Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin¬
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
H < r
Digitized by v^ooQie
Digitized by
b y Google
Digitized by v^ooQie
Digitized by v^ooQie
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
) £) l / 2 , a-
HERAUSGEGEBEN
VON
Dp. GOEHRÜM-STüTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG
UND
Dr. HAEDICKE-leipzig.
EINHUNDERT-VIEBUNDZWANZIGSTER BAND.
LEIPZIG.
VERLAG VON WILLIAM STEINMETZ (A. MARGGRAFS HOMÖOPATH. OFF1CIN).
1892.
Digitized by v^ooQie
Digitized by
I. Inhalts-Verzeichniss
No. 1 and 2.
Aufforderung zur Bewerbung der Porge’scben
Stiftung.1
Zur Jahreswende 1891/92 .1
Bericht der Herhstversammlung des Vereins
„schweizerischer homöopathischer Aerzte.“
Dr. med. Luginbühl.2
Suggestion und Homöopathie. Dr. A. Pfänder . 4
Referat über Bleivergiftung. Dr. H. Schmidt 10
Ein Brief von Samuel Lilienthal. Mitgetheilt
von Dr. H. Goullon.12
Literarische Anzeigen.12
Epidemiologische Ecke.13
An meine Herren Collegen. W. Steinmetz,
Apotheker in Leipzig.14
Lesefrüchte.15
Fragekasten.15
Personalia.16
Anzeigen.16
No. 3 und 4.
Bericht von Dr. H. Göhrum.17
Genius epidemicus. Dr. Aug. Weihe jr.-Herford 19
Blatta Orientalis ein wichtiges Asthma-Mittel.
Uebersetzt von Dr. Th. Bruckner-Basel . . 22
Zwei Urtheile über die reformirte Medicin. Dr.
Haedicke.27
Aus der Praxis Dr. H. Goullon.28
Epidemiologische Ecke.30
Lesefrüchte.30
Vermischtes.31
Personalia.32
Anzeigen.32
No. 5 und 6.
Rückblick auf die geschichtliche Entwickelung
der Weihe'scben Heilmethode. Dr. med.
Leeser-Bonn.33
Seit«
Die Weihe*sehe Heilmethode und die Homöo¬
pathie. Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart . . 37
Ueber die Nothwendigkeit erneuter Prüfungen
der Arzneimittel Dr. med. Leeser-Bonn . 40
Ueber die Abortivtherapie der Gallensteinkrank¬
heiten. Dr. Mossa-Stuttgart.45
Epidemiologische Ecke.46
Fragekasten.47
Rechnungsablegung.48
Anzeigen .48
No. 7 und 8.
Zur homöopathischen Heilung des Tetanus und
Trismus und der Eklampsie der Gebärenden
und Schwangeren. Wenzl Heyberger, fürstl.
Schwarzenberg. Arzt in Protiwin .... 49
Der Suggestionismus und die Homöopathie. Dr.
F. Carl Gerster-München.54
Dauernde Heilungen. Dr. Lorbacher ... 57
Aus der Praxis amerikanischer Collegen. Dr.
Hesse-Hamburg.59
Ein sonderbarer Mahnruf. Dr. Lembke-Riga 60
Antipyrinismus. Dr. Lembke u. Pröll . . .61
Epidemiologische Ecke.62
Frageka8ten.63
Anzeigen.64
No. 9 und 10.
Die Homöopathie in Belgien. Uebersetzt nach
dem stenographischen Berichte des in Ant¬
werpen erscheinenden Blattes „Le Pröcurseur*
von Dr. Haedicke-Leipzig.65
Aus der Praxis. Dr. Hesse-Hamburg ... 77
Eine kurze Krankengescbichte. Dr. Kunkel-Kiel 78
Fragekasten.79
Briefkasten der Redaction.79
Anzeigen.80
Digitized by
IV
Seite
NO. 11 und 12.
Einladung. 81
Die Potenzirung. Professor Dr. 6. Jäger-
Stuttgart.81
Dauernde Heilungen. Dr. Lorbacher-Leipzig.
(Ports, u. Schluss).86
Das Verordnen Homöopath. Arzneien in Speise
und Trank. Dr. Gallavardin-Lyon ... 88
Correspondenz. Dr. Lembke-Riga .... 90
Zum Tuberculin ..91
Epidemiologische Ecke.92
Fragekasten.93
Aus der Zeitungsmappe.93
Nekrolog.95
Anzeigen.96
No. 13 und 14.
Berliner homöopathisches Krankenhaus . . 97
Einladung.97
Gehemmter Fortschritt — oder beförderter
Rückschritt. Dr. F. Katsch-Baden-Baden . 98
Entgegnung. Dr. med. H. Göbrum, prakt.
Arzt in Stuttgart.111
Aus der Zeitungsmappe.111
Anzeigen.112
No. 15 und 16.
Zur Feier von Hahnemann’s 137. Geburtstag.
Dr. Mayntzer-Trier.113
Die Zubereitung der Jenicben’schen Hochpo¬
tenzen. Dr. Herrn. Fischer in Westend-
Charlottenburg.114
Nochmals Suggestion und Homöopathie. Dr.
A. Pfander-Bern.116
Zur Entgegnung. Dr. W. Albert Haupt-
Chemnitz .118
Correspondenz. Dr. J. Lempke-Riga . . . 121
Toxicologisches.122
Vermischtes.123
Epidemiologische Ecke.126
Referat.126
Geburtstagsfeier Hahnemanns.127
Personalia.127
Berichtigung.127
Anzeigen.128
No. 17 und 18.
Einladungen.129
Der XI. Kongress für innere Medicin. Referent
Dr. Stitft-Leipzig.130
Einige Bemerkungen zu Gersters Aufsatz,
Homöopathie und Suggestion. Dr. Lor-
bacher-Leipzig.132
Electrotberapeutische Studien von Dr. A. Sper¬
ling-Berlin. Dr. Weil-Berlin.133
Seit«
Aus der Praxis amerikanischer Collegen. Dr.
Hesse-Hamburg 135
Therapeutischer Unterschied zwischen Calcarea
sulphurata oder Hepar sulphuris calcareum
Kalkschwefelleber und Sulphur. Dr. H.
Goullon.• . . . . 137
Entgegnung. Dr. Schwarz-Baden .... 139
Offenes Sendschreiben an die Redaction . . 140
Lesefrüchte.140
Epidemiologische Ecke.141
Kleine Mittheilungen.142
Personalia.142
Nachruf . . . 142
Rechnungsablegung.143
Anzeigen.143
No. 19 und 20.
Vorläufige Einladung zu der am 9. u. 10
August zu Stuttgart stattfindenden General¬
versammlung des Homöopathischen Central¬
vereins Deutschlands.145
Die Potenzirung. Physiologisch geprüft von
Prof. Dr. G. Jaeger-Stuttgart.146
Die Jagd nach neuen Mitteln, — Sulfonal, be¬
sonders in der Psychiatrik.— Psychiatrisches.
Dr. A. Mossa-Stuttgart.155
Acute Manie mit Syphilis. Dr. Mossa-Stuttgart 158
VIII. Jahresbericht des homöopathischen Hos¬
pitals in München Dr. med. Göhrum . . 158
Epidemiologische Ecke.159
Fragekasten.159
Druckfehler-Berichtigung.160
Anzeigen.160
No. 21 und 22.
Aufruf.161
Vorläufige Einladung zu der am 9. und 10.
August zu Stuttgart stattfindenden General¬
versammlung des Homöopathischen Central¬
vereins Deutschlands.161
Die Frühjahrsversammlung des Sächs.-Anhalt.
Vereins homöopath. Aerzte. Dr. Haedicke-
Leipzig . 162
Aus der Praxis: Heilungen durch Lycopodium.
Dr. Hesse-Hamburg.163
Die Zeiten der Arzneien. Dr. Ide-Stettin . . 165
Die Homöopathie und der Suggestionismus, ein
offener Brief an Dr. C. F. Gerster in Mün¬
chen, Dr. Fuchs.167
Znm Capitel der Gicht. Dr. Kafka-Karlsbad. 172
Stahlbad Rastenberg in Thüringen .... 174
Bücherschau.174
Epidemiologische Ecke.178
Fragekasten.179
Anzeigen.179
Digitized by v^ooQie
V
Seite
No. 23 und 24.
Bericht über die Versammlung des Vereins
homöopathischer Aerzte Württembergs am
18. Mai 1892 in Stuttgart. Dr. Göhrum*
Stuttgart. . ..181
Die Potenzirung. Dr. Jäger-Stuttgart . . . 182
Zur Hochpotenzenfrage. Dr. Kunkel-Kiel. . 184
Die Zeiten der Arzneien. Dr. Ide-Stettin (Ftsg.) 188
Zum Capitel der Gicht Dr. Kafka-Karlsbad. 190
Bücherschau.191
Nekrolog.193
Personalia. 195
Anzeigen.195
No. 25 und 26.
Einladung zum Abonnement.197
Vorläufige Einladung za der am 8. August
Nachmittags 2 Uhr in Stuttgart stattfinden-
Seito
den 1. Generalversammlung der Epidemio¬
logischen Gesellschaft.. . 197
Die Homöopathie in Belgien. Dr. Haedicke-
Leipzig. (Schluss).197
Die Potenzirung. Dr. Jäger-Stuttgart . . . 199
Die Zeiten der Arzneien. Dr. Ide-Stettin. . 202
Zum Kapitel der Gicht. Dr. Kafka-Karlsbad. 205
Zwei Krankengeschichten. Assistenzarzt W.-K. 208
Eine amerikanische Potenzirungsmaschine. Dr.
8teudel-Johnstown.209
Klinischer Beitrag zur Heilwirkung des Gol¬
des. Dr. Goullon-Weimar.210
Epidemiologische Ecke.211
Bücherschau.213
Lesefrüchte.214
Personalia.215
Anzeigen.*.216
Digitized by v^ooQie
A.n meine Herren Collegen, von
Steinmetz-Leipzig. 14.
Antipyrinismus, von Lembke und
Pröll, 61.
Arzneien, die Zeiten der, von Ide-
Stettin. 165. 188. 202.
Asthma-Mittel, von Bruckner-Basel.
22 .
Aufforderung zur Bewerbung der
Porges'schen Stiftung. 1.
Belgien, die Homöopathie in, von
Haedicke-Leipzig. 65. 197
Bericht der Herbstversammlung des
Vereins schweizerischer Aerzte,
von Luginbühl. 2.
Bericht von Dr. H. Göhrum. 17.
Bericht über die Versammlung ho¬
möopathischer Aerzte Württem¬
bergs, vonGöhrum-Stuttgart. 181.
Blatta orientalis, ein wichtiges Asth¬
ma-Mittel, von Bruckner-Basel.22.
Bleivergiftung, Referat über, von
Schmidt. 10.
Brief, ein, von Samuel Lilienthal,
von Dr. Goullon-Weimar. 12.
Correspondenz von Lembke-Riega.
90.
Einladung. 97.
Einladung zum Abonnement. 197.
Einladung, vorläufige, zu der am 8.
August Nachmittags 2 Uhr in
Stuttgart stattfindenden 1. Gene¬
ralversammlung der Epidemiolo¬
gischen Gesellschaft. 197.
Einladung zu der am 9. und 10.
August in Stuttgart stattfinden-
II. Register.
den Generalversammlung des ho¬
möopathischen Central-Vereins
Deutschlands. 145. 161.
Elektrotherapeutische Studien, von
Weil-Berlin. 133.
Entgegnung, von Göhrum - Stutt¬
gart. 111.
Entgegnung, von Schwarz - Baden-
Baden. 139.
Entgegnung, zur, von Haupt-Chem¬
nitz. 118.
Fortschritt, gehemmter — oder
beförderter Rückschritt, von
Katsch-Baden-Baden. 98.
Frühjahrsversammlung des Sächs.
Anhalt. Vereins Homöopathischer
Aerzte 162.
Qallensteinkrankheiten, über die
Abortivtherapie der, von Mossa-
Stuttgart. 45.
Gicht, zum Kapitel der, von Kafka-
Karlsbad. 172. 190. 205.
Hahnemanns 137. Geburtstag, zur
Feier von, von Mayntzer-Trier.
113.
Heilungen, dauernde, von Lorbacher-
Leipzig. 57 86.
Hochpotenzen, von Fischer-Westend-
Charlottenburg. 114.
Hochpotenzenfrage, zur, von Kun-
kel-Kiel. 184.
Homöopathie 4. 37. 44. 65. 116.
122. 167.
Homöopath. Arzneien, das Verord¬
nen, von Gallavardin-Lyon. 88.
Homöopathischer Centralverein, vor¬
läufige Einladung zu der am 9.
und 10. August in Stuttgart
stattfindenden Generalversamm¬
lung. 145. 161.
Homöopathisches Hospital in Mün¬
chen, VIII. Jahresbericht des
158.
Jahreswende, zur 1.
Jenichen’schen, die Zubereitung der
Hochpotenzen, von Fischer-West-
end-Charlottenburg. 114.
Kongress, der XI., von Stifft-Leip-
zig. 130.
Krankengeschichte, eine kurze, von
Kunkel-Kiel. 78.
Krankengeschichten, zwei 208,
literarische Anzeigen 12.
Lycopodium, Heilung durch, von
Hesse-Hamburg. 163.
Manie, acute, von Mossa-Stuttg. 158.
Medicin, zwei Urtheile über refor-
mirte, von Haedicke-Leipzig. 27.
Medicin, der XI. Kongress für in¬
nere. 130.
Neuen Mitteln, die Jagd nach, von
Mo8sa-Stuttgart. 155.
Praxis, aus der. 28. 59. 77. 135.
Prüfungen, erneute, über die Not¬
wendigkeit der Arzneimittel, von
Leeser-Bonn. 40.
Potenzirung, die, von Jäger-Stutt¬
gart. 81. 146. 182. 199.
Potenzirungsmaschine, eine amerika¬
nische, von Steudel-Johnstown.
200 .
Digitized by v^ooQie
vn
Bastenberg, Stablbad in Thüringen.
174.
Beferat über Bleivergiftung, von
Dr. Schmidt. 10.
Reformirte Medicin. zwei Urtheile
über die, von Haedicke-Leipzig.27.
Rückschritt, beförderter — oder ge-
hemmter Fortschritt, von Katsch¬
Baden-Baden. 98.
Suggestion, nochmals, 116. 132.
Suggestionismu«, der. 54. 167.
Sulfona),besonders in der Psychiatrik,
von Mossa-Stuttgart. 155.
Syphilis, acute Manie mit, von
Mossa-Stuttgart. 158.
sulphuris calcareum, Kalkschwefel¬
leber und Sulphur, von Goullon-
Weimar. 137.
I Toxicologisches. 122.
j Tuberkulin, zum. 91.
Weihe’sche Heilmethode, Rückblick
Therapeut. Unterschied zwischen auf die geschichtliche Entwickel-
Calcarea sulphurata oder Hepar ung der. 33. 37.
III. Mitarbeiter.
Bruckner-Basel 22.
Tuchs-München 167.
Fischer - Westend-Charlot¬
tenburg 114.
©allavardin-Lyon 88.
Gerster-München 54.
Goullon-Weimarl 2.28.137.
210 .
Göhrum-Stuttgart 17. 37.
111. 181.
Haedicke-Leipzig 27. 65.
162. 197.
Haupt-Chemnitz 118.
Hesse-Hamburg 59.77.135.
163.
Heyberger-Protiwin 49.
Ide-Stettin 165. 188. 202.
Jfiger-Stuttgart 81. 146.
183. 199.
Kafka-Karlsbad 172. 190.
205.
Katsch-Baden* Baden 98.
Kunkel-Kiel 78. 184.
Ejeeser-Bonn 33. 40.
Lembke-Riga 60. 61. 121.
Lorbacher-Leipzig 57. 86.
132.
Luginbühl 2 .
Mayntzer-Trier 113.
Mo8sa-Stuttg.45.155. 158.
Tfander-Bern 4. 116.
Pröll-Gastein 61.
Steinmetz-Leipzig 14.
Stifft-Leipzig 130.
Schwarz-Baden-Baden 139.
Weihe jr.-Herford 19.
Weil-Berlin 133.
Digitized by Google
Digitized by v^ooQie
Leipzig, den 7. Januar 1892.
ALLGEMEINE
Band 124.
No. 1 n. 2.
HOMÖOPATHISCHE ZEITIM
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRÜM-STüTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig.
Erscheint 14tlglg sn 2 Bogen. 18 Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. AO Pf. (Halbjahr). Allo Buohhandlungen und
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an B. Mosse in Leipzig und dessen Filialen zu riohten sind,
werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen wferden mit 12 M. berechnet.
Inhalt: Aufforderung zur Bewerbung der Porgee'schen Stiftung. — Zur Jahreswende 1891/92. — Bericht
der Herbstvereamnleog des Verein« „schweizerischer hoaSop. Aerzte“. Von Dr. med. LuginbOhl. — Suggestion und
HomSopatbla. Von Dr. A. Pfänder. — Referat Ober Bleivergiftung. — Elu Brief von Samuel Lilienthal. Mitgetheilt
von Dr. H. Goullon. — Literarische Anzeigen. — Epidemiologische Ecks. — An meine Harren Collegen! Von W.
Steinmetz, Apotheker in Leipzig. — LeeefirOohte. — Fragekasten. — Personelle. — Anzeigen.
Aufforderung.
Doctoren oder Candidaton der Medicin, welche
in Prag an der deutschen Universität, oder in Wien,
oder in Leipzig stndirt haben, sich mit der homöo¬
pathischen Heilmethode vertrant machen und die¬
selbe practisch verwerthen wollen, werden hiermit
anfgefordert, sich bei einem der Unterzeichneten
spätestens 4 Wochen nach Erlass dieser Aufforderung
wegen Erlangung der Gabriel Porge’schen Stiftung
für Homöopathen zu melden, woselbst auch die
Bedingungen zu erfahren sind, unter welchen die
Stiftung zu erlangen ist.
Prag und Leipzig, im Januar 1892.
Dr, J. Kafka-Prag als Stiftungspatron.
Dr. A. Lorbacher als Vorstand des homöopath
Central Vereins Deutschlands.
Zur Jahreswende 189192.
Das nun verflossene Jahr 1891 spielt in der
Geschichte der Allgemeinen Homöopath. Zeitung
eine grosse Rolle. Ueber 55 Jahre, von 1832 bis
1888, ist es der Baumgärtner’schen Verlagshandlung
trotz des geringen materiellen Gewinnes stets eine
Ehrensache gewesen, die Zeitung zu halten und es
zu ermöglichen, dass so viele Bände in ununter¬
brochener Reihenfolge erscheinen konnten. Im Jahre
1888 ging sie in den Verlag von Gustav Engel über,
und nach dessem Tode im Juli 1891 in den Besitz
des Herrn Apotheker W. Steinmetz (in Firma:
A. Marggrat’s homöopathische Offizin). Dieser
Wechsel des Verlegers zog auch den Rücktritt des
derzeitigen Herausgebers Herrn Dr. Villers nach
sich, und wohl jeder Leser stellte sich während des
G wöchigen Interregnums, während dessen ein Apo¬
theker für die Redaction einer ärztlichen Zeitschrift
zeichnete, die Frage: „Was will das werden?“
Obgleich Herr Dr. Villers in der entgegen¬
kommendsten Weise von dem neuen Verleger ge¬
beten worden war, auch fernerhin die Redaction bei¬
zubehalten, und daran nur die Bedingung geknüpft
war, dass alle persönlichen Anfeindungen in dieser
wissenschaftlichen Interessen dienenden Zeitung
unterbleiben sollten, legte er dennoch „aus princi-
piellen Gründen“ sein Amt nieder.
In Anbetracht dieser Vorgänge und des Um¬
standes, dass in der That ein nicht gewöhnliches
Maass von Arbeitskraft, von Umsicht, von Be¬
geisterung für die Sache dazu gehörte, diese Erb¬
schaft, den undankbaren, mühevollen und verant¬
wortlichen Posten eines Redacteuvs anzutreten und
unbeirrt von allen Anfeindungen und Beeinflussungen
zu behaupten, zögerten wir lange mit unserer Zu¬
sage. Die Erwägung jedoch, gerade in dieser Zeit
der Verlegenheiten unserer Sache einen wahren
Dienst leisten zu können, und der unerschütter¬
liche Entschluss, uns durch Nichts in einer stets
objectiven, nur dem Interesse unserer Fachwissen¬
schaft und der Allgemeinheit des sie vertretenden
ärztlichen Standes dienenden Redactionsführung irre¬
machen zu lassen, erleichterte uns diesen Schritt.
Die Gründe, welche für den Herrn Verleger
I
Digitized by
2
maassgebend gewesen sind, schon seit Jahren den
Ankauf unserer alten homöopathischen Fachzeitung
im Auge zu behalten, kennen wir nicht; es genügte
uns aber zur Uebernahme der Redaction die Ver¬
sicherung des um die Homöopathie recht verdienten
neuen Verlegers, sich jeder Beeinflussung und jeder
Einmischung in die redactionellen Geschäfte zu ent¬
halten und die Zeitung voll und ganz in den Dienst
der homöopathischen Fachwissenschaft und ihrer
fachmännischen Vertreter zu stellen. Mit Auf¬
stellung eines besonderen Progammes sind wir noch
nicht hervorgetreten, halten es aber für unsere Pflicht,
dies jetzt nachzuholen, und noch einmal kurz in
Worte zu fassen, was aus unserer bisherigen Arbeits¬
führung jedem Einsichtigen schon ohnehin klar
sein wird.
Wie bisher werden wir auch fernerhin nach
bestem Wissen und Können die Leitung der Allgem.
Homöopath. Zeitung fortführen und ihre Leser von
dem Besten und Neuesten auf dem Gebiete der
Homöopathie wie der Gesammtmedicin unterrichten.
Dass unsere Aufgabe keine leichte ist, wird Jeder
zugeben, wenn er die geringe Zahl der Mitarbeiter,
den kleinen Leserkreis und damit die geringen ver¬
fügbaren Mittel zur Ausstattung der Zeitung be¬
rücksichtigt. Unter diesen Verhältnissen kann der
Inhalt nicht immer so vielseitig und so werthvoll
erscheinen, wie es wünschenswerth wäre.
Die Zeitung öffnet ihre Spalten jeder Partei, jeder
Richtung, unbekümmert von welcher Seite ihr Mit¬
theilungen von wissenschaftlichem oder allgemeinem
Interesse für ihren Leserkreis zugehen, getreu ihrem
Charakter und der Tendenz einer „allgemeinen
Homöopath, Zeitung* ; in keinen Parteizwang gebannt,
ist in ihr die freieste und allseitigste Diskussion ge¬
stattet, sofern die Artikel sachlich gehalten sind.
Die Austragung persönlicher Differenzen, Angriffe
und Repliken gehört unseres Erachtens nicht in
eine wissenschaftliche Zeitung. Sie bringen unserer
Sache nur Schaden und gereichen uns nicht zur
Ehre. Wo es aber erforderlich ist, für unsere Ueber-
zeugung einzutreten und die Angriffe der Gegner
zu pariren, wird auch ein kräftiges Wort und das
attische Salz in der Polemik nicht fehlen.
Wir halten an der Ansicht fest, dass es für
den homöopath. Arzt keine Normaldosis giebt, dass
ihm die ganze 8kala, von der Urtinktur bis zur x-
ten Verdünnung zur Verfügung stehen müsse! Möge
Jeder seiner Ueberzeugung folgen, aber frei von
starrer Doctrin und eingedenk seines Doctoreides:
Aegroti salus suprema lex esto.
Das, was wir wollen, ist Wahrheit, volle Wahr¬
heit — Wahrheit in der Naturwissenschaft, vor
allem in der Medicin. Lassen wir daher jede Me¬
thode, die die Wahrheit sucht, ihre Strasse wandeln,
und sehen wir, wer auf der seinigen Rom zuerst
erreichen wird.
Hahnemann gehört die Zukunft, wenn wir ge¬
treu seinen Vorschriften folgen, wenn wir es für
unsere Pflicht halten, das einmal erkannte Wahre
nicht zu verleugnen, sondern nach unserem besten
Wissen und Gewissen zu erweitern und diesen Weg
so lange zu gehen, bis uns ein besserer ge¬
zeigt wird, nicht uneingedenk des Dichterwortes:
„Was Ihr nicht münzt, das meint Ihr, gelte nicht,
was Ihr nicht wägt, hat bei Euch kein Gewicht.“
Zum Schlüsse sprechen wir unsern Mitarbeitern
und Lesern den Dank der Redaction aus für die
vielfache Unterstützung, welche sie auch im ver¬
flossenen Jahre ihrer Zeitung dargebracht haben.
Auch der Druckerei gebührt der vollste Dank der
Redaktion und der Verlagshaudlung für die Ueber-
windung der vielen Schwierigkeiten während des
Buchdruckerausstandes und für das pünktliche Er¬
scheinen der Zeitung. Wie wir hören, wird bereits
in den nächsten Wochen der Ausstand beendet sein.
Wir sagen „ihrer“ Zeitung, weil wir die Allg.
hom. Zeitung gewissermassen als das Eigenthum
sämmtlicher homöopath. Aerzte betrachten, die zeitige
Redaction nur als Verwalter derselben, wie es schon
von den Stiftern ausgesprochen worden ist. Aus
diesem Giyinde ist es auch die Pflicht aller, diese
von unsern Vorfahren als theures Vermächtniss uns
hinterlassene Zeitung durch fortgesetzte, fleissige
Betheiligung zu unterstützen, sofern sie mit dem
von uns aufgestellten Programm einverstanden sind.
Dieses aber glaubt die Redaction mit Bestimmtheit
hoffen zu dürfen.
Jeder, sei er auch ein noch so beschäftigter
Arzt, kann seinen Beitrag alljährlich liefern, wenn
er es als eine Ehrensache betrachtet, unsere Heil¬
methode wissenschaftlich weiter ausbauen zu helfen;
und wir sind überzeugt, dass eines JedenBrust von einem
Gefühl erhebender Genugthuung durchströmt wird,
wenn er sich einmal im Jahre dazu aufgerafft hat,
der Wissenschaft, die ihm die Grundlage für seine
praktischen Erfolge giebt, sein Scherflein schuldigen
Tributs dargebracht zu haben. —
Viribus unitis — concordia res crescunt.
Die Redaction.
Dr. Göhrum. Dr. Stifft. Dr. Haedicke.
Bericht
der Herbstversammlung des Vereins „schwei¬
zerischer homöopathischer Aerzte.“ Am 1. Nov.
18D1 in Baden.
Nicht gross war die Zahl der um das Präsidium
Dr. Grubenmann sich sammelnden Collegen, um so
grösser aber die Ausbeute an gegenseitiger Anregung
Digitized by v^ooQie
und freundschaftlichem Austausche von Gedanken
und Erfahrungen.
Tractanda: 1. Dr. Men de berichtet über den
tragischen Todesfall des uns Allen bestens bekannten
Dr. Roth, früher in London, zuletzt in Dijonne.
Mende wird beauftragt der Familie des Verstorbenen
ein Beileidsschreiben zukommeu zu lassen.
2. Dr. Pfänder verliest eine kurze Abhandlung
über Suggestion in Beziehung zur Homöopathie.
Die Allopathen schreiben die homöop. Heilungen,
wenn sie überhaupt solche zugestehen, der Wirkung
der Suggestion zu. Wir Homöopathen geben dieses
für viele Fälle zu, aber dasselbe gilt auch von vielen
allop. Kuren. Aerzte sowohl als ganz besonders
Laien haben zuweilen ein zu grosses und unrao-
tivirtes Vertrauen zu einzelnen Arzneien, unmotivirt,
weil die allfällige Heilung auf ganz anderen Mo¬
menten als dem vorausgegangenen Heilmittel beruht.
Laien, die sich selbst behandeln, fallen sehr leicht
in diesen Irrthum (Autosuggestion). Man soll dann
auch an Suggestion denken bei frisch in die Praxis
eingeführten Mitteln und Methoden. Wann aber
kann man doch in einer ganzen Reihe von Heilungs-
fällen Suggestion ausschliessen?
1. Tbierheilungen.
2. Psychisch Kranke (bekanntlich der Suggestion
weniger zugänglich als körperlich Kranke.)
3. Kinderheilungen,
ferner kann man Suggestion ausschliessen, wenn
4. Die bekannte Arznei Wirkung entspricht in ihrem
Verlauf „Ablauf“ dem gewöhnlichen Bild der
Arzneiwirkung, und demnach auch der corre-
spondirenden Krankheit.
5. Der Patient ist ohne Vertrauen zur Arznei, er
hat keine Ahnung von der gereichten Arznei
und deren Wirkungsweise, und dennoch tritt
Heilung ein.
6. Verschiedene Mittel sind ohne Wirkung gegeben,
aber auf ein genau gewähltes tritt rasch Heil¬
wirkung ein.
7. Ohne Wissen des Patienten wird Arznei einge¬
geben (Gallavardin Heilung der Trunksucht),
8. Eine Krankheit verschiedentlich recidivirt, das
gleiche Mittel wirkt stets rasch, nun auf einmal
hilft es nicht mehr und ein anderes, das nicht
gerade das Vertrauen geniesst, hilft.
Es folgt eine Reihe von Krankengeschichten, wo die
Suggestion kaum zur Erklärung der Heilung hinrei¬
chen würde; da diese aber ebenfalls veröffentlicht werden
sollen, so übergehen wir sie. Grubenmann be¬
nutzt die Discussion und erwähnt einiger gelegentl.
frappanter Thierheilungen, ferner die Heilung
eines bedeutenden Unterleibstumor vermittelst Hoch¬
potenzen, ferner macht er aufmerksam auf die ge¬
nau mit Tagebuch geführten Arzneiprüfungen. —
Sigrist erwähnt Heilungen von Uterusblutungen
mit Crocus, Heilungen von hochgradiger Cystitis
mit Mero u. Hepar, welche Affectionen einer Sugge¬
stionswirkung nicht zugänglich sein dürften.
III. Tractandum: Mende: Beitrag zurCocaYn-
wirkung. Am 26 October liess eine Dame in der
Apotheke wegen einer Erkältung 2 Grammdosen
Cocain holen (sie verwechselte den Namen mit
Antipyrin). Unbegreiflicher Weise wurde dem
Verlangen durch den Apotheker entsprochen und
um 12 Uhr nahm die Frau ein Pulver Cocain &
1 Gramm (Maximaldosis 0,1). Die ersten Zeichen
waren ein Kratzgefühl an Zunge und Rachenparthien
Schwindel, Zittern, Vibriren, Brechreiz, Jucken,
Kältegefühl. Mende fand um 1 Uhr: Angesicht
blass, ängstlich verzerrt, Pupillen weit, Augenlider
nicht schliessbar. Sehen deutlich und scharf.
Geschmack aufgehoben, Berührungsempfindlichkeit
der Zunge aufgehoben, Flüssigkeiten sehr schwer zu
schlingen. Respir. 58 Puls 146. — Hände und Füsse
eiskalt. Zeitweilig gänzliche Gedankenverwirrung. —
Gar keine Todesangst, obschon Patientin überzeugt
ist, dass sie sterben werde.
Therapie: Subcut an Camphorlösung — Thee und
Cognac Clystir.
5 Uhr Abend: etwas besser, ein Senfblatt auf
Epigastrium wird nicht gefühlt, verursacht ganz
geringe Röthung, kein Schlaf, Arme bis Ellbogen
abgestorben, vollständig empfindungslos auch als
die Glieder wärmer geworden waren — Blasen¬
narkose. Keine Lähmung des Rectum.
10 Uhr Nachts: mehr Aufregung, Senfblatt¬
stelle nun geröthet, Gesicht'roth, Schwindel, Druck
in Herzgegend. Subjektives Gefühl von Zittern
und Vibriren — Aufschrecken, Lufthunger.
Morgen des 27 Oct. sehr deprimirt, apathisch,
tiefste Melancholie. Musste zu Allem gezwungen
werden.
Erklärung: Krampf der Capillaren: jedenfalls
bedeutende Einwirkung auf die CapiUaren und darin
liegt die homöop. Correlation zu der Veta oder
Puna (Hom. Vierteljahrschrift VII. Band). Schwindel:
weil mangelhafte Ernährung des Gehirns und weil
Anaemie des Gehirns. Athmung beschleunigt: weil
in Folge der Contraction der Capillaren Sauerstoff¬
mangel vorhanden ist. Urin ist mit Cocain gesättigt,
daher Blase anästhetisch. Coca 6 tritur oder 12
Dilut: Therapeutisch angewendet bei schwachen
Patienten, die bei der geringsten Bewegung Dyspnoe
haben, oft Migräne ohne Erbrechen, kalte Ge¬
sichtshaut, fadenförmigen Puls, kalte Extremitäten,
Zittern, unmöglich aufzustehen.
IV. Tractendum Grubenmann berichtet über
einige Beobachtungen über Tuberculin 200. Da die
Frage aber noch zu wenig abgeklärt ist, so würde
eine Veröffentlichung derselben unpassend sein. Zur
Frühjahrs Versammlung pro 1892 wurde bestimmt der
1. Sonntag Mai in Bern. Dr. med. Luginbühl.
Digitized by
4
Suggestion und Homöopathie.
Vortrag gehalten in der Herbsty er Sammlung
der homöopath. Aerzte der Schweiz am 1. Nov.
Von Dr. A. Pfänder.
Meine Herren! In einer Zeit, wo die Suggestion
zur Erklärung so vieler Vorgänge dienen muss,
welche sich im menschlichen Gehirn abspielen und
nicht nur zu Thätigkeitsäusserungen führen, sondern
auch zu subjektiven Befindensveränderungen, wird
os nicht ganz unangebracht sein, ihr Eingreifen in
die Therapie, und zwar der homöopathischen Therapie
insbesondere, näher in's Auge zu fassen. Anlass
dazu giebt mir die seit der Anerkennung des
Hypnotismus öfters auftretende Behauptung, die
Wirkung der homöop. Therapie beruhe nur auf
Suggestion.
Der erste, welcher diese Behauptung imssprach,
war wohl Bernheim in seinem bekannten Werke
über Hypnotismus, und seither sprechen es andere
allopath. Aerzte nach, wie z. B. ein Dr. G. in einem
Aufsatz über Suggestion im „Correspondenzblatt
für Schweizer Aerzte.“ Es ist immerhin ein ge¬
wisser Fortschritt, dass die Erfolge der Homöopathie
nicht mehr kurzweg geleugnet werden, doch ist
damit nicht viel gewonnen; denn nach Dr. G.
heilt die Homöopathie nur mancherlei nervöse
Beschwerden" , während wir das Recht zu der Be¬
hauptung zu haben glauben, dass wir auch sehr
vielerlei organische Krankheiten heilen. Ich hatte
zuerst im Sinn, im Correspondenzblatt eine Entgegnung
erscheinen zu lassen; allein eine solche wäre erstens
kaum aufgenommen worden und hätte zweitens
kaum einen Erfolg gehabt, da ja doch nach wie
vor andere Heilungen unserseits, als solche von
„nervösen“ Beschwerden, einfach kurzweg in Abrede
gestellt werden.
Es mag nun manchem überflüssig erscheinen,
obenerwähnte Behauptung zu bekämpfen; allein ich
glaube, dass es gar nichts schadet, wenn wir ein
wenig kritischer werden und nicht fast jede Heilung
unserer Therapie in die Schuhe schieben. Denn
dass im Allgemeinen unter uns homöop. Aerzten
ein starker Glaube, um nicht mehr zu sagen, betreffs
der Wirkungen der verabreichten Mittel herrscht,
wird wohl kaum Jemand zu verneinen wagen.
Man braucht nur die vielen Krankengeschichten in
unseren Zeitschriften durchzulesen, um herauszu¬
finden, wie wenige denn eigentlich das beweisen,
was sie beweisen wollen, nämlich dass wirklich das
oder die verabreichten Mittel die Heilung bewirkt
haben. Darauf ist übrigens schon öfter hinge¬
wiesen worden. Zur Entschuldigung mag übrigens
erwähnt werden, dass der homöopath. Arzt, der in
seiner allopathischen Praxis so viele Misserfolge
verzeichnete, sobald er einmal die homöopath.
Arzneimittellehre ein wenig kennt, Erfolge sieht,
an die er nicht gewohnt war. Und jemehr er die
Arzneimittellehre kennen lernt, um so mehr häufen
sich diese Erfolge, und er wird so allmählich aus
einem Skeptiker allzuleicht ein gläubiger Enthusiast,
der viel von seinem nüchternen Urtheil verloren
hat. So sieht er denn oft Erfolge in einer Krank¬
heit, wo eine ruhige Kritik nur einen ganz natür¬
lichen, von Arzneien unbeeinflussten Verlauf er¬
kennt. Für das Ansehen der Homöopathie und
für die überzeugende Wirkung unserer Kranken¬
geschichten kann es aber nur von Vortheil sein,
wenn gehörige Kritik geübt wird, denn dadurch
gewinnen letztere erst einen Werth, ohne dieselbe
sind sie werthlos.
Doch lassen Sie uns nun sehen, ob wirklich die
Behauptung, die Homöopathie heile durch Suggestion,
nicht einige Berechtigung hat.
Es giebt unter den Anhängern der Homöopathie
im Laienstande, namentlich unter denen, welche
oft dazu kommen, selbst zu „doctern“, wie Sie
gewiss oft beobachtet haben, eine Menge solcher,
die bei jeder eintretenden Besserung in ihrem Be¬
finden oder dem ihrer Kranken nach Einnehmen
ihrer Mittel, ganz bestimmt versichern, das Mittel
habe geholfen, wenn auch der Arzt sagen muss,
dass das Mittel absolut nicht richtig gewählt war,
oder wenn auch die Besserung so langsam erfolgte,
wie wenn die Krankheit gar nicht behandelt worden
wäre. Solche Leute nehmen überhaupt selten ein
Mittel ein, ohne dass es wirkt. Wenn der Arzt
solche Kranke behandelt, besonders solche, die ein
wenig A. M. L. studiert, haben, so kann er ihnen
selten ein Mittel geben, ohne dass eine Reihe von
Symptomen auftreten, die in der A. M. L. ver¬
zeichnet sind, und das geschieht in Fällen und mit
Gaben, bei denen man eine solche Einwirkung mit
Sicherheit ausschliessen kann. Ich kenne z. B.
eine Patientin, welche fast bei jedem Mittel, falls
eine Verschlimmerung ihres Befindens nach dem
Einnehmen eintritt, ganz fest behauptet, das Mittel
sei schuld daran. Ich will zwar nicht leugnen,
dass es Kranke giebt, welche auf meine Dosen
der Arznei mitunter sehr leicht reagiren und un¬
verkennbare Arzneisymptome hervorbringen, doch
kommt das verhältnissmässig selten vor.
Wie oft geschieht es ferner, dass wir einem
Kranken fast aufs Geradewohl ein Mittel geben
müssen, wenn wir für die betreffenden Krankbeits-
erscheinungen nicht gerade das entsprechende
Arzneiwirkungsbild im Kopf haben und es uns un¬
möglich ist, zuerst die A. M. L. zu Rathe zu ziehen,
und doch kommt der Patient wieder und berichtet
vou Besserung! Hie und da mögen wir wohl das
Richtige getroffen haben; allein dieser Fall ist gewiss
nicht so häufig. Wie viele Mittel wurden z. B. in
der letzten Influenzaepidemie von den verschiedenen
Digitized by Google
homöopathischen Aerzten angewandt und als wirk¬
sam gerühmt! Alle hatten mehr oder weniger Er¬
folge zu verzeichnen; aber gewiss waren dieselben
in sehr vielen Fällen nur imaginär, und haben
Naturheilungen für Kunstheilungen imponirt.
Die bis jetzt erwähnten Fälle sind nun nicht
eigentlich Beispiele, wo die 8uggestion thera¬
peutisch gewirkt hat (obschon sie auch da theilweise
mithelfen kann), sondern solche, wo bei der Heilung
eine Suggestion nebenbei geht, und zwar oft sowohl
auf Seite des Arztes als des Patienten, nämlich
diejenige, das Mittel sei Schuld an der Heilung
gewesen, während es Naturheilung war. Dadurch
wird aber der eigentlichen Suggestionsbeilung in
einer späteren Erkrankung desselben Patienten Vor¬
schub geleistet.
Daneben giebt es aber Fälle, wo wirklich nur
die Suggestion wirkt, und da müssen wir Dr. G.
Recht geben, wenn er sagt, die Homöopathie heile
„mancherlei nervöse Beschwerden“. Gerade in
solchen Fällen, wo keine organischen Veränderungen
bestehen, oder nur solche ganz minimer Art, welche
darch directen Einfluss des Nervensystems gehoben
werden können, kann die Suggestion, wie die Be¬
obachtungen von Bernheim und seinen Schülern
lehren, ganz Bedeutendes wirken. Es braucht dabei
nicht einmal immer mit Absicht suggestionirt zu
werden; eine bestimmt ausgesprochene Erwartung
von Seite des Arztes, dass Besserung eintreten
werde, wirkt oft schon genügend, mitunter auch
schon der Ausspruch, dass nichts Bedenkliches
gefunden werden könne. Und gewiss, je mehr
Zatrauen ein Arzt geniesst, desto mehr wird er
durch unbeabsichtigte Suggestion ausrichten können.
Ferner wirkt oft ein als besonders wirksam ge¬
priesenes Mittel bei dem Einen prompt, während
bei einem Anderen, der ganz dieselben Symptome
darbietet, aber weniger suggestibel ist, die Wirkung
ausbleibt.
Also, eine Wirkung der Suggestion in thera¬
peutischer Beziehung kann nicht geleugnet werden;
allein ist diese Wirkung bei der Homöopathie eine
andere als bei der Allopathie? Gewiss nicht; alles
was ich angeführt habe (mit Ausnahme etwa der
suggerirten Symptome au8 unserer A. M. L., die
ich anführte), behält seine volle Geltung auch für
die allopathische Therapie, und ich glaube nicht,
dass man speciell für die Homöopathie eine be¬
sondere Art der Suggestion nachweisen könnte.
Somit ist der Vorwurf, die Homöopathie heile
durch Suggestion, ein Schlag in's Wasser; er trifft
die Allopathie gerade so gut. Sagt ja auch Dr.
G., dass viele neuere Arzneimittel nur der sugges¬
tiven Wirkung ihren Erfolg verdanken, und sobald
sie nicht mehr neu sind, vergessen werden, da die
Erfolge ausbleibeti. Bernheim giebt denn auch den
Aerzten den Rath, die neuen Arzneien früh anzu¬
wenden , so lange sie noch wirksam seien. Er
zählt zu den suggestiv wirkenden Heilverfahren
auch die Suspensionsmethode bei Tabes, die aller¬
dings nicht mehr so wirksam zu sein scheint, wie
im Anfang, ferner die Kneipp'scbe Kur und zum
Theil die Electrotherapie. Und Forel*) sagt: „Mit
was für Recht streiten wir den Homöopathen, den
Matheisten, Magnetiseuren, Wunder- und Gebetheil¬
künstlern ihre Praxis und ihre Heilerfolge ab, die
ja nur auf Suggestion und auf der Medicin ent¬
nommenen Mitteln beruhen, so lange wir uns selbst
so gigantisch durch Suggestion irre führen lassen?
Reissen wir zunächst im eigenen Gebäude dem
Schwindel und der Täuschung durch wahre
Forschung die Maske herunter; dann werden wir
mit obengenannten Herren leichtes Spiel haben.“
Ob man nun mit uns Homöopathen so leichtes
Spiel haben wird, wie Herr Prof. Forel meint,
das bezweifeln wir wohl alle sehr, hat sich doch
die Homöopathie in den bald hundert Jahren ihres
Bestehens so ausgebreitet und so vielfach Aner¬
kennung erzwungen (wovon freilich eben den meisten
Allopathen wenig bekannt ist), wie es einer bloss
suggestiv wirkenden Therapie nie und nimmer
möglich gewesen wäre.
Es kann gewiss Niemand behaupten, dass
schwerere organische Veränderungen durch Sugges¬
tion zu heben seien; ferner ist es nicht möglich,
dass Kinder unter 1—2 Jahren, oder Kranke mit
aufgehobenem Bewusstsein suggestiv geheilt werden
können, denn zu diesem Zwecke muss der Patient
den Suggerirenden einigermassen begreifen, er muss
auf seine Intentionen eingehen können. 8olche
Krankheiten und Kranke hat aber auch der homöo¬
pathische Arzt viele zu behandeln. Wenn z. B.
nach homöopathischen Prinzipien geleitete Irrenan¬
stalten’ in Nord-Amerika einen grösseren Procent¬
satz von Heilungen ergeben als die allopathischen
Anstalten, so spricht das sehr zu Gunsten der
Homöopathie (falls man nicht überhaupt jede Sta¬
tistik als irreführend verwirft), indem gerade Geistes¬
kranke viel weniger suggestibel sind, als geistig
gesunde Personen. Ebensowenig wie ganz kleine
Kinder und bewusstlose Kranke kann man krankes
Vieh mit Suggestion behandeln, wenn schon, wie
Forel nachweist, auch bei Thieren nicht jede
Suggestionswirkung ausgeschlossen ist; denn darauf
beruht z. B. zum Theil die Dressur, wie denn auch
in der Erziehung der Kinder die Suggestion eine
nicht unwichtige Rolle spielt.
Also — der homöopathische Arzt hat noch eine
ganze Menge Krankheiten zu behandeln ohne
*) In dem sehr empfehlenswertheu Werk: y Der
Hypnotismus * seine psycho-physiologiscbe, medicinische
„strafrechtliche Bedeutung und seine Handhabung“ von
Dr. August Forel. 2. Auflage, Verlag von Ferd. Enke,
Stuttgart.
Digitized by
Google
Suggestion, und dass er dieselben auch zum grossen
Tbeile heilt, davon sind wir alle fest überzeugt,
wenn es auch die ganze Schaar der Staatsmedicin
nicht zugeben will. Wir sind davon überzeugt durch
vielfache eigene Erfolge und durch die Erfolge
anderer, die wir aus ihren Krankengeschichten
kennen lernen. Aber wenn diese letztem uns und
andere, namentlich Gegner, überzeugen sollen, so
müssen sie auch so beschaffen sein, dass daraus
die möglichste Sicherheit der Mittelwirkung hervor¬
geht (eine mathematische Gewissheit giebt es
leider in der Therapie nicht), und weder die
Wahrscheinlichkeit einer Naturheilung bestehen
bleibt, noch eine Suggestionswirkung anzunehmen ist.
Es würde zu weit führen, zu untersuchen, wo
überall eine Naturheilung ausgeschlossen ist; es
ergiebt sich das im Allgemeinen aus der Kenntniss
des normalen, unbeeinflussten Verlaufs der Krank¬
heit, die jedoch theilweise noch sehr mangelhaft
ist, sowie aus dem bisherigen Verlauf derselben und
der Möglichkeit eventuelle zur Zeit bestehende
Complicationen rasch zu beseitigen, welche unbe¬
einflusst den Gang der Krankheit in Bezug auf
Prognose sehr verschlimmern oder ihn absolut un¬
günstig beeinflussen. Auch daraus lassen sich
Schlüsse für eine therapeutische Wirkung im
Gegensatz von Naturheilung ziehen, dass ein Mittel
immer und immer wieder in ähnlichen Fällen von
gleichem Erfolge begleitet ist.
Sehen wir nun, was für Anforderungen an eine
Krankengeschichte, resp. einen Heilungsverlauf ge¬
stellt werden müssen, damit eine Svggestionsivirkung
ausgeschlossen ist. Dabei fallen natürlich Krank¬
heiten mit organischen Veränderungen ausser Be¬
tracht und sind nur solche mit hauptsächlich so¬
genannten nervösen Symptomen zu berücksichtigen,
worunter wohl auch viele rheumatische Beschwerden
einbegriffen werden müssen. Nicht vergessen wollen
wir, dass auch functioneile Erkrankungen, wie z. B.
Menstruationsanomalien und Störungen in der Darm¬
function einer Suggestion zugänglich sind.
Will man bei Behandlung der eben erwähnten
Krankheiten von vornherein jede beabsichtigte Sug¬
gestion ausschliessen, so darf man natürlich dem
Patienten bei der Consultation nicht bestimmt ver¬
sichern, das Mittel werde sicher wirken, sonst ist
man bereits nicht mehr ganz klar, ob das Mittel
wirkt oder die Suggestion, wenigstens bei leicht
suggestibeln Kranken. Es kann nun gleichwohl
Vorkommen, dass Leute, die sehr grosses Zutrauen
zum Arzte haben, ohne eigentliche Suggestion
von Seite des Arztes sich die Heilung antosuggeriren.
Wenn aber ein Patient, der ein, zwei oder mehr
Jahre lang trotz kräftigen Glaubens an die Allopathie
erfolglos behandelt wurde (um nur überhaupt noch
etwas zu versuchen, vielleicht auf dringendes An¬
rathen von Bekannten), zum homöopathischen Arzte
kommt und ihm sagt, er habe zwar keinen Glauben
in die Homöopathie, wolle aber diese Behandlungs¬
art versuchen, um alles gethan zu haben, so kann
da wohl kaum von Suggestion gesprochen werden,
wenn nun auf die homöopathischen Mittel hin
vielleicht sehr rasch Besserung, resp. Heilung
eintritt. Und solche Fälle kommen gar nicht so
selten vor.
Fenier kann nicht von Suggestion gesprochen
werden, wenn der Patient zuerst verschiedene
Mittel ohne Erfolg erhalten hat, und nun auf ein
weiteres Mittel sofortige Besserung oder Heilung
eintritt. Die Suggestion hätte im Gegentheil be¬
wirken müssen, dass die Heilung im Anfang zu
Stande gekommen wäre, wo die Hoffnung des Pa¬
tienten auf Heilung noch stärker war als später,
nachdem schon verschiedene Mittel erfolglos versucht
worden waren.
Ein weiterer Fall, wo Suggestion auszuschliessen
ist, ist derjenige, wo ein Patient ohne sein Wissen
Mittel erhält. Ich erinnere hier an die schönen
Heilungen von Trunksucht von Dr. Gallavardin in
Lyon, die er in seinem Schriftchen über „Alcoholisme
et Criminalitä“ niedergelegt hat.
Ferner ist bei solchen Krankheiten, welche ge¬
legentlich recidiviren, und bei denen immer nur
dasselbe ganz bestimmte Mittel hilft , während ein
anderes erfolgtes bleibt , (dabei vorausgesetzt, der
Patient wisse nicht, welches Mittel er erhält),
ebenfalls jede Suggestion ausgeschlossen. In gleicher
Weise verhält es sich, wenn das gleiche Mittel bei
Recidiven nicht mehr helfen will, infolge etwas
veränderter Symptome oder veränderter epidemischer
Constitution, und nun ein anderes die Heilung zu
Stande bringt , und zwar gilt dies besonders für
die Fälle, wo Patient das frühere Mittel kennt,
ein grosses Zutrauen zu ihm hat und weiss, dass
er es wieder erhielt, und also nun, trotz dieser für
Suggestion günstigen Umstände der Erfolg aus¬
bleibt.
Für uns Homöopathen ist es immer einer der
besten Beweise für Abwesenheit einer Suggestions-
wivkung, wenn ein ganz bestimmtes Mittel bei ver¬
schiedenen Personen jedesmal wieder seine Wirkung
entfaltet infolge seiner Symptomenähnlichkeit. Man
kann dies auch so ausdrücken, dass im Allgemeinen
die Wahrscheinlichkeit der Suggestiouswirkung
mit der Zunahme der Aehnlichkeit des Arznei¬
wirkungsbildes mit dem Symptomenbild der Krank¬
heit in umgekehrtem Verhältnis steht. Ich sage
,,im Allgemeinen“, denn es scheint uns oft ein
Mittel ein ähnlicheres Symptomenbild zu bieten als
ein anderes, und doch wirkt dieses durchschlagend
und jenes nicht. Bei genauer Untersuchung ergiebt
sich aber gewöhnlich, dass das heilende Mittel doch
in gewissen charakteristischen Merkmalen ähnlicher
ist, als das nicht heilende. Solche scheinbare Ab-
Digitized by LjOOQle
7
Weichlingen werden aber seltener werden, je mehr
die Arzneiwirkungslehre entwickelt ist, d. h. je
genauer das Symptomenbild einer Arznei gekannt
und mit Sicherheit festgestellt ist.
Ich glaube damit ziemlich erschöpfend dargethan
zu haben, in welchen Fällen von Heilung nervöser
oder functioneller Beschwerden die Suggestion mit
ziemlicher Sicherheit auszuschliessen ist. Die be¬
treffenden Bedingungen geben uns zugleich Kriterien,
um auch bei anderen — organischen — Erkran¬
kungen die Wahrscheinlichkeit der Arzneiheilung
zu erkennen. Es mag allerdings zugestanden werden,
dass nicht in durchweg jedem Fall, wo wir eine
Suggestion absolut ausschliessen zu können glauben,
keine Möglichkeit einer solchen vorhanden ist, indem
wir ja nicht wissen können, unter welchen Ein¬
flüssen die Gehirnthätigkeit des Patienten gerade
steht. Vielleicht wirken hier und da noch solche
Versuche suggerirend mit, von deren Existenz wir
keine Ahnung haben. Allein wollte man allzu
kritisch verfahren, so würde die Therapie schliesslich
so unbestimmt und nebelhaft werden, dass man das
Heilen mit Arzneien füglich aufgeben könnte.
Wir brauchen uns also durch die Behauptungen
unserer Gegner, dass die Homöopathie nur durch
Suggestion heile, nicht im Geringsten beirren zu
lassen; denn wie wir gesehen haben ist diese Art
der Heilwirkung in der Allopathie eben so oft vor¬
handen als bei ihr, und es bleiben noch genug
Fälle, wo gewiss das Mittel hilft und nicht die
Suggestion. Eine Suggestionswirkung ist es da¬
gegen, wenn diese Behauptung, die von Bernheim
Ausgegangen ist, nun von anderen Aerzten in treuem
Glauben nachgesprochen wird, und diese damit
das Räthsel der Erfolge der Homöopathie gelöst
zu haben glauben!
Erlauben Sie mir zum Schluss, Ihnen noch
einige Krankengeschichten, resp. Heilungen mitzu-
theilen, von denen ich glaube, dass nicht viel Ein¬
wendungen dagegen gemacht werden können, und
die weder auf Naturheilung noch auf Suggestion
beruhen.
1 .
Herr F. S., 41 Jahre alt, gut genährt, in der
Jugend etwas kränklich gewesen, erkrankte am 16.
Aug. d. J. mit Schüttelfrost und Stechen in der
linken Seite, nachdem er die letzten Tage viel im
Keller gearbeitet hatte. Schon circa ö Wochen
früher war er mit ähnlichen, aber schwächeren Symp¬
tomen erkrankt, doch handelte es sich damals wohl
nur um Pleuritis sicca, die sich bald wieder besserte.
Die Untersuchung ergab nun pneumon. Infil¬
tration im Unterlappen der linken Lunge und bald
entwickelte sich auch in derselben Gegend
etwas Pleuritis. Die Sputa waren dünnflüssig,
bräunlich, und Patient machte den Eindruck eines
Schwerkranken. Er erhielt Acon. und Bryon. in
stündlichem Wechsel, dazu kalte Ein Wicklungen.
Bereits am 18. Aug. sank die Temperatur morgens
auf 37,5 und stieg abends nur auf etwa 38,5. Am
19. trat aber ein Recidiv ein mit erneutem sehr
heftigem Stechen, die Sputa wurden fast rein
blutig, Dämpfung und Bronchialathmen dehnten
sich nach oben aus. Patient erhielt nun wegen
gleichzeitiger Diarrhoe, die oft nicht zurückgehalten
werden konnte, Ferr. pho. 3 (neben Bry.), welches
sehr gut zu wirken schien. Schon am nächsten
Tage war das subjective Befinden viel besser, da¬
gegen blieben die Sputa gleich schaumig-blutig.
Da der Bruder des Patienten vor 1 J / 2 Jahren an
Phthise gestorben war (allop. Behandlung), die sich
an eine Pneumonie angeschlossen hatte, so fürchtete
ich, auch hier möchte sich Aehnliches vorbereiten,
da das Sputum entschieden den Charakter einer
Haemoptoö hatte. Patient erhielt nun am 22.
Hamam. 3. und, um die Krisis zu beschleunigen,
hie und da eine Gabe Sulfur 6. Es trat nun ziem¬
lich rasch Defervescens ein ohne eigentliche Krisis,
und da auch noch Bronchialathemen und ein wenig
kleinblasiges Rasseln zu hören war, so erhielt Pat.
am 26. Pho. 30. Patient fühlte sich subjectiv
ziemlich wohl, aber trotzdem vermehrten sich die
Erscheinungen auf der Lunge wieder und am 27.
war wieder weitverbreitetes mittelgrossblasiges und
kleinblasiges Rasseln zu finden, auch die Dämpfung
hatte wieder zugenommen. Nun erfuhr ich auf
näheres Befragen, dass Patient in den letzten zwei
Nächten sehr unruhig gewesen sei und sich herum-
geworfen habe, und zwar von 11 Uhr an bis gegen
3 Uhr. Am Morgen war dann Patient immer sehr
schlafbedürftig und fühlte sich offenbar matt. Ich
Hess nun die nächste Nacht ohne die Medication zu
ändern , die Temperatur messen, und diese stieg
nach Mitternacht bis gegen 40°, um gegen 4 Uhr
wieder abzufallen. Patient war wieder von 11 Uhr
an (vorher hatte er ruhig geschlafen) unruhig ge -
worden , hatte phantasirt , zeigte grossen Durst und
Angst und hustete ziemlich stark. Die ohjectiven
Symptome hatten gegen den Tag vorher nur noch
zugenommen (am 28. Aug.), das Sputum blieb
immer gleich schaumig-blutig. Nun glaubte ich,
bei diesen Symptomen könne die Mittel wähl nicht
zweifelhaft sein und ich gab Arsen. 3. (20 Pillen
in 1 Glas Wasser, 2 stündlich l Schluck) in der
bestimmten Erwartung, dass schon die nächste Nacht
besser sein werde. Und so kam es: Patient war
nur von 1—3 l /a Uhr noch etwas unruhig, aber
lange nicht wie die früheren Nächte, hatte weniger
Durst, die Temperatur stieg his auf 39°, subjectiv
fühlte er sich viel besser und die objectiven Lungen¬
symptome waren am nächsten Tag entschieden schon
geringer. In der folgenden Nacht stieg die Temp.
Digitized by v^ooQle
8
nur noch auf 37,5°, Patient schlief recht gut und
am Morgen war nur noch in den untersten Parthien
der linken Lunge etwas Knistern nachzuweisen.
Das war am 30. Aug., und von da an war die
Reconvalescens ununterbrochen, wenn auch das noch
einige Zeit in vermindertem Grade andauernde Stechen
erst in den ersten Tagen eines bald darauf folgen¬
den Aufenthalts in Montreux ganz verschwand. Auch
das Sputum hatte vom 29. Aug. an weniger Blut¬
beimengung gezeigt und war geringer geworden.
Zur Zeit ist keine Spur der Erkrankung mehr
nachzuweisen.
In diesem Falle hat ganz zweifellos Arsenic
zauberhaft gewirkt und den Patienten vor vielleicht
chronischem Siechthum bewahrt; denn bevor dieses
Mittel gegeben wurde, hatte sich Nacht um Nacht
der Zustand subjectiv und objectiv verschlimmert,
während von Stund an, da Arsenic gereicht wurde,
alle Symptome zurückgingen. Das Sputum und die
Thatsache, dass der Bruder an Phthise gestorben,
hatten einen viel langsameren Verlauf befürchten
und einen üblen Ausgang als möglich erscheinen
lassen.
2 .
Frau M. 64 J. alt, litt schon früher an Cystitis
und erkrankte nun vor einiger Zeit wiederum daran.
Am 14./3. d. J. klagte sie über starkes Zusammen¬
ziehen unten im Leib beim Harnen und vielen Drang,
namentlich aber auch ein Gefühl von Herausdrängen
zur Scheide hinans. Der Harn war ziemlich trüb
und Hess einen weissen Niederschlag fallen, die
Farbe ist ziemlich hell und leicht ins Grünliche
gehend. Wegen des Symptoms »Drang nach unten,
als ob alles zur Scheide hinaus wollte* 1 , gab ich
zuerst Lilium 3., das ja auch Blasensymptome
aufweist, und welches mir in einem ähnlichen Falle
(jedoch ohne dass eigentliche Cystitis da war)
schnellen Erfolg gebracht hatte. Allein Lil. ver¬
sagte. Am 17./3. war der Krampf aber stärker
und Patientin erhielt nun Coloc 3., worauf bis zum
19. etwas Besserung eintrat, die aber nicht weiter
fortschritt, so dass dann bis am 21. der Zustand
derselbe blieb. Patientin gab nun an, dass nachts
der Drang stärker sei; sie erhielt nun Calc. carb.
12d, 3 Mal täglich, und am 25. schon* war der
Harn fast ganz klar und hatten die Beschwerden
sich bis auf ein Minimum reducirt. Die Heilung
erfolgte rasch ohne ein anderes Mittel.
Hier hatte Lilium wohl nicht gewirkt, weil es
wahrscheinlich bei Cystitis überhaupt wenig wirk¬
sam ist, und hier offenbar das Herabdrängen nach
der Scheide von dem Reizzustand der Blase abhing
und nicht vom Uterus. Die Besserung auf Calc.
carb. hin war so rasch und auffallend, dass nur
diese Schuld sein konnte, zumal eine Cystitis nicht
von selbst so rasch heilt, namentlich wenn sie schon
früher einmal vorhanden war. Ein ähnlicher Fall
ist der folgende.
3.
Frau D. 53 J. alt, consultirte mich am 27./7.
wegen chronischer Cystitis, für die sie seit drei
Monaten allopathisch behandelt worden war. Zuletzt
hatte sie Wildunger-Wasser getrunken ohne Erfolg
Sie litt seit Jahren an inoperabeln Uterusmyomen.
Ihre Klage war die, dass ihr Blasenleiden sich immer
verschlimmere und sie besonders nachts viel Drang
habe , so dass sie bis 12 und 15 Mal aufstehen
müsse. Der Harn war trüb und hatte dunkle
Färbung. Sie erhielt Calc. carb. 12., 3 Mal täg¬
lich 5 gtt. Am 12./8. berichtete sie, das6 es
ziemlich besser gehe, sie habe auch viel weniger
Schmerzen, der Harn war heller geworden, resp.
zeigte weniger Trübung. Ordination dieselbe. Am
25./S. ging es schon viel besser, doch war der
Harn (besonders morgens) noch etwas trüb. Sie
erhielt nun Calc. carb. 30d. morgens und abends.
Am 12. Oct. kam sie noch einmal und berichtete,
dass sie nachts nur noch einmal aufstehen müsse
zum uriniren, der Harn sei nur noch morgens nicht
ganz klar. Sie war 14 Tage ohne Mittel gewesen
und erhielt nun Calc. carb. 30c.
Trotzdem der Fall noch nicht als völlig geheilt
gelten kann*), wollte ich ihn anführen als Pendant
zum vorigen, und weil auch hier besonders über
nächtlichen Drang geklagt wurde und Calc. carb.
sofort bedeutende Besserung herbeiführte nach 3-
monatlicher vergeblicher allopath. Behandlung. Es
nimmt mich wunder, ob das Symptom des haupt¬
sächlich nächtlichen Dranges sich noch öfter als An¬
zeige für Calc. carb. bewährt; man ist bei der so
gleichartige Symptome bietenden Cystitis oft sehr
in Verlegenheit betreffs der Mittel wähl.
Noch bemerken will ich, dass der Harn be¬
sonders im ersten Falle einen Stich ins Grünliche
hatte, was z. B. im Lehrbuch der Homöopathie von
Schwabe (? die Red.) als Indication für Calcarea
angegeben ist.
4.
Frau Sch. c. 35 Jahre alt, litt seit Jahren an
zu starker Menstruation und fühlte sich deshalb
immer angegriffen. Am 11. Jan. klagte sie wiederum,
dass ihre letzte Menstruation so sehr stark gewesen
sei, und dass sie oft ein Gefühl von Abwärtsdrängen
beim Gehen habe. Da ich ihr schon früher einmal
ohne Erfolg Calcarea gegeben hatte, so untersuchte
ich sie nun und fand einen sehr vergrösserten. und
empfindlichen Uterus mit sehr'verdünntem Colleum,
also eine chronische Metritis. Sie erhielt nun Aur.
*) Bis Ende November zeigte sich Patientin nicht
mehr; es muss ihr also wohl gut gehen.
Digitized by v^ooQie
mur. natr. 4 morgens und abends. Am 12. März
berichtete sie, dass die letzte Periode weniger stark
gewesen sei, aber 8 Tage gedauert habe; sie em¬
pfinde immer noch den herabdrängenden Schmerz —
der Uterus war bei der Untersuchung in ziemlich
normaler Lage gefunden worden — und fühle auch
Schmerzen beim Armaufheben, oder wenn sie etwas
Schweres hebe. Sie erhielt nun Lilium 3. mehr¬
mals täglich und berichtete mir im Juli, dass
sie sich bald darauf bedeutend besser und über¬
haupt wieder gesund gefühlt habe, nachdem sie
vorher Jahre lang immer mehr oder weniger an
allgemeiner Müdigkeit gelitten habe.
Hier hatte Aurum, mur. die chronische Metritis
wohl etwas gebessert, aber erst Lilium brachte in
erstaunlich kurzer Zeit die Gesundheit wieder. Wenn
ein Patient, wenn er bald nach Beginn des Ein¬
nehmens eine solohe Veränderung spürt, obgleich
er Jahre lang nie recht gesund war infolge von
organischen Veränderungen eines Organs, so ist ge¬
wiss das Mittel schuld, dass er sich wieder „ge¬
sund * fühlt.
5 .
Herr J. G., ca. 50 Jahre alt, erkrankte anfangs
Februar v. J. an heftigem Rheumatismus im Nacken,
der durch allopath. Behandlung nur wenig besserte.
Bald darauf bekam er heftige Schmerzen im Nacken,
die natih beiden Seiten des Kopfes ausstrablten und
sich besonders heftig auf dem Scheitel concentrirten,
aber sich auch bis zu den Augen fortsetzten.
Rückwärtsbewegung des Kopfes giebt Erleichterung
ebenso Anlehnen des Nackens an einen festen Gegen¬
stand. Der Schmerz ist besonders heftig nachts,
namentlich nach Mitternacht, gegen Mittag nimmt
er etwas ab und am Nachmittag wieder zu. Reden
und Geistesanstrengung ruft eigentliche Schmerz -
anfälle hervor. Er hat ein Gefühl, als ob er eine
Kappe auf dem Kopf hätte . Von allopath. Aerzten
hatte er Antipyrin, Antifebrin, Phenacetin vergeblich
erhalten und consultirte mich nun am 3. März v. J.,
da ihm sein Arzt gesagt hatte, er wisse nicht mehr,
was er ihm geben solle, ausser Morphium. Er er¬
hielt Geisern. 30c.
Bis am 7./3. ist keine wesentliche Aenderung
eingetreten; als ich mit ihm sprach, bekam er wieder
einen Anfall, und ich bemerkte, dass sein Gesicht
sich dabei röthete. Ordinal: Glonoin 6d, zwei¬
stündlich.
Am 9./3. ist der Zustand eher etwas besser,
bleibt aber dann bis zum 11. gleich. Deshalb er«
hält er nun Glonoin 3.
Am 13./3. erwachte Patient zum ersten Mal
ohne Schmerz, am Mittag und Nachmittag hatte er
je einen mässig starken^Anfall; die Nächte waren gut.
Am 16./3. geht es recht ordentlich, allein es
treten immer noch Anfälle auf, wenn auch weniger
stark. Patient erhält nun Glonoin 3. und Cimic
rac. 3. im Wechsel.
Am 18./3. war der Zustand besser und Patient
nahm nun nur noch Cimic. 3. allein weiter und
am 25./3. war der Zustand so, dass er nur
noch über etwas Müdigkeit klagte. Er erhielt nun
noch Cimic. 12d für einige Zeit, *und zwar, da er
mir sagte, dass er von jeher gern Migräne bekommen
habe nach etwas mehr Weintrinken als gewöhnlich,
im Wechsel (je täglich 2 Mal) mit Nux vom. 12d.
Seither blieb Patient gesund.
Ob hier Cimic. ohne vorhergehendes Glonoin ge¬
wirkt hätte? Jedenfalls trug jedes Mittel zur Heil¬
ung bei, und Suggestion war gewiss nicht vor¬
handen, denn Patient hatte gar nicht besonderes
Zutrauen zur Homöopathie, sondern dieselbe nur
als äusserstes Mittel versucht, da sein Arzt ihm
nichts mehr zu geben wusste.
6 .
Frau K., 41 J. alt, consultirte mich am 18./3.
v. J. Sie klagte über Blutandrang nach den oberen
Körpertheilen vor der Menses und hatte schon Blut¬
erbrechen gehabt. Sie litt oft an Angst und Hitze
im Kopf, und die Menses kamen gewöhnlich zu
früh und zu stark. Sie klagte über ein Gefühl,
wie wenn sie einen Deckel auf dem Kopfe hätte
und über Hitze auf dem Scheitel . Ordinat.: Cimic.
rac, 12d morgens und abends. Am 7. Juli kam
die Frau wegen anderer Beschwerden und sagte
mir, dass es ihr seither gut gegangen sei.
Ich mache darauf aufmerksam, dass in den beiden
letzten Fällen das Gefühl einer Kappe oder eines
Deckels auf dem Kopfe vorhanden gewesen war mit
Hitze , was mich namentlich bestimmte, Cimic. zu
geben.
7.
Frau von T., 45 J. alt, leidet seit vielen Jahren
an Migräne, besonders zur Zeit der Menses, aber
auch dazwischen. Sie beginnt gewöhnlich morgens,
nimmt bis gegen Abend zu und dauert meist 24
Stunden. Sie kommt aber auch nachmittags und
dauert bis morgens 6 Uhr. Die Schmerzen sind
entweder in rechter Schläfe oder Augenhöhle und
geben bis in den Nacken. Patientin hat dann das
Gefühl eines Eisenringes um den Kopf (ähnlich wie
das Gefühl eines Deckels oder einer Kappe) und
viel Hitze auf demselben. Lesen ermüdet sehr und
besonders morgens ist sie leicht empfindlich. Die
Menses sind unregelmässig und von grosser Müdig¬
keit begleitet. Ordinat.: Cimic. rac. 30c morgens
und abends.
Diese Consultation fand statt am 17. Juli und
am 28. Oct. schrieb sie mir bei Gelegenheit einer
Alveolarperiostitis, für die sie ein Mittel wünschte:
„4 propos migraine: votre remöde est souverain,
2
Digitized by
Google
10
migraine beaucoup mieux.“ Sie sagte mir gestern
noch, dass sie früher die Migräne alle 2—3 Wochen
gehabt habe und nun in 2 Monaten nur einmal und
noch viel schwächer. Sie nimmt nun Cimic. mit
Unterbrechungen noch fort.
8 .
Herr R., ca. 60 J. alt, litt seit einigen Tagen
an allgemeiner Abgesohlagenheit, Frösteln, Kopf¬
schmerzen im Hinterhaupt, Blähungen und Stuhl¬
verstopfung, wogegen er Nux vom. 3d erhielt, das
aber zuerst verschlimmerte. 5 Tage später waren
die Blähungen verschwunden, ebenso der Hinterhaupt¬
schmerz, dafür bekam er aber heftige Stiche in der
1. Schläfe mit öfterem Frösteln. Ordinat.: Merc. 3d
2 stündlich. Nach 2 Tagen waren die Beschwerden
noch gleich, es bestand auch leichte Temperatur¬
erhöhung abends. Calcar. caus. 3, die ich nun
verordnet^, half bis am nächsten Tag auch nichts.
Der Schmerz trat immer morgens am stärksten auf
und schien im Liegen schlimmer zu sein, denn Pat.
empfand ihn besonders vor dem Autstehen, dann
mittags beim Abliegen und abends im Bett, konnte
aber doch schlafen. Zugleich waren die Haare sehr
empfindlich. Besonders dieser beiden Symptome
wegen gab ich nun Magnes. carb. 30c., zuerst 3-
stündlich, vom 2. Tage an seltener. »Empfindlich¬
keit des Scheitels, als würden die Haare in die
Höhe gezogen*, finden wir zwar nur bei Magnes.
mur.; allein die Wirkung beider Salze ist sehr
ähnlich, und da ich gerade nur Magnes. carb. in
30c vorräthig und in ähnlichen Fällen schon er¬
probt hatte, so gab ich diese. Am nächsten Morgen
war der Schmerz schon wesentlich besser, am zweit¬
folgenden fast ganz weg und am dritten spürte
Patient gar nichts mehr und klagte nur noch über
Schwäche.
Auch in diesem Falle ist Suggestion auszu-
schliesstn, sonst würde die Besserung nicht erst
und so rasch auf Magnes. carb. erfolgt sein.
9.
Zum Schluss noch eine letzte Krankengeschichte
mit nervösem Leiden:
Frau v. W., ca. 55 Jahre alt, sehr lebhaften
Temperaments, mit schwarzem Haar, klagte im März
v. J. über grosse Müdigkeit der Beine und 8chmerzen
in den Oberschenkeln, die sie nach kleinen Spazier¬
gängen befielen, so dass sie oft kaum zu Fuss nach
Hause zurückgehen möge. An ähnlichen Beschwer¬
den hatte sie schon letztes Jahr gelitten und war
damals von Dr. Anken behandelt worden. Sie er-
Causticum 12d ohne Erfolg. Nach einigen Tagen
klagte sie über grosse Müdigkeit der Nerven im
Allgemeinen, sie fühle es bis in die Finger und
habe das Gefühl, als ob der Leib hohl wäre. Des¬
halb und wegen der Schwäche der Beine gab ich
nun Coccul. 3d und später Coccul. 12d, aber es
wurde nur vorübergehend etwas besser. Nur Arnica
schien einige Zeit günstig zu wirken, aber auch
nicht dauernd, und ich schickte die Patientin im
Juni nach Ragaz, von wo sie aber sehr angegriffen
zurückkehrte. Sie wartete nun 14 Tage ab, um
zu sehen, ob die versprochene, gute Nachwirkung
einträte, aber vergeblich. Hierauf kam sie wieder
zu mir und klagte über grosse Nervosität, Müdig¬
keit, Schlafsucht, eigentümliche Sensationen beim
Einschlafen und über die alte Müdigkeit u. Schmerz¬
haftigkeit der Beine. Auch klagte sie über grosses
Nahrungsbedürfniss und ein Gefühl von Erschlaffung
im Leib. Patientin sprach viel (was sie übrigens
mmer mehr oder weniger thut), und war in be¬
ständiger Bewegung. Ich gab ihr nun Tarantula
30c, morgens und abends zu nehmen und nicht ganz
4 Wochen später berichtete sie mir, dass sie sich
nun gesund fühle und namentlich die Müdigkeit und
Schmerzhaftigkeit der Beine ganz verschwunden sei.
Bis jetzt hat die Heilung stand gehalten *). Auch
hier war Suggestion ausgeschlossen, denn es waren
zu viele Mittel schon vor Tarantula versucht worden
und Ragaz hatte entschieden geschadet. Man könnte
höchstens einwenden, es seien die betreffenden Be¬
schwerden hysterische gewesen, die ja oft plötzlich
ohne Medication verschwinden. Immerhin war Taran-
tula hier entschieden ein Simile, denn abgesehen
von den Erscheinungen von Aufgeregtheit und be¬
ständige Bewegung der beweglichen Körpertheile,
erzeugt sie allgemeine Erschlaffung mit Schmerzen
in verschiedenen Gelenken und namentlich grosse
Müdigkeit und Schwere in den Beinen mit Schmerzen
in denselben. —
Referat.
Zur Symptomatologie der akuten Bleivergiftung.
Von Dr. Heinrich Sehnldt in Leipzig.
Am 3. März d. J. erschien in der Poliklinik
die 30 jährige Handarbeitersfrau K., welche sofort
durch die Blässe ihres Gesichts und ihr schwer¬
krankes Aussehen auffiel. Sie gab an, früher stets
gesund gewesen zu sein, besonders niemals an
Verdauungsstörungen gelitten zu haben. Ihre jetzige
Krankheit datirte sie vom 21. Februar d. J. Am
Nachmittag dieses Tages erkrankte sie, nachdem
sie kurz zuvor beim Einpöckeln von Schweinefleisch
von dem rohen Fleische gegessen hatte, mit heftigem
Magendrücken, wiederholtem Erbrechen und Durch¬
fall. Da diese Beschwerden sich nicht besserten,
so nahm sie am folgenden Tage von einem weissen
Pulver, welches sie für „Natron“ hielt, zwei Messer-
*) Diese ist auch bis Ende November so geblieben.
Digitized by Google
11
spitzen ein nnd ebenso an den beiden nächsten
Tagen, insgesammt 6 Messerspitzen. Das Magen¬
drücken liess hierauf nach, und statt des Durch¬
falles stellte sich Verstopfung ein. Am 23. aber
traten heftige schneidende Schmerzen im Unter¬
leibe auf und zugleich schwoll unter brennenden
Empfindungen die Oberlippe und die linke Backe
an. Etwa am 25. Februar bemerkte Patientin eine
Schwarzfärbung ihres Zahnfleisches. Da Kolik und
Verstopfung anhielten und Patientin sich täglich
elender fühlte, so kam sie am 3. März in die Po¬
liklinik.
Patientin ist eine kleine, zart gebaute Frau. Sie
ist äusserst hinfällig und nimmt am liebsten hori¬
zontale Lage ein. Das Gesicht ist blass mit einem
Stich ins Gelbliche. Conjunctiva selerae weiss,
Puls 64, elend. Kein Fieber.
Die Zahnfleischpyramiden zwischen den Scbneide-
und vorderen Backenzähnen, stärker am Oberkiefer,
sind intensiv russchwarz verfärbt und die betreffenden
Zähne haben in ihrem basalen Theile einen Belag
von gleicher Beschaffenheit. Die Schleimhaut der
linken Wange zeigt 5—6 etwa fingernagelgrosse,
schwarzgraue Flecken, welche sich nicht weg wischen
lassen. In der Mitte eines derselben, nahe der
Mündung des Ductus Stenonianus, finden sich zwei
rundliche, ziemlich tiefe Geschwüre mit grauem,
schmierigem Belage. Die noch vorhandenen Zähne
sind wohl erhalten. Die ganze linke Wange und
der angrenzende Theil der Oberlippe ist geschwollen
und etwas druckempfindlich. Die Zunge ist gelblich
belegt und mit Zahneindrücken versehen. Es be¬
steht vermehrte Speichelabsonderung und ein höchst
unangenehmer foetor ex ore.
Der Bauch ist etwas aufgetrieben, stark ge¬
spannt, nur in der Magengegend druckempfindlich.
Entsprechend der Flexura sigmoidea lassen sich feste
Skybala durchfühlen. Häufige Anfälle heftigster
Leibschmerzen, namentlich unterhalb des Nabels;
seit 6 Tagen kein Stuhl. Harn saturirt, enthält
etwas Eiweis, aber keinen Gallenfärbstoff und giebt
die Indicanprobe und die Rosenbach'sche Reaction.
Womit hatte man es hier zu thun? Das Nächst¬
liegende war natürlich die Annahme einer Blei¬
kolik. Für diese Diagnose liess sich aber keinerlei
ätiologischer Anhalt finden. Weder die Patientin,
noch ihr Mann hatten mit Blei zu thun, sämmtliche
Hausbewohner, mit denen Frau K. zusammen lebte
und ass, waren gesund geblieben, und dass das
eingenommene Natron Blei enthalten sollte, schien
höchst imwahrscheinlich. Dazu kam, dass die
Mundaffektion in mehrfacher Beziehung von dem
Bilde abwich, dass man sonst bei Bleikranken zu
sehen gewohnt ist. Ausser der Schwarzfärbung
des Zahnfleisches und der Wangenschleimhaut be¬
stand hier eine ausgesprochene Stomatitis mit Ge¬
schwürbildung und Speichelfluss, und dieser Be¬
fund erinnerte mehr an die Mundveränderungen,
die bei Wismutvergiftung beobachtet worden sind.
Die mikrochemische Untersuchung gab keine
klare Entscheidung. Man war deshalb auf die
Untersuchung des Pulvers angewiesen, und diese
ergab die überraschende Thatsache, dass dasselbe
54.6°/ 0 kohlensaures Blei enthielt und im Uebrigen
aus doppeltkohlensaurem Natron und kohlensaurer
Magnesia bestand. Wie das Bleiweiss in die Schachtel
gekommen war, blieb unvermittelt.
Es lag also doch eine Bleivergiftung vor. Der
Fall war aber nach verschiedenen Richtungen un¬
gewöhnlich. Auffallend war zunächst die Schwere
der Krankheitserscheinungen bei der geringen Menge
des eingeführten Giftes. Patientin hatte von dem
fraglichen Gemisch innerhalb dreier Tage im Ganzen
nur 6 Messerspitzen genommen. Wie ein Versuch
lehrte, wog diese Menge bei reichlicher Bemessung
etwa 2—3 gr., so dass also höchstens 1.5 Bleiweiss
einverleibt worden waren. Aber gerade von dem
schwer löslichen Bleicarbonat sind wiederholt viel
grössere Massen aufgenommen worden mit ver-
hältnissmässig geringen Folgeerscheinungen. Dass
hier die Reaktion eine so stürmische war, lag
offenbar daran, dass das Gift in einen durch Er¬
brechen und Diarrhöen leer gewordenen Ver¬
dauungskanal gelangte, und dass wegen der vor¬
handenen Anorexie Nahrungsmittel gleichzeitig so
gut wie gar nicht genossen wurden.
Bemerkenswerth ist ferner das frühzeitige Auf¬
treten des Bleisaumes in diesem Falle.
Auch Stomatitis mit Geschwürbildung scheint
bei Bleiintoxikation äusserst selten zu sein. Nur
ausnahmsweise findet man „Erosionen der Mund¬
schleimhaut“ erwähnt und Tanquerel des Plauches
hat, trotz seiner grossen Erfahrung auf diesem
Gebiete, nur ein einziges Mal ein Geschwür am
Zahnfleischrande gesehen bei einem Bleiarbeiter,
dessen Mundschleimhaut fast in toto bläulicht ver¬
färbt war. Tanquerel meint, dass dasselbe in der
Weise entstanden sei, dass durch eingelagertes
Schwefelblei eine Gefässverstopfung bedingt und
die Ernährung des Gewebes dadurch aufgehoben
wurde. Der Verlauf des vorliegenden Falls scheine
diese Erklärung nicht zuzulassen, vielmehr hat es
dem Anschein, als wenn hier die Munderkrankung
nach Art der merkuriellen Stomatitis durch eine
ätzende Metallverbindung veranlasst worden wäre,
da bereits 24 Stunden nach Aufnahme des Giftes
die Oberlippe und Wange unter brennenden Schmer¬
zen anschwoll und der Bleisaum erst mehrere Tage
später auftrat.
Der Ausgang der Krankheit war übrigens ein
vollkommen günstiger. Unter entsprechender Be¬
handlung schwanden die verschiedenen Krankheits¬
erscheinungen sehr bald, doch waren noch sechs
Digitized by
Google
12
Wochen nach Beginn der Beobachtung, als Patientin
wieder frisch nnd blühend aussah. ein schmaler
Bl ei säum und schiefergraue Flecken auf der
Wangenschleimbaut deutlich vorhanden.
(Centralbl. für klin. Med. Nr. 28, 1891)
Ein Brief von Samuel Lilienthal.
Mitgetheilt von Dr. H. Goullon.
Ein Unglück kommt nie allein, pflegt man zu
sagen. So bringt uns die Weihnachts-Nummer dieser
Zeitschrift nicht nur die Trauerkunde vom Ableben
des Veteranen der Homöopathie, Dr. Eduard Groos,
sondern meldet auch den Tod unseres amerika¬
nischen Collegen, des Professors Lilienthal, welcher
sich grosse Verdienste um die Ausbreitung der
Homöopathie in Amerika erworben hat
Da ich zufällig noch im Besitz eines Briefes
bin, den mir vor nun gerade 18 Jahren der Ver¬
storbene geschrieben hat, aus Briefen aber sehr oft
die ganze Liebenswürdigkeit und Charaktereigen-
thümlichkeit, namentlich die rein menschliche oder
gemüthliche Seite des Schreibenden hervortritt, so
glaube ich manchem Leser durch Mittheilung des
Briefes eine Freude zu bereiten. Es fanden damals
schon (1874) die Vorbereitungen zu dem grossen
homöopathischen Weltcongress statt, dem von
deutscher Seite Clotar Müller aus Leipzig und
Albert Haupt aus Chemnitz beigewohnt haben.
So schreibt denn der unvergessliche Heimgegangene:
Werther College!
Echten deutschen Gruss und Handschlag!!
Obgleich Hering, Lippe, Neidhard, Eggert, Pulte
und hunderte von uns schon Jahrelang im neuen
fernen Vaterlande sich eingebürgert haben, so schlägt
doch noch deutsches Blut in unseren Adern, und
deutsche Gesinnung, deutsche Redlichkeit und treue
Freundschaft findet ihr lautes Echo in uns Allen.
Männer, wie Sie, lieber Freund, wie Bähr, Kafka,
Maihoffer sind uns alle gute Freunde, und wir
holten manchen von Euch für den July 1876 zu
uns herüber zu locken, und Euch deutsche Gast¬
freundschaft auf amerikanischem Boden zu bieten.
Ihr sollt uns dann willkommen sein und es soll
Euch die Zeit nicht reuen, die die Zugvögel im
Westen verbringen.
Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen die Februar
Nummer meines quaterly zu schicken und ich
fühle mich geschmeichelt, dass Sie es zu den besseren
Journalen zählen. Ich kann aufrichtig sagen, dass
mir keine Mühe zu viel ist, keine Arbeit zu be¬
schwerlich, etwas unsrer Schule würdiges zu liefern,
und dass ich auch jeden Angriff gegen unsere
Schule aufhehme. „Tritt mich nicht, ich leid's fein
nicht* ist mein Motto.
Unsere Hochschule lässt noch viel, viel zu
wünschen übrig, und doch können wir mit unseren
Leistungen zufrieden sein. Wir haben hier keine
vom Staate besoldeten Fachmänner. Wir lehren
— nicht umsonst, sondern häufig müssen wir noch
die Hand in unsere eigenen Taschen stecken, um
alle Ausgaben zu decken. Die Praxis giebt uns unsere
Einkünfte und Gottlob, da können wir Homöopathen
nicht klagen, und es ist nicht mehr als unsere Pflicht,
den Zehnten der Schule zu opfern. Die Bereit¬
willigkeit mit der alles geschieht, ist vielleicht zu
bewundern und Sie sehen darin, dass der allmighty
Dollar doch nicht der Abgott eines jeden Ameri-
kaners ist.
Ich halte Sie beim Worte, lieber Freund, und
hoffe, sobald es Ihre Zeit erlaubt, die Freude zu
haben, einen Originalartikel von Ihrer Feder zu
erhalten. Dass es der leading article sein wird, ist
ausser Zweifel.
Genehmigen Sie die Versicherung meiner aus¬
gezeichneten Hochachtung
S. Lilienthal.
Literarische Anzeigen.
Archiv für die Homöopathie .
Herausgegeben von Dr. Alexander Fillers in
Dresden , in 12 Monatsheften zum Preise von 10
Mk. erscheinend, liegt jetzt in den beiden ersten
Heften vor uns. Die Frage über die Nothwendig-
keit eines neuen homöopathischen Journals lassen
wir hier unerörtert. Jedenfalls gehört ein gewisser
Muth unter den jetzigen Verhältnissen dazu, um
ein solches neues Unternehmen ins Lehen zu rufen.
Wir wünschen, dass derselbe den Herausgeber nie¬
mals verlassen möge. Die Allgem. H. Z. fürchtet
die Conkurrenz nicht. Sie wird ihr vielmehr ein
Sporn sein, unter Beibehaltung ihres alten Curses,
ihren Lesern möglichst das Beste zu bieten.
Der Inhalt der beiden bis jetzt erschienenen
Hefte lässt noch kein definitives Urtheil zu, auf¬
gefallen ist uns, dass No. 2 zwei Artikel gegen die
Hochpotenzen enthielt, obgleich nach dem Prospekt
„die in den letzten Jahren literarisch etwas in den
Hintergrund gedrückte Hochpotenzenlehre theoretisch
und an der Hand der Ergebnisse der Praxis“ haupt¬
sächlich darin vertreten werden sollte. Wenn*„das
Archiv“ in Zukunft etwas pünktlicher erschiene und
die vielen Druckfehler nicht mehr so zahlreich wären,
so würde dies jedenfalls der neuen Zeitschrift sehr
förderlich sein. Wir wünschen, dass dieser neue
Zuwachs unserer Journalistik mit dazu beitragen
möge, unsere Heilmethode zu vertiefen und in immer
weitere Kreise zu verbreiten.
Lb.
Digitized by
Google
13
Es ist immer eine erfreuliche Erscheinung, wenn
man aus Ländern, in denen man die Homöopathie
nur wenig vertreten glaubt, umfangreiche Publi¬
kationen erhält, welche die immer fortschreitende,
überall festen Fuss fassende Ausbreitung unserer
Heilmethode beweisen; würde doch anders an die
Herausgabe grösserer Werke nicht zu denken sein.
So liegt uns heute aus Chile, wo nur 3 homöo¬
pathische Aerzte in den Städten Autofagosta und
Santiago wirken, ein umfangreiches, 656 Druck¬
seiten umfassendes Lehrbuch der Homöopathie vor,
welches den homöop. Arzt Dr. Enrique Miller in
Santiago zum Verfasser hat. Dasselbe ist im vorigen
Jahre im Verlage der Imprenta Gutenberg in
Santiago erschienen und führt den Titel: „Manual
homeopatico, escrito expresamente para las familias
y tourado especiaimente en consideraciön el clima
y las enformedades de Chile.“ Es ist also auch
wie die meisten unserer heimischen Publikationen,
ein für das Publikum, für das Haus, berechnetes
und speciell dem subtropischen Klima der genannten
südamerkanischen Republik angepasstes Werk. Der
pathologische Theil hält sich in entsprechender
knapper Kürze, während der therapeutische Theil
die Symptomatologie ausführlicher bringt. In der
Einleitung giebt Verfasser auch einen Ueberblick
über die Entstehung und das Wesen der Homöopathie
und bespricht das Regimen während der Kur. In
der Uebersicht über die homöopathischen Arznei¬
mittel finden wir auch einzelne Schüsslersche Funk¬
tionsmittel: Calcar. phosphor., Ferrum phosphor.
u. a. Eine wesentliche Empfehlung für das Werk
ist es, dass dasselbe nicht nur die gewöhnlich so
benannten „inneren“ Krankheiten behandelt, son¬
dern auch die Erkrankungen der Augen, der Ohren,
die Pathologie und Therapie der Schwangerschaft,
der Geburt und des Wochenbettes. Verfasser ist
vielfach Anhänger niedriger Potenzen, während er
andererseits auch höhere empfiehlt. Beim gelben
Fieber, (Fiebre amarilla) schlägt er Aconitum und
Belladonna in 1., Arsenikum album in 3. Verdünnung
vor, bei der Dysenteria (Disenteria) Merc. sublim
eorros in 3. Verreibung. Wir wünschen dem
sehr fleissig gearbeiteten Buche, welches ein neues
Zeugniss für das überall thätige, erfolgreiche Wirken
der Anhänger unserer Heilmethode ablegt, in allen
Ländern spanischer Zunge die weiteste Verbreitung.
Dr. Stifft
Epidemiologische Ecke.
Ueber die Influenza kamen mir folgende Mit¬
theilungen zu:
Coli. Sigmundt-Spaichingen bezeichnet bei der
dort ziemlich häufig auftretenden Influenza die Aq.
Nuc. vomic. als das heilende Mittel.
Coli. Ide-Stettin schreibt mir unter dem 26.
XII. 91: „Nachdem sich nun die Influenza-Epidemie
hier ihrem Ende zuneigt, theile ich mit, dass mir in
allen Fällen Cupr. met. C. 30. im Wechsel mit
Nicotiana C. 30. geholfen hat, der Art, dass ich
keinen einzigen Fall, selbst bei hochbetagten Leuten,
verloren habe, und dass ich auch Nachkrankheiten
nicht zu verzeichnen habe. Nebenher habe ich bei
Catarrhen von Bryon., und bei schwarzbraunem
Urin von Sepia Gutes gesehen. Jetzt kommen Fälle
von Icterus (4 Fälle, 1 sehr schwer), wobei Ferrum
anzuwenden ist, und eigenthümliche Catarrhe mit
urticariaähnlichen Ausschlägen.“
Coli. Weiss-Gmünd theilt unter dem 21/X1I. 91
mit: bis zum Eintritt der Weststürme (Anfangs
Dez.) habe er meist Baryt, carb. und Belladonna
gehabt; später bei einer Scharlach- und Diphtheritis-
Epidemie von Apis mit Mercur. bijodat. oder Mercur.
cyanat. wieder sehr befriedigende Resultate gehabt,
nachdem im vergangenen Jahre speciell die Diph¬
therie Mercurpräparaten nahezu unzugänglich ge¬
wesen sei. Den ersten Influenzafall hatte Coli.
Weiss Mitte Dez. mit der nervösen Form, prompte
Besserung durch Bryon.; drei neue Fälle mit der
gastrischen Form zeigten ebenfalls Bryoniasymptome,
wie auch in der sonstigen Praxis Bryonia allge¬
mein indicirt erscheine.
Coli. Hafa-Herrnhut muss von raschem Wechsel
der Schmerzpunkte berichten; anfangs hatte er bei
Influenza (Anfangs Dez.) Baryt, carb. und Taraxac.,
zeitweise Drosera und Spongia, Natr. mur. mit und
ohne Cina, ferner Quassia, Natr. carb., Baryt, carb.
und Caustic.
Coli. Hähnle-Reutlingen theilt unter dem 20.
Dez. 91 mit: „Seit ca 3 Wochen ist Pulsatilla
epidemisches Mittel hier, in Metzlingen und Urach;
ich bin nun meiner Sache hierin gewiss. Weniger
sicher bin ich, ob Mercur. sol. und Natr. mur. auch
den Namen epidemischer Mittel verdienen, ab und
zu bekommt man den Eindruck, als ob ihre häufige
Indikation nicht blos zufällige Häufung wäre.“ Bei
Keuchhusten hilft anfangs meist cupr. met. 6. vor¬
züglich, bei älterem Husten bessert meist die Rade¬
macbersche Kupfer tinktur.
Coli. Leeser-Bonn, Coli. Kirn-Pforzheim und
ich hatten häufigen Wechel:
Leeser am 15/NII. 91. Nitri ac. und Bell.-Cheli-
don.; am 16/XH. theils dieses, theils Antim. crud,
und Ign.-Pulsatilla; am 17/Xn. theils Nitri ac. und
Nicot.-Sepia, theils Kali carb. und Bell.-Apis.; am
26/XH. Nitri ac. und Bell.; am 27/XII. Baryt, carb.
und Bell.-Mercur; am 30/XII. Kali carb. und Caust.-
Arnica.
Kirn am 21/X1I. Nitri ac. und Nicot-Sepia, sonst
noch viel Kali carb. und Bell.-Apis; am 27/XII.
sehr häufig Nitri ac. und Bell., bei Anginen,
Laryngitis, Bronchitis: Baryt, und Iris vers.; am
Digitized by v^ooQie
14
31/XII. letzteres, sowie Kali carb. und Bell., auch
Natr. mur. und Iris vers. bei Influenza.
Ich hatte seit dem letzten Bericht vorherrschend
Kali carb. und Bell., dazwischen aber allemal nur
für 1—2 Tage Nitri ac. und Bell., Baryt, carb. und
Bell., Kali carb. und Caust., bei einigen chronischen
Fällen mit Leibschmerzen von der linken Seite nach
dem Nabel Arsen, jodat. In den letzten Tag Acid.
mur. und Lachesis, dabei konnte Neigung zu Durch¬
fällen, Leihschmerzen, Uebelsein besonders Morgens,
Essen bessert, sowie häufig Zahnweh beiderseits,
schlimmer rechts, Husten schlimmer nach Bewegung,
beim sich Hinlegen beobachtet werden.
Coli. Schwarz-Baden-Baden hatte nach Kali carb.
und Bell.-Apis vom 25/Xn. an Baryt, carb. und
Bell.-Mercur.; seit einigen Tagen tritt ersteres wieder
mehr in den Vordergrund. Vereinzelt tritt Ledum
auf (Gelenkschmerzen), auch Euphrasia (influenza¬
artige Catarrhe der Luftwege und des Darmes).
Stuttgart, den 3. Januar 1892.
Dr. raed. H. Göhrum.
An meine Herren Collegen!
Immer und immer hört man Klagen seitens der
Apotheker über die Bevorzugung, welche die homöo-
path. Aerzte durch den Besitz des Selbstdispensirrechtes
gemessen, und immer und immer werden neue
Petitionen an die Regierungen losgelassen, damit
dieses alte, unter den jetzigen Verhältnissen un¬
bedingt nöthige Vorrecht falle und die homöopath.
Aerzte auch gezwungen werden, ebenso wie die
allopath. Aerzte nur aus einer Apotheke ihre Arznei¬
mittel zu verschreiben.
Von einer Erfüllung der für die Aulhebung des
Selbstdispensirrechtes erforderlichen Grundbeding¬
ungen: „von einer entsprechenden Einrichtung
einer homöopatb. Abtheilung in den Apotheken, von
dem nöthigen guten Willen, auch die homöopath. Arz¬
neien genau so gewissenhaft anzufertigen wie die
allopathischen und der hierzu erforderlichen An¬
eignung der nöthigen Kenntnisse“, hört man jedoch
nichts oder mindestens viel zu wenig.
Wie oft ist schon von Collegen erwidert wor¬
den: „nun, was gehört denn gross dazu, Eure ho¬
möopathischen Arzneien anzufertigen? Da nimmt
man 1 Theil und 9 Theile oder 1 Theil und 99
Theile und die Geschichte ist fertig“ oder man
bekommt als Antwort: „ach, Spiritus und Milch¬
zucker helfen ebenso gut.“ Viele Collegen brüsten
sich sogar damit, immer nur reinen Spiritus und
Milchzucker gegeben und nur die Potenzen, die
gefärbt aussehen müssen, richtig angefertigt zu
haben, das Publikum wäre immer sehr zufrieden
mit ihren homöopath. Arzneien gewesen und hätte von
den besten Erfolgen mit denselben erzählt. Dass
sie sich dabei wiederholt eines Betruges schuldig
und somit strafbar gemacht haben, daran denken
sie nicht.
Ja, an sich oder zunächst gehört auch nicht
viel mehr dazu als lediglich der gute Wille , auch
in diesem Theile der Pharmacie dem abgelegten Eide
gemäss gewissenhaft zu sein und das , was man sich
bezahlen lässt, auch so zu machen, wie es der Arzt
oder das bezahlende Publikum zu fordern berechtigt
ist, somit dieses nicht zu betrügen .
Denn ein Betrug ist es, wenn man sich reinen
Spiritus und reinen Milchzucker als etwas anderes
bezahlen lässt. Und ist erst dieser gute Wille
vorhanden und schaut man etwas tiefer in die
homöopathische Pharmacie hinein, so wird man
finden, dass die Sache doch nicht so einfach ist,
wie 1—f-9=10 und l-{-99=100, sondern dass gar
viel mehr dazu gehört und recht viel gelernt sein
will, um den Ansprüchen der homöopathischen
Aerzte genügen und das Selbstdispensirrecht zu
Falle bringen zu können, denn die Ansprüche der
homöopathischen Aerzte sind keine unberechtigten
und die homöopathische Pharmacie enthält eine
Menge höchst werthvoller Präparate und Principien,
die auch die Allopathie mit grossem Vortheile
anwenden könnte.
Erst dieser Tage wendete sich ein homöopath.
Arzt aus Württemberg, — wo doch die homöopath.
Pharmacie staatlich am besten im Deutschen Reiche
geregelt ist und man somit annehmen müsste, die
dortigen Collegen müssten tiefer mit den Grund-
Prinzipien der Homöopathie vertraut und gut ein¬
gearbeitet sein, besonders an den Orten, in denen
homöopathische Aerzte gute Praxis haben — an mich
und schrieb mir, dass ihm sein dortiger Apotheker
auf die Frage: „ob er denn auch die 30. Potenz
selbst und richtig mache“ geantwortet habe: „ja¬
wohl, das ist gleich geschehen, da nehme ich zur
ersten Verdünnung 30 Theile Spiritus und die 30.
Potenz ist fertig.“ Derselbe Arzt sagte hierzu
einfach und sehr bezeichnend: „Das ist sauber.“
Ja, meine Herren Collegen, so sieht es mit der
Bereitung der homöopathischen Arzneien nicht blos
in einer, sondern in den meisten Apotheken aus,
und so lange nicht sauberer auch in Sachen der
Homöopathie gearbeitet wird, so lange wird es beim
Alten bleiben; nämlich:
von der Praxis der homöopathischen Aerzte in
Ihren Wohnorten werden Sie nichts oder nur
wenig haben,
dieselben werden nach wie vor ihren Bedarf aus
rein homöopathischen Apotheken entnehmen, das
homöopathische Publikum an diese verweisen,
und
ihr unter solchen Verhältnissen wohl begründetes
und sogar unbedingt nöthiges Recht des Selbst*
dispensirens in ausgedehntester Weise ausnützen,
Digitized by v^ooQie
15
zum Schaden der betreffenden Apotheken, zum
Nutzen unserer rein homöopathischen Geschäfte.
Solche Vorkommnisse, wie das geschilderte,
werfen jedoch ein schlechtes Licht auf den ganzen
Stand auch in moralischer Hinsicht. Ich richte
daher die herzliche Bitte an meine Herren Collegen,
endlich einmal den guten Willen zu fassen, es auch
mit der Homöopathie Ernst zu meinen, etwas tiefer
in dieselbe hineinzusehen und zu lernen, wie man
die homöopathischen Mittel, die man doch genau
so bezahlt bekommt, wie alle anderen, gewissenhaft
anfertigt, dann werden sie Achtung auch vor der
Homöopathie bekommen, ohne dass verlangt wird,
dass sie an dieselbe und ihre Heilerfolge glauben;
die homöopathischen Aerzte werden auch Achtung
vor den Apotheken ihrer Wohnorte bekommen,
unserem Stande werden solche Blossen und Be¬
schämungen erspart bleiben und der geschäftliche
Nutzen für den einzelnen Collegen wird auch nicht
ausbleiben, was bei den jetzt im Allgemeinen so
gedrückten Verhältnissen leider auch in unserem
Stande, — die Klagen über schlechtes und durch
Naturheilkunde, Krankenkassen etc. beeinträchtigtes
Geschäft nehmen kein Ende — sicher nicht uner¬
wünscht sein dürfte.
Besserung der Verhältnisse kann nur durch Er¬
füllung berechtigter Ansprüche erlangt werden.
Ich und die übrigen Besitzer von homöopathischen
Apotheken werden sicher stets und gern zu jeder
gewünschten Auskunft, Unterstützung und Anleitung
zu Diensten stehen.
Leipzig, im Dezember 1891.
William Steinmetz,
Apotheker.
Lesefrüchte.
Charles Luzet berichtet in dem Arch. gen6r.
de med. 1891 p. 579 über eine besondere Form
von Pseudoleukämie, die er in UebereinStimmung
mit von Jacksch Anätnia infantum Pscudoleucac -
mica nennt. Sie ist gekennzeichnet durch das
ausserordentlich zahlreiche Auftreten roter kern¬
haltiger Körperchen, wie sie sich auch bei Anä-
mieen aus irgend welchem Grunde im Blute von
Säuglingen und Knaben der nächsten Altersstufe
nach Hayem linden. Sie haben alle Charaktere
jugendlicher Zellen, ein grosser Teil derselben ist
in Kernteilung begriffen. Unter diesen ist die Zahl
der meisten Blutkörperchen nur mässig vermehrt;
die Milzschwellung ist enorm; die Leber ist weniger
vergrössert, die Lymphdrüsen schwellen, wenn über¬
haupt, erst in den späteren Perioden der Erkrankung
an. Bisweilen geht diese Krankheit allmählich in
echte Leueümie über, von der sie sich durch das
Verhalten des Blutes leicht unterscheidet. Andere
ähnliche Kinderkrankheiten (Rhachitis, Syphilis)
haben nicht den progredienten Charakter und
zeigen auch nur wenige kernhaltige, rote Zellen
ohne Karyokinese; bei der Pseudoleukämie dagegen
fehlen Zeichen von Syphilis und hochgradiger Ra¬
chitis. Die Krankheit führt durch Cachexie in
6—12 Monaten zu Ende, wenn dies nicht vorher
durch complicirende Erkrankungen herbeigeführt
wird. Bisher erwies sish jede Therapie als macht¬
los. (Aus „Centralbl. f. d. med. Wiss.* 1891 No.
28 p. 520.) Dr. med. H. Göhrum.
Aus „Centralblatt für die med. Wissenschaften 11
No. 28 1891 p. 527.
Imogene Basseth, Notes on the action of Gelsemium
in some local spasms and Neuralgias. J. of nerv,
and. mens. dis. 1890 Nov. 6 p. 395.
B. empfiehlt den Gebrauch von Gelsemium bei
neuralgischen und spastischen Affectionen; er sah
gute Wirkung bei alten Torticollis, Tic convulsif,
Trigeminusneuralgie etc. Jedoch ist oft ein
längerer Gebrauch und sehr grosse Dosirung nöthig.
(Fluid extract of gelsemium 2—15 Gran mehrmals
täglich bis Intoxicationserscheinungen auftreten, wie
Kopfschmerzen, Schwindel, Doppeitsehen etc.)
Kalisch er.
Aus „Centralblatt für praktische Augenheilkunde / 1
Juni 1891 p. 223.
Acad6mie de m^decine. 8itzung vom 10. Febr.
1891. Valude empfiehlt schwere Hornhautge-
schwüre nicht zu cauterisiren, sondern mit einem
trockenen Occlusivverband zu behandeln, der nur
selten gewechselt wird. Die Erfolge sollen vor¬
zügliche sein und die Geschwüre nur kleine Leu-
come zurücklassen, anstatt der breiten Narben nach
Cauterisation.
Fragekasten.
Mit bestem Danke theileich den Collegen mit, welche
so freundlich waren, mir auf meine Anfrage in No.
17&18 der Allgem. homöop. Z. ihre Ansichten und
Rathschläge zukommen zu lassen, dass die beschrie¬
benen Krankheitserscheinungen seit dem Tage, wo
der Betreffende mich konsultirte, verschwunden sind,
ehe er mit dem Einnehmen angefangen hatte, und
sich auch nicht wieder gezeigt haben. Dieser
Vorgang spricht dafür, dass hier nur eine Neurose
wahrscheinlich eine Affektion des n. glossopharyngeus
Vorgelegen hat und mahnt uns in solchen Fällen
nicht allzu sanguinisch über die Wirksamkeit unserer
Mittel zu urtheilen. Denn hätte er nur einige Male
von der ihm verordneten Arznei genommen, so
Digitized by
Google
1 «
würde er selbst und wir alle diese Wunderheilung
dem Mittel zugeschrieben haben.
In meiner langjährigen Praxis sind mir einige
dergleichen Fällle vorgekommen. Uebrigens hatte
ich dem betreffenden Kranken Calc. carb. nament¬
lich wegen des sonderbaren Schweisses am Hinter -
köpfe verordnet.
Dr. Lorbacher.
Auf meine Anfrage in derselben Nummer betreffs
eines Falles von vermeintlicher Syringomyelie rieth
mir Coli. Fuchs-München den Genitaltraktus einer
genauen Untersuchung zu unterziehen. Da die
Menses vollkommen in Ordnung waren, und nur
der Beginn des Leidens vor 11 Jahren während
der Regel eintrat, so hatten weder die vorbehandeln¬
den 3 Professoren noch ich einen solchen Causal-
nexus für möglich gehalten. Die Untersuchung
bestätigte insofern die Annahme des Coli. Fuchs,
als sich in der That ein faustgrosses Fibroma Uteri
diagnosticiren liess. Ich habe der Patientin die
operative Entfernung das Tumors vorgeschlagen und
werde 8. Z. über den Erfolg berichten.
Dr. Haedicke.
Personalia.
Herr Dr. med. Träger in Potsdam ist ge¬
storben.
Herr Dr. Mau hat sich in Heide in Holstein
als homöopathischer Arzt niedergelassen.
ANZEIGEN.
Grosse Bücher-Preisherabsetzung
der Werke von Davis, Heilenbach, Aksakow, Friese, Crookes, WaUac etc.,
sowie der Werke Uber Spiritualismus, Magnetismus, Hellsehen, Hypnotismus,
Psychismus, Geisterverkehr etc.
—- Prospecte gratis und franko! ——
Oswald Mutze, Buchhandlung.
Leipzig, Lindenstrasse 4.
Der ganze Ertrag (einschliesslich der Druckkosten)
ist für das Deutsche Kaiser Friedrich-Kranken¬
haus in San Remo bestimmt.
lathsehiige
für
Gesunde und Kranke,
die nach den Wintercnrorten der Reriera reisen
von
Dr. (ieorg Heusmann in Hannover.
—Preis eiest. geh. 1 Mark. -
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stutt
Expedition und Verlag von William Steinmetz
Druck von Greeener
Prima entölten homöopath. Cacao.
Feinste homöopath. Gesundheits-
Chokolade.
Bei homöopathischen Curen ausser dem homöo¬
pathischen Gesundheitskaffee als Getränke gestattet,
empfehlen wir in reinsten und besten Qualitäten
und in eigener Packung billigst:
Entölten Cacao in Blechbüchsen
ä 1 Pfd. 4 V.2 Pfd - * 7i Pfd.
4 2.80 4 1.50 & —.80 Mk.
Gesundheits-Chokolade 4 Pfd. = 2 Mark,
in 7* Pfd.-Tafeln 4 50 Pf.,
Unsere Präparate sind von reinstem Geschmack,
bestem Arom, höchstem Nährwerthe und leichtester
Verdaulichkeit.
Homöopath. Centralapotheke
von Täschner & Co. in Leipzig.
rt, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedicke-Leipzig.
L Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Sobramm in Leipzig.
Digitized by Google
Leipzig, den 21. Januar 1892.
ALLGEMEINE
No. S u. 4,
Band 124.
HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-leipzig.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homftopath. Offlein) in Leipzig.
Braohaint 14tftgig.au 3 Bogen, lt Doppelnmnmern bilden einen Bend. Preis 10 M. ftO Pf. (Halbjahr). Allo Buohhendlungen und
Postenatalten nehmen Bestellungen an. — Iniorate, welohe an H. Hone in Loipsig and deaaen Filialen an riohten aind,
werden mit 80/*/. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 JS. berechnet.
Inhalt: Berioht von Dr. Göhrum. — Benins epidemioos Von Dr. Aug. Weihe jr.-Herford. — Blatta
orisntalis ein wichtiges Asthma Mittel. Uebersetzt von Dr. Th. Bruckner-Basel. — Zwei Urtheiie über die reformirte
Medici». Von Dr. Haedicke. —, Aas der Praxis. Von Dr. H. Gonlion. — Epidemiologische Ecke. — Lesefrüchte
— Vermischtes. — Personalia. — Anzeigen.
Bericht
über die constituirende Versammlung der ,Epidemio¬
logischen Gesellschaft'* am 23. December lö91 in
Frankfurt a/M.
Von llr. med. H. ttihrun, Stuttgart.
Auf Einladung des Coli. Leeser-Bonn kamen im
Restaurant „ Kaisergarten* in Folge der Ungunst der
leider für diesmal nicht anders zu wühlenden Zeit
nur 8 Coli egen zusammen und zwar die Herren:
Dr. Simrock- Frankfurt a/M.
Dr. &?<§rr-Frankfurt a M.
Dr. Szv&o/ars-Baden-Baden.
Dr. Grünnvald- Frankfurt a ; M.
Dr. Leeser- Bonn.
Dr. Air*-Pforzheim.
Dr. Göhrum- Stuttgart.
Dr. Delosea jr. -Frankfurt a/M.
Doch wirkte die geringe Zahl der Theilnehmer
nicht lähmend auf die gute Stimmung und es wäre
auch kein Anlass dazu vorhanden gewesen, da die
meisten der nicht Erschienenen herzliche Grüsse
und Glückwünsche für gutes Gelingen übersandt
hatten. Wir nennen hier vor allem den geistigen
Vater der Versammlung, Coli. Weihe jr.-Herford,
indem diese nur durch seine geniale Entdeckung mit
den Jahren möglich geworden ist; ferner Geh. Hof¬
rath Dr. Stiegele - Stuttgart, Prof. Dr. G. Jäger-
Stuttgart, Oberamtsarzt Dr. Siegmundt-Spaichingen,
Dr. Weiss-Gmünd, Dr. Hafa-Herrnhut, Dr. Hagel-
Ravensburg, Dr. Schlegel-Tübingen,Dr. Gross-Barmen,
Dr. Köck-München, Dr. Stemmer-Stuttgart, Dr.
Weber-Köln, Dr. Meschlin-Basel, Dr. Siegrist-Basel.
Nachdem der vom Ref. mitgebrachte erste Ab¬
guss einer Gipsbüste, auf der sämmtliche sicher
bekannten Schmerzpunkte mit Zahlen bezeichnet
und die für deren Auffindung wichtigen Linien ein¬
getragen waren, besichtigt war, gab der Vorsitzende,
Coli. Simrock um 3 / 4 7 Uhr zur Einleitung der Ver¬
sammlung dem Coli. Leeser das Wort zu seinem
Vortrage: „ Rückblick auf die geschichtliche Ent¬
wicklung der Weihe*sehen Methode* an den sich
Fragen allgemeiner, und specieller Natur über die
Weihe*sche Heilmethode anschlossen.
Sodann erhielt Ref. das Wort, um in seinem
Vortrage: n Die Weihe sehe Heilmethode und die Ho¬
möopathie* kurz das Verhältniss der beiden zu ein¬
ander zu präcisiren und im Anschluss daran die
Aufgaben zusammenzustellen. deren Erledigung
Zweck der zu gründenden „Epidemiologischen Ge¬
sellschaft* ist.
Sämmtliche Anwesende betheiligten sieb an der
hierauf folgenden Discussion, bei der hauptsäch¬
lich von Coli. Kirn auf einige glänzende Be¬
stätigungen der Weihe’schen Heilmethode in seiner
Praxis, aber auch auf die erheblichen Schwierig¬
keiten hingewiesen wurde, auf die der weniger Ge¬
übte bei der practischen Ausübung derselben oftmals
stösst. Darauf gaben Coli. Leeser und Ref. prac-
tische Winke zur Ueberwindung dieser. Die Haupt¬
sache ist grösstmögliche Uebung an Kranken und
Gesunden. Findet man keine Schmerzpunkte an
einem Patienten oder zu viele, so wirkt meist eine
+) Da alle Vortrf^e in dieser Zeitung erscheinen
werden, so wird von einem Referat derselben abgesehen.
3
Digitized by
Google
18
Gabe Sulfur in Hochpotenz klärend auf die Situation
ein, d. h. beim Fehlen solcher treten darnach ge¬
wöhnlich welche auf, oder bei allzu reichlichem Vor¬
handensein solcher werden wenige deutlicher her-
▼ortreten.
Die Erwähnung Kirn's von der überaus promp¬
ten, herzerfreuenden Wirkung von Natr. mur +
Natr. nitr. cum Hyosc. = Euphrasia bei der catar-
rhalischen Form der Influenza gab dem Ref. Ver¬
anlassung zu Euphrasia 3 Punkte seines Vortrages
zu illustriren:
1. Die ungenügende Prüfung eines überaus
werthvollen Arzneimittels, das nach allen zugäng¬
lichen Aufzeichnungen Husten am schlimmsten Vor¬
mittags, Nachts nicht hat, während nach den Er¬
fahrungen in der Influenza es sich gerade gegen
Husten besonders Nachts und auch noch Vormittags
am schlimmsten sicher bewährte.
2. Kann man gerade an der Hand dieser „Ein¬
heit“ oder «therapeutischen Gleichheit“ für die Com-
bination Natr. mur. + Acid. nitr. cum Hyosc.
(letztere beiden = Iris versicol.) deutlich ersehen,
dass uns durch das Auffinden solcher Einheiten für
die Combination und durch die Kenntniss der letz¬
teren für erstere, besonders wenn es mehrere Com-
binationen für eine Einheit giebt, das Verständniss
der Wirkung der einzelnen Arzneien, sowie ihre
Verwandtschaften unter einander wesentlich erleich¬
tert wird: nach der Wirkung der einzelnen Com-
ponenten muss Euphrasia für Husten besonders
Nachts und Vormittags, für Schlaflosigkeit, für ner¬
vöse Herzstörungen, für die grosse Prostration passen.
Beschwerden, wie sie der Influenza eigenthümlicb
waren.
3. Wie oft sind nicht in den seit der Influenza
vergangenen 2 Jahren Patienten zu uns gekommen,
die seitdem irgend welches Leiden besonders nervöser
Art, Unregelmässigkeiten der Herzaction bis zu be¬
drohlichen Anfällen von Delirium cordis, sowie
Schlaflosigkeit zurückbehalten haben. Bei diesen
war sowohl nach der ätiologischen Indication, als
auch nach den Symptomen incl. der objektiven
Symptome, der Weihe'schen Schmerzpunkte, Natr.
mur. Acid. nitr. cum Hyosc. = Euphrasia nn-
gezeigt; der Erfolg war stets ein vollkommener,
oft verblüffend rascher.
Coli. Grünewald wies auf den Unterschied der
stationären und intercurrenten Epidemien Rapp's
hin, welche Coli. Leeser als unseren langen und
kurzen Epidemien entsprechend erklärte.
Von verschiedenen Seiten wurde die oft rasch
einschläfernde Wirkung der nach der Weihe’schen
Heilmethode gewählten Mittel hervorgehoben. Sie
ist am häufigsten nach der schnell eintretenden
lindernden Wirkung bei Neuralgieen und rheuma¬
tischen Zahnschmerzen beobachtet worden. Dabei
wurde von Coli. Leeser hervorgehoben, dass bei rein
nervösen Beschwerden das Riechen an den Arzneien
vorzügliche Resultate ergebe, was mit der von Prof.
Jäger schon oft gemachten Beobachtung, dass die
physiologische Wirkung flüchtiger Substanzen, wie
es unsere Verdünnungen sind, bei Einathmung viel
rascher eintritt, als beim Verschlucken der Substanz.
Auch die Dosenfrage wurde eingehend erörtert
und dabei besonders von Leeser und dem Ref. be¬
tont, man müsse sich sämmtliche Verdünnungsstufen
von der Urtinktur bis zur höchsten Potenz offen
halten, im allgemeinen wirken bei nur nervösen
Reizsymptomen die höchsten, bei schon eingetretenen
secundären organischen Veränderungen die niederen
am schnellsten und besten. Ein bestimmtes Recept
lässt sich in dieser Frage nicht geben.
Einige Wünsche des Coli. Grünewald betreffs
der «Epidemiologischen Ecke“ in dieser Zeitung
versprach Ref. zu berücksichtigen, musste aber dabei
betonen, dass zu deren gedeihlichen Entwicklung
eine möglichst zahlreiche und regelmässige Mit¬
arbeiterschaft der sich dafür interessirenden Col-
legen nothwendig sei.
Um 1 / 2 ^) Uhr wurde ein gemeinschaftliches Essen
eingenommen, bei dem ein begeisterter Toast von
Coli. Grüneweid auf Coli. Weihe jun. ausgebracht
wurde. Bald ging es wieder an die Arbeit und
Coli. Leeser begann mit einem Vortrage * Ueber die
Nothwendigkeit erneuter Prüfung der Arzneimittel *,
nach dessen ßchluss ihm Ref. den aufrichtigen Dank
Aller für die überaus klare und erschöpfende Be¬
handlung des Themas aussprach und zu seiner
grossen Freude mittbeilen konnte, dass das bezüg¬
lich der Gabenfrage darin Gesagte bereits eine schöne
Rechtfertigung durch die von Prof .Jäger neuerdings
begonnene systematische Durchführung der homöo¬
pathischen Arzneimittel vermittelst der Neuralanalyse
erhalten habe.
Nach weiterem Austausch von Erfahrungen mit
der Weihe’schen Heilmethode und practischeu
Demonstrationen derselben begann Coli. Leeser den
4. Punkt der Tagesordnung zur Diskussion zu stellen:
ob es angezeigt sei , auf Grund der heutigen Ver¬
handlungen eine * Epidemiologische Gesellschaft “ zu
gründen , um die als weiterer Forschung bedürftig
angeführten Punkte in gemeinsamer Arbeit zu er¬
ledigen und so die Homöopathie, soweit es in
unseren Kräften steht, zu fördern. Der Gedanke
fand allseitige Zustimmung und nach kurzer Dis¬
kussion über geschäftliche Dinge, in der häufige
Mittheilungen der Mitglieder über epidemische Er¬
fahrungen an den Schriftführer und von diesem
wieder an die einzelnen Mitglieder als die nächst-
liegende Aufgabe der Gesellschaft bezeichnet wurden,
wurde die Gründung der „Epidemiologischen Gesell¬
schaft * 1 beschlossen. Es wurden Coli. Weihe jr.-Her-
ford zum Ehrenpräsidenten, Coli. Leeser-Bonn zum
Vorsitzenden, Coli. Göhrum-Stuttgart zum Scbrift-
Digitized by kjOOQle
19
führer und Coli. Stemmer-Stuttgart zum Kassirer
gewählt, und der um diese Versammlung so ver¬
diente Coli. Leeser mit baldiger Ausarbeitung der
Statuten beauftragt. Diese werden vor der Ver¬
öffentlichung durch Circulation den einzelnen Mit¬
gliedern zur Begutachtung vorgelegt. Als Mitglieder
traten sHmmtlicbe Anwesende bei, ausserdem haben
sich für den Fall des Zustandekommens der Grün¬
dung als Mitglieder angemeldet: Geh. Hofrath Dr.
Stiegele-Stuttgart, Oberamtsarzt Dr. Sigraundt-
Spaichingen, Dr. Weiss-Gmünd, Dr. Hafa-Herrnhut,
Dr. Stemmer-Stuttgart, Dr. Köck München.
Schliesslich wurde an den Ehrenpräsidenten Coli.
Weihe jr. ein Telegramm mit der Geburtsanzeige
der „Epidemiologischen Gesellschaft“ abgeschickt
und so konnte unter allgemeiner Befriedigung über
den gelungenen, harmonischen Verlauf der con-
stituirenden Versammlung früh Morgens um 1 Uhr
die officielle Versammlung geschlossen werden.
Die Mehrzahl der Theilnehraer blieb noch bis
zum Abgang der Frühzüge in anregender Unter¬
haltung beisammen, und man trennte sich in der
Hoffnung auf baldiges, fröhliches Wiedersehen!
Uenius epidemicus.
Von Dr. Aug. Weihe jr.-Herford.
In den Nummern 11—20 des 123. Bandes dieser
Zeitschrift hat Herr College Kunkel abermals eine
längere Reihe von Heilungen veröffentlicht, denen
allen gemeinsam ist, dass sie entweder ausschliesslich,
oder doch vorzugsweise durch Sepia bewirkt wurden
und zwar grösstentheils während der letzteren Jahre.
Herr Dr. Kunkel schreibt:
„Es giebt in unserem Arzneischatz kaum ein
Mittel, das in einer vieljährigen Praxis meinerseits
so oft seine Indication fand, wie die Sepia.“
Ich bin nicht ganz abgeneigt, diesem Ausspruch
auch bezüglich meiner Erfahrungen innerhalb meines
hiesigen Wirkungskreises beizutreten, wenigstens
für den Zeitraum der letzten zehn Jahre, während
welcher sich auch mir durch eine Reihe von längeren
und kürzeren Perioden die Sepia ausserordentlich
häufig indicirt erwies; noch nie aber war dies so
anhaltend der Fall, wie in den letzten vier Jahren,
und scheint das Mittel nach gelegentlichen Mit¬
theilungen, die ich von ferner wohnenden Collegeu
erhalten, auch in verschiedenen anderen Gegenden
Norddeutschlands in der genannten Zeit die gleiche
hervorragende Rolle gespielt zu haben.
Ich verzichte darauf, hier specielle Fälle vor¬
zuführen, theils, weil solche von Coli. Kunkel in
genügender Zahl beigebracht worden, theils aber
auch, weil es mir doch nicht gelingen würde, so
scharf zu charakterisiren, wie wir es bei ihm von
jeher gewohnt sind.
Nicht unterlassen möchte ich jedoch, auch hior
wieder darauf hinzuweisen, dass die so überaus häu¬
figen Sepiaindikationen der letzten Jahre in ihrer
Ursache nothwendig zurückgefübrt werden müssen
auf jene in ihrem Wesen unbekannten geheimnis¬
vollen Kräfte, welche die sogenannten Krankheits¬
konstitutionen erzeugen, von denen uns eine mehr als
fünfzigjährige Erfahrung zahlreicher Aerzte gelehrt
hat, dass sie fortgesetzt dem mannigfaltigsten Wechsel
unterworfen sind.
Es kann somit auch nicht im mindesten be¬
zweifelt werden, dass die Sepia die hervorragende
therapeutische Stellung, welche sie in Norddeutsch¬
land in den letzten Jahren eingenommen, über kurz
oder lang an andere Mittel abtreten wird.
Als ein zweites Hauptmittel neben der Sepia,
das in den letzten Jahren fast eben so häufig hier
zur Verwendung kam, wie diese, muss ich Cheli-
donium nennen.
Vielleicht wird es den einen oder anderen der
Leser interessieren, zu hören, dass nach meinen Be¬
obachtungen die Sepia in ihrer specifischen Wirkung
genau mit dem allopathischen Antifebrin überein¬
stimmt, und Chelidonium mit Antipyrin. Es erklärt
sich daraus wohl einfach genug die ausserordent¬
liche Werthschätzung, welcher sich diese beiden
Mittel bei den Vertretern der herrschenden Schule,
wie nicht minder beim grossen Publikum erfreuen;
aus dem Munde des letzteren hört man ihr Lob
bekanntlich oft genug. Ich selbst benutzte sie hei
meinen Vergleichen mit Sepia und Chelidonium,
natürlich nicht in den massiven allopathischen Dosen,
sondern in homöopathischer 6. Centesimalpotenz.
Dass dieselben nun in solcher Form überall da, wo
Sepia oder Chelidouium indicirt ist, genau ebenso
prompt und specifisch wirken, wie diese, habe ich
oft genug erprobt.
Ohne das Bestehen eines solchen temporären,
specifischen Heil Verhältnisses würde es auch nicht
möglich sein, den fabelhaften Antifebrin- und Anti¬
pyrin verbrauch während der letzten grossartigen
Influenzaepidemie genügend zu erklären. Natürlich
konnten die Allopathen mit diesen ihren Mitteln
nicht vollauf das Gleiche erreichen, wie wir mit
den aus unseren Potenzen oder statt ihrer mit
Sepia und Chelidonium erzielten, theils und besonders
wegen der ihnen unbekannten wahlentscheidenden
Momente, wodurch sie häufig verführt wurden, das
eine anzuwenden, wo das andere passte und umge¬
kehrt , theils aber auch wegen der bei ihnen
üblichen zu starken Dosirung. Wiederholt fand
ich während der Influenzazeit die Indikation für
Antifebrin oder auch Antipyrin bei solchen meiner
Kranken, die laut vorgewiesener Recepte diese
Mittel schon von allop. Seite und in allopathischer
Dosis erhalten und eingenommen hatten. Ich gab
daun die nämlichen Mittel in homöopathischer 6.
3 *
Digitized by
Google
20
Centesimalpotenz, und erklärten darnach diese
Kranken jedesmal, dass ihnen mein Mittel wesent¬
lich besser bekomme, als das vorher gebrauchte
aus der Apotheke.
Nioht ganz ohne Interesse erscheint mir auch
das Folgende.
Vor drei bis vier Jahren, als die herrschende
Krankheitskonstitution schon längere Zeit bestanden,
kommt ein Kranker zu mir, ein intelligenter Ar¬
beiter, den ich schon seit langen Jahren als wahr
und aufrichtig kenne, mit Klagen über allerhand
gastrische Beschwerden. Nachdem ich ihn exa¬
miniert und untersucht, fragt er mich, ob nicht
wohl für ihn der gelbe Saft des Schöllkrauts
passen möchte. 41 )
Obgleich nun bei ihm Chelidonium nicht ange¬
zeigt war, überraschte mich doch, eingedenk des
herrschenden Genius epidemicus diese Frage einiger-
raassen, und erbat ich mir Aufklärung, wie er
dazu komme. Er berichtete nun, ein anderer Ar¬
beiter, der mit ihm in demselben Geschäfte thätig,
habe sehr lange an ähnlichen Beschwerden gelitten,
wie er selbst, habe die beiden Kassenärzte und
noch einen drittten ohne allen Nutzen konsultiert
und sei allmählich immer magerer und hinfälliger
geworden. Da habe ihm irgend Jemand den Saft
der genannten Pflanze empfohlen, den er, mit
Schnaps gemischt, habe einnehmen sollen. Dies
Mittel habe geradezu zauberhaft gewirkt, denn
schon nach acht Tagen seien alle Schmerzen und
sonstigen Beschwerden gewichen, es habe sich
darnach ein riesiger, kaum zu befriedigender Appetit
eingestellt, der ihm in wenigen Wochen sein volles
früheres Gewicht wieder eingebracht. Seit der
Zeit habe der Mann eine grosse Hochachtung vor
dieser unscheinbaren Pflanze und empfehle sie sehr
dringend jedem, der irgend wie über den Magen
zu klagen habe. — Kurze Zeit darnach besuchte
ich einen älteren, sehr intelligenten Bauer, etwa
drei Stunden von hier ansässig, mit dem ich schon
gegen zwölf Jahre lang häufig verkehre und der
ein sehr warmer Freund der Homöopathie ist. Im
Laufe des Gespräches erzählte ich ihm auch die
vorstehende kleine Geschichte, die ihn sehr zu
interessieren schien. „Weisst du,“ sagte er darnach
zu seiner Frau gewandt, «das ist dieselbe Pflanze,
mit derem Safte sich im vorigen Jahre die Lina L.
in unserem Dorfe von ihren Magengeschwüren und
ihrem Blotbrechen geheilt, nachdem sie vorher
*) Der Mann sagte nicht Schöllkraut, sondern
nannte einen anderen, für diese Pflanze hier gebräuch¬
lichen Namen. Ich habe mich aber überzeugt, dass er
wirklich Chelidonium meinte, indem ich ihm alsbald
ein frisches Exemplar desselben aus meinem Garten
holte, das er sofort für das von ihm gemeinte Kraut
erklärte.
von verschiedenen Aerzten sich ohne allen Erfolg
hatte behandeln lassen.
Wenn es noch irgend welcher Bestätigung der
Richtigkeit meiner Beobachtung bedürfte 41 ), so wären
auch wohl solche gelegentliche Erfahrungen nicht
ganz ungeeignet, sie zu bieten, wie sie andererseits
zum Ruhme der herrschenden Schule nichts bei¬
tragen können. Was nützen uns die grossartigen
Fortschritte, welche dieselbe Tag für Tag zu ver¬
zeichnen hat, was die tiefsten und umfangreichsten
Kenntnisse auf dem Gebiete der Bakterienkunde,
wenn doch durch alles dieses die Arzneiblindheit
der Aerzte bisher nicht im mindesten verringert
worden ist?
Es lehren aber auch solche Erfahrungen, dass
wir nicht nöthig haben, unsere werthvollsten Arz¬
neien nach dem Vorbilde Gold suchender Alchymisten
mühsam in chemischen Retorten zusammen zu
brauen, sondern dass wir sie ohne Anstrengung in
unerschöpflicher Fülle vom Feld, Wald und Wiese
heimbringen können. Gott, sagt Jesus Sirach, lässt
die Arznei aus der Erde wachsen, und der Ver¬
nünftige verachtet sie nicht.
Chelidonium ist auch das beste Mittel gewesen,
welches ich bewusst als ein epidemisches angewendet
habe und zwar im Jahre 1868. Wie schön und
befriedigend waren doch damals die erzielten Er¬
folge im Vergleich zu denen, weiche ich vorher
durch Aconit, Bryonia, Antimonium tartaricum an-
strebte. Noch lange darnach konnte ich an keinem
Chelidoniumstrauch vorübergehen, ohne ihm einen
freundlichen, dankbaren Blick zuzuwenden. Ich war
ja damals noch jung und ungewöhnlich empfänglich
für alles Gute und Schöne. In der Jugend grämt
man sich über jeden eklatanten Misserfolg weit
intensiver, als in späteren Jahren; dafür empfindet
man aber auch über jeden, auch den kleinsten Er¬
folg weit lebhaftere und reinere Freude. Ich hatte
damals bei meinen ersten, wirklich guten Erfolgen
das Gefühl, dass nicht sowohl die Kranken mir zu
Dank verpflichtet sein, sondern eher ich ihnen, weil
sie mir zu einer so wohlthuendeu Zufriedenheit mit
meinem Berufe verhalten.
Als ein drittes, in den letzteren Jahren häufig in-
dicirt gewesenes Mittel muss ich Antimonium cru-
dum nennen, aber nicht für sich allein, sondern in
Verbindung bald mit Belladonna, bald mit Nicotiana.
*) lm Frühherbst 1888 bat mich der damals noch in
Leipzig ansässige College Heuser um Mittheilung meiner
derzeitigen epidemischen Mittel. Ich nannte ihm Sepia
und Chelidonium. Er schrieb alsbald zurück, dass ihm
meine Mittheilnng um so interessanter gewesen, als er
selbst im Laufe des ganzen Sommers Chelidonium
ausserordentlich häufig hülfreich gefunden und es halb¬
wegs als ein epidemisches Mittel angesehen habe. Er
habe auch einen anderen Leipziger Co)legen darauf
aufmerksam gemacht, und auch dieser habe gleich ihm
viele gute Erfolge damit erzielt.
Digitized by Google
21
Dem Antimonium mit Belladonna entspricht als
Einzelmittel Kreosot und erklärt sich mir daraus
genügsam das Lob, welches man in der Allopathie
neuerdings wieder diesem, vordem ziemlich ver¬
gessenen Mittel bei „Behandlung der Tuberculose
spendet. Als das dem Antimon mit Nicotiana ent¬
sprechende Einzelmittel habe ich Sinapis alba
kennen gelernt und sei es mir gestattet, hier kurz
zu berichten, durch welchen drolligen Zufall ich
darauf gekommen bin.
Vor mehreren Jahren war meine Schwiegermutter
längere Zeit bei einer nahestehenden auswärtigen
Familie auf Besuch und bekam dort ausserordent¬
lich viel Rühmliches zu hören über die Wirksamkeit
der Senfpflaster bei allen nur möglichen kleinen
Unpässlichkeiten. Als sie die Heimreise antrat,
wurde ihr eine ansehnliche Portion dieses trefflichen
Universalhausraittel8 mitgegeben. Hier wieder an¬
gekommen, erzählte sie natürlich auch mir davon
und fragte, wie ich darüber denke. Ich konnte
nun auf Grund meiner damaligen Erfahrungen na¬
türlich nicht umhin, diese den Senfpflastern gespen¬
deten überschwenglichen Lobsprüche als Ausflüsse
eines beschränkten Laienverstandes zu charakteri¬
sieren und zu erklären, dass ihre Anwendung sich
mit meinen Anschauungen von dem wahren Wesen
einer Kunstheilung nicht vertrügen. Darüber ver¬
ging nun eine längere Zeit, während welcher die
bewussten Pflaster unberührt im Schranke meiner
Schwiegermutter liegen blieben. Darnach wurde
dieselbe, schon über 6iebenzig Jahre alt, von einem
Broncbialkatarrh befallen, der sich in der Folge
sehr langwierig und hartnäckig erwies, und den
ich wohl durch Anwendung der entsprechenden
speciflschen Mittel mindern und erträglich machen,
aber nicht rasch beseitigen konnte.*)
Der genius epidemicus wechselte damals ziem¬
lich oft, und bei jedem solchen Wechsel ver¬
schlimmerte sich der Catarrh meiner Schwieger¬
mutter und zwar so lange, bis sie das neue, den
veränderten Verhältnissen entsprechende Mittel be¬
kam. So geschah es denn auch mal wieder spät
Abends, gleich nachdem sie sich niedergelegt. Der
Husten war diesmal ganz besonders heftig und liess
es zu keinem Schlafe kommen. Endlich, schon
lange nach Mitternacht, verliert die Kranke die
Geduld, erinnert sich plötzlich ihrer Senfpflaster,
steht auf und legt sich eine auf die Brust. Die
Wirkung war eine vorzügliche, überraschend günstige.
Schon wenige Minuten darnach bemerkt Patientin
eine wohlthuende, allgemeine Nervenberuhigung im
*) Es ist wohl ziemlich wahrscheinlich, dass der¬
artige anhaltende Catarrhe bei relativ kräftigen, ge¬
sunden Individuen eine Art kritische Bedeutung haben,
ähnlich wie mannigfaltige Ausschlagsformen auf der
äusseren Haut, Ausdrücke des im Inneru des Organismus
thätigen Heil- und Veredelungsbestrebens.
ganzen Körper, der Hustenreiz lässt alsbald ganz
nach, der Athem wird frei, es stellt sich ein ruhiger
Schlaf ein, aus dem die Kranke erst spät am
Morgen erquickt und gestärkt erwacht.
Natürlich überraschte mich der Bericht meiner
Schwiegermutter, einer überaus aufrichtigen und
wahrheitsliebenden Frau, nicht wenig und konnte
ich nicht umhin, hier eine direkte, speciflsche Heil¬
wirkung anzunehmen, und da nuu auch in jener
selben Nacht der genius epidemicus in der Weise
sich geändert hatte, dass an die Stelle von Carduus
Mariae, Antim onium mit Nicotiana getreten war,
lag es für mich nahe genug, im Senfsamen das
mir bis dahin unbekannte Einzelmittel für die ge¬
nannte Combination zu vermuthen. Ich setzte mich
nun demgemäss alsbald in den Besitz einer 6. Cen-
tesimalpotenz von Sinapis alba und fing an, mit
dieser im gedachten Sinne zu experimentieren, wo¬
rauf sich denn anch nach einiger Zeit die Rich¬
tigkeit meiner Vermuthurg herausstellte. Später
verschlimmerte sich noch einmal während der Nacht
der Catarrb meiner Schwiegermutter; wiederum
greift sie voll Vertrauen zu einem Senfpflaster,
aber, siehe da, diesmal thut es nicht die allerge¬
ringste Wirkung und konnte es auch nicht thun,
weil nun nicht mehr Antimoniura mit Nicotiana,
sondern Veratrum angezeigt war.
Die Annahme liegt wohl nicht gar zu fern, dass
das grosse Vertrauen, dessen sich die Senfpflaster
in jener Familie, von welcher meine Schwieger¬
mutter dieselben erhalten, auf epidemiologische Ver¬
hältnisse zurück zu führen ist (nicht auf Auto¬
suggestionswirkung? Dr. Haedicke). Es kamen ja
damals längere Zeit viele Antimonkombinationen vor,
und ist es leicht denkbar, dass auch in solchen
Fällen, wo Antimon nicht mit Nicotiana, sondern
mit irgend einem anderen Mittel sich vereinigte,
durch Anwendung von einem Senfpflaster, wenn
auch keine ganze, so doch eine halbe spezifische
Wirkung erzielt werden konnte, die bei ganz leichten
Erkrankungsfonnen schon genügte, dem betreffenden
Kranken Erleichterung zu verschaffen.
Es ist mir nicht bekannt, ob von Sinapis alba
schon eine sorgfältigere Prüfung existirt; jedenfalls
aber handelt es sich da um ein Mittel, das volle
Beachtung verdient und möchte ich deshalb hier
einen. kleinen Artikel auschliessen, der sich findet
in dem von unserem Collegen Schlegel herausge¬
gebenen „Wegweiser zur Gesundheit,“ No. U u. 10
des VI. Jahrganges und der, wenn er auch den
meisten Lesern dieser Zeitung nicht unbekannt ge¬
blieben sein dürfte, doch, meiner Ansicht nach,
sehr wohl verdient, in Verbindung mit dem Vor¬
stehenden hier nochmals zum Abdruck gebracht zu
werden. Schlegel also schreibt: „Ein unschul¬
diges Hausmittel gegen Kopfschmerzen, Schwindel,
Hämorrhoidalzustände, langwierige Verstopfung,
Digitized by v^ooQie
n
selbst auch gegen ernstere Leiden auf dieser Grund¬
lage 2 . B. Pallsucht, besteht in täglich verabreichten,
hellen Senfkörnern, wovon man einige Wochen lang,
auch länger fort, täglich 2—3 Mal einen gehäuften
Kaffeelöffel voll nehmen kann. Das Mittel stammt
schon aus dem lt>. Jahrhundert, wo ein Engländer
grosses Aufsehen durch die damit bewirkten Curen
machte. 1827 heilte sich ein Herr Didier aus
Paris mit weissem Senfsamen von langwieriger Ver¬
dauungsstörung und kündigte danach sein einfaches
Mittel in allen Zeitungen und in besonderen Druck¬
schriften an, wodurch es sehr verbreitet wurde;
trotzdem ist es neuerdings wieder mehr in Ver¬
gessenheit gerathen. Bei einer Unzahl von Störungen
des Unterleibs und davon ausgehenden Uebeln, wie
z. B. Gicht, Asthma, selbst Schlagfluss sollen glän¬
zende Heilwirkungen beobachtet worden sein und
daran ist im Grande auch nicht zu zweifeln. Die
gelinde abführende Wirkung der Senfkörnerkur
kann an sich schon vortreffliche Folgen haben;
dazu kommt aber noch ein besonderer arzneilicher
Reiz, so dass Sinapis alba zu gewissen Zeiten ein
epidemisches Heilmittel abgiebt und zu allen Zeiten
sicher in einzelnen Fällen vortrefflich wirkt.
Ein älterer homöopathischer Arzt erzählt, wie
er in einer fast hoffnungslosen Krankheit, welche
in Lähmung der Unterleibsnerven zu bestehen
schien, durch Senf rasch und sehr auffallend zur
Heilung umgestimmt wurde; das Mittel ist demnach
unserer Richtung nicht so fremd und verdient Be¬
achtung. Die Wirkung scheint eine durchdringende,
Sulfur ähnliche zu sein, wie denn der Senf ein
schwefelhaltiges Oel als hauptsächlichsten Bestand¬
teil birgt.
Sehr wohl kann demnach eine solche Kur mit
weissen Senfkörnern, die in jeder Apotheke zu
haben sind, dem volkstümlichen Gebrauch anheim
gegeben werden. Die Stockungserscheinungen im
Unterleib sind dabei massgebend; im übrigen kann
sich die Krankheit in allerlei Formen, wie schon
genannt, oder auch als Kopfschmerz (Migräne)
Biustkatarrh, Magenkrampf, allgemeine Schwäche,
Hüftweh, Wassersucht, Schlaflosigkeit, Gemüts Ver¬
stimmung u. s. w. ausgestalten.“
Es geht aus diesen Ausführungen Schlegel^
wohl klar genug hervor, dass zu gewissen Zeiten
der Senf, sozusagen, ein Mittel für Alles sein
kann, während er wiederum zu anderen nirgends,
oder doch nur in ganz vereinzelten Fällen mit
Nutzen gebraucht werden kann.
Als ein fünftes Hauptmittel der letzteren Jahre,
wenn auch weit seltener indicirt, als die andereu,
habe ich Stannutn anzuführen, das sich vornehmlich
in verschiedenen Formen von Neuralgie wie nicht
minder bei Blutungen vortrefflich bewährte. Ausser
den genannten kamen ja noch mannigfaltige andere
Mittel zur Verwendung, aber doch immer nur
mehr oder weniger vereinzelt, so stehe ich selber
z. B. seit Mitte Mai dieses Jahres bis zur gegen¬
wärtigen Stunde (Mitte November) unausgesetzt
unter der Einwirkung von Calcarea mit Juniperns
communis. Die Mittelkombination treibt bei mir
.kritische Ausscheidungen“ vornehmlich im Urin
hervor, wie ich sie so reichlich und anhaltend
selten erlebt. Ich habe Mitte Mai, als ich zuerst
die betreffende Indikation bei mir entdeckte, eine
einzige Dosis von Calcarea mit Juniperus in hoher
Potenz eingenommen, und diese hat bei unverän¬
derter Indikation durch die ganzen letztvergangenen
sechs Monate nachgewirkt.
Es ist gewiss nicht ganz undenkbar, dass einmal
die Zeit kommen kann, wo die Erkenntniss des
genius epidemicus, des wechselnden Heilverhältnisses
der Arzneien zu den Krankheiten, Gemeingut aller
' Aerzte sein wird; diese Zeit wird dann den unseligen
Streit zwischen Allopathie und Homöopathie sich
in Wohlgefallen auflösen sehen. Einer solchen Er¬
kenntniss würde aber eine gründliche Umwandlung
in der Denk- und Anschauungsweise der heutigen
Welt vorangehen müssen. Bevor es jedoch dazu
kommen kann, werden gewiss noch viele Generationen
der Menschen nach einander zu Grabe gehen, denn:
Der Lauf der Welt ist nicht so schnell,
Als Thorheit denkt und spricht;
Man weiss wohl: Flügel bat die Zeit,
Die Zeiten aber nicht.
Blatta Orientalin ein wichtigen
Asthma-Mittel.
Aus dem Horn. Recorder (Vol.v. 254 u. f. Vol.li. 193)
übersetzt von J)r. Th. Hrueklter in Banel.
Dr. Ray von Calcutta machte im Jahre 1890
einige Mitteilungen über seine Erfahrungen in
Bezug auf die Wirksamkeit der Blatta orientalis
gegen Asthma und versprach in einer späteren
Nummer weitere Mittheilungen zu machen.
*) Während meiner Studienzeit in H. sagte uns
einmal der Direktor der dortigen inneren Klinik, Pro¬
fessor W., ohngefahr das Fmgende: Man muss sich
hüten, seine zeitlichen Erfahrungen allzusehr zu ver¬
allgemeinern. Vor Jahren glaubte ich auf einmal, dass
ich allein es verstände, den Scharlach richtig und mit
Erfolg zu behandeln, es kamen dann aber andere Zeiten,
andere Epidemien und nun bewahrte sich die früher
erprobte Behandlungsweise durchaus nicht mehr.
Nebenbei sei hier bemerkt, dass dieser Professor einer
der besten Menschen war, die mir je im Leben be¬
gegnet. Er erwähnte auch in seinen Vorträgen ge¬
legentlich die Homöopathie, doch habe ich dabei von
ihm niemals irgend ein gehässiges, boshaftes Wort über
dieselbe vernommen.
Digitized by kjOOQle
Da das Mittel ein ganz neues ist, welches in
keiner Materia medica gefunden werden kann, so
wollen wir hier kurz angeben, wie dessen Heilkraft
gegen Asthma entdeckt wurde.
Ein älterer Herr litt seit mehr als 20 Jahren
an sehr heftigen Asthmaanfällen, gegen welche alle
bisher angewandten Mittel erfolglos geblieben waren,
so dass der Betreffende alle arzneilichen Mittel bei
Seite setzte und sich ruhig in sein Schicksal
ergab.
Eines Tages nun, nachdem er in gewohnter
Weise seinen Thee getrunken, fühlte der Mann eine
auffallende Erleichterung seiner Athembeschwerden,
welche von der Stunde an sich zusehends besserten.
Eine vorgenommene genaue Untersuchung ergab,
dass in dem Theetopf eine todte Küchenschabe sich
befand.
Ein junger Mann (Nicht-Arzt), der diese merk¬
würdige Heilung zu beobachten Gelegenheit gehabt
hatte, bereitete sich einen starken Aufguss von
Küchenschaben, dem er sodann reinen Alcohol zu¬
setzte, und fing an, Versuche damit anzustellen,
die alle so günstige Resultate ergaben, dass der
Mann bald einen ungeheuren Zulauf von Asthma¬
kranken bekam aus der ganzen Umgegend, da er
alle Patienten umsonst behandelte.
Dr. Ray, welcher von diesen Heilungen gehört,
bereitete sich nach den Vorschriften der hom. Mat.
Medica eine Verreibung und eine Tinctur und fing
ebenfalls an, damit Versuche anzustellen, welche
ihn bald überzeugten, dass die Blatta orientalis
zwar kein absolutes Specificum gegen alle Arten
von Asthma, immerhin aber ein sehr wichtiges
Heilmittel ist.
Es versprach derselbe in einer späteren Mit¬
theilung seine Erfahrungen mit diesem Mittel dem
Hom. Recorder zn übersenden, was denn auch in
Nr. 5 geschehen ist.
Der Verfasser beginnt mit einer kurzen Abhand¬
lung über das Asthma, welche wir hier nicht
wiedergeben wollen, da dieselbe etwas antiquirt er¬
scheint, indem derselbe von idiopathischem und sym¬
pathischen Asthma, von Magen- und Herzasthma etc.
spricht, um sodann auf das eigentliche nervöse
Bronchial-Asthma überzugehen, welches gewöhnlich
in den frühen Morgenstunden auftntt, und dessen
Anfälle von sehr verschiedener Dauer sind. Dr. R.
spricht sodann von dem Husten, welcher meist zu
Ende des Anfalles anftritt, bald mit, bald ohne Ex-
pectorationen.
Diese Hustenanfälle sind nnch Dr. R. oft sehr
beängstigend und ermüdend für den Kranken, weil
der Schleim sich sehr schwer löst. Hier soll
Blatta in öfteren Gaben ein ausgezeichnetes Mittel
sein. Wenn gleich beim Beginne des Anfalls in
öfteren Gaben gegeben, so ist die Blatta im Stande,
denselben zu coupiren, Dr. Ray glaubt deshalb, ,
dass das Mittel eine specifische Wirkung auf den
Nervus pneumogastricus ausübt, in ähnlicher Weise
wie Ipecac. Arsen. Cupr. u. Lobelia.
Blatta löst aber auch den Schleim und bewirkt,
dass die Hustenanfälle seltener werden und weniger
heftig auftreten, und kommt darin dem Ant. tart
und der Ipecac. nahe.
Ich (L)r. Ray) habe die Blatta in fast allen
Fällen von Asthma angewandt, welche unter meine
Behandlung kamen, und ich freue mich, die günstige
Wirkung dieses Mittels in fast allen Fällen be¬
stätigen zu können, wie die folgenden Kranken¬
geschichten zeigen werden. Ich bin noch nicht im
Stande, bestimmte Indicationen aufzustellen, ich
habe aber einige Erscheinungen während des Ge¬
brauches dieses Mittels beobachtet, welche ich er¬
wähnen muss. Während des Krampfanfalls ist es
besser, öftere Gaben einer niederen Verdünnung
zu geben, wenn aber jener den Anfall beendigende
Husten eintritt, so ist es besser eine höhere
Potenz zu geben. Fährt man mit der niederen
Verdünnung fort, so wird der Husten noch lästiger
und quälender für den Kranken und der Auswurf
zäher, dicker und schwer heraus zu bringen, w'as
nicht der Fall ist, wenn man eine höhere Ver¬
dünnung giebt.
Es ist mir dies einige Male begegnet, als ich
noch weniger bekannt war mit der Wirkung dieses
Mittels, jetzt weiss ich mir besser zu helfen.
Bei 4 Kranken, welche das Mittel während des
Anfalls und auch nachher noch in niedriger Ver¬
dünnung fortnahmen, wurde der Husten trocken
and es löste sich wenig oder kein Schleim und
zuletzt zeigten sich Blutstreifen im Auswurf, was
die Kranken bei früheren Anfällen niemals wahr¬
genommen hatten. Die Blutspuren im Auswarf
machten die Kranken sehr ängstlich, so dass ich
sofort gerufen wurde. Auf meine Nachforschungen
hin erfuhr ich, dass 2 von diesen Kranken (eine
Dame und ein junger Herr) schon einige Tage vor
diesem blutigen Auswurf das Gefühl hatten, als ob
Hitze ausströme aus ihren Ohren, Nase, Augen,
Scheitel, sowie aus den Handflächen und Fasssohlen.
Sie schrieben dieses Hitzegefühl und den blutigen
Auswurf der Wirkung des Mittels zu. Ich liess
die Blatta aussetzen, beschloss aber den Versuch
später nochmals zu wiederholen, um Gewissheit.zu
erlangen; ob diese Symptome durch das Mittel her-
vovgebracht worden seien.
Ich that dies auch und siehe da, sowie die
Patienten 4 Mal per Tag einen gran der ersten
Verreibung genommen, trat der blutgestreifte Aus¬
wurf wieder ein, und die Kranken merkten sofort,
dass sie das gleiche Mittel von mir bekommen
hatten, wie das letzte Mal und baten mich ihnen
dieses Mittel nicht mehr zu geben. Ich habe
übrigens die Blatta auch bei dem quälenden Husten
Digitized by
u
mit Athemnoth schwindsüchtiger Patienten mit gutem
Erfolge angewandt.
Es folgen nun zehn zum Tbeü sehr ausführliche
Krankengeschichten, die wir in etwas abgekürzter
Form hier wiedergeben wollen. Nr. 1 betrifft einen
ältern Mann, der seit 25 Jahren an Asthma ge¬
litten und seit 6—7 Jahren in kein Bett gekommen
war, weil er nicht liegen konnte wegen Athem¬
noth und Husten. Der Mann hatte lange Zeit,
durch riesige Dosen von Opium sich Erleichterung
zu verschaffen versucht. Als Dr. Ray am Nachmit¬
tage (den 23. Mai 1889) ihn zum erstenmale besuchen
wollte, traf er beim Eintritt ins Krankenzimmer
den (allopath.) Arzt, der den Kranken bisher be¬
handelt hatte, welcher ihm bemerkte, es sei un-
nöthig, dass er den Kranken noch besuche, der
Mann sei am Verscheiden. Dr. R. fand den Mann
wirklich anscheinend sterbend, ohne Bewusstsein
mit fest verschlossenen Kiefern, kalter Hautober¬
fläche und kaltem klebrigem Stirnschweiss, nur
der Puls war noch nicht so schlecht, wie das übrige
Aussehen des Kranken. Dr. R. löste einige gran
der 1. Decimal-Verreibung in einem ziemlich grossen
Fläschchen Wasser auf und versuchte einige Male dem
Kranken einen Löffel voll von der Lösung beizu¬
bringen, aber es war unmöglich, deshalb brachte
er etwas von der Verreibung zwischen die Lippen
und ermahnte die Angehörigen von Zeit zu Zeit
einen Versuch zu machen dem Patienten etwas von
der flüssigen Arznei beizubringen. Ich (Dr. R.) er¬
klärte auch auf Befragen, dass ich nicht glaube,
dass der Kranke den Abend erleben werde. Abends
9 Uhr jedoch kam ein Bote mit dem Berichte,
der Kranke scheine etwas besser und habe 2 Mal
Arznei geschluckt, und man wünsche meinen Besuch.
Als ich hinkam, fand ich wirklich Anzeichen von
Besserung, der Puls war gleichförmiger, die Kiefer
nicht mehr verschlossen, die Glieder etwas beweg¬
lich, der Kranke konnte ganz gut schlucken, und
der Auswurf löste sich reichlich und leicht. Ich
befahl dem Kranken öfter 1—2 Löffel Milch zu
geben und während der Nacht die Arznei noch
1 oder 2 Mal zu repetiren, ich hatte aber immer
noch wenig Hoffnung, dass Patient die Nacht über¬
leben werde, wessbalb ich bat mich am Morgen
berichten zu lassen, ob der Kranke noch lebe. Am
Morgen kam ein Bote mit der Nachricht, Patient
habe eine ruhige Nacht gehabt und man wünsche
meinen Besuch. Als ich Morgens acht Uhr in das
Zimmer des Kranken trat, fand ich wirklich eine
auffallende Besserung. Nicht nur war Patient
wieder völlig bei Bewusstsein, sondern er sass
ruhig im Bette und konnte wieder sprechen und
die Athembeschwerden waren gänzlich verschwunden,
nur der Husten belästigte ihn noch zeitweise, und
er warf viel weissen, schaumigen Schleim aus und
hie und da auch gelbliche Schleimklumpen. Er
erhielt 3 Gaben der 2. Verreibung von Blatta.
Der Tag war gut, aber Nachts stellten sich die
Atbembeschwerden wieder ein, obschon in milderer
Form. Er bekam 2 Gaben des Mittels während
der Nacht. Die Arznei wurde in dieser Weise
fortgegeben, und nach einer Woche konnte er zum
ersten Male seit 6—7 Jahren wieder eine Nacht
schlafen. Ich behandelte den Mann noch mehr als
einen Monat, wobei seine Gesundheit sich rasch
besserte, so dass er bald wieder ausgehen und
seine Geschäfte besorgen konnte. Im August 1890
hatte der Mann wieder einen leichten Anfall von
Asthma, der aber bald durch Blatta orientalis ge¬
hoben wurde.
Nr. 2. Ein Bramine, Asketiker, 38 Jahre alt,
litt seit 14 Jahren an Asthma. Im Anfänge ge¬
brauchte er Arzneien dagegen, da dieselben aber
regelmässig sein Leiden verschlimmerten, so liess
er alle Mittel beiseite, um die Natur walten zu
lassen. Gelegentlich trug derselbe auch einen Ta¬
lisman, wie dies in Indien gebräuchlich ist, und
diess half ihm, so dass er ein Jahr lang vom Asthma
befreit blieb. Durch Zufall verlor derselbe seinen
Talisman und seit der Zeit steigerte sich sein
Leiden, so dass er beschloss wieder Mittel zu ge¬
brauchen, aber weder Volksmittel, noch allopathische
Arzneien brachten irgend welche Besserung, und
die Homöopathie war zu jener Zeit noch so im
Hintergrund, dass der Kranke es gar nicht der
Mühe werth erachtete, damit einen Versuch zu
machen. Er wurde darauf Asket und verliess
seine Heimat und seine Verwandten, um an einem
geheiligten Orte zu sterben, wie dies bei vielen
Hindus gebräuchlich ist, wenn sie alt oder ge¬
brechlich werden. Er kannte die Sanscrit-Sprache
sehr gut und begab sich nach Benares, einem bei
den Hindus für heilig gehaltenen Platze. Als er
im J. 1878 dort ankam, fühlte er sich wohler, ent¬
weder in Folge der Luftveränderung, oder in Folge
der veränderten Lebensweise. Als Bramine und
Sanscrit-Gelehrter wurde er bald bekannt und ge¬
achtet, und da er singen und Verse componiren
konnte, so sammelten sich oft Leute um ihn, um
einen angenehmen Abend zuzubringen, und er wurde
unterstützt, so dass er zu leben hatte. Auf diese
Weise verging ein Jahr bei ziemlichem Wohlbe¬
finden, dann aber stellte sich sein alter Feind, das
Asthma, wieder ein, schlimmer als je vorher, be¬
sonders während der Regenzeit litt er ungemein
bis zum Jahre 1887, als er wieder nach Bombay
zurückkehrte, wo das Klima milder ist. Im März
1887 sah ich (Dr. Ray) den Mann zum ersten
Male und hörte aus seinem Munde die oben er¬
zählte Leidensgeschichte nebst vielen anderen De¬
tails, die wir übergehen müssen. Schliesslich liess
der Mann sich überreden mit homöopath. Mitteln
einen Versuch zu machen, und da ich damals die
Digitized by v^ooQie
25
Blatta noch nicht kannte, gab ich ihm während
2 Jahre Naja, Ipecac. Arsen. Ant. tart Nux vom
Copr. met. Lobei. infl. Grindelia und Hydrocyan,
acid. etc.
Der Kranke befand sich unter meiner Be¬
handlung zeit weise besser, zeitweise wieder schlimmer,
aber sein Asthma war nie mehr so schlimm, wie
es früher gewesen. Naja und Ipec. thaten ihm
immer am besten, und er lernte sehr bald die rich¬
tigen Indicationen für die Mittel kennen, und ver¬
langte wieder frischen Vorrath, wenn er bald zu
Ende war.
Im Jahre 1889 schrieb derselbe, ich solle
ihm wieder Naja und Ipecac. schicken. Ich sandte
ihm dieses Mal aber Blatta 1. Dez. Verrbg. und
3. Dez. Verd. mit den nöthigen Anweisungen.
(Vide oben.) Nach 14 Tagen erhielt ich einen
langen Brief, worin Patient mir meldete, dass die
neue Arznei ihm ungemein gut gethan habe, so
dass er seit 5—6 Tagen fast ganz frei geblieben
sei von seinem Asthma, wenn es so fort gehe, so
hoffe er bald ganz befreit zu werden, von seinem
Leiden.
Seine Hoffnung ging auch wirklich in Erfüllung,
wie ich kürzlich erfahren habe.
Nv. 3. Frau N., eine hagere Dame von 23
Jahren, Mutter von 3 Kindern, kam aus einem Dorfe
zu mir, um sich von ihrem Asthma heilen zu lassen,
an welchem sie seit 8 Jahren litt. Die ersten
2—3 Jahre hatte sie bloss 2—3 Anfälle ira Jahr,
aber nach und nach kamen dieselben immer häufiger,
obwohl der Charakter der Anfälle immer derselbe
blieb. Die Anfälle dauerten 2 Tage und 2 Nächte
gleichviel, ob sie Arzneien gebrauchte oder nicht,
im Gegentheil die Anfälle wurden heftiger und
dauerten länger, wenn sie zu viel Arznei nahm
gegen das Asthma. Grosse Athembeklemmung,
Unruhe, profuser Schweiss, Unfähigkeit sich zu
bewegen oder abzuliegen und keuchende Athmung,
waren die Hauptsymptome bei jedem Anfalle.
Diese Symptome hielten ca. 10 Stunden an, dann
löste sich der Krampf mit etwas Husten und Aus¬
wurf und das ganze Krankheitsbild verschwand
gänzlich bis auf ein leises Keuchen, das bei der
Auskultation noch hörbar war. In der letzten
Zeit waren die Anfälle fast alle 8—10 Tage ge¬
kommen. Es war im August 1890 als ich die
Frau zum ersten Male während eines Anfalles be¬
suchte. Ich gab ihr sofort Blatta 1. Verrbg. alle
2 Stunden einen gran zu nehmen. Zu ihrer grössten
Verwunderung hörte der Anfall schon nach 20
Stunden auf, was sonst niemals der Fall gewesen
war. Dies machte der Frau Muth, so dass ihr
Mann beschloss, sie mir in Behandlung zu geben.
Ich gab ihr jetzt Blatta 1. Dilut. 2 Mal täglich
1 Tropfen. Sie nahm dies 10 Tage lang bis die
Zeit, wo der nächste Anfall zu erwarten war,
vorüber gegangen war. Zu dieser Zeit aber begann
sie über Hitzegefühl am ganzen Körper zu klagen,
wesshalb ich nun die 3. Verdünnung früh und
abends nehmeif liess. Da der Anfall einen Monat
ausblieb und sie sich geheilt glaubte, kehrte sie
nach Hause zurück. Sie hatte aber noch 2 Anfälle,
die aber je weilen in sehr kurzer Zeit durch Blatta
beseitigt wurden, und bis dahin ist sie gesund
geblieben.
Nr. 4. Ein junger Mann litt seit mehreren
Jahren an Asthma, welches immer während der
Regenzeit und im Winter sich verschlimmerte und
gewöhnlich von einer chronischen Bronchitis be¬
gleitet war. Nachdem derselbe viel allopathische
Mittel und eine Masse von Patent-Medizinen mit
höchstens vorübergehender Erleichterung geschluckt
hatte, kam derselbe im November 1888 in meine
Sprechstunde. Ich fand, dass der Mann an einer
chronischen Bronchitis litt, und er sagte mir, dass
er jede Nacht leichte Athembeschwerden mit einem
Stickhusten habe, und dass jeder Schnupfen regel¬
mässig einen heftigen Anfall von Asthma im Gefolge
habe. Ich gab dem Patienten zuerst Ipecac. Ars.
und andere Mittel, welche ihm gut thaten, besonders
Ipecac. erleichterte ihn am meisten, aber er blieb
ungeheilt. Desshalb gab ich ihm im Juli 1889
Blatta 3. Dez. Verd. 3—4 Mal täglich 1 Tropfen.
Unter dieser Behandlung besserte sich sein Zustand
zusehends und er hatte nur noch 2 oder 3 Asthma-
Anfälle, welche mit Blatta schnell gehoben wurden.
Seit 1^2 Jahr ißt er von seinem Leiden frei ge¬
blieben.
Nr. 5. B. B. ein alter corpulenter Mann von
62 Jahren litt seit mehreren Jahren an Asthma.
Der Mann hatte niemals allopathische Arzneien
genommen, sondern sich von eingebornen Heil¬
künstlern behandeln lassen, unter deren Behandlung
er sich bald besser, bald wieder schlechter befand,
ln der letzten Zeit hatte sich sein Zustand bedeu¬
tend verschlimmert und er batte mehrere Nächte
schlaflos zugebracht, während er am Tage sich
ziemlich wohl befand. Ich sah ihn zuerst am 24.
Juli 1890 vormittags 9 Uhr, und er hatte zu der
Zeit noch einen leisen Anflug von Asthma. Ich
befahl ihm, sich niederzulegen im Bette, aber er
konnte es nicht thun, weil er sofort Husten bekam.
Die Untersuchung der Brust ergab chronischen
Bronchialc&tarrh, und der Mann litt an einem
quälenden Husten mit sehr wenig Answurf trotz
grosser Anstrengung etwas heraufzubefördern. Ich
gab Blatta 1. Verrbg. 1 gran alle 2 Stunden. Am
nächsten Morgen berichtete der Kranke, dass er
die letzte Nacht keinen Asthma-Anfall gehabt habe,
dass aber der Husten ihn sehr geplagt habe. Ich
gab ihm nun Blatta 0,3 2 stündlich 1 Tropfen,
und er hatte darauf keinen Anfall weder Tags noch
Nachts, nachdem er dieses Mittel 14 Tage fort-
4
Digitized by Google
2 «
gesetzt ging er nach Hause und blieb gesund mit
Ausnahme eines gelegentlichen Bronchialcat&rrhs.
Nr, 6. Ein Schuhmacher von 42 Jahren und
kräftiger Consitution litt seit 3-*-4 Jahren an
Asthma. Er kam am 6. Nov. 1890 in meine Be¬
handlung. Seit Oktober hatte er jede Nacht einen
Asthma'Anfall gehabt, und am Tage litt er an
einem quälenden Husten, mit wenig Auswurf, aber
beschleunigter Athmung, was ihn unfähig machte
zu arbeiten. Ich gab Blatta 0,1 einen Tropfen 6
Mal per Tag. Schon am ersten Tage empfand er
die gute Wirkung des Mittels, welches er einen
Monat lang fortsetzte. Der Mann befindet sich
seither wohl.
Nr. 7. Mann von 40 Jahren kräftig gebaut,
batte am 4. Aug. 1890 einen Asthma-Anfall nach
einem heftigen Schnupfen, dem er unterworfen war.
Nachdem er am Morgen an heftigem Schnupfen
gelitten, stellten sich nachmittags leichte Athem-
beschwerden und etwas Brustbeklemmung ein, was
sich bis gegen 9 Uhr abends zu einem völligen
Asthma-Anfall steigerte, so dass ich gernfen wurde.
Als ich um 10 Uhr abends in sein Zimmer trat,
fand ich den Mann vor einer Menge aufeinander-
gethürmter Kissen sitzend, die Ellbogen darauf
stützend nach Luft ringend, hie und da hüstelte
er etwas, reden konnte er nicht wegen der Athem-
beklemmung. Ich gab sofort Blatta 0,1 alle 15
Minuten 1 gran der Verrbg. und bei Besserung
seltener zu geben. Am nächsten Morgen fand ich
ihn viel besser, aber er sagte sein Asthma habe
in geringerem Grade bis 2 Uhr Nachts gedauert,
da erst habe er etwas schlafen können.
Der Kranke hatte noch etwas Husten und
Brustbeklemmung und fürchtete sehr in der Nacht
wieder einen Anfall zu bekommen. Ich gab nun
Blatta 0,3 Verrbg. und 0,1 bei etwaigem Asthma-
Anfall. Patient hatte auch wirklich in der Nacht
etwas Asthma und nahm 2 Pulver der 1. Verrbg.
Am Tage war er viel besser bis auf den Husten,
wogegen er Blatta 0,3 fortnahm nach 4—5 Tagen
war er ganz frei von Asthma, und ist es auch
seither geblieben.
Nr. 8. Frau D. 20 Jahre alt, eine gesunde
kräftige Frau, Mutter eines Kindes, bekam plötzlich
im August 1890 einen Asthma-Anfall in Folge
heftiger Erkältung. Sie konnte nicht im Bette liegen
bleiben, sie musste sitzen und sich mit vielen
Kissen stützen lassen.
Als ich die Frau Morgens 8 Uhr zum ersten
Male besuchte, war dieselbe in grosser Athemnoth
und konnte fast gar nicht sprechen. Bei der
Untersuchung fand ich übrigens wenig von der
sonst für Asthma charakteristischen (wheezing)
Respiration, es war kein Husten vorhanden, aber
der Körper war im Schweiss gebadet.
Ich beschloss Blatta zu geben 1 gr. der Verrbg.
alle 15 Minuten und den Erfolg abzuwarten. Ich
gab 3 Dosen ohne wesentliche Besserung und ver-
liess darauf die Kranken, indem ich noch einige Gaben
zurückliess und versprach in einigen Stunden wieder
vorbeizukommen. Als ich kam, fand ich die
Kranke viel besser, sie hatte nur noch 1 Pulver
genommen und ich liess keine mehr nehmen, da
da sich die Kranke viel besser befand. Da ich
jetzt glaubte, dass es ein Asthma-Anfall gewesen
sei, liess ich Blatta ohne Bedenken fortnehmen.
In der Nacht kam wieder ein Anfall, aber am
Morgen war die Kranke wieder besser und der
gewöhnliche asthmatische Husten hatte sich einge¬
stellt mit etwas Auswurf. Ich gab nun Blatta 0,3
einige Gaben jeden Tag, worauf Heilung eintrat.
Im November kam nochmals ein leichter Anfall,
der durch Blatta beseitigt wurde. Seitdem hat
die Kranke kein Asthma mehr gehabt.
Nr. 9. Ein Mann von 44 Jahren, der einen
Laden in einem Dorfe hatte, litt seit 8 Jahren an
Asthma und war während dieser Zeit von einhei¬
mischen Künstlern behandelt worden. Im Juni
1890 kam er in die Stadt und ich wurde zu ihm
gerufen. Seine Asthma-Anfälle dauerten gewöhnlich
4—5 Tage. Ich gab ihm sofort 6 Gaben Blatta
0,1 alle 2 Stunden ein Pulver zu nehmen. Am
nächsten Tage ging es viel besser. Er blieb noch
einige Tage in der Stadt dann, aber wollte er nach
Hause zurückkehren. Ich gab ihm eine grössere
Quantität Blatta 0>1 und 0,3 mit nach Hause mit
den nöthigen Anweisungen. Im Januar 1891 er¬
hielt ich einen Brief, worin er mir für die Heilung
dankte und für einen Freund dieselbe Arznei ver¬
langte, da derselbe ebenfalls an Asthma leide. Ich
sandte ihm Blatta, was ebenfalls dem Manne gut
that. —
Nr. 10. Frau D. eine hagere Dame von 38
Jahren, Mutter mehrerer Kinder erkältete sich und
bekam einen Anfall von Bronchitis mit Fieber, aus
dieser Bronchitis entwickelte sich innerhalb 14
Tagen ein Asthma. Die Frau wurde von Anfang
allopathisch behandelt, aber da es von Tag zu Tag
schlimmer wurde, so beschloss der Mann einen
anderen Arzt zu rufen, und ich wurde am 8. Juni
1890 morgens zu der Frau gerufen. Sie hatte
Fieber mit acuter Bronchitis, war sehr abgemagert,
konnte keine Nahrung zu sich nehmen, hatte eine
schnelle Atbmung und beklagte sich sehr über die
Athembeengung, welche ihr nicht erlaubte im Bette
zu liegen, sondern sie zwang Tag und Nacht in
sitzender Stellung zuzubringen.
Sie litt auch an öfter längere Zeit anhaltenden,
krankhaften Hustenaufällen, mit wenig Auswurf,
aber die Hustenanfälle benahmen ihr beinahe den
Athem. Dies war der erste Fall, wo ich Blatta
gab bei Asthma mit Bronchitis und Fieber, sie
nahm 6 Pulver während des Tages und halte darauf
Digitized by UjOOQie
27
eine bessere Nacht. Am folgenden Tage war der
Zustand viel besser, nur der Husten war noch gleich.
Blatta wurde fortgegeben. Sie hatte darauf keine
asthmatischen Beschwerden mehr, aber der Husten
war noch nicht viel besser. Antimon tart. und
Bryonia vollendeten die Heilung.
(D. N. Ray M. D. 65. Beadon Street Oalcutta
Juni 22. 1891.)
Zwei Vrtheile über die „reformirte
Medicin“.
ln No. 9/10 vorigen Bandes haben wir schon auf
eine neue Heilmethode aufmerksam gemacht, die der
Heilapostel Henri Krohn in Bezug auf die Homöo¬
pathie mit den Worten skizzirt:
L'homäopathie est la MAdecine reformöe cachäe
sous un masque.
Heute bringen wir zwei Urtheile aus der
Presse und zwar eine Kritik 1) von Dr. Axel
Winckler im Reichs-Medicinal-Anzeiger No. 19 und
2) von Dr. Vogel-Meran in Prof. Jägers Monats¬
blatt No. 10.
Herr Dr. Winckler schreibt:
„Während in Deutschland die Herren Louis Kühne*),
Philo vom Walde und andere „Natur-Heilkundige“
die Medicin anfeinden, erstehen auch im Auslande
Laienärzte, die der medicinischen Wissenschaft den
Garaus machen möchten und neue Heilslehren aufs
Tapet bringen. So ein Naturheiland ist Monsieur
Krohn, der gegenwärtig in Paris sein Wesen treibt,
ein geborener Russe, der sich eines grossen Ver¬
mögens und noch grösseren Mundwerks erfreut. Er
hat eine Broschüre „la M6decine lAforrafo“ er¬
scheinen lassen, worin seine Theorie niedergelegt
ist. Der blühende Unsinn, der sich in diesem Werk¬
eben breit macht, hat uns solches Gaudium be¬
reitet, dass wir uns nicht versagen können, darüber
zu referiren.
Krohn lehrt, Adam und Eva seien am ganzen
Körper behaart gewesen, und Krankheiten seien
erst entstanden, als man den Körper bekleidet habe.
Unter den Kleidungsstücken seien die Haare mehr
und mehr atrophirt und verschwunden; in Folge dessen
sei jetzt der Mensch, als das einzige bekleidete Thier
der Schöpfung, auch das kränkste Thier. Also
Rückkehr zur Natur, das heisst: fort mit den Klei¬
dern! Schonung den Haaren! Keine Haarscheere,
kein Rasirmesser mehr! Die Haare sind das Fil-
trum, in welchem die auf uns einstürmenden Krank¬
heitsgifte hängen bleiben.
Nicht nur die Friseure und Barbiere, sondern
*) Näheres über diesen neuen Propheten siehe Band
118, Nr. 22.
auch die Aerite werden von unserm Reformator
(welcher Haare auf den Zähnen hat) auf den Aus¬
sterbeetat gesetzt. Alle Medicamente sind ver¬
werflich. . Die Krankheiten werden nur dadurch
chronisch und unheilbar, dass die Aerzte allerhand
„schlechte Droguen“ in den Körper des Patienten
einführen. Jeder Mensch wird stark und gesund
geboren — so behauptet wenigstens Meister Krohn!
— er braucht nur nach Krohn'scher Manier zu
leben, um gesund zu bleiben; sollte er ausnahms¬
weise doch einmal erkranken, so soll er sich nur
der Natur, dieser guten Mutter, vertrauensvoll über¬
lassen.
Die naturgemässe Lebensweise erheischt, dass
man nicht nur auf die Kleider, sondern auch auf
den Fleischgenuss und aaf die alkoholhaltigen Ge¬
tränke verzichte. Man soll vorzugsweise Kartoffeln
essen und Wasser trinken; auch warme Milch,
Butter und Käse sind gestattet. Vor Mineral¬
wässern hüte man sich. Das Theater fliehe man,
hingegen beschäftige man sich mit Gymnastik und
nehme Douchen, so wird man unfehlbar hundert
Jahr alt.
Krohn ist von der Richtigkeit seiner Lehre so
überzeugt, dass er dem Vorsitzenden des Pariser
Gemeinderaths einen Check von hunderttausend
Francs, zahlbar beim Cr6dit Lyonnais, übermittelt
hat, damit der Gemeinderath in demjenigen städti¬
schen Spitale, welches die grösste Mortalität hat,
seine Heilmethode einführe. (Wozu die grosse
Summe, da Kartoffeln, Milch, Wasser und Adam's
Costüm so billig sind?) Wenn binnen sechs Mo¬
naten die Sterblichkeit in solchem reformirten Spital
nicht erheblich gesunken sein wird, verpflichtet
sich Herr Krohn, aus seiner Tasche ein Armenhaus
zu bauen.
Ob man dem russischen Naturheiland ein Pariser
Krankenhaus für seine Experimente ausliefern wird,
dürfen wir billig bezweifeln. Einstweilen bildet die
„reformirte Medicin“ ein sensationelles Unterhal¬
tungsthema für die Pariser, bis ein neuer Hans¬
wurst auf der Bildfläche erscheint. —
Herr Dr. Vogel schreibt:
Der Stadtverordnetenvorsteher von Paris erhielt
Anfang Juli von einem dort ansässigen Russen
Henri Krohn eine Anweisung von 100,000 Frcs.
auf den Credit Lyonnais. Im beigelegten Schrei¬
ben war die Bestimmung enthalten, dass die ge¬
nannte Summe zu allgemeinen Wohlthütigkeits-
zwecken verwendet werden sollte, aber in der
Weise, dass in einem der Stadtverwaltung unter¬
stehenden Krankenhause Versuche mit der „Re-
formheilmethode“ angestellt werden sollten, welche
der Schenker in einer gleichzeitig übersandten Bro¬
schüre beschrieb. „Würde,“ so biess es im Briefe
weiter, „im Laufe eines halben Jahres nicht eine
auffallende Abnahme der Sterblichkeit im Hospital
4 *
Digitized by
Google
28
ein treten, sowie auch in den Kosten und der An¬
zahl Krankheitstage für jeden Patienten,* so ver¬
pflichte sich der Briefschreiber, auf seine Rechnung
ein neues Krankenhaus für Mittellose errichten zu
lassen.
Henri Krohn, ein mehrfacher Millionär, ist soit
Ende der 70ger Jahre in Paris ansässig, er be¬
wohnt eine behagliche Vorstadtsvilla, aus der aller
Luxus verbannt ist, und führt im Gegensatz zu
seinen Landsleuten ein einfaches und anspruchloses
Leben. Soweit sein Vermögen nicht zur Sicher¬
stellung der Zukunft seiner einzigen Tochter dient,
beabsichtigt er dasselbe philanthropischen Zwecken
nutzbar zu machen. Die Schriften einer religiösen
russischen Sekte, deren Mitglieder früher nach
Sibirien geschickt wurden, haben ihn zum Vor¬
kämpfer einer anti-allopathischen Heilmethode ge¬
macht, welche ganz besonderes Interesse allem
„ Wollenen “ abgewinnen dürfte, da sie eigentlich
nichts Anderes ist, als eine praktische Ausführung
von Prof. Jäger’s Lehren, derart, dass es wirklich
von Wichtigkeit wäre, wenn Herr Krohn die
Schriften dieses „Meisters“ (ich sage absichtlich
nicht „Professor* oder „Gelehrter“, denn dass er
das ist, weiss Jeder) in Uebersetzung kennen lernte.
Die Natur — so steht in der Broschüre —
findet stets spontan und ohne Beistand Mittel zur
Wiederherstellung der Gesundheit, die Krankheiten
werden nur dadurch chronisch und unheilbar, dass
der Organismus mit Medicamenten überfüllt wird.
Die Krankheit ist nichts, als der Kampf der Natur
zur Absonderung von Fremdstoffen, die sich im
Körper anhäufen, weil die Poren der Haut sich ver¬
stopfen. Es ist in erster Linie diese Schliessung
der Poren , welche verhindert werden muss.
Es ist des Menschen eigene Schuld — sagt
Henri Krohn — dass diese Krankheitsursache so
weit verbreitet ist — eine Schuld, die so weit
zurückgeht, dass schon Adam und Eva zum Un¬
glück der gesammten Nachkommenschaft ihre Nackt¬
heit entdeckten und auf den unglücklichen Einfall
kamen, sich zu bekleiden. Die Kleidung trägt die
Schuld von allem Elend } sie hat den natürlichen
Haarwuchs des menschlichen Körpers verschwinden
gemacht und die Schliessung der Poren bewirkt.
Er weist nach, wie Thiere in viel geringerem Grade,
als wir, physischen Krankheiten ausgesetzt sind,
und dass diese sich mit gestörtem oder verhindertem
Haarwuchs in Verbindung bringen lassen. Von ihm
rasirte und dann angekleidete Thiere erkrankten
allmälig, während andere derselben Art, die unbe¬
helligt blieben, wuchsen und gediehen ohne je zu
Siechthum zu neigen.
Da es nun für den Menschen nicht möglich ist,
zum Naturzustand zurückzukehren, so schreibt Krohn
vor, dass man wenigstens Kleider tragen soll, die
so sehr als möglich dem „Haarwuchs* entsprechen,
d. h. Kleider von Wolle. In seiner Gesundheits¬
lehre spielt ferner das kalte Wasser eine Haupt¬
rolle. Oft wiederholte und gründliche Abreibungen
sollen zur Gewohnheit werden. Spartanische Er¬
ziehung und grösstmögliche Enthaltsamkeit, Ver¬
bannung aller Spirituosen gehören zur Methode.
Fleisch ist nur in kleinen Mengen, in um so grösse¬
rer Quantität aber Mehl, Käse und Butter zu ver¬
zehren. Fleissige Gymnastik, ängstliche Vermeidung
von Zug — Fenster sollen nur auf der einen Seite
des Baues sein etc. etc. — das sind im Grossen
und Ganzen die Anweisungen, nach denen man bei
72 Jahren Alter, die Körperfrische und Gesundheit
sich erhalten soll, die Herr Krohn selbst besitzt.
Nun, man kann mit Vergnügen constatiren, dass
wieder einmal ein Millionär der Sache wahrer Mensch¬
lichkeit sein Scherflein opfert, und wie Göteborg's
Handelstidning, in der ich diesen Bericht fand,
wohl mit Begründung bemerkt: „wenn ein Reicher
ein Samenkorn ausstreut, fällt es selten auf san¬
diges Gestein.“ Ich erinnere hier nur an Commer-
zienrath Zimmermann, der durch Errichtung einer
Naturheilanstalt in Chemnitz mit vielleicht zu grossen
Kosten, aber doch mit Erfolg, viel zur Verbreitung
antimedicinischer Grundsätze beitrug, an Bankier
Securius in Wiesbaden, welcher durch den Betrieb
des Vegetarischen Kinderheims am Schlachtensee
bei Berlin die von Krohn befürwortete spartanische
Erziehung praktisch durchführen will.
Es ist nur ein Punkt, mit dem ich und wohl
viele Leser sich mit dem Programm nicht einver¬
standen erklären werden: das ist die „Angst vor
Zug“. Zugfest zu werden, das muss nach meiner
Ansicht das Bestreben jedes Ansehen sein. Sowie
man noch Anhänger ist von der weitverbreiteten,
belästigenden Klage: „Es zieht“ — dann sind auch
„Thür und Thor“ nicht, wie es sein muss, offen,
sondern geschlossen , und der Rath, die Fenster bloss
auf einer Seite des Hauses anzulegen, ist erstens
praktisch nicht zu verallgemeinern, zweitens Freun¬
den von Lufteirculation und Sonnenbestrahlung
geradezu Greuel.“
Ans der Praxis.
Von Dr. H. Goallon.
Zur Pathogenese von Mercurius praecipitatus ruber.
Selten ist mir die Wahrheit des homöopathischen
Aehnlichkeitsgesetzes so überzeugend nahe getreten,
als in dem folgenden Falle, wo ein Patient, dem
ich Mercur verordnet hatte, eine Reihe ganz be¬
stimmter Krankheits-Symptome bekam, die ihm so
lästig wurden, dass er aufhören musste dasselbe
weiter zu nehmen, um dann bei Wiederaufnahme
des Mercur - Gebrauches dieselbe Erfahrung zu
Digitized by v^ooQle
. 2 »
machen. Wir wissen aber, dass in der zahnärzt¬
lichen homöopathischen Praxis kaum ein zweites
Mittel mit Mercur (solubilis) concuriren kann.
Wiederholt habe ich erwähnt, dass man z. B. in
den Leipziger hom. Apotheken da, wo schlechthin
etwas gegen Zahnschmerzen verlangt wurde, auf
Clotar Müllers Anregung Mercur. solub. verabfolgte.
Ob es jetzt noch so ist, weiss ich nicht. Jedenfalls
aber hat sich das Mittel oft genug auf das glän¬
zendste bewährt.
Ohne auf das Leiden, weswegen ich Mercur
gab, näher einzugehen und nur noch erwähnend,
dass es rother Quecksilberkräcipitat war im Yer-
hältniss von 1:200, lasse ich gleich den wört¬
lichen Bericht des Kranken folgen:
„Die verschriebenen Mercur Pulver“ — schreibt
derselbe — „habe ich 8 Tage lang eingenommen,
dann bekam ich Kopfschmerzen, Klingen in den
Obren und namentlich auf der rechten Seite, wo
ich ein Paar schadhafte Zähne habe, heftige
Schmerzen, die mich die Nächte hindurch nicht
schlafen Hessen und auch am Tage unerträglich
waren. Schliesslich war das Reissen auf beide
Kieferknochen übergegangen, so dass ich nicht
sagen konnte, welcher Zahn daran schuld war. Ich
setzte den Mercur aus und zwar 4 Tage hindurch,
und als die Schmerzen nachliessen, fuhr ich mit
Einnahmen fort. Nach 8 Tagen war ich wieder
soweit, dass ich es nicht vor Zahnschmerzen aus-
halten konnte. Ich hörte nun mit Mercur auf und
nahm, um die Nebenwirkung aufzuhebeu, ein Paar
Tage lang Nitri acidum, worauf die Zahnschmerzen
nachliessen. Ganz frei bin ich auch heute nicht
davon. — —“
Therapeutischer Erfolg vom Marsschen Krebs-
mittel.
„Ich bitte herzlich wiederum um einen kleinen
Vorrath von dem Transvaal - Krebsmittel. Meine
liebe Schleussers Frau hat die Wochen, seit sie es
braucht, viel schmerzloser zugebracht. Vor 14
Tagen entliess sie ihr Operateur, endlich zugebend,
er habe keine Hoffnung mehr, könne nichts weiter
tliun, und sie hatte grosse Schmerzen, ein Beissen
und Fresseu und es eiterte aus einer kleinen Stelle
am Hals und an dem Ohre, wo die tiefe Narbe
sitzt. Nun hat sie keinen Schmerz, höchstens etwas
Jucken im Ohrläppchen, aber die Wunde ist zu.
Ich wage kaum zu hoffen, und bitte also um einen
weiteren kleinen Vorrath.“
Hier hatten die von Mars versandten GlobuH
offenbar einen positiven Nutzen und nicht wegzu¬
leugnende Wirkung auf den carcinomatösen Process.
Genau nach einem Monat schrieb dieselbe Re¬
ferentin, Frau Gräfin S.: „Mit der Frage, ob Sie
nicht ein zu grosses Opfer bringen, wenn Sie mir
von Neuem von dem gewiss kostbaren und schwer
zu erreichenden Transvaal-Mittel zukommen lassen
wollen, komme ich heute wieder, aber die liebe
arme Fiau ist so freudig und zuversichtlich, weil
es ihr wirklich besser geht und sie wenig Schmer¬
zen hat, dass ich ihre Bitte erfüllt sehen möchte.
Es scheint aus Allem, dass auch der Mund viel
weniger schief gezogen, der durch die vielen Ope¬
rationen, die Sehnen und Nerven durchschnitten,
ganz auf der Seite stand. Auch das Auge fällt
von selbst auf der Seite zu.“
In einem früheren Schreiben heisst es von der
Patientin, die ich leider wegen der grossen Entfer¬
nung nicht selbst sehen konnte:
„Auch ersuche ich Sie um Rath, ob die so viel
operirte Kranke, die aber jetzt gerade nicht viel
klagt und deren Narbe nicht nässt — aber ein
Beissen, Stechen und Ziehen kommt Öfter, — wieder
Conium oder Aurum oder was sonst nehmen soll,
so unthätig möchte ich nicht erst Verschlimmerung
heran kommen lassen. — —“
Dieser drohenden Verschlimmerung wurde also
durch die Globuli Marsii vorgebeugt.
Endlich half Frau Gräfin S. meinem Gedäehtniss
nach, indem sie eine diesbezügliche Anfrage am
22. September d. J. dahin beantwortete: „Die
Krebskranke, die das Transvaal-Mittel braucht, ist
nicht die mit offenem Krebs und zerstörtem Ge¬
sicht — sondern die , welche so oft operirt wurde,
wobei Sehnen zerschnitten und Arterien getroffen
wurden, so dass drei Sachverständige mit vereinten
Kräften die Verblutung hinderten. Dieselbe hat
nun die Wunde zu, eine tiefe Narbe ist entstan¬
den, aus der lange Zeit der Faden hing (vom Zu¬
binden des Arterien-Theiles) und die immer nässte.“
„Patientin befindet sich also viel schmerzloser und
frischer seit dem Manschen Mittel .*)“
Bericht vom 22. Nov. v. J.
„Meiner Patientin geht es, dem Himmel sei Dank,
recht gut! Ich bin zufrieden, sagt sie, wenn ich
sie heraufkommen lasse von Zeit zu Zeit, und das
letzte Mal zeigte ich ihr Ihre Photographie, und
sie rief aus: „0, der liebe Herr Doctor, er hat ja
hier keine Hand, dass ich sie ihm küssen könnte
— und da sagte ich ihr, ich würde es Ihnen
schreiben. Die arme, liebe brave Kindermutter —
welches Verdienst haben Sie, hat die Homöopathie
an ihr!!“
Ich halte es durchaus für angemessen, diesen
Bericht wörtlich wiederzugeben. Er ist zu bezeich¬
nend für den positiven Erfolg in diesem concreten
weit vorgeschrittenen Krebs-Krankheitsfall.
* f Ich gab übrigens in diesem Falle die Streu¬
kügelchen früh und Abends zu 5 Stück, also nicht t wie
Herr Mars cs vorgeschrieben hat
Digitized by
Google
96
Epidemiologische Ecke.
Während von überall her das Auftreten der
Influenza gemeldet ist, sind wir hier noch so ziem¬
lich davon verschont geblieben. Am 7. d. Mts.
traten Halsentzündungen und Diphterie auf einmal
in den. Vordergrund und damit die Combination
Kali carb. -j- Bell. = Apis (Coli. Stemmer hier
gab gegen diese Affektionen Mercurpräparate mit
gutem Erfolg); Apis bewährte sich vortrefflich und
blieb herrschend bis zum 13. d. Mts. Die haupt¬
sächlichsten Symptome waren: heftiges Fieber mit
Frost; Durstlosigkeit; grosse Mattigkeit; heftige
Schmerzen im Kopf entweder vor der Stirn und
in der linken Schläfe herunter oder mit Nacken¬
steifheit und Stechen in der linken Kopfhälfte von
hinten herauf nach dem linken Auge; heftige
Schmerzen im Bücken und allen Gliedern, so dass
Pat. sich nicht zu rühren wagt; Schlaf sehr un¬
ruhig, Erwachen besonders Morgens um 1—2—3
Uhr, dann ruhiger; bei Kindern häufiges Aufschrecken
aus dem Schlaf mit einem Schrei; Pat. siebt Männer
um sich; (ein Kind mit Hydrocephaloid und acutem
Magen- und Darmkatarrh dreht nach tonischen
Krampfanfällen beständig den Kopf hin und her
und gräbt ihn dabei in das Kissen); Appetit fehlt;
Ekel vor Essen und Trinken; Uebelkeit; hie und
da Erbrechen; Bauchschmerzen; Verstopfung, später
Neigung zu Durchfall; Verminderung der Urinse-
cretion; von Seiten der Bespirationsorgane machte
sich leichter Schnupfen und mässiger aber krampf¬
hafter, ziemlich trockener Husten geltend; das all¬
gemeinste Symptom war Angina mit Anschwellung
beider Mandeln erst rechts, später und schlimmer
auch links, hochrot, oft mit gelbbraunen diphthe¬
rischem Belag.
Am 14. d. Mts. fielen mir grosse Neigung zu
Durchfall und Bauchschmerzen in der linken Unter-
baucbgegend, sowie einige Fälle von heftigem,
krampfhaftem, trockenem Husten Tag und Nacht und
Kratzen im Hals auf. Hierbei war Crot. tigl -f-
Natr. mur. oder Plat. met. angezeigt
Heute finde ich vorwiegend Natr. mur. -f- Iris
oder + Led. Coli. Stiegele hier beobachtet Com-
binationen von Natr. mur. -J- Iris oder -f- Cina
oder -f- Led. und einigen anderen schon seit ca. 8
Tagen häufiger.
Von Coli. Kim-Pforzheim liegen folgende Mit¬
theilungen vor: vom 5. d. Monats Kali carb. -J-
Bell. = Apis bei Diphterie ausgezeichnet; bei epi¬
demischer Laryngitis sieht er von Bell. 30 -f- Bry.
30 die raschesten Erfolge (bei Laryngit. war hier
nach den Schmerzpunkten Zinc. met. -f- Bell, an¬
gezeigt).
Am 8 f d. Mts. schreibt er, dass er viel Keuch¬
husten habe, dabei Drosera Spongia. Am 12.
d. Mts. berichtet er von ungewöhnlich hohem
Krankenstand: besonders grippeartige Krankheiten
mit Entzündungen des Halses und der Bronchien,
rheumatischer Affektion der Nacken- und Lumbar-
muskeln; Husten, der bei Kindern leicht in Krampf¬
husten übergeht, häufig mit Darmkatarrh vergesell¬
schaftet, dabei Kali carb. Bell. = Apis.
Coli. Leeser-Bonn theilte mit: am 10. d. Mts.
Nitriac. -f- Bell., sonst in letzter Zeit theils Kali
carb. -j- Bell, theils Baryt, carb. + Bell.; am 13.
d. Mts. fand er Kali carb. -f- (Jaust. = Amica,
vereinzelt Natr. mur. -f- Bell., auch Silic. -}- Bell.
Stuttgart, den 15. Januar 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Lesefruchte.
Dr. v. Gerhardt macht in seinem Handbuch
der Homöopathie (S. 514 V. Aufl.) auf die Er¬
fahrungen eines amerikanischen Arztes aufmerksam,
welcher in Umschlägen von gequetschten Preissei -
beeren (Crowberries) auf Brustkrebsgeschwöre ein
Heilmittel erblickt.
Neuerdings scheinen nun auch die Heidelbeeren
zu ungeahntem Ansehen zu gelangen, wie man aus
folgenden Mittheilungen ersehen mag.
Psoriasis linguae. Prof. Winternitz (Wien)
fand Ausspülung des Mundes (3 mal täglich 10—15
Minuten lang) mit einem Decoct von Heidelbeeren
(Vaccinium Myrtillus) in einem alten, schon 20 Jahre
vergeblich behandelten Falle mit Flecken, Rhagaden,
Rissen, Geschwüren u. s. w. höchst wirksam. Schon
nach den ersten Ausspülungen Nachlassen der hef¬
tigen Schmerzen, nach vier Wochen totale Heilung
der Zungenschleimhaut. Wirksames Agens jedenfalls
die Farbstoffe. [Bereitung des Mittels: Uebergiessen
der ausgetrockneten Beeren mit kaltem Wasser;
Abkochung, mindestens 2 Stunden lang, unter häu¬
figem Umrühren; Abseihen der syrupartigen Masse
durch ein Leinentucb; kräftiges Auspressen der
Beeren; Abkühlen) (Blätter für klin. Hydrotherapie
1891 Nr. 3. Internation. klin. Rundschau 1891
No. 30.)
Tuberculosis. Prof. Winternitz heilte äusserst
hartnäckige Diarrhöen der Phthisiker mit dem
Decoct von Heidelbeeren von dem er täglich 1—3
Kaffeeschalen trinken liess. Auch andere Diarrhöen ,
die jeglicher Therapie (selbst Opiaten!) getrotzt
hatten, kamen zum Stillstand. (Blätter f. klin.
Hydrotherapie. — Internat, klin. Rundschau 1891
Nr. 30.)
A. Müntz. De t enriclussement du sang en himo -
globine , suivantles conditions a’existenceCompt. rend .
CXII. p. 298.
Kaninchen, welche in Höhe von ca. 2900 m.
dauernd gehalten wurden, zeigten nach mehreren
Generationen, 7 Jahre nach ihrer Verpflanzung aus
Digitized by v^ooQie
81
der Ebene auf die Höhe, das Blut um fast 40°/ 0
reicher an festen Substanzen und um 70°/ 0 reicher
an Eisen, als Kaninchen, die in der Ebene lebten,
aus der Zunahme des Eisengehaltes ist auf eine
Zunahme des Hämoglobingehaltes zu schliessen, in
der That absorbirte das Blut der Höhenthiere 14/5
mal so viel Sauerstoff, als das der in der Ebene
lebenden. Hammel, welche aus der Ebene auf die
nämliche Höhe gebracht wurden, zeigten dieselben
Veränderungen im Blut, nur in noch höherem
Grade, bereite nach 6 Wochen. Auch bei intensiv
gemästeten Thieren erfolgt eine Zunahme des Hämo¬
globingehaltes und damit, nach Regnard, eine Zu¬
nahme der respiratorischen Capacität (Grösse der
Sauerstoffabsorption für 100 Theile Blut.)
J. Munk.
Aus Centralblatt für die medicinischen Wissen¬
schaften Nr. 25. 20. Juni 1891.
Ehimann. Ueber Trtgeminusneuralgieen bei acutem
Jodismus. Wiener med. Blätter 1890. Nr. 44.
Bei 4 mit Syphilis behafteten Patienten traten
im Verlaufe der ersten Stunden nach Aufnahme
der ersten Jodsalzmengen die Erscheinungen der
Trigeminusneuralgie auf in Begleitung mit der
ödematösen Anschwellung, Conjunctivalhyperamie
und Thränenflus8. Diese Erscheinungen schwanden
in kürzester Zeit trotz des stürmischen Verlaufes
und kehrten wieder, wenn Jodkali weiter gereicht
würde.
Kalischer.
De Walker. (Paris): Iritis märitique.
Jede Iritis rührt nach Walker von einer In¬
fektion her, und jedes Individuum, das an einer
Iritis leitet, ist nach ihm Träger einer Infektions¬
krankheit. Zieht man die häufigste Ursache der
Iritis, nämlich die Syphilis, in Abrechnung und sieht
nun auch von den Fällen rheumatischen Ursprungs
ab, so bleibt noch immer eine Reihe von Fällen
übrig, bei denen eine Infektion nicht leicht nach¬
zuweisen ist Diese Fälle von Iritis und Iridocho-
rioiditis kommen mit einer gewissen Constanz bei
jungen Frauen vor oder bei solchen im kritischen
Alter. Diese Form ist es, die Walker in Nr. 27
der „Lan. med.“ als Iritis metritica bezeichnet,
die von einer Infektion ausgeht, deren Ursprung
im Uterus oder in dessen Umgebung (Vagina und
Adnexa) liegt. Er hat diese Form von Iritis
wiederholt beobachtet So oft in einem Falle von
Iritis oder Iridochorioiditis sowohl Syphilis, als
auch Rheumatismus mit Sicherheit auszuschliessen
waren, konnte eine gynäkologische Untersuchung
einen Infectionsherd im Uterus oder dessen Um¬
gebung nachweisen, dessen Entfernung die Augen*
erscheinung zum Schwinden brachte. Es hat dem¬
nach die richtige Erkennung dieser Form nicht
nur ein theoretisches, sondern auch ein eminent
praktisches, ja sogar therapeutisches Interesse, denn
die locale Behandlung des Uterus ertfeist sich oft
wirksamer, als die isolirte Behandlung des Auges.
Walker hat wiederholt jede allgemeine oder aufs
Auge gerichtete locale Behandlung weggelassen
und nur die locale Behandlung der Uteruser^
krankung eingeleitet und beobachtet, dass die
letztere in den meisten Fällen eine Besserung und
schliesslich eine viel raschere Heilung herbeiführte.
Bemerkenswerth ist, das9 diese Fälle von Iritis oder
Iridochorioiditis bei jungen Frauen eine uterine
Erkrankung kennen lassen, die bis dahin unbekannt
geblieben war. So erwähnt Walker einer jungen
Frau, die seit einem Jahr verheirathet war und eine
sehr hartnäckige, oft reeidmrende Iritis • bekamt
Rheumatismus und Syphilis konnten mit Sicherheit
ausgesehtossen werden. Es bestanden keinerlei
funktionelle Störungen seitens der Sexualorgane,
nur hatte die Frau nicht concipirt, trotzdem ihr
Gatte jung und gesund war. Eine Untersuchung
mit dem Speculum, die die Kranke erst nach
längerem Zureden zugab; zeigt iine ExcQriation
der Portio mit Eiterung in der Umgebung: c ]des
Cervix. In - einem anderen Kalle.. wurde: ein* En¬
dometritis durch eine solche Iritis' entdeckt,
wobei die häufigeren Recidive erst nach voll¬
ständiger Desinfektion der Genitalorgane aufhörten.
Uebertragungen der Mikroorganismen aus Fällen
von Endometritis auf Augen von Kaninchen er¬
gaben keine positiven Resultate, was jedoch für die
Pathogenese dieser Erkrankung beim Menschen
nichts beweist. F.
Wiener medicinische Presse Nr. 26. XXXII.
Jahrgang.
Vermischtes.
Der pract. Arzt Dr. Sutoris in Leipzig ist am
12. d. M. wegen vollendeten und versuchten Be¬
trugs mit 4 Monaten Gefängniss' bestraft worden.
Derselbe hatte in 18 Fällen die Leipziger Orts¬
krankenkasse durch fingirte Krankenbesuche und
Operationen betrogen.
Aus der Urteilsbegründung ist zu ersah eh, dasb
man als erwiesen angesehen hat, dass der Ange¬
schuldigte durch 7 Quartale vom 1. Juli 1889 bis
zum 31. März 1891 in einzelnen Fällen zu viel
berechnete und zwar beläuft sich die Summe, um
welche die Ortskrankenkaese resp. deren > Aerste
geschädigt worden sind, auf 132 Mark 50 Pfge.
Bei 20 Mark, die das letzte Quartal betreffen, kommt
nur versuchter Betrug in Betracht, weil Dr. Sutoris
diese Vierteljahrsrechnung noch gar nicht ausgezahlt
erhalten hat. Ob der strafbaren Handlungsweise
des Angesohuldigten Absicht oder Irrthum zu Grunde
liege, darauf hat der Gerichtshof nicht Bezug ge -
Digitized by
Google
»2
nommen , ihm genügte bei der Aburtheiluog einzig
und allein , dass falsche Eintragungen vorgenommen
'worden waren, für die Dr. Sutoris die Verant¬
wortung zu tragen hat. Die Zugeständnisse sind
nicht als durchschlagender Beweis angenommen
worden, sondern sind nur dem Beweismaterial zu
Hilfe gekommen. Zu Gunsten des Angeschuldigten
hat man seine bisherige Unbescholtenheit, zu Un¬
gunsten desselben den groben Vertrauensbruch, ohne
in Nothlage zu sein, in Betracht gezogen.
Das Neueste in der Kurpfuscherei ist ein Com¬
pagniegeschäft für eine verbesserte Electro-Homöo-
pathie. Wie wir im Inseratentheil der hiesigen
Zeitungen lesen, ist von Theilig & Kässbrig hier-
selbst eine hydrohomöopathisch - electrische Heil¬
anstalt errichtet worden. Preis der einzelnen Sitz¬
ung 2 Mk., Karte für 10 Sitzungen 15 Mk. Der
Genfer electro - homöopathische Geheimmittelunfug
ist also nichts eigenartiges mehr Waß mag der electro-
homöopathische Apotheker und Reclamemacher Sau-
ter zu dieser Hydro-Electro-Homüopathie sagen?
Personalia.
Herr Dr. Kays er hat sich in Saarbrücken als
homöopathischer Arzt niedergelassen.
ANZEIGEN.
■■ Neu, billig und practisch —
Zungenhalter von Holz.
Zufolge häufiger Beschwerden des Publikums
über jahrelange Benutzung eines und desselben
neusilbernen oder silbernen Zungenhalters (trotz
dessen sofortiger Reinigung und Desinfection) bei
verschiedenen Personen, sind wir den Wünschen einiger
Herren Aerzte nachgekommen und haben aus sau¬
berem Weissbuchenholze einfache und practische
Zungenhalter
machen lassen, die durch ihren ausserordentlich
billigen Preis gestatten, nach einmaligem Gebrauche
weggeworfen zu werden und den Patienten somit
jede Sorge um Uebertragung irgend welcher Krank¬
heiten durch Anwendung dieses so sehr nöthigen
Instrumentes nehmen. —
Wir halten dieselben daher der Herren Aerzten
zur gefl. Benutzung bestens empfohlen. —
Preis pro Stflek 6 Pfg., pr. Dtzd. 60 Pf*.,
pr. 100 Stlek Mk. 4,80.
A. Margyraf’s Homöopathische Offlein
In Leipzig.
Zur Ergänzung der Bibliotheken empfehle ich
den Herren Aerzten von der
Allgemeinen Homöopath. Zeitung
ganze Collectionen vom 1. bis 123. Bande, wie
auch einzelne Bände und von den letzten zehn
Bänden, so weit der Vorrath reicht, auch einzelne
Nummern zu billigsten Preisen.
A. Marggraf*s Homöopath. Offlein in Leipzig.
Revisionsmässige Hausapotheken!
Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbat-
dispensirenden homöopathischen Herren Aerzte werden
jetzt von den Revisoren hinsichtlich der Aufbewahrung
der Venena und Separanda dieselben Anforderungen ge¬
stellt, wie in den Apotheken.
Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte
kleine, praktische
Oiftschränkchen
und
Separanden-Schränkchen
anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu
Diensten.
(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen
vollste Anerkennung gefunden).
Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬
oder mahagoniartig gestrichen, damit sie stets zur
anderweitigen Zimmereinrichtung passen.
Ein Giftschränkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze
Schränckchen verschliesst, sind 3 Abtheilungen für Al-
caloide, Arsenicalia u. Mercurialia, welche jede durch eine
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für
sich verschliessbar ist. In diesen Abtbeilungen sind
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen.
Preis eines scdchen Schränkchens, leer, nur 30 M.
Ein Separandenschränkchen ist 70 cm hoch, 50 cm
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren
sind (sieh i Revisions-Etiquetten-Hefte).
Ein solches Schränkchen kostet leer nur 24 M.
A. MarggraTs homöopath. Offizin in Leipzig.
Verantwortliche Redacteure: Or. GoehruB-Stuttgait, Dr. Stifft-Leipzig und Dr. Haedlcke-Leipzig.
Expedition und Verlag von WUliaM Steioaetz (A. MarggraPa homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von firmier & Sobraan in Leipzig.
Digitized by
Google
Leipzig, den 4. Februar 1892.
ALLGEMEINE
No. 5 u. 6.
Band 124.
homöopathische mmu .
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homSopath. Officin) in Leipzig.
MT Bwcbeint 14t%ig so f Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Bend. Praia 10 M. ftO Pf. (Halbjahr). Allo Buchhandlungen and
Poetanatalten nehmen Beetellnngen an. — Inserate, welehe an EL Moase in Iieipsiff and dessen Filialen an richten aind,
werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitaeile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt: Rückblick auf die gecchlohtflohe Entwlokclung der Weiberchen Heilmethode. Von Dr. med. Leeser-
Bonn. — Die Weibe’sche Heihnetbcde und die Honüccatble. Von Dr. med. H. Göhrnm Stuttgart, — Ueber die Ncth-
weodlgkeif erneuter Prflfuneon der ArzneMttel. Von Dr. med. Leeser-Bonn. — Ueber die Abortivtherapie der
Galleneteiakraakheiten. Von Dr. Mossa-Stuttgart. — EpIdeMlologltche Ecke. — Fragekaeten. - Rechnungeablegung.
— Anzeigen.
Rückblick auf die geschichtliche Ent¬
wickelung der Weihe’schen Heil¬
methode.
Vortrag, gehalten zum Beginn der constituirenden
Versammlung der „Epidemiologischen Gesellschaft“
in Frankfurt a/M. am 23. Dez. 1891.
Von Dr. med. Lceeer-Bonn.
Meine Herren! Wie aus dem Ihnen mitgetheilten
Programm für unsere heutige Versammlung zu er¬
sehen ist, werden wir uns in etwas eingehenderer
Weise, als dies bei anderen Versammlungen, wo
den verschiedensten Interessen Rechnung getragen
werden muss, möglich ist, mit der epidemischen
Heilmethode, speciell mit der durch unsern hoch¬
verehrten Collegeu Dr. August Weihe in Herford
entdeckten Schmerzpunkttheorie, befassen. Als Ein¬
leitung zu diesem Thema dürfte ein kurzer ge¬
schichtlicher Rückblick auf die Entstehung und Ent¬
wickelung dieser im höchsten Grade interessanten,
in der Verschmelzung der Lehren Hahnemann’s und
Rademacher’s gipfelnden Entdeckung, die leider von
vielen Oollegen noch nicht hinlänglich gewürdigt
wird, nicht unangebracht erscheinen. Da bei dem
verhältnissraässig erst kurzen Bestehen der Weihe¬
schen Methode von einer eigentlichen Geschichte
nicht gut die Rede sein kann, auch eine chrono¬
logische Aufzählung der einzelnen, keineswegs scharf
abzugrenzenden Phasen der Entdeckung nicht einen
genügenden Einblick in das Zustandekommen der¬
selben ergeben würde, so gestatten Sie mir, dass
ich Sie, so gut ich es vermag, mit dem Ideengange,
welcher den Schöpfer der Methode leitete, einiger-
massen vertraut mache, ohne mich streng an die
geschichtliche Aufeinanderfolge zu halten.
Gleich im Anfänge seiner Praxis hatte Weihe
schon von epidemischen Mitteln Gebrauch gemacht,
deren Auffindung er zum Theil dem günstigen Zu¬
fall verdankte. Im Jahre 1868 hatte er längere
Zeit eine Chelidoniumepidemie, 1869 eine solche
von Apis und später von Kali carbonicum, im Jahre
1870 fand er eine Zeit lang Ferrum mit Quassia,
später Belladonna als epidemische Mittel indioirt.
Wie Sie sehen, hatte er theils empirisch nach Rade¬
macher, theils unter Berücksichtigung der Hahne-
mann’schen Arzneimittelsymptome diese epidemischen
Mittel gefunden. Kein Wunder daher, dass sich ihm
der Gedanke aufdrängte, dass die Lehren Hahne¬
mann’s und Rademacher’s gemeinsame Berührungs¬
punkte aufweisen mussten, ein Gedanke, dem bereits
im Jahre 1866 Grauvogl in seinem Lehrbuche
Ausdruck verliehen hatte.
Während ihn dieser Gedanke beschäftigte, bekam
er zu Anfang des Jahres 1872 eine Epidemie, in
welcher sich ihm Natrum nitricum mit Nicotiana
hilfreich erwies. Gleichzeitig erkrankte er selbst
unter Symptomen, die ihm homöopathisch, d. h.
den Symptomen nach Sepia indicirt erscheinen
Hessen, welches Mittel ihm auch vortreffliche Dienste
leistete. Später half ihm während derselben Epi¬
demie gegen einen trockenen, nach dem Niederlegen
sich verschlimmernden Reizhusten eben so schnell
und gut eine Gabe Natr. nitric. mit Nicol Er
verwandte nun, von der Idee ausgehend, dass diese
6
Digitized by
Google
S4
beiden verschiedenen Heilpotenzen in ihrer thera¬
peutischen Wirkung gleichwerthig sein möchten,
im weiteren Verlaufe der genannten Epidemie ziem-
lieh gleich häufig Sepia und Natr. nitr. mit Nicot.,
und zwar stets mit gleich gutem Erfolge. Somit
hatte er zum ersten Male eine sog. therapeutische
Gleichheit empirisch festgestellt, und sind wir daher
wohl berechtigt, das Jahr 1872 als das Enstehungs-
jahr der Weihe’schen Methode zu bezeichnen, ob¬
wohl Weihe damals die Schmerzpunkte in der Be¬
deutung, wie wir sie heute kennen, noch nicht ge¬
funden hatte, ja nicht einmal ahnte; er kannte sie
nur dem Namen nach aus den Werken Rademacher* s
und Kissel’s. Es erging ihm eben wie so manchem
Forscher, der auf Entdeckungen ausgegangen ist,
dass er schliesslich ganz etwas Anderes und Wich¬
tigeres fand, als er ursprünglich suchte.
Im Anfang des Jahres 1873 hatte er eine Epi¬
demie, die den Symptomen naoh vielfach an die
genannte Sepiaepidemie erinnerte, wo er indess in
Natr. nitr. mit Opium das heilende Mittel fand.
Nebenher traten jedoch andere, ähnliche Krankheits¬
formen auf, in denen sich Natr. nitr. mit Opium
nicht bewährte. In diesen Fällen fehlte bei den
Patienten die lebhafte Wangenröthe, die Weihe nie¬
mals bei denjenigen Pat vennisst hatte, denen Natr.
nitr. mit Nicot. und Natr. nitr. mit Opium geholfen
hatten, und die er daher wohl mit Recht als dem
Natr. nitr. eigentümlich ansah. Da die letztge¬
nannten Fälle im Uehrigen denen aus der letzten
Epidemie in ihren Symptomen ähnlich sahen, so
kam Weihe die Idee, Opium, statt mit dem offenbar
nicht passenden Natr. nitr., mit einem anderen Rade-
macher'schen Universale zu versuchen. Da sowohl
Ferrum als Cuprum mit Opium versagten, suchte
er unter den homöopathischen Polychresten nach
einem Ersatz für das Rademacber'sche Universale.
Er wollte zunächst Mercur, statt des Natr. nitr. resp.
Nitr. acidum, mit Opium geben, hatte indess zufällig
keinen Mercur mehr vorräthig und nahm statt dessen
das Pulvis solaris des Dr. Latz, welches aus einer
Verbindung von Antimon und Mercur bestand. Zu
seiner grossen Ueberraschung wirkte die Verbindung
des Pulvis solaris mit Opium ebenso schlagend, wie
die früheren Combinationen. (Erst später entdeckte
er, dass das Pulvis solaris therapeutisch der Silicea
gleich werthig ist.) Jetzt kam er zum ersten Male
auf den Gedanken, dass es doch mehr als drei
Universalia gebe, wie Rademacher angenommen hatte,
vielleicht sagte er sich, sind die 7 Arcana des Dr.
Latz, mit dessen Lehre er sich damals vielfach
beschäftigte, sammt und sonders Universalia. Die
Bemerkung des Dr. Latz, dass es zur Zeit bereits
unmöglich sei, den grossen allopathischen und homöo¬
pathischen Arzneischatz zu übersehen, hatte einen
ebenso grossen Eindruck auf ihn gemacht, wie vor¬
her eine briefliche Aeusserung Rapp's, dass sich
über kurz oder lang die Nothwendigkeit heraus¬
steilen werde, den allzusehr herangewachsenen
homöopathischen Arzneischatz auf eine gewisse, über¬
sehbare Zahl von Mitteln zu beschränken.* Da er nun
ferner in der Allgem. Hom. Zeitg. eine von Rapp
stammende Notiz BrucknePs gelesen hatte, dass Apis
= Ferrum mit Nux vomica und Lachesis = Cuprum
mit Nux vomica sei, so überlegte er nun folgender-
massen: die Zahl der Universalia bei Rademacher
sei sehr klein im Verhältniss zu der so grossen An¬
zahl der Arzneimittel; vielleicht sei es möglich,
durch Vermehrung der Universalia eine grosse An¬
zahl von Arzneimitteln entbehrlich zu machen, indem
man deren Heilkraft nach Analogie von Apis =
Ferrum mit Nux vomica und Lachesis = Cuprum
mit Nux vomica durch Combination eines Organ¬
mittels mit verschiedenen Universalmitteln ersetzte.
Weiter, dachte er, würden sich vielleicht für jedes
Universale objective, wahlentscheidende Zeichen
auffinden lassen, wie sie Rademacher in der alka¬
lischen Reaction des Harns für Eisen gefunden hatte.
Dann hätte man, so calculirte Weihe weiter, je,
unter der Voraussetzung, dass die meisten Heil¬
potenzen sich durch Combination ersetzen liessen,
mit der Erkenntniss des Universale die Heilpotenz
zur Hälfte schon gefunden und könnte zur Erkennung
des betr. Organmittels theils die subjectiven Symp¬
tome nach dem Aehnlichkeitsgesetz herbeiziehen,
theils die Schmerzpunkte verwerthen, deren Existenz
Weihe schon — wie bereits bemerkt — in den
Werken von Rademacher und Kissel angedeutet
fand, wenn auch nicht im Entferntesten von diesen
Autoren denselben die Bedeutung zuerkannt wurde,
die Weihe ihnen später beilegte. Weihe hielt eben
diese Schmerzpunkte für nur den Organmitteln
eigenthümilch, nachdem er sich vielfach von deren
Existenz bei Leber- und Milzleiden, wo eine be¬
stimmte Stelle der Leber- resp. Milzgegend auf
Druck schmerzempfindlich war, überzeugt hatte.
Weihe setzte nun seine Bestrebungen in dem
Sinne fort, dass er immer neue Universalia auf¬
zufinden sich bemühte. So fand er Natrum sulfu-
ricum, Sulfur und noch einige andere, indem er,
wenn er ein epidemisches Mittel gefunden hatte,
zu erforschen suchte, welches Universale und welches
Organmittel darin steckte. Schliesslich reichten
die Latz’schen 7 Mitteln auch nicht mehr aus, und
so wandte er sich von Latz allmählich ab und ging
seine eigenen Wege weiter.
Nachdem Weibe durch zahlreiche Versuche seine
Hypothese von der Möglichkeit, sog. Organmittel
durch Combination von Universale mit andern Organ-
mitteln zu ersetzen, durch die Praxis bestätigt ge¬
funden hatte, entdeckte er im Sommer 1875 bei
einem Patienten, dem er, in der Hoffnung irgend¬
welche Anhaltspunkte zu finden, den Bauch be¬
tastete, plötzlich zwei Schmerzpunkte von gleicher
Digitized by UjOOQie
S5
Intensität in der Magengegend und über dem Nabel,
was ihm bis dahin noch nicht vorgekommen war.
Da schoss ihm denn der Gedanke durch den Kopf,
ob hier der eine Punkt zu einem Organmittel
und der andere zu einem Universale in Beziehung
stehen könnte, während er bisher geglaubt batte,
dass den Universalmitteln, welche er mit Kissel auf
das Blut bezogen hatte, ein Schmerzpunkt nicht
zukomme. Von diesem Zeitpunkt ab begann Weihe
erst consequent, jeden Patienten auf Schmerzpunkte
zu untersuchen, wobei er in der Regel zwei vorzugs¬
weise schmerzhafte, d. h. auf Fingerdruck empfind¬
liche, Stellen fand. In ebenso empirischer Weise
wie früher fuhr er nun fort, die Uni Versal ia und
Organmittel in den einzelnen Epidemieen aufzusuchen,
wobei er sich selbstredend durch eine Menge von
Trrthümem und Fehlgriffen hindurch zur allmäh¬
lichen Sicherheit emporarbeiten musste. Hatte
nun bei einer gewissen Schmerzpunktconstellation
eine Mittelcombination von Universale und Organ¬
mittel sich bewährt, so galt es noch zu erforschen,
welcher Scbmerzpunkt dem Universale und welcher
dem Organmittel zukam, was am ehesten bei einem
etwaigen Wechsel der Epidemie, wo in der Regel
der eine Schmerzpunkt constant blieb, herauszu¬
bringen war. So reihte sich ein Versuch an den
anderen, bis es Weibe im Laufe der fünf folgenden
Jahre dahin gebracht hatte, im Ganzen 24 Uni-
versalia nebst zugehörigen Schmerzpunkten aufzu¬
finden , wobei ihm der verhältnissraässig rasche
Wechsel der Epidemien Vorschub leistete. Auf
jedes Universale bezog er nun theoretisch 4 Organ¬
mittel nach dem Vorgang von Rademacher, der 4
Milz- und 4 Lebermittel als Organmittel angegeben
hatte. Es standen ihm also mittelst der 24 Uni-
versalia, vorausgesetzt, dass die dazu gehörigen
120 Organmittel sämmtlich aufgefunden und zu
Schmerzpunkten in Beziehung gebracht würden,
bereits 2880 Mittelcombinationen zu Gebote, die
sich durch einen Arzneischatz von 144 Mitteln er¬
langen Hessen. Heute ist die Zahl der Universalia
auf 24 nicht beschränkt geblieben, während die 120
Organmittel noch nicht alle gefunden und localisirt
sind, was indess nur noch eine Frage der Zeit ist.
Wir sind eben jetzt in der glücklichen Lage, weit
seltener als Weibe früher bei einer neuen Schmerz-
punktconstellation mit zwei Unbekannten operiren
zu müssen, da in der Regel bereits einer der Punkte,
auch nach seiner Qualität, ob Universale oder Organ¬
mitte), bekannt ist. Es hat sich nämlich im Laufe
der Zeit heraus gestellt, dass im Allgemeinen alle
anorganischen Mittel als Universalia, hingegen alle
thierischen und Pflanzengifte als Organmittel an¬
zusehen sind, wobei allerdings der frühere Rade-
macher’sche Begriff von Universale und Organmittel
allmählich verloren gegangen, resp. erweitert worden
ist, ebenso wie auch die ursprünglich von Weihe
beliebte Aufstellung und Gruppirung der Arznei¬
stoffe im Rademacherschen Sinne als Gehirn-,
Rückenmarks-. Herz-, Nieren-, Leber-, Milz-Mittel
etc. mehr und mehr ihre Bedeutung und Berech¬
tigung verloren hat, in ähnlicher Weise wie die
früher von Hahnemann aufgestellte strenge Scheidung
der homöopathischen Arzneien in antipsorische und
nicht antipsorische verwischt worden ist.
Wir nehmen eben jetzt als Regel an, dass jedes
anorganische Mittel sich mit einem beliebigen orga¬
nischen Mittel zu einer Heilpotenz verbinden lässt,
und dass diese Combination wieder \n ihrer thera¬
peutischen Wirkung der eines einfachen homöo¬
pathischen Mittels gleichwerthig ist. Die Aufstellung
einer grossen Zahl dieser sog. therapeutischen Gleich¬
heiten nach Analogie der Apis = Ferrum mit Nux
vomica, wodurch man zugleich einen tieferen Ein¬
blick in die Verwandtschaften der Arzneien erhält,
ist ein grosses Verdienst Weihe's. Während er im
Jahre 1880 erst ca. 30 solcher therapeutischer
Gleichheiten aufgestellt hatte, lässt sich jetzt schon
die dreifache Anzahl Arzneien durch Combination
ersetzen, z. Th. sogar durch verschiedene Com-
binationen, was für die Aufstellung der verschieden¬
artigen Wirkungssphären der einzelnen Arzneien
von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, wie
überhaupt — ich glaube damit nicht zu viel zu
sagen — an der Hand der Weihe’schen Methode
erst ein richtiges Verständniss der homöopathischen
Arzneimittellehre ermöglicht werden kann.
Die Auffindung der einem Universale und dem
zugehörigen Organmittel entsprechenden therapeu¬
tischen Einheit war nur durch Vergleichung der
Symptome nach dem Aehnliohkeitsgesetz möglich,
wofern man sie nicht noch empirisch fand. Hatte
Weihe nun ein solches Mittel gefunden, so erprobte
er es zunächst in der Praxis und fand er, dass die
Wirkung dieses Mittels dann dieselbe war wie die
der beiden anderen, so stellte er es den beiden als
therapeutisch gleichwerthig fest. Nicht immer wurde
er durch das Aehnliohkeitsgesetz auf das betreff.
Mittel geführt; manchen' Fund verdankte er der
Gorrespondenz mit Collegen, dem glücklichen Zufall,
vor allem aber seiner ausgezeichneten Beobachtungs¬
und Combinationsgabe. Sie können sich selbst nun
wohl weiter denken, m. H., wie so nach und nach
das Weihe’sche System entstanden ist. Wenn Weihe
selbst auch behauptet hat, dass eigentliche Gedanken¬
arbeit nur wenig dabei aufgewendet ist, so haben
Sie sich doch, wie ich denke, an der Hand des
Gesagten vom Gegentheil überzeugen können. Ent¬
weder entspricht diese Behauptung ganz und gar
seinem so überaus bescheidenen Wesen, oder er ist
sich nach Art der Genies — ich erinnere an den
kürzlichen Ausspruch von Helmholtz — der dabei
aufgewendeten colossalen geistigen Arbeit gar nicht
bewusst geworden, indem er die scharfsinnigsten
5 *
Digitized by
Google
86
Combinationen als etwas ganz selbstverständliches
erachtete, und glaubte, dass jeder Andere gerade
so gut wie er alles das gefunden haben würde.
Der Erste, welchem Weibe seine Entdeckungen
mittheilte, war der verstorbene Professor Dr. Rapp.
Derselbe prognosticirte seinen Aufstellungen eine
grosse Zukunft in practischer Hinsicht, falls sie sich
bewähren sollten. Dass dieses Bedenken Rapp’s
heute in keiner Weise mehr besteht, dass im Gegen-
theil eine Bestätigung der Weihe’schen Entdeckungen
im umfangreichsten Masse statt gefunden bat, unter¬
liegt keinem Zweifel mehr bei denen, die sich mit
Weihe's Methode eingehend practisch beschäftigt
haben, und so haben wir allen Grund, von der
weiteren Entwickelung dieser Methode das Schönste
zu hoffen. Auch unsere heutige Versammlung, wenn
ihr auch eine Anzahl von Collegen, von denen ich
bestimmt weiss, dass sie sich sehr lebhaft für die
Weihe'sche Methode interessiren, aus äusserlichen
Gründen femgeblieben ist, giebt lebendiges Zeugniss
dafür ab, dass Weihe's Ideen auf fruchbaren Boden
gefallen sind, dass ihnen Wahrheit zu Grunde liegt.
Das Weihe'sche Heilsystem, soweit es uns heute
vorliegt, ist kein abgeschlossenes Ganzes, wird es
aber ohne Zweifel in absehbarer Zeit werden. Die
ihm zu Grunde liegenden, positiven Ergebnisse, die
Auffindung der Schmerzpunkte und Mittelcombina-
tionen, sind fast ausschliesslich geistiges Eigenthum
Weihe's; wir Schüler haben es uns nur angelegen
sein lassen, seine Erfahrungen zu prüfen, zu be¬
stätigen und in manchen Beziehungen zu erweitern
und zu ergänzen.
Im Anfänge wurde es Weihe sehr schwer, An¬
hänger für seine Methode zu gewinnen, was bei der
geradezu verblüffenden Neuheit der zu Tage ge¬
förderten Ideen und Ergebnisse auch durchaus nicht
zu verwundern ist, zumal da seinem System das
eigentliche Bindeglied mit der Hahnemann'schen
Homöopathie zu fehlen schien. Nachdem er sich
seit dem Jahre 1880 an verschiedene Collegen mit
ausführlichen Mittheilungen brieflich gewandt, er¬
fuhr er von einem Theil derselben eine mehr oder
weniger deutliche Ablehnung, von Einigen erhielt
er gar keine Antwort. Der Erste, den er persönlich
für seine Ideen zu interessiren vermochte, war mein
▼erstorbener Vater, der als alter Rademacherianer
und Homöopath sofort die Tragweite seiner Reform¬
ideen und die grosse practische Bedeutung seiner
Methode erkannte und der auch mit grossem Er¬
folge bis zu seinem im Jahre 1885 erfolgten Tode
sich fast ausschliesslich derselben in der Praxis be¬
diente. Zunächst durch meinen sei. Vater und
späterhin im Correspondenzwege durch Weihe selbst
wurde ich sodann mit der Methode bekannt, und
versuchte sie zur Zeit meines Aufenthalts in Leipzig
mehrfach in der Praxis. Erst als ich im J. 1882
in der Nähe von Herford, in Lübbecke, practizirte
hatte ich das Glück, durch wiederholte Zusammen¬
künfte mit Weihe von ihm persönlich in seine Me¬
thode eingeführt und namentlich in der practischen
Auffindung der Schmerzpunkte unterwiesen zu
werden. Gleichzeitig trat Weihe in Verbindung
mit Dr. Roerig in Paderborn, der in der Folge eben¬
falls seine Methode der Behandlung sich zu eigen
machte und in seiner sehr ausgedehnten Praxis zur
Anwendung brachte, resp. letztere dadurch haupt¬
sächlich begründete. Im Jahre 1883 nahm ich
sodann auf der Centralvereins - Versammlung in
Leipzig Gelegenheit, unter Vorstellung eines nach
Weihe’scber Methode geheilten Falles von Epithelial-
carcinom am Auge, die Collegen auf diese Methode
aufmerksam zu machen, und auf der Hamburger
Versammlung im Jahre 1885 hielt ich einen ein¬
gehenden Vortrag über Weihe's sog. epidemische
oder indirekt specifische Heilmethode, wie Weihe
selbst sie benannte. Obwohl theils dadurch und
durch gelegentliche Mittheilungen Weihe’s das Inter¬
esse weiterer Kreise allmählich mehr und mehr er¬
regt wurde, so fand sich doch Niemand sonst, der
sich mit Ausdauer und Consequenz der Weihe'schen
Methode befleissigt hätte. So viele ihrer auch den
anfänglichen Versuch machten, bei den ersten
Schwierigkeiten, die sich ihnen bei der selbst¬
ständigen Auffindung der Schmerzpunkte entgegen-
stellten, gaben sie es auf, sich weiter damit zu
beschäftigen.
Da die Weihe’sche Methode von den meisten
Homöopathen als eine besondere, etwa auf einer
Stufe mit dem Schüssler’schen biochemischen und
dem Peczely'sehen Heilverfahren stehende, mit der
Homöopathie Hahnemann's keinerlei Berührung auf¬
weisende oder höchstens mit ihr lose zusammen¬
hängende Therapie angesehen wurde, erschien es
mir nothwendigp r ihren engen Zusammenhang mit
der Homöopathie nachzuweisen, eine Aufgabe, deren
ich mich in einem Aufsatze im 116. Bande der AUg.
Horn. Ztg. «die epidemische Heilmethode in ihrem
Verhältnisse zur Homöopathie* im Anfänge des
Jahres 1888 entledigte, in welchem ich den Nach¬
weis zu führen versuchte, dass die mittelst der
Schmerzpunkte aufgefundenen sogen, epidemischen
Heilmittel in der That nichts anderes sind, als die
nach dem Aehnlichkeitsgesetze gewählten Simillima.
Damit glaubte ich die Brücke geschlagen zu haben
zwischen der Weihe'schen Methode und der Hahne¬
mann'schen Homöopathie, indem ich den homöo¬
pathischen Aerzten zeigte, dass es Weibe in glän¬
zendster, geradezu genialer Weise gelungen war,
die längst gesuchte und lange vermisste Vereinigung
der Lehren Hahnemann’s und Rademacher's herbei¬
zuführen.
Im Herbste des Jabres 1888 gelang es sodann
Weihe, für seine Sache eine ausgezeichnete Kraft
und einen fleissigen Mitarbeiter in unserem verehr-
Digitized by v^ooQie
ten Collegen Göbrum zu gewinnen, der mit eiserner
Consequenz seine Methode aufhahm und sich in
kurzer Zeit vollständig zu eigen machte. Ihm ver-
danken wir die Auffindung einer grossen Anzahl
neuer Schmerzpunkte und therapeutischer Gleich¬
heiten und, wie Ihnen ja Allen bekannt ist, eine
genaue, ausführliche Beschreibung und Aufzeichnung
der bisher bekannten Schmerzpunkte. Durch Ein¬
fügung einer „epidemiologischen Ecke* in die seit
Kurzem von ihm mitredigirte Allg. hom. Ztg. hat
er sich neuerdings ein grosses Verdienst um die
Weihe*8che Methode und damit den Dank vieler
Collegen erworben.
Mit dem Gesagten glaube ich Sie, m. H. mit
dem Geschichtlichen der Weihe’schen Methode bis
in die letzte Zeit so ziemlich bekannt gemacht zu
haben, so dass wir nunmehr in die Verhandlungen
über diese Methode, die uns heute beschäftigen
werden, eintreten können, und so begrüsse ich Sie
Alle als Mitarbeiter an dem grossen Werke, das
noch unvollendet vor uns liegt. Hoffen wir, dass
es unseren gemeinsamen Bemühungen im Verein
mit dem verehrten Begründer der genannten Methode,
der heute im Geiste bei uns weilt, gelingen möge,
das von ihm angefangene Gebäude durch emsiges
Herbeitragen von Bausteinen allmählich zu vollenden
und zu krönen. Wir würden damit nicht nur die
Homöopathie in ihrer Weiterentwickelung fördern
und dadurch der Menschheit einen grossen Dienst
erweisen, dass wir dazu mitwirken, dass jeder Arzt
leicht und sicher jedesmal das rettende Heilmittel
zu finden im Stande ist, sondern auch zugleich
unsererseits einen Theil des unserem genialen Lehrer
schuldigen Dankes abtragen.
Die Weihe’sche Heilmethode*) und
die Homöopathie.
Vortrag gehalten auf der constituirenden Versamm¬
lung der „Epidemiologischen Gesellschaft* in Frank¬
furt a/M. am 23. Dec. 1891.
Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart.
Meine Herren! Wenn auch schon früher von
Coli. Leeser(2.) und erst vor einem Jahre von
*) Die bisherigen grösseren Veröffentlichungen über
die Weihe’sche Methode sind:
1. Praktische und theoretische Beiträge zur Einleitung
in die epidemiologische Behandlungsweise von Dr.
A. Weihe jr.-Herford in Zeitschrift des Berliner Ver¬
eines homöopath. Aerzte. Bd. V, Heft HI u. IV. 1885.
2. Die epidemische Heilmethode in ihrem Verhältnisse
zur Homöopathie von Dr. Leeser-Rheydt in Allg. hom.
Zeitung Bd. 116. Nr. 9-18. 1888.
3. Die Weihe’sche Methode von Dr. med. H. Göhrum-
Stuttgart in Zeitschrift des Berliner Vereines homöo¬
pathischer Aerzte. Bd X. Heft I. 1891.
mir (3.) in eingehender Weise gerade die Zugehörig¬
keit der Weiheschen Methode zur Homöopathie
besonders betont wurde, so glaube ich doch, dass
es sich am heutigen Tage ziemt, das Verhältnis
zwischen beiden noch einmal kurz zu präcisiren.
Dadurch, dass die für die einzelnen Punkte
passenden Arzneimittel durch die Kenntniss der
Reinen Arzneimittellehre gefunden wurden, und
dadurch, dass in jedem einzelnen Falle die durch
die Weihe'sche Methode getroffene Mittelwahl durch
die gewöhnliche „homöopathische* Methode contro-
lirt und richtig befunden werden kann, steht fest,
dass wir keine Abtrünnigen von Hahnemannn's
Lehre sind, dass wir im Gegentheil fest zu ihr
stehen und eng mit ihr verbunden sind. Es ist
durch die Weihe'sehe Methode zunächst nur den zahl¬
losen, meist subjectiven Symptomen für jedes Mittel
ein oder nur ganz wenige , fast jeder Zeit objectiv
constatirbare Symptome beigefügt worden. Die
9 Schmerzpunhte u sind Marksteine, die die Orien-
tirung in dem Urwald der Symptome ganz wesent¬
lich sichern und erleichtern. Schon diese eine
Thatsache hätte genügen sollen, die Weihe'sche
Methode zum Gemeingut aller homöopath. Aerzte
werden zu lassen. Meist aber wird von diesen ohne
jede Kenntniss derselben ein mehr weniger ab¬
sprechendes Urtheil über sie abgegeben und dann
glaubt man, diese von vielen einfach für unmöglich
gehaltene Thatsache aus der Welt geschafft zu
haben. Der heutige Tag aber und die Früchte, die
er zeitigen soll, werden hoffentlich zeigen, dass im
Stillen die Weihe’sche Methode zu einem stattlichen
Bau sich entwickelt hat, der wohl geeignet ist,
die Homöopathie zu ergänzen und bald ganz wesent¬
lich zu unterstützen. Und dieser Aufgabe kann
sie um so eher gerecht werden, je mehr Mitarbeiter
sich bemühen, einige ihr noch anhaftenden Mängel
zu beseitigen. Der eine ist der, dass keine Er¬
klärung für die Thatsache besteht, warum jedem
Punkt ein ganz bestimmtes Mittel entspricht, was
leider auch noch nicht durch das Experiment, durch
beliebige Erzeugung der Schmerzpunkte bei vor¬
sichtiger Vergiftung bewiesen ist. Eben dieser
Mangel ist vielen der Grond, der ihnen die Weihe¬
sche Methode gleichsam als verschleiertes Bild von
Sais erscheinen lässt. Ein zweiter Mangel ist der,
dass man sicher sein darf, noch nicht alle Schmerz¬
punkte gefunden zu haben, dass also die Möglich¬
keit besteht, einmal nicht das richtige Mittel finden
zu können, wenn man sich in der Mittelwahl nur
von diesen leiten lässt; doch diesem ist leicht zu
begegnen: man controlire stets die Mittelwahl nach
den Schmerzpunkten durch die R. A. M. L. und
finde den fehlenden Schraerzpunkt. Denn eine Esels¬
brücke soll die Weihe'sche Methode nicht sein,
sondern ein sicherer Leiter auf ungewissen Pfaden ?
die nicht von dem strahlenden Lichte der R. A. M. L a
Digitized by
38
erleuchtet sind. Endlich wird mit Vorliebe der
Vorwurf erhoben, als ob die Weihe'sche Methode
eine Geheimwissenschaft wäre. Bei Leibe nicht!
Schon oft genug wurde erklärt, dass jedem sich
für sie interessirenden Collegen diese gern gezeigt
und mitgetheilt werde ; aber sie einfach zu ver¬
öffentlichen, das geht aus 2 Gründen nicht. Ein¬
mal ist eine persönliche Unterweisung fast unbedingt
nothwendig, um über die ersten Schwierigkeiten
bei der Ausübung hinwegzukommen. Dann aber ist
es der Wunsch des Erfinders, wie auch aller derer,
die sich die Methode angeeignet haben, dass sie
nicht durch Veröffentlichung den Laien zugänglich
gemacht werde, um sie vor dem moralischen Ruin
zu bewahren, dem sie durch deren verständniss-
und kritiklose Verwendung sicher zugeführt würde.
So sehr innerlich die Weihe'sche Methode und
die Homöopathie eines sind, so ist doch äusserlich
in der Anwendung ein grosser Unterschied zu er¬
wähnen — nicht so sehr von der gewöhnlichen
Praxis — aber von der ursprünglichen Forderung
Hahnemann’s, nur ein Mittel auf einmal anzuwenden.
Es ist ja bekannt, dass in den meisten Fällen nach
den Schmerzpunkten 2 Mittel angezeigt sind, ge¬
wöhnlich ein anorganisches und ein organisches
oder lehnen wir uns an die Rademacher’scbe Lehre
an, ein Universalmittel und ein Organmittel. Aber
dieser Umstand ist ein rein äusserlicher, indem schon
tür viele dieser Kombinationen * die entsprechenden
„ Einheiten * oder „ therapeutischen Gleichheiten “ fest¬
gestellt sind, und dass dies nicht eine blose Spielerei
ist, kann ausser aus denselben guten Resultaten,
die mit den Einheiten ebenso wie mit dem Com-
binationen erzielt werden, auch aus der historischen
Thatsacbe geschlossen werden, dass unser Meister
Weihe am Anfänge der Feststellung der Schmerz-
punkte oft zwar für 2 unbekannte Schmerzpunkte,
resp. deren Mittel die Einheit hatte, dann aber um
für jeden derselben das Mittel feststellen zu können,
diese in ihre beiden Componenten zerlegen musste.
Jetzt dürfte diese Nothwendigkeit wohl kaum mehr
an uns herantreten, da schon so viele Schmerz¬
punkte und die dazu gehörigen Mittel gefunden sind,
dass es kaum mehr Vorkommen kann, auf einmal
vor zwei unbekannten Schmerzpunkten zu stehen*).
Im Gegentheil, ein Theil unseres eifrigen Strebens
zur Vervollkommnung der Weihe’schen Methode ist
darauf gerichtet, für möchlichst viele Combinationen
die Einheiten zu suchen, um auch äusserlich uns
möglichst wenig von den Hahnemann’schen Forder¬
ungen an eine wirklich rationelle Therapie zu ent¬
fernen.
Als einen Vortheil der eigenthümlichen Er¬
scheinung, dass meist 2 Punkte schmerzhaft, also
*) Mittlerweile ist dieser schwierige Fall schon 2
Mal eingetreten. Göhruin.
2 Mittel angezeigt sind, muss ich anführen, dass
dadurch eine ausserordentlich feine [ndividualisirung
ermöglicht ist. Wie oft erlebt man nicht in der
Praxis, dass bei einer Krankheit, sei es eine acute,
sei es eine chronische, so kleine Veränderungen
zum Schlimmen eintreten, oder dass man einen Still¬
stand in der Besserung bemerkt, dass man wohl
einsieht, dass die Wirkung des letztgegebenen Arznei¬
mittels vorbei ist und ein anderes an dessen Stelle
gesetzt werden sollte, aber wie dieses herausfinden V
Die Symptome sind nicht so charakteristisch, um
danach ein solches bestimmen zu können, auch die
sog. begleitenden Umstände sind dieselben geblieben.
Da ist die Weihe’sche Methode wirklich ein
Retter in der Noth, auch den geringsten Nüan-
cirungen im Krankheitsbilde gerecht werden zu
können. Gar oft bleibt einer der Componenten con-
stant, während der andere einem mehr weniger
raschen Wechsel unterworfen ist. Wer das nicht
schon selbst an sich erfahren hat, kann das Gefühl
von Sicherheit, das einen Kenner der Weihe'schen
Methode auch bei schwersten Fällen nicht verlässt,
beinahe vermessen finden.
Ein weiterer Vortheil wird mit der Zeit sich
aus einer Vergleichung der verschiedenen Com¬
binationen und der Einheiten gewinnen lassen, indem
daraus längst bekannte Verwandtschaften zwischen
Mitteln Einem gewissermassen menschlich näher
rücken — man hat das Bindeglied klar vor Augen
— oder indem dadurch neue Aehnlichkeiten heraus¬
gefunden werden.
Nun kommen wir zu einer der wichtigsten Nutz¬
anwendungen der Weihe'schen Methode. Da sie
eine grösstmöchlichste Sicherheit verleiht, so wird
es ihr beschieden sein, einen Wunsch zu erfüllen,
den ausser von Grauvogl noch viele homöopathische
Aerzte hatten und haben, uämlich die Ausgleich¬
ung der Lehre Hahnemann’s und der Rade-
macher’s. DerGedanke der Existenz von „Schmerz¬
punkten" entstammt ja bekanntlich dem Studium
Rademacher’s, während die Belehnung derselben
mit dem jedem zugehörigen Mittel practisch nur
mit Hilfe der R. A. M. L. ausgeführt werden konnte.
Dass die Ausgleichung zwischen diesen beideu
Lehren, die ausser der Betonung des ätiolo¬
gischen Moments auf den ersten Blick nichts ge¬
meinsames haben, eine Nothwendigkeit ist, erläutert
Grauvogl in seinem Lehrbuche der Homöopathie
an einem Beispiel aus der Praxis. Er hatte bei
einer Masernepidemie von Aconit ausgezeichnete
Erfolge gesehen, stand aber bei den dieser Krank¬
heit folgenden Nachkrankheiten, die bei vernach¬
lässigten und schlecht behandelten Fällen in mannig¬
fachster und schwerster Form auftraten, rathlos da,
bis er der Entdeckung des Dr. Latz gedachte, dass
zu verschiedenen Zeiten verschiedene Kraokheits-
forrnen nur durch diejenigen Heilmittel heilbar sind,
Digitized by LjOOQle
89
welche einer epidemisch aufgetretenen Krankheits-
form im Allgemeinen entsprochen haben. Und
Aconit erwies sich auch in diesen Fällen im wahr¬
haften Sinne des Wortes als epidemisches Mittel,
und als specifisches im Sinne der Homöopathie, d. h.
als Simillimum. Daran knüpft nun von Grauvogl
die Betrachtung: „dass die Homöopathie zugestehen
müsse, dass sie nicht selten, ungeachtet ihres Prin-
cipes, in der Wahl ihrer Heilmittel schwankt, weil
sie immer noch nicht umfassend genug geprüft sind,
und gerne einen Anhaltspunkt hätte, der eben durch
diese ätiologischen Indicationen für viele Fälle ge¬
geben und von unschätzbarem Wertbe ist und bleibt,
zum Gesetze aber erhoben ist, sobald es gelingt,
ihn mit Naturgesetzen in abhängige Verbindung
zu bringen.“
Weiter meint er, dass behufs der anzustrebenden
Ausgleichung von homöopathischer Seite nun eben¬
falls in Erfahrung zu bringen und zu constatiren
sei, „dass ein Heilmittel oft lange Zeit hindurch
in den verschiedensten Krankheitsformen sich als
indicirt und heilbringend bewährt, und dass das
noch nicht allseitig geschehen ist, daran trägt
sicherlich der Umstand die Schuld, dass die wenig¬
sten Homöopathen sich das Studium der begleitenden
Umstände zur Aufgabe machen, und die Vorschrift
Hahnemann*s, vorzüglich die begleitenden Umstände
im Auge zu behalten , einer Caprice gleichachten.“
Dem möchte ich noch hinzufügen, dass besonders
auch der Umstand Schuld an diesem Mangel an Er¬
fahrung trägt, dass so viele homöopathische Aerzte
sich kaum um die genaueren Symptome, noch
weniger um die begleitenden Umstände, sondern
im Anschluss an Hirschei, Bakody und Kafka sich
fast nur um die pathologisch-anatomische Diagnose
kümmern und darnach eine zwar nicht epidemio¬
logische, wohl aber eine schablonenhafte Mittelwahl
treffen.
Doch bleiben wir beim Thema! Um die Wichtig¬
keit der Weihe’schen Methode für diese Ausgleichung
zwischen Rademacher’s und Hahnemann’s Lehre zu
beweisen, will ich kurz an der Hand der oben er¬
wähnten Arbeit von Coli. Leeser einen Vergleich
zwischen diesen beiden Richtungen anstellen. Wäh¬
rend die Badem acher sehe Schule in generalisirendcr
Weist einzig das ätiologische Moment betont, ohne
sich um die im kranken Körper hervorgerufene
Wechselwirkung des krankmachenden Agens mit
dem einzelnen Organismus zu kümmern, hat die
Homöopathie nur das Produkt dieser Wechselwirkung^
das individuelle Eirankheitsbild im Auge. Aber beide
steuern auf dasselbe Ziel los, das Heilmittel, das eben
nur ein Simile sein kann, zu finden, der Homöopath
bewusst, der Rademacherianer unbewusst, auf rein
empirischem Wege. Wie letzterer bei seinem Be¬
streben mit Hülfe des „Similia similibus“ sein Ziel
viel leichter und rascher erreichen würde, so wäre
der Homöopath, wenn er nach der Forderung
Hahnemann's die begleitenden Umstände mehr be¬
rücksichtigen würde, mehr vor der Unsicherheit in
seiner Mittel wähl geschützt. Da nun erfahrungs-
gemäss sich die begleitenden Umstände sehr häufig
mit den Wirkungen des Genius epidemicus decken,
so wird die Rademacher sehe Lehre vom Genius
epidemicus ein wesentliches Unterstützungsmittel
bei der Differentialdiagnose in der homöopathischen
Mittelwahl. Und dass es einen Genius epidemicus
giebt, ist ebenso unbestreitbar, wie das Aehnlich-
keitsgesetz, ebenso dass er oft recht energisch auf
die Menschheit einwirkt, ja wir müssen ihn bei der
Ubiquität so mancher pathogener Mikrobien direkt
als letzte Ursache für die Möglichkeit einer Ein¬
wirkung dieser auf uns verantwortlich machen,
natürlich abgesehen von der Einwirkung der endogen
entstandenen Selbstgifte Jäger’s, z. B. bei Gram
und Sorgen, oder abgesehen von absichtlicher oder
unabsichtlicher direkter Einimpfung der Mikrobien.
Nun wird mancher fragen: ja wenn die Rade¬
macher’ sehe Lehre die Homöopathie so trefflich
unterstützt, zu was dann noch die Weihe’sche
Methode? Ich halte diese aus 3 Gründen für un¬
entbehrlich: 1) weil sie in den Schmerzpunkten,
wie schon oben erwähnt, ein objektives Symptom
bietet, das mindestens zur Controle der getroffenen
Mittelwahl einen nicht zu unterschätzenden Werth
hat; 2) weil wir bei deren Kenntniss nicht erst
einen oder mehrere Krankheitsfälle abwarten müssen,
um das epidemische Mittel feststellen zu können,
wie es der Homöopath und der Rademacherianer
muss, sondern wir sind im Moment des Auftretens
der Epidemie im Stande, an uns selbst, an jedem
uns zur Verfügung stehenden Gesunden die Ver¬
änderungen des Genius epidemicus zu verfolgen,
so dass wir schon im Voraus, ehe uns ein Krank¬
heitsfall bekannt ist, das richtige Mittel haben, wie
uns die Erfahrung tausendfältig lehrt; 3) weil wir
eben durch die jederzeit mögliche Controle, wenn
nicht allein durch die Schmerzpunkte am ehesten
im Stande sind, „den weiteren Anhaltspunkt, der
eben durch diese ätiologischen Indicationen für viele
Fälle gegeben ist,“ zum Gesetze zu erheben.
Da wir nun nicht in der Lage sind, weder für
den Genius epidemicus und seine Wirkungsweise,
noch für den Zusammenhang zwischen Schmerz¬
punkt und Arzneimittel eine stichhaltige Erklärung
zu geben, so sind wir darauf beschränkt, dieses
Ziel auf dem Wege möglichst zahlreicher Er¬
fahrungen zu erreichen. Hierzu gehört zweierlei:
1) eine fortlaufende Aufzeichnung der Verände¬
rungen des Genius epidemicus nach Arzneimitteln
und allgemeinen charakteristischen Symptomen;
2) Vergleichung der Symptome und der angezeigten
Arzneimittel unter Controle der Schmerzpunkte mit
den früheren Aufzeichnungen bei sog. chronisch
Digitized by v^ooQle
40
Kranken, welche eine zeitlich bestimmte Krankheit
a)e den Ausgangspunkt ihres Siechthums bezeichnen.
Diese müssen alsdann in jedem Falle übereinstimmen,
aber nicht stets sofort, auch nicht immer andauernd,
sondern oft erst im Verlaufe der Behandlung. Denn
wir dürfen eines nicht vergessen, dass ein einmal
geschwächter Körper auch noch zahlreiche andere
Schädlichkeiten in sich aufspeichern kann, dass er
schon vor der sichtbar gewordenen Erkrankung
eine gewisse Menge angeborener und anerworbener
Krankheitsstoffe im Zustande der Latenz in sich
beherbergte. Doch dürfen wir nach den Erfahrungen,
die uns bisher schon zu machen vergönnt waren,
der festen Hoffnung leben, je länger wir diese zwar
mühevolle, aber interessante und nicht bloss für
den Einzelnen, sondern für das grosse Ganze nutz¬
bringende Arbeit fortsetzen, desto mehr Licht in
dem dcmlde Capital >des chronischen Siechtums zu
bringen.
Bei uns soll das deprimirende geflügelte Wort:
„Der Anfang frohe Hoffnung, die Mitte Stillstand,
das Ende Verzweiflung,* keine Geltung mehr haben,
wie ja unser Meister Weihe schon im Jahre 1885 *)
an einer Reihe von Fällen gezeigt hat, wie schönes
man bei genügender Ausdauer von Seiten des
Patienten und des Arztes im Laufe der Zeit er¬
reichen kann. So schrieb er mir erst neulich:
„Je älter ich geworden, desto mehr habe ich Ge¬
legenheit gehabt, darüber zu staunen, wie Colossales
man mit Arzneien erreichen kann, wenn man sie
richtig anzuwenden versteht und ihnen vor Allem
die nötige Zeit zur Wirkung verstattet. “ Wie
wohlthuend, wie ermuthigend wirkt dieser schlichte
Satz, gegründet auf die Erfahrung von 25 Jahren,
im Gegensatz zu den sich mit der Unvollkommen¬
heit alles Irdischen bescheidenden Aeusserangen
manches anderen Collegen. Damit aber auch wir
mit derselben Befriedigung einstens auf unsere
Thäiigkeit zurückblicken können, thut ernste Arbeit
noth. Als Objekte dieser sind nach dem Angeführten
aufzustellen:
Eine Erklärung, warum bei der Schmerzhaftig¬
keit eines bestimmten Punktes ein ganz bestimmtes
Arzneimittel das Simillimum ist; hierzu gehört die
Beweisführung , dass bei der Prüfung eines Arznei¬
mittels dessen Schmerzpunkt, sowie die Schmerzpunkte
derjenigen Mittel , deren Combinationen dieser Einheit
entsprechen , schmerzhaft werden .
Das Auf finden weiterer Schmerzpunkte , sowie
die Feststellung von Einheiten für die Combinationen.
Der Nachweis des ätiologischen Momentes als
Anhaltspunkt für die Mittelwahl , so dass er zum
Gesetz erhoben werden kann . Dies hat zu geschehen
durch den Nachweis des zeitlichen Zusammenhanges
*) Siehe seine Eingangs in der Fussnote sub ]. er¬
wähnte Arbeit.
des Krankheitsanfanges mit Uebereinstimmung der
damaligen allgemeinen charakteristischen Symptome ,
also besonders der begleitenden Umstände.
Durch Feststellung dieser allgemeinen charakte¬
ristischen Symptome im Verlaufe der Epidemieen,
insbesondere aber auch durch neue rationell ange -
stellte Arzneimittelprüfungen ist die gewiss von jedem
Homöopathen ersehnte Vereinfachung der Arznei¬
mittellehre durch schärfere Charakteristik der einzelnen
Arzneimittel anzustreben .
M. H.! Vereinigen wir uns in engerem Vereine
zur Erreichung des Zieles, durch Erledigung obiger
Forderungen mit Hülfe der Weihe'sehen Methode
die Rademacher*sehe und Hahnemanrisehe Lehre zu
zerschmelzen , um den von Hahnemann begonnenen
und mit so grossen Erfolgen eingeleiteten Aufbau
einer wirklich rationellen Therapie seiner Voll¬
endung entgegenzuführen.
lieber die Nothwendigkeit erneuter
Prüfung der Arzneimittel.
Vortrag gehalten auf der constituirenden Versamm¬
lung der „Epidemiologischen Gesellschaft“ in Frank¬
furt a. M. am 23. Dez. 1891.
Von Dr. med. Leeser-Bonn.
Meine Herren! Es hat sich unter den homöo¬
pathischen Aerzten schon seit langer Zeit das Be-
dürfniss geltend gemacht, unseren Arzneimittelschatz
einer Revision zu unterziehen. Ausser den dankens-
werthen und mit äusserster Sorgfalt angestellten
Nachprüfungen des Vereins homöopathischer Aerzte
Oesterreichs sind nur wenige guter Arzneiprüfun¬
gen seit Hahnemann, und diese nur vereinzelt, an¬
gestellt worden. Es ist dies auch begreiflich, zu¬
nächst aus äusseren Gründen. So lange wir keine
staatlich unterstützten Lehranstalten für homöo¬
pathische Arzneimittellehre besitzen, sind wir auf
den guten Willen der einzelnen homöopathischen
Aerzte angewiesen. Die jungen Aerzte haben ge¬
nügend zu thun, sich einigermassen in dem über¬
grossen Arzneischatze zu orientiren und die älteren
sind in der Regel so sehr beschäftigte Praktiker,
dass ihnen kaum die Zeit bleibt, hin und wieder
mit kleinen Arbeiten literarisch an die Oeffentlicb-
keit zu treten, geschweige denn Arzneiprüfungen
zu machen, welche vor allen Dingen viel Zeit und
Ausdauer erfordern, Opfer, die in den seltensten
Fällen ein Privatarzt zu bringen im Stande ist.
Die Gründe, die trotzdem eine erneute Prüfung
der Arzneien nothwendig erscheinen lassen, sind
hauptsächlich zweierlei Art: erstens die Unmöglich¬
keit, die ungeheure Menge der bei den ursprüng¬
lichen Arzneimittelprüfungen gefundenen Symptome
Digitized by v^ooQie
41
einem nicht gerade mit einem phänomenalen Ge¬
dächtnisse ausgestatteten menschlichen Gehirne auch
nur einigermassen einzuprägen und zweitens die
Unzuverlässigkeit vieler in den Arzneiprüfungen
aufgeführten Symptome der einzelnen Arzneien.
Unser Arzneischatz ist im Laufe der Zeit zu
einem geradezu unübersehbaren Urwalde ange¬
wachsen, in dem der Unkundige zunächst den Wald
vor lauter Bäumen nicht sieht und es selbst dem
Geübteren sehr schwer wird, die Pfade zu finden.
Dabei gleichen sich die Arzneimittel oft wie ein
Ei dem anderen, und nur der kundige und auf¬
merksame Beobachter vermag die charakteristische
Unterscheidungsmale mit einiger Präcision heraus¬
zufinden. Gerade die constanten, stets bei allen
Prüfungen wiederkehrenden Symptome sind so
vielen Arzneimitteln gemeinsam, dass sie keinen
Ausschlag bei der Wahl der Mittel zu geben im
Stande sind, und die seltenen charakteristischen,
wähl entscheidenden Symptome sind einmal äuserst
schwer zu entdecken, und andrerseits in den Prü¬
fungsresultaten nicht mit genügender Sicherheit und
Präcision angegeben, kurz, man ist nicht im Stande
bei dem Studium der Arzneimittellehre das Wesent¬
liche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. So
findet man z. B. in der gewiss vortrefflichen
Arzneimittellehre von Noack und Trinke das für
Kali carbonicum so charakteristische Symptom
„Anschwellung der Haut des oberen Augenlides,
des sog. Säckchens zwischen Augenbraue und Lid*
nicht erwähnt, vielmehr nur mit gewöhnlichem
Druck angegeben: „Geschwulst des Auges, oder
des oberen Augenlides gegen die Nase zu, oder
der Glabella zwischen den Augenbrauen*.
Es bleibt schliesslich dem subjektiven Ermessen
des Einzelnen überlassen, was wesentliches oder
unwesentliches Merkmal des betr. Arzneimittels ist.
Was uns vor allen Dingen fehlt, ist eine kurze ,
übersichtliche Charakteristik der einzelnen Mittel ,
d. h. eine Zusammenstellung der wesentlichen,
wahlentscheidenden, selten oder niemals fehlenden
Symptome, mit Hinweglassung der vielen Arzneien
gemeinsamen Merkmale, der — wenn ich mich so aus-
drücken darf — symptomatologischen Gemeinplätze.
Auf einen möglichst scharf charakterisirten, objek¬
tiv gehaltenen, jedem verständlichen, keinen Zweifeln
und Deutungen unterworfenen Ausdruck ist dabei
der grösste Werth zu legen. So ist der in der
Arzneimittellehre vielfach vorkommende Ausdruck
„Würmerbeseigen“ nichts weniger als klar. Während
eine grosse Anzahl der Symptome durch die An¬
wendung bei Kranken also ex juvantibus bestätigt
sind, harren eine Menge noch dieser Bestätigung;
unter denen sich vielleicht die wichtigsten befinden.
Durch die Beobachtung der Symptome und An¬
wendung der Mittel am Krankenbette ist ja unsere
Arzneimittellehre theilweise ergänzt worden, es sind
manche charakteristische Merkmale gefunden und
angegeben worden, aber man muss nur nicht den¬
ken, dass diese Angaben stets so ganz sicher und
zweifelsohne sind. Ex juvantibus die 8ymptome
eines Mittels zu bestimmen, hat seine sehr grossen
Bedenken. Wie selten ist der Arzt im Stande,
mit Sicherheit zu sagen, gegen diessen oder jenen
Symptomencomplex hat dieses oder jenes Mittel
geholfen! Wenn wirklich eine Besserung nach
Anwendung der Arznei aufgetreten ist, wer bürgt
dafür, dass es gerade die betreffende Arznei war,
die den Umschwung in dem Befinden des Patienten
herbeiführte? Wo sind die unzweideutigen objec-
tiven Merkmale, die man dem Skeptiker, der sagt:
„post hoc, non propter hoc“ entgegenhalten könnte?
Von dieser Art der Bereicherung unserer Arznei¬
mittellehre dürfen wir uns daher nicht allzuviel
versprechen, wenn wir auch jetzt mit Hilfe der
Weihe’schen Methode in den Stand gesetzt sind,
in der Regel das einem bestimmten 8ymptomen-
complexe entsprechende Heilmittel sicher bestimmen
zu können. Man lese nur einmal die in unseren
Zeitschriften veröffentlichten Krankengeschichten
durch, und man wird oft staunen, mit welcher
Leichtgläubigkeit die Autoren die Besserung auf
Rechnung der dargereichten Arznei setzen, von
zwingenden Beweisen ihrer Wirksamkeit ist kein
Schatten zu entdecken. Es gäbe noch einen anderen
Weg, zu einer compendiösen Ausgabe unserer
Arzneimittellehre zu gelangen, nämlich den, die
einzelnen Arzneien mit einander nach der Arznei¬
mittellehre zu vergleichen, die gemeinschaftlichen
Symptome auszusondern und die der einzelnen
Arznei dann noch verbleibenden zusammenzustellen.
Dies ginge wohl an, wenn gerade diese übrig blei¬
benden Symptome hinlänglich bestätigt wären, was
aber eben nicht der Fall ist. Die wenigsten Arz¬
neien sind nachgeprüft, bei den Nachprüfungen
haben sich schon tbeilweise abweichende Resultate
ergeben; wer bürgt nun dafür, dass gerade von
jenen genannten durch Ausschaltung der gemein¬
samen, übrig bleibenden Symptomen bei einer event.
Nachprüfung etwas übrig bleiben würde, denn gerade
diese selteneren Symptome sind oft nur von einem
oder wenigen Prüfern beobachtet und mit in das
Arzneibild hinübergenommen; sie verdanken viel¬
leicht einem Zufall und nicht der eingenommenen
Arznei ihre Entstehung.
Wir kommen damit zu dem zweiten Hauptgrund
für die Forderung der Nachprüfung der Arzneien,
der Unzuverlässigkeit vieler, für unsere Zwecke
vielleicht gerade der wichtigsten Symptome. Wes¬
halb auf die Bestätigung ex juvantibus nicht viel
zu geben ist, habe ich soeben auseinandergesetzt
Ist doch schon die Wahl einer Arznei nach der
Symptomenähnlichkeit stets dem subjektiven Urtheil
des Arztes überlassen, der Arzt vergleicht die
Digitized by
Google
Symptome der Krankheit und des Arzneimittels
und findet, dass eine Anzahl Symptome sich decken;
er glaubt, die betr. Arznei sei die ähnlichste, eine
Sicherheit ist nicht vorhanden; ferner glaubt er,
dass die Arznei geholfen habe, sicher weiss er es
auch nicht. Es genügt mithin keineswegs, ex
juvantibus irgend ein Symptom ohne Weiteres als be¬
stätigt anzuerkennen, da ein zwiefacher Irrthum
möglich ist. Selbst mit Hilfe der Weihe’scben
Methode ist es meist sehr schwer zu constatiren,
ob ein Mittel gegen ein gewisses Symptom geholfen
hat, wenn auch die Feststellung des passenden
Mittels gelungen ist. Wie oft kommt indess der
gegentheilige Fall vor! Man glaubt ganz genau
im Besitze der angezeigten Arznei zu sein, man
hat eine ganze Anzahl Symptome, die übereinstim¬
mend sind, sogar einige seltene, bei keiner anderen
Arznei angeführten Symptome stimmen — und
das Mittel hilft doch nicht, obwohl man es in den
verschiedensten Dosen anwendet. Um daher die
Spreu vom Weizen zu sondern, um zunächst also
ein klares, wahres Bild einer Arznei zu erhalten,
aus welcher man später die charakteristischen
Merkmale zur Unterscheidung von anderen, gewisser-
maassen ein Compendium zum praktischen Ge¬
brauch, extrabiren kann, bedürfen wir der Nach¬
prüfung sämmtlicher Arzneien. Nur auf einer ge¬
sicherten, möglichst von allen Irrthümern befreiten
Grundlage können wir weiter bauen. Nur die
wiederholte Anfrage an die Natur wird uns über
die wahre Wirkung der Arznei auf den Organismus
Aufschluss geben können, nur das oft wiederholte,
mit allen möglichen Cautelen , ohne vorgefasste
Meinung, mit äusserstem Skepticismus und zugleich
mit ruhigster Objectivität angestellte reine Experi¬
ment wird im Stande sein, uns eine im wahrsten
Sinne des Wortes „ reine“ Arzneimittellehre zu
schaffen, deren wir für unser gesichertes fherapeu-
thisches Handeln so sehr bedürfen.
Wenn es mithin keinem Zweifel mehr unter¬
liegen kann, dass für die Fortentwicklung und den
gedeihlichen Ausbau der Lehre Hahnemanns eine
Nachprüfung der Arzneien eine conditio sine qua
non ist, so handelt es sich vor Allem um die
Frage: in welcher Weise muss eine solche Nach¬
prüfung angestellt werden? Als selbstverständlich
setze ich voraus, dass echte, reine, zweckmässig
bereitete Arzneien verwendet, dass die Zahl der
Prüfer eine möglichst grosse, jedes Alter, Geschlecht
und Temperament umfassende sei, dass die Prüfer
seihst möglichst gesund, intelligent, ausdauernd,
aufmerksam und im Stande sind, genau, objectiv,
wahrheitsgetreu und gründlich zu beobachten, dass
die Arzneistoffe in geeigneter Form und in geeigneter
Weise dem Organismus einverleibt werden, dass die
Lebensweise der Prüfer eine geregelte ist und dass
endlich alle Hilfsmittel der modernen Wissenschaft
zur Erzielung objectiver Symptome in Anwendung
gebracht werden, Forderungen, denen die früheren
Prüfungen bereits zum grössten Theile gerecht
geworden sind. Dass bei einer erneuten Prüfung
der Arzneien ausser pathalogisch-anatomischen Ver¬
änderungen vor allen Dingen auf eine genaue
chemische Untersuchung der Secretionen Rück¬
sicht genommen werden müsste, versteht sich von
selbst.
Es bleiben indess noch zwei Punkte übrig, die
bei den früheren Arzneiprüfungen meiner Ansicht
nach nicht genügende Berücksichtigung gefunden
haben, z. Th. auch nicht finden konnten, einmal
Ort und Zeit der Prüfung und zweitens die Art
und Weise derselben, d. h. mit Bezug auf die
Dosis der zu prüfenden Arznei.
Es mag vielleicht sonderbar erscheinen, dass
Ort und Zeit einen Einfluss auf die Prüfungs¬
ergebnisse haben sollen. Aber eine eingehendere Be¬
trachtung führt uns sogleich dahin, dass Ort und
Zeit der Prüfung den Charakter des genius epi-
demicus bestimmen, auf dessen Berücksichtigung
hei den Prüfungen schon im Jahre 1857 Huber
im 1. Bande der Zeitschrift des Vereins der homöo¬
pathischen 4erzte Oesterreichs kurz hingewiesen
hat. Er sagt daselbst (P. 276): „Es zeigen sich
zuweilen selbst bei ganz gesunden Prüfern gewisse
Erscheinungen, welche darin (d. h. im Genius
epidemicus) begründet sind, un$ ungekannt und
unberücksichtigt sich leicht unter die Arzneisymp¬
tome einschmuggeln. Wenn es auch keinem Zwei¬
fel unterliegt, dass die Arzneien ihre autonome
Gewalt unter den verschiedensten derartigen Ein¬
flüssen zu behaupten vermögen, so können wir
doch nicht leugnen, dass diese zuweilen durch
leichte Andeutungen, ja selbst offenes Auftreten
die Reinheit der Ergebnisse zu trüben im Stande
sind.“
Es handelt sich also vor allen Dingen darum,
m. H., die Einflüsse des jeweiligen Genius epide¬
micus bei der Arzneiprüfung zu eliminiren, d. h.
zu zeigen, welche Symptome der Arznei an sich
und welche dem Genius epidemicus zukommen.
Mit Hülfe der Weihe'scben Schm erzpunkte sind wir
jetzt in den Stand gesetzt, dieser so überaus wich¬
tigen Forderung entsprechen zu können.
Alle Vorgänge im Organismus spielen sich ge-
setzmässig ab, sämmtliche Empfindungen, sogar die
Gemüthsstimmungen, Gedanken und Willensäusse¬
rungen des Einzelnen sind kein Spiel des Zufalls,
sondern das von dem Entschlüsse des Individuums
unabhängige naturnothwendige Resultat zusammen¬
wirkender Einflüsse. Es kommt nun darauf an,
die in die Erscheinung tretenden Vorgänge im
Organismus in ihre Einzelheiten zu zerlegen, die
Bedingungen und Ursachen für ihr Zustandekommen
aufzufinden, um zu erkennen, dass, wie in der
Digitized by v^ooQie
46
Natur Überhaupt, so auch im Mikrokosmos Alles I
den ehernen Naturgesetzen unterworfen ist. |
Jeder hat an sich schon die Beobachtung ge¬
macht, dass er zu allen Zeiten nicht gleicbmässig
gestimmt und zur Thätigkeit aufgelegt ist, selbst
wenn er bei genauester Selbstprüfung keine Ursache
für das veränderte Befinden entdecken kann; hier
haben wir eben die unsichtbare Einwirkung des
Genius epidemicus, der kein lebendes Wesen sich
vollständig entziehen kann. Ebenso wie die Pflanze
kleben auch wir an der Scholle und sind ein Spiel¬
ball für die uns umgebenden kosmischen, athmo-
sphärischen, tellurischen und Temperatureinflüsse.
Wenn nun schon beim Gesunden ein stets wechseln¬
des Befinden zu constatiren ist, um wie viel grösser
wird der genannte Einfluss sein, wenn durch irgend
eine Arznei der Organismus krank gemacht und
in einen erhöhten Reizempfänglichkeitszustand ver¬
setzt wird. Wenn wir daher eine reine, echte
Arznei Wirkung erzielen wollen, so müssen wir vor
allen Dingen jeweilig feststellen, in wie weit bereits
der zu Prüfende durch den Genius epidemicus be¬
einflusst ist, resp. welche Symptome bereits vor
der Prüfung vorhanden, mithin auf Rechnung des
Genius epidemicus zu setzen sind. Dazu gehört
aber in erster Linie, dass wir des Genius epidemi¬
cus sammt seinen Symptomen auch habhaft ge¬
worden sind. Dies ermöglicht uns einzig und allein
die Weihe'sche Methode der Auffindung des Genius
epidemicus. Soll daher an einem Individuum eine
Arzneiprüfung vorgenommen werden, so ist dasselbe
zunächst auf Schmerzpunkte zu untersuchen, um
zu wissen, unter welchem Genius epidemicus es
steht. Gleichzeitig müssen sämmtüche vor der
Prüfung vorhandenen Symptome sorgfältig registrirt
werden, die man zunächst — vorausgesetzt, dass
die zu prüfende Person gesund ist — auf Rechnung
des bekannten Genius epidemicus setzt. Jetzt be¬
ginnt die Prüfung mit einer beliebigen Arznei, und
die nunmehr auftretenden Symptome werden be¬
sonders registrirt. Mehrere Male täglich muss
nun der Prüfer während der Prüfung auf Schmerz¬
punkte untersucht werden, um zu constatiren, ob
sich dev Genius epidemicus nicht mittlerweile ge¬
ändert hat. So lange dies nicht der Fall ist, kann die
Prüfung fortgesetzt werden; ändert sich der Genius
epidemicus, so wird die Prüfung am besten unter¬
brochen. Denn, würde man dieselbe fortsetzen, so
wüsste man ja nicht mehr mit Sicherheit, welche
von den weiterhin auftretenden neuen Symptomen
noch auf Rechnung der Arznei zu setzen wären
und welche nicht, selbst wenn der neue Genius
epidemicus seinem Charakter nach genau bekannt
ist. Als Regel müssen wir daher hinstellen , dass
die Dauer der Prüfung einer Arznei von der Dauer
des beim Beginne der Prüfung vorhandenen Genius
epidemicus abhängt. Würden wir über diesen Zeit¬
punkt hinaus weiter prüfen, so würden wir die
Fehlerquellen mit jedem neu auftretenden Genius
epidemicus ins Unendliche vermehren.
Macht man die Prüfung in der beschriebenen
Weise, so kann man entweder die sämmtlicben
nach Einverleibung der Arznei auftretenden Symp¬
tome, selbstredend der Reihenfolge nach und mit
genauer Angabe der Tageszeiten, notiren, um nach
beendeter Prüfung die vorher schon vorhandenen
und besonders registrirten in Abstrich zu bringen,
oder man kann von vornherein einfach nur die
nach Beginn der Prüfung neu auftretenden Symp¬
tome vermerken, um zu einer im grossen Ganzen
klaren Uebersicht der Arzneiwirkung auf den ge¬
prüften Organismus zu gelangen. Ich sage im
grossen Ganzen, denn ideal rein ist dies Prtifungs-
ergebniss auch nicht, weil man auf diese Weise
nicht im Stande ist, die Wechselwirkung der
Arznei auf die durch den Genius epidemicus her¬
vorgebrachten Symptome auszuschliessen. Um zu
einem möglichst reinen Arzneibilde zu gelangen,
bedarf es ausserdem noch gewissermaassen einer
Controlprüfung, einer nochmaligen Prüfung der
Arznei an demselben Individuum und zwar während
der Dauer des derselben Arznei entsprechenden
Genius epidemicus. Die letztgenannte Prüfung,
also z. B. die BellAdonnaprüfung während einer
Belladonnaepidemie, d. h. während der Prüfer
unter dem Einfluss des der Belladonna efit-
sprechenden Genius eqidemicus steht, würde das
ideal reinste Bild einer Arzneiprüfung ergeben, da
unter dem Einflüsse des der betr. Arznei entspre¬
chenden Genius epidemicus der Prüfer schon für
die Einwirkung derselben besonders empfänglich
ist. Durch Vergleichung dieser beiden Prüfungen
an demselben Individuum, also der Belladonna¬
prüfung während einer Belladonnaepidemie einerseits
und z. B. während einer Aconitepidemie andrerseits,
würde man aus den übereinstimmenden Symptomen
mit grösster Wahrscheinlichkeit das Gesammtarznei-
bild feststellen können. Selbstredend würden Prü¬
fungen derselben Arznei an demselben Individuum
auch während einer Bryonia-, Nux- u. s. w. -Epi¬
demie unter den angeführten Cautelen die Sicher¬
heit des Resultates nur noch erhöhen. Dass der¬
artige Prüfungen ausserdem gleichzeitig an mög¬
lichst vielen Individuen verschiedenen Alters und
Geschlechts in gleicher Weise vorgenommen wer¬
den müssten, versteht sich am Rande, da jede
Doppelprüfung einer Arznei an derselben Person
nur die reine Arznei Wirkung auf das betreffende
Individuum ergeben würde. Es würden demnach
nicht, wie man bisher zu thun pflegte, die Prüfungs¬
protokolle der einzelnen Prüfer, sondern die an
den einzelnen Individuen festgestellten Prüfungs¬
resultate zur Vergleichung herangezogen werden
müssen, um schliesslich das möglichst von Schlak-
6 *
Digitized by
Google
44
ken gereinigte Arzneibild in nuee vor sich zu
haben.
Sie sehen, m. H., welch ungeheurer Auf¬
wand von Zeit, von Fleiss, Ausdauer, Intelligenz
und Beobachtungsgabe erforderlich ist, um die
Prüfung auch nur eines einzigen Mittels einiger-
massen befriedigend zu gestalten; Sie werden es
daher begreiflich finden , dass der Einzelne nur
unter den grössten Opfern eine Prüfung vornehmen
könnte, solange wir nicht durch 8taatsbeibilfe
unterstützt werden. Aber auch abgesehen von
diesen äusserlichen, mehr materiellen Schwierig-
keiten sind nicht alle Orte und Zeiten für eine
Arzneimittelprüfung geeignet. Gegenden und Zei¬
ten mit kurzen, häufig wechselnden Epidemien
dürften sich aus den angeführten Gründen weniger
für eine erfolgreiche Mittelprüfung eignen, als
solche, wo der Genius epidemicus lange Zeit statio¬
när bleibt, da die Hauptsache immer eine möglichst
lange Zeit durchgeführte Prüfung eines Arznei¬
mittels während der Dauer des ihm entsprechenden
Genius epidemicus bleibt.
In Bezug auf die Art und Weise der Prüfung, die
Dosis und Potenz der zu prüfenden Arznei lassen
sich nur allgemeine Regeln aufstellen. Was zu¬
nächst die Gabe anlangt, so soll man mit möglichst
kleinen Gaben beginnen und nur allmählich und
erst dann steigen, wenn keine neuen Symptome
mehr zum Vorschein kommen. Dass neben einer
Prüfung mit niederen Verdünnungen oder Urtinc-
turen auch Prüfungen mit Hochpotenzen am Platze
sind, ist selbstredend, ja, wenn eben angängig,
sollten an derselben Versuchsperson mit beiden
Arten von Verdünnungen Prüfungen angestellt
werden. Welche Potenzen überhaupt bei einer
Prüfung den Vorzug verdienen, richtet sich eines-
theils nach der Qualität der Arznei, andrerseits
nach der Reizempfänglichkeit der zu prüfenden
Person. Da für den Zweck unserer Prüfungen in
erster Linie diejenigen subjektiven wie objectiven
Symptome von Wichtigkeit sind, welche wir nicht
auf tiefgreifende organische Störungen zu be¬
ziehen gewohnt sind, so ist auch vorzugsweise das
Augenmerk auf die von dem centralen, dem ani¬
malischen und vegetativen Nervensystem ausgehen¬
den Veränderungen zu richten, in zweiter Linie
würden erst die eigentlichen pathologisch-anatomi¬
schen Veränderungen der Organe in Betracht
kommen. Will man nun ein möglichst ausgiebiges
Resultat bei einer Prüfung erzielen, so ist eine
denkbarst genaue und feine Charakterisirung der
Symptome erforderlich, wie sie uns eben nur das
subjective Empfinden zu bieten vermag. Je mehr
Nervensymptome daher eine Prüfung aufzuweisen
vermag, desto höheren Werth darf sie im grossen
Ganzen beanspruchen. Im Allgemeinen werden wir
daher bei einer möglichst zarten Einwirkung direkt
auf das so sehr empfindliche Nervensystem, wie
wir dies mittelst Einnehmen oder Riechen an Hoch¬
potenzen erzielen — ich erinnere an die Jaeger sehen
neural analytischen Versuche — einen viel feiner
differenzirten 8ymptomencomplex, sowohl in Bezug
auf Qualität als auf Localisation der Empfindung,
erreichen, als bei Anwendung massiver Gaben.
Erst wenn die Prüfung mit einer Hochpotenz er¬
schöpft ist, sollte man allmählich zu niederen Po¬
tenzen bis zur Urtinctur heruntergeben, um ausser
den primären Reizungs- auch secundäre Lähmungs-
Symptome zu erzielen. Damit würde man zugleich
auch einen klareren Einblick in das Verhältniss der
Erst- und Nachwirkungen zu einander erlangen.
Wie hoch man beginnen muss mit der Potenz,
hängt wie gesagt ganz von der individuellen Reiz¬
empfänglichkeit der prüfenden Person and der
Qualität der zu prüfenden Arznei ab, vielleicht
würde es sich empfehlen, zuerst einen neuralanaly¬
tischen Versuch zu machen, um daun mit deijenigen
Potenz zu beginnen, welche zuerst - von oben
gerechnet — einen Belebungseffect gibt Was noch
zu Gunsten der Prüfungen mit Hochpotenzen spricht,
ist der Umstand, dass die Wirkung derselben eine
viel unmittelbarere, — weil zunächst sich nur
auf die Nerven erstreckende — ist, indem die
Symptome bereits nach kürzester Zeit auftreten,
was namentlich bei der oft nur beschränkten
Prüfungszeit, — ich erinnere an das früher aus-
geführte — von äusserster Wichtigkeit sein dürfte.
Damit hätten wir, m. H., denn wohl in der
Hauptsache die hier in Betracht kommenden Fra¬
gen erschöpft, und möchte ich zum Schlüsse meiner
Auseinandersetzungen noch auf einen Punkt hin-
weisen, der bei zukünftigen Arzneiprüfungen als
objectives Symptom eine wichtige Rolle zn spielen
geeignet ist. Ich meine die Weihe’scben Schmerz-
punkte, die Weibe selbst ja nur als ein den sub-
jectiven gleichwertiges Symptom betrachtet,die aber,
wie Sie bereits wissen, mehr als das sind. Wenn
die Folgerungen, welche wir an die Existenz der
Schmerzpunkte knüpfen, richtig sind, so müssen
wir denselben ebenfalls bei der Arzneiprüfung wie¬
der begegnen, d. h. wir müssen annehmen, dass
Jemand, an dem z. B. die Belladonna geprüft wird,
ausser den zu erwartenden subjectiven und objec¬
tiven Symptomen auch die der Belladonna zukom¬
menden Schmerzpunkte zeigen wird. Was uns zu
dieser Annahme berechtigt, ist der Umstand, dass
wir in der That in der Praxis bei Vergiftungsfällen
mit Jod, Atropin, Morphium — wie ich dies per¬
sönlich bestätigen kann — die dem Jod, der
Belladonna und dem Opium entsprechenden Punkte
hervorragend, oft sogar einzig und allein druck¬
empfindlich finden. So kam mir in letzter Zeit
ein Fall von Iritis serosa in Behandlung, wo die
Patientin ihre überaus grossen Schmerzen lediglich
Digitized by v^ooQie
46
den zu lange und zu stark angewandten Atropin¬
einträufelungen zuschrieb. In der That fand ich
weiter keine Schmerzpunkte, als die für Acidum
phosphor und Aurum-Belladonna; eine Hochpotenz
von Belladonna (200 C.) als Antidot gereicht, be¬
seitigte die Schmerzen und nun erst kamen andere
Schmerzpunkte zum Vorschein. Mithin ist die An¬
nahme nicht unbegründet, dass sich bei den Arznei¬
prüfungen — ob mit Hochpotenzen ebenfalls,
müsste der Versuch lehren — neben den Punkten,
die dem herrschenden Genius epidemicus ent¬
sprechen, auch noch die der Arznei zukommenden
Schmerzpunkte in mehr oder weniger starker An¬
deutung vorfinden werden.
Ueber die Abortivtherapie der
Gallensteinkrankheiteii.
Von Dr. Mossa-Stuttgart.
Dr. G. Stöcker hat über die Wirksamkeit der
Belladonna bei Gallensteinkrankheiten in der deut¬
schen Med. Zeit. (27. Aug.) einen für uns interes¬
santen Artikel geschrieben. Er sagt: Wenn man
reguläre Gallenstein-Koliken mit Bell, behandelt, so
sieht man häufig den Abgang von Konkrementen
im Stuhle in den nächstfolgenden Tagen, während,
wenn man die Kolikanfälle durch Opium unterdrückt,
noch bei der genauesten Untersuchung nur aus¬
nahmsweise ein Stein im Koth aufgefunden wird.
Ferner hat er die Beobachtung gemacht, dass bei
der Behandlung mit Bell, die Kolikanfälle längere
Zeit ausbleiben, während sie nach Opiumgebrauch
meist bald wiederkehren. Die Belladonna ist also,
schliesst er, mehr als ein einfaches Palliativum oder
Anodynum. Die physiologische Wirkung der Bell,
erklärt Dr. Stöcker so: Sie lähmt die krampfhaft
erregte Bingmuskulatur des Ductus choledochus
(analog bei Beizung des Iris spbincters), übt da¬
gegen auf die Längsfasern der Muskulatur der
Gallenblase eine entgegengesetzte, contrahirende
Wirkung aus, wie sie solche auch bei Lähmung
des Detrusor vesicae äussevt, demgemäss stellt
Verf. folgende Indicationen für die Anwendung
der Bell, bei Cholelithiasis auf: Eintreten oder
Herannahen einer Kolik oder auch mehrtägige Ein¬
klemmung des Steines mit häufigen Kolikanfällen,
Abwesenheit jeden Symptomes, welches auf auf
die Komplication der Kolik mit tieferen Gewebs-
läsionen, also auf einen atypischen Verlauf der¬
selben scbliessen Hesse. Abwesenheit von Collaps-
erscheinungen, wie sie infolge von grossen Schmer¬
zen auftreten, — wo dann das Morphium am Platze
sei. Auch dann, wenn im ersten Kolikanfall (oder
einer grösseren Zahl solcher Anfälle) unter dem
Gebrauche der Bell, die Abstossung des .Steines
nicht erfolgt ist, braucht man von weiteren Ver¬
suchen mit jenem Mittel nicht abzustehen, darf
vielmehr von einer wiederholten Darreichung die
Förderung der nothwendigen Hypertrophie der a
tergo gelegenen Muskelstrecken erwarten. Neben
der Belladonna will Verf. andere unterstützende
Mittel wie Kataplasmen, Bäder etd. noch angewen¬
det wissen, ja selbst ein Abführmittel zur Entleerung
des Darmes hält er danach mitunter für angezeigt.
— Er giebt die Bell, entweder als Infus von
1—1,5 (!) auf 150, davon im Anfall alle V*2—1
Std. 1 Esslöffel, oder in der wässrigen Extract-
Lösung (0,1 bis 0,15 :20) alle */*—!1 St. 20 Tropfen.
Zwischen den einzelnen Anfällen rätb er die Dur
rande’sche Mischung (3 Theile Schwefelaether auf
2 Theile Terpentinspiritus) und von Zeit zu Zeit
eine strenge Karlsbader Kur anzuwenden. —
Es sei uns gestattet, an diese Arbeit unsere Be¬
merkungen zu knüpfen. — Die Anwendung der
Belladonna in manchen Arten von Gallensteinkolik
ist für den homöopath. Arzt nichts Neues — aber
wie so oft, sind die krankhaften Erscheinungen,
welche für den Allopathen, als Kontraindicationen
eines Mittels gelten, für uns gerade die wichtigsten
Indicationen. So fordern uns diese Zeichen,
welche einen entzündlichen oder wenigstens ge¬
reizten Zustand in der Gallenblase und ihrer Um¬
gebung und besonders in der Leber selbst docu-
mentiren, erst recht zum Gebrauche der Bell. auf.
— Kafka präcisiert die Anzeige für Bell, dahin:
Ist das Epigastrium gegen Berührung sehr empfind¬
lich, so dass der leiseste Druck die Schmerzen be¬
deutend steigert, sind die Kranken turgeseirt, mit
heissem Kopfe, gerötheten Wangen und beschleu¬
nigtem Pulse, sind sie zugleich gegen Licht und
Geräusch sehr empfindlich, ist das Erbrechen sehr
häufig und mit grosser Anstrengung und Vermeh¬
rung der Schmerzen verbunden, wüthen die Schmer¬
zen gleichmässig ohne Nachlass fort und werfen
sich die Kranken in der Qual verzweiflungsvoll
umher, bald diese, bald jene Lage suchend, ohne
die geringste Erleichterung zu finden, so verab¬
reichen wir Belladonna 3 in Solution in l J A —*/2
stündiger Gabe. — Wird bei langer Dauer des
Sehmerzanfalles die Lebergegend sehr empfindlich,
selbst gegen die leiseste Berührung, steigerte sich
die Schmerzen durch Bewegung, wenn das Erbre¬
chen fortdauert, Icterus herzutritt — Zeichen,
welche auf eine Einklammerung des Gallensteines
im Ductus hepaticus und beginnende Entzündung
des Leberparenchyms in der Umgebung der Gallen¬
gänge hiudeuten, — so ist Bell, das souveräne Mittel.
Es muss jedoch mehrere Stunden consequent vier¬
telstündlich gegeben werden, bis die Schmerzen sich
mildern und die Berührung der Lebergegend wieder
vertragen wird. — Tritt nach einer mehrstündigen
Digitized by
Google
Anwendung dieses Mittels die erwünschte Wir¬
kung nicht ein, so räth Kafka Atropin sulph. 3
in derselben Weise zu geben und, wenn auch
dieses nicht genügt, Morphium acet. I in einer
Schüttelmixtur. — Letzteres Mittel hält Kafka be¬
sonders angezeigt, wenn die Kolik mit Erscheinungen
von Collapsus, Kälte der Extremitäten, kleinem
Pulse, kaltem Schweiss und Ohnmächten auftreten
(Arsen., Veratrum, Lachesis, die den Symptomen
nach entsprechen, haben sich ihm nicht bewährt,
indem sie auf den charakteristischen, so hochgra¬
digen Schmerz ohne Einfluss bleiben). Es stimmt
dies im Ganzen mit den Beobachtungen Dr. Stöckers.
— Beachtenswerth erscheint mir aber des letzteren
Collegen Erfahrung, dass nach Anwendung von
Bell, die Kolikanfälle auf längere Zeit hin aus-
bleiben, während sie beim Morphiumgebrauch meist
in kürzerer Zeit sich wiederholen. — Ob aber
diese Wirkung der Bell, nur durch ihren Einfluss
auf die Muskulatur der Gallenblase, resp. des gros¬
sen Gallenganges zu Stande kommt? Sollte das
Mittel nicht auf die Se- und Excretion der Galle
selbst einwirken? — v. Bönninghansen hat ja die
Belladonna in das Elite-corps der Antipsorica auf¬
genommen, und Böcker hat sie seinen Selbstver-
Buchen zufolge als ein allgemeines Mausermitel an¬
gesehen; namentlich hebt letzterer Autor die ge¬
steigerte Auflösung der Blutbläschen, und ihre
Umwandlung in Galle hervor, wofür die weich¬
lichen grüngalligen Stuhlentleerungen sprechen
sollen. — Während wir gestützt auf das homöo¬
pathische Princip, die Bell, überwiegend bei acuten
Krankheiten anwenden, haben die älteren Ärzte
Krankheiten, die aus gestörtem Vegetationsprocess
der äusseren Haut, des Lymph- und Drüsensystems,
der porösen Häute, des Magens- Leber und Pfort¬
adersystems, (Leberanschwellungen,Icterus pertinax),
bei chronischer Gicht mit Ablagerungen in den
Gelenken, in das Heilgebiet der Bell, hineingezogen.
So erzählte Dr. Solatte von einem 15 jährigen
Knaben, der längere Zeit an Gelbsucht litt, nebst
Erscheinungen, die auf Gallensteine hinwiesen.
Nach verschiedenen erfolglos angewandten Mitteln,
beschwichtigte er die heftigen Koliken durch Ein¬
reibung einer Bell.-Salbe, sodann gab er innerlich
Bell, in Pillen und zwar 2 stündlich 1 gran, bis
auf gran steigend, und, als eine leichte Narkose
eintrat, verschwand der hepatische Schmerz, es
zeigten sich gallige Darmentleerungen, worin
sich 3 erbsengrosse Gallensteine fanden. — Nun,
bis zur Narkose braucht ein Mittel, wenn cs eben
das passende ist, nicht angewendet zu werden. —
Epidemiologische Ecke.
Noch immer ist rascher Wechsel der Mittel zu
verzeichnen. Am 16. und 17. d. Mts. stand im
Vordergrund Orot tigl. -f- Plat. met. oder -f- Plumb.
met. oder -f- Natr. mur. Dabei waren wässrige
Durchfälle, Bauchschmerzen links unten und trockener,
quälender Husten häufig. Am 18. und 19. war
meist Natr. mur. + Ins vers. = Euphras., am 20.
Cupr. met. cum Nicotiana angezeigt. Seit dem 21.
ist hier bis heute hauptsächlich Acid. benz. -f-
Euphras. = Ferr. met hilfreich. Folgende Symp¬
tome konnten dabei beobachtet werden: Fieber mit
mit Frost, Hitze; Durst verschieden, starker Schnup¬
fen mit wässriger Secretion aus Nase und Augen;
heftige Kopfschmerzen besonders vorne und in der
linken Schläfe; Halsentzündung mit Röthung der
vorderen Gaumenbögen oben seitlich, während das
Zäpfchen frei und die Mandeln mehr weniger ge¬
schwellt und blassroth waren; Heiserkeit besonders
Morgens, auch Abends; der Husten war meist
trocken, hart, krampfhaft besonders nach Mitter¬
nacht von 1—2 bis 5—6 Uhr (auch von College
Leeser bestätigt), in dieser Zeit auch Wachen mit
Unruhe und Sichhin- und her werfen, dabei oft Waden¬
krampf, danach konnten die Pat. noch etwa9 schlafen;
Appetitlosigkeit, oft saurer Geruch aus dem Munde,
Uebelkeit, Erbrechen selten, viel Magendrücken
(von Coli. Leeser hervorgehoben, auch hier nicht
selten geklagt); Bauchschmerzen besonders in der
Ileocoecalgegend (2 Mal in meiner Praxis mässige
perityphlitische Ausschwitzung) bis zu peritonitischen
Erscheinungen; meist Verstopfung, oft mit vergeb¬
lichem Zwang, doch auch Durchfall mit Abgang
unverdauter Speisen; Stuhlgang oft hellgelb, dann
stets schmerzhafte Leber (besonders am linken
Lappen) und Milzanschwellung; oft Rücken- und
Gliederschmerzen, Anlehnen bessert (von Coli. Leeser
angegeben); Kälte verschlimmert. Zu beachten ist,
dass die gastrischen Symptome nie ohne die Hals¬
entzündungen auftraten, obwohl sie natürlicherweise
die Beachtung mehr auf sich zogen.
Coli. Stiegele und Stemmer hatten in den Tagen
vom 17. —19. auch vorwiegend Natr. mur. -j- Iris.
Coli. Sigmundt-Spaicbingen tbeilt mit, dass bei
ihm Anginen durch Apis heilbar in den ersten 2
Wochen d. Mts. nicht selten waren.
Coli. Hagel-Ravensburg berichtet auch raschen
Wechsel der Mittel. Er findet bei Anginen und
Diphtheritis Apis wirksamer als Mercur. Er giebt
bei Bronchitiden mit starkem nächtlichen Husten
Tartar, stib. -|- Hyoscyam; bei influenzaartigen
Fällen (Bronchialkatarrhe fehlen dabei) mit starkem
Kopfweh, Müdigkeit, Magenkatarrh Nux vomica +
Nicotiana; bei Neuralgieen im Darm und den unteren
Extremitäten Iris oder Colocynth.
Coli. Kirn-Pforzheim schreibt unter dem 27.:
Digitized by v^ooQie
Hier Led. -j- Cina, Natr. mur. Cina oder -(-
Led. oder -f- Iris, Hepar + Led., Kreosot -f- Iris,
Apis seltener, bei Keuchhusten Spongia -j- Drosera.
Am 28. berichtet er auch von Fällen mit Acid.
benz. -|- Euphrasia.
Coli. Leeser-Bonn theiit am 20. mit, dass Kali
carb. -j- Iris seit 2 Tagen epidemisch ist; daneben
Stann. -{- Mezer., Natr. carb. + Croton, Natr. mur.
-)- Iris, Ant. crud. -f- Cupr. cum Nicot., Acidum
phosph. -f- Taraxac., Acid. phospb. -f Cupr. cum
Cist. can., bei Gelenkrheumatismen Natr. mur. oder
Kali carb. -j- Caust. Zugleich theilte er die (neuen)
Punkte für Acid. benz. und Euphrasia mit. Am 21.
hatte er Kali carb. + Caust., daneben Silic. -j- Bell.
= Aconit, auch Veratrum und Tartar, emetic.
bei rechtsseitiger Angina tonsillar. follicular., die
ursprünglich links (mit Apis oder Mercur) be¬
gonnen hat.
Am 24. hatte er auch Acid. benz. -1" Euphras.,
sowie Hepar oder Baryt. + Euphras.
Am 25. ausserdem Acid. benz. -f- Caust, ferner
bei chronischen Fällen ausser einigen anderen Arsen,
jodat, w&i auch ich hier nicht selten bei solchen
habe.
Am. 28. schreibt er, dass er noch beständig
Acid. benz. + Euphras. mit vielen Influenzafällen
habe, dazwischen auch Acid. benz. -j- Caust und
einmal Acid. benz. -j- Cannabis. „Euphrasia scheint
doch sehr enge Beziehungen zur heurigen Influenza
zu haben; ich habe viele ausgezeichnete, prompte
Erfolge von Euphrasia = Natr. mur. -f- Iris und
von Arnica = Kali carb. -j- Caust. gehabt.*
Zum Schlüsse muss ich noch mittheilen, dass
hier heute im Laufe des Tages bei Halsentzünd¬
ungen mehr und mehr Acid. mur. -|- Lachesis auf
und Acid. benz. -|- Euphras. in den Hintergrund tritt.
Stuttgart, den 29. Januar 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Fragekasten.
Es wird dringend gebeten, in dem folgenden
Krankheitsfall einen geeigneten therapeutischen Vor¬
schlag zu machen und wird event. mit grossem Dank
s. Z. das Resultat mitgetheiit werden.
Die Beschwerden bei der kinderlosen, ca. 35 J.
alten Kranken traten entweder mit Beginn der
Periode oder auch im Verlauf derselben auf, steigern
sich während derselben sehr, um am 8.—12. Tage
wieder ebenso plötzlich ganz zu verschwinden, wie sie
plötzlich kommen.
Bei dem letzten Unwohlsein traten die Be¬
lästigungen erst am 3. Tage nach Beginn des ersteren
auf (vielleicht weil Patientin diese Tage vorzugs¬
weise liegend zubrachte) und zwar beginnend mit
plötzlichem Leib weh und Durchfall Diese Anfälle
wiederholten sich an demselben Tage noch einige
Male und Abends erfolgte heftiges Erbrechen, wo¬
nach anscheinend Erleichterung und eine leidlich
gute Nacht erfolgte. Nächsten Morgen viel Luft,
Aufstossen mit lautem Getöse und einige Male
wässerigen Durchfall, Nachmittags wieder sehr
heftiges Erbrechen mit Angst. Appetit natürlich
sehr wenig, aber in den ruhigeren Pausen wird
durchaus Speise angenommen.
Eine kleine Morphium-Einspritzung in diesem
Stadium vom früheren Arzte wirkte lindernd, aber
die Nachtruhe ist sehr unterbrochen. Am nächsten
Morgen sehr schlechte Stimmung, auch Uebelkeit
und Angst, heftiges Aufstossen der Luft, der Leib
ist nicht aufgetrieben, aber Patientin hat das Gefühl,
als ob er bersten sollte. Der Tag vergeht über
diesem Uebelbefinden und in den folgenden 4—0
..Tagen steigern diese Empfindungen sich bis zum
Unerträglichen.
Es tritt häufig Eingenommenheit des Kopfes,
Leibauftreiben auf, Angst, stechende und brennende
Schmerzen im Kopfe, im Nacken, an den Armen
und Beinen (Wadenkrämpfe), sehr unruhige Nächte
mit hässlichen Träumen, melancholische Gedanken,
besonders am Morgen, hin und wieder Uebelkeit,
Schwindel, aber kein Erbrechen, auch sogar Anfälle
wie Ohnmächten und linkseitige Lähmung des
Augenlides. — Kein Mittel giebt dann Erleichterung,
wohlthuend ist es nur, wenn Rücken und Leib lang¬
sam und leise gerieben wird mit der flachen Hand.
Mitunter besteht ein heftiger Druck in der Nabel¬
gegend, dann aber auch ein Schmerz im Rücken
an der Wirbelsäule. Am unangenehmsten sind die
Angstanfälle, die am 6.—9. Tage am heftigsten auf¬
traten. Sehr bemerkenswerth sind auch die kleinen
Flecke am Körper, Armen und Händen, ohne dass
diese Stellen irgend einem Druck oder Stoss aus¬
gesetzt waren.
Die Kranke litt vor 2 Jahren an einem Band¬
wurm, nach dessen Abtreibung eine körperliche
und psychisohe Frische eintrat, wie sie vorher noch
nie beobachtet worden war. — Der Bandwmm war
20—25 Fuss lang, aber der Kopf anscheinend nicht
mit abgegangen, er wurde nicht gefunden.
Das völlige Wohlsein währte 3 — 4 Monate.
Dann traten wieder einige Beschwerden auf, die
sich von Mal zu Mal gesteigert haben.
Das Aussehen ist frisch, blühend und jugend¬
lich, sowie die Anfälle vorüber sind (wie jetzt seit
4 Tagen), .ist sie vergnügt, energisch und hat an¬
scheinend überhaupt keine Nerven, nur hin und
wieder tritt ganz plötzlich Kopfschmerz ein, auch
wohl mal Durchfall, vorübergehend Uebelkeit. Sie
bewegt sich viel, badet jeden Tag, wird auch am
Leib galvanisirt mit einem Inductions-Apparat,
nimmt jeden Abend etwas Rhabarber-Wein, weil er
ihr angeblich bekommt, und hin und wieder einige
Digitized by
48
Baldrian-Tropfen, Medicamente aller Art haben nach
den gemachten Beobachtungen mehr geschadet als
genützt.
Bezeichnend ist der Schluss des Krankheits-
berichtes;
„Jetzt leben wir 12—14 Tage glückselig, meine
Frau schafft und arbeitet und man kann sich keinen
normaleren Menschen denken. Nach 10 Tagen ist
wieder alles vorbei, auch begreiflich, dass hei solchen
Leiden ein Mensch tief unglücklich wird.“
£s handelt sich hier besonders um die Frage»
können alle Beschwerden auf die Gegenwart einer
neuen Taenia zurückgeiührt werden? Und im Be¬
jahungsfälle : welche Wurm-Kur gewährt die grösste
Sicherheit?
Rechnungsablegung.
An Mitarbeiterhonoraren für den 123. Band
der Allgemeinen Homöopath. Zeitung sind gütigst
gestiftet worden:
1) für das Leipziger homöopathische
Krankenhaus.
von Herrn Dr. med. Villers-Dresden . M. 6.40
„ „ „ „ H. in H. . . . „ 3.60
„ „ Sanitätsrath Dr. med. Schwei-
kert-Breslau.„ 1.60
M. 11.60
2) für die Wittwenkasse homöopath.
Aerzte.
von Herrn Dr. med. Hesse-Hamburg . M. 6.—
„ ,, Obermedicinalrath Dr. med.
Sick-Stuttgart.. 9.60
von Herrn Dr. med. Kafka jr.-Carlsbad „ 3.60
Uebertrag: M. 19.20-
von Herrn Dr. med. PrÖll-Gastein . . „ 1.60
„ „ Apotheker W. Steinmetz-
Leipzig .. 6.40
M. 27.20
+ „ 11.60
Summa M. 38.80
Für den Betriebsfond des homöopath. Kranken¬
hauses zu Leipzig sind ferner eingegangen in der
Zeit vom 21/10. 1891 bis 27/1. 1892:
von Herrn Lehrer Seyffert-Taucha . . M 3.—
„ „ Dr. med. Villers-Dresden, aus
der Sparbüchse in seinem Wartezimmer „ 10.98
vom Säcbs.-Anhalt Verein per 1891/92 „ 50.—
vom Homöopath. Central verein Deut¬
lands per 91/92.„ 500.—
von Herrn Dr. med Kunkel-Kiel p. 91/92 ,, 100.—
von Täschner & Co.-Leipzig, aus der
Sammelbüchse in der Apotheke . . „ 3.14
von Herrn Dr. W. Schwabe-Leipzig an
eingegangenen Beiträgen (specificirt
in der Populären Zeitschrift) . . . w 64.25
von Herrn Dr. med. Wugk-Königsbg. i/Pr. ,, 24.—
von Centralvereinsmitgliedern
16 Jahresbeiträge 6.— „ 96.—
3 „ „ . 10.- „ 30.-
M. 881.37
Für alle diese reichlichen Gaben sage ich im
Namen des Krankenhauses und der Wittwenkasse
herzlichsten Dank und bitte auch um ferneres Wohl¬
wollen und weitere Zuwendungen.
William Steinmetz,
z. Z. Kassen Verwalter.
ANZEIGEN.
Der ganze Ertrag (einschliesslich der Druckkosten)
ist rar das Deutsche Kaiser Friedrich-Kranken¬
haus in San Remo bestimmt.
für
Gesunde und Kranke,
die nacb den Wiiiermrten der Retiera reisei
von
Dr. Ueorg Heusmann in Hannover.
Mittheilung.
Den Herren Aerzten theile ich hierdurch er¬
gebenst mit, dass Herr Dr. med. Sorge in Berlin
die Liebenswürdigkeit gehabt hat, mir auch ein
kleines Quantum der
Thiergifte,
die er in seinem Artikel „Pharmaceutisches“,
Seite 494 und folgende der Zeitschrift des Berliner
Vereins Homöopathischer Aerzte X. Band, Heft 5
und 6, bespricht, zur Verfügung zu stellen, sodass
ich auch mit Potenzen dieser Mittel dienen kann.
A. Marggraf s Homöopath. Officin
in Leipzig.
■=■ Preis eleg. geh, 1 Mark. —
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stnttgart, Dr. Stlfft-Leipsig und Dr. Haedloke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf b homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Greseatr & Sobramm in Leipzig.
Leipzig, den 18. Februar 1892.
ALLGEMEINE
Band 124.
No. 7 u. 8.
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
IlERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s Homöopath. Offlein) in Leipzig.
f/0* Kracheiut töt&gig *u 2 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Bend. Preis 10 U. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Buobhandlnngen und
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an R. Mosse in Leipzig und dessen Filialen au richten sind,
werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitzeile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12Jf. berechnet.
Inhalt: Zar homöopathischen Heilung des Tetanus und Trismus und der Eklampsie der Gehörenden und
Schwangeren. Von Wenzl Heyberger, ftirstl. Schwarzenberg. Arzt in Protiwin. — Der Suggestionismus und die
Homöopathie. Von Dr. F. Carl Gerster-München. — 9 Dauernde Heilungen. Von Dr. Lorbacher. — Aue der Praxis
amerikanischer Collagen. Von Dr. Hesse-Hamburg. — Ein sonderbarer Mahnruf! Von Dr. Lembke-Riga. — Anti-
pyriniemue Von Dr. Lembke u. Pröll. — Epidemiologische Eoke. — Fragekaeten. — Anzeigen.
Zur houiöopatliisclieu Heilung des
Tetanus u. Trismus und der Eklamp¬
sie der Gebärenden n. Schwangeren.
Von Wenzl Heyberger, lürstl. Schwarzenberg.
Arzt in Protiwin.
Ueber die Behandlung und Heilung des Tetanus
und Trismus finden sich in der homöopathischen
Literatur von mit homöopathischen Mitteln voll¬
zogenen Heilungen viele Beispiele, und es dürfte
kaum einen homöopathischen Arzt geben, der in
seiner Praxis nicht zufriedenstellende Erfolge erlebt
hätte. Was und wo wäre die Homöopathie, wenn
es anders wäre; denn mit den einfachen verdünnten
Mitteln steht sie in diesen Krankheitsformen einem
allopathischen Arsenale von Deleterien gegenüber, die
aber nicht immer das leisten, was man von ihnen
hofft, und leider verrätherisch oft dem Tode zum
Siege verhelfen.
Nun zwar scheint es nach dem oben Gesagten,
dass es Eulen nach Athen tragen hiesse, wenn man
noch Mittel zur Heilung jener Krampfformen zu¬
trägt; aber es ist dies keine überflüssige Arbeit,
denn man kann des Guten nie zu viel haben, und
alle Aerzte sehnen sich nach Specifica, oder was
denselben doch ähnlich ist, um im Bedarffalle mit
Zuversicht und soligem Bewusstsein an das Kranken¬
lager eilen, um trotz der ungünstigsten Prognose den
Kranken retten zu können.
Tetanus - Trismus.
Marie Kanära, Bauerstochter aus Katsch, ein
kräftig gebautes, grosses, 21 Jahre altes blondes
Mädchen, hatte die letzten Tage der Woche fleissig
gearbeitet, Brod gebacken, Stube und Haus ge¬
scheuert, sich dabei erhitzt, und sich barfuss im
leichtesten Arbeitscostüme eine Erkältung zugezogen.
Sie klagte über kein Unwohlsein und begab sich
am 2. Februar in die eine halbe Stunde entfernte
Kirche und um 11 Uhr nach Hause zurück. Als
sie nach ein paar Minuten ihre Kleider ablegen
wollte, wurde sie plötzlich starr und steif wie eine
Bildsäule, und stürzte dann, jeden Haltes haar zu
Boden. Die Bewusstlose, steif und starr wie ein
Brett, wurde zu Bette gebracht. Bei dem gleich
Nachmittags erfolgten Besuche wurden mir jene
oben erwähnten anamnestischen Momente mitgo-
theilt, wie auch, dass die Periode vor 14 Tagen
normal verlaufen sei. Das Bewusstsein vollkommen
geschwunden, die Temperatur des Kopfes wenig er¬
höht, das Angesicht blass, die Augen beiderseits
geschlossen, die Iris lichtbraun , die Pupillen
starr, reagireu nicht; aus dem geschlossenen Munde
quillt, wenn man d : .e Lippen öffnet, etwas blutiger
Schleim und Speichel aus der Mundspalte, Kau¬
muskel beiderseits hart, Kiefer fest geschlossen, un¬
beweglich; die tadellosen Zahnreihen ohne Lücke
weisen starke Zähne, die fest über einander ge¬
bissen sind. Das Heben und Senken des Thorax
unmerklicb, die Respiration gebt leise und langsam
von Statten. Der Körper ist kühl anzufühlen. Stuhl
war früh gewesen; Glieder sind steif, Gelenke
schwer biegsam. Belebungsversuche, wie Bespritzen
mit Wasser, Waschen mit Wasser und Essig,
Frottirungen wurden gleich von den Angehörigen
reichlich, aber ohne Erfolg angewendet; sie
7
Digitized by
50
wussten, dass sie noch lebe, aber erwarteten resig-
nirt das Ende.
Das Hinderlichste war, dass auf gewöhnlichem
Wege ein Medicament nicht beizubringen war. Aach
Hoffmannstropfen, die ihr eine Freundin anfänglich
durch die Zähne einflösste, kamen mit dem Speichel
wieder zurück.
Es wurden sofort kalte Umschläge auf den
Kopf, Krenteige auf die Waden und Fusssohlen und
auf den Nacken zwischen den Schulterblättern an¬
geordnet. Für innerlich Pulver mit Aconit 2. und
Atropin 2. (Centesim. oder Dezim.?! Die Red.),
jedes für sich, alle Stunden abwechselnd, immer ein
Pulver in beide innere Wangenflächen einzureiben,
angeordnet.
Am 3./2. Die Körperwärme ist etwas gestiegen,
der Puls, der gestern matt, 50 zählte, hat sich auf
Ö5 gehoben. Die Extremitäten geschmeidiger, die
Muskeln bieten nicht mehr die hölzerne Härte; doch
die Besinnungslosigkeit-, der Trismus fortbestehend.
Zum Versuch, ob denn die Unempfindlichkeit so
unüberwindbar sei, wurden, nachdem Rieclimittel
erfolglos, frisch geriebener Kren vor die Nase ge¬
halten, darnach die Patientin mit den Augenlidern
zuckte, und später den Kopf aus dem Bereiche der
Kreninhalation zu wenden versuchte. So unangenehm
dieses Experiment für die Patientin schien, so freudig
waren diese Belebungszeichen für die Eltern, welche
wieder Muth und Hoffnung schöpften, dass ihre
Tochter erhalten werden dürfte. Nun kam aber
noch die Frage in Botracht, ob sie nicht in Folge
des Sturzes bei dem Anfalle eine Commotio cerebri
erlitten? Die Beschaffenheit der Gehirnsymptome
konnte nicht ignorirt werden, daher Grund genug,
auf dieses einzugehen; so wurde Arnica 3. im
Wechsel mit Cantharis 3., da seit 24 Stunden kein
Harn entleert wurde, obwohl die Blase nicht an¬
gefüllt war, alle 2 Stunden im Wechsel gegeben;
d. h. wie zuvor eingerieben.
Am 4./2. war die Bewusstlosigkeit so weit ge¬
ringer, dass Patientin die Augen öffnete, zeitweise
offen hielt, durch Zuwinken und Schliessen ihrer
Augenlider zu erkennen gab, was sie wollte. Das
Hörvermögen war zurückgekehrt, sie hörte; doch
der Trismus, der Klamm der Glieder hielt noch an.
Harn ging unwillkürlich ab. Puls 70. Am Abend
wurde Bell. 2. 4 Pulver und Zinc. met. 2. ebenfalls
4 Pulver auf die Weise der Vorigen in Abwechs¬
lung alle 2 Stunden eins eingerieben. Nach der
zweiten Gabe von Zincum liess der Trismus und
Klamm der Glieder nach, sie konnte sich schon
bewegen, den Mund behutsam öffnen, ihren Durst
mit Milch stillen, was ich für diesen Fall zugleich
auch als Nahrungsmittel empfahl.
Am 5. wurden die Mittel wiederholt; Sprache,
besseres Bewusstsein, zum Theil ungehindertes
Oeffnen des Mundes möglich. Doch äusserten sich
jetzt die Folgen des stattgehabten Krampfes, die
das ergriffen gewesene Organ des Gehirns betrafen
und sich in lästigen, dumpfdrückenden Kopf¬
schmerzen in der Stirne, im Scheitel, im Hinterhaupte
kuudgaben. Ja, vom 8.—11./2., mit Delirien ver¬
bunden, schien ein Typhus versatilis in Aussicht,
doch Rhus 3. im Wechsel mit Zinc. 4., welche
ich nicht mehr ausser Acht liess, und welche jetzt
per viam naturalem passiren konnten, vereitelten
dies. Der Zustand besserte sich so, dass am 15./2.
die letzte Ordination dispensirt wurde. Die Re-
convalescenz folgte rasch, und die Genesene ist
bisher gesund verblieben.
2. Eklampsia post partum , et gravidarum.
0. Wielobieky hat in Rückerts klin. Erfahrungen
2 Heilungen, eine mit Cicut. viros., die andere mit
Nux vom. in dieser unglücklichsten aller Krank¬
heiten verzeichnet, und läth nach den Symptomen
z. B. bei Plethora indicirte Specifica, Nux bei Torpor
des Unterleibes, Aconit, bei trockener, heisser Haut;
Cbamomill. bei Flatus, Diarrhoe, Tenesmus; Merc.,
Hyosciam., Pulsatilla bei Kälte, bleichem Aussehen,
klebrigem Schweisse wie bei Asphyxie; Bell., wo
die Gesichtsfarbe fahl und dunkelroth wechselt;
Opium bei Stupor und rasselndem Athmen; Hyos-
ciatnus bei übermässiger Gefässthätigkeit, Secale
und Pulsatilla, wo wenig Erregbarkeit des Uterus
vorhanden; kaltes Waschen der Hände, des Gesichts
während des Anfalles. Haben die Mittel Erfolg,
lege man der Natur nichts mehr in den Weg;
dabei duukles Zimmer und Entfernung jedes Ge¬
räusches. Doch schliesslich mahnt Wielobieky
dringend zum Studium specifischer Mittel.
Nach Jahr Cyclamen, Ignatia, Platina, Stramon.
In anderen Werken sind die und andere Mittel
im Allgemeinen benannt gegen Krämpfe und Con-
vulsionen, ohne besondere Rücksichtsnahme auf die zu
bekämpfende Krankheitsform, so dass es oft scheint.
I dass sie als gute Rathschläge vom Schreibtische
ausgehen. Viele Mittel — schwere Wahl! In der
Allopathie geht es zielbewusst schneller; Kalium
bromatum — Chloralhydrat, innerlich und in Injec-
tion, Cblorofovmnarko8e oder Inhalation vom Amyl-
nitrit, Venäsection bei Plethora und — Finis! —
Diese Krankheit gehört zu den schlimmsten, da
meist 2 Menschenleben verloren gehen, drei Viertel
der Frauen sterben unter den Anfällen und ein
Viertel erliegt den Nachkrankheiten; wie angenehm
ist es, Arzt zu sein! Schon Boer hielt jede Medi-
cation für ungenügend. Es ist auch bisher vor
der Anamnese die Prognosis infaustissima voran¬
gestellt worden, und nicht ohne Grund; denn büsste
nicht vor kurzer Zeit eine Kronprinzessin, die
Tochter eines der mächtigsten Herrscher und Reiche
auch ihr junges, glückverheissendes Leben dabei
ein? —
Digitized by Google
51
Eine kurze Definition dieser Krankheit kann
hier Platz finden.
Unter Eklampsie gravidarum et puerperalis ver¬
steht man diejenigen nach der ersten Hälfte*) der
Schwangerschaft, vor, während oder kurz nach der
Geburt auftretenden Anfälle von allgemeinen Con-
vulsionen der willkürlichen Muskeln, welche von
vollständiger Bewusstlosigkeit begleitet sind, dem
Coma folgt, und welche in immer kürzeren Inter¬
vallen in derselben Ordnung sich erneuen, und in
z. Th. noch ganz unbekannten, im graviden oder
puerperalen Zustande eintretenden ursächlichen
Momenten ihren Grund haben. —
Selten kommt die Krankheit vor; selbst der
Gefertigte sah sie in seiner bald 30 jährigen Praxis
bei so viel geburtshilflichen Fällen fast nie und
dachte, das Schicksal wird es dabei bewendep lassen.
Doch es scheint auch ein Agens in der allgemeinen
Constitution zu liegen; denn vor kaum einem Jahre
ereignete sich ein Fall bei einer 20jäbrigen Gravida
im 6. Monate, dann im Anfänge des Fi übjahrs 2
Fälle beide multipara, vor und nach d^r Geburt,
die mein allopath. College behandelte, alle nahmen
ein schnelles Ende. Im August v. J. übernahm ich
den ersten Fall einer Multipara gleich nach der
Geburt, und im Monate November darauf den
zweiten Fall bei einer Gravida im 6. Monate, die
beide gerettet wurden.
Bei der Ersten im Vorjahre wurde ich bloss
consultirt und sah die Kranke nicht, die Hilfe wäre
so wie so wegen der Entfernung zu spät gekommen.
Der Mann der Kranken, ein Häusler aus einem ent¬
fernten Dorfe ein gewisser Bizinger kam., nachdem
er zuvor erst Hebammen berufen, welche ihn end¬
lich an einen Arzt wiesen, Vormittags um ärztlichen
Rath, indem sein junges Weib im 6. Monate schwanger
vor Mitternacht erwachte, und darauf die Epilepsie
bekommen habe. Nach Mittheilung der Art und
Weise dieser seinsollenden Epilepsie, machte ich den
Mann mit dem wahren Sachverhalte bekannt, gab
ihm 10 Stück Pulver mit Atropin alle 2 Stunde
1 Stück in die Wangen einzureiben. Abends kam
ein Bote, dass es besser gehe, die Anfälle seltener
kämen, und er daher um andere Pulver bitte, da
diese bald zu Ende wären. Mit Freude folgte ich
dieser Aufforderung, und wiederholte dieselbe Or¬
dination. Die Frau starb aber nach Mitternacht, die
Hilfe kam zu spät.
Ursache und Wesen der Eklampsie ist noch nicht
aufgeklärt, da die Sectionsbefunde keinen Auf¬
schluss geben, und nur die durch die Krämpfe ver-
anlassten pathologischen Veränderungen, wie Hyper-
aemie, seröse Exsudate im Gehirn, Apoplexien,
Lungenödem. Peritonitis, Metritis, bisweilen auch
*) Man hat sie auch bereits in der 6. Woche der
Schwangerschaft au (treten 9ehen. Die Red.
Morbus Brigthii ergeben. Aber soviel scheint
sicher, dass einestheils dieselbe in der durch die
Gravidität veränderten Blutmasse, und anderntheils
auf einer alienirten Function der Nieren beruht, in¬
dem die Nieren nicht alle schädlichen Stoffe aus-
scheiden, und so jener Giftstoff (Harnstoff?) im Blut¬
kreislauf verharrt, der diese Krampfform zu erregen
scheint*).
Zur Vorbauung wurden daher auch obiger An¬
sicht gemäss von Wielobieky und anderen, auch von
den Allopathen warme Bäder, diätetische, selbst
Arzneimittel angewendet, die eine grössere Harn-
secretion bezwecken.
a) Eklampsia post partum.
Am 2. August v. J. Nachts berichtete die Hebamme
M. Novak, dass unsere Nachbarin Bürgerin Frau
A. Pexider von einem gesunden Knaben glücklich
entbunden, aber Schmerz im Bauche habe, und um
ein Mittel bitte. Ich gab ihr Pulsatilla und Nux,
falls das erste nicht helfen sollte. Nach einer Stunde
jedoch kam der Gatte selbst, mit dem Bescheide,
dass die Schmerzen heftiger seien. Ich begab mich
sofort zu der Kranken und fand heftig schmerzhafte
zusammenziehende mit Brennen verbundene Magen¬
krämpfe vor, mit hoher schmerzhafter Empfindung
beim leisen Drucke auf die Magengegend. Bei der
weiter vorgenommenen Untersuchung des Uterus,
der Placenta, des Kindes, war alles im normalen
Stande. Die angebliche Ursache wurde einer spät
Abends vor der Entbindung genossenen Eierspeise
zugeschrieben. Ich gab 10 Stück Pulver Atropin 5.,
zweistündlich eins, und da man auch eine Einreibung
wünschte, so folgte ich ihr 01. Hyosciami aus, die
schmerzhafte Magengegend einzureiben. Pulsatilla
batte sie früher bekommen, aber Nux nicht einge¬
nommen. Die Nacht wurde nicht weiter gestört.
Die Wöchnerin hat mit den gegenwärtigen sechs
Kinder zumeist Mädchen geboren, ist gut situirt,
von grösserm Körper wüchse, mehr schlank gebaut,
Blondine mit blauen Augen, hatte einmal einen
Abortus und einmal nach einer Entbindung eine
Metrorrhagie durchgemacbt und leidetöfteran Rheuma¬
tismen, sonst im Ganzen gesund; beide Eltern alt,
ihre Schwester starb an Eklampsie während der
Entbindung; sie steht in ihrem 30. Jahre. Nach¬
mittags und Abends hielt sie sich in ihrem Garten
auf, der am Flusse liegt, und da dürfte sie sich eine
Verkühlung zugezogen haben.
*) Diese Frerichssche Theorie erklärt nicht alle Fälle
von Eklampsie, ebenso wenig wie die Hypothese von
Traube-Rosenstein; doch aber findet man nach neueren
Untersuchungen (Löhlein) fast mallen Fällen eine mangel¬
hafte Hnrnexcretion, so dass man doch fär die Mehr¬
zahl eine Ueberladung des Blutes mit efcremehtiillen
.Stoffen als Ursache für die eklamptischen Erscheinungen
aussprechen darf. Die Red.
7*
Digitized by
Google
52
Am 3./8. früh besuchte ich sie wieder; die
Schmerzen beseitigte schon das zweite Pulver, und
so schlief sie ruhig mit einigen Unterbrechungen
bis zu meinem Besuche. Die Magengegend nicht
mehr empfindlich, Uterus zusammengezogen, gut
gelagert, Lochien mässig fliessend, Puls 80, die
Haut zur Transpiration geneigt, Milchbrüste füllen
sich; sie hatte übeThaupt immer etwas mit Milch¬
mangel zu kämpfen. Die Untersuchung nahm ich
strenger vor, da ich eine Reise zur Patientin zu
machen hatte, die mich wenigstens 5 Stunden vom
Hause entfernten. Ich biess ihr, die Alropinpulver
noch weiter in längeren Pausen fori zu nehmen und
trat meine Reise an.
Um etwa 1 Uhr Nachmittags zurückgekebrt,
wurde mir die überraschende Kunde, dass bei der
Nachbarin um 9 Uhr Vormittags plötzlich Krämpfe
ausgebrochen seien, dass man den allopathischen
Collegen holen lassen musste, und dessen Bemühen
sei bi8 jetzt ohne Erfolg geblieben; ich werde daher
sehnliche erwartet. Ich begab mich sofort dahin,
wo eben der College anwesend war und mir mit¬
theilte, dass er der Patientin Kali bromat. in SolutioD,
jedoch ohne Erfolg gegeben. Es war gerade ein
Anfall vorüber und die Patientin in tiefem Corna,
die Kiefer krampfhaft geschlossen. Da sie Lücken
in den Zahnreihen hatte, so dachte ich mir, dass
man ein Medicament leichter einbringen könne. Ich
untersuchte den Unterleib; der Uterus ausgedehnt
wie bei innerer Metrorrhagie, so dass ich wirklich
die Ursache der Krämpfe diesem Umstande zu*
schreiben zu dürfen glaubte. Der Uterus wurde
durch Kneten und Reiben zur Zusaminenziehung
und in seine Lage gebracht. Ich gab sofort Plat. 3 ,
doch halfen mir die Zahnlücken nichts, da anstatt
zu schlingen (wegen inneren Krampfes) Stickanfälle
erregt wurden Nun schien die Patientin zu er¬
wachen, sie stöhnte laut auf, warf sich unruhig auf
die linke Seite, das bleiche Gesicht wurde roth, die
Gesichtszüge änderten sich, die Augenlider in raschem
Wechsel geöffnet und geschlossen, der Bulbus hin-
und hergerollt, endlich starr nach oben gerichtet,
Pupillen erweitert, unempfindlich, der Mund ver¬
zogen, die Kiefer fest geschlossen, der Kopf tetanisch
zur linken Seite gedreht, sobald der ganze Körper
zur linken Seite gedreht wurde. Die Arme und
Beine werden hin* und hergeschleudert, dann wieder
im tonischen Krampf gestreckt, das Gesicht strotzend,
dunkel gerötbet, Puls klein frequent. Der Atbem
wurde stockend, die im Rachen angesamraelten
Schleimmassen verursachten Rasseln und Röcheln;
das Bewusstsein war vom Beginne des Anfalles an
vollkommen aufgehoben. Das Merkwürdigste war,
da ich den Uterus in seiner Lage erhalten wollte,
das Schlagen, ja Schleudern dieses Organs gegen
die Bauchwand mit einer solchen Vehemenz, dass
ich das Aergste befürchtete und kaum die StÖsse
mit der Hand aufhalten konnte. Sie stimmten zum
Theil mit den durchzuckenden, wie electrischen, Er¬
schütterungen des Körpers überein. Dieses Spiel
dauerte einige Minuten, endlich liess der Sturm
nach, die Convulsionen nahmen allmählich ab, die
Lider schlossen sich, dem Munde entquoll blutiger
Schleim, der Athem wurde ruhiger, der Puls hob
sich, wurde ruhiger, die Haut transpirirte und die
Kranke verfiel in tiefen Schlaf.
Nachdem der Uterus zur Zusammenziehung ge¬
bracht, fand ich auch bemüssigt, denselben zu com-
primiren und in seiner Lage zu erhalten. Eine
mehrfach zusammengelegte Serviette als Compresse,
ein Zinnteller darüber, wurde mit einer Bauchbinde
besten sbefestigt; Krenteige an die Waden und Fuss-
soblen applicirt, kalte Umschläge über den Kopf
fortgesetzt. Mein Herr College empfahl sich nach
diesem erneuten Anfall, sich zu Diensten stellend,
wenn ich ihn benöthigen sollte, und war froh, von
sich die Last zu wälzen. Nun kam das Martyrium
der Therapie gegen eine Krankheit, die meist nur
mit dem Tode endet! Atropin hatte also den Aus¬
bruch nicht verhindern können, wiederholte Platina
änderte gar nichts; nun wurde nach einander Gel-
semium 2., Zincum oxydat 2., Hyoscium 2., Bell. 2.,
Canthar. 3., in die Wangenflächen eingerieben, da
es wegen der Schlundkrämpfe mit dem Schlingen
nicht ging. So oft sich der Anfall erneute, glaubte
ich und fast mit Recht, dass das angewandte Mittel
nicht entsprach; den schon erprobten Mitteln Cicut.
viros., Nux vom. entsprachen die Symptome nicht.
Die Anfälle kamen halbstündlich. Ja Specifica!
Wielobieky hat Recht, sucht Specifica. Es war
gegen Abend wieder ein heftiger Anfall eingetreten,
mit jeder halben Stunde wächst die Gefahr, dass
es der letzte sei! — Zum Glück fiel mir das vor
Monaten sich im Starrkrampf und Trismus be¬
währte Zincum metallic. ein. Ich gab es als Letztes
und zwar Zinc. metall. 2., und in Anbetracht der
jedenfalls ergriffenen Beckenorgane mit Bell. 2. im
Wechsel als Wangeneinreibung, halbstündlich.
Aeusserst spannend war es, als seit l 1 ^ Stunden
kein Anfall kam. Endlich um 10 Uhr Abends folgte
ein kurzer, schwächerer, es war der Letztei Die
Nacht verlief ruhig, Bell. 2. und Zinc. met. 2.
2 stündlich fortgesetzt und eingenommen.
Am 4. wurde die Bandage entfernt, Uterus in
normaler Lage, Lochien gut, doch ist die Patieutin
noch betäubt, wie trunken vom Schlafe, weiss von
nichts, sieht sich manchmal blöde ihre Umgebung
an, wie wenn sie am fremden Orte wäre, und fühlt
Schmerzen der Zunge, welche sich bei Besichtigung
vielfach eingebissen zeigte. Es wurde Tinct. arnica
verordnet. Innerlich Bell 3. und Zinc. metall. 4.
fortgesetzt.
Am 5. plötzlich heftige Bauchschmerzen, wie
Nachwehen von kurzer Dauer, bis 2 Stück Pulver
Digitized by
Google
53
Chamom. 2. der Kolik eiu Ende machten. Sonst
Bell, und Zinc. wie oben lortgesetzt.
Am 6. heftiger halbseitiger Kopfschmerz.
Am 7. Derselbe minder heftig, noch sehr be¬
lästigend; es vermehrt sich die Transpiration, die
bis nun darnieder lag.
Am 8. reichlicher Schweiss.
Am 9. ist endlich das Sensorium frei. Die
Kranke befindet sich wohl, ist munter, an allem
tbeilnehmend, doch keine Erinnerung an das Vor¬
gefallene.
Gegen die obigen Nach wehen der Krankheit
wurde kein anderes Mittel genommen, sondern bis zu
Ende der Krankheit Zinc. und Bell, gegeben, welche
allen diesen Nachfolgen genügten. Das Ruhebett
verlief ohne alle Störung; Mutter und Knabe sind
gesund bis zum heutigen Tage.
Aus diesen überraschenden, fast verblüffenden
Erfolgen bei einer so traditionell als höchst lebens¬
gefährlich geltenden, bisher äusserst selten geheilten
Krankheitsform, erhoffte ich nach dem vorher er¬
wähnten, seltenen Vorkommen, keinen 'allgemeinen
Nutzen, da die Bestätigung der Wirkung und Be¬
seitigung jedes Zweifels nicht so bald, vielleicht
nicht mehr sich ergeben dürfte. Ich erschrak ordent¬
lich, als am 24. November v. J. früh Josef Bartos
eilends zu mir kam.
b) Eklampsia gravidarum.
Josef Bartos ist ein jugendlicher Arbeiter uud
bat mich flehentlich, sein Weib zu besuchen, wel¬
ches im 6. Monate zum ersten Male schwanger sei,
in Fraisen (Krämpfen) bewusstlos darniederliege,
der erste Anfall sei nach Mitternacht gekommen,
habe sich dann nach 2 Stunden und jetzt wiederholt.
Er eilte fort; ich folgte demselben mit gemischten
Gefühlen. Ich war froh, ein Heilmittel zu besitzen,
aber konnte es nicht wie andere sein, die durch
verschiedene Umstände und Zufälle sich einmal
heilsam erwiesen, und beim nächsten Falle im
Stiche lassen? Nun, die Probe stand bevor.
Bei meinem Eintritt war gerade ein Anfall nach
den Symptomen auf seiner Höhe angelaugt. Das
glühend rothe Gesicht, die verdrehten, starren Bulbi,
das Winden und Verdrehen des ganzen Stammes
nach rechts, die durchzuckenden Stösse, die ge¬
schlossenen Kiefer, abwechselnd clonischeund tonische
Krämpfe der Extremitäten, die vollkommene Be¬
wusstlosigkeit, das Herauspressen des Unterleibes,
der steckende Athem mit Rasseln — das ganze
Symptomenbild der vorher beobachteten Kranken!
Auch hier nahmen die Krämpfe nach und nach
ab, aus dem Munde kam schaumiger Schleim mit
Blut gemischt, das Gesicht erbleichte, uud wie er¬
müdet von übergrosser Anstrengung veisank die
Patientin in nicht zu erweckenden tiefen Schlaf.
Die Kranke, eine dunkle Blondine über Mittel¬
grösse, gut und stark gebaut, mit braunen Augen,
24 Jahre alt, war stets gesund, dabei abgehärtet,
seit einem Jahr verheiratet. Als ätiologisches Moment
kann ebenfalls Verkühlung bei Arbeit im Wasser
angenommen werden.
Ableitende Krenteige auf Waden, Fusssohlen,
zwischen den Schultern am Nacken, kalte Umschläge
auf den Kopf wurden sofort angeordnet, und indessen
die Arznei bereitet. Da die Kranke meist ohne
Bewusstsein die starken guten Zahnreihen fest ge¬
schlossen hatte, so wurden auch einstweilen bis zum
wiederkehrenden Schlingvermögen hier die Pulver
je eines in beide Wangenflächen trocken eingerieben.
Mit mehr Hoffnung und Vertrauen nach den Er¬
fahrungen bei dem vorangegangenen Falle gab ich
zuerst Zinc. met. 2. und Bell. 2. in Milohzucker-
pulvern von jedem 5 Stück und Hess dann in Ab¬
wechslung Anfangs halbstündlich, dann stündlich,
später 2 stündlich eins einreiben oder bei zurück¬
gekehrtem Schlingvermögen einnehmen. Nach einem
starken wie oben beschriebenen Anfalle trat eine
lange Pause ein, dem folgten noch einige schwächere
und schwächere, einem Gliederausstrecken ähnlich,
in immer längeren Intervallen. Vor Mitternacht
war das letzte Ausstrecken. Die Kranke schlief,
erwachte oft, erst gegen Morgen mehrstündiger,
ruhiger Schlaf.
Am 25./11. Krämpfe nicht mehr erschienen.
Nach den sich jetzt darbietenden sensoriellen Stör¬
ungen liess sich erst die ganze Schwere der Krank¬
heit beurtheilen. Patientin liegt mit geröth^tom
Gesicht lächelnd im Bett, ohne von dem Vorge¬
gangenen zu wissen, noch jetzt ihren Zustand zu
erkennen, ist blöde, betäubt wie betrunken, erkennt
wohl Personen, aber unsicher, lacht laut auf, dabei
Klage über Kopfeingenommenheit und allgemeinen
Kopfschmerz, glaubt nicht zu Hause zu sein und
ärgert sich, dass sie die Wohnung so verhunzt
hätten. Ordination, kalte Umschläge auf den Kopf,
Beilad. 3. und Zinc. metal. 4. alle 2 Stunden im
Wechsel.
Am 2*>. Die Nacht und Schlaf war ruhiger und
besser als die vorhergegangene; die Haut tratis-
pirirt mehr, das Erkennungsvermögen besser, aber
sie sieht alle näheren Gegenstände abwechselnd 2 fach
und 3 fach, die entfernteren Gegenstände Thiire,
Ofen, Kleiderkasten verschoben, wie zum Fallen.
Ordination dieselbe.
Am 27. Gute Nacht und Schlaf, gutes Allgemein¬
befinden, Stuhl und Harn in Ordnung. Nur die
optischen Symptome wohl minder aber noch fort¬
bestehend, sie erschrickt leicht, sieht beim Auf¬
sitzen noch immer den Deckebalken des Plafonds
hängend und schwebend, den Ofen, die Thür, den
Kleiderschrank schief gestellt; aber sie glaubt es,
Digitized by v^ooQle
54
das6 sie von der Krankheit so sohlecht sehe y and
besteht auch nicht auf ihrer Meinung.
Am 28. Guter Schlaf, ist heiter, macht Ver¬
suche zum Aufstehen und Gehen, was aber nicht
ganz gelingt. Das Schiefstehensehen der Möbel ist
minder, da sie früher dieselben zum Fallen bereit
sah, so wie sie auch beim Tieferliegen des Kopfes
oder Rückwärtsbeugen desselben, rücklings in einen
Abgrund zu stürzen fürchtete. Dieselbe Ordination
fortgesetzt.
Am 29. Güter Schlaf, reichlicher Schweiss,
fühlt die Glieder matt, wie zerschlagen (wieder-
kehrendes Gefühl), sonst aber munter, sie scheint
sich in der Wohnung zu orientiren.
Am 30. Allgemeine Besserung, sie ist endlich
„däheiüi", sieht alles in gerader Ordnung und Stel¬
lung wie früher.
Am 1./12. Fühlt sich kräftiger gegen die vorigen
Tage, Gehen geht gut Letzte Ordination. Von da
ab fortschreitende Besserung.
Nachschrift.
Vom 1. December an ging die Genesung gut
von Statten, auch schien der Verlauf der Schwanger¬
schaft nicht gestört worden zu sein, nur bemerkte
die Genesende, dass die Kindesbewegungen weit
schwächer waren, was mit Beginn des 7. Monats
noch auffälliger, aber bei dem sonst guten All¬
gemeinbefinden nicht mehr beachtet wurde. Am
21. December traten Wehen ein, die sich aber bald
beruhigten. Am 24- erschienen sie wieder, hielten
mit Unterbrechungen je weiter je länger an, bis
am 25. um 5 Uhr morgens die Frühgebuit eines
7 monatlichen todten Mädchens erfolgte.
Nach dem Aussehen der Leiche konnte ange¬
nommen werden, dass schon der Tod vor mehreren
Tagen eingetreten war.
Die protrahirte Geburtsperiode hatte die Wöch¬
nerin sehr mitgenommen, so dass sie die ersten 7
Tage über bedeutende Schwäche klagte; sie erholte
sich jedoch nach diesen und ist jetzt wieder voll¬
kommen gesund.
Es scheint somit ein Specificum oder eine spe-
cißsche Methode gegen diese furchtbare Krankheits-
form, wie es die Eklampsie ist, gefunden zu sein,
und dass die Homöopathie selbes als ein ihr eigenes,
unveiäusserliches Monopol benennen könne.
Das specifische Mittel ist Zincum metallioum
2.—4. Nach seinen physiologischen Eigenschaften
und bisherigen practischen Verwendung ist es ein
als primae classis bekanntes Gehirn- und Nerven¬
mittel, so wie seine Wirkung auf die Function der
Nieren zu schätzen ist. Es ist auch für Krämpfe,
Convulsionen im Allgemeinen, besonders von Hirschei
bei Eklampsie der Kinder, selbst im Wechsel mit
Moschus, dann beim Veitstanz, mit Bemerkung in
grosser Schrift bezeichnet; in anderen Werken wird
das Mittel oder die Krankheit selbst übergangen.
Dass Zinc. met. in Abwechslung mit Bell, gegeben
wurde, macht demselben keinen Eintrag, da Bella¬
donna und ihr Alcalöid wiederholt sich unwirksam
zeigten. Aber in Abwechslung konnte sie die Wir¬
kung des Zinc. erhöhen, als eie Congestionen und
Hyperämieen milderte und verhinderte, Und so einen
glatten Verlauf mit kurzer Dauer und uhgettÜbter
Genesung im Vereine herbeiführte. Ich erinnere
nur an die Fölgekrankheiten, die nach UnterdrÜbkung
der Krämpfe sich einzustellen pflegen; es sind
sichere Puerperalerkrankungen, Entzündungen, Apo¬
plexien, welche das Leben ernst bedröhen und nach
dem Scheinbaren Siege mit langwierigen Leiden
oder dem Tode enden.
Der Suggestionisnms und die Homöo¬
pathie.
Von Dr. F. Carl Gerster in München.
Der in Nr. 1 und 2 der Allg. Hom. Zeitg. ab¬
gedruckte Vortrag, den Herr Coli. Dr. A. Pfänder
in der Herbstversammlung der homöopatb. Aerzte
der Schweiz am 1. Nov. 1891 über „ Suggestion
und Homöopathie“ gehalten hat, bringt zum ersten
Mal in homöopath. Blättern ein Thema zu ein¬
gehender öffentlicher Discu?sion, das für die ge-
sammte ärztliche Therapie, namentlich aber für die
homöopathische, von höchster Bedeutung ist.
Wenn ich zu dem Pfander’schen Vortrag das
Wort ergreife, so glaube ich durch mehrjährige
theoretische und praktische Studien auf dem Ge¬
biete der Suggestionslehre hierzu berechtigt zu sein.
Obscbon nicht homöopathischer Arzt, sondern einem
ärztlichen Eklecticismus huldigend, stehe ich doch
(oder vielleicht gerade deshalb) der Homöopathie
wie jeder anderen therapeutischen Methode voll¬
kommen vorurteilsfrei und objectiv gegenüber.
Durch meinen Vater, einen in weitesten Kreisen
bekannten Homöopathen, lernte ich die Homöopathie
kennen, und wenn ich bei ihrer praktischen Erprobung
meine anfänglichen Anschauungen allmählig bedeutend
modificirte, ist daran meine Beschäftigung mit dem
Suggestionismus schuld. Ich behalte mir vor, die
Beziehungen des Suggestionismus zur gesamuiten
ärztlichen Therapie, d. b. zu sämmtlieheU Heil¬
methoden, in einer von mir begonnenen grösseren
Schrift eingehend zu beleuchten und beschränke
mich hier auf Kritik des Pfanderschen Vortrags,
dem Herrn Collegen darin vollkommen beistimmend,
dass es für das Ansehen der Homöopathie und für
die überzeugende Wirkung homöopath. Kranken¬
geschichten nur von Vortheil sein kann, wenn ge¬
hörige Kritik geübt wird.
Digitized by v^ooQle
Utp onomatologiscbe Missverständnisse von vorn¬
herein auszuschlossen, erkläre ich offen, dass ich
die Namen „Homöopathie“ und „Allopathie“ für
unglücklich gewählte halte, da sie das keineswegs
decken, was sie sagen wollen. Wenn ich sie an¬
wende, folge ich lediglich dem Sprachgebrauch.
Unter dem Ausdruck „Suggestionismus“ verstehe
ich mit Schmidkunz*), dem wir das erste um¬
fassende deutsche Werk über dieses Thema ver¬
danken, „in objectivem Sinn den Inbegriff aller
zur Suggestion gehörigen Erscheinungen, in subjec-
tivem Sinn das systematische Wissen um diese Er¬
scheinungen“. Da Pfänder in seinem Vortrag nur
von Suggestion spricht, giebt er zu dem Ein^vurf
Anlass, dass er das Thema einseitig beleuchtet, in¬
dem er bloss die verbale (persönliche) Fremdsug¬
gestion und die Autosuggestion als massgebend be¬
trachtet Das eigentlich Wirksame bei der gewöhn¬
lich mit dem allgemeinen Namen Suggestion belegten
Einwirkung ist keineswegs die Allosuggestion (Fremd-
suggestion) an sich, sondern der Uebergang der
Allosuggestion in Autosuggestion , der bei verscbie
denen Menschen verschieden intensiv und verschieden
rasch vor sich gebt. Je nachdem geringe oder
hohe Suggestibilität vorhanden ist (Allosuggestibilität
und Autosuggestibüität), wird eine Person mehr
von den ad hoc beigebrachten oder von den au-
tocb^hon entstandenen Vorstellungen und Associa¬
tionen in ihrem Thun und Lassen bestimmt werden.
An die Spitze meiner kritischen Beleuchtung der
Ausführungen Pfanders stelle ich den Satz: Keine
Therapie ohne Suggestionismus. Bei jeder thera¬
peutischen Einwirkung, nenne man sie Allopathie,
Homöopathie, Hydropathie, Klimatotherapie, Electro-
therapie oder wie immer, wird in Zukunft der
Arzt neben der Beurtbeilung des gesammten Krank¬
heitszustandes die psychische Persönlichkeit seiner
Patienten berücksichtigen müssen. Die Psychologie
bei der Therapie haben zwar die Homöopathen längst
berücksichtigt, und es sticht hierdurch (sowie durch
eine sorgfältige Diätetik bei jeder Kur) ihr ärzt¬
liches Tbun sehr vorteilhaft von „schi^lmedi-
cinischer“ Pharmakotherapie ab. Die Psychologie,
wie sie zur Zeit Hahnemann's bis vor wenigen Jahr¬
zehnten gelehrt wurde, die wir eine „affective“
rennen können, macht nun einer völlig neuen An¬
schauung Platz und es werden alle Aerzte, die nicht
den „Anschluss“ an die moderne suggestionische
Psychologie versäumen wollen, gut thun, sich bei
Zeiten mit derselben vertraut zu machen. Sämrot-
liche Krankengeschichten, speciell aber alle Arznei-
*) Psychologie der Suggestion . Von Dr. Hans Schmid¬
kunz, Privatdocent der Philosophie an der Universität
in München. Mit ärztlich-psychologischen Ergänzungen
von Dr. phil. et med. Franz Carl Grerstev, praktischer
Ar*t in München. Stuttgart, Verlag von Ferdinand
Enke, im.
kuren, voran die homöppathischen, werden schop
bei ihrem Erscheinen Makulatur, wenn sie nicht
entweder den Ausschluss oder die Mitwirkung der
Suggestion bei ihren therapeutischen Erfolgen deut¬
lich darzuthun vermögen. Ich werde in Nachfol¬
gendem nach weisen, dass auch die api Schlüsse des
Pfander’schen Vortrages uls Beweise reiner Arznei¬
mittelwirkung angeführten Krankengeschichten dem
Kenner des Suggestionismus werthlos erscheinen
müssen.
fn der Einleitung zu seinem Vortrag macht
Pfänder verschiedene Zugeständnisse. Er räumt
ein, dass bei homöopathischen Selbstcurirereien apch
die unrichtigen Mittel halfen, d ass bei Patienten,
welche die homöopathische Arzneimittellehre kennen,
die dem ärztlich verordnten Mittel zukommenden
Symptome auch in Fällen und bei Gaben eintreten,
in d^nen eine solche Einwirkung mit Sicherheit
aaszuschliesseu sei, und dass auch nach solchen
Mitteln Besserungen auftreten, die vom Arzte einst¬
weilen oder fast aufs Geradewohl gegeben wurden.
Für alle diese Fälle giebt Pfänder zu, dass bei
der Heilung eine Suggestion (sowohl des Arztes
als des Patienten) nebenhergehe, die dev reinen
Suggestionsheilung in einer späteren Erkrankung
desselben Patienten Vorschub leiste, während sie
für eigentliche therapeutische Suggestionswirkungen
keine Beispiele seien. Ich sehe nun nicht ein, w arum
letzteres nicht der Fall sein soll. Menschen, bei
denen bestimmte Ideen entweder ständig oder unter
gewissen Verhältnissen (z. B. in suggestiven Zu¬
ständen nach Schmidkunz, 1. c.) zu Autosuggestionen
werden, kuriren sich durch die Autosuggestion der
Besserung, die sich ihnen beim Einnehmen des
homöopathischen Mittels aufdrängt, andere auto-
suggeriren sich die Krankheitssymptome, die das
vom Arzte gegebene Mittel gemäss ihrer Bücher
macht.
„Daneben“, sagt Dr. Pfänder, „giebt es aber
Fälle, wo wirklich nur die Suggestion wirkt,“ näm¬
lich bei mancherlei nervösen Beschwerden, „vyo
keine organischen Veränderungen bestehen, oder
nur solche ganz minimer Art, welche durch direkten
Einfluss gehoben werden können.“ Wenn sich Dr.
Pfänder einmal eingehend mit Suggestionstherapie
(mit Zuhülfenahme der Hypnose) befasst, wird er
erfahren, dass die Beschränkung „bei mancherlei ner¬
vösen Beschwerden“ einfach unrichtig ist. Je nach
der Fähigkeit, Allosuggestionen in Autosuggestionen
überleiten, sowohl seitens des Arztes, wie des
Patienten, kann man Krankheitszustände suggestiv
bessern oder heilen, die das Gebiet ,,nervöser Be¬
schwerden ohne organische Veränderungen oder
solche ganz minimer Art“ um ein Beträchtliches
überschreiten. Ich erinnere hier npr an Fälle von
Paralysen organischer Natur, von Tabes, Epilepsie,
Neurasthenie, Psychosen, Amblyopie , Anaeraie,
Digitized by
5 «
Schwindsucht, Herzkrankheiten, Blutungen, Diarr¬
höen, verschiedene Fieberzustände etc., in jvelcben
Wetterstrand Besserung oder Heilung durch
blosse Suggestion (mit oder ohne hypnotischen Schlaf)
erzielte. Es kommt eben bei der Suggestionstherapie
nicht bloss auf die Natur oder das Stadium der
Krankheit, sondern noch viel mehr auf die psychische
Persönlichkeit des Patienten und das Geschick des
Arztes an, diese richtig zu erkennen und zu leiten.
So sagt auch Pfänder sehr treffend: „Je mehr Zu¬
trauen ein Arzt geniesst, desto mehr wird er durch
unbeabsichtigte Suggestion ausricbten können. Fer¬
ner wirkt oft ein als besonders wirksam gepriesenes
Mittel bei dem Einen prompt, während bei einem
Anderen, der ganz dieselben Symptome darbietet,
aber weniger suggestibel ist, die Wirkung ausbleibt.“
„Die Wirkung der Suggestion in therapeutischer
Beziehung kann nicht geleugnet werden; allein ist
diese Wirkung bei der Homöopathie eine andere
als bei der Allopathie?“ Diese Frage Pfanders
möchte ich unbedingt bejahen und glaube, dass aich
sehr wohl speciell für die Homöopathie eine be¬
sondere Art der Suggestion nachweisen lässt. Diese
besondere Art der Suggestion beruht auf der Per¬
sönlichkeit und der socialen Stellung der Homöo¬
pathen. Wie Pfänder selbst zugiebt, herrscht im
Allgemeinen unter den homöopathischen Aerzten
ein starker Glaube, um nicht mehr zu sagen, be¬
treffs der Wirkungen der verabreichten Mittel.
Diesen unerschütterlichen Glauben, dieses Vertrauen
auf sich selbst und seine Kunst überträgt der Ho¬
möopath auf seinen Patienten. Fast nie widmen
sich materialistisch denkende Aerzte der Homöo¬
pathie, meist sind es feiner empfindende, zum Psy-
chismus oder Spiritualismus neigende Männer, die
ztt ihren meist materialistisch denkenden allopath.
Collegen in schroffem Gegensatz stehen. Der Patient,
der von den „Segnungen“ der Pharmacotherapie
und von dem unseligen Specialismus nichts wissen
will oder keine Hülfe bei einem allopathischen
Skeptiker und Rationalisten gefunden und sich dann
einem Homöopathen anvertraut hat, welcher ihn
leiblich und seelisch richtig zu fassen weiss, wird
nun der Kunst des Homöopathen dauernd vertrauen.
Im Allgemeinen haben die Homöopathen ihre Clientei
im Clerus und im Adel, also dort, wo man dem
Materialismus und Rationalismus am meisten abhold
ist. Hier ist die Macht der Persönlichkeit des
Homöopathen eine sehr grosse, daher auch die Er¬
folge der Homöopathie trotz aller Verfolgungen
ihrer Gegner. Im Gegentheil bringen oft gerade
die zelotiscben Verfolgungen „wissenschaftlicher“
(regner, die sich zuweilen der gehässigsten Ver¬
leumdungen nicht schämen, dem Homöopathen Praxis
und Ruhm. Auch das 8elbstdispensiren ist ein
therapeutischer Vorzug, den der Homöopath vor
seinen allopathischen Collegen voraus hat. Jeder
Homöopath weiss, dass die selbstgefertigten und
selbst verabreichten Arzneien ungleich besser wirken,
als die aus der Apotheke verschriebenen. Wenn
die Gesetzgebung der Zukunft verschiedenen ver¬
alteten Plunder wird über den Haufen gefegt haben,
wird man die Selbstdispensirungsbefugniss allen
Aerzten einräumen, da der Arzt ein Recht darauf
hat, alle Mittel, die nach seiner Erfahrung und
Ueberzeugung dem Kranken nützen, anzuwenden,
also auch das Recht, die Suggestionswirkung seiner
Peisönlichkeit und seines therapeutischen Handelns
nach Möglichkeit zu verstärken.
Im Verlaufe seiner Ausführungen kommt nun
Pfänder zu denjenigen Fällen homöopathischer
Heilungeu, in welchen nach seiner Meinung von
Suggestionswirkung nicht die Rede sein kann. Er
rechnet hierher die Kinder von 1—2 Jahren, die
bewusstlosen Kranken, die Geisteskranken und die
kranken Thiere. Ich glaube, dass alle diese Fälle
erst dann zum Beweise bomöopath. Mittel Wirkungen
herangezogen werden dürfen, wenn zweifellose Con¬
trolversuche vorliegen. Abgesehen davon, dass un¬
zählige Kranke, Menschen wie Thiere, ohne jede
Therapie, genesen, müsste man erst bei homöopath.
behandelten Kindern, Geisteskranken etc. versuchen,
ob nicht (abgesehen vom natürlichen Krankheit# •
verlauf) bei den verschiedenartigen Mittelverord-
nungen Genesung möglich ist. Es braucht ja nicht
bei allen homöopathischen Curen die Suggestion
allein oder mitwirkend zu helfen, sondern es kann
doch auch möglich sein, dass die vis medieatrix
naturae mit und ohne homöopathische Mittel ihre
Schuldigkeit thut. Ich möchte jedoch keineswegs be¬
haupten i, dass eine therapeutische Wirkung der ho¬
möopathischen Arzneien überhaupt nicht besteht.
Wenn Pfänder dieselbe freilich damit beweisen will,
dass er sagt: „Auch daraus lassen sich Schlüsse
für eine therapeutische Wirkung im Gegensatz von
Naturheilung ziehen, dass ein Mittel immer und
immer wieder in ähnlichen Fällen von gleichem
Erfolge begleitet ist“, so kann ich ihm auf die glatte
Bahn rein subjectiven Ermessens nicht folgen. Hier
kann nur objective Prüfung jedes Einzelfalles zu
einem Resultate führen.
Um Suggcstionswirkung auszuschliessen, stellt
Pfänder folgende Anforderungen an eine Kranken¬
geschichte, resp. einen Heilungsverlauf:
1) Ausschluss von Krankheiten mit organischen Ver¬
änderungen,
2) Unterlassen jeder besonderen Heilsuggestion bei
der Verordnung des Arzneimittels,
3) Besserung nach einem Mittel, nachdem verschie¬
dene vorher gegebene Mittel ohne Erfolg blieben,
4) Darreichung einer Arznei ohne Wissen des
Kranken,
5) Heilerfolg ganz bestimmter Mittel (während an¬
dere Mittel versagen) bei Krankheitsrecidiven
Digitized by v^ooQle
oder Heilerfolg eines neuen Mittels, während
früher jnaraer ein anderes half,
6) Heilerfolg eines ganz bestimmten Mittels bei
verschiedenen Personen in Folge seiner Symp¬
tomeinähnlichkeit.
Den ersten Punkt haben wir oben bereits be¬
rührt. Jeder Kenner der Suggestionstherapie weise,
dass bei besonders suggestibeln Personen auch
organische Veränderungen gebessert oder gebeilt
werden können. Dass es hier bestimmte Grenzen
giebt, ist selbstverständlich.
Zum zweiten Punkt führt Pfänder als besonders
beweiskräftig an, dass es nicht selten vorkommt,
dass ein trotz kräftigen Glaubens an die Allopathie
erfolglos behandelter Patient zum Homöopathen
kommt und bei diesem auch ohne Glauben gesund
wird. Da ein erfolglos behandelter Patient seinen
»kräftigen* Glauben an die hisher befolgte Heil¬
methode wohl eingebüsst haben dürfte, ist es er¬
klärlich, wenn ein zielbewusster anderer Therapeut
schon durch sein Auftreten eine mächtige Wirkung
ausübt. Ob der Patient dabei an die Homöopathie
als solche »glaubt*, ist ganz gleichgültig. Die Heil¬
suggestion braucht durchaus nicht gerade in dem
ärztlichen Ausspruch zu liegen, dass das betreffende
Mittel sicher wirken werde. Es giebt bekanntlich
Aerste, die schon beim Eintreten ins Krankenzimmer
eine günstige Wirkung auf das ^Befinden des Kranken
ausüben. Wie ich oben bereits erwähnte, stehen i
die Homöopathen im Allgemeinen in einem viel ■
günstigeren Vertrauensverhältnisse zu ihren Clienten |
als die Allopathen.
Bei der Besserung nach einem Mittel, das nach
verschiedenen erfolglosen Mitteln, und bei einem
solchen, das ohne Wissen des Kranken gegeben
wurde, müsste in jedem Einzelfalle festgestellt werden,
ob nioht die Krankheit auch ohne Medicatiou eine
gute Wendung hätte nehmen können, und ob nicht
der gleiche Erfolg bei irgend einem anderen Mittel
ebenfalls eintrat.
Der Heilerfolg ganz bestimmter Mittel bei Krank-
heitarecidiven würde nur dann als entscheidend
gelten, wenn man das »ganz bestimmte* Mittel
zwar verordnet, in Wirklichkeit aber ein anderes
giebt. Der Nicfaterfolg des letzteren und der sichere
Erfolg des ersteren (vorausgesetzt, dass es der
Patient nicht weiss), würde für eine Mittelwirkung
Gewähr leisten. Der Heilerfolg eines neuen Mittels,
während früher immer ein anderes half, beweist
gar nichts, da sich die Autosuggestionen ändern
können. Als Controlversuch müsste man ein neues
Mittel verordnen und das alte geben.
Der Heilerfolg eines ganz bestimmten Mittels
bei verschiedenen Personen wäre nur dann ein Be¬
weis dafür, dass die Symptomen-Aehnlichkeit des
Mittels die Ursache des Erfolgs ist, wenn bei jeder
Person jegliche Suggestion ausgeschlossen wäre.
Ich komme nun schliesslich zu den vop Pfänder
als Beweise homöopathischer Mittelwirkung (also
Ausschluss von Naturheilung und Suggestion) an¬
geführten 9 Krankengeschichten. Dieselben halte
ich aus verschiedenen Gründen für Nichts beweinend,
denn nicht in einer einzigen fand ich einen Unter¬
schied von den gewöhnlichen Krankengeschichten,
wie sie sich zu Tausenden in der allopathischen und
homöopathischen Litteratur fanden. Nach mehr oder
weniger eingehender Schilderung des Leidens giebt
Pfänder seine Verordnung an und schliesst mit der
Notiz der Besserung oder Heilung. Freilich bat
er keiner einzigen der geheilten Personen eine be¬
stimmte Suggestion gemacht, aber er vergisst voll¬
kommen zu erwähnen, in welcher Weise diese
Patienten psychisch veranlagt waren. Er hat weder
den Charakter, das Verhalten, die Suggestibilität des
Patiepten geprüft, resp. beschrieben, noch Controlyer-
suche mit anderen Mitteln oder mit Nihilopathie ge¬
macht. Es ist hier nicht der Platz, alle Zeichen der
Suggestihilität, das Wesen der suggestiven Zustände
usw, ausführlich auseinanderzusetzen, Interessenten
mögen dies in dem citirten Schmidkunz’schen Werke
thun. Ich kann nur meine Ansicht wiederholt dahin
äussern, dass alle Krankengeschichten ohne ein¬
gehende Schilderung der psychischen Persönlichkeit
und der ganzen Art des ärztlichen Einwirkens und
Vorgehens nahezu werthlos sind.
Znm Schlüsse spreche ich den Wunsch aus, es
möchten die homöopathischen Aerzte die Reform
ihrer theoretischen Anschauungen anf Grund des
Suggestionismus in die Hand nehmen. Vielleicht
gelingt ihnen der ganz strikte Nachweise, dass und
unter welchen Umständen ihre Arzneien eine ganz
bestimmte Wirkung ausüben. Was die Arzneiraittel-
prüfungen anlangt, so käme es hier vor Allem darauf
an, dass die Versuchsperson vor Auto- wie Allo¬
suggestion bewahrt bliebe, denn abgesehen davon,
dass nicht jeder physiologische oder pathologische
Vorgang als post hoc ergo propter hoc gedeutet
werden kann, würde die Concentration der Auf¬
merksamkeit der Versuchsperson je nach dem Grade
ihrer Suggestibilität hunderte oder unter Umständen
tausende durchweg unbrauchbarer „ Symptome“
liefern.
Dauernde Heilungen.
Von Dr. Lorbaoher-Leipzig.
Der Probirstein für den Werth einer Heilmethode
sind nicht die acuten, vorübergehenden Krankheiten»
sondern die chronischen. Die gründliche upd an¬
dauernde Heilung derselben ist das Ausschlaggebende.
Leider ist es nur immer eine kleine Anzahl Fülle,
welche jahrelang zu eontrolliren uns vergönnt ist
8
Digitized by
58
Wir sollten doch dieselben nicht in unserm Kranken¬
journal© begraben liegen lassen, sondern sie an das
Tageslicht bringen. In der Hoffnung Nachfolger
zu finden, will ich hier einige mittheilen.
U. Z., damals 26 J., kam 1885 in meine Be¬
handlung, nachdem sie vorher von einem ihr ver¬
wandten allopath. Arzte und einigen Specialisten
mit Aetzstift, Qlühdraht etc. nur mit vorübergehen¬
dem Erfolge behandelt worden war. Der erste
Blick schon Hess das Vorhandensein einer scrophulösen
Disposition zweifellos erkennen. Dicke Oberlippe,
dicke Nase mit weiten geöffneten Nasenlöchern und
der bei längerem Bestehen dieser Disposition sich
ausbildende, ich möchte sagen deprimirte Gesichts¬
ausdruck.
Die Anamnese ergab, dass sie schon von Kind¬
heit ab an mancherlei scrophulösen Symptomen als
leichte Drüsenanschwellungen, liehen furfuraseus des
Gesichts, und vorzüglich an Neigung zu Schnupfen
gelitten, aus welchem sich schliesslich eine Ozaena
entwickelte, wozu sich später eine bedeutende Hyper¬
trophie der Nasenschleimhaut und Bildung eines
Polypen, sowie Rachencatarrh gesellten. Der letztere
pflanzte sich einige Male zuerst auf das linke, später
auch auf das rechte Mittelohr fort, so dass vom
Ohrenarzte einige Male Einstiche in das Trommel¬
fell gemacht werden mussten, und auf dem rechten
Ohre eine ziemlich bedeutende Schwerhörigkeit
zurückblieb.
Die eigene Untersuchung ergab eine leichte
Verdickung des Trommelfells und einige kleine
Narben, linkseitig ein etwas schmutziges Aussehen
des Trommelfells. Aftergeräusche nicht vorhanden,
ein stechend herausdrängender Schmerz nur bei
Exacerbation des Schnupfens, Otorrhöe auf dem
rechten Ohre nur vorübergehend dagewesen. Die
Inspection der Nase liess eine ziemlich bedeutende
Hypertrophie der Schleimhaut, besonders im obern
und hinteren Theile, im linken Nasentheile Reste
eines Polypen erkennen, die Rachenschleimhaut
aufgelockert. Die Absonderung aus der Nase ge¬
wöhnlich eiterig, zähe und harte Pfropfen bildend
und in Folge dessen verhinderter Durchgang der
Luft und Benommenheit der Stirn. Zeitweilig wird
sie von einem Magen leiden, welches bald in Form
eines Magenkrampfes, bald als Magenkatarrh auftritt,
heimgesucht, zuweilen ohne irgend eine besondere
äussere Veranlassung, gewöhnlich mit grosser
Empfindlichkeit der Magengegend und zuweilen
mit einem stechenden Schmerze, sowie Appetit¬
losigkeit verbunden, Im Uebrigen war ihre Ver¬
dauung eine normale, ebenso war sie regelmässig
menstruirt, fühlte sich auch durchaus nicht matt.
Sie erhielt am 8. Mai 85 Calc. carb. 6., dreimal
täglich 3 Tropfen zu nehmen. Nach 2 Tagen wieder
ein sehr schmerzhafter Mittelohrcatarrh, welcher
mich zur Anwendung von Bell. 3. und Puls. 3.,
stündlich im Wechsel, dann Puls, allein und zum
Schluss noch Sil. 30., veranlasste. Nach Beseitigung
desselben kehrte ich zur Calcar. c. 6. und 30. in
Zwischenräumen zurück und erzielte bis Ende Oct,
dadurch eine entschiedene Besserung. Der Rest
des Polypen war verschwunden, die Hypertrophie
der Nasen- und Rachenschleimhaut wesentlich zurück¬
gegangen und die Schwerhörigkeit wesentlich ge¬
bessert. Hier unterbrach sie die Cur wegen einer
Reise und kam auch erst im April 1886, nachdem
sie den ganzen Winter hindurch von ihren gewohn¬
ten Beschwerden befreit geblieben war, wieder, da
in Folge einer Verkühlung sich wieder ein Rachen¬
catarrh mit geringer Tonsillaranschwellung ein¬
gefunden hatte. Derselbe verschwand beim Gebrauch
von Calc. o. 30. in Zeit von 10 Tagen. Die danach
zum Vorschein kommende scorbutische Beschaffen¬
heit des Zahnfleisches wich bei Carb. veg. 6. Im
Oct. des Jahres veranlasste sie ein sehr heftiger
Anfall der oben erwähnten Cardialgie meine Hilfe
zu suchen, nachdem ihr Verwandter noch einmal
vergeblich seine Kunst versucht hatte. Nach Atro¬
pin 6. trat ein Nachlass ein, die entschiedene
Besserung jedoch erst nach Bell. 30., und Carb.
veg. 6. vollendete die Heilung. Im folgenden Jahre
kamen noch einige leichte Anfälle dieser Cardialgie
sowie des Nasen rach encatarrhs zum Vorschein,
welche jedoch schnell im ersten Falle mit Bell. 30.
und im zweiten durch Puls. 30. und Calc. carb.
beseitigt wurden. Seitdem ist sie gesund geblieben,
trotzdem sie jetzt in einer nördlichen Seestadt lebt.
Keine Schwerhörigkeit, kein Polyp, keine Ozaena
mehr. Cardialgie hat sich auch nicht wieder gezeigt,
wie mir vor Kurzem ihre Schwester referirte.
H. Z., Fabrikant, jetzt ca. 52 J. alt, consultirte
mich im J. 1873 wegen eines schon mehrere Jahre
bestehenden Magenleidens, von einigen Aerzten,
selbst Autoritäten ohne Erfolg behandelt. Dasselbe
bestand in einem chronischen Magencatarrh mit
Verdacht von Geschwürsbildung. Die Magengegend
war bei Druck sehr empfindlich und eine Pfennig
grosse, härtliche Stelle zu fühlen. Die vorhandene
Appetitlosigkeit, die Schmerzen nach jedem Genüsse,
sowie das öftere Erbrechen des Genossenen hatten
den Mann sehr heruntergebracht. Durch eine vier
Monate dauernde Cur, bei welcher Lycopod. und
Nux vom. die Hauptrolle spielten, wurde er von
diesem Leiden geheilt. Dasselbe ist bis jetzt nicht
wiedergekehrt, wiewohl er es mit der Diät nicht
so genau nimmt.
Frau Rittergutsbes. B., eine hochgradig hyste¬
rische und neurasthenische Frau, consultirte mich
zuerst im Anfang Nov. 83, regelmässig und
schmerzlos menstruirt. Seit ca. 2 Jahren hatte sich
bei ihr in der rechten Mamma um die Warze
eine scheibenförmige, harte Geschwulst von der
Grösse eines 3 Markstückes ausgebildet. Die brennen-
Digitized by v^ooQle
59
den und zeitweise stechenden, bis in die axilla
schiessenden Schinerzen legten die Diagnose eines
Scirrhus nahe, wiewohl die Hörte nicht das knochen¬
artige des Scirrhus hatte, die Warze nicht ein¬
gezogen war und auch das kachektische Aussehen
fehlte, sodass mir die obenerwähnte Diagnose doch
zweifelhaft erschien. Die Periode war noch ziem¬
lich regelmässig und mit wenig Schmerzen verbun¬
den, doch zeigte sich während derselben eine grössere
Empfindlichkeit, sowie eine etwas vermehrte Ge-
schwulst der mamma. Von dem Heere der hyste¬
rischen Symptome sei Schlaflosigkeit und wechselnde
Oemüthsstimmung erwähnt.
Zuerst erhielt sie Lycopod. mehrere Wochen
hindurch, wonach das Brennen und Wundheitsgefühl
um die Warze nachliessen, dann Hydrastis 3. und 6.
und Conium 3. und 6. abwechselnd in längeren
Zwischenräumen. Unter allmählicher Abnahme der
Schmerzen verlor die scheibenartige Geschwulst an
Umfang und Härte und zerfiel dann in mehrere,
deutlich abgegrenzte mehr längliche und platte
Anschwellungen, welche sich wie Chondrome an¬
fühlten. Auch diese schwanden allmählich, und
blieben nur zwei fingerbreite längliche wie Fasern-
korpel sich anfühlende Streifen zurück, in denen
sie nur bei Wetterveränderungen eine Empfindung
hat. Alle übrigen Schmerzen sind verschwunden.
Die Cur dauerte ca. 2 1 /? Jahre, in oft monatelangen
Pausen und sind seitdem über 3 J. vergangen, ohne
dass in den früher kranken Organen eine Veränder¬
ung eingetreten wäre, sodass hier wohl eine gründ¬
liche Heilung anzunehmen ist. Erwähnt sei noch,
dass sie in dieser Zeit die Klimaxis durchgemacht
hat und bleibt die Möglichkeit, dass das Cessiten
des Menses auch einen Antheil an der Heilung hat.
(Fortsetzung folgt.)
Aus der Praxis amerikan. College».
Von Dr. Hamburg.
Das Dienstmädchen M , 24 Jahre alt, kam zu
mir am 4. Nov. 1890 wegen einer acuten, rechts¬
seitigen Iritis. Zwei Tage vorher batte sie bemerkt,
dass das rechte Auge etwas entzündet war, thränte
und Empfindlichkeit gegen Licht zeigte. Die Nacht
vorher hatte sie nicht gut geschlafen und sehr un¬
ruhig gelegen. Während des Tags hatte die Röthe
des Auges zugenommen, und zeitweise fühlte die
Patientin schiessende Schmerzen darin. Gegen Abend
wurde der Schmerz ein fortwährender und so stark,
dass sie das Licht nicht ertragen konnte. Während
die Patientin im Bette lag, wurde der Schmerz,
welcher sich nun vom Auge aus nach der ganzen
rechten Seite des Kopfes hin verbreitete, unerträg¬
lich, so dass die Kranke aufstehen und auf und
ab gehen musste. Hierbei linderte sich der Schmerz,
aber sobald jene sich wieder hinlegte und im Bett
warm wurde, nahm er wieder an Heftigkeit zu und
trieb die Patientin wieder aus dem Bett heraus.
So ging es die ganze Nacht. Da es am folgenden
Tage besser ging, suchte die Kranke keine ärztliche
Hilfe, da aber die nächste Nacht wenn möglich,
noch schlimmer war, kam jene am darauf folgenden
Morgen zu mir.
Ausser den Schmerzen war noch zu bemerken,
dass der Atbem sehr übelriechend war, die Zunge
weiss belegt, vergrössert und schlaff, ein massen¬
hafter dicker Speichel belästigte sehr. Die Kranke
war sehr durstig mit besonderem Verlangen nach
Milch, was früher nicht da war. Die rechte Pupille
war stark contrahirt und sehr wenig reagirend.
Adhäsionen zwischen Iris und Linse waren nicht
vorhanden.
Auf diese Symptome hin verordnete ich eine
Dosis Hocbpotenz Mercur in wässeriger Lösung in
2 Stunden zu nehmen.
5. Nov. Die verflossene Nacht war besser ge¬
wesen, der Schmerz nicht annähernd so stark; die
Patientin batte fast 4 Stunden geschlafen und war
im Bett geblieben. Das Auge war viel weniger
roth, als am Tage vorher.
6. Nov, Sie hatte die ganze Nacht geschlafen
und war ganz frei von Schmerz, ausgenommen ein
Jucken am innern Augenwinkel. Die Röthe des r.
Auges hatte so sehr abgenommen, dass man nicht
unterscheiden konnte, welches Auge krank gewesen
war. Die Iris reagirte normal. Das Auge blieb
gesund. Arthur G. Allen, Philadelphia.
Einer Erläuterung bedarf der Fall nicht. Das
schöne Symptomenbild des angezeigten und auch
verordneten Mittels bewog mich, ihn mitzutheilen.
m
In einer Versammlung des Vereins für Arznei¬
mittellehre und Arzneimittelprüfungen berichtet C.
H. Allen, der Redacteur der Med. Adv. über einen
verzweifelten Fall von Gebärmutterblutung, in wel¬
chem bis jetzt alle locale und arzneiliche Hilfe ver¬
gebens gewesen war. Die Frau konnte vor Er¬
schöpfung nicht mehr sprechen. Allen bemerkte,
dass jede Bewegung die Blutung verschlimmerte.
Die Wärterin bestätigte dies und fügte hinzu, dass
dies von Anfang an so gewesen sei. Die Kranke
konnte nicht den Finger rühren, ohne vermehrte
Blutung.
Bryonia war jedenfalls schon versucht worden;
Allen fand nach mühsamen Suchen Sabina als das
passende Mittel und gab es in Hochpotenz und wäss¬
riger Lösung mit Erfolg.
Ich möchte hier einen Fall von eigener Be¬
obachtung anschliessen. Vor etwa 14 Tagen wurde
ich wegen desselben Leidens gerufen. Bei einer
jungen Frau war 12 Wochen nach der Geburt des
8 *
Digitized by v^ooQie
ersten Kindes die Regel wieder eingetreten und
zwar sehr sparsam, 4 Wachen später sehr heftig
und lange andauernd, so dass die zunehmende
Schwäche der Patientin, welche unter anderer Be¬
handlung in den letzten 8 Wochen Gelenkrheuma¬
tismus durchgemacht hatte, die Angehörigen be¬
sorgt machte. Das Blut war hellrotb, flüssig. Die
Kranke konnte nach ihrer Angabe nicht aüf der
Seite und mit dem Kopfe nicht tief liegen, aber
da6 hervorstechendste Symptom war, dass jede Be¬
wegung, jedes Umlegen die Blutung stärker machte.
Sogar, wenn sie den Kopf nur etwas vom Kissen
höb, kam mehr Blut. China war schon von den
Angehörigen gegeben worden. Sabina war mir
von dem Falle von Allen her etwas im Gedächtniss
geblieben, doch vergewisserte ich mich erst noch
zu Hause in dem, sehr brauchbaren Repertorium
von Eggert (speziell für Frauenkrankheiten), dass
ausser Trillium, einem Mittel, welches ich nicht ein¬
mal dem Namen nach kannte, Sabina hervorstechend
das Symptom hat: ,Blutung, schlimmer durch die
leiseste Bewegung.“ Ich verordnete Sabina in 30.
Potenz und wässeriger Lösung. Als ich einige
Tage später wegen des Kindes gerufen wurde, fand
ich die Mutter ausser Bett, welche mir erzählte,
dass die Arznei sehr bald geholfen, aber erst einige
Schmerzen im Unterleibe verursacht habe. H.
Ein sonderbarer Mahnruf.
Von Dr. Lembke-Riga.
Ein sonderbarer Ausspruch Habnemann’s, in der
That sonderbar, so wird er ohne Zweifel vielen
wissbegierig auflauscbenden Lesern vorgekommen
sein, und weshalb sonderbar? Deshalb, weil derselbe
Mahnruf genau mit denselben Worten zu verschie¬
denen Zeiten etwas ganz Verschiedenes zu be¬
deuten hat, und am Ende aller Enden den auf¬
merkenden Leser eben so klag lässt, wie er im
Beginne war. Nun und dieser Mahnruf lautet? —
Er lautet: Macht es genau und redlich nach, wenn
Ihr es eben so gut haben wollt, wie ich. — Nun
wahrhaftig, ob ich es gern gut haben will, das
braucht nicht erst gefragt zu werden, ich möchte
es gut haben, und noch lieber möchte ich es besser
haben, wie ich mir aber dieses Guthaben verschaffen
soll, das ist eben die schwielige Frage, es giebt
mehrere Wege ins Leben hinein, und den rechten
Weg zu finden, wird eben nicht Jedem so leicht
gemacht. Hier wird mir nun fix und fertig der
richtige Weg gezeigt, und ich habe es ganz leicht,
einem bewährten Wegweiser bloss zu folgen und
dieser, des richtigen Weges Kundige, ist mit seinem
Erfolge zufrieden, und das ist schon eine grosse
Rarität, denn gewöhnlich ist ein ewiges Klagen
und Jammern ganz an der Tagesordnung. Diesem
Wegweiser aber kanft ich mich ruhig anvertrauen
und nun drauf hys. —
Um allen Missdeutungen zuvorzukommen, muss
hier eingeschaltet werdteu, dass dieses Guthaben sich
nicht etwa auf pekuniäre und andere damit in
Verbindung stehende Verhältnisse bezieht, sondern
dieses Guthaben ist rein mediciäisch, und sollte
dafür auch nicht ein Ferding in die Tasche des
Arztes fallen. Jetzt aber nicht gezaudert und
heraus mit Allem, was ich zu thun habe, um es
eben so gut 2 u haben, wie gut es Hahnemann ge¬
habt bat. Ich bin Alles zu thun bereit, genau und
redlich.
Zuerst eine kleine Vorfrage, in welchem Jahre
ist dieser Mahnruf von Hahnemann erlassen worden ?
— Er ist ausgesprochen worden im J. 1817.
Diese Antwort ist sehr kostbar, dass die Homöo¬
pathie damals noch jung war, als Hahnemann einen
solchen vielverheissenden Mahnruf erliess, dass die
Praxis Hahnemanns in diesen Jahren eine ausser¬
ordentlich grosse gewesen sein muss, dass ihm in
dieser Zeit alle möglichen Krankheiten vorgekommen
sein müssen, um mit solcher Bestimmtheit einen
ganz allgemeinen Mahnruf zu erlassen, der sich anf
alle möglichen Krankheitsfälle bezog, ohne irgend
eine Ausnahme. Um aber zu wissen, was eigent¬
lich ich gentfu nachzumachen habe, muss ich doch
wissen, wie es also Hahnemann machte. — Wie
machte es also Hahnemann, um es gut zu haben?
— Er brauchte also nur die bis dahin ge¬
prüften Mittel nach dem Aehnlichkeitsgesetz, d. h.
mit anderen Worten die specifischen Mittel. — Und
diese Mittel brauchte er nur in Dilutionen? Das
nun gerade nicht, in der Mehrzahl freilich in Dilu¬
tion, aber Hahnemann gab selbst einer Wäscherin
Einen Tropfen Tinck Bryoniae, das erzählt er selbst
.... und sein Schüler Franz Hartmann erzählt
in seiner Speziellen-Therapie bei der Behandlung der
Krätze, dass Hahnemann dem Bruder des Hartmann
eine Schwefelsalbe gab und innerlich Schwefelblüthe
mit Austerschalen, welche damals (1816) statt des
Milchzuckers zu den Verreibungen gebraucht wurden.
Hätte Hahnemann den ersten Fall nicht erzählt,
und hätte Hartmann den zweiten nicht berichtet, die
jetzige Generation würde steif und fest glauben,
der Homöopath Hahnemann habe niemals ein Mittel
im Urstoff gegeben, sondern nur in Dilution. Sol¬
cher Fälle mögen mehrere vorgekommen sein, und
man kann hier vielleicht den Ausspruch Goethes
anführen: Literatur ist nur ein Fragment von Frag¬
menten, Vieles ist geschehen und gesprochen, das
nie aufgeschrieben worden ist, und von dem Auf¬
geschriebenen ist wiederum das Meiste verloren ge¬
gangen.“ Aber es wurde doch immer nur ein
Mittel zu Zeit gegeben? — Wenn man in jenem
Pulver: Schwefel mit Austerschalen, die Auster-
Digitized by kjOOQle
«I
schulen als Scbarwefizel Ansicht, so ist allerdhlgs
nur iin Mittel gägebän, spttter «her hidt HUiie-
mann die Austersehalen nicht für Scharwenzel, und
zuletzt kommt es doch darauf an, nicht wie der
Arzt ein Mittel ansieht, sondern wie die Natur des
Kranken das Mittel ansieht. — Aber natürlich
Wurden nur die spezif. Mittel in Dilution gegeben,
jedes allopathische oder antipathische Mittel grund¬
sätzlich nicht angewendet, sondern durchaus verpönt?
Ganz und gar nicht, sondern Habnemann und
seine nächsten Schüler brauchten Aderlass, Blut¬
egel, Galvanismus, warme Bäder, Opium bei Kolik,
Campher in kolossalen Gaben änsserlieh und inner-
Hoh bei Influenza and Cholera, ein Pechpüaster
über den Rücken, Zink- und ähnliche Einspritzungen
bei altem Tripiper (Hartmann, Specielle Therapie
in der Kur des Trippers, leider ohne Angabe, in
welchem Jahre Habnemann diese Einspritzungen
billigte;. — Mein Gott, ruft hier der Leser ganz
erstaunt, so bin ich ja mein Lebtage lang Homöo¬
path gewesen, ohne auch nur eine Ahnung davon
zu haben. Auch ich habe mit Vorliebe die specif.
Mittel gegeben, freilich nicht in Dilution, aber das
ist ja auch gar nicht obligatorisch, um ein Homöo¬
path zu sein, ich habe auch antipath. und allopath.
Beihilfen gebraucht, Aderlass fast nie, Egel sehr
selten, Vesicatora habe ich gebraucht, aber niemals
ein Pechpflaster über den Rücken, niemals Campher
in diesen grossen Gaben. Ich kann mich also dreist
einen Homöopathen nennen, denn die specifiscben
Mittel gab ich alle cum grano salis, um durch sie
nicht zu sohaden, ich gab sie freilich bisweilen in
Verbindung mit einem zweiten Mittel, aber auch
die echten Homöopathen geben ihre Mittel im
Wechsel, wenn sie dieselben auch nicht verbinden.
So habe ich es denn so gemacht, wie Habnemann im
Jahre 1817 als Mahnruf aussprach. — Nun kam
das Jahr 1824 mit dem geheimnissvollen Brief von
dem Generalconsul Baumgärtner. Dieser Brief giebt
keine neue Methode, er sagt nur, dass Hahneraann
mit seinen Erfolgen nioht zufrieden war, dass sein
Guthaben ihn nicht befriedigte, dass die Mittel An¬
fangs halfen, dass dann Kecidive erfolgten, dass
er aber jetzt ein neues Verfahren hat, das zu heilen,
was bisher unheilbar war, dass man dies am Kranken-
Lette sehen und lehren könne, nicht aber in Büchern
beschreiben. Und alles dieses nach tausendfältigen
Erfahrungen, man denke tausendfältig, welch eine
enorme Praxis gehört dazu, da nicht ein jeder Fall
zu einer Erfahrung sich eignet. — Und nun er¬
schienen 1827 die chronischen Krankheiten, und
hier erschallt wiederum der obige Mahnruf, nach¬
machen, wenn man es gut haben will. Aber was
soll jetzt uachgemacbt werden? Jetzt sind die
Mittel zn prüfen in der 30. Potenz, zu 1 bis 2
Streukügelchen, aber zu 3 mit Vorsicht, die Mittel
im Urstoff ohne Wirkung, erlangen durch Potenziren
eine ungeahnte Kraft; die Kranken erhalten die
Mittel au<& in Kügelchen in 30. Potenz, und ge¬
wöhnlich sehr selten. Alle allopath. und antipath.
Mittel sind strenge verdammt, ein echter Homöopath
soll sieh durch dieselben nicht besudeln.
Was hier nachgemacht werden soll, ist ganz
anders als das, was 1817 nachgemaekt werden sollte,
nur Ems ist geblieben, das Aehnlichkeitsgesetz, aber
auch dies kommt nicht immer in Anwendung, die
Mittel werden nicht selten gewählt nach der Eigen¬
tümlichkeit der veranlassenden Ursachen und auch
darnach, ob im vorliegenden Falle Psora mit im
Spiele sei oder nicht. Im Jahre 1817 erschallt der
Mahnruf, genau nachzumachen, im Jahre 1828 er¬
tönt wiederum derselbe Mahnruf. Was soll aber
nun nachgemacht werden, um es gut zu haben?
und dies sollte nicht sonderbar sein? —
Aiitipyrintonius.
Die Homöopathie wählt, wie bekannt, die spe-
ciüschen Mittel nach der Aehnlichkeit der Zufälle
und berücksichtigt immer die Gesammtheit der
Symptome, wirkt nur im äussersten Notfälle
gegen ein diingendes Symptom, z. B. gegen einen
heftigen Schmerz oder gegen eine anhaltende
Schlaflosigkeit Die officielle Medicin macht es doch
anders, sie braucht freilich auch mit Vorliebe die¬
selben specif. Mittel gegen dieselben Leiden, wie
die Homöopathie, aber sie operirt zugleich sehr
gern gegen ein hervorragendes Symptom, gegen das
Fieber, gegen Schmerzen. Früher war es das
Chinin, das die Herrschaft hatte, so lange Zeit,
dass man hätte glauben sollen, sein Reich wäre
für alle Ewigkeit begründet, da kam das Chinolin,
tartaricum in die Mode, schien das Chinin zu ver¬
drängen und ganz dazu angetan, um das Reich
für sich zu sichern. Es ging aber anders, die
Herrschaft dauerte ein paar Jahre und jetzt spricht
man wohl kaum von Chinolinum tartaricum. Nun
stand an der Spitze Antifibrin, aber das Ding batte
seinen Haken, das Mittel batte schlimme Folgen.
Zur Zeit ist die Tyrannei beim Antipyrin, und
dieses ist auch in die russische Pharmacopöe von
1891 eingetreten, nicht aber Antifibrin. Nun ist
beim Antipyrin auch ein Haken fürs grosse Pub¬
likum, dem der Name schon ganz geläufig ist, beim •
Mittel seht ein Kreuz, das will bedeuten, es kann
nur nach Recepten, nicht aber aus jeder Droguen-
handlung gekauft werden, wie es doch beim Chinin
der Fall ist. In anderen Staaten scheint es doch
anders zu sein, so schildert ein Mitarbeiter des
Figaro, 2. Jan. 92, in drastischer Weise, in welcher
Weise jetzt in Paris das Antipyrin das Regiment
führt, in welchen Massen es verbruucbt wird, wie
Digitized by
Google
62
ein Jeder, wenn er etwas fiebert, oder einen Schmerz
irgendwo hat, einen Kopfschmerz zum Beispiel, oder
ein allgemeines Unwohlsein fühlt, in die nächste
Droguenhandlung eilt und sich dort eine Dosis
Antipyrin geben lässt, in derselben Art, wie man
sich in einer Weinhandlung eine Perroquit oder
Obartreuse reichen lässt. Es giebt Droguenband-
1 ungen in Paris, die seit dem Erscheinen der In¬
fluenza die dreifache Menge Antipyrin gegen früher
verkauft haben. Verkaufte ein solches Geschäft
früher 1000 Kilogramm Antipyrin jährlich, so
wurden 1889 2000 Kilogramm und mehr verkauft,
und es scheint, dass jetzt 3 Tonnen jährlich ab¬
gesetzt werden Das Antipyrin ist gleichsam ein
Nahrungsmittel geworden, eine kleine Migräne,
ein kleiner Nervenschmerz, ja gegen Vapeurs wird
ohne Weiteres eine Gabe Antip. verlangt, und an Ort
und Stelle in einer Oblate verschluckt. Antipyrin,
wie Anilin, Phenil und Andere, bereitet aus dem
Steinkohlentheer, ist eigentlich ein Spitzname, sein
eigentlicher Familienname lautet dimethyloxypyrazol
oder dimethylpyrazoline, aber dieses sind Worte, die
sich weder präsentiren, noch aussprecben lassen. So
ist das Mittel in der jetzigen Zeit der Neurosen,
wie geschaffen für alle Leiden des ablaufenden Jahr¬
hunderts, und es wird nur zu oft vergessen, dass
das Mittel ein Gift ist, sogar ein starkes Gift, und
dass die Anzahl der Fälle, in denen es seit 7 oder
8 Jahren gegeben und geschadet hat, gar nicht zu
zählen sind. Und dies geschah in den Händen der
Aerzte, um so gefährlicher ist das Mittel in der
Hand der Laien. Ausserdem ist Unterdrückung
des Schmerzes nicht Unterdrückung der Krankheit.
Morphium leistet noch mehr als Antipyrin, und man
weiss, wohin sein Missbrauch führt. Mit dem Feuer
und mit Giften muss man nicht spielen. In Russ¬
land haben wir diese schlimmen Folgen nicht zu
befürchten. Dr. Lembke-Riga.
Dr. Combemale veröffentlicht im Bulletin medical
du Nord (Wiener medicin. Presse 1890, Nr. 40,
S. 1510) folgenden interessanten Fall von Anti-
pyrinismus .
Es handelt sich um eine 38jährige Frau, die
alle Zeichen eines Magengeschwüres zeigte, welches
C. der direkten Wirkung des Antipyrins zuschrieb.
Die Frau, welche sehr unruhige und schlaflose
Nächte zubrachte, erzählte, dass sie vor 4 Jahren
von einem acuten Rheumatismus, gegen den Salicyl
wirkungslos blieb, durch Antipyrin geheilt wurde,
und dass sie seit dieser Zeit täglich 1—2 Gramm
Antipyrin nimmt. — Die Kranke verrichtet eine
sehr schwere und genaue Arbeit, welche fortwährend
ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt und
bemerkt, dass je mehr sie zu thun habe, sie desto
mehr Excitantien braucht, und ihre Excitans ist
Antipyrin . Mit ihrer gewöhnlichen Tages-Dosis von
1 Gramm verrichtet sie ihre tägliche Arbeit, sobald
sie aber länger als gewöhnlich aufzubleiben hat, da
nimmt sie die doppelte und dreifache Dosis. —
Unterlässt sie dies, so fühlt sie, dass ihre Finger
steif, wie ankylosirt werden, dass sie selbe kaum
bewegen kann, sie empfindet eine Schwierigkeit sich
auf den Beinen zu erhalten, die Füsse schwellen an
und sie fühlt sich ganz matt
Nimmt sie aber Antipyrin, so schwindet die
allgemeine Müdigkeit, ebenso wie die Gelenksteifig¬
keit. — Wie in allen Vergiftungsfällen musste auch
hier eine allmählige Entziehungscur eingeleitet
werden, um das Allgemeinbefinden des Herz- und
Nervensystems zu schonen. Mittelst einer Lösung
von Cocain und Antipyrin gelang es, gleich am 1.
Tage die Erscheinungen des Magengeschwürs, be¬
sonders das Erbrechen zu sistiren, worauf die Kranke
2 Liter Milch vertragen konnte. Die allgemeine
Müdigkeit, Schlaflosigkeit und die nächtliche Auf¬
regung hielten noch 8 Tage an; nach dieser Zeit
begann sich die Ernährung etwas zu beben, die
Kranke fühlte sieb besser und verliess das Spital
mit dem Versprechen, den Gebrauch des Antipyrins
nicht mehr fortzusetzen.
Anmerkung des Referenten . Es sollte Antipyrin
eigens homöopath. geprüft werden, da aus dieser
Krankengeschichte eines der vorzüglichsten Kenn¬
zeichen der Influenza hervorleuchtet, nämlich die
unerklärliche Mattigkeit der Glieder. Vielleicht
würde das Antipyrin ein specifisohes Mittel für ge¬
wisse Fälle und für gewisse Personen von Influenza
sein, wenn es in höheren Potenzen gegeben würde.
Dr. G. Pröll.
Epidemiologische Ecke.
Von überall her wird mir rascher Wechsel ge¬
meldet. Ich muss mich deshalb auf die Wieder¬
gabe der häufigeren Combinationen beschränken;
eine Characteristik der einzelnen Mittel kann natür¬
lich unter diesen Umständen nicht gegeben werden.
Hier folgte am 31. Jan. auf Acid. muriatic. -f-
Lachesis, Arsen, jodat. -j- Sabad., am 1., 2., 3. Febr.
Kreosot. + Sabad. = Agaric. musc., am 4. kam
mehrfach Ac. benz. -f- Sabad. und Kali brom. -|-
Sabad., am 6. vorwiegend Hep. sulf. calc. -J- Ratanh.
= Puls., am 7. mehrfach Kreosot. -{- Sabad. und
Droser. -j- Spong., am 8. Kreosot. Sabad., am
9. Cupr. cum. Nicot., am 10. Led. -j- Sabad., am
11. diese Combination und Kreosot, -j- Sabadilla,
heute Kali carb. + Sabad., während heute Nach¬
mittag Natr. mur. -f- Iris = Euphras. aufzutreten
beginnt.
Seit Mitte voriger Woche, also seit dem 3.—6.
Febr. stellen sich mehr und mehr Infiuenzafälle ein,
stets mit heftigen Kopfschmerzen; wenn diese mehr
Digitized by v^ooQie
68
vorne sind, so ist mehr Plat. -f- Ign., wenn mit
Gliederschmerzen mehr Kreosot, -f- Sabad., wenn
mit heftigen Bückenschmerzen mehr Tartar, stib. -j-
Gelseminm angezeigt. Dabei kommt nicht selten
Erbrechen, und häufiger hartnäckige Verstopfung als
Durchfall vor. Die catarrhalischen Erscheinungen
treten gegenüber der Epidemie von vor 2 Jahren
mehr zurück; am häufigsten ist heftiger Fliess¬
schnupfen zu beobachten.
Von auswärts liefen folgende Mittheilungen ein:
Von Coli. Simrock-Frankfurt a/M. am 1. Febr.:
In den letzten Tagen öfters Ac. benz. -f- Euphras.
(= Fern met.)
Von Coli. Sigmundt-Spaickingen am 3. Febr.:
Noch immer Ferrumfälle häufig.
Von Coli. Lesser-Bonn am 2. Febr.: heute
wieder Ferrum, nur vereinzelt Agaric. (Kreos. -f-
Sabad.), gestern Veratr. (Ac. phosph. -f- Ignat.),
vorgestera Ant. crud. -f- Ignat (= Puls.). Am
5. Febr.: bis vorgestern Ac. benz Euphrasia,
Influenzafälle mit perityphlitischen Erscheinungen;
seit vorgestern Ac. benz. + Caust.; seit gestern
Abend Baryt, carb. -)- Petrol. = Magnes. carb.
Am 8. Febr.: Baryt, carb. -f- Bell., Baryt carb.
-f- Petrol., Hep. sulf. calc. -f- Ratanb. (= Pols.).
Hep. sulf. calc. -(-Euphras.; letzteres bei chronischen
Augenentzündungen, Conjunctivitis und Blepbarit.
ciliar.; vorübergehend Kal. brom. -f- Sabad.
Von Coli. Kirn-Pforzbeim am 1. Febr.; Coff. -f-
Sabad. häufig, sonst grosse Mannigfaltigkeit. Am
6. Febr.: wieder mehr Kali. carb. -j- Belladonna
(= Apis), vereinzelt Phosphor -f- Iris (= Kali
carb.). Am 10. Febr. Kali carb. -f- Bell., Nritriac.
-j- Bel)., Natr. mur. Iris, Droser. -J- Spong.,
Hep. sulf. calc. -f- Ratanb.; Cimicifuga bewährt
sich besonders bei Rheumatismen der rechten
Schulter und des rechten Armes. Epidemisch sind
Influenzafälle mit Neigung zu Erysipelen (Apis),
Keuchhusten mit Nasengeschwürchen, Magen- und
Darmcatarrhe.
Stuttgart, den 12. Februar 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Fragekasten.
Antwort I. Der Fall im Fragekasten Nr. 5/6 er¬
fordert viel Erfahrung und Routine besonders in
suggestiver Beziehung. Die Anamnese wird wahr¬
scheinlich Heredität, vielleicht auch transformirte
Heredität ergeben. Das Resultat einer genaueren
Körper Untersuchung wird wahrscheinlich in Dis¬
location des Uterus, in Flexion desselben oder in
Stenose des Cervicalcanals gipfeln, während in den
Gedärmen an einzelnen Stellen, besonders während
der Sehmerzanfälle, krampfhafte Stricturen nach¬
zuweisen sein werden.
Die Grundlage des ganzen Complexes ist zweifel¬
los materielle Hysterie mit vorwiegendem Motus
antiperistalticus. Der begleitende Darmkatarrh rührt
von nervöser Dyspepsie her. — Der letzte Sitz dor
Krankheit ist der Nervus sympathicus.
Alle diese Erscheinungen können auch durch
die Anwesenheit eines Bandwurms hervorgerufen
werden. Die Glieder werden dann ungefähr viertel¬
jährig abgehen, oder deren Abgang kann durch
Kamala und durch Beerenfrüchte hervorgerufen
werden. Eine gründliche Entfernung des allenfalls
vorhandenen Wurms gelingt sicher mit einfacher
Granatwurzelabkochung.
Ist kein Wurm nachzuweisen, so tritt eine andere
Behandlung ein:
1) Sind die täglichen Bäder und das Electrisiren
zu unterlassen.
2) Ist die Diät aufs Genaueste zu regeln und be¬
sonders ,Trockenkost“ zu empfehlen, so dass alle
Flüssigkeiten auf ein Minimum eingeschränkt
werden. Besonders Suppen, Saucen, Fette,
Hülsenfrüchte, Kohl arten und Hefeteig wo aren
sind ganz zu vermeiden, ebenso kohlensaure
Getränke und Biere.
3) Ist der Rhabarberwein wegzulassen und im Noth-
fall durch Tamarindenessenz zu ersetzen.
4) Zum Versuch als homöopathische Heilmittel
empfehle ich: Asa foetida 5.—15., Sabadilla 3.,
Secale cornut 3., Lilium tigrinum 2., Dioscorea
villosa 5.
5) Tägliche Massage des ganzen Körpers im Bette.
6) Suggestiveinwirkung ist zu versuchen.
7) Uterusanoinalien und Stenosen sind chirurgisch
zu behandeln. Ein vorübergehender Klimawechsel
wäre zu empfehlen. Am besten ist eine Milch -
cur im südtyroler Hochgebirge von Juli bis
September. Im besten Falle muss man auf
einige Recidive gefasst sein
Dr. med. Julius Fuchs-München.
Antwort II. In dem im Fragekasten der letzten
Nummer der Allg. Hom. Ztg. erwähnten Falle muss
zunächst constatirt werden, ob überhaupt Bandwurm¬
glieder abgehen. Wenn ja, so kann ich Panna
empfehlen. Wenn nein, so passt nach meiner Meinung
Veratrum am meisten. Dr. Hesse.
Antwort m. Von einem hiesigen Coilegen ist.
mir erzählt worden, dass sein Bruder viele Jahre
lang sehr schwer krank gewesen sei, ohne dass
irgend einer der vielen consultirten Aerzte, trotz
des Verdachtes auf Bandwurm, oine richtige Diag¬
nose hätte stellen können. Niemals seien Bandwurm -
glieder abgegangen, — endlich nach Jahren sei in
einem Kotklcunpen der Bandwurm nachgewiesen
worden. Eine Baudwurmcur heilte denselben schnell
von dem langjährigen Leiden.
Dr. Haedicke.
Digitized by v^ooQie
64
Anfrage: Seit Vfc Jahr leidet Patient an einem
Schmers, der anfangs unbedeutend, in der genannten
Zeit stetig zugenommen bat und sich in seiner
Eigentümlichkeit völlig gleich geblieben ist.
Sobald Patient geht , während die Verdauung
statt findet — sei es nach wenigen Bissen oder
nach einer vollen Mahlzeit, ist ganz gleich — be¬
kommt derselbe einen heftigen Krampf, mit etwas
Brennen verbunden in der Herzgrube, d. h. direkt
unter dem Brustbein, ein Schmerz, der sich schnell
verbreitet und bis in die Oberarme (bis zum Ell¬
bogen) reicht. Er ist so intensiv, dass er zum
Stillstehen zwingt. Nach einigen Minuten Ruhe
kann Patient weiter gehen, um dann sehr schnell
wieder durch Schmerz zum Stillhalten genöthigt zu
sein. Die Lunge ist dabei nicht afficirt, denn er
kann tief’&thmen beim heftigsten Schmerz.
Obgleich der Herzschlag ein langsamer, und nicht
eben kräftiger ist, so ist derselbe duroh den Schmerz
doch nicht unmittelbar beeinflusst.
Dabei bestehen keineswegs Verdauungsstörungen
— es werden unter Umständen schwere Speisen
gut vertragen — nur muss er Abends sehr wenig
gemessen, wenn er schlafen will. Eine Suppe und
etwas Kompot bildet das Abendbrot, und darauf
schläft er vorzüglich.
Wenn es derselbe, mit Rücksicht auf seine amt¬
liche Thätigkeit, ermöglichen kann, geht er erst,
nachdem vier Stunden nach der Mahlzeit vergangen
sind, und die Verdauung völlig beendet ist — und
hat dann auch keine Schmerzen mehr beim Gehen.
Immer lässt sich dieses Beginnen aber nicht ein-
halten. Nach Tisch eine kleine Stunde auf dem
Sopha zu liegen (ohne zu schlafen) ist sehr wohlthnend.
Ruhe und Wörme im Zimmer sind zuträglich —
Bewegung bald nach dem Essen und Aufenthalt in
kühlen Räumen nachtheilig.
Dabei ist er geistig frisch, hat guten Appetit
und sehr guten Schlaf — magert jedoch ziemlich
auffallend ab — am Körper, nickt im Gesicht und
an den Händen. Zu fühlen durch Drücken an der
schmerzhaften Stelle ist nichts.
Der Schmerz ist, wie schon gesagt, ganz derselbe
wie im Anfang, nach und nach aber tritt er ineuuer
häufiger auf, bei der kleinsten Veranlassung und
äussert sich dann jedesmal sehr heftig. In der Ruhe
kommt er nie.
Ist der Magen leer, kann er mit Leichtigkeit
und Behagen 1—2 Stunden spazieren gehen. Patient
ist 50 Jahre alt, von mittlerer Grösse, HaAre
(früher braun) jetzt grau, gewesener Hämorrhoidgrier,
ohne irgend welches chronische Leiden zu haben,
neigt Patient zu acut uuftretenden Uebeln.
In letzter Zeit Anfälle von Cholerine aus ge¬
ringen Anlässen, die dos Genossene nicht verdauen
lassen und Tage lang Magenverstimmung verursachten.
Im letzten Anfall war kein Erbrechen und keine
Uebelkeit dabei, nur 24 Stunden starker Purohfell
— ein Reiswasserähnlioher Stuhl. Vorher fast kein
Puls, kalte Extremitäten, Magenschmerzen, Gesicht
kühl, eingefallene Züge bei warmem Kopf.
Während des letzten Cholerinenafalles beständiges
starkes Aufstossen mit Geschmack und Geruch,
wie faule Eier .
Ich bitte die Herren Collegen um ihre gütige
diagnostische und therapeutische Unterstützung in
diesem besonderen Krankheitsfalle.
Weimar, den 10. Febr. 1892.
Dr. Goullon.
ANZEIGEN.
Homöopath. Arzt
ev. Conf., gesucht in eioem Landbezirk d. Kreises
Bielefeld. Meldungen zu richten unter A. 0. 3 au
die Exped. d. Bl.
Nähere Auskunft wird gern ertheilt.
Tnl7- MrA>ftkei>heil be * München * Höhenluftkurort
mit jodhalt. Quelleo. Indicat Frauenkrank¬
heiten, Scrophulose, ohron. Hautleiden, Lues. — Auskunft
d. Dr. Letzel (im Winter in Mönchen, im Sommer in Tölz).
Der ganze Ertrag (einschliesslich der Druckkosten)
ist für das Deutsche Kaiser Friedrich-Kranken¬
haus in San Reuio bestimmt.
für
Gesunde und Kranke,
die nach den Wlntercororten der Beriera reisen
von
Dr. Georg Heusmann in Hannover.
—— Preis eleg. geh. 1 Mark, öb-
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.
Verantwortliche Redactenro: Or. fleefenw-Stuttgart, Dr. 8tifft-Leipaig and Dr. Haodloko-Leipug.
Expedition and Verlag von WiUiaa StfelMMtz (A. Marggrafa homOopath. Offlein) in Leipiig.
Druck von Grooour L Sofern» in Leipiig.
Digitized by
Google
Band 124.
Leipzig, den 3. Hin 1892.
ALLGEMEINE
No. 9 o. 10.
HOMÖOPATHISCHE ZEITH«.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig.
Kracheint Htftffg in 3 Bogen. 13 Doppelnummern bilden einen Bend. Preis 10 M. 60 Pf. (Helbjshr). Allo Bnebhendlungen nnd
Poslenstelien nehmen Bestellungen en. — Inserate , welche en B. Mosa 6 in I*eipsig nnd dessen Filialen zn richten sind,
werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12JF. beroohnet.
Inhalt: Die Homöopathie In Belgien. Uebersetzt nach dem stenographischen Berichte des in Antwerpen
erscheinenden Blattes „Le Prfonrseur“ von Dr. Haedicke in Leipzig. — Ans der Praxis. Von Dr. Hesse Hamburg.
Eine knrze Krankengeschichte. Von Dr. Kunkel-Kiel. — Fragekasten. — Briefkasten der Redaotion. — Anzeigen.
Die Homöopathie in Belgien.
Eine Sitzung des Gemeinderaths zu Antwerpen.
Uebersetzt nach dem stenographischen Berichte des
in Antwerpen erscheinenden Blattes „Le Präcurseur“
von Dr. Haedicke in Leipzig.
In Nr. 11/12 des 123. Bandes haben wir die
Verhandlungen einer Sitzung des belgischen Senats
zum Abdruck gebracht, in der der Minister einen
entsprechenden Antrag des Senators Terlinden dahin¬
gehend beantwortete, dass die Regierung die Frage
studiren und untersuchen würde, ob es angezeigt
ist, facultative Vorlesungen über die Homöopathie
an den Statsuniversitäten einzurichten. Inzwischen
ist auch im Gemeinderathe in Antwerpen die Be¬
rechtigung der homöopathischen Aerzte zur Zu¬
lassung als officiell ernannte Armenärzte einer ein¬
gehenden Erörterung unterzogen worden, die wir
im Folgenden ausführlich zur Veröffentlichung
bringen.
Der Stadtverordnete Dr. med. Gits bringt zu¬
nächst ein Reibe eingegangener Schriftstücke zur
Verlesung und hält darauf folgende Rede:
„Nach Kenntnissnahme dieser Sachen wird jeder
Unparteiische zugeben, dass das neue Reglement
für den Dienst der Armenärzte nicht verdient hätte,
mit solcher Erbitterung bekämpft zu werden, wie
es von einem Theil der Presse geschehen ist. Solche
Fragen, wie diejenige, welche uns heute beschäftigt,
sollten mit Ruhe und Objectivität, nicht aber mit
Parteilichkeit und doctrinärer Einseitigkeit betrachtet
werden; nnd wenn es wahr ist, dass Leidenschaft¬
lichkeit eine schlechte Rathgeberin ist, so ist dies
durch den beklagen8werthen Zwist, dem wir alle
lebhaft bestrebt sind ein Ende zu machen, wieder
einmal recht deutlich bewiesen.
M. H.I Der Verwaltungsrath des Armenamtes
(Bureau de Bienfaisance) bat in dem Bewusstsein
seiner Machtvollkommenheit, ein den Aerztedienst
neu ordnendes Reglement ausarbeiten zu müssen
geglaubt, in welchem er sich an erster Stelle von
den Bedürfnissen und dem Interesse der Armen hat
leiten lassen, deren Eigenthum er von Rechts wegen
verwaltet. Kann man ihm das verübeln? Sollte
man ihm nicht vielmehr dafür Dank wissen, dass
er seine edle Mission mit dem Herzen erfasst?
Und ist es nicht tief beklagenswert!), wenn man
mit ansehen muss, wie die Mitglieder desselben —
die doch bekanntlich mit Eifer und Hingebung der
Erfüllung eines so schweren Amtes obliegen —
vielfach mit grosser Heftigkeit angegriffen worden
sind?
Der Entwurf zu jenem Reglement wurde, nach¬
dem er dem Stadtverordneten-Collegium vorgelegt
worden war, von diesem an die hygienische Com¬
mission verwiesen, deren Vorsitzender zu sein ich
die Ehre habe, und der auch unser ehrenwerther
und gelehrter College Herr Dr. Desgnin als Mitglied
angehört. Dieser prüfte den Entwurf sorgfältig,
was aus den zahlreichen Anmerkungen hervorgeht,
die sich auf der Beilage befinden. Die Herren
Administratoren, welche man zu den Berathungen
der Commission hinzugezogen hatte, nahmen ver¬
schiedene Abänderungen, welche man ärztlicherseits
zu dem Entwurf machte, an: aber sie bekämpften
auch einige andere, so namentlich die von Herrn
Desguin vorgeschlagene Weglassung des Neben-
9
Digitized by
Google
66
Paragraphen, der von „ allopathischen und homöo¬
pathischen Aerzten“ handelt. Dieselbe war von
Herrn Desguin desshalb beantragt worden, weil
seiner Meinung nach die eiste dieser Bezeichnungen
(Allopathen) wissenschaftlich ungenau sei. Trotz
des Einspruchs des Verwaltungsrathes beschloss
darauf die Commission die Unterdrückung jenes
Nebenparagraphen, so dass, wie ich in der letzten
Sitzung dargelegt habe, es nur einem Irrthum zu«
zuschreiben ist, wenn er in dem gedruckten Regle¬
ment wieder als gültig erscheint.
Was nun den Artikel 21, § 2 anbelangt, der
folgendermassen lautet: „Dicf Verwaltung hat die
für die homöopathischen Consultationen bestimmten
Stunden festzusetzen“, so wurde er weder im Schoosse
der Commission noch im Gemeinderathe bekämpft.
Das neue Reglement wurde bei der in der Sitzung
vom 25. Juni v. Jahres vorgenommenen Abstimmung
mit allen gegen eine Stimme, diejenige des Herrn
Raths Grösser, angenommen, welcher geäussert hatte,
dass man sich, nach seiner Meinung mehr mit dem
Interesse der Herren Armenärzte als dem ihrer
Patienten beschäftigt habe.
Nach dieser beinahe einmüthigen Abstimmung
brauchte das Armenamt — wie Herr Desguin sehr
richtig bemerkt hat — nichts weiter zu thun, als
die Ausführung des Gemeinderathsbeschlusses zu
sichern — da, fast 2 Monate später, erheben die
Herren Armenärzte Protest dagegen. Nachdem sie
von denjenigen, diegewissermassen ihre hierarchischen
Chefs sind, zusammenberufen worden waren, weiger¬
ten sie sich, vor ihnen zu erscheinen und glaubten
die Vertretung ihrer Interessen einigen Collegen vom
Antwerpener Aerzteverein (corps mödical) übertragen
zu müssen, deren in der Folge bewiesener Liebens¬
würdigkeit ich gern meine Anerkennung zolle.
Diese Herren hatten mit dem Verwaltungsrathe
des Armenamtes lange Besprechungen, wovon die
uns mitgetheilten Protokolle Zeugniss ablegen. Man
ersieht daraus, dass die Herren vom Verwaltungs¬
rath — übrigens ganz in UebereinStimmung mit
dem Stadtverordneten-Collegium - eine ausser¬
ordentlich versöhnliche Gesinnung an den Tag ge¬
legt haben, indem sie versprachen, die meisten
Forderungen der Herren Aerzte zu bewilligen und
zwar selbst solche, die ihnen nicht hinreichend be¬
gründet erschienen.
Ueber einen einzigen Punkt jedoch, den bereits
angeführten Artikel 21 § 2 bat man zu keiner Ver¬
ständigung gelangen können. Die Herren Delegirten
vom Antwerpener Aerzteverein behaupten nämlich,
dass, so harmlos dieser Paragraph sich auch aus¬
nähme , er doch eine officielle Anerkennung der
Heilmethode bedeute, die sich „die homöopathische“
nennt. Sie behaupten nun, dass die Verwaltung
des Armenamtes zu einem solchen Schritte nicht
die Competenz habe. Darauf haben die Administra¬
toren geantwortet, dass der inkriminirte Paragraph
keineswegs die Bedeutung habe, die man ihm bei-
messe: dass sie in keiner Weise mit der Aufstellung
desselben der Homöopathie irgendwie eine officielle
Sanktionirung zu verleihen beabsichtigt hätten, was
überhaupt gar nicht in ihrer Macht stände; dass
sie dagegen einzig und allein den Zweck im Auge
gehabt hätten, homöopathische Consultationen zum
facultativen Gebrauch für die Bedürftigen zu schaffen,
was sie einfach für ihre Pflicht hielten.
M. H.! Meiner Meinung nach ist die Antwort
des Armenamtes völlig einwandsfrei; ebenso wenig
hat aber auch der Communalrath — als er über
den Artikel 21 § 2 abstimmte und ihn annahm —
sich über den Heilwerth der Lehre Hahnemanns
äussern wollen; denn wenn man die Bestimmung
trifft, dass homöopathische Sprechstunden für die
Armen, die danach verlangen, stattfinden sollen, so
heisst das nicht: eine medicinische Lthrfrage ent¬
scheiden, sondern einfach eine im Interesse der
Armenamtsverwaltung nothwendige Handlung aus¬
führen. Man begreift nicht, wie in einer so grossen
Stadt, wie der unsrigen, wo die Homöopathie bei
den wohlhabenden Classen in solchem Ansehen steht,
es bisher nur dem Armen nicht vergönnt gewesen
ist, sich nach dieser Heilmethode behandeln zu
lassen, was weder gerecht, noch human, noch demo¬
kratisch ist. Man hat den Einwand gemacht, dass
die Arbeiter und Armen dieser Frage vollkommen
gleichgültig gegenüberstohen, und dass keiner von
ihnen nach der Vergünstigung verlange, die man
ihm octroyiren wolle; diesem Einwande möchte
ich die Petition des Arbeitervereins: „de Werker“
entgegenhalten, die ich Ihnen zu Anfang vorge¬
lesen habe.
Die Frage ist zudem nicht neu, denn sie ist
bereits im December des Jahres 1871 im Gemeinde¬
rathe zu Brüssel verhandelt worden. Dort hat ein
angesehenes Mitglied ziffernmässig nachgewiesen,
dass sich eine sehr grosse Anzahl von Bedürftigen
in den homöopathischen Polikliniken behandeln
lassen, trotz der kleinen Abgabe, die sie dafür ent¬
richten müssen. Zum Schluss forderte jener Brüs¬
seler 8tadtrath die Einführung der Homöopathie in
den Spitälern. Gestatten Sie mir, einige Stellen
aus seiner Rede vorzulesen, die noch heut, nach 20
Jahren, durchaus zeitgemäss ist. Er führt unter
anderem Folgendes aus: „Ich möchte nur darauf
hinweisen, dass, wenn die Verwaltung der Spitäler
den Homöopathen einen Saal in unseren Kranken¬
häusern einräumt, damit sie dort ihre Patienten
behandeln können, sie ihren Mitbürgern nur eine
Gefälligkeit erweist, da diese das Recht haben, zu
verlangen, dass man ihnen die Möglichkeit und die
Gelegenheit biete, sich nach der Heilmethode be*
handeln zu lassen, zu welcher sie Vertrauen haben.
„Wir müssen die sorgsamen Wächter aller Inter-
Digitized by v^ooQie
•7
essen unserer Mitbürger sein, und es giebt sicher¬
lich keine wichtigere und bedeutsamere Frage als
die, welche unsere Gesundheit und unser Leben
betrifft. Da es nicht Sache des „Conseil des hos-
pices“ ist, über wissenschaftliche Fragen innerhalb
der Medicin zu entscheiden, noch wissenschaftliche
Principien zu vertheidigen, da er ja nur dazu ein¬
gesetzt ist, die Güter der Armen zu verwalten, und
da er bei dieser Sachlage nur auf die Wünsche
derjenigen zu hören hat, die in Wahrheit die Herren
sind und als solche nach ihrem Gutdünken verfahren
können, so wage ich zu hoffen, dass er die Ge¬
wogenheit haben wird, meinen Vorschlag unverzüg¬
lich in die Hand zu nehmen, indem er sich vor
allem vergegenwärtigen möge, dass die Interessen
der Humanität höher stehen als Zwistigkeiten medi-
cinischer Schulen.“
Hatte ich nicht Recht, wenn ich zuvor sagte,
dass diese edlen Worte sich vortrefflich auf unsere
Verhältnisse anwenden lassen?
DasStadtverordneten-Collegium zu Brüssel wurde
beauftragt, dem Generalrathe der Spitäler den Vor¬
schlag des Herrn Stadtraths zu übermitteln, aber
dieser Vorschlag blieb unberücksichtigt in Folge
gewisser Machenschaften, deren Ursprung jeder
leicht erräth. Trotz alledem glaube ich nicht, dass
man es wagen würde, die Behauptung aufzustellen,
dass die Gemeindeverwaltung von Brüssel — wie
man es uns vorwirft — damit habe eine wissen¬
schaftliche Frage entscheiden wollen. Jeder Vor¬
urteilsfreie wird mir darin Recht geben müssen.“
Ich beabsichtige keineswegs, die Petition der
Herren Aerzte auf ihre Einzelheiten hin zu prüfen
und zu besprechen; ich hätte da manche Einwände
zu machen; ich weide mich jedoch damit begnügen,
einzelne Punkte daraus hervorzuheben. Zunächst
bestreiten diese Herren die wissenschaftliche Grund¬
lage der Homöopathie. Dies ist eine leere Be¬
hauptung, die der Vermutung Raum giebt, dass
keiner von ihnen Hahnemanns Organon gelesen hat.
Herr Dr. Desguin (Zwischenruf): J, warum
nicht gar!
Herr Gits (fortfahrend): Unter den Unterzeich¬
nern der Petition giebt es einige, die es mir ein¬
gestanden haben.
Herr Dr. Desguin: Mag wohl sein!
Herr Gits: Statt „einige“ werde ich also sagen:
viele haben dieses Organon nicht gelesen, worin die
wissenschaftliche Basis der Homöopathie dargelegt
und eingehend nachgewiesen ist Man führt auch
an, dass ja die Homöopathie aa keiner unserer Uni¬
versitäten gelehrt werde, sowie, dass die Zahl
ihrer Anhänger äusserst gering sei. Da möchte
ich mir doch die Bemerkung gestatten, dass die
letztere Thatsache völlig von der ersteren nbhängt.
Wie kann man sich darüber wundern, dass, wenn
keine öffentlichen Institute zur Erlernung der homöo¬
pathischen Heilmethode da sind, dieselbe keine An¬
hänger zu gewinnen vermag. Es gehört wirklich
Muth dazu, nach dem Abgänge von der Universität
noch neue Studien in einem ganz neuen Ideenkreise
zu machen; der Kampf ums Dasein, der den gröss¬
ten Theil der jungen Mediciner beherrscht, gestattet
diesen im Allgemeinen nicht, noch mehrere Jahre
ihres Lebens einem fruchtbringenden, experimentellen
Studium einer neuen Diseiplin zu opfern. Folgen¬
des schreibt Dr. Flassdoen von der Pariser medi¬
zinischen Facultät über diesen Gegenstand:
„Man kann nur mit Bitterkeit die Aecbtung
beklagen, von der die Homöopathie bis jetzt in
Frankreich betroffen gewesen ist und muss dem
gegenüber energisch darauf bestehen, als auf eine
Massregel des Fortschritts, der Humanität und der
allgemeinen Wohlfahrt, dass die Homöopathie sofort
in den medicinischen Hochschulen als Lehrgegen¬
stand eingeführt und gleichzeitig in den Hospitälern
in Anwendung gebracht werde. Kur dem Umstande,
dass es bisher keinen Lehrstuhl für Homöopathie
giebt, ist es zuzuschreiben, dass diese bislang so
wenig Anhänger unter den Aerzten gefunden hat.
In der Tbat ist das Studium derselben, wenn es
ohne Lehrer betrieben wird, ausserordentlich lang¬
wierig und trocken, und desshalb ist die Zahl
derer, die sich der Erlernung dieser Heilmethode
mit Muht und Aufwand an Zeit widmen, nicht eben
gross . u
Die belgischen Homöopathen haben als alte
Allopathen (ich finde augenblicklich keine andere
Bezeichnung dafür) diesen Muth gehabt und sich
diese Opfer auferlegt. Ist es da nicht tief beklagens-
werth, dass man sie in einer Versammlung von
ärztlichen Collegen als „Charlatane“ bat behandeln
sehen, ohne dass diese Frivolität auf der Stelle
gerügt worden ist, wie sie es verdient hätte?
Lassen Sie uns vielmehr anerkennen, dass Allo¬
pathen wie Homöopathen im guten Glauben handeln,
dass beide aufrichtig der Ueberzeugung sind, dass
die Heilmethode, die sie ausüben, die beste sei,
und wenn es einmal durchaus einen Kampf zwischen
beiden Richtungen geben soll, so finde er statt
auf dem Felde des Fortschritts, wo jedermann zu¬
gelassen werden muss und wo ein systematischer
Ausschluss der einen Richtung nur ein Eingeständ-
niss der Schwäche für die andere ist.
Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so ist übrigens
der über die Homöopathie seither verhängte Ostra-
cismus, über den sich Dr. Flassdoen so bitter be¬
klagt, in unserem Vaterlande nahe daran, zu ver¬
schwinden, und ich verweise nur auf das, was in
der letzten Sitzung des belgischen Senats gesagt
worden ist. Herr Senator Terlinden ist dort leb¬
haft für die Einführung der Homöopathie als Lehr¬
gegenstand an den Staatsuniversitäten eingetreten.
Ich wollte, ich könnte hier seine glänzende Rede
9 *
Digitized by v^ooQie
68
wiedergeben; ich muss mich jedoch, um Sie nicht
zu sehr zu ermüden, auf einige Citate daraus be¬
schränken. Nach dem Eingeständnis, dass die
Kocb’scbe Lymphe, wenn sie auch bisher nicht als
ein sicheres Mittel gegen die schreckliche Lungen-
tuberculose erwiesen, dennoch ein untrügliches
Diagnosticum für diese Krankheit sei, erklärt Herr
Terlinden, dass er von der Aehnlichkeit der Her¬
stellung der Koch’schen Lymphe mit derjenigen der
homöopathischen Medicamente überrascht gewesen
sei. Man könne, so führt er aus, die Wirkung der
Infinitesimalgaben auf den menschlichen Organismus
nicht leugnen; die Impfung mit Kuhpockengift be¬
weise dies hinlänglich. „Die Zeit ist gekommen/
so fährt er fort, „die officielle Achterklärung, die
so schwer auf der Homöopathie liegt, fallen zu
lassen; die therapeutischen Lehren müssen offen
neben einander marschiren können. Es ist hier
nicht meine Aufgabe, der Homöopathie ein Loblied
zu singen, aber ich glaube einer gerechten Sache
zu dienen und die Grenzen meiner Competenz und
des mir zustehenden Rechtes nicht zu überschreiten,
wenn ich behaupte, dass ihr Ausschluss von den
Lebrgegenständen der medicinischen Disciplinen eine
Lücke an den Staatsuniversitäten darstellt, nnd
wenn ich dementsprechend für sie eine Stelle in der
Wissenschaft fordere.
„Wenn es sich um eine Kunst handelt, die das
Leben unserer Mitmenschen retten kann, dann ist
die Unkenntniss derselben ein Verbrechen.“ In
Amerika gewähren die Lebensversicherungsgesell¬
schaften denjenigen Personen, welche sich verpflichten,
sich* nach homöopathischem Princip behandeln zu
lassen, eine Prämie und die Amerikaner sind be¬
kanntlich practiscbe Leute, die nie etwas ohne
guten Grund thun.“
Herr Baron Surmont de Volsberghe hat dem
noch Folgendes hinzugefügt: „Das Verlangen des
verehrlichen Brüsseler Senats ist vollkommen be¬
rechtigt; es wäre in der That erforderlich, wenn
die Regierung sich einmal entschlösse, die Ein¬
führung dieses therapeutischen Systems als Lehr¬
gegenstand in die Hand zu nehmen. An dem näm¬
lichen Tage würde es aber wahrscheinlich zu einem
allgemeinen Strike seitens der Herren Professoren
kommen.
Die Homöopathie macht solche Fortschritte und
gewinnt tagtäglich dermassen an Ausdehnung und
Anhang, dass das für die Regierung Veranlassung
genug sein sollte, unverzüglich diejenigen Mass¬
nahmen zu treffen, welche die Situation gebietet.“
Was geschieht auf diese Rede vom Ministertische
aus? Weit entfernt, diese Ausführungen zu be¬
kämpfen, giebt der Minister des Inneren Herr de
Burlet ihnen vielmehr folgende officielle Bestätigung:
„Man kann nicht leugnen — so erwiderte der
Herr Minister — dass die Homöopathie grosse Ver¬
breitung gefunden hat und dass das Zutrauen zu
ihr bei den zahlreichen Kranken immer mehr wächst
Der Antrag des Herrn Terlinden wird die Regier¬
ung veranlassen, die Frage zu studiren und zu
untersuchen, ob es angezeigt ist, facultative Vor¬
lesungen über Homöopathie an den Staatsuniversi¬
täten einzurichten.“
Im weiteren Verlauf der Debatte giebt der
Minister, als er auf die Einführung der Homöopathie
in den Kliniken zu sprechen kommt, folgende wich¬
tige Erklärung ab:
„Wenn die Homöopathie sich so weiter ent¬
wickelt und ihre Erfolge empfiehlt, so werden die
Krankenhäuser und Spitäler schon die Initiative zu
ergreifen wissen, um sich die Leistungen dieser
medicinischen Schule nutzbar zu machen und die
Vertheile, die sie bietet, zu verwenden, ohne dass
es eines besonderen Gesetzes bedürfen wird, um sie
dazu zu zwingen.“
Nun, meine Herren, frage ich Sie, ob das nicht
völlig auf unsere Verhältnisse und insbesondere auf
den vorliegenden Fall zutiifft? Hat nicht die Ver¬
waltung unseres Armen wesens — angesichts der
grossen Verbreitung der Homöopathie unter den
wohlhabenden Classen — von ihrem Rechte, die
Initiative zu ergreifen, wann und wo es ihm im
Interesse der seiner Obhut an vertrauten Institute
angezeigt erscheint, Gebrauch gemacht und offen
und ohne Umschweife die Homöopathie bei der
Krankenpflege der Armen eingeführt? Sie sehen
also, dass jene nützliche Reform des Armenamtes
ganz im Sinne des Herrn Ministers des Innern
unternommen ist, und zwar einzig und allein im
Interesse der leidenden Menschheit sowohl, wie in
dem des Fortschritts“, um dieselben Ausdrücke zu
gebrauchen, mit denen die Herren Aerzte die Revi¬
sion des Artikels 21 des neuen Reglements bei
Ihnen befürwortet haben. Diese Revision ist Sache
der Verwaltung des Armen am tes und nicht die
unsrige; ich habe die Ueberzeugung, dass der Com-
munalrath die genannte Verwaltung nicht auffordern
wird, auf die von ihr getroffenen Massregeln zu
verzichten, die auch wir gebilligt haben; ich bin
auch sicher, dass nach unseren Erklärungen die
Herren Aerzte ihren Widerstand aufgeben werden,
und dass binnen kurzem allgemeine Ruhe einer un¬
berechtigten Agitation Platz machen wird.
HerrDr. Desguin: Es giebt einen Punkt, über den
wir sicher alle einer Meinung sind, das ist die
Nothwendigkeit, sobald als möglich einen Conflikt
aus der Welt zu schaffen, der nur zu lange schon
gedauert hat, und den jedermann sehnlichst beseitigt
wissen will, und zwar die Aerzte nicht minder
als die Verwaltung des Armenwesens, deren neues
Reglement bis jetzt nicht hat zur Ausführung ge¬
langen können, und die sich daher ausser Stande
gesehen hat, die von ihr benötbigten Aerzte zu er-
Digitized by
Google
69
nennen. Ein Fortbestand dieser Dinge kann nur
zu grossen Unzuträglichkeiten führen. Der Ge-
meinderatb hat die Aufgabe, ihnen ein Ende zu
bereiten.
ln den Conferenzen, die zwischen den Dele-
girten vom Antwerpener Aerzteverein und dem
Arraenamt stattgefunden haben, hat das letztere die
Berechtigung der meisten von jenen gemachten Ein¬
wände anerkannt und die Wünsche der Aerzte zu
berücksichtigen versprochen. Zu einer Verständigung
ist es jedoch nicht gekommen über die Einrichtung
einer homöopathischen Poliklinik für Arme, denn
dies würde, was man auch darüber sagen mag, eine
ofticielle Anerkennung dieser Heilmethode involviren,
die sie niemals, weder in unserem Lande, noch in
den Nachbarstaaten erlangt hat.
Herr Dr. Gits (Zwischenruf): Das ist ein Irrthum,
ich bitte ums Wort!
Herr Dr. Desguin (fortfahrend): Die Erklärung
des Armenamtes, welches zugiebt, in roedicinisch-
wissenschaftlichen Fragen incompetent zu sein und
darum gegen die Unterstellung protestirt, als be¬
absichtige es, dieses Heilsystem officiell anzuerkennen,
ist hinfällig angesichts der Thatsache, dass es jene
Einrichtung einer homöopathischen Poliklinik ge¬
troffen hat, was von jedermann in dem Sinne ge¬
deutet werden muss, wie es der hiessige homöo¬
pathische Aerzteverein aufgefasst hat, der sich zu
dieser ersten officiellen Anerkennung der Homöo¬
pathie beglückwünscht hat. In der von der Hygiene-
Commission abgehaltenen Sitzung, welcher auch die
Verwaltungsräthe des Armen wesens beigewohnt
haben, bin ich mit Nachdruck dafür eingetreten,
dass diese Herren ihre Absicht, eine homöopathische
Poliklinik für die Armen zu gründen, fallen lassen
sollten- Ich kann hier nur den Grund wiederholen,
den ich damals für meine Auffassung geltend ge¬
macht habe: „es ist nicht Sache der Verwaltung
eines Instituts, wissenschaftliche Fragen zu ent¬
scheiden, was doch thatsächlich geschieht, wenn
man einer gewissen Richtung in der mcdicinischen
Wissenschaft öffentlich seine Anerkennung aus-
spricbt.“
Herr de Voes: Ich bitte ums Wort!
Herr Desguin (fortfahrend): Es heisst in der
That nichts anderes, als: der Homöopathie einen
therapeutischen Werth beimessen, welcher dem der
herkömmlichen Schulroedicin zum mindesten gleich¬
kommt, wenn man im Armen wesen für sie einen
Specialärztedienst schaffen will. Das leuchtet doch
ohne Weiteres ein, denn wenn man ihr diesen
Werth nicht beimässe, würde man diesen Special¬
dienst eben nicht einrichten. Dadurch, dass das
Armenamt der Homöopathie eine Stelle im Armen-
Urztedienst anweist, verkündet es laut, dass die
Homöopathie ein rationelles und wirksames Heil¬
verfahren ist; es löst also damit eine wissenschaft¬
liche Frage und zwar in einem von der Auffassung
der in solchen Fragen allein competenten ärztlichen
Autoritäten abweichenden Sinne.
Eine öffentliche Verwaltung muss sich in ge¬
wissen Grenzen halten, welche Privatpersonen oder
Privatgesellschaften unter eigener Verantwortung
jederzeit überschreiten können. Sie ist verpflichtet,
sich an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten.
Nun kennt aber das Gesetz den Titel „homöopath.
Arzt“ nicht an, ebensowenig wie den eines „allo¬
pathischen“ Arztes etc. Es kennt nur den Titel
„Doctor der Medicin“ schlechthin. Die Verwaltung
hat keine andere Pflicht als die: von den Aerzten,
die sie ernennt, zu verlangen, dass sie in Bezug
auf ihr Privatleben ehrenhaft und moralisch un¬
bescholten sind, und dass sie in ihrer Berufstätig¬
keit correkt handeln. Geht sie darüber hinaus, so
überschreitet sie ihre Befugniss und misst sich eine
Macht und eine Competenz bei, die ihr nicht zu«
kommt.
Die Grenzen des Wirkungskreises des Gemeinde¬
rath es ist für diese Frage ebenfalls genau vor¬
gezeichnet: er billigt oder verwirft die von dem
Armenamte vorgenommenen Ernennungen. Er hat
sich gleichfalls nicht in die medicinisch-wissen-
schaftliche Fragen zu mischen, die ihn nichts an-
gehen, da deren Lösung Specialkenntnisse erfordert.
Nachdem die Aerzte, welche durch die Erwerbung
des Doctordiploms bewiesen haben, dass sie die
verlangte wissenschaftliche Befähigung besitzen, ein¬
mal eniannt sind, steht es bei ihnen, über die
Behandlungsart zu entscheiden, die sie ihren Patienten
angedeihen lassen wollen. Wenn jeder so verfährt,
dann bleibt er innerhalb der ihm zustebenden Be¬
fugnisse, wobei dann Eingriffe in das Recht Anderer
nicht Vorkommen können.
Dieser Auffassung müssen sich alle diejenigen
anschliessen, die nicht von der Parteibrille geblendet
sind. Für ein Mitglied einer gemeinnützigen
Zwecken dienenden Verwaltung ist es unzulässig,
seine persönliche Vorliebe und subjective Anschau¬
ung bei solchen Fragen zu Worte kommen zu lassen,
da diese sorgfältig davon ausgeschlossen bleiben
müssen.
Ich für meinen Tbeil zweifele gar nicht daran,
dass die Mitglieder des Armenamtes, als sie diese
Neuerung in Vorschlag brachten, ein nützliches,
liberales und humanitäres Werk zu thun geglaubt
httben, da sie durchweg ehrenwerthe Leute sind,
die mit Eifer der Erfüllung ihrer durch jenes Amt
gebotenen Pflichten obliegen. Das bindert mich
aber nicht, zu gestehen, dass ihr Eifer sie zu weit
geführt und die Grenzen ihrer Befugnisse hat über¬
schreiten lassen. Neben verschiedenen anderen Be¬
rechtigungen hat das Communalgesetz dem Armen
amt auch die ertheilt, die von ihm benöthigten
Aerzte zu ernennen, ohne diese Ernennungen an irgend
Digitized by v^ooQle
70
•ine Bedingung zu knüpfen; es muss sich daher
hüten, selbst seine Freiheit zu beschränken, was
ja der Fall ist, wenn es sich durch ein Reglement
zu einem Ernenuungsmodus verpflichtet, den es
vielleicht dereinst bereuen könnte. Dasselbe Gesetz
verleiht dem Gemeinderathe das Recht der Be*
stätigung oder der Verwerfung, weiter nichts.
Ich verlange, dass diese beiden Körperschaften
Sich in den vom Gesetze gezogenen Schranken
halten. Wenn so die Ursache des Conflicts besei¬
tigt ist, dann wird die Eintracht wieder hergestellt
werden, die bis jetzt zwischen dem Armenamt und
der Äntwerpener Aerztegemeinschaft gestört ge¬
wesen ist. Ich beantrage demgemäss, dass der
Communalrath im Vertrauen auf den Eifer und die
Einsicht der Herren Administratoren vom Armen¬
amt diese ersucht, ihm ein neues Reglement vor¬
zulegen, in welchem sie den § 2 des Artikels 21
aaszumerzen und im Uebrigen den den Delegirten
des Aerzteverbandes gemachten Zugeständnissen
Folge zu geben haben.
Herr Gits konstatirt, dass Herr Desguin im
Scboosse der Hygiene-Commission den Artikel 21
nicht bekämpft hat. Er habe die Beseitigung der
Wörter „allopathisch“ und „homöopathisch* verlangt,
die Homöopathie selbst aber niemals bekämpft.
Herr Desguin legt dar, dass die Ansicht des
Herrn Gits auf einer irrthümlicben Auslegung seiner
Reden beruhe.
Herr de Voes: Ich sehe mich zu meinem
grössten Bedauern veranlasst, die Anschauungen
meines verehrten Freundes, des Herrn Dr. Desguin
in der vorliegenden Frage zu bekämpfen. Es ist
thatsächlich unerhört, dass sieb um das neue Regle¬
ment des Armenamtes solch ein Lärm erhoben
hat. Man wäre versucht zu glauben, dass es sich
um die aussergewöbnlichsten Dinge handelt, während
doch die Herren Aerzte im Grunde genommen sich
weit mehr gegen die Form, in welcher das Regle¬
ment abgefasst und hervorgetreten war, als gegen
die darin getroffenen Massnahmen gewendet haben.
Seitdem haben die Administratoren des Armenamtes
und der Aerzteverein mehrere Zusammenkünfte ge¬
halten.
Herr Desguin: Eine einzige!
Herr de Voes: Mehrere! Und man hat dabei
Gelegenheit genommen, sich gegenseitig auszu¬
sprechen. Das Armenamt hat dabei fast alle Be¬
schwerden der Aerzte berücksichtigt, was sicherlich
seine versöhnliche Stimmung beweist; nur die der
homöopathischen Behandlung von erkrankten Armen
eingeräumte Stelle erbittert fort und fort die Ge-
müther. Die Herren Aerzte sagen: „Ihr habt ja
nicht das Recht, diese oder jene medicinische Rich¬
tung zu sanktioniren.“ Sicherlich nicht; und es
fällt uns auch gar nicht ein, das zu tbun. Wir
ziehen einfach im Intel esse bedürftiger Kranke ein
medizinisches System zu Rathe, welches eiuen
grossen Theil der Bevölkerung unserer Stadt für
sich hat. Hat nicht jeder von uns, wenn er krank
wird, das Recht-, sich nach der von ihm bevorzug¬
ten Methode, die ihn schon früher geheilt hat, be¬
handeln zu lassen? Warum soll man diese Mög¬
lichkeit dem Armen versagen? Wer kann bestreiten,
dass sich seit Habnemann die homöopathische Lehre
nicht nur behauptete, sondern beständig Fortschritte
gemacht hat, was sich doch im Allgemeinen von
werthlosen Dingen und unhaltbaren wissenschaft¬
lichen Richtungen nicht sagen lässt? Die Homöo¬
pathie hat begeisterte Anhänger in allen Schichten
der Gesellschaft und besonders in den gebildeten
Klassen; sie zählt unter den Aerzten, die ihr hul¬
digen, hochachtbare und verdienstvolle Männer, zu
deren Kenntnissen und Fähigkeiten man sogar im
Palais des Grafen von Flandern gern seine Zu¬
flucht genommen hat. Andrerseits verdient auch
hervorgehoben zu werden, dass die homöopathischen
Aerzte wie ihre Collegen von der Allopathie ein
Universitätsstudium absolvirt und gleich ihnen das
Diplom erworben haben; und wenn sie dann später
ihr Studium weiter fortsetzen und nach vielen
Forschungen und Beobachtungen sich bewogen
fühlen, der homöopathischen Heilmethode den Vor¬
zug zu geben, kann man ihnen dann a priori die.
Unterstellung machen, dass dieser Schritt ihrerseits
nicht das Ergebniss aufrichtiger Ueberzeugung, ge¬
wissenhaften Suchens nach der Wahrheit und eif¬
rigen Forschens und Beobachteus sei, mit einem
Worte gesagt, auf die Leichtgläubigkeit des Pu¬
blikums speculiren?
Ich würde den lebhaften Widerspiuch des
Aerztevereins zu Antwerpen begreifen, wenn man
der Homöopathie den Yörwurf machen könnte, dass
sie sich schädlicher, gewaltsamer und gefährlicher
Mittel bedient, um die Leute zu curiren; aber nichts
von alledem, denn ihre Arzeneien sind absolut un¬
schädlich, ja diese Unschädlichkeit ist es gerade,
welche Zweifel an der Wirksamkeit der homöo¬
pathischen Behandlungsweise hervorgerufen hat.
Wo steckt da das Uebel? Und beruht denu die
Wirkung des thierischen Giftes, des Kuhpockengiftes
und des Spezifiemus gegen die Mikroben nicht auf
Infinitesimalgaben? Meine Herren, ich fasse meine
Ausführungen zusammen, indem ich konstatire, dass,
nachdem das Armenamt dem grössteu Theile der
Beschwerden des Aerzteverbandes hat Gerechtigkeit
wiederfahren lassen, es mir unmöglich erscheint, in
der Frage der homöopathischen Poliklinik weiter
nachzugeben.
Ich bedaure das meinerseits lebhaft, weil ich
d r Ausicht bin, dass hei diesen Fragen des Kran¬
kenhausdienstes es wünschenswert ist, wenn die
Verwaltung Hand in Hand mit der Fakultät geht.
Aber hier sollten die Aerzte nicht so halsstarrig
Digitized by VjOOQie
71
sein, sondern sich begreiflich zu machen suchen,
dass wir nur das Beste wollen, wenn wir es nicht
über uns gewinnen können, einerseits ein gerechtes
und humanitäres Princip zu opfern und andrerseits
die unveräusserlichen Rechte der Armen preiszu¬
geben.
Herr van de Walle: Ich schliesse mich völlig
der Ansicht unseres Collegen, des Herrn Dr. Desguin
an und erachte, dass es an gezeigt ist, den Para¬
graphen 2 des Artikels 21 rundweg zu streichen.
Ich möchte Sie um die Erlaubniss bitten, meine
Auffassung der Dinge mit einigen Worten darlegen
zu dürfen.
Wenn ich mich zunächst zu der Verwaltungs-
frage wende, so kann ich die Befürchtung nicht
verhehlen, dass die Einrichtung einer homöopathischen
Poliklinik dazu angethan ist, für die Zukunft Schwie¬
rigkeiten und Misshelligkeiten aller Art heraufzu¬
beschwören.
Wir wissen alle, dass die homöopathischen Aerzte
trotz ihrer Schwärmerei, für die Lehre Hahnemanns
keineswegs die Benutzung anderer Heilmittel ver¬
schmähen, dass sie im Gegentheil in entscheidenden
Fällen zu allopathischen Mitteln greifen.
Herr Gits (dazwischenrufend): „Falsch!“
Herr van de Walle: Welches ist bei dieser
Sachlage die Pflicht einer öffentlichen Verwaltung,
die sich selbst für inkompetent erklärt, über die
Bedeutung einer medizinisch-wissenschaftlichen Frage
ein Urtheil zu fällen?
Man fordert die Einrichtung einer homöopathischen
Poliklinik. Will man dann den Arzt formell ver¬
pflichten, bei der Behandlung seiner Kranken aus¬
schliesslich homöopathische Medicamente in Anwen¬
dung zu bringen? Wenn man ganz logisch sein
will, dann müsste man dahin gelangen, sogar dann,
wenn der Arzt die Ueberzeugung gewonnen hätte,
dass in einem gegebenen Falle eine allopathische
oder eine andere Behandlung wirksamer sein würde.
Ich für meinen Theil sehe darin eine Gefahr,
und ich werfe die Frage auf, ob es nicht weit ver¬
nünftiger wäre, dem Arzte in der Behandlung seiner
Patienten absoluteste Freiheit zu lassen, als ihn auf
eine bestimmte Heilmethode zu verpflichten.
Man wird mir einwenden: Man will ja auch
niemanden in dem von ihm zu befolgenden Heil¬
system binden. Wir sind aber vom geraden Gegen¬
theil überzeugt; denn fasst man etwa den Plan, eine
homöopathische Poliklinik zu gründen, ohne dass
die in diesem Sinne ernannten Aerzte ihre Kranken
homöopathisch zu behandeln brauchten? Das wird
doch gewiss niemand ernsthaft zu behaupten wagen.
Man wird mir ferner entgegenhalten, dass man doch
auch Institute für Spezialisten, wie Augenärzte,
Zahnärzte, Orthopädisten und dergl. unterhält, warum
dann nicht auch solche für Homöopathen? Ganz
einfach, meine Herren, weil der Vergleich nicht zu¬
trifft, denn im ersten Falle handelt es sich darum,
specielle Krankheiten zu heilen, während die homöo¬
pathische Behandlung sich auf alle Krankheiten er¬
streckt.
Nehmen wir einmal an, in einigen Jahren würde
eine neue Lehre entdeckt, die der Homöopathie un¬
endlich überlegen wäre, und diese Ueberlegenbeit
würde auch von den gerade zu dieser Zeit prac-
ticirenden Homöopathen anerkannt ....
Herr Gits: Man wird sie an wenden müssen.
Herr van de Walle (fortfahrend:) Wenn wir
dann alle die Ueberzeugung haben, dass diese neue
Lehre wirkliche Vortheile bietet, die wir auch den
Armen zu Gute kommen lassen möchten, was sollte
dann mit dem homöopathischen Poliklinik ge¬
schehen?
Herr van Ryswyck: Man müsste beide Systeme
in Anwendung bringen.
Herr van de Walle: Und wer soll in solchem
Falle entscheiden, welches von beiden Systemen den
Vorzag verdient und bei der Behandlung von
Kranken in Anwendung gebracht werden soll?
Herr Gits: Die Kranken.
Herr van de Walle: Die unbeschränkte Frei¬
heit des Arztes, der sich durch das Studium fach¬
wissenschaftlicher Zeitschriften über neue Entdeck¬
ungen stets auf dem Laufenden zu erhalten sucht,
ist sie nicht im eigensten Interesse geboten? Mit
grossem Aplomb hat man dann zu Gunsten der
Homöopathie auch demokratische und humanitäre
Principien geltend gemacht. Die Armen, so hat
man behauptet, müssen dasselbe Recht haben wie
die Reichen, unter den verschiedenen Heilmethoden
die ihnen zusagend^ auszuwählen.
Ich bin vollkommen einverstanden mit denjenigen,
die solche Grundsätze vertreten, und gerade deshalb
will ich mich der Ernennung von homöopathischen
Aerzten nicht widersetzen. Wie kann man uns
aber ernstlich den Vorwurf machen, wir zeigten
Mangel an humaner Gesinnung, wenn wir verlangen,
dass diese homöopathischen Aerzte nach denselben
Grundsätzen, wie alle übrigen Aerzte, ernannt wer¬
den, ohne dass man damit zugleich ihre Heilmethode
officiell anerkennt? Wie kann man es uns ver¬
übeln, dass wir Angesichts der eingestandenen In¬
kompetenz sowohl des Armenamtes als der Com-
munalverwaltung, über den wissenschaftlichen Werth
der beiden hier in Frage kommenden medizinischen
Richtungen zu entscheiden — ich sage, wie kann
man uns einen Vorwurf daraus machen, dass wir
auf Grund dieser Thatsache nur verlangen, dass
man einfach Doktoren der Medizin ernenne, die in
Belgien das ärztliche Diplom erhalten haben, ohne
dass man weiter nach der Methode fragt, der
sie unter eigener Verantwortung huldigen? Und
wenn man zu Armenärzten auch Homöopathen er¬
nannt hat, was bedarf es denn da noch der weiteren
Digitized by v^ooQie
78
Bestimmung, dass man noch besondere Consultations-
stunden für sie einrichtet, was doch für die allo¬
pathischen Aerzte nicht geschieht*?
Herr Gits: Doch! doch!
Herr van de Walle (fortfahrend): Muss man
ihnen noch eine besondere Poliklinik zur Verfügung
stellen, während es mir doch zu genügen scheint,
dass man in der Apotheke des Armenamtes die er¬
forderlichen Arzeheien bereit hält, ganz so, wie
man sie sich in den städtischen Apotheken ver¬
schaffen kann?
Ich sehe also nicht die Nothwendigkeit ein, den
zweiten Paragraphen des Artikels 21 aufrechtzuer¬
halten, und werde deshalb für die Beseitigung des¬
selben stimmen. Da man andrerseits zu Gunsten
der Einführung einer homöopathischen Poliklinik
demokratische und humanitäre Gründe geltend ge¬
macht hat, so behaupte ich demgegenüber, dass
das wahre demokratische Prmcip verlangt, dass
man dem Arzte in der Behandlung kranker Be¬
dürftiger nicht die Hände bindet, sondern ihm im
Gegentheii die grösstmöglicbste Freiheit sichert und
ihm nicht auf eine bestimmte medizinische Richtung
schwören lässt.
Herr Tonnelier: Meine Herren! Seit mehreren
Wochen hat man die Verwaltung des Armenamtes
zu heftig angegriffen, ja sogar geschmäht, als dass
ich mich nicht veranlasst sehen sollte, Einiges zu
ihrer Verteidigung hier zu sagen, falls dies nach
der bemerken werten Rede unseres verehrten Herrn
Coüegen Dr. Gits überhaupt noch nöthig erscheint.
Ich habe die Petition, welche der Aerzteverein
bei uns eingereicht hat, mit grosser Aufmerksamkeit
gelesen und bedaure, dass die ihr gegebene Form
auffallend dem gleicht, was die Herren Aerzte des
Armenamtes in allen Verhandlungen vorgebracht
haben, die sie mit dieser Verwaltungsbehörde ge¬
pflogen haben — und in der That erscheint die
Petition dem Antwerpener Aerzteverein mehr als
ein Wunschzettel, denn als eine Darlegung und
Prüfung der einschlägigen Verhältnisse. Nach
meiner Meinung bringen diese Herren die ihnen
gemachten Zugeständnisse zu wenig in Anschlag,
denn aus diesen gebt doch die versöhnliche Ge¬
sinnung des Armenamtes klar und deutlich hervor.
Unter den von den Delegirten des Antwerpener
Aerzte Vereins vorgeschlagenen Aenderungen be¬
finden sich mehrere, die der Verwaltung des Armen¬
amtes nicht einmal vorgelegt worden sind! Was
soll man von einer solchen Rücksichtslosigkeit gegen
eine öffentliche Verwaltung halten?
Von allen den Artikeln, zu denen Aenderungen
beantragt sind, werde ich hier nur einen heraus¬
greifen, nämlich den Artikel 21, § 2, weil im Ver¬
gleich zu diesem alle anderen nur eine relative
Bedeutung haben, und es auf beiden Seiten nur
geringer Zugeständnisse bedürfen wird, um zu
einer Einigung zu gelangen, und dies um so eher,
als die Armenverwaltung, um ihr Entgegenkommen
zu beweisen, bereits fast alle gewünschten Abände¬
rungen vorgenommen hat.
Hinsichtlich des Artikels 21, § 2 protestiren
die Herren Aerzte mit aller Entschiedenheit gegen
die durch denselben implicite bewirkte officielle
Anerkennung der Homöopathie Seitens einer öffent¬
lichen Verwaltung. Nun, mögen die Herren Aerzte
auch dazu sagen, was sie wollen, gegen eine solche
Anmassung ihrerseits lege ich als Delegirter der
demokratischen Föderation, deren Interessen ich
zu vertheidigen habe, Verwahrung ein.
Die Aerzte glauben einen Haupttrumpf gegen
uns ausgespielt zu haben, wenn sie uns für in¬
kompetent erklären; in der Theorie gebe ich das
gerne zu, obwohl ich den Herren erwidern könnte,
dass wir ebensowenig kompetent sind hinsichtlich
der allopathischen Heilmethode, deren Anerkennung
unsererseits sie sich seither stets haben gefallen
lassen, ohne dagegen zu protestiren.
Die Herren Aerzte behaupten, dass die Homöo¬
pathie der wissenschaftlichen Basis entbehre; aber
das stimmt keineswegs zu der Ansicht der Homöo¬
pathen, unter denen es, wie Jedermann zugeben
muss, ebenfalls hochverdiente Männer von tiefem
Wissen giebt. Die medicinische Academie, so be¬
haupten jene Aerzte, habe die Homöopathie feier¬
lichst verurtheilt; mag sein, aber was will da? be¬
sagen, wenn man bedenkt, dass jene Academie aus¬
schliesslich aus Allopathen zusammengesetzt ist?
Trotz der Achtung aber, die wir vor ihr haben,
können wir uns der Ansicht jener Aerzte nicht an-
schliessen in Anbetracht dessen, dass sie in der
streitigen Angelegenheit Kläger und Richter zu¬
gleich sind.
Herr Desguin: Haben wir hier die Entschei¬
dungen der medicinischen Academien zu erörtern?
Das fehlte noch!
Herr Gits: Keineswegs.
Herr Tonnelier (fortfahrend): Wenn wir auch
inkompetent sind, so geht dies doch nicht so
weit, dass wir nicht auch die von der Homöopathie
erzielten Resultate konstatiren dürften. Nun sind
wir alle aber, wie ich glaube, Zeugen zahlreicher
äusserst günstiger bei homöopathischer Behandlung
gemachter Curen gewesen. Ich will damit keines¬
wegs gesagt, haben, dass die Homöopathen alle
ihre Patienten heilen, aber ich frage Sie: Sind die
Allopathen darin besser dran? Ich wage das zu ver¬
neinen.
Ein Punkt aber unter den von dem Antwerpener
Aerzteverein angeregten Bestimmungen, der so
unlogisch wie nur möglich ist, ist mir ganz be¬
sonders aufgefallen, nämlich der Umstand, dass die¬
jenigen, welche behaupten, dass es mit der Homöo¬
pathie nichts sei, dass sie keine wissenschaftliche
Digitized by v^ooQle
7 «
Basis habe und sogar als Charlatanerie bezeichnet
werden müsse — denn die, welche es nicht laut
sagen, glauben es im Stillen desto sicherer — ge¬
statten wollen, dass ein homöopathischer Arzt unter
der Bedingung ernannt werde, dass er seine Fahne
nicht öffentlich aufpflanze, sondern sie in die Tasche
stecke. Ich für meinen Theil finde — und viele
Leute mit mir —, dass ein solcher Vorschlag von
Seiten der Antwerpener Aerzte ein ganz neues
Licht auf deren kleinliche Gesinnung wirft Dem¬
gegenüber halte ich an der Ueberzeugung fest, dass
wir, der Gemeinderath das Richtige treffen werden,
wenn wir uns nur von einer Rücksicht leiten
lassen, nämlich von dem Bewusstsein, dass der
Arme ein Recht darauf hat, die Möglichkeit zu er¬
langen, nach homöopathischer Methode behandelt
zu werden, falls dies sein Wunsch ist; ein gerechter
und demokratischer Gedanke, wie es kaum einen
zweiten giebt Was sind denn übrigens die homöo¬
pathischen Aerzte für Leute? Haben sie nicht eben¬
so gut wie jene ihre Examina gemacht und ihr
Diplom erworben? Wenn sie daher angezogen oder
verführt von der Homöopathie sich der Menschheit
widmen, indem sie nach ernstem Studium dieser
Methode gerade diese bevorzugen, spricht das
nicht .ganz zu deren Gunsten? Ein solches Ver¬
fahren ist doch sicher weit anerkennenswerther als
das der meisten allopathischen Aerzte, die die Ho¬
möopathie mit aller erdenklichen Schärfe und Er¬
bitterung bekämpfen, ohne etwas von ihr zu ver¬
stehen.
Ein anderes von den Herren Allopathen gegen
die Homöopathie vorgebrachtes Argument ist die
der Vernunft und dem gesunden Menschenverstände
ohne Weiteres einleuchtende Wirkungslosigkeit der
homöopathischen Streukügelchen und Arzneien in
20, 50 fach er Verdünnung. Aber die Vernunft, so
wie sie in uns existirt, ist weit davon entfernt,
eine absolute zu sein. Könnte mir Jemand mit
Gründen der blossen Vernunft die Uebermittelung
des Gedankens auf den Körper in befriedigender
Weise erklären? Und doch sind dafür ganz wie
für die Wirkungen homöopathischer Arzneien zahl¬
reiche Thatsachen konstatirt worden, die zu citiren
hier nicht weiter nöthig ist
Die Homöopathie ist keine neue Wissenschaft;
sie hat hinreichende Beweise für ihre Daseinsberech¬
tigung gegeben und kann füglich verlangen, dass
man ihr auch das Bürgerrecht ertheile. Wenn
unsere Academie der Medicin sie zurückgewiesen
hat, giebt es dafür nicht andere, welche sie aner¬
kannt haben? Ich erwähne nur Pesth, wo die Re¬
gierung trotz des Widerspruchs der Aerzte einen
officiellen Lehrstuhl für Homöopathie an der dor¬
tigen Universität dekretirt hat. Auch sind daselbst
mehrere Krankenhäuser mit homöopathischer Be¬
handlung verbunden. Ebenso giebt es in Wien
mehrere homöopathische Spitäler, von denen eines
Staatsunterstützung empfängt. Ist das nicht eine
absolute Anerkennung des Werthes der Homöo¬
pathie; giebt es nicht Spitäler dieser Art auch in
Frankreich, in Amerika u. s. w ?
Herr Desguin: In Frankreich?
Herr Gits: Ja, wohl!
Herr Tonnelier (fortfahrend): Hat man in
diesen Anstalten nicht ebenso glänzende Heilungen
zu verzeichnen, wie in den Spitälern, wo man die
Kranken nach dem allopathischen Verfahren be¬
handelt?
Die Ein wände der Herren Aerzte entbehren
also nach meinem Dafürhalten der Begründung.
Wir, der Gemeinderath, haben häufig ausgesprochene
Wünsche der städtischen Bevölkerung zu berück¬
sichtigen und dem Armen die Freiheit zu gewähren,
sich seinem Wunsche gemäss behandeln zu lassen
und zwar von Aerzten, die nach einer Methode ver¬
fahren, welche sich aufs Beste bewährt hat. Ich
werde also gegen den Vorschlag der Herren Aerzte
stimmen, der auf Beseitigung des Artikels 21, § 2
aus dem Reglement geht.
Bevor ich schliesse, möchte ich mir noch einige
Worte über das Verhalten der Herren Aerzte vom
Armenamt gestatten. Dasselbe ist durchaus inkor¬
rekt und ungeziemend gewesen; denn diese Herren
haben uns das Schauspiel einer höchst charakte¬
ristischen Meuterei geboten dadurch, dass Sie sich
zweimal weigerten, den Sitzungen beizuwohnen, zu
denen man sie ordnungsmässig zusammenberufen
hatte. Sie meine Herren Aerzte, von denen ich
spreche, bilden einen Theil des Personals einer Ver¬
waltung und als solcher sind Sie deren Beamte.
Ihre Pflicht war es also, die Weisungen zu befolgen,
die Ihnen Ihre hierarchischen Chefs gegeben hatten.
Wenn in Verwaltungsangeiegenheiten solche Grund¬
sätze zur Geltung kommen sollten, wie Sie in dieser
Frage gezeigt haben, wohin soll das führen? Ich
will hoffen, dass sich solche Vorgänge niemals
wiederholen werden, oder dass im anderen Falle die
Verwaltung des Armenamtes die Massnahmen treffen
wird, welche die Lage erheischt.
Herr Gits: Meine Herren, ich möchte noch
Einiges auf den Theil der Rede des verehrten
Herrn Desguin erwidern, worin er behauptet hat,
dass in keinem der benachbarten Länder die Homöo¬
pathie in staatlichen Instituten eingeführt sei Das
ist ein Irrthum, denn ich kann Ihnen verschiedene
Beispiele anführen, die das Gegentbeil beweisen.
In Paris ist am 13. Juli 1878 durch einen Erlass
des Präsidenten der französischen Republik das von
der SociötE honiEopathique de France gegründete
Saint Jacques-Hospital als ein Etablissement der
öffentlichen Wohlfahrt (Etablissement d'utilitA pub¬
lique) anerkannt worden. Dieses Dekret ist auf
Grund eines gemeinsamen Beschlusses des Minister-
10
Digitized by
Google
74
ratbes, des Seinepräfekten und des Pariser Stadt-
ratbes erlassen worden; und in der Folge sind
dieser Anstalt die Rechte einer juristischen Person
verliehen worden. Schon im Jahre 1863 ermäch¬
tigten die Administratoren des Krankenhauses zu
Roubaix Herrn Dr. Liagre, einen Arzt an demselben,
der seit 30 Jahren nach allopathischen Grundsätzen
curirte, die in jene Anstalt aufgenommenen Kranken
nach homöopathischer Methode zu behandeln. In
einem amtlichen Berichte aus dem Jahre 1865 macht
Herr Dr. Liagre die mit der neuen Behandlungs¬
weise erzielten ausgezeichneten Resultate bekannt
Er weist nach, dass gegenüber der Behandlung
nach der alten Methode die Sterblichkeit sich um
6°/ 0 verringert habe und schliesst seinen Bericht
mit folgenden Worten: „Weniger Todesfälle, mehr
Heilungen, Abkürzung der Krankheitsdauer, Er¬
sparnisse an Apothekerkosten.“
In Italien ist Turin anzuführen, woselbst die
homöopathische Vereinigung durch einen Erlass
des Königs von Italien vom 24. Januar 1886 die
Eigenschaften einer juristischen Person, sowie einen
Zuschuss von 10 000 Fr. erhalten hat. Dieser Ver¬
ein hat dann in Rom, Venedig, Turin und Mailand
homöopathische Polikliniken gegründet. Es ist da¬
selbst im Jahre 1890 auch ein homöopathisches
Krankenhaus mit Genehmigung des Provinzial-
gesundheitsrathes eröffnet worden.
In Venedig hat ein hochherziger Bürger eine
Summe von 300000 Fr. zur Errichtung eines ho
möopathischen Krankenhauses ausgesetzt. Durch
ein Dekret vom 27. März 1890 bat die italienische
Regierung auch dieser Stiftung die Rechte einer
juristischen Person verliehen.
In Spanien hat ein königliches Dekret die Ein¬
richtung eines Institutes zur Unterweisung in der
Homöopathie, sowie einer damit verbundenen Klinik,
angeordnet. Das Specialkrankenhaus San Jos6 ist
eigens zu diesem Zwecke ins Leben gerufen und
am 2. Februar 1878 in Madrid eröffnet worden.
Das homöopathische Asyl für Geisteskranke zu
Middleton, das im Jahre 1883 errichtet worden ist,
wird auf Kosten des Staates New-York erhalten.
Zu Westborough im Staate Massachusetts ist
im Jahre 1888 eine ganz vom Staate abhängige
Irrenanstalt gegründet worden, in welcher nur die
homöopathische Heilmethode in Anwendung kommt.
Der Staat hat ihr einen jährlichen Zuschuss von
20000 Dollar zugebilligt.
In Pennsylvanien hat die Gesetzgebung soeben
dem homöopathischen Krankenhause zu Pittsburgh
eine Subvention von 50000 Dollar und der homöo¬
pathischen Entbindungsanstalt für arme Frauen zu
Philadelphia eine solche von 20 000 Dollar gewährt.
In Rochester hat die Stadtbehörde im Jahre 1886
entschieden, dass die Hälfte des dortigen Kranken¬
hauses der homöopathischen Behandlung einge¬
räumt werde. In den Staaten Michigan und Jowa
giebt es Staatsuniversitäten; und zwar wurde die
Einführung der Homöopathie als Lehrgegenstandes
an der ersteren im Jahre 1874 und an der letz¬
teren im Jahre 1875 trotz des lebhaften Wider¬
spruches der allopathischen Professoren beschlossen.
Desgleichen giebt es in Michigan ein vom Staate
unterhaltenes homöopathisches Krankenhaus.
Im Staate New-York hat im Jahre 1875 der
Stadtrath zu New-York — in Folge umfangreichen
und lebhaften Petitionirens Seitens der Einwohner¬
schaft — eines der drei grossen Stadtkrankenhäuser,
das 600 Betten umfasst, den homöopathischen
Aerzten zugewiesen. Ein amtlicher Bericht hat con-
statirt, dass in dem homöopathischen Krankenhause
die Sterblichkeit eine geringere ist, als in den an¬
deren.
In Australien und zwar in Melbourne, ist im
Jahre 1882 ein homöopathisches Krankenhaus durch
den Gouverneur des Staates eingeweiht worden.
Der Grund und Boden dazu ist von der Regierung
geschenkt worden, und ausserdem empfängt die
Anstalt Unterstützungen aus dem öffentlichen Fonds
für mildthätige Stiftungen.
Im Jahre 1882 ist an der Universität zu Monte¬
video ein homöopathischer Lehrstuhl errichtet wor¬
den; die Vorlesungen hält Dr. Ramon Val des
Garcia.
Im Jahre 1879 hat der Gouverneur des Staates
Vera Cruz ein von der gesetzgebenden Körperschaft
angeregtes Dekret erlassen, dessen erster Artikel
folgendermassen lautet: „Die homöopathische Fakul¬
tät wird hierdurch vom Staate anerkannt und ge-
niesst seinen Schutz.“
Ich führe alle Daten an, die mir zur Hand
sind, um nicht den geringsten Zweifel an den von
mir erbrachten Beweisen für die officielle Aner¬
kennung und Einführung der Homöopathie auf-
kommen zu lassen.
Diese von mir angezogenen Tbatsachen beweisen
doch wohl zur Genüge, dass die Homöopathie ver¬
schiedentlich — wenn auch nicht gerade sanktionirt
— so doch zum Mindesten öffentlich anerkannt
ist, und dass derjenige in einem Irrthume befangen
ist, welcher glaubt, dass die Homöopathie staat-
licheiseits nirgends Beachtung gefunden habe.
Herr Desguin: Ich habe nur von den benach¬
barten Ländern gesprochen!
Herr Gits (fortfahrend): Aber ich habe doch
soeben Frankreich, Spanien, Italien und Russland
erwähnt.
Was nun Herrn van de Walle anbetrifft, so hat
er die Errichtung einer homöopathischen Poliklinik
bekämpft, weil seiner Meinung nach aus dieser Ein¬
richtung allerlei Uebelstände entspringen würden,
aber er hat nichts dagegen, dass die Homöopathie
durch eine Hinterthür einschlüpft, indem sie ihre
Digitized by Google
Fahne in die Tasche steckt. Dieses Verfahren
leidet an dem grossen Uebel, dass es der Offen¬
herzigkeit und Freimüthigkeit entbehrt, und ich
glaube nicht, dass ein liberaler Gemeinderath dem
seine Zustimmung geben kann. Ein zweiter Uebel-
stand würde der sein, dass es ganz von dem Be¬
lieben der Verwaltung der Spitäler abhängen würde,
ob homöopathische Aerzte ernannt werden oder
nicht; es würde genügen, dass das Armenamt aus
lauter Gegnern dieser Heilmethode bestände, um
das Votum des Gemeinderathes illusorisch zu
machen.
Herr Dr. Desguin: Der Herr Dr. Gits hat
soeben eine lange Reihe von Staaten und Provinzen
aufgezählt, wo man homöopathische Institute er¬
richtet hat, sei es aus Initiative von Privatpersonen,
sei es unter Mitwirkung der Regierung Ich leugne
das nicht, aber ich hole meine Beispiele nicht gern
so weit her. In Amerika giebt man bekanntlich
für 100 Dollars Doctordiplome solchen Leuten, die
überhaupt keine Vorlesung gehört haben. Der Herr
College hat auch angeführt, dass amerikanische
Lebensversicherungen gewisse Vertheile denjenigen
Versicherten bieten, die sich nach homöopathischen
Grundsätzen behandeln lassen. Ich kenne speciell
drei hochangesebene amerikanische Gesellschaften
dieser Gattung, welche ein solches Verfahren über¬
haupt nicht kennen.
Herr Spee beantragt nach einer sehr gewich¬
tigen Rede, worin er gebeten hatte, dass man bei
dieser Frage seine persönliche Vorliebe für eins
der beiden streitigen Systeme nicht in Betracht
ziehen möchte, folgende eine gegenseitige Aus¬
söhnung bezweckende Tagesordnung:
a) In Hinsicht auf die vom 30. September v. J.
datirte Petition der Herren Aerzte, durch welche
sie den Gemeinderath ersuchen, an dem von diesem
in der Sitzung am 21. Juni 1891 angenommenen
Reglement für den Armenörztedienst mehrere Ab¬
änderungen vorzunehmen;
b) angesichts des vom 29. September datirten
Schreibens der Verwaltung des Armenamtes, wel¬
ches die Protocolle der Sitzungen vom 16, 22 und
26. desselben Monats übermittelt;
c) in der Erwägung, dass in Folge der Ver¬
handlungen, welche zwischen den Herren Aerztedele-
girten und dem Armenamt stattgefunden haben, das
letztere — um eine Versöhnung herbeizuführen —
darein gewilligt hat, die meisten der von den Herren
Aerzten aufgestellten Forderungen zu berücksich¬
tigen;
d) in Anbetracht dessen, dass die Herren Ver¬
walter des Armenamtes, wie sie selbst deutlich
genug erklärt haben, mit der Aufstellung des Ar¬
tikels 21, § 2, der da lautet: „Die Verwaltung
des Armenarates setzt die Sprechstunden für die
homöopathischen Armenärzte fest/ 1 keineswegs eine
offizielle Sanktionirung der homöopathischen Heil¬
methode überhaupt beabsichtigt haben, und zwar
ebensowenig, wie ihnen dies bezüglich irgend eines
anderen Heilsystems je in den Sinn gekommen ist;
und in Erwägung dessen, dass weder das Armen¬
amt noch der Gemeinderath zu einem solchen
Schritte kompetent ist;
e) mit Rücksicht darauf, dass das Armenamt
in seiner Eigenschaft als Verwalter des Armen¬
vermögens einzig und allein den Zweck im Auge
hat, den Bedürftigen die Erlaubniss zu gewähren,
freiwillig und kostenlos die Hälfte der homöopa¬
thischen Heilmethode in Anspruch zu nehmen,
deren Existenz und weite Verbreitung eine notorische
Thatsache ist;
f) in der Erwägung, dass unter diesen Um¬
ständen der Artikel 21, § 2 unmöglich die Be¬
deutung hat, die ihm die Herren Patienten bei¬
messen; dass er also nicht die offizielle Anerkennung
eines medizinischen Heilsystems, sondern nur eine
einfache Verwaltungsmassregel darstellt, deren hu¬
manitärer und demokratischer Zweck nicht verkannt
werden kann;
g) in Anbetracht aller dieser Thatsachen nimmt
der Gemeinderath Akt von den Erklärungen der
Herren Verwalter des Armenamts, fordert sie auf,
ihm ein im Sinne dieser Erklärungen abgeändertes
Reglement vorzulegen, und geht damit zur Tages¬
ordnung über.
Herr Gittens. Ich habe in der letzten Sitzung
das Wort ergriffen, obgleich der Gegenstand, der
uns heute beschäftigt, damals nicht zur Besprechung
stand. Einige haben mein Eingreifen stürmisch
gefunden; darüber möchte ich mich heute aus-
sprecheu. Seit mehr als zwei Stunden redet man
hier von nichts als von Aerzten und Heilmethoden,
und ich kann mir nicht denken, dass seit Moliöre
es einen dramatischen Schriftsteller gegeben hat,
der so lange über einer ärztlichen Frage gebrütet
hat. Allerdings machte sich Moliöre mit ausser¬
ordentlichem Witze darüber lustig. Sein Clysterium
donare! kennt jedermann. Die von den Aeskulapen
der damaligen Zeit verordneten Dosen waren freilich
sehr beträchtlich, und als es nicht mehr von
vorn gehen wollte, ihren Patienten den Bauch voll¬
zufüllen, kehrten sie dieselben um und Hessen von
hinten ihr schwerstes Belagerungsgeschütz auf-
fahren und in Aktion treten. Seitdem hat ja, wie
es nicht anders sein konnte, die Wissenschaft
Fortschritte gemacht. Ich bin aber nicht ganz
sicher, ob dennoch die heutigen Aerzte den Pfeilen
des berühmten Dichters entgehen würden. Vielleicht
würde er jetzt die Infinitesimalgaben verspotten.
— Was nun die Armen anbetrifft, so hat man sich
hier bis jetzt sehr wenig mit ihnen beschäftigt.
Ich für meine Person möchte daher über diese
einiges sagen.
10 *
Digitized by
Google
76
Es ist wobl möglich, dass, wenn man sie fragen
würde, ob sie nach allopathischer oder nach ho¬
möopathischer Methode behandelt sein wollen, sie
zur Antwort geben würden: Ich möchte vorziehen
von „beiden“ behandelt zu werden.
In der letzten Sitzung habe ich Ihnen von
einem empörenden Uebelstande erzählt, den ich
selbst im Jahre 1868 zu konstatiren in der Lage
gewesen bin. Ich habe, als ich neulich daran er¬
innerte, das Armenamt dazu beglückwünscht, dass
es endlich Massregeln ergriffen hat, um Missbräuche
auszurotten, die niemals vollkommen verschwinden
wollten, welchen Eifer die Administrationen auch
darauf verwendeten, ihre Aufgabe nach allen Rich¬
tungen hin gewissenhaft zu erfüllen.
Wenn man mir versichert, dass seit 1868 die
Armenärzte ihre Patienten mit aller gewünschten
Sorgfalt untersuchen und behandeln, wenn man
mir den Beweis erbringt, dass die Aerzte keine
Arzneien mehr verordnen, ohne die Kranken ge¬
sehen zu haben, dass seil, jener Zeit die Armen¬
ärzte sieb nicht mehr geweigert haben, die Patienten
in ihren Wohnungen zn besuchen, dann, aber nur
dann werde ich meine der jetzigen Haltung des
Armenamtes ausgesprochene Anerkennung als un¬
gerechtfertigt zurückziehen und in den Massnahmen
desselben nur einen kleinlichen Uebereifer erblicken.
Wir sind aber leider weit von diesem idealen
Zustande entfernt. Zwei oder drei Beispiele werden
genügen, um Ihnen das zu zeigen Ich habe hier
in den Händen ein Verzeichniss der Konsultationen,
sowie der von jedem Arzte darauf verwandten
Zeit und der Zahl der von ihnen untersuchten
Patienten; untersucht ist aber wohl zu viel gesagt,
da ira Mittel auf je einen Patienten kaum eine
Minute Consultationszeit kommt. Ich citire aufs
Gerathewohl, ohne jedoch Namen zu nennen. Man
höre:
Ein Arzt kommt 5 Minuten zu spät; er bleibt
45 Minuten und behandelt 36 Kranke. Am fol¬
genden Tage verspätet er sich um 10 Minuten.
Er bleibt 35 Minuten da und behandelt 16 Kranke.
Tags darauf kommt er 15 Minuten zu früh; nun
wohl! Er hält sich 55 Minuten auf und behandelt
in dieser Zeit 45 Patienten. An dem nun folgenden
Tage trifft er wieder 10 Minuten zu früh ein.
Pas ist noch einer der besten. Er untersucht 11
Kranke in 35 Minuten. Das nächste Mal erscheint
er pünktlich. Aufenthalt 25 Minuten; Zahl der
Patienten 15. Endlich am letzten Tage verspätigt
er sich um 5 Minuten und behandelt 16 Kranke
in 30 Minuten. Dieser Arzt verdient ehrende Er¬
wähnung. An seiner Dienstleistung lässt sich
weiter nichts aussetzen. Der folgende aber kommt
regelmässig eine Stunde und 10 Minuten, eine
Stunde und 5 Minuten, 1 Stunde, 1 Stunde und
10 Minuten zu spät und setzt schliesslich dem
Ganzen die Krone auf mit einer Verspätung von
1 Stunde und 20 Minuten. Er fertigt 19 Kranke
in 30 Minuten, 27 in 30 Minuten, 22 in 35, 28
in 20 und schliesslich 22 in 30 Minuten ab.
Ein anderer, der Tag für Tag um 50 Minuten
zu spät eintrifft, behandelt 28 Kranke in 25
Minuten, und endlich ein anderer bringt es eben¬
falls zu Wege, 27 Kranke in 20 Minuten abzu¬
fertigen. —
Nun, meine Herren, das neue Regulativ schlug
vor, dass zwar die Zahl der Aerzte verringert, da¬
gegen aber das Honorar derjenigen, welche beibe¬
halten würden, um ein Beträchtliches erhöht werden
sollte, jedoch mit der Bestimmung, dass sie dafür
zu einer faktischen Dienstleistung von zwei Stunden
verpflichtet sein sollten. Was den Ein wand an¬
belangt, dass die Armen sich erst im letzten Augen¬
blick zur Consultation einfinden und die dienst¬
habenden Aerzte sich daher tödtlich langweilen
würden, wenn sie auf dieselben warten müssten,
so hat die Erfahrung gelehrt, dass es sich keines¬
wegs so verhält, dass vielmehr die Aerzte, welche
pünktlich zur Consultation erscheinen — ihre Pa¬
tienten vollzählig vorfanden, so dass sie sogar vor
der vorschriftsmässigen Zeit wieder fortgeben
konnten. Diejenigen dagegen, welche regelmässig
zu spät kamen — und wir haben gesehen, dass
das oft mehr als eine Stunde betrug — mussten
die Erfahrung machen, dass es ihre Kranken genau
so wie sie machten, nämlich erst im letzten Augen¬
blick erschienen, was man ihnen nicht verdenken
kann, da der Arme noch weniger Zeit zu verlieren
hat als der Reiche, um zu warten, bis es den
Herren Aerzten beliebt zu erscheinen.
Dies, meine Herren, waren die Zustände im
Laufe des Monats September, wo doch der von
den Aerzten inscenirte Zwischenfall die allgemeine
Aufmerksamkeit weit mehr als früher auf ihre
Thätigkeit richtete, und wo sie doch alle Veran¬
lassung gehabt hätten, ihren Pflichten gewissen¬
hafter nachzukommen, um auf diese Weise die
Grundlosigkeit der Beschwerden zu zeigen, die doch
gerade das Armenamt bewogen hatten, ein neues
Regulativ auszuarbeiten. Sie hätten dies um so
mehr thun müssen, als sie das Vorhandensein irgend
welcher Missstände bestritten.
Ich finde es daher nicht in der Ordnung, dass
die Verwaltung des Armenamtes die Reklamationen
von jener Seite hinsichtlich der Zahl der Armen¬
ärzte als begründet erachtet hat. Das Armenamt
hat meines Dafürhaltens sich bei diesen Verhand¬
lungen von Opportunitätsrücksichten leiten lasseu,
ja man möchte fast sagen, eine gewisse Schwäche
an den Tag gelegt. Ich hätte es lieber gesehen,
wenn man die ursprünglich aufgestellte Zahl von
Aerzten festgehalten, dagegen die Bestimmung ge¬
troffen hätte, dass sie alle den von dem Regulativ
Digitized by v^ooQle
77
vorgeschriebenen Dienst zu leisten haben. Man
bat auch Sparsamkeitsrücksiebten geltend gemacht.
Ich finde diesen Grund in einer solchen Frage, wie
der vorliegenden, völlig unangebracht. Ich halte
jede auf Kosten der Hygiene oder der Gesundheit
gemachte Ersparung für schädlich. Ein wohlge¬
ordneter und gewissenhaft vollzogener Aerztedienst
muss nothwendigerweise zur Folge haben, dass sich
die anderen Ausgaben, welche das Armenamt im
Interesse seiner Pfleglinge zu machen hat, ver¬
ringern. Er kann nicht vollkommen und sorgfältig
genug sein. Und wenn die Aerzte bei ihren For¬
derungen sich diese Grundsätze zur Richtschnur
nehmen, so werde ich sie darin unterstützen. Ich
glaube also, dass es unsere Aufgabe sein muss, an
dem von dem Armenamt erlassenen neuen Regle¬
ment so wie es ist und ohne allen Zusatzantrag
festzuhalten.“
Es erfolgt dann ein Austausch verschiedener
persönlicher Bemerkungen, worauf der Gemeinde¬
rath zur Abstimmung schreitet. Herr Desguin be¬
kämpft die von Herrn Sp&e vorgeschlagene Tages¬
ordnung.
Der Antrag des Herrn Desguin wird mit 24
gegen 5 Stimmen abgelehnt; ein Mitglied enthält
sich der Abstimmung. Dagegen wird die von
Spfce eingebraehte Tagesordnung mit gleicher
Stimmenmehrheit angenommen.
Schluss der Sitzung.
(Furtaetzuug folgt.)
Aus der Praxis.
Vou llr. Hesse-Hamburg.
I.
Die 50jährige Frau M. vom Lande, consul-
tirt mich wegen Kurzathmigkeit und Husten, Be¬
schwerden, die sie seit langer Zeit hat. Dieselben
werden verschlimmert durch Nebel und Ostwind.
Sie muss des Nachts hoch mit dem Kopf liegen.
Sattessen wird nicht vertragen.
Die Patientin erhält am 22. Jan. 1891 Arsen,
x glob. für Abends, Sepia x glob. für Morgens.
19. Febr. Nicht wesentlich gebessert. Die
Verschlimmerung durch Ostwind kann nicht auf¬
recht erhalten werden. (Man kann überhaupt
nicht vorsichtig genug sein mit den Angaben der
Kranken über den Einfluss der Witterungsverbält-
nisse auf ihre Beschwerden. Je länger man in der
Praxis ist, desto genauer und peinlicher wird man
darin. Ganz ausser Acht lassen kann man sie
nicht, da man sich in manchem Falle dadurch
werthvoller Anhaltspunkte berauben würde.)
Sulfur x, Morgens und Abends regelmässig.
2. April finde ich eine bedeutende Besserung
notirt. Fortsetzung der Arznei.
13. Mai. Husten und Kurzathmigkeit ganz
verschwunden; nur noch Kopfschmerz vorhanden,
besonders Nachts und Morgens fühlbar. Kopf
besser ohne Kopfbedeckung; nicht die kleinste
Mütze wird vertragen. Lycop. x, wöchentlich ein
Pulver.
19. Juni. Da von einer besonderen Besserung
keine Rede ist, nehme ich den Fall noch einmal
genauer auf: Klopfender Kopfschmerz, schlimmer
Nachts in den Federn. Der Kopfschmerz treibt
Nachts aus dem Bett. Kopf besser in der freien
kühlen Luft; Steifigkeit im Nacken; Schlaf nur in
Rückenlage, hoch mit dem Kopf; Nasskalter Nebel
schlecht vertragen; die Augen eitern des Morgens.
Auf diese bestimmten Symptome verordne ich
am 19. Juni Sulfur 200. Wöchentlich 1 Pulver.
25. Juli. Befinden wunderschön, wie sich die
Patientin ausdiückt: Kopfschmerz fort, Schlaf und
Appetit gut, Sattessen gut vertragen. Sie kann
Nachts liegen, wie sie will.
Ueberflüssiger Weise gebe icb noch 1 Pulver
Sulfur 200 mit.
6. Jan. 1892. Seit einiger Zeit wieder Be¬
schwerden, ähnlich wie oben mit Husten und Kurz¬
athmigkeit Sulfur x, wöchentlich 1 Pulver.
Verschlimmerung durch nasskalten Nebel,
Rückenlage, niedrig Liegen, Bett wärme, in den
Federn, durch Sattessen, Alles ist nur in Sulfur
vereinigt.
Die erste Verordnung von Ars. und Sepia ge¬
schah in der Eile, ohne besondere Ueberlegung,
allerdings auch ohne die nöthigen Anhaltspunkte.
Der Kopfschmerz ist vielleicht durch das häufige
Wiederholen des Sulfur hinzugekommen, wenigstens
wurde er Anfangs nicht geklagt Lycopod war
die zweite falsche Verordnung; gegeben hatte ich
es, weil es die Verschlimmerung durch Hutdruck
hervorragend hat, ebenso Unerträglichkeit des Satt¬
essens. Aber auch Sulfur hat diese Verschlimme¬
rung durch Hutdruck. Die beste Verordnung
wäre gleich anfangs gewesen Sulfur in der 30.
oder 200. Potenz, wöchentlich 1 Pulver.
II.
Frau J., 28 Jahre alt, blond, hat, trotzdem
die Menses regelmässig eintreten, seit Monaten
die Beschwerden und das Gefühl, als ob sie
schwanger wäre: matt, unlustig; eingenommener
Kopf, besonders gegen Nachmittag und bei der
Handarbeit; sie muss die Haare lösen. Kaffee säuert;
leicht übel. Alle Beschwerden sind im Freien
besser. Verlangen nach Essig und sauersüssen
Sachen; Stuhlgang jeden dritten Tag; Westwind
angenehm, Ostwind bedingt leicht Husten; auf¬
steigende Hitze mit Herzklopfen.
Digitized by v^ooQie
78
16. März 1890. Sepia x, 5 Pulver, Morgens
und Abends 1 Pulver.
31. März. Der Kopf ist frei, die Mattigkeit
fort, der Stuhl täglich, Magen gut. Das Gefühl der
Schwangerschaft ist verschwunden. Doch ist seit
2 Tagen das Befinden nicht mehr so gut. Sepia x,
wöchentlich 1 Pulver.
29. Mai. Alles gut. Wegen der Regel, die zu
früh, zu lange und zu stark eintritt mit Fluor 8
Tage vorher, erhält die Patientin noch Calc. x.
Bei von Boenninghausen steht Sepia mit in
erster Linie bei den Schwangerschaftsbeschwerden
und wird von mir auch bei diesen vielfach mit
Erfolg angewendet.
HI.
B., ein 24jähriger Anstreicher, der aus allo¬
pathischer Behandlung kam, wie überhaupt 90°/ 0
der Patienten, leidet seit 3 Wochen an krampf¬
haften Leibschmerzen mit öfteren dünnen Stühlen.
Die Leibschmerzen bessern sich durch Krummsitzen
und Pressen gegen den Leib, werden schlimmer
nach dem Essen.
25. März 1891. Colocynthis 6., 5 Pulver,
Morgens und Abends 1 Pulver.
17. April. Die Schmerzen verschwanden eine
Stunde nach dem ersten Pulver und sind nicht
wiedergekehrt.
Gegen Kollern im Magen nach dem Essen be¬
kam er noch Bryonia x und Kal. c. x.
IV.
H., ein 49jähriger Mann, hat seit Jahren mit
Durchfall zu thun. Derselbe wiederholt sich alle
paar Tage, kommt gleich nach dem Aufstehen und
nach dem Essen, schlimmer durch Bewegung, besser
im ruhigen Liegen.
21. Dez. 1890. 1 Pulver Bryonia 200.
25. März 1891. Seit 8 Tagen zeigt sich der
Durchfall wieder. Bryonia x 5 Pulver, Morgens
und Abends 1 Pulver.
22. Juni. Seit 8 Tagen schlimmer. Nach der
Verordnung war der Stuhl jedesmal gleich gut ge¬
worden und gut geblieben. 1 Pulver 20J Bryonia.
Seitdem sah ich den Kranken nicht.
V.
B., eine 60jährige Frau vom Lande, hat
seit 2 Jahren Erbrechen nach jeder Speise, klagt
über bitteren Geschmack, ist sehr abgemagert,
stets voll von Blähungen, muss auf dem Rücken
und hoch liegen.
17. Sept. 1889. Lycop. x 5 Pulver, jeden
Abend 1 Pulver.
5. Okt. Erbrechen geheilt, Appetit besser.
Scheinpulver.
Am 3. Mai 1890 wird mir gelegentlich das
völlige Wohlbefinden bestätigt.
Eine kurze Krankengeschichte.
Von Dr. Kunkel-Kiel.
Sch, junger Mann von 17 — 18 Jahren war von
mir an periodisch auftretender Nierenblutung behan¬
delt und geheilt, nachdem er 8 Jahre vergeblich allo¬
pathisch behandelt worden war. Die erfolgreichsten
Mittel waren Kali c. x und phos. x. Seit 3 bis
4 Jahren ist er von seinem Leiden völlig befreit
und kräftig entwickelt. Seine einzige Klage ist
Stuhlverstopfung. Indicationen für eine richtige
Mittelwahl waren nicht vorhanden. Ich tappte
rathlos umher. Er liess sich nur selten sehen, ge¬
brauchte Massage, Electricität, Eisenkugeln in der
Richtung des Dickdarmes rollend. Ich erlaubte
ihm gern jedes Mittel und jeden Versuch. Zuletzt
gab ich ihm Opium 3. c. (Opium x hatte ich früher
in einigen Fällen solcher Art mit Erfolg gebraucht).
Die Folge war, dass die Verstopfung womöglich
noch hartnäckiger wurde. Ich gab Opium 200 x
(Lehrraann). Von Stunde an stellte sich Stuhl und
zwar normaler Stuhl zwei Mal täglich ein. Der Vater
des Genannten verabfolgte ihm die Arznei. Dabei
erlaubte er sich, um auch selbst sich recht über die
Wirkung zu orientiren, folgendes Experiment. Er ver¬
abfolgte dem Sohne ein Paar Tage Zucker statt des
Opium und die Folge war, dass der Stuhl am dritten
Tage wieder hart war, wenn er auch von selbst und
mühelos erfolgte. Er gab dann jeden dritten Tag
Opium 200. Der Stuhl erfolgte dann täglich ein
Mal. Jetzt ist die Darmthätigkeit völlig wieder
normal. Was Opium 3 nicht vermochte, vermochte
Opium 200.
Freilich kann man sagen, die Wiederherstellung
der Darmthätigkeit wäre auch ohne Opium 200
erfolgt, oder man kann sagen, „woher weisst Du
denn, dass hier wirklich die 200. Potenz zur Anwen¬
dung kam ? Die Gewissenhaftigkeit Lehrmanns wurde
zwar 8. Z. allgemein anerkannt, aber man kann
doch nicht wissen.* Ja was kann man nicht?
Man kann sogar die Augen schliessen und in Wahr¬
heit behaupten, dass man nichts sehe.
Es handelt sich aber nicht darum, was man
kann, sondern was man soll, wenn man nicht auf
den Namen eines unbefangenen Naturforschers und
Arztes verzichten will.
Man soll vor allen Dingen seine Theorien aus
den Thatsachen ziehen, nicht umgekehrt, die letzteren
den ersteren anzupassen suchen. Die Naturwissen¬
schaft erkennt kein Axiom an, als etwa dieses: dass
die Gesammtheit der Sinneseindrücke, welche die
in dieser Richtung Forschenden erhalten, den fac-
tischen Verhältnissen entspricht, wobei natürlich
nur gesunde Sinne in Betracht kommen können.
Man sehe sich doch die einzelnen Zweige der Na¬
turwissenschaften an. Wo des „Gedankens Blässe*
keinen Platz findet, sich einzunisten, wie in der
Digitized by v^ooQle
79
Chemie, Physik, Botanik etc., da schreitet die be¬
treffende Wissenschaft in gerader Linie fort.
Und die Medicin? Woher alle die verschie¬
denen Systeme als in Folge einer vorgefassten
Theorie einen Platz einnehmen, der ihr nicht
gebührt? Man missverstehe doch nicht die
Wirkung der massiven Gaben. Eine kleine
Dosis (in materiellem Sinne) vermag nicht, was eine
grosse vermag, z. B. Diarrhoe hervorrufen oder
narkotisiren etc. Es sind ja krank machende
Wirkungen. Unter keinen Umständen dürfen wir
das Axiom aufstellen, dass, was auf den mensch¬
lichen Körper einwirken soll, materiell sein
müsse und dies am wenigsten Angesichts der An¬
zahl von Heilungen vermittelst Hochpotenzen, die
unsere Literatur aufzuweisen hat. Ich habe keine
Lust auf das so oft herangezogene Thema weiter
einzugehen, nur die eine Frage will ich mir er¬
lauben, wie ist es erklärlich, dass die Wirkung
der verschiedenen Potenzen, so weit dieselben noch
Stoff enthalten, eine so wenig verschiedene ist,
während der Gehalt an Stoff so ungeheure
Differenzen zeigt. Man spreche nicht von Ver¬
mehrung der Oberfläche. Die löslichen Substanzen
unterscheiden sich in besagter Richtung nicht von
den unlöslichen.
ln neuester Zeit hat Herr Dr. A. Haupt in
Chemnitz geglaubt, in dieser Frage sein Gewicht
in die Waagschale werfen zu müssen. Die All¬
gemeine homöopathische Zeitung hat Herrn Dr. Haupt
höchst interessante bakteriologische Mittheilungen
zu danken. Allein dies berechtigt ihn doch nicht,
sich auf einem Gebiete breit zu machen, das wir
als unser Eigenthum uns nicht streitig machen
lassen werden. Wer hinlängliche Erfahrungen
über die Wirkung der Hochpotenzen gesammelt hat,
wird mir einräumen, dass etwas mehr als edle
Opposition dazu gebölt, deren Wirkung abzu¬
leugnen.
Fragekasten.
Antwort I. In dem bewussten Falle der An¬
frage des Coli. Goullon in No. 7/8. scheint mir
Causticum das Heilmittel zu sein. v. Bönninghausen
legt mit Recht viel Gewicht auf die Lage im
Schlaf, ferrer die Unbequemlichkeit dieser oder
jener Lage. Wenn in dem vorliegenden Falle die
Lage auf der rechten Seite unbequem, wenn ferner
Ost- und Nordwind unangenehm, endlich ein Mangel
an Ausdauer bei körperlicher Anstrengung bemerk¬
bar (aber auch ohne diese Erscheinungen) so dürfte
mit Sicherheit auf die Heilwirkung von Caust. zu
rechnen sein.
Soweit mir bekannt, hat kein Mittel das Symp¬
tom: * Verschlimmerung bei Bewegung mit sofortiger
Besserung in der Ruhe“ so ausgesprochen als
Causticum.
Kiel, den 27./2. 92. Dr. Kunkel.
Antwort II. Den merkwürdigen Fall von Herrn
Collegen Dr. Goullon, mitgetheilt im Anfragekasten
der No. 7 u. 8 der allg. h. Z. halte ich für einen
Fall von Stenocardia reflectoria, erzeugt durch
Vagusreizung. Ich empfehle dagegeu die allerdings
nicht geprüfte aber ausgezeichnet wirksame Tinctur
von Strophantus bispid. täglich 3x3 Tropfen
auf Zucker zu nehmen. Patient soll mehrere Mal¬
zeiten des Tages halten, sich aber nie ganz satt
essen. Dr. Jul. Fuchs, München.
Briefkasten der Redaction.
Herrn Dr. S. Ihre Anfrage, ob der Aufsatz
zur Abwehr der verleumderischen Verdächtigungen
der homöopathischen Aerzte seitens des Prof. Vircbow
im deutschen Reichstage, an die Reichstagsabge¬
ordneten versandt worden ist, ist zu bejahen, wofür
wir dem Herrn Verleger zum Dank verpflichtet
sind, der sämmtliche Unkosten und die Versendung
der Separatabzüge in bereitwilligster Weise über¬
nommen hatte. Wie sich die Collegen zu dieser
Abwehr gestellt haben, ist mir trotz verschiedener
brieflicher Anfragen an auswärtige Collegen nicht
bekannt geworden.
Ihrer zweiten Anfrage, wie Sie es anzufangen
haben, dass Sie — ohne im Besitz des Dispensir¬
rechtes zu sein und ohne mit dem Gesetz in Con-
flikt zu kommen — Ihre Arzneien selbst abgeben
dmfen, kann ich Ihnen im Sinne einer diesbezüglichen
Discussion in der Novembersitzung des hiesigen
Vereins homöopathischer Aerzte dahin beantworten,
dass sie nicht strafbar sind, wenn Sie die homöo¬
pathischen Medicamente nur in Pulverform kosten¬
los abgeben und eventuell zur grösseren Sicherheit
dem Patienten mittheilen, dass es Milchzucker wäre.
Ist das Mittel richtig gewählt, so wirkt es doch,
und gleichzeitig ist damit jede SuggestionsWirkung
ausgeschlossen. Dr. Haedicke.
Mittlieilnng.
Auf der „Internationalen Ausstellung für das rothe
Kreuz, Armeebedarf, Hygiene, Volksernäbrung und
Kochkunst in Leipzig“, vom 4. bis 12. Februar 1892,
erhielten unser „Verbesserter homöopath. Gesund¬
heits-Kaffee und Malz Gesundheits-Kaffe“, ausgestellt
von unseren Fabrikanten ,Dresdner- Actien-Cichorien-
und Kaffeesurrogat-Fabrik“ die Silberne Medaille.
Näheres in den Inseraten.
Leipzig, Täschner & Co.
Homöopath. Centralapotheke.
Digitized by v^ooQle
80
ANZEIGEN.
Die Herren Aerzte machen wir angelegentlichst auf unseren vorzüglichen
Verbesserten Homöopathischen Gesundheitskaffee
aufmerksam. Derselbe ist hinsichtlich seiner Zusammensetzung und Qualität, sowie seines ausgezeichneten,
angenehmen und kräftigen, dem Bohnenkaffee wirklich ähnlichen Geschmackes wegeH allen anderen
homöopath. Gesundheits-Kaffee-Präparaten vorzuziehen.
Vt Pfd. kostet 30 Pf., 1/2 p fd. 15 Pf., Vs Pfd - 10 Pf *
Auf Wunsch wird jedem Packete ein Blechraaass zum Abmessen gratis beigegeben.
In gleicher Weise empfehlen wir unseren
Verbesserten Homöopathischen Malz-Gesundheitskaffee,
das Beste und Vollkommenste, das bisher auf dem Gebiete der Kaffeesurrogate geleistet worden ist. In
Geruch und Geschmack dem Bohnenkaffee völlig gleich, ist derselbe in Folge seines verhältnissmässig
hohen Proteingehaltes ein sehr nahrhaftes Getränk und der beste Ersatz für den theuren Bohnen¬
kaffee, nicht nur für Kranke, sondern auch für Gesunde.
V, Pfd. 60 Pf., Va Pfd * 30 Pf.
Wiederverkäufe»* bekommen auf beide Sorten angemessenen Rabatt.
Homöopathische Centralapotheke
vod Täschner & Co. in Leipzig.
Homöopathische Arzneitabletten.
Neueste und praktischste Form zum ganz gleich-
mässigen Abtheilen bestimmter Quantitäten Arzneien
als Einzelgaben —; zerdrücken sich nicht leicht mit
der Hand, lösen sich aber sehr leicht auf der Zunge
auf; bequemste Form zum Gebrauch der Arzneien
auf Reisen nnd für die selbstdispensirenden Herren
Aerzte zum Versenden in Briefen und zur Abgabe
an Patienten, die noch an allopathische Arzneiformen
gewöhnt sind. Dieselben können jetzt von jedem
Mittel nnd in jeder Potenz sofort in jedem ge¬
wünschten, grösseren oder kleineren Quantum ange¬
fertigt nnd geliefert werden. Mit Ausnahme einiger
theurer Mittel kosten 12 Stück in Cylinder 20 Pf.,
80 Stück in Schachtel 75 Pf., grössere Mengen
noch billiger.
Im Verlage von Dr. Willmar Schwabe in
Leipzig erschien soeben der
A. Marggraf s Homöopath. Offlein
in Leipzig.
Homöopath. Arzt
ev. Conf., gesucht in einem Landbezirk d. Kreises
Bielefeld. Meldungen zu richten unter A. O. $ an
die Exped. d. Bl.
Nähere Auskunft wird gern ertheilk
Txl» Krankenheil bei München. Höhenliiftknrort
" mit jodhalt. Quelle*. Jndicat Frauenkrank¬
heiten, Scrophulose, chron. Hautleiden, Lues. — Auskunft
d. Dr. Letael (im Winter in München, im Sommer in Tölz).
PBDD8,
anerkanntes und vorzüglich bewährtes
Bandwurmmittel.
Panna, die Wurzel von Aspidium atharaanticum,
direct von Natal in bester und frischester Qualität
importirt, erfreut sich schon seit Jahren der aus¬
gedehntesten Anwendung und Anerkennung von
Seiten renommirtester praktischer Aerzte Deutsch¬
lands nnd des Auslandes, zeichnet sich durch seine
sichere und milde Wirkung aus, nimmt sich leicht
ein und ist das billigste aller wirklich zuverlässigen
Band wurm mittel.
Preis einer Dosis für eine Kur (für Erwachsene
oder Kinder) Rmk. 2. —
A. MarggraFs homöopath. Offlein, Leipzig.
Prima entölten homöopath. Cacao.
Feinste homöopath. Gesutidheits-
Chokolade.
Bei homöopathischen Garen ausser dem homöo¬
pathischen Gesundheitskaffee als Getränke gestattet,
empfehlen wir in reinsten und besten Qualitäten
und in eigener Packung billigst:
Entölten Cacao in Blechbüchsen
4 1 Pfd. 4 V 2 PW- 4 i/ 4 Pfd.
4 2.80 4 1.50 4 —.80Mk
Gcsundheits-Chokolade 4 Pfd. = 2 Maik,
in */ 4 Pfd.-Tafeln 4 50 Pf.,
Unsere Präparate sind von reinstem Geschmack,
bestem Arom, höchstem Nährwertbe und leichtester
Verdaulichkeit.
Homöopath. Centralapotheke
von Täschner & Co. in Leipzig.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrun-Stuttgart, Dr. StifTt-Leipzig und Dr. Haedlcke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf« homöopath. Officin) in Leipzig.
Drnnlr »a« Ahmmw £ OiikMam
Band 124. l.iki», *• n. nw»»*. No.11o.12.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRÜM-STÜTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homdopath. Offlein) ln Leipzig.
Snohtlni 14tlflg in 1 Bogen, lt Doppelnnmmern bilden einen Bend. Prell 10 M. §0 Pf. (Haibjebr). Alle Buohhnndlongen und
PoeinnsUlten nehmen Bei teil nngen in. — Inserate , welohe in JEL UOIOO In Leipilff nnd denen Piliilen in riohten lind,
werden mit «0 Pf. pro elnmil geipiltene Potitieile nnd deren Binm bereohnet. — Belligen werden mit IS IT. bereobnet.
Inhalt: Einladung. — Die Potenzlrang. Von Professor Dr. G. Jager-Stuttgart. — Dauernde Hellaagen. Von —
Dr. Lorbacher-Leipzig (Forts, u. Schluss). — Da» Verordnen bonrfopath. Arzneien In Spelee nnd Trank. Von Dr.
Gallavardin-Lyon. — Gerreepondenz. Von Dr. Lembke-Riga.— Zmn Tnberaalln. — Epldemlolegleebe Enke. — Frege-
kaeten. — Aae der Zeitengsmappe. — Nekreleg. — Anzeigen.
Einladung.
Zu der am Sonntag den 10. April Abends 7 Uhr im Theaterrestaurant stattfindenden Feier
von Samuel Habnemann's Geburtstage werden die auswärtigen Collegen nnd Freunde der Homöopathie
hierdurch freundlichst eingeladen. Wir bitten bis zum 8. April an den Unterzeichneten die Theilnahme
vorher anzeigen zu wollen, um die Zahl der Converte feststellen zu können.
Der Verein homöopathischer Aerste in Leipzig.
L A. Dr. med. Haedtake, Buigstr. 2.
Die Potenzlrang.
Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaegor-
Stuttgart.
/. Vorbemerkung .
Wie die Leser wissen, habe ich anf Einladung
der Redaction zugesagt, mich mit diesem Gegen¬
stand, den ich bereits in drei Veröffentlichungen
behandelt habe, nochmals zu befassen und den Lesern
dieser Zeitschrift darüber zn berichten.
Ursprünglich hatte ich die Absicht, dies in der
Weise zu thun, dass ich die Arbeit in Abschnitte
zerlege und jeden Abschnitt veröffentliche, sobald
ich mit demselben fertig bin. Nun ist es bei einer
grösseren Arbeit in der Regel so, dass der Punkt,
an welchem der Autor sie beginnt, nicht immer
auch der Punkt ist, an welchem der Leser die
Sache am leichtesten anfasst; dies ist besonders
dann der Fall, wenn nicht beide Theile auf dem
gleichen Boden stehen und das trifft hier zu und
zwar so:
Wie die Leser meiner ersten Veröffentlichung,
„die Neuralanalyse der homöopatisehen Ver¬
dünnungen* Leipzig 1881 (auch enthalten in
„Entdeckung der Seele* III. Auflage, Bd. 2), wissen,
veranlasste mich ein einfaches practisches Be¬
dürfnis s, mich mit der Potenzirung zu befassen.
Ich hatte eine physiologische Prüfungsmethode, die
„Neuralanalyse* entdeckt und es galt, zu be¬
stimmen, wie weit ihre Spürkraft reiche; hierbei
kam ich unversehens in die homöopathischen
Verdünnungen hinein, um die ich mich bislang
nicht im Mindesten gekümmert und die ich still¬
schweigend so wie alle anderen Männer der Schule
für „Nichtse* gehalten hatte. Für mich war nun
ausserordentlich belehrend 1) dass diese keine Nichtse
sind, sondern dass in der That, wie Hahnemann
vollständig richtig erkannt hat, die Verdünnung
nioht eine Abschwächung der Wirksamkeit, sondern
eine Vermehrung derselben, also eine wirkliche
Potenzirung ist, 2) dass die Neuralanalyse eine
Prüfungsmethode von fast unglaublicher Trag¬
weite ist.
Da ich annahm, es werde die Anhänger und
Vertreter der von der Schule eben hauptsächlich
11
Digitized by
Google
88
wegen des Verdünnungsverfabrens verspotteten und
verachteten Homöopathie interessiren, dass es eine
exaote Methode gebe, die Potenzirangslehre wissen¬
schaftlich zu beweisen, so habe ich die Sache so
veröffentlicht, wie ich und drei meiner damaligen
Schüler sie gemacht und gefunden haben.
Die homöopathische Literatur nahm die Ver¬
öffentlichung dankbar auf und begrüsste mich als
Bundesgenossen im Kampf gegen die allopathische
Schule. Damit kam zunächst ich in eine besimmte
Richtung hinein', nämlich die polemische nach
Aussen: Ich schleuderte die von mir gefundenen
Thatsachen in verschiedenen kleinen Veröffentlich¬
ungen den Gegnern der Homöopathie an die Köpfe
und zwar sassen einige dieser Würfe sehr gut, aber
— ich sah bald, dass es den Anhängern der Homöo¬
pathie nicht um einen frisch fröhlichen Angriffskrieg
gegen die Allopathie zu thun war, und so stellte
ich die Sache kalt.
Die Kehrseite ist aber folgende: Ueber der Freude,
ein Kampf- oder wenigstens Vertheidigungsmittel
nach Aussen zu haben, vergass man seitens der
Homöopathie ganz, die Consequenz meiner Freude
intra muros zu ziehen. Hier handelte es sich
um zweierlei:
a) die von mir veröffentlichten Thatsachen
sprachen mit der stärksten Logik, die es giebt,
nämlich der der Zahl, für die Anwendung der
Hochpotenzen und gegen den Gebrauch der
niederen Potenzen. Dies hatte zur Folge, dass
die Schrift eine ungetheilte Anerkennung nur bei
den „Hocbpotenzlern“ fand, während die Anhänger
der niederen Potenzen es machten, wie alle gelehr¬
ten Leute: statt sich belehren zu lassen und die
practische Consequenz meiner Schrift zu ziehen,
suchten sie sich um die Sache herumzureden und
blieben, was sie waren.
b) Meine Schrift zeigte, dass es ein Verfahren
zur ziffermässigen Messung der Potenzirungshöhe
giebt, beziehungsweise, dass die von mir erfundene
Neuralanalyse die Handhabe biete, zur Aufstellung
des Verfahrens, mittelst dessen man in der Praxis
vor einen homöopathischen Arzneikolben gestellt,
ziffermässig bestimmen könne, ob sein Gehalt wenig¬
stens annähernd diejenige Potenzirung erfahren, die
verordnet oder darauf geschrieben worden ist. Auch
diese Consequenz wurde nicht gezogen, und so
schieden sich unsere Wege, d. h. die meinen und
die der Homöopathen, und damit bin ich an dem
Kernpunkt dessen angelangt, was ich sagen will.
Nachdem ich mich — gerade bei Ausführung
der Arbeit „die Neuralanalyse der homöopathischen
Verdünnungen*—von der „practischen* Bedeutung
der Neuralanalyse überzeugt hatte, schritt ich zur
practischen Fortentwicklung der Anwen¬
dung der Methode auf meinem Gebiet, dem
der Hygiene und zwar im Gegensatz zu den Ver¬
tretern der Homöopathie , welche der von mir er¬
haltenen Anregung nicht folgten und die Neural¬
analyse für ihr Gebiet nicht practisch aus¬
bildeten. Ich sage das nicht, um einen Tadel
auszusprechen, sondern nur um eine unbestreitbare
Thatsache festzustellen. Ich weiss nämlich sehr
gut, dass es einem im Kampf ums Dasein stehen¬
den practischen Arzt sehr schwer wird, mühselige
Untersuchungen anzustellen, Untersuchungen, die
Zeit, Geld und Muse erfordern.
Bei mir lag die Sache anders: Meine practische
Thätigkeit lag auf dem Gebiet der Hygiene und
nicht dem der Therapie, und den Unterschied
zwischen diesen zwei Gebieten muss man sich zu¬
erst klar machen, wenn man den Unterschied im
Standpunkt zwischen mir und den Vertretern der
Homöopathie begreifen will.
Die Therapie, die Heilkunst ist bis zu dem
Tage, an dem der Reichstag die innere Me di ein
freigab, de jure und bis heute noch de facto keine
freie Kunst, sondern eine scholastisch und
bureaukratisch gebundene, besser gesagt unter¬
bundene, auf welcher es von Dogmen, Schul¬
meinungen, Vorurtheilen, Rücksichten, Ansichten,
althergebrachten Regeln, Practiken, Verordnungen,
Gesetzen, Verboten nur so wimmelt, so dass keiner
auch nur Einen freien Schritt machen darf, ohne
Gefahr zu laufen, einen anderen auf die Hühner¬
augen zu treten, ja sogar mit den Behörden in
Conflikt zu kommen. Das Gesagte weiss ich nicht
bloss als Beobachter von aussen, sondern es stammt
aus meinen eigenen Erfahrungen auf diesem Boden,
als ich mit dem „Anthropin* denselben betrat, und
das gleiche scheint sich bei der von mir empfohlenen
„Autoisopathie* vollziehen zu wollen. Klar ist dess-
halb zweierlei: 1) für den, der draussen steht, wird,
wenn er sich einmal die Finger verbrannt hat, die
Lust zum Eingreifen sehr herabgestimmt, 2) für
den Unglücklichen, der ganz auf diesem heissen
Boden steht, und der sich begreiflicherweise die
Finger noch leichter verbrennt, ist natürlich Lust
und Möglichkeit, irgendwo eine Aenderung herbei¬
zuführen, so ziemlich gleich Null und das Resultat
ist: es bleibt alles beim Alten.
Hier tritt sogar ein Unterschied zwischen Ho¬
möopathie und Allopathie zu Tage, der bewirkt,
dass es auf dem Gebiet der Homöopathie noch viel
schwerer ist, irgend etwas an ihrem historisch ge¬
wordenen Zustand zu ändern, als auf dem allo¬
pathischen Boden und darüber muss sich der, wel¬
cher versucht, auf dem Gebiet der Homöopathie
irgend etwas von der Stelle zu rücken, vollständig
klar sein.
Die Allopathie hat zwei „Enfants terribles*,
welche sie nicht zur Ruhe kommen lassen, sondern
sie sogar geradezu in eine systematische Neuerungs¬
sucht hineintrieben: das Gift und das Messer.
Digitized by v^ooQie
88
Die Furcht, die beide, Arzt und Patient, vor jenen
beiden haben, das offenbare Unheil, das beide an-
richten, lässt keinen Conservatismus aufkommen.
So hat gerade die Neuzeit auf dem Gebiet der Allo¬
pathie ein fieberhaftes Hasten nach Neuem erzeugt,
und der Kochinspectakel ist das grossartigste der¬
artige Schauspiel in der allopathischen Welt ge¬
wesen, wo alle, Arzt und Patient, angesichts einer
«Novität 8 (was sie erst nicht einmal war) vollständig
den Kopf verloren.
Im Vergleich hierzu lebt die Homöopathie
im tiefsten Frieden, und zwar Arzt und Patient;
denn selbst wenn letzterer nicht geheilt wird, resp.
der homöopathische Arzt keine besseren Erfolge
hat, als sein allopathischer College: er und seine
Clienten sind zufrieden, es giebt kein Gift und kein
Messer, die Qual der Mittel wähl ist an sich eine
kleine und dann empfindet sie mehr nur der eine
Theil. Sieht nun der homöopathische Arzt ausser¬
dem, wie sein allopathischer College in fieberhafter
Unruhe, gehezt von Gift und Messer, von einem
Sumpf in den andern plumpst, so wird er dadurch
nur noch mehr in seinem Conservatismus bestärkt,
er erhebt diesen Standpunkt zum Bang eines tugend¬
haften Principe8 und trieft jetzt förmlich von Zu¬
friedenheit und Ergebenheit, so dass es fast un¬
möglich wird, hier irgendwo etwas zu bessern.
Vergleichen wir damit die Hygiene. Diese
ist und bleibt eine freie Kunst und daran werden
auch die erst seit etwa 2 Jahrzehnten errichteten
hygienischen Lehrstühle der Hochschule hoffent¬
lich nichts mehr zu ändern vermögen. Eine hygie¬
nische Scholastik giebt es nioht; ja weil die medi-
cinische Scholastik dies Gebiet bis vor etwa 20
Jahren vollständig brach liegen liess und das scho¬
lastisch-büreaukratisch gegängelte Publikum natür¬
lich bis dahin sich ebenfalls um die Hygiene gar
nicht bekümmerte, so ist der, welcher sich auf
diesem Gebiet bewegt, Freiherr und sein einziger
Führer ist der practische Erfolg. Es spucken
zwar auch hier gewisse Dogmen, althergebrachte
Gebräuche und Missbräuche, Sitten und dergleichen
und an Dornen fehlt es nicht, allein man steht
keiner geschlossenen, scholastisch organisirten, com-
pakten Macht, wie es auf dem Gebiet der Therapie
die Schulmedicin ist, gegenüber und bewegt sich
auf einem Boden, wo nicht Examen, Titel und Rang,
sondern einzig der Erfolg entscheidet.
Das war nun der Boden, auf welchem ich meine
Neuralanalyse fortentwickelte. Was meine Schrift
«die Neuralanalyse der homöopathischen Verdünn¬
ungen 8 schildert, war ein Verfahren, das sehr ge¬
eignet ist, eine wissenschaftliche Frage zu stellen
und zu beantworten, aber in der Praxis unbrauch¬
bar ist.
In erster Linie war der damalige Apparat, das
Hipp’sche Chronoskop, unpractiscb. weil schwer¬
fällig, und ich ersetzte ihn durch das Tasche n-
chronoskop, das schon in seiner ersten Ausführung
die grössten Vortheile gegenüber dem Hipp’schen
Chronoskop lieferte und jetzt in seiner zweiten Form
allen Anforderungen der Praxis entspricht.
Mit diesem Instrument trat ich an die prac-
tischen Aufgaben der Hygiene auf dem Gebiet nicht
nur der Kleidung, sondern auch auf dem Gebiet der
Nahrungs- u. Genussmittel und sonstiger Gebrauchs¬
gegenstände heran und überblicke jetzt eine etwa
zehnjährige Praxis, d. h. eine Thätigkeit, welche
ein fortgesetztes Zusammenarbeiten von mir, dem
Nenralanalytiker mit Männern der Praxis, Fachleuten
auf ihrem Gebiet, denen man kein X für ein U
machen kann, in sich scbliesst. In dieser zehnjährigen
Praxis habe ich meine Methode entwickelt,* den prac-
tischen Bedürfnissen und der Natur der Gegenstände
angepasst, die Bedingungen kennen gelernt, unter
welchen man sichere Resultate bekommt, kurz
ich bin, wie man sagt, hier «durch 8 und die mit
mir arbeitenden Practiker haben sich meiner Neural¬
analyse, allerdings nicht ohne Kampf, unterworfen,
da sie stets das richtige traf und mich nie im Stich
liess. Hier auf diesem Boden ist die Sache fertig,
da ist nichts zu probiren, sondern nur einfach zu
practiciren nach klaren Vorschriften.
Nun muss noch die Verschiedenheit der Ob¬
jecte kurz erwähnt werden.
In meiner neuralanalytischen Praxis handelt es
sich einmal um Prüfung der Reinheit der Objecte,
um Bestimmung des Feinheitsgrades, z. B. bei
Spirituosen, Tabaken, Cigarren, Conserven, Unter¬
scheidung von Gut und Schlecht bei Metallen,
Papieren, Emballagen u. s. f. Also um Objecte,
welche sich von den homöopathischen Arzneien
namentlich dahurch unterscheiden, dass es sich zwar
auch um Finessen, allein doch verbältnissmässig um
Massen handelt, die nicht ein Hauch zu vernichten
vermag. Mit homöopathischen Arzneien habe ich
mich seit den in der «Neuralanalyse“ veröffent¬
lichten Untersuchungen mit einigen Ausnahmen,
neuralanalytisch lange nicht befasst, namentlich nicht
in practischer Richtung, da ich weder homöopath.
Arzt, noch homöopath. Apotheker bin.
So lag die Sache, als die Aufforderung der
Redaction an mich herantrat. Ich bin derselben
sofort nacbgekommen und arbeite jetzt seit Mitte
November, so dass zwei Untersuchungsreihen ab¬
geschlossen und druckreif sind, eine sogar schon
einige Zeit in der Druckerei verweilt.
Zunächst ergaben sie, wie nicht anders zu er¬
warten, eine Bestätigung des Befundes vor 10 Jahren:
die Verdünnung ist wirklich eine Potenzirung und
je höher die Potenz, desto höher die Belebungskraft
des Stoffes. Weiter bieten die fertigen Unter¬
suchungen eine wesentliche Erweiterung nach fünf
Richtungen:
li*
Digitized by
Google
84
1) Früher wurde nur inhalatorisch geprüft, jetzt
ist von Einem Stoff eine Potenzreibe der Schluck¬
methode unterworfen, d. h. immer ein Tropfen ver¬
schluckt und während 7—14 Minuten die Nerven-
zeit fortgesetzt geprüft worden.
2) Während das erste Mal nur 4 möglichst weit
auseinander liegende Arzneistoffe (Gold, Kochsalz,
Aconit und Thuja) geprüft wurden, wurden dies¬
mal 17 nahe verwandte Stoffe durch geprüft.
3) Während das erste Mal die unteren Potenzen
kurz abgemacht und nur die höheren in grossen
Abständen untersucht wurden, legte ich diesmal
den Schwerpunkt der Untersuchung gerade auf die
niederen Potenzen und die Aufsuchung des In¬
differenzpunktes. Das hat den Vortheil, dass
man sich hier auf dem von andrer Seite her be¬
kannten Gebiet der Giftwirkungen bewegt und so
die Methode durch die Erfahrungen der Toxicologie
controlirt wird.
4) Ergab sich das sehr interessante und auch
praktisch wichtige Resultat, dass es Stoffe giebt,
die das Potenziren nicht ertragen, die sich, auf
einer gewissen Höhe angelangt, zersetzen, ähnlich
wie es Stoffe giebt, welche eine zu hohe Erwärmung
nicht ertragen.
5) Ergab sich, dass man im Stande ist auch
ohne Chronoskop durch Beobachtung anderweitiger
physiologischer Erscheinungen nicht nur von der
Richtigkeit des Potenzirungsprincips sich zu über¬
zeugen, sondern sogar bis zu einem gewissen Be¬
trag den Potenzirungsgrad zu erkennen.
Der Leser wird zugeben, dass das erhebliche
Erweiterungen sind und begreifen, dass ich meine
Veröffentlichung mit der Bekanntgebung dieser Re¬
sultate beginnen und den Leser sofort in mediam
rem führen wollte. Das Manuscript war bereits in
der Druckerei als ich mich eines andern besann
und zwar deshalb:
Ich habe bei meinen diesmaligen Prüfungen auf
inhalatorichem Wege genau den gleichen wissen¬
schaftlichen Gang eingeschlagen wie das erste
Mal, nämlich jede Potenz für sich gesondert
untersucht, da ich mir sofort sagte, dass es sehr
schwierig sein werde, verschiedene Potenzen des
gleichen Stoffes neben bezw. unmittelbar nach
einander zu untersuchen, dagegen überzeugte ich
mich, dass es stets gut geht, die gleiche Potenz
verschiedener Stoffe unmittelbar nach einander
zu untersuchen und zu vergleichen, diese beein¬
flussen sich gegenseitig sehr wenig.
Als ich im hiesigen Verein homöopathischer
Aerzte über meine Funde kurze Mittheilung machte,
wurde ich sofort vor die praktische Seite der
Sache gestellt mit der Frage:
„Können Sie uns bei der nächsten Zusammen¬
kunft, wenn ein paar Kölbchen mit Weingeist und
verschiedenen Potenzen des gleichen Stoffes, deren
Inhalt Ihnen nicht bekannt ist, mitgebracht werden,
die verschiedenen Potenzen mit Ihrer Methode er¬
kennen?* Ich erklärte sofort, dass nach dem Nacht¬
essen in meinem Kneiplocal, wo getrunken und ge¬
raucht wird, mehrere Personen anwesend sind und
diese durch ihre gespannte Aufmerksamkeit noch
den Messenden suggestiv beeinflussen, die Beding¬
ungen für die Neuralanalyse so ungünstig wie mög¬
lich seien, wozu noch komme, dass sich verschie¬
dene Potenzen des gleichen Stoffes auch unter
günstigen Bedingungen nicht gut mit einander ver¬
gleichen lassen. Trotzdem erklärte ich mich zu
einem Versuch bereit, da es mich am Ende selbst
interessiren müsse, ob etwas und was dabei her¬
aus komme.
Ehe ich diesen Versuch ausführte, wurde ich
von anderer Seite vor die gleiche Aufgabe gestellt,
ich erhielt 4 Fläschchen, deren eines Weingeist
enthält, während die 8 andern 3 verschiedene Po¬
tenzen des gleichen Stoffes enthielten, aber ohne dass
mir deren Inhalt angegeben war. Ein Versuch, den
ich zu Hause unter den gleichen Bedingungen, wie
ich sonst messe, machte, misslang, wie ich das von
Hause aus vermuthete: verschiedene * Potenzen des
gleichen Stoffes kann man zu gleicher Zeit nicht
vergleichen. Das gleiche Resultat gab der spätere
Versuch im Verein. Endlich traf von meinem Sohne
Dr. M. Jäger, homöopathischem Arzt in Hall, den
ich zu einer Messung aufgefordert, ein Messungs-
protocoll ein, er hatte gerade so wie in den anderen
Fällen verschiedene Potenzen des gleichen Stoffes
(30, 100, 200 und 1000 Potenz sowie 2 0/ 0 Lösung
von Arseniksalz) hinter einander, d. h. mit je 5 Mi¬
nuten Pause gemessen, ohne zu wissen was er mass,
und dabei jedesmal lange Zifferreihen (20—22 De¬
kaden) gebildet, dabei freilich den grossen Fehler ge¬
macht, dass er eine ganze Minute lang inhalirte,
ehe er mit der Messung begann, so dass ihm die
wichtigsten Veränderungen entgehen mussten.
Verglich man nun in der Weise, wie ich das
sonst thue, eine Ruheziffer mit einer einzigen aus
allen 20 Dekaden gebildeten mittleren Arzneiziffer,
so war das Resultat vollständig confus. Als ich
aber die 20 Dekaden in 5 Mittelwerthe aus je
4 Dekaden zerlegt und die Maximaldifferenzen
der Dekadenziffem in Ruhe- und Arzneiwirkung
bestimmt, ergab sich, dass aus den 3 ersten
Messungen doch das Richtige herausgelesen werden
konnte und erst die zwei letzten für die Diagnose
unbrauchbar waren, weil Sättigung mit dem Stoff,
Abstumpfung und Ermüdung die znm Messen nöthige
Disposition total zerstört hatten, was schon auf den
ersten Blick die Ruheziffern zeigten.
Erst jetzt sah ich mir auch die Einzelnziffern
an, die ich bei meinem Versuch im Verein gewonnen
hatte: Es waren je 4 Dekadenziffern, während Ruhe
und Arzneiathmnng gemessen und zu je einer Mittel-
Digitized by v^ooQle
85
Ziffer vereinigt worden. Während nun die Mittel -
Ziffern eine falsche Diagnose gaben, ergab die
Betrachtung der einzelnen Ziffern, dass bei den
zwei ersten Kölbchen das Resultat richtig ge¬
worden wäre, wenn ich noch 4 weitere Dekaden
gemessen und die 4 ersten ignorirt hätte — in dem
mit Essen, Bier, Rauch und Menschenduft im-
prägnirten Nervensystem konnte die Wirkung nicht
so rasch durchschlagen, als wenn man nüchtern und
allein ist. Auch die dritte Messung, die nicht ganz
unrichtig war, wäre bei Fortsetzung der Messung
vielleicht richtig ausgefallen und erste die 4. war
und blieb auch bei Betrachtung der Einzelziffern
unbrauchbar.
Aus diesen Erfahrungen zog ich zunächst folgen¬
den Schluss:
Es ist leicht, mittelst Neuralanalyse die wissen¬
schaftliche Seite der Potenzirung zu prüfen und
merkwürdig genaue Ergebnisse zu erhalten, allein
in praxi stellen sich der Anwendung der Methode
Schwierigkeiten gegenüber. Diese liegen theils in
der Natur des Objectes: bei Hochpotenzen handelt
es sich um Finessen, die weit über das hinausgehen,
was ich in meiner hygienischen Praxis zu bestimmen
habe und die desshalb noch andere Vorsichtsmass-
regeln nöthig machen, als die, welche ich in meiner
bisherigen Praxis befolge. Die andern Schwierig¬
keiten liegen im Subjekt: es ist zehn gegen eins
zu wetten, dass jeder Practiker die gleiche Anfor¬
derung an die Methode stellt, wie sie mir zwei
Mal gestellt wurde und wie sie mein Sohn bei
seinem eigenen Versuch stellte: „kann ich mit der
Methode verschiedene Potenzen des gleichen
Stoffes unterscheiden, d. h. prompt unterscheiden?*
Das ist eine Frage, die sich ohne eingehende Unter¬
suchung, d. h. ohne eine ganze Serie variirender
Messungen nicht entscheiden lässt, d. h. ich glaube,
dass man es fertig bringt, wenn man nicht zu viel
auf einmal verlangt, aber es muss eben festgestellt
werden, was man tbun und was man lassen muss
und wie man die Ziffern zu nehmen hat.
Ich erinnere den Leser nur an folgendes:
Hahnemann hat genaue Vorschriften gemacht, was
man beim Gebrauch homöopathischer Arzneien zu
thun und zu lassen habe: 1) die Arznei nüchtern
nehmen, das gilt für die Neuralanalyse ganz genau
auch, 2) bei voller Gemüthsruhe es zu thun, die
gleiche Forderung stellt die Neuralanalyse, 3) er
verbietet den Gebrauch von zahlreichen Stoffen,
z. B. von Caffee, Thee, Parfümen, Campher. Wenn
Hahnemann, woran ich nicht zweifle, Recht hat
(vom Campher weiss ich es gewiss), dann hat man
auch bei der neuralanalytischen Prüfung der Arz¬
neien die gleichen Verbote zu beachten, denn die
Einflüsse, welche die therapeutische Wirkung
der verdünnten Arzneistoffe aufheben, schwächen
oder vernichten auch die physiologische Wir¬
kung derselben, also das, was die Neuralanalyse in
Ziffern bringen soll, das kann sie natürlich nicht,
wenn nichts im Körper passirt.
Jetzt komme ich zu dem anfangs Gesagten
zurück: Ich habe die Arbeit am gleichen Ende an-
gefasst wie 1881, der Leser wird sie — zehn gegen
eins — am practisehen Ende anfassen wollen
und das geht nicht, weil ihr dieser Stil noch
nicht gedreht ist.
Ich bin somit vor eine schwierige Alternative
gestellt:
Uebergebe ich die zwei Prüfungsreihen der
Oeffentlichkeit, so riskire ich, dass die Sache ge¬
rade von denjenigen Lesern, welche ich mir wünsche,
nämlich denen, welche Versuch gegen Versuch und
nicht Stilübung gegen Versuch stellen, falsch an¬
gefasst und damit discreditirt wird.
Die andere Alternative ist die, dass ich die
Veröffentlichung verschiebe, bis der Sache der prac-
tische Stil gedreht und die Methode auf die Praxis
zugeschnitten ist.
Sachlich ist das letztere entschieden das rich¬
tigste, aber das heisst eine Vertagung der Veröffent¬
lichung um mindestens ein halbes Jahr.
„Warum?* Sehr einfach: Ich arbeite jetzt —
heute ist der erste März — seit 3 ! /2 Monaten
unter Vernachlässigung meiner eigenen Arbeiten an
der Sache. Während ich ursprünglich diesen Winter
nur eine Messungsreihe durchführen wollte, habe
ich jetzt bereits zwei durebgeführt und soll nun
eine dritte machen? Dazu habe ich weder Zeit
noch Lust, zumal jetzt das Frühjahr kommt, wo
ich die vier Wände satt habe. Das ist aber nur
der eine Grund, der andere ist folgender:
Wie ich vor 10 Jahren bei der wissenschaft¬
lichen Prüfung das Bedürfniss hatte, nicht allein
zu sein, so habe ich dasselbe jetzt auch bei der
practi8chen Prüfung. Ich habe das schon in dem
Schreiben an die Redaction, das in No. 25/26. im
123. Bd. d. Ztschr. abgedruckt wurde, ausgesprochen,
jetzt ist aber dieser Wunsch zu einer conditio
sine qua non herangewachsen: Wenn ich in der
Sache keine Mitarbeiterschaftaus den Kreisen
der homöopathischen Aerzte oder Apotheker
finde, so lasse ich sie stehen, denn für mich
hat diese Seite der Sache kein Interesse, da ich,
wie nochmals gesagt sei, weder homöopathischer
Arzt, noch Apotheker bin.
Die wissenschaftliche Seite der Sache be¬
sorge ich gern allein weiter, Mitarbeiter sind mir
zwar auch hier willkommen, allein nothwendig sind
sie nicht, allein wenn an der Lösung der practi¬
schen Frage die Herren aus der Praxis nicht so
viel Interesse haben, dass ich Mitarbeiterschaft finde,
dann hat es auch keinen Zweck, wenn ich die Sache
allein mache und veröffentliche: es kräht kein Hahn
Digitized by v^ooQie
86
darnach and dafür zu arbeiten, ist mir meine Zeit
zu gat.
Soweit läge die Sache sehr einfach, allein ich
bin mittlerweile in eine Zwangslage versetzt worden.
Die Carventafel für die erste Messnngsreihe ist
schon vor einem Monat geschnitten worden. Das
Manascript für diese erste Messangsreihe, das eben¬
falls schon seit Wochen in die Druckerei abging,
wurde von mir, sobald ich sah, wie die Sache liegt,
aus der Druckerei reclamirt. Statt dem Folge zu
leisten, schickt mir gestern, während ich an Vor¬
liegendem arbeite, die Druckerei — die Correctur-
bogen des ersten Abschnittes, also ist die Sache
bereits gesetzt.
Ohne Opfer ist das nicht rückgängig zu machen
und so mag denn der erste Theil, so wie er ist,
den Weg in der Oeffentlichkeit machen. Hoffent¬
lich hat der Einblick in das, was man hier machen
kann, wenn man will, zur Folge, das ich das finde,
was ich brauche.
Doch zuvor möchte ich sagen, was ich nicht
brauche.
Es ist mir zu Ohren gekommen, dass schon auf
die Ankündigung meiner Absicht in No. 25/26,
Bd. 123, hin, ein Kritikus seine Feder spitzte zu
einem Gang mit mir, der gegen allen und jeden
Comment geht. Comment bei jeder Mensur, nicht
bloss auf dem Hauboden, sondern auch auf dem
Gebiet der Wissenschaft muss sein: gleiche
Waffen! Meine Waffen sind der Versuch und
die Zahl. Tritt mir nun jemand mit anderen
Waffen, mit Stilübung und Redensart, entgegen,
so muss ich bedauern: auf ungleiche Waffen
gebe ich keine Satisfaktion. Was ich brauche
sind Mitarbeiter, nicht Ankrittler. Diese For¬
derung muss ja auch der Leser stellen, denn sonst,
wenn in einer Zeitschrift immer auf der einen Seite
der Autor, auf der andern der Kritikus steht,
befindet sich der Leser in der traurigen Lage des
Esels der Fabel, der zwischen zwei Heubündeln
verhungert.
(Nr. II folgt.)
Dauernde Heilungen.
Von Dr. Lorbacher- Leipzig.
(Fortsetzung u. Schluss.)
Im Februar 1874 wurde ich von einem Fabri¬
kanten ersucht, einen seiner besten Arbeiter, welcher
schon seit 8 Tagen an acutem Rheuma krank
liege, zu besuchen. Ich fand einen ca. 27 Jahre
alten Mann in einem ungeheizten Zimmer im Bett
liegend von blasser Gesichtsfarbe, ängstlichem Ge¬
sichtsausdrucke und von Schweiss triefend. Der
schnelle Athem, das von aussen sichtbare Herz¬
klopfen, sowie die Gelenkschmerzen bei jeder leich¬
ten Bewegung Hessen schon die Art der Erkrankung
erkennen. Die genauere Untersuchung ergab Tempe¬
ratur 39,9, Puls 125, Herzschlag etwas tumul-
tuarisch, Herzgeräusch; ca. 4 angeschwollene bei
Berührung und Bewegung sehr empfindliche ge-
röthete Gelenke, heftiger Durst, stellten die Diag¬
nose acuter Gelenkrheumatismus ausser allem
Zweifel.
Die bisherige schon 8 Tage dauernde Behand¬
lung hatte in Anwendung von DigitaHs gegen die
Herzaffection und Opium gegen die Schmerzen
in ziemlich massiven Dosen bestanden. Damals
war das berühmte Universalrheumatismus-Mittel Sali-
cyl noch nicht entdeckt. Nach reiflicher Ueberlegung
verordnete ich zuerst Acon. 5. 3 stündlich 3 Tropfen
und hatte die Genugthuung am andern Tage zu
| sehen, dass meine Wahl die richtige war. Die
Temperatur war auf 39,1 und der Puls auf 100
zurückgegangen. Anschwellung der Gelenke weniger
schmerzhaft. Nach einigen Tagen liess ich dem
Acon. die Pulsat. folgen, da der Rheumatismus
einen wandernden Charakter annahm und das Herz¬
klopfen und die Angst beim Liegen sich wieder
steigerten. Nach einem kleinen Rückfalle, welcher
in Folge einer Verkühlung eintrat und durch
Interponiren einiger Gaben Sulf. 30 schnell wieder
beseitigt wurde, ging die Heilung ungestört vor
sich. Die noch einige Zeit andauernden Herzbe¬
schwerden, welche die Bildung eines Klappenfehlers
fürchten Hessen, verschwanden beim Gebrauch von
Spigelia. Ich batte es dem Kranken zur Pflicht
gemacht, sich von Zeit zu Zeit immer einmal zur
Untersuchung des Herzens vorzustellen, und konnte
mich bei dieser Gelegenheit davon überzeugen, dass
nichts zurückgeblieben war, und was die Haupt¬
sache war, dass in den ganzen Jahren, wo ich ihn zu
beobachten noch Gelegenheit hatte, auch keine Spur
von Rheuma sich zeigte.
Der Fall ist allerdings kein chronischer, allein
eine so gründliche und andauernde Heilung gerade
dieses Leidens gehört doch nicht zu den täglichen
Ereignissen, so dass ich meinte, es könne hier eine
Stelle finden. Dr. G. würde vielleicht auch hier
eine Suggestion zu konstatiren verstehen.
Frau F., 36 Jahre alt, kam im Herbst 1882 zu
mir wegen einer trotz 6 maliger Inunctionskur noch
fortbestehender Lues, welche ihren zerstörenden
Charakter besonders im Knochensystem zeigte.
Der Ursprung derselben war dunkel, da weder sie
noch ihr Mann je primär erkrankt gewesen waren,
wovon ich mich durch Untersuchung wie ange-
stellte Nachforschungen überzeugte. Ihr Vater war
jedoch einmal syphilitisch gewesen. Die ersten
Spuren der Krankheit zeigten sich bei ihr ca.
2 Jahre nach ihrer Verheirathang in Form von
Digitized by kjOOQle
«7
Angina, welche sich schnell über Gaumen, Mandeln
nnd Rachenhöhle verbreitete. Es bildeten sich
darauf die bekannten torpiden Gesohwüre mit ge¬
zacktem Rande und grauer schmieriger Absonderung,
wie sie ziemlich charakteristisch für die mit Lues
verbundene Hydrargyrose sind, welche allmählich
ziemlich bedeutende Defekte am weichen Gaumen
und in der Rachenhöhle zurückliessen. Von da ab
auf die Nasenhöhle übergehend begann aber das
Hauptzerstörungswerk, sodass im Laufe von ca. l 1 / 2
Jahr die sämmtlichen Knorpel und Knochen der
Nase bis aof einen kleinen Rest verschwunden
waren. Inunctionsknr und Jodkali Hessen, wie so
häufig, auch hier in Stich.
In diesem Zustande übernahm ich sie im Herbst
1882. Anstatt der Nase war nur ein schwarzes
Loch vorhanden, in dessen Tiefe man noch einige
abgestorbene nnd absterbende Knochenreste sah.
Dass der Krankheitsprocess noch nicht abgelaufen
war, zeigte eine schmerzhafte verdächtige Stelle am
harten Gaumen, sowie die noch vorhandenen Ge¬
schwüre in der Rachenhöhle. Dass das bedauerns
werthe Weib physisch wie gemüthlich sehr herunter
war, bedarf wohl keiner Erwähnung. Sonstige lue¬
tische Erscheinungen, wie Hautausschl9ge, Knochen¬
auftreibungen , Gummata etc. waren nicht vor¬
handen, sodass mit Bestimmtheit die Lokalisirung
des Krankheitsprocesses angenommen werden konnte.
Dies gab mir auch den Mutb, die Behandlung zu
übernehmen. Dass ich nicht mit leichtem Herzen
an die Bekämpfung dieses mit einer beinahe un¬
verwüstlichen Lebenskraft ausgestatteten Monstrums
heran trat, wird mir jeder gern glauben, welcher es
kennen gelernt hat.
Die von mir angewandten Mittel waren Nitr.
ac., Aurum., Kali bichrom, bald in längeren bald
in kürzeren Pausen grösstentheils in der 30 Poi.
mit zeitweiliger Interponirung von Sulf. 30. Auch
einen Versuch mit Merc. sol. 30. als Antidot gegen
die massive Anwendung des Mittel bei den Inunc-
tionen machte ich, aber ohne Erfolg. Nach ca.
6 wöchentlicher Kur trat allmählich eine Wendung
zum Bessern in Form eines Stillstandes des Pro-
cesses in der Rachenhöhle ein. Die Geschwüre griffen
nicht weiter um sich, die Schleimhaut verlor die
graurothe Farbe und das schmierige Aussehen.
Dagegen schritt der Process im harten Gaume un¬
aufhaltsam wenn auch langsam fort, sodass nach
ca. J / 2 Jahr der Durchbrach erfolgte und eine 5
Pfennig grosse Oeftnung sich bildete. Dies war aber die
letzte Lebensäusserung des Krankheitsgiftes. Es
stiessen sich zwar */ 2 Jahr lang immer noch narko-
tisirte Knochenpartikelchen ab, allein die Oeffnung
im harten Gaumen vergrösserte sich nicht. Am
Auffallendsten jedoch war der Gesundungsprocess
der Mund- und Racbenschleimhaut. Sie nahm immer
mehr eine normale Farbe an, die Rach engeschwüre
verheilten mit geringem Substanzverluste, das Zahn¬
fleisch verlor die durch das Quecksilber hervor-
gerufene skorbutische Beschaffenheit. Die Frau er¬
holte sich sichtlich und nahm an Umfang wieder
zu. Kurz, sie war nach ca. 2 Jahren soweit, dass
an die Bildung einer neuen Nase gedacht werden
konnte, welche unserem berühmten Chirurgen
auch vorzüglich gelang. Behufs Schliessung der
Oeffnung im harten Gaumen hatte ich ihr vorher
schon eine Gummiplatte vom Zahnarzt fertigen lassen.
Seitdem sind kaum noch geringe Andeutungen des
frühern Krankheitsprocesses zum Vorschein ge¬
kommen, so dass man sich wohl für berechtigt
halten kann, hier eine vollständige Heilung zu be¬
haupten. Den etwaigen Einwurf, dass der Krankheits¬
process von selbst erloschen sei, kann wohl Niemand,
welcher die Natur dieses Leidens kennt, ernstlich
machen.
Frau L. 64 Jahre alt, Besitzerin einer Wasch«
und Bleichanstalt in einer benachbarten 8tadt kam
zu mir im Sommer 1881 wegen eines von einem
Laienpraktiker diagnosticirten Magenkrebses. Die
eigene Untersuchung ergab, dass davon nicht die
Rede war, sondern es sich um eine Kardialgie sehr
heftiger Art handelte, die durch die Länge der
Anfälle, wohl an ein organisches Leiden denken
lassen konnte. Sie wurde in Zeit von 6—8 Wochen
so gründlich beseitigt, dass bis heute kein Anfall
wieder dagewesen ist. Bei dieser Gelegenheit theilt
sie mir mit, dass sie in Folge von häufigen Er¬
kältungen bei ihrer Arbeit schon seit mehreren
Jahren an einem fortwährenden Schnupfen litte,
welcher seit ca. 1 Jahre zu einem heftigen Stock¬
schnupfen ausgeartet sei, sodass sie beinahe keine
Luft durch die Nase einziehen könne und beim
Schnauben zuweilen einen zähen leimartigen Schleim
und kleine grüngraue Pfropfen herausbeförderte.
Die Untersuchung ergab das Vorhandensein von je
einem Polypen in den beiden Nasongängen, beson¬
ders auf der rechten Seite so bedeutend, dass gar
keine Luft passiren konnte und auch von aussen
eine Anschwellung sichtbar war. Die begleitenden
Symptome waren die gewöhnlichen, Druck in der
Stirn besonders über der Nasenwurzel. Dämlich¬
keitsgefühl und vorübergehende leichte Schwindel¬
anfälle. Sehr lästig war ihr auch die durch das
Einathmen durch den Mund hervorgerufene Trocken¬
heit in der Rachenhöhle. Der Schlaf war selbst-
versändlich unruhig und durch scheinbareErstickungs-
an fälle gestört. Im Uebrigen war die Frau gesund
und stand ihrem Geschäfte noch vollständig vor.
Gestützt auf einige gute Erfolge in dieser
Krankheit, allerdings nur bei Kindern und jüngeren
Personen, übernahm ich die Behandlung. Die an¬
gewandten Mittel waren Calc. carb., Phosph. und
Staphisag., hie und da eine Gabe Sulf. interponirt,
grösstentheils in höheren Verdünnungen. Die Calc.
Digitized by v^ooQle
88
bethätigte ihre Heilkraft zunächst bei dem link¬
seitigen Polypen, welcher sichtlich kleiner wurde
und bis auf einen Best verschwand und auch nur
einige Male eine Neigung sich wieder zu vergrössern
kundgab, welche jedoch nie recht zum Ausbruch
kam. Viel bösartiger und hartnäckiger war der
rechtseitige Polyp. Die Calc. übte auf ihn zwar
auch einen entschieden günstigen Einfluss aus, er
verkleinerte sich wesentlich, sodass er beim Luft¬
einziehen kaum noch genirte. Allein bei jedem
f ärkeren S^hpupfen wuchs er aufs Neue und nahm
einige Male sogar eine bedenkliche Dimension
an, sodass man es von Aussen sah. Einmal
konnte ich sogar das Wachsen nach oben, ein
andermal nach hinten nach der Rachenhöhle zu
constatiren. Hier war es auch, wo Staphisags 3
eine glänzende Wirksamkeit entfaltete. Kurz es
vergingen 4 Jahre, ehe es gelang, den rechtseitigen
Polypen soweit zu reduciren, dass er nicht mehr
genirte und keine neuen Versuche zum Wachsen
machte. Damit waren die Frau und ich zufrieden.
At last not at least sei kurz noch eine dauern¬
deste Heilung erwähnt. Als ich im Jahre 1846
meine Praxis in der Stadt Eisleben begann, wurde
ich zu einer angesehenen Bürgerfamilie gerufen,
deren einzige Tochter an der Lungenschwindsucht
darniederliegen sollte und von den behandelnden
Aerzten aufgegeben war. Der äussere Anblick
rechtfertigte die schlechte Prognose. Grosse Ab¬
magerung, kolliquative Schweisse, Husten mit dickem
eitrigen Auswurfe, hektisches Fieber gaben das voll¬
ständige Bild einer Phthisis. Im Jahre vorher von
Prof. Bock in der damals noch ziemlich neuen
physikalischen Untersuchungsmethode eingepaukt,
konnte ich konstatiren, dass keine Cavemen vorhanden
sondern nur ein heftiger eitriger Bronchialkatarrh
vorhanden war. Beim Gebrauch von Stann. Tart.
emet und Carb. veg. trat bald eine entschiedene
Besserung ein, sodass die Kranke nach 8 Wochen
mit ihrer Mutter die erste Ausfahrt unternehmen
konnte, und heute noch als alte Frau lebt.
Das Verordnen homöopathischer
Arzneien in Speise und Trank.
Von Dr. Gallavardin in Lyon.*)
Die Homöopathen der ersten Generation verord-
neten — H ahnemann folgend — ihre Arzneien ge-
*) Auf ausdrücklichen Wunsch des Verfassers, diesen
Artikel in der „Allgemeinen homöopathischen Zeitung“
erscheinen zu lassen, komme ich demselben durch gegen¬
wärtige Uebersetzung nach. — Dr. C. Bojanüs sen.
Die Redaction des „Homoeopathe populaire“, in
dessen Nr. 77, 1891 dieser Artikel erschien, macht fol¬
gende Anmerkung zu demselben: „Die Verantwortung
für seine mitgetheilten Ansichten überlassen wir ganz
und gar unserem gelehrten Mitarbeiter. 4 *
meiniglich in der 6. 12. 18. 30. Verdünnung oft
selbst ohne die Gabe — acute Fälle ausgenommen
— zu wiederholen. Aus Besorgniss, es könne die
Wirkung eines, in so kleiner Gabe gereichten Mittels
durch verschiedene Speisen und Getränke alterirt,
oder gar aufgehoben werden, empfahlen sie eine,
in Hinsicht auf das Mittel, nicht aber in Bezug zur
Krankheit, eingeleitete Diät, damit ja es seine ganze
Thätigkeit entfalten könne; es wurden daher zu
diesem Zwecke ganze, Erlaubtes und Verbotenes
in Aufzählung enthaltende Listen den Kranken ein¬
gehändigt.
Die Strenge dieses auf Voraussetzung, nicht
aber auf Erfahrung gegründeten diätetischen Ver¬
fahrens wurde nach und nach durch Beobachtung
verdrängt und in Folge dessen auf die Nothwendig-
keit hingewiesen, die Diät der Krankheit und nicht
dem Mittel anzupassen.
Trotzdem fuhren die Homöopathen fort, ihren
Patienten den Rath zu ertheilen, arzneiliche Ein¬
flüsse: Wohlgerüche, Kampfersalben und dergleichen
starkriechende Stoffe — aus Besorgniss, sie könnten
die Wirkung des gereichten Mittels aufheben —
aus ihrer Nähe zu verbannen. — Diese, abermals
auf Vermuthung begründete Ansicht musste aber
einer genauen Beobachtung den Platz räumen, da
diese den Beweis lieferte, dass verdünnte Arznei¬
stoffe auch da wirken, wo Kranke solchen Einflüssen
nicht entrückt werden konnten.
Eine andere, bisher noch beibehaltene Regel, die
Arznei nicht kurz vor oder nach einer Mahlzeit
einzunehmen, wird, Dank den Untersuchungen eines
Chemikers und in Folge der Erfahrungen eines
Arztes in Lyon, auf gewisse Fälle sich beschränken
müssen, da sie obengenannten Forschungen nach
durchaus nicht unumgänglich erforderlich, wie auch
folgende Thatsachen darthun.
Auf dem 1855 in Paris stattgehabten Congresse
der Homöopathen bewies durch Experimente der
Professor der Chemie der Ecole de la Martiniöre
in Lyon, der verstorbene Dr. S. S. Lambert, dass
homöopathische Mittel, angefangen von der 4. Ver¬
dünnung, keiner chemischen Reaction (? Ref.) mehr
fähig sind, daher auch nicht in destillirtem Wasser
verordnet zu werden brauchen. Er wagte es nicht
hinzuzufügen, dass sie auch in Speise und Trank
gereicht werden könnten, was eine natürliche und
logische Folgerung seiner Experimente sein musste.
In dem Fortschrittsgange der Wissenschaft macht
man gewöhnlich auf einmal nur einen Schritt vor¬
wärts, ist es mir gelungen, auf dem eben bezeich¬
nten logischen Wege den zweiten zu machen, so
hat mich dazu die Notwendigkeit gezwungen und
zwar auf folgende Weise:
Von 1854 bis 1870 verfolgte ich die hergebrachte
Routine — denn am Ende hat jede Schule die ihrige
— seit 1870 aber begann ich mehr dem Rathe
Digitized by Google
80
Hahnemauns an folgen, d. h. bei der Wahl der
Mittel den sftmmtliohen Symptomencomplex, den
der körperlichen, des Gemüthes und Geistes zur
Richtschnur zu wählen.
Klinische Beobachtungen unterliessen nicht mir
darzuthun, dass einige Mittel die isolirt dastehen¬
den somatischen Symptome, andere hingegen die
ebenso isolirt dastehenden Symptome der Geistes¬
und Gemöthssphäre zu beseitigen vermögen. Nach
und nach wurde ich darauf geleitet, Leidenschaften,
Laster, Charakter und — Geistesanomalien, die
sich durch gewisse Symptome äusserten, zu behandeln,
wobei ich gewöhnlich nicht von diesen Personen
selbst, sondern von ihren Freunden oder Verwandten
consultirt wurde, welche den Wunsch äusserten,
die Behandlung ohne Zuwissen des Betreffenden
einzuleiten. Da nun aber dergleichen Patienten
sich nicht dazu verstanden hätten, Arzneien, in wel¬
cher Form es auch sei, einzunehmen, so war ich
in die NothWendigkeit versetzt, dieselben in Speise
und Trank beizubringen. Zu diesem Zwecke liess
ich 6—8 Streukügelchen während ] / 4 Stunden in
3 — 4 Kaffeelöffel Wasser lösen und dann diese
Lösung behufs genauester Mischung, 6—8 Minuten
lang schütteln, worauf die auf diese Weise be¬
reitete Gabe in die Suppe, Milch, Caffee, Chocolade,
Thee, Wein, Cognac oder Rum gegossen wurde.
Diese mit der Arznei geschwängerten Stoffe sollten,
wie beabsichtigt war, eine Stunde vor oder eine
Stunde nach der Mahlzeit genossen werden, da aber,
wie es sich erwies, die Erfüllung dieser Bedingung
unmöglich wurde, so bekamen die Patienten die
Arznei während der Mahlzeit, sei es in der Suppe,
oder dem Weine, oder dem Caffee u. 8. w., ja selbst
in einem Glase Wermuthliqueur (Absynth). Trotzdem
entfalteten die Arzneien die gewünschte Wirkung
und zwar sehr dauerhaft, wie ich an mehr als
5000 Fällen in meiner Poliklinik für Geisteskranke
mich zu überzeugen Gelegenheit hatte.
Auf dieselbe Weise könnte auch die Arznei in
solchen Fällen somatischer Erkrankungen in An¬
wendung kommen, wenn der betreffende Patient
überhaupt oder aus Hass gegen die Homöopathie
etwas einzunehmen sich weigert und die demselben
nahestehenden Personen dennoch den Wunsch äussern,
den Kranken homöopathisch behandeln zu lassen.
Ein mir bekannter Professor hat eine für solche
Fälle sehr zweckmässige Methode erdacht: Eine sog.
Boole de gomme wird mit einem Loche, welches
vermöge eines spitzen Instrumentes leicht gemacht
ist, zur Aufnahme einiger Streukügelchen der be¬
treffenden Arznei versehen, um dem Kranken als
Bonbon präsentirt werden zu können.
Man könnte auf ähnliche Weise die Mittel in
einer Chocoladenpastille oder in einem leicht lös¬
lichen Confecte reichen, nicht aber in Früchten,
die sich nicht, oder wenigstens nicht leicht lösen.
Für diejenigen, die mit pag. 126 —150 meines
Werkes*) bekannt sind, wird es verständlich, dass
Arzneien, selbst in Speise und Trank gereicht, dennoch
vollkommen ihre Wirkung entfalten**). Ich habe
in diesem Werke nachgewiesen, dass Arzneiverdünn¬
ungen weder fest, noch tropfbar — noch elastisch-
flüssig sind, wohl aber sind sie in dem 4. von
Faraday und Crooks entdeckten Aggregatzustande,
dem der strahlenden Materie, von dem Crooks sagt,
er bilde die Grenze, an der Kraft und Stoff in Eins
zusammenzufliessen scheinen.
Die in den Zustand strahlender Materie ver¬
setzten Arzneien sind keiner chemischen Einwirkung
mehr zugänglich und bewahren ihre Wirkungskraft
selbst dann, wenn sie in Speise und Trank, ja sogar
in giftigen Flüssigkeiten, wie z. B. dem Wermuth¬
liqueur (Absynth) gereicht werden.
Unstreitig ist diese Art und Weise der Verab¬
reichung keine allgemeingiltige, wohl aber eine
Ausnahmsregel für die Fälle, in denen es sich darum
handelt, den Kranken ohne sein Zuwissen zu be¬
handeln.***)
*) Alco ohame et criminalitA. Traitement de l’ivog-
nerie et de l’ivresse. In Philadelphia ins Englische
übersetzt.
**) Will man aut diese Weise einen Freund, einen
Verwandten, der jedwede Behandlung hartnäckig zurück¬
weist, dennoch behandeln, so wird es schwer, das Mittel
in erforderlicher Frequenz zu wiederholen, wenn es in
der 3. 6. 12 oder 20. Verdünnung gereicht wird, man
wird sich also genöthigt sehen, das Mittel in der 200.
als einer unveränderlichen und von längerer Wirkungs¬
dauer zu verabreichen, da diese sich auf einige Wochen
erstreckt. Wollen Sie also einen Freund von einer
hartnäckigen Dyspepsie, gegen die er nichts unternehmen
will, heilen, so werden Sie in der Hälfte solcher Fälle
mit einer alle 2, 3, 4, 5, 6 Wochen wiederholten Gabe
Nux vom 200. Ihr Ziel erreichen.
Mit diesem Mittel in dieser Verdünnung, im Ver¬
laute von 7 Monaten nur zwei Mal verabreicht, habe ich
bei meiner Frau eine mit Schlaflosigkeit verbundene
Dyspepsie geheilt, die ein ganzes Jahr hindurch von
einem renommirtnn Homöopathen erfolglos behandelt
worden war, der aber immer niedrige Verdünnungen
verordnet^.
Mit einer -einzigen Gabe Arsen. 30. habe ich ein
2 ?jähriges Mädchen geheilt, die seit ihrer Kindheit an
Lientena litt. — Durchfall unmittelbar nach jeder grösse¬
ren Mahlzeit.
***) Ich erinnere mich einer Heilung, obgleich darüber
schon zehn Jahre verflossen sind, die mich aber, der
Art und Weise nach, wie das entsprechende Mittel ver¬
ordnet wurde, in Erstaunen versetzte.
Eine Dame bat mich um ein Mittel für ihren 75 J.
alten Onkel, einen Hagestolzen, der, wie gewöhnlich
alle Alleinlebenden, sehr misstrauisch war. Unschlüssig
darüber, auf welche Weise sie ihm die Arznei bei bringen
solle — ohne sein Wissen — benutzte sie die paar
Augenblicke, für die er den Mittagstisch verlassen hatte
und schüttete 6—8 Körnchen [Lycopod. so., in ein mit
halb Wasser, halb Wein gefülltes Glas, ohne Zeit zum
Schütteln oder Umrühren zu haben und trotzdem brachte
das Mittel die gewünschte Wirkung hervor, welche 3
12
Digitized by
Google
90
Correspondcnz.
Riga, Januar 1892.
Jetzt, da das Jahrhundert seine Jugend verloren
hat und alt geworden ist, geziemt es sich wohl
auch, einen Blick auf die gleichfalls ein Jahrhundert
bestehende Homöopathie zu werfen und ihre Stellung
und ihre Erfolge der Betrachtung zu unterziehen.
Hahnemann mochte wohl schon in seiner früh¬
sten Jugend und auch noch später ein abschreckendes
Bild vielseitiger ärztlicher Vielgeschäftigkeit vor
Augen gehabt haben. Die Aerzte, immer erfüllt
von dem besten Willen und dem eifrigsten Be¬
streben , dem Kranken schnell und dauerhaft zu
helfen, hatten das lebhaftesten Bemühen, dem Kranken
von allen Seiten beizusteheu, der Natur zu helfen
und thatkräftig unter die Arme zu greifen. In der
Ueberzeugung, Magistri naturae zu sein, den Kopf
erfüllt von der Ansicht, dass der Kranke überladen
sei von schlechten Säften, in ihnen ersticke und
umkomme, überall Unreinigkeiten erblickend, be¬
strebten sie sich, diese gefährlichen ungern gesehenen
Gäste nach allen Seiten hin abzusuchen.
Da wurde auf den Kranken eingedrungen mit
Brechmitteln und Laxantien, mit auf lösenden und
blutreinigenden Mitteln, die Haut wurde lebhaft in
Anspruch genommen durch Reizmittel aller Art,
durch Moxen und Haarseile, durch Fontanella und
stark ziehende Pflaster und Salben. Es konnte
nicht ausbleiben, dass der Kranke durch so viele
und starke, auf ihn einstürmende Angriffe, oft mehr
durch die Mittel der Aerzte litt, als durch die
Krankheit, dass die starken Eingriffe neue Zufälle
hervorriefen, welche wieder neue Verordnungen zur
Folge hatten. Gegen die Schmerzen wurde das
Opium nicht gespart und die darnieder liegende
abgeschwärhte Nerven- und Lebenskraft durch Reiz¬
mittel aller Art zu erneuter Thätigkeit angetrieben.
Es lag wohl nicht selten mancher Kranke in einem
Rahmen von Flaschen, Pillen, Pulvern, Büchsen und
Pflastern und litt viel von den es durchaus aufs
Beste meinenden Aerzten. In solch einem Zustande
mag denn so Mancher, wie von Rousseau erzählt
wird, gerufen haben — Lasst mich sterben, aber
tödtet mich nicht. Dass bei diesem vielseitigen
Bestreben, dem Kranken zu helfen, die alten, be¬
kannten, bewährten und so oft erprobten Specifica
nicht vergessen wurden, ist ganz begreiflich, auch
sie wurden im Eifer zu helfen, zu oft in zu starken
Gaben gegeben, auch sie halfen gewiss sehr oft,
sie werden aber auch oft genug lästige Neben¬
beschwerden hervorgerufen haben. Diese ganze
Monate anhielt. Wäre die Arznei in der 200. Verdünn¬
ung gegeben worden, so hätte die Wirkung länger an-
gehalten und die io,oOO hätte gewiss die Heilung be-
schlossen, wie ich dieses schon erwähnt habe. Siehe
Alco olisme et criminalitä pag 101—ISS und 163—161.
ärztliche Thätigkeit in der Mitte des 18. Jahrhunderts
mag wohl auf Hahnemann einen abschreckenden,
abstossenden Eindruck hervorgebracht haben und
vielleicht war dies der Grund, dass er sich mehr
literarischen Studien zu wandte und sich mit der
Uebertragung fremdländischer Werke ins Deutsche
beschäftigte. Eine solche eben geschilderte ärztliche
Thätigkeit mochte ihn auch wohl zu den fürchter¬
lichen Schimpfreden getrieben haben mit denen er
die offlcielle Medicin überschüttete und dieselbe
auch noch dann überschüttete, als sie schon nicht
mehr am rechten Orte waren, als Hahnemann selbst
schon alt geworden war (im Jahre 1827), als die
Prädikate gemeine Schlendrianspraxis, Mordmittel,
die Aerzte hätten die Kranken gemordet, nicht die
Krankheit habe sie getödtet, nur für eine vergangene
Zeit Geltung haben konnten. Wie berichtet wird,
erregte die Behandlung mit China in Cullen’s
Materia medica die Aufmerksamkeit Hahnemann’s.
Er fand in der alten Medioin die Vergiftungs¬
geschichte der alten bekannten Specifica, er fand
in ihnen die starken, groben, kräftig markirten Züge
ihrer Wirkung vor. Diese derben, starken Züge
wurden nun durch feinere Striche und Linien aus-
gefüllt und ergänzt durch die Prüfungen, die Hah.
an sich, an den Seinigen und an anderen dazu be¬
reitwilligen Personen ergänzte.
Jetzt, gerüstet durch eine reichere Symptomen-
Kenntniss der übrigens bereits bekannten Specificas
unternahm es Hahnemann, mit den specifischen
Mitteln vorzugsweise den Krankheiten entgegen-
zntreten. Man kann also von Hahnemann aussagen,
dass er als derjenige anzusehen sei, der die 8pecif.
Mittel, die specifische Methode wieder vorzüglich
hervorhob, zur Geltung brachte, verbreitete, erwei¬
terte, in ihr Recht bei Behandlung der Kranken
wieder einsetzte. Dies ist ein Verdienst, das schwer
in die Waage fällt, das ein ewiger Glanzpunkt in
Hahnemanns und seiner Prüfer Dasein bleiben wird.
Ein Wettkampf war jetzt geschaffen zwischen der
von Hahnemann vorzüglich gepflegten specifischen
Methode und der officiellen Medicin. Diese, die
offlcielle Medicin, begriff in sich auch die specif.
Methode, sie enthielt aber auch zugleich nebenbei
die antipathische und die allopathische (derivative)
Methode und hatte der specifischen Methode wohl
aber nicht den Vorzug eingeräumt, den zu bean¬
spruchen sie das Recht hat. Die Kranken, erlöst
von den harten Angriffen der allopathischen und anti-
pathischen Methode, fühlten sich merklich erleichtert.
Alles, was diese beiden Methoden, von neuen Zu¬
fällen hätten hervorbringen können, fiel mit einem
Male fort, und auch die specifischen Mittel wurden
nun nach der neuen Hahnemann'schen specifischen
Methode nicht mehr in jenen grossen gebräuch¬
lichen Gaben gegeben, in denen sie wohl lästige
Nebenzufälle hätten hervorbringen können. Schon
Digitized by v^ooQle
91
hierdurch bildeten sich unbekannte Erfolge nach
der neuen specifischen Hahnemann’schen Methode
und Hahnemann konnte im Jahre 1817 mit Recht
ausrufen, die Homöopathie verlange, nach ihren
Erfolgen beurtheilt zu werden. Diese neue Hahne-
mann’sche specifische Methode betrachtete sich nicht
so 8ehr als Magister naturae, sondern vielmehr als
Minister naturae, sie entlastete den Kranken von
den heftigen Eingriffen, die von der officiellen Medi-
cin vorgenommen worden waren. Diese Hahne-
mann’sche specifische Methode, welche die specif.
Mittel vorzfiglich in Verdönnungen gab, schloss
doch dabei den Gebrauch der specifischen Mittel
im Urßtoff nicht aus, doch wurden auch hier die
Gaben beschränkt. Eben so wenig war die allo-
und sntipathisohe Methode durchaus ganz und gar
verbannt, beide wurden von Hahnemann selbst und
seinen nächsten Schülern benutzt, nur wurde Maass
hierin gehalten, es hatte sich also wie eine Reserve
der Medicin gestaltet, die Naturheilkraft war wieder
in ihr Recht eingesetzt worden, die specifischen
Mittel wurden in kleineren Gaben oder in Dilutionen
gegeben, die Mischungen hörten auf, die allo- und
antipathischen Methoden wurden selten und mit
Maass in Anwendung gesetzt. Und eine solcher Art
gestaltete Medicin mit dem überwiegenden Recht
der specifischen Methode, sollte man denken, hätte
doch auf die officielle Medicin einen Erfolg haben
müssen. Mir scheint dieser Erfolg gleich Null zu
sein, die officielle Medicin giebt noch immer ihre
Mittel mit Vorliebe in Mischungen, sie operirt noch
immer mit grossen Gaben der specifischen, sowie
der antipathischen Mittel, die Deutung ihres Thuns
kann mit dem musikalischen Ausdruck Fortissimo
bezeichnet werden. Auf die Frage, ob für die
Zukunft noch ein Erfolg auf die officielle Medicin
in Aussicht stehe, möchte ich doch mit Nein ant¬
worten. Nun, und andere Erfolge der Hahnemann-
sehen specifischen Methode sind nicht zu verzeichnen?
0 ja, der Erfolg ist der, dass die Hahnemann'sche
specifische Methode in allen Ländern ihre Vertreter
hat, freilich in einer ausserordentlichen Minorität,
ferner, dass viqje Städte und grosse Landstrecken
gar keinen Vertreter haben. Schliesslich ist der Erfolg
der, dass kein Staat einen Lehrstuhl, oder ein
Hospital, oder bei der Armee oder der Marine eine
Stelle hat für einen Arzt, der nach der oben ge¬
schilderten Hahneraann’scben specifischen Methode
die Medicin ausübt, eine Medicin, die als Reserve
der officiellen Medicin bezeichnet werden kann.
Dr. Lembke.
Zum Tuberculin.
Zur Beurtheilung des vielumstrittenen Koch-
sehen Tuberculins liegt eine Broschüre vor, die wie
die neulich schon erwähnte Aeusserung des Dr.
Ladendorf in St. Andreasberg wohl geeignet ist,
dem Prof. Koch die Anerkennung zurückzugewinnen,
die ihm Anfangs im Ueberschwang gespendet und
später in ungerechter Erkaltung entzogen wurde.
Herr Dr. Karl Spengler, practischer Arzt in Davos,
ein Sohn des «Entdeckers* von Davos, des heute
noch practizirenden Alex. Spengler, hat soeben
Therapeutische und diagnostische Resultate der Tuber -
culinbehandlung bei 41 Lungenkranken veröffentlicht
(Verlagsbuchhandlung von Hugo Richter in Davos
1892.)
Der Verfasser bemerkt einleitend, dass die 41
Kranken zur Hälfte von seinem Vater, zur Hälfte
von ihm selbst behandelt seien und fährt dann fort:
«Unsere Behandlungsweise unterscheidet sich
von allen bisher bekannt gegebenen dadurch, dass
wir vom Beginn der Behandlung an nach dem
Grundsätze: «Nicht schaden!* kleine und kleinste
Dosen gaben und nur in der äussersten Noth schliess¬
lich bei dem Anstürmen der Kranken grössere
Gaben einspritzten. Um unserem Grundsätze treu
zu bleiben, hatten wir in erster Linie eine fieber¬
hafte Reaction zu vermeiden, jedenfalls dieselbe in
engen Grenzen zu halten, um keinesfalls den Appetit
zu schädigen, was nur möglich ist, wenn sehr lange
Zeit kleine Dosen beibehalten werden. Wir konnten
das thun, ohne uns den Vorwurf machen zu müssen,
der Homöopathie zu huldigen*) und nichts zu
nützen, weil aus den reactiven Symptomen auch
bei sehr kleinen Dosen die äusserst differente Wir¬
kung des Mittels klar zu Tage trat . . . Die Be¬
handlung mit kleinen Dosen hat uns im Anfänge
grosse Unannehmlichkeiten von Seiten der Kranken
und manches Achselzucken der Gollegen eingebracht,
so dass ich oft und gern zn einer brieflichen Mit¬
theilung von Libbertz meine Zuflucht nahm, der
mir bemerkte, die Art und Weise, wie ich die
Lungenkranken zu behandeln angefangen, habe seine
volle Zustimmung. Ich bin stolz darauf, gewisser-
m&88en auch zu jenen Vertrauensmännern Kochs
zählen zu dürfen, von denen Dettweiler in Wies¬
baden sagte, dass sie «kleinste, fast homöopathische
Dosen* empfehlen.*
Dr. Spengler geht dann zunächst auf die von
ihm und seinem Vater angewendete, roedicamentöse
Behandlung und die klimatisch-diätetische Therapie
ein. Er bemerkt dabei, dass Medicamente grund¬
sätzlich sehr wenig gegeben würden, führt diese
wenigen auf und hebt besonders Digitalis-Decokt
hervor. Dann schildert er näher seine Behandlung
mit Tuberculin und erklärt, dass er in mittel -
•) Wieso wäre das ein Vorwurf? Ist nicht das
Tuberculin als solches durch die Art seiner Auffindung
und Anwendung schon eine Art Rechtfertigung homöo¬
pathischer Grundsätze? Anmerk, der Red. der „Täg¬
lichen Rundschau“, der wir diese Besprechung ent¬
nommen haben.
11 *
Digitized by
Google
92
schweren, schweren und schwersten Fällen 10 Milli¬
gramm, 5 Milligramm, 1 Milligramm als höchste
Gabe betrachtet, während die niedrigste J /io Milli¬
gramm betrug. Begonnen wurde in den meisten
Fällen, wenigstens in der ersten Zeit, mit 1 Milli¬
gramm , später mit J / 2 Milligramm. .Bei floriden
Phtisen und Miliartuberculose muss J /io oder l / 5
Milligramm als Anfangsdosis und */ 2 Milligramm
als Maximaldosis, so lange überhaupt Fieber vor¬
handen ist, bezeichnet werden. Ich führte den
Grundsatz, Pausen von 1—5 Tagen zwischen den
einzelnen Injectionen zu machen, fast consequent
durch und kehrte jeweilen, wenn 10 Milligramm in
Wochen erreicht waren, mehrmals auf 1 Milligramm
zurück, um in der gleichen Art milligrammweise
oder, je nach dem Fall, etwas rascher zu steigen.
Die Dose, welche die Reactionsschwelle andeutete,
wurde mit Vorliebe mehrmals in Pausen gegeben.
War eine Reaction lebhafter, so dass der Appetit
litt, dann folgte das nächste Mal eine entsprechend
kleinere Gabe. Ueber 10 Milligramm ging ich nur
dann, wenn mich das Verhalten der Kranken bei
lebhafterem Springen in den Dosen von 1—10
Milligramm reactive Erscheinungen bei grösseren
Gaben ausschliessen liess, und auf Wunsch der
Kranken. Im Ganzen legte ich wenig Gewicht
darauf, dass Patienten auch grössere Dosen bekamen,
da bei den kleinen von 1—10 Milligramm sehr
rasche Besserungen und schliesslich auch Heilungen
sich zeigten, und in den allermeisten Fällen die
Tubercelbacillen bei diesen kleinen, fortgesetzt ge¬
gebenen Dosen verschwanden. Ich habe keinen ein¬
zigen Unglücksfall erlebt. Bei einem Patienten, der
unbedingt höhere Gaben wollte, trat bei 50 Milli¬
gramm unter Fieber und Abgeschlagenheit, ver¬
mehrtem Husten etc. eine leichte Verschlimmerung
im localen Befund ein . . .*
Der Verfasser giebt sodann ausführlich die Ge¬
schichte der 41 Krankenbehandlungen. An der
Hand derselben weist er nach, dass in diagnostisch
zweifelhaften Fällen unter keinen Umständen diag¬
nostische Einspritzungen von 5 —10 Milligramm
Tuberculin gemacht werden dürfen, weil schon bei
viel kleineren Gaben fast ausnahmslos Bedenken
erregende Reactionen sich einstellen. Am deut¬
lichsten und ganz untrüglich tritt, wie er weiter
sagt, bei dem von ihm behandelten Schwindsüch¬
tigen im Anfangsstadium die Heilwirkung des Tuber-
culins hervor. In 23 Fällen vorgeschrittener
Lungentuberculose sind 2 geheilt, 2 ungebessert,
die Uebrigen mehr oder weniger gebessert, gestorben
Niemand.
Des weiteren wird ausgeführt, dass bei bös¬
artigen, mit schnellem Kräfteverfall verbundenen
Formen der Tuberculose eine .forcirte Tuberculin-
cur* das Ende in rascher Weise herbeiführen müsse,
dass dies leider oft geschehen sei und dass dadurch
.das Ansehen des Mittels ungerechter Weise schwere
Einbusse erlitt. Die kleinste Dose, die noch eine
Reaction hervorzurufen im Stande war, hatte man
als Maximaldose so lange zu betrachten, bis kein
nachweisbares Reactionssjmptom mehr sich ein-
stellte." .Das Allgemeinbefinden litt sichtbar unter
hohen Tuberculindosen, so dass von diesen unter
keinen Umständen, wenn sie Fieber und acuten
Zerfall tuberculösen Gewebes erzeugten, ein güns¬
tiger Eifolg zu erwarten stand.* „Von allen Seiten
will man die acuten Tuberculösen von der Tuber-
culinbehandlung ausschliessen. Ich halte das durch¬
aus für unbegründet, denn hier wie in den übrigen
Fällen ähnlicher Beschaffenheit hat das Tuberculin
mehr geleistet als irgend ein anderes Mittel. Be¬
dingung eines Erfolges werden aber stets kleine und
kleinste Dosen von V io—Vi Milligramm bleiben.
Mit dem Tuberculin hat man selbstredend andere
Behandlungsmethoden zu verbinden.*
Dr. Spengler erklärt dann zum Schlüsse seiner
Angaben, dass mit Tuberculin die Heilungen rascher
und sicherer erfolgen, weist dies näher nach und
sagt dann ausdrücklich: .Das Koch’sche Mittel
leistet noch mehr, als sein Erfinder geahnt hat.*
Der Verfasser hat neuerdings auch das viel¬
besprochene .Tuberculocidin* des Züricher Prof.
Klebs angewendet und meint, dass dieses* weil bei
ihm die giftigen Stoffe ausgeschieden seien, die Heil¬
wirkungen des Tuberculins ohne dessen schädliche
Nebenwirkungen habe, so dass es auch bei vor¬
geschrittenen Schwindsüchten in sehr rasch steigen¬
den Gaben gereicht werden könne. Das interessante
Werk schliesst mit folgenden Worten: .Man hat
dem grossen Meister durch Ueberhaftung schweres
Unrecht gethan. Hoffentlich tritt man mit etwas
mehr Objectivität und Nüchternheit in die kommende
Periode des gereinigten Tuberculins, des Klebs'schen
Tuberculocidins. a
Epidemiologische Ecke.
Noch immer will ganz analog dem ausserordent¬
lich veränderlichen Wetter der Genius epidemicus
kein constanter werden. Ich will nur das Haupt¬
sächliche über die verflossenen 4 Wochen berichten,
da von allen Seiten der rasche Wechsel gemeldet
wird.
Leeser-Bonn hatte am 15./2. noch viel Influenza
und vorwiegend Combinationen mit Euphrasia (-}- Ac.
benz. auch -f- Hep. sulf. calc.), vom 16.—23,/2.
vorwiegend Kali carb. + Belladonna = Apis, am
27./2. theils Kali carb. -J- Iris theils Natr. mur.
+ Iris und wieder frische Influenzafälle, seit dem
2./3. mit Eintritt von Frostwetter Natr. mur. -J-
Led. = Tart. stibiat.
Digitized by Google
«s
Schwarz-Baden-Baden berichtet am 5./3., dass
er seit 8 Tagen besonders Natr. mur. -|- Iris =
Eaphras. und Baryt, carb. -}- Belladonn. = Mercur.
habe.
Kim-Pforzheim hatte seit dem 14./2. bis zum
25-/2.* sehr häufig Kali. carb. + Beilad. = Apis.,
nebenher Cimicifuga bei Neuralgieen besonders des
rechten Armes und der rechten Schulter; vom
25./2. ab fand er stets Cimicifuga 3. bei Influenza
mit Kopf-, Nacken- und Kreuzschmerzen, Schmerzen
in den Armen und Beinen, Schwindel, Schlaflosig¬
keit und Schwächeanfällen sehr hilfreich (bei solchen
Fallen war hier nach Schmerzpnnkten Tart. stib.
+ Geisern, angezeigt); vom 2.—9./3. hatte er aus¬
schliesslich Kreosot, -j- Sabadill.; am 11./3. schreibt
er, dass er jetzt mehr Led. -(- Natr. mur. oder
Baryt, carb. angezeigt finde.
Hier war vorwiegend Sabadill, vom 10.—21./2.
und zwar -|- Kreosot, (am 13.—15./2.), -f- Kali*
chloric. (am 17./2.), -f- Natr. mur. (am 18./2-),
-j- Borax (am 19./2.), -f- Baryt carb. (am 20./2.),
-f- Kali carb. (am 21./2.); vom 22./2. an wurde
mehr und mehr vorwiegend, vom 27., 2. an war es
fast ausschliesslich Natr. mur. -j- Iris vers. = Eu-
phras. bis zum 6./3.; seit dem 7./3. ist fast aus¬
schliesslich angezeigt Baryt, carb. -j- Lactuc. vir.
= Acid. phosphoric., nebenher besonders bei Diph¬
therie Baryt, carb. Belladonna (= Mercur.), -}-
Tonca (= Kali bichromic.), -f- Taraxac. (= La¬
chesis). Während der Herrschaft von Euphras.
gab es eine ziemliche Anzahl frischer Influenzafälle
mit Kopfweh vorne, Husten besonders Nachts und
Vormittags, ziemlich krampfhaft, Fieber, grosse
Müdigkeit, Gliederschmerzen. Aufgefallen ist mir
bis jetzt immer: Bei Combinationen mit Natr. mur.
stets Kopfweh in der Stirne, bei solchen mit Baryt
carb. stets 8chmerzen im Hinterkopf herauf, oft
bis in die Stirne. Bezüglich der Diphtherie sei
noch bemerkt, dass im Gegensatz zu den Fällen
vom Anfang Januar, die alle unter dem Gebrauch
von Apis rasch in höchstens 3 Tagen heilten, sie
in der letzten Zeit viel schwerer und hartnäckiger
mit raschem Mittelwechsel (meist Combinationen
mit Baryt carb.) verläuft und grosse Neigung zum
Uebergang auf den Kehlkopf zeigt, wobei nach
Schmerzpunkten dann meist Brom, -f- Spong. oder
-f Droser, angezeigt ist
Hähnle-Reutlingen schreibt am 23-/2., dass er
seit 10 Tagen bei krampfartigem Husten besonders
Nachts von Belladonn. 3° sehr gute Erfolge sehe
(nach Schmerzpunkten wäre wohl, wie hier, Natr.
mur. -j- I™ 8 6=3 Euphras. angezeigt gewesen).
Sigmundt-Spaichingen berichtet am 18./2, dass
er in den letzten Tagen bei mehreren Anginafällen
(nicht diphtheritisch) mit besonderer Betheiligung
der linken Mandel von Lachesis rasche Besserung
sah, und am 27.'2., dass er in den letzten Tagen
ausschliesslich Acid. mur. -f- Lachesis angezeigt
findet.
Buob-Freudenstadt berichtet am 10-/2-, dass er
seit 10 Tagen bei Influenza viel Euphras. mit
gutem Erfolge anwende.
Stuttgart, den 11. März 1892.
Dr. med. H. Göbrum.
Fragekasten.
In Beantwortung des Fragekastens in Nr. 5/6
der „Allgem. hom. Ztg.*, sei es mir vergönnt, zu
erwähnen, dass nach meiner Ueberzeugung die
Taenia bei Frauen am allermeisten Unheil anstiftet,
und kann ich es mir erklären, wie zur Zeit der
Menstruation die Taenia ganz besonders gereizt
wird, da ja zu dieser Zeit die Circulation des Blutes,
wie alle Zellen und Gefässe einer temporären Reac-
tion unterworfen sind. Der vorliegende Fall be¬
weist, dass das Caput selbst noch zurückgeblieben
ist. Der von Kousso gemachte Aufguss ist ein
Amerikanisches Universal mittel gegen alle Taenia
species.
Johnstown (Amerika).
Dr. med» R. Stendel.
Aas der Zeitnngsmappe.
Zeitschrift des Berliner Vereins homöopathischer
Aerzte , X. Band. Heft V und VI (October lö91).
Dr. C. Bojanus sen., Die Homöopathie in Russland.
— Dr. 8ul*er, Zur Neugestaltung der Materia
Medica. — Dr. J. Compton Burnett, Fünijährige
Erfahrungen in der neuen Behandlung der Schwind¬
sucht mittels ihres eigenen Virus, vermuthlich auf
gleicher Basis mit Koch’scher Methode. — Dr. Leeser-
Bonn, Gedanken über eine neue Pathologie. — Dr.
Kröner-Potsdam, Casuistisches. — Dr. Weber-Köln,
Ischias und ihre homöopathische Behandlung. —
Dr. W. Sorge-Berlin, Pbarmaceutisches. — Kleine
Mittheilungen.
Zeitschrift des Berliner Vereins homöopathischer
Aerzte , XI. Band. Heft I (Februar 1892). Dr. A. t
Lorbacher, Zur Aetiologie der chronischen Krank¬
heiten. — Dr. H. Goullon, Akute Schwerhörigkeit.
— Dr. C. WesseJhoeft-Boston, Die Forderung der
neuen Wissenschaft in Bezug auf die Leitung von
Arzneiprüfungen. — Dr. Taube, Ueber die »narko¬
tische* Wirkung des Bittermandelwassers. — Dr.
Dahlke, Einige Bemerkungen im Anschluss an
Farrington's Klinische Arzneimittellehre. — Materia
Medica. Begründet von dem Medical Investigation
Club of Baltimore. Deutsch von Dr. Sulzer. —
Dr. Dahlke, Therapeutisches. — Kleine Mittheil¬
ungen.
Digitized by Google
94
Archiv für Homöopathie, Nr. 1 (October 1891).
Dr. Villers, Wozu noch eine deutsche homöopath.
Zeitung? — Dr. Kunkel, Aus der Praxis. — Prof.
J. T. Kent, Kali carbonicum. — Dr. Mossa, Eine
historische Vergiftung, resp. Heilung mit Aconit.
— Dr. Hesse, Aus der Praxis amerikanischer Col¬
leges — Dr. Bojanus, Wie auf Universitäten die
lernende Jugend über Homöopathie aufgeklärt wird.
— Apoth. Loevy, Ein kleiner Beitrag zur Frage
bezgl. der „Reinheit* der Arzneien.
Nr. 2 (November 1891).
Dr. Dudgeon, Certa und Dubia in der Homöo¬
pathie. — Dr. Mossa, Zur Charakteristik der Ipecac-
uanha. — Dr. Villers, der vierte internationale
homöopathische Congress. — D. Lembke, Das Lächer-
liehe in der Homöopathie.
Nr. 3 (December 1891).
Dr. Kunkel, Zur Heilwirkung des Tuberkulin.
— Dr. Kennedy, Zufällige Auslöschung von Symp¬
tomen. — Dr. Kunkel, DreifäUe von Sykoma mentis.
— Dr. Hesse, Aus der eigenen Praxis. — Dr.
Lutherland, Einige Wünsche in der homöopathischen
Pharmacie.
Nr. 4 (Januar 1892).
Dr. Deschere, Diät und homöopathische Be¬
handlung. — Geh. Rath Leyden, Ueber die Grenzen
der Heilkunst — Dr. Wilkinson Clapp, Die Phar¬
macie der Verreibungen.
Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie ,
Nr. 1 und 2 (Januar 1892). Die eitrige Augen¬
entzündung der Neugeborenen. Dr. Schwabe. —
Influenza-Mittel. — Ueber die Berücksichtigung der
Constitution beim Rheumatismus. — Cocosnuss-
butter. — Zwei homöopathische Propagatoren. —
Eine Begegnung mit Hahnemann. — Vermischtes.
Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie ,
Nr. 3 u. 4 (Febr. 92). Unsere künftigen Aerztinnen.
Von Cornelia Jardon. — Homöopathie und sonstige
Heilmethoden vom natürlichen Standpunkt aus be¬
trachtet. Dr. Schier. — Ein seltsames und seltener
gebrauchtes homöopathisches Arzneimittel. Dr. Puhl¬
mann. — Ein unheilbares und heilbares Uebel. Dr.
Goullon. — Gegen chronische Fussgeschwüre. Dr.
Goullon. — Schwindsucht. Dr. Goullon. — Homöo¬
pathische Arzneien aus allopathischen Apotheken.
Dr. Möser. — Vermischtes.
Wegweiser zur Gesundheit , VI. Jahrg. Nr. 17,
18, 19 und 20—21, 22. Der wahre Unterschied
zwischen Allo- und Homöopathie. — Eingebildete
Kranke. — Schaden und Nutzen des Tabaksgenusses.
— Körperverletzung durch Laienärzte.
Prof ’ Dr. G. Jägers Monatsblatt, Nr. 12, Dec.
1891 und Nr. 1, Januar 1892. Die übersinnlichen
Verkehrswege. — Hautjucken in der Wolle. — |
Kleidung und Krankheit
Hygieca. Gemeinverständliche illustiirte Monats¬
schrift für Volksgesundheitslehre, Heft XI und XII,
November, December 1891 und Heft I, Jan. 1892.
Wolle oder Leinen. Von Dr. Gerster. — Hygieine
am Lande. Von San.-Rath Dr. Keil. — Die Kunst
kahl zu werden. Von Dr. Winkler. — Der Kampf
gegen den Alkoholismus. Von Dr. Hartmann Giger.
— Zur Erziehungsfrage. Von Alexander Winter.
— Zur Frauenhygieine. Von Dr. Wacbsmuth. —
Der Wille in der Hygieine. Von Dr. Navratil. —
Zur Hygieine der oberen Athmungswege. Von Dr.
Riedlin. — Wassermänner aus alter und neuer Zeit
Von Dr. Fodor. — Ueber Entwärmung. Von Dr.
Kühner. — Ueber den Werth, resp. Unwerth des
Alkohols als Genuss und Heilmittel. Von Dr.
Wenberg.
Blätter für klinische Hydrotherapie, Nr. 7 u. 8,
November, December 1891, Nr. 1, Januar 1892.
Dr. Grünfeld, Ein Heilmittel aus der Küche. —
Dr. Herz, über die Wirkung localer Dampfbäder.
— Dr. Money, Die Behandlung der Bronchopneu¬
monie bei Kindern mit Eis. — M. Tschelzow, Die
Behandlung des Scorbuts mittels strenger Milch¬
diät. — Dr. Gatomo, Zur gymnastischen Behand¬
lung der Amenorrhoe. — Dr. Cholmogoroff, Heilung
des Pruritus vulvae durch den constanten Strom. —
Dr. Ferguson, Epilepsie. — Maurel de Tonlose, Er¬
klärung der Gefahr hoher Temperaturen. — Dr.
Walther, Einwirkung der künstlichen Erhöhung der
Körpertemperatur auf den Verlauf der Infection
durch Pneumonie Diplococcen. — Dr. Popischil,
Zur hydratischen und mechanischen Therapie der
Herzkrankheiten. — Dr. Ising, Mittheilungen aus
der Praxis. — Dr. Fodor, Ein Gegner der Kalt¬
wasserbehandlung des Typhus? — Dr. Csillag, Zur
Behandlung des Prolapsus reoti. — Prof. Winternitz,
Ueber Neuralgieen und ihre hydriatische Behand¬
lung. — Dr. Pospischil, Zur hydriatischen Therapie
der Ischialgien.
The Hahnemannian Monthly, Nr. 12, Dec. 1891,
Nr. 1 und 2, Januar, Februar 1892. Acute Paren-
chymatous Metamorphosis of the Kidneys W. Haman.
M. D. — General and special Practitioners. Dr.
Winslow. — Notes on Intectinal Surgery. Van
Lennep. M. D. — Aurum Bromidum — Its Use
in Certain Nervous Affections. Haie D. M. — Two
Gases of Pseudo Cyesis. R. Amesbury. M. D. —
Two Interesting Malpractice Cases. A. Riley. —
Discussion of Diseases of the Moutb. — Reliability
in Materia Medica. Dake. M. D. — The Materia
Medica Not Weakened by Revision. E. Janney. M. D.
— Encysted Vesical Calculus. Viecher. M. D. —
Circumcision. Rusell M. D. — A Gase of Melano-
tic Sarcoma of the Nares. Schallcross. M. D. —
Jottings from Practice in the Old Country. Gooper
M. D. — Pyretology. Fornias M. D. — Eye and
Ear Complications of Epidemie Influenza. King
M. D. — The Significance of Bacteriological Dis-
ooveries to the Homoeopathic Method of Treatment.
Digitized by v^ooQie
Maddux M. D. — Free Dispensary Abuses. Chase.
Esq. — Jottings from Active Practice in Old Eng¬
land. Cooper M. D. — Anenrism of the Abdominal
Aorta — A Case. Babley M. D.
The Homoeopathic Physician , Nr. 12, Dec. 1891.
Nr. 1 nnd 2, Jannar 1892. Is it Homoepathy or
Isopatby? Swan M. D. — What are the Remedies?
Farbley M. D. — Provings and Clinical Observations
with High Potencies. Macfarlan M. D. — Science
and Old Medicine Contrasted. Pomeroy M. D. —
Chronic Intoxication from the Habitnal Use of the
Essences, as Wermuth, Absinthe, etc. 8. L. —
Britisch Medicinal Plants. Heath M. D. — Cholora
Infantum. Steinrauf M. D. — Coffea Cruda in Enu¬
resis. White M. D. — Detachment of the Retina.
Howard M. D. — A Symptom of Arsenicum. Tuttle
M. D. — Fearful Aggravation Caused by Lauro-
cerasns. Wigg M. D. — The Oldest Homoeopathic
Physician. Hoopes M. D. — An Error in the Lippe
Repertory. Fowler M. D. — The Use of Reper-
tories in Finding the Homoeopathie Remedy. Holmes
M. D. — Sick Headache Cured with One Dose of
Lachesis. Rushmore M. D. — British Medicinal
Plants. Heath M. D. — Homoeopathic Dilutions.
Fowler M. D. — Tannin Poisoning. S. L. —
Medorrhinum. Wildes M. D.
The Monthly Homoeopathic Review , Nr. 9, Sept.
1891. Observations of the Action of Jodide of
Potassium in Tertiary Syphilis. Shaw M. R. C. S.
— The Supervision of Normal Parturition. Day
M. D. — Tachycardia, or Rapid Heart Cash M. D.
— Lembke’s Provings. Dudgeon M. D.
The North American Journal of Homoeopathy ,
Nr. 11 und 12, November, December 1891. Tbe
Rights and Duties of Homoeopathy. Lewis M. D.
— Gases of Insanity following „La Grippe“. Allen
M. D. — The Use of Massage and Nerve Gym-
nastics in Chorea and Spinal Irritation. Purdy M. D.
— A Plea for the Faradic Battery in the Treat¬
ment of Uterine D ; seases. Newell M D. — Neurotie
Forms of Dysmenorrboea. Lee M. D. — On What
Lines Should We Work. Van Denburg M. D. —
Avena Sativa ant Its Indications. Rusell M. D. —
Morbid Fears and Imperative Conceptions — Their
Homoeopathic Treatment O’Connor M. D. — A
Remarkable Case of Traumatic Insanity. Butler M. D.
— A Com parison of the Kali Salts. Winters M. D.
— Croup. Kinney M. D. — Treatment of Endo-
cervicitis and Endometritis. Brayton M. D. — The
Homoeopath’s Duty in Paediatry. Beschere M. D.
Revue Homoeopathique Beige , Nr. 7 u. 8, Oct.,
Nov. 1891. L'homoeopathie ä Anvers. Dr. Martiny.
— Historique du Conflit qui 4clata ä Anvers &
l'occasion de 1’Etablissement d'un dispensaire homoeo¬
pathique. Dr. Lambreghts. — Quelques remarques
ä propos du traitement de la diphtErie. Dr. Martiny.
— A propos de certains symptomes des PatbogE-
nesies Hahnemanniennes. Dr. Martiny. — Cures
homoeopathiques. Charleroi. — De l’antipyrine
dans les affections de la peau, par le Dr. Mersch,
de Bruxelles. — De l'occlusion intestinale, par le
Dr. Planquart, de Bruxelles.
Nekrolog.
Am 30. Februar d. J. verschied in Regensburg
der rühmlichst bekannte homöopathische Arzt
Herr Dr. Karl Gerster
nach längerem Leiden an marasmus senilis im 79.
Lebensjahre.
Derselbe war nach zurückgelegtem Staatsexamen
2 Jahre lang Assistenzarzt am Krankenhaus in
München, wurde hierauf Hofarzt des Fürsten Löwen -
stein, mit dem er nach Wien kam und dortselbst
im Spitale der barmherzigen Schwestern zu Gumpen-
dorf die homöopathische Heilmethode kennen lernte.
Er unterwarf sie einem eingehenden Studium, wo¬
durch er dann die Ueberzeugung erlangte, dass ihre
practischen Erfolge weitaus die der Allopathie über¬
treffen. Im Jahre 1846 liess er sich in Regens¬
burg als homöopathischer Arzt nieder und behauptete,
obwohl er mit grossen Schwierigkeiten seitens der
allopath. Aerzte, Apotheker und der Behörden zu
kämpfen hatte, glänzend das schwierige Feld, so
dass ihm mit der Zeit die Stellen eines städtischen
Armenarztes, Bahnarztes und Kassenarztes übergeben
wurden, so wie er denn in allen Kreisen der Be¬
völkerung in und ausser Regensburg der beliebteste
Arzt war.
Nach dem Tode des von dem Pfarrer Dr. Lind-
ner gegründeten bayerischen homöopathischen Ver¬
eins war er längere Zeit Vorstand dieses Vereins,
und redigirte die homöopathischen Monatsblätter aus
Regensburg. Zur Genüge bekannt ist Dr. Gersters
öffentliches Auftreten für die Wahrheit der Homöo¬
pathie in Versammlungen, in Brochüren und Zeitungs¬
artikeln, und auch manche Unannehmlichkeiten hatte
er vor Gericht zu bekämpfen, insbesondere in der
bekannten Frage des Dispensirrechtes der homöo¬
pathischen Aerzte, wesswegen er oft von allopath.
wie homöopath. Apothekern angeklagt wurde.
Dr. Gerster war nicht bloss Homöopath, er war
auch in der Naturheilkunde, in der Hydrotherapie
sehr erfahren und wandte den Mesmerismus in den
letzten Jahren mit grossem Erfolg zum Staunen der
Bevölkerung in vielen Fällen an.
Sicher ist ihm auch zu danken, dass sein Sohn
Herr Dr. Karl Gerster in München eine Richtung
in der Medicin eingeschlagen hat, die jedenfalls
nicht zu Ungunsten der Homöopathie spricht.
Ehre seinem Andenken 1
München, den 6. März 1892.
Dr. med. C. Köck.
Digitized by
«•
ANZEIGEN.
Ildkft€S&&aa«ll€6t€& aa4
von Gyps, weiss, ca. 28 cm hoch, ohne weisse Console,
von Gyps, weiss, ca. 28 cm hoch, mit weisser Console,
von Gyps, broncirt, ca. 28 cm hoch, ohne broncirte Console,
von Gyps, broncirt, ca. 28 cm hoch, mit broncirter Console,
von Gyps, weiss, ca. 60 cm hoch, ohne weisse Console,
von Gyps, weiss, ca. 60 cm hoch, mit weisser Console,
von Gyps, broncirt, ca. 60 cm hoch, ohne broncirte Console,
von Gyps, broncirt, ca. 60 cm hoch, mit broncirter Console,
in Biscuit- ( weiss, ca. 60 cm hoch, ohne weisse Console,) auch in
masse \ weiss, ca. 60 cm hoch, mit weisser Console,J Biscuitmasse,
Hahnemann-Abbildungen, Lithographie, gross
Hahnemann-Abbildungen, Photographien, Visitenkartengrösse
Hahnemann-Denkmal (in Leipzig), Abbildungen
Photographien, Visitenkartengrösse, von anderen hervorragenden homöo¬
pathischen Aerzten (wie CI. Müller, Hirschei, Hering, Heinigke, Lor-
hacher etc. etc.)
was nicht da ist, wird, so weit möglich, baldigst besorgt.
A. Marggrafs Homöopath . Offidn
k Stück
k Stück
k Stück
k Stück
k Stück
k Stück
k Stück
a Stück
k Stück
k Stück
k Stück
ä Stück
k Stück
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
Mark
4. —
5. -
6.50
8 .—
18.—
25.-
25.—
34.—
40. -
47.50
1.50
-.50
-.50
a Stück Mark —.75
in Leipzig.
Wachenheiiner Sect
Fr&miirt Leipzig 1892: [La 1231J
Ehrenpreis der Stadt Leipzig und Goldene Medaille.
Blaa Etiqaette. * — \ incl. Kisten
■•Bopole . . . „ 3.60\ n. Flaschen
Weise Ktlqaette ,, 3.— / von 1* bis
Kaiser Perle . ,, 4 .—) 60 Stck.
Mit 10% und 16% Rabatt.
Hauptniederlage und Generalvertreter
Eduard Brade, Leipzig, Bitterstrasse 17.
Wiederverkauf er und Exporteure Extra-Offerten.
Prima entölten homöopath. Cacao.
Feinste homöopath. Gesundheits-
Chokolade.
Bei homöopathischen Curen ausser dem homöo¬
pathischen Gesundheitskaifee als Getränke gestattet,
empfehlen wir in reinsten und besten Qualitäten
und in eigener Packung billigst:
Entölten Cacao in Blechbüchsen
k 1 Pfd. k 1/2 Pfd. k iPfd.
k 2.80 k 1.50 ä^-.80 Mk.
Gesundheits-Chokolade k Pfd. *■= 2 Mark,
in V« Pfd.-Tafeln k 50 Pf.,
Unsere Präparate sind von reinstem Geschmack,
bestem Arom, höchstem Nährwerthe und leichtester
Verdaulichkeit.
Homöopath. Centralapotheke
von Täschner & Co. in Leipzig.
JPanna,
anerkanntes und vorzüglich bewährtes
Bandwurmmittel.
Panna, die Wurzel von Aspidium athamanticum,
direct von Natal in bester und frischester Qualität
importirt, erfreut sich schon seit Jahren der aus¬
gedehntesten Anwendung und Anerkennung von
Seiten renommirtester praktischer Aerzte Deutsch¬
lands und des Auslandes, zeichnet sich durch seine
sichere und milde Wirkung aus, nimmt sich leicht
ein und ist das billigste aller wirklich zuverlässigen
Band wurm mittel.
Preis einer Dosis für eine Kur (für Erwachsene
oder Kinder) Bmk. 2. —
A. M arggraf 8 homöopath. Offlein, Leipzig.
Ein
homöopatischer Arzt
sucht einen Collegen mit Dispensirrecht; monatlich
250—3C0 Mk. Alles frei. Sehr angeneme Existenz.
Gefl. Offerten sub A. Z. 100 an die Expedition
dieses Blattes.
Tfil7. Mrankentaeil beiMünchen - Höhenluftkurert
jodhalt. Quelle«. Indicat Frauenkrank¬
heiten, Sorophulose. ohron. Hautleiden, Lues, — Auskunft
d. Dr. Letzel (im Winter in München, im Sommer in Tölz).
Verantwortliche Redactenre: Dr. Goehrua-Stnttgart , Dr. Stifft-Leipaig und Dr. Haedioke-Leipzig.
Expedition und Verlag von WIHIaai Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Gramer & Sohramm in Leipzig.
Digitized by
Google
Band 124,
Lelpiig, den 31. Hin 1892.
ALLGEMEINE
No. 13u.l4,
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Harggrafs homOopath. Offlein) in Leipzig.
ff/F* Braoheint 14tägig so 3 Bogen. IS Doppelntammern bilden einen Bend. Preis 10 M. SO Pf. (Halbjahr). Alle Buobhendlnngen and
Poetenetelten nehmen Bestellungen en. — Inserate , welohe an B. Messe in Leipzig und dessen Filialen su richten sind,
werden mit MP/, pro einmal gespaltene Petitseile nnd dem Baum bereehnet. — Beilagen werden mit HP. berechnet.
Inhalt: Berllnsr homöopathisches Kr&aksnhans. — Einladung. — Gehemmter Fortaobritt — oder beförderter
Rioksobritt. Von Dr. F. Katsch-naden-Baden. — Entgegnoag, Von Dr. med H. Göhrum, prakt. Arzt in Stuttgart.
— Ana der Zeitungamappe. — Anzeigen.
Berliner homöopathisches Krankenhaus.
Einladung
zur
ordentlichen Generalversammlung
am 23. April 1892, Abends 7 Uhr
in der Poliklinik des «Vereins homöopathischer Aerzte* in
Berlin, Charlottenstr. 77.
Tagesordnung:
1) Vorlegung des Jahresberichts für 1891.
2) Antrag auf Ertheilung der Decharge an das Cnratorinm.
3) Wahl eines Curatorrams-Mitgliedes an Stelle des verstorbenen Herrn Dr. Traeger. (Das Cnratorinm
cooptirte inzwischen Herrn Dr. Kröner-Poted&m.)
Berlin, den 29. März 1892.
Das Curatörium.
Einladung.
Zn der am Sonntag den 10. April Abends 7 Uhr im Theaterrestanrant stattfindenden Feier
von Samnel Hahnemann*s Geburtstage werden die auswärtigen Collegen und Freunde der Homöopathie
hierdurch freundlichst eingeladen. Wir bitten bis znm 8. April an den Unterzeichneten die Theilnahme
vorher anzeigen zu wollen, um die Zahl der Couverte feststellen zu können.
Der Verein homöopathischer Aerste in Leipiig.
I. A. Dr. med. Haedleke, Burgstr. 2.
Digitized by
98
Gehemmter Fortschritt — oder
beförderter Rückschritt.
Von Br. F. Ratsch in Baden-Baden.
Da hör loh fern ein silbern Hörnlein blaaen —
Hei, lüsser Ton, wie triffst dn mich in’s Hers.
Die alte Freundin geistert auf den Strassen
Und all mein Sehnen schwingt sich irrfahrtwärts.
(Scheffel.)
In der That scheint Frau Aventiure durch No. 23
und 24 der Allgem. Hom. Ztg. vom 10. December
1891 zu „geistern*, sie, deren Hörnlein wir sonst
nicht ohne ein gewisses Lächeln durch diese oder
jene Laienzeitung blasen und klingen zu hören ge¬
wohnt sind. Natürlich ist es ja dem prakt. Arzte
Herrn Dr. Göhrum so gut wie jedem anderen Mit-
gliede der Aerzterepublik völlig anheimgestellt, Heil¬
versuche innerhalb der Grenzen seines wissenschaft¬
lichen Begründungsvermögens getrost anzustellen,
und das doppelt bei solchen Krankheiten, deren
Ausgang in den bei Weitem meisten Fällen wohl
ein letaler zu sein pflegte. Allein der Mitredacteur
der Allgem. Hom. Ztg, Herr Dr Göhrum, wird sich
doch der Einsicht nicht verschliessen dürfen, dass
es in seiner letzteren Eigenschaft gerade ihm nicht
zukommt, das Gesetz willkürlich zu durchbrechen,
dessen Hochhaltung und Verbreitung die Allgem.
Hom. Ztg. in allererster Linie gewidmet ist: das
Aehnlichkeitsgesetz. Wir hoffen zuversichtlich,
dass der redactionelle Dreibund diesseits und jen¬
seits der Mainlinie es als seine Pflicht " anerkennen
werde, der A. H. Z. nicht die Umgestaltung in
einen Freihafen für eklektische Curmethoden auf-
octroiren zu wollen, sondern Mittheilungen über
Curen, welche ausserhalb des Bereiches des Aehn-
lichkeitsgesetzes erscheinen und ein allgemeineres
Interesse gleichwohl beanspruchen könnten, nur als
Miscellanea oder Curiosa darzubieten. Denn nova-
rum rerum copidi wird es immerdar geben und
das hat ja auch sein Gutes!
Dies voran geschickt, bekennen wir uns ganz ehr¬
lich als farbenblind für die Stichhaltigkeit der Mei¬
nung des Herrn Dr. Göhrum, dass dessen auswurfs¬
stoffliche Krankenbehandlungen als ein „Probiren“
von Kochs Veifahren gelten dürften. Am ver¬
wunderlichsten dürfte sicherlich Koch selbst zu
dieser Versicherung drein schauen! Und wenn der
Verfasser alsdann hervorhebt, dass er neben dieser
„Autoisopathie* noch durch „gute Erfolge* garan-
tirende Methoden von Weihe und von unserem em¬
sigen Collegen Schlegel, sowie durch solche Mittel
nachgeholfen habe, durch welche er den Anforde¬
rungen des Genius epidemicus gerecht zu werden
geglaubt habe, so erscheint ja ungefähr alles irgend
Mögliche aufgeboten zu sein, um die Erkenntnis
unmöglich zu machen, welcher dieser verschiedenen
Resultanten die Palme des guten bez. unbefriedigen¬
den Erfolges zuzusprechen sei. Allerdings erkennt
der Verf. an auf S. 180, dass seine Versuche theil-
weise keine „reinen* seien; allein er nimmt alle
Fälle der „zweiten Abtheilung* zuvörderst aus.
Leider ist hierbei nicht ersichtlich; welcherlei Fälle
dies sein sollen; denn in seinem Schema unter¬
scheidet der Autor drei „Perioden“ seiner Be¬
handlung und zählt in jeder „Periode* leichte,
mittelschwere und schwere Fälle auf. Welche dieser
vier Categorien als „Abtheilung* verstanden werden
solle, ist jedoch in der Erläuterung S. 179 nicht
angegeben. Weiter heisst es S. 180: „. . . die der
dritten Abtheilung waren stets in den ersten Wochen
der Behandlung ebenfalls nur (?) mit homöo¬
pathischen Mitteln behandelt, so dass (?) der
Einfluss des Autotuberculins doch „„genau
abgewogen** werden konnte.*
Da jedoch über die Behandlungsdauer mit nur
autoisonischen Mitteln keinerlei Angabe gemacht ist,
so entzieht sich der Werth dieser Behauptung jeder
Prüfung. Die Mehrzahl der Leser der Allg. Hom.
Ztg. dürfte indessen aus Hahnemannianischen
Homöopathen bestehen, welche den Angaben ihres
Meisters über die Wirkungsdauer homöopathischer
Arzneien kein Misstrauen bisher entgegenbrachten.
Diese Wirkungsdauer aber bemisst Hahnemann für
die verschiedenen von ihm geprüften Medicamente
in einer Spannweite von nur wenigen Stunden (z. B.
Opium) bis über sechs, ja acht Wochen hinaus
(z. B. Silicea). Welche Arzneien waren nun vorher
angewendet — und wie lange ward alsdann aus¬
gesetzt mit jedweder Behandlung? Darüber erfahren
wir nichts; mithin bleibt die Behauptung des Autors,
dass der Einfluss des Autotuberculins „genau ab¬
gewogen* sei, einstweilen unbewiesen, was hier ge¬
rade ein sehr störendes Versehen ist. Wenn dahin¬
gegen der Autor auf S. 180/181 freudestrahlend
eine Heilung von „ausgedehnten Cavernen-
symptomen* bei zwar andauernden, aber ge¬
ringem hektischen (?) Fieber an führt, in welchem
Falle bereits 10 Wochen „Argent. in wechselnden
Verdünnungen und Gaben* und neben diesem he¬
roischen Mittel seit 14 Tegen Autoison 200 00 *)
gegeben wurde, und wenn obenein dies nur ein
Beispiel für viele sein soll, dann wird der Ver¬
fasser es keinem Lesegaste verübeln dürfen, der
von solchen Inductionsbeweisen sich mit Grausen
wendet! Er wird es auch nicht übel deuten dürfen,
wenn dieser oder jener Leser hier einen Zweifel in
die Richtigkeit der Diagnose selbst setzt; denn ein
*) Leider ist es Sitte oder vielmehr Unsitte ge¬
worden, verschiedene, an sich nichtssagende Bezeich¬
nungen zur Unterscheidung von Decimalen und Cente-
simalen zu benutzen. Wir nehmen an, dass hier dio
200. Centesimale (!) gemeint sei. Wäre die Bezeich¬
nung durch D oder C nicht besser allgemein beizu¬
behalten? Dr. K.
Digitized by v^ooQie
99
Tnonatelanges Bestehen „über die Hälfte des
linken oberen Lnngenlappens ausgedehnter Ca-
vernensymptome bei geringem Fieber* 1 wird der
College Göhrum selbst vermuthlich als eine rara
avis gelten lassen. 8oll nun in diesem Falle das
Autoison — that is tbe question — binnen 14
Tagen das andauernde aber geringe Fieber nicht
nur getilgt, sondern bereits eine sichtbare Körper¬
zunahme herangebildet haben, dann musste zweifel¬
los doch ein abermaliger genau detaillirter
Lungenbefund dem ersten — leider gleichfalls
uns vorenthaltenen — hier gegenüber gestellt
werden. Ob übrigens der Verfasser — angesichts
einer so augenfälligen Körperzunahme in so kurzer
Zeit — der von ihm aufgestellten und mir sonst
neuen Forderung selbst entsprochen habe, hier die
absolute Gewichtszunahme durch eine Vornahme
der specifischen Gewichtsbemessung des Pa¬
tienten zu controliren, ist nicht gesagt. Soll uns
aber der in Rede stehende Einzelfall zu Gunsten
der funkelnagelneuen Autoison-Behandlung als bo¬
wel sgiltig dienen, was er in Anbetracht der be¬
rührten Mängel keineswegs vermag, so ist er gegen¬
teilig nur ein Beispiel für viele, dass es überall
in den Mittheilungen an klaren Untersuchungsbe¬
funden fehlt, welche uns eine eigene Würdigung
der Sachlage bei Beginn und bei Ende der Autoi-
sincur ermöglichten. Muthet uns der Verf. statt
dessen zu, dass uns so empfindliche objective
Mängel vergütet werden sollen durch den Ausruf
seiner Patienten: „So eine gute Arznei habe ich
noch nie gehabt 44 , — dann überschätzt er leider
die Galanterie manches Lesers gegen das schönere
Geschlecht; so auch die meinige! Aehnliches gilt
von dem Referate über die Verschlimmerungen
S. 180, welche nach Hocbpotenzen von Autoison
* bemerkbar geworden sein wollen. Hier handelt es
sich um drei Todescandidaten der Schwindsucht,
um Leute „mit andauerndem Fieber und 110 bis
130 Pulsschläge in der Minute“.
Nehmen wir an, es sei zunächst nur ein lapsus
calami, wenn der Verf. bei diesen, wie er selbst
sagt, „schwer darniederliegenden Patienten 44 nach
1—2 Gaben von 5 Körnchen der 200, 400, 600,
1000 00 (!!!) Autotuberculin, solche Verschlimme¬
rungen erzielt habe, wie: „jedes Mal Schüttel¬
frost, erhöhte Fiebererscheinungen, recht vermehrte
Rasselgeräusche in den Lungen und nachher Ab¬
nahme 11 etc., so können wir der folgenden Ver¬
wahrung doch nur geringe Defensivkraft beimessen:
„Meine Herren! Was ich Ihnen hier angegeben
habe, ist keine Einbildung von mir, denn die
Patienten, welche keine Ahnung hatten, was sie
einnahmen, machten mir diese Angaben von
selbst, welche ich nie zu hören erwartet hatte.“
Wir glauben Letzteres herzlich gern! Diese
Angaben wären auch als Prüfungserscheinungen
des Mittels seitens Gesunder äusserst werthvoll
gewesen. Klagen „schwer daniederliegender
Patienten“ pflegt ein homöopathischer Arzt
indessen nicht als Arzneiwirkungen eines bisher
völlig unbekannten Mittels zu verwerthen!
S. 181 klagt der Herr Verf., dass er „kein
Spital zur Verfügung“ habe! Es werden jetzt ge¬
rade 30 Jahre, dass ich — damals noch Allopath
— als selbständiger Arzt für das mit dem städt.
Lazaretbe combi nirte Arbeitshaushospital am Alexan¬
derplatz in Berlin ernannt wurde. Dorthin entleerte
zunächst auch die Kgl. Charitde die unbemittelten
städtischen Kranken, welche sie für unheilbar er¬
klärte, zu anderweitiger städtischer Unterbringung;
und da für jeden dieser Kranken die Charit^e-Acten
zur Einsicht mitgesandt wurden, so war hier eine
so reiche Gelegenheit zum Studium schwerer Brust-
und Herzkrankheiten geboten, wie sie mancher Uni¬
versitätsklinik keineswegs zu Gebote stehen. Seit
jener Zeit habe ich bis zur Stunde dauerndes
Interesse für Krankheiten der Brusthöhle und
deren Diagnostik beibehalten. Damals hatte ich
stets ein Contingent von 30 — 40, im Winter meist
von 60—80 derartigen Kranken. Der eine Flügel
unseres Lazareths beherrschte mit seiner westlichen
Fensterreihe weite Hinterhöfe bezw. Holzplätze,
durch welche ein Arm der Spree ging. In jugend¬
lichem Volleifer liess ich es an fleissiger Ueber-
wachung meines Lazareths nicht fehlen. Auf meinen
Antrag waren diese Westfenster auch mit vortreff¬
lich dichten Strohmatten geschützt, welche in der
benachbarten Strafanstalt gefertigt und stets in
bestem Zustande erhalten wurden. In den Sälen
meiner Lungenkranken, deren Decken durch Holz¬
pfeiler gestützt waren, hing je ein Thermometer in
der Mitte und oftmals überzeugte ich mich noch
um Mitternacht, ob auch die vorschriftsmässige
Wärme in den Räumen herrsche. Wenn dann aber
im Verlaufe der Nacht ein nur einigermassen schrofferer
Witterungswechsel eintrat, und wenn namentlich der
berüchtigte Spandauer Wind sich etwa in den frühen
Morgenstunden erhoben hatte, dann zeigten aus¬
nahmslos alle schweren Tuberculosekranken bei
der Morgenvisite quälende Verschlimmerungen,
auch ohne dass Jemand gewagt hätte, einige Körn¬
chen Autotuberculin 2000 00 auf ihre gefahrdrohende
Wirksamkeit zu probiren. Und wie gegen Wetter¬
veränderungen, welche ein Gesunder gar nicht be¬
achtet, so lässt sich auf geringfügige andere Ur¬
sachen, so namentlich auf schwere Träume, auf
Schlafen mit weiter als gewöhnlich geöffneten Munde,
auf einen relativ zu kalten Trunk, auf eine etwas
versalzene Suppe, auf Aerger oder mässige Gemüths-
bewegungen bei solchen Schwerkranken eine
mehr oder weniger andauernde Verschlimmerung
mit Gewissheit voraussehen. Das ist es, was der
Verf. zunächst aus leidiger Erfahrung kennen würde,
13 *
Digitized by
Google
100
wenn ihm ein Hospital zur Verfügung stände. Ich
erinnere mich übrigens sehr wohl, dass damals die
Bademachersche essigsaure Eisentinctur in kleiner
allopathischer Gabe eine unleugbare Euphorie bei
meinen derartigen Todescandidaten herbeifäbrte.
Später habe ich — da auch die Anstaltsapotheke
mir unterstellt war — Gelegenheit genommen, den
Ober Wärter anders zu beschäftigen und in den mir
geeignet scheinenden Fällen die Arzneien selbst
anzufertigen. Selbstverständlich gab ich die ho¬
möopathischen Arzneien — so und so viel Tropfen
3. höchstens 6. D.-Verd. — aus meiner Tasche;
selbstverständlich ferner gingen in das Lazareth die
landesüblichen 6—8 Unzenflaschen, mit etwas Succ.
Liquir. mit Tinct Cur cum., mit etwas Cocc. cacti etc.
in allen Farben des Begenbogens prangend. Meine
ganze freie Zeit aber blieb dem Studium der ho¬
möopathischen Arzneimittellehre gewidmet; auch
ärztlicher Bath seitens älterer Berliner homöopathi¬
scher Collegen fehlte mir nicht Und in gleichem
Grade, wie ich an Arzneimittelkenntniss zunahm,
gewahrte ich, dass diese homöopathischen Arznei -
gaben trotz der unentbehrlichen Farben- bez. Ge-
schmackscorrigentien in allen meiner Kraft zugängigen
heilbaren Fällen halfen. Eine zweifellose Arznei¬
verschlimmerung aber habe ich nur ein einziges
Mal beobachtet; nämlich höchstgradige plötzliche
Myopie bei einem 4jäbr. Kinde der Familienstube
der Anstalt, welches in besagter Weise Belladonna
3 D erhalten hatte. Mit Aussetzen der Arznei gab
sich das mich schwer beängstigende Uebel binnen
24 Stunden. Beansprucht das Ende des Göhrum’-
schen Referats eine „erkennbare“ Arzneiverschlim¬
merung als Basis homöopathischer Curen, so haben
wir dafür kein Verständniss; auch hat also Habne-
mann im Organe sich nicht ausgesprochen.
Wer so mühselig seine homöopathischen Er¬
fahrungen sich abstehlen musste, dem wird man
seinen Zweifel an solche homöopathische Verschlim¬
merungen bei Schwerkranken auf einige Körnchen
2000* 0 Potenz, wie die auf S. 180 geschilderten,
wohl zu Gute halten müssen!
Allein auch für einige — natürlich wiederum
nur ganz allgemein hingestellte — Untersuchungs¬
ergebnisse des Verf. fehlt mir das Verständniss.
ln solchen Fällen wo Lungentuberculose sonst
sicher zu diagnosticiren ist, konnte ich niemals
„ungemein wechselnde Lungenbefunde“, sondern
lediglich äusserst dauerhafte constatiren; ab¬
gesehen natürlich von gewissen Respirationserschei¬
nungen, welche allein davon abhangen, ob eine ge¬
wisse Anzahl Bronchien vorübergehend durch Schleim
verstopft resp. von zäherem oder löslicherem Schleime
besetzt sind. Desgleichen ist mir neu, „dass dicht
vor und unter (?) dem Schultergelenke sich die
krankhaften Veränderungen häufig am längsten er¬
halten, während über dem übrigen Thorax
alles ganz in Ordnung zu sein scheint!“ —
Ich glaube vielmehr, dass in solchen Fällen, wo in
den Lungenspitzen eine anscheinende Tuberculose
mit ungemein wechselndem Charaoter der
Auscultationsbefunde beobachtet wurde, es sich
um Pneumonieen gehandelt haben dürfte, welche
sich — wie nicht allzuselten geschieht — in einer
Lungenspitze localisirt haben mögen, wenn nicht
um eine Bronchieektasie, deren mir übrigens nicht
allzuviele vorgekommen sind.
Hier konnten eben nur eingehende Schilderungen
der Objectivbefunde uns Genüge leisten. Berufungen
und Auslassungen der armen Kranken selbst können
doch wissenschaftliche Beweisführungen nicht ab¬
geben sollen!
Es ist nun, da die No. 23 und 24 erschien,
eben jährig gewesen, dass der Enthusiasmus über
die Koch’sche Erfindung seinen Siedepunkt erreicht
hatte. Wie viele — und obenein wie zweifellos
untersuchungserfahrene — Aerzte wollten damals
nicht glänzende Erfolge gesehen haben! Als dann
aber die Enttäuschung und Ernüchterung nachkam,
fehlte es natürlich nicht an Einzelnen, welchen dieses
ungeheuerliche Fiasco vor aller Welt sehr peinlich
war und welche nunmehr versicherten, dass nichts¬
destoweniger eine grosse Zukunft noch embryonal
in der Koch*schen Flüssigkeit schlummere. Warten
wir ab, welch* ein Kindlein diese Hebammen der
Zukunft uns präsentiren werden!
Immerhin waren die damaligen Versuche durch¬
aus vorgreifende, mithin unreife; und daher und
darum schlugen wir Homöopathen damals — viel¬
leicht etwas pharisäerhaft — an unsere Brust und
sagten: „Aehnliches könnte in unserem Lager nicht
präsentiren; davor schützt uns unser Aehnlicbkeits-
gesetz. u
Nun aber haben wir es hier gar nicht mit einem
„Kochin“ zu thun.
Und durften die Collegen als homöopathische
Aerzte sich dispensiren von den Erfordernissen des
Aehnlichkeitsgesetzes, namentlich gegenüber einem
so heroischem Mittel, wie das „Autoison“ doch
zweifellos sein muss nach Hrn. Dr. Göhrnm’s An¬
sicht, wenn seine schwindelnsten Hochpotenzen in
wenigen Kügelchen bei schwachen Kranken noch
so bedenkliche Erst Wirkungen zu Wege gebracht
haben sollen? Ist dem gegenüber die Entschuldi¬
gung oder gar beabsichtigte Bechtfertigung für eine
solche Unterlassung irgendwie verständlich (S. 181):
„Meine Meinung ist die: „Das Autoison ist die
genaueste am Gesunden (!!) geprüfte Arznei, da
der Patient (!!) an sich selbst die freilich un¬
erwünschte (!!) Prüfung macht“ Diese mystische
Sprechweise kann doch sicherlich als eine „homöo¬
pathisch zulässige“ nicht gelten wollen; abge¬
sehen davon, dass wir gar nicht hier zu ersehen
vermögen, auf welchen „Patienten* und auf welche
Digitized by tjOOQle
101
„unerwünschte Prüfung“ denn hier Bezug ge¬
nommen wird? Eine homöopathische Prüfung
soll aber nieht von einem, sondern von möglichst
vielen und verschiedenartigen Personen angestellt
werden und bekanntlich eben nicht von Patienten,
sondern von Gesunden!
Im unmittelbaren Anschluss hieran erklärt der
Verf. das „Koch’sche Heilmittel als ein Kunst¬
mittel, dessen feinere Wirkungen unbe¬
kannt“ seien. Mithin widerlegt er selbst am
Schlüsse seines Satzes seine Behauptung in dessen
Beginne, dass er das „Koch’sche Verfahren,
welches vor die Alternative Ignoriren oder
Probiren gestellt* habe, auf dem „dritten
Wege*, nämlich dem Jäger’schen, „probirt“ habe,
denn das letztere Präparat ist von dem Kooh'schen
— wie ja hier zugestanden wird — völlig ver¬
schieden. Ebenso gelten dem Verf. die Pasteur’sche
Vaccine und die Impflymphe als „in ihren feine¬
ren Wirkungen unbekannte Kunstproducte“.
Ob letzteres für die Impflymphe zutreffe, darüber
wollen wir mit dem Verf. gar nicht rechten. Haupt¬
sache bleibt, dass nach homöopathischer For¬
derung jedweder als Arznei zu verwendende
Stoff — ganz gleich, ob derselbe Kunst- oder
Naturproduct sei — vorher nach dem Hahne-
mann*8chen Regeln an Gesunden ausgeprüft
werden müsse. Kann das der Autoisoniker?
Und wenn nicht, was hat dann Autoisonmit
der Homöopathie zu schaffen?
Dieser homöopathischen Conditio sine qua non
sind aber die autoisonischen Collegen nicht nach¬
gekommen,* konnten es auch nicht als Gesunde,
verliessen also die Fahne der Homöopathie!
Trotzdem schreibt der Herr Verl, am Schlüsse
seines „Vortrags“: „Etwas in seiner Wirkung
Bekanntes also ist das Autoison und etwas Un¬
gefährliches auch,.wenn es in genügender Ver¬
dünnung angewandt wird“ etc.
Das „Autoison“ neuester Erfindung ist also etwas
in seiner „Wirkung“ Bekanntes? Dieser Appell
an unsere Bereitwilligkeit zu den unglaublichsten
Zugeständnissen hat etwas so vertrauensvoll An¬
heimelndes zumal in der Weihnachtsstimmung, dass
wir fast nicht umhin können zu glauben, der Verf.
hegt selbst die Ueberzeugung, Zutreffendes in dieser
Behauptung niedergeschrieben zu haben! Aber was
werden die Physiologen über die angeblich allbe¬
kannten „Wirkungen des Rachen- oder Bronchial¬
schleims“ sagen? Und welch' ein Unheil ist zu
besorgen, sollte fürderhin in gewohnter Weise ein
hustendes Kind sein eigenes Bronchialsecret ver¬
schlucken oder Erwachsene — ja Aerzte selbst —
wider Willen das ihrige im Zustande beginnen¬
der Lösung der zähen Katarrhalsecrete! Allein da¬
für wissen wir nun endlich, dass der vielberüchtigte
„Magenbusten“ mit seiner Devise: Wer lange hustet,
lebt lange! doch kein leerer Wahn ist. Gott Lob
— die Wissenschaft schreitet erfreulich vorwärts!
Da hätten wir nun das heilbringende „Auto¬
ison“ als die leuchtende Ehrenpforte, durch welche
lächelnd der seelige Lux nebst seiner gesammten
Schmutz- und Schmierapotheke seinen Wiederein¬
zug in die Homöopathie halten dürfte mit dem be¬
glückenden Grusse: „Nihil cogitantium jucundissima
est vita!“ So wäre es ja nahe herbeigekommen —
das ersehnte goldne Zeitalter, wo auch der jüngste
Arzt gleichwerthig an Können und Wissen sein
wird mit dem in steter Arbeit ergrauten; wo man
die verhassten homöopathischen Arzneimittelprüf¬
ungen, und jedwede Pathologie und Therapie hinter¬
drein, der heiligen Flamme weihen und gewissens¬
ruhig dem Thun der alten Deutschen nachstreben
zu können volle Müsse haben wird, als jene noch
wohnten zu beiden Ufern des Rheins. Ist doch
von nun ab der 'Mensch ein harmonisch sich er¬
gänzendes Gefüge von Gift und Gegengift und das
neue Heilgesetz wird heissen: Durch den Detritus
der Zelle, welche gesündigt hat, sollst Du genesen.
Aergert Dich Deiner Nerven einer, so hochpotenzele
dessen ein Molekülchen und gesunde! Und wer
weise, ob nicht schliesslich die Verwesung selbst
noch vor dem Verwesen schützen wird? Ist die
Wissenschaft doch in stetem Fortschritt begriffen!
Also Heil dir, o Autoison, und deinen Aposteln
und allen jenen Gläubigen! —
Zudem ist doch auch von der Isopathie zur
Autoisopathie ein gewaltiger ästhetischer Fort¬
schritt! Nicht mehr eines Anderen Diarrhöenstoffe,
stinkenden Zahnscbmutz oder Ausschlagskruste wird
man jetzt verspeisen, sondern nur noch die eigenen
Ex- und Secrete. Zwar fertigte auch Lux schon
den Auswurf Schwindsichtiger arzneilich an, um
Schwindsüchtige zu heilen, und siehe da — sie
starben! Allein darin lag eben der Fehler! Nicht
Isopathie, sondern Autoisopathie, was viel schöner
klingt. Und dann vor allen Dingen: Hochpotenzen;
vivat die Hochpotenz!
Das ist möglicherweise des Pudels Kern. Die
Homöopathie ward allzu physikalisch* Es fehlte
an einigen Hechten im Homöopathenteiche um die
höheren Schwingungen der Metaphysik den stofflich¬
denkenden Karpfen beizubringen.
Fragt man mich nun, ob ich an die in Nr. 23
und 24 erzählten Heilungen wirklich glaube, so will
ich das: Nein! das mancher College in seines
Zimmers Stille gesprochen haben mag, laut und
ehrlich heraussagen und es nach Kräften jetzt und
fernerweit vertreten. Ueberzeugt man mich eines
Besseren, so werde ich ein ebenso verlässlicher
Freund der Hochpotenzen werden, wie ich jetzt
deren ehrlicher Widersacher bin. Auch kann und
darf man mein „Nein“ kaum vornehm ignoriren.
Vielmehr fordere ich jeden der jetzt leben-
Digitized by Google
den Hochpotenzier heraus, nachzuweisen,
ob er grössere und ernstlichere Opfer an
Zeit, Mühe und auch an Selbskosten ge¬
bracht habe, um über die Frage: v 0b mit stetig
und immer weiter fortgesetzten Verdünnungen eines
Heilstoffes dessen Wirksamkeit unerschöpflich
bleibe,* — sich selbst — und womöglich auch
Anderen ein selbstbegründbares Urtheil zu
verschaffen?
Ich brauche wohl kaum zu sagen, wie himmel¬
weit mir der niedrige Argwohn liegt, dass die bis¬
herigen autoisonischen Berichterstatter irgend welche
bewusst-irrige Angabe berichtet hätten. Wie könnte
ich Vertrauen und Glauben beanspruchen, wenn
ich anerkannte Ehrenmänner und Standesgenossen
zu verdächtigen im Stande wäre? Ich habe viel¬
mehr einen Theil der Ein würfe gegen des Collegen
Göhrum Berichte ausgesprochen, bei Weitem aber
nicht alle, um den Leser nicht» zu ermüden. Ich
fasse dieselben dahin zusammen, dass ich bei diesen
Beobachtungen die hier nöthige Ueberwachung der
Kranken, die doch durch tägliche Besuche und
häufige, äusserst genaue und schriftlich
fixirte Untersuchungen möglichst gesichert werden
musste, durchaus verabsäumt finde. Blieb dem
Arzte für solche Ueberwachung keine Zeit, so eig¬
nen sich derlei Patienten auch nicht, um an ihnen
objectiv-beweisgiltig nova atque inaudita öffentlich
zu demonstriren. Ferner ist bei Keinem die Zeit
der Autoisonbehandlung und deren Verlauf ange¬
geben; kein einziger Fall ist herausgehoben, in
welchem eine reine Autoisonbehandlung stattgefun¬
den hätte. Ueberdies wissen wir Alle nur allzu
gut, dass und welche diagnostischen Irrthümer bei
Behauptung von Tuberculose bez. von Cavernen
unterlaufen können. Nicht die geringste Garan¬
tie ist uns geboten, dass diagnostische Irr¬
thümer ausgeschlossen werden müssten; im
Gegentheil liegt die Vermuthung nahe, dass ein
Mal mindestens eine Pneumonie in der Lungen¬
spitze mit Tuberculose verwechselt sein kann.
Das Verfassers höchst eigenartig-persönliche An¬
sichten über die dampfrossartige Schnelligkeit, mit
welcher der „ Genius epidemicus* wechseln und
proteusartig binnen einiger Tage sich wesentlich
ändern könne, decken sich keineswegs mit Hahne-
manns und vollends mit Rademachers desfallsigen
Beobachtungen und stärken gewiss nicht das Ver¬
trauen Fernstehender für die Verlässlichkeit und
Kühle seines Beobachtungstalentes. 41 ) Unter allen
Umständen erscheinen mir die Heilberichte
*) Darf ich aus eigenen Misserfolgen in Erkundung
des Gen. epidem., wie Rademacher dessen Wirken schilderd
und seiner ihm congruenten Heilmi ttel einen Schluss wagen,
so fürchte ich, dass grosse Städte, wie z. B. Stuttgart,
viel zu verschiedene Lebensbedingungen zeigen, um das
Finden des „epidem. Heilmittels*' zuzulassen.
durchaus verfrüht. Das Befinden Tuberculöser
schwankt nicht selten in überraschenderweise; zudem
hatten wir einen langen, erlesen günstigen Herbst
bezüglich der Witterung. Von „Heilung Tuber¬
culöser* kann man aber erst nach Ablauf
von Jahren sprechen. Das wenigstens sollten
uns die Erfahrungen mit Davos doch unauslöschlich
eingeprägt haben! —
Bietet also die vorgeführte Casuistik bislang
nur subjective, aber noch gar keine objec-
tiven Anhalte für unser Urteil, so gebieten
uns gerade die Exaltationen des letzten Jahres be«
treffs des Kochins die Anforderung, unantastbare
Beweise ihrer Errungenschaften uns zu erbitten
seitens aller Derjenigen, welche uns das uralte,
weil naturgesetzlich erwiesene Aehnlichkeitsgesetz
als einen überwundenen therapeutischen Standpunkt
niederreissen wollen. Hätte Koch einen ähnlichen
Triumph gehabt, dass auch nur ein chronischer
Katarrh — „ein Fall, der etwa 4 Jahre mit elas¬
tischen Fasern daran litt und schon einige kli¬
matische Kurorte mit geringem Erfolg besucht
hatte, in einer Woche vollständig geheilt*
war; oder hätte sein Verfahren von vierzehn Tu-
berculösen „sieben geheilt, worunter vier mit
fast hühnereigrossen Cavernen etwas unter¬
halb der Lungenspitze* und zwar so, dass „hier
an Stelle des amphorischen Athmens, des tympani-
tischen Percussionsschalls, des Wintrich’schen Schall¬
wechsels, der Percussionsschall fast hell und voll,
das Athmen vesiculär geworden (!?), nur in
der Supraclaviculargrube etc,* — dann wäre der
allgemeine Enthusiasmus ein gewiss vollberechtigter
vor Jahresfrist gewesen! — Wenn aber beinahe
die ganze damalige Aerztewelt in ihren anerkann¬
testen Vertretern bis zur höchsten Ministerialspitze
hinauf Erfolge constatiren zu können vermeinte,
welche der Wirklichkeit nicht entsprachen, so
dürfen die bisherigen beiden einzigen Vertreter der
Autoison-Behandlung uns nicht grollen, wenn wir
fragen: „Autoison oder abermals Autosug¬
gestion?* Sie selbst müssen anerkennen, dass ihre
die objective Sachlage nirgends illustrirenden Be¬
richte den hier geäusserten Bedenken Raum bieten;
sollten dieselben sich als unzutreffend erweisen, so
schmälert dies den Erfolg ihrer Columbusfahrt zur
Erweiterung der bisher bekannten Heilgrenzen nicht
im Mindesten. Wohl aber nehmen wir als selbst¬
verständlich an, dass beide Herren Collegen bei
Beginn neuer Autoisoncuren es nicht verschmähen
werden, im Allgemeininteresse die betreffenden
Kranken auch anderen sachverstän digen Aerz-
ten zur Prüfung ihres dermaligen Lungenzustandes
vorzustellen. Am lebhaftesten Interesse für die
Controle-Untersuchungen wird es wohl den wenig¬
sten Aerzten fehlen! —
Die Gründe, warum wir so ganz unerhörte Er-
Digitized by v^ooQie
folge durch die Autoison-Behandlung —
denn gerade das ist hier der springende Punkt —
noch mit den zweifelnden Augen des Thomas be¬
trachten, finden wir einmal in der verwendeten
Heilsubstanz selbst, zweitens in deren Zubereitung
als Hochpotenz. Pass im Uebrigen auch Ca-
vernen — eigener Erfahrung nach freilich nicht
allzugrosse — heilen können und öfter als man
zu glauben pflegt von der Natur geheilt werden —
ergaben mir die Sectionen unserer erwähnten Laza-
rethkranken. Manche derselben waren alte Stamm¬
gäste des Lazareths, Andere häufiger in der Königl.
Charitd behandelt gewesen. Alle besassen somit
Acten, welche nicht selten auf 12—15 und noch
mehrere Jahre zurückgriffen, ohne Tuberculose zu
constatiren, wie denn auch die Betreffenden meistens
an gänzlich anderen Leiden verstorben waren. Wie
oft knirrschte dann das Skalpell an kalkartigen
Concrementen in dieser oder jener Lungenspitze,
welche die Naturheilung einer vermuthlich nie
diagnosticirten Tuberculose bezeugten! Doch ent-
sann ich mich nicht, solche Concremente je grösser
als eine kleinere Haselnuss gesehen zu haben. Also
die Möglichkeit einer Cavernenheilung bezweifele
ich nicht, habe vielmehr oft genug zu constatiren
vermocht, dass kleine Cavernen unter sonst günsti¬
gen Umständen (namentlich auch in Davos) aus¬
heilen können.
Allein dem Autoison stehe ich als Zweifler
gegenüber, weil in der Luxperiode oft genug die
Auswurfsstoffe Tuberculöser als Heilmittel ohne
den geringsten Erfolg in Anwendung gekommen
sind, so dass die Isopathie überhaupt — etwa mit
Ausnahme des Psoricum, von welchem Possart ja
noch i. J. 1851 eine Prüfung mitteilte — seit
ca. 30 Jahren nicht nur bei den Aerzten, sondern
sogar bei den sonst so glaubenstüchtigen Laien
gänzlich in die wohlverdiente Vergessenheit versank.
Das Ison also verblich, um nun als Autoison
neu aufzuerstehen! —
Das ist nicht nur scheinbar, sondern insofern
thatsächlich etwas Neues, als das Ison sehr wohl
in einem Stadium der Erkrankung entnommen und
potenzirt sein konnte, welcher demjenigen eines
anderen Erkrankten durchaus nicht entsprach.
So missrathen so viele künstliche Ernährungen mit
sonst tadelloser Kuhmilch ja auch schon aus dem
Grunde, weil die Zeit, in welcher die Kuh gekalbt
hat, in verschiedenem Missverhältniss zu dem Alter
des zu ernährenden Kindes steht. Vorweg also
angenommen, das Lungensecret vermöge die Lungen¬
krankheit zu heilen, deren Krankheitsproduct es ist,
so bliebe dann nicht minder wahrscheinlich, dass
das eitrige Sputum eines cavernös-Tuberkelkranken
so wenig passend für die Primär-Erscheinung eines ~
Spitzenkatarrhs erscheinen dürfte, wie der Schleim
eines Bronchialkatarrhs verschiedenartig ist von der
eitrigen Beschaffenheit cavemösen Auswurfe.*)
Träfe nun die vorläufige Annahme thatsächlicher
Wirksamkeit eines Krankheitsproducts auf den
Krankheitserreger zu, dann wäre Herrn Professor
Dr. Jägers Betonung, das Autoison anstatt eines
schlechthin isopathischen Heilmittels ganz sicherlich
von practischer und durchaus beachtenswerther Be¬
deutung. Ob indessen diese vorläufige Annahme
zum Bange einer eminenten Thatsächlichkeit sich
auswachsen werde, das ist es, was a priori weder
schon bejaht erscheint, noch verneint werden kann,
was ich aber aus obigem Grunde einstweilen noch
stark bezweifeln möchte. Dahingegen vermag ich
jenseits der unbestreitbaren Thatsache, dass keine
der in ganz verschiedenartigen Stadien der Gewebs-
ergriffenbeit verlaufenden Krankheiten in jedweder
ihrer Stufenentwickelung ein einziges — und zwar
ein und dasselbe — Heilmittel nur beanspruche,
sondern dass sie ihr Heilmittel je nach der zeitigen
Beschaffenheit des erkrankten Gewebes, das man
vorfindet, erfordert, eine sonstige Begründung für
„au to Ä -isoniscbe Mittelwahl nicht zu finden. —Herr
Dr. Göhr um scheint offenbar nicht der Ansicht
zu sein, dass gleichartig functionirende (bez.
gleichartig pathologisch alterirte) Schleimhäute
wesentliche stoffliche Abweichungen* ihrer Secrete
in verschiedenen Menschen darbieten müssten. Denn
sonst hätte er den von ihm selbst recitirten Vor¬
wurf, dass er Sine Prüfung seiner Heilstoffe an
Gesunden unterlassen habe (vgl. 8. 181) durch
den allernächst liegenden Einwurf der Unmöglich¬
keit entkräftet, dass ein Autoison pathologischer
Herkunft durch Gesunde geprüft werden könne.
Ueber diese Frage also: in wie weit das Au¬
toison stofflich verschieden sei von jedem in casu
gleichartigen pathologischem Producte eines Ande¬
ren, dürfen wir einer Aufklärung gewärtig sein.
Kann ein Beweis nicht erbracht werden, so ist die
Autoisonie nichts, als eine im besagten Punkte
verbesserte Auflage der seligen Isopathie, und dann
wäre der Vorwurf der unterlassenen Stoffprüfung
an Gesunden ein vollkommen gerechter.
Wir kommen nun schliesslich zu der Frage
der Hochpotenzen
Da haben wir zweierlei zu besprechen. Erstens
nämlich: hat eine Hochpotenz — und darunter ver¬
steht man alle Verdünnungen über die 30 Cente-
simale hinaus — überhaupt noch Heilwirkungen ?
Und zweitens: Kann und darf seitens eines homöo-
•) Es ist wohl nur ein Schreibfehler, wenn Herr ColL
Schwarz von »eitrigem* Sputum bei Bronchitis spricht.
Einer Besprechung des Aufsatzes dieses Herrn Collegen
enthalte ich mich; aber nicht etwa deshalb, weü ich mit
ihm in mehrfach begründeten und sehr freundlichen Personal-
Beziehungen stehe, sondern weil wir am gleichen Orte
wohnen uud dies nach aussen Anlass zu Missdeutungen
geben könnte, welche gerade in casu so hiniällig wie nur
irgend möglich wären.
Digitized by
104
pathischen Arztes eine Hochpotenz überhaupt am
Krankenbette gebraucht werden, wenn sie anders
als nach Hahnemanns Angabe verfertigt ist?
Ad I* An die Spitze dieser Erörterungen stellen
wir ein Axiom, dem — wie wir glauben — ange¬
sichts einer so wichtigen Frage jedweder Unbe-
fangene wird zustimmen müssen. Wir meinen
nämlich:
Ueber die Frage: Ob eine Hochpotenz über¬
haupt noch Heilkräfte entfaltet, kann einzig und
allein denjenigen Aerzten eine Urteilsabgabe zuge¬
standen werden, welche den objectiven Nachweis
zu vertreten im Stande sind, dass sie auch wirk¬
liche Hochpotenzen angewendet haben, d. h.
von ihnen persönlich oder doch mindestens
unter ihrer persönlichen Controle angefertigte Prä¬
parate. Und da die Homöopathie andere, als nach
Hahnemann scher Vorschrift an gefertigte Arzoeistoff-
verdünnungen (bez. Verreibungen) nicht kennt, so
kann kein Präparat als Hochpotenz von uns aner¬
kannt werden, als ein regelrecht nach Hahnemann’-
scher Angabe potenzirtes.
Es leuchtet wohl ein, dass diese Vorforderung
eine selbstverständliche ist, und wir verstehen es
wirklich nicht, dass und warum unsere wissen¬
schaftliche Fachpresse nicht von jeher jedes
Referat über Hochpotenzheilungen unbedingt zurück-
wies, das gegen diese Elementarbedingungen ver-
stiess? Wer zu bequem ist, sioh den allerdings
recht ermüdenden Mühwaltungen hinzugeben, welche
die Anfertigung von Hochpotenzen in Hahnemann’-
scher Weise bedingt, dem geziemt auch die Pflicht
der Bescheidenheit, sich einer öffentlichen Urteils¬
abgabe in dieser Frage zu enthalten. Und wer
die Selbstüberwindung nicht auf sich nehmen mag,
im Interesse seiner Wissenschaft besagte,
gerade wegen ihrer einschläfernden Einförmigkeit
eine so peinliche Gewissenhaftigkeit heischende
Aufgabe selbst zu lösen, der sollte auch billig
genug sein, nicht von anderen Leuten, welchen
eben dieses wissenschaftliche Interesse gänzlich
fern liegen dürfte und deren Treue völlig un-
controlirbar ist und bleibt, eine Aufopferung
zu verlangen, für welche ihm selbst der mo¬
ralische Muth fehlt. Wer auf diesem Gebiete
mit fremdem Kalbe pflügt, der kann lediglich sagen:
Ich glaube, Hochpotenzen verwendet zu haben,
nichtaber:ich habeHochpotenzen angewendet.
In naturwissenschaftlichen Fragen aber giebt es
kein Credo, kein Wähnen und Meinen, sondern nur
ein Wissen oder Nichtwissen!
Nun darf ich wohl das Ersuchen stellen an
alle Interessenden an Hochpotenzen, ob sie die
Berechtigung meiner Vorforderungen zugestehen
wollen, oder aus welchen wissenschaftlichen
Gründen sie dieselben ablehnen, bezw. modificiren
möchten?
Inzwischen aber ist mir vielleicht gegönnt zu
fragen: Warum bediente sich Herr Dr. Göhren
sofort hochpotenzirter Gaben? der Herr College
sagt: „Da ich in einigen Fällen von der SO 0 “
(? was ist dies? 30ste Centesimale vielleicht?) an¬
dauernde Vermehrung der katarrhalischen Erschei¬
nungen beobachtete.“ Schade, dass der Bericht¬
erstatter keinen Beweis für räthlich erachtete zu
Gunsten dieser mindestens doch noch sehr anzweifel¬
barer Behauptung! — Und weiter fragen wir an:
Warum erging sich Herr Dr. Göhren in solchen
„raschen* Kraftsprüngen, wie sie hier zwischen
der 200.—2000. und darüber (!!) zu unserem
gerechten Erstaunen virtuosenhaft abgeleistet sind
(vergl. S. 180)? Geschieht denn das nur so
nach Lust und Belieben? Giebt es denn keine
Kunstregel, nicht einmal irgend welche lei¬
tende Maxime für solche Balte mortales in
Siriusweiten? Handelte denn Herr Dr. Göhrum
nicht im Grunde fast strafbar unbedachtsam, wenn
er bei seinen Erlebnissen über die Gefahren, welche
eine waghalsige Darreichung von einigen Kügelchen
30°° nach sich zog, dem „schwer damiederliegenden
Patienten* gleich 400 00 zu geben wagte? Warum
ward denn nicht mit 2000°° begonnen und all-
mählig probirt, ob das Eis hielt? So wenigstens
machen wir anderen Homöopathen es in fraglichen
Fällen; wir steigen von höher bezifferten zu niedrig
bezifferten Verdünnungen hinab. Glitten wir so
behende von der 30. Decimale auch nur mit einem
Sprunge bis zur 1. hinab, — was für sonderbare
Gründe müssten eine solche Fallsucht wohl verur¬
sachen?? Dort schweben Hunderte neben Tausen¬
den von Hochpotenzen auf und nieder wie Engel
auf der Himmelsleiter. Mir schwindelt! Wo finde
ich das Gesetz, das regelnde Gesetz, — min¬
destens doch die erfahrungsentsprossene lei¬
tende Maxime, ohne welche alles ärztliche Han¬
deln doch nur ein Spiel mit Seifenblasen bliebe?
Also nochmals: weshalb diese Unerfasslich-
keit der Dosirungs-Sprünge, gegen welche
selbst Odins schnellster Läufer — der Gedanke,
der folgen möchte — ein lahmer Krüppel bleibt??
Ferner fragen wir: In welcher Weise vermochte
Herr Dr. Göhrum sich binnen seiner angieteh
kürzeren ärztlichen Laufbahn objective Ueber-
zeugung von der materiellen Wirksamkeit absolut
unmaterieller Arzneigaben zu erringen? Sein
Rath wäre mir ein ehrlich erwünschter, denn ich
rang so ungleich länger, vergeblich nach dem glei¬
chen Erfahrungsziele!
Vielleicht sagt mir Herr Dr. Göhrum, was er
S. 178 einleitend schon angedeutet; nämlich er sei
„ein früherer Schüler und Mitarbeiter Jägers* ge¬
wesen, vermuthlich also auch Mitarbeiter an den
sogenannten neural-analytischen Untersuchungen zur
Digitized by v^ooQie
105
Bestätigung der Einwirkung von Hoohpotenzen auf
den menschlichen Organismus?*)
Welchen wissenschaftlich berechtigten
Grund haben wir denn, um die hohen Ver¬
dünnungen bez. Verreibungen Überhaupt als
selbstverständliches Postulat aufrecht zu erhalten?
Als Paracelsus zuerst von Allen, wie ich nach¬
gewiesen habe, sowohl das Aehnlichkeitsgesetz, wie
für die auf Grund desselben gewählten Arzneistoffe
eine bisher unerhörte Gabenverkleinerung in die The¬
rapie einführte, konnte dieser so Überaus geniale
Beobachter so wenig einen wissenschaftlichen Grund
dafür angeben, wie Hahnemann, als derselbe dritt-
balbhundert Jahre später die Wege des Paracalsus
zu wandeln begann. Erst die neuere Physik lehrte
uns, dass Körper bestimmte Oberflächen Wirkungen
auf einander ausüben, und dass für gewisse Zwecke
eben diese Wirkungen im gleichen Grade vermehrt
werden in welchem man die Oberflächen vermehre
bez. erweitere. Die Hahnemann’sche Methode dieser
Oberflächenvermehrung der qu. Arzneikörper ward
aber lediglich deshalb beibehalten, weil sie verläss¬
lich, bequem und practisch ist und einen immerdar
gleichen Massstab für die sichere Bemessung jed¬
weder Stoffverdünnung abgiebt. Solche Verdün¬
nungen können nun auch endosmotisch jeder ihrer
harrenden Zelle zugeführt werden.
Ist irgendwem ein noch sonstiger wissen¬
schaftlicher Grund bekannt, weshalb nicht allein
jeder homöopathische, sondern überhaupt jeder Arzt
bez. Apotheker seine Arzneikörper möglichst ver^-
kleinern sollte und z. B. bei Verreibungen die wirk¬
samsten kleinsten Oberflächenkörperchen durch einen
irrelevanten Stoff von einander trennen müsse, um
jedem dieser kleinsten Arzneikörperchen die all-
seitigste Ausnutzung seiner Oberflächenwirkung zu
ermöglichen, der belehre uns freundlichst, wir wer¬
den ihm dafür dankbar sein.
Paracelsus wie sein Nachfolger Hahnemann be¬
obachteten also ganz richtig, dass die möglichst
grosse Oberflächenerweiterung eines Arzneistoffs
ausgebreitetere Arzneiwirkung ergebe, als ein un¬
gleich schwerer wiegendes Stück des gleichen Stoffes
bei geringeren Oberflächenmase. Sie erkannten also
vollkommen richtig, dass bei Verkleinerung der
Masse eine oder die andere ihr inhärente physi¬
kalische Kraft (hier also die Arzneikraft) überaus
vermehrt, aber nicht überaus vermindert werde.
Darum nannte Hahneman seine Verdünnungen
„Potenzen*. Und das ganz zutreffend von seinem
*) Im Emverständniss mit Herrn Dr. Katsch ist an
dieser Stelle seine Kritik der vor 11 Jahren von Herrn
Prof. Dr. Jäger veröffentlichten neuralanalytischen Ar¬
beiten weggelassen worden, um den jetzigen in dieser
Zeitung erscheinenden neuralanalytischen Untersuch¬
ungen desselben nicht zu präjudiciren.
Die Redaktion.
rein empirischen Standpunkte aus; hätte er den
physikalischen Grund bereits erkannt, hätte der
verständige Mann vermuthlich einen besseren Namen
gewählt. Dass aber — und warum — seine Zeit im
Banne der Neigung lag, alles Stoffliche möglichst
zu verflüchtigen und zu vergeistigen, habe ich
a. a. 0. erklärt. Wer uns nun wissenschaftlich
nach weisen kann, dass in den homöopathischen
Potenzen noch irgend welche sonstige Heil¬
kraft verborgen sei, der unterrichte uns; wir
werden es ihm danken. Nach unserer Meinung
bleibt z. B. Ipecacuanha 3. ganz genau derselbe
Heilstoff wie Ipecacuanha 12. Diese 12. Decimale
hat inzwischen um kein x an irgend welcher Wirk¬
samkeit zugenommen, sondern lediglich eine An¬
zahl allerkleinster Oberflächenkörperchen sammt
deren Wirkungen eingebüsst, wohingegen dieser
12. Decimale immer noch stofflich genügende
Arzneimasse genug verblieb, um „reine Heil¬
kraft* zu enthalten, d. h. von Erst- oder Massen¬
wirkungen des Medicaments ungetrübt.
Hat Paracelsus, — hat Hahnemunn etwa einen
sonstigen „Geheimzweck* im Auge gehabt, als
sie auf Minimaldosen der nach dem Aehnlich¬
keitsgesetz verordneten Arzneien drangen?
Allerdings hat Hahnemann bekanntlich den unge¬
heuer folgenschweren Fehler begangen, nicht nur
für die Wahl, sondern auch für die — uns bis
heute noch immer nicht begreiflich definirbare bez.
allgemein zugestandene — Wirkungsweise der
Arzneikörper das Aehnlichkeitsgesetz verant¬
wortlich machen zu wollen. Warum das grund¬
falsch ist, hat Dr. von Grauvogl in seinem Lehr¬
buch der Homöopathie wohl genügend klar gestellt.
Nichtsdestoweniger beschliesst Herr Dr. Göbrum
seinen Aufsatz mit dem veralteten Hahnemannschen
Subjectivismus, „wonach die Gaben homöopathischer
Arznei ohne Ausnahme bis dahin zu zerkleinern
sind, dass sie nach der Einnahme nur eine kaum
merkliche (?) homöopathische Verschlimmerung
erregen“ (cf. § 305 das Organon, 2. Aufl. Dres¬
den 1819).
In diesem Falle — vorausgesetzt dass auch
hier praktische Beobachtung — nicht aber Be¬
fangenheit in völlig irriger Theorie Hahnemanns
Feder geleitet hätte — müsste eine immense
Anzahl homöopathischer Aerzte auf das Bewusstsein
verzichten, homöopathische Heilungen anders als
nur ganz ausnahmsweise oder vielleicht gar nicht
bewirkt zu haben.
Ganz anders aber klingt es, wenn der Prak¬
tiker Hahnemann daB Wort nimmt, wie z. B. in
der Einleitung seiner vortrefflichen Arsenikprüfung.
Da heisst es: „Also VlO Grau wirkt zuweilen lebens¬
gefährlich, und weniger, viel weniger zu geben, er¬
laubt dir die zunftmässige Observanz nicht? . • .*
„Ist eine Gabe von 1 / 10 Gran Arsenik eine in
14
Digitized by
Google
106
vielen Fällen gefährliche Gabe, muss sie
denn nicht milder werden, wenn man nur
1 /iooo giebt? Und wenn sie es wird, muss sie
nicht bei jeder weitern Verkleinerung noch milder
werden? Wenn nun der Arsenik (so wie jede andere
sehr kräftige Arzneisubstanz*) blos durch Ver¬
kleinerung der Gabe am besten so mild werden
kann, dass sie dem Menschen nicht mehr schade,
so hat man ja blos durch Versuche zu finden, bis
wie weit die Gabe verkleinert werden müsse, dass
sie klein genug sei, um nicht Schaden zu bringen,
und doch gross genug um ihr volles Amt als
Heilmittel der für sie gehörigen Krankheiten zu
vollführen u. *8. w.
Hieraus ersieht man also unwiderleglich, dass
der Praktiker Hahnemann, der anfänglich auch
nach dem altbekannten Aehnlichkeitsgesetze seine
Arzneien bereits gewählt, aber zu massenhaft dosirt
hatte, lediglich darum seine Verdünnungen unter¬
nommen hat, um zu finden, wie weit er die von
ihm geprüften (nota bene!!) Arzneistoffe an
Masse verringern könne, ohne deren Heilkraft
einzubüssen. Dabei gelangte er zu Resultaten,
an welche sich die Aerzte in ihrer Mehrzahl bis
zur Stunde noch nicht gewöhnen können, allein
der Grund seiner Verdünnungs-Versuche war, wie
hier nachgewiesen, einzig und allein das Bestreben,
sich bei seinen Dosirungen ferner vor so gefähr¬
lichen oder doch mindestens störenden schlimmen
Erstwirkungen zu schützen.
Oder meint Jemand, er habe für. irgend eine
seiner sämmtlichen dahin abzielenden Dosenprüfungen
einen anderen Grand gehabt, als den bei Arsenik
klar ausgesprochenen? Und dieser Grund war ein
absolut positiver, ein so rationeller, dass kein Ver¬
nünftiger ihn bisher als einen unwissenschaftlichen
zu stigmatisiren vermochte, nicht einmal die ver¬
bissensten Gegner der Homöopathie! — Als Hahne¬
mann diese Wirkungsgrenzen bei Massenabnahme
des Stoffes zu ermitteln suchte, hatte er keinen Vor¬
gänger, also auch nicht die geringsten Vorerfahrungen.
Er entdeckte etwas, was vor ihm noch nicht da¬
gewesen, und so lässt es sich wohl erklären, dass
die Unerhörtheit dieser Abminderungen an Stoff
ohne Abminderung an Heil Wirksamkeit ihn treiben
mochten und mussten, zu sehen, ob, wenn ein
Millionstel, — so schliesslich wohl gar auch ein
Billionstel, Trillionstel etc. Arzneistoff noch wirkungs¬
fähig bleiben werden? Der Geschmack ist eben ver¬
schieden. Für Viele von uns hat diese Frage um
so mehr an Reiz verloren, als sie eine völlig un-
practische wird, sobald man sie auf die Spitze
*) Ist denn das „Autoison* überhaupt eine .kräftige"
Arzneisuhstanz ? Hat es denn irgend Jemand geprüft und
wenn nicht, — wie kann Herr Dr. Göbrum dann behaupten,
dass es gleichfalls eine heilkräftige Substanz sei und gar
eine so kolossaler Verdünnungen bedürftige, wie nicht einmal
Arsenik?
treiben will, denn sie lässt sich nun einmal end-
giltdg schlechterdings nicht beantworten für jeden
Einzelfall und jedes EinzelmitteL Wohl aber» hat
die Erfahrung so vieler sonstiger tüchtiger Practiker
in so vielen Jahren reichster Erfahrungen uns em¬
pirisch gelehrt, wie weit entstofft man - selbst bei
Idiosynkratischen — ungefähr die Dosis wählen
könne, um Heilwirkungen ohne störende Erstwirk¬
ungen mit kaum jemals trügender Sicherheit er¬
warten zu können. Derjenige allein aber ist
ein rationeller homöopathischer Arzt selbst
nach Hahnemann’s Anforderung, der so do¬
sirt, dass er nach Maassgabe des Aebnlich-
keitsge86tzes sein Simile so zutreffend be-
misst, dass er sich eine reine Arzneiheilung
ohne störende Erstwirkungen des Medica-
ments zu versprechen berechtigt ist.
So weit stehen wir auf absolut rationellem Boden.
Wurden wir auf diesem verspottet, so traf der Pfeil
bisher noch stets den vorlauten Schützen, der ihn
abgesendet. Von diesem Boden uns zu entfernen,
um mit unerwiesenen Subjectivismen zu spielen und
in casu dem Gegner die Frage nach dem „Gesetze,
das uns geleitet* schuldig bleiben zu müssen,
wäre, wie schon College Goullon mit Recht betonte,
eine Thorheit in Israel. Hier genügt dann eine
blosse Behauptung stattgehabten Erfolgs Nie¬
mandem, denn wer beriefe sich nicht auf „Er¬
folge“? Was unserer rationellen Homöopathie in¬
dessen ihr unleugbares Uebergewicht sichert über
andere und anspruchsvollere Heilmethoden, das ist
nicht der jeweilige Erfolg, dessen auch jeder Cur-
pfuscher sich gelegentlich rühmen mag, sondern das
ist der naturgesetzlich garantirte Erfolg,
der Jedem jedes Mal zu Theil werden muss,
der in der freilich nicht immer zutreffenden Lage
war, allen rationellen Anforderungen der Ho¬
möopathie bei der Mittelwahl entsprechen zu können.
Lassen manche Freunde der Hochpotenzen dabei
wohlgefällig die Meinung durchschimmern, als ge¬
höre eine tiefere bez. reichere Erfahrung in unserer
Arzneimittellehre dazu, um vermöge einer Hoch¬
potenz eine Heilung zu erzielen, so lassen wir ihnen
diese unschuldige Selbstfeier mit Vergnügen, pflich¬
ten im Uebrigen aber vollkommen Herrn Dr. Haupt
bei, welcher in derselben Nummer der A. H. Z.
S. 188 sagt: „Ueberall und immer ist es mir vor¬
gekommen, als ob diejenigen Homöopathen am
meisten tuto, cito et jucunde heilen, die am Besten
in der Arzneimittellehre Bescheid wussten und sich
streng an das Similia Similibus hielten."
Letzteres ist nun das, was Herr Dr. Göhrum
eben nicht gethan hat. Mit welchem Rechte er¬
wartet er dann aber Öffentlichen Glauben für seine
Ansicht, dass er bei Schwerkranken (— und solche
muss und kann unter Umständen anderer Art ein
homöopathischer Arzt ja recht oft m ; .t vergleichs-
Digitized by Google
107
weise sehr materiellen Verdünnungen heilen —)
reöht bedenkliche Verschlimmerungen nach
200—2000 00 Hochpotenz gesehen haben will,
— und zwar nicht post, sondern propter hoc?
Lassen wir doch einmal Hahnemann selbst für uns
antworten. Er sagt in derselben Einleitung zum Ar¬
senik: „Wenn ich aber mit dem, die kleinen Gaben der
Homöopathie als... nichtswirkend belächelnden Klüg¬
ler fertig bin, so hört man auf der andern Seite
den Behutsamkeitsheuchler auch bei den
so kleinen Gaben der homöopathischen Heil¬
kunst - eben so ohne Prüfung, eben so in
den Tag hinein — noch überGefährlicbkeit
schreien.*
Das ist es, was auch ich Jedem — und nament¬
lich jedem allopathischen Arzte antworten würde,
der mich fragte, was ich von derlei „Beobachtungen“
halte; also von schweren Verschlimmerungen
Schwerkranker (!!) einzig und allein darum,
weil dieselben „1—2 Gaben von 5 Körnchen der
2C0 00 , 400°° f 600 00 und 1000™* bez von „400°°,
1000 00 und 2000 00 jedesmal einen Tag lang* er¬
hielten! — Wo es galt, die Homöopathie gegen
feindliche Angriffe ungerechtfertigter Art zu ver¬
treten, habe auch ich es niemals an mir fehlen
lassen. Dann aber bin ich mit eingetreten für die¬
jenige Homöopathie, welche auf wissenschaftlich
begründeten Pfeilern oder auf Beobachtungen
ruht, von deren Zutreffen sich Jeder, der
es will, auch jederzeit selbst überzeugen
kann. Und das hat — wie anderen ungleich be¬
deutenderen Vorkämpfern unserer Sache — pro
rata auch mir die ehrliche Achtung so mancher
allopathischer Aerzte eingetragen, auf welche
ich nicht verzichten möchte ohne gewichtigen Grund.
Oder war es vielleicht „Liebedienerei gegen die
Allopathie*, wenn ein J. Kafka oder ein Arzt wie
Bähr ihre bedeutenden Therapien ebenfalls wissen¬
schaftlich berechtigten pathologischen Anschauungen
der Allopathie anpassten? Der gute Wille, sich
wissenschaftlich zu verständigen zu suchen
hüben wir drüben, ist ja das Postulat, dessen
Mangel wir sonst nicht mit Unrecht manchen
Fanatikern der Allopathie zum Vorwurfe machen.
Ich wollte, der Verein schlesischer Aerzte hätte
ehrlich deutsch gesprochen, wenn er dem Mysticis-
mus des Sauterseben Systems das „Sacrificio dell'
intelletto“ versagte. Nun, ich für meine Person
versage derjenigen Gruppe in der Homöopathie
ebenso entschieden meinen persönlichen Glauben,
welche mir die Aufopferung ebenso meines gesunden
Menschenverstandes zumutbet, wie meiner wissen¬
schaftlichen Ueberzeugungen, welche sich auch hier
nicht minder auf vielfache eigene Versuche mit
Hochpotenzen stützen. Hahnemann allerdings glaubte
zu se iner Zeit noch an die unbegrenzbareTheilungs-
fähigkeit des Stoffes; es ist aber jetzt 92 Jahre her,
dass die erste Auflage seines Organon erschien.
Hat inzwischen die Physik etwa stillgestanden?
In der Note zu § 305 der 2. Auflage seines
Organon appellirt Hahnemann zu Gunsten dieser
seiner Ansicht sogar an die Mathematik, indessen
mit Unrecht. Denn die letztmögliche Theilung
einer geraden Linie l;isst die Geometrie in den Punkt
endigen, der keiner weiteren Theilung mehr fähig
ist. Dasselbe gilt für die Null. Unter ihr existiren
keine Nullbrüche, und die Doppelnull spielt nur
eine freilich sehr interessante Rolle zu Monte Carlo
und — sonstigen Orten nichtmathematischer Gattung.
Wärme, Licht, Magnetismus etc. sind freilich bis¬
her nicht gewogen, allein nichtsdestoweniger als
Ausflüsse stofflicher Natur anerkannt. Und wel¬
cher ungeheuren Stoffmassen es bedarf, um elek¬
trische Kraft zu entfesseln, hat die Frankfurter Aus¬
stellung ja wohl Jedem genugsam klar gemacht
Obwohl nun noch unergründet geblieben ist,
in welcher Weise die verschiedenartigen Heilkörper
im Organismus den Heilprocess einleiten und för¬
dern, so behaupten die Hochpotenzfreunde mit Vor¬
liebe, es geschehe durch Einwirkung auf die Nerven;
bewiesen haben sie es natürlich noch nicht. Nehmen
wir indessen an, dass ausnahmslos und überall die
Nerven allein die Empfänger und Verbreiter der
Arzneikräfte wären: — woraus folgte dann, dass
dieser Heilprozess um so gesicherter und um so
schneller sich vollziehen müsse, je absolut stoff¬
loser der Arzneikörper geworden? Reagiren etwa
unsere Sinnesnerven um so schärfer, je geringer sie
afficirt werden? Vernimmt das Ohr — gewahrt das
Auge noch Schall- oder Lichtwellen unterhalb
ganz bestimmter Geschwindigkeitsziffern? Gewahrt
etwa das Auge alle Farben, aus denen das Licht
normaler Weise sich zusammensetzt, und vollends
andere und zufällige Lichterscheinungen, die wir
nur künstlich sichtbar zu machen vermögen? Oder
gewahrt solche das kranke Auge besser als das
gesunde, hört etwa das erkrankte Ohr schärfer
als das kerngesunde? Wiestofiarm auch der Blumen¬
duft sein möge, sein Stoff ist doch immerhin stark
genug, um sich individuell verschiedenfach als Duft
der Rose, des Flieders, der Reseda bestimmt wahr¬
nehmbar zu machen. Riecht aber, wer Schnupfen
oder sonst ein Örtliches Nasenleiden hat, die Rose
um so stärker, wenn er nur ein Blatt von ihr, oder
den Häring, wenn er nur eine Schuppe desselben
vor sich hat? Oder reizt den Hund der Urin eines
anderen um so stärker, ie länger der benässte Stein
in Schnee- und Regengüssen lag? Und nun soll
eine völlig entstoffte, sogenannte Hochpotenz
gar noch eine Krankheit verursachen, die stärker
wäre, als die natürlich verursachte? Das hat
selbst Hahnemann weder geglaubt zu seiner Zeit,
noch gelehrt.
Schon Paracelsus bat uns, und ungleich schärfer
H*
Digitized by
Google
108
noch Habneman d, nachgewiesen, dass die Arznei¬
kraft keinesfalls proportional mit dem Stoffe, dem
sie angehöre, verschwinde, dass sie vielmehr die
weitaus zählebigste aller physikalischen Eigenschaften
des Stoffes sei, und dass eine früher ungeahnte Stoff¬
verminderung sogar unbedingt nothwendig sei, um
die Intensität der Erstwirkungen aufzuheben und
eine früher ebenso ungeahnte Ausdehnung der Arznei*
kraft auf die verschiedensten Körpergewebe zu ent¬
fesseln. Dass solche Kraftausdehnung aber über
diese Entwickelungsgrenze hinaus stetig wachse
mit stetiger Fortverdünnung, — das zu be¬
haupten ist ihm nicht eingefallen. Und dass vollends
ein kranker Nerv — wir bleiben bei der Anschau¬
ung der Hochpotenzier — nicht allein empfind¬
licher, sondern gleichzeitig auch immer empfäng¬
licher für Arzneireize wäre, das hat vollends noch
kein Physiologe entdeckt! —
Auch darin berief sich Hahnemann zu Unrecht
auf die Mathematik, indem er ausser Acht liess,
dass seine These um so haltloser werden musste,
je hinfälliger seine Hypothesis von der unbegrenzten
Theilung des Stoffs war. Das war — wie bereits
bemerkt — für ihn und zu seiner Zeit entschuld¬
bar. Um so unentschuldbarer aber ist es, wenn
eine heutige Generatiou, wenn Männer, die sämmt-
lich naturwissenschaftliche und zum Theil auch
noch polytechnische Vorbildung genossen haben,
es gar nicht der Mühe für werth halten, die ge gen¬
theilige heutige Ansicht der Physiker zu be¬
achten, nämlich die, dass die Theilbarkeit des Stoffes
inzwischen zwar so weit erweisbar geworden ist,
dass die innerhalb naturwissenschaftlicher
Grenzen sich bewegende Homöopathie ihre
Dosirungen zu rechtfertigen vermöge, nicht aber
die phantastisch denkende. Denn „denken“
kann der Mensch bekanntlich sowohl innerhalb des
verstandesmässig Erschliessbaren, wie im luftigen
Gebiete der Phantasie, und zwar hier wie dort in
logischer Form, wenn auch nicht mit logischem
Gehalte überall da, wo man von bisher unerwie-
senen Themen einen Beweisschluss auf andere Un¬
erweislichkeiten zu construiren beabsichtigt. Was
aber dem Herrn Dr. Haupt, wie jedem literatur¬
kundigen Homöopathen, so wohl bekannt war, näm¬
lich die hervorragende Arbeit Wesselhöft’s, das
konnte doch wohl nicht etwa einem Bedacteur der
Allg. Hom. Ztg. unbekannt sein? In diesem Falle
wäre es aber doch selbstverständlich gewesen, dass
Herr Dr. Göhrum uns zuvor offenbart hätte, wo
und weshalb die Wesselhöft'schen Resultate ihm
fehlerhaft und nichtssagend erschienen, bevor
er seinen Ritt ins alte romantische Land unternahm
und uns durch seine great steeple chase durch
hundert- und tausendstellige Hochpotenzen Schwin¬
del verursachte und die Frage in uns erweckt: ist
dieser Experimentator sich denn wirklich
der Ungeheuerlichkeiten von Raumuner-
fasslichkeiten bewusst, welche zwischen
einer 10. und einer 30., zwischen einer 30.
und 100. Centesimalpotenz liegen? Und mit
derselben Gelassenheit wird gar mit tausendstelligen
Hochpotenzen experimentirt! Woher sie kommen?
Davon erfahren wir keine Silbe. Allein Herr Dr.
Haupt machte Eingangs seines Artikels auch noch
auf sonstige ernste wissenschaftliche Arbeiten auf¬
merksam, welche dem Grössenwahne der Hoch¬
potenzen entgegentraten. Sind auch diese für die
Hochpotenzier keines Gegenbeweises würdig? Im
122. Bande der Allg. Hom. Ztg. und zwar gleich¬
falls in dessen No. 23 und 24 — brachte auch
Herr Dr. van Royen-Westervoot einen kurzen, aber
höchst gehaltvollen Artikel, welcher nachwies, dass
und warum z. B. aus chemischen Gründen gar keine
Rede sein könne von der homöopathisch doch un¬
erlässlichen Reinerhaltung der Hochpotenzen, voraus¬
gesetzt selbst, dass deren Stofflichkeitsgehalt unan¬
zweifelbar wäre. Erfolgen auf solche sachlich posi¬
tiven Ein würfe denn immer nur sittliche Entrüstungen
in der Ge wandang von Wenn und Aber, und mit
Luftspiegelungen von allerhand Bildern und Ana-
logieen, die zur Sache doch nicht das Geringste be¬
weisen? Hat es die Hochpotenzpartei noch immer
nicht dahin gebracht, uns auch nur den Schimmer
eines Anhalts zu bieten, wo und aus welchen
Gründen sie uns niedere (d. h. stoffliche), —
wo und aus welchen Gründen sie Hoch¬
potenzen überhaupt gebe? Wann sie Hoch¬
potenzen unter 100, und warum und wann
sie Hochpotenzen über 1000 und 20CO°°geben
wolle oder — was doch die Hauptsache wäre —
müsse, um da Erfolge zu erzielen, wo wir
bei Verabreichungen zwischen 3. oder 6. bis
30. Decimalpotenz etwa nichts erreichten?
Seit mindestens 25 Jahren lese ich jeweilige Be¬
richte über Heilungen mit Hochpotenzen; sie zeugten
als Musterberichte natürlich von überlegter Wahl
des Simile. Aber kann und will Jemand — den
referirenden Autor der betreffenden Berichte natür¬
lich mit eingeschlossen — denn sagen, dass in jed¬
wedem Falle das absolut einwandfreie „Simillimum“
gewählt worden sei? Und wenn dann doch Heilung
zu Stande kam ohne das „Simillimum u — hat
dann Herr Dr. Goullon nicht das vollständigste Recht
zu fragen: „Wozu“?? Ja wohl! Wozu der Lärm,
was steht den Herrn zu Diensten? Haben sie wirk¬
lich Besseres geleistet, als wir Anderen — vor¬
ausgesetzt nämlich, dass sie wirklich und
thatsächlich Hochpotenzen gegeben, und
nicht etwa nur zu geben geglaubt haben?
Warum heilt man nicht Fälle von frischen Ge-
müthsleiden mit Hochpotenzen von Gold? Warum
nicht syphilitische Leiden, warum rieht acute chi¬
rurgische Krankheiten, z. B. ein Panarit. tendin.
Digitized by v^ooQle
109
oder periost., nicht cariöse Leiden u. dergL Krank¬
heiten, wo eine Gontrole für Jedermann leicht mög¬
lich ist, binnen gleicher Zeit mit Hochpotenzen,
wie mit gewöhnlichen Dosen täglich geschieht, —
vorausgesetzt natürlich, dass die Behand¬
lung von vorn herein und nur mit Hoch¬
potenzen unternommen ward? Warum heilt
man nicht die Albuminurie scharlachkranker Kinder
mit Hochpotenzen, sondern nach Dr. J. Kafka g vor¬
trefflichen Rath mit Hep. sulf. 3—6? Und wie
liefen denn Fälle ab, die ich zu beobachten gesehen
hatte? Im Beginn der 60er Jahre übernahm der
Kreisphysikus a. D. Wolf (— derselbe, welcher
die „Homöopathischen Erfahrungen 14 verfasste —)
einen sonst gesunden Knaben mit beginnendem Ec-
zem. capit unter strengstem Verbote irgend welcher
örtlichen Behandlung und rigoroser Diätregelung.
Hier sah er einen Fall exquisiter Psora, obgleich
beide Eltern gesunde Leute waren. Binnen Jahr
und Tag war der ganze Schädel des etwa acht¬
jährigen Knaben völlig haarlos, dagegen aber gleich-
mässig mit borkigen Krusten bedeckt, und das Kind
wurde vom Schulunterricht ausgeschlossen. Andert¬
halb Jahre trug das Kind dies Martyrinm, bis end¬
lich selbst diesen fanatisch an Wolf hängenden
Eltern die Geduld riss. Dr. Mertens stellte den
Knaben dann binnen 2 — 3 Monaten her. Beide
Aerzte werden älteren Berliner Collegen wenigstens
dem Namen nach gewiss noch bekannt sein. Und
das war nicht etwa der einzige totale Misserfolg,
den Dr. Wolf innerhalb meines Bekanntenkreises
mit seinen Hochpotenzen bei heilbaren Leiden
davontrug. Doch blieb seine subjective Ueber-
zeugung von der ungeheueren Heilkraft dieser so¬
genannten Hochpotenzen unerschüttert. In allen
solchen Missfällen war nämlich die einfache, wenn
nicht gar die „hereditäre“ Mischung von Psora
und Syphilis so tief eingewurzelt, dass die Arznei
nur immer noch nicht Zeit gehabt hatte zu wirken.
Die Idee therapeutischer Missgriffe kam dem im
Uebrigen hochgebildeten Arzte nie in den Sinn.
Und nun die letzte Frage: Warum vermochte noch
Niemand mir zu erklären, warum ich mit den
Hocbpotenzen, welche ich selbst auf das peinlich
Genaueste mir bereitete vor ca. 18 Jahren, nie
einen zweifellosen, bleibenden Erfolg sah in heil¬
baren Krankheitsformen, wenn ich von vorn her¬
ein und ausschliesslich meine Hochpotenzen
gab? Und doch wird noch heute Herr College Dr.
Schwenke in Cöthen-Anhalt mir bezeugen, dass diese
20 Polychreste, welche ich bis zur 200. Hoch¬
potenz C. fortfübrte, so sorgfältig und so gewissen¬
haft nach Hahnemann’scber Vorschrift von mir
persönlich dargestellt wurden, wie das selbst¬
verständlich ist bei einem Arzte, der sich die venia
dispensandi erworben, der diese Präparate ledig¬
lich im wissenschaftlichen Interesse dar¬
stellte, und sie durchaus nur an Aerzte abgab’
welche sie von mir persönlich forderten, und denen
ich mit meinem Worte einstand für die tadel¬
loseste, eigenhändige Anfertigung. Allein
nicht nur ich, sondern auch mein College Dr.Schwenke
fanden uns gänzlich getäuscht in unseren Erwart¬
ungen; und anderen Collegen muss es nicht besser
ergangen sein, denn keiner von Allen hat je
eine Ergänzung auch nur eines einzigen der
von mir erhaltenen Arzneipräparate nach¬
verlangt. Etwa acht Jahre später vernichtete ich
dieselben, weil ich den Platz besser brauchen konnte,
den sie nutzlos einnahmen.
Ich bin also berechtigt zu fragen: Haben andere
Collegen es sich irgendwie angelegen sein lassen
wie ich: 1) sich unbedingt zuverlässige Präparate
von Hochpotenzen zu verschaffen, und 2) in ge¬
eignet erscheinenden Fällen durchaus reine und
keine Mischversuche mit denselben zu unternehmen?
Und wenn ich — und offenbar mehr oder minder
alle damals mitprüfenden Collegen — besagtes
Fiasco machten, — woran lag es?-
Ad. II. So lange keiner der Collegen mir einen
stichhaltigen Grund anzugeben vermag, was bis¬
her noch niemals geschehen, glaube ich das Recht
zu haben, meine Ueberzeugung dahin auszusprechen:
Unser Fiasco beruhte darin, dass wir
wirkliche und wahrhaftige, streng nach
Hahnemann’s Vorschrift angefertigte Hoch¬
potenzen besassen und anwendeten, mit¬
hin völlig stofflose Arzneien. Aus Nichts
aber wird bekanntlich abermals Nichts.
Daher glaube ich mich berechtigt, das Zeugniss
eines jeden Collegen, der nicht selbstangefertigte
oder doch unter seiner unmittelbaren und fort¬
gesetzt wachsamen Controle bereitete Hochpotenzen
anwendete, als ein zur Sache irrelevantes zu kenn¬
zeichnen. Selbst im letzteren Falle, bei von
unbekannter Hand angefertigten Hoch¬
potenzen ist aber noch nicht die geringste
Sicherheit dafür vorhanden, dass die
Arzneien wirklich arzneilos sind. Die
allergeringste unerwartete Störung, welche
ein plötzliches Abwenden des Blickes von der
Potenzirarbeit bedingt, wird auch Zweifel erregen,
bei welchem Glase der langen, gleichförmigen Reihe
wir zuletzt beschäftigt waren. So habe ich selbst
zweimal die ganze Arbeit an einem Medicamente
von vorn beginnen müssen, und von da ab nur
noch unter andauernder Controle eines das fertige
Glas Abrückenden gearbeitet. Ich für meine Person
kann daher nur demjenigen Collegen ein mass¬
gebendes Urtheil über Hochpotenzwirkungen ein-
räumen, der die Versicherung abgeben kann, mit
selbstbereiteten, tadellosen Hochpotenzen durch¬
aus reine, nicht aber Mischversuche unternommen
zu haben; d. h. also: Krankheitsfälle nicht als mit
Digitized by v^ooQie
Hochpotenzen geheilte zu bezeichnet, wenn ent¬
weder im Beginn oder sonstwie während der Cur
irgend sonstige Heilagentien zur Anwendung ge¬
langten, als einzig und allein Hochpotenzen! —
Es ist mir übrigens auch ganz unerfindlich, wie
irgend Jemand — und wie namentlich gar
eine unserer fachwissenschäftlichen Zeit¬
ungen oder Zeitschriften sonstige Erzählungen
von Hochpotenzheilungen als irgendwie wissen¬
schaftlich beweisende passiren lassen kann!? —*)
Im „Briefkasten der Redaction* vielbesagter
No. 23 u. 24 der A. H. Z. v. 10. December 1891
sucht Herr College Schwarz Sputum von Kindern,
weiche an Meningitis tuberculosa leiden. Das wird
freilich „reinlich urid zweifelsohne*, wie s. Z. Herr
Schulrath Wantrug sagte, schwer zu beschaffen
sein. Dann aber will er es „baldmöglichst* —
das müsste also hier binnen weniger Tage sein —
„als Autoison zusenden: nach eigener Methode
dargestellt*. —
Was soll das heissen?
Der Herr College wendet — seiner Mittheilung
nach in derselben Nummer — Autoison von C. 30
— 300 — 600 an. Soweit würde er also po-
tenziren binnen so kurzer Zeit und neben seiner
Praxis? Und zwar — wie fast selbstverständlich
in diesem Falle — nicht nach Hahnemann'scher,
sondern „nach eigener Methode*?
Ja, —■ kann denn unter uns Jeder potenziren
nach Lust und Laune, nach „eigener* Methode,
nicht nach ein für alle Male feststehender
Regel? Was ist denn in diesem Falle unter
„Hochpotenz* noch zu verstehen? Dann
freilich wäre das Wort Hochpotenz eine
Autosuggestion, unter welcher sich Jed¬
weder denken kann, was er will. Das wäre
dann aber auch nicht mehr homöopathische Phar-
macie, sondern homöopathisch - pharmazeutische
Anarchie. Will die A. H. Z. die Fahne dieser
Anarchie vortragen, dann dürften ihr gar manche
Leser noch vor des Weges Mitte untreu werden!
Vielleicht hat Herr College 8chwarz die Güte, uns
über seine „eigene Potenzirtbeorie* aufzuklären;
wenn nicht, wird er ein wissenschaftliches Interesse
für dieselbe wohl schwerlich beanspruchen. —
Endlich noch ein letztes Wort zum Thema:
„Heilung der Tuberculose.*
Hier wird ein einziges Heilmittel wohl nie ge¬
funden werden, denn auch die gewöhnliche chron.
Tuberculose entsteht und verläuft unter allzu ver¬
schiedenen Bedingungen. Ein Anderes z. B. ist die
local in der Lungenspitze sieb anbahnende, welche
*) Wir verweisen den Herrn Autor auf unser Pro¬
gramm in No. 1—2 dieses Bandes, nach dessen auf¬
merksamer Lektüre die Prinzipien unserer Redaktioo6-
führung ihm hoffentlich nicht mehr „ganz unerfindlich* 1
sein werden. Pie Redaktion.
als Spitzenkatarrh sich ankündigt; ein Anderes die
aus einer Spitzenpneumonie sich gar so leicht ent¬
wickelnde; ganz etwas Anderes wiederum die unter
steten Blutungen verlaufende. Wie will tind kann
da ein einziges Heilmittel (z. B. das Kochin der
Gegenwart bezw. der Zukunft) genügen für alle
Fälle?
Dagegen möchte ich Herrn Collagen Göhrum
auf einen Untersuchungsbeftind aufmerksam zu
machen mir erlauben, den ich mindestens in 90 Fäl¬
len unter 100 fand, seitdem ich darauf achtete. In
dieser Ueberzahl nämlich fand ich an der hinteren
unteren Thorax wand bei später tuberculös Gewor¬
denen namentlich Auscultationserscheinungen, sel¬
tener auch zugleich noch deutliche Percussions¬
erscheinungen, welche auf unausgeheilte • Pneumo-
nieen, bezw. Pleuropneumonieen, bezogen werden
mussten. Ich gelangte demnach zu der Ueber-
zetigung, dass weitaus die meisten späteren Tuber-
culosen bei solchen Personen — oft nach 4 — 6
Jahren und noch später — entstehen, welche von
früheren Pneumonieen, Pleuritiden oder Pleuro¬
pneumonieen mehr oder weniger ausgeglichene He-
patisationen der Lungensubstanz zurückbehalten
haben. Alles würde wiederum darauf ankommen,
diese akuten Vorerkrankungon so zu heilen, dass
wir möglichst geringe Exsudate zurückbehalten.
Das vermögen wir nun allerdings als homöopathi¬
sche Aerzte; vorausgesetzt natürlich, dass wir die
also Erkrankten gleich beim Beginne dieser
Leiden in Behandlung nehmen können. Später ist
der Erfolg ein unsicherer, allein selbst dann noch
ein oft erfreulicher, wenn wir die vortrefflichen
Winke der Herren Collegen J. Kaffka und Dr.
Mathis stets im Auge behalten. Ueber den Werth
der von dem Herrn Collegen Kunkel empfohlenen
Sepia als Resorptionsmittel fehlen mir leider eigene
Erfahrungen.
Ich glaube demnach, dass die von Anfang an
zweckbewusste Behandlung acuter Lungen¬
krankheiten, in denen wir der Allopathie weit
überlegen sind oder doch sein können, eins der
werthvollsten Präservative gegen spätere Lungen-
tuberculose abgeben würde. Wir würden daher
dem Gebrauche des Hörrohrs ungleich mehr Studium
wünschen, als ihm im Allgemeinen zugebilligt zu
werden scheint. Denn abgesehen davon, dass unser
Gehörvermögen ein sehr verschiedenartiges ist, ist
angesichts der mancherlei in casu äusserst schwie¬
rigen Richtigdeutungen der vernommenen Töne bz.
Geräusche das Hörrohr ebenso schwierig zu inter-
pretiren, wie der Augenspiegel oder manche sonstige
Specialität, was Diejenigen allerdings nur zögernd
zugestehen möchten, welche der Auscultation nicht
viel mehr als den allerunentbehrlichsten Tribut
zollten oder ihr wegen mangelnden sehr feinen Ge¬
hörs widmen konnten und mochten. Ob inzwischen
Digitized by Google
Ul
das „Autoison“ das Studium der Auscultation unjl
Percussion zum alten Eisen werfen wird, das ist
es, worauf wir überaus neugierig sein dürfen.
Die Botschaft hör* ich wohl, — allein in Glau¬
bensangelegenheiten bin und bleibe ich ein unver¬
besserlicher Thomasschüler!
Entgegnung.
Da Herr Dr. Katsch als Feind des „Spielens
mit unerwiesenen Subjectivismen* doch am Schlüsse
seiner langathmigen, zum Tbeil recht anziehend ge¬
schriebenen Auseinandersetzungen nichts anderes zu
sagen weiss als „die Botschaft hör’ ich wohl —
allein in Glaubensangelegenheiten bin und bleibe
ich ein unverbesserlicher Thomasschüler!*, so kann
ich mich kurz fassen. Sein Schlusssatz beweist,
dass er nichts von dergleichen hören, dass er auf
seinem subjectiven Standpunkt stehen bleiben will,
und da wäre es ja nur verlorne Liebesmüh*, wollte
ich seine zahlreich anfgeworfenen Fragen alle be¬
antworten, zudem da er auf eine ganze Anzahl
dieser hätte verzichten können, wenn er die betr.
kritisirten Artikel genau gelesen, resp. wenn er
nicht vieles offenbar absichtlich missverstan¬
den hätte. Bezeichnend für die Kritik des Herrn
Dr. Katsch ist, dass er gegenüber den zahlreichen,
mühseligen und kostspieligen Versuchen des Hrn.
Coli. Schwarz und meiner Wenigkeit keinen anderen
Ausdruck als „ Glaubensangelegenheiten * findet;
ferner, dass er nach Art der alles im Voraus besser
wissen wollenden Kritikaster einfach die Richtig¬
keit der Beobachtungen von unserer Seite bezweifelt,
während er sich auf seine vor Jahrzehnten statt¬
gehabte Tbätigkeit unendlich viel zu Gute thut
Es ist überhaupt eine auffallende Erscheinung
in den Arbeiten des Hrn. Dr. Katsch, dass er eine
so ausgesprochene Vorliebe für längst Vergangenes
hat, dass er sich nicht scheut, entgegen dem schönen
Spruche „De mortuis nil nisi bene* längst entschlafene
Collagen zu kritisiren. So auch in dem vorliegen¬
den Aufsatz. Wenn die Hochpotenzier wirklich
stets so schlechte Erfolge hätten, wie es nach des
Hrn. Kritikers Ansicht eigentlich sein müsste, so
hätte es ihm leicht sein müssen, andere Beispiele
aus der Praxis solcher noch lebender „Phantasten*
beizubringen. Statt dessen sucht er den verehrungs¬
würdigen verstorbenen Collegen Wolf lächerlich zu
machen. Dies ist nicht schön.
Ich bin — das sei ausdrücklich hervorgehoben
— ganz privatim der Ansicht, dass solche Kri¬
tiken, wie die des Hrn. Dr. Katsch, die alles nur
zu bemäkeln verstehen,, der Sache viel mehr schaden,
als die Veröffentlichung allerdings ungewohnter,
aber auf vielfachen Versuchen basirender Ergeb¬
nisse ; es sind Kritiken, die hinter dem Schreibtisch
entstanden, von vornherein jedem ehrlichen Versuche
abhold sind, Kritiken von Leuten, die alles, was
nicht in ihren Kram passt, herabzureissen und
dabei, da ihrem Thun die positive Grundlage, der
Versuch, fehlt, die persönlichen Fähigkeiten der
positiv Arbeitenden zu verdächtigen suchen, statt
durch Hervorbringung neuer Thatsachen in Wirk¬
lichkeit etwas zur JJlärung der streitigen Frage bei-
zutragen.
Uebrigens darf Hr. Dr. Katsch ja nicht glauben,
dass seine Kritik das einzige Ergebniss der betr. Ver¬
öffentlichungen gewesen ist; im Gegentheil, mehrere
Collegen sind durch diese veranlasst worden, die
Sache nachzuprüfen. Ich hoffe, dass sie seiner Zeit,
wenn sie zu einem gewissen Abschluss ihrer Ver¬
suche gekommen sind, uns das Ergebniss denken
nicht vorenthalten werden. Doch werden wir uns
bis dahin noch etwas gedulden müssen, denn Experi-
mentiren und vorschnelles Kritisiren ist zweierlei.
Ersteres stellt erhebliche Anforderungen an Arbeit,
Zeit und Geld an den Versuchenden, während letz¬
teres der bequemste Weg ist, unbequeme Thatsachen
in Abrede zu stellen.
Dr. med. H. Göhrum,
prakt. Arzt.
Ans der Zeitangsmappe.
The Pacific Recorder , Febraar 1892. Natural
and aquired immunity. — Present Stage of Syphi¬
lide Therapeutics, — Acidity and Digestion.
The Pacific Record of Medicitte and Surgery^
Nr. 4 und 5, Nov., Dec. 1891. Experiences on
Schwalb'es Radical Cure of Abdominal Hernia. —
The Motive and Method of Blectricity in Pelvio In-
flammations. — Electro Chemistry. — Germicidal
Action of the Poles. — A New Application of this
Method. — Pathology and Therapeutic of Gout.
— Acute Gonorrhoea in Women. — A Case of
Myiasis N&rium. — Recovery. — A New Method
of Skin Grafting. — Automatic Menstrual Ganglia.
— A New Theoiy of Menstruation. — Milk a
Mikrobe Killer. — 4- New Alkaloid from Conium
Maculatum is Announced. — On Medical Suggestion
and Similar Topies. — Modecular Changes in Ner-
vous Structure. — Demonstration of Toxine in
the blood of a Man Affected with Tetanus. —
Trichine Spiralis. — Imitation of Marble. — Living
where there is no Air. — Muscular Action and
Consumption of Substance in Man. — Treatment
of Pulmonary Injections of Aristol. — Experiences
of Soine Modern Hypnotics. — Active Principles
in Cruciferous Seeds. — Massage of the Abdomen
in the Constipation of Infants.
Digitized by v^ooQie
ANZEIGEN
Die Herren Aerzte machen wir angelegentlichst auf unseren vorzüglichen
Verbesserten Homöopathischen Gesundheitskaffee
aufmerksam. Derselbe ist hinsichtlich seiner Zusammensetzung und Qualität, sowie seines ausgezeichneten,
angenehmen und kräftigen, dem Bohnenkaffee wirklich ähnlichen Geschmackes wegen allen anderen
homöopath. Gesundheits-Kaffee-Präparaten vorzuziehen.
Vt Pfd. kostet 30 Pf., 1/2 Pf*. 15 Pf., »/* Pfd. 10 Pf.
Auf Wunsch wird jedem Packete ein Blechmaass zum Abmessen gratis beigegeben.
In gleicher Weise empfehlen wir unseren
Verbesserten Homöopathischen Malz-Gesundheitskaffee,
das Beste und Vollkommenste, das bisher auf dem Gebiete der Kaffeesurrogate geleistet worden ist. In
Geruch und Geschmack dem Bohnenkaffee völlig gleich, ist derselbe in Folge seines verhältnissmässig
hohen iProteingehaltes ein sehr nahrhaftes Getränk und der beste Ersatz für den theuren Bohnen¬
kaffee, nicht nur für Kranke, sondern auch für Gesunde.
7i Pfd. 60 Pf., V 2 Ptt. 30 Pf.
Wiederverkäufer bekommen auf beide Sorten angemessenen Rabatt
Homöopathische Centralapotheke
von Täschner & Co. in Leipzig.
— Neu, billig und practisch —
Zxmgenhalter von, Holz.
Zufolge häufiger Beschwerden des Publikums
über jahrelange Benutzung eines und desselben
neusilbernen oder silbernen Zungenhalters (trotz
dessen sofortiger Reinigung und Desinfection) bei
verschiedenen Personen, sind wir den Wünschen einiger
Herren Aerzte nacbgekommen und haben aus sau¬
berem Weissbuchenholze einfache und practische
Zungenhalter
machen lassen, die durch ihren ausserordentlich
billigen Preis gestatten, nach einmaligem Gebrauche
weggeworfen zu werden und den Patienten somit
jede Sorge um Uebertragung irgend welcher Krank¬
heiten durch Anwendung dieses so sehr nöthigen
Instrumentes nehmen. —
Wir halten dieselben daher der Herren Aerzten
zur gefl. Benutzung bestens empfohlen. —
Preis pro Stück 0 Pfg., pr. Dtzd. 60 Pfg.,
pr. 100 Stück Mk. 4,80.
A. Maryyraj’s Homöopathische O/ftcin
ln Leipzig.
Ein
homöopatischer Arzt
sucht einen Collegen mit Dispensirrecht; monatlich
250—SCO Mk. ' Alles frei. Sehr angenehme Existenz.
Gefl. Offerten sub A. Z. 100 an die Expedition
dieses Blattes.
In einer grossen Stadt mit über 200000 Ein¬
wohnern wird von einem Rentier ein
homöopathischer Arzt,
womöglich mit Dispensirrecht, auf sofort gesucht.
Alle Einrichtungen einer Poliklinik mit voller
Apotheke vorhanden. Verein am Orte. Grosse Praxis
in Aassicht; unverheirateter Arzt bevorzugt.
Offerten an die Expedition unter R. K. 250
umgehend erbeten.
Gesucht
prakt. Arzt, Homöopath,
möglichst mit Dispensirrecht als Stellvertreter für ca.
2—2'/2 Monate — ab 10.—15. Mai — in einer
Grossstadt Mitteldeutschlands.
Offerten unter Chiffre K. L. an die Expedition
dieses Blattes.
Znr Ergänzung der Bibliotheken empfehle ich
den Herren Aerzten von der
Allgemeinen Homöopath. Zeitung
ganze Collectionen vom 1. bis 123. Bande, wie
auch einzelne Bände und von den letzten zeho
Bänden, so weit der Vorrath reicht, auch einzelne
Nummern zu billigsten Preisen.
A. Marggrars Homöopath. Offlcln in Loiptig.
Ta] m Krankenheil hei München. Höbesltsftkartrf
X jodbatt Qnelle*. Indicat Franeakraak-
helteo, 8crophulose, cbroo. Hautieides, Lues. — Auskunft
d. Dr. Letzel (im Winter in München, im Sommer in Töls).
Verantwortliche Redacteure: Dr. Soehrra-Stnttgart, Dr. 8tlfft-Leipiig und Dr. Haodlokü-Leipzig.
Expedition und Verlag von WUlan 8tslanetz (A Marggrafs homöopath. Officin) in Leipsig.
Druck von Gressaer ft Sobraaai in Leipsig.
Digitized by 1
in ueipsig.
Google
Band124. Leidig, d«n u. iprii i»m. No. 15u.l(i.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Harggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig.
apjpT* Braoheint Mtlgig an 3 Bogen. IS Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bnebhandlnngen and
Poatanetalten nehmen Beatellnngen an. — Inserat* , welche an £L Houo in Ijeipsig and dessen Filialen sa riohten sind,
werden mit SO/*/, pro einmal gespaltene Petitseile and deren Baam berechnet. — Beilagen werden mit 13 M. berechnet.
Inhalt: Zar Feier von Hahnemann’e 137. Geburtstag. Von Dr. M&yntzer-Trier. — Die Zubereitung der
Jeniohen'schen Hochpotenzeu. Von Dr. Herrn. Fischer in Wesfcend-Charlottenburg. — Nochmals Suggestion und
Homdopathie. Von Dr. A. Pfänder Bern. — Zur Entgegnung. Von Dr W. Albert Haupt-Chemnitz. — Correapondenz.
Von Dr. J. Lembke Riga. — Toxloologiaohea. — Vermiaohtea. — Epldemiologiache Ecke. — Referat. — Geburtstagsfeier
Habuemuans. — Peraonalia. — Berlobtigung. — Anzeigen.
Zur Feier von Hahnemann’s 137. Geburtstag.
(Lied nach: »Ich hab’ mich ergeben* etc.)
Von Dr. Mayntzer in Trier.
Wir sind hier zusammen
Zu Hahnemann's Ruhm,
Uns Alle zu entflammen
An seinem Wort und Thun. ::
Er hat uns errungen
Die Wahrheit, — ein Licht,
:j: Das preisen alle Zungen, —
Nur Ignoranten nicht. :j:
Mag Sturm um sie wehen
Mit Acht und mit Bann,
Nicht bangt! — sie bleibt bestehen
Trotz Uebermacht und Wahn.
Der Kampf ja hienieden
Dem Guten bescheert;
Er bringt auch einmal Frieden,
Der unsre Sache ehrt.
Kommt, Gegner, herüber,
Durchkostet sein Reich!
:: Ihr bleibt bei Ihm dann lieber,
Der gleicht der deutschen Eich*. ::
Eur planloses Reisen
Für Menschen und Vieh
:: Ist fort im Stein der Weisen,
— Der Homöopathie. ::
Bacillen und Sporen
Im kranken Substrat,
:: Was fürcht* Ihr sie, ihr Thoren,
Wenn Ihr auf bess’rem Pfad?!
Drum lasst euer Schmähen,
Da uns — solche Sach’!
Nein, Harmonie thut säen!
Ihr müsst ja doch uns nach. ::
Lasst trinken uns Feuer
Im Gro8sdosen - Maass,
:j: Das lodre hoch und theuer
Dem Freund und Feind fürbass!
Stosst an, Sinnesbrüder,
Mit frohem Pokal!
Lasst sehen bald uns wieder,
Nie fürchten Feind und Zahl!
15
Digitized by
Google
114
Die Zubereitung der Jenichen’schen
Hochpotenzen.
Von Dr. Herrn. Fischer in Westend-Charlottenburg.
Ueber die Jenichen'scben Hochpotenzen und
namentlich über die Herstellung derselben ist von
jeher so viel vermuthet und gefabelt worden, dass
es mir an der Zeit zu sein scheint, die wahren
Verhältnisse bekannt zu geben.
Noch in neuester Zeit hat College Kunkel-Kiel
in der Allg. Hom. Ztg. Band 123 S. 207 erklärt,
dass Constantin Hering das Geheimniss der Zu¬
bereitung mit ins Grab genommen habe und dass
längst nachgewiesen (?) sei, die Zahl der Hoch¬
potenzen z. B Natr. mur. 5000 sei nicht wörtlich
zu nehmen, vielmehr habe Jenichen das Haupt¬
gewicht auf die Kraft seines Athletenarmes gelegt.
Beide Aeusserungen entsprechen, wie aus dem Nach¬
folgenden zu ersehen ist, nicht der Wahrheit.
Jenichen hat das Geheimniss der Zubereitung
seiner Hochpotenzen an Constantin Hering mit-
getheilt unter der ausdrücklichen Bedingung, dass
Hering erst nach Jenichen’s Tode wieder einem
Andern Mittheilung machen dürfe; es sollten immer
nur zwei Lebende um die Sache wissen. Als Jeni¬
chen gestorben war (bekanntlich hat er sich selbst
entleibt), theilte Hering seinem Schwager Hartlaub
die Zubereitung mit. Ende der siebenziger Jahre,
als Hartlaub in Blankenburg-Thüringen lebte, wurde
ich mit diesem hochbetagten Collegen persönlich
bekannt und erfuhr dann gesprächsweise von ibm,
dass er die Zubereitung der Jenichen’sohen Hoch-
potenzen kenne. Auf meinen Wunsch, mir dies
Geheimniss mitzutheilen, erwiderte er, dass er dies,
solange Hering lebe, nicht dürfe; dabei erfuhr ich
auch die oben erwähnte Bedingung, welche bis da¬
hin an solche Mittheilung geknüpft war. Als ich
dann nach einigen Jahren wieder in Blankenburg
weilte und nunmehr Hering inzwischen verstorben
war, erfuhr ich von Hartlaub das, was ich nun be¬
kannt geben werde. Irgend eine Bedingung hatte
mir Hartlaub nicht aufgelegt, so dass ich also ganz
frei und unbeschränkt meine Kenntniss veröffent¬
lichen kann. Wiederholt habe ich Hartlaub gebeten,
selbst diese Veröffentlichung vorzunehmen; er hatte
keine Lust dazu und meinte, wenn das Geheimniss
auch verloren ginge, so wäre es gerade kein Schade
für die Homöopathie. Ich habe mit den aus dem
Jenichen sehen Nachlass in Wismar bezogenen Hoch¬
potenzen recht schöne Erfolge gehabt und möchte
demnach der Hartlaub’schen Ansicht nicht unbe¬
dingt beipflichten; immerhin ist es aber für die Ge¬
schichte der Homöopathie gewiss interessant, dass
über die Zubereitung dieser Hochpotenzen die Wahr¬
heit ans Licht kommt, damit die vielen über diese
Angelegenheit umgehenden Fabeln und Vermuth¬
ungen von nun an verstummen.
Verschiedenen Collegen habe ich mündlich mit-
getheilt, was ich von Hartlaub erfuhr; da ich mich
aber nun der Sieben zig nähere und bereit bin, über
kurz oder lang ebenfalls zur grossen Armee ab¬
berufen zu werden, so will ich doch nun selbst
das, was ich weiss, der Oeffentlichkeit übergeben.
Bis zur dreissigsten einschliesslich wird streng
nach Hahnemann potenzirt; für die 31. Potenz wer¬
den 200 Tropfen Spiritus in ein solches Gläschen
gethan, dass dieses Gläschen 2 / 3 —*/4 gefällt ist;
dazu 2 Tropfen der 30. Potenz und nun wird mit
12 kräftigen Schlägen tüchtig durchgesohüttelt *)
Mit demselben Gläschen hat Jenichen unter
Anwendung von Spiritus und 12 Schüttelscblägen
bis 200 potenzirt und zwar nach Korsakoff d. h. die
31. Potenz wird ausgegossen, das Gläschen aus¬
geschwenkt, so dass etwa 2 Tropfen an den Wänden
hängen bleiben; nun werden wieder 200 Tropfen
Spiritus dazu gethan und 12 SchüttelSchläge ge¬
geben, so geht es fort nach Korsakoff bis 200. Von
200 an beginnen die Hochpotenzen, die folgender-
massen hergestellt werden. Man nimmt ein ent¬
sprechend grösseres Glas, das, auch 2 / 3 — 3 / 4 ge¬
füllt, 12000 Tropfen enthält; hierzu kommen von
der 200. Potenz 2 Tropfen; es wird also mit ver¬
mehrtem Vehikel potenzirt; nun gab Jenichen
auch 30 Schüttelschläge statt 12 und nahm für
dieses weitere Potenziren von 200 an, aber immer
mit demselben Glas und nach Korsakoff, nicht
Spiritus, sondern Wasser aus dem Schweriner 8 ee
(Schwerin in Mecklenburg); die Potenzen, welche
aufbewahrt werden sollten, erhielten natürlich nicht
Wasser, sondern Spiritus, um vor dem Verderben
geschützt zu sein. Wer mit einem solchen grösseren
Glase, das 2 / 3 — 3 / 4 gefüllt ist, potenzirt, kann jeden
Augenblick das bespöttelte und ironisch besprochene
* Klingen, wie kleines Silbergeld* hervorrufen.
Vielfache Zweifel sind ausgesprochen worden,
dass es möglich gewesen sei, alle die Potenzen in
besprochener Weise regelrecht herzustellen; wenn
man aber weiss, dass Jenichen Tag für Tag un¬
unterbrochen potenzirte, dass er, wenn seine Kräfte
etwas nachliessen, sich von Andern stützen und
halten liess, um mit seinem rechten Arm weiter zu
*) Vielleicht interessirt es die Leser, tu erfuhren,
wie unser Hahnemann die Schüttelschläge aasführte;
er nahm das Gläschen so in die Hand, dass der Boden
desselben auf dem letzten Gliede des rechten Mittel¬
fingers ruhte, die untere Fläche des letzten Daumen¬
gliedes auf dem Korke las; das Gläschen wurde also
nur mit Daumen und Mittelfinger gehalten; nun machte
er, indem er mit der Hand einen grossen Bogen nach
aussen beschrieb, einen kräftigen Schüttelschlag. Auch
diese Kenntniss verdanke ich dem alten Hartiaub, der
als Famalus von Hahnemann oft genug den Meister in
der beschriebenen Weise potenziren sah.
Digitized by v^ooQie
labt, so wftren wohl d
it zu Stande gekommen.
15 *
oo
Digitized by
116
Es existirt ein 1847 gemaltes Oelgeraälde von
Jenichen, das ihn, in Brnstbildform, lebensgross dar¬
stellt. Ich sah das Bild zuerst bei dem verstorbenen
Kreisphysikus a. D. Dr. Wolf, der über Apis und
Thuja schrieb; wenn ich recht unterrichtet bin, so
hatte Wolf das Bild von Stapf erhalten. Wolf
hatte das Gemälde mir zugedacht; nach seinem
Tode kam es aus Gründen, die nicht hierher ge¬
hören, an College Mertens, der es später mir über¬
gab. Die rechte Körperhälfte ist bis zur Brust¬
warze entblöst, so dass man die obere nackte Brust
und namentlich den athletisch geformten nackten
rechten Arm, dessen Hand das Potenzirglas fest
umschliesst, in seiner ganzen Kraft erblickt; das
Gesicht, unter den Augen etwas gedunsen, ist dem
Beschauer voll zugewandt und von dunkelbraunem
Vollbart umrahmt; die Enden des Schnurrbartes
sind etwas nach oben gedreht; der Kopf, mit braunem,
vollen, etwas wirren Haar bedeckt, sitzt auf einem
riesigen Stiernacken. Auf dem Potenzirglas steht
Ars. 40000. Die Hand mit dem Potenzirglas habe
ich in natürlicher Grösse von dem Bilde abgezeich¬
net und gebe sie zur deutlicheren Veranschau¬
lichung.
Ich habe,bestimmt und erkläre auch hier noch
ausdrücklich, dass nach meinem Tode Jenichen’s
Bild dem homöopathischen Krankenhause in Leipzig
übergeben und dort an passender Stelle aufgehängt
werden soll.
Nochmals Suggestion und Homöo¬
pathie.
Von Dr. A. Pfänder in Bern.
In Folge gänzlicher Inanspruchnahme durch die
Praxis komme ich erst jetzt dazu, auf die Kritik
meines Aufsatzes durch College Gerster in München
in No. 7 u. 8 dieser Zeitschrift zu antworten. Ich
werde zwar nicht nochmals näher auf alles eingehen,
sondern nur auf einige Punkte hinweisen, in denen
ich mit den Ausführungen Gersters nicht einver¬
standen bin, während ich anderen eine gewisse Be¬
rechtigung nicht abstreiten will.
Dass College Gerster mit dem Wesen der Sug¬
gestion sehr vertraut ist, geht aus seinen Bemerk¬
ungen hervor; allein es macht mir den Eindruck,
als ob nicht nur er, sondern auch andere Aerzte,
die sich näher mit dem Studium des Suggestionis¬
mus befasst haben, diesem doch eine gar zu grosse
Wirkung einräumen und ihn als zu allgemein und
zu jeder Zeit mitspielend ansehen. Sie scheinen
mir in dieser Beziehung in den nämlichen Fehler
zu verfallen, wie diejenigen, welche in jeder Be¬
findensveränderung eines Patienten zum Besseren
eine Arzneiwirkung sehen wollen — diese letzteren
beachten den Suggestionismus zu wenig,
erstere übersehen ganz die doch sicher sehr oft
eintretende thatsächliche Mittel Wirkung,
welche nur ein Skeptiker von Beruf, möchte ich
sagen, so sehr in Zweifel ziehen kann. Und auch
die Vertheidiger de«« „Suggestionismus überall* wer¬
den nicht immer die Wirkung der Naturheilkraft
von derjenigen der Suggestion unterscheiden können.
Das führt mich gerade auf den Punkt, den ich
schon in meinem Vortrag berührt habe: dass näm¬
lich eine mathematische Gewissheit in Bezug
auf Arzneiheilwirkung (worunter auch der Sug¬
gestionismus zu verstehen ist) überhaupt nicht vor¬
handen ist, und zwar auch dann nicht, wenn alles
in Betracht gezogen wird, was Gerster verlangt.
Denn dazu müsste das gleiche Individuum zum
zweiten Mal in denselben Krankheitszustand unter
denselben allgemeinen Bedingungen versetzt werden
können, so dass das eine Mal der „Natur" allein
der Lauf gelassen, das andere Mal Arznei angewandt
werden könnte. Erst dann hätte man völlige Ge¬
wissheit, was der Arznei zuzuschreiben ist und was
nicht — aber das ist eben unmöglich. Jedoch auch
im Falle der Möglichkeit liesse sich immer noch
der Einwand geltend machen, das eine oder andere
Mal könne eine Autosuggestion unerkannter Weise
mitgewirkt haben. Ueberhaupt liesse sich die Frage
aufstellen, ob und inwiefern die Autosuggestion in
die sogenannte Naturheilkraft einzubegreifeu ist
oder nicht.
College Gerster verlangt besonders, dass die
psychische Persönlichkeit der Patienten immer
berücksichtigt werden müsse. Er verlangt aber da¬
mit mehr, als die homöopathischen Aerzte bisher
gethan haben und noch thun, indem sie in vielen
Fällen durch psychische Symptome oder den
Charakter des Patienten die Mittel wähl beein¬
flussen lassen; er will, dass man die psychische
Persönlichkeit auch in Bezug auf die Suggesti-
bilität prüfe, um brauchbare Krankengeschichten
zu bekommen.
Das ist nan ganz scbön und mag in vielen
Fällen möglich sein; in der Mehrzahl der Fälle ist
es aber unmöglich, entweder aus Mangel an Zeit
oder weil man den Patienten nur einmal (oder gar
nicht) gesehen hat und eine oberflächliche Prüfung
keinen Werth hätte. Zudem giebt es gewiss sehr
viele Fälle, in welchen es auf die psychische Indi¬
vidualität gar nicht ankommt.
Wenn dann College Gerster behauptet, die
Wirkung der Suggestion sei in der Homöopathie
eine andere als in der Allopathie, so kann ich das
nicht zugeben. Ich glaube nicht, dass im All¬
gemeinen die homöopathischen Aerzte die Patienten
stärker suggestiren als die allopathischen; denn es
giebt unter diesen sehr viele, die mit einem ganz
gehörigen Aplomb aufzutreten wissen und somit
Digitized by Google
ihre Patienten stark suggestiv beeinflussen. Es
wird auch Niemand leugnen wollen, dass die Herren
Professoren ihre Studenten nicht ganz gehörig
gegen die Homöopathie suggestiv zu bearbeiten
wissen. Ich glaube auch nicht, dass diejenigen
Patienten, die nur auf die Allopathie (um diesen
Ausdruck zu gebrauchen) schwören — und das ist
bis jetzt noch die grosse Mehrheit — weniger
„Glauben" in die Therapie ihrer Aerzte haben, als
die Anhänger der Homöopathie. Dass unter diesen
im Ganzen mehr „Gläubige* in religiösem Sinne
zu finden sind im Verhältnis zu denen, die sich
allopathisch behandeln lassen, mag dagegen rich¬
tig sein. Es kommt dies wohl daher, dass zum
„Glauben“ an die Wirkung kleinerer materieller
Agentien das Vorhandensein eines religiösen Glaubens
mehr disponirt. Bei uns giebt es aber Anhänger
der Homöopathie in allen Klassen, nicht nurbe-
sonders im „Adel und Clerus“, wie College Gerster
meint, und ich habe in meiner Praxis schon sehr
viele ganz freidenkende Patienten gehabt, die einfach
durch die Macht der Thatsachen zur Anerkennung
der Wirkung homöopathischer Arzneien gezwungen
wurden. Ob die homöopathischen Aerzte verhält-
nissmässig mehr „gläubige“ oder „psychisch feiner
empfindende" Leute zählen als die Allopathen, weiss
ich nicht, kenne aber viele allopathische Aerzte die
ganz streng orthodox sind.
Dass ferner das Selbstdispensiren ein the¬
rapeutischer Vorzug der Homöopathen sein soll,
ist mir nicht begreiflich. Auf dem Lande giebt es
doch gewiss sehr viele selbstdispensirende Allopathen,
und ich selbst habe als Allopath früher selbst dispen-
sirt, konnte aber trotzdem als Homöopath therapeu¬
tisch bessere Erfolge konstatiren.
Wenn Gerster nicht zugeben will, dass man
an 1 — 2 jährigen Kindern, an bewusstlosen
Kranken und an Thieren die Wirkung der homöo¬
pathischen Arzneien demonstriren könne, so ist es
freilich nöthig, dass er hinzusetzt, er bestreite „über¬
haupt" eine therapeutische Wirkung derselben nicht.
So genau kennt man denn doch den ungefähren
Verlauf vieler Krankheiten und ihrer Complicationen,
dass man mitunter blosse Naturheilung ausschliessen
darf. Freilich hat der Behandelnde bei jeder Krank¬
heit wohl viel unmittelbarer und lebhafter den Ein¬
druck (doch wohl auch einmal ohne Autosuggestion!),
dass die Arzneien günstig gewirkt haben, als der¬
jenige, der die Krankengeschichten liest, in welchen
zugestandenermassen selten alles das angegeben und
in Betracht gezogen wird, was auf den Leser (und
besonders Gegner!) völlig überzeugend wirkt. Die
Allopathen haben ja überhaupt auf alle noch so
eclatanten homöopathischen Heilwirkungen die Ant¬
wort parat: „das war Naturheilung!“ Es hat sich
eben bei ihnen die Allosuggestion zur Autosuggestion
ausgebildet, die sie keine homöopathischen Heilwirk¬
ungen anerkennen lässt Trotz der in vielen Be¬
ziehungen mangelhaften Krankengeschichten möchte
ich aber doch dagegen protestiren, sie alle als
Makulatur aufzufassen, wie Gerster es thut; ich
wenigstens habe meiner subjectiven Ansicht nach
schon mancher Krankengeschichte, die ich in unsem
Journalen las, gute therapeutische Resultate zu ver¬
danken gehabt^ auch wenn sie nicht allen Anforder¬
ungen vom Collegen Gerster entsprachen. Und ich
werde mit dieser Ansicht über den Werth . der
Krankengeschichten wohl nicht allein stehen.
Wenn einmal die Anschauungen über den Sug¬
gestionismus und seine „Allgegenwart“, wie sie uns
Gerster vorfübrt, allgemein anerkannt werden in
dem Sinne, dass er sowohl nervöse wie organische
Leiden bessert und heilt, so muss folgerichtig
wiederum eine Periode des therapeutischen Nihilis¬
mus (mit Ausnahme des Universalheilmittels „Sug¬
gestion“) entstehen, und dann wird sich wohl zeigen,
ob nicht doch bei arzneilicher Behandlung mit
oder ohne Suggestion die Erfolge günstiger sind
oder waren. Die Beobachtungen von Wetter-
strand über Heilung oder Besserung verschiedener
organischer Veränderungen waren mir übrigens
nicht bekannt und werden auf directe Beeinflussung
des in Folge der Suggestion richtiger arbeitenden
Nervensystems zurückzuführen sein. Mit dieser Art
des Heilungsvorganges würde übrigens die Ansicht
stimmen, dass auch die in verfeinerten, homöopa¬
thischen Gaben gereichten Arzneien durch Ver¬
mittelung des fein reagirenden Nerven¬
systems auf die erkrankten Organe wirken und
nicht direkt auf diese letzteren.
„Bei der Besserung nach einem Mittel“, sagt
Gerster, „das nach verschiedenen erfolglosen
Mitteln, und bei einem solchen, das ohne Wissen
des Kranken gegeben wurde, müsste in jedem
Einzelfalle festgestellt werden, ob nicht die Krank¬
heit auch ohne Medication eine gute Wendung hätte
nehmen können, und ob der gleiche Erfolg bei
irgend einem andern Mittel ebenfalls eintrat.“ Diese
Forderung ist nun in Praxi nur selten durchzu¬
führen und liesse immer noch den Einwand offen,
die Krankheit hätte sich von selbst bessern können,
wenn man nicht gerade warten will, bis der Patient
hoffnungslos ist Wenn aber eine acute Krankheit,
die z. B. gar nicht behandelt wurde, immer schlimmer
sich gestaltet, ja einen letalen Ausgang befürchten
lässt, und sie nun auf ein gereichtes Mittel auf¬
fallend rasch sich zum Guten wendet, und wenn
disses Mittel sich schon oft bei ähnlichen Indica-
tionen bewährt hat, so ist die Wahrscheinlichkeit
so gross als nur möglich, dass wirklich das Mitte 1
geholfen hat. Ebenso verhält e6 sich, wenn vorher
andere, namentlich homöopathische Mittel gegeben
werden, die, wenn sie nicht wirkten, spurlos am
Körper vorübergingen, und nun ein anderes M’ttel
Digitized by
rasch Aenderung bringt. Mit dem Ein wand, die
Autosuggestion habe sich geändert, ist jedenfalls
kein Gegenbeweis geliefert!
Aebnlich ist es bei chronischen Krankheiten, die
Jahre lang gleich blieben oder sich verschlimmerten,
trotz Medieation und der unfehlbar schon lange
mitwirkenden Saggestion. Wenn hier auf ein Mittel
plötzliche Besserang eintritt, so ist wenigstens mit
grösster Wahrscheinlichkeit anf Mittelwirknng als
Grand der Veränderung zu schliessen. Dass anch
in solchen Fällen mitunter von selbst plötzliche
Aendernng resp. Besserung eintritt, will ich nicht
in Abrede stellen. Wenn einmal der gleiche Er¬
folg auch bei einem andern Mittel eintritt, so ist
dies kein Beweis gegen die Wirkung des früheren
Mittels, da ganz gewiss auch mitunter einem Falle
zwei Similia entsprechen können.
Jeder homöopathische Arzt hat wohl so oft
Gelegenheit gehabt, die allgemeine Indication von
Ehus tox: „besser bei Bewegung, schlimmer bei
Ruhe“, oder von Pulsat: „besser im Freien,
schlimmer im Zimmer“ etc. etc. bewährt zu finden,
dass er sie trotz aller Suggestionsmöglichkeit immer
wieder in geeigneten Fällen anwenden wird, wenn
9ie auch nicht in jedem Fall (trotz unbewusster
oder bewusster Suggestion!) gewirkt haben, weil
eben auch noch andere Mittel ähnliche Indicationen
haben und die übrigen 8ymptome nicht für die er¬
wähnten Mittel gestimmt hatten.
Doch genug damit. Es soll mich freuen, wenn
auch andere Collegen noch etwas zur Erörterung
der behandelten Fragen beitragen.
Trotz meiner in Manchem abweichenden An¬
sichten begrüsse ich die Auseinandersetzungen
Gersters, da ein Thema immer möglichst von
verschiedenen Seiten beleuchtet werden soll, und
ich hoffe, sie werden dazu beitragen, dass die ho¬
möopathischen Aerzte sich etwas nüher mit dem
Studium der Suggestionserscheinongen befassen.
Zar Entgegnung.
Von Dr. W. Albert Haupt in Chemnitz.
Motto: „Siehe zu, dass Du in Deinem Thun und
„Lassen als praktischer Arzt Deinen Geg-
„nein gegenüber beweisest, dass der mys-
„tische, paradoxe, abenteuerliche Anstrich,
„den man der Lehre Hahnemann’s ge¬
lben, durchaus kein nothwendiges At¬
tribut derselben sei, und dass man bei
„der Ausübung der Homöopathie weder
„mit dem hausbackenen gesunden Men¬
schenverstände, noch mit den Gesetzen
„der Logik und Physik in Zwiespalt zu
„gerathen brauche.“ Watzke.
Herr Dr. Kunkel in Kiel erzählt in Nr. 9/10
dieser Zeitung (Bd. 124) „eine kurze Krankenge¬
schichte“ von einem Obstruirten, der nach vergeb¬
licher Anwendung von Opium 3. C. durch Opium
200. (Lehrmann) geheilt wurde, knüpft daran eine
Belehrung über das, was ein „unbefangener Natur¬
forscher“ kann und was er soll und greift mich
persönlich an, weil ich in meinem Artikel „Nil
novum sub sole“ (vide diese Zeitung Bd. 123,
Nr. 23/24) meine Competenz überschritten und die
Wirkung der Hochpotenzen abgeleugnet hätte.
Die Schlussworte dieser meiner Arbeit:
„Möchte nur Jeder seine Ueberzeugung stets
mit ebensoviel Bnhe, Würde und Wissenschaft¬
lichkeit und so rein sachlich vertheidigen, als
dies Prof. Wesselhoeft gethan hat!*
sind also von Herrn Dr. Kunkel nicht beachtet,
meine Darlegungen überhaupt wohl im Aerger über
meinen Unglauben nur ganz flüchtig gelesen wor¬
den, denn sonst müsste er ja gefunden haben, dass
ich die Möglichkeit der Wirkung von Verdün¬
nungen, welobe über die 12. Centesimale hinaus¬
gehen, dnrchaas nicht in Abrede stelle (vide 1. c.
pag. 188), sondern nur die Nothwendigkeit
bestreite, die Verdünnungen bis ins Unend¬
liche fortzusetzen. Und zwar leitet mich dabei
allerdings „mehr als edle Opposition“, nämlich der
heisse aufrichtige Wunsch, soviel in meinen Kräften
steht dazu beizutragen, dass die herrliche Schöpfung
Hahnemanns von dem Fluche der Lächerlichkeit,
Phantasterei und Unwissenschaftlichkeit, den die
unseelige Potenzirwuth auf sie geworfen, befreit
werde und zu immer grösserer Verbreitung gelange.
loh stimme voll und ganz Hirschei bei, wenn
er in seinem Artikel: „Ueber die Ursachen der
Rückschritte der Homöopathie in Anerken¬
nung der Aerzte“ (Neue Zeitschr. für homöop.
Klinik, Bd. 17, pag. 90) sagt:
„Die kleinen Gaben der Homöopathie sind ein
„grosses, ja das grösste Hinderniss für deren Ver¬
breitung; vielleicht würde ohne dieselben die
„Annahme der Homöopathie auch bei der andern
„Schule mit der Zeit eine allgemeine werden,
„wenn die Anschauung der Homöopathie als Specifi-
„tätslehre sich Bahn brechen könnte und ihr nicht
„dabei das Hinderniss, welches die Anwendung
„hoher Verdünnungen der gewöhnlichen Auf-
„fassung bietet, im Wege stünde.“
Seit dem Jahre 1857, in dem ich mich zu der
Hahnemann'schen Heilmethode bekehrte, habe ich
eine ziemlich grosse Anzahl allopathischer Aerzte
dahiu gebracht, homöopathische Schriften zu lesen,
Einige davon anch vermocht, Versuche mit homöo¬
pathischen Mitteln am Krankenbette zu machen;
ja ich bin sogar so glücklich gewesen, zwei Pro-
moti von der Wahrheit der Homöopathie soweit
zu überzeugen, dass sie in ihrer Praxis überall, wo
es sich thun lässt, homöopathisch behandeln. Es
ist mir aber auch nicht ein einziges Mal
Digitized by v^ooQie
vorgekommen, dass irgend Einer sich mit
dem Gedanken an die Wirksamkeit der Hoch¬
potensen befrenndet hätte, wohl aber wieder¬
holt passirt, dass Solche, welche durch die Lektüre
geeigneter Werke für die Lehren Habnemann’s
günstig gestimmt worden, vor weiterem Stodinm
und vor praktischen Versuchen zorückscbreckten,
als sie lasen, in welcher Weise homöopathische
Aerzte für die Anwendung hoher nnd höchster
Potenzen plaidirten
Noch vor Kurzem schrieb mir ein Allopath, der
ein prachtvolles bakteriologisches Laboratorium be¬
sitzt und sich durch mehrere wichtige Entdeckungen
auf dem Gebiete der Pilztheorie einen geachteten
und bekannten Namen gemacht hat:
„Ihre Arbeit über Diphtherie*) hat mich sehr
»interessirt Ieh bin zwar kein Homöopath, viel¬
leicht, weil ich bis jetzt noch zu wenig Gelegen-
„heit hatte, mich von den Erfolgen der Homöo-
„pathie zu überzeugen, finde aber das wissenschaft¬
liche Vorgehen der modernen Homöopathen höchst
„ sympathisch/
Nun, an Stelle dieser Sympathie würden un¬
fehlbar mitleidiges Lächeln, Spott nnd Hohn treten,
kämen dem Herrn Dr. med. P. zufällig Knnkel’-
sche Krankengeschichten mit Hochpotenzen zu Ge¬
sichtei
Sehen wir uns die neueste derselben einmal
etwas genauer an!
Herr Dr. Kunkel giebt, weil Opium 3. C. die
Verstopfung „womöglich noch hartnäckiger“ machte,
Opinm 200, worauf regelmässiger Stuhlgang eintrat.
Ist dadurch aber der Beweis für die Wirksam¬
keit der Hocbpotenzen, den er liefern wollte, wirk¬
lich erbracht?
Ganz gewiss nicht! Denn Herr Dr. K. hat die
200. nicht selber angefertigt, sondern von einem,
bereits 1869 verstorbenen Apotheker bezogen und
nimmt nun nach blossem Hörensagen, auf Treu
und Glauben an, dass sie lege artis gemacht sei
Gesetzt, ich beabsichtigte zu beweisen, weisse
Ratten wären nicht gegen Milzbrand immun und
ich Hesse mir von einem Fabrikanten bakteriologi¬
scher UtensiHen, der auch Reincultnren pathogener
Spaltpilze versendet, eine Bouilloncultur vom Ba¬
cillus anthracis schicken, benutzte dieselbe aber,
ohne sie auf ihre Echtheit und Reinheit mittelst
des Mikroskops und mittelst Platten- und Stich-
culturen zu prüfen, zu Impfungen an solchen Thieren
und veröffentlichte dann die erhaltenen positiven
Resultate, so würde mich jeder Bakteriologe ein¬
fach auslachen — — und das mit Recht! Ein
„unbefangener Naturforscher“ darf eben nicht
*) W. A. Haupt: „Die Aetiologie der Diphtherie/'
Separatabdruck aus der Zeitschrift des Berliner 'Ver¬
eines homöopath. Aerzte. Berlin. B. Bebr’s Verlag. 18 $ 1.
glauben, sobald es sich darum handelt, einen Be¬
weis zu führen.
Herr Dr. K. glaubt indes« an die Richtigkeit
der L eh rin an n sehen Hocbpotenzen — das ist
seine Sache — aber er soll solchen Glauben nicht
auch von Anderen verlangen!
Wer hat denn ihren Verfertiger bei seiner Ar¬
beit controlirt? Wie nun, wenn er seine 200t nicht
mit je 2C0 Gläschen, sondern immer nur mit
einem einzigen, das er ausgegessen und 199mal
wieder gefüllt*) oder wenn er gar nur die 6.
oder 10. mit je 2C0 Sehüttelsohlägen ge¬
macht hätte?
Ich besitze ein halbes Dutzend Mittel, die von
mir seihst, genau nach unseres giessen Meisters
Vorschriften, bis zur 30. potensurt worden sind
und kann deshalb auch wohl beurtkeilen, wie seit¬
rauhend und mühselig die Herstellung einer 200.
sein muss.
Katsch schildert dieselbe ausführlich in seinem
Artikel: »Ein Vorschlag zur Klarlegung der
Frage: was und wie wirken Hochpotenzen?“
(Allgem. hom. Zig. Bd. 89, Nr. 24 u. 25), den ich
allen Denen, die für hohe Verdünnungen schwärmen,
angelsgentliehst zur Lektüre empfehle.
Dis von ihm angefertigten, nieht ansuzweifelu-
den 18 Hochpotenzen Hess ich mir seiner Zeit
kommen und versuchte mehrere davon in obroni
sehen Fällen, wo die Symptome gana unaweideutig
auf ein bestimmtes Mittel hanwieseo, habe aber
auch nicht ein einziges Mal darnach aiae Wir¬
kung beobachtet, die mit absoluter Sicherheit der
gereichten Arznei zmitnchreiben gewesen wäre, wäh¬
rend hinterher dasselbe Mittel in tiefen Verdün¬
nungen in augenfälliger Weise wirkte.
Soweit ich mich erinnere, ist auch Niemand in
den homöopathischen Zeitungen aufgetreten, der die
Katsch*schen, ohne allen Hokuspokus hergestellten
Hochpoteazen besonders gerühmt hätte.
Wie es aber in Apotheken, die nur nebenbei
homöopathische Medikamente führen, mit der Be¬
reitung von hohen Verdünnungen oft zugebt, davon
einige Beispiele:
Ich kaufte früher in einer hiesigen Officin Ur¬
tinkturen und erste Verdünnungen (weitere Ver¬
dünnungen machte ich mir selbst!) und traf da
öfters Leute, welche die 30. verlangten. Als ich
mich nun einmal erkundigte, auf welche Weise
*) Dass auf diese Weise keine exakten hohen
Potenzen za erzielen sind, kann Jeder leicht sehen,
der sich eine concentrirte wässrige Lösung von Fuchsin
anfertigt und in einem nnd demselben Fläschchen
nach der Hahnemann'schen Scala verdünnt. Der Kork
giebt dann, oft nach einer sehr grosses» Zahl von Ver¬
dünnungen, die schon ganz farblos geworden, auf ein¬
mal wieder Farbpartik eichen ab, die in seinen Löchern
und Poren zurückgeblieben waren. Das Gleiebe ge¬
schieht natürlich auch mit den Anmeistoffea.
Digitized by
ISO
wohl diese Potenz hergestellt würde, antwortete
mir der Provisor: „Sie glauben doch nicht im
„Ernste, dass wir so blödsinnig sind, bis zur 30.
„zu verdünnen? . Wir geben die 6., darin ist
„doch schon Nichts mehr, das wirken könnte, wo-
„zu also den Unsinn noch weiter treiben?“
Vor vielen Jahren lernte ich bei Verwandten
iu dem Bräutigam der Tochter vom Hause einen
Apotheker kennen, der seine Lehrzeit in der Naum-
burger Officin bestand, von welcher einer der be¬
rühmtesten Schüler Hahne mann 8, Dr. Stapf,
einen grossen Theil seiner homöopathischen Arz¬
neien anfertigen liess. Wie mir nun der Phar-
maceut erzählte, hielten die jungen Leute der Apo¬
theke die Homöopathie für puren Schwindel und
gaben, wenn ihnen der Principal nicht auf dem
Nacken sass, anstatt der verordneten Hochpotenz:
reinen Spiritus oder leere Streukügelchen!
Fragten sie dann später: „Nun, Herr Medicinalratb,
wie hat denn die 30. gewirkt?“ so wurde ihnen
erwidert: „Ganz ausgezeichnet, geradezu wunder¬
bar!“ und dies trug natürlich nicht dazu bei, die
Bösewichter zu veranlassen, das nächste Mal ihre
Pflicht zu thun.
Wie viele, der von Stapf im „Archiv“ veröffent¬
lichten Heilungen mögen bei Anwendung solcher
Schein-Arzneien zu Stande gekommen sein!
Von einem Apotheker in der Lausitz weiss ich
(durch seinen leiblichen Vetter, einen hiesigen Arzt),
dass er sich geradezu rühmt, in seiner Officin sei
ausnahmslos immer, wenn 30. oder noch höhere
Potenzen auf oder ohne ärztliche Verordnung ge¬
fordert wurden, nichts Anderes als leere Streu-
kügel dispensirt worden!!!
Wer will es mir nach alle Dem verargen, wenn
ich mich nicht zu dem Glauben an die Echtheit
der Lehrmann’schen 200. aufzuscbwingen vermag
und mich dem Kat sc h’schen Ausspruche anscbliesse:
„Ich bekenne offen und bitte mir, dies nicht
„übel zu deuten, dass ich den Besitzern käuflich
„erworbener Hochpotenzen ein Anrecht zu com-
„potenter Beurtheilung der rein wissenschaft¬
lichen und so tief einschneidenden Frage
„bezüglich der Wirksamkeit der Hochpo-
„tenzen nicht glaube zugestehen zu dürfen“ (1. c.
pag. 190).
Uebrigens würde ich die von Herrn Dr. Kun¬
kel mitgetbeilte Heilung selbst dann nicht als
strikten Beweis für die Wirksamkeit der Hoch¬
potenzen betrachten, wenn sich die Lehrmann’schen,
als wirklich lege artis ’zubereitet, erwiesen oder
wenn sein Opium 20ü aus den, für mich über
allen Zweifel erhabenen Apotheken des Herrn Dr.
Schwabe oder des Herrn Steinmetz bezogen
worden wäre; denn die Krankengeschichte lässt die
Deutung zu, dass der r unter dem Gebrauche der
Hochpotenz eintretende Stuhlgang nur eine Nach*
Wirkung der zuerst gereichten tiefen Verdün¬
nen gvonOpium gewesen ist, nach welcher „die
Verstopfung womöglich noch hartnäckiger wurde“
(Erstwirkung). Diese Annahme wird auch durch
das, vom Vater des Patienten mit blossem Zucker
angestellte Experiment, während welchem der Stuhl
wieder eine harte Beschaffenheit zeigte, durchaus
nicht widerlegt, da ja bekanntlich im Verlaufe
glücklich behandelter chronischer Krankheiten zu¬
weilen noch Anklänge an völlig beseitigte Symptome
zum Vorscheine kommen.
Manchem Leser dürfte es wohl ergangen sein,
wie mir, der ich mich fragte, warum gab Herr Dr.
Kunkel, nachdem er die grosse Receptivität des
Kranken für Opium 3. constatirt hatte, gerade
die 200., obgleich die 30. von ihm „in einigen
Fällen solcher Art mit Erfolg gebraucht“ worden
war? Warum also nicht diese, oder auch die 10.
oder 6.?
Möchte er doch die Güte haben, uns hierüber
zu belehren!
Beiläufig bemerkt, finden sich in der homöo¬
pathischen Literatur viele Angaben, welche dafür
sprechen, dass Opium in niederen Verdünnungen
gegen gewisse Verstopfung besser wirkt, als höhere.
So versagte z. B. Opium 30. bei einer, von
v. Balogh behandelten Typhlitis stercoralis mit
hartnäckigster Stuhlverstopfung vollständig, wäh¬
rend auf Opium 6. innerhalb 6 Stunden: „zwölf
ungemein copiöse, sehr stinkende Stuhlentleerongen
erfolgten“ (Neue Zeitschr. f. hom. Klinik, Bd. 15,
pag. 191).
Payr berichtet über einen Fall von Catarrhus
intest, chronic., in welchem nach vergeblicher An¬
wendung von Purganzen, von Nux vom., Sulphur,
Calc. carb., Natr. mur. und Lycop. in Folge des
Verbrauchs von 6 Tropfen der ersten Dec.-Ver-
dünnung von Opium (auf 12 Milch zuck erpulver
vertheilt), der Stuhl sich regelte, Esslust und Schlaf
zurückkehrte (1. c. pag. 126).
Frßdault versicherte in einem, über die so¬
genannten homöopathischen Verschlimmerungen am
4. December 1891 in der Pariser „Sociöte mödicale
boraoeopathique“ gehaltenen Vortrage, er habe
Opium in der 12., 30. und 500. Verdünnung er¬
folglos gegen Verstopfung gegeben, dagegen mit
Erfolg in tiefen Verreibungen, und Katsch
erklärt geradezu: „Opium ist mir jenseits der 10.
Decimale zweifelhaft.“
Auch hiernach könnte man die Wirkung von
Opium in Hochpotenz bestreiten, denn die genann¬
ten Aerzte haben ihre Aussagen sicherlich nur auf
Grund ihrer Erfahrungen gemacht und sind doch
ganz gewiss nicht weniger glaubwürdig als Herr
Dr. Kunkel.
Mit aller Bestimmtheit aber lässt sich behaupten,
dass seine Krankengeschichte nach keiner Richtung
Digitized by v^ooQle
121
hin die Nothwendigkeit beweist, bis zur 200.
hinauf8teigen zu müssen. Wäre der Patient wirk¬
lich über alle Maassen reizbar und empfänglich
gegen Opium gewesen, so würden unter allen Um¬
ständen nach der zuerst gereichten, zu tiefen Ver¬
dünnung noch andere Arzneiwirkungen -
ausser der Verschlimmerung der Verstopfung —
ein getreten sein; davon berichtet aber der Autor
Nichts! Ich bin deshalb auch felsenfest überzeugt,
die 6. oder 10. hätte ebensogut geholfen! Wenn
es^ über nicht* absolut nöthig ist, zu Hochpotenzen
zu greifen; wenn dieselben nicht sicherer, schneller
und angenehmer wirken, als jene Verdünnungen,
welche noch Arznei-Moleküle enthalten, dann wird
die Anwendung der Infinitesimalgaben lediglich
Sache der Liebhaberei und des Experiments und
verliert das Interesse für den nüchternen prak¬
tischen Arzt, der keine Lust verspürt, „weder mit
dem hausbackenen, gesunden Menschenverstände,
noch mit den Gesetzen der Logik und Physik in
Zwiespalt zu gerathen.*
Zum Schlüsse sei der Kunkel*schen Kranken¬
geschichte noch eine, aus meiner eigenen Erfahrung
gegenübergestellt!
Als ich noch in Baben stein wohnte, kam
eines Tages der Soldat Bernhard Sander zu mir,
der sich bei seinen Eltern auf Urlaub befand, und
bat mich um ein homöopathisches Mittel gegen eine
hartnäckige Verstopfung. Der kräftig gebaute junge
Mann schob dieselbe auf den Genuss mehrerer
Gläser schlechten, fuselhaltigen Branntweins, nach
welchem ihm übel geworden war; bis dahin batte
er immer regelmässigen Stuhlgang gehabt. Oeff-
nung fehlte bereits neun volle Tage!
Die ersten 3 Tage that er gar Nichts; dann
fing das Ausbleiben der Ausleerung an, ihn zu be¬
unruhigen und er gab sich ein Paar grosse Warm-
wasserklystiere; trank auch, da diese nichts fruch¬
teten, eine Abkochung von Sennesblättern und Faul¬
baumrinde, aber ebenfalls ohne Erfolg. Am 6. Tage
consultirte er den allopathischen Hausarzt seiner
Eltern, der ihm eine grosse Flasche bitter schmecken¬
der Medicin Verschrieb, und der am 8. Tage eine
neue Verordnung machte, ohne das gewünschte
Resultat zu erzielen. Einen ganzen Tag wartete
Patient noch nach dem Einnehmen des letzten
Löffels Arznei auf die Wirkung und suchte mich
dann auf, einen Versuch mit der Homöopathie zu
wagen.
Das von mir angeistellte Krankenexamen ergab:
Trockenheitsgefühl im Münde, Appetitsverlust,
schlechten Schlaf, dumpfen Kopfschmerz und auf¬
getriebenen Unterleib.
Die Mittelwahl verursachte mir in diesem Falle
natürlich nicht die geringste Mühe.
Bedeutend verminderte Darmperistaltik, Unter¬
drückung der Sekretion im Verdauungstrakte und
daä^ plötzliche Auftreten dieser Erscheinungen bei
einem sonst ganz Gesunden sprechen ja laut und
deutlich für Opium.
Ich besass von diesem Mittel eine, aus der Ur¬
tinktur selbst gefertigte 2. Decimal-Verdünnung
und liess davon dem Patienten 3 Tropfen in 1 Ess¬
löffel Wasser gleich an Ort und Stelle einnehmen.
Zwei Stunden darauf stellte sich Stuhldrang
ein und es gingen mit einiger Beschwerde trockene,
harte, bröckelige Knollen ab. Am Abend desselben
Tages erfolgte noch eine zweite sehr reichliche,
stinkende Ausleerung und danach auf einmal wieder
lebhaftes Verlangen nach Nahrung und in der Nacht
ununterbrochener erquickender Schlaf. Nach dem
Erwachen kam nochmals ein sehr ergiebiger, weicher
Stuhlgang und von da ab regelmässig wie früher
jeden Morgen.
Diese Heilung entbehrt freilich des Glorien¬
scheins, den nur die Hochpotenzen verleihen; indess
zeigt sie doch, dass man auch mit tiefen Ver¬
dünnungen streng nach Similia similibus heilen
kann und zwar, ganz wie Hahnemann es wollte:
tuto, cito et jucunde!
Correspondenz.
Riga, Februar 1892.
Wie die Tagespresse meldet, ist die neue Apo¬
theker-Taxe mit dem 1. Januar 1892 in den Apo¬
theken von Petersburg und Moskau in Kraft ge¬
treten, für das übrige Reich beginnt ihre Geltung
mit dem 1. Juli 189*. In Folge dieser Taxe, wie
auch die Tagespresse berichtet, haben einige Apo¬
theker in Petersburg ihr Dienstpersonal vermindert
und das monatliche Gehalt herabgesetzt* Die neue
Apothekertaxe soll im Allgemeinen die Medizin um
30 Procent billiger und daher den Unbemittelten
zugänglicher machen. Dieser Zweck ist gewiss ganz
vortrefflich. Mir scheint es aber, dass die billigere
oder theuere Medizin viel weniger von der Taxe
abhängt, als von der Art, wie die Aerzte ihre Re¬
zepte verschreiben. Also zum Beispiel: Praecipi-
tatus ruber, hat ein Kreuz und darf ohne Rezept
nicht abgelassen werden, 2 Gran mit 2 Drachmen
S. alb. zu einem Pulver gemischt, 3 Mal täglich
auf einer Theelöffel-Spitze (ca* 5 Gran) zu nehmen,
kostet 20 K. Wird dieselbe Portion in 24 Pulver
vertheilt, oder diese Pulver in Oblaten verabfolgt,
so kommt es viel theurer. — Ein Gran Morphium
verdünnt in 2 Drachmen Aqua dest. zu 10Tropfen
zu geben, kostet viel weniger als 12 Pulver, von
denen ein jedes l (i2 Gran Morphium enthält. Wenn
aber Dinge, ohne Kreuz, aus der lateinischen Küche
nach einem gelehrten Rezept geholt werden, dann*
mehren sich die Ausgaben ohne Noth. Es giebt
16
Digitized by
Google
i'ertoucn, die Alles nach einem Rezept aus der
Apotheke holen wollen, sogar Heftpflaster, Wachs¬
salbe, Goulards Wasser u. dergl. Wer diea tbnn
will and es bezahlen kann und will, immerhin,
volenti non fit injuria. Neulich sah ich aber ein
Rezept, das 95 Kop. kostete und bestand aus 150,0
Salbei Infus, 30,0 Oxymel simpl. und etwas Borax,
zum 8pülen des Mundes und Gurgeln. Diese 6 Unzen
waren in IS Stunden verbraucht, sollten repetirt
werden und vielleicht nochmals repetirt werden, und
so war der unbemittelten Wittwe eine ganz unnütze
Ausgabe von ein Paar Rubeln entstanden. Welche
Hausfrau kennt nicht Salbeithee mit Honig und
Essig zum Gurgeln. Und nebenbei war noch eine
Mixtur verschrieben, kostete 93 Kop. und ent¬
hielt 100,00 d. h. 3 Vs Unzen, oder 1600 Tropfen
(was denn ? Die Red.) und war merkwürdiger Weise
zu zehn Tropfen stündlich zu nehmen, was der
Kranken auffiel. Diese Mixtur hätte also beim fleisaig-
stea Einnehmen wenigstens für acht Tage vorge*
halten. Bei einer solchen Rezeptur haben die Kranken
eine wahre Angst vor den Anraten. So bat denn
immer noch Geltung, was Luther oft über Tische
zu sagen pflegte:
Hüte dich vor der Alchimisten Sublime,
Und vor der Juristen Godice,
Vor der Medicorum Recipe,
Und vor der Pfaffen praesta, quae sumus Domine,
Wenn du willst mit vollem Beutel zu Markte
gehn.
Dr. J. Lembke.
Toxicologisches.
Bin älterer Mann wurde durch einen Bienen¬
schwarm furchtbar zerstochen. 3 Stunden später
fand Dr. G. Hermann: Furchtbare Entstellung des
Gesichtes durch glasig-ödematöse Schwellung, Lid¬
spalte und Nasenöffnungen total verschwollen; in
der Haut des Gesiebtes, Halsos, Kopfes mehr als
600 Stacheln festhaftend; Sopor, Erbrechen galliger
Massen; stridulöse, stöhnende Atbmung; Pulsbe-
sehleunigung. Therapie: Entfernung der Stacheln,
Umschläge mit Aq. Plumbi, der 1 °/ 0 Carholsäure
zugesetzt ist, aufs Gesicht. Eisblase um den Hals.
Innerlich Bispillen und Liquor ammon. anis. —
Nach einigen Tagen Genesung.
(St. Petersburger med. Wochenschrift 1891. No. 22.)
Vergiftung von Tollkiraehbeereo beiSKindta.
Beobachtung derselben erfolgt erst Tags darauf.
Symptome: hei I (7V* J*hr alten Knaben): Er¬
weiterung der Pupillen ad maximum; keine Reaction
auf Lichtreize; äusserst frequenter Puls; oberfläch¬
liche und beschleunigte Athmung; trockne hellrothe
Haut; kühle Extremitäten; absolute Harn- und
Stuhlverhaltong; Tobsucht (Schreien, wüthendes
Herumrennen). Bei H (3 1 /^jährigen Knaben): Kühle,
schlaff herabhängende Extremitäten; beschleunigter,
röchelnder Athem; reactionslose Pupillen; keine
Muskel- und Sehnenreflexe, Sopor. Bei HI (5 Jahr
alten Knaben): Gyanose des Gesichts; unzählbarer
leicht comprimirbarer Puls: kühle, trockne Extre¬
mitäten; schwaches, kaum hörbares Athmen; tiefer
Sopor. Therapie hei allen: Magenaumpftlung
(es wurde dadurch kein Gift zu Tage gefördert)
und daun hohe Darmirrigation mit grossen Wasser¬
mengen (mit den Stühlen kam eine enorme Menge
Beeren (28, 39, 37 Stück) heraus 1 Endlich hei I.
eine Pilocarpin- und eine Morphninjectioa, bei II
und III Campherinjeetionen, Frottirungen der Haut,
warme Entwickelungen. Sofort bei allen dreien
Besserung der Symptome, gesunder Schlaf, dann
allinählige8 Verschwinden sämmtlioher Erscheinungen
(nur geringe Störungen persistirten). Der Fall ist
interessant wegen der Verschiedenartigkeit des
Krankheitahildes und des Ausganges ia Ge¬
nesung trotz der coloe seien Gift mengen (Kinder
vertragen überhaupt grosse Dosen Belladonna 1),
sodann wegen des offenbaren Nutzens hoher
Darmirrigationen.
(Allgem. Wiener medic. Zeitung 1891 No. 31.)
Dr. Eich (Bürgerhospital, Köln a/Rhein) theilt
4 Vergiftungen mit fxtraot. fillo. nu}r. asther.
mit, darunter einen der tödtlioh endete. 54jäh-
riger Mann, der in früheren Zeiten wiederholt
10—15 gr. ohne Schaden, aber auch ohne Erfolg
genommen, bekommt 27 gr., und zwar 15 gr. eine
Stunde nach dem Frühstück, den Rest 2 Stunden
später Nach 2 Stunden colossaler Tetanus und
Trismu. (Erscheinungen stimmen ganz mit denen
einer heftigen Strychnin Vergiftung überein!) Tod
nach kurzer Zeit. Die andern Fälle von L ereigneten
sich nach einer Dosis von 10 resp. 15 gr., charak-
terisirten sich hauptsächlich durch Erbrechen, pro¬
fuse Diarrhöen, Leibkolik, Schwindel, Zittern, Be¬
nommenheit, und gingen bei excitirender Therapie
in Genesung über. Das Extract. filic. ist also
kein harmloses Mittel; die höchste, auch schon
mit Vorsicht anzuwendende Einzeldosis wären
10 gr. Vor so grossen Dosen, wie sie von einigen
empfohlen und ohne Schaden verabreicht wurden
(bis 30 gr.) ist dringend zu warnen! Die ver¬
schiedenen Präparate müssen eben verschiedenen
Gehalt an toxischen Substanzen haben (vielleicht
vom Standort, von der Jahreszeit des Sammelns
u. s. w. abhängig.)
(Deutsche medic. Wochenschrift 1891 No. 32.)
Digitized by v^ooQie
Vergiftung durch Erdbeeren.
Im November 1891 behandelte ich eine Kranke
gemeinschaftlich mit dem Herrn Collagen Dr. X.
(von der officiellen Schule). Eines Tages fanden wir
es nöthig, Calomel tu geben. Die Gabe, die der
College Vorschlug, schien mir zu gross und ich
meinte, eine geringere Dosis würde wohl auch den
Zweck erfüllen. 0 ja, sagte Dr. X., bei den Durch*
füllen kleiner Kinder ist mir Calomel in kleiner
Gabe ein ausgezeichnetes Mittel, ich gebe es ge-*
wohnlich zu ] /25 Gran Calomel. -— Aber theuerster
College, sagte ich darauf, da sind Sie ja Homöo¬
path, ohne es vielleicht zu ahnen. — Wie Sie
wollen, meinte der College, aber Calomel ist immer
ein wirksames Mittel, wie aber die dritte Tritur.
von Carbo vegetab., Graphit, Lycopodinm n. dergl.
noch wirken kann, ist mir ganz unfassbar. — Und
doch, erwiderte ich, ist die Möglichkeit immer da,
dass selbst diese kleinen Gaben auf Empfänglich*
keit treffen können, hat doch Johann Heinrich Kopp
nach seinem Buch Aber die Homöopathie, dos ich bei¬
läufig Ihnen empfehlen möchte, wenn Sie es noch
nicht kennen sollten, beobachtet, dass ein Mal ein
Tropfen Bryonia 10. und ein Mal ein Tropfen Bella¬
donna 12. bei einem Patienten jedes Mal ganz be¬
stimmte Zufülle hervorrief; ausserdem ist es ja be¬
kannt, dass einige Personen gegen Austern, Krebse,
Kirschen, Erdbeeren u. dergl. eine ganz besondere
EmpfÜnglichkeit haben, und durch den Genuss der¬
selben krank werden. — A propos Erdbeeren, sagte
Dr. X., auch ich bin einer von jenen, die Erdbeeren
nicht vertragen, sowie ich eine esse, muss ich so¬
gleich brechen, wenn ich aber die rothe Haut ab¬
schäle, kann ich das Mark ohne Gefahr gemessen.
Nun hören Sie aber eine Geschichte, die sich im
vorigen Sommer mit mir zutrug. Ich war am
Strande von einem Collegen zu Mittag geladen,
unter den Gästen befanden sich auch drei Aerzte.
Vor der Mahlzeit wurde Liqueur gereicht, von dem
alle Herren tranken. Ich erkundigte mich bei der
Hausfrau, ob vielleicht Erdbeeren in dem Schnaps
seien. Dies wurde verneint. Znr Vorsicht trank
ich aber doch nur ein ganz kleines halbes Schnaps¬
gläschen. Hierauf ging man sogleich zu Tisch.
Kaum 8888 ich, so hatte ich das Gefühl, als wenn
mein Kopf und mein ganzer Leib sich ins Unend¬
liche ausdehnte, ich erhob mich sogleich, ging in
den Gärten, verlor die Besinnung und fiel bin. Alle
eilten herbei. Man hielt mir Campherspiritus unter
die Nase, machte mir damit subkutane Injectionen,
Gesiebt und Hände kalt, der Puls klein und miserabel.
Man sah jedtn Augenblick meinem Ende entgegen.
Nach einer Stunde kam ich zu mir und fühlte eine
ungeheure Mattigkeit. Diese blieb mehrere Tage.
Nie habe ich vorher oder nachher eiuen ähnlichen
Anfall gehabt. Keiner der anderen Herren erkrankte.
Bei genauer Nachfrage erfuhr ich, dass zur Be¬
reitung des Liqueurs neben Himbeeren und anderen
Früchten auch Erdbeeren verbraucht seien.
Mir schien diese Erdbeerenvergiftung merk¬
würdig, ich habe niemals gelesen, dass der Genuss
von Erdbeeren eine solche Wirkung, wie oben ge¬
schildert, haben kann. Um aber auf die oben ge-
ftosserte Meinung des Collegen zurück zu kommen,
so scheint mir dies die Ansicht vieler Aerzte von
der officiellen Schule. Die Gaben der im Urstoff
kräftigen Mittel kleiner zu geben, a’s gewöhnlich
geschieht, dagegen ist nicht viel Widerstand, aber
dass Mittel, die im Urstoff ohne alle Wirkung sind,
durch Reiben und Schütteln immer kräftiger wer¬
den, bis sie zuletzt in Nr. 30. zu drei Kügelchen
nur mit Vorsicht gegeben werden dürfen, das findet
den bedeutendsten Widerstand.
Dr. J. Lembke.
Vermischtes.
Gegen den Keuchhusten, eine in der jetzigen
Jahreszeit besonders unter Kindern iiusserst ver¬
breitete Krankheit, ist, wie das „Rothe Kreuz* mel¬
det, durch einen Zufall von einem französischen
Arzt in Aix in dem Naphthalin ein neues Heilmittel
gefunden worden. Bei dem eigenen Sohne des
Arztes, einem 18jährigen jungen Manne, der an
dieser Affection litt, waren bereits alle bekannten
Mittel erfolglos versucht worden. Da kehrte der¬
selbe eines Tages aus dem Lyceum heim und er¬
zählte, dass der Professor in der Pbysikstunde
gelegentlich eines Experimentes ein weisses Pulver
habe verdampfen lassen. Dabei sei sofort ein ihn
quälender Hustenanfall unterdrückt worden. Die
Mitschüler hätten aber den Geruch nicht vertragen
können. Es seien die Fenster geöffnet worden.
Alsdann habe sich bei ihm der Husten wieder ein¬
gestellt. Der Arzt verschaffte sich nun dieses
Pulver, das nichts anders als Naphthalin war, und
liess in dem Zimmer des Patienten ungefähr 20
Gramm verdampfen. Eine halbe Stunde später be¬
richtete der Patient, dass er viel besser athmen
könne und eine auffallende Erleichterung verspüre.
Er schlief bald fest ein und hatte während der
ganzen Nacht nur einen schwachen Hustenanfall.
Am folgenden Tage, an dem er auswärts beschäf¬
tigt war, musste der Patient noch einige Male husten.
Es wurde deshalb in der nächsten Nacht noch ein¬
mal zum Naphthalin gegriffen. Von nun an schwanden
der Hüsten und alle anderen Erscheinungen. Der
Arzt bekam bald darauf selber den Keuchhusten.
Er versuchte nun das oben erwähnte Mittel an sich
und war bereits am dritten Tage geheilt Derselbe
günstige Erfolg wurde bei zahlreichen Kranken er¬
zielt. Naphthalin ist in geschmolzenem Zustande an¬
zuwenden, und zwar am besten, indem man 15
16 *
Digitized by
bis 20 Gramm in einem Steingutbehälter auf eine
mit glühenden Kohlen versehene Pfanne setzt und
langsam erhitzt. Das Mittel beginnt alsbald zu
schmelzen und das Zimmer mit seinen Dämpfen
anzufüllen.
Ein Mittel gegen Migräne. In einer Sitzung der
k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, welcher u. A.
Hofrath Prof. Billroth, Prof. Neumann, Prof. Benedikt
und Prof. Gräber beiwohnten, machte dieser Tage
Dr. Heinrich Weiss Mittheilungen über eine neue,
ungemein einfache Behandlung der Migräne, welche
das Interesse der weitesten Kreise in Anspruch
nehmen dürfte. Der Vortragende wies zunächst auf
die ungemein weite Verbreitung dieser Krankheits¬
form in unserem nervösen Zeitalter hin und kam
sodann auf die verschiedenen Mittel zar Bekämpfung
derselben zu sprechen. Die Erwägung, dass Migräne
sehr oft in ursächlichem Zusammenhänge mit ner¬
vösen Magenleiden stehe, und der Zufall habe nun
zu einer Entdeckung geführt, welche diese Lücke
auszutüllen berufen sein dürfte. Er habe nämlich
die Erfahrung gemacht, dass ein durch ganz kurze
Zeit mit der Hand ausgeühter Druck in der Magen¬
gegend (genau in der Mitte zwischen dem unteren
Theile des Brustbeins und dem Nabel) gegen die
Wirbelsäule, wobei die Aorta comprimirt wird, die
heftigsten Migräne-Anfälle sistirt und sowohl die
Kopfschmerzen, als auch die Lichtscheu momentan
bei 23 von ihm behandelten Patientinnen behoben
wurden. Dr. Weiss glaubt, dass die wahrschein¬
liche Ursache dieser plötzlichen wohlthätigen Wir¬
kung in der durch die Compression der Arterie
bewirkten Veränderung in der Blutvertheilung zu
suchen sei. Bei der grossen Mehrzahl der bisher
auf diese Art behandelten Fälle war der Anfall
dauernd behoben und kehrte nur bei einigen Kranken
in milderer Form zurück.
Im Prüfungsjabr 1890/91 wurden im Deutschen
Reiche approbirt 1570 Aerzte. Im Jahre 1689/90
hatte die Zahl 1409 betragen, in den Vorjahren
bis 1880/81 zurück 1208, 1215, 1224, 998, 876,
771, 692, 669 und 556. In 10 Jahren hat sich
also die Zahl der Approbationen nahezu verdrei¬
facht. Auf Preussen entfallen 639 (1880/81 259)
Approbationen, auf Bayern 443 (151), Sachsen
196 (64), Baden 98 (39), Elsass-Lothringen 73 (19),
Württemberg 35 (7), Mecklenburg-Schwerin 34 (6),
die sächsischen Herzogtümer (Jena) 34 (5) und
Hessen 18 (6). Zahnärzte sind im letzten Prüfungs¬
jahre nur 96 approbirt gegen 103 und 104 in
den beiden. Vorjahren.
Henri de Parville citirt in seiner Wissenschaft*
liehen Rundschau des „Journal des D6bats* Auf’
Zeichnungen eines Pariser Bürgers, der unter
Karl VI. und Karl VIL eine Epidemie beschrieb,
deren Symptome denjenigen der Influenza zum
Verwechseln ähnlich sehen: „Anno 1427, item um
jene Zeit, etwa vierzehn Tage vor Sanct Remigius
(dieser Heilige steht am 1 October im Kalender)
fiel eine verpestete Luft hernieder, daraus eine sehr
schlimme Krankheit entstand, so ,La Dando‘ ge¬
nannt wurde, und Keiner und Keine vermochte der¬
selben ganz zu entgehen, und ihr Wesen war fol¬
gendes: Sie begann in den Nieren und in den
Schultern, und wer gepackt wurde, glaubte, er
leide an Nierengries, so grausam war der Schmerz.
Und dann wurde man von starkem Frost geschüttelt
und war man wohl 8 oder 10 oder 15 Tage, ohne
dass man trinken, essen oder schlafen konnte, die
Einen mehr, die Anderen weniger: dann kam ein
so arger Husten, dass man in der Predigt den
Prediger nicht hören konnte, so laut war der Lärm
aller Hustenden. Item, das währte so bis nach
Allerheiligen, wohl vierzehn Tage länger oder noch
mehr. Und da war Niemand, Mann oder Weib,
der nicht einen geschundenen Mund oder eine rothe
Nase vor lauter Schneuzen hatte, und wenn man
einander begegnete, so war die erste Frage: ,Hast
Du die ,Dando < schon gehabt?* Sagte einer ,Nein!‘,
dann antwortete man sogleich: ,So nimm Dich wohl
in Acht, dass Du nicht auch noch Dein Theilchen
abbekommst!‘ Und wahrlich, man log nicht, denn
da waren Wenige, Gross oder Klein, Weib oder
Kind, die nicht während einiger Zeit Schnupfen
oder Frösteln oder Husten hatten, welche schon
allzu lange währten.*
Es macht sich erfreulicher Weise auf allen
Gebieten der vaterländischen Industrie immer mehr
die Thats&che geltend, dass wir die ausländische
Concurrenz nicht mehr zu fürchten brauchen. Lange
Zeit bat es wohl bedurft, bis speciell die deutschen
Schaumweine ebenbürtig mit den fremden Er¬
zeugnissen erachtet und die falschen Vorurtheile
besiegt waren, und doch sind unsere deutschen
Marken ganz wesentlich billiger. Diese so erfreu¬
lichen Umstäude haben aber auch ermuthigend ge¬
wirkt, denn es giebt wenige Industriezweige, welche
einen gleich blühenden Aufschwung genommen haben.
Schreiber dieses hatte kürzlich Gelegenheit, das
grösstentbeils neuerbaute Etablissement der Deut¬
schen Schaumweinfabrik zu Wachenheim in
der Rheinpfalz in Augenschein zu nehmen, welches
an Grossartigkeit seiner ausgedehnten Kellereien pnd
sonstiger Betriebseinrichtungen wegen in Deutsch¬
land wohl unübertroffen dastehen dürfte. Da liegen
allein in einem Keller 5 Fassriesen in ovaler Ge¬
stalt, wovon jeder nicht weniger als circa 4000t)
Digitized by v^ooQie
185
Flaschen fasst. Nach längerer Wanderung durch
verschiedene grössere und kleinere Kellereien ge*
langt man in den sogenannten Biesenkeller, der,
gelinde gesagt, die weitgehendsten Erwartungen übet-
trifft. Es liegen hier zwei Reihen von je 6 Monstre-
fÄssern, von welchen jedes einzelne circa 100 000 Liter
beherbergt, also zusammen das stattliche Quantum
von l’/a Millionen Flaschen fassen. Ich muss ge¬
stehen, es ist dies eine Sehenswürdigkeit allerersten
Banges und dürfte, wie gesagt, in Deutschland einzig
in seiner Art sein. Durch die elektrische Beleuch¬
tung, mit der das ganze Etablissement versehen,
ist der Gesamrateindruck um so pompöser, zumal
auch die verschiedenen Hilfsmaschinen vermittelst
Elektricität betrieben werden. Durch die Liebens¬
würdigkeit der Directoren hatten wir Gelegenheit,
die neuesten Producte probiren zu können, welche
seit wenigen Monaten dem deutschen Markte über¬
geben wurden, und wareu geradezu überrascht über
die vortrefflichen Qualitäten und die billigen Preise,
die es auch weniger Bemittelten ermöglichen, sich
hin und wieder eine Flasche deutschen Champagners
zu gönnen. Ganz besonders iinponirt die Elite-
Marke Kaiserperle, die auf jeder Tafel eine Zierde
deutschen Gewerbefleisses bilden dürfte. Anfänglich
befasste sich die Wachenheimer Schaumweinkellerei
ausschliesslich mit der Herstellung eines billigen,
sogenannten Consum* Champagners, der, für den
Massenabsatz bestimmt, eminenten Absatz fand.
Nachdem nun die grossen baulichen Veränderungen
beendigt, die fast ununterbrochene Betriebsstörungen
verursacht, wurde mit der Herstellung der feineren
Sorten begonnen, welche sich nunmehr auch all¬
gemeiner Anerkennung erfreuen. Zahlreiche Me¬
daillen, so wurde ihr erst in diesem Jahre auf der
Internat. Ausstellung für das rothe Kreuz, Armee¬
bedarf etc. der Ehrenpreis der Stadt Leipzig und
die goldene Medaille zuerkannt, bezeugen die Aus¬
zeichnungen auf den Ausstellungen und auch Auto¬
ritäten der Wissenschaft haben sich gleichfalls höchst
an erkennend über die Wachenheimer Schaumweine aus¬
gesprochen, so dass letztere auch in der Krankenpflege
weitgehendste Verwendung finden. Auch der Export
nach überseeischen Ländern ist in erfreulicher Zu¬
nahme begriffen Im Interesse des secttrinkenden
Publicums kann die Besichtigung dieses Muster-
Etablissements nur empfohlen werden, denn in zu¬
vorkommendster Weise wird Jedermann der Eintritt
gewährt. Wir verweisen noch auf die Annonce in
der heutigen Nummer des General-Vertreters Herrn
Eduard Brade, Leipzig. '
Wir erwähnten schon früher einmal des Leipziger
Kurpfuschers Louis Kühne, und geben im folgenden
eine «kritisfcheBeleuchtung* der,, Kühne-Cur“, welche
im Naturarzt Nr. 10 enthalten ist. Der Verfasser
derselben, offenbar ein Patient von grosser Geduld,
hat diese Kur auf Grund der Versprechungen des
Heilkönstlers Kühne 10 Monate lang gebraucht —
selbstverständlich mit mehr als negativem Resultate.
‘ Sie besteht* vorwiegend in einer Reibung der Vor¬
haut (bei Frauen der Schamlippen) im oder viel¬
mehr über dem Sitzbade, ferner in lokalen Dampf¬
bädern. Ein früherer Anhänger Kuhne’s teilt Dinge
mit, die auf dessen Behandlungsmethode ein eigen-
thümliches Licht werfen. Es heisst unter Anderem:
; „Der erste von Kühne gewonnene Eindruck war
kein günstiger. Das, was er mir des Langen und
Breiten über sein Verfahren und seine Erfolge er¬
zählte, hatte ich längst in seinem Buche, sowie in
der «neuen Heilkunst* gelesen und gründlich
studiert. Ich schnitt deshalb auch das weitere mit
der Mittheilung ab, dass ich mit den Grundsätzen
seines Systems bis auf dessen noch fehlende An¬
wendung vertraut sei und um Untersuchung bäte.
Das war bald geschehen. Einmal Kopf Wendung
rechts, einmal links, dann eine Besichtigung von
rückwärts — und Herr Kühne hatte Herz und
Nieren erforscht. Das Urteil lautete auf sehr grosse
allgemeine Belastung mit Fremdstoffen und, da
ihm dies vielleicht noch als zu harmlos Vorkommen
mochte, gestaltete er es noch ein bischen saftiger
durch die Mittheilung, mein Unterleib sei b ereits
ganz brandig. . . Man denke; ein Mensch, der
bis zu diesem Tage ohne wesentliche Störungen
i erwerbsfähig war, wenige Tage früher noch einen
fünfstündigen Marsch zurücklegen und tags vorher
eine zehnstündige Eisenbahn fahrt machen konnte,
sollte «ganz brandige“ Unterleibsorgane haben, d. h.
einen Zustand, bei welchem Priester und Schreiner
unverweilt gerufen werden können, da ein solch*
Bedauernswürdiger, wie die gesammte erwachsene
Menschheit wissen dürfte» sein Leben nur noch
nach Stunden zählen kann. Im übrigen empfing
ich meine Kurvorschrift, durfte mein Honorar
zahlen und konnte gehen. Noch im Laufe des
Tages vernahm ich, dass sich diese Vorgänge in
der «Sprechstunde“ bei sämmtlichen Hilfesuchenden
fast auf*8 Haar glichen, nur dass der eine mehr
linsseitig, der andere mehr rechtsseitig „be¬
lastet“, der eine mehr, der : andere weniger'oder
ausnahmsweise auch gar nicht „brandig“ sei; dass
bei ullen das Uebel im Unterleibs sticke, die
Kurvorschriften für alle die gleichen seien, und
dass auch Jeder dasselbe bezahlen dürfe. Warum
Herr Kühne unter solchem'UroStä'nden nicht
sämmtjiche. Hilfesuchenden auf einmal, in
die Sprechstunde nimmt, da er doch . allen , das
Gleiche sagt und verordnet, kann ich heute noch
nicht begreifen. Das lästige Warten wäre ver¬
mieden, und Herr Kubne gewänne dadurch Sehr
viel Zeit, die bekanntlich auch Geld ist.“'-— Als
nun der Patient trotz alledem lange nüshielt, bekam
er in Folge der sieten „Reibungen* 4 der .Vorhaut
Digitized by Google
126
mit den von Kahne gelieferten aareinen Tüchern
eine Phlegmone. Dies and das Qesttadniss mehrerer
anderer Patienten, dass sie diese Reibesitzbäder
,in»cht mehr entbehren könnten, also Morphinisten
in anderer Form, erregten einen so tiefen Wider*
willen in ihm, dass er Leipsig verliess, zumal er
unter den eämmtlichen Patienten Kuhne's nicht
einen einzigen fand, dem dessen Kur irgendwie
geholfen hätte. Trotzdem wird diese darch Fana¬
tiker als unfehlbar gepriesen, und es werden nnter
der Vorspiegelung von Heilungen Tausende zu
Kühne nach Leipzig gelockt. Erfolgt einmal eine
derbe Kritik, so giebt es eine Klage wegen Be*
leidigung, und das Geschäft geht ruhig weiter.
Epidemiologische Ecke.
Infolge unliebsamer Verspätung durch die Post
kommen diesmal 2 Berichte zusammen.
6 s ist eben noch immer starker Wechsel des
Wetters, der Krankheiten und deshalb auch der
Mittel.
Ide-Stettin berichtet am 31./3., dass er Bryon.
und Lachses, am häufigsten indicirt finde.
Weihe jr.-Herford hat neben den bei ihm seit
mehreren Jahren epidemischen Mitteln «=* Sepia
(Natr. nitr. Nicot.), = Chelidon. (Natr. nitr. -|-
Bell.), = Sinap. (Ant crud. -f- Nicot) und =
Kreosot (Ant. crud. Bell) seit Mitte März ziem¬
lich häufig die Indicationen für Baryt carb. -J-
Tonca bei Conjuntivit, Angina, Odontalgia, Cephal-
algia
Leeser-Bonn am 25./3. Natr. mur. -{- Led., am
26. Kali carb. -j- Led, am 23. Staun. -|- Mezer.
“ Phosphor, am 29. theils Veratr. alb. theils
Baryt carb. -j- Sin. = Carb. veg., am 30. =
Veratr., am 81. theils =* Veratr. theils Carb. veg.,
am 1./4. Cupr. -f- ßanunc» bulb. =■ Hyoscyam (?),
daneben auch = Kali bichrom., am 2. Ac. benz.
-j- Euphr., am 3. vorzugsweise = Kali bichrom.,
am 4. Ac. benz. -f- Euphr., Nachm. Kali carb. -f-
Euphr., am 5. Ferr. -f- Taraxac. = Natr. mur.,
am 6. Ac. phosph. -f* Clemat = Pulsat; bei
Augenaffectionen (Keratit scrof., Blepharit ciL und
Conjunct.) Hep. + Euphr.
Schwarz-Baden-Baden: am 25. u. 26./3. haupt¬
sächlich Natr. mur. -f~ Led., am 27. u. 28. aus¬
schliesslich Natr. mur. -{- Iris bei Influenzafällen,
die schon als geheilt zu betrachten waren, also
Recidiven mit eitriger Conjunctiv, Supraorbital- und
Schläfenschmerz, Kreuzschmerzen, Schmerzen in
IntercoStalnerven, Knieen und Ellbogen meist ein¬
seitig. Am 29. u. 30. auch = Kali bichrom. bei
Pseudocroup und fieberhafter Laryng. crouposa.
Ausser Influenza mit Laryng., Bronchit und Pneu¬
monie habe er keine Krankheiten. Seit 1./4. aus¬
schliesslich =* Kal. bichrom. mit sehr raschem Er¬
folg selbst bei beginnender Pneumonie nach Influenza
(dabei quälender Husten).
Kim-Pforzheim: am 28./S. Natr. mur. -}- Iris
und Hep. -f- Ratanh., seit dem 29. ausschliesslich
= Kali bichrom. Am 2./4. berichtet er: bei Grippe
noch immer *=» Kali bichrom. (Kopfschmerzen auch
blind machend, Nasen- und Mnndgeschwüre, croup-
artigen Husten); am 2./4.‘Sabin. und Nicot.; in
letzter Zeit Ac. fluoric. besonders wirksam; seltener
= Euphr. und Kreos. -f- Sabadill.
Ich-hier: am 28./S. bei Influenza theils = Euphr.
theils = Cupr. cum Nicot., am 29. und 30. vor¬
wiegend = Veratr. alb., am 31./3., 1. und 2./4.
= Mercur, vom 3.—5. hauptsächlich Ac. fluor.
Bell., am 6. Calc. carb. -f- Coff.; seit dem 1. da¬
neben immer = Kali bichrom., das seit gestern
vorherrschend ist. Characteristisch für Kali bichrom.
fand ich die schon früher als Barytvvirkung ange¬
gebenen Schmerzen im Hinterkopf herauf; ferner
Ziehen hinter beiden Ohren herauf; ferner ist zu
erwähnen, der zähe Schleim und der Husten be¬
sonders Nachts quälend, ein Symptom, das auch
Euphr. und Sabadill, bieten. Zur Unterscheidung
dürfte dienen: die Zähigkeit des Schleimes bei
Kali bichrom. und die grössere Erschütterung durch
den Husten, während dieser bei Euphr. und Sabadill,
mehr nervöser Art ist und mit mehr allgemeiner
Schmerzhaftigkeit der Glieder und des Rückens
vergesellschaftet ist
Weiss-Gmünd hatte in der letzten Märzwoche
noch vorzugsweise Sabadill., am 29./3. mehrere
Fälle von Veratr. alb.
Hagel-Ravensburg fand in der letzten Zeit Sep„
Obel., Sinap. und Kal carb. -f- Bell* häufig indicirt,
in den letzten Tagen meist Bryon. -)- Phosphor
oder Tart. stib.
Sigmundt - Spaichingen berichtet Ende März,
dass er neuerdings öfters Puls, indicirt finde; bei
Erysipel, fac. sah er raschen Erfolg von Bell.
Stuttgart, den 8. April 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Referat.
Dr. Passenow-Stettin. Beitrag zur Blutstillung bei
Cervixrissen post partum . Centralbl. f. Gynäkol.
1891. No. 27. p. 567.
Um zu zeigen, wie verhältnissmässig leicht durch
einfachen Zug an der Portio es gelingt, die Blutung
provisorisch zum Stehen zu bringen, veröffentlicht
Verf. einen Fall aus seiner Praxis.
Digitized by v^ooQie
187
Eine SOjäbr. VII para war wegen Querlage
durch Wendung auf die Füsse ünd Extraction vor
2 */i Std. entbanden. Ein College hatte so lange
die Wunde bimanuell comprimirt; das geringste
Nachlassen bedingte jedes Mal eine fürchterliche
Blutung. Bei der Untersuchung unter fortwähren¬
der Compreeeion fand Verf. links einen 5 cm
langen Cervixriss. Rechts aber war das Parametrium
eröffnet; der Cervixriss ging so hoch in den Uterus
hinauf, dass man ohne Weiteres das Ende desselben
nicht abtasten konnte. Es war also klar, dass anf
dieser Seite die Art. uterina oder mindestens ein
grosser Ast derselben angerissen war.
„Schnell wurden die beiden Muttermundslippen
mit Museux*sehen Zangen gefasst und tief herabge¬
zogen. Darauf stand die Blutung und begann nur
dann wieder, wenn der Zug an den Zangen nach-
liess. Nach Vernühung der Risse stand die Blutung
dam definitiv.*
Pat. gen aas nach Ueberstehung einer rechtssei¬
tigen Parametritis.
Verf. erklärt die Wirkung des starken Zuges
am Uterus dadurch, dass dieser sich in Folge der
Auflockerung des weiten unteren Geburtskpoals und
der 8ucoulenz der Lig. lata und des p&rametränen
Bindegewebes tiefer herabziehen lasse als sonst und
dass dadurch die Art. uterina naeh abwärts ge¬
knickt werde, sowie auch dass die Arterien durch
die bedeutende Vergrö9serung des Uterus dabei
comprimirt würden.
Dass dieser Kunstgriff von grosser praktischer
Wichtigkeit ist, muss unbedingt zugegeben werden,
indem nach dem Herabriehen des Uterus die Ver¬
letzungen leichter übersehen und vernäht werden
können, besonders für Collegen, die sich mit ge¬
burtshilflicher Praxis weniger befassen, oder solche,
denen ferne von eollegialer Hilfe ein solches Un¬
glück passirt.
Zum Schluss giebt Verf. zu bedenken, ob das
von ihm angegebene Verfahren nicht auch bei Blu¬
tungen post partum bei placenta praevia anzuwenden
wHre, da diese doch meist weniger auf Atonie als
auf Verlegungen von GefÖsaen der Art uterina zu-
rückzufftbren seien (J. Veit)» Doch fehlt ihm hier¬
über die Erfahrung wie auch darüber, ob sein
Verfahren in extremen Fällen von rein atonischen
Blutungen Erfolg haben würde. Der Verlauf der
Art spermatica, die hiebei in Betracht zu rieben
wäre, lässt ihm dies nicht ohne weiteres sicher er-
scheinen. __ Göhrum,
Im Runen de« Königs!
In der Privatklagesache des Krankenconsulenten
Andreas Fripke im Halberstadt, Privatklägers, gegen
den Dr. med. Karl Heinrich Stifft, Leipzig, An¬
geklagten, wegen Beleidigung (enthalten in dem
mit „Pas Kurpfuscherthum in der Homöopathie*
überschriebenen Aufsatze in No. 21 und 22 der
Allg. Hom. Zeitung Band 123 vom 26. November
1891) hat das Königliche Schöffengericht zu Leipzig
in der Sitzung vom 4. März 1892, an welcher
Theil genommen haben: 1. Amtsrichter Winckler,
als Vorsitzender, 2. Karl Christian Bruno Arnecke*
Leipzig, 3. Georg Rudolph Beichenbach, L.-Lin-
denau, als Schöffen, Referendar Daehnert als Ge¬
richtsschreiber, für Recht erkannt: Der Angeklagte
wird wegen Beleidigung seit fünfzehn Mark be¬
straft und zur Tragung der Kosten des Verfahrens
verurtheilt, Der Antrag auf Zuerkennung einer
Busse wird abgelehnt.
Oefcortatagsfeier Hahnemanns.
Leipzig, 11. April. Am gestrige* Abend be¬
ging der Freie Verein für Homöopathie wie all¬
jährlich im Theaterrestaurant eine Festfeier zum
137. Geburtstage Hahnemauns, woran sich mit
ihren Daunen die kiesigen Collegen, sowie 1 die ho¬
möopathischen Apotheker Herr Dr. Schwabe, Herr
Steinmetz und Herr Judersleben betheiligten. Zu
unterem Bedauern hatten wir aber nicht du Ver¬
gnügen diesmal einen auswärtigen Collegen begrüssen
zu können. Nach Eröffnung der Festfeier dtjrch
den Vorsitzenden Herrn Dr. Lorbacber und Be-
grüssung der Gäste, ergriff Herr Dr. Stifft das
Wort, um in herkömmlicher Weise mit einer An¬
sprache und dem an der Spitze dieser Nummer
abgedruckten poetischem Festgrosse des Collegen
Dr. Majntzer in Trier das Gedäehtniss des Alt¬
meisters su feiern. Das Festessen verlief in der
animirtesteu Stimmung und blieb der kleine Kreis
nach Beendigung desselben noch einige Stunden
zusammen.
Personal! a.
Herrn Geheimen Hofrath Dr. Stiegele ln Stutt¬
gart, Leibarzt Ihrer Majestät der lönigin-WRtwe
Olga von Württemberg, wurde jüngst vom Kaiser
von Russland der St. Stanislaus-Orden 2. CL yer¬
lichen. Wir sprechen auch hier unserem hoch¬
verehrten Herrn Collegen die herzlichsten Glück¬
wünsche zn dieser Auszeichnung aus, die beweist,
mit wie gutem Erfolg er es versteht, unsere Sache
zu vertreten. _
Berichtigung.
In No. 11-12 Seite 91 v. o. und T v. u. muss
es heissen „Reform* statt „Reserve* und Seite 9\
Zeile 7 v. o. 80. Jamar statt 30. Februar.
Digitized by v^ooQie
W8
ANZEIGEN.
Med. Dr. Theodor Kafka in Karlsbad ©
wohnt wie im vergangenen Jahre im HAuse „Alinabcrg 6 *, So. 385 am Markt, knapp vor @
dem Hötel Hannover. ^
Im Verlage der Homöopathischen Central - Apotheke von Täschner & Co. in Leipzig
(Thomaskirchhof No. 12) erschien soeben:
Die lernte, veKitM vermehrte ul verbesserte, mit 31 Ahhiidugen versehene Alllage des hevrthrtei ul heliehtei Buhes:
. Dr. Hübner’s illustrirter
Homöopathischer Haus-Thierarzt
oder
die homöopathische Behandlung und Verhütung der Krankheiten
der Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde, Hatten und Edelkaninchen sowie des Geflügels
und der einheimischen und ausländischen Stubenvögel.
Preis eart. 3 M., geh. 3,75 M.
Der Hübner'sche Thierarzt giebt die gewünschte Anleitung zur Erkennung und Behandlung der Krankheiten
der Hausthiere; er belehrt den Leser bei jeder einzelnen Thierart nicht nur über die Lebensfiusserungen in gesundem
Zustande, sondern beschäftigt sich auch mit der Thierzucht und Pflege in eingehendster Weise. Er ist daher jedem
Viehbesitzer aufs Wärmste zu empfehlen.
"Rcin,ofincjcde
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserte/;fiomöopaffiiscfier
öesundtmte-
nachDr F.Katsch
FRANCK
SCHUTZMARKE
u. Unterschrift
Wachenheimer Sect.
Pr&miiit Leipaig 180S: [La 1*31)
Ehrenpreis der Stadt Leipzig und Seidene Medaille.
RI»« Etiqaette. j$ $.—\ incl. Kisten
Monopole . . . „ $.60 \ u. Flaschen
Weise Etlqnette ,, 3.— ( von 1$ bis
Kaiser Perle . 4.— ) 60 Sick.
Mit 10% und 16% Rabatt.
Hauptniederlage and Generalvertreter <
Eduard Brade, Leipzig, Bitterstrasse 17.
WicdcrverkäuTer und Exporteure Extra-Offerten.
Zur Ergänzung der Bibliotheken empfehle ich
den Herren Aerzten von der
Allgemeinen Homöopath. Zeitung
ganze Collectionen vom 1. bis 123. Bande, wie
auch einzelne Bände und Von den letzten zehn
Bänden, so weit der Vorrath reicht, auch einzelne
Numqaern zu billigsten‘ Preisen.
A. Harggrars Homöopath. Offlein in Leipzig;.,
rpfrl_ Krankenbett bei München. Höhealeftkarerf
XUlA a mit j 0 dhait. Quelles. Indicat Frauenkrank¬
heiten, Scrophulose, ehren. Haulieiden, Lues* — Auskunft
d. Dr. Letzet (im Winter Jn München, im Sommer in Tölz).
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-StujbtgBrt, Dr. StifTt-Leipzig und Dr. Mäedioke-Leipzig. \
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A* Marggraf s homöopath. Officin) in Leipizigv .
Druck von Gressaer 4 Sefcfamm in Leipzig.
Digitized by Google
Separat-Beilage zur „Allgemeinen Homöopathischen Zeitung".
Offenes Schreiben an die homöopathischen Aerzte!
Karlsbad. 1. April 1*92.
Sehr geehrter Herr College!
Seit dem Jahre 1871 hier prakticirend ist es
meine Gewohnheit, alljährlich in der homöopathischen
Presse sowohl selbstständig kurze Mittheilungen theils
über den Verlauf der Saison, theils über einzelne
interessante Krankheitsfälle, als auch ausführliche
selbstständige Werkchen, z. B. über die Krankheiten
der Gallen- und Harnorgane, über Entfettungscuren
und über die Zuckerkrankheit erscheinen zu lassen.
Man kann also nicht behaupten, dass ich über der
Praxis die Wissenschaft vernachlässige, oder wie
namentlich jüngere Collegen mitunter behaupten,
gegen Aerzte in andern Bädern, die mitunter Uni¬
versitätslehrer sind, im Rückstände bin. „Nemo
propheta in homoeopathia“ kann man mit Recht
behaupten; ich thue das möglichste von meinem
Standpunkte aus, ich bin nicht in der glücklichen
Lage, vorhandenes Material nach Belieben compiliren
zu können, ich kann höchstens in die Fussstapfen
meines verstorbenen Collegen des Dr. Porges treten,
der Karlsbad erst für die Homöopathie entdecken
musste, nämlich Karlsbad an sich und andern prüfte,
und die Prüfungsergebnisse veröffentlichte. Ich
versuche Karlsbad jedes Jahr an mir und andern
und habe die Resultate erst im vergangenen Jahre
unter dem Titel „Specifische Wirkungen von Karls¬
bad“ veröffentlicht.
Zum zweiundzwanzigsten Male trete ich in
diesem Jahre vor meine geehrten Collegen, um
ihnen ein kurzes Resumä über die Indikationen für
Karlsbad zu liefern.
Wer passt nach Karlsbad?
Diese Frage möglichst genau zu beantworten
soll der Endzweck dieser Zeilen sein.
Nach Karlsbad passen nicht so sehr die Lebe¬
männer oder vollsaftigen Individuen oder fett¬
leibigen Damen, die an nichts anderem wie am
Ueberschuss der Säfte und Fettleibigkeit leiden,
für diese dürfte wohl Marienbad, Kissingen und
Homburg ein günstigerer Aufenthalt sein.
Nach Karlsbad schicke man die Individuen mit
blauröthlichem oder gelblichem Teint in den ver¬
schiedensten Nuancen; Patienten, die beim Geben
oder Steigen stehen bleiben müssen, nicht so sehr
in Folge von Fettleibigkeit als von venöser Stockung;
Patienten mit den Folgen von venöser Stauung also
die sogenannten Staatshämorrhoidarier, die in Folge
mangelhafter Bewegung und ständigen Aufenthaltes
in der dumpfen Bureau- oder Comptoirluft die ver¬
schiedensten Stauungszustände bekommen, weil sie
sich nicht genügende Bewegung in frischer Luft
verschaffen oder gestatten. Derartige Patienten
haben äusserlich erweiterte Venen, so z. B. am
Unterleib das sogenannte Caput medusae, verschie¬
dene Hautaffektionen, wie Finnen, Mitesser, Flechten
und Ekzem. Die Leber ist bei denselben geschwol¬
len, die Milz mitunter gleichfalls, namentlich bei sol¬
chen, die sich in Malariagegenden aufgehalten haben.
Sie klagen über Jucken im After, schleimigen Aus¬
fluss und sogar über Blutungen aus demselben,
nachdem vorher die Hämorrhoidalknoten hervor¬
getreten und ihnen starke Schmerzen verursacht
haben. Der Urin solcher Patienten ist gewöhnlich
getrübt oder dunkel, hat einen röthlichen Bodensatz
oder es gehen mitunter Sternchen ab, die ihnen
beim Abgehen heftige Schmerzen verschaffen. Dass
die Gallensteinleidenden besonders hierher passen,
brauche ich nicht erst zu erwähnen.
Die üppige Lebensweise oder die vielfachen
Geschäftssorgen und andere Ursachen veranlassen
auch die Zuckerkrankheit; die damit behafteten
werden trotz alledem und alledem doch immer
wieder nach Karlsbad dirigirt, unter dessen Ge¬
brauch der Zucker, wenn auch nicht für immer,
aus demi Urin verschwindet.
Plethorische Patienten pflegen auch an chroni¬
schem Bronchialkatarrh oder Bronchoblennorhoe zu
leiden und auch diese Zustände werden durch Karls¬
bad mitunter gänzlich beseitigt, stets aber bedeutend
gebessert
Alte Peritonealexsudate werden durch Karlsbad
beseitigt, ebenso viele gutartige Neubildungen,
Dass Karlsbad bei der Atrophie der Leber in Folge
)igitized by
von Cirrhosis nichts leistet, ebenso auch nicht bei der
gelben oder rothen Leberatrophie, dürfte männiglich
bekannt sein.
Venöse Stockungen sind sehr häufig mit Magen-
katarrhen oder in Folge der dauernden Anätzung
der Magenschleimhaut mit dem sogenannten runden
oder auch perforirendem Magengeschwür behaftet,
auch dafür bietet Karlsbad ein Heilmittel par ex-
cellence.
Bonvivants und Bureaukraten leiden häufig an der
Gicht und auch für diese leisiet Karlsbad Erspriess-
liches.
Ischias wird häufig durch Karlsbad geheilt oder
wenigstens gebessert.
Blasenkatarrhe, Pyelitis calculosa finden ihr
souveränes Heilmittel in Karlsbad. Leichte Grade
von Albuminurie, die damit einhergehen, werden
auch beseitigt, wenn ich auch nicht behaupten will,
dass der chronische Morbus Brighti durch Karlsbad
gebessert wird.
Dass die vergrösserte Milz bei Malariakranken
durch Karlsbad wieder ad normam zurückgeht,
auch wenn reichlicher Chinimnissbrauch vorange-
gangen, glaube ich bereits erwähnt zu hab* n.
Darmkatarrhe, mögen sich dieselben nun durch
Verstopfung oder stete Diarrhoe äussern, bilden
von jeher eine Hauptindikation für Karlsbad.
Dieselben Indikationen gelten auch für das
weibliche Geschlecht, wozu sich noch alle Zustände
gesellen, die die Klimaxis zu begleiten pflegen, wie
Fluor albus, Dysmenorrhoe, chronische Peri- und
Parametritis oder der sogenannte chronische Uterus¬
infarkt.
Heftige CongestionenMigräne _ und der soge¬
nannte Tic douloureux, sind oft, wenn sie mit
venösen Stauungen zusammenhingen, durch Karlsbad
beseitigt worden.
Dass unsere homöopathischen Mittel auch wäh¬
rend des Curgebrauchs nicht ausgesetzt zu werden
brauchen, sondern im Gegentheil, wenn sie ange¬
zeigt sind, wegen der gesteigerten Blutcirkulation
und des vermehrten Stoffwechsels um so günstiger
wirken, habe ich schon zu oft erwähnt, um mich
länger dabei aufzuhalten. Ich glaube noch be¬
merken zu müssen, dass ich Medikamente nur dann
verabreiche, wenn gewisse Zustände deren Verab¬
reichung dringend nothwendig ma<hen; ich weiss
wohl die Symptome der Brunnenwirkung von
etwaigen Krankheitssymptomen zu unterscheiden.
Indem ich noch bemerke, dass Karlsbad auch
im vergangenen Jahre eine erfreuliche Zunahme
der Frequenz zeigte, würde es mich sehr freuen,
wenn auch die homöopathischen Herren Collegen
sich veranlasst fühlen würden, mehr Patienten als
bisher nach Karlsbad zu dirigiren, wo dieselben
versichert sein können, dass sie ihrem System nicht
abwendig gemacht werden.
Mit der Bitte mir Ihr Wohlwollen in gleichem
Maasse wie bisher angedeihen lassen zu wollen, hin
ich hochachtungsvoll
Ihr ergebener College
Dr. Theodor Kafka,
im Hause * An naher g u No. 385, am Markt,
Digitized by v^ooQie
Band 124.
Leipzig, den 28. April 1892. 17 U. 18.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verleg von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig.
Krsohelnt 14tlg!g in 2 Bogen. 18 Doppelnnmmem bilden einen Band. Freia 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Alle Buchhandlungen und
Poatanatalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welohe an R. Mosae in Leipzig und dessen Filialen su richten sind,
werden mit 80 Pf, pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raam berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berochnet.
Inhalt: Einladungen. - Der XI. Kongress für innere Medioin. Referent Dr. Stifft-Leipzig. — Einige Be¬
merkungen zu Beraters Aufsatz, Homöopathie und Suggestion. Von Dr. Lorbacher-Leipzig. - Elektrotherapeutisohe
Studien von Dr. A. Sperling-Berlin. Von Dr. Weil-Berbn. — Aue der Praxis amerikanischer Collagen. Von Dr. Hesse-
Hamburg. — Therapeutischer Unterschied zwischen Calcarea eulphurata oder Hepar sulphuns calcareum, Kalk-
schwefelleber and Sulphur. Von Dr. H. Goullon. — Entgegnung. Von Dr. Schwarz-Baden. — Offenes Sendschreiben
an die Redaotion. — Lesefrnohte. — Epidemiologieohe Eoke. — Kleine Mittheilungen. — Naohruf. — Personalia. —
Reohnungsabiegung.
Einladung.
Zur diesjährigen Frübjahrsvers&mmlung des Vereins werden die Mitglieder ergebenst eingeladen
und benachrichtigt, dass dieselbe
Sonntag’ den 8. Mai in Halle (Hötel zur goldenen Kugel) Mittag 12 Uhr
stattfindet.
Tagesordnung:
Geschäftliches. Wahl des nächsten Versammlungsortes.
Alles Nähere durch Postkarte.
Die Theilnehmer wollen ihr Erscheinen bis spätestens den 7. Mai Abends Herrn Dr. Henze-
Halle, gefälligst anmelden.
Der Torstand des Sächsisch-Anhaitisehen Vereins homöopathischer Aerzte.
V orsit zender: Schriftführer:
S&nitätsr&th Dr. E&ulw&sser-Bernburg. Dr. Villers-Dresden.
Zusammenkunft
des Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs
Mittwoch, den 18. Mai 1802 in Stuttgart, „Gasthof zum Hecht“ von Bauh, Nachm. 4 Uhr.
Tageso r dn ung:
1) Laufendes.
2) Die Central-Vereins Versammlung im August.
3) Die Influenza des Jahres 1892.
Der Vorstand:
Oberincdlclnalratli Dr. von Sick.
Digitized by
Der XI. Congress für innere Medicin.
Referent Dr. StifFt-Leipzig.
Vom 20.—23. April tagte in Leipzig der dies¬
jährige Congress für innere Medicin. Als ständiger
Sitz desselben war seit der Gründung im Jahre
1882 bekanntlich Wiesbaden ausersehen, jedoch vor
2 Jahren der Beschluss gefasst worden, neben dieser
durch äussere Vorzüge empfohlenen Stadt auch die
hauptsächlichsten Metropolen des medicinisch-wissen-
schaftlichen Lebens — Wien, Berlin, Leipzig, Mün¬
chen — der Ehre des Congrosses theilhaftig werden
zu lassen. Die Sitzungen fanden in den Räumen
des grössten hiesigen Vergnügungs-Etablissements,
des „Kristallpalastes 41 statt und wurden durch eine
Begrüssungsrede des Vorsitzenden, Geheimrath
Curschmann, pünktlich eröffnet. In derselben sprach
Redner seine Genugthuung darüber aus, dass die
Tuberculinfrage seit dem vorigen Jahre wieder mehr
und mehr den Händen der Practiker entwunden
und in die Kreise wissenschaftlicher Forscher zurück¬
verwiesen sei, wozu wir ihm vollen Beifall zollen
und der leidenden Menschheit gratuliren. Bemerkens¬
werth an der Rede war ferner die Betonung des
klinischen Unterrichtes als des Kernpunktes der
medicinischen Schule für den jungen Arzt, nach
deren gründlicher Absolvirung er erst in den Stand
gesetzt sei, Kranke zu behandeln oder zu deren
Frommen specialis tischen Neigungen zu folgen.
Es ist dieser richtige, uns aus der Seele gesprochene
Gedanke in letzter Zeit merkwürdig häufig von
autoritativer Seite ausgesprochen worden. So lange
aber die klinischen Lehrer sich nur darauf be¬
schränken, uns ihre Paradefälle vorzuführen, so
lange sie bei Besprechung der klinischen Symptome
nur auf deren physikalische und pathalogisch-ana-
tomische Erklärungen näher eingehen, die in andere
Specialcollegien gehören, so lange es noch acade-
mische Lehrer giebt, die bei Erwähnung der Therapie
sagen: »was die Therapie an geht, meine Herren, so
können Sie das Wenige in meinem Lehrbuche nach-
lesen,“ anstatt zu sagen: »hier verdient die wissen¬
schaftliche Therapie wenig Vertrauen, wohl aber
hat die Empirie zahlreicher practischer Aerzte diese
und jene Mittel als wirksam erkannt, die der Prü¬
fung wohl werth sind“ — so lange — bleibt es
eben nur ein schöner Gedanke. Statt dessen wird
auf alles nicht Zünftige weidlich geschimpft, das
Lachen unreifer Zuhörer mit grosser Genugthuung
entgegen genommen und dann, ut aliquid fiat, etwas
Indifferentes empfohlen. Auf diese Art erzieht die
Klinik keine Aerzte mit umfassender Bildung für
ihre practische Tbätigkeit, sondern therapeutische
Ignoranten und, was noch schlimmer ist, thera¬
peutische Spötter, die mit ihren mikro- und makros¬
kopischen , pathologisch-anatomischen, bacteriologi-
schen Kenntnissen den ernsten Männern der Praxis
überlegen zu sein und genug gethan zu haben
glauben, wenn sie dem Kranken sagen können,
dieses oder jenes Organ ist so oder so erkrankt,
dieser oder jener Bacillus steckt in ihnen, den
Professor X erst neulich entdeckt hat.
Nach der Eröffnungsrede des ersten Vorsitzen¬
den fand die Begrüssung im Namen der sächsischen
Regierung, der Stadt Leipzig und des academischen
Senates statt.
Auf der wissenschaftlichen Tagesordnung stan¬
den für dieses Jahr zur Besprechung folgende 2
Krankheitsformen: 1. „Die schweren anämischen
Zustände“, Ref. Birch-Hirschfeld, für Biermer-
Berlin, durch Krankheit verhindert, und Ehrlich -
Berlin, 2. „Die chronische Leberentzündung“,
Ref. Rosenstein - Leyden und Stadelmann - Dorpat
Ausserdem waren 58 Vorträge und Demonstrationen
angemeldet. Wenn man bedenkt, dass in den ge¬
nannten Tagen die wissenschaftlichen Sitzungen und
geschäftlichen Erörterungen in der Zeit von 9 bis
12 Uhr Vormittags — es wurde allerdings meist
I Uhr — und 3 bis 5 Uhr Nachmittags erledigt
werden sollten und ausserdem die Zeit der Congress-
theilnehmer durch Veranstaltungen festlicher Art,
Extra-Gewandhau8-Concert,Festessen,Festvorstellung
in Anspruch genommen wurde, so muss man ge¬
stehen, dass Ausserordentliches geleistet worden ist,
und wird es begreiflich finden, dass Vieles sich
zum Worte Meldende und nach Anerkennung Ring¬
ende nur gestreift werden konnte. Von den zur
Behandlung gebrachten Fragen erregten unser spe-
cielles Interesse diejenigen über „die schweren anä¬
mischen Zustände“ und die ausführlicher erörterte
„Immunitätsfrage“, während von den zur Ansicht
gebrachten Demonstationen besonders diejenigen von
Klebs imponirten, welche den tödtlichen Einfluss
des Tuberculocidins ad oculos führten, quod erat
demonstrandum. Für diejenigen, welche die Ver¬
handlungen des Congresses im Einzelnen verfolgen
wollen, bemerke ich, dass die gehaltenen Vorträge
im 11. Bande der „Verhandlungen des Congresses
für innere Medicin“ (J. F. Bergmann, Wiesbaden)
im Original erscheinen werden.
Birch-Hir8chfeld behandelte dasCapitel der schwe¬
ren anämischen Zustände, wie vorauszusehen war,
hauptsächlich von der ätiologischen und pathologisch¬
anatomischen Seite. Er betonte die strenge Tren¬
nung der Anämie und Chlorose von den schweren
anämischen Formen, der perniciösen Anämie. Diese
sei cbaracterisirt durch Verminderung und Degene¬
ration der rothen Blutkörperchen und davon ab¬
hängigem Gewebezerfall (fettige Degeneration, ver¬
mehrte Harnstoffausscheidung, Peptonurie). An die
stärkere Degeneration der rothen Blutzöllen schliesst
sich eine geringere Regeneration von seiten des Knochen¬
marks an. Die Ursachen hierzu anlangend, betont
Redner, dass dieselben von aussen stammen können
Digitized by v^ooQle
131
(toxische Schädlichkeiten), dass sie durch specifische
Mikroorganismen im eigenen Körper gebildet sein
können (infektiöse Noxen) oder durch regressive
Veränderungen im Organismus (Autointoxikation).
Danach stellt er folgende ätiologische Momente
auf: 1. Blutverluste (posthämorrhagische Form),
2. Dyspepsien, 3. Parasiten (Anchylostomum duo¬
denale , Botriocephalus etc.), 4. Gravidität und
Puerperium, 5. Syphilis und Malaria, 6. kryptoge
netische Entstehung, zurückzuführen auf von aussen
stammende oder im Organismus gebildete, die Blut¬
körperchen zerstörende Gifte (Toxine, Enzyme).
Der ausführlich gekennzeichneten pathologisch-ana¬
tomischen und ätiologischen Seite gegenüber, fällt
die Therapie recht dürftig aus: Arsen-, Trans-
fusions-, diätetisch - klimatische Behandlung. Sehr
interessant waren die Ausführungen des Korreferenten
Prof. Ehrlich. Er betonte die schon beim Lebenden
erkennbaren Blutanomalien, Auftreten von Spaltungs-
formen der rothen Blutkörperchen (Schistocyten,
Poikilocyten), Veränderungen der Structur und
Zusammensetzung (hämoglobinämische Innenkörper,
Aenderung der Färbbarkeit), vollständiges Erblassen
der rothen Blutzellen, ein Befund, wie er auch von
uns in einem schweren Falle von Anämie konstatirt
worden ist. Diesen Degenerationsformen gegenüber
stellt Referent zwei Regenerationsformen auf, eine
kleinere (Normoblasten) mit stark färbbarem Kern,
welche normaler Weise in den blutbildenden Or¬
ganen vorhanden ist, aber nur unter dem Einfluss
bestimmter Vergiftungen oder secundärer Anämien
beim Erwachsenen in den Kreislauf tritt, und eine,
grosse (Megaloblasten) mit schlecht färbbarem Kern,
welche eine embryonale Entwicklungsstufe darstellt
und bei ihrem regenerations weise geringen
Auftreten die schwere Form der perniciösen Anämie
charakterisirt. Rütimeyer (Basel) erwähnt den ver¬
nichtenden Einfluss eines menschlichen Parasiten,
des Distomum haematobium auf das Blut, wie er
in der „Bilharzia-Krankheit* — die bekanntlich
mit ausgesprochener Hämaturie verläuft — in
Aegypten, besonders unter Fellachen und Kopten,
beobachtet wird. Maraglioni (Genua) lenkt die Auf¬
merksamkeit auf Veränderungen des Blutplasmas,
welches durch Herabsetzung seines Kochsalzgehaltes
einen zerstörenden Einfluss auf die rothen Blut¬
körperchen ausüb.en könne. Zur Therapie sei noch
die von Ziemssen warm befürwortete Bluttrans¬
fusion erwähnt. Zur Vermeidung der leicht damit
verbundenen Fermentintoxikation und gefährlichen
Blutgerinnung empfiehlt Landois nach Tierversuchen,
dem einzuverleibenden Blute den Extrakt von Blut¬
egel-Köpfen zuzusetzen, welcher das Blut unge¬
rinnbar mache.
Mit Eröiterung der Immunitätsfrage betraten
die Kongressverhandlungen ein uns Homöopathen
ganz besonders interessirendes Gebiet. Ist doch in
diesen Bestrebungen von der wissenschaftlichen
Medizin endlich ebenfalls ein Weg zu einer spezi¬
fischen Behandlung der Krankheiten eingeschlagen
worden, der, wenn auch jetzt noch für die Therapie
unfruchtbar geblieben, doch schon zu hochwichtigen
Entdeckungen geführt hat, welche vielleicht noch
in hohem Grade wichtig auch für die Kranken¬
behandlung werden können. Das bleibt jedenfalls
das unbestrittene Verdienst Koch’s, dass er durch
seine epochemachenden Entdeckungen das planlose
Haschen nach symptomatischen Mitteln endlich ein¬
geschränkt und die wissenschaftliche Forschung in
specifische Bahnen hineingelenkt bat. Nachdem
die Bakteriologie für die Mehrzahl der Infections-
krankheiten die spezifischen Erreger aufgedeckt
und man erkannt hat, dass diesen Mikroorganismen
auf dem gewöhnlichen Wege mit den herrschenden
Antisepticis — contaria contrariis — nicht beizu¬
kommen war, begann man ihre Lebensvorgänge genauer
zu durchforschen und gelangte zu folgenden drei grund¬
legenden Resultaten: 1. dass die einzelnen Arten
pathogener Mikroorganismen nicht als solche, sondern
durch von ihnen producirte Stoffwechselproducte
(Toxine) deletär auf den Körper ihres Trägers wirken,
2. dass dieselben Eigengifte produciren, die ihnen seihst
den Untergang bereiten, 3. dass der befallene thierische
Organismus nur durch eigene Zellthätigkeit in den
Stand gesetzt werden kann, sich der Invasion zu
erwehren und entsprechende HeilungsVorgänge ein¬
zuleiten. Hierzu lieferten die Gebröder Klemperer ,
Ilueppe , Emmerich , Büchner , Metschnikoff , hoch¬
interessante Beiträge. Nach ihren Forschungen
können nicht mehr grosse, feindliche Gaben stark
wirkender differenter Mittel das Rüstzeug des Arztes
gegen die genannten Krankheiten sein, sondern ge¬
ringe Gaben des im Einzelfalle richtig gewählten
spezifischen Antidotes, welche entweder prophylak¬
tisch den Gesunden immun machen oder den spezi¬
fisch erkrankten Organismus im Kampfe gegen die
Krankheit unterstützen sollen. In letzterer Beziehung
berichtete Klemperer über 20 Fälle von Pneumonie,
die er durch Injectionen zu auffallend mildem Ver¬
laufe gebracht habe, und schreibt letzteren seiner
Serumtherapie zu. Klemperer erklärt das Zustande¬
kommen der Immunität, resp. die Heilung von In-
fectionskrankheiten dadurch, dass die durch Letztere
gebildeten Gifte durch Injection von Serum iramu-
nisirter Thiere oder von ahgeschwächten Rein-
culturen — ersteres soll gegen schon erfolgte In-
fection rascher wirksam sein — unwirksam gemacht
würden, während die Bakterien durch die Phagocyten
Metsehnikoffs eingeschlossen und zum Absterben ge¬
bracht würden. Gerade in der hierbei beobachteten
vermehrten Production weisser Blutkörperchen zeige
sich die gesteigerte Zellthätigkeit und Wehrkraft
des Organismus, ohne welche eine Vernichtung der
körperlichen Infectionselemente, (der Bakterien, Ba-
17*
Digitized by
Google
zillen # etc.) nicht stattfinden würde. — Hueppe
glaubt, dass die Körperzellen Bel bst immunisirende
Stoffe produziren können und dass das immunisi¬
rende Agens aus den Toxinen durch bestimmte
höhere Temperaturen frei und wirksam werden
könne. Nach Emmerich besitzen immunisirte Thiere
eine gewisse Menge von Serum- und Mnskelalbumin,
durch welches man andere gesunde Thiere immun,
kranke durch Impfung gesund machen kann; er
nennt es „ImmunproteYn*. Die Heilung geschieht
dadurch, dass dieses die Toxine und die Mikro¬
organismen vernichtet. Büchner endlich ist der
Ansicht, dass auch dem Blutserum eine grosse Rolle
im Kampfe gegen die Mikroorganismen zukomme
und dass es dazu befähigt sei, so lange es genü¬
gend Salze, bes. Chlorammonium, enthalte.
Wenn auch der XI. Congress für innere Medizin
nichts Werthvolles für die Therapie am Kran¬
kenbette und den praktischen Arzt gebracht hat,
so hat er doch der ärztlichen Welt gezeigt, dass
die medizinisch wissenschaftliche Forschung allge¬
mein aus ihrer früheren Unfruchtbarkeit herausge¬
treten und in die Bahnen einer für die Therapie
Erfolg versprechenden spezifischen Krankheitsbe¬
handlung eingetreten ist, ein Verdienst Pasteur’s
und Koch's, eine Folge der grossartigen Errungen¬
schaften der noch jungen ätiologischen und bakte¬
riologischen Forschungen, die wir stets mit grösstem
Interesse verfolgt haben.
Mit dem Congresse war auch eine reichhaltige
Ausstellung verbunden, welche die Erzeugnisse und
Fortschritte der im Dienste der ärztlichen Wissen¬
schaft thätigen Industriezweige veranschaulichen
sollte. Es hatten sich hierzu auch der % perlende
Wachenbeimer* und ein speculativer Leipziger Per¬
rückenmacher mit eingeschlichen, Ersterer jeden¬
falls um sich den von den langen Sitzungen Er¬
matteten als kräftiges „Excitans“ zu empfehlen,
Letzterer in der stillen Hoffnung, von den vielen
hier versammelten illustren Köpfen den einen oder
anderen mit dem Erzeugnisse seiner kunstgeübten
Hände bedecken zu können. —
Einige Bemerkungen zuDr.Gerster’s
Aufsatz, Homöopathie und Sug¬
gestion.
Von Dr. Lorbacher* Leipzig.
Die Selbsterkenntnis ist die unerlässliche Vor¬
bedingung für Jeden, welcher mit Ernst danach
strebt, eine Besserung, sei es seiner selbst, sei es
einer von ihm vertretenen Sache, zu bewirken.
Uns Homöopathen dazu zu verhelfen, hat Herr Dr.
Gerster in München in seinem in No. 7 u. 8 der
Allgem. Homöopath. Zeitung veröffentlichtem Auf¬
sätze: „Suggestion und Homöopathie 8 sich ange¬
legen sein lassen. Wir wissen also nun, dass die
meisten Heilungen, welche wir durch unsere Arznei¬
mittel erzielt zu haben annahmen, als durch Sug¬
gestion oder die Naturheilkraft hervorgebracht
anzusehen sind. Etwas Neues ist es eigentlich
nicht, denn man ist immer geneigt gewesen, die
letztere gegen uns ins Feld zu führen, wenn man
durch homöopathische Aerzte vollbrachte Heilungen
durchaus nicht ableugnen konnte. Es war dies
namentlich der Fall, seit Prof. Dietl in Wien nach¬
gewiesen hatte, dass Krankheiten, zu deren Besei¬
tigung man arzneiliche Einwirkungen für unum¬
gänglich nöthig hält, auch ohne dieselben günstig
verlaufen.
Es blieb jedoch immer noch eine nicht
unbedeutende Zahl von Krankheiten, wo man auf
diesem Wege nicht zum Ziele gelangte, und man
sich genöthigt sah, doch wieder die alten Waffen
hervorzusuchen. Da drängte sich mit einem Male
wieder jene, ich möchte sagen mystische Kraft
hervor, welche, soweit wir in der Geschichte der
Medicin zurückblicken können, immer einmal ihr
Recht geltend gemacht hat. Ich erinnere nur an
die Heilungen in dem Tempel des Aeskulap, an die
durch Händeauflegen, durch Gebete, durch andere
Manipulationen, die darauf gerichtet waren, den
Kranken in die höchste psychische Spannung zu
versetzen, worauf auch die Kunst der Schamanen
und Medicinmänner der wilden Völker beruht. Am
Ende des vorigen und im Anfang dieses Jahrhun¬
derts trat sie unter der Form des sogenannten
thierischen Magnetismus und des Mesmerismus her¬
vor. Allein der Missbrauch, welcher von Cbarla-
tanen damit getrieben wurde, brachte sie so in
Verruf, dass alle anständig denkenden und wissen¬
schaftlichen Kreise sich von ihr mit Verachtung
abwandten. Erst dem Ende unseres Jahrhunderte
war es Vorbehalten, trotz des sonst herrschenden
krassen Materialismus sie wieder an das Tageslicht
zu ziehen, und zwar unter dem Namen Suggestion.
Die Veranlassung dazu gab die experimentell fest¬
gestellte Thatsache des Hypnotismus. Der Ver¬
such, denselben abzuleugnen resp. ihn als Schwindel
zu erklären, liess sich nicht aufrecht halten. Man sah
sieb einer neuen naturgesetzlichen Thatsache gegen¬
über. Wenn auch die officielle, in dem akademischen
Lehrkörper repräsentirte Medicin sich immer noch
ablehnend und skeptisch verhielt, so traten doch
eine ganze Anzahl von Männern, denen man eine
gediegene wissenschaftliche Bildung nicht absprechen
konnte, der Sache näher. Der Gedanke, diese neue
Entdeckung für therapeutische Zwecke zu ver-
werthen, lag sehr nabe. Ausserdem glaubte man
darin eine Erklärung für die Wirkung der homöo¬
pathischen Infinitesimaldosen, wogegen sich der
materialistische Zug unsrer Zeit selbstverständlich
mit aller Kraft sträubt, gefunden zu haben. Be-
Digitized by v^ooQie
quem ist das Verfahren allerdings. Was man sich
nicht erklären kann, sieht man für Suggestion nun
an. Dass damit nicht das Geringste gewonnen wird,
liegt auf der Hand. Denn das Einwirken der Sug¬
gestion auf den kranken Organismus lässt sich von
dem heutigen naturwissenschaftlichen Standpunkte
ebensowenig erklären, wie das der homöopathischen
Infinitesimaldosen. Es soll damit die Thatsache der
Suggestion durchaus nicht in Ahrede gestellt werden.
Ebensowenig, dass bei einer ganzen Anzahl von
homöopathischen sowie auch allöopathischen Heil¬
ungen sie ein Hauptfaktor gewesen ist. Dem ruhigen
objektiven Beobachter, welcher in Anerkennung des
post hoc ergo propter hoc nicht zu voreilig ist,
kommen dergleichen Fälle in der Praxis wohl öfter
vor. Allein dies berechtigt durchaus nicht, wie es
von G. geschehen, möglichst bei allen Heilungen
die 8uggestion als das heilende Agens anzunehmen
und den Beobachtungen und Erfahrungen anderer
Aerzte, bei denen darauf keine Rücksicht genommen
ist, allen Werth abzusprechen. Wir wissen sehr
wohl, dass es in den meisten Fällen sehr schwierig,
oft beinahe unmöglich ist, den Beweis für das post
hoc ergo propter hoc, ganz einwandsfrei zu führen.
Es wird seihst bei Beobachtung aller möglichen
Kautelen sich immer noch etwas dagegen einwenden
lassen. Die Anforderungen G.’s an eine Kranken¬
geschichte zu erfüllen ist für den irgendwie be¬
schäftigten praktischen Arzt unmöglich. Das könnte
nur in Kliniken und Krankenhäusern geschehen, wo
ein Heer von Assistenten Zeit und Gelegenheit hat,
dergleichen Finessen auszuführen. Wir müssten
also die praktischen Erfahrungen der Aerzte ganz
entbehren. Wenn auch viel Spreu unter den ver¬
öffentlichten Heilungsgeschichten ist, so finden sich
doch auch manche wertbvolle Körner darunter. Es
kommt nur darauf an, dass man sie herausfindet.
Ich meine daher, dass wir uns durch die Mei¬
nungsäusserungen des Herrn Dr. G. nicht irre
machen lassen, auf dem von Hahnemann uns ge¬
wiesenen Wege fortzufahren, unsere Arzneimittel¬
lehre zu vervollkommnen, um diesen immer mehr
vollkommenen Waffen mit immer grösserem Erfolge
das Heer der Krankheiten zu bekämpfen. Ob die
damit geführten Streiche den Feind so getroffen
haben, dass er ihnen erlegen, weiss schliesslich der
erfahrene Praktiker besser zu beurtheilen, als der
mit noch so grosser Gelehrsamkeit ausgestattete
akademische Neuling. Ich für meine Person bin
in dieser Beziehung ziemlich skeptisch angelegt,
allein in meiner langen praktischen Laufbahn habe
ich doch eine ganz stattliche Zahl von Heilungen
erlebt, bei denen jede andere Einwirkung als die
des verordneten Mittels für jeden unparteiischen
Beobachter ausgeschlossen war. Doch will ich es
dahingestellt sein lassen, ob nicht durch die Sug¬
gestionsbrille betrachtet, auch da sich irgend ein
Mangel in der Beweisführung herausfinden liesse.
Doch würde dies auch, wenn man eben düfteln
will, bei jeder Heilung durch Suggestion gelingen.
Den Vorzug, welchen die Homöopathie vor der
Suggestion wie vor allen andern Heilmethoden hat,
dass hei ihrer Anwendung am Krankenbette nach
einem theoretisch bewiesenen, wie praktisch er¬
probten , von jeder Tagesmeinung unabhängigen
Grundsätze gehandelt wird, wird durch die Be¬
mängelungen des Herrn Dr. G. nicht im Geringsten
in Frage gestellt. Treues Festhalten an demselben
wird ihr endlich auch zum Siege verhelfen. Uns
mag die G.’sche Arbeit aber ein Antrieb sein, bei
Abfassung von Heilungsgeschichten, welche zur Ver¬
öffentlichung bestimmt sind, eine grössere Sorgfalt
zu verwenden.
Electrotherapeutische Studien von
Dr. A. Sperling-Berlin.
Besprochen von Dr. Weil-Berlin.
In den im Verlag von Th. Grieben (L. Fernau)
in Leipzig erschienenen Werkchen, theilt der Ver¬
fasser die im Verlaufe von vier Jahren an einem
reichlichen Materiale von Nervenkranken gemachten
Erfahrungen mit.
Verfasser sagt in der Vorrede: Der Kern dieses
Fundamentes wird gebildet von der Thatsache, dass
ein galvanischer Strom von 0,5 Milliampere auf
eine Electrodenfläche von 50 cm 2 vertheilt, also
0 5 i
von einer Stromdichte von = zttt,z eine unzweifel-
50 100
hafte therapeutische Wirkung auf krankhafte Zu¬
stände des Nervensystems ausübt, und zwar in so
günstigem Sinne, dass sich auf diese Thatsache
eine neue Methode der Electrotherapie begrün¬
den lässt.
Während man bisher mit sogen, schwachen,
raässig starken und starken Strömen, mit 5, 10,
15 u. s. w. Elementen opcrirte, hat Verfasser sich
das grosse Verdienst erworben, diese unbestimmten
und gänzlich unzuverlässigen Angaben durch be¬
stimmte Werthe zu ersetzen, d. h. den dem mensch¬
lichen Körper mitzutheilenden Strom genau nach
Volts und Milliamperes abzumessen.
Eben so wenig wie man einen Patienten unbe¬
stimmte Dosen eines Arzneimittels verordnet, eben
so gut muss man ihm genau bestimmte Dosen des
electrischen Agens einverleiben, wenn man nicht
willkürliche Versuche und werthlose Experimente
machen will.
Sehr richtig sagt Verfasser: Wahrlich — ein
jeder Koloss von Dynamo-Maschine oder Electro-
motor wird in dieser Beziehung besser behandelt,
wie der menschliche Körper, und doch dürfte die
Digitized by
184
Behauptung, dass die bestconstruirte Maschine
auch nicht annähernd diesem wunderbaren Bau
gleichkommt, den man menschlichen Organismus
nennt, nirgends auf entschiedenen Widerspruch
stossen. —
Dr. Sperling ist der erste Forscher auf dem
Gebiete der Electrotherapie, welcher auf die schäd¬
lichen Wirkungen der Electrisation auf den
Menschen durch Ströme von 1—20 und mehr
Milliampere hingewiesen und zum eingehenden
Studium gemacht hat. Jahrelange Misserfolge mit
Strömen von 1—20 M.-A. haben ihm die Ueber-
zeugung beigebracht, dass die Anwendungen von
Strömen von 0,5 M.-A. und darunter, mit wenigen
Ausnahmen, die besten therapeutischen Erfolge er¬
zielen lassen.
Auch auf dem Gebiete der Electro.tberapie, wie
auf dem Gebiete der Arzneimittel-Verordnung bat
da9 unselige „Zuviel“ unendlichen Schaden ange-
richtet und gerade wir homöopathischen Aerzte
müssen es als einen Fortschritt begrüssen, dass
der Verfasser den Beweis liefert, dass mit mini¬
malen so zu sagen homöopathisch dosirten Strömen
ganz eminente Heilungen erzielt werden, welche
mit den groben Eingriffen vieler sogen. Electro-
therapeutiker nie erreicht wurden, durch welche
im Gegentheil den Kranken recht oft erheblich ge¬
schadet wurde.
Es ist ein sehr erfreuliches Zeichen der Zeit,
dass verständige Aerzte den Wirkungen minimaler
Heilagentien ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden be¬
ginnen. Wie Hugo Schulz in Greifswald, ein For¬
scher auf arzneilichem Gebiet, in diese Bahnen ein¬
lenkt, so ist Dr. Sperling’s Arbeit in der Electro¬
therapie Epoche machend und eröffnet neue
Gesichtspunkte, welche das so stiefmütterlich an¬
gebaute Gebiet der Therapie erweitert und leistungs¬
fähiger macht. Auch hier wird das Gesetz bestätigt,
dass nicht das „Viele*, sondern das „Richtige“ in
kleiner Gabe tuto, cito und jucunde heilt.
Eine fernere Beobachtung, welche uns homöop.
Aerzten bekannt und sympathisch ist, hat Verfasser
ebenfalls bei seinen electrotherapeutischen Beobach¬
tungen gemacht, nämlich, dass auch in der zu
häufigen Wiederholung der Anwendung electrischer
Behandlung ein Fehler liegt, dass jede electrische
Behandlung für mehrere Tage zu unterbrechen ist,
sobald eine andauernde Verschlimmerung des Lei¬
dens eingetreten ist. Als Ziel schwebt ihm vor
Augen, die einzelnen Electrisationen in Bezug auf
Wiederholung, Dauer und Intensität derartig ein¬
zurichten, dass keinesfalls und nie damit geschadet
werde.
Es ist dieses die bekannte Frage in der Homöo¬
pathie über Eist- und Nachwirkung der Arzneien.
Dass man auch als homöopathischer Arzt noch
öfter fehlt in der zu häufigen oder schnellen Auf¬
einanderfolge der Gaben, wird wohl niemand in
Abrede stellen. Verfasser theilt die Reaction des
Organismus gegen einen electrischen Strom in die
erste und zweite Reaction und hat durch vielfache
Beobachtung festgestellt, dass dieselbe auch bei
0 5
minimalen Strömen von und darunter vorhanden
50
und nachweisbar ist. Das nähere mag man im
Original nachlesen.
* Nach Mittheilung einer Anzahl Heilungen und
einer Beschreibung der eigens zu diesem Zweck
construirten Apparate, welche ihm ermöglichen in
gewissen Fällen von 0,5 M.-A. bis zu 0,4 und 0,25
0 25 05
herunterzugehen (Stromdichte ’ - bis ’ n ), bringt
50 50
er noch eine Anzahl von Krankengeschichten und
deren Heilungen aus dem Gebiete der Neurosen.
Er theilt dieselben in 4 Gruppen und zwar
umfasst die
I. Gruppe: Neuralgien,
II. Gruppe: Motorische Störungen,
III. Gruppe: Beschäftigungs-Neurosen,
IV. Gruppe: Magen-Neurosen.
Letztere sind in Bezug auf ihre Heilungen interes¬
sant und muss ich auf das Werk selbst verweisen,
da es zu weit führen würde, Einzelheiten wieder¬
zugeben.
Verfasser betont, dass ein strenges Individuali¬
smen eines jeden Falles auch bei der electrischen
Behandlung unumgänglich nothwendig ist und die
verschiedenstenStromstärken zur Anwendung kommen
können. Die Dauer der Sitzungen wurde durch¬
schnittlich auf 1—2 Minuten, selten auf 3 Minuten
ausgedehnt.
Jeder einsichtsvolle Arzt, der nicht blind auf
die Worte der medicinischen Päpste schwört, der
sich nicht in die grobmaterialistischen Anschauungen
der herrschenden Schule verrannt hat, der eine
Ahnung von der überaus grossen Reactionsfähigkeit
des menschlichen Organismus hat, wird in Dr. Sperlings
verdienstvoller Arbeit einen neuen Beweis dafür er¬
blicken, dass die Homöopathie Recht hat, wenn sie
mit kleinen dem individuellen Falle angepassten
Arzneigaben das Heilbare zu heilen sucht und das
„Nicht schaden“ als Grundregel für alle therapeu¬
tischen Eingriffe aufstellt.
Jedem Arzte, besonders demjenigen, welchen
die vielfachen Nichterfolge der starken electrischen
Ströme bekannt sind, welche bei vielen Aerzten die
Electrotherapie in Misskredit gebracht haben, wird
das Lesen der Electrotherapeutischen Studien ein
grosses Interesse abgewinnen, und ich empfehle hier¬
mit das Werk besonders den homöopathischen Col-
legen auf das wärmste.
Digitized by LjOOQle
155
Ans der Praxis amerikanischer
Collegen.
Von Dr. Heilte Hamburg.
I.
Frl. C. M., 20 Jahre alt; Gesicht und Lippen
auffallend blass, die Haut im Gesicht hat ein merk¬
würdig schmutziges Aussehen.
Sie ist krank und arbeitsunfähig seit 2 Jahren
Die Krankheit begann im Magen und ergriff allmäh¬
lich den ganzen Körper.
Die Patientin hat Chinin, Eisen und Whisky
zwei Jahre lang genommen, wurde aber dabei täg¬
lich schwächer. Als sie in die Sprechstunde ge¬
bracht wurde, war sie so erschöpft, dass sie sich
niederlegen musste, dabei Herzklopfen und Athem-
noth.
Die Kranke musste jahrelang zu ihrer Arbeit
in einer Baumwollenfabrik acht kleine Treppen
steigen, was sie bis vor 2 Jahmn ohne Ermüdung
konnte. Seit dieser Zeit aber bekam sie, wenn sie
versuchte zu steigen, solche Mattigkeit und so hef¬
tige Anfälle von Herzklopfen, dass sie ihre Arbeit
aufgeben musste.
Ihre Hauptklage ausser Herzklopfen und Schwäche
ist ein Gefühl von Schwäche und Hinsein in der
Herzgrube, besonders in den Vormittagsstunden.
Dieses Gefühl ist für kurze Zeit gebessert durch
Whisky, den sie täglich nahm, zu anderen Tages¬
zeiten auch wohl durch Essen.
Appetit schlecht, Verlangen nach Saurem; Stuhl¬
gang durch Abführmittel. Durst mit Verlangen
nach Säuerlichem.
Die Regel immer zu spät, setzt oft 5 Monate
aus; die erste Regel im 14. Jahre. Immer Schmer¬
zen, wenn die Regelzeit kam, mit wundmachendem
Weissfluss mehrere Tage lang. Wenn wirklich die
Regel eintrat, hatte die Kranke einen dumpfen,
heftigen Schmerz durch das ganze Becken, Hüft-
und Kreuzbeingegend, mit einem Gefühle, als ob
der Inhalt des Leibes herausfallen wollte, besonders
im Stehen; Uebelkeit und Erbrechen dabei drei
Tage lang.
Die Kreuzschmerzen und die Empfindung des
Herausfallens der inneren Theile bleiben eine Woche
vor und nach der Regel, während in der übrigen
Zeit kein Schmerz im Leibe vorhanden ist. Wäh¬
rend der Regel klopfender Schmerz im Scheitel.
Zwei Tage vor der Regel schwollen die Füssen.
Das Blut der Menses ist farblos und wässerig.
Schlaf meist gut, oft gestört durch Waden-
krftmpfe. Sie schläft mit den Händen Uber dem
Kopfe, erwacht Morgens müde und erschöpft, fühlt
sich matt und verdrossen des Vormittags, besser
gegen Abend. Verlangen nach frischer Luft.
Als ganz kleines Kind hatte sie starken Aus¬
schlag auf Kopf und Gesicht, der durch Schwefel¬
oder sonstige Salben verschwand, im vierten und
fünften Lebensjahr eine grosse Menge Furunkel.
Nachdem ich mehrere Mittel verglichen, beschloss
ich, die Behandlung mit Sulfur zu beginnen, glaubte
aber sicher, dass ein so tief psorischer Fall eine
vielleicht längere Aufeinanderfolge gut gewählter
Arzneien nöthig habe. In dieser Annahme wurde
ich angenehm enttäuscht
Am 7. Sept. erhielt die Kranke eine Dosis Sul¬
fur Hochpotenz in vier Esslöffeln zu lösen und
Morgens und Abends einen Esslöffel zu nehmen.
21. Sept Fühlt sich im Allgemeinen viel besser.
Die Menses waren nicht da, aber eine Woche nach
ihrem Besuche in der Sprechstunde alle Vorboten
derselben, begleitet von etwas, aber nicht scharfem
Weissfluss.
Des Morgens frischer: keine Wadenkrämpfe; der
Durst ist verschwunden.
Die Patientin ist sehr belästigt durch eine rauhe
Acne im Gesicht und juckende Knötchen über den
ganzen Rücken. Scheinarznei.
19. Oct. Die Besserung geht voran. Kein Weiss¬
fluss, keine Regel, nur zuweilen das Gefühl, als ob
sie kommen könnte. Mehr Ausschlag auf Gesicht,
Schultern und Rücken. Grosse, tief gehende, sehr
schmerzhafte geschwürige Stellen im Munde und
an der Zunge. Die Patientin kann ihre Treppen
wieder leicht steigen und hat ihre Arbeit wieder
aufgenommen. Scheinarznei.
16. Nov. Stetige Besserung; kann so gut ar¬
beiten wie jemals. Viel mehr Farbe der Lippen
und des Gesichts. Der Ausschlag und zugleich
die schmutzige Farbe der Haut sind verschwunden.
Keine Geschwüre.
Die Regel ist am 20. Oct. ei schienen, zum ersten
Mal in ihrem Lehen ohne Schmerzen und Uebelkeit.
Das Blut gut gefärbt. Scheinarznei.
3. Dec. Am 23. Tage ist die Regel erschienen
ohne Schmerzen und Uebelkeit.
15. Jan. Die Patientin hatte Weihnachten die
Influenza mit Frostigkeit und heftigen Rücken- und
Kopfschmerzen. Arznei wurde nicht genommen aus
Furcht vor den Aerzten.
Die Regel erschien nach 35 Tagen, spärlich,
gut gefärbt, schmerzlos. Die Patientin fühlt sich
noch matt von der Influenza und viel besser im
Freien. Pulsatilla eine Gabe Hochpotenz.
5. Juni. Die Patientin hat sich sehr wohl ge¬
fühlt, sie hat rosige Wangen und ist ein Bild der
Gesundheit.
Die Regel kam regelmässig und schmerzlos im
Februar, März, April und Mai. Ein Gefühl des
Wohlbefindens wie nie zuvor.
Dr. Wesselhoeft in Boston beschreibt diesen Fall
von Amenorrhoe mit Anaemie.
(Wie in allen von ihm beschriebenen Krankheits¬
fällen, so zeichnet sich auch im obigen Dr. Wessel-
Digitized by Google
136
hoeft aus durch eine sehr eingehende Anamnese,
eine durchaus exacte Mittelwahl und Auswirkenlassen
der gut gewählten Arzneien. Das tief gehende
Leiden wurde durch 2 Gaben beseitigt, wobei noch
zweifelhaft, ob Pulsatilla ohne die hinzugetretene In¬
fluenza nöthig gewesen wäre. Ä)
II. r
Dr. Sberbino von Abilene, Texas, beschreibt die
folgenden 4 Fälle.
Ich wurde Nachts gerufen zu einer Frau wegen
Abortus im 5. Monat. Nach Geburt des Foetus
versuchte ich die Nachgeburt zu holen, was nicht
gelang, auch in den nächsten Tagen nicht. Dann
wurde ich in einer Nacht wieder gerufen wegen
starker Blatung. Wehen waren aufgetreten, ich
konnte die Nachgeburt fühlen, aber nicht holen.
Heilrothes Blut, welches der Kranken heiss vorkam,
ging bei jeder Wehe stromweise ab; die Symptome
sprachen für Belladonna und ich gab ein Pulver
Hochpotenz hiervon. Hierauf wurden die Wehen
kräftiger; das Bild änderte sich, indem Uebelkeit
und Erbrechen von hellrothem Blut hinzukam. Ich
gab Ipec. und wenige Minuten nachher kam die
Nachgeburt.
Der Blutverlust war sehr stark gewesen; es
traten ein Todtenblässe des Gesichts, Sausen in den
Ohren, Ohnmacht, Verschwinden des Pulses. Ich
legte die Frau flach und gab China, ausserdem Hess
ich warme Tücher auf die Herzgegend und die
kalten Extremitäten legen. Dieser Fall zeigte, wie
schnell in einer halben Stunde die Symptome und
die Mittel wechseln können.
III.
Frau E., schlank und zierlich gebaut, Hess mich
rufen, da die Wehen ihrer ersten Geburt begonnen
hatten und abnorme Erscheinungen aufgetreten
waren. Als ich binkam, war das Zimmer kalt, kein
Feuer im Ofen, und sie wollte auch keins; Hände,
Füsse, GHeder und Scheide waren kalt und doch
woUte sie nicht zugedeckt sein. Ich gab ihr Secale
ein Dosis Hochpotenz; bald darauf wurde der Kör¬
per wärmer und sie konnte es jetzt vertragen, dass
Feuer angezündet und Wärme an ihren Körper ge¬
bracht wurde. Die Geburt verHef sodann normal.
IV.
Frl. S., 15 Jahre alt, hellhaarig, kam zu mir
aus dem südlichen Texas wegen Beschwerden bei
der Regel. In ihrer FamiHe stand gutes Essen und
Trinken oben an. Ich fand regelmässig folgende
Symptome: Schmerzen durch die ganze Becken¬
gegend, der Magen gewöhnHch in Unordnung, viel
Aufstossen mit etwas Erleichterung.
Sehr viel Drang zum Wasserlassen, sehr oft
Drang zum Stuhl, aber ohne Erfolg, zu gleicher
Zeit Schmerzen schiessend und schneidend hinauf
in den Mastdarm.
Ich wurde immer gerufen, wenn die Schmerzen
ansetzten und fand stets Nux vom. indicirt. Ich
gab es in Hocbpotenz und erzielte vollständige
Heilung, brauchte aber längere Zeit, nach meiner
Meinung wegen der üppigen Lebensweise der Pa¬
tientin.
V.
Ein zwei Tage altes Kind bekam Darmblutung
von dunklem Blut. Als ich gerufen wurde, war
die Blutung viermal aufgetreten; ebenso oft wieder¬
holte sie sich in der nächsten Nacht trotz meiner
Gabe arsen und das Ganze zeigte ein bedenkHches
Aussehen. Während ich das Kind betrachtete, be¬
merkte ich bei ihm Uebelkeit und Erbrechen und
dies brachte mich auf ipec. Nach einer Gabe dieses
Mittels kam weder Erbrechen noch Blutung wieder.
VI.
Dr. Haynes in Indianopohs berichtet in der
Januarnummer 1892 der Med. Adv. vier Fälle von
ipec bei Uterusblutungen.
Frau T., 22 Jahre alt, mit blauen Augen,
braunem Haar, kleiner Statur, verheirathet, Mutter
eines Kindes von 2 V 2 Jahren, hatte einen Abortus
vor einem Jahre, von dem sie sich unter allopathi¬
scher Behandlung sehr langsam erholte. Sie wurde
plötzlich, während sie in anscheinendem Wohl¬
befinden mit einer kleinen Näharbeit beschäftigt
war, von einer starken Gebärmutterblutung befallen.
Man legte sie aufs Bett und schickte nach mir.
Als ich kam, war sie schon zweimal ohnmächtig
geworden; ich fand sie pulslos mit blutleerem Ge¬
sicht und so erschöpft, dass sie nicht sprechen
konnte. Betreffs Information musste ich mich an
die Umgebung halten und auch von dieser bekam
ich wenig Auskunft.
Das Blut war durch Kleider und Bett gedrungen
und sammelte sich in einer grossen Lache auf dem
Fussboden. Das Blut floss sehr schnell, ein breiter
Strom ergoss sich vom Uterus und war schnelle
Hilfe nöthig, wenn nicht in kurzer Zeit der Tod
eintreten sollte.
Das Blut war hellroth, rein arteriell; die Beine
waren mit kaltem Schweiss bedeckt, die Hände kalt
und feucht, der Leib heiss und feucht. Das Blut
kam gussweise und coagulirte nicht. Alle Symp¬
tome, die ich sammeln konnte, deuteten auf ipec.;
eine kleine Gabe des Mittels wurde aufgelöst in
einem halben Glas Wasser und theelöffelweise ge¬
geben.
Das Mittel wirkte zauberhaft, denn in weniger
als einer Minute war eine Wendung zum Besseren
eingetreten. Nach 15 Minuten wurde der zweite
Theelöffel gegeben und die Blutung stand. Ich
Digitized by v^ooQie
117
wartete noch eine Stande ab, ob sie nicht wieder
kam, hinierliess dann Scheinarznei mit der Weisung
mich sofort za holen, wenn die Blutung sich wieder
zeigen sollte. Zwei Tage noch zeigte sich Ausfluss
aus der Scheide.
Die Patientin war sehr schwach nach dem ausser*
ordentlichen Blutverluste, erholte sich aber gut unter
einigen Gaben China in Hochpotenz, stand nach acht
Tagen auf und konnte nach 14 Tagen bereits in
die Stadt kommen.
VII.
Frau L., 31 Jahre alt, blauäugig, braunhaarig,
inittelgross, von lebhaftem Temperament, bekam
plötzlich eine heftige Uterusblutung; das Blut sah
hellroth aus, wie arterielles Blut, kam gussweise,
war flüssig, ohne zu coaguliren; ein schweres, be¬
klemmendes Geföhl über dem Unterleib, heftige
Kreuzschmerzen, Klopfen im Kopfe, bei Bewegung
Erscheinungen vor den Augen, Uebelkeit, welche
aus dem Magen zu kommen schien; Zunge weiss;
etwas Durst; sehr niedergeschlagen, weil sie fürchtet,
sie blutet sich zu Tode; Hände und Füsse mit
kaltem Sch weiss bedeckt; Frostschauder bei Be¬
wegung und Aufdecken der Kleidung. Die Patientin
war vordem ganz wohl gewesen und konnte keinen
Grund angeben für diese Attacke. Ipec. in wässeriger
Lösung, alle Vz Stunde ein Theelöffel, beseitigte in
einer Stunde den heftigen Biutfluss; eine leichte
Nachblutung stand am nächsten Morgen.
VIII.
Frau K., 28 Jahre alt, blauäugig, braunhaarig,
gross und mager ; von sehr lebhaftem Temperament,
zu Zeiten ohne Ursache sehr niedergeschlagen,
Mutter eines siebenjährigen Kindes, ohne Verdacht
einer Schwangerschaft, bekam plötzlich Uterus¬
blutung; das Blut, hellroth, mit Geruch von frischem
Blut, coagulirend beim Kaltwerden, kam in Güssen.
Heftiger Schmerz im Unterleib; der Leib heis6
anzufühlen mit warmem Schweiss, Hände und Füsse
kalt und feucht; Wasserlassen oft, jedesmal wenig;
Uebelkeit; klopfendes Kopfweh, schlimmer in der
Stirn; blasses, blutleeres Gesicht, weisse Zunge;
etwas Durst; Wundgefühl in der Kehle, etwas Husten;
Mund pappig-klebrig, zäher Schleim in der Luft¬
röhre; Schmerzen in der ganzen Brust; kein Appe¬
tit; Blähungsanhäufung; schmerzhafte Schwere in
der Uterusgegend. Die Kranke war ruhelos (Blut
schlimmer bei Bewegung), sehr niedergeschlagen,
glaubte nicht mehr besser zu werden.
Ipecac. Hochpotenz in wässeriger Lösung, alle
Stunde ein Theelöffel. Nach dem dritten Theelöffel
war die Blutung so gering geworden, dass die
Arznei ausgesetzt wurde. Eine leichte Absonderung
blieb noch zwei Tage.
IX.
Frau B., 24 Jahre alt, mit dunklen Haaren und
Augen, Mutter eines zweijährigen Mädchens, melan¬
cholisch veranlagt, bekam plötzlich eine Uterus-
blutnng; Blut hellroth, kommt schussweise; Uebel¬
keit mit Würgen; Gesicht blutleer; Puls 120, klein;
Hände und Füsse kalt und feucht, Leib heiss; Ge-
fäss mit klebrigem Schweiss bedeckt; Kopfweh mit
Uebelkeit; heftiger Kreuzschmerz, schlimmer durch
Bewegung; wundes Gefühl in der Brust; krampf¬
hafte Hustenanfäile, welche die Blutung vermehrten;
heftiger Druck durch den Unterleib; vor jedem
Schuss Blut heftiges Kneipen in der Gebärmutter¬
gegend; sehr niedergeschlagen; weiss, dass sie sich
zu Tode blutet; hält es für am Besten, wenn sie
sich ruhig verhält, kann aber nioht ruhig bleiben.
Die Bewegung vermehrt die Blutung, bringt wieder
einen Schuss Blut und das macht sie noch un¬
ruhiger. #
Ipec. in wässeriger Lösung, stündlich ein Thee¬
löffel, beseitigte die aktive Blutung nach 4 Stunden.
Eine leichte Absonderung blieb noch drei Tage.
Eine grosse Menge Arzneien, fügte Dr. Haynes
hinzu, haben Blutungen hellrothen Blutes vom Uterus,
aber ipec. hat seine charakteristischen Zeichen. Was
ich besonders hier hervorheben will, ist das eigen¬
tümliche schussweise Kommen des Blutes, am
meisten damit zu vergleichen, wenn Einer an der
Pumpe steht und den Schwengel kräftig handhabt;
der Blutstrom hört nie auf, aber nach jeder Zu¬
sammenziehung des Herzens kommt ein besonders
starker Schuss: eine Eigenthümlichkeit, die, soviel
ich weiss, keiner anderen Arznei zukommt. Ferner
coagulirt das Blut nicht leicht.
Therapeutischer Unterschied
zwischen Calcarea sulphurata oder Hepar sulphuris
calcareum , Kalkschwefelleber und Sulphur.
Von Br. H. Goullon.
Schon aus dem Umstand, dass die durch Glüh¬
hitze aus gleichenTheilen Austerschalen und Schwefel¬
blumen dargestellte Schwefelleber vielfach ganz
anders wirkt, als reiner Schwefel, aber auch anders
als reiner Kalk, hätte man sich vor dem Irrthum
bewahren können, als ob der Schwefel ein nahezu
indifferenter Körper sei, wie Nothnagel und Ross¬
bach behaupten. Ihnen ist freilich auch Hepar
sulphuris entbehrlich; sie kennen nur die Ver¬
bindung von Kaliumpolysulphiden und schwefel¬
and unterschwefeligsaurem Kalium, welches Gemisch
ihr Hepar sulphuris darstellt. Was Wunder, wenn
sie darüber wegwerfend urtheilen und es zum inneren
Gebrauch für völlig überflüssig halten: „Es giebt
18
Digitized by ooQie
158
keinen Zustand, auf den es einen ausgesprochenen
Einfluss ausübte oder vor anderen weniger geführt
liehen Mitteln (wegen der möglichen Schwefel Wasser¬
stoff-Vergiftung 1) einen Vorzug hätte.* Welch eine
traurige Resignation, und wie mitleidig muss man
herabblicken auf solche Koryphäen der pharma-
kodynamischen Wissenschaft!
Welche Legion von Krankbeitszuständen heilt
dagegen die im Besitz der Hahnemann’schen Kalk*
schwefelieber befindliche Homöopathie. Dasselbe
gilt vom Präparat des reinen Schwefels in allen mög¬
lichen Stärkegraden (Potenzen), während wiederum
obige Autoren ihm den Garaus machen möchten.
Denn nach ihrer man darf hier wohl sagen laien¬
haften Ansicht sind die einzig sicher constatirten
Wirkungen auf — den Darm gerichtet. „Es treten
Leibschmerzen, vermehrte Darmbewegungen, weiche,
breiige Stuhlentleerungen auf.“ Voilä tout! Und
während uns in den cofiplicirten Krankheitsfällen,
welche sich durch chronischen Verlauf und anfäng¬
liche Unzugänglichkeit für indicirt erscheinende Arz¬
neien charakterisiren, Schwefel die ausgezeichnetsten
Dienste leistet durch Anregung der allgemeinen
Reaction, durch Beschleunigung von Krisen auf
Haut und Schleimhaut, versteigen sich Rossbach—
Nothnagel zu der wahrhaft entsetzlich klingenden
Behauptung:
„Eine All gemein Wirkung des Schwefels können
höchstens die kleinen Schwefelwasserstoffmengen
sein “
Welch ein Abgrund von Unwissenheit! Sehen
wir uns jetzt Schwefel und Schwefelleber auf ihre
Unterschiede am Krankenbett näher an.
Wir sind gewohnt, Hepar da zu geben, wo
Eiterungen bevorstehen, deren Eintritt zu verhüten
oder (nach Art der Silicea-Verwendung) zu regu-
liren. Von Sulphur wird Niemand ein Gleiches er¬
warten. Daher nur Hepar eine Rolle spielt gegen¬
über von Panaritien, vereiternden Drüsen, Augen-
blennorrhöen, perforativen Mittelohrkatarrh, Gonorr¬
höen und Katarrhen überhaupt in vorgeschrittenem
Stadium. Besonders aber erfreut sich Hepar eines
guten Rufes beim Pseudocroup und im Beginn
wirklichen Croups. Und es ist nicht zu leugnen,
dass er hier entscheidend eingreift, ohne damit die
Bedeutung von den Hepar nahestehenden Mitteln
Spongia, Jod und Brom zu unterschätzen.
So ist mir ein Fall unvergesslich, in welchem
der bisherige allopathische Helfer für den nächsten
Besuch die Tracheotomie in gewisse Aussicht ge¬
stellt hatte, und wo Hepar sulph. calc. die erste
Wendung zu bleibender Besserung und schliesslicher
Genesung herbeiführte. Das etwa fünt Jahre alte
Mädchen war durch und durch skrophulös. — Sul¬
phur aber wird Niemand, d. h. kein homöopathischer
Arzt ein Croup-Mittel nennen wollen.
Der Neigung zur Gerstenkorn-Bildung, sicher
auch ein charakteristischer Ausdruck der Skrophu-
lose, beugt man vor durch Hepar, weniger bekannt
ist diese prophylaktische Kur beim Erysipelas habi-
tuale, aber Altschul gedenkt dieser Indikation,
während wiederum diese klinische Eigenschaft dem
Schwefel per se abgeht. In dieser Beziehung (gilt
auch von der Hordeolosis) concurrirt vielmehr nur
noch Graphites.
Wir kommen hier noch auf eine seltenere Hepar-
Indication zu sprechen, welche einen warmen Für¬
sprecher in einer namhaften Autorität hat, der man
nicht zu widersprechen wagt. Hahnemann selbst
nämlich ist es, der empfiehlt, beim bohrenden Kopf¬
schmerz mit periodischem Charakter (kehrt alle
Morgen wieder) Hepar zu geben. Nun ist zwar
auch Sulphur ein Mittel, welches in Neuralgieen, wenn
auch nicht oft, Verwendung finden kann, aber doch
gegen diese specielle Art Kopfschmerz schwerlich
sich hilfreich erweisen würde. Migräne nach Miss¬
brauch von Mercur ist ebenfalls entschieden mehr
specifisches Correlat für Hepar, als für Sulphur.
Beim sogen, freiwilligem Hinken, also der in
Eiterung übergehenden Coxitis oder Hüftgelenkent¬
zündung, wie sie jugendliche (skrophulöse) Individuen
zu befallen pflegt, ist zwar anfangs mit Rhus viel
auszurichten, später aber kommt (neben Silicea)
Hepar an die Reihe und existirt namentlich ein von
Villers sen. ausführlich mitgetheilter Fall von Hei¬
lung. Sulphur würde hier höchstens den Werth eines
geeigneten Zwischenmittels beanspruchen dürfen.
Fragen wir jetzt, was hat Sulphur vor Hepar
sulphuris voraus, welche feineren oder gröberen
therapeutischen Unterschiede bestehen zu Gunsten
des ersteren?
Packt Hepar mehr das Schleimhautsystem mit
seiner Neigung zu purulenten und seropurulenten
Ausscheidungen, so erscheint für Sulphur das Ober¬
hautsystem als wahre Domäne. Es braucht nicht
immer dabei das Wort Krätze oder Psora zu fallen,
allein thatsäcblich sind die Krätze- und Krätzähn-
lichen Exantheme die zugänglichsten. Von Hepar
hört man dagegen nicht, dass es solche im Bett,
d. i. in der Wärme schlimmer werdende, durch
heftiges Jucken sich auszeichnende Ausschläge ge¬
heilt hätte. Auch kommt ihm nicht die gewaltige
centrifugale Kraft zu, mit der der Schwefel kranke,
innere Organe zu entlasten und den Process auf
das Hautorgan ab- und überzuleiten versteht.
Wer wollte ferner auch nur annähernd Kalk-
Schwefel und Schwefel auf ein therapeutisches
Niveau stellen gegenüber dem Heer von Erkrank¬
ungen, welche auf Stauung im Pfortadersystem zu¬
rückzuführen sind? Hämorrhoiden und Schwefel
sind so unzertrennlich wie Chinin und Wechselfieber.
(Beiläufig bemerkt ist Sulphur selbst Wechselfieber¬
mittel, nämlich da, wo gleichzeitig profuse Schweisse
bestehen.) — Griesselich will Sulphur bei der
Digitized by v^ooQie
1S9
Hypochondrie und Hysterie mit venösen Stasen an¬
gewendet wissen.
Wo liest man Aehnliches von Hepar? Es scheint
vielmehr, als ob das chemische Gemisch von Kalk
plus Schwefel ein Verlorengehen der therapeutischen
Eigenschatten des letzteren zur Leber involvire.
Vielleicht darf man gerade an dieser Stelle am
passendsten anknüpfen, den weiteren Vorzug des
Schwefels gegen Magenaffectionen hervorzubeben.
Denn auch diese sind oft auf „ Stockungen im
Pfortadersystem“ zurückzufahren. Also Hepar ist
weder (wie Sulphur) specifisch beim Vomitus chro¬
nicus, wo alles Genossene wieder erbrochen wird
noch bei dem chronischen Magenkrampf mit
Dyspepsie.
Souverän bleibt übrigens Sulphur im Allgemeinen
bei den auf sitzende Lebensweise zurück führbaren
somatischen Störungen, ja man darf hinzufügen auch
bei den somatisch-physischen Affectionen. Er geht
Hand in Hand mit Nux vomica. Von einem solchen
complementären Verhältniss zwischen Hepar und
Nux ist mir nichts bekannt.
Man mag es unwissenschaftlich nennen, aber
zum Heil der Kranken entspricht dieser Empirie
der Erfolg, ich leite nicht selten die Cur da mit
Sulphur ein, wo ich höre, dass der Patient dem
Lehrerstand angehört, möge es sich auch in den
verschiedenenErkrankungsfällen um scheinbar hetero¬
gene Zustände handeln, das Moment der sitzenden
Lebensweise oder „Stockung“, venösen Stauung ist
für mich respective für die Darreichung von Schwefel
inaassgebend. Von Nux gilt dies in dem Umfange
wenigstens nicht und von Hepar eben gar nicht.
Wird man ferner Hepar geben, habituelle Hart¬
leibigkeit zu beheben? Schwerlich. Sulphur aber
ist und bleibt dafür ein gutes Mittel, höchstens
wird man bei Hepar das Symptom der Obstruction
als eine Indication mehr ansehen, da wo es über¬
haupt nicht hinpasste. Von Interesse dürfte dabei
sein, folgende Reflexion anzustellen. Calcarea wird
bekanntlich mehr bei Weichleibigkeit gegeben —
man denke nur an seine notorische Hilfe bei den
gefürchteten Zahn-Diarrhöen der Kinder — Sulphur
allein aber fördert entschieden den Stuhl, ist sogar
im Sinne der traditionellen Medicin oin Laxanz, als
welches es selbst auch bei Rossbach-Nothnagel an¬
geführt. wird. Nun geht also diese Eigenschaft auf
Kalk - Schwefel nicht über, während anderer¬
seits in gewissen Fällen die Schwefelkraft prävalirt,
so z. B. bei der Tinea capitis, dem nässen¬
den Kopfgrind, oder in manchen Respirationskrank¬
heiten: „bei trockenem Husten und Heiserkeit nach
abgelaufenen Pneumonien.“ So erinnert unwillkür¬
lich das Verhältniss an ein ähnliches in der Pflanzen¬
oder Thierwelt, wo der Bastard bald mehr vom
Vater, bald mehr von der Mutter annimmt, beim
Pfropfen das Reissig dem zukünftigen Gewächs bald
mehr seinen Charakter aufdrückt, bald in seinen
Eigentümlichkeiten überwuchert wird.
Ich schliesse mit dem Hinweis auf die wurm¬
treibende Eigenschaft des Schwefels, welche wiederum
Hepar abgeht. Offenbar aber ist es nicht die laxirende
Kraft von Sulphur, wie man denken könnte, wenn
nicht auch schon auf homöopathische Gaben der
Abgang von Würmern, selbst Bandwurm wäre beo¬
bachtet worden.
Entgegnung.
In No. 13 und 14 dieser Zeitung hat Herr *
College Katsch „meine bisherigen Erfahrungen über
Autoisopathie“ zu widerlegen und lächerlich zu
machen gesucht. Es kommt mir nicht in den Sinn,
die einzelnen Angriffe zurückzuweisen — ich müsste
dazu auch mindestens eine Doppelnummer bean¬
spruchen — und bin ich der festen Ueberzeugung,
den Herrn Collegen ebensowenig zu meiner Ansicht
zu bekehren, wie sein Artikel mich zu der seinigen
bekehrt hat Solche Fragen lassen sich schlechter¬
dings nicht auf dem Papier entscheiden und wenn
es riesweise verschrieben und gedruckt wird! Sie
lassen sich nur am Krankenbett am Kranken selbst
entscheiden!
Im Allgemeinen verweise ich den Herrn Collegen
auf unsere langen Auseinandersetzungen in einer
Laiengesellschaft, bei der er mich mit meiner Iso-
pathie lächerlich zu machen suchte; es gelang ihm
natürlich bei den meisten Anwesenden, — auch
von meiner Clientei waren dabei! — als er demon-
strirte, wie ich einen Menschen, der an Diarrhöe
leidet, mit seinem potenzirten Stuhlgang curiren
wolle!! Ich schlug ihm vor: „Kommen Sie doch
„und bringen Sie mir Schwindsuchtscandi-
„daten, Kinder mit Keuchhusten, Bronchitis,
„ich will’s Ihnen ad oculos demonstriren,
„geben 8ie mir Ihr eigenes Sputum und ich
„will Sie v.on Ihrem langwierigen Catarrh
„rasch befreien, Ihnen meine behandelten
„Fälle vorstellen und zeigen wie ich meine
„Hochpotenzen mache. 0 *) Letzteres kann ich
ja „meine eigene Methode“**) nennen! — Es wäre
schlimm, wenn Hahnemann's Potenzirongsverfahren
für alle Ewigkeiten unveränderlich bleiben sollte;
hat doch der Herr College selbst schon öfter daran
gerüttelt, und uns „Autoisopathiker“ verweist er
streng auf Hahnemann’s Vorschrift!
*) Sollte dies alles dem Gedächtniss des Herrn
Collegen entschwunden sein?! Ich kann es nicht an¬
nehmen !
*•) College K. hatte damals das von der Hahne-
mann’schen Methode Abweichende gutgeheissen, und
nur getadelt, dass ich 2—S Mal in der Woche eine
Nacht mit Potenzirungen durcharbeite!
18 *
Digitized by
Google
140
Warum der Herr College obiger Einladung bis
jetzt nicht gefolgt ist, um selbst als «sachver¬
ständiger Arzt zur Prüfung des damaligen
Lungenzustandes 11 meiner Patienten zu fungiren,
weiss ich nicht! wohnen wir doch nur Vf 2 Strassen
aus einander! «Am lebhaftesten Interesse für die
Control-Untersuchungen" kann es ihm doch nicht
gefehlt haben, denn er verlangt dieselben von uns
aus Misstrauen auf unsere Ehrlichkeit, oder
Diagnostik für alle Zukunft!
Also warum nicht? Anstatt dessen einen solch
fulminanten Artikel!!! —
Nun zur Meningitis tuberculosa der Kinder,
* dem acuten Hydrocephalus der Aelteren!
Auf diese Frage sei dem Herrn Collegen eine
directe Antwort: diese Kinderkrankheit ist eine se-
cundäre Krankheit, die primäre Tuberculose sitzt
in einer Lungenspitze, oft als winzig kleiner Grad
verborgen, wird wegen der geringen Erscheinungen
für einfachen unschuldigen Catarrh gehalten, die
Prognose günstig gestellt! — Erst die hinzutreten¬
den bekannten Gehirnerscheinungen stellen die Diag¬
nose und Prognose anders; die armen Kleinen sind
allen Mitteln zum Trotz verloren! Diese Ansicht
der Entstehung aus einem käsigen Herd hat Kafka
(nach Niemeyer) anno 1869 und pathologisch-ana¬
tomisch Prof. Buhl in München in seinen 12 Briefen
vertreten. Durch viele Sectionen in meiner 15jäh¬
rigen Praxis habe ich dies stets bestätigt gefun-
den.*) Daher mein Verlangen, in einem Sputum
ein Product aus der primären Erkrankungsstelle
zu bekommen und dieser mörderischen Krankheit
die Spitze bieten zu können. Sie ist der beste
Probirstein för die Autoisopathie! Wenn damit
erst einige, natürlich nur „durch andere sach¬
verständige Aerzte controiirten Fälle" geheilt
sein werden, dann steht die Autoisopathie selbst
ihrem grössten Feinde, dem Collegen Katsch gegen¬
über gerechtfertigt da.
Baden-Baden. Dr. med. Schwarz,
pract. Arzt
Offenes Sendschreiben an die
Redaktion.
In den Verhandlungen des Gemeinde-Rathes in
Antwerpen, abgedruckt in No. 9/10 des 124. Bandes
der Allg. Homöopath. Zeitung, sehe ich mit Staunen,
dass der Dr. Desguin die kühne Behauptung auf¬
stellt, dass man in Amerika für 100 Dollar ein
Doctor-Diplora kaufen kann. Der gute Mann scheint,
wie aus all* seinen Argumenten hervorgeht, noch
*) Die mir mündlich gemachten Einwürfe des Col¬
legen Katsch: «Was hat denn das Sputum mit der
Meiling. tub. der Kinder zu IhmT?" sinn hierdurch hin¬
fällig geworden!
sehr weit hinter unserem Zeitalter zurück zu sein.
Da unser Land noch sehr jung ist, ist es allerdings
vorgekommen, dass vor ca 20 Jahren in Philadelphia
eine Anzahl von Schwindlern, die angaben mit vom
Staate autorisirten Lehranstalten in Verbindung zu
stehen, Diplome für sogar noch billigeren Preis ver¬
kauft haben. Als der Schwindel jedoch bekannt
wurde, wurden die betreffenden Personen zur Ver¬
antwortung gezogen. Es wurde bis zu diesem Jahre
Niemandem die ärztliche Praxis gestattet, der nicht
ein Diplom einer vom Staate autorisirten Lehran¬
stalt aufzuweisen hatte. Seitdem genügt dasselbe
aber nicht einmal mehr, da im Staate New-York, sowie
in mehreren anderen Staaten der Union das ein¬
fache Doctor- Diplom nicht zur Praxis berechtigt,
sondern es wird ein Staats-Examen verlangt
Die Examinatoren dürfen nicht mit den Lehr-An¬
stalten in Verbindung stehen, werden vom Staate
ernannt und müssen unabhängige, als tüchtig be¬
kannte Aerzte sein. Gern würde ich diese Tbat-
sachen dem Dr. Desguin klar machen; da ich aber
seine Adresse nicht kenne, dachte ich, dass eine
Richtigstellung in Ihrer Zeitung die deutschen Col¬
legen, die den Desguin’schen Unsinn lesen, über
den wahren Sachverhalt amerikanischer medici-
nischer Verhältnisse aufklären würden. In den süd¬
amerikanischen Republiken sollen die Gesetze sogar
noch strenger sein. Das Staats-Examen wird übri¬
gens nur von den von jetzt ab promovirenden
Aerzten verlangt
New-York, den 15. März 1891.
Mit Hochachtung ergebenst
Dr. A. Berghaus
138 E. 65 Street.
Lesefrüchte.
Als Curiosität möge hier die dritte der Thesen
Albrecht von Grafe’s mitgetheilt sein:
Homöopathie nihil praestat nisi per naturae vim
medicatricem, per diaetam et per fidem. (Aus
„Centralbl. f. prakt Augenheilk, XV. Jahrg. 1891.
August, p. 256.)
Heber die Behandlung ohnmachtsähnlicher Zustände
mittelst der Luftdouche bemerkt Laker (Wiener
med. Presse 1891. Nr. 25) folgendes:
Die Anämie des Gehirns, die Ursache der Ohn¬
macht, ist möglichst rasch zu beseitigen. Dies ge¬
lingt meist schon durch horizontale Lagerung des
Körpers, eventuell mit tiefer hängendem Kopfe. Von
der Anwendung starker Hautreize, um auf reflec-
torischem Wege eine grössere Blutfülle des Gehirns
herbeizuführen, hält er nichts, schon deshalb, weil
bei schwindender Sinnesthätigkeit die Hautreflexe
Digitized by tjOOQle
bald aasfallen. Dagegen bleiben die Schleimhaut¬
reflexe länger erhalten (Schlaf, Chloroformnarkose).
Laker sah in einer grossen Anzahl von Ohn macht«-
anfällen die Anwendung der Luftdouche, insbesondere
nach der Methode von Kessel, von glanzendem,
durch keine der bisher bekannten Methoden er¬
reichbarem Erfolge begleitet; er empfiehlt sie auch
bei den durch Gebirnanämie bedingten Störungen
der Chlöroformnarko8e. — Die weniger bekannte
Methode der Lufteintreibung in die Tuben nach
Kessel ist folgende: Eine, hakenförmig gebogene
Metallröhre wird mit der einen Krümmung durch
den Mund hinter das Gaumensegel gebracht, wel¬
ches sich in Folge der Berührung krampfhaft an
die Röhre und an die hintere Rachenwand anschmiegt
und damit den Nasenrachenraum nach abwärts luft¬
dicht abschliesst. Während man nun durch An¬
einanderpressen der Nasenflügel den Nasenrachen¬
raum auch nach vorn abschliesst, bläst man mit
dem Munde einen kräftigen Exspirationsstrom durch
die Röhre, welcher dann in beide Tuben eindringt.
(Aus »Berliner klin. Wochenschr. 1891. Nr. 40,
p. 1003.)
lieber den therapeutischen Werth der Cannabis indica
Von Prof. C. W. Bückling, Birmingham. (Deut¬
sche Medicinal-Zeitung Nr. 74. 1891.)
Nach Verf., der seit mehreren Jahren unter vielen
Verhältnissen die heilsame Wirkung der Canna¬
bis indica kennen gelernt hat, verdient sie einen
"besseren Ruf als bisher. Nahezu als Specificum
wirkt sie bei einer Form von Geistesstörung, die
bei Frauen häufiger als bei Männern angetroffen
wird und gewönlichdurch traurige Gemüthsstimmung,
meist in Folge von Erkrankung eines nahen Ver¬
wandten und psychischem Shok, entstanden ist.
Bei dieser Affection erscheinen die Kranken ver¬
stimmt und misstrauisch und bilden sich ein, dass
Thiere sie verfolgen, oder dass irgend etwas ihnen
ein Leid zuzufügen beabsichtigt. Sie sind von inten¬
siver geistiger Verwirrung und Geistesschwäche be¬
fallen, unfähig sich zu unterhalten und bisweilen
sich anzukleiden, so dass der Zustand sich als der
einer acuten Dementia darstellt. Mehrere solche
Fälle sind in 14 Tagen geheilt worden; Dosis ge¬
wöhnlich 3 mal täglich 10 Tropfen der Tinctur in
Verbindung mit Eisen und Strychnin; doch ist soviel
sicher, dass öhne Cannabis indica die Heilung nicht
so rasch erfolgt, indem sie die geistige Störung
und Unruhe zu beseitigen scheint.
Verf. hat es ausserdem allerdings meist mit
anderen Präparaten zusammen — noch bei Melan¬
cholie und Manie, bei Chorea (wo Arsenik versagte)
sowie bei Migräne (mit und ohne Zinc. phosphoric.)
mit Erfolg angewendet. Bei letzterer Krankheit, die
wegen der Frequenz der Anfälle in mehreren Fällen
zur Berufsarbeit unfähig gemacht hatte, konnte diese
bald ‘wieder aufgenommen werden. Ferner empfiehlt
er sie bei Magengeschwür und Gastrodynie als ein
schätzbares Sedativum, die Verbindung mit Argent.
nitric. erhöht die Wirkung. Schliesslich kann es
als ein erfolgreiches Hypnotikum verwendet werden.
(Aus Internat, klin. Rundschau 1891. Nr. 39, pag.
1518.)
Zur Differentialdiagnose des Zahnschmerzes giebt
H. Baldwin (Jom. f. Zahnheilk., Nr. 7) folgende
Tabelle:
Der Einfachheit halber mögen die beiden Arten
von Schmerz als » Pulpaschmerz * und »Wurzelhaut¬
schmerz* bezeichnet werden:
Pulpaschmerz . | Wurzelhautschmerz,
Entsteht plötzlich. i Entsteht langsam.
Endet plötzlich. 1 Endet langsam.
Ist nicht continuirlich. ! Ist continuirlich,
Ist meist nicht localisirt. Ist deutlich localisirt.
Starke Neuralgie. \ Keine Neuralgie.
Der Zahn ist empfindlich Der Zahn ist unempfindlich
gegen Wechsel der Temp- 1 gegen Temperatur-
ratur. I Wechsel.
Percussion und Druck ver- ' Percussion und Druck sind
Ursachen oft keinen j äusserst schmerzhaft.
Schmerz. !
Der Zahn ist weder „ver- Der Zahn ist „verlängert“
längert“ noch lose. I und lose.
Die anliegenden Gewebe | Die anliegenden Gewebe
sind nicht entzündet, I sind entzündet, empfind-
gegen Druck über der lieh gegen Druck über
Wurzel nicht empfindlich, j derWurzel ;in chronischen
I Fällen Gewebe verdickt
Bei Anwendung dieser Tafel zur Diagnose darf
man nicht vergessen, dass die beiden Zustände der
Pulpitis und Periostitis zu gleicher Zeit in dem¬
selben Zahn oder in verschiedenen Zähnen coöxistiren
können. Dann wird die relative Wichtigkeit der
beiden Zustände durch das relative Vorherrschen
der betreffenden Symptome und mitunter auch durch
die Anamnese festzustellen sein. (Aus »Wiener
med Presse* 1891. Nr. 3(5, p. 1372)
Epidemiologische Ecke.
Von den vergangenen 14 Tagen können folgende
Mittheilungen berichtet werden:
Ide-Stettin schreibt am 9. d. Mts., dass er dort
in zunehmender Verbreitung Lachesis heilsam ge¬
funden habe bei Diphtherie und Drüsenanschwel-
lunglinks, sehr heftigen und sonst sehr hartnäckigen
Catarrhen, Anginen mit hohem Fieber, catarrha-
lischen Anginen.
Leeser-Bonn fand vorwiegend indicirt: am 8.
Natr. mur. -f- Iris, am 9. Morg. Kali oarb. -f- Iris,
Ab. Kali carb. -j- Bell., am 10. Morg. Ac. muriatic.
-f- Laches., Ab. Natr mur. Led., auch Kali carb.
-j- Laches., am 11. Früh Phospb. + Ipecac., später
Ferr. -[- Ipecac. nnd Plat. -(- Ign., am 12. Morg.
Plat. + Ign., Ab. Baryt, carb. -|- Tone., am 13.
Morg. Ac. phosph. -{- Clemat. == Puls.; am' 18.
schreibt er, dass er jetzt = Kali bichromic. habe.
Digitized by
142
Schwarz-Baden-Baden berichtet am 15., dass er
vom 7.—14. = Kali bichromic., daneben auch =
Mercnr. indicirt gefunden habe, seit dem 13. (Witte¬
rungswechsel) trete letzterer mehr hervor bei frischen
Catarrhen auch des Darmes mit häufigen blutigen
Stühlen, auch leerem Zwang und Darmschleimhaut¬
vorfall, besonders Nachts.
Kirn-Pforzheira hatte nach Bericht vom 12. viel
Kali bichromic., was bis zum 15. anhielt, auch
Baryt, carb. + Sabadil. = Argent. nitric.; ausser¬
dem am 13. öfters Nux vom. und Cimicifag.
Ich-hier hatte am 9. Morg, Ac. mur. -|- Laches.,
Ab. 6 Uhr Ac. fluorio. Tone., Ab. 10 Uhr Ac.
flaoric. -f- Bell, (diese Combination bewährte sich
in 200 00 von Marggraf in Leipzig bei den Husten¬
anfällen Schwindsüchtiger ebenso beruhigend wie
Morphium), am 10. Morg. Ac. fluoric. -f- Bell., Ab.
Baryt, carb. Bell. = Mercur., am 11. und 12.
= Mercur., am 13. Ac. mur. -j- Tone., vom 14—18.
vorwiegend = Mercur., am 16. daneben mehrere
Fälle mit Baryt, carb. -)- Sabadill, und Cup. met.
8©pia = Lil. tigrin. (?), vom 18. Ab bis 20.
vorwiegend Kali carb. -f" Bell., heute Ac. fluoric.
+ Bell.
Sigmundt - Spaichingen theilte mir am 9. mit,
dass er seit ca. 8 Tagen bei Pneumonie Natr. nitr.
3° als Epidemicum bewährt finde» während dies bei
derselben Krankheit vorher Ferr. phosph. gewesen sei.
Buob-Freudenstadt beobachtete nach Mittheilung
vom 12. mit Eintritt der östlichen Schneestürme
wieder mehr Influenza, dabei kamen besonders fol¬
gende Mittel in Betracht: vom 27. —30./III. Kreosot,
Natr. mur., Sabadill., Iris; am 29./III. Borax -J-
Lycopod.; am l./IV. Kali carb. -f- Caust., auch
Natr. mur., am 2. Jod.,Mez., Rheum; am 4. Euphrat.,
am 6. Kreosot, -f" Sabadill., Kali carb. + Cumarin.,
am 8. Kreosot, Kali carb., Sabadill., am 9 auch
Mercur., Iris, am 10. und 11. Kreosot., Natr. mur.,
Iris.
Hafa-Herrnhut berichtet unterm 20., dass er bei
Influenza noch immer Sabadill, indicirt finde mit
Secale oder Phosphor; bei Darmcatarrhen Mercur.;
bei stationären Krankheiten meist Baryt, carb. -f -
Sabin. oder Hep. sulf. calc.; bei Leberaffectionen
mehrfach Chelidon. -f- Kali carb. oder Cact. grand.
Stuttgart, den 21. April 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Kleine Mittheilungen.
Zu den verschiedenen gegen Gelenkrheumatismus
verwendeten Mitteln (Salicylsäure, Antipyrin, Anti-
febrin, Phenacetin, Salol, Salipyrin, Europhen u. a.)
ist ein neues Heilmittel hinzugekommen, das Salophen.
Dasselbe ist seiner chemischen Abstammung nach
ein Acetylparaamidophenolsalicylsäureester und soll
ein Ersatzmittel der Salicylpräparate sein. Es wird
mit ihm gehen, wie mit seinen Vorgängern, nach¬
dem es den Fabrikanten gründlich geholfen hat, er¬
scheint ein neues „Anti* auf der Bildfläche, was
man wissenschaftlichen Fortschritt nennt.
Die Berliner städtische Deputation für öffent¬
liche Gesundheitpflege hat den Antrag des Berliner
Vereins homöopathischer Aerzte auf Erbauung eines
öffentlichen homöopathischen Krankenhauses ab¬
gelehnt. (Aerztl. Central-Anz.)
Personalia.
Herr Dr. Beeskow in Eberswalde ist gestorben.
Der pharmaceutischen Zeitung entnehmen wir:
In Görlitz starb am 11. April 1892 nach langem
schweren Leiden der Stadtälteste und Stadtrath a. D.
Dr. med. Linck im 81. Lebensjahre. Er hatte sich
seit längerer Zeit der homöopathischen Heilmethode
zugewandt.
Herr Dr. med. Jacobs aus Unna hat das homöo¬
pathische Dispensirexamen bestanden.
Nachruf.
Am 21. dies. Mon. starb zu Eberswalde,
seinem Heimatlisorte, der prakt. homöopath. Arzt
Dr. med. Albert Beeskow
im 29. Lebensjahre. Nach Beendigung seiner
Studien in Leipzig und Erlangen trat er nach
Eröffnung des homöopathischen Krankenhauses
als Assistent ein und gewann durch Gediegen¬
heit. seiner Kenntnisse, durch treue Pflicht¬
erfüllung und Tüchtigkeit seines Charakters
die Achtung und Liebe seiner Vorgesetzten
und Kollegen. Nur kurze Zeit war er zu
Meiningen und Naumburg in seinem geliebten
Berufe thätig, da sich schon bald nach Beginn
seiner praktischen Thätigkeit die ersten Er¬
scheinungen einer schleichenden Tuberkulose
bemerkbar machten, deren Ausgang er als
echter Arzt mit bewundernswerthem Muthe
und klarem Auge ruhig entgegensah. Die
Kollegen verlieren in ihm einen braven Mit¬
arbeiter, die Homöopathie einen ihrer tüch¬
tigsten jüngeren Vertreter. Ein ehrendes
Andenken bei Allen, die ihn kannten, wird
ihm sicher sein. Requiescat in pace! —
Dr. med. Stifft.
Digitized by
Google
143
Rechnungsablegung.
Für das Homöopathische Krankenhaus zu Leipzig
sind bei Herrn Apotheker William Steinmetz folgende
Beiträge eingegangen:
1) für den Banfond in der Zeit vom
20./10. 1891 bis 20./4. 1892:
von Herrn Stadtrath Dr. Willmar Schwabe-
Leipzig pro 1891/92 Jahresbeitrag . M. 1000.—
von Herrn Dr. med. Weihe sen.. Herford . 300.—
M. 1300.-
2) für den Betriebsfond in der Zeit
vom 27./1. bis 20./4. a. c.:
von Herrn Wm. Merkel-Raschau, 2°/ 0 Pro¬
vision auf Bezüge von Täschner & Co.
im Jahre 1891.M. 3.10
von Herrn Sanitätsrath Dr. Schweikert-
Breslau, Mitarbeiterhonorar der Allg.
bomöopath. Ztg. pro 123. Bd.. . . „ 1.60
von Herrn Dr. med. Oberholzer-Zürich,
Jahresbeitrag pro 1891/92 . . . . „ 100.—
von Herrn Baron von Pentz auf Brandis,
Ehrenvorsitzender des Curatoriums des
Krankenhauses.. 200.—
von Herrn Dr. med. von Erdberg-Riga,
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.—
von Herrn Dr. Willmar Schwabe, an bei
ihm eingegangenen Beiträgen .... 64.25
von Herrn Dr. med. Hendrichs-Cöln a.Rh.,
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.—
M. 408.95
Uebertrag M. 408.95
von Herrn Dr. med. Lorbacher-Leipzig,
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 25.—
von Herrn Dr. med. Weber-Cöln a. Rh.,
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.—
von Herrn Professor Berlin-Hamburg,
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.—
von Herrn Dr. med. Paul Lutze-Cöthen,
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 100.—
von Ihrer Durchlaucht Prinzessin Bent-
heim-Tecklenburg-Rudolstadt, Jahres¬
beitrag pro 1891/92 .„ 12.—
von Frau Generalsuperintendent Traut¬
vetter-Rudolstadt .. 2.—
vom Berliner Verein homöopath. Aerzte,
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 300.—
von Frau Aschenberg-Barmen ..... 20.—
von Herrn Dr. med. Herrn. Fischer-
W estend-Charlottenburg, Jahresbeitrag
pro 1892 .. 1000 —
von Centralvereinsmitgliedern
57 Jahresbeiträge . 6.— „ 342.—
5 . . 10.— . 50.—
M. 2299.95
Sa. M. 3599.95
Für alle diese Gaben sagen wir unsern herz¬
lichsten Dank und bitten auch um ferneres Wohl¬
wollen und weitere Zuwendungen.
Leipzig, 20./4* 1892.
I. A.: William Steinmetz,
z. Z. Kassenverwalter.
ANZEIGEN.
Wlldbad im Wttrttemb. Schwarzwald.
iaison-Eröffnnnf am 1. Hai 1891. [St 250 4 ]
Im Mai und September ermässigte Kur- und Bädertaxe.
Neubau für Heissluft- und Dampfbäder, Schwedische Heilgymnastik und Massage.
Prospeote können von der Königl. Badverwaltung unentgeltlieh bezogen werden.
Saison
1. Mai bis
1. October.
Bad Nauheim
Tilnfft
Cassel-
Frankfurt
a M.
Kohlensäure Soolthermen mit hohem Stahlgehalt 31—35° C. zu mussirenden Sprudel-,
Strom- und Thermalbädern; gasfreie Soolbäder, Douchen, electr. Bäder. Salinische, alkal. Trink¬
quellen, Inhalationssalon, ausgedehnte Gradirwerke. Mustergiltige, durch Eröffnung eines neuen
5ten Badehauses vermehrte Badeeinrichtungen. Frequenz 9500. lndikat ausser den bekannten,
für einfache Soolbäder, feststehenden, mit Rücksicht auf Temperatur und Kohlensäure ganz be¬
sonders Rheumatismus, Herz- und Rückenmarkleiden.
Grossherzogi. Hess. Badedtrection Bad Nanhelw.
Digitized by
Google
Med. Dr. Theodor Kafka in Karlsbad
wohnt wie im vergangenen Jahre im Hause „Allnaberg“, N T 0. 385 aill Markt, knapp vor
dem Hotel Hannover.
Im Verlage der Homöopathischen Central - Apotheke von Täschner & Co. ln Leipzig
(Thomaskirchhof No. 12) erschien soeben:
Die nennte, wesentlich Temehrte nid verbesserte, mit 31 Abbildungen versehene Anflage des bewährten nid beliebte! Boches:
Dr. Hübner’s Ulustrirter
Homöopathischer Haus-Thierarzt
oder
die homöopathische Behandlung und Verhütung der Krankheiten
der Pferde, Binder, Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde, Katzen und Edelkaninehen sowie des Geflügels
und der einheimischen und ausländischen Stubenvögel.
Preis cart. 3 M., geh. 3,75 M.
Der Hübner’sehe Thierarzt giebt die gewünschte Anleitung zur Erkennung und Behandlung der Krankheiten
der H&asthiere; er belehrt den Leser bei jeder einzelnen Thierart nicht nur über die Lebensfinsserungen in gesundem
Zustande, sondern beschäftigt sich auch mit der Thierzucht und Pflege in eingehendster Weise. Er ist daher jedem
Viehbeeitzer aufs Wärmste zu empfehlen.
Hein,ohne jede
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserte/;fiomopaffiiscfier
Gesundheit-
a r-T- r - 1 - i ,
nachDrF.Katsch
FRANCK
nur äch^V/enn mit 1 SCHUTZMARKE
rpt-1 hrankenliei l bei München-Höhenluftkurort
j 0( |hait. Quelles. Indicat Frauenkrask-
helfen, Scrophulose, chron. Hautleiden, Lues. — Auskunft
<1. Dr. Letzel (im Winter in München, im Sommer in Tölz).
Wachenheimer Sect.
Prämil't Leipal« 1803: [U MM]
Ehrenpreis der Stadt Leiptlg and Goldeae Medaille.
Blau Etiqneit«. jf, 2 .—\ incL Kisten
Monopole . . . „ 2.60 va. Flaschen
Weis* Ktlqaette „ 3.—( von 11 bis
Kaiser Perle . , 4 .—) 60 Stok.
Mit 10% und 15%, Rabatt.
Hauptniederlage und Generalvertreter
Eduard Brade, Leipzig, Ritterstrasse 17.
Wiederverkauf er und Exporteure Extra-Offerten.
Herr Hofrath Dr. Groos, Homöopath, ist mit
Hinterlassung eines solbsterworbenen Vermögens
von V 2 Million in Laasphe gestorben. Ein hom.
Arzt, als tüchtiger Wundarzt und Geburtshelfer
würde mit seiner Niederlassung ohne Weiteres eine
sehr lohnende Praxis haben, da er in der ganzen
Gegend sehr entbehrt wird.
Gesucht
prakt. Arzt, Homöopath,
möglichst mit Dispensirrecht als Stellvertreter für ca
2—2 1 ,2 Monate — ab 10.—15. Mai — in einer
Grossstadt Mitteldeutschlands.
Offerten unter Chiffre K. L. an die Expedition
dieses Blattes.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrua-Stuttgart, Dr. Stifft-Leipzig und Dr. Hasdioke-Leipzig.
Expedition und Verlag von WllllaH Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Offlcin) in Leipzig.
Druck von 6resaaer k SekraM in Leipzig.
Digitized by
Google
Rand 124,
No. 19 a. 20,
Leipzig, den 12. tyai 1892.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dp. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Harggraf’s homöopath. Offtein) in Leipzig.
Bnohelnt 14ttgig su 2 Bogen. IS Doppeinammern bilden einen Bend. Preis 10 M . 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bnobhandlongen and
Postanetaltpii nehmen Beateilungen an. — Inserate, welche an £1. MONO in Ijeipsig und dessen Filialen su richten sind,
werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt: Vorläufige Einladung zu der am 9. u. 10. August zu Stuttgart stattfiudenden Generalversamm¬
lung des Homöopathischen Central vereine Deutschlands. — Die Potenzirung. Physiologisch geprüft von Prof. Dr.
G. Jaeger-Stuttgart. — Die Jagd nach neuen Mitteln, — Sulfonal, besonders In der Psychlatrik. — Psychiatrisches.
Von Dr. A. Mossa in Stuttgart. — Acute Manie mit Syphilis. — Von Dr. Mossa in Stuttgart — VIII. Jahresbericht
de« homöopathischen Hospitale in München. — Epidemiologische Ecke. — Fragekasten. — Druckfehler-Berichtigung.
Anzeigen.
Vorläufige Einladung
zu der am 9. und 10. August zu Stuttgart stattfindenden Generalversammlung
des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands.
Die Mitglieder des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands werden hierdurch zu der am
9. II« 10« August C« ZU Stuttgart stattfindenden Generalversammlung eingeladen mit dem ergebensten
Ersuchen, alle etwa beabsichtigten Anträge bis zum 1« Juli C« an das Unterzeichnete Leipziger
Directorialmitglied gelangen zu lassen, damit dieselben in der den Mitgliedern statutenmässig vier
Wochen vor der Versammlung zuznsendenden Einladung Aufnahme finden können, andernfalls würden
sie nicht zur Discussion gestellt werden können.
Ausserdem wäre es sehr erwünscht, dass die mit ihren Jahresbeiträgen noch im Rück¬
stände befindlichen Mitglieder dieselben baldigst an den Kassirer, Herrn Apotheker Steinmetz (Marg-
grafs Nachfolger), einschickten, da dem früheren Beschlüsse gemäss die Rechnungsabschlüsse bei der
Einladung an die Mitglieder mit veröffentlicht werden sollen.
Die Einzelheiten für die Versammlung werden später mitgetheilt werden.
Leipzig, im Mai 1892.
I. A.
l>r« med« A. Lorbacher.
Zusammenkunft
des Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs
Mittwoch, den 18. Mai 1802 in Stuttgart, „Gasthof zum Hecht“ von Bauh, Nachm. 4 Uhr.
Tagesordnung:
1) Laufendes.
2) Die Central-Vereinsversammlung im August.
3) Die Influenza des Jahres 1892.
Der Vorstand:
Obermedlclnalrath Br. von Sick.
19
Digitized by v^ooQle
Die Potenzirang.
Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger-
Stuttgart.
(Fortsetzung.)
Motto:
„Alle Dinge sind Gift und nichts
ohne Gift, allein die Dosis macht,
dass ein Ding kein Gift ist.“
(Paracelsus in seiner dritten Defension.
Basler Ausgabe Bd. 11, pag. 170.)
II. Einleitung.*)
Für die Arzneimittelprüfnng haben Hahnemann
und schon vor ihm A. v. Haller die Forderung
aufgestellt, dass sie in erster Linie am Gesunden
angestellt werde. Diesem Grundsatz sind auch alle
Mittelprüfer unseres Lagers gefolgt (nur beim Köchin
Hessen sich einige Uebereifrige von der Allopathie
fortreissen und schritten sofort zur Prüfung am
Kranken ). Allein diese Prüfung hat sich bisher
— soweit mir bekannt — nur mit dem Einen der
beiden Grundgesetze der Homöopathie nämlich mit
dem Aehnlichkeitsgesetz beschäftigt, das Potenzirungs •
gesetz ist dabei leer ausgegangen.
Diese ungleichmässige Behandlung der beiden
Principien hat hier auch zur Folge gehabt: a) Wäh¬
rend für die qualitative Mittelwahl dem Praktiker
die ausführlichsten Symptomenbilder einer nur zu
grossen Zahl von Mitteln zur Verfügung stehen und
bezüglich des Aehnlichkeitsgesetzes alle Homöo¬
pathen einig sind — über den Meinungsunterschied
bezüglich hon und Homoion geben wir hier hinweg
— zeigt uns die Literatur bezüglich der quantitativen
Wahl eine grosse Meinungsverschiedenheit, b) Ja
noch mehr: Weil die Potenzirung insbesondere die
hohen Potenzen, von allopathischer Seite den Haupt-
anstoss erregen, — giebt es Homöopathen, die nicht
anstehen, dieses Grundgesetz der Homöopathie preis¬
zugeben. — Diese Sachlage können keinerlei Redens•
arten , auch für sich allein keine Versuche am Kranken
ändern, sondern nur neue Tbatsachen, die durch
Versuche am Gesunden gewonnen werden müssen.
Ich kann von meinem Standpunkte aus über¬
haupt nicht begreifen, wie man über eine solche
Sache streiten kann. Das einzig richtige ist doch,
dass man die Sache nimmt und durchprobirt und
zwar an sich selbst .
Ich habe das gethan und dabei — wie der
Leser aus Folgendem sehen wird — gefunden, dass
man ebenso gut, wie es Hahnemann fertig gebracht
*) Dieser Abschnitt ist schon vor Abfassung der
Nr. I, die in Nr. 11/12 dieser Zeitung veröffentlicht
wurde, geschrieben und gesetzt worden. Ich habe aber
absichtlich nichts daran geändert. Jaeger.
hat, ohne jedes künstUche Hilfsmittel ausser allen¬
falls einer gewöhnlichen Taschenuhr sehr bald ins
Reine kommt, aber noch leichter natürHch, wenn
man sich nicht auf die Ueberwachung der inneren
Wirkungserscheinungen beschränkt, sondern das zu
Hülfe nimmt, was ich die Neuralanalyse genannt
habe.
Da ich über dieses Verfahren wiederholt genaue
und ausführliche Veröffentlichungen gemacht, nament-
Uch erst jüngst in meiner Schrift *Stoffwirkung in
Lebeivesen * (Albert Günther, Leipzig 1892), so setze
ich bei den Lesern die Kenntniss des Verfahrens
voraus, und erlaube mir hier nur eine Vorbemer¬
kung.
Seit es eine exacte Wissenschaft giebt, gilt als
Regel bei Untersuchungen jeglicher Art, wenn
irgend möglich ein Verfahren anzuwenden, das Zahlen
giebt. Schon der Volksmund sagt «Zahlen beweisen 11
und Kant sagt: «Jeder einzelne Zweig der Natur¬
wissenschaft enthält nur soviel wahre Wissenschaft,
als er Mathematik enthält .*
Die Neuralanalyse ist ein solches Verfahren, sie
ist von mir in fast zehnjähriger, unausgesetzter,
von Praktikern scharf controllirter Praxis erprobt
und der Leser wird sich aus der Schilderung meiner
Versuchsergebnisse selbst bis zu einem gewissen
Grade ein LJrtheil auch über diese Methode bilden
können, ein vollständiges allerdings erst, wenn er
sie selbst ausübt. In dieser Richtung muss ich
aber bemerken: Es ist ein grosser Irrthum, wenn
man meint, dazu genüge ein paar Mal an einem
Chronoskop herumgeschnäppert zu haben.
1) Täppische Menschen und solche mit schwerer
Hand können die Neuralanalyse ebenso wenig er¬
lernen, als das Mikroskopiren und Präpariren, hierzu
gehört eine feine Hand oder ein gröberes Instrument
als mein Chronoskop.
2) Torpide Menschen, die auf nichts reagiren,
die einen Rachenputzer ebenso saufen wie einen
Rheinwein, erzielen natürHch auch nichts, die können
auch ruhig ausser Betracht bleiben, weil diese auch
in der Regel nicht krank werden. Auf zwanzig
Kranke wird etwa ein Torpider kommen und mit
diesem hat dann der Arzt die schwere Noth, weil
er auch auf Arzneien nicht reagirt. Der Arzt hat
zur Behandlung in der Hauptsache Menschen, die
gerade dadurch, dass sie krank geworden sind, be¬
weisen, dass sie «empfindlichere* Naturen sind.
3) Eine 8ache, die erst durch längere Uebung
und namentlich zahlreiche Erfahrungen erlernt
werden kann, ist die Herstellung der genügenden
geistigen Ruhe, Passivität und Objectivität .
4) Eine letzte Hauptsache ist, dass man seine
physische Disposition beherrschen und reguliren
lernt, wozu Findigkeit und wieder Erfahrung ge¬
hören.
Endlich noch folgende Bemerkung: die Frage^
Digitized by v^ooQie
147
derPotenzirung hat eine allgemeint und eine specielle
Seite, letztere in so fern, als sich die verschiedenen
Arzneistoffe der Potenzirung gegenüber nicht gleich
verhalten. Ich werde der Reihe nach beide Seiten
vornehmen und zwar zuerst die allgemeine . Hierzu
genügt die Untersuchung eines einzigen Arznei¬
stoffes nach seinen verschiedenen Verdünnungsgraden.
Meine Wahl fiel auf Kali carbonicum , es hätten
aber natürlich ebenso gut irgend welche andere
Arzneistoffe zu dieser ersten grundlegenden Unter¬
suchung genommen werden können. Die specielle
oder vergleichende Seite der Sache kann nur dadurch
erledigt werden, dass man sich die Mühe nimmt,
eine genügend grosse Anzahl von Arzneistoffen in
systematischer Ordnung durchzuprüfen. Das kann
natürlich nicht auf einmal geschehen und erfordert
mehrere Jahre. Zunächst sind von mir geprüft
6 Kalisalze, 7 Natronsalze, 4 Ammoniaksalze.
HL Heuralanalyse der Potenzen von Kali carb.
a) Die Versuchsanstellung.
1) Ich bezog aus der Apotheke die 3. alkoh.
Potenz. Die Verbringung des Stoffes auf die höheren
Potenzen ging — um Hereingelangen von fremden
Einflüssen möglichst auszuschliessen — durch die
ganze Reihe im gleichen Kölbchen vor sich und
wurde durch meine Assistenz in einem andern
Zimmer ausgeführt, um Beimengungen des Stoffes
zur Luft meines Zimmers zu vermeiden. Welche
Potenzen gemessen wurden, geht aus der Tabelle
hervor.
2) Bis zur 30. Potenz wurde nach der Decimal -
scala vorgegangen, von hier centesimal also, so dass
eine Gentesimalstufe zwei Decimalstufen gleich be¬
rechnet wurde. Dass das erlaubt ist, wird sich
später zeigen.
3) Bis zur 100. Potenz wurde Weingeist be-
nüzt, von hier zur 1000. destill. Wasser, aber zum
Schluss zwei Mal Weingeist.
4) Verschluckt wurde bei jeder Messung nur
Ein Tropfen der weingeistigen Potenz, derselbe wurde
aber zuvor in etwa 2 Gramm destill. Wasser ge¬
tropft und mit dem Wasser verschluckt.
5) Die Dekadenziffern diktirte ich jedesmal meiner
Assistenz, welche auf Grund einer Secundenuhr mir
Zeichen üher Anfang und Ende der Messung gab.
6) Gemessen wurde jedesmal dreierlei a) die
Ruheziffer gebildet aus vier Dekaden also 40 Einzel¬
akten. b) die Wasserziffer; das gleiche Glas, aus
dem nachher die Mischung von Wasser und Arznei
getrunken werden sollte, erhielt eine Füllung blos
mit Wasser. Diese trank ich auf das gegebene
Zeichen aus und mass nun fort und fort Dekaden,
bis der Ablauf einer Minute signalisirt wurde. Die
Wasserziffer ist das Mittel aus allen erhaltenen
Dekaden, deren es in der Regel 10 waren, c) die
Arznei: unmittelbar nach Gewinnung der Wasser-
Ziffer füllte ich das Glas neuerdings mit Wasser
und gab den Tropfen Arznei zu. Auf das Zeichen,
dass eine Minute zu Ende gehe, trank ich rasch die
Mischung und begann die Dekadenmessung und
-diktirung. Wie lang, ist aus der Tabelle zu ersehen.
Die Beendigung jeder Minute wurde mir signalisirt.
7) Gemessen wurde immer nur, was für die
Neuralanalyse unerlässliche Regel ist, Vormittags
zwischen 10 und 12 Uhr, in einem dem Küohenduft
nicht erreichbaren Raume. Am 19. Jan. wurden
in dieser Zeit 7 Potenzen geprüft, am 20. eben so
viel, am 21. Jan. 2, am 25. Jan. 3 Potenzen. Vor
Beginn jeder neuen Messung wurde durch Bildung
einer Ruheziffer festgestellt, ob die Nervenzeit wieder
ihren alten Stand erreicht hat und erst dann weiter
gemacht, wenn dieser Stand erreicht war, andern¬
falls noch gewartet.*)
b) Die Berechnung .
1) Die Rechnung ist einfach: die Grundlage der¬
selben ist die gemessene Dekadenziffer . Sie kommt
dadurch zu Stand, dass man still zählend 10 Finger¬
rucke auf das Chronoskop wirken lässt und dann
den Zeigerstand abliesst; jede Uhrziffer ist TT ^ - 0 -
Secunden und durch Division mit 10, d. h. Abstrich
der letzten Ziffer durch Komma, erhält man die
mittlere Zahl. Da die Anzahl der so erhaltenen
Ziffern für eine Veröffentlichung in Tabellen- oder
Curvenform zu gross ist, so wurde ihre Anzahl
dadurch auf l / 4 herabgemindert, dass man je 4 zu
einem Dekadenmittel zusammenzieht Dieses giebt
dann, da die Uhrziffer 4 Millesecunden ist, durch
einfache Addirung unmittelbar eine Ziffer, die den
erhaltenen Werth in Millesecunden ausdrückt
2) Das gerechnete Dekadenmitttl ist die Grund¬
lage einer weiteren Rechnung. Diese geht aus von
der Wasserziffer (siehe oben) und hat zum Zweck,
festzustellen, um wie viele Prozente die Arznei¬
wirkung die Nervenzeit gegenüber der am Wasser
gewonnenen Zeit verschoben hat. Es wird also für
jedes Dekadenmittel, das während der Arzneiwirkung
erhalten wurde, die Differenz von der Wasserziffer
genommen und diese in Prozente der Wasserziffer
umgerechnet
3) Die prozentischen Differenzziffern bilden den
Gegenstand der tabellarischen und curvenmässigen
•) Dies steht nicht im Widersprach mit dem, was
in Nr. 1 über die Unzulässigkeit der rasch aufeinander
folgenden Messung verschiedener Potenzen des gleichen
Stoffes gesagt wurde. Zulässig ist es, naheliegende Po¬
tenzen nach einander zu messen, wie es hier geschehen,
dagegen unzulässig, sobald die Potenzhöhen sehr ver¬
schieden sind. Hierüber werden genaue Angaben ge¬
macht werden, sobald die praktische Frage gelöst sein
wird. Vorläufig kann ich mittheilen, dass sich einige
Mitarbeiter gemeldet haben und die Sache desshalb in
Angriff genommen worden ist Jaeger.
19*
Digitized by
Google
148
Darstellung und sie zerfallen naturgemäss in zwei
Gruppen mit entgegengesetzten Vorzeichen, a) Das
Aftnittvorzeichen erhielten diejenigen Ziffern, welche
eine Verlängerung der Nervenzeit, also Lähmungs -
effect anzeigen, ich heise sie Minuswerthe. b) Das
/Vorzeichen erhalten die Ziffern, die eine Verkürzung
der Nervenzeit, also Belebungseffect darstellen und
sie werden Pluswerthe genannt.
4) Für die Curvenbildung benöthigte es keiner
weiteren Ziffern, dagegen war es nöthig, für jede
gemessene Arzneipotenz eine einzige Schlussziffer zu
bilden, die ihren physiologischen Werth angiebt
und eine ziffermässige Abschätzung derselben gegen
einander ermöglicht Zu diesem Behuf wurden in
der Reihe von Potenzziffern, die für jede Potenz
in der Tabelle aufgeführt sind, die Pluswerthe und
Minuswerthe addirt und aus diesen durch Abzug
der Minuswerthe vor den Pluswerthen oder um¬
gekehrt die Schlussziffer gebildet. Das ist in der
grossen Tabelle (pag. 150) in den drei letzten Colum-
nen geschehen. Natürlich zerfallen auch die Schluss¬
ziffern wieder in Pluswerthe und Minuswerthe, d. h.
Belebungsziffern und Lähmungsziffem und erhielten
deshalb die entsprechenden Vorzeichen.
c) Die Fehlergrösse .
Da es sich nicht um astronomische, sondern
um physiologische Messungen handelt, kommt hier
nur zweierlei in Betracht:
1) Ein Fehler, der an der Uhr liegt: Nach Be¬
endigung der Dekade wird der Uhrzeiger durch
einen Druck in die Nullstellung zurückgeführt.
Dabei passirt es öfters, dass die Zeigerstellung um
eine Ziffer zurückbleibt. Selbst wenn dies jedes
Mal passiren würde, was nicht der Fall, so gäbe
das beim Dekadenmittel nur 0,4, ist also völlig
belanglos.
2) Wichtiger ist die physiologische Schwankung,
d. h. wie weit differiren die unter gleichen Ver¬
hältnissen resp. am gleichen Object gewonnenen
Dekadenmittel. Dabei handelt es sich:
a) um die Ruheziffer: Ich habe wie schon oben
gesagt an 4 Tagen gemessen. Die nachstehende
Tabelle giebt die an jedem Tag erhaltenen Ruhe¬
ziffern in Millsecunden der Reihe nach mit Angabe
der Maximaldifferenz an jedem Tage und am Schluss
die Maximaldifferenz aus allen 19 Ruheziffern der
vier Tage.
Ruhe Ziffern.
19. Jan. 92,7 90,8 92 91,1 91,8 90,3 92,2,
Max. Diff. 2,4.
20. Jan. 89,5 91,1 89,2 90 89,1 89,6 90,6,
Max. Diff. 1,9.
21. Jan. 90,5 91,9 Max. Diff. 1,4.
25. Jan. 91,9 90,8, 90,2 Max. Diff. 1,4.
Max. Diff. aus allen 4 Tagen 3,6.
b) um die Wasserziffern , die zur Grundlage*-
der Berechnung der Arznei Wirkung genommen.«
wurden. Ueber sie giebt nachstehende Tabelle in
gleicher Weisse wie die vorige Aufschluss, aber
nicht in absoluten Ziffern, sondern durch Angabe
der prozentischen Differenz von den zuvor erhaltenen
Ruheziffem.
Wasserziffern.
19. Jan. 4-1,4 —0,2 +1,1 +1,4 +0,3 —1,2
--3,4 Max. Diff. 4,6
20. Jan. —0,5 -f-2,9 +1,2 +1,6 +0,4 — j — 0,4»
— 2,5 Max. Diff. 2,5.
21. Jan. —0,7 +1,1 Max. Diff. 1,8.
25. Jan. —1,3 —0,3 Max. Diff, 1,3.
Max. Diff. aus allen 4 Tagen 4,7.
Daraus geht für unsere Arzneiziffern hervor,
dass Unterschiede der Dekadenmittel der Tabelle
und der Curve, die weniger als 5% betragen, inner¬
halb der Fehlergrenze liegen, was dagegen darüber
ist, Bedeutung hat. Ausserdem da die Messungen
Unterschiede ergeben, die bis zum 20 fachen Betrag
der möglichen Fehlergrösse gehen, so können die
Ziffern von diesem Standpunkt aus nicht angefochten
werden. Endlich: da die physiologischen Fehler
aus entgegengesetzten Werthen, Plus und Min ns
bestehen, so heben sie sich in der Schlussziffer, die
durch Addition aller Werthe gewonnen ist, gegen¬
seitig auf.
d) Die Bedeutung der Zahlen.
Der Leser sieht auf der grossen Tabelle dreierlei
Zahlen.
1) Solche mit Plusvorzeichen: Diese bedeuten,
wie schon oben angegegeben, eine Zunahme der
Geschwindigkeit der gemessenen Lebensbewegung,
sind also Ausdruck eines die Lebensverrichtungen
beschleunigenden, also »Kraft“ entwickelnden Factors,
der um so stärker wirkt, je grösser die Ziffer ist.
2) Solche mit Minusvorzeichen: Sie bedeuten
eine Abnahme der Geschwindigkeit, sind also Aus¬
druck eines, die Lebensbewegungen hemmenden^
verlangsamenden, lähmenden Einflusses, der um so
stärker gewirkt, je höher die Ziffer ist.
3) Nullen. Sie wurden dann gesetzt, wenn die
prozentiscbe Differenz zwischen Wasser- und Arznei¬
ziffer den Werth von 0,5 nicht überschritt, bedeuten
also Indifferenz .
4) Unter den Zahlen mit Pinsvorzeichen sind
die von 50 und darüber fett gedruckt. Das ge¬
schah deshalb: Sobald die Belebungswirkung 50%
erreicht oder überschreitet, so treten bei mir die später
wegen ihrer grundlegenden Wichtigkeit gesondert
und ausführlich zu besprechenden Krampfencheia-
ungen auf. Ich nenne die fettgedruckten Ziffern
desshalb auch in folgender Besprechung Krampf¬
ziffern.
Digitized by v^ooQie
149
e) Die Tabelle .
Ueber die Aeusserliehkeiten derselben ist wenig
zu sagen:
1) Die erste Columne giebt die Zahl der ge¬
messenen Decimalpotenz. Die drei letzten Colnmnen
sind schon oben erklärt. Die letzte ist die Wich¬
tigste, weil sie das ziffermässige Endurtheil über
die Heilkraft der betreffenden Potenz enthält.
2) Bezüglich der oberen Quercolumne mit der
Angabe der Minuten ist folgendes zu sagen; Die
sichere Messung der Stoffwirkung mittelst Neural¬
analyse hängt sehr davon ab, dass möglichste Geistes¬
ruhe während der Messung herrscht, es darf weder
der Concentrationsgrad der Aufmerksamkeit, noch
die Richtung derselben gewechselt werden. Beides
würde geschehen, wenn man während der Dekaden¬
messung noch den Gang einer Secundenuhr be¬
obachten und darüber wachen müsste, dass beides
zusammengeht. Deshalb liegt die Markirung der
Minuten in der Hand der Assistenz und der Messende
kann sich darum nicht kümmern, desshalb ist schon
an sich eine ganz exakte Abtheilung nach Minuten
nicht ausführbar. Hierzu kommt folgendes: Im
Allgemeinen liefert die Messung in der Minute 10
Dekadenziffern, da nun das ' Dekaden mittel aus 4
Dekadenziffern gebildet wird, so geht es mit Einer
Minute nicht gerade aus, sondern auf 2 Minuten
fallen 5 Ziffern. Demgemäss stehen auf den Grenzen
zwischen 1. u. 2., 3. u. 4., und 5. u. 6. Minute
Ziffern. Zweimal nämlich in der 23. u. 25. Potenz
ist es vorgekommen, dass in den Zeitraum von 2
Minuten sich 6 Dekadenmittel zusammendrängten
und umgekehrt bei den 4 Potenzen, die länger als
7 Minuten gemessen wurden, liess die Messungs¬
geschwindigkeit nach, so dass auf 2 Minuten nur
4 Dekadenmittel kommen. Auf die Schlussziffer
ist das natürlich nicht ganz ohne Einfluss, aber
das Resultat wird dadurch nicht im mindesten
alterirt, ob die Schlussziffer einige Points mehr oder
weniger hat.
3) Aus der Tabelle erhellt, dass die verschiedenen
Potenzen nicht gleich lange gemessen wurden. Dies
rührt daher: Ich fing bei den unteren Potenzen an
und mass hier so lange fort, bis ich mehrmals
hinter einander Ziffern erhielt, die mit den Wasser-
ziffern übereinstimmten, was ich als Zeichen der
Beendigung der Wirkung ansah. Bei der 3., 5, 7.
fiel dies in die 6. Minute, bei der 9., 13., 15. ans
Ende der 5. Die erste, die mich nöthigte, länger
fortzumessen, war die 11. Potenz. Da im All¬
gemeinen die Rückkehr der Wasserziffer mit Zu¬
nahme der Potenzirungshöhe eine Tendenz zur Ver¬
zögerung zeigte, so verfolgte ich die 25. und 27.
noch in der 7. Minute, die 30. bis in die 8. und
beschloss dann, die 50.10 Minuten lang vorzunehmen;
das wäre allerdings nicht nöthig gewesen, denn die
letzte Mittelziffer, die ausserhalb der Fehlergrenze
steht, ist die erste in der 8. Minute, was noch folgt,
sind 4 Nullen, einmal -j-1 und ein — 1, was sich
aufhebt und — 3 liegt in den Fehlergrenzen.
Die 100. Potenz wurde ebenso behandelt und hier¬
durch die Ueberzeugung (s. die Ziffern) erlangt,
dass mit Ende der 7. Minute auch hier die Wirkung
beendet war. Erst jetzt ging ich noch einmal zu¬
rück, um die Frage zu erledigen, ob im Fall un¬
genügender , keinen Belebungseffect erzeugender
Potenzirung der Arznei etwa nachträglich der Orga¬
nismus eine Potenzirung vornähme. Dann nament¬
lich um der so beliebten 6. Potenz auf den Zahn
zu fühlen, nahm ich eine zweite bis auf 10 Minuten
sich ausdehnende Messung der 7. Potenz vor und
diese ist der Tabelle einverleibt. Wie diese Nach¬
messung (s. die Ziffern) ergab, hatte ich das erste
Mal recht, die Messung am Schluss der 5. Minute
abzubrechen, denn mit einer einzigen sehr geringen
Ausnahme (-f-6) bewegen sich die 14 Ziffern der
6.—10. Minute zwischen -}-3 und —1, liegen also
innerhalb der Fehlergrenzen.
4) Um die Tabelle nicht zu breit zu machen,
sind die bei 7. 50. 100. und 1000. Potenz ge¬
messenen »Schwänze 14 unten hereingezogen worden.
/) Theoretische Vorbemerkung.
Zur Feststellung der Thatsache, dass viel Stoff,
schwere Stoffe, zu concentrirte Stoffe lähmen, sättigen,
die Lebensverrichtungen verlangsamen, und um¬
gekehrt kleine Mengen, leichte, flüchtige, sowie ver¬
dünnte Stoffe beleben, die Lebensbewegungen be¬
schleunigen, braucht man keine Neuralanalyse, das
ist Erfahrung des täglichen Lebens und gibt schon
der Augenschein. Dagegen empfiehlt sich die Stel¬
lung einer allgemeinen Frage.
Obige Thatsache zeigt, dass jeder Stoff gleich¬
sam über zwei entgegengesetzt wirkende Factoren
verfügt, einen hemmenden und einen beschleunigenden .
Wie ist das möglich? was ist der eine und was
der andere? Darüber muss man sich in allererster
Linie klar sein, ehe man irgend eine Erklärung der
Erscheinungen versucht.
Nun die Antwort auf die Frage liegt schon in
dem Satz, der die Thatsachen ausspricht.
1) Was lähmt oder hemmt? Viel Stoff, schwere
Stoffe, concentrirte Stoffe. Das führt uns zum Ge¬
wicht , bei den schweren Stoffen z. B. Metallen un¬
mittelbar, bei dem Viel und zu concentrirt mittel¬
bar, indem sich hier der Begriff der Masse , durch
die das Gewicht vermehrt wird, zwischenschiebt.
Man kann auch den Factor mit Trägheit bezeichnen,
denn schwere Stoffe haben träge Bewegungen, grosse
Mengen ebenfalls und dem concentrirten Stoff fehlt
es an Raum zur Bewegung.
2) Was belebt und beschleunigtf Auch hier
liegt die Antwort schon vor und zwar in den Worten
leicht und flüchtig . Hier kommt man aber mit dem
Digitized by v^ooQie
ISA
I Tabelle: Die Potenzen von Kali carbonicum.
i ■ < ■ ,
- 7 -r
i
1
Stimme
Summe
Summe
Fitem
L Minute 2. Minute ,
3. Mimte 4. Mimte j
5. Minute 6. Minute j 7. Minute
der
+
Wette
der ■
Weite
fetter
Wtttfe
3
+10 + 5 + 3 -25 —27
-29 —80 -40 *—30 -25'
—30 —18 —15 — 4 0[
+18
-273
—255
5
-(-20 + 3 + 4 —17 —21
-19 —21 —32 —27 -36'—37 -17 -21 —17 — 8- 0 — 5 0
+27
—278
-251
7
+15 — 8 —14 -24 -17
-20 -21 —14 + 4 — 4 '+ 3 — 2 + 2 — 1 + 2; +6 0+2
Forts, v. Pot. 7
8. Minute 9. Minute 10. Minute
+ 3 0 + 1+2 1 +3+2
+45
-125
-80
9
+22 +38 +32 +17 — 7
-24 -25 -23 - 25 — 6
+17 + 6—1
+132
-in
+21
11
+17 +38 +39 +42 +44
+39 +27 -11 —14 —15
—17 —18 — 6 +23 +25 +4 +3
+296
-81
+215
13
+22 +58 +60 +42 0
— 9—10 + 6+28 + 6
0 — 2 0 1
+212
-21
+191
15
+20 + 9 +42 +02 +46
+40 +18 + 8 +14 +42
+ 2-5-2 1
+303
—7
+296
17
+48 +00 +66 +54 +58
+54 +31 +20 +11 +15
+ 9 0 + 9 + 1+ 5
4-441
0
+441
19
+67 +59 +62 +63 +55
+55 +41 +44 +38 +31
+30 +23 +15 +15 — 3 -9
+578
-12
+566
21
+60 +71 +57 +43 +38
+37 +54 +48 +22 +15
+30 +29 +30 +20 - 1 -5
+554
-6
+548
23
+«2 +47 +77 +71 +78
+75 +71 +61 +30 +14
+28
+22 +21 +20 — 2 - 6
i
+677
-8
+669
25
+70 +38 +30 +32 +40
+48 +74 +78 +78 +72
+45 +18 — 1 +22 +16 -5 -5
+656
—11
+645
27
+81 +83 +77 +76 +70 +26 +33 +62 +46 +22+20 +17 + 9 0 —16 -25-2
+622
— 43
+579
30
+80 +78 +83 +77 +79
+74 +49 +16 + 4 +25+63 +80 +79 +88 +76+50+9 -6
Forts, v. Pot. 30
! —5
+1010
— 11
+999
50
+71 +82 +82 +80 +76
+70 +47 +41 +33 +25
+42 -1-67 +88 +88 +77.+25+18
+55
Forts, v. Pot. 50
8. Minute 9. Miuute 10. Minute
+14 0 0 0 + 1 —32—1
+ 1077
-4
+ 1073
100
+84 +89 t 90 +86 + 83 +85 +76 +04 +52 +35 +27 +55 +83 +95 +98 +74+30+10
8. Minute 9. Minute 10. Minute
Forte, v. Pot 100 + 4-1+ 3 0 0 0-1 0
+1223
_ o
+1221
1000
Forts
1000
+91 +95 +93 +69 +68
+80 +91 +92 +95 +90 +78 +36 +31 +24 +82+32 +28
8. Minute 9. Minute 1 10. Minute 11. Minute | 12. Minute 13. Minute 14. Minute
+28 +37 +26 +23 +22+24 +29 +25 +21 +24+26 +19 +19 +11 +6 -2
1 i
+1465
_o
+ 1463
Gewichte nicht aus und zwar deshalb nicht: Man
kann auf dem mechanistischen Gebiet allerdings
eine Bewegung dadurch beschleunigen, dass man
ihre Last vermindert, allein nie dadurch, dass man
ihr, eine auch noch so leichte Last auf legt, ein
Plus der Bewegung wird ihr damit unter gar keinen
Umständen zugefügt. Um eine Bewegung zu be¬
schleunigen, muss zu der bestehenden Bewegung
eine neue Bewegung hinzugefügt werden. Bezüglich
dieser ist aber wieder klar: Wenn ich zu einer
Bewegung eine neue hinzuaddire von geringerer
Geschwindigkeit, also ein<e trägere Bewegung« so
bildet das für die erstere einen Verlust, eine
Hemmung * Sind die Geschwindigkeiten gleich so
bleibt die Sache beim alten, es geschieht nichts.
Eist wenn die neu hinzukommende Bewegung eine
grossere Geschwindigkeit bat, führt sie zu einer
Beschleunigung. Diess führt uns zu dem Wort
flüchtig* , zu der Thatsache, dass ein Stoff um so
leichter sich eignet, Beschleunigung der Lebens¬
bewegungen hervorzubringen, je flüchtiger er ist
und mit diesem Wort kommen wir überhaupt 7.u
dem Factor „Geschwindigkeit der Bewegung*.
Nun sind wir genügend zum Verständniss der
Thatsache vorbereitet, welche die unwiderstehliche
Logik der Ziffern unserer Tabelle predigt und können
— sofern wir das überhaupt wollen, denn es giebt
leider Leute, welche in diesen Dingen nichts ver¬
stehen wollen—• ich sage — und können verstehen,
was bei der Potenzirung eines Arzneistoffes vorgeht:
Während man die im gleichen, Baum (z. B. der
gleichen Alkoholmenge oder dem bestimmten
Digitized by v^ooQie
151
kubischen Inhalt eines Lebewesens) befindliche Menge
des Stoffes vermindert, vermehrt sich die Geschwindig-
kett seiner inneren Bewegung, zwar nicht in ganz
gleicher aber ähnlicher Weise (s* mein Werk „Stoff-
Wirkung in Lebewesen“) wie bei der Erwärmung ,
oder er nimmt die Eigenschaften eines flüchtigen
Stoffes an und diese steigern sich mit wachsender
Verdünnung, so wie es die Tabelle klar auf weist
Hahne mann hat mit vollständigem Recht, das
was bei der Verdünnung geschieht, „ Potenzirung *
genannt, denn es ist in der Tbat eine Kraftvermeh¬
rung , das zeigt die physiologische Wirkung un¬
widerleglich und es bleibt jezt nur noch zu unter¬
suchen, ob diese Kraft blos eine physiologische ist,
oder ob das die gleiche ist, die der Arzt die Heil¬
kraft der Arznei, die vis medicatrix nennt. Davon
wollen wir später reden, hier soll nur noch gesagt
werden: Wenn wir jetzt die Erscheinung in An¬
lehnung an die neuzeitliche Molecularphysik eine
Zunahme der Geschwindigkeit der interstitiellen
Molecularbewegung nennen, so soll damit nur
gesagt sein, dass sich die von Hahnemann und
Tausenden seiner Nachfolger beobachteten und be¬
haupteten Erscheinungen vollständig und auf die
einfachste Weise in den schulmässigen Rahmen der
physikalischen Theorie einfögen lassen und wenn
es dort nicht ganz ohne eine Stadt-, wollte sagen
Begriffserweiterung abgeht, so muss diese eben statt¬
finden, denn wenn ein Confiikt zwischen Theorie
und Thatsache stattfindet, so muss unbedingt die
erstere nachgeben. Dem Physiker kann ich das
ganze Problem wie eine Nuss zum Knacken in
einem einzigen Wort, dem Worte „flüchtig“ vor¬
werfen. Doch gehen wir jetzt von der Theorie zu
den Thatsachen über; die Theorie wird später an
der Hand neuer Thatsachen noch einmal an die
Reihe kommen.
g) Lesung der Tabelle.
Dritte Potenz: Die ersten zwei Ziffern zeigen
die in meinen früheren Veröffentlichungen zur Ge¬
nüge besprochene belebende Erstwirkung , die daher
rührt, dass nach den Diffussionsgesetzen der in die
ersten Wege eindringende Stoff von hier aus in die
ganze Säftemasse allmählig diffundirt und natürlich
in den Nerven und Muskeln zuerst in weit geringerer
Concentration anlangt, demgemäss ist auch die
erste Ziffer die höchste, die zweite schon um die
Hälfte kleiner. Bereits die dritte zeigt 25°/ 0 Läh¬
mung und so bleibt es durch die ganze Reihe bis
am Schlüsse der 6. Minute die Wirkung beendigt
ist. Die Schlussziffer ist — 255 zum Beweis, dass
die physiologische Wirkung dieser Potenz — der
60 beliebten dritten Verreibung — keine andere ist*
als. die lähmende, vergiftende der allopathischen
Arzneidosen.
.Fünfte Potenz: von dieser gilt das ganz gleiche,
doch ist eine leichte Besserung deutlich, a) Die
Ziffern der Erstwirkung sind besser, ihre Summe
ist grösser, b) Die grösste Lähmungsziffer, die bei
3. Potenz — 40 ist, lautet hier — 37. c) Die
Schlussziffer jedoch ist von —255 nur auf —251
zurückgegangen, das liegt noch innerhalb der Fehler¬
grenzen.
Siebente Potenz: a) Sehr lehrreich ist hier gleich
der Beginn, indem sich die Zunahme der Flüchtig¬
keit der Arznei darin zeigt, dass die belebende Erst¬
wirkung nur in der ersten Ziffer sich zeigt: der
Stoff ist rascher in Blut und Nerven gedrungen
und so tritt die volle Wirkung dieser Dosis, die
eine lähmende ist, rascher zu Tage, b) Die Lähmungs-
werthe sind durchweg niedriger, das Maximum ist
mit —21 um 16 niedriger als das der 5. Potenz,
c) Es treten im letzten Theil entschieden Spuren
einer belebenden Nachwirkung ein: 3 liegt aller¬
dings innerhalb der Fehlergrenzen, allein -j- 6 über¬
steigt sie, dann sind innerhalb einer und derselben
Messungsreihe die physiologischen Fehlergrenzen
viel enger als in zwei verschiedenen, zu verschie¬
dener Zeit ausgeführten Messungsreihen. Desshalb
stehe ich nicht an, auch die Pluswerthe 3, die drei¬
mal erscheinen, auch noch das -f-2 als Zeichen
dafür anzusehen, dass eine Arzneiwirkung vorliegt
und zwar so: der Körper ist bestrebt, das gestörte
Gleichgewicht durch Ausscheidung des Arzneistoffes
zur Indifferenz zurückzuführen, allein er schiesst
hierbei etwas über das Ziel hinaus. Wie übrigens
die durch 6 Minuten andauernde Abwechslung von
kleinen Plus- und Minuswerthen zeigt, ringt diese
Wirkung vergeblich um Geltung und kann mit ihr
jedenfalls nichts Nennenswerthes erreicht werden.
Endlich die Schlussziffer mit — 80 verurtheilt auch
diese Potenz, die ja noch um Eins höher ist als
die beliebte 6. der homöopathischen Hausapotheken
als ungenügend.
Neunte Potenz: Wieder ein Fortschritt, der sich
in folgendem zeigt: a) eine erhebliche, 4 Ziffern
umfassende belebende Erstwirkung, b) eine un¬
bestrittene belebende Nachwirkung, die der Des-
concentration durch den Ausscheidungsprocess ent¬
spricht. — Diese Vortheile können dadurch nicht
aufgehoben werden, dass die Mittelphase mit — 25
um 4 tiefer liegt als bei 7. Pok, so dass die
Schlussziffer jetzt mit -f- 21 angiebt, dass der
Rubikon, der Allopathie und Homöopathie jeder
Zeit scheiden muss, nämlich der Indifferenzpunkt\
überschritten ist — allerdings kaum.
Elfte Potenz: Diese gieht einen entschiedeneren
Fortschritt als alle früheren, wie schon aus den
Schlussziffern hervorgeh^: die Differenz zwischen 3.
und 5. Pot. ist 44, die zwischen 5. u. 7. ist 131,
die zwischen 7. u. 9. ist 41, aber die zwischen 9.
und 11. erhebt sich auf 194 Points. Diesen Fort¬
schritt verdankt diese : Potenz aber nur einer
Digitized by
Google
152
einseitigen Ueberlegenheit, nämlich in Bezug auf
die Erstwirkung , diese ist höher und länger als
bei der 9. Pot. — während die belebende Nach -
Wirkung nicht erheblich mehr ergiebt als bei der
vorhergehenden. Ein weiterer Fortschritt ist, dass
die Lähmungswerthe der Mittelphase fast durchweg
geringer sind.
Dreizehnte Potenz: Diese zeigt nicht nur keinen
Fortschritt, sondern sogar in der Schlussziffer einen
Rückschritt. Zur Erklärung dieser auf den ersten
Blick auffälligen Erscheinung darf Zufall und
Messungsfehler nicht herbeigezogen werden, denn
sie wiederholt sich von 11). auf 21. Pot., von 23.
auf 25. nnd von 25. auf 27. Die Erscheinung liegt
also in der Natur der Sache und erklärt sich wohl
so: die dynamische tVirkung ist stets das Product
aus Masse und Geschwindigkeit Beim Potenziren
nimmt unbestreitbar die Masse , oder sagen wir in
Anlehnung an die Moleculartheorie, die wir keinen
Augenblick zu verlassen brauchen, es nimmt bei
der Potenzirung die Zahl der Molecüle ab. Wenn
nun trotzdem der Bewegungseffect nicht im gle : ien
Betrag abnimmt, so beweist das ganz uv
sprechbar, dass dem Verlust an Masse die z ne
des andern Factors, also die der Geschwindigkeit
gegenübersteht. Es ist nun gar nichts besonders
auffälliges, dass Verdünnungsstufen Vorkommen, in
welchen die Zunahme an Geschwindigkeit den Ver¬
lust an Masse oder Zahl nicht ganz ersetzen kann,
und die Kraftvermehrung somit statt eines Fort¬
schrittes einen Rückschritt oder Stillstand erfährt.
— Sehen wir uns die Zifferreihe an, so zeigt sich
zweierlei, a) Fortschritte einmal darin, dass in der
Phase der Erstwirkung erstmals Krampfziffern auf-
treten, dann darin, dass die Mittelpbase mit Läh¬
mungsziffern sehr kurz ist, und diese Ziffern sehr
klein sind, b) Der Rückschritt besteht darin, dass
die zwei Belebungsperioden, Erstwirkung und Nach¬
wirkung sehr kurz dauern. — Diesen Unterschied
zeigen auch die drittletzte und zweitletzte Columne:
die Summe der Lähmungswerthe ist von 81 auf 21
zurückgegangen, dagegen haben die Belebungswerthe
nicht nur nicht zugenommen, sondern sind von 296
auf 212 zurückgegangen.
Fünfzehnte Potenz: Diese ergiebt einen ganz
entschiedenen Fortschritt, a) In erster Linie damit,
dass auf dieser Potenz zum ersten Male in der
Mittelphase die Minusziffem fehlen, d. h. es fehlt
die Mittelphase der Lähmung, welche die belebende
Phase der Erst- und Nachwirkung bei allen niederem
Potenzen trennte. Ein Wirkungsnachlass ist zwar
vorhanden und sehr ausgesprochen, aber er sinkt
nicht mehr unter Null, b) Die Nachwirkung, die
sich bei der 13. Potenz nur bis zu —f- 28 erhob,
bricht hier mit -{-42 viel flotter durch als bisher
und hierüber will ich etwas ausführlicher sprechen,
weil das für das Verständnis der Arznei Wirkung
sehr belehrend ist Wie im Fortgang der Arbeit
mit Ziffern bewiesen werden wird, besitzt der Darm*
canal einen regtilatörischen Einfluss dahin gehend,
dass er die Gewebe vor zu rascher und grosser
Einwirkung der in ihn gelangten Stoffe schützt und
zwar nach beiden Seiten, d. h. nach der lähmenden,
vergiftenden als auch nach der belebenden, anregen-*
den. Ich möchte mich so ausdrücken: der Darm¬
canal ist bemüht, die Stoffwirkung zu ersäufen und
das gelingt ihm denn auch bei mittleren Stoffmengen
bis zu einem gewissen Grad, seine Macht versagt
aber in zwei Fällen: einmal dann, wenn die Gift¬
wirkung der ersten Dosis genügt, um den Wider¬
stand des Darms durch Lähmung zu brechen, dann
aber auch, wenn die Flüchtigkeit des Stoffes eine
gewisse Höhe erreicht hat. Und da zeigt sich nun
ein Unterschied in Bezug auf Erst - und Nach -
Wirkung: mit der Erstwirkung schlagen die flüch¬
tigen Stoffe rasch durch und es gelingt dem Darm¬
canal nur die Unterdrückung der Nachwirkung.
Letztere ringt sich erst durch, wenn die Flüchtig¬
keit eine weitere Steigerung erfährt, c) Endlich
von der 13. Potenz sticht die 15. noch dadurch
ab, dass die Erstphase der Belebung viel länger
dauert und die Schlussziffer um 105 grösser ist
als die der 13.
Siebzehnte Potenz: a) Diese weist in der Schluss¬
ziffer den bedeutenden Fortschritt von 145 auf.
b) Diesen verdankt sie ausschliesslich der Erst¬
wirkung und zwar weniger der Höhe, welche die¬
selbe erlangt (-{-66 gegen 62 der 15. P.)» als der
fünfmal so langen Dauer des Krampf Stadiums: die
15. Pot. hat nur Eine Krampfziffer, die 17. deren
5. c) Die Nachwirkung ist sehr unbedeutend.
Neunzehnte Potenz: Diese zeigt a) einen be*
trächtlichen Kraftzuwachs, von 441 auf 566, b) die
Eigenthümlichkeit, dass die Zerlegung in drei Phasen,
die wir von der 7. Pot. an regelmässig finden, hier
fast ganz fehlt, sie setzt sofort mit 5 Krampfziffern
ein und sinkt dann erst zögernd, später entschieden
und zwar zuletzt unter Null.
Einundzwanzigste Potenz: Hier stossen wir zum
zweiten Male auf einen Rückschritt in der Schluss¬
ziffer, allerdings nur um 18 Points. Bei Prüfung
der Einzelwerthe zeigt es sich, dass dies zum Theil
vom Wiederauftreten der Mittelphase mit 2 nied¬
rigeren Ziffern herrührt, so dass wieder Erstr und
Nachwirkung unterschieden werden kann, (letztere
allerdings sehr unbedeutend), zum Theil davon, dass
sie um eine Krampfziffer ärmer ist.
Dreiundzwanzigste Potenz: Diese bringt wieder
einen erheblichen Fortschritt der Schlussziffer um
121 Points. Dies rührt von einer beträchtlichen
Entwicklung der Erstwirkung her, denn diese be¬
steht aus nicht weniger als 8 Krampfziflern. Der
Wirkungsnachlass in der Mittelphase ist mit der
Ziffer 14 deutlich aber auch nur schwach markirt;
Digitized by v^ooQie
us
die Nachwirkung der dritten Phase mit den Ziffern
28—SO ist deutlich aber immer noch unbedeutend.
Fünfundzwanzigste Potenz: Diese bringt einen
Rückschritt um 24 Points und ist ihrem Verlauf
nach in so fern ein Unioum, als sie statt in drei
Phasen in deren fünf zerfallt, indem die der Erst¬
wirkung durch eine Depressionsphase gespalten
wird: Auf die hohe Erstziffer 70 folgt ein Rück¬
gang bis herunter auf 30 und das hält bis in die
dritte Minute an, in der erst mit 4 energischen
Krampfziffern eine flotte Wirkung angezeigt ist.
Erst im Anfang der 6. Minute folgt mit —1 der¬
jenige Wirkungsnachlass, welcher den Mittelphasen
der anderen Curven entspricht und dann eine
massige Nachwirkung mit 22 -}-16 = 38 Points.
Siebenundzwanzigste Potenz: Noch ein Mal ein
Rückschritt, sogar um 66 Points und ein anderes,
ebenfalls irregulftres Bild: Hinten in der Gegend,
wo man sonst die mässige Belebungsnachwirkung
hat, tritt mit —16 und — 25 eine nicht unerheb¬
licher Nachlass der Wirkung auf, der allerdings schon
seit der 19. Potenz durchweg angedeutet ist. Seine
Deutung ist vielleicht durch das Wort „Ermüdung 1 “
(durch die voransgegangenen Krämpfe) gegeben.
Sonst zeigt die Curve das gewöhnliche Bild: zwi¬
schen zwei Phasen mit Krampfziffem, von denen
diesmal die erste länger ist als die zweite (bei der
25. war es umgekehrt) liegt eine Depression aus¬
gedrückt durch die Ziffern 26 und 33.
Dreissigste Potenz: Dies ist die von Hahne-
mann besonders bevorzugte Potenz und unsere
Prüfung pflichtet ihm hierin vollständig bei. Schon
die ausserordentlich hohe Schlussziffer 999 nimmt
sich aus wie ein Ereigniss. Die höchste Zunahme
der Schlussziffer bei einer Differenz von 2 Potenzen
war bisher 194, das müsste bei einer Differenz von
3 Potenzen (27—30) nur 291 Points ausmachen,
wir haben aber einen Unterschied von 420 Points.
Somit haben wir hier den grössten Fortschritt in
der ganzen bisherigen Reihe und das ist das eine,
was Hahnemann bemerkt haben muss. Das zweite
ist die colossale, ebenfalls bisher noch nie dagewesene
Entwicklung der Nachwirkung , die hier in der
ganz gleichen Stärke und Dauer auftritt wie die
Erstwirkung: jede besteht aus 6 Krampfziffem und
getrennt sind beide durch einen zwar kurzen aber
tiefen, nämlich bis zur Ziffer 4 herabgehenden
Wirkungsnachlass. Das neue ist also, dass hier
erstmals die Nachwirkung, die bis daher sehr kümmer¬
lich war, siegreich durchbricht, ln den Potenzen
von 17—25 ist sie so klein, dass sie von einem,
der ohne Neuralanalyse operirte, wie Hahnemann,
übersehen werden konnte, das war bei der 30. nicht
mehr möglich und musste den Eindruck eines neuen
Ereignisses machen* Also Uebereinstimjnung zwi¬
schen Hahnemann und Neuralanalyse!
Fünfzigste Potenz: Wenn man bedenkt, dass
zwischen ihr und der 30. Pot 10 Gentesimalpoten-
zfrungen liegen, so ist der Fortschritt um 74 Points
ein sehr bescheidener. Auch ist interessant, dass
die Art des Verlaufs ganz genau mit dem der 30.
Potenz übereinstimmt Dasselbe Gleichgewicht von
Erst- und Nachwirkung (nur beide etwas höher)
und die gleiche Mittelphase eines Nachlasses (nur
ebenfalls höher bleibend).
Hundertste Potenz: Die Differenz in der Schluss¬
ziffer zwischen 30. Pot. mit 999 und 50. Potenz
mit 1073 ist 74 Points, die Differenz in der Potenz¬
höhe beträgt 20 Decimalpotenzen, » 3,7, also
fördert jede Decimalpotenz die Wirkung der Arznei
um 3,7 Points. Nun, die 50. und 100. Potenz
liegen um 60 Pot. auseinander und die Schluss¬
ziffer der 100. Pot giebt ein Mehr von 148 Points,
das giebt rund einen Fortschritt von 3 Points
per Potenz, der Gewinn ist also zwischen 50 und
100 geringer, als zwischen 30 und 50, aber immer¬
hin noch recht wohl der Mühe werth. Weiter
reichen hier die Krampfziffern in die Neunzig hinein.
Tausendste Potenz: Hier ruft Freund Goullon:
„Wozu?“ Darauf antworte ich jetzt: „Dazu!“,
d. b # zu Folgendem: der Fortschritt von 1221 auf
1463, also um 242 Points ist zwar mit Ausführung
von 450 Centerimalpotenzirungen, wobei somit im
Mittel auf die einzelne Gentesimalpotenzirung ein
Gewinn von nnr einem halben Point kommt, müh¬
selig erreicht, aber sie ist kein Pappenstiel. Das
ist sie vollends nicht, wenn man sich die Ziffern¬
reihe betrachtet, denn a) diese zeigt ein hoch¬
wichtiges Ereigniss: die Wirkung hat zum ersten
Mal einen auffallend langen Schwanz. Bisher war
längstens in dem Anfang der 8. Minute das Ende
der Wirkung erreicht und hier dauert sie bis in
die 14. Minute hinein, das ist ein Novum . An ihr
ist noch das Beachtenswerte, dass hier keine
Krampfangriffe mehr Vorkommen, sondern die Nach¬
wirkung ist eine sanfte und namentlich gleichmässige,
was in der Dekadenziffer noch deutlicher sich aus¬
drückt, als in den Dekadenmitteln der Tabelle,
b) Auch der erste Theil der Reihe zeigt die Macht
dieser Potenz aufs klarste, indem sich hier ohne
Unterbrechung 11 Krampfziffem mit der hohen Ge-
sammtsumme von 942 Points finden, gegen 9 mit
709 Point bei der 100. Potenz.
Damit hätten wir die Lesung der Tafel beendigt,
und ich höre den Leser fragen: „warum ist es aus?
warum kommt nicht 2000. 3000. Potenz u. s. f.?“
Darauf möchte ich antworten:
In meiner, zuerst gesondert erschienenen, später
der HI. Auflage von „,Entdeckung der Seele “ ein¬
verleibten „ Neuralanalyse der homöopathischen Ver¬
dünnungen t", habe ich meine Prüfungen der über
der 1000. Potenz liegenden Verdünnungen ver¬
öffentlicht und da ich der festen Ueberzeugung bin,
dass ich nur wieder das gleiche finden würde, wie
20
Digitized by
Google
154
Neuralanalytische Curven für 7 verschiedene Potenzen von Kali carbonicum.
damals und dann auch nichts anderes zu sagen
hätte als damals, so brach ich mit der 1000. P. ab
h) Die Curven .
Es trägt entschieden zur Stärkuug der Anschau«
ung bei, wenn man bei allen Untersuchungen, die
Zahlen liefern, dieselben benützt, um eine graphische
Darstellung zu machen. Das ist in Obigem ge¬
schehen, aber mit zwei Einschränkungen: a) von
den 17 verschiedenen Potenzen wurden nur 7 zur
Darstellung gebracht Um alle 17 auf ein Netz
zu bringen, hätte ein nach jeder Richtung doppelt
so grosses Format genommen werden müssen und
selbst so wäre ohne Verwendung verschiedener
Farben Uebersiohtlichkeit des Verlaufes der Linien
nicht zu erreichen gewesen, b) Die Curven geben
nur je 17 Ziffern der Tabelle, also einen Zeitraum
von etwas über 6 Minuten wieder, denn sonst wäre
die Zeichnung nicht in den Rahmen des Textes
unterzubringen gewesen.
Ueber das Formale der Curvenzeichnung ist
folgendes zu sagen:
a) Die wagrechten Striche des Netzes bestimmen
die Höhe der gemessenen Ziffer. Die Scala ist längs
der senkrechten Mittellinie aufgetragen und zeigt
wie eine Thermometerscala zweierlei Werthe: Ober¬
halb der verstärkten mit Null angeschriebenen Linie
der Indifferenz erhalten die Werthe das Pluszeichen
(Belebungseffecte), unterhalb das Minuszeichen
(Lähmungseffecte). Die Ziffern der Scala gehen von
Zehn zu Zehn, die Striche von Zwanzig zu Zwanzig ,
weil mehr Striche zu ziehen die Anschaulichkeit
stark beeinträchtigt hätte. Da die Striche 10 Milli¬
meter Abstand haben, so entspricht ein Point einem
halben Millimeter.
b) Die senkrechten Striche markiren die zeitliche
Aufeinanderfolge der Ziffern der Tabelle, und die
Curventafel hat deshalb die gleiche Ueberschrift in
Minutenangaben erhalten wie die Tabelle.
c) Die Kenntlichmachung der einzelnen Curven
ist dadurch bewerkstelligt, dass einmal in der ersten
Columne an jede Curve angeschrieben ist, welche
Potenz sie darstellt, dann dadurch, dass die ver¬
schiedenen Linien eine verschiedene Behandlung er¬
fahren haben, so dass jede leicht zu verfolgen und
mit jeder beliebigen anderen zu vergleichen ist.
Sachlich Neues bringt natürlich die Tafel nicht,
sie giebt nur die Möglichkeit, das, was man in der
Tabelle erst langsam und nach und nach aus den
Ziffern herauslesen muss, auf Einen Blick zu sehen.
Ich kann mich desshalb auf folgendes beschränken:
5 . Potenz (Punktirte Linie) läuft nur in den
zwei ersten Columnen über der Indifferenzlinie,
kommt auch am Schluss nicht über sie herauf.
11, Potenz (Linie aus Kreuzen) zeigt klar die
drei Phasen: Erste und letzte über dem Strich, die
mittlere unter dem Strich.
15, Potenz (untere gestrichelte Linie) zeigt deut¬
lich das zeitliche Zusammenfallen des Wirkungs¬
nachlasses bei 13. und 15. Potenz, aber auch, dass
die Nachwirkung hier bei der 15. Pot. dem Nach¬
lass durch die Steigerung der Flüchtigkeit viel
rascher folgt und der Nachlass nicht mehr Unter
den Strich sinkt.
Digitized by v^ooQle
155
23* Potenz (feine ununterbrochene Linie) zeigt
klar Me lange Dauer der Eratwirknng Und dass
hier die Scheidung in eine Mittelphaae und eine
ansteigende Nachwirkung zwar auchabfcr kaum an-'
gedeutet.ist
Die meiste Aehnlichkeit zeigen die 30. Potenz
(obere gestrichelte Linie) und 100. Potenz (dicke
nicht unterbrochene Linie) in der klaren Sonderung
der Curve in zwei durch ein Thal getrennte Berge,
die auch in der Lage sehr nahe zusammenfallen,
nur dass bei der 30. Potenz beide Berge gleich
hoch und breit, bei der 100. ungleich in Höhe und
Breite sind.
1000 . Potenz (Linie ans Bingen und Punkten)
zeigt die Ueberlegenheit dieser Potenz über alle
anderen in den 4 ersten Minuten der Wirkongezeit
durch die Stärke der Wirkung. Davon, dass später
die Ueberlegenheit auf der längeren Dauer der
Wirkung beruht, während die Stärke geringer ist,
sieht man natürlich auf der Tafel nur das letztere.
(Nr. IV^lgt.)
Die Jagd nach neuen Mitteln, —
Snlfonal, besonders in der Psychl-
atrik. — Psychiatrisches.
Von Dr. Mossa in Stuttgart.
Es ist ein sonderbares, im Grunde wenig er¬
freuliches Schauspiel, das die moderne Schul-
medicin darbietet, indem sie sich in ihrer Thera-
peutik von der chemischen, vielgeschäftigen Industrie
so gar sehr in das Schlepptau nehmen lässt. Immer
neue Mittel bringt die letztere auf den Markt, deren
sich dann sofort die klinischen Anstalten bemäch¬
tigen, um sie an den ihnen anvertrauten Kranken
nach allen Bichtungen hm zu 9 versuchen.* Hier
und da, wo man noch ein ärztliches Gewissen hat,
wird das neue und neueste Heilmittel wenigstens
erst an Thieren geprüft; aber diese Thierversuche
sind meisthin so einseitig, so roh, dass aus ihnen
die psychologischen Wirkungen des Mittels auch nicht
sicher zu ersehliessen, die feineren Eigenthümüch-
keiten gar nicht zu erkennen sind. Es danert ge¬
meinhin nicht lange, so stösst man in der, meist
principlosen, klinischen Anwendung solcher neuer
Heilmittel auf gewisse, oft gar üble v NebenWirk¬
ungen*; je öfter diese constatirt werden, desto miss¬
trauischer wird man gegen diese Anfangs im Ueber-
maass gepriesenen Mittel, um sie schliesslich ganz
•in die Rumpelkammer zu werfen. Man höre nur
das Klagelied, das die Apotheker über diese Vor-
: gänge anstimmen! — 1 Da die Industrie, der es ja
im Grunde mehr auf {Gewinn ankommt, um die
neuen Medieamente'sa poussirsn» eine oft recht
rstafke, selbst die Tagesblatter ausüutzendeBeclame
betreibt, so Wird durch diese moderne Jagd nach
neuen Mitteln die Würde und das Ansehen der
Heilkunst Und des ärztlichen Standes, die ohnehin
von ihrem alten Nimbus schon so viel eingebüsst
haben, immer mehr geschädigt
Gegen dieses Gebahren ist die populäre Beförderung
der Heilknnst und Wissenschaft in unseren für das
Volk geschriebenen homöopathischen Zeitschriften
ih der That nur ein unschuldiges Vorgehen zu
nennen. Wenn wir aber trotzalledem von diesen
neuen Mitteln Notiz nehmen, ja eines derselben,
das Snlfonal, ausführlicher hier besprechen wollen,
so geschieht dies weniger in der Absicht, unsern
schon so überfüllten, kanm noch zn übersehenden
Arznei schätz noch zu vermehren, als aus wissen¬
schaftlichen und praktischen Gründen. Unter diesen
Arzneistoffen sind die meisten entschieden sehr
different, in den starken Dosen, worin sie oft ge¬
geben werden, stark, bis zur Vergiftung wirkend,
welche gehörig an Gesunden geprüft und nach
naturwissenschaftlichem, homöopathischem Principe
angewendet, sicherlich schätzbare Heilwirkungen
entfalten würden.
Da uns überdies nicht selten Kranke zur Be¬
handlung kommen, welche mit jenen Mitteln bereits
tractirt worden sind, so darf uns die Wirkung der¬
selben in Bezug auf Diagnose und Mittel wohl
nicht gleichgültig sein. — Das Snlfonal ist bekannt¬
lich von der Schulmedicin hauptsächlich als schlaf¬
machendes Mittel verwerthet worden, da man ihm
vor andern Hypnoticis als Morphium, Chloralhydrat,
Bromkalium, Cannabis indica und so manchen an¬
deren neuentdeckten gewisse Vorzüge zuschreiben
zu können meinte. — Mit ganz besonderem Eifer
haben sich die Irrenärzte desselben bemächtigt, wie
ja überhaupt die Hypnotica in der Psyohiatrik
eine hervorragende Bolle spielen. Man will der
von aufreibender Schlaflosigkeit und oft unbändiger
Gliedernnrnbe gequälten Kranken um allen Preis,
nicht blos ihrer selbst willen, sondern auch wegen
der durch sie gestörten Mitkranken und des Wärter¬
personals, 8chlaf und Rahe verschaffen, ja erzwingen.
Diese Buhe wird in der That oft durch Narcoti-
sation der Kranken erzwungen, so dass man sich
kaum des Eindrucks erwehren kann, dass diese
Art zn beruhigen einer medicamentösen Zwangs¬
jacke nahe kommt. Es ist schade, dass wir ans
der nordamerikanisohen, unter der therapeutischen
Herrschaft der Homöopathie stehenden Heilanstalt
für Geisteskranke so wenig erfahren und deshalb auch
nicht wissen, wie man dort mit derartigen Patienten
i fertig wird.
Bei niobtfiebernden, asthenischen Kranken soll
das Sulfonal in mässiger Dosis (0,5) ziemlich sicher
einen ruhigen Schlaf erzielen.—Die Psychiatriker,
20 *
Digitized by
Google
die aber ein ganz anderes Krankheitsmaterial vor
sieh haben, sehen sich genöthigt, das Mittel in
methodischer Weise, d. h. längere Zeit fortgesetzt
zu gebrauchen. Dr. Vorster-Königslutter giebt uns
in seiner Abhandlung über „die methodische Sulfo-
nalbehandlung bei Geisteskranken", die im 47. Bande
(1891) der allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie
publicirt ist, manche interessante Aufschlüsse hier¬
über.
Als Ausgangspunkt für die Entwicklung der
Wirkungsweise des Sulfonals soll das physiologische
Experiment dienen. Käst weist besonders auf die
nach dem Mittel bei Thieren eintretenden Bewe¬
gungsstörungen hin; die Bewegungsweise der Thiere
erinnerte ihn in ihrem Anfangsstadium an das Be¬
nehmen der Thiere, denen man die motorischen
Gehirnrinden - Parthien exstirpirt habe. So zeigen
sich auch beim Menschen besonders nach längerer
Zeit fortgesetzten Sulfonalgebrauch (was nach un¬
serer Ansicht aber weiter nichts ist als eine chro¬
nische Vergiftung mit Sulfonal) Bewegungsstörungen
und zwar mit dem Character lähmungsartiger
Schwäche: Taumeln, Schwäche in Armen und Beinen,
Zungenlähmung. Dem Sulfonal kommt also, schliesst
Verf., schon physiologisch eine motorisch-depressive
Wirkung zu, und so entspreche es pathologischen
Verhältnissen, in denen cerebrale Reizzustände ein
Uebermaass von Bewegungen ausüben. „Das Sul¬
fonal setzt hier mit souveräner Macht an Stelle
der motorischen Ueberproduction motorische Ruhe
auf die Psychose selbst, die innere Unruhe bei der
der beängstigenden Hallucination wirke es dagegen
nur sehr wenig.“ Auch Verf. hat beobachtet, wie
Kranke, welche lärmten, umhersprangen, zerstörten,
alles beschmierten, duroh Sulfonal in ihrem exces-
siven, verkehrten Treiben theils wesentlich einge¬
schränkt, theils zu äusserlich geordnetem Benehmen
geführt wurden.
In einem Fall, bei einer 59 Jahre alten Frau,
welche auf ihre lebhaften Gehirn-, Geschmacks- und
Gesichtshallucinationen in sehr lauter Weise durch
fortwährendes Schwatzen und Schreien reagirte, gab
Verf. vom 31. Mai an Morgens 1,0, Abends 0,5 Sul¬
fonal Am 15. Juni ist Patientin entschieden ruhiger
bei Nacht wie bei Tage, dabei taumelt sie nicht,
war auch nicht somnolent. Bei Fortsetzung des
Mittels hält sie sich dauernd ruhiger; sie schilt nur
selten. — Aber weshalb? „Die Zunge ist zu der
früheren, anstrengenden Tbätigkeit nicht mehr be¬
wegungsfähig genug" d. h. also sie redet nicht mehr
so viel als vordem, weil sie nicht mehr so viel
reden kann. Die Zunge ist auf dem Wege zur
Parese. — Vom 7. August hört schliesslich die
Wirkung des Sulfonal, selbst bei einer Gabe von
1,5 auf.
Ein 54 jähriger Mann, an secundärem Blöd¬
sinn leidend, mit lebhaften Hallucinationen und
hochgradiger motorischer Erregung; er spricht viel
vor sich hin, springt umher, zerstörungssüchtig,
leicht gewaltthätig. 7 Tage lang täglich 4 mal 0,5
Sulfonal ohne besonderen Erfolg; die Dosis wird
auf die Tagesgabe von 3,0 gesteigert. Nach sechs
Tagen kann er kaum noch gehen, taumelt sehr
stark, liegt schläfrig im Bette. Bei fortgesetztem
Mittel, nach 25 Tagen: Patient schläft viel, ist
ziemlich benommen, reagirt wenig auf äussere Reize,
nässt in’s Bett; Puls und Respiration ungestört.
Das Essen muss ihm beigebracht werden. Dosis
auf 2 g. pro die herabgesetzt. — Nach 7 Tagen
besinnlicher, kann aber noch nicht allein essen. —
Nach 20 Tagen völlig erholt; er liegt ruhig im
Bette, spricht zuweilen vor sich hin, ohne jedoch
laut zu werden, isst ohne Beihülfe, reicht die Hand
zum Grus8e, sagt, es gehe ihm gut. — Sulfonal
zu 2,0 fortgesetzt, etwa 4 Wochen lang: dann nur
zu 1,0. Hierauf nach 6 Tagen wieder sehr lebhaft,
springt umher, hat zwei Hemden zerrissen. Nach
Erhöhung der Tagesgabe auf 2,0 geht es wenige
Zeit wieder erträglich — schliesslich aber tritt der
alte Zustand wieder ein, das Mittel deshalb ausge¬
setzt. — Doch wozu die Casuistik vermehren?
Wir geben zu, dass bei derartigen Kranken,
mit gewiss erheblichen Veränderungen im Central¬
nervensystem, eine Einwirkung selbst nur palliativer
Art schwer zu erzielen, eine Heilung oft unerreich¬
bar sein mag, indessen die mit 8ulfonal in so starken
Dosen mehr weniger auf Kosten des Organismus
erzwungene palliative Beschwichtigung einiger, frei¬
lich sehr lästiger, Symptome, die schliesslich wieder
ausbleibt, kann dies unsere Sympathie für ein
solches Mittel abgewinnen?
Dabei bleibt die Psychose fast immer unver¬
ändert. Wenn ein Autor berichtet, dass bei einer
Dame, die früher viel an nervösen Zuständen ge¬
litten, nach dem Gebrauch von Sulfonal Illusionen
und Hallucinationen aufgetreten seien, so begreifen
wir die von einem andern gemachte Beobachtung,
dass bei derartig Erkrankten jene Erscheinungen
noch lebhafter hervortreten, sowie die des Verfassers,
dass dieselben in den meisten abgelaufenen Fällen,
auch nachdem Sulfonal die motorischen Störungen
beschwichtigt, ungestört fortbestehen und nur selten
schwinden. Es liegt aber, sehen wir daraus, in
der Wirkungssphäre dieses Mittels, wie der meisten
grossen Narootica (Bell., Hyosoyam, Stramon. etc.)
die Psyche, resp. das Gehirn so zu beeinflussen,
dass Illusionen und Hallucinationen hervorgerufen
werden; weil man das Mittel aber in zu starken
Gaben verabreicht, so erhöht es diese Erscheinungen
eher als dass sie diese beschwichtigt.
Bei der hier besprochenen, sogen, methodischen
Anwendung8wei8e des Sulfonal trat uns die Wir¬
kungsweise dieses Mittels in ihrem ersten Stadium
hauptsächlich nach der motorischen Seite entgegen:
Digitized by v^ooQle
m
eine Herabsetzung der BewegU&keit bis zur läb-
mungsartigen Schwäche. Zuerst werden die unteren
Extremitäten ergriffen, sodann die Zunge und die
Oberglieder; es zeigt sich Ä taumelnder Gang, lallende
Sprache, Schwäche der Arme« Das Sensorium zeigt
sich müde und schläfrig.
Bei fortgesetztem Sulfonalgebrauch folgt dann
ein zweites Stadium, welches sich durch Ueber-
wiegen der sensorischen Störungen auszeichnet Die
Schläfrigkeit steigert sich zum Sopor; der Kranke
kann sich auch bei Tage nicht wach erhalten, auf
lautes Anrufen erwacht er jedoch. Die Schmerz¬
empfindung hat abgenommen, die Hauptreflexe sind
abgeschwächt oder erloschen, die Sehnenreflexe
erhalten. Die motorische 8chwäche hat dabei auch
zugenommen, tritt indessen durch die Trübung des
Sensorium8 in den Hintergrund. — Dr. Vorster
hält das erste Stadium, das sich, um einen Effect
zu erzielen nicht immer vermeiden Hesse, fflr un¬
gefährlich. Das zweite bedeute aber ein Zuviel und
mahne zur Vorsicht, weil auch die Herzthätigkeit
dabei mitunter geschwächt sei. Nachtheiligen Ein¬
fluss auf die Urogenitalapparate will man nicht be¬
obachtet haben, wohl aber solche auf den Digestions-
tractus: drei Mal anhaltende Obstipationen, zwei Mal
folgte auf die Verstopfung Durchfall; letzterereinige
Male mit Blut gemengt. Alle diese Erscheinungen
sch wanden wieder beim Aussetzen des Mittels ohne
bleibende üble Folgen — In mehreren Fällen hat
man auch einen den Masern ähnlichen Hautaus¬
schlag, aber ohne Fieber und ohne Betheiligung
der Schleimhäute, beobachtet. Bei einzelnen Kranken
konnte Verfasser die Nachwirkung des Mittels noch
mehrere Tage nach dem Aussetzen desselben con-
statiren. — Vor dem Morphium soll Sulfonal den
Vorzug haben, dass sich der Organismus nioht daran
gewöhnt, so dass es jederzeit ausgesetzt werden
kann ohne einen solchen Sturm krankhafter Erschei¬
nungen wie beim Unterbrechen des Morphium her¬
vorzurufen. Zum Schluss sagt Verfasser: „Wir er¬
blicken in der methodischen Sulfonalbehandlung eine
wesentliche Bereicherung der psychiatrischen The¬
rapie — “ nun, im Angesicht der beigebraohten
Thatsachen, wirft dieses Urtbeil kein erfreuliches
Licht auf den Status jener Therapeatik. — Wir
Homöopathen werden wenig geneigt sein, uns dieses
Mittels zu jenen Zwecken zu bedienen, zumal die
uns besser bekannten Heilstoffe Bell., Stramon.,
Veratrum album., Zincum etc. nach manchen, in
unserer Literatur niedergelegten Erfahrungen, ja
nach den individuellen Eigentümlichkeiten derartig
Erkrankter Bedeutendes zu leisten im Stande sind.
Hier liegt der klinischen Beobachtung noch ein
weites Feld offen. Ueber die Wirksamkeit von
Stramonium in manchen Fällen von Delirium tremens
alcoholicum habe ieh in dieser Zeitschrift vor einer
Reihe von Jahren, als ich noch im Lande der exqui¬
siten Söhnapstriuker: weilte, einige nicht uninter-
essante Beiträge geliefert. —*) ,,
Uebrigens hat man schon seit alten Zeiten auch
bei Geisteskranken die Behandlung nach dem Aehn-
lichkeitsprinzip zu leiten versucht, und so eine Art
Homöopathie ausgeübt Hippocrates giebt den Rath:
,Gieb dem Kranken einen Trunk von Mandragora
in einer kleinern Gabe als der, welche Mania her¬
vorbringt.*
In Barton 8 ehedem vielgerühmtem Buche the
anatomy of Melaucholy kommt folgende merkwürdige
Stelle vor: „Wenn all die vorher besprochenen
Mittel nicht aoschlagen, so wird es kein Missgriff
sein, was Favanarola und Aelian Montaltes so sehr
empfehlen, clavum clavo poliere (einen Nagel durch
einen andern zu treiben), eine Leidenschaft mit einer
andern auszutreiben, wie man Bluten aus der Nase
durch Blntlassen am Arm, Furcht durch eine andere
Besorgniss aufhebt, ein Verfahren, das Christophorus
a Verga ein rationelles, non älienum a ratione,
nennt Auch Lemnius billigt es, „auf einen harten
Klotz einen harten Keil zu setzen*, eine Krankheit
durch eine andere wegzutreiben, wie ein Kranker
von einer Quartana geheilt worden sei, als er plötz¬
lich durch einen Ueberfall der Feinde überrascht
wurde. — Besser als durch Widerspruch den Irr¬
sinnigen entgegen zu treten, sei es, auf ihre Ideen
einzugehen.
Forestus erzählt von einem an Melancholie Lei¬
denden, der sich einbildete, er sei todt Nach dem
Rathe der Aerzte setzte man neben das Bett des
Kranken eine Lade, worin sich einer seiner Ge¬
fährten wie ein Todter gelegt hatte. Dieser richtete
sich dann etwas auf und ass. Auf die Frage des
Irrsinnigen, ob denn die Todten auch essen, sagte
sein Konterfei Ja; worauf dann auch der Kranke
das Gleiche that und somit zur Heilung gelangte.
Will man diese psychische Behandlungsweise
keine homöopathische nennen, so giebt sich aus ihr
wenigstens die Tbatsache kund, wie mau in der
Richtung nach dem Aehnlichkeitsprincip hier durch
Beobachtung individueller, hervorstechender krank¬
hafter Erscheinungen und deren sanfte Umstimmung,
nicht aber durch gewaltsame Unterdrückung, zu
einem Heilerfolge gelangen könne. Wie wichtig
solche Winke, Indicationen, selbst für die psychische
Erziehung werden können, davon giebt uns Kidd i
in seinem Buche the laws of therapeutics folgendes
hübsche Beispiel:
Georg Combe berichtet in seinem Werke über
Amerika von einem Besuche bei einem Arzte, der
sich ihm gegenüber ganz bitterlich über das schlimme
Betragen seines Lehrlings beklagte, der fast jegliches
Fenster und jegliche Thür in seinem Hause zer¬
brochen habe, indem er von frühem Morgen bis
*) Bd. SS, pag. 75, 83, ISS.
Digitized by
Google
zum Abend alles, was Schloss und Angel, Tbür und
Fenster heisse, rninire. Er halbe sehen alle möglichem
Besserangsmittel, aach Prügel undFasten, versucht
— aber alles umsonst. Indem er sieh den grosseh
Bdhädel des Jungen betrachtete, und dessen so
exoessiven Thatendrang in Erwägung zog, drängte
sieh ihm der glückliche Gedanke auf—■ durch an¬
gestrengte Arbeit den Zerstörungstrieb des Jungen
zu heilen. Demgem&ss stand der Doctor am näch¬
sten Morgen um 6 Uhr auf, brachte seinen Lehr¬
ling in den Holzschober, und trug ihm auf das
für den Tagesbedarf nöthige Holz zu hauen und zu
spalten. Das that dieser mit Vergnügen — und
so verging der erste Tag, ohne dass er im Hause
einen Unfug angerichtet hatte. Die frische, schwere
Arbeit machte ihn so glücklich, dass er fortan jeden
Morgen ungerufen an dies Werk ging. — Von der
Zeit an machte er seinem Lehrherrn keine Be¬
schwerde mehr. —
Nun, die moderne Psychiatrik bringt ja auoh
die Arbeit, zumal die ländliche, sowie auch Hand¬
arbeit, Gymnastik und Massage als diätetische Heil¬
mittel in Anwendung; nur habe ich nicht ersehen
können, ob sie specielle, individuell-characteristische
Krankheitserscheinungen der geschilderten Art auch
individuaHsirend dabei berücksichtigt. — Bei dem
methodischen Sulfonalgebrauch, wie bei Anwendung
der Hypnotica, tbut sie es jedenfalls nicht. Daher
gilt von derartigen klinischen Heilversuchen der
Ausspruch des alten Weisen des Urarztes aus Kos:
Der Versuch ist gefährlich.
Acute Manie mit Syphilis.
Bald nachdem ich mein Bedauern ausgesprochen,
dass wir so wenig über die Erfolge der homöopa¬
thischen Behandlungsweise bei Psychopathien er¬
führen, kam mir die folgende Mittheilung aus einem
amerikanischen Journal zu Gesicht.
Eine 50jährige Dienstmagd hatte bereits zwei
Anfälle von acutem Wahnsinn gehabt, den letzten
vor 5 Jahren, dann war sie gesund gewesen, bis
etwa vor 2 Wochen, vor ihrer Aufnahme in das
Westboro-Asyl. Sie war ziemlich gut genährt, ob¬
wohl die Muskeln schlaff und schlotterig waren.
Es zeigte sich bei ihr ein grösseres, unregelmässiges
Geschwür, 2^2 Zoll quer über den oberen Theil
der Stirn und ein kleineres darüber an der Schädel¬
decke, sowie Nodi an beiden Schienbeinen. Das
obere Geschwür, das in die Tiefe ging, hatte die äussere
Tafel des Schädels durchbrochen. — Bei ihrer Auf¬
nahme war sie schlaflos, schwatzte die ganze Nacht
hindurch; hatte Gehörhallucmationen, sie redete,
sang und schrie gegen die ihrer Phantasie vor¬
schwebenden Personen Tag und Nacht. Sie schlug
die Nahrung aus, in üem Wahne, dass diese ver¬
giftet sei* Ihre Sprache war unzusammenhängend,
oft obscön und gemein. Niemals war sie gewalt-
thätig, aber laicht dazu gebracht, beleidigende Aus¬
drücke zu gebrauchen»
Sie erhielt Acidum nitricum L Dec., DiL —
Innerhalb einer Woche schlief sie in einer Nacht
2 Stunden und ass ziemlich gut. Nach Verlauf von
zwei Woohen traten zeitweise lichte Augenblicke,
von 1—2 Minuten ein. — Die Bänder der Ge¬
schwüre hatten ein besseres Aussehen. — Nach dem
Ende der vierten Woche stand diese Besserung aber
still. Nun ward Aurum muriaticum 3 Dec. ge¬
geben. Nach einigen Tagen zeigten sich jedoch
die Geschwüre mehr entzündet, die Patientin auf
geregter, so dass man sich entschloss zu Acidum
nitricum zurück zu kehren. — Die Besserung trat
bald wieder hervor und schritt bis zur völligen
Heilung fort, die dann 2 Monate später erfolgte.
(Dr. Gev. 8. Adams in N. E. Medical Gazette,
April 1891). Dr. Mossa.
YHI. Jahresbericht des homöo¬
pathischen Hospitals in München.
Vor kurzem ging uns dieser Bericht zu, der,
so kurz er ist, doch von dem echt homöopathischen
Geist, in dem das dortige Spital geleitet wird, be¬
redtes Zeugniss ablegt. Wie alle derartige Berichte,
die aus dem Jahre 1891 stammen, in erster Linie
zum Koch’schen Tuberculin Stellung nehmen, so
giebt dies auch hier das Hauptthema. Im Anschluss
daran erhalten wir in kurzen, markigen Zügen ein
Resumä über sämmtliche Fragen der homöopathischen
Heillehre, die unser Herz bewegen. Wenn nur über
alle diese Punkte Einigkeit in unserem Lager
herrschte!
Die Stellung des Verf. dieses Berichtes zum
Koch’schen Tuberculin ist folgende:
Es ist nicht ein Stoffwechselproduct, sondern
ein Zerfallsproduct der meist schon abgestorbenen
Tuberkelbacillen und gehört zu den nosodischen,
auch Isa genannten Pharmaca. ln den Händen der
ordinirenden Aerzte des Spitals hat es sich „vielfach
überraschend und dauernd erfolgreich bewährt" bei
den verschiedensten Formen acuter und chronischer
Tuberculose. Es wurde von denselben innerlich in
10., 30. und 100. Potenz „in wenigen und sehr
seltenen Dosen" gegeben.
Es ist sehr erfreulich, dass diese Herren Coli,
sich nicht dazu herbeiüessen, nach der allopathischen
Weise Einspritzungen vorzunehmen, wenn auch.in
wesentlich geringerer Verdünnung, doch noch so
stark, dass die bekannten Beactionserscheinungen
eintraten, entgegen der Lehre Hahnemann’s, die
Dosen so zu wählen, um nur möglichst geringe,
wenn nicht gar keine sichtbare Reactiön zu erzielen.
Digitized by Google
MM
Sie hatten den Mhth, sofort die Oonsequenzen sii
sieben, die uns unsere Heillehre gebietet and di6
Anwendungsweise des Koohins nach unserer Weise
-*» offenbar znxn Wohls ihrer Patienten — zn mo-
difieiren.
Aneh die sonstigen Besaitete bei dem im Kranken-
haos Verpflegten scheinen günstige gewesen za sein
and es wäre im Interesse unserer Sache gewiss ein
verdienstliches Werk, wenn wir mehr über diese
erführen.
Von Herzen wünschen wir dem Münchener ho¬
möopathischen Spitale ein ferneres Blühen und Ge¬
deihen, was bei der tüchtigen Leitang and bei dem
vorhandenen nicht unbeträchtlichen Vermögen kein
allza aussichtsloser Wunsch sein dürftet
Göhrum.
Epidemiologische Ecke.
In den letzten 14 Tagen gingen mir folgende
Mittheilungen zu:
Ide-Stettin berichtet am 28./4., dass das eben
auftretende Epidemicum Phosphor sein werde (Husten
in Folge von Kitzel am Gaumen).
Dierkes-Paderborn schreibt am 24./4., dass seit
8 Tagen eine Epidemie von Gallenfieber geherrscht
habe: meist leicht ikterische Färbung des Gesichtes,
Appetit- und Verdauungsstörungen, Beschwerden
auf dem Magen, Bückenschmerzen besonders auf
Druck, Kopf-und Genickschmerzen. Calc. phosph. 2.
-f- Nux vom. 15. half rasch, sicher und dauernd;
zuweilen, besonders am 28., nach späteren Berichten
von da ab constant Calc. phosph. 2. + Apis 15.
Alle Krankheiten stehen unter dem Einfluss dieses
Genius ep.
Leeser-Bonn hatte am 22./4. Nachm. Hep. -{-
Ratanh. = Puls.; am 23. Kal. carb. -{- Bell. =
Apis; am 24. Kal carb. -j- Tone.; am 27. und 28.
vorzugsweise = Veratr. alb., am 28. auch Acid.
fluor. 4“ Bell, und Apis; am 29., Bar. carb.
Bell.; am 80. Ac. phosph. -J- Taraxac. = Nux vom.,
Abend Nitr. ac. -j- Taraxac. = Stann.
Kim-Pforzheim: Seit dem 15./4. tritt wieder
häufiger Influenza auf, dabei ist fast ausnahmslos
= Euphras. angezeigt; gegen die ersten Schwäche-
anfälle dabei- leistete bei Kindern Zinc. oft gute
Dienste; sonst vereinzelt =*» Veratr., = Mer cur.
Am 5./5. schreibt Kim, dass seit dem 29./4. ver¬
einzelt Lycopod. und Bapt. tinct. (bei gastrischen
Fiebern) an gezeigt sei; bei Masern und Keuchhusten
Dros. + Spong.; bei Catarrhfiebern Natr. mur. 4~
Iris oder -f- Ledum.
Stiegele-hier theilte mir am 2./5. mit, dass er seit
ca. 8 Tagen Spigelia sehr häufig angezeigt finde;
am 4./4. viel Kali bichromic.
Ich-hier hatte am 22./4. Kal. carb. 4“ Bell.;
am 23.—25. Hep. -j“ Euphr.; am 25. auch häufig
Ao. phosph, -f" Ignq am 26%, Ao, mur. 4" Laeh.
und An. fluor. 4“ BeU; um 27. letztere Combination
und viel Ac. phosph. 4- Ign.; vom 28/4. bis 4,/5.
vorwiegend Ac. fluor. 4" Töne. = SpigeL (in dieser
Zeit hatte ich mehrere Fälle von Böteln in Behand¬
lung), daneben auch nicht selten Baryt* carb. 4~
TonC. und Natr.'mur. 4- Led.; vom 4./5. Vorm.
10 Uhr ab Ac. oxalic. 4" Tone.; heute Acid. oxalio.
4- Ramme. sceler. (?), auch Bar. carb. 4” ‘Tone.
Weiss-Gmünd berichtet am 24./'4. von den letz»
tan Wochen: bei vereinzelten Influenzafällen stets
Sabadill.; bei schweren Bronchitiden, catarrh. Pneu-
monieen im Gefolge der Influenza mit für das Mittel
charaoteristischen zähem Secret und Betheiligung
der Nasenschleimhaut stets Kali bichromic.; in der
letzten Woche mehrfach acute Magen- und Darm-
catarrhe mit Veratr.
Buob-Freudenstadt hatte am 13./4. Mercur.; am
14. Kreosot, Kal. carb., Natr. mur.: am 15. Kal.
carb. 4- Cumarin., Mercur. viv. 4~ Raph. sat; am
16. Jod., Plat, Natr. mnr., Bell., Raph. sat; am 17.
Jod. 4“ Valer., Kal. carb. 4“ Raph. sat; am 18.
Jod. -- Plat; am 19. Kreos. 4“ Sabadill.; am 20.
Aur. 4“ Euphr.; am 21. Quere, rob. 4" Sabadill.,
Magn. carb. 4“ Merc. corr.; am 22. KaL carb. -f“
Sabadill. Einige Fälle von Diphtherie des Dick-
danns besserten sich rasch auf Merc. corr. Ferner
am 23. Phosph. 4“ Asar. eur., Kat carb. -f- Kreos.;
am 24. Natr. mur. 4“ Sabadill., Magn. carb. -f-
Merc. corr.; am 25. und 26. Seneg. 4“ Bris; am
27. Phosph. 4- Kal. carb., Natr. mur. 4” Led.;
am 28. Cist can. 4“ Spigel.; am 29. Kal. carb. -{-
Natr. mnr., Bryon.; am 30. Phosph., Bryon.; am
1./5. Bar. carb., 8eneg., Camph.; am 2. Ipecac.
Vom 30./4 auf den 1./5. bei Ostwind und Schnee¬
wehen wieder Inflaenzarecidive und einige neue Fälle.
Stuttgart, den 6. Mai 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Fragekasten.
Frau H. 22 Jahre alt, seit November verhei-
rathet, hat schon als Mädchen sehr an Magen¬
schmerzen gelitten. Ein Arzt glaubte es sei Magen-
erweitemng, ein anderer sagte, ihr Magen sei ge¬
sund und es seien Nervenschmerzen. Zu Anfang
nach ihrer Verheirathung hatte sie auch ab und zu
Magenschmerzen,, doch vergingen dieselben wieder.
Seit Weihnachten sind die Schmerzen aber nicht
mehr im Magen, sondern im Kreuz and Unterleib
abwechselnd, wie wenn Messer schnitten, und steigern
sich bis zu unerträglicher Höhe. — Die Kranke ist
nur selten frei davon; am besten ist ihr, wenn sie
im Bett liegt in gleiohmässiger Wärme, auch hatten
ihr anfangs warme Umschläge geholfen, doch wollen
die Schmerzen jetzt nicht mehr weichen. —
Digitized by Google
!<•
Eine Morphiumeinspritzung hat die Schmerzen auf
eine Weile gehoben, aber dann heftiges, anhalten¬
des Erbrechen hervorgerufen, dass sie ganz schwach
davon geworden ist Wenn die Schmerzen sehr
heftig sind, so wird die Kranke erst fieberheiss
und bekommt dann Frost Die 8chmerzen steigern
sich bei der geringsten Anstrengung, besonders beim
Treppensteigen. —
Als Mädchen hat dieselbe alle drei Wochen ihre
Periode gehabt, ohne alle 8chmerzen oder Störung,
nach ihrer Verheirathang alle 4 Wochen, jetzt
cessirt dieselbe seit 5 Wochen. Die Schmerzen
sind zur Zeit der Periode geringer\ Sie geniesst
viel Milch und ist ihr dies die liebste Nahrang.
Ihre Verdaaang ist ganz in Ordnung. Sie sieht,
wenn nicht fieberhaft geröthet, sehr blass and ver¬
fielen aas. — Die Schmerzen im Rftcken sind oft
plötzlich verschwanden and treten dann plötzlich
vorn im Unterleih auf, sind sehr heftig, so dass
dieselbe sich windet und stöhnt, obgleich nie sich
möglichst zusammen nimmt and hart gegen sich
ist — Ein organisches Leiden ist nicht zu diag-
nosticiren. Dr. Goullon.
DrnckfehlcrBeriektignng.
ln Nr. 17/18 muss es heissen:
S. 138 links in der Mitte: .Eine Allgemeinwirkung
des Schwefels kann höchstens die kleiner Schwefelwasser-
stotfmengen sein*. — 8. 189, Zeile 19 v. o. links ist zu
lesen: somatisch-psychischen. — 8.189, Zeile 80 v. n.
links ist das nicht in streichen.
ANZEIGEN.
| Med. Dr. Theodor Kafka in Karlsbad
wohnt wie im vergangenen Jahre im Hause „Allnaberg 66 , No. 385 am Markt, knapp vor
M dem Hötel Hannover.
FRANCK
'Rein,ohne jede
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
VerbesserfezJio/nöofwffi/scfier
Gesundheit-
nachDr F.Katsch
SCHUTZMARKE
^ u. Unterschrift
Wachenheimer Sect.
Pr&miirt Leipzig 1002: [La 1381]
Ehrenpreis der Stadt Leipzig und Goldene Medaille.
Blau Etlsaetts. A e .—\ incl. Kisten
Monopole . . . „ 3.60 \ u. Flaschen
Wels« Etlqnette ,, 3.— ( von 13 bis
Kaiser Perle . , 4 .—) 60 Sick.
Mit 10 % und 15% Rabatt.
Hauptniederlage und Generalvertreter
Eduard Brade, Leipzig, Ritterstrasse 17.
Wiederverkäufer und Exporteure Extra-Offerten.'
Zellenstoff - Unterjacken
aus Seide, Wolle | (ohne Knoten)
oder Baumwolle j tragen sich
warm und angenehm.
Unsere Netz-Jacken
werden von den titl. Prof DDr. Oppen¬
heimer, Hecker, Hiemeyer, Bamberg er,
Eichstedt, Jäger etc. als das der Ge¬
sundheit zuträglichste und zweckmässigse
empfohlen. Prosp. mit Zeugnissen ürzt
licher Autoritäten.
Carl March & Söhne, Freiburg (Baden).
Ein homöopathischer Arzt,
seit längeren Jahren auf dem Lande thätig, sucht
einen Wirkungskreis in einer mittleren oder grösse¬
ren Stadt, wo die Homöopathie genügend verbreitet
ist, um ausreichendes Einkommen zu gewähren.
Auch würde derselbe gern als Assistent ein-
treten, eventuell die Praxis eines älteren Collegen
übernehmen. Offerten unter J. H. 99. an die Exp.
dieses Blattes erbeten.
Gesucht
prakt. Arzt, Homöopath,
möglichst mit Dispensirrecht als Stellvertreter für ca
2—2 1 /2 Monate — ab 10.—15. Mai — in einer
Grossstadt Mitteldeutschlands.
Offerten unter Chiffre K. L. an die Expedition
dieses Blattes.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehnin-Stuttg&rt, Dr. StlfTt-Leipzig und Dr. Haedloke-Leipzig.
Expedition und Verlag von Willian Steinnetz (A. M arggraf 8 homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Gretener 4 Sobrann in Leipzig.
Band 124.
Leipzig, den 26. Mai 1892.
ALLGEMEINE
Ho.2lD.2i.
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig.
Erscheint 14tägig tu 2 Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bucbhandlungen and
Postanitalten nehmen Beitellnngen an. — Inserate, welche an JEt. Mosse in Leipsiff and denen Filialen sa richten lind,
werden mit SO/*/, pro einmal gespaltene Petitseile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt: Aufruf. — Vorläufige Einladung zu der am 9 . u. 10. August zu Stuttgart stattfindenden General¬
versammlung des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands. — Dia Frükjafcrsvsrsanmliing de« Sicks-Anhalt.
Vereins bomoopath Aerzte Referent Dr. Haedicke-Leipzig. — Aua der Praxis: Heilungen durob Lyeopodlum. Von
Dr. Hesse-Hamburg. — Die Zeiten der Arzneien. Von Dr. med. Ide Stettin. — Die Homöopathie und der Suggestionis-
mue. Von Dr. Julius Fuchs-Mönchen. — Zun Capitei der Gicht Von Dr. Theod. Kafka in Karlsbad. — Stabibad
Rastenberg in Thüringen. — Bichersobau. — Epidemiologische Eoke. — Fragekasten. — Anzeigen.
Aufruf.
Das Herannahen der Zeit, in welcher wir uns wieder mit den Vorbereitungen für die Central Vereins-
Versammlung zu beschäftigen haben, bringt ans die unerfreuliche Th&tsache in lebhafte Erinnerung, dass
noch eine ganze Anzahl namentlich jüngerer Collegen noch nicht dem Central verein angehören. Die
Ueberzeugung, dass es nur durch die Zusammenfassung aller unserer Kräfte möglich ist, den Kampf gegen
unsere Widersacher durchzuführen und die zur Förderung unserer Sache jetzt an uns herantreten¬
den Forderungen mit Erfolg zu erfüllen, veranlasst uns, zum Beitritte zu dem homöopathischen
Centralverein Deutschlands aufzufordem. Dieser Verein, dem es statutenmässig obliegt, die Homöo¬
pathie nach Aussen zu vertreten, und nicht nur die Angriffe unserer Gegner abzuwehren, sondern
auch für Ausbreitung unserer Lehre und deren innere Fortbildung Sorge za tragen, kann diesen Aufgaben
jedoch nur gerecht werden, wenn ihm die dazu nötbigen materiellen Mittel zur Verfügung gestellt
werden. Dazu das Seinige beizutragen, sollte jeder homöopathische Arzt als Ehrenpflicht, ja schon als
unabweisbares Gebot der Lebensklugheit betrachten, bedenkend, dass, was das Ganze fördert, auch ihm
fühlbar zu Gute kommen muss. Die nächste Gelegenheit dazu bietet der Eintritt in den homöopathischen
Centralverein, dessen Mitgliedschaft für das Opfer von 6 Mk. Eintrittsgeld und 6 Mk. jährlichen Beitrag
zu erlangen ist. Wir hoffen, dass diese Anregung genügen wird, um die noch Draussenstehenden zum
Eintritt zu veranlassen. Die Anmeldungen können bei einem der drei Vorstandsmitglieder, Dr. Weber-
Cöln a./Rh., Norbertstr. 16, Dr. Windelband-Berlin, Königgrätzer Str. 88., Dr. Lorbaoher-Leipzig, Bau-
hofstr. 11, geschehen. Doch muss derselben die Erklärung zweier ärztlicher Mitglieder des Vereins, dass
sie die statntenmässige Bürgschaft für den Angemeldeten übernehmen, beigefügt sein. Wenn der Neu-
angemeldete unter den Vereinsmitgliedern nur einen ihm bekannten Arzt hat, so sind wir bereit ev. die
Ergänzung der Bürgschaft zu übernehmen.
Der Vorstand des homöopathischen Centralvereins Deutschlands
_ I. V.; Dr. med. Lorbaoher. _
Vorläufige Einladung
za der am 9. and 10. Aagast za Stattgart stattfindenden Generalversammlung
des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands.
Die Mitglieder des Homöopathischen Central Vereins Deutschlands werden hierdurch zu der am
9. II. 10. August C. ZU Stuttgart stattfindenden Generalversammlung eingeladen mit dem ergebensten
Ersuchen, alle etwa beabsichtigten Anträge bis zum 1. Juli ©. an das Unterzeichnete Leipziger
Directori&lmitglied gelangen zu lassen, damit dieselben in der den Mitgliedern statutenmässig vier
Wochen vor der Versammlung znzusendenden Einladung Aufnahme finden können, andernfalls würden
sie nicht zur Discussion gestellt werden können.
21
Digitized by
Ausserdem wäre es sehr erwünscht, dass die mit ihren Jahresbeiträgen noch im Rück¬
stände befindlichen Mitglieder dieselben baldigst an den Kassirer, Herrn Apotheker Steinmetz (Marg-
grafs Nachfolger), einschickten, da dem früheren Beschlüsse gemäss die Rechnungsabschlüsse bei der
Einladung an die Mitglieder mit veröffentlicht werden sollen.
Die Einzelheiten für die Versammlung werden später mitgetheilt werden.
Leipzig, im Mai 1892. I. A.: I>r. iiied. A. liOrfoacher.
Die Frühjahrs Versammlung des
Süchs.-Anhalt. Vereins homöopath.
Aerzte.
Referent Dr. Haedicke-Leipzig.
Zur Festversammlung des 10jährigen Bestehens
unseres Vereins hatten sich am 10. Mai in Halle a./S.
ausser dem Vorsitzenden Sanitätsrath Dr. Faulwasser -
Bern bürg und dem Schriftführer Dr. F/7/w-Dresden
folgende Collagen eingefunden:
Dr. Berenbruch- Dessau.
Dr. Gr<w-Magdeburg.
Dr. Haedicke-Leipzig.
Dr. Henze-Ilatte.
Dr. Hergt-Jen&.
Dr. Magdeburg.
Oberstabsarzt Dr. Rokozvsky-Leipzig.
Dr. Stifft-Le\pz\g.
Dr. 7k/V^/wö««-Sommerschenburg.
Staatsrath Dr. JFrf/s-Erankfurt a./O.
Entschuldigt hatte sieb College Lutze , der auf
seiner Hochzeitsreise begriffen war.
Nach der Eröffnung der Sitzung durch den Vor¬
sitzenden gab derselbe zunächst einen kurzen Rück¬
blick über das 10jährige Bestehen des Vereins und
überreichte alsdann dem Collegen Teichmann eine
künstlerisch angefertigte Adresse. Dieser Senior
unseres Vereins war schon im vorigen Jahre aus
Anlass seines 50jährigen Doctor-Jubiläums zum
Ehrenmitglied ernannt worden, ebenso wie früher
Hartlaub, Brückner und Kafka sen.
Der Wortlaut der Adresse war folgender:
Medicorum homoeopathicorum societas saxo-anlialtina
virum clarissimum experimentissimum amplissimum
Manritium Teichmann
medicinae doctorem, medicum practicum homoeo-
pathicum celeberrinum optime de arte medica ho-
moeopathica meritum, summis henoribus academicis
decem ante lustra acceptis ante diem quintum idus
octobris anni 1891 pia grataque gratulatione in
sociorum honorariorum numerum coaptavit idque
his litteris declaravit.
h. t. praesides:
Dr. Faulwasser. Dr. Villers.
Nachdem darauf der Vorstand durch Acclamation
wieder gewählt worden war. wurde Magdeburg als
Versammlungsort für die Herbstversammlung am I
9. October gewählt.
Eingegangen waren bei dem Vorsitzenden zur
Besprechung: C. Hilber’s Reagens-Papier zum Nach¬
weis von Zucker und Eiweiss im Harn, zu beziehen
bei Schlag und Berend, Berlin, Alexanderstr. 70,
das wegen seiner leichten Handhabung und relativen
Sicherheit den Collegen empfohlen werden kann.
Ferner eine Offerte für hölzerne Zungenspatel
von Harnsen in Hamburg, Rosenstr. 11, pr. Dtzd.
34 Pfge. Dieselben sind wegen der grösseren
Sauberkeit in der Praxis besser als alle anderen zu
verweithen, da sie wegen des billigen Preises nach
einmaligem Gebrauche weggeworfen werden können.
Auf unseren Wunsch sind dieselben schon seit Jahres¬
frist auch in Marggrafs homöopathischer Officin in
Leipzig zu haben.
Schliesslich eine sensationelle Flugschrift: Die
Medicin unter der Herrschaft des Messers — von
einem Freunde der leidenden Menschheit, der wir
unter Bücherschau in dieser Nummer eine beson¬
dere Besprechung widmen werden.
Der zweite Gegenstand der Tagesordnung be¬
traf die Electrohomöopathie des reclamesüchtigen
Apothekers Sauter in Genf. Ein Vorschlag, die
homöopathischen Apothekenbesitzer zu veranlassen,
diese Geheimmittel in den Apotheken nicht zu ver¬
kaufen, wurde abgelehnt, weil man den „berühmten
Erfinder“ und Kurpfuscher Sauter in Genf in Zu¬
kunft völlig ignoriren wolle. Als rühmenswerth
wurde hervorgehoben, dass die beiden homöopathi¬
schen Apotheken in Leipzig sich nicht mit diesem
schwindelhaften Geheimmittelunfug befassen und
den Vertrieb der * Sternraittel tf trotz aller Ver¬
lockungen energisch abgelehnt hätten. Gegen die¬
jenigen Collegen aber, welche die Sauterschen Ge¬
heimmittel in der Praxis anwenden und öffentlich
vertreten, wurde ein protocollirtes Tadelsvotum be¬
antragt und einstimmig beschlossen.
Der wissenschaftliche Theil der Tagesordnung
betraf die Discussion über Koch's Tuberculin, welche
ergab, dass von den Anwesenden nur wenig günstige
Erfahrungen damit gemacht worden waren. Faul¬
wasser hat keine Erfolge von der internen Behand¬
lung gesehen und auch Villers in 10 Fällen weder
mit 3. 6. noch mit 30. c eine Besserung erzielt
Stifft hat im Krankenhause 4 Fälle von Tuber-
culose mit dem Koch’schen Mittel behandelt, wo¬
rüber er referirt. Obgleich bekanntlich Koch s. Z.
behauptet hat, dass das Tuberculin innerlich un¬
wirksam sei, beobachtete Stifft dennoch bei einer
Digitized by v^ooQie
1«S
Patientin auf Tuborculin c 3 wiederholentlich folgende
Reactionen: Schüttelfrost, hohe Temperaturen bis
39,5, Milzsehwellung, vermehrten Durchfall mit Leib*
schmerzen, Beschwerden, die beim Aussetzen der
Medication jedesmal wieder wiehern Bei der Ver¬
abreichung von c 5 in Verreibung ganz derselbe
Effect. Nachdem die 15 c-Verreibung angewendet
wurde, trat keinerlei Reaction mehr ein — aber
auch keine Besserung im Verlaufe von 4 Wochen.
Rohowsky beobachtete dagegen bei einer Pa¬
tientin nach Verabreichung der 30. Dec.-Potenz
wiederholt starke Verschlimmerung, so dass er von
dem Gebrauche dieses Mittels absah und später mit
Ars. jod. 5 c die Kranke wieder arbeitsfähig machte.
Stifft referirte folgenden Fall, den er später
noch eingehend Veröffentlichen wird. Ein 2 7 jähriger
Mann wurde seit Ende Juli an Tuberculose mit
Lungen6chrumpfung und Cavernenbildung von ihm
behandelt und am 27. October ins homöopathische
Hospital aufgenommen. Derselbe war früher wie¬
derholt katbeterisirt worden. Am 28./X.: Senso-
liuin benommen, retentio urinae, 38,5 Temp. Es
wurde mit dem Katheter 1 Liter klarer normaler
Harn entleert. 29./X. früh: Starke Somnolenz,
schlechter Puls, Schmerzen in der Blasengegend.
Nachdem viele vergebliche Versuche mit verschie¬
denen Kathetern erfolglos gemacht waren und eine
alte fausse route sich feststellen liess, gelang es
endlich einen mittelgrossen weichen Katheter ein¬
zuführen. 29./X. Abends: erhöhte Schmerzen in der
Blase, starke Somnolenz, retentio urinae. Wiede¬
rum viele vergebliche Versuche mit der Katheteri-
sation, bis dieselbe schliesslich mit einem weichen
Zinn-Katheter gelang, worauf sich eine grosse Menge
Blut und endlich blutig tingirter, stark ammoniaka-
lischer Harn entleerte. 30./X.: beständiges Aus¬
sickern von Blut aus der Harnröhre, Agonie. l./XI.:
exitus letalis.
Sectionsbefund: Lungen, Mensen terialdriisen,
ductus thoracicus und trigonum mit Miliartuberkeln
durchsetzt, im letzteren schwammiges Granulations¬
gewebe auf hyperämischen Boden. Die Hoden,
Blase und Nieren sind frei.
Epikrise: Es handelt sich um eine von aussen
nach innen übertragene Infection bei Gelegenheit
der früher vorangegangenen Katheterisationen und
zeigt der Fall, dass die Infection nicht nur durch
die Athmungsorgane, Drüsen und Darmtractus, son¬
dern auch durch das Blut vermittelt werden kann.
Nach Erledigung der Tagesordnung verliest Faul¬
wasser die von Dr. Gross geschriebene Einleitung
seines von Hering übersetzten Buches: comparative
materia medica und macht auf den hohen Werth
dieses für uns wichtigen Buches aufmerksam, an
dessen Rückübersetzung in’s Deutsche er gegen¬
wärtig arbeitet Wir sind der Ueberzeugung, dass
dasselbe später bei den Collegen grossen Anklang
finden muss und leben der Hoffnung, dass sich, mit
dem Verleger ein Arrangement treffen lassen wird,
damit den deutschen Collegen dieses vortreffliche
Werk wieder zugänglich gemacht wird. Dem Col¬
legen gebührt jedenfalls unser allseitiger herz¬
lichster Dank für die Inangriffnahme dieser lieber^
Setzung.
Nach Schluss der Sitzung blieben die Anwesen¬
den noch einige Stunden beim fröhlichen Mahle
zusammen. Wir glauben, dass auch diese Versamm¬
lung ihren Zweck, Stärkung des Gefühls der Zu¬
sammengehörigkeit und gegenseitige wissenschaft¬
liche Anregung erfüllt hat.
Viribus unitis res crescunt.
Aus der Praxis: Heilungen durch
Lycopodium.
Von llr. Hesse- Hamburg.
I.
Eine 60jährige abgeraagerte Frau vom Lande
leidet seit 2 Jahren an Speiseerbrechen, das nach
jeder Speise eintritt. Bitterer Geschmack.
Stets voll von Blähungen .
Verstopfung.
Sie muss auf dem Rücken und hoch liegen.
Die Kranke erhielt am 17. Sept. 1889 5 Pulver
Lycopod. x, jeden Abend 1 Pulver zu nehmen.
Am 5. Oktober ist das Erbrechen fort und der
Appetit besser. Scheinpulver.
Ich hörte von der Patientin nichts mehr bis
zum 3. Mai 1890, wo mir mitgetheilt wurde, dass
sie sich seit der Zeit vollständig wohl fühle.
II.
Frau M., 40 Jahre alt, klagt seit Jahren über
Anschwellung des Leibes, gegen Abend eintretend,
oft von ungefähr 3 Uhr Nachmittags an.
Häufiges Wasserlassen Nachts.
Schmerzen in der rechten Eierstocksgegend seit
einer Geburt «vor 6 Jahren.
Viele Blähungen; Kohl und Hülsenfrüchle wer¬
den schlecht vertragen.
Liegen nur auf dem Rücken möglich.
Anschwellung der Füsse gegen Abend .
Kalte Füsse.
11. Okt. 1889 Lycopod. x 5 Pulver, jeden Abend
1 Pulver.
11. Novomber: es ist in jeder Beziehung bedeu¬
tende Besserung eingetreten. Die Patientin hätte sich
nicht wieder gezeigt, da sie über Anschwellung des
Leibes, Blähungen, geschwollene Füsse etc. nicht
mehr zu klagen hatte, wenn sie nicht für einige
andere Beschwerden, die zeitweise mehr hervor¬
traten, Hilfe gesucht hätte.
Sie leidet viel an Schnupfen und Zahnschmerzen,
21 *
Digitized by
Google
16*
bat bei Erkältung leicbt Schmerzen beim Schlucken.
An Nasenbluten bat sie viel gelitten.
leb gab ihr überflüssiger Weise noch einmal
6 Pulver Lycopod. x, alle Wochen 1 Pulver zu nehmen,
sehe aber in meinen Notizen schon Sulfur notirt,
als Mittel, das nach Lycopod. am besten für die
restirenden Schmerzen gepasst hätte in diesem Falle.
Indessen zeigte sich die Patientin nicht wieder; am
1. April 1891 erfuhr ich gelegentlich, dass sie seit
der Behandlung nichts mehr zu klagen hätte.
III.
Frau Gr., 48 Jahre alt, hat seit Jahren Magen¬
leiden. Alles wird zu Blähungen , besonders Obst,
Hülsenfrüchte, Schwarzbrod .
Magen und Leib schwellen gegen Abend an,
Appetit mässig, kein Durst.
Nur Rückenlage möglich.
Heissender Schmerz in den Fusssohlen.
Hitze in den Füssen; nie kalte Füsse.
Nacken gleich steif bei Erkältung, besonders
bei Regenwetter.
Menses alle 3 Wochen, oft schwarz und stückig.
12. Nov. 1890, Lycop. x; 6 Pulver, wöchentlich
1 Pulver.
Am 2. Januar 1892 finde ich notirt, dass die
Patientin es nicht für nöthig gehalten, sich noch
einmal zu zeigen; schon die ersten Pulver halfen.
Kunkel charakterisirt kurz und scharf Lycop.
wie folgt:
Dürre, trockene Haut, Tendenz zu Ausschlägen.
Sehr hervorstechend ist seine Wirkung gegen Bläh¬
ungsbeschwerden, die Nachmittags (4—8 charakt.)
auftreten mit Kopfcongestionen und Gesichtshitze
bei kalten oder nasskalten Füssen. Warme Zimmer-
lufb unangenehm. Im Schlaf Rückenlage mit stark
erhöhtem Kopf. Niedrige Lage des Kopfes, Seiten-
lage unmöglich, ebenso warmes Einhüllen des Kopfes;
Kopfbedeckung oft unerträglich; ebenso langesSitzen,
Sattessen. Die Kranken neigen zu Säurebildung,
saurem Erbrechen.
Lycop. gehört zu den am schärften charakteri-
sirbaren Mitteln und gerade bei ihm lässt sich in
den passenden Fällen die Wirkung Vorhersagen
und die Wirkung der 30 Potenz für Ungläubige
demonstriren. Eine empfindliche Dame, welche ich
durch Lycop. (ausser wenigen Dosen Sepia in der
späteren Zeit der Behandlung) von jahrelangem
Asthma befreite, bekam nach jedem Pulver Lycop.
in 30 Potenz eine kolossale Auftreibung des Leibes,
welche mehrere Tage andnuerte. Es war eine Form
von Asthma, wie sie Farrington, den man nie auf¬
schlägt, ohne Etwas zu lernen, unter Nux vomica
beschreibt. Er sagt: „Nux ist manchmal nützlich
im Asthma. Dies Asthma ist meist nicht das rein
nervöse Asthma, sondern das, welches von gastri¬
scher Störung kommt. Es ist verbunden mit einem
Gefühl von Völle und Druck im Magen, was be¬
sonders nach einer tüchtigen Mahlzeit auftritt, wo¬
bei der Kranke alle Kleider um die Hypochondrien
lösen muss. Der Bauch ist von Blähungen ausge¬
dehnt. Aufstossen erleichtert diesen asthmatischen
Zustand. Carbo, veg. und Lycop. können in An¬
wendung kommen bei Asthma von Abdominal-
reizung mit ausgesprochener Flatulenz.“ Bei obiger
Dame bestimmten mich Verschlimmerung: Nach¬
mittags und Abends, Besserung und zwar die ein¬
zige Besserung: durch Geben im Freien zu Lycopod.
Momentan habe ich einen Cigarrenarbeiter in
Behandlung, auf den die obige Beschreibung des
Nux-Asthmas passt. Husten und Kurzatmigkeit,
schlimmer nach Mitternacht und in Bewegung,
besser durch Aufstossen, Magen und Leib stets ge¬
schwollen, Gefühl eines Reifens um den Leib, das
ihn sehr belästigte. Ohne Erfolg und unrichtiger
Weise bekam er von mir Kal. carb. wegen der
Verschlimmerung gegen 3 Uhr nach Mitternacht.
Bei dem folgenden Besuche erzählte er mir, dass
er die Arznei schon des Morgens um 4 Uhr nehme,
da'sei er ausserordentlich munter, nachher schlafe
er wieder ein, erwache nach diesem Morgenschlaf
sehr schlaff und müde. Dies mit der Auftreibung
des Leibes brachte mich auf Nux vomica. Einige
Tage später las ich im Farrington mit grossem
Interesse obige Notizen. Man sieht wieder, wie
man vorteilhafter Weise den Krankheitsnamen weg¬
lässt, die Gesammtheit der Symptome berücksichtigt
und wie oft gerade die Symptome auf das passende
Mittel hindeuten, welche vom Kranken selbst nicht
in den Vordergrund gestellt werden.
Oft findet man bei Lycop. nur eine Verschlimme¬
rung gegen Abend, oft aber auch genau von 4—8
ausgeprägt. Eine schon 8 Tage bestehende Lungen¬
blutung wurde sofort durch Lycop. zum Stehen
gebracht.. Bestimmend waren: Fieberzustand genau
von 4—8, Unerträglichkeit des warmen Zimmers.
Letztere fehlt selten oder nie. Das Verlangen nach
frischer Luft ist ungemein charakteristisch und oft
so gross, dass auch im nicht geheizten Zimmer
Thüren und Fenster offen stehen müssen. Vor
einigen Jahren leistete mir Lycop. gute Dienste in
mehreren schweren Diphtheriefällen, wo die Uner¬
träglichkeit des warmen Zimmers und das 4 —8
eintretende oder sich verschlimmernde Fieber mich
auf diese Arznei brachten. Bald darauf lernte ich,
dass Lycop. bei den amerikanischen Collegen einen
berechtigten Platz einnahm bei Diphtherie mit Sitz
oder Ausgang auf der rechten Mandel, Verstopfung
der Nase. Selten fehlen sonstige Symptome von
Lycopod.
Bekanntlich wurde das Krankheitsbild von Lycop.
benutzt im Jahre 1889 von Dr. Chapman, um das
Vorhandensein eines einheitlichen Princips in der
homöopathischen, und den Mangel eines solchen in
Digitized by v^ooQle
der allopathischen Therapie evident zu demonstriren.
Er schickte an 10 hervorragende Allopathen und
ebensoviele Homöopathen folgenden Brief unter Bei¬
fügung von 2 Dollar:
Geehrter Herr Dootor! Ä Ich leide stark an Ver-
dauungsschwäche und bitte um ein passendes Recept.
Mein Appetit ist gut, aber schon ein paar Mund
voll verursachen ein Gefühl von Völle und Auf¬
treibung, als ob ich eine tüchtige Mahlzeit zu mir
genommen hätte. Mein Essen reicht nicht hin, mir
meine Kräfte zu erhalten. Mehr oder weniger
Schmerzgefühl in der Lebergegend. Verstopfung
mit viel Blähungsauftreibung in Magen und Leib.
Auch meine Nieren müssen krank sein, da ich
in der Nierengegend Schmerzen und im Urin viel
rothen Sand habe.
Mein Temperament ist lebhaft von Natur; ich
bin gern in Gesellschaft, aber jetzt bin ich oft in
gedrückter Stimmung. Ein Umstand ist mir als
charakteristisch aufgefallen: Regelmässig von 4—5
oder von 8—9 Abends fühle ich mich schlechter.
Letzteres ist keine Einbildung, sondern seit Jahren
von mir bemerkt worden.
Ich bin 42 Jahre alt, verheirathet etc.“
Die Homöopathen bat er nur um Angabe des
Mittels. Von den 8 Allopathen (2 antworteten
nicht) kam eine wahre Blumenlese von Recepten
zusammen, in denen Salzsäure, China und Tinct.
Strychnin besonders häufig vorkamen, die 10 Homöo¬
pathen, worunter J T. Kent in Philadelphia, Lilien¬
thal in San Francisco, Mc. Veil ebenda, Boericke
ebenda, J. B. Bell in Boston (dessen Abhandlung
über „Diarrhoe“ mustergiltig geworden ist für ähn¬
liche Bücher, wie „Wechselfieber* und „Husten“
von H. C. Allen in Chicago, dem Redacteur der
Medical Advance), Reed in St. Louis, Dowling in
New York, gaben übereinstimmend Lycopodium an.
Da nun die Allopathen drüben sich mit Vor¬
liebe die „reguläre* Schule nennen, so fragt College
Chapman mit Recht: Wo liegt nun das Reguläre,
bei den Allopathen, wo nicht zwei Recepte sich
gleichen oder bei den Homöopathen? Sehr richtig
fügt er noch hinzu, dass jeder Homöopath, wenn
er nur irgendwie den Namen verdient, auf Lycop.
gekommen wäre.
Die Zeiten der Arzneien.
Von Dr. med. Ide-Stettin.
Im fünften Bande der Zeitschrift des Berliner
Vereins homöopathischer Aerzte habe ich eine Arbeit
über die Zeiten der Arzneien gegeben. Ich bringe
hier einen Nachtrag zu dieser Arbeit. Es sind
Aufzeichnungen, wie ich sie in der Zwischenzeit
aus der Lectüre und Beobachtung nach und nach
gewonnen habe. Auf Vollständigkeit, soweit über¬
haupt davon die Rede sein kann, macht diese Zu¬
sammenstellung keinen Anspruch. Aber auch so
kann sie nützlich werden, wie ich das täglich in
meiner Praxis erfahre.
Aus diesem Grunde bin ich einer Aufforderung
der Redaction dieses Blattes gern nachgekommen,
dieselbe an dieser Stelle zu veröffentlichen.
Die Wiederholungen haben ihren Grund in der
rascheren AufÜndbarkeit, wenn das Symptom, resp.
das Mittel in mehrere Zeiten hineinreicbt.
Verschlimmerung im Frühling.
Laches., Mercur.
Schnupfen: All. Cep., Geisern. .
Hautaus schlüge: Natr. sulf,.
Verschlimmerung im Sommer.
Aethus. cyn., Aran., Natr. mur., Sarsap. .
Durchfall: Kalicarb., Laches., Üleand., Oenanthe,
Rheum, Rhus tox., Veratr..
Ilautaffectionen: Kali carb., Muriat. ac.
Besserung im Sommer.
Aescul. hipp..
Husten: Arsen, jodat.
Verschlimmerung im Herbst.
Durchfall: Asklep., Ipecac., Colocyntb., Iris vers..
Asthma: China.
Verschlimmerung im Winter.
Aescul. hipp., Ipecac., Psorin..
Husten: Kali carb., Psorin.
Hautsymptome: Alum., Nux mosch., Petrol. .
Verschlimmerung bei Neumond.
Bovist., Clemat., Natr. carb., Sabin., Sulf..
Hautsymptome: Alum., Bovist., Clemat. .
Verschlimmerung bei zunehmendem Mond.
Clemat, Dulc. .
Milchschorf: Clemat..
• Verschlimmerung bei Vollmond.
Schwerhörigkeit: Graphit.
Periodicität
Schlimmer alle 10—14 Tage: Kali phosph. .
Schlimmer alle 7 Tage: Arsen., Phosph. .
Schlimmer alle 2 Tage: Calcar. carb. (Abends)..
Schlimmer einen Tag um den andern: China.,
Chamom., Natr. mur. .
Kopfschmerzen schlimmer einen Tag um den
andern: Chin., Hydrocyan. ac., Phosph. .
Schlimmer alle 3 Tage: Aur. .
Schlimmer alle 7 Tage: Phytolacc. dec., Sabadill.,
Sanguin., Silic. .
Digitized by
166
Schlimmer alle 14 Tage: Arsen.
Schlimmer alle 6 Wochen: Magnes. mur. (in der
Stirne und um die Augen, als ob der Kopf bersten will).
Periodische Kopfschmerzen: Natr. mur. (während
der Menses), Spigel.
Zahnschmerzen einen Tag um den andern:
Churaom., Natr. mur.
Würmerbeseigen periodisch alle 2 Tage: Lycopod..
Alle 8 Tage einmal schmerzhafte Urinabsonde¬
rung: Canthar. .
Brennen in der Scheide, jeden Tag genau zu
derselben Stunde: Chelidon. .
Abort im 3. Monat: Cimicifug. rac.
Periodisches Nasenbluten: Kali carb. (Vorm.
9 Uhr).
Alle 7 Tage wiederkehrendes Asthma: Kali carb..
Ischias schlimmer alle 4 Tage: Lyc. .
Frost alle 14 Tage: Laches. (?).
Frost jeden anderen Abend während der Schmer¬
zen: Puls..
Frost zu derselben Zeit jeden Tag: Cact. grand.,
Cedr., Cina, Geisern.
Hitze zu derselben Stunde wiederkebrend: Sabad.,
Sil., Stan. .
Am Tage.
Schmerzen Tags, nicht Nachts: Argent. nitr. .
Schmerzen schlimmer Tags, so lange es hell ist:
Nux vom. .
Schmerzen besser während des Tages: Sep. .
Zahnschmerzen nur am Tage, Abends besser:
Mercur. .
Nur am Tage, nicht Nachts: Bell., Calc. carb.,
Mercur, Nux vom. .
Morgens.
Morgens beim Erwachen schlechter: Ignat., Natr.
inur., Nux vom., Snlf., Scilla (fast alle Beschwerden
wie Catarrhe, Schwindel, Uebelkeit, Husten schlimmer
Morgens).
Besser bei Tagesanbruch: Aur., Colchic., Mezer.,
Nux vom. Sy philin.
Besser resp. Verschwinden der Schmerzen, die
Nachts sich verschlimmert hatten, so dass die Bett¬
ruhe eine woblthätige ist: Mercur . .
Besser Morgens: Mercur., Chelidon. (Neuralgieen).
Schlimmer Schmerzen in den Knochen und im
Periost, besonders des Schädels: Rhododendr. .
Schwäche alle Morgen: Acalyph. ind., Tarantul. .
Nervöse Schwäche und Erschöpfung: Natr. mur.
Grosse Müdigkeit und Schwäche beim Erwachen,
mit Kopfschmerzen und Mundgestank. Rheum.
Allgemeine Schwäche schlimmer von 9—11 Uhr:
Tarantul..
Morgens niedergeschlagen, Abends lustig: Zinc.
Schwindel mit. Kopfschmerz: Amon. mur.
Klopfen in der Stirn mit Uebelkeit und Er¬
brechen schlimmer Morgens vor 10 Uhr, besser
beim Niederlegen: Natr. mur..
Dumpfe, betäubende Kopfschmerzen schlimmer
Morgens und beim Bücken, besser beim Niederlegen
und in kalter Luft: Phosphor.
Kopfschmerzen oft mitErbrechen: Hep. sulf. calc..
Kopfschmerzen undPulsiren im Kopf, edle Morgen:
Natr. carb. .
Kopfschmerz, welcher Morgens begonnen hat
und Nachmittags schlimmer wird: Nux vom..
Kopfschmerzen Morgens beginnend und im Laufe
des Tages zunehmend: Cact. grand..
Erwacht jeden Morgen mit heftigen, zersprengen¬
den Kopfschmerzen: Natr. mur., Sulf. .
Kopfschmerzen Morgens beim Erwachen: Bryon.,
Calc. carb., Ignat, Kalm. lat., Natr. mur., Nitri ac.,
Nux vom., Rheum, Sulf., Graphit (mit Brechneigung,
meist einseitig).
Kopfschmerzen schlimmer Morgens 8 Uhr: Thuja.
Jeden Morgen bohrende Schmerzen in der
Nasenwurzel: Hep. sulf. calc.
Nasenbluten: Ara., Carb. an., Chin., Sulf.
Nasenbluten morgens beim Erwachen: Aloö. .
Nasenbluten jeden Morgen nach dem Waschen:
Arn, .
Nasenbluten jeden Morgen zur selben Stunde:
Carb. veg. .
Nasenbluten um 8 Uhr: Bryon. .
Die linke Backe ist roth, glänzend und heiss
Morgens beim Erwachen: Lil. tigr. .
Zahnschmerz sehr heftig gegen Morgen: Tart. ein..
Zunge weiss, trocken und grosser Durst: Nitr.ac. .
Mund nach dem Schlaf mit übelriechendem Schleim
bedeckt: Rheum. .
Mundgestank beim Erwachen: Rheum.
Uebler Mundgeruch: Arn., Bell., Caraph., Gratiol.,
Nux vom., Puls., Silic., Thea.
Trockenheit des Schlundes: Cist. can. .
Appetitverlust , vollständiger Morgens, aber Mit¬
tags und Abends grosses Verlangen nach Nahrung:
Abies nigr. .
Geschmack sehr schlecht: Puls. .
Oft geschmackloses Aufstossen: Con. .
Uebelkeit: Droser..
Fortwährende Uebelkeit Morgens mit Ohnmäch-
tigkeit, mit Anhäufung von Wasser im Munde:
Petrol. .
Uebelkeit schwangerer Frauen, besser durch
Essen, nach 2 Std. wiederkehrend: Anacard. .
Würmerbeseigen alle 2 Tage: Lycop. .
Brennen und Kneipen im Magen ) Morgens nach
dem Aufstehen: Natr. sulf..
Ausdehnung des Magens mit Leerheitsgefühl:
Croc. .
Digitized by v^ooQie
Erwacht jeden Morgen mit kneifenden Kolik¬
schmerzen besser durch Zusammenkrümmen: Petrol..
Bauchschmerzen, oft mit Erbrechen: Hep.sulf. calc..
Die Bauchwandungen scheinen wie zerrieben
and zerstossen, wenn man Morgens beim Erwachen
sich auszustrecken sucht: Rhus tox. .
Durchfall, oft unfreiwillig, schmerzhaft, flüssig,
schwärzlich, nur Nachts und besonders gegen Mor¬
gen: Psorin.
Durchfall früh Morgens beim Erwachen: Rumex
crisp. .
Durchfall morgens, aus dem Bette treibend:
Sulf. .
Schweisse an den Genitalien : Aurum.
Auswurf (Expektoration) gelblich oder grau,
mit salzigem und saurem Geschmack: Ambr. gris..
Auswurf schlimmer Morgens: Calcar. carb..
Husten: Arsen., Stramon. (trockener)..
Husten morgens 4 Uhr mit Würgen, blauem
Gesicht, kaltem Schweiss und Zittern: Tart. em. .
Husten morgens 5 Uhr: Nitr. (mit blutigem
Auswurf, Stichen in der Brust und betäubendem
Kopfweh). .
Husten mit gelblichem, blutig gestreiftem Aus¬
wurf: Natr. mur. .
Husten mit Auswurf: Mephit. .
Husten mit Auswurf nur Morgens: Phosph. ac..
Kehlkopf husten, der des Morgens unmittelbar
nach dem Aufstehen beginnt, mit dickem, gelati¬
nösem, sehr zähem Auswurf, zuweilen perlfarbig,
zuweilen dunkelgelb, eine Stunde anhaltend: Silic..
Krampfhusten mit Brechwürgen, besonders Mor¬
gens: Kreosot.
Bluthusten : Acalyph. ind.
Asthma früh besonders beim Erwachen: Con. mac..
Asthma früh Morgens: Yeratr. alb. .
Blutungen , mit ausgesprochener, morgendlicher
Verschlimmerung: Acalyph. ind. .
Rückenschmerzen schlimmer um4 Uhr: Angustur..
Lähmungsgefühl in der Nierengegend beim Er¬
wachen: Aur. .
Ischias Morgens schlimmer: Nux vom..
Ischias schlimmer 3—5 Uhr: Sep. .
Hände kalt und blau: Apis.
Schwerer Schlaf bis 9 Uhr Morgens: Anacard.
Schlaflosigkeit nach 3 Uhr Morgens: Nux vom..
Erwachen mit plötzlichem Autfahren zwischen
3 und 6 Uhr Morgens; dann schwerer Schlaf und
mühsames Erwachen: Euphras. .
Frost: Apis, Bryon., Chin., Drosen, Eupator.
purp., Mangan., Podophyll., Sep..
Frost morgens 6 Uhr: Am., Veratr. alb. .
Frost morgens 7 Uhr: Podophyll. .
Frost morgens 7 Uhr den einen Tag, um
12 Uhr den andern Tag: Eupator. purp. .
Frost morgens von 7—8 Uhr: Eupator. purp..
Frost morgens 8 Uhr: Thuj..
Frost morgens 9 Uhr: Lyeopod. (ohne folgende
Hitze oder Schweiss). .
Frost morgens IOV 2 Uhr: Castor., Lobei. infl. .
Frost morgens 11 Uhr: Cact. grand..
Schweiss vor dem Erwachen: Chelid..
Schweiss eftiger nach dem Erwachen: Sulf. .
Schweiss beim Erwachen: Ant. crud. .
Schweiss reichlich, nur Morgens beim Er¬
wachen: Ranunc. bulb.. (Forts, folgt.)
Die Homöopathie und der Sug¬
gestionismus.
Ein offener Brief
an Herrn Dr. C. F. Berater in München.
Lieber Freund!
.Ein verständiger Mann lässt weder
sich beherrschen, noch sucht er
andere zu beherrschen; er will,
dass einzig und allein und allezeit
die Vernunft herrsche.“
La Bruy&re.
Du behauptest, die Homöopathie beruhe auf
Suggestionismus. Wenn Du andere Heilmethoden
dasselbe Schicksal theilen lässt, der Homöopathie
aber einige besonders fett gedruckte Zugeständnisse
machst, so haben diese dennoch keine freundliche
Bedeutung, da Du sie nicht begründest. Ich werde
mir dadurch auch den Standpunkt, von welchem
aus ich meine gegenteilige Ansicht darlege, nicht
verschieben lassen.
Ueber die Homöopathie ist schon viel behauptet
worden. Einige sagten, sie bewirke gar Nichts,
Andere, sie vergifte die Menschen, wieder Andere
erachteten die dabei zu beobachtende Diät als das
wirksame Princip. Du nun glaubst an Buggestionismus
und machst uns Homöopathen in Deiner Abhand¬
lung mit einer Reihe von technischen Ausdrücken und
Begriffen des Suggestionismus bekannt, welche eigent¬
lich das ganze Gebiet des menschlichen Lebens um¬
fassen. Insbesondere unter die Idee der * unbeab -
sichtigten Suggestion “ lässt sich schliesslich alles
subsummiren, was nur irgendwie auf menschliche
Verhältnisse Bezug hat. Ausgeschlossen könnten
hier nur werden: die Mathematik, die technischen
und die Naturwissenschaften und die Philosopheme
der höchsten Geister unter den denkenden Menschen.
Nun, lieber Freund, muss ich Dir freilich vieles,
was den Suggestionismus betrifft, zugeben; vieles
aber, was Du in dieser Richtung gerade der Ho¬
möopathie supponirst, entschieden zurückweisen.
Lass mich reden. Ich gebe Dir also zu, was Du
Digitized by
UH
zwar nicht hier, aber an anderer Stelle behauptet
hast, dass es einen % Heerdentrieb' i giebt. Für mich
ist dies nichts anderes als ein grosser historischer
suggestiver Zug, der allen Völkern, ob gesittet
oder ungesittet, gemeinsam ist. Es ist die ererbte
Suggestion , auf der die Macht der Gewohnheit, aller
Aberglaube, alle Vorliebe für dies und jenes, und
jede Idiosynkrasie beruht. Durch diesen Umstand
wird die Freiheit des menschlichen Willens arg beein-j
träcbtigtund den bestehenden Vorurtheilen in der Weis«
Platz gemacht, dass bis auf den heutigen Tag jeder!
vornehme, edle, grosse und neue Geist beinahe sein
Leben lang zu kämpfen hatte und hat, um neben
der überall bereitwillig empfangenen Alltäglichkeit
zur Geltung zu kommen und sich eine Ehrenstelle
im Gedächtniss des Volkes zu sichern. All* jene
Geisteskämpfe, all’ jenes unablässige Ringen mit
sich und anderen, von dem uns das Leben der
Literaturheroön erzählt, was sind sie anders, als
die Selbstbefreiung einer machtvollen Persönlich¬
keit von dem suggestiven Zuge des ererbten Blutes,
von dem suggestiven Zug der Zeit?
Tausende von Beweisen könnte ich Dir geben,
dass die gewöhnliche Menschheit beinahe nur unter
suggestivem Druck zu leben pflegt. Alle Sitten
und Gebräuche, alles zähe Festhalten an ererbten
Anschauungen spricht dafür. Freilich hat dies auch
sein Gutes -— für den Conservatismus. Aber wir
beobachten auch Schicksalsfamilien, die nur durch
den suggestiven Zug ihrer Mitglieder, der sie in
Disharmonie mit der übrigen anders denkenden
Menschheit und mit ihrer Zeit bringt, vollständig
im Elend zu Grunde gehen.
Um Dir ein Beispiel zu geben, was ich mir von den
Wirkungen des Suggestionismus im ärztlichen Leben
verspreche, wirf einen Blick,lieber Freund, auf das un¬
übersehbare Heer von Hysterischen, Neurasthenischen
und halbverrückten Personen, welche durchaus den
Stempel der Suggestionssüchtigkeit an sich tragen.
Wenn Du bedenkst, was das Gehirn eines noch
so suggestionsfreudigen Arztes, was sein ganzes
Nervensystem leisten und aushalten müsste, um
sich mit all* diesen Leuten in suggestivem Rap¬
fort zu halten, so musst Du selbst gestehen: ja,
es ist rein unmöglich. Ich will Dich hierbei auch
daran erinnern, dass wir Aerzte von keiner Seite
verpflichtet worden sind, den S. in der Praxis an¬
zuwenden, dass dies auch unsere Kräfte übersteigen
würde, und dass wir uns den S. als therapeutischen
Versuch oder als besonderen Nothbehelf reserviren.
Du verpflichtest nun in Zukunft alle Therapeuten
zur Feststellung der psychischen Persönlichkeit und
der Suggestibilität ihrer Patienten. Er'^ere Beding¬
ung haben die Homöopathen von jeh T er erfüllt; ob
sie sich für die S. interessiren werden, weiss ich
nicht. Für nothwendig halte ich dies nur bei den
Arzneiprüfungen, für die nach meiner Ansicht noch
kein ganz zuverlässiger Modus gefunden worden
ist, tausende von Arzneisymptomen halte ich für
ganz individuell oder sogar für illusorisch. — Gar
nicht aber imponirt mir Deine „ Autosuggestion der
Besserung*, durch die sich in Zukunft die Leute
curiren werden oder auch schon jetzt curiren, wie
Du meinst. Man muss selbst schon öfters schwer
krank gewesen sein, um zu wissen, wie sehr einem
da alle Suggestionen vergehen. Dass Menschen
durch Einbildung krank werden, weiss ich wohl,
ob aber durch Einbildung auch wirklich Kranke
gesund werden können, bezweifle ich. Dagegen
gebe ich zu, dass auto- oder allosuggerirte Krank¬
heitssymptome durch Suggestion aufgehoben werden
können.
Schon bei unserer Erziehung spielen hereditäre
suggestive Vorstellungen eine grosse Rolle und hin¬
dern die Entwicklung der „Individualität“, welche
gerade das höchste Postulat aller jener Modernen
bildet, die auf der andern Seite für Suggestion schwär¬
men. Das Losringen von solchen suggestiven Vor¬
stellungen ist ein Hauptact zur Schöpfung der In¬
dividualität und darf deshalb der S. nicht sportmässig
betrieben werden, wenn man den geistigen Fort¬
schritt der Menschheit nicht hemmen will. Der Sug¬
gestionismus ist eine Zwangsjacke für das mensch¬
liche Gehirn; und der populäre Ausdruck für eine
stark suggestiv wirkende Persönlichkeit, die einem
aus sonstigen Gründen unsympathisch ist, lautet:
„Er ist ein unheimlicher Mensch.“ Stark suggestiv
zugängliche Menschen sind beinahe immer character-
los. Grosse Charactere zeigen wenig oder gar keine
Suggestibilität. Die Homöopathie, Heber Freund,
ist keine Kryptosophie , sondern eine offen und klar
zu Tage liegende Lehre, welche erprobte Principien
gezeitigt hat und Resultate, für die wir uns keine
anderen Ursachen unterschieben lassen, als unsere
Studien. Nicht Autorität , sondern Humanität und
Wissen ist unser Losungswort.
Es ist klar, wie man ein Kind nur erziehen
kann, wenn man seine Liebe geniesst, so kann man
einen Kranken nur dann mit Erfolg behandeln,
wenn man sein Vertrauen gewinnt oder besitzt.
Der Mensch ist eben ein psycho-physisches Wesen. Da
dies aber für jede Art Therapie zutrifft und über¬
dies, wie ich gezeigt habe, der ganze psychische
Untergrund des Krankenmaterials ein grossentbeils
suggestiver ist, so resultirt daraus, dass die Ho¬
möopathen nicht den mindesten Grund haben , die
Summe der schon vorhandenen suggestiven Vorstel¬
lungen noch künstlich zu vermehren. Wenn Du,
lieber Freund, forderst, man müsse in Zukunft
die Patienten auf ihre Suggestibilität prüfen, so
fällt mir dies gar nicht ein. Denn ich brauche
diesen Umstand gar nicht zu kennen. Ich weiss,
dass ich einen Menschen helfen oder dass ich ihm
nicht helfen kann, wenn ich ihn körperlich gründ-
Digitized by Google
.1 <
iw
lieh untersucht habe. Und jener Armen im Geiste,
welche suggestive Mannöver nicht merken würden,
giebt es unter den besseren Ständen auch nicht
viele. Auf geistreiche Leute würden sie einen ge¬
radezu abschreckenden Eindruck machen, und die
Absicht und der Erfolg würden sicherlich vereitelt
werden. Bei vornehmen Hysterischen, welchen man
beim ersten Besuch eine baldige Besserung ihres
Befindens in Aussicht stellt, tritt beim zweiten Be¬
such stets eine Verschlimmerung ein.
Mir scheint, sogar das Renommee des Arztes
und der Methode käme in Gefahr, wenn man Sug-
gehtiohismus grundsätzlich als therapeutische Maxime
verwendete und den homöopathischen Schild vor-
schützte. Nur bei reinen Geisteskrankheiten be¬
sonders solchen des Willens mache ich eine Aus¬
nahme zu Gunsten des Suggestionismus. Ich finde auch,
dass alle Forscher, die den Suggestionismus be¬
günstigen, derartige sind, die sich besonders gern \
und berufsmässig mit Geisteskranken und psychi- \
sehen Abnormitäten überhaupt befassen. — Aber
der gesunde Sinn einer gesunden Bevölkerung —
ich meine eine solche, die hereditär-suggestiv nicht
besonders belastet ist — lässt sich nicht betören.
Denn der suggestive Rapport ist eine Beeinträch¬
tigung der menschlichen Willensfreiheit auf beiden
Seiten und kann schädliche Folgen haben, da es
keine Mittel giebt, ihn auf den Heilbefehl zu be-i
schränken.
Auch bin ich durchaus nicht überzeugt, dass
die vielleicht guten Heilerfolge des S. auch dau¬
ernde sind. In der Praxis sehe ich das Gegentheil.
Hunderte von mesmerirten Personen, die gewiss
suggestiv beeinflusst sind, haben gar keinen oder
nur sehr vorübergehenden Erfolg und wenden sich
an die Homöopathie. Ja sogar die allbewährte
Hygiene versagt zuweilen ihren Nutzen, obwohl sie
in eindringlich suggestiver Weise gepredigt wird.
Z. B. Bäuerinnen erkranken regelmässig nach den
ersten hygienischen Versuchen mit frischer Luft;
Bädern, zweckmässiger Kleidung und Ernährung eta.
an einen rheumatischen oder nervösen oder Magenj-
leiden, weil der Contrast beleidigend auf ihre an¬
geerbten Suggestivvorstellungen einwirkt.
Geistliche und Lehrer müssten doch besonders
gut Gelegenheit haben, durch Massensuggestion her¬
vorragende Resultate zu erzielen. Zur Zeit hört
man nur von , denen des italienischen Padre da
Montafeltre.
So selten können die Suggestionisten unter
diesen Berufsklassen ja doch nicht sein?
Ich habe die Beobachtung gemacht, dass allge¬
mein bekannte Erfahrungen, die überall suggestiv
ins Bewusstsein getreten sind, bei vielen Menschen
nicht verfangen. Eine Familie, die ich einst nach
Karlsbad schickte zur Kur, beklagte sich bei der
Rückkehr über die arg stopfende Eigenschaft dieses
Wassers (sic!). — Eine zarte Natur, der icb eines.
Caturrhs wegen Emser Wasser angeraten hatte,
überhäufte mich mit Schmähungen, dass ich es ge-:,
wagt hätte, ihr ein so fürchterliches Abführwasser
zu verschreiben! -
Leute, die unter den Augen des Pfarrers Kneipp
und bei dem Curgebrauch in Wörishofen prachtvoll
gediehen und alle Krankheitssymptome verloren,
erkrankten nach ihrer Rückkehr von dort sogleich
schwer und nachhaltig, weil sie die Suggestivspbäre
des Herrn Pfarrers nicht mitnehmen konnten. Einige
davon hatten sogar mit grossem Eifer und mit Ge¬
nauigkeit die empfohlene, Kur zu Hause noch fort¬
gesetzt Aber der Erfolg war gegenteilig. >,
Ich für meinen Theil wäre wirklich in Verlegen¬
heit, die aus meiner Praxis auffallenden Fälle von
Suggestivwirkung zu kennzeichnen. Der Enthusias¬
mus mancher neuer Patienten mag ja etwas von
Autosuggestion an sich haben. Ich nähre ihn nie.
Aus dem gewöhnlichen Leben könnte ich Dir aber
viele Beispiele auffallender Suggestivwirkung er¬
zählen.
Ob Du Recht hast, den homöopathischen Aerzten
das .systematische Wissen um diese Erscheinungen*
zu supponiren, weiss ich wirklich nicht Ich be¬
zweifle es. Denn ich glaube nicht, dass es viele
giebt, die sich damit befasst oder auch nur darum
gekümnlert haben. — 1 - Es handelt sich da ja auch
immer um 2 Personen i
1) Eine suggestive Persönlichkeit'—die durch¬
aus nicht jeder homöopathische Arzt für jeden
Menschen ist,
2) um einen suggestiven Patienten, den man
auch nicht immer in jeben Fällen ontrifft, bei wel¬
chen man eigentlich auf einen Versuch , mit der
Suggestion angewiesen wäre. Denn es gehört doch
ein hoher Grad von Imagination dazu, zu glauben,
dass die absichtlich angewendete Allosuggestion auf
alle Menschen oder die Mehrzahl derselben irgend*
welchen Eindruck mache. Und das Suggeriren von
Nervenkränken ist eine höchst undankbare Sache,
die bei diesen Leuten leicht zum Sport ausartet,
und sie den Arzt zum Besten halten lässt. Ueber-
haupt sind atich hier meist nur .Scheinerfolge von
kurzer Dauer zu erzielen. Jedenfalls können sie
mit homöopathischen Heilerfolgen nicht conourjriren.
Wenn Du gesagt hättest, lieber Gerster, es sei
vorteilhaft, die Umgebung des Kranken, zu sug-
geriren, so würde ich Dir nicht widersprochen
haben. Denn eine dem behandelnden Arzt feindlich
gesinnte Person am Krankenbette kann tatsächlich
jeden gÜLstigen Erfolg der Behandlung vereiteln.
Schlier.*ch glaube ichlieber Freund Gerster,
dass man zur Befähigung als Arzt nicht nur ein
umfangreiches Wissen nötig hat, sondern dass es
für den erfolgreichen Arzt von nicht minderer . Be¬
deutung ist, eine therapeutische Ueberzeugung zu
22
Digitized by
Google
besitzen und die Kunst, sich das Vertrauen seiner
Patienten zu erwerben und zu sichern. Darüber
wirst Du sicher lachen, Verehrtester, weil ich so
unbefangen alles zugestebe, was Du wissen willst.
Aber vergiss nicht, dass ich die Absichtlichkeit
dieser Vorgänge und das Mittel der verbalen Sug¬
gestion in Abrede stelle. Das Vertrauen muss sich
auf anderen Wegen bilden. Ich glaube, dass das
Vertrauen eine Autogefühlssuggestion von Seite des
Patienten ist, welche man eben nur nicht zerstören
muss. Dies scheint mir die einzige negative An¬
forderung an den Arzt zu sein in dieser Beziehung.
Du aber stellst Dir die Sache offenbar so vor:
Der autosuggerirte Arzt giebt dem allosuggerirten
Patienten eine Arznei, und dieser wird durch Ueber-
gang der Allosuggestion in Autosuggestion gesund.
Oder es sind beide Tbeile autosuggerirt; Erfolg
derselbe. leb gestehe, mir gefallt diese Sprache
so wenig als der englische Rennsportjargon und
ich halte alle diese Ausdrücke im Grunde ge¬
nommen für höchst überflüssig, da es für das Ver¬
ständnis ganz gleich ist, ob ich sage, Patient ist
durch sein Vertrauen zu mir gesund geworden oder
ob ich sage, durch Uebergang von Allosuggestion
in Autosuggestion. Uebrigens werden täglich hun¬
derte von Patienten gesund, die nicht das mindeste
Vertrauen zu ihrem Arzt haben z. B. in Spitälern,
wo überhaupt die Gefühle der Kranken gar nichts
gelten. Erst neulich sah ich in einem deutschen
illustrirten Familienblatte die Bildnisse der hervor¬
ragendsten deutschen Kliniker. Ich war erstaunt;
hätte ich nicht einige davon persönlich gekannt
und wäre die Bezeichnung »Kliniker" nicht dabei
gestanden, ich hätte alle diese Herren für Fabrik¬
besitzer und Ingenieure gehalten. Sie sind es auch:
wahre Ingenieure des menschlichen Körpers, aber
weiter nichts. Gerade das Gegentheil von Dir,
lieber Gerster; denn Du bist ein Psychist vom
reinsten Wasser und vergissest beinahe über Seele
und Geist, dass der Mensch vorläufig eigentlich
doch ein sehr irdisches, materielles und theilweise
sehr prosaisches Geschöpf ist. Wir homöopathischen
Aerzte stehen genau in der Mitte zwischen Euch
Beiden.
Nun aber will ich Dir noch sagen, wie ich
glaube, dass Du zu Deinen Anschauungen ge¬
kommen bist
Von den humanistischen Studien weg hast Du
Dich den Naturwissenschaften und der Bergbau¬
kunde zugewendet, wodurch Du Dir eine grosse
Exaktheit im wissenschaftlichen Denken, aber auch
Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des mensch¬
lichen Geistes angeeignet hast, die sich zwar beim
Studium der todten Natur, nicht aber ebenso leicht
bei demjenigen der menschlichen oder überhaupt
lebendigen Organismen befriedigen lassen. Gleich¬
wohl hast Du das Bedürfnis gefühlt, den Geheim¬
nissen der Medicin auf den Grund zu blicken
und warst sicher enttäuscht, als Du nach jahre¬
langen, mühevollen und emsigen Studien in den
verschiedenen Specialfächern, denen Du Dich nach
und nach gewidmet hast, einsehen musstest, dass
die erfolgreiche Praxis des Arztes doch auch noch
auf etwas anderem beruht, als auf der schablonen¬
haften Anwendung erlangter naturwissenschaftlicher
Kenntnisse. Als Mensch warst Du ja von jeher
ein Skeptiker, dabei sarkastisch angelegt Als Arzt
bist Du nun ein Hygienist geworden und als Denker
ein Metaphysiker, was schon Dein Vater war.
Von ihm hast Du wunderbare Kurerfolge ge¬
sehen und er hat Dich in das Gebiet der Homöo¬
pathie eingeführt Du glaubtest, diese Erfolge
würden Dir bei den ersten Versuchen mit der Ho¬
möopathie sogleich auch erblühen — und sähest
Dich wahrscheinlich enttäuscht. Warum? Du ver-
gassest, wie viel Jahre mühevollen Studiums Dein
Vater auf die Kenntniss der Arzneimittellehre mag
verwendet haben und welche reiche praktische Er¬
fahrung ihm am Schlüsse seines Lebens zu Gebote
stand. Ich glaube, dass Du nicht so viele Monate
auf das Studium der Homöopathie verwendet hast
als er Jahre. Gleichzeitig zog Dich Dein Geist hin¬
über zu Duprel und Schmidkunz, Du lerntest die
Lehren des neueren Occultismus kennen und sahst
staunenerregende Dinge, blendende Erfolge, deren
Ursachen Du nun ohne weiteres mit den zuge¬
standenen günstigen Resultaten der Homöopathen
identificirst. Du vergessest aber, lieber Freund,
dass schon zu der Zeit, als Dein Vater Dich in
die Homöopathie einführte, Deine Anschauungen
nicht mehr frei von Suggestionismus sein konnten,
da Dein Vater, selbst eine stark suggestiv wirkende
Persönlichkeit, die Homöopathie in seinen letzten
Lebensjahren fast nur in Verbindung mit Sugges¬
tionismus ausübte. Er behauptete sogar einmal, er
könne reinen Streukügelchen eine beliebige Arznei¬
wirkung (durch S.) verleihen. Ueberdies war er
Psychist wie Du und hat schon in seinen frühen
Jahren ein Buch über Psychographie u. dgl. ge¬
schrieben. Ist da nicht die Neigung des Sohnes
erklärlich? Deine Begeisterung, lieber Freund, für
das Wohl der Menschheit ist eine hohe, warme und
wahre. Sie spricht aus jeder Zeile, die Du in der
von Dir redigirten Zeitschrift: „Hygieia", einem
Erbtheil des seligen P. Niemeyer, niedergelegt hast.
Aber die rasche Wandlung in der Bevorzugung von
Dir wissenschaftlich gepflegter Gebiete spricht da¬
für, dass Du eine in geistiger Gährung befindliche
Natur bist Nun es wird ein guter Wein werden
und wir Homöopathen werden noch mit Vergnügen
davon geniessen.
Wenn ich nun alles zusammenfasse, so kann
ich nur sagen, dass Du vom Suggestionismus ent¬
schieden mehr Kenntnisse hast, als von der Homöo-
Digitized by v^ooQie
171
pathie. .Zwar hast Da selbst potenzirt, aber Deine
Arzneien, wie Da mir sagtest, nur „zur Unter¬
stützung der Suggestion “ angewendet. Wenn Du Er¬
folge hattest, schriebst Du sie der Suggestion zu, wenn
Du Misserfolge hattest, der Homöopathie. Hier liegt
der Fehler. Und so kam es, dass Du „Deine an¬
fänglichen Anschauungen über die Homöopathie bei
ihrer practischen Erprobung allmählioh bedeutend
modiücirt hast.* Dazu wird beigetragen haben,
dass Du, wie jeder junge Arzt, Deine hoffnungs¬
vollen Erwartungen von der Macht des Arztes über¬
haupt etwas einschränken musstest und alle diese
Enttäuschungen schreibst Du nun gerade der Me¬
thode zu, mit der Du Dich um diese Zeit zufällig
beschäftigt hast. Oder war Dir die Wirkung der
kleinen Dosen unwahrscheinlich und glaubtest Du,
sie nur mittelst S. erklären zu können? So will
ich Dir sagen, dass auch das Gegentheil vorkommt
und dass die grössten Dosen differentester Stoffe
unter der Einwirkung jugendlicher Autosuggestion
und Selbstüberschätzung der körperlichen Wider¬
standskraft in den physiologischen Laboratorien
ihre Wirkung häufig gänzlich versagen. „Es hat
mir gar nichts gemacht!“ brüsten sich die jungen
Leute. Sie sollen es 10 Jahre später probiren,
wenn sie nicht mehr unter den Augen ihrer Leh¬
rer sind!
Ueber die Zugeständnisse des Herrn Dr. Pfänder
sage ich Dir das nämliche wie über Deinen Vater.
Nicht jeder Homöopath ist Suggestionist; aber es
giebt solche.
Die „besondere Art der Suggestion für die Ho¬
möopathie* weise ich aus allen bis jetzt angeführten
Gründen zurück. Wenn die Homöopathen ein
besseres Publicum haben, so ist dieses um so
schwerer zu suggeriren.
Das „Selbstdispensiren der Homöopathen * ist des¬
halb kein Vorzug, weil es, bei uns wenigstens, nicht
erlaubt ist und polizeilich bestraft wird.
Ueber „ Heilung* hast Du auch besondere An¬
schauungen. Du scheinst ein Bedauern darüber zu
fühlen und es zum Ausdruck bringen zu sollen
darüber, dass es nicht möglich ist, auf rein me¬
chanisch-erklärliche Weise, die menschliche Natur
zu Gunsten einer Heilung zu beeinflussen und
machst einen Riesensprung ins metaphysische Gebiet,
ohne zuvor die Ausdauer besessen zu haben, die
Hdmöopathie für sich allein gründlich zu studiren.
Heilung ist ein relativer Begriff; der Patient glaubt
sich geheilt, wenn 4r sich gesund fühlt; der Arzt
constatirt Heilung, wenn alle Lebensvorgänge in
normal gewohnter Weise sich abspielen, und — wenn
er wie der Kliniker, mittelst physikalischer Diagnostik
keine nachweisbaren Veränderungen der Organe
findet; der pathologische Anatom endlich constatirt
noch an der Leiche Heilungeu, die aber doch wieder
nichts anderes sind als pathologische Veränderungen.
Nun, so viel wissen wir, dass es im Grunde
genommen nur eine „Naturheiltmg* giebt, auch
wenn der Arzt Eingriffe gemacht hat, so heilt döch
die Natur allein. Medicus curat, natura sanat. Bei
manchen Menschen geräth jene automatische Regu-
lirung ins Stocken, sie braucht einen Anstoss, aber
nur einen ganz leichten, wie der Perpendikel einer
stehengebliebenen aber aufgezogenen Uhr — und
es geht von selbst. Da wir mit den Fingern nicht
eingreifen können in das wunderbare Getriebe des
menschlichen Organismus, so schicken wir sichere,
wegeskundige Boten in jene Bezirke des Leibes,
wo es fehlt — und das sind unsere am Gesunden
geprüften homöopathischen Arzneien — und sie
setzen jenen Regulirapparat in Ordnung und Be¬
wegung, der eigentlich automatisch gehen sollte,
aber oft nicbt geht. Deshalb braucht man ja Aerzte.
— Das heissen sie dann „Kunstheilung*. Das ist
der ganze Unterschied. Wie die Geschichte eigent¬
lich geht, das wissen wir so wenig als die Allo¬
pathen es von ihren grossen, stark wirkenden Stoffen
wissen, wie sie das thun, was sie tbun. Aber dass
die ßtoffe dies und jenes bewirken, das wissen sie
und wir. — Und was weiss der Suggestionismus?
Nichts, als dass manche nach seiner Anwendung
wieder gesund werden, viele auch nicht. Warum?
Fragezeichen!
Mir scheint, lieber Freund Gerster, dass Du
ein metaphysisches Bedürfniss hast, die Medicin
vom pliaimaceutischen Glauben zu befreien. Allein
dieser Glaube der Aerzte an Arzneien ist kein
grösseres Steckenpferd, als der Deinige an den Sug¬
gestionismus. Die menschliche Natur ist nun ein¬
mal der Krankheit verfallen und dem Untergang
geweiht, und kein 8uggestionismus vermag irgend
ein Naturgesetz aufzuheben. Sonst wäre es ja das
Einfachste, jeder Mensch würde sich oder einer
dem andern beständige Gesundheit und langes
Leben suggeriren. Und das wäre auch fco billig
zu haben.
Wenn das Publicum gebildet genug wäre, um
über seine physiologische Beschaffenheit und die
Bedingungen des Gesundbleibens so aufgeklärt zu
sein, dass die Gesundheitsregeln und ihre Befolgung
demselben in Fleisch und Blut übergegangen wären,
und wenn durch die Anstrengungen der öffentlichen
Gesundheitspflege viele nachtheilige Einwirkungen
auf die Bevölkerung wegfallen würden, so ist sicher,
dass viele medicinische Rathschläge und Arzneien
ungegeben blieben und die Menschheit vielleicht
gesünder wäre als jetzt. Aber auch zur Hygiene
gehört eine Ueberzeugung und da fehlt es noch
überall! Das ist Dein Feld, edier Freund Gerster!
Da sei Du der Prediger in der Wüste!
Wenn ich zugestehen muss, dass die heutige
Therapie die lebendige Einwirkung des tröstenden
Wortes auf den Kranken nicht zu entbehren ver-
%%*
Digitized by
Google
mag und dass ihm der Hinweis auf seine baldige
Heilung willkommen ist, so musst Du Dir doch
selbst sägen, dass tausende und tausende von Men¬
schen trotz dieser liebevollen Vorstellungen un-
geheilt bleiben und dem sicheren Tode entgegen-
gehen.
Auch von dem affectiven Suggestivbann ist sicher
nichts anderes zu erwarten. Betrachten wir ihu
in seiner höchsten Potenz, in der Liebe zweier
Menschen zu einander! Hier schafft ihn die Natur
von selbst, sie Zwingt ihn zur Liebe. Welch auf¬
geregtes leidenschaftliches Leben erweckt der Sug¬
gestivrapport zweier liebenden Seelen, welche sub-
jective Empfindlichkeit des Einen gegen die psychi¬
schen Vorgänge im Andern? Dauert es ewig? Ist
es nicht der Liebesfrühling, von dem die Dichter
singen?
Wenn hier die Erregung nicht immer in dem
ursprünglichen Grade nachhaltig ist, was ßoll man
von therapeutischer Einwirkung und Nachwirkung
z. B. an gleichgeschlechtlichen Menschen halten, da die
Abstufungen der Empfänglichkeit unendlich sind
bis zur vollständigen Torpidität. Nach meiner Er¬
fahrung sind 2 pro mille sogar für jede Arznei¬
wirkung, ob allopathisch oder homöopathisch, voll¬
ständig unzugänglich.
Und wenn ich sage:
Die Suggestion ist experimentelle Zwangsvor¬
stellung,
die Hypnose ist experimenteller Schlaf zwang,
der Spiritismus ist experimentelle Hallucination und
Vision; giebt es da gar keine Gefahren für den
Geist? Und ist das alles nicht überflüssig?
Nun drücke ich Dir die Hand, lieber Freund,
und verabschiede mich von Dir. Wenn Du es
ahnst, dass die Homöopathie eine segensreiche und
sichere und selbstständige Methode ist, so bin ich
zufrieden. Sie erheischt aber auch ein sorgfältiges
und vorurtheil8freie8 und lange dauerndes Studium
und über Nacht erzielt man noch keine glänzenden
Resultate mit ihr trotz aller medicinischen Vor¬
bildung. Ob die Homöopathen im Allgemeinen
bewusst oder unbewusst Suggestion anwenden, diese
Frage glaube ich für die Mehrzahl verneinen zu
müssen. Von einer Zurückführung des homöo¬
pathischen Heilprincipes auf den Suggestionismus
kann aber sicher keine Rede sein. Dieses ist und
bleibt einzig und allein:
„Similia Similibus“.
Vale
Dein alter Freund
Dr. Julius Fuchs.
Zum Capitol der Gicht.
Yon llr. The«d. Kafka in Karlsbad.
Das Wort „ Gicht* wird unendlich viel von
Laien sowohl, als auch von Aerzten gebraucht und
auch oft missbräuchlich angewendet. Die Gicht
ist eine viel seltenere Affektion als der Arzt in
der Praxis annimmt (s. Nothnagel in s. Intern. Kl.
Rundschau VL 7, S. 259). Man darf den Namen
Gicht nicht auf Zustände an wenden, welche chronische
Rheumatismen sind.
Am allerhäufigsten wird der Process verwechselt
mit dem, was man im Volksmund Knotengicht
nennt, mit der Arthritis nodosa chronica deformans,
der deformirenden (verunstaltenden) Gelenksentzün¬
dung, die nicht nur von Laien, sondern auch von
Aerzten sehr häufig mit dem Namen der Gicht be¬
zeichnet wird. Es wird für Rheumatismus und Gicht
dasselbe Wort gebraucht, nämlich * Arthritis* 1 und
man sprach in der ältern Literatur von einer Ar¬
thritis pauperum und Arthritis divitum verstand
unter der letztem die echte Gicht, während mit
der ersten die chronische Arthritis deformans ge¬
meint war. Die Patienten haben Schmerzanfälle
und die Entzündung, welche sich lokalisirt in dem
typischen Gelenke, in welchem bei den gewöhnlichen
Fällen von Gicht, wenn sie nicht von vornherein
atypisch auftritt, sie sich immer zuerst lokalisirt; das
ist das klassische Gelenk für die Gicht: das Metatar-
sophal an ge algelenk der grossen Zehe, also die
Verbindung zwischen dem ersten Metatarsalknochen
und der Phalanx; das ist die Lokalisation, welche
der Krankheit den Namen Podagra verschafft hat.
Es ist ein ganz merkwürdiger Unterschied in der
Lokalisation des Processes bei Rheumatismus und
Gicht. Bei chronischem Gelenkrheumatismus sind
namentlich die Metacarpophalangealgelenke betheiligt,
und es können daneben die Interphalangealgelenke
befallen sein, häufig aber sind sie vollständig frei.
Das sind Leute, welche mit den verkrümmten so¬
genannten gichtischen Händen dasitzen, sie können
die Finger nicht bewegen, die untersten Gelenke
sind dabei frei. Man nennt das Gicht, und auf
Grund dieser Diagnose werden die Patienten in
verschiedene Bäder geschickt, z. B. naoh Wildbad,
Gastein u. s. w. Die Kiankheit ist aber keine Gicht,
sondern ein chronisch - rheumatischer Process oder
Arthritis deformans, der mit der Arthritis urica
nichts gemein hat Bei der Arthritis urica sind
gerade diese untersten Gelenke affioirt.
Die Gicht ist eine Krankheit, welche sehr alt
ist, von der wir klassische Schilderungen in den
Schriften lateinischer Classiker besitzen und die zur
Zeit des Endes der römischen Republik, zur Zeit
der römischen Kaiser in der höchsten Blüte stand;
sie ist gegenwärtig eine recht häufige Affection
Digitized by
Google
178
und besonders in bestimmten Gegenden vertheilt.
Heutzutage ist das klassische Land der Gicht Eng*
land, und wir haben auch die besten Beschreibungen
über die Gicht wenigstens bis in die neueste Zeit
von englischen Autoren, von Sydenham, der
selbst sehr stark an der Gicht gelitten hat bis
herunter auf Garrod, dem wir die letzte klassische
Schilderung über die Gicht seitens englischer Au¬
toren verdanken. Neuestens haben Ebstein und
Pfeiffer ausführlicheres darüber geschrieben.
Wir müssen zunächst zwischen einer erworbenen
und einer angeborenen Gicht unterscheiden, ln
manchen Familien ist, wie bekannt, die Gicht erblich
und besonders in England ist diese Tradition in
manchen Familien so verbreitet, dass die Söhne in
einem gewissen Lebensalter schon vorbereitet sind,
die Gicht zu bekommen und zwar, wenn der Gross¬
vater die Gicht zwischen dem 60. und 70. Lebens¬
jahre acquirirt, so tritt sie beim Sohne zwischen
dem 50. und 60., beim Enkel zwischen dem 40.
und 50. Lebensjahre auf und kommt iu den
spätem Generationen ziemlich früh zum Vorschein.
Es kommt allerdings manchmal vor, dass ein¬
mal eine Generation übersprungen und dass die
Krankheit erst die zweitnächste befällt u. s. w. j In
diesen Fällen handelt es sieh dann um eine An¬
lage zur Gicht und wir sprechen dann von einer
gichtischen Diathese. Diese gichtische Dia¬
these kann, wie die Erfahrung lehrt, durch eine
bestimmte Lebensweise allerdings in der Entwick¬
lung etwas verzögert und gemildert werden, aber
es gelingt nur selten, selbst bei dem normalsten
und geeignetsten Regime sie vollständig zu unter¬
drücken, wenn eine ererbte Prftdisposition dafür-vor¬
handen ist.
Neben dieser angeborenen Gicht oder der an¬
geborenen gichtischen Diathese gibt es nun die er¬
worbene Gicht. Die Verhältnisse für die Erwerbung
der Gicht werden gewöhnlich in einer üppigen
Lebensweise gesucht und mit Reeht Wir peob-
achteten in der That, dass Leute, die üppig leben
und dabei wenig Körperbewegung machen, am
leichtesten von der Gieht befallen werden. Leute,
welche eine sehr gute Tafel führen, viel und fett
und namentlich viel Fleisch essen, also sich sehr
gut und reichlich nähren und daneben viel Wein
trinken, besonders schweren Wein. Von den leich¬
ten Landweinen gilt das weniger, aber schliesslich
wissen wir, dass auch leichte Weine in grösserer
Menge genossen die Gicht produciren; es ist be¬
kannt, dass selbst Biere, namentlich die schweren
Biere in grossen Quantitäten genossen, die Gicht
erzeugen können; immerhin sind es aber die alko¬
holischen Getränke, welche dabei in Betracht kommen.
Neben dieser üppigen Lebensweise ist es der
Mangel ab Bewegung, welche die Entwicklung der
barnsauren Diathese Wördert. Diese Leute leiden
an Nieiengries, Nierensteinen, Oxalat- und Uralsteinen
und es entwickelt sich bei denselben Gicht.
Wegen dieser Verhältnisse bat man diese Zu¬
stände bezeichnend mit Arthritis divitum, also Ge-
lenksentzündung der Reichen bezeichnet und sie
der Arthritis pauperum entgegengestellt, indem man
meinte, dass arme Leute, die sich ungenügend er¬
nähren, welche Entbehrungen ausgesetzt sind und
stärkere Körperbewegung machen, von der Gicht
nicht befallen werden; man hat gemeint, dass das
innere Rheumatismen sind, welche ber den armen
Leuten auftreten im Gegensätze zur Arthritis divi¬
tum. Nun hat aber schon Charcot darauf hin¬
gewiesen, dass auch bei armen Leuten die Gicht
auftreten kann. Bei unbemittelten Leuten, die kaum
das Notwendigste zu essen haben, findet man nicht
selten Gicht und in autopsia die typische Verände¬
rung für Gicht, nämlich die Uralablagerung in den
Gelenken.
Es ist daher die Unterscheidung zwischen Ar¬
thritis pauperum und divitum unrichtig und die
Bezeichnungen können als solche nicht aufreoht ge¬
halten werden, wir müssen einfach sagen: Arthritis
und hinzufügen urica, wenn wir ausdrücken wollen,
dass es die echte Gicht ist.
Es scheint, dass bei gewissen Individuen die
Stoff Wechsel Vorgänge derart mangelhafte sind, dass
die Verbrennung, der Umsatz der Albuminate ein
ungenügender oder ein abnormer ist. Ob dies nun
mit einer Anomalie in der Funktion der Leber oder
mit einer angeborenen Anomalie in der Funktion
der gesammten Gewebe Zusammenhänge weiss man
nicht, man muss dies nur vermuthen.
Es sind dieselben Verhältnisse, die bei manchen
Menschen Veranlassung zur frühzeitigen Entwick¬
lung der Arteriosclero.se, welche gar nicht selten
mit Gicht gemeinschaftlich vorkomme geben.
Daneben findet man nicht selten auf der Haut
Neigung zum Ekzem, zur Bildung von Psoriasis
und das sind die Bilder, welche man auch heutzu¬
tage noch in der französischen Literatur als her¬
petische Diathese bezeichnet, welcher Aus¬
druck aus der deutschen Literatur vollständig ver¬
schwunden ist. Darunter versteht man eine harn¬
saure Diathese, welche sich ftussert in Ausschei¬
dung von Uraten oder Hrrngries oder in echter Gicht
oder Entwicklung von Arteriosclerose und daneben
ein chronisches Ekzem.
Was nun das klinische Bild der Gicht an¬
betrifft, so müssen wir die harnsaure Diathese und
den akuten Gichtanfall genau unterscheiden.
Gewöhnlich wird in der Praxis als Gicht nur
das bezeichnet, was sich als akuter Gichtanfall dar¬
stellt. Dieser akute Gichtanfall drängt sich am
meisten der Beobachtung auf und deshalb hat man
die Krankheit nach ihm benannt. Der Verlauf er¬
folgt sehr oft ganz typisch und charakteristisch und
Digitized by v^ooQie
174
zwar folgen de ni) aassen : Die Individuen sind schein*
bar völlig gesund, nur ausnahmsweise und selten
geschieht es, dass Verdauungsstörungen, Aufstossen,
schlechter Appetit, allgemeines Unbehagen besteht,
in der Regel sind sie aber im Allgemeinen gesund;
ein solcher Mensch legt sich ins Bett und wird in
der Nacht von einem blitzartigen Schmerz erweckt,
welcher im Metatatarsophalangealgelenke der rech¬
ten oder linken Seite sitzt Der Schmerz ist so
heftig, dass der Kranke kaum einschlafen kann.
Wenn er am Morgen die Zehe betrachtet, sieht er,
dass sie etwas geschwollen und geröthet und ver¬
dickt ist. Den folgenden Tag geht es etwas besser,
der Schmerz ist noch immer vorhanden, aber viel
geringer, Auftreten kann aber der Kranke nicht
und in der zweiten Nacht kommt wieder ein der¬
artiger heftiger Schmerzanfall; ein bohrender, bren¬
nender, reissender Schmerz. So geht es drei oder
vier Nftchte hindurch, dann lasst der Schmerz nach
und der Anfall ist gewöhnlich nach vier bis sechs
Tagen vorüber, nur ausnahmsweise dauert es beim
akuten frischen Gichtanfall bis in die zweite Woche
hinein. Dann sehen wir, dass die Anschwellung
zurückgeht, die Zehe wird dünner, die Hautröthung.
die Hitze und die Schmerzhaftigkeit schwindet und
nun bemerken wir, dass die Epidermis über der be¬
treffenden Stelle abschilfert. Nun kann der Kranke
verschieden lange Zeit frei bleiben, ein oder zwei
Jahre und es kommt dann wieder ein Anfall.
Je langer der Zustand dauert, desto mehr ver¬
ändert sich der Charakter der Anfälle und zwai
in folgender Weise. Erstens kommen sie häufiger,
sind aber weniger intensiv, die Schmerzen sind
nicht so überwältigend, wie beim ersten Anfall,
aber sie dauern länger, es nimmt die Gicht, wie die
alten Aerzte es nannten, einen atonischen Charak¬
ter an.
(Schluss folgt.)
Stahlbad Kastenberg in Thüringen.
Vielleicht erweise ich manchem meiner Herrn
Collegen einen kleinen Dienst, wenn ich auf dieses
Bad hier aufmerksam mache; dasselbe wird viel
zu wenig gewürdigt, weil es Vielen ebenso unbe¬
kannt ist, wie noch vor wenigen Jahren mir selbst.
Nach der Analyse des Herrn Prof. Ludwig-
Jena sind in den Kurquellen des Bades 1000 Gr.
enthalten:
Chlornatrium. 0.0069
Schwefelsaures Kali. 0.0091
„ Natron. 0.0037
Zweifach kohlensaures Natron .... 0.0014
n „ Kalk.0.1060
* „ Talkerde . . . 0.0518
Zweifach kohlensaures Eisenoxydal . . 0.0219
„ * Manganoxydal . . 0.0040
Kieselsäure. 0.0094
; Organische Substanz. 0.0118
0.2288
Diese kleinen mineralischen Wertbe erinnern
fast unwillkürlich an unsere herrlichen Wildbäder
(Wildbad Gastein, Wildbad in W. u. s. w.), deren
vorzügliche Heilwirkung unsere Schulmedicin nicht
bestreiten kann, für deren geringe mineralische Be-
standtheile als Heilmittel sie aber kein Verstttndniss
hat und sie deshalb „indifferent* nennt, als ob hier
nur die chemische Retorte alles und die Physiologie
nichts zu sagen hätte.
Das Bad Rastenberg ist besonders indicirt bei
Rheumatismen, Gicht, Blutleere, Rückenmarks- und
Hämorrhoidalleiden, Blasenblutungen, Nervenleiden.
Der Beweis für Werth und Wirkung des Bades
wird gewiss schon dadurch erbracht, dass unser
hochverehrter Nestor, Herr Dr. Mertens-Berlin, seit
vielen Jahren seine Klientel ins Bad Rastenberg
sendet und fast jeden Sommer dort selbst zubringt;
dort lernte ich ihn selbst persönlich kennen und
das Bad schätzen — auf Grund meiner eigenen
mehrwöchigen wiederholten Erfahrung und Beobach¬
tung an mir und Andern.
Die landschaftliche Lage des Bades ist eine an-
muthige und für einen Luftkurort sehr geeignete.
Ein etwa 40 000 Morgen grosser Laub- und Nadelwald
grenzt dicht an Stadt Rastenberg, — das Bad selbst
liegt fast ganz im Wald, ein Kranz freundlicher
Höhen mit schönen Aussichten, stillen friedlichen
staubfreien Waldwegen bietet Gelegenheit zu Aus¬
flügen mannigfachster Art.
Rastenberg ist kein Luxusbad, kein Kurort mit
sinnbetäubendem Kurtrouble, obgleich für kleine
Reunions und Concerte etc. bestens gesorgt wird;
aber gerade diese ländliche Ruhe und relative Ab¬
geschiedenheit machen das Bad zu einer Ruhe und
Erholungsstätte für Kranke und — Gesunde.
Rastenberg ist Station der Eisenbahn Weimar-
Rastenberg. Dr. Rohowsky.
Bücherschaii.
Habent sua fata libelli Wenn auf irgend ein
Werk, so passt dieser Ausspruch anf die materia
medica comparativa von Dr. Gross.
Dieses Werk deutchen Fleisses und deutscher
Gründlichkeit musste, da sich in Deutschland kein Ver¬
leger fand,nach Nordamerika auswandern, wo es, durch
Hering ins Englische übersetzt und mit werthvollen
Zusätzen versehen, im Verlage von Böricke und
Tafel erschien. Dadurch war es allerdings vor dem
Digitized by Google
Schicksale des Vergessen Werdens bewahrt. Allein
es blieb für die Mehrzahl der deutschen Homöo¬
pathen, welche der englischen Sprache nicht mäch¬
tig sind, ein nngehobener Schatz, von dessen Werth
nur die Wenigen einen Begriff hatten, welche nicht
durch Unkenntniss der Sprache in seinem Gebrauche
behindert waren. Die anderen waren auf die
wenigen in einigen Bänden der Allgem. Hom.-Ztg.
veröffentlichten Auszüge und gelegentliche Bemer¬
kungen aus demselben beschränkt. Kein Wunder
also, dass es nahe am Verschollensein war. Zu
unserer Freude hören wir, dass sich ein College
der schwierigen Arbeit der Rückübersetzung ins
Deutsche unterzogen und so es seinem Vaterlande
zurückerobert und den deutschen Homöopathen zu¬
gänglich gemacht hat. Beim richtigen Gebrauche
lernt man seinen Werth erst erkennen und sich
überzeugen, dass zwischen zwei sich einander sehr
ähnlich scheinenden Mitteln doch noch Unterschiede
bestehen, welche in sehr häufig nicht beachteten
und als werthlos erscheinenden Symptomen zum
Ausdruck kommen. Allerdings muss man, will
man es mit Nutzen gebrauchen, in der Arznei¬
mittellehre schon etwas bewandert sein. Ich möchte
es als ein Ergänzungswerk zu sämmtlichen bis jetzt
erschienenen Arzneimittellehren bezeichnen, welches
einem jeden ermöglicht, bei zweifelhafter Mittel¬
wahl, schnell das richtige zu finden. Wir wünschen
von Herzen, dass es bei allen homöopathischen
Aerzten der deutschen Zunge die gebührende Be¬
achtung finden und nicht wieder Mangels eines
Verlegers in dem Pulte des Uebersetzers vergraben
bleiben möge.
Lorbacher.
Folgendes Referat aus dem Correspondenzblatt
für Schweizer Aerzte No. 7.1892. wird wohl manchem
das Lesen des von Herrn Dr. F. C. Gerster in dem
in No. 7/8 dieser Zeitung veröffentlichten Aufsatz
„der Suggestionismus und die Homöopathie* 4 warm
empfohlenen Schmidkumschen Werkes „Physiologie
der Suggestion“ ersparen. Da die Ausführungen
des Herrn Dr. Gerster schon von 2 Seiten kri¬
tisch beleuchtet wurden, so will ich mich darauf
beschränken, zur Charakteristik des Schmidkunzschen
Werkes die in dem oben erwähnten Correspondenz¬
blatt erschienene Kritik desselben einfach wieder¬
zugeben, auch um einen etwa auftauchenden Ver¬
dacht der Parteilichkeit von vornherein abzuwenden
(Dr. F. C. Gerster hat nämlich das Werk mit
ärztlich-physiologischen Ergänzungen versehen.)
„Es liegt uns ein ziemlich dickes Buch vor,
welches sich mit dem Anspruch ankündigt, die
Philosophie der Suggestion und des Hypnotismus
zu geben. Eine undankbare Aufgabe, wie es nur
eine geben kann. 3 Abschnitte: „Beschreibung
der Suggestion — die Hypnose — Erklärung der
Suggestion 44 und 20 Capitel behandeln diesen un-
zusammenhängenden Stoff.
„Eine ungeordnete Anhäufung von Ideen und
Thatsachen, ein unentwirrbares Gemengsel von
Irrtümem und oft missverstandenen Wahrheiten,
eine Anhäufung von Dunkelheit und Finsterniss;
ein Wirrwarr: damit haben Sie das Schlussergebniss
der Philosophie des Hypnotismus, das einem von
dieser tiefen Studie bleibt. Man darf es übrigens
nicht dem Autor verübeln, wenn er es nicht ver¬
standen hat, klar zu sein. Ist es seine Schuld,
wenn das von ihm behandelte Thema unverständlich
ist? Es giebt auf diesem Gebiete so wenig wirklich
wissenschaftliche Beobachtungen! Wir verwundern
uns also nicht zu sehr, wenn der Autor mit diesem
sonderbaren Bekenntniss schliesst: (p. 336.)
„„Der Verfasser selbst kann gestehen, dass ihm
seit Langen nichts die katholische Religion J ) in eine
solche Nabe gerückt hat, als seine Beschäftigung
mit dem Suggestionismus und dem was sich daran
schliesst. Dieser ist endlich ein Weg, der aus dem
„Irdischen“ unserer Zeit wieder hinausführt zu einer
weitsichtigeren Auffassung der Welt.
Wohl uns, dass ein solcher Weg zugleich ein
wissenschaftlicher *) sein kann!““
„Der Syllabus ist gegründet auf die Wissen¬
schaft! das ist denn doch ein Ende vom Ende des
Jahrhunderts, ein Ende, wie es der Culturkampf
wahrlich nicht voraussehen lässt. Es ist würdig
des Autors, der das ganze Gebiet des Charcotismus
(welch* elegante neue Wortbildung!) und des
Occultismus unter der Rubrik: „Die ausserge-
wöhnlichen Sondererscheinungen des hypnotischen
Schlafes 44 abbandelt.
Der Autor sagt in seiner Vorrede, dass sein
Zweck sei, eine streng wissenschaftliche Arbeit zu
schaffen, und nichts beweisst besser die Verwirrung
seiner Ansichten über die Anforderungen der
Wissenschaft als die Stellen seines Buches, wo er
„wissenschaftlich 44 die Möglichkeit einer dämonischen
Vermittlung bei der Autosuggestion beweisst Ich
citire ohne Randglossen nach Seite 313.
„Häufig kommt es vor, dass ein Verbrecher
aussagt, diese und jene übermenschliche Gestalt
habe ihm das Verbrechen eingegeben, und er selbst
habe dem nicht widerstehen können.
Welche Möglichkeiten sind hier in Betracht zu
ziehen?
Vor Allem wird man gut thun, sich zn saget),
ob die wirkliche Existenz solcher übermenschlicher
Gestalten aus dem Bereich der Möglichkeiten zu
streichen ist, was bekanntlich nur auf Grund logischer
Widersprüche angenommen werden darf. So ist
z. B. das Vorhandensein eines weissen schwarzen
Teufels unmöglich, eines weissen oder schwarzen
*) Das haben wir unterstrichen.
Digitized by
m
hingegen > nicht unmöglich. Also wird auch in
unserem Falle, soll die Uebersicht eine ganz strenge
(!) werden, diese Annahme nicht auszuschliessen
sein. Und dann entsteht die Frage nach der Mög¬
lichkeit des Widerstandes gegen eine solche „über¬
natürliche“ Eingebung/“ 4
Da haben wir die regelrechte „Teufels“-Medicin,
die einen besonderen Geschmack hat! Das ist Wissen¬
schaft 'von gleicher Mache, wie Geschichte nach Art
des Paters Loriquet geschrieben. Möchten doch
derartige dunkle Geistesfrüchte eine Warnung für
die Aerzte sein, die Gefahr laufen, sich in den
Fragen des Hypnotismus und der Suggestion zu
verirren! Muss man da nicht mit dem Dichter
sagen:
Doch die allerkühnste Pose
Fordert heute die Hypnose.
Ladame.
Dazu möchte ich nur bemerken, dass wir in
der Verurteilung eines Werkes, das solche Argu¬
mentationen, wie das Schmidkunz’sche producirt,
mit dem Kef. vollständig einverstanden sein müssen;
deshalb aber auch gleich die Beschäftigung mit ;
den Fragen des Hypnotismus und der Suggestion,
deren Berechtigung ein unparteiischer Beobachter
anerkennen muss, gewissermassen zu verbieten, das.
heisst denn doch das Kind mit dem Bade aus-
schütten. Es giebt ja glücklicherweise bessere
wissenschaftliche Werke über diesen Gegenstand.
GÖbrum.
Unter der Herrschaft des Messers. Ein Mahnwort
von einem Freunde der leidenden Menschheit.
Wien bei Carl Konegen, 1892.
Dieses Buch befasst sich in der Hauptsache mit
den Misserfolgen der modernen Medicin im allge¬
meinen Wiener Krankenhause und kommt dabei zu
Resultaten, die ganz überraschend sind. Der Ver?
ftcsser begründet seine Anonymität im Vorwort
wie folgt:
„Es ist heute leider in literarischen und anderen
Angelegenheiten mehr als je Sitte, dass, wenn eine
Schrift einer Coterie von Personen unangenehm ist
und man dem Kern derselben nichts oder nicht
viel anhaben kann, man sich vorwiegend mit dem
Antor derselben beschäftigt und die Persönlichkeit
desselben so viel als möglich herabzusetzen und
lächerlich zu machen sucht. Damit bezweckt und
erzielt man zweierlei. Erstens die Aufmerksamkeit
des Publicums von der Sache selbst abzulenken
und zweitens, indem man den Autor herabsetzt,
auch den Werth der Schrift selbst zu schädigen/*
„Was die statistischen Nachweise betrifft, so stehen
die hier benutzten Wiener Spitals-Berichte ja Jedem
zur Verfügung und ist es nur merkwürdig, dass
solche nützliche Vergleiche nicht schon längst an-
gestellt worden sind.
Inhalt!
1. Mangel an echt philosophischem Geist in der
heutigen Medicin.
2. Der Mangel echter Humanität in der heutigen
Medicin.
3. Erfolge und Misserfolge.
4. Anhang.
5. Belege.
ad I. Auf welche Abwege die allzu exclusive An¬
wendung der inductiven Methode die Geister geführt
hat, fängt man auch an in Kreisen zu fühlen, wo
es bis dato als Verbrechen galt, einen Zweifel an
der Vortrefflichkeit der Methode zu äussern. Nir¬
gends hat aber diese Methode einen greifbareren
Schaden angerichtet, als in der Medicin.
Sie war es, die durch ihr Gesetz, dass alles,
was wir nicht sehen, begreifen, wägen, messen,
chemisch und mikroskopisch feststellen können, für
die Wissenschaft keine Geltung habe, so gründlich
mit allen Erfahrungen und Beobachtungen unserer
medicinischen Vorfahren aufgeräumt hat.
Sie war es, die den ganzen pflanzlichen Heil¬
schatz zum Plunder geworfen hat, weil es ihr nicht
möglich wAr, die wirksamen Potenzen, die unsere
Vorfahren denselben zuschrieben, chemisch zu be¬
stimmen, darzustellen, zu isoliren und durch Ex¬
perimente an Thieren festzustellen. Weil das nicht
möglich war, existirten sie nach Ansicht dieser Art
von Gelehrten auch nicht. Eine schöne Philosophie!
Das ist gerade so, als wenn ein Astronom behaup¬
ten wollte, dass ausser den Sternen, die er mit
seinen stärksten Instrumenten heute beobachten und
registriren kann, keine anderen existirten.
Wie unpbiloßophisch nimmt sich der auf dem
Katheder gemachte Ausspruch eines modernen medi¬
cinischen Gelehrten aus, der seinen Schülern sagte:
„Wir wissen zwar nicht alles, aber wir wissen viel!*
Soll aus einem solchen Spruch etwa die Jugend,
die so wie so zur Ueberhebung neigt, Bescheiden¬
heit lernen? Und giebt es wohl eine Wissenschaft,
die mehr Ursache hat bescheiden zu sein als die
medicinische, wo fortwährend die Nachfolger das
für Maculatur erklären, was ihre Vorgänger als den
Ausbund der Weisheit halten?
ad II. Ein echter Schüler der heutigen medicinischen
Methode setzt den grössten Stolz in .die Stellung
einer richtigen Diagnose, die Heilung ist ihm so
ziemlich Nebensache. .
Daher hat sich durch diese Richtung die Me¬
thode eingestellt, dass heutzutage den Patienten die
fürchterlichsten Diagnosen, die nichts anderes sind,
als Todesurtheile, ganz ruhig in*$ Gesicht gesagt
werden.
Da nun die Fortschritte der Therapie fast nult
sind , also gar keinen Ersatz bieten für die Fort¬
schritte in der sicheren Erkennung der Krankheit,
Digitized by v^ooQie
m
wo ist da der Nutzen einer solchen inhumanen
Methode?
Dieses zwecklose Aengstlichmachen des Publi¬
kums hat freilich einen eminent praktisch-finanziellen
Hintergrund, ist aber vom Standpunkte der echten
Humanität so lange verwerflich und schädlich, so
lange eben die Methoden, diese Krankheiten gründ¬
lich zu curiren, nicht gefunden sind.
Höher als Wahrheit und Klarheit stand aber
mit Recht den älteren Aerzten die Humanität.
Sag immer die Wahrheit,
Sag aber nicht alles, was wahr ist.
Primum est huraanitas
Secundum scientia.
ad 111. Jahr 1859: Kriegsjahr, Mangel an gutem
Trinkwasser, in Folge dessen starker Zufluss von
Typhuskranken, Mangel der antiseptischen Wund¬
behandlung in Chirurgie und Geburtshilfe.
Sterblichkeitsprocent.12.5
Heilungsprocent.70.6
Jahr 1888: gewöhnliches Jahr, gutes Trink¬
wasser, geringer Typhusstand, bedeutende Verbesse¬
rung der hygienischen Verhältnisse im Spitale, langer
Bestand der antiseptischen Wundbehandlung in der
Chirurgie und Geburtshilfe.
Sterblichkeitsprocent 11.7 (mit Währing 11.4)
Heilungsprocent 57.1 ( t „ 57.3)
Will man aber bei der statistischen Methode
möglichst sicher gehen, so muss man mit noch
grösseren Zahlen arbeiten. Darum wollen wir einige
Jahrzehnte vergleichen, wie sie uns zur Verfügung
stehen.
Periode 1859—1867 Periode 1879—1888
12.5 Sterblichkeitsprocent 12.6
67.0 Heilungsprocent 56.8
Das Sterblichkeitsprocent hat also in der Periode
1879—1888 gegen die Periode 1859—1867 um
0.1 Procent sich verschlechtert Die Heilungspro-
cente haben sich aber in den gleichen Perioden zu
Ungunsten des Jahrzehntes 1879—1888 um 10.2
Procent verschlechtert
Das Heilungsprocent hat also im allgemeinen
Krankenhause seit den Perioden 1847—1856 und
1858—1867 um fast 10 Procent abgenommen.
Sicher ist, dass in dieser Frage die Chirurgie
ein massgebender Factor ist, dass um diese Frage
uns klarer zu machen wir die Chirurgie und ihre
Erfolge aus dem allgemeinen Berichte herausschälen
müssen, um ihre Erfolge deutlicher vor Augen zu
haben. Dazu haben wir zwei Jahre mit fast gleicher
Aufnahme gewählt, das Jahr 1856 und das Jahr 1888.
1856 1888
Aufnahme 25.512 25.138
Wir haben nun von diesen beiden Jahren die
Erfolge bei den Operationen, also den wichtigsten
Th eil der Chirurgie verglichen und sind die Resul¬
tate dieses Vergleiches folgende:
Vorantiseptisch Antiseptisch
1856 1867 1888
Operationen 184 443 2122
Sterblichkeitsprocent 7 Proc. 13 Proc. 7.9 Proc.
Heilungsprocent 89 , 83 * 78 ,
Dass aber die Chirurgen des Jahres 1888 trotz
der eminenten Hilfe, die ihnen durch die Fort¬
schritte der Operationstechnik und der antiseptiscben
Methode geworden ist, keine Fortschritte in den
Sterblichkeitsprocenten und 11 Proc. Rückschritte
im Vergleiche mit den Chirurgen des Jahres 1856
gemacht haben, legt uns den Gedanken nahe, dass
die Chirurgen von heute durch ihre enorm ge¬
steigerte Operationslust die Vortheile, die ihnen die
Fortschritte bieten, selbst wieder vernichten, und
der ganze Erfolg für das leidende Publikum darin
besteht, dass auf den chirurgischen Kliniken und
Abtheilungen an ihm 12 mal mehr operirt wird als
im Jahre 1856.
Auch die schönsten Operationserfolge z. B. bei
Ovariotomien etc., können über diese Thatsache nicht
hinwegtäuschen, denn was nützt es der Menschheit
im Allgemeinen, wenn einer durch eine Operation
gerettet wird und ein anderer muss dafür das Leben
lassen, wo es nicht nothwcndig /V/, oder wenigstens
noch nicht an der Zeit ist
ad IV. Wir haben es in der Medicin nicht nur zu
einem sehr ausgesprochenen Zunftgeist nach aussen
hin gegen die Laien, was noch verzeihlich ist, sondern
auch zu einem ausgesprochenen Zunftgeist inner¬
halb der Medicin gebracht Und doch hätte keine
Wissenschaft mehr Ursache, etwas duldsamer gegen
von aussen kommende Meinungen und Heilmethoden
zu sein, als gerade die Medicin, die heute, man
kann sagen, zum nicht geringen Theile von Laien¬
ideen lebt. Wenigstens die interne Medicin hat
einige ihrer besten Mittel, über die sie jetzt ver¬
fügt, Laienköpfen zu danken. Da ist die Wasser¬
behandlung von Priessnitz eingeführt, da ist die
Massage und schwedische Heilgymnastik von Lingg
und Metzger*), die Hypnose vom Laien Messmer
eingeführt.
Der Grund, dass man sich mit solchen Methoden
nicht beschäftigen kann, weil sie nicht wissenschaft¬
lich begründet seien, ist nicht stichhaltig. Erstens
ist die wissenschaftliche Begründung von dieser
Seite nicht zu verlangen und zweitens fragen wir
uns aufrichtig, sind etwa unser ärztliches Handeln
und unsere Methoden immer wissenschaftlich be¬
gründet? Als wenn Einer von uns wüsste, wie ein
*) Metzger war ursprünglich Tarnlehrer find hat
erst als berühmter Masseur sich das Bonner Doctor-
diplom erworben.
22a
Digitized by
Google
178
vefordnetes Antipyrin etc. nützt oder schadet, und
als ob die Medicin nicht etwa heute ebenso empi¬
risch und symptomatisch behandelt, wie sie es immer
gethan hat und thun muss.
Denn eine wissenschaftliche Begründung, die
vom nachfolgenden Jahrzehnt fortwährend als un¬
richtig erklärt wird, kann unmöglich grosses Ver¬
trauen erwecken.
Arme Medicin! Arme leidende Menschheit! Wie
übel wären Beide daran, wenn es nach den Köpfen
solcher herrschsüchtiger Leute ginge. Doch es ist
dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel
wachsen."
Dieser kurze Auszug möge genügen, um den
Collegen, besonders den „aggressiv vorgehenden“,
dieses Buch zum 3tudium und als Agitationsmittel
gegen die Schulmedicin zu empfehlen.
Auf die Gegenschrift: „Die Erfolge des Messers“
von Prof. Albert in Wien kommen wir später noch
zurück. Dr. Haedicke.
Epidemiologische Ecke.
In der letzten Zeit ist mehrfach eine grössere
Constanz des Gen. epidem. zu bemerken, wie aus
nachstehenden Berichten zu ersehen ist.
Dierkes-Paderborn berichtet am 6./5., dass seit
einigen Tagen (seit dem Einfluss der Influenza) bei
der das letzte Mal beschriebenen GaUenaffection
mehr und mehr Zinc. -j- Nux vom., vereinzelt auch
Zinc. -j- Hyosc. auftrete, während er am 15./5.
dabei wieder meist Calc. phosph. -{- Nux vom.,
zuweilen Zinc. + Nux vom. hatte; vereinzelt kommen
Fälle mit Veratr. alb. vor.
Leeser-Bonn hatte am 3./5 Kal. carb. -f- Bell.;
am 4. theils Hepar -j- Ratanh., theils Ant. crud.
-- Ignat. = Puls.; am 5. Bar. carb. -f- Bell, oder
-- Tone., auch Ac. mur. -f- Lach. ; am 6. Nitri ac.
-- Nicot.; am 7. Ars. jodat. -|- Led. und -|- Nicot.;
am 8. vorzugsweise Bar. carb. Bell. = Mercur.,
daneben = Euphras., Calc. carb. -f- Cin. = Nux
moschat.; am 10. und 11. vorzugsweise = Veratr.,
dazwischen Plumb. Op. bei Typhlii stercoral.; vom
12. ab vorherrschend Bar. carb. -f Tone. = KaL
bichrom. bei Kehlkopfcatarrhen mit würgendem,
anstrengendem Husten und spärlichem blutgestreiftem
Auswurf, ferner bei Kopfweh auf dem Scheitel über
dem rechten Auge (wenn über dem linken, Apis);
in der Mittheilung, vom 18. ist ferner verzeichnet:
einzelne Fälle von Ac. fluor. Tone. = Spigel.;
in den letzten Tagen Natr. mur. -f- Led. = Tart.
stib. und Kal. carb. -j- Iris = Rheum, vereinzelt
Valeriana.
Schwarz - Baden - Baden hat noch immer viel
= Kal. bichrom. auch bei Badegästen vom Rhein
herauf.
Kirn - Pforzheim hatte am 7./5. bei Schnupfen
nur im rechten Nasenloch Hep. sulf. calc.; sonst
seit dem 5. fast constant Natr. mur. -j- Led. bei
Grippe und Masern; daneben noch Natr. mur. -{-
Iris oder -f~ Tone.; ferner Bapi tinct., Zinc. und
Kali bichrom.; am 18. war noch immer Natr. mur.
-j- Led. vorherrschend.
Ich-hier hatte am 7. und 8./5. Acid. oxalic. -j~
Ramme, scelerat. (?); am 9. und 10. Borax -f-
Badiag. (?); seit dem 11. habe ich fast ausschliess¬
lich Natr. mur. -f- Led. bei Masern mit knötchen¬
förmigem Exanthem und neben Augen- und Bron-
chialcatarrh mit ausgesprochener Angina besonders
rechts, dabei sind natürlich die für Tart. stib. mir
von früher (Sommer 1889) her bekannten Allgemein¬
erscheinungen zu constatiren: grosse Müdigkeit,
Nächte unruhig, Tags somnolent, Kopfschmerzen
vom und über den Augen, Kreuz- und Glieder¬
schmerzen, stets Appetitlosigkeit und Uebelkeit* oft
Erbrechen, oft Durst, meist Verstopfung, doch auch
öfters Durchfälle, der Husten tritt besonders Abends
beim Niederlegen und Morgens auf, Auswurf geht
schwer. Heute scheint die epidemische Constitution
etwas schwankend zu werden, indem neben Tart.
stib. mehrfach Cupr. -f- Sep. und -j- Ranunc. bulb.,
Ac. mur. -f- Ranunc. scelerat. (?) und Jod -(- Thuja
und einmal Zinc. -f- Hyosc. auftrat; sonst kamen
natürlich noch Nachzügler der Influenza meist mit
Bar. carb. -(- Tone. vor.
Weiss-Gmünd kann kein bestimmtes Mittel an¬
geben; er hat noch häufig bei den Nachkrankheiten
schlecht oder nicht behandelter Influenzafälle theils
= Kal. bichrom. theils Sabadill.
Hagel-Ravensburg berichtet am 8./5., dass er
häufig Phosph., Kali carb., Nux vom., Argent.
nitric. indicirt finde; in den letzten Tagen öfters
Rhus fox.
Sigmundt-Spaichingen theilt am 13./5. mit, dass
bei der noch immer häufig auftretenden Influenza
zur Zeit Natr. nitr. -f- Aq. Nicot. angezeigt sei;
bei der nicht seltenen Gesichtsrose ist Rhus fox.
das Simile.
Buob-Freudenstadt hatte am 3./5. Kal. carb.,
Phosph., auch Zinc., Ant. crud. -|- Valerian; am
4. Ars. -{- lpecac.; am 5. Veratr. alb. und Rhus
tox.; am 7. Rhus tox.; am 8. Petrol. Droser.;
am 9. Silic.; am 10. Euphras., Caustic.; am 11.
Hepar und Phosph.
Am 18./5., aus Anlass der Versammlung des
Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs, kam
auch die Rede auf die verhältnissmässig häufige
Digitized by v^ooQie
179
Indication von Argent. College Schlegel-Tübingen
behandelt nun schon den 3. Fall innerhalb 1 Jahres
von Carcinoma cervicis mit gutem Erfolg mit Argent.
nitric. 3. und war der Ansicht, dass sicher auch
wieder Zeiten kämen, in denen dieses Mittel bei
dieser Krankheit sich weniger gut bewähre. Mir
selbst ist es schon seit über 2 Jahren aufgefallen,
wie oft Argent. nach dem Weihe*sehen Schmerz¬
punkt angezeigt ist und zwar besonders bei Phthi¬
sikern ; es ergab auch meist befriedigende Resultate.
Hervorheben will ich hier noch, dass ich Argent.
nie bei einfachen acuten Krankheiten gefunden habe,
sondern dass stets eine schwerere „constitutioneile“
Krankheit mit dabei im Spiele war.
Stuttgart, den 20. Mai 1892.
Dr. med. H. Göhrutn.
Fragekasten.
Antwort:
Den Fall des Herrn Dr. Goullon in No. 19/20,
überden er leider zu wenig eingehend berichtet, (gynae-
kologischer üntersuchungsbericht fehlt ganz) halte
ich, soweit dies auf solchem Weg zu beurtheilen ist,
für eine „Neuralgia uteri“. Wahrscheinlich liegt
Stenosirung des Cervicalkanals oder Retrofiexio oder
Beides vor. In dieser Richtung empfiehlt sich
mechanische Abhülfe. Von homöopathischen Arz¬
neien sind eines Versuches werth: Lobelia inflata
bei Stenosis canal. cervical; Aurum, mur. natr. bei
Ketroflexio; Lilium tigrinum bei Anteflexio; Colo-
cynthis bei Bauchneuralgie. In einem ganz ähnlichen
Falle habe ich kürzlich einer Frau mit Dioscorea
villosa rasch geholfen.
Dr. med. Julius Fuchs-München.
ANZEIGEN.
Med. Dr. Theodor Kafka in.Karlsbad
wohnt wie im vergangenen Jahre im Hause „Anuaberg“, No. 385 Hilft Markt, knapp vor
dem Hotel Hannover.
) © ©■© © © ! @©'© ©•© ■© © Q'© 1 ©©
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbacb’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung & Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung von Citronen* u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant, (a 100,0 = 30 Pf.) ab.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Limousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle & Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Fehllng’sche Lösung, stets
ganz frisch, wird in Glasstöpsel gläsern, ä 30,0=50Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin.
Krankenhell bei München. Höhenluftkurort
± UlZ^mit jodhalt. Quellen. Indicat Frauenkrank¬
heiten, Sorophulose, chron. Hautleiden, Lues. — Auskunft
d. Dr. Letzei (im Winter in München, im Sommer in Tölz).
Hcin^fincjcde
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbessertes;fiomopafliiscfier
nachDr F.Katsch
FRANCK
X.
nur ächt,wenn mit | SCHUTZMARKE
u.Unterschrift
u.(///iC/ ub/r
Digitized by
Google
180
Wlldtoad im Württemb. Schwarzwald.
laison-ErAffnang am 1. Mai 1801. [st. nm
Im Mai und September ermäesigte Kur- und Bädertaxe.
Neubau für Heissluft- und Dampfbäder, Schwedische Heilgymnastik und Massage.
Prospecte können von der Königl. Badeverwaltung unentgeltlich bezogen werden.
Saison
I. Mai bis
1. Oetober.
Bad Nauheim
Linie
Cassel-
Fr ^ nkfart
a. M.
Kohlensäure Soolthermen mit hohem Stahlgehalt 31—35° C. zu mussirenden Sprudel-,
Strom- und Thermalbädern; gasfreie Soolbäder, Douchen, electr. Bäder. Salinische, alkal. Trink¬
quellen, Inhalationssalon, ausgedehnte Gradirwerke. Mustergiltige, durch Eröffttüllg eines neuen
5ten Badehauses vermehrte Badeeinrichtungen. Frequenz 9500. Indikat ausser den bekannten,
für einfache Soolbäder, feststehenden, mit Rücksicht auf Temperatur und Kohlensäure ganz be¬
sonders Rheumatismus, Herz- und Rückenmarkleiden.
Grossherzogi. Hess. Badedirection Bad Nauheim.
Zellenstoff - Unterjacken
aus Seide, Wolle \ (ohne Knoten)
oder Baumwolle J tragen sich
warm und angenehm.
Unsere Netz - Jacken
H werden von den titl. Prof DDr. Oppen¬
heimer, Hecker, Niemeyer, Bamberger,
Eichstedt, Jäger etc. als das der Ge¬
sundheit zuträglichste u. zweck massigste
empfohlen. Prosp. mit Zeugnissen ärzt¬
licher Autoritäten.
Carl Mez & Söhne, Freiburg (Baden).
Wachenheimer Sect.
Brfanltrt Lolpmi* 1892: [La MSI]
Ekrwprel« der 8tadt Leipzig and 6aldene Medaille.
BUi Etlqnette. J$ 9 —\ incl. Kisten
Monopole . . . „ 9.60 \ n. Flaschen
Weis« Etlqnette „ 3.— /von 19 bis
Kaiser Perle . , 4 .—) 60 Sick.
Mit 10% und 16% Rabatt.
Hauptniederlage and Generalvertreter
Eduard Brade, Leipzig, Ritterstrasse 17.
Wiederverkauf er und Exporteure Extra-Offerten.
Kastanienblüthen-Oel und
Kastanienblüthen-Tinetur
aus den frischen Blütben bereitet, haben sich als
thatsächlich gute Mittel zum Einreiben gegen
Gicht nnd Rheumatismus schon seit langen
Jahren eingeführt und werden zu Versuchen bestens
empfohlen.
Zu haben in jedem gewünschten Quantum, in
Flaschen & 50 Pfg. bis zu Flaschen & ! /2 Ko. = 4 M.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offtcin.
Den Herren Aerzten empfehle sämmtliche
Artikel zur Krankenpflege:
Verbandstoffe, ärztliche nnd
sonstige Instrumente, Instromenten-
taschen u. Wundverband- Apotheken
in allen Grossen, in bester Qualität und zu
billigsten Preisen.
Ausführliche, speciell chirurgische Preislisten
werden auf Verlangen gratis und franco verschickt.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath- Officin.
Diese Nr. hat 20 Seiten (statt 16), am für diese
Nr. allen Wttnsehen schnell gereeht werden za
können.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goebraa-Stnttgart, Dr. Stift-Leipzig nnd Dr. Haedioke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William StelüMtz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Bratener k Stbrama in Leipzig,
Digitized by
Googh
Leipzig, dev 9. Juni 1898.
No. 23 n.24.
Band 124.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
OERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A.HarggraTs homOopatb. Offlein) in Leipzig.
Erscheint UtKgig an 9 Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Bend. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bmobhandlnngen oad
Postanrtalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an B. Moaee in Loipsig und dessen Filialen an richten sind,
werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum bereohnet. — Beilagen werden mit Ulf. berechnet.
Inhalt: Bericht über die Versammlung des Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs am 18. Mai
1892 in Stuttgart. Referent Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart. — Die Potenzirwig. Physiologisch geprüft von Prof.
Dr. G. Jäger-Stuttgart. (Forts.) — Zur Hochpotenzenfiragg. Von Dr. Kunkel-Kiel. — Die Zelten der Arzneien. Von
Dr. med. Ide-Stettm. (Forts.) — Zum Capital der 6Mt. Von Dr. Theod. Kafka in Karlsbad. — BBeh e rs c han. —
Nekrolog. — Personalia. — Anzeigen.
Bericht über die Versammlung des
Vereins homöopathischer Aerzte
Württembergs am 18. Mai 1892 in
Stuttgart.
Referent Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart
Der ergangenen Einladung konnten diesmal nur
11 Collegen folgen:
Dr. &A/^<r/-Tübingen.
Dr. Mossa- Stuttgart.
Dr. G'öhrum- Stuttgart.
Dr. StemmerSinitgnct.
Dr. 7h>^-Ludwig8burg.
Dr. Lorenz- Stuttgart.
Dr. .SiAwarz-Baden-Baden.
Dr. Weiss-Gmünd.
Dr. £# 0 £-Freuden 8 tadt.
Dr. ÄVra-Pforzheim.
Nach Eintritt in die Tagesordnung berichtete
der Vorsitzende Obermedioin&lrath Dr. von Sick,
über den aus Anlass des aus unserem Vereine aus¬
geschiedenen Sanitätsraths Dr. Bilfinger-Stuttgart
gepflogenen Schriftwechsel. Letzterer fühlte sich
mit seinen Keformbestrebungen isolirt in unserem
Vereine und fürchtete ev. auch in der Propaganda
für diese als Mitglied dieses Vereines gehindert zu
sein. Der äussere Anlass zu diesem Schritte wurde
eingehend besprochen und dabei wurden besonders
folgende Punkte hervorgehoben:
dass allgemeine Fragen der Gesundheitspflege
wobl vor das Forum des Publicums gehören, aber
nicht speciell ärztliche Themata;
dass die grossen Erfahrungen Bilfingers in der
Naturheilkunde eine werthvolle Ergänzung für unse¬
ren Verein gewesen sind, und
dass deshalb der Verein einstimmig sein Be¬
dauern über dessen Austritt ausspreche und sich
der Hoffnung auf dessen Wiedereintritt hingebe.
Als zweiter und wichtigster Punkt der Tages¬
ordnung kam das Programm für die im August
hier stattfindende Centralvereins-Versammlung zur
Discussion. Das schon mehrfach von den hiesigen
Collegen besprochene, von dem Ref. entworfene
Programm fand allseitige Billigung. Eine Neuerung
wird diesmal eingefübrt: es ist die Ausgabe von
Theilnehmerkarten an die Besucher der Versamm¬
lung und deren Familienmitglieder mit Anhängung
von Bons zu einzelnen Theilen des Programms.
Diese Karten können und sollten im Voraus vom
Kassenwart Collegen Stemmer-Stuttgart gratis uud
franco bezogen werden, wenn die verebrlichen,
hoffentlich recht zahlreichen Besucher aller Vor¬
theile theilh&ftig werden wollen, die dieselben bie¬
ten. Eine diesbezügliche Aufforderung wird der
offlciellen Einladung beigefügt werden.
Die Damen der hiesigen Collegen werden be¬
strebt sein, den Familien der auswärtigen Herren
Collegen den Aufenthalt hier möglichst angenehm
zu gestalten und während der langen und ernsten
Verhandlungen ihrer Häupter die Zeit mit Besich¬
tigung der zahlreichen Sehenswürdigkeiten zu ver¬
treiben.
Die Einladung von Freunden der Homöopathie
33
Digitized by
182
und der Presse zur Theilnabme an der wissenschaft¬
lichen Sitzung und dem darauffolgenden Diner
wurde eingehend besprochen und allseitig gut ge¬
heissen. Für die Presse werden kurze Referate
von Collegen angefertigt, um die sonst unvermeid¬
lichen Irrthümer zu umgeben.
An Vorträgen für die wissenschaftliche Sitzung
wird es nicht mangeln, indem ausser dem auf der
letzten Versammlung in Potsdam beschlossenen
Vortrag des verehrten Herrn Collegen Kröner-Pots-
dam über Herzkrankheiten der hochverehrte Ehren¬
vorsitzende Obermedicinalrath Dr. von Sick zur
Einleitung einen kurzen Rückblick auf die Geschichte
der Entwicklung der Homöopathie in Württemberg
geben wird und der verehrte College Schlegel-
Tübingen einen Vortrag über * Homöopathie und
Weltanschauung“, sowie der Ref. einen solchen über
s Eine prophylaktische Methode“ an gesagt haben.
Zum dritten Theil der Tagesordnung, den sicher
ebenso interessanten wie lehrreichen Bericht über
die Influenza des Winters 1891/92, den unser Vor¬
sitzender angesagt hatte, reichte die Zeit leider
nicht mehr; doch wurde selbstverständlich der Dis-
cussion über wissenschaftliche Fragen in reichlichem
Masse privatim gepflogen. Ein Thema, das allge¬
meines Interesse erregte, war die Frage, ob bei
Herzkrankheiten allopathische Dosen von Digitalis
entbehrt werden könnten. Sie wurde von den
älteren erfahrenen Collegen dahin beantwortet, dass
es nicht möglich sei, in der Praxis ohne die
Anwendung von Digitalis und ähnlichen Herz¬
mitteln auszukommen, wenn einmal das curative
Verfahren unmöglich und man lediglich auf pallia¬
tive Behandlung angewiesen sei. Sick lässt von
Digital trit. I. einen kalten Aufguss (2,5 Gr. in
1/4 Liter Wasser) machen, 12 Stunden stehen und
in 24 Stunden nehmen und forderte die Collegen
auf, Versuche mit dieser Anwendungsweise zu machen,
mit der er bisher stets zufrieden gewesen sei und
zugleich auch in der Form einigermassen bei den
homöopathischen Gewohnheiten habe bleiben können.
Bei dem folgenden gemeinschaftlichen Abend¬
essen sprach der Vorsitzende in beredten Worten
den Wunsch aus, die Centralvereins-Versammlung
möge eine recht zahlreich besuchte und möglichst
gelungene werden. Mit diesem Wunsche will auch
ich schliessen. Die verehrten Herren Collegen dürfen
versichert sein, dass wir alles aufbieten werden, um
unseren werthen Gästen den hiesigen Aufenthalt
durch die altbewährte schwäbische Gastfreundlichkeit
und Gemüthlichkeit zu einem unvergesslichen zu
machen.
Die Potenzirnng.
Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger-
Stuttgart.
(Fortsetzung.)
IV. Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkali¬
salzen,
a) Vorbemerkung:
Hier ist vorauszasenden. a) Die jetzt folgenden
Messungen habe ich vor der im I. Theil beschrie¬
benen Messung des Kali carbonicum ausgefuhrt, ge-
wissermaassen behufs erster Orientirung. Nach der
Durchführung der Messungen an Aurum metallicum,
Thuja, Aconit und Kochsalz, die in meiner „Neural¬
analyse der homöopathischen Verstimmungen“,
Leipzig 1881 veröffentlicht und jetzt in der 3. Auf¬
lage von „Entdeckung der Seele“ enthalten sind,
bestand für mich lediglich kein Zweifel darüber,
dass die Potenzirung bei allen Arzneimitteln ja bei
allen Stoffen überhaupt die gleichen physiologisch
zu ermittelnden Veränderungen hervorbringe, aber
angesichts der grossen Verschiedenheit der Stoffe
konnte es sich doch möglicherweise empfehlen, eine
grössere Anzahl derselben durchzumessen, um zu
sehen, welche Verschiedenheiten dabei zu Tage
treten. Um hierüber Klarheit zu bekommen, be¬
schloss ich mit einer Gruppe derselben den Ver¬
such zu machen.
b) Meine Wahl fiel aus folgenden Gründen auf
die Alkalisalze . Erstens, weil von diesen weniger
eigentliche chemische Wirkungen solcher Art wie sie
von Säuren oder Alkalien oder sonst sich leicht
verbindenden oder zersetzenden Stoffen ausgeübt
werden, zu erwarten sind. Denn um was es sich
bei der Potenzirung handelt, sind nicht die im ge¬
raden Verbältniss zur Masse stehenden chemischen ,
sondern um die im umgekehrten Verhältnis zur
Masse stehenden „ nervösen “ Wirkungen. Zweitens ,
da ich die niederen Potenzen, von denen jedenfalls
Giftunrkungen zu erwarten waren, auch messen
wollte, so wählte ich eine Grnppe relativ harmloser
Stoffe. Drittens wollte ich eine Gruppe vornehmen,
deren chemische Zusammensetzung genau bekannt
ist und deren physiologische Wirkung man genauer
kennt, weil sie vielfach gebraucht werden. Viertens
hoffte ich zwei Fliegen mit einem Schlage zu treffen
wenn ich ein Salz nehme, weil hier sowohl der
Unterschied der verschiedenen Säuren als auch der
der verschiedenen Basen zu Tage treten werde, so
dass man nicht nöthig hatte, meist jede gesondert zu
messen. Dass das bis zu einem gewissen Grade
gelungen ist, wird die Folge lehren.
c) Bei diesen Messungen habe ich die Arznei
nicht verschluckt , wie das bei den im 1. Theil ge¬
schilderten Potenzen des Kali carbonicum geschah,
sondern ich habe sie nur inhalirt . Das geschah aus
mehreren Gründen: Um verschiedene Stoffe ver-
Digitized by v^ooQle
18 S
gleichen zu können, worauf es mir ja in erster
Linie ankam, ist es nöthig, sie unter möglichst
gleichen Verhältnissen zu messen und das erfordert,
dass man sie am gleichen Tage so rasch als mög¬
lich hinter einander misst, das kann aber meist nur
geschehen, wenn der erste Stoff sich rasch genug
und möglichst vollständig aus dem Körper entfernt.
Darüber hatte ich nun aus meiner langen Praxis
genügende Erfahrung, dass inhalatorisch einverleibte
Stoffe sich viel rascher entfernen als solche, die
man verschluckt hat, deshalb wählte ich den in-
halatorischen Weg. So war es möglich, im Ver¬
lauf der verfügbaren zwei Tagesstunden von nie¬
deren Potenzen bis zu 7 verschiedenen Stoffen sicher
zu messen. Auf höheren Potenzirungsstufen kann
man sogar noch rascher Vorgehen. Endlich kam
auch dieOeconomie der Zeit in Betracht: Es müssen,
um einen Ueberblick zu gewinnen, doch mehr als
100 verschiedene 8 toffe gemessen werden und um
das mit allen so durchzuführen, wie ich es mit
Kali carbonicum gemacht, gehört eine Zeit, über
die ich nicht verfüge, ausserdem liegt es im Inter¬
esse der Leser, den Ueberblick möglichst rasch zu
erhalten, denn: bis dat, qui cito dat.
d) Ebenfalls im Interesse der Zeit von Leser
und Verfasser habe ich mich darauf beschränkt,
für jede Potenz eines jeden der Stoffe ein Einziges
(aus 40 Akten sich zusammensetzendes) Dekaden¬
mittel zu messen und damit nur eine Ziffer, nicht
wie bei Kali carbonicum jedes Mai eine ganze
Zifferreihe zu bilden. Die Ziffern der nachstehen¬
den Tabellen kamen also so zu Stande: Zuerst
mass ich — jedes Mal — eine Ruheziffer (dieselben
sind in der Tabelle I und II angegeben) gebildet
aus 4 Decaden, dann mass ich sofort in gleicher
Weise eine Arzneiziffer . Jedes Mal vorher eine
Alkoholziffer zu messen, ähnlich wie ich bei Kali
carbonicum jedes Mal eine Wasserziffer mass, unter¬
lass ich einmal wegen Zeitersparniss, dann weil
die Alkoholziffer sich von meiner Rubeziffer sehr
wenig unterschied, (der Unterschied zwischen Ruhe-
und Alkoholziffer betrug bei 7 Versuchen der Reihe
nach + 2,50/o, +2«/ 0) + 1.6<>/ 0t +1,4»/ 0 , + 2,lo/ 0l
+ 1%, -f- l,7°/ 0 ). Dann war es deshalb über¬
flüssig, weil ja bei jeder Potenz und jedem Stoff
wieder der gleiche Alkohol sich befand, also das
Ergehn iss der Vergleichung durch ihn nicht gestört
wurde. Die Tabellen enthalten nun wieder nicht
die Arzneiziffer seihst, sondern die proeentisehe
Differenz zivisehen ihr und der Ruheziffer , die natür¬
lich wieder entweder ein Plusiverth oder ein Minus -
werth ist.
6) Fehlergrösse \
Ueber diesen Gegenstand habe ich zwar schon
im II. Theil gesprochen, allein ich komme hier aus
zwei Gründen noch einmal darauf zurück:
1. Die Fehlergrenzen sind nicht jedesmal die
gleichen, sondern sie wechseln mit der nervösen
Disposition, also hei Messungen, die sehr genau
sein sollen, wo es auf Ermittlung kleiner Unter¬
schiede ankommt, muss jedesmal die betreffende
Grösse festgestellt werden, dies ist zwar bei unserem
Gegenstand nicht der Fall, denn die an den Arz¬
neien erhaltenen Unterschiede sind so ausserordent¬
lich gross, dass sie selbst bei der ungünstigsten
Disposition gefunden werden müssen. Es wäre also
dieser erste Grund nicht genügend, hierbei noch
einmal länger zu verweilen, aber es kommt hinzu
2. folgender Umstand: dass es einem Manno
nie gelingt, das Vorurtheil gelehrter Kreise gegen
eine Neuerung zu überwinden, ist die Erfahrung
aller Jahrhunderte, allein dass es nicht unmöglich
ist, im Kreise der Praktiker durchzudringen, haben
mich meine Erfahrungen auf dem Gebiet der Klei¬
dung gelehrt. Nun hat mich 10jährige Praxis in
der Neuralanalyse, die ich nicht etwa auf wissen¬
schaftlichem Gebiet, sondern gerade in meinem Ver¬
kehr mit den Praktikern und zu praktischen Zwecken
ausübte, darüber belehrt, einmal, dass diese Methode
für die Praxis ausserordentlich werth voll ist und
dann, dass die Praktiker ihre Ueberlegenheit und
Brauchbarkeit sehr bald schätzen und fürchten lernen.
In meiner Praxis handelt es sich, wie ich schon in
No. 1 darlegte, darum, die mit mir verbundene
Industrie zu überwachen, um sie gegen absichtliche
oder unabsichtliche Verunreinigungen der gefertig¬
ten Gegenstände rasch und sicher zu schützen.
Hierbei überzeugte ich mich und meine Leute von
der fast unheimlichen Sicherheit und Genauigkeit,
z. B. genügt ein Faden von einigen Centimeter Länge,
um an ihm in einigen Sekunden festzustellen, ob
er mit einer gesundheitschädlichen Farbe behandelt
oder sonst verunreinigt ist Merkwürdiger Weise
ist aber trotz meiner vielen Veröffentlichungen die
Methode gerade von denjenigen Praktikern, die am
meisten Gelegenheit und Veranlassung hätten, sich
ihr zu bedienen, nämlich den Chemikern, die im
Dienste der Gesundheitspolizei thätig sind, voll¬
ständig unbeachtet geblieben. In der Hoffnung,
dass diese Zeilen doch einem oder dem andern
dieser Herren in die Hände fallen oder ihm von
einem der Leser — um was ich hiermit bitten
möchte — in die Hände gegeben werden, will ich
hier einen genaueren Aufschluss über die Fehler¬
grösse geben, denn nur wenn man diese den Ziffern,
die man an den gemessenen Objekten erhält, gegen¬
über stellt, gewinnt man eine Vorstellung von der
Genauigkeit der Methode. Uebrigens nicht bloss
extra muros gilt das obige, ich hoffe später zeigen
zu können, welch eminent praktische Verwendung
die Neuralanalyse als Prüfungsmittel der Potenzirungs-
höhe der homöopathischen Arzneien erlangen könnte.
(Schluss folgt.)
2S*
Digitized by
Google
181
Zar Hochpotenzenfrage.
Von Dr. Kunkel-Kiel.
„Das Quaötitätsgesetz ist für mich in der The¬
rapie, soweit es die arzneiliehe Behandlung betrifft,
massgebend/ sagte einst ein bekannter Professor
der Pathologie. Also mit andern Worten: viel hilft
vieh Dass eine solche Anschauung dem Verständ¬
nisse der Laien nahe liegt, erfahren wir homöo¬
pathischen Aerzte oft genug.
Wer ein Dutzend Klösse verzehrt hat wird ein
stärkeres Gefühl der Sättigung haben, als wer einen
genossen.
Der Laie mag diese Thatsache auf das Me-
dicament ausdehnen, dem Arzt darf eine solche
Schlussfolgerung nicht genügen. Er musß sich zu¬
nächst die Frage vorlegen, ob denn wirklich das
obengenannte Gesetz den Thatsachen entspricht.
Bei der Anwendung von Medicamenten treten Er¬
scheinungen hervor, die allerdings den obigen Aus-
sptuch des Professors zu bestätigen scheinen. Grosse
Dosen wirken stärker als kleine, mehrere Esslöffel
olei Ricini wirken stärker abführend, als etwa ein
Theelöffel. Auch in anderer Richtung kann eine
grosse Dosis stärker wirken als eine kleine, wenn
es darauf ankommt, bestimmte Einzelsymptome zu
beseitigen. Aber im ersten Fall dürfen wir nicht
vergessen, dass wir nur krankhafte Symptome her-
vörrufen, Uns also der Vergiftung nähern. Auf den
zweiten Fall, wo z. B. natr. salicyl. in grossen Dosen
Gelenkrheumatismus heilte, während es in kleinen
Doien nichts ansrichtetet kommen wir später zurück.
Widerlegt aber wird dieser Ausspruch des Pro¬
fessors zunächst durch die Mineralbäder. Es ist
eine von allen Badeärzten anerkannte Thatsache,
dass hier die Wirkung auf den kranken Organismus
durchaus nicht im Verhältnisse steht zum Stoff¬
gehalt des betreffenden Brunnens, wenn auch die
Reclame auf diesen Gehalt besonderes Gewicht legt,
weil die Abhängigkeit der Wirkung vom Stoffgehalt
dem Laien plausibel erscheinen wird.
Die Unabhängigkeit der ersteren von den letz¬
teren finden wir besonders ausgeprägt in den Wild-
bädern und denen, die sich bezüglich der Stoff-
armuth diesen nähern. Ueberreizung der Nerven
bei längerem Aufenthalt im Wasser ist eine häufige
Erscheinung und wird daher von den Aerzten das
Baden sorgfältig überwacht, während bei den Sool-
bädern, die doch ungleich mehr Stoff enthalten,
eine solche Vorsicht nicht nöthig ist..
Widerlegt ist faktisch ferner dieser Ausspruch
durch Hahnemann, der den Nachweis lieferte, dass
mit dem Verschwinden des Stoffs keineswegs die
Wirkung des Medicaments aufhört. Zwar konnte
auch er sich von dem Stoff als dem wirksamen agens
nicht trennen, gab deshalb, weil ein so verfeinerter
also in seinen Wirkungen geschwächter Stoff durch¬
aus nicht die geringste anderweitige medicamentöse
Einwirkung verträgt, seine unglücklichen diätetischen
Vorschriften, während er nichtsdestoweniger be¬
hauptete, dass die höheren Potenzen nachhaltiger
wirken als die niederen.
Der Widerspruch liegt auf der Hand. Man hat
zwar die Vermehrung der Stoffoberfiäche in’s Feld
geführt. Diese kommt aber bei der ungeheuren
Verdünnung, z. B. der 30. Potenz nicht in Betracht.
Ebenso ist die Annahme, dass hier wirklich durch
die vorgeschriebene Technik der Arzneibereitung
der Stoff in seine Moleküle aufgelöst werde, eine
durchaus willkürliche, da mikroskopische Unter¬
suchungen der Präparate wohl ein Selten er werden
der Arzneipartikelchen, weniger aber Verkleinerung
derselben nach wiesen. Nur wenn wir diese Vor¬
aussetzung,' dass das, was auf den Organismus
wirken soll, stofflich sein müsse, fallen lassen, findet
die wissenschaftliche Forschung ein freies Feld,
während mit dieser Voraussetzung ihr ein Blei¬
gewicht anhängt, das jede fortschreitende Bewegung
in der Forschung hemmt Machen wir uns doch
keine Illusionen darüber, dass gerade diese Voraus¬
setzung es ist, die unsere Gegner abhält sich mit
der Homöopathie zu beschäftigen. Und wir leisten
derselben einen schlechten Dienst, wenn wir immer
und immer hervorheben, dass auch wir in diesem
Vorurtheil befangen sind, und sogar diesen Stand¬
punkt als den allein wissenschaftlich berechtigten
anerkennen.
Und kennt denn nicht jeder die Bedeutung der
„Imponderabilien“ (wozu wir ohne Zweifel auch
das Reichenbach sehe Od rechnen können) für unser
ganzes physiologisches Dasein? Wie dürfen wir
annehmen, dass das pathologische Dasein anderen
Gesetzen folgt? Wer kennt nicht die Wirkung des
Gemüthseindrucks auf die Thätigkeit sämmtlicher
Nerven, sowohl der Cerebrospinalnerven wie der
trophischen, also auf den Stoffwechsel, auf die Er¬
nährung der Organe.
Man hat gesagt: wozu die höheren Potenzen,
wenn wir mit niedrigen auskommen? Abgesehen
davon, dass diese Behauptung so lange eine will¬
kürliche ist, als die bestätigenden Thatsachen fehlen,
ist es denn nicht einleuchtend, dass unsere Stoff¬
und Kraftfrage für die wissenschaftliche Begründung
der Homöopathie von der allergrössten Bedeutung,
ja entscheidend ist?
Hypothesen die auf Thatsachen beruhen, mit
allem sich in vollkommener Harmonie befinden, haben
ihre volle Berechtigung, während, wie wir sahen,
die Annahme, dass Etwas materiell sein müsse um
wirken zu können, diese Congruenz mit den That¬
sachen nicht hatte.
Ich habe schon früher die Hypothese aufgestellt,
dass bezüglich der Arzneiwirkung nicht allein das
Quantitätsgesete, sondern auch das Gesetz der che -
Digitized by Google
M5
mischen Aequivalenz in Rechnung gebracht werden
müsse zur Erklärung der beim Heilungsprocesse
eintretenden Erscheinungen, eine Anschauung, die
ich noch jetzt habe und kurz zu motiviren suchen
werde.
Ob man sich Rechenschaft abgelegt hat, wie der
Stoff als solcher den Nerven beeinflusst, müssen
wir dahin gestellt sein lassen. Da die solide patho¬
logische Anschauung mit Recht in der ärztlichen
Welt die herrschende geworden ist (einige Naturärzte
huldigen noch der Humoralpathologie), so liegt doch
die Frage nahe: wie haben wir uns die Einwirkung
des Stoffs auf den Nerven zu denken? Wenn wir
aufrichtig sein wollen, müssen wir sagen: wir stehen
vor einem Räthsel. Wenn wir aus uns bekannten
Thats&chen auf andere, die unserer directen Prüfung
nicht zugänglich sind, schliessen, müssen wir sagen:
nur die Bewegung ist die dem Nerven adäquate
Form der Einwirkung, die Form desjenigen Impulses,
auf welchen er im physiologischen Sinne reagirt.
Der Stoff als solcher kann ihn wohl verstimmen ,
aber um bei dem Bilde zu bleiben, er wird ihm
keine Melodien entlocken, seine physiologische Tbä-
tigkeit nicht „auslösen*. Insultirung der retina
durch Stoff wird Tastempfindungen, aber nicht bild¬
liche Abdrücke von Gegenständen liefern.
Wie ganz anders wirkt die Electricitüt, von der
ja jetzt nachgewiesen sein soll, dass sie wie die
übrigen n Imponderabilien*, Bewegung ist. Sie er¬
höht die physiologische Thätigkeit eines jeden von
ihr berührten Nerven in der Richtung der dem letzteren
innewohnenden Thätigkeit, die richtige Stärkestufe
vorausgesetzt. Das Licht, das die Netzhaut, der
Schall, der den Gehörnerven, die Wärme, die die
Gefühlsnerven, die verschiedenen Farben, die als
solche von dem Auge erkannt worden, sind doch
nur Ausdrücke verschiedenartiger Bewegungen.
Vermöge des Gesetzes von der Erhaltung der
Kraft sind wir im Stande, das Maass der Wärme
wie der Electricität zu reguliren.
Bis dahin ist das Gesagte sicher constatirt Die
Anwendung besagten Gesetzes auf die Pharmako¬
dynamik ist hypothetisch. Hahnemann, der dieses
Gesetz nicht kannte, ahnte es offenbar. Er legte
ein so grosses Gewicht auf die Zahl der Schüttel¬
schläge, dass er 10 Jahre gebrauchte um am
Krankenbett zu erproben, ob 2 oder 10 Schüttel-
scbläge zweckdienlicher wären. Er fürchtete durch
Uebermaass von mechanischer Arbeit die Erst¬
wirkung des Medicaments unnötbiger Weise zu ver¬
schlimmern.
Auf das physiologische Verhalten der Wildbäder
dem Organismus gegenüber habe ich schon auf¬
merksam gemacht. Dieselben zeichnen sich einer
seits durch eine erhöhte Temperatur, andera-
theiis durch den geringen Gehalt an festen Bestand-
theilen aus. Ersterer Umstand deutet darauf hin,
dass ein weiter Weg aus dem Erdinnern zurück¬
gelegt wurde, also sich das Quellwasser in lang-
dauernder Bewegung befand. Man sieht: die
mechanische Arbeit des Schütteins und die hier
stattfindende Bewegung des Wassers hatte dieselbe
Folge, vorausgesetzt, dass die Behauptung derjenigen
Aerzte, dass auch hier Einwirkung auf den Orga¬
nismus erkennbar, auf Wahrheit beruht, worüber
nur der Versuch entscheiden kann.*)
Dass der Stotfgebalt oft wenig in Betracht
kommt, darauf deutet eine andere Erscheinung, die
ich bezüglich der Heilwirkung der Seeluft und des
Seebades beobachtete.
An der ganzen Westküste der Provinz Schleswig-
Holstein grassiren alljährlich oder doch oft die
Wechselfieber, sogenannten Marschfieber, während
sie an der Ostküste sich jetzt fast nur an den
Stellen finden, wo vermöge Verbindung der Ostsee
mit Binnen wässern sich sogenanntes Brak wasser
(Mischung von salzigem und süssem Wasser) be¬
findet. In den Marschen sind in Folge der Ema¬
nationen der vielen Gräben oder wie auf einigen
ftiesischen Inseln der kleinen sumpfigen Wasser¬
löcher die Bedingungen für die Entstehung der
febr. interniitt. günstiger. Dasselbe gilt für Wilhelms¬
haven. Sobald dort ein neuer Kanal ausgehoben
wurde, stellten sich die Fieber ein. Die Symptome
dieser Fieber hier wie dort, entsprechen genau den
der Prüfung des natr. mur. Die Nähe des Meeres
beeinflusst dieselben nicht. Ob dieselbe sogar das
Fieber für sich erzeugen kann, lasse ich dahin¬
gestellt sein.
Aber eine Ausnahme bezüglich der Localisation
dieser Fieber giebt es: die Insel Sylt. Dort sind die¬
selben völlig unbekannt, während die Bedingungen
ihres Auftretens ähnliche sind, wie auf den übrigen
friesischen Inseln und in den Marschen: In dem
Marschboden der Insel sind kleine Wasserlöcher
die in regenarmen Sommern mehr oder weniger
austrocknen, ferner bei jeder Hochfluth Ueber-
schwemmung eines Theils derselben. Diese Er¬
scheinung erkläre ich mir aus dem Umstande, dass
hier die Bewegung des Seewassers, die Strömung
besonders stark ist, wahrscheinlich hervorgerufen
durch den Arm des Golfstromes, der durch den
Canal geht.
Wir hätten hier einen Vorgang, der dem ähn¬
lich ist, den wir bei den Wildbädern kennen gelernt
haben. Wir haben eine Erhöhung der medica-
mentösen Wirksamkeit, welche die Hypothese der
Btivegung zuschreibt, einerlei ob dieselbe in oder
auf der Erde stattfindet. Nur ein Unterschied ist
*) Hier haben die Badeärzte natürlich das entschei¬
dende Wort und die Behauptung derjenigen, die am
Schreibtisch ausgeheckt ist, dass aas Wildbad ähnlich wie
ein gewöhnliches Wamenoad von gleicher Temperatur
wirke, komme nicht in Betracht.
Digitized by v^ooQle
186
da. Bei den Wildbädern lernten wir einen ver¬
schwindend kleinen Procentsatz von festen Bestand¬
teilen kennen, hier hat die Seeluft denselben Ge¬
halt an Kochsalz wie die der übrigen friesischen
Inseln oder der See angrenzenden Marschen. Wie
es scheint, in der ganzen Provinz enthält die Küste
Kochsalz zuspendirt.
Wenigstens hört man die Klagen der Physiker,
dass der gelbe Kochsalzstreifen im spectrum oft
recht störend sei. Von einer Heilwirkung dieses
Gehalts ist keine Rede, sonst würde es hier zu
Lande nicht so viele Fälle von Malariasiechthum
geben. Also: der grössere oder kleinere Gehalt an
festen Bestandteilen war hier nicht massgebend.*)
Was dann? Die Hypothese sagt die Bewegung .
Die Physik bediente sich schon seit langer Zeit
des Ausdrucks: Freiwerden von Wärme. Seitdem
wir wissen, dass Wärme Bewegung ist, können wir
uns etwas Bestimmtes dabei denken.
Können wir auch von einem „Freiwerden* der
Arzneikraft sprechen? Wir wissen, dass bei An¬
wendung der Hahnemann’schen Arzneibereitungs¬
methode bis dahin mehr oder weniger indifferente
Substanzen wie calc carb., natr. mur., carb. veget. etc.
zu überaus wichtigen Medicamenten werden. Man
hat verschiedene Erklärungsversuche gemacht, z. B.
Aufhebung der Cobäsion und dadurch Freiwerden
der „Kraft 4 * etc. Aber, was ist Kraft? Wenn wir
sagen können wie bei der Wärme, die Arzneikraft
ist Bewegung, so können wir uns wie dort etwas
Bestimmtes dabei denken.**)
Ob wir das Sichbewegende Aether oder anders
*) Was nun die Seebäder auf Sylt anlangt, so ist,
was die Aufenthaltsdauer im Bade (ja auch in der Luft)
betrifft, dieselbe Vorsicht nöthig wie im Wildbade una
erade diejenigen Individuen, die ihr directes Heilmittel
ort finden, haben sich dieser Vorsicht besonders zu
befleissigen. Und auch dann finden wir oft Erstwirkung.
**) Eine Uebertragung von „Kraft“ findet statt, wenn
wir, einen „indifferenten“ Eisenstab mit einem Magneten
streichen. Wenn wir hier Uebertragung bestimmter
Bewegungen annehmen dürfen, so haben wir ein Glied
mehr in den Kraftübertragungen auf dem Gebiete der
Imponderabilien.
Es giebt aber noch andere Erscheinungen, die sich
vielleicht ungezwungener durch Uebertragung von Be¬
wegungen erklären lassen als die von Stoff. Der Hund
verfolgt die Spur seines Herrn, der Jagdhund die des
Wildes noch einige Zeit nachdem die Betreffenden aus
dem Bereich seiner Geruchsorgane sind. Aber wenn
die Spur „kalt geworden“, wie der Jäger sagt, kann
der Hund derselben nicht mehr folgen.
Wenn wir Moschus über die Strasse tragen, hält
sich der Geruch desselben trotz stetigen Luftwechsels
noch ein paar Tage. In allen den genannten Fällen
verschwinden die erwähnten Erscheinungen nach kür¬
zerer oder längerer Frist. Es erlahmen die Bewegungen.
Bei Stoffübertragung würde dieses schwerlich der Fall
sein. Ob die Blume vermöge unaufhörlichen Duftens
an Gewicht verliert?
benennen, ist gleichgültig. Eben so gleichgültig
ist es, ob die hier aufgestellte Hypothese Anspruch
auf Anerkennung machen kann oder ob wir aus
den ermittelten Thatsachen andere Schlüsse ziehen
können, wenn wir nur die Thatsachen, aus denen
wir schliessen, konstatiren und festhalten.
Nicht gleichgültig aber ist die Art der Ver-
werthung der ^potenzirten * Medicamente am Kranken¬
bett. Wenn die mechanische Arbeit des Schütteins
und Verreibens die Wirksamkeit erhöht, so müssten
wir ja mit den höher potenzirten Medicamenten
stets weiter kommen als mit den niedern. Dieses
aber ist keineswegs der Fall. Wie wir die Stärke
des electrischen Stromes dem Einzelfall anpassen
müssen, wenn wir die gewünschte Wirkung erzielen
wollen, so hier die Dosis des Medicaments. Der
Begriff „Kraft* ist hier ein durchaus relativer und
dasjenige Mittel ist das stärkste, das dem Einzelfall
am besten angepasst ist.
Vielleicht geben die Resultate der Arznei¬
prüfungen, je nachdem dieselben mit potenzirten
Mitteln oder mit dem Urstoff angestellt worden,
oder Vergiftungen Anhaltspunkte zur Gewinnung
einer befriedigenden Theorie. Da kann man wohl
im Allgemeinen sagen: je mehr sich die Dosis einer
vergiftenden nähert, desto stärker sind Einzel¬
symptome ausgeprägt, während bei den Prüfungen
mit potenzirten Mitteln ein farbenreicheres Prüfungs¬
bild entsteht Dieser Erscheinung entsprechen die
Resultate der Therapie. Wenn wir von den Krank¬
heitserscheinungen sagen, dieselben' hätten sich
localisirt, so können wir von den Prüfungssymp¬
tomen dasselbe sagen und thun wohl daran ira
Verhältniss dieser Localisation die tiefem Potenzen
zu wählen. Namentlich wo es sich um Krankheits-
producte handelt, werden wir in den meisten Fällen
die tieferen Potenzen nicht entbehren können. Wir
müssen hier verschiedene Fälle unterscheiden. In
ganz frischen Fällen, z. B. bei Erkältung oder
anderweitiger Erkrankung durch äussere Veran¬
lassung wird es in vielen und vielleicht in den
meisten Fällen mit einer Dosis des richtig gewählten
Mittels auch in Hochpotenz auskommen, aber es
können auch Fälle Vorkommen, wo sie uns im
Stich lassen. Dieses gilt auch für epidemische Er¬
krankungen.
Ein anderer Fall, wo die Wahl der Dosis in
Frage kommt, ist ein acutes Erkranken auf Grund¬
lage constitutionellen Krankseins.
Hier ist das Fieber Ausdruck des letzteren.
So kann „psorisches* Siechthum Angina, Pneumonie,
Malariasiechthum, Gelenkrheumatismus hervorrufen.
Wir werden in manchen solchen Fällen dasselbe
Mittel, das ohne diesen fieberhaften Zustand in
höherer Potenz Heilung herbeiführen würde, in
tieferer Potenz wählen müssen. Abgesehen von
solchen Exacerbationen werden wir mit höheren
Digitized by
Google
187
Potenzen nachhaltigere Erfolge haben bei eben
diesem constitntioneUen Kranksein.
Wir können es erleben, dass bei einem und
demselben Kranken der genannten Art, während er
sich unter dem Einfluss des richtig gewählten
Mittels in regelmässig fortschreitender Besserung
befindet, eine solche Localisation sich einstellt.
Wir müssen einer solchen kritische Bedeutung zu*
schreiben und sehen die betreffenden Symptome
meist spontan verschwinden. Aber zuweilen
müssen wir hier einschreiten, damit nicht „das
consensuelle Leiden zum Urieiden werde* (Rade¬
macher).
Ich behandelte vor Kurzem eine Dame an einem
mehrjährigen Leiden, das unter wiederholten Gaben
von sepia X. sich regelmässig fortbesserte. Da trat
ein Ekzem der vulva ein, das sie zuerst unbeachtet
liess, hoffend, dass dasselbe spontan verschwinden
werde. Dies war indess nicht der Fall. Es ver¬
schlimmerte sich so, dass sie nicht sitzen konnte.
Sepia 1 beseitigte das Leiden in wenigen Tagen.
Dass die höheren Potenzen nachhaltiger wirken
als die tiefern, erfahren wir bald, wenn wir chro¬
nische Krankheiten ausschliesslich mit letzterem be¬
handeln. Die betreffenden Kranken stellen sich,
kaum gebessert, recht bald wieder ein, entweder
mit denselben Symptomen oder anderen, die indess
demselben Medicament entsprechen. Diese Erfah¬
rung wird jeder machen, der unbefangen genug ist,
die ganze Scala der Potenzen einer unbefangenen
Prüfung zu unterziehen. Ganz eclatant tritt diese
eingreifendere Wirkung in folgendem Falle heivor.
Wir behandeln ein örtliches Leiden, vielleicht ein
Organleiden, mit einer tieferen Potenz. Eine Zeit
lang ist diese Wirkung eine durchaus günstige
Allmählich scheint die Kraft des Medicaments zu
erlahmen, in Wirklichkeit die ReizempfUnglichkeit
des Organismus abgestumpft zu werden. Dann
geben wir eine Hochpotenz desselben Mittels« Der
Kranke ist erstaunt über die belebende Wirkung
desselben, früher oder später können wir dann den
Gebrauch der tiefern Potenz fortsetzen und werden
es mit Erfolg thun, wenn nicht mit der Zeit ein
anderes Mittel indicirt ist. Tritt schon die nach¬
haltigere Wirkung der höheren Potenzen bei allen
constitutionellen Krankheiten hervor, so fällt eine
solche noch mehr auf bei ererbten Krankheiten der
Kinderwelt. Hier vermag eine einzige Dosis einer
höheren Potenz ausserordentliche und dauernde Er¬
folge zu erzielen.
Auch die „Metallotherapie“ eines Pariser Arztes
machte eine Zeit lang viel von sich reden, wurde
viel verhöhnt bis Charcot die Thatsache consta-
tirte, dass durch die beregte Methode eine deutliche
und je nach der Wahl der Metalle verschiedene Ein¬
wirkung auf die Nerven erzielt werde. Wie weit
dieselbe nachhaltig ist, kommt hier nicht in Betracht.
Die Thatsache selbst dürfte mit unserer Hypothese
vereinbar sein.*)
*) In seiner Arzneiwirkungslehre sagt Dr. Heinigke
in der Einleitung zu cuprain folgendes: „Aus Dr. Burq’a
metalloscopiBchen Versuchen über Sensibilitätserregung
an anästhesirten Hautstellen hat sich ergeben, dass,
sobald kleine Metallplatten einige Minuten hindurch in
innige Berührung mit Stellen der Haut gebracht werden,
welche durch Krankheit ihr Tast- und Gefühlsvermögen
eingebüsst haben, diese vorher blassen und welken
Hautpartieen ihr Sensibilitätsvermögen wieder erlangen
unter den Erscheinungen vermehrten Blutzuflusses und
Spannung des Gewebes. Dabei ist zu bemerken, dass
erstens diese Sensibilitätserregung meist nur eine vor¬
übergehende ist, die nach Entfernung der Metallplatte
häufig in kurzer Zeit wieder erlischt , zweitens, dass je
nach der Individualität Platten von verschiedenem
Metall angewandt werden müssen, d. h. bei je einer
bestimmten Individualität ein bestimmtes Metall, um
diese Wirkung hervorzurufen.
Da die Richtigkeit der hierher gehörigen Versuchs¬
reihen durch eine ärztliche Commission in Paris con-
statirt wurde, so ist damit erwiesen, dass, ähnlich wie
durch die alleinige Berührung verschiedenartiger che¬
mischer Elemente Ströme von Contact- Electricität erregt
werden, auch durch die Berührung bestimmter Metalle
mit lebendigen organischen Geweben in nervenreichen
Theilen MolecularStrömungen hervorgerufen werden,
welche geeignet sind, gelähmte Nervenfasern für kürzere
oder längere Dauer wieder functionsmässig zu machen.
Diese Versuche eröffnen uns mithin einen interessanten
Einblick in die Natur der Wirkung metallischer Stoffe
auf die Nervenfaser im Allgemeinen, insbesondere aber
werfen sie noch ein helles Licht auf die von homöo¬
pathischen Aerzten schon immer sehr berücksichtigte
Thatsache, dass zwischen der empfänglichen Nerven¬
faser und dem mit ihr in Contact tretenden Arznei-
Elemente ein Affinitätsverhältniss vorhanden sein muss,
sodass je nach Eigenart der Individualität ein be¬
stimmtes Element ?Arzneistoff) erforderlich ist, um
gewisse Wirkungen hervorzubringen. — Mit anderen
Worten: um die gewünschte Sensibilitätserregung einer
anästhesirten Stelle zu bewirken, musste eine Platte
applicirt werden, welche bei einer Person aus Kupfer,
bei einer zweiten aus Zink, bei einer dritten aus Eisen,
bei einer vierten aus Platin, aus Gold oder Silber u. s. w.
bestand. —
Es dürfte gestattet sein aus diesen Beobachtungs-
reihen, welche von Aerzten nicht homöopathischer
Methode und Anschauung constatirt sind, eine Schluss¬
folgerung zu ziehen, welche einen zureichenden Er¬
klärungsgrund für die Wirkung homöopathischer (ato-
misirter) Arzneipräparate oder Potenzen gewährt, die
Conclusion nämlich, dass jede Arzneiwirkung überhaupt
als Contactwirkung zu betrachten ist, d. h. als das
Resultat der Berührung eines NervenmolecÜls mit dem
Molecül eines qualificirten andersartigen Stoffes, wobei
es auf den sogenannten Aggregatzustand dieser Stoff¬
qualität nicht ankommen kann. — Da dieser Gegen¬
stand an diesem Orte nicht weiter verfolgt werden
kann, so erinnere ich an die physikalischen Experimente
mit Crooke’s Radiometer und speciell an Zöflner’s Er¬
klärung der dabei in Frage stehenden Bewegungs¬
erscheinungen.
An dieser Stelle beabsichtige ich nur durch Hinweis
aufDr. Burq’s metalloscopische Experimente zu betonen,
dass Arzneimittel Wirkungen, zumal die der homöopatisch
verfeinerten Präparate, als specifische Reactionsäusse-
rung der lebendigen organischen Zellen (vorzugsweise
Digitized by Google
188
Noch einige Worte an die Adresse des Herrn
Dr. Haupt.
Derselbe stellt das eigne Meinen den vieljährigen
Erfahrungen eines von Bönninghausen, C. W. Wolff
und einer Reihe ausgezeichneter amerikanischer
Collegen gegenüber oder vielmehr über dieselben.
Ein solches Verfahren steht ansserhalb aller wissen¬
schaftlichen Kritik. Was würden die Vertreter der
übrigen Zweige der Naturwissenschaft sagen, wenn
jemand die Resultate ihrer Untersuchungen in Frage
stellen würde, ohne diese letzteren gemacht zu
haben?
Was würde Herr Dr. H. selbst sagen, wenn
ich die Resultate seiner bakteriologischen Unter¬
suchungen bekritteln wollte, ohne selbst solche an¬
gestellt zu haben? Wer Thatsachen kritisiren will,
muss selbst auf dem Boden der Thatsachen stehen.
Ich will den Leser nicht ermüden durch näheres Ein¬
gehen auf Herrn Dr.H.’s Bemerkungen und nur einiges
Wenige berühren. H. bezweifelt die Zuverlässigkeit
Lehrmanns, obgleich derselbe das ganze Vertrauen
von Bönninghausen, seines Zeitgenossen hatte. H.
weiss es besser, wirft ihn ohne weiteres in einen
Topf mit gewissenlosen Apothekern. Mit gefangen,
mit gehangen! — Er fragt, warum ich nicht statt
der 200. die 30. Pot. von Opium gewählt, von
der ich doch schon Wirknng gesehen? Als wenn
dieses von seinem Standpunkle nicht eben so lächer¬
lich gewesen wäre. Zudem habe ich von der 200.
ebenfalls Wirkung gesehen. Es war nicht das erste
Mal, dass ich dieselbe verordnete. Fast gleichzeitig
sehe ich Erfolg in 2 anderen Fällen und zwar rech*,
eclatanten (beiläufig bemerkt, bei einem Gymnasial¬
lehrer und einem Schlächtermeister), ohne indess
Opium 3 vorher gegeben zu haben.
Meine Krankengeschichten haben seinen Beifall
nicht. Ich werde mich zu trösten wissen, da ich
weiss, dass sie den Collegen gefallen haben.
H. verlangt, dass wir uns der Anschauungs¬
weise unserer Gegner mehr accomodiren. Also wir
sollen auf von uns als wahr erkannte Thatsachen
verzichten, weil dieselben in das Denkorgan unserer
Gegner keinen Eingang finden. Gerade das Gegen-
theil ist das Richtige.
Wir müssen die Fundamentalanschauungen un¬
serer Gegner bekämpfen durch Constatirung von
Thatsachen , die diese Anschauung über den Haufen
werfen , durch den Nachweis , dass es nicht der Stoff
ist der das organische Leben beherrscht . *)
der Nervenzellen) aufzufassen sind, die ebenso eigen¬
artig entstehen, wie z. B. die contact-electrischen Strö¬
mungen, und über deren Ablauf wir zwar gewisse
Regeln zu abstrahiren, deren Zustandekommen aber
wir nicht weiter zu erklären vermögen.“ — Die Red.
*) Da sowohl Herr Dr. Haupt als Herr Dr. Kunkel
je 2 Mal ihren Standpunkt zur Hochpotenzenfrage in
der Allg. Hom. Ztg. klargelegt haben, so schliessen wir
hiermit die Discussion. Die Red.
Zum Schluss noeb eine Bemerkung. leb unter¬
schätze durchaus nicht den Einfluss der Laienwelt
soweit er die Ausbreitung der Homöopathie betrifft.
Namentlich die homöopathischen Vereine sind in
dieser Hinsicht gewiss von grosser Bedeutung.
Nicht dasselbe kann man von den Laienpraktikem
sagen, besonders bezüglich des Gewinnens von
neuem Nachwuchs unter den Aerzten. „Was soll
man von einer Wissenschaft sagen 11 , heisst es unter
den jungen Medicinern, „die sich Gevatter Schneider
und Handschuhmacher ohne Vorbildung aneignen
kann*. Am allerschlimmsten aber gestaltet sich die
Sache, wenn wir Aerzte aufhören, die Meister auf
unserem eigenen Felde zu sein, wenn sich die
homöopathische Laienwelt herbeilässt, in wissen¬
schaftlichen Fragen ein entscheidendes Wort sprechen
zu wollen. Mögen Einseitigkeiten und Verirrungen
bei uns Aerzten nicht ausbleiben, die Zeit wird
hoffentlich die Unebenheiten ausgleicben, wem» wir
uns eines echt wissenschaftlichen Strebens befleissigen.
Dem Laien wird es nur ausnahmsweise zustehen,
ein genügend motivirtes Urtheil abzugeben.
Die Zeiten der Arzneien.
Von Dr. med. Ide-Stettin.
(Fortsotr.unR.)
Vormittags.
Schmerzen und Schwächo schlimmer gegen Mit¬
tag: Argent. fol. .
Catarrhalische Symptome und Jucken der Nasen¬
flügel: Hep. sulf. calc. .
Schlimmer von 10 Uhr bis Nachmittags 6 Uhr:
Apis.
Schlimmer von 9—12 Uhr: Chamom. .
Schlimmer um 11 Uhr: Asa foet, Natr. mur. .
Schlimmer von 11—2 Uhr Nachmittags: Pikrin.ac..
Allgemeine Schwäche von 9—11 Uhr: Mar. ver.,
Tarantul.
Nervöse Symptome schlimmer um 11 Uhr:
Argent. nitr. .
Gehirnsymptome und besonders Verlust des Ge¬
dächtnisses und der Intelligenz schlimmer Vormit¬
tags: Guajac..
Bewegungen des Kopfes nach vorn und hinten,
unfreiwillig, schlimmer Morgens und nach dem
Frühstück: Sep.
Kopfschmerz: Nafr. mur.
Kopfschmerz schlimmer nach dem Frühstück:
Nux mosch..
Kopfschmerz von 11 Uhr an, jeden anderen
Tag, Scheitelschmerz mit grosser Uebelkeit, Brech¬
würgen und Angst: Hydrast. can.
Kopfschmerz mit Erbrechen jeden Tag um
11 Uhr: Natr. mur.
Digitized by
Google
189
Kopfschmerz mit Erbrechen jeden anderen Tag
um 11 Uhr: Cedr.
Dumpfer Schmerz im Hinterkopf nach dem
Frühstück , schlimmer bei Bewegung und Bücken:
Geisern
Gesichtsschmerz von 9—4 Uhr Nachmittags:
Verbasc.
Gesichtschmerz (N. supra-, intraorbital., maxill.
snp.) alle Tage nach dem Frühstück, mit dumpfem
Kopfschmerz und Betäubung, mehrere Stunden lang;
nach dem Anfall bleibt eine Empfindlichkeit im
Gesicht und ein Gefühl der Spannung in der Haut
zurück: Iris vers«.
Leerheitsgefühl im Magen, besonders von 10 bis
11 Uhr: Indium, Natr. oarb., Phosph., Sulf., Zinc..
Sie wird hungrig um 10—11 Uhr, kann nicht
auf das Mittagessen warten: Sulf..
Pulsatio epigastrica und Hinsein um 11 Uhr:
Asa foet. .
Heisshunger: Silic. (mit Uebelkeit), Staph. (nach
dem Frühstück).
Uebelkeit : Silic, Staphys. .
Magenbeschwerden besser nach dem Frühstück:
Natr. sulf. •
Frost um 11 Uhr: Cact. grand. (und Abends
11 Uhr).
Frost um 11 Uhr den einen Tag, und 4 Uhr
Nachmittags den anderen Tag: Calcar. carb. .
Frost um 12 Uhr: Ant. tart., Elater., Ferr. .
Mittags.
Schlimmer von Mittag bis 12 Uhr Nachts: Laches..
Kopfschmerz von 1—10 Uhr: Magnes. carb.,
Plat., Silic..
Fieber: Arsen. .
hYost: Ant. tart, Elater., Ferr. .
Frost um 12 Uhr: Geisern, (beginnt in den Ex¬
tremitäten). .
Frost von 12—3 Uhr, besonders um 1 Uhr:
Arsen. .
Frost um 1 Uhr: Arsen., Canthar., Laches. .
Frost um 2 Uhr: Arsen., Eupator. purp.
Nasenbluten nach dem Mittagessen: Ammon,
carb., Argent. nitr. .
Wasserkolk nach dem Mittagessen, mit heissen,
rothen Backen: Capsic..
Schläfrigkeit nach dem Mittagessen: Carb. veg.,
Cyclam., Nux mosch..
Anfälle von Hitze nach dem Mittagessen: Magnes.
mur., Nitri ac. .
Nach dem Mittagsschlaf Verdriesslichkeit:Staph..
Nachmittags.
Verschlimmerung: Apis, Laches., Lil. tigr.,
Magnes. carb., Sticta pulm..
Schlimmer vonl—10 Uhr Abends: Magnes.carb..
Schlimmer um 3 Uhr: Bell., Thty. .
Schlimmer jeden Tag um 3 Uhr: Angustur. .
Schlimmer um 4 Uhr: Bell., Colocynth., Lyco-
pod., Puls..
Schlimmer von 4—8 Uhr: Colocynth..
Schlimmer um 5. Uhr: Apis.
Schlimmer von 5—6 Uhr: Carb. veg. .
Schlimmer von 5—8 Uhr: Lil. tigr..
Besser Nachmittags: Phytolacc., Sep. (Herz-
symptome).
Angst: Tart em. .
Neuralgie jeden Nachmittag und während der
Nacht: Kalm. lat .
Kopfschmerz schlimmer: Nux vom..
Kopfschmerz alle Nachmittage, sandigen Nieder¬
schlag im Urin: Selen. .
Kopfschmerz anf dem Scheitel mit Druck auf
die Augäpfel, Ohrensausen, Uebelkeit, Hitze im
Gesicht, Röthe der Backen, kalten Händen und
Füssen, Frostschauern Nachmittags und Abends:
Ranunc. bulb..
Kopfschmerz um 4 Uhr: Thty. .
Kopfschmerz von 2—7 Uhr, besonders auf
dem Scheitel, meist schlimmer links: Badiäg. .
Kopfschmerz von 4—8 Uhr, mit Druck von
innen nach aussen und Fliessschnupfen schlimmer
durch Gehen: Hellebor. nig. .
Migräne mit Uebelkeit und Erbrechen schlimmer
um 5 Uhr: Colocynth. .
Jeden Nachmittag 4 Uhr Hess das Kind den
Kopf auf die linke Schulter sinken, in welcher Lage
es bis zum nächsten Morgen blieb: Sulf. .
Brennen in den Augen: Tart em. .
Alle Tage um 5 Uhr Brennen in den Augen¬
lidern , Röthung der Conjunctiva und lebhaftes
Thränen: Asar. Europ..
Nasenbluten: Calcar., phosph., Graph., Puls. .
Gesichtshitze ohne Röthe, mit Durst schlimmer
beim Sitzen im Freien: Sep. .
Pyrosis schlimmer von 4 Uhr bis Abends: Crotal.
Dw'st schlimmer von 3—6 Uhr: Phosph.
Magenbeschwerden schlimmer Nachmittags und
Abends: Ant. crud. .
Kolik bei Kindern von 5—10 Uhr: Kali bromat
Kolik um 4 Uhr Nachmittags: Colocynth. .
*Kolik zu einer bestimmten Stunde jeden Nach¬
mittag: Chia. .
Brennen über den ganzen Bauch, 2—3 Uhr:
Nitri ac. .
Durchfall um 3 Uhr: Bell. .
Durchfall Nachmittags: Leptandr. virg..
Durchfall um 4 Uhr: Colocynth.,
Urinabsonderung beträchtlich vermehrt und
wässrig: Plat .
Husten schlimmer: Laches..
Husten schlimmer von 5—9 Uhr: Capsic. •
Krampfhafte Schmerzen in der rechten Lenden¬
gegend, schlimmer von 4—9 Uhr: Chelid .
24
Digitized by
Google
190
Iscbias schlimmer: Coff..
Schlafsucht: Natr. carb..
Fieber: Laurocer., Sabad. .
FYost: Bovist, Eupator purp., Geisern., Lycopod.,
Nitr., Nux vom., Ranunc. bulb., Rbus tox. .
Frost um 1 Uhr: Arsen., Canthar., Lacbes. .
Frost um 2 Uhr: Arsen., Eupator. purp..
Frost um 3 Uhr: Ant tart., Apis, Chin., Cedr..
FYösteln alle Tage von 3—5 Uhr: Silic. .
FYost um 4 Uhr: Aescul. hipp., Cedr., Lycopod.,
Nux vom., Thuj. .
Frost von 4—5 Uhr: Geisern. .
Frost um 5 Uhr: Cedr., Nux vom. .
Frost um 6 Uhr: Cedr., Kali carb., Petrol.,
Silic. .
Frost und Schläfrigkeit von 5 - 8 Uhr: Kali jod..
Frost um 7 Uhr: Bovist, Cedr., Guajac. .
Frost um 8 Uhr: Bovist, Hep. sulf. calc. .
Von 9—10 Uhr Morgens: Bovist., Geisern.,
Phosph. ac. .
Gegen 4 Uhr Nachmittags plötzliche Anfälle von
Hitze , kein Durst: Ipecac. .
Hitze und Zittern ohne Durst Nachmittags,
Abends Fieber mit Durst und Stirnkopfschmerz:
Argent. fol. .
Hitze von 4 Uhr an; Anae., Lyc., Stann. .
(Schluss folgt.)
Zum Capitel der Gicht.
Von Itr. Theod. Kafka in Karlsbad.
(Fortsetzung.)
Der Gicbtanfall kann auch in anderer Form auf-
treten; zuweilen kommt es vor, dass die Hand allein
befallen wird, das ist das was man Chiragra
nennt oder es tritt der Anfall zuerst im Kniege¬
lenk (Gonagra) oder im Schultergelenk (Omagra)
auf. Weitaus am häufigsten ist aber die Lokali¬
sation im Zehengelenke. Zuweilen lokalisirt sich
der Gicbtanfall an anderen Partien, es kann vor
kommeü, dass er sich an der Ferse lokalisirt oder
um die Achillessehne herum. Aber es kommen auch
noch andere larvirte Formen von Gichtanfällen* vor.
Das sind z.B. Schmerzen in der Kreuzgegend, lumbago:
„Hexenschuss“, oder aber es kann Iscbias auftreten
als Ausdruck einer echten Gicht oder letztere nimmt
die Form von Migräne an. Es giebt eine typische
Migräne, welche auf Gicht beruht, resp. Neuralgie,
es ist ein migi äneartiger Schmerz. Das sind lar-
virte Formen, sie verhalten sich zu den gewöhn¬
lichen Anfällen in der grossen Zehe, wie etwaige
larvirte Wechselfieber zu den gewöhnlichen An¬
fällen der Malaria. Fieber ist bei diesen Anfällen
kaum je vorhanden, die Kranken fühlen sich etwas
abgeschlagen, sie haben während dieser Z^it keinen
Appetit, sind neivös reizbar. Die Untersuchung der
anderen Organe ergiebt keine Abnormität beim Gicht¬
anfall selbst, nur der Harn zeigt während des An¬
falls eine veränderte Beschaffenheit. Das Verhalten
des Harns ist ei gen thüml ich.
Garrod zeigte, dass bei der Gicht eiue Ver¬
minderung der Harnsäure-Ausscheidung besteht und
deutete sich das so, dass die Harnsäure zurückge¬
halten würde und sich in den Gelenken ablagere,
dann treten die Gichtanfälle auf. Um dies zum
Verständnisse zu bringen, müssen wir bemerken,
dass, wenn mehrmals solche Gichtanfälle sich wieder¬
holt haben, das Gelenk sich verdickt, es wird
dauernd schmerzhaft, wenigstens thun die Bewe¬
gungen weh und man kann Veränderungen konsta-
tiren, die denen einer Gelenksentzündung ähnlich
sehen. In diesen Fällen findet man in den Ge¬
lenken Ablagerungen von Uraten und zwar gewöhn¬
lich harnsaures Natron, selten harnsauren Kalk und
andere harnsaure Salze. G a r r o d nahm also an, dass
die Harnsäure aus irgend einem Grunde, gewöhn¬
lich in Folge mangelhafter Thätigkeit der Nieren
zurückgehalten und in den Prädilektionsstellen abge¬
lagert werden. Diese Aunahme ist in den letzten
Jahren vollständig widerlegt worden.
Nach Pfeiffer*s Untei Buchungen ist bei Gicht¬
kranken im Intervall zwischen den Gichtanfällen
die Menge des ausgeschiedenen Harns vermindert.
Es ist Jemand anscheinend gesund und bekommt
plötzlich einen heftigen Gichtanfall. Nach den ersten
Anfällen nun ist er durch mehrere Monate ganz
gesund. Es wird während dieser Zeit sein Uiin
wiederholt untersucht und genaue Bestimmungen
der Harnsäure gemacht und da hat Pfeiffer
konstatirt, dass die Menge der Harnsäure vermin¬
dert ist.
Ein kräftiger erwachsener Mensch, der 80 Kilo
wiegt und reichlich Fleischnahrung geniesst-, scheidet
in dem Intervall zwischen den Anfällen nicht mehr
Harnsäure aus, als ein kleines Kind von 9 - 10 Jahren.
Nach Pfeiffer ist also die Ausscheidung der Harn¬
säure in der Zwischenzeit zwischen 2 Gichtanfällen
vermindert und nun kommt der Gichtanfall und da
wurde konstatirt, dass während des Gichtanfalles
die Ausscheidung der Harnsäure gestiegen ist, nicht
vermindert, und die eigentümliche Annahme, die
Garrod gemacht hat, wird damit erklärt, dass Garrod
niemals den Urin methodisch zwischen den Anfällen
untersuchte, sonst würde er zur Erkenntniss ge¬
kommen sein, dass die Menge der Harnsäure im
Gichtanfall, die von einem solchen Menschen aus¬
geschieden wird, viel grösser ist, als in der Zwischen¬
zeit Es würde also nach dieser Anschauung die
Harnsäureausscheidung während des Anfalles, ver¬
mehrt sein.
Es ist aber irrtümlich zu sagen, dass sich mit
diesem Zustande des GichtauFalles das Bild er-
Digitized by tjOOQle
191
schöpft. Der Gichtanfall ist nur eine Episode im
Verlaufe der Krankheit, ja Pfeiffer kommt wieder
zur Anschauung zurück, welche die alten Aerzte
schon im vorigen Jahrhundert und noch früher ge¬
habt haben, dass nämlich der Gichtanfall als ein
Heil bestreben des Organismus anzusehen sei. Damit
stimmt überein, dass die Gichtkranken, sich nach
einem solchen Anfalle wie neugeboren fühlen. Was
man eigentlich als Gicht bezeichnen muss, das findet
sich zwischen den Anfällen und das macht nun
folgende klinische Symptome: Wir sehen bei diesen
Individuen häufig bei anscheinend ganz normalen
Funktionen der einzelnen Organe doch Verände¬
rungen auftreten und diese markiren sich zuerst
und ganz überwiegend in der Haut.
Wir bemerken in der Haut eigenthümliche Ver¬
änderungen und zwar bestehen diese in der Ab¬
lagerung von schwerlöslichen oder unlöslichen Harn¬
säureverbindungen, saurem, hamsaurem Natron, resp.
auch reiner Harnsäure. Diese Ablagerungen haben
auch bestimmte Prädilectionsstellen am Ohre. Es
sind kleine Knoten, die gelblich oder weisslich durch
die Haut durchschimmern, wie ein kleiner Steck-
nadelkopf, mitunter bis zur Grösse einer Erbse an¬
wachsend. Sie liegen in der Haut, gewöhnlich
1—3 an einem Ohre und haben nichts mit dem
Knorpel zu thun.
Eine zweite Ablagerungsstelle ist die Gegend
der EUbogengelenke, da finden wir häufig Knoten,
Beutel von Harn säure-Ablagerungen, bis zu Apfel¬
grösse; bei der Untersuchung findet man, dass sie
aus Harnsäure und harnsaurem Natron bestehen.
Derartige Ablagerungen können sich auch ober¬
halb des Kniees, ferner in den Sehnenscheiden
z. B. in der Sehnenscheide der Achillessehne finden
und endlich an beliebig andern Stellen in der
Haut.
Diese Ablagerungen von harnsaurem Natron
können nun verschwären; wie Ebstein nachgewiesen
hAt, handelt es sich hier um rein nekrotische Pro¬
zesse, wir bekommen Geschwüre in der Haut, die¬
jenigen Geschwüre, welche in der alten Literatur
eine so grosse Rolle gespielt haben, nämlich die
Ulcera arthritica, gichtische Geschwüre mit schlaffen
unterminirten Rändern und Ablagerungen von Harn¬
säure und hamsaurem Natron.
Auch diese Knoten, die man in den Händen
findet, bei den sogenannten Haberden sehen Fingern
sind sehr häufig im Anfänge Knoten, welche in der
Haut sitzen und wenn man dieselben verschiebt,
kann man mit Sicherheit behaupten, dass das nicht
rheumatische, sondern gichtische Knoten sind. Erst
im Laufe der Zeit dringen diese Knoten in die Tiefe
bis in das Gelenk vor, und so ist es auch am Zehen¬
gelenk und andern Gelenken und sie beeinflussen
dann die Gelenkkapsel und die Knorpel. Die Ober¬
fläche des Gelenkes ist zerstört, usurirt, es können
die Harnsäureablagerungen bis in die Sehnen, Sehnen¬
scheiden, selbst bis in die Knochen gehen.
Diese Erscheinungen nun machen den Kranken
keine Schmerzen, sie wissen häufig gar nicht, dass
sie im Ohre oder irgendwo einen Knoten haben,
nur ausnahmsweise kommt es vor, dass ihnen der¬
selbe Schmerzen verursacht. Das sind aber nicht
die einzigen Veränderungen, welche sich so schlei¬
chend unter der Einwirkung der gichtischen Dia-
these entwickeln, sondern wir können Veränderungen
bekommen in den aller verschiedensten Organen.
Zunächst haben wir in der Haut Neigungen zu Ent¬
zündungen, ekeematöse Affectionen der Haut, nament¬
lich im Gesicht, dann Affectionen der Augen, Iritis,
Conjunctivitis, Keratitis. Es giebt Patienten, bei
denen der Gichtanfall sich äussert durch Auftreten
kleiner Hornhautgeschwüre, welche durch Gebrauch
einer Kur in Karlsbad, Vichy u. s. w. heilen. Dann
können Veränderungen in den Nieren auftreten.
(SehlaB8 folgt.)
Bücherschau.
Grundlagen, Aufgaben und Grenzen der Therapie.
Nebst einem Anhänge: Kritik des Koch’schen
Verfahrens. Von Dr. Rosenbach, Professor an
der Universität und Primärarzt am Hospital Aller¬
heiligen in Breslau. Wien und Leipzig bei Ur¬
ban & Schwarzenberg. 196 Seiten.
Dieses Buch wird das grösste Aufsehen er¬
regen und den grössten Beifall finden bei allen von
der Schulmedicin dissentirenden Aerzten. Es scheint
als ob am Ende des Jahrhunderts auch in manchen
Kreisen der Professoren für die Fragen der Heil¬
kunde ein besseres Verständniss zu dämmern be¬
ginnt, und können wir allen Collegen dieses Buch
aufs beste empfehlen.
Rosenbach will wieder zwischen Arzt und Kranken
das humane Verhältnis hergestellt wissen, das in
unserer Zeit vielfach geschwunden ist. Er sagt:
„Man muss vor Allem den wissenschaftlichen
Theil des ärztlichen Kampfes von dem practischen
streng scheiden, nicht etwa, dass man nur Mann
der Wissenschaft oder Arzt sein solle, — wir wür¬
den eine solche Trennung für den grössten Schaden
halten — sondern indem man seine Handlungen
dem Kranken gegenüber nicht in jedem Falle unter
dem Gesichtspunkte wissenschaftlicher Thätigkeit
ansieht. Der Kranke will Heilung oder Erleichte¬
rung; in unserer Hand steht aber häufig weder das
eine noch das andere. Von unserem ärztlichen
Wissen, von unserer Einsicht in die Vorgänge hängt
aber die wichtige Entscheidung darüber ab, ob
etwas, was dem Kranken bedrohlich erscheint, auch
wirklich gefährlich ist, von unserer Einsicht hängt
oft die Möglichkeit der Verhütung einer Vemhlim-
24 *
Digitized by v^ooQie
tnerung der Krankheit ab. Die blosse Aeusserung
von Seiten des Arztes, der mit Bestimmtheit eine
Entscheidung über den Verlauf der Krankheit ab-
giebt, ist von grösstem Werthe für den Kranken
und seine Familie; sie wollen ja alle nur Beruhig¬
ung darüber, dass nach einer bestimmten Frist die
normalen Verhältnisse zurückkehren. Die Einsicht
des Arztes in die Störungen der normalen Function
ist von fundamentaler Bedeutung für die frühzeitige
Regulirung der Körperarbeit, durch die mehr Nutzen
geschafft werden kann, als die Menge der nur den
Medicamenten Vertrauenden heutzutage sich träumen
lässt. Das Wort, dass der Arzt nicht Beherrscher,
sondern Diener der Natur sein soll, hat den tiefen
Sinn, dass er den Gang der Naturerscheinungen,
ihre Tendenz erforschen, dass er ihren Spuren folgen,
nicht etwa ihr neue Wege nach seiner beschränkten
Auffassung des Zieles bahnen und ivorschreiben
solle; sie könnten ja meist nur Abwege werden.
Der Arzt soll wissenschaftlich beobachten und
Psychologe sein; d. h. er soll nach tieferer Ein¬
sicht in die Bedingungen, unter denen der Körper
des Kranken reflectorisch arbeitet, streben, aber
dabei auch berücksichtigen, dass diese reflectorischen
Vorgänge am eigenen Körper mit Angst und Schmerz
von einem empfindenden Gehirn, das sich in der
BethätigUDg des eigenen Ich’s gehemmt siebt, ver¬
folgt werden. Welche Mittel der Arzt anwendet,
um hier dem leidenden Mitmenschen Beruhigung
zu schaffen, ist gleiobgiltig, wenn er nur weiss und
bestimmt versichern kann, dass der furchtbare Weg
schliesslich doch zum erfreulichen Ziele, zur Ge¬
nesung führt. Er ist nicht der Steuermann, wie
man oft glaubt, der das Schiff lenkt — leider kann
er diesen Ruhm nur selten in Anspruch nehmen —
aber or ist der Führer, dessen beruhigende Worte
und Handlungen auch auf schwierigem Pfade dem
Geleiteten das Bewusstsein geben, dass er das er¬
strebte Ziel erreichen wird, und die ihm den Muth
und die Geduld, deren er bedarf, verleihen. Dieser
Theil der ärztlichen Thätigkeit erfordert eine ge¬
wisse Selbstverleugnung, da man auf den Nimbus
des Retters ebenso verzichten muss, wie auf den
vortheilhaften Ruhm eines Entdeckers auf dem Ge¬
biete der Therapie; aber der Verlust wird reich¬
lich aufgewogen durch das Bewusstsein, alle Pflich¬
ten der Humanität erfüllt und durch Verzicht auf
jeden nutzlosen Eingriff auch jede — bei unserer
Unkenntniss der natürlichen Vorgänge so leicht
mögliche — Schädigung des uns vertrauenden
Kranken vermieden zu haben. Wenn wir Diener
der Natur sein wollen, müssen wir vor Allem ihre
Gesetze kennen, um sie anwenden zu lernen. Von
dieser Erkenntniss aber sind noch kaum die An¬
fänge vorhanden, denn das Vorherrschen mystischer
Vorstellungen auf dem Gesammtgebiete der Medicin
zeigt Jedem, der sehen will, deutlich, wie weit die
Medicin von dem Idealbegriffe entfernt ist, den wir
mit dem Namen «Wissenschaft 11 verbinden.*
In dem nun folgenden Capitel erläutert Rosen¬
bach die Bedeutung der functionellen Diagnostik
für die Therapie. Die functioneile Diagnostik (das
Erkennen von Functionsstorangen in einzelnen kör¬
perlichen Organen) ist ungleich wichtiger als die
Classificirung eines Leidens in eine bestimmte Ru¬
brik. Man suchte namentlich in den letzten Jahr¬
zehnten einen grossen Ruhm darin, recht «exacte*
Diagnosen zu stellen und die Aerzte stritten sich
bei Consilien ab, mit welchem Namen die Krank¬
heit belegt werden müsse. Da wir aber heilen
und nicht classifioiren sollen und wollen, kommt
es nur darauf an, frühzeitig zu erkennen, wo und
an welcher Stelle sich zwischen Leistung und Ar¬
beitskraft ein Missverhältniss darstellt Je früh¬
zeitiger wir dies erkennen, desto sicherer werden
wir durch Herabsetzung der ausserwesentlichen Ar¬
beit (des Arbeitsquantums, welches über die zur
Erhaltung des Körpers nöthige Grösse hinausgebt)
einem weiteren Missverhältniss und der damit ver¬
bundenen Gewebsstörang Vorbeugen.
Was nun seine Stellung zur Therapie anlangt, so giebt
es nach seiner Ansicht weder bestimmte Behandlungs¬
methoden noch Allheilmittel für alle Krankheiten. Ls
ist vielme hr für jeden Krankheitsfall eine besondere
Therapie nach sorgfältig individualisirenden Er¬
wägungen einznleiten.
Von den 2 Richtungen der Therapie, der heilen¬
den und hygienischen, muss die letztere mehr als
bisher betont werden. «Verhütung der Krankheit*,
aber nicht «Neue Heilmittel für die Behandlung
bereits Erkrankter“. Die Aufgabe der Therapie
ist, die Krankheit, d. i. eine veränderte Form der
Arbeitsleistung des Körpers, auf das normale Muss
zu reduciren.
«Also auch hier ist die Losung: Weniger sche-
matisiren, mehr individualisiren! Das können wir
aber nur erreichen, wenn wir die, die Medicin leider
noch beherrschende, Abstraction und den concreten
Fall mit seinen Eigenthümlichkeiten im Auge be¬
halten. Hier gilt es, die Ursachen der Funktions¬
störung, die beginnende Insufficienz (Unzulänglich¬
keit) festzustellen und vor Allem zu erkennen, ob
die Insufficienz eine Folge von wirklicher Organ¬
erkrankung (durch übermässige innere Arbeit) ist,
ob sie bloss von Mangel an Uebung herrührt oder
ob sie nur Folge unzweckmässiger Vertheilung der
Arbeitsbedingungen ist. Dann kann man mit Er¬
folg Therapie treiben, dann kann man von ärzt¬
licher Kunst reden, während der schematisch Be¬
handelnde sich in Nichts von dem Empiriker und
«Wunderdoctor“ unterscheidet“
Der psychischen Therapie will er mehr Geltung
verschafft wissen, als dies bisher der Fall ist.
Die medicamentöse Therapie kann nur bei solchen
Digitized by tjOOQle
m
Krankheiten Einfluss auf den Process haben, bei
denen keine starke und ausgedehnte Localisation
eingetreten ist. Für die Krankheit y als solche“
können wir weder spezifische Mittel noch Methoden
haben. Der neue Weg ist der, mit minimalen
Argneidosen vorzugehen und wird derselbe in ge¬
wisser Beziehung der Homöopathie sich nähern.“
Hoffentlich geschieht dies recht bald zum
Wohle der Menschheit und zum Besten der Schul -
medicin.
Dieses werthvolle Buch sollte sich jeder homöo¬
pathische Arzt anschaffen und auch für die Biblio¬
thek des homöopathischen Gentralvereins angekauft
werden.
Dr. Haedicke.
Nekrolog.
Dr. Georg Friedrich Müller f.
Am 25. Januar d. J. entschlief beinahe 88 Jahre
alt der wohl nur nooh den älteren Collegen
bekannte, eifrige Vertreter der Homöopathie, Dr.
G. F. Müller in Grunbach im Remstbal, nachdem
er seit dem Jahre 1881 in Folge eines Schlagan¬
falles in der Ausübung des Berufes gehindert war
und so die letzten 10 Jahre seines Lebens bei
sonst befriedigender Gesundheit und Verhältnis«-
mässiger geistiger Frische in Ruhe verlebt hatte.
Sein Lebensgang war so reich an Arbeit, dass
es sich wohl verlohnt, näher darauf einzugehen.
Am 26. Juni 1804 in Simosheim als Sohn
eines Oekonomen geboren, kam er im Jahre 1821
auf das Stuttgarter Gymnasium und bezog später
die Universität Tübingen, um Theologie zu stu-
diren; erst später ging er zur Medicin über. Im
Decbr. 1829 legte er vor der mediciniscben Facultät
die Abgangsprüfung ab und zwar in Anatomie,
Physiologie, Botanik, Chemie, Materia medica, allg
und spec. Pathologie und Therapie, gerichtlicher
Arzneikunde und in der Kunst Recepte zu schreiben
(Chirurgie hatte ihm stets widerstrebt). Damit
hatte er die Ermächtigung zur Ausübung der Heil¬
kunde.
Von 1880—1836 prakticirte er in Metzingen,
anfänglich allopathisch; zugleich studirte er eifrig
die Werke Habnemann’s, correspondirte mit Dr.
Camerer in Ulm, gebrauchte ungefähr ein Jahr
allopathische und homöopathische Mittel neben ein¬
ander und entschied sich dann ganz für die Ho¬
möopathie.
Im Jahre 1836 siedelte er nach Tübingen über
und wurde am 30. Decbr. desselben Jahres vom
homöopathischen Verein des Grossh. Baden zum
correspondirenden Mitglied ernannt.
In der Folge gab er mehrere Schriften heraus:
1) Ostindien — ein Gesammtbild der Gesohichte,
Geographie, Cultur und der religiösen Zustände,
1841 — seinem Interesse für die Mission ent¬
sprungen.
2) Sammlung von Volksarzneimitteln gegen
Krankheiten des Menschen (unter dem Pseudonym
Dr. Georg Friedrich), Tübingen, Fues, 1845. In
dieser Schrift behandelt der Verfasser 229 Artikel
auf 205 Seiten, um, wie er in der Vorrede dazu
sagt, da das nicht ärztliche Publicum nun doch
einmal solche Mittel in Händen hat und da und
dort verkehrt und ohne allen Anhaltspunkt an¬
wendet, demselben eine Anweisung zu geben, wie,
wo und wann es gewisse Heilstoffe in Gebrauch
ziehen darf, um es eben damit zugleich verbindlich
zu machen, nötigenfalls einen Arzt zu Rathe zu
ziehen; .ein Verfahren, wodurch einerseits der
Quacksalberei begegnet wird, andrerseits aber der
Arzt und die Wissenschaft eher gewinnen dürften,
als durch die strengsten Verbote.“
3) Das krankhafte und schwere Zahnen der
Kinder und seine Heilmittel etc. (unter dem vorigen
Namen), Reutlingen, Mäcken Sohn.
4) Die Mutter am Krankenbette ihres Kindes etc.
(unter dem vorigen Namen), Reutlingen, Mäcken
Sohn, 1847. Dieses Buch enthält ebensowenig wie
das sub 2 angeführte etwas specifisch homöopathisches,
aber eine sehr gute Physiologie und Diätetik des
Kindesalters von der Geburt bis zur Pubertät; bei
der ersten Behandlung der Krankheiten ist grosser
Wert auf das Naturheilverfabren gelegt.
5) Das Turnen als Schutz- und Heilmittel für
körperliche Leiden beider Geschlechter (auch unter
obigem Namen), Reutlingen, Mäcken Sohn, 1847.
Verf. tritt darin sehr lebhaft für die allgemeine
Einführung des Turnens, auch des weiblichen Ge¬
schlechtes, ein und giebt eine genaue Darstellung
der Indicationen für und wider bei den verschie¬
densten Krankheiten.
In unserer Zeitung ist Dr. G. F. Müller nur
einmal vertreten und zwar im 32. Bd. 1846/47
No. 22, 23, 24, wo er über die mit Veratrine ge¬
machten Experimente und Erfahrungen ausführlich
referirte, welche ein gewisser Constantin Gauger
von Stuttgart im Jahre 1839 noch unter dem Prä¬
sidium unseres Prof. W. von Rapp in einer Inau¬
guraldissertation niedergelegt hatte.
Seinen Lebensberuf fand Dr. Müller in der Für¬
sorge für schwachsinnige Kinder, wozu ihn seine
echte Frömmigkeit und, wie wir schon gesehen
haben, sein reges Interesse für die Diätetik im wei¬
testen Sinne besonders befähigten; auch hatte er
schon mehrfach Gelegenheit genommen theils in
Privatstudien, theils in den Irrenanstalten Winnen¬
thal und Illenau sich Kenntnisse in der Psychiatrie
zu erwerben. In pädagogischer Hinsicht war er
der Ueberzeugung, dass hauptsächlich nur durch
Digitized by v^ooQle
194
Aiifassung und Hebung des Gemütes bei diesen
Kindern nur etwas Erkleckliches erzielt werden
dürfte.
Im Vertrauen auf Gott und die gute Sache er¬
öffnet© Dr Müller „ohne auch nur einen Kreuzer
Fond gehabt zu haben 8 , im Mai 1848 eine Anstalt
mit 2 solchen Kindern und siedelte mit seiner Fa¬
milie in das griifl. von Reischach'sche Schloss in
Rieth bei Vaihingen a. d. Enz über. Nach allen
Seiten musste er selbst erst Bahn brechen und
eigentlich selbst auf diesem neuen Gebiete sich
Umsehen und noch Erfahrungen sammeln. Er nahm
die Organisation kräftig in die Hand und das Ver¬
trauen und die Zahl der Kinder wuchs rasch (anno
1850 auf 37, 1851 auf 40). Am 5. Novbr. 1851
siedelte er in das käuflich erworbene Schwefelbad
in Winterbach im Remsthal über, wo im October
1852 54 Kinder (40 aus Württemberg, 10 aus
Baden, 3 aus Frankfurt a/M., 1 aus Frankreich)
Unterkunft gefunden hatten.
Schon früher, aber durch seine damalige Tbätig-
keit besonders veranlasst, war er nun eifrig bemüht,
die Ursachen des Cretinismus zu erforschen. Das
Kgl. württemb. Medicinalcollegium unterstützte ihn
und so konnte er im Herbst 1853 eine Reise in
die Schweiz unternehmen zur Erforschung der Ur¬
sachen und Erscheinungen des dortigen Cretinismus.
Auf den hierüber beim Ministerium eingereichten,
ausführlichen Bericht wurde ihm von diesem die
„Anerkennung für diese seine verdienstliche Arbeit 8
ausgesprochen. In dieser Arbeit erkennt er als
letzte Ursache nur das Sumpfmiasma an, alle andere
als Ursachen für den Cretinismus angesprochene
Verhältnisse hält er nur für occasionelle. Er bringt
eine grosse Fülle fleissig und pünktlich gesammelter
Tbatsachen bei, um seine Ansicht zu stützen. Zur
Bekämpfung des Cretinismus empfiehlt er in Bezug
auf Prophylaktik Entsumpfung der betr. Gegenden,
Sorge für Zuführung von Sonne und Luft, Zu¬
ziehung von Sanitätsbeamten bei Ertheilung der
Bauerlaubniss, Verbot der Verwandtenheiraten und
Heiraten von Cretinen, in Bezug auf die Therapie
Versetzung der Erkrankten in bessere physische
und psychische Verhältnisse; von Arzneimitteln em¬
pfiehlt er besonders Leberthran, Jod und seine
Präparate sowie andere constitutionelle Mittel. Be¬
sonderen Werth legt er darauf, dass Ausschläge
und Flechten nicht verschmiert werden, und führt
an, er habe mehrfach beobachtet, wie nach Wieder¬
ausbruch solcher der Cretinismus sich wesentlich
gebessert habe, ja auch ganz geheilt sei.
ln den nächsten Jahren bereiste Dr. Müller im
Auftrag des Kgl. Medicinalcollegium zahlreiche Orte
Württembergs, um dort noch weitere Studien über
dieses Thema zu machen.
Aus den hinterlassenen Papieren geht hervor,
dass er in deutscher und englischer Sprache ein
Werk herausgeben wollte unter dem Titel: „Der
endemische und sporadische Cretinismus 8 etc., zu
dem bereits kein Geringerer als R. Virchow, damals
noch in Würzburg, das Vorwort zugesagt hatte.
Im Jahre 18(50 trat Dr. Müller aus der Anstalt
aus, die anno 1865 nach Stetten im Remsthal ver¬
legt wurde, wo sie beute noch besteht. Er liess
sich in Gmünd als practischer Arzt nieder, wo er
bis zum Jahre 1881 thätig war. Ueber diese Thä-
tigkeit berichtet College Weiss-Gmünd, sein Nach¬
folger in der Homöopathie:
Der kleine alte Herr mit den grossen Brillen¬
gläsern in dem freundlichen glatt rasirten Angesicht,
stets im schwarzen Anzug mit hohem Hut, in der
Hand den Stock mit dem schweren Silberknopf,
durchschritt Unermüdlich aber gemessen vom frühen
Morgen bis zum späten Abend die Strassen der
Stadt, eine überall gern gesehene und namentlich
von den Kindern zutraulich begrüsste Persönlich¬
keit; vielleicht dankten sie ihm unbewusst für die
Erlösung von den schlecht schmeckenden Arzneien,
mit denen sie früher bei jeder Erkrankung regalirt
worden waren. In der That hatte Müller in den
sechsziger und siebenziger Jahren eine ausgedehnte
Kinderpraxis, genoss aber ausserdem in vielen Ho¬
noratioren- und besseren Bürgerfamilien als Haus¬
arzt grosses Zutrauen, während merkwürdigerweise
in der Arbeiter- und Landbevölkerung noch unbe¬
dingt dem Massenconsum von Arzneien nach dem
Grundsatz: „Viel hilft viel“ gehuldigt wurde.
Der Verstorbene war ein Intimus der alten
Schule vom reinsten Wasser, welchem Chirurgie
und Geburtshilfe als etwas untergeordnete Zweige
der ärztlichen Thätigkeit erscheinen mochten. 8o
theilte ihm einst ein junger allopathischer College
auf der Strasse freudig das Gelingen seiner ersten
Tracheotomie wegen Kehlkopfcroups mit.
„So weit lass ich’s gar nicht kommen“, sprach
Müller und ging seines Weges fürpass.
Durchdrungen von der Richtigkeit und Zuläng-
lichkeit seiner Methode, im Besitz vorzüglicher
Mittelkenntnisse concentrirte er sein ganzes Wissen
und Können auf die beinahe ausschliessliche An¬
wendung seines erprobten Rüstzeuges am Kranken¬
bett in Gestalt eines umschriebenen Kreises gut ge¬
prüfter homöopathischer Arzneimittel in mittleren
Verdünnungen.
Freunden und Feinden der Homöopathie impo-
nirte er hier durch Sicherheit im Auftreten und
durch den — Erfolg , denn „in der Beschränkung
erst zeigt sich der Meister“.
Bei Concilien mit allopathischen Collegen machte
er gern Concessionen nicht auf Kosten seines Prin-
cips, sondern in der Form und Dosis der Verord¬
nung, ein Verfahren, welches auch jetzt noch sich
zur Nachahmung empfehlen dürfte.
Unter den Collegen seines Wohnortes nahm
Digitized by kjOOQle
195
Müller trotz seiner ausgesprochenen Richtung eine
angesehene Stellung ein; wie denn auch sein Name
unter verschiedenen Bekanntmachungen der da¬
maligen Gmünder Aerzte anlässlich der Einführung
der neuen Medicinaltaxe etc. stets mit oben ansteht
Etwa 1 Jahr vor seiner schweren Erkrankung,
die ihn zur Niederlegung der Praxis nöthigte, wurde
Müller zur Consultation bei dem Schwiegervater des
oben erwähnten allopathischen Collegen gebeten.
Patient lag seit drei Tagen an einer schweren
Enteritis darnieder und war trotz energischer Be¬
handlung mit Opiaten und anderen Mitteln nicht
besser geworden.
Müller verordnete Sublimat trit. dec. III mit
dem Erfolg, dass der Kranke in wenigen Tagen
gesund, der allopathische Arzt aber der homöo¬
pathische Nachfolger Müllers wurde.
In seinem letzten Lebensjahre war es mir ver¬
gönnt, den Dahingeschiedenen öfters zu sprechen,
und es war mir stets eine grosse Freude, wie der
ehrwürdige Greis mit noch jugendlicher Lebhaftig¬
keit wiederholte, wie gut sich ihm stets unser un¬
erschütterliches Grundgesetz „Similia similibus“ be¬
währt habe.
Ehre dem Andenken dieses pflichtgetreuen,
nimmermüden Arbeiters!
Göhrum.
Personal!».
Herrn Dr. Sauer in Breslau ist der Charakter
als Sanitätsrath verliehen worden.
ANZEIGEN.
Med. Dr. Theodor Kafka in Karlsbad
wohnt wie im vergangenen Jahre im Hause „Allliaberg 44 , No. 385 am Markt, knapp vor
dem Hötel Hannover.
Deutsche Hochschule
für Naturärzte etc.
Aufnahme von Studenten (Damen und Herren),
die als Doctor der Hydrotherapie etc. graduiren
wollen, findet jederzeit statt.
Wegen Auskunft adressire:
German College,
512 Noble Str. Chicago, Illinois, Nord-Amerika.
Ein in der nahrhaftesten und besten Geschäfts¬
gegend der Fabrik- und Garnisonstadt Parchim
belegenes massives
Eckhaus,
bestehend aus 7 heizbaren Zimmern, Auffahrt,
grossem gewölbtem Keller und Stallung, ist unter
sehr günstigen Bedingungen für 15500 Rm. zu ver¬
kaufen. Anzahlung H500 Rm.; das andere Geld
kann zu 4°/ 0 stehen bleiben. Das Haus würde sich
seiner guten Lage wegen zu einem Doct.-Haus vor¬
züglich eignen, da hier Bedürfniss ist. Näheres bei
W. Mohr, Parchim I. Mecklbg.-Schw.
'Rein,o fin ejede
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
VerbesserfetJiomöopaffiiscfter
I ßesundlmte- ,
FRANCKl
nachDr F. Katsch
nur acht, wenn mit I SCHUTZMARKE
u. Un terschriftX
Digitized by
196
Wlldbad im Wttrttemb. Schwarzwald.
Salson-Eröffnnng am 1. Mai 1801. [St 25o;4]
Im Mai and September ermässigte Zur- und Bädertaxe.
Heubau für Heissluft- und Dampfbäder, Schwedische Heilgymnastik und Massage.
Prospeote können von der Eönigl. Badeverwaltung unentgeltlich bezogen werden.
Saison
1. Mal bis
1. Oetober.
Bad Nauheim
Linie
Cassel*
Frankfurt
a. M.
Kohlensäure Sooltbermen mit hohem Stahlgehalt 31—35° C. zu mussirenden Sprudel-*
Strom- und Thermalbädern; gasfreie Soolbäder, Douchen, electr. Bäder. Salinische, alkal. Trink¬
quellen, Inhalationssalon, ausgedehnte Gradirwerke. Mustergiltige, durch Eröffnung eines neuen
5ten Badehauses vermehrte Badeeinrichtungen. Frequenz 9500. Indikat ausser den bekannten,
für einfache Soolbäder, feststehenden, mit Rücksicht auf Temperatur und Kohlensäure ganz be¬
sonders Rheumatismus, Herz- und Rückenmarkleiden.
Grosshereogl. Hess. Badedirectlon Bad Nauheim.
hu i #v» 11 i > I m Das altbewährte
Z ! '^f : U "5S n Stahlbad Rastenberg
aus Seide, Wolle I (ohne Knoten)
oder Baumwolle j tragen sich
warm und angenehm.
Unsere Netz-Jacken
werden von den titl. Prof. DDr. Oppen¬
heimer, Hecker, Niemeyer, Bamberger,
Elehstedt, Jäger etc. als das der Ge¬
sundheit zuträglichste u. zweckmässigste
empfohlen. Prosp. mit Zeugnissen ärzt¬
licher Autoritäten.
Carl Mez & Söhne, Freiburg (Baden).
Wachenheimer Sect.
Primilrt Leipsig 1898: [La 1131]
Ebreaprais der Stadt Leipzig und Geldeue MedaNle.
Bin Etlq nette. M \ incl. Kisten
Monopol# . . . „ 2.601 n. Flaschen
Weins Etlqnette „ 8.— (von 12 bis
Kaiser Perle . , 4.— ) 60 Sick.
Mit 10% und 16% Rabatt.
Haaptiiiederlage und Generalvertreter
Edvard Brade, Leipzig, Ritterstrasse 17.
Wiederverkäufer und Exporteure Extra-Offerten.
1. Thür. meist von Homöopathen besucht, empfiehlt
sich ausser als Kurort auch als vorzügliche
Sommerfrische. —
Nähere Auskunft durch die Bade-Verwaltung.
Arnicapräparate.
Arnica-Tinctur, grüne, einfach und doppelt stark.
Arnica-Spiritus, grün.
Arnica-Haaroel, grün und gclbt ÄÄ
Arnica-Pomade, / ,mi der
Arnica-Wundpflaster. auf Seide, roth, weiss und
schwarz, heilt schneller als jedes andere Pflaster.
Arniea-Cerat, beste Wundverbaud- u. Heilsalbe.
Amica-Seife, vorzüglich zur Erzielung weicher
und geschmeidiger Haut, gegen aufgesprungene
Hände etc.
Diese Präparate werden in jedem gewünschten
Quantum verkauft und erfreuen sich allgemeiner
Beliebtheit und regelmässigen Gebrauches, wo sie
nur einmal versucht worden sind.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offiein.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrnm-Stuttgart, Dr. Stillt* Leipzig und Dr. Haedicke-Leipzig.
Expedition und Verlag von WttUain Steimetz (A. Marggrafs homöopath. Offiein) in Leipzig.
Druck von Gretsaer L Schramm in Leipzig.
Digitized by
Googk
Band 124.
Leipzig, den 23. Juni 1892.
ALLGEMEINE
No. 25 u. 26.
HOMÖOPATHISCHE ZEITH«.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition nnd Verlag von 'William Steinmetz (A. Marggraf s homöopath. Offlein) in Leipzig.
Bnchetnt Hi&fig in 2 Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Band. Prell 10 M. 60 Pf, (Halbjahr). Alle Bnobhandlnngen und
Poetanitalten nehmen Beetellnngen an. — Inserate , welche an ß. Mosse in Leipzig nnd denen Filialen iu richten lind,
werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitxeile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt: Einladung zum Abonnement. — Vorläufige Einladung zu der am 8. August Nachmittags 2 Uhr in
Stuttgart stattfindenden l. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft — Homöopathie in Belgien.
Von Dr. Haedicke-Leipzig. — Die Potenzirung. Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart. (Forts.) —
Die Zelten der Arzneien. Von Dr. med. Ide-Stettin. (Schluss.) — Zum Capltel der Gicht. Von Dr. Theod. Kafka in
Karlsbad (Schluss). Zwei Krankenge 80 hiohten. — Amerik. Potenzlrungamaachiae. Von Dr.Steudel-Johnstown. — Klini¬
scher Beitrag zur Heilwirkung des Geldes. — Epidemiolog. Ecke. — LeeefrQchte. — BBcherschau. — Personelle. — Anzeigen.
Einladung zum Abonnement.
Um in der Zusendung dieser Zeitung keine Unterbrechung eintreten zu lassen, werden die ge¬
ehrten Abonnenten um gefällige rechtzeitige Erneuerung des Abonnements auf Band 125 (2. Halbjahr 1892)
höflichst ersucht. Alle Postanstalten und Buchhandlungen, sowie die Unterzeichnete Vcrlagshandlung
seihst nehmen Bestellungen zum Preise von 10 Mark 50 Pfg. pro Band entgegen. Probenummern
stehen stets unberechnet und portofrei zu Diensten.
Hochachtungsvollst
Leipzig, im Jnni 1892. die Yerlagshanclluiig von William Steinmetz
(i./E. A. Marggraf« Homöopath. Officin.)
Vorläufige Einladung
za der am 8. August Nachmittags 2 Uhr, in Stuttgart stattlindenden 1. General¬
versammlung der Epidemiologischen Gesellschaft
Die Mitglieder werden hierzu frenndlichst eingeladen mit dem Ersuchen, etwa beabsichtigte An¬
träge bis zum 1« Juli C. an den Unterzeichneten gütigst einzusenden.
Tagesordnung und Programm werden später bekannt gegeben.
Bonn, im Juni 1892. Der Vorsitzende der Epidemiologischen Gesellschaft:
Dr. med. Jf. Leeser.
Die Homöopathie in Belgien.
Uebersetzt nach dem stenographischen Berichte des
in Antwerpen erscheinenden Blattes ^LePräcurseur*
von Dr. Haedioke in Leipzig.
(Fortsetzung und Sohluss.)
Die Abstimmung im Gemeinderathe.
Nach Schluss der von uns in No. 9/10 in extenso
wiedergegebenen Debatte im Gemeinderathe hat dieser
mit 24 gegen 5 Stimmen zunächst die der Errich¬
tung von homöopathischen Polikliniken feindliche
Tagesordnung des Herrn Desguin abgelehnt und
dann mit gleicher Mehrheit die Tagesordnung des
Herrn Spee angenommen, welche für jene Neu¬
schaffung im Sinne des Artikels 21 § 2 des neuen
Reglements eintritt.
Die Tagesordnung des Herrn Spee, deren Wort¬
laut wir in unserem Berichte mitgetheilt haben,
bedeutet rund herausgesagt: Aufrechterhaltung des
26
Digitized by v^ooQle
198
Artikels 21 § 2 in dem Sinne, dass die Einführung
von homöopathischen Polikliniken nicht eine An¬
erkennung dieser Heilmethode involvirt, ebensowenig
wie die Ernennung von allopathischen Aerzten die
Anerkennung der allopathischen oder — wie sie
Herr Desguin genannt hat — traditionellen Heil¬
methode in sich begreift.
Dies war ja auch ohne Weiteres klar. Es steht
der Verwaltung nicht zu, zu wissenschaftlichen
Streitfragen Stellung zu nehmen. Auch wir haben
unsererseits immer erklärt, dass wir uns auf dieses
Gebiet nicht versteigen wollen. Wenn wir aber
morgen zu Gunsten der Aerzte der tradionellen
Schule eine Rechtsfrage zu vertheidigen hätten, so
würden wir dies mit demselben Eifer thun, mit
dem wir gestern für die homöopathischen Aerzte
eingetreten sind.
Es ist nicht unwichtig, nachdrücklichst auf die
wahre Bedeutung der Abstimmung im Gemeinde-
rathe hinzuweisen, wenn man die vielleicht geist¬
reiche, sicher aber phantastische und ungenaue Aus¬
legung liest, welche diese Abstimmung in den
Spalten des Brüsseler Blattes „L’Opinion“ hervor¬
gerufen hat.
Wir wollen dagegen hoffen, dass die tüchtigen,
loyalen und gutgesinnten Elemente, welche der
Antwerpener Aerzteverein in sich birgt, bald die
Oberhand gewinnen und statt auf die Stimme klein¬
licher Eifersucht und übelangebrachter Eigenliebe
einiger Unzufriedener zu hören, sich mit Wohl¬
wollen in die neue Organisation des Aerztedienstes
finden werden. Es sind ihnen in allen Punkten,
ausser einem einzigen, die weitgehendsten Zugeständ¬
nisse gemacht worden, und nun können sie auch
ihrerseits dem allgemeinen Wohle ein Opfer bringen.
„Wenn, wie es Herr Stadtverordneter Gits so vor¬
trefflich ausgedrückt hat, es durchaus einen Kampf
zwischen Allopathen und Homöopathen geben soll,
so finde er statt auf dem Felde des Fortschritts,
wo jedermann zugelassen werden muss, und wo der
systematische Ausschluss einer der beiden sich strei¬
tenden Richtungen für die andere nur ein Ein¬
geständnis der eigenen Schwäche sein kann.*
Sehr interessante Dinge sind da bei der Debatte
im Gemeinderathe zur Sprache gekommen. Wir
wollen für jetzt nicht näher darauf eingehen, wie¬
wohl Anhänger der traditionellen Schule sich nicht
entblöden, die Reden ehrenwerther Stadträthe lächer¬
lich zu machen und zu verspotten, welche sich nicht
gescheut haben, ihre Stimme zu erheben im Namen
des gesunden Menschenverstandes und im Interesse
einer gedeihlichen administrativen Praxis.
Zum Schluss noch einige Worte über den
inzwischen erfolgten Ausgang des Streites.
Nach der Debatte im Gemeinderathe hat der
Aerzteverein eine Versammlung ab gehalten, um
über die Frage der Gründung einer homöopathischen
Poliklinik zu berathen, worüber „L'Opinion* fol¬
genden Bericht bringt.
Die Versammlung hat mit einer heftigen Rede
des Dr. Terwagne begonnen, die jedoch in sanften
Tönen ausgeklungen ist. Schliesslich hat er eine
Tagesordnung eingebracht, welche unter ande¬
rem besagt, dass, wenn die Aerzte die Waffen
niederlegen, dies nur für den Augenblick geschehe.
Vor Schluss der Debatte hat der stürmische Red¬
ner dann noch einmal das Wort ergriffen, um dem
Gemeinderathe und dem Armenamte zuzurufen:
„Wir gehen jetzt auseinander mit der Parole:
Dies eine Mal wollen wir es noch hingehen lassen,
aber kommt uns nicht wieder 1* Darauf ist die
Tagesordnung des Herrn Terwagne, die die voll¬
zogene Thatsache anerkennen muss — natürlich
unter allerlei Vorbehalten und Seitenhieben —
zur Abstimmung gelangt und angenommen worden.
Der Vorschlag, einen allgemeinen Streik zu insce-
niren, hatte nur geringe Zustimmung gefunden.
Herr Dr. Hertoghe hatte zwar erklärt, dass die 120
allopathischen Aerzte Antwerpens sich in keine
Unterhandlung mit den Homöopathen einlassen
sollten, aber Dr. Van de Wiele hat, trotzdem er
gegen die officielle Anerkennung der Homöopathie
Verwahrung einlegt, nicht umhin gekonnt, zu er¬
klären, dass die Aerzte der städtischen Hospi¬
täler durch die Veranstaltung eines Streikes eine
ungeheuere Verantwortung auf sich lüden. Herr
Van de Wiele hat dem noch hinzugefügt:
„Ich möchte mich für ein milderes Verfahren
entscheiden: fordern wir unsere Gegner zu einem
offenen Kampfe vor aller Augen auf, sehen wir
zu, was die Homöopathie leisten wird, controliren
wir ihre angeblichen Resultate, und es wird sich
bald zeigen, dass wir endgültig triumphiren
werden. Da wir nicht die Herren sind, so lassen
Sie uns den Kampf auf dem Gebiete der Oeffent-
lichkeit ausfechten und eine Commission ernennen,
die die Aufgabe hat, diesen Kampf zu organi-
siren.*
Dr. Descamps hat sich in ähnlichem Sinne
ausgesprochen: „Auch ich bin für den Kampf,
aber nur unter der Bedingung, dass er sich in
würdigen Grenzen vollzieht. Lassen wir die Ho*
möopathen ruhig in den Armenärztedienst ein-
treten und erklären wir ihnen einen erbitterten
Krieg.“ —
Wir haben nichts dagegen einzuwenden, vor¬
ausgesetzt, dass der Kampf sich in den Grenzen
der Wissenschaft hält. Wird er mit offenem Vi-
sir unter dem Panier der Wissenschaft ausge-
fochten, und als ein Ausgleich sich widersprechen¬
der Erfahrungen, als eine gegenseitige Controle
und als ein gemeinsames Wetteifern um die Palme
der besten Leistung aufgefasst, so wäre das ein
Ideal, das alle freudig anstreben sollten. Die Ho*
Digitized by Google
199
möopathen werfen den Allopathen vor, dass sie
von Dingen reden, die sie nicht verstehen and
rathen ihnen, die Lehre Hahnemanns genauer zu
studiren, damit ihr Urtheil nicht mehr so ober¬
flächlich nnd einseitig ausfällt Es steht jedoch
kaum zu hoffen, dass sie dies thun werden, be-
sondera nach den wenig tröstlich klingenden Wor¬
ten, die Herr Terwagne in dieser Sitzung hat
falles lassen: „Sich in einen ehrlichen Kampf mit
der Homöopathie auf Grund der Statistik einzu¬
lassen, das würde nach meinem Dafürhalten eine
grosse Dummheit sein, denn die statistischen
Zahlen haben in der Medizin so gut wie gar keinen
Werth.“
Wir können derartige Auslassungen nur be¬
dauern. Nichts berechtigt Herrn Terwagne dazu,
die Ehrlichkeit der Homöopathen in Zweifel zu
ziehen, da diese doch öffentlich erklärt haben, dass
sie weiter nichts verlangen als die Gewährung der
Möglichkeit und Gelegenheit, den Beweis für den
Werth ihrer Heilmethode zu erbringen. Aber
Herr Terwagne ist so erregt gewesen, dass er so
weit geht, der Wissenschaft, die er vertritt, einen
Fusstritt zu versetzen, indem er ausruft: „Die
medizinische Statistik hat keinen Werth!“ Was
wird die Akademie der Medizin dazu sagen?
Die Jahrbücher der Akademie der Medicin
sind mit statistischen Daten überladen. Wenn
man daher jedesmal, wo man zum Beweise
einer Thatsache eine statistische Tabelle aufführt,
darüber schreiben wollte: „Man bedenke je¬
doch , dass die medicinische Statistik keinen
Werth“ hat, so glauben wir, das jedor Leser ein
langes Gesicht machen würde. Wenn trotzdem
die Academie kein solches macht und dabei den
Standpunkt des Herrn Terwagne theilt, so beweist
das nur, dass sie grosse Gemüthsruhe besitzt.
Wir wollen diese Polemik nicht weiter fort¬
führen, da ja der Streit nunmehr äusserlich ge¬
schlichtet ist und bedauren nur, dass der Aerzte-
verein sich in seiner Gesammtheit nicht offenkundig
zu dem Grundsätze des ehrlichen Kampfes mit
der Homöopathie bekannt hat, was doch sicher
im Interesse des Publikums und der Wissen¬
schaft gelegen hätte. Ihre Mitglieder haben sich
leidenschaftlich gezeigt; wer aber heftig wird, hat
gewöhnlich unrecht Darum sehen wir schon
voraus, was kommen wird. Die Allopathen wer¬
den nach wie vor fortfahren, mit den Homöopathen
zu schmollen.“
Letztere Ansischt ist auch die unsrige, trotz
der schönen Worte des Prof. Leyden in Berlin:
Wir wollen unsere Wissenschaft hochhalten, wir
wollen un8ern Stand ehren, und wir wollen glauben,
dass wir in der Praxis Beiden am besten dienen,
wenn wir von dem Grundsätze ausgehen, dass das
Heil der Kranken allen andern Rücksichten vor¬
angeht.
Aegroti salus summa lex esto.
Die Potenzirung.
Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger-
Stuttgart.
(Fortsetzung.)
Aus Gründen, die ich später anführe, habe ich
die Messung der Alkalisalze in zwei Absätzen vor¬
geführt. Zuerst mass ich bei allen Salzen von
3. Potenz aus, Potenz um Potenz bis die Wirkung
umschlug und statt Lähmungseffekten ein Belebungs¬
effekt erschien zum Zeichen, dass jetzt der Indiffe¬
renzpunkt überschritten sei.
Erst als ich damit bei 17 Salzen fertig war,
ging ich an die Messung derjenigen Potenzen, welche
Belebungseffecte liefern und das bildet die zweite
Periode der Messungen. Ich nenne die erste Pe¬
riode die der lähmenden Dosen, die zweite die der
btlebenden Dosen und werde später jede für sich
schildern und hier bei Besprechung der Fehlergrösse
auch beide besonders behandeln — warum, wird
sich ergeben.
Die nachstehende Tabelle I giebt nun die Be¬
funde der Fehlergrössen in der ersten Periode und
zwar so :
Die erste Columne enthält das Datum des Mess¬
tages, die zweite Columne nennt die gemessenen
Objecte und zwar die Ziffer der gemessenen Potenz
und den Namen des Salzes abgekürzt, z. B. am
ersten Tage wurde die 3. Potenz von 7 verschie¬
denen Kalisalzen gemessen, am vierten die 9. Po¬
tenz von 2 Kalisalzen und die 3. Potenz von 4 Am¬
moniaksalzen u. s. f.
Die dritte Columne giebt der Reihe nach die
erhaltenen Ruheziffern in Millesekunden. An den
meisten Tagen finden sich unter dem gleichen Da¬
tum zwei solcher Reihen, zwischen Ausführung der¬
selben machte ich jedesmal eine Stunde Pause, um
dem Körper Zeit zu geben, sich von den in der
ersten Reihe gemessenen Stoffen gründlich zu rei¬
nigen.
Die vierte Columne ist frei für einige Bemer¬
kungen und zur Fortsetzung längerer Reihen. Die
fünfte Columne enthält die Differenz zwischen der
höchsten und niedersten Ruheziffer der Reihe in
Millesekunden.
Umstehend folgt Tabelle I: Die Ruheziffern der
ersten Messungsperiode.
25“
Digitized by
Google
200
I. Tabelle: Die Ruheziffern der ersten Messungsperiode.
Datum.
Gemessene Objecte.
Ruheziffern in Millesekunden;
Bemerkungen.
Max.-Diff.
23710. 1
8. Potenz von 7 Kali-S.
107 107 106 108" 107 107 106
4
24/11.
4. Potenz , 7 „ .
103 102 104 100 102 105 103
1 Stde. Holz gesp.
5
5. Potenz . 7 „ „
100 101 100 101 101 101 102
2
25./11.
6. Potenz * 7 „ *
104 105 102 101 104 101 101
1 Stde. Holz gesp.
4
7. Potenz . 7 . .
102 101 101 102 102 101 102
1
26./11.
8. Potenz „ 7 * *
97 98 98 99 98 98 96
3
9. Potenz v. 2 K. S v. 4 Am.
102 100 98 102 100 101
3
27. 11.
10. Potenz . 2 „ 4 . 4 .
101 100 100 100 100 100
1
11. Potenz , 2 „ 5 „ 4 „
104 102 101 102 101 103
3
28/11.
12. Potenz * 2 „ 6 „ 4 „
100 101 100 100 100 100
1
1-/12.
18. Potenz . 2 * 7 . 4 .
99 100 105 101 102 101
6
2./12.
14.—16. von Kali 8.4 .
102 98 99 98 96 99 100 100 100
6
3/12.
9. u. 10. von 4 Ammon.
99 101 99 99 97 100 102 100
5
4./12
11. von 4 Ammon.
101 101 100 100
1
12. 13. 14. von 2 Ammon.
101 100 101 99 100 100
2
5./12.
15. 16. 17. . 2 .
98 100 99 98 100 100
2
18. 19. . 2 .
95 97 99 97
4
7./13.
3. Potenz von 6 Natron-S.
97 98 96 98 95 96
3
4 Potenz .6 » .
97 95 97 93 97 97
4
11-/12.
5. Potenz .6 . ,
108 107 107 106
nicht in Cond.
2
6. Potenz v. 4 v. 7 v. 2 Nat.
105 106 105 105 104 105
2
14./12.
8.—11. Potenz von 2 Nat
109 105 108 104 106 106
6
I. Periode. In dieser wurden die lähmenden
Dosen gemessen. Sie umfasst 14 Messtage, die
zwischen dem 23. Novbr. und 14. Decbr. liegen.
Gemessen wurden 22 Reihen, die zusammen 137
Ruheziffern enthalten. Bemerkenswerth ist nun
folgendes:
a) in den 22 Reihen betrug die Maximaldifferenz
3 Mal 6 Millesekunden
2 , 5
4 , 4
4 . 3
5 , 2
4 , 1
Da die Ruheziffern sich nicht viel von 100 ent¬
fernen, so kann man die Differenzen auch procen-
tisch nehmen und diess giebt also für diese Periode
eine Fehlergrösse, die zwischen 6% und l°/ 0
schwankt. Vergleicht man das mit den Arznei¬
ziffern dieser Periode in den betreffenden Tabellen,
so zeigen sich Unterschiede, die so weit die höchste
Fehlergrösse überschreiten, dass die Arzneiwirkung
klar zu Tage liegt.
b) Bei der 3. Potenz mass ich am gleichen
Tage nur eine Reihe, weil bei dieser Concentration
eine zu starke Stoffanhäufung im Körper zu er¬
warten war. An den zwei nächsten Tagen (24. u.
25. Novbr.) mass ich je zwei Reihen aber so, dass
ich jedesmal zwischen erster und zweiter Reihe
eine Stunde lang im Freien mich mit Holzspalten
beschäftigte, um die etwaigen Stoffreste der ersten
Reihe auszutreiben. Eine Vergleichung der Ziffer¬
reihen vor und nach dieser Körperarbeit ergiebt
nun sehr hübsch ziffermässig die tägliche Erfahrung
wieder, dass körperliche Arbeit im Freien 1. die
Nerven beruhigt: am ersten Tage diffcrirten die
Ruheziffern der Reihe vor der Arbeit um 5 Mille¬
sekunden, am zweiten um 4; nach der Arbeit ist
am ersten Tage die Differenz nur noch 2 Mille¬
sekunden und am zweiten Tage sogar nur noch
1 Millesekunde. 2. Die Beruhigung der Nerven ist
verbunden mit einer Zunahme der Arbeitsgeschwindig¬
keit (Beseitigung von Lähmungs- resp. Ermüdungs¬
stoffen). Am ersten Tage ist das Mittel aus den
7 Ziffern der ersten Reihe 103, das der zweiten
Reihe 101. Die Ruheziffer ist also um 2 Mille¬
sekunden gebessert. Am zweiten Tage ist die
Differenz zwar geringer, nämlich nur 1 Millesekunde,
aber zusammengehalten mit der Erfahrung hat sie
doch einen symptomatischen Werth. — Vom vierten
Tage an, wo doch schon die 8. Potenz als Stoff
von erheblicher Flüchtigkeit vorlag, hielt ich die
Ausfüllung der Pause zwischen den 2 Reihen durch
Körperarbeit nicht mehr für nöthig.
c) Vergleicht man die absoluten Höhen derRuhe-
ziffem in den verschiedenen Reihen, so unterscheidet
man drei Perioden; eine erste dreitägige (23. 24.,
u. 25. Novbr.) und eine letzte zweitägige (11. u.
14. Decbr.) mit höheren Ziffern und eine mittlere
mit kürzeren. Darüber ist folgendes zu sagen: die
grossen Ziffern der 2 letzten Messtage sind durch
die Bemerkung am 11./12. .nicht in Condition*
genügend erklärt; ein Diätfehler am 10./12. hat
die Disposition nachtheilig beeinflusst. Für die
langen Ziffern der ersten drei Tage kann kein be¬
stimmter Anlass angeführt werden, aber die ver¬
bessernde Wirkung der Körperarbeit am 2. und
Digitized by v^.ooQle
204
3. Tage beweist, dass es sich hier um das bandelt, tenzen gemessen. Ueber sie giebt die in gleioher
was man eine „Indisposition “ nennt. Weise wie Tabelle I verfasste Tabelle II Auskunft.
II. Periode . In ihr wurden die belebenden Po-
II. Tabelle: Die Ruhezififern der zweiten Messungsperiode.
Datum.
Gemessene Objecte.
Ruheziffern in Mdlesekunden.
Bemerkg.
Max.-Diff.
16712.
5. od. 7. Potenz v. 4 Nat.
100 100 99 100
1
7. od. 9. Potenz . 5 Kali.
100 100 99 100 100
1
17./12.
6. od. 8. Potenz .4N.ii.lK.
100 101 100 100 100 100 101
1
10. Potenz v. 4 Nat. u. 2 K.
100 100 100 101 100 99
2
18. 12.
12. Potenz .4 . . 2 .
100 100 100 100 100 99
1
14. Potenz ,4 . , 2 .
100 100 100 100 100 99
1
21/12.
16. Potenz ,4 . . 2 .
99 99 99 99 99 99
0
22./12.
18. Potenz „ 4 * „ 2 „
98 99 99 99 99 98
1
28/12.
20. Potenz „4 * * 2 „
100 99 100 99 99 99
1
24/12.
22. Potenz .4 * * 2 „
99 99 100 99 99 100
1
28./12.
25 Potenz „4 , „ 2 „
99 99 99 99 99 99
0
29/12.
30. Potenz „4 „ * 2 ,
100 100 100 101 100 101
1
80/12.
12.—22. Potenz u. alle 3 Salze
99 99 98 100 98 98 99 99
2
durcheinander.
13. Potenz v. 2 Am. 2 Nat
98 98 98 98
0
4./1.
15. Potenz „ 2 „ 2 .
101 100 100 100
1
17. Potenz m 2 m 2 . 1 K.
100 101 101 101 101
1
5./1.
19. Potenz * 2 * 2 „ 2 w
100 100 100 99 100 100
1
21. Potenz , 3 „ 2,2,
100 101 99 100 99 100 100
2
7./1.
28. Potenz „ 4 „ 2 „ 2 *
100 100 99 99 99 100 101 99
2
25. Potenz „ 4 * 2 * 2 „
99 100 99 100 99 99 99 99
1
8./1.
80. Potenz „ 4 . 2 . 2 *
98 97 97 96 98 97 97 99
3
11 2
1000. Potenz y. 12 Salzen.
90 90 91 91 91 92 92 90 90 90 91
2
Sie umfasst in dem Zeitraum vom 16. Decbr. bis
11. Febr. 15 Messtage mit 22 Reihen, die zusammen
140 Ruhezitfern enthalten. Die Maximaldifferenzen
der 22 Reihen sind:
1 Mal 3 Millesekunden
^ ■ 2 n
13 . 1
3 . °
Es wird mir jeder zugeben, dass das eine ganz
erstaunliche Genauigkeit ausdrückt, wenn man be¬
denkt, dass jede Ziffer durch die Addition von
4.10 Akten allerdings unter Abstrich einer Deci-
male zu Stande kommt. Das heisst also, wenn
z. B., wie oben, 13 Mal die Differenz bloss 1 Mille-
Bekunde ist, so hat die Gesammtsurome von 40 Akten
nur 10 Millesekunden Unterschied ergeben. Da die
Uhrziffer 4 Millesekunden ist, so ist die Differenz
in Uhrziffern 2,5 und da vier Dekaden gemessen
werden, so dürfen die Summen von vier Dekaden
um nicht mehr als 2,5 Uhrziffern differiren. Diese
Thatsache schliesst von vornherein die Annahme
aus, als ob man das „willkürlich* machen könne.
Was man „willkürlich* in Abmessung kleinster
Zeitmasse fertig bringen kann, darüber kann man
sich am Chronoskop sehr leicht überzeugen, wenn
man den Zeiger laufen lässt und sich vornimmt,
ihn auf einer bestimmten Ziffer der Skala, z. B.
dem Nullpunkt, durch Aufheben des Fingerdrucks
zum Halten zu bringen. Macht man das z. B.
10 Mal, so kann es nach eioiger Uebung geschehen,
dass man ein oder das andere Mal die Null er¬
wischt, aber zwischen drinn hat man Fehler von
15—2J Uhrziffern nach beiden Richtungen zu spät
oder zu früh, die Sache wird noch toller und un¬
regelmässiger, wenn man die Punkte, zwischen
denen sich der Zeiger bewegen soll, näher zusammen¬
rückt. Kurz: mit dem „corriger la fortune 1 ist
hier absolut nichts zu machen; wer beim Messen
versucht, die Ziffern willkürlich zu corrigiren, der
erreicht gerade das Gegentheil von Gleichmässig-
keit: vollständige Unregelmässigkeit. Erstere ist
nur dann zu erreichen, wenn man jede Willkür
ausscheidet und möglichst Passivität und Geistes¬
und Willensruhe zu beobachten und zu behaupten
versteht. Dann, aber auch nur dann ist die er¬
haltene Ziffer der genaue Ausdruck der vom Willen
unabhängigen, jeweiligen nervösen Disposition und
dann ist man befähigt, jeden selbst den kleinsten
Einfluss, der sie verändert, in Ziffern zu messen.
Für die vorliegende Arbeit ergiebt sich, dass
bei den in der zweiten Periode gemessenen beleben¬
den Potenzen die Fehlergrenze unter 22 Reihen
nur in 6 derselben mehr als 1 Tausendelsekunde,
d. h. etwa 1° 0 , ist. Das ist eine Exaktheit, mit
der sogar ein Astronom sich zufrieden geben würde,
und die gegenüber der Grösse der am Object zu
messenden Werthe, die in ihren Extremen zwischen
70°/o Minus und 9()°/ 0 Pin* schwankt, natürlich
Digitized by v^ooQie
SOS
überflüssig gross ist. Ja man besehe sieb irgend
eine Zifferreihe der später folgenden grossen Arznei¬
tabelle, so ergiebt sich die für die Leistungsfähig¬
keit der Nenralanalyse geradezu verblüffende That-
sache, dass mit wenig Ausnahmen der Unterschied
zwischen den Ziffern zweier an einanderliegender
Decimalpotenzen die Fehlergrösse um das mehr¬
fache übertrifft.
Endlich berücksichtigte man folgende Thatsache.
In der Uhemie versagen die analytischen Hilfsmittel
sammt und sonders, sobald ein Stoff auch nur auf
die 6. Potenz verdünnt ist, die Neuralanalyse be¬
wegt sich dagegen mit Sicherheit bis zur 30. De-
cimalpotenz so, dass sie fast jede von jeder unter¬
scheiden kann und misst noch die 1000. Potenz,
d. h. unterscheidet sie mit grösster Leichtigkeit
von dem Nichts. Ueberhaupt ist das ganz erstaun¬
lich: Während bei dem Chemiker die Möglichkeit,
eine kleine Stoffmenge noch von dem Nichts zu
unterscheiden, um so mehr abnimmt, je kleiner die
Menge , je grösser die Verdünnung, ist es bei der
Neuralanalyse umgekehrt: je höher die Potenz , je
grösser die Verdünnung, um so leiehter kann sie
dieselbe von dem Nichts unterscheiden.
Das führt uns auf das, was schon früher ge¬
sagt wurde: die chemische Wirkung des Stoffes,
welche der Chemiker in seinen Beactionen beobach¬
tet, steht in geradem Verhältniss zur Masse der
anwesenden Moleküle, nimmt mit ihr ab und nimmt
mit ihr zu. Die lebendigen Gewebe dagegen rea-
giren auf die Geschwindigkeit der Moleküle und da
diese mit der Verdünnung zunimmt, so wird die
Reaction um so stärker, je mehr die Masse ab¬
nimmt. In der Heilkunst nennt man die flüchtigen
Stoffe längst Nervina , weil tausendjährige Erfah¬
rung gelehrt hat, dass sie ganz besonders auf die
Nerven wirken. Durch die Potenzirung eines Stoffes
nimmt dessen Flüchtigkeit zu und können Stoffe,
die von Hause aus nicht flüchtig sind, flüchtig ge¬
macht werden, so dass sie auf die Nerven gerade
so wirken wie Stoffe, die von Hause aus flüchtig
sind. Endlich: die mit dem Nerven arbeitende
Nenralanalyse ist die Methode, welche ermöglicht,
die Flüchtigkeit eines Stoffes ziffermässig so abzu-
messen, wie man seine Wärme mit dem Thermo¬
meter bestimmt.
Vergleicht man die beiden Tabellen der Buhe¬
ziffern, so springt in die Augen, dass in der zweiten
Periode die nervöse Disposition eine viel gleich-
mässigere war, die Fehlergrösse also erheblich ge¬
ringer ist, als in der ersten. Es mag dies daher
kommen, dass es gerade die Messung der lähmen¬
den Dosen war, welche in der ersten Periode die
nervöse Disposition unruhiger machte, weil die con-
centrirten Stoffe sich nicht so rasch entfernten, wie
es die belebenden Potenzen wegen ihrer grösseren
Flüchtigkeit thnn. Möglich ist natürlich auch, dass
diätetische Umstände mitgewirkt haben. Dem mag
nun sein, wie ihm wolle, angenehmer ist es jeden¬
falls, dass in der zweiten Periode, in welcher die
so sehr angezweifelte Wirkung der belebenden Dosen
gemessen wurde, die Disposition besser, die Fehler¬
grösse kleiner, also das Resultat sicherer war, als
in der ersten , wo die Messung Dinge zu Tage för¬
derte, welche durch anderweitige Erfahrungen be¬
stätigt werden.
Ueber die absolute Höhe der Buheziffern in
Tabelle II ist zu bemerken, dass mit Ausnahme des
letzten Messtages eine merkwürdige Uebereinstim-
mung herrscht: an 13 Messtagen ist die kürzeste
Ziffer 98, die höchste 101, also nur 3 Millesekunden
Unterschied! Der 14. Messtag (8. Jan.) der auch
mit der Maximaldifferenz 3 eine grössere Unruhe
der nervösen Disposition anzeigt, geht mit den
Ziffern 97 und 96 aus dem bisherigen Rahmen
etwas heraus, eine Ursache ist mir nicht bekannt.
Zu den auffallend kurzen Ziffern des letzten
Tages ist folgendes zu bemerken: Zwischen ihm,
dem 11. Febr. und dem vorhergehenden 8. Jan.,
liegt mehr als ein Monat und in diese Zeit fällt
die im I. Theil geschilderte Schlussmessung der
Potenzen von Kali carbonicum. Die Hauptursache
des Unterschiedes ist aber, dass ich an diesem
Tage vollständig nüchtern , also ohne vorangegangenes
Frühstück gemessen hatte, und zwar absichtlich,
um dem Leser einen Einblick in die Neuralanalyse
auch von dieser Seite zu geben: Der Hunger ist
ein Zustand der Aufregung, der sich durch eine
kürzere Nervenzeit kennzeichnet: Der Unterschied
gegen die 13 ersten Messtage ist fast genau 10°/o.
Dass hierdurch der Gleichmässigkeit der Disposition
kein Eintrag geschah, dafür spricht, dass in dieser
zwölfstelligen Reihe die Maximaldifferenz, also der
Fehlergrösse, nur 2 Millesekunden ist.
(Fortsetzung folgt.)
Die Zeiten der Arzneien.
Von Dr. med. Ide-Stettin.
(Schluss.)
Abends.
Schlimmer gegen Abend: Aethus. cyn., Lac. can.,
Schlimmer abends: Croc., Kali jod., Lac. can..
Lil. tigr. .
Schlimmer abends, so lange es dunkel ist:
Bryon..
Schlimmer von Abends bis Morgens: Kalm.
latif..
Besser nach dem Abendessen: Sep. .
Besser nach dem Abendessen, wenn warmes
(flüssiges, Suppe) genossen: Alumin . .
Digitized by v^ooQie
203
Besser abends: Lycopod., Mercur. (Zahn¬
schmerzen), Natr. mnr., Phosph. .
Besser abends im Bett: Magnes. carb. (Angst). .
Verschlimmerung in der Dämmerung: Amon,
mar., Angustur., Arsen., Bryon., Calcar. carb.,
Caustic., Digital., Drosera, Mercur., Natr. mur.,
Phosph., Plumb., Puls., Rhus tox., Staphys., Sulf.
ac. Valerian..
Verschlimmerung von rheumatischen Schmerzen:
Kali jodat. .
Verschlimmerung von Unruhe, die ihn aus dem
Hause treibt: Nux vom. .
Schaudern und Angst, sobald der Abend näher
kommt: Acon., Arsen., Calc. carb., Mercur., Rhus tox..
Schwindel: Carb. an..
Kopfschmerzen, uterinen Ursprungs, mit Frö¬
steln: Plat .
Kopfschmerzen auf dem Scheitel mit Druck auf
die Augäpfel, Ohrensausen, Uebelkeit, Hitze im
Gesicht, Röthe der Backen, mit kalten Füssen und
Händen, Frostschauer: Ranunc. bulb. .
Kopfschmerzen heftige in der Stirne, zwischen
6 und 8 Uhr, mit grosser Hitze in den Gliedern
und Pulsation durch den ganzen Körper: LiL tigr. .
Kopfschmerzen schlimmer um 9 Uhr, durch Gehen
und Wärme: Bryon. .
Kopfschmerzen reissende, klopfende, besonders
Abends: Coccul..
Brennendes Jucken am Hinterkopf, Abends beim
Auskleiden: Silic. .
Empfindlichkeit des Haarkopfes, besonders auf
dem Scheitel: Zinc. .
Anfälle von Hitze mit Nasenbluten: Sulf. ac. .
Gesichtshitze ohne Röthe, mit Durst schlimmer
beim Sitzen im Freien: Sep. .
Krampfhafte Schmerzen im rechten Backen¬
knochen: Mezer. .
Plötzlich heftige Schmerzen in den Zähnen oben
und unten unmittelbar nach dem Niederlagen:
Aran. Diad. .
Hunger, der den Schlaf verscheucht: Ignat. .
Heisshunger: Guajac. .
Geschmack nach Eiter im Munde Abends: Hyosc..
Sodbrennen (von Nachmittags 4 Uhr an): Crotal..
Erbrechen jeden Abend 6 Uhr: Sulf. .
Leerheitsgefühl im Magen um 7 Uhr: Calc. phosph..
Frostschauer und Kolik jeden Abend: Led. pal. .
Die Koliken und Blähungsbeschwerden sind
schlimmer jeden Abend: Tarantul..
Kolik bei den Kindern von 5—10 Uhr: Kal. brom.
Durchfall: Leptandr. virg..
Brennendes Jucken jeden Abend am After: Jod..
Jeden Abend um 7 Uhr unerträgliches Jucken
am After: Ferr. met..
Aufziehen des Scrotum: Euphras. .
Jucken und unerträgliches Brennen an der Vulva:
Calad. sag.
Schnupfen, feuchter: Kali bichrom.
Schnupfen der des Abends wiederkehrt: Carb.
veg. .
Husten: Calad. seg. .
Husten mit Kopfschmerz zum Platzen: Capsic..
Husten abends bis Mitternacht: Mezer., Rhus
tox. .
Husten trockener, Abends beim Zubettgehen:
Nitri ac. .
Husten schlimmer Abends von 8—12 Uhr: Natr.
mur. .
Husten abends 10 Uhr beginnend und alle paar
Minuten wiederkehrend: Bell..
Stickhusten: Ipecac. .
Krampfhafte Schmerzen in der rechten Nieren-
und Lebergegend, schlimmer von 4—9 Uhr: Chelid.
Frostbeulen, Beschwerden derselben besonders
Abends und Nachts: Agaric. musc. .
Ichias schlimmer: Bry., Colocynth,.
Icbias schlimmer Abends bis Mitternacht: Ferr.,
Led. .
Neigung zum Schlafen früh Abends: Mangan. .
Fieber : Lauroc. .
Fieber und Durst mit Stirnkopfschmerz; Nach¬
mittags Hitze und Zittern ohne Durst: Argent. met..
Fieber, hektisches mit Schwäche und Durchfall:
Phosph. .
Die höchste Temperatur und die Delirien sind
9—12 Uhr: Bryon .
Fieber täglich Abends, nur aus Hitze mit Durst
und beschleunigtem Puls bestehend: Hydrofluor ac..
Frost: Plumb., Ranunc. bulb., Staphys..
Frost jeden anderen Abend: Lycopod. .
Frost jeden anderen Abend während der Schmer¬
zen : Puls..
Frostschauer mit Kolik alle Abende: Led. pal..
Frost Abends im Bett: Acon., Ambr., Arsen.,
Bell., Bryon., Lycopod., Mercur.
Frost um 8 Uhr: Bovist., Hep. sulf. calc. .
Frost um 9 Uhr: Bovist., Bryon., Geisern.,
Phosph. ac. .
Frost um 10 Uhr: Bovist., Sabin..
Frost um 11 Uhr: Cact. grand., Sulf. .
Hitze von 6—8 Uhr: Caustic. .
Schweiss: Rhus tox..
Schweiss um 11 Uhr: Silic. .
Schweiss sobald er sich niedergelegt hat: Me-
nyanth. .
Nachts.
Verschlimmerung, so lange es dunkel ist: Bryon..
Verschlimmerung: Aran. Diad«, Iris vers., Lil.
tigr., Plat .
Verschlimmerung vor Mitternacht: Lil. tigr. .
Verschlimmerung um 12 Uhr: Chamom., Chin.
Ferr..
Digitized by Google
204
Verschlimmerung von Mitternacht bis gegen
Morgen: Ignat. .
Verschlimmerung nach Mitternacht: Phosph. ac..
Verschlimmerung im letzten Theil der Nacht:
Rhus toi. .
Verschlimmerung um 2 Uhr: Bell. (Blutungen),
Kali bichrom., Zingib. .
Verschlimmerung von 2—3 Uhr: Kali bichrom.,
Kali nitr. .
Verschlimmerung um 3 Uhr: Caulopbyll. (rheu-
mat Beschwerden)..
VerscfaKfmnening von 2—5 Uhr: Kali phosph. .
Die Schmerzen treten um 3 Uhr Morgeos auf:
Ammon, mur., Nux vom., Thuj., Veratr..
Schlimmer von 3—4 Uhr: Aethus. Cyn..
Schlimmer um 4 Uhr: Ptelea (gastrische Be¬
schwerden), Veratr. .
Schlimmer um 5 Uhr: Kali jod. .
Vergehen der Beschwerden Nachts: Argent. nitr,
Argent. oxyd. .
Schwerer Schlaf bis 9 Uhr Morgens: Anacard..
Schlaflosigkeit um 2 Uhr in Folge von Stechen
im Bauch, Niessen und Lendenschmerzen: Ammon,
mur. .
Schlaflosigkeit nach 3 Uhr: Calcar carb., Ju-
glans ein., Melilol a., Nux vom., Sep. .
Schlaflosigkeit nach 4 Uhr: Plantag. (Bauch¬
symptome). .
Erwacht zwischen 3—6 Uhr mit plötzlichem
Auffahren, dann schwerer Schlaf und sehr müh¬
sames Erwachen: Euphras. .
Erwacht um 2 Uhr mit Uebelkeit und Abgang
vielen, blassen Urins von strengem Geruch: Kali
bichrom. .
Erwacht mit Hunger: Lycopod., Phosph. .
Erwacht um 2 Uhr mit Hunger: Lycopod..
Erwacht um 3 Uhr mit Niessen, Husten und
Auswurf und grossem Durst: Sep. .
Erwacht um 2 oder 3 Uhr, und ist dann sehr
unruhig und unfähig, länger zu schlafen: Baptis.
tinct
Erwacht gegen 3 Uhr: Meülot a. .
Kopfschmerzen: Lil. tigr.
Kopfschmerzen schlimmer um 12 Uhr: Ferr..
Im Hinterkopf, periodisch um Mitternacht ein¬
tretend: Sep. .
Kopfschmerzen muss aufsitzen und den Kopf
mit beiden Händen halten, damit er nicht in Stücke
fällt: Carb. an. .
Erwacht um 3 Uhr: Nitr. (erwacht mit Husten
und heftigem Kopfschmerz).
Nasenbluten um 3 Uhr: Bryon. .
Nasenbluten beim Husten Nachts: Natr. mur. .
Zahnschmerzen sehr heftig gegen Morgen:
Tart em.
Zahnschmerzen nachts besser: Bell., Calcar. carb.,
Mercur., Nux vom. .
Grosser Durst auf kaltes Wasser besonders Nachts:
Ant. crud. .
Brechdurchfall um 2 oder 3 Uhr: Iris vers..
Magenschmerzen, schneidende, brennende, nagende
schlimmer Nachts: Abrotan. .
Regelmässig gegen Mitternacht Schmerzen im
Magen, welchen Erbrechen von schleimiger und
galliger Flüssigkeit voraufgeht: Argent. nitr. .
Plötzliche Anfälle von Brechdurchfall: Chin.,
Iris vers., Puls..
Durchfall: Opium, Psorin..
Durchfall nach Mitternacht: Puls. .
Durchfäll schlimmer um 2 oder 3 Uhr: Iris
vers. .
Durchfall schlimmer Nachts, fortwährendes Drän¬
gen, Pat ist kaum fort vom Stuhl, muss er wieder
dahin, besser um 3, 4 Uhr: Stront. carb..
Durchfall schmerzhaft, oft unfreiwillig, flüssig,
schwärzlich, nur Nachts und besonders gegen Morgen:
Psorin. .
Husten, Anfälle von trockenem, kurz nach dem
Einschlafen, bei Kindern: Coff. .
Husten periodisch um 11 Uhr, 1 —2 Stunden
lang, trocken, quälend, oft mit Dyspnoe, gegen
Morgen loser Husten mit reichlichem Auswurf:
Aral. rac. .
Husten vor Mitternacht: Rhus tox., Staun. .
Husten von Kratzen im Larynx, 1—2 Uhr:
Zingib. .
Husten um 2 und 5 Uhr, 1 Stunde lang ohne
Auf hören: Rumex errep..
Husten um 3 Uhr: Chin.
Husten, erwacht um 3 Uhr mit Husten und
heftigem, betäubendem Kopfschmerz: Nitr. .
Husten um 3 Uhr, mit gelbem, grünlichem Aus¬
wurf: Sep..
Husten besser nach 3 Uhr: Acon. .
Husten bis 4 Uhr: Silic. .
Erstickungsanfälle mitten im Schlaf: Hep. sulf.
calc., Ipecac., Lactuc. sat., Sambuc. nig. .
Asthma um 12 Uhr: Ferr.
Asthma schlimmer um 2 Uhr: Rumex crisp.,
Zingib. .
Asthma von Mitternacht bis 7 Uhr Morgens:
Chlor.
Rückenschmerzen schlimmer um4 Uhr: Angustur..
Hüftweh schlimmer: Coff., Kali jod., Nux vom.,
Phytol., Rhus tox. .
Hüftweh, erwacht Morgens 4 Uhr damit: Veratr..
Jucken schlimmer von 2—5 Uhr: Kali phosph..
Frost: Apis. Bell., Kali jod., Sabad., Sulf. .
Frost nie Nachts: Chin. .
Frost um 9 Uhr: Bovist., Geisern., Phosph. ao..
Frost um 10 Uhr: Bovist, Sabin. .
Frost um 11 Uhr: Cact grand., Sulf. .
Digitized by
Google
205
Frost um 12 Uhr: Arsen., Cantbar., Caustic..
Frost nach Mitternacht: Bovist.,Chamom.,Coccul.,
Sulf. .
Frost um 2 Uhr: Arsen., Canthar., Hep. sulf.
calc., Iris minor. .
Frost um 3 Uhr: Cedron. .
Frost um 4 Uhr: Ammon, mur., Arnic.. Coo. .
Frost um 5 Uhr: Chin., Droser., Silic..
Frost um 6 Uhr: Arnic., Veratr. .
Schweiss Abends, sobald er sich schlafen gelegt
hat: Mangan.
Schweiss, profuser im ersten Theil der Nacht:
Acet. ac. .
Zum Capitol der Gicht.
Von llr. Theod. Kafka in Karlsbad.
(Schlags.)
Die Niere ist dasjenige Organ, welches neben
den Gelenken und der Haut bei der Gicht weitaus
am häufigsten betheiligt ist, so regelmässig, dass
einzelne Beobachter sogar die Behauptung ausge¬
sprochen haben, dass zuerst immer eine Nephritis
urica auftrete und diese erst zur Entwicklung der
andern Erscheinungen Anlass gebe. Dies ist nicht
zutreffend. Man sieht gichtische Veränderungen
auftreten, ohne dass die Nierenveränderung wahr¬
zunehmen ist, aber die Nieren Veränderung ist jeden¬
falls sehr häufig. Diese Nieren Veränderung, schon
von Garrod näher studirt, trägt sehr häufig das
Bild der Granularatrophie, führt zur Schrumpfniere
in ähnlicher Weise wie bei der Bright'schen Niere
und wo sonst Schrumpfniere auftritt. Dann aber
kommen Neivenanfälle vor, Migräne, Ischias, Neu-
ralgieen; dann Anfälle vom Herzen, Herzschwäche,
arythmischer Puls, Pulsbeschleunigung; vor allen
Dingen aber Veränderungen im Verdauungsapparate,
dyspeptische Störungen und functioneile Störungen,
welche sich im Magen und Darm zeigen. Ich will
auf diese verschiedenen Dinge die sogenannte aty¬
pische irreguläre Gicht nicht näher eingehen, nur
bemerken, dass in den spätem Perioden, wenn nicht
mehr die typischen, acuten und schweren Gichtan¬
fälle auftreten, diese irregulären Formen der soge¬
nannten visceralen Gicht in den Vordergrund treten
und überwiegen, dass allerdings noch Gelenkaffec-
tionen Vorkommen, aber dazu noch diese Erschei¬
nungen seitens innerer Organe.
Garrod nahm an, dass bei der Gicht das Blut
mit Harnsäure überladen sei und er hat einen ein¬
fachen selbst in der Praxis verwendbaren Versuch
ausgeführt, um dies zu beweisen, nämlich seinen
berühmten Fadenversuch. Man nimmt etwas Blut¬
semm, behandelt es in einer gewissen Weise mit
Eisessig und legt dann einen Faden in das Blut¬
serum hinein und es scbiessen dann Harnsäure-
krystalle an. Man stellte sich die Vermehrung der
Harnsäure im Blute so vor, dass man sagte: die
Harnsäure ist eine Vorstufe des Harnstoffs, ein Um¬
setzungsprodukt der Stickstoffverbindungen.
Wenn die Umsetzung der Stickstoffverbindungen
nicht genügend vor sich gebt, wenn zuviel davon
eingeführt wird, resp. noch anderweitige, entspre¬
chende, diese Zurückhaltung des Stoffwechsels be¬
hilfliche Momente hinzutreten, dann kommt es zu
einer vermehrten Harnausscheidung im Organismus.
So erklärte man sich, dass Leute, die sehr gut
und sehr reichlich essen, die viel Alkalien trinken,
wenig Bewegung machen, am meisten von der Gicht
befallen werden und diejenigen Fälle, in welchen
auch ohne diese Lebensweise bei hereditärer Be¬
lastung die Gicht sich entwickelt, erklärt man eben
aus einer angebomen Anomalie des Nervensystems,
aus der Disposition, welche auch bei sonst günstiger
Lebensweise die Gicht herbeiführt.
Damit war allerdings noch nicht erklärt, wie
solche Leute, welche nicht erblich belastet sind,
welche unter Verhältnissen leben, die sonst ganz das
Gegentheil von dem sind, was wir eben angeführt
haben, von der Gicht befallen werden können.
Das Auftreten des Gichtanfalles erklärte man
sich nun damit, dass man meinte: die Ausscheidung
der Harnsäure aus dem Körper wird aus irgend
einer Ursache vermindert, wahrscheinlich durch eine
Nierenaffection, und wenn eine solche Verminderung
der Auscheidung eintritt, dann kommt es zum acuten
Gichtanfall.
Neuere Untersuchungen über die Gicht, die nach
einer bestimmten Richtung hin von Ebstein ange¬
stellt wurden, haben nun eine ganz andere Anschau¬
ung über die Gicht ergeben.
Die Anschauungen von Ebstein beziehen sich
wesentlich auf die Ablagerung des harnsauren Na¬
tron in den verschiedenen Gelenken, namentlich
auch die Affection der Niere.
Man geht jetzt von der Beobachtung aus, dass
beim Gichtanfall die Harnsäureausscheidung nicht
vermindert, sondern dass sie vermehrt wird. Es
hat sich herausgestellt, dass in den Zwischenpausen
zwischen den Anfällen, wenn sich die Leute an¬
scheinend Wohlbefinden und ihre Gichtknoten am
Ohre, Ellbogen u. s. w. ohne Beschwerde tragen,
durch Monate hindurch die Harnsäureausscheidung
vermindert ist. Wenn der Anfall kommt, da ist
die Harnsäureausscheidung vermehrt, sie steigt nicht
über die Norm, die ein Gesunder erreicht, aber
jedenfalls ist sie erheblich grösser, als in dem Inter¬
valle zwischen den Anfällen.
Die Pfeiffersche Theorie lautet folgendermaassen:
Bei den Menschen, welche an einer erworbenen
oder an einer ererbten Disposition zur Gicht lei*
•26
Digitized by
Google
206
den, sind die Stoffwechselverbältnisse derart ver¬
ändert, dass die Harnsäure, wenn sie in den Ge-
webssäfken gebildet wird, sich in einem Zustand be¬
findet, der schwerer löslich ist, in einem Zustand
der zur Unlöslichkeit neigt, also anders als beim
gesunden Menschen, wo die Harnsäure leichter
löslich ist. Diese schwer löslichen Modifikationen
sind entweder freie Harnsäure oder hamsaures Na¬
tron. Man bat das oft verwechselt, die freie Harn¬
säure, die Harnsäurekrystalle finden sich in dem
Harn eines solchen Arthritikers öfters vermehrt,
man sieht ein ziegelrothes oder vielmehr intensiv
rothes Sediment am Boden des Harnglases und bei
der Untersuchung zeigt sich, dass dieses Sediment
aus ausgeprägten Harnsäurekrystallen besteht, die
als solche unlöslich sind und ausgeschieden werden.
Man hat das verwechselt mit einer vermehrten Aus¬
scheidung resp. Bildung der Harnsäure und hat ge¬
meint, dass bei Arthritis die Harnsäurebildung ver¬
mehrt sei. Es ist aber nicht richtig, sondern es
wird nach dieser Ansschauung die Harnsäure nur
in einer schwer löslichen und unlöslichen Form ge¬
bildet
Als zweites Moment würde eintreten, dass bei
einem solchen Menschen die Gewebe und die Säfte
überladen sind mit der schwerlöslichen und leicht
zur Ausscheidung neigenden Form der Harnsäure.
Während dieser Ueberladung bilden sich nun an
verschiedenen Stellen Ablagerungen von Harnsäure,
resp. saurem, harnsaurem Natron und diese Depositen
sind es, die sich als Gichtknoten in den verschie¬
denen Partien der Haut, am Ohre, am Oberarm,
am Knie u. s. w. entwickeln und diese Gichtknoten
bestehen in der That aus saurem, barnsaurem
Natron.
Diese Ausscheidung erfolgt gewöhnlich schmerz¬
los. Die Knoten bilden sich ganz allmälig und lang¬
sam. Die meisten Patienten haben keine Ahnung
davon, wenn sie nicht zufällig einmal beim Be¬
trachten im Spiegel oder Hinfühlen darauf gekom¬
men sind, dass sie Knoten im Ohre haben.
Diese Ablagerungen finden sich auch in den
verschiedenen innern Organen z. B. in der Niere
und veranlassen allmälig die charakteristische Ent¬
zündung der Arthritis urica, sie finden sich im
Nervensystem in den Wandungen der Gefässe und
erzeugen das Bild dessen, was wir als atypische
chronische Gicht bezeichnen.
Nach dieser Auffassung würde also die eigent¬
liche Erkrankung der Gicht dieser chronische Zu¬
stand , diese echte Constitutionskrankheit sein, von
der die Kranken eigentlich keine Beschwerden haben
in der ersten Zeit, die lange latent, ohne Beschwer¬
den zu machen verlaufen kann, also dieses eigen¬
tümliche Bildungsverhältniss der Harnsäure und
Sättigung der Gewebe und Säfte mit schwerlöslichen
Harnsäuresalzen.
Wie kommen dann aber die echten Gichtan¬
fälle von Podagra, Chiragra u. s. w., die die Kranken
erst aufmerksam machen, zu Stande? Die Erfah¬
rung lehrt, dass es häufig ganz bestimmte Momente
sind, die man als Ursache nachweisen kann und
sehr merkwürdiger Weise beobachten wir, dass der
Gebrauch von alkalischen Wässern Gichtanfälle aus¬
zulösen pflegt. Wir Badeärzte wissen das. Bei
Patienten die nach Karlsbad, Vichy oder an irgend
einem Ort, wo alkalische Wässer getrunken werden,
geschickt werden, treten oft Gichtanfälle auf. Es
ist ganz dieselbe Erscheinung, welches wir beob¬
achten, wenn Patienten an harnsaurem Nierengries
leiden, es ist dieselbe Constitutions - Anomalie, die
dauernd dort zu Grunde liegt. Wir sehen oft, dass
die Kranken, wenn sie nach Karlsbad kommen, einen
Anfall bekommen, (also eine Art homöopathischer Ver¬
schlimmerung). Dieselbe Erfahrung machen wir bei
Gallensteinen; bei den Kranken wird durch den
Gebrauch der dortigen Wässer ein Gallensteinkolik¬
anfall hervorgerufen. Diese Erscheinungen stehen
fest; ja noch mehr, selbst der Gebrauch alkalischer
Bäder ohne Trinkkur ist im Stande, einen der¬
artigen Anfall hervorzurufen.
Man kann sich dies folgendermaassen erklären:
Wenn das Blut alkalischer gemacht wird durch den
Gebrauch von diesen alkalischen Wässern oder durch
den Gebrauch alkalischer Bäder, dann wird die
schwerlösliche Form der Harnsäure in die leicht¬
lösliche übergeführt und das erzeugt den Gichtan¬
fall in folgender Weise: Es ist die Harnsäure und
das saure, harnsaure Natron, welches reizend auf
die Gewebe einwirkt, in dem Falle, wenn es schnell
in eine leichtlösliche Form gebracht wird.
Pfeiffer hat Versuche angestellt, die darin be¬
stehen, dass er sich und andern subcutanen Injec-
tionen von Harnsäure, resp. saurem, harnsaurem
Natron machte; das bewirkte nun eine leichte Reac-
tion, eine kleine schmerzhafte Stelle, aber ganz un¬
bedeutend; wenn er nun nachher oder gleichzeitig
viel alkalischen Brunnen trank, oder eine Injection
mit kohlensaurem Natron machte, so bekam er einen
Anfall, welcher ganz dem Bilde eines Gichtanfalles
glich, die Haut an der Stelle war geschwollen, ge-
röthet und heiss, namentlich schuppte auch die
Epidermis ab.
Es würde sich also der Gichtanfall daraus er¬
klären, dass aus irgend einem Grunde die sauren,
hamsauren Salze, die schwer löslich sind, durch die
Alkalescenz des Blutes oder die Gewebssäfte m eine
leichtlösliche Modifikation übergeführt werden. Da¬
für spricht auch die Thatsache, dass beim Gicht¬
anfall die Ausscheidung der Harnsäure vermehrt
ist, gegenüber dem sonstigen Verhalten des Arthri¬
tikers, da sie eben leichter löslich geworden ist.
Schwerer wäre es zu sagen, wie es kommt, dass
bei andern äussern Veranlassungen Gichtanfälle auf-
Digitized by v^ooQle
207
treten. Gichtarifälle können Auftreten ohne jede
äussere Veranlassung bei in vollster Gesundheit
stehenden Patienten; bei den typischen Formen im
Frühjahre und im Herbste; ob veränderte Witte¬
rungsverhältnisse den Stoffwechsel beeinflussen und
durch diese Veränderung die Alkalescenz und das
Gewebe begünstigt wird, können wir nicht beur-
theilen. Ferner wissen wir, dass nach Verdauungs¬
störungen Gichtanfälle auftreten, ob aber diese die
Alkalescenz des Blutes und der Gewebssäfte er¬
höhen, wissen wir auch nicht. Es wird sich viel¬
leicht in Zukunft auch für das Auftreten der Gicht¬
anfälle auch unter andern Umständen als beim Ge¬
brauche der kohlensauren Alkalien, wie dies Dr.
Sakseh u. A. für das Zustandekommen des Fiebers
durch den Einfluss der Stoffwechselvorgänge auf
die Alkalescenz des Blutes nachgewiesen haben,
eine Deutung finden lassen.
Die Prognose der Gicht ist nicht einfach und
leicht zu nehmen, wie dies oft geschieht. Wenn
Jemand das Zipperlein bekommt, so ist das für
Viele ein Gegenstand der Heiterkeit und zwar des¬
halb, weil sie dies mit einer guten und üppigen
Lebensweise in Verbindung zu bringen gewöhnt
sind. Aber die Sache hat auch ihre ernste Kehr¬
seite. Es giebt, wie wir schon erwähnt haben, auch sehr
viele arme Leute, die hungern und ebenfalls an der
echten Gicht leiden und schliesslich werden auch
jene Andern stark mitgenommen. Wir haben be¬
reits daraufhingewiesen, dass schwere Veränderungen
in den innern Organen, namentlich dem Herzen und
den Nieren vor sich gehen können, so dass selbst
Gefahren für das Leben erwachsen.
Die Behandlung.
Was die Diät anbelangt, können wir sie in
Kurzem dahin zusammenfassen, dass wir sagen, für
die Arthritiker passt eine Diät, die der der Diabe¬
tiker sich nährt. Der Genuss von grünem Gemüse
ist in grossen Mengen nicht nur gestattet, sondern
auch erwünscht; dann Obst. Die pflanzensauren
Salze, welche in den Gemüsen und im Obste, die
andern Alkalien, welche in den Gemüsen enthalten
sind, sind nach dem Gesagten für die Arthritiker
sehr zweckmässig, stehen also in der Diät obenan.
Ferner müssen die Gichtkranken nur wenig zucker¬
haltige Speisen und relativ wenig Mehlspeisen ge¬
messen, obwohl sie nicht vollständig verpönt sind.
Nebst den grünen Gemüsen ist auch etwas Fleisch
gestattet. Man lässt ruhig die Arthritiker nur weisses
Fleisch gemessen, also unsere gewöhnlichen Hühner,
Poulard, Kapaun und einzelne andere Arten von
Hühnern; dann die nicht fetten Fische, während die
fetten Fische nicht erlaubt sind, also Schell u. A.,
dann eine Reihe von Seefischen, ferner gehören hierher
auch Kalbfleisch und das ganz junge Lammfleisch.
Im Allgemeinen scheint es, dass die Leute, wenn
sie es nicht im Uebermaasse gemessen, auch das
schwarze Fleisch, nämlich das eigentliche Wild,
Rind, Schwein u. 8. w. vertragen. (Bei der Karls¬
bader Kur ist jedoch Schweinefleisch für Gicht¬
kranke gänzlich ausgeschlossen).
Ein zweites Moment, welches bei der Behand¬
lung der arthritischen Disposition eine grosse Rolle
spielt, ist Körperbewegung. Die Leute müssen viel
gehen, sich in irgend einer Weise Bewegung machen,
ein anderes Mittel ist Hautkultur. Wir lassen die
Kranken baden, meistens alle zwei Tage ein Sprudel¬
bad zu 27—28° R. nehmen, kühl abreiben, sorgen
also für Hautpflege; auch Moorbäder wirken günstig.
Was die Mittel betrifft, die wir zur Bekämpfung
der Disposition anwenden, so stehen hier in erster
Reihe Alkalien und Alkalische IVässer. Obenan
steht nach Nothnagel Karlsbad, dann Vichy, Wies¬
baden, Kissingen u. A., auch Franzensbad, Marien¬
bad, dann einige Wässer, die mehr versandt werden
wie Balz, Fachingen, dann lässt man Biliner trinken.
Man hat in der Allopathie noch einige andere Prä¬
parate angewandt, und namentlich eine Base in
Anwendung gebracht, deren harusaure Verbindung
löslicher sein soll als die von Kali und Natron, d. i.
das Lithion . Man lässt also künstliche oder natür¬
liche Lithionwässer trinken. Natürliche Lithion -
Wässer giebt es ausserordentlich wenig und die
Quantitäten die sie enthalten, sind sehr gering. Des¬
halb lässt man die künstlich hergestellten Lithion¬
wässer trinken und verabreicht daneben kohlen¬
saures Lithion. In neuester Zeit ist ein Präparat
empfohlen worden, welches, alle Alkalien übertreffen
soll, d. i. das Piperazin ; es wird sehr lebhaft em¬
pfohlen und das hamsaure Piperazin soll ausser¬
ordentlich löslich sein. Ob es das halten wird, was
man sich davon verspricht, ist noch sehr in Frage.
Gehen wir nun zur homöopathischen Behandlung
des Schmerzanfalls über.
Ist die Entzündung eines oder mehrerer Gelenke
deutlich ausgesprochen, so reichen wir Aconit 3 Dec.
Dil. in Lösung, wenn die Schmerzen sehr heftig
sind, dafür in viertelstündigen Gaben. Lässt die
Heftigkeit der Schmerzen und des Fiebers nach,
verabreichen wir Bryonia 3 in Solution und in
1—2 ständigen Gaben, bis die allgemeinen und ört¬
lichen Erscheinungen vollständig geschwunden sind.
Wenn die Schmerzen sehr hochgradig sind und zu¬
gleich eine grosse Reizbarkeit der Nerven vorhanden
ist, geben wir anstatt Aconit Beilad 3 % auch Apis 3
leistet uns sehr gute Dienste. Auch colchicum 3
wirkt bei heftigen Gichtanfällen mit grosser Schmerz¬
haftigkeit oft besser als Acon. 3, Arnica 3 hat mit¬
unter günstige Erfolge aufznweisen. Geht die Rück¬
bildung zu langsam vor sich, geben wir Kali hydrojod.
in saturirter oder rein weingeistiger Solution (Kali
hydrojod. 5.0 Aqu. destill., Spir. vini aa. 10.0) mit
einem Tropfen p. d. 2— 3 Mal täglich anfangend und
86 *
Digitized by
Google
208
jeden dritten Tag steigernd und wende äusserlicb als Ein
reibung (Kali hydroj. 0 5 und Axung. 15.0) auf die
erkrankten Gelenke so lange an, bis die Function
derselben vollkommen hergestellt ist, sonst lasse
ich die Gelenke nur in reine Watte einhüllen. Dieses
Verfahren meines Vaters bat sich auch mir in sehr
vielen Fällen, auch während des Kurgebrauchs be¬
währt. Auch merc . sol. in der dritten Verreibung
in zweistündigen Gaben von je 0,05 leistet Erspriess*
liches. Ist das Resultat auch nach diesen Mitteln
kein befriedigendes, so wenden wir Sulph. 6—30
zu einer Gabe täglich an, um die darnieder liegende
Resorptionsfähigkeit wieder wachzurufen. Farring-
ton empfiehlt ausserdem: Ammonium phosph., Antimon,
crudnm, Benzoös acidum, Berberis vulg., Calcar.
carb., Colocynthis, Guajacum, Lithium carb., Lyco-
podium, Pulsatilla (ein Mittel das ich gern im
Wechsel mit bry. anwende) Staphysagria. Das
Nähere darüber muss ich die geehrten Leser schon
ersuchen, selbst in Fischer’s vorzügl. Uebersetzung
nachzulesen. Auch Ledum wird gerühmt.
Ich lasse die Patienten hier meistens die wärmern
Quellen trinken, je nach der Konstitution von Mühl¬
brunn zu Sprudel übergehen; die Menge der Becher
richtet sich ganz nach dem, was die Patienten ver¬
tragen können. Starke, kräftige Männer lasse ich
bis 4 Becher täglich trinken. Tritt ein Gichtanfall
hier ein, lasse ich mit dem Trinken aussetzen und
gebe die oben erwähnten homöpath. Mittel, die hier
sehr gut wirken. Sollte dabei Stuhlverstopfung ein-
treten, lasse ich ahgekühlten Schlossbrunn oder
Felsenquelle trinken. Ich habe hier die günstigsten
Resultate gehabt, wenn auch schon die Patienten
an Händen und Füssen, sogar am Kopfe ekcematös
afficirt waren und an den meisten Gelenken sich
die oben erwähnten gichtischen hamsauren Ablage¬
rungen befanden. Ein englischer Geistlicher aus
der Gegend von Manchester, gebrauchte deshalb
zweimal hier die Kur mit dem günstigsten Erfolge,
obgleich auch hier die heftigsten Gichtanfälle ein¬
traten. Das dritte Mal kam er nur, um seine an
Gallensteinen leidende Frau hierher zu begleiten.
Bei der Behandlung der chronischen Gicht leisten
auch Badekuren in den warmen Schwefelthermen wie
Aachen, Baden bei Wien, Pistyan und Mehadia
(Herculesbad) in Ungarn und die hochtemperirten
Wildbäder Gastein, Wildbad u. 8. w. Erspriessliches.
Zwei Krankengeschichten.
1. Frau G. in J. 35 J. litt seit langer Zeit an
steterUebelkeitundErbrechen. Seit3Monaten
war die Periode ausgeblieben; Gravidität war völlig
ausgeschlossen. Als Kind war Patientin stets ge¬
sund, hatte zwar die gewöhnlichen Kinderkrank¬
heiten überstandeu, aber ohne irgend welche Nach¬
theile. Für das jetzige Leiden war eine Ursache
nicht zu eruiren. Das Aussehen bot nichts Auf¬
fallendes, es war eine grosse schlanke Frau mit
dunklem Haar; doch schien es manchmal, beson¬
ders beim Erröten, als wenn ein gelber Sattel über
dem oberen Theil der Nase läge. Von Gemfith
war sie nachgiebig und eher zum Weinen als zum
Zorn geneigt Wenn sie ihrer gewohnten Arbeit
nachging oder im Freien war, befand sie sich am
besten. Appetit wechselte. Fettes wird nicht
vertragen, Fleisch ass sie ungern. Nach dem Essen
hatte sie öfters das Gefühl des Vollseins; viel
Aufstossen und Blähungsbeschwerden. Stuhl war
mehr hart als weich, Urin normal. Schlaf war
gewöhnlich recht gut, manchmal konnte sie nicht
schlafen vor Blutwallungen und Hitze im Kopfe.
Gegen Witterungswechsel war sie empfindlich, am
schlechtesten wird der Ostwind vertragen. Sie
hatte Weissfluss wie Milch, der zuweilen sehr
beissend war. Vor einiger Zeit war mehrfach
Nasenbluten eingetreten; auch Leibschmerzen, deren
Charakter jetzt nicht näher bezeichnet werden
konnte, waren früher dagewesen. Die objektive
Untersuchung ergab einen negativen Befund. Von
den in Frage kommenden Mitteln gab ich Sepia
30, 5 Mal jeden 7ten Tag eine Gabe von 2 glob.
Darnach trat wenig Aenderung ein.
Die Hanptklage war und blieb die stete Uebel-
keit und das Erbrechen. Letzteres hatte nichts
Charakteristisches. Bei erneutem Nachfragen er¬
gaben sich noch folgende Symptome: Wenn der
Appetit vollkommen fehlte, batte sie grossen Durst
und eine ausgesprochene Abneigung gegen ge¬
kochte Speisen, ferner Schmerzhaftigkeit der Herz¬
grube beim Aufdrücken und einen eigenartigen,
schneidenden Schmerz im Unterleib, ohne Durch¬
fall. Letzteres Symptom war jetzt wieder deut¬
lich hervorgetreten, nachdem es lange Zeit ver¬
schwunden gewesen. Ich fand es nach langem
Suchen bei Silicea. (Leibschneiden im Oberbauch
hat Lycop.; tägl. Leibschneiden Natr. mur.; Schmerz¬
haftigkeit der Herzgrube bei Druck hat u. a.
Phosph.; Sepia hat Klopfen in der Herzgrube und
Schmerz beim Gehen; einen ausgesprochenen Wi¬
derwillen gegen gekochte Sachen hat Graphit,
starken, steten Durst bei völliger Appetitlosigkeit
Carbo an.) Auch die anderen, für diesen Fall
charakteristischen Erscheinungen fand ich hei
Silicea fast sämmtlich. Ich liess daher von einer
Wasserauflösung der 200. von Silic. 4 Tage lang
Morgens und Abends einen Schluck nehmen. Nach
kaum 8 Tagen war die Hauptklage der Patientin,
die stete Uehelkeit und das Erbrechen, vollkommen
beseitigt und die Periode trat nach 3 Wochen
wieder ein.
2. Herr S. in H., 65 J., leidet seit ca. 2 Jahren
Digitized by Google
20 »
an asthmatischen Beschwerden. Husten mit schlei¬
mig-eitrigem Auswurf, besonders Morgens and
Abends, der jetzt in Folge einer Erkältung viel
schlimmer geworden und mit Schnupfen verbunden
war. Pfeifen in der Trachea und viel angehäuf¬
ter Schleim in der Brust, welchen er nach langem
Husten losbekommt, wonach grosse Erleichterung.
Oftmals wird der Husten durch starkes Kitzeln
im Halse erregt. Körperliche Anstrengung und
Gehen machen kurzathmig und engbrüstig, was im
Winde schlimmer ist. Der Stuhl neigt zur Ver¬
stopfung, viel Aufstossen und Blähungen, die sich
leicht fortsetzen. Nebeliges Wetter erhöht alle
Beschwerden. Das Befinden ist nach Schlaf meist
schlechter, er fühlt sich Morgens sehr schwach und
matt, muss Nachts mit dem Kopfe hoch liegen
und am besten auf der linken Seite. Fettes wird
schlecht vertragen, viele Beschwerden stellen sich
nach Bouillon ein. Alle Kleider müssen weit sein,
um die Taille und am Halse darf nichts fest an-
schliessen. Lachesis 30., jede Woche eine Gabe
beseitigte fast sämmtliche Beschwerden.
Assistenzarzt W. in K.
Eine amerikanische Potenzirnngs-
maschine.
Von Dr. Stendel in Johnstown (Amerika).
Von der interessanten Schilderang der Zube¬
reitung der Jenichen’schen Hochpotenzen von
Dr. Fischer fühlte ich mich besonders aus
folgendem Grunde angeregt: Vor 2 Jahren
machte ich einen Besuch bei den Homöopathen in
Toronto-Ontario, wo ich zum ersten Male die Hoch¬
potenz - Praxis in vollem Schwünge sah. Herr
Dr. Tynll, ein höchst freundlicher und recht mit¬
theilsamer Mann mittleren Alters, führte mich in
seine ganze Arbeitsweise sofort ein, und zeigte mir
auch bei meinem wiederholten Besuche seine mich
sehr in Erstaunen setzende Hochpotenz-Maschine,
ein höchst niedlicher und reinlich schaffender
Apparat, mit einem kleinen Wassermotor, den er
auf seinem stationären Waschtische anbrachte, und
vermittelst dessen er in ca. ^2 Stunde die 400,( 00
Potenz herzustellen im Stande war. Da man be¬
kanntlich in unserer homöopath. Universität in
Philadelphia die Hochpotenzen nur als ein Märchen
der Vergangenheit behandelt, so war ich nicht nur
als ein ungläubiger Thomas, sondern auch als be¬
fangen in Vorurtheilen in Toronto empfangen worden,
und folglich gleich darauf in die ABC-Schule der
Hochpotenzstudenten eingereiht. Ich sagte, wer
an Wunder glaubt und an die Thatsache, dass
aussernatürliche Gesetze zu Zeiten im Reiche der
Natur in Kraft treten können, der braucht keines¬
wegs mehr lange hinsitzen und das Unerklärliche
studieren, um es sich dann logisch erklären zu
können! Die mir darauf gewordene Antwort war,
dass das auch nicht von mir erwartet werde, sondern
nur dass ich mich von den Thatsachen überzeugen
lasse, und keineswegs von einer mystischen Wir¬
kungsweise überrumpeln lasse.
Ich war nicht lange genug an Ort und Stelle
um mich von der Wirksamkeit der Hochpotenzen
überzeugen zu können, obschon ich alle Tage Be¬
suche im „Hochpotenz-Spital“ machen durfte. Doch
nun an unseren Gegenstand selbst. — Wenden wir
unsere Aufmerksamkeit ein wenig auf die Wunder¬
maschine, bei deren Anblick ohne Zweifel jeder
frische Jünger des deutschen Aesculap unwillkürlich
ausrufen muss: „Wie hat der Amerikaner doch Alles
so praktisch und bequem eingerichtet.“ Bei der
amerik. Herstellung der Hochpotenzen fällt mir
sofort ein Faktor in die Augen, welcher sich im
Wesentlichen von dem Jenichenschen Princip unter¬
scheidet, nämlich, dass bei der Maschine fast gar
keine Kraft angewendet wird, sondern nur einfach
soviel, wie zur ^2 Umdrehung des mit dem Becher
verbundenen Kolbens nöthig ist. Bei jeder Füllung
des Bechers, was durch den Apparat ebenfalls ge¬
schieht, sollen genau 98 Tropfen Seewasser (aus
dem Lake Ontario) zu den 2 an den Wänden des
Bechers noch hängenden Tropfen der vorherigen Ver-
schüttelung zugesetzt, werden, was bei einer ein¬
maligen x j 4 Umdrehung des Kolbens wieder aus¬
gelagert wird. Da aber diese eben erwähnte Um¬
drehungen ausserordentlich schnell vor sich gehen,
so muss das Wasser auch dementsprechend schnell
in den nach oben zurückgekehrten Becher hinein¬
gespritzt werden, was immerhin mit soviel Kraft¬
aufwand geschieht, dass es eine Verschüttelung
veranlassen soll oder ermöglicht! Meine Zweifel
haben nun darin bestanden, dass zur vollkommenen
Verschüttelung gar keine Zeit gelassen ist, da ja
nicht weniger wie ca. 4 Centesimalen in einer
Sekunde hergestellt werden können, oder 240 c in
einer Minute, was natürlich durch ein eigens damit
verbundenes Zeigerwerk genau nachgewiesen wird,
so dass die Maschine ganz zuverlässig wirkt und
sich sogar ganz selbst überlassen werden kann!
Ich habe stets gefunden, dass zwischen den in
Amerika gemachten Triturationen (d. h. mit elek¬
trischem Betrieb) und denen, die ich mit meiner
Hand in meiner office zubereite, ein ganz merklicher
Unterschied besteht, so dass ich entschieden auf
die mit der Hand zubereiteten Triturationen mehr
Vertrauen setze als aut die Maschinenarbeit, und
deshalb kann ich auch auf dieser mir ganz gross¬
artig erscheinende Hochpotenzzubereitung per Elec-
tricität, keinen Werth legen, was mir sehr leid
thut, indem Niemand sich mit tagelanger Zube-
Digitized by v^ooQie
910
reitung der Hochpotenzen befassen kann, es sei
denn, er hat znm wenigsten sonst nichts zu thun
oder er stellt sich eigens einen Arbeiter dazu an.
Aach müste er, um genau Hahnemann’sche Prä¬
parate zu erzielen, den Mann oder den Arbeiter
überwachen, und wer würde dabei nicht aus der
Haut fahren, oder wie Jenichen selbst auch des¬
perat werden! —*)
Es bleibt nach meiner Ansicht noch ganz
der Zukunft anheimgestellt, ob es sich rentirt,
Hochpotenzen zu bereiten oder nicht, denn ich
habe in meiner Praxis und in der Anderer noch
gar keine schlagenden Beweise für ihre sog. weiter¬
entwickelten, dynamischen Thätigkeiten gesehen;
was nach meiner Ueberzeugung die 30. nicht
thut, wird die 200. auch nicht vermögen. — Wird
man aber einmal dahin gekommen sein eine Hoch¬
potenz Materia Medica herauszugeben, also nicht
wie es Hahnemann thut mit Tinkturen experimentiren,
sondern einfach gleich mit der 40 m. etc. anfangen,
dann werden wir sofort unserem Canada Collegen
sein Patent abkaufen, um die ganze kranke Welt mit
Sturmeseile aus den Klauen des Todes zu retten,
d. h. wir werden dann nur noch Henoche sein, die
wir uns per Eilpost ohne alle Umstände oder Cere-
monien nicht ins „kühle Grab“, sondern sofort ins
„ewige Leben“ befördern helfen dürfen. Dieses herr¬
liche Dasein dürfen wir wohl ins 22. Jahrhundert
verlegen, denn es hat ja selbst „Bellamy“ davon
noch nicht einmal geträumt, dessen Traum gewiss
kein Schaum ist, sondern bereits in Boston viel¬
fach in Erfüllung gegangen ist; und was noch nicht
ist, kann ja in Amerika Alles noch werden, „nur
Geduld.“-
Klinischer Beitrag zur Heilwirkung
des Goldes.
Von Dr. H. O out Ion.
Aurum ist eins unserer wichtigsten Mittel in
der Melancholie und gegen Wahnsinn überhaupt,
sofern der Grundton derselben der melancholische
ist. Lebensüberdruss ist schon beobachtet da, wo
man Aurum in 3. Verreibung aus ganz anderen
Gründen verabreicht hatte. Also ist und bleibt es gegen
Melancholie und taedium vitae ein echt homöo¬
pathisches Heilagens.
Einer Frau, deren pathologischer Zustand gleich
*) Da jetzt auch in der Schwabe’schen homöopathi¬
schen Centralapotheke die Verreibungen mit Dampfbe¬
trieb hergestellt werden, so wäre es interessant. Ver¬
suche anzustellen, ob in der Tbat die mit der Hand zu¬
bereiteten Verreibungen der Maschinenarbeit vorzuziehen
sind, wie der Verfasser annimmt.
Die Red.
näher beschrieben werden soll, hatte ich Aurum
verordnet, 6 Pulver, von denen jedes 1 Tropfen
der aus der 4. Decimalverdünnung von mir selbst
hergestellten 5. Verdünnung enthielt. Sie bekam
jeden Abend ein Pulver und darauf schrieb mir
der Mann der Frau ca. 8 Tage später, am 11. Nov.:
— — „zu meiner grössten Freude kann ich Ihnen
mittheilen, dass sich der Zustand meiner Frau be¬
deutend gebessert bat. 8chon am 3. Tag wurde
sie ganz vernünftig und sagte, dass sie mir unrecht
gethan hätte. Von der Zeit an weint sie nicht
mehr, thut mit Vergnügen ihre Arbeit und sieht
des Nachts keine Lichter mehr. Auch schläft sie
viel besser. — Nur hörte sie gestern und vorgestern
Abend beim Schlafengehen wieder ein Knistern in
den Tapeten der Schlafkammer. Allein das wird
sich auch geben. Auf das Aurum hat sie jeden
Tag Stuhl.“
Und wie geartet war das psychische Be¬
finden vordem gewesen? Am besten wird man
letzteres beurtheilen können, wenn ich einige Stellen
des am 3. November, also vor Aurum geschriebenen
Briefes wiedergebe.
1. Sie ist ganz verliebt und geschlechtlich sehr
aufgeregt.
2. misstrauisch, glaubt, ich gebe mich mit an¬
deren Frauenzimmern ab, wozu nicht die geringste
Veranlassung vorliegt.
3. Das Blut steigt ihr sehr nach dem Kopf, hat
immer Stirnkopfweh und stieren Blick. Ihr Ge¬
sicht erscheint gedunsen, rotb, heiss, während die
übrigen Glieder kalt sind.
Schon vor 8 Tagen hatte sie einen so grossen
Blutandrang nach dem Kopf and der Brust, dass
sie den Husten bekam, hellrothes Blut brach und
irre sprach. Ich legte ihr gleich ein nasses Tuch
auf den Kopf und eines auf den Nacken und liess
sie Sodawasser trinken. Sie war aber den ganzen
Tag unzurechnungsfähig, wollte fort, wusste nicht
wohin, ging mit Selbstmordgedanken um.
4. Bald weinte sie, bald lachte sie, lachte auch
um gar nichts. Des Nachts träumte sie schreckliche
Träume von Mord und Tod. Sie sah ganz kleine
Lichtchen das ganze Zimmer voll, und schlief sehr
wenig. Ich habe sie zweimal am Abend mit kaltem
Wasser gewaschen am ganzen Körper. Da hat sie
besser geschlafen. Sie leidet nun schon seit Jahren
an Verstopfung. — Ich gebe ihr jeden Tag einige
Male Nux. vom. 3.
Da hat sie Stuhl, wenn auch sehr hart und
knollig.“
Patientin ist 55 Jahre alt und hat seit 15 Jahren
ihre Periode verloren, sie hat 6 Kinder gehabt and
ist zur Sinnlichkeit nicht geneigt gewesen. Sie ist
gut genährt, nicht an geistige Getränke gewöhnt
und trinkt seit 20 Wochen nur Malzkaffee. Das
Familienleben war ein glückliches. Sie bekam hei
Digitized by v^ooQle
211
Gelegenheit einer Niederkunft der Tochter, weit
von ihrem Wohnorte entfernt, starkes Heimweh.
Nnn zeigten sich andere Symptome gemüthlicher
Alteration. Ihre Nerven sind aufgeregt, sie macht
sich leicht Vorwürfe, ist misstrauisch und eifer¬
süchtig.
Alle gegentbeiligen Betheuerungen hez. Ausreden
ihrer fixen Ideen fruchten nichts. „Immer kommen
die Gedanken wieder/ Bisher hat sie noch gegessen,
wenn auch nicht viel, ihre häuslichen Arbeiten ver¬
richtet, wenn sie auch sehr zerstreut dabei ist.
Seit 8 Tagen bekam sie Abends eine Gabe Ignatia,
3 Tropfen. Das schien sie etwas zu beruhigen.
Sie schlief besser, klagte aber über grosse Müdig¬
keit, Rückenschmerzen ganz unten im Becken.
Die Fortsetzung der Wirbelsäule, das Steissbein
thun sehr weh, wäre wie geschwollen. Weissfluss
hat sie nicht, aber oft Schmerzen im After. Der
Mann sucht inzwischen durch gute Worte and
Milde ihre Zuneigung zu erhalten.
Seit 2 Tagen hat Auge und Gesichtsausdruck
einen verwirrten Ausdruck angenommen. Beim
Schlafengehen tritt die obenerwähnte Gehörshallu-
cinationen ein: sie hört Knistern in der Tapete und
allerlei Geräusche (jede Hallucination ist beiläufig
bemerkt eine falsche seelische Interpretation ge¬
wisser somatischer Vorgänge im Gehirn, mögen diese
Vorgänge im Gebiet des Gehörorganes stattfinden
[Gehörshallucinationen], im Bereich des Auges [op¬
tische Hallucinationen] u. s. w.) Charakteristisch
ist noch, dass, als der Zufall mit dem Blutauswurf
erfolgte, sie glaubte, man wollte sie ermorden —
der bekannte Verfolgungs -Wahn beim Ausbruch
einer Seelenstörung bez. regelrechter Geisteskrank¬
heit.
Der Brief endigt mit dem mir und der Homöo¬
pathie schmeichelhaften Worten: „Wenn Sie nicht
helfen, dann ist sie verloren und muss ins Irren¬
haus. *
Von besonderem Interesse ist hier die Wirkung
von Aurum auf den Stuhl. Denn eine chronische
Dickdarm-Verstopfung ist zuweilen allein hinreichend,
Psychose zu erzeugen, zumal in Gestalt der ge¬
schilderten Melancholie. Gelingt es nun diese phy
iische Störung durch das auch sonst richtig ge¬
wählte Simile zu beseitigen, so wird es auch gelingen,
die secundäre psychische Störung zu beheben und
zwar dauernder, als wenn man vorübergehend wir¬
kende Drastica giebt, sei es Aloe, Ricinus, Curella-
sches Pulver, Schweizer-Pillen, die ja als wirksamsten
Bestandtheil Aloe enthalten, oder was sonst. Es
ist auch sehr wohl erklärlich, dass von den idio¬
pathischen Stockungen des Unterleibes aus Gehörs-
Störungen erfolgen auf sympathischem Wege. So
hatte Patientin Ohrensausen , und konnte dies wie¬
derum sehr wohl unter bewandten Umständen zu
den gedachten Hallucinationen führen.
Schmerzen aber, von denen ein zweiter Bericht
Kunde giebt, von dem rechten Beckenknochen, im
Rücken und von dem Ende der Wirbelsäule sind
leicht auf den mechanischen Druck der harten
Faeces zu beziehen. — Endlich heisst es noch:
„Wenn sie zu Mittag isst, sei es auch nicht viel,
spürt sie gleich einen Druck über dem Magen.
Sie ist leicht zu Magenkrampf geneigt, wenn sie
etwas geniesst, was Blähungen verursacht.* —
Dies also das ziemlich genaue Krankheitsbild
zur Zeit, als Aurum in oben besprochener Weise
zu Hilfe gekommen, und scheint mir Selbst- oder
blosse Naturheilung um so gewisser ausgeschlossen
werden zu sollen, da ich fast zu derselben Zeit
einen ganz analogen Fall ähnlich günstig verlaufen
sah unter dem Gebrauch des Goldes, und mir das
Mittel in Bezug auf seinen grossen therapeutischen
Nutzen in der fraglichen Richtung auch von früher
her hinlänglich bekannt ist.
Epidemiologische Ecke.
An Mittheilungen sind ein gegangen:
Dierkes-Paderborn berichtet am 8./6., dass er
noch immer die Epidemie mit Calc. phosph. -|-
Nux vom. habe.
Leeser-Bonn hatte am 31./5. und 1./6. Kal.
carb, -f- Lach.; am 2. Lijcopod. bei rechtsseitiger
Diphtherie und bei Bronchitis bei Kindern mit Nasen -
flügelathmen; am 3. Veratr. auch am 7.; am 9. Ac.
mur. -f- Lach.; am 10. theils Natr. carb. -f- Tone,
theils Natr. carb. -f- Lach.; am 11. Natr. carb. -f-
Tonc. bei acuten Fällen: Leib - und Magenbe¬
schwerden mit gelb- und braunröthlichem Durch¬
fall, bei chronischen Fällen Bar. carb. -f- Led.,
Ferr. auch Ac. nitr. -f- Op.; am 12. theils Natr.
carb. theils Kal. carb. -f* Tone., Abends Ac. nitr.
-f- Bell.; am 13. Ac. nitr. -f- Bell., ferner Natr.
carb. -f- Coccul. = Hep. sulf. calc., bei chronischen
Fällen Sulf. -f- Acon. = Berber., bei Lues Ac.
phosph. -f- Bell. = Ac. nitr.; seit dem 15. hat er
Kal. carb. -f- Led. (wohl Phosph.). Am 10. schrieb
er noch: „Dazwischen kommt immer wieder Kal.
bichr., das mit Apis in grossen Zügen alternirend
wiederkehrt und der Epidemie den Stempel auf¬
drückt. 44
Kirn-Pforzheim teilt am 3./6. mit: lediglich
Bar. carb. -f- Tone, und Natr. mur. -f- Led.; am
11. noch immer viel Masern mit = Tart stib. und
= Kal. bichr., bei Darmkatarrhen (starkriechende
Ausleerungen) Kreos. -f- Sabadill.; am 15. sehr viel
Masern fast nur mit Natr. mur. -f- Led., bei Husten
der Kinder Phosphor.
Stiegele- Stuttgart berichtete am 7./6.: in den
letzten Tagen viele gastrische Störungen: Schweiss-
Digitized by v^ooQie
neigung, Depression, gelbliche Gesichtsfarbe bezw.
Sattel über die Nase: meist Sepia.
Ich-hier hatte bis 4./6. vorwiegend noch Ac.
nitr. -f- Nicot. = Sepia; am 5.—7. Natr. mur.
-j- Led.; am 7. begannen sich Fälle mit Oalc.
phosph. -f- Nux vom. (wohl Sep.) einzustellen, bei
denen die von Coli. Dierkes als allgemeine Symp¬
tome bezeichnten blauen Lippen, blaue Zunge und
gelblicher Teint fast ausnahmslos sofort in die
Augen fielen; diese Combination herrschte vor bis
zum 14., als nach heftigen Gewittern am 13. sich
kühles, trübes Wetter eingestellt hatte; ausserdem
kamen in dieser Zeit nicht selten Calc. phosph. -j-
Chin. (wohl Natr. mur.) bei besonders hervor¬
tretender Schwäche, blassbläulichen Lippen und
Zunge, grosse Frostigkeit, Verschlimmerung Vor¬
mittags, ferner Calc. phosph. -f- Ws bei Herzneu¬
rosen in Folge von Influenza, Calc. phosph. -)-
Led. besonders bei Kindern mit Masern, Durchfall
oder hartnäckiger Verstopfung, heftigen Kopf¬
schmerzen und tief geröthetem heissen Kopf und
kalten Füssen vor; Bar. carb. -f- Tone, tritt immer
häufig auf besonders bei chronischen Fällen, am
15. und 16. war es vorherrschend; seit dem 17.
habe ich Kal. carb. -f- Led.
Weiss-Gmünd berichtet am 8./6., dass die Influenza
ziemlich erloschen ist, Tussis convuls. mehr und
mehr zunimmt; dabei mit Cupr. -f- Bell, und
Cupr. -j- Ipecac sehr günstiger Verlauf; sporadische
Magen- und Darmkatarrhe Veratr. (nach seinem
Schmerzpunkt); sonst wenig Kranke; Phthisiker be¬
finden sich besonders schlecht.
Buob - Freudenstadt hat immer viel Wechsel;
vom 30. kamen vorzugsweise Magen- und Darm-
katarrhe mit theilweiser ikterischer Färbung; auf¬
fallend ist die Häufigkeit der Indication von Jod
neben Natr. carb.
Sigmundt-Spaichingen hat noch immer Natr. nitr.
-f- Nicot.; bei delirirenden Kranken Rhus tox.
Hagel-Ravensburg schreibt am 10./6.: in diesen
Tagen Ipecac., Nux vom und Veratr., seltener
Argent. nitr., Led., Mercur.
Köck-München hat seit dem 28./5. Cuprum-
Affektionen.
Stuttgart, den 20. Juni 1892.
Dr. med. H. Göhr um.
In Nr. 36 u. 37 der Allg. Med. Central-Ztg.
beleuchtet Dr. Lange in Stettin die dritte In¬
fluenzaepidemie vom empirischen Standpunkte aus.
Herr Dr. Lange ist ein alter erfahrener Rade-
macherianer und haben wir seine epidemiologischen
Erfahrungen schon von jeher mit grossem Interesse
verfolgt.
In der eisten Influenzaepidemie waren seine
epidemischen Mittel: Nitrum, Chelidon., Aq. gland.;
in der zweiten: Ferrum und Aq. Quassia; in der
dritten (vom September bis Januar) Natr. nitric.
und Aq. nuc. vom., und vom Januar bis Anfang
Mai Aq. gland. und Card, marian.
Wir ersehen hieraus, dass die Leber in allen
drei Epidemien gleich betheiligt war, sich aber in
jedem Jahre ein anderes Mittel nothwendig machte,
dahingegen die Milz nur in der ersten Epidemie
und der zweiten Hälfte der dritten, während ihr
Heilmittel stets dasselbe blieb.
Nur in der dritten Influenzaepidemie des ver¬
flossenen Winters änderte sich demnach der genius
epidemicus, obgleich auch hier im Grossen und
Ganzen die Erscheinungsformen ungeändert blieben.
„Krankheiten, welche durch gleiche Mittel schnell
und sicher zur Heilung geführt werden, müssen
gemeinsamen Ursprungs sein, mögen sie in ihrer
Erscheinungsweise noch so sehr differiren, und so
hat sich in diesen Epidemien wiederum die Ein¬
heitlichkeit der verschiedensten Formen bewährt.*
Was werden die Mitarbeiter der „Epidemio¬
logischen Ecke“ hierzu sagen?-Es hat uns
und jedenfalls auch vielen anderen Lesern niemals
einleuchten können, dass deren „epidemische Mittel*
täglich, ja sogar an manchen Tagen 2- bis 3mal
wechselten. Einen solchen Wechsel der Mittel,
so weit er nach causalen oder homöopathischen
Principien indirt ist, gestehen wir ohne Weiteres
zu, nur soll man diesen beständigen Wechsel nicht
in ursächlichen Zusammenhang mit dem herrschen¬
den genius epidemicus bringen. Das ist paradox
und hat mit der jeweilig herrschenden Epidemie
absolut nicht« zu thun, weil letztere unmöglich
fortgesetzt täglich oder an einem und demselben
Tage 2—3mal wechseln kann. Auffällig bleibt auch,
dass Coli. Weihe selbst, nach seinen Veröffent¬
lichungen, niemals diesen beständigen Wechsel der
Mittel in seiner Praxis für indicirt gehalten hat.
Die Anhänger der „ Weihe'schen Methode *
schiessen daher in ihrer Auffassung der epide¬
mischen Mittel über’s Ziel hinaus und sind uns
den Beweis noch schuldig, dass die nach der Methode
der Druckpunkte gewählten Mittel auch epidemische
sind. Ob die von ihnen gehandhabte Mittel¬
wahl nach Druckpunkten eine bewährte und rich¬
tige ist, darüber haben wir keine Erfahrungen, wir
bestreiten nur die Benennung solcher Mittel als
epidemische.
Die oben citirte Arbeit von Dr. Lange sollte
jedenfalls den Mitgliedern der „Epidemiologischen
Gesellschaft* zu denken geben und es ihnen nahe
legen, ihre Mittel fortan nicht mehr „epidemische*
zu nennen. Hoffentlich wird die demnächst statt¬
findende erste Generalversammlung der Epide¬
miologischen Gesellschaft hierin Remedur schaffen
und einen anderen Namen für die nach der Weihe¬
schen Methode gefundenen Mittel in Vorschlag
bringen. Dr. Haedicke.
Digitized by Google
m
Bticherscliau.
Die Heilerfolge der inneren Schleimhaut-
Maes&ge bei chronischer Erkrankung der Nase,
des Hachens, Ohres und Kehlkopfs von Dr. Karl
Laker in Graz, und die Massage der Nasenschleim¬
haut von Dr. Lahmann, weisser Hirsch bei Dresden,
letzterer Aufsatz in Nr. 38 und 39 der Allg. Med.
Centr. Ztg. erschienen, behandeln die mechanische
Therapie der chronischen Nasenrachencatarrhe,
die sich leicht mit der Medikation der homöo¬
pathischen Arzneimittel verbinden lässt, um auf
solche Weis© diese crux aller Aerzte und Patienten
um so schneller zur Heilung zu bringen.
Lahmann geht von der bekannten Thatsache
aus, dass die lederne Fussbekleidung die Ausdünstung
des Fusses verhindert und somit indirect zur Ent¬
stehung der chronischen Rhinitis simplex et foetida
(Ozaena) und Rhinitis foetida atrophicans beiträgt,
welche ihrerseits wieder Beschwerden wie: Mund¬
atmung, Asthma, Ohrensausen, Congestionen, Nasen-
und Gesichtsröte, Stimhöhlencatarrhe, Neuralgien,
Cephalalgien, vicariirende Nasenblutungen bei der
Menses im Gefolge haben.
Zur erfolgreichen Behandlung dieser hartnäckigen
Leiden massirt Lahmann mit einer von ihm ange¬
gebenen 8onde (zu beziehen von Carl Wendschuh
in Dresden, Trompeterstr. 8) die Nasenschleimhaut in
Sitzungen von einigen Sekunden bis zu 3 Minuten
Dauer und verbindet damit zugleich eine rationelle
Bekleidung und Therapie der kalten Füsse ^barfuss-
laufen oder Sandalen, Wechselfussbäder von 12° u.
30" R., kalte Uebergiessungen etc.). An einigen
Krankengeschichten wird diese Massage der Nasen¬
schleimhaut in anschaulicher Weise erläutert. Von
stets prompter Wirkung war auch die durch eine
etwas dickere Sonde von dem unteren Nasengange
ausgeführte Massage der Choanen an der hinteren
Rachenwand bei chronischem Rachencatarrh. War
es ein feuchter Catarrh mit starker Gefässfüllung
und Succulenz der Schleimhaut, so trat bald ein
Abschwellen ein; war es aber ein trockener, atro¬
phischer Rachencatarrh, so wirkte die Massage günstig
— weil sie die arterielle Fluxion anregte, und die
noch erhaltenen Schleimdrüsen zu stärkerer Sekretion
brachte und somit die Schleimhaut in ihrer ganzen
Ausdehnung zunächst dauernd angefeuchtet wurde.
Unter dem Schutze dieser Anfeuchtung konnte die
weitere Aufquellung und Wiederherstellung der
normalen Circulation und Ernährung statthaben/
Ein ähnliches Thema: „über das Ansaugen der
Nasenflügel“ bespricht Dr. Moritz Schmidt-Frank¬
furt a. M. in der deutschen medic. Wochenschrift
Nr.4 und betont auch er die Folgen der Verengerungen
in der Nase: Mundatbmen, Asthma, Ohrensausen,
Migräne, Aprosexie etc. Er hat ein einfaches In¬
strument construirt, welches in der Nase zu tragen
ist (zu beziehen von Feldbauch, Wiesbaden, Philipps-
bergerstr. 43), und das lästige Austrocknen des
Mundes, die Fuligobildung und bei Kehlkopfcatarrhen
den schädlichen Einfluss der kalten Luft abhält,
wie er aus eigener Erfahrung an sich selbst be¬
stätigen kann. Wir verweisen die Herren Collegen
behufs der näheren Details auf die Originalartikel
und können aus Erprobung in der eigenen Praxis
die Massage der Nasenschleimhaut nach der Lah-
mann’schen Methode in geeigneten Fällen nur bestens
empfehlen.
Die Erfolge des Messers von Prof. Albert
in Wien. Antwort auf die Broschüre: „Unter
der Herrschaft des Messers, ein Mahnwort von
einem Freunde der leidenden Menschheit,“
Prof. Albert unternimmt es, die Behauptungen .
und den „unglaublichen Angriff“ zu widerlegen, der
in dieser Broschüre „aus unverstandenen Ziffern
gegen die neuere Chirurgie geschmiedet wird“,
überlässt es aber den Internisten, ihre Sache selbst
zu vertheidigen. Den Verfasser der Broschüre nennt
Prof. Albert „der Kürze halber“ V, und enthüllt
damit ziemlich sicher den anonymen Apologeten
Prof. Wintemitz. Wenn letzterer durch seine Ano¬
nymität verhindern wollte, dass seine Persönlichkeit
nicht herabgesetzt und lächerlich gemacht würde,
so ist dies ihm nicht gelungen, denn Prof. Albert
springt mit ihm um, wie mit einem Anekdoten¬
erzähler.
Sachlich weist Prof. Albert nach, dass man mit
Zahlen alles beweisen könne oder wie Dr. Ter-
wagne in dem ersten Aufsatz dieser Nummer sagt,
dass die statistischen Zahlen in der Medicin so gut
wie gar keinen Werth haben. Er beweist, dass ge¬
rade der Jahrgang 1856 das niedrigste Mortalitäts¬
percent bei den Operationen aufzuweisen hatte, und
dass die Mortalitätsziffern des Jahres 1856 und der
vorausgegangenen Jahre sich nur auf die Abthei¬
lungen des allgemeinen Krankenhauses beziehen,
nicht aber auf die Kliniken, wo doch die meisten
und wichtigsten Operationen gemacht werden. Um
jeden Zufall auszuschliessen, hätten also Reihen
von Jahrgängen von vornherein gewählt werden
müssen, wodurch das Resultat der statistischen Zu¬
sammenstellungen ein ganz anderes und zwar ein
zu Gunsten der modernen Chirurgie sprechendes
geworden sein würde.
Ein ferneres Moment, welches für die Erfolge
des Messers spricht, macht Prof. Albert auf Seite 14
geltend. „Die antiseptische Behandlung setzt uns
heutzutage in die Lage, zahllose kleinere Opera¬
tionen ambulatorisch zu machen, die man im Jahre
1856 überhaupt nicht machte, wie die vielen ortho¬
pädischen und anderen Operationen, die man nur
gemacht hätte, wenn der Kranke sich auf die Klinik
hätte aufnehmen lassen, um in Pflege, Behandlung
26 a
Digitized by
Google
and Ueberwachung za bleiben. Nun hat sich die
Masse des ambulanten Materiales angemein vermehrt,
auf meiner Klinik gegen das Jahr 1856 mindestens
verzehnfacht. Die in der Ambulanz vorgenom¬
menen Operationen stehen aber in den Jahresberich¬
ten des Krankenhauses nicht. Da aber gerade sie
niemals von einem tödtlichen Ausgange begleitet
sind, so würde ihre Aufnahme in den Jahresbericht die
heutigeMortalitätsziffer ganz bedeutend herabdrücken,
ln der Wirklichkeit besteht also ein viel
kleineres Mortalitätspercent; nur auf dem
Papiere steht es nicht. Herr V. benützt nur
die auf dem Papiere stehenden Zahlen, die übrigen
kennt er nicht. Er ist also im Irrthum über die
Wirklichkeit.*
Zur Begründung der Erfolge des Messers preist
Prot. Albert die Antiseptik als eine Frucht chirur¬
gischer Arbeit, durch rein wissenschaftliche For¬
schung angeregt, ohne irgendwelche Mitbetheiligung
der Laienkreise. „Unsere Epigonen werden das,
was wir alles gesehen und erlebt haben, nur aus
der Lektüre kennen. Sie werden die Schilderungen
für unglaublich erklären, unsere damaligen Irrthümer
für unbegreiflich.*
Unbegreiflich ist uns jüngeren Aerzten aller¬
dings, wie die früheren Chirurgen die im gesell¬
schaftlichen Verkehr übliche Reinlichkeit und Sau¬
berkeit — am Operationstisch so gänzlich ausser
Acht lassen und sich erst so spät zur Asepsis ent¬
schlossen konnten. Die Gründe dafür sind wohl
ähnliche, wie für den hundertjährigen Missbrauch
des Aderlasses, man fasste nur auf der wissen¬
schaftlichen Begründung, um die Erfolge der Praxis
und die Warnungen des Praktikers kümmerte man
sich nicht.
Auf die Frage nach den Ursachen der gestei¬
gerten Operationslust: .Was nützt es der Mensch¬
heit im Allgemeinen, wenn einer durch eine Opera¬
tion gerettet wird und ein anderer muss dafür sein
Leben lassen?“ — erhalten wir die Antwort: „Es
nützt der Menschheit im Allgemeinen, wenn zehn
sterben, damit hundert Andere leben können.* Wie
lange aber? Wie lange z. B. die Krebskranken
nach der gelungenen Operation? Weshalb drängt
man diese Kranken zur Operation? Es kann nur
die „enorm gesteigerte Operationslust* sein, und
bei vielen Chirurgen hat dieses Drängen zweifellos
auch „einen eminent praktisch-finanziellen Hinter¬
grund*. Geheimrath Ried, Professor der Chirurgie
in Jena, hat uns gelehrt, einer an carcinoma mammae
leidenden Kranken niemals die Operation vorzu-
scblagen, sondern nur auf deren Wunsch zu ope-
riren. Herrn Prof. Albert könnte diese Richt¬
schnur nur zur Beachtung empfohlen werden. Das
Gebahren der Chirurgen hat auch sonst oft einen
eminent praktisch-finanziellen Hintergrund, denn
wenn ein Chirurg trotz des vorher ausbedungenen
und zugestnndenen doppelten Honorars für den
Druckbogen eine der Redaktion zugesicherte Arbeit
nicht liefert, sondern stillschweigend vertragsbrüchig
wird und nichts wieder von sich hören lässt, was
soll man davon denken? —
Wir homöopathischen Aerzte haben oft Gelegen¬
heit, selbst da noch Heilung zu erzielen, wo schon
eingreifende Operationen gemacht oder in Aussicht
gestellt sind. Ich selbst bin wegen eines scrophu-
lösen Drüsenleidens im Alter von 18 Jahren zwei
Jahre lang in chirurgischer Behandlung gewesen,
und nacheinander vom Geh. Sanitätsrath Wilke,
Prof. Kraske, Prof. Volkmann in Halle und von
Prof. Ried in Jena ohne jeden Erfolg operirt wor¬
den. Statt der hier bethätigten Operationslust hätte
man mich — in Erkenntniss der Thatsnche, dass
ein lokalisirtes Allgemeinleiden sicherer durch eine
allgemeine Behandlung zu heben ist — sofort in
eine entsprechende Allgemeinbehandlung nehmen
müssen, statt immer und immer wieder zum Messer
zu greifen. Auf Zureden einer Dame, deren Sohn
der Fuss wegen Caries von Volkmann amputirt
werden sollte, vom verstorbenen Collegen Kirsten
in Leipzig aber ohne jede Operation wieder her¬
gestellt wurde, consultirte auch ich Dr. Kirsten und
wurde ebenfalls nicht nur definitiv geheilt, son¬
dern auch gleichzeitig ein eifriger Anhänger der
Homöopathie. Als der genannte Knabe später dem
Prof. Volkmann geheilt vorgestellt und ihm — wie
es selten geschieht! — der wahre Sachverhalt mit-
getheilt wurde, war er natürlich nicht sehr erbaut
und schob den Erfolg auf die Selbsthilfe der Natur¬
heilkraft, wogegen die Mutter sehr treffend bemerkte,
dass die Amputation dieses Resultat doch für immer
vereitelt haben würde.
Einen anderen nicht minder bemerkenswertben
Fall erzählte uns ein College, wo ein von Autori¬
täten für inoperabel erklärtes Sarkom durch hydro¬
therapeutische und hygieuisch - diätetische Mass-
regeln innerhalb 7 Monaten völlig geheilt wurde. —
Es fällt uns nicht im mindesten ein, die grossen
Erfolge des Messers in Abrede stellen zu wollen,
eine „enorm gesteigerte Operationslust* besteht
aber in der That und muss es unsere ernste Pflicht
sein, derselben überall da entgegenzutreten, wo
keine zwingenden Indicationen für eine Operation
vorliegen. Dr. Haedicke.
Lesefrüchte.
Salinger. A case of antipyrinc poisoning with the
formation of memhranes in the mouth and Symp¬
toms of laryngismus stridulus . The americ. Journ.
of the med. Sciences. Nr. 217. May 1890.
Bei einer 53 jähr., 217 Pfd. schweren, an chron.
Scbrumpfniere leidenden Frau stellte sich wenige
Minuten nach Einnahme von Antipyrin 0,3 wegen
Digitized by v^ooQie
215
periodischer heftiger Kopfschmerzen abwechselnd
Hitze- and Frostgefühl ein, die Athmung wurde kurz
and mühevoll, und es trat Schwellung der Lippen
(bis aufs dreifache ihres normalen Volumens) und
Zunge ein, welche nur mit Mühe herausgestreckt
werden konnte. Puls schwach, irregulär. Spas¬
modische Zusammenziehungen der Nacken-, Gesichts¬
und Kehlkopfmuskulatur wurden so hochgradig,
dass Pat. in Folge des Laryngospasmus cyanotisch
wurde. Die Lippen wurden noch dicker, die stark
geschwollene Zunge fand keinen genügenden
Baum mehr in der Mundhöhle und lag vorgestreckt
zwischen den Zähnen. Pat. war 36 Std. comatös,
schwer zu wecken nnd verfiel, wenn ungestört, bald
wieder in ihren bewusstlosen Zustand. Die Pupillen
blieben 6 Tage lang stecknadelkopfgross. Urin
musste in den ersten 24 Stunden mit dem Katheter
abgelnssen werden; es waren 150 gr., er zeigte
1,032 spec. Gew., reichlich Eiweiss, keine Cylinder,
grosse Uratmengen. Weiter entwickelte sich ein
die Attaque um fast 2 Monate überdauerndes urti¬
cariaähnliches Exanthem, zunächst nur zwischen den
Fingern und Zehen, allmählich auch an Gesicht,
Hals und Armen auftretend, Am 3. Tage bildeten
sich auf Zunge, Lippen und Rachen pseudomem¬
branöse Auflagerungen, welche das Schlucken sehr
erschwerten. Temperatur gesteigert, Morgens höher
als Abends. Am Morgen des 4. Tages stellte sich
Expectoration einer anfangs schleimigen, vom 5.
Tage an blutig-eitrigen Flüssigkeit ein, und es
würden bei der Besichtigung der Mundhöhle eine
Anzahl bis wallnussgrosser Abscesse an Gaumen,
Tonsillen und Zungenbasis constatirt. Bachen und
Nasopharynx geröthet, Pat. bekam ähnliche Anfälle
noch 2mal, da sie, die Ursache ihrer Erkrankung
nicht kennend, bei Kopfschmerzattaquen von selbst
Antipyrin wiedernahm. — Die Schwere der Intoxi-
cationserscheinungen dürfte zum Theil wohl durch
das bestehende Nierenleiden mit veranlasst worden
sein. (Aus „Deutsche med. Wochenschrift 1891.
Nr. 35, p. 1041.) _
Kleine Mittheilungen.
Von einem Collegen in Preussen geht uns fol¬
gende Mittheilung zu, die uns an die Zeiten der
grössten Zerrissenheit unseres gemeinsamen deut¬
schen Vaterlandes erinnert. Man lese und staune:
„Bei einer kürzlichen Revision meiner Hausapotheke
habe ich erfahren müssen, dass Deutschland immer
noch nicht einig ist, denn für Preussen ist Leipzig
und ebenso alles nichtpreussische Gebiet — Aus¬
land! Nach dem früheren Regierungsedict von
1835 dürfen nach verschärften Verordnungen nur
von Berlin homöopathische Arzneien bezogen wer¬
den — nie und nirgends vom Ausland!“ —
Unglaublich, aber wahr, und wie wir hören,
sollen auch im Grossherzogthum Hessen nicht min¬
der erfreuliche Zustände herrschen. Wir bitten die
Herren Collegen, uns alle ähnlichen Erfahrungen
zur Veröffentlichung mitzutheilen.
Die Redaction
Personalia.
Herr Dr. Neusehaefer ist von Bebra nach Frank¬
furt a./M. verzogen.
Die Herren Dr. Berlin, Dr. Sanders und Dr.
Thom haben das Dispensirexamen bestanden.
Herr Hofrath Dr. Hermann Welsch in Kissingen
ist gestorben.
Druckfehler-Berichtigung.
In vor. Nummer muss es Seite 185, Zeile 8
solidar pathologische Anschauung (statt solide) und
Zeile 24 Licht- statt Tastempfindung heissen.
Die Red.
ANZEIGEN.
Praxis.
Kneipp’sche Heilanstalt, auch für das gcsammte
Naturheilverfahren fein eingerichtet (ohne Kranken¬
pension), hoch herrschaftliches neues Haus in der
schönsten Strasse gelegen, mit Möbel und alles,
was zum Hausbalt, sowie zum Betriebe gehört, ist
wegen Krankheit sofort zu übertragen. Kaufpreis
60,000 M. Ablage 5 bis 10,000 M. Mietbpreis
500 M. monatlich, jedoch auch unter diesen Taxen
an den Meistbietenden. GrlänzendeEinnahmen.
Stadt 100,000 Einwohner. Keine Concurrenz.
Ganz vorzügl für einen Homöopathen.
Offerten unter X. 2236 an Rudolf M 0886 , Köln.
Gesucht
wird von einem Collegen in Berlin ein
Stellvertreter
auf 0 Wochen.
Honorar 7^ Mk. pro Tag bei freier
Station.
Meldungen unter A. B. befördert die
Exped. d. Ztg.
Digitized by
Google
3 Med. Dr. Theodor Kafka in Karlsbad
g wohnt wie im vergangenen Jahre im Hause „Allliaberg“, No. 385 am Markt, knapp vor
gi dem Hotel Hannover.
Saison
1. Mai bis
1. October.
Bad Nauheim
Linie
Cassel*
Frankfurt
a. M.
Kohlensäure Sooltbermen mit hohem Stahlgehalt 31—35° C. zu mussirenden Sprudel-,
Strom- und Thermalbädern; gasfreie Soolbäder, Douchen, electr. Bäder. Salinische, alkal. Trink¬
quellen, Inhalationssalon, ausgedehnte Gradirwerke. Mustergiltige, durch ErüfftlUllg eines neuen
5ten Badehauses vermehrte Badeeinrichtungen. Frequenz P500. Indikat ausser den bekannten,
für einfache Soolbäder, feststehenden, mit Rücksicht auf Temperatur und Kohlensäure ganz be¬
sonders Rheumatismus, Herz- und Rückenmarkleiden.
Grossherzogi. Hess. Badedirection Bad Nauheim.
Deutsche Hochschule
für Naturärzte etc.
Aufnahme von Studenten (Damen und Herren),
die als Doctor der Hydrotherapie etc. graduiren
wollen, findet jederzeit statt.
Wegen Auskunft adressire:
German College,
512 Noble Str. Chicago, Illinois, Nord-Amerika.
Zellenstoff - Unterjacken
aus Seide, Wolle I (ohne Knoten)
oder Baumwolle ; tragen sich
warm und angenehm.
Unsere Netz-Jacken
werden von den titl. Prof. DDr. Oppen¬
heimer, Hecker, Niemeyer, Bamberger,
Eichatedt, Jäger eto. als das der Ge¬
sundheit zuträglichste u. zweckmässigste
empfohlen. Prosp. mit Zeugnissen ärzt¬
licher Autoritäten.
Carl Mez & Söhne, Freiburg (Baden).
Das altbewährte
Stahlbad Rastenberg
I. Thür. meist von Homöopathen besucht, empfiehlt
sich ausser als Kurort auch als vorzügliche
Sommerfrische. —
Nähere Auskunft durch die Bade-Verwaltung.
Allen Aerzten
und Kur-Verwaltungen
wird meine Gratis-Brochiire über patentirte Kranken«
Wohnungen, verstellbar nach Sonne und Schatten, be¬
sonderes Interesse gewähren.
Zu fordern vom Erfinder Oskar Roeholl in Cassel.
Dr. Luginbtthl, homöopath. Arzt, empfiehlt seine kleine
Anstalt Bad MÜhlenen, erdige Mineralquelle mit
Eisengehalt; prachtvolle, geschützte Lage im Berner Ober¬
land. Krankheiten: Rheumatismus, Nerven zustande, Kin¬
derkrankheiten. Aufmerks. Behandlung, billigste Preise*
Tä] _ Krankenbett bei München. Hbbenluftknrort
j 0 dhalt Quellen. Indicat Frauenkrank¬
heiten, Scrophulose, chron. Hautlelden, Lues. — Auskunft
d. Dr. LetzeI (im Winter in München, im Sommer in Tölz).
Diese Nummer enthält 27* Bogen statt 2 Bogen.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttgart, Dr. StifTt-Leipzig und Dr. Haedicke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Gressner k Sohramm in Leipzig.
Digitized by v^ooQie
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG
UND
Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
EINHUNDERT-FÜNFUNDZWANZIGSTER BAND.
(128. Band.)
LEIPZIG.
VERLAG VON WILLIAM STEINMETZ (A. MARGGRAFS HOMÖOPATH. OFFICIN)
1892.
Digitized by v^ooQie
Digitized by v^ooQie
I. Inhalts-Verzeichniss
No. 1 und 2.
Seit©
Bekanntmachung, die 60. Generalversammlung
des Homöopathischen Centralvereins Deutsch¬
lands betr.1
Einladung und Tagesordnung zur 1. General¬
versammlung der Epidemiologischen Gesell¬
schaft .3
Zum 1. Juli 1892 .3
Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkali¬
salzen. Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart . . 4
Ueber Enuresis nocturna. Dr. H. Goullon 9
Epidemiologische Ecke.11
Jubiläum der Leipziger Poliklinik des homöo¬
pathischen Centralvereins.12
Lesefrtiehte.13
Referat.15
Anzeigen.15
No. 3 und 4.
Die Potenzirung. Vergleichende Neuralanalyse
von 17 Alkalisalzen. Physiologisch geprüft
von Prof. Dr. G. Jaeger-Stuttgart (Forts.) . 17
Akute Miliartuberkulose der Harnblase im An¬
schluss an eine chronische Lungentuberkulose.
Vortrag, geh. von Dr. med. Stifft-Leipzig . 21
Die Homöopathie und der Suggestionismus. Eine
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München
von Dr. Gerster-München.24
Das Bruchband der Zukunft mit ringförmiger
Lufbpelotte. Dr. Neuschäfer Frankfurt a. M. 27
Zur Behandlung mit Tuberculin. Dr. Simon-Biel 28
Epidemiologische Ecke.28
Litteratur.29
Lesefrüchte.30
Rechnungsablegung.31
Personalia.31
Anzeigen.82
No. 5 und 6.
Seit«
Die Potenzirung. Vergleichende Neuralanalyse
von 17 Alkalisalzen; weitere physiologische
Thatsachen. Physiologisch geprüft von Prof.
Dr. G. Jaeger-Stuttgart. (Forts.) .... 33
Prof.Kent über homöop. Behandlung derLageu-
veränderungen des Uterus ohne mechanische
Beihülfe. Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg 43
Ein Fall zur Auto-Ison-Therapie. Dr. Buob-
Freudenstadt.45
Epidemiologische Ecke.46
Entgegnung.47
Berichtigung.47
Personalia.48
Anzeigen.48
No. 7 und 8.
Zur Potenzirung: Weitere physiologische That¬
sachen etc. Physiologisch geprüft von Prof.
Dr. Jaeger-Stuttgart. (Schluss) .... 49
Aus der Praxis. Dr. Kunkel-Kiel . . . . 57
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart.60
Lesefrüchte.61
Nekrolog.63
Anzeigen.64
No. 9 und 10.
Die 60. Generalversammlung des Homöopa¬
thischen Centralvereins Deutschlands zu Statt*
gart am 9. u. 10. August 1892. Dr. med.
Stift-Leipzig.65
Digitized by Google
Seite
No. 15 und 16.
IV
Ueber die Art und Weise der Einwirkung des
genius epidemicus. Vortrag, gehalten auf
der 1. Generalversammlung der Epidemiolog.
Gesellschaft zu Stuttgart von Dr. Leeser-
Bonn. 68
Bericht über die 1. Generalversammlung der
Epidemiologischen Gesellschaft zu Stuttgart
am 8. August 1892. Dr. Göhrum-Stuttgart 73
Zur 50jährigen Jubelfeier der homöopathischen
Poliklinik. Ein historischer Rückblick von
Dr. Lorbacher-Leipzig.75
Mittheilungen über die Diphtherie in Kiel . 77
Ein homöopathisches Zaubermittel .... 78
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart. 79
Lesefrüchte. ... 79
Anzeigen ..80
No. 11 und 12.
Wann dürfen wir ein Mittel * epidemisch“
nennen? Nebst Schlussfolgerung und einem
Vorschlag. Referat,gehalten vonDr. Göhrum-
Stuttgart .81
Aus der Praxis. Dr. Albert Amberg ... 84
Referate: Ein Urtheil H ahnemann's über die
Cholera etc.; Cholera-Anfall oder Arsenik-
Vergiftung; Ein Beitrag zur Geschichte der
Arzneimittellehre.88
Lesefrüchte.. 94
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart.95
Anzeigen.96
No. 13 und 14.
Aus der Praxis. Dr. Albert Amberg. (Forts.
u. Schluss).97
Unsere Vehikel. Thomas Apostata .... 103
Eine prophylaktische Methode. Vortrag, ge¬
halten von Dr. Göhrum-Stuttgart . . . 104
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart.110
Die Unterstützungskasse für Wittwen homöo¬
pathischer Aerzte.111
Rechnungsablegung.112
Anzeigen.112
Extra-Nummer.
Die Cholera: Maassnahmen gegen dieselbe und
ihre geschichtlich begründete, homöopa¬
thische Behandlung. Dr. med. Stifft-
Leipzig.
Seite
Bemerkungen zur Cholerabehandlung nebst
einer Statistik der Transporte durch die
Sanitätscolonne, einer Uebersicht der bis
zum 1. Oktober im Hamburgischen Staate
stattgehabten Erkrankungen und Sterbefälle
von Cholera und einem Anhang „ Wissen¬
schaftliche Experimente in den Hamburger
Krankenhäusern*. Dr. Hesse-Hamburg . 113
Beitrag zur Behandlung der Cholera durch
Campher. Sanitätsrath Dr. Johannes Schwei-
kert-Breslau.117
Heimathliche Arzneikunde. Dr. Schier-Mainz 118
Ein Rückblick auf die Controverse „Similibus
an suggestis?“ Nebst kritischen Bemerkungen
von Dr. med. Julius Fuchs-München . . 121
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart. 125
Referate. ..125
Lesefrüchte. . 126
Personalia.127
Anzeigen.128
No. 17 und IN.
Danksagung.129
Die Potenzirungsfrage. Prof. Dr. G. Jaeger 129
„Heimathliche Arzneikunde.* E. Schlegel,
Arzt in Tübingen.131
Die Herbstversammlung des Sachs.-Anhalt.
Vereins homöopath. Aerzte. Referent Dr.
Haedicke-Leipzig . . 133
Ein Rückblick auf die Controverse „Similibus
an suggestis ?* Nebst kritischen Bemerkungen
von Dr. med. Julius Fuchs-München. II. 136
Ein Fall von Ekzem (Ekzema impetiginosum),
aus der Praxis. Dr. med. H. Billig-Leipzig 141
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart.143
Anzeigen.143
No. 19 und 20.
Hofrath Dr. Ed. Groos f 12. Dez. 1891.
Nekrolog nach einem Vortrage, gehalten auf
der Herbstversammlung des Sächs.-Anhaltin.
Vereins homöopathischer Aerzte zu Magde¬
burg. Dr. Fr. Groos-Magdeburg . . . 145
Ery sipelas habituale. Dr. Mossa-Stuttgart . 150
Eine Heilung von Angina Ludovici durch
Arsenik. Dr. med. Leeser-Bonn .... 155
Eine Richtigstellung. Prof. Dr. G. Jaeger . 157
Digitized by kjOOQle
Seit«
Nachtrag za dem Artikel „Heimathliche
Arzneikunde 11 in No. 17/18, Bd. 125 dieser
Zeitung. E. Schlegel, Arzt in Tübingen . 157
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart.157
Verwahrung. Dr. med. F. Katsch .... 158
Erklärung. . j. * 159
Referat: Prof. Jaeger’s Arbeiten in Amerika.
Dr. Göhrum.159
Personalia.159
Anzeigen.160
No« 21 und 22»
Soll sich unsere Therapie auf die Pathologie
oder auf die Symptomatologie stützen?
Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg . . . 161
Zur Potenzirungslehre. Prof. Dr. G. Jaeger 163
An Herrn Thomas Apostata. Dr. med. H. Göhrum 164
Ein weiterer Fall zur Auto-Ison-Therapie. Dr.
Buob-Freudenstadt.166
Schnelle Heilung einer Nierenentzündung durch
Arsenik. Dr. Paul Lutze-Köthen . . . 166
Zum Anträge Lorbacher. Dr. med. Leeser-Bonn
Schlusswort zur Controverse „Similibus an
suggestis?* Dr. med. Carl Gerster-München
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart.
Erklärung.
Eine in Vergessenheit gekommene schöne An¬
schaffung. William Steinmetz . . . .
Ueber das Wesen des vermeintlichen „Hirn¬
drucks* und die Principien der Behandlung
der sogenannten „Hirndrucksymptome*.
Referat von Dr. Göhrum.
Lesefrüchte.
Druckfehler-Berichtigung.
Anzeigen.
167
169
171
171
171
172
174
175
176
V
No. 23 und 24.
Salto
Einladung zum Abonnement.177
Einladung zur 2. Weih nachts Versammlung der
Epidemiologischen Gesellschaft zu Frankfurt
a. M. den 27. December 1892 .... 177
Bekanntmachung.178
Wodurch und worauf wirkt der Schwefel?
~ Nach* Prof. Hugo Schulz-Greifswald. Dr.
Mossa.178
Die Methode des Prof. Brown Sdquard. Referat
von Dr. Th. Kafka-Karlsbad.181
Amerikanische homöopathische Zustände. A.
Lorbacher . 184
Zur Vehikel-Frage in der Homöopathie. Dr.
med. Rob. Strudel-Jobnstown.185.
Eine interessante Krankengeschichte. Assistenz¬
arzt Waszily.188
Die zeitweilig herrsphenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart ......... 189
Lesefrüchte ........... 189
Berichtigung . . . 190
Personalien . .191
Anzeigen.191
No. 25 und 26.
Arzneiprüfungsresultate. Dr. med. H. Göhrum 193
Die Berechtigung der Habnemann'schen For¬
derung das Auswirkenlassen der Mittel in
chronischen Krankheiten. Dr. med. Lorbacher 197
Prompte Heilung einer Lähmung. Assistenzarzt
Waszily.197
Ueber die physiologische Behandlung einiger
Hautkrankheiten. Dr. Göhrum .... 198
Referate.201
Lesefrüchte.205
Similibus an suggestis ? Mein Schlusswort. Dr.
med. Julius Fuchs.205
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr.
Göhrum-Stuttgart.206
Nekrolog.207
Personalia.207
Druckfehlerberichtigung.207
Anzeigen.207
Digitized by v^ooQie
VI
Amberg S. 84. 97.
Apostata 103.
Biel 28.
Billig-Leipzig 141.
Buob-Freuden8tadt45.166.
Fuchs-München 121. 136.
Qerster-München 24. 169.
Göhrum-Stuttgart 11. 28.
46. 60. 73. 79. 81. 95.
II. Mitarbeiter.
104.110.125. 143. 157.
159. 164.171.172. 189.
Goullon-Weimar 9.
Groos-Magdeburg 145.
Haedicke-Leipzig 133.
Hes8e-Hambrg.43.113.161.
Kafka-Karlsbad 181.
Katsch-Baden-Baden 158.
Kunkel-Kiel 57.
Ijeeser-Bonn 68. 155.167.
Lorbacber-Leipzig 75. 184.
Lutze-Köthen 166.
Jager-Stuttgart 4. 17. 38. M°“»-8tuttgart 150. 178.
49. 129. 157. 163. ^euschäfer*Frankf.a.M.27.
Bchier-Mainz 118.
Schlegel - Tübingen 131.
157.
Schweikert-Breslau 117.
Steudel-Johnstown 185.
Steinmetz-Leipzig 171.
8tifft-Leipzig. Extra - No.
21. 65.
Waszily 188.
Digitized by
Google
Digitized by
Digitized by
II. Register
zum 125. Band.
Abortus, habitueller (Lesefrüchte) 174.
Alkalisalze, die unteren Potenzen der, von Prof.
Dr. G. Jäger-Stuttgart 4.
Allgemeine Impfkrankheiten in Folge von Impfung
mit Pockenlymphe (Lesefrüchte) 14.
Angina Ludovici, eine Heilung durch Arsenik von,
Dr. Leeser-Bonn 155.
Anschaffung, eine in Vergessenheit gekommene
schöne, von W. Steinmetz-Leipzig 171.
Antipyrinvergiftung (Lesefrüchte) 189.
Apostata Thomas, an Herrn, von Dr. Göhrum-
Stuttgart 164.
Arsenik, schnelle Heilung einer Nierenentzündung
durch, von Dr. Lutze-Köthen 166.
Arsenik-Vergiftung, ein Fall acuter (Lesefrüchte) 14.
Arsenik-Vergiftung oder Cholera - Anfall von Dr.
Keppler-Venedig 93.
Arzneikunde, Heimathliche, von Dr. Schier-Mainz 118.
Arzneikunde, Heimathliche, von Dr. Schlegel-Tübingen
131. 157.
Arzneiprüfungsprotokolle von Dr. Göhrum - Stutt¬
gart 193.
Auto-Ison-Therapie, ein Fall zur, von Dr. Buob-
Freudenstadt 45.
Auto-Ison-Therapie, ein weiterer Fall zur, von Dr.
Buob-Freudenstadt 166.
Bandwurm, gegen, Strontium (Lesefrüchte) 62.
Bandwurm und Intercostalneuralgie (Lesefr.) 190.
Behandlung, über die physiologische, einiger Haut¬
krankheiten von Mariano Semmola 198.
Bekanntmachung, die 60. Generalversammlung des
homöopathischen Centralvereins betr. 1.
Bekanntmachung über das Porges’sche Stipendium 17 8.
Berechtigung, die, der Hahnemann'schen Forderung
des Auswirkenlassens der Mittel in chronischen
Krankheiten von Dr. Lorbacher-Leipzig 197.
Bericht über die 1. Generalversammlung der Epide¬
miologischen Gesellschaft zu Stuttgart am 8. Aug.
1892. 73.
Berichtigung von Dr. Schweikert-Breslau 190.
Berichtigung von W. Steinmetz-Leipzig 47.
Bromäthylnarkose, über die Anwendung der in der
chirurgischen Praxis 15.
Bruchband, das, der Zukunft mit ringförmiger Luft-
pelotte von Dr. Neuschäfer-Frankfurt a. M. 27.
Campher, Beitrag zur Behandlung der Cholera von
Dr. Schweikert-Breslau 117.
Cholera-Anfall oder Arsenik-Vergiftung von Dr.
Keppler-Venedig 93.
Cholera, Beitrag zur Behandlung der, durch Campher
von Dr. Schweikert-Breslau 117.
Cholera, die, Massnahmen gegen dieselbe und ihre
geschichtlich begründete, homöopath. Behandlung
von Dr. Stifft-Leipzig, Extra-Nummer.
Cholera, ein Urtheil Habnemann’s über dieselbe und
ihre Behandlung durch Campher, aus dem Jahre
1831. 88.
Cholera und Homöopathie von Dr. Schlegel-Tübingen
126.
Cholerabehandlung, Bemerkungen zur, von Dr. Hesse-
Hamburg 113.
Danksagung 129.
Demonstration, der Entwickelung der Malariaparasiten
durch Photographieen. Erste Reihe: Entwickelung
der Amoeba febris malariae quartanae (Lesefr.) 30.
Digitized by v^ooQie
II
Diphtherie, Mitteilungen über die, in Kiel von
Assistenzarzt Waszily 77.
Einladung und Tagesordnung zur 1. General¬
versammlung der Epidemiologischen Gesellschaft 3.
Einladung zum Abonnement von der Verlagsbuch¬
handlung 177.
Einladung zur 2. Weihnachtsversammlung der Epide¬
miologischen Gesellschaft zu Frankfurt a. M. 177.
Ekzem (Ekzema impctiginosum), ein Fall von, aus
der Praxis von Dr. Billig-Leipzig 141
Entgegnung an den Apotheker Sauter-Genf von
W. Steinmetz-Leipzig 47.
Epidemiologische Ecke von Dr. Göhrum-Stuttgart
11. 28. 46.
Epidemiologische Gesellschaft zu Frankfurt a. M.
Einladung zur 2. Weihnachtsversammlung 177.
Erklärung in Sachen Dr. Katzsch, Dr. Göhrum und
Dr. Schwarz 159.
Erklärung von Dr. Göhrum-Stuttgart über Jäger’sche
Riechversuche 171.
Enuresis nocturna, über, von Dr. H. Goullon-
Weimar 9.
Erysipelas habituale, von Dr. Mossa-Stuttgart 150.
Experimente, wissenschaftliche, in den Hamburger
Krankenhäusern 116.
Folge von Chinin-Gebrauch (Lesefrüchte) 14.
Gebärrautterkrebs, ein frühzeitiges Erkennungs¬
mittel des (Lesefrüchte) 95.
Generalversammlung, Bekanntmachung der 60., des
homöopathischen Centralvereins 1.
Generalversammlung, Bericht über die I., der Epide¬
miologischen Gesellschaft zu Stuttgart am 8. Aug.
1892. 73.
Generalversammlung I., Einladung und Tagesordnung
der Epidemiologischen Gesellschaft 3.
Generalversammlung 60-, des homöopath. Central¬
vereins zu Stuttgart am 9. und 10. Aug. 1892
von Dr. Stifft-Leipzig 65.
Glycosurie, über die toxische, insbesondere durch
Uraniumnitrat erzeugte (Lesefrüchte) 94.
Gynäkologie, was ich in der, zu verlernen gelernt
habe (Lesefrüchte) 13.
llahnemann'sche Forderung, die Berechtigung der,
des Auswirkenlassens der Mittel in chronischen
Krankheiten von Dr. Lorbacher-Leipzig 197.
Harnblase, Acute Miliartuberculose der, im Anschluss
an eine chionische Lungentuberculose. Vortrag
gehalten von Dr. Stifft-Leipzig 21.
Hauteruptionen, urämische, (Lesefrüchte) 127.
Hautkrankheiten, über die physiologische Behand¬
lung einiger, von Mariano Semmola 198.
Hautreflexe, die klinische Prüfung der, (Lese¬
früchte) 175.
Heidelbeeren (Vaccinium Myrtillus) die therapeutische
Verwendung (Lesefrüchte) 61.
Heilmittel, die zeitweilig herrschenden von Dr.
Göhrum-Stuttgart 60. 79. 95. 110. 125. 143.
157. 171. 189. 206.
Heilung, prompte, einer Lähmung 198.
Hemichorea, ein Fall von saturniner, (Lesefrüchte) 205.
Herbstversamralung, die, des Sächs.-Anhalt. Vereins
homöopathischer Aerzte. Referent Dr. Haedicke-
Leipzig 133.
„Hirndrucksymptome*, über das Wesen des ver¬
meintlichen .Hirndrucks“ und die Principien der
Behandlung der sogenannten, von Prof. Dr. Adam-
kiewicz 172.
Homöopathie die, und der SuggestioniBmus. Eine
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München von
Dr. Gerster-München 24.
Homöopathie und Cholera von Schlegel-Tübingen 126.
Impfkrankheit, allgemeine, in Folge von Impfung
mit Pockenlymphe (Lesefrüohte) 14.
Inflammation subite de Celluloid, (Lesefrüchte) 62.
Jägers, Prof. Dr. G., Arbeiten in Amerika 159.
Jodismus, ein Fall von schwerem acutem, (Lese¬
früchte) 205.
Jodoform Vergiftung, ein schwerer Fall von, (Lese¬
früchte) 205.
Jodtinctur ein sicheres Antidot gegen das Schlangen¬
gift (Referat) 202.
Jubiläum der Leipziger Poliklinik des homöopath.
Central Vereins von Dr. Stifft-Leipzig 12.
14lauen- und Maulseuche derHausthiere (Referat) 203.
Koliken und Lähmungen bei Bleikranken, recidivirende,
ohne erneute Intoxication (Lesefrüchte) 126.
Krankenhaus, Homöopathisches, Rechnungsablegung
31. 112. 207.
Krankengeschichte, eine interessante, von Assistenz¬
arzt Waszily 188.
Kropf, Heilung durch Strophantus (Lesefrüchte) 62.
Lähmung, prompte Heilung einer, von Assistenzarzt
Waszily 198.
Lähmungen und Koliken, recidivirende, ohne erneute
Intoxication (Lesefrüchte) 126.
Lesefrüchte 13. 14. 30. 31. 61. 62. 79. 94. 95.
126. 127. 174. 175. 189. 190. 205.
Literatur, über das Gross-Hering'sche Werk, vou
Dr. Stifft-Leipzig 29.
Lungentuberculose, eine chronische, im Anschluss
an eine acute Miliartuberculose der Harnblase.
Vortrag, gehalten von Dr. Stifft-Leipzig 21.
Lupus, Unna wendet bei, statt Tuberculin einzuspritzen,
die Autotuberculinisation durch Massage der er¬
krankten Stellen an, (Lesefrücbte) 61.
Digitized by v^ooQie
ffl
Mamma, Rhagaden der, (Lesefrüchte) 127.
Maul- and KlaneDseache der Haasthiere (Referat) 203.
Methode, die, des Prof. Brown-Sequard, Refer. Dr.
Kafka-Karlsbad 181.
Methode, eine prophylaktische, Vortrag, gehalten von
Dr. Göhrum-Stuttgart 104.
Miliartubercalose, acute, der Harnblase im Anschluss
an eine chronische Lungentuberculose. Vortrag,
gehalten von Dr. Stifft-Leipzig 17.
Mittheilungen über die Diphtherie in Kiel von
Assistenzarzt Waszily 77.
Mundseuche, die, des Menschen (Stomatitis epidemica)
Referat 203.
Nekrolog von Drysdalein Waterloo, von Dr. Kafka207«
Nekrolog von Hofrath Dr. Ed. Groos 145.
Nekrolog von Dr. Justus Weihe-Herford 63.
Neuralanalyse, vergleichende, von 17 Alkalisalzen
von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart 4. 17. 33. 49.
Neurasthenie, über artificielle (Lesefrüchte) 79.
Nierenentzündung, schnelle Heilung durch Arsenik,
von Dr. Lutze-Köthen 166.
©steomalakie, über Wesen und Behandlung der
puerperalen, (Lesefrüchte) 13.
Personalia 31. 48. 127. 159. 191. 207.
Perubalsam, ein Fall von Intoxication durch, (Lese¬
früchte) 175.
Poliklinik des homöopath. Centralvereins, Jubiläum
derselben von Dr. Stifft-Leipzig 12.
Poliklinik, zur 50jährigen Jubelfeier der homöopath.
Ein historischer Rückblick, von Dr. Lorbacher-
Leipzig 75.
Porges’sches Stipendium 178.
Potenzirung, die, Vergleichende Neuralanalyse von
17 Alkalisalzen. Physiologisch geprüft von Prof.*
Dr. G. Jäger-Stuttgart 4. 17. 38. 49.
Potenzirung8frage, die, von Prof. Dr. G. Jäger-
Stuttgart 129.
Potenzirungslehre, zur, von Prof. Dr. G. Jäger-
Stuttgart 163.
Praxis, aus der, von Dr. Amberg-Arnsberg 84. 97.
Praxis, aus der, von Dr. Kunkel-Kiel 57.
Quecksilbervergiftung, eine letal verlaufene acute,
entstanden durch Einreibung von grauer Salbe
(Lesefrüchte) 62.
Bechnungsablegung, für das homöopath. Kranken¬
haus zu Leipzig 31. 112. 207.
Referat über die Anwendung der Bromäthylnarkose
in der chirurgischen Praxis 15.
Referate. Ein Urtheil Hahnemann's über die Cholera
und ihre Behandlung durch Campher aus dem
Jahre 1831. 88.
Referate. Das natürliche Zweckmässigkeitsprincip in
der Pathologie und Therapie (Grundlage und Ziel
der Therapie vom teleologischen Standpunkt) 125.
Referate. Ferrum phosphoricum 201.
Referate. Kali phosphoricum 201.
Reflexerscheinung, über eine, des Trigeminus und
ihre therapeutische Verwendung (Lesefürchte) 31.
Rhagaden der Mamma (Lesefrüchte) 127.
Richtigstellung, eine, von Prof. Dr. G. Jäger-Stutt¬
gart 157.
Rückblick, ein, auf die Controverse „Similibus an
suggestis?“ von Dr. Fuchs-München 121. 136.
Sächs.-Anbalt. Verein homöopath. Aerzte 133.
Schlangengift, Jodtinctur ein sicheres Antidot gegen
das, Referat 202.
Schwefel? wodurch und worauf wirkt der, Nach
Prof. H. Schulz-Greifswald von Dr. Mossa 178.
Schlusswort zur Contro verse „Similibus an suggestis?*
von Dr. Gerster-München 169.
„Similibus an suggestis?* ein Rückblick auf die
Contro verse von Dr. Fuchs-München 121. 136.
„Similibus an suggestis?“ Schlusswort zur Contro-
verse, von Dr. Gerster-München 169.
„Similibus an suggestis?“ Mein Schlusswort von
Dr. Fuchs-München 205.
Soll sich unsere Therapie auf die Pathologie oder
auf die Symptomatologie stützen, übersetzt von
Dr. Hesse-Hamburg 161.
Stotterns, Heilung des, (Lesefrüchte) 190.
Suggestionismus, der, und die Homöopathie. Eine
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München von
Dr. Gerster-München 24.
Sur quelques faits relatifs au balancement entre la
circulation superficielle et la circulation viscerale
(Lesefrüchte) 30.
Symptome, über tertiär syphilitische subcutane,
(Lesefrüchte) 62.
Taubheit, ein Fall von permanenter, wahrscheinlich
in Folge von Chinin (Lesefrüchte) 14.
Tubercelbacillen, über das Vorkommen der, ausser¬
halb des Körpers in Gefängnissen (Lesefrüchte) 62.
Tuberculin, zur Behandlung mit, von Dr. Simon-
Biel 28.
Ueber die Art und Weise der Einwirkung des
genius epidemicus von Dr. Leeser-Bonn 68.
Ueber Enuresis nocturna von Dr. H. Goullon-
Weimar 9.
Ueber Wesen und Behandlung der puerperalen
Osteomalakie (Lesefrüchte) 13.
Unterstützungskasse, die, für Witt wen homöopath.
Aerzte 111.
Urin, über die Ausscheidung der Kalksalze im, mit
besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen
zur Ruhe und Bewegung (Lesefrüchte) 16.
Digitized by LjOOQle
Uterns, Homöopathische Behandlung der Lagen-
Veränderungen des, ohne mechanische Beihülfe,
von Prof. Kent, übersetzt von Dr. Hesse-
Hamburg 43.
Vehikel-Frage zur, in der Homöopathie, von Dr.
Steudel-Johnstown (U. 8. A.) 185.
Vehikel, unsere, von Thomas Apostata 103.
Vergiftung durch Arsenik (Leseflüchte) 14.
Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkalisalzen
von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart 4.
Verwahrung von Dr. Katzsch 158.
Wann dürfen wir ein Mittel «epidemisch* nennen?
Nebst Schlussfolgerung und einem Vorschlag.
Referat gehalten von Dr. Göhram-Stuttgart 81.
Wehenschwäche (Lesefrüchte) 175.
Zaubermittel, ein homöopatb., v.Dr.Brackner-Basel 79.
Zeitung, die pharmaceutische 126.
Zum Anträge Lorbacher von Dr. Leeser-Bonn 167.
Zum 1. JuU 1892 Ton Dr. Göhram-Stuttgart 3.
Zustände, amerikanische homöopathische, von Dr.
Lorbacher-Leipzig 184.
Zwerchfellsbewegungen, über die normaliter bei jeder
Respiration am Thorax sichtbaren (Lesefrüchte) 95.
Digitized by Google
Band 125
Leipzig, den 7. Jnü 1892.
No. 1 u. 2
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STüTTGART, Dp. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homflopath. Offlein) in Leipzig.
Bnoheint Ut&gfg «n 3 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Allo Buchhandlungen und
Posianstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate , welohe an B. Moaae ln Leipzig und dessen Filialen su richten sind,
werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit WM. berechnet.
Inhalt: Bekanntmachung, die 60. Generalversammlung des Homöopathischen Central Vereins Deutsch¬
lands betr. — Einladung and Tagesordnung zur 1. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft —
Zun I. Juli 1892. — Vergleichende Nenralanalyee von 17 Alkalisalzen, von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart. — Ueber
Enuresis nocturna' Von Dr. H. Goullon. — Epidemiologische Ecke. — Jnbilinm der Leipziger Poliklinik des homöo¬
pathischen Centralvereins. — Lesefriichte. — Referat — Anzeigen.
Bekanntmachung.
Die 60. Generalversammlung des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands wird wie gewöhnlich
am 9. und 10. August 1892 in Stuttgart
stattfinden, und zwar Dienstag den 9. August, präcis 9 Uhr Vonnittags: Geschäftliche Sitzung im
Beeth0vevi8&ale der Liederhalle; Mittwoch den 10. August, präcis ] l 2 $ Uhl* in demselben Lokale die
wissenschaftliche Sitzung.
Tagesordn ung
der Sitzung am 9. August 1892, präcis Morgens 9 Uhr:
1) Abstimmung über die zur Aufnahme Angemeldeten.
2) Geschäftsbericht:
a) des Central vereins-Vorstandes,
b) des Curatoriums des Krankenhauses,
c) des derzeitigen dirigirenden Arztes,
d) des Vorstandes der Berathungsanstalt.
3) Rechnungslegung des Kassenverwalters und Ertbeilung der Entlastung auf Grund der von dem
vereideten Revisor vorgenommenen Revision der Kasse und der Rechnungsablage.
4) Neuwahl des Vorstandes auf die Zeit vom 9. August 1893—1896.
(Voriges Jahr ist derselbe irrthümlich bereits pro 92—95 wiedergewählt worden, während
er durch die Wahl vom 9./8. 1889 bereits bis 1893 gewählt war.)
5) Neuwahl resp. Bestätigung des Kassenverwalters.
6) Neuwahl resp. Bestätigung des Institutsarztes.
1
Digitized by
Google
2
7) Bericht über die Vereinsbibliothek.
8) Bestimmung des nächstjährigen Versammlungsortes.
Anträge:
1. des Centralvorstandes um nachträgliche Genehmigung der dem Cand. med. Johannes Drude
in Göttingen gewährten Unterstützung.
Tagesordnung am 10. August 1893, präcis V*9 Uhr Morgens:
Wi886n8Chaftliche Sitzung unter dem Ehrenvorsitze des Herrn Obermedicinalrath Dr. V. Sick
in Stuttgart
* Angemeldete Vorträge:
1. Rückblick auf die Entwickelung der Homöopathie in Württemberg. Dr. V. Sick in Stuttgart
2. Das in der vorjährigen Sitzung bestimmte und von Dr. KrÖner zum Referat übernommene
Thema: Ueber Herzkrankheiten.
3. Homöopathie und Weltanschauung. Dr. Schlegel-Tübingen.
4. Eine prophylaktische Methode. Dr. GÖhrum-Stuttgart.
Fest - Programm.
Montag, den 8* August, Abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung auf der Terrasse im Stadt¬
garten.
Dienstag, den 9. August, Vorm, präcis 9 Uhr: Geschäftliche Sitzung im Beethovensaal der Lieder¬
halle. — ! / 2 12 Uhr: Gemeinsames Frühstück im Mozartsaal der Liederhalle, geboten vom Verein
der homöopathischen Aerzte Stuttgarts. — 2 Uhr: Abfahrt in Extrawagen der Pferdebahn nach
Berg zur Besichtigung der Kgl. Schlösser Wilhelms und Rosenstein, von da zu Fuss nach dem
Kursaal in Cannstatt. Rückkehr in einem Extrawagen der 8taatsbahn nach Stuttgart. — Abends
8 Uhr: Gesellige Vereinigung im Liederhallegarten mit Gesangsunterhaltung des Liederkranzes
oder Räuniou.
Mittwoch, den 10. August, Vorm, präcis */a 9 Uhr: Wissenschaftliche Sitzung im Beethovensaal
der Liederhalle. — 1 Uhr: Diner im Mozartsaal der Liederhalle. — *^4 Uhr: Abfahrt in Extra¬
wagen der Pferdebahn nach dem Zahnradbahnhof, von da per Extrazug der Zahnradbahn nach
Degerloch ins Schweizerhaus. Rückkehr ad libitum. — Abends 8 Uhr: Für die noch Anwesen¬
den gesellige Vereinigung auf der Terrasse im Stadtgarten.
Weitere sehr empfehlenswerthe Ausflüge, die von Stuttgart leicht auszuführen sind: Ludwigs¬
burg mit der Domäne Monrepos (idyllische Wasserparthien). Gmünd mit Tour auf den
Hohenstaufen und Rechberg. Tübingen mit Ausflügen nach dem Lichtenstein und
Hohenzollern.
Die Herren Collegen werden freundlichst gebeten, sich wegen Auskunft und Bestellung
von Wohnungen au Herrn Collegen Dr. E. Stemm er-Stuttgart, Paulinenstr. 32, zu wenden, der
auch den Versand der Theilnehmerkarten besorgt. Diese berechtigen gegen Abgabe des betr.
angehängten Coupons an der Kasse zum freien Eintritt in den Stadtgarten am Montag den 8. und
Mittwoch den 10. August, ferner gegen Vorzeigung derselben zum freien Eintritt in den Liederhalle¬
garten am Dienstag, den 9. August und in die Kgl Schlösser Wilhelma und Rosenstein, sowie zu un¬
entgeltlicher Benutzung der bereitstehenden Extra wagen. Jede Person, also auch die einzelnen
Familienmitglieder, mögen sich deshalb mit je einer Theilnehmerkarte versehen, die auch in
Stuttgart noch von Herrn Collegen Stemmer abgegeben werden.
Digitized by CjOOQie
3
Einladung
zu der
am 8. August, 2 Uhr Nachmittags zu Stuttgart im hinteren Restaurationszimmer
der „Liederhalle“ (Büchsenstr. 59) stattftndenden
1. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft
(§15 der Statuten).
Tagesordnung:
I. Geschäftliche Sitzung um 2 Uhr.
1) Bericht des Schriftführers über die bisherige Organisation der Gesellschaft, die Art und
Weise sowie die Kosten der Mittheilungen an die Mitglieder.
2) Festsetzung des Mitgliederbeitrags für das 1. Jahr vom 23. Dezbr. 1891 bis 31. Dezbr.
1692 (§ 4 der Statuten).
3) Antrag des Dr. Simrock-Frankfurt a« M.: Abänderung des § 2 der Statuten.
4) Vorschlag des Schriftführers behufs gleicbmässiger Anwendung von Zeichen bei der Bericht¬
erstattung.
II. Wissenschaftliche Sitzung um 3 Uhr.
1) Yortrag des Dr, Leeser - Bonn : Ueber die Art und Weise der Einwirkung des Genius
epidemicus.
2) Diskussion.
3) Sonstige noch angemeldete Vorträge.
t
4) Referat des Dr. Gbhrum-Stuttgart: Wann dürfen wir ein Mittel „epidemisch“ nennen?
NB. Zu der wissenschaftlichen Sitzung um 3 Uhr sind die HH. Collegen, die sich für unser
Streben interessiren, freundlichst eingeladen.
Znm 1. Juli 1892.
Wenn auch ein 60jähriges Jubiläum an sich
kein so bedeutendes ist wie z. B. ein 50jähriges,
so glauben wir doch, den heutigen Tag nicht ohne
einige Worte an unsere Mitarbeiter und Leser vor¬
übergehen lassen zu sollen. Und zwar aus zwei
Gründen.
Erstens ist das 60jährige, ununterbrochene Er¬
scheinen einer Zeitschrift, die noch dazu nur oiner
kleinen Minorität dient, ein seltenes Vorkommen.
Zweitens wollen wir bei diesem wichtigen und er¬
freulichen Anlasse aufs neue betonen, dass wir bei
den Principien stehen bleiben wollen, die die drei
Gründer dieser Zeitung vor 60 Jahren so muster¬
gültig aufgestellt haben — die Principien, die ein
so langes Bestehen unserer Zeitung ermöglicht
haben, die von allen nachfolgenden Redacteuren bei
jedem wichtigen Momente aufs Neue hervorgehoben
wurden, die gleichsam die bei jeder Aenderung in
der Leitung zu beschwörende Eidesformel gebildet
haben.
Es wird darum nur im Interesse Aller derer
liegen, die in irgend einer Weise mit unserer Zei¬
tung zu thun haben, auch zum heutigen festlichen
Tage die am 1. Juli 1832 verkündeten Principien
in gedrängter Kürze wiederzugeben.
Seit der 100. Band erschien, hat so mancher
den Plan verlassen, es ist so mancher an seine
Stelle getreten, der noch nie diese goldenen Worte
des „Prospektes“ im 1. Band zu Gesicht bekommen.
„ Das, was wir wollen, ist Wahrheit , volle Wahrheit,
— Wahrheit in den Naturwissenschaften, vor allem
1 *
Digitized by
Google
4
in der Medicin. Das einzige Förderangsmittel dieser
Wahrheit ist aber die Sorge dafür, dass die Medicin
eine positive Wissenschaft werde, dass sie alle phan¬
tastischen Träumereien von sich thue, dass sie nur
den Aussprüchen der Beobachtung und des Versuchs
vertraue.“
9 Alles , was die Homöopathie fördern , ihre Dunkel¬
heiten und Ungewissheiten auf klären y ihre Ausübung
leichter und sicherer machen kann , alles , was ihre
äusseren Verhältnisse günstiger zu stellen vermag ,
wird unsere Beachtung verdienen und erhalten. —
Es soll eine stete Uebersicht des jedesmaligen Stand¬
punktes der Homöopathie als Kunst und Wissen¬
schaft gegeben werden. —“
.Einen vorzüglichen Platz werden wir der Lite¬
ratur aufbewahren und Sorge tragen, dass die
Kritik streng und gerecht sei. —“
, Krankengeschichten , wenn sie kurz und nicht
langweilig geliefert werden, nur das Wesentliche
berühren, und für die Wirkung einer Arznei be¬
weisend sind, müssen offenbar als das sicherste
Förderungsmittel zur Erforschung der wahren Arznei¬
kräfte angesehen werden, indem sie gleichsam das
Probeexempel für die Resultate abgeben, welche die
Versuche an Gesunden geliefert haben. —“ I
% Die Resultate der neu geprüften Arzneien in
passenden Auszügen werden gleich allen anderen
Wissenswürdigen der in- und ausländischen Lite¬
ratur geliefert.“
Die Berücksichtigung der äusseren Stellung der
Homöopathie wird uns gar oft auf das Feld der
Polemik versetzt sehen. »Hier aber sei das Losungs¬
wort: Kampf gegen die Sache, nicht Kampf gegen
die Person.“
»Eine Zeitung kann nicht lange, noch weniger
langweilige Aufsätze aufnehmen, die Kürze und Ge¬
diegenheit ist eine Hauptbedingung.“ —
Nicht blos wir Redakteure wollen uns diese
Grundregeln für die Leitung dieser Zeitung stets
vor Augen halten bei dem Bestreben sowohl unseren
Mitarbeitern als auch dem Interesse unserer Leser
gerecht zu werden. Auch diese beiden, für das
Leben einer Zeitung so wichtigen Faktoren mögen
sich dieser stets erinnern, die einen, wenn sie die
Feder zur Hand nehmen, die anderen, wenn sie die
Erzeugnisse der Autoren zu Gesicht bekommen.
Alle beide mögen bedenken, dass unsere Zeitung
eine Allgemeine ist, dass sie als solche stets das
neueste auf dem Gebiet der Homöopathie — komme
es, von welcher Richtung es auch sei — bringen
muss, sofern es nur sich auf Beobachtung und Ver¬
such, auf positive Arbeit stützt. Der Mitarbeiter
möge sich also der Kürze und Gediegenheit be-
fleissigen, der Leser einer wohl strengen aber auch
gerechten Kritik. Von jeher war auch bei uns in
der Homöopathie die Neigung vorhanden, gewisse
Autoritäten zu respektiren: nicht immer zum Wohle
der Sache und deren gedeihlicher Fortentwicklung.
Wir wollen doch nicht in denselben Fehler verfallen,
den wir der Schulmedicin so schwer anrechnen,
Neues, unbegreiflich Scheinendes einfach, ohne jede
ernste Prüfung zu verwerfen!
Hoffen wir mit Zuversicht, dass es der treuen
Mitarbeit Aller derer, die ein warmes Herz für
unsere heilige Sache, für die Erforschung der Wahr¬
heit zum Wohle der Menschheit haben, sowie un¬
serem ernsten Bemühen die Leitung dieser Zeitung
nach den durch 60 Jahre bewährten Grundsätzen
weiter zu führen, gelingen möge, die Allgemeine
Homöopathische Zeitung stets mit in der ersten Reihe
der Vorkämpfer der Homöopathie und ihr Wirken
von gutem Erfolge begleitet zu sehen!*) Göhrum.
Vergleichende Neuralanalyse von
17 Alkalisalzen.
Von Prtf. Dr. ©. Jaeger-Stuttgart.
(Fortsetzung.)
c) Die unteren Potenzen der Alkalisalze.
Die Gründe, aus denen ich die unter dem In¬
differenzpunkt liegenden Potenzen zuerst und geson¬
dert von den oberen gemessen habe, sind folgende:
1) wollte ich mich möglichst rasch orientiren,
ob eine so mühsame und zeitraubende Arbeit, wie
die Durchmessung von mehr als 100 Stoffen, sich
überhaupt lohne, hierfür genügte die Messung der
untern Potenzen.
2) Die für die Schulmedicin arbeitende Toxiko¬
logie und Arzneigabenlehre haben Erfahrungen über
die unteren Potenzen, weil sie die Giftigkeit
dieser Stoffe, die hier liegt, geprüft haben. An ihnen
hatte nun die Neuralanalyse der unteren Potenzen
eine Controlle; auch sie giebt Aufschluss über die
Giftigkeitsverhältnisse, wenn auch nicht über alle,
so doch über eine Seite derselben, die lähmende,
und wenn nun das Ergebniss der Neuralanalyse
mit den Erfahrungen der Toxikologen übereinstimmt,
so ist das an und für sich schon werthvoll. Dann
aber wirft das ein helles Licht auf die Messungs-
ergebnisse an den oberen Potenzen, und zwar so:
*) Da von der „Allgemeinen“ alljährlich 2 Bände
4 26 Nummern oder IS Doppelnummern erscheinen, so
dürfte am 1./7. 1892, dem Beginne des 61. Lebensjahres
dieses Blattes, erst der 121. Band erscheinen. Es be¬
ginnt an diesem Tage jedoch bereits der 125. Band.
Dies hat seinen Grund darin, dass in den ersten
Jahren die Bände nur 23 oder 24 Nummern hatten,
wodurch es kam, dass einzelne Bände bereits 4—5
Wochen zeitiger erschienen, als bei Einhaltung des
Kalenderjahres möglich gewesen wäre. Dadurch er¬
schienen bis zum Jahre 1877 4 Bände mehr, als hätten
erscheinen sollen, und deshalb sind wir heute bereits
beim 125. statt 121. Band.
Digitized by
Google
5
Die Neuralanalyse misst genau wie ein Thermo¬
meter zwei zu einem Nullpunkt entgegengesetzte
Werthe: Lähmung und Belebung sind genau so
entgegengesetzt, wie Kälte und Wärme. Nun
wenn ein Optiker einen Thermometer macht, so
bestimmt er den Nullpunkt und den Siedepunkt,
damit hat er die Scala für die Wärmegrade, er
schliesst nun ohne weiteres von ihr auf die Scala
der Kältegrade und wenn ihm Jemand behaupten
wollte, mit dem Thermometer könne man wohl die
Wärmegrade messen, aber die Kältegrade? das sei
Mumpitz, so würde er ihn getrost für verrückt
erklären.
Nun so ist es mit der Neuralanalyse auch: wenn
sie die GiftigkeitsVerhältnisse, die sich in Lähmungs-
werthen ausdrücken, richtig, d. h. übereinstimmend
mit der allgemeinen Erfahrung angiebt, dann müssen
auch die entgegengesetzten Ziffern, die Belebungs-
werthe, reell sein und können nicht auf Zufall,
Einbildung und wie sonst die Redensarten der
Herren Critici lauten, beruhen.
Das ist der Hauptgrund, warum ich die Neural¬
analyse zuerst auf die untere Hälfte der Scala der
nervösen Wirkungen anwendete und diesen auch
die nachfolgenden eigenen Tabellen widmete.
HL Tabelle: Die unteren Potenzen der Kalisalze.
Potenz
3
4
5
D
8
9 10
11 12 13 14 15
Somme der
Minuswerthe
Ka. jod.
— 2
— 1
— 3 |
+n
+17
+28
+24
6
Ka. carb.
—37
—19
-16
—20
— 8
+ 8
+10
100
Ka. solf.
—40
—13
—15
—19
— 8
+ 8
+ 8
95
Ka. chlor.
—40
—23
—13
—14
—10
+ 6
+ 9
100
Ka. nitr.
—43
—22
—14
—14
—12
+ 4
+18
105
Ka. phosph.
—43
—28
—26
—25
—28
—20
—12 —12
c*
1
!
00
1
**
H
i
222
Ka. brom.
—70
—46
— 33
—31
—26
—32
—26 —25
—28 —19 —17 —13 — 7
372
Mittel
—39
—21
— 17
—15
-11
— 1
+ 4
104
1) Formell ist über vorstehende Tabelle fol¬
gendes zu sagen:
a) Die obere Quercolumne giebt die Potenz¬
ziffern, sie gehen von 3—15, einmal weil ich bei
allen diesen Messungen die 1. und 2. Potenz un¬
untersucht Hess, dann, weil die Tabelle so weit
reichen muss, bis das widerspenstigste Salz, das
Bromkalium, an seinem Indifferenzpunkt ange¬
langt ist
b) Nun folgen in 7 Quercolumnen die Ziffern
für die 7 gemessenen Salze. Wie weit in jeder
Quercolumne die untern Potenzen reichen, wird
einestheils ersichtlich aus dem Vorzeichen der Zah¬
len, das für die unteren Potenzen das Minus¬
zeichen, für die oberen Potenzen das Pluszeichen
ist, anderntheils 'daraus, dass eine senkrechte Linie
in jeder Quercolumne die Minus werthe von der
Reihe der Pluswerthe trennt. Ich nenne dies die
Indifferenzlinie. Sie liegt bei Jodkalium zwischen
den Ziffern der 5. und 6. Potenz, bei den 4 näch¬
sten Salzen zwischen 7. und 8., bei Kal. phosph.
zwischen 14. und 15., bei Kal. brom. hinter der 15..
c) Die letzte, mit t Mittel“ bezeichnete Quer¬
columne giebt für jede Potenz eine Mittelziffer, ge¬
bildet aus den 7 verschiedenen Salzen, behufs Ver¬
gleichung der Gruppe der Kalisalze mit der der
Natron- resp. Ammoniaksalze. Die Bildung dieser
Mittelziffer machte es natürlich nothwendig, von
denjenigen Salzen, welche früher den Indifferenz¬
punkt erreichen, auch die Pluswerthe eines Theils
der oberen Potenzen in die Tabelle aufzunehmen
und zwar so weit, bis die betreffende Mittelziffer
selbst einen Pluswerth ergab, was hier bei der
9. Potenz eintrat. Wo die Potenz durchweg Minus-
werthe erhält, wurden diese summirt und mit 7
dividirt. Wo die senkrechte Columne, wie dieses
von der 6. Potenz an der Fall ist, beiderlei Werthe
enthält, wurden die Minus- und die Pluswerthe ge¬
sondert summirt, die Differenz gebildet und diese
mit 7 dividiert.
d) Da es bei der toxischen Eigenschaft eines
Stoffes nicht blos darauf ankommt, welchen Läh¬
mungseffekt er auf einer bestimmten Potenz aus¬
übt, sondern auch darauf, wie lange seine Giftig¬
keit dem Verdünnungsverfahren Widerstand leistet,
mit andern Worten, wie hoch sein Indifferenzpunkt
liegt, so musste, um für beide Faktoren eine ein¬
zige Ziffer zu erhalten, für jedes Salz und für die
Serie der Mittelziffem eine Summe gebildet wer¬
den aus den Minuswerthen, d. h. den Lähmungs-
Digitized by Google
6
effekten aller ihrer nntern Potenzen. Diese Ziffern
enthält die letzte senkrechte Columne.
2) Ueber den Inhalt der Tabelle ist zunächst
zu sagen, dass der Verlauf der Indifferenzlinie diese
7 Kalisalze in drei auffällig verschiedene Gruppen
zerlegt:
Die I. Gruppe bildet das Jodkalium mit einer
ganz geringen Giftigkeit, was sich in der Tabelle
in zweierlei Weise zeigt, 1) in den niederen Läh¬
mungsziffern der 3., 4. und 5. Potenz, 2) darin,
dass der Umschlag von Lähmung in Belebung schon
zwischen der 5. und 6. Potenz liegt. Beides zu¬
sammen spricht sich darin aus, dass die Summe
der Minuswerthe nur 6 Points hat.
Die II. Gruppe besteht aus 4 Stoffen, Kali car-
bonicum, sulfuricum, chloratum und nitricum. Ihre
dritten Potenzen haben Lähmungswerthe von 37
bis 43 und der Indifferenzpunkt liegt bei ihnen
allen zwischen der 7. und 8. Potenz, also um 2
Potenzen höher als bei Jodkalium, und die Summe
der Minuswerthe liegt bei ihnen zwischen 95
und 105.
Die III. Gruppe wird von Kali phosphoricum
und bromatum gebildet, die allerdings unter sich
wieder so verschieden sind, dass jedes eine Gruppe
für sich bilden könnte. Das Gemeinschaftliche,
was sie von den Gruppen I und II unterscheidet,
ist die ausserordentlich hohe Lage des Indifferenz¬
punktes. Während er bei Jodkalium zwischen 5.
und 6. Potenz, bei Gruppe II zwischen 7. und 8.
Potenz liegt, ist er bei Kali phosphor. zwischen 14.
und 15. Potenz, bei Bromkalium zwischen 15. und
1®. Potenz. Dementsprechend ist auch die Summe
der Minuswerthe bei ihnen mehr als doppelt so
hoch als bei Gruppe II. Die Verschiedenheiten
innerhalb dieser dritten Gruppe liegen nun darin:
während sie bezüglich der Lage der Indifferenz¬
punkte sehr nahe übereinstimmen, unterscheiden sie
sich lebhaft in der Schwere des Lähmungseffek¬
tes: in der 3. Potenz ist die Differenz 27, in der
4. Potenz 17. Dieser grosse Unterschied wieder¬
holt sich wieder von der 8.—14. Potenz und das
verschuldet die grosse Differenz der Summe der
Lähmungswerthe. Während Kali phosph. seinen
Conto mit 222 Point abschliesst, erreicht Brom¬
kalium die Ziffer 372 als das lähmendste aller der
untersuchten Kalisalze.
Vergleichen wir dieses neural analytische Resul¬
tat mit den Erfahrungen, die man bezüglich dieser
Kalisalze auf anderem Wege gewonnen hat, so er-
giebt sich folgendes:
a) Der Gegensatz zwischen Jodkalium und Brom¬
kalium, den die Neuralanalyse feststellt, entspricht
ganz genau den bekannten Thatsachen: Bromkalium
ist das Hauptmittel der Allopathie gegen Epilepsie
d: h. nicht Heilmittel, sondern Unterdrückungs-
mittel, eine Eigenschaft, die es eben dem Umstand
verdankt, dass es die Krampferregbarkeit des Ner¬
vensystems aufhebt, was als lähmender, thätigkeits-
hemmender Einfluss bezeichnet werden muss. Jod¬
kalium dagegen gehört zu denjenigen Mitteln der
Allopathie, welchen sie die kräftigste, weitgehendste
wirkliche Heilwirkung, d. h. Fähigkeit, die Auf¬
lösung und Aufsaugung krankhafter Produkte her¬
beizuführen, mit anderen Worten treibende Kraft
zuschreibt und an welchen sie auch in den Zeiten
des stärksten Nihilismus festhielt. Hierzu stimmt
doch sehr gut, dass dieses Salz schon zwischen 5.
und 6. Potenz die Indifferenz überschreitet und von
da ab belebend, also auch heilend wirkt, dass
also auch bei Verabreichung allopathischer Dosen,
falls diese nicht zu oft wiederholt werden, rasch
durch Potenzirung im eigenen Leib eine belebende
Verdünnungsstufe erreicht werden kann.
b) Die Mittelstellung der Gruppe II entspricht
vollständig der Erfahrung. Von ihren Angehörigen
sind weder solche Lähmungswirkungen bekannt wie
von Bromkalium noch solche Heilwirkungen wie
von Jodkalium.
c) Weiter entspricht der Erfahrung, dass zwischen
den Stoffen der Gruppe 11 keinerlei auffallende
Unterschiede in Bezug auf Giftigkeit bekannt sind,
die Thatsache der Tabelle, dass ihre Lähmungs¬
ziffern und die Lage des Indifferenzpunktes ein¬
ander sehr nahe sind. Die letztere Thatsache, d. h.
die grosse Uebereinstimmung der 4 Kalisalze der
Gruppe II hat mich veranlasst, bei der Messung
der oberen (belebenden) Potenzen der Kalisalze von
der Durchprüfung aller vier Glieder dieser Gruppe
abzusehen und mich auf die Messung von Kali car-
bonicum als Vertreters derselben zu beschränken.
d) Ueber die Stellung, welche das phosphor¬
saure Kali durch die neural analytische Messung
erhalten hat, ist folgendes zu sagen: Eine Ueber¬
einstimmung von Neuralanalyse und sonstiger Er¬
fahrung liefert die Thatsache, dass das phosphor¬
saure Kali sich nicht in der Liste der offlciellen
Heilmittel befindet, während allen 6 andern Kali¬
salzen unserer Untersuchung diese Ehre zu Theil
geworden ist, allerdings nicht allen aus dem gleichen
Grunde, nämlich dem Bromkalium wegen des hohen
Lähmungseffektes, den es auf die Nerven ausübt,
dem Jodkalium wegen seiner hohen, lösenden, aus¬
treibenden Kraft. (Jeber die Gründe, welche die
Schulmedicin veranlasste, die Kalisalze der Gruppe II
unter die Arzneimittel aufzunehmen, lässt sich aus
dem Resultat der Neuralanalyse blos das sagen:
Die Lähmungsziffern 95—105 geben ihnen eine
mittlere Stellung, sie sind weder als Belebungs-
noch als Lähmungsmittel verlockend, andererseits
sind sie nicht so lähmend, dass man sie nicht um
anderer Eigenschaften willen ruhig und ohne offen¬
kundige Vergiftungsgefahr verwenden könnte. Nun
kommen wir zur Frage: warum hat die allopathische
Digitized by v^ooQie
7
Heilknn8t das Kali phosphoricnm nicht zu Heil¬
zwecken benützt? Darauf antwortet unser neural-
anatytisches Resultat folgendermassen: Mit der Ziffer
222 steht dieses Salz in der Mitte zwischen Brom¬
kalium (372) und der Gruppe n (100), damit ist
eigentlich alles gesagt, denn wenn der allopathische
Arzt einen lähmenden Einfluss ausüben will, so
greift er zu dem Mittel, welches dieser Indication
am meisten entspricht und das ist in dem Fall das
Bromkali und nicht das phosphorsaure Kali, an¬
dererseits, wenn er die Zwecke anstrebt, für die er
die Salze der Gruppe II verwendet, so wird er zu
denen greifen, mit welchen sich diese Indication
am besten ohne unangenehme Nebenwirkungen er¬
füllen lässt und da wird er vom Kali phosphoricnm
absehen, weil seine nervöse Nebenwirkung ist, dass
es leicht Lähmungserscheinungen hervorruft. Da¬
mit ist also wieder Uebereinstimmung zwischen
Neuralanalyse und anderweitigen Thatsachen her¬
gestellt. Leider hat eben der Umstand, dass Kali
phosph. nicht ofüciell ist, zur Folge, dass in der
Literatur der Toxikologen nichts für unsere Zwecke
zu Anden war.
IV. Tabelle: Die untern Potenzen der Natronsalze.
Potenz
3
4
5
6
7
8
9
10
Somme der
Minaswerthe
Na. mur.
— 5
+ 6
+ 1
+23
5
Na. nitr.
—10
+ 2
+10
+21
10
Na. carb.
—14
-16
— 2
+ 5
32
Na. sulf.
—19
— 8
— 4
+ 4
31
Na. phosph
—25
—31
—26
—20
—14
-10 |
1 + 1
+ 7
125
Na. brom
—35
—34
—30
—22
—16
—22
—13
— 8
180
Mittel
—18
—12
— 6
— 2
38
Auch hier ergeben sieb wie bei den Kalisalzen
deutlich 3 Gruppen.
Die L Gruppe wird gebildet von Kochsalz
und Salpeter, die beide nur in der dritten Potenz
Lähmung8ziffem zeigen und schon in der vierten
Belebungseffekt geben, die also an Ungiftigkeit
das Jodkalium noch weit übertreffen, trotzdem die
Summen der Lähmungswerthe keine erheblichen
Unterschiede zeigen. Damit stimmt nun doch in
der allerklarsten Weise die unumstössliche Erfah¬
rungslehre, dass diesen beiden Salzen die geringste
Giftigkeit zukommt, die Thatsache, dass diese beiden
Salze die einzigen Alkalisalze sind, die wir als
Würze für unsere Speisen benützen und benützen
können eben wegen ihrer Indifferenz oder Ungiftig¬
keit. Auch der Unterschied zwischen Kochsalz und
Salpeter in dieser Beziehung nämlich, dass wir von
Kochsalz grössere Mengen ohne direkten Schaden
geniessen dürfen als von Salpeter, tritt in den ersten
Ziffern der Tabelle klar zu Tage: die dritte Potenz
giebt für Kochsalz 5, für Salpeter 10 % Lähmung,
die 4. Potenz für Kochsalz 6 % Belebung, für Sal¬
peter nur 2 °/ 0 - Damit ist zugleich ausgedrückt,
dass der Indifferenzpunkt bei Kochsalz der 3. Potenz
näher liegt als bei Salpeter. Wenn man die zu
Jnjectionen und bei der Mikroskopie als indifferente
(physiologische) verwendete Kochsalzlösung auf
0,6 % festgesetzt hat, was der Neuralanalyse nach
Lähmungseffekte erzeugt, so spricht das doch nicht
gegen deren Richtigkeit; denn dass die Stoffe in-
halatorisch stärker wirken, als bei Einverleibung
auf anderem Wege, ist eine Thatsache, die uns
später noch ausführlich beschäftigen wird, da ich
auch hierfür ziffermässige Belege beibringen kann.
Die II. Gruppe bilden Natr. carbonicum und
8ulphuricum. Der Erfahrungstatsache, dass diese
zwei Salze viel weniger harmlos sind als Kochsalz
und Salpeter, dass man sie nicht als Würze an
Speisen verwenden kann, entsprechen die Ziffern
der Tabelle genau. Sie zeigen, dass die Indifferenz
bei ihnen erst zwischen 5. und 6., also um 2 Poten¬
zen höher liegt als bei Gruppe I, und wenn wir
die Lähmungsziffern der vier Salze ansehen: Koch¬
salz 5, Salpeter 10; dagegen Natr. carbon. 32,
Natr. sulf. 31, so sehen wir einen ziffermässigen
Ausdruck sowohl für die Unterschiede zwischen
Gruppe I und Gruppe II als auch für die grosse
Aehnlichkeit von Natr. sulph. und carbon., der
vollständig den bekannten Thatsachen entspricht.
III. Gruppe. Sie wird genau wie bei den Kali¬
salzen von dem phosphorsaurem und dem Bromsalz
gebildet und auch wieder genau mit dem Unter¬
schied wie bei den Kalisalzen, dass das Bromsalz
lähmender, differenter, giftiger ist, als das phos¬
phorsaure: bei letzterem liegt die Indifferenz zwi¬
schen 8. und 9. Potenz, also um 3 Potenzen höher
Digitized by Google
8
als bei Gruppe II, und bei Bromnatrium kommt
sie erst zwischen 10. und 11. Potenz, ist also um
5 Potenzen höher als bei Gruppe II. Die Summe
der Lähmungsziffern ist bei N. ph. 125, bei N. br.
180 und merkwürdig — wie genau die Neural¬
analyse arbeitet: die Summe der Lähmungsziffern
ist bei Kali phosph. 222, bei Kali brom. 372. Fast
genau dasselbe Verhältniss: bei Natron verhalten
sich Phosphorsalz und Bromsalz wie 12,5: 18,
beim Kali wie 11,1 : 18,6 — und eine so wunder¬
voll arbeitende Methode umsteht seit fast zehn
Jahren die ganze Gelehrten weit mit zuckenden
Achseln, die Hände im Sack, wie — doch sagen
wir das lieber nicht. Humbold sagt: „In Deutsch¬
land gehören netto zwei Jahrhunderte dazu, eine
Dummheit abzuschaffen, eins, um sie einzusehen,
das zweite, sie zu beseitigen.* Dass das gleiche
auch für Einführung von Erfindungen gilt, dafür
ist die Geschichte so mancher derselben ein Beleg.
Vergleich von Kali- und Natronsalzen.
Hierzu dienen uns die in den Tabellen III und
IV gebildeten Mittelziffern der letzten Querkolumne,
insbesondere die dort stehende Summe der Läh-
mungswerthe, welche bei den Natronsalzen 38, bei
den Kalisalzen 104 lautet, zwei Ziffern, die sich
ungefähr verhalten wie 1:3, d. h. wenn man so
rechnet, wie oben gerechnet wurde, so sind die
Kalisalze dreimal so giftig als die Natronsalze. Nun
wird kein Mensch bestreiten, dass alle Thatsachen,
die man kennt, für die grössere Giftigkeit der Kali¬
salze, namentlich für ihre Fähigkeit, Lähmungen,
insbesondere Herzlähmung hervorzurufen, sprechen.
Dies ist namentlich bei den Prüfungen des an Kali¬
salzen so reichen Fleischertraktes klar zu Tage ge¬
treten.
Herr Dr. E. Kröner, hom. Arzt in Potsdam,
hatte die Güte, die toxikologische Literatur nach
bezüglichen womöglich ziffermässigen Angaben über
diese Verhältnisse nachzusehen und sandte er mir
hierüber folgende Angaben:
1) Natriumsalze sind in der dreifachen, tödt-
lichen Dosis der Kaliumsalze intravenös noch un¬
giftig.
2) Von Chlornatrium durch den Mond sind
für den Menschen erst 250—500 Gr. tödtliche
Dosis, bei Thieren (wohl Kaninchen) 10—15 Gr.
Von Chlorkalium tödtet 1 Gr. subkutan einver¬
leibt ein Kaninchen.
3) Natr. carbo nie um, verhältnissmässig un¬
giftig, bei Kali carbonicum sind zwei Todesfälle
durch 15 Gr. angegeben.
4) Natr. sulfur. „relativ ungiftig*. Kali sulf.
1 Todesfall nach 10—20 Gr.
5) Ueber die beiden Salpeter fanden sich blos
zwei Angaben: Natron Salpeter tödtet in Dosen von
6—7 Gr. Hunde, Kalisalpeter mit 8gr. Menschen.
Da der Leib des Menschen viel voluminöser ist als
der des Hundes, so tritt auch hier zu Tage, dass
Natronsalze, um Giftwirkungen zu erzwingen, in
einer mehrfach so grossen Dosis genommen werden
müssen, als Kalisalze.
Vorstehende Ausbeute aus der toxikologischen
Literatur der Schulmedicin ist allerdings klein und
das Ziffernmaterial — im Vergleich zu dem mei-
nigen — sehr dürftig, allein doch genügend um
zu zeigen, dass Neuralanalyse und toxikologische
Erfahrung dahin übereinstimmen, dass Kalisalze um
das mehrfache giftiger sind als Natronsalze.
Von den Ammoniaksalzen sind, wie ersicht¬
lich, nur viererlei untersucht worden, und zwar aus
denselben Gründen, warum ich bei den Kalisalzen
nach Fertigmessung der unteren Potenzen von sieben
derselben drei zurückstellte und nur von vieren die
oberen Potenzen mass. Diese Gründe sind kurz
folgende:
a) Bei Kali- und Natronsalzen hatte ich mich
überzeugt, dass sie bezüglich der nervösen Wir¬
kung in drei Gruppen zerfallen, von denen nament¬
lich die Gruppe II aus solchen besteht, die ein¬
ander in ihrer Wirkung so sehr ähneln, dass es
sich nicht verlohnt, sie alle durch alle Potenzen
hindurch zu messen. Im Interesse der Geschäfts¬
vereinfachung stellte ich also 3 Kalisalze dieser
Gruppe U bei Seite und beschränkte mich bei den
Ammoniaksalzen von Hause aus auf ein Glied dieser
Gruppe, nämlich auf das kohlensaure Salz. Um
aber doch nicht gar zu sehr zu reduciren, nahm
ich bei den Natronsalzen, bei denen ich von Hause
aus eines weniger als bei den Kalisalzen der Unter¬
suchung unterzogen hatte, die Reduktion nicht vor.
b) Die Gruppe III, die aus dem Phosphorsalz
und dem Bromsalz besteht, wollte ich dagegen nicht
reduciren, weil sie einander nicht so ähnlich sind,
wie die Salze der Gruppe 11 und so kam die Vier¬
zahl heraus.
Fasst man in obiger Tabelle nur die Lage des
Indifferenzpunktes ins Auge, so fehlt bei den Am¬
moniaksalzen die Dreitheilung, die bei Kali- und
Natronsalzen so scharf ausgesprochen ist. Denn
die zwei Salze, welche die Gruppen I und II ver¬
treten, haben beide den Indifferenzpunkt zwischen
10. und 11. Potenz.
Betrachtet man dagegen die Ziffern der zwei
Salze, so tritt doch auch hier der Unterschied der
Gruppe I und II deutlich zu Tage insofern, als
das Chlorammonium mit einem Lähmungswerth von
34 in 3. Potenz und einer Schlussziffer von 165
ziemlich weniger different ist, als kohlensaures
Ammoniak mit Lähmungswerth von 50 in 3. Potenz
und der Summe von 223. Das ist das Seitenstück
zu den Natronsalzen, wo die Chlorverbindung eben¬
falls entschieden weniger giftig ist als das kohlen¬
saure Salz. (Siehe auch weiter unten.)
Digitized by v^ooQie
9
V. Tabelle: Die unteren Potenzen der Ammoniaksalze.
Potens
3466789 10
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Somme
der
Minus-
werthe
Am. mar.
—34 —22 —25 —30 -23 —19 —10 —2
+4 +8 +9 +10 +12 +15
165
Am. c&rb.
—50 —36 —36 —24 - 37 —21 —12 —7
-f*4 -f-S -f-9 -J-® —|—10 -f-15
223
Am.phosph.
—64 —44 -46 -41 —26 —47 —82 —81
—20 —15 —11 —12 —13 —17 —18 -8
442
Am. brom.
—63 —48 —4) —40 —35 —38 —32 —29
—29 —26 —18 —23 —22 —83 —24 —21 —15 - 8
543
Mittel
—53 —86 —88 —34 -30 —81 —22 —17
—10 —7 —3 —4 — s —5
293
Weiter bemerkenswerte an dem Inhalt der Ta¬
belle ist folgendes:
a) Die Uebereinstimmung mit den Kalisalzen,
die darin liegt, dass die Verhältnisse zwischen
Gruppe II und III bei beiden fast die gleichen
sind: bei Kali liegt der Indifferenzpunkt der
Gruppe II zwischen 7. u. 8., bei Gruppe III zwischen
15. u. 16. Potenz, also doppelt so hoch; bei Am¬
moniak sind die betreffenden Ziffern 9 — 10 bei II
und 20—21 bei III. Die Summen der Minus-
werthe verhalten sich ebenfalls nahezu gleich.
Kalisalz Gruppe II 95—105, Phosphorsalz 222,
Ammoniaksalz , II 223, „ 442,
also beide Male ein Verhältnis wie 1:2.
b) Die Differenz zwischen Phosphor- und Brom¬
salz wiederholt sich auch hier fast in gleicher
Weise: einmal liegt der Indifferenzpunkt beiletzerem
höher, dann ist die Summe der Lähmungswerthe
beim Bromsalz grösser, nur ist dieser Unterschied
verhält nissmässig kleiner. Betrachtet man die Einzel¬
ziffern, so röhrt dies daher, dass bis znr 10. Potenz
die Lähmungswerthe bei beiden fast gleich gross
sind, erst von der 21ten ab treten grössere Unter¬
schiede auf.
c) Die allermerkwürdigste Thatsache der Ta¬
belle, dass es Stoffe giebt, die noch in 18. Potenz,
also trillionster Verdünnung, ja sogar 20. Potenz
noch als Luftgift wirken können, also in einer
Verdünnung, welcher die Chemie vollständig rathlos
gegenüber steht, wollen wir erst besprechen, wenn
wir mit der ziffermässigen Vorführung zu Ende
sind.
Vergleich der Ammoniaksalze mit Kali- und
Hatronsalzen.
Ein vergleichender Blick auf die drei Tabellen
lehrt, dass von allen drei Gruppen den Ammoniak -
salzen die stärkste Giftigkeit, die grösste Differenz
resp. Lebensfeindlichkeit zukommt und dass sie
hierin in fast allen Stücken die Kalisalze über¬
treffen.
1) In der Lage des Indifferenzpunktes: Bei den
Natron salzen bewegt sie sich zwischen 3. und
11. Potenz, bei den Kalisalzen zwischen 5. und
16., bei den Ammoniaksalzen zwischen 10. und 21.
2) Die Mittelziffern lehren es in zweierlei Weise:
a) in den Ziffern der 3. Potenz, die bei den Natron-
balzen 18, bei den Kalisalzen 38, bei den Am¬
moniaksalzen 48 ist; b) in den Summen der
Lähmungswerthe: die der 6 Natronsalze ist im
Mittel 38, die der 7 Kalisalze 104, die der 4 Am¬
moniaksalze 293.
Damit, dass Ammoniaksalze giftiger, differenter
sind als Kalisalze, stimmen folgende Literatur¬
angaben überein:
1) Für Chlorkalium sind als Arzneidose vor¬
geschrieben 1,0 —2,0 Gramm, für Chlorammonium
nur 0,2—1,0 Gramm.
2) Bei Bromkalium beginnt die Dosirung mit
0,5, bei Bromammonium mit 0,1, und dabei wird
angegeben, dass Bromammonium eine stärkere
Anästhesie der Schleimhäute erzeuge als Brom¬
kalium.
Heber Enuresis nocturna.
Von Dr. H. Goullon.
Eine sonderbare Hypothese über die Entstehungs¬
art dieses keineswegs zu unterschätzenden Leidens
enthält No. 83 der deutschen Medicinalzeitung.
Wir lassen zunächst den Bericht nebst zwei kli¬
nischen Beispielen folgen, um dann unsere Bedenken
gegen die kühne Hypothese auszusprechen.
Das häufige Vorkommen von Ennresis nocturna
bei Kindern, die wegen Verstopfung der Nase durch
den Mund athmen, hat Major schon 1884 erwähnt,
Bald darauf wurde diese Beobachtung von Ziem
und Bloch bestätigt. Major und Ziem glaubten,
die niedrige Temperatur der durch den Mund ein-
geathmeten Luft veranlasse ein oberflächlicheres Ath¬
men, so dass schliesslich eine Kohlensäureintoxi¬
kation eintrete, welche zur unfreiwilligen Entleerung
der Blase führe.
Schmalz war der erste, welcher einen ursäch¬
lichen Zusammenhang zwischen Mundathmung und
Enuresis nocturna bewies, indem er ein Kind sofort
2
Digitized by
Google
10
und dauernd vom Bettnässen durch Entfernung
hypertrophischer Theile der Nasenmuscheln heilte.
Verf. hat gleichfalls zwei derartige Fälle be¬
obachtet:
Der erste Fall betraf ein 19 jähriges Mädchen,
welches von Kindheit an infolge eines „Stock¬
schnupfens“ durch den Mund zu athmen genöthigt
war und ebenfalls seit der Kindheit an fast all¬
nächtlich auftretendem Bettnässen litt. Bei der
Untersuchung fand sieb, abgesehen von allgemeiner
Schwäche und geringer weicher Struma, als Ur¬
sache der behinderten Nasenathmung eine adenoide
Vegetation, die den ganzen Nasenrachenraum aus¬
füllte. Da Verf. die Major sehe Ansicht kannte, so
entfernte er die hyperplastische Rachentonsille in
einer Sitzung, wodurch die Nase für die Atbmung
so durchgängig wurde, dass sofort der Mund ge¬
schlossen gehalten werden konnte. Das Bettnässen
blieb sofort aus und erschien erst wieder in der
23. und dann in der 77. Nacht nach der Operation,
wahrscheinlich hervorgerufen durch reichlichen
Biergenuss. Nach 3jäbr. Pause sah Verf. das
Mädchen wieder, welches versicherte, dauernd ge¬
heilt zu sein.
Im 2. Falle handelte es sich um ein 3jähr.
Mädchen, bei welchem sich vor kurzem sehr schnell
adenoide Vegetationen in der Nase, welche un¬
ruhigen Schlaf mit Mundathmung und starkem
Schnarchen, sowie beiderseits Mittelohrkatarrh ver-
anlassten, entwickelt hatten. Gleichzeitig begann
das Kind, welches vorher sehr reinlich gewesen
war, allnächtlich das Bett zu nässen. Nach der
in Narkose vorgenommenen Entfernung der stark
gewucherten, sehr weichen Vegetationen hörte das
Bettnässen sofort auf, kam aber nach 6 Wochen
während eines starken Schnupfens einige Male
wieder. Die Mutter gab an, dass bei dem jetzt
7 Jahre alten Kind das Bettnässen auch jetzt noch
zuweilen vorkomme, immer aber nur, wenn es in¬
folge starken Schnupfens genöthigt sei, mit offenem
Munde zu schlafen.
Es geht aus diesen Beobachtungen hervor, dass
Behinderung der Nasenathmung in einzelnen Fällen
Enuresis veranlassen kann. Da aber bei vielen
Kindern mit behinderter Nasenathmung Bettnässeu
nicht beobachtet wird, so muss noch ein anderer
Umstand ausser der Nasen Verstopfung, vielleicht
eine Schwäche des Sphincter vesicae, dabei mit-
wirken. Sind wir nun zur Annahme einer solchen
Disposition gezwungen, so brauchen wir zur Er¬
klärung des geringen Plus, welches zum Bettnässen
führt, nicht gleich an eine Kohlensäureintoxikation
zu denken. Der bekannte unruhige, durch quälende
Gefühle und ängstliche Träume gestörte Schlaf
mundathmender Kinder dürfte dazu ausreichen.
Jedenfalls sollte man bei allen mit Enuresis
behafteten Kindern die Nase und den Nasenrachen¬
raum auf etwaige Verengerung oder Verstopfung
untersuchen und im gegebenen Fall da9 Hindernis
zu beseitigen suchen.
So weit also das Referat, welches seinerseits
schon sehr reservirte Stellung zu der Frage nimmt.
Die Schwäche des Sphincter vesicae steht ja
ausser Zweifel und man dürfte höchstens sagen,
da wo diese Partie die pars minoris resistentiae
bildet, konnte möglicher Weise das behinderte
Nasen-Athmen zur Enuresis führen auf dem oben
angegebenen Weg. Allein wo steht denn geschrie¬
ben, dass Kohlenoxydgasvergiftung eine so be¬
schränkte Wirkungssphäre bat, dass dieselbe mit
Ausschliessung anderer Organe nur zur Insultation
des Blasenschliessmuskels führen sollte? Da wäre
ja ein herrliches Simile für dergleichen paretische
und paralytische Zustände gefunden worden.
Aber wie stimmt die Hypothese mit der that-
sächlichen Heilwirkung unserer Mittel in concreto
Überein? Wie könnten Cina, Pulsatilla, Plantago
major, Ferrum phosphoricum, Magnesia und Kali
phosph. solche Zustände von Blasenschwäche be¬
seitigen, wenn die Ursache so entfernt liegt, und
gerade die genannten hilfreichen Homoeopathica
haben so gut wie gar nichts mit Wucherungen der
Nasenschleimhaut zu thun. Besonders Cina gilt
für specifisch gegen Enuresis nocturna und die
Annahme, dass Wurmreiz diese pathologische
Störung unterhält, entspricht der Wirklichkeit
tausendmal mehr als die Schmalz-Major’sche Theorie,
welche indessen immerhin — wer wollte es leugnen?
— eines gewissen Interesses nicht entbehrt.
Für uns Homöopathen aber erwächst die Notb-
wendigkeit, da. wo anscheinend ein solch compli-
cirter Fall vorliegt, die pathologischen Verhältnisse
in Rachen und Mund noch mehr als bis¬
her zu berücksichtigen. Denn höchst wahrsehein-
Jich giebt es genetische Unterschiede des Leidens,
wie sich schon aus der heterogenen Natur oder
der grossen pathogenetischen Verschiedenheit der
oben aufgezählten Mittel ergiebt, deren Zahl sich
noch leicht vermehren liess. So wird z. B. noch
Equisetum von manchem Praktiker in der ange¬
deuteten Richtung gerühmt. Wir dürfen auch nicht
vergessen, dass in der That solche Kinder nicht
selten an hartnäckigen Katarrhen der ersten Wege
leiden, ja sogar mit skrophulöser Anlage belastet
sind.
Nachträglich finde ich im Archiv, Bd. XIH. I.
S. 59 einen Fall von Enuresis nocturna, durch
Calc. carb. geheilt. Dies könnte schon für ein
gleichzeitiges Nasenleiden sprechen oder für Cal-
carea Symptome anderswo als im Bereich der Blase.
,,Ein Jüngling, klein, von dicker schwammiger
Natur, litt von klein auf an nächtlichen Bettnässen,
am Tage aber an stetem Harndrang mit jedesmal
geringem Abgang. Nachdem Sulf., Sepia, Mercur
Digitized by v^ooQle
II
ohne Erfolg gegeben, beseitigt Galc. carb., 30 das
Leiden innerhalb von 3 Woeben dauernd.“
Es werden gewiss nicht viele Fälle von Enuresis
existiren, die Calc. carb. gewichen sind. Destomebr
mit Cina. Und wie Lupus in Fabula begegnet mir
ein selbsterlebter Fall aus jüngster Zeit, den ich
gern folgen lasse, gewissem)aassen damit meine
Ansicht besiegelnd, dass die Cina-Fälle die Regel
bilden, die Fälle aber die Ausnahme, in denen sich
andere Mittel und Wege nöthig machen.
Also am 17. Okt. schreibt ein Herr Pfarrer S.
an mich:
„Wegen des Bettnässens unserer kleinen, bald
dreijährigen Marie erlauben wir uns Ihren ärzt¬
lichen Rath einzuholen. Es tritt des Nachts oft
mehrmals ein, besonders wenn ein Geräusch im
Schlafzimmer ist, etwa jemand eintritt. Am Tage
meldet die Kleine es gewöhnlich, wenn ein Be-
dürfniss sie ankommt, doch unterlässt sie es auch
und zwar, weil sie das Ankommen des Bedürfnisses
nicht zu fühlen scheint. Alles, Ernst der Zucht,
den meine Frau dagegen verwendet, hilft nicht viel.
Sie ist von zarter Constitution, für ihr Alter gross,
an Armen und Beinen ziemlich mager, womit viel¬
leicht das häufige Bettnässen in Zusammenhang
steht.
Sie leidet fortwährend, jetzt wieder an Katarrh:
Schnupfen und auch etwas Husten. Dabei hat
aber das Kind keinerlei Anlage zu Tuberkulose.
Wir Eltern sind auch im übrigen ganz gesund.“
Nun höre man den günstigen Bericht schon
nach zehn Tagen. Ich brauche kaum zu erwähnen,
dass ich Cina geschickt habe. (5 Tropfen auf ein
Milchzucker-Pulver, dieses in ! / 2 Weinglas Wasser
aufzulösen um daraus 3 mal tägl. 1 Theelöflfel zu
nehmen.
„Die Pulver haben in überraschender Weise bei
unserer kleinen Marie angeschlagen. Sie macht
seit einigen Tagen — allerdings bei mehrmaligen
Abhalten — in der Nacht nicht mehr nass, was
früher, wo sie aber so oft abgehalten wurde, nicht
der Fall war. Auch am Tage kann sie jetzt eher
den Urin halten. Vom Katarrh ist sie augenblicklich
frei. Sie hat jetzt das zweite Pulver“.
Weiter heisst es:
„Doch schreibe ich heute nicht eigentlich, utn
über sie Bericht zu erstatten, der wohl auch noch
später erwartet würde, sondern weil uns der sicht¬
bare Erfolg Vertrauen giebt, auch unserer Jüngsten
wegen anzufragen.“
Epidemiologische Ecke.
In den verflossenen 14 Tagen liefen folgende
Berichte ein:
Weihe-Herford schreibt am 21./6., dass er noch
immer = Sep., = Chel., = Sinap., =: Kreos.,
sowie = Kal. bichromic. habe. Die Epidemie mit
Calc. phosph. -f- Nux vom., die Coli. Dierkes schon
längere Zeit berichtet, war bei ihm nicht.
Dierkes-Paderborn hatte bis zum 20./6. noch
immer Calc. phosph. -}- Nux vom., dann trat diese
Combination mehr zurück und Calc. phosph. Chin.
mehr in den Vordergrund. Seit dem 18./6. trat
vereinzelt Cupr. auf und am 25./G. schreibt er: seit
einigen Tagen scheint Cupr. + Nux vom. = Lach,
die Oberhand zu gewinnen.
Leeser-Bonn berichtet am 23./6.: Sep., Chel.,
Kal. bichrom., Baryt carb. + Led., Baryt, carb. -f-
Lact, vir., Veratr., Puls, alles wild durcheinander;
am 30./6.: vor einigen Tagen hatte ich viel Sepia,
seit heute durchweg Kal. bichrom., einmal Natr.
mur. -f- Lact. vir.
Ieh-bier hatte am 19.—21./G. viel Kal. carb. -f-
Lact. vir., daneben = Kal. bichrom., = Tart. stib.,
Jod -j- Thuj., auch Baryt, carb. -f- Lact. vir. =
Ac. phosph., am 22. und 23. ganz vorwiegend Kal.
carb. Dros., am 23. bei 3 Masernfällen Calc.
phosph. 4" Hyosc.; vom 24.—28. vorwiegend Kal.
carb. -f- Sabadill.; seit dem 28. Nachmittags viel
Borax -\- Sabadill., welche Combination heute wieder
mehr zurücktritt.
Weiss-Gmünd berichtet am 20./6.: viel Wechsel
Cupr. Hauptmittel bei Tuss. convuls., daneben
Sabadill., Bell., Ipecac., Chin.
Buob-Freudenstadt bat seit ca. Mitte Juni vor¬
zugsweise Arsen., Chin. und Sabin.
Sigmundt-Spaichingen berichtet schon einige Zeit
sehr niederen Krankenstand; epidemisches Mittel
(nach Rademacher) hat er nicht.
Was den guten Rath des Herrn Coli. Hädicke
in voriger Nummer an uns Epidemiologen betrifft
— durch das Wort „Remedur* muthete er mich
an wie ein Erlass von hoher Obrigkeit — so muss ich
betreffs ausführlicher Widerlegung seiner Ansichten
über Epidemiologisches auf meinen Vortrag auf der
kommenden Centralvereinsversammlung verweisen.
Nur 3 Punkte will ich kurz berühren; vielleicht
denkt mancher von denen, denen die Epidemiologische
Ecke ein Greuel ist, etwas darüber nach und wird
dann meinem Vortrage besser zu folgen vermögen.
1. Die Behauptung des Herrn Coli. Hädicke, als
ob wir die nach Schmerzpunkten gewählten Mittel
* epidemische* nennten, ist sehr ungenau. Wenn
er sich die von Herrn Coli. Leeser und mir ge¬
haltenen und gedruckten Vorträge angesehen hätte,
so hätte er wissen müssen, dass die Mittelwahl
2 *
Digitized by Google
12
vermittelst der Weihe'schen Methode auch bei chro¬
nischen, constitutionellen Krankheiten geübt wird.
»Epidemisch* nennen wir die gefundenen Mittel
nur, wenn eine und dieselbe Combination
gleichzeitig bei einer grösseren Anzahl von
Fällen auftritt.
Ein zweiter Umstand ist Herrn Coli. Hädicke
ebenfalls entgangen, dass in den obenerwähnten
Vorträgen mehrfach die Bede davon war, dass auch
Herr Coli. Weihe vielfach diesen raschen Wechsel
der Mittel hatte, wie z. B. jetzt wir hier in Süd¬
deutschland und am Khein.
2. Der von uns aus verschiedenen Gegenden
gemeldete rasche Wechsel der epidemischen Mittel
ist durchaus nicht so paradox, wie es vielen er¬
scheint. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die epi¬
demischen Einflüsse (siderische und tellurische)
fortwährend auf uns einwirken: warum soll
davon nur zeitweilig ein Einfluss zu spüren
sein? Der ganze Fehler der Gegner unserer Auf¬
fassung der Epidemieen liegt darin, dass weder sie
noch ihre Gewährsmänner, Rademacher und von
Grauvogl, im Stande sind, resp. waren, diesen rascheren
Veränderungen des Genius epidemicus zu folgen, da
ihnen eine Methode fehlte, sofort auf untrügliche
Weise das Heilmittel zu finden. Von Grauvogl selbst
schreibt in seinem Lehrbuch der Homöopathie 2. Thl.
pag. 169 bei Besprechung der Unterscheidung Rade¬
machers zwischen stationären und intercurrirenden
Krankheiten resp. Epidemieen: »Es giebt also auch
bei Rademacher Ausnahmen; sie sind jedoch in
einer naturgesetzlich begründeten Therapie eine
Contradictio in adjecto, müssen daher aus unvoll¬
ständig aufgestellten Prämissen folgen.*
3. Die Vermengung des Begriffes der langen
Dauer und der ausgedehnten räumlichen Verbreitung
mit dem Begriff Epidemie ist althergebracht. Wenn
man diese Begriffe der Zeitdauer und räumlichen
Ausdehnung als Charakteristika der Epidemieen ver¬
wendet, so müsste man vor allen Dingen ein Mini¬
mum der Zeitdauer und ein Minimum der Aus¬
breitung festsetzen, von dem an erst der Begriff
Epidemie angewandt werden darf. Wer macht hier¬
für Vorschläge?
Die epidemiologischen Erfahrungen des Herrn
Coli. Lange über die 3 Infiuenzaepidemieen sind
von Herrn Coli. Hädicke entschieden falsch ge¬
deutet worden. Diese 3 Epidemieen sind nicht
durch die gleichen Mittel geheilt worden, also war
auch die Leber nicht in allen 3 Epidemieen gleich
betheiligt; denn die Leber wird doch von Nitr. und
Chel. anders afficirt als von Ferr. und Aq. Quass.!
Die Mittel haben sogar innerhalb der dritten Epidemie
einmal gewechselt. Ausserdem möchte ich zu be¬
denken geben, dass Herr Coli. Ide-Stettin diesen
Winter ausschliesslich Cupr. c. Nicot. als Iufluenza-
heilmittel erprobt gefunden hatte. Wie reimt sich
dies zusammen?*) Was sagt hierzu Herr Coli.
Hädicke?
Jedenfalls werden wir Epidemiologen nach der
Weihe’schen Methode uns nicht von dem Wege ab¬
bringen lassen, den wir geleitet von vieltausend¬
fältigen, durch Jahre fortgesetzten Beobachtungen
als den rechten erkannt haben. Wir zollen den
epidemiologischen Beobachtungen Anderer alle An¬
erkennung und volle Aufmerksamkeit, aber wir sind
uns auch bewusst, dass unsere Anschauungen allein
sich auf Thatsachen stützen, deren Richtigkeit, durch
die Weihe'sche Methode gewährleistete Sicherheit
und Feinheit in der Mittelwahl feststeht
Stuttgart, den 1. Juli 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Jubiläum der Leipziger Poliklinik
des Homöopathischen Central¬
vereins.
Am 1. Juli dieses Jahres waren es 50 Jahre,
dass die Poliklinik des Homöopathischen Central¬
vereins, welche jetzt mit dem Homöopathischen
Krankenhause, Sidonienstrasse 44, räumlich ver¬
einigt ist, als selbstständige Anstalt unter dem Namen
einer »Homöopathischen Berathungsanstalt“ ins
Leben gerufen wurde. 10 Jahre vorher hatte man
ein kleines Homöopathisches Krankenhaus gegründet,
welches aber mit solchen Schwierigkeiten um seine
Existenz zu kämpfen hatte, — Hahnemann selbst
trat gegen dasselbe auf, worüber noch interessante
Akten vorhanden sind — dass es im Jahre 1842
eingehen musste. Das Krankenhaus war zu Grunde
gegangen, der letzte Direktor desselben, Dr. Noack,
war nach Lyon ausgewandert, aber der Muth der
üeberzeugung und das Vertrauen, dass ein im
Interesse reinster Humanität begonnenes Werk nicht
untergehen könne und dürfe, lebte fort! Bei deu
ungenügenden Subsistenzmitteln beschloss man, das
Krankenhaus zwar aufzugeben aber das bereits mit
*) Diese Frage habe ich ja an die Mitarbeiter der
Epidemiologischen Ecke gerichtet, eben weil ich es mir
nicht zusammen reimen kann, weshalb „epidemische
Mittel“ fortgesetzt gewechselt werden müssen. Wenn
nun gar innerhalb eines Stadtgebietes, wo doch die
sidenschen und tellurischen Einflüsse dieselben sein
müssen, 2 Epidemiologen verschiedene epidemische
Mittel für richtig und bewährt gefunden haben, so kann
ich mir dazu keinen Vers machen, dos reimt sich über¬
haupt nicht zusammen. — Die Deutungen der epidemio¬
logischen Erfahrungen des Dr. Lange rühren übrigens
nicht von mir her, sondern von dem Autor selbst, wie
im Original nachgelesen werden kann. Die Leber ist
nicht in epidemiologischer, sondern in pathologischer
Hinsicht in allen 3 Epidemieen gleich betheihgt ge¬
wesen, was für die Milz nicht gilt Hädicke.
Digitized by LjOOQie
IS
demselben verbunden gewesene Ambulatorium als
selbstständige Anstalt fortzuführen. Zu den hoch¬
herzigen Gründern gehörten Hartmann, Haubold,
Moritz und Clotar Müller. Die Unterhaltungskosten
wurden durch Zuschüsse des Homöopathischen
Centralvereins, durch eine vom sächsischen Ministe¬
rium gewährte jährliche Unterstützung von 900 Mark,
die die Anstalt trotz mannigfacher Anfeindungen
auch heute noch bezieht, und durch freiwillige
Spenden bestritten. Jetzt ist bereits durch Legate
von verschiedenen Seiten ein kleines Stamm vermögen
geschaffen, welches von dem hiesigen Universitäts-
rentamte auf Anordnung des Kultusministeriums
verwaltet wird und der Poliklinik eine zeitgemässe
Weiterführung gewährleistet. Dass das Institut
lebensfähig und segensreich war, hat der Erfolg
bewiesen. Es wurden in den vergangenen 50 Jahren
114 762 Kranke behandelt, fast durchweg Un¬
bemittelte aus der Stadt Leipzig und ihrer näheren
und ferneren Umgebung. Hat sich auch die Frequenz
der Poliklinik in den letzten Jahren trotz des An¬
wachsens der armen Bevölkerung etwas vermindert,
so liegt dies nicht in inneren, sondern in äusseren
Verhältnissen vor Allem in der Einführung der Orts¬
krankenkassen und theilweise auch in der Errichtung
einer günstiger gelegenen 2. Poliklinik durch die
Dr. Schwabe’sche Homöopathische Central-Apotheke
vor 21 Jahren.
Zur Feier des Tages waren die jetzigen Räume
der Poliklinik festlich geschmückt und der Eingang
zu derselben reich dekorirt und mit einer dies¬
bezüglichen Aufschrift versehen worden. Eine kleine
Nachfeier vereinigte am Sonntag, den 3. Juli, den
grössten Theil der hiesigen Collegen in „Auerbachs
Keller 44 , wo von Herrn Steinmetz, dem lang¬
jährigen dirigirenden Arzte der Poliklinik als „Jubi¬
lar 44 ein prachtvolles Bouquet überreicht wurde.
Zum Schlüsse verfehlen auch wir nicht aus Anlass
des Jubiläums dem jetzigen verdienstvollen und
allgemein beliebten Leiter der Anstalt, der bereits
20 Jahre unermüdlich an ihr thätig ist, unserem
hochverehrten Collegen Lorbacher, die herzlichsten
Glückwünsche auszusprechen! Möge es ihm noch
manches Jahr vergönnt sein, in gleicher körperlicher
und geistiger Frische seines segensreichen Amtes
zu walten 1 Dr. Stifft.
Lesefrüchte.
Goodell. Was ich in der Gynäkologie zu verlernen
gelernt habe . (Med. News 1890. Nov. 29. p. 560.)
Verf. wendet sich gegen folgende, allgemein ver¬
breitete Vorurtheile:
Dass das Klimakterium an sich starke Metro-
rhagieen mit sich bringe, während oft Polypen oder
gar beginnender Gebärmutterkrebs die Ursache sol¬
cher sind. Dass man während der Menstruation keine
chirurgische Operation vornehmen soll Man sucht
sich diese Zeit natürlich nicht extra dazu heraus
und muss sie bei Operationen an der Gebärmutter
selbst, z. B. Myotomie oder Hysterektomie und drgl.,
vermeiden: dagegen wählt er für das Cürettement
bei Endometritis gerade gern diese Zeit, da die
dann geschwollene Schleimhaut sich gründlicher aus¬
schaben lässt.
Nicht immer sind Lageveränderungen der Ge¬
bärmutter an sich pathologische Zustände, welche
allerhand nervöse Erscheinungen erklären. Vielmehr
liegen oft Störungen im Nervensystem selbst zu
Grunde, die durch die örtliche Behandlung mit
Pessaren oder Intrauterin*Stiften eher verschlimmert
als verbessert werden.
Dass eine Wöchnerin' sich nicht rühren dürfe.
Dass Eiterungen in den Brüsten von verhältniss-
mässig zu starker Absonderung der Milch entständen.
Sie entstehen stets von wunden Brustwarzen, da
sie niemals nach Todtgeburten oder Aborten auf-
treten.
Die sog. „uterinen Symptome* werden gar häu¬
fig mit Unrecht als unbedingte Folge irgend einer
Gebärmutterkrankheit angesehen und die kleinsten
Befunde, z. B. ein Cervixriss als Grundursache für
ein tiefes Nervenleiden angesehen, während gemüth-
liche Einwirkungen und dergl. die nervösen Stör¬
ungen: Schwächegefühl, Schlaflosigkeit, Rücken-
schmerz, Kopfschmerz etc. veranlasst haben. Von
dieser falschen Vorstellung sich frei zu machen, hat
G. die grösste Mühe gekostet.
Endlich dass die Heisswasserdouche als Pana-
cee gegen alle entzündlichen Vorgänge in den
inneren Geschlechtsteilen dienen soll. Mit der
kritiklosen lange Zeit fortgesetzten Anwendung der
Douche wird oft viel Unheil angerichtet, auch wenn
nur Zeit für ernstere Maassregeln damit verloren
wird. (Aus „Centralbl. f. Gynäkol.* 1891. Nr. 27.
p. 571.)
H. Fehling. Ueber Wesen und Behandlung der
puerperalen Osteomalakie . (Arch. f. Gynäkologie.
Bd. XXXIX. Heft 2.)
Die Osteomalakie ist nach F. an einzelnen Orten
z. B. in Basel endemisch; sie ist keine Proletarier¬
krankheit. Sie kommt zuweilen erst im Wochen¬
bett oder noch später zum Ausbruch; es giebt sogar
nicht puerperale Fälle.
Bei eingehender Nachforschung nach den Ur¬
sachen der Osteomalakie hat F. gefunden, dass weder
eine abnorme Kalk- und Phosphorsäureausscheidung
Digitized by v^ooQle
14
durch den Urin Btattgefunden hat, noch eine Bakterien-
thätigkeit zu Grande liegt, noch eine verminderte
Alkaleseenz als Ursache anzusehen ist (wenn eine
solche auch zuweilen nachgewiesen werden kann,
so ist sie doch keine geringere, als bei anderen
constitutionellen Krankheiten), dass weder bessere
Pflege, noch diätetische Mittel oder Badekuren, oder
Arzneimittel einen anderen Einfluss haben, als höch¬
stens vorübergehende Erleichterung.
Der günstige Erfolg des Kaiserschnittes nach
Porro und der von F. zuerst an gewendeten Castra¬
tion (von F. 9 Fälle: 1 Todesfall, 8 Heilungen;
von anderen 12 Heilungen) beruht nach F. nicht
auf der Sterilisiruog der Kranken, sondern auf der
Beseitigung der mit der Ovulation im Zusammen¬
hang stehenden vasomotorischen Vorgänge.
Die Adnexa uteri sind in der Regel hyperämisch,
das Parenchym der Ovarien zwar unverändert, doch
dürfte mit einer erhöhten Thätigkeit der Ovarien
die überaus grosse Fruchtbarkeit der osteomalakischen
Frauen Zusammenhängen. Nach F. kommt durch
die krankhafte Thätigkeit der Ovarien eine krank¬
hafte Reizung der Vasodilatatoren reflectorisch dem
den Sympathicusbahnen zur Auslösung. „Unter dem
Einflüsse der venösen Stauungshyperämie des
Knochens kommt es zuerst zur Auflösuug der Kalk¬
salze, dann zur Einschmelzung des Knochengewebes. *
(„Trophoneurose der Knochen/)
Zum Schluss spricht sich F. noch über die
Porro’sche Operation aus. (Aus „Centralbl. f. Gynä¬
kologie Nr. 27, p. 575.)
Zu diesem bemerke ich, dass unter Berück¬
sichtigung der Fehling*schen Auseinandersetzungen
über die Ursache der Osteomalakie sich recht wohl
eine erfolgreiche homöopathische Behandlung denken
liesse, und wir wollen hoffen, dass wir auch einmal
Heilungen von Osteomalakie durch unsere specifischen
Mittel zu hören bekommen. Göhrum.
Dr. Gauoher. Allgemeine Impfkrankheit in Folge
von Impfung mit Pockenlymphe . Tod. (Allg.
medic. Central-Zeitung No. 69, 1891.)
G. berichtete über eine Beobachtung, welche
ein neugeborenes Kind betrifft, welches 9 Tage nach
der Impfung plötzlich von ausgedehnten deutlichen
Impfausschlägen befallen wurde. Temperatur 40,5,
enorme Beschleunigung der Respiration, Tod 14 Tage
nach der Vaccination. Bei der Obduction fand man
infectiöse Leber-, Milz- und Nierenerkrankung, enorme
Congestion beider Lungen.
Die Krankheit, welche hier beobachtet wurde,
ist nach G. kaum anders zu deuten, als eine Folge¬
erscheinung der für das Kind vielleicht zu starken
Impfung.
Dr. F. Kunze. Ein Fall acuter Arsenik - Vergiftung.
(Therap. Monatshefte, 10. Heft, 1891.)
Der Fall betrifft eine Vergiftung durch Liq. Kal.
arsenicos. .
Einem 32jährigen kräftigen Fabrikarbeiter war
gegen eine bei ihm seit Monaten bestehende Psoriasis
wiederholt Arsenik in folgender Darreichung ver¬
ordnet worden:
Liq. Kal. arsenicos.
Aq. Menth, pip. aa 10,0.
MDS. 3 Mal tägl. 8—15 Tropfen zu nehmen.
Mit 3 Mal 8 Tropfen am Tage anfangend, sollte
Pat. seine jedesmalige Tagesdosis um 3 Tropfen
erhöhen. Diese Verordnung befolgte er anfänglich
genau. Als er jedoch etwas mehr als die Hälfte
der Tropfen verbraucht, war er nachlässig gewor¬
den und hatte mehrere Tage ausgesetzt. Nun wollte
er das Versäumte nachholen und den Rest, etwa 120
bis 130 Tropfen, auf einmal nehmen. Nach einer
kräftigen und reichlichen Mittagsmahlzeit führte er
sein Vorhaben aus. Einige Minuten darauf verspürte
er die heftigsten brennenden Schmerzen in der
Magengegend und bald konnte er sich vor Schmerzen
nicht aufrechthalten. Es entwickelte sich ein in¬
tensives Krampfgefühl im Magen, der Krampf schien
sich auf die Speiseröhre fortzusetzen und drohte
dem Pat. die Kehle zuzuschnüren. Er krümmte
sich wie ein Wurm vor Schmerzen und zeigte eine
todtenblasse Gesichtsfarbe.
Als K. bald darauf herbei geeilt war, liess er
sofort aus der etwa eine Stunde entfernt liegenden
Apotheke Antidotum Arsenici holen und machte
sich inzwischen daran, den Magen des Pat. zu ent¬
leeren.
Zunächst fiel der ängstliche Ausdruck des Ge¬
siebtes, verbunden mit der durch die heftigen
Schmerzen hervorgerufenen Verzerrung der Züge
und die völlig blasse Farbe auf. Der Puls war
schwach und ziemlich beschleunigt. — Während
der Ausspülung, zu der ca. 10 Liter Wasser ver
wandt wurden, hatten die Magenschmerzen etwas
abgenommen. Es war nur noch eine gewisse Em¬
pfindlichkeit, besonders beim Betasten der Magen¬
gegend und Druckgefühl an dieser Stelle vorhan¬
den. — Nach 3 Tagen konnte Pat. seine Arbeit
wieder aufnehmen.
Ein Fall von permanenter Taubheit , wahrscheinlich
in Folge von Chinin wird von Samuel G. Dabney,
Prof, der Physiologie, der Augen- und Ohren¬
heilkunde in Louisville, Ky., mitgetheilt:
Frau S. erhielt vor 5 Jahren, weil sie sich die
Brust erkältet hatte, 12 Chininpillen, in 24 Stunden
zu nehmen, die Chininmenge in denselben ist un¬
bekannt. Nach einigen Tagen wurde sie sehr taub
Digitized by Google
15
and batte starkes Ohrensausen, welches allmählig
naohliess and beinahe verschwand. Die Taubheit
besserte sich in einigen Wochen bis za dem
Grad von Schwerhörigkeit, den sie jetzt zeigt. Sie
hört nur laute Worte dicht am Ohr gesprochen,
die Uhr (normal auf 40") nur beim Andrücken an
das Ohr; die Stimmgabel C 2 wird besser durch
Luft- als Knochenleitung gehört; Lufteinblasen er-
giebt Durchgängigkeit beider Tuben, jedoch keine
Besserung des Gehörs; beide Trommelfelle haben
normales Aussehen. D. nimmt danach mit fast
absoluter Gewissheit ein Labyrinthleiden in Folge
des Ohiningebrauches an. Roosa schliesst einen
Aufsatz über dieses Thema: „Nach unserer gegen¬
wärtigen, sowohl klinischen wie experimentellen
Kenntniss der Chinin Wirkung müssen wir annehmen,
dass dieselbe eine Congestion nach dem Labyrinth
und Trommelfell verursacht und in einigen Fällen
geradezu Entzündung mit bleibenden Gewebsver¬
änderungen veranlasst.* (Aus „Zeitschrift für Ohren¬
heilkunde«. Bd. XXII, Heft 1—2, p. 33.)
Referat.
Dr. Kölliker. Ueber die Anwendung der Bro¬
mäthylnarkose in der chirurgischen Praxis . Central¬
blatt für Chirurgie No. 20. 1891.
Die Broraäthylnarko8e, welche bei den Zahn¬
ärzten*) einer ausserordentlichen Verbreitung sich
erfreut, scheint unter den deutschen Chirurgen noch
wenig Anhänger gefunden zu haben, und doch ist
diese Narkose für jene Chirurgen, welche häufig
kleinere Operationen auszuführen haben, von grossem
Werthe. Jeder Leiter einer chirurgischen Poli¬
klinik wird fast täglich vor die Frage gestellt, ob
er diese oder jene kleine Operation mit oder ohne
Chloroformnarkose vornehmen soll. Diese Fälle sind
es nuu, welche für die Bromäthylnarkose sich eignen.
Kölliker selbst wendet die Bromäthylnarkose
*) Vgl. vor allen: Schneider, Deutsche Monats¬
schrift für Zahnheilkunde 1890.
folgendermaassen an: Die Vorbereitungen geschehen
wie zur Chloroformnarkose, namentlich wird das
Herz untersucht, der Hals, die Brust und der Unter¬
leib von beengenden Kleidungsstücken befreit. Der
Kranke wird liegend narkotisirt Empfehlenswerth
ist es, alle äusseren Eindrücke möglichst fernzu¬
halten, so wie den Kranken zunächst an den Geruch
des Bromäthyl zu gewöhnen. Man sorge also für
absolute Ruhe im Operationszimmer und träufle zu¬
nächst nur wenige Tropfen in die Maske. Nach
einigen Secanden wird dann das ganze vorgesehene
Quantum aufgeschüttet und die Maske möglichst luft¬
dicht aufgelegt. Der Puls wird während der Nar¬
kose beobachtet, ein Assistent meldet, die Uhr in
der Hand, die 30. und 50. Secunde seit Beginn
der Narkose. Um festzustellen, wann die Narkose
eingetreten ist, wird ein Arm des Kranken empor¬
gehoben; sobald er den Arm sinken lässt, ist der
Zeitpunkt zur Operation eingetreten; in der Regel
ist das nach 50—60 Secunden der Fall. Die Nar¬
kose hält 1 —3 Minuten an. Als Dosis werden für
Kinder 5—10 g, für Erwachsene 10—15 g benutzt:
als Maske die von Skinner, welche mit einem
Gummiüberzuge zu versehen ist; zweckmässig über¬
deckt man noch die ganze Maske mit einem Flanell¬
tuche.
Irgend welche unangenehmen Ereignisse bei
der Narkose in der hier angegebenen Weise wurden
bis jetzt nicht beobachtet. In einem Falle stellte
sich nach Vollendung der Operation — Thermo -
cauterisation eines gangränösen Schankers — und
nach der Entfernung der Maske eine kurz dauernde
lebhafte Excitation ein. Unmittelbar nach der Nar-
cose sind die Kranken so frisch wie vor derselbe!);
Nachwehen fehlen.
Die Eingriffe, welche unter Bromäthylnarkose
vorgenommen werden können, sind: 1) Abscessinci-
sionen jeder Art 2) Incisionen nicht zu ausge¬
dehnter Phlegmonen. 3) Tenotomieen. 4) Ther-
mokauterisationen (Angiome, phagedänische Ge¬
schwüre etc.) 5) Sequesterextractionen (Panaritiep,
Knochensyphilis). 6) Exstirpationen kleiner Tumoren.
7) Evidement tuberculöser Drüsen, kleinerer tuber-
culöser ostitischer Herde, nicht zu ausgedehnter
lupÖ8er Stellen.
ANZEIGEN.
Das altbewährte
Stahlbad Rastenberg
i. Thür. meist von Homöopathen besucht, empfiehlt
sich ausser als Kurort auch als vorzflgliche
Sommerfrische. —
Nähere Auskunft durch die Bade-Verwaltung.
Allen Aerzten
und Kur-Verwaltungen
wird meine Gratis-Brochüre über pateatlrte Kranken«
Wohnungen, verstellbar nach Sonne und Schatten, be
sonderes Interesse gewähren.
Zu fordern vom Erfinder Oskar Roeholl in Cassel.
Digitized by Google
Zellenstoff- Unterjacken
aus Seide, Wolle i (ohne Knoten)
oder Baumwolle \ tragen sich
warm und angenehm.
Unsere Netz - Jacken
H werden von den titl. Prof. DDr. Oppen¬
heimer, Hecker, Niemeyer, Bamberger,
Eichstädt, Jäger etc. als das der Ge¬
sundheit zuträglichste u. zweckmiissigste
empfohlen. Prosp. mit Zeugnissen ärzt¬
licher Autoritäten.
Carl Mez & Söhne, Freiburg (Baden).
ilein,oltneje<{c
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserter;Jiemopafbiscfier
Gesundheit*
nachDrF.Katsch
FRANCK
SCHUTZMARKE
u.Unterschrift
Deutsche Hochschule
für Naturärzte etc.
Aufnahme von Studenten (Damen und Herren),
die als Doctor der Hydrotherapie etc. gradniren
wollen, findet jederzeit statt.
Wegen Auskunft adressire:
German College,
512 Noble Str. Chicago, Illinois, Nord-Amerika.
Dr. Luginblihl, homöopath. Arzt, empfiehlt seine kleine
Anstalt Bad MÜhlenen, erdige Mineralquelle mit
Eisengehalt; prachtvolle, geschützte Lage im Berner Ober¬
land. Krankheiten: Bheumatismus, Nervenzustande, Kin¬
derkrankheiten. Aufmerks. Behandlung, billigste Preise.
Kastanienblüthen-Oel und
Kastanienblüthen -Tinctur
aus den frischen ßlötben bereitet, haben sich als
thats&chlich gute Mittel zum Einreiben gegen
Gicht und Rheumatismus schon seit langen
Jahren eingefübrt und werden zu^Versuchen bestens
empfohlen.
Zu haben in jedem gewünschten Quantum, in
Flaschen & 50 Pfg. bis zu Flaschen ä ^ Ko. =4 M.
Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Offlein.
Den Herren Aerzten empfehle sSmmtliche
Artikel zur Krankenpflege:
Verbandstoffe, ärztliche nnd
sonstige Instrumente, Instramenten-
taschen n. Wnndverband-Apotheken
in allen Grössen, in bester Qualität und zu
billigsten Preisen.
Ausführliche, speciell chirurgische Preislisten
werden auf Verlangen gratis und franco verschickt.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offlein.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttg&rt, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedlcke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Gresener 4 Schramm in Leipzig.
Digitized by kjOOQie
Band 125.
Leipzig, den 21. Juli 1892.
No. 3 n. 4.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITIM
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggrars homöopath. Offlcln) in Leipzig.
Eraohelnt 14tägig >u 2 Bogen. IS Doppelnummern bilden einen Bend. Preis 10 J#. SO Pf. (Halbjahr). Alle Bncbhandlangen nnd
Poetenetelten nehmen Bestellnngen an. — Inserate, welche an B. Messe in Leipzig nnd dessen Filialen oder an die
Verlagshandlung selbst (A. Marggrafs homöopath. Offlein in Leipzig) zu richten sind, werden mit 80 Pf. pro einmal
gespaltene Petitseile und deren Raum berechnst. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt: Die PotenzlroiiQ. Vergleichende Nenralanalyse von 17 Alkaiisalzen. Physiologisch geprüft von
Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart. (Ports.) — Akute Miliartuberkulose der Harnblase Im Anschluss an eine chronlsohe
Lungentuberkulose. Vortrag, geh. von Dr. med. StiffirLeipzig. — Die Homöopathie nnd der Suggestlonlsmus. Eine
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München von Dr. Gerster-München. — Das Bruchband der Zukunft mit ring¬
förmiger Luftpelotte. Von Dr. Neuschäfer» Frank fort a. M.— Zur Behandlung mit Tubercuiln. Von Dr. Simon-Biel.—
Epidemiologische Ecke. — Utteratnr. — Leeefrfiohte. — Reohnuageablegung. — Personalla. — Anzeigen.
Die Potenzirung.
Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger-
Stnttgart.
IV. Vergleichende Nenralanalyse von
17 Alkalisalzen.
(Fortsetsang.)
Schlussfolgerung für Basen and Säuren.
Aus diesen Ergebnissen an den Salzen lässt sich
nun noch zweierlei schliessen, worauf ich schon
früher hinwies:
1) auf die Differenz der Basen dieser verschie¬
denen Salze, also den Grad der Lebensfeindlichkeit
von Natron, Kali nnd Ammonium causticnm. Nach
der Nenralanalyse der Salze ist kaustisches Natron
weniger und kaustisches Ammoniak mehr lebens¬
feindlich als Kali. Dass für Kali nnd Natron das
mit der praktischen Erfahrung vollkommen über¬
einstimmt, wird von niemand bestritten werden.
Dagegen könnte man bestreiten, dass das Ergebniss
der Neuralanalyse bezüglich des Unterschiedes von
Kali und Ammoniak der Erfahrung entspreche,
indem man sich darauf beruft, dass die Aetz-
Wirkung des Ammoniaks viel geringer sei als die
der Kalilauge. Dieser Einwand führt uns aber ganz
genau auf den von mir oft genug besprochenen
Unterschied in der Stoffwirkung, nämlich den
zwischen der chemischen Wirkung, die mit der
Concentration resp. Masse z u n i m m t, und der
nervösen Wirkung, die umgekehrt d. h. mit der
Verdünnung zunimmt, also eine Wirkung des
Flüchtigkeitsgrades ist. Objekt der Neuräl-
analyse ist die letztere, d. h. die nervöse Wir¬
kung, und nicht die erstere, und darüber kann nun
lediglich nicht gestritten werden, dass das kaustische
Ammoniak eine viel stärkere nervöse Wirkung hat
als das kaustische Kali, das bedingt schon der
Unterschied der Flüchtigkeit: Weil das kaustische
Ammonium weit flüchtiger ist, als kaustisches Kali,
muss ceteris paribus seine nervöse Wirkung stärker
sein und ist es bekanntlich auch in hohem Grad
und zwar nach beiden Richtungen: a) in der Wir¬
kung auf die Riechnerven. Ammoniak hat einen
sehr starken, schweren und widrigen Geruch, wäh¬
rend das kaustische Kali schwach auf die Geruchs¬
nerven wirkt, b) Auch inhalatorisch einverleibt
wirkt Ammoniak viel stärker auf den ganzen Orga¬
nismus als Kalilauge, erzeugt Husten, Beklemmungs¬
gefühle etc. Ich bin hierüber zufällig genauer
durch praktische Erfahrungen unterrichtet. Weil
kaustisches Ammoniak auf organische Stoffe weniger
ätzend und zerstörend wirkt als die anderen Cäustica,
so bevorzugt man für Reinigung der Wollwäsche
die Ammoniakseife. Dagegen ist die Fabrikation
s
Digitized by
Google
18
der Ammoniakseife wegen der überaus lebensfeind¬
lichen und starkwirkenden Ammoniakdämpfe für
die Arbeiter weit mühsamer, schädlicher und ge¬
fährlicher als die der Natron- und Kaliseifen, wie
ich von dem betreffenden Fabrikanten selbst weiss.
Mithin stimmen auch in dem Punkt Erfahrung und
Neuralanalyse vollständig überein.
2) ist ein Schluss gestattet in entgegengesetzter
Richtung, nämlich von den gemessenen nieder-
atomigen stickstoffhaltigen Verbindungen auf die
hochatomigen organischen stickstoffhaltigen Sub¬
stanzen, wie es die Ptomaine, Alcaloide tu s. f. sind.
Die bekannte Giftigkeit, die derartige Stoffe ent¬
falten können, hat ihr Seitenstück in der Hart¬
näckigkeit, mit welcher die Ammoniaksalse ihre
Giftigkeit gegen das Verdünnungsverfahren verthei-
digen. Auch insofern darf das bei den Ammoniak¬
salzen erhaltene neuralanalytische Resultat als eine
Uebereinstimmung mit anderweitiger Erfahrung be¬
zeichnet werden.
VI. Tabelle: Die unteren Potenzen der Alkalisalze nach den Säuren geordnet.
Potenz
8
4
5
6
7
8
9
10
11
12
18
14
15
16
Summe
der Minus-
werthe
©
Na.
—36
—34
—30
—22
- 16
—22
-13
— 8
|+4
+n
+18
+16
+14
+19
180
CG
Ka.
—70
— 45
—33
—31
—26
-32
-26
—25
—28
—19
—17
—13
+ 6
372
B
S
Am.
—63
—43
-45
—40
-35
-38
—32
—29
—29
-25
—18
—23
—22
—33
543
Mittel
-56
—41
—36
— 31
—26
—31
—24
—21
— 18
— 11
— 6
— 7
— 5
—3
316
i
Na.
—25
—31
—25
—20
— 14
- i°j
+ i
+ 7
+10
+ii
+12
+10
125
H
Ka.
—43
—28
—26
—25
—28
—20
—12
—12
—11
— 8
— 7
— 2
222
o
H
Am.
—64
—44
-46
—41
-26
—47
—32
-31
-20
—15
—11
—12
442
s
p5
Mittel
-44
—34
-32
—29
—23
—26
-14
—12
— 7
— 4
— 2
— 1
228
©
■f
CO
CD
0
©
3
Na.
Ka.
Am.
—14
—37
—50
—16
— 19
—36
i i i
S C5 »
|+5
-20
—24
+ 9
— 8
—37
+18
1+3
—21
32
100
223
o
W
Mittel
-84
—24
—16
—18
— 12
0
129
Na.
— 5
|+ 6
+1
+28
+28
5
Ü
Ka.
—40
—28
—13
—14
—10
100
|
Am.
—34
—22
—25
-30
—23
165
Mittel
—26
—13
—10
— 7
- 2
58
Die vorstehende Tabelle VI hat keine anderen
Ziffern und Stoffe zur Grundlage als die Tabellen
III—V. Sie Btellt sie nur anders zusammen und
bringt dann in der Columne der Mittelziffern neues
Material, das uns in den Stand setzt, einen Schluss
auf den zweiten Componenten der gemessenen Salze
zu machen. Während in den Tabellen HI—V die
Salze nach ihren Basen zusammengestellt sind,
ordnet sie die Tabelle VI nach den Säuren resp.
Halogenen, und die Mittelziffern gestatten uns jetzt
einen Schluss auf die toxischen Eigenschaften dieses
Factors zu machen. Man könnte natürlich diese
Stoffe auch für sich allein der Neuralanalyse unter¬
ziehen, allein 1) wäre das eine neue mühsame Ar¬
beit, 2) inhalirt man eine Säure oder ein Halogen,
so hat man einen Stoff, bei dem die chemischen
Wirkungen viel stärker sind als bei den chemisch
indifferenten Salzen, und was bei der Potenzirung —
denn es handelt sich bei meiner Arbeit nur um
diese — untersucht werden muss, ist nicht die
chemische Wirkung, sondern die nervöse. Denn
darüber, dass bei der Verdünnung eines Stoffes
dessen chemische Wirkung im geraden Verhältniss
zur Masse abnimmt, besteht ja lediglich keine Mei¬
nungsverschiedenheit, sondern nur darüber sind die
Geister im Unklaren, ob es eine Wirkungsweise
Digitized by v^ooQle
19
der Stoffe giebt, welche mit der Verdünnung zu¬
nimmt. Um diese handelt es sich, diese misst die
Neuralanalyse, und je mehr man sich hierin die
chemische Wirkung vom Hals halten kann, desto
besser ist es.
Die Tabelle VI giebt uns nun folgende Giftig¬
keitsscala:
Chlorsalze haben die Giftigkeitsziffer 58
Kohlensäure Salze „ „ * 129
Phosphorsaure Salze „ „ „ 228
Bromsalze „ „ „ 316
Bei Besprechung dieses Ergebnisses müssen wir
die Halogene und die echten Säuren auseinander¬
halten :
a) Halogene haben wir zwei: Chlor mit 58
und Brom mit 316 Giftigkeitsziffer. Dass die ner¬
vöse Wirkung des Brom die des Chlor übertrifft,
ist unbestreitbar: a) Der Geruch des Brom, das
seinen Namen von bromos = Gestank hat, ist weid
widerwärtiger, feindseliger als der des Chlors und
erinnere ich mich noch aus meiner Studienzeit leb¬
haft eines Vorfalls. Man machte einen Versuch,
einen Gesichtskrebs mit einer Brompaste zu ätzen.
Die infernalischen Dämpfe des Brom schlugen das
ganze Auditorium und schliesslich die Operateure
in die Flucht ß) Auch die Dosirung der Arznei¬
bücher stimmt damit. Im alten Sobernheim wird
die Anfangsdosis von Bromwasser (1: 40) auf 5—6
Tropfen, die von Chlorwasser auf 1 Scrupel = 1,2
Gramm, also, das Gramm zu 20 Tropfen gerechnet
auf die 4fache Menge festgesetzt
b) Säuren haben wir zwei: Kohlensäure mit 129,
Phospborsäure mit 228, letztere also mit etwa doppelt
so grosser Giftigkeitsziffer. Unbestreitbar ist die Phos¬
phorsäure viel giftiger als Kohlensäure und es
könnte nur auffallen, dass der Unterschied der
Ziffern nicht noch grösser ist. Um zu prüfen, wo¬
her das rAhrt und ob das Verhältnis auch bei den
freien 8äuren dasselbe ist, bedarf natürlich weiterer
Messungen, die ich aber unterlassen habe, weil sie
mit dem eigentlichen Zweck der Arbeit nichts zu
thun haben.
c) Nun b’eibt noch die Vergleichung der Halo¬
gene einerseits mit den Säuren andererseits und
zwar so: a ) dass Bromsalze giftiger sind als Phos¬
phorsalze, also Brom giftiger als Phosphorsäure,
das stimmt. Nach Sobernheim ist die Phosphor¬
säure „eine geruchlose Flüssigkeit von angenehmem
saurem Geschmack 11 , „die mildeste unter den Mine¬
ralsäuren *, die Anfangsdosis 10 Tropfen der con-
centrirten Substanz, während von Brom nur 5 Tropfen
einer Lösung von 1 Brom auf 40 Wasser, ß) Nach
der Tabelle müsste Kohlensäure lebensfeindlicher
sein als Chlor, wenn man ohne Weiteres vom
Charakter der Salze auf die der Constituentia der¬
selben schliessen darf. Das scheint nun nicht unter
allen Umständen erlaubt zu sein und zwar dann
nicht, wenn es sich um zwei so verschiedene Salz¬
bildner wie Kohlensäure und Chlor handelt. Koh¬
lensäure ist bekanntlich die schwächste Säure, so
schwach, dass in den kohlensauren Alkalien noch
die kaustischen Eigenschaften ihrer Basen zur
Aeusserung gelangen. Chlor dagegen ist eine sehr
starke Säure und raubt seinen Basen die kaustischen
Eigenschaften vollständig. Wahrscheinlich liegt
darin die Erklärung des neuralanalytischen Resul¬
tates und zwar so: In den Chlorsalzen ist die
gegenseitige Bindung und Neutralisation eine viel
vollständigere als in den Kohlensäuren, desshalb
sind sie „neutraler* weniger lebensfeindlich als die
kohlen sauren, bei welch letzteren noch die grössere
Giftigkeit alkalischer Stoffe zu Tage tritt. Ob diese
Deutung richtig ist, bedürfte natürlich weiterer Prü¬
fungen, aber hier,d. h. für unsere Frage, ist das gleich-
giltig; andererseits bezieht sich ja das eigentliche
neuralanalytischo Resultat gar nicht auf die Säuren,
sondern auf die Salze, und dass Kochsalz von der
Neuralanalyse für viel weniger giftig erklärt wird
als Soda, das stimmt mit den anderweitigen Er¬
fahrungen in jeder Hinsicht überein: Ersteres ist
das Ideal eines indifferenten Salzes, letztere ein
„Laugensalz*.
Schlussfolgerung.
Diese hat sich mit mehreren Dingen zu be¬
fassen :
1) mit der Methode. Diese ist die Neural¬
analyse. Dadurch, dass wir sie zuerst ausschliess¬
lich auf die unteren giftigen Potenzen der behan¬
delten 8toffe an wandten, bekamen wir die Möglich¬
keit, die Angaben dieser Methode mittelst Erfah¬
rungen, die mit Hilfe anderer Methoden gemacht
worden sind, auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen.
Ich hätte gewünscht, dass diess in noch ausge¬
dehnterem Masse möglich gewesen wäre, allein
„aller guten Dinge sind drei, nicht eine Unzahl*.
Für jeden Vorurtheilslosen, dessen Belehrungsfähig¬
keit noch nicht bankrott geworden ist, sind die
beigebrachten Beweise genügend — ich will nicht
sagen, um alles jetzt gläubig hinzunehmen, nein —
um zur Einsicht zu gelangen, dass man nicht in
die Welt gesetzt ist, um entweder zu zweifeln oder
zu glauben und zu schwatzen, sondern um zu han¬
deln: die Neuralanalyse hat die Probe auf dem
Gebiet der Giftigkeit glänzend bestanden und wer
diese Ansicht gewonnen, wird nun auch die An¬
gaben, welche wir im nächsten Abschnitt bezüglich
der oberen Potenzen und ihrer Belebungseffekte
vorlegen, mit anderen Augen ansehen, als wenn
diese Vorprüfung unterlassen worden wäre. Ich
habe übrigens in dieser Beziehung noch einen
Trumpf und zwar den Haupttrumpf auszuspielen.
Es ist eine unbestreitbare Thatsache, dass bei allen
3*
Digitized by
Google
20
Stoffen, die Giftwirkungen haben, mit Verminderung
der Masse resp. der Concentration die Giftwirkungen
an Heftigkeit verlieren und schliesslich ein Punkt
kommt, wo sie überhaupt aufhören. Nun betrachte
man die Zifferreihen der 17 gemessenen 8alze, ob
sie nicht ganz genau bei allen diesen 17 Stoffen
diese Thatsache ebenfalls zum Ausdruck bringen,
also mit dieser Generalerfahrung aller Methoden
übereinstimmen? Allerdings bezieht sich diese Ueber-
einstimmung nur auf das schliessliche Endresultat,
betrachten wir dagegen die einzelnen Zifferreihen
genauer, so stossen wir auf die gleiche Erscheinung,
die wir schon bei den Messungen von Kali car-
bonicum nach dem Verschlucken fanden: die Ab¬
nahme der Giftigkeit mit fortschreitender Verdün¬
nung bildet keine gerade Linie, wir stossen
immer wieder auf Stellen, wo die Linie gebrochen
ist, entweder so, dass trotz der Verdünnung um
eine Potenz die Giftigkeitsziffer die gleiche geblieben
ist, oder dass sie sogar zugenommen hat, oder sie
hat zwar abgenommen, aber die Abnahme ist bald
eine grössere, bald eine kleinere, als bei der vor¬
hergehenden oder nachfolgenden Potenzirung. Für
diesen eigenthümlichen Verlauf der Giftigkeits¬
abnahme in Folge der Verdünnung fehlt es uns
allerdings an Erfahrungen auf dem toxikologischen
oder pharmacologischen Gebiet; allein da frage ich:
hat denn bisher irgend ein Arzneimittelprüfer, sei
es ein allopathischer oder homöopathischer, je eine
so fein abgestufte systematische Durchprüfung der
verschiedenen Dosen nach irgend einer Methode
überhaupt einmal gemacht? Meines Wissens ist
das niemals geschehen und deswegen sind diese
feinen Unterschiede auch noch von niemand be¬
obachtet worden. Dieser Mangel an Controle der
Methode durch andere Methoden wird aber dadurch
reichlich ersetzt, dass nicht blos ein Stoff gemessen
wurde, sondern deren 171 und wenn sich nun eine
Erscheinung bei jeder dieser 17 Messungsreihen
wiederholt, so liegt darin die Garantie, dass es sich
hierbei nicht um Fehler, Zufälligkeiten und andere
Dinge, die sich ja wohl einmal einschleichen können,
handelt, sondern um einen in der Natur der Dinge
liegenden Vorgang, über den ich mich schon bei
Besprechung der Potenzen von Kali carbonicum
zur Genüge geäussert habe. Für die Lähmungs¬
wirkung gilt das gleiche wie für die Belebungs¬
wirkung: ihr Mass hängt ab von der Energie der
Molekularbewegung, die das Produkt aus Masse und
Geschwindigkeit ist. Nimmt bei der Verdünnung
die Geschwindigkeit der Moleküle nicht so stark zu,
dass der Ausfall an Masse nicht blos gedeckt, son¬
dern übercompensirt ist^o bleibt nicht nur bei den
oberen Potenzen der Fortschritt im Belebungseffekt
aus, sondern auch bei den unteren Potenzen die
Abnahme des Lähmungseffektes. Das ist so klar,
wie eine Sache nur sein kann.
2) Bezüglich der Dosirungsfrage ist das Er-
gebniss der Untersuchung nach folgenden Rich¬
tungen bemerkenswerth:
a) Es zeigt sich, dass es ganz falsch ist, zu
glauben, in der Homöopathie könne man, um an¬
fängliche Giftwirkungen, die man ja doch vermeiden
will, hintanzuhalten, von der gradweisen Verschie¬
denheit der Giftigkeit der verschiedenen Stoffe ab-
seben und bei der Dosirung nach einer allgemeinen
Schablone verfahren. Hier steht erstens fest:
Will man Giftwirkungen vermeiden, so muss zum
mindesten bis zur Indifferenz verdünnt werden.
Zweitens: Unsere Untersuchung zeigt, dass die Lage
des Indifferenzpunktes einmal im allgemeinen eine viel
höhere ist, als die heutige Homöopathie annimmt.
In der dritten Verreibung ist keines der 17 Salze
indifferent; in der so beliebten 6. Potenz haben nur 5
von den 17 den Indifferenzpunkt überschritten. End¬
lich wenn einer meint, mit der 15. Potenz habe er
bereits alle Gerechtigkeit erfüllt, so irrt er sich
auch noch, denn 3 der 17 Salze bringen in 15. Po¬
tenz noch Lähmungserscheinungen, also Giftwir¬
kungen hervor — 3 von 17 sind 17°/ 0 ! Drit¬
tens hat sicher niemand, weder Homöopath noch
Allopath noch ich selbst erwartet, dass die Lage
des Indifferenzpunktes so grosse Verschiedenheiten
aufweise, vollends nicht, dass innerhalb einer relativ
so naheverwandten Stoffreihe solche Verschieden¬
heiten möglich seien, wie die zwischen Kochsalz mit
Indifferenz zwischen 3. und 4. Potenz und Brom-
ammonium mit Indifferenz in der 21. Potenz!
b) Angesichts dieser grossen Unterschiede ver¬
langt ein praktischer Fortschritt in der Do¬
sirungsfrage zum mindesten eine systematische
Durchprüfung der gebräuchlichsten Arzneimittel,
um festzulegen, wo ihre Indifferenzpunkte liegen.
Erst dann weiss man, wie hoch jedes potenzirt
werden muss, um wenigstens vor Giftwirkung sicher
zu sein. Allerdings genügt es hierbei lAcht, dass
nur eine einzige Person diese Prüfung vornimmt,
das ist so klar, dass ich mich hier nicht ausführ¬
lich zu äussern brauche — ich sage nur: die Pa¬
tienten, welche homöopathisch behandelt werden
wollen, sowie die Aerzte, welche homöopathisch
curiren wollen, müssen sicher sein, dass sie keine
Arzneien bekommen, die so ungenügend verdünnt
sind, dass sie bei sensiblen Personen noch Gift¬
wirkungen hervorbringen. Dieses berechtigte Ver¬
langen ist nur zu erfüllen, wenn für jeden Stoff die
Potenz festgestellt ist, in welcher er auch noch bei
Personen von grosser Sensibilität wenigstens in¬
different ist. Dass man das mittelst der Neural¬
analyse ausführen kann, habe ich bewiesen. Weiss
jemand eine bessere Methode, gut, dann soll er
losschiessen.
3) In obigen Messungen kommt die Thatsache
zum Ausdruck, dass es selbst unter den für so
Digitized by
Google
21
harmlos geltenden Kalisalzen solche giebt, die noch
in so ungeheurer Verdünnung wie der billionsteu,
trilliousten, falls sie der Athmungsluft beigemengt
sind, Giftwirkungen, Lähmungserscheinungen u. 8. f.
hervorbringen. Das eröffnet einen merkwürdigen
Einblick in das, was man „Luftgifte 11 nennen muss
und was vielleicht nichts anderes ist als das, was
man „genius epidemicus* oder in der Sprache des
Paracelsus „siderischen Einfluss“ nennt. Ich will
das, was sich mir hier von Erwägungen, Betrach¬
tungen und Beobachtungen aufdrängt, in der Feder
behalten, weil es uns zu weit ab von Gegenstand
und Zweck der vorliegenden Arbeit führen würde,
allein ganz weglassen wollte ich den Hinweis nicht,
um denen, die so selbstzufrieden mit ihrem Wissen
und Können sind, auch die Kehrseite zu zeigen,
nämlich wie ausserordentlich gross das Gebiet ist,
auf dem wir nichts wissen, dass sie also entweder
selbst zu forschen oder von anderen, die sich dieser
Mühe unterziehen, zu lernen haben.
4) Zum Schluss noch eines, um ein Missver¬
ständnis zu verhindern. Das Wort „Indifferenz“
ist nämlich einer verschiedenen Auslegung fähig,
und es muss hier deshalb gesagt werden, was ich
darunter verstehe, und das ist selbstverständlich
durchaus nichts anderes als das, was ich in Ziffern
ausgedrückt habe: Eine Potenz, die bei der neural-
analytischen Prüfung weder Belebungseffecte noch
Lähmungseffecte hervorbringt, nenne ich genau mit
dem gleichen Recht indifferent, wie man eine Koch¬
salzlösung indifferent nennt, welche an lebenden
Geweben, z. B. Blutkörperchen, weder Quellung
noch Schrumpfung erzeugt, oder wie man eine
Temperatur mit Bezug auf die eines andern Kör¬
pers indifferent nennt, wenn sie an letzterem weder
eine Steigerung noch eine Verminderung seiner
Wärme hervorbringt. Was also mit dem Wort
„Indifferenz* nicht gesagt werden will, ist, dass
die Einverleibung eines Stoffes in der von mir als
„indifferent* bezeichneten Dosis für ein Lebewesen
vollständig gleichgiltig sei. Das kann sie ausser
anderem, wovon später gesprochen wird, schon des¬
halb nicht sein, weil Ausscheidung oder Bindung
mehr oder weniger rasch den Concentrationsgrad,
auf welchem die Indifferenz „beruht, ändern.
(Fortaetsung folgt.)
Akute Miliartuberkulose
der Harublase im Anschluss an eine
chronische Lungentuberkulose.
Nach einem Vortrage, gehalten bei der Frühjahrs¬
versammlung des Säcbsisch-Anhaltinischen Vereins
zu Halle a/S. von Dr. med. Stifft
Die Tuberkulose der Harnblase, eine im All¬
gemeinen seltene Erscheinung, tritt meist als eine
primäre Affection des Urogenital-Apparates auf, und
zwar im Anschluss an die Entwickelung käsiger
Herde in den Hoden, Nebenhoden und der Prostata
oder im Anschluss an Tuberkulose der Nieren,
Nierenkelche und Ureteren. Seltener ist ihr Vor¬
kommen als eine secundäre Erscheinung bei chro¬
nischer Lungenphthise beobachtet. Sie pflegt dann
ebenfalls mit metastatischer Tuberkeleruption im
übrigen Urogenitalsystem vergesellschaftet zu sein.
Verlauf und Symptome gleichen in beiden Fällen
denen einer chronischen Cystitis.
In dem von mir beobachteten Falle, den ich
hiermit der Oeffentlichkeit übergeben will, handelte
es sich um das äusserst seltene Vorkommen einer
alleinigen akuten Tuberkulose der Harnblase im
Anschluss an eine seit Jahren bestehende Lungen¬
phthise und zwar, wie ich mit Bestimmtheit an¬
nehmen zu dürfen glaube, um eine durch lokale
traumatische Einflüsse bedingte. Der Fall war
folgender:
Max R., 34 Jahre alt, litt seit mehreren Jahren
an Lungenphthise. Patient consultirte mich zunächst
im Juni, Juli und August vorigen Jahres in der
hiesigen Poliklinik. Die Untersuchung ergab im
rechten Oberlappen eine noch kleine Kaverne mit
bronchopneumonischer Verdichtung der übrigen
Lungensubstanz und reichlichen Rasselgeräuschen.
Links zeigte sich nur Verdichtung und geringes
Rasseln, die übrigen Lungenpartieen wurden im
Zustande leichten Catarrhes befunden. Der Er¬
nährungszustand war ein noch ziemlich guter. Fieber
und Nachtschweisse belästigten nur in geringem
Maasse. Der Kranke erhielt nach einander Calcarea
carbonica 03, Phosphor 05, Arsenicum jodatum 06
und Pulsatilla 03 und erholte sich dabei sichtlich.
Besonders nahmen Auswurf und Athembeengung
wesentlich ab; auch die bekannten lancinirenden
Schmerzen in der Schultergegend waren beiderseits
seltener geworden und zeitweise ganz geschwunden.
Im September und Anfang October hatte ich von
dem Kranken nichts mehr gehört Da erschien
am 25. October die Frau desselben und theilte mir
mit, ihr Mann habe seit längerer Zeit wieder mehr
Fieber und viel Auswurf gehabt, sei matter ge¬
worden, phantasiere jetzt bisweilen des Nachts und
habe Öfter den Urin nicht lassen können, so dass
er habe katheterisirt werden müssen. Es sei die
letztere Erscheinung schon einmal vor Jahren für
längere Zeit eingetreten. Ich rieth, den Kranken
in unser Hospital zu bringen, was auch 2 Tage
später, am 27. October, geschah.
Status praesens bei der Aufnahme: Patient
hochgradig abgemagert, apathisch, giebt auf Be¬
fragen aber richtige und klare Antworten. Tem¬
peratur 37,6. Puls 100, klein. Athmung 32. Im
rechten Oberlappen grosse Kaverne, broncliopneu-
monische Verdichtung bis über den Mittellappen
Digitized by v^ooQie
22
herabreichend, bronchiales Athmen, reichliche feuchte
Rasselgeräusche. Unterlappen ziemlich frei. Links
Befund ähnlich, Prozess weniger vorgeschritten.
Reichliche Sputa cocta neben dünnflüssig eiterigem
Auswurf, nicht stinkend. Mässige inspiratorische
Dyspnoe. Milz leicht vergrössert, Leber normal.
Urin wird normal entleert, klar. Therapie: Phos¬
phor 003 und Camphora bromata 03.
28. October: Temp.Morgens37,5, Abends38,5.
Allgemeinbefinden wie Tags zuvor. Es erfolgt ein
dünner Stuhl. Da seit 12 Standen kein Urin ge¬
lassen worden war, die Harnblase sich aber gefüllt
zeigte, wird katheterisirt und es werden mit Leichtig¬
keit durch einen mittelstarken elastischen Katheter
ca. 500 Gramm Harn von ganz normalem Aussehen
entleert. Zum innerlichen Gebrauch wird Nux
vomica 03 interponirt. Allgemeinbefinden tagsüber
unverändert. Am Abend macht sich wieder die
Anwendung des Katheters nöthig. Es stellen sich
derselben jetzt unerwartete Hindernisse entgegen.
Der bisher benutzte elastische Katheter, Charriöre
Nr. 22, war absolut nicht mehr in die Blase hinein¬
zubringen. Er drang bis zur Pars prostatica der
Harnröhre vor und stak hier fest. Auch die
kleineren Nummern, 20, 15, 10 brachten keinen
besseren Erfolg. Mit Nr. 15 gelangte ich mehrmals
in ein deutliches Divertikel der Pars membranacea,
einen offenbar alten * falschen Weg“. Indess gelang
es unter geringer Blutung immerhin noch ziemlich
leicht, mit einem mittelstarken neusilbernen Katheter
in die Blase einzudringen, worauf klarer, gegen das
Ende hin etwas schleimiger Urin entleert wurde.
Patient klagt danach nicht über Schmerzen; er ge-
niesst Milch, Ei, Suppe, ist apathisch; Nachts schläft
er ziemlich ruhig Es erfolgen 2 breiige Stühle.
29. October: Temp. Morgens 37,5, Abends 38,4.
Puls und Athmung wie Tags zuvor. Am Morgen
wird der Urin, hell und etwas schleimig, durch
denselben Metallkatheter leicht entleert; am Nach¬
mittage ist es wieder absolut unmöglich. Beim
Herumführen des Katheters um die Symphyse er-
giebt sich bei allen Versuchen ein unüberwindliches
Hinderniss. Man hat den Eindruck, als sei die Pars
prostatica in die Länge gezogen, deshalb der %u stark
gekrümmte Schnabel nicht in die Blase zu bringen.
Auch der nun angewandte Mercier’sche Katheter
mit „einfacher Biegung“ wird ohne Erfolg versucht.
Die Blutung wird bei den forcirten Versuchen
stärker. Endlich gelingt es wieder mit einem
elastischen Katheter, Charrtere Nr. 20, durcbzu-
kommen und die Blase zu entleeren. Anfangs
blutiger, dann schleimiger Urin entleert. Allgemein¬
befinden wie zuvor. Ein dünner Stuhl. Reichliche
Sputa cocta. Nachts Patient sehr unruhig, stöhnt
viel. Viel Durst. Gegen Morgen heftige Leib¬
schmerzen und Auftreibung des Leibes, weshalb
ich um 5 Uhr zu dem Patienten gerufen werde.
30. October: Temp.Morgens37,5, Abends37,5.
Ich fand bei meinem ersten Besuche den Patienten
stärker benommen. Verwirrtes Denkvermögen.
Leichte Delirien. Er antwortet undeutlich, sieht
starr um sich, verlangt stets zu trinken, stöhnt bei
Druck auf den Leib, Pupillen weit. Puls 120,
klein. Ich fand die Harnblase gefüllt und hielt
eine erneute Katheterisation für nöthig. Es zeigten
sich dieselben Schwierigkeiten. Sofort trat Blutung
ein. Bei den wiederholten Versuchen hatte ich
das Gefühl, als bleibe der Katheter in weichem,
schwammigem Gewebe der Pars prostatica stecken.
Endlich gelangte der elastische Katheter, Charri&re
Nr. 20, wieder durch. Der entleerte Urin, 600 Gramm,
war durchweg blutig, reagirte aber noch schwach
sauer. Auch nach dem Katheterisiren sickert noch
Blut durch die Harnröhre ab, weshalb innerlich
Ferrum muriaticum 03 und Arnica 03, äusserlich
kalte Arnica-Compressen angewandt wurden. Auf¬
treibung des Leibes und Schmerzhaftigkeit liessen
sofort nach. Patient geniesst Milch und kräftige
Suppe, bleibt aber apathisch, stöhnt häufig. Tags¬
über sickert fortwährend Blut aus der Harnröhre
ab. Ein dünner Stuhlgang. Am Abend Blase
wieder stark gefüllt und auf Druck sehr schmerz¬
haft. Mit grösster Schwierigkeit und unter starker
Blutung werden mit dem elastischen Katheter
700 Gramm blutigen Urins entleert, der alkalisch
reagirt. Nacht sehr unruhig. Patient somnolent.
Unwillkürlicher Abgang dünnen Stuhles.
31. October: Temp.Morgens37,2,Abends36,4.
Puls 140, Athmung 40. Schon früh werde ich zu
dem Patienten gerufen, da während der Nacht viel
Blut abgeflossen und die Gegend der Harnblase
wieder hoch vorgewölbt und sehr schmerzhaft auf
Druck ist. Die Compressen mussten deshalb schon
entfernt werden. Patient war völlig benommen,
aber sehr unruhig, stösst fortwährend unter Hin- und
Herwerfen unartikulirte Laute aus, stöhnt, offenbar
in Folge starker Schmerzen. Es werden innerlich
Zincum 003 und Nux vomica 03 versucht, die
etwas zu beruhigen scheinen. Eine Katheterisation
erschien mit allen bisher angewandten Instrumenten
völlig unmöglich. Dieselben blieben beim Eintritt
in die Pars prostatica • wie in morschem Gewebe
stecken, das man zu durchstossen fürchten musste.
Es schienen nur der hohe Blasenstich oder die
Boutonnifcre noch übrig, um die nothwendige Ent¬
leerung der Blase zu erreichen.
In dieser Noth half noch allein der schwere bieg¬
same Zinnkatheter, dessen Anwendung ich nur ein Mal
in einem Falle von Prostatahypertrophie gesehen
hatte. Derselbe, bis zu einer nur noch geringen
Biegung gestreckt, glitt fast leicht und ohne An¬
wendung von Gewalt in die Harnblase hinein! Es
entleerte sich blutiger, vollständig ammoniakaliscber
Harn, 800 Gramm, an dessen Entleerung sofort eine
Digitized by Google
23
Ausspülung der Blase mit 0,5°/ 0 er Kochsalzlösung
von 38° C. angeschlossen wurde, bis die letztere
klar abliefc Danach wurde Patient warm eingehüllt.
Er blieb jetzt ruhig, stöhnte nicht mehr, wurde
aber im Laufe des Tages schwächer und schwächer,
refüsirte bald Nahrung und Trank und gab uns auf
lautes Anrufen keine Antwort mehr. Dabei leise
Delirien. Auswurf und Husten hatten ganz auf¬
gehört. Am Abend gelang die Katheterisation mit
dem Zinnkatheter abermals leicht. Urin wieder
blutig, ammonikalisch, abermalige Ausspülung. Blut
war nach der ersten Ausspülung und in der Zwischen¬
zeit nicht mehr abgeflossen. In der Nacht trat
völlige Pro8tration ein und unter den Erscheinungen
der Herzparalyse erfolgte am 1. November früh der
Exitus letalis.
Ich habe bei der Schilderung dieser qualvollen
Tage, die dem Tode des Patienten vorausgingen,
etwas länger verweilt, erstens, um dem Leser ein
klares Bild von diesem seltenen Abschluss einer
chronischen Lungenphthise zu geben und zweitens,
um in ähnlichen Fällen die Aufmerksamkeit sofort
auf die Anwendung des mir allein geeignet er¬
scheinenden biegsamen Zinnkatheters hinzulenken,
der mit Unrecht etwas absolet geworden zu sein
scheint Wenigstens wurde er mir auf der Univer¬
sität nur zur Demonstration vorgezeigt. Hätte ich
denselben sofort angewendet, würde ich dem Patien¬
ten manchen Schmerz, mir manchen Scbweisstropfen
erspart haben.
Die Lösung des Räthsels der so erschwerten
Katheterisation sollte uns die Obduction geben.
Dieselbe wurde 12 Stunden nach dem Tode von
mir vorgenommen. Ich hebe nur die wesentlichsten
Punkte hervor:
Gehirn: Dura mater intakt. Pia getrübt, starke
Gefässinjection. Am basilaren Theil, besonders am
Infundibulum und den Sylvischen Gruben miliare
Tuberkelknötchen. Hirnsubstanz ödematös. Ven¬
trikel mit serösem Fluidum gefüllt.
Brusthöhle: Lungen hochgradig phthisisch
verändert. In der rechten Lungenspitze überwall¬
nussgrosse Kaverne; ganze Lunge mit zahlreichen
bronchopneumoniseben Herden und Tuberkelknöt¬
chen durchsetzt. Im Unterlappen Oedem. Links
oben 2 kleine Kavernen, durchweg geringere broncho-
pneumonische Infiltration. Herzmuskel sehr schlaft*.
Bauchhöhle: Darmschlingen aufgetrieben,
starke Gefässinjection; im Dünndarm zahlreiche
oberflächliche Tuberkelgeschwüre. Auf dem visce¬
ralen Blatte des Peritoneums disseminirte Miliar¬
tuberkel. Mesenterialdrüsen geschwellt, zum Theil
verkäst. Milz geschwellt, sehr blutreich. Leber
normal. Harnblase hochstehend, dunkel roth durch¬
schimmernd in Folge starker, venöser Gefässinjection,
das umgebende Zellgewebe serös durchdrängt.
Harnblase wird mit Glied und Hodensack vorsich-
I tig in toto herausgenommen, von der Harnröhre
aus eröffnet. Harnröhrenschleimhaut normal, in der
Pars membran&cea ein kleiner, 5 mm. langer
„falscher Weg,“ Pars prostatica und Trigonum
Lieutaudii vollkommen ausgefüllt mit Tuberkelge¬
webe und Blutgerinnsel. Nach Entfernung der
Letzteren sieht man eine Unzahl frischer miliarer
Knötchen, die der durch venöse Hyperämie kolossal
verdickten und geschwellten, gleichsam in Gra¬
nulationsgewebe umgewandelten Schleimhaut auf-
sitzen. Die tuberkulösen Veränderungen betreffen
nur das Trigonum bis zur Einmündung der Ure-
teren, die Pars prostatica und zum Theil die Schleim¬
haut-Auskleidung des Vas deferens beiderseits.
Die übrige Blasenschleimhaut ist frei. Desgleichen
werden Hoden, Nebenhoden mit Anfangstheil des
Vas deferens, Nieren und Ureteren frei von milia¬
rer Tuberkeleruption wie auch von älteren käsigen
Herden gefunden. Dagegen fanden sich Tuberkel¬
herde im Ductus thoracicus.
Wenn es in unserem Falle auch klar ist, dass
die akute Tuberkulose der Blasenschleimhaut wie
auch die übrigen miliaren Eruptionen nur als eine
Folge der Invasion des tuberkulösen Virus von
dem primären Lungenherde aus auf dem Wege der
Lymph- und Blutbahnen anzusehen sind, so tritt
uns doch die Frage entgegen, warum blieb dabei
die sonst gewöhnliche Miterkrankung des übrigen
Urogenitalsystems aus und warum stehen die übri¬
gen miliaren Tuberkeleruptionen in gar keinem Ver¬
hältnis zu der mächtigen Entwickelung derselben
auf der Schleimhaut der Blase? Hierin liegt das
Interessante des Falles.
Die akute Miliartuberkulose der Blase
ist nur aufgetreten in Folge des Katheteri-
sirens, denn Letzteres machte sich ja schon nöthig,
als von den Erscheinungen der beginnenden allgemei¬
nen Miliartuberkulose und der Tuberkulose der Blase
speciell überhaupt noch nichts zu finden war, wohl in
Folge spinaler Heizungen. Ihre direkte Ursache
ist also eine traumatische gewesen, herbeigeführt
durch Störungen in der Circulation, vielleicht auch
durch kleine Verletzungen beim Gebrauche des Ka¬
theters. Ein Analogon finden wir in dem Ent¬
stehen tuberkulöser Gelenkentzündungen bei inficir-
ten Thieren, nachdem denselben eine Gelenkver¬
letzung beigebracht wurde. Aehnliche Beobachtungen
sind auch bezüglich der Erkrankung des Auges
gemacht worden.
Dies das wissenschaftliche Interesse des mitge-
theilten Falles. Vor Allem aber möchte ich Werth
legen auf das practische Interesse desselben. Wenn
er auch für die Therapie nichts bringt, so möge
doch durch denselben jeder Kollege für ähnliche
Fälle bei der unumgänglichen Nothwendigkeit des
Katheterisirens an den Vortheil des biegsamen
Zinnkatheters erinnert sein. Erstens hat man es
Digitized by v^ooQie
34
in der Hand, denselben ganz den jeweiligen Ver¬
hältnissen entsprechend za biegen — im Gegensatz
zu den festen Metallkathetern — und zweitens
gleitet er in Folge seiner Schwere leicht durch
hochgradige Schleimhaut9chwellangen hindurch, wo
sich der leichte elastische Katheter biegt oder in
Falten verfängt.
Die Homöopathie
und der Suggestionismus/)
Eine offene Antwort
an Herrn Dr. Fuchs-München.
Lieber Freund!
Du hast m dieser Zeitschrift mich mit einem
.offenen Brief* erfreut, der meine ebendaselbst an
die Homöopathen gerichtete Mahnung kritisirt,
ihre therapeutischen Erfahrungen mit der nun zum
wissenschaftlichen Bürgerrecht gelangten Lehre vom
Suggestionismus zu confrontiren. Entschuldige,
wenn sich meine Antwort in Folge längeren Fernseins
von München verzögert hat und wenn ich in ihr
gleichzeitig die von den Herren Collegen Pfänder
und Lorbacher vorgebrachten Einwände gegen
meine früheren Ausführungen mit einschliesse.
Ich weiss nicht: soll ich es eine leichte oder
eine schwere Aufgabe nennen, die Ansichten und
Einwände zu beleuchten, die mir homöopathischer-
seits entgegengehalten worden sind? Leicht ist sie
mir in sofern, als weder Du noch die anderen
Herren Collegen in der Lage waren, mich mit
sachverständigen Gründen zu bekämpfen, denn von
Keinem wurde auch nur ein einziger Satz vorge¬
bracht, der auf genügende theoretische und prac-
tisebe Beschäftigung mit der Suggestionslehre
schliessen liesse. Schwer aber fällt mir die Antwort
deshalb, weil die gewichtigsten der mir gemachten
Einwürfe sich auf Aeusserungen beziehen, die ich
gar nicht gethan habe. In diesem Dilemma bleibt
mir nichts anderes übrig, als meine principielle
Stellung gegenüber dem Suggestionismus und der
Homöopathie kurz darzulegen und einige wichtigere
in der Polemik berührten Punkte besonders heraus¬
zuheben. Zu einer eingehenden Diskussion sämmt-
licher bei dieser Gelegenheit angeregten Fragen
würden weder meine Zeit, noch die Geduld der
Leser, noch der Raum, noch die freundliche Lang-
muth der Redaction dieser Zeitung ausreichen,
welch letzterer ich ohnedies für ihre Toleranz und
Unparteilichkeit zu aufrichtigem Danke verpflich¬
tet bin.
*) Siehe die Nummern 7 u. 8 , 15 u. 16, 17 u. 18,
21 u. 22 des Bandes 124 der Allg. hom. Zeitg.
Stelle Dir vor, es entfalte sich zwischen zwei
Leuten ein Gespräch über Religion. Der eine ist
Anhänger einer confessionellen Kirche, deren Glau¬
benssystem nach seiner Ueberzeugung und Erfah¬
rung am sichersten zur Erreichung irdischer und
himmlischer Glückseligkeit führt. Der andere ge¬
hört gar keiner Confession, also auch keiner Kirche
an, er erkennt vielmehr nur in dem allen Confes-
sionen gemeinsamen Streben nach menschlicher Ver¬
vollkommnung, nach Bethätigung von Menschenliebe
und Moral, die wahre Religion. Ich bezweifle, ob
die beiden, mögen sie sich auch gegenseitig Zuge¬
ständnisse machen, jemals zu einem befriedigenden
Abschluss ihrer Dicussion gelangen.
So würde es auch zwischen uns Beiden der
Fall sein. Du bist Homöopa'h geworden und ge¬
blieben und ich achte und ehre Deine Ueberzeugung.
Ich habe mich zwar als Sohn eines ausgezeichneten
Homöopathen gleichfalls verpflichtet gefühlt, die
Homöopathie theoretisch und practisch zu studiren,
wie ich dies auch bei der sog. Allopathie und der
sog. Natnrheilkunde gethan habe. Wenn ich aber
an keiner dieser „Methoden* für Lebenszeit hängen
blieb, so ist daran der Umstand schuld, dass mich
meine Studien und Erfahrungen immer mehr dahin
drängten, die Therapie in ihrem weitesten Umfange
aufzufassen und auszuüben. Es schien mir die Pflicht
eines modernen und rationellen Arztes zu sein, in jedem
Einzelteile von sämmtlichen therapeutischen Maass¬
nahmen, seien sie physische oder psychische, arz¬
neiliche oder unarzneiliche, Gebrauch zu machen,
die ihm sein Wissen und Gewissen vorschreiben.
Um Systeme kann und soll man sich aus histo¬
rischem Interesse kümmern, aber als Arzt ein ein¬
ziges Heilsystem anzuwenden, sei es und heisse es
wie es wolle, das schien mir kein erstrebenswerthes
Ziel. Ich dankte vielmehr Gott, als die Zeit hinter
mir lag, in der ich mich durch das Gestrüpp der
einzelnen therapeutischen Systeme hindurchwand,
ohne aber die Mühe und Zeit für verloren zu er¬
achten, denn in der allopathischen Pharmakotherapie
sind so gut Wahrheiten und Goldkörner wie im
Hahnemannismns, im Rademacherianismus so gut
wie im Niemeyerianismus, aber als System ist keines
genügend und keines alleinseligmachend.
Wenn Du mir hier einwendest, ich kenne die
Homöopathie viel zu kurze Zeit, um über sie ur-
theilen zu können, so erwidere ich Dir, dass die
unausgesetzte und ausschliessliche Beschäftigung
mit einem Heilsystem nur dazu führen kann, den
weiten Blick über das ganze mächtige Gebiet der
Therapie zu verlieren und sich allmählig Fesseln
anzulegen, die man immer weniger als solche merkt,
je länger man sie trägt. Ich habe wenigstens so
viel gelernt, dass ich nun zu unterscheiden vermag
zwischen den brauchbaren therapeutischen Princi-
pien der Homöopathie, wie sie schon ein Paracelsus
Digitized by v^ooQie
35
und andere grosse Aerzte vor und nach ihm kannten
und auf die auch die modernste Arzneiwissenschaft
wieder zurückzukommen im Begriff ist, und zwischen
dem Hahnemanni8mus, der lediglich ein mit den natur¬
wissenschaftlichen und medicinischen Kenntnissen
vom vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts unter¬
nommener Erklärungsversuch jener Principien und
deren Zusammenfassung zu einem 8ystem ist.
Derselbe mag historisch von Interesse sein, ihn
aber als therapeutisches Evangelium aller Zeiten
zu betrachten, könnte wohl nur ganz unselbststän¬
digen und orthodoxgläubigen Naturen beifallen.
Ich komme nun zum Suggestionismus und muss
einige Irrthümer zurtickweisen, in welchen Du Dich
nebst den Collegen Pfänder und Larbacher mir
gegenüber befindest. An der Spitze Deines Briefes
sagst du mir: „Du behauptest, die Homöopathie
beruhe auf Suggestionismus. 11 Pfänder meint, ich
wolle im Suggestionismus ein Universalheilmittel
ersehen und auch Lorbacher imputirt mir, ich hielte
die meisten, möglichst alle homöopathischen Arznei-
Heilungen durch Suggestionismus hervorgebracht.
Wann und wo habe ich, derartiges behauptet?
In meinem Aufsatz in Nr. 7/8 (Band 124) gewiss
nicht. Hätten die Herren diesen Aufsatz genau
durchgelesen, so hätten sie gefunden, dass ich es
als eine Pflicht wissenschaftlich gebildeter und mit
der Neuzeit fortschreitender Aerzte aller Confes¬
sio nen, also auch der homöopathischen, hinstellte,
bei ihren therapeutischen Leistungen von nun an
den Suggestion!smu8 zu berücksichtigen. Ich
betonte, dass diese Pflicht den Homöopathen um so
mehr zufalle, als diese aus verschiedenen Gründen
stärker suggestiv wirkten als ihre anderen (nament¬
lich die allopathischen) Collegen und weil sie seitens
ihrer Gegner (zu denen ich aber nicht gehöre)
den Vorwurf hören müssten, sie wirkten in Anbe¬
tracht der „Nichtse* ihrer Arzneien überhaupt bloss
durch Suggestion. Gerade weil ich wünsche, dass
das, was an der Homöopathie gut und wahr ist,
zum Durchbruch und zur allseitigen wissenschaft¬
lichen Anerkennung gelange, möchte ich, dass die
Homöopathen Krankengeschichten liefern, die in
jeder Hinsicht, auch vom Standpunkte des Suggestio¬
nismus, wissenschaftlich unanfechtbar sind. Wenn
Lorbacher meint, es sei einem beschäftigten prac-
tischen Arzt einfach unmöglich, die von mir an
eine brauchbare Krankengeschichte gestellten An¬
forderungen zu erfüllen, so muss ich offen gestehen,
dass ich es für besser halte, ein solcher Arzt be¬
hält seine „Erfahrungen* für sich, als er publicirt
therapeutische „Erfolge*, die auf jeder Zeile zu
Ein wänden herausfordern. Wer übrigens den
Suggestionismus kennt und weiss, worauf er zu
achten hat, um nicht ständig in den Fehler des Post
hoc ergo propter hoc zu verfallen, der wird nicht
die mindeste Schwierigkeit finden, in der gleichen
Zeit eine gute Krankengeschichte zu liefern wie
sonst eine schlechte.
Ein zweiter Irrthum von Dir und den genannten
Herren Collegen ist die Behauptung, dass ich dem
Suggestionismus eine viel zu weit gehende Be¬
deutung einräume. „Unter der Idee der unbeab¬
sichtigten Suggestion lässt sich schliesslich alles
subsummiren, was nur irgendwie auf menschliche
Verhältnisse Bezug hat,* meinst Du. Lorbacher
sagt: „Was man sich ^ nicht erklären kann, sieht
man für Suggestion nun an“ und Pfänder hält mich
für einen Vertheidiger des „Suggestionismus überall“.
Einem derartigen Pan-Suggestionismus zu huldigen,
wie die Herren hier annehmen, fällt mir gar nicht
ein. Die Frage nach dem Wo und Wann des
Suggestionismus zu erörtern, würde hier viel zu
weit führen und ich verweise Interessenten noch¬
mals auf das Werk des Dr. Schmidkunz*)
Du behauptest, lieber Freund, dass ich bei
meinen homöopathischen Versuchen einen Erfolg
nur der Suggestion, einen Misserfolg der Homöo¬
pathie zugeschrieben habe. Du stellst hierdurch
meiner Logik und Methodik ein sehr ungünstiges
Zeugniss aus, gegen welches ich mit Energie pro-
testiren muss. So erschreckend oberflächlich bin
ich denn doch nicht Auch fällt es mir gar nicht
ein, die Suggestionstherapie wie eine Art „Stecken¬
pferd“ zu reiten oder als „Sport“ zu betreiben. Ich hul¬
dige vielmehr aufs Strengste dem Grundsatz derlndi-
vidualisirung und halte es geradezu für eine unab¬
weisbare Pflicht jedes Therapeuten, der psychischen
Individualität seines Patienten die genügende Be¬
achtung zu schenken. Ich prüfe das Vorhandensein
und den Grad der Suggestibilität, da ich je nach
dem Ergebniss dieser Prüfung die Suggestion in
irgend welcher Form unterstützend beiziehe oder
allein anwende oder unterlasse. Wenn Du mir
sagst: „Die Patienten auf ihre Suggestibilität zu
prüfen, fällt mir gar nicht ein, denn ich brauche
diesen Umstand gar nicht zu kennen,* so ist das
wohl nur Deine ganz unmassgebliche Privatmeinung.
Auch damit, dass Du meinst, ein die Suggestion
anwendender Therapeut müsse mit all seinen Pati¬
enten sich in suggestivem Rapport halten, was das
Gehirn und Nervensystem auch des suggestions¬
freudigsten Arztes einfach nicht aushalten könne,
beweisest Du nur, dass Du dem Wesen der Sugges¬
tivtherapie nicht allzu nah getreten bist
Unter Deinen Ein wänden gegen die Anwendung
der Suggestion zu therapeutischen Zwecken, figurirt
auch der vielbenützte Wauwau der „Beeinträchtigung
der Willensfreiheit“ Nun, abgesehen davon, dass
es nur eine relative, nie aber eine absolute Willens¬
freiheit geben kann, ist es dem Patienten doch
*) Psychologie der Suggestion. Verlag von Ferdi¬
nand Enke. Stuttgart, 1892.
4
Digitized by
Google
ganz gleichgültig, ob sein Kopfschmerz, seine Schlaf¬
losigkeit, seine Lähmung nur durch geeignete
Suggestionen oder durch Arzneien oder sonstwie
beseitigt werden. Du verwechselst die Suggestion,
wie sie zu psychologischen Experimenten oder zur
Ausübung von Verbrechen benützt, resp. miss¬
braucht wird, mit der Heilsuggestion des gewissen¬
haften Arztes. Die Arznei wirkt ja auch oder
kann wenigstens wirken ohne Betheiligung des
Willens des Patienten, sie beeinträchtigt also auch
im gewissen Sinne dessen „Willensfreiheit,“ aber
ich gestehe (und alle Patienten werden mir bei¬
stimmen), dass ich z. B. mit Vergnügen bereit bin,
bei hartnäckiger Obstruction mich durch ein Abführ¬
mittel, das mit, ohne oder gegen meinen Willen
wirken mag, erleichtern zu lassen. Bin ich aber genü¬
gend suggestibel, so lasse ich mir von einem er¬
fahrenen und verlässigen Arzt, der die Suggestiv¬
therapie kennt, einen entsprechenden Suggestions¬
befehl ertheilen, der eben so sicher und dabei angeneh¬
mer zum Ziele führt, opfere also in meinem eigenen
Interesse meine „Willensfreiheit“ in Beziehung auf
die Thätigkeit resp. Unthätigkeit meines Darms. Aus
Deiner Aeusserung, „dass wir uns den Suggestio¬
nismus als therapeutischen Versuch oder als beson¬
deren Nothbebelf reserviren“ sollen, darf ich wohl
schliessen, dass Du die grosse Literatur über die
therapeutischen Erfolge der Suggestionstherapie nicht
nach Verdienst würdigst und noch weniger nach¬
prüfst. Ich wiederhole, dass ich allen Einseitig¬
keiten fernstehe, also auch nicht der ausschliess¬
lichen Anwendung der Suggestionstherapie irgend¬
wie das Wort rede. Ich möchte aber doch darauf
hinweisen, dass man denjenigen Kranken, bei denen
die Anwendung dieser Therapie möglich ist, mit einer
Bestimmtheit Besserung oder Heilung (je nach der
Sachlage) versprechen kann, wie man sie bei keiner
anderen therapeutischen Methode vorkehren kann
und darf, ohne den Verdacht des Charlatanismus zu
erregen. Abgesehen von der Möglichkeit, orga¬
nische und unorganische Schäden dauernd zu heilen,
was trotz alles Widerspruchs, unter bestimmten
Voraussetzungen eben doch Thatsache ist, kann
der auf dem gesammten Gebiet der Therapie er¬
fahrene und thätige Arzt von der Suggestion, zu¬
meist mit Zuhülfenahme der Hypnose, auch da
Linderung und Hülfe bringen, wo alle Massnahmen
der übrigen Therapie einfach im Stich zu lassen
pflegen. Ich erinnere hier nur an die Beseitigung
von Zwangsvorstellungen, an Heilung von grossem
Veitstanz, unwillkürlichem Muskelzucken, schlechten
Gewohnheiten, sexuellen Perversionen, an die Er¬
leichterung des Krankenlagers durch Herbeiführung
von Appetit, Schlaf und Schmerzlosigkeit bei un¬
heilbaren Krankheiten wie Krebs, Schwindsucht
u. s. w. in den letzten Stadien. In sehr vielen Fällen
— und diese zu erkennen ist eben Sache des mit
der Suggestionstherapie vertrauten Arztes — ist
die therapeutische Suggestion, einfach oder mit
Hypnose, geradezu der Hebel, der den Patienten
aus seiner verzagten oder verzweifelten Stimmung
bringt und ihn für weitere therapeutische Anord¬
nungen empfänglich macht. Die Beibringung der
„Autosuggestion der Besserung,“ die Dir, lieber
Freund, „gar nicht imponirt,“ halte ich für eine
humane Pflicht, ja eine therapeutische Ruhmesthat
ersten Ranges .
Du meinst, ich sei eine in „geistiger Gährung“
begriffene Natur. Nun, ich glaube Dir durch meine
Ausführungen den Nachweis geliefert zu haben,
dass dies nicht der Fall ist. Man könnte aus Deinem
offenen Brief den Schluss ziehen, dass ich selbst
noch nicht recht wisse, wo ich hiuauswolle, es erst
mit den Naturwissenschaften, dann mit der Me-
dicin, heute mit der Homöopathie, morgen mit
der Suggestionstherapie halte und in unruhiger
Hast wieder abspringe, wenn ich nicht in kürzester
Zeit Erfolge sehe, die meine skeptisch angelegte
(das reimt sich nicht mit der Gährung) Natur be¬
friedigen. Lorbacher meinte wohl, ich sei „aka¬
demischer Neuling“, der sich nun ganz und gar
auf das Allerneueste, den Suggestionismus, gestürzt
habe und in diesem, ohne Rücksicht auf die Beob¬
achtungen und Erfahrungen ergrauter Practiker, das
Heil der zukünftigen Therapie erblicke.
Nichts von alledem! Ich wollte, ich wäre mit
dem, was ich jetzt weiss, um 22 Jahre jünger und
könnte meine akademische Laufbahn von vorn an¬
fangen. Wie viele Schwierigkeiten und Umwege
blieben mir da erspart! Uebrigens meine ich, man
müsse allezeit mit der Zeit und Wissenschaft sich
weiter entwickeln, was mit dem Gähren nichts
zu thun hat*), und müsse alle Zeit darauf Acht haben,
dass man sich nicht in das Netz einer Partei oder
eines Systems verfange, das sich um seine Opfer
immer enger und enger zusammenzuziehen pflegt.
Da gehts wie mit dem confessionellen Glauben,
in welchem man desto zufriedener und glück¬
licher zu leben pflegt, je tiefer man drinsteckt,
wobei ich nicht in Abrede stellen kann, dass be¬
stimmte Menschen überhaupt nur in einem System
und als Glieder einer Gemeinde Ruhe und Befrie¬
digung emflnden.
Der Suggestionismus erfährt sehr merkwürdige
Beurtheilung von Leuten, von denen man doch min¬
destens Kritikfähigkeit vermuthen sollte. Wie sehr
man aber in dieser Hinsicht gerade von wissen¬
schaftlicher Seite enttäuscht werden kann, beweist
die „Kritik“, die Ladame^eni dem mehrmals ci-
tirten Schmidkunz'schen Werk hat zu Theil werden
lassen. Er reisst aus einem Buche von 425 Seiten
*) Warum nicht? Es giebt doch nicht nur eine
Gährung, die zum „Sauerbrei“, sondern auch eine, die
zur Entwicklung der „edelsten Weine“ führt! Die Red.
Digitized by v^ooQie
einen einzigen (!) Satz heraus, versteht auch diesen
noch „miss* und veröffentlicht ein Monstrum von
Kritik in einer ärztlichen Zeitschrift. College G'öhrum
aber, anstatt das Schmidkunz’sche Werk selbst
durchzulesen, druckt die Ladame’sche Kritik (?!) in
Nr. 21/22 der Allgem. homöop. Ztg. einfach ab
und erweisst durch diese unglückliche Idee dem
Ruf des Herrn Ladame-Ge nf als wissenschaftlicher
Kritiker den denkbar schlechtesten Dienst. Möchten
die übrigen Homöopathen dem Beispiel Ladame’s
nicht folgen!
Verzeih, lieber Freund Fuchs, wenn meine Ant¬
wort auf Deinen offenen Brief eigentlich mehr „zur
persönlichen Berichtigung“ als zur Diskussion ge¬
schrieben ist. Mit letzterer muss ich warten, bis
der Suggestionismus, dem man jetzt noch mit einem
gewissen Grauen, mindestens aber mit Scheu und
Misstrauen gogenübersteht, Gemeingut aller Aerzte
und ein integrirender Bestandtheil der allgemeinen
wissenschaftlichen Therapie geworden ist. Ich bin
fest überzeugt und hoffe es noch zu erleben, dass
auch die Homöopathie, befreit von den Schlacken, die
durch leidige Systemsucht und das Jurare in verba
magistri ihr heute noch anhiingen und ihre Wahr¬
heiten verdunkeln, dereinst ebenfalls zur wissenschaft¬
lichen Arzneikunde gehören wird.
Dafür, dass Du den offenen Freimuth, mit wel¬
chem ich Dir geantwortet habe, mir nicht verübelst,
bürgt mir Dein Einverständnis mit dem Satze La
Bruylrcs, den Du als Motto Deines offenen Briefes
an die Spitze gestellt hast und den ich Wort für
Wort unterschreibe:
„Ein verständiger Mann lässt weder sich beherr¬
schen, noch sucht er andere zu beherrschen; er
will, dass einzig und allein und allezeit die Ver¬
nunft herrsche.*
München, im Juli 1892.
Mit collegialischem Gruss
Dein
Dr. Carl Gerster.
Das Bruchband der Zukunft mit
ringförmiger Luftpeiotte.
Hereditär belastet bekam ich, trotz eines sehr
kräftigen Körpers, Ausgangs der 20 er Jahre einen
linksseitigen Leistenbruch. Ich versah mich alsbald
mit einem Camper’schen Bruchbande, mit allmählig
stärkerer Feder. In meinen 30 er Jahren bekam ich
zu meinem grössten Leidwesen auch rechteseitig
noch einen Leistenbruch.
Diese schwere Plage war Veranlassung, dass
ich mich bestrebte, eine besser passende, heilsame
Bandage zu finden, als die bisher gebräuchliche,
um mir Erleichterung in meinem unheilbaren Leiden
und meinen jüngeren Leidensgenossen womöglich
Heilung zu verschaffen.
Ersteres ist mir th eil weise, letzteres aber voll¬
ständig gelungen.
Die Camper sehe Pelotte verhindert die Heilung
dadurch: dass die ovale Spitze derselben bei starkem
Drucke ständig — wenigstens tagüber — in der
Bruchpforte lagert und hierdurch eine Heilung beim
beharrlichen Gebrauch der Bänder absolut aus¬
geschlossen bleiben muss.
Die Erfahrung bestätigt diese Thatsache, denn
Heilungen nach dem 14.—18. Jahre, gehören zu
den grössten Seltenheiten.
Meine neuerfundene Pelotte hat diese Nachtheile
entschieden nicht, sondern ihre eigenthümliche Be¬
schaffenheit verspricht dem kundigen Beschauer
alsbald, dass das Bruchband den Ansprüchen, welche
man an ein heilsames Band macht, vollkommen
entspricht. Diese sind: Dasselbe muss, ohne die
Bruchpforte zu belästigen, den Bruch sicher zuriiek-
halten, weil dann die Mutter Natur ihr Heil¬
bestreben ungehindert vollziehen kann. Husten,
Niesen, Lachen etc. dürfen ein Vortreten nicht
möglich machen; ausserdem darf dasselbe nicht
durch eine zu starke Feder belästigen.
Air diese Nachtheile findet man bei meiner
Pelotte nicht.
Dieselbe ist ringförmig mit Gummi überzogen
hergestellt, unten und oben offen. Soll sie in Ge¬
brauch genommen werden, so wird über die untere
Appertur ein mehr oder weniger starkes Gazetuch
gezogen und in der oberen Oeffnung mit starken
Fäden so geschnürt, dass dasselbe die untere Oeffnung
straff verschliesst.
Die untere Fläche des Ringes der Pelotte legt
sich dann beim Gebrauch unter dem Drucke der
Feder um die Bruchpforte und das Gazetuch ver¬
schliesst dieselbe, ohne als fremder Körper in die¬
selbe zu drmgen, gewissermassen als ein die Haut
verstärkender Körper, sicher. Hierdurch ist die
Bruchpforten gegen d ständig mit Luft umspült, ein
Vortreten des Bruches unmöglich gemacht und
Heilung selbst in späteren Jahren, wenn die Bruch¬
pforte nicht zu sehr erweitert ist, zu hoffen, in
jüngeren Jahren bald und entschieden zu erwarten.
Die Patentfähigkeit meines Bandes wurde von
dem Patentamt verzögert, weshalb ich mich an den
Herrn Geheimen Medizinalrath Professor Dr. Küster
zu Marburg wandte, welchem ich von meiner Er¬
findung persönlich Kenntniss gab und der auch die
Güte hatte, ein Anerkennungsschreiben auszufertigen,
welches die von mir beantragte Patentbewilligung
wirksam zu unterstützen nicht verfehlte.
Frankfurt a. M. Dr. N euschäfer,
pract. Arzt.
4*
Digitized by
38
Zur Behandlung mit Tuberculin.
Von Dr. Simon-BieL
Voriges Jahr liess ich mir aas A. Marggraf*s
homöop. Officin in Leipzig Tuberculin in 30. Cen-
tesimal-Verreibung kommen, welche ich dann auf
die 33. Potenz in Kügelchen steigerte.
Mit diesen wurden die Versuche gemacht.
Einige Fälle von Tuberc. pulmonum waren zu
weit vorgeschritten und brachten trotz mannigfacher
Modification der Darreichung kein günstiges Resul¬
tat; ja in einem Falle trat auch nach der vorsich¬
tigsten Anwendung des Mittels jedesmal eine Ver¬
schlimmerung mit vermehrter Beklemmung und
Fieber ein, so dass gänzlich vom Tuberculin ab-
strahirt werden musste. Der Kranke starb schiess-
lich in allopathischer Behandlung.
Hingegen verliefen nachfolgende 2 Fälle in be¬
friedigender Weise.
1. 30. Mai 1891. William L., 7 Jahre alt,
schmächtig; Vater an Phthisis gestorben; leidet seit
längerer Zeit an Husten. Rechte Schlüsselbein¬
gegend gedämpft mit rauher Respiration; wenig
Appetit; heftige Hustenanfälle. Tuberculin 33. eine
Dosis.
9. Juni. Dämpfung und Husten geringer. Appe¬
tit besser. Tubercul. eine Dosis.
17. Juni. Dämpfung verschwunden; wird mit
2 Dosen Tubercul., 5 Tage von einander zu nehmen,
aus Behandlung entlassen. Seither nicht mehr ge¬
kommen, was als Zeichen der Heilung angesehen
werden darf, weil entgegengesetzten Falls die Mutter
gewiss wieder mit ihm erschienen wäre. —
2. 5. October 1891. A. Th. 23 Jahre alt; Uhr
macher, verheirathet Gross, mager. Mutter an
Schwindsucht gestorben; vor 4 Jahren machte er
einen Typhus durch; häufigen Kopfschmerzen unter¬
worfen; dieses Jahr öftere Catarrhe.
Rechte Brusthälfte bis zur Lebergrenze gedämpft;
äusserst schwache, fast unhörbare Respirationsge¬
räusche; häufig fröstelnd; profuser Nachtschweiss,
muss oft 4 Mal Hemd wechseln. Tuberculin 33.
eine Dosis.
23. October. Husten hat beinahe aufgehört;
seit 2 Nächten keine Schweisse mehr. Sacch. lact.
2. November. Schweiss wieder gekommen, Tuber¬
culin eine Dosis und am 23. November noch eine
Dosis.
7. December. Dämpfung gänzlich verschwunden,
Schweiss ebenfalls. Appetit gut; noch etwas Husten;
wird mit noch 2 Dosen Tuberculin, 5 Tage von
einander zu nehmen, aus Behandlung entlassen.
Gegenwärtig März 1892 dauert die Heilung an;
es hat sich keine Dämpfung mehr eingestellt; er
fühlt sich wohl und an Kraft zunehmend; nur der
Nachtschweiss dauert noch fort, ist aber im Ab¬
nehmen. Seit December ohne Tuberculin.
Das ist nun zwar an und für sich ein spärliches
Material; jedoch insofern wichtig, als es zeigt, dass
beide Patienten trotz erblicher Belastung mit wenig
Aufwand in verhältnissmässig kurzer Zeit geheilt
wurden. Recidive sind natürlich nicht ausgeschlossen.
Was das Tuberculin betrifft, so darf es meines
Erachtens nach Analogie seiner subcutanen Anwen¬
dung*) innerlich auch nur in seltenen Dosen, nur
wenn die Besserung stille zu stehen droht, verab¬
reicht werden. Höhere Potenzen habe ich nicht
versucht; vermuthe aber, sie möchten noch bessere
Resultate geben.
Epidemiologische Ecke.
Wie nachfolgende Mittheilungen ergeben, herrscht
derzeit fast nirgends, wenigstens in den Orten der
Berichterstatter, ein epidemisches Mittel.
Ide-Stettin berichtet am 1/7.: kein epidemisches
Mittel.
Weihe-Herford hat noch immer = Sep., = Che).,
= Sinap., = Kreos., = Kali bichrom.
Dierkes-Paderborn schreibt am 3. und 11.: die
Leberaffectionen bestehen noch fort bei Cupr. -j- Nux
vom. = Lach.; überhaupt herrscht Cupr. vor.
Leeser-Bonn hatte am 1. Ac. phosph. -f- Clemat.
Puls., vorher Bar. carb. -f- Cin. = Carb. veg.;
am 10. schreibt er: bis heute vorzugsweise Kal.
bichrom., heute scheint Stann. -j- Mezer. = Phosph.
in den Vordergrund zu treten.
Kirn-Pforzheim berichtet am 10.: bei Sommer-
Magendarmkatarrhen Ipecac.; bei Masernpneumonie
Phosph. und Calc. carb.; vereinzelt Dros.
Ich-hier hatte bis zum 13. häufig Bor. -}- Sabadill,
daneben aber zahlreiche Combinationen theils mit
Borax, theils mit Sabadill.; häufig kamen auch Kal.
carb. -f- Sabadill., Dros. -f- Sabadill., bei Masern
Bor. -}- Led., ferner Natr. mur. -f- Led., Bar. carb.
-f- Tone., Combinationen mit Calc. phosph. vor;
am 7., 8. und 9. hatte fast jeder Patient ein anderes
Mittel; vom 13. Nachm, an und am 14. vorwiegend
*) Die Erfahrungen von Dr. Spengler-Davos (thera¬
peutische und diagnostische Resultate der Tuberculin-
beh&ndlung an 41 Lungenkranken) und Obermedicinal-
rath Dr. Sick (die Koch’sche Tuberkulose-Behandlung auf
Grund von Beobachtungen in der evangelischen Diako¬
nissenanstalt zu Stuttgart) bestätigen dies. Letztere
Arbeit ist, wie wir aus sicherer Quelle erfahren haben,
auch in den Professorenkreisen sehr gut aufgenommen
und beurtheilt worden und soll wesentlich mit dazu bei¬
getragen haben, an diese Versuche mit grosser Objek¬
tivität und Besonnenheit von neuem heranzutreten.
Die Red.
Digitized by v^ooQle
29
Natr. mur. -f- Led., auch bei Masern; heute vor¬
wiegend Natr. mur. -f- Iris.
Weiss-Gmüud schreibt am 4.: kein epidemisches
Mittel.
Buoh-Freudenstadt ebenso.
Sigmundt-Spaichingen hat neuerdings einzelne
Fälle, die auf Cupr. Chel. resp. Nux vom.
(= Lach.) hindeuten.
Hafa-Herrnhat schreibt am 5.: keine acuten
Fälle; bei chronischen häufig Bar. carb. Sabin.,
Natr. sulf. + Nux vom. oder Bry., Natr. mur.
+ Iris.
In meiner Entgegnung an Herrn Coli. Hädicke
in der letzten Nr. muss es im Schlusssatz heissen,
»deren Nichtigkeit auf Grund der durch die
Weihesche Methode gewährleisteten Sicherheit etc.
Dr. med. H. Göhrum.
Litteratur.
Wir freuen uns, unsern Lesern mittheilen zu
können, dass das Gross -Hering'sche Werk, „die
Vergleichende Arznettvirk u ngsichre** in therapeu¬
tischen Diagnosen. (Arzneimitteldiagnosen), die
Unterschiede der ähnlichen und verwandten Mittel
in ihren Relationen und Modalitäten enthaltend,
aus dem Englischen bearbeitet von Sanitätsrath
Dr. Faulwasser, nun sicher im Verlage von
A. Marggrafs homöopathischer Officin, Leipzig,
demnächst erscheinen wird; das erste Heft im
August d. J. Wie wichtig und bedeutungs¬
voll das Werk ist, davon legt einer unserer be-
deutensten Arzneimittelkenner ein vollwiegendes
Zeugniss ab. Prof. Dr. Const Hering, welcher die
englische Ausgabe in Philadelphia besorgte, war
zur selben Zeit mit der Herausgabe seiner »Gui-
ding Symptoms“, (1891 im October vollständig
erschienen), eines grossen 10 Bände umfassenden
Werkes, an dem er fast ein Menschenalter gearbeitet
und gesammelt hat, beschäftigt, schob jedoch dies
Werk trotz seines hohen Alters, ganz unbedenklich
auf ein Jahr bei Seite, um die vergleichende
Arzneiwirkungslehre von Dr. H. Gross unter
Beihülfe von Dr. Morgan, Wesselhöft und andern
Aerzten in englischer Sprache herauszugeben und
mit werthvollen Zusätzen, welche durchgehends
Verbesserungen genannt werden können, zu be¬
reichern. Er äussert sich über obiges Werk, wie
folgt: »Die Gross’schen Diagnosen sind einem Corps
Pioniere zu vergleichen, die Bahn machen für die
Hauptarmee; je bekannter das Buch wird, um so
gesuchter wird* es werden. Dieses Werk ist
ein grosses Unternehmen (a great under-
taking), hat eine hohe Bedeutung und muss auf
die Entwickelung unserer Kunst und Wissenschaft
den entschiedensten Einfluss haben. Dasselbe ist
nicht nur eine tagtägliche Hülfe für den Praktiker,
sondern es führt eine neue Entwickelung in unserer
Geschichte herbei und zwar dadurch, dass es zur
Individualisation leitet, und ein beliebiges
Generalisiren ein für allemal ausschliesst; denn das
ist es, was uns trennt, und zwar schon beim
Krankenexamen, wo die wahlentscheidenden
Zeichen ganz andere werden.
Durch das Gross’sche Werk, eine der mühe¬
vollsten Arbeiten, die jemals auf unserm Gebiet
unternommen und ausgeführt worden sind,
wird Jedem erleichtert, zwischen zwei Mitteln
Unterschiede schnell zu finden, und nicht nur derer,
die hier wirklich nebeneinander gestellt worden
sind, sondern auch aller andern, hier bearbeiteten,
untereinander; in solchen Fällen braucht man
die beiden fraglichen Mittel nur in ihren andern
Diagnosen zu betrachten. — Durch das Gross’sche
Werk wird aber nicht nur die Entscheidung bei
der Wahl des Mittels erleichtert, sondern die Mittel-
kenntniss überhaupt gefördert. Das wichtige Werk
wird sich Freunde erwerben, deren Zahl sicher
und gewiss zunehmen wird ebenso, als dadurch
die Zahl der Heilungen wieder zunehmen wird.
Bei einer eventuellen Abnahme der Anzahl der
Heilungen der Jetztzeit, könnte man nur sagen, dass
zu allen Zeiten »wenn die Kunst gefallen ist,
sie durch die Künstler gefallen ist“
Es sei nur schliesslich erwähnt, dass auch andere
und zwar deutsche Aerzte, unter andern der mit
der homöopathischen, amerikanisch-englischen, ärztr
liehen Literatur sehr vertraute Dr. Th. Bruckner
in Basel, das obige Werk als ein in der
homöopathischen und in der medizinischen
Literatur überhaupt einzig dastehendes
Werk nennt, und dass derselbe der ungemein
grossen Zahl sehr werthvoller Zusätze von Hering
und Genossen denselben Werth mindestens beimisst,
als den ursprünglichen von Dr. Gross selbst her¬
rührenden Mitteldiagnosen. Es finden sich unter
diesen Zusätzen ganze vergleichende Krankheits¬
bilder, welche unter andern besonders die Diphtheritis,
Coxitis, Ischias, Typhus und Hydrocephalus etc.
betreffen. Das Werk ist seit seinem Erscheinen in
Amerika eine unerschöpfliche Fundgrube
auch für die neuesten Arzneimittellehren, homöo¬
pathischen Therapien und Compendien (Dr.
Johnson’s Therapeuthic. Key, deutsch von Dr. Motz)
betreffs der Vergleiche der concurrirenden Mittel
in den verschiedenen Krankheitsformen, gewesen.
Doch nun genug des Lobes für das neue in Aus¬
sicht stehende Werk, welches jetzt zugänglich ge¬
macht wird und sich von selbst empfiehlt, sowohl
den Berufsgenossen, als auch allen Freunden einer
eingehenden Arzneimittelkenntniss.
Digitized by Google
30
Das ganze Werk soll innerhalb eines Jahres,
vom 1. August ab gerechnet, erscheinen und zwar
in 8 Lieferungen und wird complett gebunden
in solidester Ausführung nicht mehr als 20 Mark
kosten, während die englische Ausgabe bei ganz
gleichem Umfang 43 Mark kostete. Wir geben
uns der Hoffnung hin, dass kein deutscher homöo¬
pathischer Arzt ermangeln wird, auf das Werk zu
8ubscribiren, sobald von der Verlagsfirma die Sub¬
scriptionsbogen zum Versandt kommen, nicht nur
um sich in den Besitz der ersten deutschen ver¬
gleichenden Arznei wirkungslehre zu setzen, sondern
auch um Verfasser und Verlegerin bei diesem mit
ganz bedeutenden Kosten verbundenen Unternehmen,
welches allseitige Anerkennung verdient, nach Mög¬
lichkeit zu unterstützen.
Zu diesem Zwecke dürften auch Bestellungen
direct bei der Verlagshandlung und nicht in anderen
Buchhandlungen zu empfehlen und erwünscht sein.
Dr. med. *Stifft.
Lesefrüchte.
G. Golgi. Demonstration der Entwickelung der
Malariaparasiten durch Photographieen . Erste
Reihe: Entwickelung der Amoeba malariae febris
quartanae. Ztschr. f. Hygiene 1891. X. S. 136.
Golgi ist der erste gewesen, der im Jahre 1885
nach wies, dass die von Laveran entdeckte Malaria-
Amöbe mit ihren verschiedenen Formen ein und
derselbe Parasit ist, der einen einem bestimmten
Gesetze folgenden constanten Entwicklungsgang
durchläuft:
Die amöboiden, nicht pigmentirten, kleinen An-
fangsformen entwickeln sich innerhalb der rothen
Blutkörperchen, in dem sie sich auf Kosten des
Hämoglobins in pigmentirte Formen verwandeln,
allmählig zur Grösse ihres Wirthes, des Blut¬
körperchens, heran wachsen, dieses gänzlich zerstören
und nun als freie Formen durch einen radiär an¬
geordneten Theilungsprocess in Sporen zerfallen.
Hieran nimmt das Pigment keinen Antheil, das Melanin
wird vielmehr in die Mitte geschoben und ergänzt-
dadurch das Aussehen, das diesen sporulirenden
Formen mit Recht den Namen der „Gänseblümchen*
oder „ Rosettenformen * eingetragen hat. Diese Sporen
dringen wieder in die Blutkörperchen ein und der
Cyclus beginnt von Neuem.
Mit dem Beginn der Sporulation tritt der Fieber¬
anfall ein, während die fieberfreie Zeit mit der
Periode der endoglobulären Entwickelung zusammen¬
fällt; dieselbe dauert genau 3 Tage.
Den geschilderten Entwickelungsgang hat der
Parasit der Quartana; der Typus der Quotidiana
entsteht, wenn 3 Generationen in demselben Indi¬
viduum mit einer Distanz von 24 Stunden reifen.
Die Tertiana dagegen ist durch eine besondere Art
des Parasiten bedingt, die sich von der der Quartana
hauptsächlich dadurch unterscheidet, dass bei ihr
die Umbildung des Hämoglobins in Melanin nicht
als Folge der VergrÖsserung und der Invasion des
Parasiten auftriti (Aus „Centralblatt für die medic.
Wissenschaften* 1891. Nr. 32, p. 599.)
Von Interesse dürfte für uns das Referat zweier
Arbeiten von A. d’Arsonval sein, 1) Action physio -
logique des courants alternatifs . C. v. Soc. de
Bio). 1891. Nr. 15, p. 283. — 2) La fibre
musculaire est directement excitable par la lumilre .
Ibid. Nr. 16, p. 318 und Arcb. de Physiol. Ili.
p. 598.
In der ersten Arbeit sucht der Verf. die viel¬
umstrittene Behauptung, dass der Nerv auf oscillirende
Ströme sehr rascher Periode nicht reagire, durch
neue Versuche zu beweisen. Liess er auf den
Froschnerven die nach dem Verfahren von Hertz
erzeugten elektrischen Wellen wirken, die Funken
von 5—6 mm Länge gaben, so erhielt er keine
Zuckung des Muskels. Auch der Finger, die Nase,
die Zungenspitze fühlten nichts, wenn man sie in
den Bereich des Funkens brachte. Hierbei handelt
es sich um Schwingungszahlen, die bis zu 25 Billionen
in der Secunde gehen.
In der zweiten Arbeit theilt Verf. mit, dass noch
viel schnellere Schwingungen dagegen erregende
Wirkungen haben zu können scheinen. Er nahm
nämlich an Muskeln, die er der intermittirend ge¬
machten Strahlung einer elektrischen Lampe aus¬
setzte, deutliche, wenn auch geringe Erregungs¬
erscheinungen wahr. (Aus „Centralbl. f. d. medic.
Wissensch.“ 1891. Nr. 32, p. 606.)
E. Werthheimer. Sur quelques faits relatifs au
balancement entre la circulation superficielle et la
circulation viscirale. Arch. de physiol. (5. s6r.)
III, p. 547.
W. hat neue Untersuchungen angestellt über den
Antagonismus, der sich in der Innervation der Blut¬
gefässe der Eingeweide und denen der Haut und
der Schleimhäute kundthut. Er erweitert die darauf
bezüglichen Angaben von Heidenhain und Grützner,
Dastre und Moret u. A.
So bestätigt er die Beobachtung des Letzteren,
derzufolge Reizung des centralen Ischiadicusstumpfes,
während sie den allgemeinen arteriellen Blutdruck
in die Höhe treibt, die Blutgefässe der Lippen- und
Zahnfieischschleimhaut erweitert. Die in mächtigem
Ansteigen des Blutdruckes sich darthuende Constric-
tion der visceralen Gefässe, die bei Strychninvergif¬
tung eintritt, ist von Gefässerweiterung an Lippen
und Zunge begleitet. Passive Wirkungen lassen
sich in allen diesen Fällen aulschliessen, da die
Röthung nach Durchschneidung der gefässerweitern-
den Nerven der betreffenden Gebiete ausbleibt.
Digitized by v^ooQie
31
Aehnlich wie Strychnin, wirken auch Ergotin
und Sodalösung. (AusGentralbl. f. d. med.Wissensch.
1891. Nr. 33, p. 609.)
Kürt. Ueber eine Reflexerscheinung des Trigeminus
und ihre therapeutische Verwendung . Wiener
med. Presse 1891. Nr. 21.
Verl machte bei einem 6jährigen Kinde, das
im Verlauf des Keuchhustens von schweren Con-
vulsionen und begleitenden leichten Stimmritzen¬
krämpfen befallen wurde, die Entdeckung, dass man
durch mechanische Reizung der peripherischen Enden
des Trigeminus, sowohl von der Conjunctiva, wie
von der Nasenschleimhaut aus, auf den in Erregung
gesetzten N. laryngis recurrens eine exquisit hem¬
mende Wirkung ausüben kann. Diese die Anfälle
bis zum völligen Erlöschen coupirende Wirkung
wurde mit gleich günstigem Erfolge bei 13 Fällen
von Spasmus glottidis bei zumeist rhachitischen
Kindern, bei Patienten mit Tic convulsif, Schluck-,
Zähnkrämpfen und auch in der Aura epileptica an¬
gewandt. In einem Falle von Hustenkrampf blieb
die Wirkung aus. Die mechanische Reizung ge¬
schieht gewöhnlich durch eine mit einem Pulver
(z. B. Zucker) bestäubte Kielfeder und wirkt, nach
Verf. dadurch, dass ein im N. trigeminus ruhendes
„antispastisches Moment* mit dem im überregten
Nervengebiete (z. B. N. laryngis recurrens) vor¬
handenen „ spastischen Moment* im Gleichgewicht
oder sogar Uebergewicht gehalten wird. (Aus
„Centralbl. f. d. med. Wissensch.* 1891. Nr. 33,
p. 620.) Göhr um.
Rechnungsablegiing.
Für das Homöopathische Krankenhaus zu
Leipzig sind eingegangen bei Herrn Apotheker
William Steinmetz, Leipzig, seit letzter öffentlicher
Quittung vom 20/4. a. c.
1) für den Baufond
von Täschner & Co.-Leipzig . . . M. 500.—
2) für den Betriebsfond
vom Verein der homöopathischen Aerzte
Oesterreichs per 91/92.
*
100.—
von Herrn Wilh. Wey mar-Mühlhausen
i. Th. per 91/92 ....
9
100.—
* „ Lehrer R. Reuther-Leipzig .
n
4.50
* „ Julius Mäser-Reudoitz-Leipz.
n
4.50
„ „ Teupel-Paunsdorf ....
n
4.10
. Besuchern des Krankenhauses . .
9
8.-
* Herrn Dr. Willmar Schwabe, bei ihm
eingegangene Beiträge . .
9
193.15
„ . Kirchenrath Dr. Schmidt-
Wittenburg LMeckl«per91/92
9
5.—
Transport M. 419.25
von Herrn cand. med. Waszily-Kiel (Mit¬
arbeiterhonorar f. den 124.Bd.
dieser Zeitung) . . . . * 2.40
* n Dr. med. Ide-Stettin (Mit¬
arbeiterhonorar f. den 124. Bd.
dieser Zeitung) . . . . * 19.20
„ „ Dr. med. Heyberger, Protivin
(Böhmen),Mitarbeiterhonorar
pro 124. Band d. Ztg. . . „ 16.80
„ Centralvereinsmitgliedem
2 Jahresbeiträge . 10.— „ 20.—
24 . * . 6.- , 144.—
1 , . 8 , — , 8 .—
M. 629.65
+ , 500.—
Summa M. 1129.65
Auch für diese gütigen Gaben sagen wir den
allerherzlichsten Dank und bitten um freundliche
weitere Zusendungen, denn die Beiträge sind leider
im letzten Jahre in geringerer Höhe eingegangen
als in den früheren und das Krankenhaus bedarf
zur Beschaffung eines nöthigen Reservefonds noch
dringend der freiwilligen Beiträge.
Leipzig, 13/7. 92. William Steinmetz,
z. Z. Kassenverwalter.
Für die Wittwenkasse der homöopath. Aerzte
Deutschlands sind freundlichst nachstehende Mit¬
arbeiterhonorare für den 124. Band dieser Zeitung
gestiftet worden:
von Herrn Dr. med. Fuchs-München . . M. 5.20
* » » » Fischer-Westend . „ 4.—
* „ „ „ Weiss-Schw.-Gmünd * 1.60
* „ Oberstabsarzt Dr.med. Rohowsky-
Leipzig . . . . * 1.60
von Herrn Dr. med. A. Weihe-Herford . „ 11.20
„ 999 Leeser-Bonn . . . , 26.60
M. 50.20
Für diese gütigen Gaben sage im Namen der
Kasse den allerverbindlichsten Dank.
Leipzig, 13/7. 92. William Steinmetz,
z. Z. Kassen Verwalter.
Personalia.
Gestorben:
Dr. med. Ludwig Deventer am 5. Juli zu
Berlin.
Digitized by Google
32
ANZEIGEN.
Praxis.
Allen Aerzten
Kneipp’sche Heilanstalt, anch für das gesammtc
Naturheilverfahren fein eingerichtet (ohne Kranken¬
pension), hochherrschaftliches neues Haus in der
schönsten Strasse gelegen, mit Möbel und alles,
was zum Haushalt, sowie zum Betriebe gehört, ist
wegen Krankheit sofort zu übertragen. Kaufpreis
60,000 M. Ablage 5 bis 10,000 M. Miethpreis
500 M. monatlich, jedoch auch unter diesen Taxen
an den Meistbietenden. GlänzcndcEinnahmcn.
Stadt 100,000 Einwohner. Keine Concurrenz.
Ganz vorzügl. für einen Homöopathen.
Offerten unter E. 2667 an Rudolf M0886, Köln.
Das altbewährte
Stahlbad Rastenberg
1. Thür. meist von Homöopathen besucht, empfiehlt
sich ausser als Kurort auch als vorzügliche
Sommerfrische. —
Nähere Auskunft durch die Bade-Verwaltung.
^Rcin^fincjcdc
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserte/;^^
öesurx dheil
CAFFEE
öopafb/scf/er
Ll
FRAIMCK
1 a
7
k
nachDlF. Katsch J
nur ächt,v/Bim mit
SCHUTZMARKE
-- u.Unterschrift
and Kur-Verwaltungen
wird meine Gratis-Brochlire über patentlrto Kranken-
wohnungen, verstellbar nach Sonne und Schatten, be¬
sonderes Interesse gewähren.
Zu fordern vom Erfinder Oskar Roeholl in Cassel.
Dr. Lnginbtthl, homöopath. Arzt, empfiehlt seine kleine
Anstalt Bad MÜhlenen? erdige Mineralquelle mit
Eisengehalt; prachtvolle, geschützte Lage im Berner Ober¬
land. Krankheiten: Rheumatismus, Nervenzostände, Kin¬
derkrankheiten. Aufmerks. Behandlung, billigste Preise.
Zellenstoff - Unterjacken
aus Seide, Wolle I (ohne Knoten)
oder Baumwolle j tragen sich
warm und angenehm.
Unsere Netz-Jacken
werden von den titl. Prof. DDr. Oppen¬
heimer, Hecker, Hiemeyer, Bamberger,
Eichstädt, Jäger eto. als das der Ge¬
sundheit zuträglichste u. zweckmäseigste
empfohlen. Prosp. mit Zeugnissen ärzt¬
licher Autoritäten.
Carl Mez & Söhne, Freiburg (Baden).
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung ä Mk. 3.—.
Die dazu gebörigeLösung von Citronen- u.Pierin-
säure gebe ich in jedem Quant, (ü 100,0 = 30 Pf.) ab.
Zur Zuckerbestimmung im Harn.
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Llmousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle & Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Fehllng’sche Lösung, stets
ganz frisch, wirdin Glasstöpselgläsern, & 30,0=50Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum- Stuttgart, Dr. Sthft-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig.
Expedition und Verlag von Willian Steinnetz (A. MarggraPs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Grettner & Schramm in Leipzig.
Digitized by Google
Band 125,
Leipzig, den 4. August 1892.
No. 5 u. fi
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-stuttgart, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-leipzig.
Expedition und Terlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig.
Jfiraeheint 14t%lg «u 9 Bogen. IS Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Hnlbjahr). Allo Buchhandlungen und
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an £. Mosse in Leipzig und dessen Filialen oder an die
Verlagehandlung: selbst (A- M&rggrafs homöopath. Offlcin in Leipzig) su richten sind, werden mit 30 Pf. pro einmal
gespaltene Petitseilo und deren Raum bereohnet. — Beilagen werden mit 12 M. beroohnet.
Inhalt: Die Potenzlnmg. Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkaiisalzen; weitere physiologische That-
sachen. Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger-Stuttgurt. (Forts.) — Prof. Kent über homöop. Behandlung
der Lagenveränderungen des Uterus ahne mechanische Beihülfe. Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg. — Ein Fall
zur Auto-ison-Therapie. Von Dr. Buob-Freudenstadt. — Epidemiologische Ecke. — Entgegnung. — Berichtigung. —
Pereenalia. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage.
Die Potenzirung.
Physiologisch geprüft von Prof. Dr. 0. Jaeger-
Stuttgart.
IV. Vergleichende Neuralanalyse von
17 Alkallsalzen.
(Fortsetsung.)
d) Die oberen Potenzen der Alkalisalze.
Wie schon früher angegeben und begründet,
schritt ich zur Messung der oberen Potenzen erst
nachdem ich alle 17 Salze bis zur Ueberschreitung
des Indifferenzpunctes potenzirt und gemessen hatte.
Dabei nahm ich aber im Interesse der Zeitersparnis
die Aenderung vor, dass ich nicht mehr eine Decimal*
potenz um die andere mass, sondern immer eine
übersprang. Da bei den verschiedenen Salzen der
Indifferenzpunct auf verschiedenen Potenzen lag, so
entstand zunächst eine Ungleichheit in so fern als
bei einem Theil der Salze die gemessene Potenz
eine gerade Zahl, bei einem anderen Theil eine
angerade Zahl führte. Zur Beseitigung dieses Um*
Standes, welcher die Gewinnang von Mittelwerthen
verhinderte und um auch eine Uebereinstimmung
mit den unteren Potenzen herzustellen, wurden für
die nicht gemessenen Potenzen Ziffern gerechnet,
indem man das Mittel ans den beiden gemessenen
Ziffern der vorhergehenden und der nächstfolgenden
zog. Um jedoch dem in der Tabelle auch Aus¬
druck zugeben, sind die gerechneten Ziffern mit
kleinerer Schrift gedruckt worden.
Der Leser wird ferner begreifen, warum ich mir
und ihm die mühselige Arbeit ersparte, weiter als
bis zur 30. Potenz zu gehen: Wenn man bei 17
verschiedenen 8alzen immer und immer wieder von
Potenz zu Potenz die gleiche Erscheinung sich
wiederholen sieht, wenn jede neue Messung nichts
weiter bringt, als eine Bestätigung dessen, was man
bereits dutzendmale erfahren hat, dann sagt man
sich: wozu noch mehr? Wem das noch nicht
genug ist, der kann ja selber weiter machen. Ich
sprang also von der 25. Potenz auf die 30. und
erst, nachdem ich die schon mitgetheilte Prüfung
von Kali carbonicum nach der Schluckmethode aus¬
geführt hatte, liess ich die 14 Salze, deren obere
Potenzen ich untersucht hatte, durch meine Assistenz
noch auf die 1000 Potenz bringen und fügte deren
Messungswerth als letzte Ziffer der Tabelle ein.
Ueber die Anordnung der Tabelle VII ist noch
folgendes zu sagen.
a) Sie enthält sowohl die oberen als die unteren
5
Digitized by
Google
84
Potenzen von 6 Natron- 4 Kali- und 4 Ammoniak¬
salzen. Durch eine treppenförmige Linie, die In¬
differenzlinie, sind die oberen Potenzen in jeder
Gruppe von den unteren geschieden.
b) Ausserdem, dass jedes Salz seine Zifferreihe
in der Tabelle hat, sind noch einige weitere Ziffer¬
reihen durch Rechnung gebildet worden und zwar
1. für jede der drei Gruppen eine Reihe von Mittel¬
ziffern, gerade so wie das auch auf der Tabelle
der unteren Potenzen schon gemacht wurde. 2. Unter
jeder dieser 3 Mittelzifferreihen die natürlich eben¬
falls vom Minuswerthe, hinten Pluswerthe führen,
steht eine weitere Reihe von Ziffern, die (mit einigen
Ausnahmen) keine Vorzeichen tragen. Sie geben
die Differenz der Potenzziffern an, zwischen denen
sie stehen, lehren also um wieviel Points die neural¬
analytische Ziffer von Potenz zu Potenz verschoben
worden ist Die letzte dieser Differenzziffem steht
zwischen der 22. und 23. Potenz dann folgt mit
dem Vorbemerk „Mittlere Differenz* in jeder der
drei Reihen noch eine Ziffer die das Mittel aus
allen Differenzziffem der Reihe ist. 3. Den unteren
Schluss der Tabelle bilden zwei Querreihen von
Ziffern, welche alle 14 Salze zusammenfassen, so¬
wie es vorher für jede der drei Gruppen gemacht
wurde: die obere Reihe, deren Ziffern Plus- oder
Minuszeichen fuhren, giebt für jede Potenz eine
mittlere neuralanalytische Ziffer, gebildet aus den
3 Mittelziffem der drei Gruppen und die untere
Zifferreihe ohne Vorzeichen giebt die Differenz von
Potenz zu Potenz und am Schluss das Mittel aus
diesen Differenzen. (Siehe Tabelle VIII, S. 35.)
Fassen wir zuerst das Gesammtresultat der Tabelle
in möglichst kurze Worte:
Die Zifferreihen lehren mit der mächtigsten
Sprache, die es auf diesem Gebiet giebt, nämlich
der der Zahlen, dass die Potenzirung thatsächlich
eine stufenweise Verstärkung des motorischen
Werth es eines Stoffes ist und dass es sich hier
um etwas ganz ähnliches handelt wie bei der
Temperatur: Es existirt ein Nullpunkt für jeden
Stoff in einer Goncentration, welche das Tempo
derLebensbewegungenunverändertlässt, offen¬
bar, weil die Bewegung der Stoffmoleküle die gleiche
Geschwindigkeit hat, wie die der Moleküle, die sich
bereits im Körper befinden. Zu beiden Seiten dieses
Nullpunktes bringt die Potenzirung den gleichen
Unterschied hervor wie die Erwärmung: Wenn man
einem kalten Körper Wärme zuführt, so nimmt
die Kälte ab, und wenn man einem warmen
KörperWärme zuführt, so nimmt die Wärme zu.
Genau so ist es mit der Potenzirung: Wenn man
einen Stoff, der verlangsamend, lähmend auf die
Lebensbewegungen wirkt, potenzirt, so nimmt der
Lähmungseffect ab und wenn man einen Stoff
potenzirt, der die Lebensbewegungen be¬
schleunigt, so steigt der Belebungseffect.
Etwas Klareres kann es meiner Ansicht nach nicht
geben. Nimmt man dazu die Eifahrungen des täg¬
lichen Lebens, die ich in meiner Schrift die „Homöo-
pathische Verdünnung* zusammenstellte, wie
z. B. die Zunahme der Belebungskraft des Weines
mit zunehmender Verdünnung seiner Bouquette, so
ist es einem in der That völlig unbegreiflich, wie
es möglich ist, dass über Werth und Wesen der
Potenzirung ein solcher Meinungszwiespalt bestehen
kann, wie es thatsächlich der Fall ist.
Halten wir uns an die letzte Ziffer der Tabelle:
diese sagt, dass zwischen 3. und 23. Potenz im
Mittel jede Potenz den physiologisch motorischen
Werth eines Stoffes bei mir um 4,7 Points ver¬
mehrt, wenn die Prüfung in der Weise vorgenommen
wird, wie ich es gethan habe.
Betrachten wir nun noch einige Details der
Tabelle.
a) Die Zifferreihen der einzelnen Salze lehren
dass bei keinem derselben die durch die Potenzirung
erzeugte Veränderung ihres motorischen Werthes
eine gleichmässige und geradlinig fortschreitende
ist, es wechseln grosse Fortschritte mit kleinen, mit
Stillständen sowie mit Rückschritten, also die gleiche
Erscheinung wie wir sie schon bei Kali carbonicum
kennen lernten und wie sie auch bei unseren ersten
Messungen in der „Neuralanalyse der homöo¬
pathischen Verdünnungen* regelmässig zu Tage
trat. Die ausnahmslose Wiederkehr dieser Er¬
scheinung zeugt dafür, dass das in der Natur der
Sache und nicht in der Unvollkommenheit der
Methode liegt.
b) Die gleiche Erscheinung tritt uns auch in
den drei Mittelzifferreihen entgegen, nur ist natur-
gemäss die Unregelmässigkeit hier weniger stark
als in den Detailreihen, weil eine gegenseitige Aus¬
gleichung stattfindet und das ist dann natürlich
noch mehr der Fall bei der Reihe der Totalmittel¬
ziffern. Besehen wir uns das im Einzelnen: Bei
den Natron salzen ist der höchste Vorschiebungs¬
effect 8 Plus-, der geringste 1 Minuspoint: also
Differenz 9 Points. Bei den Kalisalzen kommen
im Mittel keine Rückschläge (Minuswerthe) vor, der
geringste Effect ist -f- 2, der stärkste -f- 15: also
Differenz 13 Points. Bei den Ammoniaksalzen ist
die Unregelmässigkeit in so fern am grössten als
hier 4mal Minuswerthe auftreten, die Maximal¬
differenz ist 14 Points. Weiteres hierüber siehe
unten. Bei der Reihe der Totalmittelziffern fehlen
Rückschläge, die Maximaldifferenz ist (11—2)
9 Poiuts.
c) Betrachtet man die Unterschiede der Detail¬
reihen, so tritt am auffälligsten das Bromammonium
heraus, dessen Hartnäckigkeit gegenüber Herbei¬
führung der Indifferenz wir sohon früher hervor zu
heben hatten. Hier haben wir nicht blos bis zur
30. Potenz 5 mal Rückschläge, sondern auch ganz
Digitized by v^ooQie
VII. Tabelle der untern und obern Potenzen von 14 Alkalisalzen.
35
Digitized by
ungewöhnlich grosse z. B. von 15. auf IG. Potenz
um 11 Points, so dass die 16. Potenz noch unter
den Werth, den die 9. hatte, herab sinkt. Als ich
einem Chemiker, einem meiner früheren Collegen,
dieses sonderbare Verhalten des Bromammonium
mittheilte, erhielt ich von ihm die Auskunft, dass
diese Verbindung auch den Chemikern einen Streich
spiele, sie sei so zersetzbar, dass man ihre
Dampf dichte nicht bestimmen könne, während
das für keines der anderen von mir untersuchten
Salze gelte. Zunächst war mir das wieder eine
merkwürdige Probe für die Sicherheit der Neural¬
analyse, sie hatte mit einer an Stärke unübertreff-
baren Deutlichkeit erkannt, dass dieses Salz sich
wesentlich von allen andern unterscheide. Dann
aber war die Sache an sich interessant. Wir haben
wiederholt Ursache gehabt einen Vergleich der
Potenzirung mit der Erwärmung zu machen.
Hier tritt nun der Vergleich zwingend an einen
heran. Der Chemiker erklärt das abnorme Ver¬
halten des Bromammonium daraus, dass es sich bei
der zur Bestimmung der Dampfdichte nöthigen Er¬
wärmung sehr leicht zersetzt; sollte nicht das ab¬
norme Verhalten bei der Potenzirung auf die gleiche
Ursache d. h. eine Zersetzung zurückzuführen und
folgerichtig die Potenzirung ein ähnlicher Vorgang
wie die Erwärmung d. h. eine Steigerung der Be¬
wegungsgeschwindigkeit der Moleküle sein, worauf
uns schon andere Erscheinungen und Erwägungen
zwingend hinweisen? Als ich die Unterredung mit
dem Chemiker hatte, war meine Untersuchung der
Salze erst bis zur 30. Potenz vorgeschritten. Als
ich mich dann später entschloss, alle 14 Salze auf
die 1000. Potenz zu bringen, war ich begreiflicher¬
weise sehr gespannt, wie sich das Bromammonium
hierbei verhalten werde. Das Resultat war ver¬
blüffend: Während die 1000. Potenz bei allen 13
andern Salzen hohe Belebungseffecte (worüber unten
noch weiteres folgt) ergab, erhielt ich bei Brom¬
ammonium 1000.— Minus Eins! d. h. gar nichts!
Indifferenz!* Natürlich habe ich wiederholt nach¬
gemessen, aber immer mit dem gleichen Erfolg:
die andern 1000. Potenzen gaben regelmässig ihre
hohen Belebungseffecte, das Bromammonium ebenso
beharrlich nichts und wieder nichts! Nebenbei ge¬
sagt, ist das einer der Fälle, wie sie dem Praktiker
in der Neuralanalyse oft genug Vorkommen, einer
der Fälle, welche die volle Lächerlichkeit der Be¬
hauptung der hochweisen Critici zeigt: „die Ziffern
der Neuralanalyse seien Producte der Einbildung
oder der Willkür!“ Wie ist es dann möglich, dass
eine andere Ziffer als die eingebildete herauskommt
und das mit Hartnäckigkeit thut? Die Critici sind
unglaubliche, haarsträubende Kerls!
Zur Sache ist aber noch zu bemerken: erstens,
dass es mir nicht im Traum einfällt, mit diesem
einen Potenzirungsversuch den Stab über das Brom¬
ammonium brechen zu wollen; dazu gehört eine
sorgfältige, mehrfach wiederholte Nachprüfung, die
ich aber denen überlasse, die sich für das Brom¬
ammonium interessiren, was bei mir nicht der Fall
ist; zweitens, wenn dieses abnorme Verhalten des
Bromammonium bei genauester Nachprüfung immer
wieder zum Ausdruck kommt, so darf erwartet
werden, dass es auch noch andere Stoffe giebt, die
sich ebenso verhalten und bei zu hoher Potenzirung
ebenfalls zu Nichts werden und das ist dann so¬
wohl praktisch wie theoretisch von grössester
Wichtigkeit; drittens, es ist natürlich verfrüht
vor wiederholter Nachprüfung eine Erklärung zu
versuchen, aber nützlich ist es doch, sich wenigstens
Gedanken darüber zu machen und komme ich zum
Schluss: wenn das Bromammonium stets beim
Potenziren sich so verhält wie in diesem einen
Versuch, dann giebt es hierfür lediglich keiuen
andern Schluss als den, dass Brom kein Element
ist. Es ist klar: Wenn bei der Potenzirung das
Bromammonium in die zwei Theile Brom und
Ammoniak zerfällt, so werden eben einfach bei
Fortsetzung der Potenzirung diese Stoffe weiter
potenzirt und von diesen eine der 1000. Potenz
nabe Potenz gebildet, die nicht Nichts sein kann.
Auch wenn das Ammoniak sich in die allgegen¬
wärtigen also nicht potenzirbaren Elemente Stick¬
stoff, Wasserstoff und Sauerstoff zersetzt, kommen
wir nicht weiter, so lange das Brom übrig bleibt,
erst wenn auch dieses sich in allgegenwärtige
Elemente auflöst, könnte resp. müsste Indifferenz
eintreten. Anmerken will ich nur noch: Gesetzt
den Fall, die Nachprüfung ergiebt ein anderes
Resultat als das, welches ich erhielt, nämlich, dass
die 1000. Potenz von Bromammonium sich doch
ebenso positiv verhält wie die 1000 Potenzen der
anderen Salze, so steht man eigentlich vor einem
noch grösseren Räthsel, denn eine Verwechslung
ist bei einem auf Kork und Glas etikettirten Fläsch¬
chen unmöglich, also was ist geschehen? Doch
genug davon, wem es Spass macht, kann ja der
Sache nachgehen.
d) In den Detailreihen und den Reihen der
Mittelziffem geht es blos bis zur 23. Potenz von
Potenz zu Potenz, dann folgt ein Sprung von 23.
auf 25. ein zweiter von 25. auf 30., endlich einer
auf 1000. Potenz. Beim ersten Sprung handelt
es sich blos um 2 Potenzen; damit stimmt die
Grösse der Differenz: Bei den Natron salzen ist
die Differenz zwischen 23. und 25. 10 Points, also
etwas mehr als doppelt so gross als die mittlere
Differenz zwischen 2 angrenzenden Potenzen (4,1);
bei den Kalisalzen stimmt das wieder: 11 ist
ungefähr das doppelte von 5,2; ebenso liegt es bei
den Ammoniaksalzen (10 gegen 4,6) und bei der
Totaldifferenz (10 gegen 4,7). Ich führe das nur
an, weil diese viermal sich wiederholende Ueber-
Digitized by v^ooQie
37
einstimmung doch unmöglich ein Produkt einer
Einbildung oder gar Willkür sein kann. — Beim
zweiten Sprung von 25. auf 30. Potenz handelt
es sich um eine Distanz von 5 Potenzen, dem stebt
eine Differenz von nur 10 Points gegenüber. Hier
ist zunächst wieder merkwürdig und für die Methode
in hohem Grad zeugend, dass diese Differenz von
10 Points bei allen drei Gruppen von Salzen und
dann natürlich auch im Totalmittel die gleiche
ist. Aber ,0 / 5 ist nur 2. Die Ziffer 2 kommt nun
allerdings verschiedenfach in den Reiben der Differenz¬
ziffern von 3.—23. Potenz vor, allein fünfmal hinter¬
einander nie; was hat das zu bedeuten? wie ist
diese plötzliche geringe Zunahme des Potenzirungs-
eff ec t es zu erklären? Noch greller tritt dieser Um¬
stand beim dritten Sprung von 30. auf 1000. Potenz
zu Tage, denn hier liegt die Sache so: Wenn wir
vom Bromammonium absehen, zeigen nur bei 3 Salzen
die Ziffern einen Fortschritt des Belebungseffectes
von 30. auf 1000. Potenz an, bei Kochsalz sind die
Ziffern gleich und bei 9 Salzen hat ein Rückschritt
stattgefunden. Schlägt das nicht allem bisherigen
ins Gesicht? Um diese Frage zu beantworten,
müssen wir unsere beiden Untersuchungsreihen,
die Reihe der Schluckversuche mit Kali carbonicum;
die in Nr. 19. und 20. der Zeitschrift mitgetheilt
wurde, und die vorliegenden Inhalations versuche mit
den 17 Salzen Zusammenhalten. Die erstere hat
uns gezeigt, dass es sich bei der Erhöhung des
motorischen Effectes durch Potenzirung um zwei
Faktoren handelt, um Intensität und Dauer
der Wirkung. Namentlich sahen wir dort, dass
wir in Bezug auf letzteren Faktor, die Dan er, zwei
Phasen eine Erstwirkung und eine Nachwirkung
zu unterscheiden haben, dass diese letztere ihre
volle Entfaltung erst auf der 30. Potenz gewinnt
und endlich, dass die eminente Wirkung der 1000.
Potenz hauptsächlich in der überaus langen Dauer
einer überaus hohen Erstwirkung und einer wieder
sehr lang dauernden massigen Nachwirkung beruht.
Nun von alldem kommt bei unserer Prüfung der
17 Salze gar nichts in Betracht, weil ich bei allen
Potenzen nur 4 Dekadenziffern nahm und dann die
Messung abbrach. Das zeitliche Moment bleibt also
bei dieser Art der Prüfung vollständig ausser Be¬
tracht und darüber, ob durch die fortschreitende
Potenzirung die Dauer der Wirkung vergrössert,
ob Nachwirkungen auftreten, die wieder in Höhe
und Dauer sehr verschieden sind wie uns die Schluck¬
versuche lehrten, erfährt man lediglich nichts. Ich
mache auch noch in folgender Weise auf den Unter¬
schied der zweierlei Messungen aufmerksam: Die
Tabelle in Nr. 19. und 20. pag. 150 giebt für jede
Potenz von Kali carbonicum eine ganze Reihe von
Ziffern (von 15—33) unsere Tabelle VII nur eine
einzige Ziffer. Hier erhebt sich auoh die Frage:
kann die Zifferreihe, welche die Potenzen des Kali
carbonicum in Tabelle VII erhielt irgendwie mit
den Ziffern der Tabelle I in Nr. 19 und 20 ver¬
glichen werden? Diese Frage kann nicht nur mit
,ja“ beantwortet werden, sondern ihre Beantwortung
ist auch lehrreich für die Beurtheilung der zweierlei
Einverleibungsweisen der Arzneien: Verschlucken
und Einathmen; desshalb wollen wir der Sache
näher treten aber nicht hier, sondern erst in einem
späteren Abschnitt dieser Arbeit, da ich zur Be¬
antwortung der Frage noch andere Messungen vor¬
genommen habe und diese nicht hier gewisser-
massen in Parenthese raittheilen kann. Hier sei
nur gesagt, dass sich die auf so verschiedene Weise
für die Potenzen des Kali carbonicum gewonnenen
Zifferreihen, wie später gezeigt werden wird, nicht
widersprechen, sondern so gut stimmen, als es
überhaupt möglich ist bei zwei Untersuchungen,
die 1. zeitlich weit auseinanderliegen; 2. nach ver¬
schiedenen Methoden gemacht und 3. an 2 ver¬
schiedenen Objecten d. h. zweierlei zu verschiedenen
Zeiten in verschiedenen Fläschchen potenzirten
Arzneigaben ausgeführt wurden.
e) Wenn wir jetzt noch die Salze unter einander
bezüglich ihrer oberen Potenzen mit einander ver¬
gleichen, so wird es sich nach dem sub d. gesagten
empfehlen von der 30. und 1000. Potenz abzusehen,
denn da bei ihnen die Hauptwirkung und das wesent¬
liche derselben, die lange Dauer, in unseren Ziffern
nicht zum Ausdruck kommt, so hat auch die Ver¬
gleichung nicht viel Werth, wohl aber empfiehlt
sich eine solche für die Potenzen von 3. bis 25..
Zu diesem Zweck ist die letzte senkrechte Columne
angefertigt, welche für jedes der Salze und für die
Mittelwerthe jeder der drei Gruppen die Differenz
zwischen der Ziffer der 3. Potenz und der der
25. Potenz angiebt. Nennen wir diese Differenz
den totalen Potenzirungseffect. Diese Ziffern
belehren uns, dass auch hier, wie bei der Lage des
Indifferenzpunktes und beim Verhalten der unteren
Potenzen bemerkenswerthe Unterschiede zwischen
den verschiedenen Stoffen bestehen. Sehen wir von
dem abnormen Bromammonium ab, so tritt uns
— aber nicht ohne Ausnahme — eine Regel ent¬
gegen: je geringer der Lähmungseffect der
3. Potenz ist, um so geringer ist der totale
Potenzirungseffect und je grösser ersterer,
um so grösser der letztere. Besehen wir uns
das genauer: Bei den Natronsalzen entspricht die
ansteigende Reihe der Totaleffectziffem von oben
nach unten dem gleichen Verhalten der Ziffern der
3. Potenz, aber mit der Ausnahme, die das Brom-
natriura macht: das schlägt mit der Ziffer 106
zurück. Bei den Kalisalzen geht die Regel ganz
durch und macht im Gegensatz zu den Natron¬
salzen auch das Bromsalz keine Ausnahme. Bei
den Ammoniaksalzen fügen sich blos die zwei
ersten der Regel, in dem nicht nur die Brom-
Digitized by v^ooQie
88
Verbindung, sondern auch das phosphorsaure Salz
sich gegenteilig verhalten. — Vergleichen wir
Natron- und Kalisalze, so zeigt sich nicht nur
in den Mittelziffem, dass der Potenzirangseffect bei
letzteren verhältnissmässig grösser ist als bei ersteren,
sondern auch im einzelnen und zwar so: Jod¬
kalium mit — 2 in 3. Potenz sollte nach der
Regel einen schwächeren Totaleffect aufweisen als
Kochsalz mit — 5 in 3. Potenz, es ist aber um¬
gekehrt: 87 gegen 76. Bromnatrium mit — 35
und Kali carb. mit — 37 sollten annähernd
gleichen Totaleffect haben, aber ersteres hat 112
letzteres 127. Von den zwei der Regel folgenden
Ammoniaksalzen lässt sich nur das Amm. muriat.
mit — 34 in 3. Potenz vergleichen und hier stimmt
die Totaleffectziffer 114 mit der des Bromnatrium
(112) sehr nahe. — Geben wir nun der in diesen
Ziffern zum Ausdruck kommenden Regel eine andere
Fassung, so würde sie so lauten: Für den poten-
zirenden Homöopathen ist der Giftigkeitsgrad eines
Stoffes in giftiger Concentration im Allgemeinen
kein Grund, einen Stoff aus der Liste der an¬
wendbaren Arzneien auszuschliessen, denn auf ge¬
nügend hoher Potenz verliert sich dieser Unterschied
mehr und mehr und gewinnen auch die giftigsten
genügende Belebungskraft, um als Heilmittel functio-
niren zu können. Nun wird Niemand bestreiten
können, dass dieses ziffermässige Ergebniss meiner
Neuralanalyse genau dem Verhalten der praktischen
Homöopathie entspricht, welche sich keinen Augen¬
blick besinnt, die stärksten Gifte als Arzneien zu
verwenden, ebenso gut als sie mit so harmlosen
Stoffen wie Kochsalz, Schwefel, Kohle und dergleichen
operirt. Aber: auch das lehrten die neural¬
analytischen Ziffern: nulla regula sine exceptione!
Während bei den 6 Natronsalzen die 25. Potenz
mit Ziffern zwischen -j- 69 und —J— 87, bei 3 Kali¬
salzen mit -j- 85-{- 90, bei 2 Ammoniaksalzen
mit -f- 80 und -{- 84, auftreten, stellen sich dem
mit der Ziffer -j- 43 in der 25. Potenz das Brom¬
kali und das phosphorsaure Ammoniak als
Ausnahme gegenüber. Diese beiden Stoffe ver¬
teidigen ihre in der dritten Potenz mit den Ziffern
— 70 und — 64 zu Tag tretende schwere Lähmungs¬
kraft mit einer Hartnäckigkeit wie kein anderes
(Bromammonium, das schon erledigt ist, aus¬
genommen) nicht blos bis zum Indifferenzpunkt,
sondern auch noch in den oberen Potenzen zeigt
sie sich durch ein langsameres Ansteigen des Poten-
zirungseffectes. Selbstverständlich kann ein ab¬
schliessendes Urtheil hierüber nur durch eine nach
der Schluckmethode ausgeführte Dauermessung,
wie sie bei Kali carbonicum gemacht wurde, ge¬
wonnen werden. Ich bin überzeugt, dass man bei
Ausdehnung dieser Untersuchungen über weitere
Stoffgruppen noch auf genug solcher hartnäckigen
Stoffe stossen wird und ich habe schon bei der
Besprechung des Bromammonium in dieser Richtung
Andeutungen gegeben.
f) Nun kehren wir noch einmal von der Aus¬
nahme zur Regel zurück. Die Sache liegt nicht
bloss so, dass die Homöopathie unbedenklich zu den
heftigsten Giften greift, sondern es existirt bei vielen
Praktikern die Anschauung, dass die heftigsten
Gifte durch den Verdünnungsprocess auch zu den
kräftigsten Arzneien werden. Auch für diese
Anschauung lässt sich aus dem Ziffemmaterial ge¬
nügendes anführen, erstens: der Unterschied zwi¬
schen den Natronsalzen einerseits und den Kali¬
salzen andererseits. Dass die Kalisalze giftiger
sind, als die Natronsalze ist gemeinschaftliches Er¬
gebniss der Neuralanalyse und der anderweitigen
Erfahrung und von zwei Ausnahmen abgesehen hat
die 25. Potenz bei den ersteren höhere Belebungs¬
effecte (85. 90. 89 bei Kali — 69. 70. 71. 71. 77
bei Natronsalzen). Zweitens: Nächst dem schon
besprochenen Bromnatrium kommt unter den Natron¬
salzen dem phosphors. Natron mit — 25 in
dritter Potenz die grösste Giftigkeit zu und seine
25. Potenz erhebt sich mit-{-87 über den Belebungs¬
werth aller anderen. Drittens: Nach den Natron¬
salzen kommt das schwefelsaure Salz mit — 19
in 3. Potenz an Giftigkeit dem phosphorsauren Salz
am nächsten; dem entspricht, dass seine 25. Potenz
mit -f- 7 7 nach der Ziffer des phosphorsauren Salzes
die höchste unter den Natronsalzen ist. Viertens:
Auch bei den Kalisalzen findet man Belege: das
schwachgiftige Jodkalium hat auf 25. Potenz mit
85 geringeren Belebungseffect als die giftigeren
phosphor- und kohlensauren Salze mit -j- 89 und
-{-90. Fünftens: Bei den Ammoniaksalzen
stehen das kohlensaure und salzsaure Salz im
gleichen Verhältniss; das giftigere erstere hat in
25. Potenz -{- 84, das weniger giftige letztere nur
r\~ 80. — Also auch in dem Stück harmonirt das
ziffermässige Ergebniss mit Anschauungen, welche
ihren Ursprung der praktischen Erfahrung ver¬
danken und auch das darf als Uebereinstimmung
bezeichnet werden, dass es sich nur um Regeln,
von denen es Ausnahmen giebt, und nicht um allge¬
mein gültige Schablonen handelt
„Ja, wenn das sc) ist, so bringt die Neuralanalyse
eigentlich gar nichts Neues! * Das soll und will sie auch
nicht; was sie will und kann, ist, dass sie an Stelle
von mehr oder weniger vagen Meinungen und ange-
zweifelten Behauptungen „Sicheres, Gewisses“, statt
Worten „Zahlen“ bringt und dass sie die Homöopathie
aus dem Dunkel der Mystik, aus dem Gebiet der
blossen Empirie ins helle Licht der exacten, d. h.
messenden und rechnenden Wissenschaft rückt
Nun bleibt für diesen, mit dem Ziffemmaterial
sich befassenden Abschnitt zum Schluss nur noch
übrig, aus den Ziffern zur besseren Veranschau¬
lichung Curven zu fertigen.
Digitized by
Google
39
VIII. Curventafel für 8 Mittelsalze.
In die vorstehende Curventafel habe ich nur 8
der gemessenen 14 Salze aufgenommen, denn in
dem vorliegenden Massstab hätte eine Unterbringung
aller 14 Salzlinien sich nicht machen lassen, ohne
die Uebersichtlichkeit zu vernichten. In dieser Be¬
schränkung lässt sich die Curve jedes der 7 Salze,
dessen Name linker Hand steht, klar verfolgen.
Die Erhöhung der Klarheit machte auch noch ähn¬
lich wie bei den Curven von Kali carbonicum
nöthig, das Liniennetz zu vereinfachen, indem so¬
wohl bei den senkrechten Potenzlinien wie bei den
wagerechten Linien der Effektwerthe eine Linie um
die andere ausgelassen wurde.
Die mit Null angeschriebene dicke Querlinie ist
die Indifferenzlinie, über ihr liegt die mit
Plusvorzeichen versehenen Scala der Belebungseffecte,
unter ihr die mit Minusvorzeichen versehenen Scala
der Lähmungseffecte. Die quere Zifferreihe oben
auf der Tabelle giebt die Scala der Decimalpotenzen.
Die Curven der 3 dargestellten Natronsalze
sind mit ununterbrochenen Linien dargestellt
und zur Erhöhung der Klarheit ist die Curve des
Salpeters, welche sehr nahe mit der des Koch¬
salz zusammenläuft, durch dünnere Linie, von
der Kochsalzlinie unterschieden. Für die Curven
dar 3 Kalisalze wurde gestrichelte Linie ver¬
wendet und die des Phosphorsalzes noch dadurch
verfolgbarer gemacht, dass sie zwischen den Strichen
Punkte trögt. Zu den 2 Ammoniaksalzen wurden
Kreuze verwendet und zwar für das Bromsalz nur
Kreuze, für das Phosphorsalz abwechselnd Kreuze
und Punkte. Die Curve des letzteren Salzes be¬
ginnt auf der Tafel erst bei der 8. Potenz, das
geschah blos im Interesse der Klarheit, denn von
3—8 durchkreuzt sie die nächsten Curven so man¬
nigfach, dass das Bild wirr geworden wäre.
Ich will nun den Leser nicht dadurch ermüden,
dass ich ihm an der Hand der Curve das wieder¬
hole, was ich ihm bei Lesung der Tabelle mitge-
theilt habe. Ich will nur auf das aufmerksam
machen, was die Curve viel deutlicher zeigt als
die Tabelle, nämlich, dass jede Curve einen eigen¬
artigen specifischen Rhythmus ihres Ver¬
laufes zeigt und dass hierin sowohl die Aehn-
lichkeiten als die specifischen Verschiedenheiten
zum Ausdruck kommen. Ueberraschend ist z. B,
die eigenthümliche übereinstimmende Unregelmässig¬
keit der Curven der beiden Ammoniaksalze im Ge¬
gensatz zu der übereinstimmenden Regelmässigkeit
der Curven von Natr. mur. und nitr. Auch sieht
man unschwer, dass die Curven der Salze, welche
gleiche oder ähnliche Säuren (resp. Halogene) haben,
Digitized by v^ooQle
40
einander ähnlicher sind als wenn sowohl Säure als
Basis verschieden ist, das tritt bei den Brom¬
salzen und bei den Phosphaten klar zu Tage. Diese
Erscheinungen an den Curven würden natürlich
noch in viel grösserem Umfang und grösserer Deut¬
lichkeit zu sehen sein, wenn man alle 14 Salze
graphisch dargestellt und wie die Kalisalze auch
noch die untere Hälfte der 3 zurückgestellten Salze
eingetragen hätte. Wie früher gesagt, wurden sie
nach Ermittelung der Indifferenz theils aus Erspar-
nissrücksichten, theils deshalb zurückgestellt, weil
ihre Ziffern mit denen des Kali carbonicum so nahe
übereinstimmten. Nun, ich habe mir die Curven
dieser vier so ähnlichen Kalisalze zusammen auf¬
gezeichnet: sie laufen so nahe an einander, in so
übereinstimmendem Rhythmus und doch wieder so
individuell durcheinander, dass selbst in doppelt so
grossem Massstab, als der obiger Curventafel ist,
ohne Zuhilfenahme verschiedener Farben die ein¬
zelne Linie nicht klar verfolgt werden kann. Die
Ziffern der Tabelle III in Nr. 1/2 setzen den Leser
in den Stand, sich das nachzumachen; wenn er
Sinn für solche Sache hat, wird ihn das Bild ähn¬
lich verblüffen wie mich seiner Zeit.
Damit schliesse ich die Mittheilung des Ziffern -
materials, das mir die Arbeit vom verflossenen
Winter für die Potenzirung geliefert und es schliesst
sich hieran noch in den folgenden Nummern die
Mittheilung der anderweitigen physiologischen Er¬
scheinungen, die ich bei der fraglichen Arbeit zu
beobachten Gelegenheit hatte. Dieselben sind nicht
minder interessant und beweisend für die Richtig¬
keit der Potenzirungslehre, als die gewonnenen
Ziffern; praktisch sind sie vielleicht noch wichtiger
als diese, wenigstens bei der jetzigen Lage der
Sache.
Y. Weitere physiologische Thatsachen
Glücklicherweise giebt es noch andere Erschei¬
nungen, mit denen man die Potenzirung controlliren
kann, als die der Zifferbildung mittelst Cbronoskop
und ich habe deren hauptsächlich zweierlei als be¬
sonders sinnfällig kennen gelernt.
a) Der Geruch.
Ich schicke voraus, dass es sich hierbei gar
nicht um eine besondere Schulung, etwa um die
Kunst eines Wein- oder Theeschmeckers handelt,
sondern um etwas, was nichts voraussetzt, als den
Besitz eines Geruchsinnes überhaupt. Auch um
Kenntnisse auf diesem Gebiet handelt es sich gar
nicht, womit ich aber nicht sagen will, dass diese
nicht vom grössten Vortheil für den Praktiker auf
dem Gebiet der Homöopathie wären — im Gegen-
theil: da die chemische Reaction bei einer Masse
von Arzneistoffen überhaupt impotent ist und selbst
bei den zugänglichsten über 6. oder 7. Potenz nicht
hinausreicht, so sollte hier wie beim Wein- und
Theehandel, wo die Chemie auch versagt, die Nase
(und Zunge) oberster Richter sein und könnte es
auch sein, aber nur, wenn man sich durch jahre¬
lange Uebung mit Geruch (und Geschmack) der
Arzneistoffe und ihrer verschiedenen Potenzen ver¬
traut gemacht hat. Aber um das, d. h. um Unter¬
scheidung der verschiedenen Arzneien mittelst des
Geruchsinnes handelt es sich hier nicht, sondern
nur darum, was der Geruchsinn in Bezug auf
die Potenzhöhe eines und desselben Stoffes
wahrnehmen kann, allerdings nur dann, wenn er
sich bei diesen Proben sorgfältigst vor der so über¬
aus leicht eintretenden Abstumpfung des Ge¬
ruchsinnes bewahrt, worüber ich verschiedentlich
das Nähere veröffentlicht habe. Doch zur Sache:
Da ich meine Versuche alle mit weingeistigen
Potenzen machte, so hatte ich immer einen deut¬
lichen Geruchseindruck, in welchem natürlich der
Weingeist die Hauptrolle spielte. Nun ist bekannt,
dass man in einem sprit- oder sonstigem wein-
geistigem Getränk mittelst des Geruchsinnes die
Feinheit der darin enthaltenen Bouquette
resp. die Anwesenheit von Fuseln oder sonstigen
concentrirten Beimengungen sehr gut erkennen
kann. Ich fand nun, dass das bei den wein¬
geistigen Arzneipotenzen genau ebenso gut
möglich ist, selbst bei relativ so geruchlosen Sub¬
stanzen, wie es die von mir untersuchten Mittel¬
salze sind. Das Deutlichste, was wohl keinem Nach¬
prüfer entgehen wird, ist der Geruchsunterschied
der unteren und der oberen Potenzen: erstere
riechen durchweg dumpf, schwer, fuslig, un¬
rein, letztere frisch, rein, fein, leicht, und
zweimal (bei Ammon, muriat. 12. Potenz und Kali
phospbor. 19. Potenz) enthält mein Messungsproto¬
koll die Bemerkung „riecht gut“, weil es ein wirk¬
lich eigenartiger Wohlgeruch war. Ich will bezüg¬
lich dieser zwei Fälle durchaus nicht behaupten,
dass sie zweifelsfrei sind (etwaige zufällige Verun¬
reinigung) allein im ganzen bin ich meiner Sache
sicher; bei allen 17 Salzen vollzog sich mit Ueber-
schreitung der neuralanalytischen Indifferenz der
obgenannte Umschlag im Geruchseindruck — zugleich
einer der hunderte von Beweisen, dass die Neural¬
analyse nicht Schwindel und Einbildung ist. Wie
bemerkt, wird den Umschlag jeder wahrnehmen,
namentlich der, welcher gewohnt ist, beim Einkauf
oder vor dem Genuss die Spirituosen auf ihre Rein¬
heit mittelst des Geruchs zu prüfen. Jedenfalls
aber wird der Umschlag keinem Fachmann auf
diesem Gebiet entgehen und dieser wird auch noch
mehr zu leisten im Stande sein, aber nur unter
bestimmten Bedingungen. Ich habe alle meine Po¬
tenzen im gleichen Kölbchen gemacht und dabei
wahrgenommen, dass nicht nur der unangenehme
Geruchseindruck der unteren Potenzen von Potenz
Digitized by v^ooQie
41
zn Potenz abnahm — natürlich nicht bei allen
Salzen in gleichem Masse und gleich deutlich —
sondern dass man auch bei den oberen Potenzen
ganz gut eine stufenweise Veränderung, Feiner¬
werden des Geruchs, herausriechen konnte. Es giebt
unter den Lesern gewiss solche mit feiner Nase
und da ich selbst das nicht habe, wäre es mir sehr
interessant, wenn sich einer oder der andere an
die Nachprüfung der Sache machte und mir Mit¬
theilung zukommen Hesse. Zunächst behaupte ich:
Mit Hülfe einiger Vorübung wird man in praxi
leicht mit der Nase unterscheiden lernen, ob man
eine untere oder eine obere Potenz einer Arznei
vor sich hat, donn der Unterschied ist genau der
gleiche wie der zwischen einem schlechten und
guten Schnaps, und wenn ein Arzt oder Apotheker
oder Visitator einer solchen wenigstens das thut
und kann, so gehen sie weit sicherer.
Mit dem Geschmacksinn habe ich keine Ver¬
suche angestellt, denn da ich Raucher bin, ist dieser
bei mir um seine Feinheit gekommen. Ausserdem
müsste hierzu ein anderes Medium als Weingeist,
der zu stark auf £er Zunge wirkt, genommen
werden. Ich glaube am besten würde sich dazu
Wasser eignen, denn hier haben wir auch schon
einen Vorgang. Abgesehen von gröblicher Verun¬
reinigung haben wir beim Trinkwasser für gut
und schlecht eine Geschmacksbezeichnung, die
zwar mehr dem Tastantheil des Geschmacksinnes
als dem wirklichen chemischen Sinn entnommen
ist: weich und hart. Untere Potenzen werden
hart, obere weich schmecken und erstere um so
härter, letztere um so weicher, je weiter sie sich
vom Indifferenzpunct entfernen. Gerade dann, wenn
es sich bei einer Arznei so wie beim Trinkwasser
um mineraHsche Stoffe handelt, wird der Vergleich
mit dem Geschmackseindruck des Trinkwassers sich
leicht ergeben. Auf diesem Gebiet wäre Mitarbeiter¬
schaft sehr nützlich.
b) Unwillkürliche Bewegungen.
Das Ziffernmaterial, welches ich in den Ab¬
schnitten II, 111 und IV vorHegender Arbeit mit-
getheilt habe, ist das Ergebniss einer Beeinflussung
der willkürlichen Bewegungsvorgänge. Dass
sich auch Veränderungen der unwillkürlichen
Bewegungen unter dem Einfluss von Stoffen ver¬
schiedener Potenzhöhe einstellen, ist nicht erst das
Ergebniss meiner neuesten Prüfungen, sondern schon
in meinen früheren Veröffentlichungen nieder gelegt,
der Leser findet dort allerdings nur einen Theil
derselben beschrieben, nämlich den, welchen ich
mit Hilfe von Kymographion und Sphygmograph
nachgewiesen habe; Hochpotenzen beeinflussen die
unwillkürlichen Erzitterungen freigehaltener Glied¬
massen und den Pulsgang, können also auch in
dieser Richtung auf ihre physiologische Kraft ge¬
prüft werden, was eine werthvolle Controle für die
neuralanalytische Prüfung mittelst Chronoskop abgab.
Man sehe Entdeckung der Seele, III. Auflage
Bd. II Cap. 4 und 5. In dieser Richtung habe ich
diesmal nicht gearbeitet.
Weiter habe ich in meiner „Neuralanalyse
der homöopathischen Verdünnungen* mitge-
theilt, dass sich bei Ausführung neuralanalytischer
Messung, namentlich dann, wenn man an höheren
Potenzen misst und zwar um so zahlreicher, je
höher man in den Potenzen hinaufsteigt, Null acte
einstellen d. h. Fingerrucke, bei denen der Zeiger¬
sprung ausbleibt An diese knüpft sich nun das,
was ich im Folgenden mitzutheilen habe. Ich habe
damals von diesen Erscheinungen in meiner Ver-
öffentHchung nichts gesprochen und das hat seinen
Grund in folgenden Umständen gehabt, a) damals
war mein Hauptaugenmerk auf die Zifferbildung
gerichtet und auf die übrigen Erscheinungen wurde
wenig Gewicht und wenig Aufmerksamkeit gelegt;
b) die nachher zu schildernden Zuckungen fehlten
damals nicht, allein sie waren bei keinem der da-
maUgen vier Prüfer so stark, wie sie jetzt bei mir
sind. Ich treibe jetzt die Neuralanalyse seit zehn
Jahren und, was ich dabei erfuhr, ist, dass diese
unwillkürlichen Zuckungen, die im Anschluss an
die Nullacte auftreten, bei mir von Jahr zu Jahr
deutlicher und ausgebreiteter wurden. Das trat aller¬
dings eine längere Zeit desshalb wieder in den
Hintergrund, weil ich mich nicht mehr mit arznei-
Hchen Hochpotenzen beschäftigte, sondern nur mit
hygienischer Prüfung von Waaren, wobei es sich
zwar oft genug auch um obere Potenzen, aber immer
nur um die niedrigeren derselben handelt. Erst
jetzt, wo ich obige Arbeiten ausführte, gewann ich
die richtige Vorstellung, c) bei den Messungen für
die „ Neuralanalyse der homöopathischen Verdün¬
nungen* mass jeder der 4 Herrn für sich allein.
Erst nach der betreffenden VeröffentHchung hatte
ich Gelegenheit fremde Personen (einen Assistenten
und einige Schüler) beim Messen zu beobachten
und da wurde ich auf die Zuckungen aufmerksam
als auf eine Erscheinung, die voller Beachtung
werth ist, und meine damaligen Erfahrungen kann
ich zunächst dahin zusammenfassen: Nullacte
werden bei den meisten Menschen eintreten, wenn
sie an Hochpotenzen riechend Ziffern bilden wollen,
dagegen zu ausgedehnteren Mitbewegungen ja
Krämpfen kommt es nur bei sensibleren Individuen
und längere Uebung begünstigt deren Auftreten.
Diese Thatsache ist nach zwei Seiten von grund¬
legender Wichtigkeit.
a) Liegt darin natürlich nicht das mindeste Un¬
erwartete, dass auf einen physiologischen Einfluss
von bestimmter Stärke verschiedene Personen nicht
gleich stark reagiren. Allein gerade darum handelt
es sich, dass man hier nicht falsch urtheilt und
6
Digitized by
Google
42
qualitativ und quantitativ, subjectiv und
objectiv verwechselt Was wollen wir durch un¬
sere Untersuchungen prüfen? Antwort: die objec-
tiven Veränderungen, welche bei den Arzneistoffen
an ihrer physiologischen Wirkung durch die Ver¬
dünnung, also Veränderung der Quantität erzeugt
wird. Diese Prüfung ist auf gar keinem andern
Weg als mittelst eines physiologischen Subjectes
zu machen. Damit mischt sich dem Prüfungs-
ergebniss nothwendig ein qualitatives oder
anders gesagt, subjectives Element bei, denn ver¬
schiedene Subjecte sind namentlich beim Menschen
qualitativ verschieden. Wenn ich also sage:
bei mir treten Zuckungen ein, sobald bei dem oder
dem Stoff die 15. Potenz erreicht ist und es ent¬
gegnet mir jemand: „das ist subjectiv! 8 so hat er
insofern recht, als durchaus nicht bei allen Sub-
jecten diese Wirkung auftritt, und trotzdem habe
ich recht, die Sache als einen Ausdruck einer
objectiven und quantitativen Thatsache aufzu¬
fassen, denn 1. wenn ich bei zwanzig verschiedenen
Stoffen jedesmal bei einer bestimmten Potenzirungs-
stufe Zuckungen erhalte, während sie auf der
nächst tieferen Stufe ebenso regelmässig nicht ein-
treffen; 2. wenn die Ausbreitung und Stärke der
Zuckungen oder Krämpfe mit jeder weiteren Potenzi-
rung bei mir zunimmt, so kann kein vernünftiger
Mensch bestreiten, dass durch die Potenzirung in
dem Objecte, d. h. der Arznei eine Veränderung
quantitativer Natur und zwar in der Richtung
grösserer Kraftentfaltung hervorgerufen worden ist,
denn zu behaupten, das komme lediglich davon her,
dass bei mir in diesem Augenblicke eine qualitative,
subjective Veränderung eintrete, wäre doch Narren¬
schwatz.
b) Thatsächlich sind die Anhänger der Homöo¬
pathie über die Potenzirung sehr verschiedenerAn-
sicht, aber doch lassen sich zwei Strömungen unter¬
scheiden, die eine nach oben, die andere nach
unten. Diese Thatsache erhält durch obiges eine
ganz bestimmte Beleuchtung. Rechnet man die¬
jenigen ab, die es gar nicht für nöthig halten, sich
durch Versuche am eigenen Leib eine eigene Ueber-
zeugung zu verschaffen, so müssen bei denen, die
an sich nachprüfen, nothwendig die obigen subjec-
tiven Unterschiede in der Sensibilität und Uebung
sich geltend machen. Die sensibleren Naturen,
bei denen Hochpotenzen Zuckungen erzeugen,
werden unbedingt Anhänger der Hochpotenz. Dazu
hilft ihnen nicht blos ihre Sensibilität, sondern auch
das mit ihr zwar nicht immer, aber meist verbun¬
dene lebhaftere Temperament, das vor der Mehr¬
arbeit der Hochpotenzirung und vor dem mannig¬
fachen Widerwart, den — bei uns wenigstens —
der practische Gebrauch der Hochpotenzen mit sich
bringt, nicht zurückschreckt. — Auf der anderen
8eite steht der torpidere Theil der Prüfer. Die
können sich für Hochpotenzen deshalb nicht so
leicht erwärmen, weil sie von ihnen nicht ange¬
griffen werden und halten nun leicht die ganze
Mehrarbeit für überflüssig, wozu sie auch noch ihr
torpideres Temperament leicht verführt.
c) Ist noch die Uebung zu besprechen. Es
ist eine bekannte Thatsache, dass Gliedmassen, die
viel gebraucht werden, leicht von unwillkürlichen
Zuckungen und Krämpfen befallen werden, das be¬
kannteste Beispiel ist der Schreibkrampf, den ja
blos Leute bekommen, die viel schreiben müssen.
Dies wirft ein Licht auf das Wort Uebung; wer
viel schreiben muss, übt die hierbei thätigen Mus¬
keln und Nerven. Die Veränderung, welche die
Uebung in diesen hervorbringt, ist eine Abnahme
der Widerstände, welche die Erregungsleitung
findet und damit eine grössere Reizempfindlichkeit.
Ich verweise in dieser Beziehung auf das Kapitel
„Uebung* in meinem „Lehrbuch der allge¬
meinen Zoologie, IL Theil allgemeine Phy¬
siologie (Leipzig 1878.) (Die Schulphysiologien
enthalten, beiläufig gesagt, über practisch so wich¬
tige Dinge wie „Uebung“, „Gewöhnung“ gar nichts!)
Die Physiologie hat nun für die Reflexe das
Gesetz der Irradiation ermittelt. Das besteht
darin, dass bei diesen entweder bei Steigerung der
Reizstärke oder bei Erhöhung der Reflexerregbar¬
keit die Reflexbewegungen auf andere motorische
Gebiete überspringen und zwar in einer bestimmten
Ordnung und Abstufung.
Nun die ganz gleiche Erscheinung gilt auch
für die willkürlichen Bewegungen: bei höhe¬
rer Sensibilität sowohl bei der stabileren, wie
bei sensitiven Personen oder bei Abschwächung
der Leitungswiderstände in Folge häufigen Ge¬
brauchs als bei der vorübergehenden, wie sie Ner-
venaufregung hervor ruft, springt der Bewegungs-
anstoss nach demselben Gesetz der Irradiation auf
andere Muskelnerven über und zu der willkürlichen
Bewegung gesellen sich unwillkürliche. Doch zur
Sache:
Die unwillkürlichen Mitbewegungen bei der neu¬
ralanalytischen Messung haben einen Vorläufer an
den sogenannten Nullacten, deshalb sind diese
zuerst zu schildern, diess ist weiter um so noth-
wendiger, weil ich die feste Ueberzeugung habe,
dass es bis zu dieser Stufe beginnender Aufregung
bei Selbstversuchen mit Hochpotenzen selbst die
torpideren Naturen bringen. Wie schon beschrieben,
lasse ich bei der Neuralanalyse 10 Acte (Finger¬
rucke nicht -drucke) auf die Uhr wirken, deren
Zeiten sich dabei addiren. So lange man an Ob¬
jecten misst, welche Lähmungsziffern geben,
also an giftigen, concentrirten, schweren Stoffen,
entspricht unabänderlich jedem Fingerrook ein
Sprung des Uhrzeigers.
Das Gleiche ist auch dann der Fall, wenn man
Digitized by v^ooQie
48
an indifferenten Dingen misst, oder an gar nichts,
d. h. Bnheziffem bildet. Das gilt aber nur dann,
wenn man wirklich in derjenigen Ruhe sich befindet,
die für die Ausübung der Neuralanalyse Voraus¬
setzung ist und das Auftreten eines Nullactes bei
Messung von Ruheziffern ist deshalb dem practischen
Neuralanalytiker das sicherste Anzeichen, dass er
nicht in Ruhe ist, sondern eine Aufregung vor¬
liegt, die er unbedingt beseitigen oder verfliegen
lassen muss, ehe er weiter misst.
Auf der anderen Seite ist das Auftreten von
Nullacten bei sensibleren Naturen eine regelmässige
Erscheinung, sobald sie an Stoffen messen, die
ßelebung8ziffern ergeben, und besteht die Sache
darin, dass einer oder der andere der Fingerrucke
auf die Uhr nicht wirkt, keinen Zeigersprung her¬
vorruft. *) Im allgemeinen ist das bei mir dann
der Fall, wenn die Dekadenziffer mehr als 30°/ 0
Belebung anzeigt, doch kann es auch schon früher
Vorkommen.
Prüft man nun eine Potenzenreihe, so wie ich
es jetzt wieder an 17 verschiedenen Stoffen und an
einem, dem Kali carbon., zweimal mit Variirung
der Methode gethan, so stellt sich als unabänder¬
liche Erscheinung ein/ dass mit Zunahme der Poten-
zirungsstufe die Zahl der Nullacte zunimmt, was
ich schon in meiner „Neuralanalyse der homöopa¬
thischen Verdünnung“ mitgetheilt habe.
(Schloss folgt.)
Prof. Kent über horaöop. Behand¬
lung der LagenyerHrnderangen des
Uterus ohne mechanische Beihülfe.
(Med. Adv. 1890 Dez.)
Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg,
Wenn Jemand in einer anderen Versammlung
als derjenigen der Hahnemannianer die Behauptung
aufstellte, dass die Lageveränderungen der Gebär¬
mutter ohne mechanische Beihülfe gebessert oder gar
geheilt werden könnten, so würde er wenig Glauben
finden, weder für seine Behauptung, noch für seinen
Vorschlag der Behandlung. Da aber unser Heil¬
gesetz als ein alles umfassendes betrachtet werden
muss, so ist es andrerseits überflüssig zu versichern,
dass unsere Materia medica reif genug ist, diese
Lageveränderungen ohne mechanische Beihülfe zu
behandeln.
Ein jeder Arzt, der sich mit Frauenpraxis be¬
schäftigt, wird eine grosse Anzahl Fälle dieser Ca¬
tego rie haben.
*) Ich verweise hier auf meine Schilderung in
„Neuralanalyse der homöopathischen Verdünnung“
pag. 6.
Die pathologische Classification hat wenig Werth
für die Behandlung; nur die Behandlung nach dem
Symptomenbilde führt zu einer dauerhaften und
gründlichen Heilung.
Der Nachfolger Habnemanns findet in seiner
Praxis keinen Platz für mechanische Beihülfe; er
verlässt sich auf das Simile. Die lebendigen Zeu¬
gen, die wirklich geheilten Fälle sind der Beweis.
Zweckmässig wird es sein, einige Fälle anzuführen,
um zu zeigen, wie man Vorgehen soll.
Wenn eine Patientin sich einem homöop. Arzte vor¬
stellt, um von ihm an irgend einer Lageveränderung
behandelt zu werden, so müssen nicht allein die spe-
ciellen Symptome der Lageveränderung, sondern
sämmtliche Symptome des Falles von der Kindheit
an bis zur Jetztzeit genau aufgenommen und notirt
werden, wie das Organon es vorschreibt.
Die allgemeinen Symptome müssen sehr sorg¬
fältig und sehr vollständig aufgenommen werden,
da aller Wahrscheinlichkeit nach gerade durch die
begleitenden oder Nebensymptome das Symptomen-
bild ein characteristisches wird.
Die gewöhnliche Untersuchung hat für die
Behandlung sehr wenig Werth, sie entwickelt meist
kein characteristisches Symptom, welches der Arzt
für die Mittelwahl benutzen kann. Viele dieser
Kranken tragen noch die Ringe, welche der letzte
Arzt ihnen eingeführt hat. Dadurch werden die
werthvollsten Symptome unterdrückt. Mit dieser
mechanischen Hülfe kann die Frau gehen, stehen
und ihren häuslichen Pflichten nachkommen ohne
besondere Schmerzen. Die Frau muss diesen Ring
sofort herausnehmen oder herausnehmen lassen und
es muss unter Verabreichung von Scheinarznei min¬
destens eine volle Woche, oft auch ein Monat ge¬
wartet werden, bis alle Symptome da sind, welche
vorher sich zeigten, ehe sie durch die mechanischen
Beihülfen unterdrückt wurden, bis also das Symp-
tomenbild vollständig ist Die Patientin wird ge¬
wöhnlich bemerken: „Ich kann nicht gehen, wenn
der Ring herausgenommen ist,“ Aber das will ich
gerade hören und frage sie sofort, warum sie dann
nicht gehen könne. Die Antwort bringt die Symp¬
tome, welche ich niederschreibe und mit den anderen
Symptomen wird das 8ymptomenbild vollständig,
wenn nur nach dem Herausnehmen des Pessarium
den Symptomen Zeit gelassen wird, sich wieder
zu entwickeln. Es kommt nicht darauf an, wie
bald die Symptome gesammelt werden, aber sehr
kommt es darauf an, dass man sie vollständig
sammelt und auch trennt von solchen, welche
entstehen durch Einwirkung eines lange liegenden
Pessarium auf die benachbarten Theile und
welche man für das Grundleiden nicht verwerthen
kann. Alle Krankheiten melden sich dem ein¬
sichtsvollen Arzt durch Zeichen und Symptome;
diese hat er zur Heilung nöthig, und wo diese
6 *
Digitized by v^ooQie
44
Zeichen und Symptome fehlen, etwa wie hier
mechanisch zurückgedrängt, muss man dieses Hin¬
derniss beseitigen und jenen Gelegenheit und Zeit
geben, sich zu entwickeln.
Man hat behauptet, dass man bei alten Frauen
die mechanische Behandlung nicht entbehren könne.
Dem kann ich nicht beistimmen; auch bei schwachen
heruntergekommenen Frauen beseitigt das angezeigte
Mittel die Lageveränderung. Als Beispiel für Ersteres
führe ich folgenden Fall an:
Eine 65jährige Dame consultirte mich wegen
Vorfall. Zum Gehen musste sie eine T Bandage
tragen. Liegen erleichtert etwas; wundmachender
blutig-wässriger Fluor. Die Patientin war sehr
abgemagert, blutleer, wachsgelb. Haut sehr trocken
und zusammengeschrumpft; die Zehen dunkelfarbig
mit gangränösen Stellen. Gelegentliche Attacken
von blutigen Durchfällen. Grosse Schwäche; sie
glaubt ihr Ende nahe.
Diese ausgedehnte Lage Veränderung hat sie schon
seit 20 Jahren, hat oft mechanische Stützen ver¬
sucht, immer ohne Erfolg wegen der übergrossen
Empfindlichkeit der Theile.
Secale heilte diesen Fall in sehr kurzer Zeit,
ein Mittel, welches wohl nicht zu den gebräuch¬
lichen zählt bei Behandlung der Lageveränderungen
des Uterus, welches aber den Eigentümlichkeiten
dieses Falles entsprach. Wenn man in solchen
Fällen heilen kann, wo Pessarien nicht vertragen
werden, warum nicht auch in den anderen? In
dem folgenden Falle kam ebenfalls ein Mittel zur
Verwendung, an das man bei Prolaps, in der Regel
nicht denkt.
Eine grossgewachsene Frau litt seit vielen Jahren
an starkem Prolaps. Heftiges Abwärtspressen im
Becken. Beim Stuhldrang treten zahlreiche Hämorr¬
hoidalknoten vor, welche brennen und schmerzen,
als ob sie voll spitzer Hölzer sässen und oft bluten.
Zerschlagenheitsgefühl und heftige Schmerzen vom
Rücken durch die Hüften die Schenkel hinab beim
Gehen. Die einzige angenehme Position ist die
Bettlage.
Aesculus heilte diesen Fall prompt
Als die Patientin in meine Behandlung kam,
trug sie ein Hufeisenpessarium, nach dessen Ent¬
fernung erst obige Symptome auftraten.
Interessant ist folgender Fall.
Eine Dame in mittleren Jahren, Mutter mehrerer
erwachsener Töchter, erschien mit einer eigenthüm-
lichen Gemüthsalteration. Sie verlangte nur, hier¬
von befreit zu werden; von Lageveränderung der
Gebärmutter, an der sie schon lange litt, erzählte
sie nichts. Wenn ihr Mann fort war, stand sie
entsetzliche Angst um ihn aus, dass er nicht mehr
zurückkäme, er käme unter die Räder, er werde
sterben und Aehnliches. Diese Angst war so gross,
dass sie während seiner ganzen Abwesenheit weinte
und ihn jetzt meist zum Geschäft hin begleitete,
um bei ihm zu sein. Sie erwähnte nicht, dass sie
ein Pessarium trug und konnte sich gar nicht
denken, dass der Gemütszustand Zusammenhang
haben könne mit der Gebärmutter. Von der Homöo¬
pathie hatte sie so wenig Begriff, dass sie glaubte,
bei dem Spezialarzt ihren Uterus weiter behandeln
lassen zu können. Zu mir kam sie nur, weil sie
von meinen Erfolgen in der Behandlung von Ge-
müthsleiden gehört hatte.
Nach Herausnahme des Pessarium erzählte sie
mir dann, warum dieses nöthig gewesen sei und
theilte mir die Diagnose mit, welche vom Spezialisten
sorgfältig gestellt worden war.
Die Symptome, welche jetzt noch hinzutraten,
waren: Menses stark, schwarz und klumpig, ausser¬
ordentliche Empfindlichkeit der äusseren Genitalien,
welche sogar das Tragen des gebräuchlichen Tuches
bei der Regel nicht zuliess.
Hierdurch wurde das Symptomenbild von Platina
so vervollständigt, dass auch ein Anfänger keine
falsche Wahl treffen konnte.
Platina beseitigte sowohl die Gemüthssymptome,
wie die Nothwendigkeit, ein Pessarium zu tragen.
Weitere Fälle anzuführen, scheint überflüssig. Be¬
sonderen Ruf in diesen Fällen haben: Bell. Lilium,
Murex, Nux v., Podophyll. Puls. Sep. Die Symptome
dieser Mittel sind bekannt.
Sind bei der Patientin zugegen die Blutüber¬
füllung und die abwärtsdrängenden Schmerzen im
Becken, als ob die Gebärmutter durch die Scheide
heraus will, die ausserordentliche Empfindlichkeit
gegen das Knarren der Thür und das Rasseln des
Wagens, das heisse Durchströmen des Menstrual-
blutes, welches gewöhnlich schwarz, reichlich,
klumpig, untermischt mit hellrothem Blut, ferner
das unwillkürliche Verlangen, mit Hand oder Tuch
auf die äusseren Genitalien einen Druck auszuüben,
um das Vordrängen der inneren Theile zu verhüten:
bei solchen Symptomen denkt wohl Jeder an Bella¬
donna.
Wenn wir zum Abwärtsdrängen und dem Ver¬
langen nach Druck auf die Genitalien noch hinzu¬
fügen ein schreckliches Hungergefühl im Magen,
auch nach dem Essen, mit der Empfindung des
Sinkens und der Leere im Magen, Stuhlverstopfung
und geschlechtliches Verlangen, das die Kranke
zum Wahnsinn treibt, wem fällt da nicht Murex ein?
Verändern wir das Bild etwas, nehmen wir
dazu eine überwältigende Schläfrigkeit, so dass sie
sich den Tag hindurch kaum wach halten kann,
wer denkt nicht an Nux mosch.?
Haben wir ausserordentliche Reizbarkeit * des
Temperaments mit vielen Schmerzen und vergeb¬
lichem Stuhldrang, stetem Drang zum Wasserlassen,
steht uns sofort Nux vom. vor Augen.
Abwärtsdrängende Schmerzen bei jedem Stuhl,
Digitized by v^ooQle
45
mit Vorfall des Mastdarms, abwechselnd Diarrhöe
und Verstopfung, nach dem durchfälligen Stuhl,
welcher in einem starken Gusse erfolgend den
ganzen Darm entleert, ein schreckliches Leeregefühl
im Leib, oft ansteigend zu tödtlicher Schwäche,
als ob sie umsinken soll: Alles deutet auf Podo-
phyllum hin.
Man wird fragen, welche Zeit diese Heilungen
beanspruchen. Das hängt ab davon, inwieweit
durch die voraufgegangene mechanische Behandlung
die Symptome verwischt worden sind, ferner davon,
wie sehr die Constitution der Kranken herunter¬
gekommen ist durch Ueberanstrengung oder das
chronische Kranksein, gegen welches unsere Mittel
gerichtet sind. Kein Fall darf sofort als geheilt
entlassen werden, wenn nur die Symptome der
Lageveränderung verschwunden sind. Wenn durch
das erst-indicirte Mittel der Grund für die Heilung
gelegt ist, werden tiefeinwirkende Constitutionsmittel
nöthig sein, um die Heilung zu vollenden. Wenn
z. B. Belladonna unmittelbare Erleichterung gebracht
hat, wird das zu Bell, gehörende chronische Mittel
nothwendig folgen müssen. (Als chronisches Mittel
zu Bell, wird Calc. carb. betrachtet, d. h. wo Bell,
in akuten Zuständen das angezeigte Mittel war, be¬
seitigt Calc. carb. den chronischen Krankli eitszustand;
die Calc. carb.-Patienten brauchen in akuten Fällen
sehr oft Bell H.)
Nach meiner Erfahrung genügten meist zwei
Arzneien und eine Behandlungsdauer von 6 bis
12 Monaten; bei sehr heruntergekommenen Patienten
braucht man allerdings weit mehr. Der Prozentsatz
der Misserfolge sollte sehr klein sein bei dem Arzte,
der seine Mittel sorgfältig aussucht. Von meinen
Patienten hat Keine wieder Verlangen nach Pessarien
gehabt; einen Misserfolg habe ich nicht zu ver¬
zeichnen.
Ein Fall zur Anto-Ison-Therapie.
Fr. Sch., Messerschmied von hier, 28. J. alt, kam
am 14. Oktober 1. J. in meine Behandlung. Die
Untersuchung ergab absolute Dämpfung vom 6.
Intercostalraum R. (oberer Leberrand) bis gegen
den 4. Intercostalraum vorn; hinten war die Däm¬
pfung nicht so stark ausgesprochen. Innerhalb des
Dämpfungsbezirks vom war schwaches, inspiratori¬
sches Bronchialathmen wahrzunehmen. Ferner war die
r. Lungenspitze theilweise gedämpft, daneben hellerer
Percussionsschall zu bemerken, desgleichen ausge¬
sprochene Dämpfung RH. bis in die Nähe der
Schulterblattspitze. Die r. Lungenspitze ergab
weiter Wintrich’schen Schallwechsel und spärliche
mittelblasige in- und exspiratorische klingende Rassel¬
geräusche, hinten über der Scapula abgeschwächtes
unbestimmtes Athmen. Rechts vorne bis zum 2. Inter¬
costalraum von der Lungenspitze an gerechnet
tympan. Schall und amphor. Atmen, daneben wenige
feinblasigeinspirat.Rasselgeräusche. Weiter: Fieber¬
bewegungen um 39°, Puls zwischen 116 und 120
schwankend, heftige Nachtschweisse, viel und sehr
quälender Husten mit viel aashaft stinkendem Aus¬
wurf, grosse Abmagerung und Schwäche, täglich
3—4 dünne, gelbliche Stöhle. Vater und Mutter
leben und sind gesund; Pat. selbst ist von zartem
Körperbau und strenger Arbeiter gewesen. — Die
Behandlung wurde eingeleitet mit Aconit dil. de.
III. und Bryonia dil. de. VI. und dies vom 14. bis
16. October (hier wäre vielleicht eher ein Mittel wie
Arsen, jod. in Frage gekommen, doch zog ich das
Verordnet» aus Gründen einer günstigen Einwir¬
kung auf die ergriffenen Pleuren vor): am 17. Kreo¬
sot. dil. de. VI, am 18. Atropin, dil. de. IV, am
19. Terebinth., am 22. Tubercul. K. dil. de. 30.
— Bis hierhin änderte sich am Krankheitsbild nur
wenig. Auf Tuberc. K. entstand kratzender Reiz
im Rachen und auf der Brust und reissender Hus¬
ten. Der penetrante Geruch des Sputums milderte
sich ein wenig. Die Heftigkeit des Hustens nahm
auch ein wenig ab, die Menge des Auswurfs blieb
dieselbe. Am 24. Oktober Mittags 1 Uhr wurde mit
Auto-Ison dil. de. 100 (bis zur 60. 1 ccm: 9 ccm,
von der 50. an 1 ccm : 99 ccm. verwendet) be¬
gonnen, davon 6 Tropfen in 100 Gramm destill.
Wassers gelöst, 2 stdl. 1 Kaffeelöffel voll ge¬
geben, (es mag hier etwa das ofte Arzneireichen
auffallen, doch glaubte ich auf diese Weise auf den
localen Process intensiver einwirken zu können),
worauf sich folgendes zeigte: Schon um 5 Uhr
Abends begann ein ruhiger und erquickender Schlaf,
der einige Male nur der Verabreichung gekochter
Milch wegen gestört wurde; „Pat. sei jedoch jedes¬
mal gleich wieder eingeschlafen“, und sprachen diese
Leute die Vermuthung aus, der Pat. habe ein „Schlaf¬
pulver“ bekommen.
25. Okt.: Schlaf von 8 Ubr Abends bis 4 Uhr
Morgens, nachher stärkerer Husten mit wenig, mehr
schleimig-eitrigem Sputum, Fieber gering, Puls
106, der Gestank des Auswurfs hat seit 25. Mor¬
gens abgenommen.
26. Okt.: Nach gut verbrachter Nacht Athmung
über der Clavicula mehr von vesiculaer. Character,
Rasselgeräusche etwas spärlicher. Die Dämpfung
weicht hier normalerem Schall.
27. Okt.: In den oberen Lungenpartieen wird
die Athmung mehr und mehr vesiculaer. — An
der Lungenbasis nimmt der Dämpfungsbezirk um
l 1 ^ Querfinger breit nach oben ab.
28. Okt.: Starker Husten und viel eitrige Sputa,
hochgradige Schwäche (Verabreichung von tempe-
rirtem Palästinaer Rothwein). Auto-Ison dil. cent.
200, davon 6 Tropfen in 100,0 Aq. dest. gelöst,
2stündl. 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen.
Digitized by
Google
46
29. Okt.: Von 5 Ubr Abends bis 5 Uhr Morgens
guter Schlaf, dann begann sehr starker Husten mit
massenhaften eitrigen Sputis, sodass Pat. den
Mund kaum weit genug öffnen konnte, dieselben zu
entleeren, und soll die Quantität „ein* Liter über¬
stiegen haben, (Durchbruch eines Empyems in einen
Bronchus) mit einer Dauer von 5 Uhr Morgens
bis 9 Uhr Morgens. Dieser Auswurf habe wieder
stark gerochen. Im Uebrigen gutes Allgemeinbe¬
finden, kein Fieber von mehr als 38—38,5, Puls 108,
Appetit nimmt zu, keine Schweisse mehr, Stuhl
nur noch 1 — 2 mal täglich, consistenter und
bräunlich.
1. Nov.: Alle krankhaften Erscheinungen gehen
immer mehr der Norm zu. Heute kamen mit den
Sputis auf einen Hustenstoss 2 schwarzgraue 3 cm
lange, 1 cm breite Membranen ohne genauere
Structur zum Vorschein. Sputa schleimig - eitrig,
Sp. cocta.
2. Nov.: Auto-Ison dil. c. 300, davon 6 Trop¬
fen auf 100,0 Aq. dest., 2 stündlich 1 Kaffeelöffel
voll zu nehmen.
4, Nov.: Pat. giebt an, nach jedesmaligem Ein¬
nehmen der Arznei verstärkten Husten zu bekom¬
men. Schlaf so ziemlich während der ganzen Nacht.
Eine Eigenthümlichkeit dürfte vielleicht noch er¬
wähnt werden, dass Pat. von 10 Uhr Morgens an
— wenn die Sonne komme — meist starken Husten
und Auswurf habe; die Hustenstösse folgen schnell
aufeinander.
5. Nov.: Auto-Ison dil. c. 400; davon 6 Trop¬
fen auf 100,0 Aq. dest., 2 stündlich 1 Kaffeelöffel
voll zu nehmen.
8. Nov.: Pat. steht seit einigen Tagen täglich
2 Stunden auf, Kräfte nehmen zu, Appetit und
Schlaf gut, Sputum schleimig-eitrig. Bemerke noch,
dass Pat. angiebt, die letzte Arznei sei „sehr stark“
und stärker als alle vorhergegangenen, er fühle
aber, dass sie ihm sehr gut bekomme. Puls noch
etwas celer, doch nicht schwach.
15. Nov.: Husten und Auswurf nur noch sehr
gering, nimmt heute die Arznei zu Ende.
24. Nov.: R. H. 0. Athmung noch ziemlich ab¬
geschwächt, wenige feinblasige Rasselgeräusche.
R. U. vom 4. Intercostalraum abwärts schwaches
Bronchialathmen und abgeschwächtes Athmen. Per¬
cussionston oben und unten noch etwas abge¬
schwächt. Allgemeinbefinden sehr gut, arbeitet und
ist guter Dinge.
Patient ist trotz dessen ungesunden Berufes
gesund geblieben und geht täglich demselben nach.
Die jeweiligen Potenzen wurden in meinem Beisein
in einer Pharmacie hierorts angefertigt. Bacillen wur¬
den nicht nachgewiesen. Es handelt sich hier wohl um
eine tuberculös gewordene chron. catarrhal. Pneu-
*) Da im Sputum keine Bazillen nachgewiesen
wurden, die in diesem Falle doch massenhaft hätten
monie bezw. Pleuro-Pneumonie.*) Der Fall nun ist
kein reiner, nur mit Auto-Ison behandelter. Es
sprechen jedoch einige Momente dafür, dass der so
sehr verdünnte Auto-Isonstoff doch zur Geltung
kam und also Arznei- und Heilkraft entfaltet hat, so
dass das Auto-Ison als ausschlaggebend hier ange¬
sehen werden kann.
Auch einige Fälle von Bronchitis bei Kindern
im Nov. 1. Jahres mit und ohne gleichzeitiges Be¬
stehen von Keuchhusten wurden durch Auto-Ison-
behandlung sehr günstig beeinflusst.
Freudenstadt, den 28. Mai 1892.
Dr. med. Buob.
Epidemiologische Ecke.
In den letzten 14 Tagen gingen folgende Mit¬
theilungen ein:
Dierkes-Paderborn hatte bis zum 17./7. noch =
Lach.; dann einige Tage Kal. bicbr. + Ran. bulb.,
Calc. phosph. -f- Chin. und sporadisch Lach.; jetzt
(am 20./7.) scheint Calc. phosph. -f- Chin. epide¬
misch werden zu wollen.
Leeser-Bonn schreibt am 18./7.: einige Tage
lang bis zum 17. vorherrschend Veratr.; seit dem
17. Chelid.
Scbwarz-Baden-Baden berichtete am 15./7.: seit
längerer Zeit keine Epidemie, überhaupt keine acuten
Krankheiten, am 7. Natr. sulf. -f- Acon. = Aur.;
am 9. Phosph., Ac. phosph., Natr. carb.; am 13.
und 14. Ac. phosph. -f- Rbodod. = Mercur., auch
Cupr.; heute entschieden Ac. phosph. -f- Ign. =
Veratr.: einige Brechdurchfälle kleiner Kinder, Mi¬
gräne halbseitig, rechts mit Uebelkeit u. s. w.
Kirn Pforzheim sah vom 7.—19 /7. von Bell, be¬
sonders gute Erfolge; von da ab traten 2 neue
Punkte auf, für die er meist Spigel. 30 mit gutem
Erfolg giebt; frische Fälle zeigen Schwindel, Herz¬
klopfen, Neuralgieen besonders linksseitig.
Ich - hier hatte am 15./7. vorherrschend Natr.
mur. -f- Iris; am 16. Natr. mur. + Led., vom
17.—19. Baryt, carb. -f- Tone., seit dem 20. bis
zum 28. Nachm, fast ausschliesslich die 2 neuen
Kirn'scben Punkte, für die ich Senega 1000 00 gab
mit ganz befriedigenden Resultaten bei heftigen
Catarrhen der Nase und der Bronchien, meist mit
grosser Müdigkeit; die Kopfschmerzen bei allen
Kranken in dieser Zeit, die solche hatten, nahmen
oft den ganzen Kopf ein, machten schwindlig und
erstreckten sich bis in das Gesicht herunter; ausser-
vorhanden sein müssen, so handelte es sich doch wohl
nicht um Tuberkulose, sondern um eine chronisch
verlaufene Pneumonie oder Pleuropneumonie mit Aus¬
gang in Abscessbildung. Die Red.
Digitized by v^ooQie
dem kam viel Rheumatismus aber Schaltern and
Brost, drückend and spannend, anch im Kreaz vor;
ferner 2 Fälle von Magenkrampf ev. Gallenstein¬
kolik, die sich anf Seneg. 1000 00 rasch besserten.
Seit gestern (28./7.) Nachm, scheint Hep. sulf. ealc.
-|- Ratanh. = Puls, in den Vordergrund treten zu
wollen.
Buob-Freudenstadt hat noch viel Wechsel; sah
am 8./7. bei rechtsseitiger Diphtherie von Bell,
schnelle Heilung.
Sigmundt-Spaichingen schreibt am 24./7.: noch
niederer Krankenstand; Bryon.-Fälle häufig.
Hagel-Ravensburg schreibt am 21./7.: seit 8
Tagen hauptsächlich Ars. -f- Veratr., dann Cupr.
—j— Coloc.
Köck-München berichtet am 18./7.: noch immer
Cupr.-Fälle; die Präparate wechseln, jetzt beson¬
ders Cupr. ars.
Stuttgart, den 29. Juli 1892.
Dr. med. H, Göhrum.
Entgegnung.
Herr Apotheker Sauter in Genf zwingt mich
zu folgender Erklärung, obschon ich seine liebens¬
würdigen Auslassungen erst mit Stillschweigen
übergehen wollte.
Wiederholt schon hat er sich Bemerkungen über
die Leipziger homöopathischen Apotheken in Summa
erlaubt, während er sich meines Erachtens nur an
Herrn Dr. Willmar Schwabe reiben will. Denn
ich habe ihm doch wahrlich noch nicht das Geringste
in den Weg gelegt, — habe überhaupt noch nichts
mit ihm und seiner Electrohomöopathie zu thun
gehabt, und was in der Allg. homöopath. Zeitung,
die in meinem Verlage erscheint, geschrieben wird,
habe ich doch nicht zu verantworten, sondern meine
vollkommen selbstständigen Herren Redacteure
(3 approbirte Aerzte), und schreiben dieselben nicht
uns Apothekern zu Gefallen. So schreibt Herr Sauter
unter Anderem anlässlich der Erklärungen der
Leipziger und schlesischen homöopathischen Aerzte
und des Sächs. Anhalt.-Vereins homöopathischer
Aerzte über seine electrohomöopatbischen Mittel:
„Die Allg. homöopathische Zeitung erscheint
im Verlage von W. Steinmetz, Pächter der
Täschner'schen Apotheke in Leipzig, deren Be¬
sitzer Dr. Willmar Schwabe ist.“
Dies ist richtig! Herr Sauter scheint aber den
Titel der „Allgemeinen“ noch nie genau angesehen
zu haben, denn in diesem lautet es: „Verlag von
William Steinmetz (A. Marggrafs homöopathische
Officin) in Leipzig.“ Letztere Firma ist mein
persönliches Eigenthum und hat mit Herrn Dr.
Schwabe gar nichts zu thun. In diesem Ge¬
schäfte und auch in der Täschner'schen Apotheke
arbeite ich vollständig selbstständig und gänzlich
unbeeinflusst von Herrn Dr. Schwabe, sodass die
Schlussfolgerungen des Herrn Sauter sehr
irrige sind.
Schliesslich die Versicherung, dass in den
13 Jahren, die ich nun schon selbstständiger
homöopathischer Apotheker in Leipzig bin, weder
von meiner Firma A. Marggraf, noch von der
anderen, Täschner & Co. — ausser zwei in diesem
Frühjahre von einem Depositeur für einen Collegen
aus Gefälligkeit bezogenen und an diesen zum
Selbstkostenpreise abgegebenen Sternapotheken —
bis jetzt für einen Pfennig electrohomöopathische
Mittel von Herrn Sauter in Genf oder seinen
Depositeuren bezogen oder vertrieben worden sind.
Ich habe Herrn Sauter thatsächlich noch nie
etwas in den Weg gelegt und noch keinen Grund
zu seinen Anfeindungen gegeben, somit mag er
mich auch gef. in Frieden lassen. —
Conveniren ihm die Auslassungen der deutschen
homöopathischen Aerzte, mit denen ich in Sachen
der Electrohomöopathie jedoch völlig übereinstimme,
in meiner Zeitung nicht, so mag er mit diesen
streiten, nicht mit uns Apothekern.
Leipzig, 19/7. 92. William Steinmetz.
Berichtigung.
Auf die Mittheilung in Nr. 25/26 deB 124. Bandes
dieser Zeitung,
„dass vod einem preussischen Kreisphysicus bei
Revision der Hausapotheke eines selbstdispen-
sirenden homöopathischen Arztes es als unstatt¬
haft erklärt worden sei, die homöopathischen*
Arzneien aus Leipzig zu beziehen, denn dieses
liege für Preussen immer noch im Auslande,
aus dem Arzneien nicht bezogen werden dürfen“,
gestatte ich mir ganz ergebenst zu bemerken, dass
mir schon wiederholt im Laufe der Jahre solche
Mittheilungen zugegangen sind, ohne dass denselben
irgend welche Bedeutung beigelegt worden ist, und
ohne dass die betreffenden Herren Aerzte sich etwa
genirt hätten, fernerhin ihren Medicamentenbedarf
aus Leipzig zu entnehmen. Im Gegentheil! — Es
ist dies eine vollständig irrige Auffassung, und ich
bitte in solchen Fällen dringend um sofortige Be¬
nachrichtigung, damit ich die Oberbehörde des be¬
treffenden Kreisphysicus davon in Kenntniss setzen
kann, die dann demselben entschieden ein Monitum
ertheilen wird, denn seit 1866 wird von den
höchsten preussischen Behörden Sachsen Preussen
gegenüber nicht mehr als Ausland angesehen, und
der Bezug von Arzneien etc. aus Leipzig ist
allen selbst dispensirenden homöopathischen Aerzten
in Preussen gestattet.
Digitized by
48
Bei ferneren Revisionen sind daher auch die
betreffenden Herren Aerzte nie wieder in dieser
Hinsicht beMelligt worden.
Leipzig. William Steinmetz,
i. F.: A. Marggrafs homöopatb. Officin.
Personalia.
Herr Dr. med. Gerlacb, Berlin, bat das Dis-
pensirexamen bestanden.
ANZEIGEN.
Arztgesuch!
Für ein grosses, mit einer Abtheilong für Epi¬
leptische nnd Blödsinnige, sowie einer Diakonissen¬
anstalt verbundenes Krankenhaus wird ein zum
Selbstdispensiren berechtigter homöopathischer Arzt
evangelischer Confession und möglichst verheirathet als
dirigirender Arzt
gesucht.
Ausser freier Wohnung mit schönem Garten
wird ein Fixum von M. 2400 pro anno gewährt;
die Remunerationen für Ausstellung von Zeugnissen,
sowie Impfungen betragen ca. 400—500 Mk. jährlich.
In nächster Nähe sind Garnisonen von 3 Cavallerie-
bezl. Infanterieregimenten! gelegen, auch ist die
Landpraxis, namentlich wenn der betreffende Arzt
Geburtshelfer ist, eine sehr lucrative. Der nächste
Arzt wohnt ca. 9 Kilometer entfernt.
Gell. Offerten erbeten sub A. M. 207 an Apotheker
William Steinmetz (A. Marggrafs homöo¬
pathische Officin), Leipzig.
'Rein,ohne jede
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
VerbesserfezJiomöopaffilscfier
G>e$unAhei\s -
nach DT F. Katsch
FRANCK
nur acht,wenn mit I SCHUTZMARKE
■p ^ q . u.Unterschrift
w i g s b u f /, i , n 2 »/o
Günstige Gelegenheit
für einen durchaus erfahrenen homöopathischen Arzt, eine
vor 6 Jahren neu erbaute, seither in bestem Renoml
stehende homöopathische ärztliche Kuranstalt pacht- oder
kaufweise zu übernehmen. Die Anstalt mit eigener Oeko-
nomie, Landwirtschaft und mehreren Gebäuden ver¬
sehen, ist in naturscbönster Gegend in vorzügl. Höhen¬
lage (etwa 750 m ü. M.) in der Ostschweiz gelegen, ge¬
währt die Garantie unter der Leitung eines kundigen
vorwärtsstrebenden homöopath. Arates sich zu einer Heils-
Colonie zu entwickeln. Vollständig eingerichtete homöo¬
pathische Apotheke im Hause. Der jetzige Inhaber
und Gründer der Anstalt ist wegen ArbeitsÜberh&ufung
für längere Zeit erholungsbedürftig geworden una
wünscht daher baldigste Vertretung.
Offerten sind zu richten unter A. B. S. 1892 an die
Exped. d. Ztg.
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung ä Mk. 3.—.
Die dazu gehörigeLösung von Citronen- tuPicrin-
säure gebe ich in jedem Quant, (ä 100,0 = 30 Pf.) ab.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Limousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle ä Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Febling’sche Lösung, stets
ganz frisch, wird in Glasstöpselgläsem, ä 30,0=50Pf g.
abgegeben.
Kastanienblüthen-Oel und
Kastanienblüthen-Tinetur
aus den frischen Blüthen bereitet, haben sich als
thatsächlich gute Mittel zum Einreiben gegen
Gicht und Rheumatismus schon seit langen
Jahren eingeführt und werden zu Versuchen bestens
empfohlen.
Zu haben in jedem gewünschten Quantum, in
Flaschen ä 50 Ffg. bis zu Flaschen ä l / 2 Ko. = 4 M.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goebrum-Stuttgart, Dr. StüTt* Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipiig.
Druck von Graasaar & Sobramm in Leipzig.
e
Leipzig, den 18. August 1892.
No. 7 n. 8.
Band 125.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«.
BERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRÜM-STÜTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrars homOopath. Offlein) in Leipzig.
Erscheint 14 tägig mn 2 Bogen. IS Doppeinnmmern bilden einen Bend. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bnohhandlangen and
Postnnstelten nehmen Bestellungen »n. — Inserate, welohe an H. Mosse in Leipzig and dessen Filialen oder an die
Verlagshandlung selbst (A. Marggrafs bomöopath. Offioin in Leipzig) *u richten sind, werden mit 30 Pf. pro einmal
gespaltene Petitseile and deren Baum bereohnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt. Zur Peteazlraag: Weitere physiologische Thatsacheu eto. Physiologisch geprüft von Prof. Dr.
Jaeger-Statteart. (Schluss.) — Aue der Praxis. Von Br. Kunkel-Kiel. — Die zeitweilig herreoheaden Heil¬
mittel. Von Dr. Göhram-Stuttgart. — LeaofrOohte. — Nekrolog. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. 'S!
Die Potenzirung.
Physiologisch geprüft von Prof. Dr. 0. Jaeger-
Stuttgart.
V. Weitere physiologische Thatsaehen.
(Fortsetzung u. Schluss.)
Was sich nun im weiteren Verlaufe hinzuge¬
sellt, ist zunächst bei mir ein leises Ziehen in den
Muskeln des messenden Armes und dann kann ich
sicher sein, dass auf der nächsten Potenz sich die
weiteren Erscheinungen einstellen, bei diesen unter¬
scheide ich zwei Formen, die zugleich zwei
Stufen sind.
1. Blose M i t b ewe gungen, Zuckungen:
Während sonst dem Willensstoss nichts antwortet,
als ein Ruck des Fingers, bemerkt nicht blos der
Messende an sich, sondern kann auch eine andere
Person an dein Messenden anderweitige Bewegungen
zusammenfallend mit dem Fingerruck beobachten,
und zwar kommt hier eine deutliche Stnfenfolge
zum Vorschein: Erste Stufe: ein Ruck der ganzen
Hand, die misst. Zweite Stufe: nebst Handruck
Zucken des ganzen messenden Armes. Dritte Stufe:
hier addirt sich Nicken des Kopfes hinzu. Vierte
Stufe: es zucken jetzt die Bengemuskeln von Finger,
Hand, Arm, Kopf, Rumpf und anderem Arm. Fünfte
Stufe: auch die Beine werden ruckweise an gezogen.
Sechste Stufe: der Ruck mit den Beinen ist so
plötzlich und kurz, dass dieselben beim Rückfall
mit vollem Gewicht auf den Boden anfschlagen.
2. Wirklicher tonischer Krampf, der zuerst
in dem messenden Finger, meist aber gleich in der
ganzen Hand dann auch im Arm auftritt, um sich
auf höchster Stufe fast über alle Muskeln des Kör¬
pers zu verbreiten, so dass der Messende für
einen zweiten Beobachter ein verblüffender An¬
blick ist.
Hier tritt nun auch klar der Zusammenhang
zwischen Nnllact und Krampf und die Erklärung
des ersteren zn Tage. Während der Krampfdauer
ist man bei aller Willensenergie nicht im Stande,
einen solchen Fingerruck auszuüben, dass der Zeiger
der Uhr springt: mithin sind die einzelnen Null¬
acte, die man bei niedrigeren Potenzen erhält, nichts
anderes als erste Anzeichen beginnender Krampf¬
wirkungen; der Krampf ist nur beschränkt auf den
messenden Finger und dann so kurz dauernd, dass
er nur zur Unterdrückung oder genügenden Ab¬
schwächung eines einzigen Fingerruckes ausreicht.
Später, wenn die Krampfwirknng sich noch über
weitete Muskelgebiete ausbreitet, nimmt sie auch
an Zeitdauer zu, so dass mehrere Fingerrucke
wirkungslos bleiben. Auf höchster Stufe kann dies
soweit gehen, dass sämmtliche 10 Fingerrucke einer
7
Digitized by v^ooQie
50
Dekade nicht „losgeben“, ich nenne das in meiner
Ziffernsprache die grosse Null. Den ja auch
leicht zu überwachenden Fall, dass von den 10
Fingerrucken nur ein einziger auf die Uhr ge¬
wirkt hat, die grosse Eins. — Eine genauere
Analyse dieser Erscheinungen würde uns zu weit
führen, ist aber auch für unseren Zweck nicht
nöthig.
Ich will nun den Leser nicht noch einmal mit
einer ausführlichen Statistik langweilen, sondern
nur kurz meine neuerlichen Erfahrungen in dieser
Richtung angehen. Dabei muss ich meine zwei
Messnngsreihen gesondert vornehmen aber mit der
Vorbemerkung, dass ich auf das Erscheinen ver¬
einzelter Nullacte nicht geachtet habe, denn das
würde eine besondere Anstrengung der Aufmerk¬
samkeit und eine fortgesetzte Unterbrechung des
Messvorganges gewesen sein, welche die Genauig¬
keit der Messung sehr beeinträchtigt hätte. Das
Folgende bezieht sich also nur auf das Auftreten
der Zuckungen nnd der grossen Null und Eins.
1. Die Dauermessnngen der verschluckten
Potenzen von Kali carbonicum. Dabei ist zweierlei
zu erwähnen: a) Ich habe schon bei der Schilde¬
rung dieser in Nr. 19 und 20 der Zeitschrift das
Auftreten der Krämpfe erwähnt und in Tab. I so¬
wie in der Besprechung derselben die Sache berück¬
sichtigt, indem ich dort von „K r a m p f z i f f e r n“
sprach und sagte, dass diese in Tabelle I durch
fetten Druck hervorgehoben seien. Es lässt sich
nun leicht aus der Tabelle I herauslesen, wann und
wo Zuckungen und Krämpfe aufgetreten sind und
es ergiebt sich hieraus: Erstmals erscheinen Krampf¬
ziffern in der 13. Potenz und zwar deren 2, die
15. hat nur eine, die 17. 5, die 19. 6, die 21. 4,
die 23. 7, die 25. 5, die 27. 6, die 30. 12!, die
50. 11, die 100. 14, die 1000. 11. — Also auch
hier dieselbe Erscheinung wie bei den Ziffern über¬
haupt: Zunahme der Erscheinungen von Potenz zu
Potenz, aber nicht in regelmässiger Steigerung.
Dem ist nur noch zuzufügen, dass, wie schon früher
gesagt, die Intensität der Krämpfe sich mit der
Höhe der Potenz steigerte, b) Die Maximalwir¬
kungen, welche durch die grosse Eins und grosse
Null bezeichnet sind, gehören nur den höchsten
der gemessenen Potenzen an und zwar wieder so:
die grosse Eins kommt allein vor in 30. und 50.
Potenz und zwar je zweimal; Beides: grosse
Eins und grosse Null finden sich nur bei 100.
und 1000. Potenz: bei 100. Potenz 6mal Eins,
2mal Null; bei 1000. Potenz 8mal Eins und
2mal Null.
2. Zweite Messungsreihe, die ich an den
verschiedenen Alkalisalzen vomahm, bei der es
sich wieder um zweierlei handelt: a) Zuckungen,
diese fehlten auf der 14. Potenz noch durchaus,
erst auf der 16. erscheinen sie bei 2 Salzen (Kali
jod. und Natr. carb.). Hiezu tritt auf der 17. Po¬
tenz Bromnatrium, auf der 18. Natr. mur. und sulf.,
auf der 29. Bromkali und Kali phosph., auf der 21.
Natr. phosphor. und Ammon, carbon., auf der 22.
Natr. nitr, auf der 23. Ammon, phosph. und Kali
carbon. Nur ein Salz, das Bromammonium ver¬
hielt sich auch in dem Puncte abnorm; hier kam
es selbst bei der 30. Potenz noch nicht zu Zuck¬
ungen. Wenn nun ein Leser einen Widerspruch
darin findet, dass ich bei dem zweimal untersuchten
Kali carbonicum das erste Mal von der 13. Potenz,
das zweite Mal erst von der 23. Potenz Zuckungen
bekam, so muss ich darauf hinweisen, dass die
Ziffern der zweiten Unterauchungsreihe (Inhalation)
eigentlich nur den ersten Ziffern der Tabelle I der
Schluckversuche entsprechen mit einer Einschrän¬
kung, auf die ich schon früher hinwies. Nun wird
der Leser sehen, dass auf Tabelle I erst bei der
19. Potenz die erste Ziffer der Reibe eine Krampf¬
ziffer ist. Allerdings bleibt jetzt noch ein Unter¬
schied von 4 Potenzen. Zu diesen ist aber zu be¬
merken, dass die 22. Potenz nicht gemessen wurde;
wären hier schon Krämpfe aufgetreten, so bliebe
nur eine Differenz von 3 Potenzen. Für diese lässt
sich zweierlei anführen. Erstens: es ist ein grosser
Unterschied, ob ein Stoff inhalirt oder ver¬
schluckt wird, ein Thema, das ich, wie schon
früher versprochen, in einem besondern Abschnitt
unter Herbeibringung neuen anderartigen nenral-
analytischen Materials behandeln werde und dabei
komme ich ausführlich auf die Differenzen der zwei
Reihen von Kali carbon. zu sprechen. Zweitens:
die Differenz des Objectes and der Zeit, worüber
auch schon früher gesprochen wurde, b) Die durch
die grosse Null und grosse Eins markirten Maxi¬
malwirkungen traten bei keinem einzigen Salze vor
der 30. Potenz auf und auch hier nur bei 4 derselben:
bei Ammon, mur. grosse Eins, bei Ammon, carbon.
grosse Null, bei Natr. phosph. und Kali phosph.
sogar zwei grosse Nullen. Die Frage, „warum be¬
findet sich hierbei nicht das Kali carbonicum, bei
dem doch erstmals in der 30. Potenz die Maximal-
wirkungen auftraten?“ erledigt sich dadurch, dass
sie hier erst am Schluss der vierten Minute dieser
Dauermessung erschienen, also unmöglich sich bei
der nur die Initialwirkung markirenden zweiten
Messung erscheinen konnten. In der 1000. Potenz
fehlte die Maximalwirkung ausser dem schon erle¬
digten Bromammonium noch bei Natr. nitr., Natr.
phosph., Natron bromatum, Kali phosph., Kali brom.,
Ammon, mur. und phosph , war also nur bei 6 Salzen
vorhanden.
An diese Mittheilung von Thatsachen, die bei
der Neuralanalyse zu Tage traten, muss nun zweierlei
angefügt werden.
1. Die geschilderten Mitbewegungen sind eine
bekannte Erscheinung des practischen Lebens und
Digitized by Google
51
will ich nur eine derselben hervorbeben, clie jedem,
der Soldat war oder sonst mit Schiessgewehr umge¬
gangen ist, bekannt sein muss: das sogenannte
»Mucken“ beim Schiessen. Der Schiessende
soll und will beim Abfeuern des Gewehres keine
andere Bewegung ausführen als einen leichten
Fingerruck, aber unwillkürlich rucken noch andere
Muskeln, hier besonders die der Augen und des
Kopfes mit. Im günstigeren Fall geht der Schuss
noch los — freilich meist daneben, aber wenn die
Erscheinung stärker entwickelt ist, dann geht das
Gewehr gar nicht los, der Fingerruck war zu schwach,
um den Diücker auszuheben: das entspricht
ganz genau dem Nullact bei der Neural¬
analyse; auch bei ihr soll und will man einen
Fingerruck zur Auslösung des Zeigers machen, aber
es geht nicht los und in der Regel zucken noch
andere Muskeln mit: man muckt! — Auch das
haben beide Erscheinungen gemein, a) Es mucken
nicht alle Rekruten beim Scbiessunterricht, sondern
nur die sensibleren ängstlicheren, b) Es weiss jeder,
dass das Mucken Folge resp. Zeichen einer vor¬
handenen nervösen Aufregung ist. Bei der
Neuralanalyse belehren darüber in klarster Weise
die Acte, welche nicht versagen, sondern einen
Zeigersprung hervorrufen, also eine Ziffer geben.
In einer Dekade, in der Nullacte Vorkom¬
men, sind die Ziffern kleiner und auch das
Mittel aus den erfolgreichen Acten ist kleiner, als
bei einer Dekade, die keine Versager liefert und
kleine Ziffern sind unbestreitbare Aufregungs¬
symptome, genau so wie im täglichen Leben die
Aufregung sich durch schnelleres Sprechen, schnelle
Körperbewegungen, schnelleren Atheru und Puls
verräth. Hier komme ich noch einmal auf die
Mitbewegungen im praktischen Leben. Wodurch
verräth sich denn ausser der Zunahme der Bewe¬
gungsgeschwindigkeit die Aufregung bei Mensch
und Thier? doch darin, dass sich zu den willkür¬
lichen beabsichtigten Bewegungen unwill¬
kürliche nicht beabsichtigte Bewegungen anderer
Körpertheile hinzugesellen, z. B. beim Sprechen leb¬
haftes Mienenspiel, Bewegungen der Hände und Arme
und schliesslich des ganzen Körpers.
2. Das Mucken und schliesslich die Krämpfe,
die in Folge Einwirkung hochverdünnter Stoffe bei
mir und sicher bei allen sensibleren Menschen früher
oder später, stärker oder schwächer auftreten, haben
nicht zur Voraussetzung, dass man ein Cbronoskop
in der Hand hat und Fingerrucke auf dasselbe
wirken lassen will, sondern dazu eignet sich jeder
Gegenstand: ein Schiessgewehr, an dessen Drücker
man ruckt, eine Zündholzbüchse, eine Cigarren¬
tasche oder was immer, das man in gleicher Weise
behandelt, z. B. mit einigen Korkpropfen, Strick¬
nadeln und einer grosskopfigen langen Shawinadel,
die auf einem Trinkglas so angebrächt sind, dass
bei einem erfolgreichen Ruck der Knopf der Nadel
ans Glas anschlägt, habe ich ein von jedem herzu¬
stellendes Instrument fertigen lassen, an dem man
dieselben Erscheinungen beobachten kann: es kom¬
men unter Einfluss von Hochpotenzen Fingerrucke
vor, bei denen der Klöppel nicht ans Glas schlägt.
Das allereinfachste aber ist: man nimmt eine
Schiesswaffe und beobachtet entweder sich selbst
so oder im Spiegel. Oder — auch dem Torpiden
kann geholfen werden — man lässt eine sensiblere
Person seiner Umgebung — und das sind die
meisten Personen weiblichen Geschlechts — die
Sache ausführen und sieht zu, ob nicht bei ihr
Hochpotenzen die Erscheinung des Muckens her¬
vorrufen. Hier muss aber, um ein Missverständniss
auszuschliessen, betont werden: wenn man keinen
Ruck ausführt, muckt man auch nicht, aller¬
dings, wenn die Sensibilität genügend, also nur
z. B. so wie bei mir, entwickelt ist, können unter
Einwirkung von Hochpotenzen auch Zuckungen auf¬
treten, ohne dass man eine willkürliche Bewegung
macht, allein in der Regel ist eine solche zur Aus¬
losung der Mitbewegungen oder Krämpfe erforder¬
lich und diese erfolgen dann genau nach dem Ge¬
setz der Irradiation der Reflexe. Die vorstehende
Thatsache bietet nun jedem, der sich selbst, d. h.
am eigenen Leibe von der aufregenden Wirkung
der Hochpotenzen überzeugen will, die Möglichkeit,
dies auch dann zu thun, wenn er keine Apparate
besitzt, und ich glaube, es ist nicht unbillig, wenn
ich der Erwartung Ausdruck gebe, dass einer, der
ein Urtheil über die Sache abgeben will, sie doch
mindestens in dieser Weise zuvor prüft. Weiter
bemerke ich im Interesse der Nachprüfung:
Hipp'sche Chronoskope giebt es in jedem physio¬
logischen und jedem besseren physikalischen Labo¬
ratorium An diesen kann man die Nullacte viel
leichter studiren, als an meinem Taschenchronoskop,
denn man sieht und hört da ganz gut, dass der
Zeiger vom Anker angezogen aber nicht bis zur
Einschaltung ins Gangwerk gebracht wird. Dabei
können nun die Männer der »Einbildung“ oder, wie
man heute moderner sagt, der »Suggestion“ sich
überzeugen, dass weder Willkür noch Einbildung,
sondern nur Aufregung im Stande ist, solche
Nullakte hervorzubringen; weiter, dass bei vor¬
handener Aufregung weder Einbildung noch Will¬
kür im Stande sind, das Auftreten von Nullacten
zu verhindern. Namentlich ist für die Einbildungs¬
oder Suggestionshypothese das vernichtend, dass in
einem Zustand, in welchem überhaupt Nullacte Vor¬
kommen , Wille und Einbildung gar keine Macht
über sie haben: sie kommen, wenn man nicht will,
und bleiben aus, wenn man will. Endlich wird an
einem solchen Chronoskop jeder sich bald über¬
zeugen, ob unter Einwirkung von Hochpotenzen die
Nullacte sich vermehren oder nicht
7*
Digitized by
Google
52
Ich schliesse diesen Abschnitt mit einer sehr
wichtigen Bemerkung. Ein Mensch, der auf eine
Anregung physischer oder geistiger Art handelt,
der übt seine Reflex- und Willensorgane, und ver¬
mindert deren Lei tun gs widerstände und reagirt jetzt
fein und immer feiner und stärker. Das ist der
Zustand, in welchen i c h mich versetzt habe. Der
Zweifler dagegen, der meint, es sei weise, auf
Anregungen nicht zu reagiren, stumpft nicht blos
seine handelnden Organe durch Nichtgebrauch bis
zur Impotenz ab, sondern er vermehrt auch noch
die Kräfte der Hemmungscentr en für Reflexe und
Willensacte und verfällt damit in völlige Impotenz.
Einen prinzipiellen Zweifler muss man prinzipiell
ignoriren, denn er ist ein Nichtskönner.
VI. Schlussfolgerungen und Betrachtungen.
Es sind nun schon am Schluss des vorigen
Kapitels die subjectiven Consequenzen aus Ka¬
pitel V gezogen worden, allein die Sache muss
noch besonders besprochen werden:
1. nach der objectiven Seite hin möchte
ich folgende Puncte hervorheben.
a) Wer Arzneien nur am Kranken prüft, er¬
fährt nicht, was er thut, denn wenn er Wirkungen
sieht, so kann er nicht beurtheilen, ob die Arznei
selbst und direct die Symptome hervorgerufen hat,
oder ob sie Folge des Freiwerdens des Krankheits¬
stoffes sind und selbst, wenn er das kann, so weiss
er erst nicht, ob er das Freiwerden des Krankheits¬
stoffes seinem arzneilichen Eingriff zu verdanken
hat, oder ob bloss ein post hoc vorliegt. Kann man
aber bei einem Gesunden jedesmal mit Sicherheit
durch Arzneieinwirkung eine Erscheinung hervor-
rufen, welche er vor und nach Aufhören der Ein¬
wirkung nicht zeigt, dann weiss man ganz genau,
dass die Arznei es ist, die gewirkt hat. Das giebt
einen untrüglichen objectiven Einblick in die Arz¬
neiwirkung. Siehe auch unten bei 1.
b) Es wäre eine sehr naive Vorstellung von
der Heilwirkung der Arzneien, wollte man glauben,
dass sie nur durch ihre Anwesenheit im Körper
ähnlich einem Popanz oder einer Vogelscheuche auf
die Krankheit so wirkt, dass diese aus lauter
Schreck vor dem Simile oder Ison die Flucht er¬
greift. Die Arznei muss, falls sie wirken soll,
activ, handelnd, thätig, bewegend auftreten.
Dazu steht ihr nur und ausschliesslich zweierlei zu
Gebot, entweder die chemische Affinität oder
physikalische Bewegungsenergie, etwas Drittes,
Vernünftiges, Plausibles giebt es nicht.
c) Es ist zweifellos, dass es Arzneistoffe giebt,
die durch ihre chemische Affinität wirken und
ich kenne solche aus ganz genauer ausgiebiger Prü¬
fung an mir und anderen. Das ist z. B. die Gruppe
der Desodorantien, welche hochatomige orga¬
nische Stbffe bei Anwesenheit von Sauerstoff zer¬
stören und in niederatomige verwandeln. Das Macht¬
vollste sind in dieser Beziehung der Kampfer und
das unter dem Namen „Ozogen" als Luftreinigungs¬
mittel so viel benutzte Ge mengsei ätherischer Stoffe
und Essigäther. Aber hier liegt die 8ache so: die
chemische Wirkung steht in geradem Ver¬
hältnis zur Masse und nimmt mit dieser ab.
Hier darf also natürlich, wenn man diese chemische
Wirkung haben will, nicht verdünnt werden, und
wenn man es doch thut, so ist es keine Potenzirung
der Wirkung, sondern eine Abschwächung. Die
chemische Wirkung folgt dem allopathi¬
schen Prinzip: viel hilft viel und wenig,
wenig.
d) Dem steht nun gegenüber eine andere Gruppe
von Stoffen mit ausgesprochenen Heilwir¬
kungen, von denen kein Mensch behaupten wird,
dass sie chemisch wirken, und zwar desshalb nicht,
weil sie selbst sich nicht zersetzen. Hierher gehört
als Mustertypus der gegenwärtig von den Allopathen
als Einspritzung viel verwendete Schwefeläther,
dann der früher als Belebungsmittel viel verwendete
Moschus, überhaupt eine ganze Reihe von Stoffen,
deren hervorstechendste gemeinschaftliche Eigenschaft
ihre Flüchtigkeit ist, (Champagner, überhaupt
Alcoholica, kurz alle sogenannten Belebungsmittel
gehören ebenfalls hierher). Sie bringen ihre Heil¬
wirkung nur durch ihre Bewegungsenergie,
ihre Flüchtigkeit hervor.
e) In homöopathischen Kreisen behauptet man
vielfach, die Wirksamkeiten homöopathischer Arz¬
neien rühre von ihrer feinen Vertheilung, der
grossen Oberflächenentwicklung her. Dieser Be¬
hauptung liegt eine vollständig unklare Vorstellung
zu Grunde. Sie ist nämlich nur richtig, so lange
man es mit festen sichtbaren Theilen, also mit
einem Pulver zu thun hat, allein sobald der Stoff
gelöst ist in einer Flüssigkeit, ist er in seine
letzten kleinsten Bestandteile, die Moleküle,
zerlegt, somit sind alle Oberflächen, die er besitzt,
bereits vollständig frei geworden und entwickelt,
und keine Macht der Welt kann etwas weiteres
machen, ausser man sprengt die Moleküle in ihre
Atome auseinander, aber dann ist der Stoff als
solcher verschwunden. Wenn also darin die Wirk¬
samkeit der Arzneistoffe bestünde, so hätte das
Potenziren der Lösungen nicht blos keinen Sinn,
sondern das Gegentheil müsste erfolgen: Abnahme
der Wirkung, da mit der Verdünnung die Zahl
der Moleküle also die Summe der wirksamen Ober¬
fläche abnimmt. Also diese Potenzirungstheorie ist
Unsinn.
f) Andere haben die Vorstellung, die Kraft
der Schüttelschläge theile sich dem Arzneistoffe
mit, das ist a priori unmöglich; zunächst allerdings
sind die Schläge nicht wirkungslos, aber der Effekt
Digitized by v^ooQle
53
ist einzig eine Erwärmung der geschüttelten Flüs¬
sigkeit. Diese Wärme geht aber, weil sie Leit¬
wärme ist, einfach wieder fort, falls nicht dabei
etwas geschieht, was sie am Entweichen verhindert
und das geschieht nur dann, wenn mit dem Ver¬
schüttein zugleich eine Verdünnung eines darin
gelösten Stoffes verbunden ist. Um dies zu prüfen,
habe ich mit demselben Alkohol die gleichen Ver¬
schüttelungen ohne gleichzeitige Verdünnung genau
so wie beim Potenziren vorgenommen und die Ver¬
schüttelungen neuralanalytisch geprüft; wenn ich
wartete, bis die Erwärmung wieder verschwunden
war, überschritt der neuralanalytische Effect nie
die Fehlergrenze. Der umgekehrte Versuch, näm¬
lich Verdünnung ohne Schüttelschläge und
sein Resultat habe ich schon auf pag. 30 meiner
„Neuralanalyse“ geschildert, dieser liefert den Gegen¬
beweis. Wenn man verdünnt, ohne zu schüt¬
teln, so erhält man eine der Potenzirung ent¬
sprechende Veränderung; nur entspricht eine solche
ungeschüttelte Potenz in Bezug auf ihren Be-
lebung8effect nur etwa einer halb so hohen (eine
ungeschüttelte 30. Potenz entsprach damals einer
geschüttelten 15. Potenz). Das beweist aber nur,
dass ohne Schütteln die Verdünnung unvollkommen
wird, weil die von der vorhergehenden Potenz an
den Wänden des Glases übrigbleibende Flüssigkeits¬
schicht mit dem’ neu zugegossenen Weingeist sich
nicht so rasch mischt, dass sie beim nächsten Aus¬
giessen verschwunden, d. h. vollständig gemischt ist.
g) Dr. Go ul Ion hat irgendwo den Ausspruch
gethan, die von Jenichen mit seinen athletischen
Armen bereiteten Potenzen haben stärker gewirkt,
weil er sie stärker schütteln konnte. Wenn die
Thatsache richtig, so lege ich mir sie auf Grund
meiner reichen Erfahrungen mit dem Anthropin
anders zurecht: das Anthropin eines Athleten be¬
sitzt die Potenz eines Athleten und die Arznei¬
potenzen, die ein solcher macht, enthalten immer
sein Anthropin und zur Wirkung der potenzirten
Arznei gesellt sich die Wirkung von Atbleten-
anthropin. — Also die Sache liegt so: Wer leugnet,
dass mit der sog. Potenzirung eine Verstärkung
der von der Homöopathie gewollten Arzneiwirkung
eintritt, geht uns hier nichts an, der aber, welcher
sie zugiebt, wird keine andere Erklärung festbalten
können, als die, welche ich gab, denn die andern
mir bis jetzt bekannten halten dem Versuch gegen¬
über nicht Stich.
h) Nehmen wir die Sache noch einmal von
vorne auf. Ich habe gesagt: eine Arznei kann nur
auf zweierlei Weise wirken: entweder durch ihre
chemische Affinität oder durch die Bewegungsenergie
ihrer Moleküle. Wenn nun Stoffe, wie Granit, Gold,
Kochsalz u. s. f., die chemisch ganz indifferent sind
und andererseits keine Flüchtigkeit an sich besitzen,
zu einer Arznei gemacht werden sollen, so muss
ihnen Bewegungsenergie beigebracht werden, andern¬
falls sind sie physiologische und somit auch thera¬
peutische Nichtse. Nun ist ganz richtig, sobald ein
Stoff in flüssige oder gelöste Form gebracht ist,
beginnt eine Bewegung seiner Moleküle und er kann
nun physiologisch wirksam sein (corpora non agunt,
nisi fluida) aber das Mass seinerWirkung steht
auf zwei Augen a) seinem specifischen Bewegungs¬
rhythmus und dessen Verbältniss zu dem der vor¬
handenen Stoffe im Körper b) der Intensität dieser
Bewegung. —. Von diesen zwei Dingen hat der
Stoff das erste von sich aus und daran ist nichts
zu machen und nichts zu ändern. Aber klar ist:
wenn es gelingt, eine Aenderung des zweiten
Faktors herbeizuführen, so muss die beabsichtigte
Arzneiwirkung •an Energie und Geschwindigkeit zu-
nehmen. Nun, dass dies durch das Verdünnungs¬
vorfahren geschieht, hat Hahne mann erkannt,
haben alle gefunden, die die Sache ernsthaft prüften,
das lehrt die Erfahrung mit der Verfeinerung der
alkoholischen Getränke durch Lagern u. s. f. und
geht aus nichts klarer hervor, als aus den un¬
willkürlichen Zuckungen, die sich schliesslich ein¬
stellen, wenn genügend sensible Personen mit ge¬
nügend hohen Verdünnungen operiren. Dazu kommt
was ich hier nur noch anhangsweise bemerken will:
bei Gebrauch von Höchstpotenzen stellt sich an
sensiblen Personen eine merkwürdige Aufregung
ein, dies wird nicht blos von dem Betreffenden
selbst gut gefühlt — eine Aeusserung die ich von
andern Öfter hörte und die auch ganz meinem Ge¬
fühl entspricht, ist, „es ist mir, als möchte ich alles
kurz und klein schlagen* — sondern auch die
Umgebung bemerkt sie an der Veränderung des
Benehmens, an seiner erhöhten Reizbarkeit. Diese
Aufregung hält oft den ganzen Tag an.
i) Nun müssen wir noch den Zuckungen eine
besondere Betrachtung widmen und zwar nach ver¬
schiedenen Richtungen. Faktoren, welche Lebens¬
bewegungen auslösen, nennt man Lebensreize.
Allgemeines Gesetz ist, dass mit zunehmender Stärke
der Lebensreize deren Effecte zunehmen und dass
Zuckungen und vollends Krämpfe zu den Effecten
gehören, welche man von Lebensreizen erst bei
höherer Reizstärke erhält. Wenn ich also einen
Lebensreiz, der in ursprünglicher Form keine
Zuckungen hervorbringt, so verändere, dass er sie
erzeugt und dass er schliesslich Krämpfe fast aller
Muskeln hervorruft, so habe ich seine Reizstärke
vermehrt und dies ist auch dann geschehen, wenn
es nicht bei allen Individuen gelingt, diese Maximal¬
effecte hervorzubringen. Die Potenzirung d. h. Ver¬
dünnung eines Stoffes ist somit eine Vermehrung
seiner Reizstärke und bei einer Arznei ist es eine
Verstärkung der Arzneiwirkung. Es wird doch
niemand bestreiten, dass eine Arznei nicht anders
wirken kann als physiologisch und wenn ich ihre
Digitized by Google
54
physiologische Wirkung auf Gesunde zu
steigern vermag, so erziele ich damit auch eine
verstärkte Wirkung auf Kranke.
k) Die Tbatsache, dass Hochpotenzen Zuckungen
und Krämpfe hervorrufen können, fordert ihren
Vergleich mit der Elektrizität heraus, welche
diese Erscheinung in besonders hohem Masse her¬
vorbringt. Dass die Elektrizität ein Heilfaktor
ist, bestreitet auch der Homöopath nicht und diese
Fähigkeit verdankt sie ihrer bewegungsauslösenden
Kraft; besitzt nun die Hochpotenz diese Fähigkeit
ebenfalls, so ist sie als solche ganz unabhängig
davon, ob sie ein Simile ist oder nicht, ein Heil¬
faktor wie die Elektrizität. Sie ist aber sogar ein
besserer und zwar desshalb: die Elektrizität wirkt
voll nur auf die leitenden Gewebe (Muskel und
Nerv) die schlecht leitenden kann sie viel weniger
beeinflussen, die Hochpotenz hängt aber nicht von
der Leitung, sondern von der Diffusion ab, die
sie zu den schlecht leitenden Geweben ebenso gut
bringt wie zu leitenden, sie wirkt also uni¬
verseller. . Wenn ein homöopathischer Arzt alle
seine Arzneien in Hochpotenz giebt, also in einer
Form, in welcher jeder Arzneistoff ähnliche, ja
sogar universeller wirkende motorische Eigenschaften
hat, wie die Elektrizität, so wirkt er mit jedem
Stoff, gleicbgiltig ob er das Simile ist oder nicht,
gleichsam elektrisch also auch therapeutisch. Um¬
gekehrt wer mit niederen Potenzen operirt, denen
diese allgemeine von der Qualität des Stoffes unab¬
hängige gleichsam elektrische Wirkung fehlt, der
hat, falls er das Simile nicht trifft, nichts aus¬
gerichtet. Oder es wird doch niemand behaupten
wollen, bei den zahlreichen Arzneistoffen, die ich
an mir geprüft udü von deren jedem ich die Krampf¬
wirkungen erhalten habe, sei eben jedesmal das
betreffende mein Simile gewesen? Erstens war ich
überhaupt nicht krank, zweitens habe ich bei der
vergleichenden Messung der Mittelsalze nicht eins
um das andere durchgemessen, sondern ich habe
jedesmal an einem Tage hinter einander etwa
6 — 7 verschiedene Stoffe in der gleichen Potenz
gemessen, da können doch nicht alle zumal mein
Simile gewesen sein? Wenn nicht das Wort „El ek tro¬
ll omöopathie* zur Etikette von Geheimmitteln
verbraucht und deshalb für wissenschaftliche Er¬
örterungen unmöglich gemacht wäre, so möchte ich
es für die mit Hocbpotenzen arbeitende Homöo¬
pathie an wenden, weil diese immer — auch dann,
wenn sie das Simile verfehlt — in ähnlicher Weise
auf den Kranken wirkt, wie mit einem elektrischen
Strom oder — um einen andern Vergleich zu
machen — wie mit einem flüchtigen Belebungs¬
mittel. Uebrigens wünsche ich nicht missverstanden
zu werden, ich will damit nicht in den entgegen¬
gesetzten Fehler verfallen wissen, dass man das
Aehnlichkcitsgesetz vernachlässigt. Was ich sage,
ist, dass beide Grundgesetze gleich richtig und
gleich wichtig sind und dass der Gebrauch der
niederen Potenzen ein Grundfehler ist, der nicht
hätte gemacht werden können, wenn man sich ent¬
weder vollständig klar darüber gewesen wäre, welche
Eigenschaften ein Stoff haben muss, um physiologisch
und therapeutisch wirken zu können oder wenn
man auf die Potenzirung die Prüfung am Gesunden
entsprechend angewendet hätte oder — wenn man
an dem festgehalten hätte, was Hahnemann über
die Potenzirung gelehrt hat, der Gebrauch der
unteren Potenzen ist ein Abfall von Hahnemann.
1) Nach einer andern Seite schaffen diese Arznei¬
krämpfe Klarheit: Ich habe schon sub a gesagt,
warum man bei Versuchen am Kranken nicht zur
Klarheit gelangt, das muss noch einmal aufgenommen
werden. Die Zuckungen, welche Hocbpotenzen beim
Gesunden hervorbringen können, hören, falls er die
Arznei einathmet, schon innerhalb der ersten
Minute nach dem Aussetzen der Einathmung auf.
Hat man die Arznei geschluckt, so halten sie, wie
aus der Tabelle I ersichtlich, länger an, aber zu¬
nächst niemals auch nur 15 Minuten lang. Das
zeigt klar, dass die Kraft oder besser die Be¬
wegungsgeschwindigkeit, welche die Moleküle des
Stoffs durch das Verdünnen erhalten haben, nach
der Einverleibung bald abnimmt und ein Gleich¬
gewichtszustand eintritt, in welchem die Arznei nicht
mehr als Reiz wirkt. Daraus geht hervor: Wenn
man am Kranken und am Gesunden Stunden und
Tage nach Einnahme einer Arznei auffallende Vor¬
gänge bemerkt, stehen diese zu der Arzneiwirkung
nur in einer indirekten Beziehung. Die Arznei
kann mit ihrer „Potenz - lediglich nichts anderes
tbun, als eine Art Stoss mit einer kurz dauernden
molekularen Erschütterung in den Geweben her¬
vorrufen (was sie natürlich am besten und sichersten
thun wird, wenn im Gewebe ihr Ison oder Simile
sitzt). Damit ist ihre Hauptmission offenbar er¬
ledigt, sie empfiehlt sich und was später geschieht,
ist erst die Folge dieser Erschütterung der Ge¬
webe. Ist diese nämlich genügend, so werden jetzt
Erscheinungen auftreten, die wir beim Kranken
Krisen, Heilkrisen zu nennen haben. Diese sind
aber direkt nichts anderes als Vergiftungssymptome,
hervorgerufen durch die in Folge der Entspeicherung
frei werdenden Krankheitsgifte. Es scheint mir
aber, als habe sich bei vielen homöopathischen
Aerzten die Idee festgesetzt, das seien Nach¬
wirkungen, die auf Conto eines noch im Körper
vorhandenen Restes vom Arzneistoff zu setzen
wären, als ob dieser gewissermassen noch einmal
lebendig und zu einer Nachwirkung sich aufraffen
würde. Ich habe früher öfter solche Aeusserungen
gehört und gelesen, mir aber stets vergeblich eine
Vorstellung davon zu machen versucht, wie das
möglich ist. Hier ist mir nun volle Klarheit ge-
Digitized by v^ooQie
55
worden: die Erschütterung durch die Arznei kann
sofort zu einer Krise führen, allein diese kann sich
auch in mannigfacher Weise verspäten, weil der
eigentlich austreibende Faktor die Lebensenergie
des Gewebes ist. Hat diese durch den ersten An-
stoss ein kleines Uebergewicht erlangt, so wird das
zwar die Wagschale zu ihren Gunsten wenden, aber
zu einem ausgiebigen Erfolg, vollends zu einer
wirklichen Heilkrise muss das erlangte Uebergewicht
eben eine bestimmte Grösse haben, die erst Schritt
für Schritt gewonnen wird und gewonnen werden
kann, wenn der erste Erfolg ausgenützt wird. Die
Behauptung vieler Hochpotenzier, dass eine einzige
Arzneigabe ausreichen könne, eine durch Monate
sich hinziehende Nachwirkung mit scbliesslicber
Heilung herbeizuführen, enthält deshalb für mich
durchaus nichts Unwahrscheinliches: je kräftiger
die erste Erschütterung war, desto sicherer wird
jene erste Wendung erreicht, die es dem Arzt er¬
möglicht, den Prozess sich selbst oder besser gesagt
der Lebensenergie der Gewebe des Patienten zu
überlassen, die mit jedem Abstoss steigt.
2. Nun zum Schluss etwas über die demon¬
strative Seite der Arzneikrämpfe der Hoch¬
potenzen.
a) Ich erinnere hier an die Bewegung, welche
die Worte des preussischen Cultusministers hervor¬
riefen, als er im Abgeordnetenhause darauf hinwies,
dass die Homöopathie die Wirksamkeit ihrer Mittel
nicht so beweisen könne, wie die Allopathie: alles
rief hier nach Krankenhäusern, um den Beweis
liefern zu können. Ich sage: am Kranken kann
und wird er nie geliefert werden können, weil man
nie beweisen kann, ob die Arznei es ist, die den
Kranken zur Heilung gebracht. Der Allopath
kann die Wirksamkeit seiner Arzneien amGesunden
jedem demonstriren, denn wenn er ibm ein Brech¬
mittel giebt, so erbricht er sich, ein Abführmittel
erzeugt bei ihm Diarrhöe, Chloral Schlaf und Anti-
pyrin Schweiss. Diesen handgreiflichen Beweisen
der Arzneiwirkung am Gesunden auf allopathischer
Seite hat der Homöopath, welcher mit niederen
Potenzen arbeitet, nichts gegenüber zu stellen. Der
Hochpotenzier kann dagegen den Wettkampf am
Gesunden aufnehmen und zwar dadurch, dass er bei
diesem Zuckungen und sogar wirkliche Krämpfe
erzeugen kann. Das ist ein unschätzbares Beweis¬
mittel.
»Damit hätten Sie nur Recht, wenn die Höchst¬
potenzen immer und bei allen Leuten wenigstens
Zuckungen erzeugen würden. Das ist aber, wie
Sie selbst sagen, nicht der Fall.“
Wenn mir ein Allopath diesen Einwand macht,
80 frage ich ihn ruhig, ob er behaupten könne, dass
z. B. ein und dasselbe Brechmittel in ein und der¬
selben Dosis bei allen Individuen stets Erbrechen,
Chloral bei Allen Schlaf, Opium bei allen Ver¬
stopfung u. 8. f. hervorrufen. Er wird zugeben,
dass das nicht der Fall sei. — Gut, was dem einen
recht, ist dem andern billig. Der Leser kennt den
Scherz von dem Verschlucken einer ganzen homöo¬
pathischen Apotheke. Ich habe die Sache nicht
nachgeprüft, aber das weiss ich, dass das, wenn es
überhaupt geht, nur mit niederen Potenzen erlaubt
wäre. Der verstorbene Prof. v. Rapp hat mir er¬
zählt, dass er einen solchen Bramarbas mit Hoch¬
potenzen so cujonirt habe, dass dieser die Segel
strich und sich für besiegt erklärte.
Die Homöopathie klagt über ihre gedrückte
Stellung bei uns, darüber darf sie sich nicht be¬
klagen, wenn sie die Waffen, die sie hat, um sich
eine Stellung zu erobern, und eine solche ist die
Höchstpotenz, unbenützt rosten lässt und statt
dessen sich mit niederen Potenzen an die herrschende
Schule anschmeicheln will. Wer den Hammer nicht
schwingt, ist und bleibt Ambos. Ein drittes giebt
es nicht im Leben.
b) Man klagt darüber, dass es so schwer ist,
unter der jungen Medizinerschaft Anhänger für die
Homöopathie zu werben, um so eine genügende
Vermehrung des approbirten homöopathisch handeln¬
den Heilpersonals zu erzielen. Hier theile ich einen
Fall mit: Ein junger homöopathischer Arzt, den
es schon anfangs einen schweren Entschluss kostete,
seinen Kameraden gegenüber den Sonderling und
Abtrünnigen zu spielen und sich in die nicht be-
neidenswerthe Lage eines Ketzers und Rebellen zu
versetzen, erlernte die Homöopathie an einer Stelle,
wo man die Potenzirung vernachlässigen zu können
glaubt. Als den jungen Arzt seine Erfolge nicht
befriedigten, machte er mehrfach folgenden Versuch:
Wenn er einen Fall vor sich hatte, bei dem ein
günstiger Verlauf aus dem Kräftezustand mit Sicher¬
heit angenommen werden konnte, gab er das eine
Mal das nach der Literatur best angezeigte Simile,
das andere Mal einen Stoff, dessen Indicationen so
viel als möglich das Gegentheil, möglichst unpassend,
waren und siehe da, die Heilung erfolgte im letztem
Fall ebenso prompt und vollständig wie beim gut
gewählten Simile und wäre natürlich auch erfolgt,
wenn man Nichts gegeben hätte. Ist es ein Wunder,
dass dieser junge Mann auf einmal gegen die ganze
Homöopathie misstrauisch wurde? Solange die
deutsche Homöopathie glaubt, durch Aufgeben des
Potenzirungsprinzips den Gegensatz zwischen ihr
und der Allopathie zu mindern und ihre Anhänger¬
schaft unter den Aerzten zu vermehren, bewirkt sie
das gerade Gegentheil. Nur mit Hochpotenzen,
deren physiologische Wirkung sich am Gesunden
handgreiflich beweisen lässt und beim Kranken
blitzschnelle Erfolge giebt, kann sie erfolgreich
Propaganda unter dem ärztlichen Nachwuchs machen.
Kritisch angelegte Köpfe erobert man mit niederen
Digitized by v^ooQie
56
Potenzen nicht, weil sie nichts handgreifliches
leisten.
„Schön! aber ich muss Sie wieder daran erinnern,
dass eben die Wirkungen der Hochpotenzen nicht
immer und nicht bei allen handgreiflich d. h. als
Zuckungen auftreten und dass wir eben deshalb
auch nicht alle überzeugen können!“
Ist auch gar nicht nöthig, im Gegentheil: die
Homöopathie braucht Aerzte, die so fein angelegt
sind, dass sie Finessen bemessen und mit ihnen
umzugehen wissen. Wer das nicht kann, den sollen
nur die Allopathen behalten und die Homöopathen
möge Gott stets vor solchen Aerzten bewahren, die
zu nichts taugen, als zu Handwerkern (Chirurgen).
Damit will ich aber nicht gesagt haben, dass an
solchen Hopfen und Malz verloren ist: Wenn sie
ihre Zweifelsucht ablegen, mit ernstem Willen flott
zugreifen, so weicht mit der Uebung auch all-
mählig ihre physische Impotenz, wie ich schon
früher ausführte. Am alten Holz wird man aller¬
dings nicht viel erleben, aber am grünen.
Sohlusswort.
Hahnemann sagt in seinem Organon (5. Aufl,
pag. 295, Anm. 1).
„Je höher man die, mit Potenzirnng (durch
2 Schüttelschläge) verbundene Verdünnung treibt,
desto schneller wirkend und eindringlicher scheint
das Präparat die Lebenskraft arzneilich umzustimmen
und das Befinden zu ändern, mit nur wenig ver¬
minderter Stärke, selbst wenn man diese Verrichtung
sehr weit treibt — statt, wie gewöhnlich (und
meist hinreichend) ist, zu X, nun bis zu XX, L, C,
und höher; blos dass dann die Wirkung immer
kürzer anzuhalten scheint/
Abgesehen von dem letzten Sätzchen ist also
mein neuralanalytischer Befund lediglich nichts
anderes als das, was Hahnemann gelehrt hat, und
ich bin lediglich kein Neuerer, sondern nur in so
fern vielleicht ein Erneuerer, weil ich in der
Neuralanalyse ein Mittel gefunden, das, was Hahne¬
mann lehrte, mit „Zahlen zu beweisen", die eine
stärkere Beweiskraft haben als Worte.
Dann möchte ich auf die amerikanischen
Collegen hinweisen, bei denen allem nach die Hoch¬
potenzen insbesondere die 200. Potenz einer weit
grösseren Beliebtheit sich erfreuen als bei uns.
Wenn wir sehen, dass die amerikanische Kunst und
Industrie auf allen Gebieten, wo sie mitbewerbend
eintritt, das vollkommenste leistet — ich erinnere
nur an die amerikanischen Oefen, an die ameri¬
kanische Zahntechnik — so scheint mir dieser
Unterschied auf unserem Gebiet daher zu rühren:
In Amerika ist die einzig treibende Macht der
Erfolg, der treibt die amerikanischen Collegen
von Potenz zu Potenz. In Deutschland erlag die
Hahnemann’sche Potenzirungslehre dem über¬
mächtigen Druck der staatlich bevorzugten Schola¬
stik mit ihren „unfehlbaren" Dogmen. Den
lähmenden Einfluss dieser Scholastik haben unsere
homöopathischen Aerzte eben auch in ihrer Jugend
vollauf über sich ergehen lassen und ihm das
sacrificium intellectus bezahlen müssen. In der Praxis
verfolgen sie die Früchte dieser Scholastik bis
zum Grabe; da nützt auch aller Erfolgam Kranken¬
bett nichts, mit dem erzielt man in unserer schola¬
stisch verhunzten Heimath nur „Neid" nicht „Respekt".
Was den Respekt bestimmt, ist in Amerika der
„Erfolg", bei uns das „Examen" nebst „Titel" und
„Rang", daran lässt schon unsere Bureaukratie nicht
rütteln, bei der es auch so ist.
Und nun ein allerletztes Wort:
Schon im ersten Abschnitt meiner Veröffentlichung
habe ich gesagt: was ich bei etwaiger Fortsetzung
meiner Arbeit resp. Veröffentlichung brauche sind
„Mitarbeiter" und was ich nicht brauche, sind
„Ankrittler“ und das gleiche gilt ja auch für den
Leser. Bezüglich beider möchte ich einige Be¬
merkungen machen.
Mitarbeiter an der Sache können sicher sein,
dass ich ihnen stets soweit möglich mit dem, was
ich in langjähriger Praxis an Erfahrung gewonnen,
zu Dienst sein und in dieser Richtung weder Zeit
noch Mühe scheuen werde.
Für „Ankrittler“ dagegen bin ich nicht zu
sprechen, insbesondere für jene zahlreiche Sorte
derselben nicht, die bei jeder Gelegenheit mit dem
Einwurf „Einbildung!" kommen. In meinem jetzt
60 volle Jahre dauernden Erden wallen habe ich
reichliche Gelegenheit gehabt, diese mit der Ein¬
bildung gestraften Leute dahin kennen zu lernen,
dass eine Auseinandersetzung mit ihnen ebenso
zwecklos ist, als Zwiesprache mit einem Bildstock.
Sie unterscheiden sich von einem solchen eigentlich
blos dadurch, dass sie schwatzen und schreiben
können, denn sie benützen diese Fähigkeiten lediglich
dazu, ihre Position als Stock, der nicht verrückt
werden darf, zu behaupten. Einem Stock gegen¬
über giebt es nur zweierlei: entweder geht man
ihm aus dem Weg oder man haut ihn um. Da
letzteres nicht salonfähig ist, ziehe ich das erstere vor.
Merkwürdig: diese Leute halten sich für aus¬
nehmend klug und weise und haben keine Ahnung
davon, dass im Vergleich zu ihnen ein Don Quixote
noch eine erhabene Figur ist. Der Mann war
wenigstens ein Ritter der Einbildung, sie sind
keine Ritter, sie können weder reiten noch hauen
noch stechen, sie sind blos Stöcke der Ein¬
bildung. Das Urkomische ist namentlich das, dass
diese Einbildungsmaier von der Einbildung gar
nichts verstehen, nichts von ihr haben und nichts
mit ihr machen können. Während die Einbildung
eine der stärksten Mächte im Menschenleben ist,
Digitized by
Google
57
verbinden sie damit die Vorstellung von einem
„Nichts“, von einer Sache, um die man sich nicht
zu kümmern braucht Ihr Begriff von „Einbildung“
verhindert sie einerseits von anderen etwas zu
lernen, andererseits können sie selbst mit ihr ledig¬
lich nichts anfangen. Einbildung ist blos eine
Macht, wenn man an das glaubt, was man sich
einbildet und da eben hängts hinaus: An etwas,
das man für ein Nichts hält, kann man doch nicht
glauben. Ja die Sache ist noch toller: Diese mit
der Einbildung gestraften Geschöpfe können sich
selbst nicht einmal etwas einbilden, weil das Ge¬
bilde sofort in Nichts zerrinnt, wenn man es für
Einbildung hält. Mit anderen Worten: Nur in der
Hand eines Mannes des Glaubens ist die Ein¬
bildung eine Waffe, eine Macht, in der Hand des
Zweiflers ist sie Luft, Nichts und ein solcher ist
Nihilist in des Wortes verwegenster Bedeutung: er
hat nichts und kann nichts.
Wenn einer glaubt, der Zweifler habe von seiner
Zweifelsucht den Vortheil, dass er keine Enttäuschung
erlebt, so ist das zweimal falsch. Es giebt nur
zweierlei: entweder ist eine Sache Einbildung oder
keine Einbildung. Im letzten Fall erlebt der Zweifler
die grosse Enttäuschung, dass die „Draufgänger“
einen Vortheil viel früher in die Hand bekommen
als er und das ist für ihn nicht blos eine Ent¬
täuschung, sondern ein Nachtheil. Im ersten Fall
erlebt, er allerdings keine Enttäuschung, aber während
er überhaupt nichts erlebt, weil er nichts thut,
erlebt der, welcher einer Einbildung nachjagt, im
allerschlimmsten Fall — Schaden und: Schaden
macht klug, denn auch wenn man einer Einbildung
nachjagt, macht man dabei eine ganze Summe von
werthvollen Erfahrungen, während der Zweifler, weil
er nichts thut, auch nichts erfährt und nicht klüger
wird, als er war. Die Zweifler sind die dürren
Aeste am Baume des Lebens.
Ans der Praxis.
Von Dr. Kunkel-Kiel.
I.
Anna B., 13 Monate, leidet seit der Impfung,
die vor 6—7 Wochen ausgeführt, an Durchfall, in
der letzten Zeit auch an Erbrechen, Nachts ist sie
fieberhaft, Morgens und Abends starker Durst, Urin
spärlich ohne Eiweiss. Zeitweilig Zuckungen,
„wobei sie starr sitzen bleibt“. Sehr verdriess-
lich, durch kein Mittel zu besänftigen. Beim
Stuhl starker Drang.
Am 12. Septbr. 1891 erhielt Patientin 3 Dosen
Thtga x., von der Lösung 1 Pulvers Morgens und
| Abends den 4. Theil zu nehmen, dann Pause. Es
! hatte bereits Ricinusöl ohne Erfolg gebraucht Lang-
| same Dentition, hat erst 2 Zähne.
26. Septbr. Schlaf, Stimmung besser, Zuckungen
nicht ganz vorüber. An dem ersten Tage nach dem
Einnehroen etwas Nasenbluten und durch 2 Tage
etwas Unruhe. Bei Gebrauch von Scheinpulvern
war es nach ferneren 2 Wochen völlig gesund. Die
verbältnissmässig langsame Wirkung der Thuja er¬
klärt sich ungezwungen durch die gleichzeitige Den¬
tition. Letzterer sind ohne Zweifel die Zuckungen
und der Durchfall zum grossen Theil anzurechnen.
Nötigenfalls würde ich einige Dosen Gham. ge¬
geben haben.
II.
M„ Knabe von 3 Jahren, wurde mir am 22. Septbr.
1890 vorgestellt Der Vater hat vor 10 Jahren an
Schanker und Bubo gelitten; sonst war er gesund.
Dasselbe galt für den Sohn vor der Impfung. Nach
derselben bilden sich auf der Haut rothe Quaddeln,
die heftig jucken, auch auf den Augenlidern. Auf
diesen Quaddeln bilden sich Blasen, die er ab¬
kratzt. Allgemeinbefinden nie normal, Verdriess-
lichkeit, Unruhe. Verordnung Thiya x. Morgens
und Abends 1 Dosis durch 3 Tage, dann Pause.
Erst am 16. Febr. 1892 sah ich Patienten wie¬
der. Der Vater hatte es nicht für nöthig gehalten,
wiederzukommen, da (nach vorläufig vermehrter
Eruption) rasche Besserung eingetreten, auch sein
Gesammtbefinden ein normales geworden.
Seit 14 Tagen stellt sich das alte Hautleiden
wieder ein und gleichzeitig die verdriessliche un¬
erträgliche Stimmung. Heftiges Jucken. Das Aus¬
gehen der Wimpern, dessen ich zu erwähnen ver¬
gessen, hat sich wieder eingestellt, geringe Eiterung
der Conjunctiva. Verordnung am 16. Febr. Thuja 40,
von mir selbst angefertigt, durch 6 Tage zu nehmen.
Der Erfolg war derselbe wie das erste Mal.
III.
Elsa B., 14 Monate, wurde aus Mangel an
Zeit von mir zuerst auf mündlichen Bericht be¬
handelt. Dieselbe ist im 4. Monat erkrankt, leidet an
„ Englischer Krankheit“, ist ohne Erfolg allopathisch
unausgesetzt behandelt worden. Sie ist nicht ge¬
impft. Unruhiger Schlaf, hoher Grad von
Athemnoth, zeitweilig Heisshunger, aufge¬
triebener Leib (sog. Krötenbauch), keine Spur
von Wachsthum der Haare, noch kein Zahn.
Die Beine ist sie ausser Stande zu bewegen. Die¬
selben liegen wie todt. Keine rachitische Anschwel¬
lung der Gelenke.
12. Jan. 1891 wesentliche Besserung in jeder
Richtung. Die Nächte sind ruhig, die Haare fangen
an zu wachsen, Patientin fängt an, dieFüsse zu be¬
wegen, mit den Beinen zu „strampeln“, ist vergnügt,
8
Digitized by v^ooQie
68
der Umfang des Abdomen hat wesentlich abge¬
nommen. Vor.: Sacchar. lactis.
Leider blieb ich von da an ohne Nachricht trotz
eindringlicher Mahnung. Doch erschien mir das
erreichte Resultat mittheilungs wertb.
IV.
R., Sohn eines Arbeiters, 10 Jahre alt, leidet
seit dem 2. Jahr an epileptischen Krämpfen be¬
sonders am Tage, bei Erkältung auch Nachts. Er
hat 4—12 Anfälle täglich, über deren Eigenart ich
nichts erfahren konnte. Der Vater will als Kind
an Drüsen gelitten haben; die übrige Familie ge¬
sund . Ich bemühte mich vergebens, Anhaltspunkte
für die Mittelwahl zu finden, verordnete am 17./11.
Bell, x und Calc. x im Wechsel, jeden 4. Abend
1 Pulver, am 30. Decbr., da, wenn auch eine Ab¬
nahme der Anfälle bemerkbar, doch eine wesent¬
liche Besserung nicht eingetreten, Sulph. x, jeden
7. Abend eine Dosis.
10. Febr. 1890. Hat viele Anfälle gehabt, jetzt
mit Geschrei. »Er ist dabei innerlich krank* und
wird schwächer, versteht nicht das Gesprochene,
wenn auch anscheinend das Gehör nicht gelitten.
Aus Mangel an anderweitigen Anhaltspunkten und
bei der Intensität der Erscheinungen dachte
ich an die Vaccination und verordnete 1 Dosis
Thuj. x.
24. März. Im Allgemeinen Besserung. Er hat
keinen Anfall mehr gehabt. Zuweilen erscheint
der Verstand noch mangelhaft, er will gern in die
Schule.
25. April. Befindet sich ganz gut. Bei Er¬
kältung bekommt er noch Röthe im Gesicht und
Nachts im Schlaf Zusammenfahren aber keinen Anfall.
14. Juli. Stets gutes Befinden. Bei Erkältung
»läuft es noch immer roth über“, aber nicht so
schlimm als früher.
Den letzten Bericht bekam ich am 11. Septbr.
»Er ist gesund, geht täglich zur Schule und macht
gute Fortschritte.*
V.
Martha D., Tochter eines Arbeiters, 7 Jahre,
wurde mir am 8. April 1890 vorgeführt. Dieselbe
leidet seit der ersten Kindheit an einer Lähmung
der unteren Extremitäten, d. h. kann dieselben im
Liegen ein wenig heben, aber ist ausser Stande
auch nur einen Augenblick zu stehen. Allgemein¬
befinden getrübt. Ausserordentlich fester
Schlaf, schläft dabei bis Mittag, wenn sie nicht
gestört wird; langsames Wachsthum der Haare,
die leicht abbrechen, oft unfreiwilliger Ab¬
gang des spärlichen Urins, der etwas übelriechend
ist, Entleerung des Urins selten, Appetitlosigkeit.
Verordnung: Thuja 300, durch 6 Tage zu nehmen.
Dann Pause.
19. Mai. Schon in den ersten Tagen fühlt sie sich
recht wohl — nachdem sich sofort schleimiger Duroh-
fall eingestellt. Sie erwacht schon um 6 Uhr und
vollständig erfrischt, Urin reichlicher, sedimentirend,
noch scharf riechend. Appetit gut Sie kann vom
Stuhl aufstehen und — freilich nur mit dieser
Stütze, nicht frei — stehen. Verordnung: Sacchar.
und Weisung wiederzukommen, wenn die Besserung
nicht wesentlich fortschreiten würde. Sie kam
nicht wieder.
Ausserordentliche Schlafsucht ist bei den syko-
tischen Krankheiten viel seltener als das Gegentheil
Schlaflosigkeit. Man thut indess wohl daran, bei
allen hervorragenden Symptomen, wenigstens so¬
weit es die körperlichen Functionen betrifft, das
mögliche Eintreten einer entgegengesetzten Erschei¬
nung nicht aus dem Auge zu verlieren. Dasselbe
Mittel, welches das Symptom Durchfall hat, kann
auch bei Stuhlverstopfung indicirt sein.
VI.
Ella A., 6 Jahre, wird mir am 24. Septbr. 1889
vorgestellt. Dieselbe leidet seit 3 Jahren an Asthma,
in der ersten Zeit vor Mitternacht, jetzt die ganze
Nacht Zuerst stellte sich Husten ein, dem sich
die allerheftigste Athemnoth hinzugesellte. Sowohl
im Anfang wie jetzt stellt sich ein solcher Anfall
alle 3 Wochen ein und dauert 3 Tage. Bei den
Hustenanfällen Schmerz im Epigastr. Ein Paar Tage
vor Eintritt des Anfalls heftiges Jucken in der
Nase, die verstopft ist. Dieselbe Erscheinung auch
nach dem Anfall. Die Grossmutter hat dasselbe
Leiden. Von jeher Spul- und Madenwürmer. Ver¬
ordnung Jod 200, bei Erfolglosigkeit Zino. x, *)
jeden ü.—7. Abend 1 Dosis.
17. Novbr. Hat so heftige Anfälle von Asthma
nicht gehabt, wiederholt Nachts heftiger Husten
mit reichlicher Schleimexpectoration.' Jucken in
der Nase unverändert. Würmer nicht bemerkt.
Verordnung Sulph. 200 durch 3 Tage, dann Pause.
23. Decbr. Hat 2 Mal wieder heftige Anfälle
gehabt, jedesmal durch 3 Mal 24 Stunden. Ver¬
ordnung Thuja 300, 3 Tage zu nehmen, dann Pause.
29. Jan. 1890. Bericht: In der Nacht vom
24./25. Jan. sehr krank. Asthma so schlimm als
nie zuvor, mit Schmerzen im Rücken, Stechen in
der Brust, starkem Husten.
16. März. In den letzten Tagen wieder furcht¬
bares Jucken in der Nase und starker Husten, der
bis heute anhält, dabei vom Asthma nur schwache
Andeutungen, so dass Patientin dieselben kaum be¬
merkt und über nichts klagt. Verordnung: Sacch. laot
21. April. Patientin hat weder Husten noch
Astbma gehabt, ist bis jetzt gesund geblieben, wo-
*) Oder Cina? Es ist dies im Manuskript nicht zu
entscheiden. Die Red»
Digitized by v^ooQle
59
von mich zu überzeugen ioh wiederholt Gelegenheit
hatte. Ich gestehe gern, dass die Indicationen für
die Wahl der Thuja auf sohwachen Füssen standen.
Was mich zu derselben bestimmte, war einestheils
die Intensität der Symptome, andrerseits der Mangel
anderweitige Mittel indicirender Symptome. Was
den ersten Punkt betrifft, so giebt es kaum so
stürmische Krankheitsäusserungen wie bei denjenigen
Leiden, die in sykotischem Boden wurzeln. Ich
▼erweise auf die vortreffliche Prüfung der Thuja
von B. W o 1 f in dessen „homöopathischen Er¬
fahrungen 11 .*) Die heftige Erstwirkung, wie wir
sie beim Asthma, beim Wechselfieber, bei Krämpfen
und vorzugsweise nach Anwendung von Hoch¬
potenzen sehen, hat nichts Frappirendes, wenn wir
festhalten, dass die Paroxismen, die bei diesen
Krankheiten auftreten, nichts anderes sind, als Re-
actionserscheinungen des insultirten Organismus, Heil¬
bestrebungen , die nur des Anstosses eines richtig
gewählten Mittels bedürfen, um erfolgreich zu werden.
m
Marie W., 6 Jahre, hat seit der Geburt einen
aufgetriebenen Leib, ferner seit mehreren Jahren
runde Flecke, von Farbe ähnlich wie Chloasma, ver¬
schiedener Grösse, im Uebrigen an Psoriasis er¬
innernd. Kein Jacken. Harndrang, Quantität
gering, kein Albumin. Zuweilen eine Art Heiss-
hunger, starkes Wachsthum der krausen
Haare, das ganze Abdomen mit Wasser angefüllt.
Stimmung stets heiter. Die allopathischer Seits vor¬
geschlagene Operation wurde verweigert. Verord¬
nung am 24. Jan 1889 Thuja 800 durch 6 Tage
zu nehmen, dann Pause.
8 Febr. Abdomen weniger aufgetrieben, All¬
gemeinbefinden wie immer gut, Harnentleerung noch
häufig, Hautausschlag mehr hervorgetreten. Ver¬
ordnung: Sacch.
17. März. Urin wird immer reichlicher, Abdomen
dünner, der Ausschlag verliert sich mehr und mehr.
Vor 14 Tagen hat Patientin ein Paar Tage Hitze
und Fieber gehabt Verordnung: Sacch.
31. Mai. Besserung, Ausschlag spurlos ver¬
schwunden, Hydrops kaum bemerkbar. Im Juli
desselben Jahres war Krankhaftes nicht mehr zu
entdecken.
Thuja hat sehr characteristische Symptome. Wo
diese vorhanden, ist die Wahl ausserordentlich
leicht. Leider fehlen wie auch in andern nicht
der Thuja angehörigen Fällen diese characteristischen
Symptome oft zürn grossen Theil und wir sind mehr
auf Vermuthungen angewiesen. Das Leiden war
*) Eine Auswahl der häufigsten und markantesten
Thuja-Symptome habe ich in meiner kleinen Schrift
„Die Impfvergiftung, ihr Wesen und ihre Heilung 44 ,
Kiel bei Lipsius und Fischer, zusammengestellt
hier offenbar mit auf die Welt gebracht Deshalb
die Wahl einer Hochpotenz. Bei vorliegender Impf-
vergiftung habe ich mich meist der 30. mit Erfolg
bedient.
VIII.
J., Maurer, 36 Jahre, hat in den 20er Jahren an
Gonorrhöe gelitten, von welcher er ganz entschie¬
den behauptet, dass dieselbe spontan (! ?) entstanden
sei. 3 Mal ist derselbe ohne Erfolg geimpft.
Seit 10 Jahren fühlt sich derselbe unwohl. Sein
Leiden nahm von Jahr zu Jahr an Intensität zu:
Kopfschmerz Tags wie Nachts und „in Folge dessen“
Schlaflosigkeit, Nachts häufiges Uriniren,
stets verschleimt, unreiner Geschmack, Heiss¬
hunger mit Appetitlosigkeit wechselnd, Vollheits-
gefühl im Abdomen, oft sehr verstimmt, zuweilen
Diarrhöe, Kälte oder Hitze der Unterschenkel,
Schwäche der Beine. Verordnung am 7. Febr. 1889
Thuja 300 (Jenichen) durch 6 Tage zu nehmen,
dann Pause.
9. März. Besserung nach jeder Richtung, Schlaf
und Appetit besser, Diarrhöe nicht gehabt, der
Kopfschmerz minder, tritt nur periodisch auf, Beine
werden kräftiger. Verordnung: Sacch. Im August
desselben Jahres fühlte sich Patient gesund.
IX.
J., Dampfschiffsführer, 39 Jahre, consultirte
mich am 18. Octbr. 1888. Vor 8 Jahren hat der¬
selbe an Gelenkrheumatismus gelitten, vorher und
nachher oft an Kopfschmerz in der Stirn, noch
früher und wiederholt an Gonorrhöe, auch Hämorrh¬
oiden. Seit 7 Jahren leidet derselbe an Ischias
der linken Seite. Unmittelbar vor Auftreten be¬
sagten Leidens stellten sich im Gesicht und auf
den Schultern „rothe Pikei“ ein mit juckend*stechen¬
den Schmerzen, die in 3 Tagen verschwanden. Dann
Stich im linken Oberschenkel und Hüfte, der an
Intensität zunahm. Er hat homöopathische und
allopathische Mittel ohne Erfolg gebraucht. Die
Witterung hat auf sein Befinden keinen Einfluss.
Die stechenden Schmerzen zeigen sich auch zuweilen
in der linken Scapula. Schlaf schlecht, stetes
Umherwälzen. Im Freien und feuchter Luft
schwellen die Hände an und schmerzen brennend.
Fettiger Schweiss des Unterkörpers. Sitzen und
Bewegung beeinflussen die Schmerzen nicht, zu¬
weilen Schläfrigkeit am Tage, Wadenkrämpfe Nachts,
das Ausstrecken der Beine nicht gestattend, der
zuletzt entleerte Urin ist milchig. In der letzten
Zeit flüchtige Bruststiche hie und da, Stimmung
sehr gedrückt. Verordnung Thuja 200 (Lehrmann)
1 Dosis.
27. Novbr. Etwa 1 Woche nach dem Einnehmen
bald vorübergehende sehr heftige Schmerzen im
linken Oberschenkel und, wenn auch minder, im
b*
Digitized by
Google
60
rechten. Dann Besserung in jeder Richtung, Stim¬
mung wesentlich besser, „ausgezeichnet“, die Schläf¬
rigkeit hat sich verloren, Urin klar etc. Er hat
seit 4 Wochen arbeiten können in einer kleinen
Werkstatt, was er 4 Jahre hindurch nicht konnte.
Verordnung: Sacch.
Nach ferneren 6 Wochen war Patient gesund
und verzichtete auf fernere Behandlung.
X.
Emmy Z., 3 Jahre, wurde mir am 15. Septbr.
1886 vorgestellt Patientin leidet seit dem vorigen
Jahr,seit der Impfung, an einer Blepharoconjunctivitis.
Früher durchaus gesund. Das Allgemeinbefinden
ist auch jetzt nicht verändert Sobald sie sich im
Freien befindet, röthen sich die Augen. Verordnung
Thuja x. Nach 2—3 Tagen waren die Augen ge¬
sund, vertrugen die freie Luft wie früher.
Erst am 22. August 1888 sah ich das Kind
wieder. Sie war bisher immer gesund gewesen,
auch die Augen waren frei, bis vor einem Viertel¬
jahr die Augen sich wieder entzündeten, wenn auch
mit Unterbrechungen. Lichtscheu, nächtliche Un¬
ruhe, beide Augenlider sehr geschwollen, Sch weiss,
aber nur der aufliegenden Körpertheile,
übler Mundgeruch. Appetit nicht verändert.
Nitri acid. x beseitigte das Augenleiden in etwa
2 Wochen.
XI.
Robert W., IV 4 Jahr, wurde mir am 3 Novbr.
1887 in die Sprechstunde gebracht Er ist im
Sommer „mit Erfolg* geimpft. Seitdem in der
ferneren Entwickelung zurückgeblieben. Er leidet
viel an Durst Tags wie Nachts, Durchfall, wobei
Abdomen stets anfgetrieben; Heisshunger mit
Appetitlosigkeit wechselnd, Schlaf gut, stete Ver-
driesslicbkeit, Weinen. Verordnung Thuja x 1 Dosis.
15. Decbr. Alles besser, stets vergnügt Stuhl
normal. Zunahme an Fleisch. Verordnung: Sacch.
lactis. — Er ward nicht mehr gesehen.
xn.
Alice P., 2 Jahre, wurde am 21. April 1887
in meine Sprechstunde gebracht. Sie war angeb*
lieh nie gesund gewesen, ist in der Entwickelung
zurückgeblieben, sehr abgernagert, sehr verdriess*
lieh, schlägt um sich, wird weder durch Güte noch
durch Strenge beeinflusst, Heisshunger, Diarrhöe,
unverdaute Faeces, Urin dunkel, Rücken schwach,
fällt zusammen, wenn sie hingesetzt wird, Abdomen
aufgetrieben, Krötenbauoh, derselbe mit grossen
Venen bedeckt, die Rückenmuskeln schwach ent¬
wickelt Verordnung: Thuja 200 (Lehrm.) durch
3 Tage, dann Pause.
15. Mai. Besserung des Allgemeinbefindens, der
Stuhl hat sich mehr regulirt, Abdomen weniger
stark. Verordnung: Sacchar.
27. Mai. Das Allgemeinbefinden bessert sich
mehr und mehr. In den letzten 8 Tagen Abgang
von reichlichem Schleim mit dem Stuhl, sie macht
Versuche zu sitzen.
Leider sah ich Patientin von nun an nicht mehr.
Im Juli bekam ich den Bericht, dass die Besserung
fortschreite.
Atrophie der Rüokenmuskeln habe ich als Symp¬
tom sykotischer Affektion (der lues gonorrhoica der
Alten) wiederholt beobachtet Bei grösseren Kin¬
dern scheint der watschelnde Gang eins der ersten
Local Symptome zu sein. Sie können das Becken
nicht fixiren, sind daher genöthigt, beim Gehen die
Last des Körpers bald auf die eine, bald auf die
andere Extremität zu werfen. Ob die fortschreitende
Paralyse Duchenne's auch in sykotischem Boden
wurzeln kann, lasse ich dahingestellt sein, halte es
aber für sehr wahrscheinlich. In einem Falle
hob die Impfung besagtes Leiden sofort
Die mitgetheilten Krankengeschichten dürften
genügen, die Aufmerksamkeit der jüngeren Collegen
auf die Thuja, die in letzter Zeit in der homöo¬
pathischen Tagesliteratur so wenig Berücksichtigung
findet zu lenken. Die Zahl dieser Krankengeschichten
könnte ich noch beträchlich vermehren, wenn meine
Zeit es erlaubte.
Noch eine Bemerkung über Thuja. Ich kenne
kein Constitutionsmittel, das so selten der Wieder¬
holung bedürfte als dieses. Diese Erscheinung
möchte daraus zu erklären sein, dass die Sykosis
verbältnissmässig neueren Datums ist, während
Syphilis und Psora viel älter sind. Wie aber bei
der Letzteren die Antispsorica nicht für alle Fälle
ausreichen, so nicht die Antisycotica bei der Sykosis.
Ob hier die Isopathie aushelfen wird, liegt im
Schoosse der Zukunft. Viele Arbeit ist nöthig.
Die zeitweilig herrschenden Heil¬
mittel.
Unter dieser Ueberschrift werden nach Beschluss
der 1 . Generalversammlung der Epidemiologischen
Gesellschaft künftighin die Mittheilungen der Collegen
veröffentlicht werden. Die Gründe für diese Aenderung
sind in meinem vor dieser Gesellschaft gehaltenen
Vortrag auseinandergesetzt, weshalb ich hier nicht
darauf eingehen will. Er wird demnächst in dieser
Zeitung erscheinen und ich hoffe, dass meine Aus¬
führungen allseitig befriedigen.
Auf derselben Versammlung wurde ausgemacht,
dass je nach den 3 Methoden, nach denen die Mittel
gefunden wurden, ein entsprechender Buchstabe zur
Hervorhebung der benützten Methode beigefügt
Digitized by v^ooQie
61
wird und zwar für die gewöhnliche homöopathische
Methode H., für die Rademacher sehe R., für die
Weihe’sche W.
Ferner wurde der Vorschlag acceptirt, einem
Mittel, wenn es als Einheit für eine Combination
gegeben wird, das Oleiohungszeichen vorzusetzen,
zum Unterschied von der Möglichkeit, dass nur ein
Schmerzpunkt gefunden wurde. Entspricht eine
Einheit mehreren Combinationen, so soll die im
betr. Falle gefundene Combination in Klammer der
Einheit nachgesetzt werden.
Der Mitteilungen sind es diesmal wenig in
Folge der Abwesenheit vieler Collegen.
Dierkes-Paderborn theilte am 31./7. mit: kein
constantes epidemisches Mittel; doch meist Calc.
phosph. -f- Nux vom., auch Calc. phosph. Chin.
Leeser-Bonn schreibt an demselben Tage: vor
einigen Tagen Veratr.; dann Ac. muriatic. Lach.;
heute Sepia.
Kirn-Pforzheim fand in der letzten Zeit besonders
Cupr. Nicot., Veratr., Pulsat. bei Cholerine und
Schmerzen im Kreuz und den Hypochondrien.
Ausserdem hatte er Fälle mit = Apis (Kal. carb.
-{“ Bell.) und = Kal. bichrom.
Ich-hier hatte noch bis zum 2./8. ganz vor¬
herrschend = Puls. (Hep. sulf. calc. 4“ Ratanh.)
W.; am 3. und 4. häufig Cupr. c. Nicot., daneben
mehrere Fälle mit Bar. carb. + Iris = Rhus tox.
W.; am 5. wieder = Puls. W.; vom 6.—8. vor¬
herrschend = Rhus tox. W.; am 9. wieder = Puls.;
seit gestern = Mercur. (Bar. carb. 4" Bell.) W.
Buob-Freudenstadt schreibt am3./8. von raschem
Wechsel, sowie dass Pertussis im Anzuge sei mit
Symptome für Cupr. und Bell.
Stuttgart, den 11. August 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Lesefrüchte.
Unna wendet bei Lupus, statt Tuberculin ein¬
zuspritzen, die Autotuberculinisation durch Massage
der erkrankten Stellen an. Er berichtet darüber
in der „Berl. klin. Wochenschrift“ Nr. 25. 1891.
Da die Massage durch mit Stoffen wie Salicyl,
Kreosot imprägnirten Pflastermull hindurch an¬
gewandt wurde (täglich eine markgrosse Stelle 1,
höchstens 3 Minuten lang), so können die Versuche
nicht als reine angesehen werden. Die Effecte dieser
Methode sind folgende: Sofort nach der Massage
wird die betreffende Stelle hochroth und ödematös,
nach einiger Zeit findet rasche Abschwellung statt
und am nächsten Tage ist die Stelle viel flacher
als vorher; ausserdem kann es noch zur anämischen
Resorption entfernter Stellen und leichten Anschwel¬
lung von solchen mit RandrÖthe kommen. Bei 14
bisher so behandelten Fällen kam es nie zu All¬
gemeinerscheinungen. Unna will durch die Massage
das Tuberculin aus dem natürlichen Reservoir heraus
in die Circulation bringen und so die mildeste und
am meisten abstufbare Form der Tuberkulinisation
gefunden haben, die wohl später auch auf andere
tuberculöse Organe, zunächst auf Drüsen, Sehnen¬
scheiden und Gelenke, in geeigneten Fällen wird
ausgedehnt werden können. (Nach „Wiener med.
Presse“ Nr. 30. 1891.)
Prof. Winternitz-Wien empfiehlt in seinen
Blättern für klin. Hydrotherapie, Nr. 3, die thera¬
peutische Verwendung der Heidelbeeren (Vaccinium
Myrtillus) und zwar als Decoct aus den frischen
oder meist getrockneten Früchten. Sie werden mit
kaltem Wasser übergossen und mindestens 2 Std.
unter häufigem Umrühren gekocht, bis die ganze
Masse eine dünnere Syrupconsistenz angenommen
hat; es wird abgeseiht und der Saft aus den Beeren
gut ausgedrückt. Das Decoct wird verwendet:
1 . gegen Diarrhöe (selbst bei Phthisikern) täg¬
lich 1—3 Kaffeeschalen.
2 . gegen Leukoplakia buccalis. Die dabei be¬
stehenden heftigen Schmerzen werden 10 Minuten
lang nach dem Trinken immer heftiger, um dann
plötzlich zu verschwinden; dabei wird empfohlen,
den Saft nicht blos zu trinken, sondern auch mit
demselben 3 mal täglich 10 — 15 Minuten lang den
Mund auszuspülen. In einem Fall waren nach
4 Wochen die psoriatischen Plaques vollständig
verschwunden.
3. Zu Injektionen bei Gonorrhoe. In 1 Fall von
acutem Tripper war nach 12 Tagen das ungefärbte
Secret frei von Gonococcen; von 6 chronischen
Fällen wurden 4 gebessert, 2 geheilt. (Nach „Wien,
med. Presse“ Nr. 31. 1891.)
G. Hoppe-Seyler. Ueber die Ausscheidung der Kalk¬
salze im Urin , mit besonderer Berücksichtigung
ihrer Beziehungen zu Ruhe und Bewegung. (Ztschr.
f. physiol. Chemie XV. S. 261.)
Die Vergleichung der Kalkausscheidung durch
den Harn bei bettlägerigen Kranken, die keine inneren
Leiden, sondern nur kleinere chirurgische Affektionen
(Ganglion pedis, Ulcera pedis ohne Knochen¬
betheiligung, Ulcera cruris, Contusionen, Haut¬
verbrennung) hatten, mit deijenigen von Kranken,
welche herumgingen, aber unter denselben Er¬
nährungsbedingungen sich befanden, ergab fürErstere
0,72 Gr. phosphorsauren Kalk, für letztere 0,38 Gr.
pro Tag, also bei Ruhe beinahe doppelt soviel, als
bei Körperbewegung. Ebenso fand sich bei Kranken,
welche durch Lähmung (Myelitis, Spondylitis) an*s
Bett gefesselt waren, eine deutliche Vermehrung
der Kalkausscheidung durch den Harn; die wenigen
Ausnahmen Hessen sich aus mangelhafter Nahrungs-
Digitized by CjOOQie
62
aufnabme oder aas dem höheren Alter der Kranken
erklären. Bei langandauernder Bettrahe kann all-
mählig die Kalkmenge wieder abnehraen, sodass
zuletzt fast normale Werthe erreicht werden. Bei
fieberhaften Erkrankungen sinkt die Kalkausscheidung,
wohl zum Theil durch die mangelhafte Nahrungs¬
aufnahme bedingt. Gleichwie nach Salkowski u. A.
Einführung von Sublimat die Kalkausfuhr durch
den Harn steigert, so ist dasselbe, zugleich mit Zu¬
nahme der Diurese, bei Calomelölinjektionen der
Fall; als Minimum fand sich 0,5, als Maximum
0,94 Gr. Kalkphosphat pro Tag. J. Munk.
Zur Warnung mag Folgendes reproducirt werden:
L. Taucher. Inflammation subite di cellulo'id\ Le
mouvement hygiönique Nr. 7. Juilles 1889.
Eine plötzliche Entzündung eines Haarkammes
aus Celluloidsubstanz entstand bei einem Mädohen,
welches etwa eine Stunde lang nah bei einem Ofen,
der zum Glühendmachen von Bügeleisen brannte,
seine Schulaufgaben machte. Das Mädchen befand
sich etwa 50 bis 60 Cm. von dem Ofen entfernt.
Erfahrungsgemäss bilden sich um solche stark¬
geheizte Oefen herum manchmal überheizte Luft¬
schichten selbst auf grössere Entfernung. Der Ver¬
fasser nimmt die Gelegenheit wahr, auf die Gefahren
bei der leichten Brennbarkeit der Celluloid Substanzen
aufmerksam zu machen und zur Vorsicht bei deren
Gebrauch zu mahnen. Creutz.
(Aus „Centralbl. f. allg. Gesundheitspflege X. Jahrg.
1891. Heft 9, p. 351.)
Strophantus bei Kropf. — Dr. S. T. Youns-
Lafayette (Ind.) hat 5 Fälle von Kropf erfolgreich
mit Tinctura Strophanti in Dosen von 10 Tropfen,
langsam bis zu 16 steigend, 3mal täglich, behandelt.
Die Behandlung dauerte gewöhnlich 2 Monate (The
Weekly Med. Rev.) (Deutsche Medicinal-Zeitung
Nr. 75. 1891.) (Internat, klin. Rundschau V. Jahrg.
1891. Nr. 41, p. 1610.)
In der Wiener med. Presse 1891, Nr. 34, 35
referirt Busch über tertiär syphilitische subcutane
Symptome im Anschluss an einen Fall bei einem
30jährigen Araber, der später plötzlich mehrfache
Gehirnsymptome darbot, die auf ein Gumma in der
linken Fossa Sylvii schliessen Hessen. Eine ge¬
mischte antisyphilitische Kur hatte den besten Er¬
folg. Zum Schluss macht er darauf aufmerksam,
dass Gehirn- und Rückenmarkssyphilis in
Syrien ungewöhnlich häufig vorkommt, obgleich
oder vielleicht weil die einheimischen Aerzte
jedes einer syphilitischen Infektion verdächtige
Individuum einer sehr energischen anticipi-
renden Quecksilberbehandlung unterwerfen.
Wir schliessen uns letzterer Ansicht an, indem
wir zugleich auf eine interessante Broschüre auf¬
merksam machen wollen, die einen ganz eigenartigen
Standpunkt in der heutigen Syphilidologie auf
Grund 30jähriger, reicher Erfahrungen einnimmt.
Wir meinen die Broschüre des Primararztes Dr.
Hermann in Wien.
Strontium gegen Bandwurm von Prof. L&borde.
In letzter Zeit sind von französischer Seite
(Germain L6e, Paul, Laborde, Dujardin-Beaumetz)
die Strontiumsalze als sehr wirksam bei Magen¬
affektionen bezeichnet worden. Bei Versuchen
über die physiologische Wirkung dieser Salze be¬
obachtete L., dass damit gefütterte Hunde in kürzester
Zeit von Taenien befreit waren. Dieselbe taenicide
Wirkung tritt beim Menschen durch Verabreichung
dieses Mittels in folgender Form ein:
Stront. lactic. 20,0
Aq. dest. 120,0
Glycer. q. s.
D. S. Täglich Morgens und Abends je 1 Ess¬
löffel voll 5 Tage lang zu nehmen.
Im Allgemeinen ist nach Ablauf dieser Zeit der
Kranke von seinen Taenien vollständig befreit. (Le
Bulletin Mädical 1892. Nr. 8. Nach „Internat,
klin. Rundschau 1892.® Nr. 7.)
In der Münchener med. Wochenschr. 1891,
Nr. 44, 45 kommt Kustermann auf Grund ein¬
gehender Versuche über das Vorkommen der Tuberkel -
bacillen ausserhalb des Körpers in Gefängnissen zu
dem Resultat, dass bei der Weiterverbreitung der
Tuberkulose noch andere Umstände als die Zer¬
stäubung von Sputis unreinlicher Phthisiker und
das dadurch bedingte Vorkommen von Bacillen an
Wänden und Böden im Spiele sein müssen. Er
schHesst sich der Ansicht Bollinger’s an, dass die
Gefahr der Infektion wenigstens beim Erwachsenen
viel geringer anzuschlagen sei, als die der Disposition.
(Au9 Centralbl. f. d. med. Wissenschaften 1892.
Nr. 8.)
Eine letal verlaufene acute Quecksilbervergiftung,
entstanden durch Einreibung von grauer Salbe .
Von Dr. Sackur in Breslau. (Berl. Klin. Woch.
20. Juni 1892.)
Wenn irgend eine medizinische Disciplin sich
die sorgsame Pflege der Casuistik zur Aufgabe
machen muss, so ist es die Toxicologie. Diese
Ansicht sowie die Ueberzeugung, dass der im Nach¬
stehenden beschriebene Vergiftungsfall sowohl wegen
seiner Entstehung als wegen seines klinischen Ver¬
laufes und der Verzögerung der richtigen Diagnose
ein allgemeines Interesse verdient, veranlasst Verf.
zur Veröffentlichung desselben. Ein 20jähriges
Mädchen, das an „aufgesprungenen Händen® leidet,
klagte über Schmerzen im linken Unterarm und
wurde dieserhalb angeblich mit Gold-Cream ein¬
gerieben. . Schon nach einer Stunde traten Uebel-
beflnden, Ohnmacht, Erbrechen grünlicher Massen
Digitized by v^ooQie
63
ein. Bei der nach wenigen Stunden erfolgten Auf¬
nahme ins Hospital machte die sehr anämische
Patientin den Eindruck einer Schwererkrankten,
Die Temperatur war zwar normal, das Erbrechen
trat jedoch fast alle Viertelstunden ein, ausserdem
bestand mässiger Tenesmus und leichte Albuminurie.
Eine Untersuchung des grauweiss verfärbten, fett¬
glänzenden linken Unterarmes ergiebt eine mittel¬
starke Schwellung, ohne deutliche Fluctuation.
Breite Incisionen auf der dorsalen und volaren
Seite fuhren auf sulzig infiltrirtes, grau verfilztes
Unterhautzeih und Muskelgewebe. Trotz der Apyrexie
und des Fehlens einer Milzvergrösserung wird die
Diagnose vorläufig auf Phlegmone gangraenosa,
Sepsis (?) gestellt Am folgenden Tage tritt Anurie
ein und werden mehrmals blutvermengte diarrhoische
Stöhle entleert bei gleichzeitigem Eintreten von
Koliken. Die Temperatur ist subnormal, der All¬
gemeinbefund lässt an das Bestehen einer Dysenterie
denken. Die Durchfälle nehmen weiterhin zu und
werden fast blutig. Es tritt heftige Haematemesis
auf; am rechten Zungenrande bilden sich kleine
Geschwürchen. Der Zustand erregt nunmehr den
Verdacht auf eine Quecksilbervergiftung, der durch
Rücksprache mit dem erstbehandelnden Arzte seine
Bestätigung erhält. Unter Verschlimmerung der
bestehenden Symptome und Abnahme der Temperatur
bis auf 35,5° tritt, am fünften Tage nach der Er¬
krankung, der exitus letalis ein. Wie die genauere
Anamnese ergab, waren gegen die bestehende
Lymphangitis ca. 5 gr. grauer Salbe eingerieben
worden. Dass dieses Quantum ausreichte, eine
tödtlich verlaufende Intoxication hervorzurufen, kann
nur dadurch erklärt werden, dass die mit zahlreichen
Rhagaden versehene Haut eine besonders starke
Resorption ermöglichte. Gleichzeitig mag die
Anämie der Patientin eine gewisse Disposition für
eine Quecksilbervergiftung geschaffen haben. (Aus
„Medico* 1892. Nr. 22)
Necrolog.
Am 31. Juli d. J. starb in seiner Heimathstadt
Herford unser homöopathischer College Dr. Justus
Weihe nach kurzem Kranksein an den Folgen der
Altersschwäche im nahezu vollendeten 84.Lebensjahre.
Geboren im Jahre 1808 trat er nach in Leipzig
und Berlin absolvirten Studien im Jahre 1833 so¬
fort zur Homöopathie über, um seinem damals schon
kränkelnden Vater, Dr. August Weihe, dem Freunde
des alten von Bönninghausen und ersten Arzte, der
sich in unserer Provinz an Hahnemann angeschlossen,
in seiner umfangreichen Praxis zur Seite zu stehen.
Der Vater starb schon das Jahr darauf und wurde
es dadurch Weihe beschieden, das begonnene Werk
desselben allein und selbstständig weiter zu führen,
eine Aufgabe, die für einen noch so jungen Arzt
in einer Zeit, wie die damalige, wahrlich keine
leichte war.
Schlimm genug sind ja auch heute noch die
Anfeindungen, denen die Homöopathie ausgesetzt
ist und doch offenbar nur ein Schatten von dem,
was die ersten Pioniere unserer Sache zu erdulden
hatten. Wie so viele alten Leute, lebte auch Weihe
in seinen letzten Jahren mit seinen Gedanken gern
in der Vergangenheit und oft brachte er dann auch
wohl die Rede auf die Erlebnisse seiner ersten
praktischen Thätigkeir, von denen er voll Bitterkeit
und Betrübniss viel zu erzählen wusste. Allen An¬
feindungen zum Trotz gelang es ihm jedoch, sich
zu behaupten und eine Praxis zu erwerben von
einer Grösse und Ausdehnung, wie sie wohl nur
wenige Aerzte jemals besessen. Ist er auch niemals
literarisch hervorgetreten, so hat er doch durch
diese seine umfangreiche praktische Thätigkeit ausser¬
ordentlich zur Verbreitung der Homöopathie bei¬
getragen. Dies erreichte er neben seinen ärztlichen
Erfolgen vornehmlich durch die ausserordentliche
Liebenswürdigkeit seines Wesens und Charakters
und die seltene Selbstlosigkeit, die sich in all seinem
Thun und Lassen offenbarte. Er nahm auch ge-
müthvoll an dem Wohl und Wehe seiner Patienten
den innigsten Antheil und kann man von ihm mit
vollstem Rechte behaupten, dass er stets ein echter
und rechter Menschenfreund gewesen, der als solcher
gewiss noch lange im Gedächtniss vieler Bewohner
unseres lieben Ravensberger Ländchens fortleben
wird. Weihe besass neben manchen anderen geistigen
Interessen eine besondere Vorliebe und Begabung
für die Musik, der er als tüchtiger Clavierspieler
einen grossen Theil seiner freien Zeit widmete.
Nach ihr suchte und fand er seine liebste Erholung
im Umgang mit der schönen Natur. Er war ein
grosser Blumenfreund und Pflanzenkenner und all¬
jährlich im Frühherbst zog es ihn zu mehrwöchent¬
lichen Reisen hinaus in die weite, prächtige Gottes¬
welt. So hat er nacheinander fast alle Länder des
gebildeten Europa besucht, war mehrfach in der
Schweiz und in Italien, aber auch in Frankreich,
Spanien, Schottland, Schweden u. s. w. Auf allen
diesen Reisen zeigte er sich als feinsinniger Be¬
obachter, der auch über alles Geschaute sehr leb¬
haft und anziehend zu berichten verstand.
Weihe besass eine grosse allgemeine Arbeitskraft,
eine seltene Stärke des Gedächtnisses, war von
kräftiger Statur und erfreute sich bis wenige Wochen
vor seinem Ende einer ausgezeichneten Gesundheit.
Leider nur hatte er während der zweiten Hälfte
seines Lebens mit zunehmender nervöser Schwer¬
hörigkeit zu kämpfen. Sein Familienleben verlief
glücklich und ungetrübt. Er hinterlässt vier Söhne
in geachteter und gesicherter Lebensstellung. Friede
seiner Asche. — e.
Digitized by v^ooQie
64
Saison
1. Mai bis
1. October.
ANZEIGEN.
Bad Nauheim
Linie
Cassel-
Frankfurt
a. M.
Kohlensäure Soolthermen mit hohem Stahlgehalt 31—35° C. zu mussirenden Sprudel-,
Strom- und Thermalbädern; gasfreie Soolbäder, Douchen, electr. Bäder. Salinische, alkal. Trink¬
quellen, Inhalationssalon, ausgedehnte Gradirwerke. Mustergiltige, durch Eröffnung ©in©8 H©U©H
5t©n Badehauses vermehrte Badeeinrichtungen. Frequenz 9500. Indikat ausser den bekannten,
für einfache Soolbäder, feststehenden, mit Rücksicht auf Temperatur und Kohlensäure ganz be¬
sonders Rheumatismus, Herz- und Rückenmarkleiden.
Grossherzogi. Hess. Badedirection Bad Nauheim.
Praxis.
Kneipp’sehe Heilanstalt, auch für das gesammt©
Naturheilverfahren fein eingerichtet (ohne Kranken¬
pension), hochherrschaftliches neues Haus in der
schönsten Strasse gelegen, mit Möbel und alles,
was zum Haushalt, sowie zum Betriebe gehört, ist
wegen Krankheit sofort zu übertragen. Kaufpreis
60,000 M. Ablage 5 bis 10,000 M. Miethpreis
500 M. monatlich, jedoch auch unter diesen Taxen
an den Meistbietenden. Glänzende Einnahmen.
Stadt 100,000 Einwohner. Keine Concurrenz.
Ganz vorzügl. für einen Homöopathen.
Offerten unter E. 2667 an Rudolf Mosse, Köln.
Ttcui'Ofincjcdc
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserfex/iomopaffilscfier
ßesundtmte'
nachDr F.Katsch
SCHUTZMARKE
icA/Ss'
^ u.Unterschrift
Günstige Gelegenheit
für einen durohatis erfahrenen homöopathischen Arzt, eine
vor 6 Jahren neu erbaute, seither in bestem Ilenomü
stehende homöopathische ärztliche Kuranstalt pacht- oder
kaufweise zu übernehmen. Die Anstalt mit eigener Oeko-
nomie, Landwirtschaft und mehreren Gebäuden ver¬
sehen, ist in naturschönster Gegend in vorzügl. Höhen¬
lage (etwa 750 m ü. M.) in der Ostschweiz gelegen, ge¬
währt die Garantie unter der Leitung eines kundigen
vorwärtsstrebenden homöopath. Arztes sich zu einer Heils-
Colonie zu entwickeln. Vollständig eingerichtete homöo¬
pathische Apotheke im Hause. Der jetzige Inhaber
und Gründer der Anstalt ist wegen Arbeitsüberhäufung
für längere Zeit erholungsbedürftig geworden und
wünscht daher baldigste Vertretung.
Offerten sind zu richten unter A. B. S. 1892 an die
Exped. d. Ztg.
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung 4 Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung von Citronen- u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant. (4 100,0 = 30 Pf.) ab.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Limousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle 4 Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets
ganz frisch, wird in Glasstöpselgläsern, 4 80,0=50Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath- Officin.
Verantwortliche Redacteure: Dr. 6oehrum-Stuttgart, Dr. Stifft-Leipzig und Dr. Haedloke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Drnck von Breeener & Schramm in Leipzig.
Digitized by
Googh
Band 125
Leipzig^ den 1. September 1892.
No.9n.10
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Terlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig.
Brtoheint 14t%Ig in 2 Bogen. 18 Doppeinammern bilden einen Bend. Preis 10 M. 60 Pf. (Haibjehr). Alle Bnchhandlangen and
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welehe an R. Mo&SO in Leipzig und dessen Filialen oder an die
Verlagehandlung selbst (▲. Marggraf s homöopath. Offlein in Leipzig) *u richten sind, werden mit 80 Pf. pro einmal
gespaltene Petitseile und deren Baum bereobnet. — Beilagen werden mit UM. berechnet.
Inhalt. Die 60. Geoeraiversammiuog des Homöopathisohen Centraivereins Deutschlands zu Stuttgart
9. u. 10. August 1892. Von Dr. med. Stifft-Leipzig. — Ueber die Art und Weise der Einwirkung des genius epidemious.
Vortrag, gehalten auf der 1. Generalversammlung der Epidemiolog. Gesellschaft zu Stuttgart von Dr. Leeser-Bonn.
— Bericht Ober die I. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft zu Stuttgart am 8. August 1892. Von
Dr. Göhrum-Stuttgart. - Zur 50jährigen Jubelfeier der homöopathischen Poliklinik. Ein historischer Rückblick
von Dr. Lorbacher-Leipzig. — Mittheilungen über die Diphtherie in Kiel. — Ein homöopathisches Zaubermittei. —
Die zeitweilig herrschenden Heilmittei. Von Dr. Göhrum-Stuttgart. — LesefrQohte. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TW
Die 60. Generalversammlung des
Homöopathischen Centralvereins
Deutschlands zu Stuttgart am 9. und
10. Angnst 1892.
Laut Beschluss der vorjährigen Generalversamm¬
lung versammelten sich die Mitglieder des Homöo¬
pathischen Central Vereins Deutschlands diesmal in
der herrlichen Residenzstadt Stuttgart. Am Abend
des 8. August fand die Begrüssung der Erschienenen
im # dortigen Stadtgarten, einem Garten-Etablissement
von seltener Schönheit, statt Schon eine ansehn¬
liche Theilnebmerzahl hatte sich hierzu mit ihren
Damen eingefunden, alte Bekanntschaften in heiterster
Stimmung erneuernd oder neue anknüpfend.
Am Morgen des 9. August bald nach 9 Uhr
eröffnete der Vorsitzende — Dr. Windelband, Berlin
— die geschäftliche Sitzung im Beethoven-Saale
der Liederhalle, zu der sich nach der Präsenzliste
folgende Herren eingefunden hatten: Windelband-
Berlin, Weber-Cöln, Haedicke-Leipzig, Steinmetz-
Leipzig, Villers-Dresden, Mattes-Ravensburg, Kallen¬
bach-Rotterdam, Fischer-Neuenburg, Mossa-Stuttgart,
v. Sick-Stuttgart, Lorenz-Stuttgart, Stemmer-Stutt¬
gart, Hafen-Neustadt a./Haardt, Schlegel-Tübingen,
Grünewald - Frankfurt am Main, Kirn - Pforzheim,
Göhrum-Stuttgart, Kröner-Potsdam, Gisevius-Berlin,
Förg-Lu dwigsburg, Rohowsky-Leipzig, Leeser-Bonn,
Siegrist-Basel, Simrock-Frankfurt a./Main, Unsin-
Landshut, Groos-Magdeburg, Doerr-Mainz, Zengerle-
Aulendorf, Hagel-Ravensburg, Yerflassen-Coblenz,
Stifft-Leipzig, Kukulus-Stettin, Weiss-Gmünd, Hähnle-
Reutlingen, Sigmundt-Speichingen, End riss Göppin¬
gen, Buob-Freudenstadt, Ide-Stettin, Jäger-Hall,
Schwarz Baden-Baden, Prof. Jäger-Stuttgart.
Nach Punkt I der Tagesordnung wurden zu¬
nächst folgende 13 Herren, die sich zur Aufnahme
angemeldet hatten, ohne Debatte aufgenommen.
Sanitätsrath Dr. Sauer-Breslau, Dr. Weidner-Breslau,
Dr. Kayser-St. Johann, Dr. Endriss - Göppingen,
Dr. Krömer - Kiel, Dr. Burzutschky - Flensburg,
Dr. Schnütgen-Münster i/W., Dr. Heyberger-Protivin,
Dr. Förg-Ludwigsburg, Dr. Zengerle-Aulendorf, Dr.
Kukulus-Stettin, Dr. Jaeger-Hall, Dr. Buob-Freuden-
stadt.
Dann folgte die Erledigung der verschiedenen
Geschäftsberichte, — des Vorstandes des Central¬
vereins, des Kuratoriums des Leipziger Kranken¬
hauses, des dirigirenden Arztes desselben, des In¬
stitutsarztes (Vorstand der Leipziger Poliklinik), des
Kassen Verwalters und des Verwalters der Vereins-
Bibliothek zu Leipzig —, welche im Druck Vorlagen
und ohne Diskussion entgegengenommen wurden.
Es konnte darauf hingewieseu werden, dass sich die
Verhältnisse des Leipziger Krankenhauses — es ist
begründete Aussicht vorhanden, dass dieses eine
9
Digitized by
Google
66
Schmerzenskind der bisherigen Unterstützung von
Seiten des Central Vereins bald nicht mehr bedarf —
in jeder Beziehung zur Befriedigung gehoben haben
und dass die Vereins-Bibliothek eine wesentliche
Vermehrung erfahren hat*). Bezüglich der Ver¬
waltung der Letzteren wurde von einem Mitgliede
der Versammlung dem derzeitigen Bibliothekar,
Herrn C. Günther, speciell Lob und Anerkennung
ertbeilt und die Benutzung der Bibliothek allgemein
empfohlen. Windelband macht darauf aufmerk¬
sam, dass auch die reichhaltige Bibliothek des
Berliner Vereins jedem Interessenten zur Benutzung
offen stehe, ViIlers erwähnt das Gleiche bezüglich
seines eigenen bedeutenden Bücherschatzes.
Per Acclamation wird der bisherige Vorstand,
der Institutsarzt und der Kassenverwalter wieder¬
erwählt und dem Letzteren bei Ertheilung der
Decharge ganz besonders Dank und Anerkennung
für seine vorzügliche, stets im Interesse des Vereins
thätige Leitung der schwierigen Geschäfte aus¬
gesprochen.
Eine längere Diskussion rief die Wahl des
nächstjährigen Versammlungsortes hervor. Bei
Schluss derselben wird mit 10 Stimmen Majorität
die freundliche Einladung des Rheinisch-West-
phälischen Aerztevereins nach Cöln angenommen,
es aber der Entscheidung des Letzteren anheim¬
gegeben, Cöln oder Bonn in engerer Wahl zu be¬
stimmen, nach welch* letzterer Stadt L e e 8 e r persön¬
lich eingeladen hatte.
Die der Tagesordnung sich anschliessenden An¬
träge wurden mit geringer Veränderung angenommen,
und werden es Viele mit Freuden begrüssen, dass
die Versammlung beschloss, den Mitgliedern höhere
Beiträge aufzuerlegen, um der für ihre bescheidenen
Verhältnisse zu sehr in Anspruch genommenen
Wittwenkasse etwas mehr Mittel zuführen zu können.
Ueber diesen Punkt wird die „Allgemeine“ im Laufe
der nächsten Monate eingehender berichten, um die
Interessen der Wittwenkasse fördern zu helfen.
Gegen 12 Uhr endigte die geschäftliche Sitzung,
die einen in jeder Hinsicht befriedigenden Verlauf
genommen hatte, worauf ein von dem einladenden
Vereine gespendetes opulentes Frühstück alle Theil-
nehmer und Theilnehmerinnen im Mozartsaale der
Liederhalle in animirtester 8 timmung vereinigte, bis
um 2 Uhr Extrawagen der Pferdebahn die Festtheil-
nehmer nach den herrlichen Königlichen Schlössern
Berg und Wilhelma entführten. Bei dem Frühstück
hatte Mossa in schwungvoller Rede die Erschienenen
*) Mit Bedauern wurde die schwache Benutzung
der Bibliothek hervorgehoben. Da der Grund hierfür
vielleicht zum Theil in der Unkenntniss der rechten
Adresse liegen mag, so fügen wir dieselbe für unsere
Leser hierunter bei: Herrn Bibliothekar C. Günther,
Leipzig, Homöopathisches Krankenhaus. Sidonienstr. 44.
Die Red.
begrüsst, worauf Weber in gleicherweise den Dank
der Gäste aussprach. Nach Besichtigung der König¬
lichen Schlösser wurde der Rest des Nachmittages
im Kursaal zu Cannstatt verbracht; am Abend fand
man sich wieder im Garten der Stuttgarter Lieder¬
halle zu Konzert und ungezwungener Unterhaltung
zusammen, und sollen danach noch bis zu den
ersten Morgenstunden zahlreiche Damen und Herren
in grösseren und kleineren Kreisen und in animirtester
Stimmung in gemüthlichen Stuttgarter Weinstuben
gesehen worden sein.
Am 10. August Morgens 8 V 2 Uhr eröffnete der
Vorsitzende die 2., die wissenschaftliche Sitzung
im Blumen-Saale der Liederhalle und übertrug den
Ehren-Vorsitz an Herrn Obermedizinalrath Dr. von
Sick. Derselbe eröffnete die Reihe der Vorträge
mit dem von ihm angekündigten Thema „Die Ent¬
wicklung der Homöopathie in Württemberg“ und
gab in überaus geistvoller und fesselnder Form der
aufmerksamen Zuhörerschaft, zu der sich auch eine
grosse Anzahl von Laien gesellt hatte, sodass der
Saal fast zu klein erschien, ein lebensvolles, inhalt¬
reiches Bild der Homöopathie in Württemberg und
ihrer Vertreter von Anfang bis zur Jetztzeit. Es
würde zu weit führen, den interessanten Vortrag
im Einzelnen zu besprechen; derselbe wird in der
„Zeitschrift des Berliner Vereins horaöop. Aerzte“
in extenso abgedruckt werden. Es folgte als zweiter
Redner Dr. Kröner (Potsdam) mit dem auf der
vorjährigen Versammlung übernommenen Referate
über „Behandlung von Herzkrankheiten“; auch dieser
!Vortrag wird in extenso in der genannten Zeitschrift
erscheinen. Ein eingehendes Referat über die
interessante und sehr gut aufgenommene Behandlung
des schwierigen Themas zu geben, ist leider un¬
möglich, da der Vortrag wegen Kürze der Zeit viel¬
fach abgekürzt werden und ohne eigentlichen Ab¬
schluss bleiben musste. Nach einigen einleitenden
Bemerkungen über die physiologischen und physi¬
kalischen Verhältnisse des Herzens ging der Vor¬
tragende auf die Besprechung der verschiedenen
sogenannten Herzmittel ein, die er nach ihren Haupt¬
vertretern in 2 grosse Gruppen unterschied: die
Digitalis-Gruppe und die Aconit-Gruppe. Zu
der Ersteren gehören: Digitalis, Coffea, Strophantus,
Apocynum c an nab,, 8 parteinum, Convallaria majalis,
Cactus grand., zu der Zweiten: Aconit., Veratr.
virido, Gelsemium, Glonotn, Aigylnitrit. Die erste
Gruppe passt besonders bei funktionellen Störungen,
die zweite bei entzündlichen Zuständen des Herzens.
Verwandt sind Aconit, Spigelia, Jod, welche Herz-
congestionen hervorrufen, die sich bis zu Entzündungs¬
zuständen steigern können; daher indicirt bei Carditis,
Pericarditis etc. Digitalis passt besonders bei all¬
gemeiner Hypersthenie, Besserung beim Sitzen,
Strophantus bei Dyspnöe und geringem Oedem.
Er zeigt im Gegensatz zu Digitalis keine Einwirkung
Digitized by v^ooQie
«7
auf die Gefässe, keine Accumulation. Cactus gr&ndi-
florus empfiehlt Redner besonders nach Digitalis
als Herztonicum. Er wirkt mehr auf den Herz¬
muskel und die glatte Muskulatur der GefUsse als
auf den Vagus ein, daher unter seinen Symptomen
das ausgesprochene Gefühl der Zusammenschnürung,
seine Indication nur bei beschleunigtem Pulse.
Referent erwähnt die Heilung eines Morbus Basedowii
durch dieses Mittel in 6. Decimale. Als charakte¬
ristisches Symptom für Cactus grandiflorus soll
Oedem der linken Hand von einzelnen Autoren an¬
geführt sein! Die Aconitgruppe wirkt entzündungs¬
widrig. Diese Wirkung des Aconit ist bekannt,
wie auch seine beruhigende Wirkung auf das Herz.
Der Puls ist bei ihm gespannt, bei Veratrum
voll und springend, bei Gelsemium weich,
die rot, — Schwäche des Herzmuskels —, was
mit der Neigung des Gelsemium zusammenhängt,
Lähmungen zu machen. Im Gegensatz zu Digitalis
hat Gelsemium Besserung durch Bewegung und als
charakteristisches Symptom enorme Müdigkeit,
welohe sich unschwer aus der allgemeinen Gelse-
miumwirkung erklärt — So viel über das leider
unvollständig gebliebene Referat; in extenso wird,
wie sohon bemerkt, die interessante Arbeit in der
Zeitschrift des Berliner Vereins homöopathischer
Aerzte erscheinen, worauf wir unsere Leser ganz
besonders hinweisen wollen.
Es folgten noch die Vorträge Schlegel’s
(Tübingen) über „Homöopathie und Weltanschau¬
ung* und Göhrum’s (Stuttgart) „Ueber eine neue
prophylaktische Methode*. Der Erstere ist bereits
im Buchhandel erschienen und zeigt uns wieder
in neuer Form den philosophischen, allseitig ge¬
bildeten tiefen Denker, den wir bereits in Schlegel
kennen, den Meister der Sprache, und entzieht
sich der Vortrag durch seine Gedankentiefe und
Gediegenheit einem nur kurzen Referate. Der
interessante Vortrag Göhrum’s wird in dieser
Zeitung in extenso mitgetheilt werden. Bemerkens*
werthe Diskussionen fanden nach keinem der ge¬
nannten Vorträge statt. Zum Schlosse ergriff noch
Rohowsky (Leipzig) das Wort, um bei der drohen¬
den Choleragefahr im Gegensatz zu den bekannten
letzten Erlassen der Bundesregierungen, welche
Nichts empfehlen konnten, auf Veratrum und Cuprum
auch als prophylaktische Mittel hinzu weisen. Als
Thema für die nächstjährige wissenschaftliche Sitzung
schlug Villers (Dresden) „Die Behandlung der Krank¬
heiten der nervösen Centralorgane* vor und über¬
nahm selbst das Referat. Hiermit schloss um
1 Uhr der wissenschaftliche Theil der diesjährigen
General-Versammlung.
Bald darauf versammelte das grosse Festessen
noch einmal die Meisten der Theilnehmer im Mozart¬
saale der Liederhalle zu ungebundener Fidelität.
Lebendig war der Fluss der Toaste: von Sick auf
Ihre Majestäten den deutschen Kaiser und den König
von Württemberg, Weiss (Gmünd) auf Ihre Majestät,
die Königin - Wittwe Olga, Häh nie (Reutlingen)
auf Hahnemann und die Homöopathie, Villers
auf den Vorstand des Central Vereins, Kröner
auf den Kassen Verwalter, Windelband (Berlin)
und Kallenbach (Rotterdam) auf die Damen,
beide in gelungener gebundener Form und lau¬
niger Weise. Der mitanwesende Vorsitzende der
Liederhalle toastirte auf das Wohl des Central¬
vereins ; Windelband dankte im Namen des
Letzteren. Zur Erhöhung der Fidelität hatte
Mossa (Stuttgart) ein Carmen festivale gedichtet,
welches in famosem Latein abgefasst war und nach
der Melodie: „Gaudeamus igitur“, von der Fest¬
versammlung upter allgemeiner Heiterkeit gesungen
wurde. Auf ein Huldigungstelegramm an Ihre
Majestät, die Königin-Wittwe und Se. Majestät den
König liefen folgende Antworten ein: Auf das Be-
grüssungstelegramra an Se. Majestät den König
erhielt der Vorsitzende die Antwort: Se. Königl.
Majestät haben die Huldigung der 60. General¬
versammlung des homöopathischen Centvalvereins
Deutschlands wohlwollend aufgenommen und lassen
Allerhöchst Ihren gnädigsten Dank hierfür aus¬
sprechen. Kabinet des Königs: v. Herrn an. — Auf
das Begrüs8ung8telegramm an Ihre Majestät die
Königin Olga erfolgte die Antwort: Für Ihre Be-
grüssung herzlich dankend, wünsche der Versamm¬
lung praktische Resultate für das Wohl der Mensch¬
heit und Gedeihen der Homöopathie, der ich mit
voller Ueberzeugung zustimme. Olga.
Eine zu Gunsten der Wittwenkasse von Frau
Dr. Grünewald unter Führung des Kassen¬
verwalters freundlichst veranstaltete Sammlung er¬
gab das erfreuliche Resultat von 250 Mark.
Nach Beendigung des Diners führten bestellte
Extrawagen der Pferdebahn die Festgesellschaft
nach dem Bahnhofe der Zahnradbahn zu einer Berg¬
fahrt nach dem Schweizerhaus in Degerloch, wo
der Kaffee eingenommen und später ein prächtig
gelegener Aussichtsthurm bestiegen wurde. Der
Abend vereinigte die noch anwesenden Festgenossen
noch einmal im schönen Stadtgarten bis zu später
Abendstunde, worauf man sich mit dem gewiss
allgemeinen Bewusstsein trennte, in Stuttgart einer
der schönsten und gelungensten General-Versamm¬
lungen des Centralvereins beigewohnt zu haben. Mit
Dankbarkeit für das Genossene, mit Anerkennung
für das Gebotene wird Jeder, der daran Theil ge¬
nommen hat, der Liebenswürdigkeit und Gastfreund¬
schaft unserer lieben Collegen im Schwabenlande
für immer gedenken! —
Dr. med. Stifft.
9 *
Digitized by
Google
68
Ueber die Art und Weise der
Einwirkung des genins epidemicns.
Vortrag, gehalten auf der 1. Generalversammlung
der Epidemiologischen Gesellschaft zu Stuttgart,
am 8. August 1892 von Dr. Le es er-Bonn.
In meinem auf der vorjährigen Berliner Central -
Vereinsversammlung gehaltenen Vortrage »Gedanken
über eine neue Pathologie“ habe ich bereits aus¬
geführt, dass die Krankheit in letzter Linie auf
der Alteration einer oder mehrerer in Zusammen¬
hang stehender Nervencentren beruhe, und eine
Hypothese aufgestellt über das Zustandekommen
dieser Alteration, die ich heute in etwas berich¬
tigen muss.
Es ist ja von vornherein klar, dass ein durch¬
weg normal functionirendes Nervensystem durch
allerlei accidentelle Schädlichkeiten, wie Erkältung,
Erhitzung, Erschütterung, geringgradige Verletzung,
Geistes- und körperliche Anstrengung, ja selbst
durch nicht zu massenhafte» Invasion von Bacillen
und anderen Fremdstoffen und -körpern, kurz,
durch allerlei Momente, die nicht direkt eine che¬
mische oder physikalische Veränderung eines oder
mehrerer Gewebe oder Organe bewirken, nicht in
einer Weise alterirt werden kann, dass eine mehr
als vorübergehende Störung des Allgemeinbefindens
daraus resultiren könnte. Denn innerhalb gewisser
Grenzen tritt die Restitutionskraft des Organismus
sofort wieder in ihre Rechte; so lange eben dem
Nervensystem keine über seine Leistungsfähigkeit
hinausgehende Reaction zugemutbet wird, regulirt
sich Alles wieder von selbst. Anders verhält es
sich indess, wenn die genannten Schädlichkeiten
auf einen locus minoris resistentiae einwirken, wenn,
wie ich bereits an genannter Stelle ausgeführt habe,
ein primo loco verändertes, im Zustande geringerer
Widerstandsfähigkeit befindliches Nervencentrum
vorhanden ist Ich hatte nun geglaubt, dass diese
ursprüngliche, zum Zustandekommen eines Krank¬
heitsbildes erforderliche Alteration eines Nerven-
centrums durch die Einwirkung des genius epide-
micus hervorgerufen werde.
Bei näherer Ueberlegung musste ich mir indess
sagen, dass dies nicht gut der Fall sein könne, da
von einem absolut gesunden Nervensystem, wie die
tägliche Beobachtung lehrt, der Einfluss des genius
epidemicus ebensowenig empfunden wird d.h. keinerlei
subjectiven Empfindungen hervorruft, wie die Ein¬
wirkung der accidentellen Schädlichkeiten. Es
musste mithin noch ein drittes Etwas existiren als
Grundbedingung für das Zustandekommen einer
Krankheit Was als diese dritte Wurzel der Krank¬
heit, als die eigentliche prima causa morbi anzu¬
sehen sei, darüber war ich mir nicht so recht klar,
bis ich das im Herbste vorigen Jahres erschienene
Werk von Prof. Jaeger »ötoffwirkung in Lebe¬
wesen“ gelesen hatte.
Jaeger führt als Krankheitsursache neben an¬
deren die chronische Vergiftung des Organismus
durch Aufspeicherung von Selbst- und Fremdgiften
an. Diese Ueberladung des Körpers mit Selbst-
und Fremdgiften im weitesten Sinne ist es nun in
der That, welche ein Nervencentrum primo loco
zu alteriren im Stande ist und mithin die prima
causa morbi bildet
Jaeger führt ausserdem als Krankheitsursachen
noch ungenügenden resp. übermässigen Organ¬
gebrauch, sowie Ueber- und Unterernährung au£
welche Momente aber wieder in letzter Linie sämmt-
lich eine Ueberladung des Körpers mit Fremdstoffen
im Gefolge haben. Bei ungenügendem Organ¬
gebrauch werden die normaler Weise gebildeten
Zerfallsprodukte der Gewebe nicht genügend abge¬
führt, während bei übermässigem Organgebrauch
die Zerfallsprodukte in höherem Masse gebildet
werden, als sie normaler Weise ausgeschieden
werden können. Dass bei Ueberemährung die un¬
genügend verbrannten Stoffe sich in den Geweben
aufspeichern, bedarf keiner weiteren Erklärung,
während bei chronischer Unterernährung der Körper
ebenfalls nicht im Stande ist, die normalen Ver-
brennungsproducte aus Fett und Eiweiss in genü¬
gender Menge auszuscheiden, da ja die Ausschei¬
dungsorgane nicht kräftig genug functioniren.
Diese chronische, in Aufspeicherung von Fremd-
und Selbstgiften in weitestem Sinne bestehende,
Vergiftung des Organismus können wir mithin als
prima causa morbi betrachten, zu welcher als
secundäres Moment erst die accidentelle Schädlich¬
keit tritt. Selbst die bei der Krankheitsentstehung
ohne Zweifel in Betracht kommenden ererbten Dis¬
positionen und erworbenen Constitutionsanomalien
sind unter den Begriff der chronischen Vergiftung
zu subsummiren, da beide zu einer Ueberladung
mit Fremdstoffen in letzter Linie führen, weil hier
wiederum das Gleichgewicht zwischen Bildung und
Ausscheidung von Selbst- und Fremdgiften nicht
vorhanden ist.
Es ist mithin die Möglichkeit einer Erkrankung
gegeben, wenn eine der genannten accidentellen
Schädlichkeiten zu der chronischen Vergiftung des
Organismus hinzutritt, indem die ersteren in dem
durch die letztere geschwächten Nervencentrum,
resp. in den geschwächten Organen und Geweben
einen Angriffspunkt finden. Es fragt sich nun, ob
diese beiden Momente zur Entwickelung einer
Krankheit genügen, resp. ob noch ein drittes Agens
hinzutreten muss.
Im Grunde genommen ist ja die accidentelle
Schädlichkeit nur eine wenn auch zum Theil der
Qualität nach verschiedene Vermehrung der Ver*
giftung des Organismus und kann ebenso wie die
Digitized by Google
69
Ueberladnng mit Selbst- and Fremdgiften bis za
einem relativ hohen Grade vom Körper ertragen
werden, so lange die Gewebe noch nicht übersättigt
sind, ohne dass es za einer mehr oder weniger
plötzlichen Entladung kommt. So lange diese Ent¬
ladung nicht erfolgt, sind keinerlei Symptome vor¬
handen, welche man als krankhafte bezeichnen
könnte. Erst die Entladung der * aufgespeicherten
Gifte geht unter Erscheinungen vor sioh, welche
wir mit den Namen «Krankheit* belegen. Denn
was ist Krankheit? Weiter nichts, als die ßeaction
des Organismus gegen die Einwirkung von Heizen,
Fremdstoffen, Giften, also ein Bewegungsprocess.
Damit ist schon gesagt, dass ausser den beiden ge¬
nannten Momenten der chronischen Vergiftung und
der accidentellen Schädlichkeit noch ein Agens
nothwendig ist, um die aafgespeicherten in den
Geweben ruhenden Fremdstoffe etc. in Bewegung
und zur Ausstossung zu bringen. Dieses Agens
ist nun der genius epidemicus, der durch Ein¬
wirkung auf ein bestimmtes Nervencentrum zunächst
in diesem und weiterhin in den von ihm versorgten
Geweben und Organen eine Bewegung hervorbringt
und so den Anstoss zur Ausscheidung der ange
sammelten Krankheitsstoffe giebt.
Ich konnte daher s. Z. wohl mit Recht von der
krankmachenden Eigenschaft des genius epidemicus
sprechen. Aber der genius epidemicus hat nicht
nur die Eigenschaft, die Entladung der Krankheits¬
stoffe — wenn ich mich so ausdrücken darf —
zu erregen, sondern auch für die Ausscheidung
dieser Stoffe eine ganz bestimmte Richtung anzu¬
geben, den Weg anzuweisen, auf welchem diese
Entladung vor sich zu gehen hat. Dieser Weg
tritt für uns in die Erscheinung in Form der
Krankheitssymptome, der genius epidemicus ist mit¬
hin für die Entstehung der Symptome verantwort¬
lich zu maohen, er drückt gewissermassen der
Krankheit den Stempel auf.
Wenn wir die Einwirkung der drei einzelnen
für das Zustandekommen der Erkrankung noth-
wendigen Factoren klarstellen wollen, so können
wir sagen, dass die chronische Vergiftung die
Ueberladnng des Organismus mit Fremd- und Selbst¬
giften, die Disposition zur Erkrankung schafft, dass
die * accidentelle Schädlichkeit die Qualität des
Krankheitsprocesses bestimmt, und dass der genius
epidemicus die Symptome der Krankheit erzeugt
Von diesen drei Momenten ist der genius epide¬
micus am meisten dem Wechsel unterworfen, mit¬
hin ist es auch erklärlich, wie bei demselben
Krankheitsprocesse die Symptome, die ja an den
genius epidemicus gebunden sind, häufig wechseln
können, wie sogar die einzelnen Krankheitsbilder,
namentlich bei chronischen Krankheiten — chro¬
nische und akute Erkrankungen unterscheiden sich
durch die mehr oder weniger grosse Plötzlichkeit und
Intensität der Entladung von Krankheitsstoffen —
beständig wechseln können, indem bald dieses, bald
jenes Organ als Ausgangspforte für die Fremdstoffe
benutzt wird. So kann auf einen Schnupfen ein
Lungencatarrb, auf diesen ein Rheumatismus, auf
diesen ein Hautausschlag, sodann eine Neuralgie etc.
folgen, ebenso wie bei einer akuten, z. B. Infections-
krankheit bald die Himsymptome, bald Darm-, bald
Nierensymptome in den Vordergrund treten.
Es mag Manchem befremdlich erscheinen, dass
der genius epidemicus ein krankmachendes Agens
sein soll, und in der That haben mir verschiedene
Oollegen, unter Anderen auch unser allverehrter
College Weihe, ihren Zweifel darüber ausgedrückt.
Letzterer schrieb mir einen Brief, aus dem ich die
betreffende Stelle, die von allgemeinem Interesse
ist, wörtlich anführe. Er sagt:
„ Nur über die Rolle des genius epidemicus beim
Zustandekommen der Krankheit bin ich mir noch
nicht so recht klar. Dass er es sei, welcher die
Centralorgane so alterirt, dass sie dadurch äusseren,
feindlichen Anstössen erliegen und in einen Zustand
gerathen, der als sogenannte Krankheit in die Er¬
scheinung tritt, hat ja für viele Formen derselben
etwas sehr Bestechendes, für andere aber auch
wieder nicht Ich muss aber auch sagen, dass mir
diese Auffassung einigermassen den Principien der
Natur zu widersprechen scheint, die ja, wenn auch
in etwas sehr plumper und bärenmässiger Weise,
darauf bedacht ist, das Wohlergehen ihrer Geschöpfe,
so viel ihr möglich, zu befördern. Sie schafft für
sie Licht, Luft und Nahrung, Instincte aller Art,
die sammt und sonders hinauslaufen auf möglichste
Erhaltung des Individuums, Erhaltung der Art und
Veredelung beider. Mit diesen Prinoipien würde
es sich schlecht vereinigen lassen, wenn sie ein
Agens geschaffen hätte, das direkt hemmend, läh¬
mend, vergiftend auf die Functionen der Organe
jeglicher Creatur zu wirken bestimmt sei. Solcher
Agentien giebt es ja freilich genug, sie sind aber
doch keine eigentlichen Natur-, sondern mehr Kunst¬
produkte der Menschenwelt, und da, wo sie in¬
direkt doch ausschliesslich aus der Hand der Natur
hervorgehen, wie das z. B. bei den Bakterien der
Fall, können wir solchen Feinden unseres Lebens
theils aus dem Wege gehen (Fiebersümpfe in
Afrika) theils sie vernichten (Anpflanzung von
Eucalyptus), theils aber auch erfahren wir, dass
gegen sie die Natur in unserem eigenen Blute
schätzenswerthe Agentien vorgesehen hat, die nur
in solchen Organismen fehlen oder nicht genügend
kräftig mehr vorhanden sind, die schon durch
anderweitige Einwirkungen so geschädigt und
heruntergebracht sind, dass sie zu einem erfolg¬
reichen, Freude und Nutzen bringenden Leben nicht
so recht mehr tauglich erscheinen (Tuberculose).
Anders steht es mit dem genius epidemicus,
Digitized by v^ooQie
70
dem wir ans absolut nicht entziehen können, der
auf jedes Alter und Geschlecht, jeden Stand, in
jedem Klima seine Einflüsse zur Geltung bringt.
Dass hei der Entstehung der Krankheiten minde¬
stens noch viele anderen Einflüsse mitwirken,
scheint mir aus einem Vergleich des Gesundheits¬
standes verschiedener Schichten und Stände ein und
desselben Volkes hervorzugehen. Man vergleiche
z. B. die oberen reichen Stände Englands mit den
niederen daselbst. Dort Kraft, Schönheit, Gesund¬
heit , hier ein erschreckender Grad körperlicher,
geistiger und seelischer Entartung, die genau im
Verhältniss steht zu der Verschiedenartigkeit der
Lebensbedingungen, unter denen diese Gesellschafts¬
klassen leben.
Ich habe mir deshalb denn auch die Entstehung
der Krankheiten zu erklären gesucht aus der Ab¬
weichung von den normalen, idealen Lebensbedin¬
gungen, denen wir alle mehr oder weniger ge¬
zwungen unterworfen sind, und den durch sie ge¬
setzten pathogenen Reizen, als da sind Hunger und
Kummer, Frost und Hitze, Gestank, Aerger, Ver¬
druss, Ausschweifungen in baccho et venere etc.
All dergleichen muss nothwendig die Central Organe
in der mannigfaltigsten Weise alteriren, überreizen,
lähmen, in ihren Functionen modificiren. Es er¬
scheint mir nicht ganz unmöglich, dass diese
Centralorgane fähig sind, eine mehr oder weniger
grosse Anzahl solcher sie nach einander treffenden
pathogenen Reize festzuhalten, gewissennassen nach
der Art der Accumulatoren in sich anzusammeln.
Dass nun aber auch solche Ansammlungen sich
unversehrt auf die Nachkommen übertragen lassen
und von diesen bald vermehrt, bald vermindert
werden, lehrt doch gewiss auch die tägliche Er¬
fahrung. Wie viel haben doch häufig die Kinder
zu leiden von den Folgen des potatoriums ihrer
Eltern. Dass aber in der That das Nervensystem
im Stande ist, ihm von aussen zukommende Reize
und Eindrücke unendlich lange festzuhalten, das
lehren uns ja die physiologischen geistigen Funk¬
tionen unseres Gehirns. Die Kraft unseres Gedächt¬
nisses und unser ganzer jeweiliger Wissensumfang
beruht ja ganz und gar darauf. Warum soll der¬
gleichen nicht auch in pathologischem Sinne mög¬
lich sein? Ein anhaltender tiefgehender Gram kann
verändernd auf unseren ganzen Charakter ein wirken
und in seinen Folgen durch das ganze Leben sich
verlängern, auch wenn die Ursache, die ihn hervor¬
gerufen, längst beseitigt worden.
Dem genius epidemicus war ich bisher geneigt,
mehr eine sanitäre Rolle zuzutheilen, so etwa die
des Hechtes im Karpfenteiche, so eine Art Ferment¬
wirkung, bestimmt, dafür zu sorgen, dass die in
den Centralorganen des Nervensystems vielleicht in
langen Generationen auf gespeicherten chronischen
Reize nicht allzusehr festrosten, dass sie mobilisirt,
im Körper vertheilt und auf die mannigfaltigen
einzelnen Organe desselben abgeleitet werden, wo
sie darnach vielleicht für den Bestand des Lebens
weniger gefährlich werden, als an ihrem ursprüng¬
lichen Aufnahmeort.
Der genius epidemicus wirkt vielleicht nur aus¬
nahmsweise heilend, indem er sogenannte Natur¬
krisen erzeugt; 'dafür bereitet er aber vielleicht in
allen Fällen die Heilung vor, indem er den Orga¬
nismus in bestimmter specifischer Weise für die
Wirkungen der heilenden Agentien prädisponirt.
Die Natur braucht bei solchen gar nicht einmal
unsere epidemischen Mittel vorgeschaut zu haben.
Wenn man bedenkt, wie ausserordentlich wenig
materiellen Stoffes es bedarf, um eine Heilwirkung
anzuregen und zugleich auch, dass unsere Arznei¬
mittel grösstentheils den mineralischen Urstoffen
und den aus ihnen emporwachsenden Pflanzen ent¬
stammen, so kann man sich gewiss auch vorstellen,
dass gar manchmal die richtigen Heilmittel ganz
durch Zufall durch die Luftwege oder auch in
Speise und Trinkwasser unseren nervösen Central¬
organen zugeführt werden, und dass somit gar
viele scheinbar reine Naturheilungen in gewissem
Sinne auch wieder als durch den Zufall bewirkte
Kunstheilungen zu denken wären. Jaeger hat sich
ja auch in ähnlichem Sinne ausgesprochen, wo er
die Aufmerksamkeit lenkt auf Gebirgs- und Seeluft.
Wollte man den genius epidemicus ansehen als ein
Agens, das auf alle Kreatur lähmend, hemmend
wirkte, so würde sich das mit dem von E. v. Hart¬
mann nacbgewiesenen in der Natur waltenden Pan¬
logismus schlecht vereinigen, denn die Natur bei
ihrem Entwickelungs- und Veredelungsdrange bat
nur ein Interesse daran, diejenigen ihrer Geschöpfe
zu schädigen und aus der Welt zu schaffen, die
ihren Zwecken und Ideen entweder gar nicht mehr
oder in nur unvollkommener Weise entsprechen, wäh¬
rend sie alle anderen, bei denen das Gegentheil
der Fall, soviel wie möglich zu schützen und zu
fördern sucht. Gäbe es keinen genius epidemicusf
so würden vielleicht der chronische Rheumatismus,
Eczeme, Magen- und Darmcatarrhe, nervöse Dyspep¬
sien u. s. w. u. s. w. viel seltener sein, dafür aber
vielleicht Epilepsie, intellectueller und moralischer
Blödsinn, Gehirnerweichung, chronische Myelitis,
Tabes dorsualis, um so häuflger. Es wäre also
immerhin doch denkbar, dass der genius epidemicus
keine neuen direkten Krankheitsreize setzt, sondern
nur die im Körper schon mehr oder weniger lange
im Zustande der Latenz vorhandenen erweckt und
sie damit zur gänzlichen Ableitung ans dem Körper
prädisponirt. Es ist das ja natürlich auch alles
nur Theorie und Hypothese, aber schliesslich muss
es ja doch nochmal gelingen, hinter den wahren
Sachverhalt zu gelangen.“
So weit Weihe. Sie sehen, m. H., dass ich
Digitized by v^ooQle
71
nach meinen vorhergegangenen Ausführungen fast
jedes Wort unterschreiben kann, und dass ich mich
jetzt keineswegs mehr im Widerspruche mit unserem
verehrten Collegen befinde. Fasst man eben, wie
ich dies klar zu machen versucht, die Krankheit
als eine Krise, einen Reinigungsprocess, ein Be¬
streben des Körpers auf, sich der Schlacken zu
entledigen und gesund zu werden, gewissermassen
als ein Vorstadium der Gesundheit, so hat man die
Berechtigung, dem genius epidemicus sowohl eine
reinigende, gesund machende, als krankheitserregende
Bedeutung zuzuschreiben, da in diesem Falle ja
beides gleichbedeutend ist. Dass durch den genius
epidemicus bei zu sehr.mit Krankheitsstoffen über¬
ladenen Individuen manchmal zu starke Entladungen
sog. tödtliche Erkrankungen hervorgerufen werden,
sodass das Individuum dabei zu Grunde geht,
ändert an dem Wesen der Sache nichts; der genius
epidemicus behält trotzdem seine reinigende, gesund-
machende Eigenschaft.
Was resultirt nun aber aus diesem Verhalten
des genius epidemicus für die Therapie? Sieht
man den genius epidemicus, wie ich dies früher
gethan, als ein hemmendes Moment an, das im
Centralorgan einen Locus minoris resistentiae schafft,
so kann man nicht umhin, zu sagen, dass das
diesem genius epidemicus entsprechende Heilmittel
diese hemmende Wirkung paralysirt, um der Resti-
tutionskraft des Organismus es zu überlassen, die
accidentelle Schädlichkeit abzustossen. Wie verhält
sich indess die Heilpotenz, wenn man den genius
epidemicus, wie ich es jetzt gethan, als ein Agens
betrachtet, welches die Lösung der Krankheitsstoffe
aus dem Körper herbeizuführen bestrebt und ge¬
eignet ist, welches an und für sich schon eine Ent¬
ladung des Körpers von Fremdstoffen, eine Ge¬
sundung herbeiführt? Hier kann das Heilmittel,
welches die durch den genius epidemicus ins Werk
gesetzte Naturheilung — alle Naturheilungen sind
als durch den genius epidemicus hervorgerufen zu
erklären — zu unterstützen resp. zu beschleunigen
im Stande ist, nur in derselben Weise und in der¬
selben Richtung wirken, wie der genius epidemicus
d. h. cumulativ.
Wie der genius epidemicus durch Einwirkung
auf ein nervöses Centralorgan in dem von diesen
versorgten Organen und Geweben eine Bewegung
hervorbringt, welche die Abstossung von Krank¬
heitsstoffen zum Zweck hat, so wirkt auch die
Heilpotenz auf dasselbe Centrum in ähnlicher Weise
ein, indem sie ebenfalls durch Anregung des Stoff¬
wechsels die betreffenden Organe und Gewebe in
den Zustand erhöhter Thätigkeit versetzt. Diese
gemeinsame Bestrebung von genius epidemicus und
entsprechendem Heilmittel, die vorhandenen Krank¬
heitsstoffe aus dem Körper zu entfernen, hat
natürlicher Weise eine starke Vermehrung des
Stoffwechsels zur Folge, welche sich in den soge¬
nannten kritischen Ausscheidungen äussert.
Nach Einnehmen des epidemischen Mittels ge¬
wahren wir nämlich ausser der unmittelbar nachher
auftretenden erhöhten Pulsfrequenz Absonderungen
verschiedener Art, von Schweiss, von harn- und
phospborsauren Salzen im Urin, Schleimsecretion
in verschiedenen Organen, Blutungen, Hautaus•
Schläge, Blutgeschwüre, mit einem Worte Zeiohen
eines erhöhten Stoffwechsels. Indem das Heilmittel
mit dem genius epidemicus also gewissermassen an
demselben Strange zieht, indem es die von dem
genius epidemicus angebahnte an und für sich
langsamere Naturheilung in eine schnellere Kunst¬
heilung verwandelt, bringt es auch die durch den
genius epidemicus hervorgerufenen Symptome zum
Verschwinden, weil nach vollständiger Abstossung
der Krankheitsstoffe wieder ein relativer Ruhe¬
zustand in den Geweben und Organen eintritt, der
ebenso symptomlos ist wie der vor der Einwirkung
des betreffenden genius epidemicus.
Nicht jeder genius epidemicus ist nämlich bei
einem bestimmten Individuum die Abstossung der
Selbst- und Fremdgifte herbeizuführen geeignet,
sondern nur deijenige, der eine specifische Affinität
zu dem geschwächten Nervencentrum vermöge
seiner Symptomenähnlichkeit besitzt. Dieser genius
epidemicus lockt gewissermassen aus dem prädis-
ponirten, d. h. durch Anhäufung von Fremd- und
Selbstgiften und Einwirkung von accidentellen
Schädlichkeiten in einem nervösen Centralorgan
geschwächten Körper diese Krankheitsstoffe heraus;
der sogenannte * krankhaft disponirte“ Organismus
reagirt auf den Beiz des genius epidemicus mit ge¬
wissen Symptomen, sog. Krankheitssymptomen.
Mit ähnlichen Symptomen reagirt der gesunde
oder relative gesunde Körper auf die Einwirkung,
den Beiz eines Arzneistoffes, indem er theils die
vorhandenen, theils die durch das Gift der Arznei
gesetzten Krankheitsstoffe ausstösst.
Ich habe früher bereits auseinandergesetzt, dass
genius epidemicus und Arznei deshalb ähnliche
Symptome machen, weil sie beide in ähnlicher
Weise dasselbe nervöse Centralorgan alteriren.
Mit anderen Worten also: Ein bestimmter genius
epidemicus ruft natürlicherweise ähnliche
Symptome am Organismus hervor, wie eine
gewisse Arznei künstlicher Weise, mithin
sind genius epidemicus und entsprechende Arznei
in Bezug auf ihre Wirkung einander ähnlich. Diese
Aehnlicbkeit erstreckt sich aber nicht nur auf die
Erzeugung von Symptomen, sondern auch, wie wir
gesehen haben, auf die Entladung des Körpers von
Fremdstoffen, woraus wir auf den Zusammenhang
des letzteren, mit den Symptomen schliessen können.
Indem also das dem genius epidemicus Symptomen-
ähnliche Arzneimittel in ähnlicher Weise wie jener
Digitized by v^ooQie
72
auf den Körper einwirkt, indem es in ähnlicher
Weise wie jener die Entladung des Organismus von
Fremdstolfen bewirkt, löscht es die durch den
genius epidemicus hervorgerufenen Symptome aus,
oder führt mit anderen Worten die Heilung der
Krankheitssymptome herbei — die einfachste Er¬
klärung des Satzes: similia similibus curantur.
Etwas Aehnliches hat offenbar Hahnemann vor¬
geschwebt, als er das Aehnlichkeitsgesetz erklärte:
die hinzutretende künstliche Krankheit ist stärker
als die natürliche und beseitigt so die letztere.
Wenn wir statt „künstlicher Krankheit“ Arznei¬
wirkung und statt „natürlicher“ Wirkung des genius
epidemicus setzen, so können wir uns die Hahne-
mann’sche Erklärung einigermassen plausibel machen,
wenn wir eben die Wirkungen von Arznei und
genius epidemicus nicht als feindliche, sondern als
gemeinsam in derselben Richtung, cumulativ wir¬
kende auf fassen.
Diese gegebene Erklärung des Aehnlichkeits-
gesetzes hat nicht nur den Vorzug, die einfachste
zu sein, sondern auch noch den, dass sie die viel¬
umstrittene Dosenfrage nicht berührt, indem sie
nicht auf den Antagonismus zwischen grossen und
kleinen Gaben derselben Arznei sich stützt. Sie
wirft sogar ein neues Schlaglicht auf die Dosen¬
verhältnisse und erklärt uns die sog. Erstver¬
schlimmerungen. Die Heilpotenz muss stets eine
Anregende sein, da der Stoffwechsel durch sie be¬
schleunigt werden soll, das Heilmittel muss in
seiner Dosis also stets nach oben hin jenseits des
zweifellos individuell verschiedenen Indifferenz¬
punktes gegriffen werden, um eine ideale Heilung
zu erreichen, da ja ein Belebungseffect erzielt
werden mnss. Bei zu starken, aber noch beleben¬
den Gaben tritt eine Erstverschlimmerung ein, indem
die durch den genius epidemicus bewirkte Aus¬
scheidung von Krankheitsstoffen zu sehr verstärkt
wird durch die Ausscheidung des ähnliche Symptome
bewirkenden Arzneistoffes, mithin die Symptome
sich verschlimmern; daher heilen in der Regel die
Hochpotenzen viel rascher und unmittelbarer, weil
sie ohne zu starke Häufung der Reize, also ohne
vorhergehende Erstverschlimmerung, noch beschleu¬
nigend auf die Ausstossung von Krankheitsstoffen
einwirken.
A priori muss man überhaupt annehmen, dass
jede Heilpotenz, die, wie wir gesehen haben, in
derselben Richtung wie der genius epidemicus auf
den Organismus, also entladend und zugleich symptom¬
erzeugend wirkt, jedesmal die vorhandenen Symptome
verschlimmern wird, auch in noch so kleinen Gaben.
In vielen Fällen sehen wir ja auch selbst bei
relativ hohen Potenzen Verschlimmerungen durch
die Arznei eintreten, sodass wir entweder die Nach¬
wirkung abzuwarten oder sofort zu einer höheren
Verdünnung zu greifen gezwungen sind. In den
Fällen, wo wir diese Erstverschlimmerung nicht
beobachten, ist dieselbe entweder von so kurzer
Dauer oder von so geringer Intensität, dass der
Patient dieselbe nicht gewahr wird; darin hat offen¬
bar Hahnemann Recht, dass die Erstverschlimmerung
um so geringer ausfällt, je verdünnter die Arznei
verabreicht wird. Je empfindlicher und reizbarer
andrerseits der Patient, je nervöser er ist, je mehr
er also an Fremd- und Selbstgiften in sich auf¬
gespeichert hat, die das nervöse Centralorgan reizen,
desto leichter macht die Arznei Symptome, mithin
Erstverschlimmerung. Dasselbe ist ja auch bei der
Prüfung der Arznei beim Gesunden resp. beim
relativ Gesunden — absolut frei von Fremdstoffen
dürfte wohl Niemand sein — der Fall Je mehr
disponirt zur Erkrankung, je reizbarer das Indivi¬
duum, desto eher ist zu erwarten, dass es auf eine
Prüfung mit Hochpotenzen, mit Symptomen reagirt,
je torpider und gesunder der Organismus, desto
massivere Gaben muss man zur Prüfung, und zwar
oft längere Zeit fortgesetzt, anwenden.
Gehen wir andrerseits unter den Indifferenz¬
punkt herunter zu Dosen, welche nicht mehr be¬
lebend, sondern hemmend resp. lähmend auf das
nervöse Centralorgan wirken, so erzielen wir durch
Hemmung resp. vollständige Behinderung der durch
den genius epidemicus naturgemäss bewirkten Aus¬
scheidung der Krankheitsstoffe und mit der Ver¬
langsamung resp. Verhinderung der Krise eine
Milderung der Symptome bezw. ein Verschwinden
derselben, einen Zustand, der scheinbar eine Besserung
resp. Heilung bedeutet, in Wirklichkeit aber nur
einer Unterdrückung und einem Todtschlagen der
Symptome gleichkommt. Sobald die Arznei Wirkung,
die hier selbstredend nur eine palliative sein kann,
vorüber ist, tritt die Entladung nebst ihren Symp¬
tomen mit vermehrter Intensität oder in anderer
Form — je nach dem Gleichbleiben oder der in¬
zwischen erfolgten Veränderung des genius epide¬
micus (Herzfehler-Digitalis) — wieder auf, bis ihr
entweder durch Naturheilung oder durch ein wahr¬
haft curatives Verfahren mit belebenden Dosen der
ähnlichen Arznei ein Ziel gesetzt wird. Daher
kommt es, dass der Allopath und auch der Tief¬
potenzier oft viel schlagendere Erfolge durch Be¬
seitigung von Symptomen erzielt, als der Hoch¬
potenzier, während er viel seltener als dieser die
Freude hat, seinen Patienten vollständig gesunden
zu sehen.
Digitized by
Google
78
Bericht über die 1. Generalversamm¬
lung der Epidemiologischen Gesell¬
schaft zn Stuttgart am 8. August 1892.
Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart.
Anwesend waren 9 Mitglieder, die Collegen:
Dr. Luser-Bonn,
Dr. Weiss- Gmünd,
Dr. A7r/»-Pforzheim,
Dr. Grünewald -Frankfurt a M.,
Dr. //^/-Ravensburg,
Dr. S/£wif*///-Spaichingen,
Dr. S im rock- Frankfurt a. M.,
, Dr. lde- Stettin,
Dr. G^Arftfti-Stuttgart.
Ausserdem hatten sich 5 Gäste eingefunden,
von denen sich am Schluss der Versammlung 3 als
Mitglieder anmeldeten, nämlich
Prof. Dr. G. Stuttgart,
Dr. Siegrist- Basel,
Dr. A»£&/ 0 r-Stettin und später noch
Dr. //«/Wi-Neustadt a, H.
Nach herzlicher Bewillkommnung durch den
Vorsitzenden Leeser trat man in die Tagesordnung
der geschäftlichen Sitzung um Ubr ein. Zu
Punkt 1 und 2 gab Ref. die nöthige Auskunft.
Hiervon wollen wir nur hervorheben, dass die
Epidemiologische Gesellschaft 16 Mitglieder zählte,
deren Zahl sich jetzt auf 22 erhöht. Ungefähr
alle 8 Tage theilte der Schriftführer die ihm zu¬
gegangenen Berichte den Mitgliedern mit. Nach Ab¬
legung des Rechenschaftsberichtes schlug Ref. vor,
ein Eintrittsgeld von 5 Mk. und 3 Mk. Jahresbei¬
trag festzusetzen, was ohne Debatte genehmigt
wurde.
Der Punkt 3 der Tagesordnung, der Antrag
des Coli. Simiock betr. Abänderung des § 2 der
Statuten gab zur Aeusserung mehrfacher Wünsche
bezüglich der Art der Mittheilungen Anlass. Da
nach der bisherigen Fassung des Abs. 1 des § 2
Mittheilung über — auch nach anderen Methoden
als. der Weihe’schen gefundene epidemische Heil¬
mittel nicht ausdrücklich angeführt waren, betonte
Ref., dass die Mittheilungen von solchen — nach
den verschiedensten Methoden ermittelt — dringend
gewünscht seien, ferner, dass negative Berichte über
das Fehlen von zeitweilig herrschenden Mitteln
ebenso wichtig seien, wie die positiven. Coli. Weiss
wünscht besonders für die Veröffentlichung in der
Allgem. Hom. Zeitung eine zusammen fassende Be¬
arbeitung der Berichte, da hierdurch auch die
unseren Bestrebungen Fernerstehenden weniger sich
daran stossen würden, als es zum Teil der Fall ist.
Ref. versprach diesen Wunsch möglichst zu berück¬
sichtigen, soweit dies ohne Beeinträchtigung der einzel¬
nen Beobachtungen geht, denn wie er nachher in sei-
nemVortrage ausführte, dürfen wir uns nicht.zu sehr
durch bestehende Vorurtheile in unseren Forschungen
bezüglich der Epidemiologie beschränken lassen.
Coli. Leeser schlägt nun eine verbesserte Fassung
des § 2 vor, die auch einstimmig angenommen wird.
Danach machte Ref. zu Punkt 4 die in Nr. 7/8
bei den Mittheilungen über die zeitweilig herrschen¬
den Heilmittel veröffentlichten Vorschläge behufa
einheitlicher Berichterstattung und zeigte seine
Tabellen vor, auf denen er seit dem 1. Jan. d. J.
jedes Heilmittel verzeichnet, das er nach der Weihe¬
schen Methode angezeigt findet, sowie wie oft es
angezeigt war. Hier werden auch die Mittheilungen
der Mitglieder eingetragen, sodass diese Tabelle!!
jederzeit die Kenntniss der jeweilig geherrscht
habenden Heilmittel ermöglichen.
Um 8 Uhr eröffnete Coli. Leeser die wissen¬
schaftliche Sitzung, deren Leitung ihm auch zufiel,
da unser verehrter Ehrenpräsident Weihe leider
nicht erscheinen konnte. Leeser hielt nun seinen
Vortrag „über die Art und Weise der Einwirkung
des Genius epidemicus“. Da dieser Vortrag in
dieser Zeitung veröffentlicht wird, so will ich nur
das eine hier bemerken, dass er ausserordentlich
gefiel und dass die darin zum Ausdruck gebrachten
Anschauungen von Allen als ein Fortschritt warm
anerkannt wurden. An der sich daran anknüpfen¬
den Diskussion beteiligten sich die Anwesenden
sehr rege. Prof. Jäger belebte diese besonders
durch Ergänzung und Berichtigung einzelner Punkte
aus dem Schatze seines reichen Wissens und der
scharfen vorurtheilsfreien Beobachtung der Natur,
die ihm eigen ist. Jäger hob hervor, dass nicht
allein die Nervencentren als erste Angriffspunkte
angesehen werden dürften, sondern auch die Gewebe
für sich, da deren vermehrte Quellungsfähigkeit
auch durch direkt auf diese ein wirkende Schäd-
lichkeiten hervorgerufen werden könne, wohingegen
Leeser die* Frage aufwirft, ob nicht dieser ver¬
schiedene Quellungsgrad der Gewebe in letzter
Linie wieder durch die trophischen Nerven regulirt
werde, eine Möglichkeit, die Jäger keineswegs be¬
streitet. Kirn glaubt, das sanirende Element liege
in uns und werde von der regulatorischen Thätig-
keit repräsentirt, während Leeser darauf hinwies,
dass eben die acute Krankheit, sofern sie richtig,
d. h. nicht naturwidrig behandelt wird, einen
besseren Gesundheitszustand des betroffenen Indivi¬
duums herbeiführt, dass also das sanirende Element
in uns selbst allein nicht kräftig genug sei, denn
sonst liesse es keine so weitgehende Aufspeicherung
von Giften zu. Weiss giebt Leeser die Aufgabe,
seine Theorie an einer Krankheit zu exemplicifiren
und schlägt als Paradigma die genuine croupöse
Pneumonie vor, da von dieser mehr sog. gesunde
Individuen befallen würden und doch entschieden
der Micrococcus Pneumoniae als Krankheitserreger
10 *
Digitized by
Google
74
anzusehen sei. Leeser antwortet, dass etwas Auf¬
speicherung von Giftstoffen, also eine gewisse Dis¬
position zu Krankheit doch jeder Mensch habe, die
allein von einem gewissen Genius epidemicus, der
eine specifische Affinität zu den Lungen vermöge
seiner Symptomenähnlichkeit habe, in Bewegung ge¬
bracht werde; die entspeicherten Gifte bilden die
Nahrungs- resp. Triebstoffe für die als accidentelle
Schädlichkeit dazu kommende Kokken. Jäger er¬
innert in dieser Beziehung an die den Zungenbelag
bildenden Pilze, deren Vegetation auch nur eine
lebhaftere wird, wenn das Befinden des Individuums
gestört ist, während sie doch in der Mundhöhle
stets anwesend sind.
Ide*s Frage, ob alle Krankheiten (natürlich mit
Ausnahme der mechanischen u. ä.) vom Genius epi¬
demicus abhängen, bejaht Leeser und weist den
Einwand, dass so vielerlei Krankheitsformen oft
während einer Epidemie auftreten, doch nicht von
demselben Einflüsse herrühren könnten, mit der
Behauptung zurück, dass man den sog. Genius
epidemicus als eine Vielheit, die aus verschiedenen
Faktoren bestehe und in verschiedenen Richtungen
wirken könne, auffassen müsse.
Nun regte Jäger die Frage an: warum erkranken
so und so viele Individuen nicht an einer Epi¬
demie? Als Grund hierfür werden zwei Möglich¬
keiten angeführt: erstens dass bei solchen die Auf¬
speicherung von Fremd- und Selbstgiften eine sehr
geringe ist: zweitens, dass die Durchseuchung des
der Wirkung des Genius epidemicus gerade unter¬
liegenden Organs eine so hochgradige ist, dass es
gelähmt ist. Die Lähmung kann aber auch ein
Kunstprodukt sein, herbeigeführt durch unrichtige
Behandlung in früheren Krankheiten.
Sigmund theilt aus dem epidemiologischen
Kalender des verstorbenen Coli. Fischer-Weingarten
mit, dass bei der Choleradisposition im Jahre 1868
vermehrte Schimmelbildung und sehr gute Bier-
gährung nebst hohem Ozongehalt der Luft beobachtet
wurde. Im Anschluss daran betont Jäger, dass
wir erst am Anfang unserer Arbeit, der Erforschung
der bei epidemischen Erkrankungen in Betracht
kommenden Faktoren, stehen und ermahnt, mit
offenem, nicht durch vorgefasste Ansichten behin¬
dertem Auge nicht bloss den Menschen, sondern
auch die ganze Natur zu beobachten.
Kirn weist im Gegensatz zu dem Wechsel des
Genius epidemicus auf die bei einer Person oft
Jahre lang nützenden sog. Constitutionsmittel hin,
worauf Leeser bezweifelt, ob dies auch immer das
8imillimum und nicht bloss das simile seien, indem
der epidemische Charakter nicht immer so ein¬
schneidende Veränderungen aufzuweisen habe. Jäger
führt die Idiosynkrasie an, dass ein Organ auf den
seinem Specificum ähnlichen Genius epidemicus be¬
sonders leicht reagire. Ref. erinnert an die That-
Sache, dass in den letzten 4 Jahren bei Schwangeren
nach Schmerzpunkten gewöhnlich in der Combi-
nation Puls. od. RhodocL (Natr. sulf. + Puls.),
dass bei zahnenden Kindern sehr häufig Phosph.
-f- Iris = Kal. carb. oder seit 2 Jahren besonders
Kal. carb. -{- Iris = Rheum. indicirt ist, und
macht darauf aufmerksam, dass nun hier auch
offenbar eine durch specifische Wachs thumreize eigen-
thümliche Modification des Stoffwechsels vorliegt,
deren Produkte Symptome unabhängig vom Genius
epidemicus hervorzurufen im Stande sind, doch die
Erfahrung wieder zeige, dass letzterer jedenfalls
die Form der Krankheit und ihr Wesen mit be¬
stimmen hilft, indem meist der andere der Compo-
nenten einer bei solchen Individuen vorkommenden
Combination einem der zeitweilig herrschenden Heil¬
mittel entspricht.
Dann kam man noch auf die Behandlung der
Nervenkrankheiten speciell der Neurasthenie nach
der Weihe’schen Methode zu sprechen, indem von
einigen Collegen die Möglichkeit, mit Erfolg arznei¬
lich auf diese einzuwirken fast für ausgeschlossen
gehalten wurde. Jäger entwickelte seine Ansicht
über die functioneile Seite der Neurasthenie. In
erster Linie ist eine mechanische Schädigung dafür
verantwortlich zu machen, nämlich die durch all¬
zuhäufige Inanspruchnahme gewisser Nervenbahnen
bedingte Ausschleifung der Reflexbahnen, also eine
Verminderung der hemmenden Vorrichtungen, als
welche die Ganglien anzusehen sind, die Körnung
zeigen, während die Nervenzelle in normalem Zu¬
stand homogenen Inhalt zeigt. In zweiter Linie
ist die durch Ueberanstrengung hervorgerufene
Unterernährung der Gewebe zu berücksichtigen und
die damit verbundene verminderte Widerstands¬
fähigkeit. Leeser und Ref. treten für die Mög¬
lichkeit, Neurasthenie nach der Weihe'schen Me¬
thode erfolgreich zu behandeln, gestützt auf Er¬
fahrungen ein — natürlich unter der Voraussetzung,
dass zu gleicher Zeit Ruhe und zweckmässige Er¬
nährung ebenso sehr im Heilplan mit berücksichtigt
werden als die Arzneien.
Leeser bemerkte noch, dass man jeder Krank¬
heit von drei Seiten zu Leibe gehen könne, 1) durch
Bekämpfung der Disposition, also Verhinderung der
Aufspeicherung von Fremdstoffen, wie z. B. Jaeger
dies durch seine Wollkleidung bezweckt, 2) durch
Vermeidung der accidentellen Schädlichkeiten, z. B.
Ruhe des Körpers und Geistes, Vermeidung schlechter
Luft etc., und 3) durch Unterstützung der durch
den genius epidemicus ins Werk gesetzten Natur¬
heilung , durch Arzneien. Bei der Neurasthenie
müsse man alle drei Factoren berücksichtigen, um
Heilung zu erzielen.
Nachdem Jaeger nochmals die Nothwendigkeit
methodischer Forschungen betont hatte, um die
vielen noch unerledigten Fragen in der Epidemiologie
Digitized by v^ooQie
75
zu erledigen, und die Wichtigkeit der Weihe'sehen
Methode wegen der durch sie jederzeit ermöglichten
Auffindung des dem Wesen der Krankheit ent¬
sprechenden Heilmittels als wesentlichem Hülfsmittel
bei diesen Forschungen allseitig anerkannt war,
wurde die Diskussion geschlossen, die ebenso an¬
regend wie lehrreich gewesen war.
Coli. Sigmundt überlässt den epidemiologischen
Kalender Fischers der Gesellschaft zur Verviel¬
fältigung, die sämmtlichen Mitgliedern zugehen wird.
Nach kurzer Pause beginnt Eef. mit seinen
Ausführungen über die Berechtigung oder Nicht¬
berechtigung , die nach der Weihe’schen Methode
vorwiegend angezeigten Heilmittel „epidemische*
zu nennen. Da der Vortrag in dieser Zeitung zur
Veröffentlichung kommen wird, sei nur der Vor¬
schlag des Ref. angeführt, aus Utilitätsgründen hierfür
die Bezeichnung „zeitweilig herrschende Heil¬
mittel" einzuführen, der auch einstimmig ange¬
nommen wurde. Als Kuriosum erzählte ein Mit¬
glied die Definition von „Epidemie", die früher das
Württ. Medicinalkollegium beliebte. Sie lautet:
Eine Epidemie ist, wenn ein Arzt an einem Tage
mindestens 10 gleiche Erkrankungfälle zu behan¬
deln hat.
Darauf wurden noch mancherlei Fragen be¬
sprochen, die die Anwesenden bewegten, besonders
auch die beste Art der Erlernung der Weihe’schen
Methode. Für das beste hält Ref., wenn man zu¬
erst an sonst Gesunden die Schmerzpunkte sucht,
da sie an diesen übereinstimmender und nicht in
vermehrter Anzahl vorhanden sind. Auf Kirns
Vorschlag wurden noch einige Fälle aus der Praxis
erzählt, in denen die Weihe'sche Methode besonders
interessante Erfahrungen bot.
Betreffs der Zeit und des Ortes der General¬
versammlung wurde bestimmt, dass sie stets am
Tage vor der Generalversammlung des Central¬
vereins der homöopathischen Aerzte Deutschlands
an demselben Orte abzuhalten sei. Eine frühere
Zusammenkunft ist in den WeihnachtsfeiertageD in
Frankfurt a. M. geplant, die hoffentlich gut be¬
sucht sein wird. Denn alle Theilnehmer waren
darüber einig, dass die Einmüthigkeit bei sämmt¬
lichen Beschlüssen, eine besonders wohltbuende,
die klärende Wirkung der stets durchaus sachlich
gehaltenen Diskussion, die sich nie vom Thema ab
verirrte, eine sehr befriedigende war. Die An¬
schauungen der Einzelnen, wenn sie auch oft weit
auseinandergingen, einigten sich doch in allgemeinen,
leitenden Principien und so dürfen wir hoffen, dass
es den vereinten Bestrebungen gelingt, die Auf¬
gaben, die sich die Epidemiologische Gesellschaft
gesteckt hat, gedeihlich zu fördern und ihrer Lösung
entgegenzuführen, — ein Bemühen, das bei der
erfreulichen Harmonie der Mitwirkenden jedem ein
angenehmes, genussreiches sein wird.
üm Uhr trennte sich die Versammlung mit
dem Wunsche, noch recht oft solche gelungene
Sitzungen mit einander verleben zu dürfen.
Zur 50jährigen Jubelfeier der
homöopathischen Poliklinik.
Ein historischer Rückblick
von Dr. A. Lorbaoher-Leipsig.
Wie in dem Berufsleben eines Menschen, so
fordert auch in der Wirksamkeit einer dem Wohle
der Menschen gewidmeten Anstalt der Tag ihres
fünfzigjährigen Bestehens vor Allem zu einem Rück¬
blick auf. Sich selbst und Anderen Rechenschaft
über das, was sie in dem Laufe der Jahre ge¬
leistet, zu geben, ein Bild ihrer Entwickelung von
ihren Anfängen an zu entwerfen, um Jeden zu
einem Urtbeile über dieselbe in den Stand zu setzen,
betrachte ich als die Hauptaufgabe dieses Tages,
welche in dem Folgenden zu lösen, versucht werden
soll. Ich fühle mich vor Allem zu diesem Versuche
berufen, da ich von den jetzt lebenden homöo¬
pathischen Aerzten wahrscheinlich der einzige bin,
der die Anstalt in ihren Anfängen kennen gelernt
hat und ich jetzt über 20 Jahre an derselben
thätig bin.
Das Jahr 1842, in welchem sie ins Leben trat,
war ein für die Homöopathie sehr ungünstiges.
Das kleine homöopathische Krankenhaus, welches
mit einem durch Beiträge gesammelten, unzureichen¬
den Fonds hier in der Sternwartenstrasse gegründet
war, war aus Mangel an Subsistenzmitteln genöthigt,
in demselben seine Thätigkeit einzustellen. Je grösser
die Begeisterung, mit welcher die Eröffnung desselben
begrüsst wurde, je grösser die Hoffnungen, welche
man bezüglich der Ausbreitung und Anerkennung
der Lehren Hahnemann’s darauf gesetzt hatte, um
so grösser war auch die Enttäuschung und Nieder¬
geschlagenheit
Unter diesen Verhältnissen ist es um so mehr
anzuerkennen, dass die Leipziger homöopathischen
Aerzte, welche man wohl als tonangebend betrachten
kann, die DDr. med. Hartmann, G. Haubold, Moritz
und Clotar Mueller, trotzdem sie in der Kranken¬
hausangelegenheit vielfache Kränkungen erfahren
und Undank geerntet batten, den Muth nicht ver¬
loren, sondern sofort darangingen einen theilweisen
Ersatz für das eingegangene Krankenhaus zu schaffen.
Nach mehrfachen Berathungen in dem ärztlichen
freien Vereine für Homöopathie in Leipzig wurde
unter Zustimmung des damaligen Centralvereins
beschlossen, eine homöopathische Berathungs-
anstalt für arme Kranke mit unentgeltlicher
Behandlung und Arznei zu eröffnen. Dieselbe
Digitized by v^ooQie
76
trat am 1. Juli 1843 ins Leben, nachdem zuvor
die Genehmigung der Ereisdireotion und des Stadt-
rathes eingeholt war. Es war bestimmt worden,
dass 2 Aerzte die poliklinischen Geschäfte besorgen
sollten, einer für die Männer und einer für die
Frauen, zugleich war dem einen die Vertretung der
Anstalt den Behörden gegenüber übertragen und
damit er als dirigirender Arzt bezeichnet.
Den Reigen der Anstaltsärzte eröffbeten die
DDr. Franz Hartmann und Clotar Mueller unter
deren Leitung ich im Jahre 1845 meine homöo¬
pathischen Studien machte. Hartmann war ein
unmittelbarer Schüler Hahnemann’s und hatte durch
Herausgabe einer homöopathischen Therapie sich
schon einen Namen gemacht. Clotar Mueller war
damals noch ein junger Arzt. 8ie wirkten zusammen
bis zum Jahre 1853, wo Hartmann durch eine
schwere Krankheit arbeitsunfähig wurde.
Mueller rückte damals in die erste Stelle auf
und bekleidete sie bis zu seinem im Herbst 1877
erfolgten Tode. In die zweite Stelle trat Dr. Veit
Meyer ein und versah dieselbe bis zu seinem im
Mai 1872 eintretenden Tode. Seine Stelle nahm
der Unterzeichnete ein bis zu Mueller’s Tode, wo
er in die erste 8telle einrückte, welche er bis jetzt
noch bekleidet. Die zweite Stelle nahmen ein Dr.
med. Tritzschler von 1876—1880; Dr. med. Leeser
vom October 1881 — Mai 1882, Dr. med. Billig
vom Mai 1882 — Juli 1888, Dr. med. Beeskow
vom iJuli 1888 — April 1889 und seitdem Dr.
med. Stifft, dirigirender Arzt des homöopathischen
Krankenhauses. Im Anfänge dispensirten die Aerzte
den Kranken die verordnete Arznei selbst. Allein
die steigende Frequenz machte dies auf die Dauer
unmöglich und man sah sich genöthigt für diesen
Zweck einen Assistenten zu engagiren. Bis zu
Anfang der 60. Jahre sind die Namen derselben
aus den Akten nicht ersichtlich. Vom Jahre 1859
bis 1865 versah dies Amt ein Dr. phil. Kleinert,
Verf. einer Geschichte der Homöopathie. Diesem
folgte ein verunglückter Mediciner C. Kiaebe. Nach
dessen im Jahre 1875 erfolgtem Tode trat für ihn
ein Apothekergehilfe A. Goetze ein, welcher im
Jahre 187 8 diese Stellung aufgab, um nach bestandener
Maturitätsprüfung noch Medicin zu studiren. Für
ihn wurde ein wegen Mangel an Mitteln sitzen ge¬
bliebener Cand. med. Rudolf Richter angenommen,
welcher im Jahre 1883, um sein Studium zu
vollenden, abging. Seine Stelle wurde mit einem
Herrn Guenther besetzt, welcher dieselbe bis jetzt
zur grossen Zufriedenheit der Aerzte verwaltet hat.
Die Arzneien wurden anfangs aus der einzigen
hier am Orte bestehenden homöopathischen Central¬
apotheke von Taeschner & Comp, bezogen. Dieselbe
war mit Zustimmung des Ministeriums 8. Z. von den
hier bestehenden vier privilegirten Apotheken Löwen,
Salomo, Engel und Adler errichtet worden, um den
fortgesetzten Reibereien zwischen homöopathischen
Aerzten und den Apothekern ein Ende zu machen.
Zu dieser kamen im Anfänge der 70. Jahre die
Centralapotheke von Dr. Willmar Schwabe und die
Marggrafsche Officin. Seitdem werden die Medi¬
kamente aus diesen drei Officinen in regelmässiger
Abwechselung bezogen. Eröffnet wurde die Anstalt
unter dem Namen 9 Homöopathische Berathungs-
anstalt* in dem Lokale des eingegangenen Kranken¬
hauses. Nach Verkauf desselben siedelte sie im
Frühjahre 1843 nach dem Eckhause Universitäts¬
strasse und Magazingasse über. Nach 3 Jahren
wechselte sie abermals ihren Sitz und bezog die
erste Etage des Hauses Neumarkt 22, wo sie blieb
bis zu der im Herbst 1887 erfolgten Uebersiedelung
in das Grundstück des neuerrichteten homöo¬
pathischen Krankenhauses Sidonienstrasse 44. Ich
möchte dabei bemerken, dass sie nicht mit dem
Krankenhause verschmolzen ist, sondern als ganz
unabhängige Anstalt fortbesteht, und der dirigirende
Arzt des Krankenhauses nur die Verpflichtung hat,
an ihr mit thätig zu sein.
Mit ihrem Unterhalte war die Poliklinik auf
die von einem hohen Kultusministerium gütigst ge¬
währte jährliche Unterstützung von 900 Mk. und
die Zuschüsse des homöopathischen Centralvereins
angewiesen. Davon waren zu bestreiten die Gehälter
der Aerzte, des Assistenzen und der Lohn der Auf¬
wartung, Lokalmiethe, Liebt und Heizung, Arzneien
und Stärkungsmittel für Kranke. Dies zu bewerk¬
stelligen ist nur möglich gewesen dadurch, dass die
Aerzte mit einer geringen Vergütigung von 360 Mk.
jährlich zufrieden und der Miethzins ein relativ billiger
auch keine Neuanschaffung von Mobiler nöthig war,
da von dem Kranken hause noch das hinreichende
vorhanden war. Allmählig sammelte sich durch
Vermächtnisse von homöopathischen Aerzten und
Laien, von denen ich nur das Marggrafscheim Betrage
von ca. 21,000 Mk. erwähnen will, ein kleines Ver¬
mögen an, dazu kam noch eine geringe Erhöhung
der Einnahme dadurch, dass vom 1. October 1881
an die bis dahin ganz unentgeltliche Behandlung
nur für die notorisch Mittellosen bestehen blieb,
dagegen von den Zahlungsfähigen, welche die An¬
stalt benutzten ein geringes Honorar erhoben wurde,
welches in der Hauptsache darauf verwendet wird,
den armen Kranken die nöthigen Stärkungsmittel
ausgiebiger zukommen zu lassen. In Folge dessen
es auch möglich war die Gehälter der Aerzte in
angemessener Weise zu erhöhen und die anfangs
sehr mangelhafte Einrichtung auf einen den An¬
forderungen der Neuzeit entsprechenden Stand zu
bringen.
Von den Leistungen der Anstalt ein zutreffendes
Bild zu entwerfen ist nicht möglich, da wie bei
allen andern Polikliniken, auch hier der Uebelstand
sich geltend gemacht hat, dass ein grosser Theil
Digitized by v^ooQie
77
där Kranken, wenn entweder nicht sofort die er*
wartete Besserung eintritt oder im Gegentheil sie
eine solche empfinden, nicht wiederkommt. Ausser¬
dem ist eine genaue Beobachtung des Krankheits-
Verlaufes ausgeschlossen. Es haben deshalb die in
den Jahresberichten gegebenen Zahlen nur einen
sehr geringen Werth. Sie können höchstens dazu
dienen, sich einen ohngef&hren Begriff von der ge-
thanen Arbeit und dem bewältigten Materiale zu
machen.
Es wurden in dem abgelaufenen halben Jahr¬
hundert 117,762 Kranke behandelt Mit 428 im
J. 1842 beginnend fand mit geringen Schwankungen
eine stete Zunahme der Frequenz bis zum J. 1880,
wo die höchste Ziffer 3,904 erreicht wurde, statt.
Seitdem hat allerdings eine Abnahme stattgefunden,
veranlasst in erster Linie durch Errichtung einer
gleichen Anstalt an der homöopathischen Central¬
apotheke von Dr. Willmar Schwabe und die Ein¬
führung der Ortskrankenkasse. Einigen Einfluss
haben auch die Verlegung des Instituts nach einem
entfernteren Stadttheile und die Erhebung eines wenn
auch ganz geringen Honorars gehabt. Die niedrigste
Ziffer fUllt auf das Jahr 1889 mit 1400, während
das J. 1891 mit 2,060 abschloss. Wir halten uns
daher zu der Hoffnung berechtigt, dass unsere An¬
stalt, trotz der augenblicklich ungünstigen Verhält¬
nisse, in der zweiten Hälfte ihres ersten Jahrhunderts
den ehrenvollen Platz, welchen sie unter den Huma¬
nitätsanstalten unserer Stadt einnimmt, behaupten
und sich der Unterstützung von Seiten der Be¬
hörden, wie des Publikums würdig machen werde.
Mittheilangen über die Diphtherie
in Kiel.
In den letzten Tagen des Mai brach hier eine
Diphtherieepidemie aus, die besonders in einzelnen
8trassen sehr heftig wüthete, aber jetzt im Erlöschen
ist. Einzelne Fälle von Scarlatina mit diphteritischen
Entzündungen des Pharynx kamen daneben vor,
ebenso recht viele Anginen und Tonsüliten. Es
mag unter Umständen recht schwer sein, eine Angina
follicularis mit dem weiss-graulichen Belag von
diphteritischen Entzündungen zu unterscheiden, ohne
den Nachweis der Löffler sehen Bacillen zu führen;
aber hier, wo beides nebeneinander vorkam, war es
leichter. Das Mittel, welches ich als das epidemische
Heilmittel in dieser Epidemie erkannte, warLycop.,
d. h. das Gesammtbild, welches mir die Symptome
der einzelnen Fälle boten, wo bald dies, bald jenes
mehr in den Vordergrund trat, entsprach am meisten
dem Prüfungsbild des Lycopodium. Ich wandte
es in allen Fällen mit Erfolg an in C. 30., daneben
kamen in einzelnen Fällen noch Mero. cy. 30., Nitri.
ac. 30. u. a. M. als Hülfsmittel zur Anwendung.
Andere Diphtheriemittel waren hier ohne Erfolg,
wenn sie auch hier und da indicirt schienen, so
Apis, andere Mercurpräparate, Kali bichrom. u. s. w.
Von letzterem Mittel theilt mir Dr. Kunkel mit,
dass es in einer Epidemie vor ca. 20 Jahren alle
Fälle geheilt habe, weil es dem Charakter der da¬
maligen Epidemie entsprach, zu anderen Zeiten
Phosph.; sogar Dros. und Aurum. Ich halte es für
ganz verkehrt und nicht homöopathisch ein Mittel
als specifisch gegen Diphtherie oder irgend einen
anderen Krankheitsnamen zu empfehlen, es muss
eben jeder Fall und jede Epidemie genau indivi-
dualisirt werden; wenn sich dabei ein oder mehrere
Mittel als meist indicirt heraussteilen, so darf das
niemanden verleiten, dies oder diese Mittel ohne
bestimmte Indicationen anzuwenden. Dass der
Merc. cyan. in gewisser Beziehung zu diphteritischen
Erkrankungen steht, lässt sich nicht leugnen, er
passt aber bei weitem nicht für alle Fälle, auch
wenn er gleich im Beginn verabreicht wird. Die
Symptome, welche für die Wahl des Lycop. mass¬
gebend waren, sind folgende: Die krankhaften Er¬
scheinungen beginnen reohts, die diphteritischen
Flecke gehen von der rechten Tonsille auf die
linke über; Nase meist verstopft; Fieber ge¬
wöhnlich heftig; schlimmer von warmen, besser
von kalten Getränken (sonst bei Lycop. gerade
umgekehrt!); bohrt und zupft an der Nase; beim
Athmen bewegen sich die Nasenflügel; warme
Zimmerluft ist unangenehm; im Schlaf meist
Rückenlage mit erhöhtem Kopf. Wenn der
Athem sehr fötid war, gab ich Merc. cyan. 30.
dazu, besonders wenn ausserdem viel zäher Schleim
im Hals war; ferner wenn die Nasenerscheinungen
stärker hervortraten, bei eiteriger, wundmachender
oder blutiger Absonderung Nitri. acid. 30. Bei
Anwendung des letzteren Zwischenmittels fiel es
mir in zwei Fällen auf, dass die Loslösung der
raembranösen Auflagerungen sehr rasch erfolgte.
In einem Falle musste ich noch zur Beseitigung
eines allmorgendlich eintretenden Nasenblutens
bei einem 5 / 4 Jahr altem Kind, wo die Nase nachts
verstopft war und tagsüber ein eiteriges, wund¬
machendes Sekret absonderte Amra. carb. 15.
heranziehen.
Lycopodium war und blieb aber immer das
erste und letzte Mittel und verhinderte resp. be¬
seitigte auch die event. folgenden Nachkrankheiten.
Von ca. 20 Fällen ging ein kaum zweijähriges
Kind durch Verschulden der Eltern verloren, die
auf den Rath einer alten Frau ohne mein Wissen,
als schon Besserung eingetreten war, plötzlich Chlor¬
kalk angewandt hatten, wodurch natürlich meine
Lycopodium Wirkung sofort aufgehoben wurde; als
ich wieder kam lag’s im Sterben. Zu einem anderen
Digitized by
Google
78
Kind ward ich za spät gerufen, die nacheinander
schwer erkrankenden Geschwister wurden geheilt.
Bei grösseren Kindern, die gurgeln konnten, liess
ich mehr zur Beruhigung der Angehörigen als mir
viel davon zu versprechen, Gurgelungen mit ver¬
dünntem Alkohol vornehmen. Die Scharlachdiphterie
fand auch in Lycopodium ihr Heilmittel, weil sie
entschieden unter demselben genius epidemicus stand.
Die Anginen nicht diphteritischer Art erforderten
sämmtlich Beilad. zur Heilung, heftige Stirnkopf¬
schmerzen, strahlende Röthe der geschwollenen
Tonsillen, fortwährende Neigung zum Schlucken,
wie sehr es auch schmerzt, grosse Trockenheit
des Mundes indicirten dieselbe. Nicht ohne Be¬
deutung für die erzielten günstigen Erfolge — den
AllQpäjihen starben die Diphtheriekranken in er¬
schreckender Anzahl, — ist entschieden die Wahl
der höheren Potenzen, Lycopod. 3. hätte sicher
nicht dieselbe Wirkung gethan.
Freilich wäre dazu wohl schwer jemand ge¬
kommen, denn wer Lyc. gewählt hätte, müsste
genau individuahsirt haben, und wer das thut, giebt
unwillkürlich höhere Potenzen; ein Tiefpotenzier
braucht nicht so sorgfältig jedes Symptom auf die
Wage zu legen, weil, wie ein bekannter Zeitgenosse
Hahnemann’s sagt, der individuelle Charakter eines
Mittels erst in den höheren Potenzen zu Tage tritt.
Wer alles über die 14. Potenz hinaus streichen
will, beraubt der homöopathischen Materia medica
oft der werthvollsten Symptome und sich selbst der
schönsten Heilerfolge. Assistenzarzt W. in K.
Ein homöopathisches Zaubermittel
ist nach einer Mittheilung von Dr. Rob. Cooper in
London das Campher-Bromid in homöopathischer
Verreibung. Man soll dasselbe aber nicht in Wasser
geben, sondern direct auf die Zunge und nicht
repetiren, wenn nicht innerhalb 10 Minuten ein be¬
deutender wenn nicht gänzlicher Nachlass der
Schmerzen oder Beschwerden eintritt Es soll dieses
Mittel bei den verschiedensten nervösen auf Reflex¬
wirkung beruhenden Symptomen zauberhaft schnell
wirken, so dass dasselbe (wie Dr. C. meint) in
keiner Taschenapotheke fehlen sollte. (3. Dec. Verrbg.)
Der erste Fall ist angeführt als Warnung mit diesem
Mittel vorsichtig umzugehen. Ein junges Mädchen,
welches das ganze Jahr hindurch an den Symptomen
des sogen. Heufiebers oder Heuasthmas litt, wo¬
gegen alle von ausgezeichneten Praktikern bisher
angewandten Mittel vergeblich versucht worden
waren, erhielt von Dr. Cooper Campher broraid 3.
Verrbg. in 1 gran Dosen mit so günstigem Erfolge,
dass er der jungen Dame ein Gläschen der Campher
bromid-Verreibung in die Hände gab, um selbst
bei etwa eintretenden neuen Anfällen eine Dosis
nehmen zu können. (Dies werde er niemals wieder
thun, meint Dr. C.) Wie es scheint erfasste die
Kranke ein besonderes Verlangen eine Dosis des
Campher bromids zu nehmen so bald sie nur irgend¬
wie glaubte etwas zu verspüren, was eine Wieder¬
holung des Mittels einigermaassen rechtfertigen
konnte.
Aber diese öfteren Wiederholungen des Mittels
(nebst andern mitwirkenden Ursachen) hatten eine
höchst bedenkliche Wirkung, denn es entwickelte
sich eine schwere Melancholie mit Unterdrückung
der Menstruation. Die Kranke blieb still und wollte
wochenlang keine Nahrung zu sich nehmen, bis ich
(Dr. Cooper) den glücklichen Gedanken hatte, ihr
Avena sativa zu verschreiben in der Gabe von
5 Tropfen alle 4 Stunden. Dies schien sie that-
sächlich aus ihrem Zustande herauszuheben, indem,
wie sie sich ausdrückte, eine Wolke sich von ihr
in die Höhe hob. (a cloud sumed to rise up from
off her) und ihre gesunde Vernunft gewann wieder
die Oberhand. Es war aber dieser Fall eine Warnung
für mich das Campher bromid nicht mehr den Händen
eines Kranken anzuvertrauen; ohne die genauesten
Weisungen. Ich will noch einige Fälle erwähnen
um die Wirkung dieses Mittels darzuthun.
Ich wurde vor mehreren Jahren Nachts zu einem
dringenden Falle geholt. Es war eine Predigersfrau
von ca. 50 Jahren, welche plötzlich von grosser
Athemnoth befallen worden war mit fürchterlichen
Schmerzen im Rücken zwischen den Schulterblättern
und Unfähigkeit sich niederzulegen. Ich diagno-
sticirte einen Krampfzustand in den grössem Bron-
chial-Aesten. Ich gab der Frau einige Gran Campher
bromid auf die Zunge, und bereitete auch eine
Lösung in Wasser und schickte mich an wieder
nach Hause zurückzukehren, als der Gatte mich
fragte, ob ich noch irgend welche Hoffnung habe,
dass die Frau den Anfall überstehen könne, denn
alle hatten die Ueberzeugung, dass sie am Sterben
sei. Ich hatte aber ein solches Zutrauen zum
Campber bromid, dass ich dem Manne erklärte, dass
dieser Zustand in kürzester Zeit aufhören werde.
Und in der That erfahr ich am folgenden Tage,
dass die Frau 10 Minuten nachdem ich ihr das
Pulver auf die Zunge gelegt, sich habe nieder legen
können, und dass sie den Rest der Nacht ruhig
geschlafen habe.
Ein anderes Mal wurde ich zu einer etwas
corpulenten Frau von einigen 40 Jahren gerufen,
welche an einem äusserst heftigen und schmerzhaften
Reizzustande der ganzen Körperoberfläche litt mit
einigen kleinen Punkten, wo sich ein Eczem zeigte,
sodass ein allgemeiner Ausbruch von Eczem zu
drohen schien. Die Frau hatte 3 Tage und 3 Nächte
absolut keine Ruhe gefunden und glaubte wahn¬
sinnig zu werden. Ich gab der Frau einfach einige
gran meines Wundermittels auf die Zunge und er-
Digitized by Google
7»
fahr nachher, dass binnen 10 Minuten dieser qual¬
volle Zustand aufgehört habe. — Der Ausschlag
verschwand darauf bald unter Anwendung des
Mercur jodah —
Ein anderes Mal erzählte mir eine Patientin,
dass ihr Mann an furchtbaren Anfällen von Zahn¬
weh leide, die alle 15 Minuten wiederkehrten.
Eben trat der Mann ins Zimmer und erklärte,
dass wieder ein Anfall vorüber sei und dass er den
Zahn nicht könne ausziehen lassen, da sein Zahn¬
arzt für 2 Tage verreist sei, und er keinem andern
als seinem amerikanischen Zahnarzt sein Gebiss an¬
vertrauen wolle. Er müsse somit warten, wenn
nicht vielleicht ich (Dr. Cooper) ein Mittelchen für
ihn habe. Ich gab dem Manne einige Dosen Campher
bromid und damit konnte derselbe die Schmerzen
vollständig fern halten bis zur Ankunft des Zahn¬
arztes. Es stellte sich . .auch wirklich heraus, dass
die Wurzel des Zahnes cariös war, sodass der Zahn¬
arzt bei der Untersuchung des entfernten Zahnes
erklärte, er müsse jedenfalls fürchterliche Schmerzen
ausgestanden haben. — Selbst in einem Falle von
Blasenleiden der schlimmsten Art, wo der Kranke
dem Tode nahe war, und Opiate nicht mehr an¬
schlagen wollten, verschaffte eine Dosis Campher
bromid innerhalb 5 Minuten dem Kranken völlige
Buhe, sodass seine, vorher vor Schmerz entstellten
Gesichtszüge sich wie verklärten und der Kranke
ruhig und schmerzlos blieb bis zu dem bald ein¬
tretenden Tode.*
Diese Erfahrungen wurden von Dr. Robert Cooper
dem Internationalen Congress der voriges Jahr in
Atlantic City N. J. abgehalten wurde eingesandt
und sind in den „Transactions* p. 628 u. f. ver¬
öffentlicht worden. Es verdient somit dieses Mittel
jedenfalls unsere volle Beachtung obschon Dr. C.
nicht im Stande ist genauere Indicationen für die
Anwendung dieses Mittels zu geben.
Dr. Bruckner-Basel.
Die zeitweilig herrschenden Heil¬
mittel.
Da der grossen Hitze wegen der Tachograph
zum Druck der Karten nicht richtig funktionirt,'
so bitte ich die verehrten Mitglieder der Epidemio¬
logischen Gesellschaft, zunächst mit diesen Mit¬
theilungen vorlieb zu nehmen.
Dierkes-Paderborn schreibt am 20./8., dass er in
den vorausgegangenen Tagen Cupr. -}- Chin., seltener
Lachesis gehabt habe, sowie dass die Herrschaft
von (Ac. phosph. -f- Ign.) = Yeratr. cum Cupr.
zu beginnen scheine.
Kim-Pfor 2 heim fand am 14./8. 2 neue Schmerz¬
punkte, für die er = Veratr. passend fand, was
sich mir bestätigte. Er hatte am 13. Seneg. W.,
seit dem 14. viel Brechdurchfall mit den Symptomen
für Veratr. H. oder Baptis. H., seit dem 19. Hals¬
entzündungen mit Laches. H, am 24. bei Bronchitis
= Tart. stib. W.; sonst noch Ignat. W. und
Aconit W.
Ich-hier hatte vorherrschend noch bis zum 15./8*
= Mercur (Baryt, carb. -(- Bell.) W., am 15. auch
häufig = Kal. Bicbrom. W., seit dem 16. *=* Veratr.
(?-{-? Euphorb. offic.) W., dazwischen (aber am 20
und 21. ganz vorwiegend = Tart. stib. W. Die
Symptome für ca Veratr. sind objektiv: mässige
Anschwellung von Leber und Milz, subjektiv: Fieber,
Frösteln, oft starke Schweisse, Müdigkeit, Schmerzen
im Kopf vorne Und oben, Appetitlosigkeit, anhaltende
Brechübelkeit, Erbrechen mit Durchfall, dieser
wässrig, gelb, hier und da am Anfang des Unwohl¬
seins Verstopfung, Schmerzen im Bauch, besonders
in beiden Hypochondrien, sowie Kreuzschmerzen,
geringe Urinabsonderung. Am 24. sah ich 3 Fälle
von Furunkulose und 1 Abscess der rechten Bartho-
linschen Drüse; bei allen 4 Fällen war Baryt, carb.
-f- Led. pal. = Silic. W. angezeigt. Heute Nach¬
mittag war mehrfach bei Bronchialkatarrhen =*= Tart.
stib. W. angezeigt. Mit Eintritt des Witterungs¬
wechsels beginnt gewöhnlich ein Schwanken in der
Herrschaft des zeitweilig herrschenden Mittels.
Buob- Freudenstadt berichtete am 13./8. noch
häufigen Wechsel; einige Tage vorher habe er bei
acuten Magen- und Darmkatarrhen Natr. carb. +
Jod, dann auch Merc. viv. -j- Plumb. angezeigt
gefunden.
Sehr liebenswürdig wäre es von den Hamburger
und Altonaer Collegen, wenn sie mir kurze Mit¬
theilungen über die bei der Cholera am meisten
benützten Mittel gütigst zugehen Hessen, um was
ich sie hiermit freund liehst bitte.
Stuttgart, den 25. August 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Lesefrüchte.
Pelizäui. Ueber artifieielle Neurasthenie . Deutsche
med. Wochenschr. 1891. Nr. 24. (Aus „Centralbl.
f. d. med. Wiss.“ 1892. Nr. 1.)
Jede systematische, eingreifende, wenn auch an
sich richtige und indicirte Curmethode ist im Stande,
die Gesundheit des Individuums, besonders die seines
Nervensystems, zu gefährden. Die Störungen sind
um so intensiver, je weniger die zur Ausgleichung
derselben nöthigen Bedingungen: reichliche, gute
Luft, körperliche Bewegung, regelmässiges Leben,
Enthaltung von geistigen und körperlichen Ueber-
anstrengungen innegehalten werden können. Daher
sind systematische Curen in der Regel mit der
Entfernung aus den bisherigen Verhältnissen zu
verbinden, oder wenn das unthunlich, ist bei der
Digitized by
Google
Verordnung einer jeden Cor genau auf die Lebens¬
weise zu 1 achten.
Obige Erwägungen stimmen ganz mit zahlreichen
Beobachtungen aus der Praxis über das Ende von
zu Hause, zwischen das Geschäft hinein, gebrauchten
Kaltwasser- und ähnlichen eingreifenden Curen. Ich
bin deshalb der Ansicht, dass die Homöopathie mit
ihren sanften unmerklichen Wirkungen trotz des
Zuges der Zeit nach der sogen. Naturheilmethode
in ihren verschiedenen Formen ihren Platz behaupten
und stets besonders der breiten Schichte des Volkes
unentbehrlich bleiben wird, das keine Zeit und kein
Geld zu langdauernden, umständlichen Curaufent-
halten hat. Göhrum.
ANZEIGEN.
Für einen älteren, sehr tüchtigen und literarisch
thätigen, gewandten homöopathischen Arzt,
welcher in Folge eines gehabten Herzleidens Haus¬
praxis nicht mehr übernehmen kann, wird eine
Consultationspraxis
gesucht oder irgend eine Stellung, in der er nur
Sprechstunden abzuhalten oder nur literarisch thätig
zu sein braucht. — Beste Empfehlungen stehen zur
Seite. — Gef. Offerten und Anfragen unter A. H. 209
zu richten an A. Marggrafs homöopath. Officin
in Leipzig.
Im Verlage von A. Marggrafs homöopathischer
Offtcin in Leipzig erscheint Anfang September die
1. Lieferung von
Die vergleichende
Arzneiwirknngslehre
von
Dr. med. H. Gross und Prof. Dr. med. C. Hering.
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben
von
Sanitätsrath Dr. med. Faulwasser, Bernburg a. 8.
Complet ln 8 Lffcn. ä Mk. 2.50. Einbauddecke gratis.
jpgr* Wer das Werk lieber im Ganzen complet
gebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen,
da später jedenfalls eine Preiserhöhung ein tritt.
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Lieferung*
Jede Lieferung: 9 Druckbogen, 4°. Preis 2.50 Mk.
Dieses neue Werk will den vorhandenen homöo-
S athischen Arzneimittellehren keine Concnrrenz machen,
enn nach Form und Inhalt unterscheidet sich dasselbe
wesentlich von ihnen. — Es bringt Arzneivergleiche,
Mitteldiagnosen, welche allein und ausschliesslich die
Unterschiede je zweier derselben enthalten und in anti¬
thetischer Gegenüberstellung die betreffenden Ver¬
schiedenheiten scharf hervorheben.
Diese vergleichende Arzneiwirkungslehre ist vielmehr
ein Supplement aller vorhandenen homöopathischen
Arzneimittellehren.
Eine solche Arbeit fehlte bisher in der deutschen
homöopathischen Literatur und nur die Aerzte englischer
Zange konnten sich rühmen, dieselbe zu besitzen.
Jedem homöopathischen Arzte und gebildeten Laien
ist die Anschaffung dieses Werkes dringend zu empfehlen.
Näheres ist aus den Prospekten und Probedrucken
zu ersehen, die, so weit der Vorrath leicht, auf Ver¬
langen! gratis und franco zur Verfügung stehen.
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung 4 Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung von Citronen- u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant. (4100,0 = 30 Pf.) ab.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Ltmousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle 4 Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets
ganz frisch, wirdin Glasstöpsel gläsern, 4 30,0=50Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin-
^Reit^oltnejede
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserter;Jiomöopaffiiscfier
Gesundtmte-
nachDr F. Katsch
IMifomwuiiai
SCHUTZMARKE
u. Unterschrift
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttgart, Dr. Stilft-Leipzig und Dr. Haedicke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Offioin) in Leipzig.
Druck von Greeener k Schramm in Leipzig.
Digitized by
Googh
Band 125.
Leipzig, den 15. September 1892.
No. 11 u.12.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE /UHU.
HERAÜSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STüTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homOopath. Offlein) in Leipzig.
’ Erscheint 14t&gig su 2 Bogen. lt Doppel nummern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Alle Bucbhandlnngen und
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an £L Mosse in Leipzig und dessen Filialen oder an die
Verlagahandlung selbst (▲. Marggrafs homöopath. Offioin in Leipzig) su richten sind, werden mit 30 Pf. pro einmal
gespaltene Petitseile und deren Baum berechnet. — Beilagen werden mit IS M. beroohnet.
Inhalt. Wann dürfen wir ein Mittel „epidenlech“ nenoen? Nebst Schlussfolgerung und einem Vorschlag.
Referat, gehalten von Dr. Göhrum-Stuttgart. — Aue der Praxis. Von Dr. Albert Amberg. — Referate: Ein Ur-
theil Hahnemanns Über die Cholera etc.; Cholera-Anfall oder Arsenik Vergiftung; Ein Beitrag zur Geschichte
der Arzneimittellehre. — Lesefrüchte. — Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Von Dr. Göhrum-Stuttgart —
Anzeigen.
Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage.
Wann dürfen wir ein Mittel
„epidemisch“ nennen?*)
Nebst Schlussfolgerung und einem Vor sch lag.
Referat gehalten auf der 1. Generalversammlung
der Epidemiologischen Gesellschaft am 8. August 1892
zu Stuttgart von Dr. med. H. Göhrum - Stuttgart.
M. H.l In letzter Zeit sind mehrfach, öffentlich
und privatim Bedenken aufgetaucht, ob wir die
nach der Weiheschen Methode gefundenen , vor¬
herrschend angezeigten und angewandten Heilmittel
„iepidemisch zu nennen berechtigt seien. Um über
diese Frage in's Reine zu kommen, müssen wir vor
allem die ethjmologische und die historisch-populäre
Bedeutung des Wortes .Epidemie* feststellen, so¬
dann die muthmasslichen Ursachen und Aeusserungen
der Epidemieen resp. deren Wechselwirkungen mit
dem Organismus untersuchen und im Anschluss
hieran überlegen, ob wir zwar zum Gebrauch des
Wortes „epidemisch* berechtigt sind, ob wir aber
nicht besser thun, einen für dieses Gebiet noch
jungfräulichen Ausdruck zu wählen, um jedes Miss¬
verständnis von vornherein auszuschliessen und
*) Die Citate stammen aus Rademacher, Recht¬
fertigung der verstandesrechten Erfahrungsheillehre etc.
2 Ausg. Berlin 1864 und von Grauvogl, Lehrbuch der
Homöopathie. Nürnberg 1866.
unseren ferneren Forschungen keine hemmenden
Fesseln anzulegen.
Geigel in Ziemssen’s Handbuch versteht unter
„Epidemie* eine temporär intermittirende, allgemein
verbreitete Volkskrankheit mit multiplen Prädilec-
tionsherden; der Autor des Artikels „Epidemie* in
Villaret’s Handwörterbuch definirt Epidemie als eine
Krankheit, welche in der Regel plötzlich an einem
Ort auftritt und an diesem gleichzeitig viele In¬
dividuen befällt. Diese letztere Definition giebt die
historische und populäre Auffassung am besten
wieder. Sie befasst sich mit deu Ursachen zunächst
nicht weiter, sondern sie hält sich nur an eine ge¬
wisse Häufung von gleichartigen Erkrankungsfällen
über einen kürzeren oder längeren Zeitraum und
über ein mehr weniger ausgedehntes Gebiet hin.
Damit stimmt auch der Ursprung des Wortes
überein.
Mit dieser Auffassung stimmen auch wir über¬
ein. Der einzige Streitpunkt lässt sich in die Frage
zusammenfassen: Welches ist das Minimalmass
für die Häufigkeit der gleichartigen Erkrankungs -
fälle, sowie für die Ausdehnung derselben nach Raum
und Zeit , bis sie als Epidemie aufgefasst werden
dürfen? Wie die folgenden Ausführungen lehren
werden, giebt es hierfür keine bindenden Vorschriften.
Eine Epidemie kann auf einen Ort beschränkt sein
und wird doch von jedermann so genannt. Es
scheint, also die Ausdehnung nach der Zeit, sowie
11
Digitized by
Google
82
die Häufigkeit der gleichartigen Erkrankungsfälle
wichtiger für die Feststellung des Begriffes Epidemie
zu sein. Für diese beiden Faktoren ist massgebend
die Schärfe der Beobachtung und da muss ich
Rademacher als Gewährsmann heranziehen, der wobl
die Epidemiologie am gründlichsten und möglichst
objektiv bearbeitet hat.
Wie Sie alle wissen, hat Rademacher zweierlei
Arten von Epidemieen unterschieden, indem er die
Begriffe seines » Morbus stationärius “ und der n Morbi
intercurrentes “ aufstellte. Letztere entsprechen mehr
dem, was das Volk und die Mehrzahl der Aerzte
»Epidemieen“ nennen, indem er zu diesen haupt¬
sächlich Ruhr, fieberiscben Durchfall, Scharlachfieber,
Rheumatismus, fieberische und unfieberische Husten,
Angina, Masern, Varicellen, Wechselfieber, Cholera
u. a. m. zählt. Auch Paracelsus* »Astronomie“ und
Sydenham’s »Constitutio epidemica“ fallen damit im
wesentlichen zusammen. Von diesen Morbis inter-
currentibus sagt nun Rademacher betreffs der räum¬
lichen Ausdehnung, dass sie sich »gewöhnlich auf
einzelne Gegenden, auf einzelne Städte, Dörfer, ja
was wahrhaft seltsam ist, zuweilen auf eine einzige
Bauernschaft* beschränken. In Bezug auf die Zeit
erwähnt er, dass sie längere oder kürzere Zeit
herrschen. Diese und die Zahl der Erkrankungen
ist bei den Morbis intercurrentibus bekanntermassen
so auffällig, dass darüber wohl nie Meinungs¬
verschiedenheiten entstehen können. Doch muss
ich eines hier hervorheben: Rademacher bestimmt
ja principiell die Krankheiten nach ihrem Heilmittel,
nicht nach ihrer Forp und da ist mir an einer
Stelle ein Widerspruch aufgestossen. Sie lautet:
»Da wo ein Uebergang der Salpeter- in Kupfer¬
krankheit stattfindet, gewahret man anfänglich auf
den Gebrauch des Salpeters ein unverkennbares
Besserwerden; den dritten , vierten Tag*) tritt aber
ein Stillstand dieses Besserwerdens ein. Hat nun
ein solcher Stillstand seinen Grund nicht in einem
zugleich mit der Salpeteraffection bestehenden
Urorganleiden, so kann man darauf rechnen, dass
der Uebergang von Salpeter- in Kupfer- oder in
Eisenaffection sich gemacht hat.“ Ich bitte hier
zu beachten, dass angeblich eine Epidemie 2 Heil¬
mittel hinter einander erfordern, sowie, dass der
Wechsel dieser Mittel in kurzer Frist eintreten
kann. — Von einem andern Widerspruch sogleich.
— Rademacher’s zweite Art von Epidemieen, der
Morbus stationarius, ist weniger sinnfällig und deckt
sich deshalb auch weniger mit der populären, als
mit der ethymologischen Bedeutung des Wortes
»Epidemie.“ Beim Morbus stationarius braucht die
Zahl der Erkrankungsfälle keine gesteigerte zu sein,
im Gegentheil — er kann bei verhältnissmässig
niederem Krankenstand bestehen; aber die gleich-
•) Von mir unterstrichen. Göhrum.
artigen Erkrankungsftille erstrecken sich über ein
ausgedehntes Gebiet. Auch soll der Morbus statio¬
narius nach Rademachers Beobachtungen sich
mehrere Jahre gleich bleiben, wenn er eine Urorgan-
affection ist, meist nur Monate, wenn eine reine
Affection des Gesammtorganismus vorliegt. In
ersterem Falle aber kann sich die Urorganaffection
auf Monate mit einer Uraffection des Gesammt¬
organismus verbinden und so eine gemischte Krank¬
heit bilden; ferner kann während der mehrjährigen
Dauer der stationären Krankheit diese sich, hin¬
sichtlich der Form gleichbleibend, in ihrem Wesen
mehrmals ändern, also andere — wenn auch auf
dasselbe Organ wirkende — epidemische Heilmittel
erfordern und zwar gewöhnlich im Frühjahr und
Herbst. Da man nun nach Rademacher von dem
Wesen oder der Natur einer Krankheit d. h. von
der Krankheit insofern sie von der Form verschieden
ist, nichts erkennen kann als nur ihr Verhältniss zu
der Heilwirkung der Arznei , so muss mir doch
jeder Unparteiische zugeben, dass auch beim Morbus
stationarius ein verhältnissmässig häufiger Wechsel
der epidemischen Heilmittel also auch des Wesens
der Krankheit Vorkommen kann. Sowohl Paracelsus
wie Rademacher haben mit der Aufstellung ihrer
Urorganaffectionen und Uraffectionen des Gesammt¬
organismus nebst entsprechenden Organ- und Uni¬
versalheilmitteln gezeigt, dass sie sich doch von
dem von ihnen selbst gerügten Classifications-
bedürfniss nicht frei machen konnten. Ich führe
zum Belege hierfür eine Stelle wörtlich an*): »In
dem zweiten Traktat Paragrani sagt er (Paracelsus):
»»Wer weiss die Zahl der Krankheiten? Nur der,
der da weiss die Zahl der natürlichen Gewächse
und natürlichen Arkanen.-* u Danach schreibt
Rademacher weiter: »Diese Ansicht der Natur
würde nun die Medicin zu einem wahrhaften Chaos
machen, wenn der absondernde Verstand nicht eine
Regel in die Wirrung brächte. Hohenheim*s Ordnung
bestehet darin, dass er die Krankheiten eintheilt in
Urorgankrankheiten und Uruniversalkrankheiten.“
Und dass diese Eintbeilung der Krankheiten und
ganz besonders die Zutheilung der einzelnen Heil¬
mittel zu den Organen und die Aufstellung dreier
Universalheilmittel eine willkürliche ist, wird mir
niemand bestreiten wollen. Ferner ist an sich auch
das Auftreten der sogen, intercurrirenden Krank¬
heiten während der stationären, ohne unter der Heil¬
wirkung des Heilmittels der letzteren zu stehen,
ein Durchbrechen der Annahme von der langen
Dauer einer epidemischen Constitution, worauf schon
von Grauvogl hin wies. Auf des letzteren Gründe
will ich hier nicht eingehen, da sie rein ätiologische
sind.
Dass man sich aber von jeher auch Gedanken
*) Rademacher, Bd. 1, pag. 87.
Digitized by
Google
83
über die Ursachen der Epidemietn gemacht hat, ist
selbstverständlich. Im Alterthum wurden die Gott¬
heiten, von Paracelsus und seiner Zeit abgesehen
von Gott die siderischen Einflüsse und in der Gegen¬
wart werden die bekannten und unbekannten Mikro¬
bien dafür verantwortlich gemacht, also lauter ausser
uns befindliche Einflüsse. Dasselbe that im wesent¬
lichen auch Rademacher als Schüler des Paracelsus,
obgleich er in dem Bestreben, möglichst nur sicher
beobachtete Thatsachen und keine Theorieen bei¬
zubringen, nur immer von allgemeinen, aber un¬
bekannten Ursachen spricht. Dass aber Rademacher
nicht so einseitig nur äusserliche Ursachen an¬
erkannte, sowie dass er die Wechselwirkungen
zwischen einem Theil des Ganzen und dem Ganzen
nicht missachtete, was von Grauvogl ihm vorwirft,
beweist folgende Stelle*): „Es scheint mir unmög¬
lich, den einzelnen Theil eines Ganzen kennen zu
können, ohne das Ganze zu kennen, mit welchem
der einzelne Theil nicht blos zusammenhängt, sondern
in Wechselwirkung stehet; denn durch diese Wechsel¬
wirkung erhält er ja seine eigentliche Bedeutung
und Wesenheit. Wenn wir uns also anmassen, den
belebten Menschenleib zu kennen, so müssen wir
auch das All der Natur kennen, dessen Theil er
ist und mit dem er in beständiger Wechselwirkung
stehet, ohne welche Wechselwirkung sein Sein un¬
denklich ist/
Aber Rademacher fand die Schwierigkeit dieser
Erkenntniss fast unüberwindlich, wie er es daran
anschliessend in ergreifenden Worten schildert**),
die den Eigendünkel der Gelehrten und solcher, die
alles von vornherein besser zu wissen glauben,
wenn es überhaupt möglich ist, zu dämpfen im
Stande sind. Und so mochte sich Rademacher als
Feind jeder philosophischen Speculation, wie sie zu
seiner Zeit in der Medicin zu deren grossem
Schaden vorherrschend war, nur an das halten, was
ihm eine 20jäbrige vielseitige, unermüdliche Be¬
obachtung an untrüglichen Thatsachen ergeben hatte:
er beruft sich allein auf das Heilexperiment .
Von Hahnemann erfahren wir über unser Thema
nicht neues. Er konnte in Folge seiner individuali-
sirenden Methode zur Erforschung des Heilmittels
natürlich nie einen „Morbus Stationarius“ im Rade-
raacher sehen Sinn finden; er kannte nur das als
Epidemie, was auch heute fast ausschliesslich so
genannt wird, was im allgemeinen den Morbis inter-
currentibus entspricht, nämlich die acuten Infections-
krankheiten, und er vermuthete deren ätiologische
Grundlage, die in unseren Tagen die Forschung in
so ausgedehntem Masse beschäftigt, ganz richtig.
Doch traten ihm auch bei diesen Krankheiten die
Verschiedenheiten, die die Constitutionen bieten, so
*) Rademacher, Bd. 1, pag. 120.
**) Rademacher, Bd. 1, pag. 120 u. ff.
sehr in den Vordergrund, dass er auf diese stets
ein wachsames Auge hatte und namentlich seit der
Entwicklung seiner Psoratheorie oft mehr berück¬
sichtigte als die acuten Symptome.
von Grauvogl erging es ähnlich. Er legt bei
der Frage des Zustandekommens der Epidemieen
das Hauptgewicht auf die Constitution des Indi¬
viduums und präcisirt den Begriff der Disposition,
den Rademacher vollständig bei Seite lässt, dahin,
dass*) „die Fähigkeit krank zu werden, abhängt
von einem Stoffe der Aussen weit zwar, aber nur
in sofern als die Moleküle und die Molekularkräfte
unseres Organismus nach Volumen und Dichtig¬
keit etc. so beschaffen sind, dass sie entweder nicht
genug Abstossung gegen jenen Stoff besitzen, mit
anderen Worten nicht genug beivcglichcn Wider¬
stand\ oder eine Anziehung für ihn.*
Diese Lehre der specifischen Relation ist der
heute von unserem verehrten Vorsitzenden vor¬
getragenen eigenartigen Theorie der Einwirkung
des Genius epidemicus mit Benützung der Jägeri¬
schen Lehre von der Auf - und Entspeicherung von
Stoffen in unserem Körper am nächsten. Diese
Jägerische Lehre ergänzt die Grauvogl'sche Defini¬
tion der Disposition in der Hinsicht, dass sie nicht
blos die Verhältnisse der Qualität der aufeinander-
wirkenden Stoffe, sondern auch die der Quantität
derselben berücksichtigt, indem Jäger die antagoni¬
stische Wirkung der Stoffe dies- und jenseits des
Indifferenzpunktes hervorhebt, die von Grauvogl nur
unklar dämmert.
Ueberlegen wir uns nun die verschiedenen bei¬
gebrachten Anschauungen und Thatsachen, so
können wir nur constatiren, dass dem Worte
„Epidemie“ in historischer und ätiologischer Be¬
ziehung zum Theil sehr verschiedene Begriffe unter¬
geschoben werden. Wir sehen, dass weder hinsicht¬
lich der Zahl, noch der Ausdehnung, noch der
Dauer des Auftretens der gleichartigen Erkrankungs¬
fälle alle Autoren sich einer bestimmten Auffassung
des Wortes „Epidemie“ an passen. Zunächst aller¬
dings muss die historisch-populäre Auffassung für
den Gebrauch eines Wortes massgebend sein, so
lange die verschiedenen Forscher sich über den
Inhalt desselben noch nicht klar sind.
Soviel steht fest: Wir können für unsere bis¬
herige Gewohnheit, die nach der Weihe’schen
Methode gefundenen, vorherrschenden Heilmittel
„epidemische“ zu nennen, bald da bald dort Ana-
logieen finden, was die in der oben gestellten Frage
erwähnten drei Punkte betrifft. Und wenn wir
auch in unserer ätiologischen Erklärung der Epide¬
mieen einen eigenen Standpunkt einnehmen, und
wenn wir auch in Bezug auf die Raschheit des
Wechsels unserer epidemischen Heilmittel Rade-
*) von Grauvogl, Theil 1, pag. 165.
11 *
Digitized by v^ooQie
macher mit seinen 3—4 Tagen zeitweise noch etwas
zurücklassen, so kann uns den Gebrauch des Aus¬
druckes ,epidemischer“ Heilmittel Niemand mit
Recht verwehren. Hat doch jeder Autor, der sich
mit diesem Gegenstand beschäftigte, dem Worte
n Epidemie 4 seine eigenen Anschauungen unter¬
geschoben. Warum sollen wir dies nicht auch thun
dürfen? Zudem da wir ja in der Art und Weise
der Auffindung der Epidemieen durch Anwendung
des Heilexperiments, der bis jetzt einzig natur¬
wissenschaftlichen Methode zur Feststellung des
Wesens der Krankheitsfälle, ganz den ehrwürdigen
Fusstapfen Rademacher’s folgen. Allerdings mit
verbesserter Methode: denn wir brauchen nicht erst
den Heileffect eines zur Probe gereichten Heilmittels
abzuwarten, wie Rademacher, sondern wir wissen
dnrch die Auffindung der Schmerzpunkte, gestützt
auf langjährige, vieltausendfältige Erfahrungen über
die Beziehungen zwischen jedem einzelnen Schmerz¬
punkte und dem ihm zugehörigen Heilmittel, dass
wir das oder die richtigen Heilmittel (wenn wir die
therapeutische Einheit für diese noch nicht kennen)
zu geben haben und auch des Heileffectes sicher
sein können. In Folge dessen besitzen wir ein
ausserordentlich feines Reagens auf die Veränderungen ,
die sich in den Wechselbeziehungen zwischen den
allgemeinen , äusseren Einflüssen und unserem
Organismus vollziehen — ein Reagens, dessen sicheres
Arbeiten durch die Feinheit der Arbeit in nichts
beeinträchtigt wird. Ausserdem haben wir Schüler
Weihe's als Control versuch stets die Untersuchung
von sogen. Gesunden zur Hand, da ja bekannter-
massen auch diese Schmerzpunkte und zwar viel
übereinstimmender als wirkliche Patienten aufweisen,
zur Controle, ob die an letzteren gefundenen Heil¬
mittel nur auf einer Constitutions-Eigentbümlichkeit
der betr. Patienten beruhen oder ob sie allgemein
auch bei sogen. Gesunden auftreten.
Ich denke, Sie, m. H., werden nun alle mit mir
übereinstimmen, wenn ich als Schlussfolgerung
meiner Ausführungen den Satz aufstelle: Wir allein
vermögen die feinsten Wechselbeziehungen zwischen
den allgemeinen , äusseren Einflüssen und unserem
Organismus , die ja den Gegenstand der epidemiolo¬
gischen Forschung bilden , mit der bisher grössten
Sicherhett zu ergründen.
Und nun mein Vorschlag:
Es ist stets misslich, wenn man sich beim
Forschen auf noch ziemlich unbekannten Gebieten,
wie es die Epidemiologie wegen des bisherigen
Mangels an einem sicheren, feinen Erkennungszeichen
des Wesens der Krankheitsfälle noch ist, von
schwankenden, aber mehr weniger traditionellen
Begriffen, die einem Worte im Laufe der Zeiten
untergeschoben wurden, auf Schritt und Tritt ein¬
geengt fühlen muss. Deshalb erlaube ich mir
Ihnen vorzuschlagen, im Interesse möglichster Freiheit
unserer Forschungen, die hoffentlich in jeder Be¬
ziehung der medicinischen Wissenschaft zum Nutzen
gereichen, den Namen „epidemische* für die nach
der Weihe’schen Methode vorwiegend angezeigten
Heilmittel fallen zu lassen und an dessen Stelle die
Bezeichnung „ zeitweilig herrschende Heil¬
mittel“ einzuführen.
Aus der Praxis.
Von Dr. Alb. Amberg.
In Nachfolgendem will ich wieder einzelne Fälle
aus der Praxis der letzten Jahre der Oeffentlichkeit
übergeben und hoffen, damit auch meinerseits bei
jüngeren Collegen zur Anhänglichkeit und Zuwendung
an die homöopathische Therapie ein Scherf lein bei¬
zutragen. Bei der grossen Zahl unheilbarer Kranken,
welche den homöopathischen Arzt gewissermassen
als Ultimum refagium aufsuchen, ist es natürlich,
dass auch uns in vielen, vielen Fällen die Rettung
derselben nicht gelingt. Aber bei langjähriger ver¬
gleichender Beobachtung, wie sie mir mitten unter
und in gutem collegialem Verhältnis zu allopathischen
Aerzten besonders reichlich zu Gebote steht, komme
ich immer mehr zu der Ueberzeugung, dass vom
Standpunkte: „aegroti salus suprema lex* auch in
diesen Fällen sowohl in Bezug auf Verlängerung
des Lebens (mitunter allerdings ein Danaergeschenk),
als Erträglichkeit des Zustandes unsere therapeutische
Methode bei weitem den Vorzug vor anderen ver¬
dient. Und gar manchmal gelingt es uns ja auch
noch da, wo wir selbst mit geringen oder keinen
Hoffnungen an die Behandlung solcher Zustände
herantreten, eine relative und selbst absolute Heilung
zu erzielen. Es ist auch für den älteren homöo¬
pathischen Arzt zweckmässig und nöthig, sich durch
Vergegenwärtigung solcher Thatsacben aus seinen
Erfahrungen zuweilen Geist und Herz im Kampfe
mit den allopathischen Gegnern und noch mehr mit
dem Unverstände des lieben, besonders des so¬
genannten gebildeten Publikums, zu erfrischen. Denn
wir wollen es uns nicht verhehlen, dass das letztere
in den meisten Fällen ganz zufrieden ist, einen
Husten sofort mit Morphium, einen beliebigen Fieber¬
zustand durch Antipyrin, Phenacetin, Salypyrin und
wie die Antipyretica alle heissen, jeglichen Schmerz
durch ein Narcoticum auch noch so vorübergehend
gemässigt oder gebessert zu sehen, daran das Können
des Arztes misst und sich herzlich wenig um die
weiteren Folgen, um gründliche Beseitigung oder
Verhütung einer Krankheit, die es auch nicht be-
urtheilen kann, oder Schaden für Gesundheit und
Leben, die es dann dem natürlichen und unvermeid¬
lichen Lauf der Krankheit und nicht der Behand¬
lung zuschreibt, kümmert; es ist, wie gesagt, eben
Digitized by kjOOQle
85
nicht im Stande, über eine Verhütung einer längeren
Krankheit in ihren Anfängen und über die Ver¬
schiedenheit des Verlaufs unter dem Einfluss der
verschiedenen Behandlung zu urtbeilen. Da müssen
denn immer wieder solche Fälle der Homöopathie
zu ihrem Ansehen verhelfen, an denen die sogenannte
academische Medicin vergeblich ihr Heil versucht,
und die hierauf der homöopathische Arzt mehr oder
weniger rasch zur Genesung führt. Haben wir in
unserem Innern auch die grösste Befriedigung darüber,
durch unser Wirken schwere Erkrankungen im An¬
fang beseitigt zu sehen und sie nicht zum vollen
Ausbruch gelangen zu lassen, oder in anderen Fällen
den Verlauf erheblich zu mildern und abzukürzen,
die üblen Folgen hintanzuhalten, — vom Publikum
wird solche Arbeit nicht gewürdigt, es hält die
betreffende Erkrankung vielmehr für eine leichte
von Haus aus; dem können nur die oben an¬
gedeuteten Vorkommnisse, bei denen allopathische
Aerzte und wo möglich Professoren erst ihr Heil
vergeblich versucht haben, imponiren. Aus diesem
Grunde werden auch jene Fälle des gewöhnlichen
Lebens, wie ich sie nennen möchte, so belehrend
sie sind, am wenigsten publicirt; der angehende
homöopathische Arzt muss sie in der Klinik, in
der Praxis älterer Collegen und schliesslich in seiner
eigenen selbst beobachten. Und aus diesem Grunde
sind in den nachfolgenden Erlebnissen aus der Praxis
solche eigentlich den schönsten Theil unseres Wir¬
kens bildende Heilungen weniger herangezogen.
Zunächst mögen einige Beobachtungen über
Syphilis, weniger Krankengeschichten als kurze
Bemerkungen, an die Reihe kommen. Hier will ich
voranschicken: So sehr interessant und überraschend
die Heilungsgeschichten dieses Leidens sind, wie
sie uns namentlich Kunkel u. A. schildern und
wo die Behandlung und Heilung ganz unabhängig
von der Diagnose * Syphilis“, nur gestützt auf
Symptomenbild und Constitution erfolgte, aller¬
dings mitunter erst nach Monaten und gar Jahren,
so glaube ich doch, dass wenige von uns dieses
Beispiel „reinster Homöopathie“ befolgen können,
und zwar einfach schon deshalb, weil die Patienten
nicht so lange bei uns ausharren würden; nur sehr
wenige, es sei denn, dass sie vielleicht schon lange
und wiederholt anderweit vergeblich behandelt
wurden, werden ein so felsenfestes Vertrauen be¬
wahren, dass sie nicht bei zögernder Heilung oder
eintretender Verschlimmerung zum allopathischen
Collegen gehen, bezw. zurückkehren würden. Ich
nehme daher keinen Anstand, mich bei Syphilis
häufig der Ketzerei schuldig zu machen und Queck¬
silber in allopathischer Dosis innerlich oder auch
als Inunctions- oder Injectionscur oder Jodkalium
zu verwenden, und muss gestehen, dass ich dadurch
oft zur rascheren Unterdrückung der Erscheinungen
und auch wohl jahrelang constatirter Beseitigung
der Syphilis kam als mit homöopathischen Mitteln.
Dass aber auch umgekehrt oft genug die homöo¬
pathische Behandlung da, wo die academische im
Stich lässt, günstig, manchmal zauberhaft wirkt,
mögen folgende Beobachtungen neben vielen von
anderen Aerzten publicirten beweisen.
1. Es sind schon lange Jahre, zu einer Zeit, in
der ich mich mehr und mehr der homöopathischen
Heilmethode, anfangs zaghaft, zuwandte, als mich
Assessor B. wegen weit vorgeschrittener secundärer
und tertiärer Syphilis, die bis dahin von einem
allopathischen Collegen behandelt war, consultirte.
Bubonen, theils ulcerirt, Corona veneris, kupfer¬
farbene und missfarbige ausgedehnte Exantheme,
Knochenauftreibungen und vor Allem tief ulcerirende,
mit Krusten bedeckte, ausgedehnte knotige Geschwüre
an verschiedenen Sellen des Körpers (syphilitische
Tuberkel), Gummata u. s. w. boten ein nicht ent¬
zückendes Bild. Obgleich mir Patient sagte, dass
er Mercurialien von Anfang an nicht habe vertragen
können und namentlich vergeblich Calomel und
Sebmiercur gebraucht habe, glaubte ich es doch
mit einem anderen Präparat, dem Mercur. jodat.
versuchen zu müssen, allein ohne Erfolg. Ich musste
annebmen, dass eine Mischung von Syphilis und
Mercurialismus vorhanden war; aber das dagegen
versuchte Jodkalium schuf weder in grossen noch
kleinen Dosen Besserung, und so dachte ich, muss
ein Versuch mit der homöopathischen Behandlung
gemacht werden. Ich suchte also Belehrung bei
Bähr und Kafka und entschied mich für Aurum
metall., welches ich in 3. Verreibung zuerst 3stünd¬
lich, dann 3 Mal täglich gab; heute würde ich des
Mercurialismus wegen Acid. nitric. vorhergeschickt
haben. Sofort besserten sich alle Erscheinungen,
und insbesondere die speeifischen Geschwüre be¬
gannen zu trocknen und zu vernarben. Trotzdem
wurde Patient, den ich noch mehrere Jahre be¬
obachten konnte, nicht gänzlich geheilt. Ein un¬
verbesserlicher Lebemann wollte er weder den Ge¬
nüssen des Bacbus noch der Venus entsagen, noch
auch sich beharrlicher Medication unterwerfen; er
war mit Beseitigung der schwersten und störendsten
Symptome zufrieden, bekam von Zeit zu Zeit auch
noch andere Mittel, darunter Kal. jodat. in kleinsten
Dosen, Kal. bichrom. u. drgl. und meist mit günstigem
Erfolg, so dass er mir stets dankbar blieb. Als er
bereits längere Zeit von hier versetzt war, schrieb
er mir gelegentlich, dass es ihm verhältnissmässig
gut gehe, und dass er bei Auftreten von Erschei¬
nungen die von mir verordneten Pulver (Aurum)
mit stets gutem Erfolge benutze. Das ist nun
keine Heilung, auch keine mustergültige Behand¬
lung; ich räume vielmehr ein, dass der Fall einer
homöopathischen Kritik berechtigte Angriffspunkte
bietet; aber das beweist er wenigstens, dass die
homöopathische Behandlung da noch Hülfe leistete,
Digitized by Google
86
wo es mit dem academischen Latein ziemlich zu
Ende war.
2. Vor längerer Zeit consultirte mich der Forst¬
beamte L., früher einige Zeit Apotheker, wegen
mehrfacher syphilitischer Geschwüre des Rachens
und ausgedehnter breiter Condylome am Anus, nach¬
dem er bereits anderweit vergeblich behandelt war.
Da es auf möglichst rasche Beseitigung des Leidens
ankam und eine Schmiercur der äusseren Verhält¬
nisse wegen nicht tbunlich war, schlug ich ihm die
damals bevorzugten subcutanen Sublimatinjectionen
vor und glaubte auch in den ersten 8 Tagen, einen
Heilungsbeginn zu erzielen. Dann aber trat Still¬
stand und schliesslich sogar Verschlimmerung der
Erscheinungen ein, so dass mir der Eintritt von
Mercurialismus zur Syphilis ausser Zweifel stand.
Nun fragte ich den Patienten, ob er sich zum Ver¬
suche einer homöopathischen Behandlung ent-
schliessen könne, — eine Frage, die bei einem früheren
Apotheker sicher nicht überflüssig war, — und auf
bejahende Antwort erhielt er Acid. nitric. in 3. Ver¬
dünnung. Und was war der Erfolg? Sofort trat
Besserung ein, und nach etwa 12 Tagen waren alle
Erscheinungen verschwunden, auch nach l 1 ^ Jahren
noch keine wiedergekehlt. Ich eifuhr das durch
einen Brief des Patienten aus Strassburg; der Erfolg
der homöopathischen Behandlung hatte ihm nämlich
derartig imponirt, dass er aus so weiter Ferne wegen
eines ganz anderen, nicht syphilitischen Leidens
meinen Rath begehrte.
3. Einen ähnlichen Erfolg von Acid. nitric. 3
sah ich hier vor einem halben Jahre bei einer
* Jungfrau“, die sich ihrer Behauptung zufolge nur
auf dem Abort angesteckt haben wollte. Warum
soll man nicht so gefällig sein, das dem Mädchen
aus anständiger Familie zu glauben? Die Vulva
war geschwollen, entzündet, mit Geschwürchen
specifischen Characters bedeckt; von der hinteren
Commissur an über das Perinaeum hinaus bis hoch
über dem Anus lag ein ausgedehntes Feld breiter,
eiternder, schmerzender Condylome. Da bereits
längere Behandlung eines allopathischen Collegen
vorausgegangen, und vermuthlich Mercurialien zur
Anwendung gekommen waren, gab ich gleich Acid.
nitric. 3 und hatte die Freude, nach etwa 14 Tagen
Geschwüre und Condylome beseitigt zu sehen.
Wenn in diesen 3 Beobachtungen (Kranken¬
geschichten sind es eben nicht) sich die Wirksam¬
keit von Aurum und Acid. nitric. gegen Syphilis
bezw. Mercurialismus offenbarte, so ist es wohl un-
nöthig zu bemerken, dass in passenden Fällen und
bei passenden Symptomen eine ganze Reihe anderer
Mittel dienlich und in Anwendung zu bringen sind;
und ich will nur beispielsweise Mercur, Mezereum,
Arsen., Arsenic. jodat. und Kal. bichromic., Thuja,
Staphisagria nennen. Und damit will ich den Gegen¬
stand verlassen und mich anderen Fällen zuwenden.
4. Catbar. S. bekam im Frühjahr 1888 nach
länger vorangegangenen Magenbeschwerden sehr
starkes Blutbrechen und hatte seitdem vielfach mit
Magenschmerzen, zuweilen Erbrechen, vermindertem
Appetit, Verschlimmerung der Schmerzen durch
Essen zu kämpfen. Nachdem sie vergeblich andere
Aerzte consultirt, suchte sie am 4. November meinen
Rath wegen der andauernden sehr heftigen durch
Nahrungaufnahme zunehmenden Schmerzen. Die
Untersuchung ergab ausser der Empfindlichkeit des
Epigastrium gegen Palpation keine weiteren Anhalts¬
punkte; doch konnte die Diagnose „Ulcus ventricuü*
keinem Zweifel unterliegen. Die Verordnung be¬
stand neben Anempfehlung zweckmässiger, vor¬
wiegend flüssiger und breiiger Diät, die ich als be¬
kannt voraussetze, in 3 Gramm Argent. nitric. 2.
Dec. mit 30 Gramm Wasser, davon alle 3 Stunden
10 Tropfen. Am 11. November schon wurde von
erheblicher Besserung berichtet und dieselbe Arznei
4 Mal täglich 10 Tropfen, verschrieben, am 23. No¬
vember bei fortschreitender Besserung 3 Mal täglich.
Die Schmerzen waren jetzt beseitigt, auch feste
Speisen wurden ohne Beschwerden vertragen, und
Patientin, die sich als vollständig geheilt vorstellte,
erhielt den Rath, noch längere Zeit die sehr schwere
Kost zu vermeiden und von Zeit zu Zeit, d. h.
mit ^Unterbrechungen, von der Arznei 2—3 Mal
täglich 10 Tropfen zu nehmen, um volle Vernarbung
herbeizuführen, einen Rath, den ich in solchen
Fällen zur Vermeidung von Rückfällen sehr zweck¬
mässig finde. Ich erzähle diesen sehr einfachen
Fall, dem ich Dutzende mehr oder weniger ähnlicher
anreihen könnte, um die Leser auf die ganz vor¬
zügliche Wirkung von Argent. nitric. in niederen
Verdünnungen, ich wähle meist die 2. und 3. Decim.,
bei verschiedenen Magenaffectionen aufmerksam za
machen. Bei Ulcus ventricul. halte ich os für zweck¬
mässig, erst einige Tage nach gestillter Blutung
damit zu beginnen, während diese selbst mit Eis,
Jpecac., Arsenic., Plumb. acetic. (dies auch in
stofflicher Gabe) bekämpft wird; gegen die sehr
heftigen Schmerzen im Beginn erweist sich oft Kal.
bichromic. 6 nützlicher. Ferner erzielte ich bei
langwierigen Magencatarrhen, selbst mit Ectasien,
die mit Schmerz, Druck, Appetitlosigkeit, fauligem
Aufstossen u. s. w. einhergingen und oft längere
Zeit vergeblich von anderen Aerzten behandelt waren,
vielfach durch Argent. nitric. sehr raschen und
günstigen Erfolg, auch wohl bei nervösen Dyspepsien
in etwas höheren Verdünnungen. Ein allopathischer
College hatte, ohne dass ich es wusste, derartige
Curen mit Argent. nitric. bei Patienten, die vorher
in seiner oder anderer Behandlung gewesen waren,
beobachtet und war dadurch zu einem achtungs¬
vollen Urtheil über Homöopathie bestimmt worden,
wie er mir später bei einem Bekebrungsversuche
gestand. Er würde auch zur Homöopathie über-
Digitized by v^ooQie
gegangen sein, wenn er nicht (er war Kreisphysicus)
eine Beeinträchtigung seiner weiteren Beamten!auf¬
bahn dadurch gefürchtet hätte, was leider nicht
unbegründet ist. Dass übrigens neben Argent. nitric.
eine ganze Reihe anderer Mittel, darunter Nux vomic.,
Bismuth., Bryonia. u. s. w. bei Magenaffectionen
vorzügliche Dienste leisten, bedarf nicht der Er¬
wähnung. Bei Carcinoma ventriculi würde ich
Argent. nitric. nicht verwenden.
5. Job. B., 14 Jahre alt, wurde mir am 21. Nov.
1888 vorgestellt, nachdem er 2 Jahre lang an
Chorea major gelitten. Die Anfälle bestanden in
Bäumen und Krummbiegen des ganzen Rumpfes,
tonischen and clonischen Krämpfen der Extremitäten,
dauerten lange und wiederholten sich häufig. Patient,
von scrophulösem Habitus, war in letzter Zeit auch
von noch jetzt andauernden äusserst heftigen Kopf
schmerzen heimgesucht. Dass bei dem langen Leiden
und der Entfernung von 20 Kilometer von hier
schon mehrfach andere Aerzte vorher consultirt
waren, ist fast selbstverständlich. Der äusserst
heftigen mit Röthe des Gesichts verbundenen Kopf¬
schmerzen wegen gab ich zunächst Belladonn. 6 D.
in Lösung, und nachdem mir am 25. Nov. berichtet,
dass die Kopfschmerzen nahezu beseitigt seien,
Agaricus muscarius 6, 3 Mal täglich, und hatte die
Freude, dass bei Fortsetzung diesos Mittels das
Leiden nach etwa 4 Wochen gänzlich beseitigt war.
Die Andauer der Heilung wurde mir im August
des folgenden Jahres bestätigt, als Patient mich
wegen eines Enchondroms eines Fingers von 9 Cm.
Umfang consultirte. Nach dem Gebrauche von
Silicea 6. trat allmählige Besserung desselben ein,
vermuthlich später vollständige Heilung, da Patient
nichts weiter von sich hören liess und bei dem
glücklichen Erfolge der vorhergehenden Cur doch
sonst wohl wieder gekommen wäre. Wir sind ja,
namentlich bei auswärtigen Patienten so oft in
Bezug auf den Erfolg unserer Behandlung auf mehr
oder minder wahrscheinliche Vermuthungen an¬
gewiesen, wenn der Patient nicht zufällig bei einer
anderen Krankheit, ein anderes erkranktes Familien¬
glied oder ein Dritter, den die Empfehlung des
Geheilten uns zuführt, von der Genesung Mit¬
theilung machen kann. So geht auch im folgenden
Fall, den ich der Silicea-Wirkung wegen anreihe,
die eigene Beobachtung nur bis zur fast völligen
Beseitigung des Leidens, während die völlige sehr
wahrscheinlich.
6. Elisab. H., 20 Jahre alt, kommt am 3. Mai
1889 mit Entzündung des Mittelfingers in der
ersten und zweiten Phalanx-Gegend zu mir, die
schon 4 Wochen bestanden hatte. Die Stelle schmerzte
sehr, war geschwollen, stark geröthet, elastisch anzu¬
fühlen; Fluctuation fehlte, also Diagnose: Panaritium
periostale. Patientin, im Uebrigen gesund, wollte
sich auf sofortige Incision mit antisept. Verband
nicht einlassen und bekam deshalb 10 Tropfen
Silicea 15 in 100 Gramm Wasser, davon 3 Mal
täglich 1 Tbeelöffel, äusserlich indifferente Bedeckung
des Fingers. Am 7. Mai # stellte sie sich erheblich
gebessert, mit verminderter Geschwulst, fast ohne
Schmerz und Röthe wieder vor und erhielt dieselbe
Verordnung. Sie kam nicht wieder, was ich in
diesem Fall doch als Zeichen völliger Heilung an-
sehen möchte. Es ist das ein einfacher Fall, aber
immerhin gut, um die Wirkung der Silicea bei
Panaritien im Gedächtniss aufzufrischen.
7. Ludw. W., 2 Jahre alt, wurde mir in derselben
Zeit mit Eczema serpiginos., welches schon 4 Monate
gedauert hatte, auch in anderer Behandlung ge¬
wesen war, vorgestellt. Gesicht und Kopf war mit
bräunlich schwarzen Krusten fast übersät, welche
nässten und theilweise eiterten und fortkrochen,
auch auf Hals, Schulter und Oberarm war der
Ausschlag in einzelnen Inseln ausgedehnt, die Augen¬
lider geschwollen, die Augen geschlossen. Meine
Verordnung bestand mit Ausschluss äusserer Mittel
in Graphit. 200 D., 8 Tropfen in 120 Gramm Wasser,
3 Mal täglich 1 Theelöffel. Schon nach 8 Tagen
war erhebliche Besserung, in nicht ganz 3 Wochen
dauernde Heilung eingetreten. Ich könnte dieser
Beobachtung noch verschiedene von der schnellen
Hülfe des Graphit. 200 in ähnlichen Fällen an¬
reihen, die theil weise hartnäckig anderen Mitteln,
auch niederen Potenzen des Graphit, getrotzt hatten,
und mache insbesondere auch auf seine Hülfe bei
Rhagaden an Hand und Fingern aufmerksam. Inter¬
essant war mir kürzlich dabei ein Vorkommniss
bei einer an monatelangem Eczema pudend. leidenden
Bauernfrau, die ebenfalls durch Graphit. 2UÜ ge¬
heilt wurde. Ich hatte es in Pulvern in weissem
Papier und daneben Scheinpulver in rothem Papier
verordnet. Die Frau, welche keine Ahnung von
Scheinpulvern hatte, forderte 2 Mal ohne mich zu
benachrichtigen, in der Apotheke die weissen Pulver
mit dem Bemerken, die rothen seien nicht so wirk¬
sam. Ich lege hiermit um so lieber Zeugniss von
der Wirksamkeit einer Hochpotenz ab, die ich im
Ganzen sehr selten verwende, da gerade in neuerer
Zeit die Wirksamkeit von Arzneien jenseit der
12. Dec.*) aus chemischen und wissenschaftlichen
Gründen bestritten und geleugnet wird.
_ (Fortsetzung u. Schluss folgt.)
♦) 12. Cent. — Die Red.
Digitized by
88
Referate.
Ein Urtheil Hahnemanns über die Cholera und
ihre Behandlung durch Campher aus dem Jahre
1831 , (Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung
der Deutschen, 1831, No. 173 und 189) und eine
Bestätigung der Campherwirkung.
Bei der jetzt wieder allgemein auftretenden
Choleragefahr und dem furchtbaren Ausbruche der
Seuche in Hamburg wird es Vielen unserer Leser
interessant sein, wenn wir eine Veröffentlichung
Hahnemann*s über die Cholera und die Verwend¬
barkeit des Camphers gegen dieselbe aus der Epidemie
im Jahre 1831 zum Abdruck bringen, sowie den
Auszug eines Schreibens des Leibarztes der Herzogin
von Lucca, Dr. Anton Schmit, an denselben vom
5. September 1832, welches eine interessante Be¬
stätigung der Heilkraft des Camphers enthält. Es
ist dieser historische Bückblick um so gerecht¬
fertigter, als College Hesse in Hamburg auch heute
wieder den Campher vorzugsweise indizirt findet
Bis zum Jahre 1830 war die asiatische Cholera
in Europa unbekannt gewesen. Nach Orenburg und
Astrachan eingeschleppt, wurde sie damals zu einer
ausgesprochenen Weltseuche. Durch den russisch¬
polnischen Krieg wurde sie im April 1831 nach
Polen verpflanzt und schon im Mai trat die erste
deutsche Epidemie in Danzig auf. Ein Auf¬
halten der Seuche war nicht mehr möglich. Im
August und September wütbete sie in Berlin und
Wien, während sie gleichzeitig auch in Constanti-
nopel eine zweite Eingangsstrasse nach Europa fand.
In der Nummer 173 des „Allgemeinen Anzeigers“
vom 29. Juni 183 L erschien die folgende Ver¬
öffentlichung Hahnemann’s, sein «ErläuternderZusatz 8
in No. 189 am 15. Juli 1831. Wir bringen Beide
zunächst zum Abdruck und wollen das oben erwähnte
Schreiben des Dr. Anton Schmit darunter folgen
lassen.
Die Cholera
war dem von ihr entfernten Publicum bisher, wegen
Nachlässigkeit der zeitherigen Beobachter, nur
höchst unvollkommen in ihren wahren Aeusserungen
bekannt geworden, und es ward daher unmöglich,
das beste Specificum dafür auszumitteln.
Folgende Beschreibung der sechs Hauptformen,
in welcher dieselbe in Galizien zu erscheinen pflegt,
von einem Kenner der Homöopathik im stanislawower
Kreise am 5. Junius aufgesetzt nach einer grossen
Menge von Kranken, die dieser uneigennützige
Menschenfreund behandelt hat, wird uns etwas weiter
führen.
«Seit ungefähr einem halben Jahre,“ schreibt
er mir, «hat sich die Cholera an der galizischen
Grenze eingefunden; in Folge des russischen Sanitäts-
consultationsausspruchs hat man sie auch hier für
nicht ansteckend gehalten, weshalb dieselbe un¬
gehindert sich im Lande fortpflanzt.“
«Sie äusserte sich hier unter nachstehenden
Formen und Symptomengruppen, die oft in einander
greifen, mit Ueberspringung des einen oder andern
Symptoms, so dass bei dem einen Subjecte die
Krankheitserscheinung mehr in den ersten Wegen,
bei den Andern mehr im Respirations- und Blut-
systeme und bei wieder Andern mehr als Angriff
auf das Nervengebilde vorherrschend sich darstellt“
«Erste Hauptform: Schwindel, heftiges Brennen
im Magen und Schlunde; bei Berührung der Herz¬
grube mit dem Finger ein unwillkürlicher Schrei
vor Schmerz; unbewegliches Dahinliegen des ganzen
Körpers, wie im Stupor; verglasete Augen; bei
Einigen Urinverhaltung; Tod.“
„Zweite Hauptform: Plötzliches Kaltwerden der
Hände und Füsse, mit gänzlicher Gefühllosigkeit;
Blauwerden der Hände bis zum Wurzelgelenk;
Krämpfe; Tod.“
„Dritte Hauptform: Ohne alles Vorgefühl,plötz¬
licher, allgemeiner Starrkrampf; Tod.“
«Vierte Hauptform: Kopf- und Gliederschmerz
mit Husten; starke Hitze, mit Brennen im Bauche;
kalter und warmer Schweiss; endlich Starrkrampf;
Tod.“
„Fünfte Haoptform: Heftige Brustentzündung
mit Blutauswurf oder Blutentleerungen von unten;
dann heftige Stiche im Gehirn; Tod.“
„Sechste Hauptform: Plötzliches Sinken der
Kräfte, Brechdurchfall wie Wasser; wässerige Stuhl-
ausleerungen; Kollern im Unterleibe; heftiges Ein¬
ziehen der Bauchmuskeln; sehr erschwertes Athmen
mit Röcheln; hippocratisches Gesicht, mit agonisi-
rendem Herumwerfen; Tod.“
Die erste Form suchte er mitCicuta virosa zu
bekämpfen; aber sie passet nur zum Theil, und es
war nicht zu verwundern, dass er damit von vier
Kranken dieser Art nur zwei rettete. Bei der
zweiten Form half mehr Frottiren und heisse Um¬
schläge, als Sabadilla, die nur in einem einzigen
Falle half. Gegen die dritte Form fand er bisher
kein Mittel, ln der vierten Form half in allen
leichtern Fällen, die noch nicht bis zum Starrkrampf
gediehen waren, Rhus toxicodendron, gehörig hoch
potenzirt Gegen die fü nfte Form gab er Anfangs
Aconitum Napellus, dann Atropa Belladonna, und
von sieben Kranken dieser Art starb kein einziger.
In der sechsten Form schien Veratrum album hülf-
reich; aber von zweiunddreissig Kranken konnte er
damit doch nur zwanzig zur Genesung bringen.
Ob nun gleich durch dieses homöopathische
Verfahren weit Mehrere hergestellt wurden, als beim
gewöhnlichen allöopathischen durch Aderlässe etc.,
so fehlt doch noch gar viel dabei an einer durch¬
gängig zu wünschenden Hülfe gegen diese mörderische
Seuche.
Digitized by v^ooQie
89
Noch weit mehr Hülfe, als diese, Hesse sich
freilich in kleinen Gaben hoher (i) Potenzirangen
desKupfers (Cuprum), des Conium maculatum und
das Hyoscyaraus niger antreffen. Wo fänden sich
aber hinreichend geübte Homöopathiker genug, welche
mit diesen, bei übertriebenen Gaben, oder im un¬
passenden Falle nicht ungefährlichen Arzneien, einer
Menge solcher Kranken mit Erfolg zur Hülfe ge¬
schickt werden könnten, deren Leben oft nach einer
unhülfreich verbrachten Viertelstunde nicht mehr
zu retten ist
Ohne also diesen, hier höchst wahrscheinlich
heilsamen Arzneien grossen Erfolg absprechen zu
wollen, wenn sie zeitig genug, in der passendsten
(kleinen) Gabe hoher Potenzirung und von geübten,
behutsamen Homöopathikern angewendet würden,
müsste man doch einem andern Mittel bei weitem
den Vorzug geben, welches die Hülfskraft aller
dreien und auch die des Rhus toxicondendron in
sich vereinigt, vor allen diesen aber nicht nur den
Vorzug besitzt, den bei der Cholera allzu sehr und
allgemein zu befürchtenden Starrkrampf in der Erst¬
wirkung hervorbringen (und ihn daher am gewissesten
heilen) zu können, sondern auch den Vorzug besitzt,
bei seiner durchdringenden, fast augenblicklichen,
allgewaltigen Wirkung dennoch, wegen seiner Flüch¬
tigkeit, fast gar nie gemissbraucht werden zu können
und so auch selbst im Uebermasse das Leben nie
zu gefährden.
Dieses einzige Mittel ist der Campher (von
Laurus Camphora), welcher ausser seinen, in der
Cholera sehr speciell passenden Wirkungen, noch
vorzugsweise vor allen andern Arzneien die Eigen¬
schaft besitzt, dass er die feinsten Thiere niederer
Ordnung schon durch seinen Dunst schnell tödtet
und so das Cboleramiasma (was wahrscheinlich in
einem, unsere Sinne entfliehenden lebenden Wesen
menscbenmörderischer Art besteht, das sich an die
Haut, die Haare etc., der Menschen oder an deren
Bekleidung hängt, und so von Menschen zu Menschen
unsichtbar übergeht) am schnellsten zu tödten und
zu vernichten, und so den Leidenden von demselben
und der dadurch erregten Krankheit zu befreien und
berzu8t.ellen im Stande sein wird.
Zu dieser Absicht muss der Campher in voller
Ausdehnung angewendet werden. Innerlich nimmt
der Kranke, wenn er nicht schon zum Einnehmen
unfähig ist, alle Minuten einen TbeelÖffel voll eines
Gemisches von einem Quentchen Campherspiritus
(gesättigte Auflösung des Camphers in Weingeist)
in vier Loth heissem Wasser, und äusserlich wird
ihm mittelst eines wollenen Tuches ein Theil des
Körpers nach dem andern mit Campherspiritus ein¬
gerieben, während die übrigen Theile mit einer wohl
durchwärmten und mit Campher durchräucherten
Decke eingehüllet werden. Zugleich lässt man in
der Krankenstube, auf einem heissen Bleche über
einer kleinen Lampe, ununterbrochen aufgelegten
Campher verflüchtigen, so dass die Stubenluft stark
damit geschwängert sei.
Dieser Campherdunst, welcher sich dem Kranken
bei jedem Athemzuge aufdringt, selbst wenn schon
der Kinnbackenkrampf seinen Mund zum Einnehmen
der flüssigen Arznei verschlösse, wird nächst dem
anhaltenden Einreiben des Campherspiritus auch da
noch helfen, wo Eiskälte der Glieder, Starrkrampf
und Bewusstlosigkeit jede andere Hülfe anzubringen
versagen.
Ich hoffe, dass Keiner sterben wird, dem zeitig
diese Behandlung zu Theil ward, welche zugleich
auch den Behandler am besten vor Ansteckung
schützt und so seinem Rettungsgeschäfte die sonst
so drohende Lebensgefährlichkeit benimmt.
Um aber auch die Ansteckung und Verbreitung
der Cholera gewisser unmöglich zu machen, als
bisher, müssten in der Contumaz (Quarantaine) aller
da anlangenden Fremden Kleidungsstücke, ihre
Wäsche etc. (während ihr Körper durch schnelles
Waschen gereinigt und mit reiner, leinenen oder
barchenten, zum Hause gehörigen Bekleidung ver¬
sehen würde) zwei Stunden lang in einer Backofen-
hitze von 80 Grad (wobei ein Gefäss mit Wasser
kochen kann) erhalten werden — eine Hitze, in
welcher alle bekannte Ansteckungsstoffe und so
auch die lebenden Miasmen vernichtet werden.
Cöthen, den 23. Jun. 1831.
Samuel Hahnemann.
Erläuternder Zusatz zu meiner Abhandlung
über die Heilung derCholera durch Campher.
Der Campher ist eine so besondere Arznei¬
substanz, dass man sie leicht für eine Ausnahme
von allen übrigen zu halten in Versuchung kommen
könnte, denn er macht auf den menschlichen Körper
einen, obschon mächtigen, doch nur gleichsam ober¬
flächlichen Eindruck, welcher zugleich so vorüber¬
gehend ist, wie von keiner anderen, so dass man
bei seiner homöopathischen Anwendung die kleine
Gabe fast augenblicklich wiederholen muss, wenn
die Heilung einen dauerhaften Erfolg haben soll.
Diese beim Campher so oft nöthige Erneuerung der
kleinen Gabe beim homöopathischen Gebrauche giebt
ihr das Ansehen einer grossen Gabe und diesem
Verfahren den Anschein einer palliativen Behandlung,
die es doch durchaus nicht ist, da der Heilerfolg
in solchen Fällen dauerhaft bleibt, und seinen Zweck
vollkommen erreicht, was ein Palliativ, der Natur
der Sache nach, (als dem Krankheitszustande in
seiner Wirkung entgegen gesetztes Mittel) nie thun
kann, weil es stets in der grossen, auch wohl ge¬
steigerten Gabe doch nur eine vorübergehende
Scheinhülfe hervorbringen und das Uebel in der
Nachwirkung nur sich stets wieder erneuernd und
um desto mehr sich verstärkend hinterlassen kann.
12
Digitized by
Google
90
Dies erhellet auch z. B. aus dem homöopathischen
Gebrauche des Camphers gegen die Influenza, für
welche er das specifiscbe, homöopathische Heilmittel
ist Da muss der Kranke ebenfalls fast alle Augen¬
blicke in die Campherauflösung riechen, wenn er
bald und vollkommen geheilt sein will, was dann
oft in vierundzwanzig Stunden vollständig erfolgt.
Cöthen, den 11. Jul. 1831.
Samuel Hahnemann.
Aus dem allgemeinenAnzeiger der Deut sehen
vom 21. September 1832:
Hochverehrter Hahnemann!
„Ich überschicke Ihnen hier ein interessantes
Document über die Heilsamkeit des Camphers in
der Cholera. Nur Schade, dass dergleichen so spät
bekannt wird.
D&ka ist der Wohnort des Grafen. Ausser
diesem hat er in den nahen Ortschaften denen an
der Cholera Erkrankten Hülfe geschafft. Er selbst
hat über 500 Cholerakranke gesehen, und da er
nicht überall sein konnte, nahm er sich drei bis
vier männliche Individuen zur Seite, die er unter¬
richtete und dahin sandte, wohin er selbst zu gehen
keine Zeit hatte. Er hat, wie Sie sehen, nichts als
den Campher angewendet Die Veranlassung dazu
war ein Aufsatz in der Pester Zeitung von einer
Dame aus der Gegend von Türnau, die auch selbst
den Arzt machte und fast alle mit Campher heilte.
Dies bewog ihn zu einem Versuche, der so gut
ausfiel, dass er gar nichts Anderes anwandte.
Früher schon hatte er Ihren Vorschlag, den Campher
gegen die Cholera anzuwenden, in der allg. Zeitung
gelesen, aber kein Vertrauen dazu gefasst, da ihm
die Homöopathie fremd war, und er einen Vor¬
schlag a priori von einem Manne, der die Cholera
noch gar nicht gesehen hatte, für nicht beachtens¬
wert hielt. Sie können sich denken, wie ver¬
schieden sein jetziges Urtheil über Sie ist, zufolge
der gemachten Erfahrung mit dem Campher.
Wie sehr der Graf Mensch und Christ, und
wess Geistes er ist, wird Ihnen dieses Document
zeigen. Dieses Document ist im Archiv noch mit
mehreren wichtigen Krankengeschichten, die er An¬
fangs, ehe die Krankheit um sich griff, verfasst
hatte, belegt. Er wollte es in Pest durch die
Zeitung bekannt machen, allein man erwiderte ihm,
dass der Gebrauch des Camphers in der Cholera
nichts Neues sei, und dass man es daher nur be¬
kannt machen würde, wenn er es seiner selbst
willen verlangte. Seiner selbst willen fand er die
Bekanntmachung nicht für nöthig und so unterblieb es,
An sporadischen Krankheiten lagen in dieser
Zeit achtzig krank, davon sind gestorben drei. Von
denen, die in der Cholera nicht ärztlich behandelt
wurden, kam keiner davon; es waren deren im Orte
Daka sieben bis acht. Zwei Häuser sind ganz aus-
gestorben. u
Kamphergeist vertilgt allein die Cholera .
„Schilderung der Cholera in Däka in Ungarn
und deren Heilung, vom 17. Sept, bis
15. Nov. 1831.“
„Als die Cholera morbus zu Däka ausbrach
und auf ärztliche Hülfe nicht mehr zu rechnen war,
indem zu Papa zu gleicher Zeit die Epidemie
herrschte, ich doch meine Unterthanen nicht ohne
Versuch der Hülfe dahin sterben lassen wollte, so
habe ich, auf Gott vertrauend, welcher jene nicht
verlässt, die ihrem Bruder helfen, den Versuch ge¬
wagt, mit Camphergeist, welcher durch Dr.
Hahnemann empfohlen wurde, die Cholera zu
heilen, und Gottes Segen hat meine Bemühungen
mit glücklichem Erfolge gekrönt. Ich halte es da¬
her für meine Pflicht, die Art, wie ich dabei ver¬
fahren und meine gemachten Beobachtungen darüber
aufzuzeichnen, damit Andere in späterer Zeit,
Falls diese unglückliche Krankheit wieder zurück¬
kehren sollte, sich darnach halten können. Dieses
Document soll daher im Familienarchiv aufbewahrt
werden.
Die Vorboten der Cholera, welche auch öfters
mehrere Tage, oft nur mehrere Stunden vorher
empfunden werden, sind:
1) Unbehaglichkeit, Schwäche in allen Gliedern.
2) Kalte Hände, welche man nicht erwärmen
kann, unrichtiges Betastungsgefühl, oft, als wären
die Finger eingeschlafen, und gar keine Kraft,
etwas anzufassen.
3) Die Füsse kalt, welche so schwer scheinen,
dass man sie kaum fortschleppen zu können glaubt.
4) Das Gefühl eines Zusammenziehens, oder ein
Drücken in der Magengegend, welches unleidlich
sich vermehrt, wenn man darauf drückt.
5) Gewöhnlich einem Jeden auffallende Blässe
des Gesichts und der Lippen.
6) Oefter Kopfschmerz, obwohl man Kälte em¬
pfindet, und
7) oft auch schon mehrere Tage zuvor Ab¬
weichen, meistens grüner, dünner Excremente.
Wenn man dies fühlt und die Cholera schon in
dieser Gegend ausgebrochen ist, wird man gut thun,
sich zu Bette zu begeben, warm zuzudecken, auf
die Magengegend, auf die blosse Haut einen mit
Camphergeist befeuchteten Flanell aufzulegen, und
mit der Hand darauf zu halten, worauf man in
Kurzem fühlen wird, dass sich der Magen sehr er¬
wärmt, das Drücken nachlässt und der ganze Körper
sich erwärmt; es erfolgt gar öfters darauf ein ge¬
linder Schweiss, worauf man gewöhnlich einschläft
und vollkommen wohl sich befindet, den andern
Digitized by v^ooQie
91
Tag aufstebt and die Cholera glücklich in ihrem
Keim erstickt hat, welches ioh mehrmals an mir
selbst und auch bei Andern bestätigt gefunden
habe; hilft es nicht gleich, so kann man das Be¬
feuchten des Flanells nach einer Viertelstunde
wiederholen, und den andern Tag wird man wohl
thun, sich vor jeder Verkältung zu hüten, diät zu
leben und lau zu trinken; versäumt man dies, so
erfolgt das erste Stadium, welches oft sehr kurz
ist; es zeigt sich
1) mit vollkommener Muthlosigkeit, starker Be¬
ängstigung;
2) eiskalte Fasse bis über die Knie, die einen
nicht mehr tragen wollen;
3) eiskalte Arme und Hände, von denen Kraft
und Gefühl gewichen ist;
4) oft Schwindel, öfters auch heftige Kopf¬
schmerzen;
5) der Magen wird krampfhaft zusammenge¬
zogen, die Magengrube fühlt sich wie eine Ge¬
schwulst an, und schmerzt, wenn man sie berührt;
6) ganz blasses verstörtes Aussehen, die Lippen
blau, tiefliegende Augen;
7) Zusammenziehen des Herzens, worauf man
glaubt, es zerspringe;
8) meistens öfteres, schnell auf einander fol¬
gendes Laxiren;
9) worauf meistens Erbrechen erfolgt;
10) gewöhnlich erhöhter Pulsschlag, welcher
aber bald nachlässt.
Hier muss man sich augenblicklich zu Bette
legen, so warm als möglich zudecken, so, dass nur
die Nase heraussieht, und dem Kranken gleich auf
ejn Stückchen porösen Zucker, weil dieser im Munde
schneller erweicht, fünf, vier, drei oder zwei Tropfen
starken Campherspiritus eingehen, je nachdem ein
Mann, eine Frau oder ein Kind stärker oder
schwächer sind, und damit alle fünf Minuten fort¬
fahren, bis alle Schmerzen aufgehört haben und ein
wohlthätiger Schweiss eintritt. Gewöhnlich hören
die Schmerzen nach der zweiten Eingabe auf; der
Schweiss bricht hier meistens nach der dritten oder
vierten Eingabe aus, und bevor der Schweiss ein¬
tritt, und während der ersten Standen des Schweisses
hat man heftige Wallungen, und das Schwitzen
scheint einem unerträglich; die Wärter müssen
darauf sehr Acht geben, dass der Kranke gut zu¬
gedeckt bleibe, wenigstens fünf bis sechs Stunden,
und nur, wenn man nicht mehr gar so sehr schwitzt,
und fühlt, dass die Wäsche auf dem Körper kalt
wird, so kann man gut gewärmte Wäsche mit der
Vorsicht, sich ja nicht zu verkühlen, wechseln und
trachten, in einer leichten Ausdünstung noch
24 Stunden und auch länger zu bleiben, die ersten
sechs oder acht Stunden wo möglich nichts trinken,
als Getränk halb Wein halb Wasser, mehr ge¬
wässert für jene, welche nicht gewohnt sind, Wein
zu trinken, und zwar so warm, als man es ver¬
tragen kann. Als Nahrung den ersten Tag eine
kräftige Suppe, den zweiten und dritten Tag auch
nur sehr leichte Speisen, kein Gemüse, nichts
Saures, und fortwährend laue Getränke, um sich
nach und nach wieder an kälteren Trunk zu ge¬
wöhnen, und sich warm zu kleiden. Wer diess im
abnehmenden Verhältnisse genau befolgt und früher
gesund war, wird in zwei, längstens in vier Tagen
wieder ganz hergestellt. Wer kalt trinkt, sich ver¬
kühlt oder den Magen verdirbt, wird recidiv, in
diesem Falle muss man gleich wieder von vorn die
Cur wiederholen, sonst fällt derselbe ins zweite
Stadium. In diesem werden:
1) Die erkalteten Füsse durch Krämpfe ge¬
zogen , dann zieht der Krampf oft durch den ganzen
Körper fort von den Waden an, kommt dann in
die Schenkel, oft in den Bauch, in’s Kreuz, dann
in den Rücken, in die Schultern, Arme und Hände,
zuweilen in’s Genick, welches die heftigsten Schmerzen
verursacht-.
2) Schwindel, Hang zur Ohnmacht, so heftige
Beängstigung, dass man gleich zu sterben glaubt.
3) Der ganze Körper kalt wie Marmor.
4) Krämpfe im Magen, worauf Erbrechen folgt,
welches meistens aus zähem, wässerigen Schleime
besteht.
5) Laxiren eben solcher Materien, wie der Kranke
erbricht, manchmal Kolik.
6) Das Gesicht leichenblass, die Lippen blau
und halb geöffnet, dass man die zusammengebissenen
Zähne sieht, tief liegende Augen mit blauen Rän¬
dern, schmerzvoller Blick mit matten, halb ge¬
schlossenen Augen.
7) Heisere Stimme, welche immer schwächer
wird.
8) Heftige Unruhe, der Kranke will durchaus
nicht zugedeckt bleiben.
9) Heftige Beklemmung auf der Brust, Schmer¬
zen in der Herzgrube; auch zuweilen Seitenstechen.
10) Kurzes Athemholen.
11) Heftiger Durst, der Patient bittet um Alles
in der Welt nur um einen kalten Trunk, welchen
er, wenn er selben erhält, gleich erbricht, worauf
die Schmerzen sich verstärken.
12) Die Kräfte nehmen geschwind ab, er kann
nicht mehr uriniren.
13) Sehr schwacher Puls.
Der Kranke muss ohne Verzug zu Bette ge¬
bracht und gut zugedeckt werden. Da die Kranken
in diesem Stadium kaum ruhig zu erhalten sind,
so ist es nothwendig, das Zimmer wenigstens auf
zwanzig Grad Reaumur heizen zu lassen, gewärmte
Ziegel zu den Füssen legen, und mit Camphergeist
befeuchteten Flanell auf den Magen legen, welcher
öfters angefeuchtet werden muss, diess thut dem
Kranken wohl, ist aber nicht unumgänglich nöthig.
12 *
Digitized by
Google
Es wird sogleich dem Kranken auf Zucker, fünf
vier, drei oder zwei Tropfen Camphergeist, je nach
dem Individuum, von vier zu vier Minuten ein¬
gegeben , bis Schmerzen und Krämpfe aufhören.
Erbricht der Kranke die Eingabe, welches oft ge¬
schieht, so muss man gleich wieder eingeben,
welches er gewöhnlich das zweitemal behält. In
diesem Stadium ist oft sechs- bis siebenmaliges
Eingeben nothwendig, bevor Schmerzen und Krämpfe
auf hören. Ich habe selbst bei starken Krämpfen
einer sonst schwachen Frau elfmal nach einander
eingegeben. Oft bleibt Mangel an Appetit und
ausserordentliche Schwäche, selbst wenn alle be¬
denkliche Symptome nachlassen; für dieses hat
viermal des Tages zwei oder drei Tropfen China-
tinctur genommen, vortreffliche Dienste geleistet,
und glücklichen Erfolg gehabt. Im ersten Stadium
hört der Durst gewöhnlich nach dem Gebrauch des
Camphers auf; im zweiten Stadium aber ist er
schwer zu unterdrücken; auch hier giebt man
Wasser und Wein, aber wenig auf einmal, und nur
dann, wenn die Schmerzen aufgehört haben. Oft
kommen die Schmerzen nach mehreren Stunden
wieder, besonders wenn sich der Patient ein wenig
erkühlt hat, da muss man durch zwei- oder drei¬
maliges Wiederholen eingeben, und suchen, den
Schmerz zu stillen, und den unterbrochenen Schweiss
wieder herzustellen, indem ein unausgesetzter
Schweiss von zehn bis zwölf Stunden, um sich vor
Recidiven zu sichern, sehr wünschenswert ist.
Wenn die Wäsche auf dem Körper kalt zu werden
scheint, so ist der Augenblick, gut gewärmte
Wäsche, aber mit der grössten Vorsicht, zu wech¬
seln. Haben die Schmerzen aufgehört, so fängt
gleich der Puls wieder an, stärker zu werden, und
die Gesichtsfarbe wird wieder natürlich, das Auge
wird frisch, und gewöhnlich folgt nach dem Schweisse
eine starke Urinentleerung, welches ein sicheres
Zeichen der Reconvalescenz ist; die Stimme wird
wieder stark und alle Krankheitssymptorae sind wie
weggeblasen. Jüngere und vollblütigere Personen
haben oft heftige Kopfschmerzen und Wallungen,
für welche man aber in den ersten zwölf Stunden
nichts thun kann; wenn sie dann noch fortdauern,
sind selbe durch Auflegen von Sinapismen, gerie¬
benen Meerrettig oder Rahm auf die Füsse gleich
weggebracht. Bei München dauert auch nach auf¬
gehobener Cholera das Laxiren fort, welches leicht
mit ein Paar Löffel weich gesottenem Reis, der mit
frischem Schöpsenfette reichlich übergossen wird,
jedoch ungesalzen sein muss, auf ein oder zweimal
Einnehmen gestillt. Dieses Mittel hat bei mehr
denn vierzig, ohne einmal zu fehlen, immer geholfen.
Man muss nach dem Schweisse noch drei Tage im
Bette bleiben, sehr mässig leben, sich auch, wenn
man schon aufgestanden, vor jeder Erkältung hüten,
wenigstens während acht Tagen lauwarm trinken.
Wer sich verkühlt oder kalt trinkt, wird recidiv,
und ist nicht gleich Hilfe bei der Hand, so fällt
man in das dritte Stadium, in welchem:
1) Allgemeine Fühllosigkeit, oder die Schmerzen
aufhören.
2) Mehr Zuckungen als Krämpfe, welche bald
in einem Fusse oder Arm abwechselnd sich zeigen,
ohne jedoch Schmerzen zu verursachen.
3) Das Gesicht wird unkenntlich; Todtenfarbe,
blaue Lippen, ein starrer Blick mit tief liegenden
Augen.
4) Der ganze Körper kalt, mit einem klebrigen
kalten Schweisse bedeckt.
5) Von Zeit zu Zeit Erbrechen, oft, aber wenig
auf einmal, eben so Abführen, ohne sich dessen
bewusst zu sein.
6) Sehr heisere unvernehmliche Stimme.
7) Der Puls geht langsam, setzt oft ganz aus.
8) Das Bewusstsein bleibt gewöhnlich bis zum
letzten Augenblicke, wo der Kranke nach einigen
Zuckungen stirbt. Dieser Todeskampf dauert oft
vier bis fünf Stunden und auch länger; bei diesen
Symptomen ist keine Hülfe mehr vom Campher-
geiste zu erwarten.
Die Vorboten der Cholera sind manchmal schon
mehrere Tage vor Ausbruch der Krankheit merkbar.
Das erste Stadium dauert oft nur eine Viertel¬
stunde, manchmal auch einige Stunden. Das zweite
Stadium dauert oft zwei Tage, oft auch nur einige
Stunden. Sehr viele sterben im zweiten Stadium
im Starrkrampf, weshalb bei diesen, welche so
schnell sterben, und die meistens junge Leute sind,
es nöthig wäre, Proben des Scheintodes zu machen;
diese Leichen sind gewöhnlich blau, und oft vom
Krampf zusammengezogen; die Todten werden
meistens nach mehreren Stunden wieder weiss; es
ist hier eine solche Scheintodte durch Einschütten
von etwas Camphergeist glücklich wieder in’s
Leben gebracht worden, die schon vier Stunden
todt schien.
Im dritten Stadium ist meiner Meinung nach
auch keine Hülfe mehr möglich, um so mehr, wenn
die Beobachtungen des Dr. Loder zu Moskau, eines
Veterans der Heilkunde, sich bestätigen, dass die
Materie, welche gebrochen und laxirt wird, gerade
aus diesen Theilen besteht, die bei genauer Ana-
lysirung des Blutes demselben mangeln. Es ist
daher wahrscheinlich, dass, wenn die Zersetzung
des Blutes schon zu weit vorgerückt ist, durchaus
keine Hülfe mehr möglich sei. Ausserdem hat die
Erfahrung uns deutlich gelehret, dass erstens, ob¬
wohl die Cholera ansteckend ist, Cordons dafür
keinen Schutz gewähren, durch die Sperrungen
aber fast eben so grosses Unglück entsteht, als die
Cholera selbst verursachen kann. Die Todten
stecken an nach mehreren Stunden, die Excremente
ebenfalls, wenn selbe längere Zeit der Luft aus-
Digitized by v^ooQle
93
gesetzt in Gährung übergehen, gewöhnlich erst
den zweiten Tag, darum müssen erstere nur mit
Vorsicht berührt, und gleich in die Särge gelegt,
um dass man selbe nicht ferner zu berühren brauche,
und bald aus den Wohnungen der Lebenden weg¬
gebracht werden; die Excremente muss man aber
sorgfältig in eine Grube zusammenschütten, damit
sie dort mit ungelöschtem Kalk neutralisirt werden.
Nachkrankheiten entstehen nach dem Gebrauche des
Camphers, wie die Erfahrung lehrt, keine. Jene
aber, welche Fieber vorher hatten, bekommen ge¬
wöhnlich dasselbe Fieber nach überstandener Cho¬
lera wieder.
Jene, die sich schlecht halten, öfters recidiv
werden, haben eine Art Frieselausschlag bekommen,
welcher nach einigen Tagen abtrocknet. Jene,
welche zu früh aufgestanden, und nasse Füsse be¬
kamen, haben Geschwülste, ja selbst Geschwüre
auf das Schienbein bekommen, die auch ohne Mittel
von selbst nach einigen Tagen wieder gut wurden.
Dass so viele unter ärztlicher Behandlung starben,
rührt daher, weil der Arzt leider bei einer so
schnell zerstörenden Krankheit meistens zu spät
kömmt, und die Aerzte wegen der grossen Zahl
der Kranken nicht im Stande sind, bei Einem zu
bleiben, welches doch bei der schnellen Hülfe, die
es erheischt, nothwendig wäre; daher sollte jeder
Hausvater oder Mutter, ohne auf den Arzt zu
warten, sich selbst helfen. Alle jene, welche nach
dem Gebrauche des Camphers wirklich auf dem
Wege der Besserung wareD, und durch reisende
Aerzte zu Alasony andere Mittel erhielten, beson¬
ders doverische Pulver, Abführungs- oder Brech¬
mittel, welche als Nacbcur dienen sollten, sind
gleich wieder krank geworden, und alle gestorben.
Alle, welche nichts gebraucht haben, sind ge¬
storben. Jene, welche kalt tranken, und in freier
Luft blieben, nach sechs oder sieben Stunden.
Nur jene werden angesteckt, welche eine Disposition
dazu haben. Vertrauen auf Gottes Güte, welche
am meisten Muth giebt, ist das beste Präservativ.
Ferner dient zur Beruhigung, dass die Campbercur
jedem ohne Unterschied, wie die Erfahrung hier
lehrte, hilft Leute von hohem und niederem
Stande, Greise und Kinder, Männer und Weiber,
Wöchnerinnen, ohne dass sie die Milch verloren,
und Schwangere kurz vor ihrer Entbindungszeit,
kurz, jeder ohne Ausnahme, welcher sich genau
nach dieser einfachen Vorschrift hält, und es nicht
bis zum dritten Stadium kommen lässt, wird ge¬
rettet. Jeden Gebrauch von Nebenmitteln, ja selbst
Kräuterthee, habe ich als den Gang der Heilung
verzögernd gefunden.
Auf diese Art sind zu Däka von 161 Cholera¬
kranken, welche mit Camphergeist behandelt wurden,
nur fünfzehn gestorben, und zwar acht, welche im
dritten Stadium Hülfe suchten, und sieben, welche
durch schlechtes Halten nach drei- oder viermaligem
Recidiv nicht mehr zu retten waren, worüber in
meinem Archive ein gerichtlich aufgenommenes, von
mehr als siebzig Personen bejuramentates (beschwo¬
renes) Dokument zu finden ist.“
Thomas Graf Nadasdy.
Dr. Stifft.
Cholera-Anfall oder Arsenik-Vergiftung.
Von Dr. Fr. Keppler in Venedig.
(Wiener med. Wochenschrift No. 50. 1891. 12. Dec.)
Auf der Höhe der Cholera-Epidemie zu Venedig
im Jahre 1886 wurde von der Poliklinik dringend
Hilfe erbeten für eine 71 Jahre alte Frau, die nach
Angabe ihres Arztes seit 12 Stunden von asphyk-
tischer Cholera befallen, und dem Tode nahe war.
— Als wir eintraten, schien gerade die Sonne hell
in die Stube und beleuchtete voll das Gesicht der
alten Frau; ein einziger Blick genügte, um be¬
stimmt sagen zu können die Frau hat keine
Cholera.
Der asphyktische Cholera-Anfall hat
ein pathognomisches Symptom , das ihn von allen
Krankheitsbildern, mit denen er sonst wohl ver¬
wechselt werden könnte, von Cholera nostras und
von einigen akuten sog. irritativen Vergiftungen
unterscheidet, vor Allen der Arsenik-Vergif¬
tung, mit denen er ganz gewöhnlich alle übrigen
Symptome gemein hat. — Daher verlangen viele
Aerzte die Sektion jedes der mit dieser aspykt. Krank¬
heit ähnlichen Erscheinungen gestorben ist. —
Das pathognomische Symptom der asphyktiscbon
Cholera liegt in dem brechenden Auge. —
Die Augen sind nie geschlossen, das obere
Augenlid bängt halbgelähmt, schwarzblau über den
tiefeingesunkenen Augapfel herab, einen Theil der
Cornea bedeckend; das untere Augenlid ist nach
unten gesunken und kann nicht aktiv heraufgedrückt
werden. —
Was von der Cornea noch sichtbar ist und von der
Conjunktiva bulbi das ist vollkommen glanzlos. —
Das untere Augenlid ist von einem breiten schwarz-
blauen Halbkreise umgeben, wodurch der Augapfel
noch tiefer zu liegen kommt. Auch dem Tode
nahe Cholerakranke erbeben auf energisches Ver¬
langen noch langsam und mühsam das obeie Lid
und sehen den Arzt mit den grossen, glasstarren,
glanzlosen Augen einer Leiche an, was einen grauen¬
haften unvergesslichen Eindruck macht.
Es war nur eine zufällige Vergiftung
mit Arsenik möglich — alle übrigen Ver¬
giftungen waren ausgeschlossen; denn nur von Ar¬
senik können grössere Mengen in Lösung oder Sub¬
stanz verschluckt werden, ohne dass sie irgend
Digitized by v^ooQie
94
welche Geschmaok-Empfindungen, Schmerzen oder
lokale Aetz- und Entzündungs-Erscheinungen aus-
lösen. —
Bei ihr sind die Augen injicirt, feurig, irr,
hervorgedrängt. Gesicht geröthet und angescbwollen.
Die Lippen trocken, rissig — Mund und Zunge
desgleichen. —
Anmerkung des Referenten Dr. Prö 11:
Dies ist ein offenes frappantes Geständniss für die
Wahrheit des homöopathischen Principes, indem bei
den aspbyktischen Cholera-Anfällen Arsenik die
herrlichsten Triumphe der Bettung feierte.
In der deutsch-medicin. Wochenschrift No. 45
(5. November 1891) erschien eine Besprechung von
Schroffs historischer Studie über Paris quadrifolia .
Ein Beitrag zur Geschiehte der Arznei¬
mittellehre. Graz bei Leuschner u. Lubensky.
1890. Ret K. Sudhoff.
Ein Cabinetstück historisch - pharmacologischer
Forschung von vielfachem Interesse, das sich nament¬
lich auf dem so wenig bebauten Gebiete der Medicin
des 15. u. 16. Jahrhunderts Verdienste erwirbt.
Der 1. Abschnitt behandelt die Namen,
unter welchen die Paris geführt wird und Aebn-
lichkeit mit ähnlichen Mitteln. —
Der 2. hist, - medicin. Theil beginnt mit
Baptistia Gardius (1523) aus Pavia bis Adam von
Lebenwaldt aus Steiermark.
Im 3. hist.-toxicologischen Abschnitte
wird die Frage der Giftigkeit der Einbeere er¬
örtert. —
Zum Schlüsse ist ein treffliches Literatur-
verzeicbni8B angefügt, was für künftige pharma-
cologisch-historische Arbeiten sehr dankenswerth zu
begrüssen, weil unserer heutigen medicinischen Ge¬
lehrtenwelt bibliographische Kenntnisse nur zu sehr
abgehen.
Wir möchten wünschen, dass Verfasser uns
noch mit mehr dergleichen pbarmacologieh- histori¬
schen Studien beschenken möchte. —
Anmerkung des Bef. Die Bibliothek des
homöopathischen Central-Vereins sollte dieses Werk-
chen ankaufen. 185 8. 8°. Mk. 4.50. Dr. Pröll.
Lesefrüchte.
Ueber die toxische insbesondere durch Uranium-
nitrat erzeugte Glycosurie stellt Dr. Carthier in Paris
auf Grund eingehender experimenteller Studien den
Satz auf, dass diese in manchen Erscheinungen mit
gewissen Zuständen des chronischen Diabetes mellitus
beim Menschen eine Aehnlichkeit aufweise, aber nur
vorübergehend sei. Die Glycosurie und der chronische
Diabetes sind verschiedene, durch zur Zeit noch
unbekannte Faktoren bedingte Zustände.
Die Glycosurie erzeugenden chemischen
Agentien theilt Verf. in 3 Gruppen: 1. Glycoside
(Phloridsin), 2. Säuren, die die Oxydation des
Zuckers verhindern oder verzögern und so die Ent¬
wicklung des Diabetes fördern, während die Alkalien
die Oxydation und Destruktion des Zuckers be¬
günstigen. 3. Die direkt auf das Nervensystem
wirkenden Gifte (Strychnin, Curare, Morphin)
und die besonders auf die Leber wirkenden
Gifte (Phosphor, Arsen, Uranium). Dabei ist zu
bemerken, dass weder der congestive Zustand, noch
die substantielle Affektion der Leber in einem
direkten pathogenetischen Verhältniss zum Diabetes
stehen. Uraniumnitrat z. B. kann eine schwere
Schädigung der Leber, die sich unter anderem durch
Erscheinen hyaliner Cylinder charakterisirt, hervor-
rufen, gerade wie andere Gifte z. B. Mikrobientoxine;
aber der duroh Uraniumnitrat erzeugte Diabetes
nimmt gegen das Lebensende ab, statt mit dem
Fortschritt der Lebererkrnnkung zuzunehmen.
Mit den einen Mitteln ist die benigne, mit den
anderen (z. B. Uraniumnitrat) die maligne Form
des Diabetes zu erzeugen, wobei zu beachten ist,
dass die Schwere des experimentellen Diabetes nicht
von der im Harn vorhandenen Zuckermenge ab¬
hängt; die Schwere liegt nicht in dieser selbst,
sondern in der Qualität des aufgenommenen Giftes,
dem auch die histiologischen Veränderungen zu¬
zuschreiben sind. Der toxische Diabetes kann ab-
nehmen oder gar verschwinden, während das Gift
mächtig fortwirkt.
Auf Grund seiner Experimente gelangt Carthier
unter Prüfung der neuesten Arbeiten über den
chronischen Diabetes zu folgenden Schlüssen:
Die Gefahr beim chronischen Diabetes
liegt nicht in der Glycosurie an sich, sondern
in der Toxicität der Zuckerderivate, die wie
Gifte wirken und höchst wahrscheinlich jene Gewebs¬
veränderungen herbeiführen, die bei der Autopsie
von Diabetikern mehr weniger constant vorgefunden
werden, ebenso die Veränderungen im Gebiete des
Nervensystems und die durch Letztere verursachten
Complicationen.
Das letale Coma ist lediglich ein Effect der
Anhäufung toxischer Substanzen im Organismus (im
Harne delirirender Diabetiker finden sich: Alkohol,
Aetherdiacetat, Aceton, Milch-, Essig-, Diacet-,
Ameisen-, Croton- und Ceta-Oxybuttersäure); sie
bewirken als Zellgifte tiefgreifende Störungen in
den Excretionsorganen.
Ebenso wie die Nierenläsion bei Diabetes experi¬
mentell durch Aceton, nicht mit blossem Zucker
erzeugt wurde, ebenso werden die Leberveränderungen
in gleicher Weise durch secundäre Intoxication be-
Digitized by v^ooQle
95
wirkt sein, wie dies ja so häufig bei anderen all¬
gemeinen Erkrankuogen der Fall ist.
Zu beweisen ist noch, ob der Diabetes eine
Krankheit per se, die sich in verschiedenen Formen
manifestirt, oder lediglich einen aus verschiedenen
organischen Veränderungen im Körper resultirenden
Symptomencomplex darstellt (Tbfcse de Paris 1891.
Nach „ Internat, klin. Rundschau 1892. Nr. 7.)
Ch. Andry (Lyon) nimmt in der Lyon med.
1890. Nov. 23 an ein frühzeitiges Erkennungsmittel
des Gebärmutterkrebses , welches seit Jahren als
Unterscheidungsmerkmal gegenüber chronisch ent¬
zündetem Cervix von Laroyenne gelehrt und demon-
strirt, aber noch nicht nach Gebühr gewürdigt werde.
„ Jedes Mal wenn man in eine suspekte Stelle des
Collum oder der Cervixinnenfläche mit dem Nagel
eindrücken und Gewebsparükelchen abbringen kann,
ist man berechtigt, die Krankheit für epitheliomatöser
Natur zu halten. 0 „Das Mittel ist so einfach, wie
zuverlässig und überhebt in der Mehrzahl der
Fälle den Untersucher der mikroskopischen Unter¬
suchung.“ (Aus „Centralblatt für Gynäkologie 1891.
No. 43 )
Aus „Medico“ 1892. No. 10.
Ueber die normaliter bei jeder Respiration am Thorax
sichtbaren Zwerchfellsbewegungen . Von Prof. Dr.
Litten in Berlin. (Deutsche Med. Woch. 13/92.)
Während man bisher annahm, dass die Respira¬
tionsbewegungen des Zwerchfelles nur unter ge¬
wissen pathologischen Verhältnissen dem Auge des
Beobachters sichtbar wären, theilt Verf. mit, dass
nach seinen Untersuchungen auch unter normalen
Verhältnissen die respiratorische Bewegung des
Zwerchfelles am Thorax constant durch die In-
spection verfolgt werden kann. Die bei jeder
Respiration wiederkehrende Erscheinung läuft in
Form einer Wellenbewegung ab, welche beiderseits
etwa in der Höhe des 6. Intercostalraumes beginnt
und als gerade Linie oder seichte Furche bei
tiefster Inspiration mehrere Intercostalräume weit,
zuweilen bis an den Rippenbogen herabsteigt, um
bei der Exspiration um das gleiche Maass wieder
in die Höhe zu steigen. Man sieht diese Zwerchfells¬
bewegungen deutlich weder im Stehen, noch beim
Sitzen der betreffenden Individuen, sondern lediglich
im Liegen. Bei der Beobachtung muss das volle
Tageslicht auf den Thorax fallen, während der Unter¬
sucher vorn etwas seitlich steht. Durch die Be¬
obachtung dieses Phänomens kann man sich schnell
ein Bild davon machen, ob die Athmung frei und
ungehindert von statten geht; es lassen sich Schlüsse
hieraus auf die Ausdehnbarkeit der unteren Lungen¬
abschnitte und die Excursionsfähigkeit des Diaphragma
machen. So sind z. B. bei Pleuritis auf der Seite
des pleuriti8chen Ergusses die sichtbaren Ver¬
schiebungen des Zwerchfelles sehr gering, während
auf der gesunden Thoraxseite die Bewegungen die
normalen Grenzen zeigen. Bei Abdominaltumoren
kann dieses physiologische Phänomen vollständig
fehlen, wenn das Zwerchfell in die Höhe gedrängt
und festgestellt wurde. Durch die Beobachtung
der Zwerchfellbewegungen kann man ferner nun¬
mehr auch auf der linken Seite den Zwerchfellstand
bestimmen, was bisher percutorisch nicht möglich
war, da Herz und Leber als luftleere Organe hier
eine ineinander übergehende Dämpfung ergeben.
Die physicalische Diagnostik ist damit durch ein
weiteres, nicht unwichtiges Hülfsmittel bereichert
worden. Göhr um.
Die zeitweilig herrschenden Heil¬
mittel.
Mit besonderem Dank muss ich zwei Mittheilungen
aus Hamburg erwähnen, die in der Zwischenzeit
'eingelaufen sind. Coli. Hesse bezeichnet den Cam¬
phora Rubini als relativ die besten Dienste gegen
die Cholera asiatica leistend und verspricht nähere
Auskunft, sobald er Zeit finde. Coli. Waszily (sonst
in Kiel), der ersteren vom 5.—28. Aug. vertrat,
berichtet: „Im Beginn der Choleraepidemie etwa
vom 17.—26. Aug. war bei auffällig vielen Patienten
indicirt Sulfur x, (die hauptsächlichste Indication
hierfür war: Durchfälliger Stuhl, der Morgens früh
aus dem Bette trieb, tagsüber besser war) daneben
Veratr., vereinzelt Arsen.; bei der eigentl. Cholera
asiatica, Camphora Rubini bei plötzlichem Auf¬
treten der krankhaften Erscheinungen, vollständigem
Collaps etc., bei langsamerem Verlauf Veratr. und
Cupr. met., event. noch ganz im Beginn bei vor¬
herrschender Uebelkeit Ipecac. Andere Mittel kamen
bis 28. Aug. nicht in Betracht.“ —
Dass ausgedehnte Gebiete ein günstiger Boden
für die Entwicklung der Cholera gewesen wären,
beweisen die übereinstimmenden Angaben fast sämmt-
licher Berichterstatter.
Dierkes-Paderborn batte schon seit Mai d. J.
nur mit kleinen Unterbrechungen = Lach. (Cupr. -f-
Nux vom.) (W.). So wieder seit dem 21./8., dieses
-f- Chin. (W.) waren seine epidemischen Mittel bis
zum 2./9.; am 2. und 3. hatte er Cupr. met. -j-
Veratr. alb. (Ac. phosph. -}- Ign.) (W.).
Leeser-Bonn hatte bis zum 3./9. meist = Veratr.
alb. (meist nach Ac. phosph. -j- Ign.) (W.).
Simrock-Frankfurt a. M. sah in den letzten
3 Wochen häufige Brechdurchfälle (oft sehr heftige)
durch Veratr. und Ipecac. (H.) sehr schnell gestillt.
Grünewald-Frankfurt a. M. verwandte bei Durch¬
fällen (wässrig, bräunlich, meist plötzlich auftretend,
mit Leibschneiden und Kopfschmerz, Durst, dick¬
weissbelegter Zunge) Podophyll. (H.), in anderen
Digitized by v^ooQle
96
Fällen mit auffallend raschem Kräfteverfall China
und Arum (H.) im \Vechsel, bei hartnäckigem,
grünlichem Durchfall mehrfach Natr. sulf. (H.).
Kirn-Pforzheim theilte am 1./9. mit, dass er bei
Brechdurchfällen meist Veratr. alb. (H.) an gezeigt
finde, bei zahlreichen rechtsseitigen Gesichtsneural-
gieen Bell. (H.).
Ich-hier hatte bis zum 5./9. noch = Veratr.
alb. (aller meist nach? -j- Euphorb. otf., selten nach
Ac. phosph. -f- Ign.) (W.), daneben hier und da
auch = Card. mar. (Natr. carb. Ipecac.) (W.),
seit dem 6. vorwiegend = Kal. carb. (Silic. -f- Digit)
(W.). Als Symptome für Veratr. alb. möchte ich
nach tragen: starker Durst, Schlaflosigkeit, grosse
nächtliche Unruhe, Schnupfen mit viel Ni essen. =
Silic. (Bar. carb. -J- Led.) (W.) kommt noch immer
häufig bei scrofulösen, pustulösen (Furunkulose)
und abscedirenden Processen vor.
Buob-Freudenstadt berichtete am 28./8., dass er
noch Keuchhusten zu behandeln habe; bei Magen*
und Darmkatarrhen fand er häufig Natr. carb. und
Merc. viv. indicirt.
Hagel-Ravensburg verwandte in der letzten Zeit
vorherrschend Veratr., Ipecac., Arsen., Cnpr. (fl.).
Sigmundt-Spaichingen gab bei mehrfachen Brech¬
durchfällen Veratr. (H.); sonst batte er einzelne
Fälle für Cupr. (R.) und Lycopod. (H.).
Hafa-Hermhut hat bei chronischen Affectionen
noch häufig Nitr. ac. oder Bar. carb. -f- Sabin. (W.).
Bei der diesjährigen Cholera kämen also neben
dem Camphora Rubini hauptsächlich Veratr., Ipecac.,
Chin. und Cupr. in Betracht.
Stuttgart, den 8. Sept. 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
ANZEIGEN.
Im Verlage von A. Marggrafs homöopathischer
Offlein in Leipzig ist soeben erschienen die
1. Lieferung von
Die vergleichende
Arznei wirkungslehre
von
Dr. med. H. Gross und Prof. Dr. med. C. Hering.
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben
von
Sanitätsrath Dr. med. Faulwasser, Bernburg a. S.
Complet In 8 Lfgn. h Mk. 2.50. Einbanddecke gratis.
fjpflP"* Wer das Werk lieber im Ganzen complet
gebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen,
da später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt.
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Lieferung*
Jede Lieferung: 9 Druckbogen, 4°. Preis 2.50 Mk.
Dieses neue Werk will den vorhandenen homöo¬
pathischen Arzneimittellehren keine Concurrenz machen,
denn nach Form und Inhalt unterscheidet sich dasselbe
wesentlich von ihnen. — Es bringt Arzneivergleiche,
Mitteldiagnosen, welche allein und ausschliesslich die
Unterschiede je zweier derselben enthalten und in anti¬
thetischer Gegenüberstellung die betreffenden Ver¬
schiedenheiten scharf hervorheben.
Diese vergleichende Arzneiwirkungslehre ist vielmehr
ein Supplement aller vorhandenen homöopathischen
Arzneimittellehren.
Eine solche Arbeit fehlte bisher in der deutschen
homöopathischen Literatur und nur die Aerzte englischer
Zunge konnten sich rühmen, dieselbe zu besitzen.
Jedem homöopathischen Arzte und gebildeten Laien
ist die Anschaffung dieses Werkes dringend zu empfehlen.
Näheres ist aus den Prospekten und Probedrucken
zu ersehen, die, so weit der Vorrath reicht, auf Ver¬
langen gratis und franco zur Verfügung stehen.
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung & Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung vonCitronen* u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant, (ä 100,0 = 30 Pf.) ab.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offtein.
Hein,ofinejedc
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserte/;hin
öesundtuii
CAFFEI
öOjSaffiiscfier
Li
FRANCK
o
fl
| nachDr F.Katsch J
I nur acht,wenn
mit
| SCHUTZMARKE
ybrt'rt/noAi?
gsbur^,
u ‘
'rtiaMt
&*£*/; Hin
Unterschrift
Verantwortliche Redocteure: Dr. Goehrun-Stuttgart, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedlßke-Leipzig.
Expedition und Verlag von Willian Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druok von Greasaer k Schramm in Leipzig.
Digitized by v^ooQie
Leipzig, den 29. September 1892.
Band 125.
No. 13 u. 14.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-stuttgart, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-leipzig.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig.
Brsoheint 14 tägig au 2 Bogen. 13 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Alle Buobhandlongen nnd
Poatanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an B. Mosse in Leipzig und dessen Filialen oder an die
Verlagshandlung selbst (A- Marggrafs homöopath. Offioin in Xieipzig) au richten sind, werden mit 80 Pf. pro einmal
gespaltene Petitzeile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berochnet.
Inhalt. Aus der Praxis* Von Dr. Albert Amberg. (Forts, u. Schluss.) — Unsere Vehikel. Von Thomas
Apost&ta. — Eine prophylaktische Methode. Vortrag, gehalten von Dr. Göhrum-Stuttgart. — Die zeitweilig herr¬
schenden Heilmittel. Von Dr. Göhrum-Stuttgart. — Oie Unterstützongskasse für Wittwen homöopathischer Aerzte.
— Reohnungsablegung. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage.
Aus der Praxis.
Von Dr. Alb. Amberg.
(Forts, u. Schluss.)
8. Lehrerin J., 27 Jahre alt, eine blonde, gracil
gebaute Dame mit zarter Haut, intelligent, suchte
am 10. Juli 1889 meine Hülfe wegen einer Lungen-
affection von längerer Dauer. Sie leidet häufig an
Husten, hatte im verflossenen Winter eine massige
Haemoptoe ohne erheblichen Husten dabei und ist
nun seit 8 Tagen stärker erkrankt Sie hustet
Tag und Nacht viel mit gelblichem Auswurf, hat
grosse Dyspnoe, geringen Appetit und sieht sehr
angegriffen aus; auch fiebert sie etwas; die Menses
sind regelmässig; hereditäre Belastung ist angeblich
nicht vorhanden. Die Untersuchung ergiebt in der
rechten Lungenspitze Dämpfung, verschärfte Re¬
spiration und Bronchophonie vorn und hinten, also
Infiltration derselben, in der linken Lungenspitze
hinten kleinblasiges Rasseln, in der linken Scapular-
gegend bei der Respiration das Geräusch von Leder¬
knarren (pleuritische Auflagerung) und über beide
Lungen weit verbreitete trockene Ronchi. Ich
ordnete die nöthige Vorsicht an und gab 8 Tropfen
Sulfur 30 in 90 Gramm Wasser, 3stündlich 1 Thee-
löffel. Schon am 15. Juli stellte sich Patientin
ganz erheblich gebessert wieder vor, und zwar so¬
wohl in Bezug auf subjective Erscheinungen, All¬
gemeinbefinden, Husten und Dyspnoe, als auf die
objectiven; der Catarrh der linken Lungenspitze,
die Ronchi auf der ganzen Lunge und das Leder¬
knarren waren verschwunden. Ich liess noch für
einige Zeit Bryonia 3 nehmen und bat mir weitere
Nachricht aus. Die letztere erhielt ich erst einige
Zeit später durch Freundinnen der in 18 Kilometer
Entfernung wohnenden Patientin dahin lautend,
dass es ihr gut gehe und sie ihren Dienst versehe.
Sulfur, und speciell Suifar 30 hat mir schon
häufig bei den Catarrhen der Lungen und nament¬
lich der Lungenspitzen mit und ohne Infiltration
vorzügliche Dienste geleistet, so dass ich seine
Wirkung in solchen Fällen fast als specifisch an¬
sehe; und ich konnte schon in einem früheren
Beitrag berichten, dass wiederholt ein Husten tuber-
culöser Kranker, der dem Morphium und anderen
Narcoticis getrotzt hatte, durch Sulfur 30 wie
durch Zauber gemildert und fast gehoben wurde.
Immer ist es leider, besonders bei weit vorge¬
schrittener Phthisis mit hohem hektischen Fieber,
dem Mittel doch nicht möglich, unsere Hoffnungen
oder Wünsche zu erfüllen.
9. Johann C., 36 Jahre alt, wird seit einigen
Jahren, wie er sich ausdrückte, von einem Leiden
des Kopfes heimgesucht, das ihn Tag und Nacht
k 13
Digitized by
GoogI(
Dieser Tage erscheint auch eine Extra-Nnmmer dieser Zeitung Uber „Cholera“ auf die wir besonders aufmerksam,
machen nnd die zum herabgesetzten Preise von 60 Pf. pro StUck in jedem gewünschten Quantum zu haben ist. ‘MH
fjuäie. Melancholische Stimmung, Beängstigung und
Aengstlichkeit mit dem Gefühl von und der Furcht
vor schwerer Krankheit; dann zeitweise grosse Er¬
regtheit und Unruhe, ferner Schwindel und Druck
auf Brust und Epigastrium werden als Hauptklagen
genannt. Das Gesicht ist gerötbet, die Untersuchung
der Brustorgane ergab ein blasendes Geräusch an
8telle des ersten Herztöne Die congestive Röthe des
Kopfes bewog mich, zunächst Belladonna in 6. Dec.
zu verordnen; es war dies am 25. Sept. 1890, und
ich erreichte dadurch so viel, dass am 5. Octob.
von einer, wenn auch geringen Besserung berichtet
wurde. Die Herztbätigkeit war an diesem Tage
eine sehr erregte, es hatten sich Eiterpustelchen
am Oberschenkel eingefunden; auch wurde mit-
getheilt, dass Patient in verflossener Woche sowie
früher viel an Zahnschmerz gelitten habe. Die
Herzaffection in Verbindung mit der vorwiegend
melancholischen Stimmung veranlassten mich nun
"'zur Wahl von Aurum metall. 3. Dec., von dem
Patient 3 Mal täglich 1 Gabe erhielt. Der Erfolg
war ein äusserst günstiger, so dass der Bericht
vom 15. Octob. lautete: Besserung in jeder Be¬
ziehung. Das Mittel wurde nun noch einige Zeit
weiter genommen; Patient nahm seine Arbeit,
Weberei und ländliche Beschäftigung, in vollem
Umfange wieder auf und erklärte sich am 26. Octob.
für geheilt. Zur Befestigung der Heilung erhielt
er nochmal Aurum in seltenen Gaben; und da er
sich bis jetzt nicht wieder gemeldet hat, darf ich
wohl annehmen, dass er dauernd mit seinem Be¬
finden zufrieden ist
10. Am 29. Mai 1889 wurde mir aus einem
über 30 Kilometer entfernten Orte von seinem
Vater der 4jährige August 0. hierher in die Sprech¬
stunde gebracht. Obgleich das Wetter günstig,
konnte ich doch nicht umhin, dem Vater das Be¬
denkliche eines so weiten, nur theilweise mit der
Bahn auszuführenden Transportes vorzustellen.
Der kleine, äusserst verfallen aussehende Pa¬
tient fieberte stark, war im höchsten Grade kurz-
atbmig und konnte sich kaum auf den Beinen
halten. Indess der Vater meinte, die Aerzte in
seiner Nähe hätten so geringe Hoffnung auf Ge¬
nesung des Patienten, dass sie seinem Vorhaben,
mich zu consultiren, keinen Widerspruch entgegen¬
gesetzt hätten — eine nicht gerade häufige Er¬
scheinung —, und er desshalb den beschwerlichen
Weg und Transport gewagt habe. Das Kind, bei
dem angeblich keine hereditäre Belastung vorlag,
sei seit dem 5. April erkrankt und leide an Lungen-
und Rippenfellentzündung mit Erguss, der aber
etwas abgenommen habe. Der, wie oben gesagt,
fiebernde und heruntergekommene Patient hustete
viel und lose mit gelblichem Auswurf und zuweilen
mit nachfolgendem Erbrechen. Die Untersuchung
ergab: ln der rechten oberen Lungengegend vorn
und hinten war der Percussionston in der Breite
einer kleinen Hand ganz leer, die Respiration bron¬
chial mit metallischem Klang, in der unteren rechten
Lungengegend vorn und seitwärts über mehreren
Rippenräumen leerer Percussionston und aufgehobenes
Respirationsgeräusch, während am hinteren Umfang
bei mässiger Dämpfung ganz schwache vesiculäre
Respiration zu hören war. Während also am oberen
Umfang der rechten Lunge eine pneumonische, schon
in eiterigem Zerfall begriffene Infiltration mit Cavernen-
bildung bestand, befand sich am unteren Umfang
ein pleuritisches Exsudat. Mit Rücksicht auf die
vorhergegangene lange erfolglose Behandlung glaubte
ich zunächst eine Umstimmung der vitalen Thätig-
keit und Reaction durch Sulfur he rbflfqhrm ^
sollen und gab ihn in 30. PSlenz. ~*Der Bericht des
Vaters am 4. Juni lautete schon günstiger; es war
Besserung des Hustens und Allgemeinbefindens ein¬
getreten, die Dyspnoe aber noch stark. Verordnung
Phosphor 30. in Lösung. Am 12. Juni wurde nitf
der Patient, subjectiv noch weiter gebessert, wieder
zugeführt, das Fieber war erheblich geringer; am
hinteren rechten Brustumfang war trotz Dämpfung
die Respiration deutlicher geworden; dagegen hatte
vorn rechts das pleuritische Exsudat erheblich zn-
genommen, die Dämpfung des Percussionstons er¬
streckte sich von oben bis unten, und von Respira¬
tionsgeräusch war nichts zu hören. Ich versuchte
die Beseitigung des Exsudats und der Dyspnoe
durch Arsen. 30. in Lösung (12 Tropfen in 120 Gramm
Wasser^ dreistündlich 1 TheeiönelJ""^?^ SälT’GGTr
Patienten am 30. Juni wieder. Trotz subjectiver
Besserung, geringerem Fieber und sehr vermindertem
Husten, Erscheinungen, die auf Beseitigung der
pneumonischen Erkrankung schliessen Hessen, hatte
das Pleura-Exsudat wieder zugenommen, auch hinten
war es bis zum Angel, scapul. gestiegen, und hatte
eine nicht unerhebliche Skoliose der Wirbelsäule
herbeigeführt. Zur Beseitigung des Exsudats wählte
ich nun Kalium jodat. in 6. Dec. Verdünnung, alle
3 Stundenweisen"Tropfen, und liess AbendFlxMI^
löffel Leberthran dazu nehmen. Unter Fortgebrauch
dieser Mittel, — intercurrent wurde eine Zeitlang auch
die 4. Verdünnung gebraucht, — schritt von da an
die Besserung mit Abnahme des Exsudats, Hebung
der Kräfte, Verschwinden des Hustens, Ausgleichung
der Skoliose regelmässig und ungestört fort. Am
15. Juli war das Exsudat hinten verschwunden, die
Skoliose noch stehen geblieben; am 31. weitere
erhebliche Besserung, auch vorn war das Exsudat
erheblich vermindert. Am 5. Sept. sah ich den
Patienten zuletzt; er war blühend, wohlgenährt,
kaum wieder zu erkennen, von der Skoliose keine
Spur mehr, und von den Erscheinungen des Exsudats
nur noch vorn unten eine geringe Dämpfung
(Schwarte). Auch von der pneumonischen Infiltra¬
tion und der Caverne war keine Spur mehr zu
Digitized by v^ooQie
W
entdecken. Der sehr glückliche Vater Hess mich
ab and za darch andere Patienten aas seiner Gegend
von dem gaten Gedeihen seines Sohnes in Kennt-
niss setzen; and ich meine, man hätte Grund mit
der ohne Function oder Rippenresection erzielten
Heilang ganz zufrieden zu sein. Kritiker mögen
den Einwand versuchen, die Natur allein hätte das
auch ohne homöopath. Mittel zu Wege bringen
können; wahrscheinlich ist das aber hei der com-
plicirten schweren Krankheit durchaus nicht. Viel
deutlicher indess mag der folgende Fall die Macht
der homöopathischen Arzneien beweisen.
11. Frau Gastwirth Z., 60 Jahre alt, kam am
30. Juli 1891 aus ihrem, 25 Kilometer entfernten
Wohnorte hierher, nachdem sie Monate lang leidend
gewesen und sehr mager und schwach geworden
war, um zu hören, 6b sie bei mir Hülfe für ihr
bisher vergeblich behandeltes Leiden finden könne.
Ihre Klagen bezogen sich auf Schmerzhaftigkeit
> und Druck in der Magengegend, Appetitlosigkeit,
Vermehrung der Beschwerden durch die meisten,
auch breiigen Speisen, während feste gar nicht
vertragen wurden; dabei tägliches Erbrechen von
Speisen, Schleim und wiederholt von chocoladen-
oder kaffeesatzähnlichen Massen; dabei hartnäckige
Verstopfung und wie oben erwähnt, grosse Hin¬
fälligkeit und Abmagerung; die Gesichtsfarbe war
fahl, Fieber nicht vorhanden gewesen. Sie war
bereits von 3 Aerzten behandelt und, wie mir die
Angehörigen mittheilteu, die Diagnose auf Magen¬
krebs gestellt worden; der letzte derselben batte,
da Patientin in kinderloser Ehe lebte, zur recht
baldigen letztwilligen Verfügung gerathen. Die
Untersuchung ergab denn auch einen fast sicht¬
baren, durch Palpation und Percussion aber sofort
nachweisbaren harten Tumor von etwa Taubenei-
grösse zwischen process. xiphoid. sterni und Nabel.
Daneben Vergrösserung nebst mässiger Schmerz¬
haftigkeit der Leber bei Palpation und ausserdem
ein retardirter, harter, beim 4. oder 5. Schlage
aussetzender Puls und entsprechender Herzschlag
mit unreinem zweiten Ton, aber ohne Vergrösserung
des Herzens; die fühlbaren Arterien waren hart
und rigide, die übrigen Organe normal, keine er¬
hebliche Anschwellung von Lymphdrüsen. Dass in
Anbetracht dieses Befundes und der gemachten
Angaben die Diagnose auf Carcinom der vorderen
Magenwand mit Atherose des Herzens und der
Gefässe lauten konnte oder musste, ist nicht zweifel¬
haft. Ich erklärte der Patientin gegenüber das
Leiden für eine Geschwulst und Verhärtung der
Magenwand von zweifelhaftem Cbaracter, Leber-
affection und Atherose des Gefässsystems und
stellte den Verwandten gegenüber natürlich eine
sehr zweifelhafte Prognose. Bestimmte, die Mittel¬
wahl leitende Symptome lagen, wie in so manchen
Fällen, nicht vor; und so entschied ich mich wegen
Mitbetheiligung der Leber und gestützt auf eigene
günstige Erfahrung bei derartigen zweifelhaften,
vermuthlich bösartigen Geschwülsten, und anderweite
Empfehlungen aus der Literatur für Ilv£EBtifcifa
canadens. in 3. Decimalverdünnung, von der ich
alle 3 Stunden 1 Tropfen in Lösung verordnete,
ohne mir indess selbst grosse Hoffnungen zu machen.
Dass die Diät sorgfältig regulirt und zunächst auf
Milch, Suppen, etwas Ei und breiige Nahrung be¬
schränkt wurde, bedarf kaum der Erwähnung; es
war dies übrigens auch schon von meinen Vor¬
gängern besorgt worden. Erst nach 3 Wochen,
am 20. August, hörte ich wieder von der Patientin,
und die Mittheilung war so überraschend günstig,
dass ich sie nicht glauben wollte. Sehr bald sei
nach dem Einnehmen Besserung eingetreten, Schmerzen
und Erbrechen wären gänzlich verschwunden, der
Appetit wiedergekehrt, Kräfte und Ernährung be¬
deutend gehoben; Patientin sei wieder in ihrer
Wirthschaft thätig, steige Treppen ohne Anstrengung
und Dyspnoe (die, nachträglich bemerkt, vorher sehr
erheblich war — Herzaffection —), und vertrage
auch Fleisch und andere feste, wenn auch leichte
Speisen wieder gut; über Geschwulst, Herztöne und
Puls war natürlich vom Berichterstatter nichts zu
erfahren; Hydrast. canad. 3. wird fortgesetzt. Da¬
gegen hatte ich 14 Tage später, am 3. September
Gelegenheit, mich selbst von der günstigen Ver¬
änderung zu überzeugen, da von dem Aufsehen
erregenden Erfolg bewogen, ein anderer, an einer
schweren Gehirnaffection leidender Patient an dem
Orte meinen Besuch gewünscht hatte. Ich fand
den Bericht vollauf bestätigt, Patientin hatte die
Pflichten ihrer grossen Wirthschaft wieder voll¬
ständig übernommen, war ohne jeden Schmerz,
ohne Erbrechen, ohne Dyspnoe und vertrug fast
alle Speisen, darunter Gemüse, Brod u. 8. w. Sie
war kräftig, von gesunder Gesichtsfarbe. Am über¬
raschendsten war das Resultat der Untersuchung;
von der Geschwulst war nur bei vorsichtiger Per¬
cussion noch ein kleiner Rest zu entdecken, die
Leber war nicht empfindlich, von normalem Umfang,
das Epigastrium nicht mehr schmerzhaft bei Druck,
der Puls regelmässig und nicht retardirt, doch
wohl noch rigide. Patientin selbst hielt sich für
vollständig geheilt; und einige Wochen später er¬
hielt ich bei einem Besuche derselben hier durch
nochmalige Untersuchung die Gewissheit, dass auch
die letzte Spur der Geschwulst verschwunden war.
Von der Dauer der Heilung erhielt ich von Zeit
zu Zeit und auch noch kürzlich durch andere
Patienten aus dem Dorfe Nachricht.
Habe ich nun in diesem Falle ein Carcinoma
ventriculi in so kurzer Zeit geheilt? Ich weiss es
nicht und möchte es fast bezweifeln. Jedenfalls
aber ist durch homöopathische Behandlung in ver-
hältnissmässig kurzer Zeit ein Leiden beseitigt
13 *
Digitized by Google
100
worden, das alle Symptome eines Magenkrebses
darbot, von anderen Aerzten dafür erklärt und ver¬
geblich behandelt wurde und mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit ohne das homöopathische Eingreifen
einem letalen Ende zugeführt hätte.
Ich will hier gleich einen weiteren Fall von
günstiger Wirkung der Hydrast. anscbliessen, bei
welchem allerdings keine so auffallende anatomische
Veränderung nachzuweisen war.
12. Marie W., 23 Jahre alt, kommt am G. Oct
1889 mit einem ganzen Heer von Klagen in mein
Sprechzimmer. Hereditär belastet, wird sie seit
langer Zeit von Husten, Auswurf und starker
Dyspnoe gequält. Während auch früher schon die
Menses manchmal ausgeblieben und statt derselben
Blut aus dem Anus entleert worden war, hat das
in den letzten 3 Monaten jedesmal stattgefunden;
seit einiger Zeit hat sich auch häufiges Nasenbluten
eingefunden, und seit 8 Tagen Kopfschmerzen.
Ausserdem hat sich seitdem ein Schmerz in der
Gegend der Cardia ventric. eingestellt; die festen
Speisen bleiben nach dem Schlucken dort stecken,
drücken und werden dann wieder ausgebrochen.
Die Untersuchung ergab Fieber und in der rechten
oberen Lungengegend gedämpften Percussionston,
verschärftes Athemgeräusch und Bronchophonie, die
Zeichen einer Infiltration; an Cardia und Magen
war objectiv nichts nachzuweisen. Ich nahm daher
zunächst an, dass es sich um eine spastische, viel¬
leicht hysterische Strictur der Cardia neben Tuber-
culose der rechten Lungenspitze handle; die Unter¬
suchung des Uterus nach Krankheit oder Gravidität
wurde abgelehnt und daher verschoben. Da indess
doch ein organisches Leiden an der Cardia nicht
mit Sicherheit auszuschliessen war, entschied ich
mich statt für Nux vomica für die Wahl von
Hydrast canadend. 3. als Heilmittel, das auch manchen
der übrigen Klagen entsprach, und gab davon
3stündlich 1 Tropfen in Lösung, daneben wegen
der Bronchial- bezw. Lungenaffection einen Thee
aus Herb. Millefol., Herb. Galeopsid. und Spec.
pectoral. Dieses Hülfsmittel ist zwar nicht homöo¬
pathisch; aber aegroti salus summa lex, und wo
ich von solchen oder ähnlichen zusätzlichen Mitteln,
z. B. Einreibungen Erfolg erwarte, trage ich kein
Bedenken, sie anzuwenden, und batte es bisher
nicht zu bereuen. Am 27. Octob. kam Patientin
wieder und meldete: die Schlingbeschwerden und
das Erbrechen haben gänzlich aufgehört, Husten
und Dyspnoe sind erheblich gebessert, die Kopf¬
schmerzen beseitigt; auch Fieber war nicht mehr
vorhanden. Dagegen wurde noch über Verstopfung,
Unruhe im Leibe, Auftreibung desselben nach dem
Essen, besonders Nachmittags, über Stiche in der
Milzgegend und vermehrte Urinsecretion geklagt.
Die Untersuchung stellte übrigens nun auch, der
Patientin „natürlich unerwartet“, Schwangerschaft
fest, auf deren Rechnung denn wohl ein Theil der
Beschwerden zu setzen war. Die letzteren wurden
durch Nux vomic. 6, 3 Mal täglich und durch
obigen Thee mit Zusatz von Sem. Phellandr. aquai
und Sem. Carv., dem später noch Belladonn. 3
folgte, so weit beseitigt, dass Patientin vorläufig
meines Rathes nicht mehr bedurfte.
13. Frau Anton. K., 47 Jahre alt, ohne Kinder,
consultirte mich zuerst am 3. Nov. 1889, nachdem
sie bereits ein Jahr krank gewesen und nur mit
dem Erfolge zunehmender Verschlimmerung allo¬
pathisch behandelt woi den war. Sie litt seit einem
Jahre an heftigen Schmerzen in der Lebergegend,
zu denen sich seit dem Sommer etwa 2 Mal jeden
Tag Erbrechen von sauerem Schleim hinzugesellt
hatte; seit einiger Zeit hat sich auch etwas Husten,
namentlich Morgens eingefunden; Appetit sehr ver¬
mindert. Die Untersuchung der Lunge ergab keine
objective Veränderung, die Leber dagegen war ver*
grosse)t und bei der Palpation schmerzhaft; Gallen¬
steine, um das vorab gleich zu bemerken, fanden
sich bei fortgesetzten Untersuchungen der Faeces
nicht. Die Diagnose: Hepatitis subacuta sive chronica
mit Catarrb. ventriculi und bronchial, wird keinem
Zweifel unterliegen. Des Erbrechens und Magen-
catarrhs wegen verordnet* ich zunächst Nux vomic. 6,
20 Tropfen in 120 Gramm Wasser, 3stündlich
einen Theelöffel, selbstredend mit Einschärfung einer
zweckmässigen Diät, die übrigens auch schon seit¬
her um so mehr beobachtet war, als irgend schwere
und reizende Kost Beschwerden und Schmerzen
vermehrte. Der Erfolg war ein guter; denn fast
sofort liess das Erbrechen, welches ein halbes Jahr
gedauert hatte, nach, und der Bericht vom 10 . Nov.
lautete: Kein Erbrechen mehr, wohl aber noch
Schmerz in der Lebergegend, Aussehen etwas ge¬
hoben. Gegen die Leberaffection wurde nun Cheli-
donium 6. Cent. 20 Tropfen in 140 Gramm Wasser,
3stündlich 1 Theelöffel verordnet, und 8 Tage später,
am 17. Nov. giebt Patientin sehr erfreut an, dass
der langwierige Schmerz in der rechten Seite wenig
mehr zu füblen sei, wohl aber etwas Schmerz im
Epigastrium, den ich auf den Magencatarrh zurück¬
führte; die Leberanschwellung zeigte sich bei der
Untersuchung vermindert. Es wurde nun des Magens
wegen das früher gerühmte Argent. nitric., 6 bis
8 Tropfen der 3. Verdünnung, in Wasser pro die
in Anwendung gezogen und auch diesmal nicht
ohne Erfolg, denn am 24. November hiess es: die
Schmerzen in der Magengegend viel geringer, nach
dem Essen, das übrigens besser vertragen wird,
erscheint in der Gegend des linken Leberlappens
noch Schmerz; ersterer zeigte sich auch bei der
Untersuchung noch etwas vergrössert und empfind¬
lich gegen Palpation — Ernährung und Aussehen
besser. Nun wählte ich ein Mittel, das sich viel¬
fach gegen Leber- und Magenaffection nützlich er-
Digitized by u. ooQie
101
I
wiesen hatte; Hydrast. canad. wurde in 3. Ver¬
dünnung 3 stündlich 1 Tropfen gegeben und be¬
währte sich auch hier wieder, denn nach 14 Tagen,
am 8. Decemb. hiess es: Schmerz in Leber- und
Magengegend besser, Anschwellung geringer, da¬
gegen etwas Schmerz unterhalb des Nabels, der bei
schlechtem Wetter zunimmt. Der letzte Umstand
bestimmte mich zur Wahl des auch sonst bei Leber¬
und Magenleiden in Frage kommenden Mittels, der
Bryonia, die ich in 3. Verdünnung gab, und nun
bedurfte das Leberleiden weiter keiner Arznei.
Gegen Ende Decemb. war Schmerz und Anschwel¬
lung der Leber dauernd verschwunden; und nur
der Magencatarrh erforderte noch einige Male die
Verwendung von Argent. nitric. 2 und 3; Witterungs¬
einflüsse und Diätfehler schienen denselben ab und
zu hervorzurufen.
Patientin, deren Ernährung und Stimmung sich
sehr günstig gestaltet, war über den Erfolg der
Cur so erfreut, dass sie noch zuweilen in der
Sprechstunde erschien, um, wie sie sagte, auch jede
Spur ihres Leidens wegschaffen zu lassen.
14. Noch einige kurze und einfache Fälle mögen
den diesmaligen Bericht sch Hessen. Rentmeister B.,
45 Jahre alt, erbat bei meiner gelegentlichen An¬
wesenheit an seinem Wohnorte meinen Rath wegen
eines schon mehrere Wochen dauernden Schmerzes,
der sich vom Kreuz aus durch die rechte untere
Extremität herunterzog und sowohl in der Nacht,
als durch Bewegung zunahm. Derselbe folgte vor¬
wiegend der Bahn der vorderen Zweige des Nervus
ischiadicus. Anderweitige ärztliche Hülfe war schon
in Anspruch genommen worden. Der Mann war
kräftig gebaut, im Uebrigen gesund, und durch
Untersuchung nichts weiter festzustellen. Auf Rhus
toxicod. 6. 3 stündlich 1 Tropfen trat sofort etwas
Besserung ein, wesshalb ich 2 Tage später die Ver¬
ordnung zu 4 Gaben täglich wiederholte (am 8. Dec.).
Am 11. December wurde nur noch über Schmerz
bei Bewegung, dieselbe hindernd, geklagt und da¬
gegen Caustic. 6, 4 Mal täglich, mit gutem Erfolge
gereicht Am 13. Dec. war von Schmerz keine
Bede mehr, nur noch von etwas Schwäche und
Erschwerung der Bewegung. Caustic. 30. besei¬
tigte auch diesen Rest des Leidens so gründlich,
dass Patient einige Tage später wieder regelmässig
auf die Jagd gehen und anstrengende Wege ohne
Schmerz und Behinderung machen konnte.
15. Frau Ferd. G., 24 Jahre alt, consultirte
mich durch ihren Mann am 11. Februar 1890.
Vor 8 Monaten war sie zuletzt entbunden, hatte
sich dabei körperlich ganz gewaltig angestrengt
und führte ihre seitdem eingetretene und dauernde
Krankheit darauf zurück. Dieselbe wird als eine
in häufigen Anfällen auftretende grosse Schmerz¬
haftigkeit und Noth in beiden Hypochondrien, im
Epigastriura und der Lendengegend angegeben; nach
den Anfällen war der Urin jedesmal dunkeier, vor
4 Wochen einige Tage Icterus vorhanden gewesen,
vor 2 Tagen Erbrechen beim Schmerzanfall. Die
Menses waren noch vor 14 Tagen stark eingetreten,
eine neue Schwangerschaft also auszuschliessen.
Eine bestimmte Diagnose liess sich aus diesem
Bericht nicht ableiten, man konnte an Ovarial- an
Uterusaffection in Folge der Ueberanstrengung bei
der Entbindung, man konnte auch an Gallenstein¬
kolik, namentlich wegen des Icterus und des Er¬
brechens denken. Obgleich Steine bei der vor¬
geschriebenen Untersuchung auch später nicht ge¬
funden wurden, glaubte ich doch mein Eingreifen
zunächst dahin richten zu sollen, und gab, in Ge¬
danken mir andere Mittel vorbehaltend, Chelidonium
6. D. 25 Tropfen in 120 Gramm Wasser, 3stünd-
lieh 1 Theelöffel. Beim Gebrauch dieses Mittels,
das ich später in der 6. CentesimalVerdünnung und
seltenen Gaben verabreichte, schritt die Besserung
ununterbrochen fort, so dass Patientin selbst gar
nicht zur gewünschten Untersuchung erschien. Nur
am 9. März trat noch einmal ein l*/ 4 Stunde
dauernder Schmerz unter dem Sternum ein; am 16.
gab ich noch einmal Chelidon. und habe seitdem
nur indirect durch andere empfohlene Kranke ge¬
hört, dass es weiterhin gut gegangen sei.
16. Joseph B., 11 Monate alt, wurde mir am
22. 8eptember 1889 wegen einer Hydrocele vor¬
gestellt, die von einem Arzte seines Wohnortes
bereits 3 Mal punctirt, aber jedesmal recidivirt war;
neben dom serösen Erguss zeigte sich an der unteren
Partie des Scrotum eine harte Stelle. Das Kind
war übrigens auch heruntergekommen und hatte an
allerlei Beschwerden, wie Abführen, Husten u. 8. w.
gelitten, welche Erkrankungen von den Eltern auf
die Impfung zurückgeführt wurden. Der letzte
Umstand liess mich an Thuja denken; zunächst
wählte ich aber, gestützt auf andere gute Er¬
fahrungen bei Hydrocele, Arnica 3 in Lösung und
liess dabei Compressen von Wasser mit Zusatz von
etwas Tinct. Arnicae auflegen. Am 29. September
hatte sich indess nur das Allgemeinbefinden ge¬
bessert; und ich gab nun Thuja 30 in Lösung.
Nachdem ein intercurrenter Darmcatarrh mit Er¬
brechen durch Ipecac. 3. unter Weitergebrauch der
Thuja beseitigt war, fand ich bei der Untersuchung
am 20. October die Hydrocele erheblich vermindert,
musste aber wegen des Darmcatarrhs unter Fort¬
setzung der Thuja Veratrum 3. verordnen. Erst
5 Monate später, am 23. März 1890 sah ich das
Kind wieder. Laut Bericht der Eltern war nach
der letzten Ordination vor 5 Monaten die Hydrocele
sehr bald verschwunden; und der Grund der jetzigen
Vorführung war, dass sich oberhalb des Testikels
der anderen Seite eine Anschwellung zeigte. Mercur
solub. 4. D. täglich 3 Tropfen, dem ich nach
Digitized by v^ooQie
102
8 Tagen wieder Thuja 30. folgen Hess, beseitigte
auch diese Affection rasch.
— 17. Frau W. Br., 33 Jahre alt, erschien am
3. April. Sie hat früher viel an hochgradiger
Chlorose gelitten, ist vor 2 Jahren zuletzt von
einem aasgetragenen Kinde entbunden und erlitt
im Herbst des vorhergehenden Jahres einen Abortus.
Beit 6 Wochen wird sie von oft heftigen Schmerzen
im Leibe heimgesucht, hat mehr oder minder heftigen
Drang zum Stuhl und zum Uriniren und ein Gefühl,
als ob die Genitalien herausgedrängt würden; dazu
üuor albus. Bei der Vaginaluntersuchung fand ich
den Uterus in normaler Lage, aber etwas geschwollen.
Das ganze Symptomenbild, speciell das Gefühl des
Herausdrängens der Genitalien, wies auf ein mir
sehon bei ähnlichen Zuständen bewährtes Mittel,
Tiilinm tiyrinnm • es beseitigte in 3. D. 3 Mal
täglich auch hier in 8 Tagen die quälendsten Er¬
scheinungen, so dass Patientin sich ganz frei und
glücklich fühlte. Das Uriniren, wenn auch ohne
grossen Drang, erfolgte noch häufig; ausserdem
wurde noch Über verminderten Appetit und etwas
Müdigkeit geklagt. Und um diese Beschwerden,
die ich zum Theil auf die Anschwellung, bezw.
chronische Entzündung des Uterus zurückführte,
zu beseitigen, gab ich Aurum natro-muriat. 3. D.
3 Mal täglich und habe seitdem nichts wieder von
der Patientin gehört; ich referire den Fall hauptsäch¬
lich wegen der prompten Wirkung von Lilium tigrin.
Damit will ich mein heutiges Referat schliessen
und nur noch einige Worte über Mittelwahl und
Höhe der Potenzen beifügen. Es wird dem Leser
nicht entgangen sein, dass die Wahl der Heilmittel
in den erzählten Fällen vielfach theilweise oder
hauptsächlich auf der anatomischen bezw. klinischen
Diagnose begründet oder mitbegründet wurde und
nicht der strengen Hahnemann’schen Forderung,
nach den Symptomen zu wählen, genügt wurde.
Ich will vor Allem einräumen, dass dies kein streng
orthodoxes Verfahren ist, will feiner nicht zu er¬
klären vergessen, dass sehr viele glänzende Erfolge
Hahneraann’s und seiner Jünger durch strenges
Anlehnen an obige Forderung mit Uebersehen der
klinischen Diagnose erreicht sind und täglich werden,
und dass kein Homöopath, um mit rechtem Erfolg
zu wirken, es unterlassen soll, sich eine möglichst
umfassende Mittel- und Symptomenkenntniss anzu¬
eignen. Dies alles vorausgeschickt denke ich indess,
dass Hahnemann, würde er heute leben und wirken,
ebenso wie er damals auf der Höhe der Wissen¬
schaft stand, sich alle Fortschritte der Neuzeit zu
Nutze gemacht und die gegen damals viel sicherere
und correctere klinische Diagnose neben der Sympto¬
matik nicht ausser Acht gelassen haben würde, um
das jedesmalige Heilmittel zu finden. Ich denke
ferner, dass Diagnose und Prognose, die genaue
Kenntniss der Krankheit, den wissenschaftlichen Arzt
von den ohnehin überwuchernden Laienpractikern
scheiden und über sie stellen soll; und nach unserer
ganzen Ausbildung, die auf unseren Universitäten
gewonnen, unserem ganzen medicinischen Denken
und Wirken seine Richtung giebt, seinen Stempel
aufdrückt, würde es mir und gewiss der Mehrzahl
der homöopathischen Collegen unmöglich sein, an
die Behandlung eines Kranken heranzutreten, ohne
uns vorher, so weit es möglich, eine genaue Diagnose
der Krankheit verschafft zu haben.
Mit dem Acte der Diagnosenstellung treten
unserem Geiste meist sofort auch das oder die
Reihe von Mitteln entgegen, die sich nach eigener
und anderer Erfahrung bei Erkrankungen des affi-
cirten Organs bewährt haben. Und häufig gelingt
es nun weiter gar nicht, prägnante Symptome auf¬
zufinden und aus unserer Symptomenkenntniss eine
genaue Hahnemann’sche Mitteldiagnose zu stellen,
und wir müssen nach klinischer Diagnose und nach
Beziehung der Medicamente zu den Organen wählen,
wobei selbstverständlich möglichst zu individualisiren
und auf Anamnese, Constitution und alle sonstigen
Umstände möglichst Rücksicht zu nehmen ist. Ge¬
lingt es uns aber, neben genauer Diagnose noch
andere prägnante Anhaltspunkte zur Mittelwahl zu
gewinnen, sei es aus einzelnen Symptomen, sei es
aus Ursache, Gemüthszustand, den Zeiten, Ursachen
und Umständen der Verschlimmerung oder aus der
Constitution u. s. w., so ist das natürUch der
wünschenswertbeste Weg und der Erfolg meist um
so sicherer. Wir wollen daher Symptomatik und
homöopathische Mittel wähl durchaus nicht aus dem
Auge verlieren und so weit wie möglich Nutzen
daraus ziehen im Verein mit der für den wissen¬
schaftlichen Arzt unentbehrlichen klinischen Diagnose.
Ich betone dabei „so weit wie möglich“, und hier
liegt für eine grosse Zahl homöopathischer Aerzte
eine weitere Schwierigkeit. Als der Begründer
unseres Systems und seine Schüler und Anhänger
Mittel für Mittel prüften und die Zahl der letzteren
noch klein war, gelang es gut veranlagten Menschen
wohl mit nicht zu grosser Schwierigkeit, sich die
Symptomenbilder einzuprägen und im einzelnen Fall
die richtige Wahl zu treffen. Wie aber heute, wo
die Zahl der Mittel das halbe Tausend weit über*
schritten hat und fast jeder Tag, namentlich aus
Amerika neue bringt? Man lese eine neue homöo¬
pathische Materia medica, ja man lese nur die
älteren 300 Mittel mit ihren Symptomenbildern
durch; man vergegenwärtige sich, was an Constitution,
Umständen, Zeiten u. s. w. zu berücksichtigen ist;
und man wird mir zugeben, dass es nur wenigen
gottbegnadeten Geistern möglich sein wird, aus
diesem baumreichen Walde, in dem sich zudem sehr
sehr viele Bäume verzweifelt ähnlich sehen, immer
den richtigen herauszufinden. Es bleiben uns aller-
Digitized by v^ooQle
dings die vergleichenden Studien und die Repertorien;
aber auch diese lassen uns nur zu oft im Stich
oder täuschen, wenn man das Richtige gefunden zu
haben glaubt. Und so wird eine erhebliche Zahl
homöopathischer Aerzte froh sein, durch die klinische
Diagnose mit gehöriger Jndividualisirung, durch
Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Organen
und Mitteln und schliesslich auch durch Erfahrung
ex juyantihus in ähnlichen Fällen da Krücken zu
finden, wo die stolze Carosse der sichersten Mittel-
erkenntniss fehlt. Man wird gewiss um so schönere
Erfolge haben, je grösser Mittel- und Symptomen-
kenntniss ist, aber das Ideal lässt sich wohl stets
anstreben, nicht stets erreichen.
Was nun die Höhe der Potenz angeht, so findet
sich in den obigen Fällen meist die 3. bis 6. Dec.,
zuweilen Centesimale, selten die 30., noch seltener
die 200. yerwendet; doch will ich das nicht als
Beispiel oder Vorbild empfehlen. Wer, wie ich,
allmählig ans der allopathischen zur homöo¬
pathischen Heilmethode bekehrt wurde und über¬
geht, wird in den niederen meist noch stofflichen
Potenzen noch etwas Zusammenhang mit seinen
früheren Anschauungen und der Art des Wirkens
finden und dieselben yorzugsweise verwenden, um
so mehr, wenn noch hinzukommt, dass der College,
welcher uns in die Homöopathie einführte, sich
ebenfalls yorzugsweise der niederen Potenzen be¬
diente. Erst allmählig und anfänglich schüchtern
zieht man dann höhere Potenzen in Gebrauch, aber
die erstere Verwendungenweise stellt sich unwillkür¬
lich immer wieder in den Vordergrund. Trotzdem
habe ich selbst sehr schöne Erfolge mit höheren
Potenzen bis zur 200. gehabt und lese mit Ver¬
gnügen und Bewunderung dieselben bei den besten
Vertretern unserer Methode. — Etwas anderes ist
es allerdings mit den sogenannten Fluctions-
yerdünnungen nach Finke, die in die Hunderttausend
und Millionen gehen. Ist die unumstösslich und
durch hunderte yon Erfahrungen bewiesene Wirkung
der Verdünnungen yon Sulfur, Silicea und anderen
in Alkohol unlöslichen Stoffen schon schwer be¬
greiflich und etwa durch Veränderung des Alkohol
vermittelst Contactwirkung beim Schütteln versuchs-
weise zu erklären und kann nur hundertfache mit
kritischem Auge gemachte Erfahrung uns zur Ueber-
zeugung yon der Wirkung der Hochpotenzen führen,
in denen weder Chemie noch Spectral-Analyse nur
eine Spur der potenzirten Stoffe naoh zu weisen ver¬
mag: zu dem Glauben an die unermesslichen
Finkeschen Potenzen, erzeugt durch Ein- und Aus¬
flüssen eines Wasserleitungs-Oceans über 1 Tropfen
Arznei kann ich mich nicht aufschwingen. Möge
in dieser Beziehung wie in mancher anderen die
Zukunft läuternd, scheidend and vielleicht erklärend
und versöhnend wirken.
Unsere Vehikel.
Unsere Apotheker benutzen nach den von Hahne-
mann gegebenen Vorschriften zur Potenzierung drei
Vehikel: Milchzucker, destillirtes Wasser und Wein¬
geist. Diese drei Dinge hielt Hahnemann für t in¬
different.* Sie sollen fähig sein, das mit ihnen
kunstgerecht vereinigte und in seine molekularen
Bestandteile zerlegte Arzneimittel Jahre und selbst
Jahrzehnte lang so in sich aufzubewahren, dass der
Praktiker in jedem Falle davon mit Nutzen Gebrauch
machen und, wenn er Erfolge davon sieht, sagen
kann, dass diese nur diesem potenzirten Mittel und
keinen anderen Beimengungen, welche das Vehikel
enthält, zuzusohreiben sind. Ueberblickt man unsere
Literatur, und namentlich die bis jetzt erschienenen
124 Bände dieser Zeitung, in deren jedem der
Streit um Hoch- und Tiefpotenzen tobt, so kann
man wohl kaum in Abrede stellen, dass dieser
Irrthum Hahnemann's volles Bürgerrecht unter uns
erlangt bat. Keiner der Herren Collegen streift
dieses für ihn anscheinend sehr nebensächliche Ge¬
biet; man sieht die Mehrzahl der Streiter für
die Berechtigung der Hochpotenzen stets dafür
ein treten, dass in jedem Falle, wo Besserungen und
Heilungen erzielt wurden, diese der gegebenen
„Potenz* allein zuzuschreiben seien, und fast Alle
halten die von Hahnemann seiner Zeit eingeführten
Vehikel für indifferent und vor Allem für chemisch
so rein, dass Nebenwirkungen — notabene, wenn
man von solchen reden darf! — absolut aus¬
geschlossen sein müssten. Ich spreche hier von
Wirkungen und Nebenwirkungen. Die Haupt¬
wirkungen erblickt der Hochpotenzier stets in der
mit dem Vehikel vereinigten Arznei. Steht doch der
Name derselben auf dem die betreffende Potenz
enthaltenden Fläschchen und daneben eine ominöse
30., 200. t oder gar 1000. als ein vollgültiger Be¬
weis für ihn, dass das Mittel richtig nach Hahne¬
mann's oder auch nach anderen Vorschriften, denen
er vielleicht mehr Vertrauen schenkt, zubereitet
sein müsse. Wie könnte also Jemand sich nur er¬
dreisten, einen Zusammenhang zwischen der arznei¬
lichen Ursache und ihrer endlichen Heilwirkung in
Abrede zu stellen? Nebenwirkungen, die den
diätetischen Anordnungen oder auch dem Vehikel,
an welches die Heilpotenz gebunden ist, zuzuschreiben
sein könnten, existiren für den Hochpotenzier kaum,
wenn er Kranken ein „Heilmittel* verabreicht, oder
er ist sich derselben nur selten bewusst und er
gesteht es nur ungern ein, dass das für die Be¬
handlung scheinbar Nebensächliche die Hauptsache
für den definitiven Erfolg war. Schreibt man aber
diesen Erfolg einer minimalen, mit modernen
chemischen HÜlfsmitteln in dem Vehikel nicht mehr
nachweisbaren „Arzneimenge* zu, indem man gleich¬
zeitig die Vis medicatrix naturae leugnet, so muss
Digitized by v^ooQie
104
man folgerichtig auch anerkennen, dass auch andere
„Heilstoffe*, die sich in dem Vehikel in noch
grösserer Menge befinden, als die demselben in-
corporirte Arznei, deren Namen auf der Flasche
steht, wenigstens betheiligt sein können.
Ich bezeichnete oben Hahneraann’s Annahme,
dass der Milchzucker etwas Indifferentes sei, als einen
Irrthum. Vom homöopathischen Gesichtspunkte aus
kann er nicht „indifferent* sein, schon weil es un¬
möglich ist, ihn absolut rein darzustellen; und selbst
wiederholtes Umkrystallisiren, wodurch er farblos
wird, befreit ihn nicht von kleinen Mengen gewisser
Nebenbestandtheile, die er bei seiner Herstellung
aufnahm. Die chemische Formel für Lactobiose
(Cj2 H 22 On-f"H 2 0) steht eben nur auf dem Papier.
Schon aus den eisernen Kesseln, in denen er ge¬
kocht und abgedampft wird, nimmt er geringe
Mengen Metall auf; die gebräuchliche Umkrystalli-
sation mit schwefelsaurer Thonerde oder Kreide
lässt mindestens eine homöopathische Potenz von
Alumina oder Calcarea carbonica in ihm zurück;
seine Verreibung mit irgend einem homöopathischen
Arzneimittel im Porzellanmörser macht ihn Kaolin-
haltig. Trotzdem aber sagen wir, wenn wir einem
Patienten eine solche Verreibung verabreichten,
welche Sulfur trit. 30 etiquettirt ist, und wenn
er uns einige Zeit darauf seine Genesung meldet:
Wir haben ihn durch Sulfur 30 geheilt! Wehe
Dem, der daran zweifelt!
Fast dieselben Einwände bestehen gegen den
Alkohol. Auch ihn hält man für indifferent. Aber
selbst aus dem bestrectificirten Alkohol lassen sich
sicher nicht alle Spuren von Fuselöl entfernen, und
homöopathische Dosen von Fermentoleum sind sicher
noch darin, auch wenn sie nicht durch die Cblor-
Baryumprobe nachweisbar sind. Dass absoluter Alko¬
hol aber mindestens eine homöopathische Potenz von
Chlorcalcium bei der Rectification geworden sein
muss, steht für mich so fest, wie dass 2x2 = 4
sind.
Noch von der Reinheit des Wassers ein Wört¬
chen zu reden, wird man mir ersparen. Scheint
man unter den Anhängern der Hochpotenzen selbst
doch kein Gewicht mehr darauf zu legen. Denn
Coli. Steudel berichtet in Nr. 23—24, dass man
in Amerika einfaches Seewasser aus dem Lake
Ontario dazu verwendet.
Was bleibt da nun übrig? Sollen wir nach
anderen Vehikeln von absoluter Reinheit und voll¬
ständiger Unschuldigkeit für unsere Hochpotenzen
Umschau halten und die homöopathische Pharmacie
reformiren? Ich meine, dass dies vergebliches Be¬
ginnen sein würde, denn es ist nichts rein auf
Erden! Viel richtiger, so denke ich, wäre es, wenn
man die Metaphysik aus der Homöopathie ver¬
bannte und sich des Wahrwortes des längst zu
seinen Vätern heimgegangenen Griesselich er¬
innerte: Homöopathische Mittel nur so weit zu
verdünnen, dass sie dem Kranken nicht mehr schaden,
wohl aber durch ein entsprechendes Quantitäts-
verhältniss noch wirken und nützen. Nur dann
kann man sich die unreinen Vehikel noch gefallen
lassen und sagen: Ich habe meinem Kranken Bella¬
donna 3., 4. oder 5. gegeben, und da ihm danach
besser wurde, so habe ich ihn durch Belladonna
gebessert. Thomas Apostata.
Eine prophylaktische Methode.
Vortrag, gehalten auf der 60. Generalversammlung
des Centralvereins der homöopathischen Aerzte
Deutschlands zu Stuttgart am 10. August 1892 von
Dr. med. H. Göhr um- Stuttgart.
Hochverehrte Versammlung!
Die prophylaktische Methode , über die ich heute
zu Ihnen sprechen will, ist die Weihe’sehe Methode .
Es sind schon mehrfache Veröffentlichungen über
diese Methode vorhanden, so dass ich mich darauf
beschränken kann, nur kurz die Hauptzüge derselben
Ihnen vorzuführen. Die Weihe'sche Methode basirk
auf der durch langjährige, vieltausendfältige Be¬
obachtungen über alle Zweifel erhobenen Thatsache,
dass sich am menschlichen Körper anatomisch genau
bestimmbare Punkte finden. Drückt man bei der
Untersuchung mit langsamem, sanftem Druck der
Kuppe eines Fingers auf diese verschiedenen sogen.
Schmerzpunkte, so finden sich fast ohne Ausnahme
bei jedem Menschen 1 oder 2 Punkte, die sich
entweder allein als schmerzhaft oder als die schmerz¬
haftesten erweisen. Jedem Punkt entspricht ein
ganz bestimmtes Arzneimittel. Die den schmerz¬
haften Punkten entsprechenden Arzneimittel sind
alsdann die Heilmittel für den jeweiligen Zustand
unseres Organismus, der aus der Einwirkung der
verschiedensten Einflüsse auf diesen resultirt, ob
diese von aussen auf ihn treffen oder in ihm pro-
ducirt werden.
Ich sagte soeben, die Schmerzpunkte fänden
sich fast ohne Ausnahme bei jedem Menschen. Die
Erfahrung lehrt, dass die Ausnahmen nicht bei Ge¬
sunden zu finden sind, sondern im Gegentheil bei
sehr chronisch Kranken. Ich kann aus meiner nun
4jährigen Erfahrung mit der Weihe’schen Methode
versichern, dass ich noch keinen Gesunden traf, der
nicht Schmerzpunkte gehabt hätte. Und an diesen
Umstand knüpft sich die Wichtigkeit der Weihe’¬
schen Methode als einer prophylaktischen an.
Die Einen werden mir nun einwerfen, dass wir
bei der Prophylaxis gar keiner so specialisirenden
Methode bedürfen, zu dem da es sich ja hierbei nur
um den Schutz gesunder Individuen handelt. Ich
sage, um den Schutz sogenannter Gesunder.
Digitized by v^ooQie
105
Von anderer Seite wird mir die Aussicht auf
nahe Erfolge durch die immunisirende Serumtherapie,
als der idealsten Durchführung des Gedankens der
Schutzimpfung yorgehalten werden.
Ein dritter Einwurf wird der sein, dass man
zur Prophylaxis gar keiner Arzneimittel bedürfe.
Wozu hätte man denn sonst die ganze Lehre der
Diätetik im weitesten Sinne des Wortes? Warum
feierten denn sonst die arzneilosen Heilmethoden,
als sogen. Naturheilmethode zusammengefasst, solche
Triumphe?
Um alle diese möglichen Elinwürfe zu bekämpfen
und die Vorzüge der Weihe’schen Methode als einer
prophylaktischen Methode zu beweisen, muss ich
etwas weiter ausholen.
Was ist der Zweck der Prophylaxis? Den Ge¬
sunden gesund zu erhalten d. h. ihn vor allen
Schädlichkeiten, die ihm drohen, zu schützen.
Vor welchen Schädlichkeiten ist Schutz zu ge¬
währen? Davon will ich Ihnen eine kleine Ueber-
sicht geben. Man unterscheidet zwei grosse Gruppen
von Krankheitsursachen, die Gausae proximales und
die Causae praedisponentes: äussere und innere.
Zu enteren zählt man die mechanischen, die physi¬
kalischen i. e. S. (die Imponderabilien Licht, Wärme,
EUektricität, ferner Klima, Jahreszeit, Wohnung etc.),
die chemischen und die parasitären, worunter nicht
blos die Epi- und Entozoen, sondern auch die
Mikrobien, die Ursachen der Infectionskrankheiten
begriffen werden. Soweit reicht über die äusseren
Krankheitsunachen die Weisheit meines einst im
Schweisse des Angesichtes nachgeschriebenen Colleg-
heftes. Hören wir nun, was es über die inneren
Krankheitsursachen weiss. Sie begreifen das in
sich, was man * Disposition * zu nennen pflegt. Man
untencheidet die allgemeine Disposition, die durch
die verschiedenen Alters- und Geschlechtsperioden
und -Verhältnisse bedingt wird, dann die individuelle
Disposition, die theils aus anerbten Anlagen, theils
aus den Einflüssen der äusseren Lebensbedingungen
resultirt.
Mein Collegheft sagt weiter: Die Entwicklung
des Körpers wird von allen diesen Faktoren be¬
einflusst und das Gesammtresultat aller dieser Ein¬
flüsse ist die individuelle Constitution. In der Ab¬
weichung der Constitution von der Norm liegt die
Disposition zu Krankheiten. Die Constitution und
die dadurch bedingte Krankheitsdisposition sind nicht
stabil, sondern jeden Moment wandelbar und hier
kann die segensreiche Wirkung der Heilkunde ein-
setzen. — Doch davon weiter unten.
Aber von einem ist darin nicht die Rede: von
den sogen, epidemischen Einflüssen. Nun diese
sind auch schwer zu classificiren. Jedenfalls ge¬
hören sie zu den Causis proximalibus, zu den
äusseren Krankheitsursachen, und zwar dürften sie
die einschneidendsten sein. Wie sollte es sonst
möglich sein, dass so viele Individuen, gesnnde und
kränkliche, mit den verschiedensten Constitutionen
begabt, diesen Einflüssen unterliegen? Dass die
epidemischen Einflüsse sowohl der physikalischen
wie der chemischen Unterabtheilung einzureihen
sind, dürfte nahe liegen. Hierüber müssen künftige
Forschungen mehr Licht verbreiten. Und diese
dürften sich in zwei Richtungen bewegen: in einer
allgemeineren, auf tellurische Einflüsse achtend, und
in einer specielleren, in der man mehr die localen
Einflüsse, die Einflüsse der näheren Umgebung,
studiren müsste.
Ist es möglich , uns vor allen diesen Schädlich¬
keiten zweckmässig und wirksam zu schützen? Ge¬
wiss nicht. Die Abwehr gegen die Causas proxi¬
males ist einfach nicht durchführbar — wir wollen
zunächst ganz von den epidemischen Einflüssen ab¬
seh en. — Wie sollen wir uns nur gegen die all¬
gegenwärtigen Mikrobien schützen? Wir müssten,
wollten wir ihnen entgehen, in ein Sublimatbad
1:1000 geboren werden, wir müssten leben unter einer
sterilisirten Glasglocke, der nur durch Watte filtrirte
Luft zugeführt würde. Also damit ist es nichts.
Und wie sollten wir den Causis praedisponentibus
entrinnen? So wenig als die Schnecke ihrem
Schneckenhaus. Und dasselbe ist es mit den
epidemischen Einflüssen. Ein Schutz ist also ziem¬
lich illusorisch, da es gegen die wichtigsten Krank¬
heitsursachen fast keinen giebt. Also absolut Ge¬
sunde kann es nicht geben.
Es bleibt uns als sicherstes Schutzverfahren nur
übrig, unsere Constitution möglichst der Norm zu
nähern und ihr möglichst genähert zu erhalten.
Gesundheit und Krankheit sind nicht streng von
einander zu scheiden; es sind relative Begriffe.
Deflniren wir Gesundheit als den Zustand des labilen
Gleichgewichtes der Funktionen innerhalb der physio¬
logischen Grenzen. Werden diese Grenzen nach
oben oder unten überschritten, d. h. treten Zustände
von Uebererregung oder von Lähmung ein, so haben
wir Krankheit vor uns. Da wir nun so vielen Ein¬
flüssen ausgesetzt sind, die Stadien der Ueber¬
erregung oder der Lähmung herbeizuführen im
Stande sind und auch oft genug herbeiführen, so
müssten wir eigentlich viel häufiger erkranken, wenn
wir nicht mit den sogen, regulatorischen Centren
für die verschiedenen Funktionen ausgerüstet wären.
Und so tritt ein dauernd krankhafter Zustand nur
ein, wenn die Reize nach oben oder unten so
mächtig einwirken, dass eine Ausgleichung durch
Schädigung dieser Centren vereitelt wird. Sie haben
ja wohl den im vorigen Jahre auf der Berliner
Versammlung gehaltenen Vortrag unseres verehrten
Coli. Leeser in der Berliner Zeitschrift gelesen.
Danach haben wir in erster Linie das Nervensystem,
das in dem centralen und sympathischen System
motorische, sensible und trophische Nerven in sich
14
Digitized by
Google
106
theils den verschiedenen — mit zu erheblicher
Eiweisszersetzung einhergehenden Gemüthsaffectionen
entstammen.
Bisher habe ich nur von „Giften * gesprochen.
Prof. Jäger aber hat uns mittelst seiner neural-
analytischen Untersuchung der homöopathischen
Arzneimittel in den verschiedensten Verdünnungen
das gezeigt — was schon Paracelsus in die Worte
kleidet*) —: „alle Dinge sind Gift und nichts ohne
Gifty allein die Dosis macht, dass ein Ding kein
Gift ist“ Prof. Jäger hat uns mit Ziffern bewiesen,
dass die Quantität der einwirkenden Stoffe neben
der Qualität derselben nicht vernachlässigt werden
darf, dass erstere ebenso wichtig ist wie letztere.
So lange ein Gift nicht in den Säften circulirt,
sondern an die Gewebe festgebunden, „aufgespeichert 8 ,
ist, kann es keinen direkten Schaden stiften, in¬
sofern als es nicht in Aktion treten kann nach dem
bekannten Spruche „Corpora non agunt nisi fluida 8 .
Wohl aber haben sie Einfluss in der Hinsicht, als
sie die Funktion der Gewebe, in denen sie auf-
gespeichert sind, in specifischer Richtung modiflciren,
sie also Einflüssen, auch schädlichen, zugänglich
machen, denen sie vorher nicht unterworfen waren.
Findet aber durch irgend welche Ursache eine er¬
giebigere Loslösun g solcher allmählig auf gespeicherten
Gifte, eine „Entspeicherung 8 , statt, so ist die Folge
eine mehr weniger schwere Alteration des Allgemein¬
befindens oder der Funktionen bestimmter Organe.
Fremd- und Selbstgifte, deren Auf- und Entspeicherung Wir ersehen hieraus, dass der Organismus sich
in unserem Körper. Das Ausführliche bitte ich auf zweierlei Weise vor der Einwirkung der ver-
hierüber in Prof. Jägers neuestem Werke „Stoff- schiedenen Schädlichkeiten zu schützen sucht: Er
Wirkung in Lebewesen 8 nachzulesen. Hier will ich scheidet sie entweder sofort ans event. unter dem
nur die Quintessenz dieser Anschauungen mittheilen. Bild einer vorübergehenden Krankheit oder er macht
Von aussen treten in den Körper bei der Athmung sie unschädlich, indem seine Gewebe sie binden,
und Nahrungsaufnahme mancherlei Stoffe ein. Die In ersterem Falle werden die regulatorischen Centren
einen werden assimilirt, die anderen unverändert Herr des Fremd- oder Selbstgiftes, in letzterem
ausgeschieden, dritte in den Geweben gewisser- Falle werden ihnen die Hände gebunden, sie sind
massen unverändert aufgespeichert (Narkotica, Alko- in ihrer Thätigkeit gelähmt und so kommen sie
holica, gewisse Arzneimittel z. B. Digitalis, Hg.), immer tiefer in die Kreide. (Alkoholismus, Nico-
Erstere bedingen natürlich in Folge der Verdauung tinismus, Mercurialismus, Morphinismus),
die Ausscheidung der verschiedensten Stoffwechsel- Jeder Kampf des Organismus mit Giften, Fremd¬
produkte. Die Verhinderung der Ausscheidung oder Selbstgiften, ist das Bestreben desselben resp.
dieser führt zu mancherlei Störungen in Folge von seiner regulatorischen Centren diese Gifte aus-
Aufspeicherung in den Geweben. Die zweite Gruppe zuscbeiden. Hierzu gehört eine gesteigerte Thätig-
führt gewöhnlich nur zu einer vorübergehenden keit der secretorischen Organe, als welche die Haut,
Indisposition als Ausdruck der Reaktion des Organis- die Schleimhäute und die Endothelien der Glomeruli
mus gegen diese. Von der dritten Gruppe und den der Nieren anzusehen sind. Bei der acuten Krank-
aus der ersten Gruppe zurückbehaltenen nun als heit ist schon Ueberreizung vorhanden; diese kann
Selbstgifte anzusprechenden Stoffen wird, wenn nicht entweder in Genesung übergehen oder in eine
zu grosse Massen in Betracht kommen, so dass chronische Krankheit Die chronische Krankheit ist
acute Erkrankung entsteht, durch Aufspeicherung ein Zeichen der Lähmung der Reaktionskraft des
derselben im Körper bei verhältnissmässigem Wohl- Organismus, der Lähmung der regulatorischen Thätig-
beflnden die chronische Vergiftung eingeleitet, keit der betr. Centren, die ja leicht einer Ueber-
Ebenso verderblich wie diese Fremdgifte oder aus_
fremden Stoffen im Inneren entstandene Gifte wirken •) Paracelsus in seiner dritten Detension. Basler
die Selbstgifte, die theils den anerbten Anlagen, Ausgabe, Bd. II, pag. 170.
sohüesst, bei Erkrankung vor allem zu berück¬
sichtigen. Wir Homöopathen können das auch —
dank unserer so ausserordentlich feinen Mittel¬
diagnostik. Wir müssen uns also vor allem darüber
klar werden, welche verschiedene Störungen im
Nervensystem Vorkommen können. Wir haben
hemmende und beschleunigende Centren und da
kann bald das eine, bald das andere überreizt oder
gelähmt sein. Von grosser Wichtigkeit ist auch
die Reflexübertragung von dem einen System auf
das andere, von den motorischen, sensiblen und
trophischen Nerven je auf die anderen. Wir haben
also jede Ueberreizung und jede Erregbarkeits¬
hemmung, sowie jede übermässige und allzugeringe
Uebung der Reflexbahnen zu vermeiden. Diese
Verhältnisse behandelt unser verehrter Coli. Prof.
Jäger in wahrhaft klassischer Weise unter der Spitz¬
marke „Nervenphysiologie 8 in der Encyklopädie der
gesammten „Thierheilkunde 8 von Alois Koch.
Doch der Körper besteht nicht allein aus Nerven,
sondern auch aus den von diesen regirten Geweben,
Organen und Organsystemen, zu denen das Nerven¬
system selbst wieder gehört. Es giebt ja so viele
Krankheitsursachen, die direkt auf die Gewebe wirken
und erst in zweiter Linie die Nerven beeinflussen.
Ich muss hier ganz absehen von den mechanischen
und grob-chemischen Einflüssen. Aber ein Capitel
kommt hier in Betracht: das von Prof. Jäger so
ausführlich und gediegen bearbeitete Capitel der
Digitized by Google
107
reizung folgt, je stärker und länger, desto eher.
Eine Ueberreizung bei der Entspeicherung wird aber
um so stärker und andauernder stattfinden, je mehr
Gifte in dem Körper angesammelt sind. Die Pro-
phylaxis bat also ihr Hauptaugenmerk darauf zu
richten, eine Ansammlung solcher Fremd- und
Selbstgifte möglichst zu verhindern und die regula¬
torischen Centren möglichst funktionsfähig zu er¬
halten. Denn eine an sich geringfügige Störung
kann durch Anstoss zu weiterer Entspeicherung eine
ernste Krankheit auslösen.
Die Prophylaxis kann also in zweierlei Weise
geschehen:
Man verhütet jede Giftstoffaufnahme und • an -
Sammlung durch eine möglichst naturgemässe Diätetik
(abgesehen von der Prophylaxis gegen mechanische
und grob-chemische Einflüsse)
und sucht jede stattgehabte Giftstoff auf nähme
durch möglichst rasche Ausscheidung desselben
zu paralysiren.
Letzteres kann wiederum auf ziveierlei Weise
geschehen, indem wir flotten Stoffwechsel entweder
ebenfalls durch möglichst naturgemässe Diätetik oder
durch arzneiliche Reize unterhalten.
Hieraus folgt, dass weder ein diätetisches noch
ein arzneiliches prophylaktisches Verfahren stark
reizend oder in Folge dessen oder direkt lähmend
ein wirken darf.
Ueber diätetische Verfahren will ich mich weiter
nicht auslassen, obgleich ich manchmal gerechte
Zweifel hege, ob nicht mit der dabei vielfach be¬
liebten regelmässigen Anwendung kalten Wassers
dem Körper namentlich älterer Individuen und der
Kinder zu viel Wärme entzogen, also ihr Stoff¬
wechsel gehemmt wird. Nur gegen etwas muss ich
mich ganz energisch verwahren. Ich meine die
Erklärung des Zustandekommens der Abhärtung,
wie sie — wenn ich mich nicht irre — Brücke in
seiner Diätetik des Kindesalters giebt: es sollen
durch wiederholte Anwendung kalter Temperatur¬
einflüsse die Centren der Wärmeregulation ab¬
gestumpft werden, damit sie nicht mehr so stark
also event. acut krankmachend reagiren. Dies
wäre ebenso unphysiologisch, ebenso unrationell
wie die symptomatische Unterdrückung irgend eines
Schmerzens. So darf Hygiene nicht betrieben
werden.
Betonen muss ich hier, dass ich bei jeder arznei¬
lichen Prophylaxis ein rationelles diätetisches Ver¬
halten für unerlässlich halte, ebenso wie ich fest
überzeugt bin, dass Diätetik allein nicht ausreicht
zur Entfernung der vererbten Anlagen sowie der
schädlichen Einwirkung der heutigen socialen Lebens¬
bedingungen, da sie die veränderten Nerven- und
Organfunktionen nicht in specifischer Weise angreift.
Gehen wir nun zur arzneilichen Prophylaxis
über. Dass da nur eine Methode in Betracht kommen
kann, die keine lähmenden Dosen an wendet ist klar.
Also vor allem die homöopathische Heilmethode mit
den von Hahnemann empfohlenen verfeinerten
Arzneimitteln. Aber die arzneiliche Prophylaxis hat
einen grossen Haken: sie kann nur angewendet
werden, wenn Symptome einer Krankheit vorliegen
resp. auch ohne solche wenn schon so und so viele
gleichartige Erkranknngsfälle vorgekommen sind,
dass wir in der Annahme einer Epidemie uns nicht
irren dürften und schon das Heilmittel für diese
gefunden haben. Für die ersten Fälle und über¬
haupt znr Beseitigung der allmäligen Aufspeicherung
von Fremd- und Selbstgiften sowie der schon durch
Vererbung überkommenen Gifte weiss auch die
Homöopathie keinen Rath, da sie nach dem von
uns allen anerkannten Grundsatz »Similia similibus
curantur“ nothwendig zur Auffindung des Heil¬
mittels wenigstens einiger Symptome bedarf. Allein
die Weihe*sehe Methode , die ganz auf den
Principien der Reinen Arzneimittellehre beruht, ver¬
mag jeder, auch nicht der gewöhnlichen Beobachtung
zugänglichen Veränderung in der Wechselwirkung
zwischen den äusseren und inneren Einflüssen und
unserem Organismus zu folgen. Sie hat in der
Schmerzhaftigkeit bestimmter je nach der Art dieser
Wechselwirkung veränderlicher Schmerzpunkte einen
objektiven Anhaltspunkt zur Beurtheilung einer ein¬
getretenen Veränderung dieser Wechselwirkung so¬
wie zu gleicher Zeit für das derselben entsprechendste
Heilmittel. Das Symptom des oder der Schmerz¬
punkte lässt uns nie im Stich, indem es an sogen.
Gesunden nie fehlt, wenn man auch mit dem besten
Willen kein anderes objektives oder subjektives
Symptom findet.
Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich bisher
ein Gebiet, in dem die Prophylaxis eine besonders
grosse Rolle spielt, nicht weiter berührt habe: ich
meine das der Epidemieen . Was eine „Epidemie*
ist, glaubt jedermann zu wissen und doch kann
mir niemand eine einwandfreie Definition dafür
geben, so wenig wie für die „epidemischen Ein¬
flüsse*. Uebef diese Dinge habe ich vorgestern in
der Epidemiologischen Gesellschaft ausführlicher
referirt. Das Resultat meiner hierfür angestellten
Nachforschungen war, dass die sich mit dieser
Materie beschäftigenden Autoren weder in der
Deutung noch in Bezug auf Aetiologie des Wortes
„Epidemie* übereinstimmen. In der Jetztzeit werden
allgemein als Ursache der Epidemieen die bekannten
und unbekannten Mikrobien angesehen und der
äussere Charakter solcher Epidemieen ist jedem
Laien auffällig, da sie sich durch ihre Ausdehnung
nach Zeit, Raum und Häufigkeit der gleichartigen
ErkrankungsfUlle unliebsam genug bemerklichmachen.
Aber einem gebt die heutige Erforschung der Epide¬
mieen seitens der Scbulmedicin nicht auf den Grund,
nämlich dem Umstand, warum bei der ubiquitären
U*
Digitized by
Google
108
Verbreitung so vieler Mikrobien diese Epidemieen
nicht fortwährend andauern, sondern nur zeitweise
in die Erscheinung treten. Schuld daran ist, dass
eben die epidemischen Einflösse, die jeder aufmerk¬
same Beobachter der Natur anerkennen muss, weder
duroh das Mikroskop noch durch chemische Reagentien
(abgesehen von dem Feuchtigkeits- und Wärmegrad,
sowie dem Ozongehalt der Luft) nachgewiesen
werden können, ebensowenig wie die Disposition
des Individuums in Folge der Aufspeicherung von
Fremd- und Selbstgiften den gewöhnlichen Unter-
suchungsmethoden ohne weiteres zugänglich ist
Sehen wir uns nun einmal die epidemischen
Einflüsse etwas näher an. Der erste und grösste
Epidemiologe dieses Jahrhunderts, Rademacher ,
lehnte von vornherein ab, über die Art der Ein¬
wirkung dieser Einflüsse Behauptungen aufzustellen,
da diese doch den Werth von Vermuthungen nicht
übersteigen würden. Ihn interessirte nur das durch
die Wechselwirkung zwischen Genius epidemicus
und Organismus entstandene und durch das Heil¬
mittel charakterisirte Wesen der Krankheit Er hielt,
wie wohl jedermann bisher, der sich mit dem Genius
epidemicus beschäftigte, diesen für das krank¬
machende Piincip, für einen argen Bösewichter.
Nun theilte aber unser verehrter College Weihe jr.,
dem wir bereits die Entdeckung der Schmerzpunkte
verdanken, Ende des vorigen Jahres dem Coli. Leeser
eine ebenso geistreiche wie naturphilosophisch be¬
gründete Theorie über den Einfluss des Genius
epidemicus mit. Ich will mich mit einer ganz
kurzen Andeutung des Gedankenganges derselben
aus einem Briefe Weihe’s an mich begnügen, da
der verehrte Coli. Leeser vorgestern in seinem Vor¬
trag vor der Epidemiologischen Gesellschaft dieses
Thema ausführlich behandelt hat. Weihe schrieb
mir seiner Zeit folgendes: 9 Ich möchte im Genius
epidemicus mehr eine sanitäre Einrichtung erblicken,
ein Agens, das die Krankheiten nicht heilt, aber
doch ihre Heilung vorbereitet und ermöglicht, so
eine Art Hecht im Karpfenteiche, ein Ferment, das
die alten eingewurzelten und in den Centralorganen
des Nervensystems aufgespeicherten, pathogenen
Reize (durch unnatürliche Lebensweise, ungünstige
Lebensbedingungen in dieselben hineingebracht)
immer von neuem aufstöbert, mobil macht und sie
somit verhindert, allzufest in den genannten Organen
einzurosten. 11 Dabei erinnert er an den in der
Natur herrschenden Panlogismus, den E. von Hart¬
mann nachgewiesen, t dem — meint Weihe — doch
zweifellos auch die Krankheiten unterthan sind, vor
denen uns die Allopathie durch Impfen schützen
will.* Nach dieser Anschauung würde also eine
Epidemie nur diejenigen Individuen befallen, die
entsprechend dem Gesetze der Speciflcität ein dem
Genius epidemicus ähnliches Gift in sich haben;
ferner müssen wir annehmen, dass es sieb hierbei
um verdünnte Stoffe handelt, die den lähmenden
Einfluss der aufgespeicherten Gifte auf unseren
Organismus durch die ihnen kraft der Verdünnung
innewohnende, von Prof. Jäger nachgewiesene Be¬
wegungsenergie überwinden und so unserer Therapie
zugänglich machen. Als Paradigma für diese An¬
sicht will ich Ihnen die Beantwortung der Frage
durch den Coli. Leeser mittheilen, wie er sich die
Entstehung einer genuinen croupösen Pneumonie
vorstelle, ohne dem Miorococcus pneumoniae die
erste Stelle unter den dabei mitwirkenden Ursachen
einräumen zu müssen — natürlich abgesehen von
einer künstlichen Ueberschwemmung des Organismus
mit demselben, der zuletzt auch ein relativ ganz
Gesunder unterliegen müsste. Dies Beispiel wurde
gewählt, da bekanntermassen diese Krankheit mit
Vorliebe sogen. Gesunde befällt, während sie schwäch¬
liche Constitutionen im allgemeinen verschont Er
führte aus: absolut Gesunde giebt es nicht der
Genius epidemicus löst die ihm ähnlichen Krank¬
heitsstoffe im Körper aus, die dem Coccus, der als
accidentelle Schädlichkeit hinzutritt, als Nahrungs-
resp. nach Jäger als Triebstoffe dienen. Erst so
kann der Coccus die Möglichkeit erhalten, sich in
dem Masse zu vermehren, um die speoifisohe Er¬
krankung hervorzurufen.
Mit dieser Ansicht steht in direktem Wider¬
spruche die heutige Ansicht der Schulmedicin, die
den Schutz vor den Infectionskrankheiten, die Im¬
munität in der Anwesenheit von Stoffen sucht die
die etwa eingedrungenen Mikrobien in ihrer Ent
wicklung hemmen oder gar töden unter Beihilfe
der als Phagocyten auftretenden weissen Blut¬
körperchen. Die Versuche, um diese Ansioht zu
einer unumstösslichen zu machen, stehen noch zu
sehr in ihrem ersten Stadium, um ein Urtheil darüber
fällen zu können. Wir könnten aber diese Ansicht
auch ganz gut aoeeptiren, indem es sehr nahe liegen
dürfte, dass ein Organismus, dessen sämmtliche
Funktionen normale, von keinerlei Giftstoffen be¬
lästigte sind, auch jederzeit in der Lage ist
Folge pathogenen Reizes in kürzester Frist genug
solcher Schutzstoffe zu produciren. Doch — wir
wollen uns nicht in das Gebiet theoretischer Speoula-
tionen verlieren, wir wollen auf dem Boden der
Praxis bleiben und da begegnet uns ein Schreck¬
gespenst staatlicher, von der Schulmedicin ge¬
hätschelter Prophylaxis — die Schutzimpfung . Ich
sage Schutzimpfung im allgemeinen. Die gegen die
Pocken ist zwangsweise durchgeführt die gegen
die Tuberkulose in Folge des Fiasko’s der Koch sehen
Entdeckung auf lange Zeit unmöglich, aber Schutz¬
impfungen gegen allerei andere Infectionskrankheiten
wie Hundswuth, Pneumonie, Diphtherie, Cholera etc.
werden dem Publikum möglichst plausibel zu machen
versucht. Sie glauben nun wohl 1 , ioh wäre ein
fanatischer Impfgegner. Im Princip gewiss nicht
Digitized by v^ooQie
109
nur die Art der Ausführung der Schutzimpfung ge*
füllt mir nioht. Die Argumente der Impfgegner sind
nicht alle stichhaltig. Im Qegentheil eine Abnahme
der Pocken seit Einführung der Vaccination kann
nicht geleugnet werden, ob nur in Folge dieser,
können wir einfach nicht entscheiden, da der Gegen¬
beweis nicht geführt werden kann. Aber zwei Be¬
denken habe ich und ich glaube, dies sind die
einzig ausschlaggebenden: Erstens setzen wir die
kleinen schwachen Sprösslinge, in denen allerlei
Krankheitskeime schlummern, dem durch die Impfung
künstlich erzeugten Fieber aus, das unbestreitbar
solche latente Krankheitsanlagen zu wecken im
Stande ist. Das sind die sogen. Impfvergiftungen —
abgesehen vom Impfrothlauf n. dergl. —, die wir
aber ebenso schön ausgebildet schon vor der Impfung
beobachten können, indem auch andere Schädlich¬
keiten z. B. Erkältung Fieber auslösen und dadurch
diese schlummernden Krankheitsanlagen wecken
können. Durch zweckmässige Diätetik vermag aber
der Körper gar oft solche Anlagen zu überwinden,
wenn solche Eingriffe sie nioht vorzeitig geweckt
haben, so dass wir der Impfung entschieden nicht
das Wort zu reden brauchen, da wir eine bessere
Prophylaxis haben. Zweitens bitte ich die Conse-
quenzen der Schutzimpfung gegen die Infections-
krankheiten zu ziehen: Wie viele solcher kennen
wir schon, wie viele mögen noch entdeckt werden?
Müsste da nicht die Hälfte der gegen alle diese
vielen Erkrankungsmöglichkeiten Sohutzgeimpfben
längst den verschiedenen Impffiebern erlegen sein,
wenn es überhaupt praktisch durchführbar wäre,
so viele Impfungen allgemein vorzunehmen. Ferner
ist dabei in Rechnung zu ziehen, dass die Schutz*
Impfung gegen das eine Mikrobion den Schutz gegen
das andere aufzuheben im Stande sein kann, sowie
dass der Schutz gegen das eine geradezu einer
besonders leichten Empfänglichkeit für ein anderes
bedingen könnte. Doch darüber wollen wir weitere
Versuche abwarten. — Noch eines ist hier zu be¬
rücksichtigen: Wenn auch das Impffieber eine Ent¬
speicherung von aufgespeioherten Giftstoffen herbei¬
führt, so ist das doch nur ein Anlass, der sich in
seinen Folgen nicht berechnen lässt, der aus prak¬
tischen Gründen nicht oft wiederholt wird und sich
nicht oft wiederholen lässt. Die Impfung in ihrer
heutigen Ausführung ist ein roher Eingriff , gegen
den der Organismus durch das Impffieber energisch
protestirt; ganz abgesehen davon, dass sie die epi¬
demischen Einflüsse unberücksichtigt lässt.
Ich kann meine Ausführungen dahin zusammen¬
fassen, dass keine Methode im Stande ist, den je¬
weiligen Wechselbeziehungen zwischen schädlichen
Einflüssen und unserem Organismus jederzeit so
rasch, so sicher und so specifisch zu folgen als eben
die Weihc'sche Methode durch die Thatsache des
Vorhandenseins der Schmerzpunkte, die — wie die
Erfahrung lehrt — jedem Befindensweohsel folgen.
Dass die danach gereichten Arzneimittel ihren Zweck
erfüllen, d. h. die Entspeicherung von im Körper
aufgespeicherten Giftstoffen herbeiführen, beweisen
schon — wenn auch deutliche Krisen in der Form
von Krankheiten ausbleiben — die Zunahme der
Pulsfrequenz, die erhöhte Funktion der Haut, der
Schleimhäute und der Endothelien der Glomeruli,
meist auf fast unmerkliche Weise.
Nur ein Beispiel: Jeder Fettleibige, der längere
Zeit nach der Weiberchen Methode behandelt wird,
kann eine Abnahme seines überflüssigen Fettpolsters
bei Gleichbleiben oder gar Zunahme seines absoluten
Gewichtes, also eine Erhöhung seines speoifischen
Gewichtes beobachten, ebenso wie jeder Magere
mit der Zeit etwas vollere Formen bekommt. Und
diese beiden Wirkungen erzielen wir ohne ein¬
greifende Veränderungen in der Lebensweise oder
Kuren. Wir wenden bei den Fettleibigen keine
Hunger- und Durstkuren, auch keine Trinkkuren
mit abführenden Mineralwässern an, so wenig sich
ein Magerer einer Mastkur unterziehen muss. Alles
das geht bei uns ohne jedes auffallende Symptom,
also auch ohne jede Gefahr vor sich und dies ist
ein grosser Vorzug, der vom Publikum allerdings
nicht gewürdigt wird; denn dies will sehen, dass
etwas geschieht, diesem imponirt vielmehr die
eruptive Thätigkeit des Magendarmkanals oder der
profuse Schweissausbruch in einer Wickel. Ob
dabei die einzelnen Organe überanstrengt werden
oder nicht, darüber kann es sich keine Rechenschaft
geben. Aber der physiologisch gebildete Arzt sollte
darüber nachdenken und den Organismus als etwas
subtileres als eine Lokomobile ansehen lernen.
Er sollte nicht blos die Nährstoffe, sondern auch
die Triebstoffe, er sollte nicht blos die grob-chemische
Zusammensetzung der Organismen und der einzelnen
Organe, sondern auch deren specifische Stoffe kennen,
er sollte die Physiologie nicht blos im Laboratorium
oft unter den widernatürlichsten Verhältnissen,
sondern auch draussen im freien, ungebundenen
Leben der Organismen studiren, er sollte in der
Therapie nicht der Natar im pathologischen Zustande,
sondern in ihrer physiologischen Thätigkeit folgen.
In ersterem poltert und rumort sie, wenn sie noch
die Kraft dazu hat, in letzterer zeigt sie sich als
beste Hausfrau, indem alles wie von unsichtbaren
Fäden gelenkt sich in stillster geordnetster Weise
vollzieht ohne Schlüsselbundrasseln und Keifen und
Schelten. Diesen Weg der Beobachtung der Natur
in ihrer physiologischen Thätigkeit ging auch
Hahnemann , indem er die Arzneien am Gesunden
prüfte, denselben Weg geht heute Jäger bei der
physiologischen Prüfung der Potenzirung, denselben
Weg gehen wir , die wir nach der Weihe*sehen
Methode handeln, in prophylaktischer Beziehung , in¬
dem wir nicht erst Krankheitssymptome abwarten,
Digitized by v^ooQle
110
bis wir eingreifen, sondern indem wir dem uns von
der Natur gegebenen Fingerzeig,* dem Schmerz¬
punkte folgend, das von der Natur eingeleitete Ent¬
speicherungsverfahren (s. o. aus dem Briefe von
Weihe) wirksam und in specifischer Weise unter¬
stützen, stets nach unser aller Princip t Similia
similibus*. Auch die zweite Seite der Hahnemann**
sehen Entdeckung, die Nothwendigkeit der Poten-
zirang der Stoffe, deren wir uns bedienen, ver¬
nachlässigen wir nicht, weil wir theils durch die
Erfahrung, theils durch die Jäger sehen neural¬
analytischen Untersuchungen wissen, wie sehr die
bclcbenie Wirkung der Stoffe mit der Potenzirung
zunimmt. Wir handeln „tuto, cito et jucunde“.
Nun können mir noch 2 Einwände gemacht
werden:
Erstens ist es nicht schädlich, so häufig auch
im sogen, gesunden Zustand Arzneimittel ein¬
zunehmen? Zweitens ist diese Methode der Pro¬
phylaxis praktisch durchführbar?
Dass das häufige Einnehmen von Arzneimitteln
schädlich werden kann, ist bekannt. Aber es ist
nicht schädlich , wenn man sich durch Verdünnung
so sehr verfeinerter Arzneimittel bedient, wie wir
Anhänger der Weibe’schen Methode thun.
Praktisch durchführbar ist die Methode auch,
da die Anwendung der Arzneimittel bei sonst gutem
gesundheitlichem Zustand nicht öfter als höchstens
alle 8 Tage, unter günstigen Verhältnissen nur alle
paar Monate stattzufinden hat. Für das besser
situirte Publikum ist die Institution des Hausarztes
das einzig richtige. Dass diese bei uns fast ganz
abgekommen ist, daran ist nur die Unkenntniss einer
anderen prophylaktischen Methode als der allgemein
diätetischen Schuld, deren Bestimmungen häufig
mehr von Laien als von Aerzten beeinflusst werden.
Beherrscht ein Arzt die Weihe'sche Methode, so <
giebt es für ihn keine Höflichkeitsbesuche mehr,
sondern er hat jederzeit statt liebenswürdiger Worte
eine feste Richtschnur zu zielbewusstem Handeln. Der
Engländer und Chinese zahlt seinem Hausarzt ein
Fixum, damit er ihn gesund erhält; hat der Arzt wegen
eingetretener Erkrankung mehr in der Familie zu
thun, so ist das des Arztes Sache — er bekommt
nicht mehr. Doch auch für das Volk wäre die
Prophylaxis nach der Weihe’schen Methode durch¬
führbar, wenn — ebenso wie für das Heil der
Seele und zur Pflege der Gerechtigkeit — Beamte
angestellt wären, die zur Festigung und Erhaltung
der Gesundheit jedem Menschen neben allgemein
diätetischen Anordnungen nach der Weiheschen
Methode prophylaktische Behandlung zu theil werden
Hessen.
Eine solche planmässig betriebene Ausscheidung
der Fremd- und Selbstgifte durch arzneiliche Unter¬
stützung des durch den Genius epidemicus an-
gebahntenEntspeicherungsvorganges nach der Weihe'-
schen Methode, eine solche planmässige Kräftigung
und Instandhaltung der verschiedenen Organe und
ihrer Funktionen wird jedermann den grössten Schatz,
den es auf Erden giebt, die Gesundheit sichern.
Im Besitz einer so behüteten Gesundheit vermögen
wir allen Schädlichkeiten zu trotzen und in dem
Wohligkeitsgefühl der vollen Kraft vermag sich
auch der Geist freier zu entfalten, da die täglichen
Mühen und Sorgen, rasch überwunden, nicht mehr
lähmend auf unser bessres Ich einzuwirken ver¬
mögen. Es ist ja zur Genüge bekannt, dass ein
Gesunder viel weniger materielle Bedürfnisse fühlt,
als ein Leidender, dass er viel weniger der Reiz¬
mittel bedarf. Und so werden die materialistischen
Anschauungen in den Hintergrund treten, der Gebt
wird herrschen. Unser Beitrag zur Lösung der
socialen Frage ist, das Ideal anzustreben, das uns
ein alter Spruch webt:
Mens sana in corpore sano.
Die zeitweilig herrschenden
Heilmittel.
Von den letzten 14 Tagen ist nicht viel zu
berichten.
Dierkes-Paderborn hat noch immer vorwiegend
Cupr. und China bei Leberaffection.
Leeser-Bonn berichtet am 13./9.: seit dem 8.
= Rhus tox. (Baryt, carb. -j- Iris vers.), dazwischen
= Mercur. (Baryt, carb. + Bell.), so auch heute;
vereinzelt = Card. mar. (Natr. carb. -{- Ipecac.)
und = Calc. carb. Am 19. bezeichnet er ab die
hervorragendsten Mittel der letzten Zeit: = Calc.
carb., = Card, mar., = Phosph. (Stann. -j- Mezer.),
Carb. veg. (Baryt, carb. -f- Cin.), =* Lacbes.
(Cupr. -f- Nux vom., auch Baryt, carb. -f- Taraxac.),
= Mercur. (alles nach W.).
Siegrist*Basel findet die Zeit sehr gesund; ver¬
einzelte Brechdurchfälle erforderten Veratr. und
Ipecac.
Ich-hier hatte vorwiegend vom 6.-9. =*= Kal.
carb. (Silic. -f" Digital), vom 10.—15. = Mercur.
(Baryt, carb. -[- Bell.), dazwischen am 11. ganz
vorwiegend = Veratr. (? -f- Euphorb. off), am 16.
und 17. = Chel. (Ac. nitr. -f- Bell), am 18. und
19. Plat. met. -{- Ign., seit dem 20. = Laches.
(Baryt, carb. -f- Taraxac.) (alles nach W.). Die
Krankenzahl nahm mit Eintritt des kühleren Wetters
ab, seit den letzten schwülen Tagen wieder zu.
Buob-Freudenstadt berichtete am 11. von der
Fortdauer der catarrhalischen Magen-Darmaffeetionen;
die Leber sei oft mitergriffen gewesen; die häufigsten
Mittel waren Natr. carb., Mercur. viv., Jod, Ipecac,
Bryon.
Stuttgart, den 22. Sept. 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Digitized by UjOOQie
111
DieUnterstützungskasse für Wittwen
homöopathischer Aerzte.
(Gegründet 1873.)
Aus dem Berichte über die diesjährige General¬
versammlung des homöopathischen Centralvereins
Deutschlands ist bereits bekannt geworden, dass
derselbe seinen Mitgliedern höhere Jahresbeiträge
anferlegt hat Der Grund hierzu ist die sicherlich
nur anerkennenswerthe Absicht und zugleich die
dringende Nothwendigkeit, der Wittwenkasse homöo¬
pathischer Aerzte mehr Mittel zur Verfügung zu
stellen.
Die Einnahmen derselben resultiren bisher aus¬
schliesslich aus freiwilligen Beiträgen, Sammlungen
an den Festessen der Centralvereins Versammlungen
und den geringen Zinsen des kleinen angelegten
Kapitals.
Dagegen haben sich die Anforderungen an die
Kasse in den letzten Jahren ausserordentlich ge¬
steigert, sodass zur Zeit 12 Wittwen regelmässig
vierteljährlich Unterstützungen erhalten, während
mehrere andere aus Mangel an Mitteln leider zurück¬
gewiesen werden mussten. Dabei kann sogar eine
jede dieser 12 Wittwen pro Jahr nur die sicher
sehr bescheidene Summe von 50—60 Mark be¬
kommen, denn ein Drittel der Jahreseinnahmen der
Wittwenkasse muss statntengemäss kapitalisirt werden;
— doch auch diese kleinen Beträge nehmen.die
Empfängerinnen*) mit grösster Freude und vielem
Danke an, da ihre Lage eine zu gedrückte ist.
Aufbesserung der Verhältnisse der Kasse ist
daher dringend geboten, denn die Unterstützung
armer Wittwen homöopathischer Aerzte
muss uns Homöopathen eine heilige Ehren¬
pflicht sein, und wir müssen auch entschieden in
die Lage kommen, jeder nothleidenden Wittwe jähr¬
lich mindestens 100 Mark gewähren zu können.
Dadurch, dass die Kasse sich aus freiwilligen
Beiträgen recrutirte, hatte bisher auch keineWittwe
das Recht, Unterstützungen zu verlangen,
und di es es werden wir auch bei Aufbesserung
der Verhältnisse der Kasse zunächst nicht
einräumen können.
Denn abgesehen davon, dass zweifelsohne auch
fernerhin nur die Wittwen derjenigen Aerzte
mit Unterstützungen bedacht werden können, die
bei Lebzeiten zur Wittwenkasse zugesteuert
haben, — können auch fernerhin die Bewerberinnen
um Unterstützungen nur nach dem Grade ihrer
*) Es wolle Niemand einwenden, dass wohl mancher
verstorbene homöopathische Arzt mit Leichtigkeit bei
etwas mehr Ordnungssinn und Sparsamkeit seine Wittwe
hätte in besseren Verhältnissen zurücklassen müssen;
wir können nur mit der Thatsache rechnen, dass wir
äusser8t hilfsbedürftige Wittwen haben, die wir unter¬
stützen müssen.
Bedürftigkeit und nach den Verhältnissen
des jeweilig günstigeren oder weniger günstigen
Standes der Kasse mit solchen bedacht werden.
Allein, — wenn wir jedem Centralvereins-Mit-
gliede jetzt einen Jahresbeitrag von 20 Mark auf¬
erlegen, von denen 6 Mark zur Vereinskasse, weitere
6 Mark (noch auf einige Jahre) zur Kasse des Leipziger
homöopathischen Krankenhauses und schliesslich 8Mk.
zur Wittwenkasse kommen, — und wenn wir dabei
auch fernerhin auf den rühmlichst anzuerkennenden
Wohlthätigkeitssinn einzelner Herren rechnen dürfen,
die sicher auch ferner noch höhere Beträge für die
Wittwenkasse verwilligen werden, — so sind wir
dann in der Lage: ca. 15 Wittwen alljähr¬
lich eine Spende von mindestens je 100 Mark,
zukommen zu lassen. Es ist dies einerseits eher
eine Summe, die man einer Wittwe eines Arztes
als Jahresunterstützung anbieten kann, und anderer¬
seits dürfte nach den bisherigen, ca. 20jährigen
Erfahrungen mit der Zahl 15 sicher die höchste
Ziffer der jeweilig zugleich in Frage kommenden
Bewerberinnen getroffen sein.
In einigen Jahren hofft das Leipziger homöo¬
pathische Krankenhaus diese Pflichtbeiträge nicht
mehr zu bedürfen, sondern mit den laufenden Ein¬
nahmen — Krankengelder, Kapitalzinsen, Staats¬
und städtische Unterstützungen (um die jetzt nach¬
gesucht wird) und sonstige freiwillige Beiträge —
die Unterhaltungskosten des Hauses decken zu
können, sodass dann von den 20 Mark Jahresbeitrag
jedes Gentralvereinsmitgliedes noch mehr als 8 Mark
der Wittwenkasse zugefübrt werden können.
Es wolle daher ein jedes Mitglied des Central¬
vereins diesen höheren Jahresbeitrag*) zu Gunsten
der Wittwenkasse gern bewilligen, — ja sogar jo
nach seinen Kräften noch mehr derselben zukommen
lassen. — Wolle jedoch auch jeder, sich in
guten Verhältnissen befindende homöo¬
pathische Arzt, der diesen Artikel liest und
nicht Mitglied des Centralvereins ist, gern
und freudig alljährlich sein Scherflein der
Wittwenkasse zuführen, wie es auch schon
früher freundlichst von Manchem geschehen, denn
es werden ja nicht nur Wittwen von Centralvereins¬
mitgliedern, sondern auch anderer homöopathischer
Aerzte bedacht, die zur Kasse gesteuert haben.
Sind wir auf diese Weise einen wesentlichen
Schritt weiter gekommen und gestalten sich die
Verhältnisse der Kasse mit der Zeit besser, so
können wir in einigen (vielleicht in fünf bis zehn)
Jahren sicher auch daran gehen, einen Modus zu
finden, nach welchem die Wittwe eines jeden
Arztes, der beigesteuert hat, auch unter-
*) ln allen medicinischen Gesellschaften sind höhere
Jahresbeiträge als bisher im Centralverein, ohne dass
entfernt das Gleiche geboten würde.
Digitized by
Google
112
s tü tzu n g s berechtigt wird, sobald sie sich in ge¬
drückten Verhältnissen befindet. — Die Erreichung
dieses Zieles soll jederzeit die freudigste Aufgabe des
Unterzeichneten sein und zweifelt er nicht daran,
dass es ihm bei der nöthigen allseitigen Unter¬
stützung gelingen wird, an dasselbe zu gelangen.
Leipzig, den 17. September 1892.
Hochachtungsvoll
William Steinmetz.
Rechnungsablegung.
Für das Homöopathische Krankenhaus zu
Leipzig sind eingegangen bei Herrn Apotheker
William Steinmetz, Leipzig, in der Zeit vom 21./7,
bis 20/9. a. c. folgende Beiträge:
für den Betriebsfond
Legat von Fräulein Pauline Hoffmann,
Leipzig, Markt 10, III, gestorben am
25./4. 1892 mit Zinsen.M. 303.75
von Frau Gräfin Seherr-Thoss, Hohen-
friedeberg.. 10.—
Transport M. 813.75
von Herrn Sanitätsrath Dr. med. Sauer,
Breslau pro 92/93 .„ 12.—
vom Homöopath. Vorein zu Hannover
(durch Herrn 0. Drude) . . . . n 14.45
von Central Vereinsmitgliedern
2 Jahresbeiträge ä 10.— „ 20.—
13 , „ , 6.- , 78.-
1 9 9 n 8.— „ 8.—
^ » 9 9 * 4.-
Rink. 450.20
Für dieses Vermächtniss, wie für diese neuen
Beiträge spreche ich im Namen des Curatoriums
des Krankenhauses den herzlichsten Dank aus und
bitte auch um ferneres Wohlwollen und gütige
Zuwendungen.
Leipzig, 20. September 1892.
Hochachtungsvoll
William Steinmeti,
z. Z. Kassenverwalter.
ANZEIGEN.
Den Herren Aerzten empfehle s tnimt Hnhe
Artikel zur Krankenpflege:
Verbandstoffe, ärztliche und
sonstige Instrumente, Instramenten-
taschen n. Wundverband-Apotheken
in allen GrSssen, in bester Qualität und zu
billigsten Preisen.
Ausführliche, speciell chirurgische Preislisten
werden auf Verlangen gratis und franco verschickt.
Leipzig, A.Marggrafs homöopath.Officin.
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung & Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung vonCitronen- u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant, (ä 100,0 = 30 Pf.) ab.
Leipzig, A.Marggrafs homöopath.Offtein.
Verantwortliche Redacteore: Dr. Goehrun-Stuttgart, Dr. Stlft-Leipiig imd nr.
Expedition und Verlag von Wiltlan Stelnmtz (A. Marggrafs homöopath. Offioin) in Leipcig.
Druck von Qreaaaer 4 Sobnma in Leipiig.
"Rein,oftnejedc
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
b a W nfl tb 3b
i
7
k
| nach DT F.Katsch J
1 nur acht, wenn mit 1 SCHUTZMARKE
Unterschrift
/p
Digitized by Google
Band 125.
Leipzig» den 1. Oktober 1898.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«.
Extra-lummer.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. med. Stifft-Leipzig.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A.Harggrars homSopath. Offlein) in Leipzig.
Inhalt. Oie Cholera: Massaahnen gegen dieselbe and Ihre geaohlchtlloh begründete, hearilepatblaobe
Bebaadlnag.
Die Cholera:
Massnahmen gegen dieselbe nnd ihre geschichtlich begründete,
homöopathische Behandlung.
Wir halten es nicht für überflüssig, wenn auch
durch bestimmte Verhältnisse gezwungen, etwas
verspätet, doch auch noch jetzt in unserer Zeitung
auf die behördlicherseits ergriffenen Massnahmen
und die Schutz- und Verhaltungsmassregeln bei dem
Auftreten der Cholera, sowie anf ihre homöo¬
pathische Behandlung hinzuweisen, um so mehr da
neben den der Allgemeinheit hierdurch auferlegten
strengen Pflichten auch für die Aerzte bestimmte
neue Anzeigeformalitäten erwachsen sind und hei
dem leichten Verschleppt werden der Seuche viel¬
leicht noch manche Collegen mit ihr zu thun be¬
kommen werden.
Auch kann es nur im Interesse unserer Sache
liegen, dem homöopathischen wie nicht homöo¬
pathischen Leser eine geschichtlich begründete ob¬
jektive Beurtheilung der auch jetzt wieder von
unserer Seite enthusiastisch gepriesenen, aber auch
von der neuen Richtung des Herrn Prof. Schulz
in der Arzneimittellehre empfohlenen Heilmittel zu
geben und dieselben auf Grund der Urtheile kri¬
tischer Praktiker aus früheren Jahrzehnten in die
ihnen von der Natur gezogenen Grenzen zurück¬
zuweisen. Was können Uehertreihungen und zu
hoch geschraubte Erwartungen helfen? Die Laien
werden durch unerwartete Enttäuschungen in ihrem
Vertrauen irre und die ärztliche Welt schiebt die
Schuld auf das Unzulängliche der homöopathischen
Kunst. Es wird daher besser sein, das Maas des
Enthusiasmus auf das zurückzuführen, was man zu
erwarten hat, und was nicht. Auch so bleibt für
die Anwendung unserer Heilfaktoren gegenüber
der scholastischen Behandlung noch Grund genug!
Wir aber werden uns um so mehr bemühen, unsere
Beobachtungen zu erweitern, unseren Arzneischatz
zu kompletiren, und uns nicht in falsche Sicherheit
einwiegen lassen, aus der wir durch die Macht der
Thatsachen unangenehm erweckt werden könnten!
Bekanntlich wurden schon vor ein paar Monaten
die Bundesregierungen durch den Reichskanzler darauf
hingewiesen, diejenigen Massnahmen anzuordnen,
welche bereits früher für den Fall einer drohenden
Choleragefahr im Gebiete des Deutschen Reiches ver¬
einbart worden waren. Das unerwartete, furchtbare
Auftreten der Seuche in* Hamburg aber Hess eine
schleunige mündliche Vereinbarung aller Schutz -
massnahmen nothwendig erscheinen, und so trat
schon am 27. August auf Einladung des Reiclis-
1
Digitized by v^ooQie
2
kanzlers eine Commission zusammen, welcher ausser
den Vertretern des Kaiserlichen Gesundheitsamtes,
Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Reichseisen¬
bahnamtes, der Königlich Preussischen Militär-Me-
dicinal Verwaltung, der betheiligten Preussischen
Ministerien und der übrigen Bundesregierungen bei¬
wohnten und welche eine vollkommene Ueberein-
stimmung in allen gegen die Cholera zu treffenden
Massnahmen und deren strenger Durchführung
herbeiführte, was nicht wenig zur Beruhigung der
Bevölkerung beitragen musste. Die aus den Kom¬
mission sberathungen hervorgegangenen Beschlüsse,
welche sofort durch behördliche Publikation in den
einzelnen Bundesstaaten gesetzliche Kraft erhielten,
theilen wir hierunter mit.
A. Allgemeine Massnahmen seitens der
Behörden.
1. Die Polizeibehörden müssen von jedem
Erkrankungs- oder Todesfall an Cholera oder
choleraverdächtigen Krankheiten (insbesondere von
Brechdurchfall sofort in Kenntniss gesetzt
werden. Ausgenommen bleiben Brechdurchfälle
von Kindern unter 2 Jahren. Wo bereits eine Ver¬
pflichtung zur Anzeige derartiger Erkrankungs- und
Todesfälle besteht, soll dieselbe neu eingeschärft
werden, wo sie noch nicht oder nur betreffs der
Erkrankungsfälle besteht, ist sie einzuführen bezw.
auf die Todesfälle auszudehnen. Namentlich sind
auch die Führer der Flussfahrzeuge zur Anzeige
der auf diesen vorkommenden Fälle zu verpflichten.
Auf Grund der eingegangenen Anmeldungen*) haben
die Ortspolizeibehörden Listen nach anliegendem
Muster (Anlage I) fortlaufend zu führen.
Im Uebrigen wird vorausgesetzt, dass von jedem
ersten Choleraerkrankungsfalle in einer Stadt das
Reichsamt des Innern und von dem weiteren Ver¬
laufe der Epidemie in den einzelnen Ortschaften
wöchentlich dem Kaiserlichen Gesundheitsamte nach
Anleitung des im Jahre 1879 zwischen den deut¬
schen Regierungen vereinbarten, hier als Anlage II
beigegebenen Formulars Kenntniss gegeben wird.
Die Wochenberichte sind so zeitig abzusenden,
dass bis Montag Mittag die Mittheilungen über die
in der vorangegangenen Woche bis Sonnabend ein¬
schliesslich gemeldeten Erkrankungen und Todes¬
fälle im Gesundheitsamte eingehen.
Auch ist es nothwendig, dass fortlaufende Nach¬
richten über den Stand der Epidemie, womöglich
täglich, in geeigneter Weise zur öffentlichen Kennt¬
niss gebracht werden.
*) Zur Benutzung für Aerzte, Polizeibeamte etc. ist
die Anlage l mit Formular zu einer Zählkarte bei-
getilgt.
2. Die zuständigen Behörden haben ihr be¬
sonderes Augenmerk darauf zu richten, ob etwa
Messen, Märkte und andere Veranstaltungen,
welche ein ähnliches gefährliches Zusammenströmen
von Menschen zur Folge haben, an oder in der
Nähe solcher Orte zu verhindern sind, in welchen
die Cholera ausgebrochen ist.
3. Schulkinde, welche ausserhalb des Schul¬
ortes wohnen, dürfen, solange in dem letzteren die
Cholera herrscht, die Schule nicht besuchen, des¬
gleichen müssen Schulkinder, in deren Wohnort die
Cholera herrscht, vom Besuch der Schule in einem
noch cholerafreien Orte ausgeschlossen werden. An
Orten, wo die Cholera heftig auftritt, sind die
Schulen zu Schliessen.
Gleichartige Bestimmungen müssen auch hin¬
sichtlich des Besuchs des Confirmandenunter•
richts erlassen werden.
4. Hinsichtlich des Eisenbahnverkehrs ist
das Zugbegleituugs- und Bahnhofspersonal wegen
Ausschliessung offenbar cholerakranker Reisenden
von der Weiterreise mit Anweisung nach Mas-
gäbe der anliegenden Grundsätze (Anlage III) zu
versehen.
Auf den der Verbreitung der Epidemie ent¬
sprechend auszuwählenden Stationen des Eisenbahn¬
verkehrs ist wegen Fürsorge für krank befundene
Passagiere durch Bereitstellung ärztlicher Hülfe und
Unterbringung in geeigneten isolirten Räumlich¬
keiten, wegen Ausrangiren und Desinflciren (No. 15)
der von solchen Passagieren benutzten Waggons
das Erforderliche zu veranlassen. Die Landes¬
regierungen haben Anordnung zu treffen, dass an
denjenigen Eisenbahnstationsorten, an welchen ge¬
eignete Krankenhäuser sich befinden, der Aufnahme
dort abgesetzter Kranken Hindernisse nicht in den
Weg gelegt werden. Die schmutzige Wäsche der¬
jenigen Schlafwagen, welche aus Choleraorten kom¬
men oder in solchen Reisende aufgenommen haben,
ist auf den Zielstationen zu desinflciren.
An besonders bedrohten Orten (z. B. an der
Grenze gegen verseuchtes Ausland) und bei Trans¬
porten, welche ihrer Beschaffenheit oder Herkunft
nach (Auswanderertransporte, Transporte aus ver¬
seuchten Orten) besonders verdächtig sind, kann
es rathsam sein, eingehende ärztliche Besichtigungen
der Reisenden und ihres Gepäcks, event. auch Des-
infection des letzteren eintreten zu lassen.
5. Die Polizeibehörde eines Ortes wird je nach
den Umständen auf solche Personen ein besonderes
Augenmerk zu richten haben, welche dort sich auf¬
halten, nachdem sie kurz zuvor in von der Cholera
heimgesuchten Orten gewesen waren. Es kann sich
empfehlen, die von solchen Orten mitgebrachten Ge¬
brauchsgegenstände (namentlich gebrauchte Wäsche
und Kleidungsstücke) zu desinflciren und die Zu¬
gereisten selbst einer, der Incubationsdauer der
Digitized by Google
Cholera entsprechend bemessenen, ärztlichen Beob¬
achtung zu unterstellen; jedoch in schonender Form
und so, dass Belästigungen der Personen thunlichst
vermieden werden.
6. Auf die Bevölkerung solcher Flussfahr¬
zeuge, welche zum Frachttransport dienen, sowie
auf die Personen, welche Holzflösse transportiren,
ist besonders Acht zu geben. Sofern sie aus einem
Choleragebiet kommen oder auf der Reise sich einem
solchen Gebiete genähert haben, sind sie an den
Anlegestellen ärztlicher Besichtigung zu unterwer¬
fen und je nach deren Ergebniss weiter zu be¬
handeln (Unterbringung etwaiger Kranken, Desin-
fection der Effecten etc.).
7. Im Uebrigen ist eine Beschränkung des Ver¬
kehrs mit Post- (Brief- und Packet-) Sendungen,
sowie des Gepäck- und Güterverkehrs nicht
anzurathen.
8. Für Bereitstellung von Krankenräu¬
men (Baracken oder dergl.) in ausreichendem
Masse ist bei Zeiten zu sorgen.
Es ist erwünscht, dass namentlich vermögens¬
lose und schlecht untergebrachte Kranke in thun¬
lichst umfassender Weise in Krankenhäusern, wo¬
möglichst kostenlos, untergebracht und verpflegt
werden.
9 Für den Transport der Kranken sind
dem öffentlichen Verkehr dienende Fuhrwerke
(Droschken und dergl.) nicht zu benutzen. Hat
eine solche Benutzung trotzdem stattgefunden, so
ist das Gefährt zu desinficiren.
10. Leichen der an Cholera Gestorbenen sind
thunlichst bald aus der Behausung zu entfernen,
namentlich dann, wena ein gesonderter Raum für
die Aufstellung der Leiche nicht vorhanden ist.
Für Einrichtung von Leichenhäusern ist Sorge zu
tragen, die Ausstellung der Leichen vor dem Be-
gräbniss zu untersagen, das Leichengefolge mög¬
lichst zu beschränken und dessen Eintritt in die
Sterbewohnung zu verbieten.
Die Beerdigung der Choleraleichen ist unter
Abkürzung der für gewöhnliche Zeiten vorgeschrie¬
benen Fristen thunlichst zu beschleunigen.
Die Beförderung von Leichen solcher Personen,
welche an der Cholera gestorben sind, nach einem
anderen, als dem ordnungsmässigen Beerdigungs¬
orte, ist zu untersagen.
Für Ortschaften, welche einen eigenen Begräb-
nissplatz nicht besitzen, ist ein solcher erforder¬
lichen Falls einzurichten.
11. In den von Cholera ergriffenen oder be¬
drohten Ortschaften ist der Verkehr mit Nahrung s-
und Genussmitteln sowohl betreffs der Beschaffen¬
heit der Waaren als auch der Verkaufsstellen aufs
sorgfältigste zu beaufsichtigen.
Es kann nöthig werden, Verkaufsräume wegen
Gefahr der Verbreitung der Krankheit zu schliessen.
Den hiervon betroffenen Personen ist soweit irgend
thunlich Entschädigung zu gewähren.
12. Für reines Trink- und Gebrauchs¬
wasser ist bei Zeiten Sorge zu tragen; als
solches ist das Wasser, welches mittelst gewöhn¬
licher Brunnen aus dem Untergrund des Cholera¬
ortes geschöpft wird, in der Regel nicht anzusehen
und nicht zu benutzen, wenn vorwurfsfreies Lei¬
tungswasser zur Verfügung steht Zu empfehlen
sind eiserne Röhrenbrunnen, welche direkt in den
Erdboden und in nicht zu geringe Tiefe getrieben
sind (abessinische Brunnen).
Brunnen mit gesundheitsgefährlichem Wasser
sind zu schliessen. Jede Verunreinigung der Ent¬
nahmestellen von Wasser zum Trink- oder Haus¬
gebrauch und ihrer nächsten Umgebung, insbeson¬
dere durch Haushaltungsabfälle, ist zu verhindern.
Das Spülen von Gefässen und Wäsche, welche mit
Cholerakranken in Berührung gekommen sind, an
den Wasserentnahmestellen oder in deren Nähe ist
strengstens zu untersagen.
13. Für rasche Abführung der Schmutz¬
wässer aus der Nähe der Häuser ist Sorge zu
tragen und deren Einleitung in etwa vorhandene
Senkgruben am Hause zu vermeiden. In öffentliche
Wasserläufe oder sonstige Gewässer sollten Schmutz¬
wässer nur eingeleitet werden, nachdem Desinfec-
tionsmittel (Anlage IV) in genügender Menge zu¬
gesetzt worden sind und ausreichend lange einge¬
wirkt haben.
14. Vorhandene Abtrittsgruben sind, so¬
lange die Epidemie noch nicht am Orte ausge¬
brochen ist, zu entleeren; während der Herrschaft
der Epidemie dagegen ist die Räumung, wenn thun¬
lich, zu unterlassen.
Eine Desinfection von Abtritten und Pissoirs
ist der Regel nach nur an den dem Öffentlichen
Verkehr zugänglichen nach Lage oder Art des Ver¬
kehrs besonders gefährlicher Anlagen dieser Art
(Eisenbahnstationen, Gasthäusern und dergleichen)
erforderlich. Auf peinliche Sauberkeit ist in allen
derartigen öffentlichen Anlagen zu halten.
15. Die Desinfectionen sind nach Mass-
gabe der anliegenden Anweisung zu bewirken. In
grösseren Städten ist auf die Einrichtung öffent¬
licher Desinfectionsanstalten, in welchen die An¬
wendung heissen Wasserdampfes als Desinfections-
mittel erfolgen kann, hinzuwirken. Die auf polizei¬
liche Anordnung erfolgenden Desinfectionen sollten
unentgeltlich geschehen.
16. Eine, etwa nach dem Muster der Anlage V
auszuarbeitende Belehrung über das Wesen
der Cholera und über das während der
Cholerazeit zu beobachtende Verhalten ist
in eindringlicher Weise zur Kenntniss des Publi¬
kums zu bringen.
1 *
Digitized by
4
B. Massnahmen, welche an den einzelnen von
Cholera bedrohten oder ergriffenen Orten in
treffen sind.
Wo nicht bereits dauernd Gesundheitscommis¬
sionen bestehen oder für den Fall drohender Cholera¬
gefahr vorgesehen sind, sind solche einzurichten.
Schon vor Ausbruch der Epidemie sind
die Zustände des Ortes in Bezug auf die im Ab¬
schnitt A 11 bis 14 erwähnten Punkte einer ge¬
nauen Untersuchung zu unterziehen und ist auf
Beseitigung der Vorgefundenen Missstände, unter
besonderer Berücksichtigung der früher vorzugs¬
weise von der Cholera betroffenen Oertlicbkeiten,
hinzuwirken, sowie das sonst Erforderliche in die
Wege zu leiten.
Sobald der Ort von Cholera ergriffen
wird, sind:
1. Die Cholerakranken, namentlich solche,
welche sich in ungünstigen häuslichen Verhältnissen
befinden, wenn möglich nach einer Krankenan¬
stalt tiberzuführen; in den Wohnungen verblei¬
bende Kranke sind zu isoliren. Unter Umständen
kann es sich empfehlen, den Kranken in der Woh¬
nung zu belassen und die Gesunden aus derselben
fortzuschaffen. Eine derartige Evacuation kann
nothwendig werden betreffs derjenigen Häuser, welche
früher von der Cholera gelitten haben und un¬
günstige sanitäre Zustände (Ueberfüllung, Unrein¬
lichkeiten und dergleichen) aufweisen. Zur Unter¬
bringung der Evacuirten eignen sich am besten
Gebäude auf frei und höher gelegenen Orten und
namentlich an solchen Stellen, welche in früheren
Epidemieen von der Seuche verschont geblieben
sind.
2. Besonders wichtig ist es, bei den
ersten Fällen in einem Orte eingehende und
umsichtige Nachforschungen anzustellen, wo
und wie sich die Kranken inficirt haben, um gegen
diesen Punkt die Massregeln in erster Linie zu
richten.
3. Die Gesundheitscommissionen haben sich be¬
ständig durch fortgesetzte Besuche in allen ein¬
zelnen Häusern der Ortschaft über den Gesund¬
heitszustand der Bewohner in Kenntniss zu
erhalten, den sanitären Zuständen derselben (Rein¬
lichkeit des Hauses im Allgemeinen, Beseitigung
der Haushaltungsabfälle und Schmutzwässer u. s. w.)
ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwonden und
auf die Abstellung von Missständen hinzuwirken,
namentlich auch gefährlich erscheinende Brunnen
schliessen zu lassen.
4. ln Häusern, wo Cholerafälle Vor¬
kommen, hat die Commission die erforderlichen
Anordnungen wegen Desinfection der Abgänge, so¬
wie der Umgebung der Kranken oder Gestorbenen
zu treffen und die Ausführung zu überwachen.
Ganz besondere Aufmerksamkeit ist der Desinfec¬
tion der Betten und der Leibwäsche des Kranken
oder Gestorbenen zu widmen. Um der Verheim¬
lichung inficirter Gegenstände vorzubeugen, ist es
nöthig, dass eine Entschädigung für vernichtete
Gegenstände gewährt werde.
5. Alle Personen, welche vermöge ihrer Be¬
schäftigung mit Cholerakranken, deren Effecten oder
Entleerungen in Berührung kommen (Kranken¬
wärter, Desinfectoren, Wäscherinnenu. s. w.),
sind auf die Befolgung der Desinfectionsvorschriften
(Anlage IVj besonders hinzuweisen.
6. Sollte sich Mangel an ärztlicher Hülfe,
Arznei- oder Desinfectionsmitteln fühlbar
machen oder zu befürchten sein, so ist bei Zeiten
für Abhülfe zu sorgen.
.Anlage I.
Liste der Cholerafälle.
Ort der
Erkrankung
Wohnung
(Strasse,
Haus¬
nummer,
Stockwerk)
3 .
Familien¬
name
Geschlecht
5 .
6 .
Stand
; Alter
oder
Gewerbe
Stelle der
Beschäf¬
tigung
üoh
des Erkrankten
weiblichl I
Tag der
Erkran¬
kung
9.
Tag des
Todes
10 .
Bemerkun¬
gen (insbe¬
sondere auch
ob, wann und
woher zu¬
gereist)
Digitized by v^ooQie
5
Zu Anlage I.
Zählkarte.
Ort der Erkrankung:.
Wohnung (Strasse, Hausnummer, Stockwerk):
Des Erkrankten
Familienname:.
Geschlecht: männlich, weiblich. (Zutreffendes ist zu unterstreichen.)
Alter: .
Stand oder Gewerbe: .
Stelle der Beschäftigung: .
Tag der Erkrankung:.
Bemerkungen
(insbesondere auch ob, wann und woher zugereist)
Anlage 11.
Wöchentlich dem Kaiserlichen Gesundheitsamt« einzusenden.
Nachweisung.
über den Stand der Cholera in.am . . ten. 1892.
Namen
der Ort¬
schaften
(mit An¬
gabe des
Verwal¬
tungs¬
bezirks)
Einwoh¬
nerzahl
(letzte
Volks¬
zählung)
Tag des
Aus¬
bruchs
der
Krank¬
heit
Bestand
bei der
letzten
Anzeige
vom
. . ► ten
Neu er¬
krankt
sind
Erkrankt
von
ausser¬
halb zu¬
gegangen
sind
Summe
von
Spalte 4,
5 und 6
In der
bis . .
genesen
Zeit vom
erkrankt
nach
ausser¬
halb ab¬
gegangen
.... ein
gestorben
Behl, sind
Bestand
geblieben
1 .
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
Anlage III.
Grundsätze für das Verhalten des Eisenbahn¬
personals bei choleraverd&chtigen Erkrankungen.
1. Choleraverdächtig ist Jeder, welcher in Cholera¬
zeiten an Erbrechen und Darchfall leidet. Es giebt
aber auch schwere Cholerafälle, welche einen tödt-
licben Ausgang nehmen, ohne dass es zum Erbrechen
und Durchfall gekommen ist. Solche Fälle sind
an der grossen Schwäche und Mattigkeit, die oft
gar schnell die Betreffenden überfällt, zu erkennen.
2. Von jeder choleraverdächtigen Erkrankung,
welche während der Eisenbahnfahrt vorkommt, bat
der Schaffner dem Zugführer sofort Meldung zu
machen.
3. Der Zugführer hat den Erkrankten der nächsten
Eisenbahnstation, welche mit den erforderlichen
Krankentransportmitteln versehen ist, und eine ge-
Digitized by Google
6
eignete Krankenunterkunft bietet *), zu übergeben.
Diese Station ist, wenn thunlich, vorher telegraphisch
zu benachrichtigen.
4. Auf der Fahrt bis zu der Uebergabestation
ist der Erkrankte thunlickst y eventuell mit seinen
Angehörigen zu isoliren. Die übrigen Mitreisenden,
soweit sie vom Ansteckungsstoff frei geblieben, sind
in einem anderen Wagen bezw. Wagenabtheil unter¬
zubringen.
5. Die Sorge um den Erkrankten bat sich zu¬
nächst auf eine möglichst bequeme Lagerung des¬
selben zu erstrecken und ist Sache desjenigen
Schaffners, dessen Aufsicht der betreffende Wagen
untersteht.
6. Der Zugführer ist mit einem etwa 30 ccm
eines Gemisches von gleichen Theilen einfacher
Opiumtinctur und Aether oder ähnlicher Arzneien
enthaltenden Tropffläschchen zu versehen, woraus
Erkrankten 20—30 Tropfen, am besten auf Zucker,
verabreicht werden können.
7. Das Zugpersonal hat sich mit den über die
Desinfection erlassenen Vorschriften — Anlage IV
der Massnahmen — genau bekannt zu machen und
dieselben zur eigenen Sicherung an sich selbst sorg¬
fältig auszuführen.
Anlage IV.
Anweisung zur Ausführung der Desinfection bei
Cholera.
I. Als Desinfeetionsmittel werden empfohlen:
1. Kalkmilch.
Zur Herstellung derselben wird 1 1 zerkleinerter
reiner gebrannter Kalk, sogenannter Fettkalk, mit
4 1 Wasser gemischt, und zwar in folgender Weise:
Es wird von dem Wasser etwa 3 / 4 1 in das zum
Mischen bestimmte Gefäss gegossen und dann der
Kalk hineingelegt. Nachdem der Kalk das Wasser
aufgesogen hat und dabei zu Pulver zerfallen ist,
wird er mit dem übrigen Wasser zu Kalkmilch
verrührt.
Dieselbe ist, wenn sie nicht bald Verwendung
findet, in einem gut geschlossenen Gefässe aufzu¬
bewahren und vor dem Gebrauch umzuschütteln.
2. Chlorkalk
Der Chlorkalk hat nur dann eine ausreichende
desinficirende Wirkung, wenn er frisch bereitet und
in wohlverschlossenen Gefässen aufbewahrt ist. Die
gute Beschaffenheit des Chlorkalks ist an dem
starken, dem Chlorkalk eigenthümlicben Geruch zu
erkennen.
Er wird entweder unvermischt in Pulverform
gebracht, oder in Lösung. Letztere wird dadurch
erhalten, dass 2 Theile Chlorkalk mit 100 Theilen
kalten Wassers gemischt, und nach dem Absetzen
*) Dem Zugführer sind die entsprechend ausge¬
rüsteten Stationen seiner Strecken zu bezeichnen.
der ungelösten Theile die klare Lösung abgegossen
wird.
3. Lösung von Kaliseife (sog. Schmierseife
oder grüner oder schwarzer Seife). 3 Theile Seife
werden in 100 Theilen heissen Wassers gelöst
(z. B. V 2 kg Seife in 17 1 Wasser).
4. Lösung von Carbolsäure.
Die rohe Carbolsäure löst sich nur unvollkommen
und ist deswegen ungeeignet. Zur Verwendung
kommt die sog. „100 0 / 0 ige Carbolsäure* des Han¬
dels, welche sich in Seifenwasser vollständig löst
Man bereitet sich die unter No. 3 beschriebene
Lösung von Kaliseife. In 20 Theile dieser noch
heissen Lösung wird 1 Theil Carbolsäure unter
fortwährendem Umrühren gegossen.
Diese Lösung ist lange Zeit haltbar und wirkt
schneller desinficirend als einfache Lösung von
Kaliseife.
Soll reine Carbolsäure (einmal oder wiederholt
destillirte) verwendet werden, welche erheblich
theurer, aber nicht wirksamer ist, als die sog.
*100 0 / 0 ige Carbolsäure“, so ist zur Lösung das
Seifenwasser nicht nöthig; es genügt dann einfaches
Wasser.
5. Dampfapparate.
Geeignet sind sowohl solche Apparate, welche
für strömenden Wasserdampf 100° C. eingerichtet
sind, als auch solche, in welchen der Dampf unter
Ueberdruck (nicht unter 1 j l0 Atmosphäre) zur Ver¬
wendung kommt.
6. Siedehitze.
Die zu desinflcirenden Gegenstände werden min¬
destens eine halbe Stunde lang mit Wasser gekocht.
Das Wasser muss während dieser Zeit beständig
im Sieden gehalten werden und die Gegenstände
vollkommen bedecken.
Unter den aufgeführten Desinfectionsmitteln ist
die Wahl nach Lage der Umstände zu treffen. Ins¬
besondere wird, wenn es an der unter 4 vorge¬
sehenen 100 °/ 0 igen Carbolsäure mangeln sollte, auf
die unter 1—3 angegebenen Mittel zurückzugreifen
sein. Sollten auch diese Mittel nicht zu beschaffen
sein, so wird im Nothfall Carbolsäure mit geringerem
Gehalt an wirksamen Stoffen, welche demgemäss in
grösserer Menge zu verwenden ist, oder ein anderes
wissenschaftlich als gleichwerthig anerkanntes Mittel
zu verwenden sein.
II. Anwendung der Desinfectionsmittel.
1. Die flüssigen Abgänge der Cholera¬
kranken (Erbrochenes, Stuhlgang) werden mög¬
lichst in Gefässen aufgefangen und mit ungefähr
gleichen Theilen Kalkmilch (I., No. 1) gemischt
Diese Mischung muss mindestens eine Stunde stehen
bleiben, ehe sie als unschädlich beseitigt werden
darf.
Zur Desinfection der flüssigen Abgänge kann
Digitized by
Google
7
auch Chlorkalk (I., No. 2) benutzt werden. Von
demselben sind mindestens zwei gehäufte Esslöffel
voll in Pulverform auf ! /2 1 der Abgänge hinzu¬
zusetzen und gut damit zu mischen. Die so be¬
handelte Flüssigkeit kann bereits nach 15 Minuten
beseitigt werden.
Schmutzwässer sind in ähnlicher Weise zu
desinficiren, jedoch genügen geringere Mengen von
Kalkmilch oder Chlorkalk.
2. Hände und sonstige Körpertheile müssen
jedesmal, wenn sie durch die Berührung mit infi-
cirten Dingen (Ausleerungen des Kranken, beschmutz¬
ter W äsche u. s. w.) in Berührung gekommen sind,
durch gründliches Waschen mit Chlorkalklösung (I.,
No. 2) oder mit Carbolsäurelösung (I., No. 4) des-
inficirt werden.
3. Bett- und Leibwäsche, sowie andere
Kleidungsstücke, welche gewaschen werden
können, sind sofort, nachdem sie beschmutzt sind,
in ein Gefäss mit Desinfectionsflüssigkeit zu stecken.
Die Desinfectionsflüssigkeit besteht aus einer Lösung
von Kaliseife (I, No. 3) oder Carbolsäure (1., No. 4).
In dieser Flüssigkeit bleiben die Gegenstände,
und zwar in der ersteren mindestens 24 Stunden,
in der letzteren mindestens 12 Stunden ehe sie mit
Wasser gespült und weiter gereinigt werden.
Wäsche u. s. w. kann auch in Dampfapparaten,
sowie darch Auskochen desinficirt werden. Aber
auch in diesem Falle muss sie zunächst mit einer
der genannten Desinfectionsflüssigkeiten (L, No. 3
oder 4) stark angefeuchtet und in gut schliessen-
den Gefässen oder Beuteln verwahrt, oder in Tücher,
welche ebenfalls mit Desinfectionsflüssigkeit ange¬
feuchtet sind, eingeschlagen werden, damit die mit
dem Hantiren der Gegenstände vor der eigent¬
lichen Desinfection verbundene Gefahr verringert
wird. Auf jeden Fall muss derjenige, welcher solche
Wäsche u. s. w. berührt hat, seine Hände in der
unter II., No. 2 angegebenen Weise desinficiren.
4. Kleidungsstücke, welche nicht ge¬
waschen werden können, sind in Dampfappa¬
raten (I., 5) zu desinficiren.
Gegenstände aus Leder sind mit Carbolsäure-
lösung (I , 4) oder Chlorkalklösung (I., 2) abzu¬
reiben.
5. Holz- und Metalltheile der Möbel, sowie
ähnliche Gegenstände werden mit Lappen sorgfältig
und wiederholt abgerieben, die mit Carbolsäure-
oder Kaliseifenlösung (I, 4 oder 3) befeuchtet sind.
Ebenso wird mit dem Fussboden von Kranken¬
räumen verfahren. Die gebrauchten Lappen sind
zu verbrennen.
Der Fussboden kann auch durch Bestreichen
mit Kalkmilch (I., 1) desinficirt werden, welche
frühestens nach 2 Stunden durch Abwaschen wieder
entfernt wird.
6. Die Wände der Krankenräume, sowie
Holztheile, welche diese Behandlung vertragen, wer¬
den mit Kalkmilch (I., 1) getüncht.
Nach geschehener Desinfection sind die Kranken¬
räume, wenn irgend möglich, 24 Stunden lang un¬
benutzt zu lassen und reichlich zu lüften.
7. Durch Choleraausleerungen beschmutzter Erd¬
boden, Pflaster, sowie Rinnsteine, in welche
verdächtige Abgänge gelangen, werden am ein¬
fachsten durch reichliches Uebergiessen mit Kalk¬
milch (I., 1) desinficirt.
8. Soweit Abtritte im Hinblick auf den öffent¬
lichen Verkehr (A. No. 14 der „Massnahmen“) zu
desinficiren sind, empfiehlt es sich, täglich in jede
Sitzöffnung 1 1 Kalkmilch (I., 1) oder ein anderes
gleichwerthiges Mittel in entsprechender Menge zu
giessen. Tonnen, Kübel u. dgl., welche zum Auf¬
fangen des Koths in den Abtritten dienen, sind
nach dem Entleeren reichlich mit Kalkmilch (I., 1)
oder einem anderen gleichwerthigen Mittel aussen
und innen zu bestreichen.
Die Sitzbretter werden durch Abwaschen mit
Kaliseifenlösung (I., 3) gereinigt.
9. Wo eine genügende Desinfection in der bis¬
her angegebenen Weise nicht ausführbar ist (z. B.
bei Polstermöbeln, Federbetten, in Ermange¬
lung eines Dampfapparates, auch bei anderen Gegen¬
ständen, wenn ein Mangel an Desinfectionsmitteln
eintreten sollte), sind die zu desinficirenden Gegen¬
stände mindestens 6 Tage lang ausser Gebrauch zu
setzen und an einem warmen, trockenen, vor Regen
geschützten, aber womöglich dem Sonnenlicht aus¬
gesetzten Orte gründlich zu lüften.
10. Gegenstände von geringem Werthe, nament¬
lich Bettstroh, sind zu verbrennen.
Die Desinfection ist dort, wo sie geboten er¬
scheint, insbesondere wenn Orte, die dem Öffent¬
lichen Verkehr zugänglich sind, gefährdet erscheinen
oder wo sonst eine Infection zu besorgen ist oder
stattgefunden hat, mit der grössten Strenge durch¬
zuführen. Im übrigen ist aber vor einer Vergeu¬
dung von Desinfectionsmitteln eindringlich zu warnen;
unnöthige und unwirksame Desinfectionen bedingen
unnützen Kostenaufwand und vertbeuern die Preise
der Desinfectionsraittel, verleiten aber auch da9
Publikum zur Sorglosigkeit in dem Gefühle einer
trügerischen Sicherheit.
Reinlichkeit ist besser als eine schlechte
Desinfection.
Anlage V.
Belehrung über das Wesen der Cholera und das
während der Choleraxeit zu beobachtende Ver¬
halten.
1. Der Ansteckungsstoff der Cholera be¬
findet sich in den Ausleerungen der Kranken, kann
mit diesen auf und in andere Personen und die
Digitized by Google
8
mannigfachsten Gegenstände gerathen und mit den¬
selben verschleppt werden.
Solche Gegenstände sind beispielsweise Wäsche,
Kleider Speisen, Wasser, Milch und andere Getränke;
mit ihnen allen kann auch, wenn an oder in ihnen
nur die geringsten für die natürlichen Sinne nicht
wahrnehmbaren Spuren der Ausleerungen vorhanden
sind, die Seuche weiter verbreitet werden.
2. Die Ausbreitung nach anderen Orten
geschieht daher leicht zunächst dadurch, dass
Cholerakranke oder kürzlich von der Cholera ge¬
nesene Personen den bisherigen Aufenthaltsort ver¬
lassen, um vermeintlich der an ihm herrschenden
Gefahr zu entgehen. Hiervor ist um so mehr zu
warnen, als man bei dem Verlassen bereits ange¬
steckt sein kann und man andrerseits durch eine
geeignete Lebensweise und Befolgung der nach¬
stehenden Vorsichtsmassregeln besser in der ge¬
wohnten Häuslichkeit, als in der Fremde und zu¬
mal auf der Reise, sich zu schützen vermag.
3. Jeder, der sich nicht der Gefahr aussetzen
will, dass die Krankheit in sein Haus eingeschleppt
wird, hüte sich, Menschen, die aus Cholera¬
orten kommen, bei sich aufzunehmen. Schon
nach dem Auftreten der ersten Cholerafälle in
einem Ort sind die von daher kommenden Personen
als solche anzusehen, welche möglicherweise den
Krankheitskeim mit sich führen.
4. In Cholerazeiten soll man eine möglichst
geregelte Lebensweise führen. Die Erfahrung
hat gelehrt, dass alle Störungen der Verdauung
die Erkrankung an Cholera vorzugsweise begün¬
stigen. Man hüte sich deswegen vor allem, was
Verdauungsstörungen hervoi rufen kann, wie Ueber-
mass von Essen und Trinken, Genuss von schwei-
verdaulichen Speisen.
Ganz besonders ist alles zu meiden, was Durch¬
fall verursacht oder den Magen verdirbt. Tritt
dennoch Durchfall ein, dann ist so früh wie mög¬
lich ärztlicher Rath einzuholen.
5. Man geniesse keine Nahrungsmittel,
welche aus einem Hause stammen, in welchem
Cholera herrscht.
Solche Nahrungsmittel, durch welche die
Krankheit leicht übertragen werden kann,
z. B. Obst, Gemüse, Milch, Butter, frischer Käse,
sind zu vermeiden, oder nur in gekochtem Zu¬
stande zu geniessen. Insbesondere wird vor dem
Gebrauch ungekochter Milch gewarnt.
6. Alles Wasser, welches durch Koth, Urin,
Küchenabgänge oder sonstige Schmutzstoffe ver¬
unreinigt sein könnte, ist strengstens zu vermei¬
den. Verdächtig ist Wasser, welches mittels ge¬
wöhnlicher Brunnen (Pumpen) aus dem Untergründe
bewohnter Orte entnommen wird, ferner aus Sümpfen,
Teichen, Wasserläufen, Flüssen, sofern das Wasser
nicht einer wirksamen Filtration unterworfen
worden ist. Als besonders gefährlich gilt Wasser,
das durch Auswurfstoffe von Cholerakranken in
irgend einer Weise verunreinigt ist. In Bezug
hierauf ist die Aufmerksamkeit vorzugsweise dabin
zu richten, dass die vom Reinigen der Gefässe und
beschmutzter Wäsche berrührenden Spülwässer nicht
in die Brunnen und Gewässer, auch nicht einmal
in deren Nähe gelangen. Den besten Schutz gegen
V erunreinigung des Brunnenwassers gewähren eiserne
Röhrenbrunnen, welche direkt in den Erdboden und
in nicht zu genüge Tiefe desselben getrieben sind
(abessinische Brunnen).
7. Ist es nicht möglich, sich ein unverdächtiges
Wasser im Sinne der No. 6 zu beschaffen, dann
ist es erforderlich, das Wasser zu kochen und nur
gekochtes Wasser zu geniessen.
8. Was hier vom Wasser gesagt ist, gilt aber
nicht allein vom Trinkwasser, sondern auch von
allem zum Hausgebrauch dienenden Wasser,
weil im Wasser befindliche Krankheitsstoffe auch
durch das zum Spülen der Küchengeräthe, zum
Reinigen und Kochen der Speisen, zum Waschen,
Baden u. s. w. dienende Wasser dem menschlichen
Körper zugeführt werden können.
Ueberhaupt ist dringend vor dem Glauben zu
warnen, dass das Trinkwasser allein als Träger des
Krankheitsstoffes anzusehen sei, und dass man schon
geschützt sei, wenn man nur untadelhafbes oder
nur gekochtes Wasser trinkt.
9. Jeder Cholerakranke kann der Aus¬
gangspunkt für die weitere Ausbreitung der
Krankheit werden, und es ist deswegen raths&ra,
die Kranken, soweit es irgend angängig ist, nicht
im Hause zu pflegen, sondern einem Kranken¬
hause zu übergeben. Ist dies nicht ausführbar,
dann halte man wenigslens jeden unnöthigen Ver¬
kehr von dem Kranken fern.
10. Es besuche niemand, den nicht seine
Pflicht dahin führt, ein Cholerahaus.
Ebenso besuche man zur Cbolerazeit keine
Orte, wo grössere Anhäufungen von Men¬
schen stattfinden (Jahrmärkte, grössere Lustbar¬
keiten u. s. w.)!
11. In Räumlichkeiten, in welchen sich
Cholerakranke befinden, soll man keine Spei¬
sen oder Getränke zu sich nehmen, auch im
eigenen Interesse nicht rauchen.
12. Da die Ausleerungen der Cholerakranken
besonders gefährlich sind, so sind die damit be¬
schmutzten Kleider und die Wäsche entweder
sofort zu verbrennen oder in der Weise, wie es in
der gleichzeitig veröffentlichten Desinfectionsanwei-
sung (II, 3 u. 4) angegeben ist, zu desinficiren.
13. Man wache auch auf das sorgfältigste darüber,
dass Choleraausleerungen nicht in die Nähe
der Brunnen oder der zur Wasserentnahme die¬
nenden Flussläufe u. s. w. gelangen.
Digitized by
Google
0
14. Alle mit dem Kranken in Berührung gekom¬
menen Gegenstände, welche nicht vernichtet, oder
desinficirt werden können, müssen in besonderen
Desinfectionsanstalten vermittels heisser Dämpfe un¬
schädlich gemacht oder mindestens 6 Tage lang
ausser Gebrauch gesetzt und an einem trockenen,
möglichst sonnigen, luftigen Ort aufbewahrt werden.
15. Diejenigen, welche mit dem Cholerakranken
oder dessen Bett und Bekleidung in Berührung
gekommen sind, sollen die Hände alsbald desinfi-
ciren (II., 2 der Desinfectionsanweisung). Ganz
besonders ist dies erforderlich, wenn eine Verun¬
reinigung mit den Ausleerungen des Kranken statt¬
gefunden hat. Ausdrücklich wird noch gewarnt,
mit ungereinigten Händen Speisen zu be¬
rühren oder Gegenstände in den Mund zu
bringen, welche im Kranken raum verunreinigt
sein können, z. B. Ess- und Trinkgeschirr, Cigarren.
16. Wenn ein Todesfall eintritt, ist die Leiche
sobald als irgend möglich aus der Behausung zu
entfernen und in ein Leichenhaus zu bringen. Kann
das Waschen der Leiche nicht im Leichenhause
vorgenoramen werden, dann soll es überhaupt unter¬
bleiben.
Das Leichenbegängniss ist so einfach als mög¬
lich einzurichten: Das Gefolge betrete das Sterbe¬
haus nicht, und man betheilige sich nicht an Leichen¬
festlichkeiten.
17. Kleidungsstücke, Wäsche und sonstige Ge¬
brauchsgegenstände von Cholerakranken oder Leichen
dürfen unter keinen Umständen in Benutzung ge¬
nommen oder an andere abgegeben werden, ehe
sie desinficirt sind. Namentlich dürfen sie nicht
undesinficirt nach anderen Orten verschickt
werden.
Den Empfängern von Sendungen, welche der¬
artige Gegenstände aus Choleraorten erhalten,
wird dringend gerathen, dieselben sofort womöglich
einer Desinfectionsanstalt zu übergeben oder unter
den nöthigen Vorsichtsmassregeln selbst zu desinfi-
ciren.
Cholerawäsche soll nur nur dann zur Reinigung
angenommen werden, wenn dieselbe zuvor desinfi¬
cirt ist.
18. Andere Schutzmittel gegen Cholera,
als die hier genannten, kennt man nicht, und es
wird vom Gebrauch der in Cholerazeiten regelmässig
angepriessenen medicamentösen Schutzmittel (Cho¬
leraschnaps u. s. w.) abgerathen.
Was die Therapie der Cholera betrifft, so wer¬
den wir auch bei dieser neuen schrecklichen Epi¬
demie das traurige Schauspiel wieder erleben müssen,
welches uns die früheren geboten haben, dass die
therapeutischen Wege sowohl unter den „Allo¬
pathen* 1 als auch besonders gegenüber den „Homöo¬
path en“ weit auseinander gehen werden, und
in der Therapie und ihrer wissenschaftlichen Ver¬
tretung wird sich — triste dictu — die deutsche
Einigkeit nicht im mindesten wieder finden lassen,
die in der Prophylaxis und bei den sie verfügen¬
den Behörden so schön hervorgetreten ist; . es
müsste denn das Unglaubliche eintreten, dass un¬
sere feindlichen Collegen im Angesicht der furcht¬
baren Gefahr und der eminenten persönlichen Ver¬
antwortung den ihnen an vertrauten Kranken gegen¬
über das planlose Versuchen mit den hier und
dort empfohlenen symptomatischen, antibakteriellen
und desinfectorischen Maassnahmen am kranken
Leibe verlassen und auf Grund der neuesten Em¬
pfehlung*) des toleranten *— lässt er doch auch
der Empirie der Praktiker ihr Recht widerfahren —
und deshalb hoch über seinen akademischen Col¬
legen stehenden Professor Dr. Schulz auch nur die
von diesem Gelehrten angeführten und in unzweifel¬
haft homöopathischer Form und Anwendungsweise
empfohlenen Mittel (Veratrum, Arsen, Campher,
Cuprum arsenicosum) an wenden wollten, welche
unsere Vorgänger schon in der ersten Cbolera-
epideraie im Jahre 1831 auf Grund des Aehnlich-
keitsgesetzes und theilweise auf directe Empfehlung
unseres Altmeisters Hahnemann erprobt und wieder
und wieder angewandt haben, und welche nach¬
weislich Resultate ergeben haben,die nie schlech¬
tere als die der jeweilig herrschenden allopathischen
Methoden gewesen sind, vielfach aber weit bessere!
Dann würde die diesjährige furchtbare Geissei doch
das Gute gehabt haben, die Vertreter der soge¬
nannten wissenschaftlichen Medicin der Bekannt¬
schaft mit der homöopathischen Heilmethode etwas
näher zu bringen. — Freilich viel wahrscheinlicher
ist es, dass auch dieser Sturm ohne die gewünschte
Wirkung verrauschen wird; und die nachfolgende
Kritik wird erbarmungslos alle diejenigen verdam¬
men, die ihre Kranken ohne die zur Zeit üblichen
schulgemässen Versuchsmethoden sterben Hessen,
und nur hier und da wird der Eine oder der
Andero zur Entschuldigung seine Erfolge rühmen,
die er nach Professor Schulz mit Veratrum, Arsen
und Campher erzielt hat. Die Heilstatistiken un¬
serer homöopathischen Kollegen aber werden ebenso
bemängelt und belächelt werden wie in früheren
Epidemien, wenn man sie überhaupt der Berück¬
sichtigung für werth hält.
Kommen wir auf den Schulz'schen Artikel etwas
näher zurück, der jedem Homöopathen aus der
Seele geschrieben sein muss! Schulz erkennt wie
wir zunächst den hohen Werth der bisherigen wissen¬
schaftlichen Forschung für Prophylaxe und Verhütung
der Cholera selbstverständlich an, wirft aber sogleich
*) ,Zur Therapie der Cholera.“
Wochenschrift 1892, No. 86.
Deutsche medicin.
2
Digitized by
Google
10
die Frage auf: „Welche Wege stehen uns offen, auf
denen wir unseren seuchebefallenen Mitmen¬
schen Hülfe bringen können?“ d. h. mit anderen Wor¬
ten: wie behandeln wir cholerakranke Menschen,
nicht die Cholera!? Da wir den Mikroben direct
nichts anhaben können und ebenso wenig im Stande
sind, die von ihnen producirten, im Blute kreisen¬
den, deletären Gifte durch etwaige Desinficientien
unschädlich zu machen, oder in ihren Folge¬
wirkungen durch symptomatische Mittel zu neu-
tralisiren, ohne den ganzen Menschen zu ver¬
derben, so bleiben uns nur zwei Wege offen,
um dem befallenen Menschen Hülfe zu bringen,
erstens die Widerstandsfähigkeit des Organismus
zu kräftigen und zweitens den krank machenden
Ursachen den günstigen Nährboden zu entziehen,
d. h., sei es auf nervösem oder chemischem Wege
die erkrankten Organe in therapeutischem Sinne
direkt günstig zu beeinflussen. Es sind dies zwei
Forderungen, welche wir Homöopathen schon seit
Beginn der bakteriologischen Forschungen als die
für unsere Therapie allein zu befolgenden aufge¬
stellt haben, speciell in der Tuberkulosenfrage.
Schulz drückt dasselbe aus, indem er sagt: „Zwei
Momente also sind es, die wir ins Auge zu fassen
haben: Die Behandlung des primär erkrankten
Organs, des Darmes, und die Therapie des übrigen,
sekundär ergriffenen Organismus.“ In letzterer Be¬
ziehung empfiehlt er warm den Campher in Form
des Spiritus camphoratus, jedoch per os und nicht
durch subkutane Injektion, da durch nichts er¬
wiesen sei, wie die Resorption durch das Unter¬
hautzellgewebe unter den durch das Choleragift
veränderten Verhältnissen vor sich gehe, „zum Ex-
periraentiren aber weder Zeit noch Gelegen¬
heit 44 da sei, daneben allgemeine Excitantien, Haut¬
reize, (Einreibungen mit Campferspiritus). — Von
»wesentlicherer Bedeutung“ ist aber für
Schulz noch die Behandlung des primär erkrankten
Organes, des Darmes. »Haben und kennen wir
Mittel, geeignet, die herabgesunkenen Functionen
der Darm wand wieder zu heben, der Norm wieder
möglichst nahe zu bringen und damit sie von ihrer
unglücklichen Eigenschaft, einen guten Nährboden
für die Cholerabacillen darzustellen, thunlichst zu
befreien? Besitzen wir Medikamente, denen wir
eine derartige Leistungsfähigkeit Zutrauen können,
die vor allem sich in der Praxis bewährt haben?
Zwei Arzneistoffe sind es, über deren Werth in der
von uns gewünschten Richtung die praktische Me-
dicin schon ihr Urtheil abgegeben hat, die aber,
als heutigen Anschauungen nicht recht entsprechend,
unbeachtet geblieben sind: »Veratrin und Arsen.“
Fürwahr, goldene, beherzigenswerthe Worte sind es,
die Prof. Schulz hier bezüglich der Choleratherapie
ausspricht, und* sie enthalten ausserdem eine An¬
erkennung unserer homöopathisch-practischen Thätig-
keit, wie wir sie aus berufenem Munde nicht schöner
hören konnten! Schulz empfiehlt heute auf Grund
der empirischen Erfahrung und seiner eigenen
pharmakodynamischen Forschungen dieselben Mittel,
die vor 61 Jahren Hahnemann auf Grund
seiner Arzneimittelkenntniss und seines Heilprin-
cips „Similia similibus“ ebenfalls theoretisch gegen
die Cholera empfahl und die, wie wir beweisen
werden, seitdem von zahlreichen homöopathischen
Aerzten mit bestem Erfolge angewandt worden
sind! Die Priorität in der Anwendung der ge¬
nannten Mittel nehmen wir Homöopathen unge-
scheut für uns in Anspruch, denn die von Schulz
für Veratrum angeführten Autoren Mark breiter 1856,
Hubeny (1857), Köhler (1868), Bloedau (1884),
haben dieses Mittel offenbar von uns entlehnt, was
schon aus der Form der Anwendung hervorgeht,
und das auf Grund der Berichte von Aulde schon
1890 und 91 empfohlene Cuprum arsenicosum
findet sich bereits in Noack-Trinks’s Arzneimittellehre
(allerdings ungenügend), dann aber ausführlich bei
Edwin M. Haie (The Characteristics of the New
Remedies) und in Allen’s Materia medica geprüft.*)
(Arsen als solches aber ist wie Veratrum, Cuprum
und vor allem Campher bereits unter anderen
Mitteln von Hahnemann selbst empfohlen worden.)
— Haie empfiehlt Cuprum arsenicosum nach Schil¬
derung seiner Bauchsymptome direct gegen Cholera
asiatica. Die Stelle lautet: (The Ch. of the. N. R.
1873, p. 191):
Abdomen and Stool.
f) *Violent colic; frequent vomiting, with purging;
cold sweats; intense thirst.
Great distension of the abdomen.
Pains in the abdomen, sbarp and eutting.
Diarrhoea; slimy stool.
°Asiatic cholera, with crarops in hands and feet.
Wir haben bereits in No. 11/12 der Allgem.
Homöop. Zeitung ein Urtheil Hahnemann’s über die
Cholera und ihre Behandlung durch Campher aus
dem Jahre 1831 und eine Bestätigung der Campber-
wirkung bei homöopathischer Behandlung durch einen
Bericht des Grafen Thomas Nadasdy »Schilderung der
Cholera in Däka in Ungarn und deren Heilung, vom
17. Sept. bis 15. Nov. 1831“, gebracht. Lassen wir
nun noch die wichtigeren Veröffentlichungen homöo¬
pathischer Aerzte aus den ersten Epidemieen folgen.
Da ist es zuerst ein Schriftchen »Du traitement
homoeopathique du Cholera, avec notes et appendice,
*) Auch im Journ. de 1. soc. gall. Tom. IV., Ser. 2,
Hft. 10, pag. 493 und in The Hahnemann. Montbl.; III,
S. 571, findet das Mittel seine Erwähnung.
t) * bedeutet die hervorstechendsten Symptome.
0 bedeutet Empfehlung durch klinische Erfahrung.
Digitized by Google
11
par F. F. Quin M. D., Mödecin ordinaire de sa
Majestö Leopold, roi des Beiges*, welches unsere
Beachtung verdient. Quin bereiste bei der ersten
europäischen Epidemie die durchseuchten Gegenden,
um die Cholera zu studiren, erkrankte selbst an
ihr und verdankte, wie er berichtet, dem Campher
allein seine Lebensrettung, wodurch seine Campher-
empfehlung vielleicht ein wenig den Stempel subjek¬
tiver Voreingenommenheit erhält. Nachdem er zuerst
die Natur der Cholera, ihre verschiedenen Formen und
die traurigen Resultate der gewöhnlichen Behand¬
lung besprochen, empfiehlt er warm die homöo¬
pathische Behandlung. Er giebt den Campher
folgendermassen: von 3j. aufgelöstem Campher in
3 vj. Weingeist, zwei Tropfen von 5 zu 5 Minuten
in einem Löffel voll kaltem Zuckerwasser; wenn
das Uebel schon höher gestiegen ist, sind gewöhnlich
10 oder 12 Dosen hinreichend, um das Fortschreiten
zu verhindern. Es könnte, fährt er pag. 20 fort,
Vorkommen, dass der Magen die Medicin nicht bei
sich behielte, in diesem Falle lässt man der Arznei
ein klein Stück Eis vorangehen: man giebt Eis wasser
zu trinken in kleinen, aber öft wiederholten
Quantitäten, und von Zeit zu Zeit ein Stück¬
chen Eis in den Mund. Quin giebt den Campher als
erstes Hauptmittel. Beim weiteren Vorschreiten
der Krankheit, wenn der Arzt von der Anwendung
des Camphei spiritus keinen guten Erfolg zu hoffen
hat, muss man nach ihm zu anderen Mitteln seine Zu¬
flucht nehmen: Veratrum album, 12.Verd. 1,2 oder
3 Streukügelchen, event. nach ! / 2 , oder 1 Stunde
zu wiederholen, bei starken Personen in derselben
Potenz, bei Schwächeren in 30. Verd. Bei Cholera
acuta, plötzlichem Auftreten, mit starkem Durchfall,
Erbrechen, profusen Ausleerungen. — Arsenicum
album 30. bei Brennen im Epigastrium, Kolik¬
schmerzen, scharfen Entleerungen, starkem Durst,
grosser Erschlaffung, fortwährender Unruhe und
Todesfurcht. Cicuta virosa 30. bei heftigen
Krämpfen in den Brustmuskeln, viel Erbrechen,
wenig Diarrhoe, Augen gen Himmel gerichtet.
Phosphorus 30. und Acidum phosphoricum 3.
bei Cholera dysenterica. Letzteres, wenn die Zunge
mit einer schleimigen Materie bedeckt ist, welche
sich fingerdick ansetzt. Ipecacuanha 3., wie
Veratrum zu geben, bei vorwiegendem Erbrechen.
Cuprum metallicum 30. bei Cholera spasmodica.
„Man muss es mehrere Male wiederholen, wenn der
heilsame Erfolg nicht nach V* oder 1 Stunde sicht¬
bar ist. Einige Aerzte haben mit Glück Cuprum
aceticum 30. angewandt. In den Fällen, wo Tetanus
und Trismus sich zeigen, muss man Campherspiritus
geben, und wo der Mund des Kranken nicht ge¬
öffnet werden kann, muss man ihm selbigen in’s
Zahnfleisch einreiben.* Bei asphyktischer Cholera
ist nach Quin, um das Nervensystem zu erregen,
Campher das erste Mittel. Darauf lässt man Vera¬
trum album folgen. „Wenn der Kranke in dem
Zustande der gänzlichen Asphyxie ist, wenn die
Krämpfe, das Erbrechen, ganz aufgehört haben,
giebt man Carbo vegetabilis 30. oder Acidum
hydrocyanicum 3. oder eins nach dem anderen,
indem man 1 oder 2 Stunden dazwischen ver¬
streichen lässt. Man erkennt ihre Wirkung an den
wieder bemerkbaren Pulsschlägen und zuweilen an
der Wiederkehr der Leiden, Krämpfe, Erbrechen,
Diarrhöen; 8ymptome, welche man alsdann durch
Veratrum oder Cuprum beseitigt.* — Bei sehr
grosser Aufregung des ganzen Organismus im Anfang
der Erkrankung — starker Gef&sserregung —
widerräth Quin den Campher und empfiehlt zuerst
Aconit. Endlich erwähnt er noch bei kleinem
und langsamem Pulse, Schwindel, Betäubung, Zuck¬
ungen der Gesichtsmuskeln, Gefühl eines Ziehens
an den Haaren (Sensation de tiraillement des cheveux)
— Laurocerasus. Aeussere Mittel, auch die
äussere Anwendung des Camphers scheinen ihm
weniger nützlich.
Interessant ist es, was Verfasser über den Ueber-
gang der eigentlichen Cholera in typhöse Zustände
sagt und worin er zeigt, wie fein bereits die alten
Praktiker zu beobachten und der veränderten Krank¬
heit mit veränderten Waffen zu begegnen verstanden.
Heutzutage rühmt man sich, einen Kranken von
der Cholera geheilt zu haben, auch wenn er in der
Reconvalescenz plötzlich stirbt und die Sektion als
Todesursache Choleratyphoid ergiebt! Quin spricht
sich folgendermassen darüber aus (S. 30): Es ist
eine Entzündung oder Kongestion nach dem Gehirn,
dem Magen, den Eingeweiden, seltener nach den
Lungen, bisweilen nach der Blase. Immer mani-
festirt sie sich durch ein typhöses Fieber. In allen
Fällen, wo die Entzündung allgemein deutlich be¬
merkbarist, gebraucht man Aconitum Napellus 24.
Ist die Kongestion nach dem Gehirn hervorstechender,
so ist das erste Mittel Belladonna. Wenn die
Symptome sich in den Lungen zeigen, lässt man
auf Aconitum Bryonia folgen; lässt die Angst und
der Schmerz nicht nach — Rhus toxicodendron;
überhaupt beachtet man die Symptome des
nervösen Fiebers. Leidet der Magen oder die
Gedärme, so gebe man Nux vomica, ferner Acidum
phosphoricum, Cinchona; bei Blasenbeschwerden
Cantharis 30. — „Wenn die Cholera oder ihre Folgen
geheilt sind, und doch noch Symptome Zurückbleiben,
gleichsam ein Rest der Krankheit, wendet man Spiri¬
tus vini sulphuratus an.“ Erwähnt sei noch,
dass auch Quin des prophylaktischen Gebrauches
von Veratrum album und Cuprum metallicum ge¬
denkt, wechselweise von 7 zu 7 Tagen 1 Gabe
nüchtern zu nehmen!
Ueber die Resultate der homöopathischen Be¬
handlung in der von Quin beobachteten Epidemie
erfahren wir Folgendes:
2 *
Digitized by
Google
12
Aerzte
Kranke
Genesen
Gestorben
Angewendete Mittel.
Dr. Quin in Tischnowitz .
29
26 ■
3
Die oben erwähnten Mittel.
Veith M. D. in Wien.
125
122
3
Veratrum, Cuprum. Campher, Acid. phospb., Eie
lavements.
Hanush in Tischnowitz.
84
78
6
Campb., Veratr., Cupr. ; Ipecac., Phosph.
Dr. Gerstel in Prag.
880
298
1 32
Camph., Ipecac. Arsenic.
Dr. Bakody in Raab.
154
148
6
Ipec., Ver., Cupr, Cic. vir., Lauroc., Cinch.
Dr. Seider in Wishney Wolotschok
109
86
f 23
Ipecac., Arsen., Veratr.
Dr. Stieler in Berlin.
81
25
6
N. vom., Ars., Ver., Phosphor, Spir. v. sulph.
Dr. Brecka in Wien.
144
182
12
Cupr., Ver., Phosph., Camph.
Dr. Lichtenfels in Wien .
40
87
3
Ipecac., Ars., Cupr., Veratr.
Dr. Schroeter in Lemberg ....
27
26
I 1
Ipecac, Veratr., Arsen«
1073
998
| 95
Bei seiner Abreise von Tischnowitz erhielt Quin
von dem dortigen Magistrate folgende Tabelle, welche
die Resultate der nach den verschiedenen Methoden
behandelten Kranken erhält:
Krank
Geheilt
Gestorben
195
126
89
Allöopathisch Behandelte
44
19
25
Homöopathisch Behandelte
Durch Campher ohne
56
53
8
Medizin
65
54
11
Bleiben in Behandlung
165
80
126
39
Eine zweite Tabelle des Stadtrathes von Tischno¬
witz giebt den Stand der Krankheit vom 7. Nov.
1831 bis 5. Febr. 1832 an:
Einwohner
Krank
Genesen
Gestoiben
6671
680
540
140
Allöopathisch Behandelte
331
229
102
Homöopathisch Behandelte 278
251
27
Bios durch Campher
71
60
11
680
540
140
Von 19 Kranken, welche Quin in Paris be¬
handelte, wurden (S. 43) 9 durch Campher geheilt,
7 durch dieses und andere Mittel; die übrigen
3 lagen schon bei seiner Ankunft in Collaps. Zwei
Kranke befanden sich schon in verzweifeltem Zustande,
der Eine von einer Gehirnentzündung, der Andere von
einer Gastro-Enteritis befallen. Beide wurden gerettet,
der Eine durch Aconit und Belladonna, der Andere
durch Aconit, Nux vomica und Rhus toxicodendron.
Als Curiosum will ich noch aus dem Quin’schen
Schriftchen ein Experiment anführen, welches sich der
damalige Professor am Militär-Hospital der Josephs-
Akademie in Wien,Dr.Bischoff erlaubte, um seinen Zu¬
hörern einen Beweis für die Nichtkontagiosität der
Cholera zugeben. — Quin war Anhänger der direkten
Uebertragbarkeit. — Er Hess einen Cholerakranken
in das Hospital schaffen. Binnen wenigen Tagen wur¬
den 10 der im Hospital liegenden Kranken auch von
der Seuche befallen und es starben 7 davon. So
fielen damals diese armen Kranken einem wissen¬
schaftlichen Experiment zum Opfer! Und heute? —
Hoffen wir, dass die schwarze Todenliste nicht
ähnliche Fälle in sich birgt, welche einer unsicheren
Versuchstherapie geopfert sind!
Es würde zu weit führen und die Grenzen der
Vorgesetzten Arbeit überschreiten, wollte ich noch
alle mir aus der Literatur zu Gebote stehenden
Zeugnisse homöopathischer Aerzte bis zur Neuzeit
anführen, um die häufige Verwendbarkeit und relative
Zuverlässigkeit der bereits empfohlenen Mittel zu
beweisen. Ich könnte mich berufen auf die DDr.
Gerstel, Joseph von Bakody, Gross, Chirurg Fischer
in Brünn und viele Andere (Allgemeine Homöop.
Zeitung, Archiv für die homöopathische Heilkunst
etc.), Bähr's, Kafkas und die im Verlag von Dr.
W. Schwabe erschienene „Homöopathische Therapie“,
ferner auf Kämmerer »homöopathische Behandlung
der asiatischen Cholera, 1831,* der besonders
Campher, Veratrum und Cuprum empfiehlt, Kurz
»Behandlung der asiatischen Cholera, 1836,* der
neben diesen Mitteln besonders auch Arsen und
Secale cornutum hervorhebt, letzteres in 3. Potenz
bei prämonitorischen Diarrhöen. Er berechnet die
Sterblichkeit bei rechtzeitiger und richtiger homöo¬
pathischer Behandlung auf noch nicht 10 Procent.
Constantin Hering, »homöopathischer Hausarzt,“
empfiehlt dieselben Mittel und redet dem Schwefel,
eingestreut in den Strümpfen getragen, als Prophy-
laktikum das Wort. Bolle, »Anleitung zur Heilung
der Cholera,“ 1866, giebt wie Markbreiter einen
Tropfen der Urtinktur von Veratrum oder dasselbe
Mittel in niedrigster Potenz. Nach ihm kann
man auf Grund der Beobachtung homöopathischer
Aer/.te in Trier aus dem Jahre 1849 die Cholera¬
sterblichkeit bei homöopathischer Behandlung auf
rund 15 °/ 0 berechnen!
Ich könnte noch viele Spalten füllen mit Auf¬
zählung aller in unserer Literatur bis in die letzten
Jahre hinein niedergelegten Zeugnisse homöo¬
pathischer Kollegen, die alle auf dieselbe Empfeh¬
lung der genannten Mittel aus der älteren Literatur
Digitized by v^ooQie
13
hinauslaufen und die alle den berufenen Lehrern der
Therapie unbekannt geblieben sind; aber es biesse
dies Eulen nach Athen tragen! Wer sich überhaupt
belehren und zu einem Versuche mit unseren Mitteln
bewegen lassen will, dem wird das Gesagte genügen;
für urtheilslose Zweifler, für in den Schraubstock
der Scholastik gespannte Akademiker und für jene
traurige Schaar, die nur auf des Meisters Worte
schwören, zu schreiben, ist Sisyphusarbeit.
Nur drei Autoren aus der älteren Zeit möchte ich
noch genauer anführen, den Einen wegen seiner leiden¬
schaftslosen Beurtheilung einer exakten Beobachtung,
die beiden Anderen wegen ihrer unzweifelhaft kriti¬
schen Befähigung und der ungeschminkten Wieder¬
gabe der eigens gewonnenen Ansicht. Gerade weil ihr
Urtheil etwas reservirt und selbst pessimistisch ge¬
halten ist, wie es sich einer so furchtbar ernsten
Frage wie der der Cholerabehandlung gegenüber
ziemt, wo nur die Wahrheit zu sagen ist, ist es
für den objektiven Beurtheiler, der nach Wahrheit
sucht, von weit grösserem Werthe als die mit
Enthusiasmus und optimistisch geschriebenen Zeug¬
nisse vieler Anderer. Es sind die DDr. Siemers
(Hamburg), Hummel und G. Schmid (Wien).
Ersterer, noch bis vor Kurzem Allopath, aber
schon lange wegen seiner vorurtheilsfreien Beur¬
theilung der Homöopathie bekannt, veröffentlichte
seine Krankengeschichte im III. Bde. d. Allg. Hom.
Ztg. 1834, S. 139-142:
Am Abend des 29. Sept. 1833 zu einem Kranken
gerufen, finde ich einen ausgebildeten Cholerafall. Seit
Mittag Erbrechen, Durchfall, seit 7 Uhr heftige Waden-
und Armkrämpfe. Reisswasserentleerungen nach oben
und unten. Baut kalt, klebrig, bläulicn. Puls kaum
fühlbar. Unterleib und Hypochondrien frei von Druck¬
schmerz. Seit 6 Uhr Urinverhaltung. Kopf und Brust
nicht beklommen. 8 V 2 Uhr: Spir. camph. gtt. j. in 2
Drachmen Wasser, sogleich Erbrechen; nach 5 Minuten
Camph. gtt. j., nach 10 Minuten Erbrechen; sogleich
wieder Camph. gtt. j. 9 Uhr: Krämpfe, Cupr. metall.
—. Drang zu Stuhl, Schweiss anscheinend geringer.
9V 4 Uhr: stärkerer Stuhlgang, ihm wird komisch (ipsis
verbis) zu Muthe, müde. Stuhlgang, Krämpfe im Arm,
Brechen mit Würgen 2 mal. 9 1 /* Uhr: Camph. gtt. ij.
9 3 / 4 Uhr: Brechen, Krämpfe in den Beinen. Cupr. met.
—, Ruhe, müde. Puls fühlbarer. Durst auf kaltes Wasser,
was er esslötfelweise erhielt. 10 Uhr: Brechen, Durch¬
fall, Krämpfe. 10 */* Uhr: Krämpfe, Cupr. raet. Puls
hebt sich. 11 Uhr: Cupr met. °. Jetzt verliess ich
x
den Kranken, instruirte die Wärterin, bei Durchfall und
Erbrechen Veratrum —, bei Krampfanfällen Cupr. met.
— zu geben Um 12 Uhr: Cupr. °, 12*/ 2 Uhr: Veratr.
x x
°, 2 Uhr Nachts: Cupr. -, 4 Uhr: Veratr. 6 Uhr:
x xx
Cupr. Seit 4 Uhr hat bis 7 Uhr Morgens der Durch¬
fall aufgehört, Schlaf. Warme Milch zum Frühstück.
9 Uhr Aussehen besser. Krämpfe und Brechdurchfälle
seltener und gelinder. Noch kein Urin. 2 Uhr Mit¬
tags: Patient hat alle 3 Stunden Veratr. — erhalten.
IV
Dünne Rindfleischsuppe ausgebrochen. Seit 10 Uhr:
3 maliges Erbrechen, 5 maliges Abführen. Schweiss
warm. Kein Urin. Veratr. (Jedes Mal, wenn er
IV
das Pulver nimmt, wird er ruhig und müde.) Bis 6 Uhr :
8 Stühle, kein Erbrechen. Schweiss. Krämpfe gelinde.
6Vs Uhr: Nux vom. — bis 87a Uhr. Das Mittel be-
x
ruhigte, wie er sagte.. Durchfall 2 mal. Heiserkeit ver¬
liert sich; gut geschlafen, kein Erbrechen, Urindrang;
Schweiss weniger, Hände warm, trocken. 9 l / 2 Uhr:
Chamom. —, 12 Uhr: N. vom. —.
x x
1. Okt.: 2*mal Durchfall, kein Erbrechen erfolgt.
6 Uhr: Urinsekretion, dunkel. 9 Uhr: Wohlbefinden,
Milch und Brod gefrlihstückt. Keine Krämpfe. 6 Uhr
Abends: Chamom. °. Urin heller, 2 Stühle faeculent.
x
Mittags hat er Fleischsuppe mit Brod gegessen und
geschlafen.
2. Okt.: Nachts unruhig. 6 Uhr Morgens Cham. 0>
bald darauf Hitze des Gesichts und Kopfes. Um 10 Uhr:
sehr müde, 2 breiige übelriechende Stühle. Appetit
auf Milch, viel Durst, Druck im Kopfe. Schweiss nicht,
Urin 3mal. 7*/ 2 Uhr Abends: Kein Stuhl, Urin, sehr
matt. Zunge weiss belegt, wie bisher.
3. Okt.: Nacht sehr unruhig, 2 Stühle. Geschmack
auf der Zunge wie verbrannt. Daphne ■?.
4. Okt.: Besseres Befinden. Patient gelb im Gesicht,
Zunge weiss, Urin ziemlich hell. Fäces faeculent. Kein
Appetit.
5. Okt.: Gelbsucht allgemeiner. Engbrüstig. Kein
Schmerz im Leibe, keine Lebergeschwulst, mehrmals
Durchfall. Bryonia ???.
x
6. Okt.: Durchfall minder. Nacht gut, engbrüstig.
Patient steht auf.
7. Okt.: Patient geht herum, ist heiter. Zunge be¬
legt. Der ganze Körper gelb. Stuhl gut. Bryonia °°.
9. Okt.: Gelbsucht geschwunden. Wohlbefinden.
15. Okt.: Heilung. —
Dr. Siemers fügt hinzu: „Ich habe mir keine
Reflexionen bei Abschrift des Krankenprotokolls er¬
laubt. Der Ausgang der Cholera in Gelbsucht war
damals in Hamburg nicht ungewöhnlich. Ich bin
weit entfernt, die Genesung dieses Kranken als einen
Beweis der Richtigkeit meiner Behandlung anzuführen,
meine allopathische Erfahrung hat mir Beweise
genug vom Gegentheil, so wie von der Heilkraft
der Natur gegeben. Zu dem Resultate aber glaube
ich bei diesem sehr genau beobachteten Falle ge¬
kommen zu sein, dass die kleinen Arzneigaben schnell
und kräftig wirken, und diese Erfahrung hat sich
mir bei richtig gewählten homöopathischen Arzneien
Digitized by v^ooQie
14
fast immer bewährt. leb sage fast immer, denn
leider giebt es auch Ausnahmen in der Homöo-
pathik. — Diese einfache, vorurtheilsfreie Kranken¬
geschichte spricht für sich selbst, auch dann, wenn
der Zweifler nur eine Naturheilung darin sieht.
Dr. Bummel schildert seine Beobachtungen über
die Cholera bei ihrem ersten und zweiten Erscheinen
in Merseburg (Allg. Hom. Ztg., 1833, Bd. I, pag. 11,
12,13 und 35,36,37, 38,39). Wie bekannt, erkrankte
er selbst schwer an der Seuche und hatte das Unglück,
seine Frau und eine Tochter daran zu verlieren.
In den ersten Fällen brachte Bummel Veratrum
IV
in Anwendung und hatte theilweisen raschen, glänzen¬
den Erfolg. In einem anderen Falle erfolgte weder
auf Veratr. noch auf Arsenic., noch auf den inner¬
lich und äusserlicb angewandten Camphor eine
Beaktion und die Kranke endete schon nach 7 Stunden
ihr Leben. Das gleiche Schicksal hatte der 2 Tage
später erkrankte Mann unter allopathischer Behand¬
lung. Eine weitere Kranke, die im ausgesprochenen
Choleraanfall in Behandlung kam, besserte sich
zunächst zusehends, als sie zuerst alle 5, dann alle
10 Minuten 2—3 Tropfen Spirit, camph. erhielt
neben Eiswasserklystier und dem Genuss frischen
Wassers. Am anderen Morgen aber collabirte sie
rasch und starb. „Was in aller Welt soll man aus
dieser Geschichte lernen?* fragt Rummel. „Ich
antworte, viel oder wenig, je nachdem Einer über¬
haupt fähig ist etwas zu lernen. Vor Allem wohl
die bittere Lehre, dass im höchsten Stadium der
Cholera die Krankheit meistens tödtet unter jeder
Behandlung, dass die Homöopathie ebenso gut Kranke
darin verlieren wird, als die Allöopathie sie haufen¬
weise verliert, worüber sich kein Arzt wundern wird,
der die Menschentödterin gesehen hat. Dass sie
aber weniger Opfer fallen lässt, manche rettet, die
dem Orkus schon zu gehören schienen, haben wir
aus anderen Berichten ja erfahren.* Ueber den
letzten Fall bemerkt R. noch, dass er vielleicht
besser Veratrum mit Arsenic. gegeben hätte, da im
höheren Stadium der Krankheit Campher das passende
Mittel nicht mehr zu sein scheine; andererseits
habe er beim gleichzeitigen Gebrauch des Camphers
und des kalten Wassers in diesem Falle den grössten
Palliativerfolg gesehen.
Von den von ihm homöopathisch behandelten
46 Kranken, der Mehrzahl nach aus der zweiten,
eigentlichen Epidemie in Merseburg, welche durch¬
weg schwer erkrankt waren und welche R. in einer
Tabelle aufführt, starben, von Ankunft des Arztes an
gerechnet, binnen 2—8 Stunden 8 Kranke, von
8 Stunden bis zu 6 Tagen ebenfalls 8.
Als Hauptmittel gegen die asiatische Seuche
empfiehlt uns Rummel 1. Veratrum. Es muss
in wiederholten nicht zu schwachen Gaben so lange
gegeben werden, bis Nachlass des Brechens und
Laxirens eintritt. Oft waren in 12—16 Stunden
6 bis 8 Gaben zu 4—8 Streukügelchen der 12. Verd.
nöthig. Es konnten auch ohne Schaden mehr ge¬
geben werden. 2. Cup rum 9999^*9. b e i starken
Muskelkrämpfen, auch abwechselnd mit Veratrum.
3. Camphora vor Anwendung der oben genannten
Mittel. 4. Arsen, bei starker Unruhe, Umher¬
werfen, grosser Mattigkeit. 5. Secale cornutum
zu 6—12 Streukügelchen der 4. Verd. oder selbst
zu einem halben Tropfen in 1—3 Gaben, wenn
sich das Erbrechen gelegt hat, die Ausleerungen
aber wasserhell bleiben, wenn Alles darauf hin¬
deutet, dass noch keine Galle wieder in den Darm¬
kanal ausgeleert wird! Diesem Mittel glaubt er
die Rettung zweier seiner Kinder verdanken zu
müssen. 6. Carb. vegetab. °^, wenn die eigent¬
lichen Cholerasymptome gewichen sind und Konge¬
stionen nach Kopf und Brust eintreten, leichter Sopor.
In einem vernachlässigten Falle, wo Brechen
und Durchfall bei allen Zeichen der Kongestion
nach Brust und Gehirn fortdauerten, die Kranke
mit nach oben gerichteten Augen, wie es Quin
auch als Symptom fürCicuta erwähnt, soporös dalag,
der Athem äusserst beklommen war und die Lochien
nicht flössen, ungeachtet sie erst vor 24 Stunden
geboren hatte, that nach 2 Gaben Acid. hydro-
cyanicum 3., Cicuta virofea Wunder; die Kranke
genass!
Gegen Choleratyphoid, das er für sehr schwer
zu behandeln hält, empfiehlt R. je nach dem Rhus,
Bryonia, Belladonna, Hyoscyamus, Stramonium,
Carbo, Opium.
Zum Getränk gab er meist Eiswasser in kleinen
Quantitäten; vor warmen Getränken glaubt er
warnen zu müssen.
Es besteht hier vielleicht für die einzelnen Epi¬
demien, sicher für die einzelnen Stadien der Krank¬
heit und für den individuellen Fall ein gewisser
Unterschied, ob kalte oder warme Getränke vor¬
zuziehen sind. Ein kranker Mensch wird aber eben¬
sowenig fortwährendes kaltes Trinken ohne Schaden
vertragen können, wie ein Gesunder. Aus theore¬
tischen Gründen, deren Erörterung nicht hierher
gehört, würde ich fortgesetzte kleine Gaben erwärm¬
ter schwacher Kochsalzlösungen für richtig halten,
daneben vorübergehend als Erfrischungs- und Reiz¬
mittel Eisstückchen, eisgekühlten Champagner, Sherry-
Cobbler, etc. Prof. Rapp wandte im Jahre 1873
Nitrum in oft wiederholten kleinen Gaben mit
ausserordentlichem Erfolge an.
Aus seinen Beobachtungen zieht Rummel das
Facit: Nie wird ein bestimmtes Mittel Alles
leisten, immer wird man rationell, d. h. nach
homöopathischen Indikationen, die Mittel
Digitized by Google
15
auswählen müssen, wenn man mit Glück
eine so gefahrvolle Krankheit heilen will.
So wird es dann oft gelingen, diesen Würgengel
zu verscheuchen, aber es wird auch immer Fälle
geben, wo wir ohnmächtig der stärkeren Macht
weichen müssen.
Soweit Dr. Rummel. Kommen wir nun noch
auf die Betrachtungen des Dr. G. Schmid zurück,
welche sich denen Rummels passend anreihen und
welche sich mitgetheilt fmden in Griesselich’s „Hygea“,
VI. Band, Heft 1 (1836) als „Beiträge zur Behand¬
lung der Cholera. Brieflich mitgetheilt von Dr. G.
Schmid, prakt. Aerzte in Wien, an Dr. L. Griessolich.“
Selbst Griesselich fürchtete, dass die Bekanntmachung
dieses Schreibens Anstoss erregen könnte, doch
können wir mit Genugthuung constatiren, dass dies
wenigstens bei dem damaligen Referenten für die
Allgemeine HomÖop. Zeitung, Dr. Fielitz, nicht der
Fall gewesen ist, der eingesteht, „sowohl in Hin¬
sicht einer sehr hoch zu schätzenden Offenheit und
Wahrheitsliebe nichts Beherzigenswertheres, als in
Absicht auf die wissenschaftlichen, physiologisch¬
pathologischen Beobachtungen über die Genesis, über
den Verlauf, Ausgang und Heilung der Cholera,
kaum etwas Klareres, Scharfsinnigeres und Ratio¬
nelleres gelesen zu haben, was bei unserer Cholera-
literatur nicht wenig sagen will.“ — Schmid ergeht
sich zunächst des Näheren über die Genesis und
die Natur der Cholera. Diese seine Betrachtungen
haben natürlich nur historischen Werth und gipfeln
in den Anschauungen der humoralpathologischen
Schule; sie zeigen aber den gebildeten Arzt und
scharfsinnigen Denker. Er sieht die Ursache der
Cbolera-Erscheioungen in einer primären Erkrankung
des arteriellen Blutes, der sich zunächst der höchste
Grad der Venosität zugeselle, da durch den Krank¬
heitsprozess die Dekarbonisation des Blutes in den
Lungen fast ganz aufhöre. Alle übrigen patho¬
logischen Erscheinungen an den verschiedenen Organen
und Systemen sind ihm nur Bestrebungen der Natur,
jenen fremdartigen lebensgefährlichen Charakter im
Blute zu tilgen und die Norm wieder herzustellen.
So unrichtig ist diese letztere Ansicht zum Theil
ganz gewiss nicht! Auch bei dem heutigen Stande
der Wissenschaft und unserer modernen Kenntniss
der Cholera können wir uns sehr wohl vorstellen,
dass die prämonitorischen Choleradiarrhöen Be¬
strebungen der Naturheilkraft darstellen, die lästige
Invasion der Kommabacillen wieder los zu werden
und letztere aus dem Körperinneren so schnell wie
möglich zu entfernen. Erst, wenn bei der rapiden
Vermehrung derselben und der Einwirkung der von
ihnen entwickelten Giftstoffe der ganze Organismus
erkrankt ist, werden diese Ausscheidungen wirklich
pathologisch und wir stehen vor dem ausgebildeten
Cholera-An fall. Je nach der Widerstandskraft wird
dies bei dem Einen schneller, bei dem Anderen
langsamer eintreten. Es zeigt sich hier nach
meiner Ueberzeugung recht deutlich einmal das
Zwecklose, sogar Schädliche der palliativ - sympto¬
matischen Behandlung und ich begreife nicht, wie
man noch immer an dem Gebrauch von Opiaten
und anderen adstringirend wirkenden Mitteln fest-
halten und den Gebrauch der berüchtigten Cholera¬
tropfen empfehlen kann, wodurch das Publikum
in eine ganz falsche Sicherheit gewiegt wird.
Mit diesen in der Tasche hat noch Keiner eine
Cholerino, viel weniger eine Cholera abgewandt,
höchstens zu seinem Schaden etwas aufgehalten;
wohl aber mögen sie schon manchen Leichtsinnigen
im Vertrauen auf ihre vorbeugende Wirkung zu
Excessen verleitet haben, die ihn gerade der Seuche
in die Arme führten. Sofort eine kräftige Gabe
Calomel oder ein paar Esslöffel Ricinusöl wäre
gewiss richtiger! Bei Ankunft des Arztes ist es
wohl meist zu spät dazu. Aus mündlicher Mit¬
theilung ist mir bekannt, dass ein hervorragender
St. Petersburger Arzt, Dr. Spörer, bereits vor Jahr¬
zehnten bei einer Epidemie die Choleradiarrhoe in
ihrem Beginn mit Ricinusöl behandelt hat und mit
seinen Erfolgen zufrieden gewesen ist. Ich würde
keinem Arzte einen Vorwurf daraus machen, der in
gleichem Falle das Gleiche thäte.
Kommen wir nach dieser kleinen Abschweifung
noch einmal zu der Choleratbeorie Schmid's zurück,
die deshalb noch Interesse hat, weil er daraufhin
im asphyktischen und paralytischen Stadium, wo
die anderen Mittel nicht mehr helfen können, den
Kohlenstoff und seine Verbindungen empfiehlt —
Holzkohle, Kohlensäure, Blausäure —, die ebenfalls
eine Hyper-Venosität, Karbonisation des Blutes, da¬
durch Asphyxien und Erstickung, z. Th. blitzschnell
(Blausäure) herbeizuführen im Stande seien. That-
sächlich werden ja auch heute Kohlensäure und
kohlensaure Getränke gegen die Cholera empfohlen,
und Dr. Parkin berichtete grosse Erfolge durch
Carbo und Kohlensäure aus der Epidemie in Bar¬
celona im Jahre 1834. Durch den Gehalt an
Kohlensäure motivirt Schmid auch den Gebrauch
des kalten Wassers bei der Cholera.
Was die Therapie anlangt, so zählt Schmid zu
den bewährtesten Mitteln folgende: Veratrum,
Arsenic., Phosphor und Secale cornutum,
welch’ letzteres, sonst weniger bekannt und erwähnt,
uns doch bei gewissenhaften Autoren so oft ent¬
gegentritt, dass es wohl boachtenswerth erscheinen
muss. In Folge seiner eingreifenden specifischen
Einwirkung auf die Gefässe und die mit glatten
Muskelfasern versehenen Organe mag es vielleicht
gegen den raschen Verlust des Blutes an Serum
durch Transsudation und die dadurch bedingte, so
sehr gefürchtete und in ihren Folgeerscheinungen
so schwere Eindickung des Blutes eine günstige
Rolle übernehmen. Es würde dann der palliativen
Digitized by Google
16
Wirkung der jetzt beliebten Kochsalzinfusionen
vielleicht eine kausale gegenüberzustellen im Stande
sein. Die Indikationen für die genannten Mittel
sind für Schraid die gleichen wie für die anderen
Autoren—, die specifisch homöopathischen; dem Bei¬
gebrauch des kalten Wassers redet er aus den schon
oben angeführten Gründen sehrdasWort. Arsenic
giebt er sehr niedrig, in der ersten und zweiten
Verreibung zu bis -fo Gr.; den Phosphor
reicht er in einer Aetherauflösung oder in der ersten
und zweiten Verdünnung, die er höheren vorzieht.
Auch die übrigen Mittel Veratrum, Cicuta virosa,
Cuprum, Carbo giebt er nur in den niedrigsten
Potenzen. Hierbei bekämpft er die Ansicht, dass
es zu dem Begriff Homöopathie gehöre, die Mittel
nicht in unverdünntem Zustand zu geben und hält
dies nicht nur für einen Irrthum, sondern für eine
Schuld, deren sich diejenigen theilhaftig machen,
welche noch den Streit darüber unterhalten; wir
müssen ihm darin beipflichten, denn die Entwick¬
lung der homöopathischen Grundgedanken in Hahne-
mann beweist es, wenn es sich auch in den meisten
Fällen Bchon von selbst verbietet, nicht oder unge¬
nügend potenzirte Arzneistoffe zu verwenden. Der
hieraus entsprungene Streit aber, welcher leider
schon zu oft bis zu den äussersten Grenzen erlaubter
Polemik geführt hat, hat dem guten Verhältniss
unter den homöopathischen Kollegen, wie auch be¬
sonders der Beurtheilung unserer Sache auf Seite
der Gegner unendlich geschadet.
Was die Resultate seiner Behandlung anlangt,
so erwähnt Schmid, dass bei einer im Allgemeinen
recht bösartigen Epidemie von den an Cholerine
Leidenden fast Alle genesen seien, dass aber von
den an vollständig entwickelter Cholera Erkiankteu
durchschnittlich 30—35 °/ 0 starben. (Die Berichte
des Dr. Veith in Wien aus derselben Epidemie
lauteten ganz anders (siebe Tabelle); ihm starben
von 125 Kranken nur 3; ein Unterschied, der nicht
aus der Behandlung, sondern nur aus der Art und
Aufstellung der Statistik erklärt werden kann.
Veith kommt in seinen Resultaten beinahe seinem
Wiener Kollegen Winternitz gleich, der von 40
Cboleraflüchtlingen mit heftiger Diarrhöe, theil-
weisem Erbrechen und mit Wadenkrämpfen, im
Jahre 1866, bei hydrotherapeutischer Behandlung
in seiner Anstalt keinen Einzigen verlor, „Blätter
für Klinische Hydrotherapie“ II. Jahrgang, Nr. 7.)
Trotzdem aber Dr. Schmid mit einem Verlust
von 30—35 Prozent in der Behandlung noch weit
unter der Durchschnittssterbeziffer bei der jeweilig
üblichen allöopathischen Behandlung steht, so ge¬
nügt ihm dies doch nicht, um die von ihm ver¬
tretene Therapie besonders hervorzukehren, sondern
er warnt vor übertriebenen Hoffnungen. „Welches
Lob, ruft er aus, also auch an anderen Orten der
Anwendung dieser Mittel, von Laien wie von
Aerzten, gesungen werden mag, es wird vom Er¬
folg nicht gerechtfertigt, und es ist Zeit, Wahrheit
zu reden, wer das nicht kann, oder nicht will, der
sollte wenigstens redliche und wahre Aerzte nicht
täuschen, nicht irre führen.“
Wenn wir auch den Pessimismus Schmids nicht
für gerechtfertigt halten und obigen Ausspruch nur
angeführt haben, um den wahrheitsliebenden Mann
in seinem gerechten Zorne über die damals zahl
losen schön gefärbten Choleraberichte zu zeigen, so
werden wir Epigonen doch auch heute noch gern
dem Bekenntnisse edler Bescheidenheit Rummefs
beipflichten und zufrieden sein, in den uns ge¬
zogenen Grenzen das uns Mögliche zu leisten.
Wohl aber blicken wir bereits auf einen Schatz
vieljähriger Beobachtungen und Erfahrungen über
Cholerabehandlung, der uns mit einiger Sicherheit
auf den möglichsten Erfolg rechnen lässt.
Wir können, wenn die furchtbare Seuche uns
zum Kampfe herausfordert, auf den alten Grund¬
lagen fortarbeiten und haben neben der Erfahrung
nunmehr auch die Empfehlung unserer Mittel durch
einen Fachgelehrten für uns. Campher, Arsen,
Veratrum, Cuprum sagt die neue Richtung in un¬
serer Arzneimittellehre; Campher resp. Camphora
Rubini, der auf Grund seiner Herstellung und der
Erfahrungen in der letzten Epidemie zu Neapel
wohl allen anderen Kampherpräparaten hervor¬
zuziehen ist, Arsen, Veratrum, Cuprura sagt die alte
Lehre Hahnemann's!*) Man wende mir nicht ein:
die Empfehlung des Prof. Schultz habe mit der
Gebrauchsweise in der Homöopathie ja gar nichts
zu thun! Das sind quantitative Unterschiede, und
wem die 30. Potenz zu hoch ist, der gebe ruhig
die 4. oder 3. oder 1 Tropfen der Urtinctur in
30 gr. Wasser! Wir können nur wünschen und
hoffen — und dies gewiss im Sinne von Schulz —
dass recht viele allopathische Collegen von seiner
Empfehlung Gebrauch machen und sich uns hier¬
durch in etwas nähern, mögen sie dann auch
Allopathen bleiben oder Homöopathen werden. —
In der Therapie entscheidet nur der Erfolg, im
Examen der Herr Professor. — Ebenso werden
aber auch wir die Errungenschaften der modernen
Forschung nicht ausser Acht lassen dürfen, in der
inneren Therapie zähe das Alte als das Beste
wahrend, in der äusseren Behandlung, Hygiene
und Diät den modernen Fortschritten gerne folgend,
ohne falsche Pedanterie; denn auch in der Homöo¬
pathie haben sich manche alte Vorschriften über¬
lebt und haben besserer Erkenntniss weichen müssen.
Veritati semper corona!
*) Auch als Prophylaktikum (?) soll sich, wie mir
mündlich mitgetheilt worden ist, nach Cigliano in
Neapel Camphora Rubini trefflich bewährt haben.
Verantwortlicher Redacteur: Dr. StifTt-Leipzig.
Expedition und Verlag von Willian Steinnetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Dretsner & Sefaranm in Leipzig.
Digitized by 1
Google
Leipzig, den 13. Oktober 1892.
Band 125.
No. 15 n. 16.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
BERAÜSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homOopath. Offlein) in Leipzig.
Erscheint 14tägig *n 2 Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Allo Bncbhandlongen und
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an ft. Mobs 6 in Leipzig und dessen Filialen oder an die
Verlagshandlung selbst (A Marggrafs homöopath. Offioin in Leipzig) au richten sind, werden mit 30 Pf, pro einmal
gespaltene Petitseile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt. Bemerkungen zur Cholerabehandlung nebst einer Statistik der Transporte durch die Sanltäts-
oolonne, einer Uebersicht der bis zum I. Oktober im Hamburgiscben Staate etattaehabten Erkrankungen und Sterbe¬
falle von Cholera und einem Anhang „Wissenschaftliche Experimente in den Hamburger Krankenhäusern“. Von Dr.
Hesse-Hamburg. — Beitrag zur Behandlung der Cholera durch Campher. Von Sanitätsrath Dr. Johannes Schweikert-
Breslau» — Heimatliche Arzneikunde. Von Dr. Schier-Mainz. — Ein Rückblick auf die Controverse „Slmiübus an
8uggeetis?‘‘ Nebst kritischen Bemerkungen von Dr. med. Julius Fuchs-München. — Die zeitweilig herrschenden
Heilmittel. — Referate. — Leeefrüchte. — Personelle. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. *WI
Bemerkungen
znr Cholerabehandlung.
Von Dr. Hesse-Hamburg.
Wie mein Vertreter Herr Waszily schon be¬
merkte, mehrten sich in der zweiten Hälfte des
August die Durchfälle, welche auf Sulfur hin wiesen:
sie trieben um 3, 4 Uhr in der Frühe mehrmals
hintereinander aus dem Bett.*) Auch die leichten,
mittelschweren und schweren Anfälle der Cholera
begannen ausserordentlich häufig in derselben Weise.
Unter mittelschweren Formen verstehe ich diejenigen,
welche sich durch das weniger Heftige und Rapide
des Verlaufes von den schweren unterscheiden,
welch letztere, wenn nicht günstig beeinflusst, in
9—12 Stunden zum Tode führten. (Ich hörte und
las mehrfach von einem letalen Verlaufe in wenigen
Stunden, sah selbst solche Fälle nicht). Erbrechen
und Durchfall folgen nicht so sehr schnell auf
einander; die Wadenkrämpfe sind nicht so heftig
oder nur angedeutet und vor Allem: die Collaps-
erscbeinungen traten nicht so erschreckend auf, dass
man von Minute zu Minute die Veränderung in
*) Dasselbe ist Anfang September von mir auch
hier beobachtet worden. Dr. Stifft.
den Zügen des Kranken, das Kleinerwerden und
Verschwinden des Pulses und die zunehmende Eises¬
kälte der Glieder beobachten kann. Bei den leich¬
teren Anfällen, bestehend in oft recht häufigen
Durchfällen, mit oder ohne Uebelkeit, Schwin¬
del , Kollern im Leibe (das bei keinem Kran¬
ken fehlte) Magendruck, Appetitlosigkeit, Durst,
unruhigem Schlaf mit Nachtschweissen, gingen die
Patienten vielfach ihrer Beschäftigung nach. Auch
diese leichten Anfälle muss man zur Cholera rechnen,
wenn man sie auch bei der Statistik nicht berück¬
sicht. Der Beweis liegt darin, dass in einer Familie
die verschiedenen Mitglieder von den verschiedenen
Graden der Krankheit ergriffen werden. So litt in
einer mir bekannten Familie der Mann an einem
leichten Anfall: zu gleicher Zeit stirbt seine Mutter
nach einem Kranksein von nur 12 Stunden (ichfand
sie schon kalt und pulslos) und seine Frau erkrankt
einige Tage später schwerer wie der Mann. Solche
Beobachtungen waren nicht selten. Im Gegensätze zu
anderen Epidemien, wo von den Beobachtern bemerkt
wird, dass den eigentlichen schweren Anfällen andere
Symptome oft vorausgingen, besonders leichte Durch¬
fälle, habe ich das hier sehr selten gesehen. Die
schweren Anfälle überfielen meist wie ein Mord¬
geselle in der Nacht Menschen, die am Abend vorher
noch sich völlig gesund fühlten.
16
Digitized by
Google
114
Wenn ich nach meiner Clientei auf das Ganze
schliessen darf, so hat der Genius epidemicus ausser¬
ordentlich breite Schichten der Bevölkerung in irgend
einer Weise ergriffen, so dass nur ein nicht sehr
grosser Theil der Hamburger völlig frei blieb von
jeglichen Krankheitserscheinungen. Manche wurden
auch von der Choleraangst gequält oder durch
diese disponirt zu Durchfällen oder sonstigen leich¬
teren Erscheinungen. Bis zu welcher Höhe die Angst
steigen kann, bis zu einem Zustande dem Wahn¬
sinn nahe, ist kaum glaublich. Die Kranken —
denn als solche muss ich sie bezeichnen, sind nicht
im Bett zu halten, rennen schweissbedeckt hin und
her, legen sich ermüdet einige Minuten hin, die
Angst jagt sie wieder auf; in ihrer Aufregung
fühlen sie Uebelkeit, Kollern im Leibe und glauben
jeden Augenblick, dass die gefürchtete Krankheit
beginnt. Auf diese Weise verleben sie die uner¬
träglich lange Nacht, während welcher sie am
liebsten den Arzt immer bei sich hätten. Arsen
lindert den Zustand.
Grosse Beruhigung gewähren wir unseren Pa¬
tienten dadurch, dass wir ihnen Vorbeugungsmittel
anrathen und Arzneimittel angeben können, welche
sie im Nothfalle schon vor Eintreffen des Arztes
nehmen sollen. Ob Schwefel für jede Cholera-
epideinie als Vorbeugungsmittel gelten kann, weiss
ich nicht. Nach meiner Meinung kann man als
Präservativ nur dasjenige Mittel betrachten, wel¬
ches zugleich auch das Heilmittel in der Krank¬
heit ist. Möglich, dass der Schwefel wegen der
ausserordentlichen Verbreitung der Sulfur-Dispo¬
sitionen darin eine Ausnahmestellung einnimmt,
dass er den Körper im Allgemeinen widerstands¬
fähiger macht gegen die Aufnahme von Krankheits¬
stoffen. Für diese unsere Hamburger Epidemie
möchte Schwefel als Vorbeugungsmittel wohl eine
erhöhte Bedeutung haben, weil die Frühdiarrhöe
und sonstige Symptome auf Sulfur hinweisen. Dem
entsprechend gab ich Sulfur in einer grossen An¬
zahl leichter Fälle mit Erfolg, ohne Erfolg dagegen
in den schwereren Anfällen, wo Erbrechen und
Durchfall zugegen waren. Mir ist kein Fall be¬
kannt geworden, wo bei den mit Scbwefelinilch Ge¬
schützten eine schwerere Erkrankung aufgetreten
wäre. Darin liegt ja kein eigentlicher Beweis, aber
ich will es nicht unerwähnt lassen.
Ich halte es für die Pflicht eines jeden Collegen,
sobald die ersten Fälle der Epidemie in seinem
Orte sich zeigen, eine ganz kurze gedruckte An¬
weisung an seine Clientei zu vertheilen, damit von
der ersten Minute an etwas Passendes geschieht.
Dann ist es auch nicht so wichtig für das Leben
der Kranken, ob der Arzt eine Stunde früher oder
später erscheint. Leider war mir eine solche Vor¬
bereitung nicht möglich. Am meisten empfehlen
kann ich folgende Anweisung:
1. Vorbeugungsniittel. Jeden dritten Tag oder
beim Wechseln der Strümpfe wird eine
Messerspitze Schwefelmilch in die Strümpfe
geschüttet
Die gewohnte (vorausgesetzt solide) Lebens¬
weise wird beibehalten. Zu vermeiden: rohes
Obst, Gurken, Salate. Rothwein ist dem Bier
vorzuziehen. Zur Toilette, zum Mund aus¬
spülen, als Trinkwasser ist nur gekochtes
Wasser zu verwenden.
2. Bei Ausbruch der Krankheit wird der Kranke
auf die gewöhnliche Weise in starken Schweiss
gebracht (durch heissen Thee, warme Be¬
deckung, Wärmflaschen an die Beine) und
wird mindestens 6—12 Stunden in leichtem
Schweiss gehalten, wobei Entblössen, auch
beim Stuhlgang, Frottiren möglichst zu ver¬
meiden ist Frottiren, besonders mit Lappen,
die mit Campherspiritus befeuchtet sind, be¬
günstigt den Schweiss, wirkt angenehm gegen
die Wadenkrämpfe und ist besonders noth-
wendig, wenn die Extremitäten Neigung zum
Erkalten zeigen.
3. Als Arznei nimmt der Patient alle 10 Minuten
einen Tropfen Veratrum;*) wenn nach einer
Stunde sich keine Besserung zeigt, geht er
zu Camphora Rubini über. Letzterer wird
auf gestossenem Zucker oder in einem Ess¬
löffel warmen Zuckerwassers gegeben, im
Anfänge ebenso oft, bei Besserung seltener.
Ich habe mit Vorbedacht die Diaphorese zuerst
gestellt, weil ich sie bei dieser Krankheit für ausser¬
ordentlich wichtig halte und glaube, dass bei recht¬
zeitiger, d. h. sofortiger Einleitung derselben mancher
verlorene Fall hätte gerettet werden können. Ein
im Krankenhause angestellter Mediciner meinte mir
gegenüber, dass auch Leute gestorben wären, die
in Schweiss gebadet im Krankenhause ankamen.
Es ist aber nicht allein nöthig, den Kranken in
Schweiss zu bringen, sondern ebenso wichtig, ihn
genügende Zeit darin zu halten mit Beobachtung
aller Vorsichtsmassregeln, wozu ein Transport ins
Krankenhaus gerade nicht gehört. Zur Illustration
der Schweisswirkung will ich einen Fall anführen,
einen Mann, der in der Nacht in üblicher Weise
erkrankte mit Erbrechen, Durchfall, Wadenkrämpfen,
heiserer Stimme. Auf die Anweisung eines Laien
hin wurde er in Schweiss gebracht und hatte Arsen
und Cupr. eingenommen. Im Verlaufe weniger
Stunden verloren sich Erbrechen, Durchfall, Waden¬
krampf und sogar die heissere Stimme. Mit der be¬
ginnenden Besserung liess man den Patienten unter
einer leichteren Bedeckung sich wieder abkühlen.
*) Da keine Potenz angegeben, ist also Urtinctur
gemeint. (?) Die Red.
Digitized by
Google
115
Mit der Abkühlung kehrten sämmtliche Krank¬
heitserscheinungen in bedrohlichem Masse wieder.
So fand ich den Kranken des Mittags; der Pnls
war ziemlich gut, ebenso die Körperwärme. Ich
ordnete an, den Patienten wieder in Schweiss zu
bringen und ihn mindestens 12 Stunden in Schweiss
zu halten, dabei Camph. Rub. J / 4 —V 2 stündlich.
Mit Ausbruch des Schweisses trat sofort wieder
Besserung ein und am nächsten Tage waren von
der schweren Erkrankung noch einige flüssige
Stühle und grosse Schwäche übrig. Dies war für
mich ein mittel schwerer Fall; in einem schweren
wären auf die zu frühe Abkühlung Collaps und
Tod gefolgt.
College Schlegel meint in seiner augenblicklich
sehr zeitgemässen Brochüre „ Homöopathie und
Cholera“ (Tübingen 1892 im Selbstverläge des Ver¬
fassers), er ziehe zur Schweissentwickelung die
Wasseranwendung vor. Für meinen Vorschlag
spricht die grössere Einfachheit resp. Verständlich¬
keit. Jedermann weiss,wie man Jemanden in Schweiss
bringen soll, während auch die einfachste Art der
Wasseranwendung ihm erst beigebracht werden
muss und durch ungeschickte Anwendung schaden
kann. Es ist anzurathen, dass die Patienten auch
die übrigen in der Cholera gebräuchlichen Mittel
im Hause haben Ipec., Ars., Cupr., Nicot., Cupr.
arsenicos., damit, falls der Arzt sie verordnet,
keine Zeit verloren gehe. Gebraucht habe ich sie
verhältnissmässig selten. In den ersten 14 Tagen
wandte ich nur den Rubini’schen Campher an, — es
war die Zeit der ganz acuten schweren Fälle — fand,
dass ein kleiner Theil der Kranken Antipathie gegen
den Campher hatte, dass ein anderer Theil nicht
für Campher passte, dass ferner die nach diesem
Mittel gegebenen Arzneien nicht besonders wirkten,
und ging dann zu der obigen Verordnung über.
Unauslöschlicher Durst mit Verlangen nach Kaltem
und nach grossen Quantitäten, reichliche wässerige
oder grünliche Stühle, im Ganzen mehr apathisches
Daliegen im Gegensatz zu der Unruhe und Todes¬
angst, welche Cuprum und Arsen eigenthümlich sind,
sprachen für Veratr. Arsen that mir gute Dienste
in der Choleraangst, Cupr. in Fällen, wo die Krämpfe
auch in den Zehen und Fingern auftraten, Secale
in einem Falle von Ameisenkriechen in Händen
und Füssen. Mehr Beachtung verdient wohl Cupr.
arsenicos. in passenden Fällen. In einer schweren
Erkrankung, die für Veratr. nicht passte, brachte es
sofortige Hülfe. Vorhanden waren schmerzloser
Durchfall, ausserordentlich qualvolles schmerzhaftes
Erbrechen, grosse Unruhe und stetes Trinken mit
Verlangen nach kleinen Mengen, leichte Waden¬
krämpfe, also ein Bild gemischt von Cuprum und
Arsen.
In drei Fällen wurde ich consultirt wegen eines
Zustandes, der in etwas an Cholera sicca erinnerte;
ich sah ihn nicht selber; er wurde mir beschrieben.
Mehrmals täglich, bei Tag und Nacbt treten An¬
fälle auf, in denen die Kranken daliegen wie eine
Leiche, eiskalt am Körper, mit kaltem Schweiss
bedeckt, bei voller Besinnung, ohne Uebelkeit, ohne
Stuhldrang. Diese Anfälle dauerten mehrere Minuten
bis zu einer halben Stunde. Campher verhütete
die Wiederkehr.
Choleratyphoide hatte ich zwei in Behandlung,
wovon ich einen Kranken mit unaufhörlichen Darm¬
blutungen verlor.
Meine Verluste betrugen ungefähr 20 Procent,
wenn ich, wie üblich, die schweren und mittel¬
schweren Fälle rechne, welche hei der Statistik
als Cholerafälle flguriren und im Krankenhause als
echte Cholera gezählt worden wären. Wahrschein¬
lich hätte sich der Procentsatz günstiger gestaltet,
wenn ich von Anfang an auf die Diaphorese mehr
Gewicht gelegt hätte. Eine alte Frau war schon
kalt, puls- und sprachlos, als ich kam; bei Mehreren
kam ich 1 — 2 Stunden vor dem Tode, eine Anzahl
hatte schon Opium genommen und die Meisten sah
ich erst geraume Zeit nach dem Beginn der Er¬
krankung. Das sind fast Alles aber Umstände,
welche nicht allein meine, sondern jede Statistik
mitbestimmen. Eine gedruckte, beim Ausbrechen
der Seuche vertbeilte Belehrung würde entschieden
die Resultate günstiger gestalten und dem Arzte,
besonders in der Grossstadt seine Aufgabe bedeutend
erleichtern. Die Sterblichkeit im Allgemeinen be¬
trug 40—45 °/ 0 . Die Schädlichkeit des Transports
in die Krankenhäuser hat College Schlegel in seiner
Schrift, welche auch auf die Hypothesen von Koch
und Pettenkofer eingeht, genügend hervorgehoben.
Bei dem Gewicht, das man auf die Diaphorese,
zum Mindesten aber auf Warmhalten der Kranken
legen muss, leuchtet es ein, dass die meisten Fahr¬
gäste Todescandidaten waren trotz wollener Decken,
in die sie eingewickelt waren. Im günstigen Falle
dauert der Transport 25 Minuten, in den ersten
14 Tagen jedoch vom 25. August an, wo die Zahl
der Erkrankungen die grösste und der Charakter
der Krankheit der bösartigste war, wurden die
Kranken aus verschiedenen Strassen, zuweilen aus
verschiedenen Stadttheilen in ein und demselben
Wagen abgeholt und der Transport brauchte so das
Doppelte und Vierfache der obigen Zeit, wobei es
noch vorkam, dass der Wagen wegen Ueberfüllung
von einem Krankenhause zum andern gewiesen
wurde.
Die Behandlung in den Krankenhäusern be¬
standin Calomel oder Milchsäure innerlich, Campher-
und besonders Kochsalzinjectionen, letztere liter¬
weise, subcutan. Letztere wirkten momentan be¬
lebend, riefen den verschwundenen Puls wieder
hervor. In wie weit diese Einspritzungen, welche
wiederholt werden mussten, dauernden Erfolg hatten,
15 *
Digitized by
Google
116
kann ich nicht benrtheilen. Opium wurde in den
Krankenhäusern mit Ausnahme eines kleineren (in
Form von Stuhlzäpfchen) nicht gegeben, massenhaft
dagegen in der Privatpraxis.
Ich lasse die amtliche Statistik hier folgen,
welche Interesse bietet durch das lawinenartige
Anschwellen der Epidemie, das Verhältnis der
Transportirten zu den Andern etc., sowie aus einer
hiesigen Tageszeitung einen Bericht über die Prof.
Kumpf sehe Mittheilung in der „ Deutschen Mediz.
Wochenschrift,* welcher die bezeichnende Spitz¬
marke führt „Wissenschaftliche Experimente in den
Hamburger Krankenhäusern.*
Statistik der Transporte durch die Sanitäts-
colonne, jeder Tag von Mitternacht zu Mitternacht
gerechnet.
Kranke
Todte
Kranke
Todte
Aug.
20.
7
9
Sept.
11.
146
74
»1
21.
18
6
>»
12.
160
65
11
22.
60
22
ii
13.
187
47
11
23.
118
65
ii
14.
157
53
11
24.
234
64
ii
15.
168
53
7»
25.
844
101
ii
16.
201
65
»1
26.
442
196
ii
17.
163
58
I»
27.
532
274
ii
18.
148
80
>1
28.
418
266
ii
19.
134
46
„
29.
441
209
ii
20.
138
37
ff
80.
608
268
ii
21.
131
26
»♦
31.
869
223
ii
22.
114
21
3491
1693
ii
28.
101
18
Sept.
1.
426
184
ii
24.
76
18
2.
370
209
ii
25.
71
19
3.
326
197
n
26.
65
16
4.
290
158
ii
27.
68
13
5.
322
117
ii
28.
66
12
6.
224
102
ii
29.
42
5
”
7.
162
92
ii
30.
57
7
Jf
8.
147
92
8391
3659
f>
9.
158
78
Octob
. 1.
24
5
fi
10.
148
69
ii
2.
24
1
Uebersicht der bis zum 1. October im Ham-
burgischen Staate stattgehabten Erkrankungen
und Sterbefälle an Cholera.
Nach den bis zum 2. October eingegangenen
Meldungen sind:
erkrankt gestorben
August bis zum 20. 85 36
21. 83 22
22. 200 70
23. 272 111
24. 365 114
25. 671 192
26. 995 317
27. 1102 455
1. Woche 3773 1317
August 28.
1028
428
29.
980
893
80.
1081
484
81.
857
895
September 1.
842
394
2.
810
479
8.
780
440
2. Woche
6878
3013
September 4.
679
293
5.
580
282
6.
490
258
7.
422
225
8.
350
157
9.
402
155
10.
439
178
8. Woche
3362
1548
September 11.
854
150
12.
384
142
18.
293
129
14.
313
108
15.
314
141
16.
397
141
17.
338
117
4. Woche
2393
928
September 18.
222
110
19.
234
110
20.
217
87
21.
198
79
22.
171
55
23.
158
67
24.
126
38
5. Woche
1886
546
September 25.
95
89
26.
78
33
27.
82
33
28.
74
23
29.
49
20
30.
53
16
October 1.
10
12
6. Woche
441
175
Gesammt-Summe der
ersten 6 Woehen:
17678
7522
Wissenschaftliche Experimente in
den Hamburger Krankenhäusern.
Professor Dr. Kumpf war ersucht worden, die
zu Hamburg in der schweren Cholera-Epidemie
gemachten Erfahrungen hinsichtlich der Behandlung
möglichst bald den deutschen Aerzten zugängig zu
machen. Der leitende Kliniker fasst demzufolge in
einer vorläufigen Mittheilung der „Deutschen Medi¬
cinischen Wochenschrift* die bisherigen Ergebnisse
zusammen, die sich auf ein im Neuen Allgemeinen
Krankenhause behandeltes Material von etwa drei¬
tausend CholerafäUen stützen. Es standen zunächst
eine ganze Keihe von chemischen Mitteln zu Gebote,
welche eine Abtödtung der Kommabacillen innerhalb
des Darmcanals herbeiführen sollten. Als erfolglos,
selbst im Anfangsstadium, erwies sich hier das von
Digitized by v^ooQie
Hüppe und Löwenthal auf Grund theoretischer
Erwägungen empfohlene, neuerdings sogar als Speci-
ficum gerühmte Salol. Auch das Creolin rief in keinem
Falle eine typische Heilwirkung hervor. Die ebenfalls
eine Desinfection des Darmcanals anstrebenden Be¬
handlungsversuche von Prof. Hüppe aus Prag hatten
leider keine besseren Erfolge aufzuweisen. Die leich¬
teren Fälle genasen, die mittelschweren, die als Prüf¬
stein dienen konnten, gingen zu Grunde. Auch mit
Salzsäure und Milchsäure ergab sich keine günstige
Wirkung. Dasselbe gilt von den Gresolpräparaten.
Das als Specificum empfohlene Chlorwasser bezeichnet
Prof. Rumpf als nutzlos, wenn es nicht gar als
schädlich gelten müsse. Die gerbsauren Darmein¬
giessungen nach Prof. Cantani wurden anfangs sehr
viel angewendet, aber in den frischen und schweren
Fällen sehr schnell als nutzlos verworfen; günstiger
gestaltete sich der Erfolg in den leichteren Fällen der
späteren Zeit. Nach allen diesen ungünstigen Ergeb¬
nissen verwirft Prof. Rumpf ganz entschieden die
Versuche, welche darauf zielen, den Darmcanal bei
ausgesprochener Cholera nur zu desinficiren. Die
einzige genügende Behandlung, welche somit übrig
bleibt, ist der Versuch, die causa movens. hier also
die Kommabacillen, aus dem Darmcanal zu ent¬
fernen. Von diesem Gesichtspunkt aus wandte man
von Anfang Calomel (Quecksilber) an und kehrte zu
dieser Behandlung immer wieder zurück, weil ihre Er¬
folge mit der Aufnahme leichterer Fälle ausserordent¬
lich günstig waren im Gegensatz zu vielen anderen
Methoden. Die Caloraelbehandlung kommt vor allen
Dingen bei der einfachen Choleradiarrhöe und dem
ersten Stadium der Vergiftung in Betracht Da¬
neben hat sich für die Fälle des ersten und zweiten
Stadiums am meisten das heisse Bad bewährt,
welches man bei jedem abermaligen stärkeren Sinken
der Temperatur wiederholte. Versuche, an Stelle
heisser Wasserbäder solche von heisser Luft und
Dampfbäder treten zu lassen, haben sich dagegen
nicht bewährt. Neben kleinen Dosen Calomel und
heissen Bädern sind stärkende und erregende Getränke
natürlich von Wichtigkeit. Heisser Kaffee und Thee,
Wein und Champagner, Camphoröl zur Einspritzung
müssen auf jeder Choleraabtheilung vorhanden sein.
Was endlich die Behandlung der schweren Cholera¬
vergiftung betrifft, so sei nur kurz erwähnt, dass sich
hier die von Dr. Sick und Dr. Rieder eingeführte
Einspritzung von Kochsalzlösung in die
Venen überraschend erprobt hat; die endgültigen
Erfolge stellen sich auf etwa 25 v. H. und sind günstig,
weil es sich um Kranke mit schlechtester Prognose
handelt. Die Quintessenz aller Erfahrungen lautet
nach Professor Rumpf: „Eine specifische Therapie
der Cholera giebt es bis jetzt nicht. Sollte es ge¬
lingen, ein Mittel zu findenwelches das Gift im
Innern des Körpers vernichtet, ohne die Thätigkeit
des Körpers zu schädigen, so wäre ein wesentlicher
Fortschritt in der Choleraheilung gemacht. Die
moderne Bakteriologie führt uns vielleicht auf diesem
Wege weiter. Wir haben auch in Hamburg mit
derartigen Versuchen begonnen, indessen würde ein
Urtheil über deren Ergebnisse mehr als verfriiht sein.
Sie bleiben denn einstweilen wesentlich die grossen
Gesichtspunkte der allgemeinen Therapie der Schwer¬
punkt der Cholerabehandlung/
Beitrag zur Behandlung der Cholera
durch Campher.
Von Sanitätsrath Dr. Johannes Schweikert in Breslau.
Als Dr. Rubini mit der Veröffentlichung seiner,
wir gestehen es selbst, unerhörten Heilerfolge auf¬
trat, wurden diese von vielen Seiten angezweifelt
und sogar die Behauptung mehrfach aufgestellt,
der Campher sei bei der Cholera kein nach dem
homöopathischenHeilgesetz passendes Medi¬
kament. Dieser, dem Gründer der Homöopathie,
welcher im Jahre 1831 Campher gegen die Cholera
empfohlen hatte, gemachte Vorwurf, ein nicht homöo¬
pathisches Medikament empfohlen zu haben, ist ganz
ungerechtfertigt, denn, wenn auch homöopathische
Verdünnungen von Campher keine der Cholera
ähnlichen Symptome hervorrufen, so geschieht dies
doch ganz entschieden durch grosse Gaben.
ln Hahnemann’s kleinen medizinischen Schriften,
herausgegeben von Stapf, Bd. n, pag. 206, findet
sich folgende durch Campher herbeigeführte Ver¬
giftung aufgezeichnet:
„Ein fünfjähriges Mädchen hatte eine Menge
Campher verschluckt, welche sich auf 8—10 Gran
schätzen Hess. Etwa 10 Minuten nachher er¬
blasste sie, wurde starr im Blick, dann ohn¬
mächtig, schwach und vernunftlos. In kurzer
Zeit ward ihr der Kopf auf die rechte Seite ge¬
zogen und blieb so, der übrige Körper wurde
schlaff, die Sinne erloschen. Zuweilen bewegte
sie die Arme unwillkürlich. Die Augen drehten
sich aufwärts, Schaum trat vor den Mund, der
Odem war kaum zu bemerken. In ein erwärmtes
Bett gebracht, schien sie zuweilen etwas wieder¬
zukehren. Man fiösste ihr starken Kaffee ein,
aber die Sinnlosigkeit nahm sichtlich zu. Es
trat ein heftiges Erbrechen ein, es erleichterte
sich aber hierauf nichts; der Todeskampf schien
zuzunehmen immer mehr und mehr. Ich goss
ihr 4 Tropfen Opiumtinctur ein, ohne dass ich
bemerkte, dass sie niedergeschluckt wurden; da
ich aber nach etlichen Minuten entfernte Zeichen
einer Hülfe wahrzunehmen glaubte, so fuhr ich
fort u. s. w. Ä
Der hier beobachtete Symptomen-Complex zeigt
doch wahrhaftig entschieden genug an, dass der
Digitized by
118
Campher kein allöop ethische 8 Reizmittel ist, für
welchen ihn die Allöopathie ausgiebt, sondern dass
or für den gesunden Organismus eine alle vitalen
Tbätigkeiten herabstimmende, fast paraly-
sirende Einwirkung hat, so dass die homöopathischen
Aerzte, welche den Campher in einer so paralytischen
Krankheit, wie die Cholera sich uns bei genauester
Betrachtung und Sichtung ihrer ganzen Erscheinungen
und nach allen Richtungen hin, darstellt, in An¬
wendung bringen, ihrem obersten Heilgesetz „Similia
similibus" durchaus nicht untreu werden, wenn sie
sich auch stärkerer Dosen, als sie bei der homöo¬
pathischen Behandlung sonst gebräuchlich sind, dabei
bedienen.*) Da aber der Campher, obgleich er einen
an Paralyse grenzenden, der Cholera sehr ähnlichen,
adynamischen Zustand hervorzurnfen im Stande ist,
doch andere, der Cholera eigenthümliche Symptome
z. B. die an diese Krankheit erinnernden Darm¬
entleerungen nicht aufzuweisen hat, so kann derselbe
nicht als ein so universelles Heilmittel in der
Cholera gelten, wie er von Rubini betrachtet wird,
sondern es werden meistentheils ausser ihm noch
andere homöopathische Mittel in Anwendung
kommen müssen, wenn man der Krankheit Herr
werden will. In vielen Fällen wird sogar der
Campher gar nicht erst anzuwenden sein, sondern
andere specifischer passende homöopathische Arzneien.
fleimathliche Arzneiknnde.
Von Dr. Schier-Mainz.
In No. 3/4 des laufenden Jahrganges der populären
Zeitschrift habe ich die Hypothese aufgestellt, dass
im Allgemeinen die in der näheren oder ferneren
Umgebung eines Ortes — vor Allem einer mehr
waldreichen in ihrem natürlichen Zustand weniger
veränderten und kultivirten Gegend — vorkommenden
medikamentösen Stoffe, sowohl Pflanzen als Mineralien
und thierische Producte, zur Heilung aller in dieser
Gegend sich entwickelnden Krankheiten genügen
müssen.
Dass eine solche Hypothese sich weder mit
mathematischer Sicherheit beweisen noch widerlegen
lässt, liegt auf der Hand; heute nehme ich Veran¬
lassung, einige weitere Momente zur Begründung
meiner Anschauung an dieser Stelle vorzubringen.
Zunächst ist klar, dass bei der schon jetzt be¬
kannten gewaltigen Zahl von Arzneistoffen unter
allen Umständen ein Merkmal gefunden werden
muss, welches dem einzelnen homöopathischen Arzte
ein principielles Unterscheidungsmittel an die Hand
*) Hahnemann hat uns selbst den Grund für diese
scheinbare Ausnahme von der Regel angegeben. Siehe
diese Ztg. Bd. 125, No. 11 112, pag. 89. — Die Red.
giebt, vermittelst dessen er unter den ungefähr
1000 Mitteln, welche z. B. in Dr. W. Schwabe’s
homöopathischer Pharmakopöe aufgeführt sind, die
für ihn hauptsächlich in Betracht kommenden aus¬
zuwählen vermag; denn dass er die vollständigen
Prüfungsbilder auch nur des vierten Theiles dieser
Mittel einigermassen genau jederzeit im Gedächtniss
haben könne, ist offenbar undenkbar und nur sehr
bevorzugten Köpfen möglich.
Nun besitzen wir zwar schon eine sehr verein¬
fachte Arzneimittellehre, nämlich die abgekürzte
oder biochemische Therapie des Collegen Dr.Schüssler,
welche von homöopathischen Aerzten vielfach neben¬
bei angewendet zu werden pflegt; ich sage „neben¬
bei*, denn der Forderung Dr. Schüssler’s, .sein
Buch sei nicht für denjenigen bestimmt, welcher
mit nur einem Fusse das Gebiet der biochemischen
Therapie betreten wolle und nur dann und wann,
so oft in einem gegebenen Falle die von ihm geübte
Heilmethode ihn im Stiche lasse, zur biochemischen
Therapie als ultimum refugium greife* (vergl. Vor¬
rede zur 13. Auflage 1886), ist man bekanntlich
nicht nachgekommen. Es liegt keineswegs in meiner
Absicht, die Berechtigung der Schüssler’schen Thera¬
pie oder die Wirksamkeit seiner 12 Mittel in der
von ihm selbst angegebenen Richtung oder gar die
Einfachheit seiner Behandlungsweise in Abrede zu
stellen; die Thatsache jedoch, dass dieselbe kaum
irgendwo als alleinige Therapie hat festen Fuss
fassen können, rechtfertigt wohl den Schluss, dass
sie den Kernpunkt der Sache nicht getroffen hat.
Sie ist, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen
darf, zu „über“-natürlich, denn sie macht die Mög¬
lichkeit eines arzneilichen Heilens abhängig von der
Ausbildung des menschlichen Verstandes, in specio
von den Fortschritten der Chemie, welche uns erst
die Eruirung und Reindarstellung jener 12 an¬
organischen Bestandteile des menschlichen Körpers
ermöglichte. Es wäre in logischer Schlussfolgerung
eine naturgesetzliche Therapie vor diesem Jahr¬
hundert unmöglich gewesen, wie denn die Thiere
absolut niemals in Stand gesetzt würden, in Krank¬
heitsfällen sich selbst Hülfe zu schaffen. Dass dies
den wirklichen Thatsachen weder entspricht noch
entsprechen darf, liegt auf der Hand; die Natur
konnte unmöglich die Erhaltung der Einzelindividuen
von der Ausbildung des Verstandes abhängig machen,
sonst wären auf der Erde längst alle Lebewesen
ausgestorben, ich glaube vielmehr in meinem Auf¬
sätze: „Homöopathie und sonstige Heilmethoden
vom natürlichen Standpunkte aus“ (Populäre Zeit¬
schrift 1892, No. 1—10) bewiesen zu haben, dass
für das erkrankte Individuum der Verstand erst in
zweiter Linie in Betracht kommt, und dass speciell
unsere Vorfahren vor Hahnemann besser gefahren
wären, hätten sie in Krankheitsfällen ihren Verstand
ausser Acht gelassen und lediglich nach ihrem
Digitized by
Google
/
119
Instinkte sich gerichtet, ein Verfahren, das, so
primitiv es auch heim ersten Blick erscheinen mag,
auch heute noch allen denen in ihrem eigenen
höchsten Interesse zu empfehlen wäre, die sich allo¬
pathisch behandeln lassen. Die Schüssler'sche bio¬
chemische Therapie wird also kaum die ausschliess¬
liche Arzneiheilkunst der Zukunft bilden, vielmehr
mit dem Loose eines allerdings werthvollen Beitrags
unserer Heil mittel lehre sich bescheiden müssen.
Die Art und Weise, wie ich den Connex zwischen
den an ihrem natürlichen Standort befindlichen
Heilmitteln und den betr. Krankheiten naturgesetz¬
lich erklärlich finde, ist 1. c. erörtert. Dass ich
übrigens bei Weitem nicht der erste bin, welcher
der Prüfung und häufigeren Anwendung der ein¬
heimischen Medikamente das Wort redet, fand ich
vor Kurzem beim nachträglichen Studium der Arbeit
von Dr. Katsch: „Medicinische Quellenstudien“,
welche bekanntlich in der Zeitschrift des Berliner
Vereins homöopathischer Aerzte, Jahrgang 1890,
veröffentlicht ist. Daselbst finde ich (S. 356) folgenden
Satz des Paracelsus: „Der Arzt soll sich fleissen,
dass er nicht in vielen Büchsen liege, nicht in den
Arzneien, die aus weiten Landen kommen, sondern
er soll sich befieissen, dass er nicht übersichtig sei,
sondern vor sich niedersehe wie eine Jungfrau, so
findet er vor den Füssen einen mehreren 8chatz zu
allen Krankheiten, denn India, Aegipten, Barbaria
und Graecia vermag.“
Als Hahnemann und seine Schüler die Arznei¬
prüfungen begannen, lag es ihnen offenbar nahe,
zunächst diejenigen Stoffe zu prüfen, welche bereits
von der allopathischen Schule empirisch angewendet
wurden, und da diese Schule nur die Giftwirkung
ihrer Mittel therapeutisch verwendet, so enthält ihr
Arzneischatz vorzugsweise starkwirkende Medika¬
mente, welche — von den Mineralstoffen abgesehen
— in der heissen Zone weit zahlreicher und ener¬
gischer wirkend Vorkommen als hier zu Lande.
Eine unausbleibliche Folge des Verfahrens nun,
hauptsächlich die starkwirkenden Giftstoffe über¬
seeischer Länder auf ihre Beziehungen zum mensch¬
lichen Körper zu prüfen, ist die Thatsache, dass
wir bei alten Kräuterweibern und erfahrenen Schäfern
in die Lehre gehen müssen, wenn wir über die
Wirkung von Fenchel, Kümmel, Spitzwegerich,
Pfeffermünze, Wermuth, Salbei, Hirtentasche, Heidel¬
beeren und vielen andern dem Volke als sehr heil¬
sam bekannten einheimischen Mitteln eine auch nur
oberflächliche Aufklärung uns verschaffen wollen.
Und wenn ich hier einige Beispiele beibringen will,
die zur Bestätigung meiner Hypothese geeignet er¬
scheinen, so bin ich wiederum aus eben diesem
Grunde genöthigt, vorzugsweise die Erfahrungen
von Gelehrten und Forschern, welche Länder der
heissen Zone bereisten, zu verwerthen.
In den Werken Alexanders v. Humboldt, die
ich theilweise zur Begründung meiner Ansicht
durchstudirt, fand ich hübsche Belege, von welchen
ich hier einige anführen will. In der Beschreibung
seiner Reise in die Aequinoctialgegenden Südamerikas
erzählt er (Band II, S. 80):
„Wir sahen häufig Leute, welche die ungesunden
Niederungen längs der Meeresküste von Caracas
nach Cumana durchwandert, in Cumana krank an
Typhus und miasmatischen Fiebern ankommen. Der
Baum, dessen Rinde (cortex Angosturae) ein treff¬
liches Heilmittel gegen diese Fieber ist, wächst in
denselben Thälern, am Saume derselben Wälder,
deren Ausdünstungen so gefährlich sind.*
Auf der Fahrt vopa obern Orinoco zum Rio
Negro in Brasilien wurden A. v. Humboldt und
sein Begleiter durch sehr starkes Jucken in den
Fingergelenken und auf dem Handrücken geplagt,
welches verursacht wurde durch eine Milbenart, die
von den Eingeborenen als aradores (Ackerer) be¬
zeichnet werden, weil sie parallele, weissliche Furchen
in die Haut graben. Ein Indianer heilte sie radical
und überraschend schnell von diesem Uebel. Er
brachte einen Zweig von einem anscheinend der
Familie der Schot enge wüchse angehörigen Strauch
genannt Uzao, mit kleinen, denen der Cassia ähn¬
lichen lederartigen glänzenden Blättern und machte
von der Rinde einen kalten Aufguss, der bläulich
aussah, wie Süssholz schmeckte und geschlagen
starken Schaum gab; auf einfaches Waschen mit
dem Uzaowasser hörte das Jucken von den Aradores
auf. (Vergl. ibidem Bd. III, S. 305).
Als Humboldt in Angostura am Orinoco von
einem sehr heftigen Fieber befallen wurde, gab man
ihm mitten im Anfall ein Gemisch von Honig und
Extractum corticis Angosturae, ein Mittel, das die
Capuziner in den Missionen höchlich priesen. Das
Fieber wurde darauf stärker, (jedenfalls weil die
Dosis des Mittels zu stark war), hörte aber gleich
am andern Tage auf. (Vergl. ib. Bd. IV, S. 204).
In seinem „Versuch über den politischen Zu¬
stand des Königreichs Neuspanien“ (Tübingen 1813,
Band V, S. 394) erzählt derselbe da, wo er das
gelbe Fieber in der Gegend von Vera-Cruz in
Mexiko, dessen Ursachen u. s. w. beschreibt: „Am
Fusse der Dünen, rings um die Behälter von trübem
stehendem Wasser, welche als Bildungsstätten des
gelben Fiebers und der Cholera gelten, findet mau
nichts als niedriges Gesträuch von Croton und
Desmanthus, die Euphorbia titymaloides, die Capraria
biflora, die Iatropha mit Baum wollblättern und einige
Ipomoeas.“ Von diesen Pflanzen sind Croton und
Iatropha bekannt als ausgezeichnete Mittel zur
Heilung von Cholera, ihre Prüfungen ergeben die¬
selben Symptome, wie sie die Cholera aufweist;
die andern Pflanzen sind mir fremd, ich zweifle
aber nicht, dass sie Symptome, ähnlich denen des
Digitized by v^ooQie
\
120
gelben Fiebers, tbeilweise vielleicht auch noch der
Cholera, ergeben werden.
Interessante Belege fand ich auch in den Reise¬
beschreibungen Livingstones; im II. Band seiner
„Reisen in Südafrika“ schreibt er gelegentlich der
Schilderung seines Aufenthaltes in der portugie¬
sischen Station Tete am Zambesi (S. 305/308):
»Am 4. April trat mit dem Neumond plötzlicher
Temperaturwechsel ein, und der Commandant, ich,
und fast alle Bewohner seines Hauses wurden von
heftigem Fieber befallen. Mein Chinin und die
übrigen Mittel waren fast ganz erschöpft, und
frische Mittel hier nicht zu finden, da es keine
Aerzte in Tete und nur eine Feldapotheke für die
Truppen giebt, deren Vorräthe gering sind. Die
Portugiesen sagten mir indessen, es wüchsen Cbina-
rindenbäume bei ihnen, in geringerer Anzahl in
Tete, ganze Wälder hei Senna und nahe am Delta
von Kilimane. Man sieht das Walten der Vor¬
sehung darin, dass das Heilmittel gegen das
Fieber in grösster Menge sich dort findet,
wo man seiner am meisten bedarf. Als ich
die Blätter sah, fand ich, dass es nicht die Cinchona
longifolia war, von welcher das Chinin in den Handel
kommt, aber aus Namen und Eigenschaft der Rinde
erkannte ich, dass es ein verwandter Baum sein
müsse. Die dicke weiche Rinde, der Wurzel wird
von den Eingebornen gebraucht; die Portugiesen
nehmen die Rinde des Baumes selbst. Ich wandte
sogleich ein Decoct der Wurzelrinde an, und dies
that so gute Wirkungen, dass meine Leute solche
Rinde sammelten und in kleinen Säcken für die
Heimkehr auf bewahrten .... Es giebt auch noch
andere Pflanzen, welche die Einwohner bei Fieber¬
krankheiten anwenden; einige von ihnen bringen
in kurzer Zeit zum Schwitzen. Es ist gewiss, dass
wir die Kenntniss der stärksten Fiebermittel in
unsern Pharmakopöen den Eingeborenen fremder
Länder verdanken. Für Cholera und einige andere
Krankheiten haben wir kein Mittel. Es wäre der
Aufmerksamkeit derjenigen, welche Afrika bereisen,
werth, nach andern Mitteln zu suchen, die vielleicht
auf ähnliche Weise gefunden werden können wie
wir das Chinin fanden.“
An anderer Stelle schreibt er, nachdem er die
Wirkung des Bisses der Tsetsefliege geschildert,
(die bekanntlich die Rinderzucht in den von ihr
bewohnten Distrikten Afrikas ganz unmöglich macht):
„Ein Häuptling, der vor einer Reihe von Jahren
gestorben war, glaubte, er habe ein Heilmittel für
das von der Tsetse gebissene Vieh entdeckt; sein
Sohn Moyara zeigte uns eine Pflanze, die für unsern
Botaniker eine neue war, und sagte uns auch, wie
die Arznei bereitet werde. Die Rinde der Wurzel
und, was wohl unsern homöopathischen Freunden
gefallen wird, ein Dutzend Tsetsen werden getrocknet
und zu einem feinen Pulver zusammengerieben.
Diese Mixtor wird innerlich angewandt und das
Vieh geräuchert, indem man nnter ihm den Rest
der gesammelten Pflanze verbrennt. Die Behand¬
lung muss wochenlang fortgesetzt werden, so lange
die Symptome der Vergiftung sich zeigen“ (Neue
Reisen Band I, S. 257).
In der Beschreibung seiner „letzte Reise in
Centralafrika“ findet sich Band II, S. 46/50 folgende
einschlägige Notiz: „Regen und hohes nasses Gras
auf unserm Wege (im Lande der Manyuema am
oberen Congo) durchnässte uns und brachte im
Verein mit dem Genuss von schlechtem Wasser
choleraartige Symptome hervor; Mohamad (sein
Begleiter) gab Opium dagegen, aber ohne Erfolg....
Mir wurde Rast und Obdach zu Theil, alles Wasser,
dessen ich bedurfte, ward abgekocht und vor Allem
erhielt ich eine neue Kartoffelart, Nyumbo genannt,
welche unter den Eingebornen als vorzügliches
Heilmittel gegen die Cholera berühmt ist und auch
auf mich ihre gute Wirkung übte. Katomba (der
Häuptling) versah mich reichlich mit Nyumbo, die,
abgesehen von einem leichten Arzneigeschmack, der
sich aber verliert, wenn man beim Kochen das erste
Wasser weggiesst und sie im zweiten Aufguss gar
kocht, völlig der englischen Kartoffel gleicht.“
Zum Schlüsse führe ich noch eine Bemerkung
an aus Stanley („Durch den dunklen Welttheil“,
Band II, S. 401 u. folgd.): „In dieser Periode
unserer Reise (an den Mowa-Fällen des unteren
Congo) waren wir überhaupt allen Erkrankungen
sehr ausgesetzt; ausser Frank (dem einzigen Europäer
neben Stanley) litten noch 13 Personen an eiternden
Geschwüren, an Ruhr und allgemeiner Schwäche....
Mittlerweile ging ich mit Uledi im Walde herum
und besah mir das prächtige Bauholz: Eine herr¬
liche Tamarindus indica mit grossartiger Krone,
sich weithin und dicht mit ihren Aesten ausbreitend,
2,75 Meter Umfang; verschiedene Arten Rubiacun
und Sterculiacun, Anacardium occidentale, Colanuss¬
baum, wilder Mangobaum, latropha curcas, Euphorbia
antiquorum, ferner mancherlei Arten von Farm¬
kräutern und Aloös, und wilde Ananaspflanzen auf
den mit Felsstücken überstreuten Abhängen.“
Der Vergleich der Wirkungsweise dieser Tropen-
gewäcbse mit den Symptomen der betr. endemischen
Erkrankungen spricht offenbar zu Gunsten meiner
Hypothese und man wird mir wohl zugeben, dass
derselben ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit
nicht abzusprechen ist.
Digitized by CjOOQie
121
Ein Rückblick anf die Controverse
„Simiiibus an suggestis?“
Nebst kritischen Bemerkungen von Dr. med. Julius
Fuchs-München.
I.
Nicht gegen den Suggestionismus im Allgemeinen
kämpfe ich, nicht gegen dessen theoretische Grund¬
lagen, nicht gegen dessen Forschungsraethoden und
praktische Erfolge, sondern ich bestreite vor Allem,
gegen Dr. Gerster gewendet, die Unterstellung,
dass die Homöopathen die Suggestion ab¬
sichtlich und aus Grundsatz anwenden, um
jene ihnen zugestandenen Heilerfolge zu erzielen, die
ihre Gegner sich aus dem Aehnlichkeitsgesetz nicht
wollen erklären lassen. Ueber «Autosuggestion*
und «unbeabsichtigte Allosuggestion 11 lässt
sich kaum eine erfolgreiche Discussion eröffnen, da
diese Zustände dem Willen nicht unterliegen und
wohl unter allen denkbaren irdischen Verhältnissen
in ganz gleicher Weise Vorkommen. Aber, die
Möglichkeit der beiden letzten Arten von Suggestion
innerhalb der Homöopathie zugegeben, bestreite ich
dennoch, dass ohne deren Vorhandensein die Wirkung
des richtig gewählten homöopathischen Mittels aus-
bleiben würde, und gebe nie und nimmer zu, dass
sich schliesslich das ganze Aehnlichkeitsgesetz als
eine Suggestionsvorstellung entpuppt und die homöo¬
pathischen Aerzte sich im frischgeschliffenen Wunder¬
spiegel des Suggestionismus als einseilige Schwach¬
köpfe oder als betrogene Betrüger erblicken. —
Dr. Gerster wird mir natürlich wieder mit Emphase
entgegen halten: «Wann und wo habe ich denn
das behauptet?“ Nur Geduld. An einer späteren
Stelle dieser Abhandlung werde ich seine Aeusserungen
wörtlich reproduciren und kann es dann getrost dem
Urtheile der Leser überlassen, ob ich übertreibe,
wenn ich behaupte, «das (Jrtheil Dr. Gerster's
über Homöopathie will bedeuten eine Ver¬
nichtung der Homöopathie von ihren Grund¬
festen aus und einen Triumph des modernen
Suggestionismus. 11 Zum mindesten hat Dr. G.
nicht dafür gesorgt, dass sich bei den Lesern nicht
logische Schlussfolgerungen bilden konnten, die dem
vorhin Behaupteten gleichkommen. — Mir erscheint
die Homöopathie unter dem Gesichtspunkt G.’s als
eine lächerliche Farce. Nun wirft mir freilich
Dr. G. Unkenntniss der einschlägigen Thatsachen
vor. — Wohlan 1 Ich grabe die Streitaxt wieder
aus nach langer Waffenpause! —
Wenn ich mich im Geiste in die Zeit vor un¬
gefähr 12 Jahren zurückversetze, wo sich der dänische
Magnetiseur Hansen zuerst in Deutschland mit seinen
hypnotischen und Suggestionsexperimenten produ-
cirte, und wo allenthalben von Gelehrten und Un¬
gelehrten eine wilde Hetze auf diesen jetzt so ver¬
dienstvoll dastehenden Mann losgelassen wurde;
wenn ich zurückdenke, wie ich damals in München
vielleicht der einzige Arzt war, welcher positiv für
die Wahrheit, Echtheit und Wirklichkeit derHansen’-
schen Thatsachen eintrat, weil ich eben damals
schon die ältere einschlägige, von den meisten
Anderen unbeachtete Literatur kannte; wenn ich
als Augenzeuge zurückblicke auf die rasche und
grossartige Umwälzung, welche durch Nachprüfung
der Hansen’schen Experimente und durch das Studium
ihrer Ursachen von den hervorragendsten Physio¬
logen und Nervenpathologen aller Länder, besonders
Deutschlands und Frankreichs, auf dem Gebiete der
Psychologie erzielt wurde, wenn ich das Alles mir
vor das geistige Auge zurückrufe: so staune ich
mit Recht über einen Gegner, der mir ungenügende
theoretische und praktische Beschäftigung mit der
Suggestionslehre zum Vorwurfe macht. Freilich
aus dem Gesagten erhellt ja meine hinreichende
Unterweisung in diesem Gegenstand bei Weitem
noch nicht; wenn ich beifüge, dass ich gerade von
Hansen, dem zweiten Vater des thierischen Magne¬
tismus, hunderte von gelungenen Experimenten
sowohl damals 1880 als auch heuer, wo derselbe
die Lehren der Gall’schen Phrenologie in ausser¬
ordentlich überzeugender Weise demonstrirte, aus
dem Gebiete des Hypnotismus und Suggestionismus
gesehen, so wird das Herrn Dr. Gerster noch nicht
genügen. Ich muss ihm auch noch sagen, dass
ich die ersten der damals über diesen Gegenstand
erschienenen Schriften mit Begierde verschlungen
habe; so: «die Metalloscopie und Metallo-
therapie von Dr. Franz Müller, Wien 1879;
diepsychologischeUrsache der hypnotischen
Erscheinungen von G. H. Schneider, Leipzig
1880; der sogenannte thierische Magnetismus
von Heidenhain, Leipzig 1880; hypnotische
Zustände und ihre Genese von Berger 1880;
der sogenannte animalische Magnetismus
oder Hypnotismus von Dr. Chr. Bäumler,
Leipzig 1881; der thierische Magnetismus
(Hypnotismus und seine Genese) von Joh.
G. Sallis, Leipzig 1887; Hypnotismus und
Wunder von Max Steigenberger, Augsburg
1888“; ferner: Ueber Telepathie von Dr. J.
Wollny, Leipzig 1888; über hypnotische
Suggestionen, deren Wesen, deren klinische
und strafrechtliche Bedeutung von J.G. Sallis,
Berlin-Neuwied 1888; über die Ziele und
Ergebnisse der experimentellen Psychologie
von Dr. Götz Martins, Bonn 1888; über
hysterische Schlafzustände, deren Bezieh¬
ungen zur Hypnose und zur grande hysterie
von Dr. Löwenfeld, München 1891; die
Geisterhypothese des Spiritismus und seine
Phantome vonE. von Hartmann, Leipzig 1891;
16
Digitized by
Google
122
Psyohometrie von Ludwig Deinbard, Braun¬
schweig 1891. Wenn ich versichere, dass ich
die Werke MesBner’B, Hahnemann’s, Reichen¬
bach* s, J. Kerner’8 damals schon längst kannte,
dass ich diejenigen Du Preis, v. Gerhardts und
eine Menge spiritistischer Schriften, welche mit
jenen Thatsachen in ideellem Zusammenhänge stehen,
kennen lernte und gelesen habe wie z. B. Cumber-
land, Simony, Heilenbach, „Enthüllungen eines
Eingeweihten“, dann die sehr interessante „Er¬
klärung des Gedankenlesens von W. Preyer,
Professor der Physiologie an der Universität
Jena, Leipzig 1886", so dürfte das Herrn Dr.
Gerster doch genügen, um für meine Person bei
Besprechung des Themas „Suggestionismus" etwas
Mehr als vollständige Unkenntniss vorauszusetzen.
Vielleicht erfreut ihn die Erinnerung an Bernheim,
Braid, Burg, Charcot, Forel, Liebeaalt, Magnan,
Vigouroux, Westphal, Wilks, nicht zu gedenken
aller derer, von denen diese hier Genannten der
Zahl nach nur ein kleiner Bruchtheil sind. Ich
hoffe, man wird es mir erlassen, meine Kenntniss
der antiken Tempelgeheimnisse, soweit sie erforscht
sind, mein Vertrautsein mit den hervorragendsten
Vertretern der mystischen Richtung im Mittelalter:
Paracelsus, van Helmont, R. Fludd, Maxwell u. a.
zu beweisen, und man wird von mir nicht verlangen,
dass ich eine „Geschichte der harmonischen Gesell¬
schaften seit Puysägur bis zum Ausgang des
18. Jahrhunderts" schreibe, um mich endlich für
befähigt zu halten, über das Thema des Suggestionis¬
mus ein Wort mitzureden. Was ist also dieser
Suggestionismus und was hat er mit der
Homöopathie zu thun?
Nach meiner eigenen Auffassung kennzeichnet
sich die „absichtliche Allosuggestion mit oder
ohne Hypnose* als eine Ueberwältigung und Ge-
fangennehmung eines menschlichen Geistes durch
einen andern, der jenem an Kraft und Ausdauer
überlegen ist durch ausserhalb der reinen Verbal-
Logik liegende Mittel. Die Autosuggestion erregt
gewisse Gehirncentren zu Ungunsten anderer Centren,
die sie lähmt oder umgekehrt. „Hypnose" ist
auf irgend eine Weise herbeigeführter Schlafzwang;
während dessen Vorhandenseins können Allosug¬
gestionen am leichtesten beigebracht werden, ob¬
wohl dies mitunter auch in ganz wachem Zustand
gelingt, zuweilen treten mit und ohne Absicht
posthypnotische Erscheinungen ein. Die ganze Lehre
heisst man Suggestionismus.
Ein Hauptvertreter dieser Richtung, Dr. A.
Freiherr von Schrenck-Notzing, sagt in seinem neuen
Werke „die Suggestionstherapie bei krank¬
haften Erscheinungendes Geschlechts sinn es"
Stuttgart 1892 darüber Folgendes: „Durch die
Suggestion, insbesondere durch ihre Anwendung im
hypnotischen Zustande ist uns die Möglichkeit ge¬
boten, die Abweichungen des Trieblebens auf ihrem
eigenen Gebiete zu corrigiren. —
Die genannten Erscheinungen lassen sich auch
auffassen als Zwangsempfindungen und Zwangs¬
vorstellungen, welche entweder als reine Autosug¬
gestion auftreten, oder in organischen Bedingungen
wurzeln. Die durch Suggestion dem Gehirn
von anderen inducirten Vorstellungs-Reize
sind gewissermassen Zwangsvorstellungen
im statu nascendi, welche mit Hilfe des Gesetzes
der ideomotorischen und ideodynamischen Reflex¬
übertragung bei individuell angepasster richtiger
Redaction, bei erforderlichen Falls cumulativer An¬
wendung in zahlreichen Sitzungen allmählig un¬
widerstehliche Gewalt über das Wesen der Patienten
erlangen und so schliesslich zu autosuggestiven
Direktiven ihres Handelns werden. Wir sind hier^
nach im Stande, krankhafte Stimmungen, Affecte,
Gefühle, Triebe, Vorstellungen mitunter selbst
Sinnestäuschungen abzusuggeriren. Die suggestive
Einwirkung findet jedoch ihre bestimmte Grenze
an ererbten in organischen Bedingungen wurzelnden
Anlagen oder Dispositionen des Gehirns und ebenso
an „besonders tief im psychischen Mechanismus
fundirten Phänomenen" (v. Krafft-Ebing). Ich (der
Verfasser) glaube, diese beiden Definitionen dürften
jeden Leser überzeugen, dass die Homöopathie zu¬
nächst Nichts mit dem Suggestionismus zu thun
hat, dass sie aber, die obige Definition Schrenck-
Notzing's als gütig angenommen, ganz wohl in der
Lage wäre, den Erfolg der Suggestion auf das
Aehnlichkeitsprincip zurückzuführen. Wir haben
das indess nicht nöthig und wollen uns hier lieber
mit der Prüfung der Behauptung der Gefähr¬
lichkeit der Hypnose und Suggestion be¬
schäftigen, die ich in meinem letzten Aufsatz betont
habe, was Dr. G. sehr lächerlich zu machen sucht.
Nun, er hat seine Gewährsmänner und ich die
meinigen. Für ihn spricht Grossmann sogar von
einem „Märchen der Gefährlichkeit"; auch Hansen
hält die Anwendung von 8uggestionismus und
Hypnose für unbedenklich (sehr pro domo); die
übrigen Autoren sagen: „Der mit richtiger Indivi-
dualisirungzu therapeutischen Zwecken angewendete
Hypnotismus ist ohne jeden Nachtheil." Diese
strengen Bedingungen scheinen mir schon jene Be¬
denken in sich zu schliessen, die ich früher ge-
äussert habe, dass es wohl nicht immer möglich
(moralisch möglich!) sein wird, die Suggestion auf
den Heilbefehl zu beschränken. Ueber die Ge¬
fahren des Hypnotismus schreibt nur Minde
in seinem Buche über Hypnotismus ein
ernstes Wort. Wenn ich dazufüge, was Krafft-
Ebing in seinem Lehrbuch der Psychiatrie Stutt¬
gart 1888 über Zwangsvorstellungen sagt, so kann
ich mich über die Ungefährlichkeit der Suggestion
doch nicht so ganz beruhigen, v. Krafft-Ebing
Digitized by
Google
123
nennt (Seite 68 s. W.) die Zwangsvorstellungen
„spontane primäre Schöpfungen eines abnorm orga-
nisirten oder eines erkrankten Gehirns, unmittelbare
Erzeugnisse aus der Mechanik des unbewussten
Geisteslebens heraus, wie solche die Mehrzahl der
Hallucinationen auf psychosensoriellem Gebiet dar¬
stellt/ Wenn von Krafft-Ebing hier auch nur
die idiopathischen Zwangsvorstellungen im Auge
hat, so wirft seine Erklärung doch ein eigenthüm-
liches Licht auf den geistigen Untergrund deijenigen,
die suggestiv zugänglich sind. Auch aus einer
anderen Aeusserung v. Krafft-Ebing’s (Seite 524)
lässt sich für meine Meinung ein Beleg construiren,
wenn wir für spontane und artificielle Zwangs¬
vorstellungen die gleichen Voraussetzungen in Bezug
auf Gehirnmechanik substituiren. Hier sagt er:
„— ein neuer fixer lästiger, quälender Gedanken¬
kreis tritt an die Stelle des verschwundenen. Dies
ist um so mehr zu befürchten, als der durch das
Zwangsvorstellen erzeugte reactive emotive Zustand
die Hemmungsfähigkeit der Willens- und der
Associationsleistung herabsetzt, überhaupt der durch
den Anfall hervorgerufene Excess von Hirnarbeit
das Denkorgan temporär noch mehr in den Zustand
der Neurasthenie, der reizbaren Schwäche versetzt.* —
Die Suggestionisten behaupten freilich, das seien
lauter irrige Vorstellungen, sie könnten ja sogar
vollständiges Wohlbefinden nach der Narcose (»post¬
hypnotische Suggestion*) suggeriren.
Hören wir eine Autorität darüber. Dr. med.
Prof. Cbr. Bäumler sagt in seinem Buche über den
Hypnotismus Seite 66 Folgendes: „Ich glaube, wir
leisten chronisch Nervenleidenden, nachdem wir
Alles gethan haben, was ihr körperliches Wohl er¬
heischt, einen bessern Dienst und zeigen, sofern
ihre Einsicht und ihr geistiger Zustand sie einer
derartigen Ueberlegung überhaupt zugänglich macht,
mehr Achtung vor ihrer Persönlichkeit, wenn wir
sie in geeigneter Weise auffordern, ihre Willens¬
kraft anzustrengen, durch eine Thätigkeit sich ein
Object des Interesses zu schaffen, als wenn wir,
ohne dass ganz bestimmte Krankheitssymptome
einen Versuch mit Hypnotismus rechtfertigen, auf
dem Umweg einer sogenannten „magnetischen* Cur
eine Besserung oder Heilung zu erreichen suchten,
selbst wenn sie auf diesem Weg zu erreichen
wäre. Denn in ersterem Falle haben wir als einen
sehr wirksamen Bundesgenossen bei unseren Heil¬
bestrebungen den bewussten Willen der Kranken,
weichet durch die Uehung allmählig erstarkt; in
letzterem würden wir, selbst wenn in Zukunft die
phrenohypnotischen Hoffnungen Braids sich erfüllen
sollten, wenn es gelänge, die Methode so auszubilden,
dass der Arzt auf der Claviatur der Seele seines
hypnotisirten Patienten spielen könnte, wie auf einem
Instrument, der wichtigen Wirkung, welche be¬
wusstes Empfinden und Handeln begleiten, nämlich
die Erregungen viel fester, und als ein auch für
die Zukunft stets verwerthbares Material, dem
Gedächtniss einzuprägen, entrathen müssen. Wie
es aber bei der Erziehung Gesunder ein Hauptziel
sein muss, vor Allem Selbstständigkeit zu entwickeln,
so müssen wir auch Nervenleidende möglichst wieder
auf ihre eigenen Füsse zu stellen und die normale,
den äusseren Verhältnissen entsprechende Regulation
ihrer Empfindungen und Bestrebungen wieder in
ihre eigene Seele zu verlegen suchen.*
Ich überlasse das Herrn Dr. Gerster zur gütigen
Betrachtung.
Ueber die Technik der Hypnose kann ich
mich hier nicht verbreiten, nur so viel, dass alle
monotonen Sinnesreize Hypnose erzeugen können.
Die Suggestion ist natürlich eine verbale,
auch symbolische und zuweilen, wie einige be¬
haupten, rein mentale. Letztere ist ungenügend
bewiesen.
Ich (der Verfasser) für meinen Theil glaube
daran auf Grund unabsichtlicher persönlicher Er¬
fahrungen.
Der hypnotische Zustand selbst wird von
den Forschern in verschiedene Stadien eingetheilt.
Am bequemsten ist es, mit Forel 3 solche anzu¬
nehmen :
1. Somnolenz — der Beeinflusste leistet noch
leichten Widerstand.
2. Hypotaxis. — Die Suggestion wirkt. Ge¬
dächtnis intact.
3. Somnambulismus. — Gedächtniss erlischt.
Das Vorstellungsvermögen reagirt lebhaft auf
jede Suggestion.
Nach dem 2. und 3. Grad kommen post¬
hypnotische Erscheinungen mit und ohne Ab¬
sicht von Seite des Hypnotiseurs vor. Unabsicht¬
liche lassen sich durch rechtzeitiges Verbot in der
Hypnose verhindern.
Die „internationale Empfänglichkeit* für
Hypnose und Suggestion stellt sich so:
Refractär 6 °/ 0
Somnolenz 29%
Hypotaxis 49%
Somnambul 15%
(v. Schrenck-Notzing.)
Nach alle dem wird Niemand behaupten können,
dass er jemals in der Sprechstunde oder heim Be¬
such eines homöopathischen Arztes solche Zustände
sich vorführen sah, künstlich zu dem Zwecke her¬
vorgerufen, um einer unter dem Deckmantel der
Homöopathie verabreichten Arznei erst die richtige
Wirkung gegen irgend ein Leiden zu verschaffen.
Was sollte denn da das Studium der Arzneimittel¬
lehre noch für einen Sinn haben, oder gar eine
Arzneiprüfung von der Sorgfalt, wie es die homöo¬
pathischen sind? Wohin kommt da das Similegesetz
16 *
für München:
12,08%
17,50%
41,67%
28,75 o/ 0
Digitized by
Google
124
und die ganze Homöopathie, wenn wir Suggestion
brauchen? Ich glaube es auch nicht, dass inan sie
braucht, um ein glücklicher, erfolgreicher Homöopath
zu sein. In einer 17jährigen homöop. Praxis habe
ich mich (abgesehen von den mir schon längst be¬
kannten Erfolgen meines Vaters und Anderer) von
der Vorzüglichkeit dieser „Methode“, von der Wahr¬
heit und Fruchtbarkeit ihrer Grundsätze so sehr
überzeugt, dass ich nicht so leicht dazu gebracht
werden kann, die Freundschaft mit der Homöopathie
aufzugeben und mich dem Suggestionisraus in die
Arme zu werfen. Herr Dr. G. wird es vielleicht
jetzt begreiflich finden, dass ich mich immer noch
ablehnend gegen die Zumuthung verhalte, dass ohne
Suggestion keine Therapie, in specie keine Homöo¬
pathie mehr möglich sei und dass die bisherige
Homöopathie bewusst oder unbewusst auch nur auf
Suggestionismus beruht habe. Meine Gründe sind
folgende:
1. Sehe ich in dem modernen Suggestionismus
überhaupt nichts Neues, sondern nur zielbewusste
therapeutische Verwerthung längst gekannter Er¬
scheinungen des sicher uralten „thierischen Magne¬
tismus“, der in Frankreich beim Beginn der grossen
Revolution seine Blüthezeit hinter sich hatte, in
Deutschland aber hauptsächlich noch nach den
Befreiungskriegen florirte. Nur an dem Namen
»Suggestion“ haftet der Reiz der Neuheit.
2. Gerade in jene Zeit (Ende des vorigen Jahr¬
hunderts) fällt die Entdeckung der Homöopathie.
Sie wurde ganz unabhängig von allen Mesmerischen
Erfahrungen gefunden, erweckte auch ein Special¬
interesse für sich, zeitigte ihre eigene Literatur
und wurde niemals mit dem Mesmerismus identi-
ficirt. Hahnemann hat seine originelle Anschauung
über Mesmerismus auf einer einzigen Seite seines
„Organon“ ausgedrückt. —
3. Die Leistungen des Snggestionismus, wie sie
von Dr. G. aufgezählt werden, können vielleicht die
Bewunderung von Laien, von allopathischen Aerzten
und Anhängern aller möglichen Systeme finden; die
der Homöopathen wird sehr mässig sein; denn das
Alles können wir selbst und zwar schon lange;
wenn auch durch andere Mittel.
4. Von jeher haben alle homöopathischen Aerzte
die Wirkung der homöopathischen Arzneien für
eine pharmakodynamische und nicht für eine
suggestive gehalten. Nur Wenige vertreten die
Ansicht, dass beim Potenziren eine Magnetisirung
der Arznei eintrete — eine ganz unhaltbare An¬
schauung, die übrigens gar nicht hierher gehört.
5. Ist es merkwürdig, dass Dr. G. uns drei
Homöopathen Dr. Pfänder, Dr. Lorbacher und mir
Unkenntni8S des Gegenstandes vorwirft, nachdem er
ja seine ganze Abhandlung nur deshalb geschrieben
hat, um den Homöopathen „den Floh ins Ohr zu
setzen“, die Homöopathen wirkten durch Suggestion.
Braucht man also dazu keine Kenntnisse? Geht
das bei uns ganz von selbst? — Das ist eine billige
Art der Discussion, aber auch eine — unbillige,
besonders wenn die Wahrscheinlichkeit gegen die
Unterstellung spricht. Ich bin überzeugt, dass so
erfahrene Aerzte wie die Herren Dr. Pf. und Dr. L.
mit der Hauptliteratur des Magnetismus vertraut
sind und sich vielleicht nur durch den neuen Namen
»Suggestion“ verblenden liessen, ihre eigenen Kennt¬
nisse auf diesem Gebiete nicht ausgiebiger zu ver-
werthen im Kampfe um die Reinheit der Homöo¬
pathie.
6. Möge Herr Dr. G. die Güte haben, in Bd. 124
No. 11 und 12 dieser Zeitung Seite 88 den für
ihn vielleicht interessanten Aufsatz des Herrn Dr.
Gallavardin in Lyon nachzulesen über „das Ver¬
ordnen homöopathischer Arzneien in Speise und
Trank“. Hier kann er seine ungläubige Seele über¬
zeugen, dass die Homöopathie an und für sich mit
Suggestionismus nichts zu thun hat.
7. Muss ich wieder auf die Gefahren der Sug¬
gestion zurückkommen, worüber ich die bisherigen
Erfahrungen noch nicht für gegenbeweisend genug
erachte. Man sehe zu, was die „populäre* Suggestion
schon für Früchte gezeitigt hat; so wird man die
Bedrohung der Willensfreiheit nicht mehr mit Herrn
Dr. G. für einen „beliebten Wauwau* halten.
Bäumler sagt Seite 66 s. W.: „Gerade das
aber, was die frühere sogenannte „magnetische Be¬
handlungsmethode“ begünstigt und zur Folge gehabt
hat, dass die unglücklichen nervenschwachen Ge¬
schöpfe, welche allmählig immer tiefer in die Bande
ihrer abnormen Gehirntbätigkeit verstrickt wurden,
in einen Zustand jahrelanger, kläglicher, wenn auch
meist selbst gewollter Abhängigkeit von „ihrem
Magnetiseur“ geriethen, so dass nur dieser auf sie
einen Einfluss ausüben konnte, müssen wir zu ver¬
meiden suchen.“
Herr Dr. G. ersieht hieraus, dass man „dem
Wesen der Suggestivtherapie sehr nahe getreten
sein“ und doch an einen „suggestiven Rapport“
glauben kann. Dazu gesellt sich meine eigene
Erfahrung. Schon vor ungefähr 3 Jahren habe
ich mich in Gegenwart dreier Zeugen mittelst
Krystallfixirung selbst erfolgreich hypnotisirt. Nach
ungefähr 10 Minuten begann ein kurzes, hastiges
immer mehr beschleunigtes Athmen, krampfhaftes
Blinzeln der zum Schluss neigenden Augenlider;
mimische Gesichtskrämpfe traten ein; Leichenblässe
des Gesichts und der Hände, kalter Schweiss, Eis¬
kälte aller Prominenzen, gänzlicher Vorstellungs¬
mangel, gänzlicher Verlust des eigenen Willens,
vollständiges Gefühl eigener Hülflosigkeit erzeugten
in mir ein lebhaftes Verlangen nach der Einwirkung
eines fremden Willens auf mich. Durch Anrufen
und Anblasen wurde ich aufgeweckt und war er¬
staunt über den Ausdruck des Entsetzens, den ich
Digitized by v^ooQle
125
auf den Gesichtern meiner Zuschauer lagern sah;
ich werde es nie vergessen. Leider wurden durch
diesen Schrecken der Umgebung über mein Aus¬
sehen und meinen Zustand alle weiteren hypnotischen
Experimente, welche meinem damaligen Gefühl nach
unbedingt gelungen wären, verhindert. In den
2 darauffolgenden Nächten schlief ich je 12 bis
14 Stunden, auch unter Tags hatte ich viel Schlaf.
Sonst keinen Nachtheil. C. Hansen sagte mir, dass
solche Selbsthypnosen häufig unangenehm wirken.
Bei Fremdhypnosen komme das nicht leicht vor.
So viel weiss ich, dass die Homöopathen schlimm
daran wären, wenn je einem von ihnen in der
Praxis bei Patienten so etwas begegnete, während
er nur eine Ä Heilsuggestion* zu appliciren suchte. —
Ueberhaupt liegt der Homöopathie jedes den
beabsichtigten Suggestionismus kennzeichnende Mittel
ferne; wo die Natur ihr selbst zu Hülfe kommt und
Autosuggestionen erzeugt, kann sie doch nicht als
Plagiatorin verantwortlich gemacht werden; denn
das grössere Vertrauen, das sie angeblich geniesst,
hat sie sich jedenfalls rechtlich erworben und ver¬
dient es. Aber sie ist in keiner Weise ab¬
hängig vom Suggestionismus, sondern eine
selbstständige Wissenschaft, die nach eige¬
nen Principien handelt, welche auf der Ent¬
deckung der specifischen Relation zwischen
den erkrankten Geweben und den aus den
3 Naturreichen stammenden Stoffen basiren.
(Schluss folgt.)
Die zeitweilig herrschenden
Heilmittel.
Dierkes-Paderborn hat wieder Laches. (Cupr.
Nux vom.) -f- Chin. (W.) bei gleichzeitigem Er¬
griffensein der Leber, Galle, Milz und Nieren mit
den daraus resultirenden Folgezuständen.
Leeser-Bonn hatte vom 20.—23./9. vorherrschend
= Calcar. carb. (Jod -(- Thry.), vom 24. ab KaL
bichromic., seit dem 29. = Veratr. alb. (Ac. phosph.
+ Ignat.) (W.).
Schwarz-Baden-Baden fand von Ende Aug. bis
Mitte Sept. bei cholerineartigen Erkrankungen be¬
sonders bei Kindern Ipecac. am 13. und 14./9. Op.,
= Veratr. (Ac. phosph. -f- Ignat) und = Chelidon.
(Ac. nitr. Bell.); dann einige Tage lang bei
schwülem, gewittrigem Wetter bei Durchfällen
Ipecac.; vom 22.—24./9. = Plumb. (Oupr. -f-
Cham.); vom 25.—27./9. = Chelidon. (Ac. nitr. -j-
Bell.): acute Rachenkatarrhe, Rheumatismus des
Nackens; am 28./9. daneben = Plumb. (Alles
nach W.).
Kirn-Pforzheim berichtet am 29./9. von ziemlich
häufigen Leberaffectionen, bei denen Card. mar. (H.)
bessere Dienste leistet als Cheli (H.).
Ich-hier hatte vorwiegend vom 20.—25./9.
= Laches. (Baryt, carb. Tarax.); vom 26./9.
bis 1./10. vorwiegend = Arnica (Ac. muriat. -f-
Laches.), daneben mehrfach Combinationen von
Baryt, carb. + Beilad., Lactuc. vir., Led. pal.
Millefol., Sabadill., Tone.; am 2./10. vorwiegend
Led. pal. -f- Baryt, carb. (= Silic.) und -f- Natr.
mur. (= Tartar, stib.); vom 3.—5./10. wieder
Laches. (Baryt, carb. -(- Tarax.); heute vor¬
wiegend = Mercur. (Baryt, carb. -f- Bell.) (Alles
nach W.).
Buob-Freudenstadt hatte am 29-/9. noch Magen-
Darmkatarrhe mit Leber- auch Herzaffectionen: da¬
bei Hauptmittel Natr. carb. -(- Jod (W.) vereinzelt
auch Natr. sulf. und Mercur.
Sigmundt-Spaichingen berichtet am 1./10. von
niederem Krankenstand. Ein epidemisches Mittel
hat er deshalb nicht.
Hafa-Herrnhut hat fast nur chronische Krank¬
heiten vorwiegend mit Ac. nitr. oder Baryt, carb. -f-
Sabin. oder -f- Tabac. oder -(- Con., in den letzten
Tagen auch -f- Stramon. (W.).
Stuttgart, den 6. October 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Referate.
Dr. J. Fröhlich, K. S. Stabsarzt: Das natürliche
Zweckmässigkeitsprincip in der Pathologie und
Therapie {Grundlage und Ziel der Therapie vom
teleologischen Standpunkt). Berlin und Leipzig,
Louis Heuser, 1892, 152 S. 8. 3 M.
Ueberall gäbrt es in den eigenen Reihen der
Allöopathen, und wo immer man die Scholastik
mit den Hülfsmitteln der Logik, der Erfahrung, ja
des gesunden Menschenverstandes packt, da erweist
sie sich als morsch und untüchtig. Das beweist
wieder aufs Neue das vorgenannte Werk. Der
Verfasser war selbst früher Mitredacteur einer der
bedeutendsten allöopath. Zeitschriften und wenn er
nun hier in hübscher und wissenschaftlicher Weise
den Kampf schildert, den auch jeder homöopath.
Arzt mein: oder minder siegreich bestanden haben
muss, ehe er sich von der Unzulänglichkeit der
scholastischen Therapie zu überzeugen vermochte,
und die Gründe für seine wissenschaftliche Apostasie
angiebt, so kann uds dies nur sympathisch berühren.
Die Homöopathie erwähnt er in seinem Buche zwar
nicht, jedenfalls nur aus dem Grunde, weil ihm
ihre Principien bei Abfassung seines Werkes un¬
bekannt waren, und die Resultate, zu denen er ge¬
langt, werden dem homöopath. Arzte nicht ganz
genügen, sie charakterisiren aber treffend die nächste
Zukunft der heutigen Allöopathie; der Verfasser
schiesst eben übers Ziel hinaus und kommt erst
zur Ruhe auf dem Boden des medikamentösen
Digitized by v^ooQle
126
Nihilismus in erneuerter Auflage, der Suggestions¬
therapie und der Naturheilmethode, welche letztere,
als ausschliessliche Therapie, voraussichtlich in
kürzester Frist wieder mit dem Ahwirthschaften
beginnen dürfte. Aus diesen Gründen vermag
Fröhlich nur wenig Positives für die Praxis zu
bieten — was er vielleicht auch nicht beabsichtigt
hat — anderseits sind die Gründe, welche ihm zur
Verurtheilung der antiphlogistischen, antipyretischen,
antibacillären, kurz aller ,Anti"behandlung8roethoden
Anlass geben, in einer durchaus sachlichen und
wissenschaftlichen Weise durchgeführt; besonders
die Kapitel über Wesen und Zweck der Entzündung,
des Fiebers, der Schweisssecretion, die Kritik der
verschiedenen Hypothesen über Immunität und
Disposition gegenüber den Infectionskrankheiten sind
ausserordentlich interessant, und die Grundsätze,
welche dem Verfasser zur Richtschnur dienten, dass
nämlich „ einerseits der menschliche Organismus ein
einheitliches Ganzes und stets auch dementsprechend
zu behandeln ist, und dass andererseits alle natür¬
lichen Vorgänge, die in ihm sich in gesetzmässiger
Weise vollziehen, für seine oder seiner Art Er¬
haltung auch von höchster Zweckmässigkeit sind“
kann der homöopath. Arzt nur unterschreiben, wie
er überhaupt das Buch mit jener Befriedigung aus
der Hand legen dürfte, welche die spontane Be¬
stätigung der eigenen Ueberzeugung seitens eines
in sonstiger Hinsicht Andersdenkenden zu gewähren
vermag.
Einen weiteren, nicht hoch genug zu veran¬
schlagenden Werth aber besitzt das Buch insofern,
als es vermöge seiner ganzen Schreibweise wie
kaum ein zweites geeignet sein dürfte, den allöo-
pathischen Arzt von der Nichtigkeit, ja Schädlich¬
keit seiner Behandlungsweise zu überzeugen und so
indirect der Homöopathie neue Anhänger zu ver¬
schaffen, wenn es nicht von den Hohenpriestern der
Scholastik — todtgeschwiegen wird. Dr. Schier.
„Homöopathie und Cholera “. Zur Beurtheilung,
Verhütung und erfolgreichen Behandlung der
Seuche. Von Emil Schlegel, Arzt in Tübingen.
Unter obigem Titel ist im Selbstverläge des
Verfassers ein kleines Sehriftchen erschienen, welches
durch seinen Inhalt sowohl wie speciell durch seine
praktischen Hinweise volle Berücksichtigung ver¬
dient. Nach einem historischen Ueberblick über
die homöopathische Behandlung der Cholera be¬
spricht Verf. auch die Wasserbehandlung derselben,
welcher er das Wort redet. Bezüglich der Genese
und Verbreitungsweise der Seuche steht er auf
dem Standpunkte Pettenhofer’s und verwirft dem¬
gemäss die speciell auf die bakteriologische Forschung
basirten Massnahmen gegen die Cholera. Verf.
will die Choleratransporte nach den Krankenhäusern
beseitigt, mindestens modificirt sehen, weil durch
sie der Allgemeinheit nichts genützt, den Kranken
aber durch Zeitversäumniss geschadet werde. Er
befürwortet die Einrichtung besonderer isolirbarer
Cholerazimmer in jedem Hause, wo ein Krankheits¬
fall eintritt oder wo man sich vorbereitet halten
will, und giebt deren Einrichtung genauer an. Zum
Schlüsse giebt Verfasser wohl zu beherzigende An¬
weisungen über die persönliche Prophylaxe, sowie
über die medikamentöse und diätetische Behandlung
der Cholerakranken. Zwei briefliche Mittheilungen
unseres Collegen Hesse in Hamburg an den Ver¬
fasser, welche die Richtigkeit der von Schlegel
entwickelten Gedanken bestätigen sollen, schliessen
die kleine Abhandlung. Dr. Stifft.
Die pharmaceutisehe Zeitung (Berlin) bringt in No. 79
vom 1. October 1892, 37. Jahrg. folgenden
Artikel.
Elberfeld. Unter der Begründung, dass in den
Kreisen der Anhänger der Homöopathie, welche
mindestens den achten Theil der Einwohnerschaft
Elberfelds darstellten, bei der Möglichkeit einer
Verschleppung der Cholera nicht geringe Aufregung
und Bewegung herrsche, weil die Homöopathen
fürchteten, im Falle der Erkrankung in die städtischen
Choleralazarethe gebracht und daselbst der allöo-
pathischen Behandlung unterworfen zu werden,
sowie unter Hinweis darauf, dass die Homöopathie
über eine Reihe von Arzneimitteln verfüge, deren
speciflsche Wirksamkeit bei Cholera sich stets be¬
währt habe und statistisch nachgewiesen sei, hatte
der hiesige homöopathische Verein und der Verein
zur Errichtung eines homöopathischen Kranken¬
hauses im Wupperthal an die hiesige Stadtverordneten¬
versammlung eine Eingabe gerichtet, in welcher um
Ermöglichung einer homöopathischen Behandlung
etwaiger Cholerakranker in den städtischen Kranken¬
anstalten gebeten wurde. Die Stadtverwaltung
hat darauf entschieden, dass den in das
Epidemiehaus aufgenommenen Kranken ge¬
stattet sei, sich auf Wunsch von einem in
Deutschland approbirten homöopathischen
Arzte behandeln zu lassen. (Köln. Ztg)
Steinmetz.
Lesefrüchte.
Beachtung verdient folgender Auszug der
„Excerpta medica“ in No. 6, 1892:
Ueber einige Fälle von ohne erneute Intoxication
recidivirenden Koliken und Lähmungen bei Blei¬
kranken berichtet M. Bernhardt. Die betreffenden
Personen hatten ihren Beruf, der sie mit Blei in
Berührung brachte, schon jahrelang aufgegeben und
Digitized by v^ooQie
127
erkrankten doch plötzlich wieder mit jenen Symp¬
tomen der Bleiintoxication. Jedenfalls wird ein
irgendwo noch aufgespeichertes Giftquantum durch
irgend welche sich unserer Erkenntuiss zur Zeit
noch entziehende Ursache in den Kreislauf gebracht
und gelangt so zu neuer Wirkung. (Deutsche Zeit¬
schrift f. Nervenheilkunde. Centralblatt f. d. med.
Wissensch. 1892. No. 4.)
Es ist dies ein gutes Beispiel för die Lehre
der Auf- und Entspeicherung von Stoffen im Körper,
wie sie Prof. Jäger erst in der Broschüre „Gleich
und Aähnlich“, dann in „Stoffwirkung in Lebewesen“
in Cap. C., M. und N. entwickelt.
(Aus „Excerpta medica“ No. 6, 1892.)
Bei 8 Fällen chronischer interstitieller N. sah
Le Cronier Lancoster urämische Hauteruptionen,
die zuerst unter der Form von hellrothen Maculae
und Papeln auf den Streckseiten der Hände, Unter¬
arme und Unterschenkel erschienen, von da sich
aber rasch über den ganzen Körper ausbreiteten,
indem sie sich innerhalb weniger Tage auf eine der
drei folgenden Arten veränderten: 1. Sie Hessen
allmählig nach, unter starker Abschuppung und
Hinterlassung verdickter bräunlicher Hautstellen.
2. Sie wurden ekzematös, unter Bildung von Krusten.
3. Die ekzematöse Form ging in Pustel- und Ab-
scessbildung über. — Bei allen drei Arten heftiges
Jucken und üble prognostische Bedeutung. Bei
7 Fällen innerhalb 5 Wochen nach Ausbruch der
Eruption Exitus letalis. (Clinical Society of London.
— Allg. med Central-Ztg. 1892. No. 10.)
Ein einfaches Becept zur äusseren Behandlung
der Rhagaden an der Brustwarze kommt in „Excerpta
medica“ No. 6, 1892:
Rhagaden der Mamma bestreicht Frank van
Allen mehrmals am Tage mit dem Weissen eines
Hühnereies; unter dem sich bildenden zarten Häut¬
chen geht die Heilung rasch von statten Appli¬
cation am besten nach dem Stillen. Das Eiweiss
lässt man gut trocken werden, ehe man die Brust
wieder bekleiden lässt. (The Lancet. — Allgem.
medic. Central-Ztg. 1891. No. 99.)
Ein neues diagnostisches Hülfsmittel ist die
Thermopalpation über die in „Excerpta medica“
No. 6, 1892 folgendermassen referirt ist:
Thermopalpation . Dr. M. Fritz (Frankfurt a M.)
gelang es, durch Abtastung der Temperaturunter¬
schiede der menschHchen Haut mit der blossen Hand,
ohne Apparate, ohne irgendwelche Vorbereitungen,
nicht nur die Grenzen gesunder Organe so genau
festzustellen, wie es durch Percussion möglich ist,
sondern auch bei Lungenerkrankungen sich über
Sitz und Ausdehnung genau zu orientiren. Die
Hautdecke über allen lufthaltigen Organen ist höher
temperirt, wie über luftleeren, also die Haut über
den Lungen ist wärmer, als die über dem Herzen
und der Leber befindliche, ebenso die über luft¬
haltigem Darm wärmer als die über Milz und Leber.
Die verschieden warmen Bezirke sind durch scharfe
und deutliche Grenzen von einander getrennt und
die Grössenveränderungen der Organe übertragen
sich auch prompt auf die thermischen Grenzen.
Der Autor verwendet die Fingerspitzen, die mit
leichtem Druck streichend über die Haut geführt
werden, event. die dorsalen Flächen der ersten und
zweiten Phalangen, und bei grösseren Flächen, z. B.
am Rücken, den ganzen Handteller. Im Anfang
rathsam, beide Hände zugleich zu verwenden, um
sich die Wahrnehmung zu erleichtern, z. B. bei
Bestimmung der Herzgrenzen vor dem Patienten
stehend mit der rechten Hand dessen linken Seite
und zugleich zur Controlle mit der linken Hand
dessen rechte Seite von oben nach unten zu über¬
streichen. Da das Kältegefühl momentan erscheint,
das Wärmegefühl aber langsam anschwillt, soll man
von den vermuthlich wärmeren Theilen nach den
kühleren streichen, also nicht von dem kühleren
Herzen aus die wärmeren Lungen palpiren, sondern
bei letzteren anfangen und so die Herzgrenzen be¬
stimmen! Auf diese Weise stellte Fritz genau die
Grenzen der Organe fest und fand bei Lungen-
affectionen, dass 1. Phthisis, selbst im Anfangs¬
stadium sicher durch die Th. nachgewiesen werden
kann, indem die über der infiltrirten Stelle liegende
Haut kühler erscheint; die Abkühlung ist ungemein
deutlich über Cavemen, leeren oder gefüllten, und
hier die Diagnose leicht; 2. bei Pleuritis mit frischen
Exsudaten, über welchen, da sie sich über den luft¬
haltigen Lungen befinden, die Abkühlung ebenfalls
sehr deutlich ist, wogegen die Höhe des Exsudates
festzustellen bisher noch nicht gelungen ist; 3. bei
Pneumonie die frisch entzündete Lunge wärmer,
wie die normale ist und erst recht wärmer, als die
im Stadium der grauen Hepatisation befindUche;
ist also bei Pneumonie im Bereich der Dämpfung
und des Bronchialathmens die Haut gleichmässig
kühl, so heisst das „die Entzündung ist zum Still¬
stand gekommen“; ist aber die Haut über einem
Theil des Dämpfungsgebietes wärmer, wie über
dem übrigen Theil, so bedeutet dies „die Ent¬
zündung schreitet noch fort.“ — Die Th. ist also
eine der Beachtung werthe Untetsuchungsmethude.
(Deutsche med. Wochenschr. 1892. No. 3.)
Göhrum.
Personalia.
Dr. med. Berlin hat sich als homöopathischer
Arzt in Liegnitz niedergelassen. —
Digitized by
Google
128
ANZEIGEN.
Im Verlage der Homöopathischen Central-Apotheke von Täschner & Co. ln Leipzig
(Thoinaskircbhof No. 12) erschien soeben:
Oie rate, wesentlich Yerielrte nid verbesserte, mit 31 AMdnigen versehene Auflage des bewährten nid beliebte! Buches:
Dr. Hübner’s illustrirter
Homöopathischer Haus-Thierarzt
oder
die homöopathische Behandlung und Verhütung der Krankheiten
der Pferde, Binder, Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde, Katzen und Edelkaninohen sowie des Geflügels
und der einheimischen und ausländischen StubenvögeL
Preis cart. 3 M., geb. 3,75 M.
Der Hübner'sche Thierarzt giebt die gewünschte Anleitung zur Erkennung und Behandlung der Krankheiten
der Hausthiere; er belehrt den Leser bei jeder einzelnen Thierart nicht nur über die Lebensäusserungen in gesundem
Zustande, sondern beschäftigt sich auch mit der Thierzucht und Pflege in eingehendster Weise. Er ist daher jedem
Viehbesitzer aufs Wärmste zu empfehlen.
Soeben ist erschienen und zum Versandt ge¬
kommen die 2« Lieferung von
Die vergleichende
Arzneiwirkungslehre
von
Dr. med. H. Gr088 und Prof. Dr. med. C. Hering.
Aus dem Englischen bearbeitet und berausgegeben
von
Sanitätsrath Dr. med. Faulwa88er, Bernburg a. S.
Complet In 8 Lfgn. h Mk. 2.50. Einbanddecke gratis.
flV Wer das Werk lieber im Ganzen complet
gebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen,
da später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt.
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Lieferung.
Jede Lieferung: 9 Druckbogen, 4°. Preis 2.50 Mk.
Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen
sind eine grosse Menge Bestellungen auf dieses Werk
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch
als ein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen
Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬
zeichnen, Bodass wir dessen Anschaffung nicht dringend
genug empfehlen können.
In Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptions-
preis thatsäcblich ein ausserordentlich niedriger zu
nennen.
Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei¬
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre
Anschauung empfohlen.
Leipzig, den 12. October 1892.
A. Marggraf’s homöopath. Offlcin.
Den Herren Aerzten empfehle sämmtllche
Artikel zur Krankenpflege:
Verbandstoffe, ärztliche und
sonstige Instrumente, Instrumenten¬
taschen u. Wundverband- Apotheken
in allen Grössen, in bester Qualität und zu
billigsten Preisen.
Ausführliche, speciell chirurgische Preislisten
werden auf Verlangen gratis und franco verschickt
Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin.
Kastanienblüthen-Oel und
Kastanienblüthen-Tinctur
aus den frischen ßlütben bereitet, haben sich als
thatsäcblich gute Mittel zum Einreiben gegen
Gicht und Bheumatismns schon seit langen
Jahren eingeführt und werden zu Versuchen bestens
empfohlen.
Zu haben in jedem gewünschten Quantum, in
Flaschen ä 50 Pfg. bis zu Flaschen ä 1 / 2 Ko. = 4M.
Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin.
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung ä Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung vonCitronen- u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant (& 100,0 *= 30 Pf.) ah.
Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin.
Verantwortliche Redactenre: Dr. Goehrun-Stuttgart, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homöopath. Offioin) in Leipzig.
Druck von Gressner & Sobramm in Leipzig.
Digitized by v^ooQle
‘Band 125.
Leipzig, de» 97. Oktober 1899.
No. 17 u. 18.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
BERAÜSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. MarggraPs homQopath. Offlein) in Leipzig.
Erscheint Htlgig in 3 Bogen, lt Doppeinammern bilden einen Bend. Preis 10 U. 60 Pf. (Halbjahr), Allo Bachhandlnngen and
Postenstalten nehmen Bestellungen an. No. 97 des Post-Zeitongs-Verzeichnisses (pro 1892). — Inserate, welche an JEL Mosae in
Leipzig deesen Filialen oder an die Verl&gzhandlung selbst (A. Marggrafs bomöopath. Offlein in Leipzig) in richten
sind, werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile and deren Baum berechnet. — Beilagen werden mit UM. berechnet.
Inhalt. Danksagnnq. — Die Potenzlrungsfrage. Von Prof. Dr. G. Jaeger. — „Heinathliche Arznelkoode“
Von E. Schlegel, Arzt in Tübingen. — Die Herbetvereamnlung des Sache. Anhalt. Vereine Homöopath. Aerzte.
Referent Dr. Haedicke-Leipzig. — Ein Rückblick auf die Controverse „Slmilihue an suggestis?“ Nebst kritischen
Bemerkungen von Dr. med. Julius Fuchs-München. IT. — Ein Fall von Ekzem (Ekzema Impetiglnosum), aus der
Praxis. Von Dr. med. H. Billig-Leipzig. - Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Anzeigen.
MS" Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU
Danksagung.
Der verstorbene Dr. med. Weibe sen. in Herford
in Westphalen hat die Summe von 5000 Mark dem
homöopathischen Krankenhause in Leipzig letzt¬
willig ausgesetzt Indem wir diesen hochherzigen
Akt von Liberalität zur Kenntniss unsrer Mitglieder
bringen, rufen wir diesem alten, treuen, um die
Ausbreitung der Homöopathie in Westphalen hoch¬
verdienten Anhänger unsrer Sache ein aufrichtiges
„Habe Dank* über das Grab zu.
Leipzig, den 14. October 1892.
Der Vorstand des homöopathischen
Centralvereins Deutschlands.
I. V.:
Dr. med. Lorbacher.
Die Potenzlrungsfrage.
Von Prof. Dr. G. Jaeger.
Meine Bitte an die Leser der Zeitung um Mit¬
arbeiterschaft ist nicht ganz ohne Erfolg geblieben,
aber doch nicht in dem Umfang, dass dabei etwas
Erspriegsliches herauskommen könnte. Vielleicht
erreiche ich das, wenn ich der Mitarbeiterschaft
ein ganz bestimmtes, möglichst einfaches und hei
gutem Willen von Jedem ohne viel Aufwand an
Mühe und ohne Geldopfer erreichbares Ziel auf¬
stelle. Das will ich in Folgendem thnn.
Der einfachste aller Versuche ist die Durch¬
prüfung der verschiedenen Potenzen mittelst des
Geruchsinnes, wobei ich auf No. 5/6, pag. 40 ver¬
weise.
Man verschafft sich von etwa 6 verschiedenen
Mitteln eine dritte Potenz und prüft sie der Reihe
nach, aber mit Pausen von mindestens 5 Minuten,
auf ihren Geruchseindruck, notirt denselben und
nimmt dann an allen 6 Kölbchen aber mit mög¬
lichster Vorsicht gegenüber Verunreinigung im
gleichen Kölbchen eine Centesimalverdünnung vor.
Dies wiederholt man Tag für Tag womöglich um
die gleiche Tageszeit und möglichst nüchtern, ent¬
weder vor dem Frühstück oder vor dem Mittag¬
essen, aber in der gleichen Reihenfolge wie Tags
zuvor. Letzteres deshalb: Es ist nicht unmöglich,
dass beim Beriechen des zweiten Kölbchens von
dem Inhalt des ersten auf dem Wege der Ein-
athmung und Wieder-Ausathmung etwas in das
zweite hinein kommt. Befolgt man die gleiche
Reihenfolge, so hat man den Vortheil, dass doch
mindestens das jedesmalige erste dieser Gefahr nicht
ausgesetzt ist und bei den andern die etwaige Ver-
17
Digitized by
Google
130
unreinigung immer die gleiche ist. Hin und her¬
gerochen darf natürlich auch nicht werden.
Bei dem Geruchseindruck ist auf zweierlei zu
achten.
1. Auf den Geruchsunterschied zwischen den
sechserlei Stoffen, ob ein solcher deutlich vorhanden
und ob mit fortschreitender Potenzirung dieser
Unterschied sich ändert und wie?
2. Ob der Geruchseindruck des einzelnen Kölb¬
chens unangenehm dumpf, fuslig u. s. w. oder an -
genehm erfrischend, blumig u. s. f. ist und nament¬
lich ist als Hauptsache zu ermitteln ob ein Um¬
schlag von „Unangenehm* in „Angenehm“ eintritt
und auf welcher Potenz dies erfolgte.
Diese tägliche Prüfung je einer höheren Cente-
simalpotenz müsste mindestens* so lange fortgesetzt
werden, bis bei allen 6 Mitteln entweder der er¬
wähnte Umschlag eingetreten ist oder — falls dieser
ausbleiben sollte — doch wenigstens bis zur 15.
Centesimale, denn wenn er bis dahin nicht gekommen
ist, wird er wohl auch nicht mehr kommen.
Es ist klar, dass dieser Versuch blos dann einen
praktischen Werth hat, wenn er mit den möglichst
gleichen Mitteln in möglichst gleichartiger Weise
von mindestens 20 verschiedenen Personen gemacht
wird; deshalb ist zweierlei nöthig:
1. Dass sich mindestens 20 Personen dazu bereit
erklären, den Versuch mit zu machen und zwar
natürlich homöopathische Aerzte und Apotheker,
welche mit ihrem Namen für ihre Befundangaben
eintreten.
2. Dass sich eine dieser Personen der Mühe
unterzieht, für die möglichste Einheitlichkeit der
Versuche und für die Zusammenstellung der Er¬
gebnisse zu sorgen. Behufs des ersteren wäre
nöthig, dass der Leiter für alle Theilnehmer die
Versuchsobjekte einheitlich herstellt. Dabei handelt
es sich um zweierlei:
a) um die betreffende dritte Potenz mit der be¬
gonnen werden soll;
b) für alle um den gleichen Weingeist, mit dem
die Potenzirungen gemacht werden sollen.
Es wäre natürlich am besten, wenn diese Leitung
jemand übernehme, der homöopathischer Arzt oder
Apotheker ist. Sollte sich ein solcher nicht finden,
so will ich mich im Interesse der Sache der Mühe
unterziehen und auch die ja geringfügigen Kosten
auf mich nehmen.*) Aber wie schon bemerkt mit
weniger als 20 Versuchstheilnehmern fange ich
nicht an, und zwar aus 2 Gründen.
*) Diejenigen Herren Coli, welche Lust haben, sich
an dieser Versuchsreihe zu betheiligen, bitten wir, ihre
werthen Adressen, sowie event. Vorschläge an Dr. med.
H. Göhrum-Stuttgart, Königstr. 15, gef. baldmöglichst
einzuschicken, damit bei der Wichtigkeit der Sache
diese bald in Angriff genommen werden kann.
Die Red.
1. Bei der weiten und tiefen Verbreitung, welche
die kritisirende Schwatzsucht auch in homöo-
path sehen Kreisen gefunden, kann nur der Con¬
sensus einer grösseren Zahl von Beobachtern Erfolg
haben, einige wenige werden todtgesebwatzt oder
todtgesch wiegen.
2. Die Prüferzahl muss so gross sein, damit
einmal Klarheit darüber geschaffen wird, wie weit
in dieser Beziehung die Verschiedenheit der Indi¬
vidualität in Betracht kommt. Ich bin im vorhinein
überzeugt, dass der Indifferenzpunkt, bei welchem
der Umschlag des Geruchseindrucks erfolgt-, auch
beim gleichen Stoff bei verschiedenen Personen auf
verschiedener Potenzhöhe liegt, allein wie gross die
Unterschiede sein werden, davon habe ich nicht die
geringste Ahnung und das muss ermittelt werden,
sonst hat die ganze Geschichte keinen Werth.
Mancher Leser wird fragen: „Was soll dieser
Riechversuch? Ist das nicht eine hinter dem Schreib¬
tisch ausgeheckte Spielerei, die weder praktischen
noch wissenschaftlichen Werth hat?“
Darauf antworte ich:
Ein Mann, der nicht blos ein grosser Dichter,
sondern auch ein grosser Weltweiser war, hat den
Satz ausgesprochen, dass „ Hunger und Liehe das
Weltgetriebe erhalten.“ Wer es vermag, den Schul-
und Laboratoriumsstaub von den Füssen zu schütteln
und an die grosse Lehrmeisterin in Kunst und auch
in Wissenschaft, an die lebendige Natur selbst heran¬
zutreten, der findet nicht nur, dass der Satz richtig
ist, sondern erkennt auch leicht wie das gemacht
wird. Thatsache ist, dass das freilebende Thier
sich mit vollendeter Sicherheit auf den zwei Ge¬
bieten von Hunger und Liebe bewegt: Es findet
unfehlbar das richtige Objekt für die Befriedigung
seiner beiden Triebe und zwar einfach damit, dass
es seine Nase braucht. Und wenn wir wieder uns
unter den Menschen umsehen und untersuchen:
warum hat sich der Menschheit im Gegensatz zum
stets gesunden freilebenden Thier das Elend von
Siechthum und Krankheit an die Ferse gehängt, so
findet man als letzten Grund den, dass sie die Nase
rächt gebraucht.
Rücken wir der Sache näher auf den Leib:
„Warum stehen der homöopathische Arzt und sein
Patient rathlos vor dem Kölbchen potenzirter Arzoei,
als vor einem grossen unbegreiflichen Räthsel?
Weil sie ihre Nase nicht gebrauchen.
Vergleichen wir; die Spuren, mittelst deren
das freilebende Thier seinen Genossen, seine Nahrung,
seine Arznei findet, die Nähe des Feindes wittert,
sind durchweg potenzirte und zwar meist sehr hoch-
potenzirte Stoffe, denen gegenüber die chemische
Reaktion ebenso machtlos ist, wie gegenüber der
potenzirten Arznei. Das Thier befindet sich aber
ihnen gegenüber keinen Augenblick rathlos — warum?
weil es seine Nase braucht. Ist das eine Spielerei?
Digitized by
Google
131
Nein, das ist Praxis in des Wortes höchster Be¬
deutung und wenn ich den Vertretern der Homöo¬
pathie den Rath ertheile, einmal wenigstens ver¬
suchsweise ihre Nase zu gebrauchen und zu sehen,
ob sie mit diesem unstreitig feinsten aller Sinne,
von dem der Volksmund sagt, er sei der Wächter
der Gesundheit, ein bischen weiter Vordringen, als
sie heute sind, so ist das doch kein Schnick-Schnack.
Es hat es noch niemand ernstlich zu bestreiten ge¬
wagt, dass die Nase der Wächter der Gesundheit
ist; nun wenn das wahr ist, hat da nicht in aller¬
erster Linie der Arzt, der sich andern gegenüber
als ein besonders befähigter Wächter der Gesund¬
heit in praxi aufspielen und sich dafür sogar noch
bezahlen lassen will, die allerdringendste Veran¬
lassung, sich ganz genau mit dem Gesundheits¬
wächter, den die Natur jedem in's Gesicht gepflanzt
hat, und mit der Leistungsfähigkeit desselben zu be¬
fassen und diese mindestens bei seinem eigenen
Zinken nach Möglichkeit zu entwickeln? Ich sage,
es ist eine 8 chande, wenn man folgendes vergleicht:
Die Praktiker auf dem Gebiete der Lebensmittel
besonders der Genussmittel wie Tabak, Wein, Thee
u. s. f. sind in der ganz gleichen Lage wie der
Homöopath. Bei Prüfung ihrer Waaren steht stets
neben anderem der Grad der Reinheit und Feinheit
in Frage und hier lässt sie die Chemie ebenfalls
im Stich, weil es sich um Stoffmengen und Stoffe
handelt, denen chemisch nicht beizukommen ist.
Deshalb wenden sie sich an ihre Nase und ent¬
wickeln sie zu einer staune ns werthen Fertigkeit, die
ihnen erlaubt, ihr Objekt vollständig zu beherrschen
und sich vor jedem Trug und jeder Täuschung zu
sichern.
Dem gegenüber stehen die Aerzte, welche mit
verdünnten Arzneimitteln operiren, da — ich will
nicht sagen wie? Als ob sie gar nicht einmal
wüssten, dass sie eine Nase haben.
Es ist nicht mehr sehr lange, bis die Säkular¬
feier der Homöopathie zu begehen ist. Sollen die
homöopathischen Aerzte diese mit dem beschämenden
Gefühl begehen, dass sie in dem ganzen Jahrhundert
nicht im Stande waren, den zwei Grundpfeilern, die
Ilahnemann der Homöopathie gab, so viel Fundament
zu geben, dass sie den gegnerischen Anprall aus-
halten konnten? dass sie nicht hn Stande waren,
nachzuweisen, dass ihre beiden Grundprinzipien,
nicht Marotten, sondern Naturgesetze von allgemeiner
Gültigkeit sind, Gesetze, die nicht blos für die Arznei,
sondern auch für die Nahrung, kurz für alle Gebiete
der Stoffwirkung im Lebewesen gelten? Dass es
Naturgesetze sind, deren Richtigkeit ebenso gut wie
die aller andern durch rechnerischen Versuch nach¬
gewiesen werden kann und die der theoretischen
Erklärung genau so zugänglich sind, als alle anderen
Naturgesetze?
Sollen sie sich den Vorwurf machen müssen,
den einen Grundpfeiler, das Potenzirungsgesetz, im
Stich gelassen zu haben und zwar ohne Schwert¬
streich? Jawohl ohne Schwertstreich! Denn was
ist das Schwert, das Hahnemann der Homöopathie
und ihren Anhängern gegeben? Nichts anderes als
der Versuch am gesunden Menschen, in erster Linie
an sich selbst. Das Schwert, das die allöopathische
Medicin schwingt, ist der rohe, ihierquälerische,
vivisektorische Versuch am gesunden Thier und so
muss das Schwert der Homöopathie der feine , humane,
biologische Versuch am gesunden Menschen sein.
So lange kein geschlossener, viribus unitis aus¬
geführter Angriff mit diesem Schwert auf das Poten-
zirungsprinzip durchgeführt worden ist — und das
ist bis heute noch nicht geschehen —, muss sich die
Homöopathie bei der Säkularfeier gestehen, das eine
ihrer Prinzipien ohne Schwertstreich geopfert zu
haben.
80 wie ich als ein ausserhalb ihr Stehender die
Homöopathie kennen gelernt habe, ist der Haupt¬
pfeiler, auf dem sie beruht, das Potenzirungsprinzip,
mit ihm steht und fällt sie; namentlich aber ist
eines sicher: Wenn die Homöopathie nicht blos
fort vegetiren will wie bisher, sondern siegen, dann
rufe ich ihr zu: in hoc digno vinces. Denn niemand,
als höchstens er sich selbst, wird jemanden als
Sieger betrachten, der aus dem Kampf als „halbirter
Türke“ zurückkommt.
„Heimathliche Arzneikunde.“
Von E. Schlegel, Arzt in Tübingen.
Zu diesem Thema, bei dessen Besprechung Herr
Coli. Schier zugleich einen älteren Lieblings¬
gedanken von mir getroffen hat, erlaube ich mir
zu bemerken, dass ich schon vor Jahren einen
kundigen Botaniker aufgefordert habe, mir ein Ver¬
zeichniss solcher Gewächse anzufertigen, welche sich
erfahrungsgemäss und auffallenderweise stets in der
Nähe menschlicher Wohnungen und zum Theil nur
um solche anzusiedeln pflegen.
Paracelsus Ausspruch, den meines Erinnerns
auch Rademacher anführt, war auch für mich in
genannter Hinsicht anregend und da mir die That-
sache bekannt war, dass viele Pflanzen ihr Vor¬
kommen auf menschliche Ansiedelung beschränken,
so lag es nahe besonders unter diesen Umschau
zu halten. Die Thatsache der Parabiose, wie man
das nachbarliche Verhältnis nennen kann, ist um
so merkwürdiger, als unter den betreffenden Ge¬
wächsen viele sich befinden, welche nicht zu Cultur-
zwecken benutzt werden, welche sich also ungesucht
dem Menschen aufdrängen und demnach Natur¬
beziehungen ursprünglicher Art zu ihm besitzen
müssen, deren therapeutische Deutung und Aus-
17*
Digitized by
Google
132
nutzung nunmehr unsre Aufgabe wäre. Durch
anderweitige Arbeiten bisher zu sehr in Anspruch
genommen, würde ich es mit Freude begrüssen,
wenn sich eine ärztliche Kraft besonders auf dieses
Gebiet concentriren und uns die Ergebnisse ihrer
Studien mittheilen wollte. Der Umstand, dass unter
den aufzuführenden Gewächsen sich bereits mehrere
unserer besten Heilmittel befinden, dürfte der
Forschung auf diesem Gebiete nur zur Ermuthigung
gereichen; ebenso finden v, ir darunter bekannte
oder verschollene Volksarzneien und Geheimmittel.
Ferner giebt es einzelne homöopathische Aerzte,
die auch unter den weniger genannten der hier
folgenden Pflanzen ihre Arznei-Lieblinge haben und
ich könnte später selbst von einigen dieser Heil¬
kräfte etwas hinzufügen. Für heute beschränke
ich mich darauf das von meinem Freunde angefertigte
Verzeichniss hier folgen zu lassen:
Wflrttembergische*) Bl Athen pflanzen,
welche erfahrungsgemäss nur in der Nähe von
menschlichen Wohnungen oder überhaupt An¬
siedlungen wachsen und sich nie, oder nur höchst
selten und nur ganz ausnahmsweise davon ent¬
fernen.
Dicotyleae.
Papaveraceae.
Chelidonium majus L. (Schöllkraut).
Gruciferae.
Cheiranthus Cheiri L. (Goldlack) verwildert?
Nasturtium officinale R. Br. (Brunnenkresse).
Sisymbrium officinale Scop. (Weg-Senf).
Sisymbrium Sophia L. (Wallsamen, Sophien¬
kraut).
Alyssum colycinum L. (Steinkraut).
Armoracia rusticana Gautr. (Meerrettig).
Lepidium Draba L. (Türkische Kresse).
Lepidium latifolum L. (Pfeiferkraut, armer Leute
Pfeffer).
Lepidium ruderale L. (Stink-Kresse, Schutt-
Kresse).
Lepidium sativum L. (Gartenkresse).
Coronopus Ruellii All. (Krähenfuss).
Alsineae.
Stellaria media Villars (Hühnerdarm, Vogelkraut).
Malvaceae.
Malva rotundifolia (Käspappel, gew. Malve).
*) Nach gütiger Mittheilung des Herrn Coli. Schlegel
ist das Verzeichn*es für ganz Deutschland gültig mit
der Ausnahme, dass einige Pflanzen fehlen dürften, die
sonst Vorkommen mögen. Die Red.
Geraniaceae.
Geranium Robertianum L. (Ruprechts-Kraut).
Erodium cicuparium L. Herit. (Reiherschnabel).
Rosaceae.
Geum urbanum L. (Nelkenwurz).
Potentilla anserina L. (Gänserich).
Potentilla supina L.
Cucurbitaceae.
Bryonia diofoa Jacq. (Zaunrübe).
Portulacceae.
Portulacca oleracea L. (Portulak).
Crassulaoeae.
Sedum reflexum L. (Tripmadam).
Sempervivum tectorum L. (Hauswurz).
Grossularieae.
Ribes Uva crispa L. (Stachelbeere).
Ribes rubrum L. (Johannisbeere).
Ribes nigrum L. (Schwarze Träuble).
Umbelliferae.
Potro8elinum sativum Hoffm. (Petersilie).
Anethum graveolens L. (Dill).
Anthriscus Cerefolium H. (Körbel).
Compoaitae.
Artemisia Absinthium L. (Wermuth).
Artemisia vulgaris L. (gern. Beifuss).
Matricaria Chamomilla L. (Kamille).
Pyrethrum inodorum L. (Wucherblume).
Chrysanthemum PartheniumPers. (Jungfernkraut).
Senecio vulgaris L. (Vogelkraut).
Cirsium lanceolatum Scop. (Speer-Distel).
Onopordon Acanthium L. (Eselsdistel).
Lappa tomentasa Lam. (Klette).
Lappa major Goerte „
Lappa minor Dlle. „
Cichorium Intybus L. (Wegwarte)
Lactuca scariola L. (wilder Lattich).
Podospermum laciniatum Dlle. (Stielsame).
Sonchus oleraceus L. (Gänsedistel).
Sonchus asper L. „
Boragineae.
Borago officinalis L. (Borage).
Cynoglossum officinale L. (Hundszunge).
Lycopsis arvensia L. (Krummhals).
Echium vulgare L. (Natternkopf).
Solaneae.
Lycium barbarum L. (Backsdorn)?
Solanum nigrum L. (Nachtschatten).
Hyoscyamus niger L. (Bilsenkraut).
Datura Stramonium L. (Stechapfel).
Digitized by CjOOQie
133
Scrofularineae.
Linaria cymbalaria M. (Zimbelkraut).
Linaria vulgaris Müller (gemeines Leinkraut).
VeronicaTournefortii Gmelin (Tourenfort's Ehren¬
preis).
Labiatae.
Mentha gentilis Wirtgen (edle Münze).
Mentha crispa L. (Krausemünze).
Satureja hortensis L. (Bohnenkraut).
Nepeta cataria L. (Katzenmünze).
Lamium amplexicaule L. (Taubnessel).
Lamium purpureum L. „
Lamium maculatum L. „
Lamium album L. n
Galeopsis pubescens Besser (Hanfnessel).
Galeopsis Tetrahit L. „
Stachys germanica L. (Ziest. Rossnessel).
Ballota nigra L. (Stinknessel).
Leonurus Cardiaca L. (Herzgespann).
Marrubium vulgare L. (Andorn).
Terbenaceae.
Yerbena officinalis L. (Eisenkraut).
Plantagineae.
Plantago major L. (Wegerich).
Plantago media L. ,
Plantago lanceolata L. Spitzwegerich.
Amaranthaceae.
Amaranthus retroflexus L. (Fuchsschwanz).
Amaranthus Blitum „
Ghenopodiaceae.
Chenopodium Vulvaria L. (stinkender Gänsefuss).
Chenopodium glaucum L.
Chenopodium album L.
Chenopodium murale L.
Chenopodium urbicum L. (steifer Gänsefuss).
Chenopodium hybridum L. (Sautod).
Chenopodium bonus Henricus L.
Chenopodium rubrum L.
Blitum virgatum L. (Erdbeerspinat).
Blitum capitatum L. (Schminkbeere).
Atriplex hortense L. (Gartenmelde, Butterkraut).
Atriplex nitens Rebent. (gleissende Melde).
Atriplex latifolium Whbg.
Atriplex roseum L. (Stern-Melde).
Polygonaceae.
Rumex obtusifolius L. (gemeiner Ampfer).
Rumex alpinus L. (Alpen-Ampfer) (unfehlbar
bei jeder Sennhütte zu treffen sogar auf dem Feld¬
berg im Breisgau).
Rumex scutatus L. (Schildampfer).
Polygonum lapathifolium L. (Ampfer-Knöterich).
Polygonum Persicaria L (Pfirschenknöterich).
Polygonum mite Schrank (wilder Knöterich).
Polygonum aviculare L. (Vogelknöterich).
Euphorbiaceae.
Euphorbia Peplus L. (Gartenwolfsmilch).
Euphorbia Lathyris L. (kleines Springkraut).
Mercuriaüs annua L. (Bingelkraut).
Urticaceae.
Urtica urens L. (kleine Brenn-Nessel).
Parietaria erecta Maertens et Koch. (Glaskraut).
Parietaria diffusa M. et K. ,
Monocotyleae.
Liliaceae.
Tulipa silvestris L. (wilde Tulpe).
Muscari racemosum Dlle. (Traubenhyacinthe).
Asparagus officinalis L # (Spargel).
Ghramineae.
Bromus sterilis L. (taube Trespe).
Bromus tectorum L.
Bromus secalinus L. (Saat-Trespe).
Poa annua L. (Rispengras).
Poa compressa L.
Triticum repens L. (Quecke).
Lolium perenne L. (Englisch Ray-Gras).
Lolium italicum A. Br. (Welsches Raygras).
Lolium temulentum L. (Taumellolch, Schwindel¬
haber).
LoliumMinicolum A. Br. (Flachslolch).
Avena fatua L. (Flug-Hafer).
Avena strigosa Schreb. (Rauh-Hafer).
Aunenatherum elatius M. et K. (Glatthafer,
französisches Ray-Gras, Paternoster Gras).
Hordeum murinum L. (Mäusegerste).
Hordeum strictum Def. (Steife Gerste).
Hordeum secolinum Schreb. (Roggengerste).
Apera spica venti P. B. (Windhalra).
Phleum asperum Villars (rauhes Lieschgras).
(Phalaris canariensis L. (Canarien-Gras)?)
Panicum miliaceum L. (gemeine Hirse).
Panicum sanguinale L. (Bluthirse).
Panicum glabrum Gaud. (kahles Fingergras).
Panicum Crusgalli L. (Hühner'Fennich).
Setaria viridis P. B. (grüner Fennich).
Setaria verticillata P. B. (Quirl-Fennich).
Setaria glauca P. B.
Die HerbstYersammlung des Sachs.
Anhalt. Vereins homöopath. Aerzte.
Referent Dr. Haedicke-Leipzig.
Zur diesjährigen Herbstversammlung hatten sich
am 9. October in Magdeburg ausser dem Vorsitzenden
Sanitätsrath Dr. Faulwasser-Bernburg und dem
Schriftführer Dr. Villers-Dresden folgende Collegen
eingefunden:
Digitized by v^ooQie
1S4
Dr. iterai&rwcÄ-Dessau.
Dr. £roos-Magdeburg.
Dr. Haedicke-Leiipzig.
Dr. Knüppel-Magdeburg.
Dr. Lutze- Köthen.
Oberstabsarzt a. D. Dr. RoliowskyAj&^zig.
Dr. Schwenke-Köthen.
Dr. 7WcZwia/w-Sommerschenburg.
Staatsratb Dr. fFafc-Frankfurt a/0.
Entschuldigt batten ihr Fernbleiben die Herren
Collegen Dr. ^///i^-Leipzig, Dr. A/&-Dresden, Dr.
Goullon- Weimar, Dr. Henze- Halle, Dr. Lorbacher -
Leipzig, Sanitätsrath Dr. Meyner-Ohsxnmtz und das
Ehrenmitglied Dr. Kafka £in.-Prag.
Nach Erledigung einiger geschäftlichen Vereins-
Angelegenheiten wurde Köthen als Versammlungsort
für die Frübjahrsversammlung am 2. Sonntag des
Monat Mai nächsten Jahres bestimmt.
Eingegangen waren bei dem Vorsitzenden: 1. Diät¬
block zum Gebrauche in der ärztlichen Praxis,
herausgegeben von einem prakt. Arzte, Verlag von
J. Stern in Heilbronn, Preis 30 Pfennig, ein sehr
handliches Büchlein, das den beschäftigten Arzt
der Mühe überhebt z. B. bei Zuckerharnruhr einen
besonderen Diätzettel selbst aufzustellen, 2. Unter
der Herrschaft des Messers, H. Theil, Widerlegung
der Schrift des Herrn Hofrathes Professor Dr. Albert
von Dr. Albert Reibmayr. Auf diese Schrift werden
wir eingehend in der nächsten Nummer zurück-
kommen.
Den zweiten Theil der Tagesordnung bildete der
Vortrag des Collegen Walz-Frankfurt: Die Cholera
in Hamburg. Der Vortragende hob zunächst her¬
vor, wie sehr die Cbolerafurcht auch in den Rhein¬
landen alle Gemüther erfasst gehabt und oft zu
tragikomischen Scenen geführt hätte. Bei seiner
Eisenbahnfahrt von Schlangenbad nach Hamburg
war er zuletzt fast der einzige Reisende im ganzen
Zuge, und auch das 217 Zimmer besitzende Hotel
zählte während seines 5 tägigen Aufenthaltes vom
7. bis 12. September ausser ihm nur noch 3 Zeitungs¬
berichterstatter als Gäste. Die Besichtigung des
neuen Krankenhauses in Eppendorf wurde Aerzten
gern gewährt. Die saubere Einrichtung, die vor¬
zügliche Ventilation und die gute Verpflegung in
den 40 im Parke zerstreut liegenden Baracken
k 20 resp. 34 Betten wurden allseitig als zweck¬
mässig und gut anerkannt. Belegt waren die
Baracken fast nur mit schwer an der Cholera
darniederliegenden Kranken, sodass es trotz des
grossen Pflichteifers und des rühmenswerthen
Strebens der jungen Aerzte und Wärter, von denen
manche 14 Tage lang nicht in’s Bett gekommen
sein sollen, nicht Wunder nimmt, wenn die Sterb¬
lichkeit bis 60°/o betrug, und der vorurtheilsfreie
Beobachter sich sagen musste, dass in diesem
Stadium bei einer so progressiv ansteigenden, bös¬
artigen Choleraepidemie jede Therapie umsonst ist
Aus dieser starken Ascendenz der Erkrankungsziffer
erklärt sich auch die Ohnmacht und Rathlosigkeit
der unvorbereitet von der Seuche überraschten
Behörde. Ein schwerer Vorwurf trifft aber die
Hamburger Stadtverwaltung wegen der geradezu
unbegreiflichen Sorglosigkeit, mit der die Wasser¬
leitungswerke angelegt worden sind. Trotz der
für die Filtrirapparate etc. seit 6 Jahren vorhandenen
Millionen, sind die Anlagen aus dem Anfangsstadium
nicht vorgeschritten. Allerdings sind ja die Wasser¬
schöpfwerke oberhalb Hamburgs angelegt, aber die
Fluth spielt die Faekalien von der unteren Elbe
hinauf und die Vorschriften, nur bei der Ebbe das
Wasser zu pumpen, können wegen des dann ein¬
tretenden Wassermangels nicht befolgt werden.
Hierzu kommen noch die miserabeln sanitären Ver¬
hältnisse Hamburgs. Es klingt fast unglaublich,
dass die Wasserreservoirs, die täglich für 24 Stunden
frisch gefüllt werden, wegen Mangels an Raum fast
überall über den Aborten und zwar noch obendrein
ohne Deckel angelegt worden sind. Was für eine
reiche Fauna an niederen Mikroorganismen dort zu
finden ist, bedarf weiter keiner Erwähnung.
Betreffs der Aetiologie der Cholera war die
Versammlung mit dem Vortragenden der Meinung,
dass es zwar Professor Koch’s unsterbliches Ver¬
dienst ist, in dem Kommabacillus das sicherste
Merkmal der Cholera entdeckt zu haben, welchen
Platz derselbe aber in der Entwicklung der Krank¬
heit einnimmt, ist noch eine Frage, die uns erst
die Zukunft beantworten muss. Denn wenn in
Magdeburg ein Schiffer innerhalb 12 Stunden als
einziger an der asiatischen Cholera starb, obgleich
er schon 4 Wochen vorher Hamburg verlassen hatte,
so ist sicher, dass es der Bacillus nicht allein thut,
es muss auch noch der Mensch dazu kommen. Die
Aerzte müssen daher nicht den Bacillus allein,
sondern auch den Menschen und seine Umgebung
im Auge behalten. Durch die Forschungen Petten-
kofer's ist constatirt worden, dass zeitliche, örtliche
und individuelle Momente Zusammenwirken müssen,
wenn eine Cholera-Epidemie entstehen soll. Die
zeitlichen Momente: die Jahreszeiten, Regen und
Frost, den Grundwasserstand etc. haben wir nicht
in unserer Gewalt; die örtlichen und individuellen
Momente aber, unterliegen sehr wohl unserer Ein¬
wirkung. Wir können die Städte assaniren, canali-
siren und der Durchfaulung und Verunreinigung
des Bodens Vorbeugen, und ebenso durch gesunde
Wohnungen und verständiger Nahrungsweise die
Seuchengefahr wesentlich herabmindern.
Als Ausgangspunkt für die Verschleppung der
Cholera machte der Vortragende „Schiffer aus
Odessa* verantwortlich, ohne dass wir uns jedoch
dieser Ansicht anschliessen können. Sehr bemerkens-
werth ist in dieser Streitfrage ein Colloquium beim
Digitized by v^ooQie
135
Professor Schweninger, das in der „Zukunft“ ver¬
öffentlicht worden ist. „Man zerbricht sich jetzt
den Kopf darüber, von wo die Cholera eingeschleppt
worden ist, ob die russischen Auswanderer aus
Odessa oder die indischen Heizer sie mitgebracht
haben, beides ist möglich und noch viel mehr.
Aber muss denn die Cholera überhaupt eingeschleppt
worden sein? Wir haben sie ja seit dem Jahre 1818
immer in Europa gehabt, und dass sie nur in Inter¬
vallen auftritt, beweisst noch nichts für die Noth*
wendigkeit der Einschleppung. Es giebt gute und
schlechte Pilzjahre, aber an der Ubiquität der Pilze
ist ernstlich noch nicht gerüttelt worden. Und weil
nicht alle Giftkeime vernichtet werden können, des¬
halb kann die Seuche immer wiederkommen, ohne
dass sie erst eingeschleppt worden ist. Es ist eben
der alte Unfug im neuen Gewände: Der Kranke
will nur gleich wissen, wie seine Krankheit heisst
und erklärt den alten Arzt für einen Erzdummkopf,
weil der Gicht nannte, was der jetzige Recept-
schreiber Rheumatismus nennt; und das Volk will
geschwind erfahren, woher die Cholera kommt und
ist zufrieden, wenn ein schönklingendes Wort sich
einstellt, wo Begriffe fehlen.
Ueberhaupt sollte man auf die Fortschritte der
inneren Medicin nicht gar zu stolz sein, diese Ent¬
wickelung vollzieht sich oft in Spiralen. Wir er¬
leben das heute bei der Cholera. Heute schwatzen
die dümmsten Gesellen etwas über die Bacillen
daher und selbst unter den Aerzten befolgen die
Meisten nur zur Hälfte Hufeland’s Lehre: sie gene-
ralisiren zwar die Krankheit, aber sie individualisireu
nicht den Kranken. Dem Theoretiker wie dem
Praktiker wird die Cholera noch lange zu schaffen
machen, denn noch immer, wie in den dreissiger
Jahren, ist das Wesen dieser Seuche in Dunkel
gehüllt, und zur Contagion, die heute wieder den
ersten Platz behauptet, ist nur die wundervolle
Hypothese des Miasmas hinzu gekommen. Es giebt
lOÖOO Krankheiten, aber nur 1 Gesundheit, und
die Krankheiten kommen so „plötzlich“, wie Leben
und Tod eben auch. Ein Arzneimittel, das eigent¬
lich nie ein Heilmittel ist — oder welches wäre
ein solches?*) — wird immer nur mehr oder weniger
symptomatisch wirken und sollte deshalb eigentlich
nie zweimal hintereinander verabreicht werden, weil
es eben nur ein nothwendiges Uebel ist und in die
Bedürfnisse des Körpers nicht hineinpasst. Wer
einen Schmerz, ein Symptom, anstatt sie aus dem
Organismus hinaus zu treiben, nur einmal „weg
bringt“, wer mit dem medicinischen Beichtzettel
die Leidenden nur beruhigt oder getröstet heim-
*) In der reinen Arzneimittellehre Hahnemann’s sind
deren hinreichend enthalten. Der Herr Professor möge
nur einige Versuche anstellen, wozu allerdings mehr
Muth gehört, als man glauben sollte. Die Red.
schickt, der sollte die Kurpfuscher nicht gar so
geringschätzig über die Achseln ansehen. Denn er
arbeitet mit Palliativmitteln und für Seuchenzukunft
und Zukunftseuchen, muss man sich merken, dass
man im Koth nur um so eher ersticken kann, wenn
ein Mäntelchen darüber gedeckt worden ist, das
ihn den Augen entzieht, um ihm durch die Nase
erst den Eingang zu sichern. Deshalb muss den
Leuten der Receptschwindel abgewöhnt und ihnen
immer wieder gesagt werden, dass es auf den Namen
der Krankheit, an der sie sterben, ja doch nicht
so sehr ankommt.“ —
Dieser Ansicht des Professor Schweninger kann
man sich um so rückhaltloser anschliessen, wenn
man hört, dass trotz aller Warnungen in der Ham¬
burger Privatpraxis die Cholerakranken mit grossen
Dosen Opium „curirt“ worden sind. Eine rühmliche
Ausnahme hiervon machte die im Eppendorfer
Hospital angewendete Therapie, was der Vortragende
ausdrücklich hervorhob. Abgesehen von den ver¬
schiedenen Modemitteln der modernen Chemie, wurde
von Arzneien meist nur Ricinusöl und Calomel, und
Injektionen direct in die Vene von physiologischer
Kochsalzlösung, die momentan wunderbare Erst¬
wirkungen hervorbrachten, in Gebrauch gezogen.
Auf die Diaphorese verzichtete man schliesslich
ganz, weil auch „durch Dampf und heisse Bäder
keine Schweisse erzeugt werden konnten.“ Die
Sterblichkeit betrug wie schon erwähnt 60 °/ 0 und
ist es angesichts dieser und anderer Statistiken mehr
als frivol, wenn ein Dr. Fischer-Hamburg, Stroh¬
haus 46, I die Kühnheit besass, im Hamburger
Fremdenblatt No. 211 vom 9./9. 1892 folgendes zu
veröffentlichen.
„Der Creolinbehandlung nach meiner Methode
richtig angewandt, damit es nicht Erbrechen erregt
habe ich es zu danken, dass ich, seitdem ich diese
Therapie eingeleitet, d. h. seit dem zweiten Tage
der Epidemie keinen Todesfall zu verzeichnen hatte,
auch nicht in den hygienisch ungünstigen Gängen
St. Georgs, wo anders Behandelte dutzendweise
dahinstarben. Bei dieser Behandlung wären nach
meiner, auf diese Thatsache fussenden Ueberzeugung
nicht 6000 dahingerafft worden.“
Wie wenig aber auch auf die officiellen statisti¬
schen Angaben zu geben ist, davon konnte der Herr
College Walz in Hamburg sich persönlich über¬
zeugen. In Anbetracht der grossen Sterblichkeit
in den Baracken, schien ihm die am 7. September
ofticieli angegebene Zahl von 472 Todten nicht
ausreichend, weshalb derselbe am 8. September nach
dem Ohlsdorfer Friedhofe fuhr und sich dort über¬
zeugen konnte, dass an diesem Tage 816 Leichen
begraben worden waren, wozu 210 Todtengräber
extra angestellt waren.
Im Anschluss hieran tauschten die älteren Herren
Collegen ihre Erfahrungen aus, die sie bei früheren
Digitized by
Google
136
Choleraepidemieen gesammelt hatten. Der College
Faulwasser behandelte 1848/49 in Berlin 180 Cholera¬
kranke bei 12°/o Mortalität mit Nicot. tab., das
Choleratyphoid mit China dil. dec. I, während der
College Schwenke durch die Erfolge, welche mittelst
der Homöopathie bei einer Choleraepidemie in der
Grafschaft Glatz erzielt wurden, für unsere thera¬
peutische Richtung gewonnen wurde. Im Feldzuge
1866 behandelte College Knüppel trotz der von dem
Generalarzte vorgeschriebenen Mixtur von Tct. opii
und nuc. vom. seine Cholerakranken mit Ipec., Ars.,
Veratr. und erfuhr zu seiner grossen Freude ein
Jahr später von dem damaligen Bataillonsadjutanten,
dass sein Bataillon procentualiter die wenigsten Ver¬
luste an der Cholera gehabt hätte. Zum Schlüsse
referirte Haedicke eingehend über die inzwischen
in der vorigen Nummer erschienenen „Bemerkungen
zur Cbolerabehandlung* von Dr. Hesse-Hamburg.
Zum dritten Punkt der Tagesordnung: „Dis-
cussion der epidemischen Krankheiten* war vom
Collegen Lorbacher ein Antrag eingelaufen, welcher
wie folgt lautete:
Ich halte es für nothwendig, dass der Sächs.-
Anhalt. Verein homöopathischer Aerzte zur Frage
der epidemischen Heilmittel, wie dieselben sich durch
die Weihe*sehe Entdeckung der sogenannten Druck¬
punkte gestaltet hat, Stellung nehme und schlage
vor, dass er gelegentlich der auf der Tagesordnung
stehenden Diskussion über die epidemischen Krank¬
heiten eine Erklärung abgebe, welche ich unmass¬
geblich in folgender Weise formulirt habe:
„Der Sächsisch-Anhaitinische Verein homöo¬
pathischer Aerzte stellt das Vorhandensein epi¬
demischer Heilmittel durchaus nicht in Abrede,
giebt auch zu, dass die Anwendung derselben
nach der Weibe’schen Methode für den prak¬
tischen Arzt eine Erleichterung und Verein¬
fachung der Praxis sein würde, allein er kann
sich durchaus nicht mit dem in neuerer Zeit
immer mehr hervortretenden Bestreben einver¬
standen erklären, diese neue Methode an die Stelle
der Hahnemannschen Lehre zu setzen und letz¬
tere nur zu benutzen, um aus ihrem Arzneischatze
die von ihr angewandten Mittel zu entnehmen,
wobei sie selbstverständlich nicht umhin kann,
das S. S. anzuerkennen. Abgesehen davon, liegt
aber die Gefahr nahe, dass ein oberflächlicher
Schematismus, wie er schon bei Schuessler und
Peczely zu Tage tritt, sich einschleicht und um
sich greift.
Die Forderung des Individualisirens, welche
Hahoemann mit Bescheidenheit und mit Recht
erhebt, würde immer mehr in den Hintergrund
treten und damit die Homöopathie einer ihrer
festesten Säulen und eines bedeutendsten Vorzugs
beraubt werden.
Bisher hat die Weihe*sehe Druckpunkt¬
therapie noch nicht bewiesen, dass sie dafür einen
vollständigen Ersatz bietet. Deshalb hält es der
Verein für geboten, dieser Bewegung gegenüber
noch die nöthige Reserve zu beobachten, bis der
unter den Vertretern jetzt noch herrschende En¬
thusiasmus einer nüchterneren Stimmung Platz
gemacht hat, und mit Bestimmtheit und Klarheit
sich der wahre Werth derselben und ihre Be¬
deutung für die Homöopathie erkennen lässt.*
Wegen vorgeschrittener Zeit konnte der Antrag
nicht zur Discussion gestellt werden, derselbe soll
auf der nächsten Versammlung nochmals auf die
Tagesordnung gesetzt werden. Die Collegen Villers
und Haedicke übernahmen das Referat
Zum Schlüsse hielt Gross-Magdeburg einen
Vortrag, über das Leben und Wirken seines im
vorigen Jahre verstorbenen Vaters des homöopathi¬
schen Arztes Hofrath Dr. Groos in Laasphe.*) Der¬
selbe wird in der nächsten Nummer in extenso zum
Abdruck gelangen.
Nach Schluss der 8itzung blieben die Anwesen¬
den beim fröhlichen Mahle noch einige Stunden
beisammen. Da auch fünf der Collegen ihre Frauen
mitgebracht hatten, verlief die Tafel in sehr ani-
mirter Stimmung, eine Sammlung zum Besten der
Wittwenkasse ergab 80 Mark. Mit einem „auf
Wiedersehen in Köthen* trennte man sich.
Ein Rückblick auf die Controverse
„Similibns an snggestis?“
Nebst kritischen Bemerkungen von Dr. med. Julius
Fuchs-München.
II.
Wenn wir nun unter den so gewonnenen Ge¬
sichtspunkten es unternehmen, über die in diesem
Blatte durch Herrn Dr. Pfänder inaugurirte Streit¬
frage, ob die Erfolge der Homöopathie dem
Suggestionismus zu danken seien oder nicht,
einen kritischen Rückblick zu werfen, so stellt sich
der Sachverhalt so: Ein Herr Dr. G. hatte im
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte den Sug¬
gestionismus gegen die Homöopathie in Schutz ge¬
nommen und letzterer nur gnädigst gestattet,
„mancherlei nervöse Beschwerden* (natürlich auch
diese nur durch Suggestionisraus) zu heilen. Herr
Dr. Pfänder fand sich nun bewogen, in Bd. 124,
No. 1 und 2 dieser Zeitung diese Verhältnisse zu
*) Die Redaktion bedauert, dass sie nicht schon
Trüber über diesen um die Ausbreitung der Homöopathie
hochverdienten Collegen eine Biographie bringen konnte;
Herr Dr. Weber-Köln hatte auf unsere Bitte dieselbe
uns schriftlich zngesagt, sein Versprechen aber leider
nicht eingelöst.
Digitized by CjOOQie
187
Gunsten der Homöopathie aufzuklären, machte aber
dabei den Suggestionisten eine Menge, wie ‘ ich
glaube, unnöthiger Zugeständnisse.
Er bekämpft zwar die Behauptung Bernheim's
und Anderer, „die Homöopathie beruhe nur auf Sug¬
gestion“, schildert aber die homöopathischen Aerzte
als sehr arzneigläubig und wünscht in dieser Richtung
mehr Kritik und Selbstkritik. Er unterstützt seine
Anschauung, dass bei homöopathischer Behandlung
häufig Autosuggestion mitunterlaufe, durch Beispiele
aus dem Lai^kreise, indem er von Leuten erzählt,
die sich durch Dick und Dünn ohne genügende
Mittelkenntniss und sogar trotz falscher Mittelwahl
bei jeder Krankheit mit Erfolg selbst curiren, und
von anderen, welche jede Verschlimmerung ihres
Befindens auf das vom Arzt verordnete Mittel be¬
ziehen, weil sie die Symptomatologie des Mittels
nachlesen oder auswendig wissen. (Nach meiner
Erfahrung sind dies immer nur eingebildete Kranke,
die nach ihren Erzählungen an 1 Tage mehrere
tödtliche Krankheiten durchmachen. Der Verfasser).
— Recht wenig schmeichelhaft für die homöo¬
pathischen Aerzte ist die Ansicht Pfanders, dass
sie im Nothfall Mittel auf s Geradewohl verschreiben
oder geben und doch — Besserung erzielen. (Solche
Aerzte können ja aber gar nicht oder höchstens
ex post beurtheilen, ob sie's nicht zufällig errathen
haben, woran übrigens Pf. selbst erinnert, der
Verfasser). Alle diese Fälle nun schiebt Pf. der
Suggestion in die Schuhe, wobei dann keine Kunst¬
sondern eine Naturheilung stattfinde und Suggestion
nebenbei gehe. Der „eigentlichen Suggestions¬
heilung* werde aber in einer späteren Erkrankung
desselben Patienten dadurch Vorschub geleistet.
Zuletzt behauptet Pf., freilich ohne weitere Be¬
gründung als die Berufung auf die Schule Bern-
heim's, in einigen Fällen der Homöopathie wirke
wirklich nur die Suggestion. Er meint aber, es
sei dies meistens „unbeabsichtigte Suggestion* und
bestreitet die These, dass sich für die Homöopathie
eine besondere Art von Suggestionismus nach-
weisen lasse und verwirft die Anschauung, die
Homöopathie heile nur durch Suggestionismus. Hier¬
auf stellt er die Fälle fest, bei denen nach seiner
Ansicht überhaupt von Suggestionismus die Rede
sein kann. Er schliesst schwerere organische Ver¬
änderungen aus, ebenso Fälle bei Kindern unter
1 — 2 Jahren und Fälle von aufgehobenem Bewusst¬
sein. Geisteskranken vindicirt er eine geringere
Suggestibilität als geistig Gesunden und gesteht
auf diese Weise zu, dass die notorisch besseren
Erfolge der nordamerikanischen homöopathischen
Irrenanstalten den homöopathischen Principien allein
zu danken seien. Hierauf untersucht er kurz das
Wesen der „Naturheilung* im Gegensatz zur Kunst¬
heilung und stellt dann alle diejenigen Fälle zu¬
sammen, bei denen eine beabsichtigte Suggestion
auszuschliessen sei. Es sind das ziemlich viele und
mit Geschick zusammengestellte Fälle. — Der „un¬
beabsichtigten Suggestion* räumt er zum Schluss
immerhin noch ihren Platz ein, verwahrt aber sich
und die Homöopathie unter Anführung von neun
für den Arzneimittelkenner sehr belehrenden Kranken¬
geschichten gegen den allgemeinen Vorwurf, dass
die Homöopathie nur durch Suggestionismus heile.
Suggestion hält Herr Dr. Pf. dann um so viel
wahrscheinlicher, wenn die Symptomenähnlichkeit
des Mittels eine geringe und trotzdem der gute
Erfolg ein rascher war. —
Ganz anders denkt Herr Dr. phil. et medic.
F. Carl Gerster in München über die Sache,
qn Bd. 124, No. 7 und 8 d. Z.) Trotz der Ver¬
sicherung seiner Freundschaft £zur Homöopathie
unterzieht er die Ausführungen des Herrn Dr. med.
Pfänder einer entschieden feindlichen kritischen
Beleuchtung. Der Satz „keine Therapie ohne
Suggestionismus* beherrscht sein Expos6 und seine
ganze Logik. Bei allen Therapieen müsse in Zu¬
kunft die psychische Persönlichkeit mehr berück¬
sichtigt werden. Die Homöopathen hätten hierin
und durch eine sorgfältige Diätetik schon etwas
geleistet. Er verlangt Anschluss aller Aerzte an
die moderne suggestive Psychologie und verwirft
alle homöopathischen und anderen Kranken¬
geschichten, in denen dieses Moment nicht genügend
berücksichtigt erscheint, als Makulatur; auch die¬
jenigen Pfanders. Nun geht Gerster zu einer Polemik
gegen Pf. über, wobei er alle dessen Zugeständnisse
an den Suggestionismus noch viel zu gering findet,
alle dessen positive Anschauungen über homöo¬
pathische Mittelwirkung feindlich kritisirt und ein¬
fach Alles, was es auf dem Gebiete der Therapie
Erfolgreiches zu thun giebt, mit Haut und Haar
für den Suggestionismus in Anspruch nimmt. Natür¬
lich heilt nach Gerster der Suggestionismus auch
organische Veränderungen: Paralysen, Tabes, Epi¬
lepsie, Neurasthenie (organisch?), Psychosen, Am¬
blyopie, Anaemie, Schwindsucht, Herzkrankheiten,
Blutungen, Diarrhöen, verschiedene Fieberzustände.
Sein Gewährsmann ist Wetterstrand. Man macht
es mit oder ohne hypnotischen Schlaf. Auf die
Persönlichkeit des Patienten und auf die Geschick¬
lichkeit des Arztes komme Alles an. — Im Gegen¬
satz zu Pf. existirt für G. eine besondere Art
der Suggestion für die Homöopathie. Die
homöopathischen Aerzte sind alle fabelhafte Arznei¬
enthusiasten und von einem unerschütterlichen Selbst¬
vertrauen, das. sie auf die Patienten übertragen.
Die nun folgenden Compümente für die Homöo¬
pathen zu Ungunsten der anderen Schule kommen
mir nach alledem aus der Feder Gerster s sehr
sonderbar vor. Ich glaube (der Verfasser), die
Vortheile, welche die Homöopathen angeblich aus
ihrer klericalen und Adelsclientel zögen, gehören
18
Digitized by
Google
m
zum mindesten einer sehr vergangenen Zeit an.
Ob einer Materialist, Rationalist oder irgend ein
Gegentheil davon ist, das schiert die Leute sehr
wenig, wenn ihnen nur gut geholfen wird. »Macht
der Persönlichkeit!?* Mein Gott! - heut' zu Tage!
siehe Bismarck. »Selbstdispensiren ! u — leider über¬
all ausser in Preussen verboten! — »Die Ver¬
folgungen der Gegner bringen auch Homöopathen
Praxis und Ruhm!* — na, ich danke! — (der Ver¬
fasser).
Die von Dr. Pf. constatirten Ausnahmen von
der Suggestionsmöglichkeit sind für Dr. G. nicht
vollgültig; »es müssen erst zweifellose Control¬
versuche vorliegen.* Mit Berufung auf seine Kenner¬
schaft der Suggestionstherapie kritisirt er Pf/s An¬
gaben als unzulänglich begründet, hebt das günstige
Vertrauensverhältmss der Homöopathen zu ihren
Clienten wiederholt hervor und erinnert an die
Möglichkeit, dass bei irgend einer Arznei Heilung
ein treten könne, dass auch ein anderes Mittel als
das verordnete hätte helfen können und dass die
Krankheit auch ohne Medikation eine gute Wendung
hätte nehmen können, (sic!)
Bei dieser Gelegenheit komme ich auf jene
Eingangs meiner Abhandlung erwähnten für die
Homöopathen und ihre ganze Lehre so gravirenden
Aeusserungen Dr. Gerster s zurück, »welche der¬
selbe gar nicht gethan hat* (viel Bd. 125,
No. 3 und 4) die aber mir die Feder in die Hand
gedrückt haben, um diese, wie ich hoffe, nicht ganz
wirkungslose Abwehr zu schreiben. Es steht ge¬
schrieben Bd. 124, No. 7 und 8, Seite 56: »Es
braucht ja nicht bei allen homöopathischen
Curen die Suggestion allein oder mitwirkend
zu helfen, sondern es kann doch auoh möglich
sein, dass die vis medioatrix naturae mit und
ohne homöopathische Mittel ihre Schuldig¬
keit thut.* Das ist schon wirklich famos gesagt!
Wir Homöopathen sind dann blos das fünfte Rad
am Wagen! Doch die bittere Pille wird verzuckert:
»Ich möchte jedoch keineswegs behaupten, dass
eine therapeutische Wirkung der homöopathischen
Arzneien überhaupt nicht besteht.* Und ich, ver¬
ehrter Freund Gerster, möchte doch schon wissen,
worin diese nun höchst überflüssige Wirkung da
noch bestehen soll? Wenn wir Homöopathen so
etwas glaubten wie Du und doch medicinirten, so
wären wir unredlich, weil die Arzneiverordnung
unserer Ueberzeugung nicht mehr entsprechen könnte;
wenn wir nicht mit Sicherheit auf Bewährung unseres
Axioms in der Praxis rechnen dürften, so müssten
wir bewusste Suggestionisten sein; denn
unsere Erfolge sind constatirt und lauter Natur¬
heilungen giebts doch auch nicht; auch kann man
nicht immer warten, bis Autosuggestionen eintreten;
wenn wir aber überzeugte Suggestionisten sind und
trotz der von Dir gepredigten Labilitätsverhältnisse
in der Arzneiwirkung uns dennoch Jahr aus Jahr
ein tnit dem genauen Studium der nun völlig werth¬
losen Arzneimittellehre und mit Diagnosen abplsgen,
so sind wir unbewusste Esel. Mehr kann man
darüber nicht sagen. — Doch weiter:
Die »Controlversuche* würde Herr Dr. Gerster
so anordnen: »Der Heilerfolg ganz bestimmter
Mittel bei Krankheits-Recidiven würde nur dann
als entscheidend gelten, wenn man das »ganz be¬
stimmte Mittel* zwar verordnet, in Wirklichkeit
aber ein anderes giebt. Der Nichterfolg des letzteren
und der sichere Erfolg des ersteren (vorausgesetzt,
dass es der Patient nicht weiss) würde für eine
Mittelwirkung Gewähr leisten. Der Heilerfolg eines
»neuen Mittels*, während früher immer ein anderes
half, beweist gar nichts, da sich die Autosuggestionen
ändern können. Als Controlversuch müsste man
ein neues Mittel verordnen und das alte geben.
Der Heilerfolg eines ganz bestimmten Mittels bei
verschiedenen Personen wäre nur dann ein Beweis
dafür, dass die Symptomenähnlichkeit dos Mittels
die Ursache des Erfolgs ist, wenn bei jeder Person
jegliche Suggestion ausgeschlossen wäre.*
Die abfällige Kritik über Pfanders 9 Mittel¬
heilungen begründet G. eben damit, dass keine
Controlversuche statt gefunden hätten und die
psychische Anlage nicht geprüft worden sei Auch
habe man einen Versuch mit Nihilotherapie um¬
gangen. —
Ich frage jeden Praktiker, wie wäre unter den
von Pf. geschilderten Umständen das auch möglich
gewesen zu thun? Wer kann sein Gewissen mit
unsicheren Versuchen beschweren, wo der Erfahrung
gemäss die sichere Hülfe in seiner Hand ruht? (der
Verfasser).
Als einzig werthvoll betrachte ich die Rath-
schläge, die Dr. Gerster uns in Bezug auf
Arzneimittelprüfungen giebt. Hier die Ver¬
suchsperson auf ihre psychische Persönlichkeit zu
prüfen, sie vor Auto- und Allosuggestion zu be¬
wahren, halte auch ich für unumgänglich noth-
wendig angesichts des sich täglich mehr häufenden
Wustes von tausenden von unsicheren oft ganz
werthlosen und nur das Gedächtniss belastenden
Arzneimittelsymptomen. — (Der Verfasser.)
Ohne dass ich darauf eingehe, Herrn Dr. G. im
Einzelnen, was seine früheren Behauptungen betrifft,
zu begegnen, erlaube ich mir, ihm zu bedenken zu
geben, dass er vergessen hat, zu beweisen, dass
wir Homöopathen die Suggestion überhaupt
nöthig haben. Seinen Controlforderungen stelle
ich folgende Ansprüche entgegen: Er soll
beweisen, dass es unmöglich ist, dass wir unsere
anerkannten Erfolge ohne Suggestionismus blos
durch die uns sonst zu Gebote stehenden Mittel
erzielen; er soll beweisen, dass es kein Aehnlich-
keitsgesetz giebt; er soll beweisen, dass es Unsinn
Digitized by v^ooQie
m
ist, za glauben, dass ein beliebiger differenter Stoff
irgend welcher Provenienz, dem Körper ein verleibt,
im Stande ist, denselben jedesmal nur nach einer
ganz bestimmten Richtung anzugreifen resp. zu zer¬
stören ; er soll beweisen, dass nicht tödtliche Dosen
überhaupt nicht wirken oder nicht in der gleichen
Richtung wie die tödtlichen; er soll beweisen, dass
es überhaupt gar Niemand geben könne, der durch
die kleinsten Dosen im Mindesten afficirt werde
oder dass die Wirkang der kleinsten Dosen eine
beliebige, nicht gesetzmässige oder dass sie über¬
haupt » 0 sei. Wenn Herr Dr. 0. das Alles zu
seinen Gunsten, im negativen Sinne für die Homöo¬
pathen, bewiesen hat, dann kann er erst die
Frage aufwerfen: Was ist es denn dann eigent¬
lich, das die homöopathische Wirkung hervorbringt?
ist es vielleicht der Suggestionismus? (Der Ver¬
fasser.)
In Bd. 124, No. 15 und 16 hat nun Herr
Dr. Pfänder das Wort ergriffen zu einer
Erwiderung an Dr. Gerster. Seine Auseinander¬
setzungen sind jetzt entschieden mehr vom Stand¬
punkt der Homöopathie als dem des Suggestionismus
abgefasst und deshalb um so erfreulicher für uns.
Herr Dr. Pf. zieht den Ansichten Dr. G.’s entgegen
der Suggestion bedeutend engere Grenzen und
plaidirt für die doch sicher sehr oft eintretende
thatsächliche Mittelwirkung. Eine mathe¬
matische Gewissheit in Bezug auf Arzneiwirkung
gebe es freilich nicht. Ueberhaupt lasse sich die
Frage nufstellen, ob und wiefern die Autosuggestion
in die sogenannte Naturheilkraft einzubegreifen ist.
Die Anforderungen Gerster 8 bezüglich der
Prüfung der psychischen Persönlichkeit des Patienten
weist Pf. als tbeilweise übertriebene oder unmöglich
auszuführende zurück. Ebenso die Annahme einer
eigenen Art von Suggestionismus für die Homöo¬
pathie. Die schmeichelhafte Qualification der Homöo¬
pathen durch G. macht keinen Eindruck. Das
Selbstdispensiren hält Pf. für keinen der Homöopathie
eigenthümlichen therapeutischen Vorzug. Die Fälle
von 1 — 2 jährigen Kindern, von bewusstlosen Kranken
und von Thieren, die G. für Naturheilung in An¬
spruch nimmt, hält Pf. für die Homöopathie auf¬
recht. Auch der Werth homöopathischer Kranken¬
geschichten im bisherigen Sinne ist für Pf. ein
positiver im Gegensatz zu G., dem sie „Makulatur"
sind. Auch bei allgemeiner Ausbreitung des Sug¬
gestionismus stellt Pfänder derArzneibehandlung
ohne Suggestionismus noch die günstigere
Prognose und vertritt die Ansicht, dass die
homöopathischen Arzneien durch Vermitt¬
lung des fein reagirenden Nervensystems
auf die erkrankten Organe wirken und nicht
direct auf diese letzteren. Die nach der Seite der
Nihilotherapie hin geforderten Controlversuche G/s
weist Pf mit Rücksicht auf das Interesse des
Kranken und die hohe Wahrscheinlichkeit der
rein homöopathischen Heilung zurück. — Bei
chronischen Krankheiten ist nach Pf. plötzlicher
Umschwung durch Suggestionismus möglich aber
nicht wahrscheinlich. Häufig aber sind
hier homöppathisohe Heilungen. Dr. Pfänder
wünscht, dass das Thema noch allseitiger beleuchtet
werde. —
Nun folgen in Bd. 124, No. 17 und 18 Dr.
Lorbacher'8 Bemerkungen zu Dr. Gerster*s
Aufsatz. L. fasst sich kurz, indem er die an¬
gebliche Vermittlung der Suggestion zu den bisher
schon vorgebrachten Einwürfen gegen die Homöo¬
pathie hinzu addirt und sie unter die Kategorie der
mystischen Agentien verweist, ohne ihre Existenz
zu leugnen. Er giebt die Unmöglichkeit zu, den
Suggestionisten gegenüber den stricten Naohweis
des Nichtvorhandenseins der Suggestion in jedem
Falle zu führen und betrachtet offenbar den Sug¬
gestionismus als eine vorübergehende Modesache.
In Bd. 124, No. 21 und 22 habe ich selbst
in einer längeren Abhandlung versucht, die Be¬
hauptungen Dr. Gerster s möglichst zu entkräften
und seinen Postulaten entgegenzutreten. Da meine
Anschauungen schon aus diesen gegenwärtigen Zeilen,
wie ich hoffe, klar genug hervorgehen und die
strittigen Punkte bei der Beleuchtung des Gegners
sichtbar werden, so kann ich es wohl unterlassen,
mich selbst zu recapituliren, und erlaube mir, die
verehrten Leser hierin auf ihr Gedächtniss oder
auf ihr Wohlwollen, jene Abhandlung nachzulesen,
zu verweisen. Natürlich hat Herr Dr. Gerster
meine Einwürfe gegen seine Behauptungen nicht
unerwidert gelassen, (vide Bd. 125, No. 3 und 4.)
Einige seiner heissblütigen Ausfälle habe ich schon
parirt; auf mehrere andere seiner sonderbaren Ein¬
fälle wie z. B. den Vergleich zwischen ihm als
einem Freigeist und mir als einem Dogmatiker will
ich nicht näher eingehen. Seine didactischen
Theorien über „Methoden* und „Systeme*, über
den „Universalmediciner *, über die Folge geistiger
Beschränktheit durch fortwährende Beschäftigung
mit der Homöopathie, seine Anschauung vom „Hahne-
mannismus* weise ich einfach als Utopieen zurück.
Als „Freund der Homöopathie* hat sich Gerster
durch seine Auslassungen gerade nicht declarirt,
aber als Eklektiker. — Ist auch ein System, Alles
was man brauchen kann, zusammenzuholen. Uebrigens
giebt es Literatur genug, um sich über Hahnemann
und die Homöopathie besser zu unterrichten. Und
wenn Herrn Dr. Gerster die Literatur als „veraltet*
nicht zusagt, so mag ihn der Gedanke trösten, dass
die homöopathische Theorie in den Köpfen der
Homöopathen weiter vorgeschritten ist als in ihren
Büchern. —
„Gerade weil ich wünsche*, sagt Gerster, „dass
das, was an der Homöopathie gut und wahr ist,
18 *
Digitized by
Google
140
zum Durchbruch und zur allseitigen Wissenschaft-
liehen Anerkennung gelange, möchte ich, dass die
Homöopathen Krankengeschichten liefern, die in
jeder Hinsicht, auch vom Standpunkt des Suggestio¬
nismus wissenschaftlich unanfechtbar sind*. —
Nun ich wüsste nicht, was nach all" den An¬
fechtungen Gerster’s an der Homöopathie überhaupt
noch Gutes und Wahres sein sollte; zweitens kommen
mir die ziemlich anmassenden Wünsche des Sug¬
gestionismus , der vorerst noch um seine eigene
allgemeine Anerkennung in der Therapie zu ringen
hat, ebenso übertrieben vor wie Herrn Dr. Pfänder.
Da hätte die Chemie sicher noch viel mehr zu
kritisiren an uns Homöopathen; da könnte dieser
und jener kommen und uns die Meinung sagen;
das ficht uns Alles nicht an. Unsere Kranken¬
geschichten sind für uns lehrreich genug, weil der
Name einer Arznei, der da genannt wird, für uns
kein leerer Schall, sondern ein lebensvolles Bild ist
mit Vorgängen, die sich mit denen am Kranken¬
bette möglichst decken. — Der Suggestionismus
aber ist auch nur ein .System*, auch nur eine
.Methode* wie irgend eine andere. Ihn kennen zu
lernen ist interessant; aber wenn man ihn kennt,
bleibt nichts zurück als der traurige Eindruck, den
es macht, zu wissen, dass man einen mit Vernunft
begabten Menschen vollständig zu seiner eigenen
automatenhaften Carricatur erniedrigen könne. —
Den ihm von Pfänder gemachten Vorwurf des
Pansuggestionismus weist Gerster unter Hinweis
auf das Werk von Schmidkunz, zu dem er ärztliche
Erläuterungen geschrieben, zurück.*)
Indem ich einiges übergehe, komme ich sogleich
zu der Zumuthnng Gerster s an mich, .ich ver¬
wechsele die Suggestion, wie sie zu psychologischen
Experimenten oder zur Ausübung von Verbrechen
benützt resp. missbraucht wird, mit der .Heil¬
suggestion des gewissenhaften Arztes.* —
Hier ist mir neu, dass es etwas zum Verwechseln
giebt und, wenn es etwas zum Verwechseln giebt,
so ist mir nicht neu, dass diese sogenannte Heil¬
suggestion des gewissenhaften Arztes ein
uraltes Kind aller Zeiten und Völker ist und
dass jede Zigeunerin, jede Hebamme, jede Kinds¬
frau, jede Mutter und jede Pfuscherin am Lande
und in der Stadt sie kennt und ausübt, wenn sie
die Krankheit .bespricht*, wie das von jeher üblich
war und noch ist. Diese Heilsuggestion des ge¬
wissenhaften und sagen wir talentirten Arztes drückt
sich aber nicht immer sondern sogar sehr selten
durch Worte aus, sondern sie ist stumm. Sie be¬
ruht auf dem Rufe des Arztes, auf seinem persön¬
lichen Wesen, auf seiner Sympathie zu dem Kranken
und vice versa auch auf der Erfahrung des Kranken.
*) Leider konnte ich das Werk bis jetzt nicht
stndiren. Der Verf.
Das ist diejenige .Suggestion*, der ich unter allen
Umständen beipflichte.
.Die Arznei, sagt G., wirkt ja auch oder kann
wenigstens wirken ohne Betheiligung des Willens
des Patienten, sie beeinträchtigt also (?) auch in
gewissem Sinne dessen Willensfreiheit.* Mir scheint,
dass die Functionen der menschlichen Eingeweide
dem Willen sehr wenig unterworfen sind und dass
eine Arznei ihn hierin nicht beeinträchtigen kann.
Nach einem kleinen Panegyricus anf die Sug¬
gestionstherapie folgt nun ein hübscher und wahrer
Satz, den ich gern unterschreibe: .In sehr vielen
Fällen — und diese zu erkennen ist eben Sache
des mit der Suggestionstherapie vertrauten Arztes
— ist die therapeutische Suggestion einfach oder
mit Hypnose geradezu der Hebel, der den Patienten
aus seiner verzagten oder verzweifelten Stimmung
bringt und ihn für weitere therapeutische An¬
ordnungen empfänglich macht.* Das ist einmal
sicher wahr, dass viele Patienten, besonders chro¬
nische, die schon viele Enttäuschungen erlitten und
von torpider Gemüthsart sind, oft eines sehr ein¬
dringlichen Zuspruches bedürfen, sei es von Seite
des Arztes oder des Geistlichen, bis nur irgend
etwas Erfolgreiches mit ihnen zu unternehmen ist
Uebrigen8 besorgen viele Aerzte, besonders auf dem
Lande, dieses Wunder durch eine kolossale Grob¬
heit.
Bezüglich der . Autosuggestion der Besserung*
hat mich Dr. Gerster nicht richtig verstanden. Ich
hatte gesagt: .Gar nicht imponirt mir Deine Auto¬
suggestion der Besserung etc. etc.* Dr. G. dreht
die Sache nun ein bischen herum und sagt: .Die
Beibringung (ah!) der Autosuggestion der Besse¬
rung, die Dir lieber Freund, gar nicht imponirt,
halte ich für eine humane Pflicht, ja eine thera¬
peutische Ruhmesthat ersten Ranges.* — Dieser
Auslegung pflichte ich bei; ich hatte ja nur das
spontane Zustandekommen der Autosuggestion der
Besserung bei Schwerkranken für etwas Schwieriges
gehalten. —
Die .geistige Gährung* hätte mir Dr. G. schon
eher verzeihen können als Herrn Dr. Lorbacher
den .academischen Neuling;* die Gährung ist ja
doch in aller Welt, so wie Dr. G. will, ein Ent-
wicklungsprocess, und seine Producte sind, so viel
ich weiss, auf der ganzen Welt sehr geschätzt. Für
einen .unruhigen Kopf, der alle Augenblicke was
anderes treiben muss und nirgends zufrieden ist*,
habe ich Herrn Dr. Gerster nie gehalten.
Herr Ladame-Genf, der für seine bittere Kritik
des Schmidkunz’schen Werkes über Suggestionismus
*) Was ich aber unterlasse, da ich bei Besprechung
naturwissenschaftlicher Gegenstände die Hereinziehung
der Ansichten einzelner Religionsbekenntnisse für durch¬
aus verfehlt und nicht diskutirbar ansehe.
Dr. med. Q. Göhrum.
Digitized by Google
141
auch eine scharfe Büge bekommt, wird sich mit
den Herren Dr. 6. und Schmidknnz schon selbst
anseinandersetzen müssen; ebenso Herr Dr. Göhrum,
der sie ab gedruckt bat.*)
Zuletzt charakterisirt Herr Dr. Gerster seine
Stellung zur Homöopathie noch folgendermassen:
„Ich bin fest überzeugt und hoffe es noch zu
erleben, dass auch die Homöopathie, befreit von
den Schlacken, die durch leidige Systemsucht und
das Jurare in verba magistri ihr heute noch an-
hängen und ihre Wahrheiten verdunkeln, dereinst
ebenfalls zur wissenschaftlichen Arzneikunde ge¬
hören wird.* — Besten Dank, Freund Gerster, aber
da schaut ein ganzer Pferdefuss heraus! —
Wir sind am Schlüsse angelangt. Mir macht
es den Eindruck, dass die homöopathischen Aerzte
ihrer Lehre eine selbstständige Stellung zu reserviren
gedenken und dass nur einige zum Suggestionismus
hinneigen. Dass das homöopathische Publikum
autosuggestiv stärker veranlagt sei, als das übrige,
halten wohl die Meisten für unerwiesen, ich speciell
habe viel Grund das Gegentheil zu glauben. —
Wenn an der Homöopathie noch Mängel sind,
so tröste ich mich damit, dass die Theorie und
Praxis des wissenschaftlichen Suggestionismus aus
einem viel grösseren Wust von Thorheit und Aber¬
glauben ausgegraben werden musste als dies bei
der Homöopathie je der Fall war und der Fall sein
wird. —
Ein Fall von Ekzem (Ekzema
impetiginosum), ans der Praxis.
Mitgetlieilt von Dr. med. H. Billig in Leipzig.
HerrS. hier, pensionirter Eisenbahn-Packmeister*),
jetzt 67 Jahre alt, stellte sich mir am 1. December
v. J. vor und begehrte meine Hülfe gegen ein
langwieriges und ebenso hartnäckiges wie lästiges
Hautleiden.
Von früher Jugend auf bat er immer an etwas
„Schärfe* am Körper (Blüthen, Schorfe mit Eiter)
und tinea capitis gelitten, während die Eltern an¬
geblich frei von derartigem Leiden gewesen und
die Geschwister nur vorübergehend von leichter
tinea capitis heimgesucht worden seien. Als Kind
ist er geimpft worden ( - Näheres darüber nicht
bekannt —), im Uebrigen kann er sich aber nicht
besinnen jemals krank gewesen zu sein. In seinen
Militärjahren zeigte sich zuerst das Leiden in Form
eines flechtenartigen Ausschlags an den Oberschenkeln,
sonst nirgends weiter. Der betr. Militärarzt hat
*) Er verunglückte mit bei Gelegenheit der Ent¬
gleisung eines Zuges, dem er beigegeben war.
Der Verf.
ihm eine Zinksalbe zum Einreiben verordnet und
darnach ist der Ausschlag „bald* beseitigt gewesen,
um nach einigen Jahren von Neuem wieder zu er¬
scheinen, aber immer hauptsächlich nur noch an
den Oberschenkeln, weniger an den Unterschenkeln
und oberen Extremitäten. In seinem 34. und 35.
Lebensjahre war das Leiden am schlimmsten: die
betroffenen Stellen juckten ganz gewaltig, nässten,
und wenn eine Stelle anscheinend heilte, zeigte sich
eine Borke darauf. Einige Tage vor dem Ausbruche
des Ausschlags befiel ihn allemal eine eigenthümliche
Unruhe, ein eigenthümliches Schmerzgefühl und
Ziehen in den Schenkeln.
Es ist damals vieles und vielerlei von Aerzten
und Nichtärzten, wie es in solchen Fällen so zu
gehen pflegt, dagegen angerathen und angewendet
worden: es wurde besser mit dem Patienten und
16 Jahre lang ging es mit ihm „fast* ganz gut;
was aber geholfen hatte, konnten weder er noch
seine Frau, die am 24/6. c. bei der Befragung mit
gegenwärtig war, verrathen.
Es ging also „fast* ganz gut von 1873 bis
zum März des Jahres 188J. Da brach das alte
Uebel mit erneuter Heftigkeit aus. Natürlich war
wieder Verschiedenes ohne Erfolg gebraucht worden,
bis man eben am 1. December vorigen Jahres meine
Hülfe in Anspruch zu nehmen sich bewogen fand.
Aber was sah ich da! Ein durchaus nicht dürftig
ernährter Mann von mittlerer Grösse stand vor mir,
das Gesicht und der durch den Ausschlag haarlos
gewordene Kopf entzündlich geröthet, glänzend von
dem unaufhörlich durchsickernden Secrete, so dass
immer mit leinenen Lappen die nässenden Stellen
abgetrocknet werden mussten. Ebenso erging es
mit den oberen und unteren Extremitäten, während
am übrigen Körper, dem Rumpftheile, wenig und
nur hier und da eine Spur des Uebels zu bemerken
war. War einmal eine kleine Stelle auf kurze Zeit
trocken geworden, dann bildete sich ein weiss
schillerndes, schuppenartiges Oberhäutchen, unter
welchem aber das Nässen fortdauerte, bis das neu¬
gebildete Oberhäutchen wieder zerstört oder bei
etwas unvorsichtigem Abtrocknen mit entfernt worden
war. Patient war untröstlich über sein Leiden und
wollte schier verzweifeln.
Ich hatte ja während meiner langjährigen (bald
50 Jahre!) Praxis schon manches Flechtenleiden
und in den verschiedensten Formen zu behandeln
gehabt, aber ein so hochgradiges doch noch nicht
und ich war um eine sofortige Antwort ein wenig
verlegen, als er mich aufs Gewissen fragte: ob ich
ihm würde helfen können? Ich rühmte ihm die
grossen Vorzüge des homöopathischen Heilverfahrens,
das oft schon da noch Hülfe gebracht, wo alles
Andere im Stiche gelassen, und so hoffe auch ich,
dass es meinen Bemühungen gelingen werde ihn
von seinem peinlichen Leiden zu befreien.
Digitized by
Google
149
Und in der That, nicht ganz ohne Hoffnung
übernahm ich die homöopathische Behandlung des
bedauemswerthen Kranken. Ich versprach ihm
meinerseits die sorgsamste Behandlung, verlangte
aber seinerseits pünktliche Befolgung meiner An¬
ordnungen, Geduld und — Ausdauer! Und er hat
sein Wort gehalten, hat Folgsamkeit und Ausdauer
gezeigt und geniesst nun die Folgen davon, denn
er ist — sein Leiden los!
Es giebt der homöopathischen Mittel gegen die
verschiedenen Flechtenformen so viele, wie die Herren
Collegen alle wissen, dass es nicht allemal leicht
fällt gleich das Passendste herauszufinden. So war
auch ich, wie ich offen gestehe, anfänglich in
einiger Verlegenheit, was für ein Mittel ich meinem
Patienten reichen sollte. Der Gedanke lag wohl
nahe, den vorliegenden Fall als einen Abkömmling
der „vielgestaltigen Psora“ nach Hahnemann an¬
zusehen und demnächst die Cur mit sogenannten
antipsorischen Mitteln zu beginnen und zwar, nach
dem Rathe einiger älterer, sonst bewährter und
tüchtiger Homöopathen, sogleich mit Sulfur, als
dem vornehmsten Antipsoricum. Diesem Rathe zu
folgen habe ich mich allerdings nie besonders ver¬
sucht gefühlt und so auch diesmal nicht, sondern
ich*gab zuerst Lycopodium 3. Deo.-Ver., jeden Abend
eine Gabe einzunehmen. Vielleicht verdiene ich da
nach der Ansicht Einiger einen Tadel, dass ich nicht
eine „Hochpotenz“ gewählt und diese in einer
einzigen Gabe habe Wochen lang auswirken lassen;
ich habe mich aber nie zu solchen Ansichten hin¬
geneigt in meiner Praxis. Ich habe zwar Versuche
gemacht mit Hochpotenzen, bis zur 200., habe aber
keine sonderlichen Erfolge davon gesehen und bin
deshalb immer wieder zu den tieferen Gaben zurück¬
gekehrt. Mein tirocinium in der homöopathischen
Praxis fiel ja noch in die zweite Hälfte der 40. Jahre,
in die Griesselich'sche Aera, als Student der Medizin
schon hatte ich bei meinem sei. Vater Gelegenheit
in der Hygea herumzublättern, die leider mit Griesse-
lich's Tode eingehen musste, und als angehender
Arzt habe ich vielfach, mündlich und schriftlich,
mit einem Trincks, den ich heute noch sehr ver¬
ehre, und einem Hirschei verkehrt, der mir immer
ein freundlicher Rathgeber und College war, so oft
ich auch zu ihm kam. Die „Hygea“ aber war mir von
jeher die liebste Lektüre, und heute noch, wenn ich
einmal Geist und Herz erquicken will, da hole ich
mir aus meinem Bücherschränke einen Band der
Hygea hervor und lese irgend ein Capitel darin,
etwas Lehrreiches und Interessantes finde ich immer
darin. Bei Vielen ist sie wohl (mit Unrecht! d. Verf.)
in Vergessenheit gerathen und unsere jüngere und
jüngste Generation dürfte sie wohl kaum dem Namen
nach kennen. Es ist eben das alte Tempora mutantur!
Doch nun zurück zu meinem Patienten! Ich
bitte den geehrten Leser um Entschuldigung wegen
der kleinen Abschweifung, die mir unwillkürlich in
die Feder kam.
Am 14. December consultirte mich Patient von
Neuem und da auch nicht die mindeste Aenderung
resp. Besserung eingetreten war, so erhielt er nun
Graphit 6. Vbg., ebenfalls jeden Abend eine Gabe
und am 29« December nochmals dasselbe Mittel, ohne
allen Erfolg, wie ich bei seinem nächsten Besuche
am 18. Januar d. J. leider wabmehmen musste.
Nun entschloss ich mich doch, ihm einmal Sulfur
zu geben und zwar in globulis, die mit der 80. Verd.
befeuchtet waren.
Am 1. Februar c. Status idem. Ich befand mich
in einer Art gelinder Verzweiflung, zumal da ich
wahrnahm, dass auch Patient die Hoffnung auf einen
günstigen Erfolg der Cur aufgeben zu wollen schien.
Da entsann ich mich, in einem früheren Bande der
Griesselich’schen Hygea einen Aufsatz gelesen zu
haben, in welchem ein College den durch gelungene
Heilungen bestätigten Vorschlag machte, in gewissen
Fällen der Natur nachzuahmen und gewisse Mittel
in heissem Wasser auflösen and den Patienten noch
möglichst warm einnehmen zu lassen*). Es ist mir
leider bis jetzt nicht gelungen, trotz alles Nachschlagens
den betr. Aufsatz in der Hygea wieder aufzufinden;
sollte es mir aber einmal gelingen, so werde ich
nicht ermangeln auf gedachten Vorschlag in diesem
Bl. zurückzukommen. Man denke nur an die warmen
bez. heissen Mineralbrunnen! So gab ich denn am
1. Februar c. dem Patient 12 Pulver mit Natrum
muriaticum3.Dec.-Ver., jedes etwa eine gute Messer¬
spitze voll enthaltend, mit der Weisung, jeden
Morgen nüchtern ein solches Pulver in eine
reine Obertasse zu schütten, bis zur Hälfte mit
heissem Wasser zu übergiessen und die Lösung
nach vorhergehendem Umschütteln so warm als
möglich auszutrinken. Dieselbe Ordination am 16.
und 19. Februar, am 13. und 27. März. Als Patient
sich mir am 10. April wieder vorstellte, konnte ich
eine unverkennbare Besserung constatiren und Patient
selbst sah hoffnungsvoller aus. Die hohe, glänzende
Röthe der Haut war nach und nach mehr gewichen
und ebenso war das Nässen des Exanthems all-
mählig immer geringer geworden, ja hier und da
war der Ausschlag gewichen und die Stelle zeigte
eine fast normale Hautfarbe.
Noch war aber der Moment nicht gekommen
die Hände nun ruhig in den Schooss zu legen und
*) In Folge der vielen günstigen Erfahrungen des
verstorbenen Collegen Dr. Heinigke habe auch ich bei
nervösen Erregungszuständen, irritatio spinalis, gewissen
neurasthenischen Beschwerden (Schlaflosigkeit, hoch¬
gradiger Mattigkeit) sowie bei den sogen. Erschöpfungs-
neurosen wiederholt Tinct. aven. sat. 0 3 mal täglich
2-3 Tropfen in einen Theelöffel voll heiss es Wasser
mit sehr günstigem Erfolge verordnet. Eine hinreichende
Erklärung für diese Verordnungsweise vermag ich nicht
zu geben. Dr. Haedicke.
Digitized by v^ooQle
148
abzu warten, wie sieb die Sache weiter entwickele.
Patient erhielt demnach an genanntem Tage weitere
Pulver desselben Inhaltes, nur mit der Weisung,
seltner davon einzunehmen, vielleicht einen Morgen
um den andern.
Am 2. Mai weitere Besserung, dieselbe Ver¬
ordnung.
Am 28. Mai dieselbe Wahrnehmung, Natr. mur.
wird fortgesetzt.
Am 24. Juni besuchte mich Patient auf mein
ausdrückliches Verlangen noch einmal, um sich mir
in seiner neuen Gestalt vorzustellen. Ja, der
Mann, der da vor mir stand, war kaum wieder zu
erkennen, es war wirklich ein neuer Mensch ge¬
worden. Von dem Exanthem war nichts, gar nichts
mehr zu sehen, und was das Auffallendste war:
der ehemalige Patient hatte nicht nur sein volles
Haupthaar wieder bekommen, sondern auch anstatt
des verlorenen weissen ein dunkles, braunes Haar!
Und was nach meiner Ansicht nicht weniger hoch
anzuschlagen ist: die frühere Niedergeschlagenheit
und Verzagtheit war gänzlich gewichen und froh
und wohlgemuth sah er jetzt mit klaren Augen in
die Welt hinaus!
Heute, wo ich diesen Aufsatz schliesse, schreiben
wir den 24. Juli, mein Herr S. ist aber noch nicht
wieder dagewesen, es muss also doch wohl noch
gut gehen mit ihml Ich wünsche es wenigstens
ihm und - mir.
Die zeitweilig herrschenden
Heilmittel.
Von Ide-Stettin ist am 9./10. die Mittheilung
eingegangen, dass er im Gegensatz zu den sonstigen
Erfahrungen bei Diarrhöen von Veratr. wenig, da¬
gegen von Apis mit w. folgendem Arsen, guten
Erfolg sah. (H.)
Leeser-Bonn berichtet am 13./10., dass er im
ganzen viel Wechsel habe; in den letzten Tagen
sei besonders Laches. hervorgetreten; sonst komme.
noch vor =» Kali carb. (Silic. + Digit.), = Silic.
(Baryt, carb. = Led. pal.), = Rhus tox. (Baryt,
carb. -f* Iris). (W.)
Schwarz-Baden-Baden hatte am 7., 8. and 9./10.
= Veratr. (Ac. phosph. + Ignat.) bei Rachen-,
Kehlkopf- und Luftröbrenkatarrh mit Brennen, Rauh¬
heit, Scharren im Hals, Husten von Kitzel in den
unteren Luftröhrenästen; am 11. und 12. = Kali
bichromic. (Baryt, carb. -f- Tone.) bei denselben
Pat, aber der Husten kam von Kitzel an der Bifur-
cationsstelle der Trachealäste, Husten beim Erwachen,
nach tiefer Inspiration, besser nach Warmwerden
im Bett; am 14. wieder bei denselben Pat. =
Euphras. (Natr. mur. + Iris): in den Vordergrund
treten die catarrhaliscben Erscheinungen der Nase
(profuse Sekretion, viel Niessen, Thränen der Augen),
beim Husten, der seltener ist, Stechen in der linken
vorderen Axillarlinie im 6. I. C. R. (W.)
Kirn-Pforzheim berichtet am 19./10. von niederem
Krankenstand; bei Catarrhen der Brust und des
Halses leiste Caust. die besten Dienste. Sehr häufig
seien Zahngeschwüre, für die meist Apis genüge. (H.)
Ich-hier hatte vom 7.—18./10. vorwiegend =
Silic. (Baryt, carb. + Led. pal.), daneben noch
häufig andere Combinationen von Baryt, carb. be¬
sonders mit Bell. (= Mercur), mit Lact. vir. (= Ac.
phosph.), mit Tone. (= Kali bichromic.), mit Petrol.
(= Magn. carb.); ausserdem trat vom 11.—13.
noch = Tart. stib. (Natr. mur. -f- Led.) häufiger
auf; am 19. war kein herrschendes Mittel zu finden;
heute ist ganz vorwiegend Borax-Sabadill, angezeigt.
(W.)
Buob-Preudenstadt hatte vorwiegend Merc. corr.,
Ipecac. und Nux vom.
Hafa-Herrnhut hat noch immer besonders chro¬
nische Krankheiten und dabei Baryt, carb. oder Ac.
nitric. mit Sabin. oder Tabac. oder Con. oder
Stramon.; bei Darmcatarrhen findet er China an¬
gezeigt; die Leberaffectionen werden seltener.
Stuttgart, den 20. October 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
ANZEIGEN.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Limousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle ä Paar = Mk 3.50.
Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets
ganz frisch, wirdinGlasstöpselgläsem, ä 30,0=50Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A.Marggrafs homöopath. Officin.
Zur Eiweissbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbach 9 sehen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung ä Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung vonCitronen* u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant, (ä 100,0 = 30 Pf.) ab.
Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin.
Digitized by Google
144
Revisionsmässige Hausapotheken!
Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbst-
diepen8irenden homöopathischen Herren Aerzte werden
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die -
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker.
Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte
kleine, praktische
Giftschränkchen
und
Separanden-Schränkchen
anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu
Diensten.
(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen
vollste Anerkennung gefunden).
Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬
weitigen Zimmereinrichtung passen.
Ein Glft80hränk0hen ist 100 cm hoch, 50 cm breit
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für
sich verschliessbar ist. ln diesen Abtheilungen sind
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit
vorschriftsmäsaigen Porzellanschildern versehen.
PreiB eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M.
Ein Separanden8Chräokchen ist 70 cm hoch, 60 cm
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬
zellanschild Separanda versehen eine Einrichtung für
80 fiaconsä 15,0, auf Wunsch aucn für andere Flaschen¬
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬
zubewahren die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte).
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M.
Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen
entsprechend, habe ich die Gift- und Separanden-
Sohränkohen jetzt auch in einen Schrank ver¬
einigt, vorrätkig.
Die obere Abtheilung dieser Doppel schränke ist
für die Separanda, die doch mehr gebraucht werden
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬
trennt auf bewahrt werden muss wie die Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia.
Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm
tief und 62 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-,
nussbaum- oder mahagoni artig.
Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur
60 Mark.
A. Harggraf s homöopath. Offizin in Leipzig.
Soeben ist erschienen nnd zum Versandt ge¬
kommen die 2. Lieferung von
Die ve rgleichende
Arzneiwirknngslehre
von
Dr. med. H. GrOSS und Prof. Dr. med. C. Herinfl.
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben
von Sanitätsrath Dr. med. Faulwasser, Bernburg a S.
Complet in 8 Lfgn. k Mk. 2.50. Einbanddecke gratis.
fftF* Wer das Werk lieber im Ganzen complet
g ebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen,
a später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt.
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Iaieferung.
Jede Iaieferung: 0 Druckbogen, 4°. Preis 2.60 Mk.
Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen
sind eine grosse Menge Bestellungen auf dieses Werk
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen
Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend
genug empfehlen können.
In Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis
thatsächlich ein ausserordentlich niedriger zu nennen.
Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei¬
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre
Anschaffung empfohlen.
Leipzig, den 12. October 1892.
A. Marggraf’s homöopath. Offlein.
f Rein,oftnejede
Beimischung zu gebrauchen!
Francks Früchten-Caffee.
Verbesserter;Iiomopaffiisc/ier
6esundtmte-gä|=^
nach DT F.Katsch
FRANCK
nur acht,wenn mit I SCHUTZMARKE
^7 u.Unterschrifl
bürg
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttgart, Dr. StifTt-Leipeig und Dr. Haedicke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Greeener & Schramm in Leipzig.
Digitized by Google
Band 125.
Leipzig, den 10. November 1893.
No. I» u. 20.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig.
Braeheint 14ttgig sn 9 Bogen. 13 Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf . (Halbjahr). Alle Buchhandlungen und
Postanstalten nehmen Bestellungen an. No. 97 des Poet-Zeitunge-Veraeiohnisse« (pro 1899). — Inserate, welche an JEt. Mosse in
Lelpiig und dessen Filialen oder an die Vexiagah&ndlung selbst (A. M&rggr&f's homöopath. Offlein in Leipsig) su richten
sind, werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Baum berechnet. — Beilagen werden mit 19 Jf. berechnet.
Inhalt. Hofrath Dr. Ed. 6roos + 12. Dez. 1891. Nekrolog nach einem Vorträge, gehalten anf der Herbst¬
versammlung des Sächs.-Anhaltin. Vereins homöopathischer Aerzte zu Magdeburg. Von Dr. Fr. Groos-Magdeburg.
— Eryslpelae habituaie. Von Dr. Mossa-Stuttgart. — Eine Heilung von Angina Ludovioi durch Arsenik. Von
Dr. med. Leeser-Bonn. — Eine Richtigstellung. Von Prof. Dr. G. Jaeger. — Nachtrag zu den Artikel „Heimathiiohe
Arzneikimde“ in No. 1718, Bd. 125 dieser Zeitung. Von E. Schlegel, Arzt in Tübingen. — Die zeitweilig herrschenden
Heilnittel. — Verwahrung. Von Dr. med. F. Katsch. — Erklärung. — Referat: Prof. Jaeger’s Arbeiten in Amerika.
Von Dr. Göhrum. — Personalla. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU
Hofrath Dr. Ed. Groos 112. Dez. 1891.
Nekrolog nach einem Vortrage, gehalten anf der
Herbstversammlnng des Sächsisch - Anbaltiniscben
Vereins homöopathischer Aerzte zu Magdeburg.
Von Dr. Fr. Groos-Magdeburg.
Verehrte Collegen. Der rauhe Tod hat in jüngster
Zeit zwei treue Anhänger unserer Schule hingebettet,
gleich ehrwürdig durch ihr Alter, wie durch das
ungewöhnliche Vertrauen, dessen sich beide seitens
ihrer Kranken weit und breit zu erfreuen hatten.
Beide waren Söhne der rothen Erde, der eine im
Norden derselben, im Gebiete der Weser ansässig,
der andere im Süden am Ursprung der Lahn.
Leider bin ich mit dem Collegen Weihe sen.
in Herford während meines Aufenthalts von 1859
bis 1860 in EUsbergen a/W. als homöopathischer
Arzt nicht in nähere Berührung gekommen,
während mich mit dem andern, meinem Vater, die
engsten Bande des Bluts verknüpften. Hofrath Dr.
Ed. Groos war, als der jüngste von 3 Söhnen des
fürstl. Wittgenst. Kammerdirektors Carl Groos am
21. Februar 1806 auf Schloss Wittgenstein bei
Laasphe in Westphalen geboren und auf den Schulen
in Giessen und Soest vorgebildet worden. Im
Herbst 1825 bezog er die Universität Marburg, um
sich anfangs der Gottesgelehrtheit zu widmen, ver¬
tauschte sie aber noch in demselben Jahre mit der
Heilwissenschaft; ging dann 1827 nach Bonn und
1829/31 nach Berlin. Hierunterzog er sich zunächst
der kurz vorher eingeführten Dienstpflicht als Ein¬
jähriger und bestand nach Beendigung derselben die
ärztliche Prüfung mit der Bezeichnung „sehr gut.“
Im April 1831 lies er sich als Arzt in seiner
Vaterstadt Laasphe nieder, einem kleinen, welt¬
verlassenen Orte, den er im ersten Jahre nur ein
einziges Mal in seinem Leben auf längere Zeit
verliess, um den krankheitshalber beurlaubten
Grossherzogl.-Hessischen Oberkammerherrn und Ge¬
sandten in Wien, Fürsten Adolf zu Sayu-Wittgen«
stein-Hohenstein auf Reisen zu begleiten. Nicht
lange vorher war er, am Typhus erkrankt, von
dreien seiner dortigen Collegen nach damals üblicher
Art in einer solchen Weise behandelt worden, dass
er, nach eigenem Geständniss, statt zu genesen,
von Tag zu Tag kränker wurde, seine Blutmischung
eine solch’ anomale Beschaffenheit annahm, dass er
tassenweise dunkles aufgelöstes Blut aushustete und
sicherlich lege artis gestorben wäre, wenn ihm nicht
seine widerstandsfähige und kräftige Natur darüber
hinweggeholfen hätte. Als er sich von der er¬
wähnten Krankheit in der Reconvalescenz befand,
sein Athem noch kurz, seine Brust noch nicht frei
von Schmerzen war und die reichliche Expectoration
noch schwer von statten ging, rieth ihm ein alter
befreundeter allöopatbischer College, Sulfur in
kleinen Gaben anzuwenden, weil ihm dieses Mittel
in solchen Fällen stets gute Hülfe geleistet habe.
19
Digitized by
146
Der Erfolg dieses nach Hahnemann’schen Grand¬
sätzen angewandten Arzneimittels war überraschend
und lenkte seine Aufmerksamkeit um so mehr auf
die Homöopathie, als dieselbe damals die Aerzte-
welt noch mehr zur Parteistellung drängte, wie
heute, auch der Ruf der neuen Heilmethode schon
in diese abgelegene Gegend gedrungen und durch
die glücklichen Erfolge benachbarter homöopathi¬
scher Aerzte der DDr. Gauwerky in Soest, des Hofrath
Rau in Giessen, des Hofrath und Leibarzt des
Fürsten Solms-Lieh bei Giessen Weber, des Kiesel¬
bachs in Hanau und last not least des Reg.-R. a. D.
Dr. C. y. Bönninghausen in Münster eine gewisse
Berühmtheit erlangt hatte. In dem Collegen Dr.
Petrasch der in der nahe gelegenen Kreisstadt Berle¬
burg, in späteren Jahren als homöopathischer Arzt
in Münster, wohnte, fand er bald einen strebsamen
Gesinnungsgenossen, so wie später in dem Kreisarzt
Dr. Stirn zu Biedenkopf, im Grossherzogth. Hessen
das er später, mit dem nahen Gladenbach vertauschte,
wo er vor einigen Jahren sein öOjähriges Jubiläum
gefeiert und zum Sanitätsrath ernannt, noch heute
lebt. So wenig Befriedigung die Behandlung der
inneren Krankheiten gewährte, um somehr bot die
Chirurgie und Geburtshülfe, für welche er besonders
beanlagt war, einen wirksamen Ersatz, in letzterer
eignete er sich eine, für einen Landarzt ausser-
gewöhnliche Geschicklichkeit an, deren unbestrittene
Herrschaft er bis zu seinem Tode zu behaupten
wusste. Im J. 1839 ernannte ihn der Fürst Alexander
von Wittgenstein in Folge einer äusserst schwierigen
aber glücklichen Entbindung der Fürstin zu seinem
Hofrath und Leibarzt.
Im Frühjahr 1835 machte er gelegentlich eines
Besuchs in Münster in der Familie des Oberpräsi¬
denten von Vinke die Bekanntschaft des damals
schon sehr berühmten homöopathischen Arztes Re-
gierungsrathes a. D. Dr. C. v. Bönninghausen. In
einer längeren Unterredung setzte ihm dieser mit
einer bei einem allöopathischen Arzte noch nie be¬
obachteten Begeisterung die Principien der Homöo¬
pathie ihre Vorzüge und Vortheile auseinander und
theilte ihm seine staunenerregenden glücklich voll¬
führten Curen mit
ßie wissen aus eigner Erfahrung, da Sie den¬
selben Werdeprocess durebgemacht haben, wie schwer
es ist, sich aus der beengenden Stickluft der über¬
kommenen Universitätslehren heraus zur kecken
Tbat des Uebeitritts aufzuschwingen.
Die Gabenfrage ist ja die Klippe, an der, nahe
dem rettenden Hafen der Homöopathie zugewendete
Männer im letzten Augenblick noch scheitern,
v. Bönninghausen gehörte mit zu den hauptsäch¬
lichsten Verfechtern der „Hochpotenzen*. Dass
meinem Vater dieser Entschluss schwer geworden
ist, ersehen Sie aus den von ihm verfassten „Er¬
fahrungen eines alten Arztes auf dem Gebiete der
Homöopathie*, wo er uns einen Einblick in seine
damalige Stimmung gestattet. „Wenn ich auch
durch alle diese Begegnisse mehr und mehr zu der
Annahme der Richtigkeit des homöopathischen Grund-
princips mich veranlasst fühlte, so waren doch alle
Zweifel an die Tragfähigkeit desselben in mir noch
nicht gehoben, und dass insbesondere die inlso
übermässig kleinen und seltenen Gaben verabreichten
Arzneien eine so immense Kraft und ausgedehnte
Wirksamkeit haben sollten, wollte mir durchaus
noch nicht einleuchten. Und noch am allerwenigsten
konnte ich begreifen, dass mit der fortgesetzten
materiellen Verkleinerung der Arzneien in höher
steigenden Potenzen, mit Schütteln und Armstössen,
eine Multiplication ihrer Kraft gegeben sein sollte.
Der alte Erfahrungssatz der Physik: nulla vis sine
materia musste, meines Erachtens, doch auch in
dieser rein stofflichen Sache seine Geltung behalten.
In chronischen Krankheiten namentlich des Nerven¬
systems, in psychischen und akuten Krankheiten
überhaupt mit erethischem Charakter nach der Be¬
zeichnung des Prof. 8chönlein, glaubte ich der
Homöopathie zwar einen bevorzugten Platz ein¬
räumen, dagegen in den Krankheiten mit dem
Charakter der Synocha oder des Torpors, der zu
starken oder zu geringen Reaction, jener keinen
hohen Werth zuerkennen zu können.* Inmitten
dieser widerstreitenden Empfindungen erschien sein
Schwager, Dr. Louis Griesselich zu Karlsruhe, zum
Besuche bei den Schwiegereltern, im Frühsommer
1835, welcher der entgegengesetzten Ansicht huldigte
und aus voller Ueberzeugung für die unumschränkte
Anwendung der Homöopathie auf dem Gebiete der
Medicin eintrat. Ein Studienfreund des Fürsten
Alexander hatte er bei einem Besuche auf Schloss
Wittgenstein in der älteren Sobwester meiner Mutter
seine Frau kennen gelernt. Er war eine eigenartige,
weiche und zugleich kampffreudige Natur, von
hoher, schriftstellerischer Begabung, ein Feind jeder
Ueberschwänglichkeit, von seltner allgemeiner Bil¬
dung und Belesenheit, von scharfem, stets schlag¬
fertigem Urtheil und von unvergleichlichem, unüber¬
trefflichen Witz, gefürchtet wegen seiner bissigen
Ausfälle auf die alte Medicin, aber auch ein uner¬
müdlicher Kämpfer gegen die Hoobpotenzen der
neueren Schule, nach Hirschei ein wahrer Ulrich von
Hutten, der gegen jeden Mysticismus und Aber¬
glauben in der Homöopathie die Waffen des Ernstes
und Spottes mit Erfolg führte. Leider war es ihm
nicht vergönnt, die Wissenschaft vom Absolutismus
der Hahnemann’schen Lehrsätze ganz zu befreien.
Er starb eines frühen Todes 1849 als funktionirender
Generalstabsarzt des 8. deutschen Armeecorps im
chleswig*holsteinischen Kriegs durch einen Sturz vom
Pferde. Ein unscheinbarer Stein errichtet von dem
badischen Officiercorps, umrankt von üppigem
Strauchwerk, deckt seine Stätte auf dem Kirchhof
Digitized by v^ooQie
147
zu Altona und lässt nicht ahnen, dass hier einer
der genialsten und begeistertsten Vertreter der
Homöopathie den letzten Schlaf schläft.
Ein vieljähriger brieflicher Verkehr mit Griesse-
licb über die Grundsätze und Grundanschauungen
der neuen Schule, der er mit Leih und Seele er¬
geben und för die er seine Kräfte bis zum letzten
Pulsschlag seines Lebens einzusetzen, nicht müde
ward, führte endlich dahin, dass mein Vater mit
fliegenden Fahnen in das Lager der Homöopathie
übertrat.
Es würde den Rahmen dieser Mittheilungen
überschreiten, wollte ich Ihnen dieselben in ihrem
ganzen Umfange vorführen. Nur auf einzelne Punkte
will ich mich beschränken und sie ihrem Wortlaute
nach wiedergeben, insofern sie auch jetzt noch
unsere volle Theilnahme verdienen.
Unter dem 22. Juli 1835 schrieb Griesselich:
Ihre Bereitwilligkeit, sich mit einer Doctrin bekannt
zu machen, die in ihren wenigen Fundamentalsätzen
gut, in ihrer Ausführung übel bestellt und in der
Praxis mit mannigfaltigen Schwierigkeiten verbunden
ist, hat mich sehr gefreut. Ich fürchtete zwar
längere Zeit, Sie möchten nicht darauf eingehen,
indem Sie einestheils von den mit der Doctrin ge*
Iriebenen Thorheiten zurückgeschreckt wären, andern-
theils auch die Schwierigkeiten in der Praxis zu
bedeutend gefunden hätten, bis mich Ihr Schreiben
eines Besseren belehrte. Ich hoffe, Sie werden sich
durch all’ das widersinnige Zeug, von dem die ganze
Medicin und ihr Appendix, die Homöopathie, starrt,
glücklich durcharbeiten und dazu gelangen, das in’s
Lehen einzufnhren, was Sie mühsam errungen haben,
wie ich und viele andere .... Der guten Sache
werde ich meine Kräfte immer widmen, gegen jeden
Missbrauch, entspringe er aus Dogmatismus, Eigen¬
nutz oder Unkunde, aber ebenso streng zu Felde
ziehen, finde er sich hier oder dort. Wenn man
einmal feststeht auf dem neuen Felde, wenn man
vor sich hat all’ die Menge des uns allen noch
Fehlenden und hinter sich etwas festes Land, so
bekommt man etwas mehr Muth und Zuversicht
für das, wofür man arbeitet und ich möchte sagen,
cs tauchen aus dem Innern neue literarische Freuden
auf, die man bei der Ausübung der complicirten
älteren Praxis nicht fühlte. Es ist mir und anderen
so ergangen und diese Gefühle können eine Art
Begeisterung hervorrufen, die durchaus nicht blind
macht und zu einem Enthusiasmus von Stroh ver¬
donnert, sondern einem erst recht klar macht, was
zu thun ist, um die an und für sich gute Sache
besser zu machen, als sie aussieht. Seit längerer
Zeit wenden sich ältere und jüngere Aerzte in Sachen
der Homöopathie an mich und wünschen Auskunft
über das Studium derselben; allein ich bekenne,
dass es mir immer ergangen ist, wie heute mit
Ihnen: es ist schwer diese Auskunft zu geben.
Ich versäume nie, jedesmal auf die Tollheiten auf¬
merksam zu machen, die mit der Homöopathie ge¬
trieben und duce Habnemanno nachgebetet als Wahr¬
heiten verehrt worden sind. Bei einer Prüfung der
Homöopathie muss man eine gute Portion Zweifel
zu der Kritik mitbringen, von einigen Hauptsätzen
ausgehen und eben bei Zeiten lernen, das Trügliche
von dem wirklich Wahren zu unterscheiden. So
grosse Mängel, Uebertreibungen und Grellheiten das
Organon Habnemann’s auch hat, so muss man es
doch lesen zur Erforschung der Wahrheit und ihr
zu lieh die vielen Schattenseiten übergehen und
nur mitnehmen, was einem klar geworden ist, dieses
anstreichen und sich zu eigen machen und was
halbklar ist, überlegen. Das Princip „similia similibus*
ist so wahr, als etwas auf der Welt wahr sein kann
und bezeichnet nach einer verständigen Theorie nichts
als die specifische Beziehung zwischen Organ und
Arznei. Dass nach H. eine künstliche ähnliche
Krankheit die natürliche überstimmen und somit
heilen müsse, ist falsch. Das homöopathische Mittel
heilt, weil es in der allernächsten Beziehung zu
dem Leiden steht und es bedarf daher nur kleiner
Arzneigaben, um in dem kranken Organismus jenen
Grad von Reaction hervorzurufen, um die Naturkraft
so zu leiten, dass Genesung eintritt. Da kein ge¬
sundes Organ von dem homöopathischen Arzneimittel
angegriffen werden soll, wie bei der antipathischen
Methode durch ableitende Mittel, so bedarf es eben
nur geringer Gaben und einfacher Arzneien, deren
Wirksamkeit an Gesunden zuvörderst erprobt sein
soll, um deren specifische Beziehungen zu erfahren.
Die Hahnemann’schen kleinen Gaben wirken nicht
selten, allein sie wirken nicht immer und müssen
nach dem Leiden und Individuum modificirt werden.
Ja man muss bei torpiden Subjecten von Tincturen
zuweilen unverdünnte Dosen geben. Um z. B. eine
Augenentzündung zu heilen, welche in Bellad oder
einem andern grade passenden Mittel ihre Arznei
findet, können Sie keine Dosis brauchen, wie man
sie gewöhnlich in der Praxis giebt Man muss es
ferner als Grundsatz betrachten, dass man jeder
Gabe so lange Wirkung gönnt, als sie wirklich
Gutes leistet. Ueher diesen Punkt und die Wieder¬
holung sind die Aerzte verschiedener Meinung. Die
Wahl der Gabe und die Zeit der Wiederholung
muss dem Genie des wissenschaftlichen Arztes über¬
lassen bleiben. In akuten Leiden kann es sein,
dass man die Arznei alle paar Minuten geben muss,
z. B. in der Cholera Cupr. Ipec. und Veratr., ferner
in Entzündungen Acon. und zwar in starken Ver¬
dünnungen in der zweiten, ersten und sogar in der
unverdünnten Urünctur zu 1, 2 und mehreren
Tropfen alle Viertelstunden. In chronischen Leiden
sind im allgemeinen seltnere Gaben nothwendig.
Lassen Sie sich durch Hahnemann nicht irre machen,
wenn er Ihnen nur von der 80. Verdünnung vor
19*
Digitized by v^ooQie
148
demonstrirt, von dem Potenzirtwerden der Arzneien
durch Schütteln und Reiben, was sich anders er¬
klären lässt, von der Theorie der chronischen Krank¬
heiten, namentlich seiner unsinnigen Psora etc.
Ueber alle diese Sachen hat sich unter den ver¬
ständigen homöopathischen Aerzten nur eine Stimme
gebildet. Die Gegner & la Simon jr. u. s. w. haben
sich an diese falschen Dinge gehalten und konnten
deshalb nicht zu dem Guten an der Lehre kommen,
welches durch diese Falschheiten, Verdrehungen
und Uebertreibungen versteckt worden ist. Allein
hat man einmal eine Reibe von Versuchen gemacht,
so wird man sich, vorausgesetzt, dass man sie recht
macht, gar leicht überzeugen können, dass, wenn
auch Hahnemann’s Angaben nicht alle richtig
sind, doch die Homöopathie schätzbare Keime in
sich enthält, die nur gepflegt werden müssen.
Das Heer der Widersacher mag aber keine
Versuche machen, am wenigsten die a priori be¬
fangenen Professoren, deren Systeme dann Rivale
hätten. Die Hauptschwierigkeit, wenn man sich durch
die Theorie durchgearbeitet hat, ist, die Arznei¬
mittellehre sich anzueignen. Sie besteht aus einem
entsetzlichen Chaos von Symptomen, sodass man
den Wald vor Bäumen nicht sieht. Statt die
Arzneikrankheiten nach ihrem Verlauf zu schil¬
dern , findet man sie nach einem willkürlichen
Schema zerrissen und alles untereinander, wesent¬
liches und unwesentliches. Die Klagen darüber
sind allgemein.*
Der letzte Brief rührt aus dem J. 1836 bei
Gelegenheit der Uebersendung einer homöopathischen
Apotheke, aus den erprobtesten Arzneimitteln be¬
stehend, um damit praktische Versuche anzustellen.
„Ich habe Ihnen, fügt Griesselich hei, nur etliche
70 Arzneien bestellt, weil ich es nie anders mache, so
oft ein College eine Apotheke durch mich bestellt;
denn erstens sind viele Arzneien noch nicht recht
gekannt, zweitens ist es für einen Arzt, der erst zu
versuchen beginnt, genug, sich einen Grundstock
anzulegen und allmählig zu Werke zu gehen und
drittens bedarf er anfangs nicht vieler Arzneien,
bis er sich eingearbeitet hat. Entspricht dann diese
Heilmethode seinen Wünschen, so kann er leicht
die weiteren Anschaffungen machen, entspricht sie
aber nicht, so kann er den Verlust an Zeit und
Geld leicht verschmerzen. Ich schicke Ihnen die
Pflanzenstoffe in Tincturen, 100 Tropfen Alkohol
mit etlichen Tropfen der betr. Urtinctur. Wollen
Sie weitere Verdünnungen bis etwa zur dritten,
was gut sein wird, so nehmen Sie ein neues Gläschen,
schütten 100 Tropfen reinen Alkohol, den Ihnen
der Apotheker bereiten muss, hinein und träufeln
einige Tropfen der erhaltenen Tinctur hinzu; statt
des Alkohols können Sie auch destillirtes Wasser
nehmen. Zur Bereitung einer weiteren Verdünnung
giessen Sie den Inhalt des Gläschens bis auf einige
Tropfen aus und füllen es dann mit Alkohol oder
de8tillirtem Wasser wieder auf u. s. w.
Auf diese Weise ist die Procedur des Ver¬
dünnens kurz und erspart viele Gläser, denn zu
jedem Mittel bedarf es nur eines einzigen Glases.
Lassen Sie sich von dem Hahnemann’schen Schaber¬
nack, den hohen Verdünnungen bis zur dreissigsten etc.
nicht am Narrenseil herurafähren. Ich wende meistens
nur dritte und sechste Verdünnungen, auch erste
und selbst Urtincturen zu Tropfen an. Von den
mineralischen Stoffen, die meistens mit Milchzucker
bis zur 3. Verdünnung verrieben und dann mit
Alkohol weiter verdünnt werden, erhalten Sie die
fünfte Verdünnung, die gut anwendbar ist; die
sechste wird meistens von mir angewandt. Man
braucht, um selbst Verreibungen zu machen, keine
Stunde zu reiben und auch keine 100 Armschläge
zum Schütteln, sondern soviel, als man für gut hält
und will. Allein tüchtiges Reiben ist sehr gut und
bei Mineralien unerlässlich. Die Sache steht fest.*
Nun ging es an ein rastloses Studium der homöo¬
pathischen Arzneimittellehre unter Benutzung der
kurzen Uebersicht der Wirkungen homöopathischer
Arzneien von Dr. E. F. Rückert. Wegweiser in
der Wahl ward Dr. Hartmann’s Therapie akuter
Krankheitsformen nach homöopathischen Grund¬
sätzen, die durch bessere Handbücher längst über¬
flügelt ist. Oft musste die Arbeit im Drang der
Geschäfte bei der ausgedehnten Landpraxis auf Tage,
öfter wochenlang unterbrochen werden; aber das
Gefühl einer nicht befriedigten Sehnsucht, die Ahnung
eines Besseren, ja eine glaubhafte Verheissung war
der Leitstern in der immer wieder aufgenommenen
Thätigkeit. Die ersten Heilversuche wurden begonnen,
zunächst mit leichten akuten Krankheitsfällen anfangs
in der Familie und bei Freunden, die der Homöopathie
schon zugethan waren. Griesselich’s Schriften wurden
durchstudirt, namentlich die unter Mitwirkung des
Geh. Hofrath und Leibarztes Dr. Kramer zu Baden,
der nach 40jäbriger allöopathischer Praxis zur homöo¬
pathischen Schule übergetreten war, als vielbeschäf¬
tigter und wohlsituirter Badearzt, des Hofrath Dr.
Wiek zu Carlsruhe, des Prof. Dr. Werber zu Frei¬
burg und des Privatdocenten Dr. Arnold zu Heidel¬
berg unter dem Namen Hygea von dem J. 1834
herausgegebenen, durch wahre Wissenschaftlichkeit
sich auszeichnende Zeitschrift für Heilkunst.
Durch die gewonnenen Erfahrungen, durch das
klinische Experiment sank die Wagschale, je länger,
je tiefer zu Gunsten der Homöopathie. Unzweifelhaft
ist der Ausspruch meines Vaters in „seinen Er¬
fahrungen u tief empfunden, wenn er sagt: „Nur
wer die Homöopathie nicht kennt, ist ihr Gegner,
wer sie aber studirt, ist ihr Freund und kein Arzt
sollte aus Vorartheil oder Bequemlichkeit es unter¬
lassen, sie kennen zu lernen."
Wenn je der Ausspruch des Horaz nonum prematur
Digitized by v^ooQie
149
in annum zur Wahrheit geworden ist, so war es bei
meinem Vater, der Fall als ihm im J. 1845 nach
fast 9jähriger Prüfung der homöopathischen Lehre
und damit verbundener Behandlung der verschieden¬
sten Krankheiten auf Antrag der Königl. Regierung
zu Arnsberg durch das König]. Ministerium der
geistlichen Unterrichts- und Medicinal-Angelegen¬
heiten die Concession ertheilt wurde, homöopathische
Arznei-Mittel unter Beobachtung der im allerhöchst
bestätigten Reglement vom 20. Juni 1843 vor¬
geschriebenen Bedingungen selbst bereiten und dis-
pensiren zu dürfen. Zugleich mit ihm erhielten die
Erlaubnis die DDr. Gauwerky zu Soest, Weber zu
Brilon, Bredenoll zu Erwitte und Kropf zu Olsberg.
Das dazu gesetzlich vorgeschriebene Examen wurde
ihm erlassen auf Grund der Zeugnisse: Sr. Durch¬
laucht des regierenden Fürsten Alexander zu Sayu-
Wittgenstein-Hohenstein, des Magistrats der Stadt
Laasphe und des damaligen Kreisphysikus Hofrath
Dr. Winkel zu Berleburg, Grossvaters des bekannten
Gynäkologen zu München, worin der Nachweis ge¬
führt wurde, dass er bereits über 4 Jahre die Ho¬
möopathie praktisch ausgeübt.
Ein Brief seines Schwagers Griesselich vom
25. Juli 1846 liegt mir vor, aus dem noch folgen¬
des mitgetheilt zu werden verdient. «Dass Sie sich
völlig zur Homöopathie bekannt haben, vernahm
ich mehrfach, zweifelte aber auch nicht, dass Sie
sich dadurch in manche Unannehmlichkeiten bringen
würden; darauf darf sich jeder gefasst machen und
auch ich kann mich als einen Zeugen dafür auf¬
stellen. Man hat hier alles versucht, mich und die
andern Aerzte, die ebenfalls so heilten, zu ver¬
spotten und der Verfolgung preiszugeben; ich habe
mich aber nicht irren lassen und es war gut, denn
es hat mich angefeuert, in der verhöhnten Sache
Licht machen zu helfen.-Alle Praxis mit
globulis habe ich seit Jahren aufgegeben. Ich
gebe von Verdünnungen die erste bis dritte in
acuten Krankheiten, meist nach der Decimal-Scala
Ars. allein schwächer. Ich gebe Infusionen v. Armica
und Senega; denn ich scheue den Weingeist in
vielen Fällen und veijage ihn mit Tincturen durch
Verreibung mit Milchzucker. Mein Zutrauen zu
den kleinen Gaben ist völlig geschwunden; ich
reiche in chronischen Krankheiten nicht über 12 in
guttis. Mich schauderts, wenn ich sehe, wie es
Aerzte giebt, die mit der 2500 sten Verdünnung
ein verwegenes Spiel treiben. Was Stuhlverstopf-
ungen betrifft, so bringt mich kein Mensch dazu,
den Glauben anzunehmen, dass am rechten Ort eine
Menge Ricinusoel nicht von hohem Nutzen sei. Jch
bin ganz in derselben Lage wie Sie: es kommen
mir manche Fälle vor, wo ich mit den homöo¬
pathischen Mitteln nicht ausreiche; allein oft glaube
ich, kämpfen wir gegen die Constipation; diese ist
nur Erscheinung, die schwindet, wenn wir das
rechte Mittel gegen den Gesammtzustand finden
und anwenden. Mein Leitstern ist: ich wende Alles
an, von dem ich nach Gründen der Wissenschaft
annehmen darf, es helfe dem Kranken. Mich kümmert
kein System, nur der Kranke/
Diesen Anschauungen Griesselichs, namentlich in
Bezug auf Gabengrösse und Wiederholung der ein¬
zelnen Gaben ist mein Vater bis an sein Ende treu
geblieben. Er hat stets den tieferen Potenzen den
Vorzug gegeben; er hat sie nie anders als in der
2. Verdünnung gegeben, bei schwächlichen sehr
reizbaren oder noch ganz jugendlichen Subjecten
auch in der 3. und bei recht kräftigen, heftig er¬
krankten sogar in der ersten Verdünnung bezw.
der ersten Verreibung, von denen er aber die dritte
bevorzugte. Die sogenannten homöopathischen, mehr
auf einer gesteigerten Einbildungskraft oder Nerven-
reizbarkeit beruhenden Verschlimmerungen hat er
äusserst selten und — wo sie vorkamen — nur
als ein Zeichen der sicheren Arzneiwirknng beob¬
achtet. Bei ihm hat sich bewahrheitet, was ihm
Griesselich im Beginn seiner homöopathischen Praxis
schrieb: „Ich wünsche Ihrethalben dem neuen Stu¬
dium den besten Fortgang, denn recht betrieben,
gewährt die Ausübung dieser Methode eine Be¬
friedigung, die ich und viele andere in der alten
Schule nicht gefunden haben*.
Er war ein denkender, vorsichtiger, in seinen
Erfolgen glücklicher Arzt, der bei aller Entschieden¬
heit seines Wesens durch eine wohlthuende Milde
des Herzens seinen Kranken gegenüber sich aus¬
zeichnete. Seine breitschultrige Gestalt hielt sich
trotz des hohen Alters noch merkwürdig stramm;
er war hart gegen sein Alter, wie der alte Blumen¬
bach in Göttingen, der behauptete, dass ihn das
Alter deshalb nur sanft berührt habe, weil er sich
nie die Annehmlichkeit der Hausschuhe und des
Schlafrocks gestattet habe.
Mit seinen benachbarten Collegen hat er stets
in freundschaftlichen Verhältnissen gelebt, stand in
hohem Ansehen bei denselben und folgte bereit¬
willigst ihrem Rufe zu Consultationen und zur Theil-
nahme an bedeutenden Operationen, wobei er der
Homöopathie die gebührende Achtung und ihr volles
Recht zu verschaffen wusste.
Im August 1881 feierte er sein 50jähriges
Dr.-Jubiläum, erhielt den rothen Adlerorden 4. Ciasse
und wurde wegen seiner Verdienste um das Ge¬
meinwesen u. s. w. zum Ehrenbürger seiner Vater¬
stadt ernannt
Als er im November 1882 unter apoplectiformen
Erscheinungen an an amnestischer Aphasie, Agraphie
und theilweiser Anakroasie erkrankte, da sohien es
anfangs, als wollte die Fackel des Lebens erlöschen.
Seine sonst kräftige Natur überwand indess alluiäh-
lig die Folgezustände der Apoplexie, damit wurde
auch die Aphasie einer relativen Besserung ent-
Digitized by tjOOQle
150
gegengeführt, die durch häufiges Buchstabiren,
Nachsprechen von Worten und häufige Schreib-
Übungen gefördert wurde; aber eine gewisse Be¬
hinderung der Gehörfähigkeit blieb doch für immer
zurück. Die langgeübte Beschäftigung kam ihm
dabei zu statten und ermöglicbto ihm seine un-
ermüdete Thätigkeit als Arzt bis an das Ende
seiner Tage fortzusetzen.
Im Jahre 85 konnte er das Fest der goldnen
Hochzeit im Kreise seiner 5 Söhne und deren
Familien feierlich begehen, von denen zwei dem
geistlichen, die übrigen dem ärztlichen Stande an¬
gehörten. Der Reihenfolge nach als Assistenzärzte
unter seinen Augen thätig, gab er ihnen wissen¬
schaftlich und practisch die erste Anleitung und
Pflege der Homöopathie und hatte die Genugthuung,
zwei derselben nach bestandener Prüfung als homöo¬
pathische Aerzte in Magdeburg und Barmen be¬
schäftigt zu wissen, während der dritte mit zwar
freundlicher Gesinnung für die väterliche Richtung
sich als allopathischer Arzt in Hedersleben nieder¬
gelassen. So konnte er im Jahre/1890, beglückt
durch die allseitigen Erfolge seiner Thätigkeit in
dankbarer Gesinnung gegen den Geber alles Guten
sein 60jährige8 Dr.-Jubiläum begehen. Noch bis
zum December des folgenden Jahres erfreute er
sich einer relativ guten Gesundheit. Da erkrankte
er an einer Typhlitis, der er am 12. December
erlag.
Ich habe Ihre Aufmerksamkeit schon über die
bestimmte Frist in Anspruch genommen. Der Sohn
bittet dafür um Nachsicht mit dem bekannten Worte
aus Quintilian: „Das Herz macht beredt.“ —
Erysipelas habituale.
Dr. Mossa, homöopathischer Arzt in Stuttgart.
Während die Mehrzahl der acuten Exantheme,
wie Masern, Scharlach, Pocken, den Organismus
eine mehr oder weniger lange Zeit vor dem Wieder¬
ausbruche dieser specifischen Krankheitsformen
schützen, setzt die Rose den von ihr einmal ergriffen
gewesenen Theil der Hautdecke gerade im Gegen-
theil in eine Disposition, welche die Wiederkehr
dieses Exanthems, oft unter geringfügigen Umständen
und Anlässen, begünstigt. Personen mit häufig
wiederkehrender, gewissermaassen zur Gewohnheit
gewordener Rose, daher erysipelas habituale genannt,
begegnen uns in der Praxis zwar nicht alle Tage,
aber doch oft genug, dass es Wunder nimmt, wes¬
halb wir derartige Krankheitsgeschichten so gar
selten in unserer Literatur antreffen. — Ich halte
es deshalb für angezeigt, einen hierher gehörigen,
sehr interessanten Fall aus der „Homöopathie World“
Sept 1. 1891 mitzutheilen.
Dr. E. W. Berridge in London berichtet da¬
selbst:
Am 14. Januar 1873 ward er vom Capitän W.,
einem 47 Jahre alten Mann, wegen eines Erysipelas
von ganz* eigener Art consultirt. — Vor 6*/* Jahren
hatte derselbe ein am Scharlach leidendes Kind ge¬
küsst, und von dieser Berührung ein Brennen an
seinen Lippen verspürt. Nach einigen Wochen be¬
kam er Blutschwäre am Rücken, er ward verstopft;
einmal ward er ohnmächtig, fiel und stiess sich an
die Stirn. Während der Ohnmacht war ein un¬
freiwilliger Stuhl erfolgt. Bald zeigte sich ein
Erysipelas an dem contundirten Theile der Stirn,
das sich von hier über das ganze Gesicht aas¬
breitete; gleichzeitig erschien es auch am Scrotum,
sowie an der diesem angrenzenden Oberfläche des
Penis, hier Eiterung veranlassend. Seit dieser Zeit
hatte er 4 oder 5 schwere, und 3 oder 4 leichte
Anfälle zu bestehen gehabt: der gegenwärtige Anfall
begann am 12. Januar, vielleicht durch den Aufent¬
halt in einem neuen Hause veranlasst. Um den
Mittag jenes Tages fühlte er es wie einen Schuss
in den weichen äusseren Theilen des linken Aug¬
apfels, worauf daselbst eine rothe, erysipelatöse
Anschwellung erfolgte, die sich über das Gesicht,
die Lider, Stirn, Kinn und Nacken ausdehnte;
dasselbe zeigte sich auch am Scrotum. (An Nacken
und Kinn war es bis dahin noch nie gewesen). Es
bilden sich Blasen (Vesiculae), mit einer flüssigen
Ausschwitzung, die am Halstuche gelbe Flecken
hinterlässt. Die afficirten Stellen brennen und jucken;
beim Liegen fühlt er bei jedem Herzschlag ein
centrifugales Klopfen in den entzündeten Haut¬
decken des Gesichts und der Stirn. Anwendung
von Nassem auf die Haut bringt daselbst die Rose
hervor, wie es auch in allen vorangegangenen An¬
fällen der Fall gewesen war. Er muss die Theile
kratzen, was ihm eine „mörderische Lust* bereitet,
am Scrotum aber Wollustgefühl und einen ihn
schwächenden Samenerguss hervorruft. Vorher¬
gehende Nacht sehr unruhig, kein Schlaf; er ging
umher, stampft mit den Füssen, wirft und streckt
die Arme umher. —
Am 14. Jan. hat die Geschwulst zugenommen;
am Kinn sieht man grosse gelbe Krusten; das
Scrotum ist schlimmer. Die Lider geschlossen von
der Anschwellung; das Klopfen dauert fort; das
Brennen und Jucken vermehrt, durch Wärme ver¬
schlimmert. Hände und Füsse sind kalt; Pulse 50,
intermittirend nach Umfang und Rhythmus.
Er hatte in England wie in Indien die beste
allöopathische Behandlung bei den früheren Anfällen
gehabt, aber die von den Aerzten verordneten
nassen Umschläge und die knappe Diät thaten
ihm nie gut.
Digitized by v^ooQie
151
Alle hatten sie das Leiden für einen ausser-
gewöhnlichen Fall erklärt; einer von ihnen sagte,
er habe in all seinen Büchern wegen dieses Falles
nachgeforscht, aber er könne Nichts für ihn thun.
ln London hatte er einmal einen wohlbekannten
Exhomöopathen wegen einer chronischen Dysenterie
consultirt, dieser wollte ihn in 10 Tagen heilen,
aber erreichte in 10 Wochen nichts (Patient heilte
sich dann spater selbst davon durch Essen der
Schoten der ägyptischen Bohne). Der Mann hatte
demzufolge alles Vertrauen zu den Aerzten verloren,
aber in einem „Anfall von Verzweiflung 0 hatte
seine „rasende 0 Frau nach Dr. B. geschickt — Er
erwählte Rhus tox. als Heilmittel und giebt uns gründ¬
lichen Aufschluss für die Diagnose dieses Mittels.
Vesiculäres Erysipel macht: Arsen, Bell., Euphorb.,
Graph., Öep, Lach., Puls., Ran. scel., Rhus, Sep.,
Sol. n.
Vesiculäres Erysipel im Gesicht: Ars., Bell.,
Cistus, Euphorb., Graph., Hep., Lach., Rhus, Sulph,,
Teplitz.
Erysipel am Sero tum: Arnica, Canth., Graph.,
Merc., Natr. mur., Pulsat, Rhus.
Blasen mit gelber Flüssigkeit: Anac, Kali nitr.,
Plumbum, Ran. b., Ran. scel., Rhus, Rhus ven.,
Sol. n., Tabac.
Blasen mit gelber Flüssigkeit im Gesicht: Arsen,
Euphorb., Mancin, Rhus, Rhus ven.
Bläschen mit gelber Flüssigkeit am Scrotum:
Cbelid., Rhus.
Die Analyse der Symptome giebt klar und deut¬
lich Rhus als das angezeigte Mittel; dasselbe hat
auch Brennen und Jucken der erysipelatösen Haut¬
stellen, wie ihm ja auch jene Ruhelosigkeit zu¬
kommt. Verschlimmerung der Rose durch Nasses
oder jenes Klopfen in den afficirten Theilen ist in
der Matena medica nicht verzeichnet, so auch nicht
die Verschlimmerung von Hitze, doch hat dies
Mittel diese Symptome (1254): „Die entzündeten
Theile der Haut waren der Sitz von Schmerz, bald
erstarrender Art, bald stechend-brennend wie von
Nesseln, und Nachts infolge der Bettwärmo ver¬
schlimmert. 0
Die geschlechtliche Erregung durch das Ery sipelas
war in der Pathogenese von Rhus nicht zu Anden,
aber in der Homöopath. World von 1891 p. 20
ist ein Fall von Rhus-Vergiftung berichtet, wobei
folgende Symptome, welche denen unseres Patienten
sehr ähnlich waren, vorkamen: „Die Reizerscheinungen
localisirten sich in den Genitalien und Schenkeln;
das Scrotum war in erysipelatösem Zustande und
die Geschlechtslust bis zum Wahnsinn gesteigert. 0
— Kälte der Extremitäten, langsamer, unregel¬
mässiger Puls sprechen ebenfalls für Rhus.
Einige Globuli von Rhus tox. 2000 (Jenichen) wur¬
den in Wasser gelöst und sollte Patient alle Stunden
einen Theelöffel von der Lösung nehmen, bis Besserung
erfolgt wäre. Dabei nahrhafte Kost und Wein, mit
Wasser verdünnt.
Nach 4 Dosen war der Zustand entschieden
besser, ja schon nach der ersten zeigte sich dies:
Jucken, Brennen, Absonderung waren weit geringer,
das Klopfen fast vergangen; Pulse 60, regelmässig;
die Theile weniger geschwollen. Die Glieder noch
kalt. Bei so entschiedener Besserung, liess Dr. B.
das Mittel aussetzen.
15. Jan.: Vorletzte Nacht gut geschlafen; Ge¬
schwulst sehr gefallen; Jucken und Brennen nur
noch schwach; Scrotum besser; Photophobie nach¬
gelassen; Glieder aber noch kalt; Pulse 72, regel¬
mässig; sonst keine Beschwerden. Er behauptete,
dies Mal in einem Drittel der für solche Anfälle
sonst erforderlich gewesenen Zeit gebessert zu sein.
22. Jan: Stetige Besserung. — Gestern war
er zum ersten Mal ausgegangen und hatte sich des
Ganges erfreut, obwohl er sich sehr schwach fühlte.
Es war aber ein kalter Tag, und bei der Rückkehr
that ihm das sehr heisse Zimmer wohl. Späterhin
legte er sich in einem sehr kalten Zimmer in*s Bett.
Bald fühlte er Hitze im Gesicht; darauf folgte
Jucken und Brennen und Empfindlichkeit im Aussen-
winkel des linken Augapfels und diese Erscheinungen
breiteten sich, gerade wie früher, aber nicht so
heftig, auf das ganze Gesicht aus. P. 72, schwach.
Die Nacht darauf kaum etwas geschlafen, doch
konnte er im Bette bleiben. Auch das Scrotum
war wie früher, wenn auch in geringerem Grade,
befallen. Bei diesem, durch Unvorsichtigkeit des
Patienten herbeigeführten Rückfall, der dieselben
Symptome, wenn auch in schwächerem Grade darbot,
gab Dr. B. wieder Rhus, diesmal aber Rhus radicans
200 (Leipzig), ebenfalls in Wasser gelöst, alle
2 Stunden 1 Theelöffel voll, bis Besserung.
23. Jan.: Nach 4 Gaben besser, Arznei aus¬
gesetzt; um den Mittag heute wieder 1 Gabe. Jucken
im Gesicht und am Kopf hatte letzte Nacht den
Schlaf gestört Heute wenig Brennen, aber etwas
Jucken. Wieder eine Pollution gehabt. Kann das
Licht ertragen. P. 72, ziemlich schwach. Jucken
und Brennen schlimmer nach dem Essen. Das
Jucken zieht sich, mehr oder weniger, über den
ganzen Körper.
In drei bis vier Tagen genas er und bis zum
16. Jan. 1874 war kein Rückfall erfolgt. —
1879 berichtete er in einem Briefe aus Aegypten,
wo er seitdem gewesen, dass er seit dem 8ommer
von 1876 mehrere leichte Anfälle von Erysipelas
gehabt habe, aber keinen schweren, die auf Rhus
immer schnell gewichen seien.
Bei seiner zeitweisen Rückkehr nach England
lö84, consultirte er Dr. B. wegen einer Dyspepsie,
die er in Suez bekommen, wo, wie er sagte, der
Boden voll von Salz sei. Natrum mnr., Con., später
Digitized by tjOOQle
158
8ulphur (alles in Hochpotenzen) thaten ihm gut. —
Hier und da war eine Andeutung von Erysip. er¬
schienen, wobei Rhus immer half. —
Aus der ausführlichen Epicrise, welche Dr. B.
zu dieser Krankheits- resp. Heilungsgeschichte giebt,
heben wir folgende Punkte hervor.
Verf. hat in seiner ersten Verordnung Rhus
toxicod., in der zweiten aber Rhus radicans gegeben.
Er that dies, wie er sagte, um zu prüfen, ob Dr.
Carrol Dunhain s Behauptung, die Wirkung beider
Mittel sei identisch, richtig sei Diese Probe war
freilich, wie er selbst gesteht, eine unvollkommene,
da in den beiden Verordnungen sowohl die Potenz
als die Zeit der Wiederholung der Dose eine ver¬
schiedene war. Die Botaniker haben inzwischen
jedoch entschieden, dass beide Mittel nur Varietäten
einer und derselben Pflanzenspecies seien. — Verf.
macht dann darauf aufmerksam, dass Rhus rod. 200
zweistündlich nicht so schnell gewirkt habe als
Rhus tox. 2000 einstündlich im ersten Falle, obwohl
dieser weit heftiger war. Dieses bestätigt, meint
er, Hahnemann’s Behauptung (Organon 287 Anm.),
je höher die Potenz, je schneller und durchdringender
die Wirkung.
Obwohl nach dem letzten Bericht der Patient
über 5 Jahre vom Erysipelas frei gewesen war, so
war das Leiden doch nicht völlig entwurzelt. Der
Grund liegt nach Verf. darin, dass Rhus ein Mittel
von immerhin oberflächlicher Wirkung sei. Die
Thatsache, dass der Patient so viele Jahre lang an
Rückfällen von Erysip. gelitten, nachdem er sich
ein Mal dem Scarlatina-Gift ausgesetzt batte, zeigt,
dass bei ihm eine psorische Dyscrasie latent ge¬
wesen, welche die acuten Ausbrüche unterhielt und
sich mit ihnen complicirte. Deshalb musste das
Mittel von Zeit zu Zeit wiederholt werden. Zur
völligen, gründlichen Heilung wäre ein gut ge¬
wähltes Antipsoricum nöthig gewesen. Dazu fehlte
aber, sagt Verf., die Gelegenheit, bis Patient im
Dec. 1884 nach England heimkehrte. Ob der da¬
mals verordnete Sulphur dies geleistet habe, darüber
mangelte der Bericht.
Die immer wiedeikehrenden Anfälle jenes Erysi¬
pelas schreibt Verf. der Ansteckung mit Scarlatina
zu, obwohl es, wie er sagt, sonderbar genug sei,
dass diese Infection bei seinem Patienten nicht die
gewöhnliche Scarlatina selbst erzeugt habe. —
Hiermit verlassen wir diesen von Dr. Berridge
mit grosser Sorgfalt beobachteten und behandelten
Fall eines Erysipelas habituale, indem wir nur noch
bemerken, dass uns in der Literatur kein Fall be¬
kannt geworden, wo, wie in diesem, die Rose jene
Angriffspunkte, Gesicht und Genitalien, zugleich
so constant festgehalten hat. —
Goullon senior sagt in der Vierteljahrschrift für
Homöopathie. Habituelle Rose ist häufig bei Frauen
und jungen Mädchen, bei ersteren meist als Erys.
bullosum, bei letzteren als Erys. laeve (glattes Erys.)
— auch als Angina — zur Zeit oder statt der
Menstruation. Diese Anlage heilt Graphites 30 ganz
sicher in einigen Gaben, etwa von 4 zu 4 Tagen
gegeben. — Kretschmer bringt in der allg. hom.
Zeit. 1. 72 folgende zwei Fälle.
Ein 5jähriges Mädchen bekam zum 3. Mal die
Rose, zuerst im Gesioht, glatt, unter heftigem Fieber.
Das Exanthem brauchte zu seinem Ablauf jedesmal
7 Wochen, indem es allmählig den ganzen Körpfer
überzog, täglich aber nur um einen guten Strohhalm
weiter vorrückte. Die Rose stand jetzt wieder seit
4 Tagen. Das Kind erhielt Graphit 30. Nun hielt
das Exanthem still und war den 3. Tag danach
schon ganz vergangen. — Ob es später wieder¬
gekehrt, ist nicht gesagt.
Eine Frau hatte seit einem halben Jahre alle
8 Tage eine Rose, welche die Stirn und den be¬
haarten Theil des Kopfes befiel und sich bis zum
Nacken hinzog. Es bildeten sich auch Blasen, welche
vertrockneten, 36 Stunden andauernd. Graph. 30
heilte den Anfall und die Rose kehrte nicht wieder. —
Farrington sagt in seiner klinisch. Arzneimittel¬
lehre p. 422: Graphit soll die Wiederkehr von
Erysipelas verhüten, wenn das Leiden constitutioneil
wird. Die ergriffenen Theile haben das Gefühl von
Härte und Zähigkeit, und, ist das Gesicht ergriffen,
so ist es sehr entstellt. Brennende, stechende
Schmerzen sind zugegen (cf. Apis). Es beginnt ge¬
wöhnlich auf der rechten Seite und geht nach der
linken. Es ist hauptsächlich nützlich, wenn Jod
gemissbraucht wurde. —
Einen recht hartnäckigen, complicirten Fall von
Erys. habituale, bei dem Graph, wesentlich zur
Heilung beigetragen, erzählt Dr. Bojanus senior in
der Allg. h. Zeit. 1870.
Eine Französin, eine magere, schwächliche Frau
von 58 J., litt seit 2 Jahren an regelmässig jeden
Monat wiederkehrendem Gesichtserysipel, welches sie
jedesmal wenigstens zwei Wochen bettlägerig machte.
Mitte Mai 1864 sah sie Dr. Bojanus mit einem
Erysipel, das eine so colossale Anschwellung des
Gesichts bewirkte, dass die Augen völlig geschlossen
waren; es erstreckte sich über den geschorenen
Haavkopf bis an die Obren. Auf den Wangen und
der Stirn waren mehrere, theils grössere, theils
kleinere, mit heller Flüssigkeit gefüllte Blasen; dabei
sehr heftiger Kopfschmerz, starkes Fieber, Irrereden,
besonders bei Nacht Die Zunge war trocken;
starker Durst, kein Appetit, hartnäckige Verstopfung.
Apis 3 stündlich je 2 Tropfen in Wasser. Ende Mai
konnte sie wieder ausgehen. Nachdem die Des¬
quamation beendigt war, zeigte sich auf dem Kopfe
Favus, der sie seit dem ersten Anfall nicht ver¬
lassen und um dessen willen sie sich hatte scheeren
lassen. Dieser trockene Kopfausschlag machte ihr
Digitized by
Google
153
viel Beschwerde durch sein Jacken und beschmutzte
ihr durch seine kleienartige Abschilferung die
Kleider.
Die Kranke ging von Moskau aufs Land, wo sie
8 Tage lang täglich eine Oabe Graphit 80 nahm,
sodann 8 Tage pausirte, um wieder Graph, zu
nehmen u. 8. f. Am 29. Aug. berichtet sie, dass
zwar die Rose wie früher je ein Mal im Monat
gekommen sei, aber viel schwächer. In 3 - 4 Tagen
war sie abgelaufen, letzter Anfall am 15. Sept.,
Favus unverändert. — Sie erhielt Graph. 60 —
bis zum 15. Nov. kein Anfall mehr. Der Kopf¬
ausschlag war jetzt nässend Graph. 60 fortgesetzt.
22. Dec. Kopfausschlag bis zum Unerträglichen
durch Jucken und Nässen gesteigert, aber bisher noch
von der Rose verschont — Sulph. 30, jeden 4. Tag
eine Gabe. — Bis 16. März nächsten Jahres kein
Erysipel. Der Ausschlag weit geringer und nicht
mehr nässend. Sulphur 30 wie oben. — Bis 20. April
hat Patientin nur einen schweren Anfall von Erysipel
gehabt, das also über 7 Monate fortgeblieben war.
— Kopfausschlag nur noch stellenweise. Graph. 2U0
alle 8 Tage 1 Gabe, so bis zum October fort¬
gesetzt In dieser Zeit kein einzig Mal Wiederkehr
der Rose, aber der Ausschlag hatte von Neuem an
In- und Extensität zugenommen; jetzt bekam sie
Sulphur 200, alle 8 Tage 1 Gabe. Dieses Mittel
wurde in solcher Weise bis zum April 1866 ge¬
braucht. Zu dieser Zeit war der Ausschlag voll¬
kommen geschwunden, das Erysipel war nicht mehr
erschienen; nur klagte Patientin über unerträgliches
Jucken auf dem Kopfe, auf dem sich bereits neue
Haare zu bilden anfingen. — Arsen 200, 8 Gaben,
alle 8 Tage je eine. — Den 10. Okt. 1867 berichtet
sie, dass sie seit der letzten Gabe von Erysipel,
Ausschlag und Jucken befreit gewesen sei und sich
völlig gesund befinde. —
In dieser so trefflichen Heilungsgeschicbte des
bewährten Praktikers hat Graph, jedenfalls zur
gründlichen Hebung der habituell gewordenen Rose
wesentlich beigetragen. — Wir sehen hieraus wieder,
welche Geduld und Ausdauer, abgesehen von der
richtigen Mittelwahl, derartige tief eingewurzelte
Erkrankungen des Hautgewebes zur Heilung ver¬
langen. — Welcherlei constitutionelle Ursaohen in
geschildertem Fall obgewaltet, ist nicht zu ersehen;
Patientin war in ihrer Heimatb, in Frankreich, nie
erheblich krank gewesen, hatte dort niemals an
Erysipel gelitten. Die neuen klimatischen und
Lebens-Verbältnisse können daher nur den Grund
zu dieser so tief eingewurzelten Diathese, Hahne-
raann’s Psora, gelegt haben.
Lachesis.
Dieses grosse Polychrest, das würdig ist, in die
Elitegruppe der Antipsorica aufgenommen zu werden,
hat sowohl bei frisch entstandenem Erysipel als
auch bei constitutioneil gewordenem, unter geeigneten
Umständen, seinen Platz. — In Farrington's klinischer
Arzneimittellehre finden wir p. 55 eine treffliche
Charakteristik dieses Mittels, wie der ihm verwandten,
bei der Gesichtsrose. — Es passt aber auch, wenn
sie an anderen Stellen, zumal an den unteren Extre¬
mitäten vorkommt, wie es bei Frauen in den klim¬
akterischen Jahren nicht selten beobachtet wird.
So berichtet Knorre in der Allg. h. Zeit. 118
einen Fall von einer bejahrten, kränklichen Frau,
stillen und sanften Gemüths, die nach jeder kleinen
Gemüthsbewegung, von Schreck, Aerger, an dem
ohnehin erkrankten linken Unterschenkel, mitunter
aber auch im Gesicht, die Rose bekam. Am Unter¬
schenkel hatte sie einige flache, stets offene Ge¬
schwüre. Sie nahm einige Wochen hindurch täglich
1—2 Gaben Lachesis 25 zu je 1 Tropfen. Hierauf
heilten die Geschwüre und seit mehreren Jahren
war sie nie wieder von der Rose befallen worden.
Ein anderer Fall betraf ein 20jähr. blondes,
schlankes, sanftmüthiges Mädchen, welches im Juli
am Unterschenkel und Fussrücken die Rose bekam,
welche mit Bell, und Graph, behandelt und geheilt
wurde. Es blieb aber eine harte Anschwellung
zurück. Im September abermals Rose an derselben
Stelle. Den 10. October erkrankte sie wieder Abends
mit zweistündigem Schüttelfrost; die Nacht darauf
heftiges Kopfweh, anhaltende trockene Hitze, Durst,
Gallenerbrechen, Schmerz im rechten Bein.
Den 12. Februar war ein Erysipel vorn am
Unterschenkel vom Knie bis zum Fussgelenk aus¬
gebrochen. 2 Gaben Lach. 25 zu je 1 Tropfen.
Am 13. Februar war das Fieber unter Schweiss¬
ausbruch nebst den anderen Symptomen ver¬
schwunden: die Rose nimmt den Fussrücken ein;
am Knie, besonders an der äusseren Seite desselben
sind eine Menge dicht aneinander liegender flacher
erbsen- bis haselnussgrosser Blasen entstanden, an
anderen Stellen Stecknadelknopf- und linsengrosse,
einige Serum, andere mit Blut gemischte Feuchtig¬
keit enthaltend, von schmutzig blauer Farbe. Die
intensive Röthe der befallenen Theile ist überhaupt
in’s Bläuliche übergegangen. Grosse Hitze und
heftiges Brennen in den Beinen. Lach. 2 Gaben wie
oben. Den 14. Röthe und Hitze sehr vermindert.
Lach. rep. Am 5. Tage der Krankheit ist die Rose
vergangen, die Blasen trocknen bald ab. — Sie
blieb 9 Monate gesund, dann trat ein Rückfall ein,
der wieder durch 5 Gaben Lach, in 4 Tagen be¬
hoben wurde. Seitdem kam die Rose nicht wieder.
Hartmann berichtet in seiner Therapie I. 333,
dass es ihm gelungen sei, eine Rose, die jederzeit
eine Gesichtshälfte einnahm, öfters wiederkehrte und
deren Ausbruche jedesmal mehrere Tage ein heftiger
Magenkrampf voranging, mit 1 Gabe Nux vomica 15
dauernd zu heilen, sodass das Leiden späterhin nicht
wiedergekommen ist.
20
Digitized by
Google
Ein 14jähriges, noch nicht menstruirtes Mädchen
bekam seit dem 11. Jahre alle 4 bis 6 Wochen
einen Anfall von Erysipel. Jetzt litt sie nach Er¬
kältung wieder daran. Das ganze Gesicht war
stark geröthet und sehr geschwollen, die Augen
fast geschlossen. An mehreren Stellen hatten sich
viele gelbliche Bläschen von verschiedener Grösse
gebildet, die auf der linken Wange bereits zusammen¬
geflossen waren. Der Kopf schwer benommen, Durst
gross, Pul8 voll, ohne hart zu sein, um 10 Uhr
105 Schläge in der Minute machend. Keine Ess¬
lust, Zunge schmutzigwei8s belegt. Stuhl fehlt seit
24 Stunden.
Rbus 18, 1 Tropfen, 2 Gaben. Nach 3 Tagen
war die Bose beseitigt, die Blasen schrumpften ein,
die Schälung begann. — Nach 7 Wochen einRecidiv,
das nach Rhus binnen 5 Tagen ablief. Später er¬
hielt sie mehrmals Calc. c. 30, wodurch die Dis¬
position zu den Erysipel-Rückfällen gehoben ward.
Nach 2V 2 Jahren trat dann die Menstruation ein.
Das Befinden blieb normal. —
Was meine eigenen Erfahrungen auf diesem
Gebiete betrifft, so sind mir hauptsächlich zwei
Fälle in Erinnerung, welche beide junge Mädchen
betreffen. Das eine war ca. 15 Jahre alt, regel¬
mässig menstruirt, ohne irgend welche Belastung, be¬
kam immer um die Zeit des Eintritts der Periode einen
Anfall von Erysipelas, welcher mit massigem Fieber
eintrat, das Gesicht befiel. Dieses schwoll an, be¬
kam eine mehr dunkle Röthung; etwas Kopfweh
war auch dabei. Mit Graphit und Hep. sulphur.
ward, so weit ich mich erinnere, die erysipelatöse
Disposition allmählig gehoben.
Der andere Fall betrifft ein Mädchen von
LI Jahren, das noch nicht menstruirt ist Die un¬
gewöhnlich starke Nase könnte auf scrophulöse An¬
lage hindeuten, wenn nicht etwa diese Erscheinung
gerade von dem so häufig wiederkehrenden Ge¬
sichtserysipel zurückgeblieben ist Die Anfälle
kommen ganz unregelmässig, bald sind sie so schwach,
dass sie ohne ärztliche Hülfe in kurzer Zeit ab¬
laufen, bald kommt ein schwerer Anfall mit heftigem
Fieber, Gehirnreizung, nächtlichen Delirien, starker
Anschwellung des venös gerötheten Gesichts und
besonders der Nase.
Es kommt auch zur Bildung von ziemlich grossen
Blasen mit gelblichem Inhalt In diesen Anfällen
hat mir immer Apis 6, in Wasser gelöst, gute
Dienste gethan, so dass der Krankheitsprozess in
5—6 Tagen zum Abschluss gekommen ist. Zur
Tilgung der Disposition hat Patientin zeitweise
Sulphur, später Graphit erhalten. Diese Mittel
scheinen auch günstig gewirkt zu haben, denn seit
mehreren Monaten ist mir keine Meldung von einem
Recidiv des Leidens gemacht worden. —
Sehr beachtenswert ist, was Schönlein über die
Folgen des Erys. habituale in Bezug auf das Haut-
| ge webe in seinen klinischen Vorträgen bemerkt hat
„Die Wiederkehr der Rose an derselben Stelle ist
nicht bloss darum unangenehm, weil der Kranke
gefährdet wird, bei der nächsten Gelegenheit wieder
von der Rose befallen zu werden, sondern auch
wegen eines anderen Uebelstandes, den ich freilich
noch nicht im Gesicht, wohl aber an den Extremi¬
täten angetroffen habe, nämlich, dass es infolge des
häufigen Wiederkehrens der Rose zur Entartung der
Hautdecken und zwar sowohl der Lederhaut wie
der Epidermis, zur Bildung von Elephantiasis kommt*
Schönlein hat in Zürich mehrmals Fälle von ein¬
facher Rose an den Extremitäten gesehen (immer
waren es Personen, in denen sonst noch eine Dyscrasie
zugegen), wo die Rose bei der geringsten Veran¬
lassung, alle 8 —14 Tage, wiederkehrte; bei diesen
ward zuerst die Cutis degenerirt, indem sich in
ihre Maschen eine gelatinöse Flüssigkeit ablagerte,
wodurch eine Art von Hypertrophie derselben ent¬
stand, so dass sie allmählig eine Dicke von einigen
Zollen erreichte. Die Muskeln blieben intact, und
wurden nur insofern in Mitleidenschaft gezogen,
als sie in ihrer Function gehemmt wurden und unter
dem fortwährenden Drucke allmählig schwanden.
Henle hat nachgewiesen, dass die Entartung der
Epidermis dadurch zu Stande kommt, dass Schichten
des nicht vollkommen zur Entwicklung gekommenen
Epidermoid&lgewebes dicke Borken bilden, welche
Einrisse bekommen und so eine Form der Haut¬
krankheit darstellen, welche man Elephantiasis ge¬
nannt hat.
Um diesen Folgen vorzubeugen, haben wir in
Lachesis namentlich ein gutes Mittel, welches, wie
ein Beobachter bemerkt, „dunkelgeröthete, bis zur
Unförmlichkeit gehende, zuweilen teigig anzufühlende
Geschwülste (insbesondere an den Unterschenkeln,
Ref.) oft zauberhaft schnell zum Schwinden
bringt.* —
Es seien mir noch einige Worte über die Aetio-
logie des Erysipelas habituale gestattet. Angesichts
der Thatsache, dass die habituelle Rose bei Mädchen
und Frauen mit (aber auch ohne) Menstruations¬
störungen, oder wenigstens zurZeit dieser periodischen,
hämostatiscben Fluth, dann wieder in Verbindung
mit abdominellen Störungen (Stockungen im Pfort¬
adersystem, Haemorrhois, Gicht) auftritt, lässt sich
nicht leugnen, dass das Blutgefässsystem, sei es
durch circulatorische Hemmnisse oder durch* eine
anormale (dyskrasische) Blutbeschaffenheit, die man
freilich noch immer nicht nachgewiesen hat, bei
diesem eigenthümlichen Krankheitsprozesse ein
causales Moment abgeben kann: Sehen wir aber
wieder, wie bei manchen Personen die geringsten
Schwankungen im Gemüthsleben, der leiseste Schreck,
eine unbedeutende Erregung, die Rose zum Vor¬
schein bringen, so tritt uns hier andererseits der
Einfluss des Nervensystems, zumal des vasomotorischen,
Digitized by v^ooQie
155
deutlich entgegen. — Der cyclische Ablauf eines
genuinen Erysipelas, namentlich mit der zum Schlüsse
erfolgenden Abschuppung der Haut, wie wir ihm
auch bei manchen anderen Exanthemen begegnen,
drängt uns hingegen den Gedanken auf, dass auch
bei der Bose ein belebter Krankheitserreger, ein
contagium animatum, im 8piele ist Bei der „Wund¬
rose* ist dasselbe bereits nachgewiesen worden, bei
der exanthemati8chen ist es bisher noch fraglich*).
Denkt man sich nun, dass bei manchen Personen
nach Ablauf eines Erysipelas eine, wenn auch nur
ganz winzige, Menge dieser Krankheitserreger zurück¬
bleibt, welche unter ihnen günstigen Bedingungen aus
ihrer vita minima wieder zur Thätigkeit erweckt
werden können, so werden uns jene häufigen Recidive
etwas erklärlicher. — Ganz einzig steht jedoch der
von Dr. Berridge im Anfänge dieser Arbeit wieder¬
gegebene Fall da. Hier ist es wahrscheinlich, dass
das contagium vivum der Scarlatina in den Organis¬
mus der inficirten Person übergegangen und, merk¬
würdiger Weise, nicht das gleiche, sondern ein ihm
einigermaassen verwandtes Exanthem, das Erysipelas
producirt und in acuten Schüben von Zeit zu Zeit
wieder reproducirt hat —
Zum Schluss wollen wir noch auf die Leistungs¬
fähigkeit der homöopathischen Behandlungsweise
auch bei einer so schweren, in ihrem Wesen noch
wenig durchschauten, Krankheitsform, wie sie das
Erysipelas habituale zweifellos darstellt, hinweisen.
Diese Thatsache würde noch leuchtender und für
unsere jüngere Generation lehrreicher hervortreten,
wenn unsere älteren Praktiker sich entschlossen
könnten, ihr Liebt unter dem Scheffel hervor und
in die OeffentHchkeit unserer Litteratur zu stellen.
Eine Heilung von Angina LudoYici
durch Arsenik.
Von Djr. med. Leeser-Bonn.
Herr Dr. med. N. N., 25 Jahre alt, aus gesunder
Familie stammend, — die Mutter ist erst neuer¬
dings an Tuberkulose erkrankt — seit vielen Jahren
nicht mehr bettlägerig krank gewesen, erkrankte
am 5. Februar 1892 unter den Symptomen der
Influenza.
Mehrere Tage vorher hatte Patient über heftige
Zahnschmerzen geklagt, ein Leiden, welches sich
bei ihm in den letzten Monaten wiederholt ein¬
gestellt, und gegen das er mit grösserem oder
geringerem Erfolge Antipyrin in Dosen zu 1,0 an¬
gewandt hatte. In der letzten Station des Staats¬
examens stehend, glaubte er, eine etwaige zahn-
*) Anm. der Red. Auch bei der exanthematischen
Form wird jetzt allgemein Infection mit dem Streptococcus
erysipelatis angenommen und zwar besonders von scro-
fulösen Nasen aus.
ärztliche Behandlung bis zum Schlüsse desselben
hinausschieben zu müssen, um so mehr noch als
sich die Zahnschmerzen mit grosser Wahrschein¬
lichkeit auf eine starke Nervosität zurückführen
Hessen. Gleichzeitig mit den Zahnschmerzen batte
Patient ein Gefühl von Steifigkeit in dem linken
Kiefergelenke empfunden, ein 8ymptom, das in seiner
Bedeutung nicht erkannt und vom Patienten auch
wenig beachtet wurde.
An genanntem Tage nun überkam den N. N.
nachmittags im Anschluss an einen Gang ins Freie
ein heftiger Schüttelfrost. Der Puls war schnell
und klein. Kopfschmerzen, Zahnschmerzen besonders
links sowie Zerschlagenheitsschmerz, in der ganzen
Wirbelsäule und starkes Mattigkeitsgefühl Hessen
den Kranken sofort das Bett aufsuchen. Um in
der Nacht stark zu schwitzen, trank er mehrere
Gläser Glühwein. Der erwünschte Scbweiss trat
auch in der Nacht auf, war aber nicht vom er¬
warteten Erfolge begleitet. Am Morgen der schlaf¬
los verbrachten Nacht fühlte sich Patient wenig
gebessert. Zu den schon angeführten Beschwerden
waren noch Halsschmerzen, besonders auf der linken
Seite, hinzugetreten. Die nur schwer ermöglichte
Inspection — Patient konnte den Mund nicht ge¬
nügend weit öffnen — ergab eine entzündliche
Röthung der Tonsillen, besonders der linken, sowie
der Uvula, ein Belag irgend welcher Art war nicht
sichtbar. Die Sprache des Kranken war anginös.
Derselbe hatte übrigens schon öfter an Anginen
gelitten und wies seit einigen Jahren eine Hyper¬
trophie beider Tonsillen auf. — Links unter dem
Kiefer und von ihm scheinbar ausgehend, hatte sich
in der Gegend der Gland. submaxillaris eine pflaumen¬
weiche, nicht deutlich abgrenzbare Anschwellung
gebildet, die auf Druck leicht empfindfich war.
Temperatur morgens 38,5°. Im Laufe des Vor¬
mittags Hessen die Zahnschmerzen etwas nach.
Gegen Mittag stand Patient auf, nahm bei seiner
Appetitlosigkeit nur ein wenig Milch, arbeitete
ununterbrochen bis gegen Abend und begab sich
dann am andern Morgen gegen alles Abrathen, in
diesem Zustande sich dem kalten Winde auszusetzen,
in die 10 Minuten entfernt gelegene Klinik zum
Examenstermin. Mit Fieber über 39° kehrte er
zurück, um sofort das Bett aufzusuchen. Er nahm
auf Veranlassung seines Bruders (eines bereits
etwas mit der Homöopathie vertrauten Dr. med.),
Aconit ein und fand in der Nacht für einige Stunden
Schlaf.
7. Februar Morgens 8tatus idem. Das Fieber
hat etwas nachgelassen. Da die Schmerzen vor¬
nehmlich Hnksseitig waren, so erhielt Patient (von
seinem herbeigereisten Vater) Lachesis c. 6. Nach¬
dem er für einige Stunden aufgestanden war, ging er
wieder zu Bett. Gegen Abend ergab die Unter¬
suchung, dass die Schwellung unter dem Kiefer
20 *
Digitized by
Google
156
härter geworden war, der Mund konnte nur wenig
geöffnet, die Zungenspitze kaum über die Lippen
vorgestreckt werden. Es war eine starke Salivation
vorhanden. Da in der Nacht das Fieber auf 40°
stieg, der Kranke sehr unruhig war und über heftige
Halsschmerzen beim Schlucken vornehmlich klagte,
so wurde ihm Hydrargyrum cyan. (allopathisch
dispensirt) in grosser Verdünnung im Gedanken an
eine Diphtherie — eine Inspection des Mundes und
Rachens war nicht möglich — mehrstündlich ein¬
gegeben.
Am folgenden Morgen rief der Vater des Patienten
mich an*8 Krankenbett Das Befinden hatte sich
nicht gebessert, die Schwellung im Unterkieferraum
hatte an Härte und Ausdehnung zugenommen.
Ich fand die hintere Partie der linken Tonsille
nach der Zungenwurzel hin stark geschwollen und
hielt, der Submaxillardrüsengeschwulst nur eine
secundäre Bedeutung zuschreibend, die Krankheit
für eine abscedirende Tonsillitis.
Zur Beschleunigung der Perforation wurden
heisse Breiumschläge um den Hals und auf die
Unterkiefergegend, daneben innerlich stündlich 1 Gabe
Merc. sol. 30. in Wasserlösung verordnet.
Die folgende Nacht war verhältnissmässig gut,
Patient transspirirte und fand einige Stunden Schlaf.
Am Morgen war das Fieber mässig. Die Schwellung
war grösser geworden,hatte vornehmlich den mittleren
Theil des Unterkieferraumes eingenommen, erschien
bretthart und wenig druckempfindlich. Mit Rück¬
sicht auf diese Symptome war die Diagnose einer
einfachen Angina suppurativa zweifelhaft geworden,
es schien vielmehr eine Angina Ludovici vor¬
zuliegen.
Die Kopfschmerzen waren erträglicher. Kein
Appetit. Es wurde innerlich, da auch die Schmerz -
punkte noch auf Mercur hindeuteten weiter alle
Stunden Mercur 200. in Wasserlösung gereicht,
ebenso mit den heissen Kataplasmen fortgefahren.
In der Nacht auf den 10. ging die Temperatur
wieder auf 40° in die Höhe, der Puls wurde jagend
und klein, Patient trank viel Wasser in grossen
Zügen, war sehr aufgeregt, klagte über starke Kopf-
und Ohrenschmerzen, besonders links, über Schluck¬
beschwerden, warf sich unruhig hin und her und
konnte keinen Schlaf finden. Die Geschwulst, brett¬
hart und deutlich abgrenzbar, reichte vom Kinn
bis zum Os hyoideum und übte bereits auf letzteres
einen dem Patient empfindlichen Druck aus. Beim
Schlucken hatte Patient etwas Athemnoth und musste
stark husten. Der Mundboden war bis an den
unteren Alveolarrand angeschwollen. Nachts war
Mercur 200. weiter gereicht worden, ebenso auch
mit den Breiumschlägen fortgefahren. Ich wurde
am Morgen früh gerufen. Bei meinem Besuche
war an dem Vorliegen einer Angina Ludovici jetzt
nicht mehr zu zweifeln.
Das Fieber war stündlich gemessen, es bewegte
sich zwischen 39,0—39,8°. Bei der Untersuchung
auf Schmerzpunkte zeigten sich die für Ferrum und
Digitalis angezeigten Stellen empfindlich, es wurde
Arsenik 30 C. 10 glob. in Wasserlösung stündlich
eingegeben und Fortsetzung der heissen Umschläge
angeordnet. Nachmittags hörten die Ohrenschmerzen
auf. Die Schwellung erschien etwas weicher. Bei
der Abendvisite wurden 40,0° Temperatur gemessen.
Die Kopfschmerzen hatten etwas nachgelassen. Patient
fühlte sich sehr schwach. Mit Arsenik 30 C. und
Kataplasmen wurde fortgefahren.
Einige Stunden später gegen 11 Uhr Abends
bekam Patient einen starken, mehrere Minuten an¬
haltenden Schüttelfrost, Pols klein und schnell,
126 Schläge in der Minute. Ohren- und Kopf¬
schmerzen traten wieder auf. Gegen Mitternacht
kam es zur Perforation des Absoesses nach innen,
in die Mundhöhle. Der Auswurf war chocoladen-
ähnlich braun, dünnflüssig, jauchig riechend. Gleich
nach dem Durchbruch fühlte Patient grosse Er¬
leichterung. Abgesehen davon, dass das Fieber von
40° auf 38° abfiel und die Ohrenschmerzen sistirten,
konnte er leichter schlucken und besser verständlich
sprechen. Mehrmals gurgelte er mit Wasser und
inhalirte heisse Wasserdämpfe. Es entleerte sich
viel Eiter per os in der Nacht. Patient hatte
grosses Schlafbedürfnis und fand gegen Morgen
für 2 Stunden Ruhe. Aufgewacht befand er sich
bedeutend besser und zeigte wieder Appetit. Das
Fieber war sehr mässig, Pulsfrequenz Morgens 96,
Abends 92. Den Tag über wurde noch eine grosse
Menge jauchigen braunen Sputums entleert.
Die Schwellung am Halse war entschieden
weicher und kleiner geworden. Arsenik 30 C.
wurde 2stündlich weitergegeben, ebenso die Kata¬
plasmen fortgesetzt. Abends stellten sich etwas
Kopfschmerzen links ein, die aber nicht lange be¬
steben blieben. In der Nacht schlief der Patient
mehrere Stunden lang ohne Unterbrechung und
fühlte sich am Morgen des 13. recht gestärkt. Die
Temperatur war normal, Schmerzen waren nicht
vorhanden. Auoh der Auswurf hatte sich zum
Bessern verändert, er bestand jetzt zum grössten
Theil aus gutartigem, nicht mehr riechendem Eiter.
Die Schwellung zeigte sich ganz weich, nur an
einer in der Mitte des Unterkieferraums gelegenen
Stelle war noch eine kleine Härte nachweisbar.
Auch diese verlor sich in den nächsten Tagen,
und der eitrige Auswurf sistirte völlig. Bei der
Fortsetzung der früheren Behandlung und geeigneter
Diät besserte sich des Patienten Befinden so schnell,
dass derselbe bereits am 17. Februar, also am
12. Tage der Erkrankung, aus der ärztlichen Be¬
handlung entlassen werden konnte.
Die von Dr. Haupt-Chemnitz ausgeführte Unter¬
suchung des chocoladefarbenen Sputums wies eine
Digitized by
Google
157
grosse Menge Diphtheriebaoillen auf, sodass die
Annahme gerechtfertigt erscheint, dass die Angina
Ludovici, eine bekanntlich trotz homöopathischer
Behandlung meist tödtlich verlaufende Erkrankung,
eine diphtheriüsche Entzündung des Halszellgewebes
ist, was auch durch das Vorkommen derselben im
Anschluss an Scharlachdiphtheritis wahrscheinlich
gemacht wird. Bekanntlich ist es dem verstorbenen
Collegen Schweikert gelungen drei Fälle von Angina
Ludovici mit Anthracin 9. und 30., allerdings unter
Anwendung chirurgischer Eingriffe und erst nach
13 resp. 20 wöchentlicher Behandlung zur Heilung
zu bringen. Ich hatte mich, da Arsenik in dem
beschriebenen Falle von so vorzüglicher und prompter
Wirkung war, nicht veranlasst gesehen, zu dem ge¬
nannten isopathischen Mittel zu greifen. Obwohl
kein Freund von Krankengeschichten veröffentliche
ich diesen Fall, erstens, weil Bähr in seinem Lehr¬
buche, nachdem er die Schweikert*schen Fälle an¬
geführt, sich wundert, dass bei dieser im ganzen
sehr selten vorkommenden Krankheit noch Niemand
den Arsenik, der den Symptomen nach doch so
passend erscheine, angewandt habe, und zweitens, weil
er einen schlagenden Beweis von der nicht absoluten
NothWendigkeit chirurgischen Eingreifens und von
der Wirksamkeit hoher Potenzen liefert, wobei die
von den Tiefpotenzlem neuerdings so beliebte An¬
nahme der Suggestionswirkung vollständig aus¬
geschlossen ist.
Eine Richtigstellung.
Es ist mir kürzlich gesagt worden, man finde viel¬
fach meine Potenzirungstheorie zu „ materialistisch “.
Merkwürdig! Eine Arznei ist doch Materie und
zwar todte Materie. Wie ist es denn möglich eine
Theorie der Wirkung der Materie anders als mate¬
rialistisch zu gestalten. Es ist doch kein Mensch
darüber im Zweifel, dass eine physikalische Er¬
scheinung physikalisch , eine optische , optisch , eine
akustische , akustisch erklärt werden muss, also muss
eine materialistische Erscheinung auch materiali¬
stisch erklärt werden. Ich bin der letzte der be¬
streitet, dass in einem Lebewesen auch andere nicht
materialistische Vorgänge sich abspielen, noch weniger
bezweifle ich, dass bei der Behandlung eines Kranken
nicht materialistische Potenzen eine grosse Bolle
spielen können, ja dass man sogar ganz allein mit
solchen Kranke heilen kann, allein eines ist voll¬
ständig unbestritten: Es ist noch niemals jemand
eingefallen, den Geist durch Verschüttlung mit Wein¬
geist potenziren zu wollen, sondern das hat man
stets nur mit materiellen Stoffen gemacht, und
deshalb kann eine Erklärung der Veränderungen,
die hierbei die Materie erfährt, schlechterdings nicht
anders sein als materialistisch, denn wenn sie es
nicht ist, dann ist sie nichts. Prof. Dr. G. Jaeger.
Nachtrag zu dem Artikel „Heimath-
liche Arzneikunde“ in Nr. 17118,
125. Bd. dieser Zeitnng.
Von E. Bohlegel, pr. Arzt in Tübingen.
In meinem Verzeichniss der Pflanzen genannter
Art sind folgende zwei vergessen worden, die ihren
Platz ebenfalls daselbst finden müssten: Conium
maculatum (Umbelliferae) und Mandragora vernalis
(Solanaceae). Schlegel.
Die zeitweilig herrschenden
Heilmittel.
Kukulus-Stettin berichtet am 21./10. von sehr
guten Erfolgen von Ipecac. bei Keuchhusten.
Weihe-Herford hat noch immer = Chel., = Sep.,
= Kreos., = Sinap., hiezu traten in letzter Zeit
Ac. nitric. -f- Tone, oder -f- Hyoscyam.; Baryt,
carb. + Tone, ist wieder verschwunden.
Dierkes-Paderborn theilt am l./ll. mit, dass
er in letzter Zeit vielen Wechsel betr. der Mittel
habe; am häufigsten kommen vor: = Lach, -f-Cbin.,
dann Calc. phosph. -f- Chin. und Cupr. -f~ Chin.,
auch Fern -f- Chin.; es giebt noch immer viel
Leberaffectionen. (W.)
Leeser-Bonn hat nach Bericht vom 27./10. eben¬
falls im allgemeinen grossen Wechsel; am meisten
vorherrschend ist Tart. süb., ausserdem noch Phosph.,
Chel., Lach.
Kim-Pforzheim hatte seit dem 22./10. frische Ca-
tarrhfieber mit Schnupfen, Halsentzündung, Laryngit.,
Bronchit mit Schwerathmigkeit: dagegen Apis (H.)
von guter Wirkung, welches am 27. noch immer
angezeigt war. Am 29./10. berichtet er: heute bei
Kinderinfluenza Sabadill. (H.)
Ich-hier hatte vom 20.—27./10. viel Borax +
Sabadill., daneben am 24. und 25. öfters = Tart.
süb. (Natr. mur. -f- Led.), ausserdem vom 24.—29.
häufig Combinationen von Baryt, carb. mit Led.,
Lactuc. vir., Bell., Tone., Asar. europ., Petrol.; am
28. trat Natr. hypophosphor. -f* Sabadill., am 29.
Kreos. -}- Sabad mehr in den Vordergrund; seit
dem 30./10. ist ganz vorherrschend Stib. arsenicos.
-j- Sabadill, angezeigt, ausserdem vereinzelt in chro¬
nischen Fällen Stib. ars. -J- All. Cep., Petrol., Dros.,
Gin., Verbasc., Gels. Ein besonderer Krankheits¬
typus, abgesehen von allerlei Catarrhen, ist nicht
vorherrschend.
Weiss-Gmünd berichtet am 30./10.: Vom 23. ab
Bell. (H.) herrschendes Mittel bei Anginen, Erysipelen,
Gehimhyperämie, Trigeminusneuralgieen, Cardial-
gieen, Menstrualbeschwerden.
Digitized by
Google
158
Sigmundt-Spaichingen theilt heute mit, dass er
neuerdings nicht selten Fälle für Cupr. -f- Chel.
habe.
Stuttgart, den 3. November 1892.
.. . Dr. med. H, Göhrum.
Verwahrung.
Von Dr. med. F. Katsch.
L Betreffs der „Entgegnung* des Herrn Dr.
G5hrum in Ho. 13 und 14 der Allg. Homöop. Ztg.
vom 31. März 1892.
1. Es ist unwahr und nicht einmal versuchsweise
begründet worden, dass ich die Göbrum-Schwarz*-
schen Artikel über Autoisonbehandlung „offenbar
absichtlich missverstanden“ hätte.
2. Es ist unwahr, dass ich „den verstorbenen
Dr. Wolf lächerlich zu machen gesuchtV hätte.
Da Dr. Wolf als einer der kenntniss- und geist¬
reichsten Vorkämpfer und Autoren für die Jenichen '-
sehen Hochpotenzen eintrat und als Autor noch
heut Geltung hat, so steht mir und Jedem das
Recht zu, in einer wissenschaftlichen Fachzeitung
am Praktiker den Theoretiker zu messen, wie an
allen der Geschichte angehörigen Aerzten allerseits
geschieht; denn der Autor lebt, so lange sein Buch
lebt. Das mir vorgeworfene „de mortuis nihil nisi
bene* bin ich also berechtigt, zurückzu weisen.
3. Es ist unzutreffend, dass ich „in meinem
Artikel keine Beispiele aus der Praxis (— also
Wirksamkeit —) noch lebender „Phantasten ““ an¬
geführt hätte. Mein Manuscript enthielt eine auf
eigener Nachprüfung basirte Kritik der vor 11 Jahren
zuerst von Herrn Professor Jäger, Dr. Göhrum und
Anderen ausgeführten, sogen. „spektralanaljtischen“ *)
Beweise für Hochpotenzwirkungen.
Diese hat gerade Herr Dr . Göhrum unterdrückt,
angeblich weil sie die jetzige Jägersche Veröffent¬
lichung präjudiciren würden. „Von dieser Jäger*-
schen Neuauflage hatte ich aber noch keine Ahnung,
als ich meinen Artikel schrieb. Ueberdies habe ich
ja ganz genau präcisirt, unter welchen Umständen
ich die Erfolge gerade der heutigen Hochpotenzier
für nicht beweiskräftige erachte. Ich sagte, ein
Arzt, der mit Hochpotenzen operirt, für deren
normale — also nach der für die Homöopathie
massgebenden Hahnernann sehen Bereitungs weisen
erfolgte — Herstellung er sich nicht verbürgen will
und kann , glaube eben nur „Hochpotenzen* zu
besitzen.“
4. Es ist unwahr, dass ich „ herabzureissen , was
*) Wie viel Herr Dr. Katsch von der Jägerischen
Methode versteht, geht daraus hervor, dass er nicht
blos hier, sondern auch sonst wiederholt ,spektral-
analytisch* statt .neuralanalvtisch“ schreibt. Mit dem
Spektrum hat Jäger’s Methode absolut nichts zu thun.
Göhrum.
nicht in meinen Kram passt ' oder die persönlichen
Fähigkeiten der positiv Arbeitenden zu verdächtigen
gesucht“ hätte. Positive Arbeiter sind wir Aerzte
alle.
Ich habe aber den positiven Mangel an objek¬
tiven Befunden gründlicher Brustuntersuchungen in
den Göhrum-Schwarz'schen Berichten gerügt, wozu
jede Kritik öffentlich dargebotener und obenein bis-
her th eilweise unerreichbar gebliebener Heilerfolge
nicht nur berechtigt sondern verpflichtet.
5. Es ist unzutreffend, dass ich in meiner Be¬
sprechung „auf meine vor Jahrzehnten stattgehabte
Thätigkeit mir unendlich viel zu Gute gethan hätte.“
Ich habe vielmehr aus der Zeit meiner Hospi¬
talpraxis datirende Beobachtungen nur zu dem
Zwecke angeführt um darzuthun, dass „auffällige
Verschlimmerungen schwerkranker Lungenschwind¬
süchtiger“ aus vielen und gänzlich anderen Gründen
entstehen können als aus Darreichung hochpotenzirten
„Autoisons.*
II. Betreffs der „Entgegnung“ des Herrn Dr.
Schwarz in Ho. 17 und 18 der Allg. Homöop. Ztg.
vom 28. April 1892.
1. Es ist unzutreffend, dass ich durch meinen
Artikel in No. 13 und 14 Herrn Dr. Schwarz
„lächerlich zu machen“ gesucht hätte. Ich habe
vielmehr nur bezweifelt und bezweifele fernerweit,
dass z. B. eine „Caveme mit amphorischem Klange“
— falls sie heilt — so heilen könne, dass binnen
etwa dreier Monate daselbst „normales vesiculäres
Athmen* zu hören sei. Hätte „ die Lungenspitze
sich reträhirt* so hätte dies doch nur in Folge von
Narbenbildung geschehen können: wie sonst?
2. Es ist ebenso unwahr, dass ich Herrn Dr.
Schwarz „in einer Laiengesellschaft lächerlich zu
machen suchte. Ich bot lediglich — und zwar in
einem kleinen Bruderkreise der hiesigen Loge —
Herrn Dr. Schwarz von ihm auch wahrgenommene
Gelegenheit, uns über seine Autoison-Erfolge zu
unterhalten, ohne dieselben zu kritisiren!
3. Herr Dr. Schwarz irrt, wenn er meint „seine
Methode , Hochpotenzen zu bereiten, mir mitgetheilt“
zu haben. Ich war daher auch nie in der Lage,
„dieselbe gutzuheissen!
4. Es ist unrichtig und erhellt nicht aus meinen
Schriften, dass ich selbst schon öfter an dem Hahne-
mann sehen Potenzirungs verfahren gerüttelt hätte.
5. Ich habe in meinem Artikel nicht beansprucht,
dass Herr Dr. Schwarz mich „als sachverständigen
Arzt zur Prüfung des damaligen Lungenzustandes
seiner Patienten einladen* möge. Ich muss auch
die Behauptung als unzutreffend ablehnen, dass Herr
Dr. Schwarz mich mit einer „Einladung zu einer
Controle- Untersuchung des Lungenzustandes seiner
Patienten“ auch nur in einem einzigen Falle beehrt
hätte.
6. Bereits in meinem angezogenen Artikel habe ich
Digitized by v^ooQie
gross gedruckt meine Verwnnderung ausgesprochen,
dass Herr Dr. Schwarz Sputa „von kleinen Kindern“
bei Keuchhusten verlange. Meines Wissens sondern
gerade „die kleinen Kinder“ — also die meist ge-
fUhrdetsten — überhaupt keine Sputa aus , am
wenigsten im ersten Stadium des Keuchhustens , als
einer Neurose. Im katarrhalischen Endstadium des
Keuchhustens kann aber dessen Heilung als ein
besonderer ärztlicher Triumph doch nicht etwa gelten
sollen! —
7. Das Gleiche gilt betreffs der Sputa für das
erst© Stadium der Meningitis tuberculosa „ kleiner
Kinder 0 . Das und nichts Sonstiges besagte ich
schriftlich und mündlich, vermied es aber in Laien¬
gegenwart, Herrn Dr. Schwarz dieses Fehlen der
Sputa im Kleinkinderalter vorzubalten. Denn etwa
Erbrochenes wird ja wohl nicht als Sputum gelten
sollen! Erst dann, wenn einmal das „Wenn“ im
Schlusssätze der Entgegnung „durch andere von
sachverständigen Aerzten controlirte Fälle 0 gänzlich
gewiss werden wird, und wenn einmal „die kleinen
Kinder Sputa aus werfen werden 0 , werden meine
Zweifel, die übrigens nicht der Person, sondern der
Sache — also lediglich den Mängeln der bisher
mitgetheilten Krankheitsbeschreibungen galten —
glänzend widerlegt sein.*)
Erklärung.
Da Herr Dr. Katsch auf Grund des § 11 des
Pressgesetzes die Aufnahme einer Verwahrung gegen
die Entgegnungen des Herrn Dr. Göhrum in No. 13/14
und des Herrn Dr. Schwarz in No. 17/18, 124 Bd.
der Allg. Homöop. Ztg. nachdrücklichst von uns ver¬
langt hat, so Hessen wir dieselbe vorgedrackt folgen,
fügen aber hinzu, dass der schon zu weit zurück¬
liegende Federstreit, an den wir unsere Leser nur
ungern noch einmal erinnert haben, hiermit für
unsere Zeitung beendet ist. — Die Redaktion.
Prof. Dr. G. Jäger’« Arbeiten in
Amerika.
„The homöopathic physician“ bringt seit einigen
Nummern die Uebersetzung der in unserer Zeitung
dieses Jahr erschienenen Arbeit unseres treuen Mit-
*) Herr College Schwarz hält Übrigens, wie ich
durch direkte Mittheilung von ihm weiss, seine Ent¬
gegnung in ihrem ganzen Umfang aufrecht und ist sogar
erbötig, den medicinischen Theil derselben in seinen
einzelnen Punkten nach den neuesten pathologisch¬
anatomischen, wie histiologischen, resp. bakterio¬
logischen Anschauungen, den nicht medicinischen durch
die bei jener Unterhaltung anwesenden Zeugen zu be¬
weisen. Göhrum.
arbeiten und Fonchers Prof. Dr. G. Jäger nebst
Curven und Tabellen zur Veröffentlichung. College
B . Fincke hat sich dieser Mühe unterzogen. Denelbe
hat auch auf dem „International Hahnemannian
Association Meeting of 1892“ einen Vortrag über
„Neural analysis 0 Prof. Dr . Gustav Jäger's latest
provings of homöopathic potencies gehalten. Wenn
er auch mit Jäger in der Erklärung der Art und
Weise der Einwirkung der Hochpotenzen nicht über¬
einstimmt, ohne übrigens auch nur andeutungsweise
eine bessere Erklärung zu geben, so fühlte er sich
doch veranlasst, seinen Vortrag mit folgenden Worten
zu schliessen: _ .
„Wie dem jedoch auch sein mag, die Forschungen
unseres Freundes, Dr. Jäger, sind von unschätz¬
barem Werth, weil er Thatsachen und Ziffern zu
Gunsten der homöopathischen Potenzirung liefert,
welche weder todtgeschwiegen noch widerlegt werden
können, denn „Zahlen beweisen. 0
„Dr. Jäger beklagt sich, wie wenig Unterstützung
er von homöopathischer Seite erfahren habe, seit
er seine unsterblichen Untersuchungen vor 10 Jahren
veröffentlichte, und da er sich dieser grossen Arbeit
allein im Interesse der wahren Wissenschaft und
zum Besten der Homöopathie unterzieht, welche er
selbst in Folge seines eifrigen Suchens nach der
Wahrheit als wahr anerkennen musste, sollte ihm
jeder Homöopath seine offene Anerkennung und
seinen warmen Dank für seine vortrefflichen Arbeiten
und für das, was er für die Homöopathie gethan
hat, ausdrücken. 0
In der daran anschliessenden Diskussion wurde
sofort ein Antrag gestellt und angenommen, dass
an Dr. Jäger durch den Schriftführer ein Schreiben
gerichtet wurde, das die anerkennenden Glückwünsche
der Gesellschaft zu den Erfolgen seiner Forschungen
ausdrückt.
Im Anschluss an die vorstehende Besprechung
sei es mir gestattet, noch darauf hinzu weisen, dass
die Anmeldungen zu den Jägerschen Riech versuchen
bis jetzt recht spärlich eingelaufen sind. Ich bitte
die Collegen dringend , sich noch zahlreicher dazu
melden zu wollen, damit wir uns nicht noch ein¬
mal unserem hochverehrten Mitarbeiter gegenüber
dem Vorwurfe allzu geringer Unterstützung aus¬
setzen! Göhrum.
Personalia.
Die Herren: Dr. Meyer - Watersloh und
Dr. Kukulus-Stettin haben in Berlin das Dis-
pensir-Examen bestanden.
Dr. Buob ist von Freudenstadt nach Wiesbaden
verzogen.
Digitized by
16«
ANZEIGEN.
Reiisionsmässige Hausapotheken!
Bei den Revisionen der Hausapotheken der eelbst-
dlspeasirenden homöopatbisohen Herren Aerzte werden
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die¬
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker .
Aus diesehi Grunde habe ich für die Herren Aerzte
kleine, praktische
Giftschränkchen
und
Separanden-Schränkcheu
anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu
Diensten.
(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen
vollste Anerkennung gefunden).
Sie sind je nacn Wunsch eichen-, oder nussbaum¬
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬
weitigen Zimmereinrichtung passen.
Ein Glftsohrlnkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild
Veaeia versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für
sich verschliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen.
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M.
Ein Separandentohrlnkohen ist 70 cm hoch, 50 cm
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte).
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M.
Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen
entsprechend, habe ich die Gift- und Separanden-
Sohränkohen jetzt auch in einen Schrank ver¬
einigt, vorräthig.
Die obere Abtheilung dieser Doppel schränke ist
für die Separanda, die doch mehr gebraucht werden
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloide,
Arsenicalia uhd Mercurialia.
Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm
tief und 52 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-,
nussbaum- oder mahagoni-artig.
Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur
60 Mark.
A. Marggrafs homöopath. Offlein in Leipzig.
Soeben ist erschienen nnd znm Versandt ge¬
kommen die 3. Lieferung von
Die ve rgleichende
Arzneiwirknngslehre
von
Dr. med. H. GrOSS und Prof. Dr. med. C. Hering.
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben
von Sanitätsrath Dr. med. Faillwasser, Bernburg a 8.
Complet in 8 Lfgn. ä Mk. 2.50. Einbanddecke gratis.
Wer das Werk lieber im Ganzen complet
gebunden bezieht, mag es anch schon jetzt bestellen,
da später jedenfalls eine Preiserhöhung ein tritt.
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Lieferung.
Jede Lieferung : 9 Druckbogen, 4°. Preis &50 Mk.
Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen
sind eine grosse Menge Bestellungen auf dieses Werk
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Bach
alsein ganz vorzügliches nnd für jeden'homöopathiscben
Arzt und gebildeten Laien unbedingt'noth wendiges be¬
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend
genug empfehlen können.
in Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis
tbatsächlich ein ausserordentlich niedriger zu nennen.
Von allen deutschen homöopathischen; Zeitungen
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichendem Arznei¬
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre
Anschaffung empfohlen.
Leipzig, den 8. November 1892.
A. Marggrafs homöopath. Offlein.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Limonsin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle ä Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets
ganz frisch, wird in Glasstöpselgläsern, ä 80,0=50 Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin.
Zur Eiweissbestimmung im Ham,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Esbaeh’schen Albuminimeter
mit genauer Gebrauchsanweisung ä Mk. 3.—.
Die dazu gehörige Lösung vonCitronen- u.Picrin-
säure gebe ich in jedem Quant. (& 100,0 =» 30 Pf.) ab.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offtein.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehnm-Stuttgart, Dr. StHTt-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig.
Expedition und Verlag von Willian Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) | in Leipzig.
Druck von Qreasaar & Sokram in Leipzig.
Digitized by Google
Band 125.
Leipzig, den 34. November 1893.
No. 21 n. 22.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRÜM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig.
Brsoheint 14 tägig in 2 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). All e Baob handl an gen nnd
Poetanstalten nehmen Bestellungen an. No. 97 des Post-Zeitungs-Verzeichnisses (pro 1892). — Inserate, welch® an JEL MOSSO in
Leipzig und dessen Filialen oder an dieVerl&gshandlung selbst (A. M&rggrafs homöopath. Offioin in Leipzig) xu riohten
sind, werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitzeile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt. Soli sich unsere Therapie auf die Pathologie oder auf die Symptomatologie stützen ? Uebersetzt
von Dr. Hesse-Hamburg. — Zur Potenzirungelehre. Von Prof. Dr. G. Jaeger. — An Herrn Thomas Apostata. Von
Dr. med. H. Göhrum. — Ein weiterer Fall zur Auto-Ison-Therapie. Von Dr. Buob-Freudenstadt. — Schnelle Heilung
einer Nierenentzündung durch Arsenik. Von Dr. Paul Lutze-Köthen. — Zum Anträge Lorbaoher. Von Dr. med.
Leeser-Bonn. — Schlusswort zur Controverse „Slmilibus an suggeetis? (< Von Dr. med. Carl Gerster München. —
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Erklärung. — Eine In Vergessenheit gekommene schöne Anschaffung. Von
William Steinmetz. — Ueber das Wesen des vermeintlichen „Hirndrucks“ und dis Princlplen der Behandlung der
sogenannten „Hirndrucksymptome“. Referat von Dr. Göhrum. — Lesefrüchte. — Druokfehierbericbtlgung. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TM
Soll sich unsere Therapie auf die
Pathologie oder auf die Sympto¬
matologie stützen?
Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg.
Eine klinische Vorlesung, gehalten im Hahnemann-
Hospif&l zu Chicago von Dr. J. Hawkes, Prof, der
inneren Medizin nnd Arzneimittellehre.
Bs wird Ihnen aufgefallen sein, meine Herren,
dass in meiner Klinik in diesem Semester weniger
Gewicht gelegt wurde auf eine genaue Diagnose, als
auf die sorgfältige Ermittelung der für jeden
einzelnen Kranken indicirten Arznei. Es scheint
kaum nothwendig, die Richtigkeit dieses Verfahrens
nachzuweisen, wenn man auch auf der anderen
Seite die Wichtigkeit cler correkt gestellten Diagnose
für den einzelnen Fall zugeben muss. Doch sind
deren so Viele, welche die Diagnose für wesentlich
für die richtige Arzneiwahl, oder, was der Haupt¬
punkt ist, sogar für die Grundlage derselben halten,
dass ich meine Gründe für meine Handlungsweise
näher auseinandersetzen muss. Mit der correcten
Diagnose hat die Aufgabe, den Kranken zu heilen,
erst begonnen. Nehmen Sie als Beispiel den Kranken
vor uns: Es ist ein unverkennbarer Fall von Icterus.
Ohne eine einzige Frage zu thun, können Sie alle
die genaue Diagnose in diesem Falle stellen, sogar
der Patient selber. Sie Alle sehen die gelbe, fast
kupferfarbene Haut, die gelbe Sclera. Die Frage
lässt sich hier aufwerfen, ob der Icterus in Folge
von Verschluss der Gallengänge durch Katarrh,
oder durch Steine, oder ob der Icterus herrührt
von Zerfall der rothen Blutkörperchen und diese
Frage kann von Wichtigkeit sein für die Auswahl
der Arznei. Doch ist sie von sehr untergeordnetem
Werthe gegenüber den subjectiven Symptomen,
welche der Kranke bietet. Jene Fragen klären uns
nicht darüber auf, ob es ein Fall ist für Bryonia
Chelid., Mercur, Phosph., Nux vom., Podoph. oder
eine sonstige von den Arzneien, die im Allgemeinen
für Icterus passen. Die Symptome des Kranken
hier vor uns weisen klar hin auf Chelidonium als
das helfende Mittel. Wir haben da den Schmerz
unter dem unteren inneren Winkel des rechten
Schulterblatts, der so charakteristisch ist für dieses
Mittel, wir haben die Canariengelbe Farbe der Stühle,
zwei charakteristische Symptome, der benannten
Arznei eigen und diesem Kranken. Alle Fälle von
Icterus bieten ein ähnliches Aussehen der Stühle,
nämlich einen Mangel an Farbe; die Stühle er¬
scheinen weiss oder grau, da in Folge Verschlusses
der Gallengänge durch eine der oben genannten
21
Digitized by
Google
Ursachen keine Galle in den Darm gelangt und
das Fett der Nahrung unverdaut durchgeht.
Der Name der Krankheiten rührt her, von irgend
welchen Eigentümlichkeiten, welche die Krankheiten
oder die Kranken bieten (Scharlachfieber von der
ScharlachrÖthe der Haut, Intermittens von dem
intermittirenden Charakter der Fiebers); wenn wir
nun die Arznei für jeden Kranken nur nach dem
Namen der Krankheit, oder nach der Diagnose
wählen würden ohne Beachtung der Symptomatologie,
dann brauchte man für jede Krankheit nur ein
Mittel, ohne Rüoksicht auf die verschiedenen indi¬
viduellen Symptome, welche in der einen Krankheit
von verschiedenen Kranken geboten werden: Für
den Fall vor uns brauchte man nicht weiter zu
suchen; es genügte zu wissen, dass es ein Fall von
Icterus ist.
Aber wir wissen, dass verschiedene Mittel nöthig
sind für die verschiedenen Kranken, welche an ein
und derselben Krankheit leiden und wir gelangen
zur Unterscheidung dieser Mittel durch das Diffe-
renziren der Symptome, welche die einzelnen Indi¬
viduen in derselben Krankheit bieten. Wenn der
Kranke vor uns nicht diesen Schmerz unter dem
inneren Winkel des rechten Schulterblattes und nicht
diese eigenthümliche Farbe der Stühle hätte, statt
dessen aber stechende Schmerzen in der rechten
Seite, schlimmer durch Tiefathmen, Niesen, Husten,
viel Durst mit trocknem Munde, trocknen Lippen,
starke Verstopfung mit trocknen, bröckligen Stühlen,
mit grosser Abneigung gegen jede Bewegung, dann
würde Bryonia das Heilmittel sein.
Wenn anstatt dieses Symptomenbildes, profuse
schaumige, graugelbe Diarrhöe vorhanden wäre, mit
Vorfall des Mastdarms, Leichengeruch der Stühle,
würde Podophyllum passen.
Haben wir Speichelfluss, dysenterische Stühle
mit Zwang und mehr oder weniger Blut, stark
belegte, feuchte, vergrösserte Zunge und Ver¬
schlimmerung aller Erscheinungen Nachts, können
wir nur Mercur wählen.
Sobald wir zugeben, dass zwei oder mehr Mittel
nützlich sein können in derselben Krankheit, sobald
müssen wir anerkennen, dass die Symptomatologie
und nicht die Pathologie die richtige Basis unserer
Mittelwahl sein muss.
Im Allgemeinen deutet eine Krankheit immer
auf eine gewisse Gruppe von Arzneien hin, welche
bei dieser Krankheit mehr in Frage kommen, als
andere. So ist es auch mit dem Icterus und mit
den oben von mir genannten Mitteln. Aber das
dürfen wir nicht vergessen, dass das passende Mittel
im einzelnen Falle auch ausserhalb dieser Gruppe
liegen kann, und es wird nach meiner Meinung nur
Schaden dadurch gestiftet, dass der Arzt für jede
Krankheit sich an eine gewisse Gruppe von Arzneien
hält; diese unrichtige Beschränkung verhindert oft
das Finden des richtigen Mittels. So verfahren nür
die trägen Aerzte. Wenn der Name der Krankheit
ganz ausser Acht gelassen würde, hätte der Arzt
mehr Mühe im Suchen, aber auch unendlich viel
mehr Erfolg im Interesse des Kränken. Der nächste
Fall, den ich Ihnen vorstelle, wirft noch mehr Licht
auf den Punkt, den ich Ihnen einprägen möchte.
Es ist ein Fall von Hautkrankheit. Nach meiner
Meinung giebt es keine Hautkrankheit per se. Alle
acuten und chronischen Erscheinungen auf der Haut
sind nur Blüthen, stammend von irgend einer er¬
worbenen oder ererbten Wurzel im Inneren des
Körpers. Das Missverstehen dieser Thatsache ver¬
anlasst die Allöopathen und auch manche sogenannte
Homöopathen, diese äusseren Erscheinungen eines
inneren Krankheitsstoffes durch lokale Behandlung
zu unterdrücken, von der Oberfläche zu vertreiben
an einen mehr central und gefährlicher gelegenen
Ort. So geschieht es mit den Schwefelsalben für
juckende Ausschläge, mit Zinksalbe im Gesiebt bei
Erysipel. Die Natur thut immer ihr Bestes, um die
gefährlichen Ablagerungen an die wenigst gefähr¬
lichen Stellen hinzubringen. Unendlich vorzuziehen
ist das Erysipel aussen auf dem Kopf dem Ery¬
sipel der Hirnhäute, und zu diesen letzten wird es
getrieben, wenn man es auf der Haut unterdrückt.
Einer der gefährlichsten Fälle, den ich durchbrachte,
war ein Fall von Erysipelas, den ein sogen. Homöopath
äusserlich mit Zinksalbe behandelt hatte. Aeusser-
lich war die Entzündung zurückgegangen, dafür war
Meningitis und Delirium vorhanden und ein un¬
günstiger Ausgang drohte.
Ich habe mehrere solcher Fälle gesehen, wo das
Erysipel äusserlich unterdrückt war; das sind straf¬
würdige Handlungen. Die Entzündung der Haut
ist an sich nicht nothwendig gefährlich. Wir sollen
unser Bestes thun, die Natur zu unterstützen in
ihrem Bestreben, die Krankheitsstoffe von innen
nach aussen zu werfen. In diesem Falle vor uns
haben wir als Ausdruck constitutioneilen Krankseins
feuchten Hautausschlag an Ohren, Nacken und
Kopfhaut. Wir hören, dass der Kranke aus einer
Familie mit Kropf stammt; ferner war in seiner
Familie Schwindsucht, wir hören von scrophulösen
Geschwüren. Als Kind hatte er Hautjucken, das
durch Schwefelsalbe geheilt wurde. In den letzten
Jahren ist von Zeit zu Zeit Hautausschlag erschienen
der den Kranken sehr geplagt hat.
Nun finden wir oft in ähnlichen Fällen Sulfur
angezeigt. In diesem Falle nicht. Warum nicht
in diesem Falle? Weil die Symptome nicht auf
Sulfur, sondern auf ein anderes Mittel hindeuten.
Die Absonderung ist feucht und ähnlich wie
Honig. Diese honigähnliche Absonderung bildet
beim Trocknen gelbe Krusten; ihr Lieblingsort ist
hinter dem Ohr, wo das Ohr sich an den Kopf
ansetzt; wenn der Ausschlag auch überall ver-
Digitized by v^ooQie
163
schwunden ist, dort bleibt er bis zuletzt Wir
finden ferner, dass der Kranke brüchige Fingernägel
und eine unheilsame Haut hat; Verletzungen heilen
langsam und eitern; in den Haaren hat er Schuppen.
Ausserdem finden wir unvollkommene Zähne, über¬
haupt schlechte Beschaffenheit von Haut, Finger¬
nägeln, Haaren etc. Das indicirte Mittel ist Graphit
Die charakteristischen Merkmale, welche die Wahl
von Graphit in diesem Falle, wie in allen ähnlichen
Fällen entscheiden, sind der klebrige, honigähnliche
Charakter der Absonderung, gelbe Krusten bildend
und die Lokalisirung hinter den Ohren. Diese
Symptome zusammen mit der unheilsamen Haut
und den brüchigen Fingernägeln, deuten unzweifel¬
haft auf dieses Mittel als auf das helfende hin. Man
konnte an Zinc, Sulf., Lycop. und ein paar Dutzend
andere Mittel denken, die in solchen Fällen nützlich
sein könnten, aber nur Graphit und kein anderes
wird diesen Kranken heilen. Die Diagnose, der
Krankheitsname würde Eczema capitis sein; wäre
die Pathologie und die Diagnose die Basis für die
Mittelwahl, dann brauchte man nur ein Mittel; man
hätte leichtes Studium, leichtere Arbeit, allerdings
sehr ungenügende. Ein hervorragendes Mitglied
unserer Schule schrieb einst einen Artikel: Warum
viele Arzneien bei einer specifischen Krankheits¬
ursache? Er bemühte sich zu zeigen, dass man in
jeder Krankheit mit einem Mittel auskomme und
empfahl Mercur für Syphilis, Beilad. für Scharlach,
Chinin für Wechselfieber und so fort. Der Haupt¬
irrthum dieses Collegen besteht darin, dass er als
Basis der Mittelwabl die von Aussen kommende
Ursache der Krankheit annimmt und nicht die
„constitutioneile Prädisposition“*) des Patienten.
Zur Erläuterung füge ich Folgendes bei: Eine
Anzahl Leute gehen von einer Gegend zusammen
in einen Malariadistrikt. Alle leben unter denselben
äusseren Bedingungen, schlafen in demselben Raume,
haben dasselbe Essen auf demselben Tische, arbeiten
an demselben Orte, athmen dieselbe Luft, trinken
dasselbe Wasser, kurz, sie leben genau in denselben
äusseren Verhältnissen. Der Eine bekommt Wechsel¬
fieber: Er hat regelmässig jeden zweiten Tag starken
Schüttelfrost, gefolgt von sehr hohem Fieber, furcht¬
barem Kopfschmerz und Delirium, abschliessend und
erleichtert durch profusen Schweiss. An den freien
Tagen fühlt er sich verhältnissmässig wohl. Dieser
wird eine besondere Arznei nöthig haben. Ein
Anderer hat Frost und Hitze jeden dritten Tag,
aber zu verschiedenen Tageszeiten, mit verhältniss¬
mässig wenig Kopfweh und Hitze ohne Schweiss.
Seine Symptome sind ganz verschieden von denen
des Ersten und er braucht ein anderes Mittel.
*) Ich fand für „constitutioneile Prädisposition“
keine passende Uebersetzung, aber ich finde den Aus¬
druck auch so verständlich und sehr bezeichnend. Q.
Auf einen Dritten macht die Malaria Überhaupt
keinen Eindruck.
Was sollen wir aus solchen Thatsachen schliessen!
Sollen wir das Malaria-Miasma angreifen und nach
dem oben citirten Autor Chinin geben für Alle?
Oder sollen wir, um diese Kranken zu heilen, das
Individuum angreifen mit seiner Constitution eilen
Prädisposition?
Bei dem Ersten, weicher das Fieber jeden zweiten
Tag hat als reguläres Fieber, wird der aufmerksam
suchende Arzt vielleicht Natr. muriat angezeigt
finden und Eupatorium in dem zweiten Falle, be¬
sonders wenn zu den obigen Symptomen noch starke
tiefsitzende Schmerzen im Rücken und in den
Knochen der Extremitäten hinzutreten.
Greifen wir dagegen das Miasma an, dann können
wir auch dem Dritten, verschont gebliebenen Chinin
geben.
Pathologie und Diagnose sind an ihrem Platze
sehr wichtige, unentbehrliche Zweige Ihres Studiums
und Ihrer Kenntnisse als Aerzte; Sie müssen Beide
vollkommen beherrschen, aber als Therapeuten, zum
Heilen der Kranken, ist es für Sie unendlich viel
wichtiger, vollkommen mit Ihrer Materia medica
vertraut zu sein und das beste Mittel hierzu ist,
die charakteristischen Merkmale eines jeden Mittels
zu lernen und diese Merkmale im Geiste stets mit
diesem Mittel zu verknüpfen.
Zur Potenzirimg&lehre.
Einen sehr interessanten Beitrag zur Potenzirungs -
lehre enthält No. 8 der „Annalen der Physik und
Chemie “ 1892 in einer Abhandlung von Ph. Lenard ,
die Elektricität der Wasserfälle . Der Verfasser
knüpft an die längst bekannte Thatsache an, dass
an Wasserfällen der Fall des Wassers grosse Mengen
negativer Elektricität in der Luft entwickelt und
macht zahlreiche künstliche Versuche im Kleinen
über die Erzeugung von Elektricität durch Wasser¬
strahlen. Hierbei kam er unter anderem zur Ent¬
deckung, dass Verunreinigungen des Wassers einen
bedeutenden Einfluss auf die Menge der vom Strahl
erzeugten Elektricität haben und das führte ihn zu
einer systematischen Prüfung der quantitativen
Frage.
Ueber die Versuchsanordnung muss der Original¬
aufsatz gelesen werden, hier möge folgende Angabe
genügen.
Der Verfasser liess 1 Liter der Flüssigkeit in
so dünnem Strahl, dass der Abfluss 5 Minuten
brauchte, in ein untergestelltes, isolirtes mit einem
Elektricität8messer verbundenes Gefäss abfliessen und
las die Elektricitätsmenge von 30 zu 30 Sekunden
am Elektrometer ab. Dann berechnete er die er-
21 *
Digitized by
Google
164
haltenen Ladungen auf hundertstel Volt pro 1 Minute
und erhielt folgende Tabelle.
Destillirtes Wasser . .
. . +26,66
0,005 °/ 0 Kochsalzlösung
. . + 1,78
0,025 „
. . — 4,66
0,05 „ n n
. . — 6,12
0,5 „ r »
. . — 7,52
2,5 « « „
^ * n »»
. - 18,54
. . — 26,42
10 ff
. . —22,28
Der Verfasser macht zu dieser Tabelle folgende
Bemerkung:
„Es macht sich hier eine Wirkung äusserst geringer
Substanzmengen bemerkbar. Schon fünf Hundert-
tausendtheile Kochsalz vernichten die Wirksamkeit
von Wasser fast gänzlich. Die fünffache Menge
lässt sie mit entgegengesetztem Vorzeichen wieder
zum Vorschein kommen. Eine 0,011°/ 0 ge Lösung
wäre eine vollkommen unwirksame Flüssigkeit. Alle
concentrirteren Lösungen werden negativ elektrisch,
am stärksten, nach graphischer Interpolation eine
solche von 6,5°/o Salzgehalt.*
Hier tritt also beim elektrischen Verhalten der
Lösungen eines und desselben Stoffes in verschiedener
Concentration ganz genau das gleiche ein, wie bei
der physiologischen Wirkung: 1. In einer be¬
stimmten Concentration ist der Stoff elektrisch un¬
wirksam = indifferente Dosis. 2. Zu beiden Seiten
dieses Indifferenzpunktes haben wir entgegengesetzte
Wirkungen : der lähmenden physiologischen Wirkung
stärkerer Concentrationeu entspricht hier die Er¬
zeugung negativer Elektricität, der belebenden physio¬
logischen Wirkung höherer Verdünnungen steht hier
gegenüber die Erzeugung von positiver Elektricität.
3. ist auch noch das sehr interessant: Wenn der
Leser meine Tabelle der Mittelsalze in meiner Arbeit
über Potenzirung (pag. 35 von Band 125) nach¬
sieht, so findet er bei Kochsalz den Strich der
Indifferenz zwischen der 3. und 4. Potenz. Nun
ist die dritte Potenz 0,1 °/o» die vierte 0,01 °/ 0 . Der
Verfasser obiger Arbeit verlegt die elektrische In¬
differenz auf 0,011 °/o und diese Concentration liegt
zwischen 3. und 4. Potenz! Bin ich nicht berechtigt,
das als eine glänzende Bestätigung meiner Neural¬
analyse anzusprechen? Hauptsache aber ist:
Hier zeigt sich ein neuer Weg zur wissenschaft¬
lichen Festlegung der Potenzirungslehre, der den
grossen Vorzug hat, als rein physikalischer frei
von jedem Verdacht der Suggestionswirkung zu sein.
Wer geht ihn? Ist niemand unter den Lesern der
Zeitschrift, der Lust und Geschick zu solchen
physikalischen Versuchen hätte? Wenn nicht unter
den Aerzten, so sollte sich doch unter den homöo¬
pathischen Apothekern, die ja alle über Laboratorien
und Handgeschick verfügen, jemand finden, der im
Stande wäre, diesen Lorbeer zu pflücken?
G. Jaeger.
An Herrn Thomas Apostata.
In Ihrem Aufsatze „ Unsere Vehikel “ in No. 13/14
dieses Bandes, pag. 103 stellen Sie frischweg die
Behauptung auf, keiner der Herren Coli, habe das
Gebiet der Beimengungen in den Vehikeln gestreift
Da haben Sie ganz Unrecht. Dasselbe Thema hat
Coli. S. J. van Doyen schon im 122. Bd. dieser
Zeitung pag. 183 in ausführlicher und sachgemässer
Weise besprochen. In einer Erwiderung hierauf
hat Coli. Kunkel mitgetheilt, dass schon früher Roth
in Paris diese Frage in erschöpfender Weise be¬
handelt habe; ausserdem hat Kunkel die Gründe
erörtert, warum wir trotz der gewiss vorhandenen
Verunreinigungen Hochpotenzen an wenden können
und müssen, indem er sich besonders auf die prak¬
tische Erfahrung stützte. Die q>iantitative Seite
der Frage lies er unerörtert. Auf diese will ich
nun näher eingehen, obgleich ich es eigentlich als
verlorene Liebesmüh* ansehen muss, zu jemanden
zu Gunsten der Hochpotenzen ein Wort zu sprechen,
dem die Hochpotenzen „die Metaphysik in der
Homöopathie“ sind, vollends nachdem Prof. Jäger
mit seiner Neuralanalyse so überaus interessante,
zahlenmässige Daten zur Beurtheilung dieser Frage
in seinen früheren und jüngsten Veröffentlichungen
beigebracht hat.
AVenn Sie am Schlüsse Ihres Aufsatzes behaupten,
Sie könnten mit Recht sagen: „Ich habe meinem
Kranken Belladonna 3, 4 oder 5 gegeben, und da
ihm danach besser wurde, so habe ich ihn durch
Belladonna gebessert“, so könnte Ihnen dies mit
demselben Recht bestritten werden, wie Sie uns
Hochpotenzlern es bei Bell. 30 oder 200 bestreiten,
indem S. J. van Royen nach weist, dass Aq. dest.
= Glas in 2. oder 3. C., Alkohol absol. = Glas in
ca. 4 C. ist. In Ihren niederen Verdünnungen sind
also die verunreinigenden Substanzen ungefähr in
derselben Quantität enthalten wie die Arzneimittel.
Was wirkt da? Um diesem Uebelstand zu entgehen,
giebt es nun 2 Wege:
entweder Sie geben Urtinktur oder 1 oder 2 Dec.,
um ein quantitatives Uebergewicht des Arzneimittels
über die unvenneidlichen Verunreinigungen zu er¬
zielen,
oder Sie benützen höhere Verdünnungen als ca.
die 4 C., denn bei weiterem Potenziren wird von
dem Arzneistoff nichts mehr zugeführt, während
bei dem jedesmaligen Nachfüllen des Vehikels stets
dieselben Mengen der Verunreinigungen hinzukommen,
also letztere keine höhere Verdünnungsstufen er¬
reichen können.
In letzterem Falle überwiegen allerdings quan¬
titativ die Verunreinigungen; ob sie damit aber
zugleich eine Präponderanz in der Einwirkung auf
den Organismus über den quantitativ sehr im Naoh-
theil befindlichen Arzneistoff erlangt haben, ist eine
Digitized by v^ooQie
165
andere Frage, die nicht ohne weiteres bejaht werden
darf. Im Gegentheil die neuralanalytische Prüfung
der Potenzen, die Prof. Jäger und seine Schüler,
darunter auch meine Wenigkeit, ausgeführt haben,
beweist, dass die Bewegungsenergie wohl der meisten
Stoffe (Bromammonium macht bekanntlich in den
höheren Potenzen eine Ausnahme) und damit ihre
Einwirkung auf das Nervensystem mit der Ver¬
dünnung wächst — ein Umstand, der die bisher
bekannten praktischen Erfolge mit Hochpotenzen
theoretisch erklärt und die ausgedehnte Anwendung
dieser dem homöopathischen Arzte eigentlich zur
Pflicht macht . Zugleich legen die bisherigen Er¬
gebnisse dieser Prüfungsmethode jedem homöo¬
pathischen Arzte die Pflicht auf, ehe er in dem
Streite um Hoch- und Tiefpotenzen das Wort er¬
greift, selbst eingehende Versuche in dieser Richtung
anzustellen. Erst wenn diese nicht die Richtigkeit
der Jäger’schen Prüfungen ergeben, hat er — zu¬
nächst nur für seine Person — das Recht von
einem „Irrthum HahnemannV zu sprechen. Also
— auf zu ernster Arbeit!
Ganz Recht haben Sie, wenn Sie sagen, es würde
vergebliches Beginnen sein, „nach Vehikeln absoluter
Reinheit und vollständiger Unschuldigkeit“, also
völliger Indifferenz unserem Organismus gegenüber
zu suchen. Etwas absolut Reines giebt es über¬
haupt nicht, das beweisen die neuralanalytischen
Untersuchungen in so überwältigender Weise, dass
ich glaube, die Jäger’schen Experimente stossen
hauptsächlich deshalb auf so viel Widerwillen, weil
sie bei Verfolgung aller hieraus zu ziehenden Con-
sequenzen den Beweis einer Kunstheilung illusorisch
machen könnten. Man denke nur an die vielerlei
in der Luft befindlichen Stoße, die wir mit jedem
Athemzug in uns aufnehmen, man denke an die
zahlreichen Stoffe, die uns zu Speise und Trank
(Nährstoffe und Gewürze) dienen und doch zu gleicher
Zeit Arzneimittel sein können, man denke an die
unendlich variirenden Stoffe, die durch den Stoff¬
wechsel in unserem Körper aus den von aussen
eingeführten Substanzen gebildet werden, man denke
an die erst durch Prof. Jäger unserem Bewusstsein
näher gerückten Stoffe, die in uns durch jegliche
Gemütsbewegung ausgelöst werden: Zieht man
alle diese zahllosen Möglichkeiten in Betracht, so
kann ich Ihnen wiederum mit demselben Recht,
das Sie für sich in Anspruch nehmen, den Einwand
zurückgeben: eine nach dem Gebrauch von Beil. 3
oder 5 eingetretene Heilung sei keine Kunstheilung,
sondern durch die zufällige Einwirkung irgend eines
der eben genannten Stoffe hervorgebracht, die sicher
oft als Vis medicatrix naturae iraponirt; mit dem¬
selben Recht, mit dem Sie dies bei den von uns
namhaft gemachten, z. B. mit Bell. 200. erzielten
Kunstheilungen gegenüber thun.
Und auf Grund welcher Thatsachen und Be¬
obachtungen massen Sie sieb dies Recht an? Weil
über die 11 oder 12 C. Verdünnung hinaus weder
chemisch noch mikroskopisch etwas von dem Arznei¬
mittel darin nachzuweisen ist, das nach der Signatur
sich in der betr. Verdünnung befinden soll. Ja —
als ob es keine feineren Stoffe gäbe, als die, welche
die Chemie und Mikroskopik nachzuweisen im Stande
ist: schon die Spektralanalyse ist diesen beiden
Untersuchungsmethoden bedeutend über und deren
Versuchsergebnisse werden Sie doch gewiss nicht
leugnen wollen! Aber alle diese Untersuchungs¬
methoden vermittelst der physikalischen Sinne werden
weit übertroffen durch die Neuralanalyse, die Unter¬
suchungsmethode vermittelst der chemischen Sinne,
insonderheit des Geruchssinnes. Nur an ein Beispiel
will ich Sie erinnern: an die Prüfung der Nahrungs¬
und Genussmittel. Der Werth dieser wird in letzter
Linie, abgesehen von deren Gehalt an Eiweiss,
Fetten, Kohlehydraten, Alkaloiden, Alkohol etc,
bestimmt von deren feinem Geschmack und Geruch.
Der Weinkenner führt sein Glas erst zur Nase, ehe
er seinen Inhalt geniesst, und nach dem Gerüche
vermag er dessen Herkunft und Alter zu schätzen,
der Theeschmecker vermag — allein vermittelst des
Geschmackes — ohne jegliche chemische oder
mikroskopische Untersuchung dessen Güte zu be-
urtheilen. Es würde zu weit führen, alle diese
Beweise aus dem täglichen Leben hier anzuführen;
Prof. Jäger hat sie in verschiedenen Broschüren
zusammen getragen. Nur auf eines will ich noch
hinweisen: auf die Veredlung des Weinbouquets
mit dem Alter. Dies ist ein Verdünnungsprocess,
der die belebende Wirkung des Weins auf unser
Nervensystem mit seinem Fortschreiten erhöht
Allerdings giebt es hier eine Grenze, die nicht
überschritten werden darf, über diese hinaus wird
der Wein „ölig*. Aber diese Grenze ist für jede
Sorte eine verschiedene und auch die verschiedenen
Menschen verhalten sich den verschiedenen Stufen
dieses Verdünnungsprocesses gegenüber durchaus
nicht gleich. Ebenso ist es mit den Arzneimitteln.
Deshalb ist bei Besprechung dieser Fragen nichts
mit leerem Wortgeplänkel gethan, nur frische In¬
angriffnahme der Untersuchungen in dieser Richtung
von möglichst vielen Mitarbeitern kann Licht in
diese so verwickelten Verhältnisse bringen. Also
nochmals — auf zu ernster Arbeit!
Bis diese weitere Anhaltspunkte ergeben hat,
haben wir Hochpotenzier auf Grund der bisherigen
Forschungsresultate, die nicht nur längst bekannten
Erfahrungen Erklärung, sondern auch festen, theo¬
retischen Grund und Boden gaben, das Recht, das
uns mit blossen Worten nicht bestritten werden kann,
neben tieferen Potenzen auch die höheren und
höchsten Verdünnungen in Anwendung zu ziehen
und so nicht blos in Bezug auf das Arzneimittel ,
sondern auch in Bezug auf die verschiedenen
Digitized by v^ooQie
166
Potenzen desselben nach bestem Wissen und Ge¬
wissen zu individualisiren, wie es der ächte Ho -
möopathiket' thun soll
Dr. med. H. Gölirum.
Ein weiterer Fall zur Auto-Ison-
Therapie.
Ein Pendant zu dem Fall (cfr. No. 5 und 6
Allg. Homöop, Zeitung) möchte ich hier noch kurz
anführen. — B. K., 70 J. alte Frau von hier, war
schon im verflossenen Jahre in der Behandlung
eines allöopath. Arztes hier, welcher den Fall als
beginnende Tuberkulose diagnosticirt hatte. — Am
15. Mai 1. J. kam dieselbe unter den Symptomen
von Influenza, die zu dieser Zeit hier epidemisch
noch verbreitet war, in meine Behandlung. — Die
Untersuchung ergab im R oberen Lungenlappen und
Lungenspitze ausgebreitetes grossblasiges Bronchial¬
rasseln, L war dies weniger der Fall, Athmung
abgeschwächt, stellenweise bronchiales Athmen, an
beiden oberen Lungenlappen amphorischer Wieder¬
hall der Respiration. — Die Percussion ergab an
beiden Lungenspitzen vorn gedämpften, ebenso über
den oberen Lungenlappen sogen. Schachtel(leerer)-
schall. — Hinten oben war der Schall stellenweise
tympanitisch. — Die Fieberbewegungen exacerbirten
öfters von 39° auf 40°, Puls 106 bis 112, Nacht-
schweisse, Husten nicht sehr bedeutend, Auswurf
rein eitrig, geballt, Sputa critica = Sp. cocta,
Sputum nummuläre, Stühle dünn, rasches Sinken
der Körperkräfte, starke Abmagerung. — Die Be¬
handlung wurde nach der Dr. Weihe*sehen Methode
eingeleitet und schwankte in der Folge der Zustand
hin und her zwischen Besserung und Sichgleich-
bleiben bis 6. Juni, nun drohte aber doch ein
Uebergehen in Phthisis florida. — Am 6. Juni
wurde zur Behandlung mit Auto-Ison übergegangen.
— Verordnung: Auto-Ison dil. dec. 100 (bis zur 50.
1 ccm: 9 ccm, von der 50. an 1 ccm: 99 ccm
verwendet), davon 1 g in 100 g destill. Wassers
gelöst, 4mal täglich 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen.
7. Juni: Allgemeinbefinden bereits etwas besser,
Schlaf erträglich mit wenig Unterbrechung durch
Husten, Fieber geringer, Puls kräftiger.
8. Juni: Die Rasselgeräusche nehmen ab, Athmung
in den oberen Lungenpartien, vorzugsweise R, mehr
vesiculaer, Dämpfung nicht mehr so ausgesprochen.
9. bis 12. Juni dasselbe.
13. Juni: Pat. giebt an, nun eine wirkliche
innere Besserung zu fühlen; hat Hoffnung auf Ge¬
nesung wieder erlangt.
14. Juni: Athmung in den Lungenspitzen und
der übrigen Lunge gewinnt den vesiculaeren Cha¬
rakter, Dämpfung verschwindet, H. O. noch etwas
tympan. Beiklang.
14. bis 18. Juni: Status idem.
19. Juni: Kein Fieber, keine Naohtschweisse
mehr, Auswurf mehr schleimig, Kräfte nehmen zu,
gutes Allgemeinbefinden.
20. Juni dasselbe.
21. Juni: Lungenbefund: Noch spärliche, trockene,
feinblasige Rasselgeräusche, Dämpfung beseitigt,
Percussionston entspricht so ziemlich dem Normalen.
Husten wenig, Auswurf noch etwas schleimig-eitrig.
— Auto-Ison dil. cent 200, davon 1 g in 100 g
destill. Wassers gelöst, 3 mal täglich einen Kaffee¬
löffel voll zu nehmen.
Die Versendung des Sputums der Pat. an Hr.
Dr. Haupt, Specialist für Sputumuntersuchungen
in Chemnitz, behufs Nachweis von Tuberkelbacillen
scheiterte an der Weigerung des Pat., zu diesem
Zwecke Sputum zu überlassen. — Auch hier handelt
es sich wohV um eine tuberkulös gewordene chron.
catarrhal. Pneunomie bezw. Pleuro-Pneunomie.
Wenige Tage nach der letzten Arznei benutzte
Pat. die sonnigen Tage zu Spaziergängen in’s Freie,
die Kräfte heben sich ungeachtet des hohen Alters
derselben zusehends. — Sie fühlt sich wohl und
gesund und geht täglich aus. — Sie ist seit dieser
Zeit gesund geblieben, ist heiter und guter Dinge.
Bei solchen Betrachtungen dürfte auch dem
enragirtesten Skeptiker der unabweisliche Gedanke
sich aufdrängen, dass die Auto-Isopathie doch eine
wahre Sache ist, deren Nutzanwendung auch in den
verzweifeltsten Fällen zu grossem Tröste gereichen
kann und deren Unterlassung, selbst in sehr vor¬
geschrittenen Fällen, angesichts solcher Thatsachen
geradezu als ein Frevel angesehen werden muss.
Was den angegebenen Fall „Fr. Sch.“ anlangt
(s. Allg. H. Z. No. 5 und 6), bei welchem Tuberkel¬
bacillen nicht nachgewiesen wurden, so bin ich für
mich der Ueberzeugung, dass wenn auf solche in
sachkundigerWeise untersucht worden wäre, Bacillen
auch entsprechend gefunden worden wären und
bleibt ebenso für mich die Ansicht bestehen, dass
der Fall tuberkulös^war. —• Der Fall wurde von
einem hiesigen Pharmaceuten, der anderweitig
Mikroskopiker ist, und sonstige mikroscop. Präparate
anlegt, auf Bacillen untersucht: es fehle ihm jedoch
hierin die nöthige Uebung. — Eigene Angabe des
betr. Pharmaceuten.
Freudenstadt, 19. September 1892.
Dr. med. Buob.
Schnelle Heilung einer Nieren¬
entzündung durch Arsenik.
Von Dr. Paul Lutze-Köthen.
Am 10. Mai d. J. wurde ich zu dem Landarbeiter
Namens Ernst Müller in Baardorf bei Köthen gerufen.
Digitized by v^ooQie
Derselbe, 38 Jahre alt, lag schon seit 10 Wochen
schwer krank darnieder. Sein allöopathischer Kassen¬
arzt hatte ihn während dieser Zeit ohne jeglichen
Erfolg behandelt. Als ich meinen Besuch abstattete,
fand ich den bedauernswerthen Kranken am ganzen
Körper stark geschwollen, so dass er nicht im
Stande war, ohne Hülfe im Bette auch nur um
eines Zolles Breite seine Lage zu verändern. Ob¬
gleich mir augenblicklich kein Harn zur Verfügung
stand, glaubte ich mit Bestimmtheit hier einen Fall
der chronischen Brightschen Niere vor mir zu
haben und verordnete auf alle Fälle Arsenik 30.,
alle 2 Stunden von der Wasserlösung zu nehmen.
Dies Hess ich 10 Tage lang fortsetzen. Der mir
inzwischen zur chemischen Untersuchung herein¬
geschickte Harn ergab einen Eiweissgehalt von
V« Volumtheil. Hiermit war also die Diagnose
Nierenentzündung bestätigt. Am 20. Mai war noch
keine merkliche Veränderung zum Bessern bemerk¬
bar. Verordnung: Arsenic. 5. Dec. 2stündlich einen
Schluck der Wasseilösung. Am 23. Mai war inso¬
fern eine Veränderung eingetreten, als die Beine
zwar etwas stärker geschwollen, dagegen der Leib
und die Arme eine geringere Schwellung aufwiesen.
Dieselbe Verordnung. Ara 25. Mai: wesentliche
Besserung aller Erscheinungen. Der untersuchte
Harn zeigte nur 78 Volumtheil Eiweiss — also
ein um die Hälfte geringerer Eiweissgehalt — und
die Geschwulst war bedeutend gefallen. Ich traf
den Kranken auf dem Hofe umhergehend und man
erzählte mir, dass er schon eine ziemlich rege Ess¬
lust zeige.
Nun ging es mit Riesenschritten der Besserung
zu. Am 28. Mai zeigte unser Kranker noch eine
unbedeutende Knöcbelgesch wulst, die nur Abends
etwas an Stärke zunahm, und der Eiweissgehalt
hatte sich auch wesentlich verringert und zeigte
am 1. Juni noch eine schwache opalartige Trübung.
Letztere war auch noch am 17. Juni sichtbar,
dagegen um diese Zeit jede Schwellung ver¬
schwunden.
Am 26. Juni war auch die Trübung des Harns
gänzlich gehoben, dieser vollkommen eiweiss¬
frei. Da ausserdem die Hautwassersucht dauernd
fern geblieben, der Kranke ganz gesunde Esslust
zeigte und schon zusehends an Körperfülle zunahm,
so konnte man den Kranken mit Fug und Recht
als genesen betrachten. Zwar verbot die vorhandene
Mattigkeit noch jetzt das Aufnehmen der Arbeit,
doch erfuhr ich von der Frau gelegentlich einer
14 Tage später wegen eines Kindes stattgehabten
Berathung, dass der Gatte nunmehr seit kurzer Zeit
seine gewiss nicht leichte Landarbeit wieder auf¬
genommen habe.
Auch bei diesem Falle zeigt sich gegenüber der
allöopathischen Heilkunst (oder Unheilkunst, wie
sie Constantin Hering nennt) die Ueberlegenheit
der unsrigen im hellsten Lichte. Dort in 10 Wochen
keine Spur von Besserung, hier vollständige Heilung
in noch nicht 2 Monaten. —
Zum Anträge Lorbacher.
Von Dr. Leeser-Bonn.
In No. 17 und 18 der Allg. homöopath. Zeitung'
lese ich zu meinem nicht geringen Erstaunen, dass
der Sächsisch-Anhaltinische Verein demnächst über
einen Antrag des Collegen Lorbacher herathen wird,
die Stellungnahme des genannten Vereins derWeihe’-
schen Methode gegenüber betreffend. Als lang¬
jähriger Vertreter der Weihe’schen Heilmethode und
zugleich als Vorsitzender der Epidemiologischen
Gesellschaft, gegen welche ohne Zweifel die Spitze
des betr. Antrags gerichtet ist, sehe ich mich ver¬
anlasst, zu dem letzteren einige Randglossen zu
machen.
Ich möchte von meinem Standpunkte aus dem
verehrten Herrn Collegen Lorbacher gegenüber den
Wunsch aussprechen, seinen Antrag zurückzuziehen,
da derselbe nicht nur auf einer vollständigen Ver¬
kennung der thatsächHchen Verhältnisse basirt, son¬
dern auch überflüssig und schädlich ist.
Nach einigen Complimenten für die Weihe’sche
Methode heisst es in dem Anträge: „allein er (der
Sächsisch-Anhalt. Verein) kann sich durchaus nicht
mit dem in neuerer Zeit immer mehr hervortretenden
Bestreben einverstanden erklären, diese neue Methode
an die Stelle der Hahnemann'schen Lehre zu setzen
und letztere nur zu benutzen, um aus ihrem Arznei-
scbatze die von ihr angewandten Mittel zu ent¬
nehmen, wobei sie selbstverständlich nicht umhin
kann, das S. S. anzuerkennen/ Dass man uns im-
putirt, wir wollten die Weihe’sche Methode an
Stelle der Hahnemann’schen setzen, kann nur auf
einer vollständigen Verkennung der Thatsachen be¬
ruhen. Die Weihe’sche Methode ist weiter nichts
als ein Complement der Hahnemann’schen, sie hält
sich vollständig im Rahmen des von Hidinemann
geforderten Similia similibus, nur mit dem Unter¬
schiede, dass sie noch etwas mehr bietet als die
Hahnemann’sche Arzneimittellehre, nämlich neben
den subjectiven noch chaj'akteristische , objective
Symptome, die Schmerzpunkte. Weihe selbst sagt,
dass die Schmerzpunkte den subjectiven gleich-
wertbige objective Symptome seien.
Die Scbmerzpunkte sind, wie ich mich einmal
ausgedrückt habe, der Wegweiser, um sich in dem
Urwald der Symptome zurecht zu finden. Wir
Anhänger der Weihe’schen Methode sind sammt und
sonders bestrebt, diese Methode mit der Lehre
Hahnemann’s in Einklang zu bringen, indem wir
uns bemühen, das den Schmerzpunktcombinationen
Digitized by
1«8
entsprechende einfache Heilmittel aufzufinden, und
erproben durch vielfältige Versuche die Richtigkeit
der gefundenen Uebereinstimmung. Wenn der Herr
College meine Ausführungen in No. 116 der Allg.
homöopath. Ztg. gelesen hätte, so würde er sich
haben davon überzeugen können, dass wir stets das
Simillimum zu finden bestrebt sind, wenn auch
theilweise auf anderem Wege als dem von Hahne*
mann vorgeschriebenen. Statt uns also, die wir
neue Bausteine zur Befestigung der Hahnemann’-
schen Lehre herbeitragen, freundschaftlichst die
Hand zu reichen, statt diese Bestrebungen zu unter¬
stützen, weist er dieselben von der Hand und
behauptet schlankweg, wir benützten die Hahne-
mann’sche Lehre nur dazu, „um aus ihrem Arznei¬
schatze die von ihr angewandten Mittel zu entnehmen“,
mit dem Zusatze .wobei sie (d. h die Weihe’sche Me¬
thode) selbstverständlich nicht umhin kann, das S. S.
anzuerkennen. * Der Herr Verfasser hat den Wider¬
spruch offenbar gar nicht bemerkt, in dem dieser
letztere Satz zu dem vorher Gesagten steht, die reine
contradictio in adjecto: Denn wenn wir Anhänger
der Weihe’schen Methode . nicht umhin können, das
S. S. anzuerkennen* — ob wir diese Anerkennung
des S. S. willig oder ungern vollziehen, darum wird
sich der Herr Verfasser hoffentlich nicht kümmern
— wenn wir also zugestandenermassen das S. S.
anerkennen, benutzen wir die Hahnemann’sche Lehre
doch nicht «nur, um aus ihrem Arzneischatze die
von ihr angewandten Mittel zu entnehmen*, sondern
stehen voll und ganz auf dem Boden der Homöo¬
pathie, da wir zudem in allen angängigen Fällen
d. h. wo uns die therapeutische Einheit bekannt ist,
uns nur eines einzigen Mittels bedienen und die
Potenzirtheorie Hahnemann's unangetastet lassen.
.Abgesehen davon*, heisst es weiter in dem
Anträge, «liegt aber die Gefahr nahe, dass ein ober¬
flächlicher Schematismus, wie es schon bei Schüssler
und Peczely zu Tage tritt, sich einscbleicht und um
sich greift*. Ich habe bereits im Jahre 1888 an
genannter 8telle dagegen protestirt und davor ge¬
warnt, die Weihe’sche Methode mit Schüssler und
Peczely in eine Kategorie zu stellen, und kann da¬
her den Verfasser nur auf die Lectüre meines da¬
maligen Aufsatzes verweisen. Jetzt kommt aber
der Haupttrumpf: .die Forderung des Individuali-
sirens, welche Habnemann mit Bescheidenheit und
mit Recht erhebt, würde immer in den Hintergrund
treten und damit die Homöopathie einer ihrer
festesten Säulen und eines bedeutendsten Vorzugs
beraubt werden. Bisher hat die Weihe'sche Druck¬
punkttherapie noch nicht bewiesen, dass sie dafür
einen vollständigen Ersatz bietet.* Es gehört schon
ein ziemlich bedeutender Grad von Unkenntniss der
Weihe’schen Methode dazu, um so etwas zu be¬
haupten. Jeder, der sich nur ganz oberflächlich
mit der Methode bekannt, geschweige denn vertraut
gemacht hat, weiss, dass jeder Patient auf seine
Schmerzpunkte besonders untersucht wird und nur
nach Massgabe der Vorgefundenen objectiven wie
subjeetiven Symptome sein Mittel erhält. Ich be¬
haupte sogar, dass eine so scharfe Individualisirung
bei alleiniger Zubülfenabme des Aehnlichkeitsgesetzes
gar nicht Vorkommen kann, wie bei der Behandlung
nach Weihe’scher Methode. Ich habe früher bereits
wiederholt erklärt, dass der Ausdruck .epidemische*
Mittel nur ein Majoritätsbegriff ist, der ja neuer¬
dings in den zutreffenderen Ausdruck «zeitweilig
herrschend* oder besser .vorherrschende Mittel*
abgeändert worden ist. Der Herr Verfasser hat
sich die Sache offenbar so vorgestellt, dass man
eines schönen Tages den ersten besten Patienten
vornehme, bei ihm die Schmerzpunkte feststellte
und nun & la Rademacher allen übrigen Patienten
dasselbe Mittel gebe, wie dem Untersuchten. So
einfach und bequem ist es aber keineswegs. Es
kommt vielmehr häufig genug vor, dass an einem
Tage jeder Patient auf Grund der Schmerzpunkt-
Untersuchung ein anderes Mittel bekommt, das seiner¬
seits jedesmal dem Simillimum entspricht.
Eben weil nur die wenigsten der durch
die Schmerzpunkte aufgefundenen Heilmittel den
epidemischen Mitteln Rademacher’s entsprechen,
haben wir die Bezeichnung .epidemische Mittel 6
officiell fallen lassen; Weihe selbst nannte seine
Mittel s. Z. mit Recht .indirekt specifische“ Mittel,
als er noch nicht wusste, dass diese Mittel simillima
also auch .direkt“ specifische waren, womit er sagen
wollte, dass dieselben auf indirektem Wege d. h.
ohne Hülfe der Arzneimittellehre gefunden würden.
Der Ausdruck .indirekt specifisches* Mittel schützt
an und für sich schon genügend vor jedem Ver¬
dachte, als werde nicht genügend individualisirt.
Was bleibt nun von der ganzen .Erklärung* übrig?
Ausser den einleitenden für die Weihe'sche Methode
schmeichelhaften Worten nichts als der Schlusssatz:
.Deshalb hält es der Verein für geboten, dieser
Bewegung gegenüber noch die nöthige Reserve zu
beobachten, bis der unter ihren Vertretern jetzt
noch herrschende Enthusiasmus einer nüchterneren
Stimmung Platz gemacht hat, und mit Bestimmtheit
und Klarheit sich der wahre Werth derselben und
ihre Bedeutung für die Homöopathie erkennen lässt.*
Das also ist des Pudels Kern! Der Sächsisch-
Anhaitinische Verein soll oder will noch die nöthige
Reserve dieser Bewegung gegenüber beobachten!
Aber wer in aller Welt hat denn den genannten
Verein oder auch nur eines seiner Mitglieder dazu
gedrängt, aus dieser Reserve herauszutreten? Sollte
vielleicht ohne mein Wissen der Schriftführer der
Epidemiologischen Gesellschaft die Vereinsmitglieder
zum Beitritt aufgefordert oder ihnen gar die Pistole
auf die Brust gesetzt haben. Um in einer von
keinem Menschen beanstandeten Reserve weiter zu
Digitized by v^ooQle
1 «»
verharren, bedarf es doch nicht erst einer gross¬
artigen Resolution mit einem Antragsteller und zwei
Referenten!*) Ich kann hiermit nur erklären, dass
es uns nie eingefallen ist und nie einfallen wird,
Proselyten zu machen und unsere mühsam ge¬
wonnenen Resultate wie saures Bier auszubieten,
wohingegen wir gern Jedem, der aus freien Stücken
zu uns kommt, um *die Weihesche Methode theo¬
retisch und praktisch kennen zu lernen, mit Rath
und That zur Seite stehen werden. Dass die be¬
sprochene Resolution überflüssig ist, bedarf wohl
keiner weiteren Erläuterung mehr, schädlich kann
sie aber auch noch dadurch werden, dass auch
andere Vereine oder Homöopathen dadurch veran¬
lasst werden könnten, die darin niedergelegten
falschen Anschauungen über die Weihe'sche Methode
zu der Ihrigen zu machen und ebenfalls vorschnell
zu urtheilen, ohne geprüft zu haben. Es ist doch
befremdend, dass man die Jünger Hahnemann’s
noch an das Wort des Altmeisters erinnern muss,
das er seinen Gegnern in’s Gesicht schleuderte:
„Macht’s nach, aber macht es richtig nach und
urtheilt dann!“ Wenn es uns auch gleichgültig sein
kann, von den Eiferern und Orthodoxen als Apostaten
betrachtet zu werden, so können wir doch mit Rück¬
sicht auf den Stand der Homöopathie es nicht zu¬
geben, dass zwischen die deutschen Homöopathen
unnöthigerweise künstlich ein Keil getrieben wird,
und aus diesem Grunde rufe ich dem Sächsisch-
Anhaltinischen Verein ein Cavete consules zu.
Ich wünsche allen Mitgliedern des genannten
Vereins, die mir ja persönlich lieb und werth sind,
von Herzen ein recht langes Leben, auch im Interesse
ihrer zahlreichen Clienteln und der Homöopathie,
aber ich zweifele, dass sie sammt und sonders den
Tag sehen werden, wo „der unter den Vertretern
jetzt noch herrschende Enthusiasmus einer nüch¬
terneren Stimmung Platz gemacht hat“, wie wir
andrerseits die Zeit schwerlich erleben werden, wo
sich mit Bestimmtheit und Klarheit der wahre
Werth der Weihe'scben Methode und ihre Bedeutung
für die Homöopathie von Leuten erkennen lässt,
die es grundsätzlich ablehnen, sich mit der Methode
praktisch vertraut zu machen, die da glauben eine
Heilmethode ohne praktische Anwendung beurtheilen
*) Auch meinerseits ist nichts gescheheu, was eine
Einbringung des Lorbacher sehen Antrages zum Schutze
der Mitglieder des Sächsisch-Anbaltiniachen Vereins
homöopath. Aerzte nölhig gemacht hätte. Ich habe
nur den beiden zu Referenten ernannten Herren Collegen
auf ihren Wunsch ein 1V 2 ständiges Privatissimum
Über die Weihe’sche Methode und deren Erlernung ge
halten. — Als Gegenstück der Angst vor zu eifrigen
Bekehrungsversuchen unsererseitswfll ich nur mittheilen,
dass uns erst vor Kurzem von anderer Seite (von einem
homöopath. Arzte) der Vorwurf der Geheimniss-
krämerei gemacht wurde!
G ö h r um, Schriftführer der Epidem. GeselLcbalt.
zu können, wie manche Recensenten Bücher zu
kritisiren sich berechtigt halten, die sie nicht ge¬
lesen haben.
Schlusswort zur Controverse
„Similibus an suggestis?“
Von Dr. med. Carl Gerster in München.
Herr Dr. med. Julius /TucAs-München hat es
für nothwendig gehalten, vor den Lesern dieser
Zeitung ein Kampfspiel zu erneuern, von dessen
Fortsetzung in der von ihm nun angeschlagenen
schärferen Tonart nach meiner unmassgeblichen An¬
sicht kein wesentlicher Nutzen zu erwarten war. In
seinem „Rückblick“ (No. 17 u. 18) stösst er mit
ungestümer Gewalt offene Thüren ein und ich kann
mich daher zu einem Schlusswort kurz fassen.
Wodurch habe ich den heiligen Zorn des Herrn
Dr. Julius Fuchs herauf beschworen? Ich liabß
(Bd. 124, No. 7 u. 8) im Interesse der Homöo¬
pathie darauf hingewiesen , dass die nun zum
wissenschaftlichen Bürgerrecht gelangende Lehre
von der Suggestion für sämmtliche Aerzte , also
auch für die Homöopathen , von der grössten Be¬
deutung sei . Indem die Homöopathen sich mit dem
Studium dieser Lehre eingehend beschäftigten, sei
es ihnen möglich, die psychische Persönlichkeit
ihrer Patienten besser zu würdigen, als dies bisher
der Fall war und es sei ihnen durch Darlegung
der Mitwirkung oder des Ausschlusses suggestiven
Einflusses bei homöopathischer Arzneimittelbehand¬
lung möglich, ihre Gegner durch Vorlage unan¬
fechtbarer Krankengeschichten von der Wahrheit
und Sicherheit der Arzneimittelwirkungen zu über¬
zeugen.
Herr Dr. J . Fuchs versucht nun, mich auf
Grund meiner Ausführungen, wenn nicht als Feind,
so doch als kuriosen Fround der Homöopathie hin¬
zustellen und ich sehe mich daher gezwungen,
die Punkte nochmals kurz zu berühren, die ihn
zu seinem, ich will sagen — missverständlichen
Vorgehen gegen mich veranlasst haben.
Zunächst gehen wir in unseren Anschauungen
über Homöopathie und Das auseinander, was ich
„Hahnemannismus" nenne. Ich stehe hierin auf
dem Standpunkt, den Dr. Katsch in seinen „ Medi¬
zinischen Quellenstudien u (Zeitschrift des Berliner
Vereins homöopathischer Aerzte, 9. Band 18^0)
einnimmt. An der Homöopathie habe ich nichts
auszusetzen, wohl aber am Hahnemannismus und
ich befinde mich, wie ich glaube, in Ueberein-
stimmung mit einer nicht geringen Anzahl homöo¬
pathischer Aerzte. Wenn Dr. /. Fuchs mir sagt:
„es giebt Literatur genug, um sich über Hahne-
mann und die Homöopathie besser zu unterrichten“,
22
Digitized by
Google
170
so verzichte ich darauf, coram publico die Bücher
anzuführen, aus denen ich meine Kenntnisse ge¬
wonnen habe; ich erwähne nur, dass nicht Habne-
mann, sondern Paracelsus der Gründer der Homöo¬
pathie ist und dass die Arzneimittelprüfungen , die
Hahnemanns Verdienst bilden, heute auf neue Grund¬
lagen^ unter Berücksichtigung der Suggestionslehre,
gestellt werden müssen . Letzteres giebt mir ja
Dr. J. Fuchs ohne Weiteres selbst zu.
Mit diesem Zugeständnis muss aber Dr. J. Fuchs
meines Erachtens logischer Weise auch zu meiner
Forderung gelangen, wonach in jedem Einzelfall
die psychische Persönlichkeit des Patienten bei
Beurtheilung der Arzneiwirkung zu berücksichtigen
ist. Ich werde eine hysterische Schauspielerin
anders beurtheilen, als einen rationalistischen Pro¬
fessor und bei Beurtheilung von Erfolg oder Nicbt-
erfolg homöopathischer Arzneien bei ersterer viel
vorsichtiger und misstrauischer sein, als bei letzterem.
Ich glaube, Dr. ./. Fuchs wird mir hierin bei¬
stimmen, obschon er (Bd. 124, No. 21 und 22)
meint: „die Patienten auf ihre Suggestibilität zu
prüfen, fällt mir gar nicht ein, denn ich brauche
diesen Umstand gar nicht zu kennen.“
In Bezug auf Suggestionismus und Suggestion
hat mich Dr. J. Fuchs völlig missverstanden. Ob-
.wohl er den suggestiven Einfluss kennt und zu-
giebt, den der Ruf, das persönliche Wesen und die
Sympathie des Arztes auf den Kranken ausübt, be¬
streitet er, dass die Homöopathen, nach meinem
Wissen meist feinfühlige, zum Theil mystisch an¬
gehauchte, fest auf ihr System vertrauende Männer,
ihre Patienten mehr in der Gewalt haben, als die
ewig skeptischen, an ihre Arzneien selbst nicht
glaubenden, fast durchweg einseitig-rationalistischen
Vertreter der „Schulmedizin“.
Wie kommt aber Dr. J. Fuchs dazu, mir zu
unterstellen , dass ich absichtliche und grundsätz¬
liche Anwendung der Suggestion bei den Homöo¬
pathen annehme? Würde ich das tbun, wie könnte
ich dann den homöopathischen Collegen das Studium
der Suggestionslehre ans Herz legen? Dr. J. Fuchs ver¬
mag keinen Schatten eines Beweises zu bringen, dass ich
die Homöopathen als heimliche bewusste Suggestions-
tberapeuten verdächtigt habe. Ich sagte, sie wirken als
Persönlichkeiten, eine bestimmte Clientei vorausge¬
setzt, suggestiv stärker als die scholastischen Rezept -
Aerzte, und bleibe darauf stehen. Ich zweifle weder
an der arzneilichen Wirkung kleinster Dosen , noch
an thatsächlichen Erfolgen homöopathischer Arz¬
neien, ich weiss auch recht gut, dass man in der
Praxis unmöglich jeden Einzelfall exakt prüfen und
einwandsfrei durchführen kann. Ich darf aber wohl
an diejenigen Fälle , die als massgebend für Mittel -
Indication veröffentlicht werden , einen anderen,
strengeren Massstab legen.
Wenn Dr. J . Fuchs den Suggestionismus so
gründlich studirt hat, wie er in seinem „Rückblick“
angiebt, so verstehe ich nicht, wie er es mit solcher
Emphase ablehnen kann, dass der Suggestionismus
(ich meine nicht die Soggestions/Ämipie!) auch den
Homöopathen bekannt werden muss . Ich verstehe
nicht, wie er den Suggestionismus ein „System“, eine
„Methode“ nennen kann. Ueberhaupt vermengt er
die Begriffe Suggestionismus, Hypnotismus, Sug¬
gestionstherapie und Psychotherapie, obschon er
sie einzeln ganz richtig definirt, fortwährend und
giebt dadurch zu Missverständnissen Anlass, die
unsere Polemik viel zu sehr aufgebauscht haben.
Schwer verständlich bleibt es auch, wie er die
Gefahren des Missbrauchs hypnotischer Versuchs¬
personen der Suggestions/Ätfropfe in die Schuhe
schieben und glauben kann, der Hypnotisirte sei
unter allen Umständen ein vollkommen willenloses
Werkzeug in der Hand des Hypnotiseurs. Wenn
Dr. J. Fuchs einmal dazu kommen sollte, das
mehrfach zitirte Werk von Dr. Schmidkunz durch¬
zuarbeiten, wird er vermuthlich andere Anschau¬
ungen gewinnen. Wenn er glaubt, durch seinen
verunglückten, sehr unzweckmässig angestellten
Versuch einer Autohypnose (durch Fascinationü)
die Gefahren der Suggestionstherapie zu illustriren,
so findet er damit wohl nur bei Solchen Anklang,
die in diesem Punkte jeglicher Erfahrung ermangeln.
Meinen Satz „keine Therapie ohne Suggestionis¬
mus“ hat Dr. J. Fuchs dahin aufgefasst, dass ich
für jede Therapie, also auch für die homöopathische,
die Mithülfe hypnotisch-suggestiver Einwirkung auf
die Patienten verlange. Obschon ich zugebe, dass
ich den Arzt am höchsten schätze, der von sämmt-
liehen als rationell erkannten Heilfaktoren, nicht
bloss von arzneilichen, vorurtheilsfrei und zweck¬
mässig Gebrauch zu machen versteht, so bin ich
doch weit davon entfernt, sämmtliche Aerzte zur
Anwendung der SuggestionsfÄmrpfc (die ein „Sy¬
stem“, eine „Methode“ ist, wie die Homöopathie)
animiren zu wollen. Wer aber arzneilich kuriren
will, ohne den Suggestionismus (die Lehre von der
Suggestion im weitesten SinDe) studirt zu haben,
der muss unbedingt zu Fehlschlüssen kommen.
Dass solche Fehlschlüsse bei kleinsten Arzneidosen
viel leichter gemacht werden als bei den groben
Dosen der Receptenklexer, ist selbstverständlich.
Ich schliesse, indem ich noch der Ueberzeugung
Ausdruck gebe, dass in etlichen Jahrzehnten meine
in diesen Blättern über den Suggestionismus kund¬
gegebenen Anschauungen von den meisten homöo¬
pathischen Aerzten werden getheilt werden, ohne
dass der wahren Homöopathie dadurch der min¬
deste Eintrag geschieht. Ich halte djese für wider¬
standsfähiger als Dr. J. Fuchs , dee^m meinem Vr-
theil über Homöopathie eine Vernichtung der
Homöopathie von ihren Grundfesten aus ersehen
zu müssen glaubte. Indem Dr. J. Fuchs das seiner
Digitized by v^ooQie
171
Ansicht nach von mir bedrohte homöopathische
Banner mit dem Wahlsprach: Similia similibos!
unter Aufgebot überflüssiger Kräfte and Aafregung
aus dem Schlachtgetümmel rettete, stiess er offene
Thüren ein.
Quod erat demonstrandum .
Die zeitweilig herrschenden
Heilmittel.
Von allen Seiten wird niederer Krankenstand
und grosser Wechsel der Heilmittel gemeldet, nur
Kirn-Pforzheim hat eine besonders bei Kindern auf¬
tretende Influenzaepidemie.
Die einzelnen Mittheilungen belichten von folgen¬
den hauptsächlich vorkommenden Heilmitteln:
Dierkes-Paderborn schreibt am ll./ll.: Wieder
einige Tage = Lach, -f- Chin.; heute bei Galle¬
erbrechen, Kopfweh, Seitenstechen Alum. -f- Chin.
(W.).
Leeser-Bonn schreibt am 5./11.: am meisten
Phosph., Lach., Chel., Rhus tox.; am 14./11.: in
letzter Zeit besonders = Carb. veg. (Baryt, carb.
-f- Cin.) und = Kal. bichrom. (Baryt, carb. + Tone.),
zuletzt Lach.
Schwarz-Baden-Baden hatte am 3., 4. und 5./11.
bei Magenkrämpfen Sil. -}- Acon. = Bismuth.; am
5. Ab., 6., 7. und 8-/11. bei älteren Catarrhen der
Luftwege mit Speiseerbrechen gleich nach dem Essen
= Tart. stib. (Natr. mur. -f- Led.). (W.).
Kirn-Pforzheim theilt am ll./ll. mit: mehr und
mehr Influenza, besonders bei Kindern: Kreos. 4-
Sabadill. (W.); am 16./11.: bei Grippe noch immer
Kreos. -f- Sabadill. (W.), bei sonstigen Catarrhen
der Luftwege und des Magens Sabad. (H.) von sehr
gutem Erfolg.
Ich-hier hatte noch bis zum 7./11. besonders
bei Gesunden oder schon lange nach Weihe be¬
handelten chronisch Kranken vorwiegend Stib.
arsenicos. + Sabadill.; vom 7. an trat Stib. arsenicos.
-}- Cin. mehr in den Vordergrund bis zum 13.;
vom 14. bis 16. war vorwiegend Ac. muriat. -\-
Lach. = Arnic. angezeigt; am 17. bei Gesunden
Kal. carb. -{- Led., heute Baryt, carb. -f- Led.
Von den akut Erkrankten gingen die mit Catarrhen
der Luftwege Behafteten mit dem vorherrschenden
Heilmittel, während bei den übrigen Kranken die
verschiedensten Heilmittel angezeigt waren. (W.).
Hagel-Ravensburg schreibt am 16./11.: am meisten
Bell, und Mercur. (H.)
Hafa-Herrnhut hatte bei einigen Fällen von
akutem Rheuma der Muskeln Bryon. oder Nux vom.
-j- Baryt, carb. oder Natr. mur.; bei chronischen
Fällen noch immer meist Baryt, carb. -f- Con. oder
Petrol. (W.)
Stuttgart, den 18. November 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Erklärung.
Da der Jäger sehe Riechversuch nur bei Theil-
nähme von mindestens 20 Collegen unternommen
wird, so bitte ich die Anmeldungen hierzu möglichst
bald an mich einzusenden, damit die Ausführung
des Versuches nicht bis zum nächsten Herbst wegen
der bald sich wieder steigernden Berufsthätigkeit
vertagt werden muss, was ein trauriges Zeichen
mangelnden Interesses an für unsere Sache wichtigen
Forschungen wäre. Göhrum.
Eine in Vergessenheit gekommene
schöne Anschaffung.
Vor ca. 20 Jahren hat der homöopathische Central¬
verein Deutschlands ein Album angelegt, in welohem
die Bilder thunlicbst aller homöopathischen Aerzte
Deutschlands und des Auslandes — gleichviel ob
sie Mitglieder des Centralvereins sind oder nicht
— Platz finden sollen, denn es ist sicher Jedermann
höchst angenehm, diesen oder jenen Mann wenigstens
dem Bilde nach kennen zu lernen, der vor seiner
Zeit gelebt hat, den er aus seinen Werken und
Schriften achten und ehren gelernt hat, oder mit
dem er aus diesen oder jenen Behinderungsgründen
bisher noch nicht persönliche Bekanntschaft hat
machen können, obschon er ihn schon längst gern
auch von Angesicht kennen möchte.
Sind nun thunlichst Aller Bilder in diesem
V ereinsalbum, und wird dieses fernerhin auf den
Central Vereinsversammlungen stets zu Jedermanns
Einsicht ausgelegt, — während es das übrige Jahr
in Leipzig in der Centralvereinspoliklinik eingesehen
werden kann — so wird sicher mit dieser Ein¬
richtung Vielen sehr gedient sein. Die Einen werden
beim Durchsehen desselben angenehme Erinnerungen
auffrischen; die Anderen mit Befriedigung und Ver¬
ehrung die Gesichter unsrer tüchtigsten Vorkämpfer
und Vertreter studiren, — und wieder Andere werden
die sich von dem Einen oder Anderen im Geiste
gemachten bildlichen Vorstellungen mit der Wirk¬
lichkeit vergleichen, theils dieselben übereinstimmend,
theils ganz verschieden findend.
Durch Vervollständigung dieses Albums durch
Einsendung eines guten Bildes von Sich selbst
dient somit Jeder nicht nur Sich selbst, sondern
22 *
Digitized by
Google
172
auch ohne besondere Kosten und Mühe manchem
Freunde und Bekannten oder Verehrer und Collegeu,
dem er bisher von Angesicht fremd gewesen.
Ich richte daher an alle homöopathischen Aerzte
Deutschlands und des Auslandes die herzliche Bitte,
diese alte und hübsche Einrichtung, die jetzt im
Aktenschranke des Central Vereins schlummert, wieder
aufleben zu lassen und thunlichst vervollständigen
zu helfen, indem ein Jeder mir für dieses Album
sein Bild einschickt, das ich prompt in dasselbe
befördern werde.
Für Auslegung des Albums auf den ferneren
Centralvereinsversammlungen werde ich dann gern
auch sorgen.
Leipzig im October 1892.
Hochachtungsvoll
William Steinmetz,
Cassenverwalter des homöopathischen
Centralvereins Deutschlands.
Ueber das Wesen des vermeintlichen
„Hirndrncks“ nnd die Principien
der Behandlung der sogenannten
„Hirndrucksymptome.“
Von Prof. Dr. Adamkiewicz.
(Sitzungsberichte der kaiserl. Academie der Wissen¬
schaften. 1890. XCIX. 8 — 10. Okt,—Dec.).
Die alte Lehre vom Hirndruck stützt sich
auf die Incompressibiliiät der Nervenmasse , die er¬
höhte Spannung der durch die intraeraniellen Herde
verdrängten Cerebrospinalfltissigkeit , die durch
Letztere bewirkte Compression der Gehirncapillaren
oder die Gehirnanämie und die durch diese Blut¬
leere erzeugten Störungen der Hirnfunktion in Ge¬
stalt der sog. „ Hirndrucksymptome .*
Dagegen weist A. nach, dass das Nervengewebe
compressibel ist, und dass es eine erhöhte Spannung
des Liquor cerebrospinalis nicht giebt. Den Beweis
hierfür liefert folgender Versuch: Laminaria zwischen
Dura und Gehirn eines Thieres eingelegt, bleibt in
der Gehirnsubstanz, wie in einer weichen Masse
eingebettet, ohne sie sonst wie zu alteriren, und
lässt bei Entfernung einen vollständigen Abdruck
ihrer Gestalt zurück. Mikroskopisch findet man
die Nervenelemente dann deutlich kleiner und näher
aneinander gerückt. Spritzt man, während ein Stück
Laminaria im Schädel quillt, in die Carotis des
Thieres getärhten Leim, so findet man bei mikros¬
kopischer Untersuchung des Gehirnes speciell die
Stelle, welche durch den quellenden Herd corapri-
mirt wurde, von offenen Gefässen durchzogen. Die
Hirngefässe werden also durch intrakranielle Herde
nicht geschlossen, sie werden im Gegentheil er¬
weitert und vermehrt. Die mechanische Erklärung
für die Compressibilität der lebenden Gehirnsubstanz
findet sich darin, dass der Schädel, der das Gehirn
einscbliesst, ein poröser, von Canälen durchzogener
Knochen ist, der die, Gehirnflüssigkeiten von den
kreisenden Säften des übrigen Körpers nicht scheidet,
sondern sie alle in freiester und vollkommen offener
Coramunikation lässt. Es wird durch fremde Ge¬
bilde einfach eine seinem Volumen entsprechende
Menge von Gewebsflüssigkeit aus dem nachgiebigen
Nervengewebe herausgepresst und in die, den Schädel
verlassenden Blut- und Saftgewebe hineingedrückt
Während der raumbeschränkende Herd im Schädel
durch Quellung wächst, ist von einer Aenderung
des Druckes in der Carotis und Vena jugul. nichts
wahrzunehmen. Der Liquor tritt im Momente seiner
Verdrängung, statt auf die Capillaren zu drücken,
in die Blutgefässe zurück oder verlässt auf
Nebenwegen den Schädel. Er zeigt auf diese
Art die Eigenschaften eines einfachen Transsudates
aus dem Blute und kann sich also nur in solcher
Menge bilden, als dem jedesmal zwischen Schädel
und Gehirn vorhandenen Baume entspricht, während
er andererseits zwar selbst vom Blutdrucke beherrscht
wird, niemals aber weder einen positiven Einfluss
auf denselben erreichen, noch überhaupt je zu einer
selbstständigen Spannung gelangen kann. Die
Stauungshyperämie des Gehirns erhöht die Bildung
des Liquor und bringt somit eine Drucksteigerung
desselben im Schädel hervor.
Ein intrakranieller Herd alterirt daher den
natürlichen Blutstrom im Gehirn nicht und kann
nicht Gehirnanämie hervorbringen. Also sind die
Hirndrucksymptome nicht die Folge intrakranieller
Spannungszunahmen , sondern der allgemeine Aus-
druk der Reizung und Lähmung der irgendwie
alterirten Gehirnsubstanz und so erhält man, ob
man den Schädel eines Thieres „verhämmert* oder
seine Gehirnrinde elektrisch reizt, ob man dem
Gehirn langsam das Blut entzieht oder ihm von
der Carotis aus eine reizende Flüssigkeit zuführt,
immer Nystagmus, Störung an der Respiration,
Pulsverlangsamung und Krämpfe, und bei fortge¬
setzter Reizung die Symptome der Ueberreizung:
Coma und Tod.
Wenn nun der physiologische Liquor »Hirn¬
druck 44 nicht erzeugt, so wäre es immer noch
möglich, dass die in der SchädelhÖble unter patho¬
logischen Verhältnissen vorkommenden Ex- und
Transsudate ungewöhnliche Druckhöhen erreichten
und die von der Hirndruckslehre construirten Wir¬
kungen ausübten.
Vergegenwärtigen wir uns zuerst die physio¬
logischen Verhältnisse. Die Capillaren besitzen
stets einen höheren Druck als die Venen, weil der
Druck vom Anfang der \orta nach dem rechten
Digitized by kjOOQle
173
Herzen zn continuirlich sinkt. Es muss somit die
Vorstellung, als könnten im Schädel Spannungen
existiren, welche die die Venen an Druck über-
i reffenden Oapillaren comprimiren könnten, als
physiologisch paradox bezeichnet werden. Der
Liquor ist ein Transsudat aus dem Blute der Ge-
hirncapillaren in die perivasculären Räume und
hat einen etwa seiner Quelle entsprechenden geringen
positiven Druck von 5—8 mm Hg. Neubildung von
Liquor führt zu einem entsprechenden Abflüsse in
die intrakraniellen Venen und von da nach dem
rechten Herzen. Zu den treibenden und regulirenden
Kräften sind die obenerwähnten Druckdifferenzen
zwischen Gehirncapillaren und intrakraniellen Venen
zu rechnen. Eine Störung der normalen Schwan¬
kungen dieser Differenzen kann nur von der venösen
Seite her erfolgen, wenn sich der Druck in den
Venen pathologisch erhebt und sich demjenigen der
Quelle des Liquor nähert. Dies kann Alles hervor¬
bringen, was den Abfluss des venösen Blutes aus
der oberen Hohlvene zum rechten Herzen stört oder
auch nur erschwert. Der natürliche Abfluss des
Liquor wird geringer und eine Stauung desselben
ist unvermeidlich. Wenn diese nicht rasch vorüber¬
geht, muss sie mit den Erscheinungen einer un¬
zureichenden Ernährung des Gehirns einhergehen,
also gleichfalls zu den bekannten Phänomenen der
Reizung und der Lähmung des Gehirngewebes
führen.
Dm über die schädlichen Wirkungen einer Druck¬
steigerung im Schädelraum ins Klare zu kommen,
wurden Infusionen von ca 30° warmer Kochsalz¬
lösung von 0,6°/ 0 und bei gewissen Versuchen von
atmosphärischer Luft gemacht (die Versuche siehe
Original). Dabei konnte man sich überzeugen:
1. dass, wenn bei diesen Versuchen eines der
sog. »Hirndrucksymptome* mit einer gewissen
Stärke aufgetreten war, auch die übrigen mit grosser
Vollständigkeit nacbfolgten oder doch leicht zu er¬
zeugen waren, wenn man den Infusionsdruck auch
nur um ein Minimum erhöhte, dass somit die ein¬
zelnen sog. Hirndrucksymptome einander gleich-
werthig sind, dass nicht jeder künstlichen Druckhöhe
ein besonderes Krankheitssymptom entsprach, und
die absolute Kraft, mit welcher die Infusionsflüssig¬
keit in den Schädel dringt, ihr Druck, also für die
Wirkungen, die sie hervorbringt, kein massgebender
Faktor ist. Ebenso kann zwischen jenem Drucke
und diesen Wirkungen ein irgendwie beschaffenes
Verhältniss der Abhängigkeit nicht nachgewiesen
werden. Die sog. Hirndrucksymptorae haben mit
dem sie erzeugenden Druck als solchem, d. h. mit
dem Druck als einer rein physikalischen Wirkung,
nichts zu thun.
2. Das Verhalten der Arteriencurve stimmt mit
dem dev allgemeinen Infusionserscheinungen voll¬
kommen überein. Auch zwischen Infusions- und
Arteriendnick besteht keine correlative Beziehung.
Die Form der Arterienkurve aber entspricht nicht
der einfachen Druckkurve, wie sie in den Arterien¬
stämmen durch mechanische Behinderung im Kreise
ihrer Capillaren erzeugt wird. Infusionen in den
Schädel wirken daher nicht mechanisch durch
Capillarencompression, was auch dadurch sicher ge¬
stellt wurde, dass im Moment des durch Infusion
bewirkten Todes in die Gehirn capillaren der Ver-
suchsthiere von der Carotis aus Carminleim gespritzt
und dieser bei der mikroskopischen Untersuchung
des gehärteten Gehirnes darin gefunden wurde;
deshalb besitzen auch Infusionen die Fähigkeit nicht,
auf mechanischem Wege Gehirnanämie zu er¬
zeugen.
3. Anders verhält es sich mit der Venencurve.
Diese steigt bei Kochsalzinfusionen ganz allmählich
an und geht dann, ohne dass sich in der Conti*
nuität der Infusionen zum Schädel etwas zu ändern
braucht, ganz plötzlich steil in die Höhe, um
hierauf, nachdem sie ein gewisses Maximum erreicht
hat, continuirlich und bis zum Tode des Versuchs-
thieres wieder abzusinken. Der Uebertritt der In¬
fusionsflüssigkeit aus dem Schädel in die Vene
des Halses und seine tödtliche Wirkung beweist,
dass eine intrakranielle Flüssigkeit schon tödtlich
wirkt, wenn sie nur den so überaus niedrigen Druck
der intrakraniellen Venensinus erreicht, dass es dem¬
nach einen höheren Druck als den von etwa 5—8
mm Hg. im Schädel überhaupt nicht geben kann,
also auch die Gebirncapillaren nicht comprimirt
werden können. Den Mechanismus der Infusionen
betreffend, zeigt die Venenkurve die Thatsache,
dass der Druck, mit welchem eine Infusions¬
flüssigkeit in den Schädel gepresst wird, nicht etwa
den Druck angiebt, welchen die Infusionsflüssigkeit
auch im Schädel erreicht, sondern nur einfach die
Kraft kennen lehrt, welche nöthig ist, um der in-
fundirten Flüssigkeit im Schädel den Weg bis zu
den Venen zu bahnen und ihr so im Schädel nur
eine Spannung zu geben, welche im günstigsten
Falle dem niedrigen Druck von 5—8 mm Hg. der
intracranieilen Venen gleichkomrat. Deshalb findet
man auch bei den kräftigsten Infusionen in dem
Schädel nach dem Tode des Thieres das Gehirn
wie abgeplattet, nie zusammengedrückt.
4. Um den Weg der Infusionsflüssigkeit zu den
Gewebselementen kennen zu lernen, wurden zu den
Infusionen mit Berlinerblau versetzte Kochsalz¬
lösungen verwendet. Der Farbstoff fand sich unter
der Pia in den sog. subarachnoidealen Räumen
und zeigte besondere Neigung, sich an der Basis
und um das verlängerte Mark herum zu sammeln.
Da die Infusionsflüssigkeit gleich nach dem Ein¬
tritte in den Schädel in die Venen gelangt und da
der Infusionsstoff sich später in den subarachnoi¬
dealen Räumen findet, so ist der Weg leicht ver-
Digitized by v^ooQie
174
ständlich, welchen die in den Schädel eingepresste
Flüssigkeit nimmt and auf welche Weise es zu
Gehirnödem kommt. Die Infusionsflüssigkeiten rufen
dies schon hervor, wenn sie innerhalb des Schädels
nur eine dem niedrigen Venendrucke entsprechende
oder doch nur um ein geringes übertreffende
Spannung erreichen. Da nun an solchen Gehirnen
ausser Oedemen keine anderen Veränderungen wahr¬
nehmbar sind, und da alle sog. „ Hirndrucksymptome
lediglich Aeusserungen gestörter Hirnfunktion sind,
so muss angenommen werden, dass die frühere als
9 Hirndrucksymptome u ‘ gedeuteten Phänomene unter
anderen auch durch Gehirnödem veranlasst werden
können und dass jene Symptome nichts anderes
sein können, als Reizungs- oder auch Lähmungs¬
phänomene des Gehirns. Bei Vorhandensein von
Gehirnödem werden sie durch den Contact des
Nervengewebes mit der pathologischen Oedemflüssigkeit
wachgerufen. Dadurch wird auch erklärt, warum
die Reizungsphänomene bei Infusionen in den
Schädel so leicht variiren und warum dieselben
einander vollkommen äquivalent sind.
5. Um den so überaus leichten Uebertritt von
Flüssigkeit aus dem Schädelraume in die Venen
demonstrabel zu machen, wurde zu den Infusionen
atmosphärische Luft verwendet. Das Manometer
verhielt sich dabei ebenso wie bei den Kochsalzin¬
fusionen; es geht nach allmählichem Steigen plötz¬
lich jäh in die Höhe, während das Thier unter
Krämpfen und Respirationsstörungen schnell dem
Tode erliegt. Dabei bleibt aber das Manometer
auf der Höhe stehen, ohne wieder allmählich ab-
zusinken, wegen des Eintritts von Luft in die Venen
Die Sektion ergiebt ausser Luftansammlung in den
Halsvenen, der oberen Hohlvene und dem rechten
Herzen mächtige venöse Stauung in allen Unter¬
leibsorganen und Venen, Blutmangel im System
der Pulmonalarterie und in Folge davon des ar¬
teriellen Systems überhaupt. Die allgemeine Anä¬
mie trifft auch das Gehirn und ruft durch die
plötzliche Unterbrechung der Blutzufuhr zum Ge¬
hirn die sog. „ Hirndrucksymptome “ hervor.
Wichtig erscheint der Nachweis, dass zwischen
Schädel und Herz eine überaus freie Communikation
besteht, dass diese Communikation jedem intrakra¬
niellen Medium den Eintritt in das rechte Herz und
von dort aus in das Gebiet der Pulmonalarterie,
durch deren Capillaren in das System der Aorta
und durch Rückstauung sogar in das der unteren
Hohlvene gestattet, sobald intrakranielle Druck¬
kräfte wirken, die die so geringe Spannung der in¬
trakraniellen Venen auch nur ein Minimum über¬
treffen. Die oben erwähnte Embolisirung des Herzens
vom Schädel aus ist auch für den Menschen nicht
ausgeschlossen.
Die alte Lehre vom „Hirndruck* fasst zwei voll¬
ständig verschiedenartige pathologische Zustände
des Gehirns zusammen. 1. Die Wirkung intra¬
kranieller, den Schädelraum partiell beschränkender
Herde und 2. die Wirkung pathologischer, den
Raum zwischen Schädel und Gehirn total ausfüllender
Flüssigkeiten. Erstere comprimiren thatsächlich das
Gehirn, und man kann bezüglich der Wirkung der
Compression drei Grade unterscheiden: der erste
Grad umfasst jene Compressionen, die die Gehirn-
substanz vollkommen gut und ohne jede Funktions¬
störungen verträgt; beim dritten Grad wirkt der
Druck schon als Trauma und zertrümmert das Ge¬
webe; der zweite Grad hält die Mitte zwischen
beiden, ruft eine Reihe characteristischer Funktions¬
störungen je nach dem Ort verschieden, (wenn auf
die motorische Sphäre wirkend, erst Reiz- dann Läh¬
mungserscheinungen, an den Augen nie eine Stau¬
ungspapille, aber Störungen der motorischen Inner¬
vation und der Ernährung des Bulbus) hervor und
ist der pathologisch wichtigste. Alle Wirkungen
der Compression zweiten Grades schwinden mit
Aufhebung des Druckes; therapeutisch ist daher die
operative Entfernung des drückenden Herdes ge¬
boten. Bei der zweiten Gruppe pathologischer Zu¬
stände des Gehirns handelt es sich nicht, wie die
alte Lehre behauptet, um Erhöhung der Spannung
und dadurch berbeigeführte Compressionswirkung,
sondern die anormale Flüssigkeit entsteht durch
Stauung im System der oberen Hohlräume oder
überfluthet die intrakraniellen Venen und führt in
beiden Fällen zu Oedem des Gehirns. Hier kann
nur Entspannnng der Venen (indifferente Venae-
sektion), nicht aber Entleerung der Oedemflüssigkeit
(Schädeltrepanation) helfen.
(Aus „Centralblatt f. prakt. Augenheilkunde 1891.
August XV. Jahrgang).
Hiezu erlaube ich mir die Bemerkung, dass bei
der zweiten Gruppe auch die indifferente Venaesek-
tion nicht viel mehr bezwecken dürfte, als vorüber¬
gehende Entlastung, was nach diesen Ausführungen
klar ist. Es ist also vor allem die Ursache für
die Stauung oder die Ueberfluthung zu suchen und
wenn möglich zu entfernen.
Göhrum.
Lesefrächtei
Bei habituellem Aborius 9 sofern derselbe nicht
auf constitutioneilen Krankheiten wie Syphilis, Tuber-
culose, oder auf Erkrankungen des Uterus und
seiner Adnexa beruht, wird nach Turazza (Padua)
Asa foetida mit gutem Erfolge verabreicht. Man
verschreibt:
Digitized by v^ooQle
1 »
Rp.
Gammi resin. asae foeticL 6,0
F. pill. No. 60.
S. Alle 2 Tage eine Pille, allmählig
seltener bis alle 10 Tage bis zur
Geburt.
(Centralblatt f. Gynäkol. — Berliner klin. Wochen¬
schrift 1892. No. 12.)
In Noack und Trinks „ Handbuch der homöo¬
pathischen Arzneimittellehre* sind bei Asa foet.
unter „Weibliche Genitalien* folgende Symptome
verzeichnet: „Heftige, wehenartige, drängende
und schneidende Schmerzen in der Tiefe des
Unterleibes in der Gegend der Gebärmutter
absatzweise erscheinend und öfters wieder¬
kehrend. — Um 10 Tage zeitigerer Eintritt
des Monatlichen, anfangs 3 Tage lang unbedeutend,
später regelmässig fliessend.* Obige Empfehlung
dieses Mittels gegen habituellen Abort mit den
gegebenen Einschränkungen der Indication beruht
also unbewussterweise vollständig auf der Homöo-
pathicität desselben, um so mehr als nach Ausschluss
der angegebenen Erkrankungen wohl keine Indication
bleiben dürfte, als die auf Grund von Nervosität.
Göhrum.
Die klinische Prüfung der Hautreflexe. Von Dr.
Geigel. (Deutsche Med. Wochenschrift No. 8
1892.)
Unter den verschiedenen Hautreflexen spielt der
Cremasterreflex eine der wichtigsten Rollen. Man
weiss, dass beispielsweise bei einer cerebralen Hemi¬
plegie sofort nach geschehenem Insult dieser Reflex
auf der gelähmten, dem Heerd gegenüberliegenden
Seite fehlt Der epigastrische und Plantarreflex
bieten für jenen keinen Ersatz, sie können sowohl
auf der gelähmten wie auf der anderen Seite per-
maniren. Da man sich unter diesen Verhältnissen
zuweilen nur am Cremasterreflex ein Bild davon
machen kann, wo sich nach Abklingen der Allgemein¬
symptome die Hemiplegie manifestiren wird, war
es für manchen Diagnostiker ärgerlich, in der Hälfte
der Fälle — eben beim weiblichen Geschlecht —
auf dieses Symptom verzichten zu müssen. Es be¬
steht aber nach den Beobachtungen des Verf. dieses
Hinderniss für die Diagnostik in Wirklichkeit gar
nicht, da sich beim weiblichen Geschlecht etwas
dem Cremasterreflex Analoges findet. Streicht man
nämlich die Haut des Oberschenkels an ihrer Innen¬
fläche nach den äusseren Genitalien oder auch unter¬
halb des Lig. Poupartii mit der Spitze eines Per¬
cussionshammers, so erfolgt sofort auf der gereizten
Seite eine mehr oder weniger lebhafte Contraction
der untersten Bündel des Muse. obl. int. oberhalb
und entlang des Lig. Poupartii. Dass dieser Reflex
völlig gleichwerthig dem Cremasterreflex ist, geht
schon daraus hervor, dass auch beim Manne, wenn
der Cremasterreflex anspricht, nicht nur der Hoden
gehoben wird, sondern auch die Obliquusfasern
oberhalb des Leistenringes sich contrahiren. Es
kommt also dieser diagnostisch wichtige Reflex
beiden Geschlechtern zu und dürfte daher besser
Obliquus- oder Leistenreflex zu nennen sein.
In den „Excerpta medica* No. 6, 1892 findet
sich folgende interessante Mittheilung:
„Bei einfacher Wehenschwäcbe Ipecacuanha nach
Dr. Drapes ein mächtiger Erreger der Contractionen
des Uterus. Sind die Wehen schwach und unwirk¬
sam oder gänzlich verschwunden, so genügen
2—3 Dosen zu 10 — 15 Tropfen des Vinum Ipecac.,
um binnen kurzem eine überraschend energische
^Thätigkeit des Uterus hervorzurufen und zwar im
Ersten, wie im zweiten Geburtsstadium. Die Wehen
sind stets regelmässig und normal, nicht, wie so
oft nach Secale, fast tetanisch.* (Quarterly therap.
review. — Deutsche Medic.-Ztg. 1892. No. 6.)
(Aus „Excerpta medica* No. 6, 1892.)
Fall von Intoxication durch Perubalsam , be¬
schrieben von Dr. Lohaus (Perleberg). 6 Tage
altes Kind erkrankt mit Krämpfen, Unruhe, schreit,
ist mit Schweiss bedeckt, will nicht die Brust nehmen;
Cyanose der Lippen, fliegender Puls, sehr enge
Pupillen; Stuhl grün, dünn, mit bräunlichem Schleim
durchsetzt; aus dem Munde sickert langsam ein
schmutzig-brauner, zäher Schleim von eigenthümlich
ätherischem Geruch. Am zweiten Tage Exitus
letalis, nachdem die Symptome sich mehr und mehr
verschlimmert hatten, das Schlucken dargereichter
Milch ganz aufgehört hatte und klonische Zuckungen
der Extremitäten aufgetreten waren. Diagnose: acuter
Magendarmcatarrh infolge Intoxication mit Perubal¬
sam. Aetiologie: Die das Kind selbst nährende Mutter
hatte zur Heilung von Schrunden an der Brust nach
jedem Anlegen die Warzen reichlich mit Perubalsam
bestrichen, vor dem nächsten Anlegen denselben
wieder „abgewischt*. Dieses Abwischen muss aber
zu oberflächlich gewesen sein, sodass noch ein Tbeil
in den Furchen der Warzen zurückblieb. Also
grosse Vorsicht im Verordnen von Perubalsam bei
stillenden Frauen nöthig! (Berliner klinische Wochen¬
schrift 1892. No. 6.)
ürnekfehlerberichtigung.
In dem Nekrolog für Hofrath Dr. Ed. Groos,
No. 19/20, Bd. 125 dieser Zeitung, muss es pag. 149,
Spalte links, 6. Zeile von unten anstatt „Menge
Ricinusöl“, „Unze Ricinusöl“ heissen. Die Red.
Digitized by v^ooQle
ANZEIGEN.
Rerisionsmässige Hausapotheken!
Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbst-
dispensirenden homöopathischen Herren Aerzte werden
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die¬
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker.
Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte
kleine y praktische
(xiftschränkchen
und
Separanden-Schränkcheii
unfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu
Diensten.
(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen
vollste Anerkennung gefunden).
Sie sind je nacn Wunsch eichen*, oder nussbaum¬
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬
weitigen Zimmereinrichtung passen.
Ein Gift8Chränkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen fiir Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für
sich verscbliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen.
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M.
Ein Separandenschränkchen ist 70 cm hoch, 50 cm
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte).
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M.
Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen
entsprechend, habe ich die Gift- und Sep&randen-
Schränkchen jetzt auch in einen Schrank ver¬
einigt, vorräthig.
Die obere Abtheilung dieser Doppelschränke ist
Ür die Separanda, die doch mehr gebraucht werden j
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte !
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloiae
Arsenicalia und Mercurialia. *
Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm
tief und 52 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht
8 1 r Ä e ?r^ au8 ‘ — Lachen derselben geschieht
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-,
nussbaum- oder mahagoni artig.
Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur
60 Mark. ’
A. Marggrafg houiilopath. Oflicin in Leipzig.
Soeben ist erschienen und zum Versandt ge¬
kommen die 3. Lieferung von
Die ve rgleichende
Arzneiwirknngslehre
von
Dr. med. H. Gross und Prof. Dr. med. C. Hering.
Aus dem Englischen bearbeitet und berausgegeben
von Sanitätsrath Dr. med. Faill Wasser, Bernburg &.S.
Complet in 8 Lfgn. h Mk. 2.50. Einbanddecke gratis.
§ßtT Wer das Werk lieber im Ganzen complet
ebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen,
a später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Iaieferung.
Jede Iaieferung: Ö Druckbogen, 4°. Preis SL50 Mk.
Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen
sind eine grosse Menge Bestellungen auf dieses Werk
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen
Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend
genug empfehlen können.
In Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis
thatsächlich ein ausserordentlich niedriger zn nennen.
Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei¬
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre
Anschaffung empfohlen.
Leipzig, den 8. November 1892.
A. Jtfarggraf’s homöopath. Offlcin.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Limousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle ä Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Fehllng’sche Lösung, stets
ganz frisch, wirdin Glasstöpselgläsem, ä 30,0=50Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offtcin.
Dr. Heaimann’i
„Taschen-Handreiniger“ für Aerzte
vom Kaiser]. Patentamt geschützt und im Gebrauch
vieler amtlicher und privater Aerzte des In- und
Auslandes, schützt vorzüglich gegen Infection. Zu
beziehen durch alle Chirurg. Instrumenten¬
macher, sowie direct vom Erfinder (Dresden).
Preis für Deutschland 3 Mark, alle übrigen Länder
5 Mark per Nachnahme.
Verantwortliche Redacteare: Dr. eoehrum-Stnttgart, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig.
Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Offlcin) in LeipaigT
Druck von Greeener L Sohramm in Leipzig.
Digitized by Google
Leipzig, den 8. December 1893.
No. 23 u. 24.
Band 125.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition und Terlag von William Steinmetz (A. Marggrafs bomOopath. Offlein) in Leipzig.
Bnchaint 14tAgig an 3 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 if. SO Pf. (Halbjahr). Alle Buobhandlungen und
Postanetalten nehmen Bestellungen an. Ho. 97 dea Post-Zeitungs-Verzeiohnisses (pro 1893). — Inserate, welche an B. Mosse in
Leipzig und dessen Filialen oder an die Verlagshandlung selbst (Al. Marggrafs homöopath. Offloin in Leipzig) an riohten
sind, werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 13 M. berechnet.
Inhalt. Einladung zum Abonnement — Einladung zur 2. Weibnaohteveraammlung der Epidemiologischen
Geoellsohnft zu Frankfurt a. M. den 27. Dec. 1892. — Bekanntmachung. — Wodurch nnd worauf wirkt der Schwefel?
Nach Prof. Hugo Schulz-Greifswald. Von Dr. Mossa. — Die Methode des Prof. Brown Sequard. Referat von Dr.
Th. Kafka-Karlsbad. — Amorikaniaoho homöopathische Zustände. Von A. Lorbacher. — Zur Vehikel-Frage in der
Homöopathie. Von Dr. med. Rob. Stendel-Johnstown. — Eine interessante Krankengeschichte. Von Assistenzarzt
Waszily. — Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Lesefrüehte. — Berichtigung. — Personalien. — Anzeigen.
SST Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU
Einladung zum Abonnement.
Um in der Zusendung dieser Zeitung keine Unterbrechung eintreten zu lassen, werden die ge¬
ehrten Abonnenten um gefällige rechtzeitige Erneuerung des Abonnements auf Band 126 (1. Halbjahr 1893)
höflichst ersucht. Alle Postanstalten und Buchhandlungen, sowie die Unterzeichnete Verlags handlang
selbst nehmen Bestellungen zum Preise von 10 Mark 50 Pfg. pro Band entgegen. Probenummern
stehen stets unberechnet nnd portofrei zu Diensten.
Hochachtungsvollst
Leipzig, im December 1892. die Verlagshandlnng von William Steinmetz
(i./P. A. Marggrafs Homöopath. Offioin.)
Einladung
zu der am Dienstag, den 27. December, Nachmittags 6 Uhr zn Frankfurt a. M.
im reservirten Lokal im Entresol der Restauration „Kaisergarten“ (Eingang durch
die Restauration) im Kaiserhau (Opernplatz 2) stattfindenden
2. Weihnachtsversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft.
Tagesordnung:
1) „Die Aufgaben der Epidemiologischen Gesellschaft und die Prüfung am Gesunden“ nebst Demon¬
strationen. Dr. G öArMw- Stuttgart.
2) Diskussion.
3) „ Der Nutzen der W eihe*sehen Methode für die Kenntniss der ArzneimittellehreDr. Leesei - Bonn.
4) Diskussion auch über anderweitig angeregte Themata.
Die Mitglieder, sowie die HH. Collegen, die sich für unsere Bestrebungen interessiren, sind zu
zahlreicher Theilnahme an dieser Versammlung freundlichst eingeladen.
23
Digitized by
Google
178
Bekanntmachung.
Das für Doctoren resp. absolvirte Candidaten der Medicin, welche auf der Prager, Wiener,
Leipziger oder einer andern deutschen Universität studirt haben, sich mit der homöopathischen Heil¬
methode vertraut machen und dieselbe praktisch ausüben wollen, bestimmte Oabriel Porges’sche
Stipendium wird zum 1. Januar 1893 vacant.
Reflectirende werden hierdurch aufgefordert, sich bei einem der Unterzeichneten zu melden, bei
denen auch die Yerleihungs-Bedingungen zu erfahren sind.
Prag und Leipzig, December 1892.
Dr. med. J. Kafka sen. in Prag, als Stiftungspatron.
Dr. med. Lorbacher in Leipzig,
als Vertreter des Homöopathischen Central-Vereins Deutschlands.
Wodurch und worauf wirkt der
Schwefel?
Nach Prof. Hugo Schulz in Greifswald.
Von Dr. Ifossa.
Ueber die Wirkungsweise des Schwefels hat
Prof. Hugo Schulz in der Berliner klinischen
Wochenschrift No. 13/91 eine Arbeit veröffentlicht,
die wieder so manche Coincidenzpunkte mit der
Homöopathie darbietet, dass wir hier gern auf die¬
selbe hinweisen. Bei der jetzt übertriebenen Par¬
forcejagd auf neue, eben frisch aus der chemischen
Fabrik zu Tage geförderte Mittel, muthet es uns
schon an, zu sehen, wie dieser wirklich gründliche
Forscher auf dem Gebiete der Arzneimittellehre,
der die Prüfungen am Gesunden so energisch be¬
tont und auch ausgeführt hat, der Wirkungsweise
eines von uns gutgeprüften und hochgeschätzten
Heilmittels, wie des Schwefels, auf den Grund zu
kommen bemüht ist, während ein grosser Theil der
Vertreter der alten Schule dasselbe in hergebrachter
Routine klinisch verwerthet und ein anderer, als
Geister, die stets verneinen, es überhaupt bei Seite
geworfen hat.
Den Weg, den Prof. Schulz zur Lösung seiner
Aufgabe gewählt hat, schlägt die biochemische
Richtung auch ein.
„Wirkt Schwefel, innerlich genommen, nur als
Laxans, fragt er, oder leistet er mehr?“ Um diese
Frage beantworten zu können, hält er es für ge¬
boten, sich zunächst über dessen Vorkommen im
Organismus sowie über die an dieses Vorkommen ge¬
bundene physiologische Bedeutung zu orientireo.
Kein Eiweiss ohne Schwefelt ja, man kann be¬
haupten, ohne Schwefel kein organisches Leben . Aus
Eiweiss baut sich ja alles lebende Gewebe auf, und
in der einfach construirten Hefezelle finden wir den
Schwefel ebenso vor, wie im Gehirn des Menschen.
Und nach dem Absterben des Organismus, nach
dem Erlöschen der zum Leben nothwendigen che¬
mischen Vorgänge, die wir als Stoffwechsel zu¬
sammenfassen, sind flüchtige Schwefel Verbindungen
dasjenige, was uns den beginnenden Zerfall der Bau¬
steine des organischen Gebäudes in der Regel zu¬
erst kenntlich werden lässt.
Welche Bedeutung hat aber der Schwefel für die
Eiweissmolecüle, für das Protoplasma, die aus ihm
aufgebauten Zellen und die von diesen gebildeten
Organe ?
Schon früher hat nun Prof. Schulz die Bedeu¬
tung des Schwefels für das lebendige Eiweiss dahin
zu präcisiren versucht, dass derselbe den Sauerstoff¬
umsatz in den Zellen zu unterhalten berufen sei.
Mit Wasser kann Schwefel in der Weise sich ver¬
einigen, dass Schwefelwasserstoff entsteht und ac-
tiver Sauerstoff frei wird. S -f-H 2 0 = H 2 S + 0.
Schwefelwasserstoff zerfällt aber unter oxydirenden
Einflüssen wieder leicht zu Schwefel und Wasser.
Die Bildung von SH 2 bedingt also im ersten Fall
das Auftreten von 0. in statu nascendi.
Seine Existenz ist aber nur eine kurzdauernde,
indem er sofort vom Eiweiss der Zelle in Beschlag
genommen, verbraucht wird, wobei dann ein Theil
des Eiweisses oxydirt. „Das Product dieser Oxy¬
dation ist einmal das, was wir die Lebensthätigkeit
der Zelle überhaupt nennen, andererseits entstehen
durch sie die Eiweisszerfallproducte, die wir als die
Endresultate der Stoffwechselthätigkeit anzusehen
gewohnt sind.“
Der im obenbesprochenen Vorgang gebildete
SH 2 , dessen Quantität jedenfalls sehr gering ist,
wird dann wieder durch den Blutsauerstoff 'zer¬
setzt, wobei Schwefel wieder frei wird. Dieser
wird dann wieder zu SH 2 — Und so kann der
ganze Prozess von Neuem 6ich wiederholen und
von Neuem wieder activer Sauerstoff an das Zellen-
einweiss herantreten. —
Diese Annahme, dass die Eiweissverbrennung,
die Lebensthätigkeit der Organe, durch die An¬
wesenheit von Schwefel wesentlich gefördert wird,
erhält, wie Prof. Schulz fortfährt, durch die Unter¬
suchungen Nasse s und dessen Schüler Rösing (sieho
des Letzteren Dissertation: Untersuchungen über die
Oxydation von Eiweiss in Gegenwart von Schwefel.
Digitized by v^ooQie
m
Rostock 1891) eine kräftige Stütze. Diese Experi¬
mente haben deutlich gezeigt, wie Oxydationsvor¬
gänge organischer Substanzen durch die Gegenwart
von Schwefel entschieden gefördert werden.
Wie das Eisen im Hämoglobin vorhanden sein
muss, um die Uebertragung des aus der Luft durch
die Lungen aufgenommenen Sauerstoffs einzuleiten,
so können wir den Schwefel als den Factor be¬
trachten, der im Zelleneiweiss die SauerstoffWirkung
weiter führt, den Stoffwechsel der Zelle mit unter¬
halten hilft. Es muss mithin, schliesst Prof. Schulz,
eine Zufuhr von Schwefel in kitinen Mengen die
Thätigkeit des Zellenprotoplasmds und damit der
Organe selbst steigern . Dafür sprechen die Experi¬
mente Smirnow's, der den Schwefel als Schwefel¬
wasserstoff einführte, sowie die in den letzten Jahren
unter Anwendung des schwefelhaltigen Ichthyol’s
gemachten guten Heilerfolge. Die Aehnlichkeit
im Verhalten des Schwefels mit dem des Arsen's
liegt nach Verf. nahe.
Es muss also in bestimmten Fällen die zu
niedrig ausfallende vitale Thätigkeit einzelner oder
mehrerer Organe durch Schwefel im günstigen Sinne
beeinflusst werden. — Besonders empfindlich für
seine Wirkung sind die Haut und das Gefässsystem,
aber auch die gefässhaltigen Schleimhäute sowie
das gesammte Drüsengewebe werden von ihm be¬
einflusst. Zum Belege dafür beruft sich Prof. Schulz
auf die durch Erfahiung und experimentelle Unter¬
suchungen erwiesene Thatsache, dass bei chroni¬
schem Mercurialismus unter dem Gebrauch der
Schwefelbrunnen das Metall, quantitativ vermehrt,
durch den Harn ausgeschieden wird. Nicht die
abführende Wirkung des Schwefels, die bei den
geringen Mengen, in denen er in den Schwetel-
wässern vorkommt, belanglos sei, ebenso wenig die
etwaige Entstehung unlöslicher Schwefelquecksilber-
Verbindungen im Körper sei hier wirksam; nein,
wir haben hier den Ausdruck einer äusserst ener¬
gischen Anregung der secretorischen Thätigkeit
nicht nur der Nieren, sondern aller secernirender
Organe, überhaupt einer kräftigen Stoffwechsel-
Steigerung . Wir haben es zu thun mit einem
Wiederaufleben des im Kampfe mit dem Queck¬
silber schliesslich ermatteten und leistungsunfähig
gewordenen Protoplasma’s der Gewebe. „Gerade
dieses Wiederaufleben ist eine so äusserst charakte¬
ristische Veränderung im Verhalten der erkrankten
Gewebe unter der Schwefeltherapie.“ Ihr ist die
zunächst auffallende Erscheinung der Anfangsver¬
schlimmerung chronischer Leiden unter der Ein¬
wirkung von Schwefel zuzuschreiben, das Wieder-
erscheinen früher empfundener Neuralgien, der rheu¬
matischen Schmerzen , der Anschwellung chronisch
entzündeter Lymphdrüsen , das so räthselhaft, er¬
scheinende Wiederauftreten syphilitischer Affectionen ,
die scheinbar längst beseitigt waren , das Auftreten
von Speichelfluss bei Behandlung von chronischem
Mercurialismus durch Schwefel. Wir können, von
der Thatsache ausgehend, dass Schwefel für das
Leben der Zellen eine so hochbedeutende Rolle
spielt, Alles dieses ohne jeden Zwang so deuten,
dass wir durch den Schwefel in den chronisch er¬
krankten Organen einen mächtigen Reiz hervorrufen,
der entsprechend dem Satze: ubi est morbus, ibi
affloxus, zu Schmerz erregenden acuten Hyperämien
führt, denen die Restitution der erkrankten Organe
auf dem Fusse folgt, oder aber in anderen Fällen
die Reactionsfähigkeit der durchgifteten Gewebe so
steigert, dass sie sich ähnlich verhalten wie zu der
Zeit, wo sie noch leistungsfähig in den ungleichen
Kampf mit dem Gifte sich einlassen mussten. —
Hebt sich die Lebensihätigkeit eines oder meh¬
rerer Organe, so steigt damit folgerecht auch ihre
Fähigkeit, arzneilich wirkende Substanzen für sich
und für den Gesammtorganismus in zweckent¬
sprechender Weise verwenden zu können. Verf.
weist hierbei auf eine von Lersch in seiner „Ein¬
leitung in die Mineralquellenlehre“ gemachte Be¬
merkung hin: „Die Schwefelwasser können bei der
Kur der Wechselfieberkacbexie dadurch von Nutzen
sein, dass sie den in Unthätigkeit verfallenen Orga¬
nismus zu einer neuen kritischen Thätigkeit —
— anregen. Hier tritt dann die Krankheit wieder
in ihrer reinen Form auf, in welcher sie für die
wohlthätigen Wirkungen der China empfänglich ist.“
Wie hier der Schwefel der China den Boden
vorbereitet, so geschieht das nach Verf.'s Dar¬
stellung in der Chlorose für das Eisen . Er spricht
dann weiter über die Verwendbarkeit von Schwefel
bei Chlorotischen, indem er folgende Sätze feststellt:
1. In den Fällen von reiner Chlorose, in denen
Eisen wirkungslos bleibt, wird der Allgemeinzustand
durch Schwefel entschieden gebessert.
2. Nachdem Schwefel eine Zeit lang verabfolgt
worden war, konnte die Therapie mit Eisen be¬
gonnen und erfolgreich durchgeföhrt werden.
3. In den Fällen von Chlorosis, die mit catarr-
halisch entzündlichen Zuständen des Verdauungs-
tractus complicirt sind, wird Schwefel nicht er¬
tragen.
Zu letzterem Satze bemerkt er noch: Das deckt
sich mit der alten Erfahrung, dass Schwefel bei
entzündlichen Affectionen, bei denen wir an eine,
an und für sich schon übernormal gesteigerte
Thätigkeit des Gewebes zu denken haben, nicht
passt. Eines schickt sich nicht für Alle, und wenn
zwei Fälle von Chlorose äusserlich auch sich mög¬
lichst gleich darstellen, wird es immer noch darauf
ankommen, nachzusehen, auf welchem Boden sie
gewachsen sind. Nicht die Chlorose wollen wir
mit Schwefel behandeln , sie ist schliesslich weiter
nichts, als ein durch das Zusammenwirken wechseln¬
der Factoren bedingtes Krankheitsbild. Aber das
28 *
Digitized by v^ooQle
180
wollen wir versuchen: In passenden Fällen einen
Grund dieses Krankheitsbildes, die ungenügende
Leistungsfähigkeit der in Betracht kommenden Or¬
gane, insbesondere die vorhandene Nichtmöglichkeit,
das therapeutisch gegebene Eisen zum Vortheil des
Gesammtorganismus verwenden zu können, wegzu¬
arbeiten.
Hat nicht ein Jeder aus dem hier Mitgetheilten
so manche Anklänge an die Anschauungen und das
therapeutische Verfahren der homöopathischen Heil¬
kunst wahrgenommen? Werden wir dabei nicht an
Hahnemann’s oder wenigstens v. Granvogl’s Deduc-
tionen erinnert?
Der erste Theil der Arbeit, der allerdings den
Grund legen soll, führt uns in die Höhen und
Tiefen des Biochemismus, in das internste Leben
der thierischen Zelle. Wenn wir den Satz: Ohne
Schwefel kein Eiweiss, ja kein organisches Leben,
getrost unterschreiben, so fragt es sich doch, ob
die dem Schwefel beim Stoffwechsel zukommende
physiologische Thätigkeit gerade in der Art erfolgt,
wie es Prof. Schulz vorträgt, wenn auch manche
experimentelle Untersuchungen dafür zu sprechen
scheinen. Für uns ist es von Interesse, dass Prof.
Schulz, wie v. Granvogl, dem Schwefel eine die
Einwirkung des Sauerstoffs auf das Gewebe stei¬
gernde und erhöhende Kraft zuschreiben; letzterer
betont jedoch mehr als jener die infolge des
Schwefelgebrauchs erhöhte Thätigkeit der Ausschei¬
dungsorgane und die dadurch vermehrte Elimi¬
nation von Kohlen - und Stickstoff aus dem Orga¬
nismus. Damit wird nun der Schwefel zum ober¬
sten Repräsentanten der Antipsorica Hahnemanns.
Wir wollen hier daran erinnern, wie Grauvogl der
Lehre Hahnemann’s von den psorischen Krankheiten
durch Begründung der carbonitrogenen Körper¬
constitution eine naturwissenschaftliche Basis zu
geben versucht hat. Immer handelt es sich um
solche Krankheitszustände, die von einer vermin¬
derten Ausscheidung des Kohlen- und Stickstoffes
begleitet sind, sei es, dass diese direkt durch äussere
Ursachen entstehen, oder dass der Boden hierzu
durch ererbte Anlage oder vorangegangene Krank¬
heiten vorbereitet worden ist.
Wenn Prof. Schulz sagt, eine Zufuhr von Schwefel
in kleinen Mengen werde die Thätigkeit des Zellen¬
protoplasmas und damit der Organe selbst steigern,
so streift er, ohne freilich an homöopathisch be¬
messene Gaben zu denken, einigermassen an unsere
Dosologie. Das Zellenprotoplasma arbeitet ja mit
so minimalen Mengen von Schwefel, nimmt so
wenig von dem ihm durch das Blut aus den assi-
milirten Nahrungsstoffen zugeführten Schwefel auf,
dass man sicher annehmen kann, je feiner, je
moleculärer aufgeschlossen dieser Stoff ihm ent¬
gegenkommt, um so leichter wird er auf die Zelle
wirken können. Ob wir bei Darreichung dieses
Mittels in der dreissigsten, hundertsten, ja tausendsten
Decimal- oder gar Centesimal-Verdünnung noch an
einen chemischen Effect denken dürfen, das ist
aber eine ganz andere Frage, die ich mir oft vor¬
gelegt habe — und deren Lösung uns leichter wird,
wenn wir in Betracht ziehen, dass die Einwirkung
auf die Zelle durch moleculäre Bewegungen, die
durch das Centralnervensystem vermittelt werden,
ins Werk gesetzt wird; dass Sulphur 200 wirksam
ist oder sein kann, davon habe ich mich nicht bloss
am Krankenbett, sondern an mir selbst erst letzthin
überzeugt, der ich mich freilich auch nicht unter
die ganz Gesunden zählen kann, zumal ich Grund
habe, meine Constitution als carbonitrogene, also
für Sulphur besonders empfänglich, anzunehmen.
Auf eine Gabe von 5 Streukügelchen sulph. 200
Dec., von Marggraf, habe ich bei mehrfachen Ver¬
suchen jedesmal, abgesehen von mancherlei schmerz¬
haften Empfindungen in den Gliedern, eine ganz
auffällige, intensive Wirkung auf das Gehirn wahr¬
genommen. Es war das Gefühl eines dumpfen
Schmerzes, von Druck und Vollbeit, besonders im
Hinterhaupt, als ob das Gehirn mit Blut überfüllt
wäre, dabei ein Gefühl von Hitze im Kopfe, aber
auch im ganzen Körper, wie man es in überhitzten,
mit Menschen angefüllten Räumen verspürt. In
Folge dessen war der Nachtschlaf ein sehr un¬
ruhiger, Öfters unterbrochener, und am Morgen er¬
wachte ich mit einem gehörigen „Brummschädel*,
der sich erst nach dem Gennsse des Kaffees verlor.
Ob Kollege Katsch mit seiner selbstbereiteten Zwei-
hundertsten an sich selbst experimentirt hat, weiss
ich nicht; dass er von allen Mitteln krankhaft afffcirt
worden wäre, glaube ich nicht, aber ganz spurlos
wären solche Prüfungen bei ihm auch nicht vor¬
übergegangen, davon bin ich überzeugt. Es stand
ja in seiner Macht, die Gabe zur Erzielung eines
Effekts an sich zu steigern. Auch bei Gemüths-
eflfecten kann sich die Wirkung in manchen Fällen
innerhalb des Nervensystems abspielen, oft jedoch
kann es zur Erzeugung von nach Prof. Jägers rich-
htigen Beobachtungen selbst erregenden Unlustpro¬
dukten kommen, die wir mit ihm sehr wohl einer
aus dem Körpereiweiss herrührenden Schwefelabspal¬
tung zuschreiben können. —
So werden wir bei durch übermässigen Gebrauch
von Mercur erzeugtem Arzneisiechthum den Schwefel
wohl auch nicht in solchen Gaben geben müssen,
dass sich die Ausscheidung des im Körper ange¬
häuften Metalls direkt im Haine nachweisen lässt
(Wir geben lieber Hepar sulphuris.) Einen inte¬
ressanten, hierher gehörigen Fall, berichtete Dr. Gross
im Archiv für hom. Heilkunst.
Ein 31 jähriger Mann von kräftiger Constitution,
dem ein Krätzeausschlag durch mancherlei Salben
vertrieben worden war, hatte wegen eines Geschwürs
an der Eichel ungemein viel Mercur erhalten, wo-
Digitized by kjOOQle
181
rauf sich folgendes Krankheitsbild darstellte: Furcht¬
bar drückende Kopfschmerzen; auf dem ganzen
behaarten Theil des Kopfes zeigten sich Furunkel,
die ins Bläuliche spielten, aufgingen, worauf sich
ein stinkender, mit Blut vermischter Eiter entleerte,
dann sich ein stark eiterndes Geschwür bildete,
wobei alles Fleisch im Umkreise bis auf den Knochen
abgefressen wurde. Das Gesicht war mit Ge¬
schwüren übersäet; auf der Nase zeigten sich
mehrere braunschwarze, den Schwämmen ähnliche
Gewächse; der innere Hals war verschwollen, alles
voll Eiter, das Zäpfchen blieb auch nicht verschont.
Essen und Sprechen war dem Kranken fast un¬
möglich, Stuhl und Urin ging unwillkührlich ab.
Wo die Muskeln sehr stark waren, zeigten sich die
Geschwüre sehr tief, einige erstreckten sich bis auf
die Knochen.
Um hier antidotarisch einzugreifen, gab Dr. Gross
zunächst Camphora im Wechsel mit China in der
3. Potenz (wahrscheinlich Cent.); zum Gurgeln war
Weizenkleie-Abkochung verordnet. Der Zustand
besserte sich etwas, doch hatte sich das Geschwür
an der Eichel vergrösssrt und es hatte sich an
jeder Seite ein Bubo hinzugesellt. Jetzt erhielt
Patient Sulphur 30., worauf sich die Geschwüre
besserten; die Bubonen gingen aber in Eiterung
über. Es ward jetzt Mercurius solubilis 12. dil.
gegeben. Das Schankergeschwür und die Bubonen
verheilten. Als sich aber wieder neue Geschwüre
entwickelten, wurde Calc. carb. 30 und dann gegen
die Eiterung Silicea gereicht.
Um die bereits zusammengetrockneten Schwämm¬
chen auf der Nase vollends zu heilen, ward noch
einmal Sulphar 30 gegeben. — Auf diese Weise
wurde dies schwere Siechthum, an dem ausser
dem Missbrauch von Mercur wohl auch die unter¬
drückte Scabies sowie auch die Syphilis partici-
pirten, allmählig zur Heilung gebracht. Sulphur
hat es nicht allein gethan aber doch entschieden
dazu mitgewirkt. —
Sehr beachtenswert ist, was Prof. Schulz über
die Anfangsverschlimmerung in chronischen Krank¬
heitszuständen unter der Einwirkung von Sulphur
sagt, sowie nicht minder das über die diesem Mittel
zuständige Eigenschaft Gesagte, das Reactionsver-
mögen des Organismus zu heben, — Thatsachen,
in denen wir uns mit ihm in voller Ueberein-
stimmung befinden. Jeder homöopathische Prak¬
tiker hat es ja auch sattsam erfahren, wie nach
einer Zwischengabe von Sulphur, freilich in höherer
Potenz, das angezeigte, vorher aber doch nicht
recht wirksame Mittel nun erst seine volle Kraft
zu entfalten im Stande ist. — Wenn Prof. Schulz
auf die analoge Wirkung von Schwefel und Arsen
nebenbei hindeutet, so giebt uns unsere Arznei¬
mittellehre gute Anleitung, zwischen diesen beiden
grossen Mitteln eine differentielle Diagnose zu stellen.
Bemerkenswerth ist auch Prof. Schulz’s klinische
Verwerthung des Schwefels in bestimmten Fällen
von Chlorose, bei welcher Gelegenheit er seine
goldenen Worte ausspricht, dass es auf den Boden
ankomme, auf welchem diese Krankheit erwachsen
ist. Die Art dieses Sulfur erfordernden Bodens
hat uns aber Hahnemann gezeigt und v. Grauvogl
näher begründet. Es ist merkwürdig, dass Farrington
in seiner klinischen Arzneimittellehre, obwohl er
den Schwefel dort sehr gründlich und trefflich
cbarakterisirt, seine Rolle in der Heilung Chloro-
tischer ganz übergangen hat. — Uebrigens steht
für uns Schwefel und Eisen so wenig in Concordanz,
gehören so verschiedenen Körperconstitutionen an,
dass wir diese Mittel nicht ohne ganz besondere
Gründe aufeinander werden folgen lassen; (näher
steht hepar sulfuris calc. zu Ferrum). Wenn Prof.
Schulz den Gebrauch von Schwefel in entzündlichen,
fieberhaften Krankheiten gemäss der von ihm
statuirten Wirkungsweise des Mittels für contra¬
in dicirt halten muss, so liegt die Sache für uns
anders und doch wieder analog: wir geben Sulfur
in acut verlaufenden Fällen auch dann, wenn die
Reaction des Organismus daniederliegt, was Hahne¬
mann der latenten Psora zuschrieb. — Indem wir
aber nicht bloss den allgemeinen Charakter des
Mittels sondern auch die besonderen Beziehungen
desselben zu bestimmten Organen, sowie individuell-
specifische Eigenthümlichkeiten in's Auge fassen,
ergiebt sich uns ein sehr ausgedehntes Wirkungs¬
gebiet dieses grossen Arzneistoffes. — Immerhin
können wir die Thätigkeit des Prof. Schulz zum
Aufbau der Arzneiwirkungslehre mit Freude be-
grüssen. Wer und was nicht gegen uns ist, das
ist für uns!
Die Methode des Prof. Brown-
Seqnard.
Referat von Dr. Th. Kafka-Karlsbad.
(S. Bd. 119 der Allg. Homöopath. Ztg.)
Der Redakteur des .Petit Journal“*) dreht seine
Schreibfeder siebenmal herum und vielleicht noch
öfter, bevor er es wagt, einen Artikel über Brown-Sö-
quard und seine Methode der Injectionen organischer
Extracte zu schreiben. Er weiss, dass sein Leser
bezüglich dieser Frage voreingenommen ist und
vielleicht möglicherweise im wenig günstigen Sinne.
Er sieht ihn vor seinem Schreibtische, wie er hämisch
lächelt oder die Nase rümpft!
Möge sich der Leser beruhigen! Es wird in
diesen Zeilen nicht von dem die Rede sein, was die
.Invaliden des Gefühles“ (wie sie Gavarni nannte)
*) Sehr gelesenes und verbreitetes Pariser Blatt-
Digitized by v^ooQle
182
speciell interessiren kann, sondern von etwas viel
Ernsterem und von allgemeinerem Interesse. Es
handelt sich um eine therapeutische Methode, basirt
auf die Einspritzung von Extracten diverser lebender
organischer Gewebe, eine durchaus in der Wissen¬
schaft noch nicht dagewesene Methode, die Prof.
Brown-Sdquard durchaus neu geschaffen hat, unter¬
stützt von Dr. d’Arsonval, Mitglied der medicinischen
Akademie.
Vor Allem wollen wir hier folgenden Passus
aus dem letzten Sitzungsberichte der Acaddmie de
utedicine (Sitzung vom 21. Juni) reproduciren:
„Herr d’Arsonval erinnert daran, dass er zu
wiederholten Malen die Art und Weise der Bereitung
dieser Extracte angegeben hat. Einige Gewerbsleute
oder Fabrikanten beeilen sich, aus diesen Angaben
Nutzen zu ziehen. Er besteht darauf (nämlich
d’Arsonval) zu erklären, dass diese Präparate nur
ihre Erzeuger für dieselben verantwortlich machen.
Herr Brown -S6quard und er bestehen fest darauf,
jeder Production, die nicht aus ihrem Laboratorium
stammt, fremd zu bleiben.“
Es steht fest, dass der Industrialismus und die
Charlatanerie sich der Erfindung dieser zwei Ge¬
lehrten bemächtigt haben, um besonders dem Aus¬
land gegenüber dieselbe missbräuchlich auszubeuten.
Die Deutschen scheinen darin einen besonders regen
Eifer entwickelt zu haben. Gleichwohl und auf
Grund ihrer bekannten Uneigennützigkeit kann man
voraussetzen, dass dieselben sich durch Verspottung
und Herabsetzung der französischen Entdeckung
für das entsetzliche Fiasko des Koch’schen Tuberkulin
entschädigen wollten ....
Nun einiges über Prof. Brown - S6quard und
seine hauptsächlichen Mitarbeiter. Brown - Sequard,
der Nachfolger des berühmten Claude Bernard auf
dem Lehrstuhle der Physiologie am Coltege de France
ist eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Persön¬
lichkeiten der Jetztzeit und möglicherweise eine der
originellsten. Geboren auf der Insel Mauritius —
der früheren Ile de France, dem Boden der Legende
von Paul und Virginie — Sohn eines Amerikaners
aus Philadelphia und einer französischen Mutter
scheint er als Gelehrter an den charakteristischen
Eigenschaften beider Racen Antheil zu haben; kühn
und intuitiv, go-a-head wie ein Yankee; — logisch,
methodisch und deutlich wie ein Lateiner. Ueber-
dies ganz unabhängig, Gegner jedes routinirten
Dogmas scheint er erfüllt von der Leidenschaft, die
bestehenden wissenschaftlichen Gesetze in Frage
stellen zu wollen.
Von ihm muss man immer auf etwas Unerwartetes
gefasst sein und darauf, dass dieses irgendetwas irgend
einen bisher Gefeierten um seinen Nimbus bringt.
Er bringt von altershcr feststehende Autoritäten
in Verlegenheit, er ist ein stets drohender Wider¬
sacher derjenigen, die glauben „fest im Sattel zu
sitzen.“ Die gelehrte Welt — die Partei der
officiellen Wissenschaft — erkennt an oder fürchtet
vielmehr diese Superiorität.
Man sieht ihm zu, wie er's macht, man hört ihn
aufmerksam an aber mit einer absichtlich stummen
Aufmerksamkeit, die zuweilen eher einer Conspiration
des Schweigens ähnlich sieht. Brown-Säquard ist
75 Jahre alt.
Was d’Arsonval, den Mitarbeiter Brown-Söquards
betrifft und seinen Supplicanten auf dem Lehrstuhl
an der Universität, so ist er ein junger Gelehrter, der
aus einem Departement des mittleren Frankreichs
stammt. D’Arsonval entdeckte gleichzeitig mit dem
Amerikaner N. Tesla die eigentümliche Eigenschaft,
dass die höchsten elektrischen Energien ohne Wirkung
auf die nervösen und musculären Systeme sind,
wenn man die Ströme mit einer sehr grossen Schnellig¬
keit wechseln lässt. In seinem Arbeitszimmer hat
er mir ohne die geringste Gefahr Ströme von der¬
selben Stärke, wie sie in Amerika zur Hinrichtung
von Verbrechern dienen, durch den Körper geleitet
Ich konnte eine elektrische Lampe durch Berührung
mit meinem Finger anzünden, aus einer gewissen
Entfernung eine Geissler’sche Röhre durch Aus¬
strecken einer Hand erleuchten, ohne die geringste
Erschütterung oder Vibration im Innern meines
Körpers zu verspüren.
Besonders eigentümlich im Punkte des Un¬
vorhergesehenen erschien die Mitteilung, die Brown-
S6quard vor drei Jahren in der biologischen Gesell¬
schaft machte. Brown • Säquard verkündete das
Ergebniss von Einspritzungen organischer Säfte, die
er an sich selbst erprobte. Es war dies eine Ver¬
mehrung der nervösen Kraft und eine Erneuerung
der Gesaramtstärke, die sich nicht nur durch die
Zeugenschaft des Experimentirenden, sondern auch
durch den unparteiischen Dynamometer bestätigte.
Vor dem Experimente belief sich seine Muskelkraft
nach dem Apparate auf 30 kg. Nach dem Experimente
stieg diese Ziffer auf 40,41 und selbst bis auf 45 kg
und erhielt sich auf dem dynamometrischen Mittel
eines kräftigen jungen Mannes. Die Widerstands¬
kraft gegenüber der Ermüdung und die bestehen
gebliebene Fähigkeit zu geistigen Arbeiten hatte
im entsprechenden Verhältnisse zugenommen; und
dies Alles ohne weitere herabstimmende Reaktion.
Es ergab sich freie Zunahme und nicht wucherische
Escomptirung der Kräfte. Dies ist sehr wichtig.
So und so oft erneuert und wiederholt unter
denselben korrekten Bedingungen des Versuches
durch eine Unzahl französischer und fremder Aerzte,
haben diese Experimente fast stets gleich positive
Ergebnisse geliefert. Aber schon bei seinen ersten
Mittheilungen für die gelehrte Welt hatte Brown-
S6quard verkündet, dass die enthüllten Thatsachen
nur der Anfang seien einer erst noch zu studirenden
allgemeinen Methode. Diese Methode, herbeigezogen.
Digitized by UjOOQie
183
um die Therapie mit einem neuen und mächtigen
Werkzeug zu versehen, hat die Phase der Experimente
hinter sich und hat sich auf dem Theater der
menschlichen Klinik bewährt. Man verwerthet jetzt
im Grossen für unsere edle Spezies die Erfahrungen
und Experimente, die man lange Zeit in anima vili
gemacht hat, und diese ärztlichen Anwendungen
geschehen durch die Initiative und unter der Ver¬
antwortung unserer hervorragendsten und fähigsten
Praktiker.
Die nervöse Erschöpfung, die Neurasthenie, diese
rebellische Krankheit — hervorgehend aus der
Ueberanstrengung derNervencentren —, die eines der
traurigsten Kennzeichen unseres unter hohem Drucke
stattfindenden Kampfes um’s Dasein ist, — weicht
auf Einspritzungen mit Gehimextract.
Die in erster Reihe von Brown • Säquard an
sich selbst versuchten organischen Extracte sind
wirksamer als jede andere Behandlung gegen die
Ataxie locomotrice, „ diese schreckliche Krankheit
des Rückenmarkes 11 , wie man sie im Volksmund
nennt. Dieselben Einspritzungen bringen auch
wunderbarerWeise die Zuckerkrankheit zur Besserung
und lindem auf eine angenehme Weise die schmerz¬
haftesten Symptome der Lungenschwindsucht —
ohne dass man bisher behaupten dürfte, dass dieselben
einen heilenden oder beschränkenden Einfluss auf
organische Störungen ausüben.
Die Injection des Extracte der Schilddrüse des
Lamms (eines Organes, das über der Trachea liegt
und dessen Functionen noch nicht bekannt sind),
giebt überraschende Resultate in Bezug auf die Be¬
kämpfung der unter dem Namen Myxoedem be¬
kannten schrecklichen Entartung. Bisher schien die
Therapie waffenlos gegenüber dieser fürchterlichen
Affection. Es giebt noch eine andere Erkrankung
mit sehr zweifelhafter Prognose und jeder Behand¬
lung widerstrebend: nämlich die Bronzekrankheit
oder die Addison’sche Nebennierenerkrankung, so
benannt nach dem englischen Arzt, der dieselbe
zuerst eingehend studirte, und nach der eigen¬
tümlichen bronzeartigen Verfärbung der Haut des
Kranken. Bei dieser Krankheit besteht fast immer
eine tiefgehende Entartung der Nebennieren, jener
drüsenartigen Organe, die an der oberen Seite
der Nieren gelegen sind und deren Bestimmung
noch ein Räthsel ist.
Es steht aber fest, zum Beispiel, dass ein Thier,
bei dem man diese Drüschen beseitigt, in Bälde zu
Grunde geht; wenn man ihm aber den Saft des
Nebennierenextracts eines andern Thieres einspritzt,
kommt es wieder zu sich, auch wenn es sich bereits
im Todeskampfe befindet ....
Es wäre daher ganz angezeigt, diese Einspritzung
auch bei den von dieser Krankheit ergriffenen Men¬
schen zu versuchen. Dieser Versuch wurde bereits
auf der Spitalabtheilung eines unserer gelehrtesten
Professoren eingeleitet und es steht zu hoffen, dass
derselbe zu dieser Stunde bereits vom besten Erfolge
begleitet ist. Es steht zu hoffen, dass von jetzt an
der tödtliche Ausgang bei Nebennierenerkrankungen,
wenn auch nicht gänzlich verhindert, durch diese
Injectionen mit diesem flüssigen Nebennierenextract
gesunderThiere vielleicht doch verzögert werden wird.
Der Saft der Nieren, der Milz, der Muskeln,
des Knochenmarkes u. s. w. bildet gegenwärtig den
Gegenstand klinischer Beobachtungen und Versuche
in Frankreich, in Europa und Amerika. Wie nicht
anders zu erwarten, nehmen sich die Experimentatoren
in Acht vor den Phänomenen der Einbildung und
Suggestion, die stets bei neuen ärztlichen Versuchen
eine Rolle spielen, natürlich nur eine „menschliche*
Rolle, denn die Thiere sind biologische Beobachtungs¬
gegenstände, die keine psychische Störung beein¬
flussen kann. Bei diesen bleiben die Ergebnisse
der Einspritzungen stete constant. Bei menschlichen
Versuchsobjecten hat man insgeheim aseptische
Injectionen von reinem Wasser den activen Sub¬
stanzen substituirt und die Wirkung dieser letzteren
hat aufgehört, sich zu äussern. Ein evidenter Beweis,
dass von Suggestion keine Rede sein kann.
Fragen wir endlich: Was injicirt man? Ganz
einfach eine wasserklare Flüssigkeit, in der das
Mikroskop auch nicht ein solides Körperchen findet
und die chemische Analyse kein bisher unerforschtes
besonderes Element nachgewiesen hat. Diese Flüssig¬
keit ist das Ergebniss des Durchflusses durch eine
Filtrirröhre unter beträchtlichem Drucke des Saftes
von zerstossenen organischen Geweben oder solchen,
die mit einer kleinen Quantität von Glycerin und
de8tillirtem Wasser verrührt sind.
Worin besteht das active Prinzip dieser Extracte
und was ist der Endzweck ihrer Wirkungsweise?
Man weiss nicht mehr davon als von dem Chinin,
warum es das Fieber heilt; aber man fühlt sich
logischer Weise bewogen, zuzugeben, dass alle Ge¬
webe des thierischen Organismus unabhängig von der
funktionellen Rolle, die die Physiologie ihnen bisher
anweisen konnte, eine innere Ausscheidung erzeugen,
die sie an das Blut abgeben und die mehr weniger
untrennbar ist von der Aufrechthaltung des normalen
Wohlbefindens und der Erhaltung des Lebens. Dieses
je ne sais quoi des Lebens wird durch die Injectionen
dem Organismus wieder ersetzt, falls er dessen
beraubt ist.
So lautet wenigstens die Erklärung, bei der
die beiden gelehrten Urheber dieser Methode der
Brown • Säquard’schen Einspritzungen stehen bleiben,
ich sage „ Brown-Söquard'schen*, weil der Erfinder
dieser interessanten Erfahrungen unbestreitbar dieser
berühmte Professor der Physiologie ist; aber Dank
seinem Mitarbeiter d’Arsonval wurde diese Methode
verallgemeinert. Hier die Thatsache, wie es ge¬
kommen ist.
Digitized by v^ooQie
184
Die ersten und speziellen Einspritzungen, die
Brown - Säquard an sich selbst versuchte und der
wissenschaftlichen Welt mittheilte, machten, wie
bekannt, ungeheures Aufsehen, hatten aber keine
besonderen antiseptischen Massregeln erfordert; aber
als man zur Wiederholung dieser Versuche an
Thieren mit Extracten der Milz, der Nieren, der
Leber, der Nebennierenkapseln, der Lungen u. s. w.
schritt, starben alle diese Subjecte in einem Zeitraum
von einem bis zehn Tagen. Auch ein flüssiger Auszug
aus der Lunge der Cobaya (die Cobaya ist das
natürlicherweise von allen parasitären Erkrankungen
am meisten befreite Thier) zeigte sich stets im
höchsten Grade giftig.
Man versuchte daher, unter die Extracte anti¬
septische Agentien zu mischen. Aber indem man
die Flüssigkeiten desinflzirte, benahm man ihnen
alle ihre wirksamen Eigenschaften. Da war es
d'Arsonval, der auf die Idee kam, diese Auszüge
zu sterilisiren, d. h. sie einem Drucke von 00,60 ja
bis 90 Atmosphären zu unterwerfen in einem von
ihm erfundenen selbstschliessenden Apparate mittelst
flüssiger Kohlensäure. Diese Sterilisation ist voll¬
ständig, radical, unter vollständiger Berücksichtigung
der thätigen speziellen Elemente in ihrer Integrität
bei jedem unter diesem enormen Druck ültrirten
Extract. Die auf diese Weise bereiteten Ein¬
spritzungen sind ganz ungefährlich.
Ich habe etwas lange bei diesen Details verweilt,
damit man die ganze Legitimität der Motive, die
Brown - Säquard und d’Arsonval bewogen haben,
jeder Verantwortlichkeit gegenüber den Ausbeutern
ihrer Entdeckung auf das Entschiedenste abzulehnen,
kennen lerne. Ich glaube, diese Methode ist berufen,
ausgezeichnete Hülfsmittel der Heilkunst darzubieten
und die Gesundheit zu verlängern. Sie eröffnet
sicherlich neue und sehr eigenartige Horizonte in
der Domäne der biologischen Wissenschaft.
(Thomas Grimm im Petit Journal-Rev*
Hom. Beige.)
Amerikanische homöopathische
Zustände.*)
Von A. Lorbacher.
Der in der Berliner Zeitschrift mitgetheilte Be¬
richt des Dr. William C. Wesselhoeft-Boston über
seine Beise in Europa, welcher sich trotz seiner
totalen Unkenntniss der Verhältnisse der deutschen
Homöopathie abfällige Urtheile über die Personen
*) Dieser Artikel ist bereits vor mehreren Monaten
bei uns eingegangen und schon für eine frühere Nummer
bestimmt gewesen, konnte aber erst jetzt zum Abdruck
gelangen. — Die Red.
deutscher homöopathischer Aerzte und deren Ge¬
bühren erlaubt, hat in demselben Blatte seine wohl¬
verdiente Abfertigung erhalten. Wenn ich hier
noch einmal darauf zurückkomme, so geschieht es,
um einige Auslassungen desselben bezüglich meiner
Person, sowie des hiesigen homöopathischen Kranken¬
hauses richtig zu stellen.
In Letzteren habe ich ihn selbst, in Vertretung
des zufällig erkrankten dirigirenden Arztes, des
Herrn Dr. Stifft, herumgeführt. Er hat sich die
Einrichtungen oberflächlich angesehen. Von einem
Entrüstungsausbruche seinerseits über die damals
bei einem Lupuskranken mit Koch’s Tuberculin
gemachten Versuche habe ich nichts gehört, wie¬
wohl ich doch neben ihm gestanden. Es scheint
dies ebenso eine Vorspiegelung seiner Phantasie zu
sein, wie der erwähnte Assistent, da wir damals
gar keinen Assistenten im Krankenhause hatten.
Uebrigens kann ich ihm zu seiner Beruhigung mit-
tbeilen, dass dem betreffenden Kranken die Versuche
durchaus nichts geschadet. Im Gegentheil ist es
gelungen, eine bedeutende Besserung seines Leidens
zu erzielen.
Auf eine Aensserung meinerseits, dass ich in
chronischen Krankheiten die Anwendung von höhe¬
ren Verdünnungen vorziehe, hat er mich jedenfalls
für einen Gesinnungsgenossen gehalten, was ich
daraus schliesse, dass er mich der Ehre gewürdigt
hat, mir zwei Bände der Verhandlungen der Inter¬
nationalen Hahneraann’schen Gesellschaft zu über-
b ringen.
Meinen Standpunkt in der Dosenfrage habe ich
oft genug präcisirt, sodass mich wohl Niemand zu
den fanatischen Hahnemannianern zählen kann, wie
wohl die meisten Mitglieder der genannten Gesell¬
schaft es sind. Denn nur ein gewisser Fanatismus
kann jene Unduldsamkeit erzeugen, welche nichts
Anderes neben sich dulden will und jeden, der
nicht auf ihre Glaubenssätze schwört, für einen
Ketzer erklärt. Die Existenz dieser Gesellschaft ist
jedenfalls eine berechtigte. Sie entstand, als der
Abfall von der Lehre Hahnemann’s, dem noth-
wendigen Fundament unserer Existenz, immer
grösser unter den homöopathischen Aerzten Nord¬
amerikas wurde, als Leute, welche sich homöo¬
pathische Aerzte nannten, in Vorträgen und Ver¬
öffentlichungen Dinge als homöopathische vorbrachten,
welche mit der Lehre Hahnemann’s nichts gemein
hatten, und dies sogar noch als Fortschritt proklamir-
ten. Diejenigen Aerzte, welche noch zu Hahnemann
hielten, wurden mit einem mitleidigen Achselzucken
als beschränkte Köpfe u. s. w. bezeichnet. Man
ging sogar soweit, den Namen Homöopathen ab¬
zulegen, hütete sich aber freilich, die als solche er¬
langten einträglichen Stellungen an homöopathischen
Spitälern aufzugeben. Wer darüber noch Näheres
zu erfahren wünscht, lese die New-Tork medical
Digitized by v^ooQie
185
Times des vorigen Jahrzehnts. Dass gegen ein
solches Treiben eine Reaktion ein treten musste, ist
natürlich. Das amerikanische homöopathische In¬
stitut, dessen Pflicht es gewesen wäre, dagegen mit
Energie einzuschreiten, verhielt sich neutral. Deshalb
traten die homöopathischen Aerzte, wtlche noch an
den von Hahnemann aufgestellten Grundsätzen fest¬
hielten, zusammen und bildeten die „ Internationale
Hahnemann"sehe Gesellschaft* mit der Aufgabe, die
Hahnemann’sche Homöopathie zu vertheidigen und
sie im Sinne und Geiste des Stifters weiter aus¬
zubilden, womit jeder sich einverstanden erklären
wird.
Allein in ihrem Eifer schoss die neue Gesell¬
schaft bald über das Ziel hinaus, sie verfiel in das
andere Extrem. Sie beschränkte sich nicht darauf,
nach Hahnemann die 30. Potenz als die allein rich¬
tige zu erklären, sie stieg auf der Leiter zu einer
schwindelnden Höhe hinauf, sie blieb nicht bei der
200—300. stehen, sondern verstieg sich in die un¬
gezählten Tausende der sogenannten Fincke’schen
Fluxionspotenzen. Wer unter die 30. in seinen Ver¬
ordnungen herabsteigt, ist in ihren Augen kein
Homöopath mehr. Nur die Prüfungen mit diesen
höheren und Höchstpotenzen sind ihrer Meinung
nach im Stande, den wahren Charakter eines
Mittels zur Anschauung zu bringen. Dabei muss
die Wirkung einer einzigen Gabe Monate lang ab¬
gewartet werden, und wenn, wie ich es bei einer
solchen Prüfung gelesen, ein Prüfer nach einem
halben Jahre Schnupfen bekommt, so wird derselbe
schlankweg unter die Arznei Symptome registrirt.
Von Kontrollversuchen war keine Rede. Der Phan¬
tasie war Thür und Thor geöffnet. Die Arbeiten
eines Conrad Wesselhoeft, Richard Hughes, Dake's
und anderer hervorragender Männer, unsere Arznei¬
mittellehre von einem grossen unnützen Ballaste zu
befreien und sie nur auf sichere feststehende That-
sachen zu gründen und so ihre Zuverlässigkeit und
Brauchbarkeit zu erhöhen, wurden als pietätlose
Angriffe auf die Hahnemann’sche Arzneimittellehre
gebrandmarkt. Man sprach ihnen jeglichen Werth
ab. Wie die Hyperorthodoxen kein Titelchen, kein
Wort in der Bibel geändert wissen wollen, sollte
auch der Hahnemann’schen Arzneimittellehre nichts
ab- und nichts zugethan werden. Sie sollte als für
alle Zeiten feststehend gelten. Der geringste Zweifel
daran ward für Ketzerei erklärt.
So bildete sich iener Geist der Unduldsamkeit und
des Fanatismus aus, wie er in dem William Wessel-
hoeft’schen Reiseberichte zu Tage tritt. Dadurch,
dass man mit dem ursprünglichen Zwecke einer
Vereinigung sich einverstanden erklärt, verpflichtet
man sich noch lange nicht, auch die zur Erreichung
desselben eingeschlagenen Wege gut zu heissen. Dies
möchte ich bezüglich meiner persönlichen Stellung
zu der Angelegenheit erklären.
Ueber Principienfragen, wie das „Similia simili-
bus* ist selbstverständlich kein Kompromiss möglich.
Wer dasselbe nicht anerkennt, ist eben kein Homöo¬
path. Die Anwendung minimaler Gaben ist allerdings
eine Consequenz desselben, aber als eine Principien-
frage ist sie bestimmt nicht zu betrachten. Davon
hängt die Existenz der Homöopathie nicht ab. Ueber
das Minimum werden die Ansichten immer aus¬
einandergehen. Darüber nach seinen Erfahrungen
und seiner Kenntniss der Arzneimittellehre sich zu
entscheiden, muss Jedem freistehen.
Gegen Arzneiprüfungen mit hohen Verdünnungen
kann man entschieden nichts einzuwenden haben.
Allein, sie als die allein massgebenden hinstellen zu
wollen, ist jedenfalls verkehrt. Jedenfalls sollte man
doch nur die Resultate veröffentlichen, welche durch
eine Reihe von Prüfern und durch Kon troll versuche
festgestellt sind, sodass kein Zweifel an deren Richtig¬
keit möglich ist. Prüfungen, welche tausende von
Symptomen umfassen, ohne dass sie durch Kontroll-
versuche verificirt sind, haben nur einen sehr zweifel¬
haften Werth. Mit der Verwendung der Fincke'schen
X. mill. Potenzen, welche gewissermaassen als das
Vollendetste in dieser Beziehung proklamirt werden,
hat die Gesellschaft einen Weg beschritten, auf
dem ihr zu folgen, viele treue aber nüchterne An¬
hänger Hahnemann’s, selbst Mikrodosisten, ihr zu
folgen sich besinnen werden. Mit solchen unbekannten
resp. imaginären Grössen zu arbeiten, wird Vielen
ihr Gewissen verleiten, selbst auf die Gefahr hin,
für einen Abtrünnigen und Ketzer erklärt zu werden.
Kurz, so sehr wir die Bildung der Internationalen
Hahnemann’schen Gesellschaft als eine gesunde und
noth wendige Reaktion gegen das sich als fortschrittlich
rühmende Treiben eines nicht unbedeutenden Kreises
homöopathischer Aerzte begrüssten, um so mehr
bedauern wir es, dass sie auf der anderen Seite in
das Extrem zu fallen droht und an einem Dogma¬
tismus, welcher jeden Fortschritt in der Wissenschaft
hemmt, in der Homöopathie einführen will, welcher
eine Unduldsamkeit im Gefolge hat, die nicht über¬
zeugt, sondern nur verbittert. Wir geben jedoch
die Hoffnung nicht auf, dass auch dieser Kampf
allmählig an Schärfe verlieren und schliesslich doch
daraus ein Nutzen für unsere Sache sich ergeben
wird.
Zur Vehikel-Frage in der Homöo¬
pathie.
Von Dr. med. Rob. Steudel-Johnstown (U. S. A.)
Es möchte wohl etwas gewagt erscheinen, wenn
wie ein ,,Thomas Apostata“ Einer an die Oberfläche
tritt und durch Kritisirnng der schon von Anfang
24
Digitized by v^ooQle
186
an gebräuchlichen homöopathischen Vehikel sofort
ein Loch in unser homöopathisches Familienleben
hineinhaut. Ich kann mich selbst auch nicht länger
enthalten, jener Streitschrift in No. 13/14 der All¬
gemeinen ein Echo nachfolgen zu lassen, denn über
die effectstörende Unreinheit der homöopathischen
Vehikel und die dadurch nicht minder herbei-
geführten Nebeneffecte habe ich mir selbst schon
gar viele Gedanken gemacht. Ja, ich habe in meiner
eigenen Praxis schon Nebeneffecte und Störungen
bemerken müssen, was mir gerade nicht immer
angenehm sein konnte! Die verehrten Glaubens¬
brüder und wettergebräunten Nachfolger unseres
Altvaters Hahnemann müssen nicht eine revo¬
lutionäre Tendenz darin finden, wenn ich es wage,
unsere althergebrachten Gewohnheiten im Lichte
der neueren Verhältnisse zu beschauen, und zwar
aus dem Grunde nur, weil es heute fast gar keinen
chemisch reinen Artikel mehr giebt, (z. B. giebt es
jetzt auch nachgemachte Eier, Kaffee, Thee und
hölzerne Muskatnüsse etc., und darum sage ich
auch gleich: aufgepasst! Das gilt nun freilich
schon der Hausfrau, aber zugleich auch 100mal
mehr uns homöopathischen Aerzten. Wie wir auch
alle wissen, hat schon 1900Jahre zurück der grösste
aller Weltweisen und kühne Durchschauer aller
menschlichen Gedanken, Christus der Herr, seinen
Jüngern zugerufen: Wachet! womit er ganz ein¬
dringlich sie mahnt, sich gegen die vorherrschenden
Gefahren und Schliche der Menschheit vorzusehen
und aufzupassen; das gilt wohl auch uns heute
noch, und wer wollte es leugnen, dass das auch
uns homöopathischen Aerzten ganz besonders gelten
möchte. —
Und nun also von dem Standpunkte ausgehend,
dass es heut zu Tage und bei uns hier „in der
neuen Welt* fast gar keinen Gegenstand giebt,
der nicht um eine Preisermässigung zu ermöglichen,
y) adulterirV k wäre, so müssen wir schon auch in
unserer eigenen homöopathischen Küche anfangen,
Umschau zu halten. Fangen wir nun gleich mit
dem Alkohol an! Da will ich gleich sagen, dass
wir hier am Krankenbette höchst selten Pillen ver¬
abreichen, sondern stets Flüssigkeit oder Pulver nur,
und ich trage zu diesem Zweck stets ein kleines
Handtäschchen mit ca. 150 Mitteln bei mir. Da
ereignete sich’s eines Tages, dass mir mein homöo¬
pathischer Alkohol ausging, und, da ich auf die
Zusendung von einer 800 Meilen entfernten homöo¬
pathischen Apotheke nicht warten konnte, so folgte
ich dem Beispiele eines andern homöopathischen
Arztes, und kaufte mir in einer gewissen Apotheke
hier sogen, reinen Alcohol 95° Stärke und bereitete
mir im Drange der Zeit eine ganz niedere Potenz;
nun kam ich getrosten Mutbs, einer Calamität
enthoben worden zu sein, zum Haus meiner Patientin
that ca. 12 Tropfen der 2. Potenz in ein x j- i Glas
Wasser, — ich meine es war Arsenic., — und gab ihr
bei einem ganz eigentümlichen Zustand von Dyspnoe
und Adynamie alle 5 Minuten einen Löffel voll ein!
Das gethan, öffnete die alte Dame die Augen,
schnalzte mit ihrer Zunge und raunte mir höhnisch
zu: „Doctor, you gare me alcohol“; darauf war
ich schon gar nicht vorbereitet, denn erstens er¬
wartete ich von wegen ihres Schwächezustandes
schon gar keine Anrede und zum zweiten dachte
ich gleich an das: Was und Wieviel hätte der
Alkohol dabei zu thun gehabt? Dass und warum
ich mich dabei geärgert habe, brauche ich hier
nicht näher zu erklären, das kann sich der verehrte
Leser selbst erst ausmalen! — Ich erklärte vorhin,
dass ich auch das Pillengeben am Krankenbette
schon längst aufgegeben hätte, denn in einer Praxis
wie die meinige, wo ich stets nur erst Bekehrungen
zum. homöopathischen Glauben zu machen habe,
und zwar unter Solchen, die von der Altschule
schon tüchtig gegen uns prädisponirt wurden, darf
ich nicht schon zu Anfang mit diesen viel zu
„unschuldigen“ Zuckerpillen „those innocent sugar-
pills“ herausrücken. Dann zum zweiten, wenn wir
daran denken, dass diese unschuldigen Dingerchen
so „schrecklich“ unschuldig werden können, dass
sie, wenn sie in Kupferkesseln gemacht wurden,
selbst auch wenn diese wie bei Boericke & Tafel
nickelplattirte waren und sie darin hergestellt wurden,
sie doch, d. h. diese Pillen, mit derZeit so viel von
dem Metall mitgenommen haben, dass nach dem
Bericht der Firma selbst die Kessel in kurzer Zeit
abgetragen wurden! Seitdem nun werden allerdings
die Kessel der oben erwähnten Firma mit Hartholz
ausgekleidet, was entschieden besser und unschuldiger
aussieht, obschon diese Methode eine viel raschere
Abtragung der Innen wandung nach weisen lässt.
Nun bekommen wir anstatt der „unschuldigen u
Kupfer-Nickelpillen einfache vegetabilische Pillen
zur Medication in die Praxis; das können wir uns
auch schon eher gefallen lassen! Denn das ist ja
auch ganz was anderes, Bauer! In Bezug auf
den Zucker möchte ich noch darauf hindeuten,
dass Milch und Wasser die erfolgreichsten Träger
und Mitbringer verschiedenster Epidemieen sind;
wer kann nun dafür einstehen, dass bei allem
Absieden der Milch alles Unreine, was sowohl von
physiologischem als auch sowohl von pathologischem
Ursprung herkommen kann, treulichst abgesondert
wird? Und lasse man sich doch noch daran erinnern,
dass an allen Colonialwaaren und Produkten der
Plantage der Schweiss von Negerhänden klebt,
also auch noch am Rohrzucker: wer will da noch
länger auf das Wort des Altmeisters Hahnemann’s
schwören und sagen: „Was einstmals hat gegolten,
muss heute auch noch gelten, und morgen gelten
muss es, weil’s heute hat gegolten.“ Wenn es
nun aber doch möglich sein sollte, dass durch
Digitized by Google
187
Abkochen alles Sporen- und Bacillenartige getödtet
wurde, was soll dann aus den Decocten der Alt¬
schule und auch aus einzelnen homöopathischen Prä¬
paraten selbst noch werden ? — Der Stoff ist wohl
noch vorhanden, das kann man am Ende noch zu¬
geben, aber nach Form und Qualität ist er ver¬
ändert worden! Ich gab schon früher zu, dass ich
meine homöopathischen Triturationen selbst mache,
(dazu hat der Amerikaner weder Zeit noch Geduld),
ich erziele dabei jedoch gewiss praktisch und
mikroskopisch feinere Resultate als bei der Maschinen-
Trituration der Neuzeit: Exaktes Arbeiten bleibt
stets das Geheimniss unseres Erfolges. Ich erinnere
mich gelesen zu haben, dass die 6. Handtrit. der
30. Masch.-Trit gleichkommt. Um doch noch
einmal auf den Alkohol zurückzukommen, möchte
es hier gesagt sein, dass man bei der Zube¬
reitung des homöopathischen Alkohols keineswegs
zu vorsichtig sein kann, denn ich kann mir gar
nicht denken, wie es möglich wäre, alle Spuren von
Fuselöl darin zu entfernen und folglich ebensowenig
etwaige Fermentprodukte. Mrs. Boericke & Tafel
wissen das auch recht wohl und lassen sich keine
Mühe zu viel sein, ein reines Präparat auf den
Markt zu liefern, und trotz alledem und der ihnen
zur Verfügung stehenden Vorsichtsmassregeln geben
sie doch nicht an, ihr Alkohol sei in jeder Hin¬
sicht rein und makellos. Ein anderes Produkt der
Destillation unter unseren indifferenten Vehikeln ist
die Aqua destillata; davon wird gesagt, dass es so in
Glasretorten gemacht würde, dass dasselbe bedeutende
Quantitäten von Silicium mitnehme, was auch ganz
vernünftig scheint. Es ist ein Elend, dass wir uns
bekennen müssen, dass es hier nichts Reines auf
Erden giebt; und selbst das krystallklare Wasser
von den Bergen ist faktisch Mineralwasser, und,
wo es das nicht ist, finden wir gleich animalische
und vegetabilische Substanzen miteingemischt! Die
gläsernen Retorten sind nun aber aus dem
Wege geschafft und an ihre Stelle nickelplattirte
kupferne gesetzt, die allem „Wear and tear“ trotzen
sollen? Unsere Canada-Freunde gehen mit ihrer
Strenggläubigkeit in Bezug auf die Unzerstörbarkeit
der Materie so weit, dass sie nach der Zubereitung
einer Million-Potenz den Potenzirbecher derDeschere’-
schen Maschine herausheben, tüchtig auswaschen, und
dann noch an einer Alkoholflamme neutralisiren zu
müssen glauben, um aller Rückbleibsel des Urstoffs
sicher enthoben zu sein: An*s Seewasser wird dabei
gar nicht gedacht. Es möchte Einem doch bei
allem Ernst der Situation ein Lächeln abzwingen,
wenn man sich dabei erinnert, dass jenes Seewasser,
welches seit anno mundi über die Niagarafälle
herunter kommt und das ganze Niagara-Delta bis
zu seinem gegenwärtigen Abhang ausgewaschen oder,
besser gesagt, das ganze Felsenbett ausgeschliffen
hat, als reinstes Mineralwasser, also etwa als Lithium
carbon., Calcar. carb., Silicea etc., bei der sub¬
tilen Hochpotenz-Zubereitung in gar keiner Weise
in Rechnung gezogen wird. Was werden da unsere
Freunde auf der anderen Seite des Paracelsischen
Himmels von uns denken, wenn sie unser Misch¬
system an uns entdecken.
Wenn ich nun aber zur weiteren Betrachtung
des Reinheitsprinzips hervorhebe, dass auch wir
nicht minder als unsere allöopath. Freunde Gelegen¬
heit haben, und auch des Anstands halber nehmen
müssen, einmal ein Mineral- und Metallwasser zu
verordnen, etwa ein Selterser, ein Rakoczy, ein Huny&di
Janos oder, in Amerika, ein Chalybeate 8pring, ein
Saratoga, Vichy etc., wie denken wir dabei? Wir
suchen einfach ein Wasser, dessen quantitativ hervor¬
ragendste Ingredientien dem Krankheitsbild unserer
Patienten entsprechen. (So wird nun z. B. das London -
derry Lithia Wasser* von der Altschule gegen
Nieren und Blasensteinkrankheiten empfohlen! Das
reinste „Similia, Similibus curantur!* Könnten es
uns unsere eifersüchtigen Collegen etwa schöner
vorraachen?) Die Nebenbestandtheile sind unsern
Alt Schülern und Collegen noch mehr wie uns höchst
gleichgültig, obschon Pereira ihnen tüchtig ein¬
schärft, dass ihr Recept aus folgenden Th eilen
bestehen soll, nehmlich: 1. die Basis, das ist das
aktive Prinzip; 2. das Correctiv um die Wirkun¬
gen des Ersteren zu mildern und zu reguliren;
3. ihr (höchst unreines) Vehikel, um entweder eine
richtige Form oder Farbe oder einen angenehmeren
Geschmack an den Tag zu fördern, während As-
clepias anscheinend noch einen Trumpf darauf wirft
und sagt: ,curare cito, tuto et jucunde.“ Das geht
uns Homöopathen zwar nichts an, denn das thut
ja unser Simile per se auch schon.
Wir aber haben es immer noch mit der unüber¬
windlichen Unreinheit unserer Vehikel zu thun;
und, ob wir nun als Allöopathen oder als Homöo¬
pathen Verschreibungen machen, so soeben wir
ä priori stets dasjenige Mittel aus, dessen dynamisches
Heilprinzip den Krankheitssymptomen am stärksten
gegenübertritt. Hätten wir aber als gute Homöo¬
pathen Ursache,unserer Arznei noch ein Correctiv etc.
beizufügen, so wäre das 1. einmal nicht mehr homöo¬
pathisch gehandelt, 2. muss der Freund der Hoch¬
potenzen zugebeu, dass er schon gar nicht einmal
mehr homöopathisch handeln kann, weil seine Urstoffe
schon quantitativ so zum Minimum heruntergebracht
worden sind, dass sein Vehikel, welches es auch immer
sei, dadurch zum Hauptagenten geworden ist, und
man schliesslich den Heileffect nicht dem Arznei¬
stoff selbst sondern dem Vehikel nur zuschreiben
muss! Während eines Besuches im Hochpotenz-Spital
zu Town to Canada sah ich, wie ein Cancroid oder
gemeines Geschwür unter der Hand meines Freundes
mitplacebo (Sacchar. lact) geheilt wurde, (ich glaube,
ich erzählte das schon früher einmal, muss es aber
24 *
Digitized by
Google
188
hier zur Illustration doch wieder auftischen), es
wurde placebo gegeben um Zeit zu gewinnen, das
Symptomenregister ordentlich consultiren zu können,
basta! Das Cancroid hatte sich abgeschlossen,
hörte auf zu fliessen, und gesund aussehende Granu¬
lationen fingen bereits schon an, sich an den Bändern
zu zeigen! Es möchte nun wohl an der Zeit sein
und sich nicht minder belohnen wollen, dass wir
bei einer jeden neuen Zufuhr von homöopathischen
Vehikeln — ihre pharmaco-dynamischen Effecte
zu studiren und aufzuzeichnen uns bemühten, auf
dass wir in unserer Praxis in richtiger Weise und
dem Krankheitsbilde so gut wie möglich ange¬
messen, unsere Verschreibungen ausfertigen könnten.
Ich habe bisher stets meine Verschreibungen dem
Charakterbild und den Eigenthümlichkeiten meiner
Patienten und besonders meiner Patientinnen gemäss
ausgearbeitet, aber ich habe immer mit Unzufrieden¬
heit darüber nachgedacht und mich besonnen, ob
nicht diesem von mir bereits schon oft anerkannten
Uebelstande abzuhelfen sei! Wer will der Erste
sein, der sich dazu hergäbe, uns in dieser Angelegen¬
heit mit Rath und That an die Hand zu gehen!
Eine interessante Kranken¬
geschichte.
Von Assistenzarzt Waszily.
Am 12./3. 92. consultirte mich die 33jährige
Frau eines Landmannes in J., von der ich folgende
Erscheinungen von mir aufgezeichnet finde: seit
ca. 1 Jahr Schmerzen im Unterleib , besonders um
den Nabel , meist in Paroxysmen auftretend, in die
Schenkel ausstrahlend bis zu den Knieen, bei Druck
auf den Leib geht der Schmerz in die Hüftgelenke;
äussere Wärme bessert; nach dem Essen oft Uebel-
keit und Vollsein, Schwarzbrot und Kartoffel werden
am schlechtesten vertragen; Kleiderdruck um den
Leib ist sehr lästig , Corsettragen unmöglich; oft
bitterer Geschmack im Mund, besonders Morgens :
Stuhl verstopft, 3 — 4 Tage ausbleibend, viel erfolg¬
loser Drang; grosse Flatulenz, sich festsetzende
Blähungen quälen sehr, auch Nachts; Urin meist
heil und klar, ab und zu Bodensatz, mitunter
Schmerzen nach dem Uriniren; viel Schwindel , be¬
sonders beim Sehen in die Höhe , auch beim Gehen
im Freien; stets kalte und schweissige Füsse und
das Gefühl, „wie wenn sie nasse Strümpfe anhätte“;
viel auf steigende Hitze und Hitzwallungen Nachts;
herumziehende Stiche im Körper, zumeist in der
Brust; Klopfen und Pulsiren in der Herzgrube;
Hals schwillt oft innen und aussen an, besonders
im Freien bei starkem Wind ( Ost-?)\ sehr leicht
Schnupfen, Ausschlag unter der Nase; Schlaf gut,
oft aber sehr beängstigende Träume; viel Angst und
Unruhe im Körper; zuweilen, wenn sie sich zum
Schlafen niederlegt, aber auch am Tage ist ihr, wie
wenn ein schwarzer Mann vor ihr steht, und wenn
sie sich umsieht, ist er verschwunden, sie muss dann
aufstehen und umhergehen; sie glaubt, nicht wieder
gesund werden zu können und den Verstand zu
verlieren; sie weint leicht, ist sonst ärgerlich und
reizbar; grosse Tagesschläfrigkeit , sie kann nicht
gut auf der linken Seite liegen; bei nasskadtem
Wetter befindet sie sich am schlechtesten, ist gegen
Zugluft sehr empfindlich; Periode ist regelmässig
und schwach, allerlei Beschwerden vorher; Weiss-
ffuss besonders nachher, schleimig und wundmachend.
Coitus schmerzhaft; vor 4 Jahren hat sie das 5. Kind
geboren; will früher gesund gewesen sein, nur als
Kind rhachitisch. Die objective Untersuchung er¬
gab : Parametritis bei retroflectirtem Uterus. Mehrere
Mittel schienen mir sehr indicirt, ich wählte Calc.
cb. 30 und Sepia 30, abwechselnd jeden 5. Abend
1 Pulver mit 2 gl ob.
Am 15./4. 92. meldete ein briefl. Bericht: Wenig
Aenderung, viele Schmerzen, Hitzwallungen , Hitze
auf dem Scheitel , Nasenbluten, Stuhlgang etwas
regelmässiger, massenhafter Abgang von Würmern ,
wovon früher zuweilen etwas bemerkt gewesen.
Verordnung: Sulphur 30, lmal tägl. 2 glob.,
7 Tage lang.
25. /4. 92. Die ersten Tage heftige Leibschmerzen
und grosse Menge Würmer, darnach besseres Be¬
finden, Würmer zuletzt nicht bemerkt; jetzt wieder:
„Nasse Strümpfe habe ich immer , als wenn ich
mit den Füssen in kaltem Wasser gehe u . Ver¬
schlechterung des Befindens nach Arbeiten im Wasser.
Ordination Calc. cb. 30, jeden 7. Abend 2 glob.
26. /5. 92. Hat sich bedeutend besser befunden;
viel Drang zum Uriniren , schneidender Schmerz
während des Urinlassens, röthÜcher Bodensatz des
Harns. Viele Blähungen , besonders 2 Stunden nach
dem Mittagessen (ca. 4 Uhr), abends besser , dabei
ein Bedürfniss , sich am Leib zu reiben.
Verordnung: Lycop. 30, jeden 5. Abend 1 Pulver.
24./6. 92. Bedeutende Besserung, nur vor und
bei der Periode recht krank; oben erwähnte Ge-
müthssymptome sind gänzlich verschwunden; sie
kann jetzt auch besser allein sein; vor 6 Wochen
hatte sie noch grosse Furcht vor dem Alleinsein
gehabt; sie bricht noch leicht in Weinen aus.
Verordnung: Sepia 200, jeden 9. Abend 1 Pulver.
30./7. 92. Ich sah Patientin wieder und war
selbst erstaunt über das veränderte Aussehen. Sie
wusste wenig mehr zu klagen, ein geringes Ekzem
an der Lippe brachte mich auf Natr. mur. 30,
wovon sie noch einige Pulver nehmen sollte. Vor
Kurzem nun erfuhr ich von einem Verwandten, sie
sei vollständig gesund und wohl.
Digitized by AjOOQle
189
Die zeitweilig herrschenden I
Heilmittel.
Im allgemeinen ist niederer Krankenstand und
rascher Wechsel der Mittel die Signatur der ver¬
flossenen Zeit geblieben.
Waszily-Kiel schreibt am 21./11.: bei Diphtherie
vor reichlich 8 Tagen mehrfach Nitri. ac. (membranöse
Auflagerungen gleichzeitig auf beiden Tonsillen,
übergehend auf die Nasenschleimhaut, trockener,
bellender Husten), in der letzten Woche Lachesis -(-
(Beginn der Erkrankung links, schlimmer bei Leer¬
schlingen, fortwährendes Gefühl von einem Klumpen
auf der linken Seite des Halses, Empfindlichkeit bei
äusserem Druck); bei Typhus abdom. Rhus tox.
(starke Delirien und Durchfälle, Unruhe in den
Gliedern und stetes Umherwerfen, Zungenspitze
intensiv roth, Verschlimmerung Abends und be¬
sonders nach Mitternacht); bei Gelenkrheumatismus
Sepia.
Weihe-Herford hat noch immer dieselben Heil¬
mittel: = Sep., == Sinap., = Cbel., = Kreosot.
Dierkes-Paderborn hatte am 23./11. = Chel.;
am 24. Calc. phosph. -j- Nux vom.; am 25. und
26. = Phosph. -f- = Chel.; am 27. und 28. wieder
die alten Influenzamittel: Stann. -f- Chin. (Herz¬
klopfen, Schwindel, Kopfweh, Nasen-, Hals-, Luft¬
röhrenkatarrh mit Kitzelhusten, immer mit Leber¬
anschwellung); am 29. Calc. phosph. -J- Nux vom.
Leeser-Bonn schreibt am 25./11. vereinzelt Ac.
oxalic. -J- Hyosc. = Puls.; sonst vielfach Magnes.
phosph. (H.); am 26./11. mehrfach Calc. phosph. -f-
Nux vom.; am 27. und 28. durchweg = Puls.
(Ac. oxalic. -f- Hyosc.); am 29. Ac. oxalic. Bell.
Spietboff-Mühlhausen i./Thür. berichtet am 27./11.
von niederem Krankenstand. Von Mitteln wendet
er häufig Lycopod. an; bei Bronchitiden findet er
Sulfur stets hilfreich; bei den häufigen Ophtbalmieen
giebt er Aur. natron. chlor.
Hafen-Neustadt a./Haardt hat in letzter Zeit bei
einer Typhusepidemie in 15 Fällen Ac. muriatic.
mit gutem Erfolg gegeben.
Siegrist-Basel berichtet am 26./11. sehr niederer
Krankenstand. Bei dem häufigen Keuchhusten sah
er von Dros., Hyosc., ein Mal von Cupr. cum. Veratr.
sehr raschen Erfolg; 2 schwere Diphtheriefälle
heilten auffallend schnell auf Lach. 30; gegen die
vielen Catarrhe und Rheumatismen fand er kein
epidemisches Mittel, er gab hauptsächlich Petr.
Phosph., Kal. chlorat, Rhus tox., Bell., Mercur.,
Hyosc. (Nachthusten).
Kirn-Pforzheim hatte am 24./11. noch immer
Kreos. + Sabadill. bei Influenza, sonst Sabadill.
(H.); am 19. auch einige Fälle von = Arnic. (Ac.
mur. -j- Lach.) (Schwindel, Kopfcongestion, grosse
Schwäche und Oede im Magen).
Ich-Stuttgart hatte vom 19.—25./11. vorwiegend
Ac. oxalic. -f- Hyosc. = Puls, (besonders Catarrhe,
auch Halsentzündungen, Verschlimmerung Morgens,
Abends und Nachts, selten Durst); vom 26.—28.
Vormitt. = Apis (Kal. carb. -j- Bell.); vom 28.
Mittags an mehr und mehr vorwiegend = Mercur.
(Baryt, carb. -f- Bell.).
Sigmundt-Spaichingen berichtet am 25./11., dass
er neuerdings Fälle von Cupr. cum. Nicot. (R.) habe.
Mattes-Ravensburg schreibt am 21./11., dass er
am häufigsten Apis, Lach, und Led. verwende.
Stuttgart, den 21. December 1892.
Dr. med. H. Göhrum.
Lesefrüchte;
Paul Guttmann beschreibt in No. 10 der „Ther.
Monatsh.“ einen bemerkenswerthen Fall von Antt-
pyrinvergiflung , der mit dem Bilde des asphyk-
tischen Stadiums der Cholera eine solche
Aehnlichkeit hatte, dass der Kranke als cholera¬
verdächtig in das Krankenhaus eingeliefert wurde.
Der Kranke wurde in das Spital mit den Er¬
scheinungen eines schweren Kollapses gebracht. Er
hatte kühle Extremitäten, Wadenkrämpfe, Erbrechen,
die Stimme war heiser, die Augen tiefliegend, dunkel¬
umrändert, Puls nicht fühlbar, die Temperatur 34.5.
Obgleich diese Erscheinungen an einen schweren
Choleraanfall denken Hessen, zeigte die weitere Be¬
obachtung doch, dass eine andere Ursache vorliegen
müsse, denn der Stuhlgang war normal. Die weitere
Untersuchung ergab: Auf Brust und Bauch ein
miliares, dunkelrosaroth gefärbtes, kaum wahrnehm¬
bares, prominentes, scharfgerändertes Exanthem.
Patient klagte über Kopfschmerzen, Ohrensausen,
schlechtes Sehen; doppel-, drei- und vierfache Bilder,
die aber stets umgekehrt waren. Die Anamnese ergab,
dass der Patient seit ungefähr einem Jahre an
heftigen Kopfschmerzen litt, gegen welche er in
einer Apotheke 1 gr Antipyrin nahm, wonach seine
Kopfschmerzen allerdings geringer wurden, aber ein
leichtes, vorübergehendes Schwindelgefühl und eine
Sehestörung eintrat; trotzdem gebrauchte er Anti¬
pyrin weiter, und zwar zweimal täglich in Dosen
von je 1 gr. Die oben erwähnten Erscheinungen
traten nun verstärkt und länger andauernd auf; es
kam sogar zu Zeiten zu vollständiger Amaurose.
Patient hatte im Ganzen 10 gr Antipyrin genommen.
Nach Anwendung verschiedener Excitantien wurde
eine schnelle und entschiedene Besserung des All¬
gemeinzustandes erzielt. G. hat in den letzten
5 Jahren wiederholt unangenehme Nebenwirkungen
von Antipyrin gesehen; er empfiehlt daher Vorsicht
und warnt vor Missbrauch des Antipyrins. Göhrum.
Digitized by
Google
190
Bandwurm und Intercoitalneuralgie.
Folgende von Dr. Charles Duryce im New-Y.
Medical Journal veröffentlichte Beobachtung verdient
unsere volle Beachtung.
Dr. D. erzählt, dass er vor mehr als einem Jahre
zu einem Manne von ca. 28 Jahren gerufen wurde,
der über heftige Schmerzen auf der linken Seite
des Thorax klagte; diese Schmerzen hatten vor
ca. 8 Tagen angefangen, waren aber in der letzten
Zeit so heftig geworden, dass der Mann sich legen
musste. Dr. D. diagnostizirte Intercostal-Neuralgie,
vielleicht als Vorläufer eines Herpes Zoster. Da
verschiedene angewandte Mittel ohne Erfolg blieben,
so wurde dem Kranken mit Morphium etwas Ruhe
verschafft. Während 2 Wochen blieb sich der Zu¬
stand ziemlich gleich, bis eines Tages der Kranke
dem Arzte mittheilte, dass mit dem Stuhle zum
ersten Male Bandwurm-Stücke abgegangen seien.
Nachdem der Bandwurm abgetrieben worden
war, Hessen die Schmerzen sehr bald nach und der
Kranke war in kürzester Zeit wieder arbeitsfähig.
Kurze Zeit nach diesem Falle wurde Dr. D.
zu einem Herrn, der an einem exquisiten Herpes
Zoster litt, gerufen. Auf seine Veranlassung hin
untersuchte derselbe während einiger Tage seine
Stuhlgänge und entdeckte Bandwurmstücke. Auch
hier schien der Herpes Zoster in causalem Zusammen¬
hang zu stehen mit dem Bandwurm.
Es bat seit seiner ersten Beobachtung 8 Band¬
wurmkranke behandelt und 4 davon litten an Inter-
costalneuralgie oder Herpes Zoster. Dass die Gürtel¬
rose auf einer entzündlichen Affection der Inter-
costalnerven beruht, wie dies auch bei manchen
Intercostalneuralgien der Fall ist, unterliegt keinem
Zweifel. Die Ursachen dieser Aflfectionen sind oft
sehr dunkel; es ist mir aber nicht bekannt, dass
die Gegenwart eines Bandwurms je als Ursache
angegeben worden ist, und doch scheint dies nach
den angeführten Beobachtungen also gar nicht
selten der Fall zu sein.
Heilung dei Stotterns.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass Leute die
Stottern, kein Hinderniss in ihren Sprachorganen
verspüren, sobald sie flüstern. Auf diese Thatsache
gründet sich die Behandlungsweise, von Dr. J. Coen.
Dieselbe besteht in Folgendem:
Die ersten 10 Tage darf Patient gar nicht sprechen
um den Stimmorganen Ruhe zu gewähren. Das ist
die Vorbehandlung. Dann darf Patient 10 Tage
lang nur im Flüstertöne sprechen, dann erst darf
nach und nach die gewöhnliche Sprache der Con-
versation wieder angenommen werden.
Tbid. p. 231.
Seit Anfang Januar 1892 experiraentire ich mit
Sabal serrulata und habe mich überzeugt, dass dieses
Mittel eines der besten, wenn nicht das allerbeste
Mittel ist bei einer gewissen Classe von Beschwerden.
Bei Leiden der Prostata, bei Vergrösserung und Ent¬
zündung, kenne ich kein besseres Mittel, und bei
Cystitis wirkt dasselbe zauberhaft. Es hat eine
specifische Wirkung auf die Organe der Repro-
duction. Ich habe es selbst erfahren, dass es die
Brüste schwellen macht. Bei catarrhalischen Be¬
schwerden habe ich es ebenfalls mit grosser Genug¬
tuung angewandt. Ich selbst habe Jahre lang an
einer Affection der Bronchien gelitten, welche durch
keine Mittel gebessert wurde. Das Palmetto Mittel
beseitigte mein Leiden radical in 4 Monaten. — Eine
Dame konnte zwei Jahre lang nicht aufstehen, ohne
eine Tasse Caffee zu trinken und etwas zu essen,
dieses Mittel heilte sie in einer Woche. — Ein
Mann, der ein Jahr lang den Beischlaf nicht hatte
ausüben können, berichtete völlige Heilung nach
30 Tagen. — Ein 76jähriger Mann, der 3 Jahre
lang wegen Vergrösserung der Prostata ohne Katbe-
terisation keinen Harn lassen konnte, wurde in
4 Monaten vollständig geheilt. Ibid. p. 238.
Dr. Bruckner.
Berichtigung.
Wir werden von Herrn Collegen Schweikert be¬
züglich der Erwähnung seiner Person und seiner
Veröffentlichungen in dem Leeser’schen Artikel über
„Agina Ludovici“, No. 19/20, 125. Bd., p. 157,
um folgende Berichtigung ersucht. Es heisst dort:
„Bekanntlich ist es dem „verstorbenen* Collegen
Schweikert gelungen“ etc. Wir haben mit Absicht
diese Worte des Manuscriptes unkorrigirt gelassen,
da wir irrthümlich als Autor des Artikels „Der
Hals-Zellgewebebrand und seine homöopatb. Behand¬
lung“, der in der homöopathischen Vierteljahrschrift
von Dr. CI. Müller, 13. Bd., und als Separatabdruck
bei Otto Wigand-Leipzig erschienen ist, den Vater
unseres verehrten Collegen, der ebenfalls homöo¬
pathischer Arzt in Breslau und vorher Physikus in
Grimma (Sachsen) gewesen ist, betrachteten. Den
verehrten Collegen wussten wir sehr wohl noch
unter den Lebenden und den tbätigen Mitarbeitern
unserer Zeitung; hat er uns doch noch vor Kurzem,
in No. 15/16 dieses Bandes; einen kleinen Artikel
,.Beitrag zur Behandlung der Cholera durch
Kampher i( geliefert. Um so mehr freuen wir uns
und gratuHren ihm herzlich dazu, dass er uns in
seinem Briefe schreiben konnte: „Ich befinde mich
nun zwar im 77. Lebensjahre, erfreue mich aber
trotzdem einer leidlichen Gesundheit und bin in der
Praxis thätig.“
Digitized by v^ooQie
191
Ferner schreibt uns College Schweikert, es sei
die Zeit von Anfang der Krankheit bis zur Heilung
von Dr. Leeser ganz unrichtig angegeben. „Es ist
dort gesagt, dass es erst nach 13, resp. 20 wöchent¬
licher Behandlung gelungen sei, die Krankheit zur
Heilung zu bringen. Das ist nun nicht richtig. In
3 Füllen habe ich Antbracin angewandt und zwar
mit Erfolg. Fall I konnte in 25 Tagen geheilt
entlassen werden, ebenso Fall II. Fall III erforderte
bis zur Heilung ca. 3 1 /-2 Monate, weil an dem
Periost des Unterkiefers knotige, harte Stellen,
welche das Oeffnen des Mundes erschwerten, übrig¬
geblieben waren. Gegen diese wurde Aur. mur.
natron. 2 bis zum Ende der Cur angewandt.“
Für diese Unrichtigkeit der Angaben trifft uns
nicht die Verantwortung, da wir unmöglich alle
Angaben aus der Literatur auf ihre Echtheit prüfen
können, sondern hierbei der genauen Informirung
dos Citators vertrauen.
Neben dieser Berichtigung desCollegen Schweikert
hält sich die Redaction für verpflichtet als Zusatz
zu der von Collegen Leeser geschilderten Kranken¬
geschichte mitzutheilen, dass der betreffende Kranke
nach einer Angabe, die er uns erst nach Veröffent¬
lichung seiner Krankengeschichte gemacht hat, nach¬
dem er aus Dr. Leeser* s Behandlung entlassen war,
doch „operirt worden ist und operirt werden musste“,
indem sie sich zugleich ausdrücklichst dagegen ver¬
wahrt, als sollte hierdurch ein Misstrauen gegen
die Angaben Leeser’s ausgesprochen sein. Wie uns
College Leeser auf eine diesbezügliche Anfrage mit-
getheilt hat, hat er durch genaue Informationen
erfahren, dass jene Operation erst längere Zeit nach
seiner Behandlung stattgefunden hat. Auch schreibt
er, „dass der operirende Arzt es bezweifelte, dass
eine Angina Ludovici Vorgelegen habe, weil zur
Zeit der Operation nichts mehr davon vorhanden
war.“ Es wird sich also nur um eine nachträgliche
Abscedirung, wie sie nach Ablauf heftiger Phlegmonen
vorkommt, gehandelt haben. Die Red.
Personalia.
Nach dem Ableben Ihrer Majestät der Königin-
Wittwe Olga von Württemberg, welcher wir noch
einen Nachruf aus berufenster Feder widmen werden,
wurde ihrem Leibarzte, Geh. Hofrath Dr. Stiegele,
das Ritterkreuz des Ordens der Württembergischen
Krone, mit dem Löwen, und Obermedicinalrath Dr.
von Sick, der in der letzten Krankheit der hohen
Gönnerin unserer Sache als consultirender Arzt zu¬
gezogen war, das Comthurkreuz desselben Ordens
verliehen. Ausser der persönlichen Gratulation fühlen
wir uns gedrungen, auch öffentlich den beiden her¬
vorragenden Vertretern der Homöopathie unsere
wärmsten Glückwünsche darzubringen.
Die Red.
ANZEIGEN.
□
3
D
z
NEUBERT & C°, Sectkellerei, Halle a. S. und Mainz.
jfEonopol:
Unser Sect ist absolut rein, garantivt Hefe- u. bacterienfrei, haltbar, der ge¬
sündeste und dadurch der beste Wein der ganzen Welt, weil wir den fertigen Wein, durch
natürliche Gährung entstanden, mit einem Druck von 6 Atm. durch den patentirten Berke-
feldfilter jagen, welcher weder Pilze, Hefe und Bacterien, noch nicht einmal den Thyphus-
und Cholerabacillus durchlässt. Wir verwenden nur edle Traubenweine, welche durch unser
Verfahren vollkommen rein, vorzüglich im Geschmack und sehr bekömmlich werden.
Keine Champagnerfabrik kann uns das nachmachen, auch die grössten französischen Finnen
nicht, da wir sowohl Frankreich wie alle andern Kulturstaaten der Erde mit unsem Patenten
belegt haben. Ueber die Reinheit und Güte unserer Secte haben folgende Autoritäten
der Bacteriologie und Weinchemie Zeugnisse gegeben: Die Universitätslehrer 1) Professor
Dr. Zopf, 2) Dr. Baumert, beide in Halle a. S , 3) Dr. R. Muencke, Berlin.
Die Originalzeugnisse der Herrn Gelehrten liegen zu Jedermanns Einsicht aus.
Apotheken, Kliniken, Krankenhäuser und Lazarethe der Armee und Marine
erhalten io% Rabatt, ebenso die Herren Aerzte.
Unser Haus unterhält weder Reisende, noch Agenten.
Preis p. Flasche M. 3. —- Versandt gegen Nachnahme. — Export nach allen Erdtheilen.
1
!0
lä]
Digitized by
Google
Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbzt-
dispenslrenden homöopathischen Herren Aerzte werden
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die¬
selben Anforderungen gestellt , n ie an die Apotheker.
Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte
kleine, praktische
Oiftschränkchen
und
Separanden-Schränkchen
anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu
Diensten.
(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen
vollste Anerkennung gefunden).
Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬
weitigen Zimmereinrichtung passen.
Ein Qlftsohrlnkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit
und 21 cm tief; unter einer Thüre. die das ganze
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für
sich verschliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen.
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M.
Ein Separaadenaohrinkchen ist 70 cm hoch, 50 cm
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze
Schränkchen verschiiessenden Thüre, die mit dem Por¬
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬
zubewahren. die laut Gesetz roth auf weise zu signiren
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte).
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M.
Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen
entsprechend, habe ich die Gift- und Separandon*
Schränkchen jetzt auch in einen Schrank ver¬
einigt, vorräthig.
Die obere Abtheilung dieser Doppelschränke ist
ür die Separanda, die doch mehr gebraucht werden
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia.
Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm
tief und 62 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-,
nussbaum- oder mahagoni-artig.
Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur
60 Mark.
A. Marggraf s homtfopath. Officin in Leipzig.
Soeben ist erschienen und zum Versandt ge¬
kommen die 4. Lieferung von
Die vergleichende
Arzneiwirknngslehre
VOn
Dr. med. H. GrOSS und Prof. Dr. med. C. Hering.
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben
von Sanitätsrath Dr. med. Faul Wasser, Bernburg a.8.
Complet in 8 Lfgn. h Mk. 2.50. Einbanddeeke gratis.
§0* Wer das Werk lieber im Ganzen comnlet
ebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen,
a später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt.
Alle sechs Wochen kommt eine weitere laieferung.
Jede Lieferung: 9 Druckbogen, 4°. Preis 2.50 Mk.
Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen
sind eine grosse Menge Bestellungen anf dieses Werk
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen
Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend
genug empfehlen können.
ln Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis
thatsächlich ein ausserordentlich niedriger za nennen.
Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichendes Arznei-
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre
Anschaffung empfohlen.
Leipzig, den 5. December 1892.
A. Marggraf’s homöopath. Offlein.
Zur Zuckerbestimmung im Harn,
qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬
fachste und Praktischste die
Limousin’schen Tropfenzähler
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬
tabelle ä Paar = Mk. 3.50.
Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets
ganz frisch, wird in Glasstöpselgläsern, ä 30,0=50Pfg.
abgegeben.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin.
Kastaiiieiiblii then-Oel nnd
Kastanienbliithen-Tinctnr
aus den frischen ßlüthen bereitet, haben sich als
thatsächlich gute Mittel zum Einreiben gegen
Gicht und Rheumatismus schon seit langen
Jahren eingeführt und werden zu Versuchen bestens
empfohlen.
Zu haben in jedem gewünschten Quantum, in
Flaschen & 50 Pfg. bis zu Flaschen ä y 2 Ko. = 4 M.
Leipzig, A. Marggrafs homöopath. OfAcin.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrun-Stuttgart , Dr. StifTt-Leipzig und Dr. Haedlcke-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von Gressner L Schramm in Leipzig.
Digitized by Google
Leipzig, den 32. December 1898.
No. 25 n. 26,
Band 125.
ALLGEMEINE
HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG.
Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homOopath. Offlein) in Leipzig.
Bracheint 14tigig au 2 Bogen. IS Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Buchhandlungen und
Postanstalten nehmen Beatellungen an. No. 97 dea F o st-Zeitunga-Verzeichnisse* (pro 1892). — Ins erate, welche an JEL Mosse ln
Leipzig und dessen Filialen oder an die Verlagshandlung selbst (A. Marggrafs homöopath. Offlein in Leipzig) au richten
sind, werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet.
Inhalt. Arzneipriifuugsprotokolie. Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart. — Die Berechtigung der Hahne-
mann80hen Forderung des Auswlrkenlassens der Mittel in chronleohen Krankheiten. Von Dr. med. Lorbacher. —
Prompte Heilung einer Lähmung. Von Assistenzarzt Waszily. — Ueber die physiologische Behandlung einiger Haut¬
krankheiten. Referent Göhrum. — Referate. — Lesefrüchte. — Slmiilbus an suggestis? Von Dr. med. J. Fachs-
München. — Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Nekrolog. — Personalien. — Reohnungsahiegung. — Druck-
fehlerberiohtlgnng. — Anzeigen.
MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU
für */2 Stunde, später je für 1 Stunde ausreicht,
während alle 5 Minuten ein kleiner Schluck davon
getrunken wird.
Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede
1 2 Stunde aasgeführt.
Anfang des Versuches: 3 Uhr 30 Min. Nachm.
Um 4 Uhr sind noch die Punkte für Stib.
arsenicos. und Sabadill, schmerzhaft.
Um 4 Uhr 30 Min. statt dieser die Punkte für
Hep. sulf. calc. und Ratanh. schmerzhaft.
Um 5 Uhr Stat. id.
Um 5 Uhr 30 Min. Stat. id. •
Um 6 Uhr dazu die Punkte für Kali bichromic.
und Cist. canad. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 30 Min. die Punkte für Silic. und
Cina schmerzhaft. (Rhus tox. ist nur leicht empfind¬
lich.)
Um 7 Uhr Stat. id. Abbrechen des Versuches.
An svübjecliven Symptomen beobachtete ich:
Vor Auftreten der betr. Schmerzpunkte häufig
in der ihnen entsprechenden Gegend ein gewisses
Wärmegefühl.
2 Stunden nach Beginn des Einnehmens stellte
sich Eingenommenheit des Kopfes und leicht schmerz¬
haftes Gefühl von Verstopftsein des linken Ohres
ein. Diese Beschwerden verschwanden während des
darauf folgenden Abendessens.
Um 7 Uhr 30 Min. waren die Punkte für Stib.
25
Arzneiprüfimgsprotokolle.
Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart.
Auf der constituirenden Versammlung der Epide¬
miologischen Gesellschaft am 23. Dec. vor. J. wurde
von mir als eine nothwendige Forderung zur ge¬
deihlichen Entwicklung der Weihe’schen Methode
die Beweisführung angegeben (Bd. 124, No. 5/6,
pag. 40), dass bei der Prüfung eines Arzneimittels
dessen Schmerzpunkt, sowie die Schmerzpunkte
derjenigen Mittel , deren Combination dieser Ein¬
heit entsprechen, schmerzhaft werden, weil damit
erklärt wäre, warum bei der Schmerzhaftigkeit
eines bestimmten Punktes ein ganz bestimmtes Arznei¬
mittel das Simillimum ist.
Zu diesem Behufe habe ich in der letzten Zeit
folgende Versuche meistentheils an mir selbst aus¬
geführt. Ich will sie zunächst in chronologischer
Reihenfolge mittheilen.
1. Versuch am 3. Not. 1892.
Prüfungsperson: Ich.
Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Stib. arsenicos.
und Sabadill.
Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla.
Von der 1000 00 (Marggraf) werden 5 Tropfen
auf 7s Lit. Wasser genommen, welche Quantität zuerst
Digitized by Google
arsenicos. and Sab&dill. wieder entschieden schmerz¬
hafter als die experimentell erzeugten, welch' letztere
am anderen Morgen gänzlich verschwunden waren.
Von den bisher bekannten 4 Combinationen für
Pulsatilla:
1. Antim. crud. und Ignat.
2. Acid. phosphoric. und Clemat.
3. Hep. sulf. calc. und Ratanh.
4. Siüc. und Rhus tox.
wurde also zunächst nur No. 3 erhalten, No. 4
wurde oorrigirt; neu ist:
5. Kali bichromic. und Cist. canad.
2. Versuch am 14. Not. 1892.
Prüfungsperson: Ich.
Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Acid. muriatic.
und Lackes. (= Amic.)
Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla.
Von der 200 00 (Marggraf) werden 5 Tropfen
auf Vs Lit. Wasser genommen, welche Quantität für
je 1 Stunde ausreicht, während alle 5 Minuten ein
kleiner Schluck davon getrunken wird.
Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede
{l 4 Stunde ausgeführt.
Anfang des Versuches: 5 Uhr 10 Min. Nachm.
Um 5 Uhr 25 Min. sind statt der Punkte für
Ac. muriatic. und Laches. die für Hep. sulf. calc.
und Ratanh. schmerzhaft.
Um 5 Uhr 40 Min. dazu die Punkte für Kali
bichromic. und Cist. canad. schmerzhaft.
Um 5 Uhr 65 Min. dazu die Punkte für Silic.
und Cina schmerzhaft, sowie die Punkte für Kali
jodat. und Sarsaparill. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Acid.
oxalic. und Hyoscyam. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 25 Min. dazu die Punkte für Plumb.
und Baptis. tinct. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 40 Min. Stat. id.
Um 6 Uhr 55 Min. dazu die Punkte für Acid.
phosphoric. und Clematis schmerzhaft.
'Um 7 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Antim.
crud. und Ignatia schmerzhaft.
Der Pulsatillapunkt war nur leicht druckempfind¬
lich. Darauf Abbreehen des Versuches.
Suttfective Symptome: drückende Kopfschmerzen
vorne in der Stirne, oben auf dem Scheitel und
gegen die Ohren; in beiden Ohren leichtes Reissen;
Vollheitsgefühl in der Nase besonders in der rechten
Nasenhälfte in der Mitte.
Um 7 Uhr 40 Min. sind die experimentell er¬
zeugten Punkte meistentheils (vorwiegend die am
Hals und Thorax) noch da, die für Ac. muriatic.
und Laches. noch nicht. Am anderen Morgen sind
letztere wieder allein da.
Ich erhielt also sämmtliche bisher bekannte
Combinationen für Pulsatilla, dazu noch:
6. Kali jodat. und Sarsaparill.
7. Acid. oxalic. und Hyoscyam. (eine Combination,
für die sich seitdem schon mehreren Be¬
obachtern PulsatilL bewährt hat).
8. Plumb. und Baptis. tinct.
3« Versuch am 20« Not. 1892.
Prüfungsperson: Ich.
Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Acid. oxalic.
und Hyoscyam. (= Pulsat.)
Zu prüfendes Arzneimittel: Acid. oxalic. und
Hyoscyam.
Von der 200 00 (Acid. oxalic. [Marggraf] und
Hyoscyam. [Manch]) je 5 Tropfen auf Vs Lit. Wasser.
Die übrigen Versuchsbedingungen sind die gleichen,
wie bei Versuch 2.
Anfang des Versuches unmittelbar nach einem
Vesper bestehend aus Schwarzbrot mit Honig:
3 Uhr 35 Min. Nachm.
Um 3 Uhr 50 Min. sind neben den Punkten
für Acid. oxalic. und Hyoscyam. Die Punkte für
Hep. sulf. calc. und Ratanh. sowie für Silic. und
Cina schmerzhaft.
Um 4 Uhr 5 Minuten dazu die Punkte für
Plumb. und Bapt. tinct. sowie die Punkte für Kali
jodat. und Sarsaparill. schmerzhaft.
Um 4 Uhr 20 Min. dazu die Punkte für Acid.
phosphoric. und Clemat. schmerzhaft, sowie die
Punkte für Kali bichromic. und Cist. canad. schmerz¬
haft.
Um 4 Uhr 35 Min. dazu die Punkte für Aurnm
und Staphysagr. schmerzhaft
Um 4 Uhr 50 Min. dazu die Punkte für Antim.
crud. und Ignat. schmerzhaft, sowie die Punkte für
Natr. phosphoric. und Punkt 163 schmerzhaft
Um 5 Uhr 5 Min. Stat. id.
Um 5 Uhr 20 Min. dazu die Punkte für Kali
bromat und Sepia schmerzhaft, sowie die Punkte
für Ferrum und Juniper. comm. schmerzhaft
Um 5 Uhr 35 Min. Stat. id. Abbrechen des
Versuches.
Subjective Symptome: drückende Kopfschmerzen
in den Schläfen.
Am anderen Morgen sind sämmtliche Schmerz¬
punkte mit Ausnahme der für Acid. oxalic, nnd
Hyoscyam. wieder verschwunden.
Ich erhielt also sämmtliche bisher bekannte
Combinationen für Pulsatilla, dazu noch:
9. Aurum und Staphysagr.
10. Natr. phosphoric. und Punkt 163.
11. Kali bromat. und Sepia.
12. Ferrum und Juniper. comm.
4. Versuch am 20. Not. 1892.
Prüfungsperson: Frau A. G.
Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Acid. oxalic.
und Hyoscyam. (=» Pulsat.)
Digitized by v^ooQie
195
Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla .
Von der 200 00 (Marggraf) werden 5 Tropfen
auf i/ g Lik Wasser genommen, welche Quantität für
2 Stunden ausreichte, während alle 5 Minuten ein
kleiner Schluck davon getrunken wird.
Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede
*/ 4 Stunde ausgeführt.
Anfang des Versuches unmittelbar nach einem
Vesper bestehend aus Thee mit Weissbrot und
Honig: 3 Uhr 30 Min. Nachm.
Um 3 Uhr 45 Min. sind neben den Punkten
für Acid. oxalic. und Hyoscyam. die für Hep. sulf.
calc. und Ratanh. sowie für Silic. und Cina schmerz¬
haft.
Um 4 Uhr dazu die Punkte für Plumb. und
Bapti8. tinct. sowie die Punkte für Antim. crud.
und lgnat. schmerzhaft.
Um 4 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Kali
bichromic. und Cist. canad., die Punkte für Kali
jodat. und Sarsaparill. sowie die Punkte für Acid.
phosphoric. und Clematis schmerzhaft.
Um 4 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Aurum
und Staphysagr. schmerzhaft.
Um 4 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Natr.
phosphoric. und Punkt 163 schmerzhaft.
Um 5 Uhr nur die Punkte für Natr. phosphoric.
und Punkt 163, die Punkte für Silic. und Cina,
und die Punkte für Aurum und Staphysagr. schmerz¬
haft
Um & Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Kali
bromat und Sepia schmerzhaft.
Um 5 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Ferrum
und Juniper. comm. schmerzhaft. Abbrechen des
Versuches.
Subjective Symptome: Uebelkeit; Wabbeligkeit
in dem Epigastrium; Gefühl als wollte Durchfall
kommen; darnach Kopfschmerzen in der linken
Schläfe.
Am anderen Morgen sind sämmtliche Schmerz¬
punkte mit Ausnahme der für Acid. oxalic. und
Hyoscyam. wieder verschwunden.
Es wurden also sämmtliche bis dahin bekannte
Combi nationen für Pulsatilla erhalten.
5. Versuch am 26. Nov. 1892.
Prüfungsperson: Jch.
Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Kali carb.
und Belladonn. (= Apis.)
Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla .
Von der 30° (Mauch) wurden 5 Tropfen auf
i/g Lit. Wasser genommen, welche Quantität für je
1 Stunde ausreicht, während alle 5 Minuten ein
kleiner Schluck davon getrunken wird.
Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede
j / 4 Stunde ausgeführt.
Anfang des Versuches: 4 Uhr 45 Min. Nachm.
Um 5 Uhr sind statt der Punkte für Kali carb.
und Belladonn. die für Acid. oxalic. und Hyos¬
cyam., sowie die für Hep. sulf. calc. und Ratanh.
schmerzhaft
Um 5 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Kali
jodat und Sarsaparill. schmerzhaft.
Um 5 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Kali
bromat und Sepia sowie die Punkte für Silic. und
Cina schmerzhaft
Um 5 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Plum¬
bum und Baptis. tinct. schmerzhaft
Um 6 Uhr dazu die Punkte für Kali bichromic.
und Cist canad. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Ferrum
und Juniper. comm., sowie die Punkte für Natr.
phosphoric. und Punkt 163 schmerzhaft.
Um 6 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Aiirum
und Staphysagr. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 45 Min. Stat. id. Abbrechen des
Versuches.
Subjective Symptome: Keine.
Am anderen Morgen sind noch die Schmerz¬
punkte für:
Kali jodat. und Sarsaparill.
Kali bromat und Sepia
Hep. sulf. calc. und Ratanh.
Acid. oxalic. und Hyoscyam. schmerzhaft
Dabei ist Schnupfen mit ziemlicher Verstopfung
der Nase mit seltenem Niesreiz vorhanden.
Am dritten Morgen sind alle experimentell er¬
zeugten Schmerzpunkte verschwunden und wieder
die für Kali carb. und Belladonn. schmerzhaft
6. Versuch am 26. Nov. 1892.
Prüfungsperson: Fräulein C. IV.
Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Kali carb .
und Belladonn . (= Apis.)
Zu prüfendes Arzneimittel: Veratr. alb.
Es wird die 200 00 (Mauch) unter denselben
Versuchsbedingungen wie bei Versuch 5 verwandt
Anfang des Versuches: 4 Uhr 45 Min. Nachm
Um 4 Uhr 55 Min. sind statt der Punkte für
Kali carb. und Belladonn. die für Acid. fluorio. und
Sarsaparill. schmerzhaft
Um 5 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Punkt
137 und Euphorb. off., sowie die Punkte für Cup¬
rum und Silic. c. Cist. canad. schmerzhaft
Um 5 Uhr 25 Min. dazu die Punkte für Acid.
phosphoric. und Ignatia., sowie für die Punkte für
Natr. carb. und Acid. hydrooyan. schmerzhaft.
Um 5 Uhr 40 Min. dazu die Punkte für Mercur.
corros. und Petroleum schmerzhaft.
Um 5 Uhr 55 Min. dazu die Punkte für Magnes.
carb. und Ruta grav. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Kali
carb. und Staphysagr. schmerzhaft.
25*
Digitized by tjOOQle
196
Um 6 Uhr 25 Min. dazu die Funkte für Borax
und Belladonn. schmerzhaft
Um 6 Uhr 40 Min. dazu die Punkte für Kali
bromat. und Spongia schmerzhaft.
Abbrechen des Versuches.
Suhjective Symptome: Leibschmerzen wie von
herumziehenden Blähungen, auch stechend; ein schon
bestehender Durchfall wird schlimmer.
Am Abend darauf sind noch die Schmerzpunkte
für:
Acid. fluoric. und Sarsaparill.
Punkt 137 und Euphorb. off.
Cuprum und Silic. c. Cist. canad. schmerzhaft.
Am dritten Morgen sind alle experimentell er¬
zeugten Schmerzpunkte verschwunden und wieder
die für Kali carb. und Belladonn. schmerzhaft
Es wurden also ausser den bis dahin bekannten
Combinationen für Veratr. alb.:
Acid. phosphoric. und Ignatia,
Punkt 137 und Euphorb. off.
noch weiter folgende Combinationen erhalten:
Acid. fluoric. und Sarsaparill.
Cuprum. und Silic. c. Cist. canad.
Natr. carb. und Acid. hydrocyan.
Merc. corros. und Petroleum.
Magnes. carb. und Ruta grav.
Kali carb. und Staphysagr.
Borax und Belladonna.
Kali bromat und Spongia.
7. Versuch am 3. Dec. 1892.
Prüfungsperson: Ich .
Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Aatr . mur.
und Tone. (= Sabadill.)
Zu prüfendes Arzneimittel: Sabadilla .
Es wird die 200 00 (Manch) unter denselben
Versuchsbedingungen wie bei Versuch 5 und 6 ver¬
wandt.
Anfang des Versuches: 5 Uhr 30 Min. Morg.
Um 5 Uhr 45 Min. sind neben den Punkten
für Natr. mur. und Tonco die für Natr. sulf. und
Chelidon. schmerzhaft
Um 6 Uhr dazu die Punkte für Acid. fluoric.
und Lactuc. vir. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Hep.
sulf. calc. und Guajac. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Kali
bromat. und Punkt 163 schmerzhaft.
Um 6 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Jodum
und Mezereum schmerzhaft
Um 7 Uhr dazu die Punkte für Kali jodat. und
Ci na schmerzhaft.
Um 7 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Baryt,
carb. und Evonym. europ. schmerzhaft.
Um 7 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Acid.
salicyl. und Punkt 164 schmerzhaft.
Abbrechen des Versuches.
Seit Eintritt der Herrschaft von Natr. mur. und
Tone, hatte ich eine schmerzhafte Anschwellung des
linken Lappens der glandul. thyreoid.
Am Abend darauf sind noch sämmtliche eben
verzeichneten Schmerzpunkte, am dritten Abend
noch die für Hep. sulf. calc. und Guajac. ausser
den am vierten Morgen noch allein vorhandenen
herrschenden Schmerzpunkten Natr. mur. und Tone,
nachzuweisen.
Ich erhielt also ausser der bis jetzt allein be¬
kannten Coinbination für Sabadilla für dieses Mittel
noch 8 weitere Combinationen.
8. Versuch am 14« Dec. 1892.
Prüfungsperson: Ich .
Zeitweilig herrschendes Heilmittel bei Gesunden
und bei mir: Baryt, carb . und Tone . (= Kali
bichromic.) (Bei den meisten Kranken sind da¬
neben noch die Punkte für Hep. sulf. calc. und
Ratanh. (= Pulsatill.) ebenso schmerzhaft, wie die
für Baryt, carb. und Tone.)
Zu prüfendes Arzneimittel: Kali jodat. und
Sarsaparilla.
Es wird die 200 00 (Marggraf) unter denselben
Versuchsbedingungen wie bei Versuch 5, 6 und 7
verwandt.
Anfang des Versuches: 4 Uhr 30 Min. Nachm.
Um 4 Uhr 45 Min. sind statt der Punkte für
Baryt, carb. und Tone, die für Acid. oxalic. und
Hyosoyam. schmerzhaft.
Um 5 Uhr dazu die Punkte für Kali jodat. und
Sarsaparill., sowie die Punkte für Plumbum und
Baptis. tinct. schmerzhaft.
Um 5 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Hep.
sulf. calc. und Ratanh. schmerzhaft.
Um 4 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Silicea
und Cina schmerzhaft
Um 5 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Kali
bromat. und Sepia, sowie die Punkte für Kali
bichromic. und Cist. canad. schmerzhaft.
Um 6 Uhr dazu die Punkte für Acid. phos¬
phoric. und Clemat, sowie die Punkte für Aurum
und Staphysagr., und die Punkte für Natr. phos¬
phoric. und Punkt 163 schmerzhaft.
Um 6 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Fer¬
rum und Junip. comm. schmerzhaft.
Um 6 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Antim.
crud. und Ignatia schmerzhaft.
Abbrechen des Versuches.
Suhjective Symptome: Verstopfung des linken
Nasenloches in der Mitte.
Am andern Morgen früh 2 Uhr sind noch die
Punkte für:
Acid. oxalic. und Hyoscyam.
Hep. sulf. calc. und Ratanh.
Kali jodat. und Sarsaparill. schmerzhaft, die für
Baryt, carb. und Tone, noch nicht.
Digitized by Google
197
Ich erhielt also mit Kali jodat. und Sarsaparill.
eben so viele und dieselben Combinationen wie mit
Acid. oxalic. und Hyoscyam. und Pulsatilla allein
während der Herrschaft theils verschiedener, theils
derselben Heilmittel.
Zu meinem grossen Bedauern war es mir nicht
möglich, noch mehrere Versuche und an mehreren
Prüfungspersonen durchzuführen. Aber ich glaube,
dazu berechtigt zu sein, aus den hier veröffentlichten
Versuchen folgende Schlüsse zu ziehen:
1) Es ist gelungen, bei der Prüfung eines Arznei¬
mittels die Schmerzpunkte derjenigen Mittel, deren
Combination dieser Einheit entsprechen, experimentell
schmerzhaft zu machen; während es
2) bis jetzt nicht vorgekommen ist, dass direct
der Punkt eines einzigen geprüften Mittels dabei
schmerzhaft wurde; ob dies überhaupt möglich
ist, darüber kann ein Urtheil erst nach weiteren
Prüfungen mit niederen Verdünnungen gefällt werden;
dagegen zeigen
3) die Versuche 3 und 8, dass die gefundenen
Combinationen die Punkte sämmtlicher Combinationen
der entsprechenden Einheit experimentell hervor-
zurufen im Stande 6ind, sowie dass
4) bei Verwendung der beiden Componenten die
Schmerzpunkte dieser schmerzhaft werden ; dass also
5) auf diesem Umwege auch die Arzneimittel
für einzelne Punkte festgestellt werden können,
sofern das eine Mittel der beiden Componenten
bereits einen sicher festgestellten Punkt hat, das
andere aber nicht.
Es ist mithin durch diese meine physiologischen
Arzneiprüfungen in Bezug auf experimentelle Er¬
zeugung von Schmerzpunkten der Weg eröffnet,
bei dessen weiterem Beschreiten der sichere Beweis
erbracht werden dürfte , dass die Schmerzpunkte
des einzelnen Mittels, wie der dafür festgestellten
Combinationen in unveränderlichem Zusammenhang
mit diesem stehen, also sichere objective Symp¬
tome für dasselbe abgeben .
Stuttgart, den 15. December 1892 Morgens.
Die Berechtigung der llaltuemaiiii’-
schen Forderung des Auswirken¬
lassens der Mittel in chronischen
Krankheiten.
Von Dr. med. Lorbacher.
Es ist namentlich in der neueren Zeit Mode
geworden, die Vorschrift Hahnemann’s und seiner
ersten Schüler, die Gaben der Arzneimittel vor¬
züglich in chronischen Krankheiten nicht zu
schnell zu wiederholen sondern jede einzelne erst
ordentlich auswirken zu lassen, als einen über¬
wundenen Standpunkt, als durch nichts begründet
zu betrachten. Man meint, durch 2, 3—4 stünd¬
liches Wiederholen des Mittels in 1, 2 höchstens
3 Std., sehr häufig im Wechsel mit einem andern,
zum Ziele einer gründlichen und dauernden Heilung
zu gelangen. Dass dies nur in seltenen Fällen ge¬
lingt und man sehr oft nur eine palliative Wirkung
erzielt, das kann sich Keiner verhehlen, der gewohnt
ist, genau zu beobachten, und Gelegenheit hat, die
scheinbar Geheilten noch längere Zeit unter den
Augen zu behalten. Ich halte es daher im Interesse
unserer Sache für geboten, einen Fall zu veröffent¬
lichen, welcher das Begründetsein der oben erwähnten
Hahnemann’schen Vorschrift unwiderlegbar beweist.
Es betrifft einen Knaben von jetzt 8 J. mit an¬
geborener Skrofulöse, jedenfalls e patre syphilitico.
Ende seines ersten Lebensjahres bekam er beim
Zahnen eine Diarrhöe, wie sie bei skrofulösen Kindern
einzutreten pflegt, von mehr graugelber Farbe wie
dünne Suppe und scharfem säuerlichem Gerüche,
während die Zahudiarrhöen bei sonst gesunden
Kindern doch wie in Wasser eingerührtes Eigelb aus-
sehen und den bekannten Fäulnissgemch haben. Ehe
ich hinzugerufen, war schon eine mehrwöchentliche
andersartige vergebliche Behandlung vorausgegangen.
Das Kind war sehr abgemagert, sah anämisch aus,
schrie viel, hatte täglich noch 6—8 Ausleerungen,
zu deren Hervorrufung und Unterhaltung jedenfalls
die unzweckmässige Nahrung und der Aufenthalt
in schlecht gelüfteten und feuchten Parterreräumen
wesentlich beigetragen hatten. Nach strenger Rege¬
lung der Diät gelang es bei Gebrauch von Calc.
carb., Calc. phosph. und Arsen im Verlaufe von
einigen Wochen die Diarrhöe zu beseitigen. Der
Knabe erholte sich allmählig. Das Zahnen ging
von da ab, wenn auch langsam, doch regelmässig
vor sich. Allein im Verlaufe von ca. ! /2 J ft hr
entwickelte sich ein neues Leiden in Form eines
heftig juckenden Knötchenausschlags (Prurigo), wie er
bei schlechter Hautpflege und in feuchten Wohnungen,
wie Arme sie zu bewohnen häufig genöthigt sind,
entsteht. Er verbreitete sich ziemlich schnell über
den ganzen Körper und bereitete dem armen Kranken
durch das Jucken grosse Qualen, raubte ihm den
Nachtschlaf und hinderte seine normale Entwickelung.
In der kalten Jahreszeit ging er gewöhnlich etwas
zurück, während er in der warmen sich verschlimmerte.
Hartnäckig trotzte er den von mir angewandten inneren
Mitteln, unter denen Sulf. und Arsen in niederen
und höheren Verdünnungen, bald in kürzeren bald
in längeren Zwischenräumen gereicht, die Hauptrolle
spielten. Ebenso wenig wurde mit den von Anderen
versuchten äusseren Mitteln ein bleibender Erfolg
erzielt. Ich hatte den Patienten aus dem Gesichte
verloren und hörte nur gelegentlich von seiner
Mutter, dass trotz der Besserung der äusseren Ver-
Digitized by Google
hältnisse sein Leiden sich immer noch gleich bliebe.
Im Beginn dieses Jahres stellte ihn seine Mutter
wieder vor mit der Bitte, noch einen Versuch mit
ihm zu machen. Der Ausschlag war noch in seiner
Blüthe, über den ganzen Körper verbreitet, besonders
stark am Nacken und Halse. Blasses, gelbgraues
Aussehen; es machte den feindtuck eiiier gewissen
Verkommenheit Die Indikationen sprachen so ent¬
schieden für Sulf., dass ich beschloss, es noch ein¬
mal zu verordnen, jedoch nur alle 4 Wochen eine
Gabe von 6 Kügelchen 30. Cent, zu geben. Nach
2 Monaten brachte die Mutter ihn wieder mit der
Nachricht, dass der Ausschlag entschieden im Ab¬
heilen begriffen und trotz der schon eingetretenen
warmen Witterung die gewöhnliche Verschlimmerung
ausgeblieben sei, wovon ich mich durch den Augen¬
schein selbst überzeugte. Selbstverständlich blieb
ich bei meiner Verordnung; die Besserung schritt
fort und bei der letzten, am 26. Oct. a. c. vorgenomme¬
nen Untersuchung fand sich der Ausschlag bis auf
einige kleine Reste abgeheilt, die Haut war weicher
und geschmeidiger geworden, sie sah noch blass
aus, doch der graue Ton derselben war verschwunden,
das fürchterliche Jucken war nicht mehr vorhanden,
sodass das Kind sich jetzt eines ruhigen Schlafes
erfreut und erst aufzublühen beginnt.
Auch in diesem Falle bewährte sich wieder die
öfters gemachte Erfahrung, dass die veränderte
Gemüths8timmung ein ziemlich sicheres Zeichen
einer beginnenden Besserung ist. Auch bei diesem
stets verdriesslichen und eigensinnigen Buben trat,
ehe noch ein anderes Zeichen der Besserung sicht¬
bar wurde, eine bessere Laune ein.
Jedenfalls ist dieser Fall, welcher an Hart¬
näckigkeit nichts zu wünschen übrig Hess, dazu
angethan, zu zeigen, dass das Auswirkenlassen der
Mittel bei Krankheiten von grosser Wichtigkeit ist
und jedenfalls eher zum Ziele führt, als schnelles
Wiederholen massiver Gaben.
Ich würde mich freuen, wenn durch diese Mit¬
theilung dieser oder jener sich veranlasst fühlte,
in chronischen Krankheiten, bei denen ohnehin
selten etwas versäumt wird, einen Versuch mit
dieser Ordinationsweise zu machen. Ich glaube,
dass er es nicht bereuen würde.
Dass hier eine Suggestion vorliegt, wird natür¬
lich Herrn Dr. G. nicht schwer werden, zu beweisen.
Prompte Heilung einer Lähmung.
Auf einer Reise in die Eiderstedter Marsch am
24./9. 92. brachte man ein 3 ^ 2 jähriges Kind zu
mir, welches seit 6 Wochen gelähmt war. Es
handelte sich um eine motorische Lähmung der
unteren Extremitäten, wofür man keine andere
Ursache angeben konnte als „Erkältung“. Seit
ca. 14 Tagen zeigte sich eine zunehmende Atrophie
der Muskulatur. Allopathischerseits waren warme
Bäder und der galvanische Strom ohne jeden Erfolg
angewandt. Viele Anhaltspunkte für die Wahl eines
passenden Mittels erfuhr ich zunächst nicht. Die
Mutter behauptete, das Kind sei stets gesund und
kräftig gewesen und die Lähmung wäre ziemlich
plötzUch entstanden. Da das Kind sich viel im
Freien herumgetummelt und so auch oft der Nässe
ausgesetzt gewesen, wie das denn in der Marsch
ist, so dachte ich natürlich an Rhus, wohin mich
ausserdem der weissliche Bodensatz des Urins
führte; allein man muss ja oft den Leuten die
individuell charakteristischen Symptome unserer
Mittel förmlich herausquetschenj wenn man erfolg¬
reich behandeln will. So gings auch hier. Eine
gewisse Tagesschläfrigkeit, der unruhige Schlaf
nachts , aus dem das Kind zuweilen mit lautem
Schrei erschreckt aufwachte , sowie die Lage auf
dem Bauch mit ausgestrekten Beinen bestimmten
mich, Bellad. 200 vier Tage lang abends 2 globuli
zu verordnen. Hinzu kam noch, dass das Kind
vorher Gesichtserysipel gehabt hatte. Am 3./10. 92.
meldete ein briefl. Bericht bedeutende Besserung:
„Er kann schon allein stehen , wenn er fest gehalten
wird , kann er die Beine umeinand ersetzen“ etc .
Verordnung: globuli sacchar. Acht Tage darauf
erhielt ich Nachricht von der vollständigen Wieder¬
herstellung.
von Boenningliausen’s Therapeutisches Taschen¬
buch nennt für Bauchlage im Schlaf folgende Mittel:
Bell, in erster Linie, dann Calc., Coloc., Ignat.,
Puls., Stram,, davon konnte in diesem Fall nur
Bell, in Frage kommen; Beine ausgestreckt kam
hier ja weniger in Betracht, obschon auch das Bell,
hat, freilich Rhus ebenso sehr.
Assistenzarzt Waszily.
Heber die physiologische Behand¬
lung einiger Hantkrankheiten.
Von Mariano Semmola,
Professor der experim. Pharmakologie und klinischen
Therapie in Neapel.
(Aus „Internationale klinische Rundschau* 1892.)
Zwei klinische Thatsachen sind es, die mir seit
Jahren aufgefallen sind, erstens: das Vorhandensein
einiger Dermatosen (Ekzem, Psoriasis etc.), die
während der heissen Jahreszeit merklich besser
werden und selbst ganz zurückgehen, um dann im
Herbste beim Eintritte der Kälte wiederzukehren;
zweitens: die Thatsache, dass in diesen Fällen die
toxische Medikation entweder nicht im Stande ist,
eine Heilung des örtlichen Krankheitsprozesses zu
Digitized by v^ooQie
199
veranlassen, oder aber, wenn das unglücklicher Weise
zutrifit, Störungen in den Funktionen einzelner
Organe oder in dem Allgemeinzustand auftreten.
Diese Thatsachen sind gar nicht selten, so dass
jeder aufmerksame Beobachter einige Beispiele
constatirt haben muss.
An der Hand des Empirismus schien einst die
Erklärung dieser Erscheinungen leicht Heute hin¬
gegen findet man es bequemer, die Augen zu
schliessen und sich so zu stellen, als ob man davon
nichts merkte. Indess ist es nicht weniger wahr,
dass diese klinischen Thatsachen in der Natur
existiren, und der Kliniker kann sie nicht unter¬
drücken, um den herrschenden Lehren sich gefällig
zu zeigen.
Es ist unbestreitbar, dass bei den immensen
Fortschritten der pathologischen Histologie die
Behandlung der Hautkranldieiten in den letzten
dreissig Jahren grosse Wandlungen durchgemacht
hat; es ist aber auch unbestreitbar, — wie dies
übrigenB bei jeder Neuerung zu geschehen pflegt —
dass die neuen Ideen sich allzu systematisch auf-
erlegt haben und dass man, indem man tabula rasa
mit allen aus der traditionellen klinischen Be¬
obachtung herrührenden Kenntnissen machte, leicht¬
fertig verkündet hat, dass die Hautkrankheiten fast
immer örtliche Krankheitsprozesse wären und dass
deren Behandlung auf locale Einwirkungen sich zu
beschränken hätte, ohne sich um allgemeine ätio¬
logische Bedingungen zu kümmern, worauf die Alten
hingegen den grössten Werth legten.
Ausgenommen die Hautkrankheiten parasitären
Ursprungs und jene anderen, deren Zahl übrigens
nur gering ist und die man idiopathische Derma¬
tosen genannt hat, d. i. Krankheiten, die von einem
direkt auf die Haut einwirkenden schädlichen Agens
veranlasst werden, habe ich mich auf Grund einer
langen und vorurtheilslosen klinischen Beobachtung
überzeugen können, dass es eine grosse Zahl von
Dermatosen giebt, die ihrem Wesen nach keine
örtlichen Erkrankungen sind, die vielmehr als eine
Folge der allgemeinen pathogenetischen Bedingungen
angesehen werden müssen, deren bevorzugter Sitz
die Hautoberfläche nur deshalb wird, weil ihr be¬
kanntlich die bedeutende physiologische Rolle zufällt,
Stoffwechselprodukte auszuscheiden, um in jedem
Organismus das regulatorische Gleichgewicht der
inneren Funktionen sicherzustellen.
Wenn man sich an die strenge klinische Be¬
obachtung hält, muss man überdies eingestehen,
dass es bei den sogenannten idiopathischen Derma¬
tosen, wenn man auch hier die Existenz einer
localen, direkt auf die Haut einwirkenden Krank¬
heitsursache anerkennt, unzweifelhaft ist, dass, wenn
die gleiche Ursache in gleichem Masse und zu
gleicher Zeit auf mehrere Personen wirke, sie häufig
unschädlich bleibt oder aber nur geringfügige Effecte
bei denjenigen hervorruft, die sich in Folge ganz
besonderer allgemein chemisch-biologischer Be¬
dingungen gegen ihren Einfluss refraktär zeigen.
Um die Annahme dieser besonderen chemisch¬
biologischen Bedingungen zurückzuweisen, hat man
darauf hingewiesen, dass dieselben, wissenschaftlich
gesprochen, undefinirbar und demzufolge unbegreif¬
lich sind. Ich will zugeben, dass wir nichts Be¬
stimmtes und Wissenschaftliches darüber wissen,
aber diese Unwissenheit ist an sich kein guter
Grund, um ohne weiteres eine Dermatose als ört¬
lichen Krankheitsprozess aufzufassen und in diesem
Sinne therapeutisch einzagreifen.
Ueber denselben Gegenstand habe ich bereits
vor etwa 10 Jahren (V. „Scuola Med. Napolitana *
fase. 3, 1883) einen Aufsatz veröffentlicht. Heute
will ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Thatsachen
lenken, die sich mir bei der weiteren klinischen
Beobachtung aufgedrängt haben, indem ich dadurch
hoffe die Behandlung gewisser Dermatosen auf einen
besseren und sicheren Weg zu leiten.
Es würde mich zu weit führen, wollte ich hier
von dem Einflüsse sprechen, den die Verdauungs-
Leber- und Nierenfunktionen bei der Bildung und
Elimination von mehr oder weniger schädlichen
chemischen Produkten ausüben müssen.
Bekanntlich sind der Nierenapparat und die
Haut zwei grosse Wege für die organische Reinigung,
und es kann daher in einem gewissen Alter zweierlei
Vorkommen: Entweder werden diese zwei Apparate
krank in Folge einer übermässig gesteigerten de-
puratorischen Thätigkeit, falls sie überhaupt den
erhöhten Forderungen entsprechen können, oder aber
es erleidet der allgemeine Zustand des Menschen
eine tiefgreifende Störung in Folge der durch eine
Verlangsamung der Stoffwechsel Vorgänge ungenügend
gewordenen Depuration.
Die Hautthätigkeit spielt unzweifelhaft eine be¬
deutende Rolle, und mit Recht hat man die Haut
eine grosse Sicherheitsklappe für die Erhaltung
einer guten Gesundheit genannt. Leider kennen
wir auch heute noch nur sehr unvollkommen die
eigentlichen Funktionen der Haut, insbesondere in
ihren Beziehungen zu den Assimilationsvorgängen.
Claude -Bernard pflegte dies oft zu sagen, und seit
jener Epoche hat die Physiologie der Haut keine
grossen Fortschritte gemacht.
Von der grossen Rolle, welche den Haut¬
funktionen bei der Wärmeregelung zukommt, ganz
abgesehen, wissen wir recht wohl, dass diese Funk¬
tionen sowohl mit Bezug auf die Respiration als
auch bezüglich der Ausscheidung von Stoffwechsel¬
produkten zur Erhaltung des Lebens und der Ge¬
sundheit unerlässlich sind.
Eine lange Reihe von Thatsachen, die für die
Wahrheit des hier ausgesprochenen Prinzips sprechen,
breitet sich vor den Augen des Praktikers aus,
Digitized by kjOOQle
900
angefangen von dem Ekzema sudorale, welches oft
in der Sommerszeit in Folge profuser Schweisse
auftritt, bis zu den verschiedenen Hautausschlägen,
welche bedingt werden durch die Elimination ver¬
schiedener Arzneistoffe und mancher Toxine, die
entweder im Verdauungskanal oder aber in Folge
eines krankhaften Zustandes sich bilden.
Ich sehe nun keinen Unterschied zwischen dem
pathogenetischen Mechanismus dieser mehr oder
weniger rasch vorübergehenden Dermatosen und
demjenigen anderer andauernden Hautkrankheiten,
die bei gewissen Personen auftreten, wenn die
physiologischen Hautfunktionen nicht hinreichen,
um in einer unschädlichen Weise die morbiden
Produkte auszuscheiden, die sich in einer gestörten
Lebensökonomie gebildet haben. Und dennoch ist
diese Ausscheidung unerlässlich zur Erhaltung des
Gesundheitsgleichgewichtes.
Wir wissen, dass eine Beeinträchtigung oder
gar eine Unterdrückung dieser Funktionen Störungen
oder mehr oder weniger schwere Krankheiten hervor-
rufen; in Wirklichkeit wissen wir aber nichts über
den Mechanismus, durch welchen eine solche Störung
zu Stande kommt.
Sicher ist es, dass in jenen Organismen, in
welchen die biochemischen Vorgänge verlangsamt
sind, sei es durch eine zu reichliche Nahrungs¬
zufuhr, sei es in Folge der Lebensweise, sei es
durch eine andere Ursache, eine ganze Reihe von
Substanzen sich bilden müssen (noch unbestimmte
Fettsäuren, flüchtige Toxine etc.), die ausgeschieden
werden müssen und die eben auf Grund ihrer
physikalisch-chemischen Konstitution hauptsächlich
durch die Haut nach aussen gelangen.
Solange die Hautoberfläche unter dem Einflüsse
reichlicher Schweissbildung dieser ihrer Rolle genügt,
erfährt sie keinen merklichen Schaden, sei es weil
ihre depuratorische Thätigkeit einen mehr physio¬
logischen Typus annimmt, sei es weil ein profuser
Schweiss alle diese Ausscheidungsprodukte verdünnt
und dadurch unschädlich macht. Sobald aber die
vermehrte Schweisssekretion aufhört, wie dies eben
während der kalten Jahreszeit geschieht, dann ist
es klar, dass die reinigende Thätigkeit der Haut
unter einer verschiedenen chemischen und weit mehr
concentrirten Form sich vollziehen muss; und sie
kann so einen irritativen Prozess her vorrufen, welcher,
wenn er lange dauert, die wahre Ursache aller
iener chronischen Dermatosen ist, die gegen Ende
des Herbstes und während der Winterszeit auftreten
und für gewöhnlich während des Sommers ver¬
schwinden. Es ereignet sich für die Haut dasselbe,
was für die Nieren geschieht gegenüber der Aus¬
scheidung von Harnsäure oder anderen Prinzipien
mit Bezug auf ihre Verdünnung durch eine mehr
oder weniger grosse Menge Wasser.
In den oben erwähnten Momenten muss die
Erklärung einer seit den ältesten Zeiten wohl be¬
kannten Thatsache gesucht werden, d. i. der Noth-
wendigkeit einer guten Hauthygiene als einer un¬
erlässlichen Bedingung zur Erhaltung der Gesund¬
heit. So sind der Schmutz, impermeable Kleidungs¬
stücke etc. sehr mächtige pathogene Ursachen, eben
weil sie die Haut in die Unmöglichkeit versetzen,
gut zu funktioniren. Wir zweifeln auch nicht im
Geringsten über den schädlichen Einfluss, den in
gewissen Fällen die wiederholte Applikation einer
Arzneisalbe (Zinkoxydsalbe etc.) ausüben kann, denn
sie muss dieselben störenden Wirkungen hervor-
rufen, wie der Schmutz.
Gestützt auf diese Anschauungsweise, bin ich
seit mehreren Jahren zu einer Therapie gedrängt
worden, die ich die physiologische Behandlung
der genannten Art von Dermatosen (Ekzem, Psoriasis)
nenne. Ich unterwerfe die Kranken gleich zu Be¬
ginn des Herbstes der Einwirkung von warmen
Bädern (30—35 Grad), jedesmal für die Dauer von
zwei bis drei Stunden.
Nachdem ich ca. vier Wochen lang diese tägliche
Bäderbehandlung durchgeführt, und wofern ich be¬
merke, dass die Hautfunktion hinreichend thätig
ist. beginne ich mit der Hydrotherapie unter der
Form von schottischen Douchen, welche Behand¬
lung ich während des ganzen Winters fortsetzen
lasse. Bestimmte allgemeine Regeln lassen sich bei
der Anwendung dieses Behandlungsverfahrens natür¬
lich nicht aufstellen, Alles bleibt dem Ermessen und
dem klinischen Bewusstsein des behandelnden Arztes
anheimgestellt. Der Hauptzweck ist der, die Haut¬
funktionen trotz der kühlen oder selbst kalten
Jahreszeit in lebhaftester Thätigkeit zu erhalten.
Von den zahlreichen Fällen, die ich bisher nach
meiner Methode behandelt habe, will ich hier nur
über einen, der mir am Bemerkenswerthesten er¬
scheint, näher berichten.
Es handelt sich um einen 46jährigen Mann, der.
von gichtischen Eltern stammend, von Zeit zu Zeit
von typischen Gichtanfällen an den Füssen heim¬
gesucht wurde. Seit sieben Jahren traten die An¬
fälle viel seltener auf, dafür begann Patient während
dieser Zeit, in den Wintermonaten an allgemeinen
ekzematösen Formen zu leiden. Beim Eintritt der
warmen Jahreszeit, gegen Ende Mai, verschwand
das Ekzem, wobei der Kranke profusen Schweiss
von sehr scharfem Geruch bekam. Zu dieser Zeit
befand sich der Kranke gut. Im Herbst jedoch
trat mit der verminderten Schweisssekretion die
Dermatose von neuem auf.
Alle örtlich angewendeten Mittel blieben stets
ohne Erfolg, und im Winter 1888—89 erkrankte
Patient an einem heftigen Bronchialkatarrh, der zu
einer wahren Bronchorrhoö sich steigerte. Als
Patient zu dieser Zeit zu mir kam, es war im
Februar 1889, empfahl ich ihm einstweilen den
Digitized by Google
801
Aufenthalt in einem massigen Klima, ein vorwiegend
vegetabilisches Regime and eine Milchkur. Natür¬
lich rieth ich von der weiteren Applikation von
Salben entschieden ab, die übrigens der Kranke
selbst verabscheute, da er ihnen die Verschlimmerung
seiner Bronchitis zuscbrieb.
Mit Eintritt der warmen Jahreszeit besserte sich,
wie alljährlich, der Zustand des Patienten. Das
Ekzem ging aümählig zurück, die Bronchorrhoö
verminderte sich in beträchtlicher Weise, es blieb
nur noch eine leichte Bronchitis zurück.
Ende August nun verordnete ich dem Kranken
zunächst Thermalbäder, dann schottische Douchen
und häufige Muskelbewegung. Das Resultat dieser
Behandlung war ein auffallendes. Im darauffolgenden
Winter erlitt die Gesundheit des Patienten nicht
jene Störungen, die in den früheren Jahren regel¬
mässig während der Winterszeit sich einstellten.
Bei Fortsetzung der erwähnten Behandlung dauert
das erzielte Heilresultat seit zwei Jahren an. Hoffent¬
lich ist die Heilung eine endgültige. Bemerken
muss ich, dass einige Male, in den kältesten Winter¬
tagen, arthritische Anfälle den Kranken bedrohten;
ich liess jedoch in diesem Falle jedes Mal die An¬
wendung der schottischen Douche unterbrechen und
an ihre Stelle Dampfbäder, manchmal auch nur
trockene warme Luft, an wenden.
Durch eine beträchtliche und künstlich hervor¬
gerufene Transpiration wurde also das Gleichgewicht
im Organismus des Kranken wiederhergestellt. Die
arthritischen Schmerzen hörten auf, und der Kranke
konnte die übliche Behandlung der schottischen
Douchen und der Muskelübung wieder aufnehmen.
Ich muss noch hinzufügen, dass ich, um die
Resultate der hier erwähnten physiologischen Be¬
handlung noch zu begünstigen, die Diät des Kranken
modificire: ich verordne viel Milch und gestatte
eine stickstoffreiche Kost (Fleisch, Eier) nur in
geringem Masse. Alle Nahrungsmittel, die zu einer
reichlichen Bildung von Toxinen in dem Verdauungs¬
kanal Anlass geben können oder die nur schwer
verdaulich sind, sollten ganz untersagt werden.
Gleichzeitig verbinde ich mit der äusseren eine
innere Behandlung, die geeignet erscheint, die Stoff-
wechselthätigkeit und die Ausscheidung von Pro¬
dukten einer unvollständigen und daher schädlichen
Oxydation durch die natürlichen Emunctorien zu
fördern. Bei skrophulösen Kranken wende ich das
Jodnatrium in starken Dosen an und bei den an
Gicht oder Rheumatismus leidenden Personen gebe
ich alkalischen mit Natriumcarbonat und Natrium-
phospbat zubereiteten Getränken den Vorzug.
Wir glaubten, diesen Aufsatz des berühmten
und selbstständig forschenden italienischen Klinikers
unverkürzt wiedergeben zu sollen, da er in sehr
bemerkepswerther Weise in Bezug auf Entstehung
und Behandlung von zahlreichen hartnäckigen Haut¬
krankheiten mit uns Homöopathen ganz im Ein¬
verständnis sich befindet Es wäre sehr zu wünschen,
dass auch für manche andere Krankheit, die bisher
nur local behandelt wurde (z. B. Struma), solche
Ansichten zum Besten der Patienten sich verbreiteten.
D r. G ö h r u m.
Referate.
Kali phosphoricum
ist nach den Erfahrungen von Dr. Nottingham sehr
hülfreich hei Nervosität in Folge von geschlecht¬
licher Aufregung, gleichviel ob dieselbe unterdrückt
oder befriedigt wurde. Auch Fälle von nächtlichen
Pollutionen und Impotenz atis obiger Ursache wurden
mit diesem Mittel geheilt. In vielen Fällen sind
Kreuz-, Rücken-, Nacken* oder Kopfschmerzen zu¬
gegen nebst allgemeiner Irritabilität, grosse Hoffnungs¬
losigkeit, häufiger Drang zum Harnen mit Abgang
grosser Quantitäten von Harn Tag und Nacht und
besonders früh Morgens, wobei sich Phosphatnieder¬
schläge im Harne bilden. In allen derartigen Fällen
wird die Irritabilität durch dieses Mittel schnell
gebessert.
(Aus dem Hom. Recorder vom 15. Sept. 1892.)
Mrs. C. sagt, dass wenn sie einen heftigen
Schmerz im Nacken habe und so nervös sei, dass
Niemand mit ihr reden dürfe und dass sie nicht
stille liegen und nicht schlafen könne, so habe ein
Pulver Kali phosph. in wenigen Minuten dieselbe
Wirkung, als hätte sie Morphium genommen, sie
werde schläfrig und die Wirkung halte einen Tag
und eine Nacht an. Ibid.
Ferrum phosphoricum
hat bereits auch bei den sogen, eklectischen Aerzten
Nordamerikas Eingang gefunden wie die folgenden
von Dr. J. Ferris in einem eklectischen Journal
veröffentlichten Heilungsgeschichten beweisen:
Herr L. 50 J. alt ein Veteran aus dem letzten
Kriege, litt an heftiger akuter Laryngitis zugleich
mit exsudativer Tonsillitis. Die Stimme war rauh
und heiser mit schmerzhaftem Reizhusten, mit
trockenem beinahe croupartigem Husten. Larynx
und Trachea sehr schmerzhaft mit Gefühl von grosser
Spannung im obern Theile der Brust. Die Ton¬
sillen waren nicht schmerzhaft, obschon dieselben
dunkelroth und sehr geschwollen waren, und mit
exsudativer Masse durchsetzt, die mehr wie Eiter
aussah als wie diphtheritisches Exsudat. Ich habe
nöch nie einen Hals gesehen, der so übel aussah,
und doch erklärte der Kranke, sein Hals schmerze
ihn gar nicht. *
26
Digitized by
Google
202
Puls 100. Temperatur 102^2 F.
Ich löste Ferr. phosph. 3. Dez. Verr. ca. 1 gr
in J /2 Glase Wasser und liess 1 stündlich 1 Thee-
löffel nehmen. In 24 Stunden war das Fieber be¬
seitigt und Patient fühlte sich wohler. In 2 Tagen
waren die Mandeln sauber, sahen aber aus wie
Honigwaben. Der Husten war lose und schmerz¬
los, und viel seltener.
Nach 4 Tagen (vom Beginne der Behandlung
an gerechnet) war Patient so weit hergestellt, dass
er seine Geschäfte wieder besorgen konnte.
Frau D., 40 J., von hellem Teint und ziemlich
fett, litt an Laryngitis, konnte nur flüsternd reden.
Husten trocken, kratzend und sehr schmerzhaft, und
sehr häufig mit Schmerz vom Larynx bis in die
Trachea hinab verbunden, zugleich Schmerzen
im Kopfe, im Rücken und in den Gliedern und
Frostigkeit.
Puls 100. Temperatur 100 F.
Behandlung wie oben mit baldiger Besserung.
Schon nach 24 Standen war die Stimme wieder-
gekehrt und in ca. 3 Tagen war die Krankheit ge¬
hoben.
Ein sehr schlimmer Fall von Pneumonie, wo
der Schmerz und die Athemnoth sich bis zur Agonie
gesteigert, und wo während mehrerer Tage alle
angewandten Mittel keine Besserung bewirkt hatten,
besserte sich nach wenigen Stunden durch Ferr.phosph.
In diesem Falle war die linke Lunge vollkommen
hepatisirt mitsammt dem unteren Lappen der rechten
Lunge, mit grosser Neigung auch der rechten Lunge
zur Hepatisation. Der Puls war klein und schwach
und ungeheuer schnell, die Temperatur 103—104 F.
Auf Ferr. phosph. liess das Fieber nach, der Puls
wurde kräftiger und gleichmässiger in wenigen Tagen.
Es trat Eiterung ein und der Kranke entleerte un¬
geheure Massen von Eiter und Schleim. Die Krank¬
heit dauerte 11 Wochen. Der Kranke, welcher
28. J. alt und von kräftiger Constitution war, er¬
holte sich vollständig und befindet sich jetzt allem
Anscheine nach ganz gesund. Wäre das Mittel
gleich Anfangs gegeben worden, so glaube ich, hätte
die Krankheit gehoben werden können, ehe es zur
Eiterung kam.
Aus dem Hom. Recorder vom 15. Sept. 1892.
Jodtinetur ein sicheres Antidot gegen das
Sohlangengift
Dr. E. F. Brown der früher in Michigan und
jetzt in Florida practizirt, hat im Homöop. Recorder
seine Erfahrungen in Bezug auf die Heilwirkung
der Jodtinetur bei Schlangenbiss veröffentlicht. Da
dieselben von grossem practischem Interesse sind,
so wollen wir dieselben unverkürzt wiedergeben. ’
Dr. B. erzählt, dass er im Anfänge seiner Praxis
im Staate Michigan einen Fall erlebt habe, wo ein
15jähriger Knabe von einer Klapperschlange ge¬
bissen, Monate lang sich nicht erholen konnte unter
allöopath. Behandlung und schliesslich habe der
Doctor noch grossen Ruhm geerntet, dass er ihn
durchgebracht habe. Dr. B. wurde durch diesen
Fall veranlasst, über die Behandlung des Schlangen¬
bisses nachzulesen und nachzudenken, aber er habe
sehr wenig Zuverlässiges gefunden. Zufällig sei
ihm aber zu dieser Zeit eine Zeitungsnotiz zu Ge¬
sicht gekommen, in welcher angegeben war, dass
irgendwo ein Doctor in der Jodtinetur ein sicheres
Gegenmittel gegen den Biss der Klapperschlange
entdeckt habe; diese Notiz habe er sich gemerkt,
obschon über Gabe und Anwendungsweise nichts
angegeben war, denn Klapperschlangen kamen in
der Gegend wo Dr. B. wohnte häufig vor.
Nicht gar lange nach dieser Zeit, so erzählt Dr.
B., wurde ein Mädchen von ca. 4 Jahren, welches
vor einigen Stunden von einer Klapperschlange
gebissen worden war, von ihren Eltern in meine
Sprechstunde gebracht. Der Biss hatte wie ge¬
wöhnlich in der Gegend des Knöchels stattgefunden,
das Glied war geschwollen und sehr schmerzhaft.
Das war der erste Fall von Schlangenbiss, den
ich zu behandeln hatte, und die Eltern waren in
grosser Sorge um das Leben ihres Kindes und ich
auch. Ich holte mir beim Apotheker I Unze ent¬
färbte Jodtinetur und badete das geschwollene Glied
in Wasser, welchem ich einige Tropfen Jodtinetur
beigefügt hatte. Zugleich gab ich den Eltern ein
Fläschchen mit verdünnter Jodtinetur 1 Tropfen
auf je 1 Theelöffel Wasser, mit dem Befehl, alle
1/4 Stunden 1 Theelöffel voll zu geben, eine Stunde
lang, dann aber das Mittel immer seltener zu geben
und am andern Morgen Bericht zu erstatten. Der
Vater berichtete am andern Morgen, das Kind sei
ganz munter und spiele wieder und der Fass sei
nur noch wenig geschwollen. Ich war, wie be¬
greiflich, freudig überrascht von diesem Berichte,
und in der That habe ich von da an alle von
Schlangen Gebissene, so weit mir bekannt, zu be¬
handeln bekommen, so lange ich in der Gegend
practizirte. Einige Zeit nachher wurde ich in aller
Eile zu einem ca. 8 jährigen Knaben gerufen, der
soeben von einer Klapperschlange in den linken
Fus8 gebissen worden war. Ich behandelte den¬
selben ganz so wie oben angegeben und mit dem¬
selben Erfolge, denn der eine Besuch genügte zur
vollständigen Heilung des Knaben. Der dritte Fall
war weit ernsterer Art und deshalb auch viel be¬
weisender für die Heilkraft der Jodtinetur.
Eine Frau, welche 6 Meilen von meinem Wohn¬
sitze entfernt wohnte, war am Morgen von einer
grossen Klapperschlange gebissen worden. Die
Wunde wurde sofort cauterisirt und die Dame
wurde im Whiskey-Dusel erhalten, so vergingen
12 Stunden, bevor ich hinkommen konnte. Ich fand
Digitized by v^ooQie
903
die Frau in einem Starrfroste, den Körper voller
Flecken, der Hals war geschwollen und das Schlingen
sehr erschwert, alle Zeichen drohenden Collapses.
Da die äussere Anwendung der Jodtinctur unnütz
erschien, so gab ich alle 5 Minuten einen Tropfen
Jodtinctur eine Stunde lang, dann alle 15 und später
nur alle 60 Minuten bis zum andern Morgen. Schon
nach einer Stunde wurde die Frau ruhig und schmerz¬
los und am andern Morgen, 24 Stunden nach dem
Bisse, war sie wieder im Stande, aufzustehen und
das Frühstück zuzurüsten für ihre Leute und für
die Doctoren, die bei ihr gewacht batten. Ich habe
noch mehrere Fälle von Schlangenbiss in Michigan
behandelt, und niemals war ein zweiter Besuch
nöthig gewesen.
Seit ich nach Florida übergesiedelt bin, habe
ich auch den Biss einer kleinern Art der Klapper¬
schlange („ground rattler") behandelt. Dieser Biss
ist sehr schmerzhaft und der gebissene Theil schwillt
sehr stark, die Wunde nimmt gewöhnlich ein
übles Aussehen an und heilt sehr schwer. Der
erste Fall dieser Art betraf einen jungen Menschen,
der beim Pflügen iu den Knöchel gebissen worden
war.
Ich sah den Kranken erst 5 Stunden, nachdem
der Biss statt gefunden. Das Glied war sehr ge¬
schwollen und Patient litt grosse Schmerzen. Ich
gab ihm Jod in Tropfendosen, ohne das Mittel
äusserlich anzuwendon. Am andern Tage pflügte
er wieder als ob nichts vorgefallen wäre. Wir haben
auch sehr grosse Klapperschlangen hier, die oft
6 Fuss lang werden und einen Fuss im Umfang
messen, und deren Biss sehr gefährlich ist.
Ich habe niemals Gelegenheit gehabt, einen
Menschen zu behandeln, der von einer solchen
Schlange gebissen wurde, wohl aber habe ich meine
Behandlung an einem Hunde und an einer Kuh
erprobt, die von einer solchen Schlange gebissen
worden waren. Die Kuh war sehr geschwollen und
konnte nicht aufstehen, als man sie fand. Ich Hess
ihr Jod geben in Gaben von 5—6 Tropfen und
sie erholte sich schnell und vollständig. Der Hund
war von einer riesigen Klapperschlange in die
Schnauze gebissen worden.
Ich sah denselben etwa eine Stunde nach dem
Bisse, der Hund lag bewusstlos da und sein Herr
meinte er, sei am Sterben. Ich öffnete den Mund
des Hundes und tropfte ihm einige Tropfen Jod¬
tinctur auf die Zunge und wiederholte diese Procedur
nach einigen Minuten. Gleich darauf versuchte der
Hund aufzustehen. Ich liess darauf das Mittel alle
'/2 Stunden wiederholen, und nach 6 Stunden war
der Hund, hergestellt Es giebt in unserer Gegend
auch eine kurze, dicke Schlange von bräunlicher
Farbe, welche in den Sümpfen und Niederungen
sich aufhält und fast oder ganz ebenso giftig ist
wie die Klapperschlange. Es ist dies die sogen.
Mocassin-Schlange. Ich habe einen Fall von Schlangen¬
biss dieser Art behandelt bei einem ca. 10jährigen
Mädchen, welches beim Spielen in der Nähe eines
Sumpfes gebissen worden war. Ich fand das Kind
in grossen Schmerzen daliegend und die Eltern in
grosser Besorgniss, da eine Cousine des Mädchens
ein Jahr früher von einer gleichen 8chlange gebissen
worden und gestorben war, trotz aller ärztlichen Be¬
mühungen, sie zu retten. Ibh behandelte das Kind
ganz in der gleichen Weise, wie ich den Biss der
Klapperschlange behandelt habe und mit demselben
Erfolge, denn am nächsten Tage war das Mädchen
wieder auf den Beinen, als ob nichts passirt wäre.
Aus dem Hom. Recorder vom 15. Sept. 1892.
Dr. Th. Bruckner.
Die Mundseuche des Menschen (Stomatitis epide¬
mica ), deren Identität mit der Maul- und Klauen¬
seuche der Hausthiere und beider Krankheiten ge¬
meinsamer Erreger. Von Dr. Siegel, prakt. Arzt
in Britz bei Berlin. (Deutsche Med. Wochenschr.
1891. No. 49.)
Verf. beschreibt unter obigem Titel eine von
ihm von Herbst 1888 bis Mitte des Jahres 1891
beobachtete Epidemie in Britz und dem damit ver¬
wachsenen Theil des Vorortes Hixdorf, der ausser¬
halb der Ringbahn gelegen ist. Dies Gebiet, von
etwa 9000 Einwohnern bewohnt, entbehrt der Canali-
sation und Wasserleitung, so dass die Bevölkerung
auf das Grundwasser als Trinkwasser angewiesen
ist. Ausserdem hat Britz wohl von sämmtlichen
Vororten Berlins den grössten Rindviehbestand.
Den Verlauf schildert Verf. folgen dermassen: die
Incubation dauert 8—10 Tage, wie in 2 Fällen bei
aus gesunden, von auswärts in durchseuchte Häuser
zugezogenen Familien festgestellt werden konnte.
Nach Verlauf dieser Zeit treten mit mehr oder
weniger heftigem Schüttelfrost die Prodromi auf,
die in Kreuzschmerzen, allgemeinem Unbehagen,
Schwindelanfällen, selbst epileptischen Krämpfen
bestehen; dazu häufig Brechneigung, Schmerzhaftig¬
keit in der Leber- und Magengegend, gewöhnlich
auch hartnäckige Leibesverstopfung und Schwere,
auch Parästhesie in den unteren Extremitäten. Das
Fieber ist im allgemeinen nur leicht, steigt selten
über 39,5. In diesem Stadium bemerkt man häufig
Rachenkatarrhe und Heiserkeit. Der Gesichts-
ausdruck bat meist ein eigenthümliches Aussehen:
die Augen sind mit gelbbläulichen Rändern um¬
geben, die Gesichtsfarbe ist graugelb und trocken;
häufig Ikterus. Dabei gehen die meisten Patienten
noch ihrer Arbeit nach.
Nach 3—8 Tagen tritt die charaeteristische
Entzündung der Mundschleimhaut auf: öde-
matöse Anschwellung der Zunge (Zahneindrücke),
Zungenbelag gelblich, sogar häufig tiefschwarz
26 *
Digitized by
Google
204
und festanhaftend, Zahnfleisch geschwollen, besonders
die Zipfel zwischen den Zähnen, rothbläulich; mehr
oder minder auffälliger Foetor ex ore. Die Zähne
werden lose und fassen leicht die geschwellte
Schleimhaut der Wangen, was zu Verletzungen
führt. Die Kieferknochen, besonders des Unter¬
kiefers, schwellen stark an und schmerzen; die
untere Gesichtspartie erscheint wie gedunsen. Häufig
kommt dazu schon jetzt heftiges Ohrenstechen, so¬
wie eigentümliche Spannung im Masseter und
Kiefergelenk, besonders beim Essen. Dazu erscheinen
meist kleine Bläschen am Zungenrande und an den
Lippen, besonders an den Mundwinkeln; sie platzen
bald und hinterlassen nach Erguss einer klaren,
durchsichtigen Flüssigkeit seichte Geschwüre von
der Grösse eines Stecknadelkopfes bis zu der eines
5 Pfennigstückes. Mit dem Ausbruch der Mund¬
entzündung geht in den meisten Fällen, besonders
bei Frauen und Kindern, das Erscheinen eines meist
auf die Unterschenkel und Unterarme beschränkten
Exanthems einher, bald als Petechien, bald als Bläs¬
chen mit Serum oder blutigem Inhalt; wenn hie
und da auf den ganzen Körper ausgedehnt (bei
Kindern), wird es von Laien mit Masern verwechselt.
Oft sind diese Symptome auf eine Körperhälfte be¬
schränkt sowohl im Gesicht und Mund, wie auch
an den Extremitäten. Mit dem Auftreten des Aus¬
schlages, der bei leichten Fällen auch fehlen kann,
verschwindet gewöhnlich das Fieber, der Appetit
kehrt zurück; die Erscheinungen im Munde bilden
sich bei richtiger Behandlung in 1 bis 2 Wochen
zurück; ein allgemeines Gefühl von Schwäche und
rheumatoide Gliederschmerzen verlieren sich ge¬
wöhnlich erst nach 4 bis 8 Wochen.
Bei etwa dem vierten Theil der Gesainmtkranken
kommen von Seiten sämmtlicher Organe die schwersten
Complicationen vor, die zum Theil einen sehr
bösartigen Verlauf bedingen. Häufig ist auch die
Dauer eine sehr lange unter Wiederholung der
Symptome bis zu 1 —Vfa Jahren.
Hervorzuheben sind noch die oft excessive An¬
schwellung der Zunge (in 1 Fall fiel ein 2 Cm. vor
die Schneidezähne hervorragender Theil gangränös
ab), faulige, stinkende Geschwüre am Zahnfleisch,
das oft die Kronen der Zähne überwucherte und
nachher so schrumpfte, dass die Zähne bis auf die
8 pitze der Wurzel entblösst waren und das Kauen
wegen deren Lockerkeit unmöglich wurde. Ferner
Blutungen aus dem geschwollenen Zahnfleisch und
den übrigen Theilen der entzündeten Mundschleim¬
haut, aus der Nase, wo die Schleimhaut oft ebenso
wie im Munde afficirt war. Sehr häufig waren be¬
sonders in der heissen Jahreszeit Magen- und Darm¬
blutungen. In der kälteren Jahreszeit traten mehr
katarrhalische Pneumonieen hinzu.
Die Speicheldrüsen waren in den meisten Fällen
betheiligt, oft kam es zu heftiger Salivation. Auch
setzte sich die Geschwürsbildung häufig auf die
Speiseröhre fort, sodass das Schlucken unmöglich
wurde und nach Abheilung der Geschwüre Ver¬
engerungen noch nach Monaten zurückblieben.
Eines der constantesten und characteristischsten
Symptome ist die Leberschwellung, häufig durch
Percussion direkt nachweisbar, jedesmal aber durch
heftige Schmerzen, genau den Lebergrenzen ent¬
sprechend, bemerkbar.
Die Kreuzschmerzen glaubt Verfasser nach den
Sektionsbefunden als Folge von Nierenschwellung
deuten zu können. Von Seiten der Milz konnte
er niemals etwas Abnormes entdecken.
Die verschiedenen Formen der Hauterkrankungen
waren: Blutungen in allen Erscheinungsformen von
Petechien und leichten Purpuraformen bis zu faust-
grossen subentanen Blutungen, besonders am Knie
und Ellbogengelenk; nicht selten Blasenbildung wie
Pemphigus, besonders an Fuss- und Handtellern;
einige Male waren die sämmtlichen Nagelglieder
der Hände mit Bläschen und Panaritium ähnlichen
Abscessen bedeckt, die die Nägel zum Theil ab-
stiessen. In einigen tötlich verlaufenden Fällen
bedeckte der Bläschenausschlag den ganzen Rumpf,
erst serumhaltig, dann eitrig.
Besonders in den schwereren Fällen waren ausser
den prodromalen Schwindel- und Krampfanfällen zu
beobachten: halbseitige, mehrere Tage dauernde
Lähmungen sowohl des Gesichts, wie einer ganzen
Körperhälfte, sowie alle Uebergangsformen von
leichter Genicksteifigkeit bis zu schwerstem Tetanus
mit tödlichem Ausgange.
Ausserdem wurde noch beobachtet: einige Male
Orchitis. Fast in jedem Falle blieb bei den Frauen
die Menstruation aus. Schwangere abortirten häufig.
Albuminurie fand Verf. nur 2 mal trotz sehr zahl¬
reicher Urinuntersuchungen. Das Blut zeigte Zu¬
nahme der weissen Blutkörperchen. Als Nachkrank¬
heit blieb oft langdauernde Kachexie, die Öfters
zum Tode führte.
Direkte Contagiosität konnte in 2 Fällen sehr
deutlich constatirt werden.
Vom März bis September 1889 konnte Verf.
300 Fälle notiren; im allgemeinen glaubt er be¬
stimmt behaupten zu können, dass bis zum Juli 1891
zwei Drittel der Bevölkerung erkrankt waren. In
Britz waren im Jahre 1889 von 195 Todtenll an
der Mundseuche gestorben, im Jahre 1890 von
170Todten 21 und im Jahre 1891 bis zum Juli 4.
Es war in dieser Zeit eine Gesammtmortalität von
etwa 3°/o, von denen etwa der zwölfte Theil an
der Mundseuche verstorben ist Unter obigen
36 Verstorbenen waren 15 Kinder und 21 Er¬
wachsene, von letzteren 6 Frauen und 15 Männer.
Als Erreger der Krankheit sieht Verf. ein etwa
0,5 mm langes, sehr zartes Bakterium von ovoider
Gestalt an, das in sämmtlichen Leichen in den
Digitized by v^ooQie
m
inneren Organen, besonders in Leber und Nieren
gefunden wurde. Die bakteriologischen Versuche
will ich nicht des Weiteren anführen, sondern nur
kurz erwähnen, dass Verf. mit diesem Bakterium
bei Schweinen und Kälbern die bekannte Maul- und
Klauenseuche experimentell erzeugen konnte. Da
nun zu derselben Zeit in der Gegend, speciell in
Britz eine besonders starke Epidemie dieser Krank¬
heit beim Vieh beobachtet wurde, so nahm er eine
direkte primäre Ansteckung des Menschen von
Seiten des kranken Viehes an. Dem widersprach
aber die Thatsacbe, dass die mit Vieh in Berührung
kommenden Personen am leichtesten, oft nur mit
localer Blasenbildung z. B. an der Hand vom Melken,
oder in Mund- oder Nasenhöhle von ausgehustetem
Speichel erkrankten. Diese Thatsache entspricht
auch den Erfahrungen besonders der Veterinär-
medicin.
Verf. glaubt also, dass das Verhältnis zwischen
dem Bakterium der Mundseuche und dem der Maul¬
und Klauenseuche ein ähnliches sei wie zwischen
Variola- und Vaccineerreger, dass die Form beim
Thiere eine abgeschwächte von der beim Menschen sei.
Leider erwähnt Verf. nirgends die von ihm ein¬
geschlagene Therapie, nur an einer Stelle spricht
er von „richtiger* Behandlung der Mundaffection,
also meint er wohl eine locale. Ich bin überzeugt,
dass bei einer specifischen, nach Hahnemann'schen
Regeln eingeleiteten Therapie, natürlich unter Be¬
rücksichtigung localer Linderungsmittel, der Ver¬
lauf, der ein sehr protrahirter (3—8 Tage -(-
1—2 Wochen -f- 4 — 8 Wochen) gewesen zu sein
schien, wesentlich erleichtert und abgekürzt werden
könnte. Göhrum.
Lesefriichtet
Dass kleine Mengen oft noch Vergiftungs¬
erscheinungen — selbst bei äusserlicher Application
— hervorrufen können, ist aus folgender Notiz zu
ersehen:
L. Kessler theilt einen Fall von schwerem acutem
fodismus mit, welcher bei einer Dame auftrat, der
1 Theelöffel Jodkaliumglycerin (Kal. jodat. 1,
Glycerin, puriss. 2) mit nachfolgendem Tampon
durch das Speculum in die Vagina gegossen worden
war. (St. Petersburger rnedic. Wochenschrift. Central¬
blatt für klinische Medicin 1892. No. 13.)
Interessant ist ein Fall von saturniner Hem ichöre a,
beobachtet von Girat, den ein an Bleivergiftung
(habituelle Obstipation, Zahnfleischverfärbung, Blei¬
kolik) leidender Maler bot. Mitten in der Nacht
plötzlich Ameisenkriechen und Krämpfe im rechten
Bein und Arm; keine Bewusstseinstrübung, kein
Fieber, keine Lähmung. Am folgenden Tage fort¬
während klonische Krämpfe und Bleikolik mit krampf¬
hafter Contraction der rechtsseitigen Bauchmuskeln.
Bei entsprechender Therapie in einigen Tagen Er¬
holung. (Med. News. — Fortschritte der Medicin
1892. No. 6.)
Schwerer Fall von Jodoformvergiftung, an sich
selbst beobachtet, von Dr. P. Näcke (Hubertusburg),
der bei einem allgemeinen, besonders den Ober¬
schenkel betreffenden Ekzem, sich zuerst 5 Gr. des
Mittels pur, darauf ebensoviel mit Amylum aa auf
die afficirten Partieen gestreut, im Ganzen also
8 —10 Gr. angewandt hatte. 10 Tage später urplötz¬
lich tiefe Bewusstseinstörung, welche 4 Tage anhielt;
Schwinden fast aller Erinnerungsbilder und aller
Vorstellungen, Erinnerung an eben Gesagtes oder
Gethanes ebenfalls aufgehoben, Wort-Erinnerungs¬
bilder verschwunden, melancholische Depression
(nie Hallucinationen), bald heftiges Weinen ohne
Veranlassung, bald gänzliche Apathie, arge Störungen
der Intelligenz. Allmähliges Abklingen der Er¬
scheinungen nach Aussetzen des Jodoforms. Ge¬
dächtnis blieb lange stark geschädigt, die Intelligenz
auch noch lange schwach, es machte sich eine reiz¬
bare Schwäche des Gemüthes geltend; Patient hatte
stets Jodoformgeschmäcke und -gerüche, ferner be
standen lange Agrypnie, hypochondrische Ideen und
hochgradige Neurasthenie. Erst nach 4 1 /* Monaten,
nach einem 8 wöchentlichen Aufenthalt in der Kadner-
schen Anstalt (Kötzscbenbroda), wo eine Behandlung
mit milden Bädern und Uebergiessungen, Massage,
Turnen u. s. w. stattfand, und nach einer Nachkur
in würziger Bergluft, völliges Schwinden aller
Intoxicationserscheinungen! (Berliner klin, Wochen¬
schrift 1892. No. 7.)
Similibus an suggestis?
Mein Schlusswort.
Von Dr. med. Julius Fuchs-München.
Eine ganze Reihe stenographischer Concepte liegt
vor mir. Sie enthalten Erwiderungen an Herrn Dr.
Gerster, eingehend bis in's kleinste Detail. Aber
sie bleiben imgedruckt; denn ich habe das Gefühl,
wir überzeugen uns gegenseitig doch nicht. Trotz
meiner Einsicht in das Wesen der Hypnose und
des Suggestionismus, ja eigentlich gerade deswegen,
bleibe ich auf meinem Standpunkt als Homöopath
stehen und cedire den Suggestionisten keinen Finger
breit von unserem redlich erworbenen geistigen
Besitzthum. Ich erkläre hiermit, dass ich den
modernen Suggestionismus auf seinem Gebiete ganz
und voll anerkenne und zwar auf Grund theoretischer
Digitized by v^ooQie
Stadien and alter und neuer praktischer Anschau¬
ungen; ich erkläre aber auch, dass ich die nun
endlich manifest gewordenen Dogmen des Herrn
Dr. Geister nicht im Mindesten anerkenne und anf
einem ganz anderen Grande meine Hoffnungen für
die Zukunft der homöopathischen Therapie baue.
Möge er mir gestatten, in einer späteren Abhand¬
lung erst darüber zu sprechen.
Vorerst nur soviel, dass ich der Homöopathie,
soweit es mir möglich ist, ihre volle Selbstständig¬
keit zu wahren gedenke. Die Homöopathie wirkt
einzig aus sich und durch sich und ist keine
Vasallin des Suggestionismus. „Suggestivtherapie“
mit Homöopathie verbunden — das ist Zukunfts¬
musik. Die Homöopathie wird dabei einen argen
Rückschlag in ihrer historischen Entwicklung ver¬
spüren und ihr Ansehen wird sinken. Die Arznei¬
mittellehre kann dabei zu Grunde gehen; denn dann
kann man ja auch reine Vehikel als Arznei geben ;
wozu soll man sich denn da noch über Arznei¬
mittel wähl den Kopf zerbrechen?
Der Suggestionismus im weitesten Sinne, wie
ihn Gerster als mindestes Erforderniss der Zukunfts¬
therapie darstellt, scheint mir nicht viel, eigentlich
gar nichts Neues zu bieten. Durch die peinliche
Art und Weise, wie die Suggestionisten den Aus¬
schluss jeglicher suggestiven Einwirkung bewiesen
zu haben wünschen , sobald es sich um eine von
der ihrigen verschiedene Therapie handelt , beweisen
sie ja selbst, dass dieser Suggestionismus wahr¬
scheinlich überall seine Hand im Spiele hat und
von jeher hatte und gar nicht auszuschliessen war
noch ist. Aber psychologische Kenntnisse soll er
fördern? — Als ob die Homöopathen nicht eben¬
soviel davon besässen, wie andere Aerzte, als ob
man sie nicht auf anderem Wege ebenso gut er¬
langen könnte! Wer weiss es, ob die meisten
Suggestionisten ebenso feine Menschenkenner und
Beobachter sind als die meisten Homöopathen!
Und bezeugt es nicht unsere Literatur, dass wir
mit dem Mesmerischen Magnetismus, der sicher
tausend Vorzüge vor der Hypnose und Suggestion
hat, viel früher schon vertraut waren, als diese
(die Suggestionisten) nur aufgetaucht sind?
Ich sage noch einmal, „die Homöopathie ist
kein Suggestionismus und braucht keinen Sug-
gestionismus, um mit ihren Mitteln etwas zu leisten.
Wo diese aufhören, zum Ziel zu führen, wie es bei
vorwiegend psychischen Erkrankungen zuweilen
der Fall ist, da werden auch wir homöopathischen
Aerzte uns dankbar daran erinnern, dass es ein
Specialfach in der Medicin giebt, die Suggestiv¬
therapie, „durch welches uns die Möglichkeit ge¬
boten ist, die Abweichungen des Trieblebens auf
ihrem eigenen Gebiete zu corrigiren“ (von Schrenck-
Notzing.) Wir werden daher sehr gerne solche
Kranke den Herrn Spezialisten zur gütigen Behand¬
lung überweisen. Aber wir werden Homöopathen
bleiben und unsere Devise wird nach wie vor sein
das altbewährte
„Similia similibus !“ *)
Die zeitweilig herrschenden
Heilmittel.
Im allgemeinen herrscht noch niederer Kranken
stand, besonders bei Hafa-Herrnhnt.
Die einzelnen Berichte lauten:
Ide-Stettin am 12./12.: vor Kurzem häufig Lycop.,
öfters auch Chelidon.; seitdem aber Ferrum ganz
besonders häufig bei Anginen, Dipbtheritis, Rheuma¬
tismen, Catarrhen.
Dierkes-Paderborn am 10./12.: seit 3 Tagen
= Laches. -f- Chin. (W.).
Leeser-Bonn am 8./12.: in den letzten Tagen
bis zum 7. vorherrschend = Veratr. (Ac. pliospb.
-f- Ignat.); seit dem 7. = Mercur (W.).
Kirn-Pforzheim am 2./12.: in den letzten Tagen
meist Cin. + Led. (= Ammon, bromat.?); heute
= Pulsatill. (Ac. oxalic. -f- Hyoscyam.); am 14./12.:
Natr. mur. -f- Led. oder -j~ Iris (W.) bei epide¬
mischen Catarrhen.
Ich-hier am 1. und 2./I2. vorwiegend = Mercur
(Baryt, carb. -}- Bell.); vom 3. — 6. vorwiegend
= Sabadill. (Natr. mur. -f- Tone.); am 7. besonders
Calc. carb. oder Natr. mur. -f- Iris; am 8. vor¬
wiegend = Sabadill., daneben Baryt, carb. -j- Tone.,
auch Natr. carb. -f- Ipecac.; am 9. und 10. ganz
vorwiegend = Pulsatill. (Hep. sulf. calc. -f- Ratanh.,
auch Silic. -f- Cina); vom 10. ab = Kali bichromic.
(Baryt, carb. -f- Tone.) und = Pulsatill. allermeist
zusammen bei Kranken, bei Gesunden nur ersteres;
seit gestern Abend beginnt dieses Verbältniss zu
schwanken.
Weiss-Gmünd am 10./12.: vom 4. ab bei eatarrba-
lisch gastrischen Erkrankungen und einzelnen In¬
fluenzafällen vorwiegend Natr. mur. (H.).
Hafa-Herrnhut am 10. 12.: bei einzelnen Darm-
catarrhen Rhus und Petrol. (H.); in chronischen
Krankheiten besonders Baryt, carb. -f- Con. oder
-j- Lactuc. vir., sehr oft auch Taraxac. -f- Baryt,
carb. oder -4- Silic. (W.).
Stuttgart, den 15. December 1892.
Dr. med. H. Göhr um.
*) Ich schlage vor, die gegen das homöopathische
alle *von ihnen gewünschten und fausendmal verclau-
ßulirten Experimente selbst machen.
Digitized by CjOOQie
207
Nekrolog.
Die homöopathischen Aerzte Englands haben
dnrch den am 20. Angnst d. J. in Waterloo bei
Liverpool erfolgten Tod des Dr. Drysdale , im Alter
von 75 Jahren, einen schweren Verlast erlitten.
Promovirt an der Universität Edinburg im
Jahre 1838 ward er dortselbst von dem damaligen
Professor der Physiologie Dr. Flechter gleichzeitig
mit den DDr. Black nnd Rutherford Russell mit
der Homöopathie bekannt gemacht Nachdem die¬
selben ihre Studien in Edinburg beendigt, begaben
sich alle drei nach Wien, um ihre Kenntniss der
Homöopathie zu vervollständigen. Sie kehrten im
J. 1841 zurück und gründeten in Edinburg eine
homöopathische Poliklinik. Dr. Drysdale verlies
bald diese Stadt, um sich in Liverpool dauernd
niederzulassen, wo er durch 45 Jahre praktizirte.
Auf dieser langen Lebensbahn konnte er
eine ebenso zahlreiche als gewählte Clientei mit
ärztlichem Rath versehen und noch die Zeit finden,
mit Recht gerühmte Werke, wie: die protoplastische
Theorie des Lehens, das Leben und das Kräfte -
äquivalent, die Geschichte der Monaden und die
miasmatische Natur der Infectionskrankheiten zu
verfassen, die insgesammt eine hohe intellectuelle
Bildung und eine besonders hervorragende Intelligenz
bekunden.
Er war Gründer des „ British Journal of Homoeo -
pathy “ und blieb bis zu dessen Aufhören einer
seiner eifrigsten Mitarbeiter; er veröffentlichte darin
mehrere Originalarbeiten, unter welchen besonders
seine Pathogenese des Kali hichromicum und des
Glanderinum (Rotzgifr) zu erwähnen sind.
Auch uns geziemt es, an dem Schmerze unserer
englischen Collegen Theil zunehmen. Betrifft doch
ihre Trauer die gesammte homöopathische Familie.
Diejenigen, die sich dem Dahingeschiedenen nähern
konnten, wie es auch dem 8 chreiber dieser Zeilen
vergönnt war, werden noch lebhafter diesen schwe¬
ren Verlust empfinden, da sie Drysdale als Menschen
und Gelehrten gleichzeitig schätzen lernen konnten.
Dr. Th. Kafka.
Personalia.
Der horoöopath. Arzt Dr. H. Siemsen in Kopen¬
hagen feierte im November dieses Jahres sein
25jähriges Jubiläum als homöopathischer Arzt. Dr.
S. hat sich um das Ansehen der Homöopathie in
Dänemark hoch verdient gemacht, und die Mitglieder
des „Vereins der homöopath. Aerzte* daselbst über¬
lieferten ihm ein Jubiläumsgeschenk in Silber nebst
einer ehrenvollen Adresse. Möge dem verehrten
Jubilare noch eine lange Reihe gesunder thaten-
voller Jahre im Dienste der Homöopathie beschiedeu
sein! Die Red.
Bechnungsablegung.
Für das Homöopathische Krankenhaus zu
Leipzig sind eingegangen bei Herrn Apotheker
'William Steinmetz, Leipzig, in der Zeit vom 21./9.
bis 20 ./ 12 . a. c.
1 . für den Banfond
von Herrn Dr. raed. Freytag-Leipzig
(durch Dr. W. Schwabe) . . . . M. 500.—
2 . für den Betriebsfond
im Fremdenbuche im Krankenhause selbst „ 3.—
als Legat von Herrn Dr. med. Justus
Weihe sen., Herford (bereits separat
quittirt).. 5000.—
von Frau Timmich auf Wolfersdorf . „ 3.—
von 3 Centralvereinsmitgliedem &M.6.— „ 18.—
aus der Sammelbüchse bei Täschner & Co.
Leipzig . . .. . 2.02
Summa M. 5526.02
Allen gütigen Gebern besten Dank. Wir bitten
alle Diejenigen, die mit ihren Pflichtbeiträgen oder
freundlichstzugesicherten freiwilligen Jahresbeiträgen
im Rückstände sind, oder sonstig dem Krankenhause
eine kleinere oder grössere Gabe zugedacht haben,
um gütige baldige Einsendung, da wir dieser Bei¬
träge leider nach wie vor dringend bedürfen. Der
Krankenbestand ist dauernd ein befriedigender ge¬
wesen, jedoch fast nur Patienten 3. Classe —
darunter vorwiegend Kassenmitglieder —, wenige
1. und 2. Classe, wodurch die Einnahmen an Kranken¬
geld wesentlich geringer waren, während die Aus¬
gaben dieselben blieben.
Leipzig, 20. December 1892.
Hochachtungsvoll
William Steinmets,
z. Z. Kassenverwalter.
Druckfehlerberichtigung.
Auf besonderen Wunsch des Herrn Collegen
Kafka jun. machen wir auf einen Druckfehler in
voriger Nummer aufmerksam, den sich jeder auf¬
merksame Leser wohl selbst leicht berichtigt haben
wird. Es muss pag. 182, 2 . Spalte, 10. Zeile von
oben statt „Supplicanten* natürlich heissen „Supp¬
leanten“ (Stellvertreter). Die Red,
Digitized by v^ooQle
ANZEIGEN.
Bei den Revisionen der Hausapotheken der salbet*
diepeMlreeden hemOopathieohen Herren Aerzte werden
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsieht -
lieh der Aufbewahrung der Venena und Separanda die -
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker .
Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte
kleine, praktische
Giftschränkchen
und
Separanden-Schränkchen
unfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu
Diensten.
(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen
vollste Anerkennung gefunden).
Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬
weitigen Zimmereinrichtung passen.
Ein Giftsobriakobea ist 100 cm hoch, 50 cm breit
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze
Schränckchen verschlieast und mit dem Porzellanschild
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für
sich verschliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefasse, als auch
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen.
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M.
Ein Separaadeaaohriakoben ist 70 cm hoch, 60 cm
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren
sind (siehe Kevisions-Etiquetten-Hefte).
Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M.
Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen
entsprechend, habe ich die Gift- und Separanden-
Sohränkohen jetzt auch in einen Schrank ver¬
einigt, vorräthig.
Die obere Abtheilung dieser Doppel schränke ist
für die Separanda, die doch mehr gebraucht werden
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloide,
Arsenicalia und Mercurialia.
Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm
tief und 62 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-,
nussbaum- oder mahagoni-artig.
Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur
60 Mark.
A. Marggraf s homOopath. OfHcln In Leipzig.
Heute ist erschienen und zum Versandt ge¬
kommen die 5. Lieferung von
Die vergleichende
Arzneiwirknngslehre
von
Dr. med. H. GrOSO und Prof. Dr. med. C. Höring.
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben
von Sanitätsrath Dr. med. FftlllWUkBf, Bernburg a.S.
Complet In 8 Lfjgn. fc Mk. 2.50. Einbanddecke gratis.
KT* Wer das Werk lieber im Ganzen complet
gebunden besieht, mag es anch sehen jetzt bestellen,
aa später jedenfalls eine Preiserhöhung amtritt.
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Idefferung
Jede Iiieferung: 0 Druckbogen, 4°. Preis 2ÖO Mk.
Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen
sind eine grosse Menge Bestellungen auf* dieses Werk
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen
I Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be-
| zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend
, genug empfehlen können.
ln Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die
; hochelegante Ausstattung dieses Baches, die genau dem
| englischen Originale entspricht, ist derSubscriptionspreis
| thatsächlich ein ausserordentlich niedriger zu nennen.
| Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen
| wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei-
! wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre
I Anschaffung empfohlen.
| Das ganze Werk wird somit Ende Mär/. 1893 be-
, reits komplett gebunden vorliegen.
Leipzig, den 20. December 1892.
A. Marggraf’s hoinöopath. Ofllciii.
i Den Herren Aerzten empfehle sämmtllche
I Artikel zur Krankenpflege:
I Verbandstoffe, ärztliche und
i sonstige Instrumente, Instrumenten¬
taschen n. Wundverband-Apotheken
I in allen OrSssen, in bester Qualität und zu
billigsten Preisen.
Ausführliche, speciell chirurgische Preislisten
werden auf Verlangen gratis und franco verschickt.
i Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin.
Verantwortliche Redacteure: Dr. Öoehnin-Stuttgart, Dr. Stifft-Leipiig und Dr. Haedlokt-Leipzig.
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homöopath. Officin) in Leipzig.
Druck von GrMSMr k Schramm in Leipzig.
Digitized by Google
Digitized by
Digitized by
Digitized by v^ooQie
Digitized by
Google
UNlVtRSITY OF MICHIGAN
]1
T ”
I
3 9015
07018C
1441
m
-3
Digitized by v^ooQie