. f.
Von Bedeutung ist die Industrie inHolzwaaren in den
Harzgegenden um Luneburg und Bremen; zumeist der starke
Schiffbau zu Papenburg, Leer, Emden und um Stade. Von gross-
tern Belange aber ist die Industrie in Metallwaaren im Harze.
Das meiste Metall wird verarbeitet in der Konigshiitte und in der
Rothehiitte im Hildesheimischen , welche namentlich ausgezeichnete
Gusswaaren liefern. Viele Eisenhammer und Hiittenwerke, Giesse-
reien u. s. w. sind hier thatig. Sehr schone Gewehre kommen aus
dem Furdtenthum Grubenhagen (Herzberg) und aus Hannover,
schone Stahlwaaren aus Uslar (am Soiling), wo auch grossartige
Kupferhammer bestehen, die besten Bleiwaaren vom Scheerenberge
bei Osterode, vorziigliche musikalische, mathematische und chirur-
gische Instrumente aus Hannover und Gottingen, bedeutende Ma-
schinenfabriken sind zu Linden, Osterode, Gottingen, Osnabruck.
— Viele Bewohner der westphalischen Niederungen suchen wahrend
des Sommers ihren Verdienst in Holland (das ,,Hollandsgehen")>
wo sie Torf stechen, mahen und an Deichen arbeiten.
Die geographische Lage Hannovere an der Nordsee mit ihren
sicheren Hafen, Landunsfsplatzen und Buchten, sowie an den durch
eine grossartige Schiffahrt belebten grossen Fliissen Deutschlands,
und durchschnitten von zahlreichen schiffbaren Fliissen ist fiir den
Handel, der sich schon friihzeitig in bedeutendem Umfange, zu-
mal an der ostfriesischen Kiiste entwickelt hat , ausserst gunstig.
Kanale, gute Landstrassen, mehrere Eisenbahnen, die Banken und
Handel s vereine , die hervorragende geistige Kultur und besonders
der im Jahre 1854 erfolgte Beitritt zum deutschen Zollvereine iiben
einen sehr erfreulichen Einfluss auf die Entwickelung der Industrie
und des Handels aus, welche in bedeutendem Aufschwunge begrif-
fen sind. Hannover nimmt Antheil am deutschen Grosshandel und
hinsichtlich der Qualitat seiner Rhederei den ersten Rang ein. Haupt-
seeplatz ist der Freihafen Em den, nachst diesem : Haarburg (mit
einem Freihafen), Leer (regelmassige Schiffahrtsverbindungen mit
den hollandischen und norddeutschen Seestadten) , Bremerlehe und
Papenburg. Die Handelsmarine zahlt an 680 Schiffe und nahezu
1900 Kiistenfahrer. Fiir den Flussverkehr sind wichtig : Miinden
(Weser), Celle (Aller), Hannover (Leine), Stade und Haarburg
(Elbe), Liineburg (Ilmenau). Ausser den Letzteren sind im Binnen-
handel noch bedeutend: Gottingen, Meppen, Lingen, Osnabruck und
Bremervorde. Den Handel mit Bergwerksprodukten besorgen Gos-
lar und Osterode, Pferdemarkte sind in Weener, Norden und Aurich,
im letzteren auch grosse Getreidemarkte, in Uelzen sind Flachs- und
Viehmarkte, in Wittmund fur Butter und Kase, in Hannover gros-
ser Wollmarkt. Fiir den sehr lebhaften Transit- und Speditions-
handel sind Celle, Hannover, Haarburg, Liineburg, Osnabriick und
Miinden die Hauptplatze.
Zur Ausfuhr kommen: Pferde, Rindvieh, Salzfleisch, Milch-
produkte, Flachs, Garn, Leinwand, Wolle, Bergwerksprodukte, Ge-
treide, Holz und Holzwaaren, Tabak, Wachs, Papier u. a. ; — zur
Einfuhr: Kolonialwaaren und Sudfriichte, Hopfen, Wein, Seide
und Seidenwaaren , Wollen- und Baumwollwaaren, Glas-, Eisen-
und Stahlwaaren, Galanteriewaaren u. a.
Die geistige Kultur steht auf hoher Stufe. Die Volksbildung
ist im Ganzen sehr beachtenswerth. Jedes Kind ist verpflichtet, die
Schule zu beauchen. Fur die gelehrte Bildung bestehen zahlreiche,
treffliche Anstalten, unter denen die weltberuhmte Universitat Got-
tingen den ersten Rang einnimmt. Unter den Lehranstalten fiir
Erwerb und Verkehr gehort die polytechnische Schule in Hannover
zu den vorziiglichsten in Deutschland. Die Navigationsschule zu
Emden, die Baugewerks- und Handelsschulen, die zahlreichen Ge-
werbe-, Real-, Industrie- und landwirthschafdichen Schulen gehoren
in jeder Hinsicht zu den besten und fordern die technische und
geistige Kultur in sehr anerkennenswerther Weise. Gelehrtenvereine,
Vereine fiir Landvvirthschaft, Industrie und Handel bilden das be-
lebende Moment in diesem aufstrebenden Lande.
§. 136. Das Grossherzogthnm Oldenbnrg.
116 DMeilen, — 288.000 (relativ 2480) Einwohner; uberwiegend Protestanten,
etwa 73.000 Katholiken, dann 1500 Isracliten. — Drei getrennte Gebiete: Das
Hauptland , Herzogthum Oldenburg, zwischen Hannover, Bremen und der
Nordsee, — das Furstenthum Lubeck (oder Eutin) liegt in zerstreuten Par-
zellen in Holstein, — das Furstenthum Birkenfeld im sftdlichen Theile der
preussischen Rheinprovinz. — Konstitutionelle Erbmonarchie im lutherischen Hause
Oldenburg.
Boden. Das Herzogthum Oldenburg hat die gleiche natiir-
liche Bodenbeschaffenheit wie das Nachbarland Hannover, es gehort
237
zum norddeutschen Tieflande. An der Nordsee, der Weser und
der Jahde ist sehr fruchtbares Marschland, welches durch kostspie-
lige Deiche gegen das Eindringen des Meeres geschutzt wird. Das
Innere des Landes ist Geestland , theils Haiden und Sandboden,
theils Torfmoore (oahezu 50 n^eilen). — Der Boden des Fursten-
thums L ft beck ist ebenfalls fast durchgehends flach, mehr geest-
als marschartig, zum Theil mit anmuthigen Hugeln und mit Seen, die
mit Buchenwaldern umkranzt sind. — Das Furatenthum Birkenfel d
ist ein meist steiniges Bergland mit vielen kleinen Thalern ; die wald-
reichen Hohen sind Zweige des Idar- und Hochwaldes (Hunsriick).
Gewas.ser. Die Nordsee mit dem (an 4 QMeilen grossen)
Jahdebusen beepult Oldenburg, die O s t s e e das Furstenthum Lti-
beck. Der wichtigste Fluss ist in Oldenburg die Weser, welche
die schiffbare Hunte (bei Elsfleth) aufnimmt. Im Norden ist der
kleine Kustenfluss Jahde, im Siiden fliesst die Hase. In Liibeck
ist die schifFbare Trave, in Birkenfeld die Nahe von Bedeutung.
— Die meisten Seen hat Liibeck (der Ploner-, Eutinersee u. a.),
in Oldenburg sind der Zwischenahn- und der Diimmersee die gross -
ten. Die vielen jedoch kleinen Kan ale (,,Sieltiefe") dienen haupt-
sachlich zur Entwasserung, werden aber auch zur Schiffahrt be-
nutzt. — Das Klima ist im Ganzen gemassigt, an den Kusten
feucht und nebelig mit haufigen Winden , in Birkenfeld ist es
rauher.
Politische Eintheilung. Das Grossherzogthum Oldenburg
wird in drei Provinzen, das Hauptland dann in Kreise, diese in
Aemter und Kirchspiele eingetheilt.
Bedeutendere Orte sind im:
1. Herzogthuin Oldenburg, — 100 CJM., — 232.000 (relativ 2325) Ein-
wohner:
Oldenburg (9000), Bracke, Elsfleth, Varel (3800), Jever, Delmenhorst,
Kloppenburg, Vechta. — Die Insel Wangeroge (400 E.). — Die vormals
(bis zum 1. August 1854) graflich Bentink'sche Herrschaft Kniphausen
am Jahdebusen.
2. Ftirsteiithnin Liibeck, — 7 QM., — 23.000 (relativ 3300; Einwohner:
Eutin (3000).
3. Fiirstenthum Birkenfeld, — 9 DM., — 33.000 (relativ 3600) Ein^
wohner :
Birkenfeld (2700), Idar, Oberstein (2800).
Kulturverhaitnisse im Allgemeinen.
Die wichtigste Erwerbsquelle der Bewohner bilden der Acker-
bau und die Viehzucht, welche sorgfaltig betrieben werden. Am
ergiebigsten ist der Ackerbau im Marschlande , besonders im
,,Butjadingerlandeu (zwischen Jahde und Weser) und im Kreise
Jever. In den Marschen wird hauptsachlich Weizen, Gerste, Hafer und
sehr viel Raps gebaut, auch Bohnen und Erbaen ; im Geestlande
Gerste, Hafer, Buchweizen, Flachs und Hanf, Kartoffeln und Ta-
bak. In Lubeck wird die Feldwirthschaft auf holsteinische Art be-
trieben und der gute Boden liefert reichlichen Ertrag; hingegen deckt
in Birkenfeld der Ackerbau nicht den Bedarf. — Der Waldboden
nimmt nur etwa 12% der Gesammtflache ein, zumeist in Birkenfeld
und hie und da im Geestlande von Oldenburg, in den Marschen
herrscht jedoch Holzmangel. — In Oldenburg und Liibeck ist die
Viehzueht, namentlich vorzuglicher Pferde und Kinder (in den
Marechen) sehr bedeutend. Im Geeetlande herrscht die Schafzucht
vor, insbesondere viel Haideschnucken. In den Haiden ist auch die
Bienenzucht schwunghaft. Die Seefischerei ist bedeutend, dess-
gleichen im Zwischenahner • Meer; in den Moorgewassern werden
viel Blutegel gefangen und exportirt. — Der Bergbau, zutneist auf
Eisen (Jahresproduktion iiber 10.000 Zentner), dann auf Kupfer,
Blei , Steinkohlen, Schiefer, schone Achate und Karneole u. s. f.
wird nur in Birkenfeld unterhalten. In Oldenburg und Liibeck
sind ausgedehnte Torfstechereien. — Die Gewinnung von Seesalz
(iiber 30.000 Zentner) ist ansehnlich. Fur die Hebung der Land-
wirthschaft ist. die ,,oldenburgische Central-Landwirthschafts-Gesell-
schaft" mit mehreren Filialvereinen sehr thatig.
Die gewerbliche Industrie ist von geringem Belange ; gros-
sere Fabriken eind nur in geringer Anzahl vorhanden. Verhaltniss-
massig am starksten ist die uberall verbreitete Garnspinnerei und
Leinwandweberei (um Varel), dann die Wollstrumpfstrickerei um
Vechta und Kloppenburg. Baumwollfabriken hat Varel, der w i c h-
tigsteFabriksort in Oldenburg. Ziemlich erheblich sind
die Gerbereien (Birkenfeld) und die Verfertigung von Holzwaaren,
snwie einige Tabak- und Zuckerfabriken in Oldenburg, endlich der
Schiffbau und die SchifFahrt. Sehr vortheilhaft bekannt eind die
Steinschleifereien , besonders der Achate und Karneole zu Idar und
Oberstein. Auch in Oldenburg (Vechta und Kloppenburg) ist das
,,Hollandsgehen" ziemlich zahlreich. — Mehrere Industrievereine
und Biirgerschulen fordern die gewerbliche Thatigkeit.
Trotz der giinstigen Lage des Landes ist der Handel mit dem
Auslande von keiner Bedeutung. Die verhaltnissmassig wichtigsten
Handelsplatze sind : Oldenburg, Jever, Varel (bedeutender Produk-
tenhandel), Bracke (Freihafen), Vechta, Elsfleth. Zur Ausfuhr
kommen: Pferde, Schlachtvieh, Getreide, Milchprodukte, gesalzenes
und gerauchertes Fleisch, Raps, Leinwand, Blutegel, Torf; — zur
Einfuhr: Kolonial- und Materialwaaren , Siidfriichte, Wein, Bier,
Salz, Eisen, alle Arten von Fabrikserzeugnissen. — Die Rhederei
und Schiffahrt wird am starksten in Oldenburg, Elsfleth, Varel,
Jever und auf Wangeroge betrieben. Im Jahre 1855 zahlte die
Handelsmarine etwa 560 Fahrzeuge mit nahezu 50.000 Tonnen.
In der Volksbildung steht das Land auf der mittleren Stufe
unter den deutschen Staaten; die vereinzelten, von einander ent-
fernten Wohnungen im Geestlande erschweren den Schulbesuch.
Oldenburg besitzt iibrigens eine grosse Anzahl von Volksschulen
sowohl, als von Mittel- und hoheren Schulen fur gelehrte Bildung,
sowie fur den Erwerb und Verkehr.
§. 137. Das Herzogthum Braunschweig.
68 nMeilen; — 270.000 (relativ 3970) Einwohner; fast ausschliesslich Pro-
testanten (nur beilaufig 3000 Katholiken, dann etwa 1500 Israeliten). — Drei ge-
trennte Gebiete und einige kleine Parzellen. welche sammtlich von Hannover, Preus-
sen (Westphalen, Sachs^n) und Anhalt-Bernburg eingrschlossen sind. Das n6rd-
liche Gebiet bilden die Kreise: Braunschweig, Wolfenbuttel, Helmstedt, — das
mittlere: Hol/min<len, Gandersheim, — dassudliche: Blankenburg. Enklaven:
Kalvorde in Prenssisch-Sachsen, — Thedinghausen sfidlich von Bremen in der han-
noverschen Grafschaft Hoya und drei kleinere in Hildesheim. — Konstitutionelle
Erbmonarchie im lutherischen Hause Braunschweig-Wolfe nbiittel.
Uoden. Der siidliche und mittlere Theil des Herzogthums
Braunschweig sind gebirgig, der nordliche ist eben. Blankenburg
und Gandersheim durchzieht der metall- und waldreiche Harz mit
weiten und gut angebauten Thalern; dessen an grotesken Tropf-
steingebilden reiche Hohlen (die Baumanns- und die Bielshohle
bei Riibeland im Kreise Blankenburg), sowie die wilde ,,Teufels-
mauer" sind beriihmt. (Berghohen: Wormberg 3000', Achtermanne-
hohe 2700'). In den Kreis Holzminden etreichen Theile des ost-
lichen Wesergebi rges (des Sollingerwaldes) herein. Das nordliche
Gebiet gehort zur norddeutschen Tiefebene, aus welcher sich einzelne
Hiigelreihen (der Elm) erheben. Die genannten grosseren Enklaven
bind Flachland.
Gewiisser. Die Flusse des Landes gehoren zum Flussgeader
der Weser und der Elbe. Die erstere beruhrt die Westgrenze des
mittleren Gebietes. Die A Her, ein Nebenfluss der Weser, durch-
fliesst den nordosflichen Theil des nordlichen Gebietes. Der wicb-
tigste Fluss des Herzogthums ist dieOker; sie entspringt auf dem
Harze, fliesst in nordlicher Richtung , nimmt nebst andern Fliiss-
chen die Schunter auf und miindet in Hannover in die Aller.
Auch die Fuse und die den siidwestlichen Theil durchfliessende
Leine sind Nebenfliisse der Aller. — Zum Geader der Elbe ge-
horen die Ohre und die Bode, der bedeutendste Fluss des Har-
zes. — Das Land hat sehr viele T e i c h e (an 600) und einige
Mineral quellen (Helmstedt, Harzburg, Seesen).
Politische Eintheilung. Das Herzogthum ist in sechs Kreise
eingetheilt, die in Aemter zerfallen.
Bedeutendere Orte sind im :
1. Kreis Braunschweig, — 9 DM" — 70,000 (relativ an 7800) Einwohner:
Braunschweig (42.000), die Knklave Thedinghausen;
2. Kreis Wolfenbiittel, — 11 QM , — 53.000 (relativ an 4820) Einwohner:
Wolfenbuttel (9000), Scheppenstedt, Harzburg;
3. Kreis Helmstedt, — 15 fjM., — 45.000 (relativ 3000) Einwohner:
Helmstedt (7000), Konigslutter, Schoningen;
4. Kreis Gandcrsheim, — 12 QM., — 43000 (relativ an 3800; Einwohner:
Gandersheim (3000), Seesen, Lutter am Barenberge;
5. Kreis Holzminden, — 12 QM., — 40.000 (relativ an 3330) Einwohner:
Holzminden (4000), Oldendorf;
6. Kreis Blankenburg, — 9 QM., — 23000 (relativ an 2550) Einwohner:
Blankenburg (4000), Hasselfelde, Huttenrode, Tanne, Rubeland, Zorge.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Das Herzogthum Braunschweig zeichnet sich sowohl durch
den Reichthum seiner Urproduktion, als durch die ansehnliche ge-
werbliche Industrie und den Handel aus. Vor A Hem ist es ein
reiches Getreidelaml, und der Ueberfluss der nordlichen Theile
deckt nicht nur vollstandig den Mangel des gebirgigen Siiden?, son-
dern liefert auch fur den Export. Gleichen Reichthum hat es an
Hiilsenfruchten und Kartoffeln, Gartengewachsen und Oelpflanzen,
sowie an sehr gutem Flachs, trefflichem Hopfen (bei Braunschweig),
240
Cichorie, Tabak (urn Kalvorde), Futter- und Farbekrautern (Scharte
zum Gelbfarben). Im Harz und am Soiling ist viel Holz, wovon
erhebliche Mengen ausgefuhrt werden.
In der sehr bedeutenden Viehzucht (besonders auf dem Harze)
sind das starke Hornvieh, die schonen Pferde, die grosstentheils
veredelten Schafe und die sehr betrachtliche Bienenzucht (in den
Haiden) besonders hervorzuheben. Die Jagd bietet reiche Beute,
auch die Fischerei ist erwahnenswerth.
Der Bergbau und das Huttenwesen sind im Furstenthume
Blankenburg sehr bliihend, namentlich im Kommunionharze ; Silber
(1600 Mark), Eisen (an 120.000 Zentner), Blei (4000 Zentner),
Glatte und Kupfer u. s. w. Das meiste Eisen liefern die Gruben
von Huttenrode , Tanne, Zorge, Riibeland ; das meiste Kupfer (an
1000 Zentner jahrlich) am Rammelsberge im Kommunionharze.
Vorziigliche Braunkohlen werden bei Schoningen, Steinkohlen bei
Helmstedt gebrochen. Die zwei Staatssalinen ( Schoningen und
Salzdahlum) geben fiber 30.000 Zentner Salz. Auch Marmor, Sand-
steine (am Soiling), Gyps, Alabaster, Porzellan- und Pfeifenerde,
Topferthon und andere Erdarten werden in ansehnlicher Menge
gewonnen.
In der gewerblichen Thatigkeit treten uberwiegend das
Kleingewerbe und die als ,,landwirthschaftliche Nebenbeschaftigung"
sehr verbreitete Verarbeitung der Landesprodukte hervor; eigent-
liche Fabriken und grossere Manufakturen bestehen nur in den be-
deutenderen Stadten, als : Braunschweig , Wolfenbiittel, Helmstedt
und Holzminden, wo namentlich Tiicher und andere Wollenzeuge,
eowie Leder verfertigt werden. Auf dem Lande und in den klei-
nen Stadten sind Garnspinnerei und Leinweberei fast die allgemeine
Beschaftigung. Ferners besitzt das Land viele Oelmuhlen, Brannt-
weinbrennereien , Bierbrauereien (Braunschweiger ,,Mumme<< und
der ,,Duckstein" zu Konigslutter) , einige Tabak-, Papier-, Leder-,
Farben- (,,Braunschweiger Griin"), Cichorien- und Runkelriiben-
Zuckerfabriken, besonders in und um Braunschweig und Holzminden.
Sehr schones Porzellan erzeugt die herzogliche Fabrik von Fursten-
berg (am Soiling). Auch Handschuhe, Striimpfe, Blech- und Holz-
waaren von Braunschweig sind bekannt. Auf dem Harze (Zorge,
Eubeland, Ocker) und bei Holzminden sind grosse Eisen werke,
Kupferhammer und chemische Fabriken und Glashutten thatig; in
Zorge besteht auch eine Maechinenfabrik. In Braunschweig ist ein
Gewerbeverein thatig.
Das Land hat eine fiir den Handel sehr giinstige Lage. Die
alten Handelsstrassen von den Elbelandern nach dem Rhein, von
Hamburg nach Suddeutschland und die Eisenbahn von Berlin nach
Koln durchziehen Braunschweig. Diese Lage der Stadt Braun-
schweig und die zwei noch immer stark besuchten Messen (anfangs
Februar und anfangs August) mit bedeutenden Wollmarkten reihen
sie unter die wichtigsten Handelsstadte Norddeutschlands ein. Fur
die Flussfahrt ist Holzminden der Hauptstapelplatz. Zur Ausfuhr,
welche bedeutend starker als die Einfuhr ist, gelangen : Getreide,
Riibsamen, Flachs, Garn, Leinwand, Wolle, Leder, Papier, Hopfen,
24i
Eisen, Holz, Sollinger Sandsteine, Tabak, Braunschweiger Honig-
kuchen u. a. m. ; — eingefiihrt werden: Kolonialwaaren und
Siidfriichte, Wein, Obst, Baumwolle, Seide und Seidenwaaren, Eisen-,
Stahl-, Gold- und Silberwaaren. — Sehr betrachtlich ist der Spe-
ditions- und Transitohandel.
Die geistige Kultur ist gleichfalls eine bedeutende, wie es
die verhaltnissmassig grosse Anzahl von Schulen zur GenGge be-
statigt. Sowohl die Anstalten fiir gelehrte Bildung, als auch jene fur
Erwerb und Verkehr erfreuen sich sorgfaltiger Pflege und einer guten
Organisation.
§. 128. Das Fiirsteiithum Lippe (Lippe-Detmold).
Das Ffirstenthum Lippe-Detmold , ein grosstentheils bergiges,
doch in den gut angebauten Thalern fruchtbares Land, mit schonen
Eichen- und Buchenwaldungen , ist umgeben von Preussen, Hessen
und Hannover. Der Flacheninhalt betragt iiber 20 '/2 QMeile. Die
fast durchgehends protestantische Bevolkerung von 106.000 Seelen
lebt in sieben Stadten, mehreren Marktfiecken und Dorfern. Ini
Suden ziehen als Fortsetzungen des Teutoburgerwaldes die Ketten
des lippischen Waldes (Deutschlands klaesischer Boden : Ar-
min, Varus), im iibrigen ist es Hugelland , nur zum kleinen Theile
Tiefland. Die Flusse (Bega, Werre u. a.) fliessen in die Weser,
welche das Land im Norden berfihrt; die Lippe und Ems habeu
ihre Quellen im Lande. Bekannt sind die Schwefel- und Eisen-
quellen bei Meinberg (eudostlich von Detmold) und die Soolbader
von Salzuflen.
Grossere Orte sind:
Detmold (6000), Lemgo, Lage, Horn, Salzuflen, Varenholz,
Barntrup, Blomberg, Schwalenberg.
Die bedeutendste Erwerbsquelle bildet die Landwirthschaft.
Der gute Boden und der ausgezeichnete Ackerbau gewahren die
gewohnlichen deutschen Produkte fiber den Bedarf, namentlich
Getreide, Hulsenfriichte, Riibeamen und Flachs. Auch die Vieh-
zucht ist ansehnlich, besonders des Hornviehes und der veredelten
Schafe; im siidwestlichen Landestheile, d. i. in der Sennerhaide,
werden vortreffliche Pferde (,,Sennerpferde") gezogen. Nicht min-
der sind die Schweine- und die Bienenzucht bedeutend. Der land-
wirthschaftliche Verein von Detmold hat in dem kleinen Lande
vierzehn Bezirksvereine. — Metalle hat das Land keine ; da-
gegen liefert die Staatssaline zu Salzuflen an 30.000 Zentner Salz.
Die gewerbliche Industrie sowie der Handel
sind in Lippe von geringem Belange; doch nahren sich ganze
Ortschaften von der Garnspinnerei und Leinweberei , welche
Manufakte in den Handel gebracht werden. Zudem bestehen einige
Wollenzeugwebereien , mehrere Gerbereien , einige Glashiitten und
Papiermuhlen , viele Oel- und Sagemiihlen, dann Bierbrauereien
u. dgl. Am bekanntesten sind die Meerschaum - Pfeifenkopfe aus
Lemgo ; zu Horn ist eine grossere Sensenschmiede. — Die A u s-
f u h r besteht in Holz, Leinwand und Garn , Schlachtvieh , Pfer-
den, Wolle und Meerschaumkb'pfen. — Fur die Volksbil dung
Kluii's Handcls- Geographic. 2. Anil. |(;
242
wird sehr viel gethan, die zahlreichen Lehranstalten sind trefflich
eingerichtet.
§. 139. Das Furstenthum Lippc-Sclmumburg.
An den nordwestlichen Abhangen des Siintel breitet sich
dieses hugelige, zuna grosseren Theile jedoch dem Tieflande ange-
horige, etwa SQMeilen grosse Furstenthum zwischen Kurhessen,
Hannover und Preussen aus, von keinem grosseren Flusse (nur von
der Aue und Gehle und einigen Bachen) bewassert. An der Nord-
grenze liegt das Steinhudermeer , und auf einer kiinstlichen Insel
in demselben die Festung Wilhelmsstein. Etwa 30.000 protestan-
tische Sachsen, welche die Landesbevolkerung bilden, wohnen in den
zwei Stadten: Buckeburg (4000) und Stadthagen (2500), zwei
Marktflecken und in hundert Dorfschaften. Die Hauptbeschaftigung
bildet die La nd wir th scha f t, welche Getreide iiber den Bedarf,
Hulsenfruchte, Kartoffeln und Flachs als Fabrikspflanze liefert.
Die Hornvieh- und Pferdezucht 1st ausreichend, die Schaf^ und
Schweinezucht gewahren Artikel zur Ausfuhr. Die waldigen Biicken-
berge geben schones Holz und gute Steinkohlen, das Steinhuder-
nieer viel Fische. Eilsen ist ein Badeort mit Schwefelquellen
und Schlammbadern. — Die gewerbliche Industrie und der
Handel gestalten sich hier wie in Lippe-Detmold. Die Verarbei-
tung des Flachses ist der wichtigste Industriezweig der Landbevolke-
rung und die Umgegend von Hagenburg ist dafiir der Hauptsitz.
Sonst sind noch die Branntweinbrennerei und einige kleine Zucker-
siedereien. Zu Buckeburg ist die ,,niedersachsische Bank" (12Mil-
lionen Thaler Grundkapital) in Wirksamkeit. — Die g e i s t i g e
K u 1 1 u r steht auf gleicher Stufe wie ina Furstenthume Lippe-
Detmold.
§. 130. Das Herzogthuiu Anhalt-Dessau-Kotben.
Dieses tiber 28 QMeilen grosse, von beilaufig 115.000 meist
protestantischen Sachsen bewohnte Herzogthum ist von Preussen und
Anhalt-Bernburg begrenzt, und gehort zum norddeutschen Tieflande.
Es besteht aus einem Hauptgebiete , dann einem kleineren westlich
von Bernburg gelegenen , und fiinf im Regierungsbezirke Magde-
l>urg gelegenen Parzellen. Nachdem (am 23. November 1847) die
Linie Kothen im Mannesstamme erloschen war, kam (am 4. Fe-
bruar 1853) in Folge eines Vertrages mit Bernburg das Herzogthum
Kothen ausschliesslich an Dessau.
Das Land ist von der Elbe, der Mulde und Saale und
L-inigen kleineren Nebenfliissen der Elbe bewassert; iiberdiess gibt
OB mehrere kleine Seen und viele Teiche. In Zerbet ist eine sali-
msche Mineralquelle.
Bemerkenswerthe Orte sind:
Dessau (14.000), Zerbst (10.000), Kothen (7000), Jessnitz,
Oranienbaum, Sandersleben, Worlitz, Nienburg.
Der ebene Boden ist am linken JElbeufer sehr fruchtbar und
der Ackerbau mit der Viehzucht bilden die wichtigste Nahrungs-
quelle der Bewohner. Am rechten Elbeufer ist der Boden mehr san-
dig, kleine Haiden und hie und da Waldungen bedecken denselben.
243
Die landwirthschaftliche Produktion iibersteigt den Bedarf und bringt
vorzuglichen Weizen, gute Obstsorten, einige Handelspflanzen (Krapp,
Tabak), Produkte der Milchwirthachaft und Borstenvieh in den
Handel. — Metalle besitzt das Land keine; aber gute Bausteine,
Schiefer, Braun- und Steinkohlen, Topferthon, Porzellanerde und
Torf. — Die gewerbliche Thatigkeit ist im Ganzen wenig
erheblich; eie arbeitet zumeist nur fiir den Lokalbedarf. Die land-
licbe Bevolkerung spinnt Flachs und Wolle , die Leinweberei er-
streckt sich auf den Hausbedarf; die Tuchweberei ist in Dessau,
Jessnitz, Raguhn und Zerbst mehr ausgedehnt. Bedeutender eind die
Bierbrauerei , die Branntweinbrennerei , einige Gerbereien (Dessau,
Zerbst, Kothen), die Tuchfabrikation (Dessau, Zerbst); relativ am
wichtigsten ist die Rubenzuckerfabrikation ; in Nienburg werden auch
Sehiffe gebaut. — Der Handel ist von untergeordneter Bedeutung,
der wichtigste Platz ist Dessau, wo (seit 1856) die ,,deutsche
Centralbank," die ,,Kreditanstalt fiir Industrie und Handel," die
,,Landesbank" und die ,,Landrentenbank" bestehen. Dessau und
Kothen halten ansehnliche Getreide- und Wollmarkte , Zerbst grosse
Yieh-, namentlich Pferdemarkte. Mehrere Vereine sind fur die He-
bung der Landwirthschaft und Gewerbe thatig,
Die Unterrichtsanstalten sowohl fur gelehrte als fiir gewerb-
liche und kommerzielle Bildung sind in bltihendem Zustande, sie er-
freuen sich sorgfaltiger Pflege und starken Besuches,
§. 131. Das Herzogthum AnliaK-Bernbarg.
Das Herzogthum Anhalt-Bernburg besteht aus mehreren ge-
trennten Gebieten, welche zusammen uber 15 QMeilen gross und
von etwa 54.000 meist lutherischen Sachsen bewohnt sind. Das Staats-
gebiet zerfallt in das Unterherzogthum (die zerstreuten Lande an
der Saale und Elbe umfassend) und in das Oberherzogthum am
Unterharze. Ersteres ist ein grosstentheils fruchtbares Flachland,
ietzteres ist gebirgig und waldig. Die Elbe, Saale und Bode
bewassern das Land ; zudem hat es mehrere kleine Seen und die
zwei Mineralquellen Alexisbad und Beringerbad,
Grossere Orte sind :
a) imUnterherzogthume: Bernburg (10.000), Koswig,Hecklingen;
bjimOberherzogthume: Ballenstedt, Harzgerode, Gernrode, Hoym.
Im Flachlande bilden der Ackerbau und die Viehzucht die
wichtigste Nahrungsquelle ; im Harze der Bergbau und der Hiitten-
betrieb. Der Ackerbau liefert Getreide, Hiilsenfruchte, Flachs,
Tabak und Riibsamen in ausreichender Menge, auch schones Obst;
in der Viehzucht ist die Rindvieh-, Schaf- und Schweinezucht er-
heblich. — Der Bergbau liefert viel Eisen, Silber (jahrlich an
1800 Mark), Blei und Steinkoblen, Der Mittelpunkt des Bergbaues
ist Harzgerode. — Mit Ausnahme des bedeutenden Hiittenbetriebes
ini Selkethale (im Harze) ist die gewerbliche Industrie
!*ehr untergeordnet. Sie arbeitet fur den Lokalbedarf und ist zu-
meist nur durch das Kleingewerbe oder die mehrerwahnten ,,land-
wirthschaftlichen Nebenbeschaftigungen" vertreten. Sie erstreckt sich
auf Garnspinnerei, Leinweberei, Tuchmacherei , Leder und Papier,
16*
244
Steingut und Holzwaaren. — Dass der Handel ebenfalls nicht
hervorragend ist, ist erklarbar aus dem verhaltnissmaasig geringe-
ren Stande , welchen die physische und technische Kultur in
dem kleinen Lande einnehmen. Handelsplatze sind Bernburg
und Koswig. — Fiir die geistige Bildung des Volkes ist
durch viele und zweckmassig eingerichtete Lehranstalten sehr gut
gesorgt,
§. 133. Das tirossherzogtham Mecklenbarg-Schwerin.
244 QMteilen, — 539000 (relativ 2112) Einwohnerj fast ausschliesslich Pro-
testanten (nur etwa 1000 Katholiken, 3000 Israeliten). — Nach der Nationalitat
slavischen (wendischen) Ursprnnges, aber vollstandig germanisirt. — Grenzen: im
N. die Ostsee, — im 0. Pommern, Mecklenburg-Strelitz, — im S. Brandenburg.
Hannover, — im W. Lauenburg, Mecklenburg-Strelitz (Ratzeburg). — Konstitu-
tionelle Erbmonarchie im protestantischen Hause Mecklenburg.
lioden. Mecklenburg -Schwerin liegt im norddeutschen Tief-
lande. Der Boden ist flach, nur hie und da von einzelnen Hiigel-
ketten (bis hochstens 570') durchzogen. Die tiefsten Punkte sind
an der Ostsee und an der Elbe. Der grossere Theil des Bodens
ist fruchtbar, zumeist im nordwestlichen Landestheile ; im Siiden
kommen Sandflachen und Torfmoore vor.
Gewasser. Das Land ist wasserreich. Auf einer Lange von
25 Meilen wird es von der Ostsee, welche mehrere Meerbusen
und Buchten bildet, Wismar (mit der Insel Poel), Salzhoff, Warne-
munde (bei Rostock) bespult. Die fliessenden Gewasser gehoren
theils zum Gebiete der Ostsee, theils zum Flussgeader der Elbe.
In die Ostsee fliessen: die Stepnitz, die War now (der bedeutendste
Fluss des Landes), die Recknitz und die Peene; in die Elbe: der
Grenzfluss Steckenitz , die Sude mit mehreren Zufliissen und die
scbiffbare E 1 d e. — Unter den vielen Seen (329) sind viele sehr
klein , der grosste See Norddeutschlands ist der Miiritz-See,
welcher mittels der Elde mit dem Male how-, K alp in-, Flee-
sen- und Plauer-See in Verbindung steht. Der Schweriner-
See steht (durch den Abfluss Stoer zur Elde) mit der Elbe in
Verbindung. Die Peene fliesst durch den in der ,,mecklenburgischen
Schweiz" gelegenen Malchin- und den Ku mmer o w-See. —
Zahlreiche Schiffahrts-, Verbindungs- und Entwasserungska nale
durchschneiden das Land. — Die meisten Quellen enthalten Eisen,
Salz, Kalk oder Schwefel ; besuchte Seebader sind Dobberan, Warne-
munde und Boltenhagen (bei Wismar).
Politische Eintheilung. Die Bestandtheile des Grossherzog-
thums sind: 1. der inecklenburg ische Kreis oder Herzog-
thum Schwerin, — 2. der wendische Kreis des Herzogthums
Gustrow, — 3. der Rostocker Distrikt, — 4. das Fiirsten-
thum Schwerin — und 5. die Herrschaft Wismar. — Die
Kreise werden in Aemter und Vogteien eingetheilt.
Bemerkenswerthe Orte sind:
Schwerin (22.000), Ludwigslust, Domitz, Boitzenburg, Grabow, Parchim.
Dobberan, Eldena, Gustrow, Butzow, Ivenack, Kostock und Warnemunde, Wismar,
Basedow.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Mecklenburg - Schwerin ist ein Agrikulturstaat, nahezu drei
245
Viertheile der Bewohner finden in der sorgfaltig betriebenen Land-
wirth scha f t ihre wichtigste Erwerbs- und Nahrungsquelle. Ueber
70% der Gesammtflache sind dem Ackerbaue zugewiesen, der an
Roggen , in den sandigen Gegenden an Buchweizen den reichsten
Ertrag bietet; auch Weizen , Gerste und Hafer werden angebaut.
DieErnte an Hiilsenfruchten (besonders Erbsen), Knollengewachsen
(Teltower Ruben um Gustrow), an Handelspflanzen, Farbekrautern
1st ziemlich erheblich. — Die Forstkultur ist ansehnlich, sie liefert
Holz, vorziiglich Tannen in ausreichender Menge. — Der treffliche
Wiesenbau hat eine ausgezeichnete Viehzucht im Gefolge. Den
ersten Platz nimmt die Pferdezucht ein ; die mecklenburgischen
Pferde, auf deren Veredlung und Pflege eine grosse Sorgfalt ver-
wendet wird, sind die kraftigsten in Deutschland und werden vom
Auslande, namentlich von Frankreich, stark gekauft. Die Rind-
viehzucht und die Zucht veredelter Schafe (Gustrow, Toddin) sind
bedeutend, mecklenburgische Butter und Wolle sind im Handel
geschatzt. Der grosse Bedarf an Schweinefleisch wird durch die
Schweinezucht gedeckt und gelangt auch zum Export. Bei dem
Wasserreichthum des Landes ist die Fischzucht von Bedeutung;
die sehr ausgebreitete Federviehzucht liefert geraucherte Ganse-
briiste und Federn in den Handel. — An Miner alien ist das
Land arm, es besitzt keine Metalle, nur Torf, Kalk, Braunkoh-
len , Gyps (bei Lubtheen) und Salz in der Saline zu Siilze (bei
Gustrow).
Die gewerbliche Industrie ist von keiner Bedeutung.
Das Kleingewerbe ist in den Stadten fiir den Lokalbedarf hin-
reichend vertreten, dagegen kommen Fabriken und Manufakturen
nur sehr vereinzelt und in geringer Anzahl vor; die meisten Kunst-
erzeugnisse werden aus dem Auslande bezogen. Die Leinen- und
Wollenweberei ist ziemlich verbreitet, liefert jedoch nur ordinare
Waare. Die meiste industrielle Thatigkeit findet sich in Rostock
(25.000 Einwohner) , wo die Gerbereien , Branntweinbreunereien,
Baumwoll-, Tabak-, Papier- und Ziindwaarenfabriken, eine Zucker-
siederei und ansehnlicher Schiffbau (Warnemunde) u. s. f. bestehen.
In letzterer Hinsicht ist auch Wismar beachtensvverth. ^ In Plan
ist eine Maschinenfabrik thatig. Erwahnenswerth sind einige Glas-
hiitten, Oel- und Papiermiihlen.
Die geographische Lage des Landes zwischen der Ostsee und
der Elbe ist fur den Handel sehr gunstig und wurde seit jeher
zu einem lebhaften Schiffahrtsverkehr beniitzt. Die Verbesserung
der Landstrassen, die Anlegung der Eisenbahnen, die durch Ka-
nalisirung hergestellte Verbindung zwischen Schwerin und Hamburg
hat auch dem inneren Hamlel grosseren Aufschwung gegeben. Im
auswartigen Handel sind Rostock (mit Warnemunde) und Wismar,
dann Boitzenburg an der Elbe die bedeutendsten Platze; an diese
schliessen sich (auch fiir den inneren Handel) Gustrow, Schwerin,
Grabow, Domitz, Parchim und Ribnitz an, wo wie in vielen Dorfern
stark besuchte Jahrmarkte gehalten werden. (Wollmarkte und Vieh-
markte in Gustrow, Rostock, Wismar, Boitzenburg, — Buttermarkte
in Grabow.) Ist die Einfuhr an Manufakten, Wein, Koloniahvaarea
und Sudfriichten , Steinkohlen und Metallen bedeutend, so wird sie
doch von der Ausfuhr im Geldwerthe iibertrofFen ; letztere umfasst
Getreide (nach England, Skandinavien und Hamburg), Wolle (nach
Berlin, Hamburg, Liibeck), Tabak, Mastvieh (nach Hamburg und
Berlin), Pferde (nach Frankreich , auf die Messen nach Leipzig) ,
Butter und Kase u. s. f. — Die Schiffahrt ist sehr ansehnlich,
namentlich in Rostock und Wismar. Dampfschiffahrten bestehen
zwischen Rostock und St. Petersburg und den inecklenburgischen
Hafen, zwischen Wismar und Kopenhagen, zwischen Boitzenburg
und Hamburg; auch die Elde, Stoer, Havel und Warnow werden
befahren.
In Hinsicht der unteren Volksbildung eteht das Land den
iibrigen deutschen Staaten zuruck, obwohl in jungster Zeit hierin
ein sehr erfreulicher Aufschwung bemerkbar ist. Fur hohere Bii-
dung ist gut gesorgt, und zwar sowohl fur die gelehrte als fur
die auf Gewerbe und Handel abzielende. Eine Hochschule besitzt
das Land in der im Jahre 1419 gestifteten Universitat in Rostock.
§. 133. Das Grosshcrzogtliuin Mecklenburg-Strelitz.
Das Grossherzogthum Mecklenburg-Strelitz besteht aus zwei
Gebieten , welche durch Mecklenburg- Schwerin von einander ge-
trennt sind. Der 6'stliche Theil, die Herrschaft Stargard, ist
von Mecklenburg-Schwerin und Preussen (Brandenburg, Pommernj,
— der westliche , die Herrschaft Ratzeburg, von Mecklen-
burg-Schwerin, Lauenburg und Lubeck begrenzt. — Der Flachen-
inhalt des Landes betragt an 50 QMeilen mit etwa 100 000 fast
auaschliesslich protestantischenEinwohnern. — Der Bo den ist durch-
aus eben , mit nur wenigen Hiigelketten (Helpterberge 600'), und
jenem des benachbarten Grossherzogthums gleich. — Der bedeu-
tendste Fluss ist die Havel, welche mehrere Seen mit einandei
verbindet und ihren Lauf siidwarts nach Brandenburg nimmt. Die
Trave ist Grenzfluss gegen Lubeck, deesgleichen deren Nebenfiuss
die Wackenitz. Unter den sehr zahlreichen Seen ist der Tollense-
See der grosste; die vielen Kan ale sind zumeist Verbindungs-
und Entwasserungs-Kanale.
Bcmerkenswerthe Orte sind :
a) in der Herrschaft Stargard: Neu-Strelitz (8000), Neu - Brandenburg,
Stargard, Friedland, Alt-Strelitz, Waldegk, Fftrstenberg, Wesenberg, Mirow;
b) in der Herrschaft Ratzeburg: SchOnberg (2000), und ein kleiner Theil der
Stadt Ratzeburg.
Mecklenburg-Strelitz ist in Bezug auf die physische und tech -
nische Kultur seinem Nachbarlande fast ganz gleichgestellt. Auch
hier bilden die Landwirthschaft, und zwar vorzuglich der
Ackerbau und die sehr ansehnliche Viehzucht die Hauptnahrunge-
quellen der Bewohner, indem sie nicht nur den inlandischen Bedarf
vollstandig decken, sondern auch fur den Export liefern. — Ebenso
besitzt das Land keine Metalle, aber Torf und mehrere Erdarten.
— In der wenig bedeuteuden gewerb lichen Industrie nehmen
die Lein- und Wollweberei den ersten Rang wegen der grosten
Verbreitung ein ; die Erzeugnisse sind fast ausschliesslich ordinarer
Sorte. Die verhaltnissmassig wichtigsten Orte sind Neu-Strelitz.
Stargard, Wesenberg und FQrstenberg. Erwahnenswerth sin<l noch :
die Lohgerberei , die Tabak- und Papierfabrikation , die Glashfitten,
Bierbrauereien, Branntwein-Brennereien , Ziegeleien u. s. f.
Der Handel ist relativ lebhaft und uinfasst beira Export die
Natur- und landwirthschaftlichen Erzeugnisse , beitn Import Indu-
strie- und Kunstprodukte ; der Geldwerth des Exportes ist jedoch
grosser als des Importes. — Auch in Hinsicht der geistigen Kul-
tur waken die ganz gleichen Verhaltnisse vor, wie in Mecklenburg -
Schwerin.
§. 134. Die HerzogthUmer Holstein und Lauenburg.
(Siehe das Konigreich Dan em ark.)
§. 135. Die freie und Hansestadt Lttbeck.
Die freie Stadt Lubeck ist vom holsteinischen Gebiete und
Mecklenburg umgeben ; einige kleine Parzellen liegen in Holstein
und in Lauenburg. Das Staatsgebiet, etwa 6 QMeilen gross, von
55.000 meist lutherischen Sachsen bewohnt, liegt in der norddeut-
schen Tiefebene. Es wird von der Trave bewassert, mit welcher
sich die Steckenitz und Wackenitz vereinigen. Der Steckenitz-Kanal
fiihrt in die Elbe und verbindet Lubeck mit Hamburg, die Ostsee
mit der Nordsee. — Das Staatsgebiet besteht aus der Stadt Liibeck
aammt Vorstadten (40.000), einigen Landbezirken (Ritzerau, Trave-
miinde u. a.) und dem Amte Bergedorf (gemeinschaftlich mit Ham-
burg). — Der B o d e n ist eben und fruchtbar. Der Ackerbau bildet
den Haupterwerb der Landbewohner , welche gutes Korn, Hiilsen-
und GartenfrQchte, Flachs und Riibsamen bauen ; auch die Rindvieh-
und Schafzucht wird stark betrieben. Sehr bedeutend ist die Fischerei
sowohl in der Ostsee als in den Flilssen. — Die gewerbliche In-
dustrie ist geringer als in den anderenHansestadten. Den wichtig-
sten Zweig bildet der Schiffbau mit den dazu gehorigen Gewerben,
nebstdem sind die Tabak- und Wollenindustrie, der Maschinenbau,
die Oelmuhlen , die Lederbereitung , die Essigsiedereien, Brannt-
weinbrennereien, Bierbrauereien, die Lichterfabrikation , die Spiel-
karten u. a. m. erwahnenswerth.
Die Hauptnahrungszweige der Bewohner bilden Handel und
Schiftahrt. Lubeck, zur Zeit der frankischen Einfalle unter Lud-
wig dem Frommen erbaut, breitete im Mittelalter seinen Handel
und seine Schiffahrt grossartig aus. Es war das Haupt der mach-
tigen Han B a, an deren Spitze es durch fast drei Jahrhunderte
stand und vermittelte in seiner gunstigen geographischen Lage den
Handel zwischen den Ostseelandern und dem Westen und Siiden
Europas. Doch ist es von seinem alten Glanz derart herabgekom-
raen, dass dessen Handel nur mehr l/3 so umfangreich ist, als jener
Bremens; beide zusammen aber bewegen nur etwa den dritten Theil
des Werthes, welchen Hamburg in einem Jahre umsetzt. — Verhalt-
mssmassig ist der Handel noch immer bedeutend , besonders der
Kommissions- und Speditionshandel zwischen den Ostseelandern,
Deutschland und Frankreich, welcher durch den Anschluss an die
Berlin-Hamburger Eisenbahn (Liibeck-Buchen) uud den Steckenitz-
248
Kanal bedeutend gefordert wird. Am starksten ist der Verkehr mit
den nordischen Staaten , mit Russland, Schweden, Norwegen und
Danemark. — Die wichtigsten Exp ort - Ar tikel sind: Getreide,
Wein, Zucker , Baumwolle, Leder und Fabrikate der deutschen
Industrie ; — importirt werden hauptsachlich : russische Er-
zeugnisse (Pottasche, Hanf, Leinwand, Segeltuch, Oele, Leinsamen
aus Riga, Theer, Pelzwaaren, Bretter), — aus Scbweden Eisen
und Holz, aus Preussen Getreide und Manufakte , aus England
Steinkohlen, Steingut und Glaswaaren, aus Frankreich Wein,
aus dem deutschen Zollvereine verschiedene Industrie- und
Kunstprodukte.
Ueber dieMengeund den Werth derAusfuhr feblen die An-
gaben, weil dariiber keine Zollkontrolle gefiibrt wird; die Total-
einfuhr in den letzten Jahren betrug hingegen :
1857
18
58
Millionen Pfund
% des
Ge-
wich-
tes
Mil-
lionen
Cou-
rant-
Mark
% des
Geld-
wer-
thes
Mil-
lionen
Pfund
% des
Ge-
wich-
tes
Mil-
lionen
Con-
rant-
Mark
% des
Geld-
wer-
thes
land- und flusswarts ...119.,
33.,
44
56
104..
35
40
67
66..
35
44
194.g
65
20
33
Gesammteinfuhr. . .359.,
-
79
-
298.,
;T/^
60
' Sail
Den starksten Antheil im Seeverkehr haben Eussland (mit Finnland) and
Schweden, dann Grossbritannien, Holstein, Danemark und Preussen; beim Land-
und Flussverkehr steht obenan Hamburg mit 34% des Werthes und 11% des
Gewichtes *). Die Anzahl der eingelaufenen Schiffe ist im J. 1858 die geringste
(940) in den letzten 6 Jahren gewesen, desgleichen jene der abgegangenen (959); in
der Zahl der ersten sind 111, in der letzteren 122 Lubecker.
Lubeck unterhalt regelmassige Dampfschi ff ahrts- Verbindung en mit
Gothenburg, Helsingfors, Kopenhagen, MalmO, Riga, St. Petersburg und Stockholm.
Zu den EDrderungsmitteln des Handels gehoren insbesondere die Borse, die
*) Einfuhr aus:
Eussland mit Finnland
1857
71 Mill. Pfd 16 Vs Mill. Cour. Ma
68'/s 14l/-
England und Schottland
Holstein
80'/,
.... I'/..
.... 0...
»
IV,
. 0..,
Preussen .
5V
o
Hamburg
Einfuhr aus:
Itussland mit Finnland
Schweden
40'/£
::::26.';;
1858
56 M
60
1. P
d 14 Mil
. . 31/,
Cour.
»
Mar
England und Schottland
Holstein
62'/s
5'/.
Danemark
IV
. o.,.
Preussen
4
38V.
.... 0.18
.. 25
Hamburg . .
_249
zwei Banken (BLubecker Privatbank", und BKredit- and Versichernngsbank"), meh-
rere Versicberungsanstalten, Handcls- und Schiffahrtsvertrage, und ein sehr ausge-
breitetes Konsularwesen.
Fur die geistige Bildung sind sowohl die Volks- als die Gewerbe- nnd
Industrieschulen, die gelehrten und gemeinnutzigen Anstalten sehr thatig. — Die
Verfassuug ist die republikanische ; die Staatsgewalt wird vom ^Senate" und
der nBurgerschaft" ausgeubt. Der Senat besteht aus 14 Mitgliedern, von welchen
stets 8 dem Gelehrtenstande und wenigstens 5 dem Kaufmannsstande angeh6ren
mussen; der Vorsitzende fuhrt den Titel .Biirgermeister." Die Burgerschaft be-
steht aus 120 Vertretern; sie ubt ihre Thatigkeit theils in ihrer Gesammtheit, theils
durch einen Ausschnss. Den Vorsitz fiihrt der ^Wortiuhrer." Bei Meinungsver-
schiedenheiten der zwei Korporationen wird eine ^Entscheidangskommission" von 14
Mitgliedern aus beiden Korporationen zu gleichen Theilen gewahlt.
§. 136. Die freie und Hansestadt Bremen.
Das etwa 4y2 nMeile grosse Gebiet der freien Stadt Bre-
men liegt im norddeutschen Tieflande zu beiden Seiten der Weser,
eingeschlossen von Hannover und Oldenburg; an der Wesermun-
dung und der Einmundung der Geeste in die Weser liegt das Amt
und der Hafenplatz Bremerhafen. Die 90.000 meist protestantischen
Bewohner niedersachsischen Stammes leben in den 3 Stadten Bre-
men (64.000), Vegesack (4000) und Bremerhafen (6000) und 55
Dorfern und Weilern. Der Boden ist flach, grosstentheils Marsch-
land, von vielen Kanalen durchschnitten. In den Hauptfluss Weser
miinden die Wumme, Ochte und Geeste.
Ein wichtiger Erwerbszweig der Landbevvohner ist am linken
Weserufer die vortreffliche Hornviehzucht, am rechten der
Ackerbau. Mit grosser Sorgfalt werden der Garten- und Ge-
miisebau betrieben, worunter auch das Obst besondere Hervorhe-
bung verdient. — Yon Wichtigkeit ist die industrielle Thatig-
keit, welche sich zumeist mit der Verarbeitung iiberseeischer Roh-
stoffe und jenen Gewerben befasst, welche mit der Schiffahrt in
Verbindung stehen. Obenan steht die Tabak- und Zigarrenfabrikation
(an ISOFabriken und 1650C5garrenmacher), welche sogar fur den Ex-
port nach dem eigentlichenTabaklande, nach America und Westindien
arbeitet. Dieser Fabrikation stehen zunachst die der Schiffahrt die-
nenden Gewerbe, dann die zahlreichen Baumwollgarnspinnereien, die
Leinwand-, Leder-, Bleiweiss-, Chokolade-, Oel- und Seifefabriken,
die Zuckersiedereien, Branntweinbrennereien, Bierbrauereien, Dampf-
miihlen u. s. f. Im Allgemeinen besteht der Zunftzwang; doch sind
in neuerer Zeit einzelneZiinfte ganz aufgehoben, andere in ihren ein-
schrSnkenden Bestimmungen bedeutend modifizirt worden.
Obwohl Bremen schon im 8. Jahrhunderte eine nicht unbedeu-
tende Stadt gewesen, sp'ater durch freie Verfassung, durch Handel
und Schiffahrt kraftig geworden ist, und seit dem Beitritte zum
hanseatischen Stadtebunde (im J. 1284) immer an Macht und Ein-
fluss zugenommen hat; so haben doch die Ervverbung eines Gebie-
tes in der Nahe der Wesermundung von Hannover (im J. 1827)
und die Grundung des Seeplatzes Bremerhafen ganz besonders
zur Hebung des Eigenhandels, der sich in neuerer Zeit bereits fiber
alle Meere erstreckt, beigetragen. — Bremen betreibt fast die ganze
Weserschiffahrt, insbesondere seitdem mancherlei Hindernisse in die-
ser Beziehung beseitigt wurden. Bis zum J. 1820 bezahlten alle in
250
die Weser kommenden Schiffe zu Elsfleth einen Seezoll an Olden-
denburg , ferner kdnnen grossere Schiffe nur bis Brake und Els-
fleth, hochstens bis Vegesak die Weser hinauffahren ; seit der Griin-
dung Bremerhafens sind diese Hemmnisse nun beseitigt. Dieser
Hafen, erst im Dezember 1830 eroffnet, ist im raschen Aufbluhen :
im J. 1836 hatte der Ort 1500, im Jahre 1855 schon uber 5500
Einwohner, welche sich mit Schiffbau, der Fabrikation von Segel-
tuch und Tauen und der Spedition beschaftigen, oder Lootsendienst
treiben. Zur Stadt Bremen konnen nur Lichterschiffe, Boote und
Weserkahne kommen, doch ist auch mittels der platten Schifie
zwischen Bremen und Hamburg ein lebhafter Verkehr.
Bremens Geschaft ist hauptsachlich auf Rhederei und
Waarenhan del basirt ; der Verkehr ist theils See-, theilsFluss-
verkehr; letzterer wird in den Ober- und den Unterweserverkehr
geschieden. Die Hauptrichtung dea Handels ist von und nach
America, welcher sich in stets grosserer Ausdehnung entfaltet. Fur
die Gesammt -Handel sbewegung der zwei Jahre 1856 und
1857 ergibt sich folgende Uebersicht : *)
Einfuhr: Ausfuhr:
Zentaer Beichsthaler Zentner Keichsthaler
1856 seewarts 5^505.539 38oT-^327 3,633838 30^509.626
land w&rts . . . 5,441.728. . . .27.977.195 3,024.782 30,965.671
Zusammen . . 10,947.267 66,091.522 6,658.620 61,475.297
1857 seewarts .... 6,095.695 . . . .46,335.780 3,493 389. .. .31,889.198
landwarts . . . 5.194.981 27,669.000 2,357.448 30,720.274
Zusammen . . 11,290.676 74,004.780 5,850.837 62,609.472
Zur See kamen 2985 Schiffe mit uber 275.000 Last an, und gingen 3053
Schiffe mit nahe 278.000 Last ab. — Von der Unter-Weser kamen 6382 mi:
185 000 Last an, und gingen 6387 Schiffe mit 185.253 Last ab. — Von der 0 b e r-
Weser kamen fiber 2000 Fahrzeuge mit nahe 60.000 Last an, und gingen 1097
Fahrzeuge mit iiber 42.000 Last ab. Bei der Weserschiffahrt sind am starksten ver-
treten : Hannover, Preussen, Kurhessen und Braunschweig. — Die Zahl sammtlicher an
der Weser heimathberechtigter Schiffe bestand zu Ende 1857 aus 834 Segeln mit iibei
124.000 Last Tragfahigkeit. — Von wachsender Bedeutung ist die Gesellschaft der
,,N orddeutsche Lloyd," welche zu Ende 1857 schon 24 Dampfschiffe besass.
Dampfschiffahrts- Verbindungen werden unterhalten mit New-York,
London, Hull, auf der Unter- und Oberweser.
Bremen ist endlich fur Deutschland der Hauptbafen fur die Ueberfahrt der
Auswanderer nach America. Im J. 1855 wurden 31.550, — im J. 1856. . .36,517
und im J. 1857. . .48.123 Personen befordert.
Zu den FOrderun gsmitteln des Handels gehoren die Borse, zwei Banken
(BDiscontokasse" und ^Bremer Bank"), vierzehn See-Assekuranz-Kompagnieu, der
Kaufmannskonvent, die Handelskammer, die Behorden fur Handelsstatistik, fur Han-
dels- und Schiffahrtsangelegenheiten, Handels- und Schiffahrtsvertrage, Handelsagenteu
u. s. f. — Die geistige Kultnr weiset einen befriedigenden Stand.
*) Die Einfuhr und Ausfuhr einiger Hauptartikel im J. 185
Gewichte:
57 war nach dem
Einfuhr:
Baumwolle uber 40 Mill
onen Pfd.
Kaffee
20
9
Farbeholzer
23
Tabak
60
j
Cigarren
8600
Stack
Zucker
15
Pfund
Getreide
20 Tausend Last,
Aus fuhr:
Baumwolle nahe 35 Millionen Pfd.
Kaffee „ 16
Farbeholzer uber 17V,
Tabak „ 45%
Cigarren „ 6200
Zucker „ 14
Stuck
Pfund
Getreide
6300 Tausend Last.
251
Die Staatsform ist die republikanische. Zur Ausubung der Staatsge-
walt bestehen der ^Senat" und die „ Burgers chaft.« Der Senat besteht aus 18 Mit-
gliedern, von welchen wenigstens 10 Rechtsgelehrte und 5 Kaufleute sein tnftssen.
Zwei Senatoren werden aaf 4 Jahre zu BBargermeisternu gewahlt, der eine ist zu-
gleich Prasident des Senates. Die Burgerschaft besteht ans 150 Vertretern, ais
Ausschuss besteht das nBurgeramt." Fur die gemeinschaftliche Wirksamkeit des
Senates und der Burgerschaft bestehen standige Deputationen.
§. 137. Die freie und Hansestadt Hamburg.
Das Gebiet der freien Stadt Hamburg, uber 6 QMeilen gross,
liegt itn norddeutschen Tieflande an der untern Elbe, begrenzt voa
Holstein und Lauenburg, und durch die Elbe von Hannover ge-
trennt. Es besteht aua der Stadt Hamburg und mehreren zerstreu-
ten Parzellen, darunter Bergedorf gemeinschaftlich init Liibeck. Die
meist protestantische, uber 217.000 Seelen starke Bevolkerung nie-
dersachsischen Stammes lebt in 2 Stadten, Hamburg (150.000) und
Bergedorf, 2 Marktflecken (Ritzebattel, Kuxhafen) und uber 50 Dor-
fern. — Der Boden ist eben, theils fruchtbares Marsch-, theils Geest-
land , und bewassert von der Elbe und ein Paar kleineren Neben-
flussen derselben (Alster, Bille).
Eine ansehnliche Nahrungsquelle fur die Landbewohner bildet
die Landwirthschaft; der Ackerbau, der Garten- und Obstbau
und die Viehzucht sind erheblich. Im Amte Ritzebiittel sind die
Fischerei , der Robbenschlag , die Muschelkalkbrennerei und die
Schiffahrt erwahnenswerth.
Von hoher Bedeutung ist die gewerbliche Industrie,
doch besteht nebst voller Handelsfreiheit ein Zunftzwang bei den
Gewerben. Die urnfangreichsten Manufakturen und Fabrikeu sind
in Segeltuchbereitung, 200 Zuckerraffinerien mit der besten europai-
schen Raffinade, Tabak- und Cigarrenfabrikation , Eisengiessereien ,
Maschinenbau, die Wollen-, Leder- und Papierfabrikation, der Schiff-
bau , die Bereitung von Schreibfedern (Hamburger Kiele) , Seifen-
und Leimsiedereien , Holz- und Elfenbeinwaaren, Dampfmahlmuh-
len u. s. f. Im J. 1855 war der Werth der deklarirten Ausfuhr
hamburgischer Fabriks- und Gewerbserzeugnisse uber 25 %
Millionen Mark Banko.
Hamburg ist der erste Handelsplatz De utschlands.
Der auf freien Prinzipien beruhende Handel umfasst alle Natur-
uiid Industrie-Erzeugnisse Deutschlands, sowie alle Produkte, welche
uus den anderen Erdtheilen nach Deutschland kommen ; denn Ham-
burg steht mit alien wichtigeren Lindern der Erde in kommerzieller
Verbindung, und Deutschland bezieht den grossten Theil der Kolo-
nialwaaren iiber Hamburg. Einen grossen Theil seines bliihenden
Handels verdankt es seiner gunstigen Lage, die in gleicher Weise
den binnenlandischen wie den auswartigen Verkehr begiinstigt.
Durch die El be- Schiffahrt, die Lebensader fiir den deutechen
Verkehr, werden diesem Lande nicht nur viele Erzeugnisse Oester-
reichs und Bohmens, Ober- und Niedersachsens zugefuhrt, sondern
es dehnen sich seine Handelsoperationen, begiinstigt durch die zahlrei-
ohen Nebenflusse und deren reiche Kanalverbindung auch auf die
ostlichen Lander aus. Allein nicht bios fiir den Waarenverkehr,
252
auch fiir den Wechselverkehr ist Hamburg der erate Platz Deutsch-
lands. Zum ausgedehnten Eigenhandel kommen noch die grossartig-
sten Speditions- und Kommissionsgeschaf te ; nur die Auswanderung
ist fiber Hamburg weniger lebhaft als iiber Bremen.
Hamburg unterhalt den Seeverkehr hauptsachlich mit Eng-
land, Frankreich, Russland, Nord-Amerika, West-Indien, Brasilien
und Chili; in neuester Zeit hat es auch den Verkehr im mittellan-
dischen und adriatischen Meere, endlich nach Ostindien und Australien
eroffnet. Der Flussverkehr ist am starksten mit Preussen und
Polen , dann mit Mecklenburg , Sachsen und Bohmen, Hannover,
Lauenburg, Lubeck und Anhalt. Der Seeverkehr Hamburgs ist
fortwahrend im Steigen, vom Jahre 1845 bis zum Jahre 1858 be-
trug diese Zunahme 89%. (Im J. 1845 betrug der Gesammtgehalt
der damals eingelaufenen 3990 Schiffe nur iiber 292.000 Last a
4000 Pfund, — im J. 1858 dagegen 4364 Schiffe mit 552.000 Last.)
Zu Anfang des Jahres 1858 zahlte Hamburg 491 eigene Schiffe
mit beilaufig 64.000 Lasten. — Seit dem Jahre 1857 hat die Ver-
pflichtung zur Deklarirung der Ausfuhr aufgehort, und wir kon-
nen sonach nur mehr die Einfuhr zur Beleuchtung des Handels-
verkehrs Hamburgs angeben, wozu folgende Uebersicht dient :
Gewicht
(Netto-Zentner & 100 Pfund)
Seewarts
Landwarts
Zusammen
Durchschnitt der Jahre
1847 — 1856 .. 151/ Millioa
11 V Millioa
26 '/s Million
1857 20 650 000
16 155 000
36 805 000
1858*) 19657.000
12,550 000
32207000
Werth
in Mark Hamburger Banko
Seewarts
Landwarts
Zusammen
Durchschnitt de
1847—1856.
r Jahre
238 Millionen
174 Millionen
412 Millionen
1857
349 795 000
339000000
688 795 000
1858. .
..264.735.000
237.472.000
502,206.000
Von dem fiir das J. 1858 bezifferten Werthe der Einfuhr per 502 Millionen
M. B. entfallen auf:
Kohstoffe und Halbfabrikate nahezu 177 Millionen M. B.
Verzehrungsgegenstande „ 99 „ »
Manufakturwaaren n 90 „ „
Knnst- nnd Industrieerzeugnisse „ 44 „ „
Kontanten und edle Metalle fiber 93 „ »
Die wichtigsten Import-Artikel sind:
1857
Kaffee 92 '/, Million
Zucker 51 „ „
Thee uber 25.000 Viertel Kisten
Pfd.
1858
Kaffee 67 Millionen Pfd.
Zucker 47 „ „
Thee uber 18.000 Viertel
*) Im J. 1858 waren die Folgen der Handelskrisis der letzten Monate von 1857
ungemein ffihlbar ; doch hat sich Ham burg seither wieder bedeutend erholt.
253
Reis, Cacao, Gewurze, Sfidfriichte, Wolle, Baumwolle, Tabak, Wein, Webe- und
Wirkwaaren u. s. f.
Zum E x p or t gelangen : Getreide, Leinwand, Wolle, Tuch, b6bmiscb.es
Glas, Eisenwaaren, Holz, Salz- und Rauchfleisch u. s. f.
Der Flussverkehr Hamburgs und Altonas auf der Elbe ist gleichfalls an-
sehnlich. Im J. 1857 betrug die Zahl der angekommenen Fahrzeuge nahe an 5000
mit fiber 5 Millionen Zentner und jene der abgegangenen fiber 4700 mit Waaren
im Gewichte von 5V4 Millionen Zentner. — Die Zahl der Hamburger FlussscbSffe
betrfigt fiber 1500.
Hamburg unterhalt regelmassige Dampf schiffabrts - Verbindungen
mit: Amsterdam, Barcelona, Bergen (Norwegen,), Bremerhaven, Christiania, Dun-
kirchen, Gool, Gothenburg, Grimsby, Harburg, Havre, Helgoland, Hull, Leith, Lon-
don, Kuxhafen, Magdeburg, Newcastle, New- York, Rotterdam, Stade und Brasilien.
An Forderungsmitteln des Handels besitzt Hamburg 1 Borse, 3 Banken
^Hamburger Bank" (die alteste in Dentschland, seit 1619), die ^Vereinsbank" und
die «norddeutsche Bank" (beide seit 1856), mehrere Versicherungsanstalten, Handels-
und Schiffahrtsvertrage mit fast alien handeltreibenden Staaten, zahireiche Konsnlar-
beamte u. s. w. Die vielen Lehranstalten, sowohl fur gelehrte Bildung als zur
Hebung der Industrie, des Handels und der Schiffahrt wirken nebst mehreren Ver-
einen erfolgreich und wohlthatig, und erfreuen sich sorgsamer Pflege.
Die Staatsform ist die republikanische. Die hSchste Gewalt ist dem
,,Senate" und der BBiirgerschafttt fibertragen. Der Senat oder Rath ist die Exekutiv-
behorde, er besteht aus 4 ^Burgermeistern" und 24 Senatoren, welche das Raths-
kollegium bilden, zu dem auch 4 Sindici (gleichsam Minister) und 7 Sekretarien ge-
h&ren. 3 Bfirgermeister, 11 Senatoren, die Sindici und Sekretare mussen Rechcs-
gelehrte sein, die andern dem Kaufmannsstande angehoren. Die Burgerschaft besteht
aus 4 ,,bargerlichen Kollegien." Dii!erenzen zwischen Rath und Biirgerscbaft werdeu
durch eine inapellable Mausserordentliche Deputation" ausgeglichen.
III. Die Schweiz.
(Die schweizerische Eidgenossenschaft.)
$. 138. Grenzen. Bestandtheile. Bcvolkerung.
752 nMeilen; — 2,398400 (relativ 3190) Einwohner, darunter 593 per
Mille (%n) Protestanten, 406%, Katholiken, 1%, Israeli ten. — Nach der Nationa-
litat 702%? Deutsche, 226°/00 Franzosen, 55°/1)0 Italiener, 17%0 Rhatoromanen. —
Grenzen: im 0. Oesterreich (Vorarlberg, Tirol), Liechtenstein, — im S. Sardinien,
— im FT. Frankreich, — im N. Baden, der Bodensee. — Ein Bundesstaat aus
22 souveranen Kantonen, von denen drei in je zwei selbststandige Landestheile zer-
fallen: Unterwalden (in Ob- und Nidwalden), Appenzell (in Ausser- nnd Innerrho-
den), Basel (in Basel-Stadt und Basel-Land).
Bestandtheile der scliweizerischen Eidgenossenschaft.
Jahr
Gr6sse
Bevolkerung
des
Kantone
QMei-
Hauptort
Einwohner-
zahl
Ein-
trittes
len
absolute
rela-
in den
tive
Bund
1
Zurich
33
251.000
7600
Zfirieh
18.000
1351
2
Bern
128
460.000
3600
Bern
27.600
1353
3
Luzern . ...
27
138.000
4960
Luzern . ...
10.000
1332
4
Uri .
20
14.500
725
Altdorf .
2100
1307
5
Schwyz
15
44000
2930
Schwyz . ...
5500
1307
'j
Unterwalden .
13
25.100
1930
jSarnen. . . .
(Stanz
3400U.
1900J '
1307
*) Sarnen Hauptort von Obwalden, Stanz von Nidwalden.
254
Kantone
Grosse
in
DMei.
len
Bevolkernng
Hauptort
Einwohner-
zahl
Jahr
des
Ein-
trittes
in den
Bund
absolute
rela-
tive
8
9
10
n
12
13
14
15
16
17
18
19
20
— 1
22
Glarns
Zug
Freiburg
Solothurn . . .
Basel
Schaffhausen.
Appenzell . . .
St. Gallen...
Graabfindten.
Aargan
Thurgau
Tessin
12
4-s
28
15
9
6
8
37
134
25
16
52
55
96
13
5-»
30.200
17.500
100.000
69.600
77.000
35.300
54.800
169.600
90.000
200.000
90.000
118.000
200.000
82.000
71.000
65.000
2517
3930
3570
4640
8550
5880
6850
4585
672
8000
5625
2270
3636
854
5460
Glarus
4000
3300
COOO
5400
27.300) ,
3000} I
7700
26001«~
2900} )
12.000
6100
6000
3450
2000J
3000} ***)
5000)
18.000
3000
8000
38000
1352
1352
1481
1481
1501
1501
1513
1803
1803
1803
1803
1803
1803
1814
1814
1814
Freiburg ....
Solothurn . . .
(Basel
JLiebtal
Schaffhausen.
j Trogen ....
(Appenzell . .
St. Galleii...
Chur
Frauenfeld . .
jBellinzona.
•{Locarno . .
(Lugano . . .
Lau-aune. . .
3itten
Neuenburg .
Genf
Waadt
Wallis
Neuenburg . .
Genf
752
2,398.400 | 3190 |
In geschichtlicher Beziehung heissen die ersten 13 Kantone ndie alten
i\antone" (Uri, Schwyz und Unterwalden auch rUrkantone"), die andern 9 ndie
neuen." — In sprachlicher Beziehung: die .welsche Scbweiz" (Tessin, zum
Theil Granbundten) ; — die Bfranz6sische Schweiz" (Wallis, Waadt, Genf, Neuen-
burg, zum Theil Freiburg); — und die ^deutsche Schweiz" die abrigen Kantone. —
Zam grosseren Theile sind katholisch: Solothurn, Luzern, Zug, Schwyz, Uri, Dn-
rerwalden, Freiburg, Wallis und Tessin, — uberwiegend p r o tes tan tisch : Glarus,
Zurich, Schaffhausen, Basel, Bern, Neuenburg, Waadt, — gemischt (paritatiscb)
iind: Graubundten, St. Gallen, AppenzeH, Thurgau, Aargan und Genf.
Bodenverhaltni§se und Kliina. Die Scbweiz ist das hiichste
Gebirgsland in Europa. An 75°/0 sind A 1 pen land, der Rest ent-
i'allt auf die Hochebene und den Jura; die Form des Tieflandes
fehlt ganzlicb. Etwa 125 nMeilen sind Schneefelder, die Gletscber
nehmen an 50 und die Seen uber 38 QMeilen ein. — Von den
Alpen durchziehen Zweige der grajischen und ein grosser Theil
der ostlichen Uralpen das Land (die Walliser-, Adular-, Berner-,
Glarner-, Schwyzer-, Osturner-, Vierwaldstatter-, Tbur- und Rha-
tischen Alpen, siehe §. 25, S. 23, 24). Die Kamme dieser viel-
fach nach alien Richtungen verzweigten Zuge sind reich an Kuppen
und Spitzen, welcbe hoch fiber die Schneegrenze emporragen; zwi-
schen den Verzweigungen dehnen sich mehr oder minder breite
Alpenthaler aus , die meisten eigenthiimlich durch die Kulturver-
haltnisse der Bewohner, reich an erhabenen , oft wildromantischen
Naturscenen. Zahlreiche Fliisse, welche bisweilen prachtvolle Was-
*) Basel Hauptort von Basel-Stadt, Liestal von Basel-Land. — **; Trogen
Hanptort des protestantischen Ausserrhoden, Appenzell des katholischen Innerrho-
den. — ***) Die Regierung des Kantons Tessin hat abwechselnd ihren Sitz in den
genannten drei Stadten, und ubersiedelt alle 6 Jahre aus einer zur andern.
255
serfalle bilden aber durch Ueberschwemmungen schon oftmals grosse
Verheerungen angerichtet, bewaseern die Thaler und werden h'aufig
zu industriellen Zwecken benfltzt. Dagegen sind die Thaler auch
furchtbaren Lawinen und verheerenden , wenn gleich selteneren
Bergstilrzen ausgesetzt. Die meisten Thaler sind mittels Gebirgs-
passen und Einsattlungen unter einander verbunden, iiber mehrere
fiihren mit grossem Kostenaufwande ausgefuhrte Kunststrassen.
(Ueber den Simplon, St. Gotthart, St. Bernhardin, Spliigen, Julier,
Bernina und die Maloja). Gegen Norden senken sich die Alpen
langsamer zur Hochebene herab, der Sudabfall in die Po-Ebene ist
rascher und vielfach steiler.
Im grossen Halbkreise vom Genfer- bis zum Bodensee an dem
Xordwest- und Nordabhange der Alpen ist die durch Mannigfaltig-
keit und Fruchtbarkeit eo wie durch viele Seen ausgezeichnete,
zwischen 900 — 1400' hohe Hochebene, aus welcher sich einzelne
Hugelketten, aber auch grossere Bergreihen erheben. Von Siidwest
nach Nordost begrenzt das Kettengebirge des Jura die genannte
Hochebene (siehe S. 28).
Die Mannigfaltigkeit der Bodenverhaltnisse bedingt eine grosse
Verschiedenheit der klimatischen Verhaltnisse. Wahrend in den
siidlichen Gegenden von Tessin, in Unterwallis, Waadt und Genf
fast italienisches, mildes Klima herrscht ; ist es auf der Hochebene
und den niederen Alpenthalern gemassigt; dagegen folgt in den
hoheren Alpenthalern sowie auf den Alpen unter der Schneegrenze
auf einen kurzen , sehr heissen Sommer ein sehr strenger , langer
Winter. Die Schneegrenze beginnt am Nordabhange bei 8200', am
Sudabhange erst bei 9500' ; von da an breiten sich die grossen
Schnee- und Eismassen aus, von denen sich in die muldenformigen
Bergabhange die Eisfelder und Gletscher herabziehen. Im Allge-
meinen herrscht eine grosse Veranderlichkeit in der Witterung; die
atmospharischen Niederschlage fallen sehr reichlich , die Luft ist
rein und scharf, das Klima gesund. — Unter den Winden tobt der
;)F6hna (Siidwind) namentlich imFriihlinge und Herbste, und richtet
bisweilen grosse Verwustungen an. In den hoheren Bergregionen
herrschen haufige Sturme.
Gewasser. In den ausgedehnten Schnee- und Gletscherfeldern
sind die Quellen sehr zahlreicher Fliisse, welche im Fruhlinge und
Sommer sehr wasserreich sind. In ihrem Quellgebiete sind sie zu-
meist reissende Wildbache , welche nicht selten iiber Felsen hinab-
stiirzen und die prachtvollsten Wasserfalle bilden (Staubbach
bei Lauterbrunnen , Giessbach bei Brienz, Rh ein fall un-
terhalb Schaffhausen und viele andere). Fur die Schiffahrt sind
nur wenige geeignet. Die Fliisse der Schweiz ergiessen sich in
4 Meere:
a) in die Nordsee: der Rhein (siehe S. 50), nimmt rechts
die Plessur und die Landquart, — links die Thur mit der Sitter),
die Toss , die A a r und einige kleinere Flusse vom Jura auf.
In die A a r ergiesst sich die Reuss aus dem Vierwaldstatter- und
die Limmat aus dem Ziircher-See. (Letzterer See steht durch den
Linth-Kanal mit dem Wallenstatter-See in Verbindung);
256
b) in das mi t te 1 landisch e Meer : die Rhone (Seite 53),
welche den Genfer-See durchfliesst ;
c) in das adriatische Meer geht der Tessin (Nebenfluss
des Po) durch den Langen-See (lago maggiore);
d) zu dem Gebiete des schwarzen Meeres gehort der Inn.
Von den vielen Seen gehoren die meisten dem Flussgebiete
des Rhein an. Die meisten werden mit Segelschiffen, folgende auch
mit Dampfschiffen befahren: Genfer-, Neuenburger-, Bieler-,
Murtner-, Brienzer-, Thuner-, Vierwaldstatter-, Zuger-, Wallen-
statter-. Zurich-, Boden-See, der lago maggiore und der Luganer-
See. (Siehe §. 44, S. 58).
Sehr reich ist das Land an Heilquellen , darunter sind vor-
nehmlich bekannt : die B'ader von Baden und Schinznach
(K. Aargau), Pfaeffers und Ragatz (K. St. Gallen), Leuk
(K. Wallie), St. Moriz, Tarasp (K. Graubiindten) und andere.
Politische Eintheilung. Die 22 Kantone bilden einen Bun-
desstaat. Dem Bunde obliegt die Wahrung der Unabhangigkeit
nach Aussen, Handhabung der Ruhe und Ordnung im Innern,
Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen und Beforde-
rung ihrer gemeinsamen Wohlfahrt. — Die oberste Gewalt des
Bundes wird durch die»Bundesversammlunga ausgeiibt, welche
aus dem ^Nationalr a th" (120 Mitglieder) und dem BS tan de-
rat h (44 Mitglieder) besteht. Die oberste vollziehende und leitende
Behorde ist der »Bun des rath" (7 Mitglieder), abwechselnd fuhrt
ein Mitglied desselben durch 6 Monate den Vorsitz als BBundes-
Prasident." — Die Rechtspflege , soweit sie in den Bereich dea
Bundes fallt, iibt das JBundesgericht" (1 1 Mitglieder) ; in den
Kantonen sind Landes- und Bezirksgerichte. — Die Bundesbehor-
den haben ihren Sitz in der Landeshauptstadt Bern.
Jeder Kanton ist souveran, er ordnet selbststandig seine inneren Angele-
genheiten. In den Kantonen Uri, Glarus, Umerwalden und Appenzell versam-
melt sich die gesammte, stimmberechtigte Bfirgerschaft (die BLandsgem einde"),
und stimmt uber vorgeschlagene Gesetze, Vertrage, Besetzung der Amtsstellen u. s. w.
ab; in den fibrigen Kantonen wahlt das Volk (in den ,,Bezirksgemeindentt) Bepra-
sentanten zu einer Versammlung, gewohnlich der ^Grosse Rath" (die Mitglieder
^Kantonsrathe") genannt. Dieser wahlt eine vollziehende Behtirde, welcher BKleiner
Bath" oier nStaatsrath" oder nRegierungsrath" heisst, an dessen Spitze steht der
nLandamman" als President. Der Kanton zerfallt. in Bczirke mit je einem MBezirks-
amman" an der Spitze, derLeiter der autonomen Gemeinde ist der Gemeindeamman."
Bemerkenswerthe Orte sind im:
1. Kanton Zurich: — Zurich, Winterthur, Eglisau, Bu-
lach, Cappel, Horgen, Wadenschwyl, Uster, Pfaffikon, Griiningen.
2. Kanton Bern: Bern, Thun , Interlacken , Meyringen,
Brienz, Langnau, Burgdorf, Laupen, Biel, St. Imier, Minister,
Delsberg (Delemont), Pruntrut (Porrentruy).
Thaler: Haslithal, mit einem Saumweg uber die nGrimselu in das
obere Rhonethal, Zugang znm ,,Finsteraarhorn;'' — Lauterbrunnenthal
von der Jungfrau, dem Finsteraarhorn und andern hohen Bergen eingeschlos-
sen, viele Wasserfalle (Staubbachfall beim Dorfe Lauterbrunnen) ; — Grin-
delwaldthal mit tief herabreichenden Gletschern, Weg auf das ,,FaQlhorn";
Si mm en thai mit sch6nen Alpen, vorzuglichem Hornvieh, beruhmten Kase-
reien; — Emmenthal, sehr fruchtbar und wohlhabend, Emmenihaler Kase ;
— im Jura: das Erguel- Oder St. Immerthal, gewerbsfleissige, wohl-
257
habende franzosische Bevolkerung, Dhrmacherei, Spitzen; — Munsterthal
mit Eisenhammern.
3. Kan ton Luzern: — Luzern, Sernpach, Sursee, Willisau.
Das grosse, fruchtbare Thai Entlibuch mit einer frOhlichen Bevolkerung,
bekannt auch durch gymnastische Feste.
4. Kanton Uri: — Altdorf, Fluelen, Burglen, Seelisberg,
Amsteg, Andermatt.
Das Urserenthal von der Furka zum Urnerloch; die alte and die neue
wTeufelsbriickea fiber die Reuss; ^Tellsplatte" am Fusse des Axenberges am
Vierwaldstatter-See ; gegenuber, am Fusse des Seelisberges das nGrutli."
5. Kanton Schwyz: — Schwyz, Brunnen, Gersau, Weggis,
Kiissnacht, Immensee, Einsiedeln, Lachen, Wollerau, Insel Uffnau
im Zurich-See.
MHohle Gasse" mit der ,,Tells-Kapelle" bei Kiissnacht; — der (5540' hohe)
Rigi zwischen dem Vierwaldstatter-, Lowerzer- und Zuger-See, gegenuber
dem ,,Pilatu8;' mit der prachtvollen Rundaussicht ; — das scheme Alpenthal
Muottathal. — Am 2. September 1806 wurden 5 Dorfer (Goldau, Busingen,)
durch einen Bergsturz (Rossberg) verschuttet.
6. Kanton Unterwalden: — Sarnen, Engelberg, Stanz,
Beckenried, Stanzstadt, Alpnach.
Das wilde Melchthal und das wildromantische E ngelber ger-Thal.
7. Kanton Glarus: — Glarus, Mollis, Nafels, Linththal
(Stachelberger Bad), Elm, Schwanden.
8. Kanton Zug: — Z u g, Baar, Morgarten (Kapelle St. Jakob).
9. Kanton Freiburg: — Freiburg, Murten , Gruyeres,
(Greyerz), Bulle, Romont, Kue.
Die sumpfige Landschaft zwischen dem Neuenburger-, Bieler- und Murten-
See heisst das Uechtland.
10. Kanton Solothurii: — Solothurn.
11. Kanton Basel (a. Baselstadt): — Basel, St. Jakob,
Schweizerhall ; — (b. Baselland): Liestal, Sissach, Basel- Augst.
12. Kauton Schaft'hausen: — Schaffhausen.
13. Kanton Appenzell: — (a. Innerrhoden) — Appenzell,
Weissbad ; — b. Ausserrhoden) — Trogen, Speicher, Herisau,
Gais, Heiden.
14. Kanton St. G alien: — S t. G alien, Eorschach, Rheineck,
Altstetten, Werdenberg, Sargans, Ragatz, Pfaffers, Rapperschwyl,
Uznach, Wallenstadt. — In der Landschaft Toggenburg: Wyl,
Flavvyl, Lichtensteig, "Wattwyl, Ebnat, Wildhaus.
15. Kautou Graubundten (ital. Grigione), — Chur, Dis-
sentis, Mayenfeld, Reichenau, Hinterrhein, Splugen, Thusis, Malans,
St. Moriz, Tarasp, Puschlav (Poschiavo).
Thaler. Das Vorderrheinthal mit vielen grossen Seitenthalern ; —
das milde und fruchtbare Rheinthal zwischen Chur und Mayenfeld ; — das
Prattigau, ein wildrornautisches Thai am Fusse der Rhatikonkette, be-
Wassert von der Landquart; — das Engadin, ein langes Hochthal, das
Quelland des Inn, mit vielen Seitenthalern, schonen Diirfern, einer wohlhaben-
den rouianischen Bevolkerung und den beruhmten Badeorten St. Moriz und
Tarasp. (Der Maloja-Pass verbindet das Engadin mit dem Bregellthal, der
Bernina-Pass mit dem Puschlav, mehrere Passe mit dem Veltlin und dem
Rheinthal); — das Miinsterthal, Weg fibej das Wormserjoch in das Velt-
lin; — das Mis oxer- Thai zum St. Bernhardin-Pass ; von Misocco an ita-
lienischer Himmel, italienische Vegetation und BevOlkerung; — die Land-
Kluu's flandels-Gcographie. 2. Aufl. 17
schaft Puschlav, Hochland von der Bernina bis zum Veltlin, im Suden
italienischer Charakter.
16. Kantoii Aargau: — Aarau, Aarburg, Zofingen, Lenz-
Imrg, Zurzach , Laufenburg , Seckingen , Rheinfelden , Windisch
(Vindonissa), Brugg, Baden, Schinznach (Ruine Alt-Hab sburg),
KOnigsfelden.
17. Kant on Thurgau: -- Frauenfel d, Romanshorn, Arbon
(Schlosser Gottlieben und Arenenberg), Bischofszell , Weinfelden,
Diessenhofen.
18. Kanton Tessin (ital. Ticino). — Bellinzon a (Bellenz),
Locarno, Lugano, Airolo, Magadino.
19. Kanton Waadt (franz. Pays de Vaud). — Lausanne,
Vevay (Vivis), Merges (Morsee), Aubonne, Noyon (Neuss), Yver-
dun (Ifferten), Grandson (Gransee), Moudon, Orbe.
20. Kanton Wallis (franz. Valais). — Sion (Sitten), Martigny
(Martinach), Leuk, Brieg, Sierre (Siders).
21. Kan ton Neuenburg (Neufchatel) : — Neuenburg (Neuf-
chatel), Valengin, Boudry, Locle, La Chaux de Fonds.
Das sehr gewerbreiche Jarathal Val de Travers, — das schauerliche
Felsenthal Val deRuz, — die Jurathaler von Locle, la Chaux deFonds
mit der beriihmten Uhrenfabrikation.
22. Kanton Genf (Geneve): — Genf (Geneve), Carouge.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Das Hochgebirgsland mit den grossen unproduktiven Strichen
kann trotz der im Allgemeinen fleissig und rationell betriebenen
Landwirihschaft den Bedarf der dichten Bevdlkerung nicht decken,
und nahe an 2/3 des benothigten Getreides mussen importirt wer-
den. Nur die Kantone Aargau , Luzern und Solothurn erzeugen
Getreide iiber den Bedarf; in Schaffhausen, Basel, Thurgau und
Waadt geniigt nur in ,,guten" Jahren die Produktion; — alle
ubrigen sind auf den Import angewiesen. — Viel Flachs und
Hanf sowie Oelpflanzen haben Thurgau, St. Gallen und Bern;
Tabak wird in den ebeneren Gegenden in Freiburg, Waadt und
Tessin gebaut. — Der Ob s t b a u wird sorgfaltig betrieben , der
reiche Ertrag befriediget einerseits den starken Konsum, andern-
seits wird Obst zu Obstmost verwendet, oder in gedorrtem Zustande
auch exportirt. Basel, Bern, iiberhaupt die Hochebene zwischen
den Alpen und dem Jura, dann Graubiindten sind hierin besonders
erwahnenswerth. Das Easier ,,Kirschwasser* wird ausgefiihrt; in
den siidlichen Kantonen werden auch Kastanien, Niisse, Mandeln
und Feigen gewonnen. Ein wichtiges Erzeugniss ist der Wein.
In der sudweetlichen Schweiz, besonders an den Ufern des Genfer-Sees
wird vorziiglicher Wein (La Cote) gewonnen , auch in Waadt (la
Vaud) und bei Neuenburg , dann im Kanton Schaffhausen, im St.
Galler Rheinthale, in Tessin, in Graubundten , Thurgau und am
Zurich-See ist die Erzeugung eine der Quantitat nach zwar ansehn-
liche, doch in der Qualitat vielfach verschiedene; sie deckt iibrigens
den Bedarf nicht. Die (jewachse von la Cote, la Vaud (Ryfwein)
und Yvorne gel ten als ausgezeichnet. Holz ist trotz der vielen
Waldungen nicht im Ueberflusse vorhanden, da .eine geregelte Forst-
259
kultur erst in neuester Zeit Platz gegriffen hat; reich sind in dieser
Beziehung die Urkantone und Graubundten, eigentlicher Mangel
herrscht kaum irgendwo. Das Ahorn- und Buchsbaumholz werden
zu den geschmackvollen Schnitzereien und vielen Gerathen benutzt.
Einen grossen Reichthum besitzt die Schweiz an nahrhaften Alpen-
pflanzen und Grasern, an Farbekrautern und vorzuglichen Medi-
zinalkrautern.
Einen Glanzpunkt bildet die Rindviehzucht, unterstiitzt durch
die vortreff lichen Weiden in den Alpenthalern und an den krauter-
reichen Bergabhangen , wo die Alpenwirthschaft in sehr gewinn-
reicher Art betrieben wird. Der Stand des Rindviehes, auf dessen
Veredlung man eine grosse Sorgfalt verwendet, und welches fast
den grossten Reichthum des Landes bildet, wird im Sommer auf
900.000, im Winter auf 600.000 Stuck angesetzt. Zu oberst steht
hierin Bern (Emmen- und Simmenthal) , dann Freiburg (Gruyeres),
Schwyz, Appenzell und Glarus , sowie die Urkantone und Grau-
bundten. Beriihmt ist der Schweizer K a s e , welcher einen
hochst bedeutenden Handelsartikel bildet , und die Butter ( in
Bern : Emmenthaler-, Simmenthaler- und Saanenkase, — in Frei-
burg: Gruyeres-Kase [Groyer], — der Ureerenkase aus Uri, — der
Schabzieger [griiner Krauterkase] aus Glarus und Appenzell u, e. w.) *).
— Die Schafzucht ist bei weitem minder erheblicb, in den ho-
heren Gebirgsgegenden werden vielZiegen gehalten. DiePferde
eind meist grosser, schwerer Race (Schwyz, Freiburg, Berner-
Oberland), in Tessin und Wallis halt man viel Esel und Maulthiere.
Die Bienenzucht wird in Tessin, Wallis und Bern, die Zucht der
Seidenraupe in Tessin gepflegt. — Die Fischerei gibt eine relativ
grossere Ausbeute als die Jagd.
Der Bcrgbau ist im Ganzen von geringerer Wichtigkeit , da
Metalle, namentlich edle, fast ganzlich fehlen. Die Eisengewin-
nung deckt etwa die Halfte des Bedarfes : relativ am starksten ist
sie im Juragebiete (Bern, Solothurn) ; — auf Zink und Blei
wird in Graubiindten gebaut. — Braun- und Steinkohlen-
lagcr finden sich sowie Torf zumeist in den nordlichen Kantonen,
obwohl nicht in grosser Ausdehnung. Bergkrystalle von be-
sonderer Schonheit liefern alle Hohen der grossen Alpenkette in
Wallis und im Berner-Oberland , besonders der St. Gotthart und
Grimselwald. Vorzuglicher Marmor wird im Melchthale und auf
dem Splugen gebrochen. An Salz hat das Land bei dem starken
Bedarfe (iiber 600.000 Zentner") zur Kasebereitung u. s. w. grossen
Mangel ; die heimischen Salinen zu Bex (Waadt) und Schweizerhall
(Baselland) decken kaum ein Viertheil des Bedarfes.
Die Industrie in der Schweiz steht im Ganzen auf einer sehr
hohen Stufe. Hat sich dieselbe bis jetzt in den Urkantonen, in
Tessin, Wallis und Graubiindten noch minder entfaltet; so stehen
Zurich, Basel, Bern, Genf, Neuenburg, St. Gallen, Glarus und Ap-
*) Die Ausfuhr an Schweizcrkase betrug im J. 1855 nahe 131.000 Zentner; im
J. 1856 uber 147.250 Zentner. An der Pariser landwirthschaftlichen Ausstellung von
1856 wies die Schweiz die vorzQglichsten Qaalitaten auf. Schweizerkase bildet auch
einen der hanptsachlichsten Einfuhrartikel in Californien.
17*
260
penzell-Ausserrhoden mit den ersten industriellen Staaten Europas
in vielen Zweigen auf gleicher Stufe , in einzelnen sind sie sogar
uniibertroffen. Die geographische Lage der Schweiz ist zwar der
Entwickelung der Industrie nicht besonders giinstig. Nirgend pro-
duzirt das Land die rohen Stoffe fiir seine Fabriken , es besitzt
keinen Hafen fiir die Ausfuhr ausser unter Bedingungen , welche
die seefahrenden Nachbarn ihm auferlegen. Die Baumwolle komnit
vom Mittelmeere oder vom Atlantik auf einem langen und beschwer-
lichen Wege iiber die Alpen nach der Schweiz; — die Seide holen
sie aus Italien, — die Wolle aus Deutschland , — die Fabriken
sind durch keinerlei schutzende oder besonders begunstigende Ge-
setzgebung unterstutzt; und doch haben sich die industrib'sen, unter-
nehmenden Schweizerfabrikanten durch tiichtige technische Bildung
und festhaltend an dem Prinzipe eines freien Verkehrs anfangs un-
beachtet, ganzlich unbeschiitzt, durch eigene Thatkraft siegreich den
Weg zu alien Markten der Erde gebahnt.
Die epeziellen Industriekreise der Schweiz lassen sich zwar
auf die Boden- und geschichtlichen Verhaltnisse zuriickftihren ;
wichtiger jedoch ist die Betrachtung der geographischen Lage und
Oertlichkeit der verschiedenen gewerblichen Richtungen. — Her-
vorragend sind die Alpenwirthschaft und die Viehzucht.
Der Ertrag der Milch-, Butter- und Kasebereitung wird mit min-
destens 33 Millionen Francs bewerthet. Unweit der Alpenwirth-
schaft haben die Holzs chni tzerei und die mechanischen
Sagemiihlen mit den Parqueterie- und M ob elwerkstat-
t e n sich angesiedelt. An der Verbindung der Thaler mit den vor-
liegend^n Ebenen, wo laufende Wasser den Betrieb erleichtern,
zieht sich die Zone der Garbereien hin. Der Tabakbau hat
sich mehr nach dem Absatze gerichtet, das heisst gegen die west-
liche und siidliche Grenze, doch bestehen auch im Norden mehrere
Fabriken. — Nach den Industriezweigen vertheilt ergibt sich fol-
gende Uebersicht:
Der bedeutendste Zvveig ist die Baum wollindu stri e. Das
Land verarbeitet iiber 26 Millionen Pfund, welche mit mehr als
1,200.000 Spindeln versponnen werden. In feinen Geweben (Mus-
selinen) und Druckwaaren (Calicos und Indiennes) konkurrirt es nicht
nur mit England, sondern es gehen sogar grosse Quantitaten dort-
hin. Der Hauptsitz ist der Kanton Zurich ( Wadenschwyl,
Uster, Winterthur u. a.); zunachst steht das Glarner-Land
(Glarus, Mollis) , welches der Ausgangspunkt aller bedeutenden
Spinnereien, Webereien und Kattundruckereien war; die Druckereien
und (Tiirkischroth-) Farbereien arbeiten zumeist fur den Export
nach der Levante. Dann folgen Frauenfeld, Schaff hausen , St.
Gallen mit dem betriebsamen ^Toggenburg" (Wyl, Flawyl, Watt-
wyl, Ebnat u. a.), dem Mittelpunkt der Buntweberei mit erheblichem
Export nach der Levante und Indien ; — ferners Appenzell (Heri-
sau, Gais), Zofingen, Solothurn, Biel, Neuenburg und Genf. —
Leinwand liefern fast alle Kantone, doch bildet St. Gallen den
Mittelpunkt, wo auch die grossten Bleichen bestehen und dessen
Fabricate sehr geschatzt werden, St. G?llen und Appenzell fabri-
261
ziren die schonsten Leinen, Musseline und sonstige feine Stoffe, die
Weissstickereien der Ostschweiz sind sehr beruhmt. Schleier
und Tafelzeuge erzeugt Herisau (Appenzell), Damast Rorschach
(St. Gallen) ; im Kanton Neuenburg, und z\var in den Jurathalern
Travers und Locle werden die bekannten BLausannerK-Spitzen ver-
fertiget. Auch Thurgau und Bern (Emmenthal) sind in dieser In-
dustrie bekannt. — Die Fabrikation der Seidenwaaren ist in
fortwahrendem Wachsen. Nebst der eigenen Produktion von Roh-
seide (in Tessin und Wallis) wird noch viel an importirter roher
und gefarbter Seide verarbeitet. Im J. 1857 betrug die verarbeitete
Rohseide iiber 21 Tausend Zentner im Werthe von iiber 55 Mil-
lionen Francs, woraus 31 % Tausend Zentner Waare im Werthe
von iiber 233 Millionen Francs erzeugt wurden. Im grossen Mass-
stabe wird dieser ludustriezweig in Zurich und Basel und in
deren Umgebungen betrieben. Die meisten Seidenstoffe (Florence)
fabrizirt Zurich (im Werthe von 35 — 40 Millionen Francs), welche
es nach Deutschland, Russland, Italien, England und America, ja
selbst nach Frankreich exportirt. Hier konzentrirt sich auch fast
der ganze Handel mil roher Seide, welche aus Italien und aus
Brussa bezogen wird. Basel erzeugt zumeist Modt bander, deren
im Betrage von iiber 10 Millionen Francs ausgefuhrt werden, dann
auch Taffet und Atlas (im Gesammtwerthe wie fast Zurich). Ge-
schatzt sind die einfacheren Bander aus Aarau und Zofingen,
der Taffet aus Bern; Genf, Neuenburg, Winterthur, Luzern, Frauen-
feld, Glarus und Solothurn beschaftigen sich gleichfalls mit dieser
Industrie. — Sehr ausgedehnt und wichtig ist die Uhrenfabri-
kation, welche den ersten Rang auf dem Weltmarkte behauptet.
Der Hauptsitz ist in Genf und Umgebung, in den Jurathalern von
Neuenburg (Locle, laChauxdeFonds, Fleurier, Val Travers),
zum Theil in Waadt und Bern. Es werden im Jahresdurcbschnitte
iiber 200.000 Taschenuhren (darunter iiber 80.000 goldene Damen-
uhren), dann Spieldosen, Toilettenkastchen mit Spielwerken , rohe
Uhrwerke, Gold-, Silber- und Bijouteriewaaren der feinsten Art
verfertiget, und alle europaischen und aussereuropaischen Markte
damit versorgt. Die Ausfuhr an Uhren und Uhrenbestandtheilen
erreichte im J. 1857 einen Werth von nahe 102 Millionen Francs
(die Einfuhr 8V4 Million Francs). — Auch in der Stahlwaa-
renfabrikat ion geniessen die gewerb- und kunstreichen Jura-
thaler begriindeten Ruf, die Mechaniker, Messer- und Waffenschmiede,
Vergolder, Emailleurs u. s. f. liefern gesuchte Waare, dessgleichen
die dortigen Gold- und Silberarbeiter, Juwelen-, Achat- und Kry-
stallarbeiter. — Aarau, Bern, Genf liefern mathematische und
physikalische Instrumente, Ziirich Maschinen , die Guss-
stahl- und Gewehrfabrik in Schaffhausen sowie die Gewehrfabrik
in Genf und die Kanonengiesserei in Aarau sind bekannt. — Die
Tuchf abrikation ist verhaltnissmassig minder bedeutend ; wich-
tiger ist jene in Leder, worunter das Sattler- und Riemerzeug
und feines Schuhwerk von Genf, Lausanne , Vevay und Noyon,
sowie Zurich und Wadenschwyl sehr geschatzt sind und zur Aus-
fuhr kommen, Basel und Liestal verfertigen feine Handschuhe,
262
das zubereitete und gefarbte Gemsenleder wird aus dem Hasli-Thale
(Bern) exportirt. — Das Papier, welches im vorigen Jahrhunderte
nachst dem holl'andischen den besten Ruf in Europa genossen, hat
rait der Entwickelung dieses Fabrikationszweiges in manchen Staa-
ten nicht gleichen Schritt gehalten ; doch iibersteigt die Erzeugung
noch iramer den inlandischen Bedarf. Insbesondere ist Basel be-
kannt, auch die Kantone Zurich, Solothurn , Bern und Luzern er-
zeugen gutes Papier. — In Holzwaaren geniesst den grossten
Ruf das Berner Oberland, wo die meisten Schneide- und Sagemuh-
len thatig sind ; die feinen Holzschnitzarbeiten haben europaischen
Ruf. — Strohgeflechte nach italienischer Art werden in den
Kantonen Aargau, Bern, Freiburg, Luzern, Genf und Schwyz ver-
fertiget. Porzellan- und Steingut fabriken sind in Genf
und Noyon, Gl as fabriken in Bern, Solothurn (optische Glaser),
die Pulverfabrik in Bern hat bedeutenden Ruf. — Im All-
gemeinen ist somit die Industrie der Schweiz sehr bliihend und
mannigfaltig.
Mit der grossartigen Alpenwirthschaft und der sehr schwung-
haften Industrie halt der Handel gleichen Schritt. Die ruhmliche
Thatigkeit und Ausdauer, sowie die Beharrlichkeit , mit der die
Schweiz an dem Prinzipe eines freien Verkehrs festhalt, haben viele
natiirliche Hindernisse besiegt und dem Handel cine grosse Aus-
dehnung verschafft. Die Schiffahrt auf den Flussen (Rhein, Aar,
Rhone), noch mehr auf den Seen, vorziigliche Strassen, ein viel-
verzweigtes Eisenbahn-*) und Telegraphennetz, zahlreiche Geld-
institute fordern den inneren wie den ausseren Handel. Den an-
sehnlichsten Eigenhandel betreiben: Basel, Zurich, Genf, Bern,
St. Gallen, Herisau, Neuenburg; — fur den Speditionshandel
sind ausser Basel, Zurich und Genf besonders wichtig: Chur, Lu-
zern, Rorschach, dann noch Brunnen, Fluelen, Altdorf, Bellinzona,
Vevay und Splugen. Die beiden Hauptlinien fur den d e u t s c h-
italienischen Verkehr sind iiber Luzern, den Vierwaldstatter-
See und Altdorf nach dem St. Gotthart, dann iiber Zurich, den
Zurich- und Wallenstatter-See nach Chur, von da fiber den Bern-
hardin nach Bellinzona oder fiber den Splugen nach Chiavenna.
Wichtige Alpenstrassen sind ferners jene fiber den Simplon
von Brieg (Wallis) nach Domo d'Ossola (Piemont), fiber den gros-
sen St. Bernhard von Martinach nach Aosta, dann fiber den Sep-
timer , den Julier, die Bernina, fiber die Furka und viele andere
im Innern des Landes.
Die Handelsbewegung der Schweiz mit den Nachbarstaaten
ist fast fortwahrend im Steigen. Wahrend sich der Jahresdurch-
schnitt in dem Zeitraume 1840 — 1844 bei derEinfuhr mit nahezu
270 und bei der Ausfuhr mit 195 Millionen Francs (einschliess-
lich des Transites) berechnet, stellt er sich fur den Zeitraum 1853
bis 1855 bei der Einfuhr mit 479, bei der Ausfuhr mit 538
*) Zu Anfang 1858 waren 127 schweizerische Stunden Eisenbahnen im Betrieb,
115 Stunden im Baue und man hofft bis 1863 an 400 Stnnden Eisenbahnen zu
besitzen. (1 Schvveizer Wegstunde = 0.647 geographische Meilen.)
Millionen Francs (ebenfalls einschliesslich des Tr an sites) heraus,
Der Export, wesentlich gefordert durch die vielen Commanditen
und Comptoirs, welche die Schweizer im Auslande etabliren, geht
nicht bios nach den Nachbarstaaten , sondern auch nach Spanien,
nach der Levante, nach Russland und America. Er umfasst nebst
Thieren und thierischen Produkten die erwahnten Erzeugnisse der
Schweizer-Industrie. Unter den Artikeln des Imp or tea stehen
obenan Getreide (Rorschacher-, Zuricher- und Sursee - Getreide-
markte) und Salz (aus Deutschland und Oesterreich), deutsche und
franzosische Weine, Kolonialwaaren und iiberseeische Rohprodukte
fiir die Industrie, Eisen und Stahl und derartige Fabrikate u. s. f.
Zahlreiche Jahr- und Wochenmarkte beleben hauptsachlich den
inneren Verkehr.
In Hinsicht der geistigeii Kultur stehen die Schweizer auf
gleicher Stufe mit den benachbarten deutschen Staaten. Zu-
rich steht in der deutschen, Genf in der franzosischen Schweiz
auf der hochsten Bildungsstufe. Der Elementarunterricht iet sehr
gut bestellt, zahlreiche Real- und Spezialschulen, ,,Kantonsschulen"
und Gymnasien, sowohl offentliche als viele Privatlehranstalten
sorgen bestens fiir gewerbliche wie gelehrte Bildung. Besondere
Erwahnung verdienen die Universitaten (Zurich, Basel, Bern), die
beiden Akademien (Genf, Lausanne) und das ,,eidgenossische
Polytechnikum" in Zurich, welches wahrend seiner kurzen
Dauer sich bereits Anerkennung und Ruf erworben hat. Ein ge-
wisser Grad allgemeiner Bildung herrscht im ganzen Volke; aus-
gezeichnete Manner in Wissenschaft, Kunst und Industrie hat das
Land zu jeder Zeit besessen. In materieller wie in geistiger Be-
ziehung gehort sonach die Schweiz zu den kultivirtesten Staaten
Europas.
IV. Die italienischen Staaten.
(Mit Ansschluss von Venedig.)
§. 139. Bestandtheile. Beviilkerung.
Staaten
Grrosse
in
QMei-
len
BevOlkerung
Hauptort
Einwohner-
zahl
absolute
rela-
tive
K6nigreich Sardinien (mit
der Loinbardei)
1740
2V2
113
110
402
752
l'/8
2033
8,200.000
7000
500.000
600.000
1,800.000
3,130.000
8000
9,120.000
4707
2800
4425
5455
4477
4162
4485
Turin.. ..
Monaco . .
Farma . . .
Mddena . .
Florenz . .
Rom ....
San Marino
Neapel ....
180.000
1300
45.000
32000
114.000
178.000
6000
420.000
Fflrstenthum Monaco
Herzogthum Mddena
Grossherzogthum Tos cana .
Kirchcnstaat
Eepublik San Marino
Konigreich beider Sicilian.
5153
23,365.000-1 4534 |
Italien wird gewohnlich in
wozu Sardinien mit Monaco,
3 Theile eingetheilt : Oberitalien:
die Lombardei, Venedig und die
264
Herzogthiimer Parma undModena gehoren ; — Mittelitalien: Tos-
cana und der Kirchenstaat mit San Marino ; — Unteritalie'n mit
dem Konigreich beider Sicilien. — Die Italiener, lateinischer Ab-
stammung aber mehrfach vermischt mit Volkerschaften germanischen
und griechischen Stammes, die sich zu verschiedenen Zeiten in der
apenninischen Halbinsel niedergelassen hatten , bekennen sich fast
ausschliesslich zur romisch-katholischen Kirche (mit Aus-
nahme der Waldenser in einigen Thalern Piemonts, der Protestan-
ten, Griechen und Israeliten in den grosseren Handelsstadten).
Bodenverhaltnisse und Klima. Die Halbinsel Italien isfc
zum grossten Theile (das ist nahe an 80°/0 der Gesammtarea)
Bergland, nur etwa l/s entfallt auf das Tiefland. Das Bergland
gehort theils den Alp en, theils den Apenninen an. Erstere
ziehen vom Bocchetta - Passe bei Genua westlich langs des Golfes
von Genua (See alp en), dann nordwarts als Grenze zwischen
Italien und Frankreich (cottische und grajische Alpen), end-
lich nach Osten zwischen Italien einerseite, der Schweiz und Deutsch-
lands andernseits (penninische,lepontinische und rhatische
Alpen). — Siehe §. 25. A und B. a, S. 23. u. ff. — Im Osten
der Bocchetta beginnen die Apenninen, welche sich durch die
ganze Halbinsel bis zu den Vorgebirgen Cap di Leuca (Apulien)
und Cap Spartivento (Calabrien) ziehen, und dann nach Sicilien
ilbersetzen. Anfanglich bilden sie eine vom ligurischen zum adria-
tischen Meere streichende Kette ; den mittleren Apenninen sind an
der Westseite mehrere Parallelketten als Vorapenninen vorgelagert;
im Hochlande der Abruzzen endlich spalten sie sich in die apu-
lischen und kalabrischen Apenninen. — Siehe §. 26. S. 33.
Von den Alpen im Norden und Westen, von den Apenninen
im Siiden eingeschlossen, dehnt sich die fiber 600 QMeilen grosse,
fruchtbare Tiefebene desPo aus. Kleinere Ebenen sind: die
toskanische Tiefebene am untern Arno , die romische (cam-
pagna di Roma) mit den pontinischen Siimpfen langs der Kuste des
tyrrhenischen Meeres, die kampanische zwischen den Busen
von Gae'ta und Salerno, aus welcher sich der Vesuv erhebt, end-
lich die apulische Ebene im Siidwesten des Golfes von Manfre-
donia. — Die Inseln sind meist gebirgig , nur auf Sardinien und
Sicilien finden sich einige Ebenen.
Im K 1 i m a herrschen bedeutende Abstufungen , doch ist in
den Niederungen die mittlere Sornmerwarme minder verschieden,
als die mittlere Winterwarme, welche nach Siiden hin raech zu-
nimmt. Die mildeete Luft haben nebst Sicilien und der kampa-
nischen Ebene noch Genua und Nizza, wo ein kurzer Schneefall
zu den Seltenheitcn gehort, indess die Apenninen vom Oktober
nicht selten bis anfangs Mai mit Schnee bedeckt sind. Audi die
Po-Ebene und die in diese ausmiindenden Alpenthaler haben ein
mildes Klima, grossen Pflanzenreichthum edler Friichte. — Von den
Winden ist der heiese und ermattende Sirocco zu erwahnen. Gegen
Suden nehmen die Sommerregen ab, dagegen Herbst- und Winter-
regen zu, — Die Siimpfe von Commachio (an der Po-Miindung),
die Maremmen am Ombrone (in Toscana) mit der ungeeunden
265
Luft (,,malaria") , welcher auch die romische Campagna ausgesetzt
1st, und die beriichtigten pontinischen Sumpfe (am Siidwest-
ende des Kirchenstaates) sind der Gesundheit schadlich.
Gewasser. Die apenninische Halbinsel wird vom mittel-
landischen und adriatischen Meere mit ihren Busen bespiilt.
Die West- und Sudkuste ist mehr gegliedert ala die Oetkilste und
bietet mehrere gute Ankerplatze und Hafen. (Siehe §. 15, S. 15.
Nr. 8). — Sie hat nur einen grossen Hauptfluss, den Po, einige
grossere und schiffbare Flusse, viele Bache und Kiistenflusse, grosse
und schone Seen, namentlich am Sudabhange der Alpen ; ist somit
im Ganzen gut bewassert. Zahlreiche Kanale in Norditalien dienen
sowohl fiir die Schiffahrt als die Wiesenkultur. — Unter den Flus-
sen sind zu nennen : der Po mit den vielen Nebenfliissen, derVar,
Arno, Ombrone, die Tiber, der Garigli ano , Vol t urno,
Sele, Brandano, Ofanto, dieMarechia, derMontone.
— (Siehe §. 43 S. 53 und 54; — dann §. 44. S. 57.)
Mehrere Mineralquellen sind nebst den Seebadern als
Kurorte bekannt: Aix (Savoyen), Acqui (bei Alessandria), Pisa
(Toscana), Viterbo (Kirchenstaat), Ischia (Neapel),
Verfassung. Von den Staaten Italiens haben alle, mit Aus-
nahme der Republik San Marino , eine monarchische Staatsform,
und unter diesen das Konigreich Sardinien und das Konigreich
beider Sicilien eine eingeschrankt-monarchische Verfassung. — Mo-
naco steht (seit 1815) unter dem Schutze Sardiniens. — Der Kir-
chenstaat ist eine uneingeschrankte geistliche Wahlmonarchie,
deren Oberhaupt, der Papst, von den Katholiken als das sichtbare
Oberhaupt der christlichen Kirche , als Nachfolger des heiligen
Petrus und als irdischer Statthalter Christi anerkannt wird. Er
wird auf Lebenszeit von den Kardinalen aus ihrer Mitte im Kon-
klave durch eine eminente Mehrheit von 2/3 der Wahlstimmen ge-
wahlt ; Oesterreich, Frankreich, Spanien und Neapel besitzen hier-
bei eine ausschlieesende Stimme (sententia exclusiva), das heisst sie
haben das Recht einen zu wahlenden Papst zu verwerfen. Der
zum Papste Wahlfahige muss ein Italiener sein , keiner grossen
Familie angehoren , keiner fremden Macht den Kardinalshut ver-
danken, mit keiner regierenden Macht verwandt sein und minde-
stens das 55. Lebensjahr zuriickgelegt haben. Der Neugewahlte
nimmt einen andern Namen an (mit Ausschluss des Namens Petrus)
und wird einige Tage nach der Wahl vor der St. Peterskirche
in Rom mit der )>Tiara" gekront. — Parma, Modena , Toscana
sind unumschraukte Erbmonarchien.
Politische Eintheilung.
I. Konigreich Sardinien. — Es besteht aus dem Fiir sten-
thum Piemont mit dem Herzogthum Montferrat, — dem
Herzogthum Genua, — der Lombardei, und derlnselSar-
dinien*). — Das Konigreich wird (mit Ausnahme der Lom-
*) Im Fruhjahre 1860 sind die Herzogthiimer Parma nnd Modena, das Gross-
herzogthum Toscana und die ,,Romngna" mit dem Konigreiche Sardinien nanne-
xirt" worden; dagegen hat Sardinien das Herzogthnm Savoyen und die Grafschaft
Nizza an Frankreich abgetreten. Die erwahnte ,,Annexion" ist von den europaischen
Miichten nicht anerkannt, mehrere haben dagegen protestir*. Auch dem KCnigreiche
266
bar del, deren politische Administration noch nicht organisirt 1st)
in 14 Generalintendan zen (Divisionen) und diese in 50Pro-
vinzen eingetheilt, welche meist nach ihren Hauptstadten benannt
sind. 11' Generalintendanzen mit 39 Provinzen liegen auf demFest-
lande, die ubrigen auf der Insel Sardinien.
Bemerkenswerthe Orte*) sind in:
1. Piemont mit Montferrat: Turin (180.000), Pignerolo, Susa, Coni
(21.000), Alba, Mondovi, Saluzzo, Vercelli (20.000), Casale, Ivrea (9000), Aosta,
Alessandria (46.000), Asti, Tortona, Voghera, Novara (18.000), Mortara, Vige-
vano, Domo d'Ossola.
2. Genua. — Genua (130.000), Chiavari, Spezzia, die Insel Capraja,
Novi, Savona (18.000), Acqui.
3. Insel Sardinien (433 QMeilen, — 550000 Einwohner, und an 40
kleinere Inseln). — Cagliari (32.000), Nuoro (4000), Sassari (26.000).
4. Die Lombardei (370 n^eilen, nahezu 3,000.000 Einwohner). — Mai-
land (170.000), Monza, Co mo (20.000), Varese, Sondrio (5000), Bormio, Chia-
venna, Bergamo (35.000), Treviglio, Caravaggio, Lodi (20.000), Crema, Codogno,
Pavia (27.000), Buffallora, Cremona (30.000), Pizzighetone, Brescia (40.000),
Toscolano, Desenzano, Chiari, Montechiaro. — Ein Theil der Provinz Mantua mit:
Castiglione, Sabionetta. (Siehe Anmerknng auf S. 178.)
II. Fiirstenthum Monaco. — Der kleine, in der Grafschaft Nizza gele-
gene Staat zahlt 3 Gemeiodcn: Monaco, Mentone und Roccabruna, die 2 letzteren
von Sardinien besetzt. Der Boden ist sehr frnchtbar, besonders an Oel und Siid-
fruchten. Monaco hat einen guten Hafen und treibt Handel. Die furstliche Dynastie
der Grimaldi (seit 1856 Carl III.) herrscht bier schon seit dem Jahre 968. Die
oberste Behorde ist der Staatsrath ; die Jahreseinkunfte betragen etwa 40 000 Gulden.
III. Herzogthum Parma. — Parma (45.000), Piacenza (30.000), Pon-
tremoli (12.000).
IV. Herzogthum Modena. — Mo den a (32.000), Reggio, Guastalla,
Massa, Carrara.
V. (jrossherzogthum Toscana. — Eintheilnng in 6 Compartimenti und
2 Gouvernements. — Florenz (114.000), Signa, Pistoja, Prato, Lucca (25.000),
Arezzo (10.000), Montepulciano, Siena (24.000), Grosetto (3000), Piombino,
Soana, Pisa (22.000), Livorno (90.000), Insel Elba (7 QMeilen — 22.000 Ein-
wohner): Porto Ferrajo. —Die Inseln: Gorgona, Pianosa, Formica, Monte Christo,
Giglio, Gianutri.
VI. Rvpublik San Marino. — Die kleine, unter papstlichem Schutze ste-
hende demokratische Republik besteht aus der Stadt San Marino und 3 Land-
gemeinden. Die Bewohner n'ahren sich vom Landbau. Die gesetzgebende Gewalt
ist dem sonveranen ,,grossen Rathe" (60 Mitglieder) ubertragen, aus welchem jahrlich
der ,,Rath der Zwolf'' gewahlt wird. An der Spitze des Freistaates stehen zwei
,,Capitani reggenti" (regierende Hauptleute), welche aus den adeligen Mitgliedern des
grossen Rathes auf 6 Monate gewahlt werden.
VII. Kirchenstaat. — Der Kirchenstaat zerfallt in den Stadtbezirk von
Rom und in 4Legationen, welche in 20 Delegationen (Provinzen) eingetheilt
und nach ihren Hauptstadten benannt sind.
1. Stadtbezirk: Rom (176.000) , Ostia, Tivoli , Albano, Viterbo,
Orvieto.
2. Legation der Campagna und Maritima: Velletri (11.000), Ter-
racina, Frosinone (6000); — die beiden Exklaven im Neapolitanischen : Bcne-
vento (17.000), Ponte Corvo.
3. Legation von Umbrien: Perugia (32.000), Assisi, Spoleto (7000),
Rieti (12.000).
4. Legation der Marken: Ancona (36.000), Urbino (12.000), Pesaro,
Sinigaglia, Macer ata (18.000), Loretto, Fe rmo (16.000), Ascoli (9000), Ca-
merino (7000).
beider Sicilicn steht eine ahnliche Annexion bevor. Auf diese revolutionaren Bcsitz-
veranderungen wurde selbstverstandlich hier keine Rucksicht genommen.
*) Die mit durchschossenen Lettern gedruckten Stadte sind Hauptorte der gleich-
namigen Generalintendanzen Oder der Provinzen.
867
5. Legation der Komagna: Bologna (75.000), Ferrara (30.000),
Commachio, Ravenna (16.000), Faenza, Forli (18.000).
VIII. Konigreich beider Sicilien. — Das Festland des K6nigreicb.es wird
in 15, die Insel Sicilien in 7 In ten danzen (Provinzen) eingetheilt. Gebrauchlich ist
auch die Eintheilung des Festlandes in 4 Landschaften : Campanien (Neapel),
Abbruzzo (Aquila), Calabrien (Reggio), Apulien (Lecce).
Bemerkenswerthe Orte sind:
1. Campanien: Neapel (420.000), Portici, Resina, Puzzuoli, Torre del
Greco, Castellamare, Sorrento (die Inseln: Capri, Ischia, Procida), Cas erta (18.000),
Capua, Gaeta, Nola, Salerno (12.000), Amalfi, Avellino (15.000).
2. Abbrnzzo: Aquila (15.000), Chieti (14.000), Terramo (11.000),
Lanciano, Pesctira.
3. Apulien: Lecce (25.000), Brindisi, Otranto, Taranto, Bari (22.000),
Molfetta, Barletta, Canne, Foggia (27.000), Manfredonia, Campo Basso (9000),
Potenza (10.000).
4. Calabrien: Reggio (20.000), Sciglio (Scylla), Cosenza (15.000), Ca-
tanzaro (12.000), Pizzo, Monteleone.
5. Insel Sicilien (477 DM-)J Palermo (200.000), Monreale, Messina
(85.000.), — (die 12 liparischen (oder aolischen) Inseln, die bewohnte Insel Stromboli
und die unbewohnte Volcano), — Trapani (26.000), Marsala, Castro- Giovanni, —
(die fruchtbaren und bewohnten Inseln Aegaden), — Girgenti (18.000), Favara,
— (die Inseln Pantellaria, Lampedusa u. a.) — , Caltanisetta (17.000), Sira-
gossa (20.000;, Modica, Catanea (70.000), Mascali, Agosta, Aci-Reale, Cal-
tagirone.
Unter den zahlreichen, an Denkmalern und Kunstschatzen des Alterthums und
des Mittelalters reichen, oder dnrch reizende Lage, den Kunstfleiss, durch Gewerbe
oder Handel ausgezeichneten Stadten auf der apenninischen Halbinsel sind besonders
hervorzuheben :
Horn, die ,,ewige, einzige" Stadt, mit 178.000 E., eine Weltstadt, wie es in
diesem Sinne keine zweite gibt. Hier stand die (im J. 753 v. Ch. G. gegrundete)
grosse Metropole des beidnischen Romerreiches, und bier ist nach Besiegung des
Heidenthums der Mittelpunkt der christlichen Welt, denn der Statthalter Cbristi auf
Erden, der Papst, hat hier seinen Sitz. An beiden Ufern des Tiberflusses auf 12
Hugeln erhebt sich die Stadt voll grossartiger Bau- und Bilderwerke des Alterthums,
reich an Kirohen (328) und Palasten mit herrlichen Kunstschatzen. Die St. Peters-
kirche, die grSsste und prachtvollste auf der Erde, mit dem Grabe des heil. Petrus,
und der beruhmten auf 4 kolossalen Pfeilern ruhenden Kuppel; vor der Kirche der
St. Petersplatz, der schonste auf Erden, mit kreisformigem Saulengang tind kolossalen
Statuen. (Zu der St. Peterskirche wurde im J. 1450 ein Anfang gemacht, 1506 der
Grundstein gelegt, eingeweiht ward sie 1626. Die Kosten beliefen sich auf 64 Mil-
lionen Thaler). — Die eigentliche bischofliche und Hauptpfarrkirchc des Papstes ist
St. Johannes im Later an (omnium ecclesiarum urbis et orbis mater et caput)
rait der uberaus prachtigen Kapelle Corsini, dem Battisterio (Taufe von Juden und
Turken am Ostersonnabend). Andere beriihmte Kirchen sind: die St. Paul's -Kirche,
St. Maria ad martyres (das Pantheon des heid. Rom, eine Rotonda), S. Onofrio
auf dem Gianicolo mit Tasso's Grab, die deutsche Nationalkirche S. Maria
dell' anima, deren Pfarrer Oesterreich ernennt; S. Maria Mag g i ore u. v. a.
— Papstliche Palaste : der Vatikan, der grosste Palast in Europa, (22 H5fe, 200
Treppen, 4422 [nach andern, wahrscheinlich ubertriebenen Angaben tiber 11,(XK)]
Zimmer und Sale, aber in der Regel nur zur Zeit des Conclave bewohnt) mit der
Sixtinischen und Paulinischen Kapelle, den Logen und Salen mit Raphael's Meister-
werken ; die beruhmteste Bibliothek mit wichtigen Handschriften ; Gemaldesammlung ;
erste Antikensammlung der Erde im Belvedere (Laokoon, Apollo vom Belvedere,
(ter Torso u. a.); Museum Chiaramonti, Gregoricnum u. a. ; — der Later an, bis
1304 papstliche licsidenz; der Quiri nal (Monte Cavallo) gewohnliche Residenz Sr.
lleiligkeit. (Pius IX., der 259ste Papst, ffuher Johann Maria Graf Mastai Feretti,
geb. zu Sinigaglia am 13. Mai 1792, gekront am 21. Juni 1846.) Man zahlt uber
GO grosse Palaste und nicht weniger Villen (Landhauser, — villa Borghese) mit Garten,
ausgezeichnet durch Bauart, Pracht- und Kunstwerke. — Die Engelsburg (Castello
di S. Angelo), aus dem Grabmal Hadrians (moles Hadriani) entstanden, mit dem
bronzenen Erzengel Michael auf der Spitze dient als Arsenal, Staatsgefangniss, Ar-
chiv, Aufbewahrungsort der papstl. Kleinodien. Campidoglio an der Stelle des
alten Capitol's mit vielen Kunstwerken; zahlreiche Rninen von Tempeln, Amphi-
theatern, Badern, TriumphbOgen, Saulen, Obelisken. Wasserleitungen, Katakomben
u. 8. w. Bedentende wissenschaftliche Anslalten : Universitaf, Collegium de propa-
ganda fide fur Z5glinge aus alien Erdtheilen zur Heranbildung von Missionaren, die
Academia di San Luca fur alle Zweige bildender Kunst; viele Akademien, Schulen,
KlOster. Grosser Zusammenfluss von Fremden, namentlich Kunstlern, Kunstliebhabern
und Alterthumsforschern. — Die Industrie ist ziemlich ansehnlich in Kunstblumen,
Darmsaiten, Essenzen, Farbwaaren, Seidenwaaren, kirchlichen Stoffen und Paramen-
ten. — Einige Theile der Stadt und die Umgebnng (Campagna di Roma) sind im Som-
mer wegen der schlechten Luft (malaria) ungesund.
Neapel (ital. Napoli, im Alterthume Parthe"nope), 420.000 Einwohner
(darunter an 70 — 80.000 Lazzaroni). Weltberuhmte amphitheatralische Lage am
gleichnamigen Golf zwischen dem Vesuv (im 0.) und dem Berg Posilippo (im PP.).
Das Innere der Stadt entspricht wenig der reizenden Lage, denn die Stadt mit bei-
laufig 50.000 Hausern ist weder regelmassig noch schSn gebaut. Die Altstadt mit
dem Geprage des ital. Mittelalters durchkreuzen enge Gassen in regellosen Windun-
gen, die Platze (larghi) sind unbedeutende Erweiterungen. Prachtvoll dagegen ist
die Neustadt, insbesondere der palastreiche Qnai ,,Chiaja", die Villa Reale, Strasse
Toledo u. a. Neapel ist die reichste und belebteste Stadt Italiens, mit schOnen Kir-
chen (Kathedrale S. Genaro u. a.), Palasten, vielen KlOstern, Hospitalern, Armen-
und Arbeitsbausern. (Konigl. Palast Capo di Monte.) — Universitat, Akademie,
Schulen der schonen Wissenschaften, der Zeichenkunst und Musik ; grosse Kunst- und
Alterthumssammlnngen (aus Hercnlanum und Pompeji), bourbonisches Museum. —
Das grOsste Theater in Europa (San Carlo). — Die Industrie ist erst im Beginne ;
einer der wichtigsten Handelsplatze am Mittelmeere, jahrlich laufen an 3000 Schiffe
ein; Nationalbank, B6rse und einige Geld- und Creditinstitute. Dampfschiffahrt nach
Marseille, Genua, Livorno, Malta. — 6 Kastelle, darunter S. Elmo und Dell' Uovo
die starksten. — Die Umgebungcn sch6n und reich an Sehenswurdigkeiten aller Art.
Palermo (200.000) in fruchtbarer Gegend, regelmassig gebaut, die grosste
Stadt auf Sicilien. Prachtvolle Kathedrale und andere Kirchen ; Kapuzinerkloster mit
beruhmter Gruft; Grabmal Friedrich II.; griechische Denkmaler; grosser konigl. Pa-
last mit beruhmter Sternwarte, Universitat, Navigationsschule ; ansehnliche Industrie
in Seidenzeug, Leder, Wachs, Korallen, Gold- und Silberwaaren ; lebhafter Handel,
Dampfschiffahrt nach Marseille, Malta und Neapel; Rosalienfest im Juli.
Florenz fital. Firenze), 114,000 Einw., in fruchtbarer reizender Ebene am
Arno, eine der schfinsten Stadte in Europa (,,la bella"). Prachtige Kirchen (Kathe-
drale St. Maria del Fiore; die St. Lorenzkirche mit den Begrabnissen der Medici,
das beruhmte Battisterio; die Kirche zum heil. Kreuz mit den Grabmalern von Dante,
Michel- Angelo, Macchiavelli, Galilei, Viviani u. a.); viele burgartige Palaste durch
architektoniscbe Schonheit und Kunstwerke aller Art ausgezeichnet (palazzo Pitti,
grossherz. Residenz, mit herrlicher Gemaldegallerie ; pal. degli uffizj mit einer der
ersten Kunstsammlungen der Welt [mediceische Venus, Gruppe der Niobe, andere
Antiken), die loggia dei lanzi, die schonste Hauptwache der Erde; Universitat; Ac-
cademia della crusca; Lyceum der Musik; Akademie der bildenden Kunste; uber-
haupt vorzngliche Sammlungen fur Wissenschaften und Kunste. Industrie in Seide,
Strobgeflecht, Kunstblumen, Parfumerien, plastische Arbeiten in Marmor, Alabaster,
Mosaik und Korallen. — Der Handel concentrirt sich in dem befestigten Freihafen
Livorno ; Verkehr mit der Levante, Odessa; in Kolonialwaaren, englischen, fran-
zosischen und schweizerischen Manufakten; regelmassige Dampfschiffahrt nach Mar-
seille, Malta, Neapel und der Levante; auch die Industrie stets wachsend.
Turin (ital. Torino), 180.000 Einw., sehr regelmassig gebaut, mit schonen
Strassen, grossen Platzen, langen Bogengiingen und prachtigen Palasten ; viele reiche
und herrliche Kirchen (Kathedrale S. Croce ; S. Giovanni u. v. a.) ; zahlreiche wis-
senschaftliche Anstalten, Universitat, Akademie, kSnigl. Museum mit Sammlung agyp-
tischer Alterthumer, Miliiar- und Marine-Akademie ; Arsenal ; Bank, Borse, Miinze,
prachtvolles Theater; bedeutende Industrie in Sammt, Bandern, Tapeien, Fayence,
Stahl- und Eisenwaaren, Kanonengiesserei ; Industrieschulen fur Arme.
Genua (ital. Genova), 130.000 Einw., amphitheatralisch am steilen Abhange
des ligurischen Apennin gebaut, mit nur wenig fahrbaren Strassen ; die meisten
Strassen sind enge, von vielstockigen Hausern eingefasst und fuhren auf- und ab-
warts, sind hie und da durch Treppen verbunden, Felsenspalten sind uberbruckt (Briicke
ndel Carignano"). Viele Pachtbauten: der Dom; Kirche Annunziata, San Lorenzo;
269
der konigl. Palast, der ehemalige Dogenpalast; Universitat, Marine-Akademie, Navi-
gationsschule; Bank, Borse, See- Arsenal. Die industrielle Stadt liefert viel beriihmte
Artikel, als: schwarze Seidenstofie, Sammt, Korallen-, Alabaster-, Elfenbein-, Gold-
und Silberwaaren, Stickereien, Kunstblumen, Mehlspeisen. Vortrefflicher Hafen; re-
gelmassige Dampf'schiffahrt nach alien Hafen des Mittelmeeres ; die alteste Geld-Bauk
(seit 1407), lebhafter Handel. In der Umgebung prachtvolle Landhaaser.
31ailaml (ital. MiUno), 170.000 Einw. ; in schoner Fruchtebene zwischen
der Olona nnd dem Lambro an schiffbaren Kanalen, die den Tessin mit der Adda
verbinden. Das Aussehen des oft zerstSrten und wieder aufgebauten Mailand ist
modern und stattlich. Zahlreiche Kirchen und schOne Palaste; unter den ersten der
beruhmte Dom, nachst der St. Peterskirche in Horn und dem Dora in Sevilla die
grosste Kirche in Enropa (begonnen im J. 1386 vom deutschen Baumeister Heinrich
Arler von Ground) zwar widersprechende Baustyle, aber vorherrschend gothisch; aus
weissem Marmor mit 4500 marmornen Bildsaulen und durchbrochenen Thiirmchen;
auch im Innern prachtvoll. (Grabmahl des heil. Carl Borromaeus). Institut der Wis-
senschaften und Kunste in der,,Brera", ehemaligen Jesuitencollegium, mit Bibliothek,
Gemaldegallerie, Munz- und Medaillencabinet, Sternwarte; ambrosianische Bibliothek;
grosses Theater (della Scala) ; Musikkonservatorium ; Friedenstriumpbbogen (arco
della pace) u. a. Prachtbauten. — Lebhafte Industrie in Seide, Bijouterien, Wagen,
Tischlerarbeiten, Glasmalorei, Zucker, Tabak u. a.; die bedeutendste Handelsstadt
in Ober-Italien, insbesondere in Seide, Reis und Kiise. Auf der Strasse nach Pavia
das beruhmte Karthauserkloster La Certosa mit einer der prachtvollsten Kirchen
in Europa.
Kulturverlialtnisse im Allgemeinen.
Die mannigfaltigen Abstufungen im Kliina haben ebenso
mannigfaltige Verschiedenheit in der Vegetation zur Folge. Im
Ganzea ist der Boden von der Natur reich begiinstiget und bringt
ohne grosse Anstrengung in der Bebauung einen Ueberfluss der
gewohnlichen Ackerprodukte hervor. Der Norden Italiens ist in
Hinsicht der Landwirthschaft, der Industrie und des Han dels, so-
wie des sich daran kniipfenden Wohlstandes, der Civilisation und
Aufklarung dem Siiden mehrfach uberlegen. Weizen, Mais, Maul-
beerbaume und Wein gedeihen in grosser Menge in ganz Italien.
— In Oberitalien ist der Reis neben Weizen und Mais charak-
teristisch , dann der Kastanienbaum und die ausgedehute Zucht
des Maulbeerbaumes ; — der Oelbaum, Siidfriichte und Siissweine
beginnen erst jenseits der Apenninen , in Mittelitalien, doch
haben Nizza und Genua ebenfalls so ziemlich die gleichen Produkte;
Orangen werden erst allgemein von Neapels Nordgrenze ; — Tro-
penprodukte kommen nur im aussersten Siiden vor, in Unter-
it alien, wo die Baumwollstaude (Sicilien und Sardinien), Man-
deln, Feigen. Datteln, Granatapfel, das Johannisbrod u. dgl. ge-
deihen. — Die Walder in den untern Regionen der Apenninen
(unterhalb der Eichen , Buchen und Ulmen) sind reich an immer-
grunen Baumen , besonders Pinien , Cypressen , Lorbeerbaumen,
Myrten u. s. w. ; in den hoheren Regionen der Apenninen und Al-
g2n an Eichen, Buchen und Nadelholzern. Die Thiere spielen in
insicht der Physiognomic des Landes keine so wichtige Rolle ala
die Pflanzen; mit Ausnahme des Buffels, der ein wichtiges Last-
thier ist, das zum Theil in halbfreiem Zustande lebt und_ sich
namentlich in morastigen Gegeuden aufhalt, sind hier die gleichen
Hausthiere wie in Nord-Europa; nur Esel und Maulesel kommen
viel zahlreicher vor.
270
Urproduktion. Kaum die Halfte des italienischen Bodena
erfreut sich einer rationellen, fleissigen Bebauung, und dooh liefert
derselbe einen grossen Reichthum an Ackerprodukten. Am fleis-
sigsten ist die Bebauung in der Lombardei, in Piemont, Modena,
Lucca, im Arnothale und einigen Landstrichen Neapels; in der
Kornkammer des Alterthums, Sicilien, insbesondere der Ebene von
Catania, ist fiir den Landbau noch wenig geschehen. Von Wich-
tigkeit ist die Reiskultur, durch kiinstliche Bewasserung zur
hochsten Vollkommenheit gebracht, wovon die Lombardei, Piemont,
die Umgebung von Ferrara und Bologna, und auch die Insel Sar-
dinien grosse Quantitaten zum Export bringen. Weizen und Mais
werden ebenfalls in grosser Menge, ersterer vorziiglich in Toscana
und Neapel, letzterer in Oberitalien gewonnen ; sie liefern das Mehl
fiir die Nationalspeisen Maccaroni und Polenta. Ein anderes Haupt-
produkt sind die O liven; das daraus gewonnene Oel, namentlich
die feinen Qualitaten von Genua, Nizza, Lucca, aus Apulien (Gal-
lipoli) bilden einen bedeutenden Ausfuhrartikel. Der Wiesenbau
ist insbesondere in der Lombardei und in Parma ausgezeichnet; er
wird durch die zahlreichen Bewasserungskanale wesentlich gehoben.
Unter den Handelspflanzen sind erwahnenswerth Hanf und
Flachs um Bologna und in der Lombardei, Safran und Siissholz
in Calabrien und Sicilien, Karden um Bologna, viele Medizinal-
krauter. — Mit Ausnahme der hohen Alpengegenden Savoyens ge-
deiht der Wein in ganz Italien, obwohl die Behandlung der Rebe
wie des Weines vieles zu wunschen iibrig lasst. Einige Weine
gelten dessenungeachtet als vorziiglich, als: Lacryma Christi und
vino greco des Vesuv und mehrere neapolitanische und sicilianische
Weine, der Pulciano und Montefia scone in Toscana, die Weine von
Modena und Reggio und andere. — Einen grossen Reichthum be-
sitzt Italien an Sudfriichten. Orangen und Citronen beginnen
schon an den Alpenseen, mehr um Nizza, Genua, Massa, beeonders in
Neapel und auf Sicilien. Mit Feigen , Mandeln und Korinthen
wird von Sicilien ein starker Verkehr getrieben , dann mit Kap-
pern, Triiffeln; auch findet sich Johannisbrot, Aloe und Manna,
gowie etwas Baumwolle (Altavilla, Biancavilla , in den Provinzen
Lecce , Bari und Basilicata) und Zuckerrohr auf Sicilien und in
Calabrien.
Unter den Zweigen der Viehzucht steht jene der^Seiden-
raupe am hochsten, welche in ganz Italien verbreitet ist, am
starksten in Piemont mit der Lombardei, dann in Parma, Calabrien
und auf Sicilien. Sardinien mit der Lombardei ist der grosste
Seidenproduzent in Europa und die Waare wird fiir die vorziig-
lichste in Europa gehalten. Zunachst steht die Rindvieh zucht
in Ober-, zum Theil noch in Mittelitalien. In der Lombardei und
in Parma bildet sie eine der Hauptquellen des Wohlstandes , weil
die Kasebereitung vortrefflich und in grossem Umfange betrieben
wird. Die Erzeugung des Parmesankases hat nachst dem Gebiete
von Parma ihren Sitz in den Umgebungen von Lodi , Pavia und
Mailand; dazu kommt der in Gorgonzola (bei Mailand) bereitete
Strachinokase. Auch in Toscana und im Kirchenstaate ist die Zucht
271
gtarken Rindviehes ansehnlich. In Toscana beginnen bereits die
Buffelheerden, welche gegen den Suden zu stets zahlreicher sind
und auch in der Ackerwirthschaft verwendet werden. Namentlich
sind der Kirchenstaat undNeapel reich an Buffeln. — Die Schaf-
zucht ist im Allgemeinen bedeutend, obwohl grosstentheils geringe-
rer Race ; in Toscana sind fiber 30 % durch spanische Merinos
veredelt. Sehr verbreitet sind die Schafe in Savoyen und auf
Sardinien (Mufflon-Schafe wild auf den Bergen), in Parma, am
Mittelmeere im Kirchenetaate (Negretti und Pouille , letztere mit
eehr feiner Wolle) , und grobwollige in Neapel. Z i e g e n werden
gleichfalls in grosser Menge gehalten, doch zumeist zur Milch wirth-
schaft und Kasebereitung (Chefrotin-Kase in Savoyen) ; an B o r-
stenvieh haben Piemont, Toscana, Modena (Wiirste: Zampette
di Modena), Toscana, der Kirchenstaat (Wiirste : Mortadelle di
Bologna) grossen Reichthum. Schone Pferde ziehen nur Neapel
und Toscana, die iibrigen Theile beziehen Pferde aus dem Aus-
lande; dagegen gibt es viel Maulthiere und die schonsten Esel in
Europa (Toscana, Kirchenstaat und Neapel). Die Bienenzucht
wird auf der ganzen Halbinsel gepflegt , am meisten auf Sicilien,
welches sehr guten Honig exportirt, dann in Savoyen, auf Sardinien
und in Toscana. Die Seef i s cher ei bietet ansehnlichen Ertrag,
insbesondere an Thunfischen, Sardellen, Korallen (an der Kuste von
Sicilien und Sardinien) und Aalen ( in den Siimpfen von Comachio).
Dem Bergbau wird noch lange nicht die wtinschenswerthe
Aufmerksamkeit zugewendet; er bietet keine grosse Mannigfaltig-
keit. Die Ausbeute an edlen Metallen ist kaum nennenswerth;
an Eisen hat Elba (200.000 Zentner) grossen Reichthum; in Sa-
voyen, auch in der Lombardei, Parma und Calabrien ist die Eisen-
gewinnung ziemlich ansehnlich, obwohl sie den inlandischen Bedarf
nicht zu decken vermag, wesshalb Eisen- und Stahhvaaren vielfach
aus dem Auslande eingefiihrt werden. Toscana hat auch etwas
Kupfer, Blei und Quecksilber, Der S c h w e f e 1 bildet einen wich-
tigen Exportartikel Siciliens und der liparischen Inseln. Grossen
Reichthum hat Italien an schonen Marmorarten (Carrara, Massa,
Pisa, Siena). Erwahnenswerth sind der vortreffliche Alaun (Tolfa
im Kirchenstaate, Volterra, Sicilien), Alabaster (Sestri bei Genua),
Kreide (Bologna), Gyps (Parma), Siegelerde (Siena), Puz-
zuolanerde (Neapel, Kirchenstaat) und etwas Quellsalz. Die
Gewinnung an Seesalz ist in den am Mittelmeere gelegenen Staa-
ten bedeutend.
In der gewerblichen Industrie ist Italien von der hohen Stufe,
auf der es vor ein paar Jahrhunderten gestanden , sehr herabge-
kommen. Eine Konkurrenz mit den ubrigen europaischen Industrie-
staaten, deren Lehrmeisterin die apenninische Halbinsel in manchen
Gewerben gewesen, vermag sie nicht mehr auezuhalten. Die indu-
strielle Thatigkeit beschrankt sich nur mehr auf einzelne Stadte und
Zweige, grosse Industriebezirke finden sich gar nicht. Verhaltniss-
massig macht Oberitalien, namentlich die Lombardei mit Piemont
hierin die meisten Fortschritte.
In Sardinien sind Genua und Turin die bedeutendsten In-
272
dustrieorte ; in Savoyen und auf Sardinien ist die Gewerbsthatigkeit
kaum auf die Erzeugung der nothdurftigsten Artikel beschrankt.
Im Allgemeinen ist der handwerksmassige Betrieb iiberwiegend ;
die Gross - Industrie im Sinne unserer Zeit ist nur durch wenige
vereinzelte Etablissements vertreten. Am wichtigsten sind die Sei-
denwaaren, darunter der Sarnmt aus Genua; dann folgen
Baumwoll- und Wollenwaaren , doch nicht ausreichend fur den Be-
darf, ferners Segeltuch, Tauwerk, Korallenarbeiten, Gold-, Silber-
und plattirte Waaren, Seife, Essenzen, Liqueure, candirte Friichte,
kiinstliche Blumen, Papier u. a. m. — Die Lombardei, unbestrit-
ten die industriellste Provinz auf der apenninischen Halbinsel, ist
in jeder Beziehung der gewerblichen Thatigkeit am raeisten vor-
geschritten, und zwar zunachst in jenen Zweigen , welche sich
auf die Landwirthschaft stiitzen , als die Sei den Industrie und die
Ka sebereitung. Die Seide aus der Brianza ist beriihmt; die Fi-
landen und Filatorien zu Como, Bergamo, Brescia, Maiiand, Cre-
mona u. s. w. erzeugten (im J. 1857) iiber 25.000 Zentner Eohseide
im Werthe von ilber 32 Millionen Gulden. Diese Provinz besass
an 3600 Filanden mit 40.000 Kesseln und beschaftigte hierbei iiber
95.000 Arbeiter und uber 550 Filatorien ; die meisten werden
fabriksmassig betrieben, insbesondere in Maiiand und Bergamo. In
der Me t al 1 w a ar en Industrie haben guten Ruf: die zahlreichen
Betriebsanstalten fur Kupferwaaren (Provinz Como) der Stahl aus
Brescia, Bergamo und Bagolino, Bajonette und Gewehrlaufe aus
Gardone , gewalztes Eisenblech aus Dongo , Messerschmiedwaaren
aus Brescia und Maiiand , Bronzewaaren aus Maiiand, desgleichen
hier die vorziiglichen Juvvelierarbeiten , woi'in Maiiand der Haupt-
platz fiir den Suden ist , viele Eisenhammer (Val Trompia) und
Etablissements fiir Kurzwaaren. Auch die Lederwaaren von
Maiiand und Umgebung (an 60 Fabriken) sind sehr geschatzt. In
Hinsicht der Baumwoll industrie behauptet diese Provinz sowohl in
der Spinnerei, noch mehr in der Druckerei und Farberei einen be-
achtenowerthen Rang, obwohl die ziemlich zahlreichen Fabriken
(darunter: Solbiate Olona, Chiavena, Legnano) den inlandischeu
Bedarf noch nicht zu decken vermogen. Erwahnenswerth sind
noch: Wagen, Tiachlerarbeiten , Glasmalerei, Zucker in Maiiand,
beruhmte Violinen in Cremona , die Papierfabrikation (Toscolano),
die Leinenindustrie in Brescia , Lodi und Pavia ( Damast aus
Maiiand).
In Parma ist die gewerbliche Thatigkeit unbedeutend, sie
konzentrirt sich auf die Stadte Parma und Piacenza; von eigent-
licher Fabriksindustrie kann gar nicht die Rede sein, Nebst Kase
werden iioch etwas Papier , JStrohwaaren, Seidenwaaren und Gold-
arbeiten erzeugt.
Gleiche Zustande weiset Modena, wo Modena, Reggio und
Massa relativ am meisten in Tuch, Papier, Seide und Strohwaaren
thatig sind.
Nachst der Lombardei besitzt Toscana die bliihendste und
lebhafteste Industrie in Italien, und liefert rnehrere Erzeugnisse fiir
den Export. Die wichtigsten Indus trieplatze sind: Florenz, Prato,
273
Pistoja, Pisa, Livorno, Lucca, Siena und Si*na. Die bedeutend-
sten Zweige sind : die Strohflechterei ( insbesondere Strohhute,
Mittelpunkt dafur ist das Dorf Signa am Arno MFlorentinerhiitea),
die Seidenweberei (Siena), und Sammt, das beste Papier in Italien,
mittelfeine und grobe Wollwaaren und Leinen ; die Baumwollindu-
strie deckt nicht den Bedarf. Ferners sind bekannt : die Leder-,
Eisen-, Stahl- und Kupferwaaren, Porzellan, Majolica , Steingut
und Glas; beriihmt sind die Kunstblumen , Mosaik- und Ala-
baster arbei ten und der Malerlack, dann Teppiche, Tapeten, Koral-
lenarbeiten und Bijouteriewaaren aus Florenz, schones Pergament aus
Lucca und die (in Italien bedeutendsten) chemischen Fabriken.
Im Kirchenstaate findet aich wenig gewerbliche Betrieb-
samkeit. Das Kleingewerbe und die Manufakturen arbeiten zumeist
fiir den Lokalbedarf, der im Allgemeinen ein geringer ist. Ver-
haltnissmassig am starksten ist die Industrie in Seidenwaa-
r e n (Bologna, Perugia, Horn, Ancona und Forli), zun'achst jene
in Leder (Ancona, Rom, Rimini), insbesondere liefern Rom und
Foligno schones Pergament. Die Woll- und Leinenindustrie sind
schwach, mit Ausnahme von Ancona , wo Segeltuch und Tauwerk,
Zucker-, Oel-, Seifen- und Bleiweissfabriken von einigem Belange
sind. Bekannt sind: fiir Thongeschirre Faenza (Fayence), dann
Rom fur Darmsaiten , Kunstblumen , Silberwaaren, Mosaik- und
Marmorarbeiten, Glaspasten , fiir Schmuck- und Kirchengerathe.
Die Industrie in Eisenwaaren nimmt gleichfalls einen untergeord-
neten Rang ein.
Im Kttnigreiche beider Sieilien sind in neuerer Zeit beach-
tenswerthe Fortschritte gemacht worden , ein Aufschwung in der
Baurnwoll-, Schafwoll- und Seidenindustrie ist unverkennbar, und
auch manche andere Artikel haben sich Anerkennung selbst im
Auslande errungen. Die Zahl der grosseren Fabriksetablissements
ist im Steigen , dessgleichen deren Produktion. Neapel nebst Um-
gebung weiset die grosste Thatigkeit auf , die geringste Sicilien,
wo nur Palermo und Messina von einiger Bedeutung sind. — Die
alteste Industrie, jene in Leinenwaaren, deckt kaum den Be-
darf an ordinarer Waare (Neapel, Reggio), bessere Qualitaten wer-
den importirt. Etwas bedeutender sind die Wol lenmanufakturen
im Westen des Reiches (Amalfi, Arpino, Chieti in den Abruzzen) ;
noch wichtiger ist die sich immer mehr ausbreitende Fabrikation
von Baum w oil waaren, vorziiglich in Neapel, Salerno und Otranto,
dann in Palermo, Catania und Messina ; am erheblichsten ist jedoch
die Seidenindustrie (Neapel, Catania, Palermo, Caserta, Portici,
Sorrento und Bari). Die L e der Industrie ist in der Zunahme, die
Handschuhe aus Neapel sind sehr vortheilhaft bekannt. Die meisten
Industriezweige beschranken sich auf die Stadte. Neapel ist weiters
bekannt durch die vortreffliche Seife (auch Gallipoli), die Violin-
saiten und Maccaronibackereien ; Palermo durch ausgezeichnete
Tischlerarbeiten ; Lecce durch Baumwoll-, Spitzen- und Holzwaaren ;
Salerno durch Eisen- und Kupferhammer , Glas- und Porzellan-
i'abriken, und die erwahnten Webewaaren. Beriihmt sind dieSchmuck-
arbeiten aus Lava und die Steinschleifereien mit ihren schonen
Klun's Handels-Geogrrapbie. 2. And. Jg
274
Marmor- und Achatarbeiten. Die Metallwaaren - Industrie steht im
Ganzen noch auf geringer Stufe.
Der Handel. Die Lage der apenninischen Halbinsel am Mit-
tellandischen und Adriatischen Meere mit der ziemlich reich geglie-
derten Kiiste und mehreren guten Hafen ist dem Seehandel ausserst
gunstig. Hat auch Italien seine welthistorische Bedeutung als Sitz
des grossartigen Handels eingebiisst, seitdem der Atlantische Ocean
die Hauptstrasse ward fiir den Welthandel, und Venedig und Genua
von den Stadten am Atlantik iiberfliigelt worden sind ; so ist der
Handel nach der Levante und Nordafrica, nach Westeuropa, Ame-
rica, nach der Schweiz und Deufschland noch immer beacbtens-
werth. Genua, Livorno, Civita vecchia, Neapel, Messina, Palermo,
Gallipoli, Ancona vermitteln den Seeverkehr ; sie exportiren die
heimischen Produkte und treiben auch erhebliche Spedition. Dem
inneren Handel stelleH sich mehrere Hindernisse entgegen ; das Land
besitzt ausser dem Po und der Tiber keine grosseren schiffbaren
Fliisse ; an guten Strassen ist nur Oberitalien reich, vorziiglich die
Lombardei; Eisenbahnen sind erst im Entstehen, dessgleichen gros-
sere Geldinstitute zur Belebung der Industrie und des Verkehrs.
Turin, Florenz, Rom, die beruhmten Messen zu Sinigaglia (Kir-
chenstaat), Foggio (Neapel), Neapel sind zunacbst fur den inneren
Verkehr von Wichtigkeit. — Zur Ausfuhr gelangen vorziiglich:
Seide, Oel, Sudfriichte, Schwefel, Alaun, Seesalz, Seefische, Mac-
caroni, Kase, Glas-, Korallen- und Kunstarbeiten in Marmor und
Gyps; zurEinfuhr: Kolonialwaaren, Baumwolle, Leinwand, Wol-
len- und Baumwollengewebe, Eisen- und Stahlwaaren, Pferde ; Ge-
treide wird von Sicilien ausgefuhrt , dagegen in den siidlichen Ge-
birgsgegenden eingefiihrt,
Geistige Kultur. Italien ist nachst Griechenland die Wiege
europaischer Kultur, das Vaterland der Wissenschaften und Kiinste.
Leider steht es nicht mehr auf jener hohen Stufe, auf der es im
14., 15. und 16. Jahrhunderte gestanden. Die allgemeine Volks-
bildung ist eine geringe, der Elementarunterricht arg vernachlassigt,
nur Norditalien und Toscana weisen einen giinstigeren Stand. Dass
einzelne strebsame Geister unter diesem hochbegabten Volke auch
in unsern Tagen als wiirdige Stiitzen und Trager der Wissenschaft
emporragen, ist nicht zu laugnen ; doch wachst die grosse Masse
vielfach ohne alien Unterricht auf. Verhaltnissmassig bestehen ziem-
lich viele Schulen fur gelehrte Bildung, dagegen sehr wenige fur
industrielle oder kommerzielle Ausbildung. Dieser nichts weniger
als befriedigende Standpunkt der geistigen Kultur ist auch eine
der Hauptursachen der relativ geringen technischen und physischen
Kultur. — Auf dem Gebiete der schonen Kunste behauptet
jedoch Italien immer noch einen sehr anerkennenswerthen Rang,
wozu nebst der gli'icklichen Begabung des Volkes die zahlreichen
Kunstanstalten und die Schatze der einstigen Grosse des Landes
sehr viel beitragen. Italien tragt somit in sich die Vorbedingungen
fiir eine grossere Entwickelung seiner geistigen und materiellen
Wohlfahrt.
275
V. Das KOnigreich Spanien
§. 140. Bestandtheile. Bevttlkerung.
1. InEuropa: K6nigreich Spanien und die Balearen-Inseln
2. „ Africa: Provinz der kanarischen Inseln (152 QMM
227.000 Einw.), die Presidios in Nord-
africa (1.5 QM., 12.000 Einw.), die Gui-
nea-Inseln (23 DM., 5600 Einw.) u. a. . 176S 244.600
3. „ Asien: Generalkapitanat der Philippinen (der grosste
Theil der Philippinen, die Babuyanen-In-
seln, ein kleiner Theil < er Baschi-Inseln,
die Marianen) 2500 3,500000
4. „ America: Generalkapitanate Cuba und Puerto-Rico,
die Jungfran-Inseln 2500 L 400.000
Gesammtmonarchie 13.952S 21,219.600
Nach der National! tat (in Europa) fast ausschliesslieh Spanier, dann
et\va y2 Million B as ken (in Biscaja und Navarra), Moris cos oder Mod ej ares,
Keste der Mauren (in den Thalern der Sierra Nevada und Sierra Morena), deut-
sche Kolonisten (in der Sierra Morena), viele Zigeuner (Gitanos), wenig Juden.
— Die romisch-katholische Kirche ist mit Ansschluss jedes andern Kultus die allein
herrschcnde. — • Grenzen: Im N. der Biscaysche Meerbusen, Frankreich; im 0. das
Mittelmeer ; im S. das Mittelmeer, die Strasse von Gibraltar, der Golf von Cadix ;
im W. Portugal, der atlantische Ocean. — Untheilbare konstitutionelle Erbmonar-
chie in mannlicher und weiblicher Linie des romisch-katholischen Hauses Bourbon
jiingerer Linie.
liodeiiverhaltnisse und Klima. Die hesperische Halbinsel
ist ein zusammenhangendes Hochland, ein abgeschlossenes Ge-
birgsganzes. Zwei grosse (2000' bis 2600' hohe) Hochebenen bilden
ein Tafelland, welches im Norden und Suden Hochgebirge begren-
zen, und aus welchem sich von Ost naeh West parallels Gebirgs-
ziige erheben. — Die Hochebene von Altcastilien und
Leon wird begrenzt irn Norden vom kantabrisch - asturischen , im
Nordwesten vom iberischen und im Siiden vom castilischen Scheide-
gebirge*; zwischen dem castilischen und dem andalusischen Scheide-
gebirge dehnt sich die Hochebene von Neucastilien aus,
— erstere bewassert der Duero, letztere der Tajo. Die Tiefebe-
nen an den Kiisten sind von verhaltnissm'assig geringer Ausdeh-
nung: die aragonische am untern Ebro, die andalusische
am untern Quadalquibir. — Sammtliche Gebirgsziige gehoren zum
pyrenaischen Gebirgssysteme. — Siehe §. 26. S. 32.
Das K 1 i m a ist sehr verschieden. In den Hochpyrenaen
und in der Sierra Nevada ist es am rauhesten und kaltesten , das
centrale Tafelland hat kontinentales , die niederen Kiistenstriche
haben oceanisches Klima. Nach horizontaler Ausdehnung kann man
unterscheiden : eine nor dliche Zone, welche wohlbewassert, baum-
utfd wiesenreich und milde , den nordlichen Kflstenstrich und Ga-
licien umfasst; die mit tie re, das ganze Innere Spaniens umfas-
send , ist diirr , im Winter kalt, im Sommer heiss, verbrannt,
und fast ganz baumlos ; die siidliche sehr heisse, erzeugt Siid-
fruchte und die feurigsten Weine. Wahrend auf den Hochebenen
die mittlere Jahreswarme an 15 ° R. betragt, ist diese an den Kusten
um ein paar Grad hoher und die Sommerwarme steigt in Granada
18*
276
uml Andalusien fast zur africanischeu. Die liegenmenge iet eine
geringe (beilaufig 10") ; Hauptwinde sind im Nordwesten der kalte
Galego, im Siiden der erstickend-heisse Solano.
Gewasser. Der Atlantische Ocean und das Mittel-
meer bespulen das Land, und schneiden mehrere Golfe und fur
den Seehandel sehr geeignete Buchten und Hafen ein. Der Ocean
bildet die Golfe von Ferrol, Coruna und Cadix, das Mittel-
meer die Golfe von Almeira, Cartagena, Alicante und
Valencia. 250 Leguas (20 = 1°) der Kuste entfallen auf das
Mittelmeer und 237 auf den Atlantik. — Die Fltisse, von denen
nur wenige scbiffbar, im Sommer gewShnlich wasserarm sind, wah-
rend die kleinen ganz austrocknen , ergiessen sich in die beiden
Meere. Dem Atlantik fliesseri zu: der Minho aus Galicien, zum
Theile Grenzfluss gegen Portugal; der Duero aus dem iberischen
Gebirge , Spaniens grosster Fluss; der Tajo, der Guadiana
und der Guadalquibir, der wichtigste Flues des Landes, der
wasserreichste und fflr die Schiffahrt, wclche bei Sevilla beginnt,
der geeignetste. In das Mittelmeer: der Segura, Xucar, Gua-
dalaviar und der schiff bare E bro. — Siehe §. 43. S. 52 und 53.
— Grossere Land seen gibt es nicht, wohl aber an der Ost-, zum
Theii auch an der Sudkiiste Lagunen und Teiche. Der einzige
nennenswerthe See ist der fischreiche Albufera bei Valencia. —
Unter den wenigen und meistens entweder gar nicht oder nur un-
vollstandig ausgebauten Kanalen iet nur der von Kaiser Karl V.
begonnene Kaieerkanal wichtig. Er beginnt unterhaib Tudela
am Ebro und reicht bis unterhaib Saragossa. — Mineral quellen
besitzt das Land viele von verechiedenen Temperaturen und Be-
standtheilen.
Politischc Eiiitheilung. Spanien bestand nach seiner friihe-
ren, auf die Geschichte des Landes sich grfmdenden Eintheilung
aus vier Haupttheilen : Castilien, Aragonien, Navarra
und den baskisc hen Provinzen, wozu noch die K o 1 o n i e n kamen.
Diese Haupttheile bestanden aus mehreren Provinzen. — Im Jahre
1833 wurde eine neue Eintheilung der Gesammtmonarchie in 49
Provinzen vorgenommen: 1. das eigentliche Spanien, das
Fest- oder Mutterland (peninsula) mit 47 Provinzen; 2. die be-
nachbarten Besitzungen (adyacentes), als : die Balearen, die
an der Nordkiiste von Afrika gelegenen feeten Platze (los presidios
de Africa), die kanarischen und Guinea - Inseln (48. Provinz) und
3, die uberseeischen Kolonien (ultramar) als 49. Provinz.
- Bekannter und gebrauchlicher ist die a 1 1 e Eintheilung.
Bemerkenswerthe Orte sind *) :
A. Das Reich Castilien.
1. K5nigreich Neucastilien und Landschuft la Mancha: Madrid
(302.000), Guadalaxara, Toledo, Aranjuez, Cuentja, Ciodad Real, Almadcn, Alcala.
2. Konigreich Al tcastilien: Burgos (16.000), Avila, Segovia, Escorial,
Soria, Logrono, Santander.
3. K6nigreich Ledn: Valladolid (21.000), Salamanca. Leon.
*) Zur Aussprache: c vor e und i =- as, sonst =• k ; — ch = tsch; — g
vor e und i => ch, sonst = g; — j — ch; — 11 = Ij ; — n = nj; — x im All-
gemcinen •=» ch; — z = gelindes 8.
877
4. Furstenthum Asturien: Oviedo (20.000), Gijon.
5. KOnigreich Galici en: La Co run a (20.000), El Ferro"!, San Jago de Com-
pestella, Lugo.
6. Landschaft Estremadura: Badajoz (12000), Merida, San Juste.
7. K6ni»reich And a hi si en (oder KOnigreiche Sevilla, Cordova, Jaen): Se-
villa (152.000), Cadix (72.000), Jaen (20.000), Cordova (38.000), Xeres de la
Frontera, Huelva, Palos. (Cap Trafalgar und Cap Tarifa.)
Zur Provinz Cadix gehOren die vier befestigten Stadte (Presidios) an
der Nordkiiste von Marocco in Africa: Centa, Pen on de Velez, Alhucemas,
Melilla, und die 3 Zaffarinen-Inseln (I1/, QMe'le mit 12.000 Ein-
wohnern).
8. KOnigreich Gran id a: Granada (100.000), Malaga (113.000), Almeria.
9. KOnigreich Murcia: Murcia (110.000), Cartagemi (34.000), Albacete.
Die 12 kanarischen Inseln liegen 15 Meilen vom africanischen Cap Bajador
im atlantischen Ocean. Die 7 grosseren (Tenerif fa, Gran Canaria, Palma,
Lanzerote, Fuerteventura, Gomera und Ferroj sind bewohnt. Sie haben
mildes, gleichfOrmiges, sehr gesundes Klima. liefern viel Wein, Sfidfruchte,
Getreide, Baumwolle; der Ackerbau ist vernachl'assigt, die Zucht der Seiden-
raupe, der Fischfang und Seehandel bedeutend. Hauptort: Santa Cruz de
Teneriffa (9000).
B. Das Reich Aragoiiieu.
1. KOnigreich Aragonien: Zaragoza (oder Saragossa 83.000), Teruel, Huesca.
2. Furstenthum Catalonien: Barcelona (252.000), Tarragona, Tortosa,
Lerida.
In der Provinz Lerida liegt die Rcpublik. An dor ra im gleichnamigcn
Hochthale (9 QM., 16,000 Einw.). Unter den 34 DOrfern und Weilern ist
Our die am wichtigsten. Die selbstgewahlte Rathsversammlung besteht aus
24 Mitgliedern; den Vorsitz mit der Exekutivgewalt hat der auf Lebenszeit
gewahlte Syndicus, dem 2 LandvOgte (Vegueres) znr Seite stehen, deren
eiaer vom Bischofe zu Urgel (in Catalonien), der andere von Frankreich er-
nannt wird.
3. Konigreich Valencia: Valencia (146.000), Murvie"dro, Castellon de la
Plana, Alicante.
4. KOnigreich Mallorca:
a) die Balearen (77 QM.); 3 grOssere Inselo, Mallorca, Hauptort Palma
(36.000), Menprca, Cabrera ;
b) die Pithyusen (9 QM.) : Ivica, Formentera.
< , Da.s Kvich \av,u ra.
1. KOnigreich Navarra: Pamplona (12.000), Tudela.
D. Die baskischen Provinzen : Biscaya, Guipuzcoa, Alava mit den Stadten :
Bilbao, San Sebastian, Vittoria, Tolosa.
Bcsondere Hervorhebung verdienen die Stadte:
Madrid, die kOnigl. Residenz, fast in der Mitte des tteiches am Maazanares-
Flusschen auf einer wasserarmen Hochebene gelegen. Der konigl. Palast einer der
prachtigsten in Europa; Palast Buen Retiro mit grossen Garten. Universitiit, meh-
rere Akademien und gelehrte Institute mit reichen Sammlungen, besonders Gemalden.
Grosse Cigarrenfabrik, eonst nicht bedeutende Industrie. National-Bank, Handels-
gesellschaft der funf Gremios. Schone Spaziergixnge (Prado); grosses Amphitheater
fur Stiergefechte. In der Nahe kOnigl. Lustschlosser, darnnter El Escorial, in
einer Einode am Guadarrama-Gebirge mit dem von Philipp II. nach dem Siege vou
St. Quentin 1557 erbauten prachtvollen Kloster, dem Begrabnisse der spanischen
KOnige. Reiche Bibliothek und Gemaldesammlung. Toledo, ehemalige Resident
der maurischen Konige mit dem Sitze des ersten Erzbischofes von Spanien. Sevilla.
berfihmte Kathedrale mit dem hohen Giralda-Thurme; Alcazar, der Palast der raau-
rischen KOnige; BOrse mit reichen Urkunden fiber die von spanischen Seefahrern
gemachten Entdeckungen ; grosste Tabakfabrik in Europa; sehr lebhafte Industrie
nnd bedeutender Handel. Universitat nebst andern gelehrten und Spezial-Lehr-
anstalten. Granada, romantische Lage in fruchtbarer Gegend; Ueberreste alter
Pracht; Alhambra (Palast der maur. Konige;, viele Alterthfimer; Universitat; ba-
rtthmte Kathedrale.
278
KulturverMltnisse im Allgemeinen.
Die naturliche BodenbeschafFenheit und das Klima sind in dera
grossten Theile Spaniens der Bodenkultur sehr giinstig; allein
derselben wird noch lange nicht die wiinschenswerthe Aufmerksam-
keit zugewendet, obwohl in neuester Zeit die zahlreichen landwirth-
schaftlichen Vereine zur Hebung dieses Nahrungszweiges erspriess-
lich thatig sind. Nur wenig mehr als die Halfte des Flacheninhal-
tes nimmt das bebaute Land ein (etwa 25 Millionen Hectaren & 1,74
Wiener Joch) ; auf das unbebaute Land mit den Haiden und auf
den unproduktiven Boden entfallen je 15%, auf die Waldungen
jedoch kaum 3%. Allerdings ist die Diirre des Bod ens und der
Wassermangel ein Hemmniss der Bodenbebauung , welches durch
die nicht ausreichenden Bewasserungsanstalten und Kanale nicht
gehoben wird ; und der geringe Waldstand iibt auf die klimatischen
Verhaltnisse einen nachtheiligen Einfluss aus. Wird auch eine re-
lativ nur geringe Flache und wenig rationell und fleissig angebaut;
so deckt doch in der Regel die dermalige Produktion anGetreide
den heimischen Bedarf, in guten Jahren gelangen Produkte des
Ackerbaues noch zum Export. Am meisten wird Weizen ange-
baut, dann Gerste ; in den nordlichen Gegenden mehr Roggen,
Hirse und Buchweizen , in den mittleren Mais , in Catalonien
und um Valencia Reis. Sehr bedeutend ist die Produktion an
Hulsenfnichten , Gemusen und feirien Gartenfruchten. Der Silden
liefert vorziigliche Siidfruchte (Mandeln , Rosinen , Feigen,
Datteln, Orangen, Kastanien u. s. w.) in den Handel. Wichtig ist
der Olivenbau, obschon das Oel wegen mangelhafter Behandlung
dem franzosischen und italienischen nachsteht. Fur Safran ist es
das wichtigste Land in Europa (in Neucastilien , namentlich um
CuenQa) ; von Bedeutung sind ferner: die Farberrothe (Segovia, Ga-
licien, Leon, Estremadura) , Sumach oder Gelbholz (Valladolid),
Waid , Krapp, Saflor, spanischer Pfeffer (Estremadura), Siissholz,
Hanf und Flachs (Castilien, Galicien, Leon), etwas Baumwolle in
Valencia und Granada. Die Zuckerpflanzungen (um Malaga) haben
in den letzten Jahren im Durchschnitt an 75.000 Zentner Zucker-
robr gegeben. Einer der wichtigsten Exportartikel ist der Wein;
die Vortrefflichkeit der sudspanischen Weine ist bekannt, nament-
lich: Xeres, Malaga, Alicante, Tinto, Malvasier u. a. Die Jahres-
produktion kann auf etwa 18 Millionen osterreichische Eimer (an
63 Millionen Arrobas) geschatzt werden. — Die untergeordnete
Stufe, auf welcher die Forstkultur steht, erklart den Holzmangel
in den meisten Provinzen , ausgenommen in den nordlichen Ge-
genden.
In der Viehzucht nimmt seit jeher die Schafzucht den
ersten Rang ein , wenn gleich die Wolle nicht mehr die ehemalige
Beruhmtheit geniesst. .Die Zahl der Schafe wird auf 19 Millionen
geschatzt, worunter 7 Millionen Wanderschafe (merinos) mit
langer feiner Wolle, die ubrigen von geringerer Race und der jahr-
liche Wollertrag soil sich auf 85 Millionen Pfund belaufen , wovon
noch immer ein ansehnlicher Theil, wenngleich weniger als ehemals,
nach England abgesetzt wird. Die Merinos leben stets in freier
879
Luft, im Sommer ziehen die Heerden (10.UOU bis 40.000 Stuck) in
den gebirgigen Gegenden , im Winter hauptsachlich in Estrema-
dura herum. Die Heerdenbesitzer bilden (im Jahre 1854 neuer-
dings organisirte) Korporationen (mesta), das Umherwandern und
Abweiden geschieht nach bestimmten Gesetzen. — In den Gebirgen
ist die Ziegenzucht, in Estremadura die Schweinezucht, in den
Nordprovinzen die Zucht zahmer Kinder, im Guadarrama-Gebirge, in
Navarra und der Sierra Morena jene der wilden Stiere (zu Stier-
gefechten) am erheblichsten. — Ein vorziiglicher Pf erdeschlag ist in
Andalusien, doch vvird dem Maulthiere und Esel eine noch grossere
Aufmerksamkeit zugewendet. Nennenswerth sind endlich: die Bienen-
zucht (Sevilla, Cordova), die Seidenzucht (Valencia, Murcia). Coche-
nille und Kermes (Valencia, Alicante), Canthariden oder spanischen Flie-
gen. Die Fischerei auf Thunfische und Sardellen ist ziemlich bedeutend.
Der llergbau ist in Spanien hochst wichtig. Die Erzah-
lungen des Alterthums von den fabelhaften Reichthiimern des
Landes an edlen Metallen geniessen zwar keine grosse Glaubwiir-
digkeit , dessungeachtet kann ein ehemals relativ grosser Reich-
thum nicht gelaugnet werden. Nach der Entdeckung America's
ist der Silber- und Goldreichthum Spaniens, theils wegen der Ver-
nachlassigung des Bergbaues im Mutterlande , theils wegen der
verhaltnissmassig viel grosseren Menge edler Metalle in der ,,neuen
Welt" auf ein sehr bescheidenes Mass herabgesunken. In neue-
ster Zeit wird dem Bergbaue wieder eine grossere Sorgfalt zuge-
wendet; besonders erheblich ist die Ausbeute an Blei, Queck-
silber und Eisen; auch Kupfer, Silbererze und Steinkohlen so-
wie andere mineralische Produkte werden in ansehnlicher Menge
gewonnen. Im Jahre 1856 standen 386 Gruben im Betriebe und
die Ausbeute betrug an: Blei iiber 5 Millionen, Quecksilber
tiber 420.000, Eisen iiber 1 '/2 Million, Kupfer iiber 1% Mil-
lion, Silbererze 770.000 (mit etwa 300.000 Mark Silber) und
Steinkohlen nahe an 2 Millionen Zentner. Die ergiebigsten
Bergwerke sind : fur Zinnober und Quecksilber Almaden, Blei Al-
pujarras in Granada, Eisen Asturien, Leon, Granada , Sierra Mo-
rena, Kupfer Sierra Nevada, Rio Tinto u. s. w. Die bedeutendsten
Hiittenwerke sind in Almaden, Rio Tinto ( Cementkupferfabrik ),
Malaga (Eisenhiitten), Cartagena (Bleischmelzhiitten), Hellin (Schwe-
felhiitten) u. a. — Sehr grossen Reichthum besitzt endlich das
Land an Steinsalz, Salzquellen und Seesalz; 87 Salinen, unter de-
nen jene zu Cardona die wichtigste ist, erzeugen jahrlich etwa
5'/2 Million Zentner Salz; Seesalz gewinnen Sevilla, Cadix, Va-
lencia und die Balearen.
In der gewerblichen Industrie nimmt Spanien keine her-
vorragende Stelle ein. Auf eine langdauernde Vernachlassigung
gewerblicher Thatigkeit, M7e!che theils in der Bequemlichkeit und
den geringen Bediirfniasen des Volkes, theils in den haufigen inne-
reri Unruhen und Kriegen und in dem ausgedehnten Monopol-
system ihren Grund hatte , folgte in neuerer Zeit ein erfreulicher
Aufschwung, der zur Hoffnung auf eine bessere Znkunft berech-
tiget. Gegenwartig deckt die emheimische Industrie iui Allgemeinen
noch nicht den Bedarf ; sie ist jedoch mannigfaltig und in manchen
Artikeln so vorgeschritten, dass sie eine Konkurrenz mit dem Aus-
lande wohl auszuhalten im Stande ist. Die Hauptsitze der Indu-
strie, insbesondere des eigentlichen Fabrikswesens, sind Ca-
talonien und die baskischen Provinzen; doch ist auch in
Valencia, Galicien, Asturien, in Andalusien und Murcia das Ge-
werbewesen ziemlich ausgebreitet. — Hinsichtlich des Umfanges
des Geschaftsbetriebes sowie der Qualitat der Produkte nimmt die
im raschen Aufbliihen begrifFene Baumw o 11 -Industrie den er-
sten Rang ein, und zwar in Catalonien (Barcelona, Vich, Tarragona,
Reus, Mataro), zum Theile auch auf den Balearen und in Valen-
cia. Die Einfuhr an Baumwolle steigt fortwahrend , die Zahl der
Spindeln soil an 1 '/4 Million betragen, welche die hochsten Num-
mern von Garn liefern und dermalen diirften an 150 Dampfmaschinen
in den Baumwollenfabriken Cataloniens thatig sein. Die Seiden-
industrie hat ihren Sitz gleichfalls in den Konigreichen Catalonien
und Valencia, zum Theil auch in den Umgebungen von Madrid,
Toledo, Talavera, Sevilla, Malaga, Saragossa und Granada. In
Valencia selbet werden nahezu jahrlich an J/2 Million Pfund roher
Seide gesponnen und iiber iya Million Ellen Seidenzeuge fabrizirt.
Die S c h af wo 11 Industrie steht in keinem Verhaltnisse zu der Menge
und Qualitat des im Lande gewonnenen Rohproduktes ; die besten
Waaren erzeugen Segovia, Barcelona und Burgos. Fur Wollen-
tucher sind erwahnenswerth : Terraza, Burgos, Segovia, Guadalaxara,
Alcoy u. a.; fur Wachstuch : Barcelona. Die Erzeugung an Le in-
wan d und Da mast (Galicien, Valencia, Malaga u. a.) ist nicht
erheblich; wichtiger ist jene von Segeltuch in einigen Seestadten.
Bedeutender ist die Fabrikation von Metallwaaren, obwohl
ebenfalls nicht im Verhaltnisse zur Roherzeugung des Landes. Die
meisten EisenhUmmer sind in Biscaya , auch in Burgos, Leon und
Cuensa, das grosste Eisenwerk ist in Malaga. Geschatzt werden
die Feuergewehre (Cybar und Plasencia in Biscaya), Messer, Klingen
(Toledo), Bijouterie-, Gold- und Silberwaaren (Madrid, Sevilla, Bar-
celona u. a.), Kanonen (Sevilla, Barcelona) u. s. f. Madrid liefert
gutes Porzellan (konigliche Fabrik) , Alcora und Medina Fayence
und Topferwaaren , S. Ildefonso (in Segovia) Spiegel. Beriihmt
sind die im grossartigsten Massstabe betriebenen Ledergerbe-
reien Cataloniens, dann von Cordova, Malaga, Burgos und
Toledo, sowie die Weissgerbereien in Valladolid , Sevilla,
Granada. Schone Seife erzeugen Mataro, Alicante, Valenca,
Malaga. — Die Fabrikation und der Verkauf des T a b a k s ist
Staatsmonopol; die grosse Cigarrenfabrik in Sevilla liefert taglich
650.000 Stuck , zunachst steht Madrid. Das meiste Papier er-
zeugen die Papiermiihlen in Catalonien und Valencia. Endlich be-
stehen Branntweinbrennereien , einige Bierbrauereien, Zuckerraffine-
rien u. s. f.
Der Handel Spaniens hat die hohe Bedeutung , welche ihm
die reichen Entdeckungen und Eroberungen in der neuen Welt,
die gewinnreichen Geschaftaverbiuduagen mit beidea ladiea ver-
schafft hatten, langat verloren. Nach den grossen Kampfen in un-
281
serem Jahrhunderte war derselbe noch mehr gesunken, und erst in
den letzten 20 Jahren ist wieder ein progressiver Aufschwung be-
merkbar. Zu Anfang dieses Jahrhunderts erreichte der Werth des
Jahres-Importes etwa 220 Millionen, des Exportes 210 Mil-
lionen Realen (a 10 1/9 Neukreuzer); im Jahre 1857 dagegen war
der Import schon fiber 1500 Millionen , der Export auf nahezu
1170 Millionen Realen gestiegen*). Der starkste Verkehr ist mit
den americanischen und africanischen Kolonien , auf welche fiber
*/5 des erwahnten Geldwerthes kommen ; bedeutend geringer sind
die Geschafte mit Ostindien. Die Handelsmarine z'ahlt fiber
5200 Schiffe mit etwa 220.000 Tonnen (ungerechnet die Kfisten-
fahrer). Die wichtigsten Seeplatze sind: Barcelona, Valencia,
Alicante, Cartagena, Malaga (Ausfuhr der Sfidfriichte und Wein),
Cadix (Hauptplatz fiir den Kolonialhandel), Coruria, Gijon, Santan-
der, Bilbao und San Sebastian. — In grosser Ausdehnung wird
der Schmuggelhandel betrieben (mit Frankreich, Portugal und
den Englandern in Gibraltar) , und es wurde vor wenigen Jahren
der Betrag desselben auf 30% mehr als der des gesetzmassigen
Handel s angegeben.
Der Binnenhandel ist wegen Mangels an guten Strassen,
an schiff baren Flfissen , Kanalen und grosseren Eisenbahnlinien
ziemlich beschrankt. Den Verkehr im Innern vermitteln: Madrid,
Sevilla, Burgos, Saragossa, Cordova, Granada und Murcia, — Fiir
die Forderung des Handels bestehen in neuester Zeit mehrere Ban-
ken (Madrid, Barcelona, Cadix, Malaga, Valladolid, Coruna),
die industrielle und kommerzielle Kreditgesellschaft in Madrid,
viele Assekuranzen, Handelsrathe, Handelsschulen und Konsulate,
und eine sehr lebhafte Dampfschiffahrts - Verbindung langs der
Kiiste.
Die geistige Kultur hat im grossen Ganzen die gleichen
Wandlungen durchgemacht, die wir auf dem Gebiete der materiel-
len Thatigkeit der Spanier gesehen haben. Von der hohen Stufe,
auf der sie vom 15. bis zum 17. Jahrhunderte gestanden , sind sie
allmalig herunter gestiegen und erst in neuester Zeit ist wieder
eine erfreuliche Veranderung eingetreten. Die Zahl der Volksschu-
len ist weder ausreichend, noch befinden sie sich in einem unserem
Zeitgeiste entsprechenden Zustande , der allgemeine Bildungsgrad
der grossen Masse ist sonach ein geringer. Die gelehrten Mittel-
und Hochschulen stehen den analogen deutschen Anstalten weit
zuriick, fiir technische und kommerzielle Fachbildung ist gleichfalls
noch viel zu wenig geleistet worden. Es ist jedoch sichere Aus-
sicht auf entschiedene Besserung vorhanden , indem in den letzten
Jahren ein ernstes, entschlossenes Vorwartsstreben, ein Aufschwung
in der gesammten geistigen und materiellen Thatigkeit der Na-
*) Beim Import sind am bedeutendsten : Zucker (110 Millionen Realen), Baura-
wolle (90 M. B.), Wollwaaren (43 M. R.), Cacao (42 M. R.), Stockfische, Baum-
woll-, Seiden- und Leinenwaaren, Mascbinen u. s. f., — beim Export: Weine
(290 Millionen Realen), Mehl (125 M. R.), Korn (84 M. R.), Blei (83 M. R.), Oli-
ven61 (67 M. R.), Qaecksilber (25 M. R.), Schafwolle (22 M. R.), Salz (17 M. R.),
Reis, Seife, Gerste u. s. f.
282
tion, gefordert durch die Bemuhungen der Regierung, sich bemerk-
bar macht.
VI. Das Konigreich Portugal.
§. 141. Bestandtheile. Bevtilkerung.
QMeilen Einwohner
1. Das Mutterl and
2. Die Inseln.
3. Die Kolonien:
fAzoren
JMadeira-Gruppe
|Kapverdische
in Asien: Vicekonigreich Indien mit"|
den Gouvernements : Goa, Damao, }
Diu (in Vorderindien), Macao (in\
China), Dille auf der Insel Timor,!
u. a.
in Africa (ausser den oberwahnten
Inseln) die Gouvernements : St. Tho-
mas und do Princide und einige Fak
toreien ("Guinea), Angola und Ben-
guela (Westrand von Siidafrica) ,
Niederlassungen auf der Kuste Mo-
zambique.
1740
143
200.000
250 1,000.000
18.250 1,300.000
Gesammtmonarchie*). .20.383 6,000.000
Nach der Nationalitat (in Europa) meist Portugiesen, ein Mischlingsvolk
wie die Spanier, dann Gallegos (Galicier), Englander, Franzosen, Deutsche und
Italiener. — Die romisch-katholische Kirche ist Staatsreligion. Den Protestan-
ten und Juden ist die Ausiibung ihres Kultus gestattet. — Grenz en : im N. und
0. Spanien, im S. nnd W. der atlantische Ocean. — Untheilbare , konstitutionelle
Erbmonarchie. Die Thronfolge geschieht in der inannlichen und weiblichen Linie des
romisch-katholischen Zweiges des Hauses Sachsen-Koburg-Gotha, der durch
Vermahlung mit dem letzten weiblichen Sprossling des Hauses Braganza in den
Besitz der Krone von Portugal gekommen ist.
Qberflache und Klinia. Portugal ist der westliche Abhang
des centralen Hochlandes der pyrenaischen Halbinsel, welches sich
von Osten nach Westen gegen den Atlantischen Ocean neigt. In
diese geneigte Hochflache schneiden die vier bedeutenclsten aus
Spanien kommenden Flusse Minho, Douro, Tejo, Guadiana
die Hauptthaler, aus welchen sich die rauhen Bergwassen der
*) Die Flachenzahl der portugiesischen Kolonien ist nur unsicher bekannt.
und die Zahlen stimmen in den verschiedenen Schatzungen, besonders bei den Ko-
lonien in Africa (welche ohnehin nicht gcnau abgegrenzt sind) gar nicht iiberein.
Die wichtigsten auswartigen Besitzungen sind ubrigens Madeira und Goa, wah-
rend die sogenannten africanischen Kolonien mit ihren Tausenden von Quadratmeilen
grosstentheils unkolonisirbare Wildnisse und sehr diirftig bevolkert sind. — Die gleiche
Unsicherheit herrscht bei der B evolke rungs zahl, da officiell nur die Feuerstellen,
nicht die Einwohner gezahlt werden. Die Anzahl der Feuerstellen mit dem gewohn-
lichen Faktor (9 Kopfe auf 2 Feuerstellen) multiplizirt, gibt nahezu obige Zahlen. —
Im Jahre 1860 ist ein Vertrag zwischen den Regierungen der Niederlande und
Portugal uber die Grenzen der beiderseitigen Besitzungen auf Timor im ost-
indischen Archipel geschlossen werden. Nach demselben gelangt Holland in den
vollen und untheilbaren Besitz der nSrdlich von Timor gelegenen Inseln: Flores,
Solor, Lomblem, Pantare und Ombai, sowie aller kleinen Eilande, welche znm Ar-
chipel von Solor gehSren. Das von den Portugiesen abgetretene Gebiet ist an Hol-
land gegen Bezahlung von 200.000 Gulden uberlassen worden.
West-Enden der spanischen Gebirgsziige erheben. Zwischen Minho
und Douro gehort die Bergmasse — Serra de Montezinho —
dem kantabrisch-asturischen Gebirge an (Gaviarra 7400'), zwischen
Douro und Tejo die Se rra Estrella dem kastilischen Scheide-
gebirge, zwischen Tejo und Guadiana dem Gebirge yon Estrema-
dura, und das andalusische Scheidegebirge sendet seine Auslaufer
durch den siidlichsten Theil (Algarve) als Serras de Monhique
bis zum Cap S. Vincent. An der Kuste dehnen sich schmale Tief-
ebenen aus, die breiteste siidlich vom Tejo. Bedeutendere Kusten-
flusse sind der Mondego aus der S. Estrella (schiffbar von Coim-
bra ab) und der fahrbare Sado aus den Serras de Monhique. —
Portugal hat keine grosseren Landseen, wenig Sumpfland ; fiber
50 Mineralquellen.
In horizontaler Ausdehnung ergeben sich keine bedeutenden
Verschiedenheiten der Temperatur, grossere nach vertikaler
Erhebung, doch reichen die Gebirge -nirgends in die Schneeregion
hinauf. Das ganze Land liegt in der Zone des Oelbaumes und der
Siidfruchte, und hat im Allgemeinen ein sehr gesundes K 1 i m a.
Wahrend die Kiistenstriche durch Seewinde etwas mehr abgekiihlt
werden , herrscht im Innern des Landes in den Sommermonaten
africanische Hitze. Der Schneefall gehort zu den Seltenheiten,
dessgleichen Hagel ; Regen und Gewitter sind haufig im Herbst
und Winter, um welche Zeit auch Erdbeben um Lissabon und den
Tejo - Landschaften ofters bemerkt werden. (Lissabon, am 1, No-
vember 1755.)
Politische Einfheiluug. Die Gesammtmonarchie wird in
8 Provinzen eingetheilt, an deren Spitze Civilgouverneure stehen;
das Festland besteht aus 6 Provinzen, die benachbarten Inseln bil-
den 2 Provinzen.
Bemerkenswerthe Orte sind :
1. Provinz Estremadura: Lissabon, Santarem, Setuval. — Lissabon
(port. Lisboa) mit 270.000 Einw., prachtvolle Lage an der Mtindung des Tejo, aber
sehr unreinliche Stadt ; viele Kirchen und Kloster; mehrere Palaste seit dem grossen
Erdbeben (1755) nicht ganz wieder hergestellt. K6nigl. Residenz und Sitz eines
Patriarchen. Zahlreiche schone Landhauser (Quinta's). Wichtig fur den Handel,
der fast ganz in Handen der Englander sich befindet. Kriegshafen mit dem Fort
Belem. wo die Schiffe anlegen. Bank, Borse, Schiffswerfte. Grosse Wasserleitung
von Alcantara.
2. Provinz Alemtejo: Evora (12.000), Elvas;
3. Provinz Beira: Coimbra (35.000), Lamego, Ovar;
4. Provinz Tras os Montes: Braganza (16.000), Villa Real;
5. Provinz Entre Minho e Douro: Oporto (81.500), Braga, Vianna,
Guimaraes ;
6. Provinz Algarve: Faro (17.000), Tavira, Sagres;
7. Provinz der Azoren: Eine Gruppe von 9 bewohnten Inseln (Corvo»
Flores, Pico, S. Jorge, Fyal, Graciosa, Terceira, S. Miguel die grSsste, S. Maria);
alle vulkanischer Natur; sehr mildes gesundes Klima. Der Ackerbau ist nicht er-
heblich ; dagegen produciren die Inseln Siidfrflchte und Wein von vortrefflicher Qaa-
litat und nnterhalten lebhaften Seehandel. Die bedeutendsten Hafenplatze und Orte
sind: auf Terceira: Angra (24000), auf S. Miguel: Punta Delgado (29.000).
8. Provinz Madeira: Die vulkanische Gebirgsinsel Madeira, Hauptort
Funchal (25.000), hat ein gleichfurmiges, sehr gesundss Klima und ausgezeichne-
ten Weinbau. Auch Porto Santo ist bawohnt. — Die Inseln des grunen Vor-
gebirges sin I un^esuud und wenig frachtbar ; ihr Hanptprodukt ist Salz.
284
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Der sehr fruchtbare Boden und das der Vegetation zutragliche
Klima begGnstigen in hohem Grade die Bodenkultur; doch wird
der Landwirthschaft bei weitem nicht die wiinschenswerthe Sorg-
falt zugewendet. Das eigentliche Ackerland, zumeist in den nord-
lichen Provinzen, nimmt nur etwas mehr als 18% der Gesammt-
flache ein , und deckt kaum den Bedarf des Landes an Getreide ;
die Reiskultur gewinnt hingegen an Ausdehnung. Noeh schwacher
ist der Wiesenbau bestellt, auf welch en kaum iya % entfallen; die
Forstkultur mit etwa 4V2 % der Area ist ebenfalls nicht aus-
reichend. Reich ist das Land an Sudfriichten, besonders in Al-
garve, wahrend die mitteleuropaischen Obstarten in der nordlichen
Landeshalfte in grosser Menge gebaut werden ; auch der Hanf- und
Flachsbau ist in den nordlichen Gegenden von Bedeutung. Der
wichtigste Exportartikel ist der We in, insbesondere sind beruhmt
die Weine von Oporto , dann um Lissabon, Setuval. — Auf einem
verhaltnissmassig besseren Stande steht die Viehzucht. In den
Agrikulturgegenden des Nordens wird schones Rindvieh gehalten;
sehr bedeutend ist die Zucht der Maulthiere und Esel, namentlich
in Tras ps Montes ; die Schafzucht wird wie in Spanien betrieben,
zumeist in Beira und Alemtejo , in den Gebirgen ist die Ziegen-
zucht stark verbreitet; die Bienenzucht wird im Grossen nur in
Alemtejo und Beira, die Seidenraupenzucht in Tras os Montes ge-
pflegt. Die Seefischerei liefert Thunfische und Sardellen in gros-
ser Menge.
Der Bergbati ist bis jetzt ganz vernachlassigt , obwohl
Spuren wahrscheinlich ansehnlichen Reichthums an edlen und un-
edlen Metallen vorhanden sind. Die dermalige Gewinnung von
Gold , Silber , Kupfer , Eisen , Blei , Steinkohleh u. s. f. ist
kaum nennenswerth. Seesalz wird (besonders um Setuval, Aveiro)
weit iiber den Bedarf gewonnen , Quellsalz nur bei Santarem
am Tejo.
Hat sich in neuerer Zeit die gewerbliche Industrie auch
gehoben, so reichen die Erzeugnisse fast in keinem Zweige fin-
den inlandischen Badarf aus , und auch hinsichtlich der Qualitat
stehen die meisten Artikel den ahnlichen Produkten anderer Lan-
der zuriick. Im Jahre 1855 berechnete man die Zahl der industriel-
len Etablissements mit 1600 und die Zahl der darin beschaftigten
Arbeiter nur mit 20.000, was auch auf einen geringen Umfang der
meisten Etablissements schliessen lasst. Die industriellsten Orte
sind Lissabon und Oporto. Relativ am starksten ist die Industrie
der Webe- und Wirkwaaren , namentlich die Leine nindustrie (in
Douro und Minho, Beira und Lissabon), dann in Baumwollwaa-
ren (Oporto, Braga, Braganza, Lissabon und Evora), fiir Seide
bestehen an 50 Fabriken (Lissabon, Oporto, Braganza), fiir Schaf-
wolle sind Covilha (an der Sildseite der S. Estrella) und Porta-
legre (Alemtejo) am bekanntesten. Erwahnenswerth sind Porzellan,
Fayence und Glas, die Gold- und Silberarbeiten, das Tauwerk in
Algarve, Hike und Papier, einige Zuckersiedereien , Tabakfabriken
und Branntweinbrennereien. Zur Hebung der Industrie haben sich
285
in letzter Zeit zu Lissabon, Oporto und Coimbra Industrie-Asso-
ciationen gebildet.
Der aussere Handel, ehemals grossartiger Welthandel, be-
schrankt sich gegenwartig auf die Seeplatze Lissabon, Oporto,
Setuval , Faro und fur den Verkehr nach Spanien Elvas , und ist
beim Import zura grossten Theile in den Handen der Englander.
Regelmassige DampfschifFahrt besteht zwischen Lissabon, Havre,
Rotterdam und Brasilien, Zur Ausfuhr gelangen : rothe Portweine
(iiber Oporto und Setuval), Sudfruchte, Oel, Seesalz, Schinken,
Wolle, Kork; zur Einfuhr: Webe- und Wirkwaaren, Metalle
und Metallwaaren , Kolonialwaaren , Modeartikel , kurz fast alle
Artikel der englischen Industrie. Der Werth der Einfuhr betrug
in den letzten Jahren beilaufig an 15 Millionen, jener der Ausfuhr
an 9 Millionen Gulden. — Der innere Handel kann sich bei dem
schlechten Zustande der Strassen , dem Mangel an schiffbaren
Kanalen, der noch geringen Menge der Schienenwege und trotz
der schifFbaren Fliisse nicht entfalten. In der letzten Zeit haben
sich einige Gesellschaften konstituirt (Bank von Portugal mit nahe
20 Millionen Gulden Stammkapital mit einer Filiale in Oporto,
Weinhandelsgesellschaft in Oporto u. a.), urn den Verkehr zu
heben.
Die geistigc Kultur weiset cbenfalls kein erfreuliches Bild.
Die lange nicht in ausreichender Anzahl bestehenden Schulen und
der Unterricht befanden sich seit jeher in einem traurigen Zustande;
gegenwartig erst beginnt eine grossere Ruhrigkeit in dieser Richtung.
Die politechnische Akademie in Oporto , mehrere Ackerbau-, Ge-
werbe-, Handelsschulen und nautische Lehranstalten haben ihre
Thatigkeit begonnen, und es ist somit Aussicht auf Besserung die-
ser Verhaltnisse vorhanden. Fur gelehrte Bildung sorgen zunachst
die Lyceen , die Universitat zu Coimbra und einige gelehrte Gesell-
schaften. Bei der geietigen Begabung des Volkes , den giinstigen
natiirlichen und klimatischen Verhaltnissen und der sehr gunstigen
geographischen Lage des Landes diirfte bei ernstlicher Bestrebung
ein Aufschwung in der physischen, technischen und geistigen Kul-
tur zu erwarten soin.
VII. Das Kaiserttmiii Fraiikreich.
§. 142. Be»taiidtheile. Bevdlkernng.
QMeilen Einwohner
1. Kaiserthum Frankreich (in Europa mit Savoyen [200 DM0
and Nizza [80 DM.J) 9899 36,000 000
2. Kolonien: in Asien: (Pondichery in Vorderindien) 6 206.000
in Africa: Algier 10.145 2.880.000
„ „ (Senegal, Gorde, Reunion, St. Marie,
Mnyotta, Nossi-B^) 92 200.000
in America: (St. Pierre and Miquelon an. der
Slidkiiste von Neufoundland, Qnadeloupe and
cin Theil der kleinen Antillen, Insel Marti-
niqnc 67 QM. ; Guyana 1822 1889 280.000
286
QMeilen Einwohner
ia Australien: (Neu - Caledonien, Mendana-
Archipel [Marquesas- und Washington-Inseln],
Gesellschaftsinseln und Gambler 435 133.000
Gesamratmonarchie . . . 22,466 39,699.000
Nach der National! tat fast ausschliesslieh Franzosen; im Norden etwa
!8/4 Millionen Wallonen, ebensoviel Deutsche in Elsas und Lothringen, uber 1 Mil-
lion Bretonen (Kymren in der Bretagnej, Italiener, Basken, Israeliten u. s. f. —
Vom Staate anerkannt sind die katbolische Kirche, die reformirte und lutherische
Konfession, die Israeliten und in Algier die Muhamedaner. — Grenzen: irn N.
Kanal oder la Manche, Belgien, Deutschland ; im 0. Deutschland, die Schweiz, Sardinian ;
im S. das Mittelmeer, Spanien ; im W. der atlantische Ocean. — Untheilbare kon-
stitutionelle Erbmonarchie ; die Thronfolge geschieht in der mannlichen Linie des
rSmisch-katholischen Hauses Bonaparte.
Bodenbeschaffenheit. Frankreich liegt zwischen zwei Meeren
(dem Atlantik und dem Mittelmeer) und zwei Hochgebirgen
Euro-pa's (den Pyrenaen und Alp en). Getrennt von den beiden
Gebirgssystemen erhebt sich Hochfrankreich oder das siid-
franzosische Bergla'nd, welches durch Plateaulandschaften
mit dem nordlichen deutschen Berglande (Vogesen, Ardennen u. s. w.)
in Verbindung steht. Mehr als die Halite des Landes aber gehort
theils der wellenformigen Ebene, theils dem Tieflande an.
Diese Ebenen, welche ein zusammenhangendes Gebiet von dem
Fusse der Westpyrenaen bis an den Rhein bilden , werden ,,von
einer schon geordneten Flusswelt" reich bewassert. In der Halb-
insel Bretagne erhebt sich ein kleines isolirtea Gebirgasystem.
A. D i e Grenzgebirge. Der (an 8000' hohe) Kamm der
Pyrenaen scheidet Frankreich von Spanien; die Centralpyrenaen
sind reich an ewigen Schneefeldern und Gletschern, der Nordabfall
sendet seine Auszweigungen in die siidfranzosischen Provinzen. Die
Verbindung zwischen beiden Landern wird mittels vieler Passe
und dreier Kunststrassen unterhalten. — Im Oaten der Rhone erhebt
sich der Westabfall der Westalpen; ein rauhes, wildes Gebirge
mit zahlreichen Schneefeldern und Gletschern, mehreren nur fur
Saumthiere gangbaren Passen und zwei Kunststrassen. Zwischen
dem Mittelmeere und der Durance (sp. Diiranss) erheben sich die
Seealpen; zwischen den Thalern der Durance und der Isere die
cottischen Alpen mit den beiden Kunststrassen, und zwar fiber
den Pass des M. Genevre (sp. Schnevr) und den Pass des M.
Cenis (sp. Seni) ; — zwischen den Rhonethalern und der Isere die
&rajischen Alpen mit dem hb'chsten Berge Frankreichs (Mont
Ian 12.960'). Der Kamm dieser Gebirge scheidet theilweise Frank-
reich von Sardinien. — Zwischen den Thalern der Rhone, Saone
(sp. Sohn) und des Doubs (sp. Du) zieht sich als Grenzgebirge
zwischen Frankreich und der Schweiz der Jura, im siidlicheren
Theile der Kettenform , im nordlicheren der Tafelform angehorig,
mit dicht bevolkerten, industriereichen Thalern, welche mittels Durch-
gangen (cluses) mit einander verbunden sind.
B, Das Ber gland im Innern von Frankreich. (welches
nicht zu den Ausastungen der genannten Grenzgebirge gehort), be-
steht aus einer Reihe einzelner Bergziige und Plateaux, sammtlich
287
mit dem Charakter des Mittelge bi rges und kann in abgeson-
derte Gruppen zerlegt werden:
1. Das Hochland von Siidfrank reich (Hochfrank-
reich) hat seinen Centralknoten in Hochterrassen ira Quellge-
biete der Loire, des Allier und der Ardeche (sp. Loar, Allie,
Ardesch). Von hier ziehen die Sevennen (im Mittel 3000')
gegen Siidwest bis zum Kanal von Languedoc. Gegen Norden
erstrecken sich von den Hochterrassen bis zur tiefen Senkung
(nur 933' Seehohe), durch welche der Kanal du Centre (sp.
du Santr) oder von Charolais (sp. Scharola) geht, drei
Bergketten: a) das Gebirge von Lyonnais und Charolais
zwiechen der Rhone mit der Saone im Osten , der Loire im
Westen und dem erwahnten Kanal iin Norden (M. Pilat 4200'),
— b) das Gebirge von Forez (sp. Fore) zwischen Loire und
Allier (Pierre sur haute 5000'), — c) das Hochland von
Auvergne (sp. Owernj), welches durch einzelne Bergketten
(Magaride-, Aubrac - Gebirge) mit der Hochterrasse in Verbin-
dung steht. Dieses zeichnet sich durch wilde, imposante Ge-
birgspartien , schauerliche Felsenthaler und Bergstrome , den
Reichthum an kalten und warmen Heilquellen aus , und tragt
iiberall den Charakter vulkanischer Revolutionen (Cantal 5900',
Mont d'or 5800', Puy de Dome 4500'). — Im Osten und
Siiden fallt Hochfrankreich unmittelbar zur Ebene herab, und
zwar in das Rhonethal und zur Seekiiste; an alien iibrigen Seiten
vermitteln Terrassenlandschaften den Uebergang zur Tiefebene,
und zwar die Terrassen von Rouergue (sp. Ruerg) (zwischen den
Sevennen und der Dordogne), von Limousin (sp. Limusan) (zwi-
schen der Dordogne und dem Cher) und von Bourbonnais
(zwischen Cher und Allier).
2. Das nordostliche Mittelgebirge beginnt nord-
warts der Bodensenkung des Canal du centre und heisst bis
zur Senkung des Kanal von Burgund Cote d'or, welchem
nordlich (im Quellgebiete der Seine) das Plateau von Lan-
gres (sp. Langr) und nordostlich (zwischen Saone und Doubs)
das Plateau von Hochburgund vorgelagert sind. — Aus
dem Plateau von Langres erheben sich die Montagues de
Faucille (sp. Montajn do Fossilj) (Sichelberge), welche mit
denVasch aus der Rheinebene aufsteigenden Vogesen (Was-
gau) und den am linken Maasufer nach Nordwesten ziehenden
Argonnenwalde das Plateau von Lothringen ein-
schliessen ; im Norden dieses Plateaus und des Argonnenwaldes
erheben sich die Ardennen.
3. Zwischen den Aueastungen des nordostlichen Mittel-
gebirges und dem Berglande der Bretagne und der Nor-
mandie breitet sich das Plateau von Orleans aus, wel-
ches zu den Tieflandern der Seine (sp. Sehn) und Loire sich
herabsenkt. Diese beiden Tieflander mit jenem der Garonne
bilden die Hauptmasse des franzosischenFlach-
und Tieflandes, welches im Allgemeinen den Charakter
der wellenformigen Ebene tragt und nur an den Kiisten vollig
eben iet.
288
Der Kiistenstrich zwischen den Miindungen des Adour und
der Gironde ist Haideland (les landes), von der Gironde bis zur
Loire ist die eintonige Kiiste von Sand- und Moorflachen (lea sab-
les und les marais) bedeckt. Am Mittelmeere ist die proven 9 a-
lische Tiefebene, welche den westlichen Kiistenstrich und das
Miindungsland der Rhone umfasst. Die Rhone-Ufer gehoren zu den
gesegnetsten Erdstellen, die Provence (sp. Prowanss) geniesst seit
jeher den Ruf hoher landschaftlicher Reize und Fruchtbarkeit. Nur
das Deltaland der Rhone macht davon eine Ausnahme, im Westen
sind Sumpfgegenden, im Osten das Kieselfeld Crau (sp. Kro).
Gewasser. Die Lage Frankreichs am ofFenen atlantischen
Ocean mit seinen beiden Theilen, dem Canal oder la Manche
(mit der Bai St. Michel zwischen der normannischen und der bre-
tagnischen Halbinsel) und dem Mitt el me er (mit dem Golf von
Lyon) ist eine ausgezeichnete. Die Kusten der Normandie, Bre-
tagne und Provence sind felsig, von der Seinemundung bis Calais
(sp. Kala) steil, die iibrigen sind mehr oder minder flach, sandig,
zum Theil auch sumpfig, mit salzigen Strandseen (etangs) begleitet.
Unter etwa 5000 fliessenden Wassern sind fiber 100 schiffbare
Fliisse und von den sogenannten ,,21 Hauptfliissen (21 fleuves prin-
cipaux)" sind die vier bedeutendsteu : Loire, Seine, Garonne
und Rhone.
Die Loire, der eigentliche Hauptstrom, die langste Wasser-
rinne des Landes, verbindet das siidfranzosische Hochland mit dem
centralen Flachlande. Fast ein Viertheil Frankreichs bildet ihr
Quellgebiet, an ihren Ufern liegen machtige Stadte, durch ein ver-
zweigies Kanalsystem wird ihre Bedeutung fiir die Schiffahrt mach-
tig gehoben und sie mundet nach eineni Laufe von 130 Meilen
unterhalb Nantes (sp. Nant) bei Paimboeuf (sp. Pambof) in den
Ocean. — Ihre Nebenfliisse sind: (rechts) der Arroux, die Mayenne
(mit der Sarthe), — (links) der Allier, Cher, Indre (sp. Aendr) und
Vienne. — Die Garonne, aus den Pyrenaen, empfangt mehrere
Fliisse aus den Pyrenaen und Sevennen, tritt bei Toulouse (sp.
Tulus) in ein breites Thai , tragt nach der Einraiindung der Dor-
dogne (sp. Dordojn) SeeschifFe und bildet, nun Gironde (sp. Schi-
rond) genannt, unterhalb Bordeaux (sp. Bordo) den langsten der
franzosiechen Limane. Die bedeutendsten Kiistenfliisse sind der
Adour (bei Bayonne) und die Char ante (bei Rochefort). — Die
Seine entspringt mit mehreren Zufliissen am Cote d'Or, wird bei
Troyes (sp. Troa) schiffbar und ergiesst sich in breiter Golfmiindung,
an deren ausserBtem Ende Havre liegt, in den normannischen Busen
des Kanals. Sie nimmt rechts die Aube (sp. Ob), Marne und Oise
(ep. Oas), links die Yonne und Eure (sp. Oer) auf. Zwei paral-
lele Kiistenfliisse sind ihre Begleiter , nordostlich die echiffbare
Somme, siidwestlich die Orne. — In das Mittelmeer ergiesst
sich die Rhone, welche aus dem Rhonegletscher entspringt
und den Genfer-See durchfliesst. Dann wendet sich der Fluss
nach Westen, bis er bei Lyon nach dem Einflusse der durch
den Doubs verstarkten Saone sich gegen Siiden wendet, wo der
889
Unterlauf beginnt. Unterhalb Avignon beginnt das Miindungsland
und bei Aries (sp. Arl) die Deltabildung (Insel Camargue) , deren
ostlicher Arm die Hauptmiindung ist. Unter den Nebenfliissen am
linken Ufer sind die schiffbare Isere und die Durance die bemer-
kenswerthesten.
Dem Gebiete der Nordsee gehort der Grenzfluss Rhein an.
Seine bedeutenden franzosischen Nebenfliisse dieMosel (mit derMeurthe
[ep. Mort] und Saar) und die Maas bewassern das Plateau von
Lothringen. Im nordlichen Hiigellande (von St. Quentin [sp. San
Kantan] bis Conde) fliesst dieSchelde. — Landseen von Bedeu-
tung hat das Land nicht, dagegen viele Strandseen, die wegen der
reichlichen Seesalzgewinnung beachtenswerth sind.
Von hoher Bedeutung ist die vielfach verzweigte K a n a 1 v e r-
bindung. Ueber 90 Kanale mit einer Gesammtlange von 635 Mei-
len verbinden die Meere und alle grosseren Flusse des Landes un-
ter einander, und bilden ein enges Netz guter "Wasserstrassen. Die
wichtigsten sind: 1. Der Siidkanal (Kanal von Languedoc) ver-
bindet den atlantischen Ocean mit dem Mittelmeere. Er fiihrt aus
der Garonne bei Toulouse , nordlich an Carcassone vorbei in den
Strandsee Thau bei Adge, welcher durch den Hafen von Cette mit
dem Mittelmeere inVerbindung steht. — 2. Der Canal du Centre
(von Charolais) setzt die Loire mit der Saone in Verbindung. Er
geht von Chalons (sp. Schalon) an der Saone bis Digoin (sp. Digoan)
an der Loire. — 3. Der Kanal von Burgund vereinigt (durch
die Yonne) die Seine rait der Saone und durch diese mit der Rhone;
also eine Wasserverbindung des Kanals mit dem Mittelmeer (Havre,
Paris, Lyon, Marseille). — 4. Der Rho n e-Rhei nk anal verbindet
die Rhone durch Saone und Doubs mit dem Rhein, er geht iiber Be-
san9on, Muhlhausen nach Strassburg. — 5. Der Rhein-Marne-
Kanal verbindet den Rhein mit der Seine; er fiihrt von Strassburg
iiber Nancy, Toul, Bar-le-Duc (Bar le Diik) nach Vitry an der Marne.
— 6. Der Kanal vonBriare mit seiner Fortsetzung, dem Kanale
des Loing (von Montargis) verbindet die Loire mit der Seine; —
dessgleichen der Kanal von Orleans, der auch bei Montargis in den
Kanal des Loing mundet. — 7. Der Kanal von Saint-Quentin
verbindet die Seine (mittels der Oise) mit der Schelde und geht von
Chauny (Schoni) (an der Oise) iiber St. Quentin bis Cambray. Aus
diesem Kanal verzweigt sich der Kanal der Somme uber Amiens
zur Somme.
Unter der grossen Menge von Mineralquellen haben nur
wenige einen verbreiteten Ruf: Bareges (Baresch), Biariz (bei Ba-
yonne) und Bagneres (Banjer) in den Pyrenaen, Aix (Aehs) in der
Provence, Plombieres, Vichy (Wischi) am Allier u. a. m.
Klima. Frankreich hat im Allgemeinen ein gemassigtes und
mildes Klima; doch bedingen die grosse horizontale Ausdehnung,
die Nachbarschaft der Meere, die bedeutenden vertikalen Erhebun-
gen eines Landestheiles und andere brtliche Umstande mannigfache
Abweichungen. An den Kiisten des Mittelmeeres hcrrscht italie-
nisches Klima und Oelbau, der Norden Frankreichs nahert sich den
kalteren Zonen Europa's ; die Mittelwarme des Jahres betragt in
Klun's Haodcls-Geogrraphie. 2. Anfl. 19
890
der siidlichen Region an 14, in der nordlichen etwas fiber 8 Grad.
Die westlichen Tiefebenen haben oceanisches, die ostlichen Berg-
gegenden Binnenklima, die Gebirgsgegenden sind zum Theile sehr
rauh. An den Kusten des Mittelmeeres bringt der wuthende Mi-
stral (Nord west wind) bisweilen einen strengen Winter, die lauen
Sudwinde hingegen richten nicht selten arge Verheerungen (durch
Schmelzen des Schnees) an. In den siidlichen und westlichen Ge-
genden sind die Herbstregen, in den iibrigen Landestheilen die Som-
merregen 'vorherrschend. Im Ganzen erfreut sich Frankreich eines
gesunden, der Vegetation zutraglichen Klimas.
Politische Eintheilung. Frankreich war vor der Revolution
von 1789 in 36 Provinzen von ungleicher Ausdehnung einge-
theilt, geschichtlich in 51 Landsch a ft en. Jetzt zerfallt es in
86 Departements, diese in 363 Bezirke oder Arrondisse-
ments, die letzten in (2847) Kan tone und diese endlich in
36.826 Gemeinden oder Kommunen. Jedes Departement wird
von einem Prafekten, das Arrondissement von einem Unter-
Prafekten, jeder Kanton und jede Kommune von einem Ma ire
(Burgermeister) verwaltet.
In militarischer Hinsicht bildet Frankreich 5 Armee- und Landes-Ober-
kommandos, die unter je einem Marschall stehen (Paris, Nancy, Lyon,
Toulouse, Tours), nnd in 21 Divisionen zerfallen. In Bezug auf das Seewesen
sind die Kusten Frankreichs in 5 See-Prafekturen (Cherbourg, Brest,
1'Orient, Kochefort, Toulon), mit See-Prafekten an der Spitze, eingetheilt.
Eintheilung und Orte:*)
1. Isle de France (Departements: 1. Seine, 2. Seine nnd Oise, 3. Seine
und Marne, 4. Aisne, 5. Oise): Paris (aber 1% Mill. E.), St. Denis, Vincennes ; Ver-
sailles (36.000), Severs, Saint Cloud, Saint Germain en Laye; Melun (10.000),
Fontainebleau; Laon (10.000), Soissons, Saint Quentin ; Bea uvais (14.000), Noyon,
Compiegne, Crespy.
2. Picardie (Departement : 6. Somme) : Amiens (50.000), Abbeville, Saint
Valery.
3. Artois (Departement: 7. Pas de Calais): Arras (25.000), Boulogne,
Calais, Azinconrt, Saint Omer.
4. F la nd crn (Departement: 8. duNord): Lille (80.000), Dunkirchen, Cam-
bray, Valenciennes.
5. Champagne (Departements : 9. Ardennen, 10. Marne, 11. Aube, 12 haute
Marne); Mezieres (5000), Charleville, Sedan ; Chalons sur Marne (15.000),
Eperaay, Kheims, Saint Me"nehould; Troyes (27.000), Clairvaux, Brienne; Chau-
mont (7000), Langres.
6. Lotbringen (Lorraine, Departements : 13. Vogesen, 14. Meurthe, 15. Maas,
16. Mosel): Epinal (12000.); Nancy (41.000), Luneville, Toul; Bar-le-Duc
(15.000), Verdun, Varennes; Metz (58.000).
7. Elsass (Departements: 17. Niederrhein [Bas Ehin], 18. Oberrhein [Haut
Bhin]): Strassburg (80.000), Schlettstadt, Hagenau, Weissenburg; Kolmar
(21.000), Muhlhausen, Befort.
8. Franche Comte (freie Grafschaft Burgund, Hoch-Burgund, Departe-
ments: 19. Doubs, 20. Jura, 21. Haute Saone): Besan9on (42,000), Montbeliard;
Lons-le-Saulnier (19.000); Vesoul (7000).
9. Bourgogne (Nieder-Burgund, Departements : 22. Sa6ne et Loire, 23. C6te
*) Die alte Provinz-Eintheilung ist bekannter und im taglichen Verkehr
gebrauchlicher als die neue Departements-Eintheilnng, welche jedoch die
officielle ist; es werden desshalb hier beide gegeben. Die mit durchschossenen
Lettern gedruckten Stadte sind Departem ent s-Hauptstad te, und zwar in der
Beihenfolge der in der Klammer aufgefiihrten Departements,
891
d'Or, 24. Yonne, 25. Ain): Mac on (13000), Clugny, Chalons sur Sa6ne; Dijon
(33.000); Auxerre (14.000), Bourg- en-Br esse (12.000), Fort de 1'EcIuse.
10. Nonnandie (Departements: 26. Seine inferienre, 27- Eure, 28. Orne, 29.
des Calvados, 30. la Manche): Eouen (110.000), Elbeuf, Havre de Grace, Dieppe;
Evreux (14.000): Alen9on (16.000); Caen (42.000); Saint-L6 (10.000),
Cherbourg.
11. Bretagne (Departements: 31. tile et Vilaine, 32. Cotes du Nord (Nord-
kusten), 33. Finisterre, 34. Morbihan, 35. Loire inferieure [untere Loire]): Rennes
(40000), Saint Mal<5 ; Saint Brie ax (12.000); Qui mper (11.000), Brest, Insel
'Sein, Insel Quessant; Vannes (12.000), L' Orient, Insel Belle Isle; Nantes
(100.000).
12. Tonraine (Departement: 36. Indre und Loire): Tours (30.000).
13. Orleauais (Departements: 37. Eure and Loire, 38. Loiret, 39. Loire
und Cher): Chartres (18.000), Orle'ans 148.000), Bio is (15.000).
14. Nivernois (Departement: 40. Nievre) : Nevers (18.000).
15. Bourbonnais (Departement: 41. Allier): Moulins (17.000).
16. Berry (Departements: 42. Cher, 43. Indre): Bourges (25.000), Cha-
teauroux (16000).
17. Anjou (Departement: 44. Maine und Loire): Angers (40.000).
18. Maine (Departements: 45. Mayenne, 46. Sarthe): Laval (20.000), Le
Mans (25000).
19. Marche (Departement: 47. Creuse) : Gueret (5000).
20. Limousin (Departements: 48. Haute Vienne, 49. Correze): Limoges
(30.000); Tulle (10.000).
21. Poitou (Departements : 50. Deux Sevres, 51. Vendee, 52. Vienne) : Niort
(20.000); Bourbon-Vendde (6000); Poitiers (30.000).
22. Annis (Departement: 53 Charente inferieure) : La Rochelle (16.000),
Rochefort, die Inseln Re und Oleron.
23. Saintonge and AngOlimois (Departement: 54. Charente): Angou-
leme (20.000), Cognac.
24. Guyenne (Departements: 55. Gironde, 56. Dordogne, 57. Lot. 58. Lot
und Garonne, 59. Aveyron) : Bordeaux (130.000); Perigueux (13.000); Ca-
hors (14.000); Agen (17.000); Rhodez (11.000).
25. Gascogne (Departements : 60. Les Landes, 61. Hautes Pyrenees, 62. Gers,
63. Tarn und Garonne): Mont-de-Marsan (5000); Tarbes (13.000), Bagneres
de Bigorre; Auch (12.000); Montauban (25.000).
26. Navarra und Beam (Departement: 64. Basses Pyrenees) : Pau (14.000),
Bayonne, Biariz.
27. Foix (Departement: 65. Arriege): Foix (5000).
28. Ronssillon (Departement: 66. Pyre"ne"es orientales, Ost-Pyfenaen) : Per-
pignan (22000).
29. Langnedoc (Departements: 67. Haute Garonne, 68. Aude, 69. Herault,
70Tarn, Tl.Lozere, 72. Gard, 73. Ardeche, 74. Haute Loire) : Toulouse (100.000);
Car cassonne (21.000), Narbonne; Mont pellier (46.000), Cette, Beziers; Alby
(13000); Mende (7000); Nimes (54.000), Beaucaire, Alais ; Privas; le Puy en
Velay.
30. Alive rgne (Departements: 75. Pay de Dome, 76. Cantal): Clermont
(38.000); A ur iliac (12.000).
31 Lyonnais (Departements: 77. Rhone, 78. Loire): Lyon (212000);
Saint Etienne (80.000).
32. Danphine (Departements: 79. Isere, 80. Hautes Alpes, 81. Drome):
Grenoble (32.000), Vienne; Gap (11.000), Brian9on; Valence (17000).
33. Avignon, Venaissin und Orange (Departement: 82. Vaucluse):
Avignon (36.000), Orange (10.000).
34. Provence (Departements: 83. Bouches du Rhone = Rhonemundungen,
84. Basses Alpes, 85 Var) : Mar s eil le (200.000), Aix, Aries; Digne (5000);
Draguignan (9000), Frejus, Cannes, Toulon (70.000); die vier hyerisohen Inseln.
35. Iiisel Corsika (Departement: 86. Corsica): Ajaccio (12.000), Bastia.
36. Savoyen*): Chambery (17.000), Aix, Annecy (9000;, Chamouny,
Thouon; — Nizza (37000), S. Rerno.
*) Von Sardinien im J. 1860 an Frankreich abgetreten.
19*
898
Besondere Hervorhebung unter den Stadten Frankreichs verdienen*):
Paris (Lutetia Parisiorum) an der Seine, die stark befestigte Hauptstadt mit
I1/, Million Einwohner, die Residenz des Kaisers, der hochsten Staatsbehorden und
eines Erzbischofes. Der Fluss theilt die Stadt in eine nordliche und cine siidliche
Halfte, beide durch 23 Bracken mit einauder verbunden. Zwischen der Stadt und
den Vorstadten 22 Boulevards mit eleganten Hotels, Kaffeehausern, Kaufladen, zu-
gleich Spaziergange. Obwohl in den letzten Jahren Hunderte von Hausern nieder-
gerissen wurden, um freiere Communikation zu gewinnen, gibt es doch viele enge
und schmntzige Strassen, Dagegen hat die Stadt auch viele grosse, mit Monumenten
gezierte Platze. (Carroussel-P)atz, der Eintrachts-Platz vor dem Tuileriengarten mit
dem Obelisk von Luxor, der Vendome-Platz mit der Triumphsaule und dem Stand-
bilde Napoleons, der Bastille-Platz mit der Juliussanle, der Siegesplatz mit der Statue
Ludwig XIV. u. a. m.) — Bemerkenswerthe Gebaude : die gotbische Domkirche
Notre Dame aus dem 12. Jahrhundert, der Invaliden-Dom mit Napoleon's Grnft, die
Magdalenenkirche, u. a. Der kais. Palast die Tnilerien (1564 von Catharina von
Medicis erbaut) nnd damit in Verbindung der Louvre (Luwr) mit pracbtvollen Kunst-
sammlungen; Palais Royal (Pala Roajal) mit Gallerien; Palast Bourbon, Versamm-
lungsort des gesetzgebenden KCrpers; das Stadthaus (hotel de ville), das prachtige
Borsengebaude ; die Militarschule in der Nahe des grossen Marsfeldes u. v. a. In
Paris bcfinden sich die grossartigsten wissenschaftlichen Anstalten und Sammlungen.
Das MInstitut de France" besteht aus 5Akademien; Universitat, mehrere hohere ge-
lehrte Anstalten (Colleges), politechnische Schule, zahlreiche Spezialschulen jeder
Art; die grosste Bibliothek und viele gelehrte Gesellschaften. Paris ist der Mittel-
pnnkt des gesammten geistigen Lebens sowie der technischen und commerziellen Tha-
tigkeit von Frankreich. Nicht minder reich ist die Stadt an Wohltbatigkeitsanstalten
jeder Art; der Kircbhof Pere la Chaise (Per la Schas) ist der merkwurdigste der
Erde. — Paris ist die erste Fabriks- und Handelsstadt Frankreichs, einer der wich-
tigsten Wechselplatze der Erde. Bank, B6rse, grosse Geldinstitute, viele Banquiers.
Die Pariser Industrie beschaftigt etwa Va Million Menschen. Unter den verschie-
densten Industriezweigen sind fiber 100 Buchdruckereien (grossartige Staatsdruckerei)
erwahnenswertb. Auch in socialer Beziehung ist diese Weltstadt, die Tonangeberin
in Mode und Luxus sowie h'anfig auch in Kunst und in manchen Richtungen der
Literatur, von nicht zu unterschatzender Bedeutung. Kaiserliche Lustschlosser zn
Neuilly, St. Cloud (San Klu), Malmaison, Fontaine bleau (Fontanblb), Ver-
sailles (Versailj) u. a. — Orleans, an der Loire, schOne Kathedrale ; bedeutende
Industrie ; Bildsaule der Jeanne d'Arc, welche am 8. Mai 1429 die Stadt von der
Belagerung der Englander befreite. — Strassburg, am Rhein- und Ill-Kanal, in
einer frnchtbaren, gewerbreichen Ebene, seit 1681 franz6sisch; beruhmter Munster
1015—1273 erbaut, mit dem vonErwin von Steinbach vollendeten 438' hohen Thurme ;
Faknltat fur protest. Theologie, ein Ueberrest der alten beriihmten Universitat;
wichtige Unterrichtsanstalten und oEfentliche Bibliotheken. Guttenberg machte 1439
bier den ereten Versuch, mit beweglichen Lettern zu drucken (erste deutsche Bibel
1466 von Mentel gedruckt). Bedeutende Industrie in Baumwollen-, Wollen- und
Seidenwaaren, Kutschen, Leder, Handschuhen, Pasteten u. a. Handel mit Hanf, Krapp,
Oel, Wein; wichtiger Pferdemarkt; Haupthandels- und Speditionsplatz zwischen
Frankreich und Dentschland. — Die Handelsplatze : Bordeaux, Marseille, Cette,
Havre, dann Lyon, St. Etienne, Beaucaire sieh unter ,Handel Frankreichs"
S. 301 ; die wichtigsten Industrieorte bei den betreffenden Industrieen.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Bodenbeschaffenheit ist im Allgemeinen fiir den Ackerbau
sehr gQnstig und das Land ist reich an mannigfaltigen Produkten
der Landwirthschaft. Nur etwa 1,200.000 Hektaren (a !3/4 Wie-
*) Dermalen besitzt Frankreich zwei Stadte zwischen 200 und 300 Tausend
Einwohner (Lyon, Marseille), 4 zwischen 100-200 Tausend (Bordeaux, Nantes,
Rouen und Toulouse), 11 zwischen 50—100 Tausend (St. Etienne, Toulon, Lille,
Strassburg, Metz, Havre, Amiens, Brest, Nimes, Rheims, Angers), 7 zwischen 40—50
Tausend (Montpellier, Nancy, Orleans, Limoges, Rennes, Besan9on, Caen). — Paris
hatte im J. 1801 nur 552.000 Einw. ; — im J. 1831, 785 000 ; — im J. 1855 schon
1,174.000; — gegenwartig (mit der S tadterweit erung) fiber I1/, Mill. Einw.
893
ner Joch) sind bis jetzt unkultivirbar, und zwar im Tieflande zwi-
schen der Garonne und den Pyrenaen (die Moor- und Sandstriche:
lee Landes), die Marais an der Loire-Mundung und das an 2 DMei-
len grosse unfruchtbare Kieselfeld Crau in der Provence. Im All-
gemeinen ist der Landbau im Aufschwung und es beschaftigen sich
an 20 Y2 Million Einwohner mit demselben. Die Cere alien
nehmen etwa 53% der Gesammtflache ein ; deren Anbau ist im
Norden besser als im Siiden. Die Produktion deckt den inneren
Bedarf nicht, und es findet ein ansehnlicher Import von Getreide
aus Siid-Russland (Odessa) fiber Marseille statt. Der W al d e t a n d hat
seit der Revolution von 1789 um die Halfte abgenommen, wodurch
einige Departements schon holzarm geworden sind (Provence, die
Kiisten von Languedoc , die Nord west-Pro vinzen). — Das Haupt-
produkt ist der Wein, der in 76 Departements, von den Ufern des
Rhein bis zu den Pyrenaen, vorzuglich aber im Siidwesten des Lan-
des, das ist um Bordeaux, an der Charente und an der unteren
Loire gebaut \yird, dem 33% der Bevolkerung leben und dessen
Ausdehnung durch die unbedingte Theilbarkeit des Grundeigen-
thumes unterstiitzt wurde. Wahrend die Produktion am Schlusse
des vorigen Jahrhunderts nur mit 16l/2 Million Hektoliter (a 1%
osterreichische Eimer) berechnet wurde , ist sie jetzt schon auf 60
(= 105 Millionen Eimer) gestiegen , wovon uber zwei Drittheile
exportirt werden. Von wachsender Bedeutung ist auch die Cham-
pagnerfabrikation (Rheims, Epernay und Chalons s. M.) , in man-
chen Jahren werden davon an 8 Millionen Flaschen versendet. Hin-
sichtlich der Qu an tit at des erzeugten Weines ist Frankreich das
erste Land der Erde.
In der Obstkultur nehmen die nordlichen und nordwest-
lichen Departements in Bezug auf Menge (da hierdurch der feh-
lende Wein durch ^Cider und Kirschwasser ersetzt wird) , jene
am Mittelmeere in Bezug auf vorziigliche Qualitat ( Pro-
vencer-Oel [Aix], feine Kastanien etc.) einen bedeutenden Rang ein.
Die Gartenkultur steht im Allgemeinen auf einer sehr
hohen Stufe, sowohl in Hinsicht des Anbaues feinerer Gemiisearten,
als der Blumenpflege, deren Erzeugnisse auch nach England ex-
portirt werden. (Jahrlicher Umsatz auf den Blumenmarkten zu
Paris uber 4 Millionen Francs; — an 800.000 Rosenstocke, aus
Honfleur um 1 Million Francs, Melonen aus Epinay, um l/t Million
Francs Spargel werden im Jahresdurchschnitte nach England aus-
gefuhrt.) Doch wird aus Algier viel Gemuse fur den Verbrauch
in Frankreich und zur Durcht'uhr importirt. Die botanischen Ac-
climatisationsgarten in Bordeaux und Lyon tragen zur Hebung der
Gartenkultur viel bei.
Unter den Handelspflanzen behaupten Tabak (ein Regie-
rungs-Monopol) dann Flachs und Hanf im Elsass, Oelpflanzen, Siid-
friichte, Safian, der vorzuglichsteKrapp (um Avignon) einen hohenRang.
Die Viehzucht deckt nicht den grossen Bedarf Frankreichs.
Relativ das beste und meiste Hornvieh wird in der Auvergne,
Gascogne und Bretagne gezogen , doch nicht ausreichend. (Anzahl
im Jahre 1857 bei 12 Millionen Stuck.) In gleichera Verhaltnisse
294
steht die Pferdezucht (Anzahl 3 Millionen Stuck); Deutschland
deckt hauptsachlich den Abgang. Einzelne Racen (in Limousin,
in der Normandie) sind geschatzt , und die zahlreichen ararischen
Gestilte (27) tragen fur deren Hebung bei. Im Siiden kommen
Maulthiere und Esel in grosser Menge vor. Von den etwa
34 Millionen Schafen sind kaum 15% veredelt , wesshalb viel
Wolle importirt werden muss. Die ararischen Merinos-Schafereien
in Perpignan und Rambouillet haben den Zweck , auf Veredlung
der Racen hinzuarbeiten. Obwohl in Lothringen, im Elsass und
in Beam auf die Zucht des Borstenviehes Sorgfalt verwendet
wird, so wird der grosse Fleischbedarf doch nicht gedeckt. Sehr
verbreitet und mit Erfolg werden ferners die Kaninchen- und
die Federvi e h zuch t betrieben. Die Bienenzucht gibt nicht
wunschenswerthe Resultate, doch sind der Honig von Narbonne und
das Wachs aus der Bretagne geschatzte Artikel. Die Seiden-
zucht hat in den letzten Jahren zwar abgenommen, allein sie ist
immer noch wichtig und Frankreich ist nachst Italien der starkste
Producent in Europa. Sehr wichtig ist sie im Siidosten (Provence,
Dauphine, Languedoc), am starksten an der unteren Rhone in den De-
partements Vaucluse (Avignon) und Gard (Nimes). Die sehr sorg-
faltige Behandlung beim Abhaspeln und Filiren verleiht der fran-
zosischen Seide grosse Vorziige.
Sehr bedeutend ist die S eef i sch erei. Dieppe und Boulogne
senden auf den Haringsfang; — Nantes, Port Louis und Belle Isle
auf Sardellen (Sardines de Nantes) und Thunfische aus ; — Bor-
deaux und Dieppe treiben Stockfischfang , vorzuglich an der Siid-
westkilste von Neufoundland (franzosische Inseln: St. Pierre und
Miquelon) ; — auf den Wallfischfang sendet Havre am starksten
aus; — die meisten und grdssten Austern werden in der Bretagne
gefischt (St. Malo in der Bai von Cancale jahrlich fiber eine Mil-
lion Stuck), dann zu Marenne bei Rochefort. Die Flussfischerei
hat zwar abgenommen, doch beginnt man der kunstlichen Fisch-
zucht besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Unter den Kredit- und sonstigen Anstalten zur Forderung
der Landwirthschaft ist der Credit foncier erwahnenswerth, wel-
cher Anlehen gegen hypothekarische Sicherstellung verschafft , wo-
fiir er Obligationen ausgibt. Bis zum 31. December 1857 belief
sich dieSumme der bei ihm realisirten Darlehen auf circa 83 V2 Mil-
lion Francs.
Der Bergbau ist, obwohl fortschreitend , doch in mehrfacher
Hinsicht noch unzureichend. Forderungsmittel sind zwar die guten
Bergwerksschulen in Paris und St. Etienne, dagegen ist der Holz-
mangel vielfach ein Hinderniss fiir grossere Entfaltung. Die Gold-
gewinnung ist unbedeufend (etwa 60.000 Francs im Werthe),
dessgleichen jene von Silber (bei Grenoble und aus Blei, Geld-
werth circa ll/3 Million Francs); — Kupfer wird iu den Pyrenaen
(Navarra), Alpen (Dauphine), Vogesen (Elsass) und in Lyonnaia
gewonnen (an 5 Millionen Francs). Den relativ grossten Reichthum
besitzt es an Blei (iiber 1 Million Francs), obwohl die Produktion
noch sehr gesteigert werden konnte. Sind auch der Jura, die Vo-
gesen, die Champagne und Berry reich an Eisen, so geniigt die
Ausbeute doch nicht fur den grossen Bedarf und es stellt sich die
Nothwendigkeit einer Einfuhr von Roheisen heraus (im Jahre 1856
im Werthe von 26 Millionen Francs). Die bedeutendsten Eisen-
werke sind in Chatillon le Due (Doubs) , Commentry (Allier), Ne-
vers (Nievre), Auzin (Nord), Niederbronn (bei Straesburg), Uzemain
(in den Vogesen , vorzuglich fiir die Waffenfabrikation) , Creusot
(Saone-Loire) *).
Die Ausbente an Steinkohlen ist bereits (im Jahre .1857)
auf nahe 90 Millionen Zentner gestiegen, doch geniigt sie n ich t fiir den
Bedarf und der Bezug aus Belgien ist noch immer sehr bedeutend.
Die starkste Ausbeute ist in den Umgebungen des Canal du Centre
(an 30 Millionen Zentner), dann bei Valenciennes (eine Fortsetzung
dor belgischen Kohlenlager) , endlich im Departement Herault **).
Das bedeutendste St ei n s al z 1 ager ist zu Vic (bei Nancy), wel-
ches jahrlich iiber eine Million Zentner liefert. Noch wichtiger sind
die Meersalinen an der Westkuste (das beste Seesalz zu Guerande,
nahe der Loire-Miindung) , aus denen im Jahresdurchschnitt an
800.000 Zentner insbesondere nach den Nord- und Ostseelandern
ausgefiihrt werden.
Frankreich ist endlich reich an Erden und Steinen , sowie an
Mineralquellen.
Industrie. Der Franzose hat im Allgemeinen mehr Sinn
und Geschmack fiir den Kunstfleiss und die feine, elegante Bear-
beitung, als fiir die miihsame Gewinnung der Rohstoffe ; daher sind
die Landwirthschaft und die Viehzucht verhaltnissmassig ger inger,
die Fabriksindustrie dagegen nachst England die grosste und in
manchen Zweigen wird die letzte sogar ubertroffen. Der wacheende
Associationsgeist , die Gewerbefreiheit , der erfinderische Sinn der
Franzosen und deren praktisches Geschick beleben die Industrie
fortwahrend , Intelligenz und Kapital widmen sich ihr willfahrig.
Obwohl in alien Theilen des Landes kleinere oder grossere indu-
strielle Unternehmungen bestehen, so bildet doch Paris sammtUm-
gebung deren Mittelpunkt. Zuniichst sind es der Norden, Osten
und Siidosten , wo in den letzten 25 Jahren ein ausserorden tlicher
Aufschwung stattgefunden hat.
Die wichtigeten Zweige sind: die Seidenindustrie im
Rhone - Departement mit dem Mittelpunkte Lyon und St. Etienne
dann Nimes, Alais, Avignon, deren Fabrikate sich durch Geschmack
Schonheit und Gate auszeichnen und einen Weltruf erlangten. Die
unbedingte Ueberlegenheit haben zwar die franzosischen Fabrikate
*) Chatillon le Due, Commentry etc. gehSren einer Aktiengesellschaft, welch6
zahlreiche Hochofen besitzt, grosse Qaantitaten Stabeisen und Gusswaaren erzeagt
und iiber 20 Millionen Francs jahrlich umsetzt. Auf fast gleicher HOhe steht Creusot.
**) Im J. 1858 wurden in Frankreich eingeffthrt: nahezn 87 Millionen Zentner
Steinkohlen (aus Belgien und Saarbrflcken 64'/s Million Zentner), — 1,270.000
Zentner Roh- und Gusseisen, — 266.000 Zentner Stabeisen, — 11.000 Zentner Stahl,
— 480.000 Zentner Zink, — uber 400.000 Zentner Blei, — 223.700 Zentner Kupfer,
— 50.700 Zentner Zinn, ohne dass in diesen Artikeln wieder eine Auefuhr stattge-
unden hatte.
auf dem Weltmarkte zum Theile eingebusst , doch bestehen sie in
vielen Eichtungen noch immer siegreich die fremde Konkurrenz.
Auf beilaufig 40 QMeilen sind an 60.000 Maschinen thatig und
der jahrliche Werth der Seidenfabrikate belauft eich auf 450 Mil-
lionen Francs, wovon an zwei Drittel (insbesondere nach Amerika)
exportirt werden.
Hinsichtlich der Menge und dee Werthes der verbrauchten
Baumwolle nimmt Frankreich nach Grossbritannien den ersten
Rang in Europa ein ; an Mannigfaltigkeit der Fabrikate, sowie in
dem Geschmack und der Schonheit seiner Gewebe ubertrifft es so-
gar Grossbritannien. Frankreichs Fabriken liefern alle Arten von
Baumwollwaaren, von den gewohnlichen Kalikos von Rouen bis zu
den kiinstlichen Mousselinen von Miihlhausen, den ausserst feinen
Tiillen von St. Quentin .und den ausgezeichneten Tarlatanen von
Tarare. Die ereten Versuche im Baumwollspinnen wurden vor
etwa 60 Jahren in Paris gemacht; von dort dehnte sich dieser In-
dustriezweig hauptsachlich in die nb'rdlichen und ostlichen Departe-
ments aus. Gegenwartig wird Frankreich hinsichdich seiner Baum-
wollfabriken in drei grosse Gruppen (^Kreise") eingetheilt: die
Norman die mit dem Mittelpunkte Rouen, der Osten mit Muhl-
hausen und derNordosten (franzosisches Flandern) mit St. Quen-
tin , Roubaix, Lille, Rheims, Chalons s. M. bis Troves. — Der
erste Kreis ist fur grobere und billigere Stoffe, der zweite fur feine
Indiennes, gedruckte Mousseline, die an Schonheit und Reichthum
des Gewebes und der Farben sowie an Geschmack in ihren Des-
seins alle ubertreflen, der dritte fur die feinsten Tiille beriihmt.
Lille und Valenciennes liefern die schonsten Spitzen; Tarare (bei
Lyon) sendet die kostbarsten Tarlatane und Stickwaaren, worin es
mit der Schweiz konkurrirt, auf den Markt ; Calais produzirt Bob-
binets und konkurrirt in Spitzen mit Nottingham. Es bestehen
iibrigens mehrere Spinnereien, Webereien, Bleichen u. s. w., welche
innerhalb keines dieser Hauptdistrikte liegen. Dieser Industrie-
zweig ist sehr bliihend und gewinnbringend (der jahrliche Pro-
duktionswerth ubersteigt 600 Millionen Francs). Die Theuerung
des Brennmaterials wird durch die Fiille und Billigkeit der Ar-
beitskrafte , die grosse Nachfrage nach franzosischen Luxusstoffen
und das Monopol des heimischen Marktes aufgewogen. Das Stei-
fen ist ersichtlich aus der Einfuhr von Rohbaumwolle , welche im
ahresdurchschnitt 1827—1836 etwa 73 V2 Million Pfund (offizieller
Werth nahe an 55 Millionen Francs ) , im Jahre 1856 dagegen
fast 184 '/a Million Pfund (offizieller Werth an 140 Millionen
Francs) betrug. Die Ausfuhr an Baumwollgeweben und Garnen er-
reichte im Jahre 1856 iiber 203/4 Millionen Pfund im wirklichen
Werthe von fast 75 Millionen (oifiziell 185 Millionen) Francs *).
Die Leinenindustrie ist ebenfalls in Flandern und der
*) Im flstlichen Kreise bestanden (1856) 109 Spinnereien mit circa V/t Million
Spindeln, 8200 Pferdekraften und 30.000 Arbei tern, welche 44 Millionen Pfund Game
im Werthe von 65 Millionen Francs erzeugten. — Webereien 136, Produktion der-
selben 280 Millionen Metres, Geldwerth an, 100 Millionen Francs. — 25 Druckereien
297
Normandie , dann in der Picardie und Bretagne verbreitet. Feine
Waare (Batist, Gaze, Spitzen) Hefern Valenciennes, Alen9on; Ren-
nes, Calais; schone Damaste und Tafelzeuge St. Quentin; — Segel-
tuch wird hauptsachlich in den grossen Seeplatzen (Cherbourg,
Brest, Toulon u. a. w.) verfertigt. Uebrigens bezieht Frankreich viel
Maschinengarn aus England und Leinengarn aus Deutschland. Die
Fabrikate konnen jedoch im Allgemeinen mit den irischen , bel-
gischen und deutschen nicht konkurriren.
Die Wollenin dus tri e hat den Hauptsitz in der Normandie
(Elbeuf, Louviers, Evreux), dann in der Picardie (Abbeville und
Amiens), in Flandern (Cambray); auch in der Languedoc ist sie
stark verbreitet (Carcassonne, Toulouse, Castres, Narbonne, Lodeve,
Bezieres). Der jahrliche Werth der Wollwaaren kann auf minde-
stens 700 Millionen Francs geschatzt werden. In der Tuchfabrika-
tion behauptet Sedan (Champagne) den ersten Rang, insbesondere
in feinen schwarzen Tiichern (Sedan-Tuche) ; Louviers liefert feine
Tucher aller Farben ; Elbeuf sehr gate mittelfeine, worin die Fabri-
kation hochst ausgedehnt ist, und der Geldwerth dieser Fabrikate
ist hoher als jener von Sedan ; Castres verfertigt etarke, das eiidliche
Frankreich ordinare und sehr leichte Fabrikate, zunachst fiir den Ex-
port nach der Levante. Teppiche erzeugen Paris (die beriihmte
Savonnerie seit Heinrich IV.) und Aubusson (Auvergne) von vor-
ziiglicher Qualitat; Tapeten Paris (hier die durch Colbert begrun-
dete Gobelin - Fabrik), Shawls Paris (Fabrik von Ternaux liefert
die Ternaux- Shawls) ; die Bonneterie ist in Orleans am starksten.
Nachst dicscn Haupt-Industricil si nd die unter dem spezifischen Namen
nPariser-Fab rikat e" bekannten, von hochster Eleganz — aus Paris und Urn-
gebung (St. Denis, Neuilly, Choisy, Sevres etc.), nnd zwar Tableterie- oder Kurz-
waaren, Bijouterie- und Orfevrie-Waaren, alle Putz- und Modeartikel (deren Export
im Jahre 1857 an 82 Millionen Francs betrug), Meubles, musikalische Instrumente
(sehr viel nach Bassland) ; — ferner Lederfabrikate, Chemikalien, Metallwaaren und
Maschinen, Seife, Porzellan (Sevres), Glas, Rankelriibenzucker a. s. w. von Bedeutung.
In der Lederfabrikation sind am besten vertreten die Weissgarberei, die
Saffian- und Maroquin-Fabrikation. Starke Ledersorten werden in Blois (De-
partement Loir et Cher), den engliscben last gleich, erzeugt; die Production an lackir-
tem Leder, namentlich feinerer Qualitat, ist stets im Wachsen. Gate, siarke Gar-
bereien bestehen in: Strassburg, Troyes, Niort, Nantes, Grenoble; — Maroquin
(welches Frankreich der Berberei [Marocco] abgelernt), wird am ausgedehntesten in
der Provence (Marseille) und Languedoc, am besten in Choisy (bei Paris) nnd
Miihlhausen erzengt. Die Weissgarberei hat die grossten Fortschritte gemacht
und hat alle Lander, auch England ubcrtroffen; Beweis die enorme Ausfuhr von
Handschuhen (Produktionswerth iiber 36 Millionen, Export fiber 34 Millionen Francs);
— Annonay garbt iiber 4 Millionen Ziegenfelle ; — • die Handschuhe von Grenoble,
Paris, Chaumont (in der Champagne) uud Luneville (iiber 10.000 Arbeiter) sind be-
ruhrat; — Vendome (in Orleanais) liefert ordinare, — Rennes (Bretagne) aus Hirsch-
leder, — Niort Castorhandschuhe; — nach England werden liber 2 Millionen Paar
Handschuhe exportirt. — Saltier- und Riemerarbeiten aus Paris stehenfast auf
drnckten an 52 Millionen Metres Stoffe im Werthe von fast 52 Millionen Francs.
Werth sammtlicher Etablissements 150 Millionen Francs, jahrlicher Werth aller Er-
zeugnisse nahezu 210 Millionen Francs. — Die Grnppe der Normandie ist in An-
sehung der Spindelzahl und des Bedarfes an Rohmaterial die erste in Frankreich,
jedoch nicht in Hinsicht des Werthes der Erzeugnisse. Rohmaterial (viel aus Ost-
indien) verbrancht sie an 30 Millionen Kilogramm, l'/2 — 2 Millionen Spindeln, Ex-
port im Jahre 1855 fiber 9*/» Million Pfund.
298
gleicher HShe mit London und Bristol, wovon eine starke Ausfuhr nach America
btattfinclet.
Elegante Fussbekleidung aus Paris und Strassburg.
Papier erzeugt es fur den Export; das meiste liefern die Normandie, Loth-
ringen, Champagne, Elsass, im Jura und Languedoc, — Annonay ist der Hauptsitz,
dann Limoges und Lille; — vorzugliche Pap iertapeten werden in Paris, dann
Miihlhausen, Kixheim, Altkirch verfertigt.
Unter den Metallwaaren behaupten den ersten Rang die geschmackvollen
Galanterie-, Bronce- und Gusswaaren, deren Hauptsitz Paris ist, wo die Bronce-
fabrikate den Wertb von 30, die Bijouterien von 42 Millionen Francs erreichten.
Eisenhiitten sind in den Pyrenaen, Alpen, Cote d' or; — Waffen: St. Etienne
und im Departement Niederrhein ; — Gewehre: Paris, Versailles, St. Etienne und
Mutzig; — Uhren: Paris, Besan9on, in den Departements Doubs, Jura, Ober-Saone
und in Beaumont (Oberrhein). Die Maschinenfabrikation ist seflr vorge-
schritten, der Werth der exportirten stieg im Jabre 1857 auf 48 Millionen Francs.
Die Glas-, Spiegel- und Krystallglasfabriken liefern fiir den Ex-
port. Beruhmte Spiegelfabriken sind in Tour la ville (bei Cherbourg) und St. Gabiu
(Departement Aisne), dann St. Quirin und Cirey (LothringenJ, welche in Paris ge-
scbliffen und welter bearbeitet werden. Die Einfuhr fremder Glaswaaren, mit Aus-
nahme von Spiegeln, ist in Frankreich verboten. — Die grossten Krystallglas-
fabriken sind in Choisy le Roi (bei Paris,), Baccarat (Lothringen), St. Louis und
la Gare (Lothringen,) ; alle sind associirt und halten eine gemeinschaftliche Niederlage
in Paris. — Fur gewohnlicb.es Glas bestehen uber 200 Hutten im Lande, davon uber
100 fur Bouteillen (bei Bordeaux deren 8).
Das franzosische Porzellan zeichnet sich durch schSnes Ansehen, blendende
Farbe, pracht- und geschmackvolle Malereien aus, ist aber minder dauerhaft als das
deutsche; — Nationalfabrik in Sevres, dann Limoges; — Fayence ausgezeichnet
von Nevres, Rouen, Paris, Luneville, Strassburg und Arboras (Departement Rhone)
und macht im Mittelmeere England bereits Konkurrenz.
Die grossartige Anwendung der Fortschritte in den Naturwissenschaften, ins-
besondere in der Chemie, hat auf die Gewerbc vielleicht in keinem Lande solche
Resultate hervorgebracht, als in Frankreich, welches in der Fabrikation von C he-
mi k alien Ausgezeichnetes leistet. Lille ist der Hauptsitz der Bleiweissfabrikation,
Montpellier fiir Grunspan, Scheidewasser, Vitriol. Paris besitzt in alien diesen Rich-
tungen grossartige Etablissements ; Franzbranntwein (Cognac, Liqueure etc.) in der
Gascogne und Guyenne; chemische Fabrikate verschiedener Art in Neuilly,
Lyon, Montpellier, Rouen, — Seife in Marseille und Toulon, —• Parfumerien in Par is.
Die Runkelrubenzuckerfabrikation macht erstaunliche Fortschritte, wobei
die nordlichen Departments am starksten vertreten sind und zwar um Lille, Valencien-
nes, Dunkirchen, Arras, Amiens, dann in Lothringen, im Elsas's und bei Paris. Bei
der Erzeugung wurden die wichtigsten Verbesserungen vorgenommen und mit der
Produktion hat sich begreiflich auch die Konsumtion bedeutend gesteigert.
Eine wichtige Rolle in der Industrie Frankreichs nehmen die Bekleidungs-
artikel der Residenz der Weltmode ein, welche mindestens einen jahrlichen Werth
von 300 Millionen Francs darstellen und in grosser Menge gleich den geschmack-
vollen und billigen kleinen ^Luxusartikeln (..Articles de Paris") und den Kinderspiel-
waaren (Bimbeloterie) zum Export gelangen. Der Luxus in der Einrichtung der
Wohnungen steigert die Fabrikation aller Mobiliargegenstande, wovon gleichfalls
enorme Mengen nach dem Auslande zum Export kommen, da sich dieses freiwillig
immer mehr von der franzosischen Mode abhangig macht und immense Kapitalien fiir
Luxus- und Modewaaren aller Art nach Frankreich sendet. Der Einfluss der fran-
z5sischen Industrie anf Deutschland und Oesterreich ist ein machtiger und leider
bis jetzt ein stets sich steigernder gewesen.
Haiidel. Frankreichs geographische Lage an dem am meisten
befahrenen Meere der Erde ist fiir den Seehandel ausserst giinstig.
Die vielen schiffbaren Fliisse, deren bedeutendste mittelst Kanalen
unter einander verbunden sind und somit die Meere in Verbindung
bringen, fordern den inneren Verkehr fast nicht minder ab die zahl-
reichen Eisenbahnen (im J, 1858 waren im Betriebe 7442, kon-
299
zessionirt und im Baue 13.870 Kilometer), welche, von alien be-
deutenden Seehafen und den Industriegegenden auslaufend in der
Hauptstadt des Landes zusammentreffen. Bis zum Jahre 1865
hofft man das gesarnmte bieher konzessionirte Eisenbabnnetz
dem Verkehre zu iibergeben. Mit alien Nachbarlandern ist das
Land durch treffliche Strassen verbunden. Nach Italien fiihren :
die Kiistenstrasse von Marseille nach Nizza, die Kunststrasse von
BrianQon nach Turin (iiber den Mont Genevre); nach Spanien von
Perpignan nach Barcelona (von Bajonne nach Vittoria u. s. w.)»
Dices Alles hat Frankreich eeit jeher zu einem der machtigsten
Handelsstaaten Europa's gebildet und dessen Antheil am Welthan-
del wird nur von jenem Englands iibertroffen.
Die Bewegung im Generalhandel *) Frankreichs mit seinen
Kolonien und fremden Landern hat in der dreissigjahrigen Periode
1827 — 1856 fast um das Vierfache zugenommen (von 1168 auf
4587 Millionen Francs); die grosste Zunahme stellt sich in den
letzten 10 Jahren heraus. Aehnliche Resultate ergibt der Spezial-
h an del, welcher sich in der genannten Periode von 921 auf
3148 Millionen Francs gehoben hat. Beim Generalhandel ergibt
sich fur jene Zeit durchschnittlich ein jahrliches Mehr
fur die Ausfuhr von 55,800.000, und beim Spezialhandel ein
Mehr der Ausfuhr fur den Jahresdurchschnitt mit 60,500.000 Fes.,
wobei die iiberwiegenden Zahlen auf den Seeverkehr entfallen. Die
Gesammtmenge der wahrend der letzten zehnjahrigen Periode durch-
schnittlich in jedem Jahr zur See tranaportirten Waaren reprasen-
tirt die Summe von 2,251.600.000 Francs, wobei auf die franzosigche
Flagge 1026, und auf die fremden Schiffe aller Flaggen 1224.7 Mil-
lionen Francs entfallen.
Der Werth**) der Waarenansfuhr Frankreicbs (im Generalhandel) hat den der
Einfuhr in der dreissigjahrigen Periode durchschnittlich uberstiegen:
bei Grossbritannien um 86 Millionen Francs
den vereinigten Staaten um .... 44 ,, ,,
Spanien um 38 ,, „
Algier nm 49 ,, „
Brasilien um 14 ,,
Dagegen
hat eine Mehreinfuhr nach Frankreich stattgefunden :
aus Belgien um 49 Millionen Francs ***)
der Schweiz nahe um 4 „ „
Sardinien und Monaco . . . . 23 „
*) Der Spezialhandel (commerce special) begreift bei der Einfuhr die zum
Verbrauche im Inneren bestimmten und bei der Ausfuhr die Gegenstande heimi-
schen Ursprunges in sich; — der Generalhandel (commerce general) umfasst
den ganzen Verkehr ohne derartige Beschranktingen.
**) Die franzSsische Handelsstatistik stellt den Werth der Ein- und Ausfuhr zu-
vorderst nach den ein- fur allemal auf Grundlagen, welche im Jahre 1826 aufgestellt
sind, und in der Ordonnanz vom 27. Marz 1827 ihre Genehmigung fanden, festge-
setzten Normalpreisen der einzelnen Handelsgegenstande fest (,,amtlicher Werth,
valeur officiel"), und sodann nach dem naturgemass dem Wechsel unterworfenen
Verkehrswerth, wie der^elbe sich von Zeit zu Zeit bildet und wie ihn eine zu diesem
Zwecke eingesetzte Kommission jedesmal angibt (,,wirklicher Wertb, valeur
actu e 1").
***) Im Jahre 1857 uberstieg die belgische Ausfubr nach Frankreich jene der Ein-
fuhr um 85., Millionen Francs officieller Werth (= 81. 5 Millionen Francs wirk-
licher Werth).
BOO
bei dem Zollverein um 13 Millionen Francs
„ der Tarkei um 15 „ „
,, Russland um 28 „ ,,
„ beiden Sicilien um 7 „ ,,
„ Britisch-Indien um 28 „ ,,
Beim Spezialh andel zeigen sich ziemlich abweichende Re-
sultate. Ein Mehr der Ausfuhr ergibt sich auch hier nach Gross-
britannien (mit 63 Millionen), Spanien (28), Algier (44), Brasilien
(10) , aber nach den vereinigten Staaten mir mit 6 Millionen , da-
gegen bei der Schweiz mit 21 Millionen und im ahnlichen Ver-
haltnisse befinden sich der Zollverein und die nicht specificirten
Lander *).
Betrachtet man den Handelsverkehr nach der Gattung der
Waaren, so findet man die erheblichsten Zunahmen bei folgen-
den Exportwaaren : Seiden-, Baumwoll- und Wollengeweben, Wei-
nen, Cerealien, Kunsttischler- und Spielwaaren, Weisszeug und
fertigen Kleidungsstiicken, bearbeiteten Hauten, Topfer-, Glas- und
Krystallwaaren, Papier- und Pappwaaren, raffinirtem Zucker, Spiri-
tuosen, Metallwaaren, Goldschmied- und Juwelierarbeiten , Haare,
Uhren, Farbwaaren. Uebrigens zeigt eich zwischen dem wirklichen
und offiziellen Werthe in den letzten 10 Jahren ein nicht unbedeu-
tender Unterschied. Hoher ist der wirkliche Werth bei Seide, Ce-
realien, Rohwolle, Zucker, Steinkohlen, Holz, rohen Hauten, Kaffee,
Olivenol, Kupfer und Flachs ; niederer dagegen bei Baumwolle,
Oelfriichten, Blattertabak und Indigo.
Auch beim Transit- Verkehr finden wir im mehrerwahn-
ten Decennium giinstige Resultate , welche hauptsachlich aus der
Periode 1852—1856 herriihreo. Der Jahresdurchschnitt dieses De-
cenniums ist fiber 576.000 metr. Zentner im offiziellen Werfhe
von 307 Millionen Francs ; das ist gegen das Jahr 1833 eine Zu-
nahme von 131 °/0 nach dem Gewichte und von 106% nach dem
Werthe.
Die groaste Steigerung findet man bei Seiden-, Baumwol-
len und Wollengeweben , sowie bei Uhrenwaaren; den starksten
Abschlag bei Rohseide; — bei roher Baumwolle ist keine wesent-
liche Veranderung. Die grosste Menge von Transitgiitern kam
iiber Marseille, dann fiber Havre und Strassburg; iiber Valen-
ciennes hat der Transit seit der Erbauung der Eisenbahn erst be-
gonnen.
Der Sceverkehr Frankreichs wird hauptsachlich durch drei Hafen, Handels-
platze ersten Ranges, vermittelt: Marseille, Havre, Bordeaux, deren Zunahme
sowohl hinsichtlich des Tonnengehaltes, als der Schiffszahl und der franzosischen
Flagge gegeniiber fremden Flaggen in bedeutenden Dimensionen wachst.
*) Einfuhr:
Im Jahre 1857 1837
„ „ 1858 1561
und zwar:
Baumwolle 145 <
Wolle 105.5
Rohseide 102.,
zugerichtete Seide 88.,
Steinkohlen 81.,
Au sfuhr:
Im Jahre 1857 1865
„ „ 1858 1891
und zwar:
Seidenwaaren , 378
Wollenzenge 156.,
Baumwollzeuge 67.,
Weine 186.a
301
Marseille verkehrt iiberwiegend mit der Levante und den Kiistenlandern
des Mittelmeeres. Die Hauptstapelartikel waren friiher Oele und Seifen; gegenwartig
ist Marseille einer der wichtigsten europaischen Markte fur Getreide, welches ans
Russland (Odessa) bezogen wird und womit Siidfrankreich und Nordspanien versorgt
werden. Mit dem Steigen des Handels im Mittelmeer steigt fortwahrend auch Mar-
seille. Der Verkehr mit Algier hat sich seit dem Beginne bis jetzt um 526% und
gegen das Decennium 1836 — 1847 um 85% gesteigert, dessgleichen ist die Schiffahrt
unter franzosischer Flagge im letzten Decenninm (1847 — 1857) gegen das vorans-
gegangene gestiegen im Handel mit der Turkei um 90'V0, mit Spanien nm 27%, mit
Russland um 45% ; dagegen hat sie um 15% beim Handel mit Sardinien eingebiisst.
Wahrend der letzten Periode liefen in Marseille durchschnittlich im Jahre
4408 beladene Sehiffe langer Fahrt von nahe an 780.000 Tonnen ein, wobei die fran-
zSsische Flagge nahezn zur Halfte vertreten war; es zeigt sich in dieser Periode eine
Zunahme nm 42% fur die Sehiffe und um 74% fur den Tonnengehalt. Den bedeu-
tendsten Einfluss ausserte daranf Algerien. Die Hauptprodukte Algeriens sind Ge-
treide, Tabak und Gemuse, minder die Baumwolle; dagegen bezieht es fast alle Er-
zeugnisse der Kunst und Industrie aus dem Mutterlande. Marseille vermittelt sonach
den Handel mit Algier, Siidrussland, den italienischen Staaten nebst Griechenland
und der Turkei.
Der zweite wichtige Handelshafen am Mittelmeer ist Cette, der Stapelplatz
fur den Kanal von Languedoc und Montpellier. Ausfuhr von Seiden-, Wollen- und
Baumwollwaaren, Leder, Cette-Wein u. s. w. im Werthe von 30 Millionen Francs.
Einfuhr von Flachs, Hanf, Talg, Juchten, Getreide, schwedischem Eisen, Bauholz.
Havre kann der Hafen von Paris genannt werden und in dem enormen
Wachsen der Industrie in dieser Weltstadt, sowie in dem Umstande, dass der Schwer-
punkt des Welthandels nicht mehr im Mittelmeere, sondern im atlantischen Oceane
zu suchen i>t, liegt die Bedeutung und die Zukunft dieses rasch aufbltihenden Hafens.
Durch das Eisenbahnnetz und die direkte Verbindung mit Paris steht Havre mit alien
wichtigen Industriebezirken Frankreichs in nnmittelbarem Verkehr. Ueber Havre be-
ziehen dicse ihre uberseeischen Rohprodukte und Havre ist der Verschiffungsplatz
fur alle Fabrikate, welche den Wasserweg benutzen mussen. Paris mit seinem grossen
Konsum und die dichte Bevolkerung in den industriellen Rayons bezieht aus Havre
den grossen Bedarf von Kolonialprodukten (Kaffee, Zucker, Cacao, Reis, Tabak
u. s. w.). Es ist der Hauptmarkt fur Baumwolle, fur Wolle, Indigo, Farbeh61zer,
Gummi und Harze u. s. w., fur die fruher erwahnten Kolonialprodukte. — Ausser
Frankreich bezieht die Schweiz einen grossen Theil von uberseeischen Rohstoffen
nnd Verzehrungsgegenstanden direkt Oder Transito von Havre, auch siiddeutsche
Baumwollspinnereien beziehen die Baumwolle vielfach von dort. — Die Schiffahrt von
Havre hat im letzten Decennium fur den Jahresdurchschnitt beim Eingange ein Mehr
von 21% far die Sehiffe, und von 31% fur den Tonnengebalt.
Bordeaux ist der Ausfuhrhafen fur franzosische Weine, da der Sudwesten
Frankreichs nahezu die Halfte des Weinbaues besitxt. Von der Grosse dieser Pro-
duktion hangt daher grosstentheils die Wichtigkeit des Ausfuhrhandels auf diesem
Platze ah, wie es die Missei-nten in den 'Jahren 1855—1857 beweisen ; dagegen hat
die reiche Produktion des Jahres 1858 auch die entsprechende Steigerung hervorgernfen.
Nachst Wein gelangen Alkohol, getrocknete und eingemachte Fruchte (Pflaumen)
nnd derartige Fische, sowie das an den Abhangen der Pyrenaen gewonnene Terpen-
tinol zum Export; unter den Einfuhrsartikeln nimmt das Holz (Fassdanben) den
ersten Rang ein. Im letzten Decennium zeigt sich im Jahresdurchschnitt eine Zu-
nahme von 36% rucksichtlich der Schiffszahl und um 32% rficksichtlich des Ton-
nengehaltes.
In fast gleichem Verhaltnisse bat der Verkehr in Rouen und Nantes zuge-
nommen.
Betrachtet man die Dampfschiffahrt abgesondert, so stellt sich ffir den
Durchschnitt des letzten Decenniums gegen das vorangegangene eine Zunahme um
38% fur die Sehiffe und von 87% fur den Tonnengehalt. Im Allgemeinen hat bei
der Rhederei die Zahl der Sehiffe von mehr als 30 Tonnen zngenommen, wahrend
die kleineren eine bedeutende Verminderung erfahren haben.
Schliesslich bleibt noch zu erwahnen, dass die kleine BKabotage" (Kiistenfahrt
von einem Hafen zum andern in demselben Meere) verhaltnissmassig bedeutend mehr
zugenommen hat, als die ngrosse Kabotage" (Fahrt von einem Meere in das andere).
Marseille behauptet in der Kiistenfahrt fortwahrend den ersten Rang ; dann folgt
Bordeaux, Havre nimmt erst die dritte Stelle ein; Nantes hat bedeutend hierin zu-
genommen, wahrend Rouen Ruckschritte gemacht hat.
Fur den inneren Handel sind die wichtigsten Platze: Paris,
Lyon, St. Etienne, Strassburg und Beaucaire.
Paris ist fur Luxus- und Modewaaren die erste Stadt der
Welt, zugleich die erste Fabrikstadt und Entrepot des gesammten
franzosischen Handels , sowie der erste Wechselplatz Frankreichs.
Banken , Handels- und Assekuranz - Gesellschaften, kommerzielle,
technische und Kunstschulen und alle Arten Forderungsmittel der
Industrie und des Handels sind hier vertreten. Zunachst steht
Lyon , mit der grossartigen Seidenindustrie , der bedeutendste
Seidenmarkt in Europa. Die Produktion berechnet sich auf 100
Millionen Francs, wovon Qber 80 MilJionen exportirt werden. Auch
als Entrepot zwischen Siid - und Nordfrankreich macht es be-
deutende Speditions- und Kommissionsgeschafte , halt vier stark
besuchte Messen. Besonders rasch bliiht St. Etienne empor,
dessen Stahl- , Eisen-, Gewehr- und Kunstwaarenfabriken noch
wichtiger sind als die vortheilhaft bekannten Seiden- und Sammt-
bandfabriken. Strassburg ist der wichtigste Speditionsplatz
fiir den Verkehr zwischen Frankreich und Deutschland. Nebst
den eigenen Industrie - Erzeugnissen (Garbereien , Wagenfabriken,
Stilckgiesserei , mechanische Arbeiten etc.) treibt es ansehnlichen
Handel in Wein, Oel, Hanf und Krapp. Beaucaire ist vor-
ziiglich bekannt wegen der grossen Messe im Juli, die von Tau-
senden aus Europa , Af rika und der Levante besucht wird , auf
welcher Seide und Seidenwaaren , Tuche , Shawls , Leder , Wein,
Oel u. s. f. nicht selten um mehr als 30 Millionen Francs umge-
setzt werden.
Der Stand der geistigen Kultur dieses reichbegabten Vol-
kes ist ein mehrfach verschiedener. Die unteren Volksklassen, ins-
besondere im Siiden und Westen Frankreichs , sind in der Bildung
sehr zurflck; es fehlen oft die allerersten Eiementarkenntnisse , da
sowohl die Anzahl als die Einrichtung der vorhandenen Elementar-
schulen bei weitem nicht zureichend ist. Unter den im Jahre 1854
militarpflichtigen jungen Leuten befand sich fast ein Drittheil, welche
des Lesens und Schreibens unkundig waren. In neuerer Zeit wird
iibrigens eine grossere Aufmerksamkeit dem Volksunterrichte
zugewendet. Auch der ,,gebildete Mit t els t and", wie wir
ihn in Deutschland so wtirdig vertreten sehen, fehlt grossen Theils.
Dagegen ist es nicht zu laugnen , dass Wissenschaften und
Kilnste in hohem Grade bluhen; die ,,grosse Nation" hat eine
grosse Menge von Celebritaten aller Art hervorgebracht, auf dem
Throne , in der Kirche , im Kabinet und im Feld , sowie in den
mannigfaltigen Kulturzweigen; die franzosiche Literatur ist eine
der reichsten in Europa. In alien Zweigen der exacten Wissen-
schaften besass es stets eine achtungswerthe Anzahl von Talenten
ersten Ranges. Der Einfluss der Wissenschaft auf die
industrielleTechnik ist in Frankreich ganz besonders be-
deutend, die Zahl der technischen und kommerziellen Lehranstal-
ten ist stets im Wachsen, und es ist nicht zu zweifeln, dass die
Gegensatze in der geistigen Kultur durch Vermehrung und He-
bung der Volks- und M ittelschulen nach und nach minder
grell hervortreten werden.
VIII. Das Kftnigreich Belgien.
§. 143. Bestandtheile. Bevttlkernng.
537 DMeilen; — 4,530.000 (relativ 8436)*) Einwohner, welche sich fast
ausschliesslich znr r6misch-ka tholischen Kirche bekennen; wenig Protestanten
und wenig Israelites — Nach der Nationalitat gehOren tiber 60% dem vlami-
schen Stamme an, nahe an 40% sind Wallonen, erstere im Tieflande, letztere in den
Ardennen; ztidem noch (etwa 40.000) Deutsche, Englander und andere. Schrift- und
Staatssprache ist franzosisch. — Grenzen: im 0. Luxemburg, Preussische Rhein-
provinz, Limburg; im N. Niederlande; im W. Nordsee; im S. Frankreich. — Kon-
stitutionelle Erbmonarchie ; die Succession in der Thronfolge ist in mannlicher Linie
nach dem Rechte der Erstgeburt im Koburger Zweig der ernestinischen Linie des
Hauses "Wett in.
Boden. Belgien beeteht theils aus einem niederen Berglande,
den Ardennen (bis 1200'), mit dem mittleren Becken der Maas,
theils gehort es dem nordeuropaischen Tieflande rait dem Fluss-
geader der Schelde an. Den Ardennen ist (im Norden der Sambre)
ein Hiigelland vorgelagert, welches sich allmalig zur iiberaus
fruchtbaren Ebene in Flandern und Sudbrabant verflacht ; wahrend
in den Provinzen Antwerpen und Limburg grosse Haidestrecken
und Moore (Campine oder Kempen im Gebiete von Antwerpen)
sich ausbreiten. An den Kusten der Nordsee liegt das Flachland
so tief, dass es durch Damme (Deiche) gegen die Ueberschwem-
mungen geschutzt werden muss. Die durch Damme geschiitzten
Gegenderi heissen Polder.
Gewasser. Das Land wird nur auf der kurzen Strecke von
10 Meilen von der Nordsee bespiilt , welche keine grosseren
Buchten in das Land schneidet. — Unter den fliessenden Gewas-
eern ist der bedeutendste Fluss die Schelde mit zwar kurzem
Laufe (von Tournay bis zum Fort Bath) aber bedeutendem Was-
serreichthum , schiffbar von Cambrai an und von Antwerpen fur
Seeschiffe. Im Flussgebiete der Schelde liegen alle grossen Stadte
des Landes (ausser Luttich), und die Wichtigkeit dieses Flusses
fur Belgien wird nur dadurch gemindert , dass die Miindungen
ausser Landes liegen. Mehrere der zahlreichen Nebenfliiase sind
ebenfalls schiffbar, als : die Den der, die aus der Vereinigung
mehrerer Zufliisse entstandene Rupel, die Henne(Haine) und die
wasserreiche Lys (sp. Leis). — Im belgischen Oberlande bildet das
tiefe Thai der Maas einen Haupteinschnitt; sie tritt siidlich von
Dinant aus Frankreich nach Belgien, fliesst anfanglich durch enge
Schliinde mit steilen Wanden, dann aber zwischen niedern Ufern
und nimmt (rechts) die Semoy, Ourthe und (links) Sambre auf.
*) Nach den Provinzen zeigt sich eine grosse Verschiedenheit in der relati-
ven Volkszahl. In Ostflandern kommen auf cine QMeile 14.228 Einwohner,
in Brabant 12.520, in Hennegau 11.353, in Westflandern 10.603, in Luttich 9557, in
Antwerpen 8419, in Limburg 4361, in Namur 4288, in Luxemburg nur 2408.
304
— Zahlreiche Kanale befordern die Schiffahrt, unter denen die
bedeutendsten sind: von Charleroi nach Brflssel , von Luttich nach
Mastricht, von Gent nach Briigge, von Brugge nach Ostende, von
Gent nach Terneuzen, Verbindung der Maas mit der Sambre, Ka-
nal der Campine u. s. w.
Das Klima ist gemassigtes Seeklima, im Flachlande feucht
und veranderlich, in den Poldern ungesund; in den Berglandschaf-
ten zwar rauher aber trockener und bestandiger.
Politische Eintheilung. Belgien ist in 9 Provinzen, diese
in 41 Arrondissements und letztere in Gemeinden eingetheilt,
Bemerkenswerthe Orte *) :
1. Sudbrabant: Brussel (Bruxelles, 261.000), Laeken, Lowen (Loavain
32000), Anderlecht, Waterloo, Tirlemont.
2. Antwerpcu: Antwerpen (Anvers 110.000), Mecheln (Malines 31.000),
Lier (Lierre), Turnhout.
3. Ostflatidern: Gent (Gand, 110.000), Dendermonde, Aalst, St. Nicolaes,
Lokeren, St. Renaix.
4. Wcstflandern: Brugge (Bruges 50.000), Ostende, Kortryk (Courtray),
Yperen, Nieuwpoort.
5. Hennegaa (Hainant): Bergen (Mons 26.000), Jemappes, Doornik (Tour-
nay), Charleroi, Fleurus.
6. iXaniur: Namur (25.000), Andenne, Dinant.
7. Luttich: Luttich (Liege 90.000), Seraing, Herstal, Venders, Spaa,
Limbnrg.
8. Limbnrg: Hasselt (10.000), Tongern, Beverloo.
9. Luxemburg: Arlon (6000), Bouillon.
Von besonderer Bedeutung sind die Stadte:
Briissel, an der Senne, mit 261.000 Einw., die in raschem Wachsthum be-
griffene schOne Hauptstadt nnd Residenz des K5nigs, Sitz der hochsten StaatsbehSr-
den, mit prachtvollen Palasten, zahlreichen wissenschaftlichen und Kunstinstituten
und Sammlungen, schwunghafter Industrie in Spitzen (Brussler oder Brabanter),
Webe- und Wirkwaaren, Tapeten, Leder, Papier, Krystallglas, Chemikalien, Bijoute-
terien, Maschinen, bedeutende Buckdruckerei und Buchhandel u. a. m. Centralschule
fur Handel nnd Gewerbe mit reichen Sammlnngen ; Borse, Banken und grosse Geld-
institute. Universitat. In der Nahe konigl. Schloss Laeken (Labken), und die
D6rfer Waterloo, Mont Saint Jean (Mon San Schan) mit dem Vorwerke Belle
Allian ce(Bal' Aljanss). Sieg derPreussen nnd Englander iiber Napoleon am 18. Jnni
1815. — Der wichtigste Handelshafen ist Antwerpen, eine Welthandelsstadt mit der
altesten Borse in Europa, drei starken Messen, Bank, Assekuranz- und Handels-Ge-
sellschaften , grossen Entrepots , unterhalt regelmassige Dampfschiffahrten nach Eng-
land , Havre und New York. Den Hafen besuchen jahrlich fiber 3000 Schiffe. Im
16. Jahrhunderte stand diese Stadt in ihrer Bliite und zahlte damals iiber 200.000
Einwohner. Auch die Industrie ist sehr bedeutend; sie liefert Tuch, Seiden- und
Baumwollwaaren, Spitzen, Leder, Wachstuch, Gold- und Silberwaaren; beruhmt sind
endlich die Diamantenscbleifereien , sowie die Schiffswerften , Bleichen und Faibe-
reien. — Die zweite Hafenstadt des Landes ist Ostende, welche lebhaften Verkehr
mit England (Dampfschiffahrt zwischen Ostende und Dover) und den benachbarten
Staaten unterhalt. Die Seebader, Fischerei, Rhederei und die Leinenindustrie bringen
ansehnlichen Gewinn und sind in der Aufnahme. — Briigge, ehemals die Haupt-
niederlage der Hansa mit den beruhmten grossen Messen , hat seine Wichtigkeit als
Handelsplatz verloren, behauptet jedoch einen hohen Rang als Fabriksstadt fur Lein-
wand , Damast , Spitzen, Baumvvoll- und Schafwollzeuge; nur in Landesprodukten
und in Leinwand ist der Handel noch hedeutend. Im letzteren Artikel arbeitet auch
Gent, welches zugleich fur Leder und Baumwollwaaren der wichtigste Manufaktur-
platz ist. Industrieplatze ersten Ranges sind: Briissel (Spitzen, Blonden, Teppiche),
Luttich (Metallfabrikation, Waffen, Geschutze , Maschinen), Seraing (Maschinen),
Lowen (Tuchweberei, Spitzen, Blonden, Bierbrauereien), €ourtray (Leinenwaaren),
Ton may (Teppiche), Verviers (Tuch), an welche sich Namur, Mons, Charleroi
anschliessen.
*) In der Klammer sind die haufig franzosisch gebrauchten Stadtenamen.
Xulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die naturliche Beschaffenheit des Bodens ist zwar nur in
einigen Provinzen fiir den Ackerbau sehr gunstig, dennoch ist
der Ertrag in Folge der rationellen und fleissigen Bearbeitung ein
relativ sehr hoher, wenn er gleich fur die dichte Bevolkerung nicht
ausreicht. Durch Austrocknung der Stimpfe und Moraste wird
fortwahrend neuer Boden fQr den Feldbau gewonnen. Mit dem
Ackerbaue beschaftigt sich etwa ein Viertheil der Bevolkerung und
die bearbeitete Bodenflache ist beilaufig 475 n^eilen gross, wo-
von fast die Halfte von Pachtern bearbeitet wird. Dem Getreide-
bau sind an 160 QMeilen, den Handelspflanzen an 12 QJMeilen
zugewiesen. Die Einfuhr von Cerealien wechselt im Jahresdurch-
schnitt zwischen 1 — 2 Millionen Zentner; dagegen liefert der An-
bau von Handelspflanzen noch fur den Export. Darunter
nimmt der vortreffliche Flachs (Ostflandern) den ersten Rang
ein (Jahreeproduktion etwa 373.000 Zentner im Werthe von 4'/2 Mil-
lion Gulden); dann folgen Hanf, Krapp (in den ,,Poldern" von
Westflandern), O elpfl anzen (Flandern und Brabant), sowie Hiil-
senfrGchte, Gemiise und Futterkrauter (Klee) ; auch der Hopfenbau
gewinnt an Ausdehnung. Vorziiglich ist endlich die Obstkultur
in den Thalern der Maas und Sambre, und die ausgezeichnete
Blumenzucht in Brabant und zu Gent, deren Produktionswerth auf
2 Millionen Gulden geschatzt wird.
In der Viehzucht ist das Hornvieh aus Flandern und Bra-
bant, sowie aus Limburg und Luxemburg besonders geschatzt.
Brabant und Hennegau liefern gute Pferde, obgleich nicht in aus-
reichender Menge. Das grosse , aber nicht feinwollige Schaf in
Flandern gibt den Eohetoff nur fiir Tuche geringerer Qualitat, in
Limburg ist dessen Hauptertragniss der Limburger-Kase. Flandern
schickt jahrlich iiber 2 l/a Million abgehautete Kaninchen nach
England, die Felle gehen nach Frankreich, Russland und Amerika.
Die Schweinezucht ist sehr verbreitet , die Bienenzucht vorziiglich
in der Campine (bei Antwerpen). Die Seefischerei geht haupteach-
lich auf den Stockfisch- und Haringsfang aus.
Der relativ grosste Theil des Nationalvermogens liegt im
Bergbau, denn die vier Minen-Provinzen Hennegau, Namur, Luxem-
burg und Liittich besitzen einen fast unerschopflichen Reichthum
an Steinkohlen und Eisen. Erstere werden aus mehr denn
400 Gruben gefordert und die dermalige Ausbeute betragt wohl
an 160 Millionen Zentner im Werthe von iiber 43 Millionen Gul-
den, wovon (im J. 1857) fiber 57 Millionen Zeutner (fast aus-
schlieselich nach Frankreich) zur Ausfuhr kamen. Die reichsten
Gruben sind bei Lutticb, Mons, Namur und Charleroi *). Die Pro-
duktion an Roh-, Guss- und Stabeisen betragt iiber 4 Mil-
lionen Zentner im Werthe von 33 Millionen Gulden (urn Liittich,
*) Belgiens Steinkohlenfelder nehmen 4°/0 der Gesammtarea, die Englands 5°/0,
jene Frankreichs dagegen kaum 1% ein. Im Verhaltniss zur BevOlkerung produzirt
Belgien zehnmal so' viel Steinkohlen als Frankreich, aber '/, weniger als Gross-
britannien; — im Verhaltniss zur Oberflache 24mal so viel als Frankreich und fast
urn die Halfte mehr als Grossbritannieu.
Klua's Handels-Geo^raphie. 2. AuU. 20
Namur und Limburg), wovon (1857) nach Deutschland und Frank-
reich iiber I.,* Millionen Zentner exportirt wurden. Zink wird
bei Luttich (vieille Montague), Verviers und Membach in grosser
Menge (ilber '/3 Million Zentner), desegleiehen auch B 1 e i gewon-
nen. Endlich sind erwahnenswerth der Torf (in Flandern), der
schwarze Marmor (an der Maae), der Schiefer (in den Ardennen)
und die Mineralquellen in Spaa (Stahlquellen), Tongern, Luttich,
Chaudfontaine.
Industrie. Der reiche Ertrag der Urproduktion wird von je-
nem, welchen der beruhmte belgische Gewerbfleiss bietet, weit uber-
troffen. Flandern und Brabant versorgten schon vor Jahrhunder-
ten fast alle europaischen Markte mit ihren aupgezeichneten Fabri-
katen. Haben auch die vielfachen Wechselfalle dieses Landes
zeitweise Stockungen hervorgebracht , eind auch machtige Konkur-
renten auf dem industriellen Gebiete aufgetreten; Belgien hat ins-
beeondere seit der Lostrennung von Holland mit jugendlicher Kraft
auf eine Hohe sich geschwungen, dass es gegenwartig eine in-
dustrielle Macht ersten Ranges genannt werden muss.
Grossartige Etablissements , nach den vollkommensten , neuesten
Methoden und Systemen eingerichtet , mit mehr als 3000 Dampf-
maschinen , konkurriren mit ihren Fabrikaten auf dem Weltmarkte
mit den Erzeugnissen aller Lander. Zur Belebung und Forderung
der Industrie tragen die Musterwerkstatten und die permanente
Gewerbsausstellung in Briissel (im palais d'industrie) nicht wenig
bei. Die industriellen Provinzen sind : Hennegau , Ostflandern,
Luttich, Westflandern und Brabant. Den Glanzpunkt bilden die
Metallwaaren und darunter der (von John Cockerill — f 1840
— begriindete) Maschinenbau in Seraing (bei Luttich), nach
dessen Muster die grossartigen Fabriken in Namur, Gent, Mecheln,
Charleroi u. s. w. erstanden. Der Centralpunkt ist Luttich nebst
Umgebung; die Erzeugnisse sind: Maschinen, die schonsten Ge-
wehre und vortreffliche Kanonen, Eisendraht, Blechhammer und
Walzwerke {auch im Hennegau) , Nagel und Nadeln ; — Gent lie-
fert Bleiwaaren ; in Gold- und Silberarbeiten sind Briissel und
Gent die Hauptorte. Den starksten Export bilden Eisenbahnschie-
nen und Dampfmaschinen, Eisenblech, Nagel und Stabeisen.
Die Leinenmanufaktur, der alteste ludustriezweig Bel-
giens, welcher schon zu sinken begonnen hatte, entfaltete sich seit
der Einfiihrung von Musterwerkstatten (1847) von Neuem; sie hat
ihren Sitz in den Provinzen Flandern, Brabant, Antwerpen und
im Hennegau. Zwirn von Courtray und Mecheln, die Batist- und
Damastweberei von Courtray, vor Allem die kostbaren Brabanter-
oder Brusseler-Spitzen (Briissel, Gent, Mecheln, Lo wen und Brugge)
geniessen, wie iiberhaupt die hochfeinen Leinen schwerer Qualitat,
wohlbegriindeten Ruf auf dem Weltmarkt, und der Werth der Aus-
fuhr von Leinenweben betrug (im J. 1857) an 20 Millionen Francs.
— An Wollstoffen — wozu das Rohmaterial vielfach aus
Deutschland bezogen wird — behaupten die billigeren Fabrikate,
welche sehr schon appretirt werden, den Vorrang vor denen der meisten
Fabrikslander, Der Hauptsitz ist die Pro vinz Luttich ; Verviers
307
nebst Umgebung mit mehr als 200 Fabriken (Dison , Ensival,
Hodimont) produzirt feine Tuche und Zeuge fiir den Export, be-
sonders nach Amerika, in die Levante und nach Holland. Tuche
werden ferners erzeugt zu Brugge, Liittich, Antwerpen, Lowen,
— Zeuge und Wollstoffe in Brugge, Gent, Mecheln , Brussel;
— Teppiche in Brussel und Tournay; — bekannt sind die Strumpf-
webereien im Hennegau. — Dicker Fabrikationszweig ist zwar
in stetigem Steigen , doch war in den letzten Jahren die Einfuhr
von Tuchen und Wollzeugen noch immer starker als die Auefuhr.
Sehr bliihend ist jetzt die Baum wol lin du st rie. Zur Zeit
der Kontinentalsperre hatte sie ihren Aufschwung genommen, dann
wurde sie durcli den Bezug des Rohmaterials aus den ,,niederlan-
dischen Kolonien" gefordert; &eit der Trennung von Holland kam
sie jedoch in Abnahme, da sie auch den Export nach den erwahn-
ten Kolonien verloren hat. Am erheblichsten ist sie in Ostflandern
(Gent, Lokeren), in Westflandern (Brugge, Courtray), Brabant
(Brussel — viel Indiennes — , Lowen, Anderlecht), — und im
Hennegau (Tournay und Mons). Die Ausfuhr von Gespinnst ist
grosser als die Einfuhr.
Verbreiteten Ruf und starken Absatz auf den Messen zu Frank-
furt, Leipzig und Braunschweig haben die Lederwaaren (Ma-
strichter und Liitticher Ober- und Sohlenleder), worin die Provinz
Limburg den ersten Rang behauptet; begriindeten Ruf geniessen
ferner Liittich (Luttich, Stabelot), Namur (Namur, Dioant), Flan-
dern (Brugge, Gent), letzteres vorziiglich wegen seiner grossen
Garbereien.
Nachst diesen Hanptindustrien sind noch auszuzeichnen : die Glaswaa-
ren im Hennegau, Namur, Brabant (farbiges Glas und Krystallglas) und Luttich
(Herstal), besonders die Spiegel von Charleroi, — auch ordinares Glas gelangt wegen
der grossen Billigkeit zum Export; — Porzellan und Fayence von Brussel, Gent,
Mons und Tournay; — Papier von Brabant, Luttich, Namur, die Ausfuhr in fei-
neren Qualitaten ist in der Zunahme; — Zuckerraffinerien in Antwerpen, Brugge,
Ostcnde, Gent, Mons, Brussel und Lowen; — Runkelriibenzuckerfabrike n in
Antwerpen , Gent, Brugge und Ostende , die Raffinerien von Kolonialzucker vermin-
dern sich, dagegen steigt die Rubenzuckerfabrikation, wofiir bereits fiber 40 Fabriken
bestehen; — feine und lackirte Holzwaaren in Spaa; — Handschuhe von Lu-
xemburg; — Seidenwaaren von Antwerpen.
Handel. Der Handel im Inneren wird durch schiffbare
Fliisse, Kanale und vorzuglich durch Eieenbahnen sehr begiinstiget.
Die Gesammtlange der letzteren betragt uber 100 Meilen, sonach
relativ am meisten unter alien Staaten. Mecheln bildet das Cen-
trum des Schienennetzes, von wo die Radien nach alien Industrie-
gegenden des Landes auslaufen und diese sowohl mit den einhei-
mischen Industriestadten , als den bedeutendsten Stadten in den
Nachbarlandern (Paris, Aachen, Koln) verbinden. Fiir den aus-
seren Handel hat das Land keine eben giinstige Lage , da von
der etwa 140 Meilen langen Grenzlinie nur an 10 Meilen vom
Meere beepiilt werden, und die zwei grossten Flusse (Schelde und
Maas) nicht im Lande ausmfinden ; hierin wird Belgien von seinem
nordlichen Nachbarlande iibertroffen. Dessenungeachtet ist der aus-
wartige Handel im Steigen und wird durch die rasche und wohl-
20*
feile Kommunikation im Innern , eowie durch die unbehinderte
grosse Thatigkeit der Bewohner etets mehr gehoben.
Die offiziellen Nachweise iiber die Ergebnisse des belgischen
Handels weisen in den Durchschnittszahlen fur die drei funfjahrigen
Zeitraume 1842—1846, 1847—1851, 1852—1856, sowie im J. 1857
ein stetiges Steigen sowohl im General- als im Spezialhandel nach *).
Der Gesammtverkehr (Ein- und Auefuhr) betrug im J. 1857 im
Generalhandel 1631.6 off. (oder 1819. a act.), und im Spezial-
handel 843.9 offiziell (oder 849 actuel), und zwar: Ei nfuhr 393.3,
Ausfuhr 450.7 Millionen Francs, wornach sich (nach dem offiziel-
len Werthe) eine Zunahme gegen das Jahr 1856 von 101. 4 und
gegen den funfjahrigen Durchschnitt 1852— 1856 von 335.t Millio-
nen Francs herausstellt. Der Verkehr zu Lande und auf den
Fliissen hat sich gegen das Vorjahr urn 10%, dagegen jener zur
See nur um 1% gehoben; von dem Gesammtverkehr entfallen
63.8% auf den Transport zu Lande und auf den Fliissen , und
36.a% auf den Seetransport. Den Hauptverkehr (mit 82.,%) un-
terbalt Belgien mit den europaischen Staaten: Frankreich, England,
Holland und dem Zollverein ; auf den Verkehr mit Amerika, Asien
und Afrika entfallen nur 17.6 %. — Im Verkehr mit F rank reic h
iibersteigt (im J. 1857) die belgische Ausfuhr jene der Einfuhr um
85.7 Millionen Francs off. (oder 81.5 act.); — nach dem Zollver-
ein betragt die Mehrausfuhr 26.T off. (= 12.9 act.) Millionen Frcs.;
— im Verkehr mit Holland zeigt sich eine charakteristische Ver-
schiedenheit , indem nach den offiziellen Werthsbestimmungen
ein Mehr fur die Ausfuhr von 4.3 Millionen Francs, dagegen nach
dem wirklichen Werthe ein Weniger von 23-r Millionen Francs
sich beziffert; — im Verkehr mit England iibersteigt der Werth
der Einfuhr jenen der Ausfuhr um 4.8 offiziell (= 6.3 act.) Mil-
lionen Francs**).
Unter den ausser-europaischen Landern nimmt Amerika
(Vereinigte Staaten, La Plata, Mexico, Cuba, Portorico, Hai'ti und
Chili) den ersten Rang ein. Hier zeigt sich (1857) eine Zunahme
sowohl in der belgischen Ausfuhr (gegen den funfjahrigen
Durchschnitt 1852— 1856 um 20%), welche 1857 den Werth
von 35.4 Millionen Francs erreichte , als auch in der Einfuhr
(analog um 26%), deren Werth auf 104.t Millionen Francs ge-
stiegen war.
*) Die Eintheilang in General- und Spezialhandel ist wie bei Frank-
reich (siehe Anmerkung 1) Seite 299); auch jene hinsichtlich des Werthes in namt-
lichen" und nwirklichen" (nvaleur officiel" et nactuel") ist wie in Frankreich (siehe
Anmerknng 2) Seite 299), nur bilden die Werthe des^Jabres 1833 die Grnndlage fur
den officiellen Werth in Belgien.
**) Diese mitunter grossen Unterschiede zwischen dem ,,offiziellenB nnd dem
wwirklichenu Werthe riihren zum Theil von dem Ruckgange her, welchen alle Preise
im genannten Jahre erfahren haben ; zum grossern Theile aber haben sich die Preise
seit dem J. 1833 in der Weise geandert , dass Gegenstande der Naturalproduktion
im Allgemeinen im Preise gestiegen , jene der Gewerbsindustrie mit dem Wachgen
der Industrie im Allgemeinen gefallen sind. Aus der Gegenuberstellung der
beiden Werthe beim Import und beim Export kann sonach annahernd auch auf die
Artikel des Verkehrs geschlossen werden.
309
In Bezug auf Waarengattungen gehoren zu den vorzflg-
licheren Exportartikeln : Eisen und Eisenwaaren, Steinkohlen, Spiegel,
Glaswaaren, Spitzen, Tuche, Teppiche, Leinengarn, Baumwollwaaren
u. s. w. Unter den auslandischen Rohstoffen, welche Belgien im-
portirt, stehen die Baumwolle, der Rohzucker, Kaffee und
die Wo lie im Vordergrunde.
Aus Frankreich bezieht Belgien: Oelfrfichte, Weine, Getreide, rohe Haate,
kurze Waaren und Gewebe — und setzt dorthin ab: Gewebe , Leinengarn, Flachs
Hanf und Werg, Vieh, Eisen- und Metallwaaren, Steinkohlen, Lederarbeiten, destil-
lirte Getranke, Bauholz, Cichorien u. s. w. — Ans England bezieht es : Maschinen
und Werkzeuge, Gewebe, Wolle, Rohhaute, chemische Erzengnisse, Harz, Pech und
Theer u. s. w. — und exportirt dorthin : Glas- und Krystallwaaren , raffinirten
Zucker, Getreide, Kartoffeln, Baumwollgarn , Wachs u. s. w. — Ans den Nieder-
landen bezieht es : Danger, Rohzucker, Wolle und Baumwolle, Oelfruchte, Vieh,
Indigo u. s. w. nnd exportirt dorthin : Getreide, Zink, Flachs, Gewebe, Tuche, Eisen-
waaren, Bauholz, Leder, Steinkohlen, Porzellan, Glas- und Krystallwaaren u. s. w. —
Ans dem deutschen Zollvereine bezieht es: Getreide und Oelsamen, Vieh,
Wein, Bauholz, Schafwolle, Flachs und Hanf, Gewebe u. s. w. und exportirt dorthin:
Game, Tuche, Gewebe, Eisen, Maschinen, Waffen und Seidenwaaren , Oele, Glas-
waaren u. s. w. — Ans Amerika bezieht es Kaffee, Rohzucker, Baumwolle, Ta-
bak , Nutz- und FarbehOlzer , rohe Haute u. s. w. , und exportirt dorthin: Tuche,
Zink, Waffen, Glas- und Krystallwaaren.
Ansser dem Eigenhandel ist auch der Transitohandel, der fur das Jahr
1857 mit 386.5 Millionen Francs bewerthet wird, gegen den fiinfjahrigen Durchschnitt
um 27% gestiegen, wobei sowohl in Hinsicht der Herkunft der Waaren als der Be-
stimmung der Durchfuhr die frfiher genannten Staaten, und bezQglich der Waaren
die Seidengewebe relativ am starksten vertreten sind. Insbesondere ist der Transit
aus und nach Deutschland sehr bedeutend, da er fiber 45°/0 der gesammten Dnrch-
fuhr betragt. Dagegen hat sich die Niederlage fremder Waaren in den Entrepots
im J. 1857 gcgen die mehrerwahnte Periode um 12% vermindert.
Der Schiff ahrt sv erkehr umfasste im Jahre 1857 auf 2791 angekommenen
und 2768 ausgelaufenen Schiffen fiber 700.000 Tonnen und zeigt ebenfalls eine ansehn-
liche Zunahme; doch zahlt die belgische Handelsmarine nur etwa 160 Schiffe. In
den belgischen Fahrzengen zeigt sich im Jahresdurchschnitt der letzten Periode eine
Abnahme von 2.5%; unter den fremden Schiffen war am starksten die englische
Flagge (mit 43% der Fahrzeuge) vertreten. Die Dampfschiffahr t beschaftigte im
J. 1857 51 Fahrzenge, darunter nur 8 belgische, aber 36 englische, dann 5 franzS-
sische und je ein danisches nnd oldenburgiscb.es , welche die Fahrten zwischen Bel-
gien und Grossbritannien , den Hansestadten , Frankreich, Nordamerika, Russland,
Danemark und Brasilien vermitteln.
Belgien unterhalt Handelsverbindungen mit (iberseeisc.hen Staaten , auch hat
sich in ueuerer Zeit eine Kolonisations-Gesellschaft gebildet, welche in Guatemala
Pflanzstatten angelegt hat.
Geistige Kultur. Die Volksbildung steht im Ganzen auf
einer ziemlich befriedigenden Stufe und zahlreiche Lehranstalten
sorgen eowohl fur gelehrte als gewerbliche und kommerzielle Bil-
dung. An Elementarschulen bestehen iiber 6000 , jede grossere
Stadt hat ein Gymnasium (^Athenaeum") ; vier Universitaten (Briis-
sel, Gent, Lowen, Lattich) sorgen far die Pflege der Wissenschaf-
ten ; Schiffahrtsschulen, Ingenieur-, Gewerbe- und Bergwerksschulen,
eowie Handelsschulen hingegen fur spezielle Fachbildung. Das
Land besitzt bedeutende wissenschaftliche und Kunstanstalten, ins-
besondere erfreuen sich seit Jahrhunderten die schonen Kiinste
einer sorgfaltigen Pflege (flandrische Malerschule), und deren Ein-
flu3s auf die Gewerbe ist unverkennbar. In Belgien erblicken wir
somit auf dem Felde der geistigen und materiellen Interessen einen
erfreulichen Fortschritt.
310
IX. Das ROnigreich der Niederlande (oder
Holland)
mit dem Herzogthume Limburg und dem Grossh.er.zogtb.ume Luxemburg.
§. 144. Bestandtheile. Bevolkerung.
1. In Euro pa: 641 Q Meilen; — 3,544.000 (relativ 5500)*) Einwohner, in
Luxemburg und L:mburg Kaiholiken , sonst Protestanten und auch Israeliten. —
Nach der Nationalitat grosstentheils Hollander (an 2 '/, Million), Vlamlander
(an 350.000) nnd Niederdeuts«he (l-riesen). — Grenzen: im 0. Preussen und Han-
nover, im 8. Belgian, im W. und N. die Nordsee. — • Konstitutionelle Erbmonarchie
nach dem Kechte der Erstgeburt in mannlicher und weiblicher Linie des reformirten
Hauses Nassau. Der Koni^ ist als Grossherzog von Luxemburg und Herzog von
Liinburg Mitglied des deutschen Bundes.
Q] Meilen Einwohner
2. In Asien. General - Gouvernement von Niederlandisch-
Indien 28.923 16,354.000
Java nnd Madura (11 Millionen Einw. ),
auf Sumatra (1,650.000 E.), Borneo,
Celebes, die kleinen Sunda - Inseln, die
Molukken, Amboina- und Banda-Grnppe,
WVsikuste von Neu-Guinea;
3. In Amerika: St. Earache , Curacao (Westindien), Suri-
nam etc 2.830 87.000
4. In Afrika: Die Faktoreien an der Kuste von Ober-Gui-
nea (Elmina, Axim, Accra etc.) 500 100.000
32253 16 541.000
Dazu in Europa 641 3,544.000
Gesammtstaat ~ 32,894 20,085.000
Boden. Das Konigreich der Niederlande gehort zum nord-
wesrlichtn T'eflande Europa's, mit Ausnahme von Luxemburg, in
welches d*-r Ardennenwald mit HOgelreihen (bis zur Hohe von 1500')
hirieinsfreicht. Int-besondere ist das Miindungsgebiet des Rhein,
der, Maas und Sch<jlde ein Produkt der Anechwemmung dieser
Flusiae , welchea kiinstlich gegen das Hereindringen der hoher als
das Lnnd liegenden Nordsee geschiitzt wird und kunstlich bewohn-
bar gemacht wurde. Eine ahnliche durch Kunst gebildete Ober-
flache findet sich wohl nirgpnds auf der Erde. Der einformige
Boden ist theils Morast (Peel, Bourf anger- und Grenzmoor),
theils Haide- und Sand land ohne Wald und mit wenig Quel-
len, theils fruchtbares Marschland. Viele Sumpfgegenden sind
durch Abzugsgraben (SJooten), Einfassung mit Dammen (Deichen)
und durch Auspumpen in «P older" mit ergiebigem Acker- und
Wiesenboden vtrwandelt worden. Vor den Flussmiindungen und
vor der Zuider-See (*pr. Seuder-See) liegen flache, sehr fruchtbare
Inseln. Hohe Fluthcn und gewaltige Stiirme mit Einbriichen des
Meeres haben nicht selten die Deiche durchbrochen , ganze Land-
strecken mit zahlreichen Ortschaften und Tausenden von Bewoh-
*) In den einzelnen Provinzen herrscht eine grosse Verschiedenheit in der re-
lativen Volkszahl. In Nordholland kommen anf 1 Q Meile 12,071 Einwohner, in
Sudholland 11.254, Utrecht 6 386, Limburg und Zeeland iiber 5.000, Groningen nahe
5.000, Friesland, Gelderland, Nordbrabant, Luxemburg fiber 4.000, Overyssel 3.887
nnd Drenthe nur 1938.
811
nern durch Ueberschwemmungen verschlungen. Der Biesbosch
(spr. Bihsbos'ch), gegenwartig zum Theil in Polder verwandelt, 1st
durch eine Ueberschwemmung, welche 72 Ortschaften verschlang,
gebildet worden (im J. 1421); das jetzt trocken gelegte Haar-
lemer-Meer, die Zuide r- See, die Lauwer-See, der Dollart
eind ebenfalls durch grosse Ueberschwemmungen, deren man seit
dem 6. Jahrhunderte an 190 zahlt , entetanden. Die Anlage und
Unterhaltung der Deiche haben in Holland einen besonderen Zweig
der Wasserbaukunst entstehen lassen, von welchem die ganze Exi-
stenz des Landes abhangig ist.
Gewftsser. Der Westen und Norden des Landes werden
von der Nordsee besptilt , welche die Zuider-See und den Dol-
lart in das Land schneidet. — Unter den fliessenden Gewassern
nehuien die fiinf Hauptmfindungen des Rhein den ersten
Rang ein : Rhein (krummer und alter Rhein), Yssel (spr. Eissel),
Vecht mit Amstel , Leek und Waal. — Siehe §. 43. Seite 51. —
Dann die drei Hauptmundungen der Maas (siehe Seite 51),
und zwei Hauptmundungen der Schelde (siehe Seite 51).
Endlich hat das Land sehr viele Seen , Siimpfe und Moore , so
dass es ein insulares Reich zu sein scheint, Eine staunenswerthe
Menge von Kanalen, welche das Land nach alien Richtungen
durchschneiden , dient nicht bios zur Entwasserung des Landes ;
viele sind so breit und tief, dass sie zur Schiffahrt dienen und
alle sind mit Schleussen (Siehlen) versehen. Der Hauptkanal (der
bedeutendste in Europa ) ist der No o rdhollan dsc h- Cana 1
vom Helder (an der Nordspitze von Nordholland) bis Buiksloot
(gegeniiber von Amsterdam) , auf welchem jahrlich fiber 5000 See-
schifFe fahren *). Ein Kanal verbindet Rotterdam, Delft, Leiden,
Haarlem und Amsterdam.
Das Klima ist oceanisch mit ziemlich kuhlem Sommer und
gelindem Winter. Die grosse Waesermenge bedingt eine sehr feuchte
Luft mit dichten Nebeln (die Herbetnebel heissen wNichtu) und
vielen Regentagen. Im slidOstlichen Theile ist es weniger feucht
und gesuuder.
Politische Eintheilung. Das Konigreich der Niederlande
wird in 11 Provinzen, diese werden in Bezirke und letztere in
Kreise eingetheilt ; die Verwaltung geschieht durch Provinzial-
staaten.
Bemerkenwerthe Orte : **)
1. Still-Holland : H a a g (der Haag, s'Gravenhage, 75.000), Scheveningen
(S'cheveningen), Leyden, Katwijk, Delft, Gonda (Chauda), Gorkum (Gorkomm),
Dordrecht, Rotterdam, Schiedam (S'chihdam), Vlaardingen, Helvoetsluis (Helvutsleus);
Die In s ein: Ysselmonde (Eisselmonde), Beyerland, Land van Voorn, Suid-
Voorn, (Seud-Vohrn).
2. Nord-Holland : Amsterdam (260.000;, Haarlem, Zaandam (Sahndam
oder Saardam), Broek (Bruck), der Helder.
*) Er ist von Blanken vom Jahre 1819 bis 1825 mit einem Kostenaufwande
von 6,800.000 Thalern gebant worden, ist 14 Stunden lang, 120' breit, 20' tief, zwei
Fregatten konnen nebeneinander auf demselben fahren. Die Schleussenthore am
Eingange sind die grossten, die es gibt; er hat zehn Schleussenwerke, Schifife pas-
siren ihn in 18 Stunden; im Winter muss er oft aufgesagt werden.
**) Die bedeutend abweichende Ausspracho ist in der Ktamm er angegeben.
312
3. Zeeland (Seeland) : Mehrere bewohnte, fruchtbare Tnseln innerhalb der
Schelde-Mundungen : Middelburg (16.000) auf Walcheren, Vliessingen.
4. Nord-Brabant: Herzog enbusch (s1 Hertogenbosch, 22.000), Tilburg,
Breda, Bergen-op-Zoom.
5. Geldcrn: Arn hem (25.000), Nymwegen, Zutpben, Het Loo (das Loo).
6. Utrecht: Utrecht (50.000), Amersfoort, Rheaen.
7. Over-Yssel: (Over-Eissel) : Z wo lie (20.000), Deventer (Demter oder
Devnter), Kampen, Almelo.
8. Drentlie: As sen (5000), Meppel.
9. Friesland: Leeuwarden (Lohwarden, 24.000), Dokkum, Harlingen;
die Inseln: Ameland, Schiermonnikoog.
10. (ironingen : Groningen (35.000); die Inseln: Boosch-Plaat, Rottum.
11. Limburg; Mastricht (22000), Venloo, Koermond (Rurmond).
12. Luxemburg: Luxemburg (11.000), Diekirch, Echternach.
Der wichtigste Platz ist Amsterdam mit einem geraumigen tiefen Hafen,
beruhmten Schiffswerften, der Hauptmarkt fur Getreide, franzosisr.he Rothweine,
americanische Tabakblatter und alia Kolonialwaaren. Vorzuglich bedeutend ist das
Wechselgeschaft, und der Handel in Staa tspapieren ist nnr in London und
Paris von gleicher Wichiigkeit. Ein grosses Entrepot mit 60 Waarenbausern, in
welchen solche Waaren unentgeltlich geloscht werden kOnnen, die als Transitwaaren
weiter gehen, befordert den Zwischenhandel. Eine mannigfaltige Industrie, Handels-
gesellschaften, Geldinstitnte, wissenschaftliche, technische und kommerzielle Anstalten
beleben den gesammten Handel. Die Stadt ist an der Amstel und dem Y (Ei) mit-
tels Pfahlwerks auf 90 moorigen Inselo, die dnrch 290 iiber die zablreichen
Kanale oder Grachten fuhrenden Brucken verbunden sind, in Form eines Halbmondes
erbaut. KOnigl. Sehloss, Stadthaus, Borse, Admiralitatsgebaude; zahlreiche Kirchen,
Bethauser und Synagogen. K6nigl. Institut der Wissenschaften und Kiinste, Athe-
naum, Seemannsschule, Kunst- und Naturaliensammlung, grosse Hospitaler, Armcn-
und Waisenhanser. Bedeutende Diamantenschleiferei und Diamantenhandel. Von
fast gleicher Bedeutung ist der Grosshandel in Rotterdam, erst seit dem Aufhoren
der Kontinentalsperre und der Trennung von Belgien stets im Wachsen, und zwar
in den gleichen Artikeln wie Amsterdam. Die Stadt, als Sitz der niederlandischen
Dampfschiffahrtsgesellschaft, unterhalt bedeutenden Verkehr mit den europaischen
und transatlantischen Hafen, und die vielen Kanale, welche die Sta.lt durchschneiden,
tragen grosse Seesehiffe in die verschiedenen Stadttheile. Wichtig sind die Fabriken,
namentlich die Zucker- und Salzraffinerien, Tabak-, Papier-, Nadeln-, Korkpfropfen-,
Bleiweiss-, Seifenfabriken u. a. Dordrecht unterhalt Schiffahrt und Handel auf
dem Rhein nach Deutschland, hauptsachlicher Platz far den Holzhandel. Haarlem
hat den bedeutendsten Handel in Leinwand und Blumen.
Kulturverh^ltnisse im Allgemeinen.
Die Einformigkeit des Bodens bedingt auch Einformigkeit
in der Pflanzenwelt. Von der Gesammtflache sind etwa zwei Drittel
kultivirtes Land, von dem letzten Drittheil entfallen iiber 70 LJM.
auf Gewasser, Wege u. e. w. und fiber 140 QM. sind unkultivirtes
Land ; doch mindert sich die Grosse des Letzteren fortwahrend
durch das riistig fortschreitende Entwassern von Sumpfen und
Seen , und seitdem die Drainage in den nordlichen Provinzen
grosse Fortschritte macht. Wo es das Terrain gestattet wird die
Bodeiikultur musterhaft sorgfaltig betrieben. Was Fleiss und
Kunst einem diirftigen Boden abzugewinnen vermogen , das ist in
Holland geschehen, und dieses zum Theil dem Meere abgewonnene
Land ist durch die ausdauernde , intelligente Betriebsamkeit seiner
Bewohner vielfach in einen Garten verwandelt worden. Dessen-
ungeachtet kann die Produktion des Landbaues den Bedarf der
relativ dichten Bevolkerung nicht decken. Am bliihendsten ist
der Ackerbau in Zeeland, vorzuglich der Weizenbau, zunachst
313
stehen der Roggenbau in Friesland und Hafer in Groningen ;
auch in Nordbrabant , Geldern und Limburg wird der Feldbau
sorgfaltig gepflegt. Ein ansehnlicher Theil der Bodenflache wird
zum Anbau von Handelspflanzen, namentlich Tabak, Hanf,
Flachs und Krapp beniitzt; Tabak wird zumeist gebaut in Ut-
recht und Geldern (Jahresproduktion an 14 000 Zentner), Flachs
um Dordrecht , in Zeeland, Geldern, Groningen und Luxemburg ;
Hanf in Slid - Holland ; Krapp auf den Maas- und Scheldeinseln
und im westlichen Brabant. Eiu Hauptzweig der physischen
Kultur ist die theils wegen des Gewinnes, mehr noch aus Liebhabe-
rei betriebene Blumenzucht, besonders grossartig in Haar-
lem, Leyden u. a. O. — An H o 1 z ist das Land sehr arm ; die
Stelle des Brennholzes vertritt der Torf, den Bedarf fur den
Deich-, Hauser- und Schiffbau liefern der Schwarzwald und die
Ostseelander.
Einen grossen Reichthum hat das Land in der Rindvieh-
zucht , und Butter und Kase sind die bedeutendsten im Lande
gewocnenen Handelsartikel. Die fetten Weiden , namentlich in
Friesland, Nord- und Siidholland, der Fleiss und die grosse Rein-
lichkeit befb'rdern ausserordentlich diesen Erwerbszweig. Im Jahre
1856 betrug die Kaseerzeugung an 115.000 Zentner, wovon etwa
5% im Lande konsumirt und um nahe 20 Millionen Gulden expor-
tirt ward. Grosse Kasemarkte sind in: Alkmaar, Edam, Hoorn,
Gouda etc.; die meiste und beste Butter liefern Leyden, Delft und
Friesland. Die Zucht der Pferde, Schafe und Bienen ist nicht er-
heblich. Ein bedeutender Nahrungszweig ist seit Jahrhunderten
die S ee f i sche rei, insbesondere der Haringsfang an der englischen
und schottischen Kiiste. Trotz der erwachten Konkurrenz der iibrigen
Nord- und Oetseestaaten gelten die hollandischen Haringe doch fiir die
besten, da die Hollander die Zubereitung am besten verstehen, das beste
(spanische und portugiesische) Salz verwenden und ausserst piinkt-
lich und sauber dabei zu Werke gehen. Im Jahresdurchschnitt
der letzteren Zeit belief sich die Menge der Haringe iiber 60 Mil-
liouen und der Werth des Exportes jahrlich wohl an 600.000 Gul-
den. Der Sammelplatz der Haringsfauger ist Vlaardingen, das
die meisten Fahrzeuge (Buizen) aussendet. Die Ruckkehr vom
Fischfange ist mit vielen nationalen Festlichkeiten und alten Ge-
brauchen verbunden. Aus tern fangt man bei Schouwen und Texel,
der Sto ckf isch fang wird an der Doggersbank vor der englichen
Kiiste, der Wallfisch- und Robbenfang in den beiden Eis-
meeren betrieben.
An Miueralien ist das Land arm, selbst Bausteine und gutes
Trinkwasser fehlen in vielen Gegenden. Nur Ziegel- und Topfer-
thon wird viel gewonnen , dann Pfeifen- und Fayencethon. Die
Hauptausbeute ist vorziiglicher Torf. Salz wird importirt. In
Luxemburg, dessen gutbewasserter Boden sehr fruchtbar ist,
und reichen Ertrag an Getreide, Hanf, Flachs, Riibeamen und et-
was Wein liefert , ist auch die Gewinnung von Eisen, Blei und
Schiefer von einigem Belange.
In der gewerblicheu Industrie werden die Niederlnnde von
314
Belgien weit ubertroffen ; die Niederlande sind keinFabriks-
land, obwohl manche Industriezweige sehr bliihend sind und die
Handwerke uberall grosse Fortschritte machen. Der alteste und
wichtigste Zweig ist die Lein en Industrie, und hollandische Leinen
behaupten den Ruf der feinsten und weissesten. Beriihmt ist hierin
Haarlem, unerreicht in eeinen Bleichen und dem Spitzenzwirn, dann
Herzogenbuseh und Umgegend , Almelo in Over-Yssel und andere.
Viel Segeltuch, Taue und dergleichen werden in Zaardam, Amster-
dam und in andern Seeplatzen erzeugt. Ausgezeichneten Ruf ge-
niessen die hollandischen oder niederlandischen Tuche, doch hat
die Wollindustrie in der Quantitat abgenommen und ist meist nach
Belgien iibersiedelt. Feine Tuche erzeugen Tilburg, Leyden, Delft,
Utrecht. Die Baumwollfabrikation ist ziemlich verbreitet, beson-
ders in Over-Yssel; die S e i d e n fabriken sind nicht sehr erheblich
(Haarlem, Amsterdem, Breda). In der Pa pie rerzeugung behaup-
tete Holland ehemals den ersten Rang in Europa, und ^hollandische
Leinwand", — whollandisches Tuch", — ^hollandisches Papier"
galten fur die besten. Gegenwartig bestehen iiber 130 Fabriken im
Lande, welche noch immer sehr geschatzte Waare auch fur den
Export liefern. (Wapenvelde in Geldern, zu Apeldoorn, zu Epe,
Zaardam, Grb'ningen, Leeuwarden erzeugen schones Postpapier, in
Over-Yssel Druckpapier, um Leyden und Gouda Packpapier). —
Ko rnb rann tw ein- und Genevre- Brennereien erzeugen viel-
leicht eine Million Eimer, wovon fast zwei Drittel zum Export nach
England und Australien kommen. In Schiedam bestehen iiber
170 Brennereien, dann in Weesp, Rotterdam, Dordrecht, Delft
u. a. m. Die T a b a k fabriken von Amsterdam und Rotterdam, die
Zucker fabriken in den genannten zwei Stadten, sowie in Dord-
recht, Utrecht, Zwolle sind ausgedehnt. Gouda und Gorkum lie-
fern die besten europaischen Thonpfeifen, wovou bei der gros-
sen Liebhaberei des Tabakrauchens enorme Mengen im Lande selbst
abgesetzt werden. Fiir die Le derfabrikation ist der Hauptort
Mastricht, in der Diamant schleiferei ist Amsterdam weltbe-
rQhmt. Von hoher Wichtigkeit ist der Schiffbau; unter den
mebr als 600 Werften sind die bedeutendsten zu Amsterdam, Rot-
terdam, Zaardam, Dordrecht und Vliessingen. Ausgezeichnet wegen
der Dauerhaftigkeit und Schnelligkeit sind die hollandischen Ost-
indienfahrer. Den Schiffsbedarf (Segeltuch, Taue, Anker, Pumpen
etc.) bereiten alle Kiistenprovinzen.
Der Handel Hollands ist sehr bedeutend, namentlich zur See
grossartig. Holland ist zwar vonderHOhein der Mitte des 17. Jahr-
hundertes, zu welcher Zeit es die erste Handelsmacht Europa's ge-
wesen, herabgekommen ; allein Beit der Trennung von Belgien ist
der Handel des Landes wieder im Steigen. Die ^Ostindische
Handelscompagnie" (seit dem Jahre 1602), — die MWest-
indische H an dels comp ag nie" (seit 1621), — die ^nieder-
land'ische Handel - Maatsch ap py" (spr. Maatskappei , seit
1824), — der im Jahre 1824 abgeschlossene Vertrag mit England
zur Regelung der beiderseitigen Kolonialverh<nisse, — die durch
Gouverneur Bosch auf Java eingefiihrten prinzipiellen Verbesse-
315
rungen in der Verwaltung und Bodenkultur, — der liberals Zoll-
tarif bei der Einfuhr, — die Neigung und Kraft des Volkes zu
grossartigen Unternehmungen und das zahe Ausharren bei densel-
ben; — diess Alles hat auf den niederlandischen Handel ausserst
wohlthuend eingewirkt. Amsterdam und Rotterdam vermit-
teln einen grossen Theil des europaischen Verkehrs mit Amerika,
Ostindien, China und Japan ; mit letzterem Staate standen bis in die
jungste Zeit nur die Hollander in Handelsverbindung. Als See-
platze sind noch bekannt Vliessingen, Dordrecht ( Holzhandel),
Middelburg, Leyden, Utrecht, Nymwegen, Groniogen. Die Han-
delsflotte zahlt iiber 2230 grossere Fahrzeuge mit mehr als 550.000
Tonnen. Die Maas und Schelde verbinden das Land mit Belgien,
der Rhein mit Deutschland , wohin der Verkehr am lebhafte-
sten von Rotterdam aus gent , der durch Vertrage mit den deut-
schen Zollvereinstaaten unterstiitzt wird. Zahlreiche regelmassige
Dampfschiffahrts verbindungen unterhalten Amsterdam und
Rotterdam nach London, Hull, Havre, den Hanseestadten u. s. f.
Gegenetande der Ausfuhr sind : Leinwand, Wollenstoffe,
Rindvieh , Butter, Kase (vorzuglich nach England), Samereien
und Blumen, Krapp , Fische, Kolonialwaaren (nach Deutschland)
u. a. m. (Im Jahre 1856 im Werthe von 300 Millionen Gulden.)
— Zur Einfuhr kommen : Kaffee (Java und Westindien, im
Jahre 1859 fiber 1 Million Ballen und 2883 Fasser), Thee, Reis,
Zinn , Indigo, Zucker , Gewurze (aus den Kolonien), Getreide,
Hanf, Bauholz (aus Deutschland und Nord-Europa), Steinkohlen,
Metalle und Metallwaaren, Webewaaren, Wein, Stein- und Seesalz,
Porzellan , Glas u. a. m. (im Jahre 1856 um mehr als 350 Millio-
nen Gulden).
Der Binnenhandel wird gefordert durch die grosse Menge
von Kanalen, durch schiffbare Fliisse, durch das Eisenbahnnetz,
welches Rotterdam, Haag, Leyden, Amsterdam und Utrecht ver-
bindet, und von da fiber Arnheim nach Deutschland fiihrt, durch
zahlreiche Geldinstitute , Borsen, Handels- und Schiffahrtsschu-
len u. s. f.
Die Hollander haben die Vorziige und Schattenseiten eines
echten Kaufmannsvolkes; der Volkscharakter hat durch den fort-
wahrenden Kampf mit der Natur ein festes Geprage bekommen.
Phlegmatiech, kalt berechnend, sparsam, unternehmend und aus-
dauernd liebt der Hollander Ordnung und Reinlichkeit bis in das
Kleinliche, er fiihlt sich als Herr des Landes, das er miihsam dem
Meere abgetrotzt. Er halt auf Zucht und strenge Sitte, hangt am
Alten, liebt sein Vaterland, und die Wohlbehabigkeit gibt ihm das
Bewusstsein von Sicherheit und Unabhangigkeit. Dieses thatkraf-
tige und arbeitsame Volk let in der geistigen Kultur weit fortge-
echritten; die zahlreichen Volksschulen eind gut eingerichtet, treff-
liche wissenschaftliche und Kunstanstalten und Sammlungen, vor-
zuglich in der Residenz Haag , beleben stets den Sinn fiir das
Schone und Grosse. Das Land hat zu jeder Zeit ausgezeichnete
Manner beseesen, welche als Kunstler, Gelehrte, Staatsmanner und
Seehelden den Ruhm des Vaterlandes erhoht haben.
816
X. Das Kftnigreich Grossbritannien.
1. in Europa.
2. Kolonien*)
3- „
4.
5-
§, 145. Bestandtheile. Bevolkerun
Konigreich England und Fiirstenthum Wales
Schottland
S-
Geograph.
QMeilen Einwohner
2743" 19^520.000
1445 3,094.000
1533 6,552.000
18 311.000
55 400.000
Irland
Inseln in den britischen Meeren (nebst Armee
Schutzstaat: jonische Inseln, dann Gibraltar,
in Asien (nebst den Schutzstaaten). ...*..
„ America (nebst den Hudsonsbai-Lan-
dern)
5794 29,877.000
63.860 182,000.000
200.000 4,400.000
6403 860.000
21387 1,000.000
„ Anstralien
Gesammt-Monarchie .
297.444 218,137.000
Zwei Drittheile der BevOlkerung gehoren dem germanischen Stamme an
(das englische Volk), ein Drittel besteht aus Cambriern, Walisern, Galen und Iren,
auf den normannischen Inseln wohnen Franzosen. Die Qberwiegende Menge ist pro-
testantisch, doch wohnen auch viele Katholiken, insbesondere ist Irland der katholi-
schen Kirche treu ergeben. Sehr zahlreich sind die Dissenters (= Andersdenkende).
Israeliten gibt es im ganzen Reiche. — Untheilbare, konstitutionelle Erbmonarchie
in der jungeren (hannoveranischen) Linie des welfischen Hauses Braunschweig.
Das Oberhaupt des Reiches ist zugleich Oberhaupt der anglikanischen Kirche.
Boden. Die Insel Grossbritannien hat zum grosseren
Theile eine wellige Oberflache; der ostliche Theil ist Flachland,
im Westen und Norden herrscht der Gebirgscharakter vor. Das
Bergland besteht aus mehreren Gruppen, welche durch Hiigelreihen
unter sich in Verbindung stehen. Diese Gebirgsgruppen sind : das
Bergland von Corn wall (Karn'ual) **) auf der siidwestlichen Halb-
insel bis zum Cap Landsend ; — das Hochland von Wales (Uels);
— das nordliche Gebirgaland und zwar westlich das Bergland von
Cumberland (Kommberland), ostlich das Peak- (Pihk-) Gebirge ;
als Grenzgebirge zwischen England und Schottland dasCheviot-
(Tschiwiott-) Gebirge. Im Norden des Letzteren liegt das schot-
*) Asiatische Besitzungen: Indo-britisches Reich: die Prasidentschaften
Bengalen, Madras, Bombay, die Inseln Ceylon, Labuan, Hong-Kong, Halbinsel Aden,
Insel Perim, Sarawak auf Borneo.
Americanische: General-Gouvernement Canada, die Gouvernements : Neu-
braunschweig, Neuschottland, Prinz Eduards-Insel, Neufoundland mit den Kusten von
Labrador, Gebiet der HudsonsbaUCompagnie mit dem arktischen Archipel, die Gou-
vernements : Columbia, Bermuda, Jamaica mit Honduras und dem Mosquitogebiete,
St. Christoph, Antigua, Dominica, St, Lucia, St. Vincent, Grenada, Barbados, Tabago,
Trinidad, Bahama-Inseln, Guayana, Falklands- Insel, Staatenland.
Africanische: General-Gouvernement : Kapland, Gouvernements : Natal, Gam-
bia, Sierra Leona, Goldkuste, St. Helena, Mauritius (Sechellen, Amiranten, Tschagos-
Archipel).
Australische: Gouvernements: Neu-Sad-Wales, Victoria, Sfld-, West-,
Nord-Australien, Tasmania (Vandiemens-Land), Neu-Seeland.
**) Die annahernd bezeichnete Aussprache ist in der Klammar einge-
schlossen.
317
tische Niederland oder die Lowlands (Loh'lands), aus welchem
sich Hochschottland erhebt, bestehend aus dem Grampian-
(Grampian-) und dem nord-kaledonischen Gebirge, und der
schottischen Spalte zvvischen beiden. — Die Insel Irland ist ira
Innern Tiefland , aus welchem sich namentlich an der Nord- und
Westkiiste einzelne Berggruppen erheben, die jedoch nirgends eine
grossere, geschloesene Gebirgsgruppe bilden.
Gewas.ser und Kliina. Die beiden Inseln werden vom at-
lantischen Ocean und seinen Theilen (der Nord see, dem Ca-
nal mit derStrasse von Dover oder Calais, und der irischen
See mit dem St. Georgs- und dem Nord - Kanal) bespiilt,
hff1fM1 tfTM^P TVfpprKnaon unrl polir* /TdVilT-oinVio BnphfPP ifntl
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I. Ktinigreich England zerfiel (vom Jabre 455-827) in 7 angelsachsisehe
Konigreiche, gegenwartig wird es in 40 Counties eingetheilt.
1. KSnigreich Essex (2 Grafschaftsn : Middlesex [Middlseix] und Essex):
London (2,880.000), Colchester (Koltschestr), Harwich (Harritsch);
2. KonigrcichOstangeln (3 Grafscbaften : Suffolk (SGffok), Norfolk (Muarfok),
Cambridge (Kehmbridsch) :
Ipswich (Ipsuitsch), Norwich (Noaritsch, 70.000), Cambridge (30000),
Newmarket (Njumarket) ;
3. K6nigreich Merc i a • (Merssih , — 19 Grafschaften : Buckingham (BOckingam),
Oxford (OaksfOrrd), Gloucester (Glosstr), Monmaoth (Mannmots), Hereford (Herri-
316
X. Das Kdnigreich Grossbritaimien.
§, 145. Bestandtheile. BevOIkerung.
1. in Europa. Konigreich England und Fiirstenthum Wales 2743
„ Schottland 1445
Irland 1533
Inseln in den briiischen Meeren (nebst Armee
und Flotte) 18
Schutzstaat: jonische Inseln, dann Gibraltar,
Helgoland, Malta etc 55
Geograph.
QMeilen Einwohner
19,520.000
3,094.000
6,552.000
311.000
400.000
2. Kolonien*)
3.
5794 29,877.000
in Asien (nebst den Schutzstaaten) •. . 63.860 182,000.000
„ America (nebst den Hudsonsbai-Lan-
Trinidad,
_,
a, Bahama-Inseln, Guayana, Falklands-Insel, Staatenland.
Africanische: General-Gouvernement : Kapland, Gouvernements : Natal, Gam-
bia, Sierra Leona, Goldkiiste, St. Helena, Mauritius (Sechellen, Amiranten, Tschagos-
Archipel).
Australische: Gouvernements: Neu-Sad-Wales, Victoria, Sfid-, West-,
Nord-Australien, Tasmania (Vandiemens-Land), Neu-Seeland,
**) Die annahernd bezeichnete Aussprache ist in der Klammer einge-
schlossen.
817
tische Niederland oder die Lowlands (Loh'lSuds) , aus welchem
sich Hochschottland erhebt, bestehend aus dem Grampian-
(Grampian-) und dem nord-kaledonischen Gebirge, und der
schottischen Spalte zwiechen beiden. — Die Insel Irland ist im
Innern Tiefland , aus welchera sich namentlich an der Nord- und
Westkiiste einzelne Berggruppen erheben, die jedoch nirgends eine
grossere, geschlossene Gebirgsgruppe bilden.
Gewas.ser und klinuv. Die beiden Inseln werden vom at-
lantischen Ocean und seinen Theilen (der Nord see, dem Ca-
nal mit derStrasse von Dover oder Calais, und der irischen
See mit dem St. Georgs- und dem Nord - Kanal) bespiilf,
welche bedeutende Meerbusen und sehr zahlreiche Buchten und
Hafen in das Land schneiden, wodurch Schiffahrt und Handels-
verkehr ungemein begiinstigt werden. — (Siehe S. 12 und §. 15.
S. 14, Nr. 1-5.)
Die Flusse ergiessen sich theils in die Nordsee, theils in
den Ocean. Zu den ersteren gehoren : die T h e m s e , Gross-
britanniens wichtigster Fluss mit ungemein starker Dampf- und
Segelschiffahrt , — der H u m b e r ( Ho'mmbr ) , der Tweed
(Tuihd), der Forth (Fohrts) und der Tay (Teh); — zu den
letzteren : der Severn (Sewern) und in Irland der S h a n o n
(Schannonn).
Das Land hat endlich viele aber kleine Seen, zumeist in
C um beriand und Wes tmo reland (Uest'morland), dann Sumpfe
und Moore.
Das Inselklima Grossbritanniens ist ziemlich gleichfb'rmig
mit nicht sehr grossem Temperaturwechsel. Der Winter ist ver-
haltnissmassig milde , der Sommer nicht gar heiss ; der Himmel
ist in der Regel triibe, dichte Nebel mit grosser Feuchtigkeit und
vielem Regen sind haufig. Der Schnee bleibt nur in den hoheren
Berglandschaften langer liegen ; wegen der grossen Feuchtigkeit
ist die Insel den grossten Theil des Jahres mit saftigem Grim
bekleidet.
Politische Eintheilung. Das Konigreich Grossbritannien
besteht in Europa aus den Theilen: 1. Konigreich England,
2. Furstenthum Wales, 3. Konigreich Schottland, 4. Konig-
reich Irland und 5. den europaischen Nebenlandern. —
Das Reich ist in Counties (Kauntis) oder Shires (Shihrs) , das
ist Grafschaften, eingetheilt. Nebstbei sind noch alte Einthei-
lungen im Gebrauche.
I. Kunigreicll England zerfiel (vom Jahre 455-827) in 7 angelsachsische
K6nigreiche, gegenw§rtig wird es in 40 Counties eingetheilt.
1. KOnigreich Essex (2 Grafschaftsn : Middlesex [Middlseix] and Essex):
London (2,880.000), Colchester (Koltschestr), Harwich (Harritsch);
2. KonigrcichOstangeln (3 Grafscbaften : Suffolk (Sfiffok), Norfolk (Noarfok),
Cambridge (Kehmbridscb):
Ipswich (Ipsuitsch), N orwich (Noaritsch, 70.000), Cambridge (30000),
Newmarket (Njamarket) ;
3. KOnigreich Merc i a • (Merssih , — 19 Grafschaften : Buckingham (BOckingam),
Oxford (OaksfOrrd), Gloucester (GlosB'tr), Monmanth (Mannmols), Hereford (Herri-
318
fb'rrd), Shropp oder Salopp (Sallopp), Chester (Tschestr), Derby, Nottingham
(Noattingamm), Lincoln (LingkOnn), Huntingdon (HOnntingd'n), Bedford (Bed-
fOrrd), Hertford (Harforrd), Northampton (Noatsammt'n), Rutland (R6ttland),
Leicester (Lestr), Stafford (StaffOrrd), Worcester (Wnster) Warwick):
Buckingham, Oxford, Gloucester, Bristol (137-000), Monmauth, Hereford
(40000), Shrewsbury, Chester (54.000), Macclesfield (Makkelsfield,
64.000), Stockport (92000), Derby (44.000), Nottingham (60.000),
Birkenhead, Boston, Lincoln (43.000), Huntingdon, Bedford, Hertford, Nort-
hampton, Oakham, Leicester (Gl.OOO.i, Stafford, Worcester, Warwick,
Birmingham (233.000), Stratford, Etruria (the Potteries);
4. KSnigreichNorthumberland (Noahr tsOmberland) mit 6 Grafschaften : York,
Lancaster (Lankastr), Westmoreland (Uest'morland), Cumberland (Kommberland),
Durham (DOrramm), Northumberland);
York (60.000), Hull (HOll, 60.000), Leeds (Lihds, 172000), Huddersfield
(HSddrsfild), Halifax (Hiillifax), She ffield (135.000), Lancaster, Man-
chester (Manntschestr, 303000), Liverpool (Liwerpuhl, 376.000), Pres-
ton (100.000), Oldham, Carlisle (Karleil), Durham (57.000), Newcastle
(Ninkasl, 140000);
5. KOnig veich Kent (gleichnamige Grafschaft): Canterbury (Kanterberri),
Greenwich (Grihnitsch, 100.000), Woolwich (Wulitsch), Clmtam (Tschattam),
Dover (30.000);
6. KOnigreich Sussex (Sossex, 2 Grafschaften: Sussex, Surrey [S6rri]):
Chichester (Tschitschestr), Brighton (Breitn, 66.000), Hastings (Hehstings),
Guilford, Richmond (RitschmSnd) ;
7.K6nigreich Wessex (7 Grafschaften): Berk, Wilt, Southampton (Saut-
sammtn), Dorset, Sommerset, Devon (Divn), Cornwall:
Reading (Redding), Windsor (UindsSrr), Salisbury (Sahlsberi), Winchester
(Uintschestr), Portsmouth (Pohrtsmots), Spithead (Spitthed), Insel Wight
(Ueit), Southampton, Dorchester, Bath (Bats, 70.000), Exeter, Plymouth
(PlimmSts, 84.000), Launceston (Lahnstn), Falmouth (Fallmots).
II. FurstentllUin Wales (12 Grafschaften): Pembroke, Kard iff (47.000),
Merthyr Tydvil (80000), Swansea (Suansi 48000), Caermarthen (Karmartsen),
Holywell (Halliuell), Insel Anglesea (Anglsi), Insel Holyhead (Hollihed).
III. Konigreich Schottltuid (33 Grafschaften):
a)Sudschottland (19 Grafschaften): Edinburgh (200000), Leith (Lits),
Glasgow (Glasko, 334.000), Paisley (Pesli, 50.000), Greeaock (Grinoc.k,
40.000), Kilmanok;
b)Mit tel - Schottland (8 Grafschaften): Perth (Perts 24.000), Dundee
(Donndi 80.000), New-Aberdeen (Nju-Aberdihn 73.000).
c) Nord-Schottland (6 Grafschaften): Inverness (17.000), Wick.
Die Inselgruppen:
a) Hebriden. — An 50 Inseln, von etwa 85.000 Menschen bewohnt, die sich
vom Fisch- und Vogelfang und der Viehzncht nahren. Die gr6ssten sind :
Jona (Dschona) oder Icolmkill (EikOmkill), Staffa (Staffa; — Fin-
galshShle), Skye (Skih), Lewis (Lnhis).
b) Orkney's oder Orkaden. — Auf den 29 bewohnten Inseln leben an
32.000 Einwohner von der Rindvieh- und Schafzucht, Fischzucht und dem
SeevSgelfang. Auf der Insel Pomona liegt die Hauptstadt Kirk wall
(Kerkuall, 3000). Sehr feuchtes aber mildes Klima, viele Stfirme, hanfige
Gewitter und Nordlichter im Winter.
c) Shetland -Inseln. — Auf den 17 bewohnten Inseln leben etwa 31.000
Einwohner. Klima und Nahrungsquellen wie auf den Orkaden. Auf der
grOssten Insel Mainland (Mehnland) liegt die Seestadt Lerwick (3000),
der Saranoelplatz der englischen, holiandischen und danischen Haringstischer.
IV. Ktinigreicll Irland. Es zerfallt in 4 Provinzen und 32 Grafschafien:
l.Provinz Leinster (Linnster, mit 12 Grafschaften) : Dublin (280.000), Wex-
ford (Uexf6rrd), Drogheda (Drachida), Kilkenny;
2. Provinz Ulster (Glister, mit 9 Grafschaften); Down Patrick (Dann
Patrik), Belfast (Bellfast, 100.000), Londonderry (Lond'nderri) , Armagh
(Armah) ;
3. Provinz Connaught (Cannaht), mit 5 Grafschaften): Sligo (Sleigo), Cast-
lebar (Kasslbar), Qalway (Gallueh), 25.000);
819
4. Provinz Munster (MCnnster, mit 6 Grafschaften) : Limerik (56.000), Cork
(Kahrk. 87.000), Waterford (Uaterf6rrd, 30.000).
V. Europ&ische Nebeniander.
1. Insel Man (Mann) in der irischen See, mit 53000 Einwohnern^ metallreiche
Berge, Seehandel; Hauptort: Casteltown (Kassltaun, 4000);
2.Scill7- (Silli-) Inseln, mehr als 1200 Felsklippen, von 3000 Briten bewohnt.
Hauptort: New town (Njuhtaun) auf der Insel St. Mary;
3. Normannische Inseln, 4 grossere, viele kleinere, von 91.000 Franzosen be-
wohnt und in 2 Gonvernements eingetheilt: a) Guernsey (Gernsi). Hauptort:
St. Pierre (20.000), b) Jersey (Dschersi). Hauptort: Sain t - Hellier
(22.000);
4. Insel Helgoland (in der Nordsee, vor den Miindnngen der Elbe und Weser),
mit der gleichnamigen Stadt, 3000 Einwohnern nnd stark besuchtem Seebad.
Die Bewohner treiben Fischerei, Schiffahrt nnd Lootsendienst ;
S.Gibraltar, Festung und Hafenstadt an der Sudspitze von Spanien. 20.000
Einwohner, starker Schleichhandel mit englischen Manufakten nach Spanien >
6. Malta-Inseln: Malta, Gozzo, Comino, Cominotto, mit 130.000 Einwohnern.
Sehr fruchtbar, liefern Baumwolle, Siidfrflchte, selbst Znckerrohr. Auf Malta
Hauptort: La Valetta (60.000), sehr starke Festung, wichtige Flottenstation
der Briten, grosser Seehandel.
Unter den vielen bedentenden Stadten Grossbritanniens verdienen besondere
Hervorhebung :
London, an beiden Ufern der Themse, im Mittelpunkte der reicbsten nnd
fruchtbarsten Provinzen, mit fiber 21/, Mill. Einwohnern*), Residenz- und Hauptstadt
des britischen Reiches, der grosste und reichste Handelsplatz der Erde. Stadttheile:
Westminster und Westend, Sitz des Hofes, des hohen Adels, des Parlamentes
und der hodmen StaatsbehOrden, —City, Handelswelt, Geld- und Creditinstitute, —
Southwark, eigentlicher Fabriksbezirk, — East-End ist der erste Seehafen des
Landes mit seinen Docks, Schiffswerften, Lagerhausern u. a. f. Wenig grosse Privat-
palaste, aber viele prachtvolle Offentliche und Staatsgebaude : Paul s- Kirche, West-
minsterabtei mit den Monumenten der KSnige und bernhmter Manner, die k. Palaste
St. James nnd Buckingham (Residenz), Westminsterhall, der oberste Gerichtshof ; die
neuen Parlamentshauser; der Tower, friiher Staatsgefangniss, jetzt Zeughaus, Manze,
Reichsarchiv, Juwelenkammer u. s. w. ; das britische Museum mit Kunstgegenstanden,
Naturalien, Handschriften und Bflchern; das ostindische Haus; fiber 500 Gebaude
fiir den Gottesdienst. Ueber die Themse ffihren 7 Bracken, und unter derselben
der Tunnel (1843 vollendet). — Mittelpunkt des geistigen Lebens, viele gelehrte
Gesellschaften, Universitat, polyt. Institut, fiber 4000 Erziehungsanstalten, 18 oft'ent-
liche Bibliotheken. — Viele Humanitatsanstalten, 107 Armenhiiuser, 22 Kranken-
hauser, Waisen-, Irren-, Invalidenhauser; fiber 100 wohlthatige Gesellschaften. —
Industrie im grossartigsten Massstabe in Gold- und Silberwaaren, Dhren, optischen
und physikalischen Instrumenten, die kolossalsten Bierbrauereien der Erde n. v. a.
— Die City Mittelpunkt des Welthandels. Taglich laufen fiber 40 Schiffe ein, jahr-
lich fiber 10.000 Dampfer und Kfistenfahrer; der Zoll betragt jahrlich 120— 140 Mill.
Gulden, der Werth der Ein- und Ansfuhr an 700 Mill. Gulden. Nach alien Rich-
tungen laufen Eisenbahnen und Telegraphen aus. Die grossartigsten Institute ffir
Hebung des Hamlels ; Ostindische Compagnie, Hudsonsbai, Lloyd und viele andere
Gesellschaften ; die Bank von England ist das grfisste Institut dieser Art, fiber 70
Privatbanken, viele Assekuranz- nnd Aktiengesellschaften ; Stockborse, konigl. BOrse,
Kornborse, Clearinghouse (tagliche Versammlung der Commis der Banquiers zur
Abrechnung ; grosse Docks, Waarenhauser u. s. w. Belustigungsorte: 14 Theater,
St. James- und Hydepark, Vauxhall, Ranelagh u. a. Der Vorhafen von London ist
Gravesand, an der Themse-Mundung, mit dem Hauptzollamte; von Dover ist
die Hauptuberfahrt nach Frankreich (Calais in 3 Stunden).
Liverpool mit einer Menge grosser Docks (die altesten und schonsten in
England), Packetbootfahrten nach Nord- und Siidamerica, nach dem Mittelmeer, nach
Portugal, Irland, Schottland und mehreren englischen Hiifen; Tausende von Aus-
wanderern schiffen sich jahrlich hier ein. Handel mit Irland in Getreide, Mehl, Vieh ;
erst or Platz ffir den Baumwollhandel in Europa durch seine Verbindnng
*) Im J. 1801 zahlte die Stadt 958.000 Einw., — im J. 1811, 1,050.000; —
1831, 1,471.000; — 1851, 2,361.000; — 1860, 2,616.000 Einw.
mit Manchester (uber 800.000 Ballen), dann Tabak, Ausfuhr fur Twist etc. (9 Mil-
lionen £); bedeutender Handel nach Guinea; Salzhandel nach den Ostseelandern,
Thee von China; mit mehr als 16CO eigenen Schiffen nnd uber 14.000 besuchen
jahrlich den Hafen; Ein- nnd Ausfuhr im Werthe fiber 50 Millionen £.
Bristol nnterbalt sehr bedeutenden Handel mit beiden Indien; mehr als 300
eigene Schiffe.
Hull, mit grossen Schiffswerften nnd Docks, macht seine Hauptgeschafte mit
Russland, Skandinavien, Holland, Deutschland und Amerika, besitzt an 600 eigene
Schiffe nnd treibt starken Wallfischfang im gronlandischen Meere.
Glasgow, Centralpunkt fur schottische Banmwollo ; grosse Eisenausfuhr nach
Deutschland ; New-Port Glasgow ist mit dem Vorhafen Grunnock fur grosse See-
schiffe. Die Handelsrichtung geht vornehmlich nach Westindien, Nordamerica und
den Ostseelandern mit fiber 4000 Kauffahrern. (Das erste europaische Dampfschiff
wnrde hier im Jahre 1810 gebaut.)
Dublin (mit dem Hafen Kingston), Hauptplatz fur den Handel Irlands; 19
Assekuranzen ; grosser Verkehr mit Westindien, Nordamerica und Liverpool.
Wichtig sind noch fiir den Seehandel : Plymouth (nebst Devonport) mit dem
beruhmten Damme (Breakwater) vor dem Hafen nnd in der Nahe einer der herr-
lichsten Leuchtthurme ; im Frieden wird der Hafen zur Aufnahme eines Theiles der
Kriegsflotte verwendet. Southampton Haupthafen fur Frankreich und die Pyre-
naenhalbinsel, zugleich Londons Hauptstation fur die Packetboote nach Westindien
und dem Oriente; Whitehaven, Sunderland, Portsmouth und Portsea, Haupt-
kriegshafen Englands, in der Nahe die berfihmte Rhede von Spithead, wo sich grosse
Kriegs- und Handelsflotten vor dem Auslaufen versammeln, Edinburgh (mit dem
Hafen Leith), Aberdeen, Limerik, Harwich (Harritsch), die gewOhnliche Ueberfahrt
nach Holland, Hamburg nnd Schweden.
Die in indus t rieller Beziehung hervorragenden Stadte kommen bei den
betreffenden Industrien vor.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Landwirthschaft hat in Grossbritannien , inbesonclere
in den ostlichen Gegenden Englands , die bedeutendsten Erfolge
erzielt. Trotz der aufmerksamen Bebauung und der vielfachen
Anwendung landwirthschaftlicher Maschinen geniigt die Produktion
jedoch nicht fiir den Bedarf der dichten Bevolkerung. Von den
77 Millionen Acres (ein Acre = 1136 osterr. QKlafter) entfallen
an 49 Millionen auf kultivirtes und fiber 28 Millionen Acres auf
unbebautes Land; der Jahresertrag an Kornerfruchten von der ge-
sammten Bodenflache (England, Schottland und Irland) wird mit
beilaufig 80 Millionen Quarter (a 4.72 Wiener Metzen) berechnet.
Weizen und Gerste werden vorziiglich im siidlichen England, Hafer
in Schottland, Kartoffeln in Irland und Schottland angebaut; doch
werden grosse Mengen an Getreide und Mehl aus Russland, den
vereinigten Staaten von Nordamerika und Preussen importirt. Hulsen-
friichte und Gartengewachse sind von vorziiglicher Giite. Unter
den Handelspflanzen nehmen Flachs und Hanf (Irland und Schott-
land), dann Hopfen (in Kent, Hereford und Worcester) eine
hervorragende Stelle ein ; auch Raps (in Cambridge, Essex und
Norfolk), Karden und Safran (in Essex und um Cambridge) wer-
den stark gebaut. — Dem Holzmangel (da der Waldboden nur
etwa 5% der Gesammtflache einnimmt) hilft der Ueberfluss an
mineralischem Brennstoff ab. Nutz- und Bauholz wird zur See
bezogen*
In der Yiehzucht, dem Glanzpunkt der vortreff lichen bri-
tischen Landwirthschaft, nimmt Groesbritannien sowohl ob der An-
821
zahl der Heerden, Oekonomiehofe und Meiereien und deren zweck-
massiger Einrichtung, als auch durch den wissenschaftlich-prak-
tischen Betrieb, der durch die gunstigen klimatischen Verhaltnisse
befordert wird, den ersten Rang unter alien Staaten der Erde ein
und bildet in dem englischen Niederlande (am Wash- und Humber-
Busen), in einigen Theilen von Wales und Inland die Hauptnah-
rungsquelle. Die Pferdezucht ist Gegenstand des Nationals! zes
und die Race steht der arabischen zunachst ; — das Rindvieh
(in Lincoln und Lancaster) ist ausgezeichnet durch Milchreichthum,
Mastfahigkeit, Schonheit und Arbeitskraft ; — die veredelte Sch af-
zucht liefert Wolle , welche mit der sachsischen und spanischen
rivalisirt, obwohl die Quantitat fiir den Bedarf der Industrie nicht
ausreicht; — Ziegen kommen in Schottland und Wales in grosser
Menge vor ; — Borstenvieh wird vorziiglich in Irland gemastet.
Auch die Zucht der Bienen und des Federviehes ist bedeutend.
Die Seefischerei wird sehr umfangreich und mit gutem Erfolg
betrieben, da Schottland allein an 40.000 Fischer zahlt, deren Beute
den Werth von nahe 4 Millionen Gulden erreicht , und am Wall-
fisch- und Haringsfang betheiligen sich jahrlich wohl an 60.000 Ma-
trosen und Bootsleute.
Die Grundlage der englischen Industrie und somit des Na-
tionalreichthums bilden die Produkte des Bergbaues, und hierin
steht die ungeheure Ausbeute vorziiglicher S teinkohle n in erster
Linie, welche in Northumberland und Durham die starkste ist. Die
Ausbeute in den 2829 Gruben betrug im Jahre 1856 an 1329 Mil-
lionen Zentner im Werthe von nahe an 17 Millionen £. Auch York,
Wales und Schottland fordern viel Steinkohlen zu Tage, insbeson-
dere hat sich der Verkehr der Gruben im Norden seit 1845 ver-
doppelt. Irland steht sowohl in Hinsicht der Quantitat als der
Qualitat der Kohle zuruck, Der deklarirte Werth der im Jahre
1857 exportirten Kohlen betrug iiber 3.2 Millionen £. Im ersten
H alb jahre 1859 betrug der Werth der ausgefiihrten Steinkohlen
aller Art nahezu l.? Millionen £. — Die Torflager nehmen iiber
3 Millionen Acres ein, sehr machtig ist jenes zwischen Robertstown
und Tullamore. — Den nachsten Rang nehmen die hochst bedeu-
t en den Eisenbergwerke ein, deren Mehrzahl in der Nahe von
Kohlengruben liegt. Die reichsten Lagerstatten sind im siidlichen
Wales, dann Stafford, Derby, York u. s. w,, ferner in Schottland.
Die Roheisenproduktion ist stets im Wachsen. Im Jahre 1750 be-
trug sie nur 75.000 tons (h, 20 Zentner), im J. 1800 schon 180.000,
— im J. 1825: 600.000, im J. 1851: 2,500.000, — im J. 1858:
3,456.000 tons; also beilaufig soviel als die gesammte Produktion
von Europa und Nordamerica zusammengenommen (im Werthe von
iiber 15 Milliouen £.), wovon bedeutende Mengen zur Ausfubr ge-
langten. Im J, 1857 betrug der Werth des exportirten Eisens und
Stahles (ohne Maschinenund Kurzwaaren) fast 13.6 Millionen £.;
also fast 2 Millionen £, mehr , als die Goldausbeute Californiens in
diesem Jahre. Die Gewinnung der zwei genannten Objekte des
Bergbaues beschaftigt iiber % Million Menschen, wovon an 8/JO auf
die Eisen-, und 2/10 auf die Kohlengruben entfallen. Der alteste
Klun's nandels-Geographie. 2. Aun. 21
bergmannische Betrieb in Grossbritannien geht auf Zinn, das bestein
Europa, welches hauptsachlich inCornwallis und Devonshire gewonnen
wird. Ferners werden gewonnen: Bl ei (fast ya Million Zentner) in Wa-
les, Durham, Northumberland, Schottland, Cumberland, — Kupfer
(in 176 Minen an 7.3 Millionen Zentner) im Suden Englands, Cornwallis
und Siid- Wales, — Z i n k (80.000 Zentner) in Cornwallis und Wales, —
Silber (uber 614.000 Unzen, davon fiber 480.000 in England, vom
Rest zur Halfte in Wales , zur Halfte auf Man) , aus den silber-
haltigen Bleierzen der genannten Bleiminen , — etwas Gold in
Wales. Blei, Zinn und Kupfer wurden gleichfalls exportirt, und
der deklarirte Werth der im Jahre 1857 verschifften britischen Me-
talle betrug uber 18.5 Millionen £, nicht gerechnet die von den
Kolonien und anderen Staaten zur Durchfuhr gebrachten Metalle. Im
Verkehr mit Produkten des Bergbaues behauptet Grossbritannien
den ersten Rang unter alien Staaten der Erde. Auf gleicher
Hohe steht es in Bezug auf den S a 1 z reichthum , wovon seit der
Herabsetzung der Steuer im Jahresdurchschnitt an 16.3 Millionen
Zentner gewonnen und grosse Mengen exportirt werden. Sehr
reiche Steinsalzgruben sind in Northwich und Chester — Quell-
salz in Worcester, Durham und Stafford, — Seesalz an den Kiisten
von England und Irland.
Besondere Erwahnung verdienen noch der vorziigliche Gra-
ph it (zu Borrowdale in v Cumberland) , der Alaun von Whitby
(York) und Schottland, die Ammoniak-Erzeugung, der grosse
Reichthum an Bausfreinen, Thon, Schiefer undhydrau-
lischem Kalk.
Industrie. In keinem Lande der Erde hat die Industrie eine
solche Hohe und Ausdehnung erreicht, als im britischen Reiche, Auf
dem Grundsatze der freien Thatigkeit und der Theilung der
Arbeit ruhend, unterstiitzt durch hohe technischeAusbildung,
welche die von der Natur reichlich gebotene Vorbedingung im grossten
Masse auszubeuten versteht, und durch ein Maschinenwesen,
durch welches fast alle Fabrikate zur moglichsten Vollkommenheit
gebracht wurden, endlich durch den stets wachsenden Association s-
geist, wodurch die grossartigsten Kapitalien bei verhaltnissmassig
niederemZinsfusse den industriellen Unternehmungen zufliessen,
hat dieses Reich in manchen Zweigen der technischen Kultur eine
Ausbildung gewonnen, wie uns die Kulturgeschichte der Volker
kein zweites Beispiel liefert. Bei der ungeheuren Ausdehnung der
britischen Industrie, welche die Mehrzahl der Bevolkerung mittelbar
oder unmittelbar ernahrt und bereichert, konnen hier nur d'e vorzug-
lichsten Zweige und die hervorragendsten Statten derselben aufge-
fuhrt werden, um nach Moglichkeit eine Charakteristik des britischen
Kunstfleisses zu geben. In der Mitte von England; dem Haupt-
sitz des grossen Reichthums an Mineralien, ist von lange her auch
der Hauptsitz der Metallwaaren-Fabrikation; — das nord-
liche England pflegt und veredelt im grossartigtn Massslabe die
Wollen-, Baumwollen- und Le in en -Industrie; — der sud-
Hche Theil hingegen jene Gewerbe, welche auf Handel, Kiinste und
Wissenschaften abzielen. Schottland und Irland stehen nur in ein-
zelnen Zweigen auf gleicher Hohe mit England.
Der wichtigste Zweig der englischen Industrie ist die B a u m-
w o 1 1 e n - Manuf aktur. Durch das aufs Hochste ausgebildete Ma-
schinenwesen ist England in diesem Zweige so ubermachtig, dass
es hierin den Weltmarkt beherrscht. Wahrend vor etwa 70 Jahren
nur an 40.000 Menschen bei dieser Industrie beschaftigt waren, und
der Werth der exportirten Waare beilaufig 300.000 £ betrug; be-
zieht Grossbritannien gegenwartig mehr als die Halfte der in alien
Erdtheilen gewonnenen Baumwolle, das ist mehr als 9 Millionen
Zentner, bei deren Verarbeitung, ungeachtet der Hunderte von meist
grossen Dampfmaschinen, iiber !T/2 Million Menschen mittelbar oder
unmittelbar thatig sind und der Werth der Erzeugung betragt an
57 Millionen £, wovon im Jahre 1857 Baumwollwaaren um den
Werth von 39 Millionen £ zum Export gelangten, England ver-
sieht den grossten Theil der bewohnten Erde mit Baumwollkleidung.
Im Jahre 1856 waren 2210 Faktoreien fur Baumwolle thatig, mit
iiber 28 Millionen Spindeln und nahe an 299 Tausend mechanischen
Webestuhlen. Unter alien Zweigen dieser Industrie steht die S pin-
ner ei am hochsten, denn die Zahl der Feinspindeln betrug an 23
Millionen, das ist fast 70% sammtlicher Feinspindeln fur Baum-
wolle in Europa. Der Hauptsitz ist die Grafschaft Lancaster, mit
mehr als 20 Millionen Spindeln in 1480 Faktoreien, welche allein
zwei Drittel der britischen Baumwollwaaren liefert, und hier ist es
Manchester sammt Umgebung (der Hauptplatz fur die ganze Erde
in Baumwollwaaren), wo in den Baumwollspinnereien iiber 300 Dampf-
maschinen arbeiten und die meiste Baumwolle gesponnen, gewebt,
gebleicht, gedruckt und in kiirzester Zeit nach alien Theilen der
Erde versendet wird. Es liefert die nach der Stadt benannten aus-
gezeichneten Stoffe, den schonsten Sammt, Kambriks, Kattune u. s. w.
Zunachst stehen Blackburn, Norwich, Glasgow, Paisley
und Belfast, dann Nottingham, Derby und Leicester. In
Schottland ist Glasgow der Hauptort, wo iiber 25,000 Maschinen-
stiihle und iiber 50.000 Handwebestiihle mehr als die Halfte der
schottischen Gesammtproduktion, und zwar hauptsachlich feinere
Waare und Druckwaaren liefern. Gebleichte Strumpfwaaren und
Baumwollspitzen erzeugt Nottingham, gefarbte Leicester, — Die
irische Kottonmanufaktur hat ihren Sitz in Belfast.
Zunachst steht die Fabrikation in Schafwolle, eine der
altesten Manufakturen des Landes. Im Jahre 1856 haben iiber
1500 Fabriken mit !3/4 Million Spindeln und an 14.500 mechanische
Webestuhle iiber 70.000 Arbeiter beschaftigt und der Werth sammt-
licher in diesen Zweig einschlagigen exportirten Waaren betrug im
genannten Jahre circa 13 1/2 Millionen £. Im Jahre 1857 betrug die
Einfuhr roher Wolle (hauptsachlich aus Australien, Ostindien und
Sudafrica) nahe an 130 Millionen Pfund, wozu noch die grosse
Quantitat inlandischer Wolle hinzuzuzahlen ist, und der Werth der
hieraus gefertigten Erzeugnisse betrug iiber 30 Millionen £. Die
meisten und grossten Fabriken besitzt Yorkshire (806 Fabriken
mit nahezu 1 Million Spindeln), in Lancaster sind etwa 100 Fab-
21*
324
riken mit 266.000, dann in R o x b u r g s h i r e 24 mit 60.000 Spindelm —
Fiir die grossartige Tuchfabrikation sind bedeutend: Leeds, Hud-
dersfield, Bradford, Frome und Stroud (bei Bristol), Norwich, Glas-
gow und Edinburgh, welche viel nach Sudamerica und Ostindien
exportiren, Fiir Orleans, Merinos und Wollenmousseline sind bekannt
Bradford, Halifax und Huddersfield, — fiir Shawlweberei Paisley,
gemischte Gewebe Norwich, Teppiche Glasgow, Worcester, London,
dann Wolldecken aller Art sowie die aus Wollabfallen verfertigten
Shoddystoffe u. s. w. — Fiir Kammgarn besass das Land im
genannten Jahre 525 Fabriken mit 1 l/a Million Spindeln und bei-
laufig 40.000 Webestiihlen, wobei an 88.000 Arbeiter beschaftigt
waren. Am starksten wird dieser Industriezweig in Yorkshire be-
trieben (445 Fabriken mit l'/4 Million Spindeln). Von dem friiher
genannten Exportwerthe entfallen 10l/2 Million £ auf Wollwaaren
und bei 3 Millionen £ auf Wollengarn.
Von nicht geringerer Bedeutung ist die L e i n e n f a b r i k a t i o n ,
wie iiberhaupt die Industrie in Flachs nnd Hanf. Die Einfuhr von
Flachs und Hanf findet vorzugsweise aus Russland statt und betrug
dieselbe im Jahre 1857 fast 1,900.000 Zentner Flachs und 1,400.000
Zentner Hanf. Seit der Einfiihrung und Vervollkommnung der Flachs-
spinnmaschinen hat dieser Fabrikationszweig eine friiher nicht ge-
ahnte Hohe erreicht und die Fabrikate geniessen auf den uberseeischen
Markten vor alien anderen den Vorzug, wie sie auch auf den euro-
paischen vielfach die deutschen, belgischen und franzosischen ver-
drangen. Der Hauptsitz ist das nordliche Irland (Belfast nebst Um-
gebung), das ostliche Schottland (Dundee, Forfar) und das nordliche
England (Preston, Leeds). Im Jahre 1856 beschaftigten 417 Fabriken
1,288.000 Spindeln, 8690 mechanische Webestuhle iiber 80.000 Ar-
beiter. In leichten Leinen behauptet Irland den ersten Rang, Zwillich
wird in York, Segeltuch in Bristol, Portsmouth, Glasgow, Arbroath,
Zwirn in Leeds, Spitzen in Nottingham, die Honitonspitzen in Ho-
niton u. s. w, verfertigt.
Die Industrie in Seide ist in steigender Aufnahme, obwohl
sie der franzosischen und osterreichischen noch weit nachsteht. Bis
zum Jahre 1824 war die Einfuhr von Seidenwaaren verboten und
die Fabrikation, geschiitzt durch dieses Monopol, erreichte jahrlich
kaum den Werth von 1 Million £. Seit der Aufhebung dieses Ver-
botes und dem Auftreten der fremden Konkurrenz hob sich die
Industrie in raschen Schritten, Schon nach 12 Jahren erreichte
der Werth der Produktion die Summe von 6 Millionen £ und die
Ausfuhr britischer Erzeugnisse begann nach Nordamerica und West-
indien, obwohl die Fabrikate in Hinsicht der Qualitat den franzo-
sischen, osterreichischen, deutschen und schweizerischen nachstehen.
Durch die zunehmende Einfuhr ostindischer und vornehmlich chine-
sischer Seide, sowie durch Anwendung der neuesten Methoden und
Maschinen bei der Fabrikation, hat sich diese Industrie derart ge-
hoben, dass sie mit der des Festlandes in Konkurrenz tritt. Die
Einfuhr roher Seide betrug im Jahre 1850 nicht ganz 5 Millionen,
im Jahre 1857 schon iiber 12 Millionen Pf und, und die Ausfuhr bri-
tischer Seidenfabrikate stieg in der bezeichneten Periode von 1 J/4
325
auf nahezu 3 Millionen £. Die bedeutendsten Orte in dieser Be-
ziehung sind : Macclesfield (fur Seidentiicher), Coventry (fur Bander),
Spitalsfield (bei London), Manchester, Derby und Nottingham.
Die Metallwaarenfabrikation, schon seit dem 14. Jahr-
hunderte im mittleren England im Grange, nimmt jetzt den ersten
Rang auf der Erde ein. DerHauptsitz ist Birmingham, welches
alle Arten Eisen-, Stahl-, Messing- und lackirter Blechwaaren liefert,
zudem fiber 30 Gewehrfabriken und grosse Anstalten fiir den Ma-
schinenbau besitzt. In gleicher Richtung arbeiten So ho und Wol-
verhampton (vortreffliche Schlosserwaaren), die Kurzwaaren aus
diesen Fabriken sind die geschatztesten auf dem Weltmarkte. Fur
Schneidewerkzeuge, Feilen, Sagen und dergleichen ist Sheffield,
fiir Scheeren Salisbury, fiir Nahnadeln Redditsch (bei Warwick),
fiir mathematische, physikalische und optische Instrumente London,
fiir Messingwaaren Bristol u. e. w. sehr vortheilhaft bekannt. Be-
riihmt sind durch grossartige Eisengiessereien , Ankerschmieden,
Haus- und Ackergerathe und dergleichen Rotherham (in York), die
Carron- und Clyde works in Schottland, die Eiaenwerke in Staf-
ford, Shrop und besonders in Sud-Wales, dem Sitze der grossen
Railsfabrikation fiir die Eisenbahnen der ganzen Erde, sowie dem
grossten Blechwerk Englands Crom-Aron; ferners die Kanonen-
giessereien zu Woolwich, wohl die grossten auf der Erde. — Die
Anwendung des Gusseisens von den feinsten Bijouteriewaaren bis
zu den grossen Werken der H'auser, Briicken, Treppen u. s. w. hat
eine nie geahnte Ausdehnung erreieht. Der grossartige Maschinen-
bau beschaftigt allein Uber eine halbe Million Arbeiter. Alle
englischen Metallwaaren zeichnen sich durch hochste Vollendung
der Arbeit aus, wenn sie bisweilen auch von minder gefalli-
gem Style sind, Der Werth der Metallwaaren (mit Ausschluss der
Goldwaaren von etwa 3l/2 Million £) wird jahrlich auf mindeetens
22 Millionen £ bewerthet, wovon im J. 1857 im Werthe von iiber
20 Millionen £ zur Ausfuhr kamen (Messing- und Kupferfabrikate
iiber 3, Maschinen 3,9, Eisen und Stahl, roh und bearbeitet, iiber
13 V» Million £).
Die Lederfabrikation hat ebenfalls einen sehr hohen Grad
der Vollkommenheit erreieht und wird an Wichtigkeit der Eisen-
manufaktur gleichgestellt. Der Werth der jahrlichen Produktion
wird auf 18 Millionen £ geschatzt und die Arbeiterzahl belauft sich
uber 50.000. In diesem Industriezweige hat die in Grossbritannien
stets wachsende Ausdehnung der technischen Chemie auf prakti-
schen Betrieb besonders glanzende Erfolge hervorgebracht , deren
Erzielung durch die Abschaffung jeglicher Abgabe vom Leder (im
Jahre 1830) wesentlich gefordert wurde. Die englischen Sattler-
und Schuhmacherarbeiten sind die am meisten geschatzten auf der
Erde und Leder wie Lederarbeiten uberhaupt sind auf dem Welt-
markte sehr beliebt. Der Hauptsitz der englischen Lederfabrikation
ist Bermondsey (die Ruckstauung derFluth in die Themse liefert
reichlich das Wasser), in neuerer Zeit sind ubrigena in der Nach-
barschaft vieler Stadte Gerbereien entstanden. Fiir Sattler- und
Riemerwaaren sind London und Bristol beruhmt ; — mit Schuh-
336
macherarbeit bescbaftigen sich in London, Northamptonshire
und Staffordshire fiber s/4 Million Arbeiter und der Werth wird
mit 10 Millionen £ geschatzt. Handschuhe erzeugen Worcester,
Woodstock, London, doch wird der inlandische Bedarf nicht gedeckt
(Import von circa 2 Millionen Paar, hauptsachlich aus Frankreich).
London liefert Luxus- und Galanteriewaaren aus Leder, welche
fiich durcb Zweckmassigkeit und Soliditat vor Allen auszeichnen.
In dieser Industrie sind ferners bekannt : Oxford, Kendal, Newcastle
und Perth (Schottland), Limerick (Irland).
Noch in der Mitte des 17. Jahrhunderts bezog Grossbritannien
den grossten Theil seines P a p i e r bedarfes aus Frankreich; gegen-
wartig decken die 380 Papierfabriken und fiber 800 Papiermfihlen
nicht nur den einheimischen Bedarf, sondern exportiren nach Frank-
reich und anderen Landern, insbesondere das schone Velinpapier und
der Werth der Gesammtproduktion wird iiber 2 Millionen £ ge-
schatzt. Die grossten Fabriken sind in und bei London und
Maidstone (in Kent), — die meisten in Wales und Hereford,
in Manchester, Glasgow, in Irland wenig; in Birmingham
grosse Papiermach^-Fabrik. In Papiertapeten leistet England Vor-
zugliches, auch die Arbeiten der Londoner Buchdruckereien sind
unfibertroffen.
Die englische Glasindustrie zeichnet sich durch Grossartig-
keit der Fabriken und durch die Erzeugung des schweren Kryst all-
glases aus. Die meisten und wichtigsten Glasfabriken sind bei
London, Birmingham, Bristol, Edinburgh und Belfast,
doch wird auch aus Belgien (grosse Flatten), Bohmen, Nfirnberg
und Fiirth (kleine Spiegel) importirt. Spiegelfabriken sind zu Ra-
venhead, South-Shields (bei Newcastle), St. Helens (bei Li-
verpool), Der Werth der Produktion wird auf 3 Millionen £ ge-
rechnet.
Das englische Porzellan kann mit dem franzosischen und
deutschen nicht konkurriren und wird feinere Waare importirt (auch
aus der kaiserlichen Porzellanfabrik in Wien, — das ,,alte Wie-
ner-Porzellan"). Worcester, Derby, London, Liver-
pool und Chelsea sind die bedeutendsten Fabriksplatze. Wich-
tiger ist das Wedgewood-Geschirr*), das beste auf dem Weltmarkte.
Der sechs Meilen grosse Distrikt ,,The Potteries" um Stafford,
Newcastle, Burslem, vor Allem der Flecken Etruria ist mit Fa-
briken angefiillt, deren Produktionswerth fiber 3 Millionen £ betragt,
wovon an 40% ausgefiihrt werden. Die Seifenfabrikation
steht unerreicht da und die 3000 Siedereien nebst 70 Grossparfu-
meurs erzeugen fiber 2 Millionen Zentner, wovon grosse Mengen
exportirt werden. Das beste Fabrikat lief ern Windsor, Edinburgh,
Glasgow, London, Bristol und Hull. Auch die Stearin-
kerzen-Fabrikation wird grossartig betrieben, besonders in Vaux-
hall. — Die grossten Z uck erraffine ri en sind zu London,
Bristol, Liverpool und Edinburgh. — Auf den britischen
*) NachJosuah Wedgewood, der die Topferei vervollkommnet hat, so genannt.
(Geboren 1730 f 1795. — Der Begrfinder von Etruria.)
387
Inseln ist der grosste Zuckerverbrauch in Europa; von dem Gesammt-
import auf sammtlichen europaischen Hauptmarkten (im Jahre 1853)
von circa 1395 Millionen Pfund, entfielen auf Grossbritannien fast
760 Millionen Pfund; im Jahre 1857 betrug die Einfuhr an Roh-
zucker fast 840 Millionen Pfund ; die Rube nzuckererzeugung
wird im Mittel auf beilaufig 5000 Zollzentner jahrlich geschatzt.
Nebst dieseu Hanptindustrien verdienen noch vielerlei Fabrikate die Be-
achtang, da sie grosse Geldsummen in Bewegang setzen uud auf dem Weltmarkte
Geltung haben. In der Tabakfabrikation ragen Liverpool und London
hervor; der Import betrug im Jahre 1857 an rohem Tabak iiber 42, an fabricirtem
1., Millionen Pfund; vom ersteren wurden etwa nur 25°/0, vom letzteren an 60%
wieder ausgefiihrt ; — Verarbeitung und Bedarf sind also im Lande sehr bedeutend.
— Hochst bedeutend ist die Bierbrauerei (dnnkles Bier Porter, — belles Ale).
Porter wird am starksten in London in den grossartigsten Brauereien (von Barklay-
Perkins und Eeid) gebraut, im Ganzen bestehen im vereinigten KOnigreiche wohl an
44.000 Brauereien. Die grOssten Branntweinbrennereien sind in London
und Edinburgh, doch ist der Rhum- und Branntweinverbrauch in der Abnahme.
— Vorznglichen Ruf geniessen endlich: die Gold- und Silberarbeiten von Lon-
don und Brimingham, die mathematischen und physikalischen Instru-
mente von London, Staatswagen von London, Dublin, Southampton, Uhren
von Coventry, Prescot, Edinburgh und London, Bleistifte von Keswick und Lon-
don, Bnchdrucker- und Buchbinderarbeiten von London, Oxford und Edin-
burgh u. s. w.
Im Schiffbau steht es gleichfalls an der Spitze aller Nationen
und die grossartigsten Anstalten sind hiefiir sowie fiir Schiffsgerathe
in Sunderland, London, Portsmouth, Chatham, Bristol, Aberdeen,
Hull etc. Der Maschinenbau in Manchester, Birmingham, Ol-
denham, die Fabrikation zur Forderung des gesammten Seewesens
in London und Liverpool, stehen ebenso hoch auf dem Weltmarkte
als die Industrie in Webe- und Wirkwaaren und in sonstigen Me-
tallwaaren. Die Grosse Grossbritanniens in Hinsicht auf Urproduk-
tion und Industrie zwingt zur Bewunderung der unermesslichen
Erfolge, welche Intelligenz, Thatigkeit und Ausdauer zu erringen
vermogen.
Handel. Der Handel Grossbritanniens, ein Welthandel im
weitesten Sinne, ist nicht minder kolossal als die Industrie; er ist
der ausgedehnteste auf der Erde. Nach alien Landern der Erde
werden englische Erzeugnisse ausgefiihrt, mehrere Lander werden
ausschliesslich von Grossbritannien mit Gewerbs- und Kunstprodukten
versehen. Auf alien Meeren schwimmen britische Handelsschiffe,
in alien Theilen der bewohnten Erde haben die Briten Niederlassun-
gen begriindet, oder vortheilhafte Handelsverbindungen angekniipft;
— die Hebung und Ausdehnung des Handels ist das unverriickbare
Ziel im Privat- wie im Staatsleben; — dem Handel verdankt Gross-
britannien seine Grosse und Macht.
Die Ursachen des ausserordentlichen Handelsverkehrs nach
a u s s e n liegen in der Thatigkeit und dem Unternehmungsgeiste
des Volkes, in der gunstigen Lage und Kiistengestaltung des Landes,
in der grossen Menge tiefer und geraumiger Hafen (an 72 ersten
Ranges) und auswartiger Besitzungen, in der Fiirsorge, welche die
Regierung der Industrie und dem Handel stets zuwendet , in dem
Schutze, welchen der Handel theile durch weise Gesetze, theils durch
eine machtige Kriegsflotte geniesst, in der Menge von Handels-
und Assekuranzgesellschaften, nebst offentlichen und Privatbanken
(gegen 300), welche einen niederen Zinsfuss ermoglichen, grossartige
Unternehmungen unterstiitzen und Sicherheit dem Besitze gewahren.
Auch der innere Handel kennt keinerlei Hemmnisse, sondern
nur Erleichterungen. Die gliickliche Vertheilung und Schiff barkeit
der Fliisse, die vortreff lichen Landstrassen fast nach jedem Dorfe
oder Meierhofe, das ausgedehnte Kan al system*), die ausserordentlich
lebhafte Dampfschiffahrt, die grosse Menge von Eisenbahnen**) und
Telegraphenlinien ***) befordern den inneren Handel in alien Bezie-
hungen. Die wichtigsten Platze fiir den Binnenhandel sind:
London, Birmingham, Manchester, Leeds, Sheffield, Glasgow, dann
Salisbury (Viehmarkt), Northampton (Pferdemarkt), Cambridge und
Canterbury (Hopfenmarkt) , Newcastle (Ledermarkt) , Waterford
(Handel mit Butter und Pockelfleisch).
Der auswartige Handel G rossbritanniens ist in der
Einfuhr und Ausfuhr sowohl von den einheimischen industriellen
Verhaltnissen, als von den Zustanden der iibrigen europaischen und
aussereuropaischen Lander abhangig. Unterliegt er auch vielfaltigen
Schwankungen , welche durch die allgemeine politische Weltlage
und durch die veranderten Kulturverhaltnisse der Volker erzeugt
werden; so ist der Verkehr in den letzten 40 Jahren doch im Allge-
meinen ein stets steigender, wenn auch momentan Riickschritte ein-
treten.
Die Einfuhr artikel gehoren unter zwei Hauptkategorien :
a) Rohstoffe, welche von der englischen Industrie verarbeitet
werden,
b) die Konsumtionsgegenstande,
Unter den ersten steht obenan die Baumwolle (iiber 9 Mil-
lionen Zentner im Werthe von 29 '/3 Millionen £) , von der zwei
Drittel der Einfuhr auf Nordamerica und Brasilien, und ein Drittel
auf Ostindien entfallen. Dann rohe und filirte Seide (iiber
12 Millionen Pfund [Geldwerth an 14 % Millionen £]) , wovon an
drei Fiinftel auf China, der Rest auf Ostindien und Egypten kommen.
WollejlSO Millionen Pfund [Geldwerth 92/3 Millionen £]) bezog
es zumeist aus Australien (49 Millionen Pfund) , dann aus seinen
Kolonien (Ostindien 19 , Kap 14) , ferner Siidamerica (9 M illionen
Pfund); Europa (Deutschland, Russland, Spanien) schickte nur mehr
30 Millionen Pfund Wolle dorthin, wahrend es friiher fast aus-
schliesslich die britischen Markte versah. Grossbritannien strebt
darnach, die Rohprodukte fur seine Industrie nach Moglichkeit aus
*) Die Lange der Kanal s ch if fahrtbetragt in England und Wales 2300, die Flu ss-
schiffahrt 2100 englische Meilen; in Irland sind bloss 300 englische Meilen Ka-
nale, und mit den schiffbaren Flussen kaum 500 englische Meilen innere Wasser-
strassen.
**) Das britische Eisenbannetz nmfasste am Ende des Jabres:
1830 1840 1850 1856 1857 1858
31 1300 6621 '8635* loTsT 9506 Meilen (engl.)
mit (1857) 500 Lokomotiven, iiber 150.000 Waggons und einem Aktienkapital von
387,051.735 £.
***) Telegrapbenlinien besass es (am Schlusse des Jahres 1857) 5637 engli-
sche Meileu mit 29.498 Meilen Lange Draht.
829
seinen Kolonien zu beziehen und dorthin sowie nach alien iibrigen
Landern seine Fabrikate abzusetzen. Mit der Steigerung der Pro-
duktion von Rohprodukten steigert sich in den Kolonien auch die
Konsumtionsfahigkeit fiir Fabrikate des Mutterlandes ; daher der
Verkehr in dieser Richtung ein stets wachsender 1st. Das vierte
wichtige Rohprodukt, welches hauptsadhlich aus Russland bezogen
wird, ist Flachs (Geldwerth 3l/? Millionen £) und Hanf (fast
2 Millionen £), an das sich die Einfuhr roher Haute (Geldwerth
fast 4T/2 Millionen £) anschliesst. An diese schliessen sich die
Farb- und Hilfsstoffe an: Indigo, Krapp, Talg, Palmen- und
Cocosnussol, Salpeter u. s. w., fiir welche London und Liverpool
Hauptmarkte sind, und die grosstentheils aus den Kolonien bezogen,
in grossen Mengen wieder ausgefQhrt werden.
Die Einfuhr von K ons umtionsgegen s tanden steigt zum
Theil im Verhaltnisse zum steigenden Wohlstande der Bevolkerung
und deren grosseren Bedurfnissen, zum Theil ist sie abhangig von
den schwankenden Ernte-Ergebnissen in Grossbritannien. Die Ein-
fuhr von Getreide, insbesondere von Weizen, steigt fast jahrlich
und schwankte in den letzten Jahren zwiachen 8 und 9 Millionen
Quarter, jene von Mehl zwischen 2 und 2l/2 Millionen Zentner. Bis
zum Jahre 1815 hatte dieser Import nur zweimal den Werth von
2 Millionen £ uberstiegen , im Jahre 1857 erreichte er schon die
Hohe von iiber 1 9 T/3 Millionen £, und findet aus den Ostseelandern,
Russland undNordamericastatt. — AnRoh-undRaf f inadzucker
wurden (1857) nahe an 10 Millionen Zentner im Werthe von 1Q1/Z
Millionen £ eingefilhrt; auch der Import von Thee (64 '/2 Millionen
Pfund, Werth 4% Millionen £), Wein ( 10 1/3 Millionen Gallons*),
Werth iiber 4 Millionen £), und S pirituos en (10 V2 Millionen Gal-
lons, Werth fast 3 Millionen £) ist in den letzteren Jahren gestie-
gen; dagegen ist jener von Kaffee in den letzten Jahren fast auf
die Halfte herabgesunken (nahe an 59 Millionen Pfund, Werth !3/5 Mil-
lionen £), Die gesteigerte Einfuhr obiger Artikel hat ihren Haupt-
grund in der gesteigerten Konsumtion in Grossbritannien selbst, ob-
wohl sich aucih die Ausfuhr fremder Produkte seit Anfang dieses
Jahrhunderts bis 1857 mehr als verdoppelt hat (von 11% auf 23 V, Mil-
lionen £). Der wirkliche Gesammtwerth der Einfuhr belief
sich im Jahre 1857 auf nahe 187% Millionen £ (deklarirter Werth
etwa 144 Millionen £).
Bei der Ausfuhr Grossbrit anniens nehmen die Baum-
wollwaaren mit 39 Millionen £, von denen 30.4 auf Fabrikate,
und 8.7 ^auf Garn entfallen, den ersten Rang ein. Der Export in
diesem Zweige hat absolut zwar zugenommen (von 3 1V2 Millionen £
im Jahre 1854 auf 39 Millionen £ im Jahre 1857); — relativ, das
heisst imV erhaltnisse zum Gesammtexpor t, findet jedoch
ein entschiedener Ruck gang statt; denn friiher (1820 — 1830)
reprasentirte dieser Artikel weit mehr als die Halfte der Gesammt-
ausfuhr britischer Erzeugnisse, wahrend er jetzt nicht ganz ein Drittel
derselben ausmacht. Dieser Ruckgang findet seinen Grund in den
*) (Imperial Gallon a 4 Quarts, a 2 Pints ; 100 Gallons — 321 Wiener Mass.)
grossen Fortschritten, welche die Baumwollindustrie auf dem Kon-
tinente und in Nordamerika gemacht hat, und statt Ganzfabrikate
auszufuhren, muss es sich auch mit dem jahrlich steigenden Export
der Halbfabrikate begniigen, Nur in der Spinnerei behauptet
es den ersten Rang.
Nachdera ein bedeutender Theil der bisherigen Absatzmarkte
verloren gegangen, hat England neue gesucht und gefunden; denn
in den letzten Jahren (1857 und 1858) vermehrt sich die Ausfuhr
von Baumwollfabrikaten nach Ostindien und China ausserordentlich.
Die Ausfuhr von Wollmanufakten ist in Zunahme, dessgleichen
jene der englischen Schaf- und Lammwolle, und des Wollengarnes.
Nach Nordamerica ist zwar der Export bedeutend geringer als frii-
her, dagegen steigert er sich nach Ostindien, Australian und den
iibrigen Kolonien, Auch der Export von Leinenwaaren (4.5 Mil-
lionen £) und Leinengarn (l.c Millionen £) hat sich in den
letzten 25 Jahren verdoppelt, die Fabrikate Irlands bestehen jede
Konkurrenz siegreich auf dem Weltmarkte. Die Ausfuhr von Roh-
eisen und Eisenf abrika ten hat sich in dem Masse vergrossert,
dass sie nur jener von Baumwollwaaren nachsteht. Auch die iibrigen
Bergwerksprodukte und Metallfabrikate, Kupfer und Messing,
Zinn nebst den daraus verfertigten Fabrikaten sind in progressivem
Steigen, besonders Messing- und Kupferfabrikate (im Jahre 1825 nur
500.000 £, im Jahre 1857" dagegen iiber 3.x Millionen"[£) und Zinn
und Zinnwaaren (1825 nur 300.000 £, im Jahre 1857 iiber 1 T/2 Mil-
lionen £). Relativ die grosste Steigeruug aber findet sich bei
Steinkohlen (1825 etwa T/4*Million, — im Jahre 1857 iiber 3 '/5 Mil-
lionen £). Die, englischen" Z u c k'e r'r a f f i n e r i e n mussten hingegen
der Konkurrenz des Festlandes' weichen, insbesondere seit der gross-
artigeren Entwickelung der Riibenzuckerfabriken. Das Fallen des
Exportes ist seitdem jahrlich starker, denn im Jahre 1856 bezifierte
sich die Ausfuhr der Raffinade noch mit etwa 117.000 £, im Jahre
1857 nur mehr 57.000 £. — Hervorhebung verdienen noch unter
den britischen und irischen Erzeugnissen (im Jahre 1857) Kleidungs-
stiicke und Modewaaren (6 Millionen £), kurze Waaren (4 Millionen £),
Seidenwaaren (3 Millionen £), Leder- und Lederwaaren (2.3 Mil-
lionen £), Bier und Ale (circa 1.0 Millionen £) und irdene Waaren
(1.5 Millionen £). Der deklarirte Werth der britischen Aus-
fuhr betrug im genannten Jahre uber^l45.3 Millionen £. Der wirk-
liche Werth von (gemiinztem und ungemiinztem) Gold betrug iiber
15, von Silber iiber 18 */2 Millionen £), und der deklarirte der in
den Hafen Grossbritanniens umgeladenen fremden Waaren iiber
4l/2 Millionen £.
Die wichtigsten Absatzlander waren im Jahre 1857:
In Europa: Hansestadte (9.,), Holland (6.4), Frankreich (6.4), Turkei (3.,),
Bussland (3), Spanien (2), Belgien (l3/4), Preussen (!3/4), Hannover (l2/g), Sardinien
(1.7), Danemark (1 Million £).
Ausser Europa: Vereinigte Staaten (19'/,)i Brasilien (5'/2), China (I1/*),
Chile (I1/,)' Buenos Ayres (l'/J, Peru (l'/s Million £).
Britische Besitzungen: Ostindien (13), Australien (112/S), Canada (4 '/„).
Capland (l'/s), Westindien und Guyana (2'/s Millionen £) u. s. w.,
DerUmfang der Schiffahrt sbewegung ist stets durch den
381
Umfang der Ein- und Ausfuhr bedingt, und die Schwankungen
sind erklarbar. Anders verhalt es sich mit der Rhederei und es
ist nicht zu laugnen, dass in der letzten Zeit in der englischen Rhe-
derei ein Stillstand eingetreten ist, welcher jedoch die auftauchenden
Beeorgnisse eines Verfalls ebenso wenig rechtfertigt, als die hie
und da befurwortete Beschrankung der fremden Flagge. Die eng-
lische Rhederei ist sicherlich jeder Konkurrenz gewachsen. — Die
britische H a ndelsmari ne zahlte im Jahre 1857 mit Ausschluss
der Kolonien :
Segelschiffe 24.480 Tonnengehalt 3,981.494
Dampfschiffe 1697 , 386.462_
Zusammen 26M77 Sehiffe, „ 4.367.956 mit circa 200.000 Mann
britische Kolonien . 8874 , , 799.351 , . 50000 „
35.051 „ , 5,167.307 ~ „ 250.000 „
Gebant und registrirt warden im genannten Jahre 1278 Schilie (228 Dampf-
schiffe) mit fiber 250.000 Tonnen. Die Preise der neuen Schiffe sanken in den
letzten Jahren urn 10 bis 15%.
In die britischen Hafen waren (im Jahre 1857) 32.693 Schiffe
mit 8,732. 180 Tonnen ei ngelauf en und 44. 401 Schiffe mitlO,340.399
Tonnen ausgelaufen, wobei die fremde Flagge von Jahr zu Jahr
starker betheiligt ist. Der Verlust an Schiffen zur See iiberstieg
im genannten Jahre nicht die durchschnittliche Zahl in den letzten
Jahren und betrug 2002 Schiffe.
Unter den F orderungsmi 1 1 ein des Handels nehinen etwa
300 Bank en eine hervorragende Stelle ein ; darunter die B a n k von
England, die konigliche Bank und die Bank von Schottland, die
National- Bank von Schottland, die Bank von Irland, die London- und
Westmiinster-Bank u. s. w. Ferners die Sparkassen*) unddiegros-
sen Handelsgesellschaften, unter welchen die ostindische, die afrikani-
sche, die russische, die levantische, die Sudsee-, Hudsonsbai-, Ostsee-,
Sierra Leone- und die Hamburgergesellschaft die bedeutendsten sind.
Geistige Kultur. Bei allem Reichthume Englands sind die
Unterrichtsanstalten noch immer mangelhaft und unzureichend. Fur
die Volksbildung ist im Allgemeinen noch immer zu wenig gesorgt,
viele Tausende wachsen ohne alien Unterricht auf, Hunderte von
Ortschaften sind ohne Schulen; die meisten Dorfschulen sind Pri-
vatunternehmungen, wo bezahlt werden muss, und der Arme schickt
seine Kinder ohne Schulunterricht in die Fabrik. In neuester Zeit
wird durch Privatgesellschaften , welche Schulen fur Arme und
Sonntagsschulen in den Fabrikstadten griinden, ausserordentlich viel
geleistet. Allerdings ersetzen einige andere Institutionen im 6'ffent-
lichen und Gemeindeleben Manches, was die Schule versaumt, und
dem strebsamen Geiste bieten Vereine und Bibliotheken mehrfache
Gelegenheit zur Ausbildung. Besser ist das Unterrichtswesen in
Schottland bestellt, wo in jedem Kirchsprengel Schulen bestehen;
Irland dagegen ist ebenfalls hierin den germanischen Staaten des
Kontinents weit zuruck. Auch die Mittelschulen und Universitaten
(zu Oxford, Cambridge, Edinburgh, Glasgow, Aberdeen, St. Andrews,
Dublin) konnen sich mit den deutschen und flsterreichischen nicht
*) Bestand im Jahre 1843 27,177.315 £.
1857 ...35.108.596 „
messen. Konigliche Schulen gibt es uberhaupt wenige und sind in
der Regel kostspielig; der bei Weitem grosste Theil der Lehranstalten
sind Privatschulen und Pensionsanstalten ohne offentliche Aufsicht.
Wohlhabende Leute geben ihren Kindern gewohnlich hauelichen
Unterricht. — An grossen Mannern in alien Zweigen der Wiesen-
schaft und Literatur hat iibrigens England eine erfreuliche Anzahl,
zumeist in den physikalischen und technischen Wissenschaften. Na-
mentlich steht diese Nation in der Technik gross und uniibertroffen
da. Die Anwendung der enormen Resultate in den gesammten Na-
turwissenschaften auf die Industrie hat hier weltumwalzende Erfin-
dungen zur Folge gehabt. Die geographischen Entdeckungsreisen
sind bei keinem Volke Europas so zahlreich, und deren Einfluss auf
Ausdehnung der Handelsverbindungen und der Industrie so erfolg-
reich; keine Nation hat eine solche Menge ausgezeichneter Staats-
manner, Seehelden, denen tiefe Denker und umfassende Gelehrte
wiirdig zur Seite stehen. Die englische Literatur zeichnet sich in
Poesie aller Gattungen und in Geschichtschreibung aus ; dagegen
besass es bis jetzt nur wenig hervorragende Kiinstler.
Der Aufschwung, in welchera alle Verhaltnisse und Zustande
des Reiches begriffen sind, verbiirgt den Fortschritt in Wohlstand,
wie in Sitte und Kultur uberhaupt.
XI. Das KOnigreich Daneutark
(mit den Herzogthiimern Schleswig, Holstein und Lauenbarg).
§. 146.
3120QMeilen; — 2,915.000 Einwohner;*) das K6nigreich bewohnen Danen,
die Herzogthfimer Deutsche; fast ausschliesslich Protestantea. — Bestand-
theile: 1. der danische Archipel in der Ostsee, — 2. die Halbinsel Jutland, —
3. die FarOer-Inseln, — 4. die Insel Island, — 5. die Kolonien. — Untheilbare, kon-
stitutionelle Erbmonarchie, die Thronfolge ist im Gesammtstaate in der mannlichen
Linie des latherischen Hauses Danemark (oldenbnrgischer Stamm), nach deren Aus-
sterben succedirt Prinz Christian von Schleswig-Holstein-Sonderbnrg-Glucksburg und
dessen mannliche Nachkommenschaft.
Oberflache. Die Halbinsel Jutland gehort dem nordeuro-
paischen Tieflande an. Langs der Ostkiiste zieht sich ein niederer
QMeilen Einwohner
*) A. KOnigreich Danemark: 696^ l^bTuXJO
B. Die Herzogthumer:
a; Schleswig 167 QM., 396.000 Einw.
b) Ilolsteiu 155 „ 524.000 „
c) Lauenburg . . . 19 „ 50.000 „
341 970.000
C. Beilander 2083 120.000
(FarSer, 17 bewohnte Inseln, 24 nM-> 8650 Einw., — Island 1867 QM., 65.000 E.'
— Gronland 186 QM., 9400 E.; — in Westindien: St. Croix 3'/s QM., 23.000 E.,
— St. Thomas I1/, QM,, 12.500 E., — St. Jean 1 QM., 1800 E.)
Die Gesammtzahl der Bev6lkerung aller zu Danemark gehorigen Lander betrag
nach dem k5niglich daaischea Hof- uai Staatskalender fiir 1359 am 1 Februar 1S59
beilaufig 2,915.000 Seelen.
883
Landrucken (200—500') bis zur Nordspitze (Kap Skagen), dessen
hochster Pimkt, der Himmelberg, nur etwa 500' hoch ist; das
Innere des Landes ist zum grossten Theile Haideland, und langs
der Westkiiste finden eich Marschen durch Dunen, welche auf weite
Strecken durch Deiche gegen die Meereswellen geschiitzt sind. Ins-
besondere iet in Holstein langs der Elbe und Nordsee fruchtbares
Marschland (Dithmarschen) mit kostspieligen Deichen. Die I n s e 1 n
in der Nordsee sind flach , hochstens hiigelig , an den Siidkiieten
von Seeland, Fiinen undMSen erheben sich 400'— 500' hohe, schroffe
Kreidefelsen und Klippen , nur Bornholm und die Ertholme sind
Gebirgsinseln. — Die Fa roe r sind kahle, baumlose , bis iiber
2000' hohe Felseninseln aus vulkaniscben Gesteinen bestehend. —
Island ist nur an den Kiisten, welche von vielen, tiefeingreifenden
Buchten (Fjorden) durchschnitten sind, bewohnbar; nur hier finden
sich Weideplatze und von Baumen die Birke. Das Innere der In-
sel ist eine schauerliche Einode. Kahle, bis 6000' hohe Berge, die
von 2500' an mit ewigem Schnee bedeckt sind, Gletscher, die bis
zum Meere hinabreichen , schroffe Felsen , ode Hochflachen , tiefe
Thaler, reissende Bergstrome , gegen 30 Vulkane (Hekla 5200'),
Schwefelflachen und heisse Quellen (die beiden 80' — 100' hoch auf-
steigenden Geise r) geben der Insel ein eigenthiimliches wildes Aus-
sehen. Die meisten und langsten Flusse miinden an der Nord- und
Sudwestkuste. Das Inselklima ist hier verhaltnissmassig nicht sehr
rauh, besonders im sudlichen Theile.
Jutland wird vom Skagerak und dem Kattegat bespiilt.
Aus dem letzteren fiihren der Sund (zwischen Schweden und See-
land), der gross e Belt (zwischen Seeland und Ftinen) und der
kleine Belt (zwischen Fiinen und Jutland) in die Ostsee. Das
Land hat keine bedeutenden Flusse, ausser die Eider, welche
Holstein von Schleswig trennt und durch einen Kanal die Oatsee
mit der Nordsee verbindet (aus dem Kieler Busen durch den Flem-
huder-See bis Rendsburg) ; aber viele Bache, zahlreiche, meist kleine
Seen und salzige Strandseen in Jutland, viele Torfmoore, Siimpfe
und Moraste. — Im Allgemeinen ist ein nebliges, feuchtes und un-
bestandigea Kustenklima, ohne grosse Temperaturunterschiede,
in den einzelnen Landestheilen vorherrschend.
Politische Eintheilung. Das . eigentliche Danemark wird
in sieben Stifte eingetheilt, deren drei auf die Inseln: Seeland,
F ii n e n und Laaland-Falster und vier , niimlich : A a 1-
borg, Viborg, Aarhuus und R i b e oder Ripen auf Jutland
kommen.
1. Stift Seel and (bestehend aus den Inseln: Seeland, Amak, Moen, SamsOe;
Bornholm und die drei Ertholme): Kopenhagen (144000), Helsingor (mit der
Festung Kronborg), Roeskilde, Leire.
2. Stift Fiinen: a) Insel FGnen: Odensee (11.000), Nyebork, — b) Insel
Langeland: RndkiSbing.
3. Stift Laaland-Falster: a) Insel Laaland: MaribSe (15.000), — b)
Insel Falster: Nykjobing.
4. Stift Aalborg: Aalborg (8000), Frederikshaven, Skagen, Insel Lacssoe
im Kattegat.
5. Stift Viborg: Viborg (4000), Skive.
6. Stift Aarhuus: Aarhuus (8000), Banders.
334
7. Stift Kibe: Ribe (in einer Exklave in Schleswig, 3000), Fridcricia, Kol-
ding, RingkiObing.
Herzogthum Schleswig: Schleswig (12.000, Eckernforde, Flensburg
(16.000), Apenrade, Hadersleben, Tondern, Husum, Tonningen, Friedrichsstadt.
Bewohnte Inseln (an der OstkOste): Alsen (Augustenburg, Sonderburg),
Arroe, Fehmern ; (an der Westkiiste) : RomQe, Sylt, Fohr, Pelworn, Nordstrand etc.
Herzogthum Holstein: GlQckstadt (6800), Altona (40.000), Kiel
(16.000), Rendsburg, Itzehoe, Oldesloe, Meldorf, Heide, Neustadt.
Herzogtham Lauenburg: Ratzeburg, Lauenburg.
Die Far8er- Inseln. Von der aus etwa 25 Inseln bestehenden Gruppe sind
17 bewohnt. Hanptort: Thorshavn (800) auf Stromoe.
Island: Reykjavik (1000).
Niederlassungen in GrSnland: Julianenhaab, Christian shaab u. a. m.
Die westindischen Inseln: St. Croix, St. Thomas, St. Jean.
Knltnrverhaltnisse im Allgemeinen.
Danemark ist im Ganzen ein Ackerbau treibender Staat;
die Landwirthschaft und Fischerei sind die wichtigsten Nahrungs-
zweige der Bewohner. An zwei Drittel der Gesammtflache sind
Ackerland und Marschboden, nur ein Sechstel entfallt auf das Haide-
land und den Flugsand. Sehr viel Getreide, besonders Korn,
wird in den Herzogthiimern , auf Laaland und Falster, zum Theil
auch auf Funen und Seeland gewonnen, wovon , sowie an Hiilsen-
fruchten und Oelpflanzen, ansehnliche Mengen exportirt werden. Der
Obstbau ist nicht bedeutend, auch Tabak, Hopfen, Flachs und Hanf
sind nicht in ausreichender Menge vorhanden. Den Mangel an Holz
deckt der Ueberfluss an Torf; getrocknetes Seegras wird theils
als Brennmaterial beniitzt, theils wird es ausgefiihrt. — Mit grosser
Sorgfalt wird die Viehzucht betrieben. Das be^te Rindvieh
wird in den Marschen von Holstein gezogen (Eiderstadter Kiihe in
Schleswig), Holsteiner Butter und Kase werden sehr geschatzt ; —
vorziigliche Pferde in Holstein und Schleswig, kleiner aber kraf-
tiger ist der Schlag in Jutland, auf Fiinen und Seeland. Pferdemarkte
werden zu Husum, Tonningen, Friedrichsstadt (Schleswig) und
Itzehoe (Holstein) gehalten. Die Schafzucht ist verhaltnissmassig
am starksten in Schleswig und auf den Faroer-Inseln, obwohl noch
wenig veredelt. In Jutland und Schleswig ist die Schweinezucht
sehr in der Aufnahme. Ungemein stark ist die Gansezucht, Eider-
ganse auf Bornholm, Island uud den Faroern. Die Ausfuhr von
Schreib- und Flaumfedern sowie von Eiderdunen ist betrachtlich.
Von grosser Bedeutung ist die Fischerei und Norddeutschland
bezieht aus Danemark einen grossen Theil von Haringen (Aalborg,
Altona), Biicklingen (Kiel), Austern und Hummern. An der Kiiste
von Jutland wird der Stockfischfang betrieben, Altona, Gliickstadt,
Flensburg und Kopenhagen senden auch auf den Wallfisch- und
Robbenfang an die Kiisten Gronlands aus.
Der Bergbau ist kaum nennenswerth, indem das Land keine
M eta lie, wenig Quellsalz (Oldsloe in Holstein), aber viel Seesalz
und wenig Steinkohlen besitzt ; dagegen werden Porzellanerde, Bau-
und Miihlsteine auf Bornholm, und an vielen Or ten Torf gewonnen.
Moen und Nordjiitland liefern viel feine Kreide.
Die gewerbliche Industrie ist von geringem Belange. Das
eigentliche Fabrikswesen beschrankt sich auf wenige Orte, als:
835
Kopenhagen, Altona, Kiel, Flensburg; das Kleingewerbe ist 2iem-
lich verbreitet und sorgt fur die Bediirfnisse der Heimat. Kein
Industriezweig ist so hervorragend, dass er eine Konkurrenz mit
den eigentlichen Industriestaaten aushielte. Relativ am grossten
sind die Zuckerraffinerien und Tabakfabriken in den genannten
Stadten, welche iiberdiess auch Tuch und Woollen zeuge, Leinwand,
Segeltucb, Tauwerk, Wachstuch, Kattune, Seidenzeuge, Leder und
Lederwaaren (danische Handschuhe zu Odensee und Randers), Pa-
pier u. s. f. erzeugen. Grosse Bierbrauereien sind in Altona, sehr
viele Branntweinbrennereien in alien Theilen des Reiches und viel
Oelmiihlen in den Herzogthiimern ; Eisengiessereien und Maschinen-
bau haben Kopenhagen und Kiel; die Fabrikation von Eisen- und
Stahlwaaren, Glas, Porzellan, Steingut deckt bei Weitem nicht den
Bedarf. In Kopenhagen, Kiel, Altona und Flensburg ist der Schiff-
bau ziemlich erheblich. Auf den Faroern und auf Island ist die
Wollweberei und Strickerei (Handschuhe, Strumpfe, Jacken) als haus-
liche Nebenbeschaftigung erwahnenswerth,
Die geographische Lage Danemarks ist fur den Handel gun-
stig, insbesondere die Verbindung zwischen der Nord- und Ostsee.
Hat der Handel auch die ehemalige grosse Bedeutung als Welt-
handel eingebiisst, so ist er noch immer ansehnlich sowohl mit den
nordischen Staaten, als mit Amerika, den beiden Indien, Frankreich
und England. Nebst dem Eigenhandel ist der Kommissions- und
Speditionshandel von grosser Ausdehnung.
Die wichtigsten Orte in kommerzieller nnd industrieller Beziehnng sind :
Kopenhagen, welches ein Drittheil des gesammten Handels umfasst, und
durch Dampfschiffahrt mit Schweden und Norwegen, Kiel, Lubeck, Stettin nnd den
danischen Inseln verbunden ist. Von den harten Schlagen zu Anfang dieses Jahr-
hunderts hat sich die Stadt grosstentheils erholt. Mehrere Assekuranzen, die Bank,
B6rse, Schiffswerften, Docks, grossartige Magazine und Waarenhauser fSrdern den
Handel. Den Hafen besuchen jahrlich an 2000 Schiffe. — Altona verdankt seine
Wohlhabenheit der grossen Betriebsamkeit, der Nahe Hamburgs und den Freihanclels-
Kivilegien, wodurch es zur zweiten Handelsstadt des Reiches sich erhoben hat. In
elsingttr wnrde bis zum Jahre 1857 von den vorbeisegelnden Schiffen (jahrlich
an 16.000) der ..Sundzoll" entrichtet, welcher jahrlich an 2 Millionen Thaler ein-
brachte, aber um 30 Millionen Thaler fur immer abgelost worden ist. Kiel hat einen
der vorzuglicbsten Hafen in Enropa, der die grOssten Flotten sicher nnd beqnem zu
bergen vermag ; doch hat der Handel nicht die entsprechende Ausdehnnng und
Grossartigkeit. Regelmassige Dampf-Packetbootfahrten zwischen Lubeck, Kopenhagen
nnd den Ostseehafen unterstutzen den Verkehr. Die Spedition und der Transit
zwischen Hamburg und Kopenhagen ist gleichfalls bedeutend. Flensburg unterhalt
Verbindungen mit Russland nnd Westindien, sowie mit Island. Zur Ausfuhr bringt
es Vieh, Haute, Getreide, Riibsamen und Branntwein, und sendet auf den Wallfisch-
und Robbenfang nach Gronland aus. — Als Verkehrsplatze sind noch bekannt:
Aalborg (Getreide- und Haringshandel), Viborg (mit einer Messe), Aarliuus
(Handschuh-Handel), Glttckstadt, Schlcswig, Friedrichshafen, Toningen.
In der geistigen Kiiltur ist die Bevolkerung weit vorgeschrit-
ten, selbst auf den Faroern und auf Island konnen fast alle Be-
wohner lesen und schreiben, weil auf diesen Inseln jeder Hausvater
am Abend seine Kinder zu unterrichten pflegt Das bffentliche
Unterrichtswesen ist im Ganzen gut bestellt, unter den deutschen
Stadten, welche zu Danemark gehoren, nimmt die Universitatsstadt
Kiel den ersten Rang ein; fur die Danen ist Kopenhagen der Mit-
telpunkt des technischen, kommprziellen und geistigen Lebens. Von
336
den danischen Gelehrten und Schriftstellern gehoren mehrere der
deutschen und danischen Literaturgeschichte an, da sie in beiden
Sprachen geschrieben haben ; auf alien Gebieten wissenschaftlicher
Thatigkeit finden wir bedeutende Manner, welche diesem Lande
angehoren.
XII. Die Kdnigreiche Schweden und \or
wegen.
§. 147.
13803 QMeilen; — 5,074.000 Einwohner*) (Schweden: 8002
3,640.000 Einwohner; Norwegen: 5800 DMeilen, 1,434.000 Einwohner. Insel
Barthelemy in Westindien 1 nMeile, 15.000 Einwohner). Die Hauptbewohner der
skandinavischen Halbinsel sind germanischen Stammes, Schweden nndNorweger;
im Norden wohnen die Lappen (auch Finnen — flFjallrnantt — genannt), dem
Stamme der Samojeden angehorig. — Fast ausschliesslich Lutheraner. — Beide Reiche
sind unter einem K6nige vereinigt, und bilden eine konstitutionelle Erbmonarchie in
der lutherischen Familie Bernadotte. — In Norwegen wird der Konig dnrch einen
Reichsstatthalter vertreten.
Boden. Die ekandinavische Halbinsel gehort iiberwiegend
der Form des Hochlandes an , namentlich ist der Westen und
Norden ven einer zusammenhangenden Gebirgsmasse erfiillt, welche
im Westen so sehr steil zum Meere abfallt, dass an der Kiiste des
atlantischen Oceans nur wenig Stellen anbaufahig sind ; gegen Osten
und Siiden ist der Abfall allmalig, zum Theil terrassenformig, von
zahlreichen parallelen Hauptthalern in siidostlicher Richtung durch-
schnitten. Die am meisten ebenen Flachen sind im siidostlichen
Theile Schwedens. Wahrend in Norwegen mehr als die Halfte des
Landes eine absolute Seehohe von mehr als 2000' hat, iibersteigt
in Schweden kaum ein Zwolftel des Landea diese Hohe , und mehr
als die Halfte Schwedens hat eine Seehohe von nur 300 bis 900'.
Schon diese vertikalen Verschiedenheiten und deren Einfluss auf
die Temperatur beweisen die giinstigeren agrikolen Verhaltnisse
Schwedens. Jene Gebirgsmasse hat keinen Gesammtnamen , son-
dern die einzelnen Partieen heissen: im Norden das lap pi and ische
Gebirge, dann die Kjolen, gegen Siidwesten das Dovrefjeld,
gegen Siiden das Long fj eld; dazu kommen viele Lokalbenen-
nungen. Im Ganzen hat das Gebirge alpine Natur, nicht so sehr
wegen der vertikalen Erhebung als wegen der horizontalen Aus-
dehnung gegen Norden. Im Dovrefjeld beginnt die Schneelinie bei
5000', in den Gebirgen Lapplands schon bei 2800', und an der
Seeseite immer um einige Hundert Fuss friiher als an der Ostseite.
Daher ist der grosste Theil der Berge mit ewigem Schnee bedeckt ;
Lawinenstiirze sind haufig und Gletschermassen eteigen bisweilen
*) Schweden und Norwegen gehSren zu den am dfinnsten bev6lkerten Staaten
Europa's. In Schweden leben im Durchschnitte auf Einer QMeile 455, in Nor-
wegen 256 Bewohner. In Schweden variirt die relative VolkszahJ von 3200 bis
auf 41, in Norwegen von 1742 bis auf 42 Menschen auf 1 QMeiIe- Schweden hat
90 Stadte, Norwegen 40, der bei weitem grfisste Theil der Bewohner entfallt auf
die Landbevolkerung.
tief herunter. Die Regionen der Nadelholzer und Birken reichen
ziemlich hoch, an diese schliessen sich Alpenpflanzen, Flechten und
Moose an. Nirgends auf der Erde reicht eine so grossartige Alpen-
natur mit Bergmassen, Passen , Schneefeldern und Gletschern so
hoch gegen Norden hinauf , als auf dieser Halbinsel. Einzelne
Bergspitzen ragen iiber 7000', viele zwischen 5000 und 6000'
empor.
Gewasser. Die skandinavische Halbinsel wird vom nb'rd-
lichen Eismeer und dera atlantischen Ocean nebst seinen Theilen
(Nordsee, Skagerrak, Kattegat, Ostsee mit dem bottnischen Busen)
bespiilt. Diese Meere sind in der Regel stiirmisch und der Schiff-
fahrt gefabrlich. Die Westkiiste ist ungemein zerrissen; zahllose
Buchten und Einschnitte (Fjorde) bilden zwar geraumige Hafen,
doch sind sie wegen der Btarken Brandung kaum benutzbar. Vor
der West- wie vor der Ostkuste liegen zahlreiche Felsinseln und
Klippen; die letzteren werden Scheeren (Skaren) genannt. Die nor-
wegische Kiiste heisst auch Fjordenkuste, die schwedische am
bottnischen Meere die Scheerenkuste.
Die Halbinsel ist sehr reich an Flu s sen und Seen, doch
sind in Schweden nur wenige Fliisse, in Norwegen keiner fiir die
Schiffahrt geeignet. Zu den grosseren (Elf genannt, die kleineren
heissen A = oa) gehoren : die Got a -Elf, Abfluss des Wenern-Sees in
das Kattegat, bildet die schonen Trollhattawasserfalle, neben wel-
chen der fiir die Schiffahrt wichtige Trollhattan-Kanal fiihrt ; —
die Motala-Elf, fliesst aus dem Wettern-See in die Ostsee; —
in den bottnischen Busen ergiessen sich: die Dai-Elf, Schwedens
grosster Fluss, die Angermann-, Umea-, Pitea-, Lulea-,
Tornea-Elf mit dem Munio, letztere zwei als Grenzfliisse gegen
Kussland. Die norwegischen Fliisse, welche in das atlantische Meer
fallen, haben den Charakter von Bergstrb'men und ergiessen sich
nach kurzem , reissendem Laufe mit vielen hohen Wasserfallen in
die gleichnamigen Fjorde. Bemerkenswerth sind die mit siidlicher
Richtung: die Klara-Elf durchfliesst den Famund-See und ergiesst
sich in den Wettern-See, — der Glomen, der Dram men
und der Louven miinden in das Skagerrak. — Sehr zahlreich
sind theils im Gebirge, theils am Fusse derselben die Seen: der
Wenern-See, mittels des Gota-Kanals mit dem Wettern-See
verbunden (durch den Gota und Motala und diese zwei Seen be-
steht eine Verbindung zwischen Nord- und Ostsee) ; — der Hj a 1-
mar-See und Schwedens schonster See, der Malar -See, welche
letzteren der Hjalmar - Kanal verbindet. In den Malar - See
fiihrt weiters der Strom sho 1m s- Kanal aus den Bergwerksdistrik-
ten von Dalarne und der S odert el ge -Kanal aus dem Malar
in die Ostsee. — Im Norden breiten sich grosse Siimpfe und
Moraste aus.
Politische Eintheilung. Norwegen ist ein eigener Staat in
Personal-Union mit Schweden , das heisst in alien inneren Verhalt-
nissen ist es ein vollig unabhangiges Konigreich, steht aber unter
gemeinschaftlichem Oberhaupte mit Schweden, und der schwedische
Kronprinz ist Vicekonig von Norwegen.
Kluu's Ilandols-Gengrapbie. 2. Aufl. 22
8*8
SchWeden wird eingetheilt in drei Landstriche:
1. Schwedenland (oder Swealand): Stockholm (100.000), Nykoping,
Upsala, Dannemora, Falun (Landschaft Dalekarlien), Sala, Elfdalen.
2. Gothenland (GOtaland): G6teborg (Gothenburg 32.000). Landskrona,
Helsingborg, MalmO, Lund, Karlskrona, Calmar, NorkOping; — Inseln: Oeland und
Gotland (Stadt: Wisby).
3. Nordland(Norrland) mitLappland: Gefle (10.000), Hernosand, Lulea
(im Norden nur unbedentende Dorfer).
Norwegen wird eingetheilt in funf Stifte:
1. Stift Christiania oder Aggerhuus: Chris t ia nia~(40.000), Eorten,
Frederikshald, Drammen, VallOe, Laurvig, Kongsberg.
2. Stift Christian sand: Christians and (10.000), Arendal, Stavanger.
3. Stift Bergen: Bergen (26.000).
4. Stift Drontheim (Trondhjem): Drontheim (16.000), Roeraas.
5. Stift Tromsoe (Nordland, Finnmarken oder norwegisches Lappland und
die finnmarkischen Inseln): TromsOe (2000, auf der Insel TromsOe), Hammerfest
(4000, auf der Insel Qualfte), KjelTiig (anf der Insel Magerfle, — Nordkap),
Wardoehuus.
KulturverMltnisse im AUgemeinen
Die natiirliche Bescbaffenheit des Bodens mit den ausgedehn-
ten Gebirgen, Fliissen, Seen und Siimpfen, dann das vielfach rauhe
Klima sind der Landwirthschaft, insbesondere dem Ackerbau,
nicht giinstig. Von der Gesammtflache entfallen nur etwa 7% auf
Ackerland und nicht ganz 3% auf Wieeen; dagegen nimmt der
Waldboden fiber 60% ein. Der grosste Theil des Bedarfes an Ge-
treide, namentlich in Norwegen, muss durch fremde Zufuhren
gedeckt werden. Nur die sfidlichen Provinzen Schwedens bis gegen
Stockholm hinauf erzeugen hinreichend fur den Bedarf, in den
nordlichen Gegenden gewinnt der Kartpffelbau an Auebreitung;
der Ertrag in Norwegen ist dagegen ein eehr geringer. Weizen
wird etwa bis zum 60° n. B., Hafer bis zum 64°, Roggen und Hanf
bis 67°, die Gerste bis 70° und die Kartoffel bis tiber 71° n. Br.
angebaut. Die Jahresproduktion an Handelspflanzen, als Hanf, Flachs,
Hopfen, Tabak u. s. f. ist gleichfalls nicht ausreichend. Grossen
Reichthum hat das Land an Beeren aller Art, Haselnusse exportirt
Norwegen in Menge, die Gewinnung des islandischen Mooses ist
bedeutend. Zu den Hauptprodukten beider Lander gehort das
H o 1 z , Bretter und Bauholz werden in grosser Menge ausgefiihrt ;
die Forstwirthschafl lasst jedoch noch Vieles zu wiinschen iibrig,
obwohl in den letzten Jahren hiefflr vieles geschehen ist , und die
Forstschulen zu Stockholm und Nora bereits ihren Einfluss an
Tag legen.
In den weidereichen Gebirgsgegenden ist die Viehzucht
von Bedeutung, die mehrfach nach Schweizerart betrieben wird.
Die Pferde sind klein aber ausdauernd; die Schafzucht beginnt sich
zu verbessern, in Berggegenden ist die Ziege einheimisch. In den
Polarlandern ist das niitzlichste Hausthier das Rennthier. Pelzthiere
kommen in sehr grosser Menge vor, dessgleichen Federwild (Schwjlne
und Eiderganse). Ungemein ergiebig ist die F i s c h e r e i , sie
reicht fur den grossen Bedarf der Nordgegenden aus und bringt
Haringe, Stromlinge, Stockfische, Lachse, Hummern und Austern
zur Ausfuhr.
Der grosete Reichthum Skandinaviens liegt im Bergbau. Kein
889
Land der Erde besitzt so viel und so treffliches Eisen als Schwe-
den, und zwar in den Provinzen Wermland, Dalarne, Nerike, West-
manland und Upland (zwischen 59 und 61° n. Br.) mit dem Haupt-
sitze Dannemora (4V2 Meile von Upsala). Im Jahre 1855 betrug
die Gesammtproduktion Schwedens an Bergerzen iiber 6,400.000 Zent-
ner und an See-Erzen 290.000 Zentner. An Roheisen wurden im
genannten Jahre produzirt nahe an 3,360.000 Zentner, woraus an
165.000 Zentner Gusseisen und 2,132.000 Zentner Stabeisen ge-
wonnen wurden *). Nachst dem Eisen ist das K u p f e r das wich-
tigste Produkt und zwar zu Falun (Schweden) und Roraas
(Norwegen); doch hat die Gewinnung in den letzten Jahren abge-
nonimen. Die Ausbeute an edlen Metallen ist relativ geringe (Sil-
ber zuKongsberg in Norwegen und Sal a in Schweden, Gold
in Sala und Adelfors , letzteres doch unbedeutend). Die Fiille von
Waldungen lasst die geringe Menge des mineralischen Brennstoffes
nicht fiihlen. Im Siiden von Schweden finden sich Braunkohlen,
an vielen Orten Torfmoore, welche theilweise fur die Eisenindu»trie
ausgebeutet werden ; die Einfuhr von englischer Steinkohle
nach Gotheborg und von da fiber Stockholm zu den Eisenwerken
ist iibrigens ziemlich bedeutend. Zudem ist noch die Gewinnung
von Kobalt und Alaun (Oeland) nennenswerth. Reich ist das Land
an Manner, Bau- und Schieferst einen ; sehr schonen Porphyr hat
die Umgegend von Elfdalen. Empfindlich ist der Man gel an Salz
wegen des grossen Bedarfes zum Einpokeln der Fische; die einzige
Saline ist in Vallfl (Norwegen), etwas Seesalz wird in Drontheim
bereitet, doch ist die Einfuhr aus Frankreich, Portugal und Spanien
erheblich. — Die vorhandenen Mineralquellen sind fiir das Aus-
land nicht von Bedeutung.
Gewerbliche Industrie. Die naturlichen Verhaltniese des
vielfach unwirthbaren Landes mit dem rauhen Klima, den Sumpfen
und Morasten, dann die relativ geringe Bevolkerung haben bis jetzt
grosse Hindernisse einer grb'sseren Entfaltung der Industrie ent-
gegengestellt. Diese ungunstigen Faktoren nehmen gegen Norden
zu und es ist erklarlich , dass fiber vier Funftel der Bevolkerung
ihren Erwerb in der Landwirthschaft, Fischerei und Schiffahrt
suchen, dass die inlandischen Fabriken die Bedfirfnisse des Landes
nicht befriedigen konnen. An der Westkiiste ist das Hauptgeschaft
der Bevolkerung die Fische re i, im Inneren des Landes der Holz-
schlag, Bergbau und Hut tenbetrieb, im ostlichen und siid-
lichen Theile Schwedens der Ackerbau und die Viehzucht.
Die hausliche Gewerbethatigkeit sorgt fiir die Befriedigung der ge-
ringen Bediirfnisse; der Landmann verfertigt im Winter seine Ge-
rathe und Werkzeuge, Wollenzeuge und Leinwand. Trofz der Be-
strebungen der Regierung hat eine ausgedehntere Fabriksindustrie
*) Im Jahresdurchschnitt 1834—1838 betrug die Roheisenerzengang 1,858.452
Zentner, im Jahre 1854 schon 2612.344 Zentner. In den Gruben von Dannemora
werden mit Hilfe von etwa 400 Arbeitern 300.000 Zentner Erze gewonnen, woraus
an 150.000 Zentner Roheisen in 19 HochOfen erblasen werden. Im Ganzen besitzt
Schweden an 300, jedocb meisiens kleine Hochofen. Die Stabeisenerzengung geschieht
in mehr als 1000 FrischSfen nnd nur 16 PuddelOfen, woven 6 in der grossen Ma-
Bcbineafabrik zu Motala am Gothakanal sind.
22*
noch nicht Wurzel geschlagen *). Voran steht Stockholm, wel-
ches wohl mehr als die Halfte der feineren Erzeugnisse des Landes
liefert; zunachst stehen : Gothenburg, Norkoping, Karlskrona, Malmo,
Gefle ; in Norwegen: Bergen, dann Christiania, Drontheim und
Arendal. — Am bedeutendsten ist die Industrie in Me tall w a a-
ren und unter dem eigentlichen Manufaktureisen haben Anker und
Ketten den grossten Ruf. Schmieden und Stahlfabriken sind in
der Umgegend von Dannemora, eine Stiickgiesserei in Stockholm,
Gewehrfabriken in Kongsberg, Orebro und Eskilstuna, die beriihmte
Maschinenfabrik zu Motala **). Em sehr grosser Theil des Roheisens
geht theils in Form von Gusseisen und Stahl, besonders aber als
Stabeisen ins Ausland***). — Der Schiffbau ist ausgezeichnet
und werden auch vollstandig ausgerustete Schiffe an das Ausland
verkauft. Bekannt sind die Schiffswerften von Stockholm, Gothen-
burg und Bergen, das Segeltuch und Tauwerk von Stockholm,
Karlskrona, Malmo und Gothenburg, wo sich auch treffliche Anker-
schmieden befinden. Der grosse Waldstand begunstigt die Ver-
arbeitung von Holz; an jedem Flusse findet man Sagemuhlen (die
grossten in der Umgegend von Drammen) und das KohJen-, Pech-,
Theer- und Pottaschebrennen beschaftiget viele Tausende. —
Zuckerraffinerien und Tabakfabriken sind in Gefle und Malmo,
grosse Gerbereien in Christiania, Bierbrauereien in Gothenburg und
Sudschweden , leider nehmen die Branntweinbrennereien ungemein
uberhand. Ansehnlich sind die Tuchfabriken zu Norkoping, Stock-
holm, Nykoping und Linkoping, die Baumwoll- und Leinenfabriken
zu Stockholm, Gothenburg, Karlsham, Leder zu Stockholm, Glas-
hutten, Spiegel zu Kalmar u. s. f. Im Allgemeinen steht die In-
dustrie in Schweden auf einem viel hoheren Standpunkte als in
Norwegen.
Handel. Der bedeutende Seehandel und die Schiffahrt reihen
die vereinigten Konigreiche unter die grossen Handelsstaaten ein.
Die ansehnlichsten Handelsplatze sind: (in Schweden) Stockholm,
welches allein mehr als die Halfte der gesammten Handelsgeschafte
betreibt, dann Gothenburg, Gefle, Norkoping, Wisby, Calmar, Malmo
und Karlskrona; — (in Norwegen) B e r g e n , Drammen, Christiania,
Drontheim, Laurvig. — Schweden. Der Werth der importirten
Waaren betrug im Jahre 1857 nahe an 57 Millionen Reichsthaler-
Banko und jener der exportirten nahe 52 V3 Million Reichs-
*) Zu Ende des Jahres 1856 bestanden in Schweden 2462 Fabriken mit etwa
29.000 Arbeitern; davon waren 106 Tuchfabriken, 28 Baumwollen- und Leinen-
webereien, 19 Baumwollspinnereien, 12 Seidenfabriken, 16 Zuckerfabriken, 110 Tabak-
fabriken, 571 Lederfabriken, 16 Papierfabriken, 15 Glasfabriken, 33 mechanische
Werkstiitten n. s. f.
**) Ein machtiger Hebel zurForderung der Eisenindustrie ist das Jern Con tor,
das ist ein Verein der meisten Stabeisen-Produzenten, welcher ein Kapital von uber
2 Millionen Gulden besitzt und mit dem koniglichen Bergkollegium vere'nt wirkt,
Sammlnngen anlegt, Schulen griindet und unterstiitzt, Versuche veranstaltet, Be-
reisungen vornehmen lasst n. s. w.
***) Die Preise sind je nach den verschiedenen Hutten sehr verschieden, im All-
gemeinen aber nicht hoch, denn ein Zentner Roheisen kommt in Stockholm etwa auf
21/, Gulden, Stabeisen auf 6—8 Gulden und Stahl auf 10 - 20 Gulden zu stehen.
841
thaler-Banko , wobei Grossbritannien und Lfibeck, dann Russland
am starksten vertreten waren. Auch mit Hamburg, Bremen, Dane-
mark, den vereinigten Staaten von Nordamerika, Preussen und dem
Oriente ist der Verkehr lebhaft. Bei der Einfuhr nimmt der
Rohzucker den ersten Platz ein , dann folgen Kaffee , Baumwolle,
Tabak, Wolle, Haute und verschiedene Manufakte, namentlich Baum-
wollwaaren; die Einfuhr von Steinkohlen ist im Wachsen. ZurAus-
fuhr gelangten am starksten: Eisen und Stahl (roh und verarbeitet),
Bauholz und Schiffholz, Bretter (meist nach England), die Neben-
nutzungen der Walder (Pech, Pottasche, Theer u. a.), Leder, Pelz-
werk, Fiscbe u. dgl. — Die Zahl der angekommenen Schiffe
betrug 6474 mit etwa 245.000 Lasten (darunter 3337 schwedische
mit 106.000 Lasten), der abgegangenen 8123 mit nahe 420. 000 La-
sten (4627 schwedische mit 163.000 Lasten). In Norwegen entfallt
iiber die Halfte des Exportwerthes auf F i s c h e (im Jahre 1854 um
etwa 14 Millionen Gulden), zunSchst stehen: Thran, Kartoffel, ge-
schmiedetes Eisen, Holzer und Bretter; bei der Einfuhr stehen am
hochsten: Getreide (im Jahre 1854 um beilaufig 7 Millionen Gul-
den), Kaffee und Zucker (an 4T/2 Million Gulden) Tabak, Hanf
und Flachs, Webe- und Wirkwaaren, Eisenwaaren u. s. f. Bei der
Einfuhr, welche im Jahr 1855 an 36 Millionen Gulden betrug,
sind am starksten betheiligt : Danemark (mit etwa einem Drittel des
Gesammtwerthes), Grossbritannien, die Hansestadte, Schweden, Hol-
land und Belgien, Frankreich ; — bei der Au sf uhr (mit etwa 59 Mil-
lionen Gulden im Jahre 1855) Grossbritannien (nahe 13 Millionen
Gulden), Holland und Belgien (12 Millionen Gulden), Danemark,
Schweden , Frankreich u. s. f. Fur Schweden sowohl als fur Nor-
wegen sind die Handelsbe ziehungen mit Hamburg , von wo
Baumwolle und Baumwollwaaren, Wolle, Seidenwaaren, Glaswaaren,
alle Kolonialartikel bezogen werden, von hoher Wichtigkeit, und die
Riickwirkung der jeweiligen GeldverbUltnisse dieses Platzes ist jeder-
zeit in Schweden fiihlbar. — Der Binnenhandel wird zumeist
auf den Seen und Kanalen vermittelt, die Flusse sind der Schiff-
fahrt sehr wenig gunstig; im Siiden sind vortreff liche Landstrassen,
im Norden ist der Hausierhandel vorherrschend. Eisenbahnen, viele
Banken, die Garantievereine zu Stockholm und Christiania, Handels-
gesellschaften, As sekuranzen, zahlreiche Dampfschiffahrtsverbindungen
fmit St. Petersburg, Hamburg, Liibeck, Stettin, Kopenhagen u. s. w.
ordern den Handel.
Der Zustand der geistigen Kultur ist ein erfreulicher. Die
zahlreichen Volksschulen sind vortrefflich eingerichtet , und die
oft weit auseinander liegenden l£ndlichen Wohnungen werden von
Schullehrern besucht. Fast alle echwedischen und norwegischen Bauern
konnen lesen, die meisten auch schreiben ; in Norwegen bestehen
darauf bezQgliche strenge Gesetze. Die Mittelschulen als Vorberei-
tung fiir die Universitaten (Upsala, Lund, Christiania), sowie letztere
selbst, sind nach deutschem Systeme organisirt. Viele Spezial-
Anstalten fiir Ackerbau, Forstweeen, Gewerbe, Schiffahrt u. s. w.
sorgen sowie die Kunstanstalten fur die Hebung der geistigen Kul-
tur und Schweden hat sich namentlich durch seine hohen Ver-
342
dienste um dieNaturwiesenschaften ausgezeichnet. Wahrend Schweden
und Norwegen eine sehr beachtenswerthe Stellung unter den euro-
paiechen Volkern einnehmen; stehen die im Norden wohnenden Fin-
nen und Lappen noch auf einer sehr niederen Kulturstufe, inebesondere
sind die Lappen noch Nomaden , welche mit ihren Rennthieren im
Sommer die hoher gelegenen Weiden suchen. In Drontheim besteht
•jedoch ein Seminar zum Unterrichte junger Lappen, und bei den
Bestrebungen der Regierung zur Forderung der Volksbildung ist
nicht zu zweifeln, daes nach und nach auch diese Volkerschaften
auf einen hoheren Grad geistiger Kultur werden gebracht werden.
XIII. Das Kaisertfium Russland.
§. 148. Bestandtheile. Bevttlkerung.
'•
In Europa:
a) europaischer Theil
Russlands 88.072
b) KOnigreich Polen. 2320
c) Grossfflrstenthum
Finnland 6844
Einwohner
52.320.000
4,850.000
1,637.000
2. In Asien;
Einwohner
97.236 58,807.000
a) Kaukasien(Gouver-
nement Stawropol
und das Kosaken-
land am schwarzen
Meere)
8042 3 200 000
tn wih H fun? tufel
b) Sibirien. . .
255 155 4867000
jftuiioH- \(ntJiMui!&
c) Amur-Gebiet
9800 unhekannt
uxi'i , KofowifoB
russisch-americanische
Compagnie
272.997 8,067.000
24 300 54 000
3. In America
Gesammtmonarchie*) 394.533 66,928.000
*) Besitzveranderiingen : 1. Die Abtretung, welche der Pariser Friede
vom 30. Marz 1856 dem ru<-sischen Reiche auferlegte (mit 205 QMeilen), wurde bei
den Berechnungen der nstatistischen Central-Kommission" noch nicht in Abschlag ge-
bracht. — 2. Seit den erwahnten Berechnungen (vom Jahre 1856, publizirt in
St. Petersburg im Jahre 1859) hat sich das russische Asien ungeraein vergrOssert,
Durch den am 28. Mai 1858 zu Aigan mit China geschlossenen Vertrag erwarb
Kussland einen Theil der Mandschurei mit einem Flachengebiet von etwa 9800
QMeilen. indem der Amur von seinem Ursprnnge bis znr Einmundnng des Ussuri
als Grenze zwischen beiden Reichen bestimmt ward, unterhalb des Ussuri dagegen
beide Urer des Amur als Eigenthum Russlands erklart wurden. Der jungste Vertrag
mit Japan sprach Russland den nOrdlichen Theil der Insel Sachalin (im Ochozki-
schen Meere) zu. — 3. Durch die im September 1859 beendete Unterwer-
fung des Daghestan (der BergvSlker des Kaukasus) hat das Reich abermals eine
sehr \vichtigeVergrosserungerlangt. Staatsrath P. v. KOppen berechnet den Flachen-
raum der ganzen kaukasischen Statthalterschaft auf 8041 ,, QMeilen (Petermann's
Mittheilungen, Nr. I n. II I860); die hie und da anf 1,400.000 bis 1,500000 an-
gegebene Bevolkerungszahl des nen erworbenen Gebiets diirfte zu hoch gegriffen sein,
doch ist bis jetzt nichts Bestimmtes daruber bekannt. Berger (Sekretar der geogr.
Ges. zu Tiflis) gibt die BevOlkernng des Kaukasus anf 399.761 an. Die Seelenzahl
ist nach den in den Jahren 1846 und 1852 gesammelten Berichten angegeben. (Pe-
termann's Mitth. 1860 V. pag. 165.) — Im September 1858 hat das statistische
Central- Comite* ^statistische Tabellen des russischen Reiches" verCffent-
licht; das ganze fruhere, ohnehin sehr unvollstfindige Material stellt sich jetzt als
veraltet oder unrichtig heraus.
848
Der gross te Theil der Bevolkerung bekennt sich zur griechisch-nicht-
unirten Religion (fiber 50 Millionen), an 7'/t Million geboren zur r5misch-ka-
tholischen Kirche, ferner Bind Armenier, Protesranten (an 2 '/, Million), Israeliten
(I'/z Million), Muhamedaner (nahezu 3 Millionen) and Heiden. — Nach der Na-
tional! tat sind beinahe 53 Millionen Slaven, dann iinnische, turkische, lithauische,
germanische, lateinische Volker, mongolische Stamme n. s. w. Im Ganzen leben
ft her 100 an Sprache and Sitte verschiedene VOlker. — Russland ist eine untheil-
bare, unumschrankte Erbmonarchie. Die Thronfolge geschieht nach demRecbte der
Erstgeburt in mannlicher und weiblicher Linie des Hanses Holstei n- Gottorp vom
oldenbnrgiscben Stamme.
Boden. Der grSsste Theil des europaischen Russland gehort
dem grossen Flachlande Nordost-Europas oder der sarmatischen
Tiefebene an. Kaum der zehnte Theil ist eigentliches Gebirgs-
land , wahrend sich das einfSrmige Tiefland fiber 400 Meilen in
die Lange und fiber 300 Meilen in die Breite ausdehnt. Das
Ber gland tritt nur an den Grenzen empor. Als Grenze
zwischen Europa und Asien, zwischen der sarmatischen und si-
birischen Tiefebene zieht sich das 330 Meilen lange Meridian-
gebirge, der Ural, der auf Nowaja Zemlja beginnt, die Insel Wa-
jatsch durchzieht und sich im Stiden gegen das kaspische Meer und
zum Aralsee zur Tiefebene herabsenkt. Er wird in drei Partien
geschieden ; der nordliche, wfiste und kahl, reicht hinunter bis zu
den Petschora- Quellen ; — der mittlere, reich an Erzen und Hoch-
gipfeln, erstreckt sich bis zu der Einsenkung bei Jekatarinburg ; —
der sudliche waldreiche besteht aus drei Parallelketten, es beginnt
die Plateaubildung, an welche sich die sudlichen Steppenlandschaf-
ten anschliessen. — Vom schwarzen bis zum kaspischen Meere
zieht sich der Kaukasus (150 Meilen lang) in mehreren Ketten,
welcher sich durch seine plateauartige Gestaltung in hohen Terras-
sen auf beiden Seiten des Hauptkammes auszeichnet. (Elbrus 17.000.)
— Im Sfiden der Halbinsel Krim ist das Jail a- Gebirge, welches
sich zu einem wellenformigen Flachlande herabsenkt; im Norden
des letzteren und der Landenge von Perekop liegt eine wasser- und
baumlose Steppe. — Im Westen streichen Verzweigungen der Kar-
pathen in das Land, welche am Dnjestr das Medoborskische
Gebirge (Honigwald) genannt werden. — Das f inn ische Gebirge,
eine Fortsetzung des skandinavischen , erstreckt sich als schmaler
Landriicken von geringer Hohe (hochstens 1200') zwischen dem
bottnischen Busen und dem weissen Meere.
Das Tiefland imlnneren Rus s Ian ds wird durch zwei breite
LandhShen unterbrochen und in ein nordliches, ein mittleres und
ein sudliches Tiefland geschieden. Dienordliche oder uralisch-
baltische Landhohe zieht vom Quellengebiete der Kama (im
Westen des Ural) westlich bis zur Norddeutschen Landhuhe an der
Ostsee, wo die preussische Seenplatte deren Fortsetzung bildet.
Charakteristisch sind die zahlreichen Seen. Die grSsste Erhebung
ist die Waldai-Hohe oder der W olchonski - Wald, das
Quellenland der Wolga. Im Norden dieser Landhuhe liegen weite
Walder, Sfimpfe und Seen, an welche sich eine wiiste Wildniss mit
Flechten und Moosen (Tundra genannt) anschliesst. — Die siid-
liche oder uralisch -karpat hische Landhohe beginnt als
Obstschij-Syrt am Sudende des Ural, zieht gegen Westen als do-
344
nische, ukrainische, podolische und wolhynische Landhohe, an welche
sich die polnische anschliesst, wo die Lysa-Gora nahe an 2000'
Hohe erreicht. Zwischen den beiden Landhohen liegt das grosse,
fruchtbare und angebauteste Tiefland des mittleren Russland, reich
an Ackerprodukten und W&ldern. ^m Siiden der uraliach-karpathi-
schen Landhohe liegen die Steppen Siidrusslands; doch ist das
Land im Westen des Don fruchtbar, auch breiten sich grosse
Grasfluren aus. An der Ostsee und im Siiden des finnischen
Meerbusens gibt es viele fruchtbare Getreidegegenden und schone
Wiesen , aber auch Waldungen , Haiden und Moraste; zwischen
deui finnischen und bottnischen Busen liegt die finnische Seenplatte.
Gewasser. Das europaische Ruseland bespiilen das nord-
liche Eismeer (mit dem kariachen Meer, der Tscheskaja-Bai,
dem weissen Meere : Dwina-, Onega- und Kandalaskaja-Busen), die
Ostsee (bottnischer, finnischer, rigaischer Busen) und das schwarze
Meer (Golf von Odessa, todtes Meer, azow'sches Meer). Die Kiiste
des bottnischen und die Nordkiiste des finnischen Busens sind felsig
und steil, vor denen zahllose Felseneilande liegen, ahnlich der
Fjordenkuste in Norwegen; im Siiden des finnischen Busens und
am rigaischen sind die Kusten meist flach und sandig. Das Eis-
meer hat flache Kiiste , dessgleichen das schwarze Meer mit
Ausnahme der Halbinsel Krim und im Osten der Strasse von
Kertsch.
Kein Land der Erde hat verhaltnissmassig so viele bedeutende
und schiffbare Fliisse und eine so ausgebreitete durch Kan ale
vermittelte Wasserverbindung. Die uralisch-baltische Landhohe bil-
det die Wasserscheide zwischen dem nordlichen Eismeere und der
Ostsee im Norden und Nordwesten, dem schwarzen und kaspischen
Meere im Siiden und Siidosten. — Unter den nordlichen Fliissen
sind die bedeutendsten die Petschora und Dwina. Erstere er-
halt ihre Wasser vom Ural, bespiilt in ihrem Laufe (150 Meilen)
keinen Ort von einiger Bedeutung, ihr Gebiet (iiber 3000 QMeilen)
sind fast durchgehends Wiisteneien; letztere entsteht aus der Ver-
einigung der Wytschegda und Suchona (unterhalb Ustjug
Weliki), und miindet bei Archangel. Sie hat rechts im Me sen,
links in der Onega zwei begleitende Flusse. — In den bottnischen
Busen ergiesst sich der Grenzfluss Tornea; die New a (der weuro-
paische Lorenzstrom") ist der kurze Abfluss des Ladoga-Sees in
den finnischen Busen. Unter den vielen Zufliissen des Ladoga- Sees
sind die wichtigsten : der Wuoxa aus dem Saima-See, der Swir aus
dem One*ga-See und der Wolchow aus dem Ilmen-See. Aus dem
Peipus-See fliesst die schiffbare Narwa in den finnischen, aus den
Sttmpfen des Wolchonski-Waldes die D ii n a in den rigaischen Meer-
busen; der schiffbare Njemen ergiesst sich in das kurische Haff
und die Weichsel durchfliesst als Hauptfluss Polen, wo sie den
Bug aufnimmt. — Der grosste Theil des mittleren Russland bildet
das Stromgebiet der Wolga; sie ist die wichtigste Verkehrsader
dea Reiches, welches sie von der Waldai-Hohe bis zum kaspischen
Meere durchstromt und ist mit den nord- und siidrussischen Flussen
durch Kanale verbunden, wodurch eine schiffbare Verbindung zwi-
845
schen dem weissen Meere, der Ostsee, dem schwarzen und kas-
pischen Meere besteht. (Siehe S. 56, III. 1.) Ihre grossten Neben-
flilsse sind die Oka mit den zahlreichen Zuflussen des Tieflandes
aus dem mittleren Russland und die Kama, welche zahlreiche
Gewasser des Uralgebirges bis von den Quellen der Petschora her
sammelt und der Wolga zufiihrt. Vom Slid- Ural fliesst der Ural
(auch Jaik) dem kaspischen Meere zu, er wird als Grenzfluss zwi-
schen Asien und Europa angenornmen. Vom Kaukasua ergiessen
sich in das kaspische Meer die Kuma, der Terek und der Kur.
— Die beiden grossen Strome, welche aus dem inneren Russland
durch die uralisch-karpathische Landhohe und die Steppenzone zum
schwarzen Meere heraustreten, sind der Dnjepr und der Don.
Ersterer erhalt seine Zuflusse aus dem Quellenlande der Wolga und
Dwina (Suchonaj (siehe S. 56), wird schon oberhalb Smolensk (von
Dorogobusch) schiffbar , aber unterhalb Kiew wird die Schiffahrt
durch Wasserfalle (nPorogen") erschwert. Drei Kanale verbinden
ihn und das schwarze Meer mit der Ostsee. (Nebenfliisse : Beresina,
Pripet, Dosna u. v. a.) Das Wassergebiet des zweiten ist fast ebenso
gross als jenes des ersteren (iiber 10.500 QMeilen); der Don ist
durch Kanale mit der Wolga verbunden und miindet in das azow'sche
Meer. Vom Nordostabhange der podolischen Landhohe kommend,
miindet der Bug bei Nikola jew. Der Kuban, vom Nordabfalle
des Kaukasus, bildete ehemals die Grenzen zwischen Russland und
dem Lande der Tscherkeesen, ergiesst sich in die Strasse von Kertsch
— Aus den Karpathen kommen der Dnjestr (siehe S. 56) und
der Pruth als Grenzfluss gegen die Moldau und der sich bei
Remi in die Donau ergiesst Endlich gehort die Donau in ihrem
Mundungsgebiete (siehe S. 54) diesem Reiche an.
Unter den zahllosen Binnenseen sind in Europa die be-
deutendsten: die finn i s ch en Seen, welche einen grossen Theil des
Landes bedecken und meistens unter einander in Verbindung ste-
hen (Paijane, Saima, Enara), — der Onega-, der Ladoga- (Eu-
ropas grosster Landsee), der Pe'ipus- und der Ilmen-See, der
Salzsee Elton (im Nordwesten des kaspischen Meeres). Die me]i-
sten Seen sind in Finrland , in den Gouvernements Archangel
und Olonetz, und in den Ostseeprovinzen. Im sudlichen Russland
befinden sich nur viele Salzseen. In Archangel, Lithauen und
Wolhynien sind viele Sumpfe.
Das Kanal system Russlands £ist von grosser Wichtigkeit,
indem durch dasselbe sammtliche, die Grenzen des Reiches bespu-
lende Meere mit einander in Verbindung gesetzt sind. Verbin-
dung der Ostsee mit dem k'a s pti s c h e n M e e r e : J a) .Kanal
von Wischnij - Wolotschok vereinigt die Twerza mit der Msta
(Zufluss des Ilmen-Sees) , und dadurch die Wolga mit der Newa;
— b) der Marienkanal, welcher die Kowsha (Zufluss des weissen
Sees [Bjelosero]) mit der Wytegra (Zufluss des Onega-Sees), also
wieder Wolga mit Newa verbindet; — c) der Tichwin'sche Kanal,
welcher durch Vermittlung mehrerer kleiner Flusse die Mologa
(Nebenfluss der Wolga) mit dem Ladoga-See in Verbindung setzt.
Mehrere andere Kanale dienen zur Vermeidung der oft sehr gefahr-
846
vollen Schiffahrt am Ladoga-, Onega-, Bjeloje- und Ilmen-See,
und erleichtern die Schiffahrt in dieser Richtung. — 2. Verbin-
dung zwischen dem weissen und kaspischen Meere:
a) der kubenische Kanal verbindet die Suchona (Dwina) mit der
Scheksna (Wolga); — b) der nSrdliche Katharinenkanal verbindet
die Nebenfliisse der Kama (Wolga) mit der Wytschegda (Dwina). —
3. Verbindung zwischen der Ostsee und dem schwar-
zen Meere: a) Beresina - Kanal , verbindet die Beresina, somit
den Dnjepr mit der Diina ; — b) der oginskische Kanal zwischen
der Schtschara (Njemen) und Jasiolda (Dnjepr); — c) der konig-
liche Kanal verbindet den Bug (Weiehsel) mit der Pina (Jasiolda,
Dnjepr). — 4. Verbindung zwischen dem schwarzen
und kaspischen Meere: a) der Graben Peters M zwischen
Nebenflussen de8 Don und der Wolga ist noch unvollendet, doch
werden Versuche, theils den Dnjepr, theils den Don mit der Wolga
zu verbinden, fortgesetzt.
Kliina. Bei der grossen horizontalen Ausdehnung des Reiches
ist das Klima sehr verschieden und man unterscheidet diessfalls
vier Landstriche: den warm en (eiidlich vom 50° n. Br.), sehr
fruchtbaren, mit vorherrschender Weizenkultur und grossen Laub-
holzwaldern; in den sudlichen Thalern gedeiht die Rebe, der Oel-
baum u. s. f. , der Sommer ist lang, diQckend heiss, der Winter
kurz (Odessa, Sebastopol, Astrachan); — die mittleren oder
gemassigten (50 — 57° n. Br.), mit den fruchtbarsten und bestange-
bauten Theilen des europaischen Reichee ; grosse W alder wechseln
mit Peldern und Wiesen , der rauhe Winter dauert an sieben Mo-
nate, der heisse Sommer an fiinf Monate (Warschau, Moskau, Nishnij-
Nowgorod, Kasan , Jekatarinburg , Orenburg); — den k alt en
(57—67° n. Br.) mit langem rauhem Winter, die Fltisse sind ge-
wohnlich von Mitte Oktober bis Ende Mai zugefroren , Frfihling
und Sommer sind kurz, letzterer sehr heiss, Ackerbau bis 60° n. Br. ;
bei 65° n. Br. hort die Viehzucht auf (St. Petersburg, Abo, Archan-
gel); — 4. den arktischen, nordlich von 67 °n. Br., unempfang-
lich fiir europaische Kultur , der Boden unwirthbar , theilweise
Sumpfland, haufig gefrorne Moraste, die Nachte des kalten, langen
Winters werden vom Nordlichte erhellt. Die traurigen Einoden be-
wohnen Lappen, Samojeden.
Politische Ein<heilung. In administrativer Hinsicht wird das
russieche Reich inGouvernements und Gebiete (oblastj) ein-
getheilt, deren es gegenwartig 65 hat. Einige sind General-Gou-
vernements (im Ganzen 10). Lrstere werden im europaischen Russ-
land und in Kaukasien in Kreise (Ujesde), in Sibirien, so wie in
den Kosakenlandern in Bezirke (Okruge) eingetheilt.
In geographischer und historischer Riicksicht unterscheidet
man: 1. die Ostsee -Provinzen, — 2. Grossrussland, — 3. das
Czarthum Kasan, — 4. das Czarthum Astrachan, — 5. Kaukasien,
— 6. Kleinrussland, — 7. Sudrussland, — 8. Westrussland, —
9. Konigreich Polen.
1. Ostsee-Provinzen(GouvernementIngermannland, Finnland, Esthland,
Lievland, Kurland): St. Petersburg (530.000 Einwohner), (LustschlOsser : Cars-
317
koje-Selo, Gatschina, Feterhof, Oranienbaum), Kronstadt, Schlusselburg, Narwa;
— Helsingfors (16.000) Sweaborg, Wiborg, Abo, Tornea, Uleaborg, Alands-
Inseln; Reval (30.000), Insel Dagoe; — Riga (71.000), Dorpat, Peraau; Inseln:
Oesel, Moen; — Mi e tan (30.000), Liebaa.
2. Gross-Russland (Gouvernement Moskan, Wladimir, Nishnij-Nowgo-
rod, Smolensk, Kaltiga, Tula, Rjasan, Tambow, Orel, Kursk, Wordnesh, Pskow,
Ndwgrorod, Twer, Jaroslaw, Kostroma, Wologda, Olonez, Archangel) : Moskau
(370.000), Wladimir, Nishnij-Nowgorod (31.000), Smolensk, Kaltiga (36.000), Tula,
(55.000), Rjasan (20.000), Tambow, Orel (33.000), Kursk (36.000), Wor<5nesh (44.000),
Pskow, Ndwgorod-Weliki (15.000), Twer (24.000), Jaroslaw (35.000), Rybinsk,
Kostroma, Wologda, Ustjng-Weliki, Petrosawodsk, Archangel, Kola; — Inseln :
Kalgujew und Wajatsch mit wenigen Samojedenfamilien ; — Nowaja-Zemlja nur
zeitweise von Fischern und Jagern besucht; • — die gebirgige Inselgruppe Spitzber-
gen, unbewohnt, nur wegen des Fischfanges besucht ; sehr wenig Pflanzen, viel Renn-
thiere und Ffichse, Wallfische nnd Robben; Hafenplatz Smerenburg; der langste Tag
und die langste Nacht, je vier Monate; — die Inseln: Hoffnnng, Jan Meyen und die
Baren- oder Cherry-Inseln sind unbewobnt.
3. Czarthum Kasan (Gouvernement Perm, Wjatka, Kasan, Simbirsk,
Pensa): Perm (12000), Jekatarinenburg (20.000), Nishnij-Tagilsk, Werchotnrje,
Kasan (50.000), Simbirsk (20.000), Pensa (20.000).
4 Czarthnm Astrachan (Gouvernement: Orenburg, Samara, Sar&tow,
Astracban, Stawropol): Ufa (14.000), Orenburg (21.000), Uralsk, Samara, Sa-
ri tow (46.000), Sarepta (unter den mehr als 100 deutschen Kolonien langs der
Wolga), Astrachan (50000), Stawropol, Georgiewsk.
5. Kaakasien: Tiflis (50.000), Erivan (15.000), Kislftr, Baku (10.000)
Der bent (12.000).
6. Klein-Rnssland (Gonvernement: Kiew, Tschernigow, Poltawa, Char-
kow): Kiew (63.000), Tscbernigow, Poltawa (16.000), Charkow (33000).
7. SUd-RussIand (Gonvernement: Bessarabien, Cherson, Taurien, Tscher-
nomorien, Jekatarinoslaw, Land der doniachen Kosaken): Kischenew (45.000),
Chotim, Bender, Akjermann, Cherson (30000), Nikolajew (30.000), Odessa
(107.000), Simpheropol, Baktschi-Sarai (13.000), Perekop, Eupatoria (13.000), Se-
bastopol (45.000), Kaffa (Feodosia), Kertsch (10.000), Jekatarinodar (im Lande der
Kosaken am schwarzen Meere).
8. West-Rnssland (Gonvernement: Kowno, Wilna, Grodno, Witebsk,
Mobilew, Minsk, Wolhynien, Podolien): Kowno, Wilna (56.000), Grodno (16000),
Bialystok, Witebsk (20.000), Dunaburg, Mohilew (24000), Minsk (24.000), Bo-
rissow, Bobruisk, Shitomir, Berdyczew (35.000), Kaminiec-Podolski.
9. Konigreich Poleil (Gouvernement: Warschan, Radom, Lublin, Plozk
Augustowo): Warschau (170.000), Kalisch (15000), Censtochau, Radom (7000)
Lublin (17.000), Plozk (10.000), Modlin (10.000), Sandomir, Kielce, Ostrolenka.
Snwalki.
Kitlturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Hauptbeschaftigung dea russischen Volkes bilden der
Ackerbau und die Viehzucht; diese sind die Hauptquellen
des Nationalreichthums. Die Menge des kulturfahigen Bodens wird
auf 61,500,000 Dessjatine*) geschatzt , eine Summe, welche im
Verhaltnisse zur Gesammtflache unbedeutend ist, da sie kaum et-
vvas mehr als 18% der letzteren betragt. Dagegen nehmen nahezu
38% des ganzen Areals die Walder und die mit grosserem Ge-
etrauche bewachsenen Strecken und iiber 6 Millionen Dessj. die
Wiesen ein ; iiber 44% werden als^ fast vOllig unproduktives Land
gerechnet. Die ackerbautreibende Bevolkerung wird auf 38 Mil-
*) 1 geogr. Grad ist -= 104.88 russischen Wersten.
1 D Worst . — 104.,, Dessjatine.
1 Ueasjatina „ = 2400 Sashen.
1 Dessjitinaist — !.„, niede rfls terrei chischen Joch.
34*
lionen geschatzt. Die letzte Ziffer beweiset, dass die Landwirth-
schaft, welche in jfingster Zeit in grossem Fortschreiten begriffen
ist, die Hauptbeschaftigung der ansassigen Stamme bildet; doch
gibt es in dem ausgedehnten Reiche noch Fischer- und Jagervolker
im nordlichen Asien, sowie zahlreiche Nomadenstamme. Ueberhaupt
hat kein europaisches Reich eine BO buntgemiechte Bevolkerung,
fiber hundert an Sprache, Sitte und Lebensweise verschie-
deneVolksstamme, woraus die vielfachen Verschiedenheiten
und Abstufungen in der Beschaftigungsart dieser Volker erklarbar
werden. Besondere Beachtung muss auch der Dichtigkeit der
Bevolkerung in den verschiedenen Gouvernements und Gebieten
gewidmet werden, weil die Menge der A rbeit skrafte als ein
wesentlicher Faktor bei Betrachtung der Urproduktion wie bei der
Industrie zu berficksichtigen ist. Im Allgemeinen entfallen in Eu-
ropa an 660, in Kaukasien an 478, und in den sibirischen Gebie-
ten 15 Einwohner durchschnittlich auf 1 QMeile , doch
herrscht in einzelnen Theilen wieder eine groese Verachiedenheit *).
Im Allgemeinen lasst sich vom Ackerbaue sagen, dass der-
selbe in den mittleren und siidwestlichen Provinzen des europaischen
Russland, in den Ostseeprovinzen und in Polen am ausgedehnte-
sten und lohnendsten betrieben wird, obwohl das Ergebniss wegen
Mangels an Arbeitskraften verhaltnisamassig hinter jenem der
europaischen Kulturlander zuriickbleibt. Auch die haufig grossen
Entfernungen von den Marktplatzen, der Mangel an guten Strassen,
und das zahe Festhalten am Altgewohnten hemmen den rasche-
ren Aufschwung; obgleich die grossen Grundbesitzer die neuesten
Verbesserungen anderer Lander auf ihren Grundkomplexen einfuhren,
durch Errichtung von Ackerbauschulen und Mustermeiereien auf
die Hebung ded Landbaues einwirken. Die eingeleitete Auf he-
bung der Leibeigenschaft wird zunachst in dieser Richtung
gewiss sehr wohlthatig einwirken. Hau p tp r odukte sind Wei-
zen, Roggen und Gerste, welche in ungeheurer Menge erzeugt
werden (man schatzt die jahrliche mittlere Ernte auf 250 Millionen
wTschetwert" a 3.41 Wiener Metzen). Ausser dem grossen Bedarfe
des Landes (iiber 165 Millionen Tschet.) und der enormen Menge,
welche fur die Branntweinerzeugung verwendet wird (fiber 10 Mil-
lionen Tschet.) gelangen doch Millionen Metzen fiber Odessa, dann
aus Polen fiber die Ostsee, selbst iiber das weisse Meer aus Ar-
changel zum Export. In den letzten Jahren kann dieser Export-
werth wohl jahrlich auf 60 Millionen Silberrubel geschatzt werden.
Nach dem Getreide werden am starksten Hanf und Flachs ex-
portirt. Die Gegenden um Nowgorod, Twer, Riga, an den Ufern
des Terek, der Wolga und im Ural wird an Hanf weit tiber den
Bedarf gewonnen; der Flachs ist durchgehends von vorztiglicher
Qualitat (besonders an den Ufern der Kama) und gedeiht in gros-
ser Menge sowohl im mittleren Russland als in den Ostseeprovinzen.
Der Export (nach England fiber 61%) ist sehr gross und betrug
*) Es kommen z. B. im Gouvernement Moskau an 2700, im Gouvernement Tomsk
95, Archangel 17, Jakuzk 4 Einwohner auf 1 QMeile, in Kamtschatka sogar 1 Ein-
wohner auf 2 QMeilen.
349
im Durchschnitt der letzten Jahre jahrlich bei Flachs etwa 3V2,
bei Hanf 3 Millionen Pud (a 40 russische Pfund , 1 russisches
Pfund = 0.731S osterreichische Pfund). Auch russischer Lein-
samen (vorziiglich der rigaische und lieflandische) wird wegen der
ausgezeichneten Qualitat im Handel sehr geschatzt. Unter den
Handelspflanzen werden noch Raps, Mohn, Krapp (urn Kislar),
Waid, Hopfen (hauptsachlich in der Ukraine) und Tabak ge-
baut. Der Tabak ist ein wichtiger Zweig des Landbaues in den
deutschen Sarato w'schen Kolonien, in Bessarabien und der
Ukraine *). Sehr starke Verbreitung findet in neuerer Zeit der
Runkel r iibenb au in den mittleren und siidlichen Gouverne-
ments (Tula, Charkow), welche Kultur bereits auf mehr als 40.000
Dessjatinen betrieben wird. Der Gartenbau ist im Allgemeinen
noch auf keiner bedeutenden Stufe , doch ist er in vielen Gouver-
nements bekannt ; am beaten ist er in Bessarabien, Astrachan, vor-
zuglich in Taurien, wo grosse und wohlunterhaltene Garten viel
und edles Obst und Gemiise liefern. In Bessarabien (am Pruth,
Dnjestr und den kleineren Flussen) bildet der O b s t b a u einen
wesentlichen Theil der Wirthschaft, vorziigliche Pflaumen- und
Aepfelsorten gelangen zum Export. — Der Weinbau vervoll-
kommnet sich fortwahrend und nimmt an Umfang zu. Am stark-
sten wird er im taurischen Gouvernement , besonders an der Sud-
westkiiste der Krimm , in Podolien und Bessarabien , dann in den
Gouvernements Kiew, Jekaterinoslaw , Cherson, Astrachan und im
Lande der donischen Kosaken betrieben. Man berechnet den Wein-
ertrag im europaischen Russland auf beilaufig 7V2 Million Wedro
(& 8 Stoof, 1 Stoof ist gleich 1.08 Wiener Mass); in Transkauka-
sien ist der Ertrag noch grosser (an 8T/2 Million Wedro). Dess-
ungeachtet ist die Einfuhr, insbesondere iranzosischer Weine, sehr
betrachtlich und stieg in letzterer Zeit jahrlich bis zum Werthe von
nahe an 10 Millionen Silberrubel. -- Der Waldwirthschaft
stellen sich fast uniiberwindliche Hindernisse entgegen, welche im
Klima, im Ueberfluss an Holz , im Mangel an Transportmitteln bei
grossen Entfernungen begriindet sind. Doch finden auch hierin
Abstufunoren Statt. Wahrend der Norden Ueberfluss an Holz hat,
leidet z. B. Kleinrussland Mangel daran. Zu den grossten Wal-
dungen gehoren der Wolchonskiwald und der Wald Bialowescha
(Gouvernement Grodno) im Umfange von 160 Werst. Die Kron-
waldungen nehmen eine Flache von beilaufig 22.000 QMeilen ein.
Am waldreichsten sind der siidliche Theil der Gouvernements Ar-
changelsk , Olonez , Wologda und Perm *) , am holzarmsten die
*) Im Jahre 1851 betrug die Erzengungsmenge der Kolonien uber 374.000 Pad
auf einem Flachenraume von 7000 Dessjatinen ; gegenwartig mag sich das Ertragniss
auf nahe 3 Millionen Pud belaufen. Das Landwirthschafts-Departement lasst all-
jahrlich frischen Samen aus Havannah, Maryland, Virginien und Persien kommen,
und vertheilt ihn unentgeltlich unter die Landbaner. Ueberhaupt wird dem Tabakban
eine besondere Aufmerksamkeit zugewendet, obwohl bis jetzt der grosse Bedarf durch
die heimische Produktion noch nicht gedeckt wird.
**) Das Gouvernement Archangel liefert jahrlich 25.000 Fichtenbaume von 20'
Lange und etwa 13" Durchmesser zur Verschiffung, und an 20.000 Stuck fur die
Admiralitat. In den Gouvernements Wologda und Olonez werden jahrlich je fiber
1 Million Battme gefallt.
350
Gouvernements Astrachan , JekaterinoBlaw , Cherson , Esthland.
Der Verbrauch fiir die Marine, den Bergbau und die Hiitten-
werke ist sehr gross ; aber trotz der Holzverschwendung im Klei-
nen und Grossen exportirt man von dem Ueberflusse fiber die
Ostsee und das schwarze Meer. In neuester Zeit ist in den Kron-
forsten eine streng geregelte Foretwirtbschaft eingefiihrt worden,
wodurch das eigenmachtige Holzfallen und die Waldbrande immer
seltener werden. Im Jahresdurchechnitt betrug bis jetzt der Werth
des ausgeffihrten Holzes etwa 4 Millionen Silberrubel. Der Ex-
port an P o 1 1 a s c h e ist sehr bedeutend , weiters bildet T h e e r
einen Hauptartikel fiir den Export in Archangel; auch Bast
zu Schiffstauen , Matten u. s. w. wird in grosser Quantitat be-
reitet.
Die Viehzucht ist in Russland eine feste Grundlage des
Wohlstandes. Die absolute Menge von Vieh beweiset jedoch an
sich noch nicht den Reichthum an Vieh, das Uebergewicht eines
Staates fiber den anderen in dieser Beziehung; es muss vielmehr
das Verhaltniss der Stiickzahl des Viehes zur Flache des zur Vieh-
zucht geeigneten Bodens und zur Zahl der Einwohner beruckflich-
tigt werden , sollen hierin nicht Fehlschliisse gezogen werden.
Vergleicht man Russland in dieser Beziehung mit den anderen vier
Grossmachten , so ergibt es sich, dass Russland an absoluter
Viehzahl reicher ist als jeder der vier Staaten ; — hingegen ist
auf einem gleichen Flachenraum in Russland weniger Vieh
vorhanden als in irgend einem jener Staaten; — im Verhalt-
niss der Stiickzahl zu ein und derselben Anzahl Bewohner
ist Russland endlich armer als England, aber reicher als die ubrigen
grossen Staaten *). Trotz des absoluten Reichthums steht somit
Russland hierin noch nicht auf der wiinschenswerthen Hohe und
bei Vergleichen auf der bezeichneten Grundlage gelangt man nicht
bios zu statistisch interessanten Resultaten, sondern auch zu be-
lehrenden Fingerzeigen fiir die Praxis ; doch fehlen auch hierin noch
vielfach detaillirte Nachweisungen. Im Allgemeinen kann man
sagen, dass die Viehzucht im sudlichen und stidostlichen Russland,
bei den nomadischen Stammen und im hoheren Norden (besonders
die Rennthierzucht) vorherrecht ; die westlichen und sfidwestlichen
Gouvernements, sowie Transkaukasien, gehb'ren zu den relativ arme-
ren in dieser Hinsicht. Urn Orenburg herum ist die Kameelzucht
sehr beachtenswerth. Hervorragend ist die Pferdezucht (mehr
als 18 l/a Million). Die bedeutendste Anzahl ist in den Gouver-
nements Orenburg, Perm und Tobolsk, die geringste in Eriwan,
Derbent und Kamtschatka. Relativ am ausgebreitetsten ist diese
Zucht unter den sibirischen Kirkisen , wo die ungeheuren Tabunen
(BPferdeherden") eines der wesentlichsten Existenzmittel der No-
Haosthiere aufl QMeile auf 100 Einwohner
*) In Grossbritannien 56 Mill. 9706 Stuck 210 Stack
, Frankreich 49% „ 4908 „ 149 -jf'stf
, Oesterreich 47J/3 , 3800 . 128 „
„ Preussen 25% , 5058 . 155 „
. Buss land 109 355 . 170 ,,
851
maden bilden. Geschatzt sind fernera die eBthlandischen Bauern-
pferde, dann in Podolien, im inneren Grossrussland, uberhanpt in
den Ostlichen Gebieten und im Lande der donischen Kosaken. —
Die Hornviehzucht ist dort am ausgebreitetsten, wo sie von
der Natur am meisten begiinstigt wird. Die Ilauptsitze des Rind-
viehes sind Podolien, das Gouvernement Charkow , die Kirgisen-
steppe und die Gouvernements Archangel und Esthland ; weniger
reich an Hornvieh eind die Gouvernements im Inneren und in
Kauknsien. In den nordlichen Theilen dient das Hornvieh zur
Erlangung von Fleisch, Hauten (Leder) und Milch, in den sudlichen
wird es zudem noch als Zugthier und zum Ackerbaue benutzt.
Helativ am armsten an Hornvieh ist im europaischen Bussland das
Gouvernement von St. Petersburg und in Asien das Gebiet von
Kamtschatka. In Polen verwenden die Gutsbesitzer und auf den
Krondomanen die Regierung grosse Sorgfalt auf die Veredlung
der Racen ; das Rindvieb des Bauers ist in der Regel in schlechte-
rem Zustande*). — Die Schafzucht ist so bedeutend gestiegen,
dass gegenwartig die Anzahl der Schafe (im Jahre 1856 nahezu
52 % Million Stuck) die des Hornviehs um mehr als das Doppelte
Gbersteigt und darunter sind bereits fiber 15% veredelt. Am
ausgebreitetsten ist sie im sudlichen Theile (von der Wolgamundung
zwischen dem kaspischen und schwarzen Meere bis zur Dnjestr-Mdn-
dung), wo das Klima und die Steppenweiden hierzu sehr giinstig sind.
Ungemein stark ist sie unter den nomadisirenden Kirgisen, welchen
eine biirgerliche Organisation und der Ackerbau noch fast ganz
unbekannt sind. Den Kirgisen dient das Schaf statt des Geldes,
um den Wert.h aller Dinge zu bestimmen ; auch bildet es den
Hauptgegen stand des Handels mit den benachbarten Vb'lkern. Re-
lativ am armsten sind in dieser Beziehung die Gouvernements
Wladimir und Moskau , dann die am baltischen Meere und am
finnischen Busen gelegenen. Die Zucht feinwolliger Schafe bildet
in Russland eine Hauptquelle des Reichthutns **). — Die S ch weine-
zucht hat noch bei weitem nicht die wunschenswerthe Ausbrei-
tung, am starksten ist sie in Mittelrussland, im Suden und in den
kleinrussischen Gouvernements , wo Schweinefleisch und Fett den
bedeutendsten Theil der Volksnahrung auemachen. — An Kamee-
*) Im Jabre 1856 z&hlte man an 2tj'/4 Million Stack, darchschnittlich kamen
249 Stuck auf 1 QMeile und 41 Stuck uuf 100 Einwohner. Im Verbaltniss zu den
europaischen Grossmachten stcllt sich folgende Uebersicht heraus :
auf 1 nMeile auf 1°0 Einwohner
in Grossbritannien ....... 8 Millionen Stack 1390 Stuck 28Stuck
, Frankreich ........... 10 „ , 993 . 29 .
, Oesterreich ........... 12 „ , 886. 30,
. Prenssen ............ 5 „ „ 1057 » 33 ,
Russland ist also in Hinsicht der Gesammtzabl des Hornviehes, als anch nach deren
Verhaltniss zur Zahl der Einwohner reicher als diese Staaten, im Verbaltniss der
Stuckzahl znm Flacbenranm jedoch arraer.
**) In Hinsicht der absoluten Anzahl ist Russland reicher als die vier anderen
Staaten (Grossbritannien 40, Frankreich 32, Oesterreich 30, Preussen 17 Millionen
Stuck), im Verhaltniss zur Zahl der Einwohner ist es nnr reicher als Oesterreich, im
Verbal tnibs sum Flachenraum jedoch weit inner ala jeder der vier Staaten.
JJ52
len sind zumeist reich Astrachan, Taurien und Kaukasien, wo sie
fast ausschliesslich von Kalmuken und Tataren gehalten und zum
Transport verwendet werden. — Den Reichthum der Samojeden
und Lappen bilden die^Rjennthier'e, deren Menge auf beilaufig
450.000 geschatzt wird. Auf Nowaja - Zemlja kommen auch wilde
vor. Die Rennthierzucht bildet fiir^das Gouvernement Archangel
eine sehr lohnende Beschaftigung und jene Stamme unterhalten
einen lebhafteren Tauschhandel als man gewohnlich annimmt. Im
Friihjahre ziehen Tausendejauf die^Jagd und den Fischfang aus,
und sie bringen dann die reiche Beute fiber den Ural nach Ob-
dorsk (an der Obmundung)J,und die grossen russischen Viehmarkte.
Diese kuhnen und unternehmungslustigen Tauschhandler ; bleiben
mehrere Monate auf j;den beschwerlichen Ziigen; doch bringt der
Lappe ausser reichlichem Gewinn auch Begriffe einiger Civilisation
in seine Heimat. Die Jagd bildet vorziiglich in den nordostlichen
Landstrichen einen hochst bedeutenden Verkehrszweig. Das Pelz-
werk aus Sibirien und Kamtschatka list kostbar und sehr theuer;
fiir die Hebung des Pelzhandels hat die ..russisch-amerika-
nische Kompagnie" sehr viel beigetragen. Ganze Volkerschaf-
ten zahlen ihren Tribut der Regierung in Pelzwaaren, andere mus-
sen statt der Abgaben die Pelzwaaren zu einem festgesetzten Preise
uberlassen. Die grossten Pelzwaarenmagazine sind in Moskau ;
auf den beriihmten Messen zu Nishnij-Nowgorod bilden Pelzwaaren
den Hauptartikel. — Fur andere Volker, insbesondere im Nordosten
des Reiches, bildet der Fischfang fast die einzige Nahrungsquelle ;
die Gegenden an der unteren WoTga erzielen den groseten Gewinn
durch die Caviarbereitung und die Gewinnung der Hausenblase.
Von Archangel und Kola wird der Wallfischfang betrieben, zu
welchem Zwecke auch eine Aktiengesellschaft in Abo besteht.
Der Fischfang auf dem Caspi - See ist einer der bedeutendsten
Erwerbszweige des Gouvernements Astrachan; er gehort theils der
Krone, theils den Landbesitzern am Seeufer, zum Theil ist er
freies Gewerbe. — Die Bienenzucht wird im Allgemeinen
schwunghaft betrieben, namentlich in Mittel- und Siidrussland, wo
sie eine Lieblingsbeschaftigung der Baschkiren , Tataren und an-
derer Stamme bildet. Wachs und der sehr geschatzte Honig sind
wichtige Exportartikel. — Der Seidenbau wird in Siidruss-
land, Transkaukasien , Bessarabien und in der Krim betrieben,
und breitet sich von Jahr zu Jahr aus. Besonders bluht die
Seidenzucht am Kaukasus, wo auch recht gute Stoffe (wKanaus")
erzeugt werden, langs des Kurflusses von Kutais (Mingrelien) bis
zum Caspi - See , um Derbent , Astrachan, dann am azow'schen
Meere u. s. w.
Eine Berechnung des Ertragswerthes der Erzeugnisse der
Urproduktion ist unter den gegebenen Verhaltnissen und den viel-
fachen Abstufungen der socialen Verhaltnisse und Kulturzustande
der Volkerschaften und Landstriche nicht wohl moglich ; doch
durfte eine annahernde Schatzung derselben auf 2000 Millionen
Silberrubel (nach Tengoborsky) sicherlich nicht zu hoch gegrif-
fen eein. In neuerer Zeit wird sowohl seitens der Rogierung
353
als (lurch zahlreiche landwirthschaftliche und Geldinstitute , so
wie durch Belehrung sehr viel zur Hebnng der Landwirthschaft
geleistet, und em Fortschritt in dieser Richtung kann nicht ge-
laugnet werden.
Der Bergbau. Der Reich thum Russlands an Met alien und
Mineralien fiberhaupt ist so bedeutend, dass er von keinem Staate
fibertroffen wird. Die Bergwerke sind theils Eigenthum der Krone
(,,Kronbergwerke") , theils Eigenthum von Privaten; die Zahl der
letzteren ist die starkere, insbesondere besitzen die Fiirsten von
Demidoff die meisten und reichsten Gold- und Platinawerke. An
Gold betrug die Jahresausbeute in den letzten Jahren beilaufig
1500 Pud und an S i 1 b e r jahrlich fiber 1000 Pud. Den gross-
ten Antheil daran hat das asiatische Russland, — in Europa sind
hierin die Gouvernements Jekaterinoslaw, Perm und Orenburg
ausgezeichnet ; — die Goldminen und Goldwaschereien am Ural
waren ehedem die reichsten auf der Erde. S i 1 b e r wird weniger
am Ural, dagegen zumeist am Altai und in den taurischen Berg-
werken (sibirisches Gouvernement Irkutsk) gewonnen. Auch im
Kaukasus und der Kirgisensteppe wird der Silber- und Bleihiitten-
betrieb gepflegt. PI at in a oder wdas weisse Gold" gewinnt man
im Gouvernement Perm , meistens in den Demidoff 'schen Grubeu
und zwar in manchen Jahren fiber 100 Pud. Die Ausbeute an
Kupfer betragt im Jahresdurchschnitte nahezu 400.000 Pud, vor-
ziiglich im Ural , Altai , im Gouvernement Olonez , auch in Polen
und Finnland. An Eisen von vorziiglicher Qualitat ist ebenfalls
grosser Reichthum, denn in den letzteren Jahren stellte sich die
Ausbeute schon iiber 25 Millionen Pud. Die Eisenerze kommen
zwar in alien Gebirgen Russlands vor, doch hat die Eisenproduk-
tion ihren Hauptsitz im Ural (in den Gouvernements Perm, Oren-
burg, Wjatka, dann Wologda); die bedeutendsten Werke sind bei
Nishnij-Nowgorod (vorzugliche Stahlofen). In Polen ist das Gou-
vernement Radom fiir Eisen sowie Kupfer bedeutend , auch in
Finnland ist der Eisenbau schon von Alters her bekannt. Russland
deckt nicht nur seinen Bedarf an Eiaen , sondern exportirt noch
(im Jahre 1857 fiber 800.000 Pud). Zinn wird am Ladoga-See
(bei Pitkaranda), Zink in Finnland und Polen, Galmei in Polen
zu Tage gefordert. Die wichtigsten Bleigruben liegen in Sibirien,
wo sich Silbererze mit Bleierzen zusammen finden und grossten-
theils gemeinschaftlich bearbeitet werden.
Die im Allgemeinen bedeutende Gewinnung von S a 1 z (an 30 Mil-
lionen Pud) reicht jedoch fur den Bedarf (fiber 34 Millionen Pud)
nicht aus und es findet hierin ein ansehnlicher Import statt. Stein-
salz wird in den Gouvernements Orenburg und Astrachan, — Quell-
salz in Perm, am Ilmen-See und anderen Orten gewonnen. Sehr
viel Salz gewinnen die Kalmucken aus dem ,,goldenen See" (Salzsee
Elton und mehreren Salzseen, alle siidostlich von Saratow); die
Salzseen in der Krim (bei Perekop) und in Bessarabien liefern eben-
falls erhebliche Quantitaten. Die grosste Salzsiederei ist in Charkow.
In den sudlichen und westlichen Provinzen ist auch ein Ueberfluss
an Sal peter. — Die Ausbeute an S t ei nkoh len, diesem wesent-
Klun's Hnndols Geographic. 2. Anfl. 23
354
lichen Hilfsmittel ffir Industrie und Verkehr, ist bei Weitem nicht
ausreichend, sie Qbersteigt bis jetzt kaum 1 Million Zentner. Die
relativ reichsten Gruben sind in der Umgegend von Perm, Now-
gorod am Ilmensee, Moskau, im siidlichen Russland und Polen,
Zahlreiche und ausgedehnte Torflage r aind in Kurland, Liefland,
um St. Petersburg und Moskau. — Unter den nutzbaren Mineralien
verdienen Erwahnung Alaun, Vitriol und Schwefel. In Taurien
grabt man Porzellanerde ; im Ural findet man Diamanten, Smaragde,
Topase; am schwarzen Meere sind Naphtaquellen. An Mineral-
quellen ist Russland nicht besonders reich ; sehr bekannt ist ubrigens
der Sauerbrunnen von Lipezk (nordlich von Woronesch).
Gewerbliche Industrie. Russland ist vorherrschend ein acker-
bautreibender Staat im ausgedehntesten Sinne des Wortes; das Fa-
brikswesen in bedeutenderem Grade wird nur in einigen Gouverne-
ments betrieben und gehort erst der neueren Periode an. Seit Peter
dem Grossen, unter welchem europaische Kultur und hohere ge-
werbliche Thatigkeit in Russland Eingang zu finden begannen, bis
auf Kaiser Nikolaus war die Entfaltung der technischen Kultur eine
fast unbedeutende ; erst unter Nikolaus und dem gegenwartigen Mon-
archen begann ein hoherer Aufschwung, der jetzt in frQher nicht
geahnter Weise sich kund gibt.
Es ist bis jetzt noch nicht moglich gewesen, vollig genugende
Nachweise iiber die Anzahl der Fabriken und Manufakturen und
der in denselben beschaftigten Arbeiter zu liefern ; doch diirfte die
Zahl der ersteren hoher als 10.000, die der letzteren iiber 1 Million
sein. Der Werth der Fabriks- und Manufakturerzeugnisse wird fur
das Jahr 1856 offiziell mit 224 '/, Million Silberrubel angegeben (also
um beilaufig 68T/2 Million Silberrubel mehr als im "jahre 1849),
wovon auf Kaukasien nur etwas iiber '/2, auf die sibirischen Gou-
vernements iiber ll/2 Million Silberrubel, — der ganze grosse Rest
jedoch auf die europaischen Gouvernements entfallt. Es kommen
sohin in Russland auf ein en Einwohner etwa 3T/2 Silberrubel*).
Die grossere Halfte des Werthes der industriellen Erzeugnisse (mit
117 Millionen Silberrubel) entfallt auf die vier europaischen Gou-
vernements Moekau, St. Petersburg, Wladimir und Perm,
welche schon den Vergleich mit den anderen europaischen Industrie-
staaten aushalten konnen**). — Moskau, der Mittelpunkt des Rei-
ches, ist zugleich der Mittelpunkt fiir die ganze industrielle
Thatigkeit; von Moskau verbreitet sich die gesammte nationale
Entwickelung auf alien Gebieten menschlicher Thatigkeit.
In der Fabriksindustrie nimmt gegenwartig jene in Baum-
woll e den ersten Rang ein. Die Einfuhr von Baumwolle zum innern
*) Tengoborski berechnet schon fur das Jahr 1851 den Werth der Fabriks-
und Manufakturprodnkte mit 550 Millionen Silberrubel and den Durchschnittswerth
tiir jeden Einwohner auf circa 8'/g Silberrubel, wobei er jedoch nicht nur speziell die
Fabriken und Manufakturen, sondern auch die Handworker und die hausliche gewerb-
liche Beschaftigung mit in Eechnung zieht.
**) Im Gouvernement St. Petersburg entfallen an Fabriks- und Mannfakturer-
zeugnissen auf ein en Kopf fast 35, in Moskau 25, in Wladimir 17, in Perm fast
10 Silberrubel (in Grossbritannien 48, in Frankreich 27 V,, in Preussen 26, und in
Oesterreich 16 Bilberrubel).
355
Verbrauch ist vom Jahre 1822 mil 70,000 bis zum Jahre 1857 auf
nahe 2 V2 Million Pud gestiegen. Der Hauptsitz der Fabrikatipn
ordinarer und mittlerer Gattung ist in und bei Moskau (Schuja,
Wladimir, Iwanow), dann Kasan, Kaluga und St. Petersburg, welches
letztere sich besonders durch feine Zeugdruckereien auszeichnet.
Uebrigens werden ordinare Waaren fiir den Hausbedarf und den
Absatz nach den benachbarten asiatischen Landern vielfach von den
Landleuten verfertigt ; an feineren werden namhafte Mengen im-
portirt, da die Erzeugung der Fabriken nicht ausreicht. In Polen
ist die Baumwollspinnerei und Weberei ziemlich bedeutend, dagegen
in Finnland kaum nennenswerth. Neuere verlassliche Daten iiber
die Anzahl der Fabriken, die Menge und den Werth der Er-
zeugnisse fehlen noch ; die alteren geben bei dem dermalen nicht zu ver-
kennenden Aufschwunge in der raschen Entwickelung dieses Indu-
striezweiges kein richtiges Bild. — Die Leinenindustrie bildet
in Hinsicht der Menge der Erzeugnisse und der dabei verwendeten
Arbeiter einen der Hauptzweige russischer Gewerbsthatigkeit ; allein
in der Qualitat stehen diese Fabrikate vielfach den iibrigen euro-
paischen weit zuriick. Wie in einigen anderen Landern wird die
Handweberei fast durchgehends als ,,landwirthschaftliche Nebenbe-
schaftigung" betrieben, der Bauer deckt nicht nur den eigenen Be-
darf an grober Leinwand, er bringt davon noch zum Verkaufe. Die
Erzeugung feiner Fabrikate ist relativ eine geringe. Das russische
Segeltuch und Tauwerk wird seit jeher sehr geschatzt und in be-
deutender Menge exportirt. Der Hauptsitz der Leinenindustrie ist
der Landstrich in Mittelrussland, zwischen Wologda, Nishnji-
Nowgorod, Rjasan, Tula, Kaluga, Moskau und Twer, iiberhaupt der
industriellste Theil Ruaslands. Ein zweiter industrieller Bezirk zieht
sich von St. Petersburg iiber Pskow, Marienburg, Roop nach Riga
und Mietau, das ist zwischen dem finnischen und rigaischen Meer-
busen. Auch die Seestadte Archangel, Odessa und Cherson sind
in der Fabrication vortrefflicher Seilerwaaren bekannt. — Die Fa-
brikation in Schafwolle ist zunachst von der Veredlung und
Vermehrung der Schafe abhangig, worin Russland riesige Fortschritte
macht. Auch hierin muss die Erzeugung des ordinaren Bauern-
tuches durch die Landbevolkerung von den mittelfeinen und feinen
Fabriktiichern geschieden werden. Die Fabrikation der letzteren deckt
nicht den Bedarf des Landes ; es werden zwar an 20% der Fabri-
kation iiber Kiachta nach China exportirt, doch mtissen auch»bedeu-
tende Quantitaten nach Russland importirt werden. Fiir T u c h e
sind Moskau, Sarepta, St. Petersburg, Kaluga, Rjasan und andere
bekannt; — fiir Teppiche: Smolensk, Woronesch, Warschau, fur
feine Teppiche und Tapeten vor allem St. Petersburg. Die Tuch-
fabrikation in Polen hat unbedingten Vorzug vor der russischen,
vorziiglich in feinen Tuchsorten und zwar Opatowek, Tomaszow
(feine Tuche) , Alexaudrow , Ozorkow , £odz und Zgierz (mittlere
Qualitaten) und andere. Auch die Kashmirspinnereien, die Erzeu-
gung yon Shawls u. s. w. gewinnt an Ausdehnung. Fiir diesen
Industriezweig ist sowie fiir die Leinenindustrie der Rohstoff in
grosser Menge vorhanden und diese kann noch sehr bedeutend ge-
23*
356
steigert werden. — Die Kattun- und Schafwolldruckereien haben in
neuerer Zeit sehr grosseii Aufschwung genommen. Der Verbrauch
anSeidenwaaren ist fortwahrend im Steigen, doch kann er durch
die einheimische Produktion bei Weitem nicht gedeckt werden, 'da
das Land auch Rohstoff nicht in ausreichender Menge erzeugt, welcher
aus Italien, Persien und China bezogen werden muss. Nichts desto-
weniger schreitet die Fabrikation in Moskau, St. Petersburg, Astra-
chan, Pensa u. s. f. in der Quantitat und Qualitat erfreulich vorwarts;
den grosseren Bedarf deckt das Land durch Import aus Frankreich,
Deutschland und der Schweiz. Einen grossen Grad der Vollkom-
menheit haben die mit Gold und Silber durch wirkten, dann die
halbseidenen und die Mobelstoffe erlangt. — Die Lederbereitung
geniesst seit jeher ausgezeichneten Ruf. Der grosse Reichthum an
Roh- und Gerbestoffen hat diesem Zweige eine enprme Ausdehnung
gegeben, obwohl namentlich die kleineren Gerbereien in technischer
Beziehung mehrfach hinter den raschen Fortschritten mancher Lander
zuriickgeblieben sind. Auch bei dieeem Industriezweige findet zwi-
schen der im ganzen Reiche verbreiteten handwerksmassigen Be-
reitung und dem Fabriksbetriebe ein grosser Unterschied in der
Qualitat statt. Den ersten Rang haben die russischen Juchten (oder
Juften), welche zumeist im mittleren und nordlichen Russland er-
zeugt werden (Jaroslaw, Kostroma, Pskow, Moskau, Wladimir und
Aetrachan); — ausgezeichnete Saffiane und das beste Glanzleder
liefern Kasan, Twer, Astrachan, die Krim; auch Schaf-, Ziegen-
und Rennthierfelle werden in grosser Menge verarbeitet. Unter den
Fabrikaten sind erwahnenswerth : die schonen Handschuhe (doch
nicht in ausreichender Menge) von Moskau und St. Petersburg ; die
Schuhmacherarbeiten , welche vorzuglich im Gouvernement Twer
eine ungemeine Ausdehnung erlangt haben, und wo jahrlich an 2T/2 Mil-
lion Paar Stiefel, Schuhe u. s. w. zu Markt gebracht werden. Unter
diesen sind die Schuhe, Stiefel und Pantoffel, deren Oberleder mit
Gold- und Seidenstickereien geziert ist, bemerkenswerth , obgleich
diese Fabrikate mehrfach den auslandischen in der Qualitat nach-
stehen. Auch Polen besitzt grosse Lederfabriken, Finnland jedoch
nur wenige. — Zu den Hauptindustrien Russlands gehort noch die
Fabrikation in Metallwaaren, wobei ebenfalls die Hand-
arbeit von der Fabriksarbeit unterschieden werden muss. Keine der
beiden Richtungen deckt den inneren Bedarf, obwohl beide an Um-
fang, zum Theil auch in Hinsicht der Qualitat, sehr bedeutend vor-
warts geschritten sind. Die Einfuhr fremder Waaren der feineren Sorte
ist trotz der hohen ZSlle so bedeutend, dass sie im Jahre 1857 den
Werth von 7 V2 Million Silberrubel uberstiegen hat. Die Handarbeit
ist im ganzen Reiche mehr oder minder verbreitet; die Fabriken
konzentriren sich in vereinzelten Gruppen. Mehrere hundert Eisen-
und Kupferhiitten, Hochofen und Hammerwerke sind hierbei th'atig.
Fiir die verschiedenen Ardkel verdienen Erwahnung : fur Schnei-
dewerkzeuge St. Petersburg, Moskau, Tula, Pawlow, Worsma (bei
N. Nowgorod), — fur Handwerksgerathe Tula, — fur Gewehre Tula,
Wotka, Sestrabek, — Kanonengiessereien in St. Petersburg, Kron-
s»adt, Cherson, Lipezk, — fiir Stahlwaaren Tula, Moskau, Warschau,
857
Kasan, — fur Bronze-, Gold- und Silberwaaren Moskau und St.
Petersburg, -- Edelsteinschleifereien sind in Jekaterinoslaw und
St. Petersburg, — die schonsten Uhren in Moskau u. s. w.
Ausser diesen Hauptzweigen der russischen Industrie verdienen noch Be-
achtung: die grossen Papierfabriken in Jaroslaw, Kostroma, Moskaa, Kaluga,
urn Petersburg, in Jeziorna in Polen. Auch die Fabrikation von Papiertapeten ist
sehr ausgebreitet. Trotz des unverkennbaren Aufschwunges dieses Industriezweiges,
mit clem sich fiber 200 Etablissements beschaftigen, genugt die Prod aktion nicht fur
den Bedarf. — Glasfabriken sind in Wolhynien, Liefland, Wladimir, in Polen,
die schOnsten Spiegel- nnd Krystallwaaren liefert die kaiserliche Fabrik in St. Peters-
burg. — Porzellan und Fayence von bester und schonster Art wird in Gat-
schina (bei Petersburg) und in Twer gefertigt; ansgebreitet ist diese Industrie zu-
meist im Gouvernement Moskau, wo (im Jahre 1853) 33 Fabriken bestanden. —
Holzwaaren, namentlich Hausgerathe fur die Banern, liefern fast alle Stadte und
DOrfer; die schOnsten Mobeln: St. Petersburg, Moskau, Warschau. — Zucker-
raffinerien sind in St. Petersburg, Riga, Moskau; Kunkelrubenzucker-
fabriken sind in grosser Anzahl durch das ganze Land verbreitet. — Die chemi-
schen Fabrikeu, die vorziiglich im Gouvernement Moskau zahlreich vertreten
sind, liefern fiber den Bedarf Pottasche, Vitriol, Salpeter, Alaun, Schwefel, Farben,
Schiesspulver. — Ungemein zahlreich sind die Branntweinbrennereien, doch
sind auch die Essig- und Bierb r auer eien sehr ausgedehnt; — die vielen Ta-
bakfabriken in den Gouvernements St. Petersburg, Moskau, Bessarabien, Liefland,
Kiew und Minsk decken nicht den grossen Bedarf. — Ein eigenthumlicher Industrie-
zweig ist dieLindenbast-Mattenfabrikation, welche am starksten in den
Gouvernements Wjatka, Kostroma, Kasan, Wologda und Pensa betrieben wird und
jahrlich fur 3 Millionen Silberrubel Lindenrinde von 700.000 bis 1 Million Linden-
baumen zu etwa 14 Millionen Matten und Mattensacken verbraucht. Davon gehen
etwa 31/, Million Stuck fiber Archangel, St. Petersburg. Riga und Taganrog ins
Ausland. Sehr bedeutend ist auch der Verbrauch des Bastes zur Fnssbekleidung,
wozu fibrigens auch Birkenrinde und Weidenbast verwendet wird. In vielen Gouver-
nements werden Fassbander in grosser Anzahl verfertigt ; diese sowohl als die in
zahlreichen Sagemuhlen erzeugten Bretter, Latten, dann Bauholz aller Art gelangen
in bedeatender Menge zur Ausfuhr. — Sehr wichtige Artikel der russischen Industrie
sind ferners Seife, Talglichter (Archangel, St. Petersburg), Stearin- und
Wachskerzen, Borsten, endlich Theer (Archangel, Wologda), welcher fast
ausschliesslich fiber Archangel in grosser Menge ausgeffihrt wird. — Schliesslich
verdient noch derSchiffbau besondere Hervorhebung, welcher in alien Seestadten
und an den grosseren Flfissen betrieben wird.
HandelsverhaHnisse. Mit Peter dem Grossen begann fiir
den Handel Russlands eine neue A era. Wahrend vorher fast aller
Verkehr nach aussen nur zu Lande betrieben wurde, Kiew der
Stapelplatz fiir den gewinnreichen Landhandel aus dem Oriente nach
dem Norden und Archangel der einzige Hafen war; gewann das
Reich durch die Eroberung der Osteeeprovinzen und durch die
Grundung der Stadt St. Petersburg mehrere wichtige Handelshafen
an der Ostsee. Die grosse Katharina II. erweiterte das Reich durch
Eroberungen im Siiden, erwarb die Provinzen am schwarzen Meere
und (im Jahre 1774) die freie Schiffahrt auf diesem Meere. Durch
diese direckte Verbindung mit Konstantinopel und dem Mittelmeere
belebte sich der Handel; Cher son und noch mehr der im Jahre
1792 gegriindete Freihafen Odessa bluhten rasch empor, und
letztere Stadt wurde bald die zweite Handelsstadt des Reiches.
Bedeutende Fortschritte hat der Handel Beit dem Frieden 1815
gemacht. Die Lage des Landes an vier Meeren, die vielen meist
vortrefflichen Hafen, die zahlreichen natiirlichen und kunstlichen
Wasserstrassen, welche in naher Zukunft durch eine Kanalverbin-
358
dung des schwarzen mit dem kaspischen Meere noch an Ausdehnung
gewinnen werden, der grossartige Schlittentransport und die im
Allgemeinen entsprechend unterhaltenen Strassen tragen wesentlich
zur Forderung des inneren und ausseren Handels bei.
Der Handel Russlands ist fibrigens in steter Steigerung begrifFen, welche in
den grossen Hilfsquellen des ungehearen Reiches ihre Begriindang findet. Die Eman-
cipation der Leibeigenen und ihre Umwandlung in erbzinspflichtige oder ganzlich
freie Bauern wird die Produktionskrafte ungemein vervielfachen, den Handel erweitern
und cine volkswirthschaftliche Umwandlung hervorrufen. Noch grossartiger durfte
sich der asiatische Handel wegen der zunehmenden Bedeutung Sibiriens gestalten,
indem Russland durch die Gewinnung des Amur-Gebietes zu einem Haupttheilnehmer
am Handel im grossen Ocean berufen ist, und durch die Eroberungen im Kaukasus
mit Central-Asien in nahere direkte Verbindung tritt. Ohne Zweifel stehen Russ-
lands Industrie und Handel gegenwartig anf einem hochst bedeutenden, folgenreichen
Wendepunkte.
Der aussere Handel wird in einen europaischen und einen asiati-
schen eingetheilt. Diese Eintheilung hat weniger in geographischen Riicksichten,
als in dem Unterschiede der Handelsbeziehungen Russlands zum Westen und Osten
ihren Grund, welcher Unterschied durch den Zustand der einheimischen Industrie und
durch die Stellung Russlands als vermittelndes Element zwischen Europa und Asien
bestimmt wird. Wahrend namlich Russland in seinen answartigen Beziehungen dem
Westen gegentiber als Agriknlturstaat erscheint, tritt er dem Osten ge-
geniiber als Manufakturstaat auf. Allein das Uebergewicht des russisch-
europaischen Handels fiber den asiatischen bevveiset, welches grosse Uebergewicht die
Landwirthschaft und die landwirthschaftliche Industrie fiber die Manufaktur-Industrie
Russlands besitzen.
Der russische Handelsstand wird in drei Gilden getheilt. Die Kaufleute
der ersten Gilde haben das Recht im In- und Auslande unbeschrankten Handel,
sowie Banquier-, Wechsel- und Assekuranzgeschafte zu betreiben ; — jene der zwei-
ten Gilde kSnnen im Inlande unbeschrankten Handel, mit dem Auslande jedoch
nur bis zum Betrage von jahrlich 90.000 Silberrnbel, — nnd endlich jene der drit-
ten Gilde nur im Inlande jede Art von Handel, sowohl mit inlandischen, als mit
den durch Kauflente der beiden ersten Gilden eingefiihrten, auslandischen Waaren
betreiben. Zur Erlangung dieser Handelsrechte ist die Anmeldung der Kapitalien
erforderlich, mit welchen sie jahrlich Geschafte machen wollen, und zwar fur die erste
Gilde mindestens 15.000, fur die aweite 6000 und fur die dritte 2400 Silberrnbel
im Jahre. Im Lande der donischen Kosaken und in Transkaukasien existiren diese
Gilden nicht.
Im Jahre 1856 waren angemeldet: Kapitalien erster Gilde 1149, Kapitalien
zweiter Gilde 2909, Kapitalien dritter Gilde 51.012, zusammen 55.070, wovon auf
die europaischen Gonvernements 53.072 kamen. Diese geringe Zahl von Kauflenten
(da im ganzen Reiche auf 1160 Einwohner 1 Kaufmann und auf fast 16.000 Ein-
wohner 1 En-gros-Handler kommt) erklart die noch herrschehde Theuerung vieler
Gegenstande auslandischer Fabrikation, da bei der geringen Konkurrenz der Gross-
handel fast als Monopol in den Handen sehr weniger Personen sich befindet. Legt
man den Berechnungen auch die relativ geringsten jahrlichen Einnahmen der Kauf-
leute zu Grunde, so ergibt sich, dass im Jahre 1856 beilaufig 540 Millionen Silber-
rubel im russischen Handel sich befanden.
Der Grosshandel mit dem Auslande ist sowohl liber die
europaische als die asiatische Grenze im Wachsen und lassen sich
im Allgemeinen fur die letzten Jahre (1856, 1857 und zum Theile
1858) folgende Ergebnisse zusammenstellen. Der Gesammtwerth der
Einfuhr betrug im Jahre 1857 nahezu 152 Millionen, jener der
Ausfuhr an 170 Millionen Silberrubel ; in beiden Beziehungen
war der Verkehr iiber die europaische Grenze bei weitem iiber-
wiegend, indem er fast 80% des Gesammtwerthes erreichte. Unter
den importirten Waaren erreichten den grossten Werth: Wein
und Getranke (iiber 9 Millionen Silberrubel), fast ebenso viel die
859
Farben, dann Maschinen und Modelle (iiber 7l/a Million Silber-
rubel), Webe- und Wirkwaaren (Baumwoll- und Seidenwaaren je
iiber 7 Millionen Silberrubel), und Baumwolle (bei 2T/2 Million
Silberrubel) ; — unter den exportirten nimmt das Getreide den
ersten Rang ein, auf welches an 36% des gesammten Exportwerthes
entfallen; — zunachst stehen Holzwaaren (mit 6 Millionen Silber-
rubel), rohe Haute und Flachs (mit je iiber 4 T/2 Million Silberrubel),
Talg, Hanf, verarbeitete Haute, Schafwolle, Lein- und Hanfsamen.
Bei der E i n f u h r sind am starksten betheiligt : England (welches
fast den vierten Theil des Importes liefert), Preussen (43 Millionen
Silberrubel), Oesterreich (7T/3 Million Silberrubel), Frankreich, die
Hansestadte, die Turkei, Amerika, Spanien und Neapel. — Bei der
Ausfuhr: England Can 45% des Gesammtexportes), Preussen
(18 Millionen Silberrubel), Oesterreich (fast 6 l/z Million Silberrubel),
Frankreich, die Niederlande, die Turkei und Sardinien. Der Ver-
kehr mit Finnland ist gleichfalls erheblich. Aus Finnland werden
nach Russland importirt: Eisen, Kupfer, Gusseisen, Baumwollfa-
brikate, Pelzwerk und Theer; aus Russland dorthin exportirt: Getreide
(im Jahre 1857 fiber 3 Millionen Silberrubel), Tabak, Seilerwaaren,
Oel, Pottasche, Hanf, Leder und Salzfleisch. Der Import nach
Russland betrug im Jahre 1857 an 22/3, der Export nach Finnland
iiber 62/3 Millionen Silberrubel. — Ueber die asiatische Grenze
kamen (im Jahre 1856) Waaren fur beilaufig 17 Millionen Silber-
rubel, hauptsachlich chinesischer Thee, persische Seide und Baum-
wolle, kirgisische Felle und Haute, transkaukasische Friichte u. s. w.
Die Ausfuhr belief sich auf 10T/2 Million Silberrubel, meist aus
Fabrikaten bestehend. — Im asiatischen Handel ist der Verkehr
mit China der starkste, welcher sowohl mit den west-chinesischen
Stadten Kuldscha und Tschugutschak (auf der orenburgischen und
sibirischen Linie), als auch mit Kiachta (Tauschhandel) stattfindet.
Diese Handelsbeziehungen erweitern sich fortwahrend. Zunachst
steht der Verkehr mit Persien und der Kirgisensteppe.
Die Schiffahrtin den russischen Hafen des baltischen, weissen,
schwarzen und kaspischen Meeres ist im Allgemeinen fortschreitend.
Im Jahre 1857 waren an 8850 Schiffe mit 1.800,000 Tonnen ein-
gelaufen und an 9100 Schiffe mit 1.900,000 Tonnen ausgelaufen,
wobei fiber die Halfte auf die Hafen des baltischen kommen, die
geringste Zahl entfallt auf jene des weissen Meeres. Den bedeutendsten
Antheil an dieser Schiffahrtsbewegung batten englische, hollandische,
schwedische, danische und griechische Schiffe, zunachst stehen die
osterreichischen und tiirkischen; auf die russische Flagge kommen
nur etwa 9% der Schiffszahl. Besonders rasch steigen die Dampf-
schiffahrtsverbindungen sowohl in der Ostsee als im schwarzen
Meere; doch wird auch zwischen den Hafen im azow'schen und im
kaspischen Meere sowie auf der Wolga eine bestandige Verbindung
unterhalten. Kronstadt (St. Petersburg) hat die lebhafteste Schif-
fahrtsbewegung und Dampfschif f ahrts- V erbindun g en mit
Liibeck, Stettin, London, Rostock, Havre, Rotterdam, — Riga mit
Lubeck und Stettin, — Odessa mit Cherson, Konstantinopel und
Galacz.
360
Von besonderer Wichtigkeit sind die Stadte:
St. Petersburg (530.000 Einw.) von Peter M. erbaut (der Ban begann am
16» Mai 1703), zeichnet sich dutch die Regelmassigkeit der Strassen, die moderne
Eleganz der Gebaude und den Ueberfluss an Raum, welcher der inneren Entwickelung
der Stadt gewahrt ist, vortheilhaft aus. Die Stadt hat so viele Palaste und riesige
Gebaude mit weiten Hofen nnd Nebengebauden, wie vielleicht keine andere ; alles ist
jedoch von einer ermudenden Gleichmassigkeit. Ein grosser Theil der Hauser ist
aus Holz, welche in Russland sehr beliebt sind. (Im J. 1857 waren nnter den 8779
Hansern 5010 holzerne.) Oeffentliche Gebaude : die Admiralitat, mit prachtiger
Fronte, von der Thurmgallerie die schSnste Aussicht iiber die Stadt; — der Winter -
palast ; die Eremitage mit Gemaldegallerie und Bibliothek; der Marmorpalast. Kir-
chen: Kathedrale des h. Isaak, eine der prachtvo listen der Erde (im J. 1858 vollendet);
das Alexander-Newsky-Kloster, gleicht einer Stadt, Residenz des Metropoliten, mit
einem Seminar. Zahlreiche Staats- und Privatpalaste. — Kaiserliche Akademie der
Wissenschaften, L'niversitat, 4 Gymnasien, kais. Rechtsschule, technische Schule,
Oommerz-Schule und mehrere grosse Spezialschulen. Kais. Bibliothek (400.000
Bande und 17.000 Handschriften). — Viele Wohlthatigkeits- und Humanitatsanstalten.
Bedentende Industrie, namentlich mehrere kais. Fabriken, welche Spiegel, Krystall-
und Porzellanwaaren, Gobelins u. a. verfertigen ; Privatfabriken besonders in Baum-
wollwaaren. — Sehr umfangreicher Handel, grossartige Verbindungen nach alien
Theilen des Reiches ; viele Kaufhauser, darunter Gostinoi-Dwor, mit geraumigem
Hofe und zahlreichen Buden. B6rse, Bank, Credit-, Assekuranz- und Handelsge-
sellschaften.
Moskau (russ. Moskwa, 370.000 Einw.) die zweite Hauptstadt des Reiches,
mittels Eisenbahn mit St. Petersburg verbunden, im Miitelpunkt russischer Macht,
das Centrum der altrussischen Sympathien, die nheilige Stadt" der Russen, besteht
aus concentrischen Kreisen und Halbkreisen. In ihrer Bauart, in dem Contraste
dicht bevOlkerter Stadttheile und unbebauter Flachen tragt die Stadt halb europai-
schen, balb asiatischen Charakter. Die ungeheure Grosse, die Tausend vergoldeten
oder bunt bemalten Kuppeln, die cultivirten Bodenflachen, welche die Stadtviertel
von einander trennen, die Boulevards und herrlichen Promenaden, endlich der Kreml
mit seinen 32 Kirchen und vielen Palasten, seinen Thurmen, Zinnen und mittelalter-
lichen Befestigungen ; — diess alles zusammen gewahrt einen grossartigen, pracht-
vollen Anblick. Hier ist der geographische, ethnographische und naturhistorische
Mittelpunkt des Reiches. Prachtiger kais. Palast Grosse und reiche Kirchen; der
Thurm Iwan Weliki (mit der ungeheuren Glocke von 4000 Zentnern Gewicht) ; Ka-
thedrale des h. Michael und noch andere 6 Kathedralen, im Ganzen gegen 300 Kir-
chen, viele grosse Kloster. — Universitat, 3 Gymnasien, zahlreiche technische, Han-
dels- und Spezialschulen. Hanptsitz der Industrie mit vielen, nach den neuesten
Systemen eingerichteten Fabriken fur die verschiedenartigsten Richtungen. Mittel-
punkt fur den inneren, und Hauptstapelplatz fur den asiatischen Handel mit vielen
Geld-, Assekuranz- und Handelsinstituten.
Warschau (170.000 E.), stark befestigt; kOnigl. Schloss, viele Palaste und
h6here Lehranstalten. Borse, Nationalbank. Bedeutende Industrie ; lebhafter Handel
insbesondere auf den 2 Messen; wichtiger Wollmarkt. Den grossten Wollhandel hat
jedoch Charkow.
Andere Platze von Bedeutung sind: Rybinsk (Gouvernement Jaroslaw) ver-
dankt seine Wichtigkeit der glflcklichen Lage in der Mitte der Kanalverbindungen
zwischen der Wolga und Dwina; hier werden gewShnlich die auf den grQsseren
Wolgaschiffen ankommenden Waaren auf die kleineren, welche die benachbarten
Flusse und Kanale befahren sollen, umgeladen — Samara ist der Hauptstapelplatz
fur den Getreidehandel auf der Wolga, wo gegeu 9 Millionen Pad jahrlich verladen
wcrden; — wichtig sind in dieser Beziehung Jaroslaw. Kiew, Warschau, Kaluga,
Tula, Twer, Perm, Orenburg, Kasan u. a. m. — Die bedeutendste Messe (die
grosse Peter-Paulraesse wurde im Jahre 1817 von Makarjew hieher verlegt) findet im
Juli und August in Nishnji-Nowgorod (oder Nishegorod) statt Diese Messe,
mit welcher wohl keine andere der Erde verglichen werden kann, und wo zwei Welt-
theile ihre Waaren tauschen, besuchen jahrlich fiber 300.000 Menschen, darunter Bu-
charen, Kirgisen, Hindu und Chinesen*). Der Waarenumsatz hat in manchen Jah-
*) Auf der M"«se (im Jahre 1858) sollen auf der schmalen Landzunge, wel-
che durcb den Zusammenfluss der Oka und Wolga gebildet wird und wo der
861
i-en den Werth von nahe 150 Millionen Silberrubel urreicht. Russische Landespro-
dnkte, vorzfiglich auch Leder, Pelzwerk, Eisenwaaren, Webewaaren 5 andererseits Thee,
welchen lange Karawanenziige auf Taasenden von Kameelen von der chinesiscben
Grenze fiber Orenburg und Kasan hieher bringen, tflrkische und persische Teppiche,
ostindische Shawls u. s. w. bilden die Hauptgegenstande dieses grossen Handels.
Mehrere tausend Kaufhiiuser, Buden and Niederlagen bedecken die ungeheure Flache,
meilen lange Reihen von Barken, welche ebenfalls als Baden verwendet werden oder
zum Theil auch ihre Waaren am Ufer ausstellen, bedecken die Oka und die Wolga.
An die reichen Pelzwerks-, Shawls- and Perlenbuden mit dem ganzen orientalischen
Prunk sehliessen sich die noch einen Urzustand bekundenden Pferchen der Vieh-
handler ; Gegenstande des httchsten europaischen Luxus und der Mode liegen neben
den Urprodukten der halbcivilisirten Stamme und den Produkten der asiatischen Ver-
weichlichung aufgestapelt. Diese Messe ist der eigentliche Centralpunkt fiir den ge-
sammten Landverkehr zwischen Europa und Asien. — Beachtenswerthe Messen wer-
den noch abgehalten in Moskau, Dorpat, Kiew, Taganrog, Warschan, fco-
wicz (Gouvernement Warschau), Lenczna (Gouvernement Lublin), Skaryszew
(Goavernement Radom), Lublin u. s. w.
Die wichtigsten Seehaf en sind: a) am schwarzen undazow'schen
Meere: Odessa (die grosste Getreideausfuhr; — Gesammtwerth
derEinfuhr im Jahre 1858 bei 10 Millionen, der Ausfuhr an 30 Mil-
lionen Silberrubel), Cherson, Eupatoria, Feodosia, Kertsch, Tagan-
rog ; — b) am kaspischen Meere : Astrachan (asiatischer Handel) ;
- c) am weissen Meere : Archangel, Onega, Kola; — d) an der
Ostsee: Kronatadt, Riga (slarkste Holzausfuhr), Libau, Reval,
Pernau, Helsingfors, Wiborg.
Filr den Landhandel nach dem Auslande sind wichtig:
Dubno, Kaminiec, Berdiczew (zunachst nach Brody), Warschau,
Lublin und Kalisch.
Zu den wichtigsten For derungsans tal te n des Handels
orehoren nebst den zahlreichen Wasserstrassen die im Ganzen gut
unterhaltenen Landstrassen. Von Eisenbahnen stehen jetzt funf
Linien in einer Gesammtlange von etwa 177 Meilen im Betriebe*),
zehn andere Linien in einer Gesammtlaoge von beilaufig 850 Meilen
sind theils konzessionirt, theils bereits im Baue begriffen.
Das Telegraphennetz wird fortwahrend erweitert, es um-
fasst 30 Gouvernements-Hauptstadte, fiber 80 Stationen und wohl
iiber 1200 Meilen. — An Banken, Kredit an stal ten und Ak-
tiengesellschaftenist Russland relativ reich. Unter den ersteren
stehen die Reichs-Kreditanstalten obenan, als d) die Reichs-Leihbank,
b) die Reichs-Kommerzbank, c) die Expedition der Reichs-Kredit-
billete, d) die Bank von Polen, e) die Bank von Finnland (zu Hel-
singfors) u. s. w. Die Zahl der bedeutenderen Aktiengesellschaften
iat bereits iiber 90 gestiegen ; zu den wichtigsten gehoren : die nrus-
eisch-amerikanische Kompagnie", die ..grosse Gesellsohaft der russi-
echen Eisenbahnen", — die Handelsgesellschaften fiir die Schiffahrt
auf der Wolga, dem Dojepr, zu grossen industriellen Unterneh-
mungen die Assekuranzen gegen Feuerschaden, u. s. w.
eigens fiir die Messe erbaute prachtige Kaufhof mit 2522 Kaufgewolben steht, an
manchen Tagen iiber eine halbe Million Menschen sich befunden haben. Die Gc-
samratanfuhr soil iiber 100 Millionen Silberrubel betragen haben.
*) Petersburg-Pawlowsk (3.it Meilen), Petersburg-Moskau (88 Meilen), Petersbnrg-
Pskow (40 Meilen), Petersburg-Peterhof (3.74 Meilen), Warschau-Szczakowa (41.,
Meilen) mit der Zweigbahn nach Lowicz.
81
Die geistige Kiiltur Russlands hat seit Peter M. iiberraschende
Fortschritte gemacht. Allerdings beschranken sich diese Fortschritte
nur auf den Adel, die Bewohner der Stadte und deren nachste
Umgebungen, wahrend die grosse Masse der Landbevolkerung sich
nur wenig liber primitive Zustande halbcivilisirter Volker erhebt.
Die Anzahl der Lehranstalten und der Schuler im europaischen
Russland hat sich in letzter Zeit bedeutend vermehrt ; doch kommt
im Allgemeinen erst auf 133 Einwohner 1 Schuler, bei der stadti-
schen Bevolkerung hingegen auf 17 Einwohner 1 Schuler (in Deutsch-
land auf je 5 — 9 Ein Schuler). Am giinstigsten ist dieses Verhalt-
niss in den Ostseeprovinzen, dann in St. Petersburg und Moskau,
am ungunstigsten in Wolhynien (1:435). Fur Kaukasien und Sibirien
liegen sehr unvollstandige Nachweisungen vor, der Stand der geisti-
gen Kultur iat iibrigens in jenen Landern ein sehr defer. — Fur
technische und kommerzielle Ausbildung sorgt sowohl das Finanz-
ministerium als mehrere Korporationen. Relativ zahlreicher sind
die Lehranstalten fur militarische und jene fur gelehrte Bildung, in
letzterer Hinsicht bestehen sechs Universitaten (St. Petersburg, Mos-
kau, Charkow, Kasan, Kiew und [die deutsche tlniveraitat] Dorpat).
Fast ein Dritttheil der Schulen wird aus Staatsmitteln erhalten. —
Mehrere wissenschaftliche Hilfsanstalten und Gelehrtenvereine zahlen
zu den ausgezeichnetsten Instituten dieser Art, namentlich haben sie
sich um die Wissenschaft der Erdkunde, Ethnographic und Physik
sowie der slawischen Philologie grosse Verdienste erworben. Die
Aufhebung der Leibeigenschaft und die ernstlichen Bestrebungen
der Regierung werden sicherlich gunstige Resultate geben, und
Russlaud diirfte in nicht zu ferner Zeit eine neueroberte Provinz
des grossen Reiches werden, in welchem die Intelligenz auf die
geistige und materielle Entwickelung der Volker den machtigsten
Einfluss ausiibt, und sie ihrem hochsten Ziele, der grosstmoglichen
Vervollkommnung, entgegenfuhrt.
XIV. Republik der jonischen Inseln.
§. 149.
Der seit dem Jahre 1815 gebildete Freistaat der jonischen Inseln
besteht aus sieben grosseren und mehreren kleineren Inseln.
Die ersteren sind: Corfu, Paxo, Santa Maura, Theaki, Cefalonia,
Zante, Cerigo; der Flachenraum betragt 51. Go geographische QMei-
len und die Bevolkerung ist nahe an 228.000 Seelen stark.
Der Bo den ist fast durchgehends gebirgig, mit wenig Wal-
dungen, wasserarm, doch meistens ziemlich fruchtbar. Die meisten
Inseln sind an 1000 — 1500' hoch, die Berge auf Cefalonia und Corfu
iibersteigen 4000'. Die Kiisten sind steil, hoch und reich an sicheren
Ankerplatzen. Der Lauf der Gewasser ist kurz, nur der Mis-
songi auf Corfu ist fiir kleine Schiffe fahrbar. Das Klima ist
sehr milde, die Sommerhitze driickend (bis -j- 35° R), der Winter
regnerisch; Stiirme und Erdbeben sind haufig.
Unter den Erzeugnissen der Landwirthschaft sind am
m
wichtigsten Korinthen, Oliven und Wein. Erstere sind be-
sonders auf Cefalonia und Zante von hoher Bedeutung , dann auf
Theaki und Santa Maura*); sie bilden das Hauptprodukt und die
ansehnlichste Einnahmsquelle der Bevolkerung. Von Weinen ist
der rothe Muskatwein der beste; Cerigo erzeugt vorzugsweise Ro-
sinen. Oliven werden jahrlich zweimal geerntet, hauptsachlich auf
Paxo und Zante, mitteleuropaische Obstbaume und Sudfruchte ge-
deihen recht gut. Auf Cefalonia und Zante wird auch Baumwolle,
auf Corfu Zuckerrohr gebaut. Die Getreideernte deckt jedoch bei-
laufig nur ein Drittel des Bedarfes. Der Vieh stand ist relativ
geringe, am starksten ist die Zucht der Schafe, Ziegen und Esel.
— Kein Bergbau; beruhmte Pechquellen auf Zante und er-
giebige Seesalzgewinnung.
Die gewerbliche Industrie ist von keiner Bedeutung.
Die Wollenspinnerei und Weberei wird hie und da als landwirth-
schaftliche Nebenbeschaftigung betrieben; zudem kommen noch
Baumwoll- und Seidenweberei , Teppichwirkerei aus Ziegenhaaren,
Seifenbereitung und Topferei vereinzelt vor. — Fischerei und See-
fahrt dagegen sind erheblicher. In neuester Zeit hat der Handel
sehr zugenommen. Zur Ausfuhr gelangen : Korinthen, Olivenol,
Rosinen , Wein und Salz ; — zur Einfuhr Schlachtvieh, Holz,
Getreide, Kolonial- und Fabrikwaaren. Im Jahre 1856 betrug der
Werth des Importes iiber 9 , des Exportes tiber 5 '/2 und der
Durchfuhr nahe an 5 Millionen Gulden. Sammtliche Hafen sind
Freihafen, der von Corfu der bedeutendste. Die Inseln sind durch
regelmassige Dampfschiffahrten unter einander und mit den wichtige-
ren Hafen der Levante , Slid- und Westeuropas verbunden , ins-
besondere vermittelt der osterreichische Lloyd in Triest
einen sehr lebhaften Verkehr. Auf Corfu bestehen die jonische
Bank und einige Leihbanken , welche auf den Handel fordernd
einwirken.
Die geistige Kultur hebt sich, seitdem die Inseln unter
englischem Schutze stehen. In alien grosseren Dorfern bestehen
Elementarschulen, auf jeder Insel ein Lyceum fiir den Mittelunter-
richt und in Corfu eine Universitat. Zu Unterrichtszwecken wer-
den jahrlich an 100.000 Gulden verausgabt. Oeffentliche Wohl-
thatigkeitsanstalten und Gesellschaften fur Hebung der Agrikultur,
Industrie und des Handels entwickeln eine rege Thatigkeit.
1. CorfU (Corcyra, 10.6, [JMeilen, 68.000 Einwohner), Hauptort Corfu
(20.000), hat reichliche Salinen, Wein, Oel und viel Feigen ; einen geranmigen sehr
sicheren Hafen. Mittelptmkt der Regierung, Sitz einer griechischen Universitat. —
Zu Corfu gehoren noch sieben kleinere Inseln.
2 Paxo (Paxos, 1,,, QMeilen — 4800 Einwohner), Hauptort Porto Gai
(oder St. Nicolo, 400 Einwohner). Das Hauptprodukt sind die Oliven. — In der
Nahe die kleine, baumlose aber fruchtbare Insel Anti-Paxo.
3. Santa-Maura (Leucadia, 8.4, nMeilen, — 20.400 Einwohner), Haupt-
ort Amaxichi (oder Amakuki, 4600 Einwohner), hat in neuester Zeit durch Erd-
beben ungemein gelitten. An der Sadspitze das Cap Dncato (Promontorium Leuccite).
4. Theaki (Ithaca, 2.07 n^eilen, — 11.600 Einwohner), durchgehends ge-
*) Im Jahre 1856 war der Korinthen -Ertra? auf Cefalonia 8,300.000, — auf
Zante 7,500.000, - auf Theaki 520.000, - auf St. Maura 36.000 englische Pfund.
864
birgig, rauh, nackt. Die kleine Stadt Vathi (4400 Einwohner) hat einen sehr guten
sicheren Hafen.
5. Cefalonia (Cephallenia, 16.a, nMeilen> — 72.300 Einwohner), die
grOsste dieser Inseln, ist gebirgig und hat mehrere vortreffliche Hafen. Die Be-
wohner sind unternehmende geschickte Seefahrer, Hanptort: Argdstoli (9300),
dann Lixuri.
6. Zante(Zakynthos, 7.ss DMeilen, — 37.000 Einwohner), wegen der Frucht-
barkeit (namentlich im sudlichen Theile), vorzuglich an Wein und Oel die BBlume
des Ostens" (fior di Levante) genannt. Hauptort: Zante (14.000). Bei dem Dorfe
Chieri wird auf dem Wasserspiegel mehrer Quellen flussiges, vortreffliches Erdpech
gewonnen.
7. Cerigo (Cythera, 5.4S QMeilen, — 13.400 Einwohner), meist kahler Fel-
sen. Der kleine Hanptort Kapsali hat einen guten Hafen. In der Nahe des Forts
St. Nicolb sind die Triimmer der alten Hanptstadt Cythera. — Sfidostlich die kleine
Insel Cerigotto.
Die Republik der ,,Vereinigten Staaten der jonischen Inseln" ist ein unab-
hangiger, uuter den fortwahrenden Schutz der englischen Krone gestellter
Staat. Die gesetzgebende Gewalt steht der Versammlung der 42 Abgeordne-
ten, die ausiibende dem Senate za, welcber aus 6 Senatoren und 1 Staats-
sekretar besteht. Der Stellvertreter des Schutzherrn ist der Lord-Oberkom-
missar, welcher Chef der gesammten Civil- und Militarverwaltung ist, das Veto
in alien vom Senate and dem Farlamente gefassten Beschlussen besitzt, die
Senatoren ernennt, das Parlament beruft und vertagt. Jede Insel besitzt ihre
eigene Verfassung mit einem Municipalrath als Lokalregierung ; ein Resident
ist Stellvertreter des Lord-Oberkommissars.
XV. Das KOnigreich Griechenland.
§. 150.
900 QMeilen; — 1,067.000 Einwohner, im nfirdlichen Theile albanesischer
(arnautischer), im S&den und auf den Inseln griechischer (hellenischer) Ab-
stammung; dann Walachen, Armenier, Italiener, Dentsche u. s. w. — Staatsreligion
die orientalisch-griechische mit der Bheiligen Synode" in Athen; etwa 25.000 Ro-
misch-Katholische, einige Protestanten, Juden und Muselmanner. — Konstitutionelle
Erbmonarchie in der mannlichen Linie eines Zweiges des bairischen Hauses Wi ttels-
bach (seit'1832).
Oberflache. Das Konigreich Griechenland besteht aua zwei
Halbinseln (Livadien oder Hellas und Morea oder Peloponnes)
und mehreren Inseln im agaischen Meere. Die beiden Halbinseln,
durch den schmalen Isthmus von Korinth mit einander verbunden,
sind durchaus gebirgig ; doch steht das Bergland diess- und jenseits
des Isthmus in keiner Verbindung. Die Centralmasse der nord-
lichen Halbinsel (Livadien) bilden der Schar Dagh und der Or-
belus, ersterer steht mit den dalraatinischen Karsthohen in Verbin-
dung sowie mit dem Balkan. Es sind theils steile , nackte, von
furchtbaren Abgriinden unterbrochene Felszacken; theils plattere,
amphitheatralisch gebildete Bergreihen, welche letztere grosstentheils
mit fetten Weiden und schonen Waldern bedeckt sind. — Das
Bergland der sudlichen Halbinsel (Morea) ist ein abgesondertes,
von Randgebirgen eingefasstes Hochland, welches sich gegen Siiden
allmahlich abdacht. Mit Ausnahme des sudlichen Theiles ist es
sehr reich an Waldungen und trefflichen Viehweiden. (Siehe
»griechische Halbinsel" S. 33 und 34). — Die Insel Negroponte
ist von einer Gebirgskette durchzogen, deren Gipfel iiber 5000'
865
reichen; die kleinen Inseln sind meist felsig und kahl, nur einige
wenige haben guten Boden und iippige Vegetation.
Griechenland wird vom j on ischen und agaischen Meere
bespQlt. Kein Land in Europa hat im Verhaltnisse zum Flachen-
inhalte eine so grosee Kusten - Entwickelung, und die vielen tiefen
Einbuchtungen sind fur die Entfaltung und Ausdehnung des Ver-
kehrs ungemein giinstig. Die gluckliche Kiistenbildung mit der
bequemen Zuganglichkeit und der reichen Inselwelt, welche gleich-
sam eine Brucke zwischen Asien und Europa bildet, haben Grie-
chenland seit jeher die Vermittlerrolle zwischen dem Abend- und
Morgenlande zugewiesen. Die wichtigsten Meerbusen sind: (im
Westen) die Busen vonArta, Patras, Lepanto (oder Korinth)
und von Arkadien; — (im Sflden) : von Koron (oder Messe-
nien), Kolokythia (oder Lakonien); — (im Osten): die Bai von
Napoli di Malvasla, Busen von Nauplia (oder Argolis),
Hydra, Aegina (oder Athen); die Kanale von Egribos (Eu-
ripus) und Talanti fu'hren in den Busen von Zeituni, und
aus diesem der Kanal von Trikeri in den Busen von Volo.
Letztere Kanale trennen Negroponte vom Festlande.
Die Flusse sind meist unbedeutende Kustenfliisse. In Li-
vadien sind erwahnenswerth : der Aspropotamos (Achelous),
Griechenlands grosster Fluss , in seinem unteren Laufe schiffbar,
mGndet in das jonische Meer; der Mavro-n ero (Kephissus) in
den See Topolias (Kopais); und der Hellada (Spercheus) in den
Zeituni; — in Morea: der Ruphia (Alpheus) in den Golf von
Arkadia, Vasilipo tamos (Eurotas) auch Iri genannt, in den
Busen von Kolokythia. — Unter den Seen ist nur der Topolias
(Kopais) in Livadien bemerkenswerth.
Das Klima ist im Allgemeinen milde und geaund, doch
herrschen grosse Temperaturverschiedenheiten in senkrechter Aus-
dehnung. Die Inseln und Kusten haben mildes , angenehmes See-
klima, die hoheren Gebirgsgegenden kontinentales Klima; wahrend
an den Kusten fast nie Schnee fallt, sind die hohen Gebirgsgegen-
den monatelang mit Schnee bedeckt. Die Regenzeit ist der Winter ;
im Sommer ist die Hitze gross, die Flusse trocknen aus, der Boden
ist durr; Friihling und Herbst sind in der Regel sehr schon.
Politische Eintheiluug. Das Konigreich wird in zehn No-
marchien (jede mit einem Nomarch), diese in 49 Eparchien
(mit je einem Eparch) eingetheilt, welche wieder 278 Demen (jeder
Demos mit einem Demarch an der Spitze) enthalten.
I Livadien.
1. Nomarchie Attika und Bootien: Athen (50.000), Eleusis, Vrana
(Marathon), Platia, Thiva (Theben), Livadia ("6000), Anlis; — Inseln: Sa-
lamis, Aegina, Hauptstadt Aegina (10.000);
2. Phthiotis und 1'hokis: Lamia oder Zeituni (4000), Bodonitza
(Thermopylae), Salona ("4000), Kastri (Delphi);
3. Akarnanien und Aetolien: Missolnnghi (4000), Naupaktos (Le-
panto), Vrachori;
It. Morea.
4. Argolis und Korinth: Nauplia (Napoli di Romania, 13.000;, Argos
(11.000), Korinth (4000); — Inseln (mit den gleichnamigen HBuptstadten): Poros
Hydra (20.000), Spezzia (7000) ;
366
5. Achaja und Elis: Patras (20.000), Kaiavrita, Miraka (Olympia),
Pyrgos ;
6. Messenien; Kalamata (3000), Arkadia, Navarino (Pylos);
7. Lakonien: Mistra (Sparta), Napoli di Malvasia (am Westabhange des
Taygetns die Landschaft Main a, wo an 60.000 tapfere Mainotten leben);
8. Arkadien: Tripolitza (8000), - Euinen von Mantinea;
< . Die Inseln.
9. Euboa: Insel Negroponte (Euboa): Chalkis (oder Egribos, 15.000),
— die Inseln: Skyro, Skiathos, Skopelo u. a. (Nord-Sporaden und Teufels-Inseln) ;
10. Cykladen: Insel Syra: Syra (Hermopolis 20.000), die Inseln: An-
dros, Tino, Mikone, Naxos, Paros, Milos, Amorgo u. v. a.
Atheu (50.000 Einw.) in einer schSnen bergumgrenzten Ebene zwischen den klei-
nen Flussen Ilissos und Kephissos, seit 1835 Haupt- und Residenzstadt. Im Alterthnme
die glanzvollste Stadt, der Wohnort grosser Dichter, Heerfiihrer und Staatsmanner,
uberhaupt die BStadt der Weisen" mit prachtigen nnd grossartigen Kunstbauten,
Denkmalern und Anlagen, war Athen durch eine Reihe von Ungliicksfallen von sei-
ner Hohe herabgesunken. Weder unter byzantinischer, noch weniger unter turkischer
Herrschaft konnte die Stadt zu einiger Bedeutung gelangen. Die alien Tempel und
andere Prachibauten warden in Kirchen, dann in Moscheen umgewandelt, oder zu
profanen Zwecken verwendet. In unserem Jahrhunderte warden darch Lord Elgin
eine Menge Statuen, Reliefs und andere Antiken fur das britische Museum (Elgin
Marbles,) angekanft. Im griechischen Unabhangigkeitskampfe (1821 — 1828) hatte
Athen ungemein gelitten; am Ende des Krieges war es ein Ruinenhaufen, man
zahlle noch etwa 300 Hauser. Eine neue Epoche begann, als Konig Otto 1834 seine
Residenz von Nauplia nach Athen verlegte. Die verfallene turkische Ringmauer
wurde entfernt, der Neubau nach dem Plane regelmassiger Stadte unternommen. Die
Hermes-Strasse schneidet die Stadt von W. nach 0., am ostlichen Ende steht das
konigl. Schloss; parallel mit ihr lauft die Strasse der Athene; andere Strassen sind
nach beruhmten Mannern des Alterthums benannt (Demosthenes-, Euripides-, Sopho-
kles-Strasse). Schone Gebande und Kirchen erstehen fortwahrend ; die 1837 gegriin-
dete Otto-Universitat mit 700 Studenten und meist deutsch gebildeten Professoren ;
Akademie der Wissenschaften, die Sternwarte auf dem alien Hugel der Nymphen,
das Stadthans, Theater n. s. w. Die schonste Zierde bilden die Banwerke des Al-
terthums: Theseustempel, von Kimon aufgefuhrt, jelzt ein Museum fiir Alterthumer,
Akropolis mit den Trummern der Propylaen, Tempel der Nike, Erechtheum und Par-
thenon, das Odeum u. a. Die Mischung des Antiken und Modernen macht einen
eigenthumlichen Eindruck; der alte Zauber attischen Bodens und griechischen Him-
mels ist geblieben.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Landwirthschaft in Griechenland lasst noch Vieles
zu wunschen iibrig. Einerseits gehort der Boden wegen seiner ge-
birgigen , felsigen Beechaffenheit und der Wasserarmuth nicht zu
den fruchtbaren; andernseits wird selbst der kulturfahige Boden,
welchem etwa 33% der Gesammtnache angehoren, nicht vollstan-
dig bebaut. Von dem produktiven Boden werden auf dem Fest-
lande beilaufig 40°/0 wirklich bebaut , auf den Inseln ist dieses
Verhaltniss ein viel giinstigeres. Am meisten wird Weizen gebaut,
dann Gerste, Hirse und Mais , doch reicht die Produktion fiir den
Bedarf der Bevolkerung nicht aus. Sorgfaltiger werden Hiilsen-
fruchte und Gemuse gezogen. Von Handelspflanzen sind er-
wahnenswerth : vorziiglichei Krapp, Tabak (dem tiirkischen an
Giite gleich, tiber die Halfte der Ernte wird exportirt), Baumwolle
geringerer Qualitat, Mohn. Der Weinbau ist sehr bedeutend,
die Qualitat insbesondere auf den Inseln (Santorin , Tinos u. a.)
vorziiglich, und die Jahresgewinnung diirfte auf 750.000 Wiener
Eimer zu echatzen sein, wo von ziemlich viel ausgefuhrt wird. Der
367
wichtigste Zweig des Landbaues ist der Korinthenbau, vor-
ziiglich an dem Ufergebiete der Golfe von Patras und Korinth,
und man schatzt den Ertrag (fur das Jahr 1857) auf 80 Millionen
Pfund; die Ausfuhr geht hauptsachlich nach Triest und England.
Unter den Siidfriichten nehmen Feigen (Messenien, im Jahre 1856
an 92,000 Zentner, Ausfuhr nach Deutschland), Mandeln, Limonien,
Orangen , Kastanien einen ansehnlichen Rang ein , obwohl deren
Kultur noch sehr gehoben werden konnte. Die Pflege des Oliven-
baumes (bei Salona, Korinth, am Eurotas u. a. O.) und desMaul-
beerbaumes ist stets in der Zunahme. — Die Fors t wirthschaft
macht einige Fortschritte; am bedeutendsten sind die W alder im
Innern von Morea.
Die Viehzucht erstreckt sich zumeist auf die Pflege der
Schafe und Ziegen; die Milch wird zu Butter und Kase benutzt,
an Wolle werden bedeutende Mengen ausgefiihrt. Die Zucht des
Rindviehes, der Pferde, Esel und Schweine ist verhaltnissmassig
unbedeutend; dagegen liefert die Bienenzucht vortreff lichen Honig
(vom Hymettus bei Athen) und viel Wachs. Die durch das Klima
begiinstigte Seidenzucht ist einer grossen Ausdehnung fahig; die
meiste Seide wird in Morea gewonnen, die Ausfuhr findet vorziig-
lich nach Triest und Marseille statt. Die Fischerei ist an den
Kiisten und Inseln sehr lebhaft , dessgleichen der Blutegelfang und
die Gewinnung von Badeschwammeh. — Der Bergbau liegt dar-
nieder, obgleich die Gebirge nicht arm an Metallen sind ; man findet
Braunkohlen (auf Negroponte) , den besten Meerschaum (in Liva-
dien) und Marmor (auf der Insel Paros), verschiedene Salze und
treffliche Thonarten.
Unter einem Jahrhunderte langen Drucke und durch die lang-
wierigen Kriege in den Grundfesten des volkswirthschaftlichen Lebens
tief erschiittert beginnt die gewerbliche Industrie jetzt erst lang-
sam sich zu heben, obwohl sie sich nur noch auf wenige Zweige und
wenige Landstriche erstreckt. Am bedeutendsten ist die Verar-
beitung von Seide in Attika, auf Negroponte und Tino. Die
L e i n e n industrie ist fortschreitend und liefert ziemlich gute Waare ;
die Wollweberei deckt den heimischen Bedarf an Manufakten
geringerer Qualitat. Die Baumwol 1 industrie kann den oster-
reichischen und englischen Import noch nicht entbehrlich machen,
ebenso die P apierf abrikation. Erwahnenswerth sind die Stroh-
flechtereien (in Athen, auf Hydra), die Lederfabriken (in Lepanto,
Athen und auf Syra), Meerschaumkopfe u. s w. Die grosse Vor-
liebe fur die Schiffahrt hat den bedeutenden Schiffbau im Ge-
folge , namentlich haben Hydra , Spezzia und Syra vorziigliche
Werften, wo auch sovvie in Argos, viel Segeltuch und Tauwerk er-
zeugt wird.
Die giinstige Lage Griechenlands zwischen dem Morgen-
und Abendlande, und die in Europa am reichsten gegliederte Kiiste
haben auf die Entfaltung des Haiidels eeit den altesten Zeiten
ausserst vortheilhaft eingewirkt; ihm verdankt das Land den stei-
genden Wohlstand. Der noch wenig befriedigende Zustand des
Ackerbaues und der Industrie erheischt eine ansehnliche Einfuhr,
368
welche im Jahre 1857 den Werth von nahe 37 Millionen Drach-
men (1 Drachme zu 100 Lepta = 86.3 Neukreuzer) erreichte ; da-
gegen werden haupt8achlich Wein, Korinthen, Feigen, Citronen und
dergleichen ausgefiihrt (im Jahre 1857 um nahe 24 '/2 Million
Drachmen). Bei der Einfuhr sind am starksten vertreten: Ge-
webe (nahezu 10 Millionen Drachmen), Getreide (fast 4 Millionen
Drachmen), Vieh (uber 3 Millionen Drachmen), Zucker (2l/2 Mil-
lion Drachmen), Kaffee, Bauholz, Eisen u. s. w.; — bei der Aus-
fuhr: Korinthen (13Y2 Million Drachmen), Cocons (1 '/2 Mill' m
Drachmen), Wein (1 Million Drachmen), Felle (Mehrausfuhr
1 Yj Million Drachmen), Feigen und Tabak (je 800.000 Drachmen),
Wolle , Kase u. s. w. — Die vorziiglichsten Handelsplatze
sind: Athen mit seinem Hafen Piraeus, Syra, Nauplia, Patras
und Kalamata. — Nach den Landern der Herkunft oder derBestim-
mung gestaltet sich der Verkehr am lebhaftesten mit: Gross-
britannien, Oesterreich, Frankreich, den jonischen Inseln,
Holland, Russland und der Tiirkei, in welchen Staaten griechische
Handelshauser etablirt sind. Die Handelsmarine zahlte (im
Jahre 1857) 4379 Schiffe mit 325,000 Tonnen und 26.000 Mann;
der grosste Schiffsbauplatz ist Syra , wo jahrlich an 300 Schifi'e
vom Stapel laufen. Zwischen den Hafen des Konigreiches und
auch des Auslandes bestehen regelmassige Dampfschiffahrten („ grie-
chische Dampfschiffahrts - Gesellschaft") ; fur den Landverkehr
sorgt die Regierung eifrigst durch Anlegung von Fahrstrassen.
Handelskammern bestehen an mehreren Orten, zu Athen ein Ge-
neral - Handelscomite' und eine Nationalbank (Stammkapital 5 Mil-
lionen Drachmen).
Geistige Kultur. Die gegenwartige Regierung Griechen-
lands ist eifrigst bemuht, durch Griindung von Lehranstalten die
allgemeine Volksbildung zu heben , die Liebe fur wissenschaftliche
und kunstlerische Beschaftigung zu beleben. Bei Grundung der Lehr-
anstalten dienten die vortreff lichen deutschen Elementar- und Mit-
telschulen zum Muster, und auch die Universitat in Athen ist nach
deutscher Art organisirt. Das rasche Emporbliihen der zahlreichen
Anstalten ist Beweis fiir den wiedererwachten Geist dieses begab-
ten Volkes, welches in neuerer Zeit in alien Richtungen erfreuliche
Fortschritte aufweiset; Athen ist der Mittelpunkt des geistigen
Lebens fiir die gesammte griechische Nation.
XVI. Das osmanische Kaiserreich
(das Eaiserthum oder das Snltanat Tiirkei).
§. 151.
Geograph. Geograpb.
QMeilen Einwohner nMeilen Einwohner
In Europa:
In A s i e n . .
unmittelbare Besitzungen
Moldau (Boghdftn)
6507
736
1330
998
10,500.000
1,400.000
2,600.000
1,000.000
9571
31.482
44.958
15.500.000
16,050.000
5,050.000
Walachei (Iflak)
Serbian (Syrp)
In Africa .
Gesammtmonarchie . . .
86.011
36,600.000
369
Nach der National! tat: fast 50% der BevSlkernng in der europaischen
Turkei sind Slaven, an 4'/s Million Walachen und Moldauer, J1/, Million Albanesen,
1 Million Griechen, etwa I'/, Million Osmanen, dann Armenier, Zigeuner etc.;
— der Islam oder der Muhamedanismns ist btaatsreligion, zu welehem sich (in
Europa) beilaufig 4 Millionen bekennen, Griechen nnd armenische Christen fiber 10V,
Million, an 650.000 rSmische Katholiken, endlicb Protestanten, Juden. — Unum-
Bchrankte Erbmonarchie in der mannlichen Linie der Farailie Osman.
Oberflache. Die Turkei oder die Balkan-Halbinsel ist gross-
tentheils Gebirgsland. Die Gebirge haben z w e i Hauptrich-
tungen ; die eine (im westlichen Theile) ist von Nordwesten nach
Siidosten, die andere (im ostlichen Theile) von Westen nach Oaten.
Die erstere Gruppe bildet die Wasserscheide zwischen dem adria-
tischen und dem agaischen Meere, die zweite zwischen dem letzte-
ren und der Donau. Das westliche Bergland ist im Nord-
westen eine Fortsetzung der aus Oesterreich (Militar - Kroatien,
Dalmatien) hereinstreichenden Kara th Chen, welche sich vielfal-
tig in Bosnien und Serbien verzweigen, und mehrere Plateaux bil-
den. Die Centralmasse bildet der Schar Dagh, das hochste und
wildeste Gebirge der Halbinsel. In sfldostlicher Richtung zieht eich
das Rho dope- Gebirge (Despoto - Dagh) bis an das Meer. Der
ostliche Grenzwall Albaniens heisst im nordlichen Theile Bora
Dagh, im sudlichen der Pindus. — Der Hauptrichtung von
Westen nach Osten folgt der Balkan oder Ham us, der sich
vom Schar Dagh zum schwarzen Meere fast parallel mit der Do-
nau (jedoch etwa 10 — 15 Meilen sudlich von ihr entfernt) als Grenz-
wall zwiachen Bulgarien und Thracien zieht. Er fallt gegen Norden
ziemlich steil ab , gegen Siiden senkt er sich langsamer und bildet
breite, anmuthige, sehr fruchtbare Thaler. — An der siebenbiirgischen
Grenze stehen die Karpat h en, welche nur kurze, steil abfallende
Zweige in die Turkei senden. Von hier bis zum Hamus dehnt
sich das Tiefland der unteren Donau (die walachische Tief-
e ben e) aus.
Das adriatische Meer mit der Strasse von Otranto, das agaische
Meer mit den Busen von Salonik und Contessa, der Dardanellen-
strasseund dem Marmorameer, der Hellespont und das schwarze Meer
bespulen die europaische Turkei. — Der Hauptfluss ist die Donau ,
welche von Belgrad bis Orsowa die Reichsgrenze gegen Oester-
reich und von der Einmundung des Pruth bis zu ihrer Mflndung gegen
Russland bildet. Ihre Nebenflusse sind: der Grenzfluss Save (mit
der Unna , Verbas, Bosna und Drina) , die Mora v a in Serbien,
die Aluta aus Siebenburgen , der Sereth in der Moldau und
der Grenzfluss Pruth. Vom Balkan fliessen: der Vardar (in den
B. von Salonik), der Karasu (in den B. von Contessa) und die
Maritza (in den Archipel). Dem Gebiete des adriatischen Meeres
gehort der Drino. — Zu den bedeutenderen Seen sind zu zahlen :
der See von Skutari, von Janina, von Kastoria, von Bedschik und
von Takinos in Macedonien, und der Ramsin (Rassein) in der bul-
garischen Dobrudscha.
Das Klima ist im Allgemeinen angenehm milde, und mit Aus-
nahme der Sumpfgegenden gesund.
Klun's Handels- Geographic. 2. And. 24
370
Regierungsform uud Eintheilnng. Das Staatsoberhaupt (Padischah
oder Sultan) hat in weltlichen RegieruDgsangelegenheiten den Grossvezier, in
geistlichen den Mufti (Scheikh-fll-Islam) zn seinen Stellvertretern. Die hochste be-
rathende BehOrde ist der Divan, den verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung
sind Minister vorgesetzt *).
Die Provin zial-Verwaltung zerfallt in E jalet s , diese sind in Li was
oder Sandsehaks, nnd letztere in Kazas eingetheilt. An der Spitze der erst en
steht der Wali (General- Gouverneur), der zweiten der Raima kan und der letzten
der Mudir.
Gebr'auchlicher ist die Eintheilung in uiimi'Hclbaro Provinzen: Rumelien,
Macedonien, Thessalien, Albanien, Bosnien, Bulgarien und die Inseln, — und in
mittelbare oder Vasallenlander : Serbien, Moldau, Walachei nnd das BFurstenthum
Montenegro."
I. Unmittelbare Provinzen:
1. Rumelien (Rumili): K onstantinop el oder Stambul (900.000 E.,
Vorstadte: Galata, Pera, auch Skutari), Adrianopel (150.000), Philippopel (90 bis
100.000), Gallipoli (30000), Burgas.
2. Macedonien: Saloniki (70.000). Seres (30.000), Kostendil.
3. Thessalien: Larissa (25000; Trikala, Volo.
4. Albanien: Skutari (20.000), Durazzo, Valona, Arta, Prevesa, Janina.
Im nOrdlichen Theile von Albanien und angrenzend an Dalmatien liegt das
,Fiirstenthum Montenegro" (Cernagora), an 70 Q Meilen gross, mit
125.000 Einwohnern, welche eine fast v611ige Unabhangigkeit behanptet ha-
ben. Der durcbgehends gebirgige Boden ist dem Ackerbaue nicht gunstig;
den Hauptnahrungszweig der Bewohner bildet die Viehzncht. Von burgerlicben
Gewerben kann nicht die Rede sein; der Handel wird nnr insoweit betrieben,
als es die dringende No^hwendigkeit erheischt, und zwar fast ausschlie=slich
mit Cattaro. Die geistige Kultur ist ausserst geringe. Der Thron ist (zu-
folge Erbfolgestatnts rom 5. Mai 1855) in der mannlichen Nachkommenschaft
des Fttrsten Danilo I. aus der Familie Petrowitsch des Stammes Njegusch
erblich. — Hanptort ist Cettinje.
5. Bosnien: Serajewo (oder Bosna Serai, 60.000) Mostar, Banjalnka, Tre-
Nowi-Bazar, Bihac.
6. Bnlgarien: Sofia (50.000), Schumla (60.000), Widdin (20.000), Nikopoli,
Sistowa, Rnstschnk, Silistria, Tultscha, Varna.
7. Inseln im Archipelagus: Candia (oder Creta, 145 OM-> 210.000
E.), — ist hochgebirgig, hat jedoch sehr mildes Klima, in den Thalern und Ebenen
ist der Boden sehr frnchtbar. Die Insel hat durch Erdbeben viel gelitten ; sie liefert
viel Holz, Oel, Honig und Johannisbrot. Stadte: Candia (15.000), Canea (12.000),
Rettimo. — Andere Inseln: Stalimene (Lemnos) erzeugt Getreide, Wein, Feigen,
— rothe Siegelerde; — Tasso, Samothraki, Imhro u. a.
II. Mittelbare Provinzen :
1. Furstenthnm Serbien: Belgrad (20000), Kragnjevaz, Semendria,
Passarowiz, Schabaz.
2. Fdrstenthnm Walachei: Bucharest (100.000), Fokschani, Krajowa,
Giurgewo, Braila (oder Ibrail).
3. Furstenthnm Moldan: Jassy (80.000), Galacz, Ismail, Tutschkow,
Kilia, Okna, Botuschan.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Landwirthschaft steht auf einer sehr niederen Stufe,
da der turkische Landmann, mit Ausnahme der thatigen Bulgaren,
meist nur fiir die Befriedigung der eigenen Bedurfnisse sorgt und
grossere Vorrathe zu sammeln nicht gewohnt ist. Die Produktion
an Weizen, Mais, Hirse und Buchweizen liefert dennoch zum Ex-
port, welcher im Jahresdurchschnitt den Werth von ein Paar hun-
*) Die hSchsten Staatsbeamten und Generate fiihren den Titel Pascha, die ho-
heren Beamten —Efendi, die SOhne der Paschas und die oberen Offiziere — Bci,
die niederen Offiziere und Beamten — Aga.
binje,
871
dert Millionen Piaster (& 9 Neukreuzer) erreicht. Die grosste
Menge an Mais wird gewonnen in der Moldau, Walachei, Serbien
und Bosnien, an Re is in Rumelien, Macedonien und Albanien;
Flachs undHanf werden am starksten in den nordlichen Provin-
zen gebaut, Baumwolle in Macedonien, Thessalien, Albanien und
auf Candia, vortrefflicher Tabak in alien Theilen des Reiches,
besonders in Macedonien *). Der Weinbau liefert ausgezeichnete
Sorten , namentlich in Bulgarien , Bosnien und der Herzegowina ;
Obst wird uberall in bedeutender Menge gewonnen; der Oel-
baum wachst besonders an den Kusten des Archipels und des
adriatischen Meeres, und Oel bildet eineu der Hauptexportartikel.
Eine grosse Aufmerksamkeit wird der Blumen-, insbesondere der
Rosenzucht, gewidmet; dagegen liegt die F o r s t k u 1 1 ur g'anz-
lich darnieder. Erwahnenswerth ist noch der starke Mohnbau.
Den Hauptreichthum der Landbewohner in der europaiachen
Tiirkei bildet die Viehzucht. Schone Pferde, auf welche eine
bedeutende Sorgfalt verwendet wird, werden in grosser Anzahl in
der Moldau, Walachei und in Bulgarien gezogen ; gleiche Aufmerk-
samkeit geniesst die Rind vie hzucht. Die meisten S chafe sind
in den Donaufiirstenthumern , in der Dobrudscha , in Macedonien
und Thessalien, die starkste Schweinezucht ist in Bosnian und
Serbien; Ziegen, Esel und Maulesel findet man in alien Provinzen.
Ausgezeichnet in der Bienenzucht sind die Bulgarei, Moldau,
Albanien und die Inseln; jenseits des Balkan ist die Seiden-
zucht so bedeutend, dass die jahrliche Seidenproduktion aui zwei
Millionen Zollpfund geschatzt wird. Die Jagd ist ziomlich eintrag-
lich, dagegen die Fischerei arg vernachlSssigt.
Der Bergbau ist schlecht bestellt ; bei rationellem und sorg-
faltigem Betriebe diirfte er reiche Ausbeute liefern. Relativ am besten
stehen hierin Bosnien, Macedonien und Serbien, wo etwas Gold und
Silber, mehr Eisen, Blei, Kupfer, Quecksilber und Schwefel gewon-
nen wird. Viel Steinsalz haben die Moldau und Walachei an
den Siidabhangen der Karpathen (Okna, Rimnik), dann auch Stein-
kohlen und Salpeter; auf mehreren Inseln wird echoner Marmor
gebrochen , die rothe Siegelerde der Insel Stalimene ist berikhmt. Den
meisten und besten Meerschaum hat die asiatische TQrkei (bei
Konieh, Karahissar, Brussa).
Die gewerbliche Industrie steht im Allgemeinen in der
Turkei auf einer sehr niederen Stufe ; nur einzelne Fabrikate und
*) Die Tabak pro dukti o n betragt annabernd 39,434.000 Pfnnd. Die Qualitat
des Produktes ist so verschieden als seine Verwendung; sie wechselt nach den Pro-
vinzen, wo die Pflanze wachst. Die vorzuglichsten Orte der Produktion sind Mace-
donien, Thessalien und der ndrdliche Theil von Anatolien. Die Umgebnngen vdn
Karissa and Armyra in Thessalien produciren ca. 5 Mill. Pfnnd. Davon wird nar
V3 im Lande consnmirt, der Rest geht nach Griechenland und dem ubrigen Europa.
Der Preis variirt von 1—1 '/, Fr. per Okka. Macedonien bringt jahrlich ca. 8 Mill.
Pfund hervor, es exportirt davon nahe an 1 Million Pfund nach Bussland und Oester-
reich; der grOsste und beste Theil der Ernte aber wird anf den Markten von Kon-
stantinopel und 3., Mill. Pfnnd allein fur Frankreich nnd England verkauft; der
Rest wird in den ubrigen Provinzen nnd Egypten consumirt. Die Tflrken selbst
ziehen den syrischen Latakieh vor. Man gewinnt aus Syrien 1., Mill. Pfund Tabak
erster und 1., Mill. Pfund zweiter Sorte.
24*
372
wenige grossere Stadte machen hiervon eine Ausnahme. Ein Haupt-
artikel der Landesindustrie ist Leder, namentlich Korduan und
Saffian in rother und gelber Farbe (in Larissa, Janina, Saloniki,
Gallipoli); in Konstantinopel werden schone Lederarbeiten (Brief-
taschen, Giirtel, Schabraken und dergleichen) gemacht. Beruhmt
sind die Farbereien von Larissa, Ambelakia und im Thale des
Salambria, in Janina, Saloniki und Konstantinopel, vorziiglich das
Bturkischrotheu Baumwollgarn, Auch in der Verfertigung von feinen
Metallwaaren, besonders Waffen (Semendria, Konstantinopel)
wird Vorzugliches geleistet. Die Wollen-, Baumwollen- und Seiden-
zeuge, dann Teppiche (Saloniki, Adrianopel) iibertreffen nur in
der Farbe die europaischen Fabrikate. Die Bereitung von Essenzen,
besonders Rosen 61 (Adrianopel) gehort zu den namhafteren In-
dustriezweigen. Alle iibrigen Fabrikate werden aus den europaischen
Industrie-Siaaten importirt.
Handel. Die geographische Lage der Tiirkei als Vermittlerin
des produktenreichen Asiens mit dem industriellen Abendlande, die
lange, reichgegliederte Kiiste mit den vielen guten Hafen begun-
stigen ungemein den Seehandel, welcher hauptsachlich von Aus-
landern (Griechen und wFrankenu , das ist Abendlandern, Engl'an-
dern, Franzosen, Italienern, Deutschen) betrieben wird. Im Allge-
meinen kommen viele und mannigfaltige Rohprodukte zum
Export, und europaische Manufaktur- und Fabrikwaaren
zum Import. Der gesammte Handelsverkehr der Tiirkei (mit
Einschluss der Donaufurstenthumer) wird in der Einfuhr nach
der Tiirkei mit beilaufig 102 Millionen Gulden (aus Oester-
reich um 25 Y2, aus England um 28 Millionen Gulden), und in
der Ausfuhr aus der Turkei mit 112 Millionen Gulden (nach
Oesterreich um 26 V2, nach England um 36 Millionen Gulden)
berechnet. Genaue, offizielle Nachrichten iiber den Verkehr fehlen
noch bis jetzt *).
Die wichtigste Fl u ssschiffahrt wird auf derDonau be-
trieben ; der Dampfschiffahrtsverkehr zwischen Wien und Konstan-
tinopel sowie den an der Donau liegenden ansehnlichen Stadten ist
sehr lebhaft. Aus dem schwarzen Meere fahren Kauffahrteischifte
bis Galacz und Braila. Auch die Nebenflusse (Save , Morawa,
Aluta, Sereth, Pruth), dann die Maritza und der Strymon haben
ziemlich ansehnliche Schiffahrt. Der schlechte Zustand der Land-
strassen, das mangelhafte Postwesen, hie und da auch Unsicher-
heit hindern die Entfaltung des Binnenhandels. Die bedeutendste
Strasse fiihrt von Konstantinopel fiber Adrianopel nach Belgrad,
• *) Exportirt werden: Baumwolle, rothes Garn, Saffian, Wein und Obst, Wolle,
rohe Seide, Tabak, Honig und Wachs, Krapp, Siidfruchte, Gallapfel, Meerschaum-
kiipfe, Rosenol, Teppiche, Sabel ; — aus denDonaufiirstenthamern: Getreide,
Pferde, Schlachtvieh, Haute, Talg, Borsten, Salz, Salpeter, Honig und Wachs; —
von den Inseln: Wein nnd Siidfruchte. — Eingefuhrt werden alle Arten euro-
paischer Fabrikate, namentlich: Eisen und Eisenwaaren, Baumwollstoffe, Tuche und
Wollenzeuge aus England, Oesterreich, Frankreich, Belgien, aus dem Wupperthale
nnd der Schweiz, — dann : Pelzwerk, Hanf und Flachs aus Russland ; Glas, Spiegel,
Papier, Wiener Fabrikate aus Oesterreich; kurze Waaren aus Nurnberg; deutsche,
franzosische und englische Fabrikate u. s. w.
373
eine zweite von Bukarest nach Siebenbiirgen. Eisenbahnen be-
stehen noch keine , dagegen mehrere Telegraphenlinien. Zu Kon-
stantinopel hat die ottomanische Bank (Aktienkapital 200 Millionen
Piaster) ihren Sitz.
Von der geistigen Kultur im Sinne des christlichen Abend-
landea kann in der Tiirkei keine Rede sein. Die TOrken haben
im Ganzen ihre asiatischen Sitten und Gebrauche beibehalten und
sind als Bekenner des Islam von geistigen Anstrengungen keine
Freunde; Kunste und Wissenschaften haben so zu sagen keinerlei
Fortschritte aufzuweisen. Es bestehen zwar mancherlei muhame-
danische Schulen (Elementar-, Mittel- und Spezialschulen) , allein
die Resultate derselben sind nach unseren Begriffen hochst unbe-
deutend. Unter der christlichen Bevolkerung sind die Griechen die
intelligentesten, induetriellsten und thatigsten, am meisten befassen
sich die Geistlichen mit der Pflege der Wissenschaften. In neue-
ster Zeit beginnt jedoch die europaische Kultur hie und da Wurzel
zu schlagen.
Die bedeutendsten Fabriks- and HandelsplHtze in 'der europaiscben
T5rkei sind :
Konstantinopel hat eine so gfinstige und herrliche Lage, wie vielleicht
keine Stadt der Erde. An drei Seiten wird sie vom Meere bespfilt, im S.
vom Marmara-Meer, im O. vom Bosporus, im N. vom goldenen Horn. An
der Stelle des alten Byzantium liegt der Serail, ein eigener, mit Mauern
umgebener Stadttheil, fiber 1 Stunde im Umfange, mit fiber 10.000 Be-
wohnern, vielen Palasten, Garten u. s. w. Dicht darneben liegt der Palast
des Grossveziers, die Bhohe P forte". Eines der prachtvollsten Bauwerke
ist die von Kaiser Justinian erbante Sophienkirche, jetzt Aja Sofia, das
Muster aller Kuppelkirchen. Am goldenen Horn liegt der fast nur von
Griechen bewohnte Stadttheil Fanar (Fanarioten). Galata liegt wo die
Spitze des Hafens und des Bosporus zusammenstossen ; von Mauern um-
geben und durch 12 Thore zuganglich bildet es eine seit jeher von Christen
bewohnte Stadt, in deren steinernen, starken Hausern die Kauflente von
Pera ihre Waarenniederlagen halten. Nach dem Bosporus zu schliesst
sich daran Tophana mit seinen engen krnmmen Gasschen, Holzhansern
and Krambuden, ira unmittelbaren Verkehr mit dem Hafen und den an-
kommenden Schiffen. In ganz Konstantinopel rechnet man 80.000 meist
unansehnliche Hauser. Jedes turkische Haus wird nur von einer Familic
bewohnt. Es gibt an 400 Moscheen, fiber 5000 kleinere Terapel, etwa
500 hohere Lehranstalten, 1200 Elementarschulen, 13 Offentliche Bibliotheken,
fiber 1200 offentliche Bader u. s. f. An der Spitze der r6mischen Katho-
liken steht der in Pera residirende Patriarch (10.000 Katholiken). — Die
Stadt gewahrt vom Meere oder vom asiatischen Ufer gesehen einen pracht-
vollen Anblick. Hinter dem Serail breitet sich die enorroe Hausermasse
aus, fiberragt von den mit Landhausern und Garten besetzten Hugeln, zwischen
diesen die Begrabnissplatze mit ihren Cypressenhainen. Aus dem Hauser-
gewirre ragen die gl&nzenden Kappeln der Moscheen empor, und ein gan-
zer Wald sanlenartiger Minarets. Im Hafen schaukelt eine enorme Menge
von Schiffen aller Nationen. Konstantinopel mit den Vorstftdten Galata
und Pera (Wohnsitze der ^Franken" und der Gesandten der christlichen
Machte), die erste Seestadt der Turkei, besitzt wenige Fabriken (in Filz und
Filztuch, Saffian, Waffen, Gold und Bijouterie) ; der Handel ist fast ausschliess-
lich in den Handen der Europaer und gestaltet sich immer grossartiger.
Die Einfuhr umfaast alle Industrie-Erzeugnisse des Abendlandes (Wenh
35 Millionen Gulden), die Ausfnhr vorzuglieh Wolle, Ziegenhaare, Tep-
piche, Seide, Droguen, Leder. Die Dampfschiffahrt in das schwarze Meer
und die Lloyd schiffahrt von Triest tragen sehr viel zur Hebung des Han-
dels bei,
874
Adrianopel, an der schiffbaren Maritza, bat lebhafte Industrie, besonders
Saffian and BosenCl, dann Teppicbe, Webewaaren in Seide, Baum-
wolle, Wolle, Turkischrothfarberei. Sehr blahender Handel zu Lande nacb
Konstantinopel und fiber den Hafen Enos an der Maritzamundung. Mehrere
europaische Handelshauser sind bier etablirt, welche viele levantinische
Bohstoffe, sch6ne Wolle, Seide, Tabak und Wachs, ferners aus Bussland
Hanf, Talg nnd Haute zu Markte bringen. Erwahnenswerth ist der Bazar,
einer der sch6nsten im Oriente.
Saloniki, «we\te Seestadt der Turkoi, Sitz der europaischen Handelskonsulate,
wichtig durch ihre vorziiglichen Teppiche, Seiden- und Banmwollenzeuge,
Turkischrothfarbereien, Saffian u. s. f. Der sehr bedeutende Eigenbandel
umfasst die genannten Fabrikate, dann Getreide, Keis, macedonische Baum-
wolle, Tabak. Bohseide, Sadfrachte, Opium. Wechselplatz fiir Frankreich,
Italien und Oesterreich.
Seres (in Macedonien, in der Nahe des Takinos-Sees and der Bai von Con-
tessa) ist der Mittelpunkt der Baumwoll- und Tabakpflanzungcn, mit wel-
chen Prodnkten ein bedeutender Handel getrieben wird.
Larissa, die erste Fabrikstadt der europaischen Turkei, beruhmt dnrch
Turkischrothfarbereien, Seiden- und Baumwollwebereien, Saffian- und Ta-
bakfabriken, Mittelpunkt des Handels der an Produkten reichen Provinz
Thessalien, der bei der Thatigkeit der Griecben sehr ausgedehnt ist.
Varna, der beste turkische Hafen am schwarzen Meere, mit bedeutendem
Handel; in der Einfuhr Kolonialwaaren, in der Ausfuhr Rohprodukte und
Getreide.
Donau-Handelsplatze: Neu-Orsowa, am neisernen Thor," Hauptstation
far die Donau Dampfschiffahrt mit Quarantaine-Anstalt, bedeutender Tran-
sithandel mit den aus und nach Oesterreich und dem Zollverein bestimm-
ten Waaren. -• Die Donauhafen Widdin, Nikopolis, Sistowa (Ge-
treide- und Salzhandel). Silistria (Getreidehandel), Tultscha, Giur-
gewo (der eigentliche Hafen- und Stapelort fur den See- und Flusshandel
der Walachei, wichtiger Speditionsplatz) ; Rustschuk, wichtig als Ver-
einignngspunkt der aus der Turkei fuhrenden zwei Hauptstrassen, Stapel-
platz fiir den osterreichischen Donauhandel, mit Saffian-, Seiden- und Mons-
selinfabriken. — Braila, Hauptplatz fiir den auswartigen Handel der
Walaehei auf der Donau und dem schwarzen Meere ; den Hafen besuchen
jfthrlich fiber 11.000 Schiffe, der Import stellt sich anf 6, der Export auf
11 Millionen Gulden; — Galacz, der wichtigste Handelsplatz far die
Moldau, vermittelt den Fluss- und Seehandel ; der sehr starke Verkehr wird
beim Import mit uber 10, beim Export uber 7 Millionen Gulden bewerthet.
Jassy halt grosse Messen in Landesprodukten, grosse Viehzucht (Kinder,
Schweine, Schafe und Pferde). Leipziger Messwaaren und Siebenbiirger
Produkte werden eingefQhrt; Naturprodukte, besonders Pferde, Binder und
Schweine ausgefahrt. Botuschani unterhalt Wollhandel nach Briinn
und Leipzig, Husch ist wegen des Wein- und Tabakbaues, Okna wegen
der Steinsalzwerke bekannt.
Bukarest, Hauptstapelplatz fur den ungeheuren Produktenreichthum der
Walachei (viel Salpeter und Steinsalz zu Waleni, Kimpina; Griechen, Ar-
menier und Israeliten unterbalten einen sehr lebhaften stets wachsenden
Verkehr mit Wien, Leipzig und Triest. (Gi urge wo ist gleichsam der
Hafen fur Bukarest.)
Serajewo ist der Mittelpunkt des bosnischen Handels, ein Stapelplatz
fur osterreichische Fabrikate nnd bosnische Bohprodukte.
Belgrad, Mittelpunkt des serbischen Handels, wichtiger Verkehr mit
Wien, Pest, Saloniki und Konstantinopel; lebhafte Industrie in Seide,
Baumwolle, Teppichen, Leder, Waffen. (Von Semendria an der Do-
nau ist eine Eisenbahn projektirt nach Konstantinopel, welche folgende
Stadte beruhren soil: Semendria, Kruschewaz, Nissa, Scharkoi, Sofia, Phi-
lippopel, Adrianopel, Konstantinopel.)
Far den Handel am adriatischen Meere sin! bemerkeas worth: Sku-
tari mit ansehnlichsm S^hiffbau, Fiscberei, badeutendem Handel, Gewehr-
uai Wollfabriksn ; — Durazzo niit Hifen und Haadel in Holz, Tabak, Oel,
Tach u. a. uad Saffiaafabriken.
•T
. •
Die Staaten von Asien.
§ 152. Staatenbildungen.
Nur die angesessenen Volker sind zu einer festeren Ordnung
ihres gesellschaftlichen Zustandes und damit zur staatlichen Exi-
stenz gekommen; so dieJapaner, Chinesen, Indo-Chinesen, Perser,
Tiirken, Araber und einige andere Volkerschaften. Die Regierun-
gen der gesitteten Volker Asiens sind sammtlich monarchisch
und beinahe alle in dem Masse unumschrankt , dass sie zur d e s p o-
tischen Staatsform gezahlt werden. Sie stehen unter einander
nur in voriibergehender, meist feindlicher Beziehung.
Neben der despotischen besteht in Asien zugleich die pa-
triarchaliache Form des gesellschaftlichen Zustandes. Diese
findet sioh bei alien Hirten-, Jager- und vegetirenden Volkern.
Die Oberhaupter (Sheik, Khan) sind gleichsam Vater grosser Fa-
milien und entweder unabhangig oder hciheren Oberhauptern unter-
worfen. Auch gibt es noch Nomadenvolker, welche keine Oberhaup-
ter haben, sondern in vereinzelten Familien leben.
Ein grosser Theil der ansassigen Nationen und der Nomaden-
vSlker ist der Herrschaft europaischer Nationen unterthan, ihre
Lander sind Ko lo n i all an d er europaischer Staaten,
namentlich der Russen, Briten, Osmanen, Niederlander, Spanier,
Portugiesen und Franzosen. Die europaischen Kolonien umfassen
beilaufig 380.000 QMeilen mit 215 Millionen Einwohnern.
Die Staaten Asiens Kind:
Geograph.
Geograph.
Einwohner QMeilen
Einwobnei
1. Asiatische Tftrkei : a) Kleinasien oder
Anadoli 9804 10,700.000
b) Armenien und
Kurdistan 5693 1,700.000
c) Syrien 6873 2 750 000
d) Arabistan 9112 900.000
2. Arabien ;',.'., w .,.'.":. .'( * .-I .' ,
3 Iran- 'a) Persien. . ..,.«'; ...... 26000 12000000
31.482
48.000
16,050.000
12,000.000
b) Afghanistan 12000 6000000
c) Beludschistan 8000 2,500.000
4. Vorder-Indien (Hindustan) .*i». v , .>iaJ
5. Staaten Hinter-Indiens J^siViiiwJt
6 Indischer Arcbipel .•Jnl-frl^Hi-vj,' i^..
46.000
66000
40.000
36000
20,500 000
180.000.000
30,000.000
23 000000
7 China . ...
200000
375 000000
8000
30000000
9 Turkestan..
30 000
6 000000
10. Russisches Asien (Sibirien, Amur Gebiet, Kaukasien, Kir-
eisensteppe) . .
273.000
8.000000
376
I. Die asiatische Tiirkei.
§. 153.
Die asiatische Turkei liegt zwischen dem schwarzen, dem
agaischen , dem mittellandischen Meere, Arabien, dem persischen
Meerbusen, Persien und dem russischen Reiche ; ist uber 31,480 QM.
gross und hat eine Bevolkerung von fiber 16 Millionen. Der
herrschende Stamm sind die Tiirken (fiber 10 Millionen), welche
sich zum Islam bekennen. In Kleinasien sind zahlreich die Grie-
chen (uber 1 Million), dann Armenier, Juden u. a. m. Die Turko-
manen, Kurden und Araber sind meist nomadische Hirten- und
Raubervolker, oder Halbnomaden. In den Seestadten wohnen viele
Abendlander (,,FrankenK).
Die asiatische Turkei ist in 16 Ejalete eingetheilt; gebrauch-
licher ist die Eintheilung in Landschaften:
l.Syrien mit Palastina. Das schmale Gebirgsland steht im Norden mit dem
Hochlande von Kleinasien in Verbindung. Eine tiefe Thalspalte vom rothen
Meere (Busen von Akaba) bis zum Taurus, in deren Mittc das ,,todte Meer"
liegt, nnd welche vom O routes und Jordan bewassert wird , scheidet das
Bergland in ein westliches mit demLibanon und ein fistliches mit dem Anti-
lib an on. Nach Westen fallt das siidliche Land, Palastina, in eine schmale
Kustenebene herab, welche nach Norden zu immer schmaler wird; ostwarts senkt
es sich allmahlich zur syrisch-arabischen Wuste hinab. Der bedentendste Fluss ist
der am Fusse des Hermon entspringende Jordan, welcher diesen Namen erst
bei seinem Anstritte aus dem See Merom erhalt, spater den See Gene z are th
(^Tiberias) bildet und in das .todte Meer" miindet.
Das Land ist im Ganzen ziemlich frnchtbar aber sehr im Verfall. Die nord-
liche Landschaft (Soriston) nnd die sudliche (Palastina) haben keine zum Ge-
treideban geeigneten weitlaufigen Ebenen und miissen den Bedarf durch Zufuh-
ren decken. Sftdfruchte, Wein und Oel gedeihen vortrefflich. Ausfuhrprodnkte
sind Baumwolle, Tabak, Sesam, Gallapfel, Wolle und Seide.
Wichtigere Orte sind:
Aleppo oder Haleb Csiehe S. 381), Antakieh (Antiochia) treibt Saffiangerberei
und bedeutenden Handel in Seide, Damaskus (siehe S. 381), Ladikijeh
(Latakia, Laodicaea), bedentender Hafenort ; der ehemals bluhende Tabakhandel
ist wegen der Unsicherheit im Lande mehrfach im Sinken ; Beirut (20.000),
ansehnliche Hafen- und Handelsstadt; die in der Bibel merkwurdigen, den
Christen heiligen Platze Jerusalem (30.000), Bethlehem, Nazareth,
Jericho; — dann Guzzeh (Gazza), Jaffa, Nablus (Sich em), Said (Si don),
Tar (Tyrus).
Jerusalem ist im Verhaltnisse zu seiner einstigen Gr6sse nur mehr eine
kleine, mit Mauern umgebene Stadt. Viele Hauser sind fest gebaut, die meisten
aber nur von Lehm, mit flachen Dachern, und ohne Fenster auf die Strassen.
Fast alle Strassen sind eng und krumm, voll Schutt und Unrath und schlecht
OOO.C
000,1
gepflastert. Von den 30.000 Einwohnern sind etwa 12.000 Christen, 8000 Ju-
den und 10000 Muhamedaner. Die Stadt zerfallt in 4 Viertel ; das arme-
nische auf dem Berge Zion mit armenischen Klostern, der Citadelle, der
evangelischen Christuskirche; — das Christenviertel, im nordwestlichen
Theile, enthalt die heil. Grabeskirche, den Hiskias-Teich, das Hans des lateini-
schen und des griechischen Patriarchen, des evangelischen Bischofs, des koptischen
Khans nnd das Franziskanerkloster ; — das Judenviertel nimmt den Mit-
teltbeil im Suden ein; — das mohamedan is che Viertel ist das grSsste,
hier befinden sich : der alte Tempelplatz, der Schmerzensweg des Heilandes
(via dolorosa), der Teich Bethesda, die verfallene St. Annenkirche, und die
Wohnung des Pascha. Die verehrungswurdigste Merkwiirdigkeit fur die
Christen ist die Grabeskirche, eigentlich drei verschiedene Raume nnter einem
Dache: westlich die Kirche des heil. Grabes mit der Engelskapelle, der
GrabeshShle und dem Sarkophage, in welchen man den gekreuzigten Gottes-
877
sohn gelegt batte; in der Mitte die des Kalvarienberges mit dem Orte
der Kreuzigung; ostlich die der K reuzer findung mit der Helenenkapelle,
in welcher der Erzherzog Ferdinand Max in jungster Zeit einen neuen
Altar aus Marmor aufstellen liess. Im heiligen Andenken sind noch viele
andere Platze. Hier sind ferners mehrere KlOster und Wohlthatigkeits-Anstalten
zur Aufnahme von Pilgern. Auch die Umgegend tragt das Geprage der reli-
giosen und geschichtlichen Denkwurdigkeiten an sich. — Bethlehem, zwei
Stunden von Jerusalem entfernt, die Geburtsstatte des kOniglicheil Sangers
David und des gQttlichen Stifters des Christenthums, hat eine malerische Lage
auf zwei llugeln. Die Hauptbeschaftigung der jetzigen, fast nur christlichen
Bevolkerung der Stadt, 3000 an Zahl, besteht nebst dem Ackerbaue in der
Verfertigung von Rosenkranzen, Kruzifixen, und ahnlichen Gegenstanden aus
Olivenholz, Dattelkernen und Perlmutter. Hier ist die Gebnrtsh6hle, zu
welcher 52 Stnfen hinabfiihren, mit einem Altar und mit einer weissen Mar-
mortafel mit der Inschrift: »Hier ist von der Jungfrau Maria Jesus Christus
geboren worden". In einer besondern Grotte ist der nAltar der Krippe" ;
dann die nKapelle der unschnldigen Kinder" nnd die Grotte des grossen Kir-
chenvaters Hieronymus. — Nazareth liegt am Tabor und zahlt 3000 Ein-
wohner, welche rSmisch-katholisch, griechisch-katholisch, griechisch- nichtunirt,
maronitisch und mohamedanisch sind. Grossartiges lateinisches Kloster und
daran stSsst die „ Kirch e der Verkandigung", nach der heil. Grabeskirche die
sch8nste des Landes. Unter dem Hochaltar befindet sich die Grotte der Ver-
kflndignng. Das Hans des heil. Joseph, wo Jesus bei seinen Eltern lebte, ist
ebenfalls eine hochverehrte Statte.
2. II ctlsc has, das ist der turkische Antheil von Arabien mit den Ejalets von
D s chid da nnd Medina, ein ausserst trockenes Land mit fast tropischem
Klima. Im Norden ist die syrisch-arabische Wiiste mit wenigen kleinen Oasen,
im Sfiden steigt es zum arabischen Tafellande empor. — Bemerkenswerthc Orte
sind: Dschidda (12.000), wichtig fur den Handel zwischen Arabien, Aegypten
nnd Indien, zugleich der Hafen fur Mekka (80.000), die heilig gehaltene Stadt
der Moslem; dann Medina (20000) und dessen Hafenstadt Yembo, endlich
Akaba am Nordende des gleichnamigen Basens. — Mekka ist mit Medina dnrch
zwei Karawanenstrassen verbunden, so wie mit Yemen, El Chatif (am
persischen Golf), Bagdad, Basra und Dschidda.
Zur Provinz Hedschas rechnet man auch die Sinai -Ha Ibi nsel zwischen
den nordlichen Busen des rothen Meeres (von Suez nnd Akaba). Die gebirgi-
gen Theile in der sudlichen Halfte enthalten schone und fruchtbare Thaler, nnd
zahlreiche kleine Quellen ; nordlich geht das Plateau in eine Wflstenlandschaft
fiber, die sich bis zum Mittelmeer erstreckt. Den Mittelpunkt der historischen
und religiosen Erinnerungen bildet dieGruppe des Sinai mit demDschebl
Musa (Berg Mosis), dem geheiligten Berge der Gesetzgebung, dem nordOstlichen
Vorberge Horeb, und dem h6chsten Berge der Grnppe, dem St. Kathari-
nenberg. In einem fruchtbaren Thale am Fusse des Horeb liegt das alte Ka-
tharinenkloster.
3. Kleinasicn (Natolien oder Levante). Diese Halbinsel, welche ndie Kultur-
brucke von Asien nach Europa" bildet, besteht aus einer Beihe von Plateau-
landschaften, durch Berggruppen und Ketten von einander getrennt, welche letz-
teren vom armenischen Hochlande herfiber greifen. Das centrale Plateau
fallt am steilsten gegen Saden ab; im Westen ist es em durch parallele Ketten-
gebirge und Tiefthaler reich gegliedertes Tiefland (Bdie Kustenlandschaft der
Levante"); im Norden sind die Randgebirge durch ansehnliche Parallelfliisse
durchbrochen ; die Ostbegrenzung Kleinasiens bildet der Antitaurus. Von
den beiden Endpunkten des Antitaurus gehen die beiden Gestadeketten des Tau-
rus aus. Das nOrdliche Randgebirge oder das pontische Knstengebirge
nnd im Suden der (cilicisch-lycische) Taurus. Das centrale Plateau hat die
hochste Bodenanschwellung der Halbinsel in dem Er d s c hisch oder Argaeus
(12.0000. Die Gebirge gehOren voizugsweise vnlkanischen Bildnngen an; Erd-
beben sind haufig und von furchtbarer Wirkung (1855 in Brussa). — Kleinasien
ist zwar gat bewassert, doch sind nur wenig Fliisse auf karze Strecken schiff-
bar. Die Binnenflftsse des centralen Plateaus bewassern die Steppen und
ergiessen sich in Salzseen oder in Schilfsumpfe; die Meerzufliisse durchbre-
chen die nOrdlichen Randgebirge odor stftrzen sich als kurze Kflstenflttsse sftdlich
378
in das Mittelmeer, die westlichen bewassern in vielfach gekrummtem Laufe pa-
rallele Langenthaler, die fruchtbarsten Kulturlandschaften. Der bedeutendste
Fluss ist der Kizil Irmak (Halys), welcher, ohne schiffbar zu sein, in den
Pontus mflndet. Die Westkuste Kleinasiens ist nngemein gegliedert und hat
viele vortreffliche Hafen.
Mit Ausnahme der heissen Kiistenstriche und der rauheren Berglandschaften
hat Natolien ein gemassigtes, gesundes Klima und ist bis auf die holz- und
wasserarmen Steppen im Innern von grosser Fruchtbarkeit. Trotz der mangel-
haften Bodenkultur gedeihen nebst den europaischen Getreidearten vorzQgli-
cherWein, edles Obst, Sudfrfichte (Smyrna'er Feigen, Rosinen, Korinthen), Mohn,
Oel, ausgezeichneter Tabak, Baumwolle, Krapp, Safran, Safflor, Buchsbanmholz
u. s. w. Unter der sehr bedeutenden Viehzncht nehmen das Schaf, die An-
gora-Ziege, Buffel and Esel einen bedeatenden Bang ein; das Pferd ist klein
aber ausdauernd, das Kameel wird bei den KarawanenzQgen verwendet. Von
besonderer Wichtigkeit ist die Seidenzucht. Ueberbaupt bildet die Viehzucht
einen der Hauptnahrungszweige der BevOlkerung. Der Bergbau ist sehr zu-
ruck; erwahnenswerth sind: Kupfer (von Tokat), der feinste Meerschaum (von
Kiltschik bei Karahissar), Siegelerde (von Sinope), Asphalt und Naphta (aus
Syrien). etwas Steinkohlen u. s. f.
Wichtigere Orte sind:
(Seestadte): Smyrna (130.000; siehe S. 380), Tarsus (30.000, Hauptexport
des levantinischen Kupfers), Chanek-Kalessi (Stationsplatz des Osterreichischen
Lloyd in den Dardanellen), Skutari (60,000); — (am schwarzen Meere):
Sinope (8000), Samsun (Blutegel- und Tabakhandel), Trebisonde (Trape-
zunt, Tarabison, 50.000; siehe S. 381); — (im Innern): Bolih, Brussa
(mit dem Hafenort Mundania), Kutahija (50.000), Karahissar (60.000),
Konieh, Tokat (100.000), Siwas, Angora.
4. Die In.selll. Cypern, eine der fruchtbarsten Inseln, produzirt vortrefflichen
Wein, Baumwolle, Oel, Sudfruchle, die feinste Wolle der Levante, u. a.; —
Nikosia (oder Levkosia 16.000), Larnaka. — Rhodus mit der gleichnamigen
Hanptstadt (10.000), Schiffswerfte ffir die turkische Flotte. — Die gesunde
nnd fruchtbare, besonders an Wein reiche Insel Samos mit dem {Hauptort
Kora. — Die ehemals reichste griechische Insel Chios mit dem gleichnamigen
Hauptorte hat sich von der ungeheuren Verwfistung (im Jahre 1822) noch nicht
erholt, producirt Mastix, Wein, Feigen, Seide, Wolle, Ease. — Ausserdem zahl-
reiche kleinere, meist fruchibare Inseln im Archipel und im Marmara-Meere.
5. Armenicn. Das armenische Hochland hat seine grOsste Erhebnng im Plateau
von Erzerum, an dessen Nordostrande sich der Ararat (16.000) erhebt. An
das Hochland schliessen sicb im Westen die Plateaux von Kleinauien an, zum
Pontus fallt es steil ab, gegen Sfidosten hangt es mit dem persischen Hochlande
zusammen. Die Gebirge, von vorherrschend vulkanischer Bildung, schliessen
viele Gebirgsseen ein, deren mehrere salzhaltig sind ; der grosste ist der fisch-
reiche Wan. Die Plateaux sind steppenartig, waldlos; die Thaler tief einge-
schnitten, moistens gut bewassert und fruchtbar. — In diesem Hochlande sind
die Quellen der grOssten vorderasiatischen Flfisse: in den Pontns fliesst der
Kizil Irmak, in das kaspische Meer der Kur und Aras, in den persischen
Meerbusen der Euphrat und Tigris.
Armenien ist ein rauhes, nicht eben fruchtbares Land. Eisen, Kupfer, Blei,
Getreide, Wein, Seide und Baumwolle sind die Hauptprodukte. Die vielen und
grossen Weiden begiinstigen die Viehzucht, namentlich sind die vortrefflichen
Pferde geschatzt. Armenier leben als christliche Kaufleute in ganz Vorderasien
und in Osteuropa; auf den Steppen finden sich nomadische Kurden. — Hauptort
ist Erzerum (100.000) mit vorziiglichen Waffen-, Seide- und Lederfabriken,
wichtigem Transit- und Speditionshandel (namentlich Karawanenhandel) nach
Trapezunt, mit welchem Platze es in direkter Geschaftsverbindung steht (siehe
Trapezunt). Wan (40.000) am Wan-See, treibt gleichfalls lebhaften Handel.
6. Mesopotamien umfasst das Land zwischen dem armenischen Hochlande und
dem persischen Meerbnsen am mittleren und unteren Laufe des Euphrat nnd
Tigris. Der nSrdliche Theil heisst Al Dschesirah (Bdie Insel," Assyrien),
der sudliche Irak Arabi (Land dec Araber, Babylonien, Chaldaea). Der nord-
liche Theil mit dam Sftdabfall des annanischen Hochlandea ist ein zwar wenig
angebautes, aber hochst reizendes und fruohtbares Land; der mittlere Theil (von
879
Mossul bis Bagdad) ist eine ebene, baumlose, diirre Steppe; der untere Theil
(von Bagdad bis zar Vereinigung der beiden Flusse bei Korua) ist das durch
unglaubliche Fruchtbarkeit ansgezeichnete alte Babylonien, von tausend Be-
wasserungskanalen durchschnitten, wo zahlreiche DCrfer, herrliche Palmenhaine
und ein trefflicher Anbau sich finden. Von Korna bis an den Meerbusen bietet
das Land den Anblick schilfreicher Kaniile mit zahlloscn Inseln, Laguncn und
Morasten dar.
Wichtigere Orte sind:
a) (In Al Dschesirah): Diarbekir (60.000), in einem sehr fruchtbaren Thale
am Tigris, Fabriken von TSpfergeschirr, Baumwoll- und Seidenweberei, Le-
derbereitung , wichtiger Handelsplatz , Ma'aden-Kapur (die wichtigsten
Kupfergruben), Mossul (70.000, sebr bedeutende Fabriken feiner Baumwoll-
stoffe [Musseline] und Leinwand, Saffian), Or fa (einst Edessa, bedeutende
Gerbereien und Webereien).
b) (In Irak-Arab i): Bagdad (70.000), Hauptemporium fur den indischen
Handel, blfihende Industrie in Leinen-, Seide-, Baumwollen- und Wollstoffen,
Leder, Seife; Hi 11 eh (Ruinen von Babylon) Basra (oder Bassora, 80.000),
nngesnnde Gegend, bedeutender Handel mit Perleii, Kaffee, indischen Waaren,
Fferden u. a., gleichsam Hafen von Bagdad.
Allgemeines Knlturbild der Levante.
Die Erzeugnisse der Urproduktion stehen in gar ketnem
Verhaltnisse zu den ausserst gunstigen Vorbedingungen, welche die
Natur hier gegeben hat. Seit der Erlassung des Hatti-Sheriff's *)
von Gulhane, der dem Landmanne gewisse Rechte zusiohert, hat
sich zwar der Landbau in mehreren Gegenden gehoben, allein die
gesammte Urproduktion steht auf noch sehr geringer Stufe. Zu den
wichtigsten Erzeugnissen gehoren: Seide von Brussa und Smyrna
(fiber 6000 Zentner jahrlich), von Akre und Damascus (in Syrien),
von Basra und Bagdad (in Babylonien) , Diarbekir und Mossul (in
Mesopotamien), Erzerum (in Armenien), und von mehreren Inseln.
Baumwolle (smyrnische, syrische, cyprische); Schafwolle, Kameel-
und Ziegenhaar von Angora (Natolien) ; Straussfedern aus Aleppo
(Syrien); Krappwurzel, Safran, Safflor aua Natolien; Tabak von
Latakia (an der syrischen Kuste, geht zumeist nach Konstantinopel) ;
vortreffliche Weine (Smyrna, Cypern, Samoa); Rosinen (Damascus,
Smyrna, Samos), Korinthen, Mandeln, Datteln , Feigen (Smyrna);
verschiedene Oele , Opium , Gummi , Terpentin (von Chios) ; das
schonste Buchsbaumholz aus Natolien ; die meisten und besten
Badeschwamme (syrische Kuste und Archipel) ; Kupfer aus Na-
tolien und von Erzerum; der feinste Meerschaum von Kiltschik
(bei Karahissar) , Siegelerde von Sinope und der Insel Lemnos
u. s. w. Sehr ausgebreitet ist die Rosenkultur zur Bereitung der
unter Orientalen wichtigen Handelsartikel : Rosenol und Rosen-
wasser. An Waldern ist vielfach Mangel, der Bergbau ungemein
vernachlassigt.
In der gewerblichen Industrie, welche in der asiatischen
*) Hatti- Sheriff = ,Bulle des Chalifen" ist ein vom Sultan erlassenes Ge-
setz; Tanzimat ist die Verordnung zur Durchfnhrung des Hatti-Sheriffs von Gul-
hane; Irads ist eine vom Sultan als politischem Souverin unterzeichnete Verord-
nung; Ferman ist ein vom Sultan unterzeichnetes Dekret, das sich auf Gegenstande
der Verwaltung bezieht ; Berat ist ein Diplom, welches nur persSnliche Angelegen-
heiten batrifft,; Sennod ist eine diplomatische Convention, za deren Unterzeichnung
der Minister ermachtiget ist.
380
Tftrkei auf einer hoheren Stufe steht als in der europaischen, sind
am starksten verbreitet: die Fabrikation in Seide, Baumwolle, Ka-
meelhaar, dann Teppiche, Saffian, Waffen (Damascener) und Kupfer-
waaren, endlich die Tiirkischrothfarbereien, die Bereitung von Rosenol
und Rosenwasser. Die gewerbreichsten Stadte sind: (in Klein-
ns ien) Brussa, Angora, Smyrna, Konieh und Tokat, — (inSyrien)
Damascus und Haleb oder Aleppo, — (in Babylon ien) Bagdad
und Basra, — (in Mes o pot ami en) Mossul und Diarbekir, —
(in Armenien) Erzerum.
Ilandelsverhaltiii&se. Seit den altesten Zeiten \varen die
stidostlichen Kuetenlander des Mittelmeeres, das ist die Levante,
wegen des Reichthums an wichtigen Naturerzeugnissen, wegen der
Kunstarbeiten seiner bliihenden Stadte, noch mehr aber durch die
gtinstige geographische Lage zwischen den Handel treibenden Vol-
kern Europas und Indiens ein wichtiger Platz des Weltverkehrs
und der kommerziellen Interessen, der Ausgangspunkt des Handels,
der Vermittler zwischen der abendlandischen und morgenlandischen
Kultur und Wissenschaft. Selbst die Auffindung des Seeweges um
das Cap der guten Hoffnung und die langwierigen tiirkischen Kriege
haben diese Handelsbewegung nicht unterbrochen , welche sich seit
dem enormen Steigen Lder europaischen Industrie nur noch ver-
mehrt hat.
Im Mittelalter nahmen Venedig und Genua den ersten Rang
ein, seit dem 16ten Jahrhunderte trat Marseille in den Vordergrund,
gegenwartig stehen England und Oesterreich an der Spitze;
doch sind auch Livorno, Russland, Holland, Belgien und Alexandria
ansehnlich dabei betheiligt. In alien wichtigeren Platzen bestchen
Konsulate und Faktoreien der Europaer, mit denen Griechen, Ar-
menier und Juden den meisten Verkehr unterhalten. — Der Han-
del im Innern und nach den Kusten der Levante wird'bei dem
Mangel an schiffbaren Fliissen und an regelmassigen Strassen mit
Sicherheit nur durch Karawanen betrieben, welche direkte Handels-
verbindungen mit den grossten Stadten des Landes und den Nach-
barlandern unterhalten.
Die wich tigs ten Haildclsplutze sind:
Smyrna, die wichtigste und reichste Stadt der Levante mit vortrefflichem
Hafen. Grosse Karawanen 'bringen die zum Levante-Handel gehorigen
Produkte nnd Waaren aus Kleinasien, Arabien und Persien auf diesen
Stapelplatz des Levantiner Handels. Die einheimische Industrie (zwar im
Ganzen bedeutend geringer als ehemals, doch immer noch ansehnlich) er-
zeugt hanptsachlich Teppiche, welche nebst Baumwolle und Opium zu den
Hauptartikeln des Handels gehOren. Die Einfuhr betrftgt mindestens 13,
die Ausfuhr fiber 16 Millionen Gulden Bei der Einfuhr sind nebst Kolo-
nialwaaren sammtliche europaische Manufaktur- und Fabrikswaaren vertreten.
Nachst England, welches den starksten Verkehr unterhalt, stehtTriest vor-
zQglich dnrch die Dampfschiffahrt des Ssterreichischen Lloyd mit der Levante
in Verbindung; auch Frankreich, Nordamerica, Holland u. a. nehmen An-
theil am Smyrna'er Handel. Als Vorhafen von Smyrna dienen die kleinen
Seeplatze Tschesme und Burl a, welche hauptsachlich Smyrna'er Ro-
sinen verladen. In Smyrna herrscht relativ die gr8sste Ordnung, Handels-
freiheit und Begiinstigang der wFremden" unter den Levantiner Platzen,
desshalb haben sich hier auch viele earopiiische nnd amerikanische Hauser
etablirt. Fast alle Handel treibenden Staaten haben zum Schutze ibrer
381
Interessen hier ihre Konsulate, welche die Jurisdiction in bfirgerlichen und
kommerziellen Angelegenheiten fiber ihre Landsleute ausBben.
Trebisonde (Trapezunt, 100.000 E.), Stapelplatz fur den gesammten enro-
paischen Handel nach Persien and Armenien, sowie der eigentliche Hafen
fur Erzerum, Tauris (richtiger Tabris) und Teheran, hiermit ein Haupt-
entrepot fur Central-Asien. Den grOssten Aufschwung verdankt diese
Stadt dem persischen Transit, welcher sich hieher zu ziehen begann,
als im Juhre 1831 der Weg uber Redutkale durch rnssische Zollmassregeln
gleichsam gesperrt und der bis dahin gebrauchliche Landweg durch Klein-
asien zu langsam und zu kostspielig be fun den wurde. In dem Zeitraume
von 1831 bis 1856 weiset der Transit ein stetiges Wachsen, die Steigerung
zeigte im Jahre 1856 das enorme Verhaltniss von 1 : 13 i&r die Einfuhr,
von 1 : 9 f'iir die Ausfuhr. Von besonderer Bedeutung ist dieser Hafen
far Oesterreich wegen der Verbindungen von Triest mit der Levante,
namentlich dem schwarzen und agaischen Meere sowohl durch den Lloyd,
die rfihrige Segelschiffahrt, als auch wegen des Einflusses, den die Dampf-
schiffahrt auf der Donau auf den Handel im schwarzen Meere ubt. Die
rnssischen Waaren nehmen ihren Weg aus den russischen Hafen ebenfalls
fiber Trebisonde nach Persien, dessgleichen die englischen und griechischen.
Trapezunt ist der Sammelpunkt aller Seelinien, die dem persischen Verkehr
auf dem nOrdlichen Wege dienen, sie ist die eigentliche Seestadt far
Per si en. — Tiflis, die persischen Markte Tabris, Rescht, Balfrutsch und
Teheran unterhalten mittels dieses Hafens ihre Verbindung mit Konstan-
tinopel, Wien, Triest, Leipzig und Hamburg, und die projektirte Eisen-
bahnverbindnng von Trebisonde nach dem Euphrat durfte den gesammten
vorderasiatischen Verkehr noch ungemein heben. Gegenwartig hat der
Import einen Werth von mindestens 20 und der Export von 14 Millio-
nen Gulden. Die Haupteinfuhr besteht in Kolonial- und Manufaktur-
waaren, in Eisen-, Stahl-, Quincaillerie- und Glaswaaren, Waffen, Pelzwerk,
Wein, Salz und Seife; — die Ausfuhr in persischer Seide, Baumwolle,
Wolle, Teppichen, Shawls, Hanf, Hauten, Tabak, Wachs, Kupfer u. a. m.
Damascus (uber 150000 E.), die bedeutendste Fabriks- und Handelsstadt
Syriens, unterhalt ansehnliche Fabriken in Baumwoll-, Seiden- und Gold-
stoffen, Gold- nnd Juwelierarbeiten, Leder und Lederwaaren (vorziiglich
Pferdegeschirr) , beruhmten Waffen (Damascenerklingen), sch6nen
Perlmutterarbeiten nnd Bereitung von Rosen-Essenzen. Seit Jahrhunderten
geniesst die Stadt in diesen Artikeln einen Weltruf. Im Mittelalter war
sie die Lehrerin von Venedig und Genua in diesen Industriezweigen. Zu-
gleich ist der Handel dieser an der grossen Mekka-Strasse gelegenen
Stadt, in welcher sich jahrlich die grosse Pilgerkarawane sammelt und
durch welche die Handelskarawanen nach Bagdad und Aleppo ziehen, von
hochster Bedeutung. Die Stadt ist ein wichtiger Stapelplatz fur die ans
Enropa uber Konstantinopel und Beirut, nnd ifir die aus Ostindien, Per-
sien, Arabien und dem inneren Asien kommenden und die dorthin ab-
gehenden Waaren. Die wichtigsten Handelsartikel sind: ausge-
zeichnete Sudfriichte , Oel , Wein , Banmwolle, die zahlreichen Erzeug-
nisse Asiens , welche die Karawanen mitbringen und die Prodnkie
der Stadt. In den grossen Bazars werden die ostindischen und persischen
Fabrikate, sowie die europaischen leichten Stoffe von heller Farbe, Druck-
waaren, Game u. a. m. nmgesetzt. Unter den Earop&ern sind die Eng-
lander und Franzosen am starksten betbeiligt, obwohl auch andere Nationen
die Produkte des Abendlandes hier zu Markte bringen.
Aleppo oder Haleb (100.000 E.) hat wie Damascus ansehnliche gewerb-
liche Thatigkeit in den gleichen Artikeln. Bedeutender noch ist die Stadt
als Mittelpunkt des Verkehrs zwischen dem Mittelmeere und dem persischen
Golfe, welcher durch die projektirte Eisenbahn zwischen Antakieh-Aleppo-
Balis noch ungemein eihdht werden durfte. Die Handelsstrasse zu Land
uber Persien nach Ostindien hat auch nach der Auffindung des See-
weges nach Ostindien an ihrer Wichtigkeit nicht eingebnsst, wesshalb die
Stadt als Hauptniederlage von europaischen, turkischen, persischen und
indischen Waaren nachst Smyrna vielleicht der bedeutendste Handels-
platz der asiatischcn Turkei ist. Seit Jahrhunderten besitzen Europaer
hier kommerzielle Etablissements und in neuester Zeit ist vorznglich
882
England fur Griindung von Handelshansern thatig , die mit London
und Liverpool in direkter Verbindnng stehen. Auch Livorno und Mar-
seille unterhalten hierher direkte Geschaftsverbindungen. Aus Bagdad brin-
gen zweimal im Jahre die Karawanen persische und indische Rohprodukte
und Industrieerzengnisse; durch die grosse Mekka- Kara wane erhalt die
Stadt nebst indischen und agyptischen Produkten vorzuglich Mokka-Kaffee
und arabisches Gummi. Nach Europa geben die levantinischen Rohpro-
dukte; dagegen erhalt Syrien Mannfakte aller Art, besonders Eisen und
Stahlwaaren, Papier, Glas, Porzellan, Kolonial- und Farbwaaren u. a. m.
II. Arabien.
§. 154.
Im Siiden der asiatischen Tiirkei zwischen dem persischen
Meerbusen und dem roth en Meere liegt die beilaufig 48 000 QMei-
len grosee und von etwa 10 — 12 Millionen Menschen bewohnte
Halbinsel Arabien. Bekannt durch seine Beduinen, Kameele und
Rosse, seinen Weihrauch, Balsam und Kaffee, und als Wiege des
Islam ist Arabien im Ganzen doch ein von Natur nur sparlich
bedachtes Land. Die das Land an drei Seiten bespulenden Meeres-
arme entsenden keine Glieder in das Festland, grosse Strome feh-
len ganzlich, eelbst Steppenfliisse sind sparsam vorhanden ; Arabien
ist sonach uberwiegend trocken und sandig. Nach vertikaler Ge-
staltung ist es ein grosses Tafelland von massiger, aber doch viel-
leicht bis 7000' gehender Erhebung in der Mitte des Landes.
Nordlich senkt sich dieses Bergland (Nedsched) zur syrisch-
arabischen Wuste, welche sich von der Landenge von Suez bis
zum untern Euphrat ausbreitet ; gegen Westen fallt es steil zum
Kiistenstriche am rothen Meere herab; nach Suden dehnt sich
eine noch grossentlieils unerforschte Wuste aus ; hier scheint das
Land ein fast endloser Ocean von Flugsand , den der Sturm in
Wolken forttragt. Die reichste Vegetation hat das eiidliche Kusten-
land (Jem en, wgluckliches Arabien"); im Ganzen mag etwa ein
Sechstel der Halbinsel als Weide- und Kulturland brauchbar
sein. -- Das Klima ist heiss und trocken, nur auf den Hoch-
flachen kommen Nachtfroste vor. Im Norden weht zur heissen
Jahreszeit der Samum, an den Kustenstrichen tragen Monsune zur
Feuchtigkeit viel bei.
Das \\-ichtigste Produkt Arabiens ist der Kaffee, vorzuglich
aus der Landschaft Jemen (Mokka). Weiters liefert das Land:
Gummi, Balsam, Weihrauch, Myrrhen, Aloe, Sennesblatter,
Tamarinden, Datteln, Baumwolle u. a.; am reichsten sind Jemen
und Oman. — Vorzugliche, wegen der Schnelligkeit , Ausdauer,
Gelehrigkeit und Schonheit ausgezeichnete Pferde (Landschaft
Nedsched); viel Kameele, Esel, Maulesel, viele sonstige zahme
und wilde Thiere, sehr ergiebige Perlenfischerei. — Edle Metalle
fehlen, die Ausbeute von Blei, Kupfer und Eisen ist geringe, star-
ker an Edelsteinen und Schwefel. — Von Gewerbeindustrie
kann nicht die Rede sein.
Der Handel ist sowohl wegen der Erzeugnisse des Lan-
des, als noch mehr wegen seiner Lage als Station fur den indisch-
europSischen Verkehr ansehnlich. Neben dem Seehandel ist auch
383
der Karawaneuhandel von Bedeutnng. Export irt werden die
fruher erwahnten Landesprodukte ; import irt alle benb'thigten
Manufaktur- und Kunsterzeugnisse aus Europa und andern Indu-
strielandern.
Die Bewohner sind entweder Fellah's, das ist Feldbauer
und Viehzfichter, oder Beduinen, das ist ,,Kinder der Wuste",
welche in derselben nomadisch streifen und nur ihren Scheiks
und Emiren folgen; die Stadtebewohner heissen Had he si und
die Halbnomaden Maehdis. Die Araber sind meist grossen
Wuchses, hager, muskulos, von wurdevoller Korperhaltung , glii-
hender Phantasie und grosser Freiheiteliebe. Sie sind Freunde
der Dichtkunst, besitzen viel Sinn fur Spekulation und Handel,
aber nicht fQr Industrie. Ihr Charakter iet edel, ihre Sitten eind
einfach, Gaetfreiheit gehort zu den ersten Tugenden der Araber.
Den Raub halten die Beduinen fiir ehrlichen Erwerb ; nur wo sie
Widerstand finden, thun sie den Reisenden Gewalt an. Die Stadte-
bewohner haben auch noch vieles von den Sitten der Beduinen,
beibehalten.
Nur Hedschas anerkennt die Oberhoheit der Pforte ; das iibrige
Arabien hat eich die alte Unabhanigkeit bewahrt und folgt nur
seinen Scheiks und Emiren. Unter den Fursten der Kiistenlander
sind die zwei machtigsten : der Imam von Sana (in Jemen) und
der Imam von Mascate (in Oman).
Die alte Eintheilung Arabiens in das petraische, das gluck-
liche und das wuste ist im Lande selbst unbekannt; man unter-
scheidet nur L andschaften:
1. Hedschas mit der Sinal-Halbinsel (siehe ,,asiatische Tarkei" S. 375)
2. Jemen, Haupttheil des .gliicklichen Arabien", der sftdliche Kiistenstrich
bis Bab el Mandeb, unter mehreren FBrsten stehend. Der Sommer ist
heiss und regenlos ; aber yon Oktober bis Marz regnet es drei- bis viermal
des Monats, wodurch sich die Thaler (Wadys) der Gebirgsgegenden mit
laufendem Wasser fallen und eine flppige Vegetation sich rerbreitet. In
der breiten Kastenebene versiegen zwar die Bache, doch gedeihen der Sor-
gohirse und die Dattelpalme; in der H6he von 1500—2000' liegen die
Kat'f eewaldchen ; hier gedeihen auch Arabiens vorzugliche Spezereien :
Balsam, Myrrhen, Aloe, Manna, Sennesblatter, Sadfracbte, Gummi von
Akazien. HSher hinanf liegen Feigenwaldnngen. Bemerkenswerthe Orte
sind: Mokka (20000; mit einein gnten Hafen, Hanpthandelsplatz Ara-
biens, welcher von Enropaern besucbt wird, die hier vorzflglich Kaffee,
Gammi nnd Weihrauch holen. — Beit el Fakih (8000), Hanptnieder-
Jage des Kaffees aus dem Innern, wo zameist TBrken und Perser ihre
Kaffee-Einkanfe machen. — Die Insel Farsan ist wegen der Perl enfischerei
bekannt. — Aden (36.000), hat einen guten Hafen; wichtige Station fur
die Dampfschiffalirt zwischen Indien und Egypten, ist stark befestigt (ndas
arabische Gibraltar"), geh6rt seit 1839 den Briten, dessglcichen die kleine
Insel Perim in der Strasse Bab el Mandeb. — Sana (oder Szana,
40.000), die schOnste und volkreichste Stadt Arabiens, mit schdnen Garten
nnd vortrefflichem Obst.
Hadraiuaut, Ostlich von Jemen, die einformige, von Gebirgszagen bcglei-
tete Sudkiiste von Bab el Mandeb gegen Osten. Der Abhang der Hoch-
ebene soil frucbtbar sein und vorzuglich Gammi, Kaffee nnd den soge-
nannten Balsam von Mekka hervorbringen. Es ist gleichfalls unter mehrere
Fursten gctheih.
Oman am persiscben Meerbusen, mit der Hauptstadt Maskat (60.000)
gebort dem machtigen Imam von Maskat, welcher auch jenseits des persi-
schen Golfes (Bender Abassi) and an der afrikanischen Ostkaste Besitzun-
38*
gen hat. Die Landschaft soil fruchtbar scin und viel Getreide, Obst, Dat-
teln and Trauben produziren. — Die gebirgige, wenig frnchtbare Insel
Sokotora geh6rt (seit 1835) den Briten. Sie liefert die meiste nnd
beste Aloe (sokotrinische Alog).
5. Lahsa am persischen Meerbusen, wo Ackerbau und Handel getrieben
werden; der Seerauberei ist durch die Englander gesteuert worden. Der
wichtigste Platz ist El Katif (6000). — In geringer Entfermmg von der
Kfiste sind die unter britischem Schulze stehenden Bahrein -Inseln,
beruhmt wegen der Perlenfischerei, zn welchem Zwecke sich in den heis-
sesten Monaten mehrere tausend Boote versammeln; der jahrliche Geld-
werth dieser Fischerei im persischen Golfe betragt sicherlich an 4 Mil-
lionen Gulden.
6. Nedsched umfasst das Innere der arabischen Halbinsel und gehSrt zu
den wenigst bekannten Landstrichen der Erde. Diese Landschaft bewohnen
kriegerische Nomaden, die Wehabiten (eine reformirte, muhamedanische
Sekte), eine Geissel der Nachbarn und der durch ihr Gebiet ziehenden
Karawanen. Ihr Hauptsitz ist Derreyeh.
III. Iran.
(Persien ; Afghanistan ; Beludschistan.)
§. 155
Zwischen dem persischen Meerbusen, Vorder-Indien , Tiibet,
der freien Tartarei, dem kaspischen Meere , Kaukasien und dem
tiirkischen Gebiete liegt das von Gebirgen eingeschlossene Hoch-
plateau von Iran; der westliche Theil ist Persien, der ost-
liche im Norden Afghanistan (oder Kabulistan) im Siiden Be-
ludschistan. (Die Randgebirge des Plateaus siehe §. 30.)
Den Boden des mittleren Plateau (durchschnittlich 4000' hoch) be-
decken vielfach grosse Steppen und er ist so wasserarm, dass nur
eine kiinstliche Bewasserung den Ackerbau moglich macht; doch
gibt es auch anmuthige fruchtbare Thaler, namentlich am Nord-
und Wesfrande. Der Kiistenrand am persischen Meerbusen ist
grossentheils Wuste (Gedrosia). Ueber dem Tafellande spannt sich
ein fast immer wolkenloser Himmel aus, die Luft ist ungemein
trocken , der Pflanzenwuchs armlich ; nur in der Regenzeit des
Fruhjahrs bekleidet sich der Boden mit frischem Griin. Der Win-
ter ist beilaufig wie im mittlern Deutschland; dagegen herrscht im
Sommer eine versengende Hitze. — Ausser dem Grenzflusse S chat-
el -Arab hat das Land ineist nur kleine, salzige Lachen und
Moraste, Steppenseen und SteppenflQsse. (Der Zareh-See, dem der
Hilmend zufliesst; der Kisil Osen mundet in den Caspi-See ; der
Urmia -See; der Kabul.)
Die iiberwiegende Mehrzahl der Bewohner sind Perser
(Tadschik's); ausserdem gibt es Par sen (Guebern, Nachkommen
der alten Perser), insbesondere im Suden. Die Perser sind ein
ungleich feineres, gewandteres und bildsameres Volk als die Tiirken,
mit denen sie jedoch Habsucht, List und Falschheit gemein haben.
Ihre Sprache hat eine reiche und interessante Literatur, besonders
in Werken der Dichtkunst; sie ist in den gebildeten Kreisen der
benachbarten Volker so verbreitet, wie in Europa die franzosische
Sprache. Die Afghanen (persisch - medischer Abstammung)
sind theils Nomaden, theils Halbnomaden ; die Beludschen be-
385
stehen aus verschiedenen nomadischen Stammen. Die Parten sind
noch immer Feueranbeter, die Perser und Afghanen sind Muhame-
daner (eretere Schiiten, letztere Sunniten).
I. Persien (26.000 QMeilen, 12 Millionen Einwohner). Das
Staatsoberhaupt der despotischen Erbmonarchie fiihrt den Titel
S c h a h (= Konig) ; das Land wird in 1 1 Provinzen eingetheilt.
Bemerkenswerthe Orte, insbesondere wichtigere Fabriks- und
Handelsplatze Bind:
o) (im mittleren Persien): Teheran (130.000, im Sommer kaum halb so
viele Einwohner), die Residenz des Schah, weniger wichtig durch seine
prodnktiven Etablissements, als dnrch seinen Bedarf und Verbranch an
Artikeln der europaischen Einfuhr, wclche bei dem grossen Luxus und
Aufwand eine sehr bedeutende ist, nnd vielfach durch enropaische Han-
delshauser vermittelt wird. Die Fabrikation von Glas, Porzellan, Papier,
Metall- und Webewaaren ist ohne Belang far den auswartigen Handel.
HCher steht in dieser Hinsicht Ispahan (oder Isfahan, 180000 E.), des-
sen Bazars reichlich mit einheimischen Erzeugnissen gefQllt sind. (Seiden-
und Baumwollenzeuge, wollene Stoffe, Waffen, Bijouterien, dann Baum-
wolle, Droguen, Tabak, Reis und Haute.) Es ist der Mittelpunkt fur
die binnenlandischen Handelsbeziehungen im eigentlichen Persien. K a-
sc-han, zwischen beiden Rcsidenzen gelegen, ist durch Gewerbfleiss und
seinen Produktenhandel ansehnlich. Kaswin zeichnet sich durch Webe-
reien und Gerbereien aus; erheblicher Speditionsplatz.
6) (Im westlichen Theile): fur den Verkehr mit der Turkei und dem
Mi ttelmeere sind Hauptknoten: Ham a dan und Kir mans chah, beide
sind bekannt wegen der Teppiche, der Gerbereien, des Handels mit Hau-
ten, Fellen und Rohprodukten ; sie nnterhalten Geschaftsverbindungen mit
Bagdad nach auswarts, mit Tabris und Ispahan im Innern.
c) (Im Suden ijersiens): Schiras (50.000) und Kir man (30.000) sind
wichtig fflr den indiscben Handel; die Umgegend ist sehr fruchtbar
nnd gut angebaut (vorzuglicher Tabak, Weine, Pfeifenrohre, Schaf- und
Ziegenzucht); die Industrie in Geweben, namentlich Shawls und Teppichen,
ist schwnngbaft. Die beiden Hafen des Per sergolf es Abuse h eh r (Bender
Buschir) und Gamrun (Bender Abassi) kSnnten eine bedeutende Stellung
unter den Handelsplatzen einnehmen, wenn sich Persien dem Seehandel
zuwenden wollte. Gegenwartig ist fast der ganze Handel den Karawanen
nberlassen.
d*) (Im nordlichen Theile): Die Provinzen am Sftdrande des kaspischen Meeres
sind fur den europaischen Handel von grosster Wichtigkeit. Die be-
deutendsten Platze sind: Rescht (60.000), Balfrnsch (100.000), und
Asterabad (40.000), zngleich Hauptsitze der Seidenzucht nnd verschie-
dener industrieller Etablissements, dann fur den Pelz- und Fellhandel;
auch die Fischerei liefert Exportartikel. Der Verkehr besteht zumeist mit
Russland (Astrachan, Baku etc.).
e) (Im ostlichen Theile): Der grOsste Stapelplatz des indischen Handels
in Persien ist Jesd (60.000), der Knotenpunkt in dem Netze der Karawa-
nenstrassen, welche Schiras, Kaschan, Ispahan, Mesched, Herat, Kandahar
and Kinnan mit einander verbinden. Auch die eigene Industrie ist an-
sehnlich (Gewebe, Farbstoffe, Zucker, Papier). — Im Nordosten ist Me-
sched (fiber 100.000) einer der gr6ssten Handelsplatze Mittelasiens und
fiir den os tpersis chen Handelsverkehr (mit Bocbara, Chiwa, Khokand
u. s. w.) eben so wichtig als Tabris fur den westpersischen ; zugleich sehr
nmfangreiche Industrie. Nischabur treibt Handel mit Tiirkisen aus den
benacbbarten Turkisen-Minen.
Der wichtigste Handelsplatz als Mittelpunkt des gesammten Verkehrs
zwischen Persien und Europa ist Tabris (oder Tauris, 160.000 E.), im Centrum
der dnrch Agrikultur, Gewerbefleiss und mineralischen Reichthnm am meisten ans-
gezeichneten Provinz Adherbeidschan. Auf dem Bazar sammeln sich alle nach
Konstantinopel und nach Russland bestimmten persischen Erzcugnisse, nnd die
nach dem Oriente bestimmten europaischen Einfuhrcn. Tabris ist der bcdcu-
Kiuu's Handcls-Gcographie. Z. And. 25
886
tendste Knotenpunkt des Netzcs von Handelslinien, welches Persien uberzieht
nnd mit dem Auslande verbindet. Die Stadt ist vermoge des Wasserreiththums,
der gesunden Lage inmitten produktenreicher Landerstriche der Sitz bedeutender
Industriezweige (Weberei, Druckerei, Farberei).
II. Afghanistan (oder Kabulistan, 12.000 QM. 6,000.000 E.)
Es zerfallt in mehrere Chanate, unter welchen die Chane von Ka-
bul und Herat die machtigsten eind. Der Boden ist eine Fort-
setzung des persischen Hochlandes und sparlich bewassert. Im
Osten fliesst der Sind (Indus) mit dem Nebenflusse Kabul, im
Norden der Amu. Sowohl die Natur- als die Kunstprodukte sind
im Allgemeinen wie in Persien. Die bedeutendsten Orte sind:
Kabul (80.000) auf der fruchtbaren, gut angebauten Hochebene am Kabul,
mit lebhaftem Handel und dem grOssten Pferdemarkte. Dschellabad, eine
relativ wichtige Fabriks- und Handelsstadt. Kandahar (100.000) unterbalt
den starksten Handel mit Persien. Herat (100.000), eine der schonsten asiati-
schen Stadte mit ansehnlichem Gewerbefleiss und Handel. Pischaur (100.000)
mit Seiden- nnd Baumwollfabriken nnd einer muhamedanischen Hochschule.
HI. Bcludschistan (8000 QMeilen, 2'/a Millionen Einwoh-
ner). Der siidostliche Theil von Ost-Iran ist zum grossten Theile
ein wiistes, odes, vegetation sarmes Land, ohne Fliisse von Bedeu-
tung. Die verschiedenen Nomadenstamme haben ihre eigenen
Hauptlinge, welche jedoch die Oberhoheit des Chans von Kelat
anerkennen. Der bedeutendste Ort ist die Residenz Kelat
(20.000), welche Handel treibt. Erwahnenswerth sind noch Gun-
dava und Bel a.
Knltnrverhaltnisse im Allgemeinen.
Iran ist von Natur ein mannigfach gesegnetes Land g ewe-
sen; allein Jahrhunderte der Verodung und Barbarei, und die ganz-
liche Vernachlassigung der Bewasserungeanstalten baben den Ack er-
bau so in Verfall gebracht, dass jetzt die Bewohner nur durch
angestrengten Fleiss dem Boden das abzugewinnen vermogen, was
er ihren Vorfahren freiwillig gegeben hatte. Doch ist der Ertrag
an Reis, Getreide, Wein, Mohn, Tabak und Obst ziemlich bedeu-
tend; auch der Maulbeerbaum, Farbepflanzen, Baumwolle, Zucker-
rohr und Rosen werden gut gepflegt. Mit Ausnahme in den Rand-
gebirgen gibt es sehr wenige Waldungen, desshalb herrscht im
Innern empfindlicher Holzmangel. In der Viehzucht nehmen
die vortrefflichen Pferde den ersten Rang ein, auch die Zucht der
Maulthiere, Kameele, Ziegen und Schafe ist betrachtlich. Sie wird
iiberhaupt im grossen Massstabe von den Wanderstammen betrieben,
welche fast ausschliesslich von der Zucht der Hausthiere leben.
Der Bergbau liefert Eisen und Kupfer (am Elbrus), Schwefel
(am Urmia-See), Steinol, Borax, schone Tiirkise, Salz, und im per-
sischen Golf gibt die Perlenfischerei lohnenden Gewinn.
Die Industrie steht, mit geringen Ausnahmen, im Allge-
meinen noch auf der Stufe des Handwerks. Mehrfache innere und
aussere Erschutterungen , Mangel an Kapital und Kredit bei der
Unsicherheit des Besitzes, Mangel an Eisen, Brennmaterialien und
an Arbeitskraften sind die Hindernisse ; dagegen besitzen die Perser
technische Fertigkeiten , Geschmack, Fleiss und Ausdauer, wess-
halb sie sich in einzelnen Zweigen der Fabrikation auszeichnen.
387
Eiuen gewissen Grad von Vollkommenheit haben sie in der
Fabrikation vonWaffen, Lederwaaren, Seidenwaaren, Shawls, Tep-
pichen, Gold- und Silberstoffen, Rosen 51, in der Garberei, TSpferei
und Schonfarberei erreicht.
Der Handel ist uberwiegend Karawanenhandel , welcher
in den Handen der armenischen , indischen und europSischen
Kaufleute liegt ; im Norden geht er nach Russland, im Westen
nach der Tiirkei. Lebhaft ist die Durchfuhr. Die wichtigsten
Handelsplatze und Handelsartikel sind bereits oben erwahnt worden,
IV. Ostindien,
Unter Ostindien im weitesten Sinne vereteht man die bei-
den sudlichsten Halbinseln Asiens, nebst den siidlich und stid-
ostlich von ihnen im indischen Ocean liegenden Inseln. Es zer-
fallt in drei Haupttheile: 1. Vorder-Indien (oder Hindu-
stan, Ostindien im engeren Sinne) ; 2. Hinter-Indien; 3. die
Inseln,
A. Vorder-Indien.
§. 156.
Vorder-Indien, mit einem Flacheninhalte von beilaufig 66.000
QjMeilen und einer Bevolkerung von 180 Millionen, besteht aus
zwei deutlich gesonderten Theilen: das eigentliche Hindu-
stan, im Siiden des Himalaya , vorherrschend Tiefland ; die
Halbinsel Dekan, ein ^Tafelland mit Randgebirgen. (Siehe
§. 31.).
Im Norden von Hindustan erhebt sich das hochste Gebirge
der Erde, der Himalaya, der in stets niedereren parallelen Zugen
nach Suden abfallt und dessen Fuss mit einem breiten Giirtel
dichter W alder umgeben ist. Die fruchtbare Tiefebene durchstromt
der Ganges mit seinem vielverzweigten Geader; — im Westen
erstreckt sich langs des Indus bis nahe an dessen Deltaland die
unwirthbare hiigelige Flugsandwiiste Thurr, welche nur zur Re-
genzeit einige Vegetation aufweiset. Dekan ist im Innern eine
weniger fruchtbare Hochflache , der Abfall der westlichen
Randgebirge ist steil und gut bewaldet, die Kiiste (Malabar) ist
sandig und hat gute Hafen; nach Osten fallt die Hochebene sanf-
ter ab , hier munden die meisten grosseren Flusse Dekans, die
Kuste (Koromandel) ist nach und der Schiffahrt gefahrlich. Den
Nordrand des Plateaus bildet das rauhe, fast unzugangliche Vind-
hy a- Gebirge; die ausserste siidliche Spitze bis zum Cap Como-
rin fiillt die Berglandechaft Nil Gerri aus, welche vom Hoch-
platcau durch das Gap-Thai getrennt ist.
Das Klima ist bei der grossen horizontalen Ausdehnung
verschieden, doch liegt der grosste Theil in der heissen Zone. Die
Himalaya - Thaler haben Alpenklima; die Tiefebene hat heisses,
feuchtes Klima, die grosste Hitze herrscht am Indus und im Mun-
dungsgebiet des Ganges; das Plateau von Dekan hat eine gemas-
sigtere Temperatur, eine heissere die Kiistenstriche. Einen grossen
und regelmassigen Einfluss iiben die Winde hier auf die Witte-
25*
rung aus, da Land- und Seewinde taglich regelmassig abwechseln.
(Siehe §. 56.) Fast ebenso regelmassig sind die Passate und
Monsune. Auch furchtbare Orkane (Taifung) sind nicht sel-
ten. Die Regenmenge ist sehr bedeutend und verursacht ofters
Ueberschwemmungen ; anhaltende Trockenheit erzeugt hingegen
Hungersnoth, weil dann das Hauptnahrungsmittel , der Reis nicht
gedeiht.
Vorder - Indien zeigt ein grosses Volkergemisch, dessen
Bestandtheile nach Abstammung und Sprache von einander sehr
verschieden sind. Die Hauptmasse bilden die Hinduvolker, welche
si ch zum Brahmaismus bekennen. Ferners leben hier Mongolen,
Araber, Afghanen, Beludschen u. a.; verhaltnissmassig gering ist
die Zahl der Europaer. Desshalb trifft man alle Abstufungen in
der geistigen Kultur, von den rohen Barbarenstammen im Innern
von Dekan, bis zu den brahmanischen und muhamedanischen Gelehr-
ten. Den grossten Einfluss aber fiben die sich stets mehrenden
Missionsschulen, welche Gesittung und Aufklarung mit dem be-
seligenden Christenthume verbreiten.
Die Staaten Vorder-Indieus werden eingetheilt :
1. Britisch-Indien *), und zwar
a) unmittelbare Besitzungen,
b) verbiindete und Schutzstaaten,
2. Unabhangige Staaten,
3. Portugiesische und franzosische Besitzungen.
I. Die iinmittelbarcn Besitzungen sind in vier Priisident-
schaften eingetheilt:
a) Bengalen (oder Calcutta, fiber 10.000 n^eilen und fiber 55 Millionen Ein-
wohner) : Calcuta (eigentliche Stadt gegen 1 Million Einwohner, mit den
Vorstadten doppelt so viel) Hauptstadt von britisch Indien, der reichste und
grosste Siapelplatz in Asien, am westlichen Hauptarme des Ganges (Hugli).
Ausgebreitete Industrie in Baumwoll- und Seidengeweben, Gold-, Silber- und
Topferwaaren, Tabak- und Arakfabrikation, Schiffbau u. a. Die Hauptartikel
des Exportes sind: Seide und Seidenwaaren, Indigo, Zucker, Rhum, Reis,
Arak, Baumwolle, Hanf, Opium; des Importes (aus Europa) : Twist, Baum-
wollen-, Wollen-, Eisen-, Stahl-, Silber- und Kurzwaaren, Uhren, Glas, Weine,
Spirituosen. Der Verkehrgwerth wird jahrlich auf 283 Millionen Rupien
(k 1 Gulden; — 1 Lack Rapien = 100.000 Rupien, oder 10000 £; 100
Lacks = 1 Crore) geschatzt. Dampfschiffahrts-Verbindungen, mehrere Banken
(Bank von Bengalen und die Union-Bank), Assekuranzen, wichtige Munze
o. 8. w. fordern den Handel. — Dacca (200.000) grosse Mousselinfabrika-
tion und Seidenweberei ; Murscb. edabad (170.000) Fabriks- und Handcls-
stadt; Patna (350.000) Bereitung von Opium und Indigo, Zuckerfabrikation,
Industrie in Baumwolle und Seide, sehr bedeutender Handel.
6) Agra (oder Allahabad, 4000 nMeilen, 30 Millionen Einwohner): Allaha-
bad (200.000) starke Festung, berfihmter Wallfahrtsort der Hindus; Benares
(fiber 600.000), Hauptsitz der Brahminen, Shawlsweberei, Seiden-, Baumwoll-
*) Im Jahre 1600 bildete sich die britisch-ostindische Handelskompagnie zur Un-
terstiitzuBg des Handels nach Indien. Im Jahre 1639 wurde den Briten Madras von
indischen Fursten abgetreten, im Jabre 1664 erlangten sie von den Portugiesen Bern-
bay und im Jahre 1696 kanften sie den Bezirk in Bengalen, wo Calcutta liegt. Im
Jahre 1835 horte sie auf, eineHand elskompagnie zu sein. indcm sowohl der Han-
del als die Ansiedlung in Indien frcigegeben wurden. Im Jahre 1858 wurde auch
die Verwaltung Indiens von der koniglich britischen Regicrung iibernomnien. Ceylon
war seit jeher Eigenthnm der Krone.
nnd Wollindustrie, Handel mit Edelsteinen ; Delhi (300.000) einstige Residenz
des Grossmoguls, ist sehr herabgekommen, dessgleichen Agra (160.000);
Hurdwar zar Zeit der grossen Messen, welche viele Wallfahrer herbeiziehen,
bisweilen von 2 Millionen Hindns besucht. Luknow (300.000), Hauptort
des jetzt unterworfenen KOnigreiches Oude (Ande), Fabriken in Baumwolle,
Seide, Leder und Waffen.
c) Madras (7000 DMeilen, 22 Millionen Einwohner): Madras (500.000), Mit-
telpunkt des Handels auf der Kftste Koromandel, Indigo-, Zucker- und Arak-
fabrikation, Opiumbereitung, Banmwollweberei (Indiennes, Mousseline, weisse,
blaae und rothe .Madras-Tucher" zu Turbanen). Europaische und amerika-
nische Hauser sind bier etablirt; Bank, Assekuranzen, Miinze; Industrie und
Handel sind minder bedeutend als zu Anfang des Jahrhunderts, da es das
^Manchester des Orientes" genannt wurde. Mit der grossartigen Einfuhr
englischer Fabrikatc konnte die heimische Industrie nicht konkurriren. -
Seringapatnam (300.000\ Cochin (die alteste Besitzung in Indien, Al-
buquerque eroberte sie im Jahre 1503), der wichtigste Handelsplatz in der
Provinz Malabar ; Calicut mit Calico-Fabriken (hier landeten die ersten
Portugiesen nnter Vasco de Gama im Jahre 1498) ; Masulipatnam (80.000),
der beste Hafen auf der Kiiste Koromandel, liefert die durch Farbenpracht
beriihmten Baumwollstoffe ; Tranquebar (im Jahre 1845 von Danemark ahr-
gekauft), Banmwollindnstrie, starker Handel.
d) Bombay (3000 QMeilen, 11 Millionen Einwohner), Bombay (250.000),
zweiter Handelsplatz in Ostindien, Hauptstation der britischen Flotte in den
indischen Gewassern, regelmassige Dampfschiffahrt nach England iiber Aden
und Suez, Dampfschiffahrt anf dem Indus, Emporium fur die indischen, per-
sischen, abyssinischen und arabischen Waaren ; Hauptniederlage des Pfeffers :
im Grosshandel geringer als Calcutta, aber lebhaftere Kiistenfahrt. Verkehrs-
werth gegen 200 Millionen Rnpien. Starker Schiffbau, grossartige Werften,
Docks, Seearsenal, Fabriken fur Indigo, Zucker, Baumwollwaaren. (Erste
Eisenbahn in Asien — von Bombay nach Patna — rm Jahre 1852 eroffnet).
— Surate (450.000, Provinz Guzerat), Fabriken in Seide, Baumwolle, Thon-
waaren, Tabak, Handel mit Arabien und Persien, bedeutende Ausfuhr von
Baumwolle, Seide und Tabak.
e) I list 1 Ceylon (oder Seilan, Taprobane) mit 1181 QMeilen und I1/, Mil-
lion Einwohnern, liegt vor der Sudostspitze Vorder-Indiens, von der sie durch
die Palks-Strasse getrennt ist. Die Nordkuste ist in Inseln und Klippen zer-
rissen, einige Sandbanke (Adams-Briicke) sind bei der Ebbe sichtbar. Iin
Innern ist ein schSnes, wohlbewassertes Hugel- und Bergland, die MJuwele
der ostlichen Meere." Die Fruchtbarkeit ist gross, aber der Anbau noch ge-
ringe; man erzeue;t nur wenig Reis, im Ueberfluss wachsen Kokuspalmen und
der Brotbanm. Der beste Zimmt gedeiht in Menge ; auch die Pflanzungen
von Kaffee, Zuckerrohr, Baumwolle und Pfeffer gewinnen an Ausdehnung.
Grossen Reichthum hat die Insel an Mineralien, besonders an Edelsteinen und
an der Kuste ist die Perlenfischerei von Wichtigkeit. Die Hauptstadt, zu-
gleich Sitz der britischen Regiernng, mehrerer Missionsgesellschaften und Mit-
telpunkt des auswartigen Handels ist Colombo (70.000). ZunEchst ist be-
deutend wegen des Handels, vorziiglich mit Fischen, Point de Galle, wo
auch gewohnlich die nach Europa bestimmten Schiffe befrachtet werden und
die von Calcutta nach Suez gehenden Dampfschiffe anlegen.
II. Verbiiiidete und Schutzstaaten.
1. Der Staat des Raja von Panna (Provinz Allahabad) mit der gleichnamigen
Hauptstadt, in deren Nahe reiche Diamantengruben.
2. Hyderabad (Heidrabadj oder Golconda im nordlichen Theile des Innern
von Dekan, der grosste Vasallenstaat (4500 QMeilen, 10 Millionen Einwoh-
ner); Hyderabad (200.000) reiche Diamantengruben (namentlich bei Raol-
conda), Bijouteriefabriken, Seiden- nnd Baurawollweberei, viele Diamanten-
schleifereien, - Aurungabad (60,000) die bedeutendste Fabriks- und Han-
delsstadt.
3. Der Mahrattenstaat Nagpu r oder Bunslah(3000 QMeilen, 3 Millionen
Einwohner), mit dem gleichnamigen Hauptorte.
4. Sat tar a (l'/2 Millionen Einwohner), mit der Hauptstadt gleichen Namens.
890
5. Der Mahrattenstaat Scindiah (1900 nMeilen, 4 Millionen Einwohner). —
Udschen (120.000) und die Felsenfestung Gwalior.
Q. Der Staat Sind am untern Indus (iys Millionen Einwohner) mit dem Haupt-
orte Hyderabad (200.000) und den Handelsplatzen Tatta und Schikarpur.
7. Mysore (Meissur, 1300 QMeilen, 3 Millionen Einwohner), Mysore und
die Fabriks- und Handelsstadt Bangalur (60.000) sind die wichtigsten Pliitze.
8. Travancore am sudlichen Theile der Kiiste Malabar, produzirt viel Pfeffer
und andere Gewurze, 1 Million Einwohner, etwa 10% Christen. Die paar
Stadte sind unbedeutend. — Nordlich davon liegt der kleine Staat Cochin.
— Am Siidabhange des Himalaya das kleine Fiirstenthum Sikkim.
9. Der Staat der Shiks im Pendschab (oder Punjab iiber 4000 nMeilen und
11 Millionen Einwohner), mit den Provinzen Kaschmir und Kohestan. — Die
Provinz Kaschmir ist eine der schonsten und gesegnetesten Landschaften
der Erde; die Ebene prangt mit alien Blumen und Fruchten der reichsten
Gegenden des Siidens. Der Anbau des Landes ist vortrefflich ; in den Ebe-
nen und Thalern herrscht der Ackerbau, in den reich bewaldeten Gebirgsge-
genden die Viehzucht. Die Hauptindustrie bilden wollene Zenge, vorziiglich
die weltberfihmten, durch Feinheit und Farbenschonheit sich auszeichnenden
Shawls, von denen jahrlich an 80.000 Stuck verfertiget werden und viele nach
Europa gehen. Viel der besten Wolle wird atis Tiibet bezogen. Hauptort
ist Kaschmir (60.000) mit etwa 6000 Webestuhlen fur Shawls; ausserdem
werden Papier, lackirte Waaren, Stahl- und Farbwaaren, Essenzen u. s. w.
erzeugt. Ueberhanpt ist die BevSlkerung sehr gewerbfleissig, gewandt, intel-
ligent, aber unkriegerisch. — Die Provinz Kohestan (Bergland) ist der
nordliche, gebirgigere Theil des Pendschab ; die Viehzucht, besonders Pferde-
zucht, ist bedeutender als der Ackerbau. Hauptort L a h o r e (Lahnr, 100.000)
in einer fruchtbaren Gegend, erzeugt Seide und Wollenzeuge, beruhmte Shawls ;
Multan (60.000), eine der altesten Stadte Indiens, ist beriihmt wegen
ihrer Seidenmanufaktur ; Amretsir (100.000), treibt ansehnlichen Handel
mit Safran, Shawls und Baumwollgeweben : Hauptniederlagsort fiir die indi-
schen Shawls.
10. Die Inselgruppe der Lakka-Diven, westlich von der Kuste Malabar. Diese
meist kleinen und schwach bevOlkerten Inseln sind durch die hier in Menge
vorkommenden Kauris (Mnnzmuscheln) beriihmt. — Die Inselkette der Mala-
Diven, sehr zahlreiche von Korallenriffen umgebene Inseln, deren Be-
wohner unter einem zinsbaren muhamedanischen Fursten stehen und wo
gleichfalls Kauris in Menge gefunden werden.
HI. Unabhangige Staaten.
!. Das Reich Nepal (2500 QMeilen, 3 Millionen Einwohner), ein hochliegendes
Gebirgsthal am Siidabhange der hbchsten Himalaya-Kette. In den fruchtbaren
Thalern ist das Klima milde und gesund. Hauptort: Katmandu (50.000).
2. Das Reich But an (oder Bhotan) zwischen Tiibet und der Prasidentschaft Benga-
len, mit vielen Riesenbergen in der nbrdlichsten Schneekette, mit dem Haupt-
orte Tassisudon.
IV, Portugiesische Besitzungen (1100 QMeilen, fiber
400.000 Einwohner).
Das Gebiet von God (auf der Kiiste Malabar), die Insel und Stadt Diu (an
der Stidspitze von Guzerat) und die Hafenstadt Daman (zwischen Bombay
undSurate). Baumwolle, Pfeffer, Reis, Hanf, Seide und Salz sind die Han-
delsartikel, sowie der vorzu'gliche Arak (de Goa). Alle diese Orte treiben leb-
haften Handel. Der Gouverneur von Goa verwaltet auch das Gebiet auf der
Sunda-Insel Timor und die bei China liegende Insel Macao.
V. Franzftsische Besitzungeu.
Das Gebiet von Pondichery und von Carical auf der Kiiste von Koro-
mandel. Baumwollweberei und Opiumbereitung ; Reis, Indigo, Baumwolle, Zucker-
rohr und die Seidenzucht sind die Hauptnahrungsquellen. Die Hafenstadt
Mah6 (6000) auf der Kiiste Malabar beschaftiget sich mit Pfefferhandel , zu
Chandernagur bestehen ebenfalls kleine Faktoreien.
391
Kulturverlialtnisse im Allgemeinen.
Wenige Lander der Erde sind so reich an schonen und man-
nigfaltigen Produkten als Hindostan. Der iiberaus ergiebige und
besonders in den Ebenen und an den Kiistenterrassen meist sehr
sorgfaltig angebaute Boden liefert eine unzahlige Menge' der kost-
lichsten Produkte. Wahrend der langen Trockenheit bewassern zahl-
reiche kiinstliche Teiche und Kanale den Boden ; die fleissigen Hin-
dus haben den Ackerbau zu einem hohen Grade der Vollkommen-
heit gebracht. Unter den Getreidearten nimmt der Reis bei weitem
den ersten Rang ein; er wird allein in den Niederungen Bengalens
in solcher Menge gebaut, dass der Bedarf von ganz Hindostan
damit gedeckt wird , er ist das wichtigste Nahrungsmittel dieser
Lander und gibt jahrlich zwei bis vier Ernten. Ausser dem gros-
sen eigenen Bedarfe und der Arakbereitung wird noch sehr viel
aus Calcutta nach Europa exportirt (im Jahresdurchschnitt etwa
1V4 Million Zentner). Fiir die europaische Kolonisation ist der
Anbau von Weizen in den nordwestlichen Provinzen und im
obern Pendschab sehr wichtig , und konnte noch derart gesteigert
werden, dass Pendschab nicht bloss eine Kornkammer fur Indien,
sondern auch fur auswartige Lander werden wiirde *). Auch Gerste,
Hirse, Mais, Hafer, Hiilsenfruchte und Gartengewachse gedeihen
in grosser Menge.
Zu den wichtigsten Produkten Indiens gehort die B a u m w o 1 1 e ,
welche fast u'berall gedeiht , am vorzuglichsten in Bengalen ; der
eigentliche Baumwollmarkt ist jedoch Bombay, namentlich entfallen
auf Guzerat 56% des ganzen indischen Baumwoll-Exportes. In den
iunf Jahren 1849/50 bis 1853/54 exportirte die Prasidentschaft
Bengalen nur 10 '/2 Millionen Pfund, die Prasidentschaft Madras
fast 44 Millionen Pfund, die Prasidentschaft Bombay dagegen nahe
an 600 Millionen Pfund nach England; der Ge sammtexpo rt
Indiens an Baumwolle wechselte in diesen fiinf Jahren zwischen
166 und 263 Millionen Pfund. Da in diesem Zeitraume iiberhaupt
uber 4000 Millionen Pfund Baumwolle nach Grossbritannien kamen
und davon etwa 654 '/2 Millionen Pfund aus Indien ; so liefert die-
ses Land beilaufig 16% des Bedarfes von Grossbritannien. Es
wird ubrigens behauptet, dass Indien so weit gebracht werden
konnte, den vollen Bedarf Grossbritanniens zu decken. — Sehr
wichtig ist die Farbepflanze Indigo (Hindi-Kuk das ist: indische
Farbe), namentlich in den ndrdlichen Provinzen von Bengalen (im
Norden des Ganges zwischen dem Brahmaputra und Gunduck).
Die Prasidentschaft Bombay produzirt gar keinen Indigo fiir den
Export, Madras nur wenig, Bengalen dagegen 11 '/2 Millionen Pfund
im Werthe von 2 Millionen £. — Der Stapelplatz fiir denselben
und der wichtigste Platz der Erde fur diesen Artikel ist Calcutta.
(Bengal-, Oude-, Koromandel-, Manilla-, Java-Indigo). — Zunachst
steht die Seide, welche in grosser Menge und von vorziiglicher
*) In Lahore und Mooltan ist der Preis des Weizens fiir den Bushel & 60 Pfund
nur l'/t bis I1/, Schilling, wahrend er in Nordamerica an den Hafen des Erie- und
Michigan-Sees, wo sich das Getreide aus Ohio und demWesten zum Export konzen-
trirt, 2'/s bis 2Vt Schillinge betragt.
Giite in Bengalen, dann in der Prasidentschaft Bombay gewonnen
wird; die Ausfuhr von bengalischer Rohseide betragt jahrlich fiber
20.000 Zentner ; Hauptmarkte sind : Calcutta, Bombay und Surate.
— Der Anbau dee Mohns, welcher das Opium liefert, ist auf
verhaltnissmassig kleine Distrikte beschrankt (Patna, Benares und
Malwa liefern den meisten und beaten) ; die Opiumbereitung in
Bengalen ist Monopol der Regierung und sichert ihr anaehnliohe
Einkunfte (z. B. im Jahre 1849/50 uber 3 Millionen £). Der Ex-
portwerth des Opiums betrug im Jahre 1853/54 an 6'/? Mil-
lionen £, davon beilaufig drei Fiinftel aus Bengalen und zwei Funf-
tel aus Bombay.
In fortwahrender Steigerung istauch der Anbau des Zucker-
rohrs, insbesondere sind Boden und Klima von Bengalen, Madras
und Bombay dieser Kultur sehr giinstig. In Benares und Patna
wird die Zuckerfabrikation ungemein sorgfaltig betrieben. Der
Zuckerertrag belauft sich allein in britisch Indien jahrlich auf mehr
als 3 Millionen Zentner; Stapelplatze fur Zucker und Rum sind
Calcutta und Madras. — Die T h e e pflanzungen gewinnen an Aua-
dehnung. Wichtig sind ferners •. P f e f f e r auf Malabar, der beste
Zimmt auf Ceylon, wo auch der Kaf febau stark betrieben wird.
Gewurznelken, Muskatniisse von Malabar, Koromandel und
Ceylon, brauner und weisser Ingwer, der eingemacht und kan-
dirt sehr viel nach Europa geht ; guter Flachs und Hanf am
Fusse des Himalaya und in Bengalen, der Leinsamen wird dem
russischen vorgezogen ; Krapp im Himalaya; Safran in Lahore;
Sago-, Kokos- und andere Pal men (Palmwein), viele Arzneipflan-
zen u. s. w. Die Waldungen enthalten viel kostbare Hiilzer, beson-
dere Pflege geniessen die Theka- und Saul-Walder, welche hoch-
gepchatztes Zimmerholz liefern. Unter den animalischen Produk-
ten sind nebst der Seide noch hervorzuheben : Schafwolle (in
der Ebene grobwollige Schafe , das Bergschaf mit feiner Wolle,
und die werthvollate Spezies : das Himalaya-Schaf), Thibetanisches
Ziegenhaar, Elfenbein, Schildkrot, Wachs von Bengalen und Pon-
dichery, Zibeth (von der Zibethkatze), Moschus (vom Moschusthier,)
Ambra (vom Pottfische), Perlen, Vogelnester, Tiger-, Panther- und
Leopardenfelle u. s. w.
Der Bergbau steht im Allgemeinen noch auf niederer Stufe,
doch gewinnt man etwas Gold und Silber; Eisen auf Malabar und
Koromandel, in Sind und Nepal, das beste in der Prasidentschaft
Madras, sudlich von Pondichery, welches nach England ausgefiihrt
und zu Stahl (^Wuzstahl") verarbeitet wird; Kupfer, Blei, Zinn,
Sal peter (in Bengalen, Ausfuhr nach England), Schwefel, Borax,
Steinkohlen, Salz. Fur Edelsteine war Ostindien schon von
Alters her das Hauptland; die reichsten D iamanten gruben sind
in Golkonda, Bundelkund (bei Panna) und auf Ceylon, die schon-
sten Rubine, Saphire, Smaragde, Granaten auf Ceylon und der
Koromandelkiiste (Salem und Nellore).
Indien ist das Vaterland der gewerblichen Industrie. Viel
friiher als Europa erzeugte es Baumvvoll- und Seidenstoffe, Shawls
und Tepiche, welche sich durch Schonheit, Feinheit und Farben-
pracht auszeichnen , die beruhmten Farbereien lieferten die schon-
sten Manufakte. Der Aufschwung in Europa, namentlich in Eng-
land, verminderte jedoch in neuester Zeit diese Industrie. Viele
Erzeugnis8e behaupten fortwahrend noch ihren alten Ruf, insbe-
sondere Shawls und Teppiche (Kaschmir, Delhi, Lahore), dann
Indigofabriken, Zuckersiederei, Rum- und Arakbrennerei, Oelbe-
reitung, Leder- und Waffenfabriken (Luknow), Gold-, Schmuck-,
Perlmutter-, Schidkrot- und Elfenbeinarbeiten (Delhi), Diamanten-
schleifereien.
Handel. Der grosse Reichthum an Naturprodukten aller Art
hat seit den altesten Zeiten alle handeltreibenden Volker gelockt,
inHindostan Geschaftsverbindungen anzuknupfen und zu unterhalten ;
das Land war seit jeher der Mittelpunkt eines grossartigen Han-
dels. Der Handel im Innern wird vorziiglich durch die unter
dem Namen Banian en bekannten Hindu betrieben; der Handel
mit den nordlichen Nachbarvolkern ist Karawanenhandel, den Per-
ser und Armenier zumeist unterhalten; die Stadte Mult an, La-
hore und Kaschmir sind Hauptplatze dieses Handels. Der
Seehandel ist uberwiegend in den Handen der Briten, doch be-
theiligen sich seit der Aufhebung des Monopols der ostindischen
Handelskompagnie auch Amerikaner, Franzosen, Portugiesen, Hol-
lander in wachsender Ausdehnung an demselben. Die Bedeutung
des ausseren ostindischen Handels Hegt sowohl in dem Vortheil,
den der Export der kostbaren indischen Stoffe in Europa gewahrt,
als auch in dem Absatze, welcher den europaischen Industrie-
Erzeugnissen hier eroffnet ist. Die Verbindung von Calcutta nach
England geht iiber Madras, Ceylon (Point de Galk), Bombay, Aden
und Suez, wo regelmassige Dampfschiffahrt den Verkehr beschleu-
nigt. Der Waarenzug nimmt gewohnlich den Weg um das Kap
der guten Hoffnung. — Dampfschiffahrt auf den grosseren Stromen,
Anlegung von Eisenbahnen , guten Landstrassen und Kanalen.
direkte Dampfschiffahrtsverbindungen mit Europa, China und Austra-
lien befordern den Verkehr. Hauptprodukte der Ausfuhr sind:
Baumwolle, Indigo, Reis, Zucker, Pfeffer, Opium, Hanf, Zimmt,
Seide, Wolle, Haute, Salpeter u. a. m., — der E i n f u h r : euro-
paische Fabrikate, als : Twist, Tuch, Sammt, Eisen- und Stahlwaa-
ren, Uhren, Spiegel und Glaswaaren, Papier, kurze und Galanterie-
waaren; Thee aus China, Metalle, Weine u. v. a.
B. Hinter - Indien.
% 5 157.
Hinder - Indien oder die Halbinsel jenseits des Ganges, mit
einem FJachenraume von beilaufig 40.000 QMeilen, ist im Nord-
westen und Norden von Vorder-Indien und China, im Osten und
Suden vora chinesischen Meere , im Westen vom Meerbusen von
Bengalen begrenzt. Die Bevolkerung wird etwa auf 30 Millionen
geschatzt; sie gehort grosstentheils dem mongolischen Stamme an,
nur auf der Halbinsel Malakka und auf den Inseln wohnen Ma-
layen, und im Nordwesten Hindustamme. Im Allgemeinen herrscht
im westlichen Theile der malayische, im ostlichen der chinesische
394
Charakter unter der Bevolkerung, sowie in politischer Hinsicht
vor. • Am ausgebreitetsten ist der Buddhaismus, die Malayen sind
Muhamedaner ; dpch gewinnt auch das Christenthum an Aus-
dehnung.
Die Oberflache ist vielfach noch unbekannt. Im Norden
sind die Fortsetzungen des hinterasiatischen Hochlandes, welche in
Parallelketten von Norden nach Siiden die Halbinsel durchziehen
und von machtigen Stromen bewasserte, grosse Langenthaler ein-
schliessen. Dichte Walder, der Aufenthalt einer Menge der grossten
und reissendsten Thiere, bedecken die Gebirge ; alle tropischen
Fruchte erreichen die grosste Vollkommenheit ; die meisten Fliisse
iiberschwemmen regelmassig das Land, wodurch die Fruchtbarkeit
unglaublich gesteigert wird; zudem sind Fliisse und Meere sehr
reich an Fischen und Schalthieren. (Die Meerbusen von Bengalen,
Martaban, Siam und Tonkin, die Fliisse Burremputr, Irawaddy,
Thalayn, Menam-Kong oder Cambodja und Menam). Das Land
erzeugt im Allgemeinen die gleichen Produkte, wie Vorder-Indien,
nur fehlt hier jede Veredlung durch gute Kultur. Die vom Boden
und Klima ausserordentlich begiinstigte Land w irt hs chaft er-
zeugt Reis, Palmen, Zimmt, Pfeffer, Thee, Zuckerrohr, Seide und
andere tropische Produkte in grosser Menge und Giite. Der Berg-
bau liefert viel und vortreffliches Zinn (Kalin), dann Eisen , Ku-
pfer, Blei, Silber; in mehreren Flussen wird Gold gewaschen. Aus-
gezeichnet schon sind die bunten Edelsteine, Rubine, Saphire, To-
pase u. a. Sehr grossen Reichthum hat das Land an trefflichem
Schiffbauholz und Naphta.
Die Industrie ist gering; sie liefert hauptsachlich Seiden-
und Baumwollengewebe, einige Metallarbeiten und gute Schiffe. Der
Seehandel ist meistens in den Handen der Chinesen und Eng-
lander; die grosstentheils tief ins Land hinein schiffbaren Fliisse,
welche an den Miindungen sehr gute Hafen bilden, unterstiitzen
denselben bedeutend.
Politische Eintheilung.
1. Britisch Hinter-Indien (beilaufig 4000 QMeilen, 2 Millionen Einwohner) be-
steht aus den Landern :
o) Assam, der nordwestlichste Theil der Halbinsel, ein vom Burremputr be-
wassertes, von hohen Gebirgen eingeschlossenes Thai (2 bis 3000 QMeilen
und 1 Million Einwohner) ; seit 1826 unter englischem Schutze. Der Boden
ist sehr fruchtbar, reich an schb'nen Waldungen ; das wichtigste Produkt ist
Thee. Die Seidenzucht und Seidenweberei ist betrachtlich. Die Bevolke-
rung steht unter mehreren Raja, welche in ewigen Fehden unter einander
leben. Hauptort: Gowahatti; bedeutender ist Eangpur, die grosste
und bevolkerteste Stadt.
6) Aracan, ein schmaler Kustenstrich, langs des bengalischen Meerbusens.
Auf etwa 400 nMeilen leben iiber 200.000 Menschen , von verschiedenen
rauberischen und rohen Birmanenstammen. Hauptort: Aracan (20.000),
oberhalb der Mundung des ^hisses Mahutte, treibt einigen Handel.
c) Pegu, im Miindungsgebiete des Irawaddy, mit den Stadten Pegu, Ran-
gun (die ansehnlichste Handelsstadt, starke Ausfuhr von Teak-Holz) und
Prome, wurde in jiingster Zeit dem britischen Gebiete einverleibt.
d) Martaban und Tenasserim, der nordwestliche Kustenstrich der Halb-
insel Malacca (circa 1200 QMeilen und iiber 100.000 Einwohner), mit den
Stadten: Martaban, Moulmein (Sitz der britischen Behorden, mit an-
sehnlichem Handel), die neu angelegte Stadt Amhersttown (20.000). Der
895
sudliche Theil, Tenasserim, hat nur einen fast ganz zerstb'rten gleich-
namigen Ort im Innern und die kleine Stadt Mergui auf einer der an
der Kiiste liegenden Mergui-Inseln.
e) Pulo-Pinang oder Prinz Wales-Insel. Sie liegt am Eingange der
Strasse von Malacca, ist vortrefflich angebaut, liefert Keis, Pfeffer, Muskat-
niisse, Gewiirznelken, feine Holzarten u. a. Die Hafenstadt Georgetown
(25.000) treibt lebhaften Handel.
f) Das Gebiet von Malacca (12pMeilen) init reichen Zinngruben; im
Jahre 1824 traten es die Hollander im Tauschwege an die Briten ab. Die
Stadt Malacca (15.000) treibt umfangreichen Handel; die meisten Schiffe,
welche die Strasse von Malacca passiren , nehmen hier Lebensmittel und
Wasser ein.
g) Singapore (spr. Singapur). Eine rasch aufbluhende Handelsstadt (60.000
E.) auf der gleichnamigen Insel vor der Siidspitze der Halbinsel Malacca.
Dieser Freihafen ist der wichtigste Stapelplatz fur den Zwischenhandel von
Ostindien und China, Sammelplatz fiir Schiffe aller Nationen mit vielen eu-
ropaischen Handels- und Kommissionshausern. Mittelpunkt des Goldhan-
dels im indischen Archipel. Ausgedehnte Industrie, iiberhaupt einer der be-
deutendsten Platze im Oriente.
2. Birina oder Awa (Kaiserthum, mit 9000 Q Meilen und 5— 8 Millionen Einwoh-
nern). Das Land ist (soweit bekannt) ein grosses Thai, das der Irawaddy von
Norden nach Siiden durchstromt und welches eine grosse Menge Seen besitzt. Die
Produkte sind wie in Vorder-Indien, nur in noch grosserer Vollkommenheit und Fiille.
Erwahnenswerth ist auch die grosse Menge von Steinol. Die Bewohner gehoren
mehreren verwandten Volkerschaften an , sind tapfer und kriegerisch , mit einer
despotischen , doch geordneten Regierung. Haupt1- und Residenzstadt ist Awa
(50.000) am Irawaddy. Amerapura, die friihere Residenz, wurde durch ein
Erdbeben (1840) fast ganz zerstort.
3. Slain (Konigreieh, mit 14.000 Q Meilen und beiiaufig 5 Millionen Einwohnern).
Der Haupttheil des Reiches ist das fruchtbare Thai des Menam ; die ansehnlichste
Stadt ist Bank ok (400.000), zugleich einer der bedeutendsten Handelsplatze
Hinter-Indiens.
4. Aiiam (Kaiserthum , mit 10.000 Q Meilen und 10 bis 12 Millionen Einwohnern).
Es besteht aus den Landern Tonkin, Cochinchina, Cambodja und einigen
Gebieten an der Nordgrenze , welche von unabhangigen Hauptlingen beherrscht
werden. Der Reichthum an Naturprodukten ist sehr gross (Zucker, Pfeffer, Baum-
wolle, Indigo). Der Seidenbau wird eifrig betrieben, die Industrie in Seide und
Baumwolle ist schwunghaft. Der Binnenhandel ist lebhaft, aber der Verkehr mit
Europaern wird fast nur durch Chinesen unterhalten. -Residenzstadt ist Hue
(oder Fu-tschuan, 100.000), gute Festung mit einem Kriegshafen ; die wichtigsten
Handelsstadte, in welche auch Europaer kommen, sind Huehan (oder Faifoe) und
Saigon (100.000). Fiir den Binnenhandel ist bekannt Ketscho (oder Dong-
King); die ehemaligen europaischen Faktoreien sind eingegangen.
5. Das unabhiingige Malacca (mit etwa 3000 Q Meilen und 1 Million Einwoh-
ner) ist reich an Zinn, Pfeffer, Reis und andern fiir den Handel wichtigen Pro-
dukten. Die Bewohner sind Malayen, meist Muhamedaner, kiihne Seerauber und
werden von einzelnen despotischen Fiirsten beherrscht.
C. Der indische Archipel.
§. 158.
Der indische Archipel umfaset die Inselgruppen zwischen
Hinterindien , China, Neu- Guinea und Neu-Holland. Weder iiber
die Gesammtzahl der Inseln, noch iiber deren Grosse, Bevolkerung
und natiirliche Beschaffenheit besitzen wir ausreichende Kenntnisse;
annahernd wird der Flachenraum der bekanntea Ineeln auf
36.000 QMeilen und die Bewohnerzahl auf 23 Millionen geschatzt.
Die meisten Inseln siad gebirgig und vulkanischer Natur, ferners
396
uberaus reich an den mannigfaltigsten und kostlichsten Produkten
der Tropenzone, an grossen Schatzen des Mineral- und des Thier-
reiches. Sie sind meist von malayischen Stammen bewohnt, doch
auch von Europaern; besonders befindet sich der Handel in den
Handen der Niederlander. Nur wenige portugiesische , spanische
und britische Niederlassungen abgerechnet, sind die Niederlander
Herren von dem grossten Theile des Archipels.
Die bedeutendsten Inselgruppen sind: 1. Die grossen Sun da-
Inseln, — 2. die kleinen Sunda-Inseln, — 3. die Molukken
oder Gewiirz - Inseln, — 4, die Philippinen, — 5. die Sulu-
Inseln, — 6. die Andamanen und Nikobaren.
In politischer Beziehung theilt man sie: 1. General-Gouverne-
ment von Niederlandisch-Indien, — 2. spanisches General-Kapitanat
der Philippinen, — 3. unabhangige Malay enstaaten.
1. Die grossen Suiida-Iiiseln.
a) Sumatra (7474 Q Meilen, 31/, Millionen Einwohner ; darunter hollandisch
2000 D Meilen mit 2'/? Millionen Einwohner). Die Westkuste ist gebirgig
und gesund, die Ostkiiste flach und vielfach sumpfig. Die Insel ist reich
an Gold, Diamanten, tropischen Gewachsen nller Art, an Eeis, Zucker, Sago,
Kaffee, Tabak, Pfeffer (Kampfer, Benzoe, Cassia). In den Kiistenstadten be-
ginnt die Industrie inBaumwolle und Seide, Eisen, Stahl und Gold sich zu
entfalten. Padang (12.000), eine bliihende Handelsstadt, Sitz des hollan-
dischen Gouverneurs; Benkulen (12.000), ein befestigter Handelsplatz in
ungesunder Gegend; Pal e mb an g (25.000). — Unabhangige Staa-
ten: der Staat Atschin mit der gleichnamigen Hauptstadt an der Nord-
westspitze der Insel; das Land der Batta im nordb'stlichen Theile, von
heidnischen Malayen (Menschenfressern) bewohnt. — Von den in der Nahe
liegenden Inseln sind Banca und Billiton (vor der Ostkiiste) erwahnens-
werth. Banca wegen seines Reichthums an feinemZinn (Banca-Zinn), wo-
von jahrlich an 40—50.000 Zentner fiber Batavia nach Europa verladen
werden; Billiton wegen seiner werthvollen Eisenminen.
6) Java (2325 Q Meilen, 10 Millionen Einwohner). Die wichtigste hollandi-
sche Besitzung in Indien, wegen der ungemeinen Fruchtbarkeit und Man-
nigfaltigkeit der Produkte eine der schonsten. Kolonien auf der Erde, die
,,Perle in der Krone der Niederlande" genannt. Beilaufig 75% der Gesammt-
flache nehmen die hollandischen Besitzvmgen ein, und zwar den ganzen west-
lichen Theil und die Nordkiiste ; im Siiden und Osten herrschen eingeborne
Hauptlinge. Die Bewohner sind Malayen, chinesische und arabische Han-
delsleute, Mischlinge, Negersklaven, welche von einigen Tausend Hollandera
beherrscht werden. Hauptprodukte der Insel sind: Kaffee, Zucker, In-
digo, Baumwolle, Reis, Cochenille, Thee, Pfeffer und alle Fruchte Indiens.
An der Kfiste wird ferners viel Seesalz gewonnen; Metalle hat das Land
keine. Der Hauptsitz der hollandischen Macht ist Batavia (60.000); in
Folge eines Erdbebens ist die Luft so ungesund geworden, dass die Stadt
das Grab der Europaer genannt wird. Der General-Gouverneur, die Behor-
den, die Kaufleute und Wohlhabenden wohnen einige Stunden landeinwarts
in den reizenden und gesunden ,,Vorstadten Batavias" (Ryswik, Nordwik,
Molenvliet, Buitenzorg u. a.), und kommen in das verodete Batavia nur herab,
um ihre Geschafte abzumachen. Der Handel ist stets im Steigen, der Ver-
kehrswerth mag auf 100 Millionen Gulden (30 Millionen Import, 70 Millio-
nen Export) jahrlich sich belaufen. Die niederlandischeHandels-Maatschappy
besitzt das Monopol des chinesischen Theehandels. Sumatra und Java ver-
sorgen einen grossen Theil von Malacca und Hinterindien mit Reis. Ansehn-
lich sind noch die Stadte Samarang (40.000) und Surabaya an der
Nordkuste, welche Handel treiben.
c) Borneo, die grosste der Sunda-Inseln, an 13508 Q) Meilen gross, gehort
zu den wenigst bekannten Landern der alten Welt Die Kiisten sind durch-
gehends flach, sumpfig, daher ungesund; das Innere soil von vielen Gebir-
397
gen und grossen Waldungen angefiillt sein. Die Bewohner sind roh und
grossen Theils noch in vieler Wildheit. Die Naturprodukte sind im Allge-
meinen die gleichen wie auf den ubrigen Sunda-Inseln ; die wichtigsten sind
Gold (vorziiglich an der Westkiiste), Diamanten, viel Pfeffer, der beste Kam-
pfer. Auf der West- und Siidkiiste sind diejhollandischen Besitzungen, mit
den Orten Bandjermassin und Pontianak; der iibrige Theil der Insel
wird von zahlreichen Hauptlingen beherrseht. Die bier lebenden Chinesen
raachen ansehnliche Handelsgeschafte in dem|Hafen B6rneo oder Bouren
(an der Nordwestkuste). Auch die Englander haben eine kleine'Niederlas-
sung begriindet.
d) Celebes, beilaufig 3316 D Meilen gross, besteht eigentlich aus vier Halb-
inseln, welche nur in der Mitte des Landes zusammenhangen. IGebirgsket-
ten (mit mehreren Vulkanen) bilden das Gerippe der, Insel, ^welche gut be-
wassert ist, und das Klima so wie die Produkte der benachbarten Inseln
hat, namentlich sind ergiebige Goldwaschen uud bedeutende Kaffeepflanzun-
gen hervorzuheben. Der siidlichste und nordlichste^Theil gehort den Hol-
landern, doch sind auch die iibrigen kleinen Gebiete von den Hollandern
abhangig. Als Handelsplatze sind bekannt: Vlaardingen (sonst Ma-
cassar) und das Fort Rotterdam. — Um CelebeSiliegt^ (vorziiglich im
Osten und Siiden) eine Unzahl kleiner Inseln.
2. Die kleinen Sunda-Inseln.
Diese ziehen sich von der Ostspitze Java's bis gegen Neu-Holland bin. Die
meisten sind hochgebirgig, vulkanisch, sehr fruchtbar, von Negerstammen und
Malayen bewohnt, welche unter dem Einflusse der Hollander stehen. Die wich-
tigsten sind : Bali (nahe bei Java) und L o m b o k wegen der Reisausfuhr
nach Australien, guter Baumwolle und der geschatzten Pferde beachtenswerth ;
S u m b a v a mit einer hollandischen Niederlassung ; T s]c h i n d a n a wegen
der vielen Sandelholzwaldungen auch Sandelbosch genannt ; auf F 1 o-
r e s waren friiher portugiesische Niederlassungen ; die grossen Theils ode aber
grosste Insel Timor mit dem hollandischen Hauptorte K u p a n g und dem
portugiesischen Hafenort D i 1 1 i. Handelsgegenstande bilden :|jReis ,| Baum-
wolle, Indigo, Sago, Tabak, Zimmt, Sandelholz u. a. m.
3. Die Molukken oder Gewurz-Inseln.
Diese Inseln liegen zwischen Celebes und Neu-Guinea, sind den Hollandern
theils mittelbar, theils unmittelbar unterworfen und wegen der Hauptprodukte
Gewiirznelken, Muskatnusse und Sago beruhmt und werthvoll. Sie
zerfallen in drei Gruppen: 1. die siidlichen Banda-Inseln (Banda, Timorlaut,
Larat u. a.) mit Muskatnussbaumen, Bliithe und Frucht bilden einen sehr ein-
traglichen Handelsartikel ; nordwestlich davon : 2. die Ambo'ina-Gruppe (Am-
bo'ina, Ceram, Euro u. a.) mit Gewurznelkenbaumen und Sagopabnen ; 3. die
eigentlichen Molukken, die nordlichsten (Dschilolo, Temate, Tidor u. a.)
4. Die Philippineii.
Sie bestehen aus etwa zwolf grosseren und iiber hundert kleinen, sehr ge-
birgigen, vulkanischen Inseln , nehmen wahrscheinlich iiber 6000 [J Meilen ein
und die Bewohnerzahl wird auf 6 Millionen geschatzt. Die Einwohner sind theils
Papuas, theils Malayen. Der grossere Theil gehort den Spaniern. Die grosste
Insel ist Luzon oder Manilla (iiber 2500 Q Meilen) mit dem Hauptorte Ma-
nilla (140.000). Eines der Hauptprodukte ist Tabak; die k. Cigarrenfabrik
beschaftiget iiber 5000 Menschen und soil jahrlich iiber 800 Millionen Cigarren
fur den Export erzeugen. Auch Baumwolle, Zucker, Indigo und Hanf werden
ausgefiihrt. Diese Insel ist in Hinsicht auf Klima, Schbnheit der Landschaften
und Fruchtbarkeit des Bodens einer der reichsten und schonsten Erdstriche.
Die siidlich von Manilla gelegenen Inseln heissen die bissajischen Inseln.
Die siidlichste, gleichfalls sehr fruchtbare Insel ist Magindanao oder Min-
danao (1200 G Meilen) mit der gleichnamigen Hauptstadt Die spanischen
Besitzungen liegen an der Nord- und Ostkiiste; die Bewohner der iibrigen Ge-
biete stehen unter muhamedanischen Herrschern und treiben viel Seeriiuberei.
398
ter, Scbildkrot und Sago ; sie stelien unter muhamedanischen Herrschern. Die
bedeutendste Insel ist Palawan.
6. Die Andaittaneii und frikobaren.
Beide Inselgruppen liegen im Meer von Bengalen, nordlich von der Nord-
spitze'von Sumatra. Die Inseln sind bergig, rnit undurchdringlichen Waldern
bedeckt und wegen des ungesunden Klimas sind die friiheren europaischen Nie-
derlassungen aufgegeben worden. Auf den (nordlicheren) Andamanen leben Ne-
ger, welche auf der niedersten Stufe der Kultur stehen und sich fast nur von
Fischen nahren. Die Bewohner der Nikobaren , meist Malayen, leben in zer-
streuten Hiitten und Dorfern ohne Oberherrn, und treiben fast ausschliesslich
Fischerei.
C. Das chinesische Reich.
§. 159.
Das chinesische Eeich grenzt in Norden an das asiatische
Russland, im Westen an die freie Tatarei und Afghanistan, im
Siidwesten und Slid en an die indischen Halbinseln, im Osten an
den grossen Ocean. Auf einer Flache von mehr als 230.000 GM.
leben an 360 bis 400 Millionen Einwohner. China ist der bevol-
kerteste und alteste Staat der Erde.
In Beziehung auf die Bodenbe schaf fenhei t gehb'rt es
zum Hochlande Hinterasiens (siehe §. 29). Zwei machtige Ge-
birge begrenzen dieses Hochland: im Norden das Gebirgssystem
des Altai, im Silden jenes des Himalaya; das dazwischen lie-
gende Tafelland von Hochasien durchziehen die Ziige des Kiien
Lun und Thian Schan. Diese Gebirgszuge theilen das Tafel-
land in vier Plateaulander : Tubet, die hohe Tatarei, die Dsungarei
und die Mongolei (siehe S. 35). Zwischen dem Hochlande und
dem gelben Meere liegt das ausserordentlich fruchtbare und muster-
haft angebaute chinesische Tiefland (an 10.000 n^eilen gross).
Die Mongolei, sowie der ostliche Theil der Dsungarei und der ho-
hen Tartarei sind theils baumlose , ode Steppen, theils ist es die
sandig-steinige Wiiste Gobi oder Schamo.
China ist reich an grossen und wichtigen F 1 ii s s e n , welche
(namentlich im eigentlichen China) durch unzahlige Kanale mit
einander verbunden sind, wodurch sich auf den fliessenden Wassern
ein so regerVerkehr gestaltet, \vie vielleicht nirgends auf der Erde ;
iiberhaupt steht das ganze Leben und Wirken der Bewohner im
innigsten Zusammenhange mit der grossartigen Bewasserung. In
jeder Beziehung sind die bedeutendsten Flusse der Amur, der
Hoang-Ho (gelber Fluss) und der Yan-tse-Hiang (blauer
Fluss). — Siehe S. 59.
Bei der grossen horizontalen Ausdehnung und den verschie-
denen vertikalen Erhebungen ist das Klima sehr ungleich; im
Ganzen ist es im Osten und Siidwesten sehr milde (wie in Indien
oder Italien), im Norden und Nordwesten ist es rauh und k'alter
ala in Europa unter gleichen Breitegraden. An den Siidkiisten,
wo die Jahreszeiten noch von den Monsunen abhangen, toben haufig
die Teifuns.
899
Die Bodenkultur wird musterhaft, ja gartenmassig betrie-
ben und liefert den hochsten Ertrag. Selbst auf Felsen und Ab-
hange wird Erde getragen , und Flosse auf dem Wasser werden
zu Gartenbeeten eingerichtet. Die wichtigsten Handelsprodukte
aus dem Pflanzenreiche sind : Thee, Zucker, Kampfer , Rhabarber,
Zimmtkassia, Bambusstocke u. a. m. Der Viehstand ist bei dem
Mangel an Weidenplatzen geringer, am starksten ist die Zahl der
Schweine. Ausserordentlich stark Jst die Kultur der Seidenwurmer
und Maulbeerbaume in dem Vaterlande der Seide. Die chinesische
Seide iibertrifft alle bekannten Sorten an Weisse, Glanz und Weich-
heit, vorziiglich die im ostlichen China. An Miner alien hat
das Land keinen Mangel, inebesondere ist es reich an Eisen, Zink,
Zinn, Blei, Quecksilber und Kupfer; vortrefflich ist die Porzellan-
erde. In der gewerblichen Industrie haben die Chinesen,
ohne die Maschinen der Europaer zu kennen, grosse Fortschritte
geraacht ; in manchen Zweigen rivalisiren sie mit den Europaern.
Ausgezeichnet sind ihre Seidenstofle und Bander , Porzellan und
lackirten Waaren ; auch in Baumwollgeweben, Papier, Elfenbein-
arbeiten, kiinstlichen Blumen, Galanteriewaaren, Draht- und Stroh-
geflechten leisten sie recht Anerkennenswerthes. Der Binnenhan-
del, unterstiitzt durch zahlreiche Kanale und Hauptlandesstrassen,
und gefordert durch grossere Freiheiten als der aussere Handel,
soil ausserst lebhaft sein. Der auswartige Landhandel fin-
det mittels Karawanen statt, und zwar: mit Russland nach Kjachta,
mit Turkestan iiber Jarkand, mit Indien fiber Tubet (Lhassa), nach
den Reichen Birma und Anam. Gegen den auswartigen See-
handel herrschte grosse Abneigung , doch sind demeelben jetzt
fiinf grosee Frei-Handelshafen geoffnet (Fu-tsch^u-fu, Ning-
pho, Amoy, Kan ton und Schanghai). Am starksten be-
theiligen sich daran die Engender und Nordamerikaner , dann
Hollander, Spanier, Portugiesen und Franzosen. Es ist nicht
zu zweifeln , dass dieser Handel noch grosse Ausdehnung ge-
winnen wird.
Die grosse Masse der Bewohner besteht aus Chinesen; das
herrschende Volk aber sind die Mandschu, zu welchen auch
die kaiserliche Familie gehort. Die Chinesen sind eines der alte-
sten Kulturvolker. Stolz auf das Alter, die Macht und Kultur
ihres Stammes, halten sie zahe an alien Gebrauchen, verachten die
Fremden als JBarbaren , wahrend sie ihr Land »das himmlische
Reich," ihren Kaiser »Sohn des Himraels" nennen. Der Charakter
der Chinesen wird von alien Reisenden mit ausserst ungunstigen
Farben geschildert; sie werden als feige, entsittlicht und yer-
weichlicht, unmenschlich gefiihllos, schmutzig eigenniitzig bezeich-
net. Ihre Sprache gehort zu den einsilbigen , flexionslosen (siehe
§. 69); far jeden Begriff besteht ein eigenes Schriftzeichen.
Die Verfassung des Staates ist unumschrankt monarchisch.
Die Statthalter und hochsten Reichsbeamten heissen Mandarine.
Das Innere des Reiches ist gegen die Fremden abgesperrt. In Tubet
ist eine durch chinesische Statthalter beaufsichtigte Priesterherr-
400
schaft. Die Nomadenstamme stehen unter raehr oder weniger ab-
hangigen Hauptlingen.
Das Gesamnatreich wird eingetheilt in : 1. das ei gentliche China,
— 2. die unterworfenen Nebenlauder, — 3. die unter chinesischem
Schutze stehenden Vasallen-Staaten.
I. Das eigentliche China (beilaufig 72.000 QMeilen mit
350 Millionen Einwohnern) wird in 18 Provinzen eingetheilt *).
Die Zahl der Stadte ist sehr gross, ihre Einwohnerzahl sehr bedeutend. Meh-
rere haben fiber erne halbe Million Einwohner, sehr viele zwischen 100.000 und
300.000. Es ist im Nordwesten und Westen sehr gebirgig, der mittiere ostliche
Theil ist eine ausserst fruchtbare, musterhaft angebaute Niederung, von den bei-
den grossten Stromen bewassert, von zahllosen Kanalen durchschnitten. Im Nor-
den steht die beruhmte, fast 300 Meilen lange chinesische Mauer, schon vor 2000
Jahren zum Schutze gegen die Einfalle der Barbaren erbaut, jetzt nutzlos und
imVerfalL — Das Hauptprodukt ist Thee, wo von jahrlich an 90 Millionen Pf und
exportirt werden (etwa 50 nach England, 20 nach Nordamerika, 8 nach Kussland),
danii Seide und Baumwolle. Grosser Reichthum ist an Eisen, Blei, Zinn und
Kupfer, sowie an Erdarten, woraus Porzellan (chin. Tski) gemacht wird. An-
sehnlich sind noch die Bereitung von Papier und Tusch. — Bedeutende
Orte sind:
Peking, die Kesidenz des Kaisers, iiber 2 Millionen Einwohner, Universitat,
kaiserliche Bibliothek ((mit 300.000 Banden), zahlreiche Fabriken, prachtvolle
Kaufladen, [ungemein lebhafter Handel'; — Nanking (1 Million Einwohner),
Hauptsitz der chinesischen Gelehrsamkeit ; bedeutende Fabriken in Baumwolle
(Nankingstoffe) und Seide ; wenige Meilen siidlich davon die den Europaern geb'ff-
nete Hafenstadt Schanghai; — Kanton (1 Million Einwohner), viele Fabri-
ken, Hafen, Mittelpunkt des europaisch-chinesischen Handels; die Europaer kb'n-
nen nur mit einer Handelskompagnie (Hong-Kaufleute) Handel treiben. Im Meer-
busen Bocca Tigris vor Kanton liegen mehrere Inseln : bei der Insel Wampu
legen die europaischen Schiffe an, auf der englischen { Insel Hongkong bliiht
die Stadt Viktoria rasch empor, auf der portugiesischen Insel Macao liegt
die gleichnamige Stadt. — Hangt-tscheu-fu, Stapelplatz ^fur den Handel
mit schwarzem Thee; Nan-tschang-fu, Mittelpunkt des Porzellanhandels ;
King-te-tschin, ein Dorf mit 1 Million Einwohner, Hauptort fur die Por-
zellanfabrikation mit mehr als 3000 Oefen. Zu China gehort auch die Insel
Hainan und die von vulkanischen Gebirgsketten durchzogene Insel Formosa
oder T.aiwan.
II. Die uiiterworfenen Nebenlauder.
1. Die Mandschurei (oder Tungusien, auch A m u r-
\4 a n d).
Der nordostlichste Theil des hinterasiatischen Hochlandes (mehr als 30.000
QMeilen gross) senkt sich gegen Osten und lasst nur einen schmalen Kiistenstrich
iibrig. Das Klima ist streng, der Winter dauert von Ende September bis Mitte
April, die Fltisse frieren zu, die Ka'lte steigt bis 30° K. ; dagegen ist der Sommer
sehr heiss, die Vegetation in dieser Jahreszeit iippig, der Boden im Ganzen
fruchtbar, doch ausserst diinn bevolkert. Herrliche Walder voU Pelzwild
und gute Weiden sind zahlreich. Die Bewohner sind Nomaden, Hirten und
Fischer; nur die hieher verbannten Chinesen treiben Ackerbau. Der wichtigste
Fluss ist der fischreiche Amur. Einen grossen Theil der Mandschurei haben
die Russen in Besitz genommen. Auch der nordliche Theil der Insel Karafta
(oder Sachalin, oder Tarakai) gehort hierher. Das Meer ist wegen der haufigen
*) Die Provinzen werden in Bezirke (Fu), diese in Kreise (Tschdu) und diese in
Distrikte (Hian) eingetheilt. Die Stadte haben keine besondern Namen, sondern man
bezeichnet sie mit dem Namen des Bezirkes, des Kreises und des Distriktes, dessen
Hauptstadt sie sind, vermittelst der Anfiihrung der Worte Fu, Tsch^u und Hian.
401
Nebel den Schiffen gefahrlich. Stadte von einiger Bedeutung sind: Mukden
(Schinjang) mit dem Sitze der Regierung; Girin-Ula am Songari; Sacha-
lin-Ula (oder Aigun) am Amur, treibt starken Pelzhandel.
2. Die Mo ngole i.
Im Westen der Mandschurei (mit unbestimmter Grenze) breitet sich das Hoch-
land der Mongolei auf der Scheitelflache Hochasiens aus. Die Grosse wird zwi-
schen 50.000 und 90.000 QMeilen angegeben; doch gehb'rt das Land zu den
wenigst bekannten Erdstrichen. Einen grossen Theil des b'den, unfruchtbaren Lan-
des nimmt die Hochwiiste Schamo oder Gobi ein, welche nur Handelskarawa-
nen zwischen China und Russland durchziehen; nur einzelne Landstriche sind
grasreiche Steppen, manche Thaler haben reiche Vegetation. Die grb'ssten Strb'me
Asiens haben auf dieser Hochflache ihre Quellen (Irtisch, Jenisei, Selenga, Amur,
Hoang-Ho, Yan-tse-Kiang). Ausserdem gibt es viele Steppenfliisse , welche sich
in salzige Binnenseen (Balkasch, Dsaisang, Kuku-noor) ergiessen. Das Klima ist
nur in den siidlicheren Thalern gemassigt, sonst ausserst strenge. Die wichtig-
sten Produkte aus dem Pflanzenreiche sind Ginseng und Rhabarber (in der Ge-
gend des Kuku-noor). Viele unserer Hausthiere kommen hier im wilden Zustande
vor. Die Bewohner (etwa 3 Millionen) sind Nomaden, deren Khane unter chine-
sischer Oberhoheit stehen. Die wenigen Stadte und Db'rfer bestehen meistens nur
aus wenigen Filzhiitten (Jurten). Am nordlichen Rande der Mongolei (auch
Dsungarei oder Kalmiikenland genannt) liegt die Hauptstadt Urga (oderKurgen),
der fiir heilig gehaltene Ort des mongolischen Buddhaismus und nebst Mai-
matschin (gegeniiber dem russischen Grenzorte Kjachta) der wichtigste Stapel-
platz aller Waaren des russisch-chinesischen Tauschhandels.
3. Die hohe Tartarei (oder ..Os t-Tur kestan ," die
«kleine Bucharei," .Ost-Ds chag atei," das »Land Tur-
fan" genannt).
Grosstentheils eine wiiste Hochebene (20.000 bis 25.000 nMeilen gross, mit
beilaufig l'/2 Millionen Einwohner); nur an den Fliissen, namentlich am Tarim
(oder Jarkiang) findet sich fruchtbares, gut angebautes Land, welches ausgezeich-
nete Melonen, Getreide, Obst, Wein und Baumwolle liefert. Da ein grosser Theil
der Bevolkerung ein nomadisirendes Leben ftihrt, so ist die Viehzucht von Bedeu-
tung ; die Stammhaupter sind von China abhangig. In den Stadten und Dbrfern
wohnen persisch redende Muhamedaner, welche Handel treiben. Bekanntere Orte
sind: Turfan, ein Stationsplatz fiir die aus China nach Westen ziehenden Ka-
rawanen; in Kaschgar ist der Sitz des chinesischen Statthalters, die Einwohner
treiben verschiedene Gewerbe und ansehnlichen Handel; der bedeutendste Ort ist
Jarkand (200.000), der Mittelpunkt des Handels nach den benachbarten Lan-
dern. Die Einwohner arbeiten in Seide, Baumwolle und Leinen ; bis hieher gehen
die chinesischen Karawanen, und hier treffen Kaufleute aus dem fernsten Westen
ein, welche Kashmirshawls, Edelsteine, Moschus bringen, um sie gegen Thee,
lackirte Waaren, Porzellan u. dgl. zu vertauschen. H a m i (oder Komun) liegt in
einer fruchtbaren Oase, welche viel Weintrauben und Melonen liefert ; A k s u lie-
fert viel Baumwollenzeuge und treffliche Jaspisarbeiten.
III. Die tributpflichtigen Staaten.
1. Tiibet (oder Tibet).
Dieses grossartigste Hoch- und Gebirgsland der Erde, mit einer Gesammtflache
zwischen 25.000 bis 30.000 Q Meilen und mit Plateau- und Thalflachen von
8000 bis 15.000' wird von beilaufig 5 Millionen Menschen bewohnt und liegt zwi-
schen dem Himalaya mit den hochsten Schneegipfeln der Erde und dem Kiien-
Liin. Die grossen Flusse (Indus, Brahmaputra, Irawaddy u. a.) haben hier ihre
Quellen; zahllose Bache stiirzen in den herrlichsten Wasserfallen aus den Glet-
schern, viele und grosse Seen breiten sich in den Hochgebirgslandschaften aus.
Der Boden ist meist wenig fruchtbar und deckt trotz der fleissigen Bebauung
nicht den Bedarf. Die Hauptbeschaftigung bildet die Viehzucht; Fleisch, Milch,
Butter und Kase sind die wichtigsten Nahrungsmittel. Unter den Thieren sind
bemerkenswerth : der Biiffel mit dem schon behaarten Pferdeschweife , der zum
Putze sehr geschatzt wird ; die Schafe mit sehr feiner Wolle ; die tube tanische
Ziege liefert das Hauptmaterial fiir die Kashmirshawls, und das Moschusthier.
Tiibet ist der Hauptsitz des Buddhaismus und Lamaismus. Die vielen pracht-
Klim's nandels-Geof^raphie. t. Aufl. 26
402
vollen Tempel und Kloster niit Schulen und Bibliotheken sind die Sitze der Ge-
lehrsamkeit An der Spitze steht der Dalai-Lama, ihm zunachst der Bogdo-Lama ;
beide stehen unter dem Schutze des chinesischen Kaisers und erhalten von den
vielen Staaten Tiibets einen Tribut. Die religiosen Verhaltnisse greifen tief in
alle biirgerlichen Zustande ein. Hauptstadt mit dem Sitze des Dalai-Lama ist
Lhasa a (80.000) mit prachtigen Tempeln, Klostern, ansehnlichem Gewerbefleisse
und Handel. Der Bogdo-Lama residirt in Teschu-Lumbu.
2. Korea.
Die Halbinsel ist ein reich bewassertes Gebirgsland. Die Ostkiiste ist schroff
und gefahrlich, die Westkuste minder steil und hat gute Hafen ; vor der West-
und Siidkiiste liegen ungemein viele kleine Inseln. Die Bewohner (5 bis 8 Mil-
lionen) sind fleissige Landbauer , geschickte Gewerbsleute , welche Seiden- und
Baumwollenzeuge, vorziigliches Papier, guten Firniss u. a. m. erzeugen, und un-
ternehmende See- und Handelsleute , die aber nur mit China und Japan Handel
treiben ; alien andern Nationen ist Korea ganzlich verschlossen. Die Hauptstadt
Han -y an (nach Andern King-ki-tao) soil in der Mitte des Landes zwischen
zwei Fliissen liegen.
3. Likejo- (oder Lieu-Khieu-) Inseln.
Dieser Staat besteht aus zwei Inselgruppen, die nb'rdlichen Lieu-Khieu, die siid-
lichen Madschicosima genannt; er liegt nordlich von der Insel Formosa. Die Be-
volkerung, aus etwa einer halben Million Chinesen und Japanesen bestehend,
baut Reis, Thee, Siidfriichte , Zucker, Kaffee und Wein; sie weben Seiden- und
andere Zeuge, und treihen eine lebhafte Schiffahrt mit China und Japan, wohin
der Beherrscher tributpflichtig ist. Die Residenz ist King-tsching auf der
Insel Gross-Lieu-Khieu ; auf der Nordwestkiiste dieser Insel liegt der Handelsplatz
Wapakiang.
China betrachtet auch die Staaten: Nepal, But an, Si'am und An am als
seine Vasallenlander.
Xxl.t'.? 5*M COV;'* <MHa»#tf.'j-(i
VI. Das japanische Reich.
g. 160.
Das Kaiserthum Japan besteht aus vier grosseren und vielen
kleineren Inseln, mit einer Gesammtflache von beilaufig 8000 QM.
und ist bewohnt von etwa 30 Millionen Einwohnern. Das japanische
Meer scheidet diese Inselgruppe von Ostasien. Die Inseln sind
hochgebirgig, mit vielen iiber 12.000' hohen Schneebergen und der
Hauptsitz vulkanischer Erscheinungen. — Mehrere der zahlreichen,
doch unbedeutenden Flusse sind fur Barken schiffbar; auch die
Zahl der Seen, der warmen und sonstigen Mineralquellen soil er-
heblich sein. Ausserdem gibt es viele Bewasserungs- und Schiff-
fabrtskanale. Das japanische Meer ist wegen seiner Stiirme und
Nebel beriichtigt. — Das K lira a ist nach Verschiedenheit d^r
Bodenerhebung und horizontalen Ausdebnung verschieden ; im All-
gemeinen ist der Winter strenge und schneereich, der Sommer sehr
heiss. Der haufige Rfgen befordert die Fruchtbarkeit des Bodens;
Gewitter und Orkane sind im Juni und Juli sehr heftig. Der Bo-
den ist zwar nicht be^onders fruchtbar, allein die Bebauung so
fleissig und musterhaft , wie vielleicht in keinem Lande der Erde.
Unter den Kulfurpflanzen nimmt der vorzQgliche, in grosser Menge
gebaute Reis die erste Stelle ein; er ist die Hauptnahrung der
Japaner. Dessen Stroh wird wie in China zu Papier und vieler-
lei Geflechten verwendet. Auch andere Getreidearten , Obst und
Siidfriichte werden im Ueberflusse gewonnen. Der Theestrauch'
wird im ganzen Lande gebaut, der beste auf Nipon. Der Anbau
403
der Baumwolle geschieht sehr sorgfaltig und in grosser Ausdeh-
Bung. Die Japaner kleiden eich uberwiegend in Baumwollstoffe,
die Watte vcrtritt die Stelle der Pelze und Matrazen , und au8
Baumwolle wird feines Papier fabrizirt. Tabak und Kampfer sind
sehr verbreitet; schlieeslich verdienen Hanf, Zuckerrohr, Firniss-
baume, Sago (die seltenste und theuerste Sorte) besondere Her-
vorhebung. — Von animalischen Produkten sind fur den Handel
wichtig: die Seide , welche in Menge gewonnen und verarbeitet
wird, und die Perlen, sowie Korallen, Schildkrot. Hochst wichtig
ist die Fischerei , dagegen die Pflege der europaischen Hausthiere
sehr vernachlassigt, weil die Japaner selten Fleisch geniessen und
meist nur von Vegetabilien, Eiern und Fischen leben. — Unter den
Met alien iet das Kupfer als das feinste btkannt und findet sich
in grosser Menge, dessgleichen Gold und Silber; wenig aber sehr
feines Zinn , ausgezeichnet schones Eisen , woraus vortreff liche
Klingen und Stahlarbeiten verfertiget werden.
In der gewerblichen Industrie stehen die Japaner un-
ter alien ostlichen Volkern am hochsten. Ihre Seiden-, Gold- und
Silberstoffe, das ausgezeichnete Porzellan, die Tischler- und Drechs-
lerarbeiten, lackirten Waaren, die beruhmten Stahlarbeiten, Degen-
klingen u. e. w. zeigen von der grossen Be'riebsamkeit , der Kunst
und dem Geschmacke dieses Kulturvolkes. Auch Glas, Uhren,
optische Instrumente und dergleichen werden in neuester Zeit er-
zeugt, indessen Papier und Pulver fruher ale in Europa fabrizirt
worden sind.
Der inn ere Handel, begunstigt durch gute Landstrassen,
zahlreiche Kanale und die reichgegliederte Kuste, soil lebhaft sein.
Dem Auslande gegeniiber war Japan streng ab^esperrt , nur
Chinesrn und Hollander durften in Nangasaki (auf Kiusiu) Han-
del treiben ; gegenwartig sind funf Hafen den seefahrenden Nationen
g( Offnet.
Die Japaner sind das aufgeklarteste Volk Asiens, welches in
alien Zweigen der Kulfur (soweit es bei der Abgeschlossenheit mog-
lich war) grosse Fortschritte gemacht hat. Zahlreiche Schulen
pflegen den Volksunterricht, in den hoheren Anstalten werden die
Wiesenechaften eifrig betrieben. Leider steht die Sittlichkeit des
Volkes auf sehr niederer Stufe. Sie bekennen sich zum Buddhais-
mus, doch hat sich auch die Religion des Sinto erhalten sowie die
des Cocfuciup. — Die Staatsverfaesung ist deepotisch. Das geist-
liche Oberhaupt (Dai'ri Sama) residirt zu Miako, das weltliche
(Kubo) zu Jeddo.
Bcmerkonswerthe Orte sind :
1. Insel Nipon (oderNiphon, uber 4000 D Meilen) : Jeddo (I1/, bis 2 Mil-
lionen Einwohner), Miako (600.000), beide mit ausgedehnter Industrie, die
Ilauptstadte des Reiches ; — dieHafenstadt Osaka (250.000) eine der reich-
sten und grossten Handelsstadte, der Hafen von Miako.
2. Insel Kiusill (oder Ximo, an 800 nMeilen): Nangasaki (70.000), be-
riihmter Handelsplatz. Die Hollander besitzen im Hafen die kleine Insel
Desima.
3. Insel Sikok, noch von keinem Europaer beb-eten ; sie soil eben so bevbl-
kert und gut angebaut sein als die vorige.
•i. I use 1 Jesso, deren Inneres ebenfalls ganzlicb anbekauut ist; nur der siid-
26*
liche Theil soil gut angebaut und bevolkert sein, der nb'rdliche hat ein sehr
rauhes Klima. Die vorzuglichste Stadt 1st Matsmai.
5. Inscl Sachalin (Karafta oder Tarakai) gehort nur im siidlichen Theile zu
Japan. Von den Kurilen sind Kunaschir und Iturup japanisch.
VII. Turan
(oder Turkestan, aucTi die freie Tatarei, die Dschagatei, die grosse
Bucharei genannf).
§. 161.
Im Norden von Iran, zwischen dem Caspi-See, Russland und
dem chinesiBchen Reiche liegen die Lander, welche m?n mit dem
gemeinschaftlichen Namen Turan bezeichnet. Der Flacheninhalt
wird auf 30- bis 38.000 QMeilen (nach Andern fiber 5 3.000 M.
angenommen. Nur im Oaten und Stiden ist das Land gebirgig.
Die westlichen und nordwestlichen Auslaufer des Thian Schan, der
Kamm und der Nordabfall des Hindo Kho, die Abhange des Belur
Tagh mit anmuthigen Thalern nehmen jedoch nur einen verhalt-
nissmassig geringen Raum ein ; der groaste Theil ist das turanische
Tiefland, theils Hiigelland, theils ein fast ununterbrochenes, baum-
loses, von Ost nach West sich senkendes Steppen- und Wiistenland,
welches nur in einzelnen Oasen und an Flussufern anbaufahig
ist, Im Norden hangt es mit dem sibirischen Tieflande und den
Kirgisen- Steppen zusammen.
Im Westen ist der Caspi-See, welcher aus Turan nur
eehr unbedeutende Zufliisse erh'alt; in den Aral -See miinden der
Amu (oder Gihon, Oxus) und der Sir (oder Sihon, Jaxartes).
Ausserdem gibt es zahlreiche Steppenflusse. — Das Klima ist
verschieden. Die hohen Gebirgsregionen sind mit Schnee bedeckt,
die Mittelgebirgslandschaften haben gemassigtes, die Thaler war-
mes Klima. Der Sommer ist in den Ebenen gluhend heiss, der
Winter sehr etrenge und schneereich; Regen fallt im Fruhlinge
und Herbste.
Die vorherrschende Beschaftigung bilden der Ac kerb au und
die Viehzucht. Ersterer liefert Getreide, Reis , Baumwolle,
Flachs, Tabak, Sudfriichte und vortreffliche Melonen; letztere
schSne Pferde, Kameele, Rindvieh, Schafe mit Fettschwanzen.
Der Bergbau, obwohl vernachlassigt , gibt vorziiglich schone
Tiirkise, Rubine und Lasursteine, auch die Gewinnung von Stein-
kohlen , Steinsalz , Naphta (im Caspi - See) ist ansehnlich. Der
Karawanenhandel mit Indien, China, Persien und Russ-
land ist ziemlich bedeutend; leider ist der Sklavenhandel noch im-
mer sehr lebhaft.
Die Einwohner, etwa 6 Millionen, sind tatarischer Abstammung,
theils Heiden, theils Muhamedaner. Die Hauptstamme sind diells-
beken und Kirgisen (Kara Kirgisen = schwarze Kirgisen) im Osten,
die Turkomanen (Turken) im Westcn, die civilisirtesten sind die
Bucharen (oder Tadschiks), welche Ackerbau, Gewerbe und Handel
treiben und Stadte bewohnen.
Die verschiedenen Stamme fuhren theils ein Nomadenleben,
theils sind eie in despotischcn Monarchien vereinigt. Jeder Stamm
405
hat semen Khaii, doch sollen die meisten den Khan von Buchara
als Oberhaupt anerkennen.
Eintheilung nnd Orte :
1. Klnumt Buchara: Buchara (150.000) eine der grossten Stadte im In-
nern Asiens, mit bedeutender Baumwollen-, Wollen- und Seidenfabrikation,
Leder- und Waffenbereitung, vielen Bazars und Karawansereien. Mittelpunkt
des gesammten Handelsverkehrs. Von bier gehen Karawanen nach Chiwa,
an das kaspische Meer, nach Astrabad, Herat und Kabul. Sehr wichtig ist
die Verbindung mit Orenburg und Astrachan. Buchara ist der Markt fur
alle Erzeugnisse Russlands und Mittelasiens. Samarkand, einst beruhmter
Sitz muhamedanischer Gelehrsamkeit ; der prachtvolle Sitz Timurs (f 1405) ;
erzeugt das beste Seidenpapier in Asien. Balk (Bactra) treibt wegen der
guten Lage noch immer bedeutenden Handel, ist jedoch von seiner einstigen
Grb'sse sehr herabgekommen.
2. Khanat Khokand: Khokand (60.000 E.), als Handelsplatz bekannt,
Taschkend (40.000) mit Seiden- und Baumwollwebereien.
3. Khanat Chiwa: Chiwa (20.000) in einer gartenmassig angebauten, frucht-
baren Gegend mit starkem Karawanenhandel ; der grosste Sklavenmarkt in
Turkestan. — Zwisehen dem Aral- und dem Caspi-See ist eine sandige,
meist unfruchtbare Steppe (Truchmenen-Land), und in einer Oase die einst
bliihende, jetzt verfallene Stadt Merw.
4. Khanat K mid us (am Westabhange des BelurTagh): Feizabad mit be-
riihmten Rubingruben und Briichen von Lasurstein ; Badachschan, eben-
falls mit Rubingruben. — Zwisehen Kundus und Buchara sind die Khanate
Darwas und Hissar. An den Abhangen des Thian Schan leben die
Nomadenstamme der Kara-Kirgisen und Buruten.
VIII. Asiatisches Russland.
S- 168.
Als eine Fortsetzung des europaischen Ruasland breitet sich
das asiatische vom Ural bis an den grossen Ocean und das Beh-
ringsmeer aus ; die Nordgrenze bildet das nordliche Eismeer, im
Siiden sind Turan und China die Grenzlander. Zwisehen dem schwarzen
und kaspischen Meere liegen die Kaukasuslander, welche man
zusammenhangend haufig zu Europa rechnet, obwohl der Charakter
des Landes und der Bevolkerung ein iiberwiegend asiatischer ist.
Zwischen dem Ural, dem Caspi-See und dem Irtisch dehnt sich die
Kirgisensteppe aus, an welche sich in nordostlicher Richtung
Sibirien anschliesst, zu welchem administrativ auch das neuer-
worbene Amurland hinzugerechnet wird* Der wichtigste Bestand-
theil des asiatischen Russland ist Sibirien; das gesammte Gebiet
diirfte eine Flache von nahezu 273.000 Q VIeilen einnehmen und die
Bevolkerung betragt fiber 8 Millionen.
I. Sibirien (mit dem Amurland an 263.000 QMeilen, 5 Mil-
lionen Einwohner).
Sibirien ist im weatlichen und nordwestlichen Theile Tiefland,
im siidlichen und ojtlichen Theile zieht sich vom Irtisch bis zum
Ostkap (an der Bshringsstrasse) das Altaigebirge als Nordrand
des hinterasiatischen Hochlandes. Es zerfallt in mehrere Gruppen:
a) das wilde Gebirgsland des kleinen und grossen Altai mit
vielen Schneebergen, Gletschern und wichtigem Bergbau zwischen
dem Irtisch, der Selenga, dem Baikal-See und der unteren Angara;
— b) dag metallreiche daurische Alpenland zwischen den Fluss-
thalern der Lena und des Witim; — c) das wilde, junzug&ngltche,
406
eumpfreiche Bergland des nordostlichen Sibirien (Jablanoi-,
Aldanisches- und Stanowoigebirge) bis zum Ostkap; — d) das an
Schneebergen und Vulkanen reiche Bergland von Kam tech atka.
— In diesem Berglande haben machtige Stroine ihre Quellen:
der Ob (mit dem Irtisch), der Jenisei (mit der Angara und
Tunguska), die Lena (mit dera Witim), die Indigirka, Ko-
lyma und der Amur (siehe S. 58 und 59). Von Bedeutung sind
auch die grossen Seen Balkapch uad Baikal. Gegen Norden
geht das Bergland in ein kulturfahiges, ziemlich fruchtbares Hugel-
land fiber, an welches sich die Steppenzone anschliesst, die im Siid-
westen mit den Steppen Turans zusammenhangt. Der westliche
Theil mit vielen Salzsaen ist im Somtner und Winter eine Wuste,
nur im Fruhling*} ist er mit sparlichem Pflanzenwuchee bekleidet.
Nordwarts verschwinden nach und nach Walder und Biische, ein-
zelne Gruppen von Zwergbirken nehmen deren Stelle ein, bis auch
diese auf horen und beerentragenden Strauchern, dann Moosen Platz
machen. Endlich beginnt die ode Tundra, die Schnee- und Eis-
wiiste mit zahllosen Seen; im Sommer ein undurchdringlicher Mo-
rast, Massen von Skeletten urweltlicher Thiere und machtige Lager-
statten zu Grunde gegangener Walder einschliessend , im Winter
eine furchtbare Eiswuste. Die Kiiste des Eismeeres tragt eine
nie schmelzende Eis- und Schneedecke, uud ist sonach zuganglicher
als die Tundra. — Die mittlere Jahreswarine der sudlichen Gegen -
den erreicht etwa -}- 4° R., bei 60° n. Br. sinkt diese auf 0° R., bei
66° n. Br. auf — 4°R,; nordlich vo:n 60° ist das Land den grossten
Theil des Jahres mit Eis und Schnee bedeckt. An der Ostkiiste und in
Kamtschatka ist eine Winterkalte von — 40° R. nicht selten.
Durch denJenisei wirdSibirien inein westliches
und ein ostliches eingetheilt; im westlichen Theile ist noch
der russische Typus in der Bevolkerung vorherrschend, im ostlichen
ist der asiatische Charakter ausgepragt. Unter alien Nomaden Ost-
sibiriens Bind die Tungusen (ostlich vom Jenisei) die rohesten,
welche meist von der Jagd leben ; am Baikal-See ziehen die B u-
raten, im Sudwesten die Kalmucken herum. Die Jakuten
an der Lena, ebenfalls Jagervolker, sind von verhaltnissmassig fried-
fertigerem Charakter. Die Tschuktschen, im aussersten Osten
wohnend, betreiben den Fuchs- und Zobelf'ang, und sind die eigent-
lichen Handelsleute von Ostsibirien. In grossen Karawanen ziehen
sie mit ihren Familien und dem ganzen Hausrathe auf Ronnthier-
schlitten nach dem Markt von Obtrownoje (wozu sie bisweilen funf
Monate brauchen), wo ein sehr lebhafter Tauschhandel getrieben
wird. Am armseligsten leben an den Kiisten des nordlichen Eis-
meeres die Samojeden, welche von Fischen, Vogeln, wilden
Rennthieren, Wallfischen, welche die Wellen an die Kuste spulen,
leben. Auf Kamtschatka lebt das Jiigervolk der Kamtschadalen;
auf der Kir gi sen steppe, zwischen dem Ural, dem kaspischen
See und dem Irtisch, wohnen die nomadischen Kirgisen. Diese
Hochebene mit salzigera und steinigem Boden, von herrlichen Triften
unterbrochen, begunstiget die Viehzucht. Europai^che Kultur findet
sich imr unter den freien Kolonisten und Arbeitern, eowie den aus
Russland hieher Verbannten.
Der Ackerbau wird wegen des rauhen Klimas und des
unwirthlichen Bodens nur wenig betrieben und liefert in den sud-
lichen Theilen Tabak, Hiilsenfruchte, Getreide, Hanf, Siissholz und
Hopfen. Wichtiger sind die Produkte aus dem Thierreich,
namentlich kostliches Pelzwerk (Zobel, Hermeline, schwarze und
blaue Fiichse, Rennthierfelle u. a.), Rosshaute und Rosshaar, Talg,
kirgisische Ziegenfelle, deren weiches langes Haar zu Kamelgarn
versponnen wird, Eiderdunen, Honig und Wachs, Fische und Thran,
Mammuthszahue (fossiles Elfenbeiu) und dergleichen. Sehr umfang-
reich und ergiebig ist der Bergbau auf edle und unedle Metalle,
welcher theils auf Rechnung der Krone, theils von Privaten betrieben
wird. Der grosste Reichthum findet sich iin nordlichen Ural, um
Jeniseisk, im Altai und im Gebirge von Nertschinsk. Gold liefern
der eibirische Ural, die Waschereien um Jeuiseisk und der Altai
(iin Ganzen jahrlich etwa 1200 Pud); Silber, hauptsachlich aus den
Gruben im Altai, im Kolywan'schen (Barnaul) und Nertschinski-
schen Huttenbezirke (jahrlich iiber 1500 Pud); Kupfer langs des
ganzen Altai (Nertschinsk); Eisen im Ural und Altai, viel Salz
aus den Seen der Gouvernements Tomsk und Irkutsk, sowie in der
Kirgisensteppe ; endlich Blei (Nertschinsk), Edel- und Halbedelsteine,
Alaun, Schwefel u. a. m. Von gewerblicher Industrie im
europaischen Sinne kann hier, wo ein grosser Theil der Bevolkerung
noch ein Nomadenleben fiihrt, und auch die ansassigen Stamme
einen geringen Kulturgrad mit wenig Bediirfnissen einnehmen, keine
Rede sein. Nur in den Hauptorten Irkutsk, Tobolsk und Tomsk
kommen gewerbliche Beschaftigungen vor. Am staiksten ist die
Verarbeitung der Metalle.
Der Handel ist im Allgemeinen ziemlich ansehnlich. Im
Inneren werden die Produkte des Sudens (Getreide, Webewaaren)
gegen jene des Nordens (Pelzwerk) ausgetauscht. Der Waarentraus-
port geht auf den Fliissen und dem Baikal-See, der mit Dampf-
schiffen befahren wird, aber auch auf Schlitten, welche im Westen von
Pferden, im Norden von Rennthieren, in Kamtschatka von Hunden
gezogen werden. Auch mit den Kirgisen und Tataren werden von
Jeniseisk und Tomsk nach Buchara und Chiwa Verbindungen unter-
halten. Nach dem europaischen Ruseland geht der Waarenzug iibar
Perm, Kasan, Nishnij-Nowgorod nach Moskau. Von besonderer
Wichtigkeit ist der Verkehr mit China in dem Grenzort Kjachta.
Bedeutendere Orte sind:
1. Westsibirien (Gouvernements Tobolsk und Tomsk) : Tobolsk (20.000) am
Einflusse des Tobol in den Irtisch, Sitz des Generalgouverneurs. Lebhafte
Gewerbsindustrie in Gerbereien, Seifensiedereien, Zeugwebereien u. a. m. Diese
Produkte gehen durch ganz Sibirien. Hauptniederlage fur das Pelzwerk, wel-
ches als Tribut an die Krone entrichtet wird; — fur den europaisch-sibirischen
Handel ist von Bedeutung Tjumen (an der Tura) an dor grossen Strasse
von Moskau nach Kjachta, wo auch der beste Juchten und sehr gute Decken
erzeugt w'erden; — Barnaul (10.000) mit dem Sitze Ues Kolywau'schen
Huttenbezirkes (Silber, Kupfer, Blei und Edelsteine); — Kolywan (bedeu-
tender Bergbau), Omsk, wichtiger Tauschhandel mit denKirpisen; Tomsk,
mit vielcn Juchtenfabriken und Zcugdruckereicn , einer der Hauptplatze fQr
408
den russisch-chinesischen Handel. B e r e s o w , einer der hiirtes ten Verban-
nungsorte.
2. Ostsibirien (Gouvernements : Irkutsk, Jeniseisk, Jakutsk, Oschotsk) : Ir-
kutsk (25.000 Einw.; — 800 Meilen von St. Petersburg, 300 Meilen von
Peking, nur einige Meilen vom Baikal-See entfernt) ; Sitz des Generalgouver-
neurs von Ostsibirien. Mittelpunkt des ganzen sibirischen Handels und Haupt-
niederlage fur den russisch-chinesischen Handel. Hauptcomptoir der russisch-
amerikanischen Handelsgesellschaft ; — grosse Magazine fur die Pelzwaaren
der Nordwestkiiste Amerikas und des nSrdlichen Sibirien. — Das Gewerbe-
wesen ist verhaltnissmassig sebr vorgeschritten, auch bestehen mebrere Fa-
briken (Tuch-, Glas-, Steingutfabriken, Branntweinbrennereien , Gerbereien u.
s. w.); — ferners eine Scbiffahrtsscbule (worin chinesisch und japanisch ge-
lehrt wird), ein Gymnasium, mit Bibliothek und Naturaliensammlung n. a. —
Kjachta, nur durch den Bach gleichen Namens von der chinesischen Stadt
Maimatschin getrennt, mit 4000 Einwohnern, grSsstentheils Kaufleuten; Haupt-
Handelsplatz Busslands mit China; zahlreiche Agenturen der rsichsten Han-
delshauser aus Petersburg und Moskau ; im Dezember grosse Messe, auf wel-
cher jahrlich Waaren im Werthe von mindestens 30 Millionen Eubeln umge-
tauscht werden. Die nach China bestimmten Waaren werden zumeist aus
Moskau bezogen und nehmen den Weg uber Tinmen , Tomsk und Irkutsk ;
der 900 Meilen l»nge Weg wird in 70—80 Tagen zurQckgelegt, wobei die
eisfreien Fliisse und der Baikal-See benutzt werden ; die von der Messe zu
Nishnij-Nowgorod nach Kjachta bestimmten Waarentransporte gehen direkte
fiber Kasan und Orenburg zu Lande bis Kjachta. Die Bussen bringen hieher:
Pelzwerk, Tuch, Wollenzeuge, Baumwollsammt, Leinwand, Leder, Eisen- und
Stahlwaaren, Glas, Spiegel und dergleichen ; — die Chinesen geben als Tausch-
waare den Russen : Thee (Karawanenthee, jahrlich an 200.000 Pud, iu Kisten
a 2—3 Pud), Seide und Seidenstoffe, Nanking, Porzellan, Edelsteine , Silber
und Goldstaub, Farben, Tusche, Droguen u. s. w. Die Erzeugnisse Chinas ge-
hen meist nach Moskau, St. Petersburg, Nishnij-Nowgorod und Kasan. — In
der Umgegend von Krasnojarsk (4000) und Jeniseisk (6000) befinden
sich reiche Goldwaschereien; in letzter Stadt wird auch eine stark besuchte
Messe gehalten. — In der Nahe des strengen Verbannungsortes Nertschinsk
(an der Schilka) sind sehr wichtige Silber- und Bleibergwerke. Jakutsk an
der Lend, Stapelplatz der ostsibirischen Bauhwaaren, Sammelplatz der Jager;
lebhafte Messen vom Juni bis August und im Dezember. Die vor der Nord-
kuste von Sibirien gelegene unbewohnte Inselgruppe Neu-Sibirien wird
nur von Jagern und Fischern wegen des Beichthums an Pelzthieren und Fi-
schen besucht. Grosse Mengen von Treibholz und fossilen Knochen vorsiind-
fluthiger Thiere. — Nikolajewsk, unweit der Amur- Mundung, Kriegs- und
Freihafen, wichtig fur den sibirischen Handel auf dem Amur, welcher schon
mit Dampfschiffen befahren wird; — Ajan, am ochotzkischen Meere , be-
deutender Stapelplatz fur den Waarenverkehr des russischen Nordamerika mit
China ; — der fruhere Hafenplatz O c h o t z k hat seine Bedeutung verloren.
— Petropawlowsk, Hanptort von Kamtschatka, der schSnste Hafen auf
der asiatischen Ostkuste und einer der schonsten auf der Erde.
Zum Am u r 1 a n d gehoren die Landschaften auf dem linken Ufer des Amur
vom Zusammenfluss der Schilka mit dem Argun bis zum AusflusS des Ufferi.
In den Sommermonaten wird der Fluss von Dampfern befahren ; 1'angs des
Flusses und zu beiden Seiten seiner Mundung sind Forts angelegt. Hauptort
ist Blago weschtschensk, am Einfluss des Sejo in den Amur.
3. Die vulkanischen Inselgruppen der Kuril en und A leu ten sind nur
von Jagern und Fischern bewohnt, und fur den Fuchs - und Seeotternfang
wichtig.
4. Die Kirgisensteppe (zwischen dem Ural, dem Caspi-See und dem Irtisch)
umfasst eine vielfach salzige und steinige Hochebene mit einem Flachenraume
von beilaufig 25.000 QMcilen, auf welcher 2 bis 3 Millionen nomadisirende
Kirgisen mongolischen Stammes leben. Viehzucht (schone Pferde , viel
Bindvieh, Kameele, Schafe) bildet die Hauptbeschaftigung der Nomaden, welche
in Zelten oder Filzhiitten leben, in Horden sich unterscheiden, derenjede nnter
einem Khan steht. Bussland ubt die Oberhoheit aus und halt hier standige
Besatzungen. Die Kirgisen leisten den Karawanenzagen grosse Dienste, indem
sie Lastthiere herbeischaffen und als Wegweiser durch die Steppen dienen.
Die Staaten von Afrika.
§. 163, Staatenbildnngen.
Die auf beiliiufig 200 Millionen Seelen geschatzte Bevolkerung
dieses vielfach noch unerforschten, weil schwer zuganglichen Erd-
theiles steht, in unabhangige Stamme zertheilt, unter einheimischen
Herrachern, oder unter der Botmassigkeit europaiacher Nationen.
Die unabhangigen Stamme bilden eine sehr grosse Menge ab-
geaonderter, mehr oder minder geregelter Gemeinden mit den ver-
schiedenartigaten Regierungsforrnen , die im Allgemeinen entweder
patriarchal! s che Verbindungen oder roheDeapotien aind.
Die unter fremden Herrachern stehenden Lander aind theils V a a a 1-
lenstaaten derTiirkei, theila Be sitzungen europaischer
Nationen und des Imam von Maskat.
Bei der sehr unvollstandigen Kenntnias des Erdtheilea im All-
gemeinen iat die Kenntnias der Begrenzung der einzelnen Staaten
begreiflich hochst mangelhaft ; eine Eintheilung Afrika's nach poli-
tiachen Beziehungen iat demnach nicht auafuhrbar. Nur die geo-
graphiache Vorfuhrung der Lander gibt einen uberaichtlichen Zu-
I. Vicekonigreich Aegypten.
§• 164.
A. Aegypten. — Das unter turkischer Oberhoheit stehende
Vicekonigreich Aegypten besteht aus dem eigentlichen Aegypten
mit einer Flache von beilaufig 9000 QMeilen und einer Bevolkerung
von 3 Millionen, und aus Nubien (mit Senaar und Kordofan) mit
nahezu 19.000 QMeilen und etwa 1 Million Einwohnern. Die Gren-
zen des Vicekonigreiches sind: im Osten daa rothe, im Norden
das mittellandiache Meer, im Westen die lybische Wiiate und im
Siiden die Negerlander am obern Nil. Daa eigentliohe Kulturland
ist das etwa 112 Meilen lange, im Oaten und Weaten von oden,
wasaer- und pflanzenlosen Gebirgen begrenzte Nil thai; diesem
Fluaae verdankt das Land seine ganze Bedeutung. (Siehe §. 47,
Seite 62, ,,der Nil"). Durch die auf 15—16' steigende Ueber-
schwemmung (Juli — September) wird die Thalaohle reich befruchtet ;
zahlreiche Kanale, Damme und Basains, theils aua alterer Zeit
stammend, theila auagefuhrt durch Pascha Mehemet-Ali, der sich
grosse Verdienste um das Bewasaerungsaystem erworben, leiten das
Wasaer in die entfernteren Gegenden und verhindern den zu raschen
Abfluas. Unter den Kanalen ist der Mahmu dieh -Kanal von
grosser Wichdgkeit; er beginnt am weatlichen Nilarme (Rosette),
endigt bei Alexandria, und leitet in dieser Art den Handel nach
Alexandria. Das Land hat mehrere kleine Seen, darunter den Ka-
410
run (Moris) und einige Natron-Seen westlich vorn Nil in Unter-
agypten. — Das Klima ist iin Nilthale sehr warm; Siidagypten,
mit dem trockenen, heissen, fast fortwahrenden Sommer, gehort zu
den heissesten Landern der Erde ; in Unteragypten regnet es in der
kiihlen Jahreszeit (April bis Oktober) haufig. Landplagen sind:
der aus dein Suden koinmende gefahrliche Wind Chamsin ; in Unter-
agypten haufig die Pest, sowie Heuschreckenschwarrne, Augenent-
zundungen u. s. w.
Die Mehrzahl der Bewohner wind muhamedanische Araber,
grosstentheils Ackerbauer (Fellahs), nur zum kleineren Theile
nomadisirende Beduinen ; ausserdem gibt esKopten, Nachkommen
der alterj Aegypter, dann Tiirken, Juden und christliche Europaer.
An der Spitze der Regierung steht der Fascha oder Vicekonig
von Aegypten mit unumschrankter Macht , dem auch die Verwal-
tung von Nubien, Senaar und Kordofan Cibertragen ist, und der an
die Pforte einen jahrlichen Tribut von 60.000 Beuteln) = 3,600.000 Gul-
den) bezahlt. Die Statthalterschaft ist erblich in der Familie
des gegenwarti.gen Vicekonigs.
Politische Eintheilung.
1. Unteragypteii : Alexandria (uber 80.000 Eimvohiier, darunter an 15.000
Franken), Hauptstapelplatz Aegyptens t'tir den auswartigen Handel und einer
der wichtigsten Handelsplatze im Oriente. Sitz der fremden Handelskonsulate.
Dampfschiffahrtsverbindungen mit den Liindern des Mittelmeeres (Marseille
Triest, Konstantinopel, Smyrna) und Verbindungsglied in der englisch-ostinJi-
schen Route. Eiseubahn fiber Kairo nach Suez. — Damiette (28.000) aui
ostlichen und Rosette (15000) am westlichen Nilarm. Zwischen diesen bei-
den Hafenstadten liegt das Nil-Delta, eine uniibcrsehbare, von unzahligen
Kanalen durchscbnittene, hochst fruchtbare und gut angebaute Ebene, mit
vielen Ortschaften. Weizen, Mais, Reis, Hirse, Hanf, Flachs, Baumwolle, In-
digo, Zuckerrohr, Datteln, Feigen und andere Sudfruchte gedeihen in grSsster
Fulle. Indigofabriken, sowie die Bixumwollen- nnd Seidenkultur liefern eine
starke Ausfubr. — Zwischen Rosette und Alexandria liegt das historisch merk-
wiirdige Dorf Ab ukir.
2. mittcliigypten : Kairo (Kahira, 300.000 Einwohner;, die grosste Stadt in
Afrika. Residenz des Vicekonigs, mit grossen Platzen (aber engen, ungepfla-
sterten Strassen), prachtvollen Moscheen (an 300), uber 700 otfentlichen Ba-
dern, Cisternea u. s. w. ; einer polytechnischen Sehule mit europitischen Leh-
rern. Mittelpunkt des ausseiordentlichen Veikehrs mit Laudesprodukten und
den Industrie-Erzeugnissen dieser fabrikreichen Stadt, sowie des Handels mit
den afrikanischen Landern, mit Arabien und Indien. Fast der gesammte Han-
delsverkehr bewegt sich in der Vorstadt Bulak, wo sich nebst grossen Korn-
hausern, Seiden- und Kattunfabriken befinden, sowie der Nilhafen und die Ma-
gazine fur Waaren, die aus den siidlichen Landern kommen und dann nach
Alexandria oder nach Damiette und Rosette gehen. Gegenuber von Kairo am Nil
liegt der gewerbreiche Ort Gizeh, in dessen Niihe die drei hochsten der nodi
vorhandeuen Pyramiden und die grosse Spbynx. Die ganze Umgegend ist ein
weites Muinienfeld mit Grotten, in Schutthiigel verfallenen Pyramiden. — Suez,
eine kleine Hafenstadt (mit 2000 Einwohneru) am rothen Meere, bedeutend wegen
der Dampfschiffahrtsverbindung der englischen Route Bombay - Alexandria *).
*) Die Landenge von Suez ist nur 17% Meilen breit und die schon im Alterthume
angeregte Durchstechung derselbcn zur Verbindung des rothen Meeres mit dem mit-
tellandischen ist in neuester Zeit wieder ernstlich aufgegriffon worden. Der projek-
tirte Kanal wurde 23 Kilometer lang werden, in einen kunstlichen Hafen im Mittel-
meere miinden und etwa 200 Millionen Francs kosten. Der Weg nach Ostindien
wurde um etwa die Halfte abgekurzt und die Fra^htkosten verminderten sich um
beilaufig 48 Francs per Tonne.
411
— F a y u m (Arsinog, 15.000 Einwohner) in der schonen and fruchtbaren, durch
die Kosenkultur und das RusenSl beriihmten Landschaft gleichen Namens am
linken Nilufer; in der Nahe die Ruinen des Labyrinthos uud der Riesendamme
des Sees Moeris.
3. Oberfigyptcil : Siut (20.000), Sammelplatz der Rarawanen aus Nubien uud
Sudan; dessgleichen Esneh am linken Nilufer. Kosseir am rothen Meere,
der Einschiffungsort fur Mekkapilger | ansehnlicher Handel mil Aiabien. —
Assuan, die sudlichste Stadt in Aegypten ; die letzten Nil-Katarakten, wel-
che indess bei hohem Wasserstande beschifft werden. Bei den Dorfern L u-
xor and Karnak die grossartigen Ruinen des ,hundertthorigen Theben."
In der wQsten Ebene von Westagypten kommen mebrereOasen vor, reich
an Datteln nnd Edelfriichten, und als Stationsplatze fur die Karawanen be-
merkenswerth Die sesshifte BevClkerung lebt hauptsachlich von Datteln,
zahlt damit ihren Tribut und treibt auch damit Handel. Die wichtigsten
Oasen sind: die grosse oder Oase von Chardscheh (die sQdlichste): die
kleine oder Oase von Bacherieh (nOrdlicher); die Oase von Siwah (im
Alterthuin mit dem Orakel des Jupiter Ammon), die westlichste.
B. Nubieu mit Seuaar und Kordofan. — Die grosse
Hochebene , welche sich von Oberiigypten bis zum Alpenlande
Habesch zwischen dein rothen Meere und der lybischen Wiiste
ausbreitet, und in welche das Nilthal ziemlich tief eingegraben
ist, hat im Suden hinreichende Bewasserung, eine reiche Vegetation
mit dichten Waldungen; Mittel- und Nordnubien dagegen sind eine
unermessliche Sandwu'bte, die heissesten , regenlosen Landstriche
auf der Erde (monatelang iet die Tageshitze -f 35 bis 45° R). Der
Nil, welcher das Land durchfliesst, ist wegen des starken Gefalles
und der vielen Kafarakte zur Schiffahrt wenig geignet; durch
seine Ueberschwemmungen befruchtet er jedoch, wie in Aegypten,
das nicht sehr breite Thai. — Die Bevolkerung gehort dem muha-
medanischen Nuba Stamme an; doch gibt es auch andere noma-
dische, meist eiugewanderte Stamme arabischer Abkunft.
Bemerkenswerthe Orte sind:
Char turn (30.000 Einwohner) am Zusammenfluss des weissen und blauen
Nil, Sitz des Gpuvorneurs, eines oster reic hi schon Konsulates uud
einer katkolischen Missionsanstalt; der bedeutendste Handelsplatz fur Nubien
und den Suden; — (am Nil): Metemmeh, Stationsplatz der Karawanen zwi-
schen Chartum and Dongola, mitLeder- und Indigo-Manufakuiren : Schendy,
ansehnlicher Sklavenmarkt; — Darner am Einflusse des Atba:a in den Nil;
Neu-Dongola, bedeutender Handelsplatz; — Korosko, der nOrdliche
Ausgangspunkt der Karawanen durch die grosse nubische Wiiste. — Am
rothen Meere ist Suakim ein wichtiger Hafen fur den Handel mit Arabien.
— Im Senaar liegt die ehemalige Hauptstadt Senaar aoa blauen Nil; in
Kordofan die bedeutende Handelsitadt El Obeid (20.000).
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die wichtigste Nahrungsquelle der Bewohner dieser Land-
striche ist der Ackerbau, obwohl in Aegypten kaum 10% der
Area eigentliches Kulturland siud; auch in Nubien ist die Boden-
kultur auf das Nilthal beschrankt und auf die Utberschwemmung
des Flusses angewiescn. Ehemala bildeten Weizen und Gerste,
wulche in ungeheurer Menge gewonnen und nach It alien uud Grie-
chenland ausgefiihrt wurden, die Hauptprodukte; jetzt ist der Er-
tragswcrth der Baumwollen- und Re ispflanzungen ein grosse-
rer, obgleich der GetreiJe-Export noch immer bedeutend ist. Bei
dem herrschenden Systeme , dass der Pasch i als Besitzer alles
Grundeigenthurns und der Fellah nur als Bjwirthschifter ango-
sehen wird ; dass die Regierung gegen einen von ihr festgesetzten
Preis die Ablieferung des Ertrages verlangen kann ; dass sie bestim-
men kann, welche Produkte gebaut werden sollen u. s. w. ist die
Lage der Ackerbauer trotz des gunstigen Klimas und des frucht-
baren Bodens eine hochst durftige. Nebst den erwahnten Hauptpro-
dukten sind Indigo, Zucker, alle Hills enfriichte, Tabak, Hanf und
Flachs, Safran, Saflor, Krapp, Gummi, Datteln und edle Sudfruchte
wichtige Produkte. — Von animalischen Produkten bilden
Haute und Felle, Straussfedern, Elephantenzahne nennenswerthe Ex-
portartikel. Von Mineralien kommen in den Handel Salpeter,
Salmiak, Salz, Natron ; grossen Reichthum hat das Land an scho-
nem Granit, Porphyr und Sandsteinen ; Gold und andere Metalle
fehlen fast ganz.
Die Industrie verdankt (sowie der ausgedehntere Landbau)
dem verstorbenen Pascha Mehemet AH ihr Entstehen. Er legte
Fabriken, besonders Baumwollen-, Leinwand-, Wollen- und Seiden-
fabriken in grossem Massstabe an, von denen jedoch einige bereits
eingegangen sind; aber es bestehen noch mehrere Staatsfabriken
fiir Indigo, Zucker, Rum, Alaun, Salpeter. Bei dem Mangel an
Metallen und an Heizmaterial und dem Monopol der Regierung
nimmt ubrigens die kiinstlich hervorgerufene Industrie nicht den
gehoftten Aufschwung.
Die Lage des Landes ist dem Handel ausserst giinstig ;
es ist die natiirliche Niederlage zwischen Europa und dem gesamm-
ten Oriente. Alexandria und Kairo gewinnen im Welthandel wie-
der an Bedeutung, seitdem das Abendland dem Wege iiber Suez
nach Indien seine Aufmerksamkeit zuwendet. Alexandria vermittelt
den Verkehr mit Europa , Damiette mit Syrien , Suez ist Stations-
platz fiir Indien und Kosseir fur Mekka und Arabien. Nachst dem
Seehandel ist der Landhandel von Bedeutung. Grosse Karawanen
bringen aus den westlichen und sudlichen Landern die Produkte
nach den grosseren Stapelplatzen, welche theils auf Nielbarken,
theils mittels Karawanen nach den Hauptsitzen des Handels be-
fordert werden. Die bedeutendsten Exportartikel sind; Baum-
wolle (jahrlich an 200.000 Zentner), Reis, Weizen und Gerste,
Hiilsenfruchte, Indigo, Hanf und Flachs, Datteln, Salpeter und die
friiher erwahnten Produkte. Importirt werden (aus Europa): Bau-
und Brennholz , Bergwerksprodukte , alle Arten von Fabrikser-
zeugnissen, besonders Webewaaren , Porzellan , Glas , Kurzwaa-
ren ; (aus Asien) : Seide, Shawls, Balsam, Kaffee ; aus dem Innern
Afrikas : Elephantenzahne , Datteln, Wachs, Tamarinden, Gummi
u. a. m.
Sowie Mehemet Ali durch Einfuhrung von Fabriken euro-
paische Zustande hervorzurufen suchte ; so erstrebte er dasselbe
Ziel, indein er Schiffswerften und Arsenale errichtete, Dampfschiffe
anschaffte, Hospitaler, Schulen und Buchdruckereien grundete,
junge Aegypter zur Ausbildung nach Europa schickte, und die
Arrnee mehr oder weniger auf europaischen Fuss setzte. Im
Ganzen hat das Land in den letzten vierzig Jahren eine gewisse
Kultur, Selbststandigkeit und grossere kommerzielle Bedeutung
erlangt.
413
II. Habesch oder Abyssinien.
§, 165.
Im Suden von Nubien und westlich vom rothen Meere er-
hebt sich als der nordostlichste Vorsprung des grossen siidafrika-
nischen Hochlandes das Alpenland Habesch oder Abyssinien.
Die Grosse wird zwischen 10 und 15.000 nMeilen> die Bevolke-
rung auf 4 bis 5 Millionen geschatzt. Auf 6 — 10.000' hohen Gras-
flachen erheben sich Gebirge mit Gipfeln uber 14.000'; im Osten
fallt das Bergland zur schmalen, heissen Kustenebene Samhara ab,
im Westen und Nordwesten ist es von der Sumpf- und Waldregion
Kolla begrenzt. Unter den Alpenseen ist der grosste der Ts ana-
See auf dem Plateau von Dembea; von den zahlreichen Fliissen
sind bemerkenswerth der blaueNil, der Takazze und der
A'tbara, welche hier ihre Quellen haben. — Das Klima ist in
den Thalern und an der Seekuste sehr heiss; in den mittleren Ge-
birgsgegenden und auf den Hochebenen gemassigt, angenehm milde
und sehr gesund; im Hochgebirge ist es rauher. Die tropischen
Regen, oft von furchtbaren Hagelwettern begleitet, bewirken Ueber-
schwemmungen der Fliisse.
Im Norden wohnen die braunen Abyssinier kaukasischer
Race ; das herrschende Volk sind jedoch die aus dem JSuden vor-
dringenden Galla-Stamme. Erstere sind koptische Christen, letz-
tere theils Moslim , theils noch Heiden ; die wildesten sind die
S c ha a gal la- Neger in der Sumpf- und Waldregion, welche
Fetischdiener sind. Am Takazze wohnt seit Jahrtausenden ein
zahlreicher Stamm Israelite n. — Die alten Konigreiche Tigre,
Goudar und Schoa wurden in neuester Zeit vereinigt, und der
neue Beherrscher ^Kaiser Theodor I." ist Regent von ganz Ha-
besch. Er befordert den Landbau und ist fur die Verbreitung der
Civilisation und des Christenthums sehr thatig.
Das Land ist im Ganzen sehr fruchtbar, der Ackerbau
jedoch stark vernachlassigt» Cerealien, Tabak, Baumwolle, Farb-
holzer und Droguen sind die wichtigsten Produkte ; die Landschaft
Kafa (im Siiden) soil dem Kaffee, der hier vorzuglich gut ge-
deiht und hier sein Vaterland haben soil, den Namen gegeben ha-
ben. Die Viehzucht ist in diesem Alpenlande bedeutend; da-
gegen die gewerbliche Industrie kaum nennenswerth. Ver-
haltnissmassig am starksten sind der Bergbau auf Eisen , die
Verarbeitung der Metalle und Leder. Das Land hat keine Heer-
strasse, keinen schiffbaren Flues und nur die von Tiirken besetzten
Hafenplatze Arkiko und Massuah am rothen Meere; dessun-
geachtet ist der Zwischenhandel , sowie die Ausfuhr eigener Pro-
dukte (Baumwolle, Kafiee, Droguen, Elfenbein) ziemlich ansehnlich ;
importirt werden Manufakte, Glaswaaren, Zucker.
Bemerkenswerthe Orte sind:
(In der Landschaft Amhara): Gondar (10.000), Eesidenz des Abuna
(.unser Vater"), das ist des geistlichen Oberhanptes der Christen in Abys-
sinien.
(In der Landschaft Tigre, durch den Takazze von der vorigen getrennt):
Adowa (8000), die lebhattcstc Handelsstadt mit sehr geschatzten Baumwoll-
webereien. Westlich davon die Kuinen der alten Hanptstadt Axum.
4(4
(In der Landschaft Schoa, im s ados ilichs ten Theih): Angollola (4000)
und A n k o b e r.
Der Kfistenstrich Samhara versorgt Habesch mit Sulz} die Hafenplatze
des Landes sind bereits oben genannt worden.
III. Die Berberei
(oder die Barbaresken-Staaten).
§. 166.
A. Tripolis. — Im Westen von Aegypten zieht sich langs
dee Mittelmeercs von der grossen bis zur kleinen Syrte das unter
tiirkischer Oberherrschaft etehende Land Tripolis. Die Grosse
wird auf 8000 bis 14.000 QMeilen, die Bevolkerung auf ll/a bis
2 Millionen Meelen geschatzt. Zwischen Aegypten und der grossen
Syrte 1st das wiiste FeUenplateau von Barka rait einigen Oasen
und einem schmalen, fruchtbaren Kiistenstriche. Darch die Sultin-
Ebene von diesera Plateau getrennt ist das eigentliche Tripolis
rait einem niederen, sandigen Kustensaum und mit schlechten Hafen ;
gegen Siiden steigt es in mehreren Stufen zum Plateau von Ha-
mdda (2000'). Dieses ist fast durchgehends wasserlos, mit steppen-
und wustenartiger Bodenbeschaffenneit ; doch sind unterirdische,
durch Brunnen von wenig Fuss Tiefe erreichbare Waseerbecken
nicht selten. Die tiefen Thaler sind fruchtbarcr, besonders reich an
Datteln , Safran und Sudfriichten aller Art. Die Einwohner sind
unter den Bewohnern der Berberei die in der Kultur am meisten
vorgeschrittenen. Ihre Hauptbeschaftigungen sind Viehzucht
und Handel; erstere wird zumeist von den Beduinen, letzterer
als Kai awanechandel von den Mauren betrieben ; der Seehandel liegt
in den Handen der Italiener und Franzosen. Die Industrie ist un-
bedeutend, doch liefert sie Webewaaren, Metallwaaren, Waffen.
Hauptgegenstande des Handels sind europaische Manufakte, dann
die aus dem Innern Afrikas ankommenden und dorthin abgehenden
Waaren, als : Weizen, Oel, Vieh, Elephantenzahne, Wolle, Straussen-
federn, Saffian u. s. f.
Hauptort ist: Tripolis (25.000) mit einem befcstigten Hafen, der Mittel-
punkt des Waarenverkehrs mit Inner-Afrika. In Barka ist die Hafen- und Handels-
stadt Ben gas si.
Zu Tripolis gehoren auch die Oasen Fezzan (oder Fesan), Augila und
Gad am us. Die Oase Fezzan ist sehr fruchtbar, wird von Arabern und Ne-
gern bewohnt, und der Hauptort Mnrzuk (10.000) ist einer der wichtigsten
Handelsplatze der Wiiste, wo ans alien Bichtungen Karawanenzuge zusammen-
treSen; der Markt danert von Oktober bis Januar. — Die Oase Augila (sud-
licb von Barka) treibt starken Handel nach Kairo, vorziiglich geruhmt werden
die Dattdn. — Gadames mit dem gleichnamigen Hauptort ist der wichtigste
Platz anf der Strasse von Tripolis nach Tuat (in der Waste) and nach Murzuk.
II. Tunis. — Zwischen Tripolis und Algier liegt Tunis, etwa
3700 QMeilen gross und mit 2'/2 bis 3 Millionen Einwohnern,
meist Arabern und Mauren, deren Herrscher (Bey) fast ganzlich
unabhangig von der Pforte ist, obgleich letztere Tunis noch immer
als einen Vaeallenstaat betrachtet. Aus Algier streicht das b'etliche
Ende des A 1 1 a s - Gebirges ins Land, dessen letzter Auslaufer das
Kap Bon ist. Im Nordwesten ist das Land gut bewassert (unter
den Kiisterflufsen der Medscherda) und sehr fruchtbar; im Sii-
415
den des grossen Atlas ist die felsige Ebene Biledulgerid (Belad
el Dscherid = Dattelland). Der sehr ergiebige Boden liefert bei
einem meist herrlichen Klima trotz der nachlassigen Bebauung
sehr viel Oel, Cerealien und Fruchte aller Art, besonders Datteln
in grosser Menge, auch etwas Baumwolle. Bedeutend ist die Rind-
viehzucht, dann jene der Schafe mit viel und sehr feiner Wolle,
vortrefflicher Pferde und Dromedare. Die Industrie ist relativ
bedeutend, insbesondere sind bekannt die turkischen Mutzen (Fes),
gefarbte Saffiane , Seiden, und Wollenwaaren sowie schone Topfer-
waaren. Fiir den Seehandel, der fast ganz von Marseille be-
herrscht wird, sind wichtig: Tunis (100.000) und Susa; f iir den
Karawanenhandel K air wan (40.000). Die Handelsprodukte sind
wie in Tripolis.
Grossere Orte sind:
Tunis, die grosste und schonste Stadt in Nordafrica, mit ansehnlichen Fabri-
ken in Scide, Sammt, Tuch nnd Fes, und bedeutendem Handel. (Am Eingange
der Lngune ist der Hafen La Goletta ; in der Nahe die Kuinen von Carthago,
Utica, Thapsus). Die KQstenstadte : Biserta (8000), Susa (10.000), Mona-
stir (12.000) nnd Cabes (20.000), davor die Insel Dscherbi (vorziigliche Tucher
und Shawls); — im Innern : K air wan (nur Muselmanncr diirfen sich hier
aufhalten), Toser (20.000) am grossen Salzsee Melrir, mit bedeutender Woll-
manufaktur und grossem Dattelhandel ; N efta (18.000) erzeugt vorzugliche Haik
(Umschlagtucher) und ist einer der grossten Dattelmarkte.
C. Algier. — Ueber 10.000 nMe»en un(J beilaufig 3 Mil-
lionen Einwohner). Ln Westen von Tunis langs des Mittelmeeres
ist das (seit 1830) franzosische Besitzthum Algier. Das Land
ist sehr gebirgig, vora mittleren Theile des grossen und des kleinen
Atlas durchzogen. Gegen Nor Jen ist dem grossen Atlas das
gut bewasserte, fruchtbare Plateau Mdas Tell" vorgelagert, dessen
Abfall gegen die Kuste durch das vielfach durchbrochene Gebirge
des kleinen Atlas gebildet wird. Gegen Siiden senkt sich der
grosse Atlas zum Steppenplateau Biledulgerid. Zu dem hat
Algier viel« schone, iruchtbare Ebenen (Metidscha bei Algier,
Egres- Ebene bei Maskara) , mehrere Flussthaler und einen meist
sehr ergiebigen Boden. Unter den Kustenfliissen ist der Schelif,
das Tell durchfliessend, bemerkenswerth ; mehrere kontinentale Fliisse
versiegen im Sande oder ergiessen sich in die zahlreichen Salzseen.
In der algieriechen Sahara gelingt die Bohrung artesischer Brunnen
vortrefflich. — Der Sommer ist heiss und trocken , der Winter
reich an Regen und Gewittern, auf den Hochebenen strenge mit
Schneefall. — Die Bcvolkerung gehort grosstentheils dem arabischen
Stamme an, nachst ihnen sind am zahlreichsten die Berber (Ka-
bylen), Europaer diirften hier an 250.000 leben.
Trotz der Aufmunterung zur Kolonisation schreitet die Civili-
sation in Algerien doch nur eehr langsam vorwarts. Der eehr
fruchtbare Boden und die gunstigen klimatischen Verhaltnisse
liefern einen reichen Ertrag an Getreide, Tabak, Krapp, Hanf,
Wein, Oel, Gemusepflanzen, Friichten, BaumM'olle u. s. f. Die dich-
ten Waldungen enthalten grosse Mengen Baumaterial und ausge-
zeichnete Holzer fiir die Pariser Mobelfabriken. Die Viehzucht
ist bedeutend ; vor all em nimmt die Zucht der ausgezeichneten
Berberpferde grossen Aufschwung, das Schaf und Kameel erfreuen
416
eich besonderer Pflege, und die Kultur der Cochenille gewinnt stets
an Ausbreitung.
Ziemlich ansehnlich ist der Bergbau, die Eisen-, Kupfer-
und Bleierze sind von vorzuglicher Qualitat. Die gewerbliche
Industrie ist sehr unbedeutend ; erwahnenswerthe Manufakte
sind Teppiche, Mantel, Leder, Pferdegeschirr, Waffen und derglei-
chen. — Der Handel erreichte in den letzten Jahren den Werth
von etwa 180 Millionen Francs ; Frankreich hat wohl 90% des
Gesammtverkehrs in Handen. Die Kustenfahrt ist fiir alle Flaggen
frei, der Handel mit Frankreich aber ist an die franzosische Flagge
gebunden. Der Import aus Frankreich (von Marseille nach
Algier ) umfasst nebst alien Arten von Industrie - Erzeugnissen
(Baumwollen- , Wollen- , Seidenstoffe , Branntwein , Luxusartikel
etc.) auch Bauholz, Kolonialwaaren, Wein; zum Export (zumeist
aus dem Hafen von Bona) gelangen : Getreide , Oel , Tabak,
Baumwolle, Gernuse, Sudfriichte u. a. m. Sehr betrachtlich ist
auch der Getreidehandel nach dem Innern Afrikas , der (sowie
der Verkehr mit Marokko und Tunis) durch Karawanen vermit-
telt wird.
Das Land bildet ein franzosisches General - Gouvernement
mit militarischer Einrichtung und wird in drei Provinzen ein-
getheilt :
1. Algier.— Algier (100.000) befestigte Haupt- und Hafenstadt mit Arsenal,
Werften, Bank, Waarenborse, Handelskammer, mehreren Bazars; stark be-
suchte Messe im September; wichtigster Handelsverkehr (zumeist der Import)
mit Marseille. Auch die Industrie in Seide, Leder, Gewehren, Bijouterie-
\vaaren ist bedeutend.
2. Oran. — Oran (30.000) am Mittelmeer, bedentender Seehandel : — Mas-
kara, ehemalige Residenz Abd-el-Kaders ; — Tlemsen, umfangreiche In-
dustrie, Erzeugiing von Burnns, Haiks und Wollgiirteln.
3. Const an tine. — Constantino (30.000), wichtig wegen des Handels
nach dem Innern des Landes; — Bona (12.000) mit starker Korallenfischerei
und grossem E x p o r t geschaft nach Frankreich.
D. Marokko und Fez. — Im aussersten Westen der afrika-
nischen Nordkiiste ist der machtigste Berberstaat, das MKaiserthum
Marokko." Die Gesammtflache wird auf 10 bis 12.000 QMeilen,
die Bevolkerung zwischen 8 und 9 Millionen angenommen. Es ist
das hochste Bergland der Berberei. Der hohe Atlas, mit Gipfeln
bis 11.000', zieht sich vom Kap Geer von Siidwesten nach Nord-
ost; gegen den Ocean senkt er sich iiber ein gut bewassertes Berg-
land zur Tiefebene der Kuste herab; an der Nordkiiste erhebt sich
der kleine Atlas. Im Siiden des grossen Atlas ist das Steppen-
plateau Biledulgerid , und jenseits desselben beginnt die Sahara.
Von den zahlreichen Kustenflii ssen im Norden ist der Mulvia der
ansehnlichste, jene der siidlichen Abdachung verlieren sich meist
in der Wiiste.
Das Klima ist vortrefflich, der Boden, mit Ausnahme des
Wiistenstriches, fruchtbar und reich an Produkten ; doch steht der
Ackerbau noch auf sehr niederer Stufe. Nebst den Cerealien
gedeihen vorziigliche Hulsenfruchte und Sudfriichte (besonders Man-
deln), Oliven, Wein, Tabak, Baumwolle, Kork u. a. m. Ansehnlich
ist die Viehzucht; Kinder, Pferde, Schafe und Kameele sind
417
zahlreich; die ausgedehnte Bienenzucht liefert Honig und Wache
in grosser Menge. Unter den Industrie- Produkten ist das vor-
treffliche Leder (Maroquin von Marokko und Saffian von
Saffi) sehr beruhmt ; geschatzt sind ferners die Fee, Leibgurtel,
Teppiche, Seife, Topferwaaren, Metallwaaren, Waffen. — Der K a-
rawanenhan del geht hauptsachlich nach dem SQden, die Pilger-
karawanen nach Mekka sind in der Abnahme, da zumeist der See-
weg eingeschlagen wird. Fur den Seehandel nach Europa sind
wichtig Tanger, Rabat und Mogador. Exportirt werden die
erwahnten Erzeugnisse der Agrikultur und Viehzucht, Leder und
die aus Inner-Afrika bezogenen Waaren ; importirt werden euro-
paische Fabrikate und Kolonialwaaren. Mit vielen Produkten ist
der Handel Monopol des Sultans; der auswartige Handel ist gros-
sentheils in den Handen der hier zahlreich lebenden Israeliten (iiber
eine halbe Million).
Ansehnlichere Orte sind:
Marokko (80- bis 100.000 Einwohner) in einer fruchtbaren Hochebene mit
prachtvollen Gebauden, Bazars, Getreidemagazinen, bedeutender Maroquin- (Le-
der-) Fabrikation und ansehnlichem Karawanenhandel; — Fez (100.000 Ein-
wohner), zweite Hauptstadt, die wichtigste Industriestadt, besonders erheblich
ist die Fabrikation von Fes, Maroquin, Waffen ; — mit ausgebreitetem Handel; —
Mogador (12.000), der bedeutendste Seehandelsplatz, namentlich fur den eu-
ropaischen Handel; — Mekines (60.000), die jetzige Residenz des Sultans,
beruhmt als Sitz muhamedanischer Gelehrsamkeit und durch die reicheOelgewin-
nnng, sowie die Topferwaaren; — Tafilet mit lebhafter Industrie; wichtiger
Karawanenhandel nach dem Sudan; — Tatta (oder el Ass a) ist der Sammelplatz
fur die Karawanen nach Timbuktu; — (am Mittelmeere) : Tetuan in schOner,
gesunder Lage, bedeutend wegen des Handels mit Frankreich ("das ostliche Ku-
stengebirge ist der Sitz der beriichtigten Riff-Pirateo) ; — an diesem Meere liegen
auch die spanischen Kustenorte .Presidios" (siehe Spanien); — am atlantischen
Ocean sind die Handelsplatze Tanger, Rabat und Saffi.
Die Sahara.
§ 107.
Im Siiden der nordafrikanischen Hochlander breitet sich auf
einer Flache von mehr als 120.000 QMeilen vom atlantischen
Ocean bis zu den Bergwanden des Nilthales die grosste Wiiste der
Erde, die Sahara, aus. — (Siehe §. 36).
Die Vegetation ist in Folge der geologischen und me-
teorologischen Verhaltnisse eine dOrftige. Jede nur einigermassen
bewasserte Stelle nimmt die wichtigste Pflanze des Wiistenlandes,
die Dattelpalme ein. Dieser steht zunachst als wichtigste Nah-
rungspflanze die Doumpalme, dann folgen Akazien und Arte-
misien ; namentlich ist die Artemisienart Schih als Kameelfutter
und Brennstoff den Reisenden sehr wichtig. Die Thierwelt ist
ebenfalls schwach vertreten. Antilopen kommen nur in kleinen
Herden vor ; dagegen halten die Nomaden grosse Herden von
Kameelen, unter denen die unter dem Namen ^Mehari" beruhmte
Varietal durch Schnelligkeit und Ausdauer sich auszeichnet. (Man
legt mit den Mehari 15 deutsche Meilen per Tag, den Weg von
Marokko nach dem Senegal in 7 Tagen zuriick). Bei der gros-
sen Menge von Salzseen bildet Salz einen Haupthandelsartikel.
Kluo's Handels - Geogrraphle. 2. Aiifl. 27
418
Audi Salpeter, Natron, Alaun werden an mehreren Stellen ge-
wonnen.
Die Bevolkerung der Sahara ist zumeist nomadisch, treibt
Viehzucht und Handel; nur in den grosseren Oasen treiben sess-
hafte Stamme auch Ackerbau. Sie gehort drei Stammen an: langs
der atlantischen Kfiste bis zum Senegal hausen im Westen der
Wiiste die Beduinen (Mauren, Araber), in kleine Stamme zer-
theilt , die sich haufig befehden. Im mittleren Gebiete wohnt
der zahlreiche Berbernstamm der Tuarik; sie sind Fiihrer der
Karawanen, Makler, Kaufleute, behende Rauber. Im Osten sind
die T i b b u , die am weitesten gegen Norden und ostlich bis in
den agyptisch-nubischen Oasenzug, bis Darfur und Kordofan ver-
breitet sind.
Nur die O as en, die grossen Inseln in dem ausgedehnten
,,Meere ohne Wasser" haben fur die Menschheit grosseren Werth.
Einige derselben sind ziemlich bevolkert, haben 100 bis 300 und
mehr Ortschaften (darunter welche mit mehreren tausend Einwoh-
nern); sie sind die grossen Hafenplatzc der Karawanen, Die wich-
tigsten Oasen sind: 1. die drei grossen Oasen, eigentlich
Oasengruppen : Fezzan (oderFesan, zuTripolis gehorig) mit dem
Hauptorte Murzuk; — Tuat (mit fiber 100, nach Andern fiber
350 Ortschaften) mit der ummauerten Haupt- und Handelsstadt T i-
mimun (10.000 Einwohner) , dann den Orten Ain Salah (oder
Insalah) Agabli u. a. m. ; — Air (mit etwa 60 Ortschaften, u'ber
50.000 Einwohner) mit den Hauptorten A g h a d e s (8000, ehemals
50.000 Einwohner) und Tin Tellust. 2. Ausser diesen Oasen-
landern erstcr Grosse sind noch erwahnenswerth die Oasen: am
atlantischen Meere Arguin; ostlich davon Wad an (oder el Ho-
den), nordlich davon Gualata; Ostlich von der fruheren A r a u a n
(Timbuktu), Taodenni, Ghat (westlich von Fezzan) ; im Lande
der Tibbu: Bilma, mit dem Hauptorte gleichen Namens, mitgros-
sem Salzreichthume u. m. a,
Seit Jahrhunderten ziehen die Karawanen auf den namlichen
Wegen von Oase zu Oase, von Nord nach Slid, von West nach
Ost. Die Saharabewohner tauschen ihre Hauptartikel Salz und
Vieh an die Sudanbewohner gegen Getreide, Goldstaub, Elfenbein,
Sklaven und dergleichen aus. Letztere Artikel , sowie Gummi,
Alaun, Straussfedern tragen sie nach den westlichen und nordlichen
Kiistenstadten und holen sich von Europaern Wa£fen, Pulver, Klei-
dungsstiicke u. a. m. Die wichtigsten Stapelplatze fiir den aus-
wartigen Handel sind : St. Louis (am Senegal), Fez, Algier, Tunis,
Tripolis, Bengassi, Kairo und Suakim.
Die bedeutendsten Karawanen-Strassen sind:
(In siid-nordlicher Richtung): Von Marokko nach St. Louis langs der
Kuste; — von Marokko nachGalam am obern Senegal iiber die Oase Siid-Walat
(51 Tage); — der bedeutendste Handelsplatz und Mittelpunkt der wichtigsten
nordafrikanischen Karawanenstrassen ist Timbuktu, wohin von Marokko, Al-
gier und Tunis Strassen fiihren, und zwar von Fez und Marokko iiber El Assa
und die Oasen Nord-Walat (Gualata), Taodenni und Arauan ; bei Taodenni verei-
nigt sich mit dieser Strasse auch jene von Tripolis iiber die Oase Tuat (Agabli)
und hier miindet ferner die Strasse von Tafilet, also von Algier ein. Agabli
419
ist eine Hauptstation fiir die Karawanen von Algier iind Tunis nach Timbuktu.
— In der mittleren Sahara sind die Zielpunkte der Karawanen S6koto
(Sukatu, 20.000 Einwohner) und Kuka (am Tsad-See), die Ausgangslander
sind Tunis und Tripolis. Gadames in Tripolis ist der Vereinigungs- und Aus-
gangspunkt fur die beiden Kichtungen. Von hier geht die westliche Karawanen-
strasse iiber Tuat (Agabli) nach der Oase Asben (Aghades), wo auch eine
Strasse von Timbuktu und eine andere von Gadames iiber Murzuk einmiindet.
Von Aghades gabelt sich der Weg nach Sokoto und nach dem Tsad-See. — Der
zweite und der eigentliche Hauptweg aus Tripolis nach dem Tsad-See geht iiber
Murzuk und Bilma. Von Murzuk, dem Hauptvereinigungspunkte der nordafri-
kanischen Handels - und Pilgerkarawanen , geht auch ein Weg durch das Land
der Tibbu nach Wadai und weiter nach Darfur. — Von der Hafenstadt Ben-
gassi (am Fusse des Plateau von Barka) fiihrt ebenfalls ein Karawanenweg iiber
die Oasen Augila und Febabo nach Wadai und Darfur, auf welchem viele euro-
paische Waaren nach Inner- Afrika gelangen.
(In ost- westlicher Richtung) geht der nordliche Hauptweg von Ma-
rokko nach Aegypten am Fusse des Atlas iiber die kleinen Oasen und den Sta-
pelplatz Gadames ; — der siidliche von Senegambien iiber Timbuktu, Aghades
nach Nubien. Der letzte Weg wird jedochl minder benutzL
V. Sudan oder Nigritien.
§. 168.'
Siidlich der Sahara, von den Kustenlandern dea atlantischen
Oceans bis zu den Landern am obern Nil sind die Landschaften,
die man mit dem Kollektivnamen Sudan, Nigritien oderCen-
tral-Afrika bezeichnet. Ihre Ausdehnung nach dem Hochlande
Sud-Afrika's ist ganzlich unbekannt. Nach den bisherigen Erfor-
schungen konnen sie in drei grossere Gruppen geschieden werden:
1. Die west lichen Landschaften am Niger und dessen Zuflussen ;
— 2. die mittleren mit dem Binnenbecken des Tsad-Sees; —
3. die ostlichen am obern Nil.
Die Bevb'lkerung besteht aus zahlreichen eingeborenen
Negerstammen , Fetischanbetern der grobsten Art oder Muhame-
danern, und aus eingewanderten muhamedanischen Arabern,
Fulah, Tuariks und andern. Neben vielen Erbmonarchien mit dem
grossten Despotismus, deren Oberhaupter den Titel Sultan fiihren,
bestehen zahlreiche kleinere Staaten, in denen der Titel des Reiches
und des Hauptlinges gleich lautet. Diese Staaten leben in bestan-
digen Fehden unter einander.
Der grosste Theil des Bodens ist in den Sudan - Landern
fruchtbar und dem ziemlich stark betriebenen Ackerbau gQnstig.
Durra, Weizen , Mais, Reis , Hulsenfruchte, Tabak , Baumwolle,
Indigo, werden in bedeutender Menge gewonnen. Die Viehzucht
ist insbesondere bei der arabischen Bevolkerung eine Hauptbeschaf-
tigung (Dromedare, Kinder, Schafe und Pferde); die Seen und
Flusse sind reich an Fischen. Die Ausbeute an Miner alien ist
relativ geringer, doch bietet sie ziemlich viel Eisen, Kupfer, Zinn;
eintraglicher ist die Goldwascherei. Die Gewerbe sind mitunter
nicht ohne Bedeutung, namentlich die Verarbeitung der Baumwolle
und die Farberei verschiedener Stoffe mit Indigo , dann die Ver-
fertigung von Leder-, Holz-, einigen Metallwaaren und Thonge-
schirren, von Matten und andern Bedurfnissen des Haushaltes;
mehrere dieser Artikel werden auch in den Handel gebracht. Der
27*
Handel, zumeist ,in den Handen der Araber und Tuarik, wird
mittels Karawanen nach alien Richtungen verhaltnissmaesig lebhaft
betrieben und umfasst die beim Kara wanenhan del der Sahara er-
wahnten Artikel.
Die bedeutendsten Staaten sind:
(Von West nach Ost): Der Mandingo-Staat Bambaira am obera Niger mit
dem Hauptort Sego (30.000 E.).
Das Fellatareich Massina mit den Handelsplatzen Djenne (20.000), Tim-
buktu (13.000 ndie Konigin der Wiiste") und K&bara am Niger, der Hafen fur
Timbuktu.
Das Reich BortfU am Quorra-Fluss , Hauptort Bussa (15.000). An diesem
Flusse sind noch die Reiche Yarriba (rechts), Yauri und Nyfi (links).
Das grosse Fellatareich Haussa mit der gewerbreichen Handelsstadt S6koto
(25.000) und der Hauptstadt Wurno; einer der grbssten Marktplatze in Central -
Afrika ist Kan 6 (40.000).
Von den Reichen urn den Tsad-See ist am bedeutendsten Boriill, dessen Be-
volkerung auf 2 Millionen geschatzt wird. Hauptort ist Kuka (10.000), unweit
vom Westufer des Tsad-Sees, ein wichtiger Handelsplatz ; dessgleichen Angornu
(30.000 bis 50.000 E.).
Siidb'stlich vom Tsad-See im Gebiete desFlusses Schari ist das Reich Bagirmi
mit der Hauptstadt Masenja.
Im Nordosten vom Letzteren ist das noch wenig bekannte Reich Wadai mit
dem Hauptorte War a.
Zwischen Wadai und Kordofan Hegt das Reich Dariur (mit beilaufig 4 Mil-
lionen E.), dessen bedeutendste Orte Ten deity und Kobeh StationsplStze fiir
die agyptischen und nubischen Karawanen sind *).
*) Erforschuugsreisen in Central-Afrika. Die Kenntniss der central-afri-
kanischen Lander und Volker ist in unserem Jahrhunderte durch englische und deutsche
Forscher und christliche Missionare ungemein bereichert worden. Trotz der Miihse-
ligkeiten und Gefahren sind diese Helden des Glaubens und der Wissenschaft tief in
das Innere des Kontinentes vorgedrungen. Sind auch mehrere mitten in ihrer edlen
Wirksamkeit in fernen Landern dahingeschieden , so gelang es doch Einigen in ihre
Heimat zuriickzukehren und Kunde von unbekannten Landern uns zu bringen. Einige
derselben sind: Mungo Park (Englander) bereiste im Jahre 1796 die Lander der
Mandingo am Flusse Dscholiba (Niger), kehrte nach England zurtick, veroffentlichte
im Jahre 1799 seine Reiseberichte , ging im Jahre 1805 neuerdings nach Afrika, er-
reichte das Reich Haussa und ertrank wahrend einer Verfolgung im Flusse Quorra
unweit Bussa im Reiche Borgu. — Die Briider Richard und John Lander (Eng-
lander) bereisten die Nigerlander, stellten die Miindung des Niger in die Bai von
Benin fest, kehrten 1830 nach England zuriick, unternahmen 1832 eine zweite Reise,
beschifften den Niger und den Tschadda. Richard starb in Folge einer Schusswunde
auf der Insel Fernando Po (1834); John starb in England 1839. — James Richard-
son (Englander) und die Deutschen Heinrich Barth (geb. 1821) und Adolpli
Overweg (geb. 1822) reisten 1850 nach den Landern am Tsad-See. Allein Richard-
son starb am 4. Marz 1851 in Unguratua (sechs Tagreisen von Kuka in Bornu),
und Overweg im Jahre 1852 in Maduari, beide an klimatischen Einfliissen. Dr.
Barth durchforschte nun allein die Lander im Gebiete des Tsad-Sees, kam nach
Timbuktu, wo er vom 7. September 1853 bis 8. Juli 1854 verbleiben musste, kehrte
nach mancherlei Angst und Noth im Jahre 1854 nach Kuka zuriick und gelangte
gliicklich nach Europa. Am 8. September 1855 trat er in Marseille an das Land,
nachdein er in fiinf Jahren und fiinf Mouaten iiber 3000 deutsche Meilen zuriickge-
legt hatte. — Nach Overweg's Tode ging Dr. Vogel (geb. 1829 zu Crefeld) nach
Afrika. Er ging iiber Murzuk und Bilma nach dem Tsad-See, erreichte das Land
der Tibbu und Kanem und langte 1854 in Kuka an. Auf der Reise von Knka nach
Kano begegnete er unerwartet in einem Walde dem in Europa todt geglaubten Dr.
Barth. Nach kurzem Beisammensein trennten sich die deutschen Forscher. Vogel
setzte seine Reisen im Siiden des Tsad-Sees fort, zog dann nordostlich uud erreichte
1856 Wadai, das noch kein Europaer betreten hatte. Ob er in Wara vom Sultan
hingerichtet worden ist, wie einige Berichte aussagen, ist noch nicht erwiesen. — Der
englische MissionSr Dr. Livingstone erforscht das siidliche Central - Afrika. Er
421
VI. Lander und Staaten an der Westkuste.
§. 109.
A. Seiiegambieil. — Beilaufig zwischen deni 11. nnd 18.° n. Br. liegt an
der Kiiste des Atlantik und niit den Flussgebieten des Senegal, Gambia und Rio grande
die Landschaft Senegambien. Irn Innern Gebirgsland (K o n g - Gebirge), verflacht
sie sich gegen das Meer zum Tieflande, welches sumpfig, ungemein heiss und hochst
ungesund fiir Europ&er ist. Bei der reichen Bewasserung und der grossen Warme
entfaltet sich ein ungemein iippiger Pflanzenwnchs, so dass ein kunstlicher Ackerbau
fast unnothig wird. Ausser den Getreidearten gedeihen Tabak, Zuckerrohr, Pfeffer,
viele Pahnenarten; grossen Reichthum hat das Land an schonen Holzarten (Acajou-
Holz [Export nach Frankreich], der Gummibaum und andere). Im ausgedehnteren
Masse wird die Viehzucht betrieben; dieGewinnung vonEisen und Gold ist ziem-
lich bedeutend. Die gewerbliche Thatigkeit beschrankt sich auf die Verarbeitung
von Eisen und die Erzeugung von Baumwollstoffen, Leder, Thonwaaren und derglei-
chen. Der See- Handel ist in denHanden derEuropaer, welche hier Niederlassungen
besitzen und umfasst Gummi, Goldstaub, Elfenbein, Palmenol, Farb- und Bauholz und
andere ; — den Karawanenhandel nach Timbuktu und Sudan betreiben zumeist
die Mauren; der Sklavenhandel hat fast ganz aufgehort.
Senegambien ist von Negern bewohnt, welche in viele kleine Stamme und Reiche
sich theilen, und grosstentheils Fetischdiener sind. Die bedeutendsten Stamme
sind: die Joloffen zwischeri dem untern Senegal und Gambia ; die Mandingo
am untern Gambia und Rio graude ; die meist muhamedanischen Fulah am obern
Gambia und am Westrande.
Besitzungen der Europ&er:
1. F ranziisis ch e. — Meist am Senegal, der jedoch nur in der Regenzeit
(Juli bis November) schiffbar ist; wichtig vvegen der grossen Gummiwalder.
St. Louis (10.000 E.), an der Mnndung des Senegal, Stapelplatz fur den
Gummihandel. Bakel (am Senegal, im Inneren des Landes); Insel und Fort
Gore am Kap Verd.
2. Englische. — Bathurst (spr.'Bad'orst) an der Gambia-Mundung und einige
Faktoreien am Gambia (Georgetown, spr. Dschordschdtaun, St. James, spr.
Dschehms und andere).
3. Port ugies i sche. — Zwischen den Mundungen des Gambia and Rio grande.
Stationsplatze sind: Cachao (Eascheo oder Cacheu), Geba and die grosste
der B i s s a o - Inseln .
B. Ober -Guinea. — Unter Obor-Guinea versteht man den Kustenstrich von
11° n. Br. bis zum Aequator; nach dem Innern des Kontinentes zu lassen sich keine
bestimmteren Grenzen angeben. Die flache Kuste ist vielfach sumpfig und bei der
tropischen Hitze ungesund; im Innern streicht das K o n g-Gebirge , von dem einige
Auslaufer die Kiiste erreichen (die Vorgebirge: Kap Sierra Leone, Mesurado,
Palmas, der drei Spitzen und andere). Der wichtigste Fluss ist der Niger, der sich
in die Bai von Benin ergiesst. Gebrauchlich ist die Benennung der einzelnen
Kustenstriche nach ihren bedeutendea Export-Erzeugnissen : Sierra Leone -Kiiste,
Pfeffer- (oder K6rner-), Zahn- (oder Elfenbein-), Gold- und S kl a ven- Kiiste.
Der Bo den ist bei der langen Dauer der tropischen Regen und der grossen
Warme sehr fruchtbar, und liefert viele Nahrungs- und Handelspflanzen , namentlich
ebte 16 Jahre im Innern Afrika's, entdeckte den Ngami-See, den Oberlauf der Zam-
bese, den Quilimance und andere, bereiste die Ostkuste und veroffentlichte hochst
werthvolle Berichte. Jetzt soil er sich in den Landern am Nyassi-See befinden.
Von 6sterreicllischeii Reisenden sind beriihmt geworden : Russegger (geb.
zu Salzburg 1802) ging im Jahre 1834 nach Afrika, bereiste die Nil-Lander und ver-
offentlichte sehr gediegene Berichte. Der katholische Missionar Dr. Knoblecher
(geb. 1819 zu St. Canzian in Krain) fuhr auf dem weissen Nil bis 2° n. Br. und be-
griindete in Chartum eine katholische Mission. Er starb in Neapel bei seinem zweiten
Aufenthalte in Europa. Die osterreichischen Konsuln in Chartum Dr. Reiz (gestor-
ben in Chartum) und Dr. von Heuglin. Letzterer hat namentlich Abyssinien bereist
und werthvolle Berichte veroffentlicht ; er ist in den verschiedensten Beziehungen noch
immer in jenen Landern thatig. Die katholische Mission von Chartum dehnt ihre
segensreiche Wirksamkeit immer weiter nach Senaar, Kordofan und Darfnr aus, nnd
ist auch in wissenschaftlicher Beziehung ungeraein thatig.
422
Getreide, Zuckerrohr, Kaffee, Gewiirz- und Farbepflan/en. Die dichten Walder sind
reich an Farb- und Nutzholzem. Die Gewinnung von Gold ist betrachtlich , dess-
gleichen von Eisen (Sierra Leone). Die Hauptbeschaftigung bilden Feldbau, Jagd
und Fischerei. Gewerbe werden verhaltnissmassig am meisten im Lande der
Aschanti betrieben (Gewebe, Metallwaaren, Thongeschirre). Seit der Unterdriickting
des Sklavenhandels hat sich der Handel mit den Landeserzeugnissen, welche an
der Kiiste gegcn europaische Erzeugnisse umgetauscht werden, becleutend gehobec.
Fur den nach Timbuktu gehenden Karawanenhandel ist Kumassi (im Reiche
der Aschanti [Goldkuste]) Stapelplatz.
Unter den zahlreichen Negerstammen sind die bedeutendsten Reiche :
1. Reich der Aschanti (Goldkfiste), das grosste in Guinea, mit einigen Millio-
nen Einwohnern und dem Hauptorte Kumassi.
2. Das Negerreich Dahomeh (ostwarts an der Sklavenkuste) mit dem Haupt-
orte A b o m e h.
3. Das Negerreich Benin mit dem gleichnamigen Hauptorte.
4. Das Hochland der Amboser an der Bai von Biafra mit dem Hauptorte
Biafra.
5. Liberia, eine Republik christlicher Neger auf der Pfefferkuste mit
etwa 1400 Q Meilen und fiber 300.000 Einwohnern , wolche Ackerbau , Vieh-
zncht und Gewerbe treiben, auch einen lebhaften Handel unterhalten. Die
Republik, im Jahre 1821 von amerikanischen Burgern begrundet, hat eine der
nordamerikanischen nachgebildete Verfassung; sie ist der erste und einzige von
freien Negern verwaltete christliche Staat in Afrika, welcher einen sehr gliick-
lichen Fortgang nimmt, fur die Ausbreitung des Christenthnms und der Civi-
lisation sehr thatig und durch den freien Anschluss benachbarter Negerstamme
stets im Wachsen begriffen ist.
Besitzungen der Enropaer:
1. Englische. — Anf der Sierra-Leone-Ktiste: Freetown (spr. Frihtaun, 20.000)
fiir befreite Negersklaven ; Sitz des General-Gouverneurs. — Auf der Gold-
kuste: Cape Coast Castle (spr. Kep Kost Kassl , 10.000 Einwohner),
Christiansborg (vormals danisch) und andere.
2. Niederlandische. — Auf der Goldkuste: Elmina, Hollandia nnd andere.
3. Franzosische. — Auf der Zahnkiiste mehrere Forts.
C. Nieder-Gninea und Slid- Vfrika. — Nieder-Guinea ist der Kustenstrich
vom Kap Lopez bis zum Kap Frio (nordlich der Nevas-Bai) das ist 1°— 18° s. Br. ;
die Ausdehnung nach dem Tnnern ist ganzlich unbekannt. Vom Kap Frio bis zum
Kaplande sind die von Ho ttent ottenstammen (Buschmannern , Namaqna und
andern) bevSlkerten, wusten, wenig bekannten Landschaften , mit einigen Stations-
platzen christlicher Missionare*). — Das siidafrikanische Hochland fallt hier terassen-
formig ab ; die hOher gelegenen Landschaften zeichnen sich durch Fruchtbarkeit und
gesundes Klima aus, die Flachkiiste ist mehrfach sumpfig und hochst ungesund. Die
Produkte dieser Landstriche sind die namlichen wie in Ober-Guinea, namentlich wird
viel Reis, Maniok, Mais, Hirse und Tabak gebaut. Die Berge sind reich an Me-
tallen und Holzarten. Ungemein zahlreich sind hier die grossen Vierfasser. Die
schwarze BevOlkerung der Bunda-Stamme ist meistens trage, in fortwahrenden
Fehden unter einander, urn Menschen fur den Sklavenhandel zu erbeuten und
dem rohesten Fetischdienst ergeben.
Unter den einheimischen Reichen sind die bedeutendsten:
1. Loan go, vom Kap Lopez bis znm Za'ire-Fluss, mit sehr fruchtbarem Boden,
aus vielen kleinen Staaten bestehend, mit den StadtenLoango und Mayumba.
Exportartikel : Elfenbein, Gummi, FarbhSlzer.
2. Congo, reich bewassert, sehr frnchtbar, reich an Kupfer- und Eisenerzen im
Innern. Hauptort Congo (oder S. Salvador) am untern Laufe des Congo.
Portugiesische Besitzungen: Angola und Benguela mit beilauiig
600.000 Einwohnern. Hauptort Laonda (10.000), Sitz des General-Gouver-
neurs, dann S. Felipe de Benguela, Mossamedes. — Exportartikel:
Sklaven, Elfenbein, Wachs, Gummi, rothes Sandelholz und andere.
*) Siehe A. Petermaun's MKarte von Sud-Afrika zur Uebersicht der neue-
sten Entdeckungen etc." und E. Behm's wgeographische Skizze der neu erforschten
Regionen des Innern." Petermann's ^Mittheilungen" 1858. V.
428
VII. Das Eapland.
§. 170.
1. Das Kaplaml, eine britische Besitzung an der Siid-
spitze Afrika's mit etwa 6—7000 QMeilen und an 400.000 Einwoh-
nern, reicht vom Kaffernlande im Osten bis zum Atlantik , und
nordlich bis zum Oranje- (oder Garib-) Flusse. Das Hochland
Sud - Afrika's senkt sich von den Roggeveld - und Nieuweveld-
Bergen zur Karroo-Hochebene , welche dutch die schwarzen Berge
von der Kustenebene des Kaplandes geschieden ist. (Siehe §. 34.)
Daa Land 1st im Allgemeinen wasserarm, das Klima gemassigt,
die Luft ausserordentlich trocken und rein. Im Kaplande gibt
es zwei durch die herrechendeu Winde charakterisirten Jahres-
zeiten: den durch kalte, trockene Siidostwinde gemassigten Sommer
vom September bis April, dann den Winter (April bis September)
mit feuchten Nordwestwinden. Die Heidenvegetation ist sehr reich
und mannigfaltig, sonst gibt es wenig einheimische Nutzpflanzen;
dagegen gedeihen die hierher verpflanzten Gewachse und Hausthiere
vortrefflich. Ackerbau, Weinbau und Viehzucht bilden die
Hauptbeschaftigung der Kolonisten; insbesondere ist der Kapwein
(um Konstantia) beriihmt. Die Schaf- und Rinderzucht sind sehr
bedeutend. Die Hauptprodukte sind: Wolle, Weizen und
W e i n. An Mineralprodukten besitzt es: Salz im Ueberfluss, Sal-
peter , trefflichen Kalk , aber wenig Erze und Steinkohlen. Die
Gewerbethatigkeit ist eine geringe, dessgleichen der Handel nach
dem Innern.
Die Bevolkerung besteht aus Kolonisten und Einheimischen
(Hottentotten, Kaffern, Betschuanen und andere). Die Kapkolonie,
2000 Meilen (die in 50 Tagen zuruckgelegt werden) vom Mutter-
lande entfernt, fst fur dieses sowohl als ein stark konsumirender
Markt, als auch als Erfrischungsplatz und Entrepot fiir den See-
verkehr auf dem Wege nach Indien sehr wichtig. Der Import
aus dem Mutterlande berechnet sich im Jahresdurchschnitt auf
800.000 £.
Das Kapland hcsteht aus zwei Provinzen:
o) Westprovinz: Kapstadt (25.000) nordwarts vom Kap der guten Hoffnung,
an der weiten aber gefahrlichen Tafelbai , welche jahrlich von 5 — 600 Schiffen
besucht wird. Die Stadt ist schdn, regelmassig gebaut, hat wissenschaftlichc
und kommerzielle Anstalten und alien europaischen Comfort. In der Nahe Kon-
stantia mit beruhmtem Weinbau, dann S tell enbosch, Worcester.
6) Ostprovinz: Ujtenhage, Graham stown (spr. Grehams taun), der rasch
aufbliihende Hafenplatz Port Elisabeth und der Hauptort im biitischen
Kaffernlande King Williams Town (spr. King Uilliems Taun).
2. Getrennt vom Kaplande Hegt an der Ostkuste die britische
Kolonie Natal (oder Victoria) mit einem Flachenraume von
etwa 900 QMeilen und 120.000 Einwohnern (darunter nur an
8000 Weisse). Das Land hat trefflichen Boden , ein der Gesund-
heit und der Vegetation sehr zutragliches Klima , erzeugt ausge-
zeichneten Tabak, Weizen u. a. und eignet sich ungemein fur die
Viehzucht. Die zwei Stadte sind: Pieter-Maritzburg im
Innern des Landes, mit dem Sitze des Vice-Gouverneurs und die
Hafenstadt Port d' Urban (ehemals Port Natal).
424
VIII. Lander mid Staaten an der Ostkiiste.
§. 171.
Die Ostkiiste Afrika's kann in drei Haupttheile geechie-
den werden :
1. Das Ka fern -Land, vom Kaplande bis zum Liwuma-
Flusse und dem Kap Delgado (10° s. Br.);
2. das Suaheli-Land (auch Sawahili oder Wazumba), vom
Liwuma- bis zum Dschuba- (oder Tschub-) Flusse (auch Wumbu-
oder Gowina-Fluss) unter dem Aequator;
3. das Somal-Land, vom Dschuba-Flusse langs dem in-
dischen Meere und dem Golf von Aden bis zum abyss inischen
Hochlande.
A. Das Kafern-Land. — Die Kafern nnd die fibrigen Volker der Ostkfiste
bilden nur GJieder einer einzigen grossen sud-afrikanischen Volkerfamilie. Es sind
kriegerische Stamme, gross und stark gebaut, ausgezeichnet durch Muth und Gelen-
kigkeit. Sie treiben bauptsachlich Viehzucht und Jagd, auch etwas Ackerbau und
Fischerei ; verarbeiten Eisen und Knpter nnd bringen ihre Erzeugnisse theilweise in
den Handel. Sie leben unter einander in haufigen Fehden. Als Heiden sind sie voll
Aberglauben. Christliche Missionare sind bemuht, den christlichen Glauben und mit
diesem Bildung und Gesittung zu verbreiten. Die von ihnen bewohnten Kflstenstriche
sind : die Kafernkuste, Sofala und M ozambiq u e ; ersteie wird welters ein-
getheilt in das Land der Amatemba, der Amakosa, der Arnaponda und
das Delagoa-Land an der gleichnamigen Bai. Zudem liegen im Kafernlande
ausser der britischen Kolonie Natal die beiden hollandischen Kepubliken : Ora-
nien - R ep nb l,ik jenseits des Oranienflusses mit dem Hauptorte Bloemfontain
(spr. Blumfontan) und die Tr ans v aal-R epu bli k am Vaal-Flusse mit dem Haupt-
orte Potch e fs tr om (oder Vrijburg).*) Beide Republiken exportiren viel Wolle
und Schlachtvieh nach der Kapstadt.
Die Kustenstriche Sofala und M oz a mbiq u e werden von denPortugie-
sen, welche cine Anzahl Platze innehaben, als Besitzthum betrachtet. Ihre Macht
hat im Innern fast ganz aufgehort und beschrankt sich auf einige Stationen am Zam-
besi-Flusse und mehrere KQstenplatze. Die wichtigsten Exportartikel sind: Gold,
Elfenbein, Wachs, Cerealien, Vieh. P or t u gi esisc h sind die Stadte (in Sofala):
Sofala an der gleichnamigen Bai; siidlich davon das unter Palmpflanzungen gele-
gene Jehambana, nnd eine Faktorei an der Delagoa-Bai. Das goldreiche Land
Manika, im Innern des Landes, ist jetzt unabhangig. — (In Mozambique):
der Hafenplatz Mozambique mit dem Sitze des Generalgouvernenrs ; die unge-
sunde Kustenstadt Guilimani, mit ansehnlicher Ausfuhr von Gold und Elfenbein.
Die am tiefsten im Innern gelegene Station ist Tete an den Katarakten des Zambesi.
B. Das SualM'li-LasuI. — Dieser Landstrich., die Zanzibar-Kiiste ge-
nannt, hat seinen Namen von dem Kiistenvolke Suaheli (= Tieflandsbewohner). Das
Volk ist zwar schwarz, aber von schoner kaukasischer Korperbildung , muhamedani-
schen Glaubens und steht, mit den Arabern seit alten Zeiten in Verbindung, welche
hier eine Herrschaft zu griinden und der Anarchie der kleinen einheimischen Staaten
ein Ziel zu setzen sich bestrebten. Gegenwartig gehort es dem Imam von Maskate.
In den Seestadten leben viele arabische nnd indische Kauflente ; im Innern Stamme
der Gallas, welche immer niiher an die Kiiste vordringen. Die Ku'ste und das Innere
sind sehr fruchtbar, die Vegetation reich, das Klima grosstentheils gesund. Auf den
Inseln gedeihen tropischeFriichte. Die Eingebornen betreiben Ackerbau und Viehzucht ;
von Gewerben, ausser dem Schmiedegewerbe, kann kaum die Rede sein. Dagegen
ist der Handel von Bedeutung. Zum Export gelangen: Sklaven, Vieh, Reis, Elfen-
bein, Kopal, Kauris u. v. a. ; — importirt werden : Webewaaren , Waffen , Kurz- und
*) Im Jahre 1836 wanderten viele hollandische Bauern (Boers, spr. Buhrs)
aus der Kapkolonie ans nnd grundeten di e Oranien-Republik, welche im Jahre 1854
von England anerkannt wtirde. Dieser Staat hat etwa 2300 Q M. mit 30.000 Ein-
wohnern. — Die zweite Republik, bei 3700 Q M. gross, mit beilaufig 140.000 Ein-
wohnern wurde im Jahre 1848 begrundet.
425
Glaswaaren u. a, m. Die bedeutenden Orte liegen auf Gestadeinseln, als: Zanzibar
(10.000), Mombas init dem besten Hafen, Pemba mit grossem Reisbau.
C. Das Somal-Laud. — Das ostlichste Ende des Kontinentes, ein gebirgi-
ges Plateau, wird von dem kraftigen Stamme der Somalia bewohnt, welche mit den
Gallas und Adal zu einem Stamme gehb'ren. Sie sind meistens Muhamedaner, wah-
rend die immer weiter gegen die Kiiste vordringenden Galla Heiden sind. Sie leben
in einzelnen Horden unter Hauptlingen auf patriarchalische Art ; nur die Bewohner
der Oase Harrar, fanatische Muhamedaner, haben eine festere Regierung. Durch
gesundes Klima, reiche Bewasserung und Vegetation ist Somal einer der schonsten
Theile des afrikanischen Kontinentes. Viehzucht und Handel, zum Theil auch Acker -
bau bilden die Hauptbeschaftigungen der Bewohner. Myrrhen, Gummi , vorziiglicher
Kaffee, Straussfedern, Thierhaute u. a. m. sind die Haupt - Exportartikel nach Mekka
;ind Bombay. — Die bekanntesten Orte sind: Zeila am Golf von Aden, und bstlich
davon Berbera; Makadschu und Brawah am indischen Ocean. Im Innern des
Landes, mitten unter Kaffeepflanzungen die grosste Stadt des Landes Harrar (oder
Adar). Die ostlichste Spitze ist das Kap Guardafui.
IX. Das siidafrikanische Hochland.
§• 172.
Das Innere des siidafrikanischen Hochlandes ist noch weni-
ger bekannt als dessen Rander (siehe §. 34). Dessen nordliche
Grenze um den Aequator ist fast ganz unbekannt ; an den drei
Meerseiten findet dagegen ein terassenformiges Aufsteigen zu hohen
Erhebungen Statt; namentlich ist der Ostrand als die Haupterhe-
bung zu betrachten. Im Norden des Kaplandes und im Westen
der hollandischen Boers-Republiken hat man die mit dichtem Busch-
werk bedeckte Wiiste Kalahari aufgefunden ; die Aufzahlung
der weiter gegen Norden gelegenen Lander und Orte ist noch viel-
fach schwankend. — Die Bevolkerung scheint grossentheils dem
Negervolke B u n d a anzugehoren , unter welchen die den Kafern
ahnlichen Betschuanen (im Norden des Garib) die bekanntesten
sind. Sie haben • einen milderen Charakter , leben in grosseren
Ortschaften, treiben Ackerbau, Viehzucht und auch mancherlei Ge-
\verbe ; die Bergvolker gewinnen und verarbeiten Eisen- und Kupfer-
erze. Der Handel mit den Nachbarn ist geringe und beschrankt
sich auf Elfenbein, Thierhaute, Sklaven u. dgl.
Bekanntere Landschaften sind: Die Gebiete des Galla- und des Wakamba-
Stammes ; — die Landschaft am grossen See Uniamesi (0° — 6° s. Br.) ; — das
Land Muene Muesi, nordostlich vom Nyassi ; — das Gebiet der Kazembe
mit der handeltreibenden Stadt Lunda, westlich vom Nyassi; — das Reich
Moropua im Quellgebiete des Zai're mit Ablagerung von Kupfererzen und mit
fischreichen Gewassern ; die Landschaft Kalihari und anderer Stamme.
Seit einem Jahrzehent haben die Entdeckungen der deutschen Missionare R e fa-
in an n und Krapff, der englischen Reisenden, insbesondere des Missionars Li-
vingstone und des Ungarn Magyar Laszlo in diesen Gegenden grosse
Aufmerksamkeit erregt.
X. Die afrikanischen Inscln.
§ 173.
A. Im atlantischen Ocean.
1. Die Azoren, Madeira und die C'apverdischen|Inseln ; portugie'sische
Besitzungen.
2. Die Canarischen Inseln ; spanisch.
3. Die Guinea- Inseln, in der Bai von Biafra, mit fruchtbarem, gut kultivirtem
Boden, welche Kaffee, Siidfriichte, Getreide, Farlje- und Bauholz zum Export lie-
fern. — Fernando Po and Annabon sind spanisch; — die Prinzeniusel und
St. Thomas portugiesisch (auf letzterer ist S. ThomS Hauptort).
4. Die britischen Felseninseln Ascension und St. Helena sind Stations-
platze fiir Ostindienfahrer und Wallfischfanger im Siidpolar - Meere. Hafenplatz
auf der ersteren ist Georgetown, auf der let/teren Jamestown. Hier ist
auch der Pachthof Long wood (im Innern der Insel) als Aufenthalt Napoleons
vom Jahre 1815 bis 1821 bekannt. — Auf der britischen Insel Tristan da
Cunha nehmen die nach Indien und Australien fahrenden Schiffe Wasser und
Proviant ein. Die Bevolkemng besteht aus Briten, die,vom Kapland eingewan-
dert sind.
B. Im indischen Ocean.
1. Madagascar (10.900 QMeilen, 4 bis 6 Millionen Einwohner). — Das 8000'
bis 12.000' hohe Gebirgsland, welches die Insel von Slid nach Nord durchzieht,
fallt zu breiten Kiistenebenen herab. Die flachen, sumpfigen Kiistenstriche ?sind
ungesund und heiss ; auf dem Binnenplateau ist das Klima gemassigt. Die Insel
hat grossen Keichthum an Fliissen und Seen. Die geologischen und meteorolo-
gischen Verhaltnisse gestalten Madagascar zu einem Verbindungsglied zwischen
der afrikanischen und indischen Tropenvegetation. Die Flora ist reich an kolos-
salen Bau- und Farbeholzern, Arzneigewachsen, Oelpflanzen, Reis, Tabak, Indigo,
Bananen, Maniok, KafFee u. s. w. Von eingefiihrten Gewachsen gedeihen
Siidfriichte und Wein so gut als Kartoffel und Kaft'ee. Die grossen afrikanischen
Thiere, Dickhauter sowohl als Raubthiere, fehlen zwar; dagegen sind in grosser
Anzahl vorhanden wilde Schweine, Biiffel, Schafe mit Fettschwanzen, Seidenrau-
pen, aber auch Schlangen und Krokodille. Der Bergbau liefert Eisen, Kupfer,
Schwefel, Steinsalz, Kohlen. In den gewerblichen Beschaftigungen sind nur sei-
dene und wollene Waaren, sowie Metallwaaren erwahnenswerth.
Die Bewohner, allgemein Madegassen (Malagasi) gcnannt, zerfallen in viele
Stamme. Die an der Westkiiste sind afrikanischer Race ; im Innern ist das ma-
layische Geprage vorwiegend. Der herrschende Stamm sind die kriegerischen H o-
was; die Regierung ist ausserst despotisch. Hauptstadt ist Tananarive (an-
geblich 25.000, mit den nahen Dorfern 60—80.000 E.), auf einem Hochplateau
im Innern. Die Einwohner erzeugen Gold- und Silberschmuck, Teppiche, wasser-
dichte Zeuge. Ueberdiess gibt es im Innern und an der Kiiste noch mehrere
Ortschaften.
Diese fruchtbare, gut bewasserte, mit herrlichen Waldungen bedeckte Insel mit
trefflichen Hafenbuchten war schon haufig das ersehnte Ziel europaischer Kolo-
nisationsversuche , welche jedoch stets gescheitert sind. Nur die Franzosen
behaupten an der Ostkuste die Insel St. Marie (GOOO E.) mit dem Hafenorte
Port Louis.
2. Die vulkanisch-gebirgigen Comoren-Inseln im Kanal von Mozambique, von
Suaheli und Arabern bewohnt, sind reich an schonen Palmenarten, Bauholz, Zucker-
rohr, Reis und Mais. — Die Insel Mayatta ist von Franzosen besetzt.
3. Die Mascarenen: a) Mauritius (oder Isle d^e France) mit dem Hauptort
Port Louis (30.000); b) Reunion (oder Bourbon) mit dem Hafenort St. De-
nis (12.000); die erste den Briten, die zweite den Franzosen gehorig. Beide
Inseln sind ausserst fruchtbar an Troppengewachsen aller Art, doch werden in
neuererZeit iiberwiegend Handelspflanzen, weniger Cerealien gebaut. Der Export
an Zucker, Kaffee, Baumwolle, Gewiirzen ist bedeutend.
4. Die Sechellen und Amiranten, den Briten gehorig, sind reich an tropischen
Produkten; Hauptort ist Victoria auf Mache (Sechellen); die Amiranten sind
unbewohnte Koralleninseln.
5. Im siidlichen Theile des indischen Oceans zwischen Afrika und Australien sind
mehrere gebirgige, vulkanische Inseln, welche meistens als Stationsplatze den Wall-
fischfangern dienen. Erwahnenswerth sind : die Prinz Edwards- Insel, die C r o-
zet-Inseln, Amsterdam und St. Paul, Kerguelensland.
Die Staaten von Amerika.
A. Nord-Amerika.
§. 174. Cronlaiid.
Grronlaud, nachst Neu-Holland die grosste Insel der Erde, wird
bespiilt vom atlantischen Ocean, dem arktischen Polarmeer, dem
Smith- Sund, der Baffins-Bai und der Davis-Strasse. Die Insel ist
ein arktisches Hochland, das wegen der Schnee- und Eismassen im
Innern und iin Norden unzuganglich ist. Die Ostkiiste steigt in
steilen Eis- und Felsmassen aus dem Meere , welches das ganzc
Jahr mit Eiefeldern bedeckt ist. Die ganze Westkiiste ist eine zer-
rissene Fjordenkiiste , aber im siidlicheren Theile mehrere Monatc
eisfrei. Die grosste unter den zahlreichen vorgelagerten Inseln an
dieser Kiiste ist Disko. Der siidlichste Punkt von Gronland ist
das Kap Farewell; nach Norden erstreckt sich die Insel in un-
bekannte Feme. In dem rauhen Klima kommen nur in den siidlichen
Theilen verkriippelte Birken , Erlen und Weiden , beerentragende
Straucher und das Loffelkraut vor. An Thieren hat es wilde Renn-
thiere , Eisbaren , Fiichse , viele Seevogel , vorziiglich aber viele
Wallfische, Seehunde und Fische, welche den Bewohnern Nahrung
und Kleidung geben. An Hausthieren ist ausser dem wenigen Horn-
vieh , welches in der Kolonie Julianeshaab gehalten wird, nur der
Hund allgemein, der zmn Schlittenfahren verwendet wird. Die von
Europaern eingefiihrteu Pflanzen und Thiere gedeihen nur sparlich
und verkiimmert. — An den Kiisten wohnen Eskimos (etwa 20
bis 25.000), welche Seehundsfang und Fischerei treiben. Sie haben
Aehnlichkeit mit der mongolischen Race , sind klein aber stark,
scheinen ein friedliches, lenksames , aber hochst unreinliches Volk
zu sein , das ohne gemeinsame Regierung familienweise friedlich
neben einander lebt. Im Winter wohnen sie in geraumigen Erdhiitten
an geschiitzten Steilen des Ufers dreissig bis vierzig beisammen ; den
Sommer bringen sie in Zelten unter Robbenfellen zu. Sie sind Hei-
den mit allerlei Aberglauben ; doch findet das Christenthum schon
einige Verbreitung.
Danemark besitzt an der Westkuste cinigc Kolonicn odcr viclmehr Herrn-
huter-Missionen mit Handelsstationcn. Auf etwa 200 Q Mcilen le^pn uber 10.000,
meist christlicher Gi-Onlander, welche den Danen Thran, Haute, Pelzwerk, Fedcrn
und derglcichen licfern, und von diescn europiiische Produkte erhalten. Die danische
Besitzung wird in ein nOrdlichcs und ein siidliches Inspektorat einge-
theilt : im ersteren bind die Kolonien : Godh avn (auf Disko), Christianshaab, Ege-
desminde u. a.; — im letzteren Goodhaab, Julianeshaab, Fredevikshaab u. a.
§. 175. Das britischc Nord-Amerika.
Das britische Nord-Amerika liegt nordlich von den Vereinig-
ten Staaten bis zum Polarmeer; im Westen grenzt ea an den
428
grosser! Ocean und die russischen Besitzungen , im Ostea an
den atlantischen Ocean. Der Flachenraum wird auf mindestens
200.000 QMeilen geschatzt, obwohl nur ein kleiner Theil wirk-
lich kolonisirt ist. Das ganze Territorium zerfallt in zwei grSssere
Gruppen: A. Canada nebst Akadien und den Inseln; — B. die
Hudsonsbai-Lander.
A. Das eigentliche Kolouieland , etwa ein Achtel des Ge-
sammt-Territoriums umfassend, zerfallt in funf Provinzen oder Gou-
vernements: 1. Canada, — 2. Neu -Braunschweig, — 3. Neu-Schott-
land mit Kap Breton, — 4. Prinz Edwards-Insel, — 5. Neufund-
land mit Anticosti.
a) Canada (beilaufig 15.000 DMeilen, I1/, bis 2 Millionen Einwohner). Es um-
fasst die nOrdlichen Ufer der fflnf grossen Seen und von Montreal an beide lifer
des St. Lorenz bis zu seiner Mundung. Die Hochebene von Canada nnd Labra-
dor wird von einzelnen Landrucken uud Bergketten durchzogen, die in Labrador
mit ewigem Schnee bedeckt und reich an Gletschern sind. Die Flussufer und
einige Seitenthaler sind vollkommen angebaut, im Westen und Norden liegen
noch ungeheure Strecken mit schOnen Waldern bedeckt, welche den Hauptreich-
tham des Landes bilden. Gate Strassen feblen noch vielfach. Das Klima ist
rauher als in Europa unter gleicher Breite (Frankreich , Siiddeutschland) , der
St. Lorenz ist von Dezember bis April in grossen Strecken zugefroren ; der
Sommer ist sehr heiss, die Luft gesund, der Boden ausserst fruchtbar. Canada
liefert fur den Export: Getreide, Holz, Produkte der Viehzucht, dann Eisen,
Steinkohlen, Salz, Gyps und fertige Schiffe. In der Industrie ist bedeutend der
Schiffbau nebst den darauf beziiglichen Gewerben, dann die Bereitung von Ahorn-
Zucker. die Brauereien und Brennereien. An dem Fischfang betheiligen sich
die Canadier weniger als die Bewohner der nahen Inseln. Besonders lebhaften
Robben- und Kabeljaufang betreiben die Neufundliinder. — • Obgleich Canada nur
Eine Provinz bildet, so treten zwischen dem Osten (Unter-Canada) und Westen
(Ober-Canada) mehrfache Unterschiede bervor. In Ober-Canada ist das Klima
milder, der Temperaturwechsel gelinder, es gedeihen Wein und Pfirsiche; es ist
ein vorwiegend englisches Land mit englischem Recht und grosser Mischung in
den Konfessionsverhaltnissen. Unter- Canada ist halbfranzosisch und katho-
lisch unter einem Bischofe in Quebec. Im Allgemeinen zeigt sich in Canada ein
grosser Fortschritt und Aufschwung nach alien Richtungen.
Die wichtigsten Orte sind: Quebec (45.000), prachtvoll gelegen , theils am
Flusse, theils am Abhange des Kap Diamond, mit Festungswerken , lebhafter
Industrie (Schiffbau, Sagemuhlen) und starkem Handel. Montreal (60.000),
an der Grenze der Seeschiffahrt auf dem Strom, die erste Handelsstadt des bri-
tischen Amerika, der bedeutendste Pelzhandel auf der nordwestlichen Wasser-
strasse, mit grossem Arsenal, einer Universitat, zahlreichen wissenschaftlichen
Instituten. Die ubrigen Stadte in Unter-Canada (Trois Rivieres, Loretto, Wil-
liam Henry — ehemals Sorel — ) sind von geringer Bedeutung. In Ober-Ca-
nada ist die lebhafteste Handelsstadt (namentlich Mehlhandel) Toronto
(23-000 E. — ehemals hiess sie York), dann folgt Kingston am Ausfluss
des St. Lorenz aus dem Ontario, ferners die Stadte Hamil to n (10.000), Nia-
gara u. a. m. Ottawa (friiher By town) an der Mundung des Rideau-
Flusses in den Ottawa ist der Stapelplatz far den Holzhandel. Nicht weit davon
liegt Hull mit reichen Eisengruben.
6) Nen-Brautrsclnveig (von dem untern Canada darch den St. Lorenzfluss ge-
trennt), wird begrenzt vom St. Lorenz-Golf, der Halbinsel Neu-Schottland , der
Fundy-Bai und den Vereinigten Staaten. Das Land, welches im Innern noch
wenig bekannt und nur an den Knsten angebaut ist, dnrchziehen reich bewaldete
Berggrnppen von geringer HOhe. Die Bewohner, nahe an 200.000, sind theils
ans der Union, theils aus Grossbritannien eingewandert ; die Zahl der eingebor-
nen Indianer, welche meistens das Christenthum angenommen haben nnd in Dor-
fern leben, ist ausserst geringe. Hauptstadt ist F r e d eri ckstown am wich-
tigsten Flnsse des Landes, St. John, an dessen Mundung die Stadt St. John,
der ansehnlichste Handelsplatz, liegt.
429
c) .Vt'U-Schottland (ehemals mit Neu-Braunschweig Akadien gcnannt) hat mit
der dazu gehorigen Insel Kap Breton etwa 900 QMeilen mit 350.000 Ein-
wohnera. Das Innere ist noch von grossen Waldern bedeckt; der Boden ist
sehr ergiebig, aber noch wenig bebaut* Nachst der Landwirthschaft bildet die
iiberaus reiche Fischerei (Hftringe nnd Stockfische) die Hanptnahrongsqaelle.
Die Hauptstadt Halifax (30.000) ist der wichtigste Kriegshafen im britischen
Ainerika, hat grosse Schiffswerften, Dampfschiffahrtsverbindungen mit Falmoath
und Liverpool, uberhaupt bedeutenden Seehandel. Andere Seeplatze sind: Li-
verpool, Anapolis; — New-Glasgow hat reiche Eisen- und Kohlen-
grnben und auf Kap Breton, wo sich wichtige Kohlengrnben vorfinden: Sidney.
d) In dem St. Lorenz-Busen ist die Prinz Edward's-Insel, welche ein eigenes
Gonvernement bildet. Sie ist sehr fruchtbar, liefert viel Getreide, auch die
Viehzucht ist ansehnlich. Hauptort ist die befestigte Hafenstadt Charlotte-
town (5000).
e) Die Inseln \t\v- Found luud (spr. Nju-Faundland, oder Neufundland) und An-
ticosti and die kleine Gruppe der Magdalen en- Inseln bilden ein Gonver-
nement mit dem Hauptort St. John (auf New-Foundland). Die grosse Kalte,
Nebel nnd Sturme verhindern den Ackerbau, dessgleichen die Viehzucht. Den
Haupterwerb bildet die ungemein reiche Fischerei, insbesondere anf der „ grossen
Bank" im Siidosten der Insel, wo im Sommer Tausende von Schiffen zu diesem
Zwecke erseheinen.
Die Franzosen besitzen hier die kleinen Inseln St. Pierre, Miquelon
nnd Lang lade.
Zu England gehoren endlich die Bermudas- oder Sommer s- Inseln, von
denen nur wenige bewohnt sind. Sie dienen als Stationsplatze fur Seefahrer nach
West-Indien. Schiffbau, Fischerei und Seesalzbereitung bilden die Hauptbeschaftigung
der etwa 12.000 Einwohner.
B. Die Hudsonsbai - LSnder. — Dieses grosse Territorium
wird in drei Theile geschieden : a) die Halbinsel Labrador
(auch Neu-Britannien genannt) vom St. Lorenzbusen bis zur Sud-
epitze der Hudsonsbai, — b) das eigentliche Hudsonsbai-Ter-
ritorium zwischen der Hudsonsbai und dem Felsengebirge, —
c) das Nor dwe s t-T err i toriu m (oder Neu - Caledonien oder
britisch Columbia) im Westen des Felsengebirges bis zum
grossen Ocean.
a) Labrador (etwa 25.000 QMeilen mit kaum fiber 4000 Einwohnern), gehtirt zu
den rauhcstcn und odesten Landern der Erde, besonders die Nordostkuste, welche
ungeheure Eismassen aus der Baffinsbai von GrOnland erhalt nnd nur fur Es-
kimos bewohnbar ist. Es wird nur wegen der Fischerei besncht. Das Innere
ist eine unebene felsige Plateauflache. Hinsichtlicjh der Flusse und Seen ist
Labrador wie die fibrigen Hudsonsbailander beschaffen ; bemerkenswerth ist nur
der Miss tass inni-See mit dem Rupertsflnss. Die Herrnhnter haben
einige Missionsplatze (Nain, Okak, Hoffenthal, Hebron); die Hudsonsbai.
Kompagnie mehrere Handelsposten (Ostmain-Faktorei an der Mnndnng des
Ostmain-Musses, Kapertshouse an der Mftndung des Ruperts-Flusses) ; an der
Sudostknste sind einige Fischerposten. Die Hauptprodukte sind Pelze nnd Fische.
6) Das IludKOiisbai-Territoriiini hat die grSsste Anzahl Seen anf der Erde, wel-
che dnrch zahlreiche Flnsse unter einander in Verbindung stehen. Drei Haupt-
Husse fiihren die Wasser der ausgedehnten nordamerikanischen Secnplatte nach
drei Meeren, und zwar: der Atbabaska-, der Sklaven- und der grosse Baren-See
geben ihre Wasser an den Mackenzie -Fluss ab, der (an Grosse fast der Uo-
nau gleich) sich in das Polarmeer ergiesst; — osilich davon steht eine Reihe
von Seen, darunter der Winnipeg-See der grdsste, durch Fliisse in Verbindung,
deren letzter der Nelson, in die Hudsons-Bai miindct; — der Abfluss der
fnnf meerartigen canadischen Seen ist der S t. Lorenz- Fluss mit der Mundnng
in den gleicbnamigen Golf. — Nach der Vegetation unterscheidet man drei
Regionen. Der westliche Theil (nordwarts bis zum Friedens-Fluss, Athabasca-
See) ist die Region der Prairien, wo auch reiche Kochsalzlager nnd zahl-
reiche kleine Salzseen vorkommen ; — der Osten ist die Region der Wai-
der, welche nordlich bis etwa zum 61° n. Br. reicht; — der nordliche Theil,
jenseits dieser Kegionen bis zum Polarmeer, ist voll Unebenheiten und Felsen,
nur noch mit niederem Buschwerk bedeckt, die Wohnstatten arktischer Fiichse
und Baren. Das unguustige Klima ist der Landwirthschaft iiberall hinderlich,
sie wird nur an einzelnen Missionssitzen betrieben. Am arktischen Kustenstriche
wohnen Eskimos, in den ubrigen Theilen ziehen zahlreicbe Horden Indianer-
stamme herum, welche von Jagd und Fischerei leben. — Diese Territorien be-
trachtet die engliscbe Hudsonsbai-Kompagnie, welche im Jahre 1670
ein Privilegium (mit Regierungsrechten fur den Handel) erhalten hatte, als ihr
Eigenthum. Sie verwaltet das Land durch einen Gouvernenr, darch Oherfaktoren
und Oberhandler. Sie betreibt den Pelzhandel nnd hat gegen 140 feste Nieder-
lassungen, in deren Umgebungen etwas Landwirthschaft und sehr ergiebige
Fischerei betrieben werden. York Faktory, an der Miindung des Nelson in
die Hudsonsbai, ist die Hauptniederlassung, der Haupthafen der Kompagnie, wo
auch der Bath der Oberfaktoren gehalten wird. Andcre bedeutende Niederlas-
sungen sind : Churchill (an der Hudsonsbai), Fort Chippewaya (am Atha-
baska-See), Fort Resolution (am grossen Sklaven-See) , Fort Franklin
(am grossen Baren-See) n. a. m. Die einzige Kolonie in dem ungeheuren Ge-
biete ist die Kolonie am Redriver mit dem Hauptorte Fort Garry (7000).
Die Nordpolar-Lander : Baffinsland, Southampton, Nord-Devon, die Parry-
Inseln mit der Halbinsel Melville , die Inseln Somerset , Prinz Wales , Boothia,
Victoria , Prinz Albert- und Banksland sind fast durchgehends Eiswiisten mit
hbchst sparlicher Vegetation (Lbffelkraut) , nur von wenigen Eskimos bewohnt,
welche vonFischfang und Robbenschlag leben. Die nnordwestliche Durch-
fahrt" aus der Baffins-Bai in die Behringsstrasse ist wohl aufgefunden worden;
doch ist sie fur den Handelsverkehr von keiner Bedeutung, weil diese Strassen
nur selten eisfrei sind.
c) Das Nordwest-Tcrritorium befindet sich im Westen des Felsengebirges bis
an den grossen Ocean, als eine Kolonie der britischen Krone mit einem be-
sondern Gouverneur. (Der siidliche Theil hiess Neu-Georgia, der nbrdliche Neu-
Hannover.) Die Grenzen gegen das russische Amerika und gegen die Union sind
nicht iiberall festgestellt *). Da das Klima gleichmassig und ziemlich milde ist, so
bilden Getreidebau und Rindviehzucht nachst Jagd und Fischerei die wichtigsten
Nahrungsquellen ; die Kolonisation macht Fortschritte. An den Fltissen Fraser
und Thompson sind nicht unerhebliche Goldlager entdeckt worden ; an der Miin-
dung des ersten liegt die Hauptfaktorei Fort Langley. — Unter den vor der
Kiiste liegenden grossen Inseln ist die nordliche Kb'nigin Charlotten-Insel
noch ohne Kolonisation ; die siidliche Quadra oder Vancouver mit dem Haupt-
orte Victoria (6000 E.) an der Siidkuste ist der Hauptplatz der Kolonie im Nord-
westen. Sie ist zwar rauh, felsig, mit grossen Waldern bedeckt ; die etwa 20.000
Menschen auf derselben leben meist vom Fischfange; doch wird die Nahe von
Californien und des Oregon-Gebietes sicherlich Grundlage fur einen lebhaften Ver-
kehr werden.
§. 176. Das russische Nord-Amerika.
Der nordwestlichste Theil des Kontinents , ein kaltes , nebel-
reiches Gebirgsland mit iiber 24.000 QMeilen ist das russische
Nord- Amerika. Von den zahlreichen Schneebergen sind die Vulkane
Schonwetterberg (13.800') und der Eliasberg (16.400') die hochsten.
Die vulkanische Kette setzt sich dann in der Kette der Aleuten fort.
Die Nordkiiste ist ohne Gliederung und hat als nordlichsten Punkt
die Barrows-Spitze ; dagegen sind die West- und Sudkuste reich an
Buchten und Halbinseln. Die bedeutendsten Halbinseln sind Aljaska
und die Tschugatschen Halbinsel. In den Norton-Sund ergiesst sich
der Jukon- Flues (bei der Mundung Kwichpak genannt). Der
*) Durch die Vertrage von 1824 und 1825 wurde als Grenze zwischen den briti-
schen und russischen Besitzungen die Linie des Meridian von 236 b. L. (vom Elias-
berge an .der Kiiste des grossen Ocean bis zum Nordende des Felsengebirges am
Eismeere) festgesetzt.
431
Osten ist Plateauland. Die Bevolkerung, fiber 50.000 Seelen , be-
steht meistens aus nomadisirenden, heidnischen Ureinwohnern (Es-
kimos, Tschuktschen, Indianer), welche Jagd, Fischerei undTausch-
handel mit der (1797 gegrtindeten) russisch-amerikanischen
Handelsgesellschaft treiben. Die Zahl der russischen Ansiedler
wird auf etwa 1000 gerechnet. Die Verwaltung des Landes, der
Handel und Verkehr ist der genannten Gesellschaft uberlassen,
welche den Fang von Pelz- und Seethieren, besonders den der See-
otter sehr gewinnreich ausbeutet und 10 % des Ertrages an die
Krone abgibt. An Mineralien werden Steinkohlen, Eisen und Kupfer
gewonnen. Die Lieferungen an Pelzwerk gehen uber Sibirien nach
Moskau. Das Land ist in sechs Verwaltungsbezirke getheilt , die
Niederlassungen der Handelsfaktoreien befinden sich auf den west-
lichen Inselgruppen und an der Kiiste.
Die wichtigsten sind: Neu-Archangelsk (1000E.) auf der Insel Sitka (Ba-
ranow) mit dem Sitz des Gouverneurs und dem Hauptkomptoir der Kompagnie.
Jahrlicher Exportwerth des Pelzwerkes gegen 400.000 Gulden.) Von den Aleuten
ist Unalaschka am meisten bevolkert, Unimak die grb'sste. Ausserdem ge-
horen zu diesem Verwaltungsgebiete : der Prinz Wales- und Konig Georg-
Archipel, die Insel Kadjak, die Inseln im Behringsmeere. Das Christenthum
findet stets grossere Verbreitung und mit ihm schreitet auch die Civilisation vorwarts.
§. 177. Die Vereinigteii Slaatcn von IVord-America ,
(United States [spr. Juneited Stehts] oder Unions-Land.)
150.000 nMeilen, — 28 V, Million (relativ 190) Einwohner*), damnter circa 24
Millionen Weisse, 3'/t Millionen Sklaven, wenig iiber 400.000 Indianer. — Nach dem
Glaubensbekenntnisse V3 Millionen romisch Katholische, dann iiber 20 christliche Sek-
ten; ausserdem Juden, sehr wenig Muhamedaner und Heiden. — GrenzenrimN.
britisch Amerika, im 0. der Atlantik, im S. der Golf von Mexiko und Mexiko, im W.
der grosse Ocean.
Bodenverhaltnisbe. — Das ganze Unionsland wird durch
zwei Gebirgsziige in drei Haupttheile geschieden : a) das
Os tla nd zwischen dem atlantischen Ocean und dem unter verschie-
denen Namen von Siidwest nach Nordost streichenden, vielfach von
Eisenbahnen und Kanalen durchschnittenen A lie gh any- (epr.
Aellege"hni's) - Gebirgen (oder den Apalachen [spr. Aepalatschen]) ;
— b) das Mittelland zwischen Alleghanies im Osten und dem
Felsengebirge im Westen , das grosse Becken des Mississippi und
Missouri , theils Hiigelland, theils eine von wenig Waldungen unter-
brochene wellenformige Ebene , der ausserst fruchtbare Boden der
Savannen oder Prairien; — c) das Westland, im Westen des
Felsengebirges, welches durch ein niederes , von Californien nahe
an der Kuste nach Norden ziehendes Gebirge vom Meere getrennt
ist. — Das Ostland hangt mit dem Kiistentiefland am mexikanischen
Golfe zusammen.
Bestehen auch keine naturlichen Scheidegrenzen , welche das
grosse Territorium in der Ausdehnung von Norden nach Siiden in
*) Ueber 2000 betragt die Volksdichte nur in den Staaten Massachusets (nahe
an 3000), — iiber 1000 in Connecticut, New- Jersey, New - York, Ohio und Pennsyl-
vanien, — unter 1000 in Jowa , Arkansas, Florida, Texas und Californien, — unter
10 in den Territorien von New-Mexiko. Utah, Minnesotta und Oregon. — Im Jahre
1790 betrug der Census 4 Millionen; im J. 1835. . .T4,9G7.000 ; — im J. 1850...
23,246.000 ; im J. 1857 wurde obige Zahl angenommen.
432
Hauptgruppen sonderten , so trennen die kliraatischen Gegen satze
dasselbe doch in ein Nordland oder die ,,Kornregion," in ein
Mittelland oder die ,,Baum wollregi on" und ist ein Sftd-
land oder die ,,Zu cker region;" so benannt faach den Haupt-
kulturen in den angebauten Landstrixihen.
Gewasser. Das Unionsland ist ungemein reich an fliessenden
und schiffbaren Gewassern, welche dem Atlantik, dem mexikanischen
Golfe und dem grossen Ocean zufliessen. Im Norden ist der St. Lo-
renz auf einer kurzen Strecke Grenzfluss , im Sildwesten der Rio
grande. Die Kuste des Atlantik ist im nordlichen Theile, wo die
Gebirge nahe an das Meer treten, felsig und ungemein stark ge-
gliedert; gegen Stiden wird sie breiter und flacher, haufig mit
JSiimpfen bedeckt. Die in den Atlantik miindenden Kustenfltisse
haben ihre Quellen in den Alleghanies ; sie haben kurzen Lauf aber
bedeutenden Wasserreichthum. Die ansehnlichsten sind: St. John,
Connecticut, Hudson, Delaware, Susquehanna, 'Po-
tomak und St. James.
Der machtigste Fluss in Nord-Amerika mit dem vielgegliederten,
reichen Geader, die zukunftige Hauptpulsader des Unions-Landes
ist der Mississippi (in der Algonkin-Sprache bezeichnet dieser
Name ,,alle Fliisse4') , welcher auf dem plateauartigen Riicken der
schwarzen HGgel aus dem kleinen Itaska - See entspringt, mehrere
Wasserfalle bildet und bei seinem Eintritte in die Ebene (bei Fort
Snelling) schiffbar wird. Er nimmt rechts den St. Peter (oder
Minisotah) und Moingonan, links den Wisconsin und Il-
linois auf. An Stromlange und Wasserreichthum wird der Mis-
sissipi von seinem machtigen Nebenflusse, dem Missouri iibertroffen.
Dieser entsteht aus drei Quellen im Felsengebirge (zwischen 42°
bis 43° n. Br.); beim Austritte aus dem Felsengebirge folgt das
Kataraktengebiet mit zahlreichen , grossartigen Wasserfallen. Er
sammelt alle Gewasser des Mittellandes und vereinigt sich nach
einem Laufe von 600 Meilen mit dem Mississippi bei der Stadt
St. Louis. Der vereinigte Strom durchfliesst noch gegen 300 Mei-
len und beide Strome sind von der Mundung in den Golf bis zu
den Katarakten hinauf schiffbar, also der Mississippi 480, der Mis-
souri 850 Meilen weit. Rechnet man dazu dievielen grossen Neben-
flusse, welche von ihren Miindungen an zum Theile auf Hunderte
von Meilen schiffbar sind, so erstaunt man fiber die Grossartigkeit
und Verzweigung von Wasserstrassen, welche bereits von mehr als
400 Dampfschiffen befahren werden. Der vereinigte Strom erhalt
den grossen Nebenfluss Ohio, welcher die Wasser an der West-
seite der Alleghanies sammelt ; dann am rechten Ufer den mach-
tigen Arkansas (mit dem grossen Zuflusse Canadian) und den
Red River. Grossartig ist die AUuvialbildung im Miindungsgebiete
des Mississippi; es bildet sich fortwahrend neues Land durch Er-
hohung des Bodens und dessen Wachsthum ins Meer hinaus. —
In den mexikanischen Golf munden noch der schiffbare, von der
Hochebene in Texas kommende Colorado (de Texas) und der
gleichfalls schiffbare Grenzfluss zwischen Texas und Mexiko Rio
grande del Norte. — Dem Gebiete des grossen Oceans gehoren:
483
der Colorado des Westens, der San Joaquin und Rio
del Sacramento, beide von entgegengesetzter Richtung (der
erste von Siiden nach Norden, der zweite von Norden nach Suden)
bewassern ein durch seinen Goldreichthum beriihmt gewordenes Lan-
genthal innerhalb der kalifornischen Seealpen und vereinigen sich nahe
bei derMundung in die Bai von S. Francisco. Endlich der O regon
oder Columbia.
Von den grossen canadischen Seen liegt nur der Michigan-
See ganz im Gebiete der Union, die iibrigen bilden die Nordgrenze.
Die meisten Seen liegen in dem grossen abgeschlossenen Becken,
dem ,, grossen Bassin," zwischen dem Felsengebirge und den cali-
fornischen Seealpen, darunter der ,,grosse Salzsee," der Siise-
wassersee Utah und viele Salzseen.
Diese zahlreichen und grossen natiirlichen Wasserstrassen ge-
winnen npch an Bedeutung durch die umfassende Kanalverbin-
dung mit mehr als 1000 Meilen Lange, deren Anlage an 90 Mil-
lionen Dollars gekostet hatte ; beide aber befordern ungemein den
Transport der Produkte des Bodens und der Industrie, sowohl unter
den einzelnen Staaten als nach den Seehafen. Die wichtigsten unter
den mehr als 100 Kan ale n sind : der Erie-Kanal von Albany
am Hudson bis Buffalo am Erie - See (75 Meilen); — der Ohio-
Kanal von Cleveland am Erie-See bis Portsmouth am Ohio (65 Mei-
len); — der Pennsylvania-Kanal von Pittsburg am Ohio nach
Columbia am Susquehanna (70 Meilen); — der Ches apeak-Ohio-
Kanal von Pittsburg am Ohio bis nahe Washington am Potomak;
— der Ch ampla in-Kanal verbindet mittelst des gleichnamigen
Sees den St. Lorenz mit dem Hudson; — der Miami-Kanal von
Cincinnati am Ohio zum Erie-See u. v. a.
Klinia. Das Klima ist durchschnittlich k'alter als unter glei-
chen Breitegraden in Europa. In Florida und Siid-Texas nahert es
sich dem tropischen, am Oregon ist oceanisches Klima; seit der
Ausrodung der Walder und dem Anbau des Landes ist es in vie-
len Landstrichen bedeutend milder geworden. Im Gebiete des Mis-
sisippi ist es minder excessiv als im Nordosten , an der Westkiiste
milder als an der Ostkiiste, wo der Temperaturvrechsel ein rascher,
die Regenmenge eine bedeutende ist. Die Niederungen an den Ost-
und Sudkusten sind ungesund, insbesondere das Mississippi -Delta.
Verfassung. Am 17. September 1787 grundeten dreizehn
Staaten auf dem Kongresse zu Philadelphia die Union der Ver-
einigten Staaten Nord-Amerikas. Gegenwartig sind der B u n d e s-
distrikt Columbia, 32 Staaten und 8 Territorien oder
Gebiete zu einem Bundesstaate (Union) mit vorherrschend de-
mokratischem Charakter verbunden *). Die gesetzgebende Gewalt
*) Die dreizehn alten Staaten sind: New-Hampshire, Massachusets, Connecticut,
Neu-York, Neu-Jersey, Khodeisland , Pennsylvanien , Delaware , Maryland , Virginien,
Nord- und Siid-Carolina , Georgia. — Der Name Distrikt wird solchen Landereien
beigelegt, welche noch nicht kolonisirt sind und als Jagdrevier vorzugsweise von In-
dianern besucht werden. Finden sich in einem Distrikte Kolonisten ein, so wird er
von der Central-Kegierung vermessen und in Sectionen getheilt, welche dann ver-
kauft werden. Dadurch ist der Distrikt ein Territorium oder Gebiet geworden;
zahlt das Territorium 60.000 weisse Einwohner, so wird es zu einem Staate undGlied
Klnn't nandels-Geographie. 9. And. 28
434
der Union ruht in den Handen des Kongresses (Senat und Haus
der Reprasentanten), die vollziehende wird von einem auf vier Jahre
gewahlten Prasidenten ausgeubt. Bundeshauptstadt ist Washington
(apr. Uaschingt'n). Jeder einzelne Staat hat dann seine besondere
gesetzgebende , vollziehende und richterliche Gewalt oder: einen
Senat, einen Gouverneur und ein O b erg eric ht.
Der Census von 1850 theilt die Staaten nach der geographi-
schen Lage , den Produkten , der Lebensweise und den Haupt-
erwerbszweigen in mehrere Gruppen, die wir hier wegen der gros-
sereri Uebersichtlichkeit beibehalten.
a) Die Staaten*).
I. Die sechs Staaten von Nen-England:
1. Maine (spr. Mehn, 1648 QM.; 654.000 E.): Augusta (9000), Portland (28.000) ;
2. New-Hampshire (spr. Njtihammschir , 378 Q M. ; 340.000 E.) : C6ncord
(9000), Portsmouth (Pohrtsmods) ;
3. Vermont (377 G M- » 328.000 E.) : Montpellier (5000), Burlington (6000);
4. Massachusetts (spr. Massatschusets , 350 Q M. , 1,150.000 E.): Boston
(Bost'n, 160.COO E.), Cambridge (Kehmbridsch, 15.000), Charlestown (Tscharlstaun,
36.000), Salem (37.000), Lowell (Lohl, 34.000) ;
5. Rhode-Island (Rohd Eiland, 57 QM. , 170.000 E.): Providence (Proawidens,
43.000), Newport (Njuport) ;
6. Connecticut (Kanettikot, 224 Q M. , 400.000 E.) : Hartford (20.000), New
Haven (Njuhew'n 24.000), New London (Nju Lond'n).
II. Die fiinf mittleren Staaten (zwischen Neu- England und dem alten
Virginien) :
7. New-York (Nju Johrk, 2167 Q M. , 3% Millionen E.) : Albany (Albany,
60.000), New -York (800.000), Brooklyn (Bruhklin), auf Long Island [Longeiland]
gegeniiber von New-York (150.000), dann Williamburg, (50.000), Rochester (Rot-
schestr, 60.000), Buffalo 100.000), Oswego (25.000) ;
8. New Jersey (Nju Dschersi, 360 QMM 580.000 E.) : Trenton (8000), Newark
(Njuark, 40.000), Paterson, New-Brunswick;
9. Pennsylvanien (2180 QM., 2,600.000 E.) : Harrisburg (10.000), Phila-
delphia (500.000). Pittsburg (150.000);
10. Delaware (Delawar, 100 QM., 95.000): Dover (4000), Wilmington;
11. Maryland (Merilaml, 500 QM., 6PO.OOOE.): Annapolis (5000), Baltim ore
(175.000).
der Union erhoben. Die Temtorien erlialten vom Prasidenten der Union ihren Gou-
verneur und dessen Stellvertreter ; sie schicken je zwei Abgeordnete zum Kongress
nach Wasliington, welche aber im Kongress keine Stimme haben. — Die fi'iiher er-
wahnte Vermessung und Eintheilung cines Temtoriums geschieht in Quadrate (t o w n-
ships, spr. Taunschips) von 36 Sektionen (= 36 englischen Q] Meilen) ; von die-
sen 36 Sektionen wird die 16. fiir Volkssclralen zuriickbehalten, die iibrigen verkauft
man. 57% ^es Erloses sind zur Eroffnuug der Strassen, 38% zu andern Unionszwecken
bestimmt, 5% bekommt der betreffende neue Staat, in dessen Umkreis die verkauf-
ten Landereien lagen. Der Bundesdistrikt Columbia ist der Gesammt - Union von
zwei Staaten (Maryland und Virginien) geschenkt worden. Columbia steht nun un-
mittelbar unter dem Kongress oder dor Central-Regierung, wahrend die andern Staaten
selbststandige Verwaltungen haben.
*) Der Umstand, dass die neuen Stiidte haufig nach grossen Mannern, nach Or-
ten der alten Welt u. s. w. benannt werden, macht das oftmalige Wiederkehren des-
selben Namens erklarlich. Es ist rathsam, bei Brief-Adressen dem Namen der
Stadt auch jenen des Staates beizufiigen. Den mangelhaften Adressen ist es zuzn-
schreiben, dass z. B. im Jahre 1855 iiber 51/* Million Brief e ihre Adressaten nicht
eireicht haben. Es gibt z. B. 12 Amsterdam, 13 Athen , 16 Berlin, 12 Frankfurt,
19 Hannover, 18 Manchester, 21 Richmond, 9Wien, 25 York, 15 Columbus, 82 Frank-
lin, 164 Washington, 21 Lafayette, 1 7 Milton, 71 Jefferson, 8 Napoleon, 24 Fairfield
435
a) Bundes-Distrikt Columbia (westlich von Annapolis, 21/, DM., 50.000 E.):
Bundeshauptstadt Washington (40.000).
III. Die fiinf siidlicben Staateii am atlantischen Ulcere (mit vor-
herrschendem Plantagenbetrieb und Sklavenarbeit) :
12. Virgin ien (3000 QM., 1,550.000 E.)*) : Richmond (Ritschmond , 30.000),
Alexandria (10.000), Norfolk (14.000), Portsmouth, Wheeling ;
13. Nord-Carolina (2200 QM., 940.000 E.) . Raleigh (Rahli, 5000), Wilmington
(12.000) ;
14. Siid-Carolina (1400 QM., 700.000 E.) : Columbia (6000), Charleston
(Tcharlst'n, 50.000) ;
15. Georgien (2750 QM. , 950.000 E.): Mille'dgeville (Milledschwil , 4000),
Savannah (24.000), Augusta, Columbus;
16. Florida (2790 QM., 112.000 E.) : Tallahassee (Tallahassi, 3000), Pensocola,
St. Augustine.
IV. Die vier siidlichen Staateii am mexikanischen Wolfe (Planta-
genbetrieb, Sklavenarbeit) ;
17. Alabama (2400 QM. , 850.000 E.) : Montgomery (Mauntgammeri,, 5000),
Mobile (24.000), Tuscaloosa (4000) ;
18. Mississippi (2220 QM., 720.000 E.): Jackson (Dschaks'n, 3000), Natchez
(Nattsches, 6000) ;
19. Louisiana (2000 QM., 600.000 E.) : Baton Rouge (4000), New-Orleans
(140.000) ;
20. Texas (16.000 QM., 500.000 E.): Austin (3000), Galveston (6000), Washington.
V. Die vier siidwestlichen Staaten im Innern (Sklavenarbeit, Farmen-
Wirthschaft) :
21. Arkansas (2500 QM., 280.000 E.) : Little Rock (5000);
22. Missouri (3100 QM., 900.000 E.) : Jefferson City (Dscheffers'n Sftti, 4000
Saint Louis (185.000) ;
23. Tennessee (Tennessih , 2050 QM., 1,200.000 E.) : Nashville (Naschwil,
16.000), Memphis (12.000) ;
24. Kentucky (1800 QM., 1,300.000 Einw.): Francfort (5000), Louisville
(50.000).
VI. Die sieben nordwestlichen Agrikultiirstaaten (ohne Sklaverei):
25. Ohio (1880 QM., 2'/2 Millionen E.): Columbus (20.000), Cincinnati (Sin-
sinneti, 180.000), Cleveland (Kliwland, 25.000);
26. Indiana (1650 QM., 1,200.000 Einw.): Indianopolis (10.000), New Albany
(10.000), Madison, Evansville;
27. Illinois (Dlineus), 2610 QM., 1,400.000 Einw.) : Springfield (6000), Galena
(6000), Chicago (Tschikego);
28. Michigan (Mitschigann, 2600 QM., 550.000 E.): Lansing (2000), Detroit
(32.000), Monroe;
29. Wisconsin (2540 QM., 600.000 E.); Madison (Madis'n, 4000), Milwaukee
(Milwahki, 50.000);
30. Jowa (Ei6-uah, 2400 QM., 520.000 E.): Jowa City (3000), Burlington, Da-
venport, Dubuque;
31. Minnesota (6600 QM., 200.000 E.): Sanct Paul (10.000), Stillwater.
VII. Der westlicbe Staat
32. Californien (7500 QM., 600.000 E.): San Francisco (80.000), Sacramento
(25.000).
&) Die Territorien:**)
1. Nebraska (15.800 QM., westlich von Jowa und Minnesota). Die Bevb'lkerung
besteht meistens auslndianera und aus etwa 20.000 Weissen. — Fort Laramie;
*) In diesem Staate wurde Washington auf dem Landsitze Bridge-Creek am 11,
Febr. 1732 geboren, und in diesem Staate starb er auf seinem Landsitze Mount Vernon
im J. 1799.
**) Im „ American Almanac for 1859," in welchem die Arealgrosse mancher Staaten
mit geringeren Ziffern erscheint als in den friiheren Jahrgangen, sind Kansas und
Oregon als Staaten aufgefuhrt; ersteres unter Bedingungen, welche erst zu erfiil-
len sind.
28*
2. Indianer-Gebiet (8800 QM., zwischeu Kansas und Texas), fast durchgehends
von Indianern, welche lueher iibersiedelt warden, bewohnt. Zahlreiche christliche
Missionen sind bemiiht, Civilisation unter die heidnischen Stamme zu verbreiten ;
3. Kansas (51OO QM.). Die im Jahre 1854 am Missouri gegrundete Hauptstadt
Leaven worth hat bereits iiber 10.000 E.;
4. Washington (5800 Q M.) im Siiden und Siidosten von Oregon, im Westen vom
Ocean begrenzt, mit den Orten (0 1 y m p i a an der Siidspitze des Pnget-Sundes :
am Oregon: Pacific-City und Fort Vancouver ;
5. Oregon (8700 Q M.), ' Hauptort : Salem; Portland (8000);
6. Utah (Jutah, 8850 [JM., das Gebiet der Mormon en): Fi llm ore-City; Neu-
Jerusalem (oder Salzseestadt, Mormonenstadt, 8000) an der Miindung des Jor-
dan in den grossen Salzsee;
7. Neu-Mexiko (10.000 QM.) mit der Hauptstadt Santa F6 (8000) im Hoch-
thale des Rio grande del Norte;
8. das Territorium Arizona.
Zu den Vereinigten Staaten gehb'reu ferners die beiden Inseln Tiger und Sac-
cate in der Bai von Fonseca an der Westkuste des Staates Nicaragua; endlich die
vulkanreiche Inselgruppe der Galapagos im grossen Ocean, reich an grossen (bis
400 Pfund schweren) Schildkrb'ten, Holz und Guano.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Die Mannigfaltigkeit der Boden- und Temperaturverhaltnisse
und die horizontale Ausdehnung des Unionslandes bedingen eine
grosse Mannigfaltigkeit in Hinsicht des Pflanzenwuchses. Alles
Land von den kanadischen Seen bis zum mexikanischen Golfe, vom
Atlantik bis iiber den Missisippi ist sehr fruchtbar, mit Aus-
nahme der felsigen Gegenden des Nordostens; die Kultur die-
ser Landstriche weiset uns alle Stufen vom Urwalde bis zum ra-
tionellsten Gartenbau. Ueberall befindet sich das Land in einer
so raschen Fortentwickelung und Umgestaltung , dass sich die
Physiognomic der Landschaften gleichsam unter unsern Augen ver-
andert. Einwanderung und Kolonisation , Ausrodung der W alder,
Anlegnng von Stadten, Strassen, Eisenbahnen, Kanalen folgen un-
aufhaltsam auf einander ; der Reichthum der landwirthschaftlichen
Produktion steigert sich fortwahrend und mit diesem heben sich
gleichzeitig Industrie nnd Handel. Gegenwartig steht die laiid-
wirthschaftliche Produktion an der Spitze der Erwerbs-
und Nahr ungs quellen in der Union*). Das wichtigste
Produkt (als Hauptnahrungsmittel) ist der Mais, dessen Anbau
gleich dem des Tabakes fast alle Staaten betreiben. Der Mais-
b a u ist am verbreitetsten in Illinois, Indiana, Ohio, New - Jersey,
Delaware, Kentucky und Tennessee ; der Tabakbau in: Maryland,
Virginien, Nord-Carolina, Kentucky, Tennessee und Missouri. Der
jahrliche Ertrag des Ersten wird auf 600 Millionen Bushel (k 60 Pfund),
des Zweiten auf 250 Millionen Pfund geschatzt. W e i z e n wird
vorzugsweise in Pennsylvanien , Ohio, New- York und Virginien
(110 Millionen Bushel) in stets steigendem Masse gebaut ; doch soil
die Qualitat durchschnittlich geringer sein als die europaische. Auch
der Anbau von Hafer, Roggen , Gerste und Buchweizen ist in den
Ackerbauetaaten zunehmend. Der Reis ist am starksten verbreitet
in Nord- und Slid - Carolina, Georgia, Louisiana und Texas; im
*) DasAckerland betrag im Jahre 1856 iiber 113 Millionen englische Acres (1 Acre
=• 1136 osterreichische QKlafter), der Werth der Landgiiter 3271 '/2 Million, der
Ackergerathschaften lol'/j Million, des Viehstandes 556 Milliouen, der gesammten
Agrikultur-Erzeugnisse xiber 1750 Millionen Dollars u. s. w.
487
Jahre 1853 bctrug die Ernte an 250 Millionen Pfund, ira Werthe
von 8% Millionen Dollars; wovon 95% auf Carolina und Georgia
entfielen, und der Exportwerth war nahezu 3 Millionen Dollars. —
Eines der wichtigsten Produkte ist die Baumwolle, deren Ver-
breitungsbezirk sudlich dem 34° n. Br. liegt. Sie ist eigentliches
Stapelprodukt fiir Alabama, Georgien, Mississippi, Sud-Carolina,
Louisiana , Tennessee und Texas. Die Ernte wird jetzt auf nahe
1200 Millionen Pfund im ungefahren Werthe von 90 Millionen
Dollars geschatzt, das ist fast zwei Dritttheile der Quantitat,
welche auf der ganzenErde in den uns bekannten Handel kommt
(16—18 Millionen Zentner); — von obiger Summe entfallen 82%
auf die fiinf erstgenannten Staaten (Alabama an 200 Millionen
Pfund). In 20 Jahren ist die Produktion urn 300% , der eigene
Verbrauch um 325% gestiegen *). Die besten Qualitaten sind
Sea Island, Tennessee und Texas. — Fur Z u c k e r plantagen eig-
nen sich nur die siidvvestlichen Niederungen (bis 32° n. Br.) beson-
ders Louisiana, Texas , Mississippi , Alabama, Sttd - Carolina,
Florida. In dem ungunstigen Jahre 1856 entfielen von der
Zuckerproduktion in den transatlantischen Landern (1,357.000 Ton-
nen) auf Louisiana etwa 125.000 Tonnen. In den nordichen
Staaten (New- York, Massachusetts, Vermont, Pennsylvanien, New-
Hampshire) wird viel Ahorn- und Maiszucker gewonnen.
Nachst diesen Hauptprodukten sind noch erwahnenswerth die Sudfruchte, Pal-
menarten und Indigo in Louisiana und Texas (doch von geringerer Art als in Asien) ; —
Thee in Nord- und Sud-Carolina; — Hiilsenfriichte , Kartoffeln ; Hanf und Flachs
(letztere hauptsachlich aus Missouri und Kentucky, obwohl nicht ausreichend fur den
Bedarf). Im Weinbau sind, namentlich in Hinsicht auf Qualitat, keine grossen
Fortschritte gemacht worden ; den besten liefert das Ohio - Thai bei Cincinnati , das
Thai an der Missouri-Miindung, Californien und • Neu-Mexiko. — Die inneren Staaten,
zwischen den Alleghanies und dem Mississippi haben ungemeinen Reichthum an nutz-
baren Holzarten; nebst Nutz- und Bauholz (Mahagoni-, Cedern-, Eisenholz u. a.)
ziehen diese Staaten auch durch Gewinnung von Theer, Pech, Harz, Pottasche gros-
sen Gewinn.
Die Viehzucht hat im Allgemeinen bedeutende Fortschritte
gemacht. Sie ist zwar nebst dem Landbau die wichtigste Nahrungs-
quelle; allein im Verhaltnisse zum Ackerbaue und zu den nattir-
lichen Forderungsmitteln ist ihr Aufschwung noch ein geringer.
Die europaischen Hausthiere kommen in alien mittleren und nord-
lichen Staaten vor. Besonders zeichnen sich aus : Virginien durch
schone Pferde; Connecticut, Vermont und New- York durch den
grossten Hornviehstand ; Ohio , Kentucky , Tennessee durch die
Schweinezucht (Hauptplatze fiir den Schweinehandel sind Cincin-
nati und Burlington in Jowa). Die Schafzucht vermag den Bedarf
der heimischen Fabriken an Wolle nicht zu decken; auch steht
die amerikanische Wolle, trotzdem das Streben nach Veredlung all-
gemein vorherrscht und auch gute Resultate aufweiset, der euro-
paischen veredelten weit nach. Die meisten Schafe hielten Ver-
*) Im Jahre 1859 verbrauchten :
Die Vereinigten Staaten 772.000 Ballen k 362 Zoll- foder 400 leichte) Pfund,
Grossbritannien 2,315.000 „ B
Frankreich 425.000 „ „
Das iibrige Europa 855.000 „ „
438
mont, Ohio und New -York; im Jahre 1850 betrug die Gesammt-
zahl in der Union etwa 30 Millionen Stiick, der Gesammtertrag
der Wolle 52T/2 Millionen Pfund; der Import der zu Teppichen,
Decken etc. benothigten Wolle hatte den Werth von l,a Millionen
Dollars. — DieSeidenzucht hat keine grosse Ausdehnung, relativ
am starksten ist sie in Connecticut, Massachusetts und Pennsylva-
nien ; die Bienenzucht wird iiberall, mit Ausnahme der Ktiste
am grossen Ocean, am starksten in Pennsylvanien, Ohio, New-York,
Carolina betrieben. — Jagd und Fischerei gewahren sehr reiche
Beute.
Der Bergbau liefert ungemein reichen Ertrag. Zunachst
verdient Californien mit seinem Goldreichthum (seit 1848) die
Beachtung. Die Minenproduktion Californiens wurde im Jahre 1857
auf 70 Millionen Dollars geschatzt, wovon nahezu 49 Millionen
Dollars ausgefiihrt wurden. Im Ganzen hat Californien in den
8 Jahren (1849—1857) fur beilaufig 400 Millionen Dollars Gold
in die Munzen Amerikas und Europas geliefert. Die Goldgewin-
nung von Georgia und Nord- Carolina, Virginien etc. verschwindet
dermalen gegeniiber dem Goldreichthume Californiens. Jetzt wirft
die Goldarbeit nur mehr grosseren Unternehmungen bei Zuhilfe-
nahme von Maschinen einen ansehnlicheren Gewinn ab. Allein
der fruchtbare Boden und das herrliche Klima Californiens be-
giinstigen auch ungemein die Landwirthschaft und Viehzucht. Die-
ses vor 10 Jahren noch wuste Land ernahrt gegenwartig iiber eine
halbe Million Einwohner und exportirt um einige Millionen
Dollars Getreide, Mehl, Haute, Wolle, Holz u. a. m. — Silber
kommt in geringer Menge vor; an Quecksilber ist Californien
(das Thai S. Clara) ungemein reich; reichhaltig sind die B lei-
lager in Wisconsin (Madison), Missouri, Jowa, Illinois; Kupfer
besitzen die meisten Staaten ; vorziiglich Nord-Carolina, Michigan,
Wisconsin und Missouri. — Ungemeinen Reichthum besitzen meh-
rere Staaten an Eisen, namentlich Michigan und Wisconsin, deren
Lager den Bedarf der ganzen Union zu decken vermochten. Ln
Staate Missouri liegt der Iron Mountain, der 1 QMeile be-
deckt, 200' hoch ist und ganz aus Erz (von 77—80% Gehalt) be-
steht; man rechnet sein Volumen auf 1000 Millionen Tonnen. Fiinf
Meilen sudlicher liegt der Pilot Kob, welcher 2 bis 3 Meilen im
Umfange und 500' Hohe hat, ein beinahe unerschopfliches Lager.
— An Steinkohlen diirfte die Union das reichste Land auf der
Erde sein; die Lager ziehen sich an der Westseite des Alleghany-
Gebirges durch Missouri, Ohio und Indiana, aber auch Pennsyl-
vanien, Maryland, Virginien, Texas u. a. haben Kohlenlager. An-
nahernd schatzt man die Kohlenregion auf 70- -100.000 QMeilen.
An Salz ist Ueberfluss. Grosse Salzwerke sind in New- York
(Sulina), Virginien, Kentucky, Missouri; viel Seesalz liefern die
Ostkuste und die Salzseen im Innern. — Endlich kommen in gros-
serer Menge Salpeter (Kentucky), Schwefel, Alaun, Naphta, Mar-
mor, Gyps u. a. vor.
Die gewerbliche Industrie hat in den letzten 25 Jahren
so grosse Fortschritte gemacht, dass das Unionsland in vielen Ar-
tikeln vom Auslande unabhangig ist, in manchen Gegenstanden
konkurrirt es bereits mit den europaischen Industrie-Staaten. Wie
in der Landwirthschaft, so nehmen auch auf dem Felde der Ge-
werbethatigkeit New-York und Pennsylvanien den ersten Rang ein ;
im Uebrigen entwickelt sich die industrielle Th'atigkeit mehr in
den nordostlichen Staaten; indess im Innern der Union uberwiegend
Agrikultur betrieben wird. Am hochsten steht der Maschinen-
b a u aller Art ; kein Staat hat auf diesem Gebiete so sinnreiche,
mitunter hochst wichtige Erfindungen gemacht. Zu den bedeuten-
den Gewerbserzeugnissen gehoren: Baumwollwaaren (Do-
mestiks, d. i. dichte, glatte Zeuge). Dieser Fabrikationszweig hat
den Hauptsitz in Lowell*) (Massachusetts), dann in Baltimore,
Patterson, Philadelphia, Cincinnati u. a. Im Jahre 1859 verarbei-
teten fiber 6 Millionen Spindeln gegen 280 Millionen Pfund Baum-
wolle ; die Manufakturen beschaftigen nahezu 1 Million Menschen;
die Weberei liefert in mehr als 1000 Fabriken fur fast 62 Millio-
nen Dollars Waaren. — Die Schaf wo 11 Industrie beschaftiget in
Neu-England und den Mittelstaaten an 1560 Fabriken (im J. 1815
waren deren nur 10), welche tiber 70 Millionen Pfund Wolle ver-
arbeiten und Waaren im Werthe von mehr als 43 Millionen Dol-
lars erzeugen. Lowell verarbeitet allein iiber 5 Millionen Pfund
Wolle ; andere Industrieplatze sind Philadelphia, Boston, New-York,
Pittsburg. Erzeugt werden grobe und feine Sorten (Lowell erzeugt
feines Tuch und Casimir); sonst werden besonders viel Teppiche in
den Handel gebracht. Die Produktion in L e i n e n - und S e i d e n-
waaren deckt bei weitem nicht den Bedarf. Beachtenswerth ist
ubrigens in Boston und einigen Seestadten die Leinwand- und
Segeltucherzeugung. Sehr ausgebreitet ist die Led erfabrikation,
deren Werth man auf 33 Millionen Dollars angibt. Auch Schuh-
waaren werden in grosser Menge (im Stadtchen Lyen) fur den
Export nach Central-Amerika verfertigt. Die grosste Fabrik ist
zu Prattsville (in New- York), welche jahrlich tiber 60.000 Haute
gerbt, ausgezeichnetes Glanzleder und Maroquin liefert. New-York
ist der grosste Weltmarkt filr Leder. Kautschuk - Schuhe werden
in New-York, Connecticut, New-Haven in mehr als 20 Fabriken im
Werthe von iiber 12 Millionen Dollars erzeugt. In Metall-
waaren stehen die Maschinen obenan, in Bush Hill bei Phi-
ladelphia, dann Pittsburg, Cincinnati, Baltimore, Louisville, Wil-
mington. Die Fabriken von Eiaenbahnschienen erzeugen jahrlich
iiber 4 Millionen Zentner ; — Giessereien in Eisen , Kupfer und
Messing bestehen in Ohio, Virginien, New- York etc. (Cincinnati
und Pittsburg); — grossartig ist die Nagelfabrikation (eine einzige
Fabrik in Wheeling liefert wochentlich 1000 Fasser Nagel); —
Gussstahlfabrikation in New-Jersey aus dem dort gewonnenen vor-
ziiglichen Eisenerz. Stecknadeln und Schneide-Instrumente werden
mehr als die englischen geschatzt. Waffen und vorziigliche Ge-
wehre liefern die Arsenal werksta; ten der Union zu Alleghany und
Fort Monroe, Springfield, Harpers, Ferry - Washington. — Die gross-
*) Der Begriinder der Kottonmanufaktur ist Lowell, dessenNamen die grosste Baum-
woll-Manufakturstadt augeiiommen hat
440
ten T abakfabriken Bind in Virginia, Louisiana und Maryland;
doch werden nur etwa 25% der Produktion im Lande verarbeitet.
Die bedeutendsten Zuckerraffinerien sind in Boston, Philadelphia,
New-York, Baltimore; doch deckt die inlandische Erzeugung nicht
den Bedarf; das Gleiche gilt von den chemischen Fabrikaten,
sowie den sehr umfangreichen Branntwein- und Whisky-
brennereien (die grosste zu Louisville), deren Erzeugung von
jahrlich etwa 7 Millionen Fass dennoch eine Einfuhr aus Europa
nothwendig macht. In den Weizen- und Maisgegenden wird in
Dampfmtihlen Mehl bereitet; am ausgedehntesten ist dieser Be-
trieb in Baltimore, Philadelphia, New- York, St. Louis. Grossartig
sind die Bier brauereien zu Pouorhkeepsie , Boston, Albany,
New- York, Philadelphia; dann die Oelmiihlen, Seifen-, Lichter-,
Talg- etc. Ziehereien. Von grosstem Umfange sind die Wall-
fischthran- und Sp erm a ceti -Siedereien zu Nantuket. —
Pergament wird in New- York, Papier (insbesondere aus Schilf,
Laub, Stroh etc.) in Connecticut, Massachusets und Pennsylvanien
erzeugt ; an Hadern werden fur das Leinenpapier grosse Quantita-
ten aus Europa eingefuhrt. Die Fabrikation von Glas undGlas-
waaren, Porzellan und Fayence (in Philadelphia) ist bei
weitem nicht ausreichend ; erstere werden aus Bohmen und Frank-
reich, letztere aus China, Frankreich und Deutschland bezogen.
In den waldreichen Landstrichen , insbesondere am Mississippi er-
zeugen die vielen Sagemtihlen ungeheure Mengen von Brettern
u. dgl.; — Im Allgemeinen nimmt die gewerbliche Industrie von
Jahr zu Jahr einen so grossen Aufschwung, dass stets neue In-
dustriebezirke entstehen, oder die bestehenden sich derart verandern,
dass sie ala neue gelten konnen. Das Unionsland ist eben in dem
Stadium des kraftigsten Schaffens und Umgestaltens. Die wich-
tigsten Industrieplatze sind: New- York , Lowell, Salisbury,
Boston, Philadelphia, Baltimore, Cincinnati , Patterson, Pittsburg.
Der Werth sammtlicher Fabrikserzeugnisse wurde fur das J. 1852
mit 1133 Millionen Dollars angegeben.
Handel. Die vereinigten Staaten sind nachst Grossbritannien
die grosste Handelsmacht. Die gilnstige Lage an zwei Oceanen,
die reiche Gliederung der Kiiste, machtige schiffbare Seen, Fliisse
und Kanale, ein Eisenbahnnetz von mehr als 6000 deutsche'n Mei-
len, eine Handelsmarine starker als jene von Grossbritannien, die
freie Bewegung im Innern, Spekulationsgeist, Unternehmungslust
und Willenskraft des Volkes; — diess Alles hat dazu beigetragen,
dieses Volk unter die ersten Handelsnationen zu reihen. Zunachst
ist die Verbindung mit Europa von hochster Bedeutung, und an
der buchten- und hafenreichen Ostkiiste sind die wichtigsten Platze:
New-York, Boston, Philadelphia, Baltimore, Charlestown ; an der
Siidkuste haben lebhaften Verkehr New -Orleans und Galveston;
an der Westkiiste San Francisco und Astoria. New-York, mit
sehr grossem Hafen, ist der erste Handelsplatz der Union ; er steht
mit alien wichtigen Hafenplatzen der Erde in direkter , zum Theil
regelmassiger Dampfschiffahrts-Verbindung ; Haupt-Speditionsplatz
zwischen Europa und der Union. Dampfachiffe, Eisenbahnen, viele
441
Banken, Assekuranzen und Verkehrsanstalten aller Art fordern den
in kolossalen Dimensionen steigenden Handel. Zudem ist die Stadt
auch beriihmt durch die Grossartigkeit und .Mannigfaltigkeit ihrer
Industrie. Der zweite Handelsplatz ist New-Orleans, zunachst
fiir die Ausfuhr von Zucker, Baumwolle, Tabak und Reis, dann fur
den Gesammtverkehr auf dem Mississippi nach dem Innern. Die
Industrie ist nur in den zum Schiffbau gehorigen Gewerben ver-
treten. Boston hat nebst bedeutender Gewerbethatigkeit (grosse
Kleiderfabrik mit 3000 Arbeitern) starken Handel nach Siid-
Amerika und Europa; am bedeutendsten ist jedoch die Fischerei
(Stockfische, Wallfische). Die erste Industriestadt der Union
ist Philadelphia, vorzuglich in Leder und Porzellan; als Han-
delsstadt folgt sie unmittelbar auf die friiher Genannten. Hier ist
der Sitz der Unionsbank, eines See- Arsenals , grosser Schiffswerf-
ten; der Hauptverkehr geht fiber Lancaster nach Pittsburg und
Cincinnati. Fur den Verkehr nach dem Ohio ist Baltimore
Hauptplatz, dessgleichen fiir den Handel in Tabak und Getreide.
Unter den vielen industriellen Etablissernents dieser Stadt nehmen
die vielen und grossen Tabak-, Sage- und Getreidemiihlen den
ersten Rang ein. Charles town ist Hauptstapelplatz fur Baum-
wolle und Carolina - Reis. San Francisco diirfte berufen sein,
ein „ New- York des Pacific" zu werden, den Handel im stillen Ocean
zu beherrschen und mit Japan, China, Australien einen grossartigen
Verkehr zu entfalten.
Die Schiffe der Union befahren fast alle Meere ; Handels-
verbindungen, direkte Dampfschiffahrten u. a. m. arbeiten unaus-
gesetzt an der Hebung des Verkehrs. Ackerbau und Industrie,
Handel und Schiffahrt haben namentlich seit dem Jahre 1840
wahrhaft riesige Fortschritte gemacht, und die beiden Stockungen
(im Jahre 1847 und 1857) haben nur vorubergehend auf den all-
oremeinen Welthandel nachtheilig gewirkt. In der Periode von
1840 bis 1859 zeigt sich im auswartigen Handel folgende
Steigerung (die Rechnungsjahre vom 1. Juli bis Ende Juni des
nachsten Jahres):
Ausfuh r :
1839—1843 (durchschnittlich) 117V,
1846-1847 158 ,
1851—1852 209.6
1856—1857 362.o
1857—1858 *) 324-0
1858-1859 356.7
E i n f u h r :
1839—1843 (durchschnitllich) 109 1/2
1846-1847 146 V,
1851-1852 212.o
1856-1857 360.8
1857-1858 282.0
1858-1859 338.7
*) Buckschlag in Folge der Krisis im Jahre 1857.
Dieser kolossalen Zunahme des Handels entspricht der Auf-
schwungdes Schiffbaues, die Vergrosserung der Handels-
flotte. Die Schiffe hatten im Jahre 1840 etwa zwei Millionen Tonnen-
gehalt; — in den Jahren 1852 bis 1857 sind nicht weniger als
8655 Schiffe ( darunter 1289 Dampfer) von fast 2.4 Millionen
Tonnen neu gebaut worden; — jetzt besitzt die Union etwa
30.000 Schiffe mit 5l/3 Millionen Tonnen (wahrscheinlich mehr als
2400 Dampfschifte mit iiber zwei Drittel Millionen Tonnen)1 und fiber
200.000 Matrosen.
Die wichtigsten Export- Art ikel sind: Baumwolle, Getreide
und Mehl, Tabak, welche etwa zwei Drittel des Werthes beim Ex-
port einnehmen *).
Der Im por t besteht hauptsachlich in: Zucker, Kaffee, Wollen-,
Baumwollen-, Seiden- und Leinenwaaren, Eieen und Eisenwaaren,
Glas, Porzellan u. a, m.
Unter den mit der Union im Handelsverkehr stehenden Lan-
dern sind bei der Ausfuhram starksten vertreten: England
(wohin dieHalfte derAusfuhr geht), dann Frankreich, britisch
Nord-Amerika, Bremen und Hamburg, Cuba, Spanien u. s. w.: —
bei der Einfuhr reprasentirt England iiber ein Drittel der Ge-
sammteinfuhr ; dann folgen Frankreich, Cuba, Brasilien, britisch
Nord-Amerika, Bremen und Hamburg, Ostindien u. s. w. **). —
Aus den deutschen Zollvereins-Staaten werden hauptsachlich Wollen-
und Seiden waar en bezogen.
Der Verkehr nach dem Innern des Kontinentes wird
vvesentlich gefordert durch die zahlreichen Wasserstrassen und
Eisenbahnen. Die Hauptzuge des Verkehrs gehen : 1. von New-
York fiber Albany, Eriesee, Detroit, Chicago nach St. Louis ; —
2. von New-York per Eisenbahn nach Dunkirk am Eriesee, von da
per Dampfschiff nach Cleveland, dann per Eisenbahn nach Cincin-
nati ; — 3. von Baltimore an den Ohio ; — 4. von Philadelphia
iiber Lancaster nach Pittsburg und Cincinnati; — 5. von New-
Orleans auf dem Mississippi und dessen Nebenfliissen nach dem
Innern. Die wichtigsten Punkte fur den inneren Verkehr sind
St. Louis, Pittsburg, Cincinnati. — St. Louis, der
*) Export 1856—1857 Import
Banmwolle 131%
Getreide, Mehl, Reis , Mais 58% I
Thiere und thierische Pro-
dukte .................. 163/4
Holz, Asche etc ........... 14 ,
Zucker
Kaffee 22.,
Wollwaaren 28.B '
Baumwollwaaren 28., I
Seide und Seidenwaaren 28.,
Leinenwaaren ll.4J
") Export 1858—1859 Import
nach England (Baumwolle und
Brodstoffe) 172.,
„ Britisch Nord-Amerika. 21
„ Frankreich (Baumwolle,
Tabak) 43.0
„ Cuba 11.,
,, Bremen ) ,,
„ Hamburg)" •
„ " Spanien 8.4i
aus England 125.,
Britisch Nord-Amerika .... 19.,
Frankreich 41.3
Cuba 34.0
Brasilien 22.4
Bremen I 17
Hamburg \ ' '
Otitindien 10.,
443
Knotenpunkt fur den Verkehr mit dem Westen, ist der Mittelpunkt
fur den angle - amerikanischen Holz- und Pelzhandel. Hier kon-
zentriren sich die Produkte des Ackerbaues, der Blei- und Eisen-
minen und der Stapelprodukte fur den Santa Fe- Handel (der Ge-
halt der hier ankommenden Schiffe wird auf eine halbe Million
Tonnen geschatzt); Santa Fe, an der grossen Strasse von New-
York nach Californien , ist Mittelpunkt des Karawanenhandels. —
Pittsburg, das ,,amerikanische Birmingham," am An fang der
Dampfschiffahrt auf dem Ohio, ist der naturliche Stapelplatz zwi-
schen dem Norden und dem Suden der Union. — Cincinnati
ist der Hauptmarkt fur landwirthschaftliche Produkte (gegen 1 Mil-
lion Schweine und Kinder wird hier jahrlich geschlachtet und das
Fleisch verpackt). Hier sind auch grosse Gerbereien und sehr viele
Getreidemiihlen.
Als Forderungsmittel des Handels verdienen beson-
dere Hervorhebung : das Postwesen, die zahlreichen vielverzweig-
ten Telegraphenlinien, die Eisenbahnen, Banken, die zahlreichen
Eisenbahn-, Kanal-, Schiffahrts-, Assekuranz- und andere Gesell-
schaften *).
Bei der grossen Verschiedenheit der Volksstamme, welche das
Unionsland bewohnen, lasst sich ein allgememea Bild der geistigen
Kultur in dem weit ausgedehnten Gebiete kaum entwerfen. Die
Bewohner sind theils W e i s s e , theils F a r b i g e (Neger, Mulatten etc.),
theils Indianer. Die Weiss en, iiber zwei Drittel der Gesammt-
bevolkerung , bilden das europaische Element , in welchem die
britische Nationalitat so sehr iiber wiegt, dass die englische
Sprache die herrschende Geschafts- undSchriftsprache ist. Deutsche,
deren sich in jeder grosseren Ortschaft vorfinden, diirften 5—6 Mil-
lionen im Unionslande wohnen ; an Zahl zunachst stehen die I re n
und Franzosen. — DieFarbigen sind etwa der sechste Theil
der Bevolkerung; doch sind kaum '/2 Million freie und an3'/2Mil-
lionen Sklaven in den siidlichen Staaten, wahrend die nordlichen
die Sklaverei abgeschafft haben. — Die Zahl der Indianer (Ur-
einwohner) vermindert sich fortwahrend , man schatzt sie nur noch
auf 400.000. Das unstete Leben, fortwahrende Kriege unter ein-
ander, Krankheiten und der unmassige Genus s des Branntweines
fuhren diese Ueberreste der Chippewaer, Irokesen, Huronen, Illine-
sen u. s. w. dem Untergange zu. Manche Stamme wurden zum
*) Posten. — Im Jahre 1856 bestanden 25.565 Postamter, 219,935 englische
Meilen Poststrassen ; Briefe warden fast 120 Millionen befOrdert.
Telegraphen: Im Jahre 1852 fiber 16.000 (mit den Doppellinien 27.177)
englische Meilen.
Eisenbahnen (je am 1. Januar) :
Im Jahre 1836 1850 1852 1854 1856 1859
1421 7350 10.878 15.511 23.242 27.857 englische Meilen,
deren Baa tiber 961 Millionen Dollars gekostet hat.
Die Neu-England-Staaten, dann New- York, Ohio, Indiana und Illinois bcsit/.cn
an 12.000 Meilen Bahnen. — Im Jahre 1854 bestanden etwa 325 Eisenbahngesell-
schaften. Die Bahnen sind grossentheils unsolid gebnut ; viele Gesellschaften haben
Bankerott gemacht u. dgl. ; doch ist das Eisenbahnnetz ein ungeheures.
Banken: Zu Anfang des Jahres 1859 bestanden 1478 Banken (im Staate
New-York 300, in Massachussets 174) mit eincna Capital von iiber 403 Mill. Doll.
444
Christenthume bekehrt, griindeten feste Wohnsitze und schreiten in
der christlichen Kultur und Gesittung vorwarts. — In kirchlicher
Beziehung findet eich eine noch grossere Mannigfaltigkeit als in
nationaler. Die Mehrzahl der Weissen sind Protestanten von ver-
schiedenen Sekten; in Louisiana, Kentucky und Florida sind Ka-
tholiken vorherrschend ; Israeliten sind minder zahlreicb. Die An-
zahl der christlichen Kirchen und Gotteshauser ward im Jahre
1854 auf 38.061 und der Gesammtwerth des Kirchenvermogens auf
mehr als 87 l/3 Million Dollars angegeben. In den ostlichen
Staaten sind Sitten und Lebensweise europaisch; iiberhaupt schreitet
die Civilisation von Ost nach West immer vorwarts; Walder wer-
den ausgerodet, neue Stadte angelegt und diesen haufig der Name
der lieben alten Heimat gegeben. In intellektueller Kultur
sind die Staaten, in denen die Sklaverei abgeschafft ist, den Skla-
venstaaten ausserordentlich voraus. In den letzten ist namlich die
ganze Sklavenbevolkerung, zum Theil auch die freien Farbigen,
sei es faktisch oder sogar gesetzlich vom offentlichen Unterrichte
ausgeschlossen ; gilt doch in einigen Sklavenstaaten selbst die
Unterweisung der Sklaven im Lesen und Schreiben als ,,An8tif-
tung zum Aufruhr." Fiir die Elementarbildung vvirken die Staats*
und Nationalschulen (wohl an 100.000 in der Union), obwohl hier-
bei kein Schulzwang besteht; das mittlere und hohere Unterrichts-
wesen ist Sache der freiwilligen Thatigkeit und verschiedener
Vereine, von denen die Akademien und grammatischen Schulen,
die Universitaten und Kollegien gegrundet sind und unterhalten
werden. Unter den etwa 180 ^Colleges" (hohere wissenschaftliche
Anstalten) fuhren 18 den Namen ..University,8 welche jedoch nicht
auf der Hohe deutscher Universitaten stehen. Die besuchtesten
sind die Harvard University zu Cambridge (Massachusetts), New-
haven, New-York, Philadelphia, Providence, Norwich (Vermont),
Middletown und Pitteburg. Die Zahl der Bibliotheken ist sehr
bedeutend, im Jahre 1859 gab es deren 40.890 mit 12% Millionen
Banden (darunter 1297 offentliche mit iiber 4l/4 Million Ban-
den). Trotz der vorherrschenden Richtung des Amerikaners auf
das flPraktische" herrscht in den Stadten doch auch auf dem
wissenschaftlichen Gebiete grosse Riihrigkeit. Dass bei diesem viel-
seitigen enormen Vorwartsdrangen und Stiirmen nicht Alles den
geregelten Gang geht, ist begreiflich; aber neben den emporend-
sten Barbareien und Rohheiteu, neben den schamlosesten Betruge-
reien und dem ehrlosesten Missbrauche jedes Vertrauens sehen wir
eben doch die Nation in ihrer Gesammtheit emporkommen und
bluhen, an Macht und Wohlstand wachsen. Schatzt man doch in
jenem Lande , wo Mder allmachtige Dollar Alles regiert" und wo
der nWerth des Mannes* nach der Anzahl seiner Dollar bestimmt
wird, das gesammte Privateigenthum im Jahre 1856 auf 11. 317 Mil-
lionen Dollars ! *) Ungeachtet der vielen und begriindeten Vor-
*) Vom J. 1835—1857 sind gestiegen : die Bevolkerung urn 90 %
der Import um 140 „
der Re-Export um 17 „
der Verbrauch im Allgemeinen um 160 ,,
„ ,, per Kopf um 38,,
445
wurfe, welche der aus alien Landern hier zusammenstrb'menden
Bevolkerung mit den vielen Licht- und Schattenseiten der Nationen
und Individuen gemacht werden, scheint Nord-Amerika providentiell
die Aufgabe zu haben, das Christenthum und die Kultur Europas
fiber den grossen Erdtheil zu verbreiten , und fiber den grossen
Ocean nach den ostlichen Staaten Asiens zu tragen. Die zahlreichen
noch unvermittelten und unversohnten Widerepruche haben grossen-
theils in dem stiirmischen Drangen dieser Junglings-Nation ihren
Hauptgrund , auf welches sicherlich das besonnene, ernste Mannes-
alter der Nation folgen wird. In dies em Sinne kann der Staat
das ,,Land der Zukunft" genannt werden.
B. Mittel-Amerika.
§ 178. Die Repablik Mexiko.
40.000 QMeilen; 8,287.400 Einwohner (nahezu 31/2 Millionen Indianer [die
Mehrzahl civilisirt und Christen, die ubrigen heidnisch, wie die Unions- Indianer],
1 V, Million Weisse, an 2 3/4 Millionen Mischlinge [Creolen, Mestizen] und an 16.000
Neger). — Die romisch - katholische Kirche ist vorherrschend ; die fast allgemeine
Sprache des Landes ist die spanische. — Grenzen: im 0. Honduras-Bai und Meer-
busen von Mexiko; — im N. die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika; — • im
W. der grosse Ocean und der Golf von Californien ; — im S. der grosse Ocean,
Guatemala, die britische Kolonie Honduras.
Mexiko (spr. Mechiko), das ehemalige nNeu - Spanien" ist
ein breites Tafelland (5000—8000' hoch), der wbreite , wellenformig
verflachte Riicken der Andeskette", welcher nordwarts an der Ein-
senkung von Tehuantepec beginnt und nach den heissen Kiistenebenen
der beiden Meere in Terrassen abfallt. Den siidlichen Theil des
Plateau's die Hochflache von Anahuac durchziehen vul-
kanische Bergketten ; auf dem Plateau von Guanaxuato (21°
n. Br.) beginnt der Charakfer der Gebirgserhebung, die Cordilleren
theilen sich in drei Zweige. (Siehe S. 43, c.) — An der Siidspitze
von Californien beginnen die nordamerikanischen Seeal-
pen, welche langs der Westkfiste nordwarts ziehen. — Die horizon-
tale Gliederung des Landes ist nicht besonders gQnstig. Die Ost-
kuste ist eehr flach, einfb'rmig, fast uberall mit Lagunen und Sand-
diinen besetzt, somit arm an guten Hafen ; die Westkuste ist steil
und bergig und hat ebenfalls nur wenig bessere Hafen. Das Land
besitzt weder viele noch groese Flusse, namentlich leiden die nord-
lichen Plateaux an grosser Trockenheit. Die bedeutendsten Flusse
sind der Rio del Nor te und der Colorado des Westens
mit dem Gil a.
In klimatischer Beziehung scheidet man das Land in drei
Abtheilungen, den heissen Landstrich (tierra caliente) an der Ost-
kiiste mit der hochsten Temperatur des amerikanischen Festlandes ; —
den gem§,ssigten (t. templada) an den Sstlichen und westlichen Ab-
hangen und den niederen Plateaux (3500—5000' hoch), wo fast ein
fortwahrender Friihling herrscht , mit geringem Temperaturwechsel
und der iippigsten Vegetation; — den kalten (t. fria) auf der
Hochebene mit relativ strengem Klima, obwohl z. B. in Mexico das
Thermometer fast nie auf den Gefrierpunkt sinkt (mittl. Jahreetem-
peratur -|- 13° R.).
^446
Die terras senformige Bildung in dieser Zone bewirkt, dass in
diesem Lande sowohl nordische Kulturgewachse als tropische Nah-
rungspflanzen gezogen werden. Den fruchtbarsten Boden hat das
Plateau von Anahuac. Leider wird der ausserordentliche Produkten-
reichthum bei weitem nicht genugend ausgebeutet ; der Acker bau
wird ungemein vernachlassigt. Nebst den europaischen Getreide-
und Obstarten werden auch Reis, Zucker , Baumwolle , Tabak,
Kaffee , der Oelbaum und der Weinstock gepflanzt. Zu den ein-
heimischen Pflanzen gehoren die Banane, der Cacao-Baum und die
Agave (aus welcher das berauschende Getrank »Pulque" bereitet
wird), der Maniok, spanischer Pfeffer und viele tropische Fruchte.
An Handelspflanzen gedeihen: die Vanille, Jalappa, Sarsaparilla,
der Piment u. a. m. Unter den Farbe- und Nutzholzern sind her-
vorzuheben: das Campecheholz von Yucatan und Tabasco, das
Gelbholz von Tabasco und Vera Cruz, das Brasilien- oder Fernam-
bukholz von Jalisco, Mahagony- und Cedernholz u. a. — Noch
geringere Pflege findet die Viehzucht, obwohl alle natiirlichen
Bedingungen reichlich vorhanden sind. Verhaltnissmassig am meisten
wird das mexicanische Pferd geschatzt. Mit mehr Sorgfalt wird
die Pflege der Cochenille betrieben. — Von hochster Wichtig-
keit sind die Minen auf dem Plateau von Anahuac. Das Hoch-
land ist reich an edlen Metallen , es ist das erste Silberland
der Erde; ausserdem gewinnt man Gold, Quecksilber, Kupfer,
Eisen ; ferner Smaragde , Tiirkisse, und in neuerer Zeit sind auch
Diamanten (in der Sierra madre) gefunden worden. Seit der Re-
volution liegt der Bergbau zwar sehr darnieder, dennoch betragt
die durchschnittliche Jahresausbeute etwa 4000 Mark Gold und
gegen 2 Millionen Mark Silber. Einige englische , amerikanische
und deutsche Bergwerksgesellschaften haben den Bergbau auf mehre-
ren Punkten, wo sich Colonien angesiedelt haben, von der Regie-
rung in Pacht genommen. Die meisten Minen sind in Guanaxuato
(Gold und Silber), Zacatecas und Catorce.
Dem grossen Reichthume, welchen die Natur in Hinsicht auf
Pflanzenwuchs, Thierwelt und Mineralien iiber Mexico fast ver-
schwenderisch ausgeschiittet , stehen als Schattenseite des Landes
die menschlichen Verhaltnisse entgegen. Die gewerbliche In-
dustrie ist noch mehr vernachlassigt als die Landwirthschaft,
in manchen Artikeln wirklich im primitiven Zustande ; nur in der
Cochenille-Produktion , in der Erzeugung von gebrannten und ge-
gohrenen Fliissigkeiten ist sie von einiger Bedeutung. Etwas hoher
stehen die Gold- und Silberarbeiten. Unter den Webewaaren nimmt
die Verarbeitung von Baumwolle, sowohl hinsichtlich der Quantitat
als der Qualitat, relativ den ersten Rang ein; doch beschrankt sie
sich auf grobe , weisse Cattuue (manias), Shawls (re"bozos), Tisch-
zeug, Bettdecken u. dgl.
Der Handel ist schon nach den geschilderten Verhaltnissen
ein geringer; nur der Schmuggelhandel scheint) bedeutend. Die
hauptsachlichsten Hemmnisse sind: der Mangel an guten Hafen, die
ungesunde Kiiste, der Mangel an Strassen und schiffbaren Fliissen,
die Unsicherheit wahrend der so haufigen politischen Umwalzungen.
447
Ein- und Ausfuhr sind so ziemlich gleich, doch nehmen trotz des
Produktenreichthums die edlen Metalle an dreiViertel der Gesammtaus-
fuhr ein. Die bedeutendstenfExportartikel sind : Silber, Mahagony- und
Campecheholz, Vanille, Cochenille, Cacao und Tabak. Der aus-
wartige Verkehr liegt iiberwiegend in den Handen deutscher Kauf-
leute ; er geht aus den Hiifen von Vera Cruz, Tampico, Campeche,
Matamoros, Acapulco nach dem Unionslande, nach England, den
Hansestadten und Frankreich.
Die Bevolkerung ist eine gemischte, ausserst dunne und
vielfach moralisch und physisch versunken; daher sowohl in den
Stadten als auf dem Lande grosse Unsicherheit des Lebens und
Eigenthums herrscht.
Politische Eintheilnng and Orte :
Bis zum Jahre 1821 wurde ,,Neu-Spanien" von einem Vice-Konige regiert
(dem ein Rathskollegium znr Seite stand) und das Reich war in zwolf Inten-
daaturen und drei Provinzen eingetheilt. Die darauf folgenden Wirren und
Umwalzungen, die stets sich wiederholenden Kampfe der Centralregierung und
der Foderalisten um die Herrschaft batten verschiedene Eintheilungen des
Landes zur Folge. Jetzt wird Mexiko iu viernndzwan/ig Departimentos (Pro-
vinzen), drei Territorien und den Bundesdistrikt mit der Hauptstadt eingetheilt.
Mexiko, in der Mitte des Plateau von Anahuac, mit 170.000 Einwohnern ;
eine der schonsten Stadte Amerikas, mit der schSnsten Kathedrale, prachtvollcn
Gebauden nnd zwei grossen Wasserleitungen. Universitat, Fabriken, wichtiger
Handel. — La Puebla (70.000) auf dem Plateau von Anahuac; — Vera
Cruz (8000 Einwohner), Haupthandelsplalz in hochst ungesunder Lage am
Golf; — Me rid a (40.000) auf Yucatan, nabe der Nordwestkuste, treibt See-
handel fiber den Hafenplatz Sizal; — Oaxaca (25.000) am Rio verde,
starke Cochenille-Zncht, Fabriken und Handel; — Tehuantepec (14,000)
am grossen Ocean; — Acapulco (4000) mit dem besten Hafen Mexikos am
grossen Ocean; — Morelia (25.000); — Guadalaxara (60.000) in der
Nahe des Chapala-Sees; Universitat, Bergbau , Fabriken; — Quere"taro
(30000), Bergbau, Gewerbe; — Guanaxuato (50.000), Silberbergwerke,
Gewerbe; — Zacatecas (30.000), Silbergruben ; — San Luis Potosi
(40.000) Silbergruben, Handel; — Durango (25.000) Gold- und Silbergru-
ben. — Die Halbinsel Californien hat sandigen, unfruchtbaren Boden , ist
sehr dflnn bevOlkert (kaum 10.000 Bewohner, meist Indianer), und hat nur
unbedeutende Ortschaften. Im Territorium Colima am grossen Ocean ist
die gleichnamige Hauptstadt mit 20.000 Einwohnern. — Das kleine, von In-
dianern bewohnte Gebiet Tlasc ala , mit dem Hauptorte gleichen Naraens,
liegt im Norden der Provinz la Puebla. — An der Siidostkuste der Halbinsel
Yucatan bis zur Sudwestspitze des Golfcs von Honduras liegt die britische
Kolonie Honduras, hauptsachlich wegen der Ausfuhr von Mahagoni-
und Campecheholz, von Cochenille und Indigo, sowie wegen des Schleichhan-
dels nach den benachbarten Staaten von einiger Bedeutung. Hauptort ist
Balize an der Mundung des gleichnamigen Flusses. Der Flachenraum dieser
Kolonie betragt etwa 250 [JM., die Bevolkerung an 30.000 Seelen.
§ 179. Ccntral-amcrikaiiische Repnbliken.
Zwischeu den zwei Landengen von Tehuantepec und von
Panama liegen breite Tafellander , von einzelnen Gebirgsketten
durchzogen und an den Randern von hohen Vulkangipfeln iiber-
ragt. Aus der Einsenkung von Panama erhebt sich das Plateau
von Veragua, welches mit dem Plateau von Costa Rica
zueammenhangt. Dieses fallt 5m Norden zur Ebene von Nicara-
gua herab, aus welcher sich nordlich das Hochland von Hon-
duras erhebt. An dessen Ostseite breitet sich das Tiefland der
Mosquito-KOste aus; zum groesen Ocean fallt es in eteilen Teras-
448 _
sen herab. An dieses Hochland schlies8t sich im Nordwesten das
Hochland von Guatemala an, welches sich nach Nordosten
als Hiigelland in die Halbinsel Yucatan fortsetzt und an derKiiste
verflacht; im Nordwesten aber bildet das Ber gland vonChiapa
den Uebergang zur Thalspalte von Tehuantepec.
Die Kusten an beiden Oceanen sind reich gegliedert und
bilden mehrere gate Hafen. Mit Ausnahme der hoheren Ebenen
ist Centralamerika gut bewassert, zahlreiche Fliisse fallen (aller-
dings nach kurzem Laufe) in die beiden Meere. Der grosste Land-
see ist der von Nicaragua (242 QJMeilen), von hohen Vulkanen
umgeben; sein Abfluss in das karaibische Meer ist der Fluss
San Juan.
Das Klima ist auf der Hochebene gemassigt und milde, an
den Kusten zwar heiss , doch nicht so ungesund, als in Mexico ;
im Allgemeinen ist es in den meisten Landstrichen von immer-
wahrender Fruhlingsmilde. Wahrend der Regenzeit ereignen sich,
vorziiglich im October, Stiirme , Ungewitter und Erdbeben ; in
der trockenen Jahreszeit ( vom November bis Mai ) ist an der
Kiiste starker Thaufall , allein die Hochebene ist eine ausge-
brannte Wiiste. — Der Boden, der nie gediingt zu werden braucht
und gleichwohl zwei bis drei Jahresernten gibt, ist der Landwirth-
schaft ungemein gunstig; nameutlich gibt es auf den Plateaux von
Costa Rica, Honduras und Guatemala (in einer Hohe von 3 — 5000')
kultivirbare Strecken von unermesslicher Ausdehnung und Frucht-
barkeit.
Die Produkte sind die gleichen wie in Mexico. Auf den
Hochebenen wird Ackerbau, an den Abhangen und Kusten Plan-
tagenbau betrieben. Die wichtigsten Erzeugnisse sind : Kaffee
(Costa Rica), Cacao (Nicaragua), Tabak und Nutzholzer, nament-
lich Mahagoni- und Campecheholz (Nicaragua, San Salvador, Hon-
duras), Indigo (San Salvador, Guatemala), Cochenille (Guatemala
producirt mehr als die Halite des Bedarfes der ganzen Erde),
Baumwolle, Zucker (namentlich die braune Art Panela), Balsam u. a. m.
— Die Viehzucht ist ziemlich erheblich. — An Metallen fin-
det man Gold , Silber , Blei, Kupfer (in Honduras) und Eisen
(San Salvador); doch ist die Ausbeute bei weitem geringer als in
Mexico.
Die gewerbliche Thatigkeit ist einegeringe; Manufacte wer-
den iiberwiegend aus Grossbritannien importirt. Die dem Welt-
handel giinstige geographische Lage erregt noch mehr als der
grosse Produktenreichthum dieser Lander die Aufmerksamkeit der
grossen Handelsstaaten , insbesondere Nordamerikaa und Englands.
Die nachste Aufgabe ist eine kurze Verbindung zwischen dem gros-
sen und atlantischen Ocean herzustellen. Unter mehreren darauf
bezuglichen Projekten ist eines ausgefuhrt worden , namlich eine
Eisenbahn uber den Isthums von Panama, welche im
Jahre 1855 eroffnet worden ist. Sie verbindet die Stadt A sp in-
wall (auf der Koralleninsel Manzanillo im kara'ibischen Meere) mit
der Stadt Panama am gleichnamigen Golfe, Diese Strecke er-
fordert eine 3— 48tiindige Fahrt.
Die Staaten auf dem bezeichneten Landstriche sind die 6 Re-
publiken: Guatemala, San Salvador, Honduras, Nica-
ragua, Costa Rica und Panama (oder Isthmo), sowie das un-
abhangige ,,Konigreich der Mo squit o k iis te."
Die Bevolkerung, etwa 2 '/2 Million Seelen , ist sehr
gemischt. Ueber V2 Million sind Weisse, beilaufig 80,000 Indianer,
kaum 10,000 Neger; der ganze grosse Rest entfallt auf Mischlinge
(Mulatten , Creolen u. s. w.). Die Indianer sind theils abhangige,
zum Christenthume bekehrte (Ladinos oder Quiche), oder unab-
hangige, an der Mosquitokiiste (Bravos oder Barbaros). — Die
V erf as sung dieser Staaten ist jener im Unionslande nachgebildet.
An der Spitze jedes Staates steht ein President. Die Sklaverei ist
vollig aufgehoben. Die romisch - katholische Kirche ist die vor-
herrschende.
1. Guatemala (3060 DM., 1,100,000 E.): Guatemala (60,000 auf einer frucht-
bareu Hochebene; die bedeutendste Cochenillezucht ; Industrie in Baumwolle,
Thonwaaren, Tabak, Bijouterien. Lebhafter Handel init Maulthierkarawanen nach
den beiden Oceanen ; — Hafenplatze : St. Thomas an einer Bucht des Honduras-
Golfes, Is tap a am Pacific.
2. San Salvador (400 Q M., 500,000 E.): Die fruhere Hauptstadt San Salva-
dor ist im Jahre 1854 durch ein Erdbeben fast ganz zerstbrt worden; in deren
Nahe ist mm die neue Hauptstadt Cojutepeque zum Theile schon aufgebaut.
Starker Indigo- und Tabakbau. Der wichtigste Hafen ist La Union an der
Fonseca-Bai.
3. Honduras (2500 n M., 380,000 E.): Comayagua" (20,000), bedeutender
Bergbau. Hafenplatze an der Honduras-Bai : Caballo und Truxillo; —
Olancho hat die reichsten Goldgruben.
4. Nicaragua (2200 Q M., 300,000 E.): Leon (25,000), in der Nahe des grossen
Oceans, auf einer gut bebauten Hochebene, treibt lebhaften Handel ; — Granada
(20,000) an der Nordwestseite des Nicaragua-Sees; — Nicaragua (14,000); —
Realejo hat den besten Hafen am grossen Ocean; — Greytown (spr. Grehtaun)
— oder San Juan de Nicaragua (5000) an der Mundung des San Juan-Flusses.
Im Osten der Staaten Nicaragua und Honduras (vom Kap Honduras iiber
Kap Gracias a Dios bis zur Miindung des Blewfield-Flusses) ist das unabhan-
gige nKonigreich der Mosquito-Kiiste" (oder Mosquitia) an 2000 Q M-
gross, mit etwa 10,000 (nach einigen Angaben 200,000) heidnischen Indianern.
Fast das ganze Land ist ein grosser Wald, von Flussen durchschnitten ; der
Boden ist ausserst fruchtbar, das Klima milde und gesund. Besondern Einfluss
ttbt England aus. Der ansehnlichste Ort ist Blewfield.
5. Costa Rica (746 D M., 215,000 E.): San Jose (30,000); Cartago (20,000);
Puntas Arenas, Hafenplatz am Golf von Nicoya.
6. Panama (1300 QM., 144,000 E.): Panama (25,000), Freihafen, seit der
Vollendung der Eisenbahn nimmt der Handel sehr zu; — Aspinwall; — die
Perlen-Inseln im Golf von Panama sind wegen der Perlenfischerei beachtens-
werth. — Die Kiistengegenden sind sehr ungesund (gelbes Fieber).
§. 180. Westiudien.
Unter Westindien oder den Antillen versteht man den
•rrossen Arcbipel , welcher sich von den Halbinseln Florida und
Yucatan bis zu den Miindungen des Orinoco erstreckt und das
mexicanische nebst dem karai'bischen Meere vom atlantischen Ocean
trennt. Der gesammte Flachenraum betragt beilaufig 4500 nMei-
Icn, auf welchem nahe an 4 Millionen Menschen leben. Der Ar-
chipel besteht aus 3 Gruppen : den grossen Antillen, den
ihnen nordlich vorgelagerten Bahama- (oder Lucayas-) Inseln,
und den kleinen Antillen.
Klun's HandPls-Gcograpbie. 2. Anil. 29
450
Die Antillen sind gebirgig, mit Auenahme von Tabago und
Trinidad, welche den Charakter ISudamerikas tragen ; die Bahamas
nieder und flach. Die nordwestlichen (Bahama, Cuba und Jamaica)
eind von machtigen Banken umgeben , zwischen welchen oft nur
schmale, der Schiffahrt gefahrliche Kanale fiihren, unter denen der
,,alte Bahama-Kanal," nordlich von Cuba, besonders beruchtigtist*).
Die meisten Kiisten sind steil und haben zahlreiche, eichere Hafen.
Die grossen Ineeln sind fruchtbar und wasserreich; die kleinen
leiden haufig Wassermangel, woran die Ausrottung der Wilder die
Hauptschuld tragt. — Das Klima ist eines der herrlichsten unter
den Tropenklimaten der Erde ; die allerdings bedeutende Hitze wird
durch Landwinde aus den Bergthalern und durch Seewinde etwas
abgekuhlt. Von hochst zerstorender Wirkung eind jedoch die hau-
figen Herbstorkane mit furchtbaren Regengiissen und Gewittern
gegen das Ende der nassen Jahreszeit (Mai bis November) ; doch
ist der Temperatur-Unterschied in der trockenen und nassen Jahres-
zeit ein geringer.
In Folge dieser geologischen und meteorologischen Verhalt-
nisse ist Westindien ausserordentlich reich an den mannigfaltigsten
einheimischen und an hierher verpflanzten Produkten ; es ist (im Ver-
haltniss zur Grosee) das erste Plantagenland der Erde , welches
die civilisirte Welt seit Jahrhunderten mit ungeheuren Mengen
tropischer Produkte versehen hat. Eigentliche Stapelartikel sind:
Kaffee, Zucker, Tabak, Piment und Baumwolle, dann
folgen Indigo, Cacao, Kokos, Mais, Vanille, treffliches Bau- und
Nutzholz u. s. w. Beim Plantagenbau werden auf den spanischen
und niederlandischen Besitzungen Negersklaven verwendet, deren
es wohl iiber l/z Million gibt. — Die Viehzucht wird am be-
deutendsten aui Cuba betrieben; im Innern der grossen Inseln
findet man auf den Savannen groese Rindvieh- und Pferdeheerden im
halbwilden Zustande. — Die gewerbliche Industrie ist nur
in jenen Richtungen vertreten, welche mit dem Plantagen- und
Schifl'sbau in Verbindung stehen; alle Fabrikwaaren und feineren
technischen Erzeugnisse werden aus Europa eingefiihrt. — Nachst
dem Plantagenbau bildet der Handel die Hauptbeschaftigung. Er
gewinnt stets an Ausdehnung, sowohl zwischen den Colonien und
den Mutterstaaten, als auch den andern Landern Amerikas und
Europas. — Der Bergbau ist vmbedeutend, die Ausbeute an
Metallen eine geringe. Nur Salz wird eowohl aus dem Meere
als aus einigen Salzseen gewonnen.
Die Bevolkerung ist gemischt. Etwa 850.000 sind Euro-
paer und Creolen , an 2 Millionen Neger, iiber 1,300.000 Farbige
(Mulatten) und beilaufig 9000 Indianer (auf einigen kleinen Inseln).
Die Weissen und Farbigen in den spanischen und franzosischen
Colonien, eowie auf Haiti, sind romische Katholiken , in den ubrigen
*) Die grossten, fiir den Schiffahrtsverkehr mit Europa bedeutendsten Strassen
sind : zwischen Tabago und Granada, — zwischen Guadeloupe und Montserrat (Strasse
von Europa), — zwischen St. Martin und den Virginischen Inseln, — die Mona-Passage
zwischen Porto Kico und Haiti, — die Windward-Passage zwischen Haiti und Cuba,
— die Florida-Strasse zwischen der Bahama-Bank und Florida.
451
Kolonien racist Protestanten. Die Neger eind zum Theil noch
Heiden, auf Haiti und den gpanischen Colonien romische Ka-
tholiken.
Mit Ausnahme von Haiti gehoren die Inseln mehreren euro-
pftiechen Handelestaaten.
Haiti (vonnals Hispaniola oder St. Domingo), 1368 Q M. , beilaufig
1 Million Einwohner; — darunter an 30,000 Weisse, iiber eine halbe Million
Neger, der Rest Mulatten. Das Innere ist gebirgig bis zu 6000' Hohe im Cibao-
Gebirge. Die grosste Ebene, vom Yuna bewassert, breitet sich im Siidosten
aus, im Westen durchfliesst den ehemaligen rZuckergarten" der Artibonite;
diese beiden Fliisse sind auf lange Strecken schiffbar. Nebst mehreren kleineren
Fliissen hat die Insel auch einige Salzseen. Das Klima ist im Allgemeinen un-
gesund (gelbes Fieber). Der ehemals grosse Produktenreichthum hat unter der
Negerherrschaft ausserordentlich abgenommen. Der Bergbau ist noch mehr ver-
nachlassigt, Der Export von Zucker, Kaffee, Baumwolle ist sehr gesunken, am
erheblichsten ist er noch in Mahagoni- und Werkholz, Tabak und Baumwolle,
und wird auf etwa 25 Millionen Francs bewerthet. Diese Insel hat eine wechsel-
volle Geschichte. Gegenwartig ist sie unter zwei Republiken getheilt. Haiti (im
Westen) 558 Q M., iiber 600,000 E., meistens Neger oder Mulatten (bis zum
Januar 1859 despotische Erbmonarchie unter dem Negerkaiser Soulouque oder
Faustin I.), welche sich zur rb'misch-katholischen Kirche bekennen. Hauptort ist
Port au Prince (20,000), in einer sumpfigen, ungesunden Gegend, mit bedeu-
tendem Handel; — Kap Haiti en (15,000), gesund und schbn an der Nord-
kttste gelegen, treibt gleichfalls Seehandel. — Republik San Domingo (im Osten)
810 D M-> etwa 300,000 E., iiberwiegend Weisse und Mulatten, weniger Neger,
fast alle romisch-katholisch. Hauptort: San Domingo (16,000), die alteste,
von Europaern in Amerika gegriindete Stadt, an der Miindung des schiffbaren
Ozama, mit Arsenal, Hafen, ausgebreitetem Seehandel. Im Innern des Landes
sind Sant Jago (14,000) und Vega (9000).
1. Spaniscke Kolonien.
a) Cuba (1966 D M., iiber 1,400,000 E., worunter fast die Halfte Weisse, iiber
200,000 freie Farbige und 500,000 Negersklaven). Die grosste, fruchtbarste
und reichste der Antillen. Im Innern gebirgig und von vielen, wenngleich
nicht schiffbaren Fliissen bewassert, hat sie an den vielfach flachen Kiisten
zahlreiche Buchten und Hafen. Das Klima ist zwar heiss, doch milder als
auf den iibrigen Antillen; im Innern ist es gesund, aber an den Flachkiisten
wiithet haufig das gelbe Fieber. Der wirkliche Ertrag dieser ausserst frucht-
baren, aber kaum zum dritten Theile bebauten Insel steht in keinem Verhalt-
nisse zur Ertragsfahigkeit ; dennoch ist sie die Goldquelle Spaniens. Die wich-
tigsten Produkte sind Zucker, Kaffee und Tabak; ausserdem werden
Baumwolle, Cacao, Indigo, Lebensmittel u. a. m. gewonnen. Die jfihrlichen
Ertragnisse werden auf 300 Millionen Dollars geschatzt, davon entfallen beilaufig
auf Zucker 95 Millionen, Tabak 55 Millionen, Kaffee 30 Millionen. Die Aus-
beute an Kupfer ist bedeutend, woven urn etwa 4 Millionen Dollars (meist
nach England) exportirt werden. In neuerer Zeit sind in der Landwirthschaft
und im Fabrikwesen bedeutende Fortschritte gemacht worden; in letzterer
Hinsicht sind die Tabak- und Chokoladefabriken , dann die mit der Schiffahrt
und dem Plantagenbau zusammenhangenden Gewerbe am starksten vertreten.
Auch fiir den Yerkehr ist Vieles (durch die Nord-Amerikaner) geschehen, in-
dem alle starker bevolkerten Platze mittels Eisenbahnen verbunden sind und
zahlreiche Dampferlinien nach alien Richtungen laufen. Der Import betragt
im Durchschnitte 150, der Export an 140 Millionen Dollars. — Orte: La
Havana (180,000), stark befestigte Hauptstadt, Sitz des Generalkapitans, mit
einem der besten Ha'fen auf der Erde, reichen Pala'sten, grossem Arsenal,
Schiffswerften , Mittelpunkt des spanisch - amerikanischen Handels; Cigarren-
und Chokoladefabriken. Universitat, Navigationsschule. — Sant Jago (do
Cuba, 30,000), ehemals Hauptstadt, doch wird der Hafen weniger besucht, weil
sich fast der ganze Verkehr nach Havana gezogen hat. — Die zweite Handels-
stadt ist Matanzas (25,000), mittels Eisenbahn mit La Havana verbunden.
Fiir den Verkehr im Innern ist Puerto Principe (50,000) bedeutend; grosse
Cigarrenfabriken.
29*
452
b) Puerto Rico (185 Q M., 400,000 E., die Mehrzahl Kreolen, an 60,000 Skla-
ven), die kleinste der grossen Antillen, ist gebirgig, gut bewassert, hat ein herr-
liches gesundes Klima und sehr fntchtbaren Boden. Hauptprodukte sind
Zucker (Jahresproduktion etwa 800,000 Zentner) und Tabak , weniger (aber
guter) Kaffee und Baumwolle. Die Viehzucht (Kinder und Pferde) ist bedeu-
tend, dessgleichen der Bergbau. — Hauptort ist: St. Juan de Porto Rico
(30,000), stark befestigt, mit ausgebreitetem Seehandel. Hafenplatze sind nocli
Guaynia und San German.
Von den Virginischen Inseln gehoren zu Spanien: Culebra, Bieqne,
Culebrita.
2. Britische Kolonien.
o) Jamaica (278 QM., 400.000 E., nur an 35.000 Weisse, die ubrigen Far-
bige und Neger; keine Sklaven, dagegen werden BKulisa (meist aus China)
als pfreie Arbeiter" zur Plantagenarbeit gedungen). Die Insel ist gebirgig ;
ihre hocbsten Berge, die ,blauen Berge" steigen wie die auf Caba gegen
7000' an. Das reich bcwasserte Land ist an der hafenreichen Kfiste und in
den Thalern sehr gut angebaut. Das Klima ist sehr heiss, nur in den Berg-
gegenden gemassigter ; die Nachte sind feucht und kuhl, daher der Gesundheit
gefahrlich. Der Bodcn ist minder fruchtbar als auf den andern Inseln, er be-
nothigt vieler Arbeit und Dungung. Die bedeutendsten Produkte sind Kaf-
fee, Zucker, Rhum und Piment, dann Baumwolle, Indigo, Ingwer,
sowie Mais und andere Nahrungspflanzen. Die grossen Waldungen sind reich
an Farb - und Nutzholzern. Die Viehzucht ist bedeutend. Der Export ist
am starksten in Zucker, Rhum, Kaffee, Piment, Mahagonyholz und Indigo. —
Die Hauptstadt mit dem Sitze des Gouverneurs ist San Jago de la Vega
(oder Spanishtown, 6000 E.) unweit der Kuste; die wichtigste britische Han-
delsstadt dagegen ist Kingston (36.000) mit befestigtem Hafen. Kusten-
stadte sind noch Port Royal (15.000) und Montego (6000). — Nordwest-
lich von Jamaica liegen die drei Cay m a n -Inseln, welche viel Schildkro-
ten liefern,
b) Bahama-Inseln. Die 14 grosseren und an 500 kleinen Inseln, mit einer
Gesaramtflache von 240 OM- ltnd 25000 E. sind moistens niedere, flache
Felseninseln, jedoch in Waldern und Plantagen nicht unbedeutend. Sic zer-
fallcn in drei Gruppen: die nordlichen (eigentlichen Bahamas) sind unbe-
wohnt; die m i ttl er en (Lucayischen) mit dem Hauptorte Nassau (6000 E.)
auf der Hauptinsel Ne w - Pro v idence und die Insel San Salvador oder
Guanahani mit Port Howe (Columbus' ersier Landungsplatz am 12. Ok-
tober 1492); — die sudlichen (Passage-Inseln), wo Crooked Island
(spr. KruhkM Eiland), cine der Crooked-Gruppe mit Pittstown die Haupt-
insel ist.
c) Kleine Antillen. Die wichtigsten sind von Norden nach Suden: Tortola.
Virgin Gorda (zu den virginischen gehorig;, dann: Anguilla, Barbuda, St.
Christoph (oder Kitts), Nevis, Antigua, Montserrat, Dominica, Santa Lu-
cia, St. Vincent, Barbadoes, Grenada, Tabago, Trinidad. — Am
besten angebaut und dicht bevolkcrt ist Barbadoes; Hauptprodukt ist
Zuckerrohr. Bridgetown (spr. Bridschtaun, 15.0CJO), stark befestiget ist
der bedcutendste Handelsplatz der kleinen Antillen. — Trinidad (60.000)
mit dem Hauptorle Puerto de Espana (oder Port Spain, 10.000 E.)
hat Sdiwcielquellen und einen Asphaltsee. — Andere britische Stiidte sind :
Scarborough auf Tabago; — Georgetown auf Grenada; — Kingston
(8000) auf bt. Vincent; — Castries auf Santa Lucia; — Roseau auf
Dominica; — Johnstown (16.000) auf Antigua.
• Frauzih>isc)ie Kolonieii.
Von den kleinen Antillen gthoren zu Frunkmch: Guadeloupe (mit den
Nebeninseln; Desirade, Marie Galaute uud Les Saiutes), dann zwei Driuel der
Tnsel St. M HI tin, endlich die reichntc (ranzosiscLe Besitzung in Westiudien
Martinique. — Auf Guadeloupe i*t Hauptort Basse-terre (10.000), der
wicbtigste llanduUplalz aber Pointe a Pitre (15,000). — Auf Martinique ist
Fort Royal (7000) die befestigte HHiiptstadt mit dem Sitze des Gouverneurs;
hipgegen Saint Pieire (20.000) die gi6bBte Stadt der franzobischen Antillen
453
mit sehr ansehnlichem Handel. Frankreicb bezieht aus diesea Kolonien: Zucker,
Kaffee. Cacao. Khum, Tabak, Nutz- und Farbholzer, and export in dor thin In-
dastrieprodukte.
4. XiederlSndiselie Kolonien:
Zum Gouvernement Saint Eustacbe gehoren von den kleinen Antillen: Saint
Eustache mit der gleichnamigen Hanptstadt (6000 £.), mit lebhaftern Handel
nnd einem Freihafen ; — die Insel Saba und ein Drittel der Insel St. Martin.
— Zum GouYemement Curasao gehoren die Inseln .unter dem Winde :' Cu-
rai;ao mit dem befestigten Hauptort Wille ms tadt (8000), dannBaenAyre
(oder Bonaire), Aves und A rub a. Dem diirren Boden der letztern Inseln
warden dnrch neissige Bebannng ansehnliche Mengen Zucker, Tabak, Baumwolle,
Kaffee, Cacao u. a. abgewonnen; ein Hanptprodokt ist Salz.
5. Danische Kolonien
Die virginischen Inseln: St. Croix mit dem Haupthandels- uud Hafenplatze
Christian sstadt (6000), St. Jean und St. Thomas mit der befestigten
Handelsstadt Charlotte Amalic (12000). Diese Inseln, etwa ~QM. gross,
mit beilaufig 45.000 E., sind sehr frachtbar; die Hauptprodukte sind Zucker
und Rhum.
6. Schwedisch ist nur die Insel St. Barthelemy mit dem Hauptort nnd Frei-
hafen Gnstavia (10000). Das Eiland ist dicht bevOlkert, trefflich kultivirt,
gesnnd, leidet aber Mangel an Quellwasser. Landesprodukte sind Banmwolle,
Zncker, Indigo, Cacao, Tabak und Seesalz.
C. Siid-Amerika.
f. 181.
Nach der natiirlichen Beschaffenheit kann Siid-Ainerika in
drei grossere Abtheilungen geschieden werden:
1. Der tropische Norden Sudamerikas, nordlich vom
Aequator, oder das Nord - An denland und das O ri noco-Gebiet
(Guyana, Venezuela, Neu-Granada) ; —
2. der tropische Siiden Suda m erik as, sudlich vom
Aequator, oder das Mittel - An d en land und das Becken des
Amazon en stroms (Ecuador, Peru, Bolivia, Brasilien); -
3. der aussertropische Siiden oder das Siid-Auden-
land und das L a Plata-Gebiet (Chile, Argentina, Buenos- Ayres,
Uruguay, Paraguay). An dieseu schliesst sich im Siiden Pa-
tagonien an ; im Siiden und Osteu desselben liegen mehrere Insel-
gruppen.
§. 1-2 Der u OJM-I In Norden MI.! \iiMiik,, -
1. Guyana. Die Oberflache dieses, beilaufig 4850 QMeilen
grossen Landstriches ist von verschiedener Beschaffenheit. An
der Kiiste des Atlantik ist es ein flaches, aufgeschwemmtes Land,
beriichtigt wegen seines hochst ungesunden Klima's. Das Land
steigt nach dem Innern allmahlich uber die Region der Savannen
bis zum (noch wenig bekannten) Hochlande empor , welches dicht
bewaldete, durch grasreiche Hochebenen von einander getrennte
Bergketten, zum Gebirgssysteine der Sierra Parime gehorig,
durchziehen. Guyana ist sehr reich bewassert , die Regenmenge
ungemein gross. Der nicht uberschwemmte , oder der durch Damme
gegen Ueberschwemmungen geaicherte und durch Kanale ent-
wasserte Boden ist aueserst fruchtbar und liefert Kaffee, Baum-
wolle, Zucker, Cacao, Tabak, Indigo, Pfeffer u. a. in. Die Wal-
der sind ungemein reich an Nutz- und Farbholzern. Das Colonial-
454
gebiet der Briten, Niederlander und Franzosen erstreckt eich von
der Kiiate nicht weit in das Land ; im Innern leben viele Stamme
freier Indianer.
a) Britiscll Guyana (auch Demerara genannt) mit einer Gesammtflache von etwa
1200 nM- u*1*1 an 150.000 Einwohnern (nur beilaufig 7000 Weisse , an 90.000
freie Neger). Die hier miindenden Fliisse sind : Essequibo (mit dem Cujuni),
Berbice, Demerara, Corentyn (Grenzfluss gegen niederlandisch Guyana).
Der Hauptexport besteht in Zucker, Rhum, Kaffee, Holz. — Hauptort und be-
deutendster Handelsplatz ist Georgetown (25.000) an der Demerara-Mundung ;
— an der Berbice-Miindung liegt Neu-Amsterdam (5000).
6) Niederlaiidisch Guyana (oder Surinam), iiber 1800 nM- und an 80.000 E.
(nur an 13.000 Weisse und freie Farbige , sonst Negersklaven). — Grenzflusse
sind : Corentyn (gegen britisch Guyana) und Maroni (gegen franzb'sisch Guyana),
zwischen beiden ist der Hauptfluss des Landes Surinam. Der niederlandische
Fleiss hat durch Anlegung von Da'mmen und Kanalen ein flaches , den Ueber-
schwemmungen ausgesetztes , hochst ungesundes Land zu einer der fruchtbarsten
und bestangebauten Gegenden umgeschaffen. E x p o r t artikel sind: Kaffee, Zucker,
Cacao, Baumwolle, Indigo, Tabak, Holz. Die befestigte Hauptstadt Paramaribo
(24.000) ist im hollandischen Geschmacke gebaut, die breiten Strassen sind mit
Alleen von Orangen- und Limonieubaumen besetzt, zwischen den Alleen und den
vortrefflich eingerichteten Hausern liegen Garten. Die Umgebung ist sehr gut an-
gebaut und mit Landhausern geziert. — In der Nahe 'ist die jiidische Kolonie
Savana.
c) Franzosisch Guyana (oder Cayenne), beilaufig 1800 [J M. gross, mit 30.000
E. Die Kolonie ist in einem vernachlassigten Zustande ; nur ein geringer Theil
des fruchtbaren Landes ist angebaut, der grosste Theil derKiiste steht unterWas-
ser. Hauptprodukte sind Baumwolle , Pfeffer und Gewiirznelken. Die befestigte
Hauptstadt Cayenne (3000) liegt auf einer mitWaldern und Siimpfen bedeckten
Insel. Auf dem Festlande und einigen Kiisteninseln sind mehrere Detentionsplatze,
welche meist ein tb'dtliches Klima haben.
2. Republik Venezuela (18.400 DMeilen; — 1,400.000 Ein-
wohner, — darunter an 300 000 Indianer [etwa T/4 unabhangig] , an
60.000 Neger, der Rest Mischlinge).
Im Westen zieht die Ostcordillere von Neu-Granada, oder
die Kette des Suma Paz in das Land, welche als Kustenkette von
Venezuela langs der Nordkiiste in ostlicher Richtung (Silla de Ca-
racas) sich hinzieht. Im Sudosten erhebt sich das Bergland der
Sierra Parime, welche bis an das rechte Ufer des Orinoco her an -
reicht und dieses begleitet. Zwischen den beiden Hochlandschaften
breitet sich die ungeheure, reichbewasserte Ebene des Orinoco aus,
welche zwei Drittel des ganzen Staatsgebietes einnimmt, theils bewaldet,
theils baumlos ist. Der westliche und nordliche Theil der Ebene
sind die Llanos des Orinoco, in der trockenen Jahreszeit
diirre, fast baumlose, ebene Steppen, aus denen sich nur wenige
(300 — 400' hohe) Plateaux oder nMesasa erheben; zur Regenzeit
ein griines Weideland mit mannshohen Grasern, das Krautermeer
(mare de yerbas) genannt. Die waldige Ebene (Hylaa), zum Theil
hugelig, mit undurchdringlichen Waldungen bedeckt, nimmt den
sudostlichen Theil (zwischen den bedeutenden Nebenflussen des
Orinoco, dem Meta und Gu a via re) ein; diese Urwalder h'angen
mit jenen am Amazonenstrome zusammen.
DasLand hat grossen Produkten r e ich thum, namentlich
an Baumwolle, Tabak (Varinas), Zucker, Kaffee, Cacao; mehreren
Droguen; dann Getreidearten, Sudfriichte u. a. m. Die Urwalder
liefern vortreffliche Bau- und Farbeholzer, In den Llanos sind
455
groase Heerden halb wilder Pferde und Kinder, deren Zucht nebat
dem Ackerbau die Hauptbeachaftigung der Bewohner bildet. Der
Bergbau wird nur erat in geringem Grade betrieben ; am atark-
sten ist die Auabeute an Kupfer. Die induatrielle Thatigkeit
iat von keinern Belange; dagegen wachat der Handel, begiinatigt
durch den Keichthum der Urproduktion und die betrachtliche
Anzahl von Buchten und Hafen, hauptaachlich mit dem Uniona-
lande , England , Holland , den Hanaeatadten und andern euro-
paiachen Seeataaten. Im Jahre 1856/57 wurde die Auafuhr
mit 8.3, die Einfuhr mit 7 Millionen Peaos (a 1 Thlr. 2% Sgr.)
berechnet.
Venezuela, ehemals ein Theil des McolumbischenBundesstaatesu (Neu-
Granada, Venezuela und Ecuador), wird gegenwartig in dreizehn Provinzen ein-
getheilt. Die ansehnlichsten Orte sind :
Caracas (50.000) mit dem befestigten Hafenplatze La Guai'ra (8000); —
Ciudad Bolivar (friiher Angostura, 5000), der bedeutendste Ort am Orinoco;
Valencia (15.000) in gesunder , fruchtbarer Lage, hat lebhafteu Handel; —
Aroa mit reichen Kupferminen ; — Varinas, wegen seines Tabaks beriihmt. —
Maracaibo (25.000) am Kanal, welcher den gleichnamigen See mit demMeere
verbindet, mit Schiffswerfte und ansehnlichem Seehandel ; — Coro (10.000, ehe-
mals Venezuela genannt) ; — Cumana, Puerto Cabello und andere Hafen-
platze haben wegen des Seehandels einige Bedeutung. — Die Insel Margarita
war ehemals wegen der reichen Perlenbiinke bekannt; jetzt ist sie ein nicht be-
sonders fruchtbares Plantagenland.
3. Republik Neu-Graiiada (20.000 QMeilen; 2,400.000 Ein-
wohner, darunter nahezu % Million Weiaae und Creolen, iiber '/, Mil-
lion Indianer, der Eeat verachiedene Miachlingaarten).
Die Cordilleren von Neu-Granada kennzeichnet die Gabelung
in 3 Ketten, welche nicht mehr in Gebirgsknoten zuaammenlaufen,
sondern ala Wande weit sich b'ffnender Langenthaler divergiren.
An der Sudgrenze Neu - Granada's erhebt aich daa Hochland der
Almaguer bia zum Gebirgaknoten Los Pastoa, wo die erwahnte
Gabelung beginnt; die Gebirgaketten schliessen nun die beiden
Langenthaler dea Magdalen a- und aeinea weatlichen Parallel-
und Nebenfluaaea Cauca («Neu-Granada'a Paradies") ein. Im
Norden miinden die beiden Langenthaler in die heiaae , wellen-
formige Kulturebene dea Magdalenafluaaea, aus welcher aich im
Oaten der Magdalena-Miindung daa Masaengebirge der Sierra Ne-
vada de Santa Marta (mit Schneegipfeln von 18.000') erhebt. Die
Ostcordillere von Neu - Granada senkt aich zu den mit Urwaldern
bedeckten Ebenen an Orinoco und Maranon herab.
Die Produkte dea Landea aind im Allgemeinen die bei
den Nachbarataaten aufgezahlten, ala: Baumwolle, Saraaparille,
Tabak, Kaffee, Chinarinde, Getreidearten , verachiedene Bau- und
Farbeholzer. Groaa iat der Reichthum an Met a 11 en; doch iat
der Bergbau noch vielfach vernachlaaaigt. In den weatlichen
Anden und im Caucathale iat namentlich die Goldausbeute erheb-
lich (jahrlich etwa 18.000 Mark), dann Platina und Silber; in den
oatlichen sind reiche Smaragd- (bei Bogota) und Kupfergruben
(bei Tunja). Der Haupt export an Tabak, Chinarinde, Kaffee,
Panamahaten , Cerealien, Holzern , Gold u. a. m. geht nach Eng-
land, Nordamerika, Venezuela und Deutachland (Tabak), und er-
456
reichte im Jahre 1857 den Werth von 7 Millionen (neuer) Piaster
(oder Pesos, a 5 Frcs.); der Import wurde auf 3V4 Million
Piaster berechnet.
Die ansehnlichsten Orte sind:
Bogota (oder Santa Fe de Bogota, 50.000) auf einer (8000' hohen) Hoch-
ebene, hat rauhes, feuchtes Klima; haufig Erdbeben; — Tunja (16.000); —
Muz a und Somondoco mit den reichsten Smaragdgruben der Erde; — Po-
payan (8000) unweit der Cauca-Quelle ; Antioquia (18.000) in goldreicher Ge-
gend, umgeben von Mais-, Zucker- und Pisangpflanzungen ; — Pamplona und
Moniquira haben reiche Kupferminen ; — am Cauca bei Cali und Iscuande
sind Platinaminen ; bei Barbacoas bedeutende Goldwaschereien, bei Zipaquire
ein grosses Salzbergwerk. — Seestadte: La Hache mit Perlenfischerei ; — der
befestigte Freihafen St. Mart a; — der wichtigste Handelsplatz ist Cartagena
(20.000) auf einer sandigen Insel, ist befestiget, hat ein hochst ungesundes Klima.
— Am stillen Ocean ist der Hafen von Bonaventura.
§. 183. Der tropische Siiden von Siid-Amerika.
1. Republik Ecuador (13.500 QMeilen, an 900.000 Ein-
wohner, worunter viele Indianer).
Der kleinere Westtheil des Landes ist Hochgebirgsland , der
viel grossere Osttheil gehort zur wasser- und waldreichen Tief-
ebene des Maranon. Von dem erwahnten Hochland der Almaguer
zieben die Cordilleren von Ecuador oder von Quito durch
Ecuador in zwei Ketten bis zur sudlichen Landesgrenze, wo sie in
dem Knoten von Loxa zusammenlaufen. Diese Ketten schliessen
mehrere Hochthaler und Plateaux ein, welche durch schauerliche,
bochgelegene , fiir die Passage bisweilen hochst gefahrvolle Passe
mit einander verbuuden sind. Am beruhmtesten ist das durch ein
herrliches Klima, einen fast immerwahrenden Friihling, die uppige
Vegetation und dichte Bevolkerung ausgezeichnete, leider aber auch
Erdbeben und vulkanischen Auebriichen ausgesetzte Hochplateau
von Quito (8500'). Die Cordilleren erreichen in Ecuador die grosste
Massenerhebung ; — hier ragen die Riesenspitzen und Vulkane in
der Westkette: Yliniza (16.300'), Pichincha (14.950') und Chim-
borazo (20.150'), — in der Ostkette: Cotopaxi (17.700'), An-
tisana (17.960') und der Cayambe (18.420') empor. Im Westen
ist der Abfall zum grossen Ocean steil , in welchen sich kurze
Kustenfliisse stiirzen; die Ostkette falit gleichfalls steil in die
Ebene des Maranon mit den undurchdringlichen Urwaldern. Der
Maranon bildet auf einer langen Strecke die Grenze zwischen
Ecuador und Peru, und nimmt in der ostlichen Tiefebene Ecuadors
zahlreiche Fliisse auf, darunter die bedeutendsten Napo und Pu-
t u m a j o.
Die Naturprodukt e sind denen von Neu - Granada sehr
ahnlich. Auf dem Hochplateau von Quito werden Ackerbau und
Viehzucht ausgedehnt betrieben ; zudem ist die Cochenillezucht
von Bedeutung und ein vorziigliches Waldprodukt die Chinarinde.
Aus dem Mineralreiche gewinnt man Gold, Silber, Queck-
silber , Schwefel , Smaragde u. a. Die Industrie, besonders
in Webewaaren ist im Steigen , dessgleichen der Handel, der
in d-jr Ein- vvie Ausf uhr ziemach glsiohe W^rtha (je 2'/2 Mil-
lion Piaster a 5 Frajca) auftfdisjt. Zir A u 3 f u h r ko.a-
457
men Maulthiere und Kinder , getrocknetes Rindfleisch , Butter
und Kase, Wachs , Getreide, Salz, Chinarinde, Cacao, Tabak,
Baumwolle u. a.
Die politische Eintheilung des Landes ist in drei
Departimentos (Ecuad6r, Guayaquil, Assuay) ; ansehnliche Orte sind :
Quito (75.000) am Fusse des Pichincha, an 9000' hoch, mit dem fortwahren-
den Friihling (die Temperatur schwankt nur zwischen + 11 '/2 und + 13° R.), zu
beiden Seiten von riesigen Schneebergen umgeben, eine der schb'nsten Aussichten auf
der Erde. Die Stadt gehort zu den prachtvollsten ; der Palast der Republik, das frii-
here Jesuitenkollegium und das Franziskanerkloster gehb'ren zu den grossten und
schonsten Gebauden der Erde. Stark besuchte Universitat. In dem reizenden Thale
wechseln Citronenhaine, Obstgarten, Saatfelder und Weiden. Lebhafte Industrie in
Webewaaren und reger Handelsverkehr mit der bedeutendsten Seestadt des Landes,
Guayaquil (22.000); auch die Seestadte Esmeraldas und Atacames nehmen
an Wichtigkeit zu; — Riobamba, in der Nahe des Chimborazo, hat reiche Schwe-
felgruben. — bei Loxa (10.000) grosse Cinchona- Walder mit der besten Chinarinde ;
— Cuenca (25.000) liefert Baumwolle, Panamahute und Confituren.
2. Republik Peru (24.000 QMeilen, — iiber 3 Millionen
Einwohner, darunter uber 1 Million Indianer ; iHauptbestandtheil
der Bevolkerung bilden die Nachkommen der alten Peruaner, eines
in Gewerben und Kiinsten vorgeschrittenen Kulturvolkes).
Die Cordilleren von Peru, mit den hochsten iiber 20.000'
emporragenden Berggipfeln ( Pomarape , Gualatieri , Parinacota,
Sahama, Chuquibamba), ziehen sich vom Plateau von Potosi bis
zum Knoten von Loxa, in einer mittleren Entfernung von 20 Mei-
len von der Kiiste des Pacific. Sie schliessen mehrere Hochebenen
ein, unter denen jene des Titikaka-Sees die grosste ist. Am Nord-
ende dieses Plateau's vereinigen sich die Andenketten zum Gebirgs-
knoten von Cuzco. Die peruanischen Anden (zwischen den Knoten
von Cuzco und Loxa) bestehen aus zwei Abtheilungen. Der kleinere,
sudliche Theil (von Cuzco bis zum Knoten von Pasco) begrenzt
ein grosses Hochthal, das Quellenland des Ucayali; der nord-
liche Theil (voin Knoten Pasco an) besteht aus drei Parallelketten,
von denen die zwei westlichen das Hochthal des nordwarts fliessen-
den Mar anon einschliessen, die ostliche aber das Parallelthal des
Nebenflusses Huallaga begrenzt. Nur ein kleiner Theil des
Landes, im Miindungsgebiete des Ucayali, gehort zum Tieflande des
Maranon. — Unter den Produkten des Landes ist der "Reichthum
an edlen Met a lien spruchwortlich geworden. Peru war seiner
Zeit das erste Goldland der Erde und in S iiber nur von Mexico
ubertroffen; die Silberminen von Potosi gaben die ausgiebigsten
Silbererze, die Goldgruben von Lapaz das f ein ste Gold in .Stufen.
Ausserdem gibt es Platina, viel Queckeilber, Kupfer und Zinn,
Salpeter in ausserordentlicher Menge, endlich Steinkohlen und Salz.
Die jahrliche Goldau&beute wird jetzt nur auf etwa 1000 Mark,
und die des Silbers mit 220.000 Mark geschatzt. Das Pflanzen-
reich entfaltet sich am reichsten in den fruchtbaren, gutangebau-
ten Hochthalern; gebaut werden nebst Getreide auch Baumwolle,
Kaff'ee, Zucker, Indigo, dann Arzneipflanzen : Chinarinde, Ipeca-
cuanha, peruanischer Balsam; ferner Nutz- und Farbeholzer. Unter
d3a Thieren werdea Latni, Vicuaa und Alpaca wegen derfeinen
Wolle auf den Hochebsnen ia grossen Heerden gehalten; auch die
458
Zucht der Schafe 1st im Steigen. Eine wichtige Einnahtnsquelle
ist der in ungeheuren Massen auf den Gestade-Inseln vorkommende
Guano (Vogeidiinger). Die erwahnten Produkte kommen in grosser
Menge in den Handel, der sich iiberwiegend in den Handen der
Englander befindet, und seine Richtung nach dem Unionslande und
Europa nimmt.
Der Staat wird in 13 Departimentos eingetheilt. Wichtigere
Stadte eind :
Lima (80.000) 1% Meile von der Kiiste entfernt, mittelst Eisenbahn mit der
wichtigsten Hafenstadt des Landes, Callao (10.000), verbimden. Die befestigte Haupt-
stadt Lima hat ausserordentlich reiche Kirchen, die alteste und beruhmteste Univer-
sitat Amerika's, viele wissenschaftliche Anstalten. Wichtige Industrie in Wolle und
Baumwolle, Gold- und Silberwaaren, Leder, Glas; ausgebreiteter Handel. Seehandel
treiben auch Truxillo und Payta. — Bergstadte sind: Huanca Velica, Gold-,
Silber- und die reichsten Quecksilber-Gruben der Erde, — Pasco, Lauricocha
und Tar ma, Silbergruben (letztere Stadt liefert monatlich fur '/, MiUion Dollars Sil-
ber). — Arequiba (40.000), die zweitgrb'sste, indtistriellste Stadt mit ausgebreitetem
Handel.
3. Republik Bolivia (22.400 [JMeilen, 1,987.350 Einwohner,
darunter 1% Millionen Weisse).
Im Gebirgsknoten von Potosi spalten sich die Anden in zwei
Ketten, deren westliche (Kusten-Cordillere) sich nach Peru zieht;
die niedere, ostliche (Cordillera Real) mit den hohen Schneegipfeln
des Illimani, Nevada de Sorata u. a. begrenzt das Plateau von Bo-
livia, zu welchem die Hochebene des Titikaka-Sees gehort. Die
Cordillera Real entsendet schneehohe Seitenketten unter dem Namen
Sierra Nevada de Cochabamba und Santacruz nach Nordosten. Die-
ses Gebirgsland senkt sich ostwarts zu den Ebenen des Maranon
und des Rio de la Plata; an der Kuste des Oceans breitet sich die
regenlose Wiiste Atacama aus. Die zahlreichen Fliisse ergiessen
sich theils in den Maranon, theils in den La Plata; der wich-
tigste Nebenfluss des ersten ist der Madeira, des zweiten der
Pulcomaj o.
Die Bodenprodukte in den schonen Thalern der Cordil-
leren und den fruchtbaren Tiefebenen im Oaten sind ziemlich die
gleichen, wie in Peru; das Namliche gilt von der Viehzucht und
den thierischen Proclukten. Am wichtigsten ist der Bergbau,
insbesondere die Silberminen zu Potosi und Chuquisaca, die Gold-
lager von Curabaya ; auch die Gewinnung von Kupfer, Zinn, Eieen,
Salpeter, Schwefel u. s. w. ist bedeutend. Ein Hinderniss des
Bergbaues ist der schwierige Transport aua den hochgelegenen
Gruben bis zu den Stapelplatzen. Die Industrie ist von keinem
Belange , dagegen ist der Handel zunehmend. Bolivia hat den
einzigen , wegen der dazwischen liegenden Andenkette schwer
zuganglichen Seehafen C o b i j a und exportirt vielfach durch
die peruanischen Hafen (Arica). Gegenstande des Exportes
sind die erwahnten Landesprodukte. Der auswartige Verkehr
wird zumeist von Englandern, Amerikanern und Franzosen be-
trieben.
Bolivia wird in 7 Departimentos und 2 Provinzen eingetheilt.
Wichtigere Orte sind:
459
Chuquisaca (23.980) auf einer Hochebene, Hauptstadt; die bedeutendste In-
dustriestadt ist La Paz (76.370) auf dem inneren Titikaka-Plateau ; — die wichtigste
Bergstadt Potosi (22.850), iiber 12.000' iiber der Meeresflache gelegen; — Cocha-
bamba (40.680) mit starkem Getreidebau.
4. Kaiserthuin Brasilien.
147.600 n Meilen, — 8 Millionen Eimvohner (fiber 5 Millionen Freie [damnter
1. 3 Million Weisse], 2V, Million Negersklaven, '/» Million wilde Indianer) ; die
relativ dichteste Bevb'lkerung ist in den Kiistenprovinzen , insbesondere in den
Stadtenund deren Umgebungen ; in den Binnenprovinzen rechnet man 3, 4 bis 13
Menschen auf I QMeile. — Vorherrschend ist die romisch-katholische Kirche.
— Konstitutionelle Erbmonarchie ; die Thronfolge nacb dem Reclite der Erstgeburt
ans dem portugiesischen Hause Braganza.
Beinahe ein Dritttheil der Gesammtflache Braeiliens ist Berg-
land, fiber zwei Dritttheile sind Ebenen.
Das Bergland, zwischen der langen aber schmalen Kiisten-
ebene und den Ebenen des Maranon und des La Plata, besteht
aus 1000 — 3000' hohen Plateauflachen , aus welchen sich mehrere
meist von Suden nach Norden vorherrschend der Kiiate parallel
ziehende Bergketten erheben , unter denen die Kustenkette (Serra
do Mar) , die Centralkette (Serra do Villa Rica) und die Wasser-
scheidekette (Serra dos Vertentes) die bedeutendsten sind. Diese
Ketten, deren Gesarnmterhebung nirgends iiber die Hohengrenze
der Tropenprodukte hinausgeht, und deren hochste Gipfel nur
iiber 7000' reichen , sind durch breite Langen thaler von einander
geschieden und durch Querketten wieder mehrfach verbunden.
Zwischen dem brasilianischen Hochlande und der Sierra Parime
dehnt sich vom atlantischen Ocean bis an die Cordilleren von Neu-
Granada, Peru und Bolivia, das ungeheure B ecken des Maranon
aus, dessen Nebenbecken die Tiefebenen des Orinoco und des La
Plata sind. Die schmale Kustenebene ist vielfach eingeschnit-
ten und mit mehreren guten Hafen versehen.
Unter den Flu s sen nimmt der Maranon den ersten Rang
ein (Siehe S. 65, Nr. 11).
Merkwiirdig ist die Wechselwirkung des Stromes mit dem Ocean; wahrend
seine StrOmnng sich an 60 Meilen weit in den Ocean hinaus erstreckt, schreitet
die Bewegung der Ebbe und Fluth bis zum Engpasse von Obydos an 120 Meilen
weit im Strome aufwarts. Zwischen dem abwarts fliessenden Strome und der
aufwarts dringenden Fluth entspinnt sich taglich ein furchtbarer Kampf ; die
scbaumende Brandung erhebt sich bisweilen bis 180' Hohe. Dieser farchtbare
Sturm (,,Pororoca") mit seinem DonnergetSse verscheucht Menschen und
Thiere, und richtet bisweilen gewaltige Verheerungen an. Die Uebersch wern-
iii un gen des Maranon flberbieten an Grossartigkeit Alles, was von Tropen-
fliissen bekannt ist. Das Hochwasser steigt im Strom und seinen grossen Zu-
flfissen 30—40' iiber den mittleren Wasserstand, und wahrend die Baumstammc
im schlammigen Wasser stehen , sind die Kronen der Baume voll Bluthe, der
Wald des Ueberschwemmungsgebietes wird zum Wassergarten. Merkwiirdig sind
endlich die Selvas dieses Stromes, die ungeheuren Strecken von Urwald, be-
lebt von alien Klassen der tropischen Thierwelt. Dieses Zentralbecken unter-
scheidet sich eben dadurch von den angrenzenden Tiefebenen des Orinoco und
La Plata, welche vorherrschend baumlos sind.
Der Maranon nimmt iiber 100 schiffbare Fliisse auf; er selbst
hat eine ununterbrochene Schiffahrtslinie von raehr als 600 Meilen.
Seine bedeutendsten Nebenflfisse sind (rechts): Ucayali, Purus,
Madeira , Tapajoz , Xingu , Tocantin ; - - (links) : Japure (oder
Caqueta), Rio Negro (mit dem Cassiquiare).
460
In den atlantischen Ocean ergiessen sich ferners : der Pa-
ranahyba und San Francisco. — Der Parana, mit seinen
Nebenfliissen Paraguay und Uruguay, hat gleichfalls im bra-
silianischen Berglande seine Quellen, — Unter den vielen Seen
sind der Patos und Mi rim die grossten.
Das Klima ist trotz der grossen, horizontalen Ausdehnung,
aber wegen der relativ geringen vertikalen Verschiedenheiten
ziemlich gleichmassig , ein meist gesundes und angenehmes
Tropenklima. Charakteristisch sind die zwei Jahreszeiten : die
n a s s e mit der grossten Hitze, furchtbaren Gewittern und star-
kem Regen vom November bis Marz ; die trockene, kuhlere
vom April bis Oktober (Rio de Janeiro hat eine Mitteltemperatur
von -f 18° R.).
Politische Eintheiluiig und Orte.
Brasilien ist in zwanzig Provinzen eingetheilt :
A. Ktistenpr ovinzen :
1. Para, 2. Bio negro (die nordlichsten Provinzen, das Tiefland des Maran on ;
Ostlich Para, westlich Rio grande; beilaufig 54.000 Q M., hochstens 250.000 E.) :
1. Para (20.000) nahe der Mundung des Rio Para, wichtiger Exporthandel ;
— an der Mfindung des Tocantin: Cameta (oder Villa Vi£osa, 12.000) und
an jener des Tapajoz : Santarem, zwei ansehnliche Hafenplatze fur den
Flussverkehr. 2. An der Mundung des Rio negro: Barra do Rio Negro
(oder Manoas, 3000); Obydos (am linken Maranonufer, ostlich der vorigen) ;
im Innern des Landes die ehemalige Hauptstadt Barcellos am Rio Negro.
3. Maranhao, 4. Piauhy, sudOstlich der Maran onmuudnngen (ll.OOOQM.,
350.000 E.); — 3. S. Luis do Mara-nhao (30.000), auf der Insel Maran-
hao, bedeutender Seehandel; — 4. Hafenstadt Paranahyba (15.000), im
Innern Oeiras (3000).
5. Ceara, 6. Rio Grande do Norte, 7. Parahyba, 8. Pernambuco
(oder Fernambuco), 9. Alagoas (7300 QM., I'/, Mil. E); gehoren zu den
reichsten Provinzen, — 5. Ceara (20.000) und Aracati (25.000) Kusten-
stadte; — 6. Hafenstadt Natal (18000); — 7. Hafenstadt Parahyba
(15.000); — 8. Pernambuco (80.000), dritte Hafen- und Handelsstadt des
Reiches, bedeutender Handel mit Europa, Ostindien und Africa; viele eng-
lische und hollandische Handelshauser; — 9. Al a goas (14.000) , Porto
Calvo (6000J) starker Holzhandel.
10. Sergipe, 11. Bahia, 12. Espiritu Santu (7000 QM., fiber IMill.E.)
— 10. Sergipe del Rey (30.000), Villa nova (10.000) nabe der Mundung
des St. Francisco; — 11. Bahia (oder San Salvador 150.000), an der
herrlichen Allerheiligen -Bai , die zweite Handelsstadt des Reiches, grosse
Schiffswerfte , Industrie in Zucker, Baumwolle, Tabak , mit mehreren wissen-
schaftlichen Anstalten, gesund und schon gelegen. — 12. Victoria (10.000)
auf einer Insel der h. Geist-Bai; — in Porto Seguro laudete Cabral (im
J. 1500), der Entdecker der Kiiste von Brasilien.
13. Rio de Janeiro (oder nur Rio genannt), 660 Q M., 1 Million E.) ; — die
wichtigste, bestangebauteProvinz des Reiches. — Rio de Janeiro (300000),
Haupt- und Residenzstadt des Kaiserreiches , mit einem der schonsten Hafen
der Erde, in welchem im Jahresdurchschnitte etwa 800 Schiffe (davon ein
Drittel amerikanische und englische) einlaufen, ist befestigt darch mehrere
Forts. Die erste Industrie- und Handelsstadt Brasiliens, und einer der wich-
tigsten Handelsplatze Amerika's. Die Neustadt ist sch8n und regelmassig
gebaut ; — Universitat, Sternwarte , botanischer Garten, viele Spezialschulen,
Bank, Diamantenschleifereien, Juwelierarbeiten, Zucker-, Baumwoll- und Segel-
tuch - Fabriken , grosse Siedereien von Wallfischthran. Mittelpunkt des sud-
amerikanischen Handels, der besonders von englischen, deutschen und franzO-
sischen Kaufleuten betrieben wird. Charakteristisch fiir das produktenreiche
Land ist besonders der Viktualienmarkt zu Rio. — Dampfschiffahrtsverbin-
dungen mit Liverpool, Lissabon, Marseille und Genua. Die Umgebung- ist
fiberaus reizend, gut angebaat and mit vielea Landhausern bedeckt. — Boa
Vista ist der gewShnliche kaiserliche Landsitz.
14. San Paulo, 15. San ta Ca tharina (8000 Q M., fiber 600.000 E.); —
Kaffee , Zucker und Baumwolle gedeihen hier nicht mehr gut ; dagegen aus-
gedehnter Maisbau und Viehzucht; anmuthiges, gesnndes Klima; — die ,, Pan-
listen" zeichnen sich durch Kiihnheit, Tbiitigkeit und Unternehmungsgeist
aus. — 14. San Paulo (30.000), Industrie und Handel; — 15. Desterro
(8000) auf der Insel S. Catharina , uppige Vegetation , gesundes Klima , sehr
guter Hafen.
16. Rio Grande do Sul oder S. Pedro (4000 DM., 200.000 E.): Porto
Alegre (15.000) an der Mundang des Rio grande in den Patos-See; —
S. Francisco (8000), in der Nahe eine bluhende d eu t s c h e Kol o nie
(8000 E.) mit dem Hauptorte S. Leopoldo: — die Hafenstadt Rio
grande (8000).
B. Provinzen 5m Innern.
17. Parana mit dem Hauptorte Curitiba (12.000), im Gebirge , sudwestlich
von San Paulo.
18. Minas Geraes (d. h. generales, zwischen Bahia, Rio, St. Paulo u. s. w.,
— 11.400 QM., 900.000 E., wichtiger Bergbau) : Ouro Preto (oder Villa
imperiale, fruher Villa Rica, 15000) Mittelpunkt des Diamanten- und
Goldbezirkes ; — Marianna (7000); — Hauptfundorte der Diamanten sind
Tejuco (oder Diamantina, 6000) und Villa nova do Principe.
19. Goyaz (fiber 13,500 QM., 150.000 E.): Villa Boa (oder Goyaz, 7000),
in deren Nahe reichliche Goldwaschereien.
20. Matto grosso (nahezu 29.000 Q M- , 100.000 E.); Cuyabn (10.000) in
dem gleichnamigen, beruhmten Bergwerksdistrikte; — Villa Bella (oder
Matto grosso, 10.000).
Von den kleinen zu Brasilien gehorigen Inseln sind die ansehnlichsten :
Fernando do Noronha (600 E.), Zucker und Obstbau, Mangel an Quell-
wasser ; — Trinidade, ein Felseneiland mit gutem Landungsplatze.
Kulturverhaltnisse im Allgemeinen.
Brasilien , eines der grossten Reiche auf der Erde , ist durch
Fulle und Mannigfaltigkeit der Naturprodukte so ausgezeichnet,
wie wenige Lander der Erde; das Tropenklima und der ausser-
ordentliche Wasserreichthum bedingen eben eine Fiille der Pflanzen-
und Thierwelt, die nicht leicht irgendwo vorkommt. Allein an
68% (iiber 100.000 QMeilen) des Landes befinden sich noch im
Naturzustande, 12 bis 15 % sind mit Wasser bedeckte, unkultivir-
bare Strecken (Fliisse, Seen, Siimpfe), fast eben so viel Terrain ist
zwar schon im Privatbesitze, aber noch nicht angebaut, und hoc fa-
stens drei Procent (oder beilaufig nur 4500 QMeilen) sind
wirklich angebautes Land. Hierher gehoren zunachst die Kiisten-
landschaften ; im Innern nur die fiir den Bergbau bedeutenderen
Gegenden mit der dichteren Bevolkerung. Die ungeheuren natur-
lichen Hilfsquellen des Landes sichern ihm fiir die Zukunft eine
bedeutende Rolle. Brasilien hat die reichste Flora auf der Erde ;
es ist gleichwie eines der ersten Plantagenlander auch eines
der ersten Minenlander. In grosster Menge werden KafFee*),
*) Die Kaff ee-Produktion hat ungemeino Forlschritte gemacht : Europa cr-
hielt aus Biasilien :
im Jabre 1823 beilitutig 184000 Zcnlncr
„ ,, 1843 betrug die Jahreseinte ... „ 1,600.000 „
„ „ 1853 „ „ ... „ 2,480.000 ,,
Die Zu cker -Erzeuguug bob sich miudor bchnell :
Export davou im Jahre 1823 476.000 „
„ „ „ „ 1853 1,500.000 .,
462
Zuckcr, Baumwolle, Tabak, Cacao und Reis gebaut ; auch mit Thee-
pflanzungen hat man begonnen ; ferner gedeihen vorzuglich Palmen,
Bananen, Gewiirze, Balsame und Arzneipflanzen (Ipecacuanha, Sar-
saparilla, Ricinus).
Die ausgedehntesten Walder bieten Bau- und Farbeholzer
(Brasil-, Gelbholz u. a.) in unberechenbarer Menge. In Brasilien
fehlen zwar die kolossalen Thierformen der alten Welt, dagegen
ist es mit einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Formen und
Schonheit der Farben ausgestattet. Die Gppigen Weiden und
die Menge der FutterkrSuter begiinetigen die Viehzucht, ins-
besondere der Rinder, Pferde, Maulthiere, Schweine und Ziegen.
Den ersten Rang in der Urproduktion nehmen Qbrigens Edel-
steine und Metalle ein , namentlich ist es das reichste Dia-
mantenland. Die Binnenprovinzen (Minas Geraes, Matto Grasso,
Goyaz) und San Paolo sind die eigentlichen Minendistrikte. Ausser
Diamanten und Gold (jahrlich nur an 1500 Mark) findet man
Topase , Granaten , Amethyste u. a. ; dann Eisen , Zinn , Blei,
auch Platina und Quecksilber , Alaun und Steinkohlen, Der Er-
trag ist jedoch ein relativ geringer, woran die vielfach primitiven
Gewinnungs - Methoden und die handwerksmassige Bearbeitung
Schuld tragen.
Von Industrie im europaischen Sinne ist kaum die Rede.
Mit Ausnahme der bedeutendsten Stadte fehlen selbst die gevvohn-
lichsten Handwerke, weil die Bedurfnisse des Volkes sehr geringe
sind, und der Bezug der Fabrikate aus dem Auslande sehr leicht
ist. In neuerer Zeit verarbeitet man Baumwolle, Leder, Zucker
11. dgl. ; in Bijouterie waaren sind erheblichere Fortschritte gemacht
worden.
Der Handel im Innern wird zwar durch die vielen echiffbaren
Flusse erleichtert, welche zum Theil mit Dampfschiffen befahren
werden (der Maranon, Rio Negro und Tocantin); allein es herrscht
grosser Mangel an Fahrstrassen, und er wird desshalb vielfach
mittels Maulthierkarawanen (tropa) auf den schlechten Wegen be-
trieben. Gegenwartig sind 2 Eisenbahnen (etwa 30 deutsche Mei-
len) im Bau ; zwischen Rio und der Provinz Minas Geraee, und
von Bahia nach Pernambuco. Der auswartige Handel iet be-
deutend und in stetem Wachsen. Es betrug:
dieEinfuhr dieAusfuhr
im Jahre 1840 57.7| s^l 41.6] si *)
„ 1855/56 91-rflB 96.4>lf
„ . 1856/57 123.J- g| HAJrl
Die Ausfuhr ist am starksten nach der Union, England
und Hamburg; der Hauptartikel war im Jahre 1855/56 Kaffee
(fur 48 Millionen Milreiis, aleo 50 % der Gesammtausfuhr). Bei
der Einfuhr sind am staiksten England und dessen Kolonien
*J Das ^ilrels" (1000 Reis) in Silber ist gleich 1 Thlr. 15 Sgr. 2 Pf.
(in P a pier ist der Werth sihwackend, circa 22 Sgr.). Der ,,Conto de Reis"
= 1000 Milreiis oder 1 Million Reis. GrOssere Snmmen werden in Contos gerechnet;
die Schreibweise ist eigenthumlich, z. B. ,,20,039: 858 U 567 Reis" = 20.039
Contos, 858 Milre'is und 567 Reis.
463
vertreten (mit fast 50% der Gesanomteinfuhr), und der grosste
Betrag (gegen 27 Millionen Milreie) entfiel auf Baumwollwaaren *).
Die Handelsflotte zahlte 148 Schifie langer Fahrt und 1400 Kusten-
und Flussfahrzeuge.
Fiir die geistige Bildung des Volkes ist leider noch zu
wenig geschehen ; Volksschulen sind verhaltnisemaesig wenige und
schwach besucht (1 Schiller auf 100 Einwohner im Jahre 1856; —
1460 Schulen mit 82.500 Schiilern). Doch zeigt sich auch in dieser
Richtung in neuester Zeit ein beharrlicher Fortschritt.
§. 184. Der aussertropische SUden von Sttd-Amcrika.
1. Republik Chile (spr, Tschile, — oder Chili; 6630 QM,,
1,439.120 Einwohner; nur etwa 150.000 Weisse, Y4 Million Neger,
die Uebrigen Mischlinge und Indianer).
Chile ist ein 20 bis 40 Meilen breiter Kilstenstrich, welcher
sich vom Golf von Chiloe (im Siiden) bis zum 25° nordl. Breite
langs des grossen Oceans ausdehnt. Die Ostgrenze bildet der
Kamin der einkettigen Sfld-Anden, welche von Siiden nach Norden
an Hohe zunehmen, reich an Schneebergen (Aconcagua fiber 21.000',
der huchste Berg Amerika's) Vulkanen ucd Metallen sind, und im
Westen steil abfallen. Von den Anden ergiessen sich zahlreiche
Kustenflusse in den Ocean, unter denen der Valdivia, Biobio,
Aconcagua, Coquimbo und Copiapo nennenswerth sind. —
Im Norden des Ccquimbo kommen grosse Strecken mit Felsboden
und Sand vor (die \\uste Atacama): der siidliche Theil ist so-
wohl in der Kustenebene, als in den Vorbergen mit den anmuthigen
Thalern und Waldungen malerisch schon, gut angebaut, dann wegen
seines gesunden, milden Klimas und der grossen Fruchtbarkeit
eines der schonsten Lander auf der Erde. Tropenpflanzen gedei-
hen in Chile nicht; jdagegen bringt das ^siidamerikanische Italien"
Sudfruchte, Oliven, Wein, Obst, Tabak, Hanf und Flachs in vor-
ziiglicher Gute und reicher Ftille hervor. Der Getreidebau deckt
nicht nur den heimischen Bedarf, sondern liefert auch fin* den Ex-
port nach Peru, Brasilien, Neuholland und Manilla. Der Vie li-
st and ist ausserordentlich gross; vorziiglich zahlreich sind Kin-
der und Pferde , daher gehoren Haute, Homer und Talg zu den
wichtigsten Handelsprodukten des Lances. Unter den Metallen
kommt Kupfer (in den nordlichen Landestheilen) am meieten vor,
die Jahresausbeute diirfte an 150.000 Centner betragen. Auch
Gold (etwa 4.500 Mark) und Silber (bei Copiapo; — im Ganzen
an 200.000 Mark), dann Eisen, Blei, Steinkohlen, Salpeter u. e. w.
werden gefunden. In neuester Zeit wird der Bergbau lebhafter
betrieben. Die Industrie ist im Ganzen noch geringe; grobes
Einfuhr
Baumwollwaaren 26.,
Wollenwaaren 4.,
Weizenmehl 4.,
Eisenwaaren 3.8
Wein 2.,
Leinwaaren , Seidenwaareu
Gold- and Silberwaaren je. . . 2.,
1856 Ausfuhr
Kaffee 48
Zucker 18.,
Haute 6.,
Baumwolle 5.4
Diamanten 4.,
Tabak 2.0
Mat6 (Paraguaythee) 1.,
464
Wollentuch, kupferne und irdene Waaren sind die namhaf tea ten
Erzeugnisse. Der Seehandel ist verbal tnissmassig bedeutend ;
im Jahre 1857 hatte die Einfuhr einen Werth von fiber 313/4,
die Ausfuhr iiber 193/4 Millionen Pesos (1 Peso fuerte = 5 Frcs.).
Der Handel concentrirt sich in Valparaiso* Die wichtigste Ver-
bindung iet mit England und dessen Colonien, zunachet stehen
Frankreich, die Union und Deutschland. Zum Export koramen:
Mehl, Getreide, Kupfer, Silber, Wolle, Haute, Holz, Talg. Zur
Forderung des inneren Verkehrs sind Eisenbahnen von Santjago
aus eroffnet.
Chile ist der bestgeordnete Staat unter den sudspaniachen
Republiken; die Bewohner sind gastfreundlich, von einfachen Sitten,
fleissige Landwirthe. Nur im aussersten Suden (Araucania)
wohnen unabhangige Indianer (Araucaner), welche Ackerbau und
Viehzucht treiben, und zum Theile schon civilisirt sind.
Die ansehnlichsten Orte sind:
Santjago (70.000), in fruchtbarer, weinreicher Ebene, eine freundliche, rein-
liche, regelmassig gebatite Stadt, mit einer Universitat und guten Schulen. Nord-
lich davon liegen das bedeutendste Kupferbergwerk Quillote und die Goldgru-
ben von Petorca; — Valparaiso (50.000), eine rasch aufbluhende Handels-
stadt, einer der bedeutendsten Hafenplatze an der Siidsee, befestiget; wichtige
Station fiir die urn das Kap Hoorn fahrenden Schiffe ; — Valdivia (2000), einer
der besten Hafen mit starken Festungswerken ; in der Provinz Valdivia (und im
Territorium von Llanquihue) befinden sich mehrere deutsche Ansiedlungen;
— Neu-Conception mit dem Hafenorte Talcahuana, wurden (1835) durch
Erdbeben arg verwiistet; — Copiapo, Ausfuhrhafen der reichen Kupfergruben
von Copiapo.
Die Insel Chiloe ist fruchtbar, allein schwach bevolkert; sie liefert die besten
Matrosen. Hauptort ist Castro. — Die Juan-Fernandez-Inseln sind frucht-
bar und geniessen ein herrliches Klima.
2. Argentina (oder: die ^argent i n ische Confo dera-
tion,"— ,,die vereinigten Staaten desRio de la Plata;"
— 31,800 QMeilen, 1,550.000 Einwohner).
An der Westgrenze zieht sich die Andenkette von Chile mit
vorgelagerten Berglandschaften, namentlich im nordwestlichen Theile
der Confederation. Am Fusse der Berglandschaft dehnen sich die unge-
heuren, theils ebenen, theils hugeligen aber baumlosen Grasfluren oder
Pampas des Rio de la Plata aus. Im Westen gehen die Pam-
pas in das (etwa 2000' hohe) Plateau der Salzsumpfe mit zahlreichen
Salzseen iiber. An den Flussen ist der Boden sehr fruchtbar, aber
haufigen Ueberschwemmungen ausgesetzt.
Der Hauptfluss ist der Parana (an der Miindung Rio de
la Plata genannt), mit Anschwellungen und Ueberschwemmungen
im Juni und Dezember. Er nimmt (rechts) den Grenzfluss Para-
guay (bei Corientes) und (links) den Grenzfluss Uruguay (im
Miindungsgebiete) auf. Ferners fliessen dem Atlantik der Colorado
und der Grenzfluss (gegen Patagonien) Negro zu. Viele Fliisse
ergiessen sich im Innern in Salzseen.
Trotz der grossen, ausserst fruchtbaren Strecken ist der Acker-
bau doch vielfach noch sehr vernachlassigt ; bedeutender ist die
Viehzucht, vorziiglich in den Pampas, wo ungeheure Heerden
von Rindvieh und Pferden im halbwilden Zuelande weiden, welche
den Hauptreichthum des Landes bilden. Der Bergbau ist
465
unbedeutend, deesgleichen die ge wer bl i ch e Thatigkeit. Da-
gegen ist der Handel in der Zunahme, welcher nach den iiber-
seeischen Landern fiber Buenos Ayres und Montevideo vermittelt
wird. Zum Export gelangen Haute, Homer, Wolle Talg, ge-
salzenes Fleisch u. a. ra.
Die Confederation besteht aus vierzehn Staaten: Entre Eios, Corrientes,
Santa Fe, Ingui, Salta, Tucuman, Santjago del Estero, Cata-
marca, Kioja, Cordova, San Juan de la Frontera, Mendoza, San
Luis de la Punta, Buenos Ayres*).
Ansehnlichere Orte sind:
Parana (15.000), Hauptstadt der Confederation ; der bedeutendste Handelsplatz
ist Gualeguaychu (J 0.000) mit vielen europliischen Kaufleuten. — Die iibrigen
bedeutenden Stadte sind Hauptorte der gleichnamigen irtiher genannten Provinzen.
Besonders sind beraerkenswerth : Cordova als Handelsplatz mit Tuch- und Wol-
lenzeugmanufakturen, Salta als bedeutendster Viehmarkt, Catamarca mit vor-
ziiglichen Baumwollpflanzungen , Mendoza mit trefflichem Weinbau. Nbrdlich
davon liegen die reichen Silberminen von Uspalata. — Da Buenos Ayres
zum grossten Theil in der Region der Pampas gelegen ist, so bildet die Viehzucht
den grossten Reichthum des Landes; zunachst steht der Ackerbau und in der
Landeshauptstadt der iiberseeiscbe Handel, welcher (wahrend der Unabhangigkeit
des Landes) im Jahre 1856' bei der Einfuhr mit 277 % , bei der Ausfuhr
mit 274 V4 MiUionen Papier-Piaster**) berechnet wurde.
Der bedeutendste Ort ist Buenos Ayres (sammt den Vorstadten uber 122,000
E.), an vierzig Meilen vom offenen atlantischen Ocean am rechten Ufer des bier
acht Meilen breiten La Plata. Der Landungsplatz ist sehr seicht, die grossen
Schiffe legen bei dein Dorfe Barragon an. Der Land- und Seehandel ist sehr
bedeutend. Die Stadt ist der Stapelplatz fur das ganze Innere von Siidamerika
(Brasilien ausgenommen), und fiihrt Thierhaute , Horner, Talg in ungeheurer
Menge aus. Der Hauptverkehr geht nach England , dem Unionslande und den
westeuropaischen Staaten. Binnenstrassen fiihren uber Mendoza nach Chile, eine
zweite iiber Cordova , Santjago , Tucuman , Salta , Ingui nach Bolivia. — Die
Kiiste ist unsicher und hat nur wenige Landungsplatze und Forts.
3. Republik Uruguay (oder Ban da oriental, auch
Montevideo genannt , 4800 QMeilen, V4 Million Einwohner).
Aus dem im Norden gelegenen Brasilien streichen bis an
3000' hohe Gebirge in das Land , zwischen denen sich die weite
Ebene des Rio negro ausbreitet; im Westen und Siiden ist es
eine flache, baumlose, zwar nicht schone, aber gewinnbringende
Ebene mit vorziiglichen Weideplatzen. Zahlreiche Fltisse bewas-
sern das Land , die bedeutendsten sind jedoch die Grenzfliisse,
im Westen der Uruguay (mit dem Rio negro), im Suden der
La Plata. — Mit Ausnahme einiger sandiger Kiistenstriche ist
der Boden fruchtbar , wird aber vorziiglich nur zur Viehzucht
benutzt, besonders der Pferde und Rinder; thierische Produkte
bilden die wichtigsten Exportartikel. In Folge innerer Zerruttung
ist das Land in der Kultur sehr zuriick , Gewerbfleiss fehlt fast
ganzlich.
Die Eintheilung ist in neun Departimentos , welche nach den meist unbedeu-
tenden Hauptorten benannt werden. Die ansehnlichsten Orte sind : Montevideo
(45.000) am hohen Ufer des La Plata ; der Hafen ist zwar geraumig, aber den
Pamperos (West- und Siidwestwinden) ausgesetzt, und wegcn der geringeren Tiefe
kbnnen nur kleinere Fahrzeuge unmittelbar bei der Stadt anlegen. Der lebhafte
*) Vom Jahre 1853 bis 1859 war Buenos Ayres eine selbststfindige Republik. In
Folge des am 10. November 1859 zu San Jos6 de Flores unterzeichneten Friedens-
vertrages ist es mit der argentinischen Konfo'deration wieder vereinigt worden.
**) Im Jahre 1857 galten 20 Papier-Piaster nur noch 1 wirklichen Piaster.
Klmi's Handels-Gcugraphie. 2. Mill. 30
466
Handel liegt vorziiglich in franzosischen Handen. — Am Eingange des La Plata
ist die feste Hafenstadt Maldonado (5000); auch die stark befestigte Stadt
Colonia del Sacramento hat einen guten Hafen. Uruguay besitzt die drei
besten Hafen an der Miindung des La Plata und diesem Umstande verdankt der
Staat eine grosse kommerzielle Wichtigkeit.
4. Republik Paraguay (4000 QMeilen, 1,200.000 Einwoh-
ner, etwa 10 % Weisse, sonst viele Indianer, zum Theile noch
Heiden).
Dieser Binnenstaat wird im Westen und Osten begrenzt von
den FlQssen Paraguay und Parang bis zu ihrer Vereinigung im
Suden ; die Nordgrenze ist noch vielfach unbestimmt. Der ostliche
Theil wird von Verzweigungen des brasilianischen Berglandes
durchzogen; der westliche Theil ist Flachland, theilweise sumpfig,
den Ueberschwemmungen des Paraguay ausgesetzt. Der wichtigste
Nahrungszweig ist der Ackerbau, obwohl er noch wenig fur den
Export producirt. Nebst Nahrungspflanzen werdeh auch Baumwolle,
Zucker und Tabak gebaut; ausgedehnt sind die Pflanzungen von
Paraguay-Thee (Mate*). An Nutzholzern ist bei dem ausge-
dehnten Waldstande ein Ueberfluss. In der nicht sehr bedeutenden
Viehzucht nehmen die Kinder- und Pferdeheerden den ersten Rang
ein. Die Industrie ist auf sehr geringer Stufe; sie erstreckt sich
nur auf einige Webe-, Leder- und Metallwaaren. Auch der Han-
del ist, bei dem Abschliessungs-Systeme gegen das Fremde, min-
der umfangreich , als er bei der gunstigen Lage des Landes und
wegen seiner grossen Fliisse sein konnte. Exportirt werden Holz,
Haute, Tabak, Paraguay-Thee.
Die politische Eintheilung ist in acht Departimentos, welche nach den meist
unbedeutenden Hauptorten benannt werden. Hauptort des Landes ist Asun-
cion (25.000) am Paraguay, der Stapelplatz fur den gesammten auswartigen
Handel. In der Umgegend von Villarica (9000) wird der meiste Paraguay-
thee gesammelt.
5. Patagonien; — die sudainerikanischen Inselgruppcn
und Sudpolarlander.
1. Im Suden von Chile, Argentina und Buenos Ayres dehnt sich bis zur Su'd-
spitze des Kontinentes Patagonien mit einem Flachenraume zwischen 16 bis
18.000 Q M. aus. Es zerfallt in zwei Theile. Im Westen ziehen sich bis hart
an die fiordenreiche Ktiste des grossen Oceans die patagonischen Cordilleren,
von Siiden nach Norden in der Hohe zunehmend, mit einer durchschnittlichen
Kammhbhe von 3000', mit vielen Gipfeln fiber 6000, einzelnen mit und iiber
7000'. In der untern Region sind die Gebirge mit reichen Waldungen (Buchen,
Birken u. a.) bedeckt. Der Boden an der Westkiiste ist nass, das Klima zwar
milde und gleichformig ; aber fast bestandig herrschen Eegen und Nebel und
oft brechen furchtbare Stiirme aus. Der Kiiste sind zahlreiche Inselgruppen
vorgelagert. — Nach Osten fallen die Anden terrassenformig zum baumlosen, ve-
getationsarmen , aber an Seen, Siimpfen und Steppen reichen Tieflande herab,
welches sich bis zum Atlantik ausbreitet und nur in den tief eingeschnittenen
Flussthalern eine reichere Vegetation besitzt. Im Norden sind ausgedehnte Vieh-
weiden, eine Fortsetzung der Pampas ; nirgends aber findet sich ein regelmas-
siger Anbau. Das Klima ist zwar nicht so streng und unfreundlich , als haufig
angenommen wurde, doch sind die Sommer driickend heiss, die Winter kalt. Die
Thierwelt ist besonders im Norden stark vertreten , namentlich Pferde und Kin-
der, dann Schafkameele (Guanacos), Hasen, Ftichse u. s. w. — Das Land be-
wohnen wilde und heidnische Indianerstamme, im Allgemeinen Patagonier ge-
nannt, welche in viele aber nicht zahlreiche Stamme zerfallen. Sie ernahren sich
meistens von der Jagd, einige auch von der Viehzucht und leben in Pfahlhiitten,
die mit Pferdehauten gedeckt sind. Sie sind gewohnlich 5'/2 bis 6 Fuss hoch,
_46I_
kraftig gebaut, gewandte Reiter und Jager. An der Magelhaensstrasse und auf den
siidlicheren Inseln wohnen die wenig zahlreichen, auf der niedersten Stufe der
Kultur stehenden Peschera'h (oder Yocaifas), die ^Eskimos des Siidens." Nord-
amerikanische und europaische Schiffe besuchen bisweilen wegen des Wallfisch-
und Robbenfanges die Kiisten Patagoniens. See-Elephanten und Pinguine er-
scheinen in grosser Menge an den Kiisen.
2. Ira Siiden der Magelhaens-Strasse liegt der beilaufig 1300 QMeilen grosse
Feuerlands Archipel, bestehend aus sieben grossen und einer grossen Menge
kleinerer Inseln. Die grosste ist das eigentliche Feuerland; von dieser durch
die Strasse Le Maire getrennt, liegt sudlich die Staaten-Insel mit dem briti-
schen Wallfischposten Hopparos; die Siidspitze der sudlichsten Insel Hoorn
ist das Kap Hoorn. Das Ganze ist ein furchtbar zerrissenes, abschreckendes
Inselchaos; imWesten Gebirgsland mit fast bestandigem Regen und Sclmeefall,
imOsten wellenfdrmige Ebene, u'ber welcher sich ein heiterer Himmel ausspannt.
Die Inseln sind meist bewaldet, vielfach morastig, das Klima kalter als unter
gleicher Breite auf der nordlichen Halbkugel. Dieser armen Natur der harten
Felsen in ewigem Sturm, Regen und Wind entspricht auch der Mensch. Die zu
2000 geschatzten kulturlosen Pescherahs leben hauptsachlich vom Fischfange,
kleiden sich in Robbenfelle, wohnen in Hu'tten, die nur aus Zweigen zusammen-
gefiigt oder mit Seehundsfellen bedeckt sind, oder auch, trotz Sturm und Regen,
Tag und Nacht im Freien.
An 70 Meilen vom Osteingange der Magelhaens-Strasse liegen die britischen
Falkland*- (oder Malouinen-) Inseln, an 280 QM. gross. Die zwei grossen
heissen West- und Ostfalkland; auf letzterer ist Port William Hauptort
der Kolonie. Das Klima ist nicht kalt, doch herrschen fast bestandige Stiirme.
Die Inseln sind gebirgig, wasserreich, mit iippigem Graswuchs, aber holzlos;
reich an Heerden verwilderter Pferde, Rinder und Schweine. Die Inseln versor-
gen die um das Kap Hoorn segelnden Schiffe mit Proviant.
Die Gruppen der Aurora -Inseln, Siid-Georgien, das Sandwichland, die
siidlichen Orkaden, die Siid-Shetlands-Inseln, welche ostlich und siid-
ostlich von den friiher genannten Inselgruppen liegen, sind nackte (2000 — 7000'
hohe) Felseninseln ohne alle Vegetation, theilweise mit Schnee bedeckt, in ewige
Nebel gehiillt und von rauhen Stiirmen umtobt. Nur grosse Schaaren von See-
vbgeln, Robben und anderen Thranthieren beleben diese Gegenden.
3. Den Siidpol scheint ein Kontinent oder eine Menge grosserer und kleinerer
Inseln zn umschliessen ; man bezeichnet die entdeckten Landerstriche mit dem
Namen antarktischer Kontinent oder das Slid polar land. Die polarischen
Lander und Inseln zeigen die Natur in volliger Erstarrung und Oede. Das Meer
fiillen Thranthiere, meistens dem Siidpolarlande eigenthiimliche Arten. Der siid-
liche Wallfisch ist vom nordischen vcrschieden ; dei- See-Elephant tritt stattdes nor-
dischen Walbrosses auf. Das Pflanzenreich wird nur durch Moose und Flechten,
die Thierwelt durch Seevogel und Fettganse (Pinguine) reprasentirt, welche in
ungeheuren Schaaren an den Ufern sitzen. Spuren von eingebornen Menschen
sind nirgends gefunden worden. Das stiirmische Meer ist sehr tief, und vom (JOU
s. Br. mit ungeheuren Eismassen und dicken Nebelu bedeckt. (Die entdeckten
Kiistenstriche siehe auf S. 13.)
30*
Australian.
Australien (auch Polynesien oder Oceanien genannt)
1st der kleinste, mindest bekannte Erdtheil. Man unterscheidet das
,,Festland Australien" (oder Austral-Land, Neu-Hol-
land) und die ,,austr al isch e Inselwelt;" auf ersteres entfallen
beilaufig 138.000, auf letztere 22.000 QMeilen.
§. 185. Das Festland Australian.
Die horizon! ale Gliederung des Festlandes ist im Norden
und Siiden eine relativ geringe; dagegen ist sie im Siidosten un-
gemein reich, und die grosse Menge von Buchten und Hafen ist
ein Mittelpunkt fur die Schiffahrt der Slid - Hemisphare und der
Kolonisation geworden. Ueber die vertikale Erhebung lasst sich
wenig Bestimmtes sagen, indem iibcr drei Viertheile des Kontinentes
noch ganzlich unbekannt sind , und das von Europaern besuchte
Terrain noch mehrfach nicht genau durchforscht worden ist. Aus
dem bisher Bekannten geht iibrigens hervor, dass die Bodengestal-
tung im Innern nicht jene Einformigkeit aufweiset, die man friiher
als vorherrschend annahm. Das Innere ist nicht fast ausschliess-
lich Sand- oder Steinwiiste; man hat vielmehr eine mannigfaltige
Abwechslung von nutzbaren und nutzlosen Landstrichen gefunden.
Im Allgemeinen scheint das Flachland vorzuherrschen ; aus den
Kustenlandschaften steigen isolirte Bergketten als Kand- und Kiisten-
gebirge auf, die sich jedoch weder durch Mannigfaltigkeit noch durch
Grossartigkeit auszeichnen. — (Siehe §. 41.)
Das Festland hat wenig bestandig flies sen de Gewasser;
es ist der wasserarmste Erdtheil, dessen lehmiger Boden die ath-
mosphiirischen Nicderschlage rasch einsaugt. Alle uns bekannten
Fliisse Australiens bieten fast die gleichen Erscheinungen dar. —
(Siehe §. 51.)
Die grosse horizontale Ausdehnung (von mehr als 30 Graden)
bedingt mehrfacho Verschiedenheiten des Klimas. Man unter-
scheidet drei grossere Regionen: das nordliche, ganz tropische
Australien umfasst die Nordwest- , Nord- und Nordostkiiste (von
11— 25° s. Br.); — das mittlere subtropische, in der Siidhalfte
des Kontinentes; — das sudlich gemassigte (wozu Tasmania
und Neu-Seeland gehoren). Im tropischen Australien ist das
Wetter durch die Monsune (wie in Indien) bedingt; im subtro-
pis chen wechseln die trockene und nasse Jahreszeit ab; oftherrscht
grosse anhalteude Diirre, dabei heisser, sengender Wind und Wol-
ken von Staub ; nicht ein Grashalm ist da zu sehen , Tausende
von Schafen und Rindern gehen da zu Grunde*); — in Sud-
au s t r a 1 i e n ist das Klima gemassigt und wird trotz der ausserordent-
lich schnellen Veranderung der Temperatur fiir sehr gesund gehalten.
Der Winter bringt selten Schnee und Eis; dagegen trocknet die
Hitze in den Sommermonaten den Erdboden ebenfalls vollstandig au&;
*) In Nen-Siid-Wales dauerte die Diirre einmal 4 Jahre (1841—1844); im Jahre 1813
reguete es in lOMonaten mir 2 Stunden, wodurch ein so grosser Ftittermangel entstand,
dass Tausende von Eindern und Schafen zu Grunde gingen. Eine gleiche Diirre
hen-schte im Jahre 1851, wo seit 16 Monaten kein erfrischender Regen gefallen war.
_469
doch sind weder die Durre noch der heisse Wind so andauernd als
in der subtropischen Region. Die starken Regengtisse bringen iibri-
gens in wenigen Tagen den iippigsten Pflanzenwuchs hervor.
Der Pflanzenreichthuiii ist sehr gross; man hat dort schon
fiber 1000 nene Pflanzenarten entdeckt , und an Schonheit der
Waldblumen und Bliithen iibertrifft wohl kein Land Australian.
Eigentliche Urwalder findet man jedoch nicht; die Baume kommen
meist in Gruppen vor. Zu den vorherrschenden weit verbreitetsten
Pflanzen gehoren die (bis 180' hohen) Gummibaume, so wohl
wegen des Gumrni als wegen der Harte des Holzes sehr geschatzt;
dann Akazien, Fichten, Cedern , das Malli-Strauchwerk (Zwerg-
Gummibaume), die fur Schafziichtereien wichtige Salzpflanze u. e. w.
In Ost- und Siidanstralien gedeihen die europaischen Obst- und
Fruchtesorten, Kiichengewachse und Getreide (Weizen, Roggen,
Mais etc.). Der Weinbau wird am Hunter und in der Gegend
von Adelaide mit Erfolg betrieben. Mit Tabak, Baumwolle und
Zucker sind an der Moreton-Bai und anderwarts Versuche gemacht
worden ; doch fehlt es noch vielfach an Arbeitskraften. Die Haupt-
gewachse Ostindiens kommen aber selbst in den tropischen Gegen-
den Australiens nicht vor.
Neu-Holland scheint in Bezug auf die Thierwelt vielfach
das ,,Land des Widerspruchs" zu sein. Es gibt dort Vogel ohne
Fliigel, mit Haaren statt Federn, Vierfusser mit Entenschnabeln,
schwarze Schwane, weisse Adler; die Bienen sind ohne Stachel,
viele Vogel sind stumm, viele Blumen geruchlos, die Baume geben
keinen Schatten , das Holz sinkt im Wasser unter, der Kuckuck
schreit bei Nacht , die Eule am Tage u, s. vv. Unter den Vogeln
zeichnen sich durch Farbenpracht aus: Papageien, Paradiesvogel,
Pfau-Fa^anen, Tauben ; sehr zahlreich sind die Wasser- und Sumpf-
vb'gel. Der grosste Vogel ist der Casuar, sehr zahlreich sind die
larmenden Kakadu. Grosse Vierfusser und eigentliche Raubthiere
gibt es in Australian nicht. Das merkvviirdigste Saugethier ist das
in grossen Heerden lebende, von Pflanzen sich nahrende Kanguruh
und das kleine fliegende Beutelthier Walloby. Ungemein gross sind
die Schaf- und Rindviehheerden in den englischen Besitzungen.
Landplagen sind der wilde australische Hund (Dingo) , die Heu-
schrecken , welche nicht selten die Pflanzungeu der Kolonisten ver-
heercn, und die vielen Stechfliegen (Moskito's). Von den Sauge-
thieren des Meeres findet sich vielleicht die Halfte an den Kusten
Australiens ; dagegen besitzt das Land kaum den zwanzigsten Theil
von den Saugethieren des Landes.
Die Urbevolkerung gehort zu den Au stral-N egern (Ne-
grito's), dem ausseren Ansehen nach eine Vermischung der ma-
layischen mit der athiopischen Race. Im Urzustande sind sie wild,
schmutzig, heimtiickisch und boshaft, abschreckend hasslich, mit
diirren Beinen und Armen, und weiss und roth tatowirtem Korper.
Im Zustande ausserster Rohheit ziehen sie ohne Bekleidung,
ohne feste Wohnsitze in kleinen Horden umher, die Befriedigung
des Hungers ist fast ihr einziges Lebeneziel ; sie sind der Civilisation
unzuganglicher als irgend ein Volk der Erde. Die Versuche, sie
fur Ansassigkeit und Bodenkultur zu gewinnen, sowie die Bemii
470
hungen der christlichen Missionare sind bis jetzt vielfach gescheitert;
sie verschwinden mehr und mehr aus den kolonisirten Kustenlan-
dern und gehen in den Oden Wtisten des Innern dem Untergange
entgegen. — In ihrer Sprache herrscht unter den verschiedenen
Stammen eine grosse Verschiedenheit. — Desto starker ist dieEin-
wanderung aus Europa und Amerika, namentlich von Englan-
dern, Deutschen, Chinesen und Franzosen *).
Grossbritannien nimmt die Herrschaft iiber das ganze
kontinentale Australien in Anspruch. An der Spitze jeder Kolonie
steht ein Gouverneur, ihm zur Seite ein exekutiver und ein legis-
lativer Rath; alle administrativen und gerichtlichen Einrichtungen
sind denen des Mutterlandes nachgebildet.
Die britischen Koloiiien.
Diese umfassen vier Gouvernements :
1. Neu- Sud -Wales (266.000 E.): Die Hauptnahrungszweige
dieser Kolonie sind Ackerbau und Viehzucht, vor Allem
Schafzucht. Im Jahre 1857 waren schon fiber 185.000 englische
Acres angebaut; die Zahl der Schafe belief sich (im Jahre 1857)
an 73/4 Millionen, der Kinder iiber 2 Millionen. An industriellen
Anstalten ist nur Sydney ziemlich reich, es besitzt Eisengiesse-
reien, Maschinenfabriken , Schmelzhiitten, Bierbrauereien, Zucker-
siedereien, Gerbereien , viele Miihlen , eine geraumige Werfte,
3 Docks u. a. m. Der Handel der Kolonie ist stets ina Wachsen;
die Einfuhr betrug im J. 1856 iiber 3,43 Millionen £., die Aus-
fuhr fiber 5,^ Millionen £., — im J. 1857 die Einfuh'r 3.61
Millionen £ die Ausfuhr 6,36 Millionen £. Den grossten Werth
reprasentiren in der Einfuhr: Brod und Mehl, Spirituosen, Zucker,
Bier, Thee, Tabak; in der Ausfuhr Wolle, Schafe, Baumwollwaaren
und Gold. Der grosste Verkehr ist mit England und den ubrigen
Kolonien. Die Zahl der angekommenen Schiffe belief sich auf 1143,
der abgegangenen auf 1219 ; die meisten im Hafen zu Sydney, dann
Newcastle, vorherrschend unter britischer Flagge. Zu Anfang des
Jahres 1857 besass die Kolonie 60 eigene Darnpfschiffe und eine
starke Handelsflotte.
Sydney (spr. Sidni, 70.000 E.), auf der kleinen Halbinsel zwisclien Port Jack-
son (spr. Dschaks'n) und Botany-Bai; die erste australische Handelsstadt, Mittel-
punkt der Dampfschiffahrt und des Wallfischfanges im Siiden , mit ansehnlicher
Gewerbsthatigkeit, grossen Gebauden, Universitat, Sternwarte, botanischem Garten,
iiberhaupt ini europaischen Geschmacke gebaut und eingerichtet. Eine Eis en-
fa ah n fiihrt nach Paramatta, von da nach Liverpool, Campbell-Town und Goul-
bourne, in der Mitte grosser Schafereien gelegen. Eine Telegrafenlinie zwi-
schen Sydney und Melbourne, und von da nach Adelaide und Tasmania; der
Postwagen fahrt iiber Penrith nach Bathurst. — Paramatta (12.000) an der
Mundung des gleichnamigen Flusses in den Port Jackson; — Bathurst (spr.
Bads'ort, 6000) am Macquarieflusse , Mittelpunkt reicher Land- und Viehwirth-
schaft sowie des bedeutendsten Goldbezirkes der Kolonie ; — am Hunter im Koh-
lendistrikte siud die aufbliihenden, mittelst Eisenbahn verbundenen Stadte New-
castle (spr. Njucass'l) und Maitland (spr. Mehtla'nd); in einer der schonsten
*) Die Einwanderung betrug:
im Jahre 1857 nach Victoria 62.230
„ „ 1856 „ Neu-Siid-Wales 16.001
„ „ 1855 „ Siid-Australien 11.471
„ „ 1856 „ dto 4177
„ „ 1856 „ Tasmania 4988
Die deutsche Einwanderung nach Neu-Siid-Wales hat sehr abgenommen.
471
Kustenebenen Brisbane (spr. Brisbehn), durch den Verkehr mit Sydney iii Holz
und Wolle bedeutend; Ophir im Golddistrikte. — Ira April 1859wurde Queen's-
land (spr. Kwinsland) an der Moreton-Bai von Neu-Siid- Wales getrennt und zn
einer selbststandigen Kolonie mit dem Hauptorte Brisbane erhoben.
2. Victoria, friiher ,,das gliickliche Australien," mit einer
Gesammtflache von fiber 56% Millionen Acres, wovon erst die
Halfte verkauft und darunter nahezu 240.000 kultivirt sind. Vor
20 Jahren war die Bevolkeruug kaum einige Tausend Kopfe stark,
jetzt betragt sie fiber T/2 Million. Hier ist das Land der Gold-
graber, deren Zahl gegenwartig iiber hundert Tausend betragt,
und stets noch wachst. Die Goldgraber haben jedoch auch Acker-
bauer, Viehzuchter, Handwerker und Kaufleute nach sich gezogen.
Fur den Erlaubnissschein zahlt der Goldgraber monatlich 10 Schil-
ling an die Regierung; dafiir kann er Locher graben, so viele er
will, aber keines grosser als 12 Q'. Vom Jahre 1851 bis Ende
1857 wurden aus Victoria 17,831.334 Unzen Gold, im Werthe von
fiber 67 V2 Millionen £ ausgefiihrt *). Nachst Gold ist bedeutend
die Ausfuhr an Wolle, welche jedoch etwas abgenommen hat (5m
Jahre 1852 iiber 20, im Jahre 1857 nicht ganz 17V5 Millionen Pfd.),
ferner Talg. Der Handel ist ungemein im Steigen. Im J. 1851
betrug die Ausfuhr 1.42 Millionen £. , und im J. 1857 iiber
15.07 Millionen £.; die Einfuhr im J. 1851 nur 1.05 Millionen £.,
im J. 1857 dagegen fiber 17.25 Millionen £. Fast der Gesammt-
verkehr findet mit England und dessen Kolonien statt ; die Zahl
der eingelaufenen Schiffe betrug im Jahre 18572190 (mit nahe 700.000
Tonnen), jene der ausgelaufenen 2207 (fiber 684.000 Tonnen). Auch
die Zahl der industriellen Etablissements mehrt sich fortwahrend **).
Melbourne (spr. Mel'born, im Marz 1859 hatte sie iiber 89.000 E., jetzt an
100,000 E.), ungemein rasch aufbliihende Hauptstadt im (Norden der Bai Port
Philipp in sehr fruchtbarer Gegend, -vvichtiger Handelsplatz , insbesondere Aus-
fuhr von Wolle, Gold uud Wein ; mit allem europaischen Luxus, zahlreichen ge-
lehrten und Handelsanstalten , grossem botanischen und zoologischen Garten ;
Post- und Telegraphenverbindung mit Sydney und Adelaide, unterseeischer Tele-
graph nach Launceston auf Tasmania, Eisenbahn nach den Golddistrikten von
Sandhurst, Dampfschiffahrt u. s. w. ; — Williamstown (spr. Uiljams'taun,
5000) Hafenplatz von Melbourne am Port Philipp: — Greelong, (an 30.000),
am Westende des Port Philipp , vom reichsten Ackerbaudistrikte umgeben und
Hauptstapelplatz fiir die zahlreichen Wollenstationen der Kolonie. Im Osten lie-
gen die fruchtbaren Kiistenebeneu des ^Gipslandes" mit dem Hauptorte Al-
berton; — Portland imSiidwesten von Melbourne ; — Goldstadte sind : Bal-
laret, Bendigo, Sandhurst, Forest Creek.
3. Siid- Aiistra lien (uber 14.800 deutsche pMeilen, iiber
104.000 Einwohner, darunter an 3000 Eingeborne; die Deutschen
bilden nahezu '/7 der Gesammtbevolkerung). Die Kolonie zeichnet
sich besonders durch ihre Bergwerke auf Kupfer und Blei aus.
Beriihmt sind die Kupfergruben von Burra-Burra, welche im
*) Export aus Victoria: im Jahre 1856 2,762.460 Unzen; 10,987.591 £
„ „ „ „ „ 1857 2,555.263 „ ; 10,921.052 „
„ „ Califoruieu: „ „ 1856 ; 10,139.487 „
„ „ 1857 ; 9,795.339 „
„ „ 1858 ; 9,507.605 „
**) Im Jahre 1859 besass die Kolonie Victoria : 35 Bierbrauereien , 15 Seife- und
Lichterfabriken , 12 Gerbereien , 11 Giessereien , 77 Getreidemiihlen (darunter 61 mit
Dampf), 45 Sagemiihlen, 80 Dampfinaschinen (ohue die obigen Damufmiihlen).
473
Jahre 1857 an 274.000 Zentner Kupfererz (mit einem Durchschnitts-
gehalt von 25%) lieferten , das Kapund a - Bergwerk lieferte
(1857) iiber 80.000 Zentner Erz. Bei der eersten Grube ist zwar
ein Schmelzwerk errichtet, doch gcht das meiste Erz nach England
(Swansea in Wales). Der Hafen zur Verschiffung der Kupfererze
ist Port Henry. Aucfr die Blei- und Silberbergwerke sind von
Bedeutung ; die Ausbeute der ersten war (im J. 1857) iiber 12.000 Zent-
ner, der zweiten iiber 90.000 Unzen. Besonders beliebt sind die
deutschen Grubenarbeiter. Der Ackerbau wird sehr stark,
namentlich von den Deutschen, betrieben. Im Jahre 1857 waren
nahe an 236.000 Acres angebaut. Weizen bildet die Hauptfrucht,
und die Mehlausfuhr belief sich im mehrgenannten Jahre iiber
580.000 Zentner. Unter den 70 Getreidemiihlen werden 63 mit
Dampfkraft betrieben. Ohne je gedungt zu werden, hat der Boden
noch nie eine eigentliche Missernte geliefert; erst jedes dritte Jahr
wird der Acker ordentlich umgepfliigt und beeaet. Die Viehzucht
ist geringer, als in Victoria, doch in Aufnahme; dessgleichen meh-
ren sich die industriellen Unternehmungen. Zum Export gelangen
Wolle, Mehl, Kupfer und andere Metalle; im Jahre 1857 betrug
die Einfuhr fiber 1.4, dieAusfuhr iiber 1.0 Millionen £.
Ansehnliche Orte sind: Adelaide (25.000) nahe derMiindung des Torrens in
den St. Vincent-Golf, schb'n gebaut, mit mehreren Schulen (auch eine deutsche
hohere Burger schule), Haupthandelsplatz der Kolonie. Zum Hafen Port
Adelaide fuhrt eine Eisenbalm, wo sich das Zollhaus, eine Schiffswerfte, Waa-
renmagazine u. s. w. befinden. Andere Hafenplatze sind : Port Henry (fur die
Ausfuhr von Kupfererz), Port Wakefield (fur Kupfererz und Wolle), Port
Robe (fur Wolle), Port Elliot (fur Mehl). — Am Siidende des Golfes St. Vin-
cent liegt die Insel Kanguruh (92 QM.). Viele Kanguruhs. Ansiecllung
Kingscote fiir Eobben- und Wallfischfanger.
4. West-Australien (45.000 QMeilen, 13.400 Einwohner).—
Das grosse westliche Kiistenland besteht grossentheils aus sandigem
Flachlande oder steilen Diinen, hat weder gute Hafen noch grosse
Fliisse, und ist zur Kolonisation minder geeignet. An gutem Weide-
land fehlt es nicht, auch gibt es einige Striche guten Ackerlandes, sowie
man Spuren von Metallreichthum findet. Hauptort ist P e r t h (3000)
am Schwanenfluss mit einigem Handel, der sich jedoch mehr in der Ha-
fenstadt Freeman tie (sp^r. Frihmantl, 3000), an der Miindung des
Schwanenflusses, concentrirt. Andere Hafenplatze sind Albany und
Guildford. Zwischen diesen Orten und Perth besteht eine Dampf-
bootverbindung; Perth, Freemantle und Albany treiben Wallfischfang.
Am obern Schwanenflusse ist die Stadt York begriindet worden.
5. Nord-Australien. In den Jahren 1824 und 1826 ist eine
Ansiedleung an der aussersten Spitze der Nordwestkiiste gegrundet
worden; allein die Niederlassungen auf den Inseln Melville und
Bathurst mussten wegen des ungesunden Klima's und Mangels
an frischen Lebensmitteln (im Jahre 1829) aufgelassen werden. —
Im Jahre 1831 wurde ostlich von Melville auf der Halbinsel Co-
burg der Ort Victoria am Port Essington begriindet; allein
auch diese vereinsamte Station wurde spater aufgegeben. (Im
J. 1857 bewilligte iibrigens die britische Regierung die Summe von
5666 £. fiir Nord-Australien ; es ware demn ach moglich, dass man
die Station doch noch beizubeh alien wiinscht).
473
§. 186. Die australischcn lust-In.
A. Der innere In s el giir t el.
1. Tasmania *), eine britische Insel, durch die 32 Meilen breitc Bass-Strasse von
der Siidspitze des australischen Kontinentes getrennt, ist etwa 1150 Q M. gross,
hat auf alien Seiten schone und sichere Steilkiisten, namentlich gehoren die Hafen
dor stark gegliederten Sudostkiiste zu den besten der Erde. Die Oberflache zeigt
einen Wechsel von rauhen Gebirgslandern (Western-Mountains, Benlomond 4700',
Huraboldt 5200') und reich bewasserten, fruchtbaren Hochebenen; Der went, Ta-
mar und Arthur sind die grb'ssten Fliisse; die Form des Flachlandes fehlt. Das
Klima ist ahnlich dem von Siiddeutschland , obgleich niehr dem Wechsel unter-
worfen. Die Vegetation ist viel frischer und iippiger als auf dem Festlande. Von
den ungefahr 16 Millionen Acres, welche Tasmania besitzt, ist das meiste Wald-
land ; iiber 2 Millionen Acres sind Weideland, wahrend kaum 20,000 Acres ange-
baut sind ; doch wird an Weizen noch fiir den Export (nach Victoria) gewonnen.
Die Zucht der Schafe, Kinder, Schweine und Pferde ist sehr im Zunehmen. An
Mineralien findet man Eisen, Kupfer, Blei, Silber, Gold und Steinkohlen (zu Fingal).
Die A u s f u h r geht zumeist nach dem australischen Kontinent und England, und
umfasst Bauholz, Schafwolle, Getreide, Wallfischthran, Seehundsfelle u. s. w., welche
im Jahre 1856 an 700,000 £ betrug; die Einfuhr aus England und den Kolonien
erreicht den Werth von fast I1/, Millionen £. — Im Ma'rz 1857 war die Bevblkerung
schon iiber 80,000 und hatte wahrscheinlich keine Eingebornen mehr (im
Jahre 1815 zahlte man noch 5000 Eingeborne, im Jahre 1835 nur noch 210 und im
Jahre 1854 nur mehr 16).
Ansehnlichere Orte sind: Hobarton (oder Hobarttown, 20,000) , die modern
und geschmackvoll gebaute Hauptstadt, liegt am Fusse des Tafelberges (3064') und
am Derwent, nicht weit von dessen Mundung in die Sturmbai ; der Hafen ist sehr
giinstig fiir die Wallfisch- und Seehundfanger der Stidsee. Ausser mehreren Thran-
brennereien gibt es hier Bierbrauereien, eine grosse Tuchfabrik u. a. ; Launceston
(8000), Binnenstadt am Tamar, Stapelplatz fiir den Nordtheil der Insel. Der AVest-
theil enthalt ausser einzelnen Stationen noch das Gebiet der Agrikulturgesellschaft
von Tasmania, welche die Viehzucht in grossem Umfange betreibt. — In der Bass-
Strasse sind die Inseln (Flinders-, Kings-Insel u. a.) Stationsplatze fiir den WTall-
fisch- und Robbenfang.
2. Ncu-Seeland, eine Doppel-Insel, gehbrt den Brit en.
Die Nord-Insel (Neu-Ulster, von den Eingebornen Ikanamawi oder
Ainornawi genannt) ist durch die Cook's-Strasse von der Siid-Insel (Neu-
Munster, Punamu oder Tawai) getrennt; im Siiden der letzten liegt die Ste-
wart- (spr. Stjuh'b'rd) Insel. Der Flacheninhalt betragt 2853 Q Meilen, wo-
von 1200 auf die nb'rdliche, 1653 auf die beiden siidlichen kommen. Die Ge-
sammtbevblkerung wird auf etwa 200,000, darunter die europaische auf 50,000
(im Jahre 1858) angegeben.
Die Nord-Insel ist an der Ostkiiste stark gegliedert. Die Nord-Halbinsel
ist niedere Hochebene, das Uebrige ein von Fliissen zerschnittenes Langengebirge,
mit schneebedeckten Bergriicken. Die hbchsten Gipfel sind: Berg Egmont (8290'),
Ruapahu und Tongariro. Von den zahlreichen Vulkanen (Dr. Hochstet-
ter fand deren iiber 60) ist (ausser dem Tongariro) keiner tha'tig; dagegen gibt
es eine Menge Solfataren, Dampfhohlen, Seen mit heissem Wasser und heisse
Quellen. Fruchtbare Landstriche liegen nur vereinzelt ; Waldungen und Farren-
krauter bilden den Pflanzencharakter des Landes. Hauptort ist Auk land (10,000)
mit dem Sitze der Regierung, sehr gutem Hafen uud lebhaftem Seehandel; —
Kororarika ist der Hauptsammelplatz der Wallfischfanger ; Wellington
(6000) bliiht rasch empor.
Die Siid-Insel hat eine hafenreiche Ostkiiste mit fruchtbaren Thalern und
gi-asreichen Ebenen bis an das Bergland im Innern, aus welchem sich schnee-
bedeckte Gipfel erheben. Die hbchst eigenthiimliche Vegetation weisct indische,
australische und siidamerikanische Pflanzen auf. Unter den Baumen zeichnen
sich die Fichten durch ungewohnliche Grosse und Starke aus. Der neuseelHndi-
sche Flachs ist beriihmt. Europaische Kulturpflanzen gedeihen vortrefflich. Land-
thiere sind reich vertreten; der Fischfang ist ansserst ergiebig. Auch an Mine-
*) Der seitherige Name nVan Diemen's-Land" wurde im Jahre 1855 von der
britischen Regierung in Tasmania umgeandert, zu Ehren des ersten hollandischen
Entdeckers Abel Jansen Tasman (1642), und weil auch schon im Norden von
Australien ein Van Diemen's-Land liegt.
474
ralien ist Neu-Seeland reich; Steinkohlen und Eisen werden auf der Nord-, Ku-
pfer und Gold auf der Sud-Insel gefunden. Das Klima ist oceanisch; milde
Winter, kuhle Sommer; Nebel und Orkane haufig. Das Thermometer sinkt sel-
ten auf -4-6° und steigt nicht leicht iiber + 24" R. — Orte sind: Nelson
(9000); — Canterbury (7000) au der Ostkiiste, starke Ausfuhr von Wolle; —
die schottische Kolonie Ottago (4000), gleichfalls an der Ostkiiste.
Auch die Stewart- Insel ist bewohnt, und reich an Borstenvieh und Gefliigel.
Englisch sind ferners mehrere Inseln und Gruppen, die um Neu-Seeland her
zerstreut sind. (Kermandec-, Chatam- [spr. Tschattamm] Inseln , dann Bounty
[spr. Baunti), Campbell, Macquarieu. a. m. Die meisten sind unbewohnt,
nur Stationsplatze fiir Wallfisch- und Robbenfanger.)
3. Das franz&sisrhe GouviTiieinent Ncn-Caledonicn mit der gleichnamigen
Insel und dem Hafen Balade (Porte de France), dann den Loyalty- (spr.
Leualti) Inseln, von Menschenfressern (Papuas) bewohnt, an denen die Bekeh-
rungsversuche der franzosischen Missionare nur sehr geringe Fortschritte machen.
Auf den Loyalty-Inseln waren Gotzendienst und Menschenfresserei im Jahre 1855
schon ausgerottet.
4 Die nt'uen Hebriden sind hohe Gebirgs- und Wald-Iiiseln, die Kiistenstriche
nieder uud ausserordentlich fruchtbar. Im Innern Vulkane und heisse Quellen. Die
Bevb'lkerung bilden Papuas, wilde Menschenfresser. Auf einigen Inseln hat das
Christenthum Eingang gefunden, auf den meisten aber, ist der Boden mit Martyrer-
blut gediingt. Die grosste Insel istEspiritu Santo oder nHeiligen-Geist-Insel."
5. Archipel von Santa Ouz. Die grosseren Inseln sind gebirgig mit thatigen
Vulkanen, die kleineren Flachholme, von Korallenriffen umgeben. Es gedeihen
Pisang , Kokospalmen , Bataten und andere tropische Gewachse. Die Bewohner
sind Papuas. Die grossten Inseln sind Nitendi und Santa Cruz.
6. Die Salomons- Insoln, noch sebr ungeniigend bekannt, ziehen sich in zwei
Reihen. Die grosste ist Bougainville (dann: Choiseul, Isabel, Malay ta, Neu-
Georgia, Guadalcanal, San Cristoval). Alle Inseln sind gebirgig, zum Theil vul-
kanisch (Lamas 8000'); die Vegetation ist reich und iippig. Die Schiffahrt ist
wegen der zahlreichen Korallenriffe sehr gefahrlich. Die menschenfressenden
Papuas sind im Verkehr mit den Europaern schlau und hinterlistig , im Kampfe
muthig und tapfer. Vor wenigen Jahren sind alle katholischen Missionare (aus
Frankreich) grausam ermordet worden.
7. Neil -Britannien besteht aus mehreren grosseren und kleineren Inseln (iiber
TOO O Meilen) , welche meist gebirgig und waldig', zum Theil vulkanisch sind.
Ueppige Tropenvegetation, zahlreiche Thierwelt. Die Bevolkerung gehort dem
Stamme der Papuas an, unter denen sich katholische Missionare (aus Italien)
angesiedelt haben. Die grossten Inseln sind :Neu Britannien (oder B i r a r a)
und Neu-Irland (oder Tombara).
8. Die Admiralitiits-Inseln, eine grossere, die Admiralitats-Insel, undviele
kleinere, theils hohe und waldige Inseln, theils flache Koralleneilande, im Ganzen
noch wenig erkundet. Die Bewohner sind menschenfressende Papuas.
9. Die Louisiade, eine Kette bergiger, von Papuas bewohnter Inseln, die sich
als Fortsetzung von Neu-Guinea nach Ostsiidost ziehen. Die Gruppe ist noch die
unbekannteste, kein europaisches Schiff hat hier noch gelandet.
10. Non-Guinea (auf 12.600 n Meilen geschatzt). Die Insel besteht aus einer kom-
pakten Masse im Innern, von welcher 2 weitgestreckte Halbinseln nach Westen
und Osten auslaufen ; die erste Halbinsel ist der bekanuteste Theil von Neu-
Guinea, sonst kennen wir nur erst einzelne Stellen der Kiistenrander. Diese sind
iiberall mit dichten Waldern bedeckt und zeigen die iippigste Vegetation. Unter
der Thierwelt sind bemerkenswerth die prachtigsten Vogel der Erde (Paradies-
vogel, Korntaube). Das Innere scheint ein hohes Gebirgsland zu sein. Die un-
gemein hasslichen Papuas und Alfurus sind Menschenfresser , kriegerisch , doch
stehen sie im Westen mit den Niederlandern und Chineseu im Handelsverkehr.
Die Niederlander nehmen den Westtheil der Insel in Anspruch , und habeii
(im August 1858) wieder eine Expedition dorthin abgeschickt, um die Insel wis-
senschaftlich zu erforschen und zu kolonisiren. Im Hafen von Dorey (Dori) an
der Nordwestkttste der Geelvinks-Bai soil ein Fort angelegt werden.
B. Der aussere Inselgiirtcl.
1. Die Pelew- (Palaos-) Inseln (im Norden von Neu-Guinea, im Osten von den
Philippinen). Die Gruppe besteht aus mehreren Attols, welche grossere und
kleinere Inseln umschliessen. Die grosste ist Babethuap.
475
2. Die Marianen oder Ladronen (spanische Kolonie, etwa 57 nMei'cn mit
5500 Einwohnern). Von den 17 von Norden nach Suden sich ziehenden Inseln
sind nur Guahan und Rota (die siidlichsten) bewohnt. Die siidlichcn sind
fruchtbare, hugelige Kalkeilande, an den flachen Kiisten mit Korallemiffen um-
geben, hinter denen schone Hafen liegen; die nordlichen sind steil , bergig und
vulkanisch. Die Bewohner (ein Gemisch von Ureinwohnern der Philippinen,
Spaniern und Indianern aus Peru, — Ureinwohner gibt es nicht mehr) treiben
Landban. Hauptort ist Agana (auf Guahan, 2000 Einwohner).
3. Die Carolinen, an 400 grossere und kleinere Lagunen-Inseln von korallinischer
Natur. Auf mehreren erheben sich Vulkane. Das Hauptgewachs ist der Brod-
fruchtbaum. Die Einwohner, malayischer Race, stehen unter kleinen KSnigen,
zeichnen sich durch Handelsverkehr (nach Guahan) und kuhne Seefahrten aus,
und sind friedlicher Natur.
4. Der Lord Mulgrave's-Archipel (oder anch ,,Central-Archipel'-) besteht
aus 2 Inselgruppen : 1) die Marschalls-Inseln, welche aus 2 parallelen
Reihen von Attols (einer ostlichen und einer westlichen Reihe) bestehen, und
deren Bewohner als freundlich und milde geschildert werden. — 2. Die Gil-
berts-Inseln zerfallen in eine n5rdliche und eine sudliche Reihe. Die hochste
dicser Korallen- Inseln ragt nicht iiber 20' iiber den Meeresspiegel. Die Vege-
tation ist durftig; die Bewohner sind wie auf den Marschalls-Inseln, stehen
jedoch in fast ear keinem Verkehr mit den Europaern.
5. Die Schiffer-Inseln (oder Sam o a- Inseln, Navigat or en), alle vulkanischen
Ursprungs , hoch und bergig, die KQsten steil und sicher, KorallenrifFe selten.
Die grSsste (westllchste) ist Sawaii; die wichtigste am meisten bevolkerte Insel
ist Upolu. Ueberall frucbtbarer Boden, prachtvolle Tropenwalder. Die Be-
wohner sind (in den letzten 30 Jahren) fast sammtlich zum Christenthume bekehrt
worden; es bestehen zahlreiche katholische Kirchen und protestantische Bethauser,
150 Wochen- und 147 Sonutagsschulen. ..Die Leute verlangen nur Missionare,
Biicher, Federn, Tinte, Schreibtafeln und Papier ; es ist vergeblich, Flinten und
Pulver zu Markte zu bringen" — lautete der Bericht eines englischen Capitains.
(3, Die Frenndschafts- Inseln oder die Tonga- Gruppe sind meist niedere
Korallen -Inseln, einige darnnter jedoch hohe vnlkanische Gebirgsinseln , mit
reicher Vegetation und grosser Fruchtbarkeit. Sie zerfallen in drei Grnppen.
In der nordlichen ist Vavao die gr6sste, in der mittleren Namuka, in der
sudlichen Tongatabu mit dern Hauptorte Nikualofa. Die Bewohner waren
unter alien Inselv61kern des Oceans in der Kultur am meisten vorgeschritten.
Sie leben in kleinen Staaten , treiben Feldbau, Fischerei, zeichnen sich durch
nicht geringc Kunstfertigkeit aus, und sind fast sammtlich Christen, welche zahl-
reiche Gotteshauser haben. Auf den nSrdlicben und mittleren sind uberwiegend
Protestanten , auf der siidlichen Katholiken.
7. Der Fidschi-Archipel besteht aus vielen Inseln, von denen die grosseren vul-
kanisch und gebirgig, die kleineren Koralleninseln sind. Unter der uppigen Tropen-
vegetation bildet das Sandelholz den ansehnlichsten Artikel. Die Bewohner treiben
Landbau und leben in vielen kleinen Staaten. Das Christenthum gewinnt stets an
Ausbreitung und mit ihm Civilisation und Kultur. Die grSsste Insel ist W i t i - L e w u.
Die Walli s -Inselgruppe mit der prachtvollen Vegetation steht unter dem
Protektorate Frankreichs.
8. Die Cooks- (spr. Kuhk's) Inseln (oder Hervey-Gruppe) sind niedere
Koralleninseln, nur die Hauptinsel Rarotonga ist gebirgig und vulkanisch,
mit breiten, sehr fruchtbaren und gut bewasserten Kustenebenen , die bewohnt
und angebaut sind. Die Bewohner sind zum Christenthume bekehrt, treiben
Landbau, verfertigen hiibsche Zeuge, europaische Gerathschaften, Kleider, kurz,
schreiten in der Kultur rasch vorwarts. Die ganz gleichen Verhaltnisse finden
sich auf dem Tubai-Archipel oder den Austral-Inseln.
f». Die ftesellschafts- (oder Societats-) Inseln oder Tahiti - Archipel.
Alle Inseln sind hoch und bergig, vulkanischer Natur, von Korallenriffen umge-
ben. Von den fruchtbaren, gut angebauten Kustenebenen steigt das Land in Ter-
rassen bis zu den dichtbewaldeten Gebirgen hinan. Die Vegetation ist ebenso
iippig als prachtvoll, das Klima angenehm und gesund , der Reichthum an Kul-
turpflanzen sehr gross. Diesem freundlichem Gemalde entsprechen auch die gast-
lichen milden Bewohner. Das Christenthum hat milde Sitten und Redlichkeit er-
zeugt ; Menschenopfer und andere Grauel und Laster sind verschwunden ; kurz,
die beseligenden Wirkungen des Christenthums treten bier besonders lebendig
476
hervor. Es gibt schon zahlreiche Kirchen, Schulen, Buchdruekereien fiir Biicher
in der Landessprache, hiibsche Hauser und Orte, Fabriken , religiose, politische
und burgerliche Gesetze , ein regelmassig gerichtliches Verfahren u. s. w. Und
so grosse Erfolge sind seit der Bekehrung des verstorbenen Kb'nigs Poraare II.
im Jahre 1813 erzielt worden ! Jetzt ist es ein geordnetes, christliches Konigreicli. —
Die bedeutendsten Inseln sind; Tahiti, Maitea und Eimeo. Die Hafenstadt
Papaiti (oder Papiti) ist Sitz des franzosischen Gouverneurs , da Frankreich
iiber die b'stliehe Gruppe der Inseln (,,uber demWinde") das Protektorat ausiibt.
Die Konigin (Pom are) herrscht unumschrankt noch iiber die westliche Gruppe
(Inseln nunter dem Winde") und residirt zu Utumadro auf derlnsel Eajatea.
10. Pauinotu-Archipel (auch rPerlen -Inseln," — nNiedrige" oderrGefahr-
liche Inseln"). Dieser Archipel besteht aus etwa 80 Attols , welche kleine,
langliche Inseln einschliessen. Alle sind sehr flach , der Boden ist sandig und
kalkig mit diinner Erdschichte und leidet Wassermangel. Bei der sparlichen
Vegetation leben die Bewohner, welche im Ganzen den Tahitiern ahnlich sind,
kiimmerlich vom Fischfang oder dienen den Schiffen in diesen hochst gefahrli-
chen Gewassern. Die ansehnlichste ist die vulkanische Insel Pitcaire, welche
jedoch nuran zwei Puncten eine Landung zulasst. — Die Gam bier- oder Ma n-
gareva-Gruppe stehtunter franzb'sischem Protektorate ; die Bewohuer sind
romisch-katholisch.
11. Die Mendaiia- oder MarqiiesaK-Inseln sind franzosiscb.es Besitzthum.
Die siidliche Gruppe heisst Marquesas- oder Nukahiwa -, die nb'rdliche
W a s h i n g t o n - Archipel. Es sind durchgehends gebirgige, vulkanische Inseln mit
heissem, doch gesimdem Klima. Im Innern gibt es gut bewasserte , fruchtbare
Thaler mit heniicher Vegetation ; die Landschaften sind dicht bevolkert von den
schb'nsten und kraftigsten aller Oceanier ; sie sind jedoch wild, kriegerisch , der
Kultur fast unzuganglich und Menschenfresser. Nur ein geringer Theil ist zuin
Christenthume bekehrt und dadurch fiir die Civilisation zuganglich gemacht wor-
den. Der Hauptverkehr ist in Tahuata auf Nukahiwa concentrirt. Zwei Inseln
sind zu franzosischen Deportationsorteu bestimmt.
12. Der Sandwich- (spr. Sanduitsch) Archipel (oder Hawaii -Inseln). Diese
Gruppe besteht aus 14, darunter 4 grosseren Inseln ; alle vulkanischer Gebirgs-
natur, mit Steilkusten aber wenig guten Hafen. Die grbsste Insel Hawaii oder
Owaihi (187 Q Meilen) ist im Innern Hochland, welches im Westen steil zur
Kiiste abfallt, gegen die iibrigen Kiisten aber sich zur fruchtbaren Ebene senkt.
Das Hochland ist waldig, die Thaler dagegen sind fruchtbar. Aus der Hochebene
erhebenj sich die machtigsten thatigen Vulkane der Siidsee : Maun a K e a (12.800'),
Mauna Roa (12.000') Hualai u. a. ; auf der Insel Maui erhebt sich der
Halaa Kala (10.000). In dem gleichf b'rmig tropischen Seeklima gedeihen Tro-
pengewachse, sowie eingefiihrte Pflanzen ; auch sind alle europaischen Hausthiere
einheimisch geworden. Die Bevb'lkerung ist (seit dem Jahre 1820) fast ganzlich
zum Christenthmne bekehrt und fiir die europaische Bildtuig gewonnen worden,
welche ungemeine Fortschritte macht. Die Inseln bilden ein christliches Erb-
kb'nigreich mit europaischen Staats-Einrichtungen. Landbau, Viehzucht, mehrere
Gewerbe und Handel werden mit Erfolg betrieben ; namentlich ist die giinstige
geographische Lage auf dem Wege von Amerika nach China fiir den Seeverkehr
von hoher Bedeutung. Zahlreiche Schuleu, nach europaischem Muster , erfreuen
sich ernes wahrhaften Zudranges von Jung und Alt ; christliche Biicher und Zei-
tungen erschehien in der Landessprache ; kurz, der ausgestreute Same des ver-
edelnden und beseligenden Christentluuns tragt schon in so kurzer Zeit segensreiche
Friichte. DieHaupt- und Eesidenzstadt Honolulu (12.000) auf der Insel Oahu
ist ganz europaisch eingerichtet. Das Eegierungsgebaude, das Reprasentauten-
haus, der Kbnigspalast, zahbreiche Kirchen, Kaufladen, das Waisenhaus, die Forts
zeichnen sich durch die Bauart aus. Der Handel der Siidseeinseln concentrirt
sich inimer mehr in dieser Stadt. — La bain a, auf der Insel Maui, 10000 Ein-
wohnerii, ist nach Honolulu der grosste Handelsplatz ; in der nHohen Schule"
werden die europaischen Wissenschaften gelehrt. Ausserdem gibt es zahlreiche
Ortschaften iind Missions-Statiouen.
13. Vollig i.solirt und am weitesten gegen Osten liegen : die Oster-Iusel und
Sala V Gomez. Die Erste ist eine gebirgige, vulkanische, schwer zugangliche
Insel, deren Bewohner (etwa 2000) ziemlich regelmassige Wohntiugen und Pflan-
zungen haben, Korbe und Zeuge verfertigen ; die Zweite nragt aus den Fluthen
— ein Steingestell, ohn' alles Gras und Moos"; nur zahllose Schwarme von See-
vogeln haben hier ihren Aufenthalt.
I n halt.
Scite
Kiiilcitiing. §. 1. Allgemeine Vorbegriffe 1
I. Astronomischc (icogrnphic 2 — 9
A. Die Erde als mathematischer Korper. §.2. Vorbegriffc
S. 2. — §. 3. Grossenverhaltnisse S. 3. — §.'4. Entfernung einzelner
Punkte auf der Erdoberflache S. 4.
B. Das Verhaltniss der Erde zur Sonne. §. 5. Vorbegriffe
S. 6. — §. 6. Bewegung der Erde S. 6. — §. 7. Tages- und Jahres-
zeiten S. 7. — §. 8. Das Planetensystem S. 8.
II. Topisohe (icograpliie , 10—67
§. 9. Kaumliche Verhaltnisse im Allgemeinen S. 10. — §. 10. Die
Meeresraume im Allgemeinen S. 10. — §.11. Die Landmasse im
Allgemeinen S. 11.
A. Beschreibung der Meere. §. 12. Das nordliche Eismeer S. 12.
— §. 13. Das siidliche Eismeer S. 13. — §. 14. Der indische Ocean
S. 13. — §. 15. Der atlantische Ocean S. 14. — §. Ifi. Der grosse
Ocean S. 17.
B. Beschreibung der Erdtheile. §. 17. Die horizontale Glie-
dernng Europas S. 18. — §. 18. Die horizontale Gliederung Asiens
S. 18. — §. 19. Die horizontale Gliedertmg Afrikas S. 19. — §. 20.
Die horizontale Gliederung Amerikas S. 19. — §.'21. Die horizon-
tale Gliedemng Australiens S. 20. — §. 22. Die horizontale Gliede-
rung der Erdtheile im Allgemeinen S. 20. — §.23. Die vertikale
Gliederung S. 21. — §. 24. Die vertikale Gliederung von Europa
S. 22. — §. 25. Uebersicht des europaischen Gebirgslandes (a. Im
kontinentalen Dreiecke) S. 22. — §. 20. Fortsetzung (A. Die| ge-
trennten Gebirgsglieder Europas) S. 32. — §. 27. Das Tiefland
von Europa S. 34. — §. 28. Die vertikale Gliederung von Asien
S. 34. — §. 29. Das Hochland von Hinter-Asien S. 35. — §. 30.
Das Hochland von Vorder- Asien S. 36. — §. 31. Die getrennten
und auslaufenden Gebirgsglieder in Asien S. 36. — §. 32. Die Stu-
fen- und Tief-Lander in Asien S. 38. — §. 33. Die vertikale Glie-
derung von Afrika S. 38. — §. 34. Hoch-Afrika S. 38. — §. 35. Die
getrennten Gebirgsglieder in Afrika S. 39. — §. 36. Die Tief- und
Stufen-Lander in Afrika S. 40. — §. 37. Die vertikale Gliederung
von Amerika S. 41. — §. 38. Die Cordilleren S. 41. — §. 39. Die
getrennten Gebirgsglieder von Amerika S. 44. — §. 40. Die Tief-
lander in Amerika S. 45. — §.41. Die vertikale Gliedemng von
Australien S. 45.
C. Beschreibung der Gewasser des Festlandes. §.42. Vor-
begriffe S. 46. — §.43. Das Flussgeader in Europa S. 48. -
§. 44. Landseen von Europa S. 57. — §. 45. Das Flussgeader in
Asien S. 58. — §. 46. Landseen von Asien S. HI. — §. 47. Das
Flussgeader in Afrika S. 61. — §.48. Landseen in Afrika S. 63.
— §. 49. Das Flussgeader in Amerika S. 63. — §. 50. Landseen
von Amerika S, <>6. — §. 51. Die GewSsser von Australien S.67.
Seite
III. Physische Geographie. §. 52. Vorbegriffe 68-89
A. Die Luft. §.53. Allgemeines S. 68. — §.54. Geographische Ver-
breitung der Warme nach horizontaler Ausdehuung S. 68. —
§. 55. Geographische Vertheilung der Warme in vertikaler Kich-
tung S. 70. — §. 56. Winde S. 70. — §. 57. Lufterscheinungen
S. 72.
B. Das Wasser. §.58. Zur Physik des Oceans S. 74. — §. 59.
Die Bewegungen des Meeres S. 75. — §. 60. Einige der gebrauch-
lichsten, auf die Schiifahrt beziiglichen Seemanns-Ausdriicke
S. 77.
C. Das Land. §. 61. Der Ban der Erdrinde S. 80. — §. 62. Ver-
breitung der Miner alien S. 81. — §. 63. Die vulkanische Tha-
tigkeit der Erde S. 81. — §. 64. Physische Beschaffenheit des
Flachlandes S. 83. — §.65. Geographische Verbreitung der Pflan-
zen S. 84. — §. 66. Geographische Verbreitung der T hi ere
S. F~.
IV. Polftische Geographie. : 90—96
§. 67. Die Bevolkerung der Erde im Allgemeinen S. 90. — §. 68.
Die Bevolkerung der Erde nach ihren korperlichen Verschie-
denheiten S. 90. — §. 69. Die Bevolkerung der Erde nach ihren
feistigen Verschiedenheiten. 1. Die Sprache S. 91. — §• 70.
'ortsetzung. 2. Die Eeligion S. 92. — §. 71. Fortsetzung. 3. Der
Kulturgrad S. 93. — §. 72. Schluss. 4. Die Staatsverhalt-
nisse S. 94.
Staaten von Europa — Das Kaiserthum Oesterreich . • 97—183
A. Die Monarchic im Allgemeinen. §. 73. Lage, Grenzen,
Grosse S. 97. — §. 74. Bestendtheile der Monarchic S. 97. —
§. 75. Bodenverhaltnisse und Klima im Allgemeinen S. 98. —
§. 76. Gewasser S. 101. — §. 77. Fortsetzung S. 105. — §. 78. Be-
volkerung S. 106. — §. 79. Kulturverhaltnisse im Allgemei-
nen S. 106.
B. Die einzelnen Bestandtheile der Monarchic. §.80. Nie-
derosterreich S. 109. — §. 81. Oberosterreich S. 113. — §. 82.
Salzburg S. 115. — §. 83. Steiermark S. 117. — §. 84. Karnten
S. 121. — §. 85. Krain S. 124. — §. 86. Kiistenland S. 127. —
§. 87. Tirol und Vorarlberg S. 130. — §. 88. Bohmen S. 133. —
§. 89. Mahren S. 139. — §. 90. Schlesien S, 142. — §. 91. Gali-
zien S. 145. — §. 92. Bukowina S. 150. — §. 93. Dalmatien S. 152.
— §. 94. Kroatien und Slavonien S. 156. — §. 95. Militargrenze
S. 159. — §. 96. Serbien und Banat S. 163. — §. 97. Ungarn
S. 165. — §. 98. Siebenbiirgen S. 174. — §. 99. — Das Lombardisch-
Venetianische Konigreich S. 178.
Dentschland 183—253
A. Deutschland im Allgemeinen. §. 100. Bestandtheile. Be-
volkerung S. 183. — §. 101. Bodenverhaltnisse und Klima im All-
gemeinen S. 185. — §. 102. Gewasser S. 186. — §. 103. Kulturver-
haltnisse im Allgemeinen S. 188.
B. Die einzelnen Staaten Deutschlands. §. 104. Baiern
S. 190. — §. 105. Wiirttemberg S. 195. — §. 106. Baden S. 198.
— §. 107. Liechtenstein S. 201. — §. 108. Kurhessen S. 202, —
§. 109. Hessen- Darmstadt S. 204. — §. 110. Hessen - Homburg
S. 206. — §. 111. Nassau S. 206. — §. 112. Frankfurt am Main
S. 208. — §.113. Waldeck S. 209. — §.114. Luxemburg und
Limburg S. 210. — §. 115. Sachsen S. 210. — §. 116. Sachsen-
Weimar- Eisenach S. 215. — §. 117. Sachsen-Meiningen-Hildburg-
hausen ' S. 216. — §. 118. Sachsen - Koburg - Gotha S. 217. -
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Seite
§. 119. Sachsen-Altenburg S.218. — §. 120. Schwarzburg-Sonders-
liausen S. 219. — §. 121. Schwarzburg-Rudolstadt S. 220. — §. 122.
Reuss-Greiz S. 220. — §. 123. Reuss-Schleiz S. 221. — §. 124.
Preussen S. 222. — §. 125. Hannover S. 231. — §. 126. Oldenburg
S. 236. — §. 127. Braunschweig S. 238. — §. 128. Lippe-Dettmold
S. 241. — §. 129. Lippe-Schaumburg S. 242. — §. 130. Anhalt-
Dessau-Kothen S. 242. — §. 131. Anhalt - Bernburg S. 243. —
§. 132. Mecklenburg - Schwerin S. 244. — §. 133. Mecklenburg-
Strelitz S. 246. - §. 135. Liibeck S. 247. - §. 136. Bremen S. 249.
— §. 137. Hamburg S. 251.
Die Schweiz 253—263
Italienische Staaten 263—274
Das Konigreich Spanien „ 275—282
Das Konigreich Portugal 282—285
Das Kaiserthum Frankreich 285—303
Das Konigreich Belgien 303—309
Das Konigreich der Niederlande 310—315
Das Konigreich Grossbritannien 316 — 332
Das Konigreich Danemark 332—336
Die Konigreiche Schweden und Norwegen . . 336—342
Das Kaiserthum Russland 342—362
Republik der jonischen Inseln 362—364
Das Konigreich Griechenland 364—368
Das osmanische Kaiserreich 368—374
Staaten von Asieil. Staatenbildungen ; die Staaten Asiens 375
Die asiatische Tiirkei 376—382
Arabien 382—384
Iran (Persien S. 384; Afghanistan und Beludschistan S. 386) 384-387
Vorder-Indien 387—393
Hinter-Indien 393—395
Indischer Archipel „ 395—398
China 398—402
Japan 402 — 404
Turkestan 404—405
Asiatisches Russland 405—408
Staaten von Afrika. Staatenbildungen 409
Vicekonigreich Aegypten (Aegypten, Nubien init Senaar und Kordofan) 409
Habesch oder Abyssinien 413
Die Berberei (Tripolis und Tunis S. 414, Algier S. 415, Marokko
S. 416) 414
Die Sahara 417
Sudan oder Nigritien 419
Lander und Staaten an der Westkiiste (Senegainbien S. 421, Ober-
Guinea S. 421, Nieder-Guinea S. 422) 421
Das Kapland 423
Lander und Staaten anlder Ostkuste (Kafern-, Suaheli- und Somal-
Land) 424
Das siidafrikanische Hochland „ 425
Die afrikanischen Inseln . . . 425
480
Seite
Staatcn von Amerika 427
A. Nord-Amerika. §. 174. Gronland S. 427. — §. 175. Das bri-
tische Nord-Amerika S. 427. — §. 176. Das russische Nord-Amerika
S. 430. — §. 177. Die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika S. 431.
B. Mitt el -Amerika. §. 178. Die Republik Mexiko S. 445. —
§. 179. Central-amerikanische Republiken S. 447. — §. ISO. West-
Indien S. 449.
C. Siid- Amerika. §.181.— §. 182. Der tropische Norden von Siid-
Amerika S. 453. — §. 183. Der tropische Siiden von Siid-Amerika
S. 456. — §. 184. Der aussertropische Siiden von Siid-Amerika S. 4G3
Australian • 468
§.- 185. Das Festland Australien S. 468. — §. 186. Die australischen
Inseln S. 473.
A. Der innere Inselgiirtel 473
B. Der ausscre Inselgiirtel 474
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