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Full text of "Allgemeine homöopathische Zeitung 124-125.1892"

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ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

) £) l / 2 , a- 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dp. GOEHRÜM-STüTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG 

UND 

Dr. HAEDICKE-leipzig. 


EINHUNDERT-VIEBUNDZWANZIGSTER BAND. 


LEIPZIG. 

VERLAG VON WILLIAM STEINMETZ (A. MARGGRAFS HOMÖOPATH. OFF1CIN). 

1892. 


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I. Inhalts-Verzeichniss 


No. 1 and 2. 


Aufforderung zur Bewerbung der Porge’scben 

Stiftung.1 

Zur Jahreswende 1891/92 .1 

Bericht der Herhstversammlung des Vereins 
„schweizerischer homöopathischer Aerzte.“ 

Dr. med. Luginbühl.2 

Suggestion und Homöopathie. Dr. A. Pfänder . 4 

Referat über Bleivergiftung. Dr. H. Schmidt 10 

Ein Brief von Samuel Lilienthal. Mitgetheilt 

von Dr. H. Goullon.12 

Literarische Anzeigen.12 

Epidemiologische Ecke.13 

An meine Herren Collegen. W. Steinmetz, 

Apotheker in Leipzig.14 

Lesefrüchte.15 

Fragekasten.15 

Personalia.16 

Anzeigen.16 

No. 3 und 4. 

Bericht von Dr. H. Göhrum.17 

Genius epidemicus. Dr. Aug. Weihe jr.-Herford 19 
Blatta Orientalis ein wichtiges Asthma-Mittel. 

Uebersetzt von Dr. Th. Bruckner-Basel . . 22 

Zwei Urtheile über die reformirte Medicin. Dr. 

Haedicke.27 

Aus der Praxis Dr. H. Goullon.28 

Epidemiologische Ecke.30 

Lesefrüchte.30 

Vermischtes.31 

Personalia.32 

Anzeigen.32 


No. 5 und 6. 

Rückblick auf die geschichtliche Entwickelung 
der Weihe'scben Heilmethode. Dr. med. 
Leeser-Bonn.33 


Seit« 

Die Weihe*sehe Heilmethode und die Homöo¬ 
pathie. Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart . . 37 
Ueber die Nothwendigkeit erneuter Prüfungen 
der Arzneimittel Dr. med. Leeser-Bonn . 40 

Ueber die Abortivtherapie der Gallensteinkrank¬ 


heiten. Dr. Mossa-Stuttgart.45 

Epidemiologische Ecke.46 

Fragekasten.47 

Rechnungsablegung.48 

Anzeigen .48 


No. 7 und 8. 


Zur homöopathischen Heilung des Tetanus und 
Trismus und der Eklampsie der Gebärenden 
und Schwangeren. Wenzl Heyberger, fürstl. 
Schwarzenberg. Arzt in Protiwin .... 49 

Der Suggestionismus und die Homöopathie. Dr. 

F. Carl Gerster-München.54 

Dauernde Heilungen. Dr. Lorbacher ... 57 

Aus der Praxis amerikanischer Collegen. Dr. 

Hesse-Hamburg.59 

Ein sonderbarer Mahnruf. Dr. Lembke-Riga 60 
Antipyrinismus. Dr. Lembke u. Pröll . . .61 

Epidemiologische Ecke.62 

Frageka8ten.63 

Anzeigen.64 


No. 9 und 10. 

Die Homöopathie in Belgien. Uebersetzt nach 


dem stenographischen Berichte des in Ant¬ 
werpen erscheinenden Blattes „Le Pröcurseur* 

von Dr. Haedicke-Leipzig.65 

Aus der Praxis. Dr. Hesse-Hamburg ... 77 

Eine kurze Krankengescbichte. Dr. Kunkel-Kiel 78 

Fragekasten.79 

Briefkasten der Redaction.79 

Anzeigen.80 


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IV 


Seite 


NO. 11 und 12. 

Einladung. 81 

Die Potenzirung. Professor Dr. 6. Jäger- 

Stuttgart.81 

Dauernde Heilungen. Dr. Lorbacher-Leipzig. 

(Ports, u. Schluss).86 

Das Verordnen Homöopath. Arzneien in Speise 
und Trank. Dr. Gallavardin-Lyon ... 88 

Correspondenz. Dr. Lembke-Riga .... 90 

Zum Tuberculin ..91 

Epidemiologische Ecke.92 

Fragekasten.93 

Aus der Zeitungsmappe.93 

Nekrolog.95 

Anzeigen.96 

No. 13 und 14. 

Berliner homöopathisches Krankenhaus . . 97 

Einladung.97 

Gehemmter Fortschritt — oder beförderter 
Rückschritt. Dr. F. Katsch-Baden-Baden . 98 

Entgegnung. Dr. med. H. Göbrum, prakt. 

Arzt in Stuttgart.111 

Aus der Zeitungsmappe.111 

Anzeigen.112 

No. 15 und 16. 

Zur Feier von Hahnemann’s 137. Geburtstag. 

Dr. Mayntzer-Trier.113 

Die Zubereitung der Jenicben’schen Hochpo¬ 
tenzen. Dr. Herrn. Fischer in Westend- 

Charlottenburg.114 

Nochmals Suggestion und Homöopathie. Dr. 

A. Pfander-Bern.116 

Zur Entgegnung. Dr. W. Albert Haupt- 

Chemnitz .118 

Correspondenz. Dr. J. Lempke-Riga . . . 121 

Toxicologisches.122 

Vermischtes.123 

Epidemiologische Ecke.126 

Referat.126 

Geburtstagsfeier Hahnemanns.127 

Personalia.127 

Berichtigung.127 

Anzeigen.128 

No. 17 und 18. 

Einladungen.129 

Der XI. Kongress für innere Medicin. Referent 

Dr. Stitft-Leipzig.130 

Einige Bemerkungen zu Gersters Aufsatz, 
Homöopathie und Suggestion. Dr. Lor- 

bacher-Leipzig.132 

Electrotberapeutische Studien von Dr. A. Sper¬ 
ling-Berlin. Dr. Weil-Berlin.133 


Seit« 

Aus der Praxis amerikanischer Collegen. Dr. 

Hesse-Hamburg 135 

Therapeutischer Unterschied zwischen Calcarea 
sulphurata oder Hepar sulphuris calcareum 
Kalkschwefelleber und Sulphur. Dr. H. 


Goullon.• . . . . 137 

Entgegnung. Dr. Schwarz-Baden .... 139 

Offenes Sendschreiben an die Redaction . . 140 

Lesefrüchte.140 

Epidemiologische Ecke.141 

Kleine Mittheilungen.142 

Personalia.142 

Nachruf . . . 142 

Rechnungsablegung.143 

Anzeigen.143 


No. 19 und 20. 

Vorläufige Einladung zu der am 9. u. 10 
August zu Stuttgart stattfindenden General¬ 
versammlung des Homöopathischen Central¬ 
vereins Deutschlands.145 

Die Potenzirung. Physiologisch geprüft von 

Prof. Dr. G. Jaeger-Stuttgart.146 

Die Jagd nach neuen Mitteln, — Sulfonal, be¬ 
sonders in der Psychiatrik.— Psychiatrisches. 

Dr. A. Mossa-Stuttgart.155 

Acute Manie mit Syphilis. Dr. Mossa-Stuttgart 158 

VIII. Jahresbericht des homöopathischen Hos¬ 
pitals in München Dr. med. Göhrum . . 158 

Epidemiologische Ecke.159 

Fragekasten.159 

Druckfehler-Berichtigung.160 

Anzeigen.160 

No. 21 und 22. 

Aufruf.161 

Vorläufige Einladung zu der am 9. und 10. 
August zu Stuttgart stattfindenden General¬ 
versammlung des Homöopathischen Central¬ 
vereins Deutschlands.161 

Die Frühjahrsversammlung des Sächs.-Anhalt. 
Vereins homöopath. Aerzte. Dr. Haedicke- 

Leipzig . 162 

Aus der Praxis: Heilungen durch Lycopodium. 

Dr. Hesse-Hamburg.163 

Die Zeiten der Arzneien. Dr. Ide-Stettin . . 165 

Die Homöopathie und der Suggestionismus, ein 
offener Brief an Dr. C. F. Gerster in Mün¬ 
chen, Dr. Fuchs.167 

Znm Capitel der Gicht. Dr. Kafka-Karlsbad. 172 

Stahlbad Rastenberg in Thüringen .... 174 

Bücherschau.174 

Epidemiologische Ecke.178 

Fragekasten.179 

Anzeigen.179 


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V 


Seite 

No. 23 und 24. 

Bericht über die Versammlung des Vereins 
homöopathischer Aerzte Württembergs am 
18. Mai 1892 in Stuttgart. Dr. Göhrum* 

Stuttgart. . ..181 

Die Potenzirung. Dr. Jäger-Stuttgart . . . 182 

Zur Hochpotenzenfrage. Dr. Kunkel-Kiel. . 184 

Die Zeiten der Arzneien. Dr. Ide-Stettin (Ftsg.) 188 
Zum Capitel der Gicht Dr. Kafka-Karlsbad. 190 


Bücherschau.191 

Nekrolog.193 

Personalia. 195 

Anzeigen.195 

No. 25 und 26. 

Einladung zum Abonnement.197 


Vorläufige Einladung za der am 8. August 
Nachmittags 2 Uhr in Stuttgart stattfinden- 


Seito 


den 1. Generalversammlung der Epidemio¬ 
logischen Gesellschaft.. . 197 

Die Homöopathie in Belgien. Dr. Haedicke- 

Leipzig. (Schluss).197 

Die Potenzirung. Dr. Jäger-Stuttgart . . . 199 

Die Zeiten der Arzneien. Dr. Ide-Stettin. . 202 

Zum Kapitel der Gicht. Dr. Kafka-Karlsbad. 205 
Zwei Krankengeschichten. Assistenzarzt W.-K. 208 


Eine amerikanische Potenzirungsmaschine. Dr. 


8teudel-Johnstown.209 

Klinischer Beitrag zur Heilwirkung des Gol¬ 
des. Dr. Goullon-Weimar.210 

Epidemiologische Ecke.211 

Bücherschau.213 

Lesefrüchte.214 

Personalia.215 

Anzeigen.*.216 


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A.n meine Herren Collegen, von 
Steinmetz-Leipzig. 14. 

Antipyrinismus, von Lembke und 
Pröll, 61. 

Arzneien, die Zeiten der, von Ide- 
Stettin. 165. 188. 202. 

Asthma-Mittel, von Bruckner-Basel. 

22 . 

Aufforderung zur Bewerbung der 
Porges'schen Stiftung. 1. 

Belgien, die Homöopathie in, von 
Haedicke-Leipzig. 65. 197 

Bericht der Herbstversammlung des 
Vereins schweizerischer Aerzte, 
von Luginbühl. 2. 

Bericht von Dr. H. Göhrum. 17. 

Bericht über die Versammlung ho¬ 
möopathischer Aerzte Württem¬ 
bergs, vonGöhrum-Stuttgart. 181. 

Blatta orientalis, ein wichtiges Asth¬ 
ma-Mittel, von Bruckner-Basel.22. 

Bleivergiftung, Referat über, von 
Schmidt. 10. 

Brief, ein, von Samuel Lilienthal, 
von Dr. Goullon-Weimar. 12. 

Correspondenz von Lembke-Riega. 
90. 

Einladung. 97. 

Einladung zum Abonnement. 197. 

Einladung, vorläufige, zu der am 8. 
August Nachmittags 2 Uhr in 
Stuttgart stattfindenden 1. Gene¬ 
ralversammlung der Epidemiolo¬ 
gischen Gesellschaft. 197. 

Einladung zu der am 9. und 10. 
August in Stuttgart stattfinden- 


II. Register. 


den Generalversammlung des ho¬ 
möopathischen Central-Vereins 
Deutschlands. 145. 161. 

Elektrotherapeutische Studien, von 
Weil-Berlin. 133. 

Entgegnung, von Göhrum - Stutt¬ 
gart. 111. 

Entgegnung, von Schwarz - Baden- 
Baden. 139. 

Entgegnung, zur, von Haupt-Chem¬ 
nitz. 118. 

Fortschritt, gehemmter — oder 
beförderter Rückschritt, von 
Katsch-Baden-Baden. 98. 

Frühjahrsversammlung des Sächs. 
Anhalt. Vereins Homöopathischer 
Aerzte 162. 

Qallensteinkrankheiten, über die 
Abortivtherapie der, von Mossa- 
Stuttgart. 45. 

Gicht, zum Kapitel der, von Kafka- 
Karlsbad. 172. 190. 205. 

Hahnemanns 137. Geburtstag, zur 
Feier von, von Mayntzer-Trier. 
113. 

Heilungen, dauernde, von Lorbacher- 
Leipzig. 57 86. 

Hochpotenzen, von Fischer-Westend- 
Charlottenburg. 114. 

Hochpotenzenfrage, zur, von Kun- 
kel-Kiel. 184. 

Homöopathie 4. 37. 44. 65. 116. 
122. 167. 

Homöopath. Arzneien, das Verord¬ 
nen, von Gallavardin-Lyon. 88. 

Homöopathischer Centralverein, vor¬ 


läufige Einladung zu der am 9. 
und 10. August in Stuttgart 
stattfindenden Generalversamm¬ 
lung. 145. 161. 

Homöopathisches Hospital in Mün¬ 
chen, VIII. Jahresbericht des 
158. 

Jahreswende, zur 1. 

Jenichen’schen, die Zubereitung der 
Hochpotenzen, von Fischer-West- 
end-Charlottenburg. 114. 

Kongress, der XI., von Stifft-Leip- 
zig. 130. 

Krankengeschichte, eine kurze, von 
Kunkel-Kiel. 78. 

Krankengeschichten, zwei 208, 

literarische Anzeigen 12. 

Lycopodium, Heilung durch, von 
Hesse-Hamburg. 163. 

Manie, acute, von Mossa-Stuttg. 158. 

Medicin, zwei Urtheile über refor- 
mirte, von Haedicke-Leipzig. 27. 

Medicin, der XI. Kongress für in¬ 
nere. 130. 

Neuen Mitteln, die Jagd nach, von 
Mo8sa-Stuttgart. 155. 

Praxis, aus der. 28. 59. 77. 135. 

Prüfungen, erneute, über die Not¬ 
wendigkeit der Arzneimittel, von 
Leeser-Bonn. 40. 

Potenzirung, die, von Jäger-Stutt¬ 
gart. 81. 146. 182. 199. 

Potenzirungsmaschine, eine amerika¬ 
nische, von Steudel-Johnstown. 
200 . 


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vn 


Bastenberg, Stablbad in Thüringen. 
174. 

Beferat über Bleivergiftung, von 
Dr. Schmidt. 10. 

Reformirte Medicin. zwei Urtheile 
über die, von Haedicke-Leipzig.27. 

Rückschritt, beförderter — oder ge- 
hemmter Fortschritt, von Katsch¬ 
Baden-Baden. 98. 


Suggestion, nochmals, 116. 132. 
Suggestionismu«, der. 54. 167. 
Sulfona),besonders in der Psychiatrik, 
von Mossa-Stuttgart. 155. 
Syphilis, acute Manie mit, von 
Mossa-Stuttgart. 158. 


sulphuris calcareum, Kalkschwefel¬ 
leber und Sulphur, von Goullon- 
Weimar. 137. 

I Toxicologisches. 122. 
j Tuberkulin, zum. 91. 


Weihe’sche Heilmethode, Rückblick 
Therapeut. Unterschied zwischen auf die geschichtliche Entwickel- 
Calcarea sulphurata oder Hepar ung der. 33. 37. 


III. Mitarbeiter. 


Bruckner-Basel 22. 

Tuchs-München 167. 
Fischer - Westend-Charlot¬ 
tenburg 114. 

©allavardin-Lyon 88. 
Gerster-München 54. 
Goullon-Weimarl 2.28.137. 
210 . 

Göhrum-Stuttgart 17. 37. 
111. 181. 


Haedicke-Leipzig 27. 65. 

162. 197. 

Haupt-Chemnitz 118. 
Hesse-Hamburg 59.77.135. 

163. 

Heyberger-Protiwin 49. 

Ide-Stettin 165. 188. 202. 

Jfiger-Stuttgart 81. 146. 
183. 199. 


Kafka-Karlsbad 172. 190. 
205. 

Katsch-Baden* Baden 98. 
Kunkel-Kiel 78. 184. 

Ejeeser-Bonn 33. 40. 
Lembke-Riga 60. 61. 121. 
Lorbacher-Leipzig 57. 86. 
132. 

Luginbühl 2 . 
Mayntzer-Trier 113. 


Mo8sa-Stuttg.45.155. 158. 

Tfander-Bern 4. 116. 
Pröll-Gastein 61. 

Steinmetz-Leipzig 14. 
Stifft-Leipzig 130. 
Schwarz-Baden-Baden 139. 

Weihe jr.-Herford 19. 
Weil-Berlin 133. 


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Leipzig, den 7. Januar 1892. 

ALLGEMEINE 


Band 124. 


No. 1 n. 2. 


HOMÖOPATHISCHE ZEITIM 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRÜM-STüTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig. 


Erscheint 14tlglg sn 2 Bogen. 18 Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. AO Pf. (Halbjahr). Allo Buohhandlungen und 
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an B. Mosse in Leipzig und dessen Filialen zu riohten sind, 
werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen wferden mit 12 M. berechnet. 


Inhalt: Aufforderung zur Bewerbung der Porgee'schen Stiftung. — Zur Jahreswende 1891/92. — Bericht 
der Herbstvereamnleog des Verein« „schweizerischer hoaSop. Aerzte“. Von Dr. med. LuginbOhl. — Suggestion und 
HomSopatbla. Von Dr. A. Pfänder. — Referat Ober Bleivergiftung. — Elu Brief von Samuel Lilienthal. Mitgetheilt 
von Dr. H. Goullon. — Literarische Anzeigen. — Epidemiologische Ecks. — An meine Harren Collegen! Von W. 
Steinmetz, Apotheker in Leipzig. — LeeefirOohte. — Fragekasten. — Personelle. — Anzeigen. 


Aufforderung. 

Doctoren oder Candidaton der Medicin, welche 
in Prag an der deutschen Universität, oder in Wien, 
oder in Leipzig stndirt haben, sich mit der homöo¬ 
pathischen Heilmethode vertrant machen und die¬ 
selbe practisch verwerthen wollen, werden hiermit 
anfgefordert, sich bei einem der Unterzeichneten 
spätestens 4 Wochen nach Erlass dieser Aufforderung 
wegen Erlangung der Gabriel Porge’schen Stiftung 
für Homöopathen zu melden, woselbst auch die 
Bedingungen zu erfahren sind, unter welchen die 
Stiftung zu erlangen ist. 

Prag und Leipzig, im Januar 1892. 

Dr, J. Kafka-Prag als Stiftungspatron. 

Dr. A. Lorbacher als Vorstand des homöopath 
Central Vereins Deutschlands. 


Zur Jahreswende 189192. 

Das nun verflossene Jahr 1891 spielt in der 
Geschichte der Allgemeinen Homöopath. Zeitung 
eine grosse Rolle. Ueber 55 Jahre, von 1832 bis 
1888, ist es der Baumgärtner’schen Verlagshandlung 
trotz des geringen materiellen Gewinnes stets eine 
Ehrensache gewesen, die Zeitung zu halten und es 
zu ermöglichen, dass so viele Bände in ununter¬ 
brochener Reihenfolge erscheinen konnten. Im Jahre 
1888 ging sie in den Verlag von Gustav Engel über, 
und nach dessem Tode im Juli 1891 in den Besitz 
des Herrn Apotheker W. Steinmetz (in Firma: 


A. Marggrat’s homöopathische Offizin). Dieser 
Wechsel des Verlegers zog auch den Rücktritt des 
derzeitigen Herausgebers Herrn Dr. Villers nach 
sich, und wohl jeder Leser stellte sich während des 
G wöchigen Interregnums, während dessen ein Apo¬ 
theker für die Redaction einer ärztlichen Zeitschrift 
zeichnete, die Frage: „Was will das werden?“ 

Obgleich Herr Dr. Villers in der entgegen¬ 
kommendsten Weise von dem neuen Verleger ge¬ 
beten worden war, auch fernerhin die Redaction bei¬ 
zubehalten, und daran nur die Bedingung geknüpft 
war, dass alle persönlichen Anfeindungen in dieser 
wissenschaftlichen Interessen dienenden Zeitung 
unterbleiben sollten, legte er dennoch „aus princi- 
piellen Gründen“ sein Amt nieder. 

In Anbetracht dieser Vorgänge und des Um¬ 
standes, dass in der That ein nicht gewöhnliches 
Maass von Arbeitskraft, von Umsicht, von Be¬ 
geisterung für die Sache dazu gehörte, diese Erb¬ 
schaft, den undankbaren, mühevollen und verant¬ 
wortlichen Posten eines Redacteuvs anzutreten und 
unbeirrt von allen Anfeindungen und Beeinflussungen 
zu behaupten, zögerten wir lange mit unserer Zu¬ 
sage. Die Erwägung jedoch, gerade in dieser Zeit 
der Verlegenheiten unserer Sache einen wahren 
Dienst leisten zu können, und der unerschütter¬ 
liche Entschluss, uns durch Nichts in einer stets 
objectiven, nur dem Interesse unserer Fachwissen¬ 
schaft und der Allgemeinheit des sie vertretenden 
ärztlichen Standes dienenden Redactionsführung irre¬ 
machen zu lassen, erleichterte uns diesen Schritt. 

Die Gründe, welche für den Herrn Verleger 

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2 


maassgebend gewesen sind, schon seit Jahren den 
Ankauf unserer alten homöopathischen Fachzeitung 
im Auge zu behalten, kennen wir nicht; es genügte 
uns aber zur Uebernahme der Redaction die Ver¬ 
sicherung des um die Homöopathie recht verdienten 
neuen Verlegers, sich jeder Beeinflussung und jeder 
Einmischung in die redactionellen Geschäfte zu ent¬ 
halten und die Zeitung voll und ganz in den Dienst 
der homöopathischen Fachwissenschaft und ihrer 
fachmännischen Vertreter zu stellen. Mit Auf¬ 
stellung eines besonderen Progammes sind wir noch 
nicht hervorgetreten, halten es aber für unsere Pflicht, 
dies jetzt nachzuholen, und noch einmal kurz in 
Worte zu fassen, was aus unserer bisherigen Arbeits¬ 
führung jedem Einsichtigen schon ohnehin klar 
sein wird. 

Wie bisher werden wir auch fernerhin nach 
bestem Wissen und Können die Leitung der Allgem. 
Homöopath. Zeitung fortführen und ihre Leser von 
dem Besten und Neuesten auf dem Gebiete der 
Homöopathie wie der Gesammtmedicin unterrichten. 
Dass unsere Aufgabe keine leichte ist, wird Jeder 
zugeben, wenn er die geringe Zahl der Mitarbeiter, 
den kleinen Leserkreis und damit die geringen ver¬ 
fügbaren Mittel zur Ausstattung der Zeitung be¬ 
rücksichtigt. Unter diesen Verhältnissen kann der 
Inhalt nicht immer so vielseitig und so werthvoll 
erscheinen, wie es wünschenswerth wäre. 

Die Zeitung öffnet ihre Spalten jeder Partei, jeder 
Richtung, unbekümmert von welcher Seite ihr Mit¬ 
theilungen von wissenschaftlichem oder allgemeinem 
Interesse für ihren Leserkreis zugehen, getreu ihrem 
Charakter und der Tendenz einer „allgemeinen 
Homöopath, Zeitung* ; in keinen Parteizwang gebannt, 
ist in ihr die freieste und allseitigste Diskussion ge¬ 
stattet, sofern die Artikel sachlich gehalten sind. 
Die Austragung persönlicher Differenzen, Angriffe 
und Repliken gehört unseres Erachtens nicht in 
eine wissenschaftliche Zeitung. Sie bringen unserer 
Sache nur Schaden und gereichen uns nicht zur 
Ehre. Wo es aber erforderlich ist, für unsere Ueber- 
zeugung einzutreten und die Angriffe der Gegner 
zu pariren, wird auch ein kräftiges Wort und das 
attische Salz in der Polemik nicht fehlen. 

Wir halten an der Ansicht fest, dass es für 
den homöopath. Arzt keine Normaldosis giebt, dass 
ihm die ganze 8kala, von der Urtinktur bis zur x- 
ten Verdünnung zur Verfügung stehen müsse! Möge 
Jeder seiner Ueberzeugung folgen, aber frei von 
starrer Doctrin und eingedenk seines Doctoreides: 
Aegroti salus suprema lex esto. 

Das, was wir wollen, ist Wahrheit, volle Wahr¬ 
heit — Wahrheit in der Naturwissenschaft, vor 
allem in der Medicin. Lassen wir daher jede Me¬ 
thode, die die Wahrheit sucht, ihre Strasse wandeln, 
und sehen wir, wer auf der seinigen Rom zuerst 
erreichen wird. 


Hahnemann gehört die Zukunft, wenn wir ge¬ 
treu seinen Vorschriften folgen, wenn wir es für 
unsere Pflicht halten, das einmal erkannte Wahre 
nicht zu verleugnen, sondern nach unserem besten 
Wissen und Gewissen zu erweitern und diesen Weg 
so lange zu gehen, bis uns ein besserer ge¬ 
zeigt wird, nicht uneingedenk des Dichterwortes: 
„Was Ihr nicht münzt, das meint Ihr, gelte nicht, 
was Ihr nicht wägt, hat bei Euch kein Gewicht.“ 

Zum Schlüsse sprechen wir unsern Mitarbeitern 
und Lesern den Dank der Redaction aus für die 
vielfache Unterstützung, welche sie auch im ver¬ 
flossenen Jahre ihrer Zeitung dargebracht haben. 
Auch der Druckerei gebührt der vollste Dank der 
Redaktion und der Verlagshaudlung für die Ueber- 
windung der vielen Schwierigkeiten während des 
Buchdruckerausstandes und für das pünktliche Er¬ 
scheinen der Zeitung. Wie wir hören, wird bereits 
in den nächsten Wochen der Ausstand beendet sein. 

Wir sagen „ihrer“ Zeitung, weil wir die Allg. 
hom. Zeitung gewissermassen als das Eigenthum 
sämmtlicher homöopath. Aerzte betrachten, die zeitige 
Redaction nur als Verwalter derselben, wie es schon 
von den Stiftern ausgesprochen worden ist. Aus 
diesem Giyinde ist es auch die Pflicht aller, diese 
von unsern Vorfahren als theures Vermächtniss uns 
hinterlassene Zeitung durch fortgesetzte, fleissige 
Betheiligung zu unterstützen, sofern sie mit dem 
von uns aufgestellten Programm einverstanden sind. 
Dieses aber glaubt die Redaction mit Bestimmtheit 
hoffen zu dürfen. 

Jeder, sei er auch ein noch so beschäftigter 
Arzt, kann seinen Beitrag alljährlich liefern, wenn 
er es als eine Ehrensache betrachtet, unsere Heil¬ 
methode wissenschaftlich weiter ausbauen zu helfen; 
und wir sind überzeugt, dass eines JedenBrust von einem 
Gefühl erhebender Genugthuung durchströmt wird, 
wenn er sich einmal im Jahre dazu aufgerafft hat, 
der Wissenschaft, die ihm die Grundlage für seine 
praktischen Erfolge giebt, sein Scherflein schuldigen 
Tributs dargebracht zu haben. — 

Viribus unitis — concordia res crescunt. 

Die Redaction. 

Dr. Göhrum. Dr. Stifft. Dr. Haedicke. 


Bericht 

der Herbstversammlung des Vereins „schwei¬ 
zerischer homöopathischer Aerzte.“ Am 1. Nov. 
18D1 in Baden. 

Nicht gross war die Zahl der um das Präsidium 
Dr. Grubenmann sich sammelnden Collegen, um so 
grösser aber die Ausbeute an gegenseitiger Anregung 


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und freundschaftlichem Austausche von Gedanken 
und Erfahrungen. 

Tractanda: 1. Dr. Men de berichtet über den 
tragischen Todesfall des uns Allen bestens bekannten 
Dr. Roth, früher in London, zuletzt in Dijonne. 
Mende wird beauftragt der Familie des Verstorbenen 
ein Beileidsschreiben zukommeu zu lassen. 

2. Dr. Pfänder verliest eine kurze Abhandlung 
über Suggestion in Beziehung zur Homöopathie. 

Die Allopathen schreiben die homöop. Heilungen, 
wenn sie überhaupt solche zugestehen, der Wirkung 
der Suggestion zu. Wir Homöopathen geben dieses 
für viele Fälle zu, aber dasselbe gilt auch von vielen 
allop. Kuren. Aerzte sowohl als ganz besonders 
Laien haben zuweilen ein zu grosses und unrao- 
tivirtes Vertrauen zu einzelnen Arzneien, unmotivirt, 
weil die allfällige Heilung auf ganz anderen Mo¬ 
menten als dem vorausgegangenen Heilmittel beruht. 
Laien, die sich selbst behandeln, fallen sehr leicht 
in diesen Irrthum (Autosuggestion). Man soll dann 
auch an Suggestion denken bei frisch in die Praxis 
eingeführten Mitteln und Methoden. Wann aber 
kann man doch in einer ganzen Reihe von Heilungs- 
fällen Suggestion ausschliessen? 

1. Tbierheilungen. 

2. Psychisch Kranke (bekanntlich der Suggestion 
weniger zugänglich als körperlich Kranke.) 

3. Kinderheilungen, 

ferner kann man Suggestion ausschliessen, wenn 

4. Die bekannte Arznei Wirkung entspricht in ihrem 
Verlauf „Ablauf“ dem gewöhnlichen Bild der 
Arzneiwirkung, und demnach auch der corre- 
spondirenden Krankheit. 

5. Der Patient ist ohne Vertrauen zur Arznei, er 
hat keine Ahnung von der gereichten Arznei 
und deren Wirkungsweise, und dennoch tritt 
Heilung ein. 

6. Verschiedene Mittel sind ohne Wirkung gegeben, 
aber auf ein genau gewähltes tritt rasch Heil¬ 
wirkung ein. 

7. Ohne Wissen des Patienten wird Arznei einge¬ 
geben (Gallavardin Heilung der Trunksucht), 

8. Eine Krankheit verschiedentlich recidivirt, das 
gleiche Mittel wirkt stets rasch, nun auf einmal 
hilft es nicht mehr und ein anderes, das nicht 
gerade das Vertrauen geniesst, hilft. 

Es folgt eine Reihe von Krankengeschichten, wo die 
Suggestion kaum zur Erklärung der Heilung hinrei¬ 
chen würde; da diese aber ebenfalls veröffentlicht werden 
sollen, so übergehen wir sie. Grubenmann be¬ 
nutzt die Discussion und erwähnt einiger gelegentl. 
frappanter Thierheilungen, ferner die Heilung 
eines bedeutenden Unterleibstumor vermittelst Hoch¬ 
potenzen, ferner macht er aufmerksam auf die ge¬ 
nau mit Tagebuch geführten Arzneiprüfungen. — 
Sigrist erwähnt Heilungen von Uterusblutungen 
mit Crocus, Heilungen von hochgradiger Cystitis 


mit Mero u. Hepar, welche Affectionen einer Sugge¬ 
stionswirkung nicht zugänglich sein dürften. 

III. Tractandum: Mende: Beitrag zurCocaYn- 
wirkung. Am 26 October liess eine Dame in der 
Apotheke wegen einer Erkältung 2 Grammdosen 
Cocain holen (sie verwechselte den Namen mit 
Antipyrin). Unbegreiflicher Weise wurde dem 
Verlangen durch den Apotheker entsprochen und 
um 12 Uhr nahm die Frau ein Pulver Cocain & 
1 Gramm (Maximaldosis 0,1). Die ersten Zeichen 
waren ein Kratzgefühl an Zunge und Rachenparthien 
Schwindel, Zittern, Vibriren, Brechreiz, Jucken, 
Kältegefühl. Mende fand um 1 Uhr: Angesicht 
blass, ängstlich verzerrt, Pupillen weit, Augenlider 
nicht schliessbar. Sehen deutlich und scharf. 
Geschmack aufgehoben, Berührungsempfindlichkeit 
der Zunge aufgehoben, Flüssigkeiten sehr schwer zu 
schlingen. Respir. 58 Puls 146. — Hände und Füsse 
eiskalt. Zeitweilig gänzliche Gedankenverwirrung. — 
Gar keine Todesangst, obschon Patientin überzeugt 
ist, dass sie sterben werde. 

Therapie: Subcut an Camphorlösung — Thee und 
Cognac Clystir. 

5 Uhr Abend: etwas besser, ein Senfblatt auf 
Epigastrium wird nicht gefühlt, verursacht ganz 
geringe Röthung, kein Schlaf, Arme bis Ellbogen 
abgestorben, vollständig empfindungslos auch als 
die Glieder wärmer geworden waren — Blasen¬ 
narkose. Keine Lähmung des Rectum. 

10 Uhr Nachts: mehr Aufregung, Senfblatt¬ 
stelle nun geröthet, Gesicht'roth, Schwindel, Druck 
in Herzgegend. Subjektives Gefühl von Zittern 
und Vibriren — Aufschrecken, Lufthunger. 

Morgen des 27 Oct. sehr deprimirt, apathisch, 
tiefste Melancholie. Musste zu Allem gezwungen 
werden. 

Erklärung: Krampf der Capillaren: jedenfalls 
bedeutende Einwirkung auf die CapiUaren und darin 
liegt die homöop. Correlation zu der Veta oder 
Puna (Hom. Vierteljahrschrift VII. Band). Schwindel: 
weil mangelhafte Ernährung des Gehirns und weil 
Anaemie des Gehirns. Athmung beschleunigt: weil 
in Folge der Contraction der Capillaren Sauerstoff¬ 
mangel vorhanden ist. Urin ist mit Cocain gesättigt, 
daher Blase anästhetisch. Coca 6 tritur oder 12 
Dilut: Therapeutisch angewendet bei schwachen 
Patienten, die bei der geringsten Bewegung Dyspnoe 
haben, oft Migräne ohne Erbrechen, kalte Ge¬ 
sichtshaut, fadenförmigen Puls, kalte Extremitäten, 
Zittern, unmöglich aufzustehen. 

IV. Tractendum Grubenmann berichtet über 
einige Beobachtungen über Tuberculin 200. Da die 
Frage aber noch zu wenig abgeklärt ist, so würde 
eine Veröffentlichung derselben unpassend sein. Zur 
Frühjahrs Versammlung pro 1892 wurde bestimmt der 
1. Sonntag Mai in Bern. Dr. med. Luginbühl. 


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4 


Suggestion und Homöopathie. 

Vortrag gehalten in der Herbsty er Sammlung 
der homöopath. Aerzte der Schweiz am 1. Nov. 

Von Dr. A. Pfänder. 

Meine Herren! In einer Zeit, wo die Suggestion 
zur Erklärung so vieler Vorgänge dienen muss, 
welche sich im menschlichen Gehirn abspielen und 
nicht nur zu Thätigkeitsäusserungen führen, sondern 
auch zu subjektiven Befindensveränderungen, wird 
os nicht ganz unangebracht sein, ihr Eingreifen in 
die Therapie, und zwar der homöopathischen Therapie 
insbesondere, näher in's Auge zu fassen. Anlass 
dazu giebt mir die seit der Anerkennung des 
Hypnotismus öfters auftretende Behauptung, die 
Wirkung der homöop. Therapie beruhe nur auf 
Suggestion. 

Der erste, welcher diese Behauptung imssprach, 
war wohl Bernheim in seinem bekannten Werke 
über Hypnotismus, und seither sprechen es andere 
allopath. Aerzte nach, wie z. B. ein Dr. G. in einem 
Aufsatz über Suggestion im „Correspondenzblatt 
für Schweizer Aerzte.“ Es ist immerhin ein ge¬ 
wisser Fortschritt, dass die Erfolge der Homöopathie 
nicht mehr kurzweg geleugnet werden, doch ist 
damit nicht viel gewonnen; denn nach Dr. G. 
heilt die Homöopathie nur mancherlei nervöse 
Beschwerden" , während wir das Recht zu der Be¬ 
hauptung zu haben glauben, dass wir auch sehr 
vielerlei organische Krankheiten heilen. Ich hatte 
zuerst im Sinn, im Correspondenzblatt eine Entgegnung 
erscheinen zu lassen; allein eine solche wäre erstens 
kaum aufgenommen worden und hätte zweitens 
kaum einen Erfolg gehabt, da ja doch nach wie 
vor andere Heilungen unserseits, als solche von 
„nervösen“ Beschwerden, einfach kurzweg in Abrede 
gestellt werden. 

Es mag nun manchem überflüssig erscheinen, 
obenerwähnte Behauptung zu bekämpfen; allein ich 
glaube, dass es gar nichts schadet, wenn wir ein 
wenig kritischer werden und nicht fast jede Heilung 
unserer Therapie in die Schuhe schieben. Denn 
dass im Allgemeinen unter uns homöop. Aerzten 
ein starker Glaube, um nicht mehr zu sagen, betreffs 
der Wirkungen der verabreichten Mittel herrscht, 
wird wohl kaum Jemand zu verneinen wagen. 
Man braucht nur die vielen Krankengeschichten in 
unseren Zeitschriften durchzulesen, um herauszu¬ 
finden, wie wenige denn eigentlich das beweisen, 
was sie beweisen wollen, nämlich dass wirklich das 
oder die verabreichten Mittel die Heilung bewirkt 
haben. Darauf ist übrigens schon öfter hinge¬ 
wiesen worden. Zur Entschuldigung mag übrigens 
erwähnt werden, dass der homöopath. Arzt, der in 
seiner allopathischen Praxis so viele Misserfolge 
verzeichnete, sobald er einmal die homöopath. 


Arzneimittellehre ein wenig kennt, Erfolge sieht, 
an die er nicht gewohnt war. Und jemehr er die 
Arzneimittellehre kennen lernt, um so mehr häufen 
sich diese Erfolge, und er wird so allmählich aus 
einem Skeptiker allzuleicht ein gläubiger Enthusiast, 
der viel von seinem nüchternen Urtheil verloren 
hat. So sieht er denn oft Erfolge in einer Krank¬ 
heit, wo eine ruhige Kritik nur einen ganz natür¬ 
lichen, von Arzneien unbeeinflussten Verlauf er¬ 
kennt. Für das Ansehen der Homöopathie und 
für die überzeugende Wirkung unserer Kranken¬ 
geschichten kann es aber nur von Vortheil sein, 
wenn gehörige Kritik geübt wird, denn dadurch 
gewinnen letztere erst einen Werth, ohne dieselbe 
sind sie werthlos. 

Doch lassen Sie uns nun sehen, ob wirklich die 
Behauptung, die Homöopathie heile durch Suggestion, 
nicht einige Berechtigung hat. 

Es giebt unter den Anhängern der Homöopathie 
im Laienstande, namentlich unter denen, welche 
oft dazu kommen, selbst zu „doctern“, wie Sie 
gewiss oft beobachtet haben, eine Menge solcher, 
die bei jeder eintretenden Besserung in ihrem Be¬ 
finden oder dem ihrer Kranken nach Einnehmen 
ihrer Mittel, ganz bestimmt versichern, das Mittel 
habe geholfen, wenn auch der Arzt sagen muss, 
dass das Mittel absolut nicht richtig gewählt war, 
oder wenn auch die Besserung so langsam erfolgte, 
wie wenn die Krankheit gar nicht behandelt worden 
wäre. Solche Leute nehmen überhaupt selten ein 
Mittel ein, ohne dass es wirkt. Wenn der Arzt 
solche Kranke behandelt, besonders solche, die ein 
wenig A. M. L. studiert, haben, so kann er ihnen 
selten ein Mittel geben, ohne dass eine Reihe von 
Symptomen auftreten, die in der A. M. L. ver¬ 
zeichnet sind, und das geschieht in Fällen und mit 
Gaben, bei denen man eine solche Einwirkung mit 
Sicherheit ausschliessen kann. Ich kenne z. B. 
eine Patientin, welche fast bei jedem Mittel, falls 
eine Verschlimmerung ihres Befindens nach dem 
Einnehmen eintritt, ganz fest behauptet, das Mittel 
sei schuld daran. Ich will zwar nicht leugnen, 
dass es Kranke giebt, welche auf meine Dosen 
der Arznei mitunter sehr leicht reagiren und un¬ 
verkennbare Arzneisymptome hervorbringen, doch 
kommt das verhältnissmässig selten vor. 

Wie oft geschieht es ferner, dass wir einem 
Kranken fast aufs Geradewohl ein Mittel geben 
müssen, wenn wir für die betreffenden Krankbeits- 
erscheinungen nicht gerade das entsprechende 
Arzneiwirkungsbild im Kopf haben und es uns un¬ 
möglich ist, zuerst die A. M. L. zu Rathe zu ziehen, 
und doch kommt der Patient wieder und berichtet 
vou Besserung! Hie und da mögen wir wohl das 
Richtige getroffen haben; allein dieser Fall ist gewiss 
nicht so häufig. Wie viele Mittel wurden z. B. in 
der letzten Influenzaepidemie von den verschiedenen 


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homöopathischen Aerzten angewandt und als wirk¬ 
sam gerühmt! Alle hatten mehr oder weniger Er¬ 
folge zu verzeichnen; aber gewiss waren dieselben 
in sehr vielen Fällen nur imaginär, und haben 
Naturheilungen für Kunstheilungen imponirt. 

Die bis jetzt erwähnten Fälle sind nun nicht 
eigentlich Beispiele, wo die 8uggestion thera¬ 
peutisch gewirkt hat (obschon sie auch da theilweise 
mithelfen kann), sondern solche, wo bei der Heilung 
eine Suggestion nebenbei geht, und zwar oft sowohl 
auf Seite des Arztes als des Patienten, nämlich 
diejenige, das Mittel sei Schuld an der Heilung 
gewesen, während es Naturheilung war. Dadurch 
wird aber der eigentlichen Suggestionsbeilung in 
einer späteren Erkrankung desselben Patienten Vor¬ 
schub geleistet. 

Daneben giebt es aber Fälle, wo wirklich nur 
die Suggestion wirkt, und da müssen wir Dr. G. 
Recht geben, wenn er sagt, die Homöopathie heile 
„mancherlei nervöse Beschwerden“. Gerade in 
solchen Fällen, wo keine organischen Veränderungen 
bestehen, oder nur solche ganz minimer Art, welche 
darch directen Einfluss des Nervensystems gehoben 
werden können, kann die Suggestion, wie die Be¬ 
obachtungen von Bernheim und seinen Schülern 
lehren, ganz Bedeutendes wirken. Es braucht dabei 
nicht einmal immer mit Absicht suggestionirt zu 
werden; eine bestimmt ausgesprochene Erwartung 
von Seite des Arztes, dass Besserung eintreten 
werde, wirkt oft schon genügend, mitunter auch 
schon der Ausspruch, dass nichts Bedenkliches 
gefunden werden könne. Und gewiss, je mehr 
Zatrauen ein Arzt geniesst, desto mehr wird er 
durch unbeabsichtigte Suggestion ausrichten können. 
Ferner wirkt oft ein als besonders wirksam ge¬ 
priesenes Mittel bei dem Einen prompt, während 
bei einem Anderen, der ganz dieselben Symptome 
darbietet, aber weniger suggestibel ist, die Wirkung 
ausbleibt. 

Also, eine Wirkung der Suggestion in thera¬ 
peutischer Beziehung kann nicht geleugnet werden; 
allein ist diese Wirkung bei der Homöopathie eine 
andere als bei der Allopathie? Gewiss nicht; alles 
was ich angeführt habe (mit Ausnahme etwa der 
suggerirten Symptome au8 unserer A. M. L., die 
ich anführte), behält seine volle Geltung auch für 
die allopathische Therapie, und ich glaube nicht, 
dass man speciell für die Homöopathie eine be¬ 
sondere Art der Suggestion nachweisen könnte. 
Somit ist der Vorwurf, die Homöopathie heile 
durch Suggestion, ein Schlag in's Wasser; er trifft 
die Allopathie gerade so gut. Sagt ja auch Dr. 
G., dass viele neuere Arzneimittel nur der sugges¬ 
tiven Wirkung ihren Erfolg verdanken, und sobald 
sie nicht mehr neu sind, vergessen werden, da die 
Erfolge ausbleibeti. Bernheim giebt denn auch den 
Aerzten den Rath, die neuen Arzneien früh anzu¬ 


wenden , so lange sie noch wirksam seien. Er 
zählt zu den suggestiv wirkenden Heilverfahren 
auch die Suspensionsmethode bei Tabes, die aller¬ 
dings nicht mehr so wirksam zu sein scheint, wie 
im Anfang, ferner die Kneipp'scbe Kur und zum 
Theil die Electrotherapie. Und Forel*) sagt: „Mit 
was für Recht streiten wir den Homöopathen, den 
Matheisten, Magnetiseuren, Wunder- und Gebetheil¬ 
künstlern ihre Praxis und ihre Heilerfolge ab, die 
ja nur auf Suggestion und auf der Medicin ent¬ 
nommenen Mitteln beruhen, so lange wir uns selbst 
so gigantisch durch Suggestion irre führen lassen? 
Reissen wir zunächst im eigenen Gebäude dem 
Schwindel und der Täuschung durch wahre 
Forschung die Maske herunter; dann werden wir 
mit obengenannten Herren leichtes Spiel haben.“ 

Ob man nun mit uns Homöopathen so leichtes 
Spiel haben wird, wie Herr Prof. Forel meint, 
das bezweifeln wir wohl alle sehr, hat sich doch 
die Homöopathie in den bald hundert Jahren ihres 
Bestehens so ausgebreitet und so vielfach Aner¬ 
kennung erzwungen (wovon freilich eben den meisten 
Allopathen wenig bekannt ist), wie es einer bloss 
suggestiv wirkenden Therapie nie und nimmer 
möglich gewesen wäre. 

Es kann gewiss Niemand behaupten, dass 
schwerere organische Veränderungen durch Sugges¬ 
tion zu heben seien; ferner ist es nicht möglich, 
dass Kinder unter 1—2 Jahren, oder Kranke mit 
aufgehobenem Bewusstsein suggestiv geheilt werden 
können, denn zu diesem Zwecke muss der Patient 
den Suggerirenden einigermassen begreifen, er muss 
auf seine Intentionen eingehen können. 8olche 
Krankheiten und Kranke hat aber auch der homöo¬ 
pathische Arzt viele zu behandeln. Wenn z. B. 
nach homöopathischen Prinzipien geleitete Irrenan¬ 
stalten’ in Nord-Amerika einen grösseren Procent¬ 
satz von Heilungen ergeben als die allopathischen 
Anstalten, so spricht das sehr zu Gunsten der 
Homöopathie (falls man nicht überhaupt jede Sta¬ 
tistik als irreführend verwirft), indem gerade Geistes¬ 
kranke viel weniger suggestibel sind, als geistig 
gesunde Personen. Ebensowenig wie ganz kleine 
Kinder und bewusstlose Kranke kann man krankes 
Vieh mit Suggestion behandeln, wenn schon, wie 
Forel nachweist, auch bei Thieren nicht jede 
Suggestionswirkung ausgeschlossen ist; denn darauf 
beruht z. B. zum Theil die Dressur, wie denn auch 
in der Erziehung der Kinder die Suggestion eine 
nicht unwichtige Rolle spielt. 

Also — der homöopathische Arzt hat noch eine 
ganze Menge Krankheiten zu behandeln ohne 

*) In dem sehr empfehlenswertheu Werk: y Der 
Hypnotismus * seine psycho-physiologiscbe, medicinische 
„strafrechtliche Bedeutung und seine Handhabung“ von 
Dr. August Forel. 2. Auflage, Verlag von Ferd. Enke, 
Stuttgart. 


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Suggestion, und dass er dieselben auch zum grossen 
Tbeile heilt, davon sind wir alle fest überzeugt, 
wenn es auch die ganze Schaar der Staatsmedicin 
nicht zugeben will. Wir sind davon überzeugt durch 
vielfache eigene Erfolge und durch die Erfolge 
anderer, die wir aus ihren Krankengeschichten 
kennen lernen. Aber wenn diese letztem uns und 
andere, namentlich Gegner, überzeugen sollen, so 
müssen sie auch so beschaffen sein, dass daraus 
die möglichste Sicherheit der Mittelwirkung hervor¬ 
geht (eine mathematische Gewissheit giebt es 
leider in der Therapie nicht), und weder die 
Wahrscheinlichkeit einer Naturheilung bestehen 
bleibt, noch eine Suggestionswirkung anzunehmen ist. 

Es würde zu weit führen, zu untersuchen, wo 
überall eine Naturheilung ausgeschlossen ist; es 
ergiebt sich das im Allgemeinen aus der Kenntniss 
des normalen, unbeeinflussten Verlaufs der Krank¬ 
heit, die jedoch theilweise noch sehr mangelhaft 
ist, sowie aus dem bisherigen Verlauf derselben und 
der Möglichkeit eventuelle zur Zeit bestehende 
Complicationen rasch zu beseitigen, welche unbe¬ 
einflusst den Gang der Krankheit in Bezug auf 
Prognose sehr verschlimmern oder ihn absolut un¬ 
günstig beeinflussen. Auch daraus lassen sich 
Schlüsse für eine therapeutische Wirkung im 
Gegensatz von Naturheilung ziehen, dass ein Mittel 
immer und immer wieder in ähnlichen Fällen von 
gleichem Erfolge begleitet ist. 

Sehen wir nun, was für Anforderungen an eine 
Krankengeschichte, resp. einen Heilungsverlauf ge¬ 
stellt werden müssen, damit eine Svggestionsivirkung 
ausgeschlossen ist. Dabei fallen natürlich Krank¬ 
heiten mit organischen Veränderungen ausser Be¬ 
tracht und sind nur solche mit hauptsächlich so¬ 
genannten nervösen Symptomen zu berücksichtigen, 
worunter wohl auch viele rheumatische Beschwerden 
einbegriffen werden müssen. Nicht vergessen wollen 
wir, dass auch functioneile Erkrankungen, wie z. B. 
Menstruationsanomalien und Störungen in der Darm¬ 
function einer Suggestion zugänglich sind. 

Will man bei Behandlung der eben erwähnten 
Krankheiten von vornherein jede beabsichtigte Sug¬ 
gestion ausschliessen, so darf man natürlich dem 
Patienten bei der Consultation nicht bestimmt ver¬ 
sichern, das Mittel werde sicher wirken, sonst ist 
man bereits nicht mehr ganz klar, ob das Mittel 
wirkt oder die Suggestion, wenigstens bei leicht 
suggestibeln Kranken. Es kann nun gleichwohl 
Vorkommen, dass Leute, die sehr grosses Zutrauen 
zum Arzte haben, ohne eigentliche Suggestion 
von Seite des Arztes sich die Heilung antosuggeriren. 
Wenn aber ein Patient, der ein, zwei oder mehr 
Jahre lang trotz kräftigen Glaubens an die Allopathie 
erfolglos behandelt wurde (um nur überhaupt noch 
etwas zu versuchen, vielleicht auf dringendes An¬ 
rathen von Bekannten), zum homöopathischen Arzte 


kommt und ihm sagt, er habe zwar keinen Glauben 
in die Homöopathie, wolle aber diese Behandlungs¬ 
art versuchen, um alles gethan zu haben, so kann 
da wohl kaum von Suggestion gesprochen werden, 
wenn nun auf die homöopathischen Mittel hin 
vielleicht sehr rasch Besserung, resp. Heilung 
eintritt. Und solche Fälle kommen gar nicht so 
selten vor. 

Fenier kann nicht von Suggestion gesprochen 
werden, wenn der Patient zuerst verschiedene 
Mittel ohne Erfolg erhalten hat, und nun auf ein 
weiteres Mittel sofortige Besserung oder Heilung 
eintritt. Die Suggestion hätte im Gegentheil be¬ 
wirken müssen, dass die Heilung im Anfang zu 
Stande gekommen wäre, wo die Hoffnung des Pa¬ 
tienten auf Heilung noch stärker war als später, 
nachdem schon verschiedene Mittel erfolglos versucht 
worden waren. 

Ein weiterer Fall, wo Suggestion auszuschliessen 
ist, ist derjenige, wo ein Patient ohne sein Wissen 
Mittel erhält. Ich erinnere hier an die schönen 
Heilungen von Trunksucht von Dr. Gallavardin in 
Lyon, die er in seinem Schriftchen über „Alcoholisme 
et Criminalitä“ niedergelegt hat. 

Ferner ist bei solchen Krankheiten, welche ge¬ 
legentlich recidiviren, und bei denen immer nur 
dasselbe ganz bestimmte Mittel hilft , während ein 
anderes erfolgtes bleibt , (dabei vorausgesetzt, der 
Patient wisse nicht, welches Mittel er erhält), 
ebenfalls jede Suggestion ausgeschlossen. In gleicher 
Weise verhält es sich, wenn das gleiche Mittel bei 
Recidiven nicht mehr helfen will, infolge etwas 
veränderter Symptome oder veränderter epidemischer 
Constitution, und nun ein anderes die Heilung zu 
Stande bringt , und zwar gilt dies besonders für 
die Fälle, wo Patient das frühere Mittel kennt, 
ein grosses Zutrauen zu ihm hat und weiss, dass 
er es wieder erhielt, und also nun, trotz dieser für 
Suggestion günstigen Umstände der Erfolg aus¬ 
bleibt. 

Für uns Homöopathen ist es immer einer der 
besten Beweise für Abwesenheit einer Suggestions- 
wivkung, wenn ein ganz bestimmtes Mittel bei ver¬ 
schiedenen Personen jedesmal wieder seine Wirkung 
entfaltet infolge seiner Symptomenähnlichkeit. Man 
kann dies auch so ausdrücken, dass im Allgemeinen 
die Wahrscheinlichkeit der Suggestiouswirkung 
mit der Zunahme der Aehnlichkeit des Arznei¬ 
wirkungsbildes mit dem Symptomenbild der Krank¬ 
heit in umgekehrtem Verhältnis steht. Ich sage 
,,im Allgemeinen“, denn es scheint uns oft ein 
Mittel ein ähnlicheres Symptomenbild zu bieten als 
ein anderes, und doch wirkt dieses durchschlagend 
und jenes nicht. Bei genauer Untersuchung ergiebt 
sich aber gewöhnlich, dass das heilende Mittel doch 
in gewissen charakteristischen Merkmalen ähnlicher 
ist, als das nicht heilende. Solche scheinbare Ab- 


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Weichlingen werden aber seltener werden, je mehr 
die Arzneiwirkungslehre entwickelt ist, d. h. je 
genauer das Symptomenbild einer Arznei gekannt 
und mit Sicherheit festgestellt ist. 

Ich glaube damit ziemlich erschöpfend dargethan 
zu haben, in welchen Fällen von Heilung nervöser 
oder functioneller Beschwerden die Suggestion mit 
ziemlicher Sicherheit auszuschliessen ist. Die be¬ 
treffenden Bedingungen geben uns zugleich Kriterien, 
um auch bei anderen — organischen — Erkran¬ 
kungen die Wahrscheinlichkeit der Arzneiheilung 
zu erkennen. Es mag allerdings zugestanden werden, 
dass nicht in durchweg jedem Fall, wo wir eine 
Suggestion absolut ausschliessen zu können glauben, 
keine Möglichkeit einer solchen vorhanden ist, indem 
wir ja nicht wissen können, unter welchen Ein¬ 
flüssen die Gehirnthätigkeit des Patienten gerade 
steht. Vielleicht wirken hier und da noch solche 
Versuche suggerirend mit, von deren Existenz wir 
keine Ahnung haben. Allein wollte man allzu 
kritisch verfahren, so würde die Therapie schliesslich 
so unbestimmt und nebelhaft werden, dass man das 
Heilen mit Arzneien füglich aufgeben könnte. 

Wir brauchen uns also durch die Behauptungen 
unserer Gegner, dass die Homöopathie nur durch 
Suggestion heile, nicht im Geringsten beirren zu 
lassen; denn wie wir gesehen haben ist diese Art 
der Heilwirkung in der Allopathie eben so oft vor¬ 
handen als bei ihr, und es bleiben noch genug 
Fälle, wo gewiss das Mittel hilft und nicht die 
Suggestion. Eine Suggestionswirkung ist es da¬ 
gegen, wenn diese Behauptung, die von Bernheim 
Ausgegangen ist, nun von anderen Aerzten in treuem 
Glauben nachgesprochen wird, und diese damit 
das Räthsel der Erfolge der Homöopathie gelöst 
zu haben glauben! 

Erlauben Sie mir zum Schluss, Ihnen noch 
einige Krankengeschichten, resp. Heilungen mitzu- 
theilen, von denen ich glaube, dass nicht viel Ein¬ 
wendungen dagegen gemacht werden können, und 
die weder auf Naturheilung noch auf Suggestion 
beruhen. 

1 . 

Herr F. S., 41 Jahre alt, gut genährt, in der 
Jugend etwas kränklich gewesen, erkrankte am 16. 
Aug. d. J. mit Schüttelfrost und Stechen in der 
linken Seite, nachdem er die letzten Tage viel im 
Keller gearbeitet hatte. Schon circa ö Wochen 
früher war er mit ähnlichen, aber schwächeren Symp¬ 
tomen erkrankt, doch handelte es sich damals wohl 
nur um Pleuritis sicca, die sich bald wieder besserte. 
Die Untersuchung ergab nun pneumon. Infil¬ 
tration im Unterlappen der linken Lunge und bald 
entwickelte sich auch in derselben Gegend 
etwas Pleuritis. Die Sputa waren dünnflüssig, 


bräunlich, und Patient machte den Eindruck eines 
Schwerkranken. Er erhielt Acon. und Bryon. in 
stündlichem Wechsel, dazu kalte Ein Wicklungen. 
Bereits am 18. Aug. sank die Temperatur morgens 
auf 37,5 und stieg abends nur auf etwa 38,5. Am 
19. trat aber ein Recidiv ein mit erneutem sehr 
heftigem Stechen, die Sputa wurden fast rein 
blutig, Dämpfung und Bronchialathmen dehnten 
sich nach oben aus. Patient erhielt nun wegen 
gleichzeitiger Diarrhoe, die oft nicht zurückgehalten 
werden konnte, Ferr. pho. 3 (neben Bry.), welches 
sehr gut zu wirken schien. Schon am nächsten 
Tage war das subjective Befinden viel besser, da¬ 
gegen blieben die Sputa gleich schaumig-blutig. 
Da der Bruder des Patienten vor 1 J / 2 Jahren an 
Phthise gestorben war (allop. Behandlung), die sich 
an eine Pneumonie angeschlossen hatte, so fürchtete 
ich, auch hier möchte sich Aehnliches vorbereiten, 
da das Sputum entschieden den Charakter einer 
Haemoptoö hatte. Patient erhielt nun am 22. 
Hamam. 3. und, um die Krisis zu beschleunigen, 
hie und da eine Gabe Sulfur 6. Es trat nun ziem¬ 
lich rasch Defervescens ein ohne eigentliche Krisis, 
und da auch noch Bronchialathemen und ein wenig 
kleinblasiges Rasseln zu hören war, so erhielt Pat. 
am 26. Pho. 30. Patient fühlte sich subjectiv 
ziemlich wohl, aber trotzdem vermehrten sich die 
Erscheinungen auf der Lunge wieder und am 27. 
war wieder weitverbreitetes mittelgrossblasiges und 
kleinblasiges Rasseln zu finden, auch die Dämpfung 
hatte wieder zugenommen. Nun erfuhr ich auf 
näheres Befragen, dass Patient in den letzten zwei 
Nächten sehr unruhig gewesen sei und sich herum- 
geworfen habe, und zwar von 11 Uhr an bis gegen 
3 Uhr. Am Morgen war dann Patient immer sehr 
schlafbedürftig und fühlte sich offenbar matt. Ich 
Hess nun die nächste Nacht ohne die Medication zu 
ändern , die Temperatur messen, und diese stieg 
nach Mitternacht bis gegen 40°, um gegen 4 Uhr 
wieder abzufallen. Patient war wieder von 11 Uhr 
an (vorher hatte er ruhig geschlafen) unruhig ge - 
worden , hatte phantasirt , zeigte grossen Durst und 
Angst und hustete ziemlich stark. Die ohjectiven 
Symptome hatten gegen den Tag vorher nur noch 
zugenommen (am 28. Aug.), das Sputum blieb 
immer gleich schaumig-blutig. Nun glaubte ich, 
bei diesen Symptomen könne die Mittel wähl nicht 
zweifelhaft sein und ich gab Arsen. 3. (20 Pillen 
in 1 Glas Wasser, 2 stündlich l Schluck) in der 
bestimmten Erwartung, dass schon die nächste Nacht 
besser sein werde. Und so kam es: Patient war 
nur von 1—3 l /a Uhr noch etwas unruhig, aber 
lange nicht wie die früheren Nächte, hatte weniger 
Durst, die Temperatur stieg his auf 39°, subjectiv 
fühlte er sich viel besser und die objectiven Lungen¬ 
symptome waren am nächsten Tag entschieden schon 
geringer. In der folgenden Nacht stieg die Temp. 


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8 


nur noch auf 37,5°, Patient schlief recht gut und 
am Morgen war nur noch in den untersten Parthien 
der linken Lunge etwas Knistern nachzuweisen. 
Das war am 30. Aug., und von da an war die 
Reconvalescens ununterbrochen, wenn auch das noch 
einige Zeit in vermindertem Grade andauernde Stechen 
erst in den ersten Tagen eines bald darauf folgen¬ 
den Aufenthalts in Montreux ganz verschwand. Auch 
das Sputum hatte vom 29. Aug. an weniger Blut¬ 
beimengung gezeigt und war geringer geworden. 
Zur Zeit ist keine Spur der Erkrankung mehr 
nachzuweisen. 

In diesem Falle hat ganz zweifellos Arsenic 
zauberhaft gewirkt und den Patienten vor vielleicht 
chronischem Siechthum bewahrt; denn bevor dieses 
Mittel gegeben wurde, hatte sich Nacht um Nacht 
der Zustand subjectiv und objectiv verschlimmert, 
während von Stund an, da Arsenic gereicht wurde, 
alle Symptome zurückgingen. Das Sputum und die 
Thatsache, dass der Bruder an Phthise gestorben, 
hatten einen viel langsameren Verlauf befürchten 
und einen üblen Ausgang als möglich erscheinen 
lassen. 

2 . 

Frau M. 64 J. alt, litt schon früher an Cystitis 
und erkrankte nun vor einiger Zeit wiederum daran. 
Am 14./3. d. J. klagte sie über starkes Zusammen¬ 
ziehen unten im Leib beim Harnen und vielen Drang, 
namentlich aber auch ein Gefühl von Herausdrängen 
zur Scheide hinans. Der Harn war ziemlich trüb 
und Hess einen weissen Niederschlag fallen, die 
Farbe ist ziemlich hell und leicht ins Grünliche 
gehend. Wegen des Symptoms »Drang nach unten, 
als ob alles zur Scheide hinaus wollte* 1 , gab ich 
zuerst Lilium 3., das ja auch Blasensymptome 
aufweist, und welches mir in einem ähnlichen Falle 
(jedoch ohne dass eigentliche Cystitis da war) 
schnellen Erfolg gebracht hatte. Allein Lil. ver¬ 
sagte. Am 17./3. war der Krampf aber stärker 
und Patientin erhielt nun Coloc 3., worauf bis zum 
19. etwas Besserung eintrat, die aber nicht weiter 
fortschritt, so dass dann bis am 21. der Zustand 
derselbe blieb. Patientin gab nun an, dass nachts 
der Drang stärker sei; sie erhielt nun Calc. carb. 
12d, 3 Mal täglich, und am 25. schon* war der 
Harn fast ganz klar und hatten die Beschwerden 
sich bis auf ein Minimum reducirt. Die Heilung 
erfolgte rasch ohne ein anderes Mittel. 

Hier hatte Lilium wohl nicht gewirkt, weil es 
wahrscheinlich bei Cystitis überhaupt wenig wirk¬ 
sam ist, und hier offenbar das Herabdrängen nach 
der Scheide von dem Reizzustand der Blase abhing 
und nicht vom Uterus. Die Besserung auf Calc. 
carb. hin war so rasch und auffallend, dass nur 
diese Schuld sein konnte, zumal eine Cystitis nicht 
von selbst so rasch heilt, namentlich wenn sie schon 


früher einmal vorhanden war. Ein ähnlicher Fall 
ist der folgende. 

3. 

Frau D. 53 J. alt, consultirte mich am 27./7. 
wegen chronischer Cystitis, für die sie seit drei 
Monaten allopathisch behandelt worden war. Zuletzt 
hatte sie Wildunger-Wasser getrunken ohne Erfolg 
Sie litt seit Jahren an inoperabeln Uterusmyomen. 
Ihre Klage war die, dass ihr Blasenleiden sich immer 
verschlimmere und sie besonders nachts viel Drang 
habe , so dass sie bis 12 und 15 Mal aufstehen 
müsse. Der Harn war trüb und hatte dunkle 
Färbung. Sie erhielt Calc. carb. 12., 3 Mal täg¬ 
lich 5 gtt. Am 12./8. berichtete sie, das6 es 
ziemlich besser gehe, sie habe auch viel weniger 
Schmerzen, der Harn war heller geworden, resp. 
zeigte weniger Trübung. Ordination dieselbe. Am 
25./S. ging es schon viel besser, doch war der 
Harn (besonders morgens) noch etwas trüb. Sie 
erhielt nun Calc. carb. 30d. morgens und abends. 
Am 12. Oct. kam sie noch einmal und berichtete, 
dass sie nachts nur noch einmal aufstehen müsse 
zum uriniren, der Harn sei nur noch morgens nicht 
ganz klar. Sie war 14 Tage ohne Mittel gewesen 
und erhielt nun Calc. carb. 30c. 

Trotzdem der Fall noch nicht als völlig geheilt 
gelten kann*), wollte ich ihn anführen als Pendant 
zum vorigen, und weil auch hier besonders über 
nächtlichen Drang geklagt wurde und Calc. carb. 
sofort bedeutende Besserung herbeiführte nach 3- 
monatlicher vergeblicher allopath. Behandlung. Es 
nimmt mich wunder, ob das Symptom des haupt¬ 
sächlich nächtlichen Dranges sich noch öfter als An¬ 
zeige für Calc. carb. bewährt; man ist bei der so 
gleichartige Symptome bietenden Cystitis oft sehr 
in Verlegenheit betreffs der Mittel wähl. 

Noch bemerken will ich, dass der Harn be¬ 
sonders im ersten Falle einen Stich ins Grünliche 
hatte, was z. B. im Lehrbuch der Homöopathie von 
Schwabe (? die Red.) als Indication für Calcarea 
angegeben ist. 

4. 

Frau Sch. c. 35 Jahre alt, litt seit Jahren an 
zu starker Menstruation und fühlte sich deshalb 
immer angegriffen. Am 11. Jan. klagte sie wiederum, 
dass ihre letzte Menstruation so sehr stark gewesen 
sei, und dass sie oft ein Gefühl von Abwärtsdrängen 
beim Gehen habe. Da ich ihr schon früher einmal 
ohne Erfolg Calcarea gegeben hatte, so untersuchte 
ich sie nun und fand einen sehr vergrösserten. und 
empfindlichen Uterus mit sehr'verdünntem Colleum, 
also eine chronische Metritis. Sie erhielt nun Aur. 

*) Bis Ende November zeigte sich Patientin nicht 
mehr; es muss ihr also wohl gut gehen. 


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mur. natr. 4 morgens und abends. Am 12. März 
berichtete sie, dass die letzte Periode weniger stark 
gewesen sei, aber 8 Tage gedauert habe; sie em¬ 
pfinde immer noch den herabdrängenden Schmerz — 
der Uterus war bei der Untersuchung in ziemlich 
normaler Lage gefunden worden — und fühle auch 
Schmerzen beim Armaufheben, oder wenn sie etwas 
Schweres hebe. Sie erhielt nun Lilium 3. mehr¬ 
mals täglich und berichtete mir im Juli, dass 
sie sich bald darauf bedeutend besser und über¬ 
haupt wieder gesund gefühlt habe, nachdem sie 
vorher Jahre lang immer mehr oder weniger an 
allgemeiner Müdigkeit gelitten habe. 

Hier hatte Aurum, mur. die chronische Metritis 
wohl etwas gebessert, aber erst Lilium brachte in 
erstaunlich kurzer Zeit die Gesundheit wieder. Wenn 
ein Patient, wenn er bald nach Beginn des Ein¬ 
nehmens eine solohe Veränderung spürt, obgleich 
er Jahre lang nie recht gesund war infolge von 
organischen Veränderungen eines Organs, so ist ge¬ 
wiss das Mittel schuld, dass er sich wieder „ge¬ 
sund * fühlt. 


5 . 

Herr J. G., ca. 50 Jahre alt, erkrankte anfangs 
Februar v. J. an heftigem Rheumatismus im Nacken, 
der durch allopath. Behandlung nur wenig besserte. 
Bald darauf bekam er heftige Schmerzen im Nacken, 
die natih beiden Seiten des Kopfes ausstrablten und 
sich besonders heftig auf dem Scheitel concentrirten, 
aber sich auch bis zu den Augen fortsetzten. 
Rückwärtsbewegung des Kopfes giebt Erleichterung 
ebenso Anlehnen des Nackens an einen festen Gegen¬ 
stand. Der Schmerz ist besonders heftig nachts, 
namentlich nach Mitternacht, gegen Mittag nimmt 
er etwas ab und am Nachmittag wieder zu. Reden 
und Geistesanstrengung ruft eigentliche Schmerz - 
anfälle hervor. Er hat ein Gefühl, als ob er eine 
Kappe auf dem Kopf hätte . Von allopath. Aerzten 
hatte er Antipyrin, Antifebrin, Phenacetin vergeblich 
erhalten und consultirte mich nun am 3. März v. J., 
da ihm sein Arzt gesagt hatte, er wisse nicht mehr, 
was er ihm geben solle, ausser Morphium. Er er¬ 
hielt Geisern. 30c. 

Bis am 7./3. ist keine wesentliche Aenderung 
eingetreten; als ich mit ihm sprach, bekam er wieder 
einen Anfall, und ich bemerkte, dass sein Gesicht 
sich dabei röthete. Ordinal: Glonoin 6d, zwei¬ 
stündlich. 

Am 9./3. ist der Zustand eher etwas besser, 
bleibt aber dann bis zum 11. gleich. Deshalb er« 
hält er nun Glonoin 3. 

Am 13./3. erwachte Patient zum ersten Mal 
ohne Schmerz, am Mittag und Nachmittag hatte er 
je einen mässig starken^Anfall; die Nächte waren gut. 

Am 16./3. geht es recht ordentlich, allein es 
treten immer noch Anfälle auf, wenn auch weniger 


stark. Patient erhält nun Glonoin 3. und Cimic 
rac. 3. im Wechsel. 

Am 18./3. war der Zustand besser und Patient 
nahm nun nur noch Cimic. 3. allein weiter und 
am 25./3. war der Zustand so, dass er nur 
noch über etwas Müdigkeit klagte. Er erhielt nun 
noch Cimic. 12d für einige Zeit, *und zwar, da er 
mir sagte, dass er von jeher gern Migräne bekommen 
habe nach etwas mehr Weintrinken als gewöhnlich, 
im Wechsel (je täglich 2 Mal) mit Nux vom. 12d. 
Seither blieb Patient gesund. 

Ob hier Cimic. ohne vorhergehendes Glonoin ge¬ 
wirkt hätte? Jedenfalls trug jedes Mittel zur Heil¬ 
ung bei, und Suggestion war gewiss nicht vor¬ 
handen, denn Patient hatte gar nicht besonderes 
Zutrauen zur Homöopathie, sondern dieselbe nur 
als äusserstes Mittel versucht, da sein Arzt ihm 
nichts mehr zu geben wusste. 

6 . 

Frau K., 41 J. alt, consultirte mich am 18./3. 
v. J. Sie klagte über Blutandrang nach den oberen 
Körpertheilen vor der Menses und hatte schon Blut¬ 
erbrechen gehabt. Sie litt oft an Angst und Hitze 
im Kopf, und die Menses kamen gewöhnlich zu 
früh und zu stark. Sie klagte über ein Gefühl, 
wie wenn sie einen Deckel auf dem Kopfe hätte 
und über Hitze auf dem Scheitel . Ordinat.: Cimic. 
rac, 12d morgens und abends. Am 7. Juli kam 
die Frau wegen anderer Beschwerden und sagte 
mir, dass es ihr seither gut gegangen sei. 

Ich mache darauf aufmerksam, dass in den beiden 
letzten Fällen das Gefühl einer Kappe oder eines 
Deckels auf dem Kopfe vorhanden gewesen war mit 
Hitze , was mich namentlich bestimmte, Cimic. zu 
geben. 


7. 

Frau von T., 45 J. alt, leidet seit vielen Jahren 
an Migräne, besonders zur Zeit der Menses, aber 
auch dazwischen. Sie beginnt gewöhnlich morgens, 
nimmt bis gegen Abend zu und dauert meist 24 
Stunden. Sie kommt aber auch nachmittags und 
dauert bis morgens 6 Uhr. Die Schmerzen sind 
entweder in rechter Schläfe oder Augenhöhle und 
geben bis in den Nacken. Patientin hat dann das 
Gefühl eines Eisenringes um den Kopf (ähnlich wie 
das Gefühl eines Deckels oder einer Kappe) und 
viel Hitze auf demselben. Lesen ermüdet sehr und 
besonders morgens ist sie leicht empfindlich. Die 
Menses sind unregelmässig und von grosser Müdig¬ 
keit begleitet. Ordinat.: Cimic. rac. 30c morgens 
und abends. 

Diese Consultation fand statt am 17. Juli und 
am 28. Oct. schrieb sie mir bei Gelegenheit einer 
Alveolarperiostitis, für die sie ein Mittel wünschte: 
„4 propos migraine: votre remöde est souverain, 

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migraine beaucoup mieux.“ Sie sagte mir gestern 
noch, dass sie früher die Migräne alle 2—3 Wochen 
gehabt habe und nun in 2 Monaten nur einmal und 
noch viel schwächer. Sie nimmt nun Cimic. mit 
Unterbrechungen noch fort. 

8 . 

Herr R., ca. 60 J. alt, litt seit einigen Tagen 
an allgemeiner Abgesohlagenheit, Frösteln, Kopf¬ 
schmerzen im Hinterhaupt, Blähungen und Stuhl¬ 
verstopfung, wogegen er Nux vom. 3d erhielt, das 
aber zuerst verschlimmerte. 5 Tage später waren 
die Blähungen verschwunden, ebenso der Hinterhaupt¬ 
schmerz, dafür bekam er aber heftige Stiche in der 
1. Schläfe mit öfterem Frösteln. Ordinat.: Merc. 3d 
2 stündlich. Nach 2 Tagen waren die Beschwerden 
noch gleich, es bestand auch leichte Temperatur¬ 
erhöhung abends. Calcar. caus. 3, die ich nun 
verordnet^, half bis am nächsten Tag auch nichts. 
Der Schmerz trat immer morgens am stärksten auf 
und schien im Liegen schlimmer zu sein, denn Pat. 
empfand ihn besonders vor dem Autstehen, dann 
mittags beim Abliegen und abends im Bett, konnte 
aber doch schlafen. Zugleich waren die Haare sehr 
empfindlich. Besonders dieser beiden Symptome 
wegen gab ich nun Magnes. carb. 30c., zuerst 3- 
stündlich, vom 2. Tage an seltener. »Empfindlich¬ 
keit des Scheitels, als würden die Haare in die 
Höhe gezogen*, finden wir zwar nur bei Magnes. 
mur.; allein die Wirkung beider Salze ist sehr 
ähnlich, und da ich gerade nur Magnes. carb. in 
30c vorräthig und in ähnlichen Fällen schon er¬ 
probt hatte, so gab ich diese. Am nächsten Morgen 
war der Schmerz schon wesentlich besser, am zweit¬ 
folgenden fast ganz weg und am dritten spürte 
Patient gar nichts mehr und klagte nur noch über 
Schwäche. 

Auch in diesem Falle ist Suggestion auszu- 
schliesstn, sonst würde die Besserung nicht erst 
und so rasch auf Magnes. carb. erfolgt sein. 

9. 

Zum Schluss noch eine letzte Krankengeschichte 
mit nervösem Leiden: 

Frau v. W., ca. 55 Jahre alt, sehr lebhaften 
Temperaments, mit schwarzem Haar, klagte im März 
v. J. über grosse Müdigkeit der Beine und 8chmerzen 
in den Oberschenkeln, die sie nach kleinen Spazier¬ 
gängen befielen, so dass sie oft kaum zu Fuss nach 
Hause zurückgehen möge. An ähnlichen Beschwer¬ 
den hatte sie schon letztes Jahr gelitten und war 
damals von Dr. Anken behandelt worden. Sie er- 
Causticum 12d ohne Erfolg. Nach einigen Tagen 
klagte sie über grosse Müdigkeit der Nerven im 
Allgemeinen, sie fühle es bis in die Finger und 
habe das Gefühl, als ob der Leib hohl wäre. Des¬ 
halb und wegen der Schwäche der Beine gab ich 


nun Coccul. 3d und später Coccul. 12d, aber es 
wurde nur vorübergehend etwas besser. Nur Arnica 
schien einige Zeit günstig zu wirken, aber auch 
nicht dauernd, und ich schickte die Patientin im 
Juni nach Ragaz, von wo sie aber sehr angegriffen 
zurückkehrte. Sie wartete nun 14 Tage ab, um 
zu sehen, ob die versprochene, gute Nachwirkung 
einträte, aber vergeblich. Hierauf kam sie wieder 
zu mir und klagte über grosse Nervosität, Müdig¬ 
keit, Schlafsucht, eigentümliche Sensationen beim 
Einschlafen und über die alte Müdigkeit u. Schmerz¬ 
haftigkeit der Beine. Auch klagte sie über grosses 
Nahrungsbedürfniss und ein Gefühl von Erschlaffung 
im Leib. Patientin sprach viel (was sie übrigens 
mmer mehr oder weniger thut), und war in be¬ 
ständiger Bewegung. Ich gab ihr nun Tarantula 
30c, morgens und abends zu nehmen und nicht ganz 
4 Wochen später berichtete sie mir, dass sie sich 
nun gesund fühle und namentlich die Müdigkeit und 
Schmerzhaftigkeit der Beine ganz verschwunden sei. 
Bis jetzt hat die Heilung stand gehalten *). Auch 
hier war Suggestion ausgeschlossen, denn es waren 
zu viele Mittel schon vor Tarantula versucht worden 
und Ragaz hatte entschieden geschadet. Man könnte 
höchstens einwenden, es seien die betreffenden Be¬ 
schwerden hysterische gewesen, die ja oft plötzlich 
ohne Medication verschwinden. Immerhin war Taran- 
tula hier entschieden ein Simile, denn abgesehen 
von den Erscheinungen von Aufgeregtheit und be¬ 
ständige Bewegung der beweglichen Körpertheile, 
erzeugt sie allgemeine Erschlaffung mit Schmerzen 
in verschiedenen Gelenken und namentlich grosse 
Müdigkeit und Schwere in den Beinen mit Schmerzen 
in denselben. — 

Referat. 

Zur Symptomatologie der akuten Bleivergiftung. 

Von Dr. Heinrich Sehnldt in Leipzig. 

Am 3. März d. J. erschien in der Poliklinik 
die 30 jährige Handarbeitersfrau K., welche sofort 
durch die Blässe ihres Gesichts und ihr schwer¬ 
krankes Aussehen auffiel. Sie gab an, früher stets 
gesund gewesen zu sein, besonders niemals an 
Verdauungsstörungen gelitten zu haben. Ihre jetzige 
Krankheit datirte sie vom 21. Februar d. J. Am 
Nachmittag dieses Tages erkrankte sie, nachdem 
sie kurz zuvor beim Einpöckeln von Schweinefleisch 
von dem rohen Fleische gegessen hatte, mit heftigem 
Magendrücken, wiederholtem Erbrechen und Durch¬ 
fall. Da diese Beschwerden sich nicht besserten, 
so nahm sie am folgenden Tage von einem weissen 
Pulver, welches sie für „Natron“ hielt, zwei Messer- 


*) Diese ist auch bis Ende November so geblieben. 


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11 


spitzen ein nnd ebenso an den beiden nächsten 
Tagen, insgesammt 6 Messerspitzen. Das Magen¬ 
drücken liess hierauf nach, und statt des Durch¬ 
falles stellte sich Verstopfung ein. Am 23. aber 
traten heftige schneidende Schmerzen im Unter¬ 
leibe auf und zugleich schwoll unter brennenden 
Empfindungen die Oberlippe und die linke Backe 
an. Etwa am 25. Februar bemerkte Patientin eine 
Schwarzfärbung ihres Zahnfleisches. Da Kolik und 
Verstopfung anhielten und Patientin sich täglich 
elender fühlte, so kam sie am 3. März in die Po¬ 
liklinik. 

Patientin ist eine kleine, zart gebaute Frau. Sie 
ist äusserst hinfällig und nimmt am liebsten hori¬ 
zontale Lage ein. Das Gesicht ist blass mit einem 
Stich ins Gelbliche. Conjunctiva selerae weiss, 
Puls 64, elend. Kein Fieber. 

Die Zahnfleischpyramiden zwischen den Scbneide- 
und vorderen Backenzähnen, stärker am Oberkiefer, 
sind intensiv russchwarz verfärbt und die betreffenden 
Zähne haben in ihrem basalen Theile einen Belag 
von gleicher Beschaffenheit. Die Schleimhaut der 
linken Wange zeigt 5—6 etwa fingernagelgrosse, 
schwarzgraue Flecken, welche sich nicht weg wischen 
lassen. In der Mitte eines derselben, nahe der 
Mündung des Ductus Stenonianus, finden sich zwei 
rundliche, ziemlich tiefe Geschwüre mit grauem, 
schmierigem Belage. Die noch vorhandenen Zähne 
sind wohl erhalten. Die ganze linke Wange und 
der angrenzende Theil der Oberlippe ist geschwollen 
und etwas druckempfindlich. Die Zunge ist gelblich 
belegt und mit Zahneindrücken versehen. Es be¬ 
steht vermehrte Speichelabsonderung und ein höchst 
unangenehmer foetor ex ore. 

Der Bauch ist etwas aufgetrieben, stark ge¬ 
spannt, nur in der Magengegend druckempfindlich. 
Entsprechend der Flexura sigmoidea lassen sich feste 
Skybala durchfühlen. Häufige Anfälle heftigster 
Leibschmerzen, namentlich unterhalb des Nabels; 
seit 6 Tagen kein Stuhl. Harn saturirt, enthält 
etwas Eiweis, aber keinen Gallenfärbstoff und giebt 
die Indicanprobe und die Rosenbach'sche Reaction. 

Womit hatte man es hier zu thun? Das Nächst¬ 
liegende war natürlich die Annahme einer Blei¬ 
kolik. Für diese Diagnose liess sich aber keinerlei 
ätiologischer Anhalt finden. Weder die Patientin, 
noch ihr Mann hatten mit Blei zu thun, sämmtliche 
Hausbewohner, mit denen Frau K. zusammen lebte 
und ass, waren gesund geblieben, und dass das 
eingenommene Natron Blei enthalten sollte, schien 
höchst imwahrscheinlich. Dazu kam, dass die 
Mundaffektion in mehrfacher Beziehung von dem 
Bilde abwich, dass man sonst bei Bleikranken zu 
sehen gewohnt ist. Ausser der Schwarzfärbung 
des Zahnfleisches und der Wangenschleimhaut be¬ 
stand hier eine ausgesprochene Stomatitis mit Ge¬ 
schwürbildung und Speichelfluss, und dieser Be¬ 


fund erinnerte mehr an die Mundveränderungen, 
die bei Wismutvergiftung beobachtet worden sind. 

Die mikrochemische Untersuchung gab keine 
klare Entscheidung. Man war deshalb auf die 
Untersuchung des Pulvers angewiesen, und diese 
ergab die überraschende Thatsache, dass dasselbe 
54.6°/ 0 kohlensaures Blei enthielt und im Uebrigen 
aus doppeltkohlensaurem Natron und kohlensaurer 
Magnesia bestand. Wie das Bleiweiss in die Schachtel 
gekommen war, blieb unvermittelt. 

Es lag also doch eine Bleivergiftung vor. Der 
Fall war aber nach verschiedenen Richtungen un¬ 
gewöhnlich. Auffallend war zunächst die Schwere 
der Krankheitserscheinungen bei der geringen Menge 
des eingeführten Giftes. Patientin hatte von dem 
fraglichen Gemisch innerhalb dreier Tage im Ganzen 
nur 6 Messerspitzen genommen. Wie ein Versuch 
lehrte, wog diese Menge bei reichlicher Bemessung 
etwa 2—3 gr., so dass also höchstens 1.5 Bleiweiss 
einverleibt worden waren. Aber gerade von dem 
schwer löslichen Bleicarbonat sind wiederholt viel 
grössere Massen aufgenommen worden mit ver- 
hältnissmässig geringen Folgeerscheinungen. Dass 
hier die Reaktion eine so stürmische war, lag 
offenbar daran, dass das Gift in einen durch Er¬ 
brechen und Diarrhöen leer gewordenen Ver¬ 
dauungskanal gelangte, und dass wegen der vor¬ 
handenen Anorexie Nahrungsmittel gleichzeitig so 
gut wie gar nicht genossen wurden. 

Bemerkenswerth ist ferner das frühzeitige Auf¬ 
treten des Bleisaumes in diesem Falle. 

Auch Stomatitis mit Geschwürbildung scheint 
bei Bleiintoxikation äusserst selten zu sein. Nur 
ausnahmsweise findet man „Erosionen der Mund¬ 
schleimhaut“ erwähnt und Tanquerel des Plauches 
hat, trotz seiner grossen Erfahrung auf diesem 
Gebiete, nur ein einziges Mal ein Geschwür am 
Zahnfleischrande gesehen bei einem Bleiarbeiter, 
dessen Mundschleimhaut fast in toto bläulicht ver¬ 
färbt war. Tanquerel meint, dass dasselbe in der 
Weise entstanden sei, dass durch eingelagertes 
Schwefelblei eine Gefässverstopfung bedingt und 
die Ernährung des Gewebes dadurch aufgehoben 
wurde. Der Verlauf des vorliegenden Falls scheine 
diese Erklärung nicht zuzulassen, vielmehr hat es 
dem Anschein, als wenn hier die Munderkrankung 
nach Art der merkuriellen Stomatitis durch eine 
ätzende Metallverbindung veranlasst worden wäre, 
da bereits 24 Stunden nach Aufnahme des Giftes 
die Oberlippe und Wange unter brennenden Schmer¬ 
zen anschwoll und der Bleisaum erst mehrere Tage 
später auftrat. 

Der Ausgang der Krankheit war übrigens ein 
vollkommen günstiger. Unter entsprechender Be¬ 
handlung schwanden die verschiedenen Krankheits¬ 
erscheinungen sehr bald, doch waren noch sechs 


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12 


Wochen nach Beginn der Beobachtung, als Patientin 
wieder frisch nnd blühend aussah. ein schmaler 
Bl ei säum und schiefergraue Flecken auf der 
Wangenschleimbaut deutlich vorhanden. 

(Centralbl. für klin. Med. Nr. 28, 1891) 

Ein Brief von Samuel Lilienthal. 

Mitgetheilt von Dr. H. Goullon. 

Ein Unglück kommt nie allein, pflegt man zu 
sagen. So bringt uns die Weihnachts-Nummer dieser 
Zeitschrift nicht nur die Trauerkunde vom Ableben 
des Veteranen der Homöopathie, Dr. Eduard Groos, 
sondern meldet auch den Tod unseres amerika¬ 
nischen Collegen, des Professors Lilienthal, welcher 
sich grosse Verdienste um die Ausbreitung der 
Homöopathie in Amerika erworben hat 

Da ich zufällig noch im Besitz eines Briefes 
bin, den mir vor nun gerade 18 Jahren der Ver¬ 
storbene geschrieben hat, aus Briefen aber sehr oft 
die ganze Liebenswürdigkeit und Charaktereigen- 
thümlichkeit, namentlich die rein menschliche oder 
gemüthliche Seite des Schreibenden hervortritt, so 
glaube ich manchem Leser durch Mittheilung des 
Briefes eine Freude zu bereiten. Es fanden damals 
schon (1874) die Vorbereitungen zu dem grossen 
homöopathischen Weltcongress statt, dem von 
deutscher Seite Clotar Müller aus Leipzig und 
Albert Haupt aus Chemnitz beigewohnt haben. 
So schreibt denn der unvergessliche Heimgegangene: 

Werther College! 

Echten deutschen Gruss und Handschlag!! 
Obgleich Hering, Lippe, Neidhard, Eggert, Pulte 
und hunderte von uns schon Jahrelang im neuen 
fernen Vaterlande sich eingebürgert haben, so schlägt 
doch noch deutsches Blut in unseren Adern, und 
deutsche Gesinnung, deutsche Redlichkeit und treue 
Freundschaft findet ihr lautes Echo in uns Allen. 
Männer, wie Sie, lieber Freund, wie Bähr, Kafka, 
Maihoffer sind uns alle gute Freunde, und wir 
holten manchen von Euch für den July 1876 zu 
uns herüber zu locken, und Euch deutsche Gast¬ 
freundschaft auf amerikanischem Boden zu bieten. 
Ihr sollt uns dann willkommen sein und es soll 
Euch die Zeit nicht reuen, die die Zugvögel im 
Westen verbringen. 

Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen die Februar 
Nummer meines quaterly zu schicken und ich 
fühle mich geschmeichelt, dass Sie es zu den besseren 
Journalen zählen. Ich kann aufrichtig sagen, dass 
mir keine Mühe zu viel ist, keine Arbeit zu be¬ 
schwerlich, etwas unsrer Schule würdiges zu liefern, 
und dass ich auch jeden Angriff gegen unsere 
Schule aufhehme. „Tritt mich nicht, ich leid's fein 
nicht* ist mein Motto. 


Unsere Hochschule lässt noch viel, viel zu 
wünschen übrig, und doch können wir mit unseren 
Leistungen zufrieden sein. Wir haben hier keine 
vom Staate besoldeten Fachmänner. Wir lehren 
— nicht umsonst, sondern häufig müssen wir noch 
die Hand in unsere eigenen Taschen stecken, um 
alle Ausgaben zu decken. Die Praxis giebt uns unsere 
Einkünfte und Gottlob, da können wir Homöopathen 
nicht klagen, und es ist nicht mehr als unsere Pflicht, 
den Zehnten der Schule zu opfern. Die Bereit¬ 
willigkeit mit der alles geschieht, ist vielleicht zu 
bewundern und Sie sehen darin, dass der allmighty 
Dollar doch nicht der Abgott eines jeden Ameri- 
kaners ist. 

Ich halte Sie beim Worte, lieber Freund, und 
hoffe, sobald es Ihre Zeit erlaubt, die Freude zu 
haben, einen Originalartikel von Ihrer Feder zu 
erhalten. Dass es der leading article sein wird, ist 
ausser Zweifel. 

Genehmigen Sie die Versicherung meiner aus¬ 
gezeichneten Hochachtung 

S. Lilienthal. 


Literarische Anzeigen. 

Archiv für die Homöopathie . 

Herausgegeben von Dr. Alexander Fillers in 
Dresden , in 12 Monatsheften zum Preise von 10 
Mk. erscheinend, liegt jetzt in den beiden ersten 
Heften vor uns. Die Frage über die Nothwendig- 
keit eines neuen homöopathischen Journals lassen 
wir hier unerörtert. Jedenfalls gehört ein gewisser 
Muth unter den jetzigen Verhältnissen dazu, um 
ein solches neues Unternehmen ins Lehen zu rufen. 
Wir wünschen, dass derselbe den Herausgeber nie¬ 
mals verlassen möge. Die Allgem. H. Z. fürchtet 
die Conkurrenz nicht. Sie wird ihr vielmehr ein 
Sporn sein, unter Beibehaltung ihres alten Curses, 
ihren Lesern möglichst das Beste zu bieten. 

Der Inhalt der beiden bis jetzt erschienenen 
Hefte lässt noch kein definitives Urtheil zu, auf¬ 
gefallen ist uns, dass No. 2 zwei Artikel gegen die 
Hochpotenzen enthielt, obgleich nach dem Prospekt 
„die in den letzten Jahren literarisch etwas in den 
Hintergrund gedrückte Hochpotenzenlehre theoretisch 
und an der Hand der Ergebnisse der Praxis“ haupt¬ 
sächlich darin vertreten werden sollte. Wenn*„das 
Archiv“ in Zukunft etwas pünktlicher erschiene und 
die vielen Druckfehler nicht mehr so zahlreich wären, 
so würde dies jedenfalls der neuen Zeitschrift sehr 
förderlich sein. Wir wünschen, dass dieser neue 
Zuwachs unserer Journalistik mit dazu beitragen 
möge, unsere Heilmethode zu vertiefen und in immer 
weitere Kreise zu verbreiten. 

Lb. 


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13 


Es ist immer eine erfreuliche Erscheinung, wenn 
man aus Ländern, in denen man die Homöopathie 
nur wenig vertreten glaubt, umfangreiche Publi¬ 
kationen erhält, welche die immer fortschreitende, 
überall festen Fuss fassende Ausbreitung unserer 
Heilmethode beweisen; würde doch anders an die 
Herausgabe grösserer Werke nicht zu denken sein. 
So liegt uns heute aus Chile, wo nur 3 homöo¬ 
pathische Aerzte in den Städten Autofagosta und 
Santiago wirken, ein umfangreiches, 656 Druck¬ 
seiten umfassendes Lehrbuch der Homöopathie vor, 
welches den homöop. Arzt Dr. Enrique Miller in 
Santiago zum Verfasser hat. Dasselbe ist im vorigen 
Jahre im Verlage der Imprenta Gutenberg in 
Santiago erschienen und führt den Titel: „Manual 
homeopatico, escrito expresamente para las familias 
y tourado especiaimente en consideraciön el clima 
y las enformedades de Chile.“ Es ist also auch 
wie die meisten unserer heimischen Publikationen, 
ein für das Publikum, für das Haus, berechnetes 
und speciell dem subtropischen Klima der genannten 
südamerkanischen Republik angepasstes Werk. Der 
pathologische Theil hält sich in entsprechender 
knapper Kürze, während der therapeutische Theil 
die Symptomatologie ausführlicher bringt. In der 
Einleitung giebt Verfasser auch einen Ueberblick 
über die Entstehung und das Wesen der Homöopathie 
und bespricht das Regimen während der Kur. In 
der Uebersicht über die homöopathischen Arznei¬ 
mittel finden wir auch einzelne Schüsslersche Funk¬ 
tionsmittel: Calcar. phosphor., Ferrum phosphor. 
u. a. Eine wesentliche Empfehlung für das Werk 
ist es, dass dasselbe nicht nur die gewöhnlich so 
benannten „inneren“ Krankheiten behandelt, son¬ 
dern auch die Erkrankungen der Augen, der Ohren, 
die Pathologie und Therapie der Schwangerschaft, 
der Geburt und des Wochenbettes. Verfasser ist 
vielfach Anhänger niedriger Potenzen, während er 
andererseits auch höhere empfiehlt. Beim gelben 
Fieber, (Fiebre amarilla) schlägt er Aconitum und 
Belladonna in 1., Arsenikum album in 3. Verdünnung 
vor, bei der Dysenteria (Disenteria) Merc. sublim 
eorros in 3. Verreibung. Wir wünschen dem 
sehr fleissig gearbeiteten Buche, welches ein neues 
Zeugniss für das überall thätige, erfolgreiche Wirken 
der Anhänger unserer Heilmethode ablegt, in allen 
Ländern spanischer Zunge die weiteste Verbreitung. 

Dr. Stifft 


Epidemiologische Ecke. 

Ueber die Influenza kamen mir folgende Mit¬ 
theilungen zu: 

Coli. Sigmundt-Spaichingen bezeichnet bei der 
dort ziemlich häufig auftretenden Influenza die Aq. 
Nuc. vomic. als das heilende Mittel. 


Coli. Ide-Stettin schreibt mir unter dem 26. 
XII. 91: „Nachdem sich nun die Influenza-Epidemie 
hier ihrem Ende zuneigt, theile ich mit, dass mir in 
allen Fällen Cupr. met. C. 30. im Wechsel mit 
Nicotiana C. 30. geholfen hat, der Art, dass ich 
keinen einzigen Fall, selbst bei hochbetagten Leuten, 
verloren habe, und dass ich auch Nachkrankheiten 
nicht zu verzeichnen habe. Nebenher habe ich bei 
Catarrhen von Bryon., und bei schwarzbraunem 
Urin von Sepia Gutes gesehen. Jetzt kommen Fälle 
von Icterus (4 Fälle, 1 sehr schwer), wobei Ferrum 
anzuwenden ist, und eigenthümliche Catarrhe mit 
urticariaähnlichen Ausschlägen.“ 

Coli. Weiss-Gmünd theilt unter dem 21/X1I. 91 
mit: bis zum Eintritt der Weststürme (Anfangs 
Dez.) habe er meist Baryt, carb. und Belladonna 
gehabt; später bei einer Scharlach- und Diphtheritis- 
Epidemie von Apis mit Mercur. bijodat. oder Mercur. 
cyanat. wieder sehr befriedigende Resultate gehabt, 
nachdem im vergangenen Jahre speciell die Diph¬ 
therie Mercurpräparaten nahezu unzugänglich ge¬ 
wesen sei. Den ersten Influenzafall hatte Coli. 
Weiss Mitte Dez. mit der nervösen Form, prompte 
Besserung durch Bryon.; drei neue Fälle mit der 
gastrischen Form zeigten ebenfalls Bryoniasymptome, 
wie auch in der sonstigen Praxis Bryonia allge¬ 
mein indicirt erscheine. 

Coli. Hafa-Herrnhut muss von raschem Wechsel 
der Schmerzpunkte berichten; anfangs hatte er bei 
Influenza (Anfangs Dez.) Baryt, carb. und Taraxac., 
zeitweise Drosera und Spongia, Natr. mur. mit und 
ohne Cina, ferner Quassia, Natr. carb., Baryt, carb. 
und Caustic. 

Coli. Hähnle-Reutlingen theilt unter dem 20. 
Dez. 91 mit: „Seit ca 3 Wochen ist Pulsatilla 
epidemisches Mittel hier, in Metzlingen und Urach; 
ich bin nun meiner Sache hierin gewiss. Weniger 
sicher bin ich, ob Mercur. sol. und Natr. mur. auch 
den Namen epidemischer Mittel verdienen, ab und 
zu bekommt man den Eindruck, als ob ihre häufige 
Indikation nicht blos zufällige Häufung wäre.“ Bei 
Keuchhusten hilft anfangs meist cupr. met. 6. vor¬ 
züglich, bei älterem Husten bessert meist die Rade¬ 
macbersche Kupfer tinktur. 

Coli. Leeser-Bonn, Coli. Kirn-Pforzheim und 
ich hatten häufigen Wechel: 

Leeser am 15/NII. 91. Nitri ac. und Bell.-Cheli- 
don.; am 16/XH. theils dieses, theils Antim. crud, 
und Ign.-Pulsatilla; am 17/Xn. theils Nitri ac. und 
Nicot.-Sepia, theils Kali carb. und Bell.-Apis.; am 
26/XH. Nitri ac. und Bell.; am 27/XII. Baryt, carb. 
und Bell.-Mercur; am 30/XII. Kali carb. und Caust.- 
Arnica. 

Kirn am 21/X1I. Nitri ac. und Nicot-Sepia, sonst 
noch viel Kali carb. und Bell.-Apis; am 27/XII. 
sehr häufig Nitri ac. und Bell., bei Anginen, 
Laryngitis, Bronchitis: Baryt, und Iris vers.; am 


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14 


31/XII. letzteres, sowie Kali carb. und Bell., auch 
Natr. mur. und Iris vers. bei Influenza. 

Ich hatte seit dem letzten Bericht vorherrschend 
Kali carb. und Bell., dazwischen aber allemal nur 
für 1—2 Tage Nitri ac. und Bell., Baryt, carb. und 
Bell., Kali carb. und Caust., bei einigen chronischen 
Fällen mit Leibschmerzen von der linken Seite nach 
dem Nabel Arsen, jodat. In den letzten Tag Acid. 
mur. und Lachesis, dabei konnte Neigung zu Durch¬ 
fällen, Leihschmerzen, Uebelsein besonders Morgens, 
Essen bessert, sowie häufig Zahnweh beiderseits, 
schlimmer rechts, Husten schlimmer nach Bewegung, 
beim sich Hinlegen beobachtet werden. 

Coli. Schwarz-Baden-Baden hatte nach Kali carb. 
und Bell.-Apis vom 25/Xn. an Baryt, carb. und 
Bell.-Mercur.; seit einigen Tagen tritt ersteres wieder 
mehr in den Vordergrund. Vereinzelt tritt Ledum 
auf (Gelenkschmerzen), auch Euphrasia (influenza¬ 
artige Catarrhe der Luftwege und des Darmes). 

Stuttgart, den 3. Januar 1892. 

Dr. raed. H. Göhrum. 


An meine Herren Collegen! 

Immer und immer hört man Klagen seitens der 
Apotheker über die Bevorzugung, welche die homöo- 
path. Aerzte durch den Besitz des Selbstdispensirrechtes 
gemessen, und immer und immer werden neue 
Petitionen an die Regierungen losgelassen, damit 
dieses alte, unter den jetzigen Verhältnissen un¬ 
bedingt nöthige Vorrecht falle und die homöopath. 
Aerzte auch gezwungen werden, ebenso wie die 
allopath. Aerzte nur aus einer Apotheke ihre Arznei¬ 
mittel zu verschreiben. 

Von einer Erfüllung der für die Aulhebung des 
Selbstdispensirrechtes erforderlichen Grundbeding¬ 
ungen: „von einer entsprechenden Einrichtung 
einer homöopatb. Abtheilung in den Apotheken, von 
dem nöthigen guten Willen, auch die homöopath. Arz¬ 
neien genau so gewissenhaft anzufertigen wie die 
allopathischen und der hierzu erforderlichen An¬ 
eignung der nöthigen Kenntnisse“, hört man jedoch 
nichts oder mindestens viel zu wenig. 

Wie oft ist schon von Collegen erwidert wor¬ 
den: „nun, was gehört denn gross dazu, Eure ho¬ 
möopathischen Arzneien anzufertigen? Da nimmt 
man 1 Theil und 9 Theile oder 1 Theil und 99 
Theile und die Geschichte ist fertig“ oder man 
bekommt als Antwort: „ach, Spiritus und Milch¬ 
zucker helfen ebenso gut.“ Viele Collegen brüsten 
sich sogar damit, immer nur reinen Spiritus und 
Milchzucker gegeben und nur die Potenzen, die 
gefärbt aussehen müssen, richtig angefertigt zu 
haben, das Publikum wäre immer sehr zufrieden 
mit ihren homöopath. Arzneien gewesen und hätte von 
den besten Erfolgen mit denselben erzählt. Dass 


sie sich dabei wiederholt eines Betruges schuldig 
und somit strafbar gemacht haben, daran denken 
sie nicht. 

Ja, an sich oder zunächst gehört auch nicht 
viel mehr dazu als lediglich der gute Wille , auch 
in diesem Theile der Pharmacie dem abgelegten Eide 
gemäss gewissenhaft zu sein und das , was man sich 
bezahlen lässt, auch so zu machen, wie es der Arzt 
oder das bezahlende Publikum zu fordern berechtigt 
ist, somit dieses nicht zu betrügen . 

Denn ein Betrug ist es, wenn man sich reinen 
Spiritus und reinen Milchzucker als etwas anderes 
bezahlen lässt. Und ist erst dieser gute Wille 
vorhanden und schaut man etwas tiefer in die 
homöopathische Pharmacie hinein, so wird man 
finden, dass die Sache doch nicht so einfach ist, 
wie 1—f-9=10 und l-{-99=100, sondern dass gar 
viel mehr dazu gehört und recht viel gelernt sein 
will, um den Ansprüchen der homöopathischen 
Aerzte genügen und das Selbstdispensirrecht zu 
Falle bringen zu können, denn die Ansprüche der 
homöopathischen Aerzte sind keine unberechtigten 
und die homöopathische Pharmacie enthält eine 
Menge höchst werthvoller Präparate und Principien, 
die auch die Allopathie mit grossem Vortheile 
anwenden könnte. 

Erst dieser Tage wendete sich ein homöopath. 
Arzt aus Württemberg, — wo doch die homöopath. 
Pharmacie staatlich am besten im Deutschen Reiche 
geregelt ist und man somit annehmen müsste, die 
dortigen Collegen müssten tiefer mit den Grund- 
Prinzipien der Homöopathie vertraut und gut ein¬ 
gearbeitet sein, besonders an den Orten, in denen 
homöopathische Aerzte gute Praxis haben — an mich 
und schrieb mir, dass ihm sein dortiger Apotheker 
auf die Frage: „ob er denn auch die 30. Potenz 
selbst und richtig mache“ geantwortet habe: „ja¬ 
wohl, das ist gleich geschehen, da nehme ich zur 
ersten Verdünnung 30 Theile Spiritus und die 30. 
Potenz ist fertig.“ Derselbe Arzt sagte hierzu 
einfach und sehr bezeichnend: „Das ist sauber.“ 

Ja, meine Herren Collegen, so sieht es mit der 
Bereitung der homöopathischen Arzneien nicht blos 
in einer, sondern in den meisten Apotheken aus, 
und so lange nicht sauberer auch in Sachen der 
Homöopathie gearbeitet wird, so lange wird es beim 
Alten bleiben; nämlich: 

von der Praxis der homöopathischen Aerzte in 
Ihren Wohnorten werden Sie nichts oder nur 
wenig haben, 

dieselben werden nach wie vor ihren Bedarf aus 
rein homöopathischen Apotheken entnehmen, das 
homöopathische Publikum an diese verweisen, 
und 

ihr unter solchen Verhältnissen wohl begründetes 
und sogar unbedingt nöthiges Recht des Selbst* 
dispensirens in ausgedehntester Weise ausnützen, 


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15 


zum Schaden der betreffenden Apotheken, zum 
Nutzen unserer rein homöopathischen Geschäfte. 

Solche Vorkommnisse, wie das geschilderte, 
werfen jedoch ein schlechtes Licht auf den ganzen 
Stand auch in moralischer Hinsicht. Ich richte 
daher die herzliche Bitte an meine Herren Collegen, 
endlich einmal den guten Willen zu fassen, es auch 
mit der Homöopathie Ernst zu meinen, etwas tiefer 
in dieselbe hineinzusehen und zu lernen, wie man 
die homöopathischen Mittel, die man doch genau 
so bezahlt bekommt, wie alle anderen, gewissenhaft 
anfertigt, dann werden sie Achtung auch vor der 
Homöopathie bekommen, ohne dass verlangt wird, 
dass sie an dieselbe und ihre Heilerfolge glauben; 
die homöopathischen Aerzte werden auch Achtung 
vor den Apotheken ihrer Wohnorte bekommen, 
unserem Stande werden solche Blossen und Be¬ 
schämungen erspart bleiben und der geschäftliche 
Nutzen für den einzelnen Collegen wird auch nicht 
ausbleiben, was bei den jetzt im Allgemeinen so 
gedrückten Verhältnissen leider auch in unserem 
Stande, — die Klagen über schlechtes und durch 
Naturheilkunde, Krankenkassen etc. beeinträchtigtes 
Geschäft nehmen kein Ende — sicher nicht uner¬ 
wünscht sein dürfte. 

Besserung der Verhältnisse kann nur durch Er¬ 
füllung berechtigter Ansprüche erlangt werden. 
Ich und die übrigen Besitzer von homöopathischen 
Apotheken werden sicher stets und gern zu jeder 
gewünschten Auskunft, Unterstützung und Anleitung 
zu Diensten stehen. 

Leipzig, im Dezember 1891. 

William Steinmetz, 
Apotheker. 


Lesefrüchte. 

Charles Luzet berichtet in dem Arch. gen6r. 
de med. 1891 p. 579 über eine besondere Form 
von Pseudoleukämie, die er in UebereinStimmung 
mit von Jacksch Anätnia infantum Pscudoleucac - 
mica nennt. Sie ist gekennzeichnet durch das 
ausserordentlich zahlreiche Auftreten roter kern¬ 
haltiger Körperchen, wie sie sich auch bei Anä- 
mieen aus irgend welchem Grunde im Blute von 
Säuglingen und Knaben der nächsten Altersstufe 
nach Hayem linden. Sie haben alle Charaktere 
jugendlicher Zellen, ein grosser Teil derselben ist 
in Kernteilung begriffen. Unter diesen ist die Zahl 
der meisten Blutkörperchen nur mässig vermehrt; 
die Milzschwellung ist enorm; die Leber ist weniger 
vergrössert, die Lymphdrüsen schwellen, wenn über¬ 
haupt, erst in den späteren Perioden der Erkrankung 
an. Bisweilen geht diese Krankheit allmählich in 
echte Leueümie über, von der sie sich durch das 


Verhalten des Blutes leicht unterscheidet. Andere 
ähnliche Kinderkrankheiten (Rhachitis, Syphilis) 
haben nicht den progredienten Charakter und 
zeigen auch nur wenige kernhaltige, rote Zellen 
ohne Karyokinese; bei der Pseudoleukämie dagegen 
fehlen Zeichen von Syphilis und hochgradiger Ra¬ 
chitis. Die Krankheit führt durch Cachexie in 
6—12 Monaten zu Ende, wenn dies nicht vorher 
durch complicirende Erkrankungen herbeigeführt 
wird. Bisher erwies sish jede Therapie als macht¬ 
los. (Aus „Centralbl. f. d. med. Wiss.* 1891 No. 
28 p. 520.) Dr. med. H. Göhrum. 


Aus „Centralblatt für die med. Wissenschaften 11 

No. 28 1891 p. 527. 

Imogene Basseth, Notes on the action of Gelsemium 
in some local spasms and Neuralgias. J. of nerv, 
and. mens. dis. 1890 Nov. 6 p. 395. 

B. empfiehlt den Gebrauch von Gelsemium bei 
neuralgischen und spastischen Affectionen; er sah 
gute Wirkung bei alten Torticollis, Tic convulsif, 
Trigeminusneuralgie etc. Jedoch ist oft ein 
längerer Gebrauch und sehr grosse Dosirung nöthig. 
(Fluid extract of gelsemium 2—15 Gran mehrmals 
täglich bis Intoxicationserscheinungen auftreten, wie 
Kopfschmerzen, Schwindel, Doppeitsehen etc.) 

Kalisch er. 

Aus „Centralblatt für praktische Augenheilkunde / 1 

Juni 1891 p. 223. 

Acad6mie de m^decine. 8itzung vom 10. Febr. 
1891. Valude empfiehlt schwere Hornhautge- 
schwüre nicht zu cauterisiren, sondern mit einem 
trockenen Occlusivverband zu behandeln, der nur 
selten gewechselt wird. Die Erfolge sollen vor¬ 
zügliche sein und die Geschwüre nur kleine Leu- 
come zurücklassen, anstatt der breiten Narben nach 
Cauterisation. 


Fragekasten. 

Mit bestem Danke theileich den Collegen mit, welche 
so freundlich waren, mir auf meine Anfrage in No. 
17&18 der Allgem. homöop. Z. ihre Ansichten und 
Rathschläge zukommen zu lassen, dass die beschrie¬ 
benen Krankheitserscheinungen seit dem Tage, wo 
der Betreffende mich konsultirte, verschwunden sind, 
ehe er mit dem Einnehmen angefangen hatte, und 
sich auch nicht wieder gezeigt haben. Dieser 
Vorgang spricht dafür, dass hier nur eine Neurose 
wahrscheinlich eine Affektion des n. glossopharyngeus 
Vorgelegen hat und mahnt uns in solchen Fällen 
nicht allzu sanguinisch über die Wirksamkeit unserer 
Mittel zu urtheilen. Denn hätte er nur einige Male 
von der ihm verordneten Arznei genommen, so 


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1 « 


würde er selbst und wir alle diese Wunderheilung 
dem Mittel zugeschrieben haben. 

In meiner langjährigen Praxis sind mir einige 
dergleichen Fällle vorgekommen. Uebrigens hatte 
ich dem betreffenden Kranken Calc. carb. nament¬ 
lich wegen des sonderbaren Schweisses am Hinter - 
köpfe verordnet. 

Dr. Lorbacher. 

Auf meine Anfrage in derselben Nummer betreffs 
eines Falles von vermeintlicher Syringomyelie rieth 
mir Coli. Fuchs-München den Genitaltraktus einer 
genauen Untersuchung zu unterziehen. Da die 
Menses vollkommen in Ordnung waren, und nur 
der Beginn des Leidens vor 11 Jahren während 
der Regel eintrat, so hatten weder die vorbehandeln¬ 


den 3 Professoren noch ich einen solchen Causal- 
nexus für möglich gehalten. Die Untersuchung 
bestätigte insofern die Annahme des Coli. Fuchs, 
als sich in der That ein faustgrosses Fibroma Uteri 
diagnosticiren liess. Ich habe der Patientin die 
operative Entfernung das Tumors vorgeschlagen und 
werde 8. Z. über den Erfolg berichten. 

Dr. Haedicke. 

Personalia. 

Herr Dr. med. Träger in Potsdam ist ge¬ 
storben. 

Herr Dr. Mau hat sich in Heide in Holstein 
als homöopathischer Arzt niedergelassen. 


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L Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 

Sobramm in Leipzig. 


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Leipzig, den 21. Januar 1892. 

ALLGEMEINE 


No. S u. 4, 


Band 124. 


HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-leipzig. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homftopath. Offlein) in Leipzig. 


Braohaint 14tftgig.au 3 Bogen, lt Doppelnmnmern bilden einen Bend. Preis 10 M. ftO Pf. (Halbjahr). Allo Buohhendlungen und 
Postenatalten nehmen Bestellungen an. — Iniorate, welohe an H. Hone in Loipsig and deaaen Filialen an riohten aind, 
werden mit 80/*/. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 JS. berechnet. 


Inhalt: Berioht von Dr. Göhrum. — Benins epidemioos Von Dr. Aug. Weihe jr.-Herford. — Blatta 
orisntalis ein wichtiges Asthma Mittel. Uebersetzt von Dr. Th. Bruckner-Basel. — Zwei Urtheiie über die reformirte 
Medici». Von Dr. Haedicke. —, Aas der Praxis. Von Dr. H. Gonlion. — Epidemiologische Ecke. — Lesefrüchte 
— Vermischtes. — Personalia. — Anzeigen. 


Bericht 

über die constituirende Versammlung der ,Epidemio¬ 
logischen Gesellschaft'* am 23. December lö91 in 
Frankfurt a/M. 

Von llr. med. H. ttihrun, Stuttgart. 

Auf Einladung des Coli. Leeser-Bonn kamen im 
Restaurant „ Kaisergarten* in Folge der Ungunst der 
leider für diesmal nicht anders zu wühlenden Zeit 
nur 8 Coli egen zusammen und zwar die Herren: 

Dr. Simrock- Frankfurt a/M. 

Dr. &?<§rr-Frankfurt a M. 

Dr. Szv&o/ars-Baden-Baden. 

Dr. Grünnvald- Frankfurt a ; M. 

Dr. Leeser- Bonn. 

Dr. Air*-Pforzheim. 

Dr. Göhrum- Stuttgart. 

Dr. Delosea jr. -Frankfurt a/M. 

Doch wirkte die geringe Zahl der Theilnehmer 
nicht lähmend auf die gute Stimmung und es wäre 
auch kein Anlass dazu vorhanden gewesen, da die 
meisten der nicht Erschienenen herzliche Grüsse 
und Glückwünsche für gutes Gelingen übersandt 
hatten. Wir nennen hier vor allem den geistigen 
Vater der Versammlung, Coli. Weihe jr.-Herford, 
indem diese nur durch seine geniale Entdeckung mit 
den Jahren möglich geworden ist; ferner Geh. Hof¬ 
rath Dr. Stiegele - Stuttgart, Prof. Dr. G. Jäger- 
Stuttgart, Oberamtsarzt Dr. Siegmundt-Spaichingen, 
Dr. Weiss-Gmünd, Dr. Hafa-Herrnhut, Dr. Hagel- 
Ravensburg, Dr. Schlegel-Tübingen,Dr. Gross-Barmen, 
Dr. Köck-München, Dr. Stemmer-Stuttgart, Dr. 
Weber-Köln, Dr. Meschlin-Basel, Dr. Siegrist-Basel. 


Nachdem der vom Ref. mitgebrachte erste Ab¬ 
guss einer Gipsbüste, auf der sämmtliche sicher 
bekannten Schmerzpunkte mit Zahlen bezeichnet 
und die für deren Auffindung wichtigen Linien ein¬ 
getragen waren, besichtigt war, gab der Vorsitzende, 
Coli. Simrock um 3 / 4 7 Uhr zur Einleitung der Ver¬ 
sammlung dem Coli. Leeser das Wort zu seinem 
Vortrage: „ Rückblick auf die geschichtliche Ent¬ 
wicklung der Weihe*sehen Methode* an den sich 
Fragen allgemeiner, und specieller Natur über die 
Weihe*sche Heilmethode anschlossen. 

Sodann erhielt Ref. das Wort, um in seinem 
Vortrage: n Die Weihe sehe Heilmethode und die Ho¬ 
möopathie* kurz das Verhältniss der beiden zu ein¬ 
ander zu präcisiren und im Anschluss daran die 
Aufgaben zusammenzustellen. deren Erledigung 
Zweck der zu gründenden „Epidemiologischen Ge¬ 
sellschaft* ist. 

Sämmtliche Anwesende betheiligten sieb an der 
hierauf folgenden Discussion, bei der hauptsäch¬ 
lich von Coli. Kirn auf einige glänzende Be¬ 
stätigungen der Weihe’schen Heilmethode in seiner 
Praxis, aber auch auf die erheblichen Schwierig¬ 
keiten hingewiesen wurde, auf die der weniger Ge¬ 
übte bei der practischen Ausübung derselben oftmals 
stösst. Darauf gaben Coli. Leeser und Ref. prac- 
tische Winke zur Ueberwindung dieser. Die Haupt¬ 
sache ist grösstmögliche Uebung an Kranken und 
Gesunden. Findet man keine Schmerzpunkte an 
einem Patienten oder zu viele, so wirkt meist eine 

+) Da alle Vortrf^e in dieser Zeitung erscheinen 
werden, so wird von einem Referat derselben abgesehen. 

3 


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18 


Gabe Sulfur in Hochpotenz klärend auf die Situation 
ein, d. h. beim Fehlen solcher treten darnach ge¬ 
wöhnlich welche auf, oder bei allzu reichlichem Vor¬ 
handensein solcher werden wenige deutlicher her- 
▼ortreten. 

Die Erwähnung Kirn's von der überaus promp¬ 
ten, herzerfreuenden Wirkung von Natr. mur + 
Natr. nitr. cum Hyosc. = Euphrasia bei der catar- 
rhalischen Form der Influenza gab dem Ref. Ver¬ 
anlassung zu Euphrasia 3 Punkte seines Vortrages 
zu illustriren: 

1. Die ungenügende Prüfung eines überaus 
werthvollen Arzneimittels, das nach allen zugäng¬ 
lichen Aufzeichnungen Husten am schlimmsten Vor¬ 
mittags, Nachts nicht hat, während nach den Er¬ 
fahrungen in der Influenza es sich gerade gegen 
Husten besonders Nachts und auch noch Vormittags 
am schlimmsten sicher bewährte. 

2. Kann man gerade an der Hand dieser „Ein¬ 
heit“ oder «therapeutischen Gleichheit“ für die Com- 
bination Natr. mur. + Acid. nitr. cum Hyosc. 
(letztere beiden = Iris versicol.) deutlich ersehen, 
dass uns durch das Auffinden solcher Einheiten für 
die Combination und durch die Kenntniss der letz¬ 
teren für erstere, besonders wenn es mehrere Com- 
binationen für eine Einheit giebt, das Verständniss 
der Wirkung der einzelnen Arzneien, sowie ihre 
Verwandtschaften unter einander wesentlich erleich¬ 
tert wird: nach der Wirkung der einzelnen Com- 
ponenten muss Euphrasia für Husten besonders 
Nachts und Vormittags, für Schlaflosigkeit, für ner¬ 
vöse Herzstörungen, für die grosse Prostration passen. 
Beschwerden, wie sie der Influenza eigenthümlicb 
waren. 

3. Wie oft sind nicht in den seit der Influenza 
vergangenen 2 Jahren Patienten zu uns gekommen, 
die seitdem irgend welches Leiden besonders nervöser 
Art, Unregelmässigkeiten der Herzaction bis zu be¬ 
drohlichen Anfällen von Delirium cordis, sowie 
Schlaflosigkeit zurückbehalten haben. Bei diesen 
war sowohl nach der ätiologischen Indication, als 
auch nach den Symptomen incl. der objektiven 
Symptome, der Weihe'schen Schmerzpunkte, Natr. 
mur. Acid. nitr. cum Hyosc. = Euphrasia nn- 
gezeigt; der Erfolg war stets ein vollkommener, 
oft verblüffend rascher. 

Coli. Grünewald wies auf den Unterschied der 
stationären und intercurrenten Epidemien Rapp's 
hin, welche Coli. Leeser als unseren langen und 
kurzen Epidemien entsprechend erklärte. 

Von verschiedenen Seiten wurde die oft rasch 
einschläfernde Wirkung der nach der Weihe’schen 
Heilmethode gewählten Mittel hervorgehoben. Sie 
ist am häufigsten nach der schnell eintretenden 
lindernden Wirkung bei Neuralgieen und rheuma¬ 
tischen Zahnschmerzen beobachtet worden. Dabei 
wurde von Coli. Leeser hervorgehoben, dass bei rein 


nervösen Beschwerden das Riechen an den Arzneien 
vorzügliche Resultate ergebe, was mit der von Prof. 
Jäger schon oft gemachten Beobachtung, dass die 
physiologische Wirkung flüchtiger Substanzen, wie 
es unsere Verdünnungen sind, bei Einathmung viel 
rascher eintritt, als beim Verschlucken der Substanz. 

Auch die Dosenfrage wurde eingehend erörtert 
und dabei besonders von Leeser und dem Ref. be¬ 
tont, man müsse sich sämmtliche Verdünnungsstufen 
von der Urtinktur bis zur höchsten Potenz offen 
halten, im allgemeinen wirken bei nur nervösen 
Reizsymptomen die höchsten, bei schon eingetretenen 
secundären organischen Veränderungen die niederen 
am schnellsten und besten. Ein bestimmtes Recept 
lässt sich in dieser Frage nicht geben. 

Einige Wünsche des Coli. Grünewald betreffs 
der «Epidemiologischen Ecke“ in dieser Zeitung 
versprach Ref. zu berücksichtigen, musste aber dabei 
betonen, dass zu deren gedeihlichen Entwicklung 
eine möglichst zahlreiche und regelmässige Mit¬ 
arbeiterschaft der sich dafür interessirenden Col- 
legen nothwendig sei. 

Um 1 / 2 ^) Uhr wurde ein gemeinschaftliches Essen 
eingenommen, bei dem ein begeisterter Toast von 
Coli. Grüneweid auf Coli. Weihe jun. ausgebracht 
wurde. Bald ging es wieder an die Arbeit und 
Coli. Leeser begann mit einem Vortrage * Ueber die 
Nothwendigkeit erneuter Prüfung der Arzneimittel *, 
nach dessen ßchluss ihm Ref. den aufrichtigen Dank 
Aller für die überaus klare und erschöpfende Be¬ 
handlung des Themas aussprach und zu seiner 
grossen Freude mittbeilen konnte, dass das bezüg¬ 
lich der Gabenfrage darin Gesagte bereits eine schöne 
Rechtfertigung durch die von Prof .Jäger neuerdings 
begonnene systematische Durchführung der homöo¬ 
pathischen Arzneimittel vermittelst der Neuralanalyse 
erhalten habe. 

Nach weiterem Austausch von Erfahrungen mit 
der Weihe’schen Heilmethode und practischeu 
Demonstrationen derselben begann Coli. Leeser den 

4. Punkt der Tagesordnung zur Diskussion zu stellen: 
ob es angezeigt sei , auf Grund der heutigen Ver¬ 
handlungen eine * Epidemiologische Gesellschaft “ zu 
gründen , um die als weiterer Forschung bedürftig 
angeführten Punkte in gemeinsamer Arbeit zu er¬ 
ledigen und so die Homöopathie, soweit es in 
unseren Kräften steht, zu fördern. Der Gedanke 
fand allseitige Zustimmung und nach kurzer Dis¬ 
kussion über geschäftliche Dinge, in der häufige 
Mittheilungen der Mitglieder über epidemische Er¬ 
fahrungen an den Schriftführer und von diesem 
wieder an die einzelnen Mitglieder als die nächst- 
liegende Aufgabe der Gesellschaft bezeichnet wurden, 
wurde die Gründung der „Epidemiologischen Gesell¬ 
schaft * 1 beschlossen. Es wurden Coli. Weihe jr.-Her- 
ford zum Ehrenpräsidenten, Coli. Leeser-Bonn zum 
Vorsitzenden, Coli. Göhrum-Stuttgart zum Scbrift- 


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19 


führer und Coli. Stemmer-Stuttgart zum Kassirer 
gewählt, und der um diese Versammlung so ver¬ 
diente Coli. Leeser mit baldiger Ausarbeitung der 
Statuten beauftragt. Diese werden vor der Ver¬ 
öffentlichung durch Circulation den einzelnen Mit¬ 
gliedern zur Begutachtung vorgelegt. Als Mitglieder 
traten sHmmtlicbe Anwesende bei, ausserdem haben 
sich für den Fall des Zustandekommens der Grün¬ 
dung als Mitglieder angemeldet: Geh. Hofrath Dr. 
Stiegele-Stuttgart, Oberamtsarzt Dr. Sigraundt- 
Spaichingen, Dr. Weiss-Gmünd, Dr. Hafa-Herrnhut, 
Dr. Stemmer-Stuttgart, Dr. Köck München. 

Schliesslich wurde an den Ehrenpräsidenten Coli. 
Weihe jr. ein Telegramm mit der Geburtsanzeige 
der „Epidemiologischen Gesellschaft“ abgeschickt 
und so konnte unter allgemeiner Befriedigung über 
den gelungenen, harmonischen Verlauf der con- 
stituirenden Versammlung früh Morgens um 1 Uhr 
die officielle Versammlung geschlossen werden. 

Die Mehrzahl der Theilnehraer blieb noch bis 
zum Abgang der Frühzüge in anregender Unter¬ 
haltung beisammen, und man trennte sich in der 
Hoffnung auf baldiges, fröhliches Wiedersehen! 

Uenius epidemicus. 

Von Dr. Aug. Weihe jr.-Herford. 

In den Nummern 11—20 des 123. Bandes dieser 
Zeitschrift hat Herr College Kunkel abermals eine 
längere Reihe von Heilungen veröffentlicht, denen 
allen gemeinsam ist, dass sie entweder ausschliesslich, 
oder doch vorzugsweise durch Sepia bewirkt wurden 
und zwar grösstentheils während der letzteren Jahre. 

Herr Dr. Kunkel schreibt: 

„Es giebt in unserem Arzneischatz kaum ein 
Mittel, das in einer vieljährigen Praxis meinerseits 
so oft seine Indication fand, wie die Sepia.“ 

Ich bin nicht ganz abgeneigt, diesem Ausspruch 
auch bezüglich meiner Erfahrungen innerhalb meines 
hiesigen Wirkungskreises beizutreten, wenigstens 
für den Zeitraum der letzten zehn Jahre, während 
welcher sich auch mir durch eine Reihe von längeren 
und kürzeren Perioden die Sepia ausserordentlich 
häufig indicirt erwies; noch nie aber war dies so 
anhaltend der Fall, wie in den letzten vier Jahren, 
und scheint das Mittel nach gelegentlichen Mit¬ 
theilungen, die ich von ferner wohnenden Collegeu 
erhalten, auch in verschiedenen anderen Gegenden 
Norddeutschlands in der genannten Zeit die gleiche 
hervorragende Rolle gespielt zu haben. 

Ich verzichte darauf, hier specielle Fälle vor¬ 
zuführen, theils, weil solche von Coli. Kunkel in 
genügender Zahl beigebracht worden, theils aber 
auch, weil es mir doch nicht gelingen würde, so 
scharf zu charakterisiren, wie wir es bei ihm von 
jeher gewohnt sind. 


Nicht unterlassen möchte ich jedoch, auch hior 
wieder darauf hinzuweisen, dass die so überaus häu¬ 
figen Sepiaindikationen der letzten Jahre in ihrer 
Ursache nothwendig zurückgefübrt werden müssen 
auf jene in ihrem Wesen unbekannten geheimnis¬ 
vollen Kräfte, welche die sogenannten Krankheits¬ 
konstitutionen erzeugen, von denen uns eine mehr als 
fünfzigjährige Erfahrung zahlreicher Aerzte gelehrt 
hat, dass sie fortgesetzt dem mannigfaltigsten Wechsel 
unterworfen sind. 

Es kann somit auch nicht im mindesten be¬ 
zweifelt werden, dass die Sepia die hervorragende 
therapeutische Stellung, welche sie in Norddeutsch¬ 
land in den letzten Jahren eingenommen, über kurz 
oder lang an andere Mittel abtreten wird. 

Als ein zweites Hauptmittel neben der Sepia, 
das in den letzten Jahren fast eben so häufig hier 
zur Verwendung kam, wie diese, muss ich Cheli- 
donium nennen. 

Vielleicht wird es den einen oder anderen der 
Leser interessieren, zu hören, dass nach meinen Be¬ 
obachtungen die Sepia in ihrer specifischen Wirkung 
genau mit dem allopathischen Antifebrin überein¬ 
stimmt, und Chelidonium mit Antipyrin. Es erklärt 
sich daraus wohl einfach genug die ausserordent¬ 
liche Werthschätzung, welcher sich diese beiden 
Mittel bei den Vertretern der herrschenden Schule, 
wie nicht minder beim grossen Publikum erfreuen; 
aus dem Munde des letzteren hört man ihr Lob 
bekanntlich oft genug. Ich selbst benutzte sie hei 
meinen Vergleichen mit Sepia und Chelidonium, 
natürlich nicht in den massiven allopathischen Dosen, 
sondern in homöopathischer 6. Centesimalpotenz. 
Dass dieselben nun in solcher Form überall da, wo 
Sepia oder Chelidouium indicirt ist, genau ebenso 
prompt und specifisch wirken, wie diese, habe ich 
oft genug erprobt. 

Ohne das Bestehen eines solchen temporären, 
specifischen Heil Verhältnisses würde es auch nicht 
möglich sein, den fabelhaften Antifebrin- und Anti¬ 
pyrin verbrauch während der letzten grossartigen 
Influenzaepidemie genügend zu erklären. Natürlich 
konnten die Allopathen mit diesen ihren Mitteln 
nicht vollauf das Gleiche erreichen, wie wir mit 
den aus unseren Potenzen oder statt ihrer mit 
Sepia und Chelidonium erzielten, theils und besonders 
wegen der ihnen unbekannten wahlentscheidenden 
Momente, wodurch sie häufig verführt wurden, das 
eine anzuwenden, wo das andere passte und umge¬ 
kehrt , theils aber auch wegen der bei ihnen 
üblichen zu starken Dosirung. Wiederholt fand 
ich während der Influenzazeit die Indikation für 
Antifebrin oder auch Antipyrin bei solchen meiner 
Kranken, die laut vorgewiesener Recepte diese 
Mittel schon von allop. Seite und in allopathischer 
Dosis erhalten und eingenommen hatten. Ich gab 
daun die nämlichen Mittel in homöopathischer 6. 

3 * 


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20 


Centesimalpotenz, und erklärten darnach diese 
Kranken jedesmal, dass ihnen mein Mittel wesent¬ 
lich besser bekomme, als das vorher gebrauchte 
aus der Apotheke. 

Nioht ganz ohne Interesse erscheint mir auch 
das Folgende. 

Vor drei bis vier Jahren, als die herrschende 
Krankheitskonstitution schon längere Zeit bestanden, 
kommt ein Kranker zu mir, ein intelligenter Ar¬ 
beiter, den ich schon seit langen Jahren als wahr 
und aufrichtig kenne, mit Klagen über allerhand 
gastrische Beschwerden. Nachdem ich ihn exa¬ 
miniert und untersucht, fragt er mich, ob nicht 
wohl für ihn der gelbe Saft des Schöllkrauts 
passen möchte. 41 ) 

Obgleich nun bei ihm Chelidonium nicht ange¬ 
zeigt war, überraschte mich doch, eingedenk des 
herrschenden Genius epidemicus diese Frage einiger- 
raassen, und erbat ich mir Aufklärung, wie er 
dazu komme. Er berichtete nun, ein anderer Ar¬ 
beiter, der mit ihm in demselben Geschäfte thätig, 
habe sehr lange an ähnlichen Beschwerden gelitten, 
wie er selbst, habe die beiden Kassenärzte und 
noch einen drittten ohne allen Nutzen konsultiert 
und sei allmählich immer magerer und hinfälliger 
geworden. Da habe ihm irgend Jemand den Saft 
der genannten Pflanze empfohlen, den er, mit 
Schnaps gemischt, habe einnehmen sollen. Dies 
Mittel habe geradezu zauberhaft gewirkt, denn 
schon nach acht Tagen seien alle Schmerzen und 
sonstigen Beschwerden gewichen, es habe sich 
darnach ein riesiger, kaum zu befriedigender Appetit 
eingestellt, der ihm in wenigen Wochen sein volles 
früheres Gewicht wieder eingebracht. Seit der 
Zeit habe der Mann eine grosse Hochachtung vor 
dieser unscheinbaren Pflanze und empfehle sie sehr 
dringend jedem, der irgend wie über den Magen 
zu klagen habe. — Kurze Zeit darnach besuchte 
ich einen älteren, sehr intelligenten Bauer, etwa 
drei Stunden von hier ansässig, mit dem ich schon 
gegen zwölf Jahre lang häufig verkehre und der 
ein sehr warmer Freund der Homöopathie ist. Im 
Laufe des Gespräches erzählte ich ihm auch die 
vorstehende kleine Geschichte, die ihn sehr zu 
interessieren schien. „Weisst du,“ sagte er darnach 
zu seiner Frau gewandt, «das ist dieselbe Pflanze, 
mit derem Safte sich im vorigen Jahre die Lina L. 
in unserem Dorfe von ihren Magengeschwüren und 
ihrem Blotbrechen geheilt, nachdem sie vorher 

*) Der Mann sagte nicht Schöllkraut, sondern 
nannte einen anderen, für diese Pflanze hier gebräuch¬ 
lichen Namen. Ich habe mich aber überzeugt, dass er 
wirklich Chelidonium meinte, indem ich ihm alsbald 
ein frisches Exemplar desselben aus meinem Garten 
holte, das er sofort für das von ihm gemeinte Kraut 
erklärte. 


von verschiedenen Aerzten sich ohne allen Erfolg 
hatte behandeln lassen. 

Wenn es noch irgend welcher Bestätigung der 
Richtigkeit meiner Beobachtung bedürfte 41 ), so wären 
auch wohl solche gelegentliche Erfahrungen nicht 
ganz ungeeignet, sie zu bieten, wie sie andererseits 
zum Ruhme der herrschenden Schule nichts bei¬ 
tragen können. Was nützen uns die grossartigen 
Fortschritte, welche dieselbe Tag für Tag zu ver¬ 
zeichnen hat, was die tiefsten und umfangreichsten 
Kenntnisse auf dem Gebiete der Bakterienkunde, 
wenn doch durch alles dieses die Arzneiblindheit 
der Aerzte bisher nicht im mindesten verringert 
worden ist? 

Es lehren aber auch solche Erfahrungen, dass 
wir nicht nöthig haben, unsere werthvollsten Arz¬ 
neien nach dem Vorbilde Gold suchender Alchymisten 
mühsam in chemischen Retorten zusammen zu 
brauen, sondern dass wir sie ohne Anstrengung in 
unerschöpflicher Fülle vom Feld, Wald und Wiese 
heimbringen können. Gott, sagt Jesus Sirach, lässt 
die Arznei aus der Erde wachsen, und der Ver¬ 
nünftige verachtet sie nicht. 

Chelidonium ist auch das beste Mittel gewesen, 
welches ich bewusst als ein epidemisches angewendet 
habe und zwar im Jahre 1868. Wie schön und 
befriedigend waren doch damals die erzielten Er¬ 
folge im Vergleich zu denen, weiche ich vorher 
durch Aconit, Bryonia, Antimonium tartaricum an- 
strebte. Noch lange darnach konnte ich an keinem 
Chelidoniumstrauch vorübergehen, ohne ihm einen 
freundlichen, dankbaren Blick zuzuwenden. Ich war 
ja damals noch jung und ungewöhnlich empfänglich 
für alles Gute und Schöne. In der Jugend grämt 
man sich über jeden eklatanten Misserfolg weit 
intensiver, als in späteren Jahren; dafür empfindet 
man aber auch über jeden, auch den kleinsten Er¬ 
folg weit lebhaftere und reinere Freude. Ich hatte 
damals bei meinen ersten, wirklich guten Erfolgen 
das Gefühl, dass nicht sowohl die Kranken mir zu 
Dank verpflichtet sein, sondern eher ich ihnen, weil 
sie mir zu einer so wohlthuendeu Zufriedenheit mit 
meinem Berufe verhalten. 

Als ein drittes, in den letzteren Jahren häufig in- 
dicirt gewesenes Mittel muss ich Antimonium cru- 
dum nennen, aber nicht für sich allein, sondern in 
Verbindung bald mit Belladonna, bald mit Nicotiana. 

*) lm Frühherbst 1888 bat mich der damals noch in 
Leipzig ansässige College Heuser um Mittheilung meiner 
derzeitigen epidemischen Mittel. Ich nannte ihm Sepia 
und Chelidonium. Er schrieb alsbald zurück, dass ihm 
meine Mittheilnng um so interessanter gewesen, als er 
selbst im Laufe des ganzen Sommers Chelidonium 
ausserordentlich häufig hülfreich gefunden und es halb¬ 
wegs als ein epidemisches Mittel angesehen habe. Er 
habe auch einen anderen Leipziger Co)legen darauf 
aufmerksam gemacht, und auch dieser habe gleich ihm 
viele gute Erfolge damit erzielt. 


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21 


Dem Antimonium mit Belladonna entspricht als 
Einzelmittel Kreosot und erklärt sich mir daraus 
genügsam das Lob, welches man in der Allopathie 
neuerdings wieder diesem, vordem ziemlich ver¬ 
gessenen Mittel bei „Behandlung der Tuberculose 
spendet. Als das dem Antimon mit Nicotiana ent¬ 
sprechende Einzelmittel habe ich Sinapis alba 
kennen gelernt und sei es mir gestattet, hier kurz 
zu berichten, durch welchen drolligen Zufall ich 
darauf gekommen bin. 

Vor mehreren Jahren war meine Schwiegermutter 
längere Zeit bei einer nahestehenden auswärtigen 
Familie auf Besuch und bekam dort ausserordent¬ 
lich viel Rühmliches zu hören über die Wirksamkeit 
der Senfpflaster bei allen nur möglichen kleinen 
Unpässlichkeiten. Als sie die Heimreise antrat, 
wurde ihr eine ansehnliche Portion dieses trefflichen 
Universalhausraittel8 mitgegeben. Hier wieder an¬ 
gekommen, erzählte sie natürlich auch mir davon 
und fragte, wie ich darüber denke. Ich konnte 
nun auf Grund meiner damaligen Erfahrungen na¬ 
türlich nicht umhin, diese den Senfpflastern gespen¬ 
deten überschwenglichen Lobsprüche als Ausflüsse 
eines beschränkten Laienverstandes zu charakteri¬ 
sieren und zu erklären, dass ihre Anwendung sich 
mit meinen Anschauungen von dem wahren Wesen 
einer Kunstheilung nicht vertrügen. Darüber ver¬ 
ging nun eine längere Zeit, während welcher die 
bewussten Pflaster unberührt im Schranke meiner 
Schwiegermutter liegen blieben. Darnach wurde 
dieselbe, schon über 6iebenzig Jahre alt, von einem 
Broncbialkatarrh befallen, der sich in der Folge 
sehr langwierig und hartnäckig erwies, und den 
ich wohl durch Anwendung der entsprechenden 
speciflschen Mittel mindern und erträglich machen, 
aber nicht rasch beseitigen konnte.*) 

Der genius epidemicus wechselte damals ziem¬ 
lich oft, und bei jedem solchen Wechsel ver¬ 
schlimmerte sich der Catarrh meiner Schwieger¬ 
mutter und zwar so lange, bis sie das neue, den 
veränderten Verhältnissen entsprechende Mittel be¬ 
kam. So geschah es denn auch mal wieder spät 
Abends, gleich nachdem sie sich niedergelegt. Der 
Husten war diesmal ganz besonders heftig und liess 
es zu keinem Schlafe kommen. Endlich, schon 
lange nach Mitternacht, verliert die Kranke die 
Geduld, erinnert sich plötzlich ihrer Senfpflaster, 
steht auf und legt sich eine auf die Brust. Die 
Wirkung war eine vorzügliche, überraschend günstige. 
Schon wenige Minuten darnach bemerkt Patientin 
eine wohlthuende, allgemeine Nervenberuhigung im 

*) Es ist wohl ziemlich wahrscheinlich, dass der¬ 
artige anhaltende Catarrhe bei relativ kräftigen, ge¬ 
sunden Individuen eine Art kritische Bedeutung haben, 
ähnlich wie mannigfaltige Ausschlagsformen auf der 
äusseren Haut, Ausdrücke des im Inneru des Organismus 
thätigen Heil- und Veredelungsbestrebens. 


ganzen Körper, der Hustenreiz lässt alsbald ganz 
nach, der Athem wird frei, es stellt sich ein ruhiger 
Schlaf ein, aus dem die Kranke erst spät am 
Morgen erquickt und gestärkt erwacht. 

Natürlich überraschte mich der Bericht meiner 
Schwiegermutter, einer überaus aufrichtigen und 
wahrheitsliebenden Frau, nicht wenig und konnte 
ich nicht umhin, hier eine direkte, speciflsche Heil¬ 
wirkung anzunehmen, und da nuu auch in jener 
selben Nacht der genius epidemicus in der Weise 
sich geändert hatte, dass an die Stelle von Carduus 
Mariae, Antim onium mit Nicotiana getreten war, 
lag es für mich nahe genug, im Senfsamen das 
mir bis dahin unbekannte Einzelmittel für die ge¬ 
nannte Combination zu vermuthen. Ich setzte mich 
nun demgemäss alsbald in den Besitz einer 6. Cen- 
tesimalpotenz von Sinapis alba und fing an, mit 
dieser im gedachten Sinne zu experimentieren, wo¬ 
rauf sich denn anch nach einiger Zeit die Rich¬ 
tigkeit meiner Vermuthurg herausstellte. Später 
verschlimmerte sich noch einmal während der Nacht 
der Catarrb meiner Schwiegermutter; wiederum 
greift sie voll Vertrauen zu einem Senfpflaster, 
aber, siehe da, diesmal thut es nicht die allerge¬ 
ringste Wirkung und konnte es auch nicht thun, 
weil nun nicht mehr Antimoniura mit Nicotiana, 
sondern Veratrum angezeigt war. 

Die Annahme liegt wohl nicht gar zu fern, dass 
das grosse Vertrauen, dessen sich die Senfpflaster 
in jener Familie, von welcher meine Schwieger¬ 
mutter dieselben erhalten, auf epidemiologische Ver¬ 
hältnisse zurück zu führen ist (nicht auf Auto¬ 
suggestionswirkung? Dr. Haedicke). Es kamen ja 
damals längere Zeit viele Antimonkombinationen vor, 
und ist es leicht denkbar, dass auch in solchen 
Fällen, wo Antimon nicht mit Nicotiana, sondern 
mit irgend einem anderen Mittel sich vereinigte, 
durch Anwendung von einem Senfpflaster, wenn 
auch keine ganze, so doch eine halbe spezifische 
Wirkung erzielt werden konnte, die bei ganz leichten 
Erkrankungsfonnen schon genügte, dem betreffenden 
Kranken Erleichterung zu verschaffen. 

Es ist mir nicht bekannt, ob von Sinapis alba 
schon eine sorgfältigere Prüfung existirt; jedenfalls 
aber handelt es sich da um ein Mittel, das volle 
Beachtung verdient und möchte ich deshalb hier 
einen. kleinen Artikel auschliessen, der sich findet 
in dem von unserem Collegen Schlegel herausge¬ 
gebenen „Wegweiser zur Gesundheit,“ No. U u. 10 
des VI. Jahrganges und der, wenn er auch den 
meisten Lesern dieser Zeitung nicht unbekannt ge¬ 
blieben sein dürfte, doch, meiner Ansicht nach, 
sehr wohl verdient, in Verbindung mit dem Vor¬ 
stehenden hier nochmals zum Abdruck gebracht zu 
werden. Schlegel also schreibt: „Ein unschul¬ 
diges Hausmittel gegen Kopfschmerzen, Schwindel, 
Hämorrhoidalzustände, langwierige Verstopfung, 


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n 


selbst auch gegen ernstere Leiden auf dieser Grund¬ 
lage 2 . B. Pallsucht, besteht in täglich verabreichten, 
hellen Senfkörnern, wovon man einige Wochen lang, 
auch länger fort, täglich 2—3 Mal einen gehäuften 
Kaffeelöffel voll nehmen kann. Das Mittel stammt 
schon aus dem lt>. Jahrhundert, wo ein Engländer 
grosses Aufsehen durch die damit bewirkten Curen 
machte. 1827 heilte sich ein Herr Didier aus 
Paris mit weissem Senfsamen von langwieriger Ver¬ 
dauungsstörung und kündigte danach sein einfaches 
Mittel in allen Zeitungen und in besonderen Druck¬ 
schriften an, wodurch es sehr verbreitet wurde; 
trotzdem ist es neuerdings wieder mehr in Ver¬ 
gessenheit gerathen. Bei einer Unzahl von Störungen 
des Unterleibs und davon ausgehenden Uebeln, wie 
z. B. Gicht, Asthma, selbst Schlagfluss sollen glän¬ 
zende Heilwirkungen beobachtet worden sein und 
daran ist im Grande auch nicht zu zweifeln. Die 
gelinde abführende Wirkung der Senfkörnerkur 
kann an sich schon vortreffliche Folgen haben; 
dazu kommt aber noch ein besonderer arzneilicher 
Reiz, so dass Sinapis alba zu gewissen Zeiten ein 
epidemisches Heilmittel abgiebt und zu allen Zeiten 
sicher in einzelnen Fällen vortrefflich wirkt. 

Ein älterer homöopathischer Arzt erzählt, wie 
er in einer fast hoffnungslosen Krankheit, welche 
in Lähmung der Unterleibsnerven zu bestehen 
schien, durch Senf rasch und sehr auffallend zur 
Heilung umgestimmt wurde; das Mittel ist demnach 
unserer Richtung nicht so fremd und verdient Be¬ 
achtung. Die Wirkung scheint eine durchdringende, 
Sulfur ähnliche zu sein, wie denn der Senf ein 
schwefelhaltiges Oel als hauptsächlichsten Bestand¬ 
teil birgt. 

Sehr wohl kann demnach eine solche Kur mit 
weissen Senfkörnern, die in jeder Apotheke zu 
haben sind, dem volkstümlichen Gebrauch anheim 
gegeben werden. Die Stockungserscheinungen im 
Unterleib sind dabei massgebend; im übrigen kann 
sich die Krankheit in allerlei Formen, wie schon 
genannt, oder auch als Kopfschmerz (Migräne) 
Biustkatarrh, Magenkrampf, allgemeine Schwäche, 
Hüftweh, Wassersucht, Schlaflosigkeit, Gemüts Ver¬ 
stimmung u. s. w. ausgestalten.“ 

Es geht aus diesen Ausführungen Schlegel^ 
wohl klar genug hervor, dass zu gewissen Zeiten 
der Senf, sozusagen, ein Mittel für Alles sein 
kann, während er wiederum zu anderen nirgends, 
oder doch nur in ganz vereinzelten Fällen mit 
Nutzen gebraucht werden kann. 

Als ein fünftes Hauptmittel der letzteren Jahre, 
wenn auch weit seltener indicirt, als die andereu, 
habe ich Stannutn anzuführen, das sich vornehmlich 
in verschiedenen Formen von Neuralgie wie nicht 
minder bei Blutungen vortrefflich bewährte. Ausser 
den genannten kamen ja noch mannigfaltige andere 
Mittel zur Verwendung, aber doch immer nur 


mehr oder weniger vereinzelt, so stehe ich selber 
z. B. seit Mitte Mai dieses Jahres bis zur gegen¬ 
wärtigen Stunde (Mitte November) unausgesetzt 
unter der Einwirkung von Calcarea mit Juniperns 
communis. Die Mittelkombination treibt bei mir 
.kritische Ausscheidungen“ vornehmlich im Urin 
hervor, wie ich sie so reichlich und anhaltend 
selten erlebt. Ich habe Mitte Mai, als ich zuerst 
die betreffende Indikation bei mir entdeckte, eine 
einzige Dosis von Calcarea mit Juniperus in hoher 
Potenz eingenommen, und diese hat bei unverän¬ 
derter Indikation durch die ganzen letztvergangenen 
sechs Monate nachgewirkt. 

Es ist gewiss nicht ganz undenkbar, dass einmal 
die Zeit kommen kann, wo die Erkenntniss des 
genius epidemicus, des wechselnden Heilverhältnisses 
der Arzneien zu den Krankheiten, Gemeingut aller 
' Aerzte sein wird; diese Zeit wird dann den unseligen 
Streit zwischen Allopathie und Homöopathie sich 
in Wohlgefallen auflösen sehen. Einer solchen Er¬ 
kenntniss würde aber eine gründliche Umwandlung 
in der Denk- und Anschauungsweise der heutigen 
Welt vorangehen müssen. Bevor es jedoch dazu 
kommen kann, werden gewiss noch viele Generationen 
der Menschen nach einander zu Grabe gehen, denn: 
Der Lauf der Welt ist nicht so schnell, 

Als Thorheit denkt und spricht; 

Man weiss wohl: Flügel bat die Zeit, 

Die Zeiten aber nicht. 

Blatta Orientalin ein wichtigen 
Asthma-Mittel. 

Aus dem Horn. Recorder (Vol.v. 254 u. f. Vol.li. 193) 

übersetzt von J)r. Th. Hrueklter in Banel. 

Dr. Ray von Calcutta machte im Jahre 1890 
einige Mitteilungen über seine Erfahrungen in 
Bezug auf die Wirksamkeit der Blatta orientalis 
gegen Asthma und versprach in einer späteren 
Nummer weitere Mittheilungen zu machen. 

*) Während meiner Studienzeit in H. sagte uns 
einmal der Direktor der dortigen inneren Klinik, Pro¬ 
fessor W., ohngefahr das Fmgende: Man muss sich 
hüten, seine zeitlichen Erfahrungen allzusehr zu ver¬ 
allgemeinern. Vor Jahren glaubte ich auf einmal, dass 
ich allein es verstände, den Scharlach richtig und mit 
Erfolg zu behandeln, es kamen dann aber andere Zeiten, 
andere Epidemien und nun bewahrte sich die früher 
erprobte Behandlungsweise durchaus nicht mehr. 
Nebenbei sei hier bemerkt, dass dieser Professor einer 
der besten Menschen war, die mir je im Leben be¬ 
gegnet. Er erwähnte auch in seinen Vorträgen ge¬ 
legentlich die Homöopathie, doch habe ich dabei von 
ihm niemals irgend ein gehässiges, boshaftes Wort über 
dieselbe vernommen. 


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Da das Mittel ein ganz neues ist, welches in 
keiner Materia medica gefunden werden kann, so 
wollen wir hier kurz angeben, wie dessen Heilkraft 
gegen Asthma entdeckt wurde. 

Ein älterer Herr litt seit mehr als 20 Jahren 
an sehr heftigen Asthmaanfällen, gegen welche alle 
bisher angewandten Mittel erfolglos geblieben waren, 
so dass der Betreffende alle arzneilichen Mittel bei 
Seite setzte und sich ruhig in sein Schicksal 
ergab. 

Eines Tages nun, nachdem er in gewohnter 
Weise seinen Thee getrunken, fühlte der Mann eine 
auffallende Erleichterung seiner Athembeschwerden, 
welche von der Stunde an sich zusehends besserten. 
Eine vorgenommene genaue Untersuchung ergab, 
dass in dem Theetopf eine todte Küchenschabe sich 
befand. 

Ein junger Mann (Nicht-Arzt), der diese merk¬ 
würdige Heilung zu beobachten Gelegenheit gehabt 
hatte, bereitete sich einen starken Aufguss von 
Küchenschaben, dem er sodann reinen Alcohol zu¬ 
setzte, und fing an, Versuche damit anzustellen, 
die alle so günstige Resultate ergaben, dass der 
Mann bald einen ungeheuren Zulauf von Asthma¬ 
kranken bekam aus der ganzen Umgegend, da er 
alle Patienten umsonst behandelte. 

Dr. Ray, welcher von diesen Heilungen gehört, 
bereitete sich nach den Vorschriften der hom. Mat. 
Medica eine Verreibung und eine Tinctur und fing 
ebenfalls an, damit Versuche anzustellen, welche 
ihn bald überzeugten, dass die Blatta orientalis 
zwar kein absolutes Specificum gegen alle Arten 
von Asthma, immerhin aber ein sehr wichtiges 
Heilmittel ist. 

Es versprach derselbe in einer späteren Mit¬ 
theilung seine Erfahrungen mit diesem Mittel dem 
Hom. Recorder zn übersenden, was denn auch in 
Nr. 5 geschehen ist. 

Der Verfasser beginnt mit einer kurzen Abhand¬ 
lung über das Asthma, welche wir hier nicht 
wiedergeben wollen, da dieselbe etwas antiquirt er¬ 
scheint, indem derselbe von idiopathischem und sym¬ 
pathischen Asthma, von Magen- und Herzasthma etc. 
spricht, um sodann auf das eigentliche nervöse 
Bronchial-Asthma überzugehen, welches gewöhnlich 
in den frühen Morgenstunden auftntt, und dessen 
Anfälle von sehr verschiedener Dauer sind. Dr. R. 
spricht sodann von dem Husten, welcher meist zu 
Ende des Anfalles anftritt, bald mit, bald ohne Ex- 
pectorationen. 

Diese Hustenanfälle sind nnch Dr. R. oft sehr 
beängstigend und ermüdend für den Kranken, weil 
der Schleim sich sehr schwer löst. Hier soll 
Blatta in öfteren Gaben ein ausgezeichnetes Mittel 
sein. Wenn gleich beim Beginne des Anfalls in 
öfteren Gaben gegeben, so ist die Blatta im Stande, 
denselben zu coupiren, Dr. Ray glaubt deshalb, , 


dass das Mittel eine specifische Wirkung auf den 
Nervus pneumogastricus ausübt, in ähnlicher Weise 
wie Ipecac. Arsen. Cupr. u. Lobelia. 

Blatta löst aber auch den Schleim und bewirkt, 
dass die Hustenanfälle seltener werden und weniger 
heftig auftreten, und kommt darin dem Ant. tart 
und der Ipecac. nahe. 

Ich (L)r. Ray) habe die Blatta in fast allen 
Fällen von Asthma angewandt, welche unter meine 
Behandlung kamen, und ich freue mich, die günstige 
Wirkung dieses Mittels in fast allen Fällen be¬ 
stätigen zu können, wie die folgenden Kranken¬ 
geschichten zeigen werden. Ich bin noch nicht im 
Stande, bestimmte Indicationen aufzustellen, ich 
habe aber einige Erscheinungen während des Ge¬ 
brauches dieses Mittels beobachtet, welche ich er¬ 
wähnen muss. Während des Krampfanfalls ist es 
besser, öftere Gaben einer niederen Verdünnung 
zu geben, wenn aber jener den Anfall beendigende 
Husten eintritt, so ist es besser eine höhere 
Potenz zu geben. Fährt man mit der niederen 
Verdünnung fort, so wird der Husten noch lästiger 
und quälender für den Kranken und der Auswurf 

zäher, dicker und schwer heraus zu bringen, w'as 

nicht der Fall ist, wenn man eine höhere Ver¬ 
dünnung giebt. 

Es ist mir dies einige Male begegnet, als ich 
noch weniger bekannt war mit der Wirkung dieses 
Mittels, jetzt weiss ich mir besser zu helfen. 

Bei 4 Kranken, welche das Mittel während des 
Anfalls und auch nachher noch in niedriger Ver¬ 
dünnung fortnahmen, wurde der Husten trocken 
and es löste sich wenig oder kein Schleim und 

zuletzt zeigten sich Blutstreifen im Auswurf, was 

die Kranken bei früheren Anfällen niemals wahr¬ 
genommen hatten. Die Blutspuren im Auswarf 
machten die Kranken sehr ängstlich, so dass ich 
sofort gerufen wurde. Auf meine Nachforschungen 
hin erfuhr ich, dass 2 von diesen Kranken (eine 
Dame und ein junger Herr) schon einige Tage vor 
diesem blutigen Auswurf das Gefühl hatten, als ob 
Hitze ausströme aus ihren Ohren, Nase, Augen, 
Scheitel, sowie aus den Handflächen und Fasssohlen. 
Sie schrieben dieses Hitzegefühl und den blutigen 
Auswurf der Wirkung des Mittels zu. Ich liess 
die Blatta aussetzen, beschloss aber den Versuch 
später nochmals zu wiederholen, um Gewissheit.zu 
erlangen; ob diese Symptome durch das Mittel her- 
vovgebracht worden seien. 

Ich that dies auch und siehe da, sowie die 
Patienten 4 Mal per Tag einen gran der ersten 
Verreibung genommen, trat der blutgestreifte Aus¬ 
wurf wieder ein, und die Kranken merkten sofort, 
dass sie das gleiche Mittel von mir bekommen 
hatten, wie das letzte Mal und baten mich ihnen 
dieses Mittel nicht mehr zu geben. Ich habe 
übrigens die Blatta auch bei dem quälenden Husten 


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mit Athemnoth schwindsüchtiger Patienten mit gutem 
Erfolge angewandt. 

Es folgen nun zehn zum Tbeü sehr ausführliche 
Krankengeschichten, die wir in etwas abgekürzter 
Form hier wiedergeben wollen. Nr. 1 betrifft einen 
ältern Mann, der seit 25 Jahren an Asthma ge¬ 
litten und seit 6—7 Jahren in kein Bett gekommen 
war, weil er nicht liegen konnte wegen Athem¬ 
noth und Husten. Der Mann hatte lange Zeit, 
durch riesige Dosen von Opium sich Erleichterung 
zu verschaffen versucht. Als Dr. Ray am Nachmit¬ 
tage (den 23. Mai 1889) ihn zum erstenmale besuchen 
wollte, traf er beim Eintritt ins Krankenzimmer 
den (allopath.) Arzt, der den Kranken bisher be¬ 
handelt hatte, welcher ihm bemerkte, es sei un- 
nöthig, dass er den Kranken noch besuche, der 
Mann sei am Verscheiden. Dr. R. fand den Mann 
wirklich anscheinend sterbend, ohne Bewusstsein 
mit fest verschlossenen Kiefern, kalter Hautober¬ 
fläche und kaltem klebrigem Stirnschweiss, nur 
der Puls war noch nicht so schlecht, wie das übrige 
Aussehen des Kranken. Dr. R. löste einige gran 
der 1. Decimal-Verreibung in einem ziemlich grossen 
Fläschchen Wasser auf und versuchte einige Male dem 
Kranken einen Löffel voll von der Lösung beizu¬ 
bringen, aber es war unmöglich, deshalb brachte 
er etwas von der Verreibung zwischen die Lippen 
und ermahnte die Angehörigen von Zeit zu Zeit 
einen Versuch zu machen dem Patienten etwas von 
der flüssigen Arznei beizubringen. Ich (Dr. R.) er¬ 
klärte auch auf Befragen, dass ich nicht glaube, 
dass der Kranke den Abend erleben werde. Abends 
9 Uhr jedoch kam ein Bote mit dem Berichte, 
der Kranke scheine etwas besser und habe 2 Mal 
Arznei geschluckt, und man wünsche meinen Besuch. 
Als ich hinkam, fand ich wirklich Anzeichen von 
Besserung, der Puls war gleichförmiger, die Kiefer 
nicht mehr verschlossen, die Glieder etwas beweg¬ 
lich, der Kranke konnte ganz gut schlucken, und 
der Auswurf löste sich reichlich und leicht. Ich 
befahl dem Kranken öfter 1—2 Löffel Milch zu 
geben und während der Nacht die Arznei noch 
1 oder 2 Mal zu repetiren, ich hatte aber immer 
noch wenig Hoffnung, dass Patient die Nacht über¬ 
leben werde, wessbalb ich bat mich am Morgen 
berichten zu lassen, ob der Kranke noch lebe. Am 
Morgen kam ein Bote mit der Nachricht, Patient 
habe eine ruhige Nacht gehabt und man wünsche 
meinen Besuch. Als ich Morgens acht Uhr in das 
Zimmer des Kranken trat, fand ich wirklich eine 
auffallende Besserung. Nicht nur war Patient 
wieder völlig bei Bewusstsein, sondern er sass 
ruhig im Bette und konnte wieder sprechen und 
die Athembeschwerden waren gänzlich verschwunden, 
nur der Husten belästigte ihn noch zeitweise, und 
er warf viel weissen, schaumigen Schleim aus und 
hie und da auch gelbliche Schleimklumpen. Er 


erhielt 3 Gaben der 2. Verreibung von Blatta. 
Der Tag war gut, aber Nachts stellten sich die 
Atbembeschwerden wieder ein, obschon in milderer 
Form. Er bekam 2 Gaben des Mittels während 
der Nacht. Die Arznei wurde in dieser Weise 
fortgegeben, und nach einer Woche konnte er zum 
ersten Male seit 6—7 Jahren wieder eine Nacht 
schlafen. Ich behandelte den Mann noch mehr als 
einen Monat, wobei seine Gesundheit sich rasch 
besserte, so dass er bald wieder ausgehen und 
seine Geschäfte besorgen konnte. Im August 1890 
hatte der Mann wieder einen leichten Anfall von 
Asthma, der aber bald durch Blatta orientalis ge¬ 
hoben wurde. 

Nr. 2. Ein Bramine, Asketiker, 38 Jahre alt, 
litt seit 14 Jahren an Asthma. Im Anfänge ge¬ 
brauchte er Arzneien dagegen, da dieselben aber 
regelmässig sein Leiden verschlimmerten, so liess 
er alle Mittel beiseite, um die Natur walten zu 
lassen. Gelegentlich trug derselbe auch einen Ta¬ 
lisman, wie dies in Indien gebräuchlich ist, und 
diess half ihm, so dass er ein Jahr lang vom Asthma 
befreit blieb. Durch Zufall verlor derselbe seinen 
Talisman und seit der Zeit steigerte sich sein 
Leiden, so dass er beschloss wieder Mittel zu ge¬ 
brauchen, aber weder Volksmittel, noch allopathische 
Arzneien brachten irgend welche Besserung, und 
die Homöopathie war zu jener Zeit noch so im 
Hintergrund, dass der Kranke es gar nicht der 
Mühe werth erachtete, damit einen Versuch zu 
machen. Er wurde darauf Asket und verliess 
seine Heimat und seine Verwandten, um an einem 
geheiligten Orte zu sterben, wie dies bei vielen 
Hindus gebräuchlich ist, wenn sie alt oder ge¬ 
brechlich werden. Er kannte die Sanscrit-Sprache 
sehr gut und begab sich nach Benares, einem bei 
den Hindus für heilig gehaltenen Platze. Als er 
im J. 1878 dort ankam, fühlte er sich wohler, ent¬ 
weder in Folge der Luftveränderung, oder in Folge 
der veränderten Lebensweise. Als Bramine und 
Sanscrit-Gelehrter wurde er bald bekannt und ge¬ 
achtet, und da er singen und Verse componiren 
konnte, so sammelten sich oft Leute um ihn, um 
einen angenehmen Abend zuzubringen, und er wurde 
unterstützt, so dass er zu leben hatte. Auf diese 
Weise verging ein Jahr bei ziemlichem Wohlbe¬ 
finden, dann aber stellte sich sein alter Feind, das 
Asthma, wieder ein, schlimmer als je vorher, be¬ 
sonders während der Regenzeit litt er ungemein 
bis zum Jahre 1887, als er wieder nach Bombay 
zurückkehrte, wo das Klima milder ist. Im März 
1887 sah ich (Dr. Ray) den Mann zum ersten 
Male und hörte aus seinem Munde die oben er¬ 
zählte Leidensgeschichte nebst vielen anderen De¬ 
tails, die wir übergehen müssen. Schliesslich liess 
der Mann sich überreden mit homöopath. Mitteln 
einen Versuch zu machen, und da ich damals die 


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25 


Blatta noch nicht kannte, gab ich ihm während 
2 Jahre Naja, Ipecac. Arsen. Ant. tart Nux vom 
Copr. met. Lobei. infl. Grindelia und Hydrocyan, 
acid. etc. 

Der Kranke befand sich unter meiner Be¬ 
handlung zeit weise besser, zeitweise wieder schlimmer, 
aber sein Asthma war nie mehr so schlimm, wie 
es früher gewesen. Naja und Ipec. thaten ihm 
immer am besten, und er lernte sehr bald die rich¬ 
tigen Indicationen für die Mittel kennen, und ver¬ 
langte wieder frischen Vorrath, wenn er bald zu 
Ende war. 

Im Jahre 1889 schrieb derselbe, ich solle 
ihm wieder Naja und Ipecac. schicken. Ich sandte 
ihm dieses Mal aber Blatta 1. Dez. Verrbg. und 
3. Dez. Verd. mit den nöthigen Anweisungen. 
(Vide oben.) Nach 14 Tagen erhielt ich einen 
langen Brief, worin Patient mir meldete, dass die 
neue Arznei ihm ungemein gut gethan habe, so 
dass er seit 5—6 Tagen fast ganz frei geblieben 
sei von seinem Asthma, wenn es so fort gehe, so 
hoffe er bald ganz befreit zu werden, von seinem 
Leiden. 

Seine Hoffnung ging auch wirklich in Erfüllung, 
wie ich kürzlich erfahren habe. 

Nv. 3. Frau N., eine hagere Dame von 23 
Jahren, Mutter von 3 Kindern, kam aus einem Dorfe 
zu mir, um sich von ihrem Asthma heilen zu lassen, 
an welchem sie seit 8 Jahren litt. Die ersten 
2—3 Jahre hatte sie bloss 2—3 Anfälle ira Jahr, 
aber nach und nach kamen dieselben immer häufiger, 
obwohl der Charakter der Anfälle immer derselbe 
blieb. Die Anfälle dauerten 2 Tage und 2 Nächte 
gleichviel, ob sie Arzneien gebrauchte oder nicht, 
im Gegentheil die Anfälle wurden heftiger und 
dauerten länger, wenn sie zu viel Arznei nahm 
gegen das Asthma. Grosse Athembeklemmung, 
Unruhe, profuser Schweiss, Unfähigkeit sich zu 
bewegen oder abzuliegen und keuchende Athmung, 
waren die Hauptsymptome bei jedem Anfalle. 
Diese Symptome hielten ca. 10 Stunden an, dann 
löste sich der Krampf mit etwas Husten und Aus¬ 
wurf und das ganze Krankheitsbild verschwand 
gänzlich bis auf ein leises Keuchen, das bei der 
Auskultation noch hörbar war. In der letzten 
Zeit waren die Anfälle fast alle 8—10 Tage ge¬ 
kommen. Es war im August 1890 als ich die 
Frau zum ersten Male während eines Anfalles be¬ 
suchte. Ich gab ihr sofort Blatta 1. Verrbg. alle 
2 Stunden einen gran zu nehmen. Zu ihrer grössten 
Verwunderung hörte der Anfall schon nach 20 
Stunden auf, was sonst niemals der Fall gewesen 
war. Dies machte der Frau Muth, so dass ihr 
Mann beschloss, sie mir in Behandlung zu geben. 
Ich gab ihr jetzt Blatta 1. Dilut. 2 Mal täglich 
1 Tropfen. Sie nahm dies 10 Tage lang bis die 
Zeit, wo der nächste Anfall zu erwarten war, 


vorüber gegangen war. Zu dieser Zeit aber begann 
sie über Hitzegefühl am ganzen Körper zu klagen, 
wesshalb ich nun die 3. Verdünnung früh und 
abends nehmeif liess. Da der Anfall einen Monat 
ausblieb und sie sich geheilt glaubte, kehrte sie 
nach Hause zurück. Sie hatte aber noch 2 Anfälle, 
die aber je weilen in sehr kurzer Zeit durch Blatta 
beseitigt wurden, und bis dahin ist sie gesund 
geblieben. 

Nr. 4. Ein junger Mann litt seit mehreren 
Jahren an Asthma, welches immer während der 
Regenzeit und im Winter sich verschlimmerte und 
gewöhnlich von einer chronischen Bronchitis be¬ 
gleitet war. Nachdem derselbe viel allopathische 
Mittel und eine Masse von Patent-Medizinen mit 
höchstens vorübergehender Erleichterung geschluckt 
hatte, kam derselbe im November 1888 in meine 
Sprechstunde. Ich fand, dass der Mann an einer 
chronischen Bronchitis litt, und er sagte mir, dass 
er jede Nacht leichte Athembeschwerden mit einem 
Stickhusten habe, und dass jeder Schnupfen regel¬ 
mässig einen heftigen Anfall von Asthma im Gefolge 
habe. Ich gab dem Patienten zuerst Ipecac. Ars. 
und andere Mittel, welche ihm gut thaten, besonders 
Ipecac. erleichterte ihn am meisten, aber er blieb 
ungeheilt. Desshalb gab ich ihm im Juli 1889 
Blatta 3. Dez. Verd. 3—4 Mal täglich 1 Tropfen. 
Unter dieser Behandlung besserte sich sein Zustand 
zusehends und er hatte nur noch 2 oder 3 Asthma- 
Anfälle, welche mit Blatta schnell gehoben wurden. 
Seit 1^2 Jahr ißt er von seinem Leiden frei ge¬ 
blieben. 

Nr. 5. B. B. ein alter corpulenter Mann von 
62 Jahren litt seit mehreren Jahren an Asthma. 
Der Mann hatte niemals allopathische Arzneien 
genommen, sondern sich von eingebornen Heil¬ 
künstlern behandeln lassen, unter deren Behandlung 
er sich bald besser, bald wieder schlechter befand, 
ln der letzten Zeit hatte sich sein Zustand bedeu¬ 
tend verschlimmert und er batte mehrere Nächte 
schlaflos zugebracht, während er am Tage sich 
ziemlich wohl befand. Ich sah ihn zuerst am 24. 
Juli 1890 vormittags 9 Uhr, und er hatte zu der 
Zeit noch einen leisen Anflug von Asthma. Ich 
befahl ihm, sich niederzulegen im Bette, aber er 
konnte es nicht thun, weil er sofort Husten bekam. 
Die Untersuchung der Brust ergab chronischen 
Bronchialc&tarrh, und der Mann litt an einem 
quälenden Husten mit sehr wenig Answurf trotz 
grosser Anstrengung etwas heraufzubefördern. Ich 
gab Blatta 1. Verrbg. 1 gran alle 2 Stunden. Am 
nächsten Morgen berichtete der Kranke, dass er 
die letzte Nacht keinen Asthma-Anfall gehabt habe, 
dass aber der Husten ihn sehr geplagt habe. Ich 
gab ihm nun Blatta 0,3 2 stündlich 1 Tropfen, 
und er hatte darauf keinen Anfall weder Tags noch 
Nachts, nachdem er dieses Mittel 14 Tage fort- 

4 


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2 « 


gesetzt ging er nach Hause und blieb gesund mit 
Ausnahme eines gelegentlichen Bronchialcat&rrhs. 

Nr, 6. Ein Schuhmacher von 42 Jahren und 
kräftiger Consitution litt seit 3-*-4 Jahren an 
Asthma. Er kam am 6. Nov. 1890 in meine Be¬ 
handlung. Seit Oktober hatte er jede Nacht einen 
Asthma'Anfall gehabt, und am Tage litt er an 
einem quälenden Husten, mit wenig Auswurf, aber 
beschleunigter Athmung, was ihn unfähig machte 
zu arbeiten. Ich gab Blatta 0,1 einen Tropfen 6 
Mal per Tag. Schon am ersten Tage empfand er 
die gute Wirkung des Mittels, welches er einen 
Monat lang fortsetzte. Der Mann befindet sich 
seither wohl. 

Nr. 7. Mann von 40 Jahren kräftig gebaut, 
batte am 4. Aug. 1890 einen Asthma-Anfall nach 
einem heftigen Schnupfen, dem er unterworfen war. 
Nachdem er am Morgen an heftigem Schnupfen 
gelitten, stellten sich nachmittags leichte Athem- 
beschwerden und etwas Brustbeklemmung ein, was 
sich bis gegen 9 Uhr abends zu einem völligen 
Asthma-Anfall steigerte, so dass ich gernfen wurde. 
Als ich um 10 Uhr abends in sein Zimmer trat, 
fand ich den Mann vor einer Menge aufeinander- 
gethürmter Kissen sitzend, die Ellbogen darauf 
stützend nach Luft ringend, hie und da hüstelte 
er etwas, reden konnte er nicht wegen der Athem- 
beklemmung. Ich gab sofort Blatta 0,1 alle 15 
Minuten 1 gran der Verrbg. und bei Besserung 
seltener zu geben. Am nächsten Morgen fand ich 
ihn viel besser, aber er sagte sein Asthma habe 
in geringerem Grade bis 2 Uhr Nachts gedauert, 
da erst habe er etwas schlafen können. 

Der Kranke hatte noch etwas Husten und 
Brustbeklemmung und fürchtete sehr in der Nacht 
wieder einen Anfall zu bekommen. Ich gab nun 
Blatta 0,3 Verrbg. und 0,1 bei etwaigem Asthma- 
Anfall. Patient hatte auch wirklich in der Nacht 
etwas Asthma und nahm 2 Pulver der 1. Verrbg. 
Am Tage war er viel besser bis auf den Husten, 
wogegen er Blatta 0,3 fortnahm nach 4—5 Tagen 
war er ganz frei von Asthma, und ist es auch 
seither geblieben. 

Nr. 8. Frau D. 20 Jahre alt, eine gesunde 
kräftige Frau, Mutter eines Kindes, bekam plötzlich 
im August 1890 einen Asthma-Anfall in Folge 
heftiger Erkältung. Sie konnte nicht im Bette liegen 
bleiben, sie musste sitzen und sich mit vielen 
Kissen stützen lassen. 

Als ich die Frau Morgens 8 Uhr zum ersten 
Male besuchte, war dieselbe in grosser Athemnoth 
und konnte fast gar nicht sprechen. Bei der 
Untersuchung fand ich übrigens wenig von der 
sonst für Asthma charakteristischen (wheezing) 
Respiration, es war kein Husten vorhanden, aber 
der Körper war im Schweiss gebadet. 

Ich beschloss Blatta zu geben 1 gr. der Verrbg. 


alle 15 Minuten und den Erfolg abzuwarten. Ich 
gab 3 Dosen ohne wesentliche Besserung und ver- 
liess darauf die Kranken, indem ich noch einige Gaben 
zurückliess und versprach in einigen Stunden wieder 
vorbeizukommen. Als ich kam, fand ich die 
Kranke viel besser, sie hatte nur noch 1 Pulver 
genommen und ich liess keine mehr nehmen, da 
da sich die Kranke viel besser befand. Da ich 
jetzt glaubte, dass es ein Asthma-Anfall gewesen 
sei, liess ich Blatta ohne Bedenken fortnehmen. 
In der Nacht kam wieder ein Anfall, aber am 
Morgen war die Kranke wieder besser und der 
gewöhnliche asthmatische Husten hatte sich einge¬ 
stellt mit etwas Auswurf. Ich gab nun Blatta 0,3 
einige Gaben jeden Tag, worauf Heilung eintrat. 
Im November kam nochmals ein leichter Anfall, 
der durch Blatta beseitigt wurde. Seitdem hat 
die Kranke kein Asthma mehr gehabt. 

Nr. 9. Ein Mann von 44 Jahren, der einen 
Laden in einem Dorfe hatte, litt seit 8 Jahren an 
Asthma und war während dieser Zeit von einhei¬ 
mischen Künstlern behandelt worden. Im Juni 
1890 kam er in die Stadt und ich wurde zu ihm 
gerufen. Seine Asthma-Anfälle dauerten gewöhnlich 
4—5 Tage. Ich gab ihm sofort 6 Gaben Blatta 
0,1 alle 2 Stunden ein Pulver zu nehmen. Am 
nächsten Tage ging es viel besser. Er blieb noch 
einige Tage in der Stadt dann, aber wollte er nach 
Hause zurückkehren. Ich gab ihm eine grössere 
Quantität Blatta 0>1 und 0,3 mit nach Hause mit 
den nöthigen Anweisungen. Im Januar 1891 er¬ 
hielt ich einen Brief, worin er mir für die Heilung 
dankte und für einen Freund dieselbe Arznei ver¬ 
langte, da derselbe ebenfalls an Asthma leide. Ich 
sandte ihm Blatta, was ebenfalls dem Manne gut 
that. — 

Nr. 10. Frau D. eine hagere Dame von 38 
Jahren, Mutter mehrerer Kinder erkältete sich und 
bekam einen Anfall von Bronchitis mit Fieber, aus 
dieser Bronchitis entwickelte sich innerhalb 14 
Tagen ein Asthma. Die Frau wurde von Anfang 
allopathisch behandelt, aber da es von Tag zu Tag 
schlimmer wurde, so beschloss der Mann einen 
anderen Arzt zu rufen, und ich wurde am 8. Juni 
1890 morgens zu der Frau gerufen. Sie hatte 
Fieber mit acuter Bronchitis, war sehr abgemagert, 
konnte keine Nahrung zu sich nehmen, hatte eine 
schnelle Atbmung und beklagte sich sehr über die 
Athembeengung, welche ihr nicht erlaubte im Bette 
zu liegen, sondern sie zwang Tag und Nacht in 
sitzender Stellung zuzubringen. 

Sie litt auch an öfter längere Zeit anhaltenden, 
krankhaften Hustenaufällen, mit wenig Auswurf, 
aber die Hustenanfälle benahmen ihr beinahe den 
Athem. Dies war der erste Fall, wo ich Blatta 
gab bei Asthma mit Bronchitis und Fieber, sie 
nahm 6 Pulver während des Tages und halte darauf 


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eine bessere Nacht. Am folgenden Tage war der 
Zustand viel besser, nur der Husten war noch gleich. 
Blatta wurde fortgegeben. Sie hatte darauf keine 
asthmatischen Beschwerden mehr, aber der Husten 
war noch nicht viel besser. Antimon tart. und 
Bryonia vollendeten die Heilung. 

(D. N. Ray M. D. 65. Beadon Street Oalcutta 
Juni 22. 1891.) 


Zwei Vrtheile über die „reformirte 
Medicin“. 

ln No. 9/10 vorigen Bandes haben wir schon auf 
eine neue Heilmethode aufmerksam gemacht, die der 
Heilapostel Henri Krohn in Bezug auf die Homöo¬ 
pathie mit den Worten skizzirt: 

L'homäopathie est la MAdecine reformöe cachäe 
sous un masque. 

Heute bringen wir zwei Urtheile aus der 
Presse und zwar eine Kritik 1) von Dr. Axel 
Winckler im Reichs-Medicinal-Anzeiger No. 19 und 
2) von Dr. Vogel-Meran in Prof. Jägers Monats¬ 
blatt No. 10. 

Herr Dr. Winckler schreibt: 

„Während in Deutschland die Herren Louis Kühne*), 
Philo vom Walde und andere „Natur-Heilkundige“ 
die Medicin anfeinden, erstehen auch im Auslande 
Laienärzte, die der medicinischen Wissenschaft den 
Garaus machen möchten und neue Heilslehren aufs 
Tapet bringen. So ein Naturheiland ist Monsieur 
Krohn, der gegenwärtig in Paris sein Wesen treibt, 
ein geborener Russe, der sich eines grossen Ver¬ 
mögens und noch grösseren Mundwerks erfreut. Er 
hat eine Broschüre „la M6decine lAforrafo“ er¬ 
scheinen lassen, worin seine Theorie niedergelegt 
ist. Der blühende Unsinn, der sich in diesem Werk¬ 
eben breit macht, hat uns solches Gaudium be¬ 
reitet, dass wir uns nicht versagen können, darüber 
zu referiren. 

Krohn lehrt, Adam und Eva seien am ganzen 
Körper behaart gewesen, und Krankheiten seien 
erst entstanden, als man den Körper bekleidet habe. 
Unter den Kleidungsstücken seien die Haare mehr 
und mehr atrophirt und verschwunden; in Folge dessen 
sei jetzt der Mensch, als das einzige bekleidete Thier 
der Schöpfung, auch das kränkste Thier. Also 
Rückkehr zur Natur, das heisst: fort mit den Klei¬ 
dern! Schonung den Haaren! Keine Haarscheere, 
kein Rasirmesser mehr! Die Haare sind das Fil- 
trum, in welchem die auf uns einstürmenden Krank¬ 
heitsgifte hängen bleiben. 

Nicht nur die Friseure und Barbiere, sondern 

*) Näheres über diesen neuen Propheten siehe Band 
118, Nr. 22. 


auch die Aerite werden von unserm Reformator 
(welcher Haare auf den Zähnen hat) auf den Aus¬ 
sterbeetat gesetzt. Alle Medicamente sind ver¬ 
werflich. . Die Krankheiten werden nur dadurch 
chronisch und unheilbar, dass die Aerzte allerhand 
„schlechte Droguen“ in den Körper des Patienten 
einführen. Jeder Mensch wird stark und gesund 
geboren — so behauptet wenigstens Meister Krohn! 
— er braucht nur nach Krohn'scher Manier zu 
leben, um gesund zu bleiben; sollte er ausnahms¬ 
weise doch einmal erkranken, so soll er sich nur 
der Natur, dieser guten Mutter, vertrauensvoll über¬ 
lassen. 

Die naturgemässe Lebensweise erheischt, dass 
man nicht nur auf die Kleider, sondern auch auf 
den Fleischgenuss und aaf die alkoholhaltigen Ge¬ 
tränke verzichte. Man soll vorzugsweise Kartoffeln 
essen und Wasser trinken; auch warme Milch, 
Butter und Käse sind gestattet. Vor Mineral¬ 
wässern hüte man sich. Das Theater fliehe man, 
hingegen beschäftige man sich mit Gymnastik und 
nehme Douchen, so wird man unfehlbar hundert 
Jahr alt. 

Krohn ist von der Richtigkeit seiner Lehre so 
überzeugt, dass er dem Vorsitzenden des Pariser 
Gemeinderaths einen Check von hunderttausend 
Francs, zahlbar beim Cr6dit Lyonnais, übermittelt 
hat, damit der Gemeinderath in demjenigen städti¬ 
schen Spitale, welches die grösste Mortalität hat, 
seine Heilmethode einführe. (Wozu die grosse 
Summe, da Kartoffeln, Milch, Wasser und Adam's 
Costüm so billig sind?) Wenn binnen sechs Mo¬ 
naten die Sterblichkeit in solchem reformirten Spital 
nicht erheblich gesunken sein wird, verpflichtet 
sich Herr Krohn, aus seiner Tasche ein Armenhaus 
zu bauen. 

Ob man dem russischen Naturheiland ein Pariser 
Krankenhaus für seine Experimente ausliefern wird, 
dürfen wir billig bezweifeln. Einstweilen bildet die 
„reformirte Medicin“ ein sensationelles Unterhal¬ 
tungsthema für die Pariser, bis ein neuer Hans¬ 
wurst auf der Bildfläche erscheint. — 

Herr Dr. Vogel schreibt: 

Der Stadtverordnetenvorsteher von Paris erhielt 
Anfang Juli von einem dort ansässigen Russen 
Henri Krohn eine Anweisung von 100,000 Frcs. 
auf den Credit Lyonnais. Im beigelegten Schrei¬ 
ben war die Bestimmung enthalten, dass die ge¬ 
nannte Summe zu allgemeinen Wohlthütigkeits- 
zwecken verwendet werden sollte, aber in der 
Weise, dass in einem der Stadtverwaltung unter¬ 
stehenden Krankenhause Versuche mit der „Re- 
formheilmethode“ angestellt werden sollten, welche 
der Schenker in einer gleichzeitig übersandten Bro¬ 
schüre beschrieb. „Würde,“ so biess es im Briefe 
weiter, „im Laufe eines halben Jahres nicht eine 
auffallende Abnahme der Sterblichkeit im Hospital 

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28 


ein treten, sowie auch in den Kosten und der An¬ 
zahl Krankheitstage für jeden Patienten,* so ver¬ 
pflichte sich der Briefschreiber, auf seine Rechnung 
ein neues Krankenhaus für Mittellose errichten zu 
lassen. 

Henri Krohn, ein mehrfacher Millionär, ist soit 
Ende der 70ger Jahre in Paris ansässig, er be¬ 
wohnt eine behagliche Vorstadtsvilla, aus der aller 
Luxus verbannt ist, und führt im Gegensatz zu 
seinen Landsleuten ein einfaches und anspruchloses 
Leben. Soweit sein Vermögen nicht zur Sicher¬ 
stellung der Zukunft seiner einzigen Tochter dient, 
beabsichtigt er dasselbe philanthropischen Zwecken 
nutzbar zu machen. Die Schriften einer religiösen 
russischen Sekte, deren Mitglieder früher nach 
Sibirien geschickt wurden, haben ihn zum Vor¬ 
kämpfer einer anti-allopathischen Heilmethode ge¬ 
macht, welche ganz besonderes Interesse allem 
„ Wollenen “ abgewinnen dürfte, da sie eigentlich 
nichts Anderes ist, als eine praktische Ausführung 
von Prof. Jäger’s Lehren, derart, dass es wirklich 
von Wichtigkeit wäre, wenn Herr Krohn die 
Schriften dieses „Meisters“ (ich sage absichtlich 
nicht „Professor* oder „Gelehrter“, denn dass er 
das ist, weiss Jeder) in Uebersetzung kennen lernte. 

Die Natur — so steht in der Broschüre — 
findet stets spontan und ohne Beistand Mittel zur 
Wiederherstellung der Gesundheit, die Krankheiten 
werden nur dadurch chronisch und unheilbar, dass 
der Organismus mit Medicamenten überfüllt wird. 
Die Krankheit ist nichts, als der Kampf der Natur 
zur Absonderung von Fremdstoffen, die sich im 
Körper anhäufen, weil die Poren der Haut sich ver¬ 
stopfen. Es ist in erster Linie diese Schliessung 
der Poren , welche verhindert werden muss. 

Es ist des Menschen eigene Schuld — sagt 
Henri Krohn — dass diese Krankheitsursache so 
weit verbreitet ist — eine Schuld, die so weit 
zurückgeht, dass schon Adam und Eva zum Un¬ 
glück der gesammten Nachkommenschaft ihre Nackt¬ 
heit entdeckten und auf den unglücklichen Einfall 
kamen, sich zu bekleiden. Die Kleidung trägt die 
Schuld von allem Elend } sie hat den natürlichen 
Haarwuchs des menschlichen Körpers verschwinden 
gemacht und die Schliessung der Poren bewirkt. 
Er weist nach, wie Thiere in viel geringerem Grade, 
als wir, physischen Krankheiten ausgesetzt sind, 
und dass diese sich mit gestörtem oder verhindertem 
Haarwuchs in Verbindung bringen lassen. Von ihm 
rasirte und dann angekleidete Thiere erkrankten 
allmälig, während andere derselben Art, die unbe¬ 
helligt blieben, wuchsen und gediehen ohne je zu 
Siechthum zu neigen. 

Da es nun für den Menschen nicht möglich ist, 
zum Naturzustand zurückzukehren, so schreibt Krohn 
vor, dass man wenigstens Kleider tragen soll, die 
so sehr als möglich dem „Haarwuchs* entsprechen, 


d. h. Kleider von Wolle. In seiner Gesundheits¬ 
lehre spielt ferner das kalte Wasser eine Haupt¬ 
rolle. Oft wiederholte und gründliche Abreibungen 
sollen zur Gewohnheit werden. Spartanische Er¬ 
ziehung und grösstmögliche Enthaltsamkeit, Ver¬ 
bannung aller Spirituosen gehören zur Methode. 
Fleisch ist nur in kleinen Mengen, in um so grösse¬ 
rer Quantität aber Mehl, Käse und Butter zu ver¬ 
zehren. Fleissige Gymnastik, ängstliche Vermeidung 
von Zug — Fenster sollen nur auf der einen Seite 
des Baues sein etc. etc. — das sind im Grossen 
und Ganzen die Anweisungen, nach denen man bei 
72 Jahren Alter, die Körperfrische und Gesundheit 
sich erhalten soll, die Herr Krohn selbst besitzt. 

Nun, man kann mit Vergnügen constatiren, dass 
wieder einmal ein Millionär der Sache wahrer Mensch¬ 
lichkeit sein Scherflein opfert, und wie Göteborg's 
Handelstidning, in der ich diesen Bericht fand, 
wohl mit Begründung bemerkt: „wenn ein Reicher 
ein Samenkorn ausstreut, fällt es selten auf san¬ 
diges Gestein.“ Ich erinnere hier nur an Commer- 
zienrath Zimmermann, der durch Errichtung einer 
Naturheilanstalt in Chemnitz mit vielleicht zu grossen 
Kosten, aber doch mit Erfolg, viel zur Verbreitung 
antimedicinischer Grundsätze beitrug, an Bankier 
Securius in Wiesbaden, welcher durch den Betrieb 
des Vegetarischen Kinderheims am Schlachtensee 
bei Berlin die von Krohn befürwortete spartanische 
Erziehung praktisch durchführen will. 

Es ist nur ein Punkt, mit dem ich und wohl 
viele Leser sich mit dem Programm nicht einver¬ 
standen erklären werden: das ist die „Angst vor 
Zug“. Zugfest zu werden, das muss nach meiner 
Ansicht das Bestreben jedes Ansehen sein. Sowie 
man noch Anhänger ist von der weitverbreiteten, 
belästigenden Klage: „Es zieht“ — dann sind auch 
„Thür und Thor“ nicht, wie es sein muss, offen, 
sondern geschlossen , und der Rath, die Fenster bloss 
auf einer Seite des Hauses anzulegen, ist erstens 
praktisch nicht zu verallgemeinern, zweitens Freun¬ 
den von Lufteirculation und Sonnenbestrahlung 
geradezu Greuel.“ 


Ans der Praxis. 

Von Dr. H. Goallon. 

Zur Pathogenese von Mercurius praecipitatus ruber. 

Selten ist mir die Wahrheit des homöopathischen 
Aehnlichkeitsgesetzes so überzeugend nahe getreten, 
als in dem folgenden Falle, wo ein Patient, dem 
ich Mercur verordnet hatte, eine Reihe ganz be¬ 
stimmter Krankheits-Symptome bekam, die ihm so 
lästig wurden, dass er aufhören musste dasselbe 
weiter zu nehmen, um dann bei Wiederaufnahme 
des Mercur - Gebrauches dieselbe Erfahrung zu 


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. 2 » 


machen. Wir wissen aber, dass in der zahnärzt¬ 
lichen homöopathischen Praxis kaum ein zweites 
Mittel mit Mercur (solubilis) concuriren kann. 
Wiederholt habe ich erwähnt, dass man z. B. in 
den Leipziger hom. Apotheken da, wo schlechthin 
etwas gegen Zahnschmerzen verlangt wurde, auf 
Clotar Müllers Anregung Mercur. solub. verabfolgte. 
Ob es jetzt noch so ist, weiss ich nicht. Jedenfalls 
aber hat sich das Mittel oft genug auf das glän¬ 
zendste bewährt. 

Ohne auf das Leiden, weswegen ich Mercur 
gab, näher einzugehen und nur noch erwähnend, 
dass es rother Quecksilberkräcipitat war im Yer- 
hältniss von 1:200, lasse ich gleich den wört¬ 
lichen Bericht des Kranken folgen: 

„Die verschriebenen Mercur Pulver“ — schreibt 
derselbe — „habe ich 8 Tage lang eingenommen, 
dann bekam ich Kopfschmerzen, Klingen in den 
Obren und namentlich auf der rechten Seite, wo 
ich ein Paar schadhafte Zähne habe, heftige 
Schmerzen, die mich die Nächte hindurch nicht 
schlafen Hessen und auch am Tage unerträglich 
waren. Schliesslich war das Reissen auf beide 
Kieferknochen übergegangen, so dass ich nicht 
sagen konnte, welcher Zahn daran schuld war. Ich 
setzte den Mercur aus und zwar 4 Tage hindurch, 
und als die Schmerzen nachliessen, fuhr ich mit 
Einnahmen fort. Nach 8 Tagen war ich wieder 
soweit, dass ich es nicht vor Zahnschmerzen aus- 
halten konnte. Ich hörte nun mit Mercur auf und 
nahm, um die Nebenwirkung aufzuhebeu, ein Paar 
Tage lang Nitri acidum, worauf die Zahnschmerzen 
nachliessen. Ganz frei bin ich auch heute nicht 
davon. — —“ 

Therapeutischer Erfolg vom Marsschen Krebs- 
mittel. 

„Ich bitte herzlich wiederum um einen kleinen 
Vorrath von dem Transvaal - Krebsmittel. Meine 
liebe Schleussers Frau hat die Wochen, seit sie es 
braucht, viel schmerzloser zugebracht. Vor 14 
Tagen entliess sie ihr Operateur, endlich zugebend, 
er habe keine Hoffnung mehr, könne nichts weiter 
tliun, und sie hatte grosse Schmerzen, ein Beissen 
und Fresseu und es eiterte aus einer kleinen Stelle 
am Hals und an dem Ohre, wo die tiefe Narbe 
sitzt. Nun hat sie keinen Schmerz, höchstens etwas 
Jucken im Ohrläppchen, aber die Wunde ist zu. 
Ich wage kaum zu hoffen, und bitte also um einen 
weiteren kleinen Vorrath.“ 

Hier hatten die von Mars versandten GlobuH 
offenbar einen positiven Nutzen und nicht wegzu¬ 
leugnende Wirkung auf den carcinomatösen Process. 

Genau nach einem Monat schrieb dieselbe Re¬ 
ferentin, Frau Gräfin S.: „Mit der Frage, ob Sie 
nicht ein zu grosses Opfer bringen, wenn Sie mir 


von Neuem von dem gewiss kostbaren und schwer 
zu erreichenden Transvaal-Mittel zukommen lassen 
wollen, komme ich heute wieder, aber die liebe 
arme Fiau ist so freudig und zuversichtlich, weil 
es ihr wirklich besser geht und sie wenig Schmer¬ 
zen hat, dass ich ihre Bitte erfüllt sehen möchte. 
Es scheint aus Allem, dass auch der Mund viel 
weniger schief gezogen, der durch die vielen Ope¬ 
rationen, die Sehnen und Nerven durchschnitten, 
ganz auf der Seite stand. Auch das Auge fällt 
von selbst auf der Seite zu.“ 

In einem früheren Schreiben heisst es von der 
Patientin, die ich leider wegen der grossen Entfer¬ 
nung nicht selbst sehen konnte: 

„Auch ersuche ich Sie um Rath, ob die so viel 
operirte Kranke, die aber jetzt gerade nicht viel 
klagt und deren Narbe nicht nässt — aber ein 
Beissen, Stechen und Ziehen kommt Öfter, — wieder 
Conium oder Aurum oder was sonst nehmen soll, 
so unthätig möchte ich nicht erst Verschlimmerung 
heran kommen lassen. — —“ 

Dieser drohenden Verschlimmerung wurde also 
durch die Globuli Marsii vorgebeugt. 

Endlich half Frau Gräfin S. meinem Gedäehtniss 
nach, indem sie eine diesbezügliche Anfrage am 
22. September d. J. dahin beantwortete: „Die 
Krebskranke, die das Transvaal-Mittel braucht, ist 
nicht die mit offenem Krebs und zerstörtem Ge¬ 
sicht — sondern die , welche so oft operirt wurde, 
wobei Sehnen zerschnitten und Arterien getroffen 
wurden, so dass drei Sachverständige mit vereinten 
Kräften die Verblutung hinderten. Dieselbe hat 
nun die Wunde zu, eine tiefe Narbe ist entstan¬ 
den, aus der lange Zeit der Faden hing (vom Zu¬ 
binden des Arterien-Theiles) und die immer nässte.“ 
„Patientin befindet sich also viel schmerzloser und 
frischer seit dem Manschen Mittel .*)“ 

Bericht vom 22. Nov. v. J. 

„Meiner Patientin geht es, dem Himmel sei Dank, 
recht gut! Ich bin zufrieden, sagt sie, wenn ich 
sie heraufkommen lasse von Zeit zu Zeit, und das 
letzte Mal zeigte ich ihr Ihre Photographie, und 
sie rief aus: „0, der liebe Herr Doctor, er hat ja 
hier keine Hand, dass ich sie ihm küssen könnte 
— und da sagte ich ihr, ich würde es Ihnen 
schreiben. Die arme, liebe brave Kindermutter — 
welches Verdienst haben Sie, hat die Homöopathie 
an ihr!!“ 

Ich halte es durchaus für angemessen, diesen 
Bericht wörtlich wiederzugeben. Er ist zu bezeich¬ 
nend für den positiven Erfolg in diesem concreten 
weit vorgeschrittenen Krebs-Krankheitsfall. 

* f Ich gab übrigens in diesem Falle die Streu¬ 
kügelchen früh und Abends zu 5 Stück, also nicht t wie 
Herr Mars cs vorgeschrieben hat 


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96 


Epidemiologische Ecke. 

Während von überall her das Auftreten der 
Influenza gemeldet ist, sind wir hier noch so ziem¬ 
lich davon verschont geblieben. Am 7. d. Mts. 
traten Halsentzündungen und Diphterie auf einmal 
in den. Vordergrund und damit die Combination 
Kali carb. -j- Bell. = Apis (Coli. Stemmer hier 
gab gegen diese Affektionen Mercurpräparate mit 
gutem Erfolg); Apis bewährte sich vortrefflich und 
blieb herrschend bis zum 13. d. Mts. Die haupt¬ 
sächlichsten Symptome waren: heftiges Fieber mit 
Frost; Durstlosigkeit; grosse Mattigkeit; heftige 
Schmerzen im Kopf entweder vor der Stirn und 
in der linken Schläfe herunter oder mit Nacken¬ 
steifheit und Stechen in der linken Kopfhälfte von 
hinten herauf nach dem linken Auge; heftige 
Schmerzen im Bücken und allen Gliedern, so dass 
Pat. sich nicht zu rühren wagt; Schlaf sehr un¬ 
ruhig, Erwachen besonders Morgens um 1—2—3 
Uhr, dann ruhiger; bei Kindern häufiges Aufschrecken 
aus dem Schlaf mit einem Schrei; Pat. siebt Männer 
um sich; (ein Kind mit Hydrocephaloid und acutem 
Magen- und Darmkatarrh dreht nach tonischen 
Krampfanfällen beständig den Kopf hin und her 
und gräbt ihn dabei in das Kissen); Appetit fehlt; 
Ekel vor Essen und Trinken; Uebelkeit; hie und 
da Erbrechen; Bauchschmerzen; Verstopfung, später 
Neigung zu Durchfall; Verminderung der Urinse- 
cretion; von Seiten der Bespirationsorgane machte 
sich leichter Schnupfen und mässiger aber krampf¬ 
hafter, ziemlich trockener Husten geltend; das all¬ 
gemeinste Symptom war Angina mit Anschwellung 
beider Mandeln erst rechts, später und schlimmer 
auch links, hochrot, oft mit gelbbraunen diphthe¬ 
rischem Belag. 

Am 14. d. Mts. fielen mir grosse Neigung zu 
Durchfall und Bauchschmerzen in der linken Unter- 
baucbgegend, sowie einige Fälle von heftigem, 
krampfhaftem, trockenem Husten Tag und Nacht und 
Kratzen im Hals auf. Hierbei war Crot. tigl -f- 
Natr. mur. oder Plat. met. angezeigt 

Heute finde ich vorwiegend Natr. mur. -f- Iris 
oder + Led. Coli. Stiegele hier beobachtet Com- 
binationen von Natr. mur. -J- Iris oder -f- Cina 
oder -f- Led. und einigen anderen schon seit ca. 8 
Tagen häufiger. 

Von Coli. Kim-Pforzheim liegen folgende Mit¬ 
theilungen vor: vom 5. d. Monats Kali carb. -J- 
Bell. = Apis bei Diphterie ausgezeichnet; bei epi¬ 
demischer Laryngitis sieht er von Bell. 30 -f- Bry. 
30 die raschesten Erfolge (bei Laryngit. war hier 
nach den Schmerzpunkten Zinc. met. -f- Bell, an¬ 
gezeigt). 

Am 8 f d. Mts. schreibt er, dass er viel Keuch¬ 
husten habe, dabei Drosera Spongia. Am 12. 
d. Mts. berichtet er von ungewöhnlich hohem 


Krankenstand: besonders grippeartige Krankheiten 
mit Entzündungen des Halses und der Bronchien, 
rheumatischer Affektion der Nacken- und Lumbar- 
muskeln; Husten, der bei Kindern leicht in Krampf¬ 
husten übergeht, häufig mit Darmkatarrh vergesell¬ 
schaftet, dabei Kali carb. Bell. = Apis. 

Coli. Leeser-Bonn theilte mit: am 10. d. Mts. 
Nitriac. -f- Bell., sonst in letzter Zeit theils Kali 
carb. -j- Bell, theils Baryt, carb. + Bell.; am 13. 
d. Mts. fand er Kali carb. -f- (Jaust. = Amica, 
vereinzelt Natr. mur. -f- Bell., auch Silic. -}- Bell. 

Stuttgart, den 15. Januar 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 

Lesefruchte. 

Dr. v. Gerhardt macht in seinem Handbuch 
der Homöopathie (S. 514 V. Aufl.) auf die Er¬ 
fahrungen eines amerikanischen Arztes aufmerksam, 
welcher in Umschlägen von gequetschten Preissei - 
beeren (Crowberries) auf Brustkrebsgeschwöre ein 
Heilmittel erblickt. 

Neuerdings scheinen nun auch die Heidelbeeren 
zu ungeahntem Ansehen zu gelangen, wie man aus 
folgenden Mittheilungen ersehen mag. 

Psoriasis linguae. Prof. Winternitz (Wien) 
fand Ausspülung des Mundes (3 mal täglich 10—15 
Minuten lang) mit einem Decoct von Heidelbeeren 
(Vaccinium Myrtillus) in einem alten, schon 20 Jahre 
vergeblich behandelten Falle mit Flecken, Rhagaden, 
Rissen, Geschwüren u. s. w. höchst wirksam. Schon 
nach den ersten Ausspülungen Nachlassen der hef¬ 
tigen Schmerzen, nach vier Wochen totale Heilung 
der Zungenschleimhaut. Wirksames Agens jedenfalls 
die Farbstoffe. [Bereitung des Mittels: Uebergiessen 
der ausgetrockneten Beeren mit kaltem Wasser; 
Abkochung, mindestens 2 Stunden lang, unter häu¬ 
figem Umrühren; Abseihen der syrupartigen Masse 
durch ein Leinentucb; kräftiges Auspressen der 
Beeren; Abkühlen) (Blätter für klin. Hydrotherapie 
1891 Nr. 3. Internation. klin. Rundschau 1891 
No. 30.) 

Tuberculosis. Prof. Winternitz heilte äusserst 
hartnäckige Diarrhöen der Phthisiker mit dem 
Decoct von Heidelbeeren von dem er täglich 1—3 
Kaffeeschalen trinken liess. Auch andere Diarrhöen , 
die jeglicher Therapie (selbst Opiaten!) getrotzt 
hatten, kamen zum Stillstand. (Blätter f. klin. 
Hydrotherapie. — Internat, klin. Rundschau 1891 
Nr. 30.) 

A. Müntz. De t enriclussement du sang en himo - 
globine , suivantles conditions a’existenceCompt. rend . 
CXII. p. 298. 

Kaninchen, welche in Höhe von ca. 2900 m. 
dauernd gehalten wurden, zeigten nach mehreren 
Generationen, 7 Jahre nach ihrer Verpflanzung aus 


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der Ebene auf die Höhe, das Blut um fast 40°/ 0 
reicher an festen Substanzen und um 70°/ 0 reicher 
an Eisen, als Kaninchen, die in der Ebene lebten, 
aus der Zunahme des Eisengehaltes ist auf eine 
Zunahme des Hämoglobingehaltes zu schliessen, in 
der That absorbirte das Blut der Höhenthiere 14/5 
mal so viel Sauerstoff, als das der in der Ebene 
lebenden. Hammel, welche aus der Ebene auf die 
nämliche Höhe gebracht wurden, zeigten dieselben 
Veränderungen im Blut, nur in noch höherem 
Grade, bereite nach 6 Wochen. Auch bei intensiv 
gemästeten Thieren erfolgt eine Zunahme des Hämo¬ 
globingehaltes und damit, nach Regnard, eine Zu¬ 
nahme der respiratorischen Capacität (Grösse der 
Sauerstoffabsorption für 100 Theile Blut.) 

J. Munk. 

Aus Centralblatt für die medicinischen Wissen¬ 
schaften Nr. 25. 20. Juni 1891. 

Ehimann. Ueber Trtgeminusneuralgieen bei acutem 
Jodismus. Wiener med. Blätter 1890. Nr. 44. 

Bei 4 mit Syphilis behafteten Patienten traten 
im Verlaufe der ersten Stunden nach Aufnahme 
der ersten Jodsalzmengen die Erscheinungen der 
Trigeminusneuralgie auf in Begleitung mit der 
ödematösen Anschwellung, Conjunctivalhyperamie 
und Thränenflus8. Diese Erscheinungen schwanden 
in kürzester Zeit trotz des stürmischen Verlaufes 
und kehrten wieder, wenn Jodkali weiter gereicht 
würde. 

Kalischer. 

De Walker. (Paris): Iritis märitique. 

Jede Iritis rührt nach Walker von einer In¬ 
fektion her, und jedes Individuum, das an einer 
Iritis leitet, ist nach ihm Träger einer Infektions¬ 
krankheit. Zieht man die häufigste Ursache der 
Iritis, nämlich die Syphilis, in Abrechnung und sieht 
nun auch von den Fällen rheumatischen Ursprungs 
ab, so bleibt noch immer eine Reihe von Fällen 
übrig, bei denen eine Infektion nicht leicht nach¬ 
zuweisen ist Diese Fälle von Iritis und Iridocho- 
rioiditis kommen mit einer gewissen Constanz bei 
jungen Frauen vor oder bei solchen im kritischen 
Alter. Diese Form ist es, die Walker in Nr. 27 
der „Lan. med.“ als Iritis metritica bezeichnet, 
die von einer Infektion ausgeht, deren Ursprung 
im Uterus oder in dessen Umgebung (Vagina und 
Adnexa) liegt. Er hat diese Form von Iritis 
wiederholt beobachtet So oft in einem Falle von 
Iritis oder Iridochorioiditis sowohl Syphilis, als 
auch Rheumatismus mit Sicherheit auszuschliessen 
waren, konnte eine gynäkologische Untersuchung 
einen Infectionsherd im Uterus oder dessen Um¬ 
gebung nachweisen, dessen Entfernung die Augen* 
erscheinung zum Schwinden brachte. Es hat dem¬ 
nach die richtige Erkennung dieser Form nicht 
nur ein theoretisches, sondern auch ein eminent 


praktisches, ja sogar therapeutisches Interesse, denn 
die locale Behandlung des Uterus ertfeist sich oft 
wirksamer, als die isolirte Behandlung des Auges. 
Walker hat wiederholt jede allgemeine oder aufs 
Auge gerichtete locale Behandlung weggelassen 
und nur die locale Behandlung der Uteruser^ 
krankung eingeleitet und beobachtet, dass die 
letztere in den meisten Fällen eine Besserung und 
schliesslich eine viel raschere Heilung herbeiführte. 
Bemerkenswerth ist, das9 diese Fälle von Iritis oder 
Iridochorioiditis bei jungen Frauen eine uterine 
Erkrankung kennen lassen, die bis dahin unbekannt 
geblieben war. So erwähnt Walker einer jungen 
Frau, die seit einem Jahr verheirathet war und eine 
sehr hartnäckige, oft reeidmrende Iritis • bekamt 
Rheumatismus und Syphilis konnten mit Sicherheit 
ausgesehtossen werden. Es bestanden keinerlei 
funktionelle Störungen seitens der Sexualorgane, 
nur hatte die Frau nicht concipirt, trotzdem ihr 
Gatte jung und gesund war. Eine Untersuchung 
mit dem Speculum, die die Kranke erst nach 
längerem Zureden zugab; zeigt iine ExcQriation 
der Portio mit Eiterung in der Umgebung: c ]des 
Cervix. In - einem anderen Kalle.. wurde: ein* En¬ 
dometritis durch eine solche Iritis' entdeckt, 
wobei die häufigeren Recidive erst nach voll¬ 
ständiger Desinfektion der Genitalorgane aufhörten. 
Uebertragungen der Mikroorganismen aus Fällen 
von Endometritis auf Augen von Kaninchen er¬ 
gaben keine positiven Resultate, was jedoch für die 
Pathogenese dieser Erkrankung beim Menschen 
nichts beweist. F. 

Wiener medicinische Presse Nr. 26. XXXII. 
Jahrgang. 

Vermischtes. 

Der pract. Arzt Dr. Sutoris in Leipzig ist am 
12. d. M. wegen vollendeten und versuchten Be¬ 
trugs mit 4 Monaten Gefängniss' bestraft worden. 
Derselbe hatte in 18 Fällen die Leipziger Orts¬ 
krankenkasse durch fingirte Krankenbesuche und 
Operationen betrogen. 

Aus der Urteilsbegründung ist zu ersah eh, dasb 
man als erwiesen angesehen hat, dass der Ange¬ 
schuldigte durch 7 Quartale vom 1. Juli 1889 bis 
zum 31. März 1891 in einzelnen Fällen zu viel 
berechnete und zwar beläuft sich die Summe, um 
welche die Ortskrankenkaese resp. deren > Aerste 
geschädigt worden sind, auf 132 Mark 50 Pfge. 
Bei 20 Mark, die das letzte Quartal betreffen, kommt 
nur versuchter Betrug in Betracht, weil Dr. Sutoris 
diese Vierteljahrsrechnung noch gar nicht ausgezahlt 
erhalten hat. Ob der strafbaren Handlungsweise 
des Angesohuldigten Absicht oder Irrthum zu Grunde 
liege, darauf hat der Gerichtshof nicht Bezug ge - 


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»2 


nommen , ihm genügte bei der Aburtheiluog einzig 
und allein , dass falsche Eintragungen vorgenommen 
'worden waren, für die Dr. Sutoris die Verant¬ 
wortung zu tragen hat. Die Zugeständnisse sind 
nicht als durchschlagender Beweis angenommen 
worden, sondern sind nur dem Beweismaterial zu 
Hilfe gekommen. Zu Gunsten des Angeschuldigten 
hat man seine bisherige Unbescholtenheit, zu Un¬ 
gunsten desselben den groben Vertrauensbruch, ohne 
in Nothlage zu sein, in Betracht gezogen. 

Das Neueste in der Kurpfuscherei ist ein Com¬ 
pagniegeschäft für eine verbesserte Electro-Homöo- 
pathie. Wie wir im Inseratentheil der hiesigen 


Zeitungen lesen, ist von Theilig & Kässbrig hier- 
selbst eine hydrohomöopathisch - electrische Heil¬ 
anstalt errichtet worden. Preis der einzelnen Sitz¬ 
ung 2 Mk., Karte für 10 Sitzungen 15 Mk. Der 
Genfer electro - homöopathische Geheimmittelunfug 
ist also nichts eigenartiges mehr Waß mag der electro- 
homöopathische Apotheker und Reclamemacher Sau- 
ter zu dieser Hydro-Electro-Homüopathie sagen? 

Personalia. 

Herr Dr. Kays er hat sich in Saarbrücken als 
homöopathischer Arzt niedergelassen. 


ANZEIGEN. 


■■ Neu, billig und practisch — 

Zungenhalter von Holz. 

Zufolge häufiger Beschwerden des Publikums 
über jahrelange Benutzung eines und desselben 
neusilbernen oder silbernen Zungenhalters (trotz 
dessen sofortiger Reinigung und Desinfection) bei 
verschiedenen Personen, sind wir den Wünschen einiger 
Herren Aerzte nachgekommen und haben aus sau¬ 
berem Weissbuchenholze einfache und practische 

Zungenhalter 

machen lassen, die durch ihren ausserordentlich 
billigen Preis gestatten, nach einmaligem Gebrauche 
weggeworfen zu werden und den Patienten somit 
jede Sorge um Uebertragung irgend welcher Krank¬ 
heiten durch Anwendung dieses so sehr nöthigen 
Instrumentes nehmen. — 

Wir halten dieselben daher der Herren Aerzten 
zur gefl. Benutzung bestens empfohlen. — 

Preis pro Stflek 6 Pfg., pr. Dtzd. 60 Pf*., 
pr. 100 Stlek Mk. 4,80. 

A. Margyraf’s Homöopathische Offlein 
In Leipzig. 

Zur Ergänzung der Bibliotheken empfehle ich 
den Herren Aerzten von der 

Allgemeinen Homöopath. Zeitung 

ganze Collectionen vom 1. bis 123. Bande, wie 
auch einzelne Bände und von den letzten zehn 
Bänden, so weit der Vorrath reicht, auch einzelne 
Nummern zu billigsten Preisen. 

A. Marggraf*s Homöopath. Offlein in Leipzig. 


Revisionsmässige Hausapotheken! 

Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbat- 
dispensirenden homöopathischen Herren Aerzte werden 
jetzt von den Revisoren hinsichtlich der Aufbewahrung 
der Venena und Separanda dieselben Anforderungen ge¬ 
stellt, wie in den Apotheken. 

Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte 
kleine, praktische 

Oiftschränkchen 

und 

Separanden-Schränkchen 

anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu 
Diensten. 

(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen 
vollste Anerkennung gefunden). 

Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬ 
oder mahagoniartig gestrichen, damit sie stets zur 
anderweitigen Zimmereinrichtung passen. 

Ein Giftschränkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit 
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze 
Schränckchen verschliesst, sind 3 Abtheilungen für Al- 
caloide, Arsenicalia u. Mercurialia, welche jede durch eine 
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für 
sich verschliessbar ist. In diesen Abtbeilungen sind 
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch 
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und 
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit 
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen. 

Preis eines scdchen Schränkchens, leer, nur 30 M. 

Ein Separandenschränkchen ist 70 cm hoch, 50 cm 
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze 
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬ 
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für 
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬ 
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬ 
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren 
sind (sieh i Revisions-Etiquetten-Hefte). 

Ein solches Schränkchen kostet leer nur 24 M. 

A. MarggraTs homöopath. Offizin in Leipzig. 


Verantwortliche Redacteure: Or. GoehruB-Stuttgait, Dr. Stifft-Leipzig und Dr. Haedlcke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von WUliaM Steioaetz (A. MarggraPa homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von firmier & Sobraan in Leipzig. 


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Leipzig, den 4. Februar 1892. 

ALLGEMEINE 


No. 5 u. 6. 


Band 124. 


homöopathische mmu . 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homSopath. Officin) in Leipzig. 


MT Bwcbeint 14t%ig so f Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Bend. Praia 10 M. ftO Pf. (Halbjahr). Allo Buchhandlungen and 
Poetanatalten nehmen Beetellnngen an. — Inserate, welehe an EL Moase in Iieipsiff and dessen Filialen an richten aind, 
werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitaeile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 

Inhalt: Rückblick auf die gecchlohtflohe Entwlokclung der Weiberchen Heilmethode. Von Dr. med. Leeser- 
Bonn. — Die Weibe’sche Heihnetbcde und die Honüccatble. Von Dr. med. H. Göhrnm Stuttgart, — Ueber die Ncth- 
weodlgkeif erneuter Prflfuneon der ArzneMttel. Von Dr. med. Leeser-Bonn. — Ueber die Abortivtherapie der 
Galleneteiakraakheiten. Von Dr. Mossa-Stuttgart. — EpIdeMlologltche Ecke. — Fragekaeten. - Rechnungeablegung. 
— Anzeigen. 


Rückblick auf die geschichtliche Ent¬ 
wickelung der Weihe’schen Heil¬ 
methode. 

Vortrag, gehalten zum Beginn der constituirenden 
Versammlung der „Epidemiologischen Gesellschaft“ 
in Frankfurt a/M. am 23. Dez. 1891. 

Von Dr. med. Lceeer-Bonn. 

Meine Herren! Wie aus dem Ihnen mitgetheilten 
Programm für unsere heutige Versammlung zu er¬ 
sehen ist, werden wir uns in etwas eingehenderer 
Weise, als dies bei anderen Versammlungen, wo 
den verschiedensten Interessen Rechnung getragen 
werden muss, möglich ist, mit der epidemischen 
Heilmethode, speciell mit der durch unsern hoch¬ 
verehrten Collegeu Dr. August Weihe in Herford 
entdeckten Schmerzpunkttheorie, befassen. Als Ein¬ 
leitung zu diesem Thema dürfte ein kurzer ge¬ 
schichtlicher Rückblick auf die Entstehung und Ent¬ 
wickelung dieser im höchsten Grade interessanten, 
in der Verschmelzung der Lehren Hahnemann’s und 
Rademacher’s gipfelnden Entdeckung, die leider von 
vielen Oollegen noch nicht hinlänglich gewürdigt 
wird, nicht unangebracht erscheinen. Da bei dem 
verhältnissraässig erst kurzen Bestehen der Weihe¬ 
schen Methode von einer eigentlichen Geschichte 
nicht gut die Rede sein kann, auch eine chrono¬ 
logische Aufzählung der einzelnen, keineswegs scharf 
abzugrenzenden Phasen der Entdeckung nicht einen 
genügenden Einblick in das Zustandekommen der¬ 
selben ergeben würde, so gestatten Sie mir, dass 


ich Sie, so gut ich es vermag, mit dem Ideengange, 
welcher den Schöpfer der Methode leitete, einiger- 
massen vertraut mache, ohne mich streng an die 
geschichtliche Aufeinanderfolge zu halten. 

Gleich im Anfänge seiner Praxis hatte Weihe 
schon von epidemischen Mitteln Gebrauch gemacht, 
deren Auffindung er zum Theil dem günstigen Zu¬ 
fall verdankte. Im Jahre 1868 hatte er längere 
Zeit eine Chelidoniumepidemie, 1869 eine solche 
von Apis und später von Kali carbonicum, im Jahre 
1870 fand er eine Zeit lang Ferrum mit Quassia, 
später Belladonna als epidemische Mittel indioirt. 
Wie Sie sehen, hatte er theils empirisch nach Rade¬ 
macher, theils unter Berücksichtigung der Hahne- 
mann’schen Arzneimittelsymptome diese epidemischen 
Mittel gefunden. Kein Wunder daher, dass sich ihm 
der Gedanke aufdrängte, dass die Lehren Hahne¬ 
mann’s und Rademacher’s gemeinsame Berührungs¬ 
punkte aufweisen mussten, ein Gedanke, dem bereits 
im Jahre 1866 Grauvogl in seinem Lehrbuche 
Ausdruck verliehen hatte. 

Während ihn dieser Gedanke beschäftigte, bekam 
er zu Anfang des Jahres 1872 eine Epidemie, in 
welcher sich ihm Natrum nitricum mit Nicotiana 
hilfreich erwies. Gleichzeitig erkrankte er selbst 
unter Symptomen, die ihm homöopathisch, d. h. 
den Symptomen nach Sepia indicirt erscheinen 
Hessen, welches Mittel ihm auch vortreffliche Dienste 
leistete. Später half ihm während derselben Epi¬ 
demie gegen einen trockenen, nach dem Niederlegen 
sich verschlimmernden Reizhusten eben so schnell 
und gut eine Gabe Natr. nitric. mit Nicol Er 
verwandte nun, von der Idee ausgehend, dass diese 

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S4 


beiden verschiedenen Heilpotenzen in ihrer thera¬ 
peutischen Wirkung gleichwerthig sein möchten, 
im weiteren Verlaufe der genannten Epidemie ziem- 
lieh gleich häufig Sepia und Natr. nitr. mit Nicot., 
und zwar stets mit gleich gutem Erfolge. Somit 
hatte er zum ersten Male eine sog. therapeutische 
Gleichheit empirisch festgestellt, und sind wir daher 
wohl berechtigt, das Jahr 1872 als das Enstehungs- 
jahr der Weihe’schen Methode zu bezeichnen, ob¬ 
wohl Weihe damals die Schmerzpunkte in der Be¬ 
deutung, wie wir sie heute kennen, noch nicht ge¬ 
funden hatte, ja nicht einmal ahnte; er kannte sie 
nur dem Namen nach aus den Werken Rademacher* s 
und Kissel’s. Es erging ihm eben wie so manchem 
Forscher, der auf Entdeckungen ausgegangen ist, 
dass er schliesslich ganz etwas Anderes und Wich¬ 
tigeres fand, als er ursprünglich suchte. 

Im Anfang des Jahres 1873 hatte er eine Epi¬ 
demie, die den Symptomen naoh vielfach an die 
genannte Sepiaepidemie erinnerte, wo er indess in 
Natr. nitr. mit Opium das heilende Mittel fand. 
Nebenher traten jedoch andere, ähnliche Krankheits¬ 
formen auf, in denen sich Natr. nitr. mit Opium 
nicht bewährte. In diesen Fällen fehlte bei den 
Patienten die lebhafte Wangenröthe, die Weihe nie¬ 
mals bei denjenigen Pat vennisst hatte, denen Natr. 
nitr. mit Nicot. und Natr. nitr. mit Opium geholfen 
hatten, und die er daher wohl mit Recht als dem 
Natr. nitr. eigentümlich ansah. Da die letztge¬ 
nannten Fälle im Uehrigen denen aus der letzten 
Epidemie in ihren Symptomen ähnlich sahen, so 
kam Weihe die Idee, Opium, statt mit dem offenbar 
nicht passenden Natr. nitr., mit einem anderen Rade- 
macher'schen Universale zu versuchen. Da sowohl 
Ferrum als Cuprum mit Opium versagten, suchte 
er unter den homöopathischen Polychresten nach 
einem Ersatz für das Rademacber'sche Universale. 
Er wollte zunächst Mercur, statt des Natr. nitr. resp. 
Nitr. acidum, mit Opium geben, hatte indess zufällig 
keinen Mercur mehr vorräthig und nahm statt dessen 
das Pulvis solaris des Dr. Latz, welches aus einer 
Verbindung von Antimon und Mercur bestand. Zu 
seiner grossen Ueberraschung wirkte die Verbindung 
des Pulvis solaris mit Opium ebenso schlagend, wie 
die früheren Combinationen. (Erst später entdeckte 
er, dass das Pulvis solaris therapeutisch der Silicea 
gleich werthig ist.) Jetzt kam er zum ersten Male 
auf den Gedanken, dass es doch mehr als drei 
Universalia gebe, wie Rademacher angenommen hatte, 
vielleicht sagte er sich, sind die 7 Arcana des Dr. 
Latz, mit dessen Lehre er sich damals vielfach 
beschäftigte, sammt und sonders Universalia. Die 
Bemerkung des Dr. Latz, dass es zur Zeit bereits 
unmöglich sei, den grossen allopathischen und homöo¬ 
pathischen Arzneischatz zu übersehen, hatte einen 
ebenso grossen Eindruck auf ihn gemacht, wie vor¬ 
her eine briefliche Aeusserung Rapp's, dass sich 


über kurz oder lang die Nothwendigkeit heraus¬ 
steilen werde, den allzusehr herangewachsenen 
homöopathischen Arzneischatz auf eine gewisse, über¬ 
sehbare Zahl von Mitteln zu beschränken.* Da er nun 
ferner in der Allgem. Hom. Zeitg. eine von Rapp 
stammende Notiz BrucknePs gelesen hatte, dass Apis 
= Ferrum mit Nux vomica und Lachesis = Cuprum 
mit Nux vomica sei, so überlegte er nun folgender- 
massen: die Zahl der Universalia bei Rademacher 
sei sehr klein im Verhältniss zu der so grossen An¬ 
zahl der Arzneimittel; vielleicht sei es möglich, 
durch Vermehrung der Universalia eine grosse An¬ 
zahl von Arzneimitteln entbehrlich zu machen, indem 
man deren Heilkraft nach Analogie von Apis = 
Ferrum mit Nux vomica und Lachesis = Cuprum 
mit Nux vomica durch Combination eines Organ¬ 
mittels mit verschiedenen Universalmitteln ersetzte. 
Weiter, dachte er, würden sich vielleicht für jedes 
Universale objective, wahlentscheidende Zeichen 
auffinden lassen, wie sie Rademacher in der alka¬ 
lischen Reaction des Harns für Eisen gefunden hatte. 
Dann hätte man, so calculirte Weihe weiter, je, 
unter der Voraussetzung, dass die meisten Heil¬ 
potenzen sich durch Combination ersetzen liessen, 
mit der Erkenntniss des Universale die Heilpotenz 
zur Hälfte schon gefunden und könnte zur Erkennung 
des betr. Organmittels theils die subjectiven Symp¬ 
tome nach dem Aehnlichkeitsgesetz herbeiziehen, 
theils die Schmerzpunkte verwerthen, deren Existenz 
Weihe schon — wie bereits bemerkt — in den 
Werken von Rademacher und Kissel angedeutet 
fand, wenn auch nicht im Entferntesten von diesen 
Autoren denselben die Bedeutung zuerkannt wurde, 
die Weihe ihnen später beilegte. Weihe hielt eben 
diese Schmerzpunkte für nur den Organmitteln 
eigenthümilch, nachdem er sich vielfach von deren 
Existenz bei Leber- und Milzleiden, wo eine be¬ 
stimmte Stelle der Leber- resp. Milzgegend auf 
Druck schmerzempfindlich war, überzeugt hatte. 

Weihe setzte nun seine Bestrebungen in dem 
Sinne fort, dass er immer neue Universalia auf¬ 
zufinden sich bemühte. So fand er Natrum sulfu- 
ricum, Sulfur und noch einige andere, indem er, 
wenn er ein epidemisches Mittel gefunden hatte, 
zu erforschen suchte, welches Universale und welches 
Organmittel darin steckte. Schliesslich reichten 
die Latz’schen 7 Mitteln auch nicht mehr aus, und 
so wandte er sich von Latz allmählich ab und ging 
seine eigenen Wege weiter. 

Nachdem Weibe durch zahlreiche Versuche seine 
Hypothese von der Möglichkeit, sog. Organmittel 
durch Combination von Universale mit andern Organ- 
mitteln zu ersetzen, durch die Praxis bestätigt ge¬ 
funden hatte, entdeckte er im Sommer 1875 bei 
einem Patienten, dem er, in der Hoffnung irgend¬ 
welche Anhaltspunkte zu finden, den Bauch be¬ 
tastete, plötzlich zwei Schmerzpunkte von gleicher 


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S5 


Intensität in der Magengegend und über dem Nabel, 
was ihm bis dahin noch nicht vorgekommen war. 
Da schoss ihm denn der Gedanke durch den Kopf, 
ob hier der eine Punkt zu einem Organmittel 
und der andere zu einem Universale in Beziehung 
stehen könnte, während er bisher geglaubt batte, 
dass den Universalmitteln, welche er mit Kissel auf 
das Blut bezogen hatte, ein Schmerzpunkt nicht 
zukomme. Von diesem Zeitpunkt ab begann Weihe 
erst consequent, jeden Patienten auf Schmerzpunkte 
zu untersuchen, wobei er in der Regel zwei vorzugs¬ 
weise schmerzhafte, d. h. auf Fingerdruck empfind¬ 
liche, Stellen fand. In ebenso empirischer Weise 
wie früher fuhr er nun fort, die Uni Versal ia und 
Organmittel in den einzelnen Epidemieen aufzusuchen, 
wobei er sich selbstredend durch eine Menge von 
Trrthümem und Fehlgriffen hindurch zur allmäh¬ 
lichen Sicherheit emporarbeiten musste. Hatte 
nun bei einer gewissen Schmerzpunktconstellation 
eine Mittelcombination von Universale und Organ¬ 
mittel sich bewährt, so galt es noch zu erforschen, 
welcher Scbmerzpunkt dem Universale und welcher 
dem Organmittel zukam, was am ehesten bei einem 
etwaigen Wechsel der Epidemie, wo in der Regel 
der eine Schmerzpunkt constant blieb, herauszu¬ 
bringen war. So reihte sich ein Versuch an den 
anderen, bis es Weibe im Laufe der fünf folgenden 
Jahre dahin gebracht hatte, im Ganzen 24 Uni- 
versalia nebst zugehörigen Schmerzpunkten aufzu¬ 
finden , wobei ihm der verhältnissraässig rasche 
Wechsel der Epidemien Vorschub leistete. Auf 
jedes Universale bezog er nun theoretisch 4 Organ¬ 
mittel nach dem Vorgang von Rademacher, der 4 
Milz- und 4 Lebermittel als Organmittel angegeben 
hatte. Es standen ihm also mittelst der 24 Uni- 
versalia, vorausgesetzt, dass die dazu gehörigen 
120 Organmittel sämmtlich aufgefunden und zu 
Schmerzpunkten in Beziehung gebracht würden, 
bereits 2880 Mittelcombinationen zu Gebote, die 
sich durch einen Arzneischatz von 144 Mitteln er¬ 
langen Hessen. Heute ist die Zahl der Universalia 
auf 24 nicht beschränkt geblieben, während die 120 
Organmittel noch nicht alle gefunden und localisirt 
sind, was indess nur noch eine Frage der Zeit ist. 
Wir sind eben jetzt in der glücklichen Lage, weit 
seltener als Weibe früher bei einer neuen Schmerz- 
punktconstellation mit zwei Unbekannten operiren 
zu müssen, da in der Regel bereits einer der Punkte, 
auch nach seiner Qualität, ob Universale oder Organ¬ 
mitte), bekannt ist. Es hat sich nämlich im Laufe 
der Zeit heraus gestellt, dass im Allgemeinen alle 
anorganischen Mittel als Universalia, hingegen alle 
thierischen und Pflanzengifte als Organmittel an¬ 
zusehen sind, wobei allerdings der frühere Rade- 
macher’sche Begriff von Universale und Organmittel 
allmählich verloren gegangen, resp. erweitert worden 
ist, ebenso wie auch die ursprünglich von Weihe 


beliebte Aufstellung und Gruppirung der Arznei¬ 
stoffe im Rademacherschen Sinne als Gehirn-, 
Rückenmarks-. Herz-, Nieren-, Leber-, Milz-Mittel 
etc. mehr und mehr ihre Bedeutung und Berech¬ 
tigung verloren hat, in ähnlicher Weise wie die 
früher von Hahnemann aufgestellte strenge Scheidung 
der homöopathischen Arzneien in antipsorische und 
nicht antipsorische verwischt worden ist. 

Wir nehmen eben jetzt als Regel an, dass jedes 
anorganische Mittel sich mit einem beliebigen orga¬ 
nischen Mittel zu einer Heilpotenz verbinden lässt, 
und dass diese Combination wieder \n ihrer thera¬ 
peutischen Wirkung der eines einfachen homöo¬ 
pathischen Mittels gleichwerthig ist. Die Aufstellung 
einer grossen Zahl dieser sog. therapeutischen Gleich¬ 
heiten nach Analogie der Apis = Ferrum mit Nux 
vomica, wodurch man zugleich einen tieferen Ein¬ 
blick in die Verwandtschaften der Arzneien erhält, 
ist ein grosses Verdienst Weihe's. Während er im 
Jahre 1880 erst ca. 30 solcher therapeutischer 
Gleichheiten aufgestellt hatte, lässt sich jetzt schon 
die dreifache Anzahl Arzneien durch Combination 
ersetzen, z. Th. sogar durch verschiedene Com- 
binationen, was für die Aufstellung der verschieden¬ 
artigen Wirkungssphären der einzelnen Arzneien 
von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, wie 
überhaupt — ich glaube damit nicht zu viel zu 
sagen — an der Hand der Weihe’schen Methode 
erst ein richtiges Verständniss der homöopathischen 
Arzneimittellehre ermöglicht werden kann. 

Die Auffindung der einem Universale und dem 
zugehörigen Organmittel entsprechenden therapeu¬ 
tischen Einheit war nur durch Vergleichung der 
Symptome nach dem Aehnliohkeitsgesetz möglich, 
wofern man sie nicht noch empirisch fand. Hatte 
Weihe nun ein solches Mittel gefunden, so erprobte 
er es zunächst in der Praxis und fand er, dass die 
Wirkung dieses Mittels dann dieselbe war wie die 
der beiden anderen, so stellte er es den beiden als 
therapeutisch gleichwerthig fest. Nicht immer wurde 
er durch das Aehnliohkeitsgesetz auf das betreff. 
Mittel geführt; manchen' Fund verdankte er der 
Gorrespondenz mit Collegen, dem glücklichen Zufall, 
vor allem aber seiner ausgezeichneten Beobachtungs¬ 
und Combinationsgabe. Sie können sich selbst nun 
wohl weiter denken, m. H., wie so nach und nach 
das Weihe’sche System entstanden ist. Wenn Weihe 
selbst auch behauptet hat, dass eigentliche Gedanken¬ 
arbeit nur wenig dabei aufgewendet ist, so haben 
Sie sich doch, wie ich denke, an der Hand des 
Gesagten vom Gegentheil überzeugen können. Ent¬ 
weder entspricht diese Behauptung ganz und gar 
seinem so überaus bescheidenen Wesen, oder er ist 
sich nach Art der Genies — ich erinnere an den 
kürzlichen Ausspruch von Helmholtz — der dabei 
aufgewendeten colossalen geistigen Arbeit gar nicht 
bewusst geworden, indem er die scharfsinnigsten 

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Combinationen als etwas ganz selbstverständliches 
erachtete, und glaubte, dass jeder Andere gerade 
so gut wie er alles das gefunden haben würde. 

Der Erste, welchem Weibe seine Entdeckungen 
mittheilte, war der verstorbene Professor Dr. Rapp. 
Derselbe prognosticirte seinen Aufstellungen eine 
grosse Zukunft in practischer Hinsicht, falls sie sich 
bewähren sollten. Dass dieses Bedenken Rapp’s 
heute in keiner Weise mehr besteht, dass im Gegen- 
theil eine Bestätigung der Weihe’schen Entdeckungen 
im umfangreichsten Masse statt gefunden bat, unter¬ 
liegt keinem Zweifel mehr bei denen, die sich mit 
Weihe's Methode eingehend practisch beschäftigt 
haben, und so haben wir allen Grund, von der 
weiteren Entwickelung dieser Methode das Schönste 
zu hoffen. Auch unsere heutige Versammlung, wenn 
ihr auch eine Anzahl von Collegen, von denen ich 
bestimmt weiss, dass sie sich sehr lebhaft für die 
Weihe'sche Methode interessiren, aus äusserlichen 
Gründen femgeblieben ist, giebt lebendiges Zeugniss 
dafür ab, dass Weihe's Ideen auf fruchbaren Boden 
gefallen sind, dass ihnen Wahrheit zu Grunde liegt. 

Das Weihe'sche Heilsystem, soweit es uns heute 
vorliegt, ist kein abgeschlossenes Ganzes, wird es 
aber ohne Zweifel in absehbarer Zeit werden. Die 
ihm zu Grunde liegenden, positiven Ergebnisse, die 
Auffindung der Schmerzpunkte und Mittelcombina- 
tionen, sind fast ausschliesslich geistiges Eigenthum 
Weihe's; wir Schüler haben es uns nur angelegen 
sein lassen, seine Erfahrungen zu prüfen, zu be¬ 
stätigen und in manchen Beziehungen zu erweitern 
und zu ergänzen. 

Im Anfänge wurde es Weihe sehr schwer, An¬ 
hänger für seine Methode zu gewinnen, was bei der 
geradezu verblüffenden Neuheit der zu Tage ge¬ 
förderten Ideen und Ergebnisse auch durchaus nicht 
zu verwundern ist, zumal da seinem System das 
eigentliche Bindeglied mit der Hahnemann'schen 
Homöopathie zu fehlen schien. Nachdem er sich 
seit dem Jahre 1880 an verschiedene Collegen mit 
ausführlichen Mittheilungen brieflich gewandt, er¬ 
fuhr er von einem Theil derselben eine mehr oder 
weniger deutliche Ablehnung, von Einigen erhielt 
er gar keine Antwort. Der Erste, den er persönlich 
für seine Ideen zu interessiren vermochte, war mein 
▼erstorbener Vater, der als alter Rademacherianer 
und Homöopath sofort die Tragweite seiner Reform¬ 
ideen und die grosse practische Bedeutung seiner 
Methode erkannte und der auch mit grossem Er¬ 
folge bis zu seinem im Jahre 1885 erfolgten Tode 
sich fast ausschliesslich derselben in der Praxis be¬ 
diente. Zunächst durch meinen sei. Vater und 
späterhin im Correspondenzwege durch Weihe selbst 
wurde ich sodann mit der Methode bekannt, und 
versuchte sie zur Zeit meines Aufenthalts in Leipzig 
mehrfach in der Praxis. Erst als ich im J. 1882 
in der Nähe von Herford, in Lübbecke, practizirte 


hatte ich das Glück, durch wiederholte Zusammen¬ 
künfte mit Weihe von ihm persönlich in seine Me¬ 
thode eingeführt und namentlich in der practischen 
Auffindung der Schmerzpunkte unterwiesen zu 
werden. Gleichzeitig trat Weihe in Verbindung 
mit Dr. Roerig in Paderborn, der in der Folge eben¬ 
falls seine Methode der Behandlung sich zu eigen 
machte und in seiner sehr ausgedehnten Praxis zur 
Anwendung brachte, resp. letztere dadurch haupt¬ 
sächlich begründete. Im Jahre 1883 nahm ich 
sodann auf der Centralvereins - Versammlung in 
Leipzig Gelegenheit, unter Vorstellung eines nach 
Weihe’scber Methode geheilten Falles von Epithelial- 
carcinom am Auge, die Collegen auf diese Methode 
aufmerksam zu machen, und auf der Hamburger 
Versammlung im Jahre 1885 hielt ich einen ein¬ 
gehenden Vortrag über Weihe's sog. epidemische 
oder indirekt specifische Heilmethode, wie Weihe 
selbst sie benannte. Obwohl theils dadurch und 
durch gelegentliche Mittheilungen Weihe’s das Inter¬ 
esse weiterer Kreise allmählich mehr und mehr er¬ 
regt wurde, so fand sich doch Niemand sonst, der 
sich mit Ausdauer und Consequenz der Weihe'schen 
Methode befleissigt hätte. So viele ihrer auch den 
anfänglichen Versuch machten, bei den ersten 
Schwierigkeiten, die sich ihnen bei der selbst¬ 
ständigen Auffindung der Schmerzpunkte entgegen- 
stellten, gaben sie es auf, sich weiter damit zu 
beschäftigen. 

Da die Weihe’sche Methode von den meisten 
Homöopathen als eine besondere, etwa auf einer 
Stufe mit dem Schüssler’schen biochemischen und 
dem Peczely'sehen Heilverfahren stehende, mit der 
Homöopathie Hahnemann's keinerlei Berührung auf¬ 
weisende oder höchstens mit ihr lose zusammen¬ 
hängende Therapie angesehen wurde, erschien es 
mir nothwendigp r ihren engen Zusammenhang mit 
der Homöopathie nachzuweisen, eine Aufgabe, deren 
ich mich in einem Aufsatze im 116. Bande der AUg. 
Horn. Ztg. «die epidemische Heilmethode in ihrem 
Verhältnisse zur Homöopathie* im Anfänge des 
Jahres 1888 entledigte, in welchem ich den Nach¬ 
weis zu führen versuchte, dass die mittelst der 
Schmerzpunkte aufgefundenen sogen, epidemischen 
Heilmittel in der That nichts anderes sind, als die 
nach dem Aehnlichkeitsgesetze gewählten Simillima. 
Damit glaubte ich die Brücke geschlagen zu haben 
zwischen der Weihe'schen Methode und der Hahne¬ 
mann'schen Homöopathie, indem ich den homöo¬ 
pathischen Aerzten zeigte, dass es Weibe in glän¬ 
zendster, geradezu genialer Weise gelungen war, 
die längst gesuchte und lange vermisste Vereinigung 
der Lehren Hahnemann’s und Rademacher's herbei¬ 
zuführen. 

Im Herbste des Jabres 1888 gelang es sodann 
Weihe, für seine Sache eine ausgezeichnete Kraft 
und einen fleissigen Mitarbeiter in unserem verehr- 


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ten Collegen Göbrum zu gewinnen, der mit eiserner 
Consequenz seine Methode aufhahm und sich in 
kurzer Zeit vollständig zu eigen machte. Ihm ver- 
danken wir die Auffindung einer grossen Anzahl 
neuer Schmerzpunkte und therapeutischer Gleich¬ 
heiten und, wie Ihnen ja Allen bekannt ist, eine 
genaue, ausführliche Beschreibung und Aufzeichnung 
der bisher bekannten Schmerzpunkte. Durch Ein¬ 
fügung einer „epidemiologischen Ecke* in die seit 
Kurzem von ihm mitredigirte Allg. hom. Ztg. hat 
er sich neuerdings ein grosses Verdienst um die 
Weihe*8che Methode und damit den Dank vieler 
Collegen erworben. 

Mit dem Gesagten glaube ich Sie, m. H. mit 
dem Geschichtlichen der Weihe’schen Methode bis 
in die letzte Zeit so ziemlich bekannt gemacht zu 
haben, so dass wir nunmehr in die Verhandlungen 
über diese Methode, die uns heute beschäftigen 
werden, eintreten können, und so begrüsse ich Sie 
Alle als Mitarbeiter an dem grossen Werke, das 
noch unvollendet vor uns liegt. Hoffen wir, dass 
es unseren gemeinsamen Bemühungen im Verein 
mit dem verehrten Begründer der genannten Methode, 
der heute im Geiste bei uns weilt, gelingen möge, 
das von ihm angefangene Gebäude durch emsiges 
Herbeitragen von Bausteinen allmählich zu vollenden 
und zu krönen. Wir würden damit nicht nur die 
Homöopathie in ihrer Weiterentwickelung fördern 
und dadurch der Menschheit einen grossen Dienst 
erweisen, dass wir dazu mitwirken, dass jeder Arzt 
leicht und sicher jedesmal das rettende Heilmittel 
zu finden im Stande ist, sondern auch zugleich 
unsererseits einen Theil des unserem genialen Lehrer 
schuldigen Dankes abtragen. 


Die Weihe’sche Heilmethode*) und 
die Homöopathie. 

Vortrag gehalten auf der constituirenden Versamm¬ 
lung der „Epidemiologischen Gesellschaft* in Frank¬ 
furt a/M. am 23. Dec. 1891. 

Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart. 

Meine Herren! Wenn auch schon früher von 
Coli. Leeser(2.) und erst vor einem Jahre von 

*) Die bisherigen grösseren Veröffentlichungen über 
die Weihe’sche Methode sind: 

1. Praktische und theoretische Beiträge zur Einleitung 
in die epidemiologische Behandlungsweise von Dr. 
A. Weihe jr.-Herford in Zeitschrift des Berliner Ver¬ 
eines homöopath. Aerzte. Bd. V, Heft HI u. IV. 1885. 

2. Die epidemische Heilmethode in ihrem Verhältnisse 
zur Homöopathie von Dr. Leeser-Rheydt in Allg. hom. 
Zeitung Bd. 116. Nr. 9-18. 1888. 

3. Die Weihe’sche Methode von Dr. med. H. Göhrum- 
Stuttgart in Zeitschrift des Berliner Vereines homöo¬ 
pathischer Aerzte. Bd X. Heft I. 1891. 


mir (3.) in eingehender Weise gerade die Zugehörig¬ 
keit der Weiheschen Methode zur Homöopathie 
besonders betont wurde, so glaube ich doch, dass 
es sich am heutigen Tage ziemt, das Verhältnis 
zwischen beiden noch einmal kurz zu präcisiren. 

Dadurch, dass die für die einzelnen Punkte 
passenden Arzneimittel durch die Kenntniss der 
Reinen Arzneimittellehre gefunden wurden, und 
dadurch, dass in jedem einzelnen Falle die durch 
die Weihe'sche Methode getroffene Mittelwahl durch 
die gewöhnliche „homöopathische* Methode contro- 
lirt und richtig befunden werden kann, steht fest, 
dass wir keine Abtrünnigen von Hahnemannn's 
Lehre sind, dass wir im Gegentheil fest zu ihr 
stehen und eng mit ihr verbunden sind. Es ist 
durch die Weihe'sehe Methode zunächst nur den zahl¬ 
losen, meist subjectiven Symptomen für jedes Mittel 
ein oder nur ganz wenige , fast jeder Zeit objectiv 
constatirbare Symptome beigefügt worden. Die 
9 Schmerzpunhte u sind Marksteine, die die Orien- 
tirung in dem Urwald der Symptome ganz wesent¬ 
lich sichern und erleichtern. Schon diese eine 
Thatsache hätte genügen sollen, die Weihe'sche 
Methode zum Gemeingut aller homöopath. Aerzte 
werden zu lassen. Meist aber wird von diesen ohne 
jede Kenntniss derselben ein mehr weniger ab¬ 
sprechendes Urtheil über sie abgegeben und dann 
glaubt man, diese von vielen einfach für unmöglich 
gehaltene Thatsache aus der Welt geschafft zu 
haben. Der heutige Tag aber und die Früchte, die 
er zeitigen soll, werden hoffentlich zeigen, dass im 
Stillen die Weihe’sche Methode zu einem stattlichen 
Bau sich entwickelt hat, der wohl geeignet ist, 
die Homöopathie zu ergänzen und bald ganz wesent¬ 
lich zu unterstützen. Und dieser Aufgabe kann 
sie um so eher gerecht werden, je mehr Mitarbeiter 
sich bemühen, einige ihr noch anhaftenden Mängel 
zu beseitigen. Der eine ist der, dass keine Er¬ 
klärung für die Thatsache besteht, warum jedem 
Punkt ein ganz bestimmtes Mittel entspricht, was 
leider auch noch nicht durch das Experiment, durch 
beliebige Erzeugung der Schmerzpunkte bei vor¬ 
sichtiger Vergiftung bewiesen ist. Eben dieser 
Mangel ist vielen der Grond, der ihnen die Weihe¬ 
sche Methode gleichsam als verschleiertes Bild von 
Sais erscheinen lässt. Ein zweiter Mangel ist der, 
dass man sicher sein darf, noch nicht alle Schmerz¬ 
punkte gefunden zu haben, dass also die Möglich¬ 
keit besteht, einmal nicht das richtige Mittel finden 
zu können, wenn man sich in der Mittelwahl nur 
von diesen leiten lässt; doch diesem ist leicht zu 
begegnen: man controlire stets die Mittelwahl nach 
den Schmerzpunkten durch die R. A. M. L. und 
finde den fehlenden Schraerzpunkt. Denn eine Esels¬ 
brücke soll die Weihe'sche Methode nicht sein, 
sondern ein sicherer Leiter auf ungewissen Pfaden ? 
die nicht von dem strahlenden Lichte der R. A. M. L a 


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erleuchtet sind. Endlich wird mit Vorliebe der 
Vorwurf erhoben, als ob die Weihe'sche Methode 
eine Geheimwissenschaft wäre. Bei Leibe nicht! 
Schon oft genug wurde erklärt, dass jedem sich 
für sie interessirenden Collegen diese gern gezeigt 
und mitgetheilt werde ; aber sie einfach zu ver¬ 
öffentlichen, das geht aus 2 Gründen nicht. Ein¬ 
mal ist eine persönliche Unterweisung fast unbedingt 
nothwendig, um über die ersten Schwierigkeiten 
bei der Ausübung hinwegzukommen. Dann aber ist 
es der Wunsch des Erfinders, wie auch aller derer, 
die sich die Methode angeeignet haben, dass sie 
nicht durch Veröffentlichung den Laien zugänglich 
gemacht werde, um sie vor dem moralischen Ruin 
zu bewahren, dem sie durch deren verständniss- 
und kritiklose Verwendung sicher zugeführt würde. 

So sehr innerlich die Weihe'sche Methode und 
die Homöopathie eines sind, so ist doch äusserlich 
in der Anwendung ein grosser Unterschied zu er¬ 
wähnen — nicht so sehr von der gewöhnlichen 
Praxis — aber von der ursprünglichen Forderung 
Hahnemann’s, nur ein Mittel auf einmal anzuwenden. 
Es ist ja bekannt, dass in den meisten Fällen nach 
den Schmerzpunkten 2 Mittel angezeigt sind, ge¬ 
wöhnlich ein anorganisches und ein organisches 
oder lehnen wir uns an die Rademacher’scbe Lehre 
an, ein Universalmittel und ein Organmittel. Aber 
dieser Umstand ist ein rein äusserlicher, indem schon 
tür viele dieser Kombinationen * die entsprechenden 
„ Einheiten * oder „ therapeutischen Gleichheiten “ fest¬ 
gestellt sind, und dass dies nicht eine blose Spielerei 
ist, kann ausser aus denselben guten Resultaten, 
die mit den Einheiten ebenso wie mit dem Com- 
binationen erzielt werden, auch aus der historischen 
Thatsacbe geschlossen werden, dass unser Meister 
Weihe am Anfänge der Feststellung der Schmerz- 
punkte oft zwar für 2 unbekannte Schmerzpunkte, 
resp. deren Mittel die Einheit hatte, dann aber um 
für jeden derselben das Mittel feststellen zu können, 
diese in ihre beiden Componenten zerlegen musste. 
Jetzt dürfte diese Nothwendigkeit wohl kaum mehr 
an uns herantreten, da schon so viele Schmerz¬ 
punkte und die dazu gehörigen Mittel gefunden sind, 
dass es kaum mehr Vorkommen kann, auf einmal 
vor zwei unbekannten Schmerzpunkten zu stehen*). 
Im Gegentheil, ein Theil unseres eifrigen Strebens 
zur Vervollkommnung der Weihe’schen Methode ist 
darauf gerichtet, für möchlichst viele Combinationen 
die Einheiten zu suchen, um auch äusserlich uns 
möglichst wenig von den Hahnemann’schen Forder¬ 
ungen an eine wirklich rationelle Therapie zu ent¬ 
fernen. 

Als einen Vortheil der eigenthümlichen Er¬ 
scheinung, dass meist 2 Punkte schmerzhaft, also 

*) Mittlerweile ist dieser schwierige Fall schon 2 
Mal eingetreten. Göhruin. 


2 Mittel angezeigt sind, muss ich anführen, dass 
dadurch eine ausserordentlich feine [ndividualisirung 
ermöglicht ist. Wie oft erlebt man nicht in der 
Praxis, dass bei einer Krankheit, sei es eine acute, 
sei es eine chronische, so kleine Veränderungen 
zum Schlimmen eintreten, oder dass man einen Still¬ 
stand in der Besserung bemerkt, dass man wohl 
einsieht, dass die Wirkung des letztgegebenen Arznei¬ 
mittels vorbei ist und ein anderes an dessen Stelle 
gesetzt werden sollte, aber wie dieses herausfinden V 
Die Symptome sind nicht so charakteristisch, um 
danach ein solches bestimmen zu können, auch die 
sog. begleitenden Umstände sind dieselben geblieben. 

Da ist die Weihe’sche Methode wirklich ein 
Retter in der Noth, auch den geringsten Nüan- 
cirungen im Krankheitsbilde gerecht werden zu 
können. Gar oft bleibt einer der Componenten con- 
stant, während der andere einem mehr weniger 
raschen Wechsel unterworfen ist. Wer das nicht 
schon selbst an sich erfahren hat, kann das Gefühl 
von Sicherheit, das einen Kenner der Weihe'schen 
Methode auch bei schwersten Fällen nicht verlässt, 
beinahe vermessen finden. 

Ein weiterer Vortheil wird mit der Zeit sich 
aus einer Vergleichung der verschiedenen Com¬ 
binationen und der Einheiten gewinnen lassen, indem 
daraus längst bekannte Verwandtschaften zwischen 
Mitteln Einem gewissermassen menschlich näher 
rücken — man hat das Bindeglied klar vor Augen 
— oder indem dadurch neue Aehnlichkeiten heraus¬ 
gefunden werden. 

Nun kommen wir zu einer der wichtigsten Nutz¬ 
anwendungen der Weihe'schen Methode. Da sie 
eine grösstmöchlichste Sicherheit verleiht, so wird 
es ihr beschieden sein, einen Wunsch zu erfüllen, 
den ausser von Grauvogl noch viele homöopathische 
Aerzte hatten und haben, uämlich die Ausgleich¬ 
ung der Lehre Hahnemann’s und der Rade- 
macher’s. DerGedanke der Existenz von „Schmerz¬ 
punkten" entstammt ja bekanntlich dem Studium 
Rademacher’s, während die Belehnung derselben 
mit dem jedem zugehörigen Mittel practisch nur 
mit Hilfe der R. A. M. L. ausgeführt werden konnte. 

Dass die Ausgleichung zwischen diesen beideu 
Lehren, die ausser der Betonung des ätiolo¬ 
gischen Moments auf den ersten Blick nichts ge¬ 
meinsames haben, eine Nothwendigkeit ist, erläutert 
Grauvogl in seinem Lehrbuche der Homöopathie 
an einem Beispiel aus der Praxis. Er hatte bei 
einer Masernepidemie von Aconit ausgezeichnete 
Erfolge gesehen, stand aber bei den dieser Krank¬ 
heit folgenden Nachkrankheiten, die bei vernach¬ 
lässigten und schlecht behandelten Fällen in mannig¬ 
fachster und schwerster Form auftraten, rathlos da, 
bis er der Entdeckung des Dr. Latz gedachte, dass 
zu verschiedenen Zeiten verschiedene Kraokheits- 
forrnen nur durch diejenigen Heilmittel heilbar sind, 


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welche einer epidemisch aufgetretenen Krankheits- 
form im Allgemeinen entsprochen haben. Und 
Aconit erwies sich auch in diesen Fällen im wahr¬ 
haften Sinne des Wortes als epidemisches Mittel, 
und als specifisches im Sinne der Homöopathie, d. h. 
als Simillimum. Daran knüpft nun von Grauvogl 
die Betrachtung: „dass die Homöopathie zugestehen 
müsse, dass sie nicht selten, ungeachtet ihres Prin- 
cipes, in der Wahl ihrer Heilmittel schwankt, weil 
sie immer noch nicht umfassend genug geprüft sind, 
und gerne einen Anhaltspunkt hätte, der eben durch 
diese ätiologischen Indicationen für viele Fälle ge¬ 
geben und von unschätzbarem Wertbe ist und bleibt, 
zum Gesetze aber erhoben ist, sobald es gelingt, 
ihn mit Naturgesetzen in abhängige Verbindung 
zu bringen.“ 

Weiter meint er, dass behufs der anzustrebenden 
Ausgleichung von homöopathischer Seite nun eben¬ 
falls in Erfahrung zu bringen und zu constatiren 
sei, „dass ein Heilmittel oft lange Zeit hindurch 
in den verschiedensten Krankheitsformen sich als 
indicirt und heilbringend bewährt, und dass das 
noch nicht allseitig geschehen ist, daran trägt 
sicherlich der Umstand die Schuld, dass die wenig¬ 
sten Homöopathen sich das Studium der begleitenden 
Umstände zur Aufgabe machen, und die Vorschrift 
Hahnemann*s, vorzüglich die begleitenden Umstände 
im Auge zu behalten , einer Caprice gleichachten.“ 
Dem möchte ich noch hinzufügen, dass besonders 
auch der Umstand Schuld an diesem Mangel an Er¬ 
fahrung trägt, dass so viele homöopathische Aerzte 
sich kaum um die genaueren Symptome, noch 
weniger um die begleitenden Umstände, sondern 
im Anschluss an Hirschei, Bakody und Kafka sich 
fast nur um die pathologisch-anatomische Diagnose 
kümmern und darnach eine zwar nicht epidemio¬ 
logische, wohl aber eine schablonenhafte Mittelwahl 
treffen. 

Doch bleiben wir beim Thema! Um die Wichtig¬ 
keit der Weihe’schen Methode für diese Ausgleichung 
zwischen Rademacher’s und Hahnemann’s Lehre zu 
beweisen, will ich kurz an der Hand der oben er¬ 
wähnten Arbeit von Coli. Leeser einen Vergleich 
zwischen diesen beiden Richtungen anstellen. Wäh¬ 
rend die Badem acher sehe Schule in generalisirendcr 
Weist einzig das ätiologische Moment betont, ohne 
sich um die im kranken Körper hervorgerufene 
Wechselwirkung des krankmachenden Agens mit 
dem einzelnen Organismus zu kümmern, hat die 
Homöopathie nur das Produkt dieser Wechselwirkung^ 
das individuelle Eirankheitsbild im Auge. Aber beide 
steuern auf dasselbe Ziel los, das Heilmittel, das eben 
nur ein Simile sein kann, zu finden, der Homöopath 
bewusst, der Rademacherianer unbewusst, auf rein 
empirischem Wege. Wie letzterer bei seinem Be¬ 
streben mit Hülfe des „Similia similibus“ sein Ziel 
viel leichter und rascher erreichen würde, so wäre 


der Homöopath, wenn er nach der Forderung 
Hahnemann's die begleitenden Umstände mehr be¬ 
rücksichtigen würde, mehr vor der Unsicherheit in 
seiner Mittel wähl geschützt. Da nun erfahrungs- 
gemäss sich die begleitenden Umstände sehr häufig 
mit den Wirkungen des Genius epidemicus decken, 
so wird die Rademacher sehe Lehre vom Genius 
epidemicus ein wesentliches Unterstützungsmittel 
bei der Differentialdiagnose in der homöopathischen 
Mittelwahl. Und dass es einen Genius epidemicus 
giebt, ist ebenso unbestreitbar, wie das Aehnlich- 
keitsgesetz, ebenso dass er oft recht energisch auf 
die Menschheit einwirkt, ja wir müssen ihn bei der 
Ubiquität so mancher pathogener Mikrobien direkt 
als letzte Ursache für die Möglichkeit einer Ein¬ 
wirkung dieser auf uns verantwortlich machen, 
natürlich abgesehen von der Einwirkung der endogen 
entstandenen Selbstgifte Jäger’s, z. B. bei Gram 
und Sorgen, oder abgesehen von absichtlicher oder 
unabsichtlicher direkter Einimpfung der Mikrobien. 

Nun wird mancher fragen: ja wenn die Rade¬ 
macher’ sehe Lehre die Homöopathie so trefflich 
unterstützt, zu was dann noch die Weihe’sche 
Methode? Ich halte diese aus 3 Gründen für un¬ 
entbehrlich: 1) weil sie in den Schmerzpunkten, 
wie schon oben erwähnt, ein objektives Symptom 
bietet, das mindestens zur Controle der getroffenen 
Mittelwahl einen nicht zu unterschätzenden Werth 
hat; 2) weil wir bei deren Kenntniss nicht erst 
einen oder mehrere Krankheitsfälle abwarten müssen, 
um das epidemische Mittel feststellen zu können, 
wie es der Homöopath und der Rademacherianer 
muss, sondern wir sind im Moment des Auftretens 
der Epidemie im Stande, an uns selbst, an jedem 
uns zur Verfügung stehenden Gesunden die Ver¬ 
änderungen des Genius epidemicus zu verfolgen, 
so dass wir schon im Voraus, ehe uns ein Krank¬ 
heitsfall bekannt ist, das richtige Mittel haben, wie 
uns die Erfahrung tausendfältig lehrt; 3) weil wir 
eben durch die jederzeit mögliche Controle, wenn 
nicht allein durch die Schmerzpunkte am ehesten 
im Stande sind, „den weiteren Anhaltspunkt, der 
eben durch diese ätiologischen Indicationen für viele 
Fälle gegeben ist,“ zum Gesetze zu erheben. 

Da wir nun nicht in der Lage sind, weder für 
den Genius epidemicus und seine Wirkungsweise, 
noch für den Zusammenhang zwischen Schmerz¬ 
punkt und Arzneimittel eine stichhaltige Erklärung 
zu geben, so sind wir darauf beschränkt, dieses 
Ziel auf dem Wege möglichst zahlreicher Er¬ 
fahrungen zu erreichen. Hierzu gehört zweierlei: 

1) eine fortlaufende Aufzeichnung der Verände¬ 
rungen des Genius epidemicus nach Arzneimitteln 
und allgemeinen charakteristischen Symptomen; 

2) Vergleichung der Symptome und der angezeigten 
Arzneimittel unter Controle der Schmerzpunkte mit 
den früheren Aufzeichnungen bei sog. chronisch 


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40 


Kranken, welche eine zeitlich bestimmte Krankheit 
a)e den Ausgangspunkt ihres Siechthums bezeichnen. 
Diese müssen alsdann in jedem Falle übereinstimmen, 
aber nicht stets sofort, auch nicht immer andauernd, 
sondern oft erst im Verlaufe der Behandlung. Denn 
wir dürfen eines nicht vergessen, dass ein einmal 
geschwächter Körper auch noch zahlreiche andere 
Schädlichkeiten in sich aufspeichern kann, dass er 
schon vor der sichtbar gewordenen Erkrankung 
eine gewisse Menge angeborener und anerworbener 
Krankheitsstoffe im Zustande der Latenz in sich 
beherbergte. Doch dürfen wir nach den Erfahrungen, 
die uns bisher schon zu machen vergönnt waren, 
der festen Hoffnung leben, je länger wir diese zwar 
mühevolle, aber interessante und nicht bloss für 
den Einzelnen, sondern für das grosse Ganze nutz¬ 
bringende Arbeit fortsetzen, desto mehr Licht in 
dem dcmlde Capital >des chronischen Siechtums zu 
bringen. 

Bei uns soll das deprimirende geflügelte Wort: 
„Der Anfang frohe Hoffnung, die Mitte Stillstand, 
das Ende Verzweiflung,* keine Geltung mehr haben, 
wie ja unser Meister Weihe schon im Jahre 1885 *) 
an einer Reihe von Fällen gezeigt hat, wie schönes 
man bei genügender Ausdauer von Seiten des 
Patienten und des Arztes im Laufe der Zeit er¬ 
reichen kann. So schrieb er mir erst neulich: 
„Je älter ich geworden, desto mehr habe ich Ge¬ 
legenheit gehabt, darüber zu staunen, wie Colossales 
man mit Arzneien erreichen kann, wenn man sie 
richtig anzuwenden versteht und ihnen vor Allem 
die nötige Zeit zur Wirkung verstattet. “ Wie 
wohlthuend, wie ermuthigend wirkt dieser schlichte 
Satz, gegründet auf die Erfahrung von 25 Jahren, 
im Gegensatz zu den sich mit der Unvollkommen¬ 
heit alles Irdischen bescheidenden Aeusserangen 
manches anderen Collegen. Damit aber auch wir 
mit derselben Befriedigung einstens auf unsere 
Thäiigkeit zurückblicken können, thut ernste Arbeit 
noth. Als Objekte dieser sind nach dem Angeführten 
aufzustellen: 

Eine Erklärung, warum bei der Schmerzhaftig¬ 
keit eines bestimmten Punktes ein ganz bestimmtes 
Arzneimittel das Simillimum ist; hierzu gehört die 
Beweisführung , dass bei der Prüfung eines Arznei¬ 
mittels dessen Schmerzpunkt, sowie die Schmerzpunkte 
derjenigen Mittel , deren Combinationen dieser Einheit 
entsprechen , schmerzhaft werden . 

Das Auf finden weiterer Schmerzpunkte , sowie 
die Feststellung von Einheiten für die Combinationen. 

Der Nachweis des ätiologischen Momentes als 
Anhaltspunkt für die Mittelwahl , so dass er zum 
Gesetz erhoben werden kann . Dies hat zu geschehen 
durch den Nachweis des zeitlichen Zusammenhanges 

*) Siehe seine Eingangs in der Fussnote sub ]. er¬ 
wähnte Arbeit. 


des Krankheitsanfanges mit Uebereinstimmung der 
damaligen allgemeinen charakteristischen Symptome , 
also besonders der begleitenden Umstände. 

Durch Feststellung dieser allgemeinen charakte¬ 
ristischen Symptome im Verlaufe der Epidemieen, 
insbesondere aber auch durch neue rationell ange - 
stellte Arzneimittelprüfungen ist die gewiss von jedem 
Homöopathen ersehnte Vereinfachung der Arznei¬ 
mittellehre durch schärfere Charakteristik der einzelnen 
Arzneimittel anzustreben . 

M. H.! Vereinigen wir uns in engerem Vereine 
zur Erreichung des Zieles, durch Erledigung obiger 
Forderungen mit Hülfe der Weihe'sehen Methode 
die Rademacher*sehe und Hahnemanrisehe Lehre zu 
zerschmelzen , um den von Hahnemann begonnenen 
und mit so grossen Erfolgen eingeleiteten Aufbau 
einer wirklich rationellen Therapie seiner Voll¬ 
endung entgegenzuführen. 

lieber die Nothwendigkeit erneuter 
Prüfung der Arzneimittel. 

Vortrag gehalten auf der constituirenden Versamm¬ 
lung der „Epidemiologischen Gesellschaft“ in Frank¬ 
furt a. M. am 23. Dez. 1891. 

Von Dr. med. Leeser-Bonn. 

Meine Herren! Es hat sich unter den homöo¬ 
pathischen Aerzten schon seit langer Zeit das Be- 
dürfniss geltend gemacht, unseren Arzneimittelschatz 
einer Revision zu unterziehen. Ausser den dankens- 
werthen und mit äusserster Sorgfalt angestellten 
Nachprüfungen des Vereins homöopathischer Aerzte 
Oesterreichs sind nur wenige guter Arzneiprüfun¬ 
gen seit Hahnemann, und diese nur vereinzelt, an¬ 
gestellt worden. Es ist dies auch begreiflich, zu¬ 
nächst aus äusseren Gründen. So lange wir keine 
staatlich unterstützten Lehranstalten für homöo¬ 
pathische Arzneimittellehre besitzen, sind wir auf 
den guten Willen der einzelnen homöopathischen 
Aerzte angewiesen. Die jungen Aerzte haben ge¬ 
nügend zu thun, sich einigermassen in dem über¬ 
grossen Arzneischatze zu orientiren und die älteren 
sind in der Regel so sehr beschäftigte Praktiker, 
dass ihnen kaum die Zeit bleibt, hin und wieder 
mit kleinen Arbeiten literarisch an die Oeffentlicb- 
keit zu treten, geschweige denn Arzneiprüfungen 
zu machen, welche vor allen Dingen viel Zeit und 
Ausdauer erfordern, Opfer, die in den seltensten 
Fällen ein Privatarzt zu bringen im Stande ist. 

Die Gründe, die trotzdem eine erneute Prüfung 
der Arzneien nothwendig erscheinen lassen, sind 
hauptsächlich zweierlei Art: erstens die Unmöglich¬ 
keit, die ungeheure Menge der bei den ursprüng¬ 
lichen Arzneimittelprüfungen gefundenen Symptome 


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einem nicht gerade mit einem phänomenalen Ge¬ 
dächtnisse ausgestatteten menschlichen Gehirne auch 
nur einigermassen einzuprägen und zweitens die 
Unzuverlässigkeit vieler in den Arzneiprüfungen 
aufgeführten Symptome der einzelnen Arzneien. 

Unser Arzneischatz ist im Laufe der Zeit zu 
einem geradezu unübersehbaren Urwalde ange¬ 
wachsen, in dem der Unkundige zunächst den Wald 
vor lauter Bäumen nicht sieht und es selbst dem 
Geübteren sehr schwer wird, die Pfade zu finden. 
Dabei gleichen sich die Arzneimittel oft wie ein 
Ei dem anderen, und nur der kundige und auf¬ 
merksame Beobachter vermag die charakteristische 
Unterscheidungsmale mit einiger Präcision heraus¬ 
zufinden. Gerade die constanten, stets bei allen 
Prüfungen wiederkehrenden Symptome sind so 
vielen Arzneimitteln gemeinsam, dass sie keinen 
Ausschlag bei der Wahl der Mittel zu geben im 
Stande sind, und die seltenen charakteristischen, 
wähl entscheidenden Symptome sind einmal äuserst 
schwer zu entdecken, und andrerseits in den Prü¬ 
fungsresultaten nicht mit genügender Sicherheit und 
Präcision angegeben, kurz, man ist nicht im Stande 
bei dem Studium der Arzneimittellehre das Wesent¬ 
liche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. So 
findet man z. B. in der gewiss vortrefflichen 
Arzneimittellehre von Noack und Trinke das für 
Kali carbonicum so charakteristische Symptom 
„Anschwellung der Haut des oberen Augenlides, 
des sog. Säckchens zwischen Augenbraue und Lid* 
nicht erwähnt, vielmehr nur mit gewöhnlichem 
Druck angegeben: „Geschwulst des Auges, oder 
des oberen Augenlides gegen die Nase zu, oder 
der Glabella zwischen den Augenbrauen*. 

Es bleibt schliesslich dem subjektiven Ermessen 
des Einzelnen überlassen, was wesentliches oder 
unwesentliches Merkmal des betr. Arzneimittels ist. 
Was uns vor allen Dingen fehlt, ist eine kurze , 
übersichtliche Charakteristik der einzelnen Mittel , 
d. h. eine Zusammenstellung der wesentlichen, 
wahlentscheidenden, selten oder niemals fehlenden 
Symptome, mit Hinweglassung der vielen Arzneien 
gemeinsamen Merkmale, der — wenn ich mich so aus- 
drücken darf — symptomatologischen Gemeinplätze. 
Auf einen möglichst scharf charakterisirten, objek¬ 
tiv gehaltenen, jedem verständlichen, keinen Zweifeln 
und Deutungen unterworfenen Ausdruck ist dabei 
der grösste Werth zu legen. So ist der in der 
Arzneimittellehre vielfach vorkommende Ausdruck 
„Würmerbeseigen“ nichts weniger als klar. Während 
eine grosse Anzahl der Symptome durch die An¬ 
wendung bei Kranken also ex juvantibus bestätigt 
sind, harren eine Menge noch dieser Bestätigung; 
unter denen sich vielleicht die wichtigsten befinden. 
Durch die Beobachtung der Symptome und An¬ 
wendung der Mittel am Krankenbette ist ja unsere 
Arzneimittellehre theilweise ergänzt worden, es sind 


manche charakteristische Merkmale gefunden und 
angegeben worden, aber man muss nur nicht den¬ 
ken, dass diese Angaben stets so ganz sicher und 
zweifelsohne sind. Ex juvantibus die 8ymptome 
eines Mittels zu bestimmen, hat seine sehr grossen 
Bedenken. Wie selten ist der Arzt im Stande, 
mit Sicherheit zu sagen, gegen diessen oder jenen 
Symptomencomplex hat dieses oder jenes Mittel 
geholfen! Wenn wirklich eine Besserung nach 
Anwendung der Arznei aufgetreten ist, wer bürgt 
dafür, dass es gerade die betreffende Arznei war, 
die den Umschwung in dem Befinden des Patienten 
herbeiführte? Wo sind die unzweideutigen objec- 
tiven Merkmale, die man dem Skeptiker, der sagt: 
„post hoc, non propter hoc“ entgegenhalten könnte? 
Von dieser Art der Bereicherung unserer Arznei¬ 
mittellehre dürfen wir uns daher nicht allzuviel 
versprechen, wenn wir auch jetzt mit Hilfe der 
Weihe’schen Methode in den Stand gesetzt sind, 
in der Regel das einem bestimmten 8ymptomen- 
complexe entsprechende Heilmittel sicher bestimmen 
zu können. Man lese nur einmal die in unseren 
Zeitschriften veröffentlichten Krankengeschichten 
durch, und man wird oft staunen, mit welcher 
Leichtgläubigkeit die Autoren die Besserung auf 
Rechnung der dargereichten Arznei setzen, von 
zwingenden Beweisen ihrer Wirksamkeit ist kein 
Schatten zu entdecken. Es gäbe noch einen anderen 
Weg, zu einer compendiösen Ausgabe unserer 
Arzneimittellehre zu gelangen, nämlich den, die 
einzelnen Arzneien mit einander nach der Arznei¬ 
mittellehre zu vergleichen, die gemeinschaftlichen 
Symptome auszusondern und die der einzelnen 
Arznei dann noch verbleibenden zusammenzustellen. 
Dies ginge wohl an, wenn gerade diese übrig blei¬ 
benden Symptome hinlänglich bestätigt wären, was 
aber eben nicht der Fall ist. Die wenigsten Arz¬ 
neien sind nachgeprüft, bei den Nachprüfungen 
haben sich schon tbeilweise abweichende Resultate 
ergeben; wer bürgt nun dafür, dass gerade von 
jenen genannten durch Ausschaltung der gemein¬ 
samen, übrig bleibenden Symptomen bei einer event. 
Nachprüfung etwas übrig bleiben würde, denn gerade 
diese selteneren Symptome sind oft nur von einem 
oder wenigen Prüfern beobachtet und mit in das 
Arzneibild hinübergenommen; sie verdanken viel¬ 
leicht einem Zufall und nicht der eingenommenen 
Arznei ihre Entstehung. 

Wir kommen damit zu dem zweiten Hauptgrund 
für die Forderung der Nachprüfung der Arzneien, 
der Unzuverlässigkeit vieler, für unsere Zwecke 
vielleicht gerade der wichtigsten Symptome. Wes¬ 
halb auf die Bestätigung ex juvantibus nicht viel 
zu geben ist, habe ich soeben auseinandergesetzt 
Ist doch schon die Wahl einer Arznei nach der 
Symptomenähnlichkeit stets dem subjektiven Urtheil 
des Arztes überlassen, der Arzt vergleicht die 


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Symptome der Krankheit und des Arzneimittels 
und findet, dass eine Anzahl Symptome sich decken; 
er glaubt, die betr. Arznei sei die ähnlichste, eine 
Sicherheit ist nicht vorhanden; ferner glaubt er, 
dass die Arznei geholfen habe, sicher weiss er es 
auch nicht. Es genügt mithin keineswegs, ex 
juvantibus irgend ein Symptom ohne Weiteres als be¬ 
stätigt anzuerkennen, da ein zwiefacher Irrthum 
möglich ist. Selbst mit Hilfe der Weihe’scben 
Methode ist es meist sehr schwer zu constatiren, 
ob ein Mittel gegen ein gewisses Symptom geholfen 
hat, wenn auch die Feststellung des passenden 
Mittels gelungen ist. Wie oft kommt indess der 
gegentheilige Fall vor! Man glaubt ganz genau 
im Besitze der angezeigten Arznei zu sein, man 
hat eine ganze Anzahl Symptome, die übereinstim¬ 
mend sind, sogar einige seltene, bei keiner anderen 
Arznei angeführten Symptome stimmen — und 
das Mittel hilft doch nicht, obwohl man es in den 
verschiedensten Dosen anwendet. Um daher die 
Spreu vom Weizen zu sondern, um zunächst also 
ein klares, wahres Bild einer Arznei zu erhalten, 
aus welcher man später die charakteristischen 
Merkmale zur Unterscheidung von anderen, gewisser- 
maassen ein Compendium zum praktischen Ge¬ 
brauch, extrabiren kann, bedürfen wir der Nach¬ 
prüfung sämmtlicher Arzneien. Nur auf einer ge¬ 
sicherten, möglichst von allen Irrthümern befreiten 
Grundlage können wir weiter bauen. Nur die 
wiederholte Anfrage an die Natur wird uns über 
die wahre Wirkung der Arznei auf den Organismus 
Aufschluss geben können, nur das oft wiederholte, 
mit allen möglichen Cautelen , ohne vorgefasste 
Meinung, mit äusserstem Skepticismus und zugleich 
mit ruhigster Objectivität angestellte reine Experi¬ 
ment wird im Stande sein, uns eine im wahrsten 
Sinne des Wortes „ reine“ Arzneimittellehre zu 
schaffen, deren wir für unser gesichertes fherapeu- 
thisches Handeln so sehr bedürfen. 

Wenn es mithin keinem Zweifel mehr unter¬ 
liegen kann, dass für die Fortentwicklung und den 
gedeihlichen Ausbau der Lehre Hahnemanns eine 
Nachprüfung der Arzneien eine conditio sine qua 
non ist, so handelt es sich vor Allem um die 
Frage: in welcher Weise muss eine solche Nach¬ 
prüfung angestellt werden? Als selbstverständlich 
setze ich voraus, dass echte, reine, zweckmässig 
bereitete Arzneien verwendet, dass die Zahl der 
Prüfer eine möglichst grosse, jedes Alter, Geschlecht 
und Temperament umfassende sei, dass die Prüfer 
seihst möglichst gesund, intelligent, ausdauernd, 
aufmerksam und im Stande sind, genau, objectiv, 
wahrheitsgetreu und gründlich zu beobachten, dass 
die Arzneistoffe in geeigneter Form und in geeigneter 
Weise dem Organismus einverleibt werden, dass die 
Lebensweise der Prüfer eine geregelte ist und dass 
endlich alle Hilfsmittel der modernen Wissenschaft 


zur Erzielung objectiver Symptome in Anwendung 
gebracht werden, Forderungen, denen die früheren 
Prüfungen bereits zum grössten Theile gerecht 
geworden sind. Dass bei einer erneuten Prüfung 
der Arzneien ausser pathalogisch-anatomischen Ver¬ 
änderungen vor allen Dingen auf eine genaue 
chemische Untersuchung der Secretionen Rück¬ 
sicht genommen werden müsste, versteht sich von 
selbst. 

Es bleiben indess noch zwei Punkte übrig, die 
bei den früheren Arzneiprüfungen meiner Ansicht 
nach nicht genügende Berücksichtigung gefunden 
haben, z. Th. auch nicht finden konnten, einmal 
Ort und Zeit der Prüfung und zweitens die Art 
und Weise derselben, d. h. mit Bezug auf die 
Dosis der zu prüfenden Arznei. 

Es mag vielleicht sonderbar erscheinen, dass 
Ort und Zeit einen Einfluss auf die Prüfungs¬ 
ergebnisse haben sollen. Aber eine eingehendere Be¬ 
trachtung führt uns sogleich dahin, dass Ort und 
Zeit der Prüfung den Charakter des genius epi- 
demicus bestimmen, auf dessen Berücksichtigung 
hei den Prüfungen schon im Jahre 1857 Huber 
im 1. Bande der Zeitschrift des Vereins der homöo¬ 
pathischen 4erzte Oesterreichs kurz hingewiesen 
hat. Er sagt daselbst (P. 276): „Es zeigen sich 
zuweilen selbst bei ganz gesunden Prüfern gewisse 
Erscheinungen, welche darin (d. h. im Genius 
epidemicus) begründet sind, un$ ungekannt und 
unberücksichtigt sich leicht unter die Arzneisymp¬ 
tome einschmuggeln. Wenn es auch keinem Zwei¬ 
fel unterliegt, dass die Arzneien ihre autonome 
Gewalt unter den verschiedensten derartigen Ein¬ 
flüssen zu behaupten vermögen, so können wir 
doch nicht leugnen, dass diese zuweilen durch 
leichte Andeutungen, ja selbst offenes Auftreten 
die Reinheit der Ergebnisse zu trüben im Stande 
sind.“ 

Es handelt sich also vor allen Dingen darum, 
m. H., die Einflüsse des jeweiligen Genius epide¬ 
micus bei der Arzneiprüfung zu eliminiren, d. h. 
zu zeigen, welche Symptome der Arznei an sich 
und welche dem Genius epidemicus zukommen. 
Mit Hülfe der Weihe'scben Schm erzpunkte sind wir 
jetzt in den Stand gesetzt, dieser so überaus wich¬ 
tigen Forderung entsprechen zu können. 

Alle Vorgänge im Organismus spielen sich ge- 
setzmässig ab, sämmtliche Empfindungen, sogar die 
Gemüthsstimmungen, Gedanken und Willensäusse¬ 
rungen des Einzelnen sind kein Spiel des Zufalls, 
sondern das von dem Entschlüsse des Individuums 
unabhängige naturnothwendige Resultat zusammen¬ 
wirkender Einflüsse. Es kommt nun darauf an, 
die in die Erscheinung tretenden Vorgänge im 
Organismus in ihre Einzelheiten zu zerlegen, die 
Bedingungen und Ursachen für ihr Zustandekommen 
aufzufinden, um zu erkennen, dass, wie in der 


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46 


Natur Überhaupt, so auch im Mikrokosmos Alles I 
den ehernen Naturgesetzen unterworfen ist. | 

Jeder hat an sich schon die Beobachtung ge¬ 
macht, dass er zu allen Zeiten nicht gleicbmässig 
gestimmt und zur Thätigkeit aufgelegt ist, selbst 
wenn er bei genauester Selbstprüfung keine Ursache 
für das veränderte Befinden entdecken kann; hier 
haben wir eben die unsichtbare Einwirkung des 
Genius epidemicus, der kein lebendes Wesen sich 
vollständig entziehen kann. Ebenso wie die Pflanze 
kleben auch wir an der Scholle und sind ein Spiel¬ 
ball für die uns umgebenden kosmischen, athmo- 
sphärischen, tellurischen und Temperatureinflüsse. 
Wenn nun schon beim Gesunden ein stets wechseln¬ 
des Befinden zu constatiren ist, um wie viel grösser 
wird der genannte Einfluss sein, wenn durch irgend 
eine Arznei der Organismus krank gemacht und 
in einen erhöhten Reizempfänglichkeitszustand ver¬ 
setzt wird. Wenn wir daher eine reine, echte 
Arznei Wirkung erzielen wollen, so müssen wir vor 
allen Dingen jeweilig feststellen, in wie weit bereits 
der zu Prüfende durch den Genius epidemicus be¬ 
einflusst ist, resp. welche Symptome bereits vor 
der Prüfung vorhanden, mithin auf Rechnung des 
Genius epidemicus zu setzen sind. Dazu gehört 
aber in erster Linie, dass wir des Genius epidemi¬ 
cus sammt seinen Symptomen auch habhaft ge¬ 
worden sind. Dies ermöglicht uns einzig und allein 
die Weihe'sche Methode der Auffindung des Genius 
epidemicus. Soll daher an einem Individuum eine 
Arzneiprüfung vorgenommen werden, so ist dasselbe 
zunächst auf Schmerzpunkte zu untersuchen, um 
zu wissen, unter welchem Genius epidemicus es 
steht. Gleichzeitig müssen sämmtüche vor der 
Prüfung vorhandenen Symptome sorgfältig registrirt 
werden, die man zunächst — vorausgesetzt, dass 
die zu prüfende Person gesund ist — auf Rechnung 
des bekannten Genius epidemicus setzt. Jetzt be¬ 
ginnt die Prüfung mit einer beliebigen Arznei, und 
die nunmehr auftretenden Symptome werden be¬ 
sonders registrirt. Mehrere Male täglich muss 
nun der Prüfer während der Prüfung auf Schmerz¬ 
punkte untersucht werden, um zu constatiren, ob 
sich dev Genius epidemicus nicht mittlerweile ge¬ 
ändert hat. So lange dies nicht der Fall ist, kann die 
Prüfung fortgesetzt werden; ändert sich der Genius 
epidemicus, so wird die Prüfung am besten unter¬ 
brochen. Denn, würde man dieselbe fortsetzen, so 
wüsste man ja nicht mehr mit Sicherheit, welche 
von den weiterhin auftretenden neuen Symptomen 
noch auf Rechnung der Arznei zu setzen wären 
und welche nicht, selbst wenn der neue Genius 
epidemicus seinem Charakter nach genau bekannt 
ist. Als Regel müssen wir daher hinstellen , dass 
die Dauer der Prüfung einer Arznei von der Dauer 
des beim Beginne der Prüfung vorhandenen Genius 
epidemicus abhängt. Würden wir über diesen Zeit¬ 


punkt hinaus weiter prüfen, so würden wir die 
Fehlerquellen mit jedem neu auftretenden Genius 
epidemicus ins Unendliche vermehren. 

Macht man die Prüfung in der beschriebenen 
Weise, so kann man entweder die sämmtlicben 
nach Einverleibung der Arznei auftretenden Symp¬ 
tome, selbstredend der Reihenfolge nach und mit 
genauer Angabe der Tageszeiten, notiren, um nach 
beendeter Prüfung die vorher schon vorhandenen 
und besonders registrirten in Abstrich zu bringen, 
oder man kann von vornherein einfach nur die 
nach Beginn der Prüfung neu auftretenden Symp¬ 
tome vermerken, um zu einer im grossen Ganzen 
klaren Uebersicht der Arzneiwirkung auf den ge¬ 
prüften Organismus zu gelangen. Ich sage im 
grossen Ganzen, denn ideal rein ist dies Prtifungs- 
ergebniss auch nicht, weil man auf diese Weise 
nicht im Stande ist, die Wechselwirkung der 
Arznei auf die durch den Genius epidemicus her¬ 
vorgebrachten Symptome auszuschliessen. Um zu 
einem möglichst reinen Arzneibilde zu gelangen, 
bedarf es ausserdem noch gewissermaassen einer 
Controlprüfung, einer nochmaligen Prüfung der 
Arznei an demselben Individuum und zwar während 
der Dauer des derselben Arznei entsprechenden 
Genius epidemicus. Die letztgenannte Prüfung, 
also z. B. die BellAdonnaprüfung während einer 
Belladonnaepidemie, d. h. während der Prüfer 
unter dem Einfluss des der Belladonna efit- 
sprechenden Genius eqidemicus steht, würde das 
ideal reinste Bild einer Arzneiprüfung ergeben, da 
unter dem Einflüsse des der betr. Arznei entspre¬ 
chenden Genius epidemicus der Prüfer schon für 
die Einwirkung derselben besonders empfänglich 
ist. Durch Vergleichung dieser beiden Prüfungen 
an demselben Individuum, also der Belladonna¬ 
prüfung während einer Belladonnaepidemie einerseits 
und z. B. während einer Aconitepidemie andrerseits, 
würde man aus den übereinstimmenden Symptomen 
mit grösster Wahrscheinlichkeit das Gesammtarznei- 
bild feststellen können. Selbstredend würden Prü¬ 
fungen derselben Arznei an demselben Individuum 
auch während einer Bryonia-, Nux- u. s. w. -Epi¬ 
demie unter den angeführten Cautelen die Sicher¬ 
heit des Resultates nur noch erhöhen. Dass der¬ 
artige Prüfungen ausserdem gleichzeitig an mög¬ 
lichst vielen Individuen verschiedenen Alters und 
Geschlechts in gleicher Weise vorgenommen wer¬ 
den müssten, versteht sich am Rande, da jede 
Doppelprüfung einer Arznei an derselben Person 
nur die reine Arznei Wirkung auf das betreffende 
Individuum ergeben würde. Es würden demnach 
nicht, wie man bisher zu thun pflegte, die Prüfungs¬ 
protokolle der einzelnen Prüfer, sondern die an 
den einzelnen Individuen festgestellten Prüfungs¬ 
resultate zur Vergleichung herangezogen werden 
müssen, um schliesslich das möglichst von Schlak- 

6 * 


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44 


ken gereinigte Arzneibild in nuee vor sich zu 
haben. 

Sie sehen, m. H., welch ungeheurer Auf¬ 
wand von Zeit, von Fleiss, Ausdauer, Intelligenz 
und Beobachtungsgabe erforderlich ist, um die 
Prüfung auch nur eines einzigen Mittels einiger- 
massen befriedigend zu gestalten; Sie werden es 
daher begreiflich finden , dass der Einzelne nur 
unter den grössten Opfern eine Prüfung vornehmen 
könnte, solange wir nicht durch 8taatsbeibilfe 
unterstützt werden. Aber auch abgesehen von 
diesen äusserlichen, mehr materiellen Schwierig- 
keiten sind nicht alle Orte und Zeiten für eine 
Arzneimittelprüfung geeignet. Gegenden und Zei¬ 
ten mit kurzen, häufig wechselnden Epidemien 
dürften sich aus den angeführten Gründen weniger 
für eine erfolgreiche Mittelprüfung eignen, als 
solche, wo der Genius epidemicus lange Zeit statio¬ 
när bleibt, da die Hauptsache immer eine möglichst 
lange Zeit durchgeführte Prüfung eines Arznei¬ 
mittels während der Dauer des ihm entsprechenden 
Genius epidemicus bleibt. 

In Bezug auf die Art und Weise der Prüfung, die 
Dosis und Potenz der zu prüfenden Arznei lassen 
sich nur allgemeine Regeln aufstellen. Was zu¬ 
nächst die Gabe anlangt, so soll man mit möglichst 
kleinen Gaben beginnen und nur allmählich und 
erst dann steigen, wenn keine neuen Symptome 
mehr zum Vorschein kommen. Dass neben einer 
Prüfung mit niederen Verdünnungen oder Urtinc- 
turen auch Prüfungen mit Hochpotenzen am Platze 
sind, ist selbstredend, ja, wenn eben angängig, 
sollten an derselben Versuchsperson mit beiden 
Arten von Verdünnungen Prüfungen angestellt 
werden. Welche Potenzen überhaupt bei einer 
Prüfung den Vorzug verdienen, richtet sich eines- 
theils nach der Qualität der Arznei, andrerseits 
nach der Reizempfänglichkeit der zu prüfenden 
Person. Da für den Zweck unserer Prüfungen in 
erster Linie diejenigen subjektiven wie objectiven 
Symptome von Wichtigkeit sind, welche wir nicht 
auf tiefgreifende organische Störungen zu be¬ 
ziehen gewohnt sind, so ist auch vorzugsweise das 
Augenmerk auf die von dem centralen, dem ani¬ 
malischen und vegetativen Nervensystem ausgehen¬ 
den Veränderungen zu richten, in zweiter Linie 
würden erst die eigentlichen pathologisch-anatomi¬ 
schen Veränderungen der Organe in Betracht 
kommen. Will man nun ein möglichst ausgiebiges 
Resultat bei einer Prüfung erzielen, so ist eine 
denkbarst genaue und feine Charakterisirung der 
Symptome erforderlich, wie sie uns eben nur das 
subjective Empfinden zu bieten vermag. Je mehr 
Nervensymptome daher eine Prüfung aufzuweisen 
vermag, desto höheren Werth darf sie im grossen 
Ganzen beanspruchen. Im Allgemeinen werden wir 
daher bei einer möglichst zarten Einwirkung direkt 


auf das so sehr empfindliche Nervensystem, wie 
wir dies mittelst Einnehmen oder Riechen an Hoch¬ 
potenzen erzielen — ich erinnere an die Jaeger sehen 
neural analytischen Versuche — einen viel feiner 
differenzirten 8ymptomencomplex, sowohl in Bezug 
auf Qualität als auf Localisation der Empfindung, 
erreichen, als bei Anwendung massiver Gaben. 
Erst wenn die Prüfung mit einer Hochpotenz er¬ 
schöpft ist, sollte man allmählich zu niederen Po¬ 
tenzen bis zur Urtinctur heruntergeben, um ausser 
den primären Reizungs- auch secundäre Lähmungs- 
Symptome zu erzielen. Damit würde man zugleich 
auch einen klareren Einblick in das Verhältniss der 
Erst- und Nachwirkungen zu einander erlangen. 
Wie hoch man beginnen muss mit der Potenz, 
hängt wie gesagt ganz von der individuellen Reiz¬ 
empfänglichkeit der prüfenden Person and der 
Qualität der zu prüfenden Arznei ab, vielleicht 
würde es sich empfehlen, zuerst einen neuralanaly¬ 
tischen Versuch zu machen, um daun mit deijenigen 
Potenz zu beginnen, welche zuerst - von oben 
gerechnet — einen Belebungseffect gibt Was noch 
zu Gunsten der Prüfungen mit Hochpotenzen spricht, 
ist der Umstand, dass die Wirkung derselben eine 
viel unmittelbarere, — weil zunächst sich nur 
auf die Nerven erstreckende — ist, indem die 
Symptome bereits nach kürzester Zeit auftreten, 
was namentlich bei der oft nur beschränkten 
Prüfungszeit, — ich erinnere an das früher aus- 
geführte — von äusserster Wichtigkeit sein dürfte. 

Damit hätten wir, m. H., denn wohl in der 
Hauptsache die hier in Betracht kommenden Fra¬ 
gen erschöpft, und möchte ich zum Schlüsse meiner 
Auseinandersetzungen noch auf einen Punkt hin- 
weisen, der bei zukünftigen Arzneiprüfungen als 
objectives Symptom eine wichtige Rolle zn spielen 
geeignet ist. Ich meine die Weihe’scben Schmerz- 
punkte, die Weibe selbst ja nur als ein den sub- 
jectiven gleichwertiges Symptom betrachtet,die aber, 
wie Sie bereits wissen, mehr als das sind. Wenn 
die Folgerungen, welche wir an die Existenz der 
Schmerzpunkte knüpfen, richtig sind, so müssen 
wir denselben ebenfalls bei der Arzneiprüfung wie¬ 
der begegnen, d. h. wir müssen annehmen, dass 
Jemand, an dem z. B. die Belladonna geprüft wird, 
ausser den zu erwartenden subjectiven und objec¬ 
tiven Symptomen auch die der Belladonna zukom¬ 
menden Schmerzpunkte zeigen wird. Was uns zu 
dieser Annahme berechtigt, ist der Umstand, dass 
wir in der That in der Praxis bei Vergiftungsfällen 
mit Jod, Atropin, Morphium — wie ich dies per¬ 
sönlich bestätigen kann — die dem Jod, der 
Belladonna und dem Opium entsprechenden Punkte 
hervorragend, oft sogar einzig und allein druck¬ 
empfindlich finden. So kam mir in letzter Zeit 
ein Fall von Iritis serosa in Behandlung, wo die 
Patientin ihre überaus grossen Schmerzen lediglich 


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46 


den zu lange und zu stark angewandten Atropin¬ 
einträufelungen zuschrieb. In der That fand ich 
weiter keine Schmerzpunkte, als die für Acidum 
phosphor und Aurum-Belladonna; eine Hochpotenz 
von Belladonna (200 C.) als Antidot gereicht, be¬ 
seitigte die Schmerzen und nun erst kamen andere 
Schmerzpunkte zum Vorschein. Mithin ist die An¬ 
nahme nicht unbegründet, dass sich bei den Arznei¬ 
prüfungen — ob mit Hochpotenzen ebenfalls, 
müsste der Versuch lehren — neben den Punkten, 
die dem herrschenden Genius epidemicus ent¬ 
sprechen, auch noch die der Arznei zukommenden 
Schmerzpunkte in mehr oder weniger starker An¬ 
deutung vorfinden werden. 

Ueber die Abortivtherapie der 
Gallensteinkrankheiteii. 

Von Dr. Mossa-Stuttgart. 

Dr. G. Stöcker hat über die Wirksamkeit der 
Belladonna bei Gallensteinkrankheiten in der deut¬ 
schen Med. Zeit. (27. Aug.) einen für uns interes¬ 
santen Artikel geschrieben. Er sagt: Wenn man 
reguläre Gallenstein-Koliken mit Bell, behandelt, so 
sieht man häufig den Abgang von Konkrementen 
im Stuhle in den nächstfolgenden Tagen, während, 
wenn man die Kolikanfälle durch Opium unterdrückt, 
noch bei der genauesten Untersuchung nur aus¬ 
nahmsweise ein Stein im Koth aufgefunden wird. 
Ferner hat er die Beobachtung gemacht, dass bei 
der Behandlung mit Bell, die Kolikanfälle längere 
Zeit ausbleiben, während sie nach Opiumgebrauch 
meist bald wiederkehren. Die Belladonna ist also, 
schliesst er, mehr als ein einfaches Palliativum oder 
Anodynum. Die physiologische Wirkung der Bell, 
erklärt Dr. Stöcker so: Sie lähmt die krampfhaft 
erregte Bingmuskulatur des Ductus choledochus 
(analog bei Beizung des Iris spbincters), übt da¬ 
gegen auf die Längsfasern der Muskulatur der 
Gallenblase eine entgegengesetzte, contrahirende 
Wirkung aus, wie sie solche auch bei Lähmung 
des Detrusor vesicae äussevt, demgemäss stellt 
Verf. folgende Indicationen für die Anwendung 
der Bell, bei Cholelithiasis auf: Eintreten oder 
Herannahen einer Kolik oder auch mehrtägige Ein¬ 
klemmung des Steines mit häufigen Kolikanfällen, 
Abwesenheit jeden Symptomes, welches auf auf 
die Komplication der Kolik mit tieferen Gewebs- 
läsionen, also auf einen atypischen Verlauf der¬ 
selben scbliessen Hesse. Abwesenheit von Collaps- 
erscheinungen, wie sie infolge von grossen Schmer¬ 
zen auftreten, — wo dann das Morphium am Platze 
sei. Auch dann, wenn im ersten Kolikanfall (oder 
einer grösseren Zahl solcher Anfälle) unter dem 


Gebrauche der Bell, die Abstossung des .Steines 
nicht erfolgt ist, braucht man von weiteren Ver¬ 
suchen mit jenem Mittel nicht abzustehen, darf 
vielmehr von einer wiederholten Darreichung die 
Förderung der nothwendigen Hypertrophie der a 
tergo gelegenen Muskelstrecken erwarten. Neben 
der Belladonna will Verf. andere unterstützende 
Mittel wie Kataplasmen, Bäder etd. noch angewen¬ 
det wissen, ja selbst ein Abführmittel zur Entleerung 
des Darmes hält er danach mitunter für angezeigt. 

— Er giebt die Bell, entweder als Infus von 
1—1,5 (!) auf 150, davon im Anfall alle V*2—1 
Std. 1 Esslöffel, oder in der wässrigen Extract- 
Lösung (0,1 bis 0,15 :20) alle */*—!1 St. 20 Tropfen. 
Zwischen den einzelnen Anfällen rätb er die Dur 
rande’sche Mischung (3 Theile Schwefelaether auf 
2 Theile Terpentinspiritus) und von Zeit zu Zeit 
eine strenge Karlsbader Kur anzuwenden. — 

Es sei uns gestattet, an diese Arbeit unsere Be¬ 
merkungen zu knüpfen. — Die Anwendung der 
Belladonna in manchen Arten von Gallensteinkolik 
ist für den homöopath. Arzt nichts Neues — aber 
wie so oft, sind die krankhaften Erscheinungen, 
welche für den Allopathen, als Kontraindicationen 
eines Mittels gelten, für uns gerade die wichtigsten 
Indicationen. So fordern uns diese Zeichen, 
welche einen entzündlichen oder wenigstens ge¬ 
reizten Zustand in der Gallenblase und ihrer Um¬ 
gebung und besonders in der Leber selbst docu- 
mentiren, erst recht zum Gebrauche der Bell. auf. 

— Kafka präcisiert die Anzeige für Bell, dahin: 
Ist das Epigastrium gegen Berührung sehr empfind¬ 
lich, so dass der leiseste Druck die Schmerzen be¬ 
deutend steigert, sind die Kranken turgeseirt, mit 
heissem Kopfe, gerötheten Wangen und beschleu¬ 
nigtem Pulse, sind sie zugleich gegen Licht und 
Geräusch sehr empfindlich, ist das Erbrechen sehr 
häufig und mit grosser Anstrengung und Vermeh¬ 
rung der Schmerzen verbunden, wüthen die Schmer¬ 
zen gleichmässig ohne Nachlass fort und werfen 
sich die Kranken in der Qual verzweiflungsvoll 
umher, bald diese, bald jene Lage suchend, ohne 
die geringste Erleichterung zu finden, so verab¬ 
reichen wir Belladonna 3 in Solution in l J A —*/2 
stündiger Gabe. — Wird bei langer Dauer des 
Sehmerzanfalles die Lebergegend sehr empfindlich, 
selbst gegen die leiseste Berührung, steigerte sich 
die Schmerzen durch Bewegung, wenn das Erbre¬ 
chen fortdauert, Icterus herzutritt — Zeichen, 
welche auf eine Einklammerung des Gallensteines 
im Ductus hepaticus und beginnende Entzündung 
des Leberparenchyms in der Umgebung der Gallen¬ 
gänge hiudeuten, — so ist Bell, das souveräne Mittel. 
Es muss jedoch mehrere Stunden consequent vier¬ 
telstündlich gegeben werden, bis die Schmerzen sich 
mildern und die Berührung der Lebergegend wieder 
vertragen wird. — Tritt nach einer mehrstündigen 


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Anwendung dieses Mittels die erwünschte Wir¬ 
kung nicht ein, so räth Kafka Atropin sulph. 3 
in derselben Weise zu geben und, wenn auch 
dieses nicht genügt, Morphium acet. I in einer 
Schüttelmixtur. — Letzteres Mittel hält Kafka be¬ 
sonders angezeigt, wenn die Kolik mit Erscheinungen 
von Collapsus, Kälte der Extremitäten, kleinem 
Pulse, kaltem Schweiss und Ohnmächten auftreten 
(Arsen., Veratrum, Lachesis, die den Symptomen 
nach entsprechen, haben sich ihm nicht bewährt, 
indem sie auf den charakteristischen, so hochgra¬ 
digen Schmerz ohne Einfluss bleiben). Es stimmt 
dies im Ganzen mit den Beobachtungen Dr. Stöckers. 
— Beachtenswerth erscheint mir aber des letzteren 
Collegen Erfahrung, dass nach Anwendung von 
Bell, die Kolikanfälle auf längere Zeit hin aus- 
bleiben, während sie beim Morphiumgebrauch meist 
in kürzerer Zeit sich wiederholen. — Ob aber 
diese Wirkung der Bell, nur durch ihren Einfluss 
auf die Muskulatur der Gallenblase, resp. des gros¬ 
sen Gallenganges zu Stande kommt? Sollte das 
Mittel nicht auf die Se- und Excretion der Galle 
selbst einwirken? — v. Bönninghansen hat ja die 
Belladonna in das Elite-corps der Antipsorica auf¬ 
genommen, und Böcker hat sie seinen Selbstver- 
Buchen zufolge als ein allgemeines Mausermitel an¬ 
gesehen; namentlich hebt letzterer Autor die ge¬ 
steigerte Auflösung der Blutbläschen, und ihre 
Umwandlung in Galle hervor, wofür die weich¬ 
lichen grüngalligen Stuhlentleerungen sprechen 
sollen. — Während wir gestützt auf das homöo¬ 
pathische Princip, die Bell, überwiegend bei acuten 
Krankheiten anwenden, haben die älteren Ärzte 
Krankheiten, die aus gestörtem Vegetationsprocess 
der äusseren Haut, des Lymph- und Drüsensystems, 
der porösen Häute, des Magens- Leber und Pfort¬ 
adersystems, (Leberanschwellungen,Icterus pertinax), 
bei chronischer Gicht mit Ablagerungen in den 
Gelenken, in das Heilgebiet der Bell, hineingezogen. 
So erzählte Dr. Solatte von einem 15 jährigen 
Knaben, der längere Zeit an Gelbsucht litt, nebst 
Erscheinungen, die auf Gallensteine hinwiesen. 
Nach verschiedenen erfolglos angewandten Mitteln, 
beschwichtigte er die heftigen Koliken durch Ein¬ 
reibung einer Bell.-Salbe, sodann gab er innerlich 
Bell, in Pillen und zwar 2 stündlich 1 gran, bis 
auf gran steigend, und, als eine leichte Narkose 
eintrat, verschwand der hepatische Schmerz, es 
zeigten sich gallige Darmentleerungen, worin 
sich 3 erbsengrosse Gallensteine fanden. — Nun, 
bis zur Narkose braucht ein Mittel, wenn cs eben 
das passende ist, nicht angewendet zu werden. — 


Epidemiologische Ecke. 

Noch immer ist rascher Wechsel der Mittel zu 
verzeichnen. Am 16. und 17. d. Mts. stand im 
Vordergrund Orot tigl. -f- Plat. met. oder -f- Plumb. 
met. oder -f- Natr. mur. Dabei waren wässrige 
Durchfälle, Bauchschmerzen links unten und trockener, 
quälender Husten häufig. Am 18. und 19. war 
meist Natr. mur. + Ins vers. = Euphras., am 20. 
Cupr. met. cum Nicotiana angezeigt. Seit dem 21. 
ist hier bis heute hauptsächlich Acid. benz. -f- 
Euphras. = Ferr. met hilfreich. Folgende Symp¬ 
tome konnten dabei beobachtet werden: Fieber mit 
mit Frost, Hitze; Durst verschieden, starker Schnup¬ 
fen mit wässriger Secretion aus Nase und Augen; 
heftige Kopfschmerzen besonders vorne und in der 
linken Schläfe; Halsentzündung mit Röthung der 
vorderen Gaumenbögen oben seitlich, während das 
Zäpfchen frei und die Mandeln mehr weniger ge¬ 
schwellt und blassroth waren; Heiserkeit besonders 
Morgens, auch Abends; der Husten war meist 
trocken, hart, krampfhaft besonders nach Mitter¬ 
nacht von 1—2 bis 5—6 Uhr (auch von College 
Leeser bestätigt), in dieser Zeit auch Wachen mit 
Unruhe und Sichhin- und her werfen, dabei oft Waden¬ 
krampf, danach konnten die Pat. noch etwa9 schlafen; 
Appetitlosigkeit, oft saurer Geruch aus dem Munde, 
Uebelkeit, Erbrechen selten, viel Magendrücken 
(von Coli. Leeser hervorgehoben, auch hier nicht 
selten geklagt); Bauchschmerzen besonders in der 
Ileocoecalgegend (2 Mal in meiner Praxis mässige 
perityphlitische Ausschwitzung) bis zu peritonitischen 
Erscheinungen; meist Verstopfung, oft mit vergeb¬ 
lichem Zwang, doch auch Durchfall mit Abgang 
unverdauter Speisen; Stuhlgang oft hellgelb, dann 
stets schmerzhafte Leber (besonders am linken 
Lappen) und Milzanschwellung; oft Rücken- und 
Gliederschmerzen, Anlehnen bessert (von Coli. Leeser 
angegeben); Kälte verschlimmert. Zu beachten ist, 
dass die gastrischen Symptome nie ohne die Hals¬ 
entzündungen auftraten, obwohl sie natürlicherweise 
die Beachtung mehr auf sich zogen. 

Coli. Stiegele und Stemmer hatten in den Tagen 
vom 17. —19. auch vorwiegend Natr. mur. -j- Iris. 

Coli. Sigmundt-Spaicbingen tbeilt mit, dass bei 
ihm Anginen durch Apis heilbar in den ersten 2 
Wochen d. Mts. nicht selten waren. 

Coli. Hagel-Ravensburg berichtet auch raschen 
Wechsel der Mittel. Er findet bei Anginen und 
Diphtheritis Apis wirksamer als Mercur. Er giebt 
bei Bronchitiden mit starkem nächtlichen Husten 
Tartar, stib. -|- Hyoscyam; bei influenzaartigen 
Fällen (Bronchialkatarrhe fehlen dabei) mit starkem 
Kopfweh, Müdigkeit, Magenkatarrh Nux vomica + 
Nicotiana; bei Neuralgieen im Darm und den unteren 
Extremitäten Iris oder Colocynth. 

Coli. Kirn-Pforzheim schreibt unter dem 27.: 


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Hier Led. -j- Cina, Natr. mur. Cina oder -(- 
Led. oder -f- Iris, Hepar + Led., Kreosot -f- Iris, 
Apis seltener, bei Keuchhusten Spongia -j- Drosera. 
Am 28. berichtet er auch von Fällen mit Acid. 
benz. -|- Euphrasia. 

Coli. Leeser-Bonn theiit am 20. mit, dass Kali 
carb. -j- Iris seit 2 Tagen epidemisch ist; daneben 
Stann. -{- Mezer., Natr. carb. + Croton, Natr. mur. 
-)- Iris, Ant. crud. -f- Cupr. cum Nicot., Acidum 
phosph. -f- Taraxac., Acid. phospb. -f Cupr. cum 
Cist. can., bei Gelenkrheumatismen Natr. mur. oder 
Kali carb. -j- Caust. Zugleich theilte er die (neuen) 
Punkte für Acid. benz. und Euphrasia mit. Am 21. 
hatte er Kali carb. + Caust., daneben Silic. -j- Bell. 
= Aconit, auch Veratrum und Tartar, emetic. 
bei rechtsseitiger Angina tonsillar. follicular., die 
ursprünglich links (mit Apis oder Mercur) be¬ 
gonnen hat. 

Am 24. hatte er auch Acid. benz. -1" Euphras., 
sowie Hepar oder Baryt. + Euphras. 

Am 25. ausserdem Acid. benz. -f- Caust, ferner 
bei chronischen Fällen ausser einigen anderen Arsen, 
jodat, w&i auch ich hier nicht selten bei solchen 
habe. 

Am. 28. schreibt er, dass er noch beständig 
Acid. benz. + Euphras. mit vielen Influenzafällen 
habe, dazwischen auch Acid. benz. -j- Caust und 
einmal Acid. benz. -j- Cannabis. „Euphrasia scheint 
doch sehr enge Beziehungen zur heurigen Influenza 
zu haben; ich habe viele ausgezeichnete, prompte 
Erfolge von Euphrasia = Natr. mur. -f- Iris und 
von Arnica = Kali carb. -j- Caust. gehabt.* 

Zum Schlüsse muss ich noch mittheilen, dass 
hier heute im Laufe des Tages bei Halsentzünd¬ 
ungen mehr und mehr Acid. mur. -|- Lachesis auf 
und Acid. benz. -|- Euphras. in den Hintergrund tritt. 

Stuttgart, den 29. Januar 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 

Fragekasten. 

Es wird dringend gebeten, in dem folgenden 
Krankheitsfall einen geeigneten therapeutischen Vor¬ 
schlag zu machen und wird event. mit grossem Dank 
s. Z. das Resultat mitgetheiit werden. 

Die Beschwerden bei der kinderlosen, ca. 35 J. 
alten Kranken traten entweder mit Beginn der 
Periode oder auch im Verlauf derselben auf, steigern 
sich während derselben sehr, um am 8.—12. Tage 
wieder ebenso plötzlich ganz zu verschwinden, wie sie 
plötzlich kommen. 

Bei dem letzten Unwohlsein traten die Be¬ 
lästigungen erst am 3. Tage nach Beginn des ersteren 
auf (vielleicht weil Patientin diese Tage vorzugs¬ 
weise liegend zubrachte) und zwar beginnend mit 
plötzlichem Leib weh und Durchfall Diese Anfälle 


wiederholten sich an demselben Tage noch einige 
Male und Abends erfolgte heftiges Erbrechen, wo¬ 
nach anscheinend Erleichterung und eine leidlich 
gute Nacht erfolgte. Nächsten Morgen viel Luft, 
Aufstossen mit lautem Getöse und einige Male 
wässerigen Durchfall, Nachmittags wieder sehr 
heftiges Erbrechen mit Angst. Appetit natürlich 
sehr wenig, aber in den ruhigeren Pausen wird 
durchaus Speise angenommen. 

Eine kleine Morphium-Einspritzung in diesem 
Stadium vom früheren Arzte wirkte lindernd, aber 
die Nachtruhe ist sehr unterbrochen. Am nächsten 
Morgen sehr schlechte Stimmung, auch Uebelkeit 
und Angst, heftiges Aufstossen der Luft, der Leib 
ist nicht aufgetrieben, aber Patientin hat das Gefühl, 
als ob er bersten sollte. Der Tag vergeht über 
diesem Uebelbefinden und in den folgenden 4—0 
..Tagen steigern diese Empfindungen sich bis zum 
Unerträglichen. 

Es tritt häufig Eingenommenheit des Kopfes, 
Leibauftreiben auf, Angst, stechende und brennende 
Schmerzen im Kopfe, im Nacken, an den Armen 
und Beinen (Wadenkrämpfe), sehr unruhige Nächte 
mit hässlichen Träumen, melancholische Gedanken, 
besonders am Morgen, hin und wieder Uebelkeit, 
Schwindel, aber kein Erbrechen, auch sogar Anfälle 
wie Ohnmächten und linkseitige Lähmung des 
Augenlides. — Kein Mittel giebt dann Erleichterung, 
wohlthuend ist es nur, wenn Rücken und Leib lang¬ 
sam und leise gerieben wird mit der flachen Hand. 
Mitunter besteht ein heftiger Druck in der Nabel¬ 
gegend, dann aber auch ein Schmerz im Rücken 
an der Wirbelsäule. Am unangenehmsten sind die 
Angstanfälle, die am 6.—9. Tage am heftigsten auf¬ 
traten. Sehr bemerkenswerth sind auch die kleinen 
Flecke am Körper, Armen und Händen, ohne dass 
diese Stellen irgend einem Druck oder Stoss aus¬ 
gesetzt waren. 

Die Kranke litt vor 2 Jahren an einem Band¬ 
wurm, nach dessen Abtreibung eine körperliche 
und psychisohe Frische eintrat, wie sie vorher noch 
nie beobachtet worden war. — Der Bandwmm war 
20—25 Fuss lang, aber der Kopf anscheinend nicht 
mit abgegangen, er wurde nicht gefunden. 

Das völlige Wohlsein währte 3 — 4 Monate. 
Dann traten wieder einige Beschwerden auf, die 
sich von Mal zu Mal gesteigert haben. 

Das Aussehen ist frisch, blühend und jugend¬ 
lich, sowie die Anfälle vorüber sind (wie jetzt seit 
4 Tagen), .ist sie vergnügt, energisch und hat an¬ 
scheinend überhaupt keine Nerven, nur hin und 
wieder tritt ganz plötzlich Kopfschmerz ein, auch 
wohl mal Durchfall, vorübergehend Uebelkeit. Sie 
bewegt sich viel, badet jeden Tag, wird auch am 
Leib galvanisirt mit einem Inductions-Apparat, 
nimmt jeden Abend etwas Rhabarber-Wein, weil er 
ihr angeblich bekommt, und hin und wieder einige 


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Baldrian-Tropfen, Medicamente aller Art haben nach 
den gemachten Beobachtungen mehr geschadet als 
genützt. 

Bezeichnend ist der Schluss des Krankheits- 
berichtes; 

„Jetzt leben wir 12—14 Tage glückselig, meine 
Frau schafft und arbeitet und man kann sich keinen 
normaleren Menschen denken. Nach 10 Tagen ist 
wieder alles vorbei, auch begreiflich, dass hei solchen 
Leiden ein Mensch tief unglücklich wird.“ 

£s handelt sich hier besonders um die Frage» 
können alle Beschwerden auf die Gegenwart einer 
neuen Taenia zurückgeiührt werden? Und im Be¬ 
jahungsfälle : welche Wurm-Kur gewährt die grösste 
Sicherheit? 


Rechnungsablegung. 

An Mitarbeiterhonoraren für den 123. Band 
der Allgemeinen Homöopath. Zeitung sind gütigst 
gestiftet worden: 

1) für das Leipziger homöopathische 
Krankenhaus. 

von Herrn Dr. med. Villers-Dresden . M. 6.40 

„ „ „ „ H. in H. . . . „ 3.60 

„ „ Sanitätsrath Dr. med. Schwei- 

kert-Breslau.„ 1.60 

M. 11.60 

2) für die Wittwenkasse homöopath. 

Aerzte. 

von Herrn Dr. med. Hesse-Hamburg . M. 6.— 

„ ,, Obermedicinalrath Dr. med. 

Sick-Stuttgart.. 9.60 

von Herrn Dr. med. Kafka jr.-Carlsbad „ 3.60 


Uebertrag: M. 19.20- 
von Herrn Dr. med. PrÖll-Gastein . . „ 1.60 

„ „ Apotheker W. Steinmetz- 

Leipzig .. 6.40 

M. 27.20 
+ „ 11.60 
Summa M. 38.80 


Für den Betriebsfond des homöopath. Kranken¬ 
hauses zu Leipzig sind ferner eingegangen in der 
Zeit vom 21/10. 1891 bis 27/1. 1892: 
von Herrn Lehrer Seyffert-Taucha . . M 3.— 

„ „ Dr. med. Villers-Dresden, aus 

der Sparbüchse in seinem Wartezimmer „ 10.98 

vom Säcbs.-Anhalt Verein per 1891/92 „ 50.— 

vom Homöopath. Central verein Deut¬ 
lands per 91/92.„ 500.— 

von Herrn Dr. med Kunkel-Kiel p. 91/92 ,, 100.— 
von Täschner & Co.-Leipzig, aus der 

Sammelbüchse in der Apotheke . . „ 3.14 

von Herrn Dr. W. Schwabe-Leipzig an 
eingegangenen Beiträgen (specificirt 
in der Populären Zeitschrift) . . . w 64.25 

von Herrn Dr. med. Wugk-Königsbg. i/Pr. ,, 24.— 

von Centralvereinsmitgliedern 

16 Jahresbeiträge 6.— „ 96.— 
3 „ „ . 10.- „ 30.- 

M. 881.37 


Für alle diese reichlichen Gaben sage ich im 
Namen des Krankenhauses und der Wittwenkasse 
herzlichsten Dank und bitte auch um ferneres Wohl¬ 
wollen und weitere Zuwendungen. 


William Steinmetz, 

z. Z. Kassen Verwalter. 


ANZEIGEN. 


Der ganze Ertrag (einschliesslich der Druckkosten) 
ist rar das Deutsche Kaiser Friedrich-Kranken¬ 
haus in San Remo bestimmt. 



für 


Gesunde und Kranke, 

die nacb den Wiiiermrten der Retiera reisei 

von 

Dr. Ueorg Heusmann in Hannover. 


Mittheilung. 

Den Herren Aerzten theile ich hierdurch er¬ 
gebenst mit, dass Herr Dr. med. Sorge in Berlin 
die Liebenswürdigkeit gehabt hat, mir auch ein 
kleines Quantum der 

Thiergifte, 

die er in seinem Artikel „Pharmaceutisches“, 
Seite 494 und folgende der Zeitschrift des Berliner 
Vereins Homöopathischer Aerzte X. Band, Heft 5 
und 6, bespricht, zur Verfügung zu stellen, sodass 
ich auch mit Potenzen dieser Mittel dienen kann. 

A. Marggraf s Homöopath. Officin 

in Leipzig. 


■=■ Preis eleg. geh, 1 Mark. — 

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. 

Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stnttgart, Dr. Stlfft-Leipsig und Dr. Haedloke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf b homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Greseatr & Sobramm in Leipzig. 












Leipzig, den 18. Februar 1892. 

ALLGEMEINE 


Band 124. 


No. 7 u. 8. 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

IlERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s Homöopath. Offlein) in Leipzig. 


f/0* Kracheiut töt&gig *u 2 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Bend. Preis 10 U. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Buobhandlnngen und 
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an R. Mosse in Leipzig und dessen Filialen au richten sind, 
werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitzeile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12Jf. berechnet. 

Inhalt: Zar homöopathischen Heilung des Tetanus und Trismus und der Eklampsie der Gehörenden und 
Schwangeren. Von Wenzl Heyberger, ftirstl. Schwarzenberg. Arzt in Protiwin. — Der Suggestionismus und die 
Homöopathie. Von Dr. F. Carl Gerster-München. — 9 Dauernde Heilungen. Von Dr. Lorbacher. — Aue der Praxis 
amerikanischer Collagen. Von Dr. Hesse-Hamburg. — Ein sonderbarer Mahnruf! Von Dr. Lembke-Riga. — Anti- 
pyriniemue Von Dr. Lembke u. Pröll. — Epidemiologische Eoke. — Fragekaeten. — Anzeigen. 


Zur houiöopatliisclieu Heilung des 
Tetanus u. Trismus und der Eklamp¬ 
sie der Gebärenden n. Schwangeren. 

Von Wenzl Heyberger, lürstl. Schwarzenberg. 

Arzt in Protiwin. 

Ueber die Behandlung und Heilung des Tetanus 
und Trismus finden sich in der homöopathischen 
Literatur von mit homöopathischen Mitteln voll¬ 
zogenen Heilungen viele Beispiele, und es dürfte 
kaum einen homöopathischen Arzt geben, der in 
seiner Praxis nicht zufriedenstellende Erfolge erlebt 
hätte. Was und wo wäre die Homöopathie, wenn 
es anders wäre; denn mit den einfachen verdünnten 
Mitteln steht sie in diesen Krankheitsformen einem 
allopathischen Arsenale von Deleterien gegenüber, die 
aber nicht immer das leisten, was man von ihnen 
hofft, und leider verrätherisch oft dem Tode zum 
Siege verhelfen. 

Nun zwar scheint es nach dem oben Gesagten, 
dass es Eulen nach Athen tragen hiesse, wenn man 
noch Mittel zur Heilung jener Krampfformen zu¬ 
trägt; aber es ist dies keine überflüssige Arbeit, 
denn man kann des Guten nie zu viel haben, und 
alle Aerzte sehnen sich nach Specifica, oder was 
denselben doch ähnlich ist, um im Bedarffalle mit 
Zuversicht und soligem Bewusstsein an das Kranken¬ 
lager eilen, um trotz der ungünstigsten Prognose den 
Kranken retten zu können. 

Tetanus - Trismus. 

Marie Kanära, Bauerstochter aus Katsch, ein 
kräftig gebautes, grosses, 21 Jahre altes blondes 


Mädchen, hatte die letzten Tage der Woche fleissig 
gearbeitet, Brod gebacken, Stube und Haus ge¬ 
scheuert, sich dabei erhitzt, und sich barfuss im 
leichtesten Arbeitscostüme eine Erkältung zugezogen. 
Sie klagte über kein Unwohlsein und begab sich 
am 2. Februar in die eine halbe Stunde entfernte 
Kirche und um 11 Uhr nach Hause zurück. Als 
sie nach ein paar Minuten ihre Kleider ablegen 
wollte, wurde sie plötzlich starr und steif wie eine 
Bildsäule, und stürzte dann, jeden Haltes haar zu 
Boden. Die Bewusstlose, steif und starr wie ein 
Brett, wurde zu Bette gebracht. Bei dem gleich 
Nachmittags erfolgten Besuche wurden mir jene 
oben erwähnten anamnestischen Momente mitgo- 
theilt, wie auch, dass die Periode vor 14 Tagen 
normal verlaufen sei. Das Bewusstsein vollkommen 
geschwunden, die Temperatur des Kopfes wenig er¬ 
höht, das Angesicht blass, die Augen beiderseits 
geschlossen, die Iris lichtbraun , die Pupillen 
starr, reagireu nicht; aus dem geschlossenen Munde 
quillt, wenn man d : .e Lippen öffnet, etwas blutiger 
Schleim und Speichel aus der Mundspalte, Kau¬ 
muskel beiderseits hart, Kiefer fest geschlossen, un¬ 
beweglich; die tadellosen Zahnreihen ohne Lücke 
weisen starke Zähne, die fest über einander ge¬ 
bissen sind. Das Heben und Senken des Thorax 
unmerklicb, die Respiration gebt leise und langsam 
von Statten. Der Körper ist kühl anzufühlen. Stuhl 
war früh gewesen; Glieder sind steif, Gelenke 
schwer biegsam. Belebungsversuche, wie Bespritzen 
mit Wasser, Waschen mit Wasser und Essig, 
Frottirungen wurden gleich von den Angehörigen 
reichlich, aber ohne Erfolg angewendet; sie 

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wussten, dass sie noch lebe, aber erwarteten resig- 
nirt das Ende. 

Das Hinderlichste war, dass auf gewöhnlichem 
Wege ein Medicament nicht beizubringen war. Aach 
Hoffmannstropfen, die ihr eine Freundin anfänglich 
durch die Zähne einflösste, kamen mit dem Speichel 
wieder zurück. 

Es wurden sofort kalte Umschläge auf den 
Kopf, Krenteige auf die Waden und Fusssohlen und 
auf den Nacken zwischen den Schulterblättern an¬ 
geordnet. Für innerlich Pulver mit Aconit 2. und 
Atropin 2. (Centesim. oder Dezim.?! Die Red.), 
jedes für sich, alle Stunden abwechselnd, immer ein 
Pulver in beide innere Wangenflächen einzureiben, 
angeordnet. 

Am 3./2. Die Körperwärme ist etwas gestiegen, 
der Puls, der gestern matt, 50 zählte, hat sich auf 
Ö5 gehoben. Die Extremitäten geschmeidiger, die 
Muskeln bieten nicht mehr die hölzerne Härte; doch 
die Besinnungslosigkeit-, der Trismus fortbestehend. 
Zum Versuch, ob denn die Unempfindlichkeit so 
unüberwindbar sei, wurden, nachdem Rieclimittel 
erfolglos, frisch geriebener Kren vor die Nase ge¬ 
halten, darnach die Patientin mit den Augenlidern 
zuckte, und später den Kopf aus dem Bereiche der 
Kreninhalation zu wenden versuchte. So unangenehm 
dieses Experiment für die Patientin schien, so freudig 
waren diese Belebungszeichen für die Eltern, welche 
wieder Muth und Hoffnung schöpften, dass ihre 
Tochter erhalten werden dürfte. Nun kam aber 
noch die Frage in Botracht, ob sie nicht in Folge 
des Sturzes bei dem Anfalle eine Commotio cerebri 
erlitten? Die Beschaffenheit der Gehirnsymptome 
konnte nicht ignorirt werden, daher Grund genug, 
auf dieses einzugehen; so wurde Arnica 3. im 
Wechsel mit Cantharis 3., da seit 24 Stunden kein 
Harn entleert wurde, obwohl die Blase nicht an¬ 
gefüllt war, alle 2 Stunden im Wechsel gegeben; 
d. h. wie zuvor eingerieben. 

Am 4./2. war die Bewusstlosigkeit so weit ge¬ 
ringer, dass Patientin die Augen öffnete, zeitweise 
offen hielt, durch Zuwinken und Schliessen ihrer 
Augenlider zu erkennen gab, was sie wollte. Das 
Hörvermögen war zurückgekehrt, sie hörte; doch 
der Trismus, der Klamm der Glieder hielt noch an. 
Harn ging unwillkürlich ab. Puls 70. Am Abend 
wurde Bell. 2. 4 Pulver und Zinc. met. 2. ebenfalls 
4 Pulver auf die Weise der Vorigen in Abwechs¬ 
lung alle 2 Stunden eins eingerieben. Nach der 
zweiten Gabe von Zincum liess der Trismus und 
Klamm der Glieder nach, sie konnte sich schon 
bewegen, den Mund behutsam öffnen, ihren Durst 
mit Milch stillen, was ich für diesen Fall zugleich 
auch als Nahrungsmittel empfahl. 

Am 5. wurden die Mittel wiederholt; Sprache, 
besseres Bewusstsein, zum Theil ungehindertes 
Oeffnen des Mundes möglich. Doch äusserten sich 


jetzt die Folgen des stattgehabten Krampfes, die 
das ergriffen gewesene Organ des Gehirns betrafen 
und sich in lästigen, dumpfdrückenden Kopf¬ 
schmerzen in der Stirne, im Scheitel, im Hinterhaupte 
kuudgaben. Ja, vom 8.—11./2., mit Delirien ver¬ 
bunden, schien ein Typhus versatilis in Aussicht, 
doch Rhus 3. im Wechsel mit Zinc. 4., welche 
ich nicht mehr ausser Acht liess, und welche jetzt 
per viam naturalem passiren konnten, vereitelten 
dies. Der Zustand besserte sich so, dass am 15./2. 
die letzte Ordination dispensirt wurde. Die Re- 
convalescenz folgte rasch, und die Genesene ist 
bisher gesund verblieben. 

2. Eklampsia post partum , et gravidarum. 

0. Wielobieky hat in Rückerts klin. Erfahrungen 
2 Heilungen, eine mit Cicut. viros., die andere mit 
Nux vom. in dieser unglücklichsten aller Krank¬ 
heiten verzeichnet, und läth nach den Symptomen 
z. B. bei Plethora indicirte Specifica, Nux bei Torpor 
des Unterleibes, Aconit, bei trockener, heisser Haut; 
Cbamomill. bei Flatus, Diarrhoe, Tenesmus; Merc., 
Hyosciam., Pulsatilla bei Kälte, bleichem Aussehen, 
klebrigem Schweisse wie bei Asphyxie; Bell., wo 
die Gesichtsfarbe fahl und dunkelroth wechselt; 
Opium bei Stupor und rasselndem Athmen; Hyos- 
ciatnus bei übermässiger Gefässthätigkeit, Secale 
und Pulsatilla, wo wenig Erregbarkeit des Uterus 
vorhanden; kaltes Waschen der Hände, des Gesichts 
während des Anfalles. Haben die Mittel Erfolg, 
lege man der Natur nichts mehr in den Weg; 
dabei duukles Zimmer und Entfernung jedes Ge¬ 
räusches. Doch schliesslich mahnt Wielobieky 
dringend zum Studium specifischer Mittel. 

Nach Jahr Cyclamen, Ignatia, Platina, Stramon. 

In anderen Werken sind die und andere Mittel 
im Allgemeinen benannt gegen Krämpfe und Con- 
vulsionen, ohne besondere Rücksichtsnahme auf die zu 
bekämpfende Krankheitsform, so dass es oft scheint. 

I dass sie als gute Rathschläge vom Schreibtische 
ausgehen. Viele Mittel — schwere Wahl! In der 
Allopathie geht es zielbewusst schneller; Kalium 
bromatum — Chloralhydrat, innerlich und in Injec- 
tion, Cblorofovmnarko8e oder Inhalation vom Amyl- 
nitrit, Venäsection bei Plethora und — Finis! — 

Diese Krankheit gehört zu den schlimmsten, da 
meist 2 Menschenleben verloren gehen, drei Viertel 
der Frauen sterben unter den Anfällen und ein 
Viertel erliegt den Nachkrankheiten; wie angenehm 
ist es, Arzt zu sein! Schon Boer hielt jede Medi- 
cation für ungenügend. Es ist auch bisher vor 
der Anamnese die Prognosis infaustissima voran¬ 
gestellt worden, und nicht ohne Grund; denn büsste 
nicht vor kurzer Zeit eine Kronprinzessin, die 
Tochter eines der mächtigsten Herrscher und Reiche 
auch ihr junges, glückverheissendes Leben dabei 
ein? — 




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51 


Eine kurze Definition dieser Krankheit kann 
hier Platz finden. 

Unter Eklampsie gravidarum et puerperalis ver¬ 
steht man diejenigen nach der ersten Hälfte*) der 
Schwangerschaft, vor, während oder kurz nach der 
Geburt auftretenden Anfälle von allgemeinen Con- 
vulsionen der willkürlichen Muskeln, welche von 
vollständiger Bewusstlosigkeit begleitet sind, dem 
Coma folgt, und welche in immer kürzeren Inter¬ 
vallen in derselben Ordnung sich erneuen, und in 
z. Th. noch ganz unbekannten, im graviden oder 
puerperalen Zustande eintretenden ursächlichen 
Momenten ihren Grund haben. — 

Selten kommt die Krankheit vor; selbst der 
Gefertigte sah sie in seiner bald 30 jährigen Praxis 
bei so viel geburtshilflichen Fällen fast nie und 
dachte, das Schicksal wird es dabei bewendep lassen. 
Doch es scheint auch ein Agens in der allgemeinen 
Constitution zu liegen; denn vor kaum einem Jahre 
ereignete sich ein Fall bei einer 20jäbrigen Gravida 
im 6. Monate, dann im Anfänge des Fi übjahrs 2 
Fälle beide multipara, vor und nach d^r Geburt, 
die mein allopath. College behandelte, alle nahmen 
ein schnelles Ende. Im August v. J. übernahm ich 
den ersten Fall einer Multipara gleich nach der 
Geburt, und im Monate November darauf den 
zweiten Fall bei einer Gravida im 6. Monate, die 
beide gerettet wurden. 

Bei der Ersten im Vorjahre wurde ich bloss 
consultirt und sah die Kranke nicht, die Hilfe wäre 
so wie so wegen der Entfernung zu spät gekommen. 
Der Mann der Kranken, ein Häusler aus einem ent¬ 
fernten Dorfe ein gewisser Bizinger kam., nachdem 
er zuvor erst Hebammen berufen, welche ihn end¬ 
lich an einen Arzt wiesen, Vormittags um ärztlichen 
Rath, indem sein junges Weib im 6. Monate schwanger 
vor Mitternacht erwachte, und darauf die Epilepsie 
bekommen habe. Nach Mittheilung der Art und 
Weise dieser seinsollenden Epilepsie, machte ich den 
Mann mit dem wahren Sachverhalte bekannt, gab 
ihm 10 Stück Pulver mit Atropin alle 2 Stunde 
1 Stück in die Wangen einzureiben. Abends kam 
ein Bote, dass es besser gehe, die Anfälle seltener 
kämen, und er daher um andere Pulver bitte, da 
diese bald zu Ende wären. Mit Freude folgte ich 
dieser Aufforderung, und wiederholte dieselbe Or¬ 
dination. Die Frau starb aber nach Mitternacht, die 
Hilfe kam zu spät. 

Ursache und Wesen der Eklampsie ist noch nicht 
aufgeklärt, da die Sectionsbefunde keinen Auf¬ 
schluss geben, und nur die durch die Krämpfe ver- 
anlassten pathologischen Veränderungen, wie Hyper- 
aemie, seröse Exsudate im Gehirn, Apoplexien, 
Lungenödem. Peritonitis, Metritis, bisweilen auch 

*) Man hat sie auch bereits in der 6. Woche der 
Schwangerschaft au (treten 9ehen. Die Red. 


Morbus Brigthii ergeben. Aber soviel scheint 
sicher, dass einestheils dieselbe in der durch die 
Gravidität veränderten Blutmasse, und anderntheils 
auf einer alienirten Function der Nieren beruht, in¬ 
dem die Nieren nicht alle schädlichen Stoffe aus- 
scheiden, und so jener Giftstoff (Harnstoff?) im Blut¬ 
kreislauf verharrt, der diese Krampfform zu erregen 
scheint*). 

Zur Vorbauung wurden daher auch obiger An¬ 
sicht gemäss von Wielobieky und anderen, auch von 
den Allopathen warme Bäder, diätetische, selbst 
Arzneimittel angewendet, die eine grössere Harn- 
secretion bezwecken. 

a) Eklampsia post partum. 

Am 2. August v. J. Nachts berichtete die Hebamme 
M. Novak, dass unsere Nachbarin Bürgerin Frau 
A. Pexider von einem gesunden Knaben glücklich 
entbunden, aber Schmerz im Bauche habe, und um 
ein Mittel bitte. Ich gab ihr Pulsatilla und Nux, 
falls das erste nicht helfen sollte. Nach einer Stunde 
jedoch kam der Gatte selbst, mit dem Bescheide, 
dass die Schmerzen heftiger seien. Ich begab mich 
sofort zu der Kranken und fand heftig schmerzhafte 
zusammenziehende mit Brennen verbundene Magen¬ 
krämpfe vor, mit hoher schmerzhafter Empfindung 
beim leisen Drucke auf die Magengegend. Bei der 
weiter vorgenommenen Untersuchung des Uterus, 
der Placenta, des Kindes, war alles im normalen 
Stande. Die angebliche Ursache wurde einer spät 
Abends vor der Entbindung genossenen Eierspeise 
zugeschrieben. Ich gab 10 Stück Pulver Atropin 5., 
zweistündlich eins, und da man auch eine Einreibung 
wünschte, so folgte ich ihr 01. Hyosciami aus, die 
schmerzhafte Magengegend einzureiben. Pulsatilla 
batte sie früher bekommen, aber Nux nicht einge¬ 
nommen. Die Nacht wurde nicht weiter gestört. 

Die Wöchnerin hat mit den gegenwärtigen sechs 
Kinder zumeist Mädchen geboren, ist gut situirt, 
von grösserm Körper wüchse, mehr schlank gebaut, 
Blondine mit blauen Augen, hatte einmal einen 
Abortus und einmal nach einer Entbindung eine 
Metrorrhagie durchgemacbt und leidetöfteran Rheuma¬ 
tismen, sonst im Ganzen gesund; beide Eltern alt, 
ihre Schwester starb an Eklampsie während der 
Entbindung; sie steht in ihrem 30. Jahre. Nach¬ 
mittags und Abends hielt sie sich in ihrem Garten 
auf, der am Flusse liegt, und da dürfte sie sich eine 
Verkühlung zugezogen haben. 


*) Diese Frerichssche Theorie erklärt nicht alle Fälle 
von Eklampsie, ebenso wenig wie die Hypothese von 
Traube-Rosenstein; doch aber findet man nach neueren 
Untersuchungen (Löhlein) fast mallen Fällen eine mangel¬ 
hafte Hnrnexcretion, so dass man doch fär die Mehr¬ 
zahl eine Ueberladung des Blutes mit efcremehtiillen 
.Stoffen als Ursache für die eklamptischen Erscheinungen 
aussprechen darf. Die Red. 

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52 


Am 3./8. früh besuchte ich sie wieder; die 
Schmerzen beseitigte schon das zweite Pulver, und 
so schlief sie ruhig mit einigen Unterbrechungen 
bis zu meinem Besuche. Die Magengegend nicht 
mehr empfindlich, Uterus zusammengezogen, gut 
gelagert, Lochien mässig fliessend, Puls 80, die 
Haut zur Transpiration geneigt, Milchbrüste füllen 
sich; sie hatte übeThaupt immer etwas mit Milch¬ 
mangel zu kämpfen. Die Untersuchung nahm ich 
strenger vor, da ich eine Reise zur Patientin zu 
machen hatte, die mich wenigstens 5 Stunden vom 
Hause entfernten. Ich biess ihr, die Alropinpulver 
noch weiter in längeren Pausen fori zu nehmen und 
trat meine Reise an. 

Um etwa 1 Uhr Nachmittags zurückgekebrt, 
wurde mir die überraschende Kunde, dass bei der 
Nachbarin um 9 Uhr Vormittags plötzlich Krämpfe 
ausgebrochen seien, dass man den allopathischen 
Collegen holen lassen musste, und dessen Bemühen 
sei bi8 jetzt ohne Erfolg geblieben; ich werde daher 
sehnliche erwartet. Ich begab mich sofort dahin, 
wo eben der College anwesend war und mir mit¬ 
theilte, dass er der Patientin Kali bromat. in SolutioD, 
jedoch ohne Erfolg gegeben. Es war gerade ein 
Anfall vorüber und die Patientin in tiefem Corna, 
die Kiefer krampfhaft geschlossen. Da sie Lücken 
in den Zahnreihen hatte, so dachte ich mir, dass 
man ein Medicament leichter einbringen könne. Ich 
untersuchte den Unterleib; der Uterus ausgedehnt 
wie bei innerer Metrorrhagie, so dass ich wirklich 
die Ursache der Krämpfe diesem Umstande zu* 
schreiben zu dürfen glaubte. Der Uterus wurde 
durch Kneten und Reiben zur Zusaminenziehung 
und in seine Lage gebracht. Ich gab sofort Plat. 3 , 
doch halfen mir die Zahnlücken nichts, da anstatt 
zu schlingen (wegen inneren Krampfes) Stickanfälle 
erregt wurden Nun schien die Patientin zu er¬ 
wachen, sie stöhnte laut auf, warf sich unruhig auf 
die linke Seite, das bleiche Gesicht wurde roth, die 
Gesichtszüge änderten sich, die Augenlider in raschem 
Wechsel geöffnet und geschlossen, der Bulbus hin- 
und hergerollt, endlich starr nach oben gerichtet, 
Pupillen erweitert, unempfindlich, der Mund ver¬ 
zogen, die Kiefer fest geschlossen, der Kopf tetanisch 
zur linken Seite gedreht, sobald der ganze Körper 
zur linken Seite gedreht wurde. Die Arme und 
Beine werden hin* und hergeschleudert, dann wieder 
im tonischen Krampf gestreckt, das Gesicht strotzend, 
dunkel gerötbet, Puls klein frequent. Der Atbem 
wurde stockend, die im Rachen angesamraelten 
Schleimmassen verursachten Rasseln und Röcheln; 
das Bewusstsein war vom Beginne des Anfalles an 
vollkommen aufgehoben. Das Merkwürdigste war, 
da ich den Uterus in seiner Lage erhalten wollte, 
das Schlagen, ja Schleudern dieses Organs gegen 
die Bauchwand mit einer solchen Vehemenz, dass 
ich das Aergste befürchtete und kaum die StÖsse 


mit der Hand aufhalten konnte. Sie stimmten zum 
Theil mit den durchzuckenden, wie electrischen, Er¬ 
schütterungen des Körpers überein. Dieses Spiel 
dauerte einige Minuten, endlich liess der Sturm 
nach, die Convulsionen nahmen allmählich ab, die 
Lider schlossen sich, dem Munde entquoll blutiger 
Schleim, der Athem wurde ruhiger, der Puls hob 
sich, wurde ruhiger, die Haut transpirirte und die 
Kranke verfiel in tiefen Schlaf. 

Nachdem der Uterus zur Zusammenziehung ge¬ 
bracht, fand ich auch bemüssigt, denselben zu com- 
primiren und in seiner Lage zu erhalten. Eine 
mehrfach zusammengelegte Serviette als Compresse, 
ein Zinnteller darüber, wurde mit einer Bauchbinde 
besten sbefestigt; Krenteige an die Waden und Fuss- 
soblen applicirt, kalte Umschläge über den Kopf 
fortgesetzt. Mein Herr College empfahl sich nach 
diesem erneuten Anfall, sich zu Diensten stellend, 
wenn ich ihn benöthigen sollte, und war froh, von 
sich die Last zu wälzen. Nun kam das Martyrium 
der Therapie gegen eine Krankheit, die meist nur 
mit dem Tode endet! Atropin hatte also den Aus¬ 
bruch nicht verhindern können, wiederholte Platina 
änderte gar nichts; nun wurde nach einander Gel- 
semium 2., Zincum oxydat 2., Hyoscium 2., Bell. 2., 
Canthar. 3., in die Wangenflächen eingerieben, da 
es wegen der Schlundkrämpfe mit dem Schlingen 
nicht ging. So oft sich der Anfall erneute, glaubte 
ich und fast mit Recht, dass das angewandte Mittel 
nicht entsprach; den schon erprobten Mitteln Cicut. 
viros., Nux vom. entsprachen die Symptome nicht. 
Die Anfälle kamen halbstündlich. Ja Specifica! 
Wielobieky hat Recht, sucht Specifica. Es war 
gegen Abend wieder ein heftiger Anfall eingetreten, 
mit jeder halben Stunde wächst die Gefahr, dass 
es der letzte sei! — Zum Glück fiel mir das vor 
Monaten sich im Starrkrampf und Trismus be¬ 
währte Zincum metallic. ein. Ich gab es als Letztes 
und zwar Zinc. metall. 2., und in Anbetracht der 
jedenfalls ergriffenen Beckenorgane mit Bell. 2. im 
Wechsel als Wangeneinreibung, halbstündlich. 
Aeusserst spannend war es, als seit l 1 ^ Stunden 
kein Anfall kam. Endlich um 10 Uhr Abends folgte 
ein kurzer, schwächerer, es war der Letztei Die 
Nacht verlief ruhig, Bell. 2. und Zinc. met. 2. 
2 stündlich fortgesetzt und eingenommen. 

Am 4. wurde die Bandage entfernt, Uterus in 
normaler Lage, Lochien gut, doch ist die Patieutin 
noch betäubt, wie trunken vom Schlafe, weiss von 
nichts, sieht sich manchmal blöde ihre Umgebung 
an, wie wenn sie am fremden Orte wäre, und fühlt 
Schmerzen der Zunge, welche sich bei Besichtigung 
vielfach eingebissen zeigte. Es wurde Tinct. arnica 
verordnet. Innerlich Bell 3. und Zinc. metall. 4. 
fortgesetzt. 

Am 5. plötzlich heftige Bauchschmerzen, wie 
Nachwehen von kurzer Dauer, bis 2 Stück Pulver 


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53 


Chamom. 2. der Kolik eiu Ende machten. Sonst 
Bell, und Zinc. wie oben lortgesetzt. 

Am 6. heftiger halbseitiger Kopfschmerz. 

Am 7. Derselbe minder heftig, noch sehr be¬ 
lästigend; es vermehrt sich die Transpiration, die 
bis nun darnieder lag. 

Am 8. reichlicher Schweiss. 

Am 9. ist endlich das Sensorium frei. Die 
Kranke befindet sich wohl, ist munter, an allem 
tbeilnehmend, doch keine Erinnerung an das Vor¬ 
gefallene. 

Gegen die obigen Nach wehen der Krankheit 
wurde kein anderes Mittel genommen, sondern bis zu 
Ende der Krankheit Zinc. und Bell, gegeben, welche 
allen diesen Nachfolgen genügten. Das Ruhebett 
verlief ohne alle Störung; Mutter und Knabe sind 
gesund bis zum heutigen Tage. 

Aus diesen überraschenden, fast verblüffenden 
Erfolgen bei einer so traditionell als höchst lebens¬ 
gefährlich geltenden, bisher äusserst selten geheilten 
Krankheitsform, erhoffte ich nach dem vorher er¬ 
wähnten, seltenen Vorkommen, keinen 'allgemeinen 
Nutzen, da die Bestätigung der Wirkung und Be¬ 
seitigung jedes Zweifels nicht so bald, vielleicht 
nicht mehr sich ergeben dürfte. Ich erschrak ordent¬ 
lich, als am 24. November v. J. früh Josef Bartos 
eilends zu mir kam. 

b) Eklampsia gravidarum. 

Josef Bartos ist ein jugendlicher Arbeiter uud 
bat mich flehentlich, sein Weib zu besuchen, wel¬ 
ches im 6. Monate zum ersten Male schwanger sei, 
in Fraisen (Krämpfen) bewusstlos darniederliege, 
der erste Anfall sei nach Mitternacht gekommen, 
habe sich dann nach 2 Stunden und jetzt wiederholt. 
Er eilte fort; ich folgte demselben mit gemischten 
Gefühlen. Ich war froh, ein Heilmittel zu besitzen, 
aber konnte es nicht wie andere sein, die durch 
verschiedene Umstände und Zufälle sich einmal 
heilsam erwiesen, und beim nächsten Falle im 
Stiche lassen? Nun, die Probe stand bevor. 

Bei meinem Eintritt war gerade ein Anfall nach 
den Symptomen auf seiner Höhe angelaugt. Das 
glühend rothe Gesicht, die verdrehten, starren Bulbi, 
das Winden und Verdrehen des ganzen Stammes 
nach rechts, die durchzuckenden Stösse, die ge¬ 
schlossenen Kiefer, abwechselnd clonischeund tonische 
Krämpfe der Extremitäten, die vollkommene Be¬ 
wusstlosigkeit, das Herauspressen des Unterleibes, 
der steckende Athem mit Rasseln — das ganze 
Symptomenbild der vorher beobachteten Kranken! 
Auch hier nahmen die Krämpfe nach und nach 
ab, aus dem Munde kam schaumiger Schleim mit 
Blut gemischt, das Gesicht erbleichte, uud wie er¬ 
müdet von übergrosser Anstrengung veisank die 
Patientin in nicht zu erweckenden tiefen Schlaf. 


Die Kranke, eine dunkle Blondine über Mittel¬ 
grösse, gut und stark gebaut, mit braunen Augen, 
24 Jahre alt, war stets gesund, dabei abgehärtet, 
seit einem Jahr verheiratet. Als ätiologisches Moment 
kann ebenfalls Verkühlung bei Arbeit im Wasser 
angenommen werden. 

Ableitende Krenteige auf Waden, Fusssohlen, 
zwischen den Schultern am Nacken, kalte Umschläge 
auf den Kopf wurden sofort angeordnet, und indessen 
die Arznei bereitet. Da die Kranke meist ohne 
Bewusstsein die starken guten Zahnreihen fest ge¬ 
schlossen hatte, so wurden auch einstweilen bis zum 
wiederkehrenden Schlingvermögen hier die Pulver 
je eines in beide Wangenflächen trocken eingerieben. 
Mit mehr Hoffnung und Vertrauen nach den Er¬ 
fahrungen bei dem vorangegangenen Falle gab ich 
zuerst Zinc. met. 2. und Bell. 2. in Milohzucker- 
pulvern von jedem 5 Stück und Hess dann in Ab¬ 
wechslung Anfangs halbstündlich, dann stündlich, 
später 2 stündlich eins einreiben oder bei zurück¬ 
gekehrtem Schlingvermögen einnehmen. Nach einem 
starken wie oben beschriebenen Anfalle trat eine 
lange Pause ein, dem folgten noch einige schwächere 
und schwächere, einem Gliederausstrecken ähnlich, 
in immer längeren Intervallen. Vor Mitternacht 
war das letzte Ausstrecken. Die Kranke schlief, 
erwachte oft, erst gegen Morgen mehrstündiger, 
ruhiger Schlaf. 

Am 25./11. Krämpfe nicht mehr erschienen. 
Nach den sich jetzt darbietenden sensoriellen Stör¬ 
ungen liess sich erst die ganze Schwere der Krank¬ 
heit beurtheilen. Patientin liegt mit geröth^tom 
Gesicht lächelnd im Bett, ohne von dem Vorge¬ 
gangenen zu wissen, noch jetzt ihren Zustand zu 
erkennen, ist blöde, betäubt wie betrunken, erkennt 
wohl Personen, aber unsicher, lacht laut auf, dabei 
Klage über Kopfeingenommenheit und allgemeinen 
Kopfschmerz, glaubt nicht zu Hause zu sein und 
ärgert sich, dass sie die Wohnung so verhunzt 
hätten. Ordination, kalte Umschläge auf den Kopf, 
Beilad. 3. und Zinc. metal. 4. alle 2 Stunden im 
Wechsel. 

Am 2*>. Die Nacht und Schlaf war ruhiger und 
besser als die vorhergegangene; die Haut tratis- 
pirirt mehr, das Erkennungsvermögen besser, aber 
sie sieht alle näheren Gegenstände abwechselnd 2 fach 
und 3 fach, die entfernteren Gegenstände Thiire, 
Ofen, Kleiderkasten verschoben, wie zum Fallen. 
Ordination dieselbe. 

Am 27. Gute Nacht und Schlaf, gutes Allgemein¬ 
befinden, Stuhl und Harn in Ordnung. Nur die 
optischen Symptome wohl minder aber noch fort¬ 
bestehend, sie erschrickt leicht, sieht beim Auf¬ 
sitzen noch immer den Deckebalken des Plafonds 
hängend und schwebend, den Ofen, die Thür, den 
Kleiderschrank schief gestellt; aber sie glaubt es, 


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54 


das6 sie von der Krankheit so sohlecht sehe y and 
besteht auch nicht auf ihrer Meinung. 

Am 28. Guter Schlaf, ist heiter, macht Ver¬ 
suche zum Aufstehen und Gehen, was aber nicht 
ganz gelingt. Das Schiefstehensehen der Möbel ist 
minder, da sie früher dieselben zum Fallen bereit 
sah, so wie sie auch beim Tieferliegen des Kopfes 
oder Rückwärtsbeugen desselben, rücklings in einen 
Abgrund zu stürzen fürchtete. Dieselbe Ordination 
fortgesetzt. 

Am 29. Güter Schlaf, reichlicher Schweiss, 
fühlt die Glieder matt, wie zerschlagen (wieder- 
kehrendes Gefühl), sonst aber munter, sie scheint 
sich in der Wohnung zu orientiren. 

Am 30. Allgemeine Besserung, sie ist endlich 
„däheiüi", sieht alles in gerader Ordnung und Stel¬ 
lung wie früher. 

Am 1./12. Fühlt sich kräftiger gegen die vorigen 
Tage, Gehen geht gut Letzte Ordination. Von da 
ab fortschreitende Besserung. 

Nachschrift. 

Vom 1. December an ging die Genesung gut 
von Statten, auch schien der Verlauf der Schwanger¬ 
schaft nicht gestört worden zu sein, nur bemerkte 
die Genesende, dass die Kindesbewegungen weit 
schwächer waren, was mit Beginn des 7. Monats 
noch auffälliger, aber bei dem sonst guten All¬ 
gemeinbefinden nicht mehr beachtet wurde. Am 
21. December traten Wehen ein, die sich aber bald 
beruhigten. Am 24- erschienen sie wieder, hielten 
mit Unterbrechungen je weiter je länger an, bis 
am 25. um 5 Uhr morgens die Frühgebuit eines 
7 monatlichen todten Mädchens erfolgte. 

Nach dem Aussehen der Leiche konnte ange¬ 
nommen werden, dass schon der Tod vor mehreren 
Tagen eingetreten war. 

Die protrahirte Geburtsperiode hatte die Wöch¬ 
nerin sehr mitgenommen, so dass sie die ersten 7 
Tage über bedeutende Schwäche klagte; sie erholte 
sich jedoch nach diesen und ist jetzt wieder voll¬ 
kommen gesund. 

Es scheint somit ein Specificum oder eine spe- 
cißsche Methode gegen diese furchtbare Krankheits- 
form, wie es die Eklampsie ist, gefunden zu sein, 
und dass die Homöopathie selbes als ein ihr eigenes, 
unveiäusserliches Monopol benennen könne. 

Das specifische Mittel ist Zincum metallioum 
2.—4. Nach seinen physiologischen Eigenschaften 
und bisherigen practischen Verwendung ist es ein 
als primae classis bekanntes Gehirn- und Nerven¬ 
mittel, so wie seine Wirkung auf die Function der 
Nieren zu schätzen ist. Es ist auch für Krämpfe, 
Convulsionen im Allgemeinen, besonders von Hirschei 
bei Eklampsie der Kinder, selbst im Wechsel mit 
Moschus, dann beim Veitstanz, mit Bemerkung in 
grosser Schrift bezeichnet; in anderen Werken wird 


das Mittel oder die Krankheit selbst übergangen. 
Dass Zinc. met. in Abwechslung mit Bell, gegeben 
wurde, macht demselben keinen Eintrag, da Bella¬ 
donna und ihr Alcalöid wiederholt sich unwirksam 
zeigten. Aber in Abwechslung konnte sie die Wir¬ 
kung des Zinc. erhöhen, als eie Congestionen und 
Hyperämieen milderte und verhinderte, Und so einen 
glatten Verlauf mit kurzer Dauer und uhgettÜbter 
Genesung im Vereine herbeiführte. Ich erinnere 
nur an die Fölgekrankheiten, die nach UnterdrÜbkung 
der Krämpfe sich einzustellen pflegen; es sind 
sichere Puerperalerkrankungen, Entzündungen, Apo¬ 
plexien, welche das Leben ernst bedröhen und nach 
dem Scheinbaren Siege mit langwierigen Leiden 
oder dem Tode enden. 


Der Suggestionisnms und die Homöo¬ 
pathie. 

Von Dr. F. Carl Gerster in München. 

Der in Nr. 1 und 2 der Allg. Hom. Zeitg. ab¬ 
gedruckte Vortrag, den Herr Coli. Dr. A. Pfänder 
in der Herbstversammlung der homöopatb. Aerzte 
der Schweiz am 1. Nov. 1891 über „ Suggestion 
und Homöopathie“ gehalten hat, bringt zum ersten 
Mal in homöopath. Blättern ein Thema zu ein¬ 
gehender öffentlicher Discu?sion, das für die ge- 
sammte ärztliche Therapie, namentlich aber für die 
homöopathische, von höchster Bedeutung ist. 

Wenn ich zu dem Pfander’schen Vortrag das 
Wort ergreife, so glaube ich durch mehrjährige 
theoretische und praktische Studien auf dem Ge¬ 
biete der Suggestionslehre hierzu berechtigt zu sein. 
Obscbon nicht homöopathischer Arzt, sondern einem 
ärztlichen Eklecticismus huldigend, stehe ich doch 
(oder vielleicht gerade deshalb) der Homöopathie 
wie jeder anderen therapeutischen Methode voll¬ 
kommen vorurteilsfrei und objectiv gegenüber. 
Durch meinen Vater, einen in weitesten Kreisen 
bekannten Homöopathen, lernte ich die Homöopathie 
kennen, und wenn ich bei ihrer praktischen Erprobung 
meine anfänglichen Anschauungen allmählig bedeutend 
modificirte, ist daran meine Beschäftigung mit dem 
Suggestionismus schuld. Ich behalte mir vor, die 
Beziehungen des Suggestionismus zur gesamuiten 
ärztlichen Therapie, d. b. zu sämmtlieheU Heil¬ 
methoden, in einer von mir begonnenen grösseren 
Schrift eingehend zu beleuchten und beschränke 
mich hier auf Kritik des Pfanderschen Vortrags, 
dem Herrn Collegen darin vollkommen beistimmend, 
dass es für das Ansehen der Homöopathie und für 
die überzeugende Wirkung homöopath. Kranken¬ 
geschichten nur von Vortheil sein kann, wenn ge¬ 
hörige Kritik geübt wird. 


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Utp onomatologiscbe Missverständnisse von vorn¬ 
herein auszuschlossen, erkläre ich offen, dass ich 
die Namen „Homöopathie“ und „Allopathie“ für 
unglücklich gewählte halte, da sie das keineswegs 
decken, was sie sagen wollen. Wenn ich sie an¬ 
wende, folge ich lediglich dem Sprachgebrauch. 
Unter dem Ausdruck „Suggestionismus“ verstehe 
ich mit Schmidkunz*), dem wir das erste um¬ 
fassende deutsche Werk über dieses Thema ver¬ 
danken, „in objectivem Sinn den Inbegriff aller 
zur Suggestion gehörigen Erscheinungen, in subjec- 
tivem Sinn das systematische Wissen um diese Er¬ 
scheinungen“. Da Pfänder in seinem Vortrag nur 
von Suggestion spricht, giebt er zu dem Ein^vurf 
Anlass, dass er das Thema einseitig beleuchtet, in¬ 
dem er bloss die verbale (persönliche) Fremdsug¬ 
gestion und die Autosuggestion als massgebend be¬ 
trachtet Das eigentlich Wirksame bei der gewöhn¬ 
lich mit dem allgemeinen Namen Suggestion belegten 
Einwirkung ist keineswegs die Allosuggestion (Fremd- 
suggestion) an sich, sondern der Uebergang der 
Allosuggestion in Autosuggestion , der bei verscbie 
denen Menschen verschieden intensiv und verschieden 
rasch vor sich gebt. Je nachdem geringe oder 
hohe Suggestibilität vorhanden ist (Allosuggestibilität 
und Autosuggestibüität), wird eine Person mehr 
von den ad hoc beigebrachten oder von den au- 
tocb^hon entstandenen Vorstellungen und Associa¬ 
tionen in ihrem Thun und Lassen bestimmt werden. 

An die Spitze meiner kritischen Beleuchtung der 
Ausführungen Pfanders stelle ich den Satz: Keine 
Therapie ohne Suggestionismus. Bei jeder thera¬ 
peutischen Einwirkung, nenne man sie Allopathie, 
Homöopathie, Hydropathie, Klimatotherapie, Electro- 
therapie oder wie immer, wird in Zukunft der 
Arzt neben der Beurtbeilung des gesammten Krank¬ 
heitszustandes die psychische Persönlichkeit seiner 
Patienten berücksichtigen müssen. Die Psychologie 
bei der Therapie haben zwar die Homöopathen längst 
berücksichtigt, und es sticht hierdurch (sowie durch 
eine sorgfältige Diätetik bei jeder Kur) ihr ärzt¬ 
liches Tbun sehr vorteilhaft von „schi^lmedi- 
cinischer“ Pharmakotherapie ab. Die Psychologie, 
wie sie zur Zeit Hahnemann's bis vor wenigen Jahr¬ 
zehnten gelehrt wurde, die wir eine „affective“ 
rennen können, macht nun einer völlig neuen An¬ 
schauung Platz und es werden alle Aerzte, die nicht 
den „Anschluss“ an die moderne suggestionische 
Psychologie versäumen wollen, gut thun, sich bei 
Zeiten mit derselben vertraut zu machen. Sämrot- 
liche Krankengeschichten, speciell aber alle Arznei- 

*) Psychologie der Suggestion . Von Dr. Hans Schmid¬ 
kunz, Privatdocent der Philosophie an der Universität 
in München. Mit ärztlich-psychologischen Ergänzungen 
von Dr. phil. et med. Franz Carl Grerstev, praktischer 
Ar*t in München. Stuttgart, Verlag von Ferdinand 
Enke, im. 


kuren, voran die homöppathischen, werden schop 
bei ihrem Erscheinen Makulatur, wenn sie nicht 
entweder den Ausschluss oder die Mitwirkung der 
Suggestion bei ihren therapeutischen Erfolgen deut¬ 
lich darzuthun vermögen. Ich werde in Nachfol¬ 
gendem nach weisen, dass auch die api Schlüsse des 
Pfander’schen Vortrages uls Beweise reiner Arznei¬ 
mittelwirkung angeführten Krankengeschichten dem 
Kenner des Suggestionismus werthlos erscheinen 
müssen. 

fn der Einleitung zu seinem Vortrag macht 
Pfänder verschiedene Zugeständnisse. Er räumt 
ein, dass bei homöopathischen Selbstcurirereien apch 
die unrichtigen Mittel halfen, d ass bei Patienten, 
welche die homöopathische Arzneimittellehre kennen, 
die dem ärztlich verordnten Mittel zukommenden 
Symptome auch in Fällen und bei Gaben eintreten, 
in d^nen eine solche Einwirkung mit Sicherheit 
aaszuschliesseu sei, und dass auch nach solchen 
Mitteln Besserungen auftreten, die vom Arzte einst¬ 
weilen oder fast aufs Geradewohl gegeben wurden. 

Für alle diese Fälle giebt Pfänder zu, dass bei 
der Heilung eine Suggestion (sowohl des Arztes 
als des Patienten) nebenhergehe, die dev reinen 
Suggestionsheilung in einer späteren Erkrankung 
desselben Patienten Vorschub leiste, während sie 
für eigentliche therapeutische Suggestionswirkungen 
keine Beispiele seien. Ich sehe nun nicht ein, w arum 
letzteres nicht der Fall sein soll. Menschen, bei 
denen bestimmte Ideen entweder ständig oder unter 
gewissen Verhältnissen (z. B. in suggestiven Zu¬ 
ständen nach Schmidkunz, 1. c.) zu Autosuggestionen 
werden, kuriren sich durch die Autosuggestion der 
Besserung, die sich ihnen beim Einnehmen des 
homöopathischen Mittels aufdrängt, andere auto- 
suggeriren sich die Krankheitssymptome, die das 
vom Arzte gegebene Mittel gemäss ihrer Bücher 
macht. 

„Daneben“, sagt Dr. Pfänder, „giebt es aber 
Fälle, wo wirklich nur die Suggestion wirkt,“ näm¬ 
lich bei mancherlei nervösen Beschwerden, „vyo 
keine organischen Veränderungen bestehen, oder 
nur solche ganz minimer Art, welche durch direkten 
Einfluss gehoben werden können.“ Wenn sich Dr. 
Pfänder einmal eingehend mit Suggestionstherapie 
(mit Zuhülfenahme der Hypnose) befasst, wird er 
erfahren, dass die Beschränkung „bei mancherlei ner¬ 
vösen Beschwerden“ einfach unrichtig ist. Je nach 
der Fähigkeit, Allosuggestionen in Autosuggestionen 
überleiten, sowohl seitens des Arztes, wie des 
Patienten, kann man Krankheitszustände suggestiv 
bessern oder heilen, die das Gebiet ,,nervöser Be¬ 
schwerden ohne organische Veränderungen oder 
solche ganz minimer Art“ um ein Beträchtliches 
überschreiten. Ich erinnere hier npr an Fälle von 
Paralysen organischer Natur, von Tabes, Epilepsie, 
Neurasthenie, Psychosen, Amblyopie , Anaeraie, 


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5 « 


Schwindsucht, Herzkrankheiten, Blutungen, Diarr¬ 
höen, verschiedene Fieberzustände etc., in jvelcben 
Wetterstrand Besserung oder Heilung durch 
blosse Suggestion (mit oder ohne hypnotischen Schlaf) 
erzielte. Es kommt eben bei der Suggestionstherapie 
nicht bloss auf die Natur oder das Stadium der 
Krankheit, sondern noch viel mehr auf die psychische 
Persönlichkeit des Patienten und das Geschick des 
Arztes an, diese richtig zu erkennen und zu leiten. 
So sagt auch Pfänder sehr treffend: „Je mehr Zu¬ 
trauen ein Arzt geniesst, desto mehr wird er durch 
unbeabsichtigte Suggestion ausricbten können. Fer¬ 
ner wirkt oft ein als besonders wirksam gepriesenes 
Mittel bei dem Einen prompt, während bei einem 
Anderen, der ganz dieselben Symptome darbietet, 
aber weniger suggestibel ist, die Wirkung ausbleibt.“ 
„Die Wirkung der Suggestion in therapeutischer 
Beziehung kann nicht geleugnet werden; allein ist 
diese Wirkung bei der Homöopathie eine andere 
als bei der Allopathie?“ Diese Frage Pfanders 
möchte ich unbedingt bejahen und glaube, dass aich 
sehr wohl speciell für die Homöopathie eine be¬ 
sondere Art der Suggestion nachweisen lässt. Diese 
besondere Art der Suggestion beruht auf der Per¬ 
sönlichkeit und der socialen Stellung der Homöo¬ 
pathen. Wie Pfänder selbst zugiebt, herrscht im 
Allgemeinen unter den homöopathischen Aerzten 
ein starker Glaube, um nicht mehr zu sagen, be¬ 
treffs der Wirkungen der verabreichten Mittel. 
Diesen unerschütterlichen Glauben, dieses Vertrauen 
auf sich selbst und seine Kunst überträgt der Ho¬ 
möopath auf seinen Patienten. Fast nie widmen 
sich materialistisch denkende Aerzte der Homöo¬ 
pathie, meist sind es feiner empfindende, zum Psy- 
chismus oder Spiritualismus neigende Männer, die 
ztt ihren meist materialistisch denkenden allopath. 
Collegen in schroffem Gegensatz stehen. Der Patient, 
der von den „Segnungen“ der Pharmacotherapie 
und von dem unseligen Specialismus nichts wissen 
will oder keine Hülfe bei einem allopathischen 
Skeptiker und Rationalisten gefunden und sich dann 
einem Homöopathen anvertraut hat, welcher ihn 
leiblich und seelisch richtig zu fassen weiss, wird 
nun der Kunst des Homöopathen dauernd vertrauen. 
Im Allgemeinen haben die Homöopathen ihre Clientei 
im Clerus und im Adel, also dort, wo man dem 
Materialismus und Rationalismus am meisten abhold 
ist. Hier ist die Macht der Persönlichkeit des 
Homöopathen eine sehr grosse, daher auch die Er¬ 
folge der Homöopathie trotz aller Verfolgungen 
ihrer Gegner. Im Gegentheil bringen oft gerade 
die zelotiscben Verfolgungen „wissenschaftlicher“ 
(regner, die sich zuweilen der gehässigsten Ver¬ 
leumdungen nicht schämen, dem Homöopathen Praxis 
und Ruhm. Auch das 8elbstdispensiren ist ein 
therapeutischer Vorzug, den der Homöopath vor 
seinen allopathischen Collegen voraus hat. Jeder 


Homöopath weiss, dass die selbstgefertigten und 
selbst verabreichten Arzneien ungleich besser wirken, 
als die aus der Apotheke verschriebenen. Wenn 
die Gesetzgebung der Zukunft verschiedenen ver¬ 
alteten Plunder wird über den Haufen gefegt haben, 
wird man die Selbstdispensirungsbefugniss allen 
Aerzten einräumen, da der Arzt ein Recht darauf 
hat, alle Mittel, die nach seiner Erfahrung und 
Ueberzeugung dem Kranken nützen, anzuwenden, 
also auch das Recht, die Suggestionswirkung seiner 
Peisönlichkeit und seines therapeutischen Handelns 
nach Möglichkeit zu verstärken. 

Im Verlaufe seiner Ausführungen kommt nun 
Pfänder zu denjenigen Fällen homöopathischer 
Heilungeu, in welchen nach seiner Meinung von 
Suggestionswirkung nicht die Rede sein kann. Er 
rechnet hierher die Kinder von 1—2 Jahren, die 
bewusstlosen Kranken, die Geisteskranken und die 
kranken Thiere. Ich glaube, dass alle diese Fälle 
erst dann zum Beweise bomöopath. Mittel Wirkungen 
herangezogen werden dürfen, wenn zweifellose Con¬ 
trolversuche vorliegen. Abgesehen davon, dass un¬ 
zählige Kranke, Menschen wie Thiere, ohne jede 
Therapie, genesen, müsste man erst bei homöopath. 
behandelten Kindern, Geisteskranken etc. versuchen, 
ob nicht (abgesehen vom natürlichen Krankheit# • 
verlauf) bei den verschiedenartigen Mittelverord- 
nungen Genesung möglich ist. Es braucht ja nicht 
bei allen homöopathischen Curen die Suggestion 
allein oder mitwirkend zu helfen, sondern es kann 
doch auch möglich sein, dass die vis medieatrix 
naturae mit und ohne homöopathische Mittel ihre 
Schuldigkeit thut. Ich möchte jedoch keineswegs be¬ 
haupten i, dass eine therapeutische Wirkung der ho¬ 
möopathischen Arzneien überhaupt nicht besteht. 
Wenn Pfänder dieselbe freilich damit beweisen will, 
dass er sagt: „Auch daraus lassen sich Schlüsse 
für eine therapeutische Wirkung im Gegensatz von 
Naturheilung ziehen, dass ein Mittel immer und 
immer wieder in ähnlichen Fällen von gleichem 
Erfolge begleitet ist“, so kann ich ihm auf die glatte 
Bahn rein subjectiven Ermessens nicht folgen. Hier 
kann nur objective Prüfung jedes Einzelfalles zu 
einem Resultate führen. 

Um Suggcstionswirkung auszuschliessen, stellt 
Pfänder folgende Anforderungen an eine Kranken¬ 
geschichte, resp. einen Heilungsverlauf: 

1) Ausschluss von Krankheiten mit organischen Ver¬ 
änderungen, 

2) Unterlassen jeder besonderen Heilsuggestion bei 
der Verordnung des Arzneimittels, 

3) Besserung nach einem Mittel, nachdem verschie¬ 
dene vorher gegebene Mittel ohne Erfolg blieben, 

4) Darreichung einer Arznei ohne Wissen des 
Kranken, 

5) Heilerfolg ganz bestimmter Mittel (während an¬ 
dere Mittel versagen) bei Krankheitsrecidiven 


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oder Heilerfolg eines neuen Mittels, während 
früher jnaraer ein anderes half, 

6) Heilerfolg eines ganz bestimmten Mittels bei 
verschiedenen Personen in Folge seiner Symp¬ 
tomeinähnlichkeit. 

Den ersten Punkt haben wir oben bereits be¬ 
rührt. Jeder Kenner der Suggestionstherapie weise, 
dass bei besonders suggestibeln Personen auch 
organische Veränderungen gebessert oder gebeilt 
werden können. Dass es hier bestimmte Grenzen 
giebt, ist selbstverständlich. 

Zum zweiten Punkt führt Pfänder als besonders 
beweiskräftig an, dass es nicht selten vorkommt, 
dass ein trotz kräftigen Glaubens an die Allopathie 
erfolglos behandelter Patient zum Homöopathen 
kommt und bei diesem auch ohne Glauben gesund 
wird. Da ein erfolglos behandelter Patient seinen 
»kräftigen* Glauben an die hisher befolgte Heil¬ 
methode wohl eingebüsst haben dürfte, ist es er¬ 
klärlich, wenn ein zielbewusster anderer Therapeut 
schon durch sein Auftreten eine mächtige Wirkung 
ausübt. Ob der Patient dabei an die Homöopathie 
als solche »glaubt*, ist ganz gleichgültig. Die Heil¬ 
suggestion braucht durchaus nicht gerade in dem 
ärztlichen Ausspruch zu liegen, dass das betreffende 
Mittel sicher wirken werde. Es giebt bekanntlich 
Aerste, die schon beim Eintreten ins Krankenzimmer 
eine günstige Wirkung auf das ^Befinden des Kranken 
ausüben. Wie ich oben bereits erwähnte, stehen i 
die Homöopathen im Allgemeinen in einem viel ■ 
günstigeren Vertrauensverhältnisse zu ihren Clienten | 
als die Allopathen. 

Bei der Besserung nach einem Mittel, das nach 
verschiedenen erfolglosen Mitteln, und bei einem 
solchen, das ohne Wissen des Kranken gegeben 
wurde, müsste in jedem Einzelfalle festgestellt werden, 
ob nioht die Krankheit auch ohne Medicatiou eine 
gute Wendung hätte nehmen können, und ob nicht 
der gleiche Erfolg bei irgend einem anderen Mittel 
ebenfalls eintrat. 

Der Heilerfolg ganz bestimmter Mittel bei Krank- 
heitarecidiven würde nur dann als entscheidend 
gelten, wenn man das »ganz bestimmte* Mittel 
zwar verordnet, in Wirklichkeit aber ein anderes 
giebt. Der Nicfaterfolg des letzteren und der sichere 
Erfolg des ersteren (vorausgesetzt, dass es der 
Patient nicht weiss), würde für eine Mittelwirkung 
Gewähr leisten. Der Heilerfolg eines neuen Mittels, 
während früher immer ein anderes half, beweist 
gar nichts, da sich die Autosuggestionen ändern 
können. Als Controlversuch müsste man ein neues 
Mittel verordnen und das alte geben. 

Der Heilerfolg eines ganz bestimmten Mittels 
bei verschiedenen Personen wäre nur dann ein Be¬ 
weis dafür, dass die Symptomen-Aehnlichkeit des 
Mittels die Ursache des Erfolgs ist, wenn bei jeder 
Person jegliche Suggestion ausgeschlossen wäre. 


Ich komme nun schliesslich zu den vop Pfänder 
als Beweise homöopathischer Mittelwirkung (also 
Ausschluss von Naturheilung und Suggestion) an¬ 
geführten 9 Krankengeschichten. Dieselben halte 
ich aus verschiedenen Gründen für Nichts beweinend, 
denn nicht in einer einzigen fand ich einen Unter¬ 
schied von den gewöhnlichen Krankengeschichten, 
wie sie sich zu Tausenden in der allopathischen und 
homöopathischen Litteratur fanden. Nach mehr oder 
weniger eingehender Schilderung des Leidens giebt 
Pfänder seine Verordnung an und schliesst mit der 
Notiz der Besserung oder Heilung. Freilich bat 
er keiner einzigen der geheilten Personen eine be¬ 
stimmte Suggestion gemacht, aber er vergisst voll¬ 
kommen zu erwähnen, in welcher Weise diese 
Patienten psychisch veranlagt waren. Er hat weder 
den Charakter, das Verhalten, die Suggestibilität des 
Patiepten geprüft, resp. beschrieben, noch Controlyer- 
suche mit anderen Mitteln oder mit Nihilopathie ge¬ 
macht. Es ist hier nicht der Platz, alle Zeichen der 
Suggestihilität, das Wesen der suggestiven Zustände 
usw, ausführlich auseinanderzusetzen, Interessenten 
mögen dies in dem citirten Schmidkunz’schen Werke 
thun. Ich kann nur meine Ansicht wiederholt dahin 
äussern, dass alle Krankengeschichten ohne ein¬ 
gehende Schilderung der psychischen Persönlichkeit 
und der ganzen Art des ärztlichen Einwirkens und 
Vorgehens nahezu werthlos sind. 

Znm Schlüsse spreche ich den Wunsch aus, es 
möchten die homöopathischen Aerzte die Reform 
ihrer theoretischen Anschauungen anf Grund des 
Suggestionismus in die Hand nehmen. Vielleicht 
gelingt ihnen der ganz strikte Nachweise, dass und 
unter welchen Umständen ihre Arzneien eine ganz 
bestimmte Wirkung ausüben. Was die Arzneiraittel- 
prüfungen anlangt, so käme es hier vor Allem darauf 
an, dass die Versuchsperson vor Auto- wie Allo¬ 
suggestion bewahrt bliebe, denn abgesehen davon, 
dass nicht jeder physiologische oder pathologische 
Vorgang als post hoc ergo propter hoc gedeutet 
werden kann, würde die Concentration der Auf¬ 
merksamkeit der Versuchsperson je nach dem Grade 
ihrer Suggestibilität hunderte oder unter Umständen 
tausende durchweg unbrauchbarer „ Symptome“ 
liefern. 


Dauernde Heilungen. 

Von Dr. Lorbaoher-Leipzig. 

Der Probirstein für den Werth einer Heilmethode 
sind nicht die acuten, vorübergehenden Krankheiten» 
sondern die chronischen. Die gründliche upd an¬ 
dauernde Heilung derselben ist das Ausschlaggebende. 
Leider ist es nur immer eine kleine Anzahl Fülle, 
welche jahrelang zu eontrolliren uns vergönnt ist 

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58 


Wir sollten doch dieselben nicht in unserm Kranken¬ 
journal© begraben liegen lassen, sondern sie an das 
Tageslicht bringen. In der Hoffnung Nachfolger 
zu finden, will ich hier einige mittheilen. 

U. Z., damals 26 J., kam 1885 in meine Be¬ 
handlung, nachdem sie vorher von einem ihr ver¬ 
wandten allopath. Arzte und einigen Specialisten 
mit Aetzstift, Qlühdraht etc. nur mit vorübergehen¬ 
dem Erfolge behandelt worden war. Der erste 
Blick schon Hess das Vorhandensein einer scrophulösen 
Disposition zweifellos erkennen. Dicke Oberlippe, 
dicke Nase mit weiten geöffneten Nasenlöchern und 
der bei längerem Bestehen dieser Disposition sich 
ausbildende, ich möchte sagen deprimirte Gesichts¬ 
ausdruck. 

Die Anamnese ergab, dass sie schon von Kind¬ 
heit ab an mancherlei scrophulösen Symptomen als 
leichte Drüsenanschwellungen, liehen furfuraseus des 
Gesichts, und vorzüglich an Neigung zu Schnupfen 
gelitten, aus welchem sich schliesslich eine Ozaena 
entwickelte, wozu sich später eine bedeutende Hyper¬ 
trophie der Nasenschleimhaut und Bildung eines 
Polypen, sowie Rachencatarrh gesellten. Der letztere 
pflanzte sich einige Male zuerst auf das linke, später 
auch auf das rechte Mittelohr fort, so dass vom 
Ohrenarzte einige Male Einstiche in das Trommel¬ 
fell gemacht werden mussten, und auf dem rechten 
Ohre eine ziemlich bedeutende Schwerhörigkeit 
zurückblieb. 

Die eigene Untersuchung ergab eine leichte 
Verdickung des Trommelfells und einige kleine 
Narben, linkseitig ein etwas schmutziges Aussehen 
des Trommelfells. Aftergeräusche nicht vorhanden, 
ein stechend herausdrängender Schmerz nur bei 
Exacerbation des Schnupfens, Otorrhöe auf dem 
rechten Ohre nur vorübergehend dagewesen. Die 
Inspection der Nase liess eine ziemlich bedeutende 
Hypertrophie der Schleimhaut, besonders im obern 
und hinteren Theile, im linken Nasentheile Reste 
eines Polypen erkennen, die Rachenschleimhaut 
aufgelockert. Die Absonderung aus der Nase ge¬ 
wöhnlich eiterig, zähe und harte Pfropfen bildend 
und in Folge dessen verhinderter Durchgang der 
Luft und Benommenheit der Stirn. Zeitweilig wird 
sie von einem Magen leiden, welches bald in Form 
eines Magenkrampfes, bald als Magenkatarrh auftritt, 
heimgesucht, zuweilen ohne irgend eine besondere 
äussere Veranlassung, gewöhnlich mit grosser 
Empfindlichkeit der Magengegend und zuweilen 
mit einem stechenden Schmerze, sowie Appetit¬ 
losigkeit verbunden, Im Uebrigen war ihre Ver¬ 
dauung eine normale, ebenso war sie regelmässig 
menstruirt, fühlte sich auch durchaus nicht matt. 
Sie erhielt am 8. Mai 85 Calc. carb. 6., dreimal 
täglich 3 Tropfen zu nehmen. Nach 2 Tagen wieder 
ein sehr schmerzhafter Mittelohrcatarrh, welcher 
mich zur Anwendung von Bell. 3. und Puls. 3., 


stündlich im Wechsel, dann Puls, allein und zum 
Schluss noch Sil. 30., veranlasste. Nach Beseitigung 
desselben kehrte ich zur Calcar. c. 6. und 30. in 
Zwischenräumen zurück und erzielte bis Ende Oct, 
dadurch eine entschiedene Besserung. Der Rest 
des Polypen war verschwunden, die Hypertrophie 
der Nasen- und Rachenschleimhaut wesentlich zurück¬ 
gegangen und die Schwerhörigkeit wesentlich ge¬ 
bessert. Hier unterbrach sie die Cur wegen einer 
Reise und kam auch erst im April 1886, nachdem 
sie den ganzen Winter hindurch von ihren gewohn¬ 
ten Beschwerden befreit geblieben war, wieder, da 
in Folge einer Verkühlung sich wieder ein Rachen¬ 
catarrh mit geringer Tonsillaranschwellung ein¬ 
gefunden hatte. Derselbe verschwand beim Gebrauch 
von Calc. o. 30. in Zeit von 10 Tagen. Die danach 
zum Vorschein kommende scorbutische Beschaffen¬ 
heit des Zahnfleisches wich bei Carb. veg. 6. Im 
Oct. des Jahres veranlasste sie ein sehr heftiger 
Anfall der oben erwähnten Cardialgie meine Hilfe 
zu suchen, nachdem ihr Verwandter noch einmal 
vergeblich seine Kunst versucht hatte. Nach Atro¬ 
pin 6. trat ein Nachlass ein, die entschiedene 
Besserung jedoch erst nach Bell. 30., und Carb. 
veg. 6. vollendete die Heilung. Im folgenden Jahre 
kamen noch einige leichte Anfälle dieser Cardialgie 
sowie des Nasen rach encatarrhs zum Vorschein, 
welche jedoch schnell im ersten Falle mit Bell. 30. 
und im zweiten durch Puls. 30. und Calc. carb. 
beseitigt wurden. Seitdem ist sie gesund geblieben, 
trotzdem sie jetzt in einer nördlichen Seestadt lebt. 
Keine Schwerhörigkeit, kein Polyp, keine Ozaena 
mehr. Cardialgie hat sich auch nicht wieder gezeigt, 
wie mir vor Kurzem ihre Schwester referirte. 

H. Z., Fabrikant, jetzt ca. 52 J. alt, consultirte 
mich im J. 1873 wegen eines schon mehrere Jahre 
bestehenden Magenleidens, von einigen Aerzten, 
selbst Autoritäten ohne Erfolg behandelt. Dasselbe 
bestand in einem chronischen Magencatarrh mit 
Verdacht von Geschwürsbildung. Die Magengegend 
war bei Druck sehr empfindlich und eine Pfennig 
grosse, härtliche Stelle zu fühlen. Die vorhandene 
Appetitlosigkeit, die Schmerzen nach jedem Genüsse, 
sowie das öftere Erbrechen des Genossenen hatten 
den Mann sehr heruntergebracht. Durch eine vier 
Monate dauernde Cur, bei welcher Lycopod. und 
Nux vom. die Hauptrolle spielten, wurde er von 
diesem Leiden geheilt. Dasselbe ist bis jetzt nicht 
wiedergekehrt, wiewohl er es mit der Diät nicht 
so genau nimmt. 

Frau Rittergutsbes. B., eine hochgradig hyste¬ 
rische und neurasthenische Frau, consultirte mich 
zuerst im Anfang Nov. 83, regelmässig und 
schmerzlos menstruirt. Seit ca. 2 Jahren hatte sich 
bei ihr in der rechten Mamma um die Warze 
eine scheibenförmige, harte Geschwulst von der 
Grösse eines 3 Markstückes ausgebildet. Die brennen- 


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den und zeitweise stechenden, bis in die axilla 
schiessenden Schinerzen legten die Diagnose eines 
Scirrhus nahe, wiewohl die Hörte nicht das knochen¬ 
artige des Scirrhus hatte, die Warze nicht ein¬ 
gezogen war und auch das kachektische Aussehen 
fehlte, sodass mir die obenerwähnte Diagnose doch 
zweifelhaft erschien. Die Periode war noch ziem¬ 
lich regelmässig und mit wenig Schmerzen verbun¬ 
den, doch zeigte sich während derselben eine grössere 
Empfindlichkeit, sowie eine etwas vermehrte Ge- 
schwulst der mamma. Von dem Heere der hyste¬ 
rischen Symptome sei Schlaflosigkeit und wechselnde 
Oemüthsstimmung erwähnt. 

Zuerst erhielt sie Lycopod. mehrere Wochen 
hindurch, wonach das Brennen und Wundheitsgefühl 
um die Warze nachliessen, dann Hydrastis 3. und 6. 
und Conium 3. und 6. abwechselnd in längeren 
Zwischenräumen. Unter allmählicher Abnahme der 
Schmerzen verlor die scheibenartige Geschwulst an 
Umfang und Härte und zerfiel dann in mehrere, 
deutlich abgegrenzte mehr längliche und platte 
Anschwellungen, welche sich wie Chondrome an¬ 
fühlten. Auch diese schwanden allmählich, und 
blieben nur zwei fingerbreite längliche wie Fasern- 
korpel sich anfühlende Streifen zurück, in denen 
sie nur bei Wetterveränderungen eine Empfindung 
hat. Alle übrigen Schmerzen sind verschwunden. 
Die Cur dauerte ca. 2 1 /? Jahre, in oft monatelangen 
Pausen und sind seitdem über 3 J. vergangen, ohne 
dass in den früher kranken Organen eine Veränder¬ 
ung eingetreten wäre, sodass hier wohl eine gründ¬ 
liche Heilung anzunehmen ist. Erwähnt sei noch, 
dass sie in dieser Zeit die Klimaxis durchgemacht 
hat und bleibt die Möglichkeit, dass das Cessiten 
des Menses auch einen Antheil an der Heilung hat. 

(Fortsetzung folgt.) 


Aus der Praxis amerikan. College». 

Von Dr. Hamburg. 

Das Dienstmädchen M , 24 Jahre alt, kam zu 
mir am 4. Nov. 1890 wegen einer acuten, rechts¬ 
seitigen Iritis. Zwei Tage vorher batte sie bemerkt, 
dass das rechte Auge etwas entzündet war, thränte 
und Empfindlichkeit gegen Licht zeigte. Die Nacht 
vorher hatte sie nicht gut geschlafen und sehr un¬ 
ruhig gelegen. Während des Tags hatte die Röthe 
des Auges zugenommen, und zeitweise fühlte die 
Patientin schiessende Schmerzen darin. Gegen Abend 
wurde der Schmerz ein fortwährender und so stark, 
dass sie das Licht nicht ertragen konnte. Während 
die Patientin im Bette lag, wurde der Schmerz, 
welcher sich nun vom Auge aus nach der ganzen 
rechten Seite des Kopfes hin verbreitete, unerträg¬ 
lich, so dass die Kranke aufstehen und auf und 


ab gehen musste. Hierbei linderte sich der Schmerz, 
aber sobald jene sich wieder hinlegte und im Bett 
warm wurde, nahm er wieder an Heftigkeit zu und 
trieb die Patientin wieder aus dem Bett heraus. 
So ging es die ganze Nacht. Da es am folgenden 
Tage besser ging, suchte die Kranke keine ärztliche 
Hilfe, da aber die nächste Nacht wenn möglich, 
noch schlimmer war, kam jene am darauf folgenden 
Morgen zu mir. 

Ausser den Schmerzen war noch zu bemerken, 
dass der Atbem sehr übelriechend war, die Zunge 
weiss belegt, vergrössert und schlaff, ein massen¬ 
hafter dicker Speichel belästigte sehr. Die Kranke 
war sehr durstig mit besonderem Verlangen nach 
Milch, was früher nicht da war. Die rechte Pupille 
war stark contrahirt und sehr wenig reagirend. 
Adhäsionen zwischen Iris und Linse waren nicht 
vorhanden. 

Auf diese Symptome hin verordnete ich eine 
Dosis Hocbpotenz Mercur in wässeriger Lösung in 
2 Stunden zu nehmen. 

5. Nov. Die verflossene Nacht war besser ge¬ 
wesen, der Schmerz nicht annähernd so stark; die 
Patientin batte fast 4 Stunden geschlafen und war 
im Bett geblieben. Das Auge war viel weniger 
roth, als am Tage vorher. 

6. Nov, Sie hatte die ganze Nacht geschlafen 

und war ganz frei von Schmerz, ausgenommen ein 
Jucken am innern Augenwinkel. Die Röthe des r. 
Auges hatte so sehr abgenommen, dass man nicht 
unterscheiden konnte, welches Auge krank gewesen 
war. Die Iris reagirte normal. Das Auge blieb 
gesund. Arthur G. Allen, Philadelphia. 

Einer Erläuterung bedarf der Fall nicht. Das 
schöne Symptomenbild des angezeigten und auch 
verordneten Mittels bewog mich, ihn mitzutheilen. 

m 

In einer Versammlung des Vereins für Arznei¬ 
mittellehre und Arzneimittelprüfungen berichtet C. 
H. Allen, der Redacteur der Med. Adv. über einen 
verzweifelten Fall von Gebärmutterblutung, in wel¬ 
chem bis jetzt alle locale und arzneiliche Hilfe ver¬ 
gebens gewesen war. Die Frau konnte vor Er¬ 
schöpfung nicht mehr sprechen. Allen bemerkte, 
dass jede Bewegung die Blutung verschlimmerte. 
Die Wärterin bestätigte dies und fügte hinzu, dass 
dies von Anfang an so gewesen sei. Die Kranke 
konnte nicht den Finger rühren, ohne vermehrte 
Blutung. 

Bryonia war jedenfalls schon versucht worden; 
Allen fand nach mühsamen Suchen Sabina als das 
passende Mittel und gab es in Hochpotenz und wäss¬ 
riger Lösung mit Erfolg. 

Ich möchte hier einen Fall von eigener Be¬ 
obachtung anschliessen. Vor etwa 14 Tagen wurde 
ich wegen desselben Leidens gerufen. Bei einer 
jungen Frau war 12 Wochen nach der Geburt des 

8 * 


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ersten Kindes die Regel wieder eingetreten und 
zwar sehr sparsam, 4 Wachen später sehr heftig 
und lange andauernd, so dass die zunehmende 
Schwäche der Patientin, welche unter anderer Be¬ 
handlung in den letzten 8 Wochen Gelenkrheuma¬ 
tismus durchgemacht hatte, die Angehörigen be¬ 
sorgt machte. Das Blut war hellrotb, flüssig. Die 
Kranke konnte nach ihrer Angabe nicht aüf der 
Seite und mit dem Kopfe nicht tief liegen, aber 
da6 hervorstechendste Symptom war, dass jede Be¬ 
wegung, jedes Umlegen die Blutung stärker machte. 
Sogar, wenn sie den Kopf nur etwas vom Kissen 
höb, kam mehr Blut. China war schon von den 
Angehörigen gegeben worden. Sabina war mir 
von dem Falle von Allen her etwas im Gedächtniss 
geblieben, doch vergewisserte ich mich erst noch 
zu Hause in dem, sehr brauchbaren Repertorium 
von Eggert (speziell für Frauenkrankheiten), dass 
ausser Trillium, einem Mittel, welches ich nicht ein¬ 
mal dem Namen nach kannte, Sabina hervorstechend 
das Symptom hat: ,Blutung, schlimmer durch die 
leiseste Bewegung.“ Ich verordnete Sabina in 30. 
Potenz und wässeriger Lösung. Als ich einige 
Tage später wegen des Kindes gerufen wurde, fand 
ich die Mutter ausser Bett, welche mir erzählte, 
dass die Arznei sehr bald geholfen, aber erst einige 
Schmerzen im Unterleibe verursacht habe. H. 

Ein sonderbarer Mahnruf. 

Von Dr. Lembke-Riga. 

Ein sonderbarer Ausspruch Habnemann’s, in der 
That sonderbar, so wird er ohne Zweifel vielen 
wissbegierig auflauscbenden Lesern vorgekommen 
sein, und weshalb sonderbar? Deshalb, weil derselbe 
Mahnruf genau mit denselben Worten zu verschie¬ 
denen Zeiten etwas ganz Verschiedenes zu be¬ 
deuten hat, und am Ende aller Enden den auf¬ 
merkenden Leser eben so klag lässt, wie er im 
Beginne war. Nun und dieser Mahnruf lautet? — 
Er lautet: Macht es genau und redlich nach, wenn 
Ihr es eben so gut haben wollt, wie ich. — Nun 
wahrhaftig, ob ich es gern gut haben will, das 
braucht nicht erst gefragt zu werden, ich möchte 
es gut haben, und noch lieber möchte ich es besser 
haben, wie ich mir aber dieses Guthaben verschaffen 
soll, das ist eben die schwielige Frage, es giebt 
mehrere Wege ins Leben hinein, und den rechten 
Weg zu finden, wird eben nicht Jedem so leicht 
gemacht. Hier wird mir nun fix und fertig der 
richtige Weg gezeigt, und ich habe es ganz leicht, 
einem bewährten Wegweiser bloss zu folgen und 
dieser, des richtigen Weges Kundige, ist mit seinem 
Erfolge zufrieden, und das ist schon eine grosse 
Rarität, denn gewöhnlich ist ein ewiges Klagen 


und Jammern ganz an der Tagesordnung. Diesem 
Wegweiser aber kanft ich mich ruhig anvertrauen 
und nun drauf hys. — 

Um allen Missdeutungen zuvorzukommen, muss 
hier eingeschaltet werdteu, dass dieses Guthaben sich 
nicht etwa auf pekuniäre und andere damit in 
Verbindung stehende Verhältnisse bezieht, sondern 
dieses Guthaben ist rein mediciäisch, und sollte 
dafür auch nicht ein Ferding in die Tasche des 
Arztes fallen. Jetzt aber nicht gezaudert und 
heraus mit Allem, was ich zu thun habe, um es 
eben so gut 2 u haben, wie gut es Hahnemann ge¬ 
habt bat. Ich bin Alles zu thun bereit, genau und 
redlich. 

Zuerst eine kleine Vorfrage, in welchem Jahre 
ist dieser Mahnruf von Hahnemann erlassen worden ? 

— Er ist ausgesprochen worden im J. 1817. 

Diese Antwort ist sehr kostbar, dass die Homöo¬ 
pathie damals noch jung war, als Hahnemann einen 
solchen vielverheissenden Mahnruf erliess, dass die 
Praxis Hahnemanns in diesen Jahren eine ausser¬ 
ordentlich grosse gewesen sein muss, dass ihm in 
dieser Zeit alle möglichen Krankheiten vorgekommen 
sein müssen, um mit solcher Bestimmtheit einen 
ganz allgemeinen Mahnruf zu erlassen, der sich anf 
alle möglichen Krankheitsfälle bezog, ohne irgend 
eine Ausnahme. Um aber zu wissen, was eigent¬ 
lich ich gentfu nachzumachen habe, muss ich doch 
wissen, wie es also Hahnemann machte. — Wie 
machte es also Hahnemann, um es gut zu haben? 

— Er brauchte also nur die bis dahin ge¬ 
prüften Mittel nach dem Aehnlichkeitsgesetz, d. h. 
mit anderen Worten die specifischen Mittel. — Und 
diese Mittel brauchte er nur in Dilutionen? Das 
nun gerade nicht, in der Mehrzahl freilich in Dilu¬ 
tion, aber Hahnemann gab selbst einer Wäscherin 
Einen Tropfen Tinck Bryoniae, das erzählt er selbst 
.... und sein Schüler Franz Hartmann erzählt 
in seiner Speziellen-Therapie bei der Behandlung der 
Krätze, dass Hahnemann dem Bruder des Hartmann 
eine Schwefelsalbe gab und innerlich Schwefelblüthe 
mit Austerschalen, welche damals (1816) statt des 
Milchzuckers zu den Verreibungen gebraucht wurden. 
Hätte Hahnemann den ersten Fall nicht erzählt, 
und hätte Hartmann den zweiten nicht berichtet, die 
jetzige Generation würde steif und fest glauben, 
der Homöopath Hahnemann habe niemals ein Mittel 
im Urstoff gegeben, sondern nur in Dilution. Sol¬ 
cher Fälle mögen mehrere vorgekommen sein, und 
man kann hier vielleicht den Ausspruch Goethes 
anführen: Literatur ist nur ein Fragment von Frag¬ 
menten, Vieles ist geschehen und gesprochen, das 
nie aufgeschrieben worden ist, und von dem Auf¬ 
geschriebenen ist wiederum das Meiste verloren ge¬ 
gangen.“ Aber es wurde doch immer nur ein 
Mittel zu Zeit gegeben? — Wenn man in jenem 
Pulver: Schwefel mit Austerschalen, die Auster- 


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«I 


schulen als Scbarwefizel Ansicht, so ist allerdhlgs 
nur iin Mittel gägebän, spttter «her hidt HUiie- 
mann die Austersehalen nicht für Scharwenzel, und 
zuletzt kommt es doch darauf an, nicht wie der 
Arzt ein Mittel ansieht, sondern wie die Natur des 
Kranken das Mittel ansieht. — Aber natürlich 
Wurden nur die spezif. Mittel in Dilution gegeben, 
jedes allopathische oder antipathische Mittel grund¬ 
sätzlich nicht angewendet, sondern durchaus verpönt? 

Ganz und gar nicht, sondern Habnemann und 
seine nächsten Schüler brauchten Aderlass, Blut¬ 
egel, Galvanismus, warme Bäder, Opium bei Kolik, 
Campher in kolossalen Gaben änsserlieh und inner- 
Hoh bei Influenza and Cholera, ein Pechpüaster 
über den Rücken, Zink- und ähnliche Einspritzungen 
bei altem Tripiper (Hartmann, Specielle Therapie 
in der Kur des Trippers, leider ohne Angabe, in 
welchem Jahre Habnemann diese Einspritzungen 
billigte;. — Mein Gott, ruft hier der Leser ganz 
erstaunt, so bin ich ja mein Lebtage lang Homöo¬ 
path gewesen, ohne auch nur eine Ahnung davon 
zu haben. Auch ich habe mit Vorliebe die specif. 
Mittel gegeben, freilich nicht in Dilution, aber das 
ist ja auch gar nicht obligatorisch, um ein Homöo¬ 
path zu sein, ich habe auch antipath. und allopath. 
Beihilfen gebraucht, Aderlass fast nie, Egel sehr 
selten, Vesicatora habe ich gebraucht, aber niemals 
ein Pechpflaster über den Rücken, niemals Campher 
in diesen grossen Gaben. Ich kann mich also dreist 
einen Homöopathen nennen, denn die specifiscben 
Mittel gab ich alle cum grano salis, um durch sie 
nicht zu sohaden, ich gab sie freilich bisweilen in 
Verbindung mit einem zweiten Mittel, aber auch 
die echten Homöopathen geben ihre Mittel im 
Wechsel, wenn sie dieselben auch nicht verbinden. 
So habe ich es denn so gemacht, wie Habnemann im 
Jahre 1817 als Mahnruf aussprach. — Nun kam 
das Jahr 1824 mit dem geheimnissvollen Brief von 
dem Generalconsul Baumgärtner. Dieser Brief giebt 
keine neue Methode, er sagt nur, dass Hahneraann 
mit seinen Erfolgen nioht zufrieden war, dass sein 
Guthaben ihn nicht befriedigte, dass die Mittel An¬ 
fangs halfen, dass dann Kecidive erfolgten, dass 
er aber jetzt ein neues Verfahren hat, das zu heilen, 
was bisher unheilbar war, dass man dies am Kranken- 
Lette sehen und lehren könne, nicht aber in Büchern 
beschreiben. Und alles dieses nach tausendfältigen 
Erfahrungen, man denke tausendfältig, welch eine 
enorme Praxis gehört dazu, da nicht ein jeder Fall 
zu einer Erfahrung sich eignet. — Und nun er¬ 
schienen 1827 die chronischen Krankheiten, und 
hier erschallt wiederum der obige Mahnruf, nach¬ 
machen, wenn man es gut haben will. Aber was 
soll jetzt uachgemacbt werden? Jetzt sind die 
Mittel zn prüfen in der 30. Potenz, zu 1 bis 2 
Streukügelchen, aber zu 3 mit Vorsicht, die Mittel 
im Urstoff ohne Wirkung, erlangen durch Potenziren 


eine ungeahnte Kraft; die Kranken erhalten die 
Mittel au<& in Kügelchen in 30. Potenz, und ge¬ 
wöhnlich sehr selten. Alle allopath. und antipath. 
Mittel sind strenge verdammt, ein echter Homöopath 
soll sieh durch dieselben nicht besudeln. 

Was hier nachgemacht werden soll, ist ganz 
anders als das, was 1817 nachgemaekt werden sollte, 
nur Ems ist geblieben, das Aehnlichkeitsgesetz, aber 
auch dies kommt nicht immer in Anwendung, die 
Mittel werden nicht selten gewählt nach der Eigen¬ 
tümlichkeit der veranlassenden Ursachen und auch 
darnach, ob im vorliegenden Falle Psora mit im 
Spiele sei oder nicht. Im Jahre 1817 erschallt der 
Mahnruf, genau nachzumachen, im Jahre 1828 er¬ 
tönt wiederum derselbe Mahnruf. Was soll aber 
nun nachgemacht werden, um es gut zu haben? 
und dies sollte nicht sonderbar sein? — 


Aiitipyrintonius. 

Die Homöopathie wählt, wie bekannt, die spe- 
ciüschen Mittel nach der Aehnlichkeit der Zufälle 
und berücksichtigt immer die Gesammtheit der 
Symptome, wirkt nur im äussersten Notfälle 
gegen ein diingendes Symptom, z. B. gegen einen 
heftigen Schmerz oder gegen eine anhaltende 
Schlaflosigkeit Die officielle Medicin macht es doch 
anders, sie braucht freilich auch mit Vorliebe die¬ 
selben specif. Mittel gegen dieselben Leiden, wie 
die Homöopathie, aber sie operirt zugleich sehr 
gern gegen ein hervorragendes Symptom, gegen das 
Fieber, gegen Schmerzen. Früher war es das 
Chinin, das die Herrschaft hatte, so lange Zeit, 
dass man hätte glauben sollen, sein Reich wäre 
für alle Ewigkeit begründet, da kam das Chinolin, 
tartaricum in die Mode, schien das Chinin zu ver¬ 
drängen und ganz dazu angetan, um das Reich 
für sich zu sichern. Es ging aber anders, die 
Herrschaft dauerte ein paar Jahre und jetzt spricht 
man wohl kaum von Chinolinum tartaricum. Nun 
stand an der Spitze Antifibrin, aber das Ding batte 
seinen Haken, das Mittel batte schlimme Folgen. 

Zur Zeit ist die Tyrannei beim Antipyrin, und 
dieses ist auch in die russische Pharmacopöe von 
1891 eingetreten, nicht aber Antifibrin. Nun ist 
beim Antipyrin auch ein Haken fürs grosse Pub¬ 
likum, dem der Name schon ganz geläufig ist, beim • 
Mittel seht ein Kreuz, das will bedeuten, es kann 
nur nach Recepten, nicht aber aus jeder Droguen- 
handlung gekauft werden, wie es doch beim Chinin 
der Fall ist. In anderen Staaten scheint es doch 
anders zu sein, so schildert ein Mitarbeiter des 
Figaro, 2. Jan. 92, in drastischer Weise, in welcher 
Weise jetzt in Paris das Antipyrin das Regiment 
führt, in welchen Massen es verbruucbt wird, wie 


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ein Jeder, wenn er etwas fiebert, oder einen Schmerz 
irgendwo hat, einen Kopfschmerz zum Beispiel, oder 
ein allgemeines Unwohlsein fühlt, in die nächste 
Droguenhandlung eilt und sich dort eine Dosis 
Antipyrin geben lässt, in derselben Art, wie man 
sich in einer Weinhandlung eine Perroquit oder 
Obartreuse reichen lässt. Es giebt Droguenband- 
1 ungen in Paris, die seit dem Erscheinen der In¬ 
fluenza die dreifache Menge Antipyrin gegen früher 
verkauft haben. Verkaufte ein solches Geschäft 
früher 1000 Kilogramm Antipyrin jährlich, so 
wurden 1889 2000 Kilogramm und mehr verkauft, 
und es scheint, dass jetzt 3 Tonnen jährlich ab¬ 
gesetzt werden Das Antipyrin ist gleichsam ein 
Nahrungsmittel geworden, eine kleine Migräne, 
ein kleiner Nervenschmerz, ja gegen Vapeurs wird 
ohne Weiteres eine Gabe Antip. verlangt, und an Ort 
und Stelle in einer Oblate verschluckt. Antipyrin, 
wie Anilin, Phenil und Andere, bereitet aus dem 
Steinkohlentheer, ist eigentlich ein Spitzname, sein 
eigentlicher Familienname lautet dimethyloxypyrazol 
oder dimethylpyrazoline, aber dieses sind Worte, die 
sich weder präsentiren, noch aussprecben lassen. So 
ist das Mittel in der jetzigen Zeit der Neurosen, 
wie geschaffen für alle Leiden des ablaufenden Jahr¬ 
hunderts, und es wird nur zu oft vergessen, dass 
das Mittel ein Gift ist, sogar ein starkes Gift, und 
dass die Anzahl der Fälle, in denen es seit 7 oder 
8 Jahren gegeben und geschadet hat, gar nicht zu 
zählen sind. Und dies geschah in den Händen der 
Aerzte, um so gefährlicher ist das Mittel in der 
Hand der Laien. Ausserdem ist Unterdrückung 
des Schmerzes nicht Unterdrückung der Krankheit. 
Morphium leistet noch mehr als Antipyrin, und man 
weiss, wohin sein Missbrauch führt. Mit dem Feuer 
und mit Giften muss man nicht spielen. In Russ¬ 
land haben wir diese schlimmen Folgen nicht zu 
befürchten. Dr. Lembke-Riga. 

Dr. Combemale veröffentlicht im Bulletin medical 
du Nord (Wiener medicin. Presse 1890, Nr. 40, 
S. 1510) folgenden interessanten Fall von Anti- 
pyrinismus . 

Es handelt sich um eine 38jährige Frau, die 
alle Zeichen eines Magengeschwüres zeigte, welches 
C. der direkten Wirkung des Antipyrins zuschrieb. 
Die Frau, welche sehr unruhige und schlaflose 
Nächte zubrachte, erzählte, dass sie vor 4 Jahren 
von einem acuten Rheumatismus, gegen den Salicyl 
wirkungslos blieb, durch Antipyrin geheilt wurde, 
und dass sie seit dieser Zeit täglich 1—2 Gramm 
Antipyrin nimmt. — Die Kranke verrichtet eine 
sehr schwere und genaue Arbeit, welche fortwährend 
ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt und 
bemerkt, dass je mehr sie zu thun habe, sie desto 
mehr Excitantien braucht, und ihre Excitans ist 
Antipyrin . Mit ihrer gewöhnlichen Tages-Dosis von 


1 Gramm verrichtet sie ihre tägliche Arbeit, sobald 
sie aber länger als gewöhnlich aufzubleiben hat, da 
nimmt sie die doppelte und dreifache Dosis. — 
Unterlässt sie dies, so fühlt sie, dass ihre Finger 
steif, wie ankylosirt werden, dass sie selbe kaum 
bewegen kann, sie empfindet eine Schwierigkeit sich 
auf den Beinen zu erhalten, die Füsse schwellen an 
und sie fühlt sich ganz matt 

Nimmt sie aber Antipyrin, so schwindet die 
allgemeine Müdigkeit, ebenso wie die Gelenksteifig¬ 
keit. — Wie in allen Vergiftungsfällen musste auch 
hier eine allmählige Entziehungscur eingeleitet 
werden, um das Allgemeinbefinden des Herz- und 
Nervensystems zu schonen. Mittelst einer Lösung 
von Cocain und Antipyrin gelang es, gleich am 1. 
Tage die Erscheinungen des Magengeschwürs, be¬ 
sonders das Erbrechen zu sistiren, worauf die Kranke 

2 Liter Milch vertragen konnte. Die allgemeine 
Müdigkeit, Schlaflosigkeit und die nächtliche Auf¬ 
regung hielten noch 8 Tage an; nach dieser Zeit 
begann sich die Ernährung etwas zu beben, die 
Kranke fühlte sieb besser und verliess das Spital 
mit dem Versprechen, den Gebrauch des Antipyrins 
nicht mehr fortzusetzen. 

Anmerkung des Referenten . Es sollte Antipyrin 
eigens homöopath. geprüft werden, da aus dieser 
Krankengeschichte eines der vorzüglichsten Kenn¬ 
zeichen der Influenza hervorleuchtet, nämlich die 
unerklärliche Mattigkeit der Glieder. Vielleicht 
würde das Antipyrin ein specifisohes Mittel für ge¬ 
wisse Fälle und für gewisse Personen von Influenza 
sein, wenn es in höheren Potenzen gegeben würde. 

Dr. G. Pröll. 


Epidemiologische Ecke. 

Von überall her wird mir rascher Wechsel ge¬ 
meldet. Ich muss mich deshalb auf die Wieder¬ 
gabe der häufigeren Combinationen beschränken; 
eine Characteristik der einzelnen Mittel kann natür¬ 
lich unter diesen Umständen nicht gegeben werden. 

Hier folgte am 31. Jan. auf Acid. muriatic. -f- 
Lachesis, Arsen, jodat. -j- Sabad., am 1., 2., 3. Febr. 
Kreosot. + Sabad. = Agaric. musc., am 4. kam 
mehrfach Ac. benz. -f- Sabad. und Kali brom. -|- 
Sabad., am 6. vorwiegend Hep. sulf. calc. -J- Ratanh. 
= Puls., am 7. mehrfach Kreosot. -{- Sabad. und 
Droser. -j- Spong., am 8. Kreosot. Sabad., am 
9. Cupr. cum. Nicot., am 10. Led. -j- Sabad., am 
11. diese Combination und Kreosot, -j- Sabadilla, 
heute Kali carb. + Sabad., während heute Nach¬ 
mittag Natr. mur. -f- Iris = Euphras. aufzutreten 
beginnt. 

Seit Mitte voriger Woche, also seit dem 3.—6. 
Febr. stellen sich mehr und mehr Infiuenzafälle ein, 
stets mit heftigen Kopfschmerzen; wenn diese mehr 


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68 


vorne sind, so ist mehr Plat. -f- Ign., wenn mit 
Gliederschmerzen mehr Kreosot, -f- Sabad., wenn 
mit heftigen Bückenschmerzen mehr Tartar, stib. -j- 
Gelseminm angezeigt. Dabei kommt nicht selten 
Erbrechen, und häufiger hartnäckige Verstopfung als 
Durchfall vor. Die catarrhalischen Erscheinungen 
treten gegenüber der Epidemie von vor 2 Jahren 
mehr zurück; am häufigsten ist heftiger Fliess¬ 
schnupfen zu beobachten. 

Von auswärts liefen folgende Mittheilungen ein: 

Von Coli. Simrock-Frankfurt a/M. am 1. Febr.: 
In den letzten Tagen öfters Ac. benz. -f- Euphras. 
(= Fern met.) 

Von Coli. Sigmundt-Spaickingen am 3. Febr.: 
Noch immer Ferrumfälle häufig. 

Von Coli. Lesser-Bonn am 2. Febr.: heute 
wieder Ferrum, nur vereinzelt Agaric. (Kreos. -f- 
Sabad.), gestern Veratr. (Ac. phosph. -f- Ignat.), 
vorgestera Ant. crud. -f- Ignat (= Puls.). Am 

5. Febr.: bis vorgestern Ac. benz Euphrasia, 
Influenzafälle mit perityphlitischen Erscheinungen; 
seit vorgestern Ac. benz. + Caust.; seit gestern 
Abend Baryt, carb. -)- Petrol. = Magnes. carb. 
Am 8. Febr.: Baryt, carb. -f- Bell., Baryt carb. 
-f- Petrol., Hep. sulf. calc. -f- Ratanb. (= Pols.). 
Hep. sulf. calc. -(-Euphras.; letzteres bei chronischen 
Augenentzündungen, Conjunctivitis und Blepbarit. 
ciliar.; vorübergehend Kal. brom. -f- Sabad. 

Von Coli. Kirn-Pforzbeim am 1. Febr.; Coff. -f- 
Sabad. häufig, sonst grosse Mannigfaltigkeit. Am 

6. Febr.: wieder mehr Kali. carb. -j- Belladonna 
(= Apis), vereinzelt Phosphor -f- Iris (= Kali 
carb.). Am 10. Febr. Kali carb. -f- Bell., Nritriac. 
-j- Bel)., Natr. mur. Iris, Droser. -J- Spong., 
Hep. sulf. calc. -f- Ratanb.; Cimicifuga bewährt 
sich besonders bei Rheumatismen der rechten 
Schulter und des rechten Armes. Epidemisch sind 
Influenzafälle mit Neigung zu Erysipelen (Apis), 
Keuchhusten mit Nasengeschwürchen, Magen- und 
Darmcatarrhe. 

Stuttgart, den 12. Februar 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 

Fragekasten. 

Antwort I. Der Fall im Fragekasten Nr. 5/6 er¬ 
fordert viel Erfahrung und Routine besonders in 
suggestiver Beziehung. Die Anamnese wird wahr¬ 
scheinlich Heredität, vielleicht auch transformirte 
Heredität ergeben. Das Resultat einer genaueren 
Körper Untersuchung wird wahrscheinlich in Dis¬ 
location des Uterus, in Flexion desselben oder in 
Stenose des Cervicalcanals gipfeln, während in den 
Gedärmen an einzelnen Stellen, besonders während 
der Sehmerzanfälle, krampfhafte Stricturen nach¬ 
zuweisen sein werden. 


Die Grundlage des ganzen Complexes ist zweifel¬ 
los materielle Hysterie mit vorwiegendem Motus 
antiperistalticus. Der begleitende Darmkatarrh rührt 
von nervöser Dyspepsie her. — Der letzte Sitz dor 
Krankheit ist der Nervus sympathicus. 

Alle diese Erscheinungen können auch durch 
die Anwesenheit eines Bandwurms hervorgerufen 
werden. Die Glieder werden dann ungefähr viertel¬ 
jährig abgehen, oder deren Abgang kann durch 
Kamala und durch Beerenfrüchte hervorgerufen 
werden. Eine gründliche Entfernung des allenfalls 
vorhandenen Wurms gelingt sicher mit einfacher 
Granatwurzelabkochung. 

Ist kein Wurm nachzuweisen, so tritt eine andere 
Behandlung ein: 

1) Sind die täglichen Bäder und das Electrisiren 
zu unterlassen. 

2) Ist die Diät aufs Genaueste zu regeln und be¬ 
sonders ,Trockenkost“ zu empfehlen, so dass alle 
Flüssigkeiten auf ein Minimum eingeschränkt 
werden. Besonders Suppen, Saucen, Fette, 
Hülsenfrüchte, Kohl arten und Hefeteig wo aren 
sind ganz zu vermeiden, ebenso kohlensaure 
Getränke und Biere. 

3) Ist der Rhabarberwein wegzulassen und im Noth- 
fall durch Tamarindenessenz zu ersetzen. 

4) Zum Versuch als homöopathische Heilmittel 
empfehle ich: Asa foetida 5.—15., Sabadilla 3., 
Secale cornut 3., Lilium tigrinum 2., Dioscorea 
villosa 5. 

5) Tägliche Massage des ganzen Körpers im Bette. 

6) Suggestiveinwirkung ist zu versuchen. 

7) Uterusanoinalien und Stenosen sind chirurgisch 
zu behandeln. Ein vorübergehender Klimawechsel 
wäre zu empfehlen. Am besten ist eine Milch - 
cur im südtyroler Hochgebirge von Juli bis 
September. Im besten Falle muss man auf 
einige Recidive gefasst sein 

Dr. med. Julius Fuchs-München. 
Antwort II. In dem im Fragekasten der letzten 
Nummer der Allg. Hom. Ztg. erwähnten Falle muss 
zunächst constatirt werden, ob überhaupt Bandwurm¬ 
glieder abgehen. Wenn ja, so kann ich Panna 
empfehlen. Wenn nein, so passt nach meiner Meinung 
Veratrum am meisten. Dr. Hesse. 

Antwort m. Von einem hiesigen Coilegen ist. 
mir erzählt worden, dass sein Bruder viele Jahre 
lang sehr schwer krank gewesen sei, ohne dass 
irgend einer der vielen consultirten Aerzte, trotz 
des Verdachtes auf Bandwurm, oine richtige Diag¬ 
nose hätte stellen können. Niemals seien Bandwurm - 
glieder abgegangen, — endlich nach Jahren sei in 
einem Kotklcunpen der Bandwurm nachgewiesen 
worden. Eine Baudwurmcur heilte denselben schnell 
von dem langjährigen Leiden. 

Dr. Haedicke. 


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64 


Anfrage: Seit Vfc Jahr leidet Patient an einem 
Schmers, der anfangs unbedeutend, in der genannten 
Zeit stetig zugenommen bat und sich in seiner 
Eigentümlichkeit völlig gleich geblieben ist. 

Sobald Patient geht , während die Verdauung 
statt findet — sei es nach wenigen Bissen oder 
nach einer vollen Mahlzeit, ist ganz gleich — be¬ 
kommt derselbe einen heftigen Krampf, mit etwas 
Brennen verbunden in der Herzgrube, d. h. direkt 
unter dem Brustbein, ein Schmerz, der sich schnell 
verbreitet und bis in die Oberarme (bis zum Ell¬ 
bogen) reicht. Er ist so intensiv, dass er zum 
Stillstehen zwingt. Nach einigen Minuten Ruhe 
kann Patient weiter gehen, um dann sehr schnell 
wieder durch Schmerz zum Stillhalten genöthigt zu 
sein. Die Lunge ist dabei nicht afficirt, denn er 
kann tief’&thmen beim heftigsten Schmerz. 

Obgleich der Herzschlag ein langsamer, und nicht 
eben kräftiger ist, so ist derselbe duroh den Schmerz 
doch nicht unmittelbar beeinflusst. 

Dabei bestehen keineswegs Verdauungsstörungen 
— es werden unter Umständen schwere Speisen 
gut vertragen — nur muss er Abends sehr wenig 
gemessen, wenn er schlafen will. Eine Suppe und 
etwas Kompot bildet das Abendbrot, und darauf 
schläft er vorzüglich. 

Wenn es derselbe, mit Rücksicht auf seine amt¬ 
liche Thätigkeit, ermöglichen kann, geht er erst, 
nachdem vier Stunden nach der Mahlzeit vergangen 
sind, und die Verdauung völlig beendet ist — und 
hat dann auch keine Schmerzen mehr beim Gehen. 
Immer lässt sich dieses Beginnen aber nicht ein- 
halten. Nach Tisch eine kleine Stunde auf dem 
Sopha zu liegen (ohne zu schlafen) ist sehr wohlthnend. 
Ruhe und Wörme im Zimmer sind zuträglich — 


Bewegung bald nach dem Essen und Aufenthalt in 
kühlen Räumen nachtheilig. 

Dabei ist er geistig frisch, hat guten Appetit 
und sehr guten Schlaf — magert jedoch ziemlich 
auffallend ab — am Körper, nickt im Gesicht und 
an den Händen. Zu fühlen durch Drücken an der 
schmerzhaften Stelle ist nichts. 

Der Schmerz ist, wie schon gesagt, ganz derselbe 
wie im Anfang, nach und nach aber tritt er ineuuer 
häufiger auf, bei der kleinsten Veranlassung und 
äussert sich dann jedesmal sehr heftig. In der Ruhe 
kommt er nie. 

Ist der Magen leer, kann er mit Leichtigkeit 
und Behagen 1—2 Stunden spazieren gehen. Patient 
ist 50 Jahre alt, von mittlerer Grösse, HaAre 
(früher braun) jetzt grau, gewesener Hämorrhoidgrier, 
ohne irgend welches chronische Leiden zu haben, 
neigt Patient zu acut uuftretenden Uebeln. 

In letzter Zeit Anfälle von Cholerine aus ge¬ 
ringen Anlässen, die dos Genossene nicht verdauen 
lassen und Tage lang Magenverstimmung verursachten. 
Im letzten Anfall war kein Erbrechen und keine 
Uebelkeit dabei, nur 24 Stunden starker Purohfell 
— ein Reiswasserähnlioher Stuhl. Vorher fast kein 
Puls, kalte Extremitäten, Magenschmerzen, Gesicht 
kühl, eingefallene Züge bei warmem Kopf. 

Während des letzten Cholerinenafalles beständiges 
starkes Aufstossen mit Geschmack und Geruch, 
wie faule Eier . 

Ich bitte die Herren Collegen um ihre gütige 
diagnostische und therapeutische Unterstützung in 
diesem besonderen Krankheitsfalle. 

Weimar, den 10. Febr. 1892. 

Dr. Goullon. 


ANZEIGEN. 


Homöopath. Arzt 

ev. Conf., gesucht in eioem Landbezirk d. Kreises 
Bielefeld. Meldungen zu richten unter A. 0. 3 au 
die Exped. d. Bl. 

Nähere Auskunft wird gern ertheilt. 


Tnl7- MrA>ftkei>heil be * München * Höhenluftkurort 
mit jodhalt. Quelleo. Indicat Frauenkrank¬ 
heiten, Scrophulose, ohron. Hautleiden, Lues. — Auskunft 
d. Dr. Letzel (im Winter in Mönchen, im Sommer in Tölz). 


Der ganze Ertrag (einschliesslich der Druckkosten) 
ist für das Deutsche Kaiser Friedrich-Kranken¬ 
haus in San Reuio bestimmt. 



für 


Gesunde und Kranke, 

die nach den Wlntercororten der Beriera reisen 

von 

Dr. Georg Heusmann in Hannover. 

—— Preis eleg. geh. 1 Mark, öb- 

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. 


Verantwortliche Redactenro: Or. fleefenw-Stuttgart, Dr. 8tifft-Leipaig and Dr. Haodloko-Leipug. 
Expedition and Verlag von WiUiaa StfelMMtz (A. Marggrafa homOopath. Offlein) in Leipiig. 
Druck von Grooour L Sofern» in Leipiig. 


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Band 124. 


Leipzig, den 3. Hin 1892. 

ALLGEMEINE 


No. 9 o. 10. 


HOMÖOPATHISCHE ZEITH«. 


HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig. 


Kracheint Htftffg in 3 Bogen. 13 Doppelnummern bilden einen Bend. Preis 10 M. 60 Pf. (Helbjshr). Allo Bnebhendlungen nnd 
Poslenstelien nehmen Bestellungen en. — Inserate , welche en B. Mosa 6 in I*eipsig nnd dessen Filialen zn richten sind, 
werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12JF. beroohnet. 


Inhalt: Die Homöopathie In Belgien. Uebersetzt nach dem stenographischen Berichte des in Antwerpen 
erscheinenden Blattes „Le Prfonrseur“ von Dr. Haedicke in Leipzig. — Ans der Praxis. Von Dr. Hesse Hamburg. 

Eine knrze Krankengeschichte. Von Dr. Kunkel-Kiel. — Fragekasten. — Briefkasten der Redaotion. — Anzeigen. 


Die Homöopathie in Belgien. 

Eine Sitzung des Gemeinderaths zu Antwerpen. 

Uebersetzt nach dem stenographischen Berichte des 
in Antwerpen erscheinenden Blattes „Le Präcurseur“ 
von Dr. Haedicke in Leipzig. 

In Nr. 11/12 des 123. Bandes haben wir die 
Verhandlungen einer Sitzung des belgischen Senats 
zum Abdruck gebracht, in der der Minister einen 
entsprechenden Antrag des Senators Terlinden dahin¬ 
gehend beantwortete, dass die Regierung die Frage 
studiren und untersuchen würde, ob es angezeigt 
ist, facultative Vorlesungen über die Homöopathie 
an den Statsuniversitäten einzurichten. Inzwischen 
ist auch im Gemeinderathe in Antwerpen die Be¬ 
rechtigung der homöopathischen Aerzte zur Zu¬ 
lassung als officiell ernannte Armenärzte einer ein¬ 
gehenden Erörterung unterzogen worden, die wir 
im Folgenden ausführlich zur Veröffentlichung 
bringen. 

Der Stadtverordnete Dr. med. Gits bringt zu¬ 
nächst ein Reibe eingegangener Schriftstücke zur 
Verlesung und hält darauf folgende Rede: 

„Nach Kenntnissnahme dieser Sachen wird jeder 
Unparteiische zugeben, dass das neue Reglement 
für den Dienst der Armenärzte nicht verdient hätte, 
mit solcher Erbitterung bekämpft zu werden, wie 
es von einem Theil der Presse geschehen ist. Solche 
Fragen, wie diejenige, welche uns heute beschäftigt, 
sollten mit Ruhe und Objectivität, nicht aber mit 
Parteilichkeit und doctrinärer Einseitigkeit betrachtet 
werden; nnd wenn es wahr ist, dass Leidenschaft¬ 
lichkeit eine schlechte Rathgeberin ist, so ist dies 


durch den beklagen8werthen Zwist, dem wir alle 
lebhaft bestrebt sind ein Ende zu machen, wieder 
einmal recht deutlich bewiesen. 

M. H.I Der Verwaltungsrath des Armenamtes 
(Bureau de Bienfaisance) bat in dem Bewusstsein 
seiner Machtvollkommenheit, ein den Aerztedienst 
neu ordnendes Reglement ausarbeiten zu müssen 
geglaubt, in welchem er sich an erster Stelle von 
den Bedürfnissen und dem Interesse der Armen hat 
leiten lassen, deren Eigenthum er von Rechts wegen 
verwaltet. Kann man ihm das verübeln? Sollte 
man ihm nicht vielmehr dafür Dank wissen, dass 
er seine edle Mission mit dem Herzen erfasst? 
Und ist es nicht tief beklagenswert!), wenn man 
mit ansehen muss, wie die Mitglieder desselben — 
die doch bekanntlich mit Eifer und Hingebung der 
Erfüllung eines so schweren Amtes obliegen — 
vielfach mit grosser Heftigkeit angegriffen worden 
sind? 

Der Entwurf zu jenem Reglement wurde, nach¬ 
dem er dem Stadtverordneten-Collegium vorgelegt 
worden war, von diesem an die hygienische Com¬ 
mission verwiesen, deren Vorsitzender zu sein ich 
die Ehre habe, und der auch unser ehrenwerther 
und gelehrter College Herr Dr. Desgnin als Mitglied 
angehört. Dieser prüfte den Entwurf sorgfältig, 
was aus den zahlreichen Anmerkungen hervorgeht, 
die sich auf der Beilage befinden. Die Herren 
Administratoren, welche man zu den Berathungen 
der Commission hinzugezogen hatte, nahmen ver¬ 
schiedene Abänderungen, welche man ärztlicherseits 
zu dem Entwurf machte, an: aber sie bekämpften 
auch einige andere, so namentlich die von Herrn 
Desguin vorgeschlagene Weglassung des Neben- 

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66 


Paragraphen, der von „ allopathischen und homöo¬ 
pathischen Aerzten“ handelt. Dieselbe war von 
Herrn Desguin desshalb beantragt worden, weil 
seiner Meinung nach die eiste dieser Bezeichnungen 
(Allopathen) wissenschaftlich ungenau sei. Trotz 
des Einspruchs des Verwaltungsrathes beschloss 
darauf die Commission die Unterdrückung jenes 
Nebenparagraphen, so dass, wie ich in der letzten 
Sitzung dargelegt habe, es nur einem Irrthum zu« 
zuschreiben ist, wenn er in dem gedruckten Regle¬ 
ment wieder als gültig erscheint. 

Was nun den Artikel 21, § 2 anbelangt, der 
folgendermassen lautet: „Dicf Verwaltung hat die 
für die homöopathischen Consultationen bestimmten 
Stunden festzusetzen“, so wurde er weder im Schoosse 
der Commission noch im Gemeinderathe bekämpft. 
Das neue Reglement wurde bei der in der Sitzung 
vom 25. Juni v. Jahres vorgenommenen Abstimmung 
mit allen gegen eine Stimme, diejenige des Herrn 
Raths Grösser, angenommen, welcher geäussert hatte, 
dass man sich, nach seiner Meinung mehr mit dem 
Interesse der Herren Armenärzte als dem ihrer 
Patienten beschäftigt habe. 

Nach dieser beinahe einmüthigen Abstimmung 
brauchte das Armenamt — wie Herr Desguin sehr 
richtig bemerkt hat — nichts weiter zu thun, als 
die Ausführung des Gemeinderathsbeschlusses zu 
sichern — da, fast 2 Monate später, erheben die 
Herren Armenärzte Protest dagegen. Nachdem sie 
von denjenigen, diegewissermassen ihre hierarchischen 
Chefs sind, zusammenberufen worden waren, weiger¬ 
ten sie sich, vor ihnen zu erscheinen und glaubten 
die Vertretung ihrer Interessen einigen Collegen vom 
Antwerpener Aerzteverein (corps mödical) übertragen 
zu müssen, deren in der Folge bewiesener Liebens¬ 
würdigkeit ich gern meine Anerkennung zolle. 

Diese Herren hatten mit dem Verwaltungsrathe 
des Armenamtes lange Besprechungen, wovon die 
uns mitgetheilten Protokolle Zeugniss ablegen. Man 
ersieht daraus, dass die Herren vom Verwaltungs¬ 
rath — übrigens ganz in UebereinStimmung mit 
dem Stadtverordneten-Collegium - eine ausser¬ 
ordentlich versöhnliche Gesinnung an den Tag ge¬ 
legt haben, indem sie versprachen, die meisten 
Forderungen der Herren Aerzte zu bewilligen und 
zwar selbst solche, die ihnen nicht hinreichend be¬ 
gründet erschienen. 

Ueber einen einzigen Punkt jedoch, den bereits 
angeführten Artikel 21 § 2 bat man zu keiner Ver¬ 
ständigung gelangen können. Die Herren Delegirten 
vom Antwerpener Aerzteverein behaupten nämlich, 
dass, so harmlos dieser Paragraph sich auch aus¬ 
nähme , er doch eine officielle Anerkennung der 
Heilmethode bedeute, die sich „die homöopathische“ 
nennt. Sie behaupten nun, dass die Verwaltung 
des Armenamtes zu einem solchen Schritte nicht 
die Competenz habe. Darauf haben die Administra¬ 


toren geantwortet, dass der inkriminirte Paragraph 
keineswegs die Bedeutung habe, die man ihm bei- 
messe: dass sie in keiner Weise mit der Aufstellung 
desselben der Homöopathie irgendwie eine officielle 
Sanktionirung zu verleihen beabsichtigt hätten, was 
überhaupt gar nicht in ihrer Macht stände; dass 
sie dagegen einzig und allein den Zweck im Auge 
gehabt hätten, homöopathische Consultationen zum 
facultativen Gebrauch für die Bedürftigen zu schaffen, 
was sie einfach für ihre Pflicht hielten. 

M. H.! Meiner Meinung nach ist die Antwort 
des Armenamtes völlig einwandsfrei; ebenso wenig 
hat aber auch der Communalrath — als er über 
den Artikel 21 § 2 abstimmte und ihn annahm — 
sich über den Heilwerth der Lehre Hahnemanns 
äussern wollen; denn wenn man die Bestimmung 
trifft, dass homöopathische Sprechstunden für die 
Armen, die danach verlangen, stattfinden sollen, so 
heisst das nicht: eine medicinische Lthrfrage ent¬ 
scheiden, sondern einfach eine im Interesse der 
Armenamtsverwaltung nothwendige Handlung aus¬ 
führen. Man begreift nicht, wie in einer so grossen 
Stadt, wie der unsrigen, wo die Homöopathie bei 
den wohlhabenden Classen in solchem Ansehen steht, 
es bisher nur dem Armen nicht vergönnt gewesen 
ist, sich nach dieser Heilmethode behandeln zu 
lassen, was weder gerecht, noch human, noch demo¬ 
kratisch ist. Man hat den Einwand gemacht, dass 
die Arbeiter und Armen dieser Frage vollkommen 
gleichgültig gegenüberstohen, und dass keiner von 
ihnen nach der Vergünstigung verlange, die man 
ihm octroyiren wolle; diesem Einwande möchte 
ich die Petition des Arbeitervereins: „de Werker“ 
entgegenhalten, die ich Ihnen zu Anfang vorge¬ 
lesen habe. 

Die Frage ist zudem nicht neu, denn sie ist 
bereits im December des Jahres 1871 im Gemeinde¬ 
rathe zu Brüssel verhandelt worden. Dort hat ein 
angesehenes Mitglied ziffernmässig nachgewiesen, 
dass sich eine sehr grosse Anzahl von Bedürftigen 
in den homöopathischen Polikliniken behandeln 
lassen, trotz der kleinen Abgabe, die sie dafür ent¬ 
richten müssen. Zum Schluss forderte jener Brüs¬ 
seler 8tadtrath die Einführung der Homöopathie in 
den Spitälern. Gestatten Sie mir, einige Stellen 
aus seiner Rede vorzulesen, die noch heut, nach 20 
Jahren, durchaus zeitgemäss ist. Er führt unter 
anderem Folgendes aus: „Ich möchte nur darauf 
hinweisen, dass, wenn die Verwaltung der Spitäler 
den Homöopathen einen Saal in unseren Kranken¬ 
häusern einräumt, damit sie dort ihre Patienten 
behandeln können, sie ihren Mitbürgern nur eine 
Gefälligkeit erweist, da diese das Recht haben, zu 
verlangen, dass man ihnen die Möglichkeit und die 
Gelegenheit biete, sich nach der Heilmethode be* 
handeln zu lassen, zu welcher sie Vertrauen haben. 

„Wir müssen die sorgsamen Wächter aller Inter- 


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•7 


essen unserer Mitbürger sein, und es giebt sicher¬ 
lich keine wichtigere und bedeutsamere Frage als 
die, welche unsere Gesundheit und unser Leben 
betrifft. Da es nicht Sache des „Conseil des hos- 
pices“ ist, über wissenschaftliche Fragen innerhalb 
der Medicin zu entscheiden, noch wissenschaftliche 
Principien zu vertheidigen, da er ja nur dazu ein¬ 
gesetzt ist, die Güter der Armen zu verwalten, und 
da er bei dieser Sachlage nur auf die Wünsche 
derjenigen zu hören hat, die in Wahrheit die Herren 
sind und als solche nach ihrem Gutdünken verfahren 
können, so wage ich zu hoffen, dass er die Ge¬ 
wogenheit haben wird, meinen Vorschlag unverzüg¬ 
lich in die Hand zu nehmen, indem er sich vor 
allem vergegenwärtigen möge, dass die Interessen 
der Humanität höher stehen als Zwistigkeiten medi- 
cinischer Schulen.“ 

Hatte ich nicht Recht, wenn ich zuvor sagte, 
dass diese edlen Worte sich vortrefflich auf unsere 
Verhältnisse anwenden lassen? 

DasStadtverordneten-Collegium zu Brüssel wurde 
beauftragt, dem Generalrathe der Spitäler den Vor¬ 
schlag des Herrn Stadtraths zu übermitteln, aber 
dieser Vorschlag blieb unberücksichtigt in Folge 
gewisser Machenschaften, deren Ursprung jeder 
leicht erräth. Trotz alledem glaube ich nicht, dass 
man es wagen würde, die Behauptung aufzustellen, 
dass die Gemeindeverwaltung von Brüssel — wie 
man es uns vorwirft — damit habe eine wissen¬ 
schaftliche Frage entscheiden wollen. Jeder Vor¬ 
urteilsfreie wird mir darin Recht geben müssen.“ 

Ich beabsichtige keineswegs, die Petition der 
Herren Aerzte auf ihre Einzelheiten hin zu prüfen 
und zu besprechen; ich hätte da manche Einwände 
zu machen; ich weide mich jedoch damit begnügen, 
einzelne Punkte daraus hervorzuheben. Zunächst 
bestreiten diese Herren die wissenschaftliche Grund¬ 
lage der Homöopathie. Dies ist eine leere Be¬ 
hauptung, die der Vermutung Raum giebt, dass 
keiner von ihnen Hahnemanns Organon gelesen hat. 

Herr Dr. Desguin (Zwischenruf): J, warum 
nicht gar! 

Herr Gits (fortfahrend): Unter den Unterzeich¬ 
nern der Petition giebt es einige, die es mir ein¬ 
gestanden haben. 

Herr Dr. Desguin: Mag wohl sein! 

Herr Gits: Statt „einige“ werde ich also sagen: 
viele haben dieses Organon nicht gelesen, worin die 
wissenschaftliche Basis der Homöopathie dargelegt 
und eingehend nachgewiesen ist Man führt auch 
an, dass ja die Homöopathie aa keiner unserer Uni¬ 
versitäten gelehrt werde, sowie, dass die Zahl 
ihrer Anhänger äusserst gering sei. Da möchte 
ich mir doch die Bemerkung gestatten, dass die 
letztere Thatsache völlig von der ersteren nbhängt. 
Wie kann man sich darüber wundern, dass, wenn 
keine öffentlichen Institute zur Erlernung der homöo¬ 


pathischen Heilmethode da sind, dieselbe keine An¬ 
hänger zu gewinnen vermag. Es gehört wirklich 
Muth dazu, nach dem Abgänge von der Universität 
noch neue Studien in einem ganz neuen Ideenkreise 
zu machen; der Kampf ums Dasein, der den gröss¬ 
ten Theil der jungen Mediciner beherrscht, gestattet 
diesen im Allgemeinen nicht, noch mehrere Jahre 
ihres Lebens einem fruchtbringenden, experimentellen 
Studium einer neuen Diseiplin zu opfern. Folgen¬ 
des schreibt Dr. Flassdoen von der Pariser medi¬ 
zinischen Facultät über diesen Gegenstand: 

„Man kann nur mit Bitterkeit die Aecbtung 
beklagen, von der die Homöopathie bis jetzt in 
Frankreich betroffen gewesen ist und muss dem 
gegenüber energisch darauf bestehen, als auf eine 
Massregel des Fortschritts, der Humanität und der 
allgemeinen Wohlfahrt, dass die Homöopathie sofort 
in den medicinischen Hochschulen als Lehrgegen¬ 
stand eingeführt und gleichzeitig in den Hospitälern 
in Anwendung gebracht werde. Kur dem Umstande, 
dass es bisher keinen Lehrstuhl für Homöopathie 
giebt, ist es zuzuschreiben, dass diese bislang so 
wenig Anhänger unter den Aerzten gefunden hat. 
In der Tbat ist das Studium derselben, wenn es 
ohne Lehrer betrieben wird, ausserordentlich lang¬ 
wierig und trocken, und desshalb ist die Zahl 
derer, die sich der Erlernung dieser Heilmethode 
mit Muht und Aufwand an Zeit widmen, nicht eben 
gross . u 

Die belgischen Homöopathen haben als alte 
Allopathen (ich finde augenblicklich keine andere 
Bezeichnung dafür) diesen Muth gehabt und sich 
diese Opfer auferlegt. Ist es da nicht tief beklagens- 
werth, dass man sie in einer Versammlung von 
ärztlichen Collegen als „Charlatane“ bat behandeln 
sehen, ohne dass diese Frivolität auf der Stelle 
gerügt worden ist, wie sie es verdient hätte? 

Lassen Sie uns vielmehr anerkennen, dass Allo¬ 
pathen wie Homöopathen im guten Glauben handeln, 
dass beide aufrichtig der Ueberzeugung sind, dass 
die Heilmethode, die sie ausüben, die beste sei, 
und wenn es einmal durchaus einen Kampf zwischen 
beiden Richtungen geben soll, so finde er statt 
auf dem Felde des Fortschritts, wo jedermann zu¬ 
gelassen werden muss und wo ein systematischer 
Ausschluss der einen Richtung nur ein Eingeständ- 
niss der Schwäche für die andere ist. 

Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so ist übrigens 
der über die Homöopathie seither verhängte Ostra- 
cismus, über den sich Dr. Flassdoen so bitter be¬ 
klagt, in unserem Vaterlande nahe daran, zu ver¬ 
schwinden, und ich verweise nur auf das, was in 
der letzten Sitzung des belgischen Senats gesagt 
worden ist. Herr Senator Terlinden ist dort leb¬ 
haft für die Einführung der Homöopathie als Lehr¬ 
gegenstand an den Staatsuniversitäten eingetreten. 
Ich wollte, ich könnte hier seine glänzende Rede 

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wiedergeben; ich muss mich jedoch, um Sie nicht 
zu sehr zu ermüden, auf einige Citate daraus be¬ 
schränken. Nach dem Eingeständnis, dass die 
Kocb’scbe Lymphe, wenn sie auch bisher nicht als 
ein sicheres Mittel gegen die schreckliche Lungen- 
tuberculose erwiesen, dennoch ein untrügliches 
Diagnosticum für diese Krankheit sei, erklärt Herr 
Terlinden, dass er von der Aehnlichkeit der Her¬ 
stellung der Koch’schen Lymphe mit derjenigen der 
homöopathischen Medicamente überrascht gewesen 
sei. Man könne, so führt er aus, die Wirkung der 
Infinitesimalgaben auf den menschlichen Organismus 
nicht leugnen; die Impfung mit Kuhpockengift be¬ 
weise dies hinlänglich. „Die Zeit ist gekommen/ 
so fährt er fort, „die officielle Achterklärung, die 
so schwer auf der Homöopathie liegt, fallen zu 
lassen; die therapeutischen Lehren müssen offen 
neben einander marschiren können. Es ist hier 
nicht meine Aufgabe, der Homöopathie ein Loblied 
zu singen, aber ich glaube einer gerechten Sache 
zu dienen und die Grenzen meiner Competenz und 
des mir zustehenden Rechtes nicht zu überschreiten, 
wenn ich behaupte, dass ihr Ausschluss von den 
Lebrgegenständen der medicinischen Disciplinen eine 
Lücke an den Staatsuniversitäten darstellt, nnd 
wenn ich dementsprechend für sie eine Stelle in der 
Wissenschaft fordere. 

„Wenn es sich um eine Kunst handelt, die das 
Leben unserer Mitmenschen retten kann, dann ist 
die Unkenntniss derselben ein Verbrechen.“ In 
Amerika gewähren die Lebensversicherungsgesell¬ 
schaften denjenigen Personen, welche sich verpflichten, 
sich* nach homöopathischem Princip behandeln zu 
lassen, eine Prämie und die Amerikaner sind be¬ 
kanntlich practiscbe Leute, die nie etwas ohne 
guten Grund thun.“ 

Herr Baron Surmont de Volsberghe hat dem 
noch Folgendes hinzugefügt: „Das Verlangen des 
verehrlichen Brüsseler Senats ist vollkommen be¬ 
rechtigt; es wäre in der That erforderlich, wenn 
die Regierung sich einmal entschlösse, die Ein¬ 
führung dieses therapeutischen Systems als Lehr¬ 
gegenstand in die Hand zu nehmen. An dem näm¬ 
lichen Tage würde es aber wahrscheinlich zu einem 
allgemeinen Strike seitens der Herren Professoren 
kommen. 

Die Homöopathie macht solche Fortschritte und 
gewinnt tagtäglich dermassen an Ausdehnung und 
Anhang, dass das für die Regierung Veranlassung 
genug sein sollte, unverzüglich diejenigen Mass¬ 
nahmen zu treffen, welche die Situation gebietet.“ 

Was geschieht auf diese Rede vom Ministertische 
aus? Weit entfernt, diese Ausführungen zu be¬ 
kämpfen, giebt der Minister des Inneren Herr de 
Burlet ihnen vielmehr folgende officielle Bestätigung: 

„Man kann nicht leugnen — so erwiderte der 
Herr Minister — dass die Homöopathie grosse Ver¬ 


breitung gefunden hat und dass das Zutrauen zu 
ihr bei den zahlreichen Kranken immer mehr wächst 

Der Antrag des Herrn Terlinden wird die Regier¬ 
ung veranlassen, die Frage zu studiren und zu 
untersuchen, ob es angezeigt ist, facultative Vor¬ 
lesungen über Homöopathie an den Staatsuniversi¬ 
täten einzurichten.“ 

Im weiteren Verlauf der Debatte giebt der 
Minister, als er auf die Einführung der Homöopathie 
in den Kliniken zu sprechen kommt, folgende wich¬ 
tige Erklärung ab: 

„Wenn die Homöopathie sich so weiter ent¬ 
wickelt und ihre Erfolge empfiehlt, so werden die 
Krankenhäuser und Spitäler schon die Initiative zu 
ergreifen wissen, um sich die Leistungen dieser 
medicinischen Schule nutzbar zu machen und die 
Vertheile, die sie bietet, zu verwenden, ohne dass 
es eines besonderen Gesetzes bedürfen wird, um sie 
dazu zu zwingen.“ 

Nun, meine Herren, frage ich Sie, ob das nicht 
völlig auf unsere Verhältnisse und insbesondere auf 
den vorliegenden Fall zutiifft? Hat nicht die Ver¬ 
waltung unseres Armen wesens — angesichts der 
grossen Verbreitung der Homöopathie unter den 
wohlhabenden Classen — von ihrem Rechte, die 
Initiative zu ergreifen, wann und wo es ihm im 
Interesse der seiner Obhut an vertrauten Institute 
angezeigt erscheint, Gebrauch gemacht und offen 
und ohne Umschweife die Homöopathie bei der 
Krankenpflege der Armen eingeführt? Sie sehen 
also, dass jene nützliche Reform des Armenamtes 
ganz im Sinne des Herrn Ministers des Innern 
unternommen ist, und zwar einzig und allein im 
Interesse der leidenden Menschheit sowohl, wie in 
dem des Fortschritts“, um dieselben Ausdrücke zu 
gebrauchen, mit denen die Herren Aerzte die Revi¬ 
sion des Artikels 21 des neuen Reglements bei 
Ihnen befürwortet haben. Diese Revision ist Sache 
der Verwaltung des Armen am tes und nicht die 
unsrige; ich habe die Ueberzeugung, dass der Com- 
munalrath die genannte Verwaltung nicht auffordern 
wird, auf die von ihr getroffenen Massregeln zu 
verzichten, die auch wir gebilligt haben; ich bin 
auch sicher, dass nach unseren Erklärungen die 
Herren Aerzte ihren Widerstand aufgeben werden, 
und dass binnen kurzem allgemeine Ruhe einer un¬ 
berechtigten Agitation Platz machen wird. 

HerrDr. Desguin: Es giebt einen Punkt, über den 
wir sicher alle einer Meinung sind, das ist die 
Nothwendigkeit, sobald als möglich einen Conflikt 
aus der Welt zu schaffen, der nur zu lange schon 
gedauert hat, und den jedermann sehnlichst beseitigt 
wissen will, und zwar die Aerzte nicht minder 
als die Verwaltung des Armenwesens, deren neues 
Reglement bis jetzt nicht hat zur Ausführung ge¬ 
langen können, und die sich daher ausser Stande 
gesehen hat, die von ihr benötbigten Aerzte zu er- 


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nennen. Ein Fortbestand dieser Dinge kann nur 
zu grossen Unzuträglichkeiten führen. Der Ge- 
meinderatb hat die Aufgabe, ihnen ein Ende zu 
bereiten. 

ln den Conferenzen, die zwischen den Dele- 
girten vom Antwerpener Aerzteverein und dem 
Arraenamt stattgefunden haben, hat das letztere die 
Berechtigung der meisten von jenen gemachten Ein¬ 
wände anerkannt und die Wünsche der Aerzte zu 
berücksichtigen versprochen. Zu einer Verständigung 
ist es jedoch nicht gekommen über die Einrichtung 
einer homöopathischen Poliklinik für Arme, denn 
dies würde, was man auch darüber sagen mag, eine 
ofticielle Anerkennung dieser Heilmethode involviren, 
die sie niemals, weder in unserem Lande, noch in 
den Nachbarstaaten erlangt hat. 

Herr Dr. Gits (Zwischenruf): Das ist ein Irrthum, 
ich bitte ums Wort! 

Herr Dr. Desguin (fortfahrend): Die Erklärung 
des Armenamtes, welches zugiebt, in roedicinisch- 
wissenschaftlichen Fragen incompetent zu sein und 
darum gegen die Unterstellung protestirt, als be¬ 
absichtige es, dieses Heilsystem officiell anzuerkennen, 
ist hinfällig angesichts der Thatsache, dass es jene 
Einrichtung einer homöopathischen Poliklinik ge¬ 
troffen hat, was von jedermann in dem Sinne ge¬ 
deutet werden muss, wie es der hiessige homöo¬ 
pathische Aerzteverein aufgefasst hat, der sich zu 
dieser ersten officiellen Anerkennung der Homöo¬ 
pathie beglückwünscht hat. In der von der Hygiene- 
Commission abgehaltenen Sitzung, welcher auch die 
Verwaltungsräthe des Armen wesens beigewohnt 
haben, bin ich mit Nachdruck dafür eingetreten, 
dass diese Herren ihre Absicht, eine homöopathische 
Poliklinik für die Armen zu gründen, fallen lassen 
sollten- Ich kann hier nur den Grund wiederholen, 
den ich damals für meine Auffassung geltend ge¬ 
macht habe: „es ist nicht Sache der Verwaltung 
eines Instituts, wissenschaftliche Fragen zu ent¬ 
scheiden, was doch thatsächlich geschieht, wenn 
man einer gewissen Richtung in der mcdicinischen 
Wissenschaft öffentlich seine Anerkennung aus- 
spricbt.“ 

Herr de Voes: Ich bitte ums Wort! 

Herr Desguin (fortfahrend): Es heisst in der 
That nichts anderes, als: der Homöopathie einen 
therapeutischen Werth beimessen, welcher dem der 
herkömmlichen Schulroedicin zum mindesten gleich¬ 
kommt, wenn man im Armen wesen für sie einen 
Specialärztedienst schaffen will. Das leuchtet doch 
ohne Weiteres ein, denn wenn man ihr diesen 
Werth nicht beimässe, würde man diesen Special¬ 
dienst eben nicht einrichten. Dadurch, dass das 
Armenamt der Homöopathie eine Stelle im Armen- 
Urztedienst anweist, verkündet es laut, dass die 
Homöopathie ein rationelles und wirksames Heil¬ 
verfahren ist; es löst also damit eine wissenschaft¬ 


liche Frage und zwar in einem von der Auffassung 
der in solchen Fragen allein competenten ärztlichen 
Autoritäten abweichenden Sinne. 

Eine öffentliche Verwaltung muss sich in ge¬ 
wissen Grenzen halten, welche Privatpersonen oder 
Privatgesellschaften unter eigener Verantwortung 
jederzeit überschreiten können. Sie ist verpflichtet, 
sich an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten. 
Nun kennt aber das Gesetz den Titel „homöopath. 
Arzt“ nicht an, ebensowenig wie den eines „allo¬ 
pathischen“ Arztes etc. Es kennt nur den Titel 
„Doctor der Medicin“ schlechthin. Die Verwaltung 
hat keine andere Pflicht als die: von den Aerzten, 
die sie ernennt, zu verlangen, dass sie in Bezug 
auf ihr Privatleben ehrenhaft und moralisch un¬ 
bescholten sind, und dass sie in ihrer Berufstätig¬ 
keit correkt handeln. Geht sie darüber hinaus, so 
überschreitet sie ihre Befugniss und misst sich eine 
Macht und eine Competenz bei, die ihr nicht zu« 
kommt. 

Die Grenzen des Wirkungskreises des Gemeinde¬ 
rath es ist für diese Frage ebenfalls genau vor¬ 
gezeichnet: er billigt oder verwirft die von dem 
Armenamte vorgenommenen Ernennungen. Er hat 
sich gleichfalls nicht in die medicinisch-wissen- 
schaftliche Fragen zu mischen, die ihn nichts an- 
gehen, da deren Lösung Specialkenntnisse erfordert. 
Nachdem die Aerzte, welche durch die Erwerbung 
des Doctordiploms bewiesen haben, dass sie die 
verlangte wissenschaftliche Befähigung besitzen, ein¬ 
mal eniannt sind, steht es bei ihnen, über die 
Behandlungsart zu entscheiden, die sie ihren Patienten 
angedeihen lassen wollen. Wenn jeder so verfährt, 
dann bleibt er innerhalb der ihm zustebenden Be¬ 
fugnisse, wobei dann Eingriffe in das Recht Anderer 
nicht Vorkommen können. 

Dieser Auffassung müssen sich alle diejenigen 
anschliessen, die nicht von der Parteibrille geblendet 
sind. Für ein Mitglied einer gemeinnützigen 
Zwecken dienenden Verwaltung ist es unzulässig, 
seine persönliche Vorliebe und subjective Anschau¬ 
ung bei solchen Fragen zu Worte kommen zu lassen, 
da diese sorgfältig davon ausgeschlossen bleiben 
müssen. 

Ich für meinen Tbeil zweifele gar nicht daran, 
dass die Mitglieder des Armenamtes, als sie diese 
Neuerung in Vorschlag brachten, ein nützliches, 
liberales und humanitäres Werk zu thun geglaubt 
httben, da sie durchweg ehrenwerthe Leute sind, 
die mit Eifer der Erfüllung ihrer durch jenes Amt 
gebotenen Pflichten obliegen. Das bindert mich 
aber nicht, zu gestehen, dass ihr Eifer sie zu weit 
geführt und die Grenzen ihrer Befugnisse hat über¬ 
schreiten lassen. Neben verschiedenen anderen Be¬ 
rechtigungen hat das Communalgesetz dem Armen 
amt auch die ertheilt, die von ihm benöthigten 
Aerzte zu ernennen, ohne diese Ernennungen an irgend 


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70 


•ine Bedingung zu knüpfen; es muss sich daher 
hüten, selbst seine Freiheit zu beschränken, was 
ja der Fall ist, wenn es sich durch ein Reglement 
zu einem Ernenuungsmodus verpflichtet, den es 
vielleicht dereinst bereuen könnte. Dasselbe Gesetz 
verleiht dem Gemeinderathe das Recht der Be* 
stätigung oder der Verwerfung, weiter nichts. 

Ich verlange, dass diese beiden Körperschaften 
Sich in den vom Gesetze gezogenen Schranken 
halten. Wenn so die Ursache des Conflicts besei¬ 
tigt ist, dann wird die Eintracht wieder hergestellt 
werden, die bis jetzt zwischen dem Armenamt und 
der Äntwerpener Aerztegemeinschaft gestört ge¬ 
wesen ist. Ich beantrage demgemäss, dass der 
Communalrath im Vertrauen auf den Eifer und die 
Einsicht der Herren Administratoren vom Armen¬ 
amt diese ersucht, ihm ein neues Reglement vor¬ 
zulegen, in welchem sie den § 2 des Artikels 21 
aaszumerzen und im Uebrigen den den Delegirten 
des Aerzteverbandes gemachten Zugeständnissen 
Folge zu geben haben. 

Herr Gits konstatirt, dass Herr Desguin im 
Scboosse der Hygiene-Commission den Artikel 21 
nicht bekämpft hat. Er habe die Beseitigung der 
Wörter „allopathisch“ und „homöopathisch* verlangt, 
die Homöopathie selbst aber niemals bekämpft. 

Herr Desguin legt dar, dass die Ansicht des 
Herrn Gits auf einer irrthümlicben Auslegung seiner 
Reden beruhe. 

Herr de Voes: Ich sehe mich zu meinem 
grössten Bedauern veranlasst, die Anschauungen 
meines verehrten Freundes, des Herrn Dr. Desguin 
in der vorliegenden Frage zu bekämpfen. Es ist 
thatsächlich unerhört, dass sieb um das neue Regle¬ 
ment des Armenamtes solch ein Lärm erhoben 
hat. Man wäre versucht zu glauben, dass es sich 
um die aussergewöbnlichsten Dinge handelt, während 
doch die Herren Aerzte im Grunde genommen sich 
weit mehr gegen die Form, in welcher das Regle¬ 
ment abgefasst und hervorgetreten war, als gegen 
die darin getroffenen Massnahmen gewendet haben. 
Seitdem haben die Administratoren des Armenamtes 
und der Aerzteverein mehrere Zusammenkünfte ge¬ 
halten. 

Herr Desguin: Eine einzige! 

Herr de Voes: Mehrere! Und man hat dabei 
Gelegenheit genommen, sich gegenseitig auszu¬ 
sprechen. Das Armenamt hat dabei fast alle Be¬ 
schwerden der Aerzte berücksichtigt, was sicherlich 
seine versöhnliche Stimmung beweist; nur die der 
homöopathischen Behandlung von erkrankten Armen 
eingeräumte Stelle erbittert fort und fort die Ge- 
müther. Die Herren Aerzte sagen: „Ihr habt ja 
nicht das Recht, diese oder jene medicinische Rich¬ 
tung zu sanktioniren.“ Sicherlich nicht; und es 
fällt uns auch gar nicht ein, das zu tbun. Wir 
ziehen einfach im Intel esse bedürftiger Kranke ein 


medizinisches System zu Rathe, welches eiuen 
grossen Theil der Bevölkerung unserer Stadt für 
sich hat. Hat nicht jeder von uns, wenn er krank 
wird, das Recht-, sich nach der von ihm bevorzug¬ 
ten Methode, die ihn schon früher geheilt hat, be¬ 
handeln zu lassen? Warum soll man diese Mög¬ 
lichkeit dem Armen versagen? Wer kann bestreiten, 
dass sich seit Habnemann die homöopathische Lehre 
nicht nur behauptete, sondern beständig Fortschritte 
gemacht hat, was sich doch im Allgemeinen von 
werthlosen Dingen und unhaltbaren wissenschaft¬ 
lichen Richtungen nicht sagen lässt? Die Homöo¬ 
pathie hat begeisterte Anhänger in allen Schichten 
der Gesellschaft und besonders in den gebildeten 
Klassen; sie zählt unter den Aerzten, die ihr hul¬ 
digen, hochachtbare und verdienstvolle Männer, zu 
deren Kenntnissen und Fähigkeiten man sogar im 
Palais des Grafen von Flandern gern seine Zu¬ 
flucht genommen hat. Andrerseits verdient auch 
hervorgehoben zu werden, dass die homöopathischen 
Aerzte wie ihre Collegen von der Allopathie ein 
Universitätsstudium absolvirt und gleich ihnen das 
Diplom erworben haben; und wenn sie dann später 
ihr Studium weiter fortsetzen und nach vielen 
Forschungen und Beobachtungen sich bewogen 
fühlen, der homöopathischen Heilmethode den Vor¬ 
zug zu geben, kann man ihnen dann a priori die. 
Unterstellung machen, dass dieser Schritt ihrerseits 
nicht das Ergebniss aufrichtiger Ueberzeugung, ge¬ 
wissenhaften Suchens nach der Wahrheit und eif¬ 
rigen Forschens und Beobachteus sei, mit einem 
Worte gesagt, auf die Leichtgläubigkeit des Pu¬ 
blikums speculiren? 

Ich würde den lebhaften Widerspiuch des 
Aerztevereins zu Antwerpen begreifen, wenn man 
der Homöopathie den Yörwurf machen könnte, dass 
sie sich schädlicher, gewaltsamer und gefährlicher 
Mittel bedient, um die Leute zu curiren; aber nichts 
von alledem, denn ihre Arzeneien sind absolut un¬ 
schädlich, ja diese Unschädlichkeit ist es gerade, 
welche Zweifel an der Wirksamkeit der homöo¬ 
pathischen Behandlungsweise hervorgerufen hat. 
Wo steckt da das Uebel? Und beruht denu die 
Wirkung des thierischen Giftes, des Kuhpockengiftes 
und des Spezifiemus gegen die Mikroben nicht auf 
Infinitesimalgaben? Meine Herren, ich fasse meine 
Ausführungen zusammen, indem ich konstatire, dass, 
nachdem das Armenamt dem grössteu Theile der 
Beschwerden des Aerzteverbandes hat Gerechtigkeit 
wiederfahren lassen, es mir unmöglich erscheint, in 
der Frage der homöopathischen Poliklinik weiter 
nachzugeben. 

Ich bedaure das meinerseits lebhaft, weil ich 
d r Ausicht bin, dass hei diesen Fragen des Kran¬ 
kenhausdienstes es wünschenswert ist, wenn die 
Verwaltung Hand in Hand mit der Fakultät geht. 
Aber hier sollten die Aerzte nicht so halsstarrig 


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sein, sondern sich begreiflich zu machen suchen, 
dass wir nur das Beste wollen, wenn wir es nicht 
über uns gewinnen können, einerseits ein gerechtes 
und humanitäres Princip zu opfern und andrerseits 
die unveräusserlichen Rechte der Armen preiszu¬ 
geben. 

Herr van de Walle: Ich schliesse mich völlig 
der Ansicht unseres Collegen, des Herrn Dr. Desguin 
an und erachte, dass es an gezeigt ist, den Para¬ 
graphen 2 des Artikels 21 rundweg zu streichen. 
Ich möchte Sie um die Erlaubniss bitten, meine 
Auffassung der Dinge mit einigen Worten darlegen 
zu dürfen. 

Wenn ich mich zunächst zu der Verwaltungs- 
frage wende, so kann ich die Befürchtung nicht 
verhehlen, dass die Einrichtung einer homöopathischen 
Poliklinik dazu angethan ist, für die Zukunft Schwie¬ 
rigkeiten und Misshelligkeiten aller Art heraufzu¬ 
beschwören. 

Wir wissen alle, dass die homöopathischen Aerzte 
trotz ihrer Schwärmerei, für die Lehre Hahnemanns 
keineswegs die Benutzung anderer Heilmittel ver¬ 
schmähen, dass sie im Gegentheil in entscheidenden 
Fällen zu allopathischen Mitteln greifen. 

Herr Gits (dazwischenrufend): „Falsch!“ 

Herr van de Walle: Welches ist bei dieser 
Sachlage die Pflicht einer öffentlichen Verwaltung, 
die sich selbst für inkompetent erklärt, über die 
Bedeutung einer medizinisch-wissenschaftlichen Frage 
ein Urtheil zu fällen? 

Man fordert die Einrichtung einer homöopathischen 
Poliklinik. Will man dann den Arzt formell ver¬ 
pflichten, bei der Behandlung seiner Kranken aus¬ 
schliesslich homöopathische Medicamente in Anwen¬ 
dung zu bringen? Wenn man ganz logisch sein 
will, dann müsste man dahin gelangen, sogar dann, 
wenn der Arzt die Ueberzeugung gewonnen hätte, 
dass in einem gegebenen Falle eine allopathische 
oder eine andere Behandlung wirksamer sein würde. 

Ich für meinen Theil sehe darin eine Gefahr, 
und ich werfe die Frage auf, ob es nicht weit ver¬ 
nünftiger wäre, dem Arzte in der Behandlung seiner 
Patienten absoluteste Freiheit zu lassen, als ihn auf 
eine bestimmte Heilmethode zu verpflichten. 

Man wird mir einwenden: Man will ja auch 
niemanden in dem von ihm zu befolgenden Heil¬ 
system binden. Wir sind aber vom geraden Gegen¬ 
theil überzeugt; denn fasst man etwa den Plan, eine 
homöopathische Poliklinik zu gründen, ohne dass 
die in diesem Sinne ernannten Aerzte ihre Kranken 
homöopathisch zu behandeln brauchten? Das wird 
doch gewiss niemand ernsthaft zu behaupten wagen. 
Man wird mir ferner entgegenhalten, dass man doch 
auch Institute für Spezialisten, wie Augenärzte, 
Zahnärzte, Orthopädisten und dergl. unterhält, warum 
dann nicht auch solche für Homöopathen? Ganz 
einfach, meine Herren, weil der Vergleich nicht zu¬ 


trifft, denn im ersten Falle handelt es sich darum, 
specielle Krankheiten zu heilen, während die homöo¬ 
pathische Behandlung sich auf alle Krankheiten er¬ 
streckt. 

Nehmen wir einmal an, in einigen Jahren würde 
eine neue Lehre entdeckt, die der Homöopathie un¬ 
endlich überlegen wäre, und diese Ueberlegenbeit 
würde auch von den gerade zu dieser Zeit prac- 
ticirenden Homöopathen anerkannt .... 

Herr Gits: Man wird sie an wenden müssen. 

Herr van de Walle (fortfahrend:) Wenn wir 
dann alle die Ueberzeugung haben, dass diese neue 
Lehre wirkliche Vortheile bietet, die wir auch den 
Armen zu Gute kommen lassen möchten, was sollte 
dann mit dem homöopathischen Poliklinik ge¬ 
schehen? 

Herr van Ryswyck: Man müsste beide Systeme 
in Anwendung bringen. 

Herr van de Walle: Und wer soll in solchem 
Falle entscheiden, welches von beiden Systemen den 
Vorzag verdient und bei der Behandlung von 
Kranken in Anwendung gebracht werden soll? 

Herr Gits: Die Kranken. 

Herr van de Walle: Die unbeschränkte Frei¬ 
heit des Arztes, der sich durch das Studium fach¬ 
wissenschaftlicher Zeitschriften über neue Entdeck¬ 
ungen stets auf dem Laufenden zu erhalten sucht, 
ist sie nicht im eigensten Interesse geboten? Mit 
grossem Aplomb hat man dann zu Gunsten der 
Homöopathie auch demokratische und humanitäre 
Principien geltend gemacht. Die Armen, so hat 
man behauptet, müssen dasselbe Recht haben wie 
die Reichen, unter den verschiedenen Heilmethoden 
die ihnen zusagend^ auszuwählen. 

Ich bin vollkommen einverstanden mit denjenigen, 
die solche Grundsätze vertreten, und gerade deshalb 
will ich mich der Ernennung von homöopathischen 
Aerzten nicht widersetzen. Wie kann man uns 
aber ernstlich den Vorwurf machen, wir zeigten 
Mangel an humaner Gesinnung, wenn wir verlangen, 
dass diese homöopathischen Aerzte nach denselben 
Grundsätzen, wie alle übrigen Aerzte, ernannt wer¬ 
den, ohne dass man damit zugleich ihre Heilmethode 
officiell anerkennt? Wie kann man es uns ver¬ 
übeln, dass wir Angesichts der eingestandenen In¬ 
kompetenz sowohl des Armenamtes als der Com- 
munalverwaltung, über den wissenschaftlichen Werth 
der beiden hier in Frage kommenden medizinischen 
Richtungen zu entscheiden — ich sage, wie kann 
man uns einen Vorwurf daraus machen, dass wir 
auf Grund dieser Thatsache nur verlangen, dass 
man einfach Doktoren der Medizin ernenne, die in 
Belgien das ärztliche Diplom erhalten haben, ohne 
dass man weiter nach der Methode fragt, der 
sie unter eigener Verantwortung huldigen? Und 
wenn man zu Armenärzten auch Homöopathen er¬ 
nannt hat, was bedarf es denn da noch der weiteren 


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Bestimmung, dass man noch besondere Consultations- 
stunden für sie einrichtet, was doch für die allo¬ 
pathischen Aerzte nicht geschieht*? 

Herr Gits: Doch! doch! 

Herr van de Walle (fortfahrend): Muss man 
ihnen noch eine besondere Poliklinik zur Verfügung 
stellen, während es mir doch zu genügen scheint, 
dass man in der Apotheke des Armenamtes die er¬ 
forderlichen Arzeheien bereit hält, ganz so, wie 
man sie sich in den städtischen Apotheken ver¬ 
schaffen kann? 

Ich sehe also nicht die Nothwendigkeit ein, den 
zweiten Paragraphen des Artikels 21 aufrechtzuer¬ 
halten, und werde deshalb für die Beseitigung des¬ 
selben stimmen. Da man andrerseits zu Gunsten 
der Einführung einer homöopathischen Poliklinik 
demokratische und humanitäre Gründe geltend ge¬ 
macht hat, so behaupte ich demgegenüber, dass 
das wahre demokratische Prmcip verlangt, dass 
man dem Arzte in der Behandlung kranker Be¬ 
dürftiger nicht die Hände bindet, sondern ihm im 
Gegentheii die grösstmöglicbste Freiheit sichert und 
ihm nicht auf eine bestimmte medizinische Richtung 
schwören lässt. 

Herr Tonnelier: Meine Herren! Seit mehreren 
Wochen hat man die Verwaltung des Armenamtes 
zu heftig angegriffen, ja sogar geschmäht, als dass 
ich mich nicht veranlasst sehen sollte, Einiges zu 
ihrer Verteidigung hier zu sagen, falls dies nach 
der bemerken werten Rede unseres verehrten Herrn 
Coüegen Dr. Gits überhaupt noch nöthig erscheint. 

Ich habe die Petition, welche der Aerzteverein 
bei uns eingereicht hat, mit grosser Aufmerksamkeit 
gelesen und bedaure, dass die ihr gegebene Form 
auffallend dem gleicht, was die Herren Aerzte des 
Armenamtes in allen Verhandlungen vorgebracht 
haben, die sie mit dieser Verwaltungsbehörde ge¬ 
pflogen haben — und in der That erscheint die 
Petition dem Antwerpener Aerzteverein mehr als 
ein Wunschzettel, denn als eine Darlegung und 
Prüfung der einschlägigen Verhältnisse. Nach 
meiner Meinung bringen diese Herren die ihnen 
gemachten Zugeständnisse zu wenig in Anschlag, 
denn aus diesen gebt doch die versöhnliche Ge¬ 
sinnung des Armenamtes klar und deutlich hervor. 

Unter den von den Delegirten des Antwerpener 
Aerzte Vereins vorgeschlagenen Aenderungen be¬ 
finden sich mehrere, die der Verwaltung des Armen¬ 
amtes nicht einmal vorgelegt worden sind! Was 
soll man von einer solchen Rücksichtslosigkeit gegen 
eine öffentliche Verwaltung halten? 

Von allen den Artikeln, zu denen Aenderungen 
beantragt sind, werde ich hier nur einen heraus¬ 
greifen, nämlich den Artikel 21, § 2, weil im Ver¬ 
gleich zu diesem alle anderen nur eine relative 
Bedeutung haben, und es auf beiden Seiten nur 
geringer Zugeständnisse bedürfen wird, um zu 


einer Einigung zu gelangen, und dies um so eher, 
als die Armenverwaltung, um ihr Entgegenkommen 
zu beweisen, bereits fast alle gewünschten Abände¬ 
rungen vorgenommen hat. 

Hinsichtlich des Artikels 21, § 2 protestiren 
die Herren Aerzte mit aller Entschiedenheit gegen 
die durch denselben implicite bewirkte officielle 
Anerkennung der Homöopathie Seitens einer öffent¬ 
lichen Verwaltung. Nun, mögen die Herren Aerzte 
auch dazu sagen, was sie wollen, gegen eine solche 
Anmassung ihrerseits lege ich als Delegirter der 
demokratischen Föderation, deren Interessen ich 
zu vertheidigen habe, Verwahrung ein. 

Die Aerzte glauben einen Haupttrumpf gegen 
uns ausgespielt zu haben, wenn sie uns für in¬ 
kompetent erklären; in der Theorie gebe ich das 
gerne zu, obwohl ich den Herren erwidern könnte, 
dass wir ebensowenig kompetent sind hinsichtlich 
der allopathischen Heilmethode, deren Anerkennung 
unsererseits sie sich seither stets haben gefallen 
lassen, ohne dagegen zu protestiren. 

Die Herren Aerzte behaupten, dass die Homöo¬ 
pathie der wissenschaftlichen Basis entbehre; aber 
das stimmt keineswegs zu der Ansicht der Homöo¬ 
pathen, unter denen es, wie Jedermann zugeben 
muss, ebenfalls hochverdiente Männer von tiefem 
Wissen giebt. Die medicinische Academie, so be¬ 
haupten jene Aerzte, habe die Homöopathie feier¬ 
lichst verurtheilt; mag sein, aber was will da? be¬ 
sagen, wenn man bedenkt, dass jene Academie aus¬ 
schliesslich aus Allopathen zusammengesetzt ist? 
Trotz der Achtung aber, die wir vor ihr haben, 
können wir uns der Ansicht jener Aerzte nicht an- 
schliessen in Anbetracht dessen, dass sie in der 
streitigen Angelegenheit Kläger und Richter zu¬ 
gleich sind. 

Herr Desguin: Haben wir hier die Entschei¬ 
dungen der medicinischen Academien zu erörtern? 
Das fehlte noch! 

Herr Gits: Keineswegs. 

Herr Tonnelier (fortfahrend): Wenn wir auch 
inkompetent sind, so geht dies doch nicht so 
weit, dass wir nicht auch die von der Homöopathie 
erzielten Resultate konstatiren dürften. Nun sind 
wir alle aber, wie ich glaube, Zeugen zahlreicher 
äusserst günstiger bei homöopathischer Behandlung 
gemachter Curen gewesen. Ich will damit keines¬ 
wegs gesagt, haben, dass die Homöopathen alle 
ihre Patienten heilen, aber ich frage Sie: Sind die 
Allopathen darin besser dran? Ich wage das zu ver¬ 
neinen. 

Ein Punkt aber unter den von dem Antwerpener 
Aerzteverein angeregten Bestimmungen, der so 
unlogisch wie nur möglich ist, ist mir ganz be¬ 
sonders aufgefallen, nämlich der Umstand, dass die¬ 
jenigen, welche behaupten, dass es mit der Homöo¬ 
pathie nichts sei, dass sie keine wissenschaftliche 


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Basis habe und sogar als Charlatanerie bezeichnet 
werden müsse — denn die, welche es nicht laut 
sagen, glauben es im Stillen desto sicherer — ge¬ 
statten wollen, dass ein homöopathischer Arzt unter 
der Bedingung ernannt werde, dass er seine Fahne 
nicht öffentlich aufpflanze, sondern sie in die Tasche 
stecke. Ich für meinen Theil finde — und viele 
Leute mit mir —, dass ein solcher Vorschlag von 
Seiten der Antwerpener Aerzte ein ganz neues 
Licht auf deren kleinliche Gesinnung wirft Dem¬ 
gegenüber halte ich an der Ueberzeugung fest, dass 
wir, der Gemeinderath das Richtige treffen werden, 
wenn wir uns nur von einer Rücksicht leiten 
lassen, nämlich von dem Bewusstsein, dass der 
Arme ein Recht darauf hat, die Möglichkeit zu er¬ 
langen, nach homöopathischer Methode behandelt 
zu werden, falls dies sein Wunsch ist; ein gerechter 
und demokratischer Gedanke, wie es kaum einen 
zweiten giebt Was sind denn übrigens die homöo¬ 
pathischen Aerzte für Leute? Haben sie nicht eben¬ 
so gut wie jene ihre Examina gemacht und ihr 
Diplom erworben? Wenn sie daher angezogen oder 
verführt von der Homöopathie sich der Menschheit 
widmen, indem sie nach ernstem Studium dieser 
Methode gerade diese bevorzugen, spricht das 
nicht .ganz zu deren Gunsten? Ein solches Ver¬ 
fahren ist doch sicher weit anerkennenswerther als 
das der meisten allopathischen Aerzte, die die Ho¬ 
möopathie mit aller erdenklichen Schärfe und Er¬ 
bitterung bekämpfen, ohne etwas von ihr zu ver¬ 
stehen. 

Ein anderes von den Herren Allopathen gegen 
die Homöopathie vorgebrachtes Argument ist die 
der Vernunft und dem gesunden Menschenverstände 
ohne Weiteres einleuchtende Wirkungslosigkeit der 
homöopathischen Streukügelchen und Arzneien in 
20, 50 fach er Verdünnung. Aber die Vernunft, so 
wie sie in uns existirt, ist weit davon entfernt, 
eine absolute zu sein. Könnte mir Jemand mit 
Gründen der blossen Vernunft die Uebermittelung 
des Gedankens auf den Körper in befriedigender 
Weise erklären? Und doch sind dafür ganz wie 
für die Wirkungen homöopathischer Arzneien zahl¬ 
reiche Thatsachen konstatirt worden, die zu citiren 
hier nicht weiter nöthig ist 

Die Homöopathie ist keine neue Wissenschaft; 
sie hat hinreichende Beweise für ihre Daseinsberech¬ 
tigung gegeben und kann füglich verlangen, dass 
man ihr auch das Bürgerrecht ertheile. Wenn 
unsere Academie der Medicin sie zurückgewiesen 
hat, giebt es dafür nicht andere, welche sie aner¬ 
kannt haben? Ich erwähne nur Pesth, wo die Re¬ 
gierung trotz des Widerspruchs der Aerzte einen 
officiellen Lehrstuhl für Homöopathie an der dor¬ 
tigen Universität dekretirt hat. Auch sind daselbst 
mehrere Krankenhäuser mit homöopathischer Be¬ 
handlung verbunden. Ebenso giebt es in Wien 


mehrere homöopathische Spitäler, von denen eines 
Staatsunterstützung empfängt. Ist das nicht eine 
absolute Anerkennung des Werthes der Homöo¬ 
pathie; giebt es nicht Spitäler dieser Art auch in 
Frankreich, in Amerika u. s. w ? 

Herr Desguin: In Frankreich? 

Herr Gits: Ja, wohl! 

Herr Tonnelier (fortfahrend): Hat man in 
diesen Anstalten nicht ebenso glänzende Heilungen 
zu verzeichnen, wie in den Spitälern, wo man die 
Kranken nach dem allopathischen Verfahren be¬ 
handelt? 

Die Ein wände der Herren Aerzte entbehren 
also nach meinem Dafürhalten der Begründung. 
Wir, der Gemeinderath, haben häufig ausgesprochene 
Wünsche der städtischen Bevölkerung zu berück¬ 
sichtigen und dem Armen die Freiheit zu gewähren, 
sich seinem Wunsche gemäss behandeln zu lassen 
und zwar von Aerzten, die nach einer Methode ver¬ 
fahren, welche sich aufs Beste bewährt hat. Ich 
werde also gegen den Vorschlag der Herren Aerzte 
stimmen, der auf Beseitigung des Artikels 21, § 2 
aus dem Reglement geht. 

Bevor ich schliesse, möchte ich mir noch einige 
Worte über das Verhalten der Herren Aerzte vom 
Armenamt gestatten. Dasselbe ist durchaus inkor¬ 
rekt und ungeziemend gewesen; denn diese Herren 
haben uns das Schauspiel einer höchst charakte¬ 
ristischen Meuterei geboten dadurch, dass Sie sich 
zweimal weigerten, den Sitzungen beizuwohnen, zu 
denen man sie ordnungsmässig zusammenberufen 
hatte. Sie meine Herren Aerzte, von denen ich 
spreche, bilden einen Theil des Personals einer Ver¬ 
waltung und als solcher sind Sie deren Beamte. 
Ihre Pflicht war es also, die Weisungen zu befolgen, 
die Ihnen Ihre hierarchischen Chefs gegeben hatten. 
Wenn in Verwaltungsangeiegenheiten solche Grund¬ 
sätze zur Geltung kommen sollten, wie Sie in dieser 
Frage gezeigt haben, wohin soll das führen? Ich 
will hoffen, dass sich solche Vorgänge niemals 
wiederholen werden, oder dass im anderen Falle die 
Verwaltung des Armenamtes die Massnahmen treffen 
wird, welche die Lage erheischt. 

Herr Gits: Meine Herren, ich möchte noch 
Einiges auf den Theil der Rede des verehrten 
Herrn Desguin erwidern, worin er behauptet hat, 
dass in keinem der benachbarten Länder die Homöo¬ 
pathie in staatlichen Instituten eingeführt sei Das 
ist ein Irrthum, denn ich kann Ihnen verschiedene 
Beispiele anführen, die das Gegentbeil beweisen. 
In Paris ist am 13. Juli 1878 durch einen Erlass 
des Präsidenten der französischen Republik das von 
der SociötE honiEopathique de France gegründete 
Saint Jacques-Hospital als ein Etablissement der 
öffentlichen Wohlfahrt (Etablissement d'utilitA pub¬ 
lique) anerkannt worden. Dieses Dekret ist auf 
Grund eines gemeinsamen Beschlusses des Minister- 

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ratbes, des Seinepräfekten und des Pariser Stadt- 
ratbes erlassen worden; und in der Folge sind 
dieser Anstalt die Rechte einer juristischen Person 
verliehen worden. Schon im Jahre 1863 ermäch¬ 
tigten die Administratoren des Krankenhauses zu 
Roubaix Herrn Dr. Liagre, einen Arzt an demselben, 
der seit 30 Jahren nach allopathischen Grundsätzen 
curirte, die in jene Anstalt aufgenommenen Kranken 
nach homöopathischer Methode zu behandeln. In 
einem amtlichen Berichte aus dem Jahre 1865 macht 
Herr Dr. Liagre die mit der neuen Behandlungs¬ 
weise erzielten ausgezeichneten Resultate bekannt 
Er weist nach, dass gegenüber der Behandlung 
nach der alten Methode die Sterblichkeit sich um 
6°/ 0 verringert habe und schliesst seinen Bericht 
mit folgenden Worten: „Weniger Todesfälle, mehr 
Heilungen, Abkürzung der Krankheitsdauer, Er¬ 
sparnisse an Apothekerkosten.“ 

In Italien ist Turin anzuführen, woselbst die 
homöopathische Vereinigung durch einen Erlass 
des Königs von Italien vom 24. Januar 1886 die 
Eigenschaften einer juristischen Person, sowie einen 
Zuschuss von 10 000 Fr. erhalten hat. Dieser Ver¬ 
ein hat dann in Rom, Venedig, Turin und Mailand 
homöopathische Polikliniken gegründet. Es ist da¬ 
selbst im Jahre 1890 auch ein homöopathisches 
Krankenhaus mit Genehmigung des Provinzial- 
gesundheitsrathes eröffnet worden. 

In Venedig hat ein hochherziger Bürger eine 
Summe von 300000 Fr. zur Errichtung eines ho 
möopathischen Krankenhauses ausgesetzt. Durch 
ein Dekret vom 27. März 1890 bat die italienische 
Regierung auch dieser Stiftung die Rechte einer 
juristischen Person verliehen. 

In Spanien hat ein königliches Dekret die Ein¬ 
richtung eines Institutes zur Unterweisung in der 
Homöopathie, sowie einer damit verbundenen Klinik, 
angeordnet. Das Specialkrankenhaus San Jos6 ist 
eigens zu diesem Zwecke ins Leben gerufen und 
am 2. Februar 1878 in Madrid eröffnet worden. 

Das homöopathische Asyl für Geisteskranke zu 
Middleton, das im Jahre 1883 errichtet worden ist, 
wird auf Kosten des Staates New-York erhalten. 

Zu Westborough im Staate Massachusetts ist 
im Jahre 1888 eine ganz vom Staate abhängige 
Irrenanstalt gegründet worden, in welcher nur die 
homöopathische Heilmethode in Anwendung kommt. 
Der Staat hat ihr einen jährlichen Zuschuss von 
20000 Dollar zugebilligt. 

In Pennsylvanien hat die Gesetzgebung soeben 
dem homöopathischen Krankenhause zu Pittsburgh 
eine Subvention von 50000 Dollar und der homöo¬ 
pathischen Entbindungsanstalt für arme Frauen zu 
Philadelphia eine solche von 20 000 Dollar gewährt. 
In Rochester hat die Stadtbehörde im Jahre 1886 
entschieden, dass die Hälfte des dortigen Kranken¬ 
hauses der homöopathischen Behandlung einge¬ 


räumt werde. In den Staaten Michigan und Jowa 
giebt es Staatsuniversitäten; und zwar wurde die 
Einführung der Homöopathie als Lehrgegenstandes 
an der ersteren im Jahre 1874 und an der letz¬ 
teren im Jahre 1875 trotz des lebhaften Wider¬ 
spruches der allopathischen Professoren beschlossen. 
Desgleichen giebt es in Michigan ein vom Staate 
unterhaltenes homöopathisches Krankenhaus. 

Im Staate New-York hat im Jahre 1875 der 
Stadtrath zu New-York — in Folge umfangreichen 
und lebhaften Petitionirens Seitens der Einwohner¬ 
schaft — eines der drei grossen Stadtkrankenhäuser, 
das 600 Betten umfasst, den homöopathischen 
Aerzten zugewiesen. Ein amtlicher Bericht hat con- 
statirt, dass in dem homöopathischen Krankenhause 
die Sterblichkeit eine geringere ist, als in den an¬ 
deren. 

In Australien und zwar in Melbourne, ist im 
Jahre 1882 ein homöopathisches Krankenhaus durch 
den Gouverneur des Staates eingeweiht worden. 
Der Grund und Boden dazu ist von der Regierung 
geschenkt worden, und ausserdem empfängt die 
Anstalt Unterstützungen aus dem öffentlichen Fonds 
für mildthätige Stiftungen. 

Im Jahre 1882 ist an der Universität zu Monte¬ 
video ein homöopathischer Lehrstuhl errichtet wor¬ 
den; die Vorlesungen hält Dr. Ramon Val des 
Garcia. 

Im Jahre 1879 hat der Gouverneur des Staates 
Vera Cruz ein von der gesetzgebenden Körperschaft 
angeregtes Dekret erlassen, dessen erster Artikel 
folgendermassen lautet: „Die homöopathische Fakul¬ 
tät wird hierdurch vom Staate anerkannt und ge- 
niesst seinen Schutz.“ 

Ich führe alle Daten an, die mir zur Hand 
sind, um nicht den geringsten Zweifel an den von 
mir erbrachten Beweisen für die officielle Aner¬ 
kennung und Einführung der Homöopathie auf- 
kommen zu lassen. 

Diese von mir angezogenen Tbatsachen beweisen 
doch wohl zur Genüge, dass die Homöopathie ver¬ 
schiedentlich — wenn auch nicht gerade sanktionirt 
— so doch zum Mindesten öffentlich anerkannt 
ist, und dass derjenige in einem Irrthume befangen 
ist, welcher glaubt, dass die Homöopathie staat- 
licheiseits nirgends Beachtung gefunden habe. 

Herr Desguin: Ich habe nur von den benach¬ 
barten Ländern gesprochen! 

Herr Gits (fortfahrend): Aber ich habe doch 
soeben Frankreich, Spanien, Italien und Russland 
erwähnt. 

Was nun Herrn van de Walle anbetrifft, so hat 
er die Errichtung einer homöopathischen Poliklinik 
bekämpft, weil seiner Meinung nach aus dieser Ein¬ 
richtung allerlei Uebelstände entspringen würden, 
aber er hat nichts dagegen, dass die Homöopathie 
durch eine Hinterthür einschlüpft, indem sie ihre 


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Fahne in die Tasche steckt. Dieses Verfahren 
leidet an dem grossen Uebel, dass es der Offen¬ 
herzigkeit und Freimüthigkeit entbehrt, und ich 
glaube nicht, dass ein liberaler Gemeinderath dem 
seine Zustimmung geben kann. Ein zweiter Uebel- 
stand würde der sein, dass es ganz von dem Be¬ 
lieben der Verwaltung der Spitäler abhängen würde, 
ob homöopathische Aerzte ernannt werden oder 
nicht; es würde genügen, dass das Armenamt aus 
lauter Gegnern dieser Heilmethode bestände, um 
das Votum des Gemeinderathes illusorisch zu 
machen. 

Herr Dr. Desguin: Der Herr Dr. Gits hat 
soeben eine lange Reihe von Staaten und Provinzen 
aufgezählt, wo man homöopathische Institute er¬ 
richtet hat, sei es aus Initiative von Privatpersonen, 
sei es unter Mitwirkung der Regierung Ich leugne 
das nicht, aber ich hole meine Beispiele nicht gern 
so weit her. In Amerika giebt man bekanntlich 
für 100 Dollars Doctordiplome solchen Leuten, die 
überhaupt keine Vorlesung gehört haben. Der Herr 
College hat auch angeführt, dass amerikanische 
Lebensversicherungen gewisse Vertheile denjenigen 
Versicherten bieten, die sich nach homöopathischen 
Grundsätzen behandeln lassen. Ich kenne speciell 
drei hochangesebene amerikanische Gesellschaften 
dieser Gattung, welche ein solches Verfahren über¬ 
haupt nicht kennen. 

Herr Spee beantragt nach einer sehr gewich¬ 
tigen Rede, worin er gebeten hatte, dass man bei 
dieser Frage seine persönliche Vorliebe für eins 
der beiden streitigen Systeme nicht in Betracht 
ziehen möchte, folgende eine gegenseitige Aus¬ 
söhnung bezweckende Tagesordnung: 

a) In Hinsicht auf die vom 30. September v. J. 
datirte Petition der Herren Aerzte, durch welche 
sie den Gemeinderath ersuchen, an dem von diesem 
in der Sitzung am 21. Juni 1891 angenommenen 
Reglement für den Armenörztedienst mehrere Ab¬ 
änderungen vorzunehmen; 

b) angesichts des vom 29. September datirten 
Schreibens der Verwaltung des Armenamtes, wel¬ 
ches die Protocolle der Sitzungen vom 16, 22 und 
26. desselben Monats übermittelt; 

c) in der Erwägung, dass in Folge der Ver¬ 
handlungen, welche zwischen den Herren Aerztedele- 
girten und dem Armenamt stattgefunden haben, das 
letztere — um eine Versöhnung herbeizuführen — 
darein gewilligt hat, die meisten der von den Herren 
Aerzten aufgestellten Forderungen zu berücksich¬ 
tigen; 

d) in Anbetracht dessen, dass die Herren Ver¬ 
walter des Armenamtes, wie sie selbst deutlich 
genug erklärt haben, mit der Aufstellung des Ar¬ 
tikels 21, § 2, der da lautet: „Die Verwaltung 
des Armenarates setzt die Sprechstunden für die 
homöopathischen Armenärzte fest/ 1 keineswegs eine 


offizielle Sanktionirung der homöopathischen Heil¬ 
methode überhaupt beabsichtigt haben, und zwar 
ebensowenig, wie ihnen dies bezüglich irgend eines 
anderen Heilsystems je in den Sinn gekommen ist; 
und in Erwägung dessen, dass weder das Armen¬ 
amt noch der Gemeinderath zu einem solchen 
Schritte kompetent ist; 

e) mit Rücksicht darauf, dass das Armenamt 
in seiner Eigenschaft als Verwalter des Armen¬ 
vermögens einzig und allein den Zweck im Auge 
hat, den Bedürftigen die Erlaubniss zu gewähren, 
freiwillig und kostenlos die Hälfte der homöopa¬ 
thischen Heilmethode in Anspruch zu nehmen, 
deren Existenz und weite Verbreitung eine notorische 
Thatsache ist; 

f) in der Erwägung, dass unter diesen Um¬ 
ständen der Artikel 21, § 2 unmöglich die Be¬ 
deutung hat, die ihm die Herren Patienten bei¬ 
messen; dass er also nicht die offizielle Anerkennung 
eines medizinischen Heilsystems, sondern nur eine 
einfache Verwaltungsmassregel darstellt, deren hu¬ 
manitärer und demokratischer Zweck nicht verkannt 
werden kann; 

g) in Anbetracht aller dieser Thatsachen nimmt 
der Gemeinderath Akt von den Erklärungen der 
Herren Verwalter des Armenamts, fordert sie auf, 
ihm ein im Sinne dieser Erklärungen abgeändertes 
Reglement vorzulegen, und geht damit zur Tages¬ 
ordnung über. 

Herr Gittens. Ich habe in der letzten Sitzung 
das Wort ergriffen, obgleich der Gegenstand, der 
uns heute beschäftigt, damals nicht zur Besprechung 
stand. Einige haben mein Eingreifen stürmisch 
gefunden; darüber möchte ich mich heute aus- 
sprecheu. Seit mehr als zwei Stunden redet man 
hier von nichts als von Aerzten und Heilmethoden, 
und ich kann mir nicht denken, dass seit Moliöre 
es einen dramatischen Schriftsteller gegeben hat, 
der so lange über einer ärztlichen Frage gebrütet 
hat. Allerdings machte sich Moliöre mit ausser¬ 
ordentlichem Witze darüber lustig. Sein Clysterium 
donare! kennt jedermann. Die von den Aeskulapen 
der damaligen Zeit verordneten Dosen waren freilich 
sehr beträchtlich, und als es nicht mehr von 
vorn gehen wollte, ihren Patienten den Bauch voll¬ 
zufüllen, kehrten sie dieselben um und Hessen von 
hinten ihr schwerstes Belagerungsgeschütz auf- 
fahren und in Aktion treten. Seitdem hat ja, wie 
es nicht anders sein konnte, die Wissenschaft 
Fortschritte gemacht. Ich bin aber nicht ganz 
sicher, ob dennoch die heutigen Aerzte den Pfeilen 
des berühmten Dichters entgehen würden. Vielleicht 
würde er jetzt die Infinitesimalgaben verspotten. 
— Was nun die Armen anbetrifft, so hat man sich 
hier bis jetzt sehr wenig mit ihnen beschäftigt. 
Ich für meine Person möchte daher über diese 
einiges sagen. 

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Es ist wobl möglich, dass, wenn man sie fragen 
würde, ob sie nach allopathischer oder nach ho¬ 
möopathischer Methode behandelt sein wollen, sie 
zur Antwort geben würden: Ich möchte vorziehen 
von „beiden“ behandelt zu werden. 

In der letzten Sitzung habe ich Ihnen von 
einem empörenden Uebelstande erzählt, den ich 
selbst im Jahre 1868 zu konstatiren in der Lage 
gewesen bin. Ich habe, als ich neulich daran er¬ 
innerte, das Armenamt dazu beglückwünscht, dass 
es endlich Massregeln ergriffen hat, um Missbräuche 
auszurotten, die niemals vollkommen verschwinden 
wollten, welchen Eifer die Administrationen auch 
darauf verwendeten, ihre Aufgabe nach allen Rich¬ 
tungen hin gewissenhaft zu erfüllen. 

Wenn man mir versichert, dass seit 1868 die 
Armenärzte ihre Patienten mit aller gewünschten 
Sorgfalt untersuchen und behandeln, wenn man 
mir den Beweis erbringt, dass die Aerzte keine 
Arzneien mehr verordnen, ohne die Kranken ge¬ 
sehen zu haben, dass seil, jener Zeit die Armen¬ 
ärzte sieb nicht mehr geweigert haben, die Patienten 
in ihren Wohnungen zn besuchen, dann, aber nur 
dann werde ich meine der jetzigen Haltung des 
Armenamtes ausgesprochene Anerkennung als un¬ 
gerechtfertigt zurückziehen und in den Massnahmen 
desselben nur einen kleinlichen Uebereifer erblicken. 
Wir sind aber leider weit von diesem idealen 
Zustande entfernt. Zwei oder drei Beispiele werden 
genügen, um Ihnen das zu zeigen Ich habe hier 
in den Händen ein Verzeichniss der Konsultationen, 
sowie der von jedem Arzte darauf verwandten 
Zeit und der Zahl der von ihnen untersuchten 
Patienten; untersucht ist aber wohl zu viel gesagt, 
da ira Mittel auf je einen Patienten kaum eine 
Minute Consultationszeit kommt. Ich citire aufs 
Gerathewohl, ohne jedoch Namen zu nennen. Man 
höre: 

Ein Arzt kommt 5 Minuten zu spät; er bleibt 
45 Minuten und behandelt 36 Kranke. Am fol¬ 
genden Tage verspätet er sich um 10 Minuten. 
Er bleibt 35 Minuten da und behandelt 16 Kranke. 
Tags darauf kommt er 15 Minuten zu früh; nun 
wohl! Er hält sich 55 Minuten auf und behandelt 
in dieser Zeit 45 Patienten. An dem nun folgenden 
Tage trifft er wieder 10 Minuten zu früh ein. 
Pas ist noch einer der besten. Er untersucht 11 
Kranke in 35 Minuten. Das nächste Mal erscheint 
er pünktlich. Aufenthalt 25 Minuten; Zahl der 
Patienten 15. Endlich am letzten Tage verspätigt 
er sich um 5 Minuten und behandelt 16 Kranke 
in 30 Minuten. Dieser Arzt verdient ehrende Er¬ 
wähnung. An seiner Dienstleistung lässt sich 
weiter nichts aussetzen. Der folgende aber kommt 
regelmässig eine Stunde und 10 Minuten, eine 
Stunde und 5 Minuten, 1 Stunde, 1 Stunde und 
10 Minuten zu spät und setzt schliesslich dem 


Ganzen die Krone auf mit einer Verspätung von 
1 Stunde und 20 Minuten. Er fertigt 19 Kranke 
in 30 Minuten, 27 in 30 Minuten, 22 in 35, 28 
in 20 und schliesslich 22 in 30 Minuten ab. 

Ein anderer, der Tag für Tag um 50 Minuten 
zu spät eintrifft, behandelt 28 Kranke in 25 
Minuten, und endlich ein anderer bringt es eben¬ 
falls zu Wege, 27 Kranke in 20 Minuten abzu¬ 
fertigen. — 

Nun, meine Herren, das neue Regulativ schlug 
vor, dass zwar die Zahl der Aerzte verringert, da¬ 
gegen aber das Honorar derjenigen, welche beibe¬ 
halten würden, um ein Beträchtliches erhöht werden 
sollte, jedoch mit der Bestimmung, dass sie dafür 
zu einer faktischen Dienstleistung von zwei Stunden 
verpflichtet sein sollten. Was den Ein wand an¬ 
belangt, dass die Armen sich erst im letzten Augen¬ 
blick zur Consultation einfinden und die dienst¬ 
habenden Aerzte sich daher tödtlich langweilen 
würden, wenn sie auf dieselben warten müssten, 
so hat die Erfahrung gelehrt, dass es sich keines¬ 
wegs so verhält, dass vielmehr die Aerzte, welche 
pünktlich zur Consultation erscheinen — ihre Pa¬ 
tienten vollzählig vorfanden, so dass sie sogar vor 
der vorschriftsmässigen Zeit wieder fortgeben 
konnten. Diejenigen dagegen, welche regelmässig 
zu spät kamen — und wir haben gesehen, dass 
das oft mehr als eine Stunde betrug — mussten 
die Erfahrung machen, dass es ihre Kranken genau 
so wie sie machten, nämlich erst im letzten Augen¬ 
blick erschienen, was man ihnen nicht verdenken 
kann, da der Arme noch weniger Zeit zu verlieren 
hat als der Reiche, um zu warten, bis es den 
Herren Aerzten beliebt zu erscheinen. 

Dies, meine Herren, waren die Zustände im 
Laufe des Monats September, wo doch der von 
den Aerzten inscenirte Zwischenfall die allgemeine 
Aufmerksamkeit weit mehr als früher auf ihre 
Thätigkeit richtete, und wo sie doch alle Veran¬ 
lassung gehabt hätten, ihren Pflichten gewissen¬ 
hafter nachzukommen, um auf diese Weise die 
Grundlosigkeit der Beschwerden zu zeigen, die doch 
gerade das Armenamt bewogen hatten, ein neues 
Regulativ auszuarbeiten. Sie hätten dies um so 
mehr thun müssen, als sie das Vorhandensein irgend 
welcher Missstände bestritten. 

Ich finde es daher nicht in der Ordnung, dass 
die Verwaltung des Armenamtes die Reklamationen 
von jener Seite hinsichtlich der Zahl der Armen¬ 
ärzte als begründet erachtet hat. Das Armenamt 
hat meines Dafürhaltens sich bei diesen Verhand¬ 
lungen von Opportunitätsrücksichten leiten lasseu, 
ja man möchte fast sagen, eine gewisse Schwäche 
an den Tag gelegt. Ich hätte es lieber gesehen, 
wenn man die ursprünglich aufgestellte Zahl von 
Aerzten festgehalten, dagegen die Bestimmung ge¬ 
troffen hätte, dass sie alle den von dem Regulativ 


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vorgeschriebenen Dienst zu leisten haben. Man 
bat auch Sparsamkeitsrücksiebten geltend gemacht. 
Ich finde diesen Grund in einer solchen Frage, wie 
der vorliegenden, völlig unangebracht. Ich halte 
jede auf Kosten der Hygiene oder der Gesundheit 
gemachte Ersparung für schädlich. Ein wohlge¬ 
ordneter und gewissenhaft vollzogener Aerztedienst 
muss nothwendigerweise zur Folge haben, dass sich 
die anderen Ausgaben, welche das Armenamt im 
Interesse seiner Pfleglinge zu machen hat, ver¬ 
ringern. Er kann nicht vollkommen und sorgfältig 
genug sein. Und wenn die Aerzte bei ihren For¬ 
derungen sich diese Grundsätze zur Richtschnur 
nehmen, so werde ich sie darin unterstützen. Ich 
glaube also, dass es unsere Aufgabe sein muss, an 
dem von dem Armenamt erlassenen neuen Regle¬ 
ment so wie es ist und ohne allen Zusatzantrag 
festzuhalten.“ 

Es erfolgt dann ein Austausch verschiedener 
persönlicher Bemerkungen, worauf der Gemeinde¬ 
rath zur Abstimmung schreitet. Herr Desguin be¬ 
kämpft die von Herrn Sp&e vorgeschlagene Tages¬ 
ordnung. 

Der Antrag des Herrn Desguin wird mit 24 
gegen 5 Stimmen abgelehnt; ein Mitglied enthält 
sich der Abstimmung. Dagegen wird die von 
Spfce eingebraehte Tagesordnung mit gleicher 
Stimmenmehrheit angenommen. 

Schluss der Sitzung. 

(Furtaetzuug folgt.) 


Aus der Praxis. 

Vou llr. Hesse-Hamburg. 

I. 

Die 50jährige Frau M. vom Lande, consul- 
tirt mich wegen Kurzathmigkeit und Husten, Be¬ 
schwerden, die sie seit langer Zeit hat. Dieselben 
werden verschlimmert durch Nebel und Ostwind. 
Sie muss des Nachts hoch mit dem Kopf liegen. 
Sattessen wird nicht vertragen. 

Die Patientin erhält am 22. Jan. 1891 Arsen, 
x glob. für Abends, Sepia x glob. für Morgens. 

19. Febr. Nicht wesentlich gebessert. Die 
Verschlimmerung durch Ostwind kann nicht auf¬ 
recht erhalten werden. (Man kann überhaupt 
nicht vorsichtig genug sein mit den Angaben der 
Kranken über den Einfluss der Witterungsverbält- 
nisse auf ihre Beschwerden. Je länger man in der 
Praxis ist, desto genauer und peinlicher wird man 
darin. Ganz ausser Acht lassen kann man sie 
nicht, da man sich in manchem Falle dadurch 
werthvoller Anhaltspunkte berauben würde.) 

Sulfur x, Morgens und Abends regelmässig. 


2. April finde ich eine bedeutende Besserung 
notirt. Fortsetzung der Arznei. 

13. Mai. Husten und Kurzathmigkeit ganz 
verschwunden; nur noch Kopfschmerz vorhanden, 
besonders Nachts und Morgens fühlbar. Kopf 
besser ohne Kopfbedeckung; nicht die kleinste 
Mütze wird vertragen. Lycop. x, wöchentlich ein 
Pulver. 

19. Juni. Da von einer besonderen Besserung 
keine Rede ist, nehme ich den Fall noch einmal 
genauer auf: Klopfender Kopfschmerz, schlimmer 
Nachts in den Federn. Der Kopfschmerz treibt 
Nachts aus dem Bett. Kopf besser in der freien 
kühlen Luft; Steifigkeit im Nacken; Schlaf nur in 
Rückenlage, hoch mit dem Kopf; Nasskalter Nebel 
schlecht vertragen; die Augen eitern des Morgens. 

Auf diese bestimmten Symptome verordne ich 
am 19. Juni Sulfur 200. Wöchentlich 1 Pulver. 

25. Juli. Befinden wunderschön, wie sich die 
Patientin ausdiückt: Kopfschmerz fort, Schlaf und 
Appetit gut, Sattessen gut vertragen. Sie kann 
Nachts liegen, wie sie will. 

Ueberflüssiger Weise gebe icb noch 1 Pulver 
Sulfur 200 mit. 

6. Jan. 1892. Seit einiger Zeit wieder Be¬ 
schwerden, ähnlich wie oben mit Husten und Kurz¬ 
athmigkeit Sulfur x, wöchentlich 1 Pulver. 

Verschlimmerung durch nasskalten Nebel, 
Rückenlage, niedrig Liegen, Bett wärme, in den 
Federn, durch Sattessen, Alles ist nur in Sulfur 
vereinigt. 

Die erste Verordnung von Ars. und Sepia ge¬ 
schah in der Eile, ohne besondere Ueberlegung, 
allerdings auch ohne die nöthigen Anhaltspunkte. 
Der Kopfschmerz ist vielleicht durch das häufige 
Wiederholen des Sulfur hinzugekommen, wenigstens 
wurde er Anfangs nicht geklagt Lycopod war 
die zweite falsche Verordnung; gegeben hatte ich 
es, weil es die Verschlimmerung durch Hutdruck 
hervorragend hat, ebenso Unerträglichkeit des Satt¬ 
essens. Aber auch Sulfur hat diese Verschlimme¬ 
rung durch Hutdruck. Die beste Verordnung 
wäre gleich anfangs gewesen Sulfur in der 30. 
oder 200. Potenz, wöchentlich 1 Pulver. 

II. 

Frau J., 28 Jahre alt, blond, hat, trotzdem 
die Menses regelmässig eintreten, seit Monaten 
die Beschwerden und das Gefühl, als ob sie 
schwanger wäre: matt, unlustig; eingenommener 
Kopf, besonders gegen Nachmittag und bei der 
Handarbeit; sie muss die Haare lösen. Kaffee säuert; 
leicht übel. Alle Beschwerden sind im Freien 
besser. Verlangen nach Essig und sauersüssen 
Sachen; Stuhlgang jeden dritten Tag; Westwind 
angenehm, Ostwind bedingt leicht Husten; auf¬ 
steigende Hitze mit Herzklopfen. 


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16. März 1890. Sepia x, 5 Pulver, Morgens 
und Abends 1 Pulver. 

31. März. Der Kopf ist frei, die Mattigkeit 
fort, der Stuhl täglich, Magen gut. Das Gefühl der 
Schwangerschaft ist verschwunden. Doch ist seit 
2 Tagen das Befinden nicht mehr so gut. Sepia x, 
wöchentlich 1 Pulver. 

29. Mai. Alles gut. Wegen der Regel, die zu 
früh, zu lange und zu stark eintritt mit Fluor 8 
Tage vorher, erhält die Patientin noch Calc. x. 

Bei von Boenninghausen steht Sepia mit in 
erster Linie bei den Schwangerschaftsbeschwerden 
und wird von mir auch bei diesen vielfach mit 
Erfolg angewendet. 

HI. 

B., ein 24jähriger Anstreicher, der aus allo¬ 
pathischer Behandlung kam, wie überhaupt 90°/ 0 
der Patienten, leidet seit 3 Wochen an krampf¬ 
haften Leibschmerzen mit öfteren dünnen Stühlen. 
Die Leibschmerzen bessern sich durch Krummsitzen 
und Pressen gegen den Leib, werden schlimmer 
nach dem Essen. 

25. März 1891. Colocynthis 6., 5 Pulver, 
Morgens und Abends 1 Pulver. 

17. April. Die Schmerzen verschwanden eine 
Stunde nach dem ersten Pulver und sind nicht 
wiedergekehrt. 

Gegen Kollern im Magen nach dem Essen be¬ 
kam er noch Bryonia x und Kal. c. x. 

IV. 

H., ein 49jähriger Mann, hat seit Jahren mit 
Durchfall zu thun. Derselbe wiederholt sich alle 
paar Tage, kommt gleich nach dem Aufstehen und 
nach dem Essen, schlimmer durch Bewegung, besser 
im ruhigen Liegen. 

21. Dez. 1890. 1 Pulver Bryonia 200. 

25. März 1891. Seit 8 Tagen zeigt sich der 
Durchfall wieder. Bryonia x 5 Pulver, Morgens 
und Abends 1 Pulver. 

22. Juni. Seit 8 Tagen schlimmer. Nach der 
Verordnung war der Stuhl jedesmal gleich gut ge¬ 
worden und gut geblieben. 1 Pulver 20J Bryonia. 
Seitdem sah ich den Kranken nicht. 

V. 

B., eine 60jährige Frau vom Lande, hat 
seit 2 Jahren Erbrechen nach jeder Speise, klagt 
über bitteren Geschmack, ist sehr abgemagert, 
stets voll von Blähungen, muss auf dem Rücken 
und hoch liegen. 

17. Sept. 1889. Lycop. x 5 Pulver, jeden 
Abend 1 Pulver. 

5. Okt. Erbrechen geheilt, Appetit besser. 
Scheinpulver. 

Am 3. Mai 1890 wird mir gelegentlich das 
völlige Wohlbefinden bestätigt. 


Eine kurze Krankengeschichte. 

Von Dr. Kunkel-Kiel. 

Sch, junger Mann von 17 — 18 Jahren war von 
mir an periodisch auftretender Nierenblutung behan¬ 
delt und geheilt, nachdem er 8 Jahre vergeblich allo¬ 
pathisch behandelt worden war. Die erfolgreichsten 
Mittel waren Kali c. x und phos. x. Seit 3 bis 
4 Jahren ist er von seinem Leiden völlig befreit 
und kräftig entwickelt. Seine einzige Klage ist 
Stuhlverstopfung. Indicationen für eine richtige 
Mittelwahl waren nicht vorhanden. Ich tappte 
rathlos umher. Er liess sich nur selten sehen, ge¬ 
brauchte Massage, Electricität, Eisenkugeln in der 
Richtung des Dickdarmes rollend. Ich erlaubte 
ihm gern jedes Mittel und jeden Versuch. Zuletzt 
gab ich ihm Opium 3. c. (Opium x hatte ich früher 
in einigen Fällen solcher Art mit Erfolg gebraucht). 
Die Folge war, dass die Verstopfung womöglich 
noch hartnäckiger wurde. Ich gab Opium 200 x 
(Lehrraann). Von Stunde an stellte sich Stuhl und 
zwar normaler Stuhl zwei Mal täglich ein. Der Vater 
des Genannten verabfolgte ihm die Arznei. Dabei 
erlaubte er sich, um auch selbst sich recht über die 
Wirkung zu orientiren, folgendes Experiment. Er ver¬ 
abfolgte dem Sohne ein Paar Tage Zucker statt des 
Opium und die Folge war, dass der Stuhl am dritten 
Tage wieder hart war, wenn er auch von selbst und 
mühelos erfolgte. Er gab dann jeden dritten Tag 
Opium 200. Der Stuhl erfolgte dann täglich ein 
Mal. Jetzt ist die Darmthätigkeit völlig wieder 
normal. Was Opium 3 nicht vermochte, vermochte 
Opium 200. 

Freilich kann man sagen, die Wiederherstellung 
der Darmthätigkeit wäre auch ohne Opium 200 
erfolgt, oder man kann sagen, „woher weisst Du 
denn, dass hier wirklich die 200. Potenz zur Anwen¬ 
dung kam ? Die Gewissenhaftigkeit Lehrmanns wurde 
zwar 8. Z. allgemein anerkannt, aber man kann 
doch nicht wissen.* Ja was kann man nicht? 
Man kann sogar die Augen schliessen und in Wahr¬ 
heit behaupten, dass man nichts sehe. 

Es handelt sich aber nicht darum, was man 
kann, sondern was man soll, wenn man nicht auf 
den Namen eines unbefangenen Naturforschers und 
Arztes verzichten will. 

Man soll vor allen Dingen seine Theorien aus 
den Thatsachen ziehen, nicht umgekehrt, die letzteren 
den ersteren anzupassen suchen. Die Naturwissen¬ 
schaft erkennt kein Axiom an, als etwa dieses: dass 
die Gesammtheit der Sinneseindrücke, welche die 
in dieser Richtung Forschenden erhalten, den fac- 
tischen Verhältnissen entspricht, wobei natürlich 
nur gesunde Sinne in Betracht kommen können. 
Man sehe sich doch die einzelnen Zweige der Na¬ 
turwissenschaften an. Wo des „Gedankens Blässe* 
keinen Platz findet, sich einzunisten, wie in der 


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Chemie, Physik, Botanik etc., da schreitet die be¬ 
treffende Wissenschaft in gerader Linie fort. 

Und die Medicin? Woher alle die verschie¬ 
denen Systeme als in Folge einer vorgefassten 
Theorie einen Platz einnehmen, der ihr nicht 
gebührt? Man missverstehe doch nicht die 
Wirkung der massiven Gaben. Eine kleine 
Dosis (in materiellem Sinne) vermag nicht, was eine 
grosse vermag, z. B. Diarrhoe hervorrufen oder 
narkotisiren etc. Es sind ja krank machende 
Wirkungen. Unter keinen Umständen dürfen wir 
das Axiom aufstellen, dass, was auf den mensch¬ 
lichen Körper einwirken soll, materiell sein 
müsse und dies am wenigsten Angesichts der An¬ 
zahl von Heilungen vermittelst Hochpotenzen, die 
unsere Literatur aufzuweisen hat. Ich habe keine 
Lust auf das so oft herangezogene Thema weiter 
einzugehen, nur die eine Frage will ich mir er¬ 
lauben, wie ist es erklärlich, dass die Wirkung 
der verschiedenen Potenzen, so weit dieselben noch 
Stoff enthalten, eine so wenig verschiedene ist, 
während der Gehalt an Stoff so ungeheure 
Differenzen zeigt. Man spreche nicht von Ver¬ 
mehrung der Oberfläche. Die löslichen Substanzen 
unterscheiden sich in besagter Richtung nicht von 
den unlöslichen. 

ln neuester Zeit hat Herr Dr. A. Haupt in 
Chemnitz geglaubt, in dieser Frage sein Gewicht 
in die Waagschale werfen zu müssen. Die All¬ 
gemeine homöopathische Zeitung hat Herrn Dr. Haupt 
höchst interessante bakteriologische Mittheilungen 
zu danken. Allein dies berechtigt ihn doch nicht, 
sich auf einem Gebiete breit zu machen, das wir 
als unser Eigenthum uns nicht streitig machen 
lassen werden. Wer hinlängliche Erfahrungen 
über die Wirkung der Hochpotenzen gesammelt hat, 
wird mir einräumen, dass etwas mehr als edle 
Opposition dazu gebölt, deren Wirkung abzu¬ 
leugnen. 


Fragekasten. 

Antwort I. In dem bewussten Falle der An¬ 
frage des Coli. Goullon in No. 7/8. scheint mir 
Causticum das Heilmittel zu sein. v. Bönninghausen 
legt mit Recht viel Gewicht auf die Lage im 
Schlaf, ferrer die Unbequemlichkeit dieser oder 
jener Lage. Wenn in dem vorliegenden Falle die 
Lage auf der rechten Seite unbequem, wenn ferner 
Ost- und Nordwind unangenehm, endlich ein Mangel 
an Ausdauer bei körperlicher Anstrengung bemerk¬ 
bar (aber auch ohne diese Erscheinungen) so dürfte 
mit Sicherheit auf die Heilwirkung von Caust. zu 
rechnen sein. 

Soweit mir bekannt, hat kein Mittel das Symp¬ 


tom: * Verschlimmerung bei Bewegung mit sofortiger 
Besserung in der Ruhe“ so ausgesprochen als 
Causticum. 

Kiel, den 27./2. 92. Dr. Kunkel. 

Antwort II. Den merkwürdigen Fall von Herrn 
Collegen Dr. Goullon, mitgetheilt im Anfragekasten 
der No. 7 u. 8 der allg. h. Z. halte ich für einen 
Fall von Stenocardia reflectoria, erzeugt durch 
Vagusreizung. Ich empfehle dagegeu die allerdings 
nicht geprüfte aber ausgezeichnet wirksame Tinctur 
von Strophantus bispid. täglich 3x3 Tropfen 
auf Zucker zu nehmen. Patient soll mehrere Mal¬ 
zeiten des Tages halten, sich aber nie ganz satt 
essen. Dr. Jul. Fuchs, München. 

Briefkasten der Redaction. 

Herrn Dr. S. Ihre Anfrage, ob der Aufsatz 
zur Abwehr der verleumderischen Verdächtigungen 
der homöopathischen Aerzte seitens des Prof. Vircbow 
im deutschen Reichstage, an die Reichstagsabge¬ 
ordneten versandt worden ist, ist zu bejahen, wofür 
wir dem Herrn Verleger zum Dank verpflichtet 
sind, der sämmtliche Unkosten und die Versendung 
der Separatabzüge in bereitwilligster Weise über¬ 
nommen hatte. Wie sich die Collegen zu dieser 
Abwehr gestellt haben, ist mir trotz verschiedener 
brieflicher Anfragen an auswärtige Collegen nicht 
bekannt geworden. 

Ihrer zweiten Anfrage, wie Sie es anzufangen 
haben, dass Sie — ohne im Besitz des Dispensir¬ 
rechtes zu sein und ohne mit dem Gesetz in Con- 
flikt zu kommen — Ihre Arzneien selbst abgeben 
dmfen, kann ich Ihnen im Sinne einer diesbezüglichen 
Discussion in der Novembersitzung des hiesigen 
Vereins homöopathischer Aerzte dahin beantworten, 
dass sie nicht strafbar sind, wenn Sie die homöo¬ 
pathischen Medicamente nur in Pulverform kosten¬ 
los abgeben und eventuell zur grösseren Sicherheit 
dem Patienten mittheilen, dass es Milchzucker wäre. 
Ist das Mittel richtig gewählt, so wirkt es doch, 
und gleichzeitig ist damit jede SuggestionsWirkung 
ausgeschlossen. Dr. Haedicke. 

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kaeten. — Aae der Zeitengsmappe. — Nekreleg. — Anzeigen. 


Einladung. 

Zu der am Sonntag den 10. April Abends 7 Uhr im Theaterrestaurant stattfindenden Feier 
von Samuel Habnemann's Geburtstage werden die auswärtigen Collegen nnd Freunde der Homöopathie 
hierdurch freundlichst eingeladen. Wir bitten bis zum 8. April an den Unterzeichneten die Theilnahme 
vorher anzeigen zu wollen, um die Zahl der Converte feststellen zu können. 

Der Verein homöopathischer Aerste in Leipzig. 

L A. Dr. med. Haedtake, Buigstr. 2. 


Die Potenzlrang. 

Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaegor- 
Stuttgart. 

/. Vorbemerkung . 

Wie die Leser wissen, habe ich anf Einladung 
der Redaction zugesagt, mich mit diesem Gegen¬ 
stand, den ich bereits in drei Veröffentlichungen 
behandelt habe, nochmals zu befassen und den Lesern 
dieser Zeitschrift darüber zn berichten. 

Ursprünglich hatte ich die Absicht, dies in der 
Weise zu thun, dass ich die Arbeit in Abschnitte 
zerlege und jeden Abschnitt veröffentliche, sobald 
ich mit demselben fertig bin. Nun ist es bei einer 
grösseren Arbeit in der Regel so, dass der Punkt, 
an welchem der Autor sie beginnt, nicht immer 
auch der Punkt ist, an welchem der Leser die 
Sache am leichtesten anfasst; dies ist besonders 
dann der Fall, wenn nicht beide Theile auf dem 
gleichen Boden stehen und das trifft hier zu und 
zwar so: 

Wie die Leser meiner ersten Veröffentlichung, 


„die Neuralanalyse der homöopatisehen Ver¬ 
dünnungen* Leipzig 1881 (auch enthalten in 
„Entdeckung der Seele* III. Auflage, Bd. 2), wissen, 
veranlasste mich ein einfaches practisches Be¬ 
dürfnis s, mich mit der Potenzirung zu befassen. 
Ich hatte eine physiologische Prüfungsmethode, die 
„Neuralanalyse* entdeckt und es galt, zu be¬ 
stimmen, wie weit ihre Spürkraft reiche; hierbei 
kam ich unversehens in die homöopathischen 
Verdünnungen hinein, um die ich mich bislang 
nicht im Mindesten gekümmert und die ich still¬ 
schweigend so wie alle anderen Männer der Schule 
für „Nichtse* gehalten hatte. Für mich war nun 
ausserordentlich belehrend 1) dass diese keine Nichtse 
sind, sondern dass in der That, wie Hahnemann 
vollständig richtig erkannt hat, die Verdünnung 
nioht eine Abschwächung der Wirksamkeit, sondern 
eine Vermehrung derselben, also eine wirkliche 
Potenzirung ist, 2) dass die Neuralanalyse eine 
Prüfungsmethode von fast unglaublicher Trag¬ 
weite ist. 

Da ich annahm, es werde die Anhänger und 
Vertreter der von der Schule eben hauptsächlich 

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88 


wegen des Verdünnungsverfabrens verspotteten und 
verachteten Homöopathie interessiren, dass es eine 
exaote Methode gebe, die Potenzirangslehre wissen¬ 
schaftlich zu beweisen, so habe ich die Sache so 
veröffentlicht, wie ich und drei meiner damaligen 
Schüler sie gemacht und gefunden haben. 

Die homöopathische Literatur nahm die Ver¬ 
öffentlichung dankbar auf und begrüsste mich als 
Bundesgenossen im Kampf gegen die allopathische 
Schule. Damit kam zunächst ich in eine besimmte 
Richtung hinein', nämlich die polemische nach 
Aussen: Ich schleuderte die von mir gefundenen 
Thatsachen in verschiedenen kleinen Veröffentlich¬ 
ungen den Gegnern der Homöopathie an die Köpfe 
und zwar sassen einige dieser Würfe sehr gut, aber 
— ich sah bald, dass es den Anhängern der Homöo¬ 
pathie nicht um einen frisch fröhlichen Angriffskrieg 
gegen die Allopathie zu thun war, und so stellte 
ich die Sache kalt. 

Die Kehrseite ist aber folgende: Ueber der Freude, 
ein Kampf- oder wenigstens Vertheidigungsmittel 
nach Aussen zu haben, vergass man seitens der 
Homöopathie ganz, die Consequenz meiner Freude 
intra muros zu ziehen. Hier handelte es sich 
um zweierlei: 

a) die von mir veröffentlichten Thatsachen 
sprachen mit der stärksten Logik, die es giebt, 
nämlich der der Zahl, für die Anwendung der 
Hochpotenzen und gegen den Gebrauch der 
niederen Potenzen. Dies hatte zur Folge, dass 
die Schrift eine ungetheilte Anerkennung nur bei 
den „Hocbpotenzlern“ fand, während die Anhänger 
der niederen Potenzen es machten, wie alle gelehr¬ 
ten Leute: statt sich belehren zu lassen und die 
practische Consequenz meiner Schrift zu ziehen, 
suchten sie sich um die Sache herumzureden und 
blieben, was sie waren. 

b) Meine Schrift zeigte, dass es ein Verfahren 
zur ziffermässigen Messung der Potenzirungshöhe 
giebt, beziehungsweise, dass die von mir erfundene 
Neuralanalyse die Handhabe biete, zur Aufstellung 
des Verfahrens, mittelst dessen man in der Praxis 
vor einen homöopathischen Arzneikolben gestellt, 
ziffermässig bestimmen könne, ob sein Gehalt wenig¬ 
stens annähernd diejenige Potenzirung erfahren, die 
verordnet oder darauf geschrieben worden ist. Auch 
diese Consequenz wurde nicht gezogen, und so 
schieden sich unsere Wege, d. h. die meinen und 
die der Homöopathen, und damit bin ich an dem 
Kernpunkt dessen angelangt, was ich sagen will. 

Nachdem ich mich — gerade bei Ausführung 
der Arbeit „die Neuralanalyse der homöopathischen 
Verdünnungen*—von der „practischen* Bedeutung 
der Neuralanalyse überzeugt hatte, schritt ich zur 
practischen Fortentwicklung der Anwen¬ 
dung der Methode auf meinem Gebiet, dem 
der Hygiene und zwar im Gegensatz zu den Ver¬ 


tretern der Homöopathie , welche der von mir er¬ 
haltenen Anregung nicht folgten und die Neural¬ 
analyse für ihr Gebiet nicht practisch aus¬ 
bildeten. Ich sage das nicht, um einen Tadel 
auszusprechen, sondern nur um eine unbestreitbare 
Thatsache festzustellen. Ich weiss nämlich sehr 
gut, dass es einem im Kampf ums Dasein stehen¬ 
den practischen Arzt sehr schwer wird, mühselige 
Untersuchungen anzustellen, Untersuchungen, die 
Zeit, Geld und Muse erfordern. 

Bei mir lag die Sache anders: Meine practische 
Thätigkeit lag auf dem Gebiet der Hygiene und 
nicht dem der Therapie, und den Unterschied 
zwischen diesen zwei Gebieten muss man sich zu¬ 
erst klar machen, wenn man den Unterschied im 
Standpunkt zwischen mir und den Vertretern der 
Homöopathie begreifen will. 

Die Therapie, die Heilkunst ist bis zu dem 
Tage, an dem der Reichstag die innere Me di ein 
freigab, de jure und bis heute noch de facto keine 
freie Kunst, sondern eine scholastisch und 
bureaukratisch gebundene, besser gesagt unter¬ 
bundene, auf welcher es von Dogmen, Schul¬ 
meinungen, Vorurtheilen, Rücksichten, Ansichten, 
althergebrachten Regeln, Practiken, Verordnungen, 
Gesetzen, Verboten nur so wimmelt, so dass keiner 
auch nur Einen freien Schritt machen darf, ohne 
Gefahr zu laufen, einen anderen auf die Hühner¬ 
augen zu treten, ja sogar mit den Behörden in 
Conflikt zu kommen. Das Gesagte weiss ich nicht 
bloss als Beobachter von aussen, sondern es stammt 
aus meinen eigenen Erfahrungen auf diesem Boden, 
als ich mit dem „Anthropin* denselben betrat, und 
das gleiche scheint sich bei der von mir empfohlenen 
„Autoisopathie* vollziehen zu wollen. Klar ist dess- 
halb zweierlei: 1) für den, der draussen steht, wird, 
wenn er sich einmal die Finger verbrannt hat, die 
Lust zum Eingreifen sehr herabgestimmt, 2) für 
den Unglücklichen, der ganz auf diesem heissen 
Boden steht, und der sich begreiflicherweise die 
Finger noch leichter verbrennt, ist natürlich Lust 
und Möglichkeit, irgendwo eine Aenderung herbei¬ 
zuführen, so ziemlich gleich Null und das Resultat 
ist: es bleibt alles beim Alten. 

Hier tritt sogar ein Unterschied zwischen Ho¬ 
möopathie und Allopathie zu Tage, der bewirkt, 
dass es auf dem Gebiet der Homöopathie noch viel 
schwerer ist, irgend etwas an ihrem historisch ge¬ 
wordenen Zustand zu ändern, als auf dem allo¬ 
pathischen Boden und darüber muss sich der, wel¬ 
cher versucht, auf dem Gebiet der Homöopathie 
irgend etwas von der Stelle zu rücken, vollständig 
klar sein. 

Die Allopathie hat zwei „Enfants terribles*, 
welche sie nicht zur Ruhe kommen lassen, sondern 
sie sogar geradezu in eine systematische Neuerungs¬ 
sucht hineintrieben: das Gift und das Messer. 


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88 


Die Furcht, die beide, Arzt und Patient, vor jenen 
beiden haben, das offenbare Unheil, das beide an- 
richten, lässt keinen Conservatismus aufkommen. 
So hat gerade die Neuzeit auf dem Gebiet der Allo¬ 
pathie ein fieberhaftes Hasten nach Neuem erzeugt, 
und der Kochinspectakel ist das grossartigste der¬ 
artige Schauspiel in der allopathischen Welt ge¬ 
wesen, wo alle, Arzt und Patient, angesichts einer 
«Novität 8 (was sie erst nicht einmal war) vollständig 
den Kopf verloren. 

Im Vergleich hierzu lebt die Homöopathie 
im tiefsten Frieden, und zwar Arzt und Patient; 
denn selbst wenn letzterer nicht geheilt wird, resp. 
der homöopathische Arzt keine besseren Erfolge 
hat, als sein allopathischer College: er und seine 
Clienten sind zufrieden, es giebt kein Gift und kein 
Messer, die Qual der Mittel wähl ist an sich eine 
kleine und dann empfindet sie mehr nur der eine 
Theil. Sieht nun der homöopathische Arzt ausser¬ 
dem, wie sein allopathischer College in fieberhafter 
Unruhe, gehezt von Gift und Messer, von einem 
Sumpf in den andern plumpst, so wird er dadurch 
nur noch mehr in seinem Conservatismus bestärkt, 
er erhebt diesen Standpunkt zum Bang eines tugend¬ 
haften Principe8 und trieft jetzt förmlich von Zu¬ 
friedenheit und Ergebenheit, so dass es fast un¬ 
möglich wird, hier irgendwo etwas zu bessern. 

Vergleichen wir damit die Hygiene. Diese 
ist und bleibt eine freie Kunst und daran werden 
auch die erst seit etwa 2 Jahrzehnten errichteten 
hygienischen Lehrstühle der Hochschule hoffent¬ 
lich nichts mehr zu ändern vermögen. Eine hygie¬ 
nische Scholastik giebt es nioht; ja weil die medi- 
cinische Scholastik dies Gebiet bis vor etwa 20 
Jahren vollständig brach liegen liess und das scho¬ 
lastisch-büreaukratisch gegängelte Publikum natür¬ 
lich bis dahin sich ebenfalls um die Hygiene gar 
nicht bekümmerte, so ist der, welcher sich auf 
diesem Gebiet bewegt, Freiherr und sein einziger 
Führer ist der practische Erfolg. Es spucken 
zwar auch hier gewisse Dogmen, althergebrachte 
Gebräuche und Missbräuche, Sitten und dergleichen 
und an Dornen fehlt es nicht, allein man steht 
keiner geschlossenen, scholastisch organisirten, com- 
pakten Macht, wie es auf dem Gebiet der Therapie 
die Schulmedicin ist, gegenüber und bewegt sich 
auf einem Boden, wo nicht Examen, Titel und Rang, 
sondern einzig der Erfolg entscheidet. 

Das war nun der Boden, auf welchem ich meine 
Neuralanalyse fortentwickelte. Was meine Schrift 
«die Neuralanalyse der homöopathischen Verdünn¬ 
ungen 8 schildert, war ein Verfahren, das sehr ge¬ 
eignet ist, eine wissenschaftliche Frage zu stellen 
und zu beantworten, aber in der Praxis unbrauch¬ 
bar ist. 

In erster Linie war der damalige Apparat, das 
Hipp’sche Chronoskop, unpractiscb. weil schwer¬ 


fällig, und ich ersetzte ihn durch das Tasche n- 
chronoskop, das schon in seiner ersten Ausführung 
die grössten Vortheile gegenüber dem Hipp’schen 
Chronoskop lieferte und jetzt in seiner zweiten Form 
allen Anforderungen der Praxis entspricht. 

Mit diesem Instrument trat ich an die prac- 
tischen Aufgaben der Hygiene auf dem Gebiet nicht 
nur der Kleidung, sondern auch auf dem Gebiet der 
Nahrungs- u. Genussmittel und sonstiger Gebrauchs¬ 
gegenstände heran und überblicke jetzt eine etwa 
zehnjährige Praxis, d. h. eine Thätigkeit, welche 
ein fortgesetztes Zusammenarbeiten von mir, dem 
Nenralanalytiker mit Männern der Praxis, Fachleuten 
auf ihrem Gebiet, denen man kein X für ein U 
machen kann, in sich scbliesst. In dieser zehnjährigen 
Praxis habe ich meine Methode entwickelt,* den prac- 
tischen Bedürfnissen und der Natur der Gegenstände 
angepasst, die Bedingungen kennen gelernt, unter 
welchen man sichere Resultate bekommt, kurz 
ich bin, wie man sagt, hier «durch 8 und die mit 
mir arbeitenden Practiker haben sich meiner Neural¬ 
analyse, allerdings nicht ohne Kampf, unterworfen, 
da sie stets das richtige traf und mich nie im Stich 
liess. Hier auf diesem Boden ist die Sache fertig, 
da ist nichts zu probiren, sondern nur einfach zu 
practiciren nach klaren Vorschriften. 

Nun muss noch die Verschiedenheit der Ob¬ 
jecte kurz erwähnt werden. 

In meiner neuralanalytischen Praxis handelt es 
sich einmal um Prüfung der Reinheit der Objecte, 
um Bestimmung des Feinheitsgrades, z. B. bei 
Spirituosen, Tabaken, Cigarren, Conserven, Unter¬ 
scheidung von Gut und Schlecht bei Metallen, 
Papieren, Emballagen u. s. f. Also um Objecte, 
welche sich von den homöopathischen Arzneien 
namentlich dahurch unterscheiden, dass es sich zwar 
auch um Finessen, allein doch verbältnissmässig um 
Massen handelt, die nicht ein Hauch zu vernichten 
vermag. Mit homöopathischen Arzneien habe ich 
mich seit den in der «Neuralanalyse“ veröffent¬ 
lichten Untersuchungen mit einigen Ausnahmen, 
neuralanalytisch lange nicht befasst, namentlich nicht 
in practischer Richtung, da ich weder homöopath. 
Arzt, noch homöopath. Apotheker bin. 

So lag die Sache, als die Aufforderung der 
Redaction an mich herantrat. Ich bin derselben 
sofort nacbgekommen und arbeite jetzt seit Mitte 
November, so dass zwei Untersuchungsreihen ab¬ 
geschlossen und druckreif sind, eine sogar schon 
einige Zeit in der Druckerei verweilt. 

Zunächst ergaben sie, wie nicht anders zu er¬ 
warten, eine Bestätigung des Befundes vor 10 Jahren: 
die Verdünnung ist wirklich eine Potenzirung und 
je höher die Potenz, desto höher die Belebungskraft 
des Stoffes. Weiter bieten die fertigen Unter¬ 
suchungen eine wesentliche Erweiterung nach fünf 
Richtungen: 

li* 


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84 


1) Früher wurde nur inhalatorisch geprüft, jetzt 
ist von Einem Stoff eine Potenzreibe der Schluck¬ 
methode unterworfen, d. h. immer ein Tropfen ver¬ 
schluckt und während 7—14 Minuten die Nerven- 
zeit fortgesetzt geprüft worden. 

2) Während das erste Mal nur 4 möglichst weit 
auseinander liegende Arzneistoffe (Gold, Kochsalz, 
Aconit und Thuja) geprüft wurden, wurden dies¬ 
mal 17 nahe verwandte Stoffe durch geprüft. 

3) Während das erste Mal die unteren Potenzen 
kurz abgemacht und nur die höheren in grossen 
Abständen untersucht wurden, legte ich diesmal 
den Schwerpunkt der Untersuchung gerade auf die 
niederen Potenzen und die Aufsuchung des In¬ 
differenzpunktes. Das hat den Vortheil, dass 
man sich hier auf dem von andrer Seite her be¬ 
kannten Gebiet der Giftwirkungen bewegt und so 
die Methode durch die Erfahrungen der Toxicologie 
controlirt wird. 

4) Ergab sich das sehr interessante und auch 
praktisch wichtige Resultat, dass es Stoffe giebt, 
die das Potenziren nicht ertragen, die sich, auf 
einer gewissen Höhe angelangt, zersetzen, ähnlich 
wie es Stoffe giebt, welche eine zu hohe Erwärmung 
nicht ertragen. 

5) Ergab sich, dass man im Stande ist auch 
ohne Chronoskop durch Beobachtung anderweitiger 
physiologischer Erscheinungen nicht nur von der 
Richtigkeit des Potenzirungsprincips sich zu über¬ 
zeugen, sondern sogar bis zu einem gewissen Be¬ 
trag den Potenzirungsgrad zu erkennen. 

Der Leser wird zugeben, dass das erhebliche 
Erweiterungen sind und begreifen, dass ich meine 
Veröffentlichung mit der Bekanntgebung dieser Re¬ 
sultate beginnen und den Leser sofort in mediam 
rem führen wollte. Das Manuscript war bereits in 
der Druckerei als ich mich eines andern besann 
und zwar deshalb: 

Ich habe bei meinen diesmaligen Prüfungen auf 
inhalatorichem Wege genau den gleichen wissen¬ 
schaftlichen Gang eingeschlagen wie das erste 
Mal, nämlich jede Potenz für sich gesondert 
untersucht, da ich mir sofort sagte, dass es sehr 
schwierig sein werde, verschiedene Potenzen des 
gleichen Stoffes neben bezw. unmittelbar nach 
einander zu untersuchen, dagegen überzeugte ich 
mich, dass es stets gut geht, die gleiche Potenz 
verschiedener Stoffe unmittelbar nach einander 
zu untersuchen und zu vergleichen, diese beein¬ 
flussen sich gegenseitig sehr wenig. 

Als ich im hiesigen Verein homöopathischer 
Aerzte über meine Funde kurze Mittheilung machte, 
wurde ich sofort vor die praktische Seite der 
Sache gestellt mit der Frage: 

„Können Sie uns bei der nächsten Zusammen¬ 
kunft, wenn ein paar Kölbchen mit Weingeist und 
verschiedenen Potenzen des gleichen Stoffes, deren 


Inhalt Ihnen nicht bekannt ist, mitgebracht werden, 
die verschiedenen Potenzen mit Ihrer Methode er¬ 
kennen?* Ich erklärte sofort, dass nach dem Nacht¬ 
essen in meinem Kneiplocal, wo getrunken und ge¬ 
raucht wird, mehrere Personen anwesend sind und 
diese durch ihre gespannte Aufmerksamkeit noch 
den Messenden suggestiv beeinflussen, die Beding¬ 
ungen für die Neuralanalyse so ungünstig wie mög¬ 
lich seien, wozu noch komme, dass sich verschie¬ 
dene Potenzen des gleichen Stoffes auch unter 
günstigen Bedingungen nicht gut mit einander ver¬ 
gleichen lassen. Trotzdem erklärte ich mich zu 
einem Versuch bereit, da es mich am Ende selbst 
interessiren müsse, ob etwas und was dabei her¬ 
aus komme. 

Ehe ich diesen Versuch ausführte, wurde ich 
von anderer Seite vor die gleiche Aufgabe gestellt, 
ich erhielt 4 Fläschchen, deren eines Weingeist 
enthält, während die 8 andern 3 verschiedene Po¬ 
tenzen des gleichen Stoffes enthielten, aber ohne dass 
mir deren Inhalt angegeben war. Ein Versuch, den 
ich zu Hause unter den gleichen Bedingungen, wie 
ich sonst messe, machte, misslang, wie ich das von 
Hause aus vermuthete: verschiedene * Potenzen des 
gleichen Stoffes kann man zu gleicher Zeit nicht 
vergleichen. Das gleiche Resultat gab der spätere 
Versuch im Verein. Endlich traf von meinem Sohne 
Dr. M. Jäger, homöopathischem Arzt in Hall, den 
ich zu einer Messung aufgefordert, ein Messungs- 
protocoll ein, er hatte gerade so wie in den anderen 
Fällen verschiedene Potenzen des gleichen Stoffes 
(30, 100, 200 und 1000 Potenz sowie 2 0/ 0 Lösung 
von Arseniksalz) hinter einander, d. h. mit je 5 Mi¬ 
nuten Pause gemessen, ohne zu wissen was er mass, 
und dabei jedesmal lange Zifferreihen (20—22 De¬ 
kaden) gebildet, dabei freilich den grossen Fehler ge¬ 
macht, dass er eine ganze Minute lang inhalirte, 
ehe er mit der Messung begann, so dass ihm die 
wichtigsten Veränderungen entgehen mussten. 

Verglich man nun in der Weise, wie ich das 
sonst thue, eine Ruheziffer mit einer einzigen aus 
allen 20 Dekaden gebildeten mittleren Arzneiziffer, 
so war das Resultat vollständig confus. Als ich 
aber die 20 Dekaden in 5 Mittelwerthe aus je 
4 Dekaden zerlegt und die Maximaldifferenzen 
der Dekadenziffem in Ruhe- und Arzneiwirkung 
bestimmt, ergab sich, dass aus den 3 ersten 
Messungen doch das Richtige herausgelesen werden 
konnte und erst die zwei letzten für die Diagnose 
unbrauchbar waren, weil Sättigung mit dem Stoff, 
Abstumpfung und Ermüdung die znm Messen nöthige 
Disposition total zerstört hatten, was schon auf den 
ersten Blick die Ruheziffern zeigten. 

Erst jetzt sah ich mir auch die Einzelnziffern 
an, die ich bei meinem Versuch im Verein gewonnen 
hatte: Es waren je 4 Dekadenziffern, während Ruhe 
und Arzneiathmnng gemessen und zu je einer Mittel- 


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85 


Ziffer vereinigt worden. Während nun die Mittel - 
Ziffern eine falsche Diagnose gaben, ergab die 
Betrachtung der einzelnen Ziffern, dass bei den 
zwei ersten Kölbchen das Resultat richtig ge¬ 
worden wäre, wenn ich noch 4 weitere Dekaden 
gemessen und die 4 ersten ignorirt hätte — in dem 
mit Essen, Bier, Rauch und Menschenduft im- 
prägnirten Nervensystem konnte die Wirkung nicht 
so rasch durchschlagen, als wenn man nüchtern und 
allein ist. Auch die dritte Messung, die nicht ganz 
unrichtig war, wäre bei Fortsetzung der Messung 
vielleicht richtig ausgefallen und erste die 4. war 
und blieb auch bei Betrachtung der Einzelziffern 
unbrauchbar. 

Aus diesen Erfahrungen zog ich zunächst folgen¬ 
den Schluss: 

Es ist leicht, mittelst Neuralanalyse die wissen¬ 
schaftliche Seite der Potenzirung zu prüfen und 
merkwürdig genaue Ergebnisse zu erhalten, allein 
in praxi stellen sich der Anwendung der Methode 
Schwierigkeiten gegenüber. Diese liegen theils in 
der Natur des Objectes: bei Hochpotenzen handelt 
es sich um Finessen, die weit über das hinausgehen, 
was ich in meiner hygienischen Praxis zu bestimmen 
habe und die desshalb noch andere Vorsichtsmass- 
regeln nöthig machen, als die, welche ich in meiner 
bisherigen Praxis befolge. Die andern Schwierig¬ 
keiten liegen im Subjekt: es ist zehn gegen eins 
zu wetten, dass jeder Practiker die gleiche Anfor¬ 
derung an die Methode stellt, wie sie mir zwei 
Mal gestellt wurde und wie sie mein Sohn bei 
seinem eigenen Versuch stellte: „kann ich mit der 
Methode verschiedene Potenzen des gleichen 
Stoffes unterscheiden, d. h. prompt unterscheiden?* 
Das ist eine Frage, die sich ohne eingehende Unter¬ 
suchung, d. h. ohne eine ganze Serie variirender 
Messungen nicht entscheiden lässt, d. h. ich glaube, 
dass man es fertig bringt, wenn man nicht zu viel 
auf einmal verlangt, aber es muss eben festgestellt 
werden, was man tbun und was man lassen muss 
und wie man die Ziffern zu nehmen hat. 

Ich erinnere den Leser nur an folgendes: 
Hahnemann hat genaue Vorschriften gemacht, was 
man beim Gebrauch homöopathischer Arzneien zu 
thun und zu lassen habe: 1) die Arznei nüchtern 
nehmen, das gilt für die Neuralanalyse ganz genau 
auch, 2) bei voller Gemüthsruhe es zu thun, die 
gleiche Forderung stellt die Neuralanalyse, 3) er 
verbietet den Gebrauch von zahlreichen Stoffen, 
z. B. von Caffee, Thee, Parfümen, Campher. Wenn 
Hahnemann, woran ich nicht zweifle, Recht hat 
(vom Campher weiss ich es gewiss), dann hat man 
auch bei der neuralanalytischen Prüfung der Arz¬ 
neien die gleichen Verbote zu beachten, denn die 
Einflüsse, welche die therapeutische Wirkung 
der verdünnten Arzneistoffe aufheben, schwächen 
oder vernichten auch die physiologische Wir¬ 


kung derselben, also das, was die Neuralanalyse in 
Ziffern bringen soll, das kann sie natürlich nicht, 
wenn nichts im Körper passirt. 

Jetzt komme ich zu dem anfangs Gesagten 
zurück: Ich habe die Arbeit am gleichen Ende an- 
gefasst wie 1881, der Leser wird sie — zehn gegen 
eins — am practisehen Ende anfassen wollen 
und das geht nicht, weil ihr dieser Stil noch 
nicht gedreht ist. 

Ich bin somit vor eine schwierige Alternative 
gestellt: 

Uebergebe ich die zwei Prüfungsreihen der 
Oeffentlichkeit, so riskire ich, dass die Sache ge¬ 
rade von denjenigen Lesern, welche ich mir wünsche, 
nämlich denen, welche Versuch gegen Versuch und 
nicht Stilübung gegen Versuch stellen, falsch an¬ 
gefasst und damit discreditirt wird. 

Die andere Alternative ist die, dass ich die 
Veröffentlichung verschiebe, bis der Sache der prac- 
tische Stil gedreht und die Methode auf die Praxis 
zugeschnitten ist. 

Sachlich ist das letztere entschieden das rich¬ 
tigste, aber das heisst eine Vertagung der Veröffent¬ 
lichung um mindestens ein halbes Jahr. 

„Warum?* Sehr einfach: Ich arbeite jetzt — 
heute ist der erste März — seit 3 ! /2 Monaten 
unter Vernachlässigung meiner eigenen Arbeiten an 
der Sache. Während ich ursprünglich diesen Winter 
nur eine Messungsreihe durchführen wollte, habe 
ich jetzt bereits zwei durebgeführt und soll nun 
eine dritte machen? Dazu habe ich weder Zeit 
noch Lust, zumal jetzt das Frühjahr kommt, wo 
ich die vier Wände satt habe. Das ist aber nur 
der eine Grund, der andere ist folgender: 

Wie ich vor 10 Jahren bei der wissenschaft¬ 
lichen Prüfung das Bedürfniss hatte, nicht allein 
zu sein, so habe ich dasselbe jetzt auch bei der 
practi8chen Prüfung. Ich habe das schon in dem 
Schreiben an die Redaction, das in No. 25/26. im 
123. Bd. d. Ztschr. abgedruckt wurde, ausgesprochen, 
jetzt ist aber dieser Wunsch zu einer conditio 
sine qua non herangewachsen: Wenn ich in der 
Sache keine Mitarbeiterschaftaus den Kreisen 
der homöopathischen Aerzte oder Apotheker 
finde, so lasse ich sie stehen, denn für mich 
hat diese Seite der Sache kein Interesse, da ich, 
wie nochmals gesagt sei, weder homöopathischer 
Arzt, noch Apotheker bin. 

Die wissenschaftliche Seite der Sache be¬ 
sorge ich gern allein weiter, Mitarbeiter sind mir 
zwar auch hier willkommen, allein nothwendig sind 
sie nicht, allein wenn an der Lösung der practi¬ 
schen Frage die Herren aus der Praxis nicht so 
viel Interesse haben, dass ich Mitarbeiterschaft finde, 
dann hat es auch keinen Zweck, wenn ich die Sache 
allein mache und veröffentliche: es kräht kein Hahn 


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86 


darnach and dafür zu arbeiten, ist mir meine Zeit 
zu gat. 

Soweit läge die Sache sehr einfach, allein ich 
bin mittlerweile in eine Zwangslage versetzt worden. 
Die Carventafel für die erste Messnngsreihe ist 
schon vor einem Monat geschnitten worden. Das 
Manascript für diese erste Messangsreihe, das eben¬ 
falls schon seit Wochen in die Druckerei abging, 
wurde von mir, sobald ich sah, wie die Sache liegt, 
aus der Druckerei reclamirt. Statt dem Folge zu 
leisten, schickt mir gestern, während ich an Vor¬ 
liegendem arbeite, die Druckerei — die Correctur- 
bogen des ersten Abschnittes, also ist die Sache 
bereits gesetzt. 

Ohne Opfer ist das nicht rückgängig zu machen 
und so mag denn der erste Theil, so wie er ist, 
den Weg in der Oeffentlichkeit machen. Hoffent¬ 
lich hat der Einblick in das, was man hier machen 
kann, wenn man will, zur Folge, das ich das finde, 
was ich brauche. 

Doch zuvor möchte ich sagen, was ich nicht 
brauche. 

Es ist mir zu Ohren gekommen, dass schon auf 
die Ankündigung meiner Absicht in No. 25/26, 
Bd. 123, hin, ein Kritikus seine Feder spitzte zu 
einem Gang mit mir, der gegen allen und jeden 
Comment geht. Comment bei jeder Mensur, nicht 
bloss auf dem Hauboden, sondern auch auf dem 
Gebiet der Wissenschaft muss sein: gleiche 
Waffen! Meine Waffen sind der Versuch und 
die Zahl. Tritt mir nun jemand mit anderen 
Waffen, mit Stilübung und Redensart, entgegen, 
so muss ich bedauern: auf ungleiche Waffen 
gebe ich keine Satisfaktion. Was ich brauche 
sind Mitarbeiter, nicht Ankrittler. Diese For¬ 
derung muss ja auch der Leser stellen, denn sonst, 
wenn in einer Zeitschrift immer auf der einen Seite 
der Autor, auf der andern der Kritikus steht, 
befindet sich der Leser in der traurigen Lage des 
Esels der Fabel, der zwischen zwei Heubündeln 
verhungert. 

(Nr. II folgt.) 


Dauernde Heilungen. 

Von Dr. Lorbacher- Leipzig. 

(Fortsetzung u. Schluss.) 

Im Februar 1874 wurde ich von einem Fabri¬ 
kanten ersucht, einen seiner besten Arbeiter, welcher 
schon seit 8 Tagen an acutem Rheuma krank 
liege, zu besuchen. Ich fand einen ca. 27 Jahre 
alten Mann in einem ungeheizten Zimmer im Bett 
liegend von blasser Gesichtsfarbe, ängstlichem Ge¬ 
sichtsausdrucke und von Schweiss triefend. Der 


schnelle Athem, das von aussen sichtbare Herz¬ 
klopfen, sowie die Gelenkschmerzen bei jeder leich¬ 
ten Bewegung Hessen schon die Art der Erkrankung 
erkennen. Die genauere Untersuchung ergab Tempe¬ 
ratur 39,9, Puls 125, Herzschlag etwas tumul- 
tuarisch, Herzgeräusch; ca. 4 angeschwollene bei 
Berührung und Bewegung sehr empfindliche ge- 
röthete Gelenke, heftiger Durst, stellten die Diag¬ 
nose acuter Gelenkrheumatismus ausser allem 
Zweifel. 

Die bisherige schon 8 Tage dauernde Behand¬ 
lung hatte in Anwendung von DigitaHs gegen die 
Herzaffection und Opium gegen die Schmerzen 
in ziemlich massiven Dosen bestanden. Damals 
war das berühmte Universalrheumatismus-Mittel Sali- 
cyl noch nicht entdeckt. Nach reiflicher Ueberlegung 
verordnete ich zuerst Acon. 5. 3 stündlich 3 Tropfen 
und hatte die Genugthuung am andern Tage zu 
| sehen, dass meine Wahl die richtige war. Die 
Temperatur war auf 39,1 und der Puls auf 100 
zurückgegangen. Anschwellung der Gelenke weniger 
schmerzhaft. Nach einigen Tagen liess ich dem 
Acon. die Pulsat. folgen, da der Rheumatismus 
einen wandernden Charakter annahm und das Herz¬ 
klopfen und die Angst beim Liegen sich wieder 
steigerten. Nach einem kleinen Rückfalle, welcher 
in Folge einer Verkühlung eintrat und durch 
Interponiren einiger Gaben Sulf. 30 schnell wieder 
beseitigt wurde, ging die Heilung ungestört vor 
sich. Die noch einige Zeit andauernden Herzbe¬ 
schwerden, welche die Bildung eines Klappenfehlers 
fürchten Hessen, verschwanden beim Gebrauch von 
Spigelia. Ich batte es dem Kranken zur Pflicht 
gemacht, sich von Zeit zu Zeit immer einmal zur 
Untersuchung des Herzens vorzustellen, und konnte 
mich bei dieser Gelegenheit davon überzeugen, dass 
nichts zurückgeblieben war, und was die Haupt¬ 
sache war, dass in den ganzen Jahren, wo ich ihn zu 
beobachten noch Gelegenheit hatte, auch keine Spur 
von Rheuma sich zeigte. 

Der Fall ist allerdings kein chronischer, allein 
eine so gründliche und andauernde Heilung gerade 
dieses Leidens gehört doch nicht zu den täglichen 
Ereignissen, so dass ich meinte, es könne hier eine 
Stelle finden. Dr. G. würde vielleicht auch hier 
eine Suggestion zu konstatiren verstehen. 

Frau F., 36 Jahre alt, kam im Herbst 1882 zu 
mir wegen einer trotz 6 maliger Inunctionskur noch 
fortbestehender Lues, welche ihren zerstörenden 
Charakter besonders im Knochensystem zeigte. 
Der Ursprung derselben war dunkel, da weder sie 
noch ihr Mann je primär erkrankt gewesen waren, 
wovon ich mich durch Untersuchung wie ange- 
stellte Nachforschungen überzeugte. Ihr Vater war 
jedoch einmal syphilitisch gewesen. Die ersten 
Spuren der Krankheit zeigten sich bei ihr ca. 
2 Jahre nach ihrer Verheirathang in Form von 


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«7 


Angina, welche sich schnell über Gaumen, Mandeln 
nnd Rachenhöhle verbreitete. Es bildeten sich 
darauf die bekannten torpiden Gesohwüre mit ge¬ 
zacktem Rande und grauer schmieriger Absonderung, 
wie sie ziemlich charakteristisch für die mit Lues 
verbundene Hydrargyrose sind, welche allmählich 
ziemlich bedeutende Defekte am weichen Gaumen 
und in der Rachenhöhle zurückliessen. Von da ab 
auf die Nasenhöhle übergehend begann aber das 
Hauptzerstörungswerk, sodass im Laufe von ca. l 1 / 2 
Jahr die sämmtlichen Knorpel und Knochen der 
Nase bis aof einen kleinen Rest verschwunden 
waren. Inunctionsknr und Jodkali Hessen, wie so 
häufig, auch hier in Stich. 

In diesem Zustande übernahm ich sie im Herbst 
1882. Anstatt der Nase war nur ein schwarzes 
Loch vorhanden, in dessen Tiefe man noch einige 
abgestorbene nnd absterbende Knochenreste sah. 
Dass der Krankheitsprocess noch nicht abgelaufen 
war, zeigte eine schmerzhafte verdächtige Stelle am 
harten Gaumen, sowie die noch vorhandenen Ge¬ 
schwüre in der Rachenhöhle. Dass das bedauerns 
werthe Weib physisch wie gemüthlich sehr herunter 
war, bedarf wohl keiner Erwähnung. Sonstige lue¬ 
tische Erscheinungen, wie Hautausschl9ge, Knochen¬ 
auftreibungen , Gummata etc. waren nicht vor¬ 
handen, sodass mit Bestimmtheit die Lokalisirung 
des Krankheitsprocesses angenommen werden konnte. 
Dies gab mir auch den Mutb, die Behandlung zu 
übernehmen. Dass ich nicht mit leichtem Herzen 
an die Bekämpfung dieses mit einer beinahe un¬ 
verwüstlichen Lebenskraft ausgestatteten Monstrums 
heran trat, wird mir jeder gern glauben, welcher es 
kennen gelernt hat. 

Die von mir angewandten Mittel waren Nitr. 
ac., Aurum., Kali bichrom, bald in längeren bald 
in kürzeren Pausen grösstentheils in der 30 Poi. 
mit zeitweiliger Interponirung von Sulf. 30. Auch 
einen Versuch mit Merc. sol. 30. als Antidot gegen 
die massive Anwendung des Mittel bei den Inunc- 
tionen machte ich, aber ohne Erfolg. Nach ca. 
6 wöchentlicher Kur trat allmählich eine Wendung 
zum Bessern in Form eines Stillstandes des Pro- 
cesses in der Rachenhöhle ein. Die Geschwüre griffen 
nicht weiter um sich, die Schleimhaut verlor die 
graurothe Farbe und das schmierige Aussehen. 
Dagegen schritt der Process im harten Gaume un¬ 
aufhaltsam wenn auch langsam fort, sodass nach 
ca. J / 2 Jahr der Durchbrach erfolgte und eine 5 
Pfennig grosse Oeftnung sich bildete. Dies war aber die 
letzte Lebensäusserung des Krankheitsgiftes. Es 
stiessen sich zwar */ 2 Jahr lang immer noch narko- 
tisirte Knochenpartikelchen ab, allein die Oeffnung 
im harten Gaumen vergrösserte sich nicht. Am 
Auffallendsten jedoch war der Gesundungsprocess 
der Mund- und Racbenschleimhaut. Sie nahm immer 
mehr eine normale Farbe an, die Rach engeschwüre 


verheilten mit geringem Substanzverluste, das Zahn¬ 
fleisch verlor die durch das Quecksilber hervor- 
gerufene skorbutische Beschaffenheit. Die Frau er¬ 
holte sich sichtlich und nahm an Umfang wieder 
zu. Kurz, sie war nach ca. 2 Jahren soweit, dass 
an die Bildung einer neuen Nase gedacht werden 
konnte, welche unserem berühmten Chirurgen 
auch vorzüglich gelang. Behufs Schliessung der 
Oeffnung im harten Gaumen hatte ich ihr vorher 
schon eine Gummiplatte vom Zahnarzt fertigen lassen. 
Seitdem sind kaum noch geringe Andeutungen des 
frühern Krankheitsprocesses zum Vorschein ge¬ 
kommen, so dass man sich wohl für berechtigt 
halten kann, hier eine vollständige Heilung zu be¬ 
haupten. Den etwaigen Einwurf, dass der Krankheits¬ 
process von selbst erloschen sei, kann wohl Niemand, 
welcher die Natur dieses Leidens kennt, ernstlich 
machen. 

Frau L. 64 Jahre alt, Besitzerin einer Wasch« 
und Bleichanstalt in einer benachbarten 8tadt kam 
zu mir im Sommer 1881 wegen eines von einem 
Laienpraktiker diagnosticirten Magenkrebses. Die 
eigene Untersuchung ergab, dass davon nicht die 
Rede war, sondern es sich um eine Kardialgie sehr 
heftiger Art handelte, die durch die Länge der 
Anfälle, wohl an ein organisches Leiden denken 
lassen konnte. Sie wurde in Zeit von 6—8 Wochen 
so gründlich beseitigt, dass bis heute kein Anfall 
wieder dagewesen ist. Bei dieser Gelegenheit theilt 
sie mir mit, dass sie in Folge von häufigen Er¬ 
kältungen bei ihrer Arbeit schon seit mehreren 
Jahren an einem fortwährenden Schnupfen litte, 
welcher seit ca. 1 Jahre zu einem heftigen Stock¬ 
schnupfen ausgeartet sei, sodass sie beinahe keine 
Luft durch die Nase einziehen könne und beim 
Schnauben zuweilen einen zähen leimartigen Schleim 
und kleine grüngraue Pfropfen herausbeförderte. 
Die Untersuchung ergab das Vorhandensein von je 
einem Polypen in den beiden Nasongängen, beson¬ 
ders auf der rechten Seite so bedeutend, dass gar 
keine Luft passiren konnte und auch von aussen 
eine Anschwellung sichtbar war. Die begleitenden 
Symptome waren die gewöhnlichen, Druck in der 
Stirn besonders über der Nasenwurzel. Dämlich¬ 
keitsgefühl und vorübergehende leichte Schwindel¬ 
anfälle. Sehr lästig war ihr auch die durch das 
Einathmen durch den Mund hervorgerufene Trocken¬ 
heit in der Rachenhöhle. Der Schlaf war selbst- 
versändlich unruhig und durch scheinbareErstickungs- 
an fälle gestört. Im Uebrigen war die Frau gesund 
und stand ihrem Geschäfte noch vollständig vor. 

Gestützt auf einige gute Erfolge in dieser 
Krankheit, allerdings nur bei Kindern und jüngeren 
Personen, übernahm ich die Behandlung. Die an¬ 
gewandten Mittel waren Calc. carb., Phosph. und 
Staphisag., hie und da eine Gabe Sulf. interponirt, 
grösstentheils in höheren Verdünnungen. Die Calc. 


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88 


bethätigte ihre Heilkraft zunächst bei dem link¬ 
seitigen Polypen, welcher sichtlich kleiner wurde 
und bis auf einen Best verschwand und auch nur 
einige Male eine Neigung sich wieder zu vergrössern 
kundgab, welche jedoch nie recht zum Ausbruch 
kam. Viel bösartiger und hartnäckiger war der 
rechtseitige Polyp. Die Calc. übte auf ihn zwar 
auch einen entschieden günstigen Einfluss aus, er 
verkleinerte sich wesentlich, sodass er beim Luft¬ 
einziehen kaum noch genirte. Allein bei jedem 
f ärkeren S^hpupfen wuchs er aufs Neue und nahm 
einige Male sogar eine bedenkliche Dimension 
an, sodass man es von Aussen sah. Einmal 
konnte ich sogar das Wachsen nach oben, ein 
andermal nach hinten nach der Rachenhöhle zu 
constatiren. Hier war es auch, wo Staphisags 3 
eine glänzende Wirksamkeit entfaltete. Kurz es 
vergingen 4 Jahre, ehe es gelang, den rechtseitigen 
Polypen soweit zu reduciren, dass er nicht mehr 
genirte und keine neuen Versuche zum Wachsen 
machte. Damit waren die Frau und ich zufrieden. 

At last not at least sei kurz noch eine dauern¬ 
deste Heilung erwähnt. Als ich im Jahre 1846 
meine Praxis in der Stadt Eisleben begann, wurde 
ich zu einer angesehenen Bürgerfamilie gerufen, 
deren einzige Tochter an der Lungenschwindsucht 
darniederliegen sollte und von den behandelnden 
Aerzten aufgegeben war. Der äussere Anblick 
rechtfertigte die schlechte Prognose. Grosse Ab¬ 
magerung, kolliquative Schweisse, Husten mit dickem 
eitrigen Auswurfe, hektisches Fieber gaben das voll¬ 
ständige Bild einer Phthisis. Im Jahre vorher von 
Prof. Bock in der damals noch ziemlich neuen 
physikalischen Untersuchungsmethode eingepaukt, 
konnte ich konstatiren, dass keine Cavemen vorhanden 
sondern nur ein heftiger eitriger Bronchialkatarrh 
vorhanden war. Beim Gebrauch von Stann. Tart. 
emet und Carb. veg. trat bald eine entschiedene 
Besserung ein, sodass die Kranke nach 8 Wochen 
mit ihrer Mutter die erste Ausfahrt unternehmen 
konnte, und heute noch als alte Frau lebt. 

Das Verordnen homöopathischer 
Arzneien in Speise und Trank. 

Von Dr. Gallavardin in Lyon.*) 

Die Homöopathen der ersten Generation verord- 
neten — H ahnemann folgend — ihre Arzneien ge- 

*) Auf ausdrücklichen Wunsch des Verfassers, diesen 
Artikel in der „Allgemeinen homöopathischen Zeitung“ 
erscheinen zu lassen, komme ich demselben durch gegen¬ 
wärtige Uebersetzung nach. — Dr. C. Bojanüs sen. 

Die Redaction des „Homoeopathe populaire“, in 
dessen Nr. 77, 1891 dieser Artikel erschien, macht fol¬ 
gende Anmerkung zu demselben: „Die Verantwortung 
für seine mitgetheilten Ansichten überlassen wir ganz 
und gar unserem gelehrten Mitarbeiter. 4 * 


meiniglich in der 6. 12. 18. 30. Verdünnung oft 
selbst ohne die Gabe — acute Fälle ausgenommen 
— zu wiederholen. Aus Besorgniss, es könne die 
Wirkung eines, in so kleiner Gabe gereichten Mittels 
durch verschiedene Speisen und Getränke alterirt, 
oder gar aufgehoben werden, empfahlen sie eine, 
in Hinsicht auf das Mittel, nicht aber in Bezug zur 
Krankheit, eingeleitete Diät, damit ja es seine ganze 
Thätigkeit entfalten könne; es wurden daher zu 
diesem Zwecke ganze, Erlaubtes und Verbotenes 
in Aufzählung enthaltende Listen den Kranken ein¬ 
gehändigt. 

Die Strenge dieses auf Voraussetzung, nicht 
aber auf Erfahrung gegründeten diätetischen Ver¬ 
fahrens wurde nach und nach durch Beobachtung 
verdrängt und in Folge dessen auf die Nothwendig- 
keit hingewiesen, die Diät der Krankheit und nicht 
dem Mittel anzupassen. 

Trotzdem fuhren die Homöopathen fort, ihren 
Patienten den Rath zu ertheilen, arzneiliche Ein¬ 
flüsse: Wohlgerüche, Kampfersalben und dergleichen 
starkriechende Stoffe — aus Besorgniss, sie könnten 
die Wirkung des gereichten Mittels aufheben — 
aus ihrer Nähe zu verbannen. — Diese, abermals 
auf Vermuthung begründete Ansicht musste aber 
einer genauen Beobachtung den Platz räumen, da 
diese den Beweis lieferte, dass verdünnte Arznei¬ 
stoffe auch da wirken, wo Kranke solchen Einflüssen 
nicht entrückt werden konnten. 

Eine andere, bisher noch beibehaltene Regel, die 
Arznei nicht kurz vor oder nach einer Mahlzeit 
einzunehmen, wird, Dank den Untersuchungen eines 
Chemikers und in Folge der Erfahrungen eines 
Arztes in Lyon, auf gewisse Fälle sich beschränken 
müssen, da sie obengenannten Forschungen nach 
durchaus nicht unumgänglich erforderlich, wie auch 
folgende Thatsachen darthun. 

Auf dem 1855 in Paris stattgehabten Congresse 
der Homöopathen bewies durch Experimente der 
Professor der Chemie der Ecole de la Martiniöre 
in Lyon, der verstorbene Dr. S. S. Lambert, dass 
homöopathische Mittel, angefangen von der 4. Ver¬ 
dünnung, keiner chemischen Reaction (? Ref.) mehr 
fähig sind, daher auch nicht in destillirtem Wasser 
verordnet zu werden brauchen. Er wagte es nicht 
hinzuzufügen, dass sie auch in Speise und Trank 
gereicht werden könnten, was eine natürliche und 
logische Folgerung seiner Experimente sein musste. 
In dem Fortschrittsgange der Wissenschaft macht 
man gewöhnlich auf einmal nur einen Schritt vor¬ 
wärts, ist es mir gelungen, auf dem eben bezeich¬ 
nten logischen Wege den zweiten zu machen, so 
hat mich dazu die Notwendigkeit gezwungen und 
zwar auf folgende Weise: 

Von 1854 bis 1870 verfolgte ich die hergebrachte 
Routine — denn am Ende hat jede Schule die ihrige 
— seit 1870 aber begann ich mehr dem Rathe 


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Hahnemauns an folgen, d. h. bei der Wahl der 
Mittel den sftmmtliohen Symptomencomplex, den 
der körperlichen, des Gemüthes und Geistes zur 
Richtschnur zu wählen. 

Klinische Beobachtungen unterliessen nicht mir 
darzuthun, dass einige Mittel die isolirt dastehen¬ 
den somatischen Symptome, andere hingegen die 
ebenso isolirt dastehenden Symptome der Geistes¬ 
und Gemöthssphäre zu beseitigen vermögen. Nach 
und nach wurde ich darauf geleitet, Leidenschaften, 
Laster, Charakter und — Geistesanomalien, die 
sich durch gewisse Symptome äusserten, zu behandeln, 
wobei ich gewöhnlich nicht von diesen Personen 
selbst, sondern von ihren Freunden oder Verwandten 
consultirt wurde, welche den Wunsch äusserten, 
die Behandlung ohne Zuwissen des Betreffenden 
einzuleiten. Da nun aber dergleichen Patienten 
sich nicht dazu verstanden hätten, Arzneien, in wel¬ 
cher Form es auch sei, einzunehmen, so war ich 
in die NothWendigkeit versetzt, dieselben in Speise 
und Trank beizubringen. Zu diesem Zwecke liess 
ich 6—8 Streukügelchen während ] / 4 Stunden in 
3 — 4 Kaffeelöffel Wasser lösen und dann diese 
Lösung behufs genauester Mischung, 6—8 Minuten 
lang schütteln, worauf die auf diese Weise be¬ 
reitete Gabe in die Suppe, Milch, Caffee, Chocolade, 
Thee, Wein, Cognac oder Rum gegossen wurde. 
Diese mit der Arznei geschwängerten Stoffe sollten, 
wie beabsichtigt war, eine Stunde vor oder eine 
Stunde nach der Mahlzeit genossen werden, da aber, 
wie es sich erwies, die Erfüllung dieser Bedingung 
unmöglich wurde, so bekamen die Patienten die 
Arznei während der Mahlzeit, sei es in der Suppe, 
oder dem Weine, oder dem Caffee u. 8. w., ja selbst 
in einem Glase Wermuthliqueur (Absynth). Trotzdem 
entfalteten die Arzneien die gewünschte Wirkung 
und zwar sehr dauerhaft, wie ich an mehr als 
5000 Fällen in meiner Poliklinik für Geisteskranke 
mich zu überzeugen Gelegenheit hatte. 

Auf dieselbe Weise könnte auch die Arznei in 
solchen Fällen somatischer Erkrankungen in An¬ 
wendung kommen, wenn der betreffende Patient 
überhaupt oder aus Hass gegen die Homöopathie 
etwas einzunehmen sich weigert und die demselben 
nahestehenden Personen dennoch den Wunsch äussern, 
den Kranken homöopathisch behandeln zu lassen. 

Ein mir bekannter Professor hat eine für solche 
Fälle sehr zweckmässige Methode erdacht: Eine sog. 
Boole de gomme wird mit einem Loche, welches 
vermöge eines spitzen Instrumentes leicht gemacht 
ist, zur Aufnahme einiger Streukügelchen der be¬ 
treffenden Arznei versehen, um dem Kranken als 
Bonbon präsentirt werden zu können. 

Man könnte auf ähnliche Weise die Mittel in 
einer Chocoladenpastille oder in einem leicht lös¬ 
lichen Confecte reichen, nicht aber in Früchten, 
die sich nicht, oder wenigstens nicht leicht lösen. 


Für diejenigen, die mit pag. 126 —150 meines 
Werkes*) bekannt sind, wird es verständlich, dass 
Arzneien, selbst in Speise und Trank gereicht, dennoch 
vollkommen ihre Wirkung entfalten**). Ich habe 
in diesem Werke nachgewiesen, dass Arzneiverdünn¬ 
ungen weder fest, noch tropfbar — noch elastisch- 
flüssig sind, wohl aber sind sie in dem 4. von 
Faraday und Crooks entdeckten Aggregatzustande, 
dem der strahlenden Materie, von dem Crooks sagt, 
er bilde die Grenze, an der Kraft und Stoff in Eins 
zusammenzufliessen scheinen. 

Die in den Zustand strahlender Materie ver¬ 
setzten Arzneien sind keiner chemischen Einwirkung 
mehr zugänglich und bewahren ihre Wirkungskraft 
selbst dann, wenn sie in Speise und Trank, ja sogar 
in giftigen Flüssigkeiten, wie z. B. dem Wermuth¬ 
liqueur (Absynth) gereicht werden. 

Unstreitig ist diese Art und Weise der Verab¬ 
reichung keine allgemeingiltige, wohl aber eine 
Ausnahmsregel für die Fälle, in denen es sich darum 
handelt, den Kranken ohne sein Zuwissen zu be¬ 
handeln.***) 


*) Alco ohame et criminalitA. Traitement de l’ivog- 
nerie et de l’ivresse. In Philadelphia ins Englische 
übersetzt. 

**) Will man aut diese Weise einen Freund, einen 
Verwandten, der jedwede Behandlung hartnäckig zurück¬ 
weist, dennoch behandeln, so wird es schwer, das Mittel 
in erforderlicher Frequenz zu wiederholen, wenn es in 
der 3. 6. 12 oder 20. Verdünnung gereicht wird, man 
wird sich also genöthigt sehen, das Mittel in der 200. 
als einer unveränderlichen und von längerer Wirkungs¬ 
dauer zu verabreichen, da diese sich auf einige Wochen 
erstreckt. Wollen Sie also einen Freund von einer 
hartnäckigen Dyspepsie, gegen die er nichts unternehmen 
will, heilen, so werden Sie in der Hälfte solcher Fälle 
mit einer alle 2, 3, 4, 5, 6 Wochen wiederholten Gabe 
Nux vom 200. Ihr Ziel erreichen. 

Mit diesem Mittel in dieser Verdünnung, im Ver¬ 
laute von 7 Monaten nur zwei Mal verabreicht, habe ich 
bei meiner Frau eine mit Schlaflosigkeit verbundene 
Dyspepsie geheilt, die ein ganzes Jahr hindurch von 
einem renommirtnn Homöopathen erfolglos behandelt 
worden war, der aber immer niedrige Verdünnungen 
verordnet^. 

Mit einer -einzigen Gabe Arsen. 30. habe ich ein 
2 ?jähriges Mädchen geheilt, die seit ihrer Kindheit an 
Lientena litt. — Durchfall unmittelbar nach jeder grösse¬ 
ren Mahlzeit. 

***) Ich erinnere mich einer Heilung, obgleich darüber 
schon zehn Jahre verflossen sind, die mich aber, der 
Art und Weise nach, wie das entsprechende Mittel ver¬ 
ordnet wurde, in Erstaunen versetzte. 

Eine Dame bat mich um ein Mittel für ihren 75 J. 
alten Onkel, einen Hagestolzen, der, wie gewöhnlich 
alle Alleinlebenden, sehr misstrauisch war. Unschlüssig 
darüber, auf welche Weise sie ihm die Arznei bei bringen 
solle — ohne sein Wissen — benutzte sie die paar 
Augenblicke, für die er den Mittagstisch verlassen hatte 
und schüttete 6—8 Körnchen [Lycopod. so., in ein mit 
halb Wasser, halb Wein gefülltes Glas, ohne Zeit zum 
Schütteln oder Umrühren zu haben und trotzdem brachte 
das Mittel die gewünschte Wirkung hervor, welche 3 

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Correspondcnz. 

Riga, Januar 1892. 

Jetzt, da das Jahrhundert seine Jugend verloren 
hat und alt geworden ist, geziemt es sich wohl 
auch, einen Blick auf die gleichfalls ein Jahrhundert 
bestehende Homöopathie zu werfen und ihre Stellung 
und ihre Erfolge der Betrachtung zu unterziehen. 

Hahnemann mochte wohl schon in seiner früh¬ 
sten Jugend und auch noch später ein abschreckendes 
Bild vielseitiger ärztlicher Vielgeschäftigkeit vor 
Augen gehabt haben. Die Aerzte, immer erfüllt 
von dem besten Willen und dem eifrigsten Be¬ 
streben , dem Kranken schnell und dauerhaft zu 
helfen, hatten das lebhaftesten Bemühen, dem Kranken 
von allen Seiten beizusteheu, der Natur zu helfen 
und thatkräftig unter die Arme zu greifen. In der 
Ueberzeugung, Magistri naturae zu sein, den Kopf 
erfüllt von der Ansicht, dass der Kranke überladen 
sei von schlechten Säften, in ihnen ersticke und 
umkomme, überall Unreinigkeiten erblickend, be¬ 
strebten sie sich, diese gefährlichen ungern gesehenen 
Gäste nach allen Seiten hin abzusuchen. 

Da wurde auf den Kranken eingedrungen mit 
Brechmitteln und Laxantien, mit auf lösenden und 
blutreinigenden Mitteln, die Haut wurde lebhaft in 
Anspruch genommen durch Reizmittel aller Art, 
durch Moxen und Haarseile, durch Fontanella und 
stark ziehende Pflaster und Salben. Es konnte 
nicht ausbleiben, dass der Kranke durch so viele 
und starke, auf ihn einstürmende Angriffe, oft mehr 
durch die Mittel der Aerzte litt, als durch die 
Krankheit, dass die starken Eingriffe neue Zufälle 
hervorriefen, welche wieder neue Verordnungen zur 
Folge hatten. Gegen die Schmerzen wurde das 
Opium nicht gespart und die darnieder liegende 
abgeschwärhte Nerven- und Lebenskraft durch Reiz¬ 
mittel aller Art zu erneuter Thätigkeit angetrieben. 
Es lag wohl nicht selten mancher Kranke in einem 
Rahmen von Flaschen, Pillen, Pulvern, Büchsen und 
Pflastern und litt viel von den es durchaus aufs 
Beste meinenden Aerzten. In solch einem Zustande 
mag denn so Mancher, wie von Rousseau erzählt 
wird, gerufen haben — Lasst mich sterben, aber 
tödtet mich nicht. Dass bei diesem vielseitigen 
Bestreben, dem Kranken zu helfen, die alten, be¬ 
kannten, bewährten und so oft erprobten Specifica 
nicht vergessen wurden, ist ganz begreiflich, auch 
sie wurden im Eifer zu helfen, zu oft in zu starken 
Gaben gegeben, auch sie halfen gewiss sehr oft, 
sie werden aber auch oft genug lästige Neben¬ 
beschwerden hervorgerufen haben. Diese ganze 

Monate anhielt. Wäre die Arznei in der 200. Verdünn¬ 
ung gegeben worden, so hätte die Wirkung länger an- 
gehalten und die io,oOO hätte gewiss die Heilung be- 
schlossen, wie ich dieses schon erwähnt habe. Siehe 
Alco olisme et criminalitä pag 101—ISS und 163—161. 


ärztliche Thätigkeit in der Mitte des 18. Jahrhunderts 
mag wohl auf Hahnemann einen abschreckenden, 
abstossenden Eindruck hervorgebracht haben und 
vielleicht war dies der Grund, dass er sich mehr 
literarischen Studien zu wandte und sich mit der 
Uebertragung fremdländischer Werke ins Deutsche 
beschäftigte. Eine solche eben geschilderte ärztliche 
Thätigkeit mochte ihn auch wohl zu den fürchter¬ 
lichen Schimpfreden getrieben haben mit denen er 
die offlcielle Medicin überschüttete und dieselbe 
auch noch dann überschüttete, als sie schon nicht 
mehr am rechten Orte waren, als Hahnemann selbst 
schon alt geworden war (im Jahre 1827), als die 
Prädikate gemeine Schlendrianspraxis, Mordmittel, 
die Aerzte hätten die Kranken gemordet, nicht die 
Krankheit habe sie getödtet, nur für eine vergangene 
Zeit Geltung haben konnten. Wie berichtet wird, 
erregte die Behandlung mit China in Cullen’s 
Materia medica die Aufmerksamkeit Hahnemann’s. 
Er fand in der alten Medioin die Vergiftungs¬ 
geschichte der alten bekannten Specifica, er fand 
in ihnen die starken, groben, kräftig markirten Züge 
ihrer Wirkung vor. Diese derben, starken Züge 
wurden nun durch feinere Striche und Linien aus- 
gefüllt und ergänzt durch die Prüfungen, die Hah. 
an sich, an den Seinigen und an anderen dazu be¬ 
reitwilligen Personen ergänzte. 

Jetzt, gerüstet durch eine reichere Symptomen- 
Kenntniss der übrigens bereits bekannten Specificas 
unternahm es Hahnemann, mit den specifischen 
Mitteln vorzugsweise den Krankheiten entgegen- 
zntreten. Man kann also von Hahnemann aussagen, 
dass er als derjenige anzusehen sei, der die 8pecif. 
Mittel, die specifische Methode wieder vorzüglich 
hervorhob, zur Geltung brachte, verbreitete, erwei¬ 
terte, in ihr Recht bei Behandlung der Kranken 
wieder einsetzte. Dies ist ein Verdienst, das schwer 
in die Waage fällt, das ein ewiger Glanzpunkt in 
Hahnemanns und seiner Prüfer Dasein bleiben wird. 
Ein Wettkampf war jetzt geschaffen zwischen der 
von Hahnemann vorzüglich gepflegten specifischen 
Methode und der officiellen Medicin. Diese, die 
offlcielle Medicin, begriff in sich auch die specif. 
Methode, sie enthielt aber auch zugleich nebenbei 
die antipathische und die allopathische (derivative) 
Methode und hatte der specifischen Methode wohl 
aber nicht den Vorzug eingeräumt, den zu bean¬ 
spruchen sie das Recht hat. Die Kranken, erlöst 
von den harten Angriffen der allopathischen und anti- 
pathischen Methode, fühlten sich merklich erleichtert. 
Alles, was diese beiden Methoden, von neuen Zu¬ 
fällen hätten hervorbringen können, fiel mit einem 
Male fort, und auch die specifischen Mittel wurden 
nun nach der neuen Hahnemann'schen specifischen 
Methode nicht mehr in jenen grossen gebräuch¬ 
lichen Gaben gegeben, in denen sie wohl lästige 
Nebenzufälle hätten hervorbringen können. Schon 


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hierdurch bildeten sich unbekannte Erfolge nach 
der neuen specifischen Hahnemann’schen Methode 
und Hahnemann konnte im Jahre 1817 mit Recht 
ausrufen, die Homöopathie verlange, nach ihren 
Erfolgen beurtheilt zu werden. Diese neue Hahne- 
mann’sche specifische Methode betrachtete sich nicht 
so 8ehr als Magister naturae, sondern vielmehr als 
Minister naturae, sie entlastete den Kranken von 
den heftigen Eingriffen, die von der officiellen Medi- 
cin vorgenommen worden waren. Diese Hahne- 
mann’sche specifische Methode, welche die specif. 
Mittel vorzfiglich in Verdönnungen gab, schloss 
doch dabei den Gebrauch der specifischen Mittel 
im Urßtoff nicht aus, doch wurden auch hier die 
Gaben beschränkt. Eben so wenig war die allo- 
und sntipathisohe Methode durchaus ganz und gar 
verbannt, beide wurden von Hahnemann selbst und 
seinen nächsten Schülern benutzt, nur wurde Maass 
hierin gehalten, es hatte sich also wie eine Reserve 
der Medicin gestaltet, die Naturheilkraft war wieder 
in ihr Recht eingesetzt worden, die specifischen 
Mittel wurden in kleineren Gaben oder in Dilutionen 
gegeben, die Mischungen hörten auf, die allo- und 
antipathischen Methoden wurden selten und mit 
Maass in Anwendung gesetzt. Und eine solcher Art 
gestaltete Medicin mit dem überwiegenden Recht 
der specifischen Methode, sollte man denken, hätte 
doch auf die officielle Medicin einen Erfolg haben 
müssen. Mir scheint dieser Erfolg gleich Null zu 
sein, die officielle Medicin giebt noch immer ihre 
Mittel mit Vorliebe in Mischungen, sie operirt noch 
immer mit grossen Gaben der specifischen, sowie 
der antipathischen Mittel, die Deutung ihres Thuns 
kann mit dem musikalischen Ausdruck Fortissimo 
bezeichnet werden. Auf die Frage, ob für die 
Zukunft noch ein Erfolg auf die officielle Medicin 
in Aussicht stehe, möchte ich doch mit Nein ant¬ 
worten. Nun, und andere Erfolge der Hahnemann- 
sehen specifischen Methode sind nicht zu verzeichnen? 
0 ja, der Erfolg ist der, dass die Hahnemann'sche 
specifische Methode in allen Ländern ihre Vertreter 
hat, freilich in einer ausserordentlichen Minorität, 
ferner, dass viqje Städte und grosse Landstrecken 
gar keinen Vertreter haben. Schliesslich ist der Erfolg 
der, dass kein Staat einen Lehrstuhl, oder ein 
Hospital, oder bei der Armee oder der Marine eine 
Stelle hat für einen Arzt, der nach der oben ge¬ 
schilderten Hahneraann’scben specifischen Methode 
die Medicin ausübt, eine Medicin, die als Reserve 
der officiellen Medicin bezeichnet werden kann. 

Dr. Lembke. 

Zum Tuberculin. 

Zur Beurtheilung des vielumstrittenen Koch- 
sehen Tuberculins liegt eine Broschüre vor, die wie 
die neulich schon erwähnte Aeusserung des Dr. 


Ladendorf in St. Andreasberg wohl geeignet ist, 
dem Prof. Koch die Anerkennung zurückzugewinnen, 
die ihm Anfangs im Ueberschwang gespendet und 
später in ungerechter Erkaltung entzogen wurde. 
Herr Dr. Karl Spengler, practischer Arzt in Davos, 
ein Sohn des «Entdeckers* von Davos, des heute 
noch practizirenden Alex. Spengler, hat soeben 
Therapeutische und diagnostische Resultate der Tuber - 
culinbehandlung bei 41 Lungenkranken veröffentlicht 
(Verlagsbuchhandlung von Hugo Richter in Davos 
1892.) 

Der Verfasser bemerkt einleitend, dass die 41 
Kranken zur Hälfte von seinem Vater, zur Hälfte 
von ihm selbst behandelt seien und fährt dann fort: 

«Unsere Behandlungsweise unterscheidet sich 
von allen bisher bekannt gegebenen dadurch, dass 
wir vom Beginn der Behandlung an nach dem 
Grundsätze: «Nicht schaden!* kleine und kleinste 
Dosen gaben und nur in der äussersten Noth schliess¬ 
lich bei dem Anstürmen der Kranken grössere 
Gaben einspritzten. Um unserem Grundsätze treu 
zu bleiben, hatten wir in erster Linie eine fieber¬ 
hafte Reaction zu vermeiden, jedenfalls dieselbe in 
engen Grenzen zu halten, um keinesfalls den Appetit 
zu schädigen, was nur möglich ist, wenn sehr lange 
Zeit kleine Dosen beibehalten werden. Wir konnten 
das thun, ohne uns den Vorwurf machen zu müssen, 
der Homöopathie zu huldigen*) und nichts zu 
nützen, weil aus den reactiven Symptomen auch 
bei sehr kleinen Dosen die äusserst differente Wir¬ 
kung des Mittels klar zu Tage trat . . . Die Be¬ 
handlung mit kleinen Dosen hat uns im Anfänge 
grosse Unannehmlichkeiten von Seiten der Kranken 
und manches Achselzucken der Gollegen eingebracht, 
so dass ich oft und gern zn einer brieflichen Mit¬ 
theilung von Libbertz meine Zuflucht nahm, der 
mir bemerkte, die Art und Weise, wie ich die 
Lungenkranken zu behandeln angefangen, habe seine 
volle Zustimmung. Ich bin stolz darauf, gewisser- 
m&88en auch zu jenen Vertrauensmännern Kochs 
zählen zu dürfen, von denen Dettweiler in Wies¬ 
baden sagte, dass sie «kleinste, fast homöopathische 
Dosen* empfehlen.* 

Dr. Spengler geht dann zunächst auf die von 
ihm und seinem Vater angewendete, roedicamentöse 
Behandlung und die klimatisch-diätetische Therapie 
ein. Er bemerkt dabei, dass Medicamente grund¬ 
sätzlich sehr wenig gegeben würden, führt diese 
wenigen auf und hebt besonders Digitalis-Decokt 
hervor. Dann schildert er näher seine Behandlung 
mit Tuberculin und erklärt, dass er in mittel - 


•) Wieso wäre das ein Vorwurf? Ist nicht das 
Tuberculin als solches durch die Art seiner Auffindung 
und Anwendung schon eine Art Rechtfertigung homöo¬ 
pathischer Grundsätze? Anmerk, der Red. der „Täg¬ 
lichen Rundschau“, der wir diese Besprechung ent¬ 
nommen haben. 

11 * 


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92 


schweren, schweren und schwersten Fällen 10 Milli¬ 
gramm, 5 Milligramm, 1 Milligramm als höchste 
Gabe betrachtet, während die niedrigste J /io Milli¬ 
gramm betrug. Begonnen wurde in den meisten 
Fällen, wenigstens in der ersten Zeit, mit 1 Milli¬ 
gramm , später mit J / 2 Milligramm. .Bei floriden 
Phtisen und Miliartuberculose muss J /io oder l / 5 
Milligramm als Anfangsdosis und */ 2 Milligramm 
als Maximaldosis, so lange überhaupt Fieber vor¬ 
handen ist, bezeichnet werden. Ich führte den 
Grundsatz, Pausen von 1—5 Tagen zwischen den 
einzelnen Injectionen zu machen, fast consequent 
durch und kehrte jeweilen, wenn 10 Milligramm in 
Wochen erreicht waren, mehrmals auf 1 Milligramm 
zurück, um in der gleichen Art milligrammweise 
oder, je nach dem Fall, etwas rascher zu steigen. 
Die Dose, welche die Reactionsschwelle andeutete, 
wurde mit Vorliebe mehrmals in Pausen gegeben. 
War eine Reaction lebhafter, so dass der Appetit 
litt, dann folgte das nächste Mal eine entsprechend 
kleinere Gabe. Ueber 10 Milligramm ging ich nur 
dann, wenn mich das Verhalten der Kranken bei 
lebhafterem Springen in den Dosen von 1—10 
Milligramm reactive Erscheinungen bei grösseren 
Gaben ausschliessen liess, und auf Wunsch der 
Kranken. Im Ganzen legte ich wenig Gewicht 
darauf, dass Patienten auch grössere Dosen bekamen, 
da bei den kleinen von 1—10 Milligramm sehr 
rasche Besserungen und schliesslich auch Heilungen 
sich zeigten, und in den allermeisten Fällen die 
Tubercelbacillen bei diesen kleinen, fortgesetzt ge¬ 
gebenen Dosen verschwanden. Ich habe keinen ein¬ 
zigen Unglücksfall erlebt. Bei einem Patienten, der 
unbedingt höhere Gaben wollte, trat bei 50 Milli¬ 
gramm unter Fieber und Abgeschlagenheit, ver¬ 
mehrtem Husten etc. eine leichte Verschlimmerung 
im localen Befund ein . . .* 

Der Verfasser giebt sodann ausführlich die Ge¬ 
schichte der 41 Krankenbehandlungen. An der 
Hand derselben weist er nach, dass in diagnostisch 
zweifelhaften Fällen unter keinen Umständen diag¬ 
nostische Einspritzungen von 5 —10 Milligramm 
Tuberculin gemacht werden dürfen, weil schon bei 
viel kleineren Gaben fast ausnahmslos Bedenken 
erregende Reactionen sich einstellen. Am deut¬ 
lichsten und ganz untrüglich tritt, wie er weiter 
sagt, bei dem von ihm behandelten Schwindsüch¬ 
tigen im Anfangsstadium die Heilwirkung des Tuber- 
culins hervor. In 23 Fällen vorgeschrittener 
Lungentuberculose sind 2 geheilt, 2 ungebessert, 
die Uebrigen mehr oder weniger gebessert, gestorben 
Niemand. 

Des weiteren wird ausgeführt, dass bei bös¬ 
artigen, mit schnellem Kräfteverfall verbundenen 
Formen der Tuberculose eine .forcirte Tuberculin- 
cur* das Ende in rascher Weise herbeiführen müsse, 
dass dies leider oft geschehen sei und dass dadurch 


.das Ansehen des Mittels ungerechter Weise schwere 
Einbusse erlitt. Die kleinste Dose, die noch eine 
Reaction hervorzurufen im Stande war, hatte man 
als Maximaldose so lange zu betrachten, bis kein 
nachweisbares Reactionssjmptom mehr sich ein- 
stellte." .Das Allgemeinbefinden litt sichtbar unter 
hohen Tuberculindosen, so dass von diesen unter 
keinen Umständen, wenn sie Fieber und acuten 
Zerfall tuberculösen Gewebes erzeugten, ein güns¬ 
tiger Eifolg zu erwarten stand.* „Von allen Seiten 
will man die acuten Tuberculösen von der Tuber- 
culinbehandlung ausschliessen. Ich halte das durch¬ 
aus für unbegründet, denn hier wie in den übrigen 
Fällen ähnlicher Beschaffenheit hat das Tuberculin 
mehr geleistet als irgend ein anderes Mittel. Be¬ 
dingung eines Erfolges werden aber stets kleine und 
kleinste Dosen von V io—Vi Milligramm bleiben. 
Mit dem Tuberculin hat man selbstredend andere 
Behandlungsmethoden zu verbinden.* 

Dr. Spengler erklärt dann zum Schlüsse seiner 
Angaben, dass mit Tuberculin die Heilungen rascher 
und sicherer erfolgen, weist dies näher nach und 
sagt dann ausdrücklich: .Das Koch’sche Mittel 
leistet noch mehr, als sein Erfinder geahnt hat.* 
Der Verfasser hat neuerdings auch das viel¬ 
besprochene .Tuberculocidin* des Züricher Prof. 
Klebs angewendet und meint, dass dieses* weil bei 
ihm die giftigen Stoffe ausgeschieden seien, die Heil¬ 
wirkungen des Tuberculins ohne dessen schädliche 
Nebenwirkungen habe, so dass es auch bei vor¬ 
geschrittenen Schwindsüchten in sehr rasch steigen¬ 
den Gaben gereicht werden könne. Das interessante 
Werk schliesst mit folgenden Worten: .Man hat 
dem grossen Meister durch Ueberhaftung schweres 
Unrecht gethan. Hoffentlich tritt man mit etwas 
mehr Objectivität und Nüchternheit in die kommende 
Periode des gereinigten Tuberculins, des Klebs'schen 
Tuberculocidins. a 


Epidemiologische Ecke. 

Noch immer will ganz analog dem ausserordent¬ 
lich veränderlichen Wetter der Genius epidemicus 
kein constanter werden. Ich will nur das Haupt¬ 
sächliche über die verflossenen 4 Wochen berichten, 
da von allen Seiten der rasche Wechsel gemeldet 
wird. 

Leeser-Bonn hatte am 15./2. noch viel Influenza 
und vorwiegend Combinationen mit Euphrasia (-}- Ac. 
benz. auch -f- Hep. sulf. calc.), vom 16.—23,/2. 
vorwiegend Kali carb. + Belladonna = Apis, am 
27./2. theils Kali carb. -J- Iris theils Natr. mur. 
+ Iris und wieder frische Influenzafälle, seit dem 
2./3. mit Eintritt von Frostwetter Natr. mur. -J- 
Led. = Tart. stibiat. 


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«s 


Schwarz-Baden-Baden berichtet am 5./3., dass 
er seit 8 Tagen besonders Natr. mur. -|- Iris = 
Eaphras. und Baryt, carb. -}- Belladonn. = Mercur. 
habe. 

Kim-Pforzheim hatte seit dem 14./2. bis zum 
25-/2.* sehr häufig Kali. carb. + Beilad. = Apis., 
nebenher Cimicifuga bei Neuralgieen besonders des 
rechten Armes und der rechten Schulter; vom 
25./2. ab fand er stets Cimicifuga 3. bei Influenza 
mit Kopf-, Nacken- und Kreuzschmerzen, Schmerzen 
in den Armen und Beinen, Schwindel, Schlaflosig¬ 
keit und Schwächeanfällen sehr hilfreich (bei solchen 
Fallen war hier nach Schmerzpnnkten Tart. stib. 
+ Geisern, angezeigt); vom 2.—9./3. hatte er aus¬ 
schliesslich Kreosot, -j- Sabadill.; am 11./3. schreibt 
er, dass er jetzt mehr Led. -(- Natr. mur. oder 
Baryt, carb. angezeigt finde. 

Hier war vorwiegend Sabadill, vom 10.—21./2. 
und zwar -|- Kreosot, (am 13.—15./2.), -f- Kali* 
chloric. (am 17./2.), -f- Natr. mur. (am 18./2-), 
-j- Borax (am 19./2.), -f- Baryt carb. (am 20./2.), 
-f- Kali carb. (am 21./2.); vom 22./2. an wurde 
mehr und mehr vorwiegend, vom 27., 2. an war es 
fast ausschliesslich Natr. mur. -j- Iris vers. = Eu- 
phras. bis zum 6./3.; seit dem 7./3. ist fast aus¬ 
schliesslich angezeigt Baryt, carb. -j- Lactuc. vir. 
= Acid. phosphoric., nebenher besonders bei Diph¬ 
therie Baryt, carb. Belladonna (= Mercur.), -}- 
Tonca (= Kali bichromic.), -f- Taraxac. (= La¬ 
chesis). Während der Herrschaft von Euphras. 
gab es eine ziemliche Anzahl frischer Influenzafälle 
mit Kopfweh vorne, Husten besonders Nachts und 
Vormittags, ziemlich krampfhaft, Fieber, grosse 
Müdigkeit, Gliederschmerzen. Aufgefallen ist mir 
bis jetzt immer: Bei Combinationen mit Natr. mur. 
stets Kopfweh in der Stirne, bei solchen mit Baryt 
carb. stets 8chmerzen im Hinterkopf herauf, oft 
bis in die Stirne. Bezüglich der Diphtherie sei 
noch bemerkt, dass im Gegensatz zu den Fällen 
vom Anfang Januar, die alle unter dem Gebrauch 
von Apis rasch in höchstens 3 Tagen heilten, sie 
in der letzten Zeit viel schwerer und hartnäckiger 
mit raschem Mittelwechsel (meist Combinationen 
mit Baryt carb.) verläuft und grosse Neigung zum 
Uebergang auf den Kehlkopf zeigt, wobei nach 
Schmerzpunkten dann meist Brom, -f- Spong. oder 
-f Droser, angezeigt ist 

Hähnle-Reutlingen schreibt am 23-/2., dass er 
seit 10 Tagen bei krampfartigem Husten besonders 
Nachts von Belladonn. 3° sehr gute Erfolge sehe 
(nach Schmerzpunkten wäre wohl, wie hier, Natr. 
mur. -j- I™ 8 6=3 Euphras. angezeigt gewesen). 

Sigmundt-Spaichingen berichtet am 18./2, dass 
er in den letzten Tagen bei mehreren Anginafällen 
(nicht diphtheritisch) mit besonderer Betheiligung 
der linken Mandel von Lachesis rasche Besserung 
sah, und am 27.'2., dass er in den letzten Tagen 


ausschliesslich Acid. mur. -f- Lachesis angezeigt 
findet. 

Buob-Freudenstadt berichtet am 10-/2-, dass er 
seit 10 Tagen bei Influenza viel Euphras. mit 
gutem Erfolge anwende. 

Stuttgart, den 11. März 1892. 

Dr. med. H. Göbrum. 


Fragekasten. 

In Beantwortung des Fragekastens in Nr. 5/6 
der „Allgem. hom. Ztg.*, sei es mir vergönnt, zu 
erwähnen, dass nach meiner Ueberzeugung die 
Taenia bei Frauen am allermeisten Unheil anstiftet, 
und kann ich es mir erklären, wie zur Zeit der 
Menstruation die Taenia ganz besonders gereizt 
wird, da ja zu dieser Zeit die Circulation des Blutes, 
wie alle Zellen und Gefässe einer temporären Reac- 
tion unterworfen sind. Der vorliegende Fall be¬ 
weist, dass das Caput selbst noch zurückgeblieben 
ist. Der von Kousso gemachte Aufguss ist ein 
Amerikanisches Universal mittel gegen alle Taenia 
species. 

Johnstown (Amerika). 

Dr. med» R. Stendel. 


Aas der Zeitnngsmappe. 

Zeitschrift des Berliner Vereins homöopathischer 
Aerzte , X. Band. Heft V und VI (October lö91). 
Dr. C. Bojanus sen., Die Homöopathie in Russland. 

— Dr. 8ul*er, Zur Neugestaltung der Materia 
Medica. — Dr. J. Compton Burnett, Fünijährige 
Erfahrungen in der neuen Behandlung der Schwind¬ 
sucht mittels ihres eigenen Virus, vermuthlich auf 
gleicher Basis mit Koch’scher Methode. — Dr. Leeser- 
Bonn, Gedanken über eine neue Pathologie. — Dr. 
Kröner-Potsdam, Casuistisches. — Dr. Weber-Köln, 
Ischias und ihre homöopathische Behandlung. — 
Dr. W. Sorge-Berlin, Pbarmaceutisches. — Kleine 
Mittheilungen. 

Zeitschrift des Berliner Vereins homöopathischer 
Aerzte , XI. Band. Heft I (Februar 1892). Dr. A. t 
Lorbacher, Zur Aetiologie der chronischen Krank¬ 
heiten. — Dr. H. Goullon, Akute Schwerhörigkeit. 

— Dr. C. WesseJhoeft-Boston, Die Forderung der 
neuen Wissenschaft in Bezug auf die Leitung von 
Arzneiprüfungen. — Dr. Taube, Ueber die »narko¬ 
tische* Wirkung des Bittermandelwassers. — Dr. 
Dahlke, Einige Bemerkungen im Anschluss an 
Farrington's Klinische Arzneimittellehre. — Materia 
Medica. Begründet von dem Medical Investigation 
Club of Baltimore. Deutsch von Dr. Sulzer. — 
Dr. Dahlke, Therapeutisches. — Kleine Mittheil¬ 
ungen. 


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94 


Archiv für Homöopathie, Nr. 1 (October 1891). 
Dr. Villers, Wozu noch eine deutsche homöopath. 
Zeitung? — Dr. Kunkel, Aus der Praxis. — Prof. 
J. T. Kent, Kali carbonicum. — Dr. Mossa, Eine 
historische Vergiftung, resp. Heilung mit Aconit. 

— Dr. Hesse, Aus der Praxis amerikanischer Col¬ 
leges — Dr. Bojanus, Wie auf Universitäten die 
lernende Jugend über Homöopathie aufgeklärt wird. 

— Apoth. Loevy, Ein kleiner Beitrag zur Frage 
bezgl. der „Reinheit* der Arzneien. 

Nr. 2 (November 1891). 

Dr. Dudgeon, Certa und Dubia in der Homöo¬ 
pathie. — Dr. Mossa, Zur Charakteristik der Ipecac- 
uanha. — Dr. Villers, der vierte internationale 
homöopathische Congress. — D. Lembke, Das Lächer- 
liehe in der Homöopathie. 

Nr. 3 (December 1891). 

Dr. Kunkel, Zur Heilwirkung des Tuberkulin. 

— Dr. Kennedy, Zufällige Auslöschung von Symp¬ 
tomen. — Dr. Kunkel, DreifäUe von Sykoma mentis. 

— Dr. Hesse, Aus der eigenen Praxis. — Dr. 
Lutherland, Einige Wünsche in der homöopathischen 
Pharmacie. 

Nr. 4 (Januar 1892). 

Dr. Deschere, Diät und homöopathische Be¬ 
handlung. — Geh. Rath Leyden, Ueber die Grenzen 
der Heilkunst — Dr. Wilkinson Clapp, Die Phar¬ 
macie der Verreibungen. 

Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie , 
Nr. 1 und 2 (Januar 1892). Die eitrige Augen¬ 
entzündung der Neugeborenen. Dr. Schwabe. — 
Influenza-Mittel. — Ueber die Berücksichtigung der 
Constitution beim Rheumatismus. — Cocosnuss- 
butter. — Zwei homöopathische Propagatoren. — 
Eine Begegnung mit Hahnemann. — Vermischtes. 

Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie , 
Nr. 3 u. 4 (Febr. 92). Unsere künftigen Aerztinnen. 
Von Cornelia Jardon. — Homöopathie und sonstige 
Heilmethoden vom natürlichen Standpunkt aus be¬ 
trachtet. Dr. Schier. — Ein seltsames und seltener 
gebrauchtes homöopathisches Arzneimittel. Dr. Puhl¬ 
mann. — Ein unheilbares und heilbares Uebel. Dr. 
Goullon. — Gegen chronische Fussgeschwüre. Dr. 
Goullon. — Schwindsucht. Dr. Goullon. — Homöo¬ 
pathische Arzneien aus allopathischen Apotheken. 
Dr. Möser. — Vermischtes. 

Wegweiser zur Gesundheit , VI. Jahrg. Nr. 17, 
18, 19 und 20—21, 22. Der wahre Unterschied 
zwischen Allo- und Homöopathie. — Eingebildete 
Kranke. — Schaden und Nutzen des Tabaksgenusses. 

— Körperverletzung durch Laienärzte. 

Prof ’ Dr. G. Jägers Monatsblatt, Nr. 12, Dec. 
1891 und Nr. 1, Januar 1892. Die übersinnlichen 
Verkehrswege. — Hautjucken in der Wolle. — | 
Kleidung und Krankheit 

Hygieca. Gemeinverständliche illustiirte Monats¬ 
schrift für Volksgesundheitslehre, Heft XI und XII, 


November, December 1891 und Heft I, Jan. 1892. 
Wolle oder Leinen. Von Dr. Gerster. — Hygieine 
am Lande. Von San.-Rath Dr. Keil. — Die Kunst 
kahl zu werden. Von Dr. Winkler. — Der Kampf 
gegen den Alkoholismus. Von Dr. Hartmann Giger. 

— Zur Erziehungsfrage. Von Alexander Winter. 

— Zur Frauenhygieine. Von Dr. Wacbsmuth. — 
Der Wille in der Hygieine. Von Dr. Navratil. — 
Zur Hygieine der oberen Athmungswege. Von Dr. 
Riedlin. — Wassermänner aus alter und neuer Zeit 
Von Dr. Fodor. — Ueber Entwärmung. Von Dr. 
Kühner. — Ueber den Werth, resp. Unwerth des 
Alkohols als Genuss und Heilmittel. Von Dr. 
Wenberg. 

Blätter für klinische Hydrotherapie, Nr. 7 u. 8, 
November, December 1891, Nr. 1, Januar 1892. 
Dr. Grünfeld, Ein Heilmittel aus der Küche. — 
Dr. Herz, über die Wirkung localer Dampfbäder. 

— Dr. Money, Die Behandlung der Bronchopneu¬ 
monie bei Kindern mit Eis. — M. Tschelzow, Die 
Behandlung des Scorbuts mittels strenger Milch¬ 
diät. — Dr. Gatomo, Zur gymnastischen Behand¬ 
lung der Amenorrhoe. — Dr. Cholmogoroff, Heilung 
des Pruritus vulvae durch den constanten Strom. — 
Dr. Ferguson, Epilepsie. — Maurel de Tonlose, Er¬ 
klärung der Gefahr hoher Temperaturen. — Dr. 
Walther, Einwirkung der künstlichen Erhöhung der 
Körpertemperatur auf den Verlauf der Infection 
durch Pneumonie Diplococcen. — Dr. Popischil, 
Zur hydratischen und mechanischen Therapie der 
Herzkrankheiten. — Dr. Ising, Mittheilungen aus 
der Praxis. — Dr. Fodor, Ein Gegner der Kalt¬ 
wasserbehandlung des Typhus? — Dr. Csillag, Zur 
Behandlung des Prolapsus reoti. — Prof. Winternitz, 
Ueber Neuralgieen und ihre hydriatische Behand¬ 
lung. — Dr. Pospischil, Zur hydriatischen Therapie 
der Ischialgien. 

The Hahnemannian Monthly, Nr. 12, Dec. 1891, 
Nr. 1 und 2, Januar, Februar 1892. Acute Paren- 
chymatous Metamorphosis of the Kidneys W. Haman. 
M. D. — General and special Practitioners. Dr. 
Winslow. — Notes on Intectinal Surgery. Van 
Lennep. M. D. — Aurum Bromidum — Its Use 
in Certain Nervous Affections. Haie D. M. — Two 
Gases of Pseudo Cyesis. R. Amesbury. M. D. — 
Two Interesting Malpractice Cases. A. Riley. — 
Discussion of Diseases of the Moutb. — Reliability 
in Materia Medica. Dake. M. D. — The Materia 
Medica Not Weakened by Revision. E. Janney. M. D. 

— Encysted Vesical Calculus. Viecher. M. D. — 
Circumcision. Rusell M. D. — A Gase of Melano- 
tic Sarcoma of the Nares. Schallcross. M. D. — 
Jottings from Practice in the Old Country. Gooper 
M. D. — Pyretology. Fornias M. D. — Eye and 
Ear Complications of Epidemie Influenza. King 
M. D. — The Significance of Bacteriological Dis- 
ooveries to the Homoeopathic Method of Treatment. 


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Maddux M. D. — Free Dispensary Abuses. Chase. 
Esq. — Jottings from Active Practice in Old Eng¬ 
land. Cooper M. D. — Anenrism of the Abdominal 
Aorta — A Case. Babley M. D. 

The Homoeopathic Physician , Nr. 12, Dec. 1891. 
Nr. 1 nnd 2, Jannar 1892. Is it Homoepathy or 
Isopatby? Swan M. D. — What are the Remedies? 
Farbley M. D. — Provings and Clinical Observations 
with High Potencies. Macfarlan M. D. — Science 
and Old Medicine Contrasted. Pomeroy M. D. — 
Chronic Intoxication from the Habitnal Use of the 
Essences, as Wermuth, Absinthe, etc. 8. L. — 
Britisch Medicinal Plants. Heath M. D. — Cholora 
Infantum. Steinrauf M. D. — Coffea Cruda in Enu¬ 
resis. White M. D. — Detachment of the Retina. 
Howard M. D. — A Symptom of Arsenicum. Tuttle 
M. D. — Fearful Aggravation Caused by Lauro- 
cerasns. Wigg M. D. — The Oldest Homoeopathic 
Physician. Hoopes M. D. — An Error in the Lippe 
Repertory. Fowler M. D. — The Use of Reper- 
tories in Finding the Homoeopathie Remedy. Holmes 
M. D. — Sick Headache Cured with One Dose of 
Lachesis. Rushmore M. D. — British Medicinal 
Plants. Heath M. D. — Homoeopathic Dilutions. 
Fowler M. D. — Tannin Poisoning. S. L. — 
Medorrhinum. Wildes M. D. 

The Monthly Homoeopathic Review , Nr. 9, Sept. 
1891. Observations of the Action of Jodide of 
Potassium in Tertiary Syphilis. Shaw M. R. C. S. 

— The Supervision of Normal Parturition. Day 
M. D. — Tachycardia, or Rapid Heart Cash M. D. 

— Lembke’s Provings. Dudgeon M. D. 

The North American Journal of Homoeopathy , 
Nr. 11 und 12, November, December 1891. Tbe 
Rights and Duties of Homoeopathy. Lewis M. D. 

— Gases of Insanity following „La Grippe“. Allen 
M. D. — The Use of Massage and Nerve Gym- 
nastics in Chorea and Spinal Irritation. Purdy M. D. 

— A Plea for the Faradic Battery in the Treat¬ 
ment of Uterine D ; seases. Newell M D. — Neurotie 
Forms of Dysmenorrboea. Lee M. D. — On What 
Lines Should We Work. Van Denburg M. D. — 
Avena Sativa ant Its Indications. Rusell M. D. — 
Morbid Fears and Imperative Conceptions — Their 
Homoeopathic Treatment O’Connor M. D. — A 
Remarkable Case of Traumatic Insanity. Butler M. D. 

— A Com parison of the Kali Salts. Winters M. D. 

— Croup. Kinney M. D. — Treatment of Endo- 
cervicitis and Endometritis. Brayton M. D. — The 
Homoeopath’s Duty in Paediatry. Beschere M. D. 

Revue Homoeopathique Beige , Nr. 7 u. 8, Oct., 
Nov. 1891. L'homoeopathie ä Anvers. Dr. Martiny. 

— Historique du Conflit qui 4clata ä Anvers & 
l'occasion de 1’Etablissement d'un dispensaire homoeo¬ 
pathique. Dr. Lambreghts. — Quelques remarques 
ä propos du traitement de la diphtErie. Dr. Martiny. 

— A propos de certains symptomes des PatbogE- 


nesies Hahnemanniennes. Dr. Martiny. — Cures 
homoeopathiques. Charleroi. — De l’antipyrine 
dans les affections de la peau, par le Dr. Mersch, 
de Bruxelles. — De l'occlusion intestinale, par le 
Dr. Planquart, de Bruxelles. 


Nekrolog. 

Am 30. Februar d. J. verschied in Regensburg 
der rühmlichst bekannte homöopathische Arzt 

Herr Dr. Karl Gerster 
nach längerem Leiden an marasmus senilis im 79. 
Lebensjahre. 

Derselbe war nach zurückgelegtem Staatsexamen 
2 Jahre lang Assistenzarzt am Krankenhaus in 
München, wurde hierauf Hofarzt des Fürsten Löwen - 
stein, mit dem er nach Wien kam und dortselbst 
im Spitale der barmherzigen Schwestern zu Gumpen- 
dorf die homöopathische Heilmethode kennen lernte. 
Er unterwarf sie einem eingehenden Studium, wo¬ 
durch er dann die Ueberzeugung erlangte, dass ihre 
practischen Erfolge weitaus die der Allopathie über¬ 
treffen. Im Jahre 1846 liess er sich in Regens¬ 
burg als homöopathischer Arzt nieder und behauptete, 
obwohl er mit grossen Schwierigkeiten seitens der 
allopath. Aerzte, Apotheker und der Behörden zu 
kämpfen hatte, glänzend das schwierige Feld, so 
dass ihm mit der Zeit die Stellen eines städtischen 
Armenarztes, Bahnarztes und Kassenarztes übergeben 
wurden, so wie er denn in allen Kreisen der Be¬ 
völkerung in und ausser Regensburg der beliebteste 
Arzt war. 

Nach dem Tode des von dem Pfarrer Dr. Lind- 
ner gegründeten bayerischen homöopathischen Ver¬ 
eins war er längere Zeit Vorstand dieses Vereins, 
und redigirte die homöopathischen Monatsblätter aus 
Regensburg. Zur Genüge bekannt ist Dr. Gersters 
öffentliches Auftreten für die Wahrheit der Homöo¬ 
pathie in Versammlungen, in Brochüren und Zeitungs¬ 
artikeln, und auch manche Unannehmlichkeiten hatte 
er vor Gericht zu bekämpfen, insbesondere in der 
bekannten Frage des Dispensirrechtes der homöo¬ 
pathischen Aerzte, wesswegen er oft von allopath. 
wie homöopath. Apothekern angeklagt wurde. 

Dr. Gerster war nicht bloss Homöopath, er war 
auch in der Naturheilkunde, in der Hydrotherapie 
sehr erfahren und wandte den Mesmerismus in den 
letzten Jahren mit grossem Erfolg zum Staunen der 
Bevölkerung in vielen Fällen an. 

Sicher ist ihm auch zu danken, dass sein Sohn 
Herr Dr. Karl Gerster in München eine Richtung 
in der Medicin eingeschlagen hat, die jedenfalls 
nicht zu Ungunsten der Homöopathie spricht. 

Ehre seinem Andenken 1 

München, den 6. März 1892. 

Dr. med. C. Köck. 


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«• 


ANZEIGEN. 


Ildkft€S&&aa«ll€6t€& aa4 


von Gyps, weiss, ca. 28 cm hoch, ohne weisse Console, 

von Gyps, weiss, ca. 28 cm hoch, mit weisser Console, 

von Gyps, broncirt, ca. 28 cm hoch, ohne broncirte Console, 

von Gyps, broncirt, ca. 28 cm hoch, mit broncirter Console, 

von Gyps, weiss, ca. 60 cm hoch, ohne weisse Console, 

von Gyps, weiss, ca. 60 cm hoch, mit weisser Console, 

von Gyps, broncirt, ca. 60 cm hoch, ohne broncirte Console, 

von Gyps, broncirt, ca. 60 cm hoch, mit broncirter Console, 

in Biscuit- ( weiss, ca. 60 cm hoch, ohne weisse Console,) auch in 

masse \ weiss, ca. 60 cm hoch, mit weisser Console,J Biscuitmasse, 

Hahnemann-Abbildungen, Lithographie, gross 
Hahnemann-Abbildungen, Photographien, Visitenkartengrösse 
Hahnemann-Denkmal (in Leipzig), Abbildungen 

Photographien, Visitenkartengrösse, von anderen hervorragenden homöo¬ 
pathischen Aerzten (wie CI. Müller, Hirschei, Hering, Heinigke, Lor- 
hacher etc. etc.) 

was nicht da ist, wird, so weit möglich, baldigst besorgt. 

A. Marggrafs Homöopath . Offidn 


k Stück 
k Stück 
k Stück 
k Stück 
k Stück 
k Stück 
k Stück 
a Stück 
k Stück 
k Stück 
k Stück 
ä Stück 
k Stück 


Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 


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5. - 

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8 .— 

18.— 
25.- 
25.— 
34.— 
40. - 
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gedehntesten Anwendung und Anerkennung von 
Seiten renommirtester praktischer Aerzte Deutsch¬ 
lands und des Auslandes, zeichnet sich durch seine 
sichere und milde Wirkung aus, nimmt sich leicht 
ein und ist das billigste aller wirklich zuverlässigen 
Band wurm mittel. 

Preis einer Dosis für eine Kur (für Erwachsene 
oder Kinder) Bmk. 2. — 

A. M arggraf 8 homöopath. Offlein, Leipzig. 

Ein 

homöopatischer Arzt 

sucht einen Collegen mit Dispensirrecht; monatlich 
250—3C0 Mk. Alles frei. Sehr angeneme Existenz. 

Gefl. Offerten sub A. Z. 100 an die Expedition 
dieses Blattes. 


Tfil7. Mrankentaeil beiMünchen - Höhenluftkurert 
jodhalt. Quelle«. Indicat Frauenkrank¬ 
heiten, Sorophulose. ohron. Hautleiden, Lues, — Auskunft 
d. Dr. Letzel (im Winter in München, im Sommer in Tölz). 


Verantwortliche Redactenre: Dr. Goehrua-Stnttgart , Dr. Stifft-Leipaig und Dr. Haedioke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von WIHIaai Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Gramer & Sohramm in Leipzig. 


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Band 124, 


Lelpiig, den 31. Hin 1892. 

ALLGEMEINE 


No. 13u.l4, 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Harggrafs homOopath. Offlein) in Leipzig. 


ff/F* Braoheint 14tägig so 3 Bogen. IS Doppelntammern bilden einen Bend. Preis 10 M. SO Pf. (Halbjahr). Alle Buobhendlnngen and 
Poetenetelten nehmen Bestellungen en. — Inserate , welohe an B. Messe in Leipzig und dessen Filialen su richten sind, 
werden mit MP/, pro einmal gespaltene Petitseile nnd dem Baum bereehnet. — Beilagen werden mit HP. berechnet. 


Inhalt: Berllnsr homöopathisches Kr&aksnhans. — Einladung. — Gehemmter Fortaobritt — oder beförderter 
Rioksobritt. Von Dr. F. Katsch-naden-Baden. — Entgegnoag, Von Dr. med H. Göhrum, prakt. Arzt in Stuttgart. 

— Ana der Zeitungamappe. — Anzeigen. 


Berliner homöopathisches Krankenhaus. 


Einladung 

zur 

ordentlichen Generalversammlung 

am 23. April 1892, Abends 7 Uhr 

in der Poliklinik des «Vereins homöopathischer Aerzte* in 
Berlin, Charlottenstr. 77. 


Tagesordnung: 

1) Vorlegung des Jahresberichts für 1891. 

2) Antrag auf Ertheilung der Decharge an das Cnratorinm. 

3) Wahl eines Curatorrams-Mitgliedes an Stelle des verstorbenen Herrn Dr. Traeger. (Das Cnratorinm 
cooptirte inzwischen Herrn Dr. Kröner-Poted&m.) 

Berlin, den 29. März 1892. 

Das Curatörium. 


Einladung. 

Zn der am Sonntag den 10. April Abends 7 Uhr im Theaterrestanrant stattfindenden Feier 
von Samnel Hahnemann*s Geburtstage werden die auswärtigen Collegen und Freunde der Homöopathie 
hierdurch freundlichst eingeladen. Wir bitten bis znm 8. April an den Unterzeichneten die Theilnahme 
vorher anzeigen zu wollen, um die Zahl der Couverte feststellen zu können. 

Der Verein homöopathischer Aerste in Leipiig. 

I. A. Dr. med. Haedleke, Burgstr. 2. 


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98 


Gehemmter Fortschritt — oder 
beförderter Rückschritt. 

Von Br. F. Ratsch in Baden-Baden. 

Da hör loh fern ein silbern Hörnlein blaaen — 
Hei, lüsser Ton, wie triffst dn mich in’s Hers. 
Die alte Freundin geistert auf den Strassen 
Und all mein Sehnen schwingt sich irrfahrtwärts. 

(Scheffel.) 

In der That scheint Frau Aventiure durch No. 23 
und 24 der Allgem. Hom. Ztg. vom 10. December 
1891 zu „geistern*, sie, deren Hörnlein wir sonst 
nicht ohne ein gewisses Lächeln durch diese oder 
jene Laienzeitung blasen und klingen zu hören ge¬ 
wohnt sind. Natürlich ist es ja dem prakt. Arzte 
Herrn Dr. Göhrum so gut wie jedem anderen Mit- 
gliede der Aerzterepublik völlig anheimgestellt, Heil¬ 
versuche innerhalb der Grenzen seines wissenschaft¬ 
lichen Begründungsvermögens getrost anzustellen, 
und das doppelt bei solchen Krankheiten, deren 
Ausgang in den bei Weitem meisten Fällen wohl 
ein letaler zu sein pflegte. Allein der Mitredacteur 
der Allgem. Hom. Ztg, Herr Dr Göhrum, wird sich 
doch der Einsicht nicht verschliessen dürfen, dass 
es in seiner letzteren Eigenschaft gerade ihm nicht 
zukommt, das Gesetz willkürlich zu durchbrechen, 
dessen Hochhaltung und Verbreitung die Allgem. 
Hom. Ztg. in allererster Linie gewidmet ist: das 
Aehnlichkeitsgesetz. Wir hoffen zuversichtlich, 
dass der redactionelle Dreibund diesseits und jen¬ 
seits der Mainlinie es als seine Pflicht " anerkennen 
werde, der A. H. Z. nicht die Umgestaltung in 
einen Freihafen für eklektische Curmethoden auf- 
octroiren zu wollen, sondern Mittheilungen über 
Curen, welche ausserhalb des Bereiches des Aehn- 
lichkeitsgesetzes erscheinen und ein allgemeineres 
Interesse gleichwohl beanspruchen könnten, nur als 
Miscellanea oder Curiosa darzubieten. Denn nova- 
rum rerum copidi wird es immerdar geben und 
das hat ja auch sein Gutes! 

Dies voran geschickt, bekennen wir uns ganz ehr¬ 
lich als farbenblind für die Stichhaltigkeit der Mei¬ 
nung des Herrn Dr. Göhrum, dass dessen auswurfs¬ 
stoffliche Krankenbehandlungen als ein „Probiren“ 
von Kochs Veifahren gelten dürften. Am ver¬ 
wunderlichsten dürfte sicherlich Koch selbst zu 
dieser Versicherung drein schauen! Und wenn der 
Verfasser alsdann hervorhebt, dass er neben dieser 
„Autoisopathie* noch durch „gute Erfolge* garan- 
tirende Methoden von Weihe und von unserem em¬ 
sigen Collegen Schlegel, sowie durch solche Mittel 
nachgeholfen habe, durch welche er den Anforde¬ 
rungen des Genius epidemicus gerecht zu werden 
geglaubt habe, so erscheint ja ungefähr alles irgend 
Mögliche aufgeboten zu sein, um die Erkenntnis 
unmöglich zu machen, welcher dieser verschiedenen 
Resultanten die Palme des guten bez. unbefriedigen¬ 


den Erfolges zuzusprechen sei. Allerdings erkennt 
der Verf. an auf S. 180, dass seine Versuche theil- 
weise keine „reinen* seien; allein er nimmt alle 
Fälle der „zweiten Abtheilung* zuvörderst aus. 
Leider ist hierbei nicht ersichtlich; welcherlei Fälle 
dies sein sollen; denn in seinem Schema unter¬ 
scheidet der Autor drei „Perioden“ seiner Be¬ 
handlung und zählt in jeder „Periode* leichte, 
mittelschwere und schwere Fälle auf. Welche dieser 
vier Categorien als „Abtheilung* verstanden werden 
solle, ist jedoch in der Erläuterung S. 179 nicht 
angegeben. Weiter heisst es S. 180: „. . . die der 
dritten Abtheilung waren stets in den ersten Wochen 
der Behandlung ebenfalls nur (?) mit homöo¬ 
pathischen Mitteln behandelt, so dass (?) der 
Einfluss des Autotuberculins doch „„genau 
abgewogen** werden konnte.* 

Da jedoch über die Behandlungsdauer mit nur 
autoisonischen Mitteln keinerlei Angabe gemacht ist, 
so entzieht sich der Werth dieser Behauptung jeder 
Prüfung. Die Mehrzahl der Leser der Allg. Hom. 
Ztg. dürfte indessen aus Hahnemannianischen 
Homöopathen bestehen, welche den Angaben ihres 
Meisters über die Wirkungsdauer homöopathischer 
Arzneien kein Misstrauen bisher entgegenbrachten. 
Diese Wirkungsdauer aber bemisst Hahnemann für 
die verschiedenen von ihm geprüften Medicamente 
in einer Spannweite von nur wenigen Stunden (z. B. 
Opium) bis über sechs, ja acht Wochen hinaus 
(z. B. Silicea). Welche Arzneien waren nun vorher 
angewendet — und wie lange ward alsdann aus¬ 
gesetzt mit jedweder Behandlung? Darüber erfahren 
wir nichts; mithin bleibt die Behauptung des Autors, 
dass der Einfluss des Autotuberculins „genau ab¬ 
gewogen* sei, einstweilen unbewiesen, was hier ge¬ 
rade ein sehr störendes Versehen ist. Wenn dahin¬ 
gegen der Autor auf S. 180/181 freudestrahlend 
eine Heilung von „ausgedehnten Cavernen- 
symptomen* bei zwar andauernden, aber ge¬ 
ringem hektischen (?) Fieber an führt, in welchem 
Falle bereits 10 Wochen „Argent. in wechselnden 
Verdünnungen und Gaben* und neben diesem he¬ 
roischen Mittel seit 14 Tegen Autoison 200 00 *) 
gegeben wurde, und wenn obenein dies nur ein 
Beispiel für viele sein soll, dann wird der Ver¬ 
fasser es keinem Lesegaste verübeln dürfen, der 
von solchen Inductionsbeweisen sich mit Grausen 
wendet! Er wird es auch nicht übel deuten dürfen, 
wenn dieser oder jener Leser hier einen Zweifel in 
die Richtigkeit der Diagnose selbst setzt; denn ein 

*) Leider ist es Sitte oder vielmehr Unsitte ge¬ 
worden, verschiedene, an sich nichtssagende Bezeich¬ 
nungen zur Unterscheidung von Decimalen und Cente- 
simalen zu benutzen. Wir nehmen an, dass hier dio 
200. Centesimale (!) gemeint sei. Wäre die Bezeich¬ 
nung durch D oder C nicht besser allgemein beizu¬ 
behalten? Dr. K. 


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99 


Tnonatelanges Bestehen „über die Hälfte des 
linken oberen Lnngenlappens ausgedehnter Ca- 
vernensymptome bei geringem Fieber* 1 wird der 
College Göhrum selbst vermuthlich als eine rara 
avis gelten lassen. 8oll nun in diesem Falle das 
Autoison — that is tbe question — binnen 14 
Tagen das andauernde aber geringe Fieber nicht 
nur getilgt, sondern bereits eine sichtbare Körper¬ 
zunahme herangebildet haben, dann musste zweifel¬ 
los doch ein abermaliger genau detaillirter 
Lungenbefund dem ersten — leider gleichfalls 
uns vorenthaltenen — hier gegenüber gestellt 
werden. Ob übrigens der Verfasser — angesichts 
einer so augenfälligen Körperzunahme in so kurzer 
Zeit — der von ihm aufgestellten und mir sonst 
neuen Forderung selbst entsprochen habe, hier die 
absolute Gewichtszunahme durch eine Vornahme 
der specifischen Gewichtsbemessung des Pa¬ 
tienten zu controliren, ist nicht gesagt. Soll uns 
aber der in Rede stehende Einzelfall zu Gunsten 
der funkelnagelneuen Autoison-Behandlung als bo¬ 
wel sgiltig dienen, was er in Anbetracht der be¬ 
rührten Mängel keineswegs vermag, so ist er gegen¬ 
teilig nur ein Beispiel für viele, dass es überall 
in den Mittheilungen an klaren Untersuchungsbe¬ 
funden fehlt, welche uns eine eigene Würdigung 
der Sachlage bei Beginn und bei Ende der Autoi- 
sincur ermöglichten. Muthet uns der Verf. statt 
dessen zu, dass uns so empfindliche objective 
Mängel vergütet werden sollen durch den Ausruf 
seiner Patienten: „So eine gute Arznei habe ich 
noch nie gehabt 44 , — dann überschätzt er leider 
die Galanterie manches Lesers gegen das schönere 
Geschlecht; so auch die meinige! Aehnliches gilt 
von dem Referate über die Verschlimmerungen 
S. 180, welche nach Hocbpotenzen von Autoison 
* bemerkbar geworden sein wollen. Hier handelt es 
sich um drei Todescandidaten der Schwindsucht, 
um Leute „mit andauerndem Fieber und 110 bis 
130 Pulsschläge in der Minute“. 

Nehmen wir an, es sei zunächst nur ein lapsus 
calami, wenn der Verf. bei diesen, wie er selbst 
sagt, „schwer darniederliegenden Patienten 44 nach 
1—2 Gaben von 5 Körnchen der 200, 400, 600, 
1000 00 (!!!) Autotuberculin, solche Verschlimme¬ 
rungen erzielt habe, wie: „jedes Mal Schüttel¬ 
frost, erhöhte Fiebererscheinungen, recht vermehrte 
Rasselgeräusche in den Lungen und nachher Ab¬ 
nahme 11 etc., so können wir der folgenden Ver¬ 
wahrung doch nur geringe Defensivkraft beimessen: 
„Meine Herren! Was ich Ihnen hier angegeben 
habe, ist keine Einbildung von mir, denn die 
Patienten, welche keine Ahnung hatten, was sie 
einnahmen, machten mir diese Angaben von 
selbst, welche ich nie zu hören erwartet hatte.“ 

Wir glauben Letzteres herzlich gern! Diese 
Angaben wären auch als Prüfungserscheinungen 


des Mittels seitens Gesunder äusserst werthvoll 
gewesen. Klagen „schwer daniederliegender 
Patienten“ pflegt ein homöopathischer Arzt 
indessen nicht als Arzneiwirkungen eines bisher 
völlig unbekannten Mittels zu verwerthen! 

S. 181 klagt der Herr Verf., dass er „kein 
Spital zur Verfügung“ habe! Es werden jetzt ge¬ 
rade 30 Jahre, dass ich — damals noch Allopath 
— als selbständiger Arzt für das mit dem städt. 
Lazaretbe combi nirte Arbeitshaushospital am Alexan¬ 
derplatz in Berlin ernannt wurde. Dorthin entleerte 
zunächst auch die Kgl. Charitde die unbemittelten 
städtischen Kranken, welche sie für unheilbar er¬ 
klärte, zu anderweitiger städtischer Unterbringung; 
und da für jeden dieser Kranken die Charit^e-Acten 
zur Einsicht mitgesandt wurden, so war hier eine 
so reiche Gelegenheit zum Studium schwerer Brust- 
und Herzkrankheiten geboten, wie sie mancher Uni¬ 
versitätsklinik keineswegs zu Gebote stehen. Seit 
jener Zeit habe ich bis zur Stunde dauerndes 
Interesse für Krankheiten der Brusthöhle und 
deren Diagnostik beibehalten. Damals hatte ich 
stets ein Contingent von 30 — 40, im Winter meist 
von 60—80 derartigen Kranken. Der eine Flügel 
unseres Lazareths beherrschte mit seiner westlichen 
Fensterreihe weite Hinterhöfe bezw. Holzplätze, 
durch welche ein Arm der Spree ging. In jugend¬ 
lichem Volleifer liess ich es an fleissiger Ueber- 
wachung meines Lazareths nicht fehlen. Auf meinen 
Antrag waren diese Westfenster auch mit vortreff¬ 
lich dichten Strohmatten geschützt, welche in der 
benachbarten Strafanstalt gefertigt und stets in 
bestem Zustande erhalten wurden. In den Sälen 
meiner Lungenkranken, deren Decken durch Holz¬ 
pfeiler gestützt waren, hing je ein Thermometer in 
der Mitte und oftmals überzeugte ich mich noch 
um Mitternacht, ob auch die vorschriftsmässige 
Wärme in den Räumen herrsche. Wenn dann aber 
im Verlaufe der Nacht ein nur einigermassen schrofferer 
Witterungswechsel eintrat, und wenn namentlich der 
berüchtigte Spandauer Wind sich etwa in den frühen 
Morgenstunden erhoben hatte, dann zeigten aus¬ 
nahmslos alle schweren Tuberculosekranken bei 
der Morgenvisite quälende Verschlimmerungen, 
auch ohne dass Jemand gewagt hätte, einige Körn¬ 
chen Autotuberculin 2000 00 auf ihre gefahrdrohende 
Wirksamkeit zu probiren. Und wie gegen Wetter¬ 
veränderungen, welche ein Gesunder gar nicht be¬ 
achtet, so lässt sich auf geringfügige andere Ur¬ 
sachen, so namentlich auf schwere Träume, auf 
Schlafen mit weiter als gewöhnlich geöffneten Munde, 
auf einen relativ zu kalten Trunk, auf eine etwas 
versalzene Suppe, auf Aerger oder mässige Gemüths- 
bewegungen bei solchen Schwerkranken eine 
mehr oder weniger andauernde Verschlimmerung 
mit Gewissheit voraussehen. Das ist es, was der 
Verf. zunächst aus leidiger Erfahrung kennen würde, 

13 * 


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100 


wenn ihm ein Hospital zur Verfügung stände. Ich 
erinnere mich übrigens sehr wohl, dass damals die 
Bademachersche essigsaure Eisentinctur in kleiner 
allopathischer Gabe eine unleugbare Euphorie bei 
meinen derartigen Todescandidaten herbeifäbrte. 
Später habe ich — da auch die Anstaltsapotheke 
mir unterstellt war — Gelegenheit genommen, den 
Ober Wärter anders zu beschäftigen und in den mir 
geeignet scheinenden Fällen die Arzneien selbst 
anzufertigen. Selbstverständlich gab ich die ho¬ 
möopathischen Arzneien — so und so viel Tropfen 
3. höchstens 6. D.-Verd. — aus meiner Tasche; 
selbstverständlich ferner gingen in das Lazareth die 
landesüblichen 6—8 Unzenflaschen, mit etwas Succ. 
Liquir. mit Tinct Cur cum., mit etwas Cocc. cacti etc. 
in allen Farben des Begenbogens prangend. Meine 
ganze freie Zeit aber blieb dem Studium der ho¬ 
möopathischen Arzneimittellehre gewidmet; auch 
ärztlicher Bath seitens älterer Berliner homöopathi¬ 
scher Collegen fehlte mir nicht Und in gleichem 
Grade, wie ich an Arzneimittelkenntniss zunahm, 
gewahrte ich, dass diese homöopathischen Arznei - 
gaben trotz der unentbehrlichen Farben- bez. Ge- 
schmackscorrigentien in allen meiner Kraft zugängigen 
heilbaren Fällen halfen. Eine zweifellose Arznei¬ 
verschlimmerung aber habe ich nur ein einziges 
Mal beobachtet; nämlich höchstgradige plötzliche 
Myopie bei einem 4jäbr. Kinde der Familienstube 
der Anstalt, welches in besagter Weise Belladonna 
3 D erhalten hatte. Mit Aussetzen der Arznei gab 
sich das mich schwer beängstigende Uebel binnen 
24 Stunden. Beansprucht das Ende des Göhrum’- 
schen Referats eine „erkennbare“ Arzneiverschlim¬ 
merung als Basis homöopathischer Curen, so haben 
wir dafür kein Verständniss; auch hat also Habne- 
mann im Organe sich nicht ausgesprochen. 

Wer so mühselig seine homöopathischen Er¬ 
fahrungen sich abstehlen musste, dem wird man 
seinen Zweifel an solche homöopathische Verschlim¬ 
merungen bei Schwerkranken auf einige Körnchen 
2000* 0 Potenz, wie die auf S. 180 geschilderten, 
wohl zu Gute halten müssen! 

Allein auch für einige — natürlich wiederum 
nur ganz allgemein hingestellte — Untersuchungs¬ 
ergebnisse des Verf. fehlt mir das Verständniss. 
ln solchen Fällen wo Lungentuberculose sonst 
sicher zu diagnosticiren ist, konnte ich niemals 
„ungemein wechselnde Lungenbefunde“, sondern 
lediglich äusserst dauerhafte constatiren; ab¬ 
gesehen natürlich von gewissen Respirationserschei¬ 
nungen, welche allein davon abhangen, ob eine ge¬ 
wisse Anzahl Bronchien vorübergehend durch Schleim 
verstopft resp. von zäherem oder löslicherem Schleime 
besetzt sind. Desgleichen ist mir neu, „dass dicht 
vor und unter (?) dem Schultergelenke sich die 
krankhaften Veränderungen häufig am längsten er¬ 
halten, während über dem übrigen Thorax 


alles ganz in Ordnung zu sein scheint!“ — 
Ich glaube vielmehr, dass in solchen Fällen, wo in 
den Lungenspitzen eine anscheinende Tuberculose 
mit ungemein wechselndem Charaoter der 
Auscultationsbefunde beobachtet wurde, es sich 
um Pneumonieen gehandelt haben dürfte, welche 
sich — wie nicht allzuselten geschieht — in einer 
Lungenspitze localisirt haben mögen, wenn nicht 
um eine Bronchieektasie, deren mir übrigens nicht 
allzuviele vorgekommen sind. 

Hier konnten eben nur eingehende Schilderungen 
der Objectivbefunde uns Genüge leisten. Berufungen 
und Auslassungen der armen Kranken selbst können 
doch wissenschaftliche Beweisführungen nicht ab¬ 
geben sollen! 

Es ist nun, da die No. 23 und 24 erschien, 
eben jährig gewesen, dass der Enthusiasmus über 
die Koch’sche Erfindung seinen Siedepunkt erreicht 
hatte. Wie viele — und obenein wie zweifellos 
untersuchungserfahrene — Aerzte wollten damals 
nicht glänzende Erfolge gesehen haben! Als dann 
aber die Enttäuschung und Ernüchterung nachkam, 
fehlte es natürlich nicht an Einzelnen, welchen dieses 
ungeheuerliche Fiasco vor aller Welt sehr peinlich 
war und welche nunmehr versicherten, dass nichts¬ 
destoweniger eine grosse Zukunft noch embryonal 
in der Koch*schen Flüssigkeit schlummere. Warten 
wir ab, welch* ein Kindlein diese Hebammen der 
Zukunft uns präsentiren werden! 

Immerhin waren die damaligen Versuche durch¬ 
aus vorgreifende, mithin unreife; und daher und 
darum schlugen wir Homöopathen damals — viel¬ 
leicht etwas pharisäerhaft — an unsere Brust und 
sagten: „Aehnliches könnte in unserem Lager nicht 
präsentiren; davor schützt uns unser Aehnlicbkeits- 
gesetz. u 

Nun aber haben wir es hier gar nicht mit einem 
„Kochin“ zu thun. 

Und durften die Collegen als homöopathische 
Aerzte sich dispensiren von den Erfordernissen des 
Aehnlichkeitsgesetzes, namentlich gegenüber einem 
so heroischem Mittel, wie das „Autoison“ doch 
zweifellos sein muss nach Hrn. Dr. Göhrnm’s An¬ 
sicht, wenn seine schwindelnsten Hochpotenzen in 
wenigen Kügelchen bei schwachen Kranken noch 
so bedenkliche Erst Wirkungen zu Wege gebracht 
haben sollen? Ist dem gegenüber die Entschuldi¬ 
gung oder gar beabsichtigte Bechtfertigung für eine 
solche Unterlassung irgendwie verständlich (S. 181): 

„Meine Meinung ist die: „Das Autoison ist die 
genaueste am Gesunden (!!) geprüfte Arznei, da 
der Patient (!!) an sich selbst die freilich un¬ 
erwünschte (!!) Prüfung macht“ Diese mystische 
Sprechweise kann doch sicherlich als eine „homöo¬ 
pathisch zulässige“ nicht gelten wollen; abge¬ 
sehen davon, dass wir gar nicht hier zu ersehen 
vermögen, auf welchen „Patienten* und auf welche 


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101 


„unerwünschte Prüfung“ denn hier Bezug ge¬ 
nommen wird? Eine homöopathische Prüfung 
soll aber nieht von einem, sondern von möglichst 
vielen und verschiedenartigen Personen angestellt 
werden und bekanntlich eben nicht von Patienten, 
sondern von Gesunden! 

Im unmittelbaren Anschluss hieran erklärt der 
Verf. das „Koch’sche Heilmittel als ein Kunst¬ 
mittel, dessen feinere Wirkungen unbe¬ 
kannt“ seien. Mithin widerlegt er selbst am 
Schlüsse seines Satzes seine Behauptung in dessen 
Beginne, dass er das „Koch’sche Verfahren, 
welches vor die Alternative Ignoriren oder 
Probiren gestellt* habe, auf dem „dritten 
Wege*, nämlich dem Jäger’schen, „probirt“ habe, 
denn das letztere Präparat ist von dem Kooh'schen 
— wie ja hier zugestanden wird — völlig ver¬ 
schieden. Ebenso gelten dem Verf. die Pasteur’sche 
Vaccine und die Impflymphe als „in ihren feine¬ 
ren Wirkungen unbekannte Kunstproducte“. 
Ob letzteres für die Impflymphe zutreffe, darüber 
wollen wir mit dem Verf. gar nicht rechten. Haupt¬ 
sache bleibt, dass nach homöopathischer For¬ 
derung jedweder als Arznei zu verwendende 
Stoff — ganz gleich, ob derselbe Kunst- oder 
Naturproduct sei — vorher nach dem Hahne- 
mann*8chen Regeln an Gesunden ausgeprüft 
werden müsse. Kann das der Autoisoniker? 
Und wenn nicht, was hat dann Autoisonmit 
der Homöopathie zu schaffen? 

Dieser homöopathischen Conditio sine qua non 
sind aber die autoisonischen Collegen nicht nach¬ 
gekommen,* konnten es auch nicht als Gesunde, 
verliessen also die Fahne der Homöopathie! 

Trotzdem schreibt der Herr Verl, am Schlüsse 
seines „Vortrags“: „Etwas in seiner Wirkung 
Bekanntes also ist das Autoison und etwas Un¬ 
gefährliches auch,.wenn es in genügender Ver¬ 
dünnung angewandt wird“ etc. 

Das „Autoison“ neuester Erfindung ist also etwas 
in seiner „Wirkung“ Bekanntes? Dieser Appell 
an unsere Bereitwilligkeit zu den unglaublichsten 
Zugeständnissen hat etwas so vertrauensvoll An¬ 
heimelndes zumal in der Weihnachtsstimmung, dass 
wir fast nicht umhin können zu glauben, der Verf. 
hegt selbst die Ueberzeugung, Zutreffendes in dieser 
Behauptung niedergeschrieben zu haben! Aber was 
werden die Physiologen über die angeblich allbe¬ 
kannten „Wirkungen des Rachen- oder Bronchial¬ 
schleims“ sagen? Und welch' ein Unheil ist zu 
besorgen, sollte fürderhin in gewohnter Weise ein 
hustendes Kind sein eigenes Bronchialsecret ver¬ 
schlucken oder Erwachsene — ja Aerzte selbst — 
wider Willen das ihrige im Zustande beginnen¬ 
der Lösung der zähen Katarrhalsecrete! Allein da¬ 
für wissen wir nun endlich, dass der vielberüchtigte 
„Magenbusten“ mit seiner Devise: Wer lange hustet, 


lebt lange! doch kein leerer Wahn ist. Gott Lob 
— die Wissenschaft schreitet erfreulich vorwärts! 

Da hätten wir nun das heilbringende „Auto¬ 
ison“ als die leuchtende Ehrenpforte, durch welche 
lächelnd der seelige Lux nebst seiner gesammten 
Schmutz- und Schmierapotheke seinen Wiederein¬ 
zug in die Homöopathie halten dürfte mit dem be¬ 
glückenden Grusse: „Nihil cogitantium jucundissima 
est vita!“ So wäre es ja nahe herbeigekommen — 
das ersehnte goldne Zeitalter, wo auch der jüngste 
Arzt gleichwerthig an Können und Wissen sein 
wird mit dem in steter Arbeit ergrauten; wo man 
die verhassten homöopathischen Arzneimittelprüf¬ 
ungen, und jedwede Pathologie und Therapie hinter¬ 
drein, der heiligen Flamme weihen und gewissens¬ 
ruhig dem Thun der alten Deutschen nachstreben 
zu können volle Müsse haben wird, als jene noch 
wohnten zu beiden Ufern des Rheins. Ist doch 
von nun ab der 'Mensch ein harmonisch sich er¬ 
gänzendes Gefüge von Gift und Gegengift und das 
neue Heilgesetz wird heissen: Durch den Detritus 
der Zelle, welche gesündigt hat, sollst Du genesen. 
Aergert Dich Deiner Nerven einer, so hochpotenzele 
dessen ein Molekülchen und gesunde! Und wer 
weise, ob nicht schliesslich die Verwesung selbst 
noch vor dem Verwesen schützen wird? Ist die 
Wissenschaft doch in stetem Fortschritt begriffen! 

Also Heil dir, o Autoison, und deinen Aposteln 
und allen jenen Gläubigen! — 

Zudem ist doch auch von der Isopathie zur 
Autoisopathie ein gewaltiger ästhetischer Fort¬ 
schritt! Nicht mehr eines Anderen Diarrhöenstoffe, 
stinkenden Zahnscbmutz oder Ausschlagskruste wird 
man jetzt verspeisen, sondern nur noch die eigenen 
Ex- und Secrete. Zwar fertigte auch Lux schon 
den Auswurf Schwindsichtiger arzneilich an, um 
Schwindsüchtige zu heilen, und siehe da — sie 
starben! Allein darin lag eben der Fehler! Nicht 
Isopathie, sondern Autoisopathie, was viel schöner 
klingt. Und dann vor allen Dingen: Hochpotenzen; 
vivat die Hochpotenz! 

Das ist möglicherweise des Pudels Kern. Die 
Homöopathie ward allzu physikalisch* Es fehlte 
an einigen Hechten im Homöopathenteiche um die 
höheren Schwingungen der Metaphysik den stofflich¬ 
denkenden Karpfen beizubringen. 

Fragt man mich nun, ob ich an die in Nr. 23 
und 24 erzählten Heilungen wirklich glaube, so will 
ich das: Nein! das mancher College in seines 
Zimmers Stille gesprochen haben mag, laut und 
ehrlich heraussagen und es nach Kräften jetzt und 
fernerweit vertreten. Ueberzeugt man mich eines 
Besseren, so werde ich ein ebenso verlässlicher 
Freund der Hochpotenzen werden, wie ich jetzt 
deren ehrlicher Widersacher bin. Auch kann und 
darf man mein „Nein“ kaum vornehm ignoriren. 
Vielmehr fordere ich jeden der jetzt leben- 


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den Hochpotenzier heraus, nachzuweisen, 
ob er grössere und ernstlichere Opfer an 
Zeit, Mühe und auch an Selbskosten ge¬ 
bracht habe, um über die Frage: v 0b mit stetig 
und immer weiter fortgesetzten Verdünnungen eines 
Heilstoffes dessen Wirksamkeit unerschöpflich 
bleibe,* — sich selbst — und womöglich auch 
Anderen ein selbstbegründbares Urtheil zu 
verschaffen? 

Ich brauche wohl kaum zu sagen, wie himmel¬ 
weit mir der niedrige Argwohn liegt, dass die bis¬ 
herigen autoisonischen Berichterstatter irgend welche 
bewusst-irrige Angabe berichtet hätten. Wie könnte 
ich Vertrauen und Glauben beanspruchen, wenn 
ich anerkannte Ehrenmänner und Standesgenossen 
zu verdächtigen im Stande wäre? Ich habe viel¬ 
mehr einen Theil der Ein würfe gegen des Collegen 
Göhrum Berichte ausgesprochen, bei Weitem aber 
nicht alle, um den Leser nicht» zu ermüden. Ich 
fasse dieselben dahin zusammen, dass ich bei diesen 
Beobachtungen die hier nöthige Ueberwachung der 
Kranken, die doch durch tägliche Besuche und 
häufige, äusserst genaue und schriftlich 
fixirte Untersuchungen möglichst gesichert werden 
musste, durchaus verabsäumt finde. Blieb dem 
Arzte für solche Ueberwachung keine Zeit, so eig¬ 
nen sich derlei Patienten auch nicht, um an ihnen 
objectiv-beweisgiltig nova atque inaudita öffentlich 
zu demonstriren. Ferner ist bei Keinem die Zeit 
der Autoisonbehandlung und deren Verlauf ange¬ 
geben; kein einziger Fall ist herausgehoben, in 
welchem eine reine Autoisonbehandlung stattgefun¬ 
den hätte. Ueberdies wissen wir Alle nur allzu 
gut, dass und welche diagnostischen Irrthümer bei 
Behauptung von Tuberculose bez. von Cavernen 
unterlaufen können. Nicht die geringste Garan¬ 
tie ist uns geboten, dass diagnostische Irr¬ 
thümer ausgeschlossen werden müssten; im 
Gegentheil liegt die Vermuthung nahe, dass ein 
Mal mindestens eine Pneumonie in der Lungen¬ 
spitze mit Tuberculose verwechselt sein kann. 
Das Verfassers höchst eigenartig-persönliche An¬ 
sichten über die dampfrossartige Schnelligkeit, mit 
welcher der „ Genius epidemicus* wechseln und 
proteusartig binnen einiger Tage sich wesentlich 
ändern könne, decken sich keineswegs mit Hahne- 
manns und vollends mit Rademachers desfallsigen 
Beobachtungen und stärken gewiss nicht das Ver¬ 
trauen Fernstehender für die Verlässlichkeit und 
Kühle seines Beobachtungstalentes. 41 ) Unter allen 
Umständen erscheinen mir die Heilberichte 

*) Darf ich aus eigenen Misserfolgen in Erkundung 
des Gen. epidem., wie Rademacher dessen Wirken schilderd 
und seiner ihm congruenten Heilmi ttel einen Schluss wagen, 
so fürchte ich, dass grosse Städte, wie z. B. Stuttgart, 
viel zu verschiedene Lebensbedingungen zeigen, um das 
Finden des „epidem. Heilmittels*' zuzulassen. 


durchaus verfrüht. Das Befinden Tuberculöser 
schwankt nicht selten in überraschenderweise; zudem 
hatten wir einen langen, erlesen günstigen Herbst 
bezüglich der Witterung. Von „Heilung Tuber¬ 
culöser* kann man aber erst nach Ablauf 
von Jahren sprechen. Das wenigstens sollten 
uns die Erfahrungen mit Davos doch unauslöschlich 
eingeprägt haben! — 

Bietet also die vorgeführte Casuistik bislang 
nur subjective, aber noch gar keine objec- 
tiven Anhalte für unser Urteil, so gebieten 
uns gerade die Exaltationen des letzten Jahres be« 
treffs des Kochins die Anforderung, unantastbare 
Beweise ihrer Errungenschaften uns zu erbitten 
seitens aller Derjenigen, welche uns das uralte, 
weil naturgesetzlich erwiesene Aehnlichkeitsgesetz 
als einen überwundenen therapeutischen Standpunkt 
niederreissen wollen. Hätte Koch einen ähnlichen 
Triumph gehabt, dass auch nur ein chronischer 
Katarrh — „ein Fall, der etwa 4 Jahre mit elas¬ 
tischen Fasern daran litt und schon einige kli¬ 
matische Kurorte mit geringem Erfolg besucht 
hatte, in einer Woche vollständig geheilt* 
war; oder hätte sein Verfahren von vierzehn Tu- 
berculösen „sieben geheilt, worunter vier mit 
fast hühnereigrossen Cavernen etwas unter¬ 
halb der Lungenspitze* und zwar so, dass „hier 
an Stelle des amphorischen Athmens, des tympani- 
tischen Percussionsschalls, des Wintrich’schen Schall¬ 
wechsels, der Percussionsschall fast hell und voll, 
das Athmen vesiculär geworden (!?), nur in 
der Supraclaviculargrube etc,* — dann wäre der 
allgemeine Enthusiasmus ein gewiss vollberechtigter 
vor Jahresfrist gewesen! — Wenn aber beinahe 
die ganze damalige Aerztewelt in ihren anerkann¬ 
testen Vertretern bis zur höchsten Ministerialspitze 
hinauf Erfolge constatiren zu können vermeinte, 
welche der Wirklichkeit nicht entsprachen, so 
dürfen die bisherigen beiden einzigen Vertreter der 
Autoison-Behandlung uns nicht grollen, wenn wir 
fragen: „Autoison oder abermals Autosug¬ 
gestion?* Sie selbst müssen anerkennen, dass ihre 
die objective Sachlage nirgends illustrirenden Be¬ 
richte den hier geäusserten Bedenken Raum bieten; 
sollten dieselben sich als unzutreffend erweisen, so 
schmälert dies den Erfolg ihrer Columbusfahrt zur 
Erweiterung der bisher bekannten Heilgrenzen nicht 
im Mindesten. Wohl aber nehmen wir als selbst¬ 
verständlich an, dass beide Herren Collegen bei 
Beginn neuer Autoisoncuren es nicht verschmähen 
werden, im Allgemeininteresse die betreffenden 
Kranken auch anderen sachverstän digen Aerz- 
ten zur Prüfung ihres dermaligen Lungenzustandes 
vorzustellen. Am lebhaftesten Interesse für die 
Controle-Untersuchungen wird es wohl den wenig¬ 
sten Aerzten fehlen! — 

Die Gründe, warum wir so ganz unerhörte Er- 


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folge durch die Autoison-Behandlung — 
denn gerade das ist hier der springende Punkt — 
noch mit den zweifelnden Augen des Thomas be¬ 
trachten, finden wir einmal in der verwendeten 
Heilsubstanz selbst, zweitens in deren Zubereitung 
als Hochpotenz. Pass im Uebrigen auch Ca- 
vernen — eigener Erfahrung nach freilich nicht 
allzugrosse — heilen können und öfter als man 
zu glauben pflegt von der Natur geheilt werden — 
ergaben mir die Sectionen unserer erwähnten Laza- 
rethkranken. Manche derselben waren alte Stamm¬ 
gäste des Lazareths, Andere häufiger in der Königl. 
Charitd behandelt gewesen. Alle besassen somit 
Acten, welche nicht selten auf 12—15 und noch 
mehrere Jahre zurückgriffen, ohne Tuberculose zu 
constatiren, wie denn auch die Betreffenden meistens 
an gänzlich anderen Leiden verstorben waren. Wie 
oft knirrschte dann das Skalpell an kalkartigen 
Concrementen in dieser oder jener Lungenspitze, 
welche die Naturheilung einer vermuthlich nie 
diagnosticirten Tuberculose bezeugten! Doch ent- 
sann ich mich nicht, solche Concremente je grösser 
als eine kleinere Haselnuss gesehen zu haben. Also 
die Möglichkeit einer Cavernenheilung bezweifele 
ich nicht, habe vielmehr oft genug zu constatiren 
vermocht, dass kleine Cavernen unter sonst günsti¬ 
gen Umständen (namentlich auch in Davos) aus¬ 
heilen können. 

Allein dem Autoison stehe ich als Zweifler 
gegenüber, weil in der Luxperiode oft genug die 
Auswurfsstoffe Tuberculöser als Heilmittel ohne 
den geringsten Erfolg in Anwendung gekommen 
sind, so dass die Isopathie überhaupt — etwa mit 
Ausnahme des Psoricum, von welchem Possart ja 
noch i. J. 1851 eine Prüfung mitteilte — seit 
ca. 30 Jahren nicht nur bei den Aerzten, sondern 
sogar bei den sonst so glaubenstüchtigen Laien 
gänzlich in die wohlverdiente Vergessenheit versank. 

Das Ison also verblich, um nun als Autoison 
neu aufzuerstehen! — 

Das ist nicht nur scheinbar, sondern insofern 
thatsächlich etwas Neues, als das Ison sehr wohl 
in einem Stadium der Erkrankung entnommen und 
potenzirt sein konnte, welcher demjenigen eines 
anderen Erkrankten durchaus nicht entsprach. 
So missrathen so viele künstliche Ernährungen mit 
sonst tadelloser Kuhmilch ja auch schon aus dem 
Grunde, weil die Zeit, in welcher die Kuh gekalbt 
hat, in verschiedenem Missverhältniss zu dem Alter 
des zu ernährenden Kindes steht. Vorweg also 
angenommen, das Lungensecret vermöge die Lungen¬ 
krankheit zu heilen, deren Krankheitsproduct es ist, 
so bliebe dann nicht minder wahrscheinlich, dass 
das eitrige Sputum eines cavernös-Tuberkelkranken 
so wenig passend für die Primär-Erscheinung eines ~ 
Spitzenkatarrhs erscheinen dürfte, wie der Schleim 
eines Bronchialkatarrhs verschiedenartig ist von der 


eitrigen Beschaffenheit cavemösen Auswurfe.*) 
Träfe nun die vorläufige Annahme thatsächlicher 
Wirksamkeit eines Krankheitsproducts auf den 
Krankheitserreger zu, dann wäre Herrn Professor 
Dr. Jägers Betonung, das Autoison anstatt eines 
schlechthin isopathischen Heilmittels ganz sicherlich 
von practischer und durchaus beachtenswerther Be¬ 
deutung. Ob indessen diese vorläufige Annahme 
zum Bange einer eminenten Thatsächlichkeit sich 
auswachsen werde, das ist es, was a priori weder 
schon bejaht erscheint, noch verneint werden kann, 
was ich aber aus obigem Grunde einstweilen noch 
stark bezweifeln möchte. Dahingegen vermag ich 
jenseits der unbestreitbaren Thatsache, dass keine 
der in ganz verschiedenartigen Stadien der Gewebs- 
ergriffenbeit verlaufenden Krankheiten in jedweder 
ihrer Stufenentwickelung ein einziges — und zwar 
ein und dasselbe — Heilmittel nur beanspruche, 
sondern dass sie ihr Heilmittel je nach der zeitigen 
Beschaffenheit des erkrankten Gewebes, das man 
vorfindet, erfordert, eine sonstige Begründung für 
„au to Ä -isoniscbe Mittelwahl nicht zu finden. —Herr 
Dr. Göhr um scheint offenbar nicht der Ansicht 
zu sein, dass gleichartig functionirende (bez. 
gleichartig pathologisch alterirte) Schleimhäute 
wesentliche stoffliche Abweichungen* ihrer Secrete 
in verschiedenen Menschen darbieten müssten. Denn 
sonst hätte er den von ihm selbst recitirten Vor¬ 
wurf, dass er Sine Prüfung seiner Heilstoffe an 
Gesunden unterlassen habe (vgl. 8. 181) durch 
den allernächst liegenden Einwurf der Unmöglich¬ 
keit entkräftet, dass ein Autoison pathologischer 
Herkunft durch Gesunde geprüft werden könne. 

Ueber diese Frage also: in wie weit das Au¬ 
toison stofflich verschieden sei von jedem in casu 
gleichartigen pathologischem Producte eines Ande¬ 
ren, dürfen wir einer Aufklärung gewärtig sein. 
Kann ein Beweis nicht erbracht werden, so ist die 
Autoisonie nichts, als eine im besagten Punkte 
verbesserte Auflage der seligen Isopathie, und dann 
wäre der Vorwurf der unterlassenen Stoffprüfung 
an Gesunden ein vollkommen gerechter. 

Wir kommen nun schliesslich zu der Frage 
der Hochpotenzen 

Da haben wir zweierlei zu besprechen. Erstens 
nämlich: hat eine Hochpotenz — und darunter ver¬ 
steht man alle Verdünnungen über die 30 Cente- 
simale hinaus — überhaupt noch Heilwirkungen ? 
Und zweitens: Kann und darf seitens eines homöo- 

•) Es ist wohl nur ein Schreibfehler, wenn Herr ColL 
Schwarz von »eitrigem* Sputum bei Bronchitis spricht. 
Einer Besprechung des Aufsatzes dieses Herrn Collegen 
enthalte ich mich; aber nicht etwa deshalb, weü ich mit 
ihm in mehrfach begründeten und sehr freundlichen Personal- 
Beziehungen stehe, sondern weil wir am gleichen Orte 
wohnen uud dies nach aussen Anlass zu Missdeutungen 
geben könnte, welche gerade in casu so hiniällig wie nur 
irgend möglich wären. 


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104 


pathischen Arztes eine Hochpotenz überhaupt am 
Krankenbette gebraucht werden, wenn sie anders 
als nach Hahnemanns Angabe verfertigt ist? 

Ad I* An die Spitze dieser Erörterungen stellen 
wir ein Axiom, dem — wie wir glauben — ange¬ 
sichts einer so wichtigen Frage jedweder Unbe- 
fangene wird zustimmen müssen. Wir meinen 
nämlich: 

Ueber die Frage: Ob eine Hochpotenz über¬ 
haupt noch Heilkräfte entfaltet, kann einzig und 
allein denjenigen Aerzten eine Urteilsabgabe zuge¬ 
standen werden, welche den objectiven Nachweis 
zu vertreten im Stande sind, dass sie auch wirk¬ 
liche Hochpotenzen angewendet haben, d. h. 
von ihnen persönlich oder doch mindestens 
unter ihrer persönlichen Controle angefertigte Prä¬ 
parate. Und da die Homöopathie andere, als nach 
Hahnemann scher Vorschrift an gefertigte Arzoeistoff- 
verdünnungen (bez. Verreibungen) nicht kennt, so 
kann kein Präparat als Hochpotenz von uns aner¬ 
kannt werden, als ein regelrecht nach Hahnemann’- 
scher Angabe potenzirtes. 

Es leuchtet wohl ein, dass diese Vorforderung 
eine selbstverständliche ist, und wir verstehen es 
wirklich nicht, dass und warum unsere wissen¬ 
schaftliche Fachpresse nicht von jeher jedes 
Referat über Hochpotenzheilungen unbedingt zurück- 
wies, das gegen diese Elementarbedingungen ver- 
stiess? Wer zu bequem ist, sioh den allerdings 
recht ermüdenden Mühwaltungen hinzugeben, welche 
die Anfertigung von Hochpotenzen in Hahnemann’- 
scher Weise bedingt, dem geziemt auch die Pflicht 
der Bescheidenheit, sich einer öffentlichen Urteils¬ 
abgabe in dieser Frage zu enthalten. Und wer 
die Selbstüberwindung nicht auf sich nehmen mag, 
im Interesse seiner Wissenschaft besagte, 
gerade wegen ihrer einschläfernden Einförmigkeit 
eine so peinliche Gewissenhaftigkeit heischende 
Aufgabe selbst zu lösen, der sollte auch billig 
genug sein, nicht von anderen Leuten, welchen 
eben dieses wissenschaftliche Interesse gänzlich 
fern liegen dürfte und deren Treue völlig un- 
controlirbar ist und bleibt, eine Aufopferung 
zu verlangen, für welche ihm selbst der mo¬ 
ralische Muth fehlt. Wer auf diesem Gebiete 
mit fremdem Kalbe pflügt, der kann lediglich sagen: 
Ich glaube, Hochpotenzen verwendet zu haben, 
nichtaber:ich habeHochpotenzen angewendet. 
In naturwissenschaftlichen Fragen aber giebt es 
kein Credo, kein Wähnen und Meinen, sondern nur 
ein Wissen oder Nichtwissen! 

Nun darf ich wohl das Ersuchen stellen an 
alle Interessenden an Hochpotenzen, ob sie die 
Berechtigung meiner Vorforderungen zugestehen 
wollen, oder aus welchen wissenschaftlichen 
Gründen sie dieselben ablehnen, bezw. modificiren 
möchten? 


Inzwischen aber ist mir vielleicht gegönnt zu 
fragen: Warum bediente sich Herr Dr. Göhren 
sofort hochpotenzirter Gaben? der Herr College 
sagt: „Da ich in einigen Fällen von der SO 0 “ 
(? was ist dies? 30ste Centesimale vielleicht?) an¬ 
dauernde Vermehrung der katarrhalischen Erschei¬ 
nungen beobachtete.“ Schade, dass der Bericht¬ 
erstatter keinen Beweis für räthlich erachtete zu 
Gunsten dieser mindestens doch noch sehr anzweifel¬ 
barer Behauptung! — Und weiter fragen wir an: 
Warum erging sich Herr Dr. Göhren in solchen 
„raschen* Kraftsprüngen, wie sie hier zwischen 
der 200.—2000. und darüber (!!) zu unserem 
gerechten Erstaunen virtuosenhaft abgeleistet sind 
(vergl. S. 180)? Geschieht denn das nur so 
nach Lust und Belieben? Giebt es denn keine 
Kunstregel, nicht einmal irgend welche lei¬ 
tende Maxime für solche Balte mortales in 
Siriusweiten? Handelte denn Herr Dr. Göhrum 
nicht im Grunde fast strafbar unbedachtsam, wenn 
er bei seinen Erlebnissen über die Gefahren, welche 
eine waghalsige Darreichung von einigen Kügelchen 
30°° nach sich zog, dem „schwer damiederliegenden 
Patienten* gleich 400 00 zu geben wagte? Warum 
ward denn nicht mit 2000°° begonnen und all- 
mählig probirt, ob das Eis hielt? So wenigstens 
machen wir anderen Homöopathen es in fraglichen 
Fällen; wir steigen von höher bezifferten zu niedrig 
bezifferten Verdünnungen hinab. Glitten wir so 
behende von der 30. Decimale auch nur mit einem 
Sprunge bis zur 1. hinab, — was für sonderbare 
Gründe müssten eine solche Fallsucht wohl verur¬ 
sachen?? Dort schweben Hunderte neben Tausen¬ 
den von Hochpotenzen auf und nieder wie Engel 
auf der Himmelsleiter. Mir schwindelt! Wo finde 
ich das Gesetz, das regelnde Gesetz, — min¬ 
destens doch die erfahrungsentsprossene lei¬ 
tende Maxime, ohne welche alles ärztliche Han¬ 
deln doch nur ein Spiel mit Seifenblasen bliebe? 
Also nochmals: weshalb diese Unerfasslich- 
keit der Dosirungs-Sprünge, gegen welche 
selbst Odins schnellster Läufer — der Gedanke, 
der folgen möchte — ein lahmer Krüppel bleibt?? 
Ferner fragen wir: In welcher Weise vermochte 
Herr Dr. Göhrum sich binnen seiner angieteh 
kürzeren ärztlichen Laufbahn objective Ueber- 
zeugung von der materiellen Wirksamkeit absolut 
unmaterieller Arzneigaben zu erringen? Sein 
Rath wäre mir ein ehrlich erwünschter, denn ich 
rang so ungleich länger, vergeblich nach dem glei¬ 
chen Erfahrungsziele! 

Vielleicht sagt mir Herr Dr. Göhrum, was er 
S. 178 einleitend schon angedeutet; nämlich er sei 
„ein früherer Schüler und Mitarbeiter Jägers* ge¬ 
wesen, vermuthlich also auch Mitarbeiter an den 
sogenannten neural-analytischen Untersuchungen zur 


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105 


Bestätigung der Einwirkung von Hoohpotenzen auf 
den menschlichen Organismus?*) 

Welchen wissenschaftlich berechtigten 
Grund haben wir denn, um die hohen Ver¬ 
dünnungen bez. Verreibungen Überhaupt als 
selbstverständliches Postulat aufrecht zu erhalten? 

Als Paracelsus zuerst von Allen, wie ich nach¬ 
gewiesen habe, sowohl das Aehnlichkeitsgesetz, wie 
für die auf Grund desselben gewählten Arzneistoffe 
eine bisher unerhörte Gabenverkleinerung in die The¬ 
rapie einführte, konnte dieser so Überaus geniale 
Beobachter so wenig einen wissenschaftlichen Grund 
dafür angeben, wie Hahnemann, als derselbe dritt- 
balbhundert Jahre später die Wege des Paracalsus 
zu wandeln begann. Erst die neuere Physik lehrte 
uns, dass Körper bestimmte Oberflächen Wirkungen 
auf einander ausüben, und dass für gewisse Zwecke 
eben diese Wirkungen im gleichen Grade vermehrt 
werden in welchem man die Oberflächen vermehre 
bez. erweitere. Die Hahnemann’sche Methode dieser 
Oberflächenvermehrung der qu. Arzneikörper ward 
aber lediglich deshalb beibehalten, weil sie verläss¬ 
lich, bequem und practisch ist und einen immerdar 
gleichen Massstab für die sichere Bemessung jed¬ 
weder Stoffverdünnung abgiebt. Solche Verdün¬ 
nungen können nun auch endosmotisch jeder ihrer 
harrenden Zelle zugeführt werden. 

Ist irgendwem ein noch sonstiger wissen¬ 
schaftlicher Grund bekannt, weshalb nicht allein 
jeder homöopathische, sondern überhaupt jeder Arzt 
bez. Apotheker seine Arzneikörper möglichst ver^- 
kleinern sollte und z. B. bei Verreibungen die wirk¬ 
samsten kleinsten Oberflächenkörperchen durch einen 
irrelevanten Stoff von einander trennen müsse, um 
jedem dieser kleinsten Arzneikörperchen die all- 
seitigste Ausnutzung seiner Oberflächenwirkung zu 
ermöglichen, der belehre uns freundlichst, wir wer¬ 
den ihm dafür dankbar sein. 

Paracelsus wie sein Nachfolger Hahnemann be¬ 
obachteten also ganz richtig, dass die möglichst 
grosse Oberflächenerweiterung eines Arzneistoffs 
ausgebreitetere Arzneiwirkung ergebe, als ein un¬ 
gleich schwerer wiegendes Stück des gleichen Stoffes 
bei geringeren Oberflächenmase. Sie erkannten also 
vollkommen richtig, dass bei Verkleinerung der 
Masse eine oder die andere ihr inhärente physi¬ 
kalische Kraft (hier also die Arzneikraft) überaus 
vermehrt, aber nicht überaus vermindert werde. 
Darum nannte Hahneman seine Verdünnungen 
„Potenzen*. Und das ganz zutreffend von seinem 


*) Im Emverständniss mit Herrn Dr. Katsch ist an 
dieser Stelle seine Kritik der vor 11 Jahren von Herrn 
Prof. Dr. Jäger veröffentlichten neuralanalytischen Ar¬ 
beiten weggelassen worden, um den jetzigen in dieser 
Zeitung erscheinenden neuralanalytischen Untersuch¬ 
ungen desselben nicht zu präjudiciren. 

Die Redaktion. 


rein empirischen Standpunkte aus; hätte er den 
physikalischen Grund bereits erkannt, hätte der 
verständige Mann vermuthlich einen besseren Namen 
gewählt. Dass aber — und warum — seine Zeit im 
Banne der Neigung lag, alles Stoffliche möglichst 
zu verflüchtigen und zu vergeistigen, habe ich 
a. a. 0. erklärt. Wer uns nun wissenschaftlich 
nach weisen kann, dass in den homöopathischen 
Potenzen noch irgend welche sonstige Heil¬ 
kraft verborgen sei, der unterrichte uns; wir 
werden es ihm danken. Nach unserer Meinung 
bleibt z. B. Ipecacuanha 3. ganz genau derselbe 
Heilstoff wie Ipecacuanha 12. Diese 12. Decimale 
hat inzwischen um kein x an irgend welcher Wirk¬ 
samkeit zugenommen, sondern lediglich eine An¬ 
zahl allerkleinster Oberflächenkörperchen sammt 
deren Wirkungen eingebüsst, wohingegen dieser 
12. Decimale immer noch stofflich genügende 
Arzneimasse genug verblieb, um „reine Heil¬ 
kraft* zu enthalten, d. h. von Erst- oder Massen¬ 
wirkungen des Medicaments ungetrübt. 

Hat Paracelsus, — hat Hahnemunn etwa einen 
sonstigen „Geheimzweck* im Auge gehabt, als 
sie auf Minimaldosen der nach dem Aehnlich¬ 
keitsgesetz verordneten Arzneien drangen? 
Allerdings hat Hahnemann bekanntlich den unge¬ 
heuer folgenschweren Fehler begangen, nicht nur 
für die Wahl, sondern auch für die — uns bis 
heute noch immer nicht begreiflich definirbare bez. 
allgemein zugestandene — Wirkungsweise der 
Arzneikörper das Aehnlichkeitsgesetz verant¬ 
wortlich machen zu wollen. Warum das grund¬ 
falsch ist, hat Dr. von Grauvogl in seinem Lehr¬ 
buch der Homöopathie wohl genügend klar gestellt. 
Nichtsdestoweniger beschliesst Herr Dr. Göbrum 
seinen Aufsatz mit dem veralteten Hahnemannschen 
Subjectivismus, „wonach die Gaben homöopathischer 
Arznei ohne Ausnahme bis dahin zu zerkleinern 
sind, dass sie nach der Einnahme nur eine kaum 
merkliche (?) homöopathische Verschlimmerung 
erregen“ (cf. § 305 das Organon, 2. Aufl. Dres¬ 
den 1819). 

In diesem Falle — vorausgesetzt dass auch 
hier praktische Beobachtung — nicht aber Be¬ 
fangenheit in völlig irriger Theorie Hahnemanns 
Feder geleitet hätte — müsste eine immense 
Anzahl homöopathischer Aerzte auf das Bewusstsein 
verzichten, homöopathische Heilungen anders als 
nur ganz ausnahmsweise oder vielleicht gar nicht 
bewirkt zu haben. 

Ganz anders aber klingt es, wenn der Prak¬ 
tiker Hahnemann daB Wort nimmt, wie z. B. in 
der Einleitung seiner vortrefflichen Arsenikprüfung. 
Da heisst es: „Also VlO Grau wirkt zuweilen lebens¬ 
gefährlich, und weniger, viel weniger zu geben, er¬ 
laubt dir die zunftmässige Observanz nicht? . • .* 
„Ist eine Gabe von 1 / 10 Gran Arsenik eine in 

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106 


vielen Fällen gefährliche Gabe, muss sie 
denn nicht milder werden, wenn man nur 
1 /iooo giebt? Und wenn sie es wird, muss sie 
nicht bei jeder weitern Verkleinerung noch milder 
werden? Wenn nun der Arsenik (so wie jede andere 
sehr kräftige Arzneisubstanz*) blos durch Ver¬ 
kleinerung der Gabe am besten so mild werden 
kann, dass sie dem Menschen nicht mehr schade, 
so hat man ja blos durch Versuche zu finden, bis 
wie weit die Gabe verkleinert werden müsse, dass 
sie klein genug sei, um nicht Schaden zu bringen, 
und doch gross genug um ihr volles Amt als 
Heilmittel der für sie gehörigen Krankheiten zu 
vollführen u. *8. w. 

Hieraus ersieht man also unwiderleglich, dass 
der Praktiker Hahnemann, der anfänglich auch 
nach dem altbekannten Aehnlichkeitsgesetze seine 
Arzneien bereits gewählt, aber zu massenhaft dosirt 
hatte, lediglich darum seine Verdünnungen unter¬ 
nommen hat, um zu finden, wie weit er die von 
ihm geprüften (nota bene!!) Arzneistoffe an 
Masse verringern könne, ohne deren Heilkraft 
einzubüssen. Dabei gelangte er zu Resultaten, 
an welche sich die Aerzte in ihrer Mehrzahl bis 
zur Stunde noch nicht gewöhnen können, allein 
der Grund seiner Verdünnungs-Versuche war, wie 
hier nachgewiesen, einzig und allein das Bestreben, 
sich bei seinen Dosirungen ferner vor so gefähr¬ 
lichen oder doch mindestens störenden schlimmen 
Erstwirkungen zu schützen. 

Oder meint Jemand, er habe für. irgend eine 
seiner sämmtlichen dahin abzielenden Dosenprüfungen 
einen anderen Grand gehabt, als den bei Arsenik 
klar ausgesprochenen? Und dieser Grund war ein 
absolut positiver, ein so rationeller, dass kein Ver¬ 
nünftiger ihn bisher als einen unwissenschaftlichen 
zu stigmatisiren vermochte, nicht einmal die ver¬ 
bissensten Gegner der Homöopathie! — Als Hahne¬ 
mann diese Wirkungsgrenzen bei Massenabnahme 
des Stoffes zu ermitteln suchte, hatte er keinen Vor¬ 
gänger, also auch nicht die geringsten Vorerfahrungen. 
Er entdeckte etwas, was vor ihm noch nicht da¬ 
gewesen, und so lässt es sich wohl erklären, dass 
die Unerhörtheit dieser Abminderungen an Stoff 
ohne Abminderung an Heil Wirksamkeit ihn treiben 
mochten und mussten, zu sehen, ob, wenn ein 
Millionstel, — so schliesslich wohl gar auch ein 
Billionstel, Trillionstel etc. Arzneistoff noch wirkungs¬ 
fähig bleiben werden? Der Geschmack ist eben ver¬ 
schieden. Für Viele von uns hat diese Frage um 
so mehr an Reiz verloren, als sie eine völlig un- 
practische wird, sobald man sie auf die Spitze 

*) Ist denn das „Autoison* überhaupt eine .kräftige" 
Arzneisuhstanz ? Hat es denn irgend Jemand geprüft und 
wenn nicht, — wie kann Herr Dr. Göbrum dann behaupten, 
dass es gleichfalls eine heilkräftige Substanz sei und gar 
eine so kolossaler Verdünnungen bedürftige, wie nicht einmal 
Arsenik? 


treiben will, denn sie lässt sich nun einmal end- 
giltdg schlechterdings nicht beantworten für jeden 
Einzelfall und jedes EinzelmitteL Wohl aber» hat 
die Erfahrung so vieler sonstiger tüchtiger Practiker 
in so vielen Jahren reichster Erfahrungen uns em¬ 
pirisch gelehrt, wie weit entstofft man - selbst bei 
Idiosynkratischen — ungefähr die Dosis wählen 
könne, um Heilwirkungen ohne störende Erstwirk¬ 
ungen mit kaum jemals trügender Sicherheit er¬ 
warten zu können. Derjenige allein aber ist 
ein rationeller homöopathischer Arzt selbst 
nach Hahnemann’s Anforderung, der so do¬ 
sirt, dass er nach Maassgabe des Aebnlich- 
keitsge86tzes sein Simile so zutreffend be- 
misst, dass er sich eine reine Arzneiheilung 
ohne störende Erstwirkungen des Medica- 
ments zu versprechen berechtigt ist. 

So weit stehen wir auf absolut rationellem Boden. 
Wurden wir auf diesem verspottet, so traf der Pfeil 
bisher noch stets den vorlauten Schützen, der ihn 
abgesendet. Von diesem Boden uns zu entfernen, 
um mit unerwiesenen Subjectivismen zu spielen und 
in casu dem Gegner die Frage nach dem „Gesetze, 
das uns geleitet* schuldig bleiben zu müssen, 
wäre, wie schon College Goullon mit Recht betonte, 
eine Thorheit in Israel. Hier genügt dann eine 
blosse Behauptung stattgehabten Erfolgs Nie¬ 
mandem, denn wer beriefe sich nicht auf „Er¬ 
folge“? Was unserer rationellen Homöopathie in¬ 
dessen ihr unleugbares Uebergewicht sichert über 
andere und anspruchsvollere Heilmethoden, das ist 
nicht der jeweilige Erfolg, dessen auch jeder Cur- 
pfuscher sich gelegentlich rühmen mag, sondern das 
ist der naturgesetzlich garantirte Erfolg, 
der Jedem jedes Mal zu Theil werden muss, 
der in der freilich nicht immer zutreffenden Lage 
war, allen rationellen Anforderungen der Ho¬ 
möopathie bei der Mittelwahl entsprechen zu können. 
Lassen manche Freunde der Hochpotenzen dabei 
wohlgefällig die Meinung durchschimmern, als ge¬ 
höre eine tiefere bez. reichere Erfahrung in unserer 
Arzneimittellehre dazu, um vermöge einer Hoch¬ 
potenz eine Heilung zu erzielen, so lassen wir ihnen 
diese unschuldige Selbstfeier mit Vergnügen, pflich¬ 
ten im Uebrigen aber vollkommen Herrn Dr. Haupt 
bei, welcher in derselben Nummer der A. H. Z. 
S. 188 sagt: „Ueberall und immer ist es mir vor¬ 
gekommen, als ob diejenigen Homöopathen am 
meisten tuto, cito et jucunde heilen, die am Besten 
in der Arzneimittellehre Bescheid wussten und sich 
streng an das Similia Similibus hielten." 

Letzteres ist nun das, was Herr Dr. Göhrum 
eben nicht gethan hat. Mit welchem Rechte er¬ 
wartet er dann aber Öffentlichen Glauben für seine 
Ansicht, dass er bei Schwerkranken (— und solche 
muss und kann unter Umständen anderer Art ein 
homöopathischer Arzt ja recht oft m ; .t vergleichs- 


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107 


weise sehr materiellen Verdünnungen heilen —) 
reöht bedenkliche Verschlimmerungen nach 
200—2000 00 Hochpotenz gesehen haben will, 
— und zwar nicht post, sondern propter hoc? 
Lassen wir doch einmal Hahnemann selbst für uns 
antworten. Er sagt in derselben Einleitung zum Ar¬ 
senik: „Wenn ich aber mit dem, die kleinen Gaben der 
Homöopathie als... nichtswirkend belächelnden Klüg¬ 
ler fertig bin, so hört man auf der andern Seite 
den Behutsamkeitsheuchler auch bei den 
so kleinen Gaben der homöopathischen Heil¬ 
kunst - eben so ohne Prüfung, eben so in 
den Tag hinein — noch überGefährlicbkeit 
schreien.* 

Das ist es, was auch ich Jedem — und nament¬ 
lich jedem allopathischen Arzte antworten würde, 
der mich fragte, was ich von derlei „Beobachtungen“ 
halte; also von schweren Verschlimmerungen 
Schwerkranker (!!) einzig und allein darum, 
weil dieselben „1—2 Gaben von 5 Körnchen der 
2C0 00 , 400°° f 600 00 und 1000™* bez von „400°°, 
1000 00 und 2000 00 jedesmal einen Tag lang* er¬ 
hielten! — Wo es galt, die Homöopathie gegen 
feindliche Angriffe ungerechtfertigter Art zu ver¬ 
treten, habe auch ich es niemals an mir fehlen 
lassen. Dann aber bin ich mit eingetreten für die¬ 
jenige Homöopathie, welche auf wissenschaftlich 
begründeten Pfeilern oder auf Beobachtungen 
ruht, von deren Zutreffen sich Jeder, der 
es will, auch jederzeit selbst überzeugen 
kann. Und das hat — wie anderen ungleich be¬ 
deutenderen Vorkämpfern unserer Sache — pro 
rata auch mir die ehrliche Achtung so mancher 
allopathischer Aerzte eingetragen, auf welche 
ich nicht verzichten möchte ohne gewichtigen Grund. 
Oder war es vielleicht „Liebedienerei gegen die 
Allopathie*, wenn ein J. Kafka oder ein Arzt wie 
Bähr ihre bedeutenden Therapien ebenfalls wissen¬ 
schaftlich berechtigten pathologischen Anschauungen 
der Allopathie anpassten? Der gute Wille, sich 
wissenschaftlich zu verständigen zu suchen 
hüben wir drüben, ist ja das Postulat, dessen 
Mangel wir sonst nicht mit Unrecht manchen 
Fanatikern der Allopathie zum Vorwurfe machen. 
Ich wollte, der Verein schlesischer Aerzte hätte 
ehrlich deutsch gesprochen, wenn er dem Mysticis- 
mus des Sauterseben Systems das „Sacrificio dell' 
intelletto“ versagte. Nun, ich für meine Person 
versage derjenigen Gruppe in der Homöopathie 
ebenso entschieden meinen persönlichen Glauben, 
welche mir die Aufopferung ebenso meines gesunden 
Menschenverstandes zumutbet, wie meiner wissen¬ 
schaftlichen Ueberzeugungen, welche sich auch hier 
nicht minder auf vielfache eigene Versuche mit 
Hochpotenzen stützen. Hahnemann allerdings glaubte 
zu se iner Zeit noch an die unbegrenzbareTheilungs- 
fähigkeit des Stoffes; es ist aber jetzt 92 Jahre her, 


dass die erste Auflage seines Organon erschien. 
Hat inzwischen die Physik etwa stillgestanden? 

In der Note zu § 305 der 2. Auflage seines 
Organon appellirt Hahnemann zu Gunsten dieser 
seiner Ansicht sogar an die Mathematik, indessen 
mit Unrecht. Denn die letztmögliche Theilung 
einer geraden Linie l;isst die Geometrie in den Punkt 
endigen, der keiner weiteren Theilung mehr fähig 
ist. Dasselbe gilt für die Null. Unter ihr existiren 
keine Nullbrüche, und die Doppelnull spielt nur 
eine freilich sehr interessante Rolle zu Monte Carlo 
und — sonstigen Orten nichtmathematischer Gattung. 
Wärme, Licht, Magnetismus etc. sind freilich bis¬ 
her nicht gewogen, allein nichtsdestoweniger als 
Ausflüsse stofflicher Natur anerkannt. Und wel¬ 
cher ungeheuren Stoffmassen es bedarf, um elek¬ 
trische Kraft zu entfesseln, hat die Frankfurter Aus¬ 
stellung ja wohl Jedem genugsam klar gemacht 

Obwohl nun noch unergründet geblieben ist, 
in welcher Weise die verschiedenartigen Heilkörper 
im Organismus den Heilprocess einleiten und för¬ 
dern, so behaupten die Hochpotenzfreunde mit Vor¬ 
liebe, es geschehe durch Einwirkung auf die Nerven; 
bewiesen haben sie es natürlich noch nicht. Nehmen 
wir indessen an, dass ausnahmslos und überall die 
Nerven allein die Empfänger und Verbreiter der 
Arzneikräfte wären: — woraus folgte dann, dass 
dieser Heilprozess um so gesicherter und um so 
schneller sich vollziehen müsse, je absolut stoff¬ 
loser der Arzneikörper geworden? Reagiren etwa 
unsere Sinnesnerven um so schärfer, je geringer sie 
afficirt werden? Vernimmt das Ohr — gewahrt das 
Auge noch Schall- oder Lichtwellen unterhalb 
ganz bestimmter Geschwindigkeitsziffern? Gewahrt 
etwa das Auge alle Farben, aus denen das Licht 
normaler Weise sich zusammensetzt, und vollends 
andere und zufällige Lichterscheinungen, die wir 
nur künstlich sichtbar zu machen vermögen? Oder 
gewahrt solche das kranke Auge besser als das 
gesunde, hört etwa das erkrankte Ohr schärfer 
als das kerngesunde? Wiestofiarm auch der Blumen¬ 
duft sein möge, sein Stoff ist doch immerhin stark 
genug, um sich individuell verschiedenfach als Duft 
der Rose, des Flieders, der Reseda bestimmt wahr¬ 
nehmbar zu machen. Riecht aber, wer Schnupfen 
oder sonst ein Örtliches Nasenleiden hat, die Rose 
um so stärker, wenn er nur ein Blatt von ihr, oder 
den Häring, wenn er nur eine Schuppe desselben 
vor sich hat? Oder reizt den Hund der Urin eines 
anderen um so stärker, ie länger der benässte Stein 
in Schnee- und Regengüssen lag? Und nun soll 
eine völlig entstoffte, sogenannte Hochpotenz 
gar noch eine Krankheit verursachen, die stärker 
wäre, als die natürlich verursachte? Das hat 
selbst Hahnemann weder geglaubt zu seiner Zeit, 
noch gelehrt. 

Schon Paracelsus bat uns, und ungleich schärfer 

H* 


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108 


noch Habneman d, nachgewiesen, dass die Arznei¬ 
kraft keinesfalls proportional mit dem Stoffe, dem 
sie angehöre, verschwinde, dass sie vielmehr die 
weitaus zählebigste aller physikalischen Eigenschaften 
des Stoffes sei, und dass eine früher ungeahnte Stoff¬ 
verminderung sogar unbedingt nothwendig sei, um 
die Intensität der Erstwirkungen aufzuheben und 
eine früher ebenso ungeahnte Ausdehnung der Arznei* 
kraft auf die verschiedensten Körpergewebe zu ent¬ 
fesseln. Dass solche Kraftausdehnung aber über 
diese Entwickelungsgrenze hinaus stetig wachse 
mit stetiger Fortverdünnung, — das zu be¬ 
haupten ist ihm nicht eingefallen. Und dass vollends 
ein kranker Nerv — wir bleiben bei der Anschau¬ 
ung der Hochpotenzier — nicht allein empfind¬ 
licher, sondern gleichzeitig auch immer empfäng¬ 
licher für Arzneireize wäre, das hat vollends noch 
kein Physiologe entdeckt! — 

Auch darin berief sich Hahnemann zu Unrecht 
auf die Mathematik, indem er ausser Acht liess, 
dass seine These um so haltloser werden musste, 
je hinfälliger seine Hypothesis von der unbegrenzten 
Theilung des Stoffs war. Das war — wie bereits 
bemerkt — für ihn und zu seiner Zeit entschuld¬ 
bar. Um so unentschuldbarer aber ist es, wenn 
eine heutige Generatiou, wenn Männer, die sämmt- 
lich naturwissenschaftliche und zum Theil auch 
noch polytechnische Vorbildung genossen haben, 
es gar nicht der Mühe für werth halten, die ge gen¬ 
theilige heutige Ansicht der Physiker zu be¬ 
achten, nämlich die, dass die Theilbarkeit des Stoffes 
inzwischen zwar so weit erweisbar geworden ist, 
dass die innerhalb naturwissenschaftlicher 
Grenzen sich bewegende Homöopathie ihre 
Dosirungen zu rechtfertigen vermöge, nicht aber 
die phantastisch denkende. Denn „denken“ 
kann der Mensch bekanntlich sowohl innerhalb des 
verstandesmässig Erschliessbaren, wie im luftigen 
Gebiete der Phantasie, und zwar hier wie dort in 
logischer Form, wenn auch nicht mit logischem 
Gehalte überall da, wo man von bisher unerwie- 
senen Themen einen Beweisschluss auf andere Un¬ 
erweislichkeiten zu construiren beabsichtigt. Was 
aber dem Herrn Dr. Haupt, wie jedem literatur¬ 
kundigen Homöopathen, so wohl bekannt war, näm¬ 
lich die hervorragende Arbeit Wesselhöft’s, das 
konnte doch wohl nicht etwa einem Bedacteur der 
Allg. Hom. Ztg. unbekannt sein? In diesem Falle 
wäre es aber doch selbstverständlich gewesen, dass 
Herr Dr. Göhrum uns zuvor offenbart hätte, wo 
und weshalb die Wesselhöft'schen Resultate ihm 
fehlerhaft und nichtssagend erschienen, bevor 
er seinen Ritt ins alte romantische Land unternahm 
und uns durch seine great steeple chase durch 
hundert- und tausendstellige Hochpotenzen Schwin¬ 
del verursachte und die Frage in uns erweckt: ist 
dieser Experimentator sich denn wirklich 


der Ungeheuerlichkeiten von Raumuner- 
fasslichkeiten bewusst, welche zwischen 
einer 10. und einer 30., zwischen einer 30. 
und 100. Centesimalpotenz liegen? Und mit 
derselben Gelassenheit wird gar mit tausendstelligen 
Hochpotenzen experimentirt! Woher sie kommen? 
Davon erfahren wir keine Silbe. Allein Herr Dr. 
Haupt machte Eingangs seines Artikels auch noch 
auf sonstige ernste wissenschaftliche Arbeiten auf¬ 
merksam, welche dem Grössenwahne der Hoch¬ 
potenzen entgegentraten. Sind auch diese für die 
Hochpotenzier keines Gegenbeweises würdig? Im 
122. Bande der Allg. Hom. Ztg. und zwar gleich¬ 
falls in dessen No. 23 und 24 — brachte auch 
Herr Dr. van Royen-Westervoot einen kurzen, aber 
höchst gehaltvollen Artikel, welcher nachwies, dass 
und warum z. B. aus chemischen Gründen gar keine 
Rede sein könne von der homöopathisch doch un¬ 
erlässlichen Reinerhaltung der Hochpotenzen, voraus¬ 
gesetzt selbst, dass deren Stofflichkeitsgehalt unan¬ 
zweifelbar wäre. Erfolgen auf solche sachlich posi¬ 
tiven Ein würfe denn immer nur sittliche Entrüstungen 
in der Ge wandang von Wenn und Aber, und mit 
Luftspiegelungen von allerhand Bildern und Ana- 
logieen, die zur Sache doch nicht das Geringste be¬ 
weisen? Hat es die Hochpotenzpartei noch immer 
nicht dahin gebracht, uns auch nur den Schimmer 
eines Anhalts zu bieten, wo und aus welchen 
Gründen sie uns niedere (d. h. stoffliche), — 
wo und aus welchen Gründen sie Hoch¬ 
potenzen überhaupt gebe? Wann sie Hoch¬ 
potenzen unter 100, und warum und wann 
sie Hochpotenzen über 1000 und 20CO°°geben 
wolle oder — was doch die Hauptsache wäre — 
müsse, um da Erfolge zu erzielen, wo wir 
bei Verabreichungen zwischen 3. oder 6. bis 
30. Decimalpotenz etwa nichts erreichten? 

Seit mindestens 25 Jahren lese ich jeweilige Be¬ 
richte über Heilungen mit Hochpotenzen; sie zeugten 
als Musterberichte natürlich von überlegter Wahl 
des Simile. Aber kann und will Jemand — den 
referirenden Autor der betreffenden Berichte natür¬ 
lich mit eingeschlossen — denn sagen, dass in jed¬ 
wedem Falle das absolut einwandfreie „Simillimum“ 
gewählt worden sei? Und wenn dann doch Heilung 
zu Stande kam ohne das „Simillimum u — hat 
dann Herr Dr. Goullon nicht das vollständigste Recht 
zu fragen: „Wozu“?? Ja wohl! Wozu der Lärm, 
was steht den Herrn zu Diensten? Haben sie wirk¬ 
lich Besseres geleistet, als wir Anderen — vor¬ 
ausgesetzt nämlich, dass sie wirklich und 
thatsächlich Hochpotenzen gegeben, und 
nicht etwa nur zu geben geglaubt haben? 
Warum heilt man nicht Fälle von frischen Ge- 
müthsleiden mit Hochpotenzen von Gold? Warum 
nicht syphilitische Leiden, warum rieht acute chi¬ 
rurgische Krankheiten, z. B. ein Panarit. tendin. 


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109 


oder periost., nicht cariöse Leiden u. dergL Krank¬ 
heiten, wo eine Gontrole für Jedermann leicht mög¬ 
lich ist, binnen gleicher Zeit mit Hochpotenzen, 
wie mit gewöhnlichen Dosen täglich geschieht, — 
vorausgesetzt natürlich, dass die Behand¬ 
lung von vorn herein und nur mit Hoch¬ 
potenzen unternommen ward? Warum heilt 
man nicht die Albuminurie scharlachkranker Kinder 
mit Hochpotenzen, sondern nach Dr. J. Kafka g vor¬ 
trefflichen Rath mit Hep. sulf. 3—6? Und wie 
liefen denn Fälle ab, die ich zu beobachten gesehen 
hatte? Im Beginn der 60er Jahre übernahm der 
Kreisphysikus a. D. Wolf (— derselbe, welcher 
die „Homöopathischen Erfahrungen 14 verfasste —) 
einen sonst gesunden Knaben mit beginnendem Ec- 
zem. capit unter strengstem Verbote irgend welcher 
örtlichen Behandlung und rigoroser Diätregelung. 
Hier sah er einen Fall exquisiter Psora, obgleich 
beide Eltern gesunde Leute waren. Binnen Jahr 
und Tag war der ganze Schädel des etwa acht¬ 
jährigen Knaben völlig haarlos, dagegen aber gleich- 
mässig mit borkigen Krusten bedeckt, und das Kind 
wurde vom Schulunterricht ausgeschlossen. Andert¬ 
halb Jahre trug das Kind dies Martyrinm, bis end¬ 
lich selbst diesen fanatisch an Wolf hängenden 
Eltern die Geduld riss. Dr. Mertens stellte den 
Knaben dann binnen 2 — 3 Monaten her. Beide 
Aerzte werden älteren Berliner Collegen wenigstens 
dem Namen nach gewiss noch bekannt sein. Und 
das war nicht etwa der einzige totale Misserfolg, 
den Dr. Wolf innerhalb meines Bekanntenkreises 
mit seinen Hochpotenzen bei heilbaren Leiden 
davontrug. Doch blieb seine subjective Ueber- 
zeugung von der ungeheueren Heilkraft dieser so¬ 
genannten Hochpotenzen unerschüttert. In allen 
solchen Missfällen war nämlich die einfache, wenn 
nicht gar die „hereditäre“ Mischung von Psora 
und Syphilis so tief eingewurzelt, dass die Arznei 
nur immer noch nicht Zeit gehabt hatte zu wirken. 
Die Idee therapeutischer Missgriffe kam dem im 
Uebrigen hochgebildeten Arzte nie in den Sinn. 
Und nun die letzte Frage: Warum vermochte noch 
Niemand mir zu erklären, warum ich mit den 
Hocbpotenzen, welche ich selbst auf das peinlich 
Genaueste mir bereitete vor ca. 18 Jahren, nie 
einen zweifellosen, bleibenden Erfolg sah in heil¬ 
baren Krankheitsformen, wenn ich von vorn her¬ 
ein und ausschliesslich meine Hochpotenzen 
gab? Und doch wird noch heute Herr College Dr. 
Schwenke in Cöthen-Anhalt mir bezeugen, dass diese 
20 Polychreste, welche ich bis zur 200. Hoch¬ 
potenz C. fortfübrte, so sorgfältig und so gewissen¬ 
haft nach Hahnemann’scber Vorschrift von mir 
persönlich dargestellt wurden, wie das selbst¬ 
verständlich ist bei einem Arzte, der sich die venia 
dispensandi erworben, der diese Präparate ledig¬ 
lich im wissenschaftlichen Interesse dar¬ 


stellte, und sie durchaus nur an Aerzte abgab’ 
welche sie von mir persönlich forderten, und denen 
ich mit meinem Worte einstand für die tadel¬ 
loseste, eigenhändige Anfertigung. Allein 
nicht nur ich, sondern auch mein College Dr.Schwenke 
fanden uns gänzlich getäuscht in unseren Erwart¬ 
ungen; und anderen Collegen muss es nicht besser 
ergangen sein, denn keiner von Allen hat je 
eine Ergänzung auch nur eines einzigen der 
von mir erhaltenen Arzneipräparate nach¬ 
verlangt. Etwa acht Jahre später vernichtete ich 
dieselben, weil ich den Platz besser brauchen konnte, 
den sie nutzlos einnahmen. 

Ich bin also berechtigt zu fragen: Haben andere 
Collegen es sich irgendwie angelegen sein lassen 
wie ich: 1) sich unbedingt zuverlässige Präparate 
von Hochpotenzen zu verschaffen, und 2) in ge¬ 
eignet erscheinenden Fällen durchaus reine und 
keine Mischversuche mit denselben zu unternehmen? 
Und wenn ich — und offenbar mehr oder minder 
alle damals mitprüfenden Collegen — besagtes 

Fiasco machten, — woran lag es?- 

Ad. II. So lange keiner der Collegen mir einen 
stichhaltigen Grund anzugeben vermag, was bis¬ 
her noch niemals geschehen, glaube ich das Recht 
zu haben, meine Ueberzeugung dahin auszusprechen: 

Unser Fiasco beruhte darin, dass wir 
wirkliche und wahrhaftige, streng nach 
Hahnemann’s Vorschrift angefertigte Hoch¬ 
potenzen besassen und anwendeten, mit¬ 
hin völlig stofflose Arzneien. Aus Nichts 
aber wird bekanntlich abermals Nichts. 

Daher glaube ich mich berechtigt, das Zeugniss 
eines jeden Collegen, der nicht selbstangefertigte 
oder doch unter seiner unmittelbaren und fort¬ 
gesetzt wachsamen Controle bereitete Hochpotenzen 
anwendete, als ein zur Sache irrelevantes zu kenn¬ 
zeichnen. Selbst im letzteren Falle, bei von 
unbekannter Hand angefertigten Hoch¬ 
potenzen ist aber noch nicht die geringste 
Sicherheit dafür vorhanden, dass die 
Arzneien wirklich arzneilos sind. Die 
allergeringste unerwartete Störung, welche 
ein plötzliches Abwenden des Blickes von der 
Potenzirarbeit bedingt, wird auch Zweifel erregen, 
bei welchem Glase der langen, gleichförmigen Reihe 
wir zuletzt beschäftigt waren. So habe ich selbst 
zweimal die ganze Arbeit an einem Medicamente 
von vorn beginnen müssen, und von da ab nur 
noch unter andauernder Controle eines das fertige 
Glas Abrückenden gearbeitet. Ich für meine Person 
kann daher nur demjenigen Collegen ein mass¬ 
gebendes Urtheil über Hochpotenzwirkungen ein- 
räumen, der die Versicherung abgeben kann, mit 
selbstbereiteten, tadellosen Hochpotenzen durch¬ 
aus reine, nicht aber Mischversuche unternommen 
zu haben; d. h. also: Krankheitsfälle nicht als mit 


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Hochpotenzen geheilte zu bezeichnet, wenn ent¬ 
weder im Beginn oder sonstwie während der Cur 
irgend sonstige Heilagentien zur Anwendung ge¬ 
langten, als einzig und allein Hochpotenzen! — 
Es ist mir übrigens auch ganz unerfindlich, wie 
irgend Jemand — und wie namentlich gar 
eine unserer fachwissenschäftlichen Zeit¬ 
ungen oder Zeitschriften sonstige Erzählungen 
von Hochpotenzheilungen als irgendwie wissen¬ 
schaftlich beweisende passiren lassen kann!? —*) 

Im „Briefkasten der Redaction* vielbesagter 
No. 23 u. 24 der A. H. Z. v. 10. December 1891 
sucht Herr College Schwarz Sputum von Kindern, 
weiche an Meningitis tuberculosa leiden. Das wird 
freilich „reinlich urid zweifelsohne*, wie s. Z. Herr 
Schulrath Wantrug sagte, schwer zu beschaffen 
sein. Dann aber will er es „baldmöglichst* — 
das müsste also hier binnen weniger Tage sein — 
„als Autoison zusenden: nach eigener Methode 
dargestellt*. — 

Was soll das heissen? 

Der Herr College wendet — seiner Mittheilung 
nach in derselben Nummer — Autoison von C. 30 
— 300 — 600 an. Soweit würde er also po- 
tenziren binnen so kurzer Zeit und neben seiner 
Praxis? Und zwar — wie fast selbstverständlich 
in diesem Falle — nicht nach Hahnemann'scher, 
sondern „nach eigener Methode*? 

Ja, —■ kann denn unter uns Jeder potenziren 
nach Lust und Laune, nach „eigener* Methode, 
nicht nach ein für alle Male feststehender 
Regel? Was ist denn in diesem Falle unter 
„Hochpotenz* noch zu verstehen? Dann 
freilich wäre das Wort Hochpotenz eine 
Autosuggestion, unter welcher sich Jed¬ 
weder denken kann, was er will. Das wäre 
dann aber auch nicht mehr homöopathische Phar- 
macie, sondern homöopathisch - pharmazeutische 
Anarchie. Will die A. H. Z. die Fahne dieser 
Anarchie vortragen, dann dürften ihr gar manche 
Leser noch vor des Weges Mitte untreu werden! 
Vielleicht hat Herr College 8chwarz die Güte, uns 
über seine „eigene Potenzirtbeorie* aufzuklären; 
wenn nicht, wird er ein wissenschaftliches Interesse 
für dieselbe wohl schwerlich beanspruchen. — 

Endlich noch ein letztes Wort zum Thema: 
„Heilung der Tuberculose.* 

Hier wird ein einziges Heilmittel wohl nie ge¬ 
funden werden, denn auch die gewöhnliche chron. 
Tuberculose entsteht und verläuft unter allzu ver¬ 
schiedenen Bedingungen. Ein Anderes z. B. ist die 
local in der Lungenspitze sieb anbahnende, welche 

*) Wir verweisen den Herrn Autor auf unser Pro¬ 
gramm in No. 1—2 dieses Bandes, nach dessen auf¬ 
merksamer Lektüre die Prinzipien unserer Redaktioo6- 
führung ihm hoffentlich nicht mehr „ganz unerfindlich* 1 
sein werden. Pie Redaktion. 


als Spitzenkatarrh sich ankündigt; ein Anderes die 
aus einer Spitzenpneumonie sich gar so leicht ent¬ 
wickelnde; ganz etwas Anderes wiederum die unter 
steten Blutungen verlaufende. Wie will tind kann 
da ein einziges Heilmittel (z. B. das Kochin der 
Gegenwart bezw. der Zukunft) genügen für alle 
Fälle? 

Dagegen möchte ich Herrn Collagen Göhrum 
auf einen Untersuchungsbeftind aufmerksam zu 
machen mir erlauben, den ich mindestens in 90 Fäl¬ 
len unter 100 fand, seitdem ich darauf achtete. In 
dieser Ueberzahl nämlich fand ich an der hinteren 
unteren Thorax wand bei später tuberculös Gewor¬ 
denen namentlich Auscultationserscheinungen, sel¬ 
tener auch zugleich noch deutliche Percussions¬ 
erscheinungen, welche auf unausgeheilte • Pneumo- 
nieen, bezw. Pleuropneumonieen, bezogen werden 
mussten. Ich gelangte demnach zu der Ueber- 
zetigung, dass weitaus die meisten späteren Tuber- 
culosen bei solchen Personen — oft nach 4 — 6 
Jahren und noch später — entstehen, welche von 
früheren Pneumonieen, Pleuritiden oder Pleuro¬ 
pneumonieen mehr oder weniger ausgeglichene He- 
patisationen der Lungensubstanz zurückbehalten 
haben. Alles würde wiederum darauf ankommen, 
diese akuten Vorerkrankungon so zu heilen, dass 
wir möglichst geringe Exsudate zurückbehalten. 
Das vermögen wir nun allerdings als homöopathi¬ 
sche Aerzte; vorausgesetzt natürlich, dass wir die 
also Erkrankten gleich beim Beginne dieser 
Leiden in Behandlung nehmen können. Später ist 
der Erfolg ein unsicherer, allein selbst dann noch 
ein oft erfreulicher, wenn wir die vortrefflichen 
Winke der Herren Collegen J. Kaffka und Dr. 
Mathis stets im Auge behalten. Ueber den Werth 
der von dem Herrn Collegen Kunkel empfohlenen 
Sepia als Resorptionsmittel fehlen mir leider eigene 
Erfahrungen. 

Ich glaube demnach, dass die von Anfang an 
zweckbewusste Behandlung acuter Lungen¬ 
krankheiten, in denen wir der Allopathie weit 
überlegen sind oder doch sein können, eins der 
werthvollsten Präservative gegen spätere Lungen- 
tuberculose abgeben würde. Wir würden daher 
dem Gebrauche des Hörrohrs ungleich mehr Studium 
wünschen, als ihm im Allgemeinen zugebilligt zu 
werden scheint. Denn abgesehen davon, dass unser 
Gehörvermögen ein sehr verschiedenartiges ist, ist 
angesichts der mancherlei in casu äusserst schwie¬ 
rigen Richtigdeutungen der vernommenen Töne bz. 
Geräusche das Hörrohr ebenso schwierig zu inter- 
pretiren, wie der Augenspiegel oder manche sonstige 
Specialität, was Diejenigen allerdings nur zögernd 
zugestehen möchten, welche der Auscultation nicht 
viel mehr als den allerunentbehrlichsten Tribut 
zollten oder ihr wegen mangelnden sehr feinen Ge¬ 
hörs widmen konnten und mochten. Ob inzwischen 


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Ul 


das „Autoison“ das Studium der Auscultation unjl 
Percussion zum alten Eisen werfen wird, das ist 
es, worauf wir überaus neugierig sein dürfen. 

Die Botschaft hör* ich wohl, — allein in Glau¬ 
bensangelegenheiten bin und bleibe ich ein unver¬ 
besserlicher Thomasschüler! 


Entgegnung. 

Da Herr Dr. Katsch als Feind des „Spielens 
mit unerwiesenen Subjectivismen* doch am Schlüsse 
seiner langathmigen, zum Tbeil recht anziehend ge¬ 
schriebenen Auseinandersetzungen nichts anderes zu 
sagen weiss als „die Botschaft hör’ ich wohl — 
allein in Glaubensangelegenheiten bin und bleibe 
ich ein unverbesserlicher Thomasschüler!*, so kann 
ich mich kurz fassen. Sein Schlusssatz beweist, 
dass er nichts von dergleichen hören, dass er auf 
seinem subjectiven Standpunkt stehen bleiben will, 
und da wäre es ja nur verlorne Liebesmüh*, wollte 
ich seine zahlreich anfgeworfenen Fragen alle be¬ 
antworten, zudem da er auf eine ganze Anzahl 
dieser hätte verzichten können, wenn er die betr. 
kritisirten Artikel genau gelesen, resp. wenn er 
nicht vieles offenbar absichtlich missverstan¬ 
den hätte. Bezeichnend für die Kritik des Herrn 
Dr. Katsch ist, dass er gegenüber den zahlreichen, 
mühseligen und kostspieligen Versuchen des Hrn. 
Coli. Schwarz und meiner Wenigkeit keinen anderen 
Ausdruck als „ Glaubensangelegenheiten * findet; 
ferner, dass er nach Art der alles im Voraus besser 
wissen wollenden Kritikaster einfach die Richtig¬ 
keit der Beobachtungen von unserer Seite bezweifelt, 
während er sich auf seine vor Jahrzehnten statt¬ 
gehabte Tbätigkeit unendlich viel zu Gute thut 

Es ist überhaupt eine auffallende Erscheinung 
in den Arbeiten des Hrn. Dr. Katsch, dass er eine 
so ausgesprochene Vorliebe für längst Vergangenes 
hat, dass er sich nicht scheut, entgegen dem schönen 
Spruche „De mortuis nil nisi bene* längst entschlafene 
Collagen zu kritisiren. So auch in dem vorliegen¬ 
den Aufsatz. Wenn die Hochpotenzier wirklich 
stets so schlechte Erfolge hätten, wie es nach des 
Hrn. Kritikers Ansicht eigentlich sein müsste, so 
hätte es ihm leicht sein müssen, andere Beispiele 
aus der Praxis solcher noch lebender „Phantasten* 
beizubringen. Statt dessen sucht er den verehrungs¬ 
würdigen verstorbenen Collegen Wolf lächerlich zu 
machen. Dies ist nicht schön. 

Ich bin — das sei ausdrücklich hervorgehoben 
— ganz privatim der Ansicht, dass solche Kri¬ 
tiken, wie die des Hrn. Dr. Katsch, die alles nur 
zu bemäkeln verstehen,, der Sache viel mehr schaden, 
als die Veröffentlichung allerdings ungewohnter, 
aber auf vielfachen Versuchen basirender Ergeb¬ 


nisse ; es sind Kritiken, die hinter dem Schreibtisch 
entstanden, von vornherein jedem ehrlichen Versuche 
abhold sind, Kritiken von Leuten, die alles, was 
nicht in ihren Kram passt, herabzureissen und 
dabei, da ihrem Thun die positive Grundlage, der 
Versuch, fehlt, die persönlichen Fähigkeiten der 
positiv Arbeitenden zu verdächtigen suchen, statt 
durch Hervorbringung neuer Thatsachen in Wirk¬ 
lichkeit etwas zur JJlärung der streitigen Frage bei- 
zutragen. 

Uebrigens darf Hr. Dr. Katsch ja nicht glauben, 
dass seine Kritik das einzige Ergebniss der betr. Ver¬ 
öffentlichungen gewesen ist; im Gegentheil, mehrere 
Collegen sind durch diese veranlasst worden, die 
Sache nachzuprüfen. Ich hoffe, dass sie seiner Zeit, 
wenn sie zu einem gewissen Abschluss ihrer Ver¬ 
suche gekommen sind, uns das Ergebniss denken 
nicht vorenthalten werden. Doch werden wir uns 
bis dahin noch etwas gedulden müssen, denn Experi- 
mentiren und vorschnelles Kritisiren ist zweierlei. 
Ersteres stellt erhebliche Anforderungen an Arbeit, 
Zeit und Geld an den Versuchenden, während letz¬ 
teres der bequemste Weg ist, unbequeme Thatsachen 
in Abrede zu stellen. 

Dr. med. H. Göhrum, 
prakt. Arzt. 


Ans der Zeitangsmappe. 

The Pacific Recorder , Febraar 1892. Natural 
and aquired immunity. — Present Stage of Syphi¬ 
lide Therapeutics, — Acidity and Digestion. 

The Pacific Record of Medicitte and Surgery^ 
Nr. 4 und 5, Nov., Dec. 1891. Experiences on 
Schwalb'es Radical Cure of Abdominal Hernia. — 
The Motive and Method of Blectricity in Pelvio In- 
flammations. — Electro Chemistry. — Germicidal 
Action of the Poles. — A New Application of this 
Method. — Pathology and Therapeutic of Gout. 

— Acute Gonorrhoea in Women. — A Case of 
Myiasis N&rium. — Recovery. — A New Method 
of Skin Grafting. — Automatic Menstrual Ganglia. 

— A New Theoiy of Menstruation. — Milk a 
Mikrobe Killer. — 4- New Alkaloid from Conium 
Maculatum is Announced. — On Medical Suggestion 
and Similar Topies. — Modecular Changes in Ner- 
vous Structure. — Demonstration of Toxine in 
the blood of a Man Affected with Tetanus. — 
Trichine Spiralis. — Imitation of Marble. — Living 
where there is no Air. — Muscular Action and 
Consumption of Substance in Man. — Treatment 
of Pulmonary Injections of Aristol. — Experiences 
of Soine Modern Hypnotics. — Active Principles 
in Cruciferous Seeds. — Massage of the Abdomen 
in the Constipation of Infants. 


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Expedition und Verlag von WUlan 8tslanetz (A Marggrafs homöopath. Officin) in Leipsig. 
Druck von Gressaer ft Sobraaai in Leipsig. 

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in ueipsig. 

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Band124. Leidig, d«n u. iprii i»m. No. 15u.l(i. 

ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Harggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig. 


apjpT* Braoheint Mtlgig an 3 Bogen. IS Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bnebhandlnngen and 
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werden mit SO/*/, pro einmal gespaltene Petitseile and deren Baam berechnet. — Beilagen werden mit 13 M. berechnet. 


Inhalt: Zar Feier von Hahnemann’e 137. Geburtstag. Von Dr. M&yntzer-Trier. — Die Zubereitung der 
Jeniohen'schen Hochpotenzeu. Von Dr. Herrn. Fischer in Wesfcend-Charlottenburg. — Nochmals Suggestion und 
Homdopathie. Von Dr. A. Pfänder Bern. — Zur Entgegnung. Von Dr W. Albert Haupt-Chemnitz. — Correapondenz. 
Von Dr. J. Lembke Riga. — Toxloologiaohea. — Vermiaohtea. — Epldemiologiache Ecke. — Referat. — Geburtstagsfeier 
Habuemuans. — Peraonalia. — Berlobtigung. — Anzeigen. 


Zur Feier von Hahnemann’s 137. Geburtstag. 

(Lied nach: »Ich hab’ mich ergeben* etc.) 

Von Dr. Mayntzer in Trier. 


Wir sind hier zusammen 
Zu Hahnemann's Ruhm, 

Uns Alle zu entflammen 
An seinem Wort und Thun. :: 

Er hat uns errungen 

Die Wahrheit, — ein Licht, 

:j: Das preisen alle Zungen, — 

Nur Ignoranten nicht. :j: 

Mag Sturm um sie wehen 
Mit Acht und mit Bann, 

Nicht bangt! — sie bleibt bestehen 
Trotz Uebermacht und Wahn. 

Der Kampf ja hienieden 
Dem Guten bescheert; 

Er bringt auch einmal Frieden, 

Der unsre Sache ehrt. 

Kommt, Gegner, herüber, 

Durchkostet sein Reich! 

:: Ihr bleibt bei Ihm dann lieber, 
Der gleicht der deutschen Eich*. :: 


Eur planloses Reisen 
Für Menschen und Vieh 
:: Ist fort im Stein der Weisen, 
— Der Homöopathie. :: 

Bacillen und Sporen 
Im kranken Substrat, 

:: Was fürcht* Ihr sie, ihr Thoren, 
Wenn Ihr auf bess’rem Pfad?! 

Drum lasst euer Schmähen, 

Da uns — solche Sach’! 

Nein, Harmonie thut säen! 

Ihr müsst ja doch uns nach. :: 

Lasst trinken uns Feuer 
Im Gro8sdosen - Maass, 

:j: Das lodre hoch und theuer 
Dem Freund und Feind fürbass! 

Stosst an, Sinnesbrüder, 

Mit frohem Pokal! 

Lasst sehen bald uns wieder, 

Nie fürchten Feind und Zahl! 


15 

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114 


Die Zubereitung der Jenichen’schen 
Hochpotenzen. 

Von Dr. Herrn. Fischer in Westend-Charlottenburg. 

Ueber die Jenichen'scben Hochpotenzen und 
namentlich über die Herstellung derselben ist von 
jeher so viel vermuthet und gefabelt worden, dass 
es mir an der Zeit zu sein scheint, die wahren 
Verhältnisse bekannt zu geben. 

Noch in neuester Zeit hat College Kunkel-Kiel 
in der Allg. Hom. Ztg. Band 123 S. 207 erklärt, 
dass Constantin Hering das Geheimniss der Zu¬ 
bereitung mit ins Grab genommen habe und dass 
längst nachgewiesen (?) sei, die Zahl der Hoch¬ 
potenzen z. B Natr. mur. 5000 sei nicht wörtlich 
zu nehmen, vielmehr habe Jenichen das Haupt¬ 
gewicht auf die Kraft seines Athletenarmes gelegt. 
Beide Aeusserungen entsprechen, wie aus dem Nach¬ 
folgenden zu ersehen ist, nicht der Wahrheit. 

Jenichen hat das Geheimniss der Zubereitung 
seiner Hochpotenzen an Constantin Hering mit- 
getheilt unter der ausdrücklichen Bedingung, dass 
Hering erst nach Jenichen’s Tode wieder einem 
Andern Mittheilung machen dürfe; es sollten immer 
nur zwei Lebende um die Sache wissen. Als Jeni¬ 
chen gestorben war (bekanntlich hat er sich selbst 
entleibt), theilte Hering seinem Schwager Hartlaub 
die Zubereitung mit. Ende der siebenziger Jahre, 
als Hartlaub in Blankenburg-Thüringen lebte, wurde 
ich mit diesem hochbetagten Collegen persönlich 
bekannt und erfuhr dann gesprächsweise von ibm, 
dass er die Zubereitung der Jenichen’sohen Hoch- 
potenzen kenne. Auf meinen Wunsch, mir dies 
Geheimniss mitzutheilen, erwiderte er, dass er dies, 
solange Hering lebe, nicht dürfe; dabei erfuhr ich 
auch die oben erwähnte Bedingung, welche bis da¬ 
hin an solche Mittheilung geknüpft war. Als ich 
dann nach einigen Jahren wieder in Blankenburg 
weilte und nunmehr Hering inzwischen verstorben 
war, erfuhr ich von Hartlaub das, was ich nun be¬ 
kannt geben werde. Irgend eine Bedingung hatte 
mir Hartlaub nicht aufgelegt, so dass ich also ganz 
frei und unbeschränkt meine Kenntniss veröffent¬ 
lichen kann. Wiederholt habe ich Hartlaub gebeten, 
selbst diese Veröffentlichung vorzunehmen; er hatte 
keine Lust dazu und meinte, wenn das Geheimniss 
auch verloren ginge, so wäre es gerade kein Schade 
für die Homöopathie. Ich habe mit den aus dem 
Jenichen sehen Nachlass in Wismar bezogenen Hoch¬ 
potenzen recht schöne Erfolge gehabt und möchte 
demnach der Hartlaub’schen Ansicht nicht unbe¬ 
dingt beipflichten; immerhin ist es aber für die Ge¬ 
schichte der Homöopathie gewiss interessant, dass 
über die Zubereitung dieser Hochpotenzen die Wahr¬ 
heit ans Licht kommt, damit die vielen über diese 


Angelegenheit umgehenden Fabeln und Vermuth¬ 
ungen von nun an verstummen. 

Verschiedenen Collegen habe ich mündlich mit- 
getheilt, was ich von Hartlaub erfuhr; da ich mich 
aber nun der Sieben zig nähere und bereit bin, über 
kurz oder lang ebenfalls zur grossen Armee ab¬ 
berufen zu werden, so will ich doch nun selbst 
das, was ich weiss, der Oeffentlichkeit übergeben. 

Bis zur dreissigsten einschliesslich wird streng 
nach Hahnemann potenzirt; für die 31. Potenz wer¬ 
den 200 Tropfen Spiritus in ein solches Gläschen 
gethan, dass dieses Gläschen 2 / 3 —*/4 gefällt ist; 
dazu 2 Tropfen der 30. Potenz und nun wird mit 
12 kräftigen Schlägen tüchtig durchgesohüttelt *) 

Mit demselben Gläschen hat Jenichen unter 
Anwendung von Spiritus und 12 Schüttelscblägen 
bis 200 potenzirt und zwar nach Korsakoff d. h. die 
31. Potenz wird ausgegossen, das Gläschen aus¬ 
geschwenkt, so dass etwa 2 Tropfen an den Wänden 
hängen bleiben; nun werden wieder 200 Tropfen 
Spiritus dazu gethan und 12 SchüttelSchläge ge¬ 
geben, so geht es fort nach Korsakoff bis 200. Von 
200 an beginnen die Hochpotenzen, die folgender- 
massen hergestellt werden. Man nimmt ein ent¬ 
sprechend grösseres Glas, das, auch 2 / 3 — 3 / 4 ge¬ 
füllt, 12000 Tropfen enthält; hierzu kommen von 
der 200. Potenz 2 Tropfen; es wird also mit ver¬ 
mehrtem Vehikel potenzirt; nun gab Jenichen 
auch 30 Schüttelschläge statt 12 und nahm für 
dieses weitere Potenziren von 200 an, aber immer 
mit demselben Glas und nach Korsakoff, nicht 
Spiritus, sondern Wasser aus dem Schweriner 8 ee 
(Schwerin in Mecklenburg); die Potenzen, welche 
aufbewahrt werden sollten, erhielten natürlich nicht 
Wasser, sondern Spiritus, um vor dem Verderben 
geschützt zu sein. Wer mit einem solchen grösseren 
Glase, das 2 / 3 — 3 / 4 gefüllt ist, potenzirt, kann jeden 
Augenblick das bespöttelte und ironisch besprochene 
* Klingen, wie kleines Silbergeld* hervorrufen. 

Vielfache Zweifel sind ausgesprochen worden, 
dass es möglich gewesen sei, alle die Potenzen in 
besprochener Weise regelrecht herzustellen; wenn 
man aber weiss, dass Jenichen Tag für Tag un¬ 
unterbrochen potenzirte, dass er, wenn seine Kräfte 
etwas nachliessen, sich von Andern stützen und 
halten liess, um mit seinem rechten Arm weiter zu 

*) Vielleicht interessirt es die Leser, tu erfuhren, 
wie unser Hahnemann die Schüttelschläge aasführte; 
er nahm das Gläschen so in die Hand, dass der Boden 
desselben auf dem letzten Gliede des rechten Mittel¬ 
fingers ruhte, die untere Fläche des letzten Daumen¬ 
gliedes auf dem Korke las; das Gläschen wurde also 
nur mit Daumen und Mittelfinger gehalten; nun machte 
er, indem er mit der Hand einen grossen Bogen nach 
aussen beschrieb, einen kräftigen Schüttelschlag. Auch 
diese Kenntniss verdanke ich dem alten Hartiaub, der 
als Famalus von Hahnemann oft genug den Meister in 
der beschriebenen Weise potenziren sah. 


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labt, so wftren wohl d 
it zu Stande gekommen. 
15 * 


oo 


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116 


Es existirt ein 1847 gemaltes Oelgeraälde von 
Jenichen, das ihn, in Brnstbildform, lebensgross dar¬ 
stellt. Ich sah das Bild zuerst bei dem verstorbenen 
Kreisphysikus a. D. Dr. Wolf, der über Apis und 
Thuja schrieb; wenn ich recht unterrichtet bin, so 
hatte Wolf das Bild von Stapf erhalten. Wolf 
hatte das Gemälde mir zugedacht; nach seinem 
Tode kam es aus Gründen, die nicht hierher ge¬ 
hören, an College Mertens, der es später mir über¬ 
gab. Die rechte Körperhälfte ist bis zur Brust¬ 
warze entblöst, so dass man die obere nackte Brust 
und namentlich den athletisch geformten nackten 
rechten Arm, dessen Hand das Potenzirglas fest 
umschliesst, in seiner ganzen Kraft erblickt; das 
Gesicht, unter den Augen etwas gedunsen, ist dem 
Beschauer voll zugewandt und von dunkelbraunem 
Vollbart umrahmt; die Enden des Schnurrbartes 
sind etwas nach oben gedreht; der Kopf, mit braunem, 
vollen, etwas wirren Haar bedeckt, sitzt auf einem 
riesigen Stiernacken. Auf dem Potenzirglas steht 
Ars. 40000. Die Hand mit dem Potenzirglas habe 
ich in natürlicher Grösse von dem Bilde abgezeich¬ 
net und gebe sie zur deutlicheren Veranschau¬ 
lichung. 

Ich habe,bestimmt und erkläre auch hier noch 
ausdrücklich, dass nach meinem Tode Jenichen’s 
Bild dem homöopathischen Krankenhause in Leipzig 
übergeben und dort an passender Stelle aufgehängt 
werden soll. 


Nochmals Suggestion und Homöo¬ 
pathie. 

Von Dr. A. Pfänder in Bern. 

In Folge gänzlicher Inanspruchnahme durch die 
Praxis komme ich erst jetzt dazu, auf die Kritik 
meines Aufsatzes durch College Gerster in München 
in No. 7 u. 8 dieser Zeitschrift zu antworten. Ich 
werde zwar nicht nochmals näher auf alles eingehen, 
sondern nur auf einige Punkte hinweisen, in denen 
ich mit den Ausführungen Gersters nicht einver¬ 
standen bin, während ich anderen eine gewisse Be¬ 
rechtigung nicht abstreiten will. 

Dass College Gerster mit dem Wesen der Sug¬ 
gestion sehr vertraut ist, geht aus seinen Bemerk¬ 
ungen hervor; allein es macht mir den Eindruck, 
als ob nicht nur er, sondern auch andere Aerzte, 
die sich näher mit dem Studium des Suggestionis¬ 
mus befasst haben, diesem doch eine gar zu grosse 
Wirkung einräumen und ihn als zu allgemein und 
zu jeder Zeit mitspielend ansehen. Sie scheinen 
mir in dieser Beziehung in den nämlichen Fehler 
zu verfallen, wie diejenigen, welche in jeder Be¬ 
findensveränderung eines Patienten zum Besseren 
eine Arzneiwirkung sehen wollen — diese letzteren 


beachten den Suggestionismus zu wenig, 
erstere übersehen ganz die doch sicher sehr oft 
eintretende thatsächliche Mittel Wirkung, 
welche nur ein Skeptiker von Beruf, möchte ich 
sagen, so sehr in Zweifel ziehen kann. Und auch 
die Vertheidiger de«« „Suggestionismus überall* wer¬ 
den nicht immer die Wirkung der Naturheilkraft 
von derjenigen der Suggestion unterscheiden können. 

Das führt mich gerade auf den Punkt, den ich 
schon in meinem Vortrag berührt habe: dass näm¬ 
lich eine mathematische Gewissheit in Bezug 
auf Arzneiheilwirkung (worunter auch der Sug¬ 
gestionismus zu verstehen ist) überhaupt nicht vor¬ 
handen ist, und zwar auch dann nicht, wenn alles 
in Betracht gezogen wird, was Gerster verlangt. 
Denn dazu müsste das gleiche Individuum zum 
zweiten Mal in denselben Krankheitszustand unter 
denselben allgemeinen Bedingungen versetzt werden 
können, so dass das eine Mal der „Natur" allein 
der Lauf gelassen, das andere Mal Arznei angewandt 
werden könnte. Erst dann hätte man völlige Ge¬ 
wissheit, was der Arznei zuzuschreiben ist und was 
nicht — aber das ist eben unmöglich. Jedoch auch 
im Falle der Möglichkeit liesse sich immer noch 
der Einwand geltend machen, das eine oder andere 
Mal könne eine Autosuggestion unerkannter Weise 
mitgewirkt haben. Ueberhaupt liesse sich die Frage 
aufstellen, ob und inwiefern die Autosuggestion in 
die sogenannte Naturheilkraft einzubegreifeu ist 
oder nicht. 

College Gerster verlangt besonders, dass die 
psychische Persönlichkeit der Patienten immer 
berücksichtigt werden müsse. Er verlangt aber da¬ 
mit mehr, als die homöopathischen Aerzte bisher 
gethan haben und noch thun, indem sie in vielen 
Fällen durch psychische Symptome oder den 
Charakter des Patienten die Mittel wähl beein¬ 
flussen lassen; er will, dass man die psychische 
Persönlichkeit auch in Bezug auf die Suggesti- 
bilität prüfe, um brauchbare Krankengeschichten 
zu bekommen. 

Das ist nan ganz scbön und mag in vielen 
Fällen möglich sein; in der Mehrzahl der Fälle ist 
es aber unmöglich, entweder aus Mangel an Zeit 
oder weil man den Patienten nur einmal (oder gar 
nicht) gesehen hat und eine oberflächliche Prüfung 
keinen Werth hätte. Zudem giebt es gewiss sehr 
viele Fälle, in welchen es auf die psychische Indi¬ 
vidualität gar nicht ankommt. 

Wenn dann College Gerster behauptet, die 
Wirkung der Suggestion sei in der Homöopathie 
eine andere als in der Allopathie, so kann ich das 
nicht zugeben. Ich glaube nicht, dass im All¬ 
gemeinen die homöopathischen Aerzte die Patienten 
stärker suggestiren als die allopathischen; denn es 
giebt unter diesen sehr viele, die mit einem ganz 
gehörigen Aplomb aufzutreten wissen und somit 


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ihre Patienten stark suggestiv beeinflussen. Es 
wird auch Niemand leugnen wollen, dass die Herren 
Professoren ihre Studenten nicht ganz gehörig 
gegen die Homöopathie suggestiv zu bearbeiten 
wissen. Ich glaube auch nicht, dass diejenigen 
Patienten, die nur auf die Allopathie (um diesen 
Ausdruck zu gebrauchen) schwören — und das ist 
bis jetzt noch die grosse Mehrheit — weniger 
„Glauben" in die Therapie ihrer Aerzte haben, als 
die Anhänger der Homöopathie. Dass unter diesen 
im Ganzen mehr „Gläubige* in religiösem Sinne 
zu finden sind im Verhältnis zu denen, die sich 
allopathisch behandeln lassen, mag dagegen rich¬ 
tig sein. Es kommt dies wohl daher, dass zum 
„Glauben“ an die Wirkung kleinerer materieller 
Agentien das Vorhandensein eines religiösen Glaubens 
mehr disponirt. Bei uns giebt es aber Anhänger 
der Homöopathie in allen Klassen, nicht nurbe- 
sonders im „Adel und Clerus“, wie College Gerster 
meint, und ich habe in meiner Praxis schon sehr 
viele ganz freidenkende Patienten gehabt, die einfach 
durch die Macht der Thatsachen zur Anerkennung 
der Wirkung homöopathischer Arzneien gezwungen 
wurden. Ob die homöopathischen Aerzte verhält- 
nissmässig mehr „gläubige“ oder „psychisch feiner 
empfindende" Leute zählen als die Allopathen, weiss 
ich nicht, kenne aber viele allopathische Aerzte die 
ganz streng orthodox sind. 

Dass ferner das Selbstdispensiren ein the¬ 
rapeutischer Vorzug der Homöopathen sein soll, 
ist mir nicht begreiflich. Auf dem Lande giebt es 
doch gewiss sehr viele selbstdispensirende Allopathen, 
und ich selbst habe als Allopath früher selbst dispen- 
sirt, konnte aber trotzdem als Homöopath therapeu¬ 
tisch bessere Erfolge konstatiren. 

Wenn Gerster nicht zugeben will, dass man 
an 1 — 2 jährigen Kindern, an bewusstlosen 
Kranken und an Thieren die Wirkung der homöo¬ 
pathischen Arzneien demonstriren könne, so ist es 
freilich nöthig, dass er hinzusetzt, er bestreite „über¬ 
haupt" eine therapeutische Wirkung derselben nicht. 
So genau kennt man denn doch den ungefähren 
Verlauf vieler Krankheiten und ihrer Complicationen, 
dass man mitunter blosse Naturheilung ausschliessen 
darf. Freilich hat der Behandelnde bei jeder Krank¬ 
heit wohl viel unmittelbarer und lebhafter den Ein¬ 
druck (doch wohl auch einmal ohne Autosuggestion!), 
dass die Arzneien günstig gewirkt haben, als der¬ 
jenige, der die Krankengeschichten liest, in welchen 
zugestandenermassen selten alles das angegeben und 
in Betracht gezogen wird, was auf den Leser (und 
besonders Gegner!) völlig überzeugend wirkt. Die 
Allopathen haben ja überhaupt auf alle noch so 
eclatanten homöopathischen Heilwirkungen die Ant¬ 
wort parat: „das war Naturheilung!“ Es hat sich 
eben bei ihnen die Allosuggestion zur Autosuggestion 
ausgebildet, die sie keine homöopathischen Heilwirk¬ 


ungen anerkennen lässt Trotz der in vielen Be¬ 
ziehungen mangelhaften Krankengeschichten möchte 
ich aber doch dagegen protestiren, sie alle als 
Makulatur aufzufassen, wie Gerster es thut; ich 
wenigstens habe meiner subjectiven Ansicht nach 
schon mancher Krankengeschichte, die ich in unsem 
Journalen las, gute therapeutische Resultate zu ver¬ 
danken gehabt^ auch wenn sie nicht allen Anforder¬ 
ungen vom Collegen Gerster entsprachen. Und ich 
werde mit dieser Ansicht über den Werth . der 
Krankengeschichten wohl nicht allein stehen. 

Wenn einmal die Anschauungen über den Sug¬ 
gestionismus und seine „Allgegenwart“, wie sie uns 
Gerster vorfübrt, allgemein anerkannt werden in 
dem Sinne, dass er sowohl nervöse wie organische 
Leiden bessert und heilt, so muss folgerichtig 
wiederum eine Periode des therapeutischen Nihilis¬ 
mus (mit Ausnahme des Universalheilmittels „Sug¬ 
gestion“) entstehen, und dann wird sich wohl zeigen, 
ob nicht doch bei arzneilicher Behandlung mit 
oder ohne Suggestion die Erfolge günstiger sind 
oder waren. Die Beobachtungen von Wetter- 
strand über Heilung oder Besserung verschiedener 
organischer Veränderungen waren mir übrigens 
nicht bekannt und werden auf directe Beeinflussung 
des in Folge der Suggestion richtiger arbeitenden 
Nervensystems zurückzuführen sein. Mit dieser Art 
des Heilungsvorganges würde übrigens die Ansicht 
stimmen, dass auch die in verfeinerten, homöopa¬ 
thischen Gaben gereichten Arzneien durch Ver¬ 
mittelung des fein reagirenden Nerven¬ 
systems auf die erkrankten Organe wirken und 
nicht direkt auf diese letzteren. 

„Bei der Besserung nach einem Mittel“, sagt 
Gerster, „das nach verschiedenen erfolglosen 
Mitteln, und bei einem solchen, das ohne Wissen 
des Kranken gegeben wurde, müsste in jedem 
Einzelfalle festgestellt werden, ob nicht die Krank¬ 
heit auch ohne Medication eine gute Wendung hätte 
nehmen können, und ob der gleiche Erfolg bei 
irgend einem andern Mittel ebenfalls eintrat.“ Diese 
Forderung ist nun in Praxi nur selten durchzu¬ 
führen und liesse immer noch den Einwand offen, 
die Krankheit hätte sich von selbst bessern können, 
wenn man nicht gerade warten will, bis der Patient 
hoffnungslos ist Wenn aber eine acute Krankheit, 
die z. B. gar nicht behandelt wurde, immer schlimmer 
sich gestaltet, ja einen letalen Ausgang befürchten 
lässt, und sie nun auf ein gereichtes Mittel auf¬ 
fallend rasch sich zum Guten wendet, und wenn 
disses Mittel sich schon oft bei ähnlichen Indica- 
tionen bewährt hat, so ist die Wahrscheinlichkeit 
so gross als nur möglich, dass wirklich das Mitte 1 
geholfen hat. Ebenso verhält e6 sich, wenn vorher 
andere, namentlich homöopathische Mittel gegeben 
werden, die, wenn sie nicht wirkten, spurlos am 
Körper vorübergingen, und nun ein anderes M’ttel 


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rasch Aenderung bringt. Mit dem Ein wand, die 
Autosuggestion habe sich geändert, ist jedenfalls 
kein Gegenbeweis geliefert! 

Aebnlich ist es bei chronischen Krankheiten, die 
Jahre lang gleich blieben oder sich verschlimmerten, 
trotz Medieation und der unfehlbar schon lange 
mitwirkenden Saggestion. Wenn hier auf ein Mittel 
plötzliche Besserang eintritt, so ist wenigstens mit 
grösster Wahrscheinlichkeit anf Mittelwirknng als 
Grand der Veränderung zu schliessen. Dass anch 
in solchen Fällen mitunter von selbst plötzliche 
Aendernng resp. Besserung eintritt, will ich nicht 
in Abrede stellen. Wenn einmal der gleiche Er¬ 
folg auch bei einem andern Mittel eintritt, so ist 
dies kein Beweis gegen die Wirkung des früheren 
Mittels, da ganz gewiss auch mitunter einem Falle 
zwei Similia entsprechen können. 

Jeder homöopathische Arzt hat wohl so oft 
Gelegenheit gehabt, die allgemeine Indication von 
Ehus tox: „besser bei Bewegung, schlimmer bei 
Ruhe“, oder von Pulsat: „besser im Freien, 
schlimmer im Zimmer“ etc. etc. bewährt zu finden, 
dass er sie trotz aller Suggestionsmöglichkeit immer 
wieder in geeigneten Fällen anwenden wird, wenn 
9ie auch nicht in jedem Fall (trotz unbewusster 
oder bewusster Suggestion!) gewirkt haben, weil 
eben auch noch andere Mittel ähnliche Indicationen 
haben und die übrigen 8ymptome nicht für die er¬ 
wähnten Mittel gestimmt hatten. 

Doch genug damit. Es soll mich freuen, wenn 
auch andere Collegen noch etwas zur Erörterung 
der behandelten Fragen beitragen. 

Trotz meiner in Manchem abweichenden An¬ 
sichten begrüsse ich die Auseinandersetzungen 
Gersters, da ein Thema immer möglichst von 
verschiedenen Seiten beleuchtet werden soll, und 
ich hoffe, sie werden dazu beitragen, dass die ho¬ 
möopathischen Aerzte sich etwas nüher mit dem 
Studium der Suggestionserscheinongen befassen. 

Zar Entgegnung. 

Von Dr. W. Albert Haupt in Chemnitz. 

Motto: „Siehe zu, dass Du in Deinem Thun und 
„Lassen als praktischer Arzt Deinen Geg- 
„nein gegenüber beweisest, dass der mys- 
„tische, paradoxe, abenteuerliche Anstrich, 
„den man der Lehre Hahnemann’s ge¬ 
lben, durchaus kein nothwendiges At¬ 
tribut derselben sei, und dass man bei 
„der Ausübung der Homöopathie weder 
„mit dem hausbackenen gesunden Men¬ 
schenverstände, noch mit den Gesetzen 
„der Logik und Physik in Zwiespalt zu 
„gerathen brauche.“ Watzke. 

Herr Dr. Kunkel in Kiel erzählt in Nr. 9/10 
dieser Zeitung (Bd. 124) „eine kurze Krankenge¬ 


schichte“ von einem Obstruirten, der nach vergeb¬ 
licher Anwendung von Opium 3. C. durch Opium 
200. (Lehrmann) geheilt wurde, knüpft daran eine 
Belehrung über das, was ein „unbefangener Natur¬ 
forscher“ kann und was er soll und greift mich 
persönlich an, weil ich in meinem Artikel „Nil 
novum sub sole“ (vide diese Zeitung Bd. 123, 
Nr. 23/24) meine Competenz überschritten und die 
Wirkung der Hochpotenzen abgeleugnet hätte. 

Die Schlussworte dieser meiner Arbeit: 

„Möchte nur Jeder seine Ueberzeugung stets 
mit ebensoviel Bnhe, Würde und Wissenschaft¬ 
lichkeit und so rein sachlich vertheidigen, als 
dies Prof. Wesselhoeft gethan hat!* 
sind also von Herrn Dr. Kunkel nicht beachtet, 
meine Darlegungen überhaupt wohl im Aerger über 
meinen Unglauben nur ganz flüchtig gelesen wor¬ 
den, denn sonst müsste er ja gefunden haben, dass 
ich die Möglichkeit der Wirkung von Verdün¬ 
nungen, welobe über die 12. Centesimale hinaus¬ 
gehen, dnrchaas nicht in Abrede stelle (vide 1. c. 
pag. 188), sondern nur die Nothwendigkeit 
bestreite, die Verdünnungen bis ins Unend¬ 
liche fortzusetzen. Und zwar leitet mich dabei 
allerdings „mehr als edle Opposition“, nämlich der 
heisse aufrichtige Wunsch, soviel in meinen Kräften 
steht dazu beizutragen, dass die herrliche Schöpfung 
Hahnemanns von dem Fluche der Lächerlichkeit, 
Phantasterei und Unwissenschaftlichkeit, den die 
unseelige Potenzirwuth auf sie geworfen, befreit 
werde und zu immer grösserer Verbreitung gelange. 

loh stimme voll und ganz Hirschei bei, wenn 
er in seinem Artikel: „Ueber die Ursachen der 
Rückschritte der Homöopathie in Anerken¬ 
nung der Aerzte“ (Neue Zeitschr. für homöop. 
Klinik, Bd. 17, pag. 90) sagt: 

„Die kleinen Gaben der Homöopathie sind ein 
„grosses, ja das grösste Hinderniss für deren Ver¬ 
breitung; vielleicht würde ohne dieselben die 
„Annahme der Homöopathie auch bei der andern 
„Schule mit der Zeit eine allgemeine werden, 
„wenn die Anschauung der Homöopathie als Specifi- 
„tätslehre sich Bahn brechen könnte und ihr nicht 
„dabei das Hinderniss, welches die Anwendung 
„hoher Verdünnungen der gewöhnlichen Auf- 
„fassung bietet, im Wege stünde.“ 

Seit dem Jahre 1857, in dem ich mich zu der 
Hahnemann'schen Heilmethode bekehrte, habe ich 
eine ziemlich grosse Anzahl allopathischer Aerzte 
dahiu gebracht, homöopathische Schriften zu lesen, 
Einige davon anch vermocht, Versuche mit homöo¬ 
pathischen Mitteln am Krankenbette zu machen; 
ja ich bin sogar so glücklich gewesen, zwei Pro- 
moti von der Wahrheit der Homöopathie soweit 
zu überzeugen, dass sie in ihrer Praxis überall, wo 
es sich thun lässt, homöopathisch behandeln. Es 
ist mir aber auch nicht ein einziges Mal 


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vorgekommen, dass irgend Einer sich mit 
dem Gedanken an die Wirksamkeit der Hoch¬ 
potensen befrenndet hätte, wohl aber wieder¬ 
holt passirt, dass Solche, welche durch die Lektüre 
geeigneter Werke für die Lehren Habnemann’s 
günstig gestimmt worden, vor weiterem Stodinm 
und vor praktischen Versuchen zorückscbreckten, 
als sie lasen, in welcher Weise homöopathische 
Aerzte für die Anwendung hoher nnd höchster 
Potenzen plaidirten 

Noch vor Kurzem schrieb mir ein Allopath, der 
ein prachtvolles bakteriologisches Laboratorium be¬ 
sitzt und sich durch mehrere wichtige Entdeckungen 
auf dem Gebiete der Pilztheorie einen geachteten 
und bekannten Namen gemacht hat: 

„Ihre Arbeit über Diphtherie*) hat mich sehr 
»interessirt Ieh bin zwar kein Homöopath, viel¬ 
leicht, weil ich bis jetzt noch zu wenig Gelegen- 
„heit hatte, mich von den Erfolgen der Homöo- 
„pathie zu überzeugen, finde aber das wissenschaft¬ 
liche Vorgehen der modernen Homöopathen höchst 
„ sympathisch/ 

Nun, an Stelle dieser Sympathie würden un¬ 
fehlbar mitleidiges Lächeln, Spott nnd Hohn treten, 
kämen dem Herrn Dr. med. P. zufällig Knnkel’- 
sche Krankengeschichten mit Hochpotenzen zu Ge¬ 
sichtei 

Sehen wir uns die neueste derselben einmal 
etwas genauer an! 

Herr Dr. Kunkel giebt, weil Opium 3. C. die 
Verstopfung „womöglich noch hartnäckiger“ machte, 
Opinm 200, worauf regelmässiger Stuhlgang eintrat. 

Ist dadurch aber der Beweis für die Wirksam¬ 
keit der Hocbpotenzen, den er liefern wollte, wirk¬ 
lich erbracht? 

Ganz gewiss nicht! Denn Herr Dr. K. hat die 
200. nicht selber angefertigt, sondern von einem, 
bereits 1869 verstorbenen Apotheker bezogen und 
nimmt nun nach blossem Hörensagen, auf Treu 
und Glauben an, dass sie lege artis gemacht sei 

Gesetzt, ich beabsichtigte zu beweisen, weisse 
Ratten wären nicht gegen Milzbrand immun und 
ich Hesse mir von einem Fabrikanten bakteriologi¬ 
scher UtensiHen, der auch Reincultnren pathogener 
Spaltpilze versendet, eine Bouilloncultur vom Ba¬ 
cillus anthracis schicken, benutzte dieselbe aber, 
ohne sie auf ihre Echtheit und Reinheit mittelst 
des Mikroskops und mittelst Platten- und Stich- 
culturen zu prüfen, zu Impfungen an solchen Thieren 
und veröffentlichte dann die erhaltenen positiven 
Resultate, so würde mich jeder Bakteriologe ein¬ 
fach auslachen — — und das mit Recht! Ein 
„unbefangener Naturforscher“ darf eben nicht 

*) W. A. Haupt: „Die Aetiologie der Diphtherie/' 
Separatabdruck aus der Zeitschrift des Berliner 'Ver¬ 
eines homöopath. Aerzte. Berlin. B. Bebr’s Verlag. 18 $ 1. 


glauben, sobald es sich darum handelt, einen Be¬ 
weis zu führen. 

Herr Dr. K. glaubt indes« an die Richtigkeit 
der L eh rin an n sehen Hocbpotenzen — das ist 
seine Sache — aber er soll solchen Glauben nicht 
auch von Anderen verlangen! 

Wer hat denn ihren Verfertiger bei seiner Ar¬ 
beit controlirt? Wie nun, wenn er seine 200t nicht 
mit je 2C0 Gläschen, sondern immer nur mit 
einem einzigen, das er ausgegessen und 199mal 
wieder gefüllt*) oder wenn er gar nur die 6. 
oder 10. mit je 2C0 Sehüttelsohlägen ge¬ 
macht hätte? 

Ich besitze ein halbes Dutzend Mittel, die von 
mir seihst, genau nach unseres giessen Meisters 
Vorschriften, bis zur 30. potensurt worden sind 
und kann deshalb auch wohl beurtkeilen, wie seit¬ 
rauhend und mühselig die Herstellung einer 200. 
sein muss. 

Katsch schildert dieselbe ausführlich in seinem 
Artikel: »Ein Vorschlag zur Klarlegung der 
Frage: was und wie wirken Hochpotenzen?“ 
(Allgem. hom. Zig. Bd. 89, Nr. 24 u. 25), den ich 
allen Denen, die für hohe Verdünnungen schwärmen, 
angelsgentliehst zur Lektüre empfehle. 

Dis von ihm angefertigten, nieht ansuzweifelu- 
den 18 Hochpotenzen Hess ich mir seiner Zeit 
kommen und versuchte mehrere davon in obroni 
sehen Fällen, wo die Symptome gana unaweideutig 
auf ein bestimmtes Mittel hanwieseo, habe aber 
auch nicht ein einziges Mal darnach aiae Wir¬ 
kung beobachtet, die mit absoluter Sicherheit der 
gereichten Arznei zmitnchreiben gewesen wäre, wäh¬ 
rend hinterher dasselbe Mittel in tiefen Verdün¬ 
nungen in augenfälliger Weise wirkte. 

Soweit ich mich erinnere, ist auch Niemand in 
den homöopathischen Zeitungen aufgetreten, der die 
Katsch*schen, ohne allen Hokuspokus hergestellten 
Hochpoteazen besonders gerühmt hätte. 

Wie es aber in Apotheken, die nur nebenbei 
homöopathische Medikamente führen, mit der Be¬ 
reitung von hohen Verdünnungen oft zugebt, davon 
einige Beispiele: 

Ich kaufte früher in einer hiesigen Officin Ur¬ 
tinkturen und erste Verdünnungen (weitere Ver¬ 
dünnungen machte ich mir selbst!) und traf da 
öfters Leute, welche die 30. verlangten. Als ich 
mich nun einmal erkundigte, auf welche Weise 

*) Dass auf diese Weise keine exakten hohen 
Potenzen za erzielen sind, kann Jeder leicht sehen, 
der sich eine concentrirte wässrige Lösung von Fuchsin 
anfertigt und in einem nnd demselben Fläschchen 
nach der Hahnemann'schen Scala verdünnt. Der Kork 
giebt dann, oft nach einer sehr grosses» Zahl von Ver¬ 
dünnungen, die schon ganz farblos geworden, auf ein¬ 
mal wieder Farbpartik eichen ab, die in seinen Löchern 
und Poren zurückgeblieben waren. Das Gleiebe ge¬ 
schieht natürlich auch mit den Anmeistoffea. 


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wohl diese Potenz hergestellt würde, antwortete 
mir der Provisor: „Sie glauben doch nicht im 
„Ernste, dass wir so blödsinnig sind, bis zur 30. 
„zu verdünnen? . Wir geben die 6., darin ist 
„doch schon Nichts mehr, das wirken könnte, wo- 
„zu also den Unsinn noch weiter treiben?“ 

Vor vielen Jahren lernte ich bei Verwandten 
iu dem Bräutigam der Tochter vom Hause einen 
Apotheker kennen, der seine Lehrzeit in der Naum- 
burger Officin bestand, von welcher einer der be¬ 
rühmtesten Schüler Hahne mann 8, Dr. Stapf, 
einen grossen Theil seiner homöopathischen Arz¬ 
neien anfertigen liess. Wie mir nun der Phar- 
maceut erzählte, hielten die jungen Leute der Apo¬ 
theke die Homöopathie für puren Schwindel und 
gaben, wenn ihnen der Principal nicht auf dem 
Nacken sass, anstatt der verordneten Hochpotenz: 
reinen Spiritus oder leere Streukügelchen! 
Fragten sie dann später: „Nun, Herr Medicinalratb, 
wie hat denn die 30. gewirkt?“ so wurde ihnen 
erwidert: „Ganz ausgezeichnet, geradezu wunder¬ 
bar!“ und dies trug natürlich nicht dazu bei, die 
Bösewichter zu veranlassen, das nächste Mal ihre 
Pflicht zu thun. 

Wie viele, der von Stapf im „Archiv“ veröffent¬ 
lichten Heilungen mögen bei Anwendung solcher 
Schein-Arzneien zu Stande gekommen sein! 

Von einem Apotheker in der Lausitz weiss ich 
(durch seinen leiblichen Vetter, einen hiesigen Arzt), 
dass er sich geradezu rühmt, in seiner Officin sei 
ausnahmslos immer, wenn 30. oder noch höhere 
Potenzen auf oder ohne ärztliche Verordnung ge¬ 
fordert wurden, nichts Anderes als leere Streu- 
kügel dispensirt worden!!! 

Wer will es mir nach alle Dem verargen, wenn 
ich mich nicht zu dem Glauben an die Echtheit 
der Lehrmann’schen 200. aufzuscbwingen vermag 
und mich dem Kat sc h’schen Ausspruche anscbliesse: 

„Ich bekenne offen und bitte mir, dies nicht 
„übel zu deuten, dass ich den Besitzern käuflich 
„erworbener Hochpotenzen ein Anrecht zu com- 
„potenter Beurtheilung der rein wissenschaft¬ 
lichen und so tief einschneidenden Frage 
„bezüglich der Wirksamkeit der Hochpo- 
„tenzen nicht glaube zugestehen zu dürfen“ (1. c. 
pag. 190). 

Uebrigens würde ich die von Herrn Dr. Kun¬ 
kel mitgetbeilte Heilung selbst dann nicht als 
strikten Beweis für die Wirksamkeit der Hoch¬ 
potenzen betrachten, wenn sich die Lehrmann’schen, 
als wirklich lege artis ’zubereitet, erwiesen oder 
wenn sein Opium 20ü aus den, für mich über 
allen Zweifel erhabenen Apotheken des Herrn Dr. 
Schwabe oder des Herrn Steinmetz bezogen 
worden wäre; denn die Krankengeschichte lässt die 
Deutung zu, dass der r unter dem Gebrauche der 
Hochpotenz eintretende Stuhlgang nur eine Nach* 


Wirkung der zuerst gereichten tiefen Verdün¬ 
nen gvonOpium gewesen ist, nach welcher „die 
Verstopfung womöglich noch hartnäckiger wurde“ 
(Erstwirkung). Diese Annahme wird auch durch 
das, vom Vater des Patienten mit blossem Zucker 
angestellte Experiment, während welchem der Stuhl 
wieder eine harte Beschaffenheit zeigte, durchaus 
nicht widerlegt, da ja bekanntlich im Verlaufe 
glücklich behandelter chronischer Krankheiten zu¬ 
weilen noch Anklänge an völlig beseitigte Symptome 
zum Vorscheine kommen. 

Manchem Leser dürfte es wohl ergangen sein, 
wie mir, der ich mich fragte, warum gab Herr Dr. 
Kunkel, nachdem er die grosse Receptivität des 
Kranken für Opium 3. constatirt hatte, gerade 
die 200., obgleich die 30. von ihm „in einigen 
Fällen solcher Art mit Erfolg gebraucht“ worden 
war? Warum also nicht diese, oder auch die 10. 
oder 6.? 

Möchte er doch die Güte haben, uns hierüber 
zu belehren! 

Beiläufig bemerkt, finden sich in der homöo¬ 
pathischen Literatur viele Angaben, welche dafür 
sprechen, dass Opium in niederen Verdünnungen 
gegen gewisse Verstopfung besser wirkt, als höhere. 

So versagte z. B. Opium 30. bei einer, von 
v. Balogh behandelten Typhlitis stercoralis mit 
hartnäckigster Stuhlverstopfung vollständig, wäh¬ 
rend auf Opium 6. innerhalb 6 Stunden: „zwölf 
ungemein copiöse, sehr stinkende Stuhlentleerongen 
erfolgten“ (Neue Zeitschr. f. hom. Klinik, Bd. 15, 
pag. 191). 

Payr berichtet über einen Fall von Catarrhus 
intest, chronic., in welchem nach vergeblicher An¬ 
wendung von Purganzen, von Nux vom., Sulphur, 
Calc. carb., Natr. mur. und Lycop. in Folge des 
Verbrauchs von 6 Tropfen der ersten Dec.-Ver- 
dünnung von Opium (auf 12 Milch zuck erpulver 
vertheilt), der Stuhl sich regelte, Esslust und Schlaf 
zurückkehrte (1. c. pag. 126). 

Frßdault versicherte in einem, über die so¬ 
genannten homöopathischen Verschlimmerungen am 
4. December 1891 in der Pariser „Sociöte mödicale 
boraoeopathique“ gehaltenen Vortrage, er habe 
Opium in der 12., 30. und 500. Verdünnung er¬ 
folglos gegen Verstopfung gegeben, dagegen mit 
Erfolg in tiefen Verreibungen, und Katsch 
erklärt geradezu: „Opium ist mir jenseits der 10. 
Decimale zweifelhaft.“ 

Auch hiernach könnte man die Wirkung von 
Opium in Hochpotenz bestreiten, denn die genann¬ 
ten Aerzte haben ihre Aussagen sicherlich nur auf 
Grund ihrer Erfahrungen gemacht und sind doch 
ganz gewiss nicht weniger glaubwürdig als Herr 
Dr. Kunkel. 

Mit aller Bestimmtheit aber lässt sich behaupten, 
dass seine Krankengeschichte nach keiner Richtung 


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hin die Nothwendigkeit beweist, bis zur 200. 
hinauf8teigen zu müssen. Wäre der Patient wirk¬ 
lich über alle Maassen reizbar und empfänglich 
gegen Opium gewesen, so würden unter allen Um¬ 
ständen nach der zuerst gereichten, zu tiefen Ver¬ 
dünnung noch andere Arzneiwirkungen - 
ausser der Verschlimmerung der Verstopfung — 
ein getreten sein; davon berichtet aber der Autor 
Nichts! Ich bin deshalb auch felsenfest überzeugt, 
die 6. oder 10. hätte ebensogut geholfen! Wenn 
es^ über nicht* absolut nöthig ist, zu Hochpotenzen 
zu greifen; wenn dieselben nicht sicherer, schneller 
und angenehmer wirken, als jene Verdünnungen, 
welche noch Arznei-Moleküle enthalten, dann wird 
die Anwendung der Infinitesimalgaben lediglich 
Sache der Liebhaberei und des Experiments und 
verliert das Interesse für den nüchternen prak¬ 
tischen Arzt, der keine Lust verspürt, „weder mit 
dem hausbackenen, gesunden Menschenverstände, 
noch mit den Gesetzen der Logik und Physik in 
Zwiespalt zu gerathen.* 

Zum Schlüsse sei der Kunkel*schen Kranken¬ 
geschichte noch eine, aus meiner eigenen Erfahrung 
gegenübergestellt! 

Als ich noch in Baben stein wohnte, kam 
eines Tages der Soldat Bernhard Sander zu mir, 
der sich bei seinen Eltern auf Urlaub befand, und 
bat mich um ein homöopathisches Mittel gegen eine 
hartnäckige Verstopfung. Der kräftig gebaute junge 
Mann schob dieselbe auf den Genuss mehrerer 
Gläser schlechten, fuselhaltigen Branntweins, nach 
welchem ihm übel geworden war; bis dahin batte 
er immer regelmässigen Stuhlgang gehabt. Oeff- 
nung fehlte bereits neun volle Tage! 

Die ersten 3 Tage that er gar Nichts; dann 
fing das Ausbleiben der Ausleerung an, ihn zu be¬ 
unruhigen und er gab sich ein Paar grosse Warm- 
wasserklystiere; trank auch, da diese nichts fruch¬ 
teten, eine Abkochung von Sennesblättern und Faul¬ 
baumrinde, aber ebenfalls ohne Erfolg. Am 6. Tage 
consultirte er den allopathischen Hausarzt seiner 
Eltern, der ihm eine grosse Flasche bitter schmecken¬ 
der Medicin Verschrieb, und der am 8. Tage eine 
neue Verordnung machte, ohne das gewünschte 
Resultat zu erzielen. Einen ganzen Tag wartete 
Patient noch nach dem Einnehmen des letzten 
Löffels Arznei auf die Wirkung und suchte mich 
dann auf, einen Versuch mit der Homöopathie zu 
wagen. 

Das von mir angeistellte Krankenexamen ergab: 
Trockenheitsgefühl im Münde, Appetitsverlust, 
schlechten Schlaf, dumpfen Kopfschmerz und auf¬ 
getriebenen Unterleib. 

Die Mittelwahl verursachte mir in diesem Falle 
natürlich nicht die geringste Mühe. 

Bedeutend verminderte Darmperistaltik, Unter¬ 
drückung der Sekretion im Verdauungstrakte und 


daä^ plötzliche Auftreten dieser Erscheinungen bei 
einem sonst ganz Gesunden sprechen ja laut und 
deutlich für Opium. 

Ich besass von diesem Mittel eine, aus der Ur¬ 
tinktur selbst gefertigte 2. Decimal-Verdünnung 
und liess davon dem Patienten 3 Tropfen in 1 Ess¬ 
löffel Wasser gleich an Ort und Stelle einnehmen. 

Zwei Stunden darauf stellte sich Stuhldrang 
ein und es gingen mit einiger Beschwerde trockene, 
harte, bröckelige Knollen ab. Am Abend desselben 
Tages erfolgte noch eine zweite sehr reichliche, 
stinkende Ausleerung und danach auf einmal wieder 
lebhaftes Verlangen nach Nahrung und in der Nacht 
ununterbrochener erquickender Schlaf. Nach dem 
Erwachen kam nochmals ein sehr ergiebiger, weicher 
Stuhlgang und von da ab regelmässig wie früher 
jeden Morgen. 

Diese Heilung entbehrt freilich des Glorien¬ 
scheins, den nur die Hochpotenzen verleihen; indess 
zeigt sie doch, dass man auch mit tiefen Ver¬ 
dünnungen streng nach Similia similibus heilen 
kann und zwar, ganz wie Hahnemann es wollte: 
tuto, cito et jucunde! 


Correspondenz. 

Riga, Februar 1892. 

Wie die Tagespresse meldet, ist die neue Apo¬ 
theker-Taxe mit dem 1. Januar 1892 in den Apo¬ 
theken von Petersburg und Moskau in Kraft ge¬ 
treten, für das übrige Reich beginnt ihre Geltung 
mit dem 1. Juli 189*. In Folge dieser Taxe, wie 
auch die Tagespresse berichtet, haben einige Apo¬ 
theker in Petersburg ihr Dienstpersonal vermindert 
und das monatliche Gehalt herabgesetzt* Die neue 
Apothekertaxe soll im Allgemeinen die Medizin um 
30 Procent billiger und daher den Unbemittelten 
zugänglicher machen. Dieser Zweck ist gewiss ganz 
vortrefflich. Mir scheint es aber, dass die billigere 
oder theuere Medizin viel weniger von der Taxe 
abhängt, als von der Art, wie die Aerzte ihre Re¬ 
zepte verschreiben. Also zum Beispiel: Praecipi- 
tatus ruber, hat ein Kreuz und darf ohne Rezept 
nicht abgelassen werden, 2 Gran mit 2 Drachmen 
S. alb. zu einem Pulver gemischt, 3 Mal täglich 
auf einer Theelöffel-Spitze (ca* 5 Gran) zu nehmen, 
kostet 20 K. Wird dieselbe Portion in 24 Pulver 
vertheilt, oder diese Pulver in Oblaten verabfolgt, 
so kommt es viel theurer. — Ein Gran Morphium 
verdünnt in 2 Drachmen Aqua dest. zu 10Tropfen 
zu geben, kostet viel weniger als 12 Pulver, von 
denen ein jedes l (i2 Gran Morphium enthält. Wenn 
aber Dinge, ohne Kreuz, aus der lateinischen Küche 
nach einem gelehrten Rezept geholt werden, dann* 
mehren sich die Ausgaben ohne Noth. Es giebt 

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i'ertoucn, die Alles nach einem Rezept aus der 
Apotheke holen wollen, sogar Heftpflaster, Wachs¬ 
salbe, Goulards Wasser u. dergl. Wer diea tbnn 
will and es bezahlen kann und will, immerhin, 
volenti non fit injuria. Neulich sah ich aber ein 
Rezept, das 95 Kop. kostete und bestand aus 150,0 
Salbei Infus, 30,0 Oxymel simpl. und etwas Borax, 
zum 8pülen des Mundes und Gurgeln. Diese 6 Unzen 
waren in IS Stunden verbraucht, sollten repetirt 
werden und vielleicht nochmals repetirt werden, und 
so war der unbemittelten Wittwe eine ganz unnütze 
Ausgabe von ein Paar Rubeln entstanden. Welche 
Hausfrau kennt nicht Salbeithee mit Honig und 
Essig zum Gurgeln. Und nebenbei war noch eine 
Mixtur verschrieben, kostete 93 Kop. und ent¬ 
hielt 100,00 d. h. 3 Vs Unzen, oder 1600 Tropfen 
(was denn ? Die Red.) und war merkwürdiger Weise 
zu zehn Tropfen stündlich zu nehmen, was der 
Kranken auffiel. Diese Mixtur hätte also beim fleisaig- 
stea Einnehmen wenigstens für acht Tage vorge* 
halten. Bei einer solchen Rezeptur haben die Kranken 
eine wahre Angst vor den Anraten. So bat denn 
immer noch Geltung, was Luther oft über Tische 
zu sagen pflegte: 

Hüte dich vor der Alchimisten Sublime, 

Und vor der Juristen Godice, 

Vor der Medicorum Recipe, 

Und vor der Pfaffen praesta, quae sumus Domine, 
Wenn du willst mit vollem Beutel zu Markte 

gehn. 

Dr. J. Lembke. 


Toxicologisches. 

Bin älterer Mann wurde durch einen Bienen¬ 
schwarm furchtbar zerstochen. 3 Stunden später 
fand Dr. G. Hermann: Furchtbare Entstellung des 
Gesichtes durch glasig-ödematöse Schwellung, Lid¬ 
spalte und Nasenöffnungen total verschwollen; in 
der Haut des Gesiebtes, Halsos, Kopfes mehr als 
600 Stacheln festhaftend; Sopor, Erbrechen galliger 
Massen; stridulöse, stöhnende Atbmung; Pulsbe- 
sehleunigung. Therapie: Entfernung der Stacheln, 
Umschläge mit Aq. Plumbi, der 1 °/ 0 Carholsäure 
zugesetzt ist, aufs Gesicht. Eisblase um den Hals. 
Innerlich Bispillen und Liquor ammon. anis. — 
Nach einigen Tagen Genesung. 

(St. Petersburger med. Wochenschrift 1891. No. 22.) 


Vergiftung von Tollkiraehbeereo beiSKindta. 

Beobachtung derselben erfolgt erst Tags darauf. 
Symptome: hei I (7V* J*hr alten Knaben): Er¬ 
weiterung der Pupillen ad maximum; keine Reaction 
auf Lichtreize; äusserst frequenter Puls; oberfläch¬ 
liche und beschleunigte Athmung; trockne hellrothe 


Haut; kühle Extremitäten; absolute Harn- und 
Stuhlverhaltong; Tobsucht (Schreien, wüthendes 
Herumrennen). Bei H (3 1 /^jährigen Knaben): Kühle, 
schlaff herabhängende Extremitäten; beschleunigter, 
röchelnder Athem; reactionslose Pupillen; keine 
Muskel- und Sehnenreflexe, Sopor. Bei HI (5 Jahr 
alten Knaben): Gyanose des Gesichts; unzählbarer 
leicht comprimirbarer Puls: kühle, trockne Extre¬ 
mitäten; schwaches, kaum hörbares Athmen; tiefer 
Sopor. Therapie hei allen: Magenaumpftlung 
(es wurde dadurch kein Gift zu Tage gefördert) 
und daun hohe Darmirrigation mit grossen Wasser¬ 
mengen (mit den Stühlen kam eine enorme Menge 
Beeren (28, 39, 37 Stück) heraus 1 Endlich hei I. 
eine Pilocarpin- und eine Morphninjectioa, bei II 
und III Campherinjeetionen, Frottirungen der Haut, 
warme Entwickelungen. Sofort bei allen dreien 
Besserung der Symptome, gesunder Schlaf, dann 
allinählige8 Verschwinden sämmtlioher Erscheinungen 
(nur geringe Störungen persistirten). Der Fall ist 
interessant wegen der Verschiedenartigkeit des 
Krankheitahildes und des Ausganges ia Ge¬ 
nesung trotz der coloe seien Gift mengen (Kinder 
vertragen überhaupt grosse Dosen Belladonna 1), 
sodann wegen des offenbaren Nutzens hoher 
Darmirrigationen. 

(Allgem. Wiener medic. Zeitung 1891 No. 31.) 


Dr. Eich (Bürgerhospital, Köln a/Rhein) theilt 
4 Vergiftungen mit fxtraot. fillo. nu}r. asther. 
mit, darunter einen der tödtlioh endete. 54jäh- 
riger Mann, der in früheren Zeiten wiederholt 
10—15 gr. ohne Schaden, aber auch ohne Erfolg 
genommen, bekommt 27 gr., und zwar 15 gr. eine 
Stunde nach dem Frühstück, den Rest 2 Stunden 
später Nach 2 Stunden colossaler Tetanus und 
Trismu. (Erscheinungen stimmen ganz mit denen 
einer heftigen Strychnin Vergiftung überein!) Tod 
nach kurzer Zeit. Die andern Fälle von L ereigneten 
sich nach einer Dosis von 10 resp. 15 gr., charak- 
terisirten sich hauptsächlich durch Erbrechen, pro¬ 
fuse Diarrhöen, Leibkolik, Schwindel, Zittern, Be¬ 
nommenheit, und gingen bei excitirender Therapie 
in Genesung über. Das Extract. filic. ist also 
kein harmloses Mittel; die höchste, auch schon 
mit Vorsicht anzuwendende Einzeldosis wären 
10 gr. Vor so grossen Dosen, wie sie von einigen 
empfohlen und ohne Schaden verabreicht wurden 
(bis 30 gr.) ist dringend zu warnen! Die ver¬ 
schiedenen Präparate müssen eben verschiedenen 
Gehalt an toxischen Substanzen haben (vielleicht 
vom Standort, von der Jahreszeit des Sammelns 
u. s. w. abhängig.) 

(Deutsche medic. Wochenschrift 1891 No. 32.) 


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Vergiftung durch Erdbeeren. 

Im November 1891 behandelte ich eine Kranke 
gemeinschaftlich mit dem Herrn Collagen Dr. X. 
(von der officiellen Schule). Eines Tages fanden wir 
es nöthig, Calomel tu geben. Die Gabe, die der 
College Vorschlug, schien mir zu gross und ich 
meinte, eine geringere Dosis würde wohl auch den 
Zweck erfüllen. 0 ja, sagte Dr. X., bei den Durch* 
füllen kleiner Kinder ist mir Calomel in kleiner 
Gabe ein ausgezeichnetes Mittel, ich gebe es ge-* 
wohnlich zu ] /25 Gran Calomel. -— Aber theuerster 
College, sagte ich darauf, da sind Sie ja Homöo¬ 
path, ohne es vielleicht zu ahnen. — Wie Sie 
wollen, meinte der College, aber Calomel ist immer 
ein wirksames Mittel, wie aber die dritte Tritur. 
von Carbo vegetab., Graphit, Lycopodinm n. dergl. 
noch wirken kann, ist mir ganz unfassbar. — Und 
doch, erwiderte ich, ist die Möglichkeit immer da, 
dass selbst diese kleinen Gaben auf Empfänglich* 
keit treffen können, hat doch Johann Heinrich Kopp 
nach seinem Buch Aber die Homöopathie, dos ich bei¬ 
läufig Ihnen empfehlen möchte, wenn Sie es noch 
nicht kennen sollten, beobachtet, dass ein Mal ein 
Tropfen Bryonia 10. und ein Mal ein Tropfen Bella¬ 
donna 12. bei einem Patienten jedes Mal ganz be¬ 
stimmte Zufülle hervorrief; ausserdem ist es ja be¬ 
kannt, dass einige Personen gegen Austern, Krebse, 
Kirschen, Erdbeeren u. dergl. eine ganz besondere 
EmpfÜnglichkeit haben, und durch den Genuss der¬ 
selben krank werden. — A propos Erdbeeren, sagte 
Dr. X., auch ich bin einer von jenen, die Erdbeeren 
nicht vertragen, sowie ich eine esse, muss ich so¬ 
gleich brechen, wenn ich aber die rothe Haut ab¬ 
schäle, kann ich das Mark ohne Gefahr gemessen. 
Nun hören Sie aber eine Geschichte, die sich im 
vorigen Sommer mit mir zutrug. Ich war am 
Strande von einem Collegen zu Mittag geladen, 
unter den Gästen befanden sich auch drei Aerzte. 
Vor der Mahlzeit wurde Liqueur gereicht, von dem 
alle Herren tranken. Ich erkundigte mich bei der 
Hausfrau, ob vielleicht Erdbeeren in dem Schnaps 
seien. Dies wurde verneint. Znr Vorsicht trank 
ich aber doch nur ein ganz kleines halbes Schnaps¬ 
gläschen. Hierauf ging man sogleich zu Tisch. 
Kaum 8888 ich, so hatte ich das Gefühl, als wenn 
mein Kopf und mein ganzer Leib sich ins Unend¬ 
liche ausdehnte, ich erhob mich sogleich, ging in 
den Gärten, verlor die Besinnung und fiel bin. Alle 
eilten herbei. Man hielt mir Campherspiritus unter 
die Nase, machte mir damit subkutane Injectionen, 
Gesiebt und Hände kalt, der Puls klein und miserabel. 
Man sah jedtn Augenblick meinem Ende entgegen. 
Nach einer Stunde kam ich zu mir und fühlte eine 
ungeheure Mattigkeit. Diese blieb mehrere Tage. 
Nie habe ich vorher oder nachher eiuen ähnlichen 
Anfall gehabt. Keiner der anderen Herren erkrankte. 


Bei genauer Nachfrage erfuhr ich, dass zur Be¬ 
reitung des Liqueurs neben Himbeeren und anderen 
Früchten auch Erdbeeren verbraucht seien. 

Mir schien diese Erdbeerenvergiftung merk¬ 
würdig, ich habe niemals gelesen, dass der Genuss 
von Erdbeeren eine solche Wirkung, wie oben ge¬ 
schildert, haben kann. Um aber auf die oben ge- 
ftosserte Meinung des Collegen zurück zu kommen, 
so scheint mir dies die Ansicht vieler Aerzte von 
der officiellen Schule. Die Gaben der im Urstoff 
kräftigen Mittel kleiner zu geben, a’s gewöhnlich 
geschieht, dagegen ist nicht viel Widerstand, aber 
dass Mittel, die im Urstoff ohne alle Wirkung sind, 
durch Reiben und Schütteln immer kräftiger wer¬ 
den, bis sie zuletzt in Nr. 30. zu drei Kügelchen 
nur mit Vorsicht gegeben werden dürfen, das findet 
den bedeutendsten Widerstand. 

Dr. J. Lembke. 


Vermischtes. 

Gegen den Keuchhusten, eine in der jetzigen 
Jahreszeit besonders unter Kindern iiusserst ver¬ 
breitete Krankheit, ist, wie das „Rothe Kreuz* mel¬ 
det, durch einen Zufall von einem französischen 
Arzt in Aix in dem Naphthalin ein neues Heilmittel 
gefunden worden. Bei dem eigenen Sohne des 
Arztes, einem 18jährigen jungen Manne, der an 
dieser Affection litt, waren bereits alle bekannten 
Mittel erfolglos versucht worden. Da kehrte der¬ 
selbe eines Tages aus dem Lyceum heim und er¬ 
zählte, dass der Professor in der Pbysikstunde 
gelegentlich eines Experimentes ein weisses Pulver 
habe verdampfen lassen. Dabei sei sofort ein ihn 
quälender Hustenanfall unterdrückt worden. Die 
Mitschüler hätten aber den Geruch nicht vertragen 
können. Es seien die Fenster geöffnet worden. 
Alsdann habe sich bei ihm der Husten wieder ein¬ 
gestellt. Der Arzt verschaffte sich nun dieses 
Pulver, das nichts anders als Naphthalin war, und 
liess in dem Zimmer des Patienten ungefähr 20 
Gramm verdampfen. Eine halbe Stunde später be¬ 
richtete der Patient, dass er viel besser athmen 
könne und eine auffallende Erleichterung verspüre. 
Er schlief bald fest ein und hatte während der 
ganzen Nacht nur einen schwachen Hustenanfall. 
Am folgenden Tage, an dem er auswärts beschäf¬ 
tigt war, musste der Patient noch einige Male husten. 
Es wurde deshalb in der nächsten Nacht noch ein¬ 
mal zum Naphthalin gegriffen. Von nun an schwanden 
der Hüsten und alle anderen Erscheinungen. Der 
Arzt bekam bald darauf selber den Keuchhusten. 
Er versuchte nun das oben erwähnte Mittel an sich 
und war bereits am dritten Tage geheilt Derselbe 
günstige Erfolg wurde bei zahlreichen Kranken er¬ 
zielt. Naphthalin ist in geschmolzenem Zustande an¬ 
zuwenden, und zwar am besten, indem man 15 

16 * 


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bis 20 Gramm in einem Steingutbehälter auf eine 
mit glühenden Kohlen versehene Pfanne setzt und 
langsam erhitzt. Das Mittel beginnt alsbald zu 
schmelzen und das Zimmer mit seinen Dämpfen 
anzufüllen. 


Ein Mittel gegen Migräne. In einer Sitzung der 
k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, welcher u. A. 
Hofrath Prof. Billroth, Prof. Neumann, Prof. Benedikt 
und Prof. Gräber beiwohnten, machte dieser Tage 
Dr. Heinrich Weiss Mittheilungen über eine neue, 
ungemein einfache Behandlung der Migräne, welche 
das Interesse der weitesten Kreise in Anspruch 
nehmen dürfte. Der Vortragende wies zunächst auf 
die ungemein weite Verbreitung dieser Krankheits¬ 
form in unserem nervösen Zeitalter hin und kam 
sodann auf die verschiedenen Mittel zar Bekämpfung 
derselben zu sprechen. Die Erwägung, dass Migräne 
sehr oft in ursächlichem Zusammenhänge mit ner¬ 
vösen Magenleiden stehe, und der Zufall habe nun 
zu einer Entdeckung geführt, welche diese Lücke 
auszutüllen berufen sein dürfte. Er habe nämlich 
die Erfahrung gemacht, dass ein durch ganz kurze 
Zeit mit der Hand ausgeühter Druck in der Magen¬ 
gegend (genau in der Mitte zwischen dem unteren 
Theile des Brustbeins und dem Nabel) gegen die 
Wirbelsäule, wobei die Aorta comprimirt wird, die 
heftigsten Migräne-Anfälle sistirt und sowohl die 
Kopfschmerzen, als auch die Lichtscheu momentan 
bei 23 von ihm behandelten Patientinnen behoben 
wurden. Dr. Weiss glaubt, dass die wahrschein¬ 
liche Ursache dieser plötzlichen wohlthätigen Wir¬ 
kung in der durch die Compression der Arterie 
bewirkten Veränderung in der Blutvertheilung zu 
suchen sei. Bei der grossen Mehrzahl der bisher 
auf diese Art behandelten Fälle war der Anfall 
dauernd behoben und kehrte nur bei einigen Kranken 
in milderer Form zurück. 


Im Prüfungsjabr 1890/91 wurden im Deutschen 
Reiche approbirt 1570 Aerzte. Im Jahre 1689/90 
hatte die Zahl 1409 betragen, in den Vorjahren 
bis 1880/81 zurück 1208, 1215, 1224, 998, 876, 
771, 692, 669 und 556. In 10 Jahren hat sich 
also die Zahl der Approbationen nahezu verdrei¬ 
facht. Auf Preussen entfallen 639 (1880/81 259) 
Approbationen, auf Bayern 443 (151), Sachsen 
196 (64), Baden 98 (39), Elsass-Lothringen 73 (19), 
Württemberg 35 (7), Mecklenburg-Schwerin 34 (6), 
die sächsischen Herzogtümer (Jena) 34 (5) und 
Hessen 18 (6). Zahnärzte sind im letzten Prüfungs¬ 
jahre nur 96 approbirt gegen 103 und 104 in 
den beiden. Vorjahren. 


Henri de Parville citirt in seiner Wissenschaft* 
liehen Rundschau des „Journal des D6bats* Auf’ 
Zeichnungen eines Pariser Bürgers, der unter 
Karl VI. und Karl VIL eine Epidemie beschrieb, 
deren Symptome denjenigen der Influenza zum 
Verwechseln ähnlich sehen: „Anno 1427, item um 
jene Zeit, etwa vierzehn Tage vor Sanct Remigius 
(dieser Heilige steht am 1 October im Kalender) 
fiel eine verpestete Luft hernieder, daraus eine sehr 
schlimme Krankheit entstand, so ,La Dando‘ ge¬ 
nannt wurde, und Keiner und Keine vermochte der¬ 
selben ganz zu entgehen, und ihr Wesen war fol¬ 
gendes: Sie begann in den Nieren und in den 
Schultern, und wer gepackt wurde, glaubte, er 
leide an Nierengries, so grausam war der Schmerz. 
Und dann wurde man von starkem Frost geschüttelt 
und war man wohl 8 oder 10 oder 15 Tage, ohne 
dass man trinken, essen oder schlafen konnte, die 
Einen mehr, die Anderen weniger: dann kam ein 
so arger Husten, dass man in der Predigt den 
Prediger nicht hören konnte, so laut war der Lärm 
aller Hustenden. Item, das währte so bis nach 
Allerheiligen, wohl vierzehn Tage länger oder noch 
mehr. Und da war Niemand, Mann oder Weib, 
der nicht einen geschundenen Mund oder eine rothe 
Nase vor lauter Schneuzen hatte, und wenn man 
einander begegnete, so war die erste Frage: ,Hast 
Du die ,Dando < schon gehabt?* Sagte einer ,Nein!‘, 
dann antwortete man sogleich: ,So nimm Dich wohl 
in Acht, dass Du nicht auch noch Dein Theilchen 
abbekommst!‘ Und wahrlich, man log nicht, denn 
da waren Wenige, Gross oder Klein, Weib oder 
Kind, die nicht während einiger Zeit Schnupfen 
oder Frösteln oder Husten hatten, welche schon 
allzu lange währten.* 


Es macht sich erfreulicher Weise auf allen 
Gebieten der vaterländischen Industrie immer mehr 
die Thats&che geltend, dass wir die ausländische 
Concurrenz nicht mehr zu fürchten brauchen. Lange 
Zeit bat es wohl bedurft, bis speciell die deutschen 
Schaumweine ebenbürtig mit den fremden Er¬ 
zeugnissen erachtet und die falschen Vorurtheile 
besiegt waren, und doch sind unsere deutschen 
Marken ganz wesentlich billiger. Diese so erfreu¬ 
lichen Umstäude haben aber auch ermuthigend ge¬ 
wirkt, denn es giebt wenige Industriezweige, welche 
einen gleich blühenden Aufschwung genommen haben. 
Schreiber dieses hatte kürzlich Gelegenheit, das 
grösstentbeils neuerbaute Etablissement der Deut¬ 
schen Schaumweinfabrik zu Wachenheim in 
der Rheinpfalz in Augenschein zu nehmen, welches 
an Grossartigkeit seiner ausgedehnten Kellereien pnd 
sonstiger Betriebseinrichtungen wegen in Deutsch¬ 
land wohl unübertroffen dastehen dürfte. Da liegen 
allein in einem Keller 5 Fassriesen in ovaler Ge¬ 
stalt, wovon jeder nicht weniger als circa 4000t) 


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185 


Flaschen fasst. Nach längerer Wanderung durch 
verschiedene grössere und kleinere Kellereien ge* 
langt man in den sogenannten Biesenkeller, der, 
gelinde gesagt, die weitgehendsten Erwartungen übet- 
trifft. Es liegen hier zwei Reihen von je 6 Monstre- 
fÄssern, von welchen jedes einzelne circa 100 000 Liter 
beherbergt, also zusammen das stattliche Quantum 
von l’/a Millionen Flaschen fassen. Ich muss ge¬ 
stehen, es ist dies eine Sehenswürdigkeit allerersten 
Banges und dürfte, wie gesagt, in Deutschland einzig 
in seiner Art sein. Durch die elektrische Beleuch¬ 
tung, mit der das ganze Etablissement versehen, 
ist der Gesamrateindruck um so pompöser, zumal 
auch die verschiedenen Hilfsmaschinen vermittelst 
Elektricität betrieben werden. Durch die Liebens¬ 
würdigkeit der Directoren hatten wir Gelegenheit, 
die neuesten Producte probiren zu können, welche 
seit wenigen Monaten dem deutschen Markte über¬ 
geben wurden, und wareu geradezu überrascht über 
die vortrefflichen Qualitäten und die billigen Preise, 
die es auch weniger Bemittelten ermöglichen, sich 
hin und wieder eine Flasche deutschen Champagners 
zu gönnen. Ganz besonders iinponirt die Elite- 
Marke Kaiserperle, die auf jeder Tafel eine Zierde 
deutschen Gewerbefleisses bilden dürfte. Anfänglich 
befasste sich die Wachenheimer Schaumweinkellerei 
ausschliesslich mit der Herstellung eines billigen, 
sogenannten Consum* Champagners, der, für den 
Massenabsatz bestimmt, eminenten Absatz fand. 
Nachdem nun die grossen baulichen Veränderungen 
beendigt, die fast ununterbrochene Betriebsstörungen 
verursacht, wurde mit der Herstellung der feineren 
Sorten begonnen, welche sich nunmehr auch all¬ 
gemeiner Anerkennung erfreuen. Zahlreiche Me¬ 
daillen, so wurde ihr erst in diesem Jahre auf der 
Internat. Ausstellung für das rothe Kreuz, Armee¬ 
bedarf etc. der Ehrenpreis der Stadt Leipzig und 
die goldene Medaille zuerkannt, bezeugen die Aus¬ 
zeichnungen auf den Ausstellungen und auch Auto¬ 
ritäten der Wissenschaft haben sich gleichfalls höchst 
an erkennend über die Wachenheimer Schaumweine aus¬ 
gesprochen, so dass letztere auch in der Krankenpflege 
weitgehendste Verwendung finden. Auch der Export 
nach überseeischen Ländern ist in erfreulicher Zu¬ 
nahme begriffen Im Interesse des secttrinkenden 
Publicums kann die Besichtigung dieses Muster- 
Etablissements nur empfohlen werden, denn in zu¬ 
vorkommendster Weise wird Jedermann der Eintritt 
gewährt. Wir verweisen noch auf die Annonce in 
der heutigen Nummer des General-Vertreters Herrn 
Eduard Brade, Leipzig. ' 

Wir erwähnten schon früher einmal des Leipziger 
Kurpfuschers Louis Kühne, und geben im folgenden 
eine «kritisfcheBeleuchtung* der,, Kühne-Cur“, welche 
im Naturarzt Nr. 10 enthalten ist. Der Verfasser 
derselben, offenbar ein Patient von grosser Geduld, 


hat diese Kur auf Grund der Versprechungen des 
Heilkönstlers Kühne 10 Monate lang gebraucht — 
selbstverständlich mit mehr als negativem Resultate. 

‘ Sie besteht* vorwiegend in einer Reibung der Vor¬ 
haut (bei Frauen der Schamlippen) im oder viel¬ 
mehr über dem Sitzbade, ferner in lokalen Dampf¬ 
bädern. Ein früherer Anhänger Kuhne’s teilt Dinge 
mit, die auf dessen Behandlungsmethode ein eigen- 
thümliches Licht werfen. Es heisst unter Anderem: 

; „Der erste von Kühne gewonnene Eindruck war 
kein günstiger. Das, was er mir des Langen und 
Breiten über sein Verfahren und seine Erfolge er¬ 
zählte, hatte ich längst in seinem Buche, sowie in 
der «neuen Heilkunst* gelesen und gründlich 
studiert. Ich schnitt deshalb auch das weitere mit 
der Mittheilung ab, dass ich mit den Grundsätzen 
seines Systems bis auf dessen noch fehlende An¬ 
wendung vertraut sei und um Untersuchung bäte. 
Das war bald geschehen. Einmal Kopf Wendung 
rechts, einmal links, dann eine Besichtigung von 
rückwärts — und Herr Kühne hatte Herz und 
Nieren erforscht. Das Urteil lautete auf sehr grosse 
allgemeine Belastung mit Fremdstoffen und, da 
ihm dies vielleicht noch als zu harmlos Vorkommen 
mochte, gestaltete er es noch ein bischen saftiger 
durch die Mittheilung, mein Unterleib sei b ereits 
ganz brandig. . . Man denke; ein Mensch, der 
bis zu diesem Tage ohne wesentliche Störungen 

i erwerbsfähig war, wenige Tage früher noch einen 
fünfstündigen Marsch zurücklegen und tags vorher 
eine zehnstündige Eisenbahn fahrt machen konnte, 
sollte «ganz brandige“ Unterleibsorgane haben, d. h. 
einen Zustand, bei welchem Priester und Schreiner 
unverweilt gerufen werden können, da ein solch* 
Bedauernswürdiger, wie die gesammte erwachsene 
Menschheit wissen dürfte» sein Leben nur noch 
nach Stunden zählen kann. Im übrigen empfing 
ich meine Kurvorschrift, durfte mein Honorar 
zahlen und konnte gehen. Noch im Laufe des 
Tages vernahm ich, dass sich diese Vorgänge in 
der «Sprechstunde“ bei sämmtlichen Hilfesuchenden 
fast auf*8 Haar glichen, nur dass der eine mehr 
linsseitig, der andere mehr rechtsseitig „be¬ 
lastet“, der eine mehr, der : andere weniger'oder 
ausnahmsweise auch gar nicht „brandig“ sei; dass 
bei ullen das Uebel im Unterleibs sticke, die 
Kurvorschriften für alle die gleichen seien, und 
dass auch Jeder dasselbe bezahlen dürfe. Warum 
Herr Kühne unter solchem'UroStä'nden nicht 
sämmtjiche. Hilfesuchenden auf einmal, in 
die Sprechstunde nimmt, da er doch . allen , das 
Gleiche sagt und verordnet, kann ich heute noch 
nicht begreifen. Das lästige Warten wäre ver¬ 
mieden, und Herr Kubne gewänne dadurch Sehr 
viel Zeit, die bekanntlich auch Geld ist.“'-— Als 
nun der Patient trotz alledem lange nüshielt, bekam 
er in Folge der sieten „Reibungen* 4 der .Vorhaut 


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126 


mit den von Kahne gelieferten aareinen Tüchern 
eine Phlegmone. Dies and das Qesttadniss mehrerer 
anderer Patienten, dass sie diese Reibesitzbäder 
,in»cht mehr entbehren könnten, also Morphinisten 
in anderer Form, erregten einen so tiefen Wider* 
willen in ihm, dass er Leipsig verliess, zumal er 
unter den eämmtlichen Patienten Kuhne's nicht 
einen einzigen fand, dem dessen Kur irgendwie 
geholfen hätte. Trotzdem wird diese darch Fana¬ 
tiker als unfehlbar gepriesen, und es werden nnter 
der Vorspiegelung von Heilungen Tausende zu 
Kühne nach Leipzig gelockt. Erfolgt einmal eine 
derbe Kritik, so giebt es eine Klage wegen Be* 
leidigung, und das Geschäft geht ruhig weiter. 


Epidemiologische Ecke. 

Infolge unliebsamer Verspätung durch die Post 
kommen diesmal 2 Berichte zusammen. 

6 s ist eben noch immer starker Wechsel des 
Wetters, der Krankheiten und deshalb auch der 
Mittel. 

Ide-Stettin berichtet am 31./3., dass er Bryon. 
und Lachses, am häufigsten indicirt finde. 

Weihe jr.-Herford hat neben den bei ihm seit 
mehreren Jahren epidemischen Mitteln «=* Sepia 
(Natr. nitr. Nicot.), = Chelidon. (Natr. nitr. -|- 
Bell.), = Sinap. (Ant crud. -f- Nicot) und = 
Kreosot (Ant. crud. Bell) seit Mitte März ziem¬ 
lich häufig die Indicationen für Baryt carb. -J- 
Tonca bei Conjuntivit, Angina, Odontalgia, Cephal- 
algia 

Leeser-Bonn am 25./3. Natr. mur. -{- Led., am 
26. Kali carb. -j- Led, am 23. Staun. -|- Mezer. 
“ Phosphor, am 29. theils Veratr. alb. theils 
Baryt carb. -j- Sin. = Carb. veg., am 30. = 
Veratr., am 81. theils =* Veratr. theils Carb. veg., 
am 1./4. Cupr. -f- ßanunc» bulb. =■ Hyoscyam (?), 
daneben auch = Kali bichrom., am 2. Ac. benz. 
-j- Euphr., am 3. vorzugsweise = Kali bichrom., 
am 4. Ac. benz. -f- Euphr., Nachm. Kali carb. -f- 
Euphr., am 5. Ferr. -f- Taraxac. = Natr. mur., 
am 6. Ac. phosph. -f* Clemat = Pulsat; bei 
Augenaffectionen (Keratit scrof., Blepharit ciL und 
Conjunct.) Hep. + Euphr. 

Schwarz-Baden-Baden: am 25. u. 26./3. haupt¬ 
sächlich Natr. mur. -f~ Led., am 27. u. 28. aus¬ 
schliesslich Natr. mur. -{- Iris bei Influenzafällen, 
die schon als geheilt zu betrachten waren, also 
Recidiven mit eitriger Conjunctiv, Supraorbital- und 
Schläfenschmerz, Kreuzschmerzen, Schmerzen in 
IntercoStalnerven, Knieen und Ellbogen meist ein¬ 
seitig. Am 29. u. 30. auch = Kali bichrom. bei 
Pseudocroup und fieberhafter Laryng. crouposa. 


Ausser Influenza mit Laryng., Bronchit und Pneu¬ 
monie habe er keine Krankheiten. Seit 1./4. aus¬ 
schliesslich =* Kal. bichrom. mit sehr raschem Er¬ 
folg selbst bei beginnender Pneumonie nach Influenza 
(dabei quälender Husten). 

Kim-Pforzheim: am 28./S. Natr. mur. -}- Iris 
und Hep. -f- Ratanh., seit dem 29. ausschliesslich 
= Kali bichrom. Am 2./4. berichtet er: bei Grippe 
noch immer *=» Kali bichrom. (Kopfschmerzen auch 
blind machend, Nasen- und Mnndgeschwüre, croup- 
artigen Husten); am 2./4.‘Sabin. und Nicot.; in 
letzter Zeit Ac. fluoric. besonders wirksam; seltener 
= Euphr. und Kreos. -f- Sabadill. 

Ich-hier: am 28./S. bei Influenza theils = Euphr. 
theils = Cupr. cum Nicot., am 29. und 30. vor¬ 
wiegend = Veratr. alb., am 31./3., 1. und 2./4. 
= Mercur, vom 3.—5. hauptsächlich Ac. fluor. 
Bell., am 6. Calc. carb. -f- Coff.; seit dem 1. da¬ 
neben immer = Kali bichrom., das seit gestern 
vorherrschend ist. Characteristisch für Kali bichrom. 
fand ich die schon früher als Barytvvirkung ange¬ 
gebenen Schmerzen im Hinterkopf herauf; ferner 
Ziehen hinter beiden Ohren herauf; ferner ist zu 
erwähnen, der zähe Schleim und der Husten be¬ 
sonders Nachts quälend, ein Symptom, das auch 
Euphr. und Sabadill, bieten. Zur Unterscheidung 
dürfte dienen: die Zähigkeit des Schleimes bei 
Kali bichrom. und die grössere Erschütterung durch 
den Husten, während dieser bei Euphr. und Sabadill, 
mehr nervöser Art ist und mit mehr allgemeiner 
Schmerzhaftigkeit der Glieder und des Rückens 
vergesellschaftet ist 

Weiss-Gmünd hatte in der letzten Märzwoche 
noch vorzugsweise Sabadill., am 29./3. mehrere 
Fälle von Veratr. alb. 

Hagel-Ravensburg fand in der letzten Zeit Sep„ 
Obel., Sinap. und Kal carb. -f- Bell* häufig indicirt, 
in den letzten Tagen meist Bryon. -)- Phosphor 
oder Tart. stib. 

Sigmundt - Spaichingen berichtet Ende März, 
dass er neuerdings öfters Puls, indicirt finde; bei 
Erysipel, fac. sah er raschen Erfolg von Bell. 

Stuttgart, den 8. April 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Referat. 

Dr. Passenow-Stettin. Beitrag zur Blutstillung bei 
Cervixrissen post partum . Centralbl. f. Gynäkol. 
1891. No. 27. p. 567. 

Um zu zeigen, wie verhältnissmässig leicht durch 
einfachen Zug an der Portio es gelingt, die Blutung 
provisorisch zum Stehen zu bringen, veröffentlicht 
Verf. einen Fall aus seiner Praxis. 


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187 


Eine SOjäbr. VII para war wegen Querlage 
durch Wendung auf die Füsse ünd Extraction vor 
2 */i Std. entbanden. Ein College hatte so lange 
die Wunde bimanuell comprimirt; das geringste 
Nachlassen bedingte jedes Mal eine fürchterliche 
Blutung. Bei der Untersuchung unter fortwähren¬ 
der Compreeeion fand Verf. links einen 5 cm 
langen Cervixriss. Rechts aber war das Parametrium 
eröffnet; der Cervixriss ging so hoch in den Uterus 
hinauf, dass man ohne Weiteres das Ende desselben 
nicht abtasten konnte. Es war also klar, dass anf 
dieser Seite die Art. uterina oder mindestens ein 
grosser Ast derselben angerissen war. 

„Schnell wurden die beiden Muttermundslippen 
mit Museux*sehen Zangen gefasst und tief herabge¬ 
zogen. Darauf stand die Blutung und begann nur 
dann wieder, wenn der Zug an den Zangen nach- 
liess. Nach Vernühung der Risse stand die Blutung 
dam definitiv.* 

Pat. gen aas nach Ueberstehung einer rechtssei¬ 
tigen Parametritis. 

Verf. erklärt die Wirkung des starken Zuges 
am Uterus dadurch, dass dieser sich in Folge der 
Auflockerung des weiten unteren Geburtskpoals und 
der 8ucoulenz der Lig. lata und des p&rametränen 
Bindegewebes tiefer herabziehen lasse als sonst und 
dass dadurch die Art. uterina naeh abwärts ge¬ 
knickt werde, sowie auch dass die Arterien durch 
die bedeutende Vergrö9serung des Uterus dabei 
comprimirt würden. 

Dass dieser Kunstgriff von grosser praktischer 
Wichtigkeit ist, muss unbedingt zugegeben werden, 
indem nach dem Herabriehen des Uterus die Ver¬ 
letzungen leichter übersehen und vernäht werden 
können, besonders für Collegen, die sich mit ge¬ 
burtshilflicher Praxis weniger befassen, oder solche, 
denen ferne von eollegialer Hilfe ein solches Un¬ 
glück passirt. 

Zum Schluss giebt Verf. zu bedenken, ob das 
von ihm angegebene Verfahren nicht auch bei Blu¬ 
tungen post partum bei placenta praevia anzuwenden 
wHre, da diese doch meist weniger auf Atonie als 
auf Verlegungen von GefÖsaen der Art uterina zu- 
rückzufftbren seien (J. Veit)» Doch fehlt ihm hier¬ 
über die Erfahrung wie auch darüber, ob sein 
Verfahren in extremen Fällen von rein atonischen 
Blutungen Erfolg haben würde. Der Verlauf der 
Art spermatica, die hiebei in Betracht zu rieben 
wäre, lässt ihm dies nicht ohne weiteres sicher er- 
scheinen. __ Göhrum, 

Im Runen de« Königs! 

In der Privatklagesache des Krankenconsulenten 
Andreas Fripke im Halberstadt, Privatklägers, gegen 
den Dr. med. Karl Heinrich Stifft, Leipzig, An¬ 
geklagten, wegen Beleidigung (enthalten in dem 


mit „Pas Kurpfuscherthum in der Homöopathie* 
überschriebenen Aufsatze in No. 21 und 22 der 
Allg. Hom. Zeitung Band 123 vom 26. November 
1891) hat das Königliche Schöffengericht zu Leipzig 
in der Sitzung vom 4. März 1892, an welcher 
Theil genommen haben: 1. Amtsrichter Winckler, 
als Vorsitzender, 2. Karl Christian Bruno Arnecke* 
Leipzig, 3. Georg Rudolph Beichenbach, L.-Lin- 
denau, als Schöffen, Referendar Daehnert als Ge¬ 
richtsschreiber, für Recht erkannt: Der Angeklagte 
wird wegen Beleidigung seit fünfzehn Mark be¬ 
straft und zur Tragung der Kosten des Verfahrens 
verurtheilt, Der Antrag auf Zuerkennung einer 
Busse wird abgelehnt. 

Oefcortatagsfeier Hahnemanns. 

Leipzig, 11. April. Am gestrige* Abend be¬ 
ging der Freie Verein für Homöopathie wie all¬ 
jährlich im Theaterrestaurant eine Festfeier zum 
137. Geburtstage Hahnemauns, woran sich mit 
ihren Daunen die kiesigen Collegen, sowie 1 die ho¬ 
möopathischen Apotheker Herr Dr. Schwabe, Herr 
Steinmetz und Herr Judersleben betheiligten. Zu 
unterem Bedauern hatten wir aber nicht du Ver¬ 
gnügen diesmal einen auswärtigen Collegen begrüssen 
zu können. Nach Eröffnung der Festfeier dtjrch 
den Vorsitzenden Herrn Dr. Lorbacber und Be- 
grüssung der Gäste, ergriff Herr Dr. Stifft das 
Wort, um in herkömmlicher Weise mit einer An¬ 
sprache und dem an der Spitze dieser Nummer 
abgedruckten poetischem Festgrosse des Collegen 
Dr. Majntzer in Trier das Gedäehtniss des Alt¬ 
meisters su feiern. Das Festessen verlief in der 
animirtesteu Stimmung und blieb der kleine Kreis 
nach Beendigung desselben noch einige Stunden 
zusammen. 


Personal! a. 

Herrn Geheimen Hofrath Dr. Stiegele ln Stutt¬ 
gart, Leibarzt Ihrer Majestät der lönigin-WRtwe 
Olga von Württemberg, wurde jüngst vom Kaiser 
von Russland der St. Stanislaus-Orden 2. CL yer¬ 
lichen. Wir sprechen auch hier unserem hoch¬ 
verehrten Herrn Collegen die herzlichsten Glück¬ 
wünsche zn dieser Auszeichnung aus, die beweist, 
mit wie gutem Erfolg er es versteht, unsere Sache 
zu vertreten. _ 

Berichtigung. 

In No. 11-12 Seite 91 v. o. und T v. u. muss 
es heissen „Reform* statt „Reserve* und Seite 9\ 
Zeile 7 v. o. 80. Jamar statt 30. Februar. 


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W8 


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Separat-Beilage zur „Allgemeinen Homöopathischen Zeitung". 


Offenes Schreiben an die homöopathischen Aerzte! 


Karlsbad. 1. April 1*92. 

Sehr geehrter Herr College! 

Seit dem Jahre 1871 hier prakticirend ist es 
meine Gewohnheit, alljährlich in der homöopathischen 
Presse sowohl selbstständig kurze Mittheilungen theils 
über den Verlauf der Saison, theils über einzelne 
interessante Krankheitsfälle, als auch ausführliche 
selbstständige Werkchen, z. B. über die Krankheiten 
der Gallen- und Harnorgane, über Entfettungscuren 
und über die Zuckerkrankheit erscheinen zu lassen. 
Man kann also nicht behaupten, dass ich über der 
Praxis die Wissenschaft vernachlässige, oder wie 
namentlich jüngere Collegen mitunter behaupten, 
gegen Aerzte in andern Bädern, die mitunter Uni¬ 
versitätslehrer sind, im Rückstände bin. „Nemo 
propheta in homoeopathia“ kann man mit Recht 
behaupten; ich thue das möglichste von meinem 
Standpunkte aus, ich bin nicht in der glücklichen 
Lage, vorhandenes Material nach Belieben compiliren 
zu können, ich kann höchstens in die Fussstapfen 
meines verstorbenen Collegen des Dr. Porges treten, 
der Karlsbad erst für die Homöopathie entdecken 
musste, nämlich Karlsbad an sich und andern prüfte, 
und die Prüfungsergebnisse veröffentlichte. Ich 
versuche Karlsbad jedes Jahr an mir und andern 
und habe die Resultate erst im vergangenen Jahre 
unter dem Titel „Specifische Wirkungen von Karls¬ 
bad“ veröffentlicht. 

Zum zweiundzwanzigsten Male trete ich in 
diesem Jahre vor meine geehrten Collegen, um 
ihnen ein kurzes Resumä über die Indikationen für 
Karlsbad zu liefern. 

Wer passt nach Karlsbad? 

Diese Frage möglichst genau zu beantworten 
soll der Endzweck dieser Zeilen sein. 

Nach Karlsbad passen nicht so sehr die Lebe¬ 
männer oder vollsaftigen Individuen oder fett¬ 
leibigen Damen, die an nichts anderem wie am 
Ueberschuss der Säfte und Fettleibigkeit leiden, 
für diese dürfte wohl Marienbad, Kissingen und 
Homburg ein günstigerer Aufenthalt sein. 


Nach Karlsbad schicke man die Individuen mit 
blauröthlichem oder gelblichem Teint in den ver¬ 
schiedensten Nuancen; Patienten, die beim Geben 
oder Steigen stehen bleiben müssen, nicht so sehr 
in Folge von Fettleibigkeit als von venöser Stockung; 
Patienten mit den Folgen von venöser Stauung also 
die sogenannten Staatshämorrhoidarier, die in Folge 
mangelhafter Bewegung und ständigen Aufenthaltes 
in der dumpfen Bureau- oder Comptoirluft die ver¬ 
schiedensten Stauungszustände bekommen, weil sie 
sich nicht genügende Bewegung in frischer Luft 
verschaffen oder gestatten. Derartige Patienten 
haben äusserlich erweiterte Venen, so z. B. am 
Unterleib das sogenannte Caput medusae, verschie¬ 
dene Hautaffektionen, wie Finnen, Mitesser, Flechten 
und Ekzem. Die Leber ist bei denselben geschwol¬ 
len, die Milz mitunter gleichfalls, namentlich bei sol¬ 
chen, die sich in Malariagegenden aufgehalten haben. 
Sie klagen über Jucken im After, schleimigen Aus¬ 
fluss und sogar über Blutungen aus demselben, 
nachdem vorher die Hämorrhoidalknoten hervor¬ 
getreten und ihnen starke Schmerzen verursacht 
haben. Der Urin solcher Patienten ist gewöhnlich 
getrübt oder dunkel, hat einen röthlichen Bodensatz 
oder es gehen mitunter Sternchen ab, die ihnen 
beim Abgehen heftige Schmerzen verschaffen. Dass 
die Gallensteinleidenden besonders hierher passen, 
brauche ich nicht erst zu erwähnen. 

Die üppige Lebensweise oder die vielfachen 
Geschäftssorgen und andere Ursachen veranlassen 
auch die Zuckerkrankheit; die damit behafteten 
werden trotz alledem und alledem doch immer 
wieder nach Karlsbad dirigirt, unter dessen Ge¬ 
brauch der Zucker, wenn auch nicht für immer, 
aus demi Urin verschwindet. 

Plethorische Patienten pflegen auch an chroni¬ 
schem Bronchialkatarrh oder Bronchoblennorhoe zu 
leiden und auch diese Zustände werden durch Karls¬ 
bad mitunter gänzlich beseitigt, stets aber bedeutend 
gebessert 

Alte Peritonealexsudate werden durch Karlsbad 
beseitigt, ebenso viele gutartige Neubildungen, 

Dass Karlsbad bei der Atrophie der Leber in Folge 

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von Cirrhosis nichts leistet, ebenso auch nicht bei der 
gelben oder rothen Leberatrophie, dürfte männiglich 
bekannt sein. 

Venöse Stockungen sind sehr häufig mit Magen- 
katarrhen oder in Folge der dauernden Anätzung 
der Magenschleimhaut mit dem sogenannten runden 
oder auch perforirendem Magengeschwür behaftet, 
auch dafür bietet Karlsbad ein Heilmittel par ex- 
cellence. 

Bonvivants und Bureaukraten leiden häufig an der 
Gicht und auch für diese leisiet Karlsbad Erspriess- 
liches. 

Ischias wird häufig durch Karlsbad geheilt oder 
wenigstens gebessert. 

Blasenkatarrhe, Pyelitis calculosa finden ihr 
souveränes Heilmittel in Karlsbad. Leichte Grade 
von Albuminurie, die damit einhergehen, werden 
auch beseitigt, wenn ich auch nicht behaupten will, 
dass der chronische Morbus Brighti durch Karlsbad 
gebessert wird. 

Dass die vergrösserte Milz bei Malariakranken 
durch Karlsbad wieder ad normam zurückgeht, 
auch wenn reichlicher Chinimnissbrauch vorange- 
gangen, glaube ich bereits erwähnt zu hab* n. 

Darmkatarrhe, mögen sich dieselben nun durch 
Verstopfung oder stete Diarrhoe äussern, bilden 
von jeher eine Hauptindikation für Karlsbad. 

Dieselben Indikationen gelten auch für das 
weibliche Geschlecht, wozu sich noch alle Zustände 
gesellen, die die Klimaxis zu begleiten pflegen, wie 
Fluor albus, Dysmenorrhoe, chronische Peri- und 
Parametritis oder der sogenannte chronische Uterus¬ 
infarkt. 


Heftige CongestionenMigräne _ und der soge¬ 
nannte Tic douloureux, sind oft, wenn sie mit 
venösen Stauungen zusammenhingen, durch Karlsbad 
beseitigt worden. 

Dass unsere homöopathischen Mittel auch wäh¬ 
rend des Curgebrauchs nicht ausgesetzt zu werden 
brauchen, sondern im Gegentheil, wenn sie ange¬ 
zeigt sind, wegen der gesteigerten Blutcirkulation 
und des vermehrten Stoffwechsels um so günstiger 
wirken, habe ich schon zu oft erwähnt, um mich 
länger dabei aufzuhalten. Ich glaube noch be¬ 
merken zu müssen, dass ich Medikamente nur dann 
verabreiche, wenn gewisse Zustände deren Verab¬ 
reichung dringend nothwendig ma<hen; ich weiss 
wohl die Symptome der Brunnenwirkung von 
etwaigen Krankheitssymptomen zu unterscheiden. 

Indem ich noch bemerke, dass Karlsbad auch 
im vergangenen Jahre eine erfreuliche Zunahme 
der Frequenz zeigte, würde es mich sehr freuen, 
wenn auch die homöopathischen Herren Collegen 
sich veranlasst fühlen würden, mehr Patienten als 
bisher nach Karlsbad zu dirigiren, wo dieselben 
versichert sein können, dass sie ihrem System nicht 
abwendig gemacht werden. 

Mit der Bitte mir Ihr Wohlwollen in gleichem 
Maasse wie bisher angedeihen lassen zu wollen, hin 
ich hochachtungsvoll 

Ihr ergebener College 

Dr. Theodor Kafka, 

im Hause * An naher g u No. 385, am Markt, 


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Band 124. 


Leipzig, den 28. April 1892. 17 U. 18. 

ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«. 


HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verleg von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig. 


Krsohelnt 14tlg!g in 2 Bogen. 18 Doppelnnmmem bilden einen Band. Freia 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Alle Buchhandlungen und 
Poatanatalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welohe an R. Mosae in Leipzig und dessen Filialen su richten sind, 
werden mit 80 Pf, pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raam berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berochnet. 


Inhalt: Einladungen. - Der XI. Kongress für innere Medioin. Referent Dr. Stifft-Leipzig. — Einige Be¬ 
merkungen zu Beraters Aufsatz, Homöopathie und Suggestion. Von Dr. Lorbacher-Leipzig. - Elektrotherapeutisohe 
Studien von Dr. A. Sperling-Berlin. Von Dr. Weil-Berbn. — Aue der Praxis amerikanischer Collagen. Von Dr. Hesse- 
Hamburg. — Therapeutischer Unterschied zwischen Calcarea eulphurata oder Hepar sulphuns calcareum, Kalk- 
schwefelleber and Sulphur. Von Dr. H. Goullon. — Entgegnung. Von Dr. Schwarz-Baden. — Offenes Sendschreiben 
an die Redaotion. — Lesefrnohte. — Epidemiologieohe Eoke. — Kleine Mittheilungen. — Naohruf. — Personalia. — 
Reohnungsabiegung. 


Einladung. 

Zur diesjährigen Frübjahrsvers&mmlung des Vereins werden die Mitglieder ergebenst eingeladen 
und benachrichtigt, dass dieselbe 

Sonntag’ den 8. Mai in Halle (Hötel zur goldenen Kugel) Mittag 12 Uhr 

stattfindet. 

Tagesordnung: 

Geschäftliches. Wahl des nächsten Versammlungsortes. 

Alles Nähere durch Postkarte. 

Die Theilnehmer wollen ihr Erscheinen bis spätestens den 7. Mai Abends Herrn Dr. Henze- 
Halle, gefälligst anmelden. 

Der Torstand des Sächsisch-Anhaitisehen Vereins homöopathischer Aerzte. 

V orsit zender: Schriftführer: 

S&nitätsr&th Dr. E&ulw&sser-Bernburg. Dr. Villers-Dresden. 


Zusammenkunft 

des Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs 

Mittwoch, den 18. Mai 1802 in Stuttgart, „Gasthof zum Hecht“ von Bauh, Nachm. 4 Uhr. 

Tageso r dn ung: 

1) Laufendes. 

2) Die Central-Vereins Versammlung im August. 

3) Die Influenza des Jahres 1892. 

Der Vorstand: 

Oberincdlclnalratli Dr. von Sick. 


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Der XI. Congress für innere Medicin. 

Referent Dr. StifFt-Leipzig. 

Vom 20.—23. April tagte in Leipzig der dies¬ 
jährige Congress für innere Medicin. Als ständiger 
Sitz desselben war seit der Gründung im Jahre 
1882 bekanntlich Wiesbaden ausersehen, jedoch vor 
2 Jahren der Beschluss gefasst worden, neben dieser 
durch äussere Vorzüge empfohlenen Stadt auch die 
hauptsächlichsten Metropolen des medicinisch-wissen- 
schaftlichen Lebens — Wien, Berlin, Leipzig, Mün¬ 
chen — der Ehre des Congrosses theilhaftig werden 
zu lassen. Die Sitzungen fanden in den Räumen 
des grössten hiesigen Vergnügungs-Etablissements, 
des „Kristallpalastes 41 statt und wurden durch eine 
Begrüssungsrede des Vorsitzenden, Geheimrath 
Curschmann, pünktlich eröffnet. In derselben sprach 
Redner seine Genugthuung darüber aus, dass die 
Tuberculinfrage seit dem vorigen Jahre wieder mehr 
und mehr den Händen der Practiker entwunden 
und in die Kreise wissenschaftlicher Forscher zurück¬ 
verwiesen sei, wozu wir ihm vollen Beifall zollen 
und der leidenden Menschheit gratuliren. Bemerkens¬ 
werth an der Rede war ferner die Betonung des 
klinischen Unterrichtes als des Kernpunktes der 
medicinischen Schule für den jungen Arzt, nach 
deren gründlicher Absolvirung er erst in den Stand 
gesetzt sei, Kranke zu behandeln oder zu deren 
Frommen specialis tischen Neigungen zu folgen. 
Es ist dieser richtige, uns aus der Seele gesprochene 
Gedanke in letzter Zeit merkwürdig häufig von 
autoritativer Seite ausgesprochen worden. So lange 
aber die klinischen Lehrer sich nur darauf be¬ 
schränken, uns ihre Paradefälle vorzuführen, so 
lange sie bei Besprechung der klinischen Symptome 
nur auf deren physikalische und pathalogisch-ana- 
tomische Erklärungen näher eingehen, die in andere 
Specialcollegien gehören, so lange es noch acade- 
mische Lehrer giebt, die bei Erwähnung der Therapie 
sagen: »was die Therapie an geht, meine Herren, so 
können Sie das Wenige in meinem Lehrbuche nach- 
lesen,“ anstatt zu sagen: »hier verdient die wissen¬ 
schaftliche Therapie wenig Vertrauen, wohl aber 
hat die Empirie zahlreicher practischer Aerzte diese 
und jene Mittel als wirksam erkannt, die der Prü¬ 
fung wohl werth sind“ — so lange — bleibt es 
eben nur ein schöner Gedanke. Statt dessen wird 
auf alles nicht Zünftige weidlich geschimpft, das 
Lachen unreifer Zuhörer mit grosser Genugthuung 
entgegen genommen und dann, ut aliquid fiat, etwas 
Indifferentes empfohlen. Auf diese Art erzieht die 
Klinik keine Aerzte mit umfassender Bildung für 
ihre practische Tbätigkeit, sondern therapeutische 
Ignoranten und, was noch schlimmer ist, thera¬ 
peutische Spötter, die mit ihren mikro- und makros¬ 
kopischen , pathologisch-anatomischen, bacteriologi- 
schen Kenntnissen den ernsten Männern der Praxis 


überlegen zu sein und genug gethan zu haben 
glauben, wenn sie dem Kranken sagen können, 
dieses oder jenes Organ ist so oder so erkrankt, 
dieser oder jener Bacillus steckt in ihnen, den 
Professor X erst neulich entdeckt hat. 

Nach der Eröffnungsrede des ersten Vorsitzen¬ 
den fand die Begrüssung im Namen der sächsischen 
Regierung, der Stadt Leipzig und des academischen 
Senates statt. 

Auf der wissenschaftlichen Tagesordnung stan¬ 
den für dieses Jahr zur Besprechung folgende 2 
Krankheitsformen: 1. „Die schweren anämischen 
Zustände“, Ref. Birch-Hirschfeld, für Biermer- 
Berlin, durch Krankheit verhindert, und Ehrlich - 
Berlin, 2. „Die chronische Leberentzündung“, 
Ref. Rosenstein - Leyden und Stadelmann - Dorpat 
Ausserdem waren 58 Vorträge und Demonstrationen 
angemeldet. Wenn man bedenkt, dass in den ge¬ 
nannten Tagen die wissenschaftlichen Sitzungen und 
geschäftlichen Erörterungen in der Zeit von 9 bis 
12 Uhr Vormittags — es wurde allerdings meist 
I Uhr — und 3 bis 5 Uhr Nachmittags erledigt 
werden sollten und ausserdem die Zeit der Congress- 
theilnehmer durch Veranstaltungen festlicher Art, 
Extra-Gewandhau8-Concert,Festessen,Festvorstellung 
in Anspruch genommen wurde, so muss man ge¬ 
stehen, dass Ausserordentliches geleistet worden ist, 
und wird es begreiflich finden, dass Vieles sich 
zum Worte Meldende und nach Anerkennung Ring¬ 
ende nur gestreift werden konnte. Von den zur 
Behandlung gebrachten Fragen erregten unser spe- 
cielles Interesse diejenigen über „die schweren anä¬ 
mischen Zustände“ und die ausführlicher erörterte 
„Immunitätsfrage“, während von den zur Ansicht 
gebrachten Demonstationen besonders diejenigen von 
Klebs imponirten, welche den tödtlichen Einfluss 
des Tuberculocidins ad oculos führten, quod erat 
demonstrandum. Für diejenigen, welche die Ver¬ 
handlungen des Congresses im Einzelnen verfolgen 
wollen, bemerke ich, dass die gehaltenen Vorträge 
im 11. Bande der „Verhandlungen des Congresses 
für innere Medicin“ (J. F. Bergmann, Wiesbaden) 
im Original erscheinen werden. 

Birch-Hir8chfeld behandelte dasCapitel der schwe¬ 
ren anämischen Zustände, wie vorauszusehen war, 
hauptsächlich von der ätiologischen und pathologisch¬ 
anatomischen Seite. Er betonte die strenge Tren¬ 
nung der Anämie und Chlorose von den schweren 
anämischen Formen, der perniciösen Anämie. Diese 
sei cbaracterisirt durch Verminderung und Degene¬ 
ration der rothen Blutkörperchen und davon ab¬ 
hängigem Gewebezerfall (fettige Degeneration, ver¬ 
mehrte Harnstoffausscheidung, Peptonurie). An die 
stärkere Degeneration der rothen Blutzöllen schliesst 
sich eine geringere Regeneration von seiten des Knochen¬ 
marks an. Die Ursachen hierzu anlangend, betont 
Redner, dass dieselben von aussen stammen können 


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(toxische Schädlichkeiten), dass sie durch specifische 
Mikroorganismen im eigenen Körper gebildet sein 
können (infektiöse Noxen) oder durch regressive 
Veränderungen im Organismus (Autointoxikation). 

Danach stellt er folgende ätiologische Momente 
auf: 1. Blutverluste (posthämorrhagische Form), 
2. Dyspepsien, 3. Parasiten (Anchylostomum duo¬ 
denale , Botriocephalus etc.), 4. Gravidität und 
Puerperium, 5. Syphilis und Malaria, 6. kryptoge 
netische Entstehung, zurückzuführen auf von aussen 
stammende oder im Organismus gebildete, die Blut¬ 
körperchen zerstörende Gifte (Toxine, Enzyme). 
Der ausführlich gekennzeichneten pathologisch-ana¬ 
tomischen und ätiologischen Seite gegenüber, fällt 
die Therapie recht dürftig aus: Arsen-, Trans- 
fusions-, diätetisch - klimatische Behandlung. Sehr 
interessant waren die Ausführungen des Korreferenten 
Prof. Ehrlich. Er betonte die schon beim Lebenden 
erkennbaren Blutanomalien, Auftreten von Spaltungs- 
formen der rothen Blutkörperchen (Schistocyten, 
Poikilocyten), Veränderungen der Structur und 
Zusammensetzung (hämoglobinämische Innenkörper, 
Aenderung der Färbbarkeit), vollständiges Erblassen 
der rothen Blutzellen, ein Befund, wie er auch von 
uns in einem schweren Falle von Anämie konstatirt 
worden ist. Diesen Degenerationsformen gegenüber 
stellt Referent zwei Regenerationsformen auf, eine 
kleinere (Normoblasten) mit stark färbbarem Kern, 
welche normaler Weise in den blutbildenden Or¬ 
ganen vorhanden ist, aber nur unter dem Einfluss 
bestimmter Vergiftungen oder secundärer Anämien 
beim Erwachsenen in den Kreislauf tritt, und eine, 
grosse (Megaloblasten) mit schlecht färbbarem Kern, 
welche eine embryonale Entwicklungsstufe darstellt 
und bei ihrem regenerations weise geringen 
Auftreten die schwere Form der perniciösen Anämie 
charakterisirt. Rütimeyer (Basel) erwähnt den ver¬ 
nichtenden Einfluss eines menschlichen Parasiten, 
des Distomum haematobium auf das Blut, wie er 
in der „Bilharzia-Krankheit* — die bekanntlich 
mit ausgesprochener Hämaturie verläuft — in 
Aegypten, besonders unter Fellachen und Kopten, 
beobachtet wird. Maraglioni (Genua) lenkt die Auf¬ 
merksamkeit auf Veränderungen des Blutplasmas, 
welches durch Herabsetzung seines Kochsalzgehaltes 
einen zerstörenden Einfluss auf die rothen Blut¬ 
körperchen ausüb.en könne. Zur Therapie sei noch 
die von Ziemssen warm befürwortete Bluttrans¬ 
fusion erwähnt. Zur Vermeidung der leicht damit 
verbundenen Fermentintoxikation und gefährlichen 
Blutgerinnung empfiehlt Landois nach Tierversuchen, 
dem einzuverleibenden Blute den Extrakt von Blut¬ 
egel-Köpfen zuzusetzen, welcher das Blut unge¬ 
rinnbar mache. 

Mit Eröiterung der Immunitätsfrage betraten 
die Kongressverhandlungen ein uns Homöopathen 
ganz besonders interessirendes Gebiet. Ist doch in 


diesen Bestrebungen von der wissenschaftlichen 
Medizin endlich ebenfalls ein Weg zu einer spezi¬ 
fischen Behandlung der Krankheiten eingeschlagen 
worden, der, wenn auch jetzt noch für die Therapie 
unfruchtbar geblieben, doch schon zu hochwichtigen 
Entdeckungen geführt hat, welche vielleicht noch 
in hohem Grade wichtig auch für die Kranken¬ 
behandlung werden können. Das bleibt jedenfalls 
das unbestrittene Verdienst Koch’s, dass er durch 
seine epochemachenden Entdeckungen das planlose 
Haschen nach symptomatischen Mitteln endlich ein¬ 
geschränkt und die wissenschaftliche Forschung in 
specifische Bahnen hineingelenkt bat. Nachdem 
die Bakteriologie für die Mehrzahl der Infections- 
krankheiten die spezifischen Erreger aufgedeckt 
und man erkannt hat, dass diesen Mikroorganismen 
auf dem gewöhnlichen Wege mit den herrschenden 
Antisepticis — contaria contrariis — nicht beizu¬ 
kommen war, begann man ihre Lebensvorgänge genauer 
zu durchforschen und gelangte zu folgenden drei grund¬ 
legenden Resultaten: 1. dass die einzelnen Arten 
pathogener Mikroorganismen nicht als solche, sondern 
durch von ihnen producirte Stoffwechselproducte 
(Toxine) deletär auf den Körper ihres Trägers wirken, 
2. dass dieselben Eigengifte produciren, die ihnen seihst 
den Untergang bereiten, 3. dass der befallene thierische 
Organismus nur durch eigene Zellthätigkeit in den 
Stand gesetzt werden kann, sich der Invasion zu 
erwehren und entsprechende HeilungsVorgänge ein¬ 
zuleiten. Hierzu lieferten die Gebröder Klemperer , 
Ilueppe , Emmerich , Büchner , Metschnikoff , hoch¬ 
interessante Beiträge. Nach ihren Forschungen 
können nicht mehr grosse, feindliche Gaben stark 
wirkender differenter Mittel das Rüstzeug des Arztes 
gegen die genannten Krankheiten sein, sondern ge¬ 
ringe Gaben des im Einzelfalle richtig gewählten 
spezifischen Antidotes, welche entweder prophylak¬ 
tisch den Gesunden immun machen oder den spezi¬ 
fisch erkrankten Organismus im Kampfe gegen die 
Krankheit unterstützen sollen. In letzterer Beziehung 
berichtete Klemperer über 20 Fälle von Pneumonie, 
die er durch Injectionen zu auffallend mildem Ver¬ 
laufe gebracht habe, und schreibt letzteren seiner 
Serumtherapie zu. Klemperer erklärt das Zustande¬ 
kommen der Immunität, resp. die Heilung von In- 
fectionskrankheiten dadurch, dass die durch Letztere 
gebildeten Gifte durch Injection von Serum iramu- 
nisirter Thiere oder von ahgeschwächten Rein- 
culturen — ersteres soll gegen schon erfolgte In- 
fection rascher wirksam sein — unwirksam gemacht 
würden, während die Bakterien durch die Phagocyten 
Metsehnikoffs eingeschlossen und zum Absterben ge¬ 
bracht würden. Gerade in der hierbei beobachteten 
vermehrten Production weisser Blutkörperchen zeige 
sich die gesteigerte Zellthätigkeit und Wehrkraft 
des Organismus, ohne welche eine Vernichtung der 
körperlichen Infectionselemente, (der Bakterien, Ba- 

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zillen # etc.) nicht stattfinden würde. — Hueppe 
glaubt, dass die Körperzellen Bel bst immunisirende 
Stoffe produziren können und dass das immunisi¬ 
rende Agens aus den Toxinen durch bestimmte 
höhere Temperaturen frei und wirksam werden 
könne. Nach Emmerich besitzen immunisirte Thiere 
eine gewisse Menge von Serum- und Mnskelalbumin, 
durch welches man andere gesunde Thiere immun, 
kranke durch Impfung gesund machen kann; er 
nennt es „ImmunproteYn*. Die Heilung geschieht 
dadurch, dass dieses die Toxine und die Mikro¬ 
organismen vernichtet. Büchner endlich ist der 
Ansicht, dass auch dem Blutserum eine grosse Rolle 
im Kampfe gegen die Mikroorganismen zukomme 
und dass es dazu befähigt sei, so lange es genü¬ 
gend Salze, bes. Chlorammonium, enthalte. 

Wenn auch der XI. Congress für innere Medizin 
nichts Werthvolles für die Therapie am Kran¬ 
kenbette und den praktischen Arzt gebracht hat, 
so hat er doch der ärztlichen Welt gezeigt, dass 
die medizinisch wissenschaftliche Forschung allge¬ 
mein aus ihrer früheren Unfruchtbarkeit herausge¬ 
treten und in die Bahnen einer für die Therapie 
Erfolg versprechenden spezifischen Krankheitsbe¬ 
handlung eingetreten ist, ein Verdienst Pasteur’s 
und Koch's, eine Folge der grossartigen Errungen¬ 
schaften der noch jungen ätiologischen und bakte¬ 
riologischen Forschungen, die wir stets mit grösstem 
Interesse verfolgt haben. 

Mit dem Congresse war auch eine reichhaltige 
Ausstellung verbunden, welche die Erzeugnisse und 
Fortschritte der im Dienste der ärztlichen Wissen¬ 
schaft thätigen Industriezweige veranschaulichen 
sollte. Es hatten sich hierzu auch der % perlende 
Wachenbeimer* und ein speculativer Leipziger Per¬ 
rückenmacher mit eingeschlichen, Ersterer jeden¬ 
falls um sich den von den langen Sitzungen Er¬ 
matteten als kräftiges „Excitans“ zu empfehlen, 
Letzterer in der stillen Hoffnung, von den vielen 
hier versammelten illustren Köpfen den einen oder 
anderen mit dem Erzeugnisse seiner kunstgeübten 
Hände bedecken zu können. — 


Einige Bemerkungen zuDr.Gerster’s 
Aufsatz, Homöopathie und Sug¬ 
gestion. 

Von Dr. Lorbacher* Leipzig. 

Die Selbsterkenntnis ist die unerlässliche Vor¬ 
bedingung für Jeden, welcher mit Ernst danach 
strebt, eine Besserung, sei es seiner selbst, sei es 
einer von ihm vertretenen Sache, zu bewirken. 
Uns Homöopathen dazu zu verhelfen, hat Herr Dr. 
Gerster in München in seinem in No. 7 u. 8 der 
Allgem. Homöopath. Zeitung veröffentlichtem Auf¬ 
sätze: „Suggestion und Homöopathie 8 sich ange¬ 


legen sein lassen. Wir wissen also nun, dass die 
meisten Heilungen, welche wir durch unsere Arznei¬ 
mittel erzielt zu haben annahmen, als durch Sug¬ 
gestion oder die Naturheilkraft hervorgebracht 
anzusehen sind. Etwas Neues ist es eigentlich 
nicht, denn man ist immer geneigt gewesen, die 
letztere gegen uns ins Feld zu führen, wenn man 
durch homöopathische Aerzte vollbrachte Heilungen 
durchaus nicht ableugnen konnte. Es war dies 
namentlich der Fall, seit Prof. Dietl in Wien nach¬ 
gewiesen hatte, dass Krankheiten, zu deren Besei¬ 
tigung man arzneiliche Einwirkungen für unum¬ 
gänglich nöthig hält, auch ohne dieselben günstig 
verlaufen. 

Es blieb jedoch immer noch eine nicht 
unbedeutende Zahl von Krankheiten, wo man auf 
diesem Wege nicht zum Ziele gelangte, und man 
sich genöthigt sah, doch wieder die alten Waffen 
hervorzusuchen. Da drängte sich mit einem Male 
wieder jene, ich möchte sagen mystische Kraft 
hervor, welche, soweit wir in der Geschichte der 
Medicin zurückblicken können, immer einmal ihr 
Recht geltend gemacht hat. Ich erinnere nur an 
die Heilungen in dem Tempel des Aeskulap, an die 
durch Händeauflegen, durch Gebete, durch andere 
Manipulationen, die darauf gerichtet waren, den 
Kranken in die höchste psychische Spannung zu 
versetzen, worauf auch die Kunst der Schamanen 
und Medicinmänner der wilden Völker beruht. Am 
Ende des vorigen und im Anfang dieses Jahrhun¬ 
derts trat sie unter der Form des sogenannten 
thierischen Magnetismus und des Mesmerismus her¬ 
vor. Allein der Missbrauch, welcher von Cbarla- 
tanen damit getrieben wurde, brachte sie so in 
Verruf, dass alle anständig denkenden und wissen¬ 
schaftlichen Kreise sich von ihr mit Verachtung 
abwandten. Erst dem Ende unseres Jahrhunderte 
war es Vorbehalten, trotz des sonst herrschenden 
krassen Materialismus sie wieder an das Tageslicht 
zu ziehen, und zwar unter dem Namen Suggestion. 
Die Veranlassung dazu gab die experimentell fest¬ 
gestellte Thatsache des Hypnotismus. Der Ver¬ 
such, denselben abzuleugnen resp. ihn als Schwindel 
zu erklären, liess sich nicht aufrecht halten. Man sah 
sieb einer neuen naturgesetzlichen Thatsache gegen¬ 
über. Wenn auch die officielle, in dem akademischen 
Lehrkörper repräsentirte Medicin sich immer noch 
ablehnend und skeptisch verhielt, so traten doch 
eine ganze Anzahl von Männern, denen man eine 
gediegene wissenschaftliche Bildung nicht absprechen 
konnte, der Sache näher. Der Gedanke, diese neue 
Entdeckung für therapeutische Zwecke zu ver- 
werthen, lag sehr nabe. Ausserdem glaubte man 
darin eine Erklärung für die Wirkung der homöo¬ 
pathischen Infinitesimaldosen, wogegen sich der 
materialistische Zug unsrer Zeit selbstverständlich 
mit aller Kraft sträubt, gefunden zu haben. Be- 


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quem ist das Verfahren allerdings. Was man sich 
nicht erklären kann, sieht man für Suggestion nun 
an. Dass damit nicht das Geringste gewonnen wird, 
liegt auf der Hand. Denn das Einwirken der Sug¬ 
gestion auf den kranken Organismus lässt sich von 
dem heutigen naturwissenschaftlichen Standpunkte 
ebensowenig erklären, wie das der homöopathischen 
Infinitesimaldosen. Es soll damit die Thatsache der 
Suggestion durchaus nicht in Ahrede gestellt werden. 
Ebensowenig, dass bei einer ganzen Anzahl von 
homöopathischen sowie auch allöopathischen Heil¬ 
ungen sie ein Hauptfaktor gewesen ist. Dem ruhigen 
objektiven Beobachter, welcher in Anerkennung des 
post hoc ergo propter hoc nicht zu voreilig ist, 
kommen dergleichen Fälle in der Praxis wohl öfter 
vor. Allein dies berechtigt durchaus nicht, wie es 
von G. geschehen, möglichst bei allen Heilungen 
die 8uggestion als das heilende Agens anzunehmen 
und den Beobachtungen und Erfahrungen anderer 
Aerzte, bei denen darauf keine Rücksicht genommen 
ist, allen Werth abzusprechen. Wir wissen sehr 
wohl, dass es in den meisten Fällen sehr schwierig, 
oft beinahe unmöglich ist, den Beweis für das post 
hoc ergo propter hoc, ganz einwandsfrei zu führen. 
Es wird seihst bei Beobachtung aller möglichen 
Kautelen sich immer noch etwas dagegen einwenden 
lassen. Die Anforderungen G.’s an eine Kranken¬ 
geschichte zu erfüllen ist für den irgendwie be¬ 
schäftigten praktischen Arzt unmöglich. Das könnte 
nur in Kliniken und Krankenhäusern geschehen, wo 
ein Heer von Assistenten Zeit und Gelegenheit hat, 
dergleichen Finessen auszuführen. Wir müssten 
also die praktischen Erfahrungen der Aerzte ganz 
entbehren. Wenn auch viel Spreu unter den ver¬ 
öffentlichten Heilungsgeschichten ist, so finden sich 
doch auch manche wertbvolle Körner darunter. Es 
kommt nur darauf an, dass man sie herausfindet. 

Ich meine daher, dass wir uns durch die Mei¬ 
nungsäusserungen des Herrn Dr. G. nicht irre 
machen lassen, auf dem von Hahnemann uns ge¬ 
wiesenen Wege fortzufahren, unsere Arzneimittel¬ 
lehre zu vervollkommnen, um diesen immer mehr 
vollkommenen Waffen mit immer grösserem Erfolge 
das Heer der Krankheiten zu bekämpfen. Ob die 
damit geführten Streiche den Feind so getroffen 
haben, dass er ihnen erlegen, weiss schliesslich der 
erfahrene Praktiker besser zu beurtheilen, als der 
mit noch so grosser Gelehrsamkeit ausgestattete 
akademische Neuling. Ich für meine Person bin 
in dieser Beziehung ziemlich skeptisch angelegt, 
allein in meiner langen praktischen Laufbahn habe 
ich doch eine ganz stattliche Zahl von Heilungen 
erlebt, bei denen jede andere Einwirkung als die 
des verordneten Mittels für jeden unparteiischen 
Beobachter ausgeschlossen war. Doch will ich es 
dahingestellt sein lassen, ob nicht durch die Sug¬ 
gestionsbrille betrachtet, auch da sich irgend ein 


Mangel in der Beweisführung herausfinden liesse. 
Doch würde dies auch, wenn man eben düfteln 
will, bei jeder Heilung durch Suggestion gelingen. 
Den Vorzug, welchen die Homöopathie vor der 
Suggestion wie vor allen andern Heilmethoden hat, 
dass hei ihrer Anwendung am Krankenbette nach 
einem theoretisch bewiesenen, wie praktisch er¬ 
probten , von jeder Tagesmeinung unabhängigen 
Grundsätze gehandelt wird, wird durch die Be¬ 
mängelungen des Herrn Dr. G. nicht im Geringsten 
in Frage gestellt. Treues Festhalten an demselben 
wird ihr endlich auch zum Siege verhelfen. Uns 
mag die G.’sche Arbeit aber ein Antrieb sein, bei 
Abfassung von Heilungsgeschichten, welche zur Ver¬ 
öffentlichung bestimmt sind, eine grössere Sorgfalt 
zu verwenden. 


Electrotherapeutische Studien von 
Dr. A. Sperling-Berlin. 

Besprochen von Dr. Weil-Berlin. 

In den im Verlag von Th. Grieben (L. Fernau) 
in Leipzig erschienenen Werkchen, theilt der Ver¬ 
fasser die im Verlaufe von vier Jahren an einem 
reichlichen Materiale von Nervenkranken gemachten 
Erfahrungen mit. 

Verfasser sagt in der Vorrede: Der Kern dieses 
Fundamentes wird gebildet von der Thatsache, dass 
ein galvanischer Strom von 0,5 Milliampere auf 
eine Electrodenfläche von 50 cm 2 vertheilt, also 

0 5 i 

von einer Stromdichte von = zttt,z eine unzweifel- 

50 100 

hafte therapeutische Wirkung auf krankhafte Zu¬ 
stände des Nervensystems ausübt, und zwar in so 
günstigem Sinne, dass sich auf diese Thatsache 
eine neue Methode der Electrotherapie begrün¬ 

den lässt. 

Während man bisher mit sogen, schwachen, 
raässig starken und starken Strömen, mit 5, 10, 
15 u. s. w. Elementen opcrirte, hat Verfasser sich 
das grosse Verdienst erworben, diese unbestimmten 
und gänzlich unzuverlässigen Angaben durch be¬ 

stimmte Werthe zu ersetzen, d. h. den dem mensch¬ 
lichen Körper mitzutheilenden Strom genau nach 
Volts und Milliamperes abzumessen. 

Eben so wenig wie man einen Patienten unbe¬ 
stimmte Dosen eines Arzneimittels verordnet, eben 
so gut muss man ihm genau bestimmte Dosen des 
electrischen Agens einverleiben, wenn man nicht 
willkürliche Versuche und werthlose Experimente 
machen will. 

Sehr richtig sagt Verfasser: Wahrlich — ein 
jeder Koloss von Dynamo-Maschine oder Electro- 
motor wird in dieser Beziehung besser behandelt, 
wie der menschliche Körper, und doch dürfte die 


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Behauptung, dass die bestconstruirte Maschine 
auch nicht annähernd diesem wunderbaren Bau 
gleichkommt, den man menschlichen Organismus 
nennt, nirgends auf entschiedenen Widerspruch 
stossen. — 

Dr. Sperling ist der erste Forscher auf dem 
Gebiete der Electrotherapie, welcher auf die schäd¬ 
lichen Wirkungen der Electrisation auf den 
Menschen durch Ströme von 1—20 und mehr 
Milliampere hingewiesen und zum eingehenden 
Studium gemacht hat. Jahrelange Misserfolge mit 
Strömen von 1—20 M.-A. haben ihm die Ueber- 
zeugung beigebracht, dass die Anwendungen von 
Strömen von 0,5 M.-A. und darunter, mit wenigen 
Ausnahmen, die besten therapeutischen Erfolge er¬ 
zielen lassen. 

Auch auf dem Gebiete der Electro.tberapie, wie 
auf dem Gebiete der Arzneimittel-Verordnung bat 
da9 unselige „Zuviel“ unendlichen Schaden ange- 
richtet und gerade wir homöopathischen Aerzte 
müssen es als einen Fortschritt begrüssen, dass 
der Verfasser den Beweis liefert, dass mit mini¬ 
malen so zu sagen homöopathisch dosirten Strömen 
ganz eminente Heilungen erzielt werden, welche 
mit den groben Eingriffen vieler sogen. Electro- 
therapeutiker nie erreicht wurden, durch welche 
im Gegentheil den Kranken recht oft erheblich ge¬ 
schadet wurde. 

Es ist ein sehr erfreuliches Zeichen der Zeit, 
dass verständige Aerzte den Wirkungen minimaler 
Heilagentien ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden be¬ 
ginnen. Wie Hugo Schulz in Greifswald, ein For¬ 
scher auf arzneilichem Gebiet, in diese Bahnen ein¬ 
lenkt, so ist Dr. Sperling’s Arbeit in der Electro¬ 
therapie Epoche machend und eröffnet neue 
Gesichtspunkte, welche das so stiefmütterlich an¬ 
gebaute Gebiet der Therapie erweitert und leistungs¬ 
fähiger macht. Auch hier wird das Gesetz bestätigt, 
dass nicht das „Viele*, sondern das „Richtige“ in 
kleiner Gabe tuto, cito und jucunde heilt. 

Eine fernere Beobachtung, welche uns homöop. 
Aerzten bekannt und sympathisch ist, hat Verfasser 
ebenfalls bei seinen electrotherapeutischen Beobach¬ 
tungen gemacht, nämlich, dass auch in der zu 
häufigen Wiederholung der Anwendung electrischer 
Behandlung ein Fehler liegt, dass jede electrische 
Behandlung für mehrere Tage zu unterbrechen ist, 
sobald eine andauernde Verschlimmerung des Lei¬ 
dens eingetreten ist. Als Ziel schwebt ihm vor 
Augen, die einzelnen Electrisationen in Bezug auf 
Wiederholung, Dauer und Intensität derartig ein¬ 
zurichten, dass keinesfalls und nie damit geschadet 
werde. 

Es ist dieses die bekannte Frage in der Homöo¬ 
pathie über Eist- und Nachwirkung der Arzneien. 
Dass man auch als homöopathischer Arzt noch 
öfter fehlt in der zu häufigen oder schnellen Auf¬ 


einanderfolge der Gaben, wird wohl niemand in 
Abrede stellen. Verfasser theilt die Reaction des 
Organismus gegen einen electrischen Strom in die 
erste und zweite Reaction und hat durch vielfache 
Beobachtung festgestellt, dass dieselbe auch bei 
0 5 

minimalen Strömen von und darunter vorhanden 
50 


und nachweisbar ist. Das nähere mag man im 
Original nachlesen. 

* Nach Mittheilung einer Anzahl Heilungen und 
einer Beschreibung der eigens zu diesem Zweck 
construirten Apparate, welche ihm ermöglichen in 
gewissen Fällen von 0,5 M.-A. bis zu 0,4 und 0,25 

0 25 05 

herunterzugehen (Stromdichte ’ - bis ’ n ), bringt 

50 50 


er noch eine Anzahl von Krankengeschichten und 
deren Heilungen aus dem Gebiete der Neurosen. 

Er theilt dieselben in 4 Gruppen und zwar 
umfasst die 

I. Gruppe: Neuralgien, 

II. Gruppe: Motorische Störungen, 

III. Gruppe: Beschäftigungs-Neurosen, 

IV. Gruppe: Magen-Neurosen. 

Letztere sind in Bezug auf ihre Heilungen interes¬ 
sant und muss ich auf das Werk selbst verweisen, 
da es zu weit führen würde, Einzelheiten wieder¬ 
zugeben. 

Verfasser betont, dass ein strenges Individuali¬ 
smen eines jeden Falles auch bei der electrischen 
Behandlung unumgänglich nothwendig ist und die 
verschiedenstenStromstärken zur Anwendung kommen 
können. Die Dauer der Sitzungen wurde durch¬ 
schnittlich auf 1—2 Minuten, selten auf 3 Minuten 
ausgedehnt. 

Jeder einsichtsvolle Arzt, der nicht blind auf 
die Worte der medicinischen Päpste schwört, der 
sich nicht in die grobmaterialistischen Anschauungen 
der herrschenden Schule verrannt hat, der eine 
Ahnung von der überaus grossen Reactionsfähigkeit 
des menschlichen Organismus hat, wird in Dr. Sperlings 
verdienstvoller Arbeit einen neuen Beweis dafür er¬ 
blicken, dass die Homöopathie Recht hat, wenn sie 
mit kleinen dem individuellen Falle angepassten 
Arzneigaben das Heilbare zu heilen sucht und das 
„Nicht schaden“ als Grundregel für alle therapeu¬ 
tischen Eingriffe aufstellt. 

Jedem Arzte, besonders demjenigen, welchen 
die vielfachen Nichterfolge der starken electrischen 
Ströme bekannt sind, welche bei vielen Aerzten die 
Electrotherapie in Misskredit gebracht haben, wird 
das Lesen der Electrotherapeutischen Studien ein 
grosses Interesse abgewinnen, und ich empfehle hier¬ 
mit das Werk besonders den homöopathischen Col- 
legen auf das wärmste. 


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Ans der Praxis amerikanischer 
Collegen. 

Von Dr. Heilte Hamburg. 

I. 

Frl. C. M., 20 Jahre alt; Gesicht und Lippen 
auffallend blass, die Haut im Gesicht hat ein merk¬ 
würdig schmutziges Aussehen. 

Sie ist krank und arbeitsunfähig seit 2 Jahren 
Die Krankheit begann im Magen und ergriff allmäh¬ 
lich den ganzen Körper. 

Die Patientin hat Chinin, Eisen und Whisky 
zwei Jahre lang genommen, wurde aber dabei täg¬ 
lich schwächer. Als sie in die Sprechstunde ge¬ 
bracht wurde, war sie so erschöpft, dass sie sich 
niederlegen musste, dabei Herzklopfen und Athem- 
noth. 

Die Kranke musste jahrelang zu ihrer Arbeit 
in einer Baumwollenfabrik acht kleine Treppen 
steigen, was sie bis vor 2 Jahmn ohne Ermüdung 
konnte. Seit dieser Zeit aber bekam sie, wenn sie 
versuchte zu steigen, solche Mattigkeit und so hef¬ 
tige Anfälle von Herzklopfen, dass sie ihre Arbeit 
aufgeben musste. 

Ihre Hauptklage ausser Herzklopfen und Schwäche 
ist ein Gefühl von Schwäche und Hinsein in der 
Herzgrube, besonders in den Vormittagsstunden. 
Dieses Gefühl ist für kurze Zeit gebessert durch 
Whisky, den sie täglich nahm, zu anderen Tages¬ 
zeiten auch wohl durch Essen. 

Appetit schlecht, Verlangen nach Saurem; Stuhl¬ 
gang durch Abführmittel. Durst mit Verlangen 
nach Säuerlichem. 

Die Regel immer zu spät, setzt oft 5 Monate 
aus; die erste Regel im 14. Jahre. Immer Schmer¬ 
zen, wenn die Regelzeit kam, mit wundmachendem 
Weissfluss mehrere Tage lang. Wenn wirklich die 
Regel eintrat, hatte die Kranke einen dumpfen, 
heftigen Schmerz durch das ganze Becken, Hüft- 
und Kreuzbeingegend, mit einem Gefühle, als ob 
der Inhalt des Leibes herausfallen wollte, besonders 
im Stehen; Uebelkeit und Erbrechen dabei drei 
Tage lang. 

Die Kreuzschmerzen und die Empfindung des 
Herausfallens der inneren Theile bleiben eine Woche 
vor und nach der Regel, während in der übrigen 
Zeit kein Schmerz im Leibe vorhanden ist. Wäh¬ 
rend der Regel klopfender Schmerz im Scheitel. 

Zwei Tage vor der Regel schwollen die Füssen. 
Das Blut der Menses ist farblos und wässerig. 

Schlaf meist gut, oft gestört durch Waden- 
krftmpfe. Sie schläft mit den Händen Uber dem 
Kopfe, erwacht Morgens müde und erschöpft, fühlt 
sich matt und verdrossen des Vormittags, besser 
gegen Abend. Verlangen nach frischer Luft. 

Als ganz kleines Kind hatte sie starken Aus¬ 
schlag auf Kopf und Gesicht, der durch Schwefel¬ 


oder sonstige Salben verschwand, im vierten und 
fünften Lebensjahr eine grosse Menge Furunkel. 

Nachdem ich mehrere Mittel verglichen, beschloss 
ich, die Behandlung mit Sulfur zu beginnen, glaubte 
aber sicher, dass ein so tief psorischer Fall eine 
vielleicht längere Aufeinanderfolge gut gewählter 
Arzneien nöthig habe. In dieser Annahme wurde 
ich angenehm enttäuscht 

Am 7. Sept. erhielt die Kranke eine Dosis Sul¬ 
fur Hochpotenz in vier Esslöffeln zu lösen und 
Morgens und Abends einen Esslöffel zu nehmen. 

21. Sept Fühlt sich im Allgemeinen viel besser. 
Die Menses waren nicht da, aber eine Woche nach 
ihrem Besuche in der Sprechstunde alle Vorboten 
derselben, begleitet von etwas, aber nicht scharfem 
Weissfluss. 

Des Morgens frischer: keine Wadenkrämpfe; der 
Durst ist verschwunden. 

Die Patientin ist sehr belästigt durch eine rauhe 
Acne im Gesicht und juckende Knötchen über den 
ganzen Rücken. Scheinarznei. 

19. Oct. Die Besserung geht voran. Kein Weiss¬ 
fluss, keine Regel, nur zuweilen das Gefühl, als ob 
sie kommen könnte. Mehr Ausschlag auf Gesicht, 
Schultern und Rücken. Grosse, tief gehende, sehr 
schmerzhafte geschwürige Stellen im Munde und 
an der Zunge. Die Patientin kann ihre Treppen 
wieder leicht steigen und hat ihre Arbeit wieder 
aufgenommen. Scheinarznei. 

16. Nov. Stetige Besserung; kann so gut ar¬ 
beiten wie jemals. Viel mehr Farbe der Lippen 
und des Gesichts. Der Ausschlag und zugleich 
die schmutzige Farbe der Haut sind verschwunden. 
Keine Geschwüre. 

Die Regel ist am 20. Oct. ei schienen, zum ersten 
Mal in ihrem Lehen ohne Schmerzen und Uebelkeit. 
Das Blut gut gefärbt. Scheinarznei. 

3. Dec. Am 23. Tage ist die Regel erschienen 
ohne Schmerzen und Uebelkeit. 

15. Jan. Die Patientin hatte Weihnachten die 
Influenza mit Frostigkeit und heftigen Rücken- und 
Kopfschmerzen. Arznei wurde nicht genommen aus 
Furcht vor den Aerzten. 

Die Regel erschien nach 35 Tagen, spärlich, 
gut gefärbt, schmerzlos. Die Patientin fühlt sich 
noch matt von der Influenza und viel besser im 
Freien. Pulsatilla eine Gabe Hochpotenz. 

5. Juni. Die Patientin hat sich sehr wohl ge¬ 
fühlt, sie hat rosige Wangen und ist ein Bild der 
Gesundheit. 

Die Regel kam regelmässig und schmerzlos im 
Februar, März, April und Mai. Ein Gefühl des 
Wohlbefindens wie nie zuvor. 

Dr. Wesselhoeft in Boston beschreibt diesen Fall 
von Amenorrhoe mit Anaemie. 

(Wie in allen von ihm beschriebenen Krankheits¬ 
fällen, so zeichnet sich auch im obigen Dr. Wessel- 


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136 


hoeft aus durch eine sehr eingehende Anamnese, 
eine durchaus exacte Mittelwahl und Auswirkenlassen 
der gut gewählten Arzneien. Das tief gehende 
Leiden wurde durch 2 Gaben beseitigt, wobei noch 
zweifelhaft, ob Pulsatilla ohne die hinzugetretene In¬ 
fluenza nöthig gewesen wäre. Ä) 

II. r 

Dr. Sberbino von Abilene, Texas, beschreibt die 

folgenden 4 Fälle. 

Ich wurde Nachts gerufen zu einer Frau wegen 
Abortus im 5. Monat. Nach Geburt des Foetus 
versuchte ich die Nachgeburt zu holen, was nicht 
gelang, auch in den nächsten Tagen nicht. Dann 
wurde ich in einer Nacht wieder gerufen wegen 
starker Blatung. Wehen waren aufgetreten, ich 
konnte die Nachgeburt fühlen, aber nicht holen. 
Heilrothes Blut, welches der Kranken heiss vorkam, 
ging bei jeder Wehe stromweise ab; die Symptome 
sprachen für Belladonna und ich gab ein Pulver 
Hochpotenz hiervon. Hierauf wurden die Wehen 
kräftiger; das Bild änderte sich, indem Uebelkeit 
und Erbrechen von hellrothem Blut hinzukam. Ich 
gab Ipec. und wenige Minuten nachher kam die 
Nachgeburt. 

Der Blutverlust war sehr stark gewesen; es 
traten ein Todtenblässe des Gesichts, Sausen in den 
Ohren, Ohnmacht, Verschwinden des Pulses. Ich 
legte die Frau flach und gab China, ausserdem Hess 
ich warme Tücher auf die Herzgegend und die 
kalten Extremitäten legen. Dieser Fall zeigte, wie 
schnell in einer halben Stunde die Symptome und 
die Mittel wechseln können. 

III. 

Frau E., schlank und zierlich gebaut, Hess mich 
rufen, da die Wehen ihrer ersten Geburt begonnen 
hatten und abnorme Erscheinungen aufgetreten 
waren. Als ich binkam, war das Zimmer kalt, kein 
Feuer im Ofen, und sie wollte auch keins; Hände, 
Füsse, GHeder und Scheide waren kalt und doch 
woUte sie nicht zugedeckt sein. Ich gab ihr Secale 
ein Dosis Hochpotenz; bald darauf wurde der Kör¬ 
per wärmer und sie konnte es jetzt vertragen, dass 
Feuer angezündet und Wärme an ihren Körper ge¬ 
bracht wurde. Die Geburt verHef sodann normal. 

IV. 

Frl. S., 15 Jahre alt, hellhaarig, kam zu mir 
aus dem südlichen Texas wegen Beschwerden bei 
der Regel. In ihrer FamiHe stand gutes Essen und 
Trinken oben an. Ich fand regelmässig folgende 
Symptome: Schmerzen durch die ganze Becken¬ 
gegend, der Magen gewöhnHch in Unordnung, viel 
Aufstossen mit etwas Erleichterung. 

Sehr viel Drang zum Wasserlassen, sehr oft 
Drang zum Stuhl, aber ohne Erfolg, zu gleicher 


Zeit Schmerzen schiessend und schneidend hinauf 
in den Mastdarm. 

Ich wurde immer gerufen, wenn die Schmerzen 
ansetzten und fand stets Nux vom. indicirt. Ich 
gab es in Hocbpotenz und erzielte vollständige 
Heilung, brauchte aber längere Zeit, nach meiner 
Meinung wegen der üppigen Lebensweise der Pa¬ 
tientin. 

V. 

Ein zwei Tage altes Kind bekam Darmblutung 
von dunklem Blut. Als ich gerufen wurde, war 
die Blutung viermal aufgetreten; ebenso oft wieder¬ 
holte sie sich in der nächsten Nacht trotz meiner 
Gabe arsen und das Ganze zeigte ein bedenkHches 
Aussehen. Während ich das Kind betrachtete, be¬ 
merkte ich bei ihm Uebelkeit und Erbrechen und 
dies brachte mich auf ipec. Nach einer Gabe dieses 
Mittels kam weder Erbrechen noch Blutung wieder. 

VI. 

Dr. Haynes in Indianopohs berichtet in der 
Januarnummer 1892 der Med. Adv. vier Fälle von 
ipec bei Uterusblutungen. 

Frau T., 22 Jahre alt, mit blauen Augen, 
braunem Haar, kleiner Statur, verheirathet, Mutter 
eines Kindes von 2 V 2 Jahren, hatte einen Abortus 
vor einem Jahre, von dem sie sich unter allopathi¬ 
scher Behandlung sehr langsam erholte. Sie wurde 
plötzlich, während sie in anscheinendem Wohl¬ 
befinden mit einer kleinen Näharbeit beschäftigt 
war, von einer starken Gebärmutterblutung befallen. 
Man legte sie aufs Bett und schickte nach mir. 
Als ich kam, war sie schon zweimal ohnmächtig 
geworden; ich fand sie pulslos mit blutleerem Ge¬ 
sicht und so erschöpft, dass sie nicht sprechen 
konnte. Betreffs Information musste ich mich an 
die Umgebung halten und auch von dieser bekam 
ich wenig Auskunft. 

Das Blut war durch Kleider und Bett gedrungen 
und sammelte sich in einer grossen Lache auf dem 
Fussboden. Das Blut floss sehr schnell, ein breiter 
Strom ergoss sich vom Uterus und war schnelle 
Hilfe nöthig, wenn nicht in kurzer Zeit der Tod 
eintreten sollte. 

Das Blut war hellroth, rein arteriell; die Beine 
waren mit kaltem Schweiss bedeckt, die Hände kalt 
und feucht, der Leib heiss und feucht. Das Blut 
kam gussweise und coagulirte nicht. Alle Symp¬ 
tome, die ich sammeln konnte, deuteten auf ipec.; 
eine kleine Gabe des Mittels wurde aufgelöst in 
einem halben Glas Wasser und theelöffelweise ge¬ 
geben. 

Das Mittel wirkte zauberhaft, denn in weniger 
als einer Minute war eine Wendung zum Besseren 
eingetreten. Nach 15 Minuten wurde der zweite 
Theelöffel gegeben und die Blutung stand. Ich 


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wartete noch eine Stande ab, ob sie nicht wieder 
kam, hinierliess dann Scheinarznei mit der Weisung 
mich sofort za holen, wenn die Blutung sich wieder 
zeigen sollte. Zwei Tage noch zeigte sich Ausfluss 
aus der Scheide. 

Die Patientin war sehr schwach nach dem ausser* 
ordentlichen Blutverluste, erholte sich aber gut unter 
einigen Gaben China in Hochpotenz, stand nach acht 
Tagen auf und konnte nach 14 Tagen bereits in 
die Stadt kommen. 

VII. 

Frau L., 31 Jahre alt, blauäugig, braunhaarig, 
inittelgross, von lebhaftem Temperament, bekam 
plötzlich eine heftige Uterusblutung; das Blut sah 
hellroth aus, wie arterielles Blut, kam gussweise, 
war flüssig, ohne zu coaguliren; ein schweres, be¬ 
klemmendes Geföhl über dem Unterleib, heftige 
Kreuzschmerzen, Klopfen im Kopfe, bei Bewegung 
Erscheinungen vor den Augen, Uebelkeit, welche 
aus dem Magen zu kommen schien; Zunge weiss; 
etwas Durst; sehr niedergeschlagen, weil sie fürchtet, 
sie blutet sich zu Tode; Hände und Füsse mit 
kaltem Sch weiss bedeckt; Frostschauder bei Be¬ 
wegung und Aufdecken der Kleidung. Die Patientin 
war vordem ganz wohl gewesen und konnte keinen 
Grund angeben für diese Attacke. Ipec. in wässeriger 
Lösung, alle Vz Stunde ein Theelöffel, beseitigte in 
einer Stunde den heftigen Biutfluss; eine leichte 
Nachblutung stand am nächsten Morgen. 

VIII. 

Frau K., 28 Jahre alt, blauäugig, braunhaarig, 
gross und mager ; von sehr lebhaftem Temperament, 
zu Zeiten ohne Ursache sehr niedergeschlagen, 
Mutter eines siebenjährigen Kindes, ohne Verdacht 
einer Schwangerschaft, bekam plötzlich Uterus¬ 
blutung; das Blut, hellroth, mit Geruch von frischem 
Blut, coagulirend beim Kaltwerden, kam in Güssen. 

Heftiger Schmerz im Unterleib; der Leib heis6 
anzufühlen mit warmem Schweiss, Hände und Füsse 
kalt und feucht; Wasserlassen oft, jedesmal wenig; 
Uebelkeit; klopfendes Kopfweh, schlimmer in der 
Stirn; blasses, blutleeres Gesicht, weisse Zunge; 
etwas Durst; Wundgefühl in der Kehle, etwas Husten; 
Mund pappig-klebrig, zäher Schleim in der Luft¬ 
röhre; Schmerzen in der ganzen Brust; kein Appe¬ 
tit; Blähungsanhäufung; schmerzhafte Schwere in 
der Uterusgegend. Die Kranke war ruhelos (Blut 
schlimmer bei Bewegung), sehr niedergeschlagen, 
glaubte nicht mehr besser zu werden. 

Ipecac. Hochpotenz in wässeriger Lösung, alle 
Stunde ein Theelöffel. Nach dem dritten Theelöffel 
war die Blutung so gering geworden, dass die 
Arznei ausgesetzt wurde. Eine leichte Absonderung 
blieb noch zwei Tage. 


IX. 

Frau B., 24 Jahre alt, mit dunklen Haaren und 
Augen, Mutter eines zweijährigen Mädchens, melan¬ 
cholisch veranlagt, bekam plötzlich eine Uterus- 
blutnng; Blut hellroth, kommt schussweise; Uebel¬ 
keit mit Würgen; Gesicht blutleer; Puls 120, klein; 
Hände und Füsse kalt und feucht, Leib heiss; Ge- 
fäss mit klebrigem Schweiss bedeckt; Kopfweh mit 
Uebelkeit; heftiger Kreuzschmerz, schlimmer durch 
Bewegung; wundes Gefühl in der Brust; krampf¬ 
hafte Hustenanfäile, welche die Blutung vermehrten; 
heftiger Druck durch den Unterleib; vor jedem 
Schuss Blut heftiges Kneipen in der Gebärmutter¬ 
gegend; sehr niedergeschlagen; weiss, dass sie sich 
zu Tode blutet; hält es für am Besten, wenn sie 
sich ruhig verhält, kann aber nioht ruhig bleiben. 
Die Bewegung vermehrt die Blutung, bringt wieder 
einen Schuss Blut und das macht sie noch un¬ 
ruhiger. # 

Ipec. in wässeriger Lösung, stündlich ein Thee¬ 
löffel, beseitigte die aktive Blutung nach 4 Stunden. 
Eine leichte Absonderung blieb noch drei Tage. 

Eine grosse Menge Arzneien, fügte Dr. Haynes 
hinzu, haben Blutungen hellrothen Blutes vom Uterus, 
aber ipec. hat seine charakteristischen Zeichen. Was 
ich besonders hier hervorheben will, ist das eigen¬ 
tümliche schussweise Kommen des Blutes, am 
meisten damit zu vergleichen, wenn Einer an der 
Pumpe steht und den Schwengel kräftig handhabt; 
der Blutstrom hört nie auf, aber nach jeder Zu¬ 
sammenziehung des Herzens kommt ein besonders 
starker Schuss: eine Eigenthümlichkeit, die, soviel 
ich weiss, keiner anderen Arznei zukommt. Ferner 
coagulirt das Blut nicht leicht. 


Therapeutischer Unterschied 

zwischen Calcarea sulphurata oder Hepar sulphuris 
calcareum , Kalkschwefelleber und Sulphur. 

Von Br. H. Goullon. 

Schon aus dem Umstand, dass die durch Glüh¬ 
hitze aus gleichenTheilen Austerschalen und Schwefel¬ 
blumen dargestellte Schwefelleber vielfach ganz 
anders wirkt, als reiner Schwefel, aber auch anders 
als reiner Kalk, hätte man sich vor dem Irrthum 
bewahren können, als ob der Schwefel ein nahezu 
indifferenter Körper sei, wie Nothnagel und Ross¬ 
bach behaupten. Ihnen ist freilich auch Hepar 
sulphuris entbehrlich; sie kennen nur die Ver¬ 
bindung von Kaliumpolysulphiden und schwefel¬ 
and unterschwefeligsaurem Kalium, welches Gemisch 
ihr Hepar sulphuris darstellt. Was Wunder, wenn 
sie darüber wegwerfend urtheilen und es zum inneren 
Gebrauch für völlig überflüssig halten: „Es giebt 

18 


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keinen Zustand, auf den es einen ausgesprochenen 
Einfluss ausübte oder vor anderen weniger geführt 
liehen Mitteln (wegen der möglichen Schwefel Wasser¬ 
stoff-Vergiftung 1) einen Vorzug hätte.* Welch eine 
traurige Resignation, und wie mitleidig muss man 
herabblicken auf solche Koryphäen der pharma- 
kodynamischen Wissenschaft! 

Welche Legion von Krankbeitszuständen heilt 
dagegen die im Besitz der Hahnemann’schen Kalk* 
schwefelieber befindliche Homöopathie. Dasselbe 
gilt vom Präparat des reinen Schwefels in allen mög¬ 
lichen Stärkegraden (Potenzen), während wiederum 
obige Autoren ihm den Garaus machen möchten. 
Denn nach ihrer man darf hier wohl sagen laien¬ 
haften Ansicht sind die einzig sicher constatirten 
Wirkungen auf — den Darm gerichtet. „Es treten 
Leibschmerzen, vermehrte Darmbewegungen, weiche, 
breiige Stuhlentleerungen auf.“ Voilä tout! Und 
während uns in den cofiplicirten Krankheitsfällen, 
welche sich durch chronischen Verlauf und anfäng¬ 
liche Unzugänglichkeit für indicirt erscheinende Arz¬ 
neien charakterisiren, Schwefel die ausgezeichnetsten 
Dienste leistet durch Anregung der allgemeinen 
Reaction, durch Beschleunigung von Krisen auf 
Haut und Schleimhaut, versteigen sich Rossbach— 
Nothnagel zu der wahrhaft entsetzlich klingenden 
Behauptung: 

„Eine All gemein Wirkung des Schwefels können 
höchstens die kleinen Schwefelwasserstoffmengen 
sein “ 

Welch ein Abgrund von Unwissenheit! Sehen 
wir uns jetzt Schwefel und Schwefelleber auf ihre 
Unterschiede am Krankenbett näher an. 

Wir sind gewohnt, Hepar da zu geben, wo 
Eiterungen bevorstehen, deren Eintritt zu verhüten 
oder (nach Art der Silicea-Verwendung) zu regu- 
liren. Von Sulphur wird Niemand ein Gleiches er¬ 
warten. Daher nur Hepar eine Rolle spielt gegen¬ 
über von Panaritien, vereiternden Drüsen, Augen- 
blennorrhöen, perforativen Mittelohrkatarrh, Gonorr¬ 
höen und Katarrhen überhaupt in vorgeschrittenem 
Stadium. Besonders aber erfreut sich Hepar eines 
guten Rufes beim Pseudocroup und im Beginn 
wirklichen Croups. Und es ist nicht zu leugnen, 
dass er hier entscheidend eingreift, ohne damit die 
Bedeutung von den Hepar nahestehenden Mitteln 
Spongia, Jod und Brom zu unterschätzen. 

So ist mir ein Fall unvergesslich, in welchem 
der bisherige allopathische Helfer für den nächsten 
Besuch die Tracheotomie in gewisse Aussicht ge¬ 
stellt hatte, und wo Hepar sulph. calc. die erste 
Wendung zu bleibender Besserung und schliesslicher 
Genesung herbeiführte. Das etwa fünt Jahre alte 
Mädchen war durch und durch skrophulös. — Sul¬ 
phur aber wird Niemand, d. h. kein homöopathischer 
Arzt ein Croup-Mittel nennen wollen. 

Der Neigung zur Gerstenkorn-Bildung, sicher 


auch ein charakteristischer Ausdruck der Skrophu- 
lose, beugt man vor durch Hepar, weniger bekannt 
ist diese prophylaktische Kur beim Erysipelas habi- 
tuale, aber Altschul gedenkt dieser Indikation, 
während wiederum diese klinische Eigenschaft dem 
Schwefel per se abgeht. In dieser Beziehung (gilt 
auch von der Hordeolosis) concurrirt vielmehr nur 
noch Graphites. 

Wir kommen hier noch auf eine seltenere Hepar- 
Indication zu sprechen, welche einen warmen Für¬ 
sprecher in einer namhaften Autorität hat, der man 
nicht zu widersprechen wagt. Hahnemann selbst 
nämlich ist es, der empfiehlt, beim bohrenden Kopf¬ 
schmerz mit periodischem Charakter (kehrt alle 
Morgen wieder) Hepar zu geben. Nun ist zwar 
auch Sulphur ein Mittel, welches in Neuralgieen, wenn 
auch nicht oft, Verwendung finden kann, aber doch 
gegen diese specielle Art Kopfschmerz schwerlich 
sich hilfreich erweisen würde. Migräne nach Miss¬ 
brauch von Mercur ist ebenfalls entschieden mehr 
specifisches Correlat für Hepar, als für Sulphur. 

Beim sogen, freiwilligem Hinken, also der in 
Eiterung übergehenden Coxitis oder Hüftgelenkent¬ 
zündung, wie sie jugendliche (skrophulöse) Individuen 
zu befallen pflegt, ist zwar anfangs mit Rhus viel 
auszurichten, später aber kommt (neben Silicea) 
Hepar an die Reihe und existirt namentlich ein von 
Villers sen. ausführlich mitgetheilter Fall von Hei¬ 
lung. Sulphur würde hier höchstens den Werth eines 
geeigneten Zwischenmittels beanspruchen dürfen. 

Fragen wir jetzt, was hat Sulphur vor Hepar 
sulphuris voraus, welche feineren oder gröberen 
therapeutischen Unterschiede bestehen zu Gunsten 
des ersteren? 

Packt Hepar mehr das Schleimhautsystem mit 
seiner Neigung zu purulenten und seropurulenten 
Ausscheidungen, so erscheint für Sulphur das Ober¬ 
hautsystem als wahre Domäne. Es braucht nicht 
immer dabei das Wort Krätze oder Psora zu fallen, 
allein thatsäcblich sind die Krätze- und Krätzähn- 
lichen Exantheme die zugänglichsten. Von Hepar 
hört man dagegen nicht, dass es solche im Bett, 
d. i. in der Wärme schlimmer werdende, durch 
heftiges Jucken sich auszeichnende Ausschläge ge¬ 
heilt hätte. Auch kommt ihm nicht die gewaltige 
centrifugale Kraft zu, mit der der Schwefel kranke, 
innere Organe zu entlasten und den Process auf 
das Hautorgan ab- und überzuleiten versteht. 

Wer wollte ferner auch nur annähernd Kalk- 
Schwefel und Schwefel auf ein therapeutisches 
Niveau stellen gegenüber dem Heer von Erkrank¬ 
ungen, welche auf Stauung im Pfortadersystem zu¬ 
rückzuführen sind? Hämorrhoiden und Schwefel 
sind so unzertrennlich wie Chinin und Wechselfieber. 
(Beiläufig bemerkt ist Sulphur selbst Wechselfieber¬ 
mittel, nämlich da, wo gleichzeitig profuse Schweisse 
bestehen.) — Griesselich will Sulphur bei der 


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1S9 


Hypochondrie und Hysterie mit venösen Stasen an¬ 
gewendet wissen. 

Wo liest man Aehnliches von Hepar? Es scheint 
vielmehr, als ob das chemische Gemisch von Kalk 
plus Schwefel ein Verlorengehen der therapeutischen 
Eigenschatten des letzteren zur Leber involvire. 

Vielleicht darf man gerade an dieser Stelle am 
passendsten anknüpfen, den weiteren Vorzug des 
Schwefels gegen Magenaffectionen hervorzubeben. 

Denn auch diese sind oft auf „ Stockungen im 
Pfortadersystem“ zurückzufahren. Also Hepar ist 
weder (wie Sulphur) specifisch beim Vomitus chro¬ 
nicus, wo alles Genossene wieder erbrochen wird 
noch bei dem chronischen Magenkrampf mit 
Dyspepsie. 

Souverän bleibt übrigens Sulphur im Allgemeinen 
bei den auf sitzende Lebensweise zurück führbaren 
somatischen Störungen, ja man darf hinzufügen auch 
bei den somatisch-physischen Affectionen. Er geht 
Hand in Hand mit Nux vomica. Von einem solchen 
complementären Verhältniss zwischen Hepar und 
Nux ist mir nichts bekannt. 

Man mag es unwissenschaftlich nennen, aber 
zum Heil der Kranken entspricht dieser Empirie 
der Erfolg, ich leite nicht selten die Cur da mit 
Sulphur ein, wo ich höre, dass der Patient dem 
Lehrerstand angehört, möge es sich auch in den 
verschiedenenErkrankungsfällen um scheinbar hetero¬ 
gene Zustände handeln, das Moment der sitzenden 
Lebensweise oder „Stockung“, venösen Stauung ist 
für mich respective für die Darreichung von Schwefel 
inaassgebend. Von Nux gilt dies in dem Umfange 
wenigstens nicht und von Hepar eben gar nicht. 

Wird man ferner Hepar geben, habituelle Hart¬ 
leibigkeit zu beheben? Schwerlich. Sulphur aber 
ist und bleibt dafür ein gutes Mittel, höchstens 
wird man bei Hepar das Symptom der Obstruction 
als eine Indication mehr ansehen, da wo es über¬ 
haupt nicht hinpasste. Von Interesse dürfte dabei 
sein, folgende Reflexion anzustellen. Calcarea wird 
bekanntlich mehr bei Weichleibigkeit gegeben — 
man denke nur an seine notorische Hilfe bei den 
gefürchteten Zahn-Diarrhöen der Kinder — Sulphur 
allein aber fördert entschieden den Stuhl, ist sogar 
im Sinne der traditionellen Medicin oin Laxanz, als 
welches es selbst auch bei Rossbach-Nothnagel an¬ 
geführt. wird. Nun geht also diese Eigenschaft auf 
Kalk - Schwefel nicht über, während anderer¬ 
seits in gewissen Fällen die Schwefelkraft prävalirt, 
so z. B. bei der Tinea capitis, dem nässen¬ 
den Kopfgrind, oder in manchen Respirationskrank¬ 
heiten: „bei trockenem Husten und Heiserkeit nach 
abgelaufenen Pneumonien.“ So erinnert unwillkür¬ 
lich das Verhältniss an ein ähnliches in der Pflanzen¬ 
oder Thierwelt, wo der Bastard bald mehr vom 
Vater, bald mehr von der Mutter annimmt, beim 
Pfropfen das Reissig dem zukünftigen Gewächs bald 


mehr seinen Charakter aufdrückt, bald in seinen 
Eigentümlichkeiten überwuchert wird. 

Ich schliesse mit dem Hinweis auf die wurm¬ 
treibende Eigenschaft des Schwefels, welche wiederum 
Hepar abgeht. Offenbar aber ist es nicht die laxirende 
Kraft von Sulphur, wie man denken könnte, wenn 
nicht auch schon auf homöopathische Gaben der 
Abgang von Würmern, selbst Bandwurm wäre beo¬ 
bachtet worden. 


Entgegnung. 

In No. 13 und 14 dieser Zeitung hat Herr * 
College Katsch „meine bisherigen Erfahrungen über 
Autoisopathie“ zu widerlegen und lächerlich zu 
machen gesucht. Es kommt mir nicht in den Sinn, 
die einzelnen Angriffe zurückzuweisen — ich müsste 
dazu auch mindestens eine Doppelnummer bean¬ 
spruchen — und bin ich der festen Ueberzeugung, 
den Herrn Collegen ebensowenig zu meiner Ansicht 
zu bekehren, wie sein Artikel mich zu der seinigen 
bekehrt hat Solche Fragen lassen sich schlechter¬ 
dings nicht auf dem Papier entscheiden und wenn 
es riesweise verschrieben und gedruckt wird! Sie 
lassen sich nur am Krankenbett am Kranken selbst 
entscheiden! 

Im Allgemeinen verweise ich den Herrn Collegen 
auf unsere langen Auseinandersetzungen in einer 
Laiengesellschaft, bei der er mich mit meiner Iso- 
pathie lächerlich zu machen suchte; es gelang ihm 
natürlich bei den meisten Anwesenden, — auch 
von meiner Clientei waren dabei! — als er demon- 
strirte, wie ich einen Menschen, der an Diarrhöe 
leidet, mit seinem potenzirten Stuhlgang curiren 
wolle!! Ich schlug ihm vor: „Kommen Sie doch 
„und bringen Sie mir Schwindsuchtscandi- 
„daten, Kinder mit Keuchhusten, Bronchitis, 
„ich will’s Ihnen ad oculos demonstriren, 
„geben 8ie mir Ihr eigenes Sputum und ich 
„will Sie v.on Ihrem langwierigen Catarrh 
„rasch befreien, Ihnen meine behandelten 
„Fälle vorstellen und zeigen wie ich meine 
„Hochpotenzen mache. 0 *) Letzteres kann ich 
ja „meine eigene Methode“**) nennen! — Es wäre 
schlimm, wenn Hahnemann's Potenzirongsverfahren 
für alle Ewigkeiten unveränderlich bleiben sollte; 
hat doch der Herr College selbst schon öfter daran 
gerüttelt, und uns „Autoisopathiker“ verweist er 
streng auf Hahnemann’s Vorschrift! 

*) Sollte dies alles dem Gedächtniss des Herrn 
Collegen entschwunden sein?! Ich kann es nicht an¬ 
nehmen ! 

*•) College K. hatte damals das von der Hahne- 
mann’schen Methode Abweichende gutgeheissen, und 
nur getadelt, dass ich 2—S Mal in der Woche eine 
Nacht mit Potenzirungen durcharbeite! 

18 * 


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140 


Warum der Herr College obiger Einladung bis 
jetzt nicht gefolgt ist, um selbst als «sachver¬ 
ständiger Arzt zur Prüfung des damaligen 
Lungenzustandes 11 meiner Patienten zu fungiren, 
weiss ich nicht! wohnen wir doch nur Vf 2 Strassen 
aus einander! «Am lebhaftesten Interesse für die 
Control-Untersuchungen" kann es ihm doch nicht 
gefehlt haben, denn er verlangt dieselben von uns 
aus Misstrauen auf unsere Ehrlichkeit, oder 
Diagnostik für alle Zukunft! 

Also warum nicht? Anstatt dessen einen solch 
fulminanten Artikel!!! — 

Nun zur Meningitis tuberculosa der Kinder, 
* dem acuten Hydrocephalus der Aelteren! 

Auf diese Frage sei dem Herrn Collegen eine 
directe Antwort: diese Kinderkrankheit ist eine se- 
cundäre Krankheit, die primäre Tuberculose sitzt 
in einer Lungenspitze, oft als winzig kleiner Grad 
verborgen, wird wegen der geringen Erscheinungen 
für einfachen unschuldigen Catarrh gehalten, die 
Prognose günstig gestellt! — Erst die hinzutreten¬ 
den bekannten Gehirnerscheinungen stellen die Diag¬ 
nose und Prognose anders; die armen Kleinen sind 
allen Mitteln zum Trotz verloren! Diese Ansicht 
der Entstehung aus einem käsigen Herd hat Kafka 
(nach Niemeyer) anno 1869 und pathologisch-ana¬ 
tomisch Prof. Buhl in München in seinen 12 Briefen 
vertreten. Durch viele Sectionen in meiner 15jäh¬ 
rigen Praxis habe ich dies stets bestätigt gefun- 
den.*) Daher mein Verlangen, in einem Sputum 
ein Product aus der primären Erkrankungsstelle 
zu bekommen und dieser mörderischen Krankheit 
die Spitze bieten zu können. Sie ist der beste 
Probirstein för die Autoisopathie! Wenn damit 
erst einige, natürlich nur „durch andere sach¬ 
verständige Aerzte controiirten Fälle" geheilt 
sein werden, dann steht die Autoisopathie selbst 
ihrem grössten Feinde, dem Collegen Katsch gegen¬ 
über gerechtfertigt da. 

Baden-Baden. Dr. med. Schwarz, 

pract. Arzt 


Offenes Sendschreiben an die 
Redaktion. 

In den Verhandlungen des Gemeinde-Rathes in 
Antwerpen, abgedruckt in No. 9/10 des 124. Bandes 
der Allg. Homöopath. Zeitung, sehe ich mit Staunen, 
dass der Dr. Desguin die kühne Behauptung auf¬ 
stellt, dass man in Amerika für 100 Dollar ein 
Doctor-Diplora kaufen kann. Der gute Mann scheint, 
wie aus all* seinen Argumenten hervorgeht, noch 

*) Die mir mündlich gemachten Einwürfe des Col¬ 
legen Katsch: «Was hat denn das Sputum mit der 
Meiling. tub. der Kinder zu IhmT?" sinn hierdurch hin¬ 
fällig geworden! 


sehr weit hinter unserem Zeitalter zurück zu sein. 
Da unser Land noch sehr jung ist, ist es allerdings 
vorgekommen, dass vor ca 20 Jahren in Philadelphia 
eine Anzahl von Schwindlern, die angaben mit vom 
Staate autorisirten Lehranstalten in Verbindung zu 
stehen, Diplome für sogar noch billigeren Preis ver¬ 
kauft haben. Als der Schwindel jedoch bekannt 
wurde, wurden die betreffenden Personen zur Ver¬ 
antwortung gezogen. Es wurde bis zu diesem Jahre 
Niemandem die ärztliche Praxis gestattet, der nicht 
ein Diplom einer vom Staate autorisirten Lehran¬ 
stalt aufzuweisen hatte. Seitdem genügt dasselbe 
aber nicht einmal mehr, da im Staate New-York, sowie 
in mehreren anderen Staaten der Union das ein¬ 
fache Doctor- Diplom nicht zur Praxis berechtigt, 
sondern es wird ein Staats-Examen verlangt 
Die Examinatoren dürfen nicht mit den Lehr-An¬ 
stalten in Verbindung stehen, werden vom Staate 
ernannt und müssen unabhängige, als tüchtig be¬ 
kannte Aerzte sein. Gern würde ich diese Tbat- 
sachen dem Dr. Desguin klar machen; da ich aber 
seine Adresse nicht kenne, dachte ich, dass eine 
Richtigstellung in Ihrer Zeitung die deutschen Col¬ 
legen, die den Desguin’schen Unsinn lesen, über 
den wahren Sachverhalt amerikanischer medici- 
nischer Verhältnisse aufklären würden. In den süd¬ 
amerikanischen Republiken sollen die Gesetze sogar 
noch strenger sein. Das Staats-Examen wird übri¬ 
gens nur von den von jetzt ab promovirenden 
Aerzten verlangt 

New-York, den 15. März 1891. 

Mit Hochachtung ergebenst 
Dr. A. Berghaus 
138 E. 65 Street. 


Lesefrüchte. 

Als Curiosität möge hier die dritte der Thesen 
Albrecht von Grafe’s mitgetheilt sein: 

Homöopathie nihil praestat nisi per naturae vim 
medicatricem, per diaetam et per fidem. (Aus 
„Centralbl. f. prakt Augenheilk, XV. Jahrg. 1891. 
August, p. 256.) 

Heber die Behandlung ohnmachtsähnlicher Zustände 
mittelst der Luftdouche bemerkt Laker (Wiener 
med. Presse 1891. Nr. 25) folgendes: 

Die Anämie des Gehirns, die Ursache der Ohn¬ 
macht, ist möglichst rasch zu beseitigen. Dies ge¬ 
lingt meist schon durch horizontale Lagerung des 
Körpers, eventuell mit tiefer hängendem Kopfe. Von 
der Anwendung starker Hautreize, um auf reflec- 
torischem Wege eine grössere Blutfülle des Gehirns 
herbeizuführen, hält er nichts, schon deshalb, weil 
bei schwindender Sinnesthätigkeit die Hautreflexe 


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bald aasfallen. Dagegen bleiben die Schleimhaut¬ 
reflexe länger erhalten (Schlaf, Chloroformnarkose). 
Laker sah in einer grossen Anzahl von Ohn macht«- 
anfällen die Anwendung der Luftdouche, insbesondere 
nach der Methode von Kessel, von glanzendem, 
durch keine der bisher bekannten Methoden er¬ 
reichbarem Erfolge begleitet; er empfiehlt sie auch 
bei den durch Gebirnanämie bedingten Störungen 
der Chlöroformnarko8e. — Die weniger bekannte 
Methode der Lufteintreibung in die Tuben nach 
Kessel ist folgende: Eine, hakenförmig gebogene 
Metallröhre wird mit der einen Krümmung durch 
den Mund hinter das Gaumensegel gebracht, wel¬ 
ches sich in Folge der Berührung krampfhaft an 
die Röhre und an die hintere Rachenwand anschmiegt 
und damit den Nasenrachenraum nach abwärts luft¬ 
dicht abschliesst. Während man nun durch An¬ 
einanderpressen der Nasenflügel den Nasenrachen¬ 
raum auch nach vorn abschliesst, bläst man mit 
dem Munde einen kräftigen Exspirationsstrom durch 
die Röhre, welcher dann in beide Tuben eindringt. 
(Aus »Berliner klin. Wochenschr. 1891. Nr. 40, 
p. 1003.) 

lieber den therapeutischen Werth der Cannabis indica 
Von Prof. C. W. Bückling, Birmingham. (Deut¬ 
sche Medicinal-Zeitung Nr. 74. 1891.) 

Nach Verf., der seit mehreren Jahren unter vielen 
Verhältnissen die heilsame Wirkung der Canna¬ 
bis indica kennen gelernt hat, verdient sie einen 
"besseren Ruf als bisher. Nahezu als Specificum 
wirkt sie bei einer Form von Geistesstörung, die 
bei Frauen häufiger als bei Männern angetroffen 
wird und gewönlichdurch traurige Gemüthsstimmung, 
meist in Folge von Erkrankung eines nahen Ver¬ 
wandten und psychischem Shok, entstanden ist. 
Bei dieser Affection erscheinen die Kranken ver¬ 
stimmt und misstrauisch und bilden sich ein, dass 
Thiere sie verfolgen, oder dass irgend etwas ihnen 
ein Leid zuzufügen beabsichtigt. Sie sind von inten¬ 
siver geistiger Verwirrung und Geistesschwäche be¬ 
fallen, unfähig sich zu unterhalten und bisweilen 
sich anzukleiden, so dass der Zustand sich als der 
einer acuten Dementia darstellt. Mehrere solche 
Fälle sind in 14 Tagen geheilt worden; Dosis ge¬ 
wöhnlich 3 mal täglich 10 Tropfen der Tinctur in 
Verbindung mit Eisen und Strychnin; doch ist soviel 
sicher, dass öhne Cannabis indica die Heilung nicht 
so rasch erfolgt, indem sie die geistige Störung 
und Unruhe zu beseitigen scheint. 

Verf. hat es ausserdem allerdings meist mit 
anderen Präparaten zusammen — noch bei Melan¬ 
cholie und Manie, bei Chorea (wo Arsenik versagte) 
sowie bei Migräne (mit und ohne Zinc. phosphoric.) 
mit Erfolg angewendet. Bei letzterer Krankheit, die 
wegen der Frequenz der Anfälle in mehreren Fällen 
zur Berufsarbeit unfähig gemacht hatte, konnte diese 
bald ‘wieder aufgenommen werden. Ferner empfiehlt 


er sie bei Magengeschwür und Gastrodynie als ein 
schätzbares Sedativum, die Verbindung mit Argent. 
nitric. erhöht die Wirkung. Schliesslich kann es 
als ein erfolgreiches Hypnotikum verwendet werden. 
(Aus Internat, klin. Rundschau 1891. Nr. 39, pag. 
1518.) 

Zur Differentialdiagnose des Zahnschmerzes giebt 
H. Baldwin (Jom. f. Zahnheilk., Nr. 7) folgende 
Tabelle: 

Der Einfachheit halber mögen die beiden Arten 
von Schmerz als » Pulpaschmerz * und »Wurzelhaut¬ 
schmerz* bezeichnet werden: 

Pulpaschmerz . | Wurzelhautschmerz, 

Entsteht plötzlich. i Entsteht langsam. 

Endet plötzlich. 1 Endet langsam. 

Ist nicht continuirlich. ! Ist continuirlich, 

Ist meist nicht localisirt. Ist deutlich localisirt. 
Starke Neuralgie. \ Keine Neuralgie. 

Der Zahn ist empfindlich Der Zahn ist unempfindlich 
gegen Wechsel der Temp- 1 gegen Temperatur- 
ratur. I Wechsel. 

Percussion und Druck ver- ' Percussion und Druck sind 
Ursachen oft keinen j äusserst schmerzhaft. 
Schmerz. ! 

Der Zahn ist weder „ver- Der Zahn ist „verlängert“ 
längert“ noch lose. I und lose. 

Die anliegenden Gewebe | Die anliegenden Gewebe 
sind nicht entzündet, I sind entzündet, empfind- 
gegen Druck über der lieh gegen Druck über 
Wurzel nicht empfindlich, j derWurzel ;in chronischen 
I Fällen Gewebe verdickt 

Bei Anwendung dieser Tafel zur Diagnose darf 
man nicht vergessen, dass die beiden Zustände der 
Pulpitis und Periostitis zu gleicher Zeit in dem¬ 
selben Zahn oder in verschiedenen Zähnen coöxistiren 
können. Dann wird die relative Wichtigkeit der 
beiden Zustände durch das relative Vorherrschen 
der betreffenden Symptome und mitunter auch durch 
die Anamnese festzustellen sein. (Aus »Wiener 
med Presse* 1891. Nr. 3(5, p. 1372) 

Epidemiologische Ecke. 

Von den vergangenen 14 Tagen können folgende 
Mittheilungen berichtet werden: 

Ide-Stettin schreibt am 9. d. Mts., dass er dort 
in zunehmender Verbreitung Lachesis heilsam ge¬ 
funden habe bei Diphtherie und Drüsenanschwel- 
lunglinks, sehr heftigen und sonst sehr hartnäckigen 
Catarrhen, Anginen mit hohem Fieber, catarrha- 
lischen Anginen. 

Leeser-Bonn fand vorwiegend indicirt: am 8. 
Natr. mur. -f- Iris, am 9. Morg. Kali oarb. -f- Iris, 
Ab. Kali carb. -j- Bell., am 10. Morg. Ac. muriatic. 
-f- Laches., Ab. Natr mur. Led., auch Kali carb. 
-j- Laches., am 11. Früh Phospb. + Ipecac., später 
Ferr. -[- Ipecac. nnd Plat. -(- Ign., am 12. Morg. 
Plat. + Ign., Ab. Baryt, carb. -|- Tone., am 13. 
Morg. Ac. phosph. -{- Clemat. == Puls.; am' 18. 
schreibt er, dass er jetzt = Kali bichromic. habe. 


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142 


Schwarz-Baden-Baden berichtet am 15., dass er 
vom 7.—14. = Kali bichromic., daneben auch = 
Mercnr. indicirt gefunden habe, seit dem 13. (Witte¬ 
rungswechsel) trete letzterer mehr hervor bei frischen 
Catarrhen auch des Darmes mit häufigen blutigen 
Stühlen, auch leerem Zwang und Darmschleimhaut¬ 
vorfall, besonders Nachts. 

Kirn-Pforzheira hatte nach Bericht vom 12. viel 
Kali bichromic., was bis zum 15. anhielt, auch 
Baryt, carb. + Sabadil. = Argent. nitric.; ausser¬ 
dem am 13. öfters Nux vom. und Cimicifag. 

Ich-hier hatte am 9. Morg, Ac. mur. -|- Laches., 
Ab. 6 Uhr Ac. fluorio. Tone., Ab. 10 Uhr Ac. 
flaoric. -f- Bell, (diese Combination bewährte sich 
in 200 00 von Marggraf in Leipzig bei den Husten¬ 
anfällen Schwindsüchtiger ebenso beruhigend wie 
Morphium), am 10. Morg. Ac. fluoric. -f- Bell., Ab. 
Baryt, carb. Bell. = Mercur., am 11. und 12. 
= Mercur., am 13. Ac. mur. -j- Tone., vom 14—18. 
vorwiegend = Mercur., am 16. daneben mehrere 
Fälle mit Baryt, carb. -)- Sabadill, und Cup. met. 

8©pia = Lil. tigrin. (?), vom 18. Ab bis 20. 
vorwiegend Kali carb. -f" Bell., heute Ac. fluoric. 
+ Bell. 

Sigmundt - Spaichingen theilte mir am 9. mit, 
dass er seit ca. 8 Tagen bei Pneumonie Natr. nitr. 
3° als Epidemicum bewährt finde» während dies bei 
derselben Krankheit vorher Ferr. phosph. gewesen sei. 

Buob-Freudenstadt beobachtete nach Mittheilung 
vom 12. mit Eintritt der östlichen Schneestürme 
wieder mehr Influenza, dabei kamen besonders fol¬ 
gende Mittel in Betracht: vom 27. —30./III. Kreosot, 
Natr. mur., Sabadill., Iris; am 29./III. Borax -J- 
Lycopod.; am l./IV. Kali carb. -f- Caust., auch 
Natr. mur., am 2. Jod.,Mez., Rheum; am 4. Euphrat., 
am 6. Kreosot, -f" Sabadill., Kali carb. + Cumarin., 
am 8. Kreosot, Kali carb., Sabadill., am 9 auch 
Mercur., Iris, am 10. und 11. Kreosot., Natr. mur., 
Iris. 

Hafa-Herrnhut berichtet unterm 20., dass er bei 
Influenza noch immer Sabadill, indicirt finde mit 
Secale oder Phosphor; bei Darmcatarrhen Mercur.; 
bei stationären Krankheiten meist Baryt, carb. -f - 
Sabin. oder Hep. sulf. calc.; bei Leberaffectionen 
mehrfach Chelidon. -f- Kali carb. oder Cact. grand. 

Stuttgart, den 21. April 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Kleine Mittheilungen. 

Zu den verschiedenen gegen Gelenkrheumatismus 
verwendeten Mitteln (Salicylsäure, Antipyrin, Anti- 
febrin, Phenacetin, Salol, Salipyrin, Europhen u. a.) 
ist ein neues Heilmittel hinzugekommen, das Salophen. 
Dasselbe ist seiner chemischen Abstammung nach 
ein Acetylparaamidophenolsalicylsäureester und soll 


ein Ersatzmittel der Salicylpräparate sein. Es wird 
mit ihm gehen, wie mit seinen Vorgängern, nach¬ 
dem es den Fabrikanten gründlich geholfen hat, er¬ 
scheint ein neues „Anti* auf der Bildfläche, was 
man wissenschaftlichen Fortschritt nennt. 

Die Berliner städtische Deputation für öffent¬ 
liche Gesundheitpflege hat den Antrag des Berliner 
Vereins homöopathischer Aerzte auf Erbauung eines 
öffentlichen homöopathischen Krankenhauses ab¬ 
gelehnt. (Aerztl. Central-Anz.) 


Personalia. 

Herr Dr. Beeskow in Eberswalde ist gestorben. 
Der pharmaceutischen Zeitung entnehmen wir: 
In Görlitz starb am 11. April 1892 nach langem 
schweren Leiden der Stadtälteste und Stadtrath a. D. 
Dr. med. Linck im 81. Lebensjahre. Er hatte sich 
seit längerer Zeit der homöopathischen Heilmethode 
zugewandt. 

Herr Dr. med. Jacobs aus Unna hat das homöo¬ 
pathische Dispensirexamen bestanden. 


Nachruf. 

Am 21. dies. Mon. starb zu Eberswalde, 
seinem Heimatlisorte, der prakt. homöopath. Arzt 

Dr. med. Albert Beeskow 

im 29. Lebensjahre. Nach Beendigung seiner 
Studien in Leipzig und Erlangen trat er nach 
Eröffnung des homöopathischen Krankenhauses 
als Assistent ein und gewann durch Gediegen¬ 
heit. seiner Kenntnisse, durch treue Pflicht¬ 
erfüllung und Tüchtigkeit seines Charakters 
die Achtung und Liebe seiner Vorgesetzten 
und Kollegen. Nur kurze Zeit war er zu 
Meiningen und Naumburg in seinem geliebten 
Berufe thätig, da sich schon bald nach Beginn 
seiner praktischen Thätigkeit die ersten Er¬ 
scheinungen einer schleichenden Tuberkulose 
bemerkbar machten, deren Ausgang er als 
echter Arzt mit bewundernswerthem Muthe 
und klarem Auge ruhig entgegensah. Die 
Kollegen verlieren in ihm einen braven Mit¬ 
arbeiter, die Homöopathie einen ihrer tüch¬ 
tigsten jüngeren Vertreter. Ein ehrendes 
Andenken bei Allen, die ihn kannten, wird 
ihm sicher sein. Requiescat in pace! — 

Dr. med. Stifft. 


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143 


Rechnungsablegung. 

Für das Homöopathische Krankenhaus zu Leipzig 
sind bei Herrn Apotheker William Steinmetz folgende 
Beiträge eingegangen: 

1) für den Banfond in der Zeit vom 
20./10. 1891 bis 20./4. 1892: 

von Herrn Stadtrath Dr. Willmar Schwabe- 
Leipzig pro 1891/92 Jahresbeitrag . M. 1000.— 
von Herrn Dr. med. Weihe sen.. Herford . 300.— 

M. 1300.- 

2) für den Betriebsfond in der Zeit 
vom 27./1. bis 20./4. a. c.: 

von Herrn Wm. Merkel-Raschau, 2°/ 0 Pro¬ 
vision auf Bezüge von Täschner & Co. 

im Jahre 1891.M. 3.10 

von Herrn Sanitätsrath Dr. Schweikert- 
Breslau, Mitarbeiterhonorar der Allg. 
bomöopath. Ztg. pro 123. Bd.. . . „ 1.60 

von Herrn Dr. med. Oberholzer-Zürich, 

Jahresbeitrag pro 1891/92 . . . . „ 100.— 

von Herrn Baron von Pentz auf Brandis, 
Ehrenvorsitzender des Curatoriums des 

Krankenhauses.. 200.— 

von Herrn Dr. med. von Erdberg-Riga, 
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.— 

von Herrn Dr. Willmar Schwabe, an bei 

ihm eingegangenen Beiträgen .... 64.25 

von Herrn Dr. med. Hendrichs-Cöln a.Rh., 

Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.— 

M. 408.95 


Uebertrag M. 408.95 
von Herrn Dr. med. Lorbacher-Leipzig, 

Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 25.— 

von Herrn Dr. med. Weber-Cöln a. Rh., 
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.— 

von Herrn Professor Berlin-Hamburg, 
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 20.— 

von Herrn Dr. med. Paul Lutze-Cöthen, 
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 100.— 

von Ihrer Durchlaucht Prinzessin Bent- 
heim-Tecklenburg-Rudolstadt, Jahres¬ 
beitrag pro 1891/92 .„ 12.— 

von Frau Generalsuperintendent Traut¬ 
vetter-Rudolstadt .. 2.— 

vom Berliner Verein homöopath. Aerzte, 
Jahresbeitrag pro 1891/92 ..... 300.— 
von Frau Aschenberg-Barmen ..... 20.— 

von Herrn Dr. med. Herrn. Fischer- 
W estend-Charlottenburg, Jahresbeitrag 

pro 1892 .. 1000 — 

von Centralvereinsmitgliedern 

57 Jahresbeiträge . 6.— „ 342.— 

5 . . 10.— . 50.— 

M. 2299.95 
Sa. M. 3599.95 

Für alle diese Gaben sagen wir unsern herz¬ 
lichsten Dank und bitten auch um ferneres Wohl¬ 
wollen und weitere Zuwendungen. 

Leipzig, 20./4* 1892. 

I. A.: William Steinmetz, 
z. Z. Kassenverwalter. 


ANZEIGEN. 



Wlldbad im Wttrttemb. Schwarzwald. 


iaison-Eröffnnnf am 1. Hai 1891. [St 250 4 ] 

Im Mai und September ermässigte Kur- und Bädertaxe. 

Neubau für Heissluft- und Dampfbäder, Schwedische Heilgymnastik und Massage. 
Prospeote können von der Königl. Badverwaltung unentgeltlieh bezogen werden. 


Saison 
1. Mai bis 
1. October. 


Bad Nauheim 


Tilnfft 
Cassel- 
Frankfurt 
a M. 


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Strom- und Thermalbädern; gasfreie Soolbäder, Douchen, electr. Bäder. Salinische, alkal. Trink¬ 
quellen, Inhalationssalon, ausgedehnte Gradirwerke. Mustergiltige, durch Eröffnung eines neuen 
5ten Badehauses vermehrte Badeeinrichtungen. Frequenz 9500. lndikat ausser den bekannten, 
für einfache Soolbäder, feststehenden, mit Rücksicht auf Temperatur und Kohlensäure ganz be¬ 
sonders Rheumatismus, Herz- und Rückenmarkleiden. 

Grossherzogi. Hess. Badedtrection Bad Nanhelw. 


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Med. Dr. Theodor Kafka in Karlsbad 

wohnt wie im vergangenen Jahre im Hause „Allnaberg“, N T 0. 385 aill Markt, knapp vor 

dem Hotel Hannover. 



Im Verlage der Homöopathischen Central - Apotheke von Täschner & Co. ln Leipzig 

(Thomaskirchhof No. 12) erschien soeben: 

Die nennte, wesentlich Temehrte nid verbesserte, mit 31 Abbildungen versehene Anflage des bewährten nid beliebte! Boches: 

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die homöopathische Behandlung und Verhütung der Krankheiten 
der Pferde, Binder, Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde, Katzen und Edelkaninehen sowie des Geflügels 
und der einheimischen und ausländischen Stubenvögel. 

Preis cart. 3 M., geh. 3,75 M. 

Der Hübner’sehe Thierarzt giebt die gewünschte Anleitung zur Erkennung und Behandlung der Krankheiten 
der H&asthiere; er belehrt den Leser bei jeder einzelnen Thierart nicht nur über die Lebensfinsserungen in gesundem 
Zustande, sondern beschäftigt sich auch mit der Thierzucht und Pflege in eingehendster Weise. Er ist daher jedem 
Viehbeeitzer aufs Wärmste zu empfehlen. 


Hein,ohne jede 
Beimischung zu gebrauchen! 

Francks Früchten-Caffee. 



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Herr Hofrath Dr. Groos, Homöopath, ist mit 
Hinterlassung eines solbsterworbenen Vermögens 
von V 2 Million in Laasphe gestorben. Ein hom. 
Arzt, als tüchtiger Wundarzt und Geburtshelfer 
würde mit seiner Niederlassung ohne Weiteres eine 
sehr lohnende Praxis haben, da er in der ganzen 
Gegend sehr entbehrt wird. 

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2—2 1 ,2 Monate — ab 10.—15. Mai — in einer 
Grossstadt Mitteldeutschlands. 

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dieses Blattes. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrua-Stuttgart, Dr. Stifft-Leipzig und Dr. Hasdioke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von WllllaH Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Offlcin) in Leipzig. 
Druck von 6resaaer k SekraM in Leipzig. 


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Rand 124, 


No. 19 a. 20, 


Leipzig, den 12. tyai 1892. 

ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dp. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Harggraf’s homöopath. Offtein) in Leipzig. 


Bnohelnt 14ttgig su 2 Bogen. IS Doppeinammern bilden einen Bend. Preis 10 M . 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bnobhandlongen and 
Postanetaltpii nehmen Beateilungen an. — Inserate, welche an £1. MONO in Ijeipsig und dessen Filialen su richten sind, 
werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 


Inhalt: Vorläufige Einladung zu der am 9. u. 10. August zu Stuttgart stattfiudenden Generalversamm¬ 
lung des Homöopathischen Central vereine Deutschlands. — Die Potenzirung. Physiologisch geprüft von Prof. Dr. 
G. Jaeger-Stuttgart. — Die Jagd nach neuen Mitteln, — Sulfonal, besonders In der Psychlatrik. — Psychiatrisches. 
Von Dr. A. Mossa in Stuttgart. — Acute Manie mit Syphilis. — Von Dr. Mossa in Stuttgart — VIII. Jahresbericht 
de« homöopathischen Hospitale in München. — Epidemiologische Ecke. — Fragekasten. — Druckfehler-Berichtigung. 
Anzeigen. 


Vorläufige Einladung 

zu der am 9. und 10. August zu Stuttgart stattfindenden Generalversammlung 
des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands. 

Die Mitglieder des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands werden hierdurch zu der am 
9. II« 10« August C« ZU Stuttgart stattfindenden Generalversammlung eingeladen mit dem ergebensten 
Ersuchen, alle etwa beabsichtigten Anträge bis zum 1« Juli C« an das Unterzeichnete Leipziger 
Directorialmitglied gelangen zu lassen, damit dieselben in der den Mitgliedern statutenmässig vier 
Wochen vor der Versammlung zuznsendenden Einladung Aufnahme finden können, andernfalls würden 
sie nicht zur Discussion gestellt werden können. 

Ausserdem wäre es sehr erwünscht, dass die mit ihren Jahresbeiträgen noch im Rück¬ 
stände befindlichen Mitglieder dieselben baldigst an den Kassirer, Herrn Apotheker Steinmetz (Marg- 
grafs Nachfolger), einschickten, da dem früheren Beschlüsse gemäss die Rechnungsabschlüsse bei der 
Einladung an die Mitglieder mit veröffentlicht werden sollen. 

Die Einzelheiten für die Versammlung werden später mitgetheilt werden. 

Leipzig, im Mai 1892. 

I. A. 

l>r« med« A. Lorbacher. 


Zusammenkunft 

des Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs 

Mittwoch, den 18. Mai 1802 in Stuttgart, „Gasthof zum Hecht“ von Bauh, Nachm. 4 Uhr. 

Tagesordnung: 

1) Laufendes. 

2) Die Central-Vereinsversammlung im August. 

3) Die Influenza des Jahres 1892. 

Der Vorstand: 

Obermedlclnalrath Br. von Sick. 

19 


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Die Potenzirang. 

Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger- 
Stuttgart. 

(Fortsetzung.) 

Motto: 

„Alle Dinge sind Gift und nichts 
ohne Gift, allein die Dosis macht, 
dass ein Ding kein Gift ist.“ 
(Paracelsus in seiner dritten Defension. 

Basler Ausgabe Bd. 11, pag. 170.) 

II. Einleitung.*) 

Für die Arzneimittelprüfnng haben Hahnemann 
und schon vor ihm A. v. Haller die Forderung 
aufgestellt, dass sie in erster Linie am Gesunden 
angestellt werde. Diesem Grundsatz sind auch alle 
Mittelprüfer unseres Lagers gefolgt (nur beim Köchin 
Hessen sich einige Uebereifrige von der Allopathie 
fortreissen und schritten sofort zur Prüfung am 
Kranken ). Allein diese Prüfung hat sich bisher 

— soweit mir bekannt — nur mit dem Einen der 
beiden Grundgesetze der Homöopathie nämlich mit 
dem Aehnlichkeitsgesetz beschäftigt, das Potenzirungs • 
gesetz ist dabei leer ausgegangen. 

Diese ungleichmässige Behandlung der beiden 
Principien hat hier auch zur Folge gehabt: a) Wäh¬ 
rend für die qualitative Mittelwahl dem Praktiker 
die ausführlichsten Symptomenbilder einer nur zu 
grossen Zahl von Mitteln zur Verfügung stehen und 
bezüglich des Aehnlichkeitsgesetzes alle Homöo¬ 
pathen einig sind — über den Meinungsunterschied 
bezüglich hon und Homoion geben wir hier hinweg 

— zeigt uns die Literatur bezüglich der quantitativen 
Wahl eine grosse Meinungsverschiedenheit, b) Ja 
noch mehr: Weil die Potenzirung insbesondere die 
hohen Potenzen, von allopathischer Seite den Haupt- 
anstoss erregen, — giebt es Homöopathen, die nicht 
anstehen, dieses Grundgesetz der Homöopathie preis¬ 
zugeben. — Diese Sachlage können keinerlei Redens• 
arten , auch für sich allein keine Versuche am Kranken 
ändern, sondern nur neue Tbatsachen, die durch 
Versuche am Gesunden gewonnen werden müssen. 

Ich kann von meinem Standpunkte aus über¬ 
haupt nicht begreifen, wie man über eine solche 
Sache streiten kann. Das einzig richtige ist doch, 
dass man die Sache nimmt und durchprobirt und 
zwar an sich selbst . 

Ich habe das gethan und dabei — wie der 
Leser aus Folgendem sehen wird — gefunden, dass 
man ebenso gut, wie es Hahnemann fertig gebracht 


*) Dieser Abschnitt ist schon vor Abfassung der 
Nr. I, die in Nr. 11/12 dieser Zeitung veröffentlicht 
wurde, geschrieben und gesetzt worden. Ich habe aber 
absichtlich nichts daran geändert. Jaeger. 


hat, ohne jedes künstUche Hilfsmittel ausser allen¬ 
falls einer gewöhnlichen Taschenuhr sehr bald ins 
Reine kommt, aber noch leichter natürHch, wenn 
man sich nicht auf die Ueberwachung der inneren 
Wirkungserscheinungen beschränkt, sondern das zu 
Hülfe nimmt, was ich die Neuralanalyse genannt 
habe. 

Da ich über dieses Verfahren wiederholt genaue 
und ausführliche Veröffentlichungen gemacht, nament- 
Uch erst jüngst in meiner Schrift *Stoffwirkung in 
Lebeivesen * (Albert Günther, Leipzig 1892), so setze 
ich bei den Lesern die Kenntniss des Verfahrens 
voraus, und erlaube mir hier nur eine Vorbemer¬ 
kung. 

Seit es eine exacte Wissenschaft giebt, gilt als 
Regel bei Untersuchungen jeglicher Art, wenn 
irgend möglich ein Verfahren anzuwenden, das Zahlen 
giebt. Schon der Volksmund sagt «Zahlen beweisen 11 
und Kant sagt: «Jeder einzelne Zweig der Natur¬ 
wissenschaft enthält nur soviel wahre Wissenschaft, 
als er Mathematik enthält .* 

Die Neuralanalyse ist ein solches Verfahren, sie 
ist von mir in fast zehnjähriger, unausgesetzter, 
von Praktikern scharf controllirter Praxis erprobt 
und der Leser wird sich aus der Schilderung meiner 
Versuchsergebnisse selbst bis zu einem gewissen 
Grade ein LJrtheil auch über diese Methode bilden 
können, ein vollständiges allerdings erst, wenn er 
sie selbst ausübt. In dieser Richtung muss ich 
aber bemerken: Es ist ein grosser Irrthum, wenn 
man meint, dazu genüge ein paar Mal an einem 
Chronoskop herumgeschnäppert zu haben. 

1) Täppische Menschen und solche mit schwerer 
Hand können die Neuralanalyse ebenso wenig er¬ 
lernen, als das Mikroskopiren und Präpariren, hierzu 
gehört eine feine Hand oder ein gröberes Instrument 
als mein Chronoskop. 

2) Torpide Menschen, die auf nichts reagiren, 
die einen Rachenputzer ebenso saufen wie einen 
Rheinwein, erzielen natürHch auch nichts, die können 
auch ruhig ausser Betracht bleiben, weil diese auch 
in der Regel nicht krank werden. Auf zwanzig 
Kranke wird etwa ein Torpider kommen und mit 
diesem hat dann der Arzt die schwere Noth, weil 
er auch auf Arzneien nicht reagirt. Der Arzt hat 
zur Behandlung in der Hauptsache Menschen, die 
gerade dadurch, dass sie krank geworden sind, be¬ 
weisen, dass sie «empfindlichere* Naturen sind. 

3) Eine 8ache, die erst durch längere Uebung 
und namentlich zahlreiche Erfahrungen erlernt 
werden kann, ist die Herstellung der genügenden 
geistigen Ruhe, Passivität und Objectivität . 

4) Eine letzte Hauptsache ist, dass man seine 
physische Disposition beherrschen und reguliren 
lernt, wozu Findigkeit und wieder Erfahrung ge¬ 
hören. 

Endlich noch folgende Bemerkung: die Frage^ 


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derPotenzirung hat eine allgemeint und eine specielle 
Seite, letztere in so fern, als sich die verschiedenen 
Arzneistoffe der Potenzirung gegenüber nicht gleich 
verhalten. Ich werde der Reihe nach beide Seiten 
vornehmen und zwar zuerst die allgemeine . Hierzu 
genügt die Untersuchung eines einzigen Arznei¬ 
stoffes nach seinen verschiedenen Verdünnungsgraden. 
Meine Wahl fiel auf Kali carbonicum , es hätten 
aber natürlich ebenso gut irgend welche andere 
Arzneistoffe zu dieser ersten grundlegenden Unter¬ 
suchung genommen werden können. Die specielle 
oder vergleichende Seite der Sache kann nur dadurch 
erledigt werden, dass man sich die Mühe nimmt, 
eine genügend grosse Anzahl von Arzneistoffen in 
systematischer Ordnung durchzuprüfen. Das kann 
natürlich nicht auf einmal geschehen und erfordert 
mehrere Jahre. Zunächst sind von mir geprüft 
6 Kalisalze, 7 Natronsalze, 4 Ammoniaksalze. 

HL Heuralanalyse der Potenzen von Kali carb. 

a) Die Versuchsanstellung. 

1) Ich bezog aus der Apotheke die 3. alkoh. 
Potenz. Die Verbringung des Stoffes auf die höheren 
Potenzen ging — um Hereingelangen von fremden 
Einflüssen möglichst auszuschliessen — durch die 
ganze Reihe im gleichen Kölbchen vor sich und 
wurde durch meine Assistenz in einem andern 
Zimmer ausgeführt, um Beimengungen des Stoffes 
zur Luft meines Zimmers zu vermeiden. Welche 
Potenzen gemessen wurden, geht aus der Tabelle 
hervor. 

2) Bis zur 30. Potenz wurde nach der Decimal - 
scala vorgegangen, von hier centesimal also, so dass 
eine Gentesimalstufe zwei Decimalstufen gleich be¬ 
rechnet wurde. Dass das erlaubt ist, wird sich 
später zeigen. 

3) Bis zur 100. Potenz wurde Weingeist be- 
nüzt, von hier zur 1000. destill. Wasser, aber zum 
Schluss zwei Mal Weingeist. 

4) Verschluckt wurde bei jeder Messung nur 
Ein Tropfen der weingeistigen Potenz, derselbe wurde 
aber zuvor in etwa 2 Gramm destill. Wasser ge¬ 
tropft und mit dem Wasser verschluckt. 

5) Die Dekadenziffern diktirte ich jedesmal meiner 
Assistenz, welche auf Grund einer Secundenuhr mir 
Zeichen üher Anfang und Ende der Messung gab. 

6) Gemessen wurde jedesmal dreierlei a) die 
Ruheziffer gebildet aus vier Dekaden also 40 Einzel¬ 
akten. b) die Wasserziffer; das gleiche Glas, aus 
dem nachher die Mischung von Wasser und Arznei 
getrunken werden sollte, erhielt eine Füllung blos 
mit Wasser. Diese trank ich auf das gegebene 
Zeichen aus und mass nun fort und fort Dekaden, 
bis der Ablauf einer Minute signalisirt wurde. Die 
Wasserziffer ist das Mittel aus allen erhaltenen 
Dekaden, deren es in der Regel 10 waren, c) die 


Arznei: unmittelbar nach Gewinnung der Wasser- 
Ziffer füllte ich das Glas neuerdings mit Wasser 
und gab den Tropfen Arznei zu. Auf das Zeichen, 
dass eine Minute zu Ende gehe, trank ich rasch die 
Mischung und begann die Dekadenmessung und 
-diktirung. Wie lang, ist aus der Tabelle zu ersehen. 
Die Beendigung jeder Minute wurde mir signalisirt. 

7) Gemessen wurde immer nur, was für die 
Neuralanalyse unerlässliche Regel ist, Vormittags 
zwischen 10 und 12 Uhr, in einem dem Küohenduft 
nicht erreichbaren Raume. Am 19. Jan. wurden 
in dieser Zeit 7 Potenzen geprüft, am 20. eben so 
viel, am 21. Jan. 2, am 25. Jan. 3 Potenzen. Vor 
Beginn jeder neuen Messung wurde durch Bildung 
einer Ruheziffer festgestellt, ob die Nervenzeit wieder 
ihren alten Stand erreicht hat und erst dann weiter 
gemacht, wenn dieser Stand erreicht war, andern¬ 
falls noch gewartet.*) 

b) Die Berechnung . 

1) Die Rechnung ist einfach: die Grundlage der¬ 
selben ist die gemessene Dekadenziffer . Sie kommt 
dadurch zu Stand, dass man still zählend 10 Finger¬ 
rucke auf das Chronoskop wirken lässt und dann 
den Zeigerstand abliesst; jede Uhrziffer ist TT ^ - 0 - 
Secunden und durch Division mit 10, d. h. Abstrich 
der letzten Ziffer durch Komma, erhält man die 
mittlere Zahl. Da die Anzahl der so erhaltenen 
Ziffern für eine Veröffentlichung in Tabellen- oder 
Curvenform zu gross ist, so wurde ihre Anzahl 
dadurch auf l / 4 herabgemindert, dass man je 4 zu 
einem Dekadenmittel zusammenzieht Dieses giebt 
dann, da die Uhrziffer 4 Millesecunden ist, durch 
einfache Addirung unmittelbar eine Ziffer, die den 
erhaltenen Werth in Millesecunden ausdrückt 

2) Das gerechnete Dekadenmitttl ist die Grund¬ 
lage einer weiteren Rechnung. Diese geht aus von 
der Wasserziffer (siehe oben) und hat zum Zweck, 
festzustellen, um wie viele Prozente die Arznei¬ 
wirkung die Nervenzeit gegenüber der am Wasser 
gewonnenen Zeit verschoben hat. Es wird also für 
jedes Dekadenmittel, das während der Arzneiwirkung 
erhalten wurde, die Differenz von der Wasserziffer 
genommen und diese in Prozente der Wasserziffer 
umgerechnet 

3) Die prozentischen Differenzziffern bilden den 
Gegenstand der tabellarischen und curvenmässigen 

•) Dies steht nicht im Widersprach mit dem, was 
in Nr. 1 über die Unzulässigkeit der rasch aufeinander 
folgenden Messung verschiedener Potenzen des gleichen 
Stoffes gesagt wurde. Zulässig ist es, naheliegende Po¬ 
tenzen nach einander zu messen, wie es hier geschehen, 
dagegen unzulässig, sobald die Potenzhöhen sehr ver¬ 
schieden sind. Hierüber werden genaue Angaben ge¬ 
macht werden, sobald die praktische Frage gelöst sein 
wird. Vorläufig kann ich mittheilen, dass sich einige 
Mitarbeiter gemeldet haben und die Sache desshalb in 
Angriff genommen worden ist Jaeger. 

19* 


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Darstellung und sie zerfallen naturgemäss in zwei 
Gruppen mit entgegengesetzten Vorzeichen, a) Das 
Aftnittvorzeichen erhielten diejenigen Ziffern, welche 
eine Verlängerung der Nervenzeit, also Lähmungs - 
effect anzeigen, ich heise sie Minuswerthe. b) Das 
/Vorzeichen erhalten die Ziffern, die eine Verkürzung 
der Nervenzeit, also Belebungseffect darstellen und 
sie werden Pluswerthe genannt. 

4) Für die Curvenbildung benöthigte es keiner 
weiteren Ziffern, dagegen war es nöthig, für jede 
gemessene Arzneipotenz eine einzige Schlussziffer zu 
bilden, die ihren physiologischen Werth angiebt 
und eine ziffermässige Abschätzung derselben gegen 
einander ermöglicht Zu diesem Behuf wurden in 
der Reihe von Potenzziffern, die für jede Potenz 
in der Tabelle aufgeführt sind, die Pluswerthe und 
Minuswerthe addirt und aus diesen durch Abzug 
der Minuswerthe vor den Pluswerthen oder um¬ 
gekehrt die Schlussziffer gebildet. Das ist in der 
grossen Tabelle (pag. 150) in den drei letzten Colum- 
nen geschehen. Natürlich zerfallen auch die Schluss¬ 
ziffern wieder in Pluswerthe und Minuswerthe, d. h. 
Belebungsziffern und Lähmungsziffem und erhielten 
deshalb die entsprechenden Vorzeichen. 

c) Die Fehlergrösse . 

Da es sich nicht um astronomische, sondern 
um physiologische Messungen handelt, kommt hier 
nur zweierlei in Betracht: 

1) Ein Fehler, der an der Uhr liegt: Nach Be¬ 
endigung der Dekade wird der Uhrzeiger durch 
einen Druck in die Nullstellung zurückgeführt. 
Dabei passirt es öfters, dass die Zeigerstellung um 
eine Ziffer zurückbleibt. Selbst wenn dies jedes 
Mal passiren würde, was nicht der Fall, so gäbe 
das beim Dekadenmittel nur 0,4, ist also völlig 
belanglos. 

2) Wichtiger ist die physiologische Schwankung, 
d. h. wie weit differiren die unter gleichen Ver¬ 
hältnissen resp. am gleichen Object gewonnenen 
Dekadenmittel. Dabei handelt es sich: 

a) um die Ruheziffer: Ich habe wie schon oben 
gesagt an 4 Tagen gemessen. Die nachstehende 
Tabelle giebt die an jedem Tag erhaltenen Ruhe¬ 
ziffern in Millsecunden der Reihe nach mit Angabe 
der Maximaldifferenz an jedem Tage und am Schluss 
die Maximaldifferenz aus allen 19 Ruheziffern der 
vier Tage. 

Ruhe Ziffern. 

19. Jan. 92,7 90,8 92 91,1 91,8 90,3 92,2, 

Max. Diff. 2,4. 

20. Jan. 89,5 91,1 89,2 90 89,1 89,6 90,6, 

Max. Diff. 1,9. 

21. Jan. 90,5 91,9 Max. Diff. 1,4. 

25. Jan. 91,9 90,8, 90,2 Max. Diff. 1,4. 

Max. Diff. aus allen 4 Tagen 3,6. 


b) um die Wasserziffern , die zur Grundlage*- 
der Berechnung der Arznei Wirkung genommen.« 
wurden. Ueber sie giebt nachstehende Tabelle in 
gleicher Weisse wie die vorige Aufschluss, aber 
nicht in absoluten Ziffern, sondern durch Angabe 
der prozentischen Differenz von den zuvor erhaltenen 
Ruheziffem. 

Wasserziffern. 

19. Jan. 4-1,4 —0,2 +1,1 +1,4 +0,3 —1,2 

--3,4 Max. Diff. 4,6 

20. Jan. —0,5 -f-2,9 +1,2 +1,6 +0,4 — j — 0,4» 

— 2,5 Max. Diff. 2,5. 

21. Jan. —0,7 +1,1 Max. Diff. 1,8. 

25. Jan. —1,3 —0,3 Max. Diff, 1,3. 

Max. Diff. aus allen 4 Tagen 4,7. 

Daraus geht für unsere Arzneiziffern hervor, 
dass Unterschiede der Dekadenmittel der Tabelle 
und der Curve, die weniger als 5% betragen, inner¬ 
halb der Fehlergrenze liegen, was dagegen darüber 
ist, Bedeutung hat. Ausserdem da die Messungen 
Unterschiede ergeben, die bis zum 20 fachen Betrag 
der möglichen Fehlergrösse gehen, so können die 
Ziffern von diesem Standpunkt aus nicht angefochten 
werden. Endlich: da die physiologischen Fehler 
aus entgegengesetzten Werthen, Plus und Min ns 
bestehen, so heben sie sich in der Schlussziffer, die 
durch Addition aller Werthe gewonnen ist, gegen¬ 
seitig auf. 

d) Die Bedeutung der Zahlen. 

Der Leser sieht auf der grossen Tabelle dreierlei 
Zahlen. 

1) Solche mit Plusvorzeichen: Diese bedeuten, 
wie schon oben angegegeben, eine Zunahme der 
Geschwindigkeit der gemessenen Lebensbewegung, 
sind also Ausdruck eines die Lebensverrichtungen 
beschleunigenden, also »Kraft“ entwickelnden Factors, 
der um so stärker wirkt, je grösser die Ziffer ist. 

2) Solche mit Minusvorzeichen: Sie bedeuten 
eine Abnahme der Geschwindigkeit, sind also Aus¬ 
druck eines, die Lebensbewegungen hemmenden^ 
verlangsamenden, lähmenden Einflusses, der um so 
stärker gewirkt, je höher die Ziffer ist. 

3) Nullen. Sie wurden dann gesetzt, wenn die 
prozentiscbe Differenz zwischen Wasser- und Arznei¬ 
ziffer den Werth von 0,5 nicht überschritt, bedeuten 
also Indifferenz . 

4) Unter den Zahlen mit Pinsvorzeichen sind 
die von 50 und darüber fett gedruckt. Das ge¬ 
schah deshalb: Sobald die Belebungswirkung 50% 
erreicht oder überschreitet, so treten bei mir die später 
wegen ihrer grundlegenden Wichtigkeit gesondert 
und ausführlich zu besprechenden Krampfencheia- 
ungen auf. Ich nenne die fettgedruckten Ziffern 
desshalb auch in folgender Besprechung Krampf¬ 
ziffern. 


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149 


e) Die Tabelle . 

Ueber die Aeusserliehkeiten derselben ist wenig 
zu sagen: 

1) Die erste Columne giebt die Zahl der ge¬ 
messenen Decimalpotenz. Die drei letzten Colnmnen 
sind schon oben erklärt. Die letzte ist die Wich¬ 
tigste, weil sie das ziffermässige Endurtheil über 
die Heilkraft der betreffenden Potenz enthält. 

2) Bezüglich der oberen Quercolumne mit der 
Angabe der Minuten ist folgendes zu sagen; Die 
sichere Messung der Stoffwirkung mittelst Neural¬ 
analyse hängt sehr davon ab, dass möglichste Geistes¬ 
ruhe während der Messung herrscht, es darf weder 
der Concentrationsgrad der Aufmerksamkeit, noch 
die Richtung derselben gewechselt werden. Beides 
würde geschehen, wenn man während der Dekaden¬ 
messung noch den Gang einer Secundenuhr be¬ 
obachten und darüber wachen müsste, dass beides 
zusammengeht. Deshalb liegt die Markirung der 
Minuten in der Hand der Assistenz und der Messende 
kann sich darum nicht kümmern, desshalb ist schon 
an sich eine ganz exakte Abtheilung nach Minuten 
nicht ausführbar. Hierzu kommt folgendes: Im 
Allgemeinen liefert die Messung in der Minute 10 
Dekadenziffern, da nun das ' Dekaden mittel aus 4 
Dekadenziffern gebildet wird, so geht es mit Einer 
Minute nicht gerade aus, sondern auf 2 Minuten 
fallen 5 Ziffern. Demgemäss stehen auf den Grenzen 
zwischen 1. u. 2., 3. u. 4., und 5. u. 6. Minute 
Ziffern. Zweimal nämlich in der 23. u. 25. Potenz 
ist es vorgekommen, dass in den Zeitraum von 2 
Minuten sich 6 Dekadenmittel zusammendrängten 
und umgekehrt bei den 4 Potenzen, die länger als 
7 Minuten gemessen wurden, liess die Messungs¬ 
geschwindigkeit nach, so dass auf 2 Minuten nur 
4 Dekadenmittel kommen. Auf die Schlussziffer 
ist das natürlich nicht ganz ohne Einfluss, aber 
das Resultat wird dadurch nicht im mindesten 
alterirt, ob die Schlussziffer einige Points mehr oder 
weniger hat. 

3) Aus der Tabelle erhellt, dass die verschiedenen 
Potenzen nicht gleich lange gemessen wurden. Dies 
rührt daher: Ich fing bei den unteren Potenzen an 
und mass hier so lange fort, bis ich mehrmals 
hinter einander Ziffern erhielt, die mit den Wasser- 
ziffern übereinstimmten, was ich als Zeichen der 
Beendigung der Wirkung ansah. Bei der 3., 5, 7. 
fiel dies in die 6. Minute, bei der 9., 13., 15. ans 
Ende der 5. Die erste, die mich nöthigte, länger 
fortzumessen, war die 11. Potenz. Da im All¬ 
gemeinen die Rückkehr der Wasserziffer mit Zu¬ 
nahme der Potenzirungshöhe eine Tendenz zur Ver¬ 
zögerung zeigte, so verfolgte ich die 25. und 27. 
noch in der 7. Minute, die 30. bis in die 8. und 
beschloss dann, die 50.10 Minuten lang vorzunehmen; 
das wäre allerdings nicht nöthig gewesen, denn die 
letzte Mittelziffer, die ausserhalb der Fehlergrenze 


steht, ist die erste in der 8. Minute, was noch folgt, 
sind 4 Nullen, einmal -j-1 und ein — 1, was sich 
aufhebt und — 3 liegt in den Fehlergrenzen. 
Die 100. Potenz wurde ebenso behandelt und hier¬ 
durch die Ueberzeugung (s. die Ziffern) erlangt, 
dass mit Ende der 7. Minute auch hier die Wirkung 
beendet war. Erst jetzt ging ich noch einmal zu¬ 
rück, um die Frage zu erledigen, ob im Fall un¬ 
genügender , keinen Belebungseffect erzeugender 
Potenzirung der Arznei etwa nachträglich der Orga¬ 
nismus eine Potenzirung vornähme. Dann nament¬ 
lich um der so beliebten 6. Potenz auf den Zahn 
zu fühlen, nahm ich eine zweite bis auf 10 Minuten 
sich ausdehnende Messung der 7. Potenz vor und 
diese ist der Tabelle einverleibt. Wie diese Nach¬ 
messung (s. die Ziffern) ergab, hatte ich das erste 
Mal recht, die Messung am Schluss der 5. Minute 
abzubrechen, denn mit einer einzigen sehr geringen 
Ausnahme (-f-6) bewegen sich die 14 Ziffern der 
6.—10. Minute zwischen -}-3 und —1, liegen also 
innerhalb der Fehlergrenzen. 

4) Um die Tabelle nicht zu breit zu machen, 
sind die bei 7. 50. 100. und 1000. Potenz ge¬ 
messenen »Schwänze 14 unten hereingezogen worden. 

/) Theoretische Vorbemerkung. 

Zur Feststellung der Thatsache, dass viel Stoff, 
schwere Stoffe, zu concentrirte Stoffe lähmen, sättigen, 
die Lebensverrichtungen verlangsamen, und um¬ 
gekehrt kleine Mengen, leichte, flüchtige, sowie ver¬ 
dünnte Stoffe beleben, die Lebensbewegungen be¬ 
schleunigen, braucht man keine Neuralanalyse, das 
ist Erfahrung des täglichen Lebens und gibt schon 
der Augenschein. Dagegen empfiehlt sich die Stel¬ 
lung einer allgemeinen Frage. 

Obige Thatsache zeigt, dass jeder Stoff gleich¬ 
sam über zwei entgegengesetzt wirkende Factoren 
verfügt, einen hemmenden und einen beschleunigenden . 
Wie ist das möglich? was ist der eine und was 
der andere? Darüber muss man sich in allererster 
Linie klar sein, ehe man irgend eine Erklärung der 
Erscheinungen versucht. 

Nun die Antwort auf die Frage liegt schon in 
dem Satz, der die Thatsachen ausspricht. 

1) Was lähmt oder hemmt? Viel Stoff, schwere 
Stoffe, concentrirte Stoffe. Das führt uns zum Ge¬ 
wicht , bei den schweren Stoffen z. B. Metallen un¬ 
mittelbar, bei dem Viel und zu concentrirt mittel¬ 
bar, indem sich hier der Begriff der Masse , durch 
die das Gewicht vermehrt wird, zwischenschiebt. 
Man kann auch den Factor mit Trägheit bezeichnen, 
denn schwere Stoffe haben träge Bewegungen, grosse 
Mengen ebenfalls und dem concentrirten Stoff fehlt 
es an Raum zur Bewegung. 

2) Was belebt und beschleunigtf Auch hier 
liegt die Antwort schon vor und zwar in den Worten 
leicht und flüchtig . Hier kommt man aber mit dem 


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ISA 


I Tabelle: Die Potenzen von Kali carbonicum. 



i ■ < ■ , 

- 7 -r 

i 

1 

Stimme 

Summe 

Summe 

Fitem 

L Minute 2. Minute , 

3. Mimte 4. Mimte j 

5. Minute 6. Minute j 7. Minute 

der 

+ 

Wette 

der ■ 

Weite 

fetter 

Wtttfe 

3 

+10 + 5 + 3 -25 —27 

-29 —80 -40 *—30 -25' 

—30 —18 —15 — 4 0[ 

+18 

-273 

—255 

5 

-(-20 + 3 + 4 —17 —21 

-19 —21 —32 —27 -36'—37 -17 -21 —17 — 8- 0 — 5 0 

+27 

—278 

-251 

7 

+15 — 8 —14 -24 -17 

-20 -21 —14 + 4 — 4 '+ 3 — 2 + 2 — 1 + 2; +6 0+2 






Forts, v. Pot. 7 

8. Minute 9. Minute 10. Minute 

+ 3 0 + 1+2 1 +3+2 

+45 

-125 

-80 

9 

+22 +38 +32 +17 — 7 

-24 -25 -23 - 25 — 6 

+17 + 6—1 

+132 

-in 

+21 

11 

+17 +38 +39 +42 +44 

+39 +27 -11 —14 —15 

—17 —18 — 6 +23 +25 +4 +3 

+296 

-81 

+215 

13 

+22 +58 +60 +42 0 

— 9—10 + 6+28 + 6 

0 — 2 0 1 

+212 

-21 

+191 

15 

+20 + 9 +42 +02 +46 

+40 +18 + 8 +14 +42 

+ 2-5-2 1 

+303 

—7 

+296 

17 

+48 +00 +66 +54 +58 

+54 +31 +20 +11 +15 

+ 9 0 + 9 + 1+ 5 

4-441 

0 

+441 

19 

+67 +59 +62 +63 +55 

+55 +41 +44 +38 +31 

+30 +23 +15 +15 — 3 -9 

+578 

-12 

+566 

21 

+60 +71 +57 +43 +38 

+37 +54 +48 +22 +15 

+30 +29 +30 +20 - 1 -5 

+554 

-6 

+548 

23 

+«2 +47 +77 +71 +78 

+75 +71 +61 +30 +14 

+28 

+22 +21 +20 — 2 - 6 

i 

+677 

-8 

+669 

25 

+70 +38 +30 +32 +40 

+48 +74 +78 +78 +72 

+45 +18 — 1 +22 +16 -5 -5 

+656 

—11 

+645 

27 

+81 +83 +77 +76 +70 +26 +33 +62 +46 +22+20 +17 + 9 0 —16 -25-2 

+622 

— 43 

+579 

30 

+80 +78 +83 +77 +79 

+74 +49 +16 + 4 +25+63 +80 +79 +88 +76+50+9 -6 







Forts, v. Pot. 30 
! —5 

+1010 

— 11 

+999 

50 

+71 +82 +82 +80 +76 

+70 +47 +41 +33 +25 

+42 -1-67 +88 +88 +77.+25+18 
+55 






Forts, v. Pot. 50 

8. Minute 9. Miuute 10. Minute 

+14 0 0 0 + 1 —32—1 

+ 1077 

-4 

+ 1073 

100 

+84 +89 t 90 +86 + 83 +85 +76 +04 +52 +35 +27 +55 +83 +95 +98 +74+30+10 






8. Minute 9. Minute 10. Minute 

Forte, v. Pot 100 + 4-1+ 3 0 0 0-1 0 

+1223 

_ o 

+1221 

1000 

Forts 

1000 

+91 +95 +93 +69 +68 

+80 +91 +92 +95 +90 +78 +36 +31 +24 +82+32 +28 




8. Minute 9. Minute 1 10. Minute 11. Minute | 12. Minute 13. Minute 14. Minute 

+28 +37 +26 +23 +22+24 +29 +25 +21 +24+26 +19 +19 +11 +6 -2 

1 i 

+1465 

_o 

+ 1463 


Gewichte nicht aus und zwar deshalb nicht: Man 
kann auf dem mechanistischen Gebiet allerdings 
eine Bewegung dadurch beschleunigen, dass man 
ihre Last vermindert, allein nie dadurch, dass man 
ihr, eine auch noch so leichte Last auf legt, ein 
Plus der Bewegung wird ihr damit unter gar keinen 
Umständen zugefügt. Um eine Bewegung zu be¬ 
schleunigen, muss zu der bestehenden Bewegung 
eine neue Bewegung hinzugefügt werden. Bezüglich 
dieser ist aber wieder klar: Wenn ich zu einer 
Bewegung eine neue hinzuaddire von geringerer 
Geschwindigkeit, also ein<e trägere Bewegung« so 
bildet das für die erstere einen Verlust, eine 
Hemmung * Sind die Geschwindigkeiten gleich so 
bleibt die Sache beim alten, es geschieht nichts. 
Eist wenn die neu hinzukommende Bewegung eine 


grossere Geschwindigkeit bat, führt sie zu einer 
Beschleunigung. Diess führt uns zu dem Wort 
flüchtig* , zu der Thatsache, dass ein Stoff um so 
leichter sich eignet, Beschleunigung der Lebens¬ 
bewegungen hervorzubringen, je flüchtiger er ist 
und mit diesem Wort kommen wir überhaupt 7.u 
dem Factor „Geschwindigkeit der Bewegung*. 

Nun sind wir genügend zum Verständniss der 
Thatsache vorbereitet, welche die unwiderstehliche 
Logik der Ziffern unserer Tabelle predigt und können 
— sofern wir das überhaupt wollen, denn es giebt 
leider Leute, welche in diesen Dingen nichts ver¬ 
stehen wollen—• ich sage — und können verstehen, 
was bei der Potenzirung eines Arzneistoffes vorgeht: 
Während man die im gleichen, Baum (z. B. der 
gleichen Alkoholmenge oder dem bestimmten 


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151 


kubischen Inhalt eines Lebewesens) befindliche Menge 
des Stoffes vermindert, vermehrt sich die Geschwindig- 
kett seiner inneren Bewegung, zwar nicht in ganz 
gleicher aber ähnlicher Weise (s* mein Werk „Stoff- 
Wirkung in Lebewesen“) wie bei der Erwärmung , 
oder er nimmt die Eigenschaften eines flüchtigen 
Stoffes an und diese steigern sich mit wachsender 
Verdünnung, so wie es die Tabelle klar auf weist 

Hahne mann hat mit vollständigem Recht, das 
was bei der Verdünnung geschieht, „ Potenzirung * 
genannt, denn es ist in der Tbat eine Kraftvermeh¬ 
rung , das zeigt die physiologische Wirkung un¬ 
widerleglich und es bleibt jezt nur noch zu unter¬ 
suchen, ob diese Kraft blos eine physiologische ist, 
oder ob das die gleiche ist, die der Arzt die Heil¬ 
kraft der Arznei, die vis medicatrix nennt. Davon 
wollen wir später reden, hier soll nur noch gesagt 
werden: Wenn wir jetzt die Erscheinung in An¬ 
lehnung an die neuzeitliche Molecularphysik eine 
Zunahme der Geschwindigkeit der interstitiellen 
Molecularbewegung nennen, so soll damit nur 
gesagt sein, dass sich die von Hahnemann und 
Tausenden seiner Nachfolger beobachteten und be¬ 
haupteten Erscheinungen vollständig und auf die 
einfachste Weise in den schulmässigen Rahmen der 
physikalischen Theorie einfögen lassen und wenn 
es dort nicht ganz ohne eine Stadt-, wollte sagen 
Begriffserweiterung abgeht, so muss diese eben statt¬ 
finden, denn wenn ein Confiikt zwischen Theorie 
und Thatsache stattfindet, so muss unbedingt die 
erstere nachgeben. Dem Physiker kann ich das 
ganze Problem wie eine Nuss zum Knacken in 
einem einzigen Wort, dem Worte „flüchtig“ vor¬ 
werfen. Doch gehen wir jetzt von der Theorie zu 
den Thatsachen über; die Theorie wird später an 
der Hand neuer Thatsachen noch einmal an die 
Reihe kommen. 

g) Lesung der Tabelle. 

Dritte Potenz: Die ersten zwei Ziffern zeigen 
die in meinen früheren Veröffentlichungen zur Ge¬ 
nüge besprochene belebende Erstwirkung , die daher 
rührt, dass nach den Diffussionsgesetzen der in die 
ersten Wege eindringende Stoff von hier aus in die 
ganze Säftemasse allmählig diffundirt und natürlich 
in den Nerven und Muskeln zuerst in weit geringerer 
Concentration anlangt, demgemäss ist auch die 
erste Ziffer die höchste, die zweite schon um die 
Hälfte kleiner. Bereits die dritte zeigt 25°/ 0 Läh¬ 
mung und so bleibt es durch die ganze Reihe bis 
am Schlüsse der 6. Minute die Wirkung beendigt 
ist. Die Schlussziffer ist — 255 zum Beweis, dass 
die physiologische Wirkung dieser Potenz — der 
60 beliebten dritten Verreibung — keine andere ist* 
als. die lähmende, vergiftende der allopathischen 
Arzneidosen. 

.Fünfte Potenz: von dieser gilt das ganz gleiche, 


doch ist eine leichte Besserung deutlich, a) Die 
Ziffern der Erstwirkung sind besser, ihre Summe 
ist grösser, b) Die grösste Lähmungsziffer, die bei 
3. Potenz — 40 ist, lautet hier — 37. c) Die 
Schlussziffer jedoch ist von —255 nur auf —251 
zurückgegangen, das liegt noch innerhalb der Fehler¬ 
grenzen. 

Siebente Potenz: a) Sehr lehrreich ist hier gleich 
der Beginn, indem sich die Zunahme der Flüchtig¬ 
keit der Arznei darin zeigt, dass die belebende Erst¬ 
wirkung nur in der ersten Ziffer sich zeigt: der 
Stoff ist rascher in Blut und Nerven gedrungen 
und so tritt die volle Wirkung dieser Dosis, die 
eine lähmende ist, rascher zu Tage, b) Die Lähmungs- 
werthe sind durchweg niedriger, das Maximum ist 
mit —21 um 16 niedriger als das der 5. Potenz, 
c) Es treten im letzten Theil entschieden Spuren 
einer belebenden Nachwirkung ein: 3 liegt aller¬ 

dings innerhalb der Fehlergrenzen, allein -j- 6 über¬ 
steigt sie, dann sind innerhalb einer und derselben 
Messungsreihe die physiologischen Fehlergrenzen 
viel enger als in zwei verschiedenen, zu verschie¬ 
dener Zeit ausgeführten Messungsreihen. Desshalb 
stehe ich nicht an, auch die Pluswerthe 3, die drei¬ 
mal erscheinen, auch noch das -f-2 als Zeichen 
dafür anzusehen, dass eine Arzneiwirkung vorliegt 
und zwar so: der Körper ist bestrebt, das gestörte 
Gleichgewicht durch Ausscheidung des Arzneistoffes 
zur Indifferenz zurückzuführen, allein er schiesst 
hierbei etwas über das Ziel hinaus. Wie übrigens 
die durch 6 Minuten andauernde Abwechslung von 
kleinen Plus- und Minuswerthen zeigt, ringt diese 
Wirkung vergeblich um Geltung und kann mit ihr 
jedenfalls nichts Nennenswerthes erreicht werden. 
Endlich die Schlussziffer mit — 80 verurtheilt auch 
diese Potenz, die ja noch um Eins höher ist als 
die beliebte 6. der homöopathischen Hausapotheken 
als ungenügend. 

Neunte Potenz: Wieder ein Fortschritt, der sich 
in folgendem zeigt: a) eine erhebliche, 4 Ziffern 
umfassende belebende Erstwirkung, b) eine un¬ 
bestrittene belebende Nachwirkung, die der Des- 
concentration durch den Ausscheidungsprocess ent¬ 
spricht. — Diese Vortheile können dadurch nicht 
aufgehoben werden, dass die Mittelphase mit — 25 
um 4 tiefer liegt als bei 7. Pok, so dass die 
Schlussziffer jetzt mit -f- 21 angiebt, dass der 
Rubikon, der Allopathie und Homöopathie jeder 
Zeit scheiden muss, nämlich der Indifferenzpunkt\ 
überschritten ist — allerdings kaum. 

Elfte Potenz: Diese gieht einen entschiedeneren 
Fortschritt als alle früheren, wie schon aus den 
Schlussziffern hervorgeh^: die Differenz zwischen 3. 
und 5. Pot. ist 44, die zwischen 5. u. 7. ist 131, 
die zwischen 7. u. 9. ist 41, aber die zwischen 9. 
und 11. erhebt sich auf 194 Points. Diesen Fort¬ 
schritt verdankt diese : Potenz aber nur einer 


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152 


einseitigen Ueberlegenheit, nämlich in Bezug auf 
die Erstwirkung , diese ist höher und länger als 
bei der 9. Pot. — während die belebende Nach - 
Wirkung nicht erheblich mehr ergiebt als bei der 
vorhergehenden. Ein weiterer Fortschritt ist, dass 
die Lähmungswerthe der Mittelphase fast durchweg 
geringer sind. 

Dreizehnte Potenz: Diese zeigt nicht nur keinen 
Fortschritt, sondern sogar in der Schlussziffer einen 
Rückschritt. Zur Erklärung dieser auf den ersten 
Blick auffälligen Erscheinung darf Zufall und 
Messungsfehler nicht herbeigezogen werden, denn 
sie wiederholt sich von 11). auf 21. Pot., von 23. 
auf 25. nnd von 25. auf 27. Die Erscheinung liegt 
also in der Natur der Sache und erklärt sich wohl 
so: die dynamische tVirkung ist stets das Product 
aus Masse und Geschwindigkeit Beim Potenziren 
nimmt unbestreitbar die Masse , oder sagen wir in 
Anlehnung an die Moleculartheorie, die wir keinen 
Augenblick zu verlassen brauchen, es nimmt bei 
der Potenzirung die Zahl der Molecüle ab. Wenn 
nun trotzdem der Bewegungseffect nicht im gle : ien 
Betrag abnimmt, so beweist das ganz uv 
sprechbar, dass dem Verlust an Masse die z ne 
des andern Factors, also die der Geschwindigkeit 
gegenübersteht. Es ist nun gar nichts besonders 
auffälliges, dass Verdünnungsstufen Vorkommen, in 
welchen die Zunahme an Geschwindigkeit den Ver¬ 
lust an Masse oder Zahl nicht ganz ersetzen kann, 
und die Kraftvermehrung somit statt eines Fort¬ 
schrittes einen Rückschritt oder Stillstand erfährt. 
— Sehen wir uns die Zifferreihe an, so zeigt sich 
zweierlei, a) Fortschritte einmal darin, dass in der 
Phase der Erstwirkung erstmals Krampfziffern auf- 
treten, dann darin, dass die Mittelpbase mit Läh¬ 
mungsziffern sehr kurz ist, und diese Ziffern sehr 
klein sind, b) Der Rückschritt besteht darin, dass 
die zwei Belebungsperioden, Erstwirkung und Nach¬ 
wirkung sehr kurz dauern. — Diesen Unterschied 
zeigen auch die drittletzte und zweitletzte Columne: 
die Summe der Lähmungswerthe ist von 81 auf 21 
zurückgegangen, dagegen haben die Belebungswerthe 
nicht nur nicht zugenommen, sondern sind von 296 
auf 212 zurückgegangen. 

Fünfzehnte Potenz: Diese ergiebt einen ganz 
entschiedenen Fortschritt, a) In erster Linie damit, 
dass auf dieser Potenz zum ersten Male in der 
Mittelphase die Minusziffem fehlen, d. h. es fehlt 
die Mittelphase der Lähmung, welche die belebende 
Phase der Erst- und Nachwirkung bei allen niederem 
Potenzen trennte. Ein Wirkungsnachlass ist zwar 
vorhanden und sehr ausgesprochen, aber er sinkt 
nicht mehr unter Null, b) Die Nachwirkung, die 
sich bei der 13. Potenz nur bis zu —f- 28 erhob, 
bricht hier mit -{-42 viel flotter durch als bisher 
und hierüber will ich etwas ausführlicher sprechen, 
weil das für das Verständnis der Arznei Wirkung 


sehr belehrend ist Wie im Fortgang der Arbeit 
mit Ziffern bewiesen werden wird, besitzt der Darm* 
canal einen regtilatörischen Einfluss dahin gehend, 
dass er die Gewebe vor zu rascher und grosser 
Einwirkung der in ihn gelangten Stoffe schützt und 
zwar nach beiden Seiten, d. h. nach der lähmenden, 
vergiftenden als auch nach der belebenden, anregen-* 
den. Ich möchte mich so ausdrücken: der Darm¬ 
canal ist bemüht, die Stoffwirkung zu ersäufen und 
das gelingt ihm denn auch bei mittleren Stoffmengen 
bis zu einem gewissen Grad, seine Macht versagt 
aber in zwei Fällen: einmal dann, wenn die Gift¬ 
wirkung der ersten Dosis genügt, um den Wider¬ 
stand des Darms durch Lähmung zu brechen, dann 
aber auch, wenn die Flüchtigkeit des Stoffes eine 
gewisse Höhe erreicht hat. Und da zeigt sich nun 
ein Unterschied in Bezug auf Erst - und Nach - 
Wirkung: mit der Erstwirkung schlagen die flüch¬ 
tigen Stoffe rasch durch und es gelingt dem Darm¬ 
canal nur die Unterdrückung der Nachwirkung. 
Letztere ringt sich erst durch, wenn die Flüchtig¬ 
keit eine weitere Steigerung erfährt, c) Endlich 
von der 13. Potenz sticht die 15. noch dadurch 
ab, dass die Erstphase der Belebung viel länger 
dauert und die Schlussziffer um 105 grösser ist 
als die der 13. 

Siebzehnte Potenz: a) Diese weist in der Schluss¬ 
ziffer den bedeutenden Fortschritt von 145 auf. 
b) Diesen verdankt sie ausschliesslich der Erst¬ 
wirkung und zwar weniger der Höhe, welche die¬ 
selbe erlangt (-{-66 gegen 62 der 15. P.)» als der 
fünfmal so langen Dauer des Krampf Stadiums: die 
15. Pot. hat nur Eine Krampfziffer, die 17. deren 
5. c) Die Nachwirkung ist sehr unbedeutend. 

Neunzehnte Potenz: Diese zeigt a) einen be* 
trächtlichen Kraftzuwachs, von 441 auf 566, b) die 
Eigenthümlichkeit, dass die Zerlegung in drei Phasen, 
die wir von der 7. Pot. an regelmässig finden, hier 
fast ganz fehlt, sie setzt sofort mit 5 Krampfziffern 
ein und sinkt dann erst zögernd, später entschieden 
und zwar zuletzt unter Null. 

Einundzwanzigste Potenz: Hier stossen wir zum 
zweiten Male auf einen Rückschritt in der Schluss¬ 
ziffer, allerdings nur um 18 Points. Bei Prüfung 
der Einzelwerthe zeigt es sich, dass dies zum Theil 
vom Wiederauftreten der Mittelphase mit 2 nied¬ 
rigeren Ziffern herrührt, so dass wieder Erstr und 
Nachwirkung unterschieden werden kann, (letztere 
allerdings sehr unbedeutend), zum Theil davon, dass 
sie um eine Krampfziffer ärmer ist. 

Dreiundzwanzigste Potenz: Diese bringt wieder 
einen erheblichen Fortschritt der Schlussziffer um 
121 Points. Dies rührt von einer beträchtlichen 
Entwicklung der Erstwirkung her, denn diese be¬ 
steht aus nicht weniger als 8 Krampfziflern. Der 
Wirkungsnachlass in der Mittelphase ist mit der 
Ziffer 14 deutlich aber auch nur schwach markirt; 


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us 


die Nachwirkung der dritten Phase mit den Ziffern 
28—SO ist deutlich aber immer noch unbedeutend. 

Fünfundzwanzigste Potenz: Diese bringt einen 
Rückschritt um 24 Points und ist ihrem Verlauf 
nach in so fern ein Unioum, als sie statt in drei 
Phasen in deren fünf zerfallt, indem die der Erst¬ 
wirkung durch eine Depressionsphase gespalten 
wird: Auf die hohe Erstziffer 70 folgt ein Rück¬ 
gang bis herunter auf 30 und das hält bis in die 
dritte Minute an, in der erst mit 4 energischen 
Krampfziffern eine flotte Wirkung angezeigt ist. 
Erst im Anfang der 6. Minute folgt mit —1 der¬ 
jenige Wirkungsnachlass, welcher den Mittelphasen 
der anderen Curven entspricht und dann eine 
massige Nachwirkung mit 22 -}-16 = 38 Points. 

Siebenundzwanzigste Potenz: Noch ein Mal ein 
Rückschritt, sogar um 66 Points und ein anderes, 
ebenfalls irregulftres Bild: Hinten in der Gegend, 
wo man sonst die mässige Belebungsnachwirkung 
hat, tritt mit —16 und — 25 eine nicht unerheb¬ 
licher Nachlass der Wirkung auf, der allerdings schon 
seit der 19. Potenz durchweg angedeutet ist. Seine 
Deutung ist vielleicht durch das Wort „Ermüdung 1 “ 
(durch die voransgegangenen Krämpfe) gegeben. 
Sonst zeigt die Curve das gewöhnliche Bild: zwi¬ 
schen zwei Phasen mit Krampfziffem, von denen 
diesmal die erste länger ist als die zweite (bei der 
25. war es umgekehrt) liegt eine Depression aus¬ 
gedrückt durch die Ziffern 26 und 33. 

Dreissigste Potenz: Dies ist die von Hahne- 
mann besonders bevorzugte Potenz und unsere 
Prüfung pflichtet ihm hierin vollständig bei. Schon 
die ausserordentlich hohe Schlussziffer 999 nimmt 
sich aus wie ein Ereigniss. Die höchste Zunahme 
der Schlussziffer bei einer Differenz von 2 Potenzen 
war bisher 194, das müsste bei einer Differenz von 
3 Potenzen (27—30) nur 291 Points ausmachen, 
wir haben aber einen Unterschied von 420 Points. 
Somit haben wir hier den grössten Fortschritt in 
der ganzen bisherigen Reihe und das ist das eine, 
was Hahnemann bemerkt haben muss. Das zweite 
ist die colossale, ebenfalls bisher noch nie dagewesene 
Entwicklung der Nachwirkung , die hier in der 
ganz gleichen Stärke und Dauer auftritt wie die 
Erstwirkung: jede besteht aus 6 Krampfziffem und 
getrennt sind beide durch einen zwar kurzen aber 
tiefen, nämlich bis zur Ziffer 4 herabgehenden 
Wirkungsnachlass. Das neue ist also, dass hier 
erstmals die Nachwirkung, die bis daher sehr kümmer¬ 
lich war, siegreich durchbricht, ln den Potenzen 
von 17—25 ist sie so klein, dass sie von einem, 
der ohne Neuralanalyse operirte, wie Hahnemann, 
übersehen werden konnte, das war bei der 30. nicht 
mehr möglich und musste den Eindruck eines neuen 
Ereignisses machen* Also Uebereinstimjnung zwi¬ 
schen Hahnemann und Neuralanalyse! 

Fünfzigste Potenz: Wenn man bedenkt, dass 


zwischen ihr und der 30. Pot 10 Gentesimalpoten- 
zfrungen liegen, so ist der Fortschritt um 74 Points 
ein sehr bescheidener. Auch ist interessant, dass 
die Art des Verlaufs ganz genau mit dem der 30. 
Potenz übereinstimmt Dasselbe Gleichgewicht von 
Erst- und Nachwirkung (nur beide etwas höher) 
und die gleiche Mittelphase eines Nachlasses (nur 
ebenfalls höher bleibend). 

Hundertste Potenz: Die Differenz in der Schluss¬ 
ziffer zwischen 30. Pot. mit 999 und 50. Potenz 
mit 1073 ist 74 Points, die Differenz in der Potenz¬ 
höhe beträgt 20 Decimalpotenzen, » 3,7, also 
fördert jede Decimalpotenz die Wirkung der Arznei 
um 3,7 Points. Nun, die 50. und 100. Potenz 
liegen um 60 Pot. auseinander und die Schluss¬ 
ziffer der 100. Pot giebt ein Mehr von 148 Points, 
das giebt rund einen Fortschritt von 3 Points 
per Potenz, der Gewinn ist also zwischen 50 und 
100 geringer, als zwischen 30 und 50, aber immer¬ 
hin noch recht wohl der Mühe werth. Weiter 
reichen hier die Krampfziffern in die Neunzig hinein. 

Tausendste Potenz: Hier ruft Freund Goullon: 
„Wozu?“ Darauf antworte ich jetzt: „Dazu!“, 
d. b # zu Folgendem: der Fortschritt von 1221 auf 
1463, also um 242 Points ist zwar mit Ausführung 
von 450 Centerimalpotenzirungen, wobei somit im 
Mittel auf die einzelne Gentesimalpotenzirung ein 
Gewinn von nnr einem halben Point kommt, müh¬ 
selig erreicht, aber sie ist kein Pappenstiel. Das 
ist sie vollends nicht, wenn man sich die Ziffern¬ 
reihe betrachtet, denn a) diese zeigt ein hoch¬ 
wichtiges Ereigniss: die Wirkung hat zum ersten 
Mal einen auffallend langen Schwanz. Bisher war 
längstens in dem Anfang der 8. Minute das Ende 
der Wirkung erreicht und hier dauert sie bis in 
die 14. Minute hinein, das ist ein Novum . An ihr 
ist noch das Beachtenswerte, dass hier keine 
Krampfangriffe mehr Vorkommen, sondern die Nach¬ 
wirkung ist eine sanfte und namentlich gleichmässige, 
was in der Dekadenziffer noch deutlicher sich aus¬ 
drückt, als in den Dekadenmitteln der Tabelle, 
b) Auch der erste Theil der Reihe zeigt die Macht 
dieser Potenz aufs klarste, indem sich hier ohne 
Unterbrechung 11 Krampfziffem mit der hohen Ge- 
sammtsumme von 942 Points finden, gegen 9 mit 
709 Point bei der 100. Potenz. 

Damit hätten wir die Lesung der Tafel beendigt, 
und ich höre den Leser fragen: „warum ist es aus? 
warum kommt nicht 2000. 3000. Potenz u. s. f.?“ 
Darauf möchte ich antworten: 

In meiner, zuerst gesondert erschienenen, später 
der HI. Auflage von „,Entdeckung der Seele “ ein¬ 
verleibten „ Neuralanalyse der homöopathischen Ver¬ 
dünnungen t", habe ich meine Prüfungen der über 
der 1000. Potenz liegenden Verdünnungen ver¬ 
öffentlicht und da ich der festen Ueberzeugung bin, 
dass ich nur wieder das gleiche finden würde, wie 

20 


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154 



Neuralanalytische Curven für 7 verschiedene Potenzen von Kali carbonicum. 


damals und dann auch nichts anderes zu sagen 
hätte als damals, so brach ich mit der 1000. P. ab 

h) Die Curven . 

Es trägt entschieden zur Stärkuug der Anschau« 
ung bei, wenn man bei allen Untersuchungen, die 
Zahlen liefern, dieselben benützt, um eine graphische 
Darstellung zu machen. Das ist in Obigem ge¬ 
schehen, aber mit zwei Einschränkungen: a) von 
den 17 verschiedenen Potenzen wurden nur 7 zur 
Darstellung gebracht Um alle 17 auf ein Netz 
zu bringen, hätte ein nach jeder Richtung doppelt 
so grosses Format genommen werden müssen und 
selbst so wäre ohne Verwendung verschiedener 
Farben Uebersiohtlichkeit des Verlaufes der Linien 
nicht zu erreichen gewesen, b) Die Curven geben 
nur je 17 Ziffern der Tabelle, also einen Zeitraum 
von etwas über 6 Minuten wieder, denn sonst wäre 
die Zeichnung nicht in den Rahmen des Textes 
unterzubringen gewesen. 

Ueber das Formale der Curvenzeichnung ist 
folgendes zu sagen: 

a) Die wagrechten Striche des Netzes bestimmen 
die Höhe der gemessenen Ziffer. Die Scala ist längs 
der senkrechten Mittellinie aufgetragen und zeigt 
wie eine Thermometerscala zweierlei Werthe: Ober¬ 
halb der verstärkten mit Null angeschriebenen Linie 
der Indifferenz erhalten die Werthe das Pluszeichen 
(Belebungseffecte), unterhalb das Minuszeichen 
(Lähmungseffecte). Die Ziffern der Scala gehen von 
Zehn zu Zehn, die Striche von Zwanzig zu Zwanzig , 
weil mehr Striche zu ziehen die Anschaulichkeit 


stark beeinträchtigt hätte. Da die Striche 10 Milli¬ 
meter Abstand haben, so entspricht ein Point einem 
halben Millimeter. 

b) Die senkrechten Striche markiren die zeitliche 
Aufeinanderfolge der Ziffern der Tabelle, und die 
Curventafel hat deshalb die gleiche Ueberschrift in 
Minutenangaben erhalten wie die Tabelle. 

c) Die Kenntlichmachung der einzelnen Curven 
ist dadurch bewerkstelligt, dass einmal in der ersten 
Columne an jede Curve angeschrieben ist, welche 
Potenz sie darstellt, dann dadurch, dass die ver¬ 
schiedenen Linien eine verschiedene Behandlung er¬ 
fahren haben, so dass jede leicht zu verfolgen und 
mit jeder beliebigen anderen zu vergleichen ist. 

Sachlich Neues bringt natürlich die Tafel nicht, 
sie giebt nur die Möglichkeit, das, was man in der 
Tabelle erst langsam und nach und nach aus den 
Ziffern herauslesen muss, auf Einen Blick zu sehen. 
Ich kann mich desshalb auf folgendes beschränken: 

5 . Potenz (Punktirte Linie) läuft nur in den 
zwei ersten Columnen über der Indifferenzlinie, 
kommt auch am Schluss nicht über sie herauf. 

11, Potenz (Linie aus Kreuzen) zeigt klar die 
drei Phasen: Erste und letzte über dem Strich, die 
mittlere unter dem Strich. 

15, Potenz (untere gestrichelte Linie) zeigt deut¬ 
lich das zeitliche Zusammenfallen des Wirkungs¬ 
nachlasses bei 13. und 15. Potenz, aber auch, dass 
die Nachwirkung hier bei der 15. Pot. dem Nach¬ 
lass durch die Steigerung der Flüchtigkeit viel 
rascher folgt und der Nachlass nicht mehr Unter 
den Strich sinkt. 


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155 


23* Potenz (feine ununterbrochene Linie) zeigt 
klar Me lange Dauer der Eratwirknng Und dass 
hier die Scheidung in eine Mittelphaae und eine 
ansteigende Nachwirkung zwar auchabfcr kaum an-' 
gedeutet.ist 

Die meiste Aehnlichkeit zeigen die 30. Potenz 
(obere gestrichelte Linie) und 100. Potenz (dicke 
nicht unterbrochene Linie) in der klaren Sonderung 
der Curve in zwei durch ein Thal getrennte Berge, 
die auch in der Lage sehr nahe zusammenfallen, 
nur dass bei der 30. Potenz beide Berge gleich 
hoch und breit, bei der 100. ungleich in Höhe und 
Breite sind. 

1000 . Potenz (Linie ans Bingen und Punkten) 
zeigt die Ueberlegenheit dieser Potenz über alle 
anderen in den 4 ersten Minuten der Wirkongezeit 
durch die Stärke der Wirkung. Davon, dass später 
die Ueberlegenheit auf der längeren Dauer der 
Wirkung beruht, während die Stärke geringer ist, 
sieht man natürlich auf der Tafel nur das letztere. 

(Nr. IV^lgt.) 


Die Jagd nach neuen Mitteln, — 
Snlfonal, besonders in der Psychl- 
atrik. — Psychiatrisches. 

Von Dr. Mossa in Stuttgart. 

Es ist ein sonderbares, im Grunde wenig er¬ 
freuliches Schauspiel, das die moderne Schul- 
medicin darbietet, indem sie sich in ihrer Thera- 
peutik von der chemischen, vielgeschäftigen Industrie 
so gar sehr in das Schlepptau nehmen lässt. Immer 
neue Mittel bringt die letztere auf den Markt, deren 
sich dann sofort die klinischen Anstalten bemäch¬ 
tigen, um sie an den ihnen anvertrauten Kranken 
nach allen Bichtungen hm zu 9 versuchen.* Hier 
und da, wo man noch ein ärztliches Gewissen hat, 
wird das neue und neueste Heilmittel wenigstens 
erst an Thieren geprüft; aber diese Thierversuche 
sind meisthin so einseitig, so roh, dass aus ihnen 
die psychologischen Wirkungen des Mittels auch nicht 
sicher zu ersehliessen, die feineren Eigenthümüch- 
keiten gar nicht zu erkennen sind. Es danert ge¬ 
meinhin nicht lange, so stösst man in der, meist 
principlosen, klinischen Anwendung solcher neuer 
Heilmittel auf gewisse, oft gar üble v NebenWirk¬ 
ungen*; je öfter diese constatirt werden, desto miss¬ 
trauischer wird man gegen diese Anfangs im Ueber- 
maass gepriesenen Mittel, um sie schliesslich ganz 
•in die Rumpelkammer zu werfen. Man höre nur 
das Klagelied, das die Apotheker über diese Vor- 
: gänge anstimmen! — 1 Da die Industrie, der es ja 
im Grunde mehr auf {Gewinn ankommt, um die 


neuen Medieamente'sa poussirsn» eine oft recht 
rstafke, selbst die Tagesblatter ausüutzendeBeclame 
betreibt, so Wird durch diese moderne Jagd nach 
neuen Mitteln die Würde und das Ansehen der 
Heilkunst Und des ärztlichen Standes, die ohnehin 
von ihrem alten Nimbus schon so viel eingebüsst 
haben, immer mehr geschädigt 

Gegen dieses Gebahren ist die populäre Beförderung 
der Heilknnst und Wissenschaft in unseren für das 
Volk geschriebenen homöopathischen Zeitschriften 
ih der That nur ein unschuldiges Vorgehen zu 
nennen. Wenn wir aber trotzalledem von diesen 
neuen Mitteln Notiz nehmen, ja eines derselben, 
das Snlfonal, ausführlicher hier besprechen wollen, 
so geschieht dies weniger in der Absicht, unsern 
schon so überfüllten, kanm noch zn übersehenden 
Arznei schätz noch zu vermehren, als aus wissen¬ 
schaftlichen und praktischen Gründen. Unter diesen 
Arzneistoffen sind die meisten entschieden sehr 
different, in den starken Dosen, worin sie oft ge¬ 
geben werden, stark, bis zur Vergiftung wirkend, 
welche gehörig an Gesunden geprüft und nach 
naturwissenschaftlichem, homöopathischem Principe 
angewendet, sicherlich schätzbare Heilwirkungen 
entfalten würden. 

Da uns überdies nicht selten Kranke zur Be¬ 
handlung kommen, welche mit jenen Mitteln bereits 
tractirt worden sind, so darf uns die Wirkung der¬ 
selben in Bezug auf Diagnose und Mittel wohl 
nicht gleichgültig sein. — Das Snlfonal ist bekannt¬ 
lich von der Schulmedicin hauptsächlich als schlaf¬ 
machendes Mittel verwerthet worden, da man ihm 
vor andern Hypnoticis als Morphium, Chloralhydrat, 
Bromkalium, Cannabis indica und so manchen an¬ 
deren neuentdeckten gewisse Vorzüge zuschreiben 
zu können meinte. — Mit ganz besonderem Eifer 
haben sich die Irrenärzte desselben bemächtigt, wie 
ja überhaupt die Hypnotica in der Psyohiatrik 
eine hervorragende Bolle spielen. Man will der 
von aufreibender Schlaflosigkeit und oft unbändiger 
Gliedernnrnbe gequälten Kranken um allen Preis, 
nicht blos ihrer selbst willen, sondern auch wegen 
der durch sie gestörten Mitkranken und des Wärter¬ 
personals, 8chlaf und Rahe verschaffen, ja erzwingen. 
Diese Buhe wird in der That oft durch Narcoti- 
sation der Kranken erzwungen, so dass man sich 
kaum des Eindrucks erwehren kann, dass diese 
Art zn beruhigen einer medicamentösen Zwangs¬ 
jacke nahe kommt. Es ist schade, dass wir ans 
der nordamerikanisohen, unter der therapeutischen 
Herrschaft der Homöopathie stehenden Heilanstalt 
für Geisteskranke so wenig erfahren und deshalb auch 
nicht wissen, wie man dort mit derartigen Patienten 
i fertig wird. 

Bei niobtfiebernden, asthenischen Kranken soll 
das Sulfonal in mässiger Dosis (0,5) ziemlich sicher 
einen ruhigen Schlaf erzielen.—Die Psychiatriker, 

20 * 


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die aber ein ganz anderes Krankheitsmaterial vor 
sieh haben, sehen sich genöthigt, das Mittel in 
methodischer Weise, d. h. längere Zeit fortgesetzt 
zu gebrauchen. Dr. Vorster-Königslutter giebt uns 
in seiner Abhandlung über „die methodische Sulfo- 
nalbehandlung bei Geisteskranken", die im 47. Bande 
(1891) der allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie 
publicirt ist, manche interessante Aufschlüsse hier¬ 
über. 

Als Ausgangspunkt für die Entwicklung der 
Wirkungsweise des Sulfonals soll das physiologische 
Experiment dienen. Käst weist besonders auf die 
nach dem Mittel bei Thieren eintretenden Bewe¬ 
gungsstörungen hin; die Bewegungsweise der Thiere 
erinnerte ihn in ihrem Anfangsstadium an das Be¬ 
nehmen der Thiere, denen man die motorischen 
Gehirnrinden - Parthien exstirpirt habe. So zeigen 
sich auch beim Menschen besonders nach längerer 
Zeit fortgesetzten Sulfonalgebrauch (was nach un¬ 
serer Ansicht aber weiter nichts ist als eine chro¬ 
nische Vergiftung mit Sulfonal) Bewegungsstörungen 
und zwar mit dem Character lähmungsartiger 
Schwäche: Taumeln, Schwäche in Armen und Beinen, 
Zungenlähmung. Dem Sulfonal kommt also, schliesst 
Verf., schon physiologisch eine motorisch-depressive 
Wirkung zu, und so entspreche es pathologischen 
Verhältnissen, in denen cerebrale Reizzustände ein 
Uebermaass von Bewegungen ausüben. „Das Sul¬ 
fonal setzt hier mit souveräner Macht an Stelle 
der motorischen Ueberproduction motorische Ruhe 
auf die Psychose selbst, die innere Unruhe bei der 
der beängstigenden Hallucination wirke es dagegen 
nur sehr wenig.“ Auch Verf. hat beobachtet, wie 
Kranke, welche lärmten, umhersprangen, zerstörten, 
alles beschmierten, duroh Sulfonal in ihrem exces- 
siven, verkehrten Treiben theils wesentlich einge¬ 
schränkt, theils zu äusserlich geordnetem Benehmen 
geführt wurden. 

In einem Fall, bei einer 59 Jahre alten Frau, 
welche auf ihre lebhaften Gehirn-, Geschmacks- und 
Gesichtshallucinationen in sehr lauter Weise durch 
fortwährendes Schwatzen und Schreien reagirte, gab 
Verf. vom 31. Mai an Morgens 1,0, Abends 0,5 Sul¬ 
fonal Am 15. Juni ist Patientin entschieden ruhiger 
bei Nacht wie bei Tage, dabei taumelt sie nicht, 
war auch nicht somnolent. Bei Fortsetzung des 
Mittels hält sie sich dauernd ruhiger; sie schilt nur 
selten. — Aber weshalb? „Die Zunge ist zu der 
früheren, anstrengenden Tbätigkeit nicht mehr be¬ 
wegungsfähig genug" d. h. also sie redet nicht mehr 
so viel als vordem, weil sie nicht mehr so viel 
reden kann. Die Zunge ist auf dem Wege zur 
Parese. — Vom 7. August hört schliesslich die 
Wirkung des Sulfonal, selbst bei einer Gabe von 
1,5 auf. 

Ein 54 jähriger Mann, an secundärem Blöd¬ 
sinn leidend, mit lebhaften Hallucinationen und 


hochgradiger motorischer Erregung; er spricht viel 
vor sich hin, springt umher, zerstörungssüchtig, 
leicht gewaltthätig. 7 Tage lang täglich 4 mal 0,5 
Sulfonal ohne besonderen Erfolg; die Dosis wird 
auf die Tagesgabe von 3,0 gesteigert. Nach sechs 
Tagen kann er kaum noch gehen, taumelt sehr 
stark, liegt schläfrig im Bette. Bei fortgesetztem 
Mittel, nach 25 Tagen: Patient schläft viel, ist 
ziemlich benommen, reagirt wenig auf äussere Reize, 
nässt in’s Bett; Puls und Respiration ungestört. 
Das Essen muss ihm beigebracht werden. Dosis 
auf 2 g. pro die herabgesetzt. — Nach 7 Tagen 
besinnlicher, kann aber noch nicht allein essen. — 
Nach 20 Tagen völlig erholt; er liegt ruhig im 
Bette, spricht zuweilen vor sich hin, ohne jedoch 
laut zu werden, isst ohne Beihülfe, reicht die Hand 
zum Grus8e, sagt, es gehe ihm gut. — Sulfonal 
zu 2,0 fortgesetzt, etwa 4 Wochen lang: dann nur 
zu 1,0. Hierauf nach 6 Tagen wieder sehr lebhaft, 
springt umher, hat zwei Hemden zerrissen. Nach 
Erhöhung der Tagesgabe auf 2,0 geht es wenige 
Zeit wieder erträglich — schliesslich aber tritt der 
alte Zustand wieder ein, das Mittel deshalb ausge¬ 
setzt. — Doch wozu die Casuistik vermehren? 

Wir geben zu, dass bei derartigen Kranken, 
mit gewiss erheblichen Veränderungen im Central¬ 
nervensystem, eine Einwirkung selbst nur palliativer 
Art schwer zu erzielen, eine Heilung oft unerreich¬ 
bar sein mag, indessen die mit 8ulfonal in so starken 
Dosen mehr weniger auf Kosten des Organismus 
erzwungene palliative Beschwichtigung einiger, frei¬ 
lich sehr lästiger, Symptome, die schliesslich wieder 
ausbleibt, kann dies unsere Sympathie für ein 
solches Mittel abgewinnen? 

Dabei bleibt die Psychose fast immer unver¬ 
ändert. Wenn ein Autor berichtet, dass bei einer 
Dame, die früher viel an nervösen Zuständen ge¬ 
litten, nach dem Gebrauch von Sulfonal Illusionen 
und Hallucinationen aufgetreten seien, so begreifen 
wir die von einem andern gemachte Beobachtung, 
dass bei derartig Erkrankten jene Erscheinungen 
noch lebhafter hervortreten, sowie die des Verfassers, 
dass dieselben in den meisten abgelaufenen Fällen, 
auch nachdem Sulfonal die motorischen Störungen 
beschwichtigt, ungestört fortbestehen und nur selten 
schwinden. Es liegt aber, sehen wir daraus, in 
der Wirkungssphäre dieses Mittels, wie der meisten 
grossen Narootica (Bell., Hyosoyam, Stramon. etc.) 
die Psyche, resp. das Gehirn so zu beeinflussen, 
dass Illusionen und Hallucinationen hervorgerufen 
werden; weil man das Mittel aber in zu starken 
Gaben verabreicht, so erhöht es diese Erscheinungen 
eher als dass sie diese beschwichtigt. 

Bei der hier besprochenen, sogen, methodischen 
Anwendung8wei8e des Sulfonal trat uns die Wir¬ 
kungsweise dieses Mittels in ihrem ersten Stadium 
hauptsächlich nach der motorischen Seite entgegen: 


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eine Herabsetzung der BewegU&keit bis zur läb- 
mungsartigen Schwäche. Zuerst werden die unteren 
Extremitäten ergriffen, sodann die Zunge und die 
Oberglieder; es zeigt sich Ä taumelnder Gang, lallende 
Sprache, Schwäche der Arme« Das Sensorium zeigt 
sich müde und schläfrig. 

Bei fortgesetztem Sulfonalgebrauch folgt dann 
ein zweites Stadium, welches sich durch Ueber- 
wiegen der sensorischen Störungen auszeichnet Die 
Schläfrigkeit steigert sich zum Sopor; der Kranke 
kann sich auch bei Tage nicht wach erhalten, auf 
lautes Anrufen erwacht er jedoch. Die Schmerz¬ 
empfindung hat abgenommen, die Hauptreflexe sind 
abgeschwächt oder erloschen, die Sehnenreflexe 
erhalten. Die motorische 8chwäche hat dabei auch 
zugenommen, tritt indessen durch die Trübung des 
Sensorium8 in den Hintergrund. — Dr. Vorster 
hält das erste Stadium, das sich, um einen Effect 
zu erzielen nicht immer vermeiden Hesse, fflr un¬ 
gefährlich. Das zweite bedeute aber ein Zuviel und 
mahne zur Vorsicht, weil auch die Herzthätigkeit 
dabei mitunter geschwächt sei. Nachtheiligen Ein¬ 
fluss auf die Urogenitalapparate will man nicht be¬ 
obachtet haben, wohl aber solche auf den Digestions- 
tractus: drei Mal anhaltende Obstipationen, zwei Mal 
folgte auf die Verstopfung Durchfall; letzterereinige 
Male mit Blut gemengt. Alle diese Erscheinungen 
sch wanden wieder beim Aussetzen des Mittels ohne 
bleibende üble Folgen — In mehreren Fällen hat 
man auch einen den Masern ähnlichen Hautaus¬ 
schlag, aber ohne Fieber und ohne Betheiligung 
der Schleimhäute, beobachtet. Bei einzelnen Kranken 
konnte Verfasser die Nachwirkung des Mittels noch 
mehrere Tage nach dem Aussetzen desselben con- 
statiren. — Vor dem Morphium soll Sulfonal den 
Vorzug haben, dass sich der Organismus nioht daran 
gewöhnt, so dass es jederzeit ausgesetzt werden 
kann ohne einen solchen Sturm krankhafter Erschei¬ 
nungen wie beim Unterbrechen des Morphium her¬ 
vorzurufen. Zum Schluss sagt Verfasser: „Wir er¬ 
blicken in der methodischen Sulfonalbehandlung eine 
wesentliche Bereicherung der psychiatrischen The¬ 
rapie — “ nun, im Angesicht der beigebraohten 
Thatsachen, wirft dieses Urtbeil kein erfreuliches 
Licht auf den Status jener Therapeatik. — Wir 
Homöopathen werden wenig geneigt sein, uns dieses 
Mittels zu jenen Zwecken zu bedienen, zumal die 
uns besser bekannten Heilstoffe Bell., Stramon., 
Veratrum album., Zincum etc. nach manchen, in 
unserer Literatur niedergelegten Erfahrungen, ja 
nach den individuellen Eigentümlichkeiten derartig 
Erkrankter Bedeutendes zu leisten im Stande sind. 
Hier liegt der klinischen Beobachtung noch ein 
weites Feld offen. Ueber die Wirksamkeit von 
Stramonium in manchen Fällen von Delirium tremens 
alcoholicum habe ieh in dieser Zeitschrift vor einer 
Reihe von Jahren, als ich noch im Lande der exqui¬ 


siten Söhnapstriuker: weilte, einige nicht uninter- 
essante Beiträge geliefert. —*) ,, 

Uebrigens hat man schon seit alten Zeiten auch 
bei Geisteskranken die Behandlung nach dem Aehn- 
lichkeitsprinzip zu leiten versucht, und so eine Art 
Homöopathie ausgeübt Hippocrates giebt den Rath: 
,Gieb dem Kranken einen Trunk von Mandragora 
in einer kleinern Gabe als der, welche Mania her¬ 
vorbringt.* 

In Barton 8 ehedem vielgerühmtem Buche the 
anatomy of Melaucholy kommt folgende merkwürdige 
Stelle vor: „Wenn all die vorher besprochenen 
Mittel nicht aoschlagen, so wird es kein Missgriff 
sein, was Favanarola und Aelian Montaltes so sehr 
empfehlen, clavum clavo poliere (einen Nagel durch 
einen andern zu treiben), eine Leidenschaft mit einer 
andern auszutreiben, wie man Bluten aus der Nase 
durch Blntlassen am Arm, Furcht durch eine andere 
Besorgniss aufhebt, ein Verfahren, das Christophorus 
a Verga ein rationelles, non älienum a ratione, 
nennt Auch Lemnius billigt es, „auf einen harten 
Klotz einen harten Keil zu setzen*, eine Krankheit 
durch eine andere wegzutreiben, wie ein Kranker 
von einer Quartana geheilt worden sei, als er plötz¬ 
lich durch einen Ueberfall der Feinde überrascht 
wurde. — Besser als durch Widerspruch den Irr¬ 
sinnigen entgegen zu treten, sei es, auf ihre Ideen 
einzugehen. 

Forestus erzählt von einem an Melancholie Lei¬ 
denden, der sich einbildete, er sei todt Nach dem 
Rathe der Aerzte setzte man neben das Bett des 
Kranken eine Lade, worin sich einer seiner Ge¬ 
fährten wie ein Todter gelegt hatte. Dieser richtete 
sich dann etwas auf und ass. Auf die Frage des 
Irrsinnigen, ob denn die Todten auch essen, sagte 
sein Konterfei Ja; worauf dann auch der Kranke 
das Gleiche that und somit zur Heilung gelangte. 

Will man diese psychische Behandlungsweise 
keine homöopathische nennen, so giebt sich aus ihr 
wenigstens die Tbatsache kund, wie mau in der 
Richtung nach dem Aehnlichkeitsprincip hier durch 
Beobachtung individueller, hervorstechender krank¬ 
hafter Erscheinungen und deren sanfte Umstimmung, 
nicht aber durch gewaltsame Unterdrückung, zu 
einem Heilerfolge gelangen könne. Wie wichtig 
solche Winke, Indicationen, selbst für die psychische 
Erziehung werden können, davon giebt uns Kidd i 
in seinem Buche the laws of therapeutics folgendes 
hübsche Beispiel: 

Georg Combe berichtet in seinem Werke über 
Amerika von einem Besuche bei einem Arzte, der 
sich ihm gegenüber ganz bitterlich über das schlimme 
Betragen seines Lehrlings beklagte, der fast jegliches 
Fenster und jegliche Thür in seinem Hause zer¬ 
brochen habe, indem er von frühem Morgen bis 


*) Bd. SS, pag. 75, 83, ISS. 


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zum Abend alles, was Schloss und Angel, Tbür und 
Fenster heisse, rninire. Er halbe sehen alle möglichem 
Besserangsmittel, aach Prügel undFasten, versucht 
— aber alles umsonst. Indem er sieh den grosseh 
Bdhädel des Jungen betrachtete, und dessen so 
exoessiven Thatendrang in Erwägung zog, drängte 
sieh ihm der glückliche Gedanke auf—■ durch an¬ 
gestrengte Arbeit den Zerstörungstrieb des Jungen 
zu heilen. Demgem&ss stand der Doctor am näch¬ 
sten Morgen um 6 Uhr auf, brachte seinen Lehr¬ 
ling in den Holzschober, und trug ihm auf das 
für den Tagesbedarf nöthige Holz zu hauen und zu 
spalten. Das that dieser mit Vergnügen — und 
so verging der erste Tag, ohne dass er im Hause 
einen Unfug angerichtet hatte. Die frische, schwere 
Arbeit machte ihn so glücklich, dass er fortan jeden 
Morgen ungerufen an dies Werk ging. — Von der 
Zeit an machte er seinem Lehrherrn keine Be¬ 
schwerde mehr. — 

Nun, die moderne Psychiatrik bringt ja auoh 
die Arbeit, zumal die ländliche, sowie auch Hand¬ 
arbeit, Gymnastik und Massage als diätetische Heil¬ 
mittel in Anwendung; nur habe ich nicht ersehen 
können, ob sie specielle, individuell-characteristische 
Krankheitserscheinungen der geschilderten Art auch 
individuaHsirend dabei berücksichtigt. — Bei dem 
methodischen Sulfonalgebrauch, wie bei Anwendung 
der Hypnotica, tbut sie es jedenfalls nicht. Daher 
gilt von derartigen klinischen Heilversuchen der 
Ausspruch des alten Weisen des Urarztes aus Kos: 
Der Versuch ist gefährlich. 


Acute Manie mit Syphilis. 

Bald nachdem ich mein Bedauern ausgesprochen, 
dass wir so wenig über die Erfolge der homöopa¬ 
thischen Behandlungsweise bei Psychopathien er¬ 
führen, kam mir die folgende Mittheilung aus einem 
amerikanischen Journal zu Gesicht. 

Eine 50jährige Dienstmagd hatte bereits zwei 
Anfälle von acutem Wahnsinn gehabt, den letzten 
vor 5 Jahren, dann war sie gesund gewesen, bis 
etwa vor 2 Wochen, vor ihrer Aufnahme in das 
Westboro-Asyl. Sie war ziemlich gut genährt, ob¬ 
wohl die Muskeln schlaff und schlotterig waren. 
Es zeigte sich bei ihr ein grösseres, unregelmässiges 
Geschwür, 2^2 Zoll quer über den oberen Theil 
der Stirn und ein kleineres darüber an der Schädel¬ 
decke, sowie Nodi an beiden Schienbeinen. Das 
obere Geschwür, das in die Tiefe ging, hatte die äussere 
Tafel des Schädels durchbrochen. — Bei ihrer Auf¬ 
nahme war sie schlaflos, schwatzte die ganze Nacht 
hindurch; hatte Gehörhallucmationen, sie redete, 
sang und schrie gegen die ihrer Phantasie vor¬ 
schwebenden Personen Tag und Nacht. Sie schlug 
die Nahrung aus, in üem Wahne, dass diese ver¬ 


giftet sei* Ihre Sprache war unzusammenhängend, 
oft obscön und gemein. Niemals war sie gewalt- 
thätig, aber laicht dazu gebracht, beleidigende Aus¬ 
drücke zu gebrauchen» 

Sie erhielt Acidum nitricum L Dec., DiL — 
Innerhalb einer Woche schlief sie in einer Nacht 
2 Stunden und ass ziemlich gut. Nach Verlauf von 
zwei Woohen traten zeitweise lichte Augenblicke, 
von 1—2 Minuten ein. — Die Bänder der Ge¬ 
schwüre hatten ein besseres Aussehen. — Nach dem 
Ende der vierten Woche stand diese Besserung aber 
still. Nun ward Aurum muriaticum 3 Dec. ge¬ 
geben. Nach einigen Tagen zeigten sich jedoch 
die Geschwüre mehr entzündet, die Patientin auf 
geregter, so dass man sich entschloss zu Acidum 
nitricum zurück zu kehren. — Die Besserung trat 
bald wieder hervor und schritt bis zur völligen 
Heilung fort, die dann 2 Monate später erfolgte. 
(Dr. Gev. 8. Adams in N. E. Medical Gazette, 
April 1891). Dr. Mossa. 


YHI. Jahresbericht des homöo¬ 
pathischen Hospitals in München. 

Vor kurzem ging uns dieser Bericht zu, der, 
so kurz er ist, doch von dem echt homöopathischen 
Geist, in dem das dortige Spital geleitet wird, be¬ 
redtes Zeugniss ablegt. Wie alle derartige Berichte, 
die aus dem Jahre 1891 stammen, in erster Linie 
zum Koch’schen Tuberculin Stellung nehmen, so 
giebt dies auch hier das Hauptthema. Im Anschluss 
daran erhalten wir in kurzen, markigen Zügen ein 
Resumä über sämmtliche Fragen der homöopathischen 
Heillehre, die unser Herz bewegen. Wenn nur über 
alle diese Punkte Einigkeit in unserem Lager 
herrschte! 

Die Stellung des Verf. dieses Berichtes zum 
Koch’schen Tuberculin ist folgende: 

Es ist nicht ein Stoffwechselproduct, sondern 
ein Zerfallsproduct der meist schon abgestorbenen 
Tuberkelbacillen und gehört zu den nosodischen, 
auch Isa genannten Pharmaca. ln den Händen der 
ordinirenden Aerzte des Spitals hat es sich „vielfach 
überraschend und dauernd erfolgreich bewährt" bei 
den verschiedensten Formen acuter und chronischer 
Tuberculose. Es wurde von denselben innerlich in 
10., 30. und 100. Potenz „in wenigen und sehr 
seltenen Dosen" gegeben. 

Es ist sehr erfreulich, dass diese Herren Coli, 
sich nicht dazu herbeiüessen, nach der allopathischen 
Weise Einspritzungen vorzunehmen, wenn auch.in 
wesentlich geringerer Verdünnung, doch noch so 
stark, dass die bekannten Beactionserscheinungen 
eintraten, entgegen der Lehre Hahnemann’s, die 
Dosen so zu wählen, um nur möglichst geringe, 
wenn nicht gar keine sichtbare Reactiön zu erzielen. 


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MM 


Sie hatten den Mhth, sofort die Oonsequenzen sii 
sieben, die uns unsere Heillehre gebietet and di6 
Anwendungsweise des Koohins nach unserer Weise 
-*» offenbar znxn Wohls ihrer Patienten — zn mo- 
difieiren. 

Aneh die sonstigen Besaitete bei dem im Kranken- 
haos Verpflegten scheinen günstige gewesen za sein 
and es wäre im Interesse unserer Sache gewiss ein 
verdienstliches Werk, wenn wir mehr über diese 
erführen. 

Von Herzen wünschen wir dem Münchener ho¬ 
möopathischen Spitale ein ferneres Blühen und Ge¬ 
deihen, was bei der tüchtigen Leitang and bei dem 
vorhandenen nicht unbeträchtlichen Vermögen kein 
allza aussichtsloser Wunsch sein dürftet 

Göhrum. 

Epidemiologische Ecke. 

In den letzten 14 Tagen gingen mir folgende 
Mittheilungen zu: 

Ide-Stettin berichtet am 28./4., dass das eben 
auftretende Epidemicum Phosphor sein werde (Husten 
in Folge von Kitzel am Gaumen). 

Dierkes-Paderborn schreibt am 24./4., dass seit 
8 Tagen eine Epidemie von Gallenfieber geherrscht 
habe: meist leicht ikterische Färbung des Gesichtes, 
Appetit- und Verdauungsstörungen, Beschwerden 
auf dem Magen, Bückenschmerzen besonders auf 
Druck, Kopf-und Genickschmerzen. Calc. phosph. 2. 
-f- Nux vom. 15. half rasch, sicher und dauernd; 
zuweilen, besonders am 28., nach späteren Berichten 
von da ab constant Calc. phosph. 2. + Apis 15. 
Alle Krankheiten stehen unter dem Einfluss dieses 
Genius ep. 

Leeser-Bonn hatte am 22./4. Nachm. Hep. -{- 
Ratanh. = Puls.; am 23. Kal. carb. -{- Bell. = 
Apis; am 24. Kal carb. -j- Tone.; am 27. und 28. 
vorzugsweise = Veratr. alb., am 28. auch Acid. 
fluor. 4“ Bell, und Apis; am 29., Bar. carb. 

Bell.; am 80. Ac. phosph. -J- Taraxac. = Nux vom., 
Abend Nitr. ac. -j- Taraxac. = Stann. 

Kim-Pforzheim: Seit dem 15./4. tritt wieder 
häufiger Influenza auf, dabei ist fast ausnahmslos 
= Euphras. angezeigt; gegen die ersten Schwäche- 
anfälle dabei- leistete bei Kindern Zinc. oft gute 
Dienste; sonst vereinzelt =*» Veratr., = Mer cur. 
Am 5./5. schreibt Kim, dass seit dem 29./4. ver¬ 
einzelt Lycopod. und Bapt. tinct. (bei gastrischen 
Fiebern) an gezeigt sei; bei Masern und Keuchhusten 
Dros. + Spong.; bei Catarrhfiebern Natr. mur. 4~ 
Iris oder -f- Ledum. 

Stiegele-hier theilte mir am 2./5. mit, dass er seit 
ca. 8 Tagen Spigelia sehr häufig angezeigt finde; 
am 4./4. viel Kali bichromic. 

Ich-hier hatte am 22./4. Kal. carb. 4“ Bell.; 
am 23.—25. Hep. -j“ Euphr.; am 25. auch häufig 


Ao. phosph, -f" Ignq am 26%, Ao, mur. 4" Laeh. 
und An. fluor. 4“ BeU; um 27. letztere Combination 
und viel Ac. phosph. 4- Ign.; vom 28/4. bis 4,/5. 
vorwiegend Ac. fluor. 4" Töne. = SpigeL (in dieser 
Zeit hatte ich mehrere Fälle von Böteln in Behand¬ 
lung), daneben auch nicht selten Baryt* carb. 4~ 
TonC. und Natr.'mur. 4- Led.; vom 4./5. Vorm. 
10 Uhr ab Ac. oxalic. 4" Tone.; heute Acid. oxalio. 
4- Ramme. sceler. (?), auch Bar. carb. 4” ‘Tone. 

Weiss-Gmünd berichtet am 24./'4. von den letz» 
tan Wochen: bei vereinzelten Influenzafällen stets 
Sabadill.; bei schweren Bronchitiden, catarrh. Pneu- 
monieen im Gefolge der Influenza mit für das Mittel 
charaoteristischen zähem Secret und Betheiligung 
der Nasenschleimhaut stets Kali bichromic.; in der 
letzten Woche mehrfach acute Magen- und Darm- 
catarrhe mit Veratr. 

Buob-Freudenstadt hatte am 13./4. Mercur.; am 
14. Kreosot, Kal. carb., Natr. mur.: am 15. Kal. 
carb. 4- Cumarin., Mercur. viv. 4~ Raph. sat; am 
16. Jod., Plat, Natr. mnr., Bell., Raph. sat; am 17. 
Jod. 4“ Valer., Kal. carb. 4“ Raph. sat; am 18. 
Jod. -- Plat; am 19. Kreos. 4“ Sabadill.; am 20. 
Aur. 4“ Euphr.; am 21. Quere, rob. 4" Sabadill., 
Magn. carb. 4“ Merc. corr.; am 22. KaL carb. -f“ 
Sabadill. Einige Fälle von Diphtherie des Dick- 
danns besserten sich rasch auf Merc. corr. Ferner 
am 23. Phosph. 4“ Asar. eur., Kat carb. -f- Kreos.; 
am 24. Natr. mur. 4“ Sabadill., Magn. carb. -f- 
Merc. corr.; am 25. und 26. Seneg. 4“ Bris; am 
27. Phosph. 4- Kal. carb., Natr. mur. 4” Led.; 
am 28. Cist can. 4“ Spigel.; am 29. Kal. carb. -{- 
Natr. mnr., Bryon.; am 30. Phosph., Bryon.; am 
1./5. Bar. carb., 8eneg., Camph.; am 2. Ipecac. 
Vom 30./4 auf den 1./5. bei Ostwind und Schnee¬ 
wehen wieder Inflaenzarecidive und einige neue Fälle. 

Stuttgart, den 6. Mai 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Fragekasten. 

Frau H. 22 Jahre alt, seit November verhei- 
rathet, hat schon als Mädchen sehr an Magen¬ 
schmerzen gelitten. Ein Arzt glaubte es sei Magen- 
erweitemng, ein anderer sagte, ihr Magen sei ge¬ 
sund und es seien Nervenschmerzen. Zu Anfang 
nach ihrer Verheirathung hatte sie auch ab und zu 
Magenschmerzen,, doch vergingen dieselben wieder. 
Seit Weihnachten sind die Schmerzen aber nicht 
mehr im Magen, sondern im Kreuz and Unterleib 
abwechselnd, wie wenn Messer schnitten, und steigern 
sich bis zu unerträglicher Höhe. — Die Kranke ist 
nur selten frei davon; am besten ist ihr, wenn sie 
im Bett liegt in gleiohmässiger Wärme, auch hatten 
ihr anfangs warme Umschläge geholfen, doch wollen 
die Schmerzen jetzt nicht mehr weichen. — 


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!<• 


Eine Morphiumeinspritzung hat die Schmerzen auf 
eine Weile gehoben, aber dann heftiges, anhalten¬ 
des Erbrechen hervorgerufen, dass sie ganz schwach 
davon geworden ist Wenn die Schmerzen sehr 
heftig sind, so wird die Kranke erst fieberheiss 
und bekommt dann Frost Die 8chmerzen steigern 
sich bei der geringsten Anstrengung, besonders beim 
Treppensteigen. — 

Als Mädchen hat dieselbe alle drei Wochen ihre 
Periode gehabt, ohne alle 8chmerzen oder Störung, 
nach ihrer Verheirathang alle 4 Wochen, jetzt 
cessirt dieselbe seit 5 Wochen. Die Schmerzen 
sind zur Zeit der Periode geringer\ Sie geniesst 
viel Milch und ist ihr dies die liebste Nahrang. 
Ihre Verdaaang ist ganz in Ordnung. Sie sieht, 


wenn nicht fieberhaft geröthet, sehr blass and ver¬ 
fielen aas. — Die Schmerzen im Rftcken sind oft 
plötzlich verschwanden and treten dann plötzlich 
vorn im Unterleih auf, sind sehr heftig, so dass 
dieselbe sich windet und stöhnt, obgleich nie sich 
möglichst zusammen nimmt and hart gegen sich 
ist — Ein organisches Leiden ist nicht zu diag- 
nosticiren. Dr. Goullon. 

DrnckfehlcrBeriektignng. 

ln Nr. 17/18 muss es heissen: 

S. 138 links in der Mitte: .Eine Allgemeinwirkung 
des Schwefels kann höchstens die kleiner Schwefelwasser- 
stotfmengen sein*. — 8. 189, Zeile 19 v. o. links ist zu 
lesen: somatisch-psychischen. — 8.189, Zeile 80 v. n. 
links ist das nicht in streichen. 


ANZEIGEN. 



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wohnt wie im vergangenen Jahre im Hause „Allnaberg 66 , No. 385 am Markt, knapp vor 
M dem Hötel Hannover. 


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seit längeren Jahren auf dem Lande thätig, sucht 
einen Wirkungskreis in einer mittleren oder grösse¬ 
ren Stadt, wo die Homöopathie genügend verbreitet 
ist, um ausreichendes Einkommen zu gewähren. 

Auch würde derselbe gern als Assistent ein- 
treten, eventuell die Praxis eines älteren Collegen 
übernehmen. Offerten unter J. H. 99. an die Exp. 
dieses Blattes erbeten. 


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prakt. Arzt, Homöopath, 

möglichst mit Dispensirrecht als Stellvertreter für ca 
2—2 1 /2 Monate — ab 10.—15. Mai — in einer 
Grossstadt Mitteldeutschlands. 

Offerten unter Chiffre K. L. an die Expedition 
dieses Blattes. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehnin-Stuttg&rt, Dr. StlfTt-Leipzig und Dr. Haedloke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von Willian Steinnetz (A. M arggraf 8 homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Gretener 4 Sobrann in Leipzig. 












Band 124. 


Leipzig, den 26. Mai 1892. 

ALLGEMEINE 


Ho.2lD.2i. 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 


HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig. 

Erscheint 14tägig tu 2 Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bucbhandlungen and 
Postanitalten nehmen Beitellnngen an. — Inserate, welche an JEt. Mosse in Leipsiff and denen Filialen sa richten lind, 
werden mit SO/*/, pro einmal gespaltene Petitseile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 

Inhalt: Aufruf. — Vorläufige Einladung zu der am 9 . u. 10. August zu Stuttgart stattfindenden General¬ 
versammlung des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands. — Dia Frükjafcrsvsrsanmliing de« Sicks-Anhalt. 
Vereins bomoopath Aerzte Referent Dr. Haedicke-Leipzig. — Aua der Praxis: Heilungen durob Lyeopodlum. Von 
Dr. Hesse-Hamburg. — Die Zeiten der Arzneien. Von Dr. med. Ide Stettin. — Die Homöopathie und der Suggestionis- 
mue. Von Dr. Julius Fuchs-Mönchen. — Zun Capitei der Gicht Von Dr. Theod. Kafka in Karlsbad. — Stabibad 
Rastenberg in Thüringen. — Bichersobau. — Epidemiologische Eoke. — Fragekasten. — Anzeigen. 

Aufruf. 

Das Herannahen der Zeit, in welcher wir uns wieder mit den Vorbereitungen für die Central Vereins- 
Versammlung zu beschäftigen haben, bringt ans die unerfreuliche Th&tsache in lebhafte Erinnerung, dass 
noch eine ganze Anzahl namentlich jüngerer Collegen noch nicht dem Central verein angehören. Die 
Ueberzeugung, dass es nur durch die Zusammenfassung aller unserer Kräfte möglich ist, den Kampf gegen 
unsere Widersacher durchzuführen und die zur Förderung unserer Sache jetzt an uns herantreten¬ 
den Forderungen mit Erfolg zu erfüllen, veranlasst uns, zum Beitritte zu dem homöopathischen 
Centralverein Deutschlands aufzufordem. Dieser Verein, dem es statutenmässig obliegt, die Homöo¬ 
pathie nach Aussen zu vertreten, und nicht nur die Angriffe unserer Gegner abzuwehren, sondern 
auch für Ausbreitung unserer Lehre und deren innere Fortbildung Sorge za tragen, kann diesen Aufgaben 
jedoch nur gerecht werden, wenn ihm die dazu nötbigen materiellen Mittel zur Verfügung gestellt 
werden. Dazu das Seinige beizutragen, sollte jeder homöopathische Arzt als Ehrenpflicht, ja schon als 
unabweisbares Gebot der Lebensklugheit betrachten, bedenkend, dass, was das Ganze fördert, auch ihm 
fühlbar zu Gute kommen muss. Die nächste Gelegenheit dazu bietet der Eintritt in den homöopathischen 
Centralverein, dessen Mitgliedschaft für das Opfer von 6 Mk. Eintrittsgeld und 6 Mk. jährlichen Beitrag 
zu erlangen ist. Wir hoffen, dass diese Anregung genügen wird, um die noch Draussenstehenden zum 
Eintritt zu veranlassen. Die Anmeldungen können bei einem der drei Vorstandsmitglieder, Dr. Weber- 
Cöln a./Rh., Norbertstr. 16, Dr. Windelband-Berlin, Königgrätzer Str. 88., Dr. Lorbaoher-Leipzig, Bau- 
hofstr. 11, geschehen. Doch muss derselben die Erklärung zweier ärztlicher Mitglieder des Vereins, dass 
sie die statntenmässige Bürgschaft für den Angemeldeten übernehmen, beigefügt sein. Wenn der Neu- 
angemeldete unter den Vereinsmitgliedern nur einen ihm bekannten Arzt hat, so sind wir bereit ev. die 
Ergänzung der Bürgschaft zu übernehmen. 

Der Vorstand des homöopathischen Centralvereins Deutschlands 

_ I. V.; Dr. med. Lorbaoher. _ 

Vorläufige Einladung 

za der am 9. and 10. Aagast za Stattgart stattfindenden Generalversammlung 
des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands. 

Die Mitglieder des Homöopathischen Central Vereins Deutschlands werden hierdurch zu der am 
9. II. 10. August C. ZU Stuttgart stattfindenden Generalversammlung eingeladen mit dem ergebensten 
Ersuchen, alle etwa beabsichtigten Anträge bis zum 1. Juli ©. an das Unterzeichnete Leipziger 
Directori&lmitglied gelangen zu lassen, damit dieselben in der den Mitgliedern statutenmässig vier 
Wochen vor der Versammlung znzusendenden Einladung Aufnahme finden können, andernfalls würden 
sie nicht zur Discussion gestellt werden können. 

21 


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Ausserdem wäre es sehr erwünscht, dass die mit ihren Jahresbeiträgen noch im Rück¬ 
stände befindlichen Mitglieder dieselben baldigst an den Kassirer, Herrn Apotheker Steinmetz (Marg- 
grafs Nachfolger), einschickten, da dem früheren Beschlüsse gemäss die Rechnungsabschlüsse bei der 
Einladung an die Mitglieder mit veröffentlicht werden sollen. 

Die Einzelheiten für die Versammlung werden später mitgetheilt werden. 

Leipzig, im Mai 1892. I. A.: I>r. iiied. A. liOrfoacher. 


Die Frühjahrs Versammlung des 
Süchs.-Anhalt. Vereins homöopath. 
Aerzte. 

Referent Dr. Haedicke-Leipzig. 

Zur Festversammlung des 10jährigen Bestehens 
unseres Vereins hatten sich am 10. Mai in Halle a./S. 
ausser dem Vorsitzenden Sanitätsrath Dr. Faulwasser - 
Bern bürg und dem Schriftführer Dr. F/7/w-Dresden 
folgende Collagen eingefunden: 

Dr. Berenbruch- Dessau. 

Dr. Gr<w-Magdeburg. 

Dr. Haedicke-Leipzig. 

Dr. Henze-Ilatte. 

Dr. Hergt-Jen&. 

Dr. Magdeburg. 

Oberstabsarzt Dr. Rokozvsky-Leipzig. 

Dr. Stifft-Le\pz\g. 

Dr. 7k/V^/wö««-Sommerschenburg. 

Staatsrath Dr. JFrf/s-Erankfurt a./O. 

Entschuldigt hatte sieb College Lutze , der auf 
seiner Hochzeitsreise begriffen war. 

Nach der Eröffnung der Sitzung durch den Vor¬ 
sitzenden gab derselbe zunächst einen kurzen Rück¬ 
blick über das 10jährige Bestehen des Vereins und 
überreichte alsdann dem Collegen Teichmann eine 
künstlerisch angefertigte Adresse. Dieser Senior 
unseres Vereins war schon im vorigen Jahre aus 
Anlass seines 50jährigen Doctor-Jubiläums zum 
Ehrenmitglied ernannt worden, ebenso wie früher 
Hartlaub, Brückner und Kafka sen. 

Der Wortlaut der Adresse war folgender: 
Medicorum homoeopathicorum societas saxo-anlialtina 
virum clarissimum experimentissimum amplissimum 
Manritium Teichmann 

medicinae doctorem, medicum practicum homoeo- 
pathicum celeberrinum optime de arte medica ho- 
moeopathica meritum, summis henoribus academicis 
decem ante lustra acceptis ante diem quintum idus 
octobris anni 1891 pia grataque gratulatione in 
sociorum honorariorum numerum coaptavit idque 
his litteris declaravit. 
h. t. praesides: 

Dr. Faulwasser. Dr. Villers. 

Nachdem darauf der Vorstand durch Acclamation 
wieder gewählt worden war. wurde Magdeburg als 
Versammlungsort für die Herbstversammlung am I 
9. October gewählt. 


Eingegangen waren bei dem Vorsitzenden zur 
Besprechung: C. Hilber’s Reagens-Papier zum Nach¬ 
weis von Zucker und Eiweiss im Harn, zu beziehen 
bei Schlag und Berend, Berlin, Alexanderstr. 70, 
das wegen seiner leichten Handhabung und relativen 
Sicherheit den Collegen empfohlen werden kann. 

Ferner eine Offerte für hölzerne Zungenspatel 
von Harnsen in Hamburg, Rosenstr. 11, pr. Dtzd. 
34 Pfge. Dieselben sind wegen der grösseren 
Sauberkeit in der Praxis besser als alle anderen zu 
verweithen, da sie wegen des billigen Preises nach 
einmaligem Gebrauche weggeworfen werden können. 
Auf unseren Wunsch sind dieselben schon seit Jahres¬ 
frist auch in Marggrafs homöopathischer Officin in 
Leipzig zu haben. 

Schliesslich eine sensationelle Flugschrift: Die 
Medicin unter der Herrschaft des Messers — von 
einem Freunde der leidenden Menschheit, der wir 
unter Bücherschau in dieser Nummer eine beson¬ 
dere Besprechung widmen werden. 

Der zweite Gegenstand der Tagesordnung be¬ 
traf die Electrohomöopathie des reclamesüchtigen 
Apothekers Sauter in Genf. Ein Vorschlag, die 
homöopathischen Apothekenbesitzer zu veranlassen, 
diese Geheimmittel in den Apotheken nicht zu ver¬ 
kaufen, wurde abgelehnt, weil man den „berühmten 
Erfinder“ und Kurpfuscher Sauter in Genf in Zu¬ 
kunft völlig ignoriren wolle. Als rühmenswerth 
wurde hervorgehoben, dass die beiden homöopathi¬ 
schen Apotheken in Leipzig sich nicht mit diesem 
schwindelhaften Geheimmittelunfug befassen und 
den Vertrieb der * Sternraittel tf trotz aller Ver¬ 
lockungen energisch abgelehnt hätten. Gegen die¬ 
jenigen Collegen aber, welche die Sauterschen Ge¬ 
heimmittel in der Praxis anwenden und öffentlich 
vertreten, wurde ein protocollirtes Tadelsvotum be¬ 
antragt und einstimmig beschlossen. 

Der wissenschaftliche Theil der Tagesordnung 
betraf die Discussion über Koch's Tuberculin, welche 
ergab, dass von den Anwesenden nur wenig günstige 
Erfahrungen damit gemacht worden waren. Faul¬ 
wasser hat keine Erfolge von der internen Behand¬ 
lung gesehen und auch Villers in 10 Fällen weder 
mit 3. 6. noch mit 30. c eine Besserung erzielt 

Stifft hat im Krankenhause 4 Fälle von Tuber- 
culose mit dem Koch’schen Mittel behandelt, wo¬ 
rüber er referirt. Obgleich bekanntlich Koch s. Z. 
behauptet hat, dass das Tuberculin innerlich un¬ 
wirksam sei, beobachtete Stifft dennoch bei einer 


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1«S 


Patientin auf Tuborculin c 3 wiederholentlich folgende 
Reactionen: Schüttelfrost, hohe Temperaturen bis 
39,5, Milzsehwellung, vermehrten Durchfall mit Leib* 
schmerzen, Beschwerden, die beim Aussetzen der 
Medication jedesmal wieder wiehern Bei der Ver¬ 
abreichung von c 5 in Verreibung ganz derselbe 
Effect. Nachdem die 15 c-Verreibung angewendet 
wurde, trat keinerlei Reaction mehr ein — aber 
auch keine Besserung im Verlaufe von 4 Wochen. 

Rohowsky beobachtete dagegen bei einer Pa¬ 
tientin nach Verabreichung der 30. Dec.-Potenz 
wiederholt starke Verschlimmerung, so dass er von 
dem Gebrauche dieses Mittels absah und später mit 
Ars. jod. 5 c die Kranke wieder arbeitsfähig machte. 

Stifft referirte folgenden Fall, den er später 
noch eingehend Veröffentlichen wird. Ein 2 7 jähriger 
Mann wurde seit Ende Juli an Tuberculose mit 
Lungen6chrumpfung und Cavernenbildung von ihm 
behandelt und am 27. October ins homöopathische 
Hospital aufgenommen. Derselbe war früher wie¬ 
derholt katbeterisirt worden. Am 28./X.: Senso- 
liuin benommen, retentio urinae, 38,5 Temp. Es 
wurde mit dem Katheter 1 Liter klarer normaler 
Harn entleert. 29./X. früh: Starke Somnolenz, 
schlechter Puls, Schmerzen in der Blasengegend. 
Nachdem viele vergebliche Versuche mit verschie¬ 
denen Kathetern erfolglos gemacht waren und eine 
alte fausse route sich feststellen liess, gelang es 
endlich einen mittelgrossen weichen Katheter ein¬ 
zuführen. 29./X. Abends: erhöhte Schmerzen in der 
Blase, starke Somnolenz, retentio urinae. Wiede¬ 
rum viele vergebliche Versuche mit der Katheteri- 
sation, bis dieselbe schliesslich mit einem weichen 
Zinn-Katheter gelang, worauf sich eine grosse Menge 
Blut und endlich blutig tingirter, stark ammoniaka- 
lischer Harn entleerte. 30./X.: beständiges Aus¬ 
sickern von Blut aus der Harnröhre, Agonie. l./XI.: 
exitus letalis. 

Sectionsbefund: Lungen, Mensen terialdriisen, 
ductus thoracicus und trigonum mit Miliartuberkeln 
durchsetzt, im letzteren schwammiges Granulations¬ 
gewebe auf hyperämischen Boden. Die Hoden, 
Blase und Nieren sind frei. 

Epikrise: Es handelt sich um eine von aussen 
nach innen übertragene Infection bei Gelegenheit 
der früher vorangegangenen Katheterisationen und 
zeigt der Fall, dass die Infection nicht nur durch 
die Athmungsorgane, Drüsen und Darmtractus, son¬ 
dern auch durch das Blut vermittelt werden kann. 

Nach Erledigung der Tagesordnung verliest Faul¬ 
wasser die von Dr. Gross geschriebene Einleitung 
seines von Hering übersetzten Buches: comparative 
materia medica und macht auf den hohen Werth 
dieses für uns wichtigen Buches aufmerksam, an 
dessen Rückübersetzung in’s Deutsche er gegen¬ 
wärtig arbeitet Wir sind der Ueberzeugung, dass 
dasselbe später bei den Collegen grossen Anklang 


finden muss und leben der Hoffnung, dass sich, mit 
dem Verleger ein Arrangement treffen lassen wird, 
damit den deutschen Collegen dieses vortreffliche 
Werk wieder zugänglich gemacht wird. Dem Col¬ 
legen gebührt jedenfalls unser allseitiger herz¬ 
lichster Dank für die Inangriffnahme dieser lieber^ 
Setzung. 

Nach Schluss der Sitzung blieben die Anwesen¬ 
den noch einige Stunden beim fröhlichen Mahle 
zusammen. Wir glauben, dass auch diese Versamm¬ 
lung ihren Zweck, Stärkung des Gefühls der Zu¬ 
sammengehörigkeit und gegenseitige wissenschaft¬ 
liche Anregung erfüllt hat. 

Viribus unitis res crescunt. 


Aus der Praxis: Heilungen durch 
Lycopodium. 

Von llr. Hesse- Hamburg. 

I. 

Eine 60jährige abgeraagerte Frau vom Lande 
leidet seit 2 Jahren an Speiseerbrechen, das nach 
jeder Speise eintritt. Bitterer Geschmack. 

Stets voll von Blähungen . 

Verstopfung. 

Sie muss auf dem Rücken und hoch liegen. 

Die Kranke erhielt am 17. Sept. 1889 5 Pulver 
Lycopod. x, jeden Abend 1 Pulver zu nehmen. 

Am 5. Oktober ist das Erbrechen fort und der 
Appetit besser. Scheinpulver. 

Ich hörte von der Patientin nichts mehr bis 
zum 3. Mai 1890, wo mir mitgetheilt wurde, dass 
sie sich seit der Zeit vollständig wohl fühle. 

II. 

Frau M., 40 Jahre alt, klagt seit Jahren über 
Anschwellung des Leibes, gegen Abend eintretend, 
oft von ungefähr 3 Uhr Nachmittags an. 

Häufiges Wasserlassen Nachts. 

Schmerzen in der rechten Eierstocksgegend seit 
einer Geburt «vor 6 Jahren. 

Viele Blähungen; Kohl und Hülsenfrüchle wer¬ 
den schlecht vertragen. 

Liegen nur auf dem Rücken möglich. 

Anschwellung der Füsse gegen Abend . 

Kalte Füsse. 

11. Okt. 1889 Lycopod. x 5 Pulver, jeden Abend 
1 Pulver. 

11. Novomber: es ist in jeder Beziehung bedeu¬ 
tende Besserung eingetreten. Die Patientin hätte sich 
nicht wieder gezeigt, da sie über Anschwellung des 
Leibes, Blähungen, geschwollene Füsse etc. nicht 
mehr zu klagen hatte, wenn sie nicht für einige 
andere Beschwerden, die zeitweise mehr hervor¬ 
traten, Hilfe gesucht hätte. 

Sie leidet viel an Schnupfen und Zahnschmerzen, 

21 * 


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16* 


bat bei Erkältung leicbt Schmerzen beim Schlucken. 
An Nasenbluten bat sie viel gelitten. 

leb gab ihr überflüssiger Weise noch einmal 
6 Pulver Lycopod. x, alle Wochen 1 Pulver zu nehmen, 
sehe aber in meinen Notizen schon Sulfur notirt, 
als Mittel, das nach Lycopod. am besten für die 
restirenden Schmerzen gepasst hätte in diesem Falle. 
Indessen zeigte sich die Patientin nicht wieder; am 
1. April 1891 erfuhr ich gelegentlich, dass sie seit 
der Behandlung nichts mehr zu klagen hätte. 

III. 

Frau Gr., 48 Jahre alt, hat seit Jahren Magen¬ 
leiden. Alles wird zu Blähungen , besonders Obst, 
Hülsenfrüchte, Schwarzbrod . 

Magen und Leib schwellen gegen Abend an, 

Appetit mässig, kein Durst. 

Nur Rückenlage möglich. 

Heissender Schmerz in den Fusssohlen. 

Hitze in den Füssen; nie kalte Füsse. 

Nacken gleich steif bei Erkältung, besonders 
bei Regenwetter. 

Menses alle 3 Wochen, oft schwarz und stückig. 

12. Nov. 1890, Lycop. x; 6 Pulver, wöchentlich 
1 Pulver. 

Am 2. Januar 1892 finde ich notirt, dass die 
Patientin es nicht für nöthig gehalten, sich noch 
einmal zu zeigen; schon die ersten Pulver halfen. 

Kunkel charakterisirt kurz und scharf Lycop. 
wie folgt: 

Dürre, trockene Haut, Tendenz zu Ausschlägen. 
Sehr hervorstechend ist seine Wirkung gegen Bläh¬ 
ungsbeschwerden, die Nachmittags (4—8 charakt.) 
auftreten mit Kopfcongestionen und Gesichtshitze 
bei kalten oder nasskalten Füssen. Warme Zimmer- 
lufb unangenehm. Im Schlaf Rückenlage mit stark 
erhöhtem Kopf. Niedrige Lage des Kopfes, Seiten- 
lage unmöglich, ebenso warmes Einhüllen des Kopfes; 
Kopfbedeckung oft unerträglich; ebenso langesSitzen, 
Sattessen. Die Kranken neigen zu Säurebildung, 
saurem Erbrechen. 

Lycop. gehört zu den am schärften charakteri- 
sirbaren Mitteln und gerade bei ihm lässt sich in 
den passenden Fällen die Wirkung Vorhersagen 
und die Wirkung der 30 Potenz für Ungläubige 
demonstriren. Eine empfindliche Dame, welche ich 
durch Lycop. (ausser wenigen Dosen Sepia in der 
späteren Zeit der Behandlung) von jahrelangem 
Asthma befreite, bekam nach jedem Pulver Lycop. 
in 30 Potenz eine kolossale Auftreibung des Leibes, 
welche mehrere Tage andnuerte. Es war eine Form 
von Asthma, wie sie Farrington, den man nie auf¬ 
schlägt, ohne Etwas zu lernen, unter Nux vomica 
beschreibt. Er sagt: „Nux ist manchmal nützlich 
im Asthma. Dies Asthma ist meist nicht das rein 
nervöse Asthma, sondern das, welches von gastri¬ 
scher Störung kommt. Es ist verbunden mit einem 


Gefühl von Völle und Druck im Magen, was be¬ 
sonders nach einer tüchtigen Mahlzeit auftritt, wo¬ 
bei der Kranke alle Kleider um die Hypochondrien 
lösen muss. Der Bauch ist von Blähungen ausge¬ 
dehnt. Aufstossen erleichtert diesen asthmatischen 
Zustand. Carbo, veg. und Lycop. können in An¬ 
wendung kommen bei Asthma von Abdominal- 
reizung mit ausgesprochener Flatulenz.“ Bei obiger 
Dame bestimmten mich Verschlimmerung: Nach¬ 
mittags und Abends, Besserung und zwar die ein¬ 
zige Besserung: durch Geben im Freien zu Lycopod. 

Momentan habe ich einen Cigarrenarbeiter in 
Behandlung, auf den die obige Beschreibung des 
Nux-Asthmas passt. Husten und Kurzatmigkeit, 
schlimmer nach Mitternacht und in Bewegung, 
besser durch Aufstossen, Magen und Leib stets ge¬ 
schwollen, Gefühl eines Reifens um den Leib, das 
ihn sehr belästigte. Ohne Erfolg und unrichtiger 
Weise bekam er von mir Kal. carb. wegen der 
Verschlimmerung gegen 3 Uhr nach Mitternacht. 
Bei dem folgenden Besuche erzählte er mir, dass 
er die Arznei schon des Morgens um 4 Uhr nehme, 
da'sei er ausserordentlich munter, nachher schlafe 
er wieder ein, erwache nach diesem Morgenschlaf 
sehr schlaff und müde. Dies mit der Auftreibung 
des Leibes brachte mich auf Nux vomica. Einige 
Tage später las ich im Farrington mit grossem 
Interesse obige Notizen. Man sieht wieder, wie 
man vorteilhafter Weise den Krankheitsnamen weg¬ 
lässt, die Gesammtheit der Symptome berücksichtigt 
und wie oft gerade die Symptome auf das passende 
Mittel hindeuten, welche vom Kranken selbst nicht 
in den Vordergrund gestellt werden. 

Oft findet man bei Lycop. nur eine Verschlimme¬ 
rung gegen Abend, oft aber auch genau von 4—8 
ausgeprägt. Eine schon 8 Tage bestehende Lungen¬ 
blutung wurde sofort durch Lycop. zum Stehen 
gebracht.. Bestimmend waren: Fieberzustand genau 
von 4—8, Unerträglichkeit des warmen Zimmers. 
Letztere fehlt selten oder nie. Das Verlangen nach 
frischer Luft ist ungemein charakteristisch und oft 
so gross, dass auch im nicht geheizten Zimmer 
Thüren und Fenster offen stehen müssen. Vor 
einigen Jahren leistete mir Lycop. gute Dienste in 
mehreren schweren Diphtheriefällen, wo die Uner¬ 
träglichkeit des warmen Zimmers und das 4 —8 
eintretende oder sich verschlimmernde Fieber mich 
auf diese Arznei brachten. Bald darauf lernte ich, 
dass Lycop. bei den amerikanischen Collegen einen 
berechtigten Platz einnahm bei Diphtherie mit Sitz 
oder Ausgang auf der rechten Mandel, Verstopfung 
der Nase. Selten fehlen sonstige Symptome von 
Lycopod. 

Bekanntlich wurde das Krankheitsbild von Lycop. 
benutzt im Jahre 1889 von Dr. Chapman, um das 
Vorhandensein eines einheitlichen Princips in der 
homöopathischen, und den Mangel eines solchen in 


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der allopathischen Therapie evident zu demonstriren. 
Er schickte an 10 hervorragende Allopathen und 
ebensoviele Homöopathen folgenden Brief unter Bei¬ 
fügung von 2 Dollar: 

Geehrter Herr Dootor! Ä Ich leide stark an Ver- 
dauungsschwäche und bitte um ein passendes Recept. 
Mein Appetit ist gut, aber schon ein paar Mund 
voll verursachen ein Gefühl von Völle und Auf¬ 
treibung, als ob ich eine tüchtige Mahlzeit zu mir 
genommen hätte. Mein Essen reicht nicht hin, mir 
meine Kräfte zu erhalten. Mehr oder weniger 
Schmerzgefühl in der Lebergegend. Verstopfung 
mit viel Blähungsauftreibung in Magen und Leib. 

Auch meine Nieren müssen krank sein, da ich 
in der Nierengegend Schmerzen und im Urin viel 
rothen Sand habe. 

Mein Temperament ist lebhaft von Natur; ich 
bin gern in Gesellschaft, aber jetzt bin ich oft in 
gedrückter Stimmung. Ein Umstand ist mir als 
charakteristisch aufgefallen: Regelmässig von 4—5 
oder von 8—9 Abends fühle ich mich schlechter. 
Letzteres ist keine Einbildung, sondern seit Jahren 
von mir bemerkt worden. 

Ich bin 42 Jahre alt, verheirathet etc.“ 

Die Homöopathen bat er nur um Angabe des 
Mittels. Von den 8 Allopathen (2 antworteten 
nicht) kam eine wahre Blumenlese von Recepten 
zusammen, in denen Salzsäure, China und Tinct. 
Strychnin besonders häufig vorkamen, die 10 Homöo¬ 
pathen, worunter J T. Kent in Philadelphia, Lilien¬ 
thal in San Francisco, Mc. Veil ebenda, Boericke 
ebenda, J. B. Bell in Boston (dessen Abhandlung 
über „Diarrhoe“ mustergiltig geworden ist für ähn¬ 
liche Bücher, wie „Wechselfieber* und „Husten“ 
von H. C. Allen in Chicago, dem Redacteur der 
Medical Advance), Reed in St. Louis, Dowling in 
New York, gaben übereinstimmend Lycopodium an. 

Da nun die Allopathen drüben sich mit Vor¬ 
liebe die „reguläre* Schule nennen, so fragt College 
Chapman mit Recht: Wo liegt nun das Reguläre, 
bei den Allopathen, wo nicht zwei Recepte sich 
gleichen oder bei den Homöopathen? Sehr richtig 
fügt er noch hinzu, dass jeder Homöopath, wenn 
er nur irgendwie den Namen verdient, auf Lycop. 
gekommen wäre. 

Die Zeiten der Arzneien. 

Von Dr. med. Ide-Stettin. 

Im fünften Bande der Zeitschrift des Berliner 
Vereins homöopathischer Aerzte habe ich eine Arbeit 
über die Zeiten der Arzneien gegeben. Ich bringe 
hier einen Nachtrag zu dieser Arbeit. Es sind 
Aufzeichnungen, wie ich sie in der Zwischenzeit 
aus der Lectüre und Beobachtung nach und nach 
gewonnen habe. Auf Vollständigkeit, soweit über¬ 


haupt davon die Rede sein kann, macht diese Zu¬ 
sammenstellung keinen Anspruch. Aber auch so 
kann sie nützlich werden, wie ich das täglich in 
meiner Praxis erfahre. 

Aus diesem Grunde bin ich einer Aufforderung 
der Redaction dieses Blattes gern nachgekommen, 
dieselbe an dieser Stelle zu veröffentlichen. 

Die Wiederholungen haben ihren Grund in der 
rascheren AufÜndbarkeit, wenn das Symptom, resp. 
das Mittel in mehrere Zeiten hineinreicbt. 

Verschlimmerung im Frühling. 

Laches., Mercur. 

Schnupfen: All. Cep., Geisern. . 

Hautaus schlüge: Natr. sulf,. 

Verschlimmerung im Sommer. 

Aethus. cyn., Aran., Natr. mur., Sarsap. . 

Durchfall: Kalicarb., Laches., Üleand., Oenanthe, 
Rheum, Rhus tox., Veratr.. 

Ilautaffectionen: Kali carb., Muriat. ac. 

Besserung im Sommer. 

Aescul. hipp.. 

Husten: Arsen, jodat. 

Verschlimmerung im Herbst. 

Durchfall: Asklep., Ipecac., Colocyntb., Iris vers.. 

Asthma: China. 

Verschlimmerung im Winter. 

Aescul. hipp., Ipecac., Psorin.. 

Husten: Kali carb., Psorin. 

Hautsymptome: Alum., Nux mosch., Petrol. . 

Verschlimmerung bei Neumond. 

Bovist., Clemat., Natr. carb., Sabin., Sulf.. 

Hautsymptome: Alum., Bovist., Clemat. . 

Verschlimmerung bei zunehmendem Mond. 

Clemat, Dulc. . 

Milchschorf: Clemat.. 

• Verschlimmerung bei Vollmond. 

Schwerhörigkeit: Graphit. 

Periodicität 

Schlimmer alle 10—14 Tage: Kali phosph. . 

Schlimmer alle 7 Tage: Arsen., Phosph. . 

Schlimmer alle 2 Tage: Calcar. carb. (Abends).. 

Schlimmer einen Tag um den andern: China., 
Chamom., Natr. mur. . 

Kopfschmerzen schlimmer einen Tag um den 
andern: Chin., Hydrocyan. ac., Phosph. . 

Schlimmer alle 3 Tage: Aur. . 

Schlimmer alle 7 Tage: Phytolacc. dec., Sabadill., 
Sanguin., Silic. . 


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Schlimmer alle 14 Tage: Arsen. 

Schlimmer alle 6 Wochen: Magnes. mur. (in der 
Stirne und um die Augen, als ob der Kopf bersten will). 

Periodische Kopfschmerzen: Natr. mur. (während 
der Menses), Spigel. 

Zahnschmerzen einen Tag um den andern: 
Churaom., Natr. mur. 

Würmerbeseigen periodisch alle 2 Tage: Lycopod.. 

Alle 8 Tage einmal schmerzhafte Urinabsonde¬ 
rung: Canthar. . 

Brennen in der Scheide, jeden Tag genau zu 
derselben Stunde: Chelidon. . 

Abort im 3. Monat: Cimicifug. rac. 

Periodisches Nasenbluten: Kali carb. (Vorm. 
9 Uhr). 

Alle 7 Tage wiederkehrendes Asthma: Kali carb.. 

Ischias schlimmer alle 4 Tage: Lyc. . 

Frost alle 14 Tage: Laches. (?). 

Frost jeden anderen Abend während der Schmer¬ 
zen: Puls.. 

Frost zu derselben Zeit jeden Tag: Cact. grand., 
Cedr., Cina, Geisern. 

Hitze zu derselben Stunde wiederkebrend: Sabad., 
Sil., Stan. . 

Am Tage. 

Schmerzen Tags, nicht Nachts: Argent. nitr. . 

Schmerzen schlimmer Tags, so lange es hell ist: 
Nux vom. . 

Schmerzen besser während des Tages: Sep. . 

Zahnschmerzen nur am Tage, Abends besser: 
Mercur. . 

Nur am Tage, nicht Nachts: Bell., Calc. carb., 
Mercur, Nux vom. . 

Morgens. 

Morgens beim Erwachen schlechter: Ignat., Natr. 
inur., Nux vom., Snlf., Scilla (fast alle Beschwerden 
wie Catarrhe, Schwindel, Uebelkeit, Husten schlimmer 
Morgens). 

Besser bei Tagesanbruch: Aur., Colchic., Mezer., 
Nux vom. Sy philin. 

Besser resp. Verschwinden der Schmerzen, die 
Nachts sich verschlimmert hatten, so dass die Bett¬ 
ruhe eine woblthätige ist: Mercur . . 

Besser Morgens: Mercur., Chelidon. (Neuralgieen). 

Schlimmer Schmerzen in den Knochen und im 
Periost, besonders des Schädels: Rhododendr. . 

Schwäche alle Morgen: Acalyph. ind., Tarantul. . 

Nervöse Schwäche und Erschöpfung: Natr. mur. 

Grosse Müdigkeit und Schwäche beim Erwachen, 
mit Kopfschmerzen und Mundgestank. Rheum. 

Allgemeine Schwäche schlimmer von 9—11 Uhr: 
Tarantul.. 

Morgens niedergeschlagen, Abends lustig: Zinc. 

Schwindel mit. Kopfschmerz: Amon. mur. 

Klopfen in der Stirn mit Uebelkeit und Er¬ 


brechen schlimmer Morgens vor 10 Uhr, besser 
beim Niederlegen: Natr. mur.. 

Dumpfe, betäubende Kopfschmerzen schlimmer 
Morgens und beim Bücken, besser beim Niederlegen 
und in kalter Luft: Phosphor. 

Kopfschmerzen oft mitErbrechen: Hep. sulf. calc.. 

Kopfschmerzen undPulsiren im Kopf, edle Morgen: 
Natr. carb. . 

Kopfschmerz, welcher Morgens begonnen hat 
und Nachmittags schlimmer wird: Nux vom.. 

Kopfschmerzen Morgens beginnend und im Laufe 
des Tages zunehmend: Cact. grand.. 

Erwacht jeden Morgen mit heftigen, zersprengen¬ 
den Kopfschmerzen: Natr. mur., Sulf. . 

Kopfschmerzen Morgens beim Erwachen: Bryon., 
Calc. carb., Ignat, Kalm. lat., Natr. mur., Nitri ac., 
Nux vom., Rheum, Sulf., Graphit (mit Brechneigung, 
meist einseitig). 

Kopfschmerzen schlimmer Morgens 8 Uhr: Thuja. 

Jeden Morgen bohrende Schmerzen in der 
Nasenwurzel: Hep. sulf. calc. 

Nasenbluten: Ara., Carb. an., Chin., Sulf. 

Nasenbluten morgens beim Erwachen: Aloö. . 

Nasenbluten jeden Morgen nach dem Waschen: 
Arn, . 

Nasenbluten jeden Morgen zur selben Stunde: 
Carb. veg. . 

Nasenbluten um 8 Uhr: Bryon. . 

Die linke Backe ist roth, glänzend und heiss 
Morgens beim Erwachen: Lil. tigr. . 

Zahnschmerz sehr heftig gegen Morgen: Tart. ein.. 

Zunge weiss, trocken und grosser Durst: Nitr.ac. . 

Mund nach dem Schlaf mit übelriechendem Schleim 
bedeckt: Rheum. . 

Mundgestank beim Erwachen: Rheum. 

Uebler Mundgeruch: Arn., Bell., Caraph., Gratiol., 
Nux vom., Puls., Silic., Thea. 

Trockenheit des Schlundes: Cist. can. . 

Appetitverlust , vollständiger Morgens, aber Mit¬ 
tags und Abends grosses Verlangen nach Nahrung: 
Abies nigr. . 

Geschmack sehr schlecht: Puls. . 

Oft geschmackloses Aufstossen: Con. . 

Uebelkeit: Droser.. 

Fortwährende Uebelkeit Morgens mit Ohnmäch- 
tigkeit, mit Anhäufung von Wasser im Munde: 
Petrol. . 

Uebelkeit schwangerer Frauen, besser durch 
Essen, nach 2 Std. wiederkehrend: Anacard. . 

Würmerbeseigen alle 2 Tage: Lycop. . 

Brennen und Kneipen im Magen ) Morgens nach 
dem Aufstehen: Natr. sulf.. 

Ausdehnung des Magens mit Leerheitsgefühl: 
Croc. . 


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Erwacht jeden Morgen mit kneifenden Kolik¬ 
schmerzen besser durch Zusammenkrümmen: Petrol.. 

Bauchschmerzen, oft mit Erbrechen: Hep.sulf. calc.. 

Die Bauchwandungen scheinen wie zerrieben 
and zerstossen, wenn man Morgens beim Erwachen 
sich auszustrecken sucht: Rhus tox. . 

Durchfall, oft unfreiwillig, schmerzhaft, flüssig, 
schwärzlich, nur Nachts und besonders gegen Mor¬ 
gen: Psorin. 

Durchfall früh Morgens beim Erwachen: Rumex 
crisp. . 

Durchfall morgens, aus dem Bette treibend: 
Sulf. . 

Schweisse an den Genitalien : Aurum. 

Auswurf (Expektoration) gelblich oder grau, 
mit salzigem und saurem Geschmack: Ambr. gris.. 

Auswurf schlimmer Morgens: Calcar. carb.. 

Husten: Arsen., Stramon. (trockener).. 

Husten morgens 4 Uhr mit Würgen, blauem 
Gesicht, kaltem Schweiss und Zittern: Tart. em. . 

Husten morgens 5 Uhr: Nitr. (mit blutigem 
Auswurf, Stichen in der Brust und betäubendem 
Kopfweh). . 

Husten mit gelblichem, blutig gestreiftem Aus¬ 
wurf: Natr. mur. . 

Husten mit Auswurf: Mephit. . 

Husten mit Auswurf nur Morgens: Phosph. ac.. 

Kehlkopf husten, der des Morgens unmittelbar 
nach dem Aufstehen beginnt, mit dickem, gelati¬ 
nösem, sehr zähem Auswurf, zuweilen perlfarbig, 
zuweilen dunkelgelb, eine Stunde anhaltend: Silic.. 

Krampfhusten mit Brechwürgen, besonders Mor¬ 
gens: Kreosot. 

Bluthusten : Acalyph. ind. 

Asthma früh besonders beim Erwachen: Con. mac.. 

Asthma früh Morgens: Yeratr. alb. . 

Blutungen , mit ausgesprochener, morgendlicher 
Verschlimmerung: Acalyph. ind. . 

Rückenschmerzen schlimmer um4 Uhr: Angustur.. 

Lähmungsgefühl in der Nierengegend beim Er¬ 
wachen: Aur. . 

Ischias Morgens schlimmer: Nux vom.. 

Ischias schlimmer 3—5 Uhr: Sep. . 

Hände kalt und blau: Apis. 

Schwerer Schlaf bis 9 Uhr Morgens: Anacard. 

Schlaflosigkeit nach 3 Uhr Morgens: Nux vom.. 

Erwachen mit plötzlichem Autfahren zwischen 
3 und 6 Uhr Morgens; dann schwerer Schlaf und 
mühsames Erwachen: Euphras. . 

Frost: Apis, Bryon., Chin., Drosen, Eupator. 
purp., Mangan., Podophyll., Sep.. 

Frost morgens 6 Uhr: Am., Veratr. alb. . 

Frost morgens 7 Uhr: Podophyll. . 

Frost morgens 7 Uhr den einen Tag, um 
12 Uhr den andern Tag: Eupator. purp. . 


Frost morgens von 7—8 Uhr: Eupator. purp.. 
Frost morgens 8 Uhr: Thuj.. 

Frost morgens 9 Uhr: Lyeopod. (ohne folgende 
Hitze oder Schweiss). . 

Frost morgens IOV 2 Uhr: Castor., Lobei. infl. . 
Frost morgens 11 Uhr: Cact. grand.. 

Schweiss vor dem Erwachen: Chelid.. 

Schweiss eftiger nach dem Erwachen: Sulf. . 
Schweiss beim Erwachen: Ant. crud. . 
Schweiss reichlich, nur Morgens beim Er¬ 
wachen: Ranunc. bulb.. (Forts, folgt.) 


Die Homöopathie und der Sug¬ 
gestionismus. 

Ein offener Brief 
an Herrn Dr. C. F. Berater in München. 

Lieber Freund! 

.Ein verständiger Mann lässt weder 
sich beherrschen, noch sucht er 
andere zu beherrschen; er will, 
dass einzig und allein und allezeit 
die Vernunft herrsche.“ 

La Bruy&re. 

Du behauptest, die Homöopathie beruhe auf 
Suggestionismus. Wenn Du andere Heilmethoden 
dasselbe Schicksal theilen lässt, der Homöopathie 
aber einige besonders fett gedruckte Zugeständnisse 
machst, so haben diese dennoch keine freundliche 
Bedeutung, da Du sie nicht begründest. Ich werde 
mir dadurch auch den Standpunkt, von welchem 
aus ich meine gegenteilige Ansicht darlege, nicht 
verschieben lassen. 

Ueber die Homöopathie ist schon viel behauptet 
worden. Einige sagten, sie bewirke gar Nichts, 
Andere, sie vergifte die Menschen, wieder Andere 
erachteten die dabei zu beobachtende Diät als das 
wirksame Princip. Du nun glaubst an Buggestionismus 
und machst uns Homöopathen in Deiner Abhand¬ 
lung mit einer Reihe von technischen Ausdrücken und 
Begriffen des Suggestionismus bekannt, welche eigent¬ 
lich das ganze Gebiet des menschlichen Lebens um¬ 
fassen. Insbesondere unter die Idee der * unbeab - 
sichtigten Suggestion “ lässt sich schliesslich alles 
subsummiren, was nur irgendwie auf menschliche 
Verhältnisse Bezug hat. Ausgeschlossen könnten 
hier nur werden: die Mathematik, die technischen 
und die Naturwissenschaften und die Philosopheme 
der höchsten Geister unter den denkenden Menschen. 

Nun, lieber Freund, muss ich Dir freilich vieles, 
was den Suggestionismus betrifft, zugeben; vieles 
aber, was Du in dieser Richtung gerade der Ho¬ 
möopathie supponirst, entschieden zurückweisen. 
Lass mich reden. Ich gebe Dir also zu, was Du 


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zwar nicht hier, aber an anderer Stelle behauptet 
hast, dass es einen % Heerdentrieb' i giebt. Für mich 
ist dies nichts anderes als ein grosser historischer 
suggestiver Zug, der allen Völkern, ob gesittet 
oder ungesittet, gemeinsam ist. Es ist die ererbte 
Suggestion , auf der die Macht der Gewohnheit, aller 
Aberglaube, alle Vorliebe für dies und jenes, und 
jede Idiosynkrasie beruht. Durch diesen Umstand 
wird die Freiheit des menschlichen Willens arg beein-j 
träcbtigtund den bestehenden Vorurtheilen in der Weis« 
Platz gemacht, dass bis auf den heutigen Tag jeder! 
vornehme, edle, grosse und neue Geist beinahe sein 
Leben lang zu kämpfen hatte und hat, um neben 
der überall bereitwillig empfangenen Alltäglichkeit 
zur Geltung zu kommen und sich eine Ehrenstelle 
im Gedächtniss des Volkes zu sichern. All* jene 
Geisteskämpfe, all’ jenes unablässige Ringen mit 
sich und anderen, von dem uns das Leben der 
Literaturheroön erzählt, was sind sie anders, als 
die Selbstbefreiung einer machtvollen Persönlich¬ 
keit von dem suggestiven Zuge des ererbten Blutes, 
von dem suggestiven Zug der Zeit? 

Tausende von Beweisen könnte ich Dir geben, 
dass die gewöhnliche Menschheit beinahe nur unter 
suggestivem Druck zu leben pflegt. Alle Sitten 
und Gebräuche, alles zähe Festhalten an ererbten 
Anschauungen spricht dafür. Freilich hat dies auch 
sein Gutes -— für den Conservatismus. Aber wir 
beobachten auch Schicksalsfamilien, die nur durch 
den suggestiven Zug ihrer Mitglieder, der sie in 
Disharmonie mit der übrigen anders denkenden 
Menschheit und mit ihrer Zeit bringt, vollständig 
im Elend zu Grunde gehen. 

Um Dir ein Beispiel zu geben, was ich mir von den 
Wirkungen des Suggestionismus im ärztlichen Leben 
verspreche, wirf einen Blick,lieber Freund, auf das un¬ 
übersehbare Heer von Hysterischen, Neurasthenischen 
und halbverrückten Personen, welche durchaus den 
Stempel der Suggestionssüchtigkeit an sich tragen. 
Wenn Du bedenkst, was das Gehirn eines noch 
so suggestionsfreudigen Arztes, was sein ganzes 
Nervensystem leisten und aushalten müsste, um 
sich mit all* diesen Leuten in suggestivem Rap¬ 
fort zu halten, so musst Du selbst gestehen: ja, 
es ist rein unmöglich. Ich will Dich hierbei auch 
daran erinnern, dass wir Aerzte von keiner Seite 
verpflichtet worden sind, den S. in der Praxis an¬ 
zuwenden, dass dies auch unsere Kräfte übersteigen 
würde, und dass wir uns den S. als therapeutischen 
Versuch oder als besonderen Nothbehelf reserviren. 
Du verpflichtest nun in Zukunft alle Therapeuten 
zur Feststellung der psychischen Persönlichkeit und 
der Suggestibilität ihrer Patienten. Er'^ere Beding¬ 
ung haben die Homöopathen von jeh T er erfüllt; ob 
sie sich für die S. interessiren werden, weiss ich 
nicht. Für nothwendig halte ich dies nur bei den 
Arzneiprüfungen, für die nach meiner Ansicht noch 


kein ganz zuverlässiger Modus gefunden worden 
ist, tausende von Arzneisymptomen halte ich für 
ganz individuell oder sogar für illusorisch. — Gar 
nicht aber imponirt mir Deine „ Autosuggestion der 
Besserung*, durch die sich in Zukunft die Leute 
curiren werden oder auch schon jetzt curiren, wie 
Du meinst. Man muss selbst schon öfters schwer 
krank gewesen sein, um zu wissen, wie sehr einem 
da alle Suggestionen vergehen. Dass Menschen 
durch Einbildung krank werden, weiss ich wohl, 
ob aber durch Einbildung auch wirklich Kranke 
gesund werden können, bezweifle ich. Dagegen 
gebe ich zu, dass auto- oder allosuggerirte Krank¬ 
heitssymptome durch Suggestion aufgehoben werden 
können. 

Schon bei unserer Erziehung spielen hereditäre 
suggestive Vorstellungen eine grosse Rolle und hin¬ 
dern die Entwicklung der „Individualität“, welche 
gerade das höchste Postulat aller jener Modernen 
bildet, die auf der andern Seite für Suggestion schwär¬ 
men. Das Losringen von solchen suggestiven Vor¬ 
stellungen ist ein Hauptact zur Schöpfung der In¬ 
dividualität und darf deshalb der S. nicht sportmässig 
betrieben werden, wenn man den geistigen Fort¬ 
schritt der Menschheit nicht hemmen will. Der Sug¬ 
gestionismus ist eine Zwangsjacke für das mensch¬ 
liche Gehirn; und der populäre Ausdruck für eine 
stark suggestiv wirkende Persönlichkeit, die einem 
aus sonstigen Gründen unsympathisch ist, lautet: 
„Er ist ein unheimlicher Mensch.“ Stark suggestiv 
zugängliche Menschen sind beinahe immer character- 
los. Grosse Charactere zeigen wenig oder gar keine 
Suggestibilität. Die Homöopathie, Heber Freund, 
ist keine Kryptosophie , sondern eine offen und klar 
zu Tage liegende Lehre, welche erprobte Principien 
gezeitigt hat und Resultate, für die wir uns keine 
anderen Ursachen unterschieben lassen, als unsere 
Studien. Nicht Autorität , sondern Humanität und 
Wissen ist unser Losungswort. 

Es ist klar, wie man ein Kind nur erziehen 
kann, wenn man seine Liebe geniesst, so kann man 
einen Kranken nur dann mit Erfolg behandeln, 
wenn man sein Vertrauen gewinnt oder besitzt. 
Der Mensch ist eben ein psycho-physisches Wesen. Da 
dies aber für jede Art Therapie zutrifft und über¬ 
dies, wie ich gezeigt habe, der ganze psychische 
Untergrund des Krankenmaterials ein grossentbeils 
suggestiver ist, so resultirt daraus, dass die Ho¬ 
möopathen nicht den mindesten Grund haben , die 
Summe der schon vorhandenen suggestiven Vorstel¬ 
lungen noch künstlich zu vermehren. Wenn Du, 
lieber Freund, forderst, man müsse in Zukunft 
die Patienten auf ihre Suggestibilität prüfen, so 
fällt mir dies gar nicht ein. Denn ich brauche 
diesen Umstand gar nicht zu kennen. Ich weiss, 
dass ich einen Menschen helfen oder dass ich ihm 
nicht helfen kann, wenn ich ihn körperlich gründ- 


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lieh untersucht habe. Und jener Armen im Geiste, 
welche suggestive Mannöver nicht merken würden, 
giebt es unter den besseren Ständen auch nicht 
viele. Auf geistreiche Leute würden sie einen ge¬ 
radezu abschreckenden Eindruck machen, und die 
Absicht und der Erfolg würden sicherlich vereitelt 
werden. Bei vornehmen Hysterischen, welchen man 
beim ersten Besuch eine baldige Besserung ihres 
Befindens in Aussicht stellt, tritt beim zweiten Be¬ 
such stets eine Verschlimmerung ein. 

Mir scheint, sogar das Renommee des Arztes 
und der Methode käme in Gefahr, wenn man Sug- 
gehtiohismus grundsätzlich als therapeutische Maxime 
verwendete und den homöopathischen Schild vor- 
schützte. Nur bei reinen Geisteskrankheiten be¬ 
sonders solchen des Willens mache ich eine Aus¬ 
nahme zu Gunsten des Suggestionismus. Ich finde auch, 
dass alle Forscher, die den Suggestionismus be¬ 
günstigen, derartige sind, die sich besonders gern \ 
und berufsmässig mit Geisteskranken und psychi- \ 
sehen Abnormitäten überhaupt befassen. — Aber 
der gesunde Sinn einer gesunden Bevölkerung — 
ich meine eine solche, die hereditär-suggestiv nicht 
besonders belastet ist — lässt sich nicht betören. 
Denn der suggestive Rapport ist eine Beeinträch¬ 
tigung der menschlichen Willensfreiheit auf beiden 
Seiten und kann schädliche Folgen haben, da es 
keine Mittel giebt, ihn auf den Heilbefehl zu be-i 
schränken. 

Auch bin ich durchaus nicht überzeugt, dass 
die vielleicht guten Heilerfolge des S. auch dau¬ 
ernde sind. In der Praxis sehe ich das Gegentheil. 
Hunderte von mesmerirten Personen, die gewiss 
suggestiv beeinflusst sind, haben gar keinen oder 
nur sehr vorübergehenden Erfolg und wenden sich 
an die Homöopathie. Ja sogar die allbewährte 
Hygiene versagt zuweilen ihren Nutzen, obwohl sie 
in eindringlich suggestiver Weise gepredigt wird. 
Z. B. Bäuerinnen erkranken regelmässig nach den 
ersten hygienischen Versuchen mit frischer Luft; 
Bädern, zweckmässiger Kleidung und Ernährung eta. 
an einen rheumatischen oder nervösen oder Magenj- 
leiden, weil der Contrast beleidigend auf ihre an¬ 
geerbten Suggestivvorstellungen einwirkt. 

Geistliche und Lehrer müssten doch besonders 
gut Gelegenheit haben, durch Massensuggestion her¬ 
vorragende Resultate zu erzielen. Zur Zeit hört 
man nur von , denen des italienischen Padre da 
Montafeltre. 

So selten können die Suggestionisten unter 
diesen Berufsklassen ja doch nicht sein? 

Ich habe die Beobachtung gemacht, dass allge¬ 
mein bekannte Erfahrungen, die überall suggestiv 
ins Bewusstsein getreten sind, bei vielen Menschen 
nicht verfangen. Eine Familie, die ich einst nach 
Karlsbad schickte zur Kur, beklagte sich bei der 
Rückkehr über die arg stopfende Eigenschaft dieses 


Wassers (sic!). — Eine zarte Natur, der icb eines. 
Caturrhs wegen Emser Wasser angeraten hatte, 
überhäufte mich mit Schmähungen, dass ich es ge-:, 
wagt hätte, ihr ein so fürchterliches Abführwasser 
zu verschreiben! - 

Leute, die unter den Augen des Pfarrers Kneipp 
und bei dem Curgebrauch in Wörishofen prachtvoll 
gediehen und alle Krankheitssymptome verloren, 
erkrankten nach ihrer Rückkehr von dort sogleich 
schwer und nachhaltig, weil sie die Suggestivspbäre 
des Herrn Pfarrers nicht mitnehmen konnten. Einige 
davon hatten sogar mit grossem Eifer und mit Ge¬ 
nauigkeit die empfohlene, Kur zu Hause noch fort¬ 
gesetzt Aber der Erfolg war gegenteilig. >, 

Ich für meinen Theil wäre wirklich in Verlegen¬ 
heit, die aus meiner Praxis auffallenden Fälle von 
Suggestivwirkung zu kennzeichnen. Der Enthusias¬ 
mus mancher neuer Patienten mag ja etwas von 
Autosuggestion an sich haben. Ich nähre ihn nie. 
Aus dem gewöhnlichen Leben könnte ich Dir aber 
viele Beispiele auffallender Suggestivwirkung er¬ 
zählen. 

Ob Du Recht hast, den homöopathischen Aerzten 
das .systematische Wissen um diese Erscheinungen* 
zu supponiren, weiss ich wirklich nicht Ich be¬ 
zweifle es. Denn ich glaube nicht, dass es viele 
giebt, die sich damit befasst oder auch nur darum 
gekümnlert haben. — 1 - Es handelt sich da ja auch 
immer um 2 Personen i 

1) Eine suggestive Persönlichkeit'—die durch¬ 
aus nicht jeder homöopathische Arzt für jeden 
Menschen ist, 

2) um einen suggestiven Patienten, den man 
auch nicht immer in jeben Fällen ontrifft, bei wel¬ 
chen man eigentlich auf einen Versuch , mit der 
Suggestion angewiesen wäre. Denn es gehört doch 
ein hoher Grad von Imagination dazu, zu glauben, 
dass die absichtlich angewendete Allosuggestion auf 
alle Menschen oder die Mehrzahl derselben irgend* 
welchen Eindruck mache. Und das Suggeriren von 
Nervenkränken ist eine höchst undankbare Sache, 
die bei diesen Leuten leicht zum Sport ausartet, 
und sie den Arzt zum Besten halten lässt. Ueber- 
haupt sind atich hier meist nur .Scheinerfolge von 
kurzer Dauer zu erzielen. Jedenfalls können sie 
mit homöopathischen Heilerfolgen nicht conourjriren. 

Wenn Du gesagt hättest, lieber Gerster, es sei 
vorteilhaft, die Umgebung des Kranken, zu sug- 
geriren, so würde ich Dir nicht widersprochen 
haben. Denn eine dem behandelnden Arzt feindlich 
gesinnte Person am Krankenbette kann tatsächlich 
jeden gÜLstigen Erfolg der Behandlung vereiteln. 

Schlier.*ch glaube ichlieber Freund Gerster, 
dass man zur Befähigung als Arzt nicht nur ein 
umfangreiches Wissen nötig hat, sondern dass es 
für den erfolgreichen Arzt von nicht minderer . Be¬ 
deutung ist, eine therapeutische Ueberzeugung zu 

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besitzen und die Kunst, sich das Vertrauen seiner 
Patienten zu erwerben und zu sichern. Darüber 
wirst Du sicher lachen, Verehrtester, weil ich so 
unbefangen alles zugestebe, was Du wissen willst. 
Aber vergiss nicht, dass ich die Absichtlichkeit 
dieser Vorgänge und das Mittel der verbalen Sug¬ 
gestion in Abrede stelle. Das Vertrauen muss sich 
auf anderen Wegen bilden. Ich glaube, dass das 
Vertrauen eine Autogefühlssuggestion von Seite des 
Patienten ist, welche man eben nur nicht zerstören 
muss. Dies scheint mir die einzige negative An¬ 
forderung an den Arzt zu sein in dieser Beziehung. 

Du aber stellst Dir die Sache offenbar so vor: 
Der autosuggerirte Arzt giebt dem allosuggerirten 
Patienten eine Arznei, und dieser wird durch Ueber- 
gang der Allosuggestion in Autosuggestion gesund. 
Oder es sind beide Tbeile autosuggerirt; Erfolg 
derselbe. leb gestehe, mir gefallt diese Sprache 
so wenig als der englische Rennsportjargon und 
ich halte alle diese Ausdrücke im Grunde ge¬ 
nommen für höchst überflüssig, da es für das Ver¬ 
ständnis ganz gleich ist, ob ich sage, Patient ist 
durch sein Vertrauen zu mir gesund geworden oder 
ob ich sage, durch Uebergang von Allosuggestion 
in Autosuggestion. Uebrigens werden täglich hun¬ 
derte von Patienten gesund, die nicht das mindeste 
Vertrauen zu ihrem Arzt haben z. B. in Spitälern, 
wo überhaupt die Gefühle der Kranken gar nichts 
gelten. Erst neulich sah ich in einem deutschen 
illustrirten Familienblatte die Bildnisse der hervor¬ 
ragendsten deutschen Kliniker. Ich war erstaunt; 
hätte ich nicht einige davon persönlich gekannt 
und wäre die Bezeichnung »Kliniker" nicht dabei 
gestanden, ich hätte alle diese Herren für Fabrik¬ 
besitzer und Ingenieure gehalten. Sie sind es auch: 
wahre Ingenieure des menschlichen Körpers, aber 
weiter nichts. Gerade das Gegentheil von Dir, 
lieber Gerster; denn Du bist ein Psychist vom 
reinsten Wasser und vergissest beinahe über Seele 
und Geist, dass der Mensch vorläufig eigentlich 
doch ein sehr irdisches, materielles und theilweise 
sehr prosaisches Geschöpf ist. Wir homöopathischen 
Aerzte stehen genau in der Mitte zwischen Euch 
Beiden. 

Nun aber will ich Dir noch sagen, wie ich 
glaube, dass Du zu Deinen Anschauungen ge¬ 
kommen bist 

Von den humanistischen Studien weg hast Du 
Dich den Naturwissenschaften und der Bergbau¬ 
kunde zugewendet, wodurch Du Dir eine grosse 
Exaktheit im wissenschaftlichen Denken, aber auch 
Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des mensch¬ 
lichen Geistes angeeignet hast, die sich zwar beim 
Studium der todten Natur, nicht aber ebenso leicht 
bei demjenigen der menschlichen oder überhaupt 
lebendigen Organismen befriedigen lassen. Gleich¬ 
wohl hast Du das Bedürfnis gefühlt, den Geheim¬ 


nissen der Medicin auf den Grund zu blicken 
und warst sicher enttäuscht, als Du nach jahre¬ 
langen, mühevollen und emsigen Studien in den 
verschiedenen Specialfächern, denen Du Dich nach 
und nach gewidmet hast, einsehen musstest, dass 
die erfolgreiche Praxis des Arztes doch auch noch 
auf etwas anderem beruht, als auf der schablonen¬ 
haften Anwendung erlangter naturwissenschaftlicher 
Kenntnisse. Als Mensch warst Du ja von jeher 
ein Skeptiker, dabei sarkastisch angelegt Als Arzt 
bist Du nun ein Hygienist geworden und als Denker 
ein Metaphysiker, was schon Dein Vater war. 

Von ihm hast Du wunderbare Kurerfolge ge¬ 
sehen und er hat Dich in das Gebiet der Homöo¬ 
pathie eingeführt Du glaubtest, diese Erfolge 
würden Dir bei den ersten Versuchen mit der Ho¬ 
möopathie sogleich auch erblühen — und sähest 
Dich wahrscheinlich enttäuscht. Warum? Du ver- 
gassest, wie viel Jahre mühevollen Studiums Dein 
Vater auf die Kenntniss der Arzneimittellehre mag 
verwendet haben und welche reiche praktische Er¬ 
fahrung ihm am Schlüsse seines Lebens zu Gebote 
stand. Ich glaube, dass Du nicht so viele Monate 
auf das Studium der Homöopathie verwendet hast 
als er Jahre. Gleichzeitig zog Dich Dein Geist hin¬ 
über zu Duprel und Schmidkunz, Du lerntest die 
Lehren des neueren Occultismus kennen und sahst 
staunenerregende Dinge, blendende Erfolge, deren 
Ursachen Du nun ohne weiteres mit den zuge¬ 
standenen günstigen Resultaten der Homöopathen 
identificirst. Du vergessest aber, lieber Freund, 
dass schon zu der Zeit, als Dein Vater Dich in 
die Homöopathie einführte, Deine Anschauungen 
nicht mehr frei von Suggestionismus sein konnten, 
da Dein Vater, selbst eine stark suggestiv wirkende 
Persönlichkeit, die Homöopathie in seinen letzten 
Lebensjahren fast nur in Verbindung mit Sugges¬ 
tionismus ausübte. Er behauptete sogar einmal, er 
könne reinen Streukügelchen eine beliebige Arznei¬ 
wirkung (durch S.) verleihen. Ueberdies war er 
Psychist wie Du und hat schon in seinen frühen 
Jahren ein Buch über Psychographie u. dgl. ge¬ 
schrieben. Ist da nicht die Neigung des Sohnes 
erklärlich? Deine Begeisterung, lieber Freund, für 
das Wohl der Menschheit ist eine hohe, warme und 
wahre. Sie spricht aus jeder Zeile, die Du in der 
von Dir redigirten Zeitschrift: „Hygieia", einem 
Erbtheil des seligen P. Niemeyer, niedergelegt hast. 
Aber die rasche Wandlung in der Bevorzugung von 
Dir wissenschaftlich gepflegter Gebiete spricht da¬ 
für, dass Du eine in geistiger Gährung befindliche 
Natur bist Nun es wird ein guter Wein werden 
und wir Homöopathen werden noch mit Vergnügen 
davon geniessen. 

Wenn ich nun alles zusammenfasse, so kann 
ich nur sagen, dass Du vom Suggestionismus ent¬ 
schieden mehr Kenntnisse hast, als von der Homöo- 


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pathie. .Zwar hast Da selbst potenzirt, aber Deine 
Arzneien, wie Da mir sagtest, nur „zur Unter¬ 
stützung der Suggestion “ angewendet. Wenn Du Er¬ 
folge hattest, schriebst Du sie der Suggestion zu, wenn 
Du Misserfolge hattest, der Homöopathie. Hier liegt 
der Fehler. Und so kam es, dass Du „Deine an¬ 
fänglichen Anschauungen über die Homöopathie bei 
ihrer practischen Erprobung allmählioh bedeutend 
modiücirt hast.* Dazu wird beigetragen haben, 
dass Du, wie jeder junge Arzt, Deine hoffnungs¬ 
vollen Erwartungen von der Macht des Arztes über¬ 
haupt etwas einschränken musstest und alle diese 
Enttäuschungen schreibst Du nun gerade der Me¬ 
thode zu, mit der Du Dich um diese Zeit zufällig 
beschäftigt hast. Oder war Dir die Wirkung der 
kleinen Dosen unwahrscheinlich und glaubtest Du, 
sie nur mittelst S. erklären zu können? So will 
ich Dir sagen, dass auch das Gegentheil vorkommt 
und dass die grössten Dosen differentester Stoffe 
unter der Einwirkung jugendlicher Autosuggestion 
und Selbstüberschätzung der körperlichen Wider¬ 
standskraft in den physiologischen Laboratorien 
ihre Wirkung häufig gänzlich versagen. „Es hat 
mir gar nichts gemacht!“ brüsten sich die jungen 
Leute. Sie sollen es 10 Jahre später probiren, 
wenn sie nicht mehr unter den Augen ihrer Leh¬ 
rer sind! 

Ueber die Zugeständnisse des Herrn Dr. Pfänder 
sage ich Dir das nämliche wie über Deinen Vater. 
Nicht jeder Homöopath ist Suggestionist; aber es 
giebt solche. 

Die „besondere Art der Suggestion für die Ho¬ 
möopathie* weise ich aus allen bis jetzt angeführten 
Gründen zurück. Wenn die Homöopathen ein 
besseres Publicum haben, so ist dieses um so 
schwerer zu suggeriren. 

Das „Selbstdispensiren der Homöopathen * ist des¬ 
halb kein Vorzug, weil es, bei uns wenigstens, nicht 
erlaubt ist und polizeilich bestraft wird. 

Ueber „ Heilung* hast Du auch besondere An¬ 
schauungen. Du scheinst ein Bedauern darüber zu 
fühlen und es zum Ausdruck bringen zu sollen 
darüber, dass es nicht möglich ist, auf rein me¬ 
chanisch-erklärliche Weise, die menschliche Natur 
zu Gunsten einer Heilung zu beeinflussen und 
machst einen Riesensprung ins metaphysische Gebiet, 
ohne zuvor die Ausdauer besessen zu haben, die 
Hdmöopathie für sich allein gründlich zu studiren. 
Heilung ist ein relativer Begriff; der Patient glaubt 
sich geheilt, wenn 4r sich gesund fühlt; der Arzt 
constatirt Heilung, wenn alle Lebensvorgänge in 
normal gewohnter Weise sich abspielen, und — wenn 
er wie der Kliniker, mittelst physikalischer Diagnostik 
keine nachweisbaren Veränderungen der Organe 
findet; der pathologische Anatom endlich constatirt 
noch an der Leiche Heilungeu, die aber doch wieder 
nichts anderes sind als pathologische Veränderungen. 


Nun, so viel wissen wir, dass es im Grunde 
genommen nur eine „Naturheiltmg* giebt, auch 
wenn der Arzt Eingriffe gemacht hat, so heilt döch 
die Natur allein. Medicus curat, natura sanat. Bei 
manchen Menschen geräth jene automatische Regu- 
lirung ins Stocken, sie braucht einen Anstoss, aber 
nur einen ganz leichten, wie der Perpendikel einer 
stehengebliebenen aber aufgezogenen Uhr — und 
es geht von selbst. Da wir mit den Fingern nicht 
eingreifen können in das wunderbare Getriebe des 
menschlichen Organismus, so schicken wir sichere, 
wegeskundige Boten in jene Bezirke des Leibes, 
wo es fehlt — und das sind unsere am Gesunden 
geprüften homöopathischen Arzneien — und sie 
setzen jenen Regulirapparat in Ordnung und Be¬ 
wegung, der eigentlich automatisch gehen sollte, 
aber oft nicbt geht. Deshalb braucht man ja Aerzte. 
— Das heissen sie dann „Kunstheilung*. Das ist 
der ganze Unterschied. Wie die Geschichte eigent¬ 
lich geht, das wissen wir so wenig als die Allo¬ 
pathen es von ihren grossen, stark wirkenden Stoffen 
wissen, wie sie das thun, was sie tbun. Aber dass 
die ßtoffe dies und jenes bewirken, das wissen sie 
und wir. — Und was weiss der Suggestionismus? 
Nichts, als dass manche nach seiner Anwendung 
wieder gesund werden, viele auch nicht. Warum? 
Fragezeichen! 

Mir scheint, lieber Freund Gerster, dass Du 
ein metaphysisches Bedürfniss hast, die Medicin 
vom pliaimaceutischen Glauben zu befreien. Allein 
dieser Glaube der Aerzte an Arzneien ist kein 
grösseres Steckenpferd, als der Deinige an den Sug¬ 
gestionismus. Die menschliche Natur ist nun ein¬ 
mal der Krankheit verfallen und dem Untergang 
geweiht, und kein 8uggestionismus vermag irgend 
ein Naturgesetz aufzuheben. Sonst wäre es ja das 
Einfachste, jeder Mensch würde sich oder einer 
dem andern beständige Gesundheit und langes 
Leben suggeriren. Und das wäre auch fco billig 
zu haben. 

Wenn das Publicum gebildet genug wäre, um 
über seine physiologische Beschaffenheit und die 
Bedingungen des Gesundbleibens so aufgeklärt zu 
sein, dass die Gesundheitsregeln und ihre Befolgung 
demselben in Fleisch und Blut übergegangen wären, 
und wenn durch die Anstrengungen der öffentlichen 
Gesundheitspflege viele nachtheilige Einwirkungen 
auf die Bevölkerung wegfallen würden, so ist sicher, 
dass viele medicinische Rathschläge und Arzneien 
ungegeben blieben und die Menschheit vielleicht 
gesünder wäre als jetzt. Aber auch zur Hygiene 
gehört eine Ueberzeugung und da fehlt es noch 
überall! Das ist Dein Feld, edier Freund Gerster! 
Da sei Du der Prediger in der Wüste! 

Wenn ich zugestehen muss, dass die heutige 
Therapie die lebendige Einwirkung des tröstenden 
Wortes auf den Kranken nicht zu entbehren ver- 

%%* 


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mag und dass ihm der Hinweis auf seine baldige 
Heilung willkommen ist, so musst Du Dir doch 
selbst sägen, dass tausende und tausende von Men¬ 
schen trotz dieser liebevollen Vorstellungen un- 
geheilt bleiben und dem sicheren Tode entgegen- 
gehen. 

Auch von dem affectiven Suggestivbann ist sicher 
nichts anderes zu erwarten. Betrachten wir ihu 
in seiner höchsten Potenz, in der Liebe zweier 
Menschen zu einander! Hier schafft ihn die Natur 
von selbst, sie Zwingt ihn zur Liebe. Welch auf¬ 
geregtes leidenschaftliches Leben erweckt der Sug¬ 
gestivrapport zweier liebenden Seelen, welche sub- 
jective Empfindlichkeit des Einen gegen die psychi¬ 
schen Vorgänge im Andern? Dauert es ewig? Ist 
es nicht der Liebesfrühling, von dem die Dichter 
singen? 

Wenn hier die Erregung nicht immer in dem 
ursprünglichen Grade nachhaltig ist, was ßoll man 
von therapeutischer Einwirkung und Nachwirkung 
z. B. an gleichgeschlechtlichen Menschen halten, da die 
Abstufungen der Empfänglichkeit unendlich sind 
bis zur vollständigen Torpidität. Nach meiner Er¬ 
fahrung sind 2 pro mille sogar für jede Arznei¬ 
wirkung, ob allopathisch oder homöopathisch, voll¬ 
ständig unzugänglich. 

Und wenn ich sage: 

Die Suggestion ist experimentelle Zwangsvor¬ 
stellung, 

die Hypnose ist experimenteller Schlaf zwang, 
der Spiritismus ist experimentelle Hallucination und 
Vision; giebt es da gar keine Gefahren für den 
Geist? Und ist das alles nicht überflüssig? 

Nun drücke ich Dir die Hand, lieber Freund, 
und verabschiede mich von Dir. Wenn Du es 
ahnst, dass die Homöopathie eine segensreiche und 
sichere und selbstständige Methode ist, so bin ich 
zufrieden. Sie erheischt aber auch ein sorgfältiges 
und vorurtheil8freie8 und lange dauerndes Studium 
und über Nacht erzielt man noch keine glänzenden 
Resultate mit ihr trotz aller medicinischen Vor¬ 
bildung. Ob die Homöopathen im Allgemeinen 
bewusst oder unbewusst Suggestion anwenden, diese 
Frage glaube ich für die Mehrzahl verneinen zu 
müssen. Von einer Zurückführung des homöo¬ 
pathischen Heilprincipes auf den Suggestionismus 
kann aber sicher keine Rede sein. Dieses ist und 
bleibt einzig und allein: 

„Similia Similibus“. 

Vale 

Dein alter Freund 
Dr. Julius Fuchs. 


Zum Capitol der Gicht. 

Yon llr. The«d. Kafka in Karlsbad. 

Das Wort „ Gicht* wird unendlich viel von 
Laien sowohl, als auch von Aerzten gebraucht und 
auch oft missbräuchlich angewendet. Die Gicht 
ist eine viel seltenere Affektion als der Arzt in 
der Praxis annimmt (s. Nothnagel in s. Intern. Kl. 
Rundschau VL 7, S. 259). Man darf den Namen 
Gicht nicht auf Zustände an wenden, welche chronische 
Rheumatismen sind. 

Am allerhäufigsten wird der Process verwechselt 
mit dem, was man im Volksmund Knotengicht 
nennt, mit der Arthritis nodosa chronica deformans, 
der deformirenden (verunstaltenden) Gelenksentzün¬ 
dung, die nicht nur von Laien, sondern auch von 
Aerzten sehr häufig mit dem Namen der Gicht be¬ 
zeichnet wird. Es wird für Rheumatismus und Gicht 
dasselbe Wort gebraucht, nämlich * Arthritis* 1 und 
man sprach in der ältern Literatur von einer Ar¬ 
thritis pauperum und Arthritis divitum verstand 
unter der letztem die echte Gicht, während mit 
der ersten die chronische Arthritis deformans ge¬ 
meint war. Die Patienten haben Schmerzanfälle 
und die Entzündung, welche sich lokalisirt in dem 
typischen Gelenke, in welchem bei den gewöhnlichen 
Fällen von Gicht, wenn sie nicht von vornherein 
atypisch auftritt, sie sich immer zuerst lokalisirt; das 
ist das klassische Gelenk für die Gicht: das Metatar- 
sophal an ge algelenk der grossen Zehe, also die 
Verbindung zwischen dem ersten Metatarsalknochen 
und der Phalanx; das ist die Lokalisation, welche 
der Krankheit den Namen Podagra verschafft hat. 
Es ist ein ganz merkwürdiger Unterschied in der 
Lokalisation des Processes bei Rheumatismus und 
Gicht. Bei chronischem Gelenkrheumatismus sind 
namentlich die Metacarpophalangealgelenke betheiligt, 
und es können daneben die Interphalangealgelenke 
befallen sein, häufig aber sind sie vollständig frei. 
Das sind Leute, welche mit den verkrümmten so¬ 
genannten gichtischen Händen dasitzen, sie können 
die Finger nicht bewegen, die untersten Gelenke 
sind dabei frei. Man nennt das Gicht, und auf 
Grund dieser Diagnose werden die Patienten in 
verschiedene Bäder geschickt, z. B. naoh Wildbad, 
Gastein u. s. w. Die Kiankheit ist aber keine Gicht, 
sondern ein chronisch - rheumatischer Process oder 
Arthritis deformans, der mit der Arthritis urica 
nichts gemein hat Bei der Arthritis urica sind 
gerade diese untersten Gelenke affioirt. 

Die Gicht ist eine Krankheit, welche sehr alt 
ist, von der wir klassische Schilderungen in den 
Schriften lateinischer Classiker besitzen und die zur 
Zeit des Endes der römischen Republik, zur Zeit 
der römischen Kaiser in der höchsten Blüte stand; 
sie ist gegenwärtig eine recht häufige Affection 


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178 


und besonders in bestimmten Gegenden vertheilt. 
Heutzutage ist das klassische Land der Gicht Eng* 
land, und wir haben auch die besten Beschreibungen 
über die Gicht wenigstens bis in die neueste Zeit 
von englischen Autoren, von Sydenham, der 
selbst sehr stark an der Gicht gelitten hat bis 
herunter auf Garrod, dem wir die letzte klassische 
Schilderung über die Gicht seitens englischer Au¬ 
toren verdanken. Neuestens haben Ebstein und 
Pfeiffer ausführlicheres darüber geschrieben. 

Wir müssen zunächst zwischen einer erworbenen 
und einer angeborenen Gicht unterscheiden, ln 
manchen Familien ist, wie bekannt, die Gicht erblich 
und besonders in England ist diese Tradition in 
manchen Familien so verbreitet, dass die Söhne in 
einem gewissen Lebensalter schon vorbereitet sind, 
die Gicht zu bekommen und zwar, wenn der Gross¬ 
vater die Gicht zwischen dem 60. und 70. Lebens¬ 
jahre acquirirt, so tritt sie beim Sohne zwischen 
dem 50. und 60., beim Enkel zwischen dem 40. 
und 50. Lebensjahre auf und kommt iu den 
spätem Generationen ziemlich früh zum Vorschein. 

Es kommt allerdings manchmal vor, dass ein¬ 
mal eine Generation übersprungen und dass die 
Krankheit erst die zweitnächste befällt u. s. w. j In 
diesen Fällen handelt es sieh dann um eine An¬ 
lage zur Gicht und wir sprechen dann von einer 
gichtischen Diathese. Diese gichtische Dia¬ 
these kann, wie die Erfahrung lehrt, durch eine 
bestimmte Lebensweise allerdings in der Entwick¬ 
lung etwas verzögert und gemildert werden, aber 
es gelingt nur selten, selbst bei dem normalsten 
und geeignetsten Regime sie vollständig zu unter¬ 
drücken, wenn eine ererbte Prftdisposition dafür-vor¬ 
handen ist. 

Neben dieser angeborenen Gicht oder der an¬ 
geborenen gichtischen Diathese gibt es nun die er¬ 
worbene Gicht. Die Verhältnisse für die Erwerbung 
der Gicht werden gewöhnlich in einer üppigen 
Lebensweise gesucht und mit Reeht Wir peob- 
achteten in der That, dass Leute, die üppig leben 
und dabei wenig Körperbewegung machen, am 
leichtesten von der Gieht befallen werden. Leute, 
welche eine sehr gute Tafel führen, viel und fett 
und namentlich viel Fleisch essen, also sich sehr 
gut und reichlich nähren und daneben viel Wein 
trinken, besonders schweren Wein. Von den leich¬ 
ten Landweinen gilt das weniger, aber schliesslich 
wissen wir, dass auch leichte Weine in grösserer 
Menge genossen die Gicht produciren; es ist be¬ 
kannt, dass selbst Biere, namentlich die schweren 
Biere in grossen Quantitäten genossen, die Gicht 
erzeugen können; immerhin sind es aber die alko¬ 
holischen Getränke, welche dabei in Betracht kommen. 

Neben dieser üppigen Lebensweise ist es der 
Mangel ab Bewegung, welche die Entwicklung der 
barnsauren Diathese Wördert. Diese Leute leiden 


an Nieiengries, Nierensteinen, Oxalat- und Uralsteinen 
und es entwickelt sich bei denselben Gicht. 

Wegen dieser Verhältnisse bat man diese Zu¬ 
stände bezeichnend mit Arthritis divitum, also Ge- 
lenksentzündung der Reichen bezeichnet und sie 
der Arthritis pauperum entgegengestellt, indem man 
meinte, dass arme Leute, die sich ungenügend er¬ 
nähren, welche Entbehrungen ausgesetzt sind und 
stärkere Körperbewegung machen, von der Gicht 
nicht befallen werden; man hat gemeint, dass das 
innere Rheumatismen sind, welche ber den armen 
Leuten auftreten im Gegensätze zur Arthritis divi¬ 
tum. Nun hat aber schon Charcot darauf hin¬ 
gewiesen, dass auch bei armen Leuten die Gicht 
auftreten kann. Bei unbemittelten Leuten, die kaum 
das Notwendigste zu essen haben, findet man nicht 
selten Gicht und in autopsia die typische Verände¬ 
rung für Gicht, nämlich die Uralablagerung in den 
Gelenken. 

Es ist daher die Unterscheidung zwischen Ar¬ 
thritis pauperum und divitum unrichtig und die 
Bezeichnungen können als solche nicht aufreoht ge¬ 
halten werden, wir müssen einfach sagen: Arthritis 
und hinzufügen urica, wenn wir ausdrücken wollen, 
dass es die echte Gicht ist. 

Es scheint, dass bei gewissen Individuen die 
Stoff Wechsel Vorgänge derart mangelhafte sind, dass 
die Verbrennung, der Umsatz der Albuminate ein 
ungenügender oder ein abnormer ist. Ob dies nun 
mit einer Anomalie in der Funktion der Leber oder 
mit einer angeborenen Anomalie in der Funktion 
der gesammten Gewebe Zusammenhänge weiss man 
nicht, man muss dies nur vermuthen. 

Es sind dieselben Verhältnisse, die bei manchen 
Menschen Veranlassung zur frühzeitigen Entwick¬ 
lung der Arteriosclero.se, welche gar nicht selten 
mit Gicht gemeinschaftlich vorkomme geben. 

Daneben findet man nicht selten auf der Haut 
Neigung zum Ekzem, zur Bildung von Psoriasis 
und das sind die Bilder, welche man auch heutzu¬ 
tage noch in der französischen Literatur als her¬ 
petische Diathese bezeichnet, welcher Aus¬ 
druck aus der deutschen Literatur vollständig ver¬ 
schwunden ist. Darunter versteht man eine harn¬ 
saure Diathese, welche sich ftussert in Ausschei¬ 
dung von Uraten oder Hrrngries oder in echter Gicht 
oder Entwicklung von Arteriosclerose und daneben 
ein chronisches Ekzem. 

Was nun das klinische Bild der Gicht an¬ 
betrifft, so müssen wir die harnsaure Diathese und 
den akuten Gichtanfall genau unterscheiden. 

Gewöhnlich wird in der Praxis als Gicht nur 
das bezeichnet, was sich als akuter Gichtanfall dar¬ 
stellt. Dieser akute Gichtanfall drängt sich am 
meisten der Beobachtung auf und deshalb hat man 
die Krankheit nach ihm benannt. Der Verlauf er¬ 
folgt sehr oft ganz typisch und charakteristisch und 


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174 


zwar folgen de ni) aassen : Die Individuen sind schein* 
bar völlig gesund, nur ausnahmsweise und selten 
geschieht es, dass Verdauungsstörungen, Aufstossen, 
schlechter Appetit, allgemeines Unbehagen besteht, 
in der Regel sind sie aber im Allgemeinen gesund; 
ein solcher Mensch legt sich ins Bett und wird in 
der Nacht von einem blitzartigen Schmerz erweckt, 
welcher im Metatatarsophalangealgelenke der rech¬ 
ten oder linken Seite sitzt Der Schmerz ist so 
heftig, dass der Kranke kaum einschlafen kann. 
Wenn er am Morgen die Zehe betrachtet, sieht er, 
dass sie etwas geschwollen und geröthet und ver¬ 
dickt ist. Den folgenden Tag geht es etwas besser, 
der Schmerz ist noch immer vorhanden, aber viel 
geringer, Auftreten kann aber der Kranke nicht 
und in der zweiten Nacht kommt wieder ein der¬ 
artiger heftiger Schmerzanfall; ein bohrender, bren¬ 
nender, reissender Schmerz. So geht es drei oder 
vier Nftchte hindurch, dann lasst der Schmerz nach 
und der Anfall ist gewöhnlich nach vier bis sechs 
Tagen vorüber, nur ausnahmsweise dauert es beim 
akuten frischen Gichtanfall bis in die zweite Woche 
hinein. Dann sehen wir, dass die Anschwellung 
zurückgeht, die Zehe wird dünner, die Hautröthung. 
die Hitze und die Schmerzhaftigkeit schwindet und 
nun bemerken wir, dass die Epidermis über der be¬ 
treffenden Stelle abschilfert. Nun kann der Kranke 
verschieden lange Zeit frei bleiben, ein oder zwei 
Jahre und es kommt dann wieder ein Anfall. 

Je langer der Zustand dauert, desto mehr ver¬ 
ändert sich der Charakter der Anfälle und zwai 
in folgender Weise. Erstens kommen sie häufiger, 
sind aber weniger intensiv, die Schmerzen sind 
nicht so überwältigend, wie beim ersten Anfall, 
aber sie dauern länger, es nimmt die Gicht, wie die 
alten Aerzte es nannten, einen atonischen Charak¬ 
ter an. 

(Schluss folgt.) 


Stahlbad Kastenberg in Thüringen. 

Vielleicht erweise ich manchem meiner Herrn 
Collegen einen kleinen Dienst, wenn ich auf dieses 
Bad hier aufmerksam mache; dasselbe wird viel 
zu wenig gewürdigt, weil es Vielen ebenso unbe¬ 
kannt ist, wie noch vor wenigen Jahren mir selbst. 

Nach der Analyse des Herrn Prof. Ludwig- 
Jena sind in den Kurquellen des Bades 1000 Gr. 
enthalten: 


Chlornatrium. 0.0069 

Schwefelsaures Kali. 0.0091 

„ Natron. 0.0037 

Zweifach kohlensaures Natron .... 0.0014 

n „ Kalk.0.1060 

* „ Talkerde . . . 0.0518 


Zweifach kohlensaures Eisenoxydal . . 0.0219 

„ * Manganoxydal . . 0.0040 

Kieselsäure. 0.0094 

; Organische Substanz. 0.0118 

0.2288 

Diese kleinen mineralischen Wertbe erinnern 
fast unwillkürlich an unsere herrlichen Wildbäder 
(Wildbad Gastein, Wildbad in W. u. s. w.), deren 
vorzügliche Heilwirkung unsere Schulmedicin nicht 
bestreiten kann, für deren geringe mineralische Be- 
standtheile als Heilmittel sie aber kein Verstttndniss 
hat und sie deshalb „indifferent* nennt, als ob hier 
nur die chemische Retorte alles und die Physiologie 
nichts zu sagen hätte. 

Das Bad Rastenberg ist besonders indicirt bei 
Rheumatismen, Gicht, Blutleere, Rückenmarks- und 
Hämorrhoidalleiden, Blasenblutungen, Nervenleiden. 

Der Beweis für Werth und Wirkung des Bades 
wird gewiss schon dadurch erbracht, dass unser 
hochverehrter Nestor, Herr Dr. Mertens-Berlin, seit 
vielen Jahren seine Klientel ins Bad Rastenberg 
sendet und fast jeden Sommer dort selbst zubringt; 
dort lernte ich ihn selbst persönlich kennen und 
das Bad schätzen — auf Grund meiner eigenen 
mehrwöchigen wiederholten Erfahrung und Beobach¬ 
tung an mir und Andern. 

Die landschaftliche Lage des Bades ist eine an- 
muthige und für einen Luftkurort sehr geeignete. 
Ein etwa 40 000 Morgen grosser Laub- und Nadelwald 
grenzt dicht an Stadt Rastenberg, — das Bad selbst 
liegt fast ganz im Wald, ein Kranz freundlicher 
Höhen mit schönen Aussichten, stillen friedlichen 
staubfreien Waldwegen bietet Gelegenheit zu Aus¬ 
flügen mannigfachster Art. 

Rastenberg ist kein Luxusbad, kein Kurort mit 
sinnbetäubendem Kurtrouble, obgleich für kleine 
Reunions und Concerte etc. bestens gesorgt wird; 
aber gerade diese ländliche Ruhe und relative Ab¬ 
geschiedenheit machen das Bad zu einer Ruhe und 
Erholungsstätte für Kranke und — Gesunde. 

Rastenberg ist Station der Eisenbahn Weimar- 
Rastenberg. Dr. Rohowsky. 


Bücherschaii. 

Habent sua fata libelli Wenn auf irgend ein 
Werk, so passt dieser Ausspruch anf die materia 
medica comparativa von Dr. Gross. 

Dieses Werk deutchen Fleisses und deutscher 
Gründlichkeit musste, da sich in Deutschland kein Ver¬ 
leger fand,nach Nordamerika auswandern, wo es, durch 
Hering ins Englische übersetzt und mit werthvollen 
Zusätzen versehen, im Verlage von Böricke und 
Tafel erschien. Dadurch war es allerdings vor dem 


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Schicksale des Vergessen Werdens bewahrt. Allein 
es blieb für die Mehrzahl der deutschen Homöo¬ 
pathen, welche der englischen Sprache nicht mäch¬ 
tig sind, ein nngehobener Schatz, von dessen Werth 
nur die Wenigen einen Begriff hatten, welche nicht 
durch Unkenntniss der Sprache in seinem Gebrauche 
behindert waren. Die anderen waren auf die 
wenigen in einigen Bänden der Allgem. Hom.-Ztg. 
veröffentlichten Auszüge und gelegentliche Bemer¬ 
kungen aus demselben beschränkt. Kein Wunder 
also, dass es nahe am Verschollensein war. Zu 
unserer Freude hören wir, dass sich ein College 
der schwierigen Arbeit der Rückübersetzung ins 
Deutsche unterzogen und so es seinem Vaterlande 
zurückerobert und den deutschen Homöopathen zu¬ 
gänglich gemacht hat. Beim richtigen Gebrauche 
lernt man seinen Werth erst erkennen und sich 
überzeugen, dass zwischen zwei sich einander sehr 
ähnlich scheinenden Mitteln doch noch Unterschiede 
bestehen, welche in sehr häufig nicht beachteten 
und als werthlos erscheinenden Symptomen zum 
Ausdruck kommen. Allerdings muss man, will 
man es mit Nutzen gebrauchen, in der Arznei¬ 
mittellehre schon etwas bewandert sein. Ich möchte 
es als ein Ergänzungswerk zu sämmtlichen bis jetzt 
erschienenen Arzneimittellehren bezeichnen, welches 
einem jeden ermöglicht, bei zweifelhafter Mittel¬ 
wahl, schnell das richtige zu finden. Wir wünschen 
von Herzen, dass es bei allen homöopathischen 
Aerzten der deutschen Zunge die gebührende Be¬ 
achtung finden und nicht wieder Mangels eines 
Verlegers in dem Pulte des Uebersetzers vergraben 
bleiben möge. 

Lorbacher. 

Folgendes Referat aus dem Correspondenzblatt 
für Schweizer Aerzte No. 7.1892. wird wohl manchem 
das Lesen des von Herrn Dr. F. C. Gerster in dem 
in No. 7/8 dieser Zeitung veröffentlichten Aufsatz 
„der Suggestionismus und die Homöopathie* 4 warm 
empfohlenen Schmidkumschen Werkes „Physiologie 
der Suggestion“ ersparen. Da die Ausführungen 
des Herrn Dr. Gerster schon von 2 Seiten kri¬ 
tisch beleuchtet wurden, so will ich mich darauf 
beschränken, zur Charakteristik des Schmidkunzschen 
Werkes die in dem oben erwähnten Correspondenz¬ 
blatt erschienene Kritik desselben einfach wieder¬ 
zugeben, auch um einen etwa auftauchenden Ver¬ 
dacht der Parteilichkeit von vornherein abzuwenden 
(Dr. F. C. Gerster hat nämlich das Werk mit 
ärztlich-physiologischen Ergänzungen versehen.) 

„Es liegt uns ein ziemlich dickes Buch vor, 
welches sich mit dem Anspruch ankündigt, die 
Philosophie der Suggestion und des Hypnotismus 
zu geben. Eine undankbare Aufgabe, wie es nur 
eine geben kann. 3 Abschnitte: „Beschreibung 
der Suggestion — die Hypnose — Erklärung der 


Suggestion 44 und 20 Capitel behandeln diesen un- 
zusammenhängenden Stoff. 

„Eine ungeordnete Anhäufung von Ideen und 
Thatsachen, ein unentwirrbares Gemengsel von 
Irrtümem und oft missverstandenen Wahrheiten, 
eine Anhäufung von Dunkelheit und Finsterniss; 
ein Wirrwarr: damit haben Sie das Schlussergebniss 
der Philosophie des Hypnotismus, das einem von 
dieser tiefen Studie bleibt. Man darf es übrigens 
nicht dem Autor verübeln, wenn er es nicht ver¬ 
standen hat, klar zu sein. Ist es seine Schuld, 
wenn das von ihm behandelte Thema unverständlich 
ist? Es giebt auf diesem Gebiete so wenig wirklich 
wissenschaftliche Beobachtungen! Wir verwundern 
uns also nicht zu sehr, wenn der Autor mit diesem 
sonderbaren Bekenntniss schliesst: (p. 336.) 

„„Der Verfasser selbst kann gestehen, dass ihm 
seit Langen nichts die katholische Religion J ) in eine 
solche Nabe gerückt hat, als seine Beschäftigung 
mit dem Suggestionismus und dem was sich daran 
schliesst. Dieser ist endlich ein Weg, der aus dem 
„Irdischen“ unserer Zeit wieder hinausführt zu einer 
weitsichtigeren Auffassung der Welt. 

Wohl uns, dass ein solcher Weg zugleich ein 
wissenschaftlicher *) sein kann!““ 

„Der Syllabus ist gegründet auf die Wissen¬ 
schaft! das ist denn doch ein Ende vom Ende des 
Jahrhunderts, ein Ende, wie es der Culturkampf 
wahrlich nicht voraussehen lässt. Es ist würdig 
des Autors, der das ganze Gebiet des Charcotismus 
(welch* elegante neue Wortbildung!) und des 
Occultismus unter der Rubrik: „Die ausserge- 
wöhnlichen Sondererscheinungen des hypnotischen 
Schlafes 44 abbandelt. 

Der Autor sagt in seiner Vorrede, dass sein 
Zweck sei, eine streng wissenschaftliche Arbeit zu 
schaffen, und nichts beweisst besser die Verwirrung 
seiner Ansichten über die Anforderungen der 
Wissenschaft als die Stellen seines Buches, wo er 
„wissenschaftlich 44 die Möglichkeit einer dämonischen 
Vermittlung bei der Autosuggestion beweisst Ich 
citire ohne Randglossen nach Seite 313. 

„Häufig kommt es vor, dass ein Verbrecher 
aussagt, diese und jene übermenschliche Gestalt 
habe ihm das Verbrechen eingegeben, und er selbst 
habe dem nicht widerstehen können. 

Welche Möglichkeiten sind hier in Betracht zu 
ziehen? 

Vor Allem wird man gut thun, sich zn saget), 
ob die wirkliche Existenz solcher übermenschlicher 
Gestalten aus dem Bereich der Möglichkeiten zu 
streichen ist, was bekanntlich nur auf Grund logischer 
Widersprüche angenommen werden darf. So ist 
z. B. das Vorhandensein eines weissen schwarzen 
Teufels unmöglich, eines weissen oder schwarzen 

*) Das haben wir unterstrichen. 


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hingegen > nicht unmöglich. Also wird auch in 
unserem Falle, soll die Uebersicht eine ganz strenge 
(!) werden, diese Annahme nicht auszuschliessen 
sein. Und dann entsteht die Frage nach der Mög¬ 
lichkeit des Widerstandes gegen eine solche „über¬ 
natürliche“ Eingebung/“ 4 

Da haben wir die regelrechte „Teufels“-Medicin, 
die einen besonderen Geschmack hat! Das ist Wissen¬ 
schaft 'von gleicher Mache, wie Geschichte nach Art 
des Paters Loriquet geschrieben. Möchten doch 
derartige dunkle Geistesfrüchte eine Warnung für 
die Aerzte sein, die Gefahr laufen, sich in den 
Fragen des Hypnotismus und der Suggestion zu 
verirren! Muss man da nicht mit dem Dichter 
sagen: 

Doch die allerkühnste Pose 
Fordert heute die Hypnose. 

Ladame. 

Dazu möchte ich nur bemerken, dass wir in 
der Verurteilung eines Werkes, das solche Argu¬ 
mentationen, wie das Schmidkunz’sche producirt, 
mit dem Kef. vollständig einverstanden sein müssen; 
deshalb aber auch gleich die Beschäftigung mit ; 
den Fragen des Hypnotismus und der Suggestion, 
deren Berechtigung ein unparteiischer Beobachter 
anerkennen muss, gewissermassen zu verbieten, das. 
heisst denn doch das Kind mit dem Bade aus- 
schütten. Es giebt ja glücklicherweise bessere 
wissenschaftliche Werke über diesen Gegenstand. 

GÖbrum. 

Unter der Herrschaft des Messers. Ein Mahnwort 
von einem Freunde der leidenden Menschheit. 
Wien bei Carl Konegen, 1892. 

Dieses Buch befasst sich in der Hauptsache mit 
den Misserfolgen der modernen Medicin im allge¬ 
meinen Wiener Krankenhause und kommt dabei zu 
Resultaten, die ganz überraschend sind. Der Ver? 
ftcsser begründet seine Anonymität im Vorwort 
wie folgt: 

„Es ist heute leider in literarischen und anderen 
Angelegenheiten mehr als je Sitte, dass, wenn eine 
Schrift einer Coterie von Personen unangenehm ist 
und man dem Kern derselben nichts oder nicht 
viel anhaben kann, man sich vorwiegend mit dem 
Antor derselben beschäftigt und die Persönlichkeit 
desselben so viel als möglich herabzusetzen und 
lächerlich zu machen sucht. Damit bezweckt und 
erzielt man zweierlei. Erstens die Aufmerksamkeit 
des Publicums von der Sache selbst abzulenken 
und zweitens, indem man den Autor herabsetzt, 
auch den Werth der Schrift selbst zu schädigen/* 
„Was die statistischen Nachweise betrifft, so stehen 
die hier benutzten Wiener Spitals-Berichte ja Jedem 
zur Verfügung und ist es nur merkwürdig, dass 
solche nützliche Vergleiche nicht schon längst an- 
gestellt worden sind. 


Inhalt! 

1. Mangel an echt philosophischem Geist in der 
heutigen Medicin. 

2. Der Mangel echter Humanität in der heutigen 
Medicin. 

3. Erfolge und Misserfolge. 

4. Anhang. 

5. Belege. 

ad I. Auf welche Abwege die allzu exclusive An¬ 
wendung der inductiven Methode die Geister geführt 
hat, fängt man auch an in Kreisen zu fühlen, wo 
es bis dato als Verbrechen galt, einen Zweifel an 
der Vortrefflichkeit der Methode zu äussern. Nir¬ 
gends hat aber diese Methode einen greifbareren 
Schaden angerichtet, als in der Medicin. 

Sie war es, die durch ihr Gesetz, dass alles, 
was wir nicht sehen, begreifen, wägen, messen, 
chemisch und mikroskopisch feststellen können, für 
die Wissenschaft keine Geltung habe, so gründlich 
mit allen Erfahrungen und Beobachtungen unserer 
medicinischen Vorfahren aufgeräumt hat. 

Sie war es, die den ganzen pflanzlichen Heil¬ 
schatz zum Plunder geworfen hat, weil es ihr nicht 
möglich wAr, die wirksamen Potenzen, die unsere 
Vorfahren denselben zuschrieben, chemisch zu be¬ 
stimmen, darzustellen, zu isoliren und durch Ex¬ 
perimente an Thieren festzustellen. Weil das nicht 
möglich war, existirten sie nach Ansicht dieser Art 
von Gelehrten auch nicht. Eine schöne Philosophie! 
Das ist gerade so, als wenn ein Astronom behaup¬ 
ten wollte, dass ausser den Sternen, die er mit 
seinen stärksten Instrumenten heute beobachten und 
registriren kann, keine anderen existirten. 

Wie unpbiloßophisch nimmt sich der auf dem 
Katheder gemachte Ausspruch eines modernen medi¬ 
cinischen Gelehrten aus, der seinen Schülern sagte: 
„Wir wissen zwar nicht alles, aber wir wissen viel!* 

Soll aus einem solchen Spruch etwa die Jugend, 
die so wie so zur Ueberhebung neigt, Bescheiden¬ 
heit lernen? Und giebt es wohl eine Wissenschaft, 
die mehr Ursache hat bescheiden zu sein als die 
medicinische, wo fortwährend die Nachfolger das 
für Maculatur erklären, was ihre Vorgänger als den 
Ausbund der Weisheit halten? 

ad II. Ein echter Schüler der heutigen medicinischen 
Methode setzt den grössten Stolz in .die Stellung 
einer richtigen Diagnose, die Heilung ist ihm so 
ziemlich Nebensache. . 

Daher hat sich durch diese Richtung die Me¬ 
thode eingestellt, dass heutzutage den Patienten die 
fürchterlichsten Diagnosen, die nichts anderes sind, 
als Todesurtheile, ganz ruhig in*$ Gesicht gesagt 
werden. 

Da nun die Fortschritte der Therapie fast nult 
sind , also gar keinen Ersatz bieten für die Fort¬ 
schritte in der sicheren Erkennung der Krankheit, 


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wo ist da der Nutzen einer solchen inhumanen 
Methode? 

Dieses zwecklose Aengstlichmachen des Publi¬ 
kums hat freilich einen eminent praktisch-finanziellen 
Hintergrund, ist aber vom Standpunkte der echten 
Humanität so lange verwerflich und schädlich, so 
lange eben die Methoden, diese Krankheiten gründ¬ 
lich zu curiren, nicht gefunden sind. 

Höher als Wahrheit und Klarheit stand aber 
mit Recht den älteren Aerzten die Humanität. 

Sag immer die Wahrheit, 

Sag aber nicht alles, was wahr ist. 
Primum est huraanitas 
Secundum scientia. 

ad 111. Jahr 1859: Kriegsjahr, Mangel an gutem 
Trinkwasser, in Folge dessen starker Zufluss von 
Typhuskranken, Mangel der antiseptischen Wund¬ 
behandlung in Chirurgie und Geburtshilfe. 

Sterblichkeitsprocent.12.5 

Heilungsprocent.70.6 

Jahr 1888: gewöhnliches Jahr, gutes Trink¬ 
wasser, geringer Typhusstand, bedeutende Verbesse¬ 
rung der hygienischen Verhältnisse im Spitale, langer 
Bestand der antiseptischen Wundbehandlung in der 
Chirurgie und Geburtshilfe. 

Sterblichkeitsprocent 11.7 (mit Währing 11.4) 

Heilungsprocent 57.1 ( t „ 57.3) 

Will man aber bei der statistischen Methode 
möglichst sicher gehen, so muss man mit noch 
grösseren Zahlen arbeiten. Darum wollen wir einige 
Jahrzehnte vergleichen, wie sie uns zur Verfügung 
stehen. 

Periode 1859—1867 Periode 1879—1888 
12.5 Sterblichkeitsprocent 12.6 
67.0 Heilungsprocent 56.8 
Das Sterblichkeitsprocent hat also in der Periode 
1879—1888 gegen die Periode 1859—1867 um 
0.1 Procent sich verschlechtert Die Heilungspro- 
cente haben sich aber in den gleichen Perioden zu 
Ungunsten des Jahrzehntes 1879—1888 um 10.2 
Procent verschlechtert 

Das Heilungsprocent hat also im allgemeinen 
Krankenhause seit den Perioden 1847—1856 und 
1858—1867 um fast 10 Procent abgenommen. 

Sicher ist, dass in dieser Frage die Chirurgie 
ein massgebender Factor ist, dass um diese Frage 
uns klarer zu machen wir die Chirurgie und ihre 
Erfolge aus dem allgemeinen Berichte herausschälen 
müssen, um ihre Erfolge deutlicher vor Augen zu 
haben. Dazu haben wir zwei Jahre mit fast gleicher 
Aufnahme gewählt, das Jahr 1856 und das Jahr 1888. 

1856 1888 

Aufnahme 25.512 25.138 

Wir haben nun von diesen beiden Jahren die 
Erfolge bei den Operationen, also den wichtigsten 


Th eil der Chirurgie verglichen und sind die Resul¬ 
tate dieses Vergleiches folgende: 

Vorantiseptisch Antiseptisch 

1856 1867 1888 

Operationen 184 443 2122 

Sterblichkeitsprocent 7 Proc. 13 Proc. 7.9 Proc. 
Heilungsprocent 89 , 83 * 78 , 

Dass aber die Chirurgen des Jahres 1888 trotz 
der eminenten Hilfe, die ihnen durch die Fort¬ 
schritte der Operationstechnik und der antiseptiscben 
Methode geworden ist, keine Fortschritte in den 
Sterblichkeitsprocenten und 11 Proc. Rückschritte 
im Vergleiche mit den Chirurgen des Jahres 1856 
gemacht haben, legt uns den Gedanken nahe, dass 
die Chirurgen von heute durch ihre enorm ge¬ 
steigerte Operationslust die Vortheile, die ihnen die 
Fortschritte bieten, selbst wieder vernichten, und 
der ganze Erfolg für das leidende Publikum darin 
besteht, dass auf den chirurgischen Kliniken und 
Abtheilungen an ihm 12 mal mehr operirt wird als 
im Jahre 1856. 

Auch die schönsten Operationserfolge z. B. bei 
Ovariotomien etc., können über diese Thatsache nicht 
hinwegtäuschen, denn was nützt es der Menschheit 
im Allgemeinen, wenn einer durch eine Operation 
gerettet wird und ein anderer muss dafür das Leben 
lassen, wo es nicht nothwcndig /V/, oder wenigstens 
noch nicht an der Zeit ist 

ad IV. Wir haben es in der Medicin nicht nur zu 
einem sehr ausgesprochenen Zunftgeist nach aussen 
hin gegen die Laien, was noch verzeihlich ist, sondern 
auch zu einem ausgesprochenen Zunftgeist inner¬ 
halb der Medicin gebracht Und doch hätte keine 
Wissenschaft mehr Ursache, etwas duldsamer gegen 
von aussen kommende Meinungen und Heilmethoden 
zu sein, als gerade die Medicin, die heute, man 
kann sagen, zum nicht geringen Theile von Laien¬ 
ideen lebt. Wenigstens die interne Medicin hat 
einige ihrer besten Mittel, über die sie jetzt ver¬ 
fügt, Laienköpfen zu danken. Da ist die Wasser¬ 
behandlung von Priessnitz eingeführt, da ist die 
Massage und schwedische Heilgymnastik von Lingg 
und Metzger*), die Hypnose vom Laien Messmer 
eingeführt. 

Der Grund, dass man sich mit solchen Methoden 
nicht beschäftigen kann, weil sie nicht wissenschaft¬ 
lich begründet seien, ist nicht stichhaltig. Erstens 
ist die wissenschaftliche Begründung von dieser 
Seite nicht zu verlangen und zweitens fragen wir 
uns aufrichtig, sind etwa unser ärztliches Handeln 
und unsere Methoden immer wissenschaftlich be¬ 
gründet? Als wenn Einer von uns wüsste, wie ein 


*) Metzger war ursprünglich Tarnlehrer find hat 
erst als berühmter Masseur sich das Bonner Doctor- 
diplom erworben. 

22a 


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178 


vefordnetes Antipyrin etc. nützt oder schadet, und 
als ob die Medicin nicht etwa heute ebenso empi¬ 
risch und symptomatisch behandelt, wie sie es immer 
gethan hat und thun muss. 

Denn eine wissenschaftliche Begründung, die 
vom nachfolgenden Jahrzehnt fortwährend als un¬ 
richtig erklärt wird, kann unmöglich grosses Ver¬ 
trauen erwecken. 

Arme Medicin! Arme leidende Menschheit! Wie 
übel wären Beide daran, wenn es nach den Köpfen 
solcher herrschsüchtiger Leute ginge. Doch es ist 
dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel 
wachsen." 

Dieser kurze Auszug möge genügen, um den 
Collegen, besonders den „aggressiv vorgehenden“, 
dieses Buch zum 3tudium und als Agitationsmittel 
gegen die Schulmedicin zu empfehlen. 

Auf die Gegenschrift: „Die Erfolge des Messers“ 
von Prof. Albert in Wien kommen wir später noch 
zurück. Dr. Haedicke. 


Epidemiologische Ecke. 

In der letzten Zeit ist mehrfach eine grössere 
Constanz des Gen. epidem. zu bemerken, wie aus 
nachstehenden Berichten zu ersehen ist. 

Dierkes-Paderborn berichtet am 6./5., dass seit 
einigen Tagen (seit dem Einfluss der Influenza) bei 
der das letzte Mal beschriebenen GaUenaffection 
mehr und mehr Zinc. -j- Nux vom., vereinzelt auch 
Zinc. -j- Hyosc. auftrete, während er am 15./5. 
dabei wieder meist Calc. phosph. -{- Nux vom., 
zuweilen Zinc. + Nux vom. hatte; vereinzelt kommen 
Fälle mit Veratr. alb. vor. 

Leeser-Bonn hatte am 3./5 Kal. carb. -f- Bell.; 
am 4. theils Hepar -j- Ratanh., theils Ant. crud. 
-- Ignat. = Puls.; am 5. Bar. carb. -f- Bell, oder 
-- Tone., auch Ac. mur. -f- Lach. ; am 6. Nitri ac. 
-- Nicot.; am 7. Ars. jodat. -|- Led. und -|- Nicot.; 
am 8. vorzugsweise Bar. carb. Bell. = Mercur., 
daneben = Euphras., Calc. carb. -f- Cin. = Nux 
moschat.; am 10. und 11. vorzugsweise = Veratr., 
dazwischen Plumb. Op. bei Typhlii stercoral.; vom 
12. ab vorherrschend Bar. carb. -f Tone. = KaL 
bichrom. bei Kehlkopfcatarrhen mit würgendem, 
anstrengendem Husten und spärlichem blutgestreiftem 
Auswurf, ferner bei Kopfweh auf dem Scheitel über 
dem rechten Auge (wenn über dem linken, Apis); 
in der Mittheilung, vom 18. ist ferner verzeichnet: 
einzelne Fälle von Ac. fluor. Tone. = Spigel.; 
in den letzten Tagen Natr. mur. -f- Led. = Tart. 
stib. und Kal. carb. -j- Iris = Rheum, vereinzelt 
Valeriana. 


Schwarz - Baden - Baden hat noch immer viel 
= Kal. bichrom. auch bei Badegästen vom Rhein 
herauf. 

Kirn - Pforzheim hatte am 7./5. bei Schnupfen 
nur im rechten Nasenloch Hep. sulf. calc.; sonst 
seit dem 5. fast constant Natr. mur. -j- Led. bei 
Grippe und Masern; daneben noch Natr. mur. -{- 
Iris oder -f~ Tone.; ferner Bapi tinct., Zinc. und 
Kali bichrom.; am 18. war noch immer Natr. mur. 
-j- Led. vorherrschend. 

Ich-hier hatte am 7. und 8./5. Acid. oxalic. -j~ 
Ramme, scelerat. (?); am 9. und 10. Borax -f- 
Badiag. (?); seit dem 11. habe ich fast ausschliess¬ 
lich Natr. mur. -f- Led. bei Masern mit knötchen¬ 
förmigem Exanthem und neben Augen- und Bron- 
chialcatarrh mit ausgesprochener Angina besonders 
rechts, dabei sind natürlich die für Tart. stib. mir 
von früher (Sommer 1889) her bekannten Allgemein¬ 
erscheinungen zu constatiren: grosse Müdigkeit, 
Nächte unruhig, Tags somnolent, Kopfschmerzen 
vom und über den Augen, Kreuz- und Glieder¬ 
schmerzen, stets Appetitlosigkeit und Uebelkeit* oft 
Erbrechen, oft Durst, meist Verstopfung, doch auch 
öfters Durchfälle, der Husten tritt besonders Abends 
beim Niederlegen und Morgens auf, Auswurf geht 
schwer. Heute scheint die epidemische Constitution 
etwas schwankend zu werden, indem neben Tart. 
stib. mehrfach Cupr. -f- Sep. und -j- Ranunc. bulb., 
Ac. mur. -f- Ranunc. scelerat. (?) und Jod -(- Thuja 
und einmal Zinc. -f- Hyosc. auftrat; sonst kamen 
natürlich noch Nachzügler der Influenza meist mit 
Bar. carb. -(- Tone. vor. 

Weiss-Gmünd kann kein bestimmtes Mittel an¬ 
geben; er hat noch häufig bei den Nachkrankheiten 
schlecht oder nicht behandelter Influenzafälle theils 
= Kal. bichrom. theils Sabadill. 

Hagel-Ravensburg berichtet am 8./5., dass er 
häufig Phosph., Kali carb., Nux vom., Argent. 
nitric. indicirt finde; in den letzten Tagen öfters 
Rhus fox. 

Sigmundt-Spaichingen theilt am 13./5. mit, dass 
bei der noch immer häufig auftretenden Influenza 
zur Zeit Natr. nitr. -f- Aq. Nicot. angezeigt sei; 
bei der nicht seltenen Gesichtsrose ist Rhus fox. 
das Simile. 

Buob-Freudenstadt hatte am 3./5. Kal. carb., 
Phosph., auch Zinc., Ant. crud. -|- Valerian; am 
4. Ars. -{- lpecac.; am 5. Veratr. alb. und Rhus 
tox.; am 7. Rhus tox.; am 8. Petrol. Droser.; 
am 9. Silic.; am 10. Euphras., Caustic.; am 11. 
Hepar und Phosph. 

Am 18./5., aus Anlass der Versammlung des 
Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs, kam 
auch die Rede auf die verhältnissmässig häufige 


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179 




Indication von Argent. College Schlegel-Tübingen 
behandelt nun schon den 3. Fall innerhalb 1 Jahres 
von Carcinoma cervicis mit gutem Erfolg mit Argent. 
nitric. 3. und war der Ansicht, dass sicher auch 
wieder Zeiten kämen, in denen dieses Mittel bei 
dieser Krankheit sich weniger gut bewähre. Mir 
selbst ist es schon seit über 2 Jahren aufgefallen, 
wie oft Argent. nach dem Weihe*sehen Schmerz¬ 
punkt angezeigt ist und zwar besonders bei Phthi¬ 
sikern ; es ergab auch meist befriedigende Resultate. 
Hervorheben will ich hier noch, dass ich Argent. 
nie bei einfachen acuten Krankheiten gefunden habe, 
sondern dass stets eine schwerere „constitutioneile“ 
Krankheit mit dabei im Spiele war. 

Stuttgart, den 20. Mai 1892. 

Dr. med. H. Göhrutn. 


Fragekasten. 

Antwort: 

Den Fall des Herrn Dr. Goullon in No. 19/20, 
überden er leider zu wenig eingehend berichtet, (gynae- 
kologischer üntersuchungsbericht fehlt ganz) halte 
ich, soweit dies auf solchem Weg zu beurtheilen ist, 
für eine „Neuralgia uteri“. Wahrscheinlich liegt 
Stenosirung des Cervicalkanals oder Retrofiexio oder 
Beides vor. In dieser Richtung empfiehlt sich 
mechanische Abhülfe. Von homöopathischen Arz¬ 
neien sind eines Versuches werth: Lobelia inflata 
bei Stenosis canal. cervical; Aurum, mur. natr. bei 
Ketroflexio; Lilium tigrinum bei Anteflexio; Colo- 
cynthis bei Bauchneuralgie. In einem ganz ähnlichen 
Falle habe ich kürzlich einer Frau mit Dioscorea 
villosa rasch geholfen. 

Dr. med. Julius Fuchs-München. 


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Expedition und Verlag von William StelüMtz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Bratener k Stbrama in Leipzig, 


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Leipzig, dev 9. Juni 1898. 


No. 23 n.24. 


Band 124. 

ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

OERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A.HarggraTs homOopatb. Offlein) in Leipzig. 


Erscheint UtKgig an 9 Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Bend. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bmobhandlnngen oad 
Postanrtalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an B. Moaee in Loipsig und dessen Filialen an richten sind, 
werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum bereohnet. — Beilagen werden mit Ulf. berechnet. 


Inhalt: Bericht über die Versammlung des Vereins homöopathischer Aerzte Württembergs am 18. Mai 
1892 in Stuttgart. Referent Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart. — Die Potenzirwig. Physiologisch geprüft von Prof. 
Dr. G. Jäger-Stuttgart. (Forts.) — Zur Hochpotenzenfiragg. Von Dr. Kunkel-Kiel. — Die Zelten der Arzneien. Von 
Dr. med. Ide-Stettm. (Forts.) — Zum Capital der 6Mt. Von Dr. Theod. Kafka in Karlsbad. — BBeh e rs c han. — 

Nekrolog. — Personalia. — Anzeigen. 


Bericht über die Versammlung des 
Vereins homöopathischer Aerzte 
Württembergs am 18. Mai 1892 in 
Stuttgart. 

Referent Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart 

Der ergangenen Einladung konnten diesmal nur 
11 Collegen folgen: 

Dr. &A/^<r/-Tübingen. 

Dr. Mossa- Stuttgart. 

Dr. G'öhrum- Stuttgart. 

Dr. StemmerSinitgnct. 

Dr. 7h>^-Ludwig8burg. 

Dr. Lorenz- Stuttgart. 

Dr. .SiAwarz-Baden-Baden. 

Dr. Weiss-Gmünd. 

Dr. £# 0 £-Freuden 8 tadt. 

Dr. ÄVra-Pforzheim. 

Nach Eintritt in die Tagesordnung berichtete 
der Vorsitzende Obermedioin&lrath Dr. von Sick, 
über den aus Anlass des aus unserem Vereine aus¬ 
geschiedenen Sanitätsraths Dr. Bilfinger-Stuttgart 
gepflogenen Schriftwechsel. Letzterer fühlte sich 
mit seinen Keformbestrebungen isolirt in unserem 
Vereine und fürchtete ev. auch in der Propaganda 
für diese als Mitglied dieses Vereines gehindert zu 
sein. Der äussere Anlass zu diesem Schritte wurde 
eingehend besprochen und dabei wurden besonders 
folgende Punkte hervorgehoben: 

dass allgemeine Fragen der Gesundheitspflege 


wobl vor das Forum des Publicums gehören, aber 
nicht speciell ärztliche Themata; 

dass die grossen Erfahrungen Bilfingers in der 
Naturheilkunde eine werthvolle Ergänzung für unse¬ 
ren Verein gewesen sind, und 

dass deshalb der Verein einstimmig sein Be¬ 
dauern über dessen Austritt ausspreche und sich 
der Hoffnung auf dessen Wiedereintritt hingebe. 

Als zweiter und wichtigster Punkt der Tages¬ 
ordnung kam das Programm für die im August 
hier stattfindende Centralvereins-Versammlung zur 
Discussion. Das schon mehrfach von den hiesigen 
Collegen besprochene, von dem Ref. entworfene 
Programm fand allseitige Billigung. Eine Neuerung 
wird diesmal eingefübrt: es ist die Ausgabe von 
Theilnehmerkarten an die Besucher der Versamm¬ 
lung und deren Familienmitglieder mit Anhängung 
von Bons zu einzelnen Theilen des Programms. 
Diese Karten können und sollten im Voraus vom 
Kassenwart Collegen Stemmer-Stuttgart gratis uud 
franco bezogen werden, wenn die verebrlichen, 
hoffentlich recht zahlreichen Besucher aller Vor¬ 
theile theilh&ftig werden wollen, die dieselben bie¬ 
ten. Eine diesbezügliche Aufforderung wird der 
offlciellen Einladung beigefügt werden. 

Die Damen der hiesigen Collegen werden be¬ 
strebt sein, den Familien der auswärtigen Herren 
Collegen den Aufenthalt hier möglichst angenehm 
zu gestalten und während der langen und ernsten 
Verhandlungen ihrer Häupter die Zeit mit Besich¬ 
tigung der zahlreichen Sehenswürdigkeiten zu ver¬ 
treiben. 

Die Einladung von Freunden der Homöopathie 

33 


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182 


und der Presse zur Theilnabme an der wissenschaft¬ 
lichen Sitzung und dem darauffolgenden Diner 
wurde eingehend besprochen und allseitig gut ge¬ 
heissen. Für die Presse werden kurze Referate 
von Collegen angefertigt, um die sonst unvermeid¬ 
lichen Irrthümer zu umgeben. 

An Vorträgen für die wissenschaftliche Sitzung 
wird es nicht mangeln, indem ausser dem auf der 
letzten Versammlung in Potsdam beschlossenen 
Vortrag des verehrten Herrn Collegen Kröner-Pots- 
dam über Herzkrankheiten der hochverehrte Ehren¬ 
vorsitzende Obermedicinalrath Dr. von Sick zur 
Einleitung einen kurzen Rückblick auf die Geschichte 
der Entwicklung der Homöopathie in Württemberg 
geben wird und der verehrte College Schlegel- 
Tübingen einen Vortrag über * Homöopathie und 
Weltanschauung“, sowie der Ref. einen solchen über 
s Eine prophylaktische Methode“ an gesagt haben. 

Zum dritten Theil der Tagesordnung, den sicher 
ebenso interessanten wie lehrreichen Bericht über 
die Influenza des Winters 1891/92, den unser Vor¬ 
sitzender angesagt hatte, reichte die Zeit leider 

nicht mehr; doch wurde selbstverständlich der Dis- 
cussion über wissenschaftliche Fragen in reichlichem 
Masse privatim gepflogen. Ein Thema, das allge¬ 
meines Interesse erregte, war die Frage, ob bei 
Herzkrankheiten allopathische Dosen von Digitalis 
entbehrt werden könnten. Sie wurde von den 

älteren erfahrenen Collegen dahin beantwortet, dass 
es nicht möglich sei, in der Praxis ohne die 

Anwendung von Digitalis und ähnlichen Herz¬ 

mitteln auszukommen, wenn einmal das curative 
Verfahren unmöglich und man lediglich auf pallia¬ 
tive Behandlung angewiesen sei. Sick lässt von 
Digital trit. I. einen kalten Aufguss (2,5 Gr. in 
1/4 Liter Wasser) machen, 12 Stunden stehen und 
in 24 Stunden nehmen und forderte die Collegen 
auf, Versuche mit dieser Anwendungsweise zu machen, 
mit der er bisher stets zufrieden gewesen sei und 
zugleich auch in der Form einigermassen bei den 
homöopathischen Gewohnheiten habe bleiben können. 

Bei dem folgenden gemeinschaftlichen Abend¬ 
essen sprach der Vorsitzende in beredten Worten 
den Wunsch aus, die Centralvereins-Versammlung 
möge eine recht zahlreich besuchte und möglichst 
gelungene werden. Mit diesem Wunsche will auch 
ich schliessen. Die verehrten Herren Collegen dürfen 
versichert sein, dass wir alles aufbieten werden, um 
unseren werthen Gästen den hiesigen Aufenthalt 
durch die altbewährte schwäbische Gastfreundlichkeit 
und Gemüthlichkeit zu einem unvergesslichen zu 
machen. 


Die Potenzirnng. 

Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger- 
Stuttgart. 

(Fortsetzung.) 

IV. Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkali¬ 
salzen, 

a) Vorbemerkung: 

Hier ist vorauszasenden. a) Die jetzt folgenden 
Messungen habe ich vor der im I. Theil beschrie¬ 
benen Messung des Kali carbonicum ausgefuhrt, ge- 
wissermaassen behufs erster Orientirung. Nach der 
Durchführung der Messungen an Aurum metallicum, 
Thuja, Aconit und Kochsalz, die in meiner „Neural¬ 
analyse der homöopathischen Verstimmungen“, 
Leipzig 1881 veröffentlicht und jetzt in der 3. Auf¬ 
lage von „Entdeckung der Seele“ enthalten sind, 
bestand für mich lediglich kein Zweifel darüber, 
dass die Potenzirung bei allen Arzneimitteln ja bei 
allen Stoffen überhaupt die gleichen physiologisch 
zu ermittelnden Veränderungen hervorbringe, aber 
angesichts der grossen Verschiedenheit der Stoffe 
konnte es sich doch möglicherweise empfehlen, eine 
grössere Anzahl derselben durchzumessen, um zu 
sehen, welche Verschiedenheiten dabei zu Tage 
treten. Um hierüber Klarheit zu bekommen, be¬ 
schloss ich mit einer Gruppe derselben den Ver¬ 
such zu machen. 

b) Meine Wahl fiel aus folgenden Gründen auf 
die Alkalisalze . Erstens, weil von diesen weniger 
eigentliche chemische Wirkungen solcher Art wie sie 
von Säuren oder Alkalien oder sonst sich leicht 
verbindenden oder zersetzenden Stoffen ausgeübt 
werden, zu erwarten sind. Denn um was es sich 
bei der Potenzirung handelt, sind nicht die im ge¬ 
raden Verbältniss zur Masse stehenden chemischen , 
sondern um die im umgekehrten Verhältnis zur 
Masse stehenden „ nervösen “ Wirkungen. Zweitens , 
da ich die niederen Potenzen, von denen jedenfalls 
Giftunrkungen zu erwarten waren, auch messen 
wollte, so wählte ich eine Grnppe relativ harmloser 
Stoffe. Drittens wollte ich eine Gruppe vornehmen, 
deren chemische Zusammensetzung genau bekannt 
ist und deren physiologische Wirkung man genauer 
kennt, weil sie vielfach gebraucht werden. Viertens 
hoffte ich zwei Fliegen mit einem Schlage zu treffen 
wenn ich ein Salz nehme, weil hier sowohl der 
Unterschied der verschiedenen Säuren als auch der 
der verschiedenen Basen zu Tage treten werde, so 
dass man nicht nöthig hatte, meist jede gesondert zu 
messen. Dass das bis zu einem gewissen Grade 
gelungen ist, wird die Folge lehren. 

c) Bei diesen Messungen habe ich die Arznei 
nicht verschluckt , wie das bei den im 1. Theil ge¬ 
schilderten Potenzen des Kali carbonicum geschah, 
sondern ich habe sie nur inhalirt . Das geschah aus 
mehreren Gründen: Um verschiedene Stoffe ver- 


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18 S 


gleichen zu können, worauf es mir ja in erster 
Linie ankam, ist es nöthig, sie unter möglichst 
gleichen Verhältnissen zu messen und das erfordert, 
dass man sie am gleichen Tage so rasch als mög¬ 
lich hinter einander misst, das kann aber meist nur 
geschehen, wenn der erste Stoff sich rasch genug 
und möglichst vollständig aus dem Körper entfernt. 
Darüber hatte ich nun aus meiner langen Praxis 
genügende Erfahrung, dass inhalatorisch einverleibte 
Stoffe sich viel rascher entfernen als solche, die 
man verschluckt hat, deshalb wählte ich den in- 
halatorischen Weg. So war es möglich, im Ver¬ 
lauf der verfügbaren zwei Tagesstunden von nie¬ 
deren Potenzen bis zu 7 verschiedenen Stoffen sicher 
zu messen. Auf höheren Potenzirungsstufen kann 
man sogar noch rascher Vorgehen. Endlich kam 
auch dieOeconomie der Zeit in Betracht: Es müssen, 
um einen Ueberblick zu gewinnen, doch mehr als 
100 verschiedene 8 toffe gemessen werden und um 
das mit allen so durchzuführen, wie ich es mit 
Kali carbonicum gemacht, gehört eine Zeit, über 
die ich nicht verfüge, ausserdem liegt es im Inter¬ 
esse der Leser, den Ueberblick möglichst rasch zu 
erhalten, denn: bis dat, qui cito dat. 

d) Ebenfalls im Interesse der Zeit von Leser 
und Verfasser habe ich mich darauf beschränkt, 
für jede Potenz eines jeden der Stoffe ein Einziges 
(aus 40 Akten sich zusammensetzendes) Dekaden¬ 
mittel zu messen und damit nur eine Ziffer, nicht 
wie bei Kali carbonicum jedes Mai eine ganze 
Zifferreihe zu bilden. Die Ziffern der nachstehen¬ 
den Tabellen kamen also so zu Stande: Zuerst 
mass ich — jedes Mal — eine Ruheziffer (dieselben 
sind in der Tabelle I und II angegeben) gebildet 
aus 4 Decaden, dann mass ich sofort in gleicher 
Weise eine Arzneiziffer . Jedes Mal vorher eine 
Alkoholziffer zu messen, ähnlich wie ich bei Kali 
carbonicum jedes Mal eine Wasserziffer mass, unter¬ 
lass ich einmal wegen Zeitersparniss, dann weil 
die Alkoholziffer sich von meiner Rubeziffer sehr 
wenig unterschied, (der Unterschied zwischen Ruhe- 
und Alkoholziffer betrug bei 7 Versuchen der Reihe 
nach + 2,50/o, +2«/ 0) + 1.6<>/ 0t +1,4»/ 0 , + 2,lo/ 0l 
+ 1%, -f- l,7°/ 0 ). Dann war es deshalb über¬ 
flüssig, weil ja bei jeder Potenz und jedem Stoff 
wieder der gleiche Alkohol sich befand, also das 
Ergehn iss der Vergleichung durch ihn nicht gestört 
wurde. Die Tabellen enthalten nun wieder nicht 
die Arzneiziffer seihst, sondern die proeentisehe 
Differenz zivisehen ihr und der Ruheziffer , die natür¬ 
lich wieder entweder ein Plusiverth oder ein Minus - 
werth ist. 

6) Fehlergrösse \ 

Ueber diesen Gegenstand habe ich zwar schon 
im II. Theil gesprochen, allein ich komme hier aus 
zwei Gründen noch einmal darauf zurück: 

1. Die Fehlergrenzen sind nicht jedesmal die 


gleichen, sondern sie wechseln mit der nervösen 
Disposition, also hei Messungen, die sehr genau 
sein sollen, wo es auf Ermittlung kleiner Unter¬ 
schiede ankommt, muss jedesmal die betreffende 
Grösse festgestellt werden, dies ist zwar bei unserem 
Gegenstand nicht der Fall, denn die an den Arz¬ 
neien erhaltenen Unterschiede sind so ausserordent¬ 
lich gross, dass sie selbst bei der ungünstigsten 
Disposition gefunden werden müssen. Es wäre also 
dieser erste Grund nicht genügend, hierbei noch 
einmal länger zu verweilen, aber es kommt hinzu 
2. folgender Umstand: dass es einem Manno 
nie gelingt, das Vorurtheil gelehrter Kreise gegen 
eine Neuerung zu überwinden, ist die Erfahrung 
aller Jahrhunderte, allein dass es nicht unmöglich 
ist, im Kreise der Praktiker durchzudringen, haben 
mich meine Erfahrungen auf dem Gebiet der Klei¬ 
dung gelehrt. Nun hat mich 10jährige Praxis in 
der Neuralanalyse, die ich nicht etwa auf wissen¬ 
schaftlichem Gebiet, sondern gerade in meinem Ver¬ 
kehr mit den Praktikern und zu praktischen Zwecken 
ausübte, darüber belehrt, einmal, dass diese Methode 
für die Praxis ausserordentlich werth voll ist und 
dann, dass die Praktiker ihre Ueberlegenheit und 
Brauchbarkeit sehr bald schätzen und fürchten lernen. 
In meiner Praxis handelt es sich, wie ich schon in 
No. 1 darlegte, darum, die mit mir verbundene 
Industrie zu überwachen, um sie gegen absichtliche 
oder unabsichtliche Verunreinigungen der gefertig¬ 
ten Gegenstände rasch und sicher zu schützen. 
Hierbei überzeugte ich mich und meine Leute von 
der fast unheimlichen Sicherheit und Genauigkeit, 
z. B. genügt ein Faden von einigen Centimeter Länge, 
um an ihm in einigen Sekunden festzustellen, ob 
er mit einer gesundheitschädlichen Farbe behandelt 
oder sonst verunreinigt ist Merkwürdiger Weise 
ist aber trotz meiner vielen Veröffentlichungen die 
Methode gerade von denjenigen Praktikern, die am 
meisten Gelegenheit und Veranlassung hätten, sich 
ihr zu bedienen, nämlich den Chemikern, die im 
Dienste der Gesundheitspolizei thätig sind, voll¬ 
ständig unbeachtet geblieben. In der Hoffnung, 
dass diese Zeilen doch einem oder dem andern 
dieser Herren in die Hände fallen oder ihm von 
einem der Leser — um was ich hiermit bitten 
möchte — in die Hände gegeben werden, will ich 
hier einen genaueren Aufschluss über die Fehler¬ 
grösse geben, denn nur wenn man diese den Ziffern, 
die man an den gemessenen Objekten erhält, gegen¬ 
über stellt, gewinnt man eine Vorstellung von der 
Genauigkeit der Methode. Uebrigens nicht bloss 
extra muros gilt das obige, ich hoffe später zeigen 
zu können, welch eminent praktische Verwendung 
die Neuralanalyse als Prüfungsmittel der Potenzirungs- 
höhe der homöopathischen Arzneien erlangen könnte. 

(Schluss folgt.) 


2S* 


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181 


Zar Hochpotenzenfrage. 

Von Dr. Kunkel-Kiel. 

„Das Quaötitätsgesetz ist für mich in der The¬ 
rapie, soweit es die arzneiliehe Behandlung betrifft, 
massgebend/ sagte einst ein bekannter Professor 
der Pathologie. Also mit andern Worten: viel hilft 
vieh Dass eine solche Anschauung dem Verständ¬ 
nisse der Laien nahe liegt, erfahren wir homöo¬ 
pathischen Aerzte oft genug. 

Wer ein Dutzend Klösse verzehrt hat wird ein 
stärkeres Gefühl der Sättigung haben, als wer einen 
genossen. 

Der Laie mag diese Thatsache auf das Me- 
dicament ausdehnen, dem Arzt darf eine solche 
Schlussfolgerung nicht genügen. Er musß sich zu¬ 
nächst die Frage vorlegen, ob denn wirklich das 
obengenannte Gesetz den Thatsachen entspricht. 
Bei der Anwendung von Medicamenten treten Er¬ 
scheinungen hervor, die allerdings den obigen Aus- 
sptuch des Professors zu bestätigen scheinen. Grosse 
Dosen wirken stärker als kleine, mehrere Esslöffel 
olei Ricini wirken stärker abführend, als etwa ein 
Theelöffel. Auch in anderer Richtung kann eine 
grosse Dosis stärker wirken als eine kleine, wenn 
es darauf ankommt, bestimmte Einzelsymptome zu 
beseitigen. Aber im ersten Fall dürfen wir nicht 
vergessen, dass wir nur krankhafte Symptome her- 
vörrufen, Uns also der Vergiftung nähern. Auf den 
zweiten Fall, wo z. B. natr. salicyl. in grossen Dosen 
Gelenkrheumatismus heilte, während es in kleinen 
Doien nichts ansrichtetet kommen wir später zurück. 

Widerlegt aber wird dieser Ausspruch des Pro¬ 
fessors zunächst durch die Mineralbäder. Es ist 
eine von allen Badeärzten anerkannte Thatsache, 
dass hier die Wirkung auf den kranken Organismus 
durchaus nicht im Verhältnisse steht zum Stoff¬ 
gehalt des betreffenden Brunnens, wenn auch die 
Reclame auf diesen Gehalt besonderes Gewicht legt, 
weil die Abhängigkeit der Wirkung vom Stoffgehalt 
dem Laien plausibel erscheinen wird. 

Die Unabhängigkeit der ersteren von den letz¬ 
teren finden wir besonders ausgeprägt in den Wild- 
bädern und denen, die sich bezüglich der Stoff- 
armuth diesen nähern. Ueberreizung der Nerven 
bei längerem Aufenthalt im Wasser ist eine häufige 
Erscheinung und wird daher von den Aerzten das 
Baden sorgfältig überwacht, während bei den Sool- 
bädern, die doch ungleich mehr Stoff enthalten, 
eine solche Vorsicht nicht nöthig ist.. 

Widerlegt ist faktisch ferner dieser Ausspruch 
durch Hahnemann, der den Nachweis lieferte, dass 
mit dem Verschwinden des Stoffs keineswegs die 
Wirkung des Medicaments aufhört. Zwar konnte 
auch er sich von dem Stoff als dem wirksamen agens 
nicht trennen, gab deshalb, weil ein so verfeinerter 
also in seinen Wirkungen geschwächter Stoff durch¬ 


aus nicht die geringste anderweitige medicamentöse 
Einwirkung verträgt, seine unglücklichen diätetischen 
Vorschriften, während er nichtsdestoweniger be¬ 
hauptete, dass die höheren Potenzen nachhaltiger 
wirken als die niederen. 

Der Widerspruch liegt auf der Hand. Man hat 
zwar die Vermehrung der Stoffoberfiäche in’s Feld 
geführt. Diese kommt aber bei der ungeheuren 
Verdünnung, z. B. der 30. Potenz nicht in Betracht. 
Ebenso ist die Annahme, dass hier wirklich durch 
die vorgeschriebene Technik der Arzneibereitung 
der Stoff in seine Moleküle aufgelöst werde, eine 
durchaus willkürliche, da mikroskopische Unter¬ 
suchungen der Präparate wohl ein Selten er werden 
der Arzneipartikelchen, weniger aber Verkleinerung 
derselben nach wiesen. Nur wenn wir diese Vor¬ 
aussetzung,' dass das, was auf den Organismus 
wirken soll, stofflich sein müsse, fallen lassen, findet 
die wissenschaftliche Forschung ein freies Feld, 
während mit dieser Voraussetzung ihr ein Blei¬ 
gewicht anhängt, das jede fortschreitende Bewegung 
in der Forschung hemmt Machen wir uns doch 
keine Illusionen darüber, dass gerade diese Voraus¬ 
setzung es ist, die unsere Gegner abhält sich mit 
der Homöopathie zu beschäftigen. Und wir leisten 
derselben einen schlechten Dienst, wenn wir immer 
und immer hervorheben, dass auch wir in diesem 
Vorurtheil befangen sind, und sogar diesen Stand¬ 
punkt als den allein wissenschaftlich berechtigten 
anerkennen. 

Und kennt denn nicht jeder die Bedeutung der 
„Imponderabilien“ (wozu wir ohne Zweifel auch 
das Reichenbach sehe Od rechnen können) für unser 
ganzes physiologisches Dasein? Wie dürfen wir 
annehmen, dass das pathologische Dasein anderen 
Gesetzen folgt? Wer kennt nicht die Wirkung des 
Gemüthseindrucks auf die Thätigkeit sämmtlicher 
Nerven, sowohl der Cerebrospinalnerven wie der 
trophischen, also auf den Stoffwechsel, auf die Er¬ 
nährung der Organe. 

Man hat gesagt: wozu die höheren Potenzen, 
wenn wir mit niedrigen auskommen? Abgesehen 
davon, dass diese Behauptung so lange eine will¬ 
kürliche ist, als die bestätigenden Thatsachen fehlen, 
ist es denn nicht einleuchtend, dass unsere Stoff¬ 
und Kraftfrage für die wissenschaftliche Begründung 
der Homöopathie von der allergrössten Bedeutung, 
ja entscheidend ist? 

Hypothesen die auf Thatsachen beruhen, mit 
allem sich in vollkommener Harmonie befinden, haben 
ihre volle Berechtigung, während, wie wir sahen, 
die Annahme, dass Etwas materiell sein müsse um 
wirken zu können, diese Congruenz mit den That¬ 
sachen nicht hatte. 

Ich habe schon früher die Hypothese aufgestellt, 
dass bezüglich der Arzneiwirkung nicht allein das 
Quantitätsgesete, sondern auch das Gesetz der che - 


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M5 


mischen Aequivalenz in Rechnung gebracht werden 
müsse zur Erklärung der beim Heilungsprocesse 
eintretenden Erscheinungen, eine Anschauung, die 
ich noch jetzt habe und kurz zu motiviren suchen 
werde. 

Ob man sich Rechenschaft abgelegt hat, wie der 
Stoff als solcher den Nerven beeinflusst, müssen 
wir dahin gestellt sein lassen. Da die solide patho¬ 
logische Anschauung mit Recht in der ärztlichen 
Welt die herrschende geworden ist (einige Naturärzte 
huldigen noch der Humoralpathologie), so liegt doch 
die Frage nahe: wie haben wir uns die Einwirkung 
des Stoffs auf den Nerven zu denken? Wenn wir 
aufrichtig sein wollen, müssen wir sagen: wir stehen 
vor einem Räthsel. Wenn wir aus uns bekannten 
Thats&chen auf andere, die unserer directen Prüfung 
nicht zugänglich sind, schliessen, müssen wir sagen: 
nur die Bewegung ist die dem Nerven adäquate 
Form der Einwirkung, die Form desjenigen Impulses, 
auf welchen er im physiologischen Sinne reagirt. 
Der Stoff als solcher kann ihn wohl verstimmen , 
aber um bei dem Bilde zu bleiben, er wird ihm 
keine Melodien entlocken, seine physiologische Tbä- 
tigkeit nicht „auslösen*. Insultirung der retina 
durch Stoff wird Tastempfindungen, aber nicht bild¬ 
liche Abdrücke von Gegenständen liefern. 

Wie ganz anders wirkt die Electricitüt, von der 
ja jetzt nachgewiesen sein soll, dass sie wie die 
übrigen n Imponderabilien*, Bewegung ist. Sie er¬ 
höht die physiologische Thätigkeit eines jeden von 
ihr berührten Nerven in der Richtung der dem letzteren 
innewohnenden Thätigkeit, die richtige Stärkestufe 
vorausgesetzt. Das Licht, das die Netzhaut, der 
Schall, der den Gehörnerven, die Wärme, die die 
Gefühlsnerven, die verschiedenen Farben, die als 
solche von dem Auge erkannt worden, sind doch 
nur Ausdrücke verschiedenartiger Bewegungen. 

Vermöge des Gesetzes von der Erhaltung der 
Kraft sind wir im Stande, das Maass der Wärme 
wie der Electricität zu reguliren. 

Bis dahin ist das Gesagte sicher constatirt Die 
Anwendung besagten Gesetzes auf die Pharmako¬ 
dynamik ist hypothetisch. Hahnemann, der dieses 
Gesetz nicht kannte, ahnte es offenbar. Er legte 
ein so grosses Gewicht auf die Zahl der Schüttel¬ 
schläge, dass er 10 Jahre gebrauchte um am 
Krankenbett zu erproben, ob 2 oder 10 Schüttel- 
scbläge zweckdienlicher wären. Er fürchtete durch 
Uebermaass von mechanischer Arbeit die Erst¬ 
wirkung des Medicaments unnötbiger Weise zu ver¬ 
schlimmern. 

Auf das physiologische Verhalten der Wildbäder 
dem Organismus gegenüber habe ich schon auf¬ 
merksam gemacht. Dieselben zeichnen sich einer 
seits durch eine erhöhte Temperatur, andera- 
theiis durch den geringen Gehalt an festen Bestand- 
theilen aus. Ersterer Umstand deutet darauf hin, 


dass ein weiter Weg aus dem Erdinnern zurück¬ 
gelegt wurde, also sich das Quellwasser in lang- 
dauernder Bewegung befand. Man sieht: die 
mechanische Arbeit des Schütteins und die hier 
stattfindende Bewegung des Wassers hatte dieselbe 
Folge, vorausgesetzt, dass die Behauptung derjenigen 
Aerzte, dass auch hier Einwirkung auf den Orga¬ 
nismus erkennbar, auf Wahrheit beruht, worüber 
nur der Versuch entscheiden kann.*) 

Dass der Stotfgebalt oft wenig in Betracht 
kommt, darauf deutet eine andere Erscheinung, die 
ich bezüglich der Heilwirkung der Seeluft und des 
Seebades beobachtete. 

An der ganzen Westküste der Provinz Schleswig- 
Holstein grassiren alljährlich oder doch oft die 
Wechselfieber, sogenannten Marschfieber, während 
sie an der Ostküste sich jetzt fast nur an den 
Stellen finden, wo vermöge Verbindung der Ostsee 
mit Binnen wässern sich sogenanntes Brak wasser 
(Mischung von salzigem und süssem Wasser) be¬ 
findet. In den Marschen sind in Folge der Ema¬ 
nationen der vielen Gräben oder wie auf einigen 
ftiesischen Inseln der kleinen sumpfigen Wasser¬ 
löcher die Bedingungen für die Entstehung der 
febr. interniitt. günstiger. Dasselbe gilt für Wilhelms¬ 
haven. Sobald dort ein neuer Kanal ausgehoben 
wurde, stellten sich die Fieber ein. Die Symptome 
dieser Fieber hier wie dort, entsprechen genau den 
der Prüfung des natr. mur. Die Nähe des Meeres 
beeinflusst dieselben nicht. Ob dieselbe sogar das 
Fieber für sich erzeugen kann, lasse ich dahin¬ 
gestellt sein. 

Aber eine Ausnahme bezüglich der Localisation 
dieser Fieber giebt es: die Insel Sylt. Dort sind die¬ 
selben völlig unbekannt, während die Bedingungen 
ihres Auftretens ähnliche sind, wie auf den übrigen 
friesischen Inseln und in den Marschen: In dem 
Marschboden der Insel sind kleine Wasserlöcher 
die in regenarmen Sommern mehr oder weniger 
austrocknen, ferner bei jeder Hochfluth Ueber- 
schwemmung eines Theils derselben. Diese Er¬ 
scheinung erkläre ich mir aus dem Umstande, dass 
hier die Bewegung des Seewassers, die Strömung 
besonders stark ist, wahrscheinlich hervorgerufen 
durch den Arm des Golfstromes, der durch den 
Canal geht. 

Wir hätten hier einen Vorgang, der dem ähn¬ 
lich ist, den wir bei den Wildbädern kennen gelernt 
haben. Wir haben eine Erhöhung der medica- 
mentösen Wirksamkeit, welche die Hypothese der 
Btivegung zuschreibt, einerlei ob dieselbe in oder 
auf der Erde stattfindet. Nur ein Unterschied ist 

*) Hier haben die Badeärzte natürlich das entschei¬ 
dende Wort und die Behauptung derjenigen, die am 
Schreibtisch ausgeheckt ist, dass aas Wildbad ähnlich wie 
ein gewöhnliches Wamenoad von gleicher Temperatur 
wirke, komme nicht in Betracht. 


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186 


da. Bei den Wildbädern lernten wir einen ver¬ 
schwindend kleinen Procentsatz von festen Bestand¬ 
teilen kennen, hier hat die Seeluft denselben Ge¬ 
halt an Kochsalz wie die der übrigen friesischen 
Inseln oder der See angrenzenden Marschen. Wie 
es scheint, in der ganzen Provinz enthält die Küste 
Kochsalz zuspendirt. 

Wenigstens hört man die Klagen der Physiker, 
dass der gelbe Kochsalzstreifen im spectrum oft 
recht störend sei. Von einer Heilwirkung dieses 
Gehalts ist keine Rede, sonst würde es hier zu 
Lande nicht so viele Fälle von Malariasiechthum 
geben. Also: der grössere oder kleinere Gehalt an 
festen Bestandteilen war hier nicht massgebend.*) 
Was dann? Die Hypothese sagt die Bewegung . 
Die Physik bediente sich schon seit langer Zeit 
des Ausdrucks: Freiwerden von Wärme. Seitdem 
wir wissen, dass Wärme Bewegung ist, können wir 
uns etwas Bestimmtes dabei denken. 

Können wir auch von einem „Freiwerden* der 
Arzneikraft sprechen? Wir wissen, dass bei An¬ 
wendung der Hahnemann’schen Arzneibereitungs¬ 
methode bis dahin mehr oder weniger indifferente 
Substanzen wie calc carb., natr. mur., carb. veget. etc. 
zu überaus wichtigen Medicamenten werden. Man 
hat verschiedene Erklärungsversuche gemacht, z. B. 
Aufhebung der Cobäsion und dadurch Freiwerden 
der „Kraft 4 * etc. Aber, was ist Kraft? Wenn wir 
sagen können wie bei der Wärme, die Arzneikraft 
ist Bewegung, so können wir uns wie dort etwas 
Bestimmtes dabei denken.**) 

Ob wir das Sichbewegende Aether oder anders 


*) Was nun die Seebäder auf Sylt anlangt, so ist, 
was die Aufenthaltsdauer im Bade (ja auch in der Luft) 
betrifft, dieselbe Vorsicht nöthig wie im Wildbade una 
erade diejenigen Individuen, die ihr directes Heilmittel 
ort finden, haben sich dieser Vorsicht besonders zu 
befleissigen. Und auch dann finden wir oft Erstwirkung. 

**) Eine Uebertragung von „Kraft“ findet statt, wenn 
wir, einen „indifferenten“ Eisenstab mit einem Magneten 
streichen. Wenn wir hier Uebertragung bestimmter 
Bewegungen annehmen dürfen, so haben wir ein Glied 
mehr in den Kraftübertragungen auf dem Gebiete der 
Imponderabilien. 

Es giebt aber noch andere Erscheinungen, die sich 
vielleicht ungezwungener durch Uebertragung von Be¬ 
wegungen erklären lassen als die von Stoff. Der Hund 
verfolgt die Spur seines Herrn, der Jagdhund die des 
Wildes noch einige Zeit nachdem die Betreffenden aus 
dem Bereich seiner Geruchsorgane sind. Aber wenn 
die Spur „kalt geworden“, wie der Jäger sagt, kann 
der Hund derselben nicht mehr folgen. 

Wenn wir Moschus über die Strasse tragen, hält 
sich der Geruch desselben trotz stetigen Luftwechsels 
noch ein paar Tage. In allen den genannten Fällen 
verschwinden die erwähnten Erscheinungen nach kür¬ 
zerer oder längerer Frist. Es erlahmen die Bewegungen. 
Bei Stoffübertragung würde dieses schwerlich der Fall 
sein. Ob die Blume vermöge unaufhörlichen Duftens 
an Gewicht verliert? 


benennen, ist gleichgültig. Eben so gleichgültig 
ist es, ob die hier aufgestellte Hypothese Anspruch 
auf Anerkennung machen kann oder ob wir aus 
den ermittelten Thatsachen andere Schlüsse ziehen 
können, wenn wir nur die Thatsachen, aus denen 
wir schliessen, konstatiren und festhalten. 

Nicht gleichgültig aber ist die Art der Ver- 
werthung der ^potenzirten * Medicamente am Kranken¬ 
bett. Wenn die mechanische Arbeit des Schütteins 
und Verreibens die Wirksamkeit erhöht, so müssten 
wir ja mit den höher potenzirten Medicamenten 
stets weiter kommen als mit den niedern. Dieses 
aber ist keineswegs der Fall. Wie wir die Stärke 
des electrischen Stromes dem Einzelfall anpassen 
müssen, wenn wir die gewünschte Wirkung erzielen 
wollen, so hier die Dosis des Medicaments. Der 
Begriff „Kraft* ist hier ein durchaus relativer und 
dasjenige Mittel ist das stärkste, das dem Einzelfall 
am besten angepasst ist. 

Vielleicht geben die Resultate der Arznei¬ 
prüfungen, je nachdem dieselben mit potenzirten 
Mitteln oder mit dem Urstoff angestellt worden, 
oder Vergiftungen Anhaltspunkte zur Gewinnung 
einer befriedigenden Theorie. Da kann man wohl 
im Allgemeinen sagen: je mehr sich die Dosis einer 
vergiftenden nähert, desto stärker sind Einzel¬ 
symptome ausgeprägt, während bei den Prüfungen 
mit potenzirten Mitteln ein farbenreicheres Prüfungs¬ 
bild entsteht Dieser Erscheinung entsprechen die 
Resultate der Therapie. Wenn wir von den Krank¬ 
heitserscheinungen sagen, dieselben' hätten sich 
localisirt, so können wir von den Prüfungssymp¬ 
tomen dasselbe sagen und thun wohl daran ira 
Verhältniss dieser Localisation die tiefem Potenzen 
zu wählen. Namentlich wo es sich um Krankheits- 
producte handelt, werden wir in den meisten Fällen 
die tieferen Potenzen nicht entbehren können. Wir 
müssen hier verschiedene Fälle unterscheiden. In 
ganz frischen Fällen, z. B. bei Erkältung oder 
anderweitiger Erkrankung durch äussere Veran¬ 
lassung wird es in vielen und vielleicht in den 
meisten Fällen mit einer Dosis des richtig gewählten 
Mittels auch in Hochpotenz auskommen, aber es 
können auch Fälle Vorkommen, wo sie uns im 
Stich lassen. Dieses gilt auch für epidemische Er¬ 
krankungen. 

Ein anderer Fall, wo die Wahl der Dosis in 
Frage kommt, ist ein acutes Erkranken auf Grund¬ 
lage constitutionellen Krankseins. 

Hier ist das Fieber Ausdruck des letzteren. 
So kann „psorisches* Siechthum Angina, Pneumonie, 
Malariasiechthum, Gelenkrheumatismus hervorrufen. 

Wir werden in manchen solchen Fällen dasselbe 
Mittel, das ohne diesen fieberhaften Zustand in 
höherer Potenz Heilung herbeiführen würde, in 
tieferer Potenz wählen müssen. Abgesehen von 
solchen Exacerbationen werden wir mit höheren 


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187 


Potenzen nachhaltigere Erfolge haben bei eben 
diesem constitntioneUen Kranksein. 

Wir können es erleben, dass bei einem und 
demselben Kranken der genannten Art, während er 
sich unter dem Einfluss des richtig gewählten 
Mittels in regelmässig fortschreitender Besserung 
befindet, eine solche Localisation sich einstellt. 
Wir müssen einer solchen kritische Bedeutung zu* 
schreiben und sehen die betreffenden Symptome 
meist spontan verschwinden. Aber zuweilen 
müssen wir hier einschreiten, damit nicht „das 
consensuelle Leiden zum Urieiden werde* (Rade¬ 
macher). 

Ich behandelte vor Kurzem eine Dame an einem 
mehrjährigen Leiden, das unter wiederholten Gaben 
von sepia X. sich regelmässig fortbesserte. Da trat 
ein Ekzem der vulva ein, das sie zuerst unbeachtet 
liess, hoffend, dass dasselbe spontan verschwinden 
werde. Dies war indess nicht der Fall. Es ver¬ 
schlimmerte sich so, dass sie nicht sitzen konnte. 
Sepia 1 beseitigte das Leiden in wenigen Tagen. 

Dass die höheren Potenzen nachhaltiger wirken 
als die tiefern, erfahren wir bald, wenn wir chro¬ 
nische Krankheiten ausschliesslich mit letzterem be¬ 
handeln. Die betreffenden Kranken stellen sich, 
kaum gebessert, recht bald wieder ein, entweder 
mit denselben Symptomen oder anderen, die indess 
demselben Medicament entsprechen. Diese Erfah¬ 
rung wird jeder machen, der unbefangen genug ist, 
die ganze Scala der Potenzen einer unbefangenen 
Prüfung zu unterziehen. Ganz eclatant tritt diese 
eingreifendere Wirkung in folgendem Falle heivor. 
Wir behandeln ein örtliches Leiden, vielleicht ein 
Organleiden, mit einer tieferen Potenz. Eine Zeit 
lang ist diese Wirkung eine durchaus günstige 
Allmählich scheint die Kraft des Medicaments zu 
erlahmen, in Wirklichkeit die ReizempfUnglichkeit 
des Organismus abgestumpft zu werden. Dann 
geben wir eine Hochpotenz desselben Mittels« Der 
Kranke ist erstaunt über die belebende Wirkung 
desselben, früher oder später können wir dann den 
Gebrauch der tiefern Potenz fortsetzen und werden 
es mit Erfolg thun, wenn nicht mit der Zeit ein 
anderes Mittel indicirt ist. Tritt schon die nach¬ 
haltigere Wirkung der höheren Potenzen bei allen 
constitutionellen Krankheiten hervor, so fällt eine 
solche noch mehr auf bei ererbten Krankheiten der 
Kinderwelt. Hier vermag eine einzige Dosis einer 
höheren Potenz ausserordentliche und dauernde Er¬ 
folge zu erzielen. 

Auch die „Metallotherapie“ eines Pariser Arztes 
machte eine Zeit lang viel von sich reden, wurde 
viel verhöhnt bis Charcot die Thatsache consta- 
tirte, dass durch die beregte Methode eine deutliche 
und je nach der Wahl der Metalle verschiedene Ein¬ 
wirkung auf die Nerven erzielt werde. Wie weit 
dieselbe nachhaltig ist, kommt hier nicht in Betracht. 


Die Thatsache selbst dürfte mit unserer Hypothese 
vereinbar sein.*) 

*) In seiner Arzneiwirkungslehre sagt Dr. Heinigke 
in der Einleitung zu cuprain folgendes: „Aus Dr. Burq’a 
metalloscopiBchen Versuchen über Sensibilitätserregung 
an anästhesirten Hautstellen hat sich ergeben, dass, 
sobald kleine Metallplatten einige Minuten hindurch in 
innige Berührung mit Stellen der Haut gebracht werden, 
welche durch Krankheit ihr Tast- und Gefühlsvermögen 
eingebüsst haben, diese vorher blassen und welken 
Hautpartieen ihr Sensibilitätsvermögen wieder erlangen 
unter den Erscheinungen vermehrten Blutzuflusses und 
Spannung des Gewebes. Dabei ist zu bemerken, dass 
erstens diese Sensibilitätserregung meist nur eine vor¬ 
übergehende ist, die nach Entfernung der Metallplatte 
häufig in kurzer Zeit wieder erlischt , zweitens, dass je 
nach der Individualität Platten von verschiedenem 
Metall angewandt werden müssen, d. h. bei je einer 
bestimmten Individualität ein bestimmtes Metall, um 
diese Wirkung hervorzurufen. 

Da die Richtigkeit der hierher gehörigen Versuchs¬ 
reihen durch eine ärztliche Commission in Paris con- 
statirt wurde, so ist damit erwiesen, dass, ähnlich wie 
durch die alleinige Berührung verschiedenartiger che¬ 
mischer Elemente Ströme von Contact- Electricität erregt 
werden, auch durch die Berührung bestimmter Metalle 
mit lebendigen organischen Geweben in nervenreichen 
Theilen MolecularStrömungen hervorgerufen werden, 
welche geeignet sind, gelähmte Nervenfasern für kürzere 
oder längere Dauer wieder functionsmässig zu machen. 
Diese Versuche eröffnen uns mithin einen interessanten 
Einblick in die Natur der Wirkung metallischer Stoffe 
auf die Nervenfaser im Allgemeinen, insbesondere aber 
werfen sie noch ein helles Licht auf die von homöo¬ 
pathischen Aerzten schon immer sehr berücksichtigte 
Thatsache, dass zwischen der empfänglichen Nerven¬ 
faser und dem mit ihr in Contact tretenden Arznei- 
Elemente ein Affinitätsverhältniss vorhanden sein muss, 
sodass je nach Eigenart der Individualität ein be¬ 
stimmtes Element ?Arzneistoff) erforderlich ist, um 
gewisse Wirkungen hervorzubringen. — Mit anderen 
Worten: um die gewünschte Sensibilitätserregung einer 
anästhesirten Stelle zu bewirken, musste eine Platte 
applicirt werden, welche bei einer Person aus Kupfer, 
bei einer zweiten aus Zink, bei einer dritten aus Eisen, 
bei einer vierten aus Platin, aus Gold oder Silber u. s. w. 
bestand. — 

Es dürfte gestattet sein aus diesen Beobachtungs- 
reihen, welche von Aerzten nicht homöopathischer 
Methode und Anschauung constatirt sind, eine Schluss¬ 
folgerung zu ziehen, welche einen zureichenden Er¬ 
klärungsgrund für die Wirkung homöopathischer (ato- 
misirter) Arzneipräparate oder Potenzen gewährt, die 
Conclusion nämlich, dass jede Arzneiwirkung überhaupt 
als Contactwirkung zu betrachten ist, d. h. als das 
Resultat der Berührung eines NervenmolecÜls mit dem 
Molecül eines qualificirten andersartigen Stoffes, wobei 
es auf den sogenannten Aggregatzustand dieser Stoff¬ 
qualität nicht ankommen kann. — Da dieser Gegen¬ 
stand an diesem Orte nicht weiter verfolgt werden 
kann, so erinnere ich an die physikalischen Experimente 
mit Crooke’s Radiometer und speciell an Zöflner’s Er¬ 
klärung der dabei in Frage stehenden Bewegungs¬ 
erscheinungen. 

An dieser Stelle beabsichtige ich nur durch Hinweis 
aufDr. Burq’s metalloscopische Experimente zu betonen, 
dass Arzneimittel Wirkungen, zumal die der homöopatisch 
verfeinerten Präparate, als specifische Reactionsäusse- 
rung der lebendigen organischen Zellen (vorzugsweise 


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188 


Noch einige Worte an die Adresse des Herrn 
Dr. Haupt. 

Derselbe stellt das eigne Meinen den vieljährigen 
Erfahrungen eines von Bönninghausen, C. W. Wolff 
und einer Reihe ausgezeichneter amerikanischer 
Collegen gegenüber oder vielmehr über dieselben. 
Ein solches Verfahren steht ansserhalb aller wissen¬ 
schaftlichen Kritik. Was würden die Vertreter der 
übrigen Zweige der Naturwissenschaft sagen, wenn 
jemand die Resultate ihrer Untersuchungen in Frage 
stellen würde, ohne diese letzteren gemacht zu 
haben? 

Was würde Herr Dr. H. selbst sagen, wenn 
ich die Resultate seiner bakteriologischen Unter¬ 
suchungen bekritteln wollte, ohne selbst solche an¬ 
gestellt zu haben? Wer Thatsachen kritisiren will, 
muss selbst auf dem Boden der Thatsachen stehen. 
Ich will den Leser nicht ermüden durch näheres Ein¬ 
gehen auf Herrn Dr.H.’s Bemerkungen und nur einiges 
Wenige berühren. H. bezweifelt die Zuverlässigkeit 
Lehrmanns, obgleich derselbe das ganze Vertrauen 
von Bönninghausen, seines Zeitgenossen hatte. H. 
weiss es besser, wirft ihn ohne weiteres in einen 
Topf mit gewissenlosen Apothekern. Mit gefangen, 
mit gehangen! — Er fragt, warum ich nicht statt 
der 200. die 30. Pot. von Opium gewählt, von 
der ich doch schon Wirknng gesehen? Als wenn 
dieses von seinem Standpunkle nicht eben so lächer¬ 
lich gewesen wäre. Zudem habe ich von der 200. 
ebenfalls Wirkung gesehen. Es war nicht das erste 
Mal, dass ich dieselbe verordnete. Fast gleichzeitig 
sehe ich Erfolg in 2 anderen Fällen und zwar rech*, 
eclatanten (beiläufig bemerkt, bei einem Gymnasial¬ 
lehrer und einem Schlächtermeister), ohne indess 
Opium 3 vorher gegeben zu haben. 

Meine Krankengeschichten haben seinen Beifall 
nicht. Ich werde mich zu trösten wissen, da ich 
weiss, dass sie den Collegen gefallen haben. 

H. verlangt, dass wir uns der Anschauungs¬ 
weise unserer Gegner mehr accomodiren. Also wir 
sollen auf von uns als wahr erkannte Thatsachen 
verzichten, weil dieselben in das Denkorgan unserer 
Gegner keinen Eingang finden. Gerade das Gegen- 
theil ist das Richtige. 

Wir müssen die Fundamentalanschauungen un¬ 
serer Gegner bekämpfen durch Constatirung von 
Thatsachen , die diese Anschauung über den Haufen 
werfen , durch den Nachweis , dass es nicht der Stoff 
ist der das organische Leben beherrscht . *) 

der Nervenzellen) aufzufassen sind, die ebenso eigen¬ 
artig entstehen, wie z. B. die contact-electrischen Strö¬ 
mungen, und über deren Ablauf wir zwar gewisse 
Regeln zu abstrahiren, deren Zustandekommen aber 
wir nicht weiter zu erklären vermögen.“ — Die Red. 

*) Da sowohl Herr Dr. Haupt als Herr Dr. Kunkel 
je 2 Mal ihren Standpunkt zur Hochpotenzenfrage in 
der Allg. Hom. Ztg. klargelegt haben, so schliessen wir 
hiermit die Discussion. Die Red. 


Zum Schluss noeb eine Bemerkung. leb unter¬ 
schätze durchaus nicht den Einfluss der Laienwelt 
soweit er die Ausbreitung der Homöopathie betrifft. 
Namentlich die homöopathischen Vereine sind in 
dieser Hinsicht gewiss von grosser Bedeutung. 
Nicht dasselbe kann man von den Laienpraktikem 
sagen, besonders bezüglich des Gewinnens von 
neuem Nachwuchs unter den Aerzten. „Was soll 
man von einer Wissenschaft sagen 11 , heisst es unter 
den jungen Medicinern, „die sich Gevatter Schneider 
und Handschuhmacher ohne Vorbildung aneignen 
kann*. Am allerschlimmsten aber gestaltet sich die 
Sache, wenn wir Aerzte aufhören, die Meister auf 
unserem eigenen Felde zu sein, wenn sich die 
homöopathische Laienwelt herbeilässt, in wissen¬ 
schaftlichen Fragen ein entscheidendes Wort sprechen 
zu wollen. Mögen Einseitigkeiten und Verirrungen 
bei uns Aerzten nicht ausbleiben, die Zeit wird 
hoffentlich die Unebenheiten ausgleicben, wem» wir 
uns eines echt wissenschaftlichen Strebens befleissigen. 
Dem Laien wird es nur ausnahmsweise zustehen, 
ein genügend motivirtes Urtheil abzugeben. 


Die Zeiten der Arzneien. 

Von Dr. med. Ide-Stettin. 

(Fortsotr.unR.) 

Vormittags. 

Schmerzen und Schwächo schlimmer gegen Mit¬ 
tag: Argent. fol. . 

Catarrhalische Symptome und Jucken der Nasen¬ 
flügel: Hep. sulf. calc. . 

Schlimmer von 10 Uhr bis Nachmittags 6 Uhr: 
Apis. 

Schlimmer von 9—12 Uhr: Chamom. . 

Schlimmer um 11 Uhr: Asa foet, Natr. mur. . 

Schlimmer von 11—2 Uhr Nachmittags: Pikrin.ac.. 

Allgemeine Schwäche von 9—11 Uhr: Mar. ver., 
Tarantul. 

Nervöse Symptome schlimmer um 11 Uhr: 
Argent. nitr. . 

Gehirnsymptome und besonders Verlust des Ge¬ 
dächtnisses und der Intelligenz schlimmer Vormit¬ 
tags: Guajac.. 

Bewegungen des Kopfes nach vorn und hinten, 
unfreiwillig, schlimmer Morgens und nach dem 
Frühstück: Sep. 

Kopfschmerz: Nafr. mur. 

Kopfschmerz schlimmer nach dem Frühstück: 
Nux mosch.. 

Kopfschmerz von 11 Uhr an, jeden anderen 
Tag, Scheitelschmerz mit grosser Uebelkeit, Brech¬ 
würgen und Angst: Hydrast. can. 

Kopfschmerz mit Erbrechen jeden Tag um 
11 Uhr: Natr. mur. 


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189 


Kopfschmerz mit Erbrechen jeden anderen Tag 
um 11 Uhr: Cedr. 

Dumpfer Schmerz im Hinterkopf nach dem 
Frühstück , schlimmer bei Bewegung und Bücken: 
Geisern 

Gesichtsschmerz von 9—4 Uhr Nachmittags: 
Verbasc. 

Gesichtschmerz (N. supra-, intraorbital., maxill. 
snp.) alle Tage nach dem Frühstück, mit dumpfem 
Kopfschmerz und Betäubung, mehrere Stunden lang; 
nach dem Anfall bleibt eine Empfindlichkeit im 
Gesicht und ein Gefühl der Spannung in der Haut 
zurück: Iris vers«. 

Leerheitsgefühl im Magen, besonders von 10 bis 
11 Uhr: Indium, Natr. oarb., Phosph., Sulf., Zinc.. 

Sie wird hungrig um 10—11 Uhr, kann nicht 
auf das Mittagessen warten: Sulf.. 

Pulsatio epigastrica und Hinsein um 11 Uhr: 
Asa foet. . 

Heisshunger: Silic. (mit Uebelkeit), Staph. (nach 
dem Frühstück). 

Uebelkeit : Silic, Staphys. . 

Magenbeschwerden besser nach dem Frühstück: 
Natr. sulf. • 

Frost um 11 Uhr: Cact. grand. (und Abends 
11 Uhr). 

Frost um 11 Uhr den einen Tag, und 4 Uhr 
Nachmittags den anderen Tag: Calcar. carb. . 

Frost um 12 Uhr: Ant. tart., Elater., Ferr. . 

Mittags. 

Schlimmer von Mittag bis 12 Uhr Nachts: Laches.. 

Kopfschmerz von 1—10 Uhr: Magnes. carb., 
Plat., Silic.. 

Fieber: Arsen. . 

hYost: Ant. tart, Elater., Ferr. . 

Frost um 12 Uhr: Geisern, (beginnt in den Ex¬ 
tremitäten). . 

Frost von 12—3 Uhr, besonders um 1 Uhr: 
Arsen. . 

Frost um 1 Uhr: Arsen., Canthar., Laches. . 

Frost um 2 Uhr: Arsen., Eupator. purp. 

Nasenbluten nach dem Mittagessen: Ammon, 
carb., Argent. nitr. . 

Wasserkolk nach dem Mittagessen, mit heissen, 
rothen Backen: Capsic.. 

Schläfrigkeit nach dem Mittagessen: Carb. veg., 
Cyclam., Nux mosch.. 

Anfälle von Hitze nach dem Mittagessen: Magnes. 
mur., Nitri ac. . 

Nach dem Mittagsschlaf Verdriesslichkeit:Staph.. 

Nachmittags. 

Verschlimmerung: Apis, Laches., Lil. tigr., 
Magnes. carb., Sticta pulm.. 

Schlimmer vonl—10 Uhr Abends: Magnes.carb.. 

Schlimmer um 3 Uhr: Bell., Thty. . 


Schlimmer jeden Tag um 3 Uhr: Angustur. . 

Schlimmer um 4 Uhr: Bell., Colocynth., Lyco- 
pod., Puls.. 

Schlimmer von 4—8 Uhr: Colocynth.. 

Schlimmer um 5. Uhr: Apis. 

Schlimmer von 5—6 Uhr: Carb. veg. . 

Schlimmer von 5—8 Uhr: Lil. tigr.. 

Besser Nachmittags: Phytolacc., Sep. (Herz- 
symptome). 

Angst: Tart em. . 

Neuralgie jeden Nachmittag und während der 
Nacht: Kalm. lat . 

Kopfschmerz schlimmer: Nux vom.. 

Kopfschmerz alle Nachmittage, sandigen Nieder¬ 
schlag im Urin: Selen. . 

Kopfschmerz anf dem Scheitel mit Druck auf 
die Augäpfel, Ohrensausen, Uebelkeit, Hitze im 
Gesicht, Röthe der Backen, kalten Händen und 
Füssen, Frostschauern Nachmittags und Abends: 
Ranunc. bulb.. 

Kopfschmerz um 4 Uhr: Thty. . 

Kopfschmerz von 2—7 Uhr, besonders auf 
dem Scheitel, meist schlimmer links: Badiäg. . 

Kopfschmerz von 4—8 Uhr, mit Druck von 
innen nach aussen und Fliessschnupfen schlimmer 
durch Gehen: Hellebor. nig. . 

Migräne mit Uebelkeit und Erbrechen schlimmer 
um 5 Uhr: Colocynth. . 

Jeden Nachmittag 4 Uhr Hess das Kind den 
Kopf auf die linke Schulter sinken, in welcher Lage 
es bis zum nächsten Morgen blieb: Sulf. . 

Brennen in den Augen: Tart em. . 

Alle Tage um 5 Uhr Brennen in den Augen¬ 
lidern , Röthung der Conjunctiva und lebhaftes 
Thränen: Asar. Europ.. 

Nasenbluten: Calcar., phosph., Graph., Puls. . 

Gesichtshitze ohne Röthe, mit Durst schlimmer 
beim Sitzen im Freien: Sep. . 

Pyrosis schlimmer von 4 Uhr bis Abends: Crotal. 

Dw'st schlimmer von 3—6 Uhr: Phosph. 

Magenbeschwerden schlimmer Nachmittags und 
Abends: Ant. crud. . 

Kolik bei Kindern von 5—10 Uhr: Kali bromat 

Kolik um 4 Uhr Nachmittags: Colocynth. . 

*Kolik zu einer bestimmten Stunde jeden Nach¬ 
mittag: Chia. . 

Brennen über den ganzen Bauch, 2—3 Uhr: 
Nitri ac. . 

Durchfall um 3 Uhr: Bell. . 

Durchfall Nachmittags: Leptandr. virg.. 

Durchfall um 4 Uhr: Colocynth., 

Urinabsonderung beträchtlich vermehrt und 
wässrig: Plat . 

Husten schlimmer: Laches.. 

Husten schlimmer von 5—9 Uhr: Capsic. • 

Krampfhafte Schmerzen in der rechten Lenden¬ 
gegend, schlimmer von 4—9 Uhr: Chelid . 

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190 


Iscbias schlimmer: Coff.. 

Schlafsucht: Natr. carb.. 

Fieber: Laurocer., Sabad. . 

FYost: Bovist, Eupator purp., Geisern., Lycopod., 
Nitr., Nux vom., Ranunc. bulb., Rbus tox. . 

Frost um 1 Uhr: Arsen., Canthar., Lacbes. . 

Frost um 2 Uhr: Arsen., Eupator. purp.. 

Frost um 3 Uhr: Ant tart., Apis, Chin., Cedr.. 

FYösteln alle Tage von 3—5 Uhr: Silic. . 

FYost um 4 Uhr: Aescul. hipp., Cedr., Lycopod., 
Nux vom., Thuj. . 

Frost von 4—5 Uhr: Geisern. . 

Frost um 5 Uhr: Cedr., Nux vom. . 

Frost um 6 Uhr: Cedr., Kali carb., Petrol., 
Silic. . 

Frost und Schläfrigkeit von 5 - 8 Uhr: Kali jod.. 

Frost um 7 Uhr: Bovist, Cedr., Guajac. . 

Frost um 8 Uhr: Bovist, Hep. sulf. calc. . 

Von 9—10 Uhr Morgens: Bovist., Geisern., 
Phosph. ac. . 

Gegen 4 Uhr Nachmittags plötzliche Anfälle von 
Hitze , kein Durst: Ipecac. . 

Hitze und Zittern ohne Durst Nachmittags, 
Abends Fieber mit Durst und Stirnkopfschmerz: 
Argent. fol. . 

Hitze von 4 Uhr an; Anae., Lyc., Stann. . 

(Schluss folgt.) 


Zum Capitel der Gicht. 

Von Itr. Theod. Kafka in Karlsbad. 

(Fortsetzung.) 

Der Gicbtanfall kann auch in anderer Form auf- 
treten; zuweilen kommt es vor, dass die Hand allein 
befallen wird, das ist das was man Chiragra 
nennt oder es tritt der Anfall zuerst im Kniege¬ 
lenk (Gonagra) oder im Schultergelenk (Omagra) 
auf. Weitaus am häufigsten ist aber die Lokali¬ 
sation im Zehengelenke. Zuweilen lokalisirt sich 
der Gicbtanfall an anderen Partien, es kann vor 
kommeü, dass er sich an der Ferse lokalisirt oder 
um die Achillessehne herum. Aber es kommen auch 
noch andere larvirte Formen von Gichtanfällen* vor. 
Das sind z.B. Schmerzen in der Kreuzgegend, lumbago: 
„Hexenschuss“, oder aber es kann Iscbias auftreten 
als Ausdruck einer echten Gicht oder letztere nimmt 
die Form von Migräne an. Es giebt eine typische 
Migräne, welche auf Gicht beruht, resp. Neuralgie, 
es ist ein migi äneartiger Schmerz. Das sind lar- 
virte Formen, sie verhalten sich zu den gewöhn¬ 
lichen Anfällen in der grossen Zehe, wie etwaige 
larvirte Wechselfieber zu den gewöhnlichen An¬ 
fällen der Malaria. Fieber ist bei diesen Anfällen 
kaum je vorhanden, die Kranken fühlen sich etwas 
abgeschlagen, sie haben während dieser Z^it keinen 


Appetit, sind neivös reizbar. Die Untersuchung der 
anderen Organe ergiebt keine Abnormität beim Gicht¬ 
anfall selbst, nur der Harn zeigt während des An¬ 
falls eine veränderte Beschaffenheit. Das Verhalten 
des Harns ist ei gen thüml ich. 

Garrod zeigte, dass bei der Gicht eiue Ver¬ 
minderung der Harnsäure-Ausscheidung besteht und 
deutete sich das so, dass die Harnsäure zurückge¬ 
halten würde und sich in den Gelenken ablagere, 
dann treten die Gichtanfälle auf. Um dies zum 
Verständnisse zu bringen, müssen wir bemerken, 
dass, wenn mehrmals solche Gichtanfälle sich wieder¬ 
holt haben, das Gelenk sich verdickt, es wird 
dauernd schmerzhaft, wenigstens thun die Bewe¬ 
gungen weh und man kann Veränderungen konsta- 
tiren, die denen einer Gelenksentzündung ähnlich 
sehen. In diesen Fällen findet man in den Ge¬ 
lenken Ablagerungen von Uraten und zwar gewöhn¬ 
lich harnsaures Natron, selten harnsauren Kalk und 
andere harnsaure Salze. G a r r o d nahm also an, dass 
die Harnsäure aus irgend einem Grunde, gewöhn¬ 
lich in Folge mangelhafter Thätigkeit der Nieren 
zurückgehalten und in den Prädilektionsstellen abge¬ 
lagert werden. Diese Aunahme ist in den letzten 
Jahren vollständig widerlegt worden. 

Nach Pfeiffer*s Untei Buchungen ist bei Gicht¬ 
kranken im Intervall zwischen den Gichtanfällen 
die Menge des ausgeschiedenen Harns vermindert. 

Es ist Jemand anscheinend gesund und bekommt 
plötzlich einen heftigen Gichtanfall. Nach den ersten 
Anfällen nun ist er durch mehrere Monate ganz 
gesund. Es wird während dieser Zeit sein Uiin 
wiederholt untersucht und genaue Bestimmungen 
der Harnsäure gemacht und da hat Pfeiffer 
konstatirt, dass die Menge der Harnsäure vermin¬ 
dert ist. 

Ein kräftiger erwachsener Mensch, der 80 Kilo 
wiegt und reichlich Fleischnahrung geniesst-, scheidet 
in dem Intervall zwischen den Anfällen nicht mehr 
Harnsäure aus, als ein kleines Kind von 9 - 10 Jahren. 
Nach Pfeiffer ist also die Ausscheidung der Harn¬ 
säure in der Zwischenzeit zwischen 2 Gichtanfällen 
vermindert und nun kommt der Gichtanfall und da 
wurde konstatirt, dass während des Gichtanfalles 
die Ausscheidung der Harnsäure gestiegen ist, nicht 
vermindert, und die eigentümliche Annahme, die 
Garrod gemacht hat, wird damit erklärt, dass Garrod 
niemals den Urin methodisch zwischen den Anfällen 
untersuchte, sonst würde er zur Erkenntniss ge¬ 
kommen sein, dass die Menge der Harnsäure im 
Gichtanfall, die von einem solchen Menschen aus¬ 
geschieden wird, viel grösser ist, als in der Zwischen¬ 
zeit Es würde also nach dieser Anschauung die 
Harnsäureausscheidung während des Anfalles, ver¬ 
mehrt sein. 

Es ist aber irrtümlich zu sagen, dass sich mit 
diesem Zustande des GichtauFalles das Bild er- 


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191 


schöpft. Der Gichtanfall ist nur eine Episode im 
Verlaufe der Krankheit, ja Pfeiffer kommt wieder 
zur Anschauung zurück, welche die alten Aerzte 
schon im vorigen Jahrhundert und noch früher ge¬ 
habt haben, dass nämlich der Gichtanfall als ein 
Heil bestreben des Organismus anzusehen sei. Damit 
stimmt überein, dass die Gichtkranken, sich nach 
einem solchen Anfalle wie neugeboren fühlen. Was 
man eigentlich als Gicht bezeichnen muss, das findet 
sich zwischen den Anfällen und das macht nun 
folgende klinische Symptome: Wir sehen bei diesen 
Individuen häufig bei anscheinend ganz normalen 
Funktionen der einzelnen Organe doch Verände¬ 
rungen auftreten und diese markiren sich zuerst 
und ganz überwiegend in der Haut. 

Wir bemerken in der Haut eigenthümliche Ver¬ 
änderungen und zwar bestehen diese in der Ab¬ 
lagerung von schwerlöslichen oder unlöslichen Harn¬ 
säureverbindungen, saurem, hamsaurem Natron, resp. 
auch reiner Harnsäure. Diese Ablagerungen haben 
auch bestimmte Prädilectionsstellen am Ohre. Es 
sind kleine Knoten, die gelblich oder weisslich durch 
die Haut durchschimmern, wie ein kleiner Steck- 
nadelkopf, mitunter bis zur Grösse einer Erbse an¬ 
wachsend. Sie liegen in der Haut, gewöhnlich 
1—3 an einem Ohre und haben nichts mit dem 
Knorpel zu thun. 

Eine zweite Ablagerungsstelle ist die Gegend 
der EUbogengelenke, da finden wir häufig Knoten, 
Beutel von Harn säure-Ablagerungen, bis zu Apfel¬ 
grösse; bei der Untersuchung findet man, dass sie 
aus Harnsäure und harnsaurem Natron bestehen. 

Derartige Ablagerungen können sich auch ober¬ 
halb des Kniees, ferner in den Sehnenscheiden 
z. B. in der Sehnenscheide der Achillessehne finden 
und endlich an beliebig andern Stellen in der 
Haut. 

Diese Ablagerungen von harnsaurem Natron 
können nun verschwären; wie Ebstein nachgewiesen 
hAt, handelt es sich hier um rein nekrotische Pro¬ 
zesse, wir bekommen Geschwüre in der Haut, die¬ 
jenigen Geschwüre, welche in der alten Literatur 
eine so grosse Rolle gespielt haben, nämlich die 
Ulcera arthritica, gichtische Geschwüre mit schlaffen 
unterminirten Rändern und Ablagerungen von Harn¬ 
säure und hamsaurem Natron. 

Auch diese Knoten, die man in den Händen 
findet, bei den sogenannten Haberden sehen Fingern 
sind sehr häufig im Anfänge Knoten, welche in der 
Haut sitzen und wenn man dieselben verschiebt, 
kann man mit Sicherheit behaupten, dass das nicht 
rheumatische, sondern gichtische Knoten sind. Erst 
im Laufe der Zeit dringen diese Knoten in die Tiefe 
bis in das Gelenk vor, und so ist es auch am Zehen¬ 
gelenk und andern Gelenken und sie beeinflussen 
dann die Gelenkkapsel und die Knorpel. Die Ober¬ 
fläche des Gelenkes ist zerstört, usurirt, es können 


die Harnsäureablagerungen bis in die Sehnen, Sehnen¬ 
scheiden, selbst bis in die Knochen gehen. 

Diese Erscheinungen nun machen den Kranken 
keine Schmerzen, sie wissen häufig gar nicht, dass 
sie im Ohre oder irgendwo einen Knoten haben, 
nur ausnahmsweise kommt es vor, dass ihnen der¬ 
selbe Schmerzen verursacht. Das sind aber nicht 
die einzigen Veränderungen, welche sich so schlei¬ 
chend unter der Einwirkung der gichtischen Dia- 
these entwickeln, sondern wir können Veränderungen 
bekommen in den aller verschiedensten Organen. 
Zunächst haben wir in der Haut Neigungen zu Ent¬ 
zündungen, ekeematöse Affectionen der Haut, nament¬ 
lich im Gesicht, dann Affectionen der Augen, Iritis, 
Conjunctivitis, Keratitis. Es giebt Patienten, bei 
denen der Gichtanfall sich äussert durch Auftreten 
kleiner Hornhautgeschwüre, welche durch Gebrauch 
einer Kur in Karlsbad, Vichy u. s. w. heilen. Dann 
können Veränderungen in den Nieren auftreten. 

(SehlaB8 folgt.) 


Bücherschau. 

Grundlagen, Aufgaben und Grenzen der Therapie. 

Nebst einem Anhänge: Kritik des Koch’schen 
Verfahrens. Von Dr. Rosenbach, Professor an 
der Universität und Primärarzt am Hospital Aller¬ 
heiligen in Breslau. Wien und Leipzig bei Ur¬ 
ban & Schwarzenberg. 196 Seiten. 

Dieses Buch wird das grösste Aufsehen er¬ 
regen und den grössten Beifall finden bei allen von 
der Schulmedicin dissentirenden Aerzten. Es scheint 
als ob am Ende des Jahrhunderts auch in manchen 
Kreisen der Professoren für die Fragen der Heil¬ 
kunde ein besseres Verständniss zu dämmern be¬ 
ginnt, und können wir allen Collegen dieses Buch 
aufs beste empfehlen. 

Rosenbach will wieder zwischen Arzt und Kranken 
das humane Verhältnis hergestellt wissen, das in 
unserer Zeit vielfach geschwunden ist. Er sagt: 

„Man muss vor Allem den wissenschaftlichen 
Theil des ärztlichen Kampfes von dem practischen 
streng scheiden, nicht etwa, dass man nur Mann 
der Wissenschaft oder Arzt sein solle, — wir wür¬ 
den eine solche Trennung für den grössten Schaden 
halten — sondern indem man seine Handlungen 
dem Kranken gegenüber nicht in jedem Falle unter 
dem Gesichtspunkte wissenschaftlicher Thätigkeit 
ansieht. Der Kranke will Heilung oder Erleichte¬ 
rung; in unserer Hand steht aber häufig weder das 
eine noch das andere. Von unserem ärztlichen 
Wissen, von unserer Einsicht in die Vorgänge hängt 
aber die wichtige Entscheidung darüber ab, ob 
etwas, was dem Kranken bedrohlich erscheint, auch 
wirklich gefährlich ist, von unserer Einsicht hängt 
oft die Möglichkeit der Verhütung einer Vemhlim- 

24 * 


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tnerung der Krankheit ab. Die blosse Aeusserung 
von Seiten des Arztes, der mit Bestimmtheit eine 
Entscheidung über den Verlauf der Krankheit ab- 
giebt, ist von grösstem Werthe für den Kranken 
und seine Familie; sie wollen ja alle nur Beruhig¬ 
ung darüber, dass nach einer bestimmten Frist die 
normalen Verhältnisse zurückkehren. Die Einsicht 
des Arztes in die Störungen der normalen Function 
ist von fundamentaler Bedeutung für die frühzeitige 
Regulirung der Körperarbeit, durch die mehr Nutzen 
geschafft werden kann, als die Menge der nur den 
Medicamenten Vertrauenden heutzutage sich träumen 
lässt. Das Wort, dass der Arzt nicht Beherrscher, 
sondern Diener der Natur sein soll, hat den tiefen 
Sinn, dass er den Gang der Naturerscheinungen, 
ihre Tendenz erforschen, dass er ihren Spuren folgen, 
nicht etwa ihr neue Wege nach seiner beschränkten 
Auffassung des Zieles bahnen und ivorschreiben 
solle; sie könnten ja meist nur Abwege werden. 
Der Arzt soll wissenschaftlich beobachten und 
Psychologe sein; d. h. er soll nach tieferer Ein¬ 
sicht in die Bedingungen, unter denen der Körper 
des Kranken reflectorisch arbeitet, streben, aber 
dabei auch berücksichtigen, dass diese reflectorischen 
Vorgänge am eigenen Körper mit Angst und Schmerz 
von einem empfindenden Gehirn, das sich in der 
BethätigUDg des eigenen Ich’s gehemmt siebt, ver¬ 
folgt werden. Welche Mittel der Arzt anwendet, 
um hier dem leidenden Mitmenschen Beruhigung 
zu schaffen, ist gleiobgiltig, wenn er nur weiss und 
bestimmt versichern kann, dass der furchtbare Weg 
schliesslich doch zum erfreulichen Ziele, zur Ge¬ 
nesung führt. Er ist nicht der Steuermann, wie 
man oft glaubt, der das Schiff lenkt — leider kann 
er diesen Ruhm nur selten in Anspruch nehmen — 
aber or ist der Führer, dessen beruhigende Worte 
und Handlungen auch auf schwierigem Pfade dem 
Geleiteten das Bewusstsein geben, dass er das er¬ 
strebte Ziel erreichen wird, und die ihm den Muth 
und die Geduld, deren er bedarf, verleihen. Dieser 
Theil der ärztlichen Thätigkeit erfordert eine ge¬ 
wisse Selbstverleugnung, da man auf den Nimbus 
des Retters ebenso verzichten muss, wie auf den 
vortheilhaften Ruhm eines Entdeckers auf dem Ge¬ 
biete der Therapie; aber der Verlust wird reich¬ 
lich aufgewogen durch das Bewusstsein, alle Pflich¬ 
ten der Humanität erfüllt und durch Verzicht auf 
jeden nutzlosen Eingriff auch jede — bei unserer 
Unkenntniss der natürlichen Vorgänge so leicht 
mögliche — Schädigung des uns vertrauenden 
Kranken vermieden zu haben. Wenn wir Diener 
der Natur sein wollen, müssen wir vor Allem ihre 
Gesetze kennen, um sie anwenden zu lernen. Von 
dieser Erkenntniss aber sind noch kaum die An¬ 
fänge vorhanden, denn das Vorherrschen mystischer 
Vorstellungen auf dem Gesammtgebiete der Medicin 
zeigt Jedem, der sehen will, deutlich, wie weit die 


Medicin von dem Idealbegriffe entfernt ist, den wir 
mit dem Namen «Wissenschaft 11 verbinden.* 

In dem nun folgenden Capitel erläutert Rosen¬ 
bach die Bedeutung der functionellen Diagnostik 
für die Therapie. Die functioneile Diagnostik (das 
Erkennen von Functionsstorangen in einzelnen kör¬ 
perlichen Organen) ist ungleich wichtiger als die 
Classificirung eines Leidens in eine bestimmte Ru¬ 
brik. Man suchte namentlich in den letzten Jahr¬ 
zehnten einen grossen Ruhm darin, recht «exacte* 
Diagnosen zu stellen und die Aerzte stritten sich 
bei Consilien ab, mit welchem Namen die Krank¬ 
heit belegt werden müsse. Da wir aber heilen 
und nicht classifioiren sollen und wollen, kommt 
es nur darauf an, frühzeitig zu erkennen, wo und 
an welcher Stelle sich zwischen Leistung und Ar¬ 
beitskraft ein Missverhältniss darstellt Je früh¬ 
zeitiger wir dies erkennen, desto sicherer werden 
wir durch Herabsetzung der ausserwesentlichen Ar¬ 
beit (des Arbeitsquantums, welches über die zur 
Erhaltung des Körpers nöthige Grösse hinausgebt) 
einem weiteren Missverhältniss und der damit ver¬ 
bundenen Gewebsstörang Vorbeugen. 

Was nun seine Stellung zur Therapie anlangt, so giebt 
es nach seiner Ansicht weder bestimmte Behandlungs¬ 
methoden noch Allheilmittel für alle Krankheiten. Ls 
ist vielme hr für jeden Krankheitsfall eine besondere 
Therapie nach sorgfältig individualisirenden Er¬ 
wägungen einznleiten. 

Von den 2 Richtungen der Therapie, der heilen¬ 
den und hygienischen, muss die letztere mehr als 
bisher betont werden. «Verhütung der Krankheit*, 
aber nicht «Neue Heilmittel für die Behandlung 
bereits Erkrankter“. Die Aufgabe der Therapie 
ist, die Krankheit, d. i. eine veränderte Form der 
Arbeitsleistung des Körpers, auf das normale Muss 
zu reduciren. 

«Also auch hier ist die Losung: Weniger sche- 
matisiren, mehr individualisiren! Das können wir 
aber nur erreichen, wenn wir die, die Medicin leider 
noch beherrschende, Abstraction und den concreten 
Fall mit seinen Eigenthümlichkeiten im Auge be¬ 
halten. Hier gilt es, die Ursachen der Funktions¬ 
störung, die beginnende Insufficienz (Unzulänglich¬ 
keit) festzustellen und vor Allem zu erkennen, ob 
die Insufficienz eine Folge von wirklicher Organ¬ 
erkrankung (durch übermässige innere Arbeit) ist, 
ob sie bloss von Mangel an Uebung herrührt oder 
ob sie nur Folge unzweckmässiger Vertheilung der 
Arbeitsbedingungen ist. Dann kann man mit Er¬ 
folg Therapie treiben, dann kann man von ärzt¬ 
licher Kunst reden, während der schematisch Be¬ 
handelnde sich in Nichts von dem Empiriker und 
«Wunderdoctor“ unterscheidet“ 

Der psychischen Therapie will er mehr Geltung 
verschafft wissen, als dies bisher der Fall ist. 

Die medicamentöse Therapie kann nur bei solchen 


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Krankheiten Einfluss auf den Process haben, bei 
denen keine starke und ausgedehnte Localisation 
eingetreten ist. Für die Krankheit y als solche“ 
können wir weder spezifische Mittel noch Methoden 
haben. Der neue Weg ist der, mit minimalen 
Argneidosen vorzugehen und wird derselbe in ge¬ 
wisser Beziehung der Homöopathie sich nähern.“ 
Hoffentlich geschieht dies recht bald zum 
Wohle der Menschheit und zum Besten der Schul - 
medicin. 

Dieses werthvolle Buch sollte sich jeder homöo¬ 
pathische Arzt anschaffen und auch für die Biblio¬ 
thek des homöopathischen Gentralvereins angekauft 
werden. 

Dr. Haedicke. 


Nekrolog. 

Dr. Georg Friedrich Müller f. 

Am 25. Januar d. J. entschlief beinahe 88 Jahre 
alt der wohl nur nooh den älteren Collegen 
bekannte, eifrige Vertreter der Homöopathie, Dr. 
G. F. Müller in Grunbach im Remstbal, nachdem 
er seit dem Jahre 1881 in Folge eines Schlagan¬ 
falles in der Ausübung des Berufes gehindert war 
und so die letzten 10 Jahre seines Lebens bei 
sonst befriedigender Gesundheit und Verhältnis«- 
mässiger geistiger Frische in Ruhe verlebt hatte. 

Sein Lebensgang war so reich an Arbeit, dass 
es sich wohl verlohnt, näher darauf einzugehen. 
Am 26. Juni 1804 in Simosheim als Sohn 
eines Oekonomen geboren, kam er im Jahre 1821 
auf das Stuttgarter Gymnasium und bezog später 
die Universität Tübingen, um Theologie zu stu- 
diren; erst später ging er zur Medicin über. Im 
Decbr. 1829 legte er vor der mediciniscben Facultät 
die Abgangsprüfung ab und zwar in Anatomie, 
Physiologie, Botanik, Chemie, Materia medica, allg 
und spec. Pathologie und Therapie, gerichtlicher 
Arzneikunde und in der Kunst Recepte zu schreiben 
(Chirurgie hatte ihm stets widerstrebt). Damit 
hatte er die Ermächtigung zur Ausübung der Heil¬ 
kunde. 

Von 1880—1836 prakticirte er in Metzingen, 
anfänglich allopathisch; zugleich studirte er eifrig 
die Werke Habnemann’s, correspondirte mit Dr. 
Camerer in Ulm, gebrauchte ungefähr ein Jahr 
allopathische und homöopathische Mittel neben ein¬ 
ander und entschied sich dann ganz für die Ho¬ 
möopathie. 

Im Jahre 1836 siedelte er nach Tübingen über 
und wurde am 30. Decbr. desselben Jahres vom 
homöopathischen Verein des Grossh. Baden zum 
correspondirenden Mitglied ernannt. 

In der Folge gab er mehrere Schriften heraus: 


1) Ostindien — ein Gesammtbild der Gesohichte, 
Geographie, Cultur und der religiösen Zustände, 
1841 — seinem Interesse für die Mission ent¬ 
sprungen. 

2) Sammlung von Volksarzneimitteln gegen 
Krankheiten des Menschen (unter dem Pseudonym 
Dr. Georg Friedrich), Tübingen, Fues, 1845. In 
dieser Schrift behandelt der Verfasser 229 Artikel 
auf 205 Seiten, um, wie er in der Vorrede dazu 
sagt, da das nicht ärztliche Publicum nun doch 
einmal solche Mittel in Händen hat und da und 
dort verkehrt und ohne allen Anhaltspunkt an¬ 
wendet, demselben eine Anweisung zu geben, wie, 
wo und wann es gewisse Heilstoffe in Gebrauch 
ziehen darf, um es eben damit zugleich verbindlich 
zu machen, nötigenfalls einen Arzt zu Rathe zu 
ziehen; .ein Verfahren, wodurch einerseits der 
Quacksalberei begegnet wird, andrerseits aber der 
Arzt und die Wissenschaft eher gewinnen dürften, 
als durch die strengsten Verbote.“ 

3) Das krankhafte und schwere Zahnen der 
Kinder und seine Heilmittel etc. (unter dem vorigen 
Namen), Reutlingen, Mäcken Sohn. 

4) Die Mutter am Krankenbette ihres Kindes etc. 
(unter dem vorigen Namen), Reutlingen, Mäcken 
Sohn, 1847. Dieses Buch enthält ebensowenig wie 
das sub 2 angeführte etwas specifisch homöopathisches, 
aber eine sehr gute Physiologie und Diätetik des 
Kindesalters von der Geburt bis zur Pubertät; bei 
der ersten Behandlung der Krankheiten ist grosser 
Wert auf das Naturheilverfabren gelegt. 

5) Das Turnen als Schutz- und Heilmittel für 
körperliche Leiden beider Geschlechter (auch unter 
obigem Namen), Reutlingen, Mäcken Sohn, 1847. 
Verf. tritt darin sehr lebhaft für die allgemeine 
Einführung des Turnens, auch des weiblichen Ge¬ 
schlechtes, ein und giebt eine genaue Darstellung 
der Indicationen für und wider bei den verschie¬ 
densten Krankheiten. 

In unserer Zeitung ist Dr. G. F. Müller nur 
einmal vertreten und zwar im 32. Bd. 1846/47 
No. 22, 23, 24, wo er über die mit Veratrine ge¬ 
machten Experimente und Erfahrungen ausführlich 
referirte, welche ein gewisser Constantin Gauger 
von Stuttgart im Jahre 1839 noch unter dem Prä¬ 
sidium unseres Prof. W. von Rapp in einer Inau¬ 
guraldissertation niedergelegt hatte. 

Seinen Lebensberuf fand Dr. Müller in der Für¬ 
sorge für schwachsinnige Kinder, wozu ihn seine 
echte Frömmigkeit und, wie wir schon gesehen 
haben, sein reges Interesse für die Diätetik im wei¬ 
testen Sinne besonders befähigten; auch hatte er 
schon mehrfach Gelegenheit genommen theils in 
Privatstudien, theils in den Irrenanstalten Winnen¬ 
thal und Illenau sich Kenntnisse in der Psychiatrie 
zu erwerben. In pädagogischer Hinsicht war er 
der Ueberzeugung, dass hauptsächlich nur durch 


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194 


Aiifassung und Hebung des Gemütes bei diesen 
Kindern nur etwas Erkleckliches erzielt werden 
dürfte. 

Im Vertrauen auf Gott und die gute Sache er¬ 
öffnet© Dr Müller „ohne auch nur einen Kreuzer 
Fond gehabt zu haben 8 , im Mai 1848 eine Anstalt 
mit 2 solchen Kindern und siedelte mit seiner Fa¬ 
milie in das griifl. von Reischach'sche Schloss in 
Rieth bei Vaihingen a. d. Enz über. Nach allen 
Seiten musste er selbst erst Bahn brechen und 
eigentlich selbst auf diesem neuen Gebiete sich 
Umsehen und noch Erfahrungen sammeln. Er nahm 
die Organisation kräftig in die Hand und das Ver¬ 
trauen und die Zahl der Kinder wuchs rasch (anno 
1850 auf 37, 1851 auf 40). Am 5. Novbr. 1851 
siedelte er in das käuflich erworbene Schwefelbad 
in Winterbach im Remsthal über, wo im October 
1852 54 Kinder (40 aus Württemberg, 10 aus 
Baden, 3 aus Frankfurt a/M., 1 aus Frankreich) 
Unterkunft gefunden hatten. 

Schon früher, aber durch seine damalige Tbätig- 
keit besonders veranlasst, war er nun eifrig bemüht, 
die Ursachen des Cretinismus zu erforschen. Das 
Kgl. württemb. Medicinalcollegium unterstützte ihn 
und so konnte er im Herbst 1853 eine Reise in 
die Schweiz unternehmen zur Erforschung der Ur¬ 
sachen und Erscheinungen des dortigen Cretinismus. 
Auf den hierüber beim Ministerium eingereichten, 
ausführlichen Bericht wurde ihm von diesem die 
„Anerkennung für diese seine verdienstliche Arbeit 8 
ausgesprochen. In dieser Arbeit erkennt er als 
letzte Ursache nur das Sumpfmiasma an, alle andere 
als Ursachen für den Cretinismus angesprochene 
Verhältnisse hält er nur für occasionelle. Er bringt 
eine grosse Fülle fleissig und pünktlich gesammelter 
Tbatsachen bei, um seine Ansicht zu stützen. Zur 
Bekämpfung des Cretinismus empfiehlt er in Bezug 
auf Prophylaktik Entsumpfung der betr. Gegenden, 
Sorge für Zuführung von Sonne und Luft, Zu¬ 
ziehung von Sanitätsbeamten bei Ertheilung der 
Bauerlaubniss, Verbot der Verwandtenheiraten und 
Heiraten von Cretinen, in Bezug auf die Therapie 
Versetzung der Erkrankten in bessere physische 
und psychische Verhältnisse; von Arzneimitteln em¬ 
pfiehlt er besonders Leberthran, Jod und seine 
Präparate sowie andere constitutionelle Mittel. Be¬ 
sonderen Werth legt er darauf, dass Ausschläge 
und Flechten nicht verschmiert werden, und führt 
an, er habe mehrfach beobachtet, wie nach Wieder¬ 
ausbruch solcher der Cretinismus sich wesentlich 
gebessert habe, ja auch ganz geheilt sei. 

ln den nächsten Jahren bereiste Dr. Müller im 
Auftrag des Kgl. Medicinalcollegium zahlreiche Orte 
Württembergs, um dort noch weitere Studien über 
dieses Thema zu machen. 

Aus den hinterlassenen Papieren geht hervor, 
dass er in deutscher und englischer Sprache ein 


Werk herausgeben wollte unter dem Titel: „Der 
endemische und sporadische Cretinismus 8 etc., zu 
dem bereits kein Geringerer als R. Virchow, damals 
noch in Würzburg, das Vorwort zugesagt hatte. 

Im Jahre 18(50 trat Dr. Müller aus der Anstalt 
aus, die anno 1865 nach Stetten im Remsthal ver¬ 
legt wurde, wo sie beute noch besteht. Er liess 
sich in Gmünd als practischer Arzt nieder, wo er 
bis zum Jahre 1881 thätig war. Ueber diese Thä- 
tigkeit berichtet College Weiss-Gmünd, sein Nach¬ 
folger in der Homöopathie: 

Der kleine alte Herr mit den grossen Brillen¬ 
gläsern in dem freundlichen glatt rasirten Angesicht, 
stets im schwarzen Anzug mit hohem Hut, in der 
Hand den Stock mit dem schweren Silberknopf, 
durchschritt Unermüdlich aber gemessen vom frühen 
Morgen bis zum späten Abend die Strassen der 
Stadt, eine überall gern gesehene und namentlich 
von den Kindern zutraulich begrüsste Persönlich¬ 
keit; vielleicht dankten sie ihm unbewusst für die 
Erlösung von den schlecht schmeckenden Arzneien, 
mit denen sie früher bei jeder Erkrankung regalirt 
worden waren. In der That hatte Müller in den 
sechsziger und siebenziger Jahren eine ausgedehnte 
Kinderpraxis, genoss aber ausserdem in vielen Ho¬ 
noratioren- und besseren Bürgerfamilien als Haus¬ 
arzt grosses Zutrauen, während merkwürdigerweise 
in der Arbeiter- und Landbevölkerung noch unbe¬ 
dingt dem Massenconsum von Arzneien nach dem 
Grundsatz: „Viel hilft viel“ gehuldigt wurde. 

Der Verstorbene war ein Intimus der alten 
Schule vom reinsten Wasser, welchem Chirurgie 
und Geburtshilfe als etwas untergeordnete Zweige 
der ärztlichen Thätigkeit erscheinen mochten. 8o 
theilte ihm einst ein junger allopathischer College 
auf der Strasse freudig das Gelingen seiner ersten 
Tracheotomie wegen Kehlkopfcroups mit. 

„So weit lass ich’s gar nicht kommen“, sprach 
Müller und ging seines Weges fürpass. 

Durchdrungen von der Richtigkeit und Zuläng- 
lichkeit seiner Methode, im Besitz vorzüglicher 
Mittelkenntnisse concentrirte er sein ganzes Wissen 
und Können auf die beinahe ausschliessliche An¬ 
wendung seines erprobten Rüstzeuges am Kranken¬ 
bett in Gestalt eines umschriebenen Kreises gut ge¬ 
prüfter homöopathischer Arzneimittel in mittleren 
Verdünnungen. 

Freunden und Feinden der Homöopathie impo- 
nirte er hier durch Sicherheit im Auftreten und 
durch den — Erfolg , denn „in der Beschränkung 
erst zeigt sich der Meister“. 

Bei Concilien mit allopathischen Collegen machte 
er gern Concessionen nicht auf Kosten seines Prin- 
cips, sondern in der Form und Dosis der Verord¬ 
nung, ein Verfahren, welches auch jetzt noch sich 
zur Nachahmung empfehlen dürfte. 

Unter den Collegen seines Wohnortes nahm 


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195 


Müller trotz seiner ausgesprochenen Richtung eine 
angesehene Stellung ein; wie denn auch sein Name 
unter verschiedenen Bekanntmachungen der da¬ 
maligen Gmünder Aerzte anlässlich der Einführung 
der neuen Medicinaltaxe etc. stets mit oben ansteht 

Etwa 1 Jahr vor seiner schweren Erkrankung, 
die ihn zur Niederlegung der Praxis nöthigte, wurde 
Müller zur Consultation bei dem Schwiegervater des 
oben erwähnten allopathischen Collegen gebeten. 
Patient lag seit drei Tagen an einer schweren 
Enteritis darnieder und war trotz energischer Be¬ 
handlung mit Opiaten und anderen Mitteln nicht 
besser geworden. 

Müller verordnete Sublimat trit. dec. III mit 
dem Erfolg, dass der Kranke in wenigen Tagen 
gesund, der allopathische Arzt aber der homöo¬ 
pathische Nachfolger Müllers wurde. 

In seinem letzten Lebensjahre war es mir ver¬ 


gönnt, den Dahingeschiedenen öfters zu sprechen, 
und es war mir stets eine grosse Freude, wie der 
ehrwürdige Greis mit noch jugendlicher Lebhaftig¬ 
keit wiederholte, wie gut sich ihm stets unser un¬ 
erschütterliches Grundgesetz „Similia similibus“ be¬ 
währt habe. 

Ehre dem Andenken dieses pflichtgetreuen, 
nimmermüden Arbeiters! 

Göhrum. 

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Herrn Dr. Sauer in Breslau ist der Charakter 
als Sanitätsrath verliehen worden. 


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Expedition und Verlag von WttUain Steimetz (A. Marggrafs homöopath. Offiein) in Leipzig. 
Druck von Gretsaer L Schramm in Leipzig. 


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Googk 







Band 124. 


Leipzig, den 23. Juni 1892. 


ALLGEMEINE 


No. 25 u. 26. 


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Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

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werden mit SO Pf. pro einmal gespaltene Petitxeile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 


Inhalt: Einladung zum Abonnement. — Vorläufige Einladung zu der am 8. August Nachmittags 2 Uhr in 
Stuttgart stattfindenden l. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft — Homöopathie in Belgien. 
Von Dr. Haedicke-Leipzig. — Die Potenzirung. Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart. (Forts.) — 
Die Zelten der Arzneien. Von Dr. med. Ide-Stettin. (Schluss.) — Zum Capltel der Gicht. Von Dr. Theod. Kafka in 
Karlsbad (Schluss). Zwei Krankenge 80 hiohten. — Amerik. Potenzlrungamaachiae. Von Dr.Steudel-Johnstown. — Klini¬ 
scher Beitrag zur Heilwirkung des Geldes. — Epidemiolog. Ecke. — LeeefrQchte. — BBcherschau. — Personelle. — Anzeigen. 


Einladung zum Abonnement. 

Um in der Zusendung dieser Zeitung keine Unterbrechung eintreten zu lassen, werden die ge¬ 
ehrten Abonnenten um gefällige rechtzeitige Erneuerung des Abonnements auf Band 125 (2. Halbjahr 1892) 
höflichst ersucht. Alle Postanstalten und Buchhandlungen, sowie die Unterzeichnete Vcrlagshandlung 
seihst nehmen Bestellungen zum Preise von 10 Mark 50 Pfg. pro Band entgegen. Probenummern 
stehen stets unberechnet und portofrei zu Diensten. 

Hochachtungsvollst 

Leipzig, im Jnni 1892. die Yerlagshanclluiig von William Steinmetz 

(i./E. A. Marggraf« Homöopath. Officin.) 

Vorläufige Einladung 

za der am 8. August Nachmittags 2 Uhr, in Stuttgart stattlindenden 1. General¬ 
versammlung der Epidemiologischen Gesellschaft 

Die Mitglieder werden hierzu frenndlichst eingeladen mit dem Ersuchen, etwa beabsichtigte An¬ 
träge bis zum 1« Juli C. an den Unterzeichneten gütigst einzusenden. 

Tagesordnung und Programm werden später bekannt gegeben. 

Bonn, im Juni 1892. Der Vorsitzende der Epidemiologischen Gesellschaft: 

Dr. med. Jf. Leeser. 


Die Homöopathie in Belgien. 

Uebersetzt nach dem stenographischen Berichte des 
in Antwerpen erscheinenden Blattes ^LePräcurseur* 

von Dr. Haedioke in Leipzig. 
(Fortsetzung und Sohluss.) 

Die Abstimmung im Gemeinderathe. 
Nach Schluss der von uns in No. 9/10 in extenso 
wiedergegebenen Debatte im Gemeinderathe hat dieser 


mit 24 gegen 5 Stimmen zunächst die der Errich¬ 
tung von homöopathischen Polikliniken feindliche 
Tagesordnung des Herrn Desguin abgelehnt und 
dann mit gleicher Mehrheit die Tagesordnung des 
Herrn Spee angenommen, welche für jene Neu¬ 
schaffung im Sinne des Artikels 21 § 2 des neuen 
Reglements eintritt. 

Die Tagesordnung des Herrn Spee, deren Wort¬ 
laut wir in unserem Berichte mitgetheilt haben, 
bedeutet rund herausgesagt: Aufrechterhaltung des 

26 


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198 


Artikels 21 § 2 in dem Sinne, dass die Einführung 
von homöopathischen Polikliniken nicht eine An¬ 
erkennung dieser Heilmethode involvirt, ebensowenig 
wie die Ernennung von allopathischen Aerzten die 
Anerkennung der allopathischen oder — wie sie 
Herr Desguin genannt hat — traditionellen Heil¬ 
methode in sich begreift. 

Dies war ja auch ohne Weiteres klar. Es steht 
der Verwaltung nicht zu, zu wissenschaftlichen 
Streitfragen Stellung zu nehmen. Auch wir haben 
unsererseits immer erklärt, dass wir uns auf dieses 
Gebiet nicht versteigen wollen. Wenn wir aber 
morgen zu Gunsten der Aerzte der tradionellen 
Schule eine Rechtsfrage zu vertheidigen hätten, so 
würden wir dies mit demselben Eifer thun, mit 
dem wir gestern für die homöopathischen Aerzte 
eingetreten sind. 

Es ist nicht unwichtig, nachdrücklichst auf die 
wahre Bedeutung der Abstimmung im Gemeinde- 
rathe hinzuweisen, wenn man die vielleicht geist¬ 
reiche, sicher aber phantastische und ungenaue Aus¬ 
legung liest, welche diese Abstimmung in den 
Spalten des Brüsseler Blattes „L’Opinion“ hervor¬ 
gerufen hat. 

Wir wollen dagegen hoffen, dass die tüchtigen, 
loyalen und gutgesinnten Elemente, welche der 
Antwerpener Aerzteverein in sich birgt, bald die 
Oberhand gewinnen und statt auf die Stimme klein¬ 
licher Eifersucht und übelangebrachter Eigenliebe 
einiger Unzufriedener zu hören, sich mit Wohl¬ 
wollen in die neue Organisation des Aerztedienstes 
finden werden. Es sind ihnen in allen Punkten, 
ausser einem einzigen, die weitgehendsten Zugeständ¬ 
nisse gemacht worden, und nun können sie auch 
ihrerseits dem allgemeinen Wohle ein Opfer bringen. 
„Wenn, wie es Herr Stadtverordneter Gits so vor¬ 
trefflich ausgedrückt hat, es durchaus einen Kampf 
zwischen Allopathen und Homöopathen geben soll, 
so finde er statt auf dem Felde des Fortschritts, 
wo jedermann zugelassen werden muss, und wo der 
systematische Ausschluss einer der beiden sich strei¬ 
tenden Richtungen für die andere nur ein Ein¬ 
geständnis der eigenen Schwäche sein kann.* 

Sehr interessante Dinge sind da bei der Debatte 
im Gemeinderathe zur Sprache gekommen. Wir 
wollen für jetzt nicht näher darauf eingehen, wie¬ 
wohl Anhänger der traditionellen Schule sich nicht 
entblöden, die Reden ehrenwerther Stadträthe lächer¬ 
lich zu machen und zu verspotten, welche sich nicht 
gescheut haben, ihre Stimme zu erheben im Namen 
des gesunden Menschenverstandes und im Interesse 
einer gedeihlichen administrativen Praxis. 

Zum Schluss noch einige Worte über den 
inzwischen erfolgten Ausgang des Streites. 

Nach der Debatte im Gemeinderathe hat der 
Aerzteverein eine Versammlung ab gehalten, um 
über die Frage der Gründung einer homöopathischen 


Poliklinik zu berathen, worüber „L'Opinion* fol¬ 
genden Bericht bringt. 

Die Versammlung hat mit einer heftigen Rede 
des Dr. Terwagne begonnen, die jedoch in sanften 
Tönen ausgeklungen ist. Schliesslich hat er eine 
Tagesordnung eingebracht, welche unter ande¬ 
rem besagt, dass, wenn die Aerzte die Waffen 
niederlegen, dies nur für den Augenblick geschehe. 
Vor Schluss der Debatte hat der stürmische Red¬ 
ner dann noch einmal das Wort ergriffen, um dem 
Gemeinderathe und dem Armenamte zuzurufen: 
„Wir gehen jetzt auseinander mit der Parole: 
Dies eine Mal wollen wir es noch hingehen lassen, 
aber kommt uns nicht wieder 1* Darauf ist die 
Tagesordnung des Herrn Terwagne, die die voll¬ 
zogene Thatsache anerkennen muss — natürlich 
unter allerlei Vorbehalten und Seitenhieben — 
zur Abstimmung gelangt und angenommen worden. 
Der Vorschlag, einen allgemeinen Streik zu insce- 
niren, hatte nur geringe Zustimmung gefunden. 
Herr Dr. Hertoghe hatte zwar erklärt, dass die 120 
allopathischen Aerzte Antwerpens sich in keine 
Unterhandlung mit den Homöopathen einlassen 
sollten, aber Dr. Van de Wiele hat, trotzdem er 
gegen die officielle Anerkennung der Homöopathie 
Verwahrung einlegt, nicht umhin gekonnt, zu er¬ 
klären, dass die Aerzte der städtischen Hospi¬ 
täler durch die Veranstaltung eines Streikes eine 
ungeheuere Verantwortung auf sich lüden. Herr 
Van de Wiele hat dem noch hinzugefügt: 

„Ich möchte mich für ein milderes Verfahren 
entscheiden: fordern wir unsere Gegner zu einem 
offenen Kampfe vor aller Augen auf, sehen wir 
zu, was die Homöopathie leisten wird, controliren 
wir ihre angeblichen Resultate, und es wird sich 
bald zeigen, dass wir endgültig triumphiren 
werden. Da wir nicht die Herren sind, so lassen 
Sie uns den Kampf auf dem Gebiete der Oeffent- 
lichkeit ausfechten und eine Commission ernennen, 
die die Aufgabe hat, diesen Kampf zu organi- 
siren.* 

Dr. Descamps hat sich in ähnlichem Sinne 
ausgesprochen: „Auch ich bin für den Kampf, 

aber nur unter der Bedingung, dass er sich in 
würdigen Grenzen vollzieht. Lassen wir die Ho* 
möopathen ruhig in den Armenärztedienst ein- 
treten und erklären wir ihnen einen erbitterten 
Krieg.“ — 

Wir haben nichts dagegen einzuwenden, vor¬ 
ausgesetzt, dass der Kampf sich in den Grenzen 
der Wissenschaft hält. Wird er mit offenem Vi- 
sir unter dem Panier der Wissenschaft ausge- 
fochten, und als ein Ausgleich sich widersprechen¬ 
der Erfahrungen, als eine gegenseitige Controle 
und als ein gemeinsames Wetteifern um die Palme 
der besten Leistung aufgefasst, so wäre das ein 
Ideal, das alle freudig anstreben sollten. Die Ho* 


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199 


möopathen werfen den Allopathen vor, dass sie 
von Dingen reden, die sie nicht verstehen and 
rathen ihnen, die Lehre Hahnemanns genauer zu 
studiren, damit ihr Urtheil nicht mehr so ober¬ 
flächlich nnd einseitig ausfällt Es steht jedoch 
kaum zu hoffen, dass sie dies thun werden, be- 
sondera nach den wenig tröstlich klingenden Wor¬ 
ten, die Herr Terwagne in dieser Sitzung hat 
falles lassen: „Sich in einen ehrlichen Kampf mit 
der Homöopathie auf Grund der Statistik einzu¬ 
lassen, das würde nach meinem Dafürhalten eine 
grosse Dummheit sein, denn die statistischen 
Zahlen haben in der Medizin so gut wie gar keinen 
Werth.“ 

Wir können derartige Auslassungen nur be¬ 
dauern. Nichts berechtigt Herrn Terwagne dazu, 
die Ehrlichkeit der Homöopathen in Zweifel zu 
ziehen, da diese doch öffentlich erklärt haben, dass 
sie weiter nichts verlangen als die Gewährung der 
Möglichkeit und Gelegenheit, den Beweis für den 
Werth ihrer Heilmethode zu erbringen. Aber 
Herr Terwagne ist so erregt gewesen, dass er so 
weit geht, der Wissenschaft, die er vertritt, einen 
Fusstritt zu versetzen, indem er ausruft: „Die 
medizinische Statistik hat keinen Werth!“ Was 
wird die Akademie der Medizin dazu sagen? 

Die Jahrbücher der Akademie der Medicin 
sind mit statistischen Daten überladen. Wenn 
man daher jedesmal, wo man zum Beweise 
einer Thatsache eine statistische Tabelle aufführt, 
darüber schreiben wollte: „Man bedenke je¬ 

doch , dass die medicinische Statistik keinen 
Werth“ hat, so glauben wir, das jedor Leser ein 
langes Gesicht machen würde. Wenn trotzdem 
die Academie kein solches macht und dabei den 
Standpunkt des Herrn Terwagne theilt, so beweist 
das nur, dass sie grosse Gemüthsruhe besitzt. 

Wir wollen diese Polemik nicht weiter fort¬ 
führen, da ja der Streit nunmehr äusserlich ge¬ 
schlichtet ist und bedauren nur, dass der Aerzte- 
verein sich in seiner Gesammtheit nicht offenkundig 
zu dem Grundsätze des ehrlichen Kampfes mit 
der Homöopathie bekannt hat, was doch sicher 
im Interesse des Publikums und der Wissen¬ 
schaft gelegen hätte. Ihre Mitglieder haben sich 
leidenschaftlich gezeigt; wer aber heftig wird, hat 
gewöhnlich unrecht Darum sehen wir schon 
voraus, was kommen wird. Die Allopathen wer¬ 
den nach wie vor fortfahren, mit den Homöopathen 
zu schmollen.“ 

Letztere Ansischt ist auch die unsrige, trotz 
der schönen Worte des Prof. Leyden in Berlin: 
Wir wollen unsere Wissenschaft hochhalten, wir 
wollen un8ern Stand ehren, und wir wollen glauben, 
dass wir in der Praxis Beiden am besten dienen, 
wenn wir von dem Grundsätze ausgehen, dass das 


Heil der Kranken allen andern Rücksichten vor¬ 
angeht. 

Aegroti salus summa lex esto. 


Die Potenzirung. 

Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger- 
Stuttgart. 

(Fortsetzung.) 

Aus Gründen, die ich später anführe, habe ich 
die Messung der Alkalisalze in zwei Absätzen vor¬ 
geführt. Zuerst mass ich bei allen Salzen von 
3. Potenz aus, Potenz um Potenz bis die Wirkung 
umschlug und statt Lähmungseffekten ein Belebungs¬ 
effekt erschien zum Zeichen, dass jetzt der Indiffe¬ 
renzpunkt überschritten sei. 

Erst als ich damit bei 17 Salzen fertig war, 
ging ich an die Messung derjenigen Potenzen, welche 
Belebungseffecte liefern und das bildet die zweite 
Periode der Messungen. Ich nenne die erste Pe¬ 
riode die der lähmenden Dosen, die zweite die der 
btlebenden Dosen und werde später jede für sich 
schildern und hier bei Besprechung der Fehlergrösse 
auch beide besonders behandeln — warum, wird 
sich ergeben. 

Die nachstehende Tabelle I giebt nun die Be¬ 
funde der Fehlergrössen in der ersten Periode und 
zwar so : 

Die erste Columne enthält das Datum des Mess¬ 
tages, die zweite Columne nennt die gemessenen 
Objecte und zwar die Ziffer der gemessenen Potenz 
und den Namen des Salzes abgekürzt, z. B. am 
ersten Tage wurde die 3. Potenz von 7 verschie¬ 
denen Kalisalzen gemessen, am vierten die 9. Po¬ 
tenz von 2 Kalisalzen und die 3. Potenz von 4 Am¬ 
moniaksalzen u. s. f. 

Die dritte Columne giebt der Reihe nach die 
erhaltenen Ruheziffern in Millesekunden. An den 
meisten Tagen finden sich unter dem gleichen Da¬ 
tum zwei solcher Reihen, zwischen Ausführung der¬ 
selben machte ich jedesmal eine Stunde Pause, um 
dem Körper Zeit zu geben, sich von den in der 
ersten Reihe gemessenen Stoffen gründlich zu rei¬ 
nigen. 

Die vierte Columne ist frei für einige Bemer¬ 
kungen und zur Fortsetzung längerer Reihen. Die 
fünfte Columne enthält die Differenz zwischen der 
höchsten und niedersten Ruheziffer der Reihe in 
Millesekunden. 

Umstehend folgt Tabelle I: Die Ruheziffern der 
ersten Messungsperiode. 

25“ 


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200 


I. Tabelle: Die Ruheziffern der ersten Messungsperiode. 


Datum. 

Gemessene Objecte. 

Ruheziffern in Millesekunden; 

Bemerkungen. 

Max.-Diff. 

23710. 1 

8. Potenz von 7 Kali-S. 

107 107 106 108" 107 107 106 


4 

24/11. 

4. Potenz , 7 „ . 

103 102 104 100 102 105 103 

1 Stde. Holz gesp. 

5 


5. Potenz . 7 „ „ 

100 101 100 101 101 101 102 


2 

25./11. 

6. Potenz * 7 „ * 

104 105 102 101 104 101 101 

1 Stde. Holz gesp. 

4 


7. Potenz . 7 . . 

102 101 101 102 102 101 102 


1 

26./11. 

8. Potenz „ 7 * * 

97 98 98 99 98 98 96 


3 


9. Potenz v. 2 K. S v. 4 Am. 

102 100 98 102 100 101 


3 

27. 11. 

10. Potenz . 2 „ 4 . 4 . 

101 100 100 100 100 100 


1 


11. Potenz , 2 „ 5 „ 4 „ 

104 102 101 102 101 103 


3 

28/11. 

12. Potenz * 2 „ 6 „ 4 „ 

100 101 100 100 100 100 


1 

1-/12. 

18. Potenz . 2 * 7 . 4 . 

99 100 105 101 102 101 


6 

2./12. 

14.—16. von Kali 8.4 . 

102 98 99 98 96 99 100 100 100 


6 

3/12. 

9. u. 10. von 4 Ammon. 

99 101 99 99 97 100 102 100 


5 

4./12 

11. von 4 Ammon. 

101 101 100 100 


1 


12. 13. 14. von 2 Ammon. 

101 100 101 99 100 100 


2 

5./12. 

15. 16. 17. . 2 . 

98 100 99 98 100 100 


2 


18. 19. . 2 . 

95 97 99 97 


4 

7./13. 

3. Potenz von 6 Natron-S. 

97 98 96 98 95 96 


3 


4 Potenz .6 » . 

97 95 97 93 97 97 


4 

11-/12. 

5. Potenz .6 . , 

108 107 107 106 

nicht in Cond. 

2 


6. Potenz v. 4 v. 7 v. 2 Nat. 

105 106 105 105 104 105 


2 

14./12. 

8.—11. Potenz von 2 Nat 

109 105 108 104 106 106 


6 


I. Periode. In dieser wurden die lähmenden 
Dosen gemessen. Sie umfasst 14 Messtage, die 
zwischen dem 23. Novbr. und 14. Decbr. liegen. 
Gemessen wurden 22 Reihen, die zusammen 137 
Ruheziffern enthalten. Bemerkenswerth ist nun 
folgendes: 

a) in den 22 Reihen betrug die Maximaldifferenz 

3 Mal 6 Millesekunden 
2 , 5 

4 , 4 

4 . 3 

5 , 2 

4 , 1 

Da die Ruheziffern sich nicht viel von 100 ent¬ 
fernen, so kann man die Differenzen auch procen- 
tisch nehmen und diess giebt also für diese Periode 
eine Fehlergrösse, die zwischen 6% und l°/ 0 
schwankt. Vergleicht man das mit den Arznei¬ 
ziffern dieser Periode in den betreffenden Tabellen, 
so zeigen sich Unterschiede, die so weit die höchste 
Fehlergrösse überschreiten, dass die Arzneiwirkung 
klar zu Tage liegt. 

b) Bei der 3. Potenz mass ich am gleichen 
Tage nur eine Reihe, weil bei dieser Concentration 
eine zu starke Stoffanhäufung im Körper zu er¬ 
warten war. An den zwei nächsten Tagen (24. u. 
25. Novbr.) mass ich je zwei Reihen aber so, dass 
ich jedesmal zwischen erster und zweiter Reihe 
eine Stunde lang im Freien mich mit Holzspalten 
beschäftigte, um die etwaigen Stoffreste der ersten 
Reihe auszutreiben. Eine Vergleichung der Ziffer¬ 
reihen vor und nach dieser Körperarbeit ergiebt 
nun sehr hübsch ziffermässig die tägliche Erfahrung 


wieder, dass körperliche Arbeit im Freien 1. die 
Nerven beruhigt: am ersten Tage diffcrirten die 
Ruheziffern der Reihe vor der Arbeit um 5 Mille¬ 
sekunden, am zweiten um 4; nach der Arbeit ist 
am ersten Tage die Differenz nur noch 2 Mille¬ 
sekunden und am zweiten Tage sogar nur noch 
1 Millesekunde. 2. Die Beruhigung der Nerven ist 
verbunden mit einer Zunahme der Arbeitsgeschwindig¬ 
keit (Beseitigung von Lähmungs- resp. Ermüdungs¬ 
stoffen). Am ersten Tage ist das Mittel aus den 
7 Ziffern der ersten Reihe 103, das der zweiten 
Reihe 101. Die Ruheziffer ist also um 2 Mille¬ 
sekunden gebessert. Am zweiten Tage ist die 
Differenz zwar geringer, nämlich nur 1 Millesekunde, 
aber zusammengehalten mit der Erfahrung hat sie 
doch einen symptomatischen Werth. — Vom vierten 
Tage an, wo doch schon die 8. Potenz als Stoff 
von erheblicher Flüchtigkeit vorlag, hielt ich die 
Ausfüllung der Pause zwischen den 2 Reihen durch 
Körperarbeit nicht mehr für nöthig. 

c) Vergleicht man die absoluten Höhen derRuhe- 
ziffem in den verschiedenen Reihen, so unterscheidet 
man drei Perioden; eine erste dreitägige (23. 24., 
u. 25. Novbr.) und eine letzte zweitägige (11. u. 
14. Decbr.) mit höheren Ziffern und eine mittlere 
mit kürzeren. Darüber ist folgendes zu sagen: die 
grossen Ziffern der 2 letzten Messtage sind durch 
die Bemerkung am 11./12. .nicht in Condition* 
genügend erklärt; ein Diätfehler am 10./12. hat 
die Disposition nachtheilig beeinflusst. Für die 
langen Ziffern der ersten drei Tage kann kein be¬ 
stimmter Anlass angeführt werden, aber die ver¬ 
bessernde Wirkung der Körperarbeit am 2. und 




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204 


3. Tage beweist, dass es sich hier um das bandelt, tenzen gemessen. Ueber sie giebt die in gleioher 
was man eine „Indisposition “ nennt. Weise wie Tabelle I verfasste Tabelle II Auskunft. 

II. Periode . In ihr wurden die belebenden Po- 


II. Tabelle: Die Ruhezififern der zweiten Messungsperiode. 


Datum. 

Gemessene Objecte. 

Ruheziffern in Mdlesekunden. 

Bemerkg. 

Max.-Diff. 

16712. 

5. od. 7. Potenz v. 4 Nat. 

100 100 99 100 


1 


7. od. 9. Potenz . 5 Kali. 

100 100 99 100 100 


1 

17./12. 

6. od. 8. Potenz .4N.ii.lK. 

100 101 100 100 100 100 101 


1 


10. Potenz v. 4 Nat. u. 2 K. 

100 100 100 101 100 99 


2 

18. 12. 

12. Potenz .4 . . 2 . 

100 100 100 100 100 99 


1 


14. Potenz ,4 . , 2 . 

100 100 100 100 100 99 


1 

21/12. 

16. Potenz ,4 . . 2 . 

99 99 99 99 99 99 


0 

22./12. 

18. Potenz „ 4 * „ 2 „ 

98 99 99 99 99 98 


1 

28/12. 

20. Potenz „4 * * 2 „ 

100 99 100 99 99 99 


1 

24/12. 

22. Potenz .4 * * 2 „ 

99 99 100 99 99 100 


1 

28./12. 

25 Potenz „4 , „ 2 „ 

99 99 99 99 99 99 


0 

29/12. 

30. Potenz „4 „ * 2 , 

100 100 100 101 100 101 


1 

80/12. 

12.—22. Potenz u. alle 3 Salze 

99 99 98 100 98 98 99 99 


2 


durcheinander. 





13. Potenz v. 2 Am. 2 Nat 

98 98 98 98 


0 

4./1. 

15. Potenz „ 2 „ 2 . 

101 100 100 100 


1 


17. Potenz m 2 m 2 . 1 K. 

100 101 101 101 101 


1 

5./1. 

19. Potenz * 2 * 2 „ 2 w 

100 100 100 99 100 100 


1 


21. Potenz , 3 „ 2,2, 

100 101 99 100 99 100 100 


2 

7./1. 

28. Potenz „ 4 „ 2 „ 2 * 

100 100 99 99 99 100 101 99 


2 


25. Potenz „ 4 * 2 * 2 „ 

99 100 99 100 99 99 99 99 


1 

8./1. 

80. Potenz „ 4 . 2 . 2 * 

98 97 97 96 98 97 97 99 


3 

11 2 

1000. Potenz y. 12 Salzen. 

90 90 91 91 91 92 92 90 90 90 91 


2 


Sie umfasst in dem Zeitraum vom 16. Decbr. bis 
11. Febr. 15 Messtage mit 22 Reihen, die zusammen 
140 Ruhezitfern enthalten. Die Maximaldifferenzen 
der 22 Reihen sind: 

1 Mal 3 Millesekunden 

^ ■ 2 n 

13 . 1 

3 . ° 

Es wird mir jeder zugeben, dass das eine ganz 
erstaunliche Genauigkeit ausdrückt, wenn man be¬ 
denkt, dass jede Ziffer durch die Addition von 
4.10 Akten allerdings unter Abstrich einer Deci- 
male zu Stande kommt. Das heisst also, wenn 
z. B., wie oben, 13 Mal die Differenz bloss 1 Mille- 
Bekunde ist, so hat die Gesammtsurome von 40 Akten 
nur 10 Millesekunden Unterschied ergeben. Da die 
Uhrziffer 4 Millesekunden ist, so ist die Differenz 
in Uhrziffern 2,5 und da vier Dekaden gemessen 
werden, so dürfen die Summen von vier Dekaden 
um nicht mehr als 2,5 Uhrziffern differiren. Diese 
Thatsache schliesst von vornherein die Annahme 
aus, als ob man das „willkürlich* machen könne. 
Was man „willkürlich* in Abmessung kleinster 
Zeitmasse fertig bringen kann, darüber kann man 
sich am Chronoskop sehr leicht überzeugen, wenn 
man den Zeiger laufen lässt und sich vornimmt, 
ihn auf einer bestimmten Ziffer der Skala, z. B. 
dem Nullpunkt, durch Aufheben des Fingerdrucks 
zum Halten zu bringen. Macht man das z. B. 


10 Mal, so kann es nach eioiger Uebung geschehen, 
dass man ein oder das andere Mal die Null er¬ 
wischt, aber zwischen drinn hat man Fehler von 
15—2J Uhrziffern nach beiden Richtungen zu spät 
oder zu früh, die Sache wird noch toller und un¬ 
regelmässiger, wenn man die Punkte, zwischen 
denen sich der Zeiger bewegen soll, näher zusammen¬ 
rückt. Kurz: mit dem „corriger la fortune 1 ist 
hier absolut nichts zu machen; wer beim Messen 
versucht, die Ziffern willkürlich zu corrigiren, der 
erreicht gerade das Gegentheil von Gleichmässig- 
keit: vollständige Unregelmässigkeit. Erstere ist 
nur dann zu erreichen, wenn man jede Willkür 
ausscheidet und möglichst Passivität und Geistes¬ 
und Willensruhe zu beobachten und zu behaupten 
versteht. Dann, aber auch nur dann ist die er¬ 
haltene Ziffer der genaue Ausdruck der vom Willen 
unabhängigen, jeweiligen nervösen Disposition und 
dann ist man befähigt, jeden selbst den kleinsten 
Einfluss, der sie verändert, in Ziffern zu messen. 

Für die vorliegende Arbeit ergiebt sich, dass 
bei den in der zweiten Periode gemessenen beleben¬ 
den Potenzen die Fehlergrenze unter 22 Reihen 
nur in 6 derselben mehr als 1 Tausendelsekunde, 
d. h. etwa 1° 0 , ist. Das ist eine Exaktheit, mit 
der sogar ein Astronom sich zufrieden geben würde, 
und die gegenüber der Grösse der am Object zu 
messenden Werthe, die in ihren Extremen zwischen 
70°/o Minus und 9()°/ 0 Pin* schwankt, natürlich 


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SOS 


überflüssig gross ist. Ja man besehe sieb irgend 
eine Zifferreihe der später folgenden grossen Arznei¬ 
tabelle, so ergiebt sich die für die Leistungsfähig¬ 
keit der Nenralanalyse geradezu verblüffende That- 
sache, dass mit wenig Ausnahmen der Unterschied 
zwischen den Ziffern zweier an einanderliegender 
Decimalpotenzen die Fehlergrösse um das mehr¬ 
fache übertrifft. 

Endlich berücksichtigte man folgende Thatsache. 
In der Uhemie versagen die analytischen Hilfsmittel 
sammt und sonders, sobald ein Stoff auch nur auf 
die 6. Potenz verdünnt ist, die Neuralanalyse be¬ 
wegt sich dagegen mit Sicherheit bis zur 30. De- 
cimalpotenz so, dass sie fast jede von jeder unter¬ 
scheiden kann und misst noch die 1000. Potenz, 
d. h. unterscheidet sie mit grösster Leichtigkeit 
von dem Nichts. Ueberhaupt ist das ganz erstaun¬ 
lich: Während bei dem Chemiker die Möglichkeit, 
eine kleine Stoffmenge noch von dem Nichts zu 
unterscheiden, um so mehr abnimmt, je kleiner die 
Menge , je grösser die Verdünnung, ist es bei der 
Neuralanalyse umgekehrt: je höher die Potenz , je 
grösser die Verdünnung, um so leiehter kann sie 
dieselbe von dem Nichts unterscheiden. 

Das führt uns auf das, was schon früher ge¬ 
sagt wurde: die chemische Wirkung des Stoffes, 
welche der Chemiker in seinen Beactionen beobach¬ 
tet, steht in geradem Verhältniss zur Masse der 
anwesenden Moleküle, nimmt mit ihr ab und nimmt 
mit ihr zu. Die lebendigen Gewebe dagegen rea- 
giren auf die Geschwindigkeit der Moleküle und da 
diese mit der Verdünnung zunimmt, so wird die 
Reaction um so stärker, je mehr die Masse ab¬ 
nimmt. In der Heilkunst nennt man die flüchtigen 
Stoffe längst Nervina , weil tausendjährige Erfah¬ 
rung gelehrt hat, dass sie ganz besonders auf die 
Nerven wirken. Durch die Potenzirung eines Stoffes 
nimmt dessen Flüchtigkeit zu und können Stoffe, 
die von Hause aus nicht flüchtig sind, flüchtig ge¬ 
macht werden, so dass sie auf die Nerven gerade 
so wirken wie Stoffe, die von Hause aus flüchtig 
sind. Endlich: die mit dem Nerven arbeitende 
Nenralanalyse ist die Methode, welche ermöglicht, 
die Flüchtigkeit eines Stoffes ziffermässig so abzu- 
messen, wie man seine Wärme mit dem Thermo¬ 
meter bestimmt. 

Vergleicht man die beiden Tabellen der Buhe¬ 
ziffern, so springt in die Augen, dass in der zweiten 
Periode die nervöse Disposition eine viel gleich- 
mässigere war, die Fehlergrösse also erheblich ge¬ 
ringer ist, als in der ersten. Es mag dies daher 
kommen, dass es gerade die Messung der lähmen¬ 
den Dosen war, welche in der ersten Periode die 
nervöse Disposition unruhiger machte, weil die con- 
centrirten Stoffe sich nicht so rasch entfernten, wie 
es die belebenden Potenzen wegen ihrer grösseren 
Flüchtigkeit thnn. Möglich ist natürlich auch, dass 


diätetische Umstände mitgewirkt haben. Dem mag 
nun sein, wie ihm wolle, angenehmer ist es jeden¬ 
falls, dass in der zweiten Periode, in welcher die 
so sehr angezweifelte Wirkung der belebenden Dosen 
gemessen wurde, die Disposition besser, die Fehler¬ 
grösse kleiner, also das Resultat sicherer war, als 
in der ersten , wo die Messung Dinge zu Tage för¬ 
derte, welche durch anderweitige Erfahrungen be¬ 
stätigt werden. 

Ueber die absolute Höhe der Buheziffern in 
Tabelle II ist zu bemerken, dass mit Ausnahme des 
letzten Messtages eine merkwürdige Uebereinstim- 
mung herrscht: an 13 Messtagen ist die kürzeste 
Ziffer 98, die höchste 101, also nur 3 Millesekunden 
Unterschied! Der 14. Messtag (8. Jan.) der auch 
mit der Maximaldifferenz 3 eine grössere Unruhe 
der nervösen Disposition anzeigt, geht mit den 
Ziffern 97 und 96 aus dem bisherigen Rahmen 
etwas heraus, eine Ursache ist mir nicht bekannt. 

Zu den auffallend kurzen Ziffern des letzten 
Tages ist folgendes zu bemerken: Zwischen ihm, 
dem 11. Febr. und dem vorhergehenden 8. Jan., 
liegt mehr als ein Monat und in diese Zeit fällt 
die im I. Theil geschilderte Schlussmessung der 
Potenzen von Kali carbonicum. Die Hauptursache 
des Unterschiedes ist aber, dass ich an diesem 
Tage vollständig nüchtern , also ohne vorangegangenes 
Frühstück gemessen hatte, und zwar absichtlich, 
um dem Leser einen Einblick in die Neuralanalyse 
auch von dieser Seite zu geben: Der Hunger ist 
ein Zustand der Aufregung, der sich durch eine 
kürzere Nervenzeit kennzeichnet: Der Unterschied 
gegen die 13 ersten Messtage ist fast genau 10°/o. 
Dass hierdurch der Gleichmässigkeit der Disposition 
kein Eintrag geschah, dafür spricht, dass in dieser 
zwölfstelligen Reihe die Maximaldifferenz, also der 
Fehlergrösse, nur 2 Millesekunden ist. 

(Fortsetzung folgt.) 


Die Zeiten der Arzneien. 

Von Dr. med. Ide-Stettin. 

(Schluss.) 

Abends. 

Schlimmer gegen Abend: Aethus. cyn., Lac. can., 
Schlimmer abends: Croc., Kali jod., Lac. can.. 
Lil. tigr. . 

Schlimmer abends, so lange es dunkel ist: 
Bryon.. 

Schlimmer von Abends bis Morgens: Kalm. 
latif.. 

Besser nach dem Abendessen: Sep. . 

Besser nach dem Abendessen, wenn warmes 
(flüssiges, Suppe) genossen: Alumin . . 


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203 


Besser abends: Lycopod., Mercur. (Zahn¬ 
schmerzen), Natr. mnr., Phosph. . 

Besser abends im Bett: Magnes. carb. (Angst). . 

Verschlimmerung in der Dämmerung: Amon, 
mar., Angustur., Arsen., Bryon., Calcar. carb., 
Caustic., Digital., Drosera, Mercur., Natr. mur., 
Phosph., Plumb., Puls., Rhus tox., Staphys., Sulf. 
ac. Valerian.. 

Verschlimmerung von rheumatischen Schmerzen: 
Kali jodat. . 

Verschlimmerung von Unruhe, die ihn aus dem 
Hause treibt: Nux vom. . 

Schaudern und Angst, sobald der Abend näher 
kommt: Acon., Arsen., Calc. carb., Mercur., Rhus tox.. 

Schwindel: Carb. an.. 

Kopfschmerzen, uterinen Ursprungs, mit Frö¬ 
steln: Plat . 

Kopfschmerzen auf dem Scheitel mit Druck auf 
die Augäpfel, Ohrensausen, Uebelkeit, Hitze im 
Gesicht, Röthe der Backen, mit kalten Füssen und 
Händen, Frostschauer: Ranunc. bulb. . 

Kopfschmerzen heftige in der Stirne, zwischen 
6 und 8 Uhr, mit grosser Hitze in den Gliedern 
und Pulsation durch den ganzen Körper: LiL tigr. . 

Kopfschmerzen schlimmer um 9 Uhr, durch Gehen 
und Wärme: Bryon. . 

Kopfschmerzen reissende, klopfende, besonders 
Abends: Coccul.. 

Brennendes Jucken am Hinterkopf, Abends beim 
Auskleiden: Silic. . 

Empfindlichkeit des Haarkopfes, besonders auf 
dem Scheitel: Zinc. . 

Anfälle von Hitze mit Nasenbluten: Sulf. ac. . 

Gesichtshitze ohne Röthe, mit Durst schlimmer 
beim Sitzen im Freien: Sep. . 

Krampfhafte Schmerzen im rechten Backen¬ 
knochen: Mezer. . 

Plötzlich heftige Schmerzen in den Zähnen oben 
und unten unmittelbar nach dem Niederlagen: 
Aran. Diad. . 

Hunger, der den Schlaf verscheucht: Ignat. . 

Heisshunger: Guajac. . 

Geschmack nach Eiter im Munde Abends: Hyosc.. 

Sodbrennen (von Nachmittags 4 Uhr an): Crotal.. 

Erbrechen jeden Abend 6 Uhr: Sulf. . 

Leerheitsgefühl im Magen um 7 Uhr: Calc. phosph.. 

Frostschauer und Kolik jeden Abend: Led. pal. . 

Die Koliken und Blähungsbeschwerden sind 
schlimmer jeden Abend: Tarantul.. 

Kolik bei den Kindern von 5—10 Uhr: Kal. brom. 

Durchfall: Leptandr. virg.. 

Brennendes Jucken jeden Abend am After: Jod.. 

Jeden Abend um 7 Uhr unerträgliches Jucken 
am After: Ferr. met.. 

Aufziehen des Scrotum: Euphras. . 

Jucken und unerträgliches Brennen an der Vulva: 
Calad. sag. 


Schnupfen, feuchter: Kali bichrom. 

Schnupfen der des Abends wiederkehrt: Carb. 
veg. . 

Husten: Calad. seg. . 

Husten mit Kopfschmerz zum Platzen: Capsic.. 

Husten abends bis Mitternacht: Mezer., Rhus 
tox. . 

Husten trockener, Abends beim Zubettgehen: 
Nitri ac. . 

Husten schlimmer Abends von 8—12 Uhr: Natr. 
mur. . 

Husten abends 10 Uhr beginnend und alle paar 
Minuten wiederkehrend: Bell.. 

Stickhusten: Ipecac. . 

Krampfhafte Schmerzen in der rechten Nieren- 
und Lebergegend, schlimmer von 4—9 Uhr: Chelid. 

Frostbeulen, Beschwerden derselben besonders 
Abends und Nachts: Agaric. musc. . 

Ichias schlimmer: Bry., Colocynth,. 

Icbias schlimmer Abends bis Mitternacht: Ferr., 
Led. . 

Neigung zum Schlafen früh Abends: Mangan. . 

Fieber : Lauroc. . 

Fieber und Durst mit Stirnkopfschmerz; Nach¬ 
mittags Hitze und Zittern ohne Durst: Argent. met.. 

Fieber, hektisches mit Schwäche und Durchfall: 
Phosph. . 

Die höchste Temperatur und die Delirien sind 
9—12 Uhr: Bryon . 

Fieber täglich Abends, nur aus Hitze mit Durst 
und beschleunigtem Puls bestehend: Hydrofluor ac.. 

Frost: Plumb., Ranunc. bulb., Staphys.. 

Frost jeden anderen Abend: Lycopod. . 

Frost jeden anderen Abend während der Schmer¬ 
zen : Puls.. 

Frostschauer mit Kolik alle Abende: Led. pal.. 

Frost Abends im Bett: Acon., Ambr., Arsen., 
Bell., Bryon., Lycopod., Mercur. 

Frost um 8 Uhr: Bovist., Hep. sulf. calc. . 

Frost um 9 Uhr: Bovist., Bryon., Geisern., 
Phosph. ac. . 

Frost um 10 Uhr: Bovist., Sabin.. 

Frost um 11 Uhr: Cact. grand., Sulf. . 

Hitze von 6—8 Uhr: Caustic. . 

Schweiss: Rhus tox.. 

Schweiss um 11 Uhr: Silic. . 

Schweiss sobald er sich niedergelegt hat: Me- 
nyanth. . 

Nachts. 

Verschlimmerung, so lange es dunkel ist: Bryon.. 

Verschlimmerung: Aran. Diad«, Iris vers., Lil. 
tigr., Plat . 

Verschlimmerung vor Mitternacht: Lil. tigr. . 

Verschlimmerung um 12 Uhr: Chamom., Chin. 
Ferr.. 


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204 


Verschlimmerung von Mitternacht bis gegen 
Morgen: Ignat. . 

Verschlimmerung nach Mitternacht: Phosph. ac.. 

Verschlimmerung im letzten Theil der Nacht: 
Rhus toi. . 

Verschlimmerung um 2 Uhr: Bell. (Blutungen), 
Kali bichrom., Zingib. . 

Verschlimmerung von 2—3 Uhr: Kali bichrom., 
Kali nitr. . 

Verschlimmerung um 3 Uhr: Caulopbyll. (rheu- 
mat Beschwerden).. 

VerscfaKfmnening von 2—5 Uhr: Kali phosph. . 

Die Schmerzen treten um 3 Uhr Morgeos auf: 
Ammon, mur., Nux vom., Thuj., Veratr.. 

Schlimmer von 3—4 Uhr: Aethus. Cyn.. 

Schlimmer um 4 Uhr: Ptelea (gastrische Be¬ 
schwerden), Veratr. . 

Schlimmer um 5 Uhr: Kali jod. . 

Vergehen der Beschwerden Nachts: Argent. nitr, 
Argent. oxyd. . 

Schwerer Schlaf bis 9 Uhr Morgens: Anacard.. 

Schlaflosigkeit um 2 Uhr in Folge von Stechen 
im Bauch, Niessen und Lendenschmerzen: Ammon, 
mur. . 

Schlaflosigkeit nach 3 Uhr: Calcar carb., Ju- 
glans ein., Melilol a., Nux vom., Sep. . 

Schlaflosigkeit nach 4 Uhr: Plantag. (Bauch¬ 
symptome). . 

Erwacht zwischen 3—6 Uhr mit plötzlichem 
Auffahren, dann schwerer Schlaf und sehr müh¬ 
sames Erwachen: Euphras. . 

Erwacht um 2 Uhr mit Uebelkeit und Abgang 
vielen, blassen Urins von strengem Geruch: Kali 
bichrom. . 

Erwacht mit Hunger: Lycopod., Phosph. . 

Erwacht um 2 Uhr mit Hunger: Lycopod.. 

Erwacht um 3 Uhr mit Niessen, Husten und 
Auswurf und grossem Durst: Sep. . 

Erwacht um 2 oder 3 Uhr, und ist dann sehr 
unruhig und unfähig, länger zu schlafen: Baptis. 
tinct 

Erwacht gegen 3 Uhr: Meülot a. . 

Kopfschmerzen: Lil. tigr. 

Kopfschmerzen schlimmer um 12 Uhr: Ferr.. 

Im Hinterkopf, periodisch um Mitternacht ein¬ 
tretend: Sep. . 

Kopfschmerzen muss aufsitzen und den Kopf 
mit beiden Händen halten, damit er nicht in Stücke 
fällt: Carb. an. . 

Erwacht um 3 Uhr: Nitr. (erwacht mit Husten 
und heftigem Kopfschmerz). 

Nasenbluten um 3 Uhr: Bryon. . 

Nasenbluten beim Husten Nachts: Natr. mur. . 

Zahnschmerzen sehr heftig gegen Morgen: 
Tart em. 

Zahnschmerzen nachts besser: Bell., Calcar. carb., 
Mercur., Nux vom. . 


Grosser Durst auf kaltes Wasser besonders Nachts: 
Ant. crud. . 

Brechdurchfall um 2 oder 3 Uhr: Iris vers.. 

Magenschmerzen, schneidende, brennende, nagende 
schlimmer Nachts: Abrotan. . 

Regelmässig gegen Mitternacht Schmerzen im 
Magen, welchen Erbrechen von schleimiger und 
galliger Flüssigkeit voraufgeht: Argent. nitr. . 

Plötzliche Anfälle von Brechdurchfall: Chin., 
Iris vers., Puls.. 

Durchfall: Opium, Psorin.. 

Durchfall nach Mitternacht: Puls. . 

Durchfäll schlimmer um 2 oder 3 Uhr: Iris 
vers. . 

Durchfall schlimmer Nachts, fortwährendes Drän¬ 
gen, Pat ist kaum fort vom Stuhl, muss er wieder 
dahin, besser um 3, 4 Uhr: Stront. carb.. 

Durchfall schmerzhaft, oft unfreiwillig, flüssig, 
schwärzlich, nur Nachts und besonders gegen Morgen: 
Psorin. . 

Husten, Anfälle von trockenem, kurz nach dem 
Einschlafen, bei Kindern: Coff. . 

Husten periodisch um 11 Uhr, 1 —2 Stunden 
lang, trocken, quälend, oft mit Dyspnoe, gegen 
Morgen loser Husten mit reichlichem Auswurf: 
Aral. rac. . 

Husten vor Mitternacht: Rhus tox., Staun. . 

Husten von Kratzen im Larynx, 1—2 Uhr: 
Zingib. . 

Husten um 2 und 5 Uhr, 1 Stunde lang ohne 
Auf hören: Rumex errep.. 

Husten um 3 Uhr: Chin. 

Husten, erwacht um 3 Uhr mit Husten und 
heftigem, betäubendem Kopfschmerz: Nitr. . 

Husten um 3 Uhr, mit gelbem, grünlichem Aus¬ 
wurf: Sep.. 

Husten besser nach 3 Uhr: Acon. . 

Husten bis 4 Uhr: Silic. . 

Erstickungsanfälle mitten im Schlaf: Hep. sulf. 
calc., Ipecac., Lactuc. sat., Sambuc. nig. . 

Asthma um 12 Uhr: Ferr. 

Asthma schlimmer um 2 Uhr: Rumex crisp., 
Zingib. . 

Asthma von Mitternacht bis 7 Uhr Morgens: 
Chlor. 

Rückenschmerzen schlimmer um4 Uhr: Angustur.. 

Hüftweh schlimmer: Coff., Kali jod., Nux vom., 
Phytol., Rhus tox. . 

Hüftweh, erwacht Morgens 4 Uhr damit: Veratr.. 

Jucken schlimmer von 2—5 Uhr: Kali phosph.. 

Frost: Apis. Bell., Kali jod., Sabad., Sulf. . 

Frost nie Nachts: Chin. . 

Frost um 9 Uhr: Bovist., Geisern., Phosph. ao.. 

Frost um 10 Uhr: Bovist, Sabin. . 

Frost um 11 Uhr: Cact grand., Sulf. . 


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205 


Frost um 12 Uhr: Arsen., Cantbar., Caustic.. 
Frost nach Mitternacht: Bovist.,Chamom.,Coccul., 
Sulf. . 

Frost um 2 Uhr: Arsen., Canthar., Hep. sulf. 
calc., Iris minor. . 

Frost um 3 Uhr: Cedron. . 

Frost um 4 Uhr: Ammon, mur., Arnic.. Coo. . 

Frost um 5 Uhr: Chin., Droser., Silic.. 

Frost um 6 Uhr: Arnic., Veratr. . 

Schweiss Abends, sobald er sich schlafen gelegt 
hat: Mangan. 

Schweiss, profuser im ersten Theil der Nacht: 
Acet. ac. . 


Zum Capitol der Gicht. 

Von llr. Theod. Kafka in Karlsbad. 

(Schlags.) 

Die Niere ist dasjenige Organ, welches neben 
den Gelenken und der Haut bei der Gicht weitaus 
am häufigsten betheiligt ist, so regelmässig, dass 
einzelne Beobachter sogar die Behauptung ausge¬ 
sprochen haben, dass zuerst immer eine Nephritis 
urica auftrete und diese erst zur Entwicklung der 
andern Erscheinungen Anlass gebe. Dies ist nicht 
zutreffend. Man sieht gichtische Veränderungen 
auftreten, ohne dass die Nierenveränderung wahr¬ 
zunehmen ist, aber die Nieren Veränderung ist jeden¬ 
falls sehr häufig. Diese Nieren Veränderung, schon 
von Garrod näher studirt, trägt sehr häufig das 
Bild der Granularatrophie, führt zur Schrumpfniere 
in ähnlicher Weise wie bei der Bright'schen Niere 
und wo sonst Schrumpfniere auftritt. Dann aber 
kommen Neivenanfälle vor, Migräne, Ischias, Neu- 
ralgieen; dann Anfälle vom Herzen, Herzschwäche, 
arythmischer Puls, Pulsbeschleunigung; vor allen 
Dingen aber Veränderungen im Verdauungsapparate, 
dyspeptische Störungen und functioneile Störungen, 
welche sich im Magen und Darm zeigen. Ich will 
auf diese verschiedenen Dinge die sogenannte aty¬ 
pische irreguläre Gicht nicht näher eingehen, nur 
bemerken, dass in den spätem Perioden, wenn nicht 
mehr die typischen, acuten und schweren Gichtan¬ 
fälle auftreten, diese irregulären Formen der soge¬ 
nannten visceralen Gicht in den Vordergrund treten 
und überwiegen, dass allerdings noch Gelenkaffec- 
tionen Vorkommen, aber dazu noch diese Erschei¬ 
nungen seitens innerer Organe. 

Garrod nahm an, dass bei der Gicht das Blut 
mit Harnsäure überladen sei und er hat einen ein¬ 
fachen selbst in der Praxis verwendbaren Versuch 
ausgeführt, um dies zu beweisen, nämlich seinen 
berühmten Fadenversuch. Man nimmt etwas Blut¬ 
semm, behandelt es in einer gewissen Weise mit 


Eisessig und legt dann einen Faden in das Blut¬ 
serum hinein und es scbiessen dann Harnsäure- 
krystalle an. Man stellte sich die Vermehrung der 
Harnsäure im Blute so vor, dass man sagte: die 
Harnsäure ist eine Vorstufe des Harnstoffs, ein Um¬ 
setzungsprodukt der Stickstoffverbindungen. 

Wenn die Umsetzung der Stickstoffverbindungen 
nicht genügend vor sich gebt, wenn zuviel davon 
eingeführt wird, resp. noch anderweitige, entspre¬ 
chende, diese Zurückhaltung des Stoffwechsels be¬ 
hilfliche Momente hinzutreten, dann kommt es zu 
einer vermehrten Harnausscheidung im Organismus. 

So erklärte man sich, dass Leute, die sehr gut 
und sehr reichlich essen, die viel Alkalien trinken, 
wenig Bewegung machen, am meisten von der Gicht 
befallen werden und diejenigen Fälle, in welchen 
auch ohne diese Lebensweise bei hereditärer Be¬ 
lastung die Gicht sich entwickelt, erklärt man eben 
aus einer angebomen Anomalie des Nervensystems, 
aus der Disposition, welche auch bei sonst günstiger 
Lebensweise die Gicht herbeiführt. 

Damit war allerdings noch nicht erklärt, wie 
solche Leute, welche nicht erblich belastet sind, 
welche unter Verhältnissen leben, die sonst ganz das 
Gegentheil von dem sind, was wir eben angeführt 
haben, von der Gicht befallen werden können. 

Das Auftreten des Gichtanfalles erklärte man 
sich nun damit, dass man meinte: die Ausscheidung 
der Harnsäure aus dem Körper wird aus irgend 
einer Ursache vermindert, wahrscheinlich durch eine 
Nierenaffection, und wenn eine solche Verminderung 
der Auscheidung eintritt, dann kommt es zum acuten 
Gichtanfall. 

Neuere Untersuchungen über die Gicht, die nach 
einer bestimmten Richtung hin von Ebstein ange¬ 
stellt wurden, haben nun eine ganz andere Anschau¬ 
ung über die Gicht ergeben. 

Die Anschauungen von Ebstein beziehen sich 
wesentlich auf die Ablagerung des harnsauren Na¬ 
tron in den verschiedenen Gelenken, namentlich 
auch die Affection der Niere. 

Man geht jetzt von der Beobachtung aus, dass 
beim Gichtanfall die Harnsäureausscheidung nicht 
vermindert, sondern dass sie vermehrt wird. Es 
hat sich herausgestellt, dass in den Zwischenpausen 
zwischen den Anfällen, wenn sich die Leute an¬ 
scheinend Wohlbefinden und ihre Gichtknoten am 
Ohre, Ellbogen u. s. w. ohne Beschwerde tragen, 
durch Monate hindurch die Harnsäureausscheidung 
vermindert ist. Wenn der Anfall kommt, da ist 
die Harnsäureausscheidung vermehrt, sie steigt nicht 
über die Norm, die ein Gesunder erreicht, aber 
jedenfalls ist sie erheblich grösser, als in dem Inter¬ 
valle zwischen den Anfällen. 

Die Pfeiffersche Theorie lautet folgendermaassen: 
Bei den Menschen, welche an einer erworbenen 
oder an einer ererbten Disposition zur Gicht lei* 

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206 


den, sind die Stoffwechselverbältnisse derart ver¬ 
ändert, dass die Harnsäure, wenn sie in den Ge- 
webssäfken gebildet wird, sich in einem Zustand be¬ 
findet, der schwerer löslich ist, in einem Zustand 
der zur Unlöslichkeit neigt, also anders als beim 
gesunden Menschen, wo die Harnsäure leichter 
löslich ist. Diese schwer löslichen Modifikationen 
sind entweder freie Harnsäure oder hamsaures Na¬ 
tron. Man bat das oft verwechselt, die freie Harn¬ 
säure, die Harnsäurekrystalle finden sich in dem 
Harn eines solchen Arthritikers öfters vermehrt, 
man sieht ein ziegelrothes oder vielmehr intensiv 
rothes Sediment am Boden des Harnglases und bei 
der Untersuchung zeigt sich, dass dieses Sediment 
aus ausgeprägten Harnsäurekrystallen besteht, die 
als solche unlöslich sind und ausgeschieden werden. 
Man hat das verwechselt mit einer vermehrten Aus¬ 
scheidung resp. Bildung der Harnsäure und hat ge¬ 
meint, dass bei Arthritis die Harnsäurebildung ver¬ 
mehrt sei. Es ist aber nicht richtig, sondern es 
wird nach dieser Ansschauung die Harnsäure nur 
in einer schwer löslichen und unlöslichen Form ge¬ 
bildet 

Als zweites Moment würde eintreten, dass bei 
einem solchen Menschen die Gewebe und die Säfte 
überladen sind mit der schwerlöslichen und leicht 
zur Ausscheidung neigenden Form der Harnsäure. 
Während dieser Ueberladung bilden sich nun an 
verschiedenen Stellen Ablagerungen von Harnsäure, 
resp. saurem, harnsaurem Natron und diese Depositen 
sind es, die sich als Gichtknoten in den verschie¬ 
denen Partien der Haut, am Ohre, am Oberarm, 
am Knie u. s. w. entwickeln und diese Gichtknoten 
bestehen in der That aus saurem, barnsaurem 
Natron. 

Diese Ausscheidung erfolgt gewöhnlich schmerz¬ 
los. Die Knoten bilden sich ganz allmälig und lang¬ 
sam. Die meisten Patienten haben keine Ahnung 
davon, wenn sie nicht zufällig einmal beim Be¬ 
trachten im Spiegel oder Hinfühlen darauf gekom¬ 
men sind, dass sie Knoten im Ohre haben. 

Diese Ablagerungen finden sich auch in den 
verschiedenen innern Organen z. B. in der Niere 
und veranlassen allmälig die charakteristische Ent¬ 
zündung der Arthritis urica, sie finden sich im 
Nervensystem in den Wandungen der Gefässe und 
erzeugen das Bild dessen, was wir als atypische 
chronische Gicht bezeichnen. 

Nach dieser Auffassung würde also die eigent¬ 
liche Erkrankung der Gicht dieser chronische Zu¬ 
stand , diese echte Constitutionskrankheit sein, von 
der die Kranken eigentlich keine Beschwerden haben 
in der ersten Zeit, die lange latent, ohne Beschwer¬ 
den zu machen verlaufen kann, also dieses eigen¬ 
tümliche Bildungsverhältniss der Harnsäure und 
Sättigung der Gewebe und Säfte mit schwerlöslichen 
Harnsäuresalzen. 


Wie kommen dann aber die echten Gichtan¬ 
fälle von Podagra, Chiragra u. s. w., die die Kranken 
erst aufmerksam machen, zu Stande? Die Erfah¬ 
rung lehrt, dass es häufig ganz bestimmte Momente 
sind, die man als Ursache nachweisen kann und 
sehr merkwürdiger Weise beobachten wir, dass der 
Gebrauch von alkalischen Wässern Gichtanfälle aus¬ 
zulösen pflegt. Wir Badeärzte wissen das. Bei 
Patienten die nach Karlsbad, Vichy oder an irgend 
einem Ort, wo alkalische Wässer getrunken werden, 
geschickt werden, treten oft Gichtanfälle auf. Es 
ist ganz dieselbe Erscheinung, welches wir beob¬ 
achten, wenn Patienten an harnsaurem Nierengries 
leiden, es ist dieselbe Constitutions - Anomalie, die 
dauernd dort zu Grunde liegt. Wir sehen oft, dass 
die Kranken, wenn sie nach Karlsbad kommen, einen 
Anfall bekommen, (also eine Art homöopathischer Ver¬ 
schlimmerung). Dieselbe Erfahrung machen wir bei 
Gallensteinen; bei den Kranken wird durch den 
Gebrauch der dortigen Wässer ein Gallensteinkolik¬ 
anfall hervorgerufen. Diese Erscheinungen stehen 
fest; ja noch mehr, selbst der Gebrauch alkalischer 
Bäder ohne Trinkkur ist im Stande, einen der¬ 
artigen Anfall hervorzurufen. 

Man kann sich dies folgendermaassen erklären: 
Wenn das Blut alkalischer gemacht wird durch den 
Gebrauch von diesen alkalischen Wässern oder durch 
den Gebrauch alkalischer Bäder, dann wird die 
schwerlösliche Form der Harnsäure in die leicht¬ 
lösliche übergeführt und das erzeugt den Gichtan¬ 
fall in folgender Weise: Es ist die Harnsäure und 
das saure, harnsaure Natron, welches reizend auf 
die Gewebe einwirkt, in dem Falle, wenn es schnell 
in eine leichtlösliche Form gebracht wird. 

Pfeiffer hat Versuche angestellt, die darin be¬ 
stehen, dass er sich und andern subcutanen Injec- 
tionen von Harnsäure, resp. saurem, harnsaurem 
Natron machte; das bewirkte nun eine leichte Reac- 
tion, eine kleine schmerzhafte Stelle, aber ganz un¬ 
bedeutend; wenn er nun nachher oder gleichzeitig 
viel alkalischen Brunnen trank, oder eine Injection 
mit kohlensaurem Natron machte, so bekam er einen 
Anfall, welcher ganz dem Bilde eines Gichtanfalles 
glich, die Haut an der Stelle war geschwollen, ge- 
röthet und heiss, namentlich schuppte auch die 
Epidermis ab. 

Es würde sich also der Gichtanfall daraus er¬ 
klären, dass aus irgend einem Grunde die sauren, 
hamsauren Salze, die schwer löslich sind, durch die 
Alkalescenz des Blutes oder die Gewebssäfte m eine 
leichtlösliche Modifikation übergeführt werden. Da¬ 
für spricht auch die Thatsache, dass beim Gicht¬ 
anfall die Ausscheidung der Harnsäure vermehrt 
ist, gegenüber dem sonstigen Verhalten des Arthri¬ 
tikers, da sie eben leichter löslich geworden ist. 

Schwerer wäre es zu sagen, wie es kommt, dass 
bei andern äussern Veranlassungen Gichtanfälle auf- 


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treten. Gichtarifälle können Auftreten ohne jede 
äussere Veranlassung bei in vollster Gesundheit 
stehenden Patienten; bei den typischen Formen im 
Frühjahre und im Herbste; ob veränderte Witte¬ 
rungsverhältnisse den Stoffwechsel beeinflussen und 
durch diese Veränderung die Alkalescenz und das 
Gewebe begünstigt wird, können wir nicht beur- 
theilen. Ferner wissen wir, dass nach Verdauungs¬ 
störungen Gichtanfälle auftreten, ob aber diese die 
Alkalescenz des Blutes und der Gewebssäfte er¬ 
höhen, wissen wir auch nicht. Es wird sich viel¬ 
leicht in Zukunft auch für das Auftreten der Gicht¬ 
anfälle auch unter andern Umständen als beim Ge¬ 
brauche der kohlensauren Alkalien, wie dies Dr. 
Sakseh u. A. für das Zustandekommen des Fiebers 
durch den Einfluss der Stoffwechselvorgänge auf 
die Alkalescenz des Blutes nachgewiesen haben, 
eine Deutung finden lassen. 

Die Prognose der Gicht ist nicht einfach und 
leicht zu nehmen, wie dies oft geschieht. Wenn 
Jemand das Zipperlein bekommt, so ist das für 
Viele ein Gegenstand der Heiterkeit und zwar des¬ 
halb, weil sie dies mit einer guten und üppigen 
Lebensweise in Verbindung zu bringen gewöhnt 
sind. Aber die Sache hat auch ihre ernste Kehr¬ 
seite. Es giebt, wie wir schon erwähnt haben, auch sehr 
viele arme Leute, die hungern und ebenfalls an der 
echten Gicht leiden und schliesslich werden auch 
jene Andern stark mitgenommen. Wir haben be¬ 
reits daraufhingewiesen, dass schwere Veränderungen 
in den innern Organen, namentlich dem Herzen und 
den Nieren vor sich gehen können, so dass selbst 
Gefahren für das Leben erwachsen. 

Die Behandlung. 

Was die Diät anbelangt, können wir sie in 
Kurzem dahin zusammenfassen, dass wir sagen, für 
die Arthritiker passt eine Diät, die der der Diabe¬ 
tiker sich nährt. Der Genuss von grünem Gemüse 
ist in grossen Mengen nicht nur gestattet, sondern 
auch erwünscht; dann Obst. Die pflanzensauren 
Salze, welche in den Gemüsen und im Obste, die 
andern Alkalien, welche in den Gemüsen enthalten 
sind, sind nach dem Gesagten für die Arthritiker 
sehr zweckmässig, stehen also in der Diät obenan. 
Ferner müssen die Gichtkranken nur wenig zucker¬ 
haltige Speisen und relativ wenig Mehlspeisen ge¬ 
messen, obwohl sie nicht vollständig verpönt sind. 
Nebst den grünen Gemüsen ist auch etwas Fleisch 
gestattet. Man lässt ruhig die Arthritiker nur weisses 
Fleisch gemessen, also unsere gewöhnlichen Hühner, 
Poulard, Kapaun und einzelne andere Arten von 
Hühnern; dann die nicht fetten Fische, während die 
fetten Fische nicht erlaubt sind, also Schell u. A., 
dann eine Reihe von Seefischen, ferner gehören hierher 
auch Kalbfleisch und das ganz junge Lammfleisch. 

Im Allgemeinen scheint es, dass die Leute, wenn 


sie es nicht im Uebermaasse gemessen, auch das 
schwarze Fleisch, nämlich das eigentliche Wild, 
Rind, Schwein u. 8. w. vertragen. (Bei der Karls¬ 
bader Kur ist jedoch Schweinefleisch für Gicht¬ 
kranke gänzlich ausgeschlossen). 

Ein zweites Moment, welches bei der Behand¬ 
lung der arthritischen Disposition eine grosse Rolle 
spielt, ist Körperbewegung. Die Leute müssen viel 
gehen, sich in irgend einer Weise Bewegung machen, 
ein anderes Mittel ist Hautkultur. Wir lassen die 
Kranken baden, meistens alle zwei Tage ein Sprudel¬ 
bad zu 27—28° R. nehmen, kühl abreiben, sorgen 
also für Hautpflege; auch Moorbäder wirken günstig. 

Was die Mittel betrifft, die wir zur Bekämpfung 
der Disposition anwenden, so stehen hier in erster 
Reihe Alkalien und Alkalische IVässer. Obenan 
steht nach Nothnagel Karlsbad, dann Vichy, Wies¬ 
baden, Kissingen u. A., auch Franzensbad, Marien¬ 
bad, dann einige Wässer, die mehr versandt werden 
wie Balz, Fachingen, dann lässt man Biliner trinken. 
Man hat in der Allopathie noch einige andere Prä¬ 
parate angewandt, und namentlich eine Base in 
Anwendung gebracht, deren harusaure Verbindung 
löslicher sein soll als die von Kali und Natron, d. i. 
das Lithion . Man lässt also künstliche oder natür¬ 
liche Lithionwässer trinken. Natürliche Lithion - 
Wässer giebt es ausserordentlich wenig und die 
Quantitäten die sie enthalten, sind sehr gering. Des¬ 
halb lässt man die künstlich hergestellten Lithion¬ 
wässer trinken und verabreicht daneben kohlen¬ 
saures Lithion. In neuester Zeit ist ein Präparat 
empfohlen worden, welches, alle Alkalien übertreffen 
soll, d. i. das Piperazin ; es wird sehr lebhaft em¬ 
pfohlen und das hamsaure Piperazin soll ausser¬ 
ordentlich löslich sein. Ob es das halten wird, was 
man sich davon verspricht, ist noch sehr in Frage. 

Gehen wir nun zur homöopathischen Behandlung 
des Schmerzanfalls über. 

Ist die Entzündung eines oder mehrerer Gelenke 
deutlich ausgesprochen, so reichen wir Aconit 3 Dec. 
Dil. in Lösung, wenn die Schmerzen sehr heftig 
sind, dafür in viertelstündigen Gaben. Lässt die 
Heftigkeit der Schmerzen und des Fiebers nach, 
verabreichen wir Bryonia 3 in Solution und in 
1—2 ständigen Gaben, bis die allgemeinen und ört¬ 
lichen Erscheinungen vollständig geschwunden sind. 
Wenn die Schmerzen sehr hochgradig sind und zu¬ 
gleich eine grosse Reizbarkeit der Nerven vorhanden 
ist, geben wir anstatt Aconit Beilad 3 % auch Apis 3 
leistet uns sehr gute Dienste. Auch colchicum 3 
wirkt bei heftigen Gichtanfällen mit grosser Schmerz¬ 
haftigkeit oft besser als Acon. 3, Arnica 3 hat mit¬ 
unter günstige Erfolge aufznweisen. Geht die Rück¬ 
bildung zu langsam vor sich, geben wir Kali hydrojod. 
in saturirter oder rein weingeistiger Solution (Kali 
hydrojod. 5.0 Aqu. destill., Spir. vini aa. 10.0) mit 
einem Tropfen p. d. 2— 3 Mal täglich anfangend und 

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jeden dritten Tag steigernd und wende äusserlicb als Ein 
reibung (Kali hydroj. 0 5 und Axung. 15.0) auf die 
erkrankten Gelenke so lange an, bis die Function 
derselben vollkommen hergestellt ist, sonst lasse 
ich die Gelenke nur in reine Watte einhüllen. Dieses 
Verfahren meines Vaters bat sich auch mir in sehr 
vielen Fällen, auch während des Kurgebrauchs be¬ 
währt. Auch merc . sol. in der dritten Verreibung 
in zweistündigen Gaben von je 0,05 leistet Erspriess* 
liches. Ist das Resultat auch nach diesen Mitteln 
kein befriedigendes, so wenden wir Sulph. 6—30 
zu einer Gabe täglich an, um die darnieder liegende 
Resorptionsfähigkeit wieder wachzurufen. Farring- 
ton empfiehlt ausserdem: Ammonium phosph., Antimon, 
crudnm, Benzoös acidum, Berberis vulg., Calcar. 
carb., Colocynthis, Guajacum, Lithium carb., Lyco- 
podium, Pulsatilla (ein Mittel das ich gern im 
Wechsel mit bry. anwende) Staphysagria. Das 
Nähere darüber muss ich die geehrten Leser schon 
ersuchen, selbst in Fischer’s vorzügl. Uebersetzung 
nachzulesen. Auch Ledum wird gerühmt. 

Ich lasse die Patienten hier meistens die wärmern 
Quellen trinken, je nach der Konstitution von Mühl¬ 
brunn zu Sprudel übergehen; die Menge der Becher 
richtet sich ganz nach dem, was die Patienten ver¬ 
tragen können. Starke, kräftige Männer lasse ich 
bis 4 Becher täglich trinken. Tritt ein Gichtanfall 
hier ein, lasse ich mit dem Trinken aussetzen und 
gebe die oben erwähnten homöpath. Mittel, die hier 
sehr gut wirken. Sollte dabei Stuhlverstopfung ein- 
treten, lasse ich ahgekühlten Schlossbrunn oder 
Felsenquelle trinken. Ich habe hier die günstigsten 
Resultate gehabt, wenn auch schon die Patienten 
an Händen und Füssen, sogar am Kopfe ekcematös 
afficirt waren und an den meisten Gelenken sich 
die oben erwähnten gichtischen hamsauren Ablage¬ 
rungen befanden. Ein englischer Geistlicher aus 
der Gegend von Manchester, gebrauchte deshalb 
zweimal hier die Kur mit dem günstigsten Erfolge, 
obgleich auch hier die heftigsten Gichtanfälle ein¬ 
traten. Das dritte Mal kam er nur, um seine an 
Gallensteinen leidende Frau hierher zu begleiten. 

Bei der Behandlung der chronischen Gicht leisten 
auch Badekuren in den warmen Schwefelthermen wie 
Aachen, Baden bei Wien, Pistyan und Mehadia 
(Herculesbad) in Ungarn und die hochtemperirten 
Wildbäder Gastein, Wildbad u. 8. w. Erspriessliches. 


Zwei Krankengeschichten. 

1. Frau G. in J. 35 J. litt seit langer Zeit an 
steterUebelkeitundErbrechen. Seit3Monaten 
war die Periode ausgeblieben; Gravidität war völlig 
ausgeschlossen. Als Kind war Patientin stets ge¬ 
sund, hatte zwar die gewöhnlichen Kinderkrank¬ 


heiten überstandeu, aber ohne irgend welche Nach¬ 
theile. Für das jetzige Leiden war eine Ursache 
nicht zu eruiren. Das Aussehen bot nichts Auf¬ 
fallendes, es war eine grosse schlanke Frau mit 
dunklem Haar; doch schien es manchmal, beson¬ 
ders beim Erröten, als wenn ein gelber Sattel über 
dem oberen Theil der Nase läge. Von Gemfith 
war sie nachgiebig und eher zum Weinen als zum 
Zorn geneigt Wenn sie ihrer gewohnten Arbeit 
nachging oder im Freien war, befand sie sich am 
besten. Appetit wechselte. Fettes wird nicht 
vertragen, Fleisch ass sie ungern. Nach dem Essen 
hatte sie öfters das Gefühl des Vollseins; viel 
Aufstossen und Blähungsbeschwerden. Stuhl war 
mehr hart als weich, Urin normal. Schlaf war 
gewöhnlich recht gut, manchmal konnte sie nicht 
schlafen vor Blutwallungen und Hitze im Kopfe. 
Gegen Witterungswechsel war sie empfindlich, am 
schlechtesten wird der Ostwind vertragen. Sie 
hatte Weissfluss wie Milch, der zuweilen sehr 
beissend war. Vor einiger Zeit war mehrfach 
Nasenbluten eingetreten; auch Leibschmerzen, deren 
Charakter jetzt nicht näher bezeichnet werden 
konnte, waren früher dagewesen. Die objektive 
Untersuchung ergab einen negativen Befund. Von 
den in Frage kommenden Mitteln gab ich Sepia 
30, 5 Mal jeden 7ten Tag eine Gabe von 2 glob. 
Darnach trat wenig Aenderung ein. 

Die Hanptklage war und blieb die stete Uebel- 
keit und das Erbrechen. Letzteres hatte nichts 
Charakteristisches. Bei erneutem Nachfragen er¬ 
gaben sich noch folgende Symptome: Wenn der 
Appetit vollkommen fehlte, batte sie grossen Durst 
und eine ausgesprochene Abneigung gegen ge¬ 
kochte Speisen, ferner Schmerzhaftigkeit der Herz¬ 
grube beim Aufdrücken und einen eigenartigen, 
schneidenden Schmerz im Unterleib, ohne Durch¬ 
fall. Letzteres Symptom war jetzt wieder deut¬ 
lich hervorgetreten, nachdem es lange Zeit ver¬ 
schwunden gewesen. Ich fand es nach langem 
Suchen bei Silicea. (Leibschneiden im Oberbauch 
hat Lycop.; tägl. Leibschneiden Natr. mur.; Schmerz¬ 
haftigkeit der Herzgrube bei Druck hat u. a. 
Phosph.; Sepia hat Klopfen in der Herzgrube und 
Schmerz beim Gehen; einen ausgesprochenen Wi¬ 
derwillen gegen gekochte Sachen hat Graphit, 
starken, steten Durst bei völliger Appetitlosigkeit 
Carbo an.) Auch die anderen, für diesen Fall 
charakteristischen Erscheinungen fand ich hei 
Silicea fast sämmtlich. Ich liess daher von einer 
Wasserauflösung der 200. von Silic. 4 Tage lang 
Morgens und Abends einen Schluck nehmen. Nach 
kaum 8 Tagen war die Hauptklage der Patientin, 
die stete Uehelkeit und das Erbrechen, vollkommen 
beseitigt und die Periode trat nach 3 Wochen 
wieder ein. 

2. Herr S. in H., 65 J., leidet seit ca. 2 Jahren 


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20 » 


an asthmatischen Beschwerden. Husten mit schlei¬ 
mig-eitrigem Auswurf, besonders Morgens and 
Abends, der jetzt in Folge einer Erkältung viel 
schlimmer geworden und mit Schnupfen verbunden 
war. Pfeifen in der Trachea und viel angehäuf¬ 
ter Schleim in der Brust, welchen er nach langem 
Husten losbekommt, wonach grosse Erleichterung. 
Oftmals wird der Husten durch starkes Kitzeln 
im Halse erregt. Körperliche Anstrengung und 
Gehen machen kurzathmig und engbrüstig, was im 
Winde schlimmer ist. Der Stuhl neigt zur Ver¬ 
stopfung, viel Aufstossen und Blähungen, die sich 
leicht fortsetzen. Nebeliges Wetter erhöht alle 
Beschwerden. Das Befinden ist nach Schlaf meist 
schlechter, er fühlt sich Morgens sehr schwach und 
matt, muss Nachts mit dem Kopfe hoch liegen 
und am besten auf der linken Seite. Fettes wird 
schlecht vertragen, viele Beschwerden stellen sich 
nach Bouillon ein. Alle Kleider müssen weit sein, 
um die Taille und am Halse darf nichts fest an- 
schliessen. Lachesis 30., jede Woche eine Gabe 
beseitigte fast sämmtliche Beschwerden. 

Assistenzarzt W. in K. 

Eine amerikanische Potenzirnngs- 
maschine. 

Von Dr. Stendel in Johnstown (Amerika). 

Von der interessanten Schilderang der Zube¬ 
reitung der Jenichen’schen Hochpotenzen von 
Dr. Fischer fühlte ich mich besonders aus 
folgendem Grunde angeregt: Vor 2 Jahren 
machte ich einen Besuch bei den Homöopathen in 
Toronto-Ontario, wo ich zum ersten Male die Hoch¬ 
potenz - Praxis in vollem Schwünge sah. Herr 
Dr. Tynll, ein höchst freundlicher und recht mit¬ 
theilsamer Mann mittleren Alters, führte mich in 
seine ganze Arbeitsweise sofort ein, und zeigte mir 
auch bei meinem wiederholten Besuche seine mich 
sehr in Erstaunen setzende Hochpotenz-Maschine, 
ein höchst niedlicher und reinlich schaffender 
Apparat, mit einem kleinen Wassermotor, den er 
auf seinem stationären Waschtische anbrachte, und 
vermittelst dessen er in ca. ^2 Stunde die 400,( 00 
Potenz herzustellen im Stande war. Da man be¬ 
kanntlich in unserer homöopath. Universität in 
Philadelphia die Hochpotenzen nur als ein Märchen 
der Vergangenheit behandelt, so war ich nicht nur 
als ein ungläubiger Thomas, sondern auch als be¬ 
fangen in Vorurtheilen in Toronto empfangen worden, 
und folglich gleich darauf in die ABC-Schule der 
Hochpotenzstudenten eingereiht. Ich sagte, wer 
an Wunder glaubt und an die Thatsache, dass 
aussernatürliche Gesetze zu Zeiten im Reiche der 


Natur in Kraft treten können, der braucht keines¬ 
wegs mehr lange hinsitzen und das Unerklärliche 
studieren, um es sich dann logisch erklären zu 
können! Die mir darauf gewordene Antwort war, 
dass das auch nicht von mir erwartet werde, sondern 
nur dass ich mich von den Thatsachen überzeugen 
lasse, und keineswegs von einer mystischen Wir¬ 
kungsweise überrumpeln lasse. 

Ich war nicht lange genug an Ort und Stelle 
um mich von der Wirksamkeit der Hochpotenzen 
überzeugen zu können, obschon ich alle Tage Be¬ 
suche im „Hochpotenz-Spital“ machen durfte. Doch 
nun an unseren Gegenstand selbst. — Wenden wir 
unsere Aufmerksamkeit ein wenig auf die Wunder¬ 
maschine, bei deren Anblick ohne Zweifel jeder 
frische Jünger des deutschen Aesculap unwillkürlich 
ausrufen muss: „Wie hat der Amerikaner doch Alles 
so praktisch und bequem eingerichtet.“ Bei der 
amerik. Herstellung der Hochpotenzen fällt mir 
sofort ein Faktor in die Augen, welcher sich im 
Wesentlichen von dem Jenichenschen Princip unter¬ 
scheidet, nämlich, dass bei der Maschine fast gar 
keine Kraft angewendet wird, sondern nur einfach 
soviel, wie zur ^2 Umdrehung des mit dem Becher 
verbundenen Kolbens nöthig ist. Bei jeder Füllung 
des Bechers, was durch den Apparat ebenfalls ge¬ 
schieht, sollen genau 98 Tropfen Seewasser (aus 
dem Lake Ontario) zu den 2 an den Wänden des 
Bechers noch hängenden Tropfen der vorherigen Ver- 
schüttelung zugesetzt, werden, was bei einer ein¬ 
maligen x j 4 Umdrehung des Kolbens wieder aus¬ 
gelagert wird. Da aber diese eben erwähnte Um¬ 
drehungen ausserordentlich schnell vor sich gehen, 
so muss das Wasser auch dementsprechend schnell 
in den nach oben zurückgekehrten Becher hinein¬ 
gespritzt werden, was immerhin mit soviel Kraft¬ 
aufwand geschieht, dass es eine Verschüttelung 
veranlassen soll oder ermöglicht! Meine Zweifel 
haben nun darin bestanden, dass zur vollkommenen 
Verschüttelung gar keine Zeit gelassen ist, da ja 
nicht weniger wie ca. 4 Centesimalen in einer 
Sekunde hergestellt werden können, oder 240 c in 
einer Minute, was natürlich durch ein eigens damit 
verbundenes Zeigerwerk genau nachgewiesen wird, 
so dass die Maschine ganz zuverlässig wirkt und 
sich sogar ganz selbst überlassen werden kann! 

Ich habe stets gefunden, dass zwischen den in 
Amerika gemachten Triturationen (d. h. mit elek¬ 
trischem Betrieb) und denen, die ich mit meiner 
Hand in meiner office zubereite, ein ganz merklicher 
Unterschied besteht, so dass ich entschieden auf 
die mit der Hand zubereiteten Triturationen mehr 
Vertrauen setze als aut die Maschinenarbeit, und 
deshalb kann ich auch auf dieser mir ganz gross¬ 
artig erscheinende Hochpotenzzubereitung per Elec- 
tricität, keinen Werth legen, was mir sehr leid 
thut, indem Niemand sich mit tagelanger Zube- 


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910 


reitung der Hochpotenzen befassen kann, es sei 
denn, er hat znm wenigsten sonst nichts zu thun 
oder er stellt sich eigens einen Arbeiter dazu an. 
Aach müste er, um genau Hahnemann’sche Prä¬ 
parate zu erzielen, den Mann oder den Arbeiter 
überwachen, und wer würde dabei nicht aus der 
Haut fahren, oder wie Jenichen selbst auch des¬ 
perat werden! —*) 

Es bleibt nach meiner Ansicht noch ganz 
der Zukunft anheimgestellt, ob es sich rentirt, 
Hochpotenzen zu bereiten oder nicht, denn ich 
habe in meiner Praxis und in der Anderer noch 
gar keine schlagenden Beweise für ihre sog. weiter¬ 
entwickelten, dynamischen Thätigkeiten gesehen; 
was nach meiner Ueberzeugung die 30. nicht 
thut, wird die 200. auch nicht vermögen. — Wird 
man aber einmal dahin gekommen sein eine Hoch¬ 
potenz Materia Medica herauszugeben, also nicht 
wie es Hahnemann thut mit Tinkturen experimentiren, 
sondern einfach gleich mit der 40 m. etc. anfangen, 
dann werden wir sofort unserem Canada Collegen 
sein Patent abkaufen, um die ganze kranke Welt mit 
Sturmeseile aus den Klauen des Todes zu retten, 
d. h. wir werden dann nur noch Henoche sein, die 
wir uns per Eilpost ohne alle Umstände oder Cere- 
monien nicht ins „kühle Grab“, sondern sofort ins 
„ewige Leben“ befördern helfen dürfen. Dieses herr¬ 
liche Dasein dürfen wir wohl ins 22. Jahrhundert 
verlegen, denn es hat ja selbst „Bellamy“ davon 
noch nicht einmal geträumt, dessen Traum gewiss 
kein Schaum ist, sondern bereits in Boston viel¬ 
fach in Erfüllung gegangen ist; und was noch nicht 
ist, kann ja in Amerika Alles noch werden, „nur 
Geduld.“- 


Klinischer Beitrag zur Heilwirkung 
des Goldes. 

Von Dr. H. O out Ion. 

Aurum ist eins unserer wichtigsten Mittel in 
der Melancholie und gegen Wahnsinn überhaupt, 
sofern der Grundton derselben der melancholische 
ist. Lebensüberdruss ist schon beobachtet da, wo 
man Aurum in 3. Verreibung aus ganz anderen 
Gründen verabreicht hatte. Also ist und bleibt es gegen 
Melancholie und taedium vitae ein echt homöo¬ 
pathisches Heilagens. 

Einer Frau, deren pathologischer Zustand gleich 

*) Da jetzt auch in der Schwabe’schen homöopathi¬ 
schen Centralapotheke die Verreibungen mit Dampfbe¬ 
trieb hergestellt werden, so wäre es interessant. Ver¬ 
suche anzustellen, ob in der Tbat die mit der Hand zu¬ 
bereiteten Verreibungen der Maschinenarbeit vorzuziehen 
sind, wie der Verfasser annimmt. 

Die Red. 


näher beschrieben werden soll, hatte ich Aurum 
verordnet, 6 Pulver, von denen jedes 1 Tropfen 
der aus der 4. Decimalverdünnung von mir selbst 
hergestellten 5. Verdünnung enthielt. Sie bekam 
jeden Abend ein Pulver und darauf schrieb mir 
der Mann der Frau ca. 8 Tage später, am 11. Nov.: 
— — „zu meiner grössten Freude kann ich Ihnen 
mittheilen, dass sich der Zustand meiner Frau be¬ 
deutend gebessert bat. 8chon am 3. Tag wurde 
sie ganz vernünftig und sagte, dass sie mir unrecht 
gethan hätte. Von der Zeit an weint sie nicht 
mehr, thut mit Vergnügen ihre Arbeit und sieht 
des Nachts keine Lichter mehr. Auch schläft sie 
viel besser. — Nur hörte sie gestern und vorgestern 
Abend beim Schlafengehen wieder ein Knistern in 
den Tapeten der Schlafkammer. Allein das wird 
sich auch geben. Auf das Aurum hat sie jeden 
Tag Stuhl.“ 

Und wie geartet war das psychische Be¬ 
finden vordem gewesen? Am besten wird man 
letzteres beurtheilen können, wenn ich einige Stellen 
des am 3. November, also vor Aurum geschriebenen 
Briefes wiedergebe. 

1. Sie ist ganz verliebt und geschlechtlich sehr 
aufgeregt. 

2. misstrauisch, glaubt, ich gebe mich mit an¬ 
deren Frauenzimmern ab, wozu nicht die geringste 
Veranlassung vorliegt. 

3. Das Blut steigt ihr sehr nach dem Kopf, hat 
immer Stirnkopfweh und stieren Blick. Ihr Ge¬ 
sicht erscheint gedunsen, rotb, heiss, während die 
übrigen Glieder kalt sind. 

Schon vor 8 Tagen hatte sie einen so grossen 
Blutandrang nach dem Kopf and der Brust, dass 
sie den Husten bekam, hellrothes Blut brach und 
irre sprach. Ich legte ihr gleich ein nasses Tuch 
auf den Kopf und eines auf den Nacken und liess 
sie Sodawasser trinken. Sie war aber den ganzen 
Tag unzurechnungsfähig, wollte fort, wusste nicht 
wohin, ging mit Selbstmordgedanken um. 

4. Bald weinte sie, bald lachte sie, lachte auch 
um gar nichts. Des Nachts träumte sie schreckliche 
Träume von Mord und Tod. Sie sah ganz kleine 
Lichtchen das ganze Zimmer voll, und schlief sehr 
wenig. Ich habe sie zweimal am Abend mit kaltem 
Wasser gewaschen am ganzen Körper. Da hat sie 
besser geschlafen. Sie leidet nun schon seit Jahren 
an Verstopfung. — Ich gebe ihr jeden Tag einige 
Male Nux. vom. 3. 

Da hat sie Stuhl, wenn auch sehr hart und 
knollig.“ 

Patientin ist 55 Jahre alt und hat seit 15 Jahren 
ihre Periode verloren, sie hat 6 Kinder gehabt and 
ist zur Sinnlichkeit nicht geneigt gewesen. Sie ist 
gut genährt, nicht an geistige Getränke gewöhnt 
und trinkt seit 20 Wochen nur Malzkaffee. Das 
Familienleben war ein glückliches. Sie bekam hei 


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211 


Gelegenheit einer Niederkunft der Tochter, weit 
von ihrem Wohnorte entfernt, starkes Heimweh. 

Nnn zeigten sich andere Symptome gemüthlicher 
Alteration. Ihre Nerven sind aufgeregt, sie macht 
sich leicht Vorwürfe, ist misstrauisch und eifer¬ 
süchtig. 

Alle gegentbeiligen Betheuerungen hez. Ausreden 
ihrer fixen Ideen fruchten nichts. „Immer kommen 
die Gedanken wieder/ Bisher hat sie noch gegessen, 
wenn auch nicht viel, ihre häuslichen Arbeiten ver¬ 
richtet, wenn sie auch sehr zerstreut dabei ist. 
Seit 8 Tagen bekam sie Abends eine Gabe Ignatia, 
3 Tropfen. Das schien sie etwas zu beruhigen. 
Sie schlief besser, klagte aber über grosse Müdig¬ 
keit, Rückenschmerzen ganz unten im Becken. 
Die Fortsetzung der Wirbelsäule, das Steissbein 
thun sehr weh, wäre wie geschwollen. Weissfluss 
hat sie nicht, aber oft Schmerzen im After. Der 
Mann sucht inzwischen durch gute Worte and 
Milde ihre Zuneigung zu erhalten. 

Seit 2 Tagen hat Auge und Gesichtsausdruck 
einen verwirrten Ausdruck angenommen. Beim 
Schlafengehen tritt die obenerwähnte Gehörshallu- 
cinationen ein: sie hört Knistern in der Tapete und 
allerlei Geräusche (jede Hallucination ist beiläufig 
bemerkt eine falsche seelische Interpretation ge¬ 
wisser somatischer Vorgänge im Gehirn, mögen diese 
Vorgänge im Gebiet des Gehörorganes stattfinden 
[Gehörshallucinationen], im Bereich des Auges [op¬ 
tische Hallucinationen] u. s. w.) Charakteristisch 
ist noch, dass, als der Zufall mit dem Blutauswurf 
erfolgte, sie glaubte, man wollte sie ermorden — 
der bekannte Verfolgungs -Wahn beim Ausbruch 
einer Seelenstörung bez. regelrechter Geisteskrank¬ 
heit. 

Der Brief endigt mit dem mir und der Homöo¬ 
pathie schmeichelhaften Worten: „Wenn Sie nicht 
helfen, dann ist sie verloren und muss ins Irren¬ 
haus. * 

Von besonderem Interesse ist hier die Wirkung 
von Aurum auf den Stuhl. Denn eine chronische 
Dickdarm-Verstopfung ist zuweilen allein hinreichend, 
Psychose zu erzeugen, zumal in Gestalt der ge¬ 
schilderten Melancholie. Gelingt es nun diese phy 
iische Störung durch das auch sonst richtig ge¬ 
wählte Simile zu beseitigen, so wird es auch gelingen, 
die secundäre psychische Störung zu beheben und 
zwar dauernder, als wenn man vorübergehend wir¬ 
kende Drastica giebt, sei es Aloe, Ricinus, Curella- 
sches Pulver, Schweizer-Pillen, die ja als wirksamsten 
Bestandtheil Aloe enthalten, oder was sonst. Es 
ist auch sehr wohl erklärlich, dass von den idio¬ 
pathischen Stockungen des Unterleibes aus Gehörs- 
Störungen erfolgen auf sympathischem Wege. So 
hatte Patientin Ohrensausen , und konnte dies wie¬ 
derum sehr wohl unter bewandten Umständen zu 
den gedachten Hallucinationen führen. 


Schmerzen aber, von denen ein zweiter Bericht 
Kunde giebt, von dem rechten Beckenknochen, im 
Rücken und von dem Ende der Wirbelsäule sind 
leicht auf den mechanischen Druck der harten 
Faeces zu beziehen. — Endlich heisst es noch: 
„Wenn sie zu Mittag isst, sei es auch nicht viel, 
spürt sie gleich einen Druck über dem Magen. 
Sie ist leicht zu Magenkrampf geneigt, wenn sie 
etwas geniesst, was Blähungen verursacht.* — 
Dies also das ziemlich genaue Krankheitsbild 
zur Zeit, als Aurum in oben besprochener Weise 
zu Hilfe gekommen, und scheint mir Selbst- oder 
blosse Naturheilung um so gewisser ausgeschlossen 
werden zu sollen, da ich fast zu derselben Zeit 
einen ganz analogen Fall ähnlich günstig verlaufen 
sah unter dem Gebrauch des Goldes, und mir das 
Mittel in Bezug auf seinen grossen therapeutischen 
Nutzen in der fraglichen Richtung auch von früher 
her hinlänglich bekannt ist. 


Epidemiologische Ecke. 

An Mittheilungen sind ein gegangen: 

Dierkes-Paderborn berichtet am 8./6., dass er 
noch immer die Epidemie mit Calc. phosph. -|- 
Nux vom. habe. 

Leeser-Bonn hatte am 31./5. und 1./6. Kal. 
carb, -f- Lach.; am 2. Lijcopod. bei rechtsseitiger 
Diphtherie und bei Bronchitis bei Kindern mit Nasen - 
flügelathmen; am 3. Veratr. auch am 7.; am 9. Ac. 
mur. -f- Lach.; am 10. theils Natr. carb. -f- Tone, 
theils Natr. carb. -f- Lach.; am 11. Natr. carb. -f- 
Tonc. bei acuten Fällen: Leib - und Magenbe¬ 
schwerden mit gelb- und braunröthlichem Durch¬ 
fall, bei chronischen Fällen Bar. carb. -f- Led., 
Ferr. auch Ac. nitr. -f- Op.; am 12. theils Natr. 
carb. theils Kal. carb. -f* Tone., Abends Ac. nitr. 
-f- Bell.; am 13. Ac. nitr. -f- Bell., ferner Natr. 
carb. -f- Coccul. = Hep. sulf. calc., bei chronischen 
Fällen Sulf. -f- Acon. = Berber., bei Lues Ac. 
phosph. -f- Bell. = Ac. nitr.; seit dem 15. hat er 
Kal. carb. -f- Led. (wohl Phosph.). Am 10. schrieb 
er noch: „Dazwischen kommt immer wieder Kal. 
bichr., das mit Apis in grossen Zügen alternirend 
wiederkehrt und der Epidemie den Stempel auf¬ 
drückt. 44 

Kirn-Pforzheim teilt am 3./6. mit: lediglich 
Bar. carb. -f- Tone, und Natr. mur. -f- Led.; am 
11. noch immer viel Masern mit = Tart stib. und 
= Kal. bichr., bei Darmkatarrhen (starkriechende 
Ausleerungen) Kreos. -f- Sabadill.; am 15. sehr viel 
Masern fast nur mit Natr. mur. -f- Led., bei Husten 
der Kinder Phosphor. 

Stiegele- Stuttgart berichtete am 7./6.: in den 
letzten Tagen viele gastrische Störungen: Schweiss- 


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neigung, Depression, gelbliche Gesichtsfarbe bezw. 
Sattel über die Nase: meist Sepia. 

Ich-hier hatte bis 4./6. vorwiegend noch Ac. 
nitr. -f- Nicot. = Sepia; am 5.—7. Natr. mur. 
-j- Led.; am 7. begannen sich Fälle mit Oalc. 
phosph. -f- Nux vom. (wohl Sep.) einzustellen, bei 
denen die von Coli. Dierkes als allgemeine Symp¬ 
tome bezeichnten blauen Lippen, blaue Zunge und 
gelblicher Teint fast ausnahmslos sofort in die 
Augen fielen; diese Combination herrschte vor bis 
zum 14., als nach heftigen Gewittern am 13. sich 
kühles, trübes Wetter eingestellt hatte; ausserdem 
kamen in dieser Zeit nicht selten Calc. phosph. -j- 
Chin. (wohl Natr. mur.) bei besonders hervor¬ 
tretender Schwäche, blassbläulichen Lippen und 
Zunge, grosse Frostigkeit, Verschlimmerung Vor¬ 
mittags, ferner Calc. phosph. -f- Ws bei Herzneu¬ 
rosen in Folge von Influenza, Calc. phosph. -)- 
Led. besonders bei Kindern mit Masern, Durchfall 
oder hartnäckiger Verstopfung, heftigen Kopf¬ 
schmerzen und tief geröthetem heissen Kopf und 
kalten Füssen vor; Bar. carb. -f- Tone, tritt immer 
häufig auf besonders bei chronischen Fällen, am 
15. und 16. war es vorherrschend; seit dem 17. 
habe ich Kal. carb. -f- Led. 

Weiss-Gmünd berichtet am 8./6., dass die Influenza 
ziemlich erloschen ist, Tussis convuls. mehr und 
mehr zunimmt; dabei mit Cupr. -f- Bell, und 
Cupr. -j- Ipecac sehr günstiger Verlauf; sporadische 
Magen- und Darmkatarrhe Veratr. (nach seinem 
Schmerzpunkt); sonst wenig Kranke; Phthisiker be¬ 
finden sich besonders schlecht. 

Buob - Freudenstadt hat immer viel Wechsel; 
vom 30. kamen vorzugsweise Magen- und Darm- 
katarrhe mit theilweiser ikterischer Färbung; auf¬ 
fallend ist die Häufigkeit der Indication von Jod 
neben Natr. carb. 

Sigmundt-Spaichingen hat noch immer Natr. nitr. 
-f- Nicot.; bei delirirenden Kranken Rhus tox. 

Hagel-Ravensburg schreibt am 10./6.: in diesen 
Tagen Ipecac., Nux vom und Veratr., seltener 
Argent. nitr., Led., Mercur. 

Köck-München hat seit dem 28./5. Cuprum- 
Affektionen. 

Stuttgart, den 20. Juni 1892. 

Dr. med. H. Göhr um. 

In Nr. 36 u. 37 der Allg. Med. Central-Ztg. 
beleuchtet Dr. Lange in Stettin die dritte In¬ 
fluenzaepidemie vom empirischen Standpunkte aus. 

Herr Dr. Lange ist ein alter erfahrener Rade- 
macherianer und haben wir seine epidemiologischen 
Erfahrungen schon von jeher mit grossem Interesse 
verfolgt. 

In der eisten Influenzaepidemie waren seine 
epidemischen Mittel: Nitrum, Chelidon., Aq. gland.; 
in der zweiten: Ferrum und Aq. Quassia; in der 


dritten (vom September bis Januar) Natr. nitric. 
und Aq. nuc. vom., und vom Januar bis Anfang 
Mai Aq. gland. und Card, marian. 

Wir ersehen hieraus, dass die Leber in allen 
drei Epidemien gleich betheiligt war, sich aber in 
jedem Jahre ein anderes Mittel nothwendig machte, 
dahingegen die Milz nur in der ersten Epidemie 
und der zweiten Hälfte der dritten, während ihr 
Heilmittel stets dasselbe blieb. 

Nur in der dritten Influenzaepidemie des ver¬ 
flossenen Winters änderte sich demnach der genius 
epidemicus, obgleich auch hier im Grossen und 
Ganzen die Erscheinungsformen ungeändert blieben. 
„Krankheiten, welche durch gleiche Mittel schnell 
und sicher zur Heilung geführt werden, müssen 
gemeinsamen Ursprungs sein, mögen sie in ihrer 
Erscheinungsweise noch so sehr differiren, und so 
hat sich in diesen Epidemien wiederum die Ein¬ 
heitlichkeit der verschiedensten Formen bewährt.* 

Was werden die Mitarbeiter der „Epidemio¬ 
logischen Ecke“ hierzu sagen?-Es hat uns 

und jedenfalls auch vielen anderen Lesern niemals 
einleuchten können, dass deren „epidemische Mittel* 
täglich, ja sogar an manchen Tagen 2- bis 3mal 
wechselten. Einen solchen Wechsel der Mittel, 
so weit er nach causalen oder homöopathischen 
Principien indirt ist, gestehen wir ohne Weiteres 
zu, nur soll man diesen beständigen Wechsel nicht 
in ursächlichen Zusammenhang mit dem herrschen¬ 
den genius epidemicus bringen. Das ist paradox 
und hat mit der jeweilig herrschenden Epidemie 
absolut nicht« zu thun, weil letztere unmöglich 
fortgesetzt täglich oder an einem und demselben 
Tage 2—3mal wechseln kann. Auffällig bleibt auch, 
dass Coli. Weihe selbst, nach seinen Veröffent¬ 
lichungen, niemals diesen beständigen Wechsel der 
Mittel in seiner Praxis für indicirt gehalten hat. 

Die Anhänger der „ Weihe'schen Methode * 
schiessen daher in ihrer Auffassung der epide¬ 
mischen Mittel über’s Ziel hinaus und sind uns 
den Beweis noch schuldig, dass die nach der Methode 
der Druckpunkte gewählten Mittel auch epidemische 
sind. Ob die von ihnen gehandhabte Mittel¬ 
wahl nach Druckpunkten eine bewährte und rich¬ 
tige ist, darüber haben wir keine Erfahrungen, wir 
bestreiten nur die Benennung solcher Mittel als 
epidemische. 

Die oben citirte Arbeit von Dr. Lange sollte 
jedenfalls den Mitgliedern der „Epidemiologischen 
Gesellschaft* zu denken geben und es ihnen nahe 
legen, ihre Mittel fortan nicht mehr „epidemische* 
zu nennen. Hoffentlich wird die demnächst statt¬ 
findende erste Generalversammlung der Epide¬ 
miologischen Gesellschaft hierin Remedur schaffen 
und einen anderen Namen für die nach der Weihe¬ 
schen Methode gefundenen Mittel in Vorschlag 
bringen. Dr. Haedicke. 


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m 


Bticherscliau. 

Die Heilerfolge der inneren Schleimhaut- 

Maes&ge bei chronischer Erkrankung der Nase, 
des Hachens, Ohres und Kehlkopfs von Dr. Karl 
Laker in Graz, und die Massage der Nasenschleim¬ 
haut von Dr. Lahmann, weisser Hirsch bei Dresden, 
letzterer Aufsatz in Nr. 38 und 39 der Allg. Med. 
Centr. Ztg. erschienen, behandeln die mechanische 
Therapie der chronischen Nasenrachencatarrhe, 
die sich leicht mit der Medikation der homöo¬ 
pathischen Arzneimittel verbinden lässt, um auf 
solche Weis© diese crux aller Aerzte und Patienten 
um so schneller zur Heilung zu bringen. 
Lahmann geht von der bekannten Thatsache 
aus, dass die lederne Fussbekleidung die Ausdünstung 
des Fusses verhindert und somit indirect zur Ent¬ 
stehung der chronischen Rhinitis simplex et foetida 
(Ozaena) und Rhinitis foetida atrophicans beiträgt, 
welche ihrerseits wieder Beschwerden wie: Mund¬ 
atmung, Asthma, Ohrensausen, Congestionen, Nasen- 
und Gesichtsröte, Stimhöhlencatarrhe, Neuralgien, 
Cephalalgien, vicariirende Nasenblutungen bei der 
Menses im Gefolge haben. 

Zur erfolgreichen Behandlung dieser hartnäckigen 
Leiden massirt Lahmann mit einer von ihm ange¬ 
gebenen 8onde (zu beziehen von Carl Wendschuh 
in Dresden, Trompeterstr. 8) die Nasenschleimhaut in 
Sitzungen von einigen Sekunden bis zu 3 Minuten 
Dauer und verbindet damit zugleich eine rationelle 
Bekleidung und Therapie der kalten Füsse ^barfuss- 
laufen oder Sandalen, Wechselfussbäder von 12° u. 
30" R., kalte Uebergiessungen etc.). An einigen 
Krankengeschichten wird diese Massage der Nasen¬ 
schleimhaut in anschaulicher Weise erläutert. Von 
stets prompter Wirkung war auch die durch eine 
etwas dickere Sonde von dem unteren Nasengange 
ausgeführte Massage der Choanen an der hinteren 
Rachenwand bei chronischem Rachencatarrh. War 
es ein feuchter Catarrh mit starker Gefässfüllung 
und Succulenz der Schleimhaut, so trat bald ein 
Abschwellen ein; war es aber ein trockener, atro¬ 
phischer Rachencatarrh, so wirkte die Massage günstig 
— weil sie die arterielle Fluxion anregte, und die 
noch erhaltenen Schleimdrüsen zu stärkerer Sekretion 
brachte und somit die Schleimhaut in ihrer ganzen 
Ausdehnung zunächst dauernd angefeuchtet wurde. 
Unter dem Schutze dieser Anfeuchtung konnte die 
weitere Aufquellung und Wiederherstellung der 
normalen Circulation und Ernährung statthaben/ 
Ein ähnliches Thema: „über das Ansaugen der 
Nasenflügel“ bespricht Dr. Moritz Schmidt-Frank¬ 
furt a. M. in der deutschen medic. Wochenschrift 
Nr.4 und betont auch er die Folgen der Verengerungen 
in der Nase: Mundatbmen, Asthma, Ohrensausen, 
Migräne, Aprosexie etc. Er hat ein einfaches In¬ 
strument construirt, welches in der Nase zu tragen 


ist (zu beziehen von Feldbauch, Wiesbaden, Philipps- 
bergerstr. 43), und das lästige Austrocknen des 
Mundes, die Fuligobildung und bei Kehlkopfcatarrhen 
den schädlichen Einfluss der kalten Luft abhält, 
wie er aus eigener Erfahrung an sich selbst be¬ 
stätigen kann. Wir verweisen die Herren Collegen 
behufs der näheren Details auf die Originalartikel 
und können aus Erprobung in der eigenen Praxis 
die Massage der Nasenschleimhaut nach der Lah- 
mann’schen Methode in geeigneten Fällen nur bestens 
empfehlen. 

Die Erfolge des Messers von Prof. Albert 
in Wien. Antwort auf die Broschüre: „Unter 
der Herrschaft des Messers, ein Mahnwort von 
einem Freunde der leidenden Menschheit,“ 

Prof. Albert unternimmt es, die Behauptungen . 
und den „unglaublichen Angriff“ zu widerlegen, der 
in dieser Broschüre „aus unverstandenen Ziffern 
gegen die neuere Chirurgie geschmiedet wird“, 
überlässt es aber den Internisten, ihre Sache selbst 
zu vertheidigen. Den Verfasser der Broschüre nennt 
Prof. Albert „der Kürze halber“ V, und enthüllt 
damit ziemlich sicher den anonymen Apologeten 
Prof. Wintemitz. Wenn letzterer durch seine Ano¬ 
nymität verhindern wollte, dass seine Persönlichkeit 
nicht herabgesetzt und lächerlich gemacht würde, 
so ist dies ihm nicht gelungen, denn Prof. Albert 
springt mit ihm um, wie mit einem Anekdoten¬ 
erzähler. 

Sachlich weist Prof. Albert nach, dass man mit 
Zahlen alles beweisen könne oder wie Dr. Ter- 
wagne in dem ersten Aufsatz dieser Nummer sagt, 
dass die statistischen Zahlen in der Medicin so gut 
wie gar keinen Werth haben. Er beweist, dass ge¬ 
rade der Jahrgang 1856 das niedrigste Mortalitäts¬ 
percent bei den Operationen aufzuweisen hatte, und 
dass die Mortalitätsziffern des Jahres 1856 und der 
vorausgegangenen Jahre sich nur auf die Abthei¬ 
lungen des allgemeinen Krankenhauses beziehen, 
nicht aber auf die Kliniken, wo doch die meisten 
und wichtigsten Operationen gemacht werden. Um 
jeden Zufall auszuschliessen, hätten also Reihen 
von Jahrgängen von vornherein gewählt werden 
müssen, wodurch das Resultat der statistischen Zu¬ 
sammenstellungen ein ganz anderes und zwar ein 
zu Gunsten der modernen Chirurgie sprechendes 
geworden sein würde. 

Ein ferneres Moment, welches für die Erfolge 
des Messers spricht, macht Prof. Albert auf Seite 14 
geltend. „Die antiseptische Behandlung setzt uns 
heutzutage in die Lage, zahllose kleinere Opera¬ 
tionen ambulatorisch zu machen, die man im Jahre 
1856 überhaupt nicht machte, wie die vielen ortho¬ 
pädischen und anderen Operationen, die man nur 
gemacht hätte, wenn der Kranke sich auf die Klinik 
hätte aufnehmen lassen, um in Pflege, Behandlung 

26 a 


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and Ueberwachung za bleiben. Nun hat sich die 
Masse des ambulanten Materiales angemein vermehrt, 
auf meiner Klinik gegen das Jahr 1856 mindestens 
verzehnfacht. Die in der Ambulanz vorgenom¬ 
menen Operationen stehen aber in den Jahresberich¬ 
ten des Krankenhauses nicht. Da aber gerade sie 
niemals von einem tödtlichen Ausgange begleitet 
sind, so würde ihre Aufnahme in den Jahresbericht die 
heutigeMortalitätsziffer ganz bedeutend herabdrücken, 
ln der Wirklichkeit besteht also ein viel 
kleineres Mortalitätspercent; nur auf dem 
Papiere steht es nicht. Herr V. benützt nur 
die auf dem Papiere stehenden Zahlen, die übrigen 
kennt er nicht. Er ist also im Irrthum über die 
Wirklichkeit.* 

Zur Begründung der Erfolge des Messers preist 
Prot. Albert die Antiseptik als eine Frucht chirur¬ 
gischer Arbeit, durch rein wissenschaftliche For¬ 
schung angeregt, ohne irgendwelche Mitbetheiligung 
der Laienkreise. „Unsere Epigonen werden das, 
was wir alles gesehen und erlebt haben, nur aus 
der Lektüre kennen. Sie werden die Schilderungen 
für unglaublich erklären, unsere damaligen Irrthümer 
für unbegreiflich.* 

Unbegreiflich ist uns jüngeren Aerzten aller¬ 
dings, wie die früheren Chirurgen die im gesell¬ 
schaftlichen Verkehr übliche Reinlichkeit und Sau¬ 
berkeit — am Operationstisch so gänzlich ausser 
Acht lassen und sich erst so spät zur Asepsis ent¬ 
schlossen konnten. Die Gründe dafür sind wohl 
ähnliche, wie für den hundertjährigen Missbrauch 
des Aderlasses, man fasste nur auf der wissen¬ 
schaftlichen Begründung, um die Erfolge der Praxis 
und die Warnungen des Praktikers kümmerte man 
sich nicht. 

Auf die Frage nach den Ursachen der gestei¬ 
gerten Operationslust: .Was nützt es der Mensch¬ 
heit im Allgemeinen, wenn einer durch eine Opera¬ 
tion gerettet wird und ein anderer muss dafür sein 
Leben lassen?“ — erhalten wir die Antwort: „Es 
nützt der Menschheit im Allgemeinen, wenn zehn 
sterben, damit hundert Andere leben können.* Wie 
lange aber? Wie lange z. B. die Krebskranken 
nach der gelungenen Operation? Weshalb drängt 
man diese Kranken zur Operation? Es kann nur 
die „enorm gesteigerte Operationslust* sein, und 
bei vielen Chirurgen hat dieses Drängen zweifellos 
auch „einen eminent praktisch-finanziellen Hinter¬ 
grund*. Geheimrath Ried, Professor der Chirurgie 
in Jena, hat uns gelehrt, einer an carcinoma mammae 
leidenden Kranken niemals die Operation vorzu- 
scblagen, sondern nur auf deren Wunsch zu ope- 
riren. Herrn Prof. Albert könnte diese Richt¬ 
schnur nur zur Beachtung empfohlen werden. Das 
Gebahren der Chirurgen hat auch sonst oft einen 
eminent praktisch-finanziellen Hintergrund, denn 
wenn ein Chirurg trotz des vorher ausbedungenen 


und zugestnndenen doppelten Honorars für den 
Druckbogen eine der Redaktion zugesicherte Arbeit 
nicht liefert, sondern stillschweigend vertragsbrüchig 
wird und nichts wieder von sich hören lässt, was 
soll man davon denken? — 

Wir homöopathischen Aerzte haben oft Gelegen¬ 
heit, selbst da noch Heilung zu erzielen, wo schon 
eingreifende Operationen gemacht oder in Aussicht 
gestellt sind. Ich selbst bin wegen eines scrophu- 
lösen Drüsenleidens im Alter von 18 Jahren zwei 
Jahre lang in chirurgischer Behandlung gewesen, 
und nacheinander vom Geh. Sanitätsrath Wilke, 
Prof. Kraske, Prof. Volkmann in Halle und von 
Prof. Ried in Jena ohne jeden Erfolg operirt wor¬ 
den. Statt der hier bethätigten Operationslust hätte 
man mich — in Erkenntniss der Thatsnche, dass 
ein lokalisirtes Allgemeinleiden sicherer durch eine 
allgemeine Behandlung zu heben ist — sofort in 
eine entsprechende Allgemeinbehandlung nehmen 
müssen, statt immer und immer wieder zum Messer 
zu greifen. Auf Zureden einer Dame, deren Sohn 
der Fuss wegen Caries von Volkmann amputirt 
werden sollte, vom verstorbenen Collegen Kirsten 
in Leipzig aber ohne jede Operation wieder her¬ 
gestellt wurde, consultirte auch ich Dr. Kirsten und 
wurde ebenfalls nicht nur definitiv geheilt, son¬ 
dern auch gleichzeitig ein eifriger Anhänger der 
Homöopathie. Als der genannte Knabe später dem 
Prof. Volkmann geheilt vorgestellt und ihm — wie 
es selten geschieht! — der wahre Sachverhalt mit- 
getheilt wurde, war er natürlich nicht sehr erbaut 
und schob den Erfolg auf die Selbsthilfe der Natur¬ 
heilkraft, wogegen die Mutter sehr treffend bemerkte, 
dass die Amputation dieses Resultat doch für immer 
vereitelt haben würde. 

Einen anderen nicht minder bemerkenswertben 
Fall erzählte uns ein College, wo ein von Autori¬ 
täten für inoperabel erklärtes Sarkom durch hydro¬ 
therapeutische und hygieuisch - diätetische Mass- 
regeln innerhalb 7 Monaten völlig geheilt wurde. — 
Es fällt uns nicht im mindesten ein, die grossen 
Erfolge des Messers in Abrede stellen zu wollen, 
eine „enorm gesteigerte Operationslust* besteht 
aber in der That und muss es unsere ernste Pflicht 
sein, derselben überall da entgegenzutreten, wo 
keine zwingenden Indicationen für eine Operation 
vorliegen. Dr. Haedicke. 

Lesefrüchte. 

Salinger. A case of antipyrinc poisoning with the 
formation of memhranes in the mouth and Symp¬ 
toms of laryngismus stridulus . The americ. Journ. 
of the med. Sciences. Nr. 217. May 1890. 

Bei einer 53 jähr., 217 Pfd. schweren, an chron. 
Scbrumpfniere leidenden Frau stellte sich wenige 
Minuten nach Einnahme von Antipyrin 0,3 wegen 


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215 


periodischer heftiger Kopfschmerzen abwechselnd 
Hitze- and Frostgefühl ein, die Athmung wurde kurz 
and mühevoll, und es trat Schwellung der Lippen 
(bis aufs dreifache ihres normalen Volumens) und 
Zunge ein, welche nur mit Mühe herausgestreckt 
werden konnte. Puls schwach, irregulär. Spas¬ 
modische Zusammenziehungen der Nacken-, Gesichts¬ 
und Kehlkopfmuskulatur wurden so hochgradig, 
dass Pat. in Folge des Laryngospasmus cyanotisch 
wurde. Die Lippen wurden noch dicker, die stark 
geschwollene Zunge fand keinen genügenden 
Baum mehr in der Mundhöhle und lag vorgestreckt 
zwischen den Zähnen. Pat. war 36 Std. comatös, 
schwer zu wecken nnd verfiel, wenn ungestört, bald 
wieder in ihren bewusstlosen Zustand. Die Pupillen 
blieben 6 Tage lang stecknadelkopfgross. Urin 
musste in den ersten 24 Stunden mit dem Katheter 
abgelnssen werden; es waren 150 gr., er zeigte 
1,032 spec. Gew., reichlich Eiweiss, keine Cylinder, 
grosse Uratmengen. Weiter entwickelte sich ein 
die Attaque um fast 2 Monate überdauerndes urti¬ 
cariaähnliches Exanthem, zunächst nur zwischen den 
Fingern und Zehen, allmählich auch an Gesicht, 
Hals und Armen auftretend, Am 3. Tage bildeten 
sich auf Zunge, Lippen und Rachen pseudomem¬ 
branöse Auflagerungen, welche das Schlucken sehr 
erschwerten. Temperatur gesteigert, Morgens höher 
als Abends. Am Morgen des 4. Tages stellte sich 
Expectoration einer anfangs schleimigen, vom 5. 
Tage an blutig-eitrigen Flüssigkeit ein, und es 
würden bei der Besichtigung der Mundhöhle eine 
Anzahl bis wallnussgrosser Abscesse an Gaumen, 
Tonsillen und Zungenbasis constatirt. Bachen und 
Nasopharynx geröthet, Pat. bekam ähnliche Anfälle 
noch 2mal, da sie, die Ursache ihrer Erkrankung 
nicht kennend, bei Kopfschmerzattaquen von selbst 
Antipyrin wiedernahm. — Die Schwere der Intoxi- 
cationserscheinungen dürfte zum Theil wohl durch 
das bestehende Nierenleiden mit veranlasst worden 


sein. (Aus „Deutsche med. Wochenschrift 1891. 
Nr. 35, p. 1041.) _ 

Kleine Mittheilungen. 

Von einem Collegen in Preussen geht uns fol¬ 
gende Mittheilung zu, die uns an die Zeiten der 
grössten Zerrissenheit unseres gemeinsamen deut¬ 
schen Vaterlandes erinnert. Man lese und staune: 
„Bei einer kürzlichen Revision meiner Hausapotheke 
habe ich erfahren müssen, dass Deutschland immer 
noch nicht einig ist, denn für Preussen ist Leipzig 
und ebenso alles nichtpreussische Gebiet — Aus¬ 
land! Nach dem früheren Regierungsedict von 
1835 dürfen nach verschärften Verordnungen nur 
von Berlin homöopathische Arzneien bezogen wer¬ 
den — nie und nirgends vom Ausland!“ — 

Unglaublich, aber wahr, und wie wir hören, 
sollen auch im Grossherzogthum Hessen nicht min¬ 
der erfreuliche Zustände herrschen. Wir bitten die 
Herren Collegen, uns alle ähnlichen Erfahrungen 
zur Veröffentlichung mitzutheilen. 

Die Redaction 

Personalia. 

Herr Dr. Neusehaefer ist von Bebra nach Frank¬ 
furt a./M. verzogen. 

Die Herren Dr. Berlin, Dr. Sanders und Dr. 
Thom haben das Dispensirexamen bestanden. 

Herr Hofrath Dr. Hermann Welsch in Kissingen 
ist gestorben. 


Druckfehler-Berichtigung. 

In vor. Nummer muss es Seite 185, Zeile 8 
solidar pathologische Anschauung (statt solide) und 
Zeile 24 Licht- statt Tastempfindung heissen. 

Die Red. 


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d. Dr. LetzeI (im Winter in München, im Sommer in Tölz). 

Diese Nummer enthält 27* Bogen statt 2 Bogen. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttgart, Dr. StifTt-Leipzig und Dr. Haedicke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Gressner k Sohramm in Leipzig. 


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ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG 

UND 

Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 


EINHUNDERT-FÜNFUNDZWANZIGSTER BAND. 

(128. Band.) 


LEIPZIG. 

VERLAG VON WILLIAM STEINMETZ (A. MARGGRAFS HOMÖOPATH. OFFICIN) 

1892. 


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I. Inhalts-Verzeichniss 


No. 1 und 2. 

Seit© 


Bekanntmachung, die 60. Generalversammlung 
des Homöopathischen Centralvereins Deutsch¬ 
lands betr.1 

Einladung und Tagesordnung zur 1. General¬ 
versammlung der Epidemiologischen Gesell¬ 
schaft .3 

Zum 1. Juli 1892 .3 

Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkali¬ 
salzen. Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart . . 4 

Ueber Enuresis nocturna. Dr. H. Goullon 9 

Epidemiologische Ecke.11 

Jubiläum der Leipziger Poliklinik des homöo¬ 
pathischen Centralvereins.12 

Lesefrtiehte.13 

Referat.15 

Anzeigen.15 


No. 3 und 4. 

Die Potenzirung. Vergleichende Neuralanalyse 
von 17 Alkalisalzen. Physiologisch geprüft 
von Prof. Dr. G. Jaeger-Stuttgart (Forts.) . 17 

Akute Miliartuberkulose der Harnblase im An¬ 
schluss an eine chronische Lungentuberkulose. 
Vortrag, geh. von Dr. med. Stifft-Leipzig . 21 

Die Homöopathie und der Suggestionismus. Eine 
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München 

von Dr. Gerster-München.24 

Das Bruchband der Zukunft mit ringförmiger 
Lufbpelotte. Dr. Neuschäfer Frankfurt a. M. 27 
Zur Behandlung mit Tuberculin. Dr. Simon-Biel 28 


Epidemiologische Ecke.28 

Litteratur.29 

Lesefrüchte.30 

Rechnungsablegung.31 

Personalia.31 

Anzeigen.82 


No. 5 und 6. 

Seit« 

Die Potenzirung. Vergleichende Neuralanalyse 
von 17 Alkalisalzen; weitere physiologische 
Thatsachen. Physiologisch geprüft von Prof. 

Dr. G. Jaeger-Stuttgart. (Forts.) .... 33 

Prof.Kent über homöop. Behandlung derLageu- 
veränderungen des Uterus ohne mechanische 
Beihülfe. Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg 43 
Ein Fall zur Auto-Ison-Therapie. Dr. Buob- 


Freudenstadt.45 

Epidemiologische Ecke.46 

Entgegnung.47 

Berichtigung.47 

Personalia.48 

Anzeigen.48 


No. 7 und 8. 

Zur Potenzirung: Weitere physiologische That¬ 
sachen etc. Physiologisch geprüft von Prof. 


Dr. Jaeger-Stuttgart. (Schluss) .... 49 

Aus der Praxis. Dr. Kunkel-Kiel . . . . 57 

Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 

Göhrum-Stuttgart.60 

Lesefrüchte.61 

Nekrolog.63 

Anzeigen.64 


No. 9 und 10. 

Die 60. Generalversammlung des Homöopa¬ 
thischen Centralvereins Deutschlands zu Statt* 
gart am 9. u. 10. August 1892. Dr. med. 
Stift-Leipzig.65 


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Seite 


No. 15 und 16. 


IV 


Ueber die Art und Weise der Einwirkung des 
genius epidemicus. Vortrag, gehalten auf 
der 1. Generalversammlung der Epidemiolog. 
Gesellschaft zu Stuttgart von Dr. Leeser- 

Bonn. 68 

Bericht über die 1. Generalversammlung der 
Epidemiologischen Gesellschaft zu Stuttgart 


am 8. August 1892. Dr. Göhrum-Stuttgart 73 

Zur 50jährigen Jubelfeier der homöopathischen 
Poliklinik. Ein historischer Rückblick von 

Dr. Lorbacher-Leipzig.75 

Mittheilungen über die Diphtherie in Kiel . 77 

Ein homöopathisches Zaubermittel .... 78 

Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 

Göhrum-Stuttgart. 79 

Lesefrüchte. ... 79 

Anzeigen ..80 


No. 11 und 12. 

Wann dürfen wir ein Mittel * epidemisch“ 
nennen? Nebst Schlussfolgerung und einem 
Vorschlag. Referat,gehalten vonDr. Göhrum- 


Stuttgart .81 

Aus der Praxis. Dr. Albert Amberg ... 84 

Referate: Ein Urtheil H ahnemann's über die 
Cholera etc.; Cholera-Anfall oder Arsenik- 
Vergiftung; Ein Beitrag zur Geschichte der 

Arzneimittellehre.88 

Lesefrüchte.. 94 

Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 

Göhrum-Stuttgart.95 

Anzeigen.96 


No. 13 und 14. 


Aus der Praxis. Dr. Albert Amberg. (Forts. 

u. Schluss).97 

Unsere Vehikel. Thomas Apostata .... 103 

Eine prophylaktische Methode. Vortrag, ge¬ 
halten von Dr. Göhrum-Stuttgart . . . 104 

Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 

Göhrum-Stuttgart.110 

Die Unterstützungskasse für Wittwen homöo¬ 
pathischer Aerzte.111 

Rechnungsablegung.112 

Anzeigen.112 


Extra-Nummer. 

Die Cholera: Maassnahmen gegen dieselbe und 
ihre geschichtlich begründete, homöopa¬ 
thische Behandlung. Dr. med. Stifft- 
Leipzig. 


Seite 

Bemerkungen zur Cholerabehandlung nebst 
einer Statistik der Transporte durch die 
Sanitätscolonne, einer Uebersicht der bis 
zum 1. Oktober im Hamburgischen Staate 
stattgehabten Erkrankungen und Sterbefälle 
von Cholera und einem Anhang „ Wissen¬ 
schaftliche Experimente in den Hamburger 


Krankenhäusern*. Dr. Hesse-Hamburg . 113 

Beitrag zur Behandlung der Cholera durch 
Campher. Sanitätsrath Dr. Johannes Schwei- 
kert-Breslau.117 


Heimathliche Arzneikunde. Dr. Schier-Mainz 118 
Ein Rückblick auf die Controverse „Similibus 
an suggestis?“ Nebst kritischen Bemerkungen 
von Dr. med. Julius Fuchs-München . . 121 

Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 


Göhrum-Stuttgart. 125 

Referate. ..125 

Lesefrüchte. . 126 

Personalia.127 

Anzeigen.128 


No. 17 und IN. 

Danksagung.129 

Die Potenzirungsfrage. Prof. Dr. G. Jaeger 129 
„Heimathliche Arzneikunde.* E. Schlegel, 

Arzt in Tübingen.131 

Die Herbstversammlung des Sachs.-Anhalt. 
Vereins homöopath. Aerzte. Referent Dr. 

Haedicke-Leipzig . . 133 

Ein Rückblick auf die Controverse „Similibus 
an suggestis ?* Nebst kritischen Bemerkungen 
von Dr. med. Julius Fuchs-München. II. 136 
Ein Fall von Ekzem (Ekzema impetiginosum), 
aus der Praxis. Dr. med. H. Billig-Leipzig 141 
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 


Göhrum-Stuttgart.143 

Anzeigen.143 


No. 19 und 20. 

Hofrath Dr. Ed. Groos f 12. Dez. 1891. 
Nekrolog nach einem Vortrage, gehalten auf 
der Herbstversammlung des Sächs.-Anhaltin. 
Vereins homöopathischer Aerzte zu Magde¬ 
burg. Dr. Fr. Groos-Magdeburg . . . 145 

Ery sipelas habituale. Dr. Mossa-Stuttgart . 150 

Eine Heilung von Angina Ludovici durch 
Arsenik. Dr. med. Leeser-Bonn .... 155 

Eine Richtigstellung. Prof. Dr. G. Jaeger . 157 


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Seit« 


Nachtrag za dem Artikel „Heimathliche 
Arzneikunde 11 in No. 17/18, Bd. 125 dieser 
Zeitung. E. Schlegel, Arzt in Tübingen . 157 

Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 


Göhrum-Stuttgart.157 

Verwahrung. Dr. med. F. Katsch .... 158 

Erklärung. . j. * 159 

Referat: Prof. Jaeger’s Arbeiten in Amerika. 

Dr. Göhrum.159 

Personalia.159 

Anzeigen.160 


No« 21 und 22» 


Soll sich unsere Therapie auf die Pathologie 
oder auf die Symptomatologie stützen? 
Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg . . . 161 

Zur Potenzirungslehre. Prof. Dr. G. Jaeger 163 
An Herrn Thomas Apostata. Dr. med. H. Göhrum 164 
Ein weiterer Fall zur Auto-Ison-Therapie. Dr. 

Buob-Freudenstadt.166 

Schnelle Heilung einer Nierenentzündung durch 
Arsenik. Dr. Paul Lutze-Köthen . . . 166 


Zum Anträge Lorbacher. Dr. med. Leeser-Bonn 
Schlusswort zur Controverse „Similibus an 
suggestis?* Dr. med. Carl Gerster-München 
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 

Göhrum-Stuttgart. 

Erklärung. 

Eine in Vergessenheit gekommene schöne An¬ 
schaffung. William Steinmetz . . . . 

Ueber das Wesen des vermeintlichen „Hirn¬ 
drucks* und die Principien der Behandlung 
der sogenannten „Hirndrucksymptome*. 

Referat von Dr. Göhrum. 

Lesefrüchte. 

Druckfehler-Berichtigung. 

Anzeigen. 


167 

169 

171 

171 

171 


172 

174 

175 

176 



V 


No. 23 und 24. 

Salto 

Einladung zum Abonnement.177 

Einladung zur 2. Weih nachts Versammlung der 
Epidemiologischen Gesellschaft zu Frankfurt 
a. M. den 27. December 1892 .... 177 

Bekanntmachung.178 

Wodurch und worauf wirkt der Schwefel? 

~ Nach* Prof. Hugo Schulz-Greifswald. Dr. 

Mossa.178 

Die Methode des Prof. Brown Sdquard. Referat 

von Dr. Th. Kafka-Karlsbad.181 

Amerikanische homöopathische Zustände. A. 

Lorbacher . 184 

Zur Vehikel-Frage in der Homöopathie. Dr. 

med. Rob. Strudel-Jobnstown.185. 

Eine interessante Krankengeschichte. Assistenz¬ 
arzt Waszily.188 

Die zeitweilig herrsphenden Heilmittel. Dr. 
Göhrum-Stuttgart ......... 189 

Lesefrüchte ........... 189 

Berichtigung . . . 190 

Personalien . .191 

Anzeigen.191 


No. 25 und 26. 


Arzneiprüfungsresultate. Dr. med. H. Göhrum 193 
Die Berechtigung der Habnemann'schen For¬ 
derung das Auswirkenlassen der Mittel in 
chronischen Krankheiten. Dr. med. Lorbacher 197 
Prompte Heilung einer Lähmung. Assistenzarzt 

Waszily.197 

Ueber die physiologische Behandlung einiger 
Hautkrankheiten. Dr. Göhrum .... 198 

Referate.201 

Lesefrüchte.205 

Similibus an suggestis ? Mein Schlusswort. Dr. 

med. Julius Fuchs.205 

Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Dr. 

Göhrum-Stuttgart.206 

Nekrolog.207 

Personalia.207 

Druckfehlerberichtigung.207 

Anzeigen.207 


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VI 


Amberg S. 84. 97. 
Apostata 103. 

Biel 28. 

Billig-Leipzig 141. 
Buob-Freuden8tadt45.166. 
Fuchs-München 121. 136. 
Qerster-München 24. 169. 
Göhrum-Stuttgart 11. 28. 
46. 60. 73. 79. 81. 95. 


II. Mitarbeiter. 


104.110.125. 143. 157. 
159. 164.171.172. 189. 
Goullon-Weimar 9. 
Groos-Magdeburg 145. 

Haedicke-Leipzig 133. 
Hes8e-Hambrg.43.113.161. 


Kafka-Karlsbad 181. 
Katsch-Baden-Baden 158. 
Kunkel-Kiel 57. 

Ijeeser-Bonn 68. 155.167. 
Lorbacber-Leipzig 75. 184. 
Lutze-Köthen 166. 


Jager-Stuttgart 4. 17. 38. M°“»-8tuttgart 150. 178. 
49. 129. 157. 163. ^euschäfer*Frankf.a.M.27. 


Bchier-Mainz 118. 

Schlegel - Tübingen 131. 
157. 

Schweikert-Breslau 117. 
Steudel-Johnstown 185. 
Steinmetz-Leipzig 171. 
8tifft-Leipzig. Extra - No. 
21. 65. 

Waszily 188. 


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II. Register 

zum 125. Band. 


Abortus, habitueller (Lesefrüchte) 174. 

Alkalisalze, die unteren Potenzen der, von Prof. 
Dr. G. Jäger-Stuttgart 4. 

Allgemeine Impfkrankheiten in Folge von Impfung 
mit Pockenlymphe (Lesefrüchte) 14. 

Angina Ludovici, eine Heilung durch Arsenik von, 
Dr. Leeser-Bonn 155. 

Anschaffung, eine in Vergessenheit gekommene 
schöne, von W. Steinmetz-Leipzig 171. 

Antipyrinvergiftung (Lesefrüchte) 189. 

Apostata Thomas, an Herrn, von Dr. Göhrum- 
Stuttgart 164. 

Arsenik, schnelle Heilung einer Nierenentzündung 
durch, von Dr. Lutze-Köthen 166. 

Arsenik-Vergiftung, ein Fall acuter (Lesefrüchte) 14. 

Arsenik-Vergiftung oder Cholera - Anfall von Dr. 
Keppler-Venedig 93. 

Arzneikunde, Heimathliche, von Dr. Schier-Mainz 118. 

Arzneikunde, Heimathliche, von Dr. Schlegel-Tübingen 
131. 157. 

Arzneiprüfungsprotokolle von Dr. Göhrum - Stutt¬ 
gart 193. 

Auto-Ison-Therapie, ein Fall zur, von Dr. Buob- 
Freudenstadt 45. 

Auto-Ison-Therapie, ein weiterer Fall zur, von Dr. 
Buob-Freudenstadt 166. 

Bandwurm, gegen, Strontium (Lesefrüchte) 62. 

Bandwurm und Intercostalneuralgie (Lesefr.) 190. 

Behandlung, über die physiologische, einiger Haut¬ 
krankheiten von Mariano Semmola 198. 

Bekanntmachung, die 60. Generalversammlung des 
homöopathischen Centralvereins betr. 1. 

Bekanntmachung über das Porges’sche Stipendium 17 8. 


Berechtigung, die, der Hahnemann'schen Forderung 
des Auswirkenlassens der Mittel in chronischen 
Krankheiten von Dr. Lorbacher-Leipzig 197. 

Bericht über die 1. Generalversammlung der Epide¬ 
miologischen Gesellschaft zu Stuttgart am 8. Aug. 
1892. 73. 

Berichtigung von Dr. Schweikert-Breslau 190. 

Berichtigung von W. Steinmetz-Leipzig 47. 

Bromäthylnarkose, über die Anwendung der in der 
chirurgischen Praxis 15. 

Bruchband, das, der Zukunft mit ringförmiger Luft- 
pelotte von Dr. Neuschäfer-Frankfurt a. M. 27. 

Campher, Beitrag zur Behandlung der Cholera von 
Dr. Schweikert-Breslau 117. 

Cholera-Anfall oder Arsenik-Vergiftung von Dr. 
Keppler-Venedig 93. 

Cholera, Beitrag zur Behandlung der, durch Campher 
von Dr. Schweikert-Breslau 117. 

Cholera, die, Massnahmen gegen dieselbe und ihre 
geschichtlich begründete, homöopath. Behandlung 
von Dr. Stifft-Leipzig, Extra-Nummer. 

Cholera, ein Urtheil Habnemann’s über dieselbe und 
ihre Behandlung durch Campher, aus dem Jahre 
1831. 88. 

Cholera und Homöopathie von Dr. Schlegel-Tübingen 
126. 

Cholerabehandlung, Bemerkungen zur, von Dr. Hesse- 
Hamburg 113. 

Danksagung 129. 

Demonstration, der Entwickelung der Malariaparasiten 
durch Photographieen. Erste Reihe: Entwickelung 
der Amoeba febris malariae quartanae (Lesefr.) 30. 


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II 


Diphtherie, Mitteilungen über die, in Kiel von 
Assistenzarzt Waszily 77. 

Einladung und Tagesordnung zur 1. General¬ 
versammlung der Epidemiologischen Gesellschaft 3. 

Einladung zum Abonnement von der Verlagsbuch¬ 
handlung 177. 

Einladung zur 2. Weihnachtsversammlung der Epide¬ 
miologischen Gesellschaft zu Frankfurt a. M. 177. 

Ekzem (Ekzema impctiginosum), ein Fall von, aus 
der Praxis von Dr. Billig-Leipzig 141 

Entgegnung an den Apotheker Sauter-Genf von 
W. Steinmetz-Leipzig 47. 

Epidemiologische Ecke von Dr. Göhrum-Stuttgart 
11. 28. 46. 

Epidemiologische Gesellschaft zu Frankfurt a. M. 
Einladung zur 2. Weihnachtsversammlung 177. 

Erklärung in Sachen Dr. Katzsch, Dr. Göhrum und 
Dr. Schwarz 159. 

Erklärung von Dr. Göhrum-Stuttgart über Jäger’sche 
Riechversuche 171. 

Enuresis nocturna, über, von Dr. H. Goullon- 
Weimar 9. 

Erysipelas habituale, von Dr. Mossa-Stuttgart 150. 

Experimente, wissenschaftliche, in den Hamburger 
Krankenhäusern 116. 

Folge von Chinin-Gebrauch (Lesefrüchte) 14. 

Gebärrautterkrebs, ein frühzeitiges Erkennungs¬ 
mittel des (Lesefrüchte) 95. 

Generalversammlung, Bekanntmachung der 60., des 
homöopathischen Centralvereins 1. 

Generalversammlung, Bericht über die I., der Epide¬ 
miologischen Gesellschaft zu Stuttgart am 8. Aug. 
1892. 73. 

Generalversammlung I., Einladung und Tagesordnung 
der Epidemiologischen Gesellschaft 3. 

Generalversammlung 60-, des homöopath. Central¬ 
vereins zu Stuttgart am 9. und 10. Aug. 1892 
von Dr. Stifft-Leipzig 65. 

Glycosurie, über die toxische, insbesondere durch 
Uraniumnitrat erzeugte (Lesefrüchte) 94. 

Gynäkologie, was ich in der, zu verlernen gelernt 
habe (Lesefrüchte) 13. 

llahnemann'sche Forderung, die Berechtigung der, 
des Auswirkenlassens der Mittel in chronischen 
Krankheiten von Dr. Lorbacher-Leipzig 197. 

Harnblase, Acute Miliartuberculose der, im Anschluss 
an eine chionische Lungentuberculose. Vortrag 
gehalten von Dr. Stifft-Leipzig 21. 

Hauteruptionen, urämische, (Lesefrüchte) 127. 

Hautkrankheiten, über die physiologische Behand¬ 
lung einiger, von Mariano Semmola 198. 

Hautreflexe, die klinische Prüfung der, (Lese¬ 
früchte) 175. 


Heidelbeeren (Vaccinium Myrtillus) die therapeutische 
Verwendung (Lesefrüchte) 61. 

Heilmittel, die zeitweilig herrschenden von Dr. 
Göhrum-Stuttgart 60. 79. 95. 110. 125. 143. 
157. 171. 189. 206. 

Heilung, prompte, einer Lähmung 198. 

Hemichorea, ein Fall von saturniner, (Lesefrüchte) 205. 

Herbstversamralung, die, des Sächs.-Anhalt. Vereins 
homöopathischer Aerzte. Referent Dr. Haedicke- 
Leipzig 133. 

„Hirndrucksymptome*, über das Wesen des ver¬ 
meintlichen .Hirndrucks“ und die Principien der 
Behandlung der sogenannten, von Prof. Dr. Adam- 
kiewicz 172. 

Homöopathie die, und der SuggestioniBmus. Eine 
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München von 
Dr. Gerster-München 24. 

Homöopathie und Cholera von Schlegel-Tübingen 126. 

Impfkrankheit, allgemeine, in Folge von Impfung 
mit Pockenlymphe (Lesefrüohte) 14. 

Inflammation subite de Celluloid, (Lesefrüchte) 62. 

Jägers, Prof. Dr. G., Arbeiten in Amerika 159. 

Jodismus, ein Fall von schwerem acutem, (Lese¬ 
früchte) 205. 

Jodoform Vergiftung, ein schwerer Fall von, (Lese¬ 
früchte) 205. 

Jodtinctur ein sicheres Antidot gegen das Schlangen¬ 
gift (Referat) 202. 

Jubiläum der Leipziger Poliklinik des homöopath. 
Central Vereins von Dr. Stifft-Leipzig 12. 

14lauen- und Maulseuche derHausthiere (Referat) 203. 

Koliken und Lähmungen bei Bleikranken, recidivirende, 
ohne erneute Intoxication (Lesefrüchte) 126. 

Krankenhaus, Homöopathisches, Rechnungsablegung 
31. 112. 207. 

Krankengeschichte, eine interessante, von Assistenz¬ 
arzt Waszily 188. 

Kropf, Heilung durch Strophantus (Lesefrüchte) 62. 

Lähmung, prompte Heilung einer, von Assistenzarzt 
Waszily 198. 

Lähmungen und Koliken, recidivirende, ohne erneute 
Intoxication (Lesefrüchte) 126. 

Lesefrüchte 13. 14. 30. 31. 61. 62. 79. 94. 95. 
126. 127. 174. 175. 189. 190. 205. 

Literatur, über das Gross-Hering'sche Werk, vou 
Dr. Stifft-Leipzig 29. 

Lungentuberculose, eine chronische, im Anschluss 
an eine acute Miliartuberculose der Harnblase. 
Vortrag, gehalten von Dr. Stifft-Leipzig 21. 

Lupus, Unna wendet bei, statt Tuberculin einzuspritzen, 
die Autotuberculinisation durch Massage der er¬ 
krankten Stellen an, (Lesefrücbte) 61. 


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ffl 


Mamma, Rhagaden der, (Lesefrüchte) 127. 

Maul- and KlaneDseache der Haasthiere (Referat) 203. 

Methode, die, des Prof. Brown-Sequard, Refer. Dr. 
Kafka-Karlsbad 181. 

Methode, eine prophylaktische, Vortrag, gehalten von 
Dr. Göhrum-Stuttgart 104. 

Miliartubercalose, acute, der Harnblase im Anschluss 
an eine chronische Lungentuberculose. Vortrag, 
gehalten von Dr. Stifft-Leipzig 17. 

Mittheilungen über die Diphtherie in Kiel von 
Assistenzarzt Waszily 77. 

Mundseuche, die, des Menschen (Stomatitis epidemica) 
Referat 203. 

Nekrolog von Drysdalein Waterloo, von Dr. Kafka207« 

Nekrolog von Hofrath Dr. Ed. Groos 145. 

Nekrolog von Dr. Justus Weihe-Herford 63. 

Neuralanalyse, vergleichende, von 17 Alkalisalzen 
von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart 4. 17. 33. 49. 

Neurasthenie, über artificielle (Lesefrüchte) 79. 

Nierenentzündung, schnelle Heilung durch Arsenik, 
von Dr. Lutze-Köthen 166. 

©steomalakie, über Wesen und Behandlung der 
puerperalen, (Lesefrüchte) 13. 

Personalia 31. 48. 127. 159. 191. 207. 

Perubalsam, ein Fall von Intoxication durch, (Lese¬ 
früchte) 175. 

Poliklinik des homöopath. Centralvereins, Jubiläum 
derselben von Dr. Stifft-Leipzig 12. 

Poliklinik, zur 50jährigen Jubelfeier der homöopath. 
Ein historischer Rückblick, von Dr. Lorbacher- 
Leipzig 75. 

Porges’sches Stipendium 178. 

Potenzirung, die, Vergleichende Neuralanalyse von 
17 Alkalisalzen. Physiologisch geprüft von Prof.* 
Dr. G. Jäger-Stuttgart 4. 17. 38. 49. 

Potenzirung8frage, die, von Prof. Dr. G. Jäger- 
Stuttgart 129. 

Potenzirungslehre, zur, von Prof. Dr. G. Jäger- 
Stuttgart 163. 

Praxis, aus der, von Dr. Amberg-Arnsberg 84. 97. 

Praxis, aus der, von Dr. Kunkel-Kiel 57. 

Quecksilbervergiftung, eine letal verlaufene acute, 
entstanden durch Einreibung von grauer Salbe 
(Lesefrüchte) 62. 

Bechnungsablegung, für das homöopath. Kranken¬ 
haus zu Leipzig 31. 112. 207. 

Referat über die Anwendung der Bromäthylnarkose 
in der chirurgischen Praxis 15. 

Referate. Ein Urtheil Hahnemann's über die Cholera 
und ihre Behandlung durch Campher aus dem 
Jahre 1831. 88. 


Referate. Das natürliche Zweckmässigkeitsprincip in 
der Pathologie und Therapie (Grundlage und Ziel 
der Therapie vom teleologischen Standpunkt) 125. 

Referate. Ferrum phosphoricum 201. 

Referate. Kali phosphoricum 201. 

Reflexerscheinung, über eine, des Trigeminus und 
ihre therapeutische Verwendung (Lesefürchte) 31. 

Rhagaden der Mamma (Lesefrüchte) 127. 

Richtigstellung, eine, von Prof. Dr. G. Jäger-Stutt¬ 
gart 157. 

Rückblick, ein, auf die Controverse „Similibus an 
suggestis?“ von Dr. Fuchs-München 121. 136. 

Sächs.-Anbalt. Verein homöopath. Aerzte 133. 

Schlangengift, Jodtinctur ein sicheres Antidot gegen 
das, Referat 202. 

Schwefel? wodurch und worauf wirkt der, Nach 
Prof. H. Schulz-Greifswald von Dr. Mossa 178. 

Schlusswort zur Contro verse „Similibus an suggestis?* 
von Dr. Gerster-München 169. 

„Similibus an suggestis?* ein Rückblick auf die 
Contro verse von Dr. Fuchs-München 121. 136. 

„Similibus an suggestis?“ Schlusswort zur Contro- 
verse, von Dr. Gerster-München 169. 

„Similibus an suggestis?“ Mein Schlusswort von 
Dr. Fuchs-München 205. 

Soll sich unsere Therapie auf die Pathologie oder 
auf die Symptomatologie stützen, übersetzt von 
Dr. Hesse-Hamburg 161. 

Stotterns, Heilung des, (Lesefrüchte) 190. 

Suggestionismus, der, und die Homöopathie. Eine 
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München von 
Dr. Gerster-München 24. 

Sur quelques faits relatifs au balancement entre la 
circulation superficielle et la circulation viscerale 
(Lesefrüchte) 30. 

Symptome, über tertiär syphilitische subcutane, 
(Lesefrüchte) 62. 

Taubheit, ein Fall von permanenter, wahrscheinlich 
in Folge von Chinin (Lesefrüchte) 14. 

Tubercelbacillen, über das Vorkommen der, ausser¬ 
halb des Körpers in Gefängnissen (Lesefrüchte) 62. 

Tuberculin, zur Behandlung mit, von Dr. Simon- 
Biel 28. 

Ueber die Art und Weise der Einwirkung des 
genius epidemicus von Dr. Leeser-Bonn 68. 

Ueber Enuresis nocturna von Dr. H. Goullon- 
Weimar 9. 

Ueber Wesen und Behandlung der puerperalen 
Osteomalakie (Lesefrüchte) 13. 

Unterstützungskasse, die, für Witt wen homöopath. 
Aerzte 111. 

Urin, über die Ausscheidung der Kalksalze im, mit 
besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen 
zur Ruhe und Bewegung (Lesefrüchte) 16. 


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Uterns, Homöopathische Behandlung der Lagen- 
Veränderungen des, ohne mechanische Beihülfe, 
von Prof. Kent, übersetzt von Dr. Hesse- 
Hamburg 43. 

Vehikel-Frage zur, in der Homöopathie, von Dr. 
Steudel-Johnstown (U. 8. A.) 185. 

Vehikel, unsere, von Thomas Apostata 103. 

Vergiftung durch Arsenik (Leseflüchte) 14. 

Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkalisalzen 
von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart 4. 

Verwahrung von Dr. Katzsch 158. 


Wann dürfen wir ein Mittel «epidemisch* nennen? 
Nebst Schlussfolgerung und einem Vorschlag. 
Referat gehalten von Dr. Göhram-Stuttgart 81. 
Wehenschwäche (Lesefrüchte) 175. 

Zaubermittel, ein homöopatb., v.Dr.Brackner-Basel 79. 
Zeitung, die pharmaceutische 126. 

Zum Anträge Lorbacher von Dr. Leeser-Bonn 167. 
Zum 1. JuU 1892 Ton Dr. Göhram-Stuttgart 3. 
Zustände, amerikanische homöopathische, von Dr. 
Lorbacher-Leipzig 184. 

Zwerchfellsbewegungen, über die normaliter bei jeder 
Respiration am Thorax sichtbaren (Lesefrüchte) 95. 


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Band 125 


Leipzig, den 7. Jnü 1892. 


No. 1 u. 2 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STüTTGART, Dp. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homflopath. Offlein) in Leipzig. 


Bnoheint Ut&gfg «n 3 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Allo Buchhandlungen und 
Posianstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate , welohe an B. Moaae ln Leipzig und dessen Filialen su richten sind, 
werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit WM. berechnet. 


Inhalt: Bekanntmachung, die 60. Generalversammlung des Homöopathischen Central Vereins Deutsch¬ 
lands betr. — Einladung and Tagesordnung zur 1. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft — 

Zun I. Juli 1892. — Vergleichende Nenralanalyee von 17 Alkalisalzen, von Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart. — Ueber 
Enuresis nocturna' Von Dr. H. Goullon. — Epidemiologische Ecke. — Jnbilinm der Leipziger Poliklinik des homöo¬ 
pathischen Centralvereins. — Lesefriichte. — Referat — Anzeigen. 


Bekanntmachung. 

Die 60. Generalversammlung des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands wird wie gewöhnlich 

am 9. und 10. August 1892 in Stuttgart 

stattfinden, und zwar Dienstag den 9. August, präcis 9 Uhr Vonnittags: Geschäftliche Sitzung im 
Beeth0vevi8&ale der Liederhalle; Mittwoch den 10. August, präcis ] l 2 $ Uhl* in demselben Lokale die 
wissenschaftliche Sitzung. 


Tagesordn ung 

der Sitzung am 9. August 1892, präcis Morgens 9 Uhr: 

1) Abstimmung über die zur Aufnahme Angemeldeten. 

2) Geschäftsbericht: 

a) des Central vereins-Vorstandes, 

b) des Curatoriums des Krankenhauses, 

c) des derzeitigen dirigirenden Arztes, 

d) des Vorstandes der Berathungsanstalt. 

3) Rechnungslegung des Kassenverwalters und Ertbeilung der Entlastung auf Grund der von dem 
vereideten Revisor vorgenommenen Revision der Kasse und der Rechnungsablage. 

4) Neuwahl des Vorstandes auf die Zeit vom 9. August 1893—1896. 

(Voriges Jahr ist derselbe irrthümlich bereits pro 92—95 wiedergewählt worden, während 
er durch die Wahl vom 9./8. 1889 bereits bis 1893 gewählt war.) 

5) Neuwahl resp. Bestätigung des Kassenverwalters. 

6) Neuwahl resp. Bestätigung des Institutsarztes. 

1 


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2 


7) Bericht über die Vereinsbibliothek. 

8) Bestimmung des nächstjährigen Versammlungsortes. 


Anträge: 

1. des Centralvorstandes um nachträgliche Genehmigung der dem Cand. med. Johannes Drude 
in Göttingen gewährten Unterstützung. 


Tagesordnung am 10. August 1893, präcis V*9 Uhr Morgens: 

Wi886n8Chaftliche Sitzung unter dem Ehrenvorsitze des Herrn Obermedicinalrath Dr. V. Sick 
in Stuttgart 


* Angemeldete Vorträge: 

1. Rückblick auf die Entwickelung der Homöopathie in Württemberg. Dr. V. Sick in Stuttgart 

2. Das in der vorjährigen Sitzung bestimmte und von Dr. KrÖner zum Referat übernommene 
Thema: Ueber Herzkrankheiten. 

3. Homöopathie und Weltanschauung. Dr. Schlegel-Tübingen. 

4. Eine prophylaktische Methode. Dr. GÖhrum-Stuttgart. 


Fest - Programm. 

Montag, den 8* August, Abends 8 Uhr: Gesellige Vereinigung auf der Terrasse im Stadt¬ 
garten. 

Dienstag, den 9. August, Vorm, präcis 9 Uhr: Geschäftliche Sitzung im Beethovensaal der Lieder¬ 
halle. — ! / 2 12 Uhr: Gemeinsames Frühstück im Mozartsaal der Liederhalle, geboten vom Verein 
der homöopathischen Aerzte Stuttgarts. — 2 Uhr: Abfahrt in Extrawagen der Pferdebahn nach 
Berg zur Besichtigung der Kgl. Schlösser Wilhelms und Rosenstein, von da zu Fuss nach dem 
Kursaal in Cannstatt. Rückkehr in einem Extrawagen der 8taatsbahn nach Stuttgart. — Abends 
8 Uhr: Gesellige Vereinigung im Liederhallegarten mit Gesangsunterhaltung des Liederkranzes 
oder Räuniou. 

Mittwoch, den 10. August, Vorm, präcis */a 9 Uhr: Wissenschaftliche Sitzung im Beethovensaal 
der Liederhalle. — 1 Uhr: Diner im Mozartsaal der Liederhalle. — *^4 Uhr: Abfahrt in Extra¬ 
wagen der Pferdebahn nach dem Zahnradbahnhof, von da per Extrazug der Zahnradbahn nach 
Degerloch ins Schweizerhaus. Rückkehr ad libitum. — Abends 8 Uhr: Für die noch Anwesen¬ 
den gesellige Vereinigung auf der Terrasse im Stadtgarten. 

Weitere sehr empfehlenswerthe Ausflüge, die von Stuttgart leicht auszuführen sind: Ludwigs¬ 
burg mit der Domäne Monrepos (idyllische Wasserparthien). Gmünd mit Tour auf den 
Hohenstaufen und Rechberg. Tübingen mit Ausflügen nach dem Lichtenstein und 
Hohenzollern. 

Die Herren Collegen werden freundlichst gebeten, sich wegen Auskunft und Bestellung 
von Wohnungen au Herrn Collegen Dr. E. Stemm er-Stuttgart, Paulinenstr. 32, zu wenden, der 
auch den Versand der Theilnehmerkarten besorgt. Diese berechtigen gegen Abgabe des betr. 
angehängten Coupons an der Kasse zum freien Eintritt in den Stadtgarten am Montag den 8. und 
Mittwoch den 10. August, ferner gegen Vorzeigung derselben zum freien Eintritt in den Liederhalle¬ 
garten am Dienstag, den 9. August und in die Kgl Schlösser Wilhelma und Rosenstein, sowie zu un¬ 
entgeltlicher Benutzung der bereitstehenden Extra wagen. Jede Person, also auch die einzelnen 
Familienmitglieder, mögen sich deshalb mit je einer Theilnehmerkarte versehen, die auch in 
Stuttgart noch von Herrn Collegen Stemmer abgegeben werden. 


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3 


Einladung 

zu der 

am 8. August, 2 Uhr Nachmittags zu Stuttgart im hinteren Restaurationszimmer 
der „Liederhalle“ (Büchsenstr. 59) stattftndenden 

1. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft 

(§15 der Statuten). 


Tagesordnung: 

I. Geschäftliche Sitzung um 2 Uhr. 

1) Bericht des Schriftführers über die bisherige Organisation der Gesellschaft, die Art und 
Weise sowie die Kosten der Mittheilungen an die Mitglieder. 

2) Festsetzung des Mitgliederbeitrags für das 1. Jahr vom 23. Dezbr. 1891 bis 31. Dezbr. 
1692 (§ 4 der Statuten). 

3) Antrag des Dr. Simrock-Frankfurt a« M.: Abänderung des § 2 der Statuten. 

4) Vorschlag des Schriftführers behufs gleicbmässiger Anwendung von Zeichen bei der Bericht¬ 
erstattung. 

II. Wissenschaftliche Sitzung um 3 Uhr. 

1) Yortrag des Dr, Leeser - Bonn : Ueber die Art und Weise der Einwirkung des Genius 
epidemicus. 

2) Diskussion. 

3) Sonstige noch angemeldete Vorträge. 

t 

4) Referat des Dr. Gbhrum-Stuttgart: Wann dürfen wir ein Mittel „epidemisch“ nennen? 

NB. Zu der wissenschaftlichen Sitzung um 3 Uhr sind die HH. Collegen, die sich für unser 
Streben interessiren, freundlichst eingeladen. 


Znm 1. Juli 1892. 

Wenn auch ein 60jähriges Jubiläum an sich 
kein so bedeutendes ist wie z. B. ein 50jähriges, 
so glauben wir doch, den heutigen Tag nicht ohne 
einige Worte an unsere Mitarbeiter und Leser vor¬ 
übergehen lassen zu sollen. Und zwar aus zwei 
Gründen. 

Erstens ist das 60jährige, ununterbrochene Er¬ 
scheinen einer Zeitschrift, die noch dazu nur oiner 
kleinen Minorität dient, ein seltenes Vorkommen. 
Zweitens wollen wir bei diesem wichtigen und er¬ 
freulichen Anlasse aufs neue betonen, dass wir bei 
den Principien stehen bleiben wollen, die die drei 
Gründer dieser Zeitung vor 60 Jahren so muster¬ 
gültig aufgestellt haben — die Principien, die ein 


so langes Bestehen unserer Zeitung ermöglicht 
haben, die von allen nachfolgenden Redacteuren bei 
jedem wichtigen Momente aufs Neue hervorgehoben 
wurden, die gleichsam die bei jeder Aenderung in 
der Leitung zu beschwörende Eidesformel gebildet 
haben. 

Es wird darum nur im Interesse Aller derer 
liegen, die in irgend einer Weise mit unserer Zei¬ 
tung zu thun haben, auch zum heutigen festlichen 
Tage die am 1. Juli 1832 verkündeten Principien 
in gedrängter Kürze wiederzugeben. 

Seit der 100. Band erschien, hat so mancher 
den Plan verlassen, es ist so mancher an seine 
Stelle getreten, der noch nie diese goldenen Worte 
des „Prospektes“ im 1. Band zu Gesicht bekommen. 

„ Das, was wir wollen, ist Wahrheit , volle Wahrheit, 
— Wahrheit in den Naturwissenschaften, vor allem 

1 * 


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4 


in der Medicin. Das einzige Förderangsmittel dieser 
Wahrheit ist aber die Sorge dafür, dass die Medicin 
eine positive Wissenschaft werde, dass sie alle phan¬ 
tastischen Träumereien von sich thue, dass sie nur 
den Aussprüchen der Beobachtung und des Versuchs 
vertraue.“ 

9 Alles , was die Homöopathie fördern , ihre Dunkel¬ 
heiten und Ungewissheiten auf klären y ihre Ausübung 
leichter und sicherer machen kann , alles , was ihre 
äusseren Verhältnisse günstiger zu stellen vermag , 
wird unsere Beachtung verdienen und erhalten. — 
Es soll eine stete Uebersicht des jedesmaligen Stand¬ 
punktes der Homöopathie als Kunst und Wissen¬ 
schaft gegeben werden. —“ 

.Einen vorzüglichen Platz werden wir der Lite¬ 
ratur aufbewahren und Sorge tragen, dass die 
Kritik streng und gerecht sei. —“ 

, Krankengeschichten , wenn sie kurz und nicht 
langweilig geliefert werden, nur das Wesentliche 
berühren, und für die Wirkung einer Arznei be¬ 
weisend sind, müssen offenbar als das sicherste 
Förderungsmittel zur Erforschung der wahren Arznei¬ 
kräfte angesehen werden, indem sie gleichsam das 
Probeexempel für die Resultate abgeben, welche die 
Versuche an Gesunden geliefert haben. —“ I 

% Die Resultate der neu geprüften Arzneien in 
passenden Auszügen werden gleich allen anderen 
Wissenswürdigen der in- und ausländischen Lite¬ 
ratur geliefert.“ 

Die Berücksichtigung der äusseren Stellung der 
Homöopathie wird uns gar oft auf das Feld der 
Polemik versetzt sehen. »Hier aber sei das Losungs¬ 
wort: Kampf gegen die Sache, nicht Kampf gegen 
die Person.“ 

»Eine Zeitung kann nicht lange, noch weniger 
langweilige Aufsätze aufnehmen, die Kürze und Ge¬ 
diegenheit ist eine Hauptbedingung.“ — 

Nicht blos wir Redakteure wollen uns diese 
Grundregeln für die Leitung dieser Zeitung stets 
vor Augen halten bei dem Bestreben sowohl unseren 
Mitarbeitern als auch dem Interesse unserer Leser 
gerecht zu werden. Auch diese beiden, für das 
Leben einer Zeitung so wichtigen Faktoren mögen 
sich dieser stets erinnern, die einen, wenn sie die 
Feder zur Hand nehmen, die anderen, wenn sie die 
Erzeugnisse der Autoren zu Gesicht bekommen. 

Alle beide mögen bedenken, dass unsere Zeitung 
eine Allgemeine ist, dass sie als solche stets das 
neueste auf dem Gebiet der Homöopathie — komme 
es, von welcher Richtung es auch sei — bringen 
muss, sofern es nur sich auf Beobachtung und Ver¬ 
such, auf positive Arbeit stützt. Der Mitarbeiter 
möge sich also der Kürze und Gediegenheit be- 
fleissigen, der Leser einer wohl strengen aber auch 
gerechten Kritik. Von jeher war auch bei uns in 
der Homöopathie die Neigung vorhanden, gewisse 
Autoritäten zu respektiren: nicht immer zum Wohle 


der Sache und deren gedeihlicher Fortentwicklung. 
Wir wollen doch nicht in denselben Fehler verfallen, 
den wir der Schulmedicin so schwer anrechnen, 
Neues, unbegreiflich Scheinendes einfach, ohne jede 
ernste Prüfung zu verwerfen! 

Hoffen wir mit Zuversicht, dass es der treuen 
Mitarbeit Aller derer, die ein warmes Herz für 
unsere heilige Sache, für die Erforschung der Wahr¬ 
heit zum Wohle der Menschheit haben, sowie un¬ 
serem ernsten Bemühen die Leitung dieser Zeitung 
nach den durch 60 Jahre bewährten Grundsätzen 
weiter zu führen, gelingen möge, die Allgemeine 
Homöopathische Zeitung stets mit in der ersten Reihe 
der Vorkämpfer der Homöopathie und ihr Wirken 
von gutem Erfolge begleitet zu sehen!*) Göhrum. 


Vergleichende Neuralanalyse von 
17 Alkalisalzen. 

Von Prtf. Dr. ©. Jaeger-Stuttgart. 

(Fortsetzung.) 

c) Die unteren Potenzen der Alkalisalze. 

Die Gründe, aus denen ich die unter dem In¬ 
differenzpunkt liegenden Potenzen zuerst und geson¬ 
dert von den oberen gemessen habe, sind folgende: 

1) wollte ich mich möglichst rasch orientiren, 
ob eine so mühsame und zeitraubende Arbeit, wie 
die Durchmessung von mehr als 100 Stoffen, sich 
überhaupt lohne, hierfür genügte die Messung der 
untern Potenzen. 

2) Die für die Schulmedicin arbeitende Toxiko¬ 
logie und Arzneigabenlehre haben Erfahrungen über 
die unteren Potenzen, weil sie die Giftigkeit 
dieser Stoffe, die hier liegt, geprüft haben. An ihnen 
hatte nun die Neuralanalyse der unteren Potenzen 
eine Controlle; auch sie giebt Aufschluss über die 
Giftigkeitsverhältnisse, wenn auch nicht über alle, 
so doch über eine Seite derselben, die lähmende, 
und wenn nun das Ergebniss der Neuralanalyse 
mit den Erfahrungen der Toxikologen übereinstimmt, 
so ist das an und für sich schon werthvoll. Dann 
aber wirft das ein helles Licht auf die Messungs- 
ergebnisse an den oberen Potenzen, und zwar so: 

*) Da von der „Allgemeinen“ alljährlich 2 Bände 
4 26 Nummern oder IS Doppelnummern erscheinen, so 
dürfte am 1./7. 1892, dem Beginne des 61. Lebensjahres 
dieses Blattes, erst der 121. Band erscheinen. Es be¬ 
ginnt an diesem Tage jedoch bereits der 125. Band. 

Dies hat seinen Grund darin, dass in den ersten 
Jahren die Bände nur 23 oder 24 Nummern hatten, 
wodurch es kam, dass einzelne Bände bereits 4—5 
Wochen zeitiger erschienen, als bei Einhaltung des 
Kalenderjahres möglich gewesen wäre. Dadurch er¬ 
schienen bis zum Jahre 1877 4 Bände mehr, als hätten 
erscheinen sollen, und deshalb sind wir heute bereits 
beim 125. statt 121. Band. 


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5 


Die Neuralanalyse misst genau wie ein Thermo¬ 
meter zwei zu einem Nullpunkt entgegengesetzte 
Werthe: Lähmung und Belebung sind genau so 
entgegengesetzt, wie Kälte und Wärme. Nun 
wenn ein Optiker einen Thermometer macht, so 
bestimmt er den Nullpunkt und den Siedepunkt, 
damit hat er die Scala für die Wärmegrade, er 
schliesst nun ohne weiteres von ihr auf die Scala 
der Kältegrade und wenn ihm Jemand behaupten 
wollte, mit dem Thermometer könne man wohl die 
Wärmegrade messen, aber die Kältegrade? das sei 
Mumpitz, so würde er ihn getrost für verrückt 
erklären. 


Nun so ist es mit der Neuralanalyse auch: wenn 
sie die GiftigkeitsVerhältnisse, die sich in Lähmungs- 
werthen ausdrücken, richtig, d. h. übereinstimmend 
mit der allgemeinen Erfahrung angiebt, dann müssen 
auch die entgegengesetzten Ziffern, die Belebungs- 
werthe, reell sein und können nicht auf Zufall, 
Einbildung und wie sonst die Redensarten der 
Herren Critici lauten, beruhen. 

Das ist der Hauptgrund, warum ich die Neural¬ 
analyse zuerst auf die untere Hälfte der Scala der 
nervösen Wirkungen anwendete und diesen auch 
die nachfolgenden eigenen Tabellen widmete. 


HL Tabelle: Die unteren Potenzen der Kalisalze. 


Potenz 

3 

4 

5 


D 

8 

9 10 

11 12 13 14 15 

Somme der 
Minuswerthe 

Ka. jod. 

— 2 

— 1 

— 3 | 

+n 

+17 

+28 

+24 


6 

Ka. carb. 

—37 

—19 

-16 

—20 

— 8 

+ 8 

+10 


100 

Ka. solf. 

—40 

—13 

—15 

—19 

— 8 

+ 8 

+ 8 


95 

Ka. chlor. 

—40 

—23 

—13 

—14 

—10 

+ 6 

+ 9 


100 

Ka. nitr. 

—43 

—22 

—14 

—14 

—12 

+ 4 

+18 


105 

Ka. phosph. 

—43 

—28 

—26 

—25 

—28 

—20 

—12 —12 

c* 

1 

! 

00 

1 

** 

H 

i 

222 

Ka. brom. 

—70 

—46 

— 33 

—31 

—26 

—32 

—26 —25 

—28 —19 —17 —13 — 7 

372 

Mittel 

—39 

—21 

— 17 

—15 

-11 

— 1 

+ 4 


104 


1) Formell ist über vorstehende Tabelle fol¬ 
gendes zu sagen: 

a) Die obere Quercolumne giebt die Potenz¬ 
ziffern, sie gehen von 3—15, einmal weil ich bei 
allen diesen Messungen die 1. und 2. Potenz un¬ 
untersucht Hess, dann, weil die Tabelle so weit 
reichen muss, bis das widerspenstigste Salz, das 
Bromkalium, an seinem Indifferenzpunkt ange¬ 
langt ist 

b) Nun folgen in 7 Quercolumnen die Ziffern 
für die 7 gemessenen Salze. Wie weit in jeder 
Quercolumne die untern Potenzen reichen, wird 
einestheils ersichtlich aus dem Vorzeichen der Zah¬ 
len, das für die unteren Potenzen das Minus¬ 
zeichen, für die oberen Potenzen das Pluszeichen 
ist, anderntheils 'daraus, dass eine senkrechte Linie 
in jeder Quercolumne die Minus werthe von der 
Reihe der Pluswerthe trennt. Ich nenne dies die 
Indifferenzlinie. Sie liegt bei Jodkalium zwischen 
den Ziffern der 5. und 6. Potenz, bei den 4 näch¬ 
sten Salzen zwischen 7. und 8., bei Kal. phosph. 
zwischen 14. und 15., bei Kal. brom. hinter der 15.. 

c) Die letzte, mit t Mittel“ bezeichnete Quer¬ 
columne giebt für jede Potenz eine Mittelziffer, ge¬ 
bildet aus den 7 verschiedenen Salzen, behufs Ver¬ 


gleichung der Gruppe der Kalisalze mit der der 
Natron- resp. Ammoniaksalze. Die Bildung dieser 
Mittelziffer machte es natürlich nothwendig, von 
denjenigen Salzen, welche früher den Indifferenz¬ 
punkt erreichen, auch die Pluswerthe eines Theils 
der oberen Potenzen in die Tabelle aufzunehmen 
und zwar so weit, bis die betreffende Mittelziffer 
selbst einen Pluswerth ergab, was hier bei der 
9. Potenz eintrat. Wo die Potenz durchweg Minus- 
werthe erhält, wurden diese summirt und mit 7 
dividirt. Wo die senkrechte Columne, wie dieses 
von der 6. Potenz an der Fall ist, beiderlei Werthe 
enthält, wurden die Minus- und die Pluswerthe ge¬ 
sondert summirt, die Differenz gebildet und diese 
mit 7 dividiert. 

d) Da es bei der toxischen Eigenschaft eines 
Stoffes nicht blos darauf ankommt, welchen Läh¬ 
mungseffekt er auf einer bestimmten Potenz aus¬ 
übt, sondern auch darauf, wie lange seine Giftig¬ 
keit dem Verdünnungsverfahren Widerstand leistet, 
mit andern Worten, wie hoch sein Indifferenzpunkt 
liegt, so musste, um für beide Faktoren eine ein¬ 
zige Ziffer zu erhalten, für jedes Salz und für die 
Serie der Mittelziffem eine Summe gebildet wer¬ 
den aus den Minuswerthen, d. h. den Lähmungs- 


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effekten aller ihrer nntern Potenzen. Diese Ziffern 
enthält die letzte senkrechte Columne. 

2) Ueber den Inhalt der Tabelle ist zunächst 
zu sagen, dass der Verlauf der Indifferenzlinie diese 
7 Kalisalze in drei auffällig verschiedene Gruppen 
zerlegt: 

Die I. Gruppe bildet das Jodkalium mit einer 
ganz geringen Giftigkeit, was sich in der Tabelle 
in zweierlei Weise zeigt, 1) in den niederen Läh¬ 
mungsziffern der 3., 4. und 5. Potenz, 2) darin, 
dass der Umschlag von Lähmung in Belebung schon 
zwischen der 5. und 6. Potenz liegt. Beides zu¬ 
sammen spricht sich darin aus, dass die Summe 
der Minuswerthe nur 6 Points hat. 

Die II. Gruppe besteht aus 4 Stoffen, Kali car- 
bonicum, sulfuricum, chloratum und nitricum. Ihre 
dritten Potenzen haben Lähmungswerthe von 37 
bis 43 und der Indifferenzpunkt liegt bei ihnen 
allen zwischen der 7. und 8. Potenz, also um 2 
Potenzen höher als bei Jodkalium, und die Summe 
der Minuswerthe liegt bei ihnen zwischen 95 
und 105. 

Die III. Gruppe wird von Kali phosphoricum 
und bromatum gebildet, die allerdings unter sich 
wieder so verschieden sind, dass jedes eine Gruppe 
für sich bilden könnte. Das Gemeinschaftliche, 
was sie von den Gruppen I und II unterscheidet, 
ist die ausserordentlich hohe Lage des Indifferenz¬ 
punktes. Während er bei Jodkalium zwischen 5. 
und 6. Potenz, bei Gruppe II zwischen 7. und 8. 
Potenz liegt, ist er bei Kali phosphor. zwischen 14. 
und 15. Potenz, bei Bromkalium zwischen 15. und 
1®. Potenz. Dementsprechend ist auch die Summe 
der Minuswerthe bei ihnen mehr als doppelt so 
hoch als bei Gruppe II. Die Verschiedenheiten 
innerhalb dieser dritten Gruppe liegen nun darin: 
während sie bezüglich der Lage der Indifferenz¬ 
punkte sehr nahe übereinstimmen, unterscheiden sie 
sich lebhaft in der Schwere des Lähmungseffek¬ 
tes: in der 3. Potenz ist die Differenz 27, in der 
4. Potenz 17. Dieser grosse Unterschied wieder¬ 
holt sich wieder von der 8.—14. Potenz und das 
verschuldet die grosse Differenz der Summe der 
Lähmungswerthe. Während Kali phosph. seinen 
Conto mit 222 Point abschliesst, erreicht Brom¬ 
kalium die Ziffer 372 als das lähmendste aller der 
untersuchten Kalisalze. 

Vergleichen wir dieses neural analytische Resul¬ 
tat mit den Erfahrungen, die man bezüglich dieser 
Kalisalze auf anderem Wege gewonnen hat, so er- 
giebt sich folgendes: 

a) Der Gegensatz zwischen Jodkalium und Brom¬ 
kalium, den die Neuralanalyse feststellt, entspricht 
ganz genau den bekannten Thatsachen: Bromkalium 
ist das Hauptmittel der Allopathie gegen Epilepsie 
d: h. nicht Heilmittel, sondern Unterdrückungs- 
mittel, eine Eigenschaft, die es eben dem Umstand 


verdankt, dass es die Krampferregbarkeit des Ner¬ 
vensystems aufhebt, was als lähmender, thätigkeits- 
hemmender Einfluss bezeichnet werden muss. Jod¬ 
kalium dagegen gehört zu denjenigen Mitteln der 
Allopathie, welchen sie die kräftigste, weitgehendste 
wirkliche Heilwirkung, d. h. Fähigkeit, die Auf¬ 
lösung und Aufsaugung krankhafter Produkte her¬ 
beizuführen, mit anderen Worten treibende Kraft 
zuschreibt und an welchen sie auch in den Zeiten 
des stärksten Nihilismus festhielt. Hierzu stimmt 
doch sehr gut, dass dieses Salz schon zwischen 5. 
und 6. Potenz die Indifferenz überschreitet und von 
da ab belebend, also auch heilend wirkt, dass 
also auch bei Verabreichung allopathischer Dosen, 
falls diese nicht zu oft wiederholt werden, rasch 
durch Potenzirung im eigenen Leib eine belebende 
Verdünnungsstufe erreicht werden kann. 

b) Die Mittelstellung der Gruppe II entspricht 
vollständig der Erfahrung. Von ihren Angehörigen 
sind weder solche Lähmungswirkungen bekannt wie 
von Bromkalium noch solche Heilwirkungen wie 
von Jodkalium. 

c) Weiter entspricht der Erfahrung, dass zwischen 
den Stoffen der Gruppe 11 keinerlei auffallende 
Unterschiede in Bezug auf Giftigkeit bekannt sind, 
die Thatsache der Tabelle, dass ihre Lähmungs¬ 
ziffern und die Lage des Indifferenzpunktes ein¬ 
ander sehr nahe sind. Die letztere Thatsache, d. h. 
die grosse Uebereinstimmung der 4 Kalisalze der 
Gruppe II hat mich veranlasst, bei der Messung 
der oberen (belebenden) Potenzen der Kalisalze von 
der Durchprüfung aller vier Glieder dieser Gruppe 
abzusehen und mich auf die Messung von Kali car- 
bonicum als Vertreters derselben zu beschränken. 

d) Ueber die Stellung, welche das phosphor¬ 
saure Kali durch die neural analytische Messung 
erhalten hat, ist folgendes zu sagen: Eine Ueber¬ 
einstimmung von Neuralanalyse und sonstiger Er¬ 
fahrung liefert die Thatsache, dass das phosphor¬ 
saure Kali sich nicht in der Liste der offlciellen 
Heilmittel befindet, während allen 6 andern Kali¬ 
salzen unserer Untersuchung diese Ehre zu Theil 
geworden ist, allerdings nicht allen aus dem gleichen 
Grunde, nämlich dem Bromkalium wegen des hohen 
Lähmungseffektes, den es auf die Nerven ausübt, 
dem Jodkalium wegen seiner hohen, lösenden, aus¬ 
treibenden Kraft. (Jeber die Gründe, welche die 
Schulmedicin veranlasste, die Kalisalze der Gruppe II 
unter die Arzneimittel aufzunehmen, lässt sich aus 
dem Resultat der Neuralanalyse blos das sagen: 
Die Lähmungsziffern 95—105 geben ihnen eine 
mittlere Stellung, sie sind weder als Belebungs- 
noch als Lähmungsmittel verlockend, andererseits 
sind sie nicht so lähmend, dass man sie nicht um 
anderer Eigenschaften willen ruhig und ohne offen¬ 
kundige Vergiftungsgefahr verwenden könnte. Nun 
kommen wir zur Frage: warum hat die allopathische 


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7 


Heilknn8t das Kali phosphoricnm nicht zu Heil¬ 
zwecken benützt? Darauf antwortet unser neural- 
anatytisches Resultat folgendermassen: Mit der Ziffer 
222 steht dieses Salz in der Mitte zwischen Brom¬ 
kalium (372) und der Gruppe n (100), damit ist 
eigentlich alles gesagt, denn wenn der allopathische 
Arzt einen lähmenden Einfluss ausüben will, so 
greift er zu dem Mittel, welches dieser Indication 
am meisten entspricht und das ist in dem Fall das 
Bromkali und nicht das phosphorsaure Kali, an¬ 
dererseits, wenn er die Zwecke anstrebt, für die er 
die Salze der Gruppe II verwendet, so wird er zu 


denen greifen, mit welchen sich diese Indication 
am besten ohne unangenehme Nebenwirkungen er¬ 
füllen lässt und da wird er vom Kali phosphoricnm 
absehen, weil seine nervöse Nebenwirkung ist, dass 
es leicht Lähmungserscheinungen hervorruft. Da¬ 
mit ist also wieder Uebereinstimmung zwischen 
Neuralanalyse und anderweitigen Thatsachen her¬ 
gestellt. Leider hat eben der Umstand, dass Kali 
phosph. nicht ofüciell ist, zur Folge, dass in der 
Literatur der Toxikologen nichts für unsere Zwecke 
zu Anden war. 


IV. Tabelle: Die untern Potenzen der Natronsalze. 


Potenz 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

Somme der 
Minaswerthe 

Na. mur. 

— 5 

+ 6 

+ 1 

+23 





5 

Na. nitr. 

—10 

+ 2 

+10 

+21 





10 

Na. carb. 

—14 

-16 

— 2 

+ 5 





32 

Na. sulf. 

—19 

— 8 

— 4 

+ 4 





31 

Na. phosph 

—25 

—31 

—26 

—20 

—14 

-10 | 

1 + 1 

+ 7 

125 

Na. brom 

—35 

—34 

—30 

—22 

—16 

—22 

—13 

— 8 

180 

Mittel 

—18 

—12 

— 6 

— 2 





38 


Auch hier ergeben sieb wie bei den Kalisalzen 
deutlich 3 Gruppen. 

Die L Gruppe wird gebildet von Kochsalz 
und Salpeter, die beide nur in der dritten Potenz 
Lähmung8ziffem zeigen und schon in der vierten 
Belebungseffekt geben, die also an Ungiftigkeit 
das Jodkalium noch weit übertreffen, trotzdem die 
Summen der Lähmungswerthe keine erheblichen 
Unterschiede zeigen. Damit stimmt nun doch in 
der allerklarsten Weise die unumstössliche Erfah¬ 
rungslehre, dass diesen beiden Salzen die geringste 
Giftigkeit zukommt, die Thatsache, dass diese beiden 
Salze die einzigen Alkalisalze sind, die wir als 
Würze für unsere Speisen benützen und benützen 
können eben wegen ihrer Indifferenz oder Ungiftig¬ 
keit. Auch der Unterschied zwischen Kochsalz und 
Salpeter in dieser Beziehung nämlich, dass wir von 
Kochsalz grössere Mengen ohne direkten Schaden 
geniessen dürfen als von Salpeter, tritt in den ersten 
Ziffern der Tabelle klar zu Tage: die dritte Potenz 
giebt für Kochsalz 5, für Salpeter 10 % Lähmung, 
die 4. Potenz für Kochsalz 6 % Belebung, für Sal¬ 
peter nur 2 °/ 0 - Damit ist zugleich ausgedrückt, 
dass der Indifferenzpunkt bei Kochsalz der 3. Potenz 
näher liegt als bei Salpeter. Wenn man die zu 
Jnjectionen und bei der Mikroskopie als indifferente 
(physiologische) verwendete Kochsalzlösung auf 
0,6 % festgesetzt hat, was der Neuralanalyse nach 


Lähmungseffekte erzeugt, so spricht das doch nicht 
gegen deren Richtigkeit; denn dass die Stoffe in- 
halatorisch stärker wirken, als bei Einverleibung 
auf anderem Wege, ist eine Thatsache, die uns 
später noch ausführlich beschäftigen wird, da ich 
auch hierfür ziffermässige Belege beibringen kann. 

Die II. Gruppe bilden Natr. carbonicum und 
8ulphuricum. Der Erfahrungstatsache, dass diese 
zwei Salze viel weniger harmlos sind als Kochsalz 
und Salpeter, dass man sie nicht als Würze an 
Speisen verwenden kann, entsprechen die Ziffern 
der Tabelle genau. Sie zeigen, dass die Indifferenz 
bei ihnen erst zwischen 5. und 6., also um 2 Poten¬ 
zen höher liegt als bei Gruppe I, und wenn wir 
die Lähmungsziffern der vier Salze ansehen: Koch¬ 
salz 5, Salpeter 10; dagegen Natr. carbon. 32, 
Natr. sulf. 31, so sehen wir einen ziffermässigen 
Ausdruck sowohl für die Unterschiede zwischen 
Gruppe I und Gruppe II als auch für die grosse 
Aehnlichkeit von Natr. sulph. und carbon., der 
vollständig den bekannten Thatsachen entspricht. 

III. Gruppe. Sie wird genau wie bei den Kali¬ 
salzen von dem phosphorsaurem und dem Bromsalz 
gebildet und auch wieder genau mit dem Unter¬ 
schied wie bei den Kalisalzen, dass das Bromsalz 
lähmender, differenter, giftiger ist, als das phos¬ 
phorsaure: bei letzterem liegt die Indifferenz zwi¬ 
schen 8. und 9. Potenz, also um 3 Potenzen höher 


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8 


als bei Gruppe II, und bei Bromnatrium kommt 
sie erst zwischen 10. und 11. Potenz, ist also um 
5 Potenzen höher als bei Gruppe II. Die Summe 
der Lähmungsziffern ist bei N. ph. 125, bei N. br. 
180 und merkwürdig — wie genau die Neural¬ 
analyse arbeitet: die Summe der Lähmungsziffern 
ist bei Kali phosph. 222, bei Kali brom. 372. Fast 
genau dasselbe Verhältniss: bei Natron verhalten 
sich Phosphorsalz und Bromsalz wie 12,5: 18, 
beim Kali wie 11,1 : 18,6 — und eine so wunder¬ 
voll arbeitende Methode umsteht seit fast zehn 
Jahren die ganze Gelehrten weit mit zuckenden 
Achseln, die Hände im Sack, wie — doch sagen 
wir das lieber nicht. Humbold sagt: „In Deutsch¬ 
land gehören netto zwei Jahrhunderte dazu, eine 
Dummheit abzuschaffen, eins, um sie einzusehen, 
das zweite, sie zu beseitigen.* Dass das gleiche 
auch für Einführung von Erfindungen gilt, dafür 
ist die Geschichte so mancher derselben ein Beleg. 

Vergleich von Kali- und Natronsalzen. 

Hierzu dienen uns die in den Tabellen III und 
IV gebildeten Mittelziffern der letzten Querkolumne, 
insbesondere die dort stehende Summe der Läh- 
mungswerthe, welche bei den Natronsalzen 38, bei 
den Kalisalzen 104 lautet, zwei Ziffern, die sich 
ungefähr verhalten wie 1:3, d. h. wenn man so 
rechnet, wie oben gerechnet wurde, so sind die 
Kalisalze dreimal so giftig als die Natronsalze. Nun 
wird kein Mensch bestreiten, dass alle Thatsachen, 
die man kennt, für die grössere Giftigkeit der Kali¬ 
salze, namentlich für ihre Fähigkeit, Lähmungen, 
insbesondere Herzlähmung hervorzurufen, sprechen. 
Dies ist namentlich bei den Prüfungen des an Kali¬ 
salzen so reichen Fleischertraktes klar zu Tage ge¬ 
treten. 

Herr Dr. E. Kröner, hom. Arzt in Potsdam, 
hatte die Güte, die toxikologische Literatur nach 
bezüglichen womöglich ziffermässigen Angaben über 
diese Verhältnisse nachzusehen und sandte er mir 
hierüber folgende Angaben: 

1) Natriumsalze sind in der dreifachen, tödt- 
lichen Dosis der Kaliumsalze intravenös noch un¬ 
giftig. 

2) Von Chlornatrium durch den Mond sind 
für den Menschen erst 250—500 Gr. tödtliche 
Dosis, bei Thieren (wohl Kaninchen) 10—15 Gr. 
Von Chlorkalium tödtet 1 Gr. subkutan einver¬ 
leibt ein Kaninchen. 

3) Natr. carbo nie um, verhältnissmässig un¬ 
giftig, bei Kali carbonicum sind zwei Todesfälle 
durch 15 Gr. angegeben. 

4) Natr. sulfur. „relativ ungiftig*. Kali sulf. 
1 Todesfall nach 10—20 Gr. 

5) Ueber die beiden Salpeter fanden sich blos 
zwei Angaben: Natron Salpeter tödtet in Dosen von 
6—7 Gr. Hunde, Kalisalpeter mit 8gr. Menschen. 


Da der Leib des Menschen viel voluminöser ist als 
der des Hundes, so tritt auch hier zu Tage, dass 
Natronsalze, um Giftwirkungen zu erzwingen, in 
einer mehrfach so grossen Dosis genommen werden 
müssen, als Kalisalze. 

Vorstehende Ausbeute aus der toxikologischen 
Literatur der Schulmedicin ist allerdings klein und 
das Ziffernmaterial — im Vergleich zu dem mei- 
nigen — sehr dürftig, allein doch genügend um 
zu zeigen, dass Neuralanalyse und toxikologische 
Erfahrung dahin übereinstimmen, dass Kalisalze um 
das mehrfache giftiger sind als Natronsalze. 

Von den Ammoniaksalzen sind, wie ersicht¬ 
lich, nur viererlei untersucht worden, und zwar aus 
denselben Gründen, warum ich bei den Kalisalzen 
nach Fertigmessung der unteren Potenzen von sieben 
derselben drei zurückstellte und nur von vieren die 
oberen Potenzen mass. Diese Gründe sind kurz 
folgende: 

a) Bei Kali- und Natronsalzen hatte ich mich 
überzeugt, dass sie bezüglich der nervösen Wir¬ 
kung in drei Gruppen zerfallen, von denen nament¬ 
lich die Gruppe II aus solchen besteht, die ein¬ 
ander in ihrer Wirkung so sehr ähneln, dass es 
sich nicht verlohnt, sie alle durch alle Potenzen 
hindurch zu messen. Im Interesse der Geschäfts¬ 
vereinfachung stellte ich also 3 Kalisalze dieser 
Gruppe U bei Seite und beschränkte mich bei den 
Ammoniaksalzen von Hause aus auf ein Glied dieser 
Gruppe, nämlich auf das kohlensaure Salz. Um 
aber doch nicht gar zu sehr zu reduciren, nahm 
ich bei den Natronsalzen, bei denen ich von Hause 
aus eines weniger als bei den Kalisalzen der Unter¬ 
suchung unterzogen hatte, die Reduktion nicht vor. 

b) Die Gruppe III, die aus dem Phosphorsalz 
und dem Bromsalz besteht, wollte ich dagegen nicht 
reduciren, weil sie einander nicht so ähnlich sind, 
wie die Salze der Gruppe 11 und so kam die Vier¬ 
zahl heraus. 

Fasst man in obiger Tabelle nur die Lage des 
Indifferenzpunktes ins Auge, so fehlt bei den Am¬ 
moniaksalzen die Dreitheilung, die bei Kali- und 
Natronsalzen so scharf ausgesprochen ist. Denn 
die zwei Salze, welche die Gruppen I und II ver¬ 
treten, haben beide den Indifferenzpunkt zwischen 
10. und 11. Potenz. 

Betrachtet man dagegen die Ziffern der zwei 
Salze, so tritt doch auch hier der Unterschied der 
Gruppe I und II deutlich zu Tage insofern, als 
das Chlorammonium mit einem Lähmungswerth von 
34 in 3. Potenz und einer Schlussziffer von 165 
ziemlich weniger different ist, als kohlensaures 
Ammoniak mit Lähmungswerth von 50 in 3. Potenz 
und der Summe von 223. Das ist das Seitenstück 
zu den Natronsalzen, wo die Chlorverbindung eben¬ 
falls entschieden weniger giftig ist als das kohlen¬ 
saure Salz. (Siehe auch weiter unten.) 


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9 


V. Tabelle: Die unteren Potenzen der Ammoniaksalze. 


Potens 

3466789 10 

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 

Somme 

der 

Minus- 

werthe 

Am. mar. 

—34 —22 —25 —30 -23 —19 —10 —2 

+4 +8 +9 +10 +12 +15 

165 

Am. c&rb. 

—50 —36 —36 —24 - 37 —21 —12 —7 

-f*4 -f-S -f-9 -J-® —|—10 -f-15 

223 

Am.phosph. 

—64 —44 -46 -41 —26 —47 —82 —81 

—20 —15 —11 —12 —13 —17 —18 -8 

442 

Am. brom. 

—63 —48 —4) —40 —35 —38 —32 —29 

—29 —26 —18 —23 —22 —83 —24 —21 —15 - 8 

543 

Mittel 

—53 —86 —88 —34 -30 —81 —22 —17 

—10 —7 —3 —4 — s —5 

293 


Weiter bemerkenswerte an dem Inhalt der Ta¬ 
belle ist folgendes: 

a) Die Uebereinstimmung mit den Kalisalzen, 
die darin liegt, dass die Verhältnisse zwischen 
Gruppe II und III bei beiden fast die gleichen 
sind: bei Kali liegt der Indifferenzpunkt der 
Gruppe II zwischen 7. u. 8., bei Gruppe III zwischen 
15. u. 16. Potenz, also doppelt so hoch; bei Am¬ 
moniak sind die betreffenden Ziffern 9 — 10 bei II 
und 20—21 bei III. Die Summen der Minus- 
werthe verhalten sich ebenfalls nahezu gleich. 

Kalisalz Gruppe II 95—105, Phosphorsalz 222, 
Ammoniaksalz , II 223, „ 442, 

also beide Male ein Verhältnis wie 1:2. 

b) Die Differenz zwischen Phosphor- und Brom¬ 
salz wiederholt sich auch hier fast in gleicher 
Weise: einmal liegt der Indifferenzpunkt beiletzerem 
höher, dann ist die Summe der Lähmungswerthe 
beim Bromsalz grösser, nur ist dieser Unterschied 
verhält nissmässig kleiner. Betrachtet man die Einzel¬ 
ziffern, so röhrt dies daher, dass bis znr 10. Potenz 
die Lähmungswerthe bei beiden fast gleich gross 
sind, erst von der 21ten ab treten grössere Unter¬ 
schiede auf. 

c) Die allermerkwürdigste Thatsache der Ta¬ 
belle, dass es Stoffe giebt, die noch in 18. Potenz, 
also trillionster Verdünnung, ja sogar 20. Potenz 
noch als Luftgift wirken können, also in einer 
Verdünnung, welcher die Chemie vollständig rathlos 
gegenüber steht, wollen wir erst besprechen, wenn 
wir mit der ziffermässigen Vorführung zu Ende 
sind. 

Vergleich der Ammoniaksalze mit Kali- und 
Hatronsalzen. 

Ein vergleichender Blick auf die drei Tabellen 
lehrt, dass von allen drei Gruppen den Ammoniak - 
salzen die stärkste Giftigkeit, die grösste Differenz 
resp. Lebensfeindlichkeit zukommt und dass sie 
hierin in fast allen Stücken die Kalisalze über¬ 
treffen. 

1) In der Lage des Indifferenzpunktes: Bei den 
Natron salzen bewegt sie sich zwischen 3. und 


11. Potenz, bei den Kalisalzen zwischen 5. und 
16., bei den Ammoniaksalzen zwischen 10. und 21. 

2) Die Mittelziffern lehren es in zweierlei Weise: 
a) in den Ziffern der 3. Potenz, die bei den Natron- 
balzen 18, bei den Kalisalzen 38, bei den Am¬ 
moniaksalzen 48 ist; b) in den Summen der 
Lähmungswerthe: die der 6 Natronsalze ist im 
Mittel 38, die der 7 Kalisalze 104, die der 4 Am¬ 
moniaksalze 293. 

Damit, dass Ammoniaksalze giftiger, differenter 
sind als Kalisalze, stimmen folgende Literatur¬ 
angaben überein: 

1) Für Chlorkalium sind als Arzneidose vor¬ 
geschrieben 1,0 —2,0 Gramm, für Chlorammonium 
nur 0,2—1,0 Gramm. 

2) Bei Bromkalium beginnt die Dosirung mit 
0,5, bei Bromammonium mit 0,1, und dabei wird 
angegeben, dass Bromammonium eine stärkere 
Anästhesie der Schleimhäute erzeuge als Brom¬ 
kalium. 


Heber Enuresis nocturna. 

Von Dr. H. Goullon. 

Eine sonderbare Hypothese über die Entstehungs¬ 
art dieses keineswegs zu unterschätzenden Leidens 
enthält No. 83 der deutschen Medicinalzeitung. 
Wir lassen zunächst den Bericht nebst zwei kli¬ 
nischen Beispielen folgen, um dann unsere Bedenken 
gegen die kühne Hypothese auszusprechen. 

Das häufige Vorkommen von Ennresis nocturna 
bei Kindern, die wegen Verstopfung der Nase durch 
den Mund athmen, hat Major schon 1884 erwähnt, 
Bald darauf wurde diese Beobachtung von Ziem 
und Bloch bestätigt. Major und Ziem glaubten, 
die niedrige Temperatur der durch den Mund ein- 
geathmeten Luft veranlasse ein oberflächlicheres Ath¬ 
men, so dass schliesslich eine Kohlensäureintoxi¬ 
kation eintrete, welche zur unfreiwilligen Entleerung 
der Blase führe. 

Schmalz war der erste, welcher einen ursäch¬ 
lichen Zusammenhang zwischen Mundathmung und 
Enuresis nocturna bewies, indem er ein Kind sofort 

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10 


und dauernd vom Bettnässen durch Entfernung 
hypertrophischer Theile der Nasenmuscheln heilte. 

Verf. hat gleichfalls zwei derartige Fälle be¬ 
obachtet: 

Der erste Fall betraf ein 19 jähriges Mädchen, 
welches von Kindheit an infolge eines „Stock¬ 
schnupfens“ durch den Mund zu athmen genöthigt 
war und ebenfalls seit der Kindheit an fast all¬ 
nächtlich auftretendem Bettnässen litt. Bei der 
Untersuchung fand sieb, abgesehen von allgemeiner 
Schwäche und geringer weicher Struma, als Ur¬ 
sache der behinderten Nasenathmung eine adenoide 
Vegetation, die den ganzen Nasenrachenraum aus¬ 
füllte. Da Verf. die Major sehe Ansicht kannte, so 
entfernte er die hyperplastische Rachentonsille in 
einer Sitzung, wodurch die Nase für die Atbmung 
so durchgängig wurde, dass sofort der Mund ge¬ 
schlossen gehalten werden konnte. Das Bettnässen 
blieb sofort aus und erschien erst wieder in der 
23. und dann in der 77. Nacht nach der Operation, 
wahrscheinlich hervorgerufen durch reichlichen 
Biergenuss. Nach 3jäbr. Pause sah Verf. das 
Mädchen wieder, welches versicherte, dauernd ge¬ 
heilt zu sein. 

Im 2. Falle handelte es sich um ein 3jähr. 
Mädchen, bei welchem sich vor kurzem sehr schnell 
adenoide Vegetationen in der Nase, welche un¬ 
ruhigen Schlaf mit Mundathmung und starkem 
Schnarchen, sowie beiderseits Mittelohrkatarrh ver- 
anlassten, entwickelt hatten. Gleichzeitig begann 
das Kind, welches vorher sehr reinlich gewesen 
war, allnächtlich das Bett zu nässen. Nach der 
in Narkose vorgenommenen Entfernung der stark 
gewucherten, sehr weichen Vegetationen hörte das 
Bettnässen sofort auf, kam aber nach 6 Wochen 
während eines starken Schnupfens einige Male 
wieder. Die Mutter gab an, dass bei dem jetzt 
7 Jahre alten Kind das Bettnässen auch jetzt noch 
zuweilen vorkomme, immer aber nur, wenn es in¬ 
folge starken Schnupfens genöthigt sei, mit offenem 
Munde zu schlafen. 

Es geht aus diesen Beobachtungen hervor, dass 
Behinderung der Nasenathmung in einzelnen Fällen 
Enuresis veranlassen kann. Da aber bei vielen 
Kindern mit behinderter Nasenathmung Bettnässeu 
nicht beobachtet wird, so muss noch ein anderer 
Umstand ausser der Nasen Verstopfung, vielleicht 
eine Schwäche des Sphincter vesicae, dabei mit- 
wirken. Sind wir nun zur Annahme einer solchen 
Disposition gezwungen, so brauchen wir zur Er¬ 
klärung des geringen Plus, welches zum Bettnässen 
führt, nicht gleich an eine Kohlensäureintoxikation 
zu denken. Der bekannte unruhige, durch quälende 
Gefühle und ängstliche Träume gestörte Schlaf 
mundathmender Kinder dürfte dazu ausreichen. 

Jedenfalls sollte man bei allen mit Enuresis 
behafteten Kindern die Nase und den Nasenrachen¬ 


raum auf etwaige Verengerung oder Verstopfung 
untersuchen und im gegebenen Fall da9 Hindernis 
zu beseitigen suchen. 

So weit also das Referat, welches seinerseits 
schon sehr reservirte Stellung zu der Frage nimmt. 

Die Schwäche des Sphincter vesicae steht ja 
ausser Zweifel und man dürfte höchstens sagen, 
da wo diese Partie die pars minoris resistentiae 
bildet, konnte möglicher Weise das behinderte 
Nasen-Athmen zur Enuresis führen auf dem oben 
angegebenen Weg. Allein wo steht denn geschrie¬ 
ben, dass Kohlenoxydgasvergiftung eine so be¬ 
schränkte Wirkungssphäre bat, dass dieselbe mit 
Ausschliessung anderer Organe nur zur Insultation 
des Blasenschliessmuskels führen sollte? Da wäre 
ja ein herrliches Simile für dergleichen paretische 
und paralytische Zustände gefunden worden. 

Aber wie stimmt die Hypothese mit der that- 
sächlichen Heilwirkung unserer Mittel in concreto 
Überein? Wie könnten Cina, Pulsatilla, Plantago 
major, Ferrum phosphoricum, Magnesia und Kali 
phosph. solche Zustände von Blasenschwäche be¬ 
seitigen, wenn die Ursache so entfernt liegt, und 
gerade die genannten hilfreichen Homoeopathica 
haben so gut wie gar nichts mit Wucherungen der 
Nasenschleimhaut zu thun. Besonders Cina gilt 
für specifisch gegen Enuresis nocturna und die 
Annahme, dass Wurmreiz diese pathologische 
Störung unterhält, entspricht der Wirklichkeit 
tausendmal mehr als die Schmalz-Major’sche Theorie, 
welche indessen immerhin — wer wollte es leugnen? 
— eines gewissen Interesses nicht entbehrt. 

Für uns Homöopathen aber erwächst die Notb- 
wendigkeit, da. wo anscheinend ein solch compli- 
cirter Fall vorliegt, die pathologischen Verhältnisse 
in Rachen und Mund noch mehr als bis¬ 
her zu berücksichtigen. Denn höchst wahrsehein- 
Jich giebt es genetische Unterschiede des Leidens, 
wie sich schon aus der heterogenen Natur oder 
der grossen pathogenetischen Verschiedenheit der 
oben aufgezählten Mittel ergiebt, deren Zahl sich 
noch leicht vermehren liess. So wird z. B. noch 
Equisetum von manchem Praktiker in der ange¬ 
deuteten Richtung gerühmt. Wir dürfen auch nicht 
vergessen, dass in der That solche Kinder nicht 
selten an hartnäckigen Katarrhen der ersten Wege 
leiden, ja sogar mit skrophulöser Anlage belastet 
sind. 

Nachträglich finde ich im Archiv, Bd. XIH. I. 
S. 59 einen Fall von Enuresis nocturna, durch 
Calc. carb. geheilt. Dies könnte schon für ein 
gleichzeitiges Nasenleiden sprechen oder für Cal- 
carea Symptome anderswo als im Bereich der Blase. 

,,Ein Jüngling, klein, von dicker schwammiger 
Natur, litt von klein auf an nächtlichen Bettnässen, 
am Tage aber an stetem Harndrang mit jedesmal 
geringem Abgang. Nachdem Sulf., Sepia, Mercur 


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II 


ohne Erfolg gegeben, beseitigt Galc. carb., 30 das 
Leiden innerhalb von 3 Woeben dauernd.“ 

Es werden gewiss nicht viele Fälle von Enuresis 
existiren, die Calc. carb. gewichen sind. Destomebr 
mit Cina. Und wie Lupus in Fabula begegnet mir 
ein selbsterlebter Fall aus jüngster Zeit, den ich 
gern folgen lasse, gewissem)aassen damit meine 
Ansicht besiegelnd, dass die Cina-Fälle die Regel 
bilden, die Fälle aber die Ausnahme, in denen sich 
andere Mittel und Wege nöthig machen. 

Also am 17. Okt. schreibt ein Herr Pfarrer S. 
an mich: 

„Wegen des Bettnässens unserer kleinen, bald 
dreijährigen Marie erlauben wir uns Ihren ärzt¬ 
lichen Rath einzuholen. Es tritt des Nachts oft 
mehrmals ein, besonders wenn ein Geräusch im 
Schlafzimmer ist, etwa jemand eintritt. Am Tage 
meldet die Kleine es gewöhnlich, wenn ein Be- 
dürfniss sie ankommt, doch unterlässt sie es auch 
und zwar, weil sie das Ankommen des Bedürfnisses 
nicht zu fühlen scheint. Alles, Ernst der Zucht, 
den meine Frau dagegen verwendet, hilft nicht viel. 
Sie ist von zarter Constitution, für ihr Alter gross, 
an Armen und Beinen ziemlich mager, womit viel¬ 
leicht das häufige Bettnässen in Zusammenhang 
steht. 

Sie leidet fortwährend, jetzt wieder an Katarrh: 
Schnupfen und auch etwas Husten. Dabei hat 
aber das Kind keinerlei Anlage zu Tuberkulose. 
Wir Eltern sind auch im übrigen ganz gesund.“ 

Nun höre man den günstigen Bericht schon 
nach zehn Tagen. Ich brauche kaum zu erwähnen, 
dass ich Cina geschickt habe. (5 Tropfen auf ein 
Milchzucker-Pulver, dieses in ! / 2 Weinglas Wasser 
aufzulösen um daraus 3 mal tägl. 1 Theelöflfel zu 
nehmen. 

„Die Pulver haben in überraschender Weise bei 
unserer kleinen Marie angeschlagen. Sie macht 
seit einigen Tagen — allerdings bei mehrmaligen 
Abhalten — in der Nacht nicht mehr nass, was 
früher, wo sie aber so oft abgehalten wurde, nicht 
der Fall war. Auch am Tage kann sie jetzt eher 
den Urin halten. Vom Katarrh ist sie augenblicklich 
frei. Sie hat jetzt das zweite Pulver“. 

Weiter heisst es: 

„Doch schreibe ich heute nicht eigentlich, utn 
über sie Bericht zu erstatten, der wohl auch noch 
später erwartet würde, sondern weil uns der sicht¬ 
bare Erfolg Vertrauen giebt, auch unserer Jüngsten 
wegen anzufragen.“ 


Epidemiologische Ecke. 

In den verflossenen 14 Tagen liefen folgende 
Berichte ein: 

Weihe-Herford schreibt am 21./6., dass er noch 
immer = Sep., = Chel., = Sinap., =: Kreos., 
sowie = Kal. bichromic. habe. Die Epidemie mit 
Calc. phosph. -f- Nux vom., die Coli. Dierkes schon 
längere Zeit berichtet, war bei ihm nicht. 

Dierkes-Paderborn hatte bis zum 20./6. noch 
immer Calc. phosph. -}- Nux vom., dann trat diese 
Combination mehr zurück und Calc. phosph. Chin. 
mehr in den Vordergrund. Seit dem 18./6. trat 
vereinzelt Cupr. auf und am 25./G. schreibt er: seit 
einigen Tagen scheint Cupr. + Nux vom. = Lach, 
die Oberhand zu gewinnen. 

Leeser-Bonn berichtet am 23./6.: Sep., Chel., 
Kal. bichrom., Baryt carb. + Led., Baryt, carb. -f- 
Lact, vir., Veratr., Puls, alles wild durcheinander; 
am 30./6.: vor einigen Tagen hatte ich viel Sepia, 
seit heute durchweg Kal. bichrom., einmal Natr. 
mur. -f- Lact. vir. 

Ieh-bier hatte am 19.—21./G. viel Kal. carb. -f- 
Lact. vir., daneben = Kal. bichrom., = Tart. stib., 
Jod -j- Thuj., auch Baryt, carb. -f- Lact. vir. = 
Ac. phosph., am 22. und 23. ganz vorwiegend Kal. 
carb. Dros., am 23. bei 3 Masernfällen Calc. 
phosph. 4" Hyosc.; vom 24.—28. vorwiegend Kal. 
carb. -f- Sabadill.; seit dem 28. Nachmittags viel 
Borax -\- Sabadill., welche Combination heute wieder 
mehr zurücktritt. 

Weiss-Gmünd berichtet am 20./6.: viel Wechsel 
Cupr. Hauptmittel bei Tuss. convuls., daneben 
Sabadill., Bell., Ipecac., Chin. 

Buob-Freudenstadt bat seit ca. Mitte Juni vor¬ 
zugsweise Arsen., Chin. und Sabin. 

Sigmundt-Spaichingen berichtet schon einige Zeit 
sehr niederen Krankenstand; epidemisches Mittel 
(nach Rademacher) hat er nicht. 

Was den guten Rath des Herrn Coli. Hädicke 
in voriger Nummer an uns Epidemiologen betrifft 
— durch das Wort „Remedur* muthete er mich 
an wie ein Erlass von hoher Obrigkeit — so muss ich 
betreffs ausführlicher Widerlegung seiner Ansichten 
über Epidemiologisches auf meinen Vortrag auf der 
kommenden Centralvereinsversammlung verweisen. 
Nur 3 Punkte will ich kurz berühren; vielleicht 
denkt mancher von denen, denen die Epidemiologische 
Ecke ein Greuel ist, etwas darüber nach und wird 
dann meinem Vortrage besser zu folgen vermögen. 

1. Die Behauptung des Herrn Coli. Hädicke, als 
ob wir die nach Schmerzpunkten gewählten Mittel 
* epidemische* nennten, ist sehr ungenau. Wenn 
er sich die von Herrn Coli. Leeser und mir ge¬ 
haltenen und gedruckten Vorträge angesehen hätte, 
so hätte er wissen müssen, dass die Mittelwahl 

2 * 


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12 


vermittelst der Weihe'schen Methode auch bei chro¬ 
nischen, constitutionellen Krankheiten geübt wird. 
»Epidemisch* nennen wir die gefundenen Mittel 
nur, wenn eine und dieselbe Combination 
gleichzeitig bei einer grösseren Anzahl von 
Fällen auftritt. 

Ein zweiter Umstand ist Herrn Coli. Hädicke 
ebenfalls entgangen, dass in den obenerwähnten 
Vorträgen mehrfach die Bede davon war, dass auch 
Herr Coli. Weihe vielfach diesen raschen Wechsel 
der Mittel hatte, wie z. B. jetzt wir hier in Süd¬ 
deutschland und am Khein. 

2. Der von uns aus verschiedenen Gegenden 
gemeldete rasche Wechsel der epidemischen Mittel 
ist durchaus nicht so paradox, wie es vielen er¬ 
scheint. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die epi¬ 
demischen Einflüsse (siderische und tellurische) 
fortwährend auf uns einwirken: warum soll 
davon nur zeitweilig ein Einfluss zu spüren 
sein? Der ganze Fehler der Gegner unserer Auf¬ 
fassung der Epidemieen liegt darin, dass weder sie 
noch ihre Gewährsmänner, Rademacher und von 
Grauvogl, im Stande sind, resp. waren, diesen rascheren 
Veränderungen des Genius epidemicus zu folgen, da 
ihnen eine Methode fehlte, sofort auf untrügliche 
Weise das Heilmittel zu finden. Von Grauvogl selbst 
schreibt in seinem Lehrbuch der Homöopathie 2. Thl. 
pag. 169 bei Besprechung der Unterscheidung Rade¬ 
machers zwischen stationären und intercurrirenden 
Krankheiten resp. Epidemieen: »Es giebt also auch 
bei Rademacher Ausnahmen; sie sind jedoch in 
einer naturgesetzlich begründeten Therapie eine 
Contradictio in adjecto, müssen daher aus unvoll¬ 
ständig aufgestellten Prämissen folgen.* 

3. Die Vermengung des Begriffes der langen 
Dauer und der ausgedehnten räumlichen Verbreitung 
mit dem Begriff Epidemie ist althergebracht. Wenn 
man diese Begriffe der Zeitdauer und räumlichen 
Ausdehnung als Charakteristika der Epidemieen ver¬ 
wendet, so müsste man vor allen Dingen ein Mini¬ 
mum der Zeitdauer und ein Minimum der Aus¬ 
breitung festsetzen, von dem an erst der Begriff 
Epidemie angewandt werden darf. Wer macht hier¬ 
für Vorschläge? 

Die epidemiologischen Erfahrungen des Herrn 
Coli. Lange über die 3 Infiuenzaepidemieen sind 
von Herrn Coli. Hädicke entschieden falsch ge¬ 
deutet worden. Diese 3 Epidemieen sind nicht 
durch die gleichen Mittel geheilt worden, also war 
auch die Leber nicht in allen 3 Epidemieen gleich 
betheiligt; denn die Leber wird doch von Nitr. und 
Chel. anders afficirt als von Ferr. und Aq. Quass.! 
Die Mittel haben sogar innerhalb der dritten Epidemie 
einmal gewechselt. Ausserdem möchte ich zu be¬ 
denken geben, dass Herr Coli. Ide-Stettin diesen 
Winter ausschliesslich Cupr. c. Nicot. als Iufluenza- 
heilmittel erprobt gefunden hatte. Wie reimt sich 


dies zusammen?*) Was sagt hierzu Herr Coli. 
Hädicke? 

Jedenfalls werden wir Epidemiologen nach der 
Weihe’schen Methode uns nicht von dem Wege ab¬ 
bringen lassen, den wir geleitet von vieltausend¬ 
fältigen, durch Jahre fortgesetzten Beobachtungen 
als den rechten erkannt haben. Wir zollen den 
epidemiologischen Beobachtungen Anderer alle An¬ 
erkennung und volle Aufmerksamkeit, aber wir sind 
uns auch bewusst, dass unsere Anschauungen allein 
sich auf Thatsachen stützen, deren Richtigkeit, durch 
die Weihe'sche Methode gewährleistete Sicherheit 
und Feinheit in der Mittelwahl feststeht 
Stuttgart, den 1. Juli 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Jubiläum der Leipziger Poliklinik 
des Homöopathischen Central¬ 
vereins. 

Am 1. Juli dieses Jahres waren es 50 Jahre, 
dass die Poliklinik des Homöopathischen Central¬ 
vereins, welche jetzt mit dem Homöopathischen 
Krankenhause, Sidonienstrasse 44, räumlich ver¬ 
einigt ist, als selbstständige Anstalt unter dem Namen 
einer »Homöopathischen Berathungsanstalt“ ins 
Leben gerufen wurde. 10 Jahre vorher hatte man 
ein kleines Homöopathisches Krankenhaus gegründet, 
welches aber mit solchen Schwierigkeiten um seine 
Existenz zu kämpfen hatte, — Hahnemann selbst 
trat gegen dasselbe auf, worüber noch interessante 
Akten vorhanden sind — dass es im Jahre 1842 
eingehen musste. Das Krankenhaus war zu Grunde 
gegangen, der letzte Direktor desselben, Dr. Noack, 
war nach Lyon ausgewandert, aber der Muth der 
üeberzeugung und das Vertrauen, dass ein im 
Interesse reinster Humanität begonnenes Werk nicht 
untergehen könne und dürfe, lebte fort! Bei deu 
ungenügenden Subsistenzmitteln beschloss man, das 
Krankenhaus zwar aufzugeben aber das bereits mit 


*) Diese Frage habe ich ja an die Mitarbeiter der 
Epidemiologischen Ecke gerichtet, eben weil ich es mir 
nicht zusammen reimen kann, weshalb „epidemische 
Mittel“ fortgesetzt gewechselt werden müssen. Wenn 
nun gar innerhalb eines Stadtgebietes, wo doch die 
sidenschen und tellurischen Einflüsse dieselben sein 
müssen, 2 Epidemiologen verschiedene epidemische 
Mittel für richtig und bewährt gefunden haben, so kann 
ich mir dazu keinen Vers machen, dos reimt sich über¬ 
haupt nicht zusammen. — Die Deutungen der epidemio¬ 
logischen Erfahrungen des Dr. Lange rühren übrigens 
nicht von mir her, sondern von dem Autor selbst, wie 
im Original nachgelesen werden kann. Die Leber ist 
nicht in epidemiologischer, sondern in pathologischer 
Hinsicht in allen 3 Epidemieen gleich betheihgt ge¬ 
wesen, was für die Milz nicht gilt Hädicke. 


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IS 


demselben verbunden gewesene Ambulatorium als 
selbstständige Anstalt fortzuführen. Zu den hoch¬ 
herzigen Gründern gehörten Hartmann, Haubold, 
Moritz und Clotar Müller. Die Unterhaltungskosten 
wurden durch Zuschüsse des Homöopathischen 
Centralvereins, durch eine vom sächsischen Ministe¬ 
rium gewährte jährliche Unterstützung von 900 Mark, 
die die Anstalt trotz mannigfacher Anfeindungen 
auch heute noch bezieht, und durch freiwillige 
Spenden bestritten. Jetzt ist bereits durch Legate 
von verschiedenen Seiten ein kleines Stamm vermögen 
geschaffen, welches von dem hiesigen Universitäts- 
rentamte auf Anordnung des Kultusministeriums 
verwaltet wird und der Poliklinik eine zeitgemässe 
Weiterführung gewährleistet. Dass das Institut 
lebensfähig und segensreich war, hat der Erfolg 
bewiesen. Es wurden in den vergangenen 50 Jahren 
114 762 Kranke behandelt, fast durchweg Un¬ 
bemittelte aus der Stadt Leipzig und ihrer näheren 
und ferneren Umgebung. Hat sich auch die Frequenz 
der Poliklinik in den letzten Jahren trotz des An¬ 
wachsens der armen Bevölkerung etwas vermindert, 
so liegt dies nicht in inneren, sondern in äusseren 
Verhältnissen vor Allem in der Einführung der Orts¬ 
krankenkassen und theilweise auch in der Errichtung 
einer günstiger gelegenen 2. Poliklinik durch die 
Dr. Schwabe’sche Homöopathische Central-Apotheke 
vor 21 Jahren. 

Zur Feier des Tages waren die jetzigen Räume 
der Poliklinik festlich geschmückt und der Eingang 
zu derselben reich dekorirt und mit einer dies¬ 
bezüglichen Aufschrift versehen worden. Eine kleine 
Nachfeier vereinigte am Sonntag, den 3. Juli, den 
grössten Theil der hiesigen Collegen in „Auerbachs 
Keller 44 , wo von Herrn Steinmetz, dem lang¬ 
jährigen dirigirenden Arzte der Poliklinik als „Jubi¬ 
lar 44 ein prachtvolles Bouquet überreicht wurde. 

Zum Schlüsse verfehlen auch wir nicht aus Anlass 
des Jubiläums dem jetzigen verdienstvollen und 
allgemein beliebten Leiter der Anstalt, der bereits 
20 Jahre unermüdlich an ihr thätig ist, unserem 
hochverehrten Collegen Lorbacher, die herzlichsten 
Glückwünsche auszusprechen! Möge es ihm noch 
manches Jahr vergönnt sein, in gleicher körperlicher 
und geistiger Frische seines segensreichen Amtes 
zu walten 1 Dr. Stifft. 


Lesefrüchte. 

Goodell. Was ich in der Gynäkologie zu verlernen 
gelernt habe . (Med. News 1890. Nov. 29. p. 560.) 

Verf. wendet sich gegen folgende, allgemein ver¬ 
breitete Vorurtheile: 


Dass das Klimakterium an sich starke Metro- 
rhagieen mit sich bringe, während oft Polypen oder 
gar beginnender Gebärmutterkrebs die Ursache sol¬ 
cher sind. Dass man während der Menstruation keine 
chirurgische Operation vornehmen soll Man sucht 
sich diese Zeit natürlich nicht extra dazu heraus 
und muss sie bei Operationen an der Gebärmutter 
selbst, z. B. Myotomie oder Hysterektomie und drgl., 
vermeiden: dagegen wählt er für das Cürettement 
bei Endometritis gerade gern diese Zeit, da die 
dann geschwollene Schleimhaut sich gründlicher aus¬ 
schaben lässt. 

Nicht immer sind Lageveränderungen der Ge¬ 
bärmutter an sich pathologische Zustände, welche 
allerhand nervöse Erscheinungen erklären. Vielmehr 
liegen oft Störungen im Nervensystem selbst zu 
Grunde, die durch die örtliche Behandlung mit 
Pessaren oder Intrauterin*Stiften eher verschlimmert 
als verbessert werden. 

Dass eine Wöchnerin' sich nicht rühren dürfe. 

Dass Eiterungen in den Brüsten von verhältniss- 
mässig zu starker Absonderung der Milch entständen. 
Sie entstehen stets von wunden Brustwarzen, da 
sie niemals nach Todtgeburten oder Aborten auf- 
treten. 

Die sog. „uterinen Symptome* werden gar häu¬ 
fig mit Unrecht als unbedingte Folge irgend einer 
Gebärmutterkrankheit angesehen und die kleinsten 
Befunde, z. B. ein Cervixriss als Grundursache für 
ein tiefes Nervenleiden angesehen, während gemüth- 
liche Einwirkungen und dergl. die nervösen Stör¬ 
ungen: Schwächegefühl, Schlaflosigkeit, Rücken- 
schmerz, Kopfschmerz etc. veranlasst haben. Von 
dieser falschen Vorstellung sich frei zu machen, hat 

G. die grösste Mühe gekostet. 

Endlich dass die Heisswasserdouche als Pana- 
cee gegen alle entzündlichen Vorgänge in den 
inneren Geschlechtsteilen dienen soll. Mit der 
kritiklosen lange Zeit fortgesetzten Anwendung der 
Douche wird oft viel Unheil angerichtet, auch wenn 
nur Zeit für ernstere Maassregeln damit verloren 
wird. (Aus „Centralbl. f. Gynäkol.* 1891. Nr. 27. 
p. 571.) 

H. Fehling. Ueber Wesen und Behandlung der 
puerperalen Osteomalakie . (Arch. f. Gynäkologie. 
Bd. XXXIX. Heft 2.) 

Die Osteomalakie ist nach F. an einzelnen Orten 
z. B. in Basel endemisch; sie ist keine Proletarier¬ 
krankheit. Sie kommt zuweilen erst im Wochen¬ 
bett oder noch später zum Ausbruch; es giebt sogar 
nicht puerperale Fälle. 

Bei eingehender Nachforschung nach den Ur¬ 
sachen der Osteomalakie hat F. gefunden, dass weder 
eine abnorme Kalk- und Phosphorsäureausscheidung 


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14 


durch den Urin Btattgefunden hat, noch eine Bakterien- 
thätigkeit zu Grande liegt, noch eine verminderte 
Alkaleseenz als Ursache anzusehen ist (wenn eine 
solche auch zuweilen nachgewiesen werden kann, 
so ist sie doch keine geringere, als bei anderen 
constitutionellen Krankheiten), dass weder bessere 
Pflege, noch diätetische Mittel oder Badekuren, oder 
Arzneimittel einen anderen Einfluss haben, als höch¬ 
stens vorübergehende Erleichterung. 

Der günstige Erfolg des Kaiserschnittes nach 
Porro und der von F. zuerst an gewendeten Castra¬ 
tion (von F. 9 Fälle: 1 Todesfall, 8 Heilungen; 
von anderen 12 Heilungen) beruht nach F. nicht 
auf der Sterilisiruog der Kranken, sondern auf der 
Beseitigung der mit der Ovulation im Zusammen¬ 
hang stehenden vasomotorischen Vorgänge. 

Die Adnexa uteri sind in der Regel hyperämisch, 
das Parenchym der Ovarien zwar unverändert, doch 
dürfte mit einer erhöhten Thätigkeit der Ovarien 
die überaus grosse Fruchtbarkeit der osteomalakischen 
Frauen Zusammenhängen. Nach F. kommt durch 
die krankhafte Thätigkeit der Ovarien eine krank¬ 
hafte Reizung der Vasodilatatoren reflectorisch dem 
den Sympathicusbahnen zur Auslösung. „Unter dem 
Einflüsse der venösen Stauungshyperämie des 
Knochens kommt es zuerst zur Auflösuug der Kalk¬ 
salze, dann zur Einschmelzung des Knochengewebes. * 
(„Trophoneurose der Knochen/) 

Zum Schluss spricht sich F. noch über die 
Porro’sche Operation aus. (Aus „Centralbl. f. Gynä¬ 
kologie Nr. 27, p. 575.) 

Zu diesem bemerke ich, dass unter Berück¬ 
sichtigung der Fehling*schen Auseinandersetzungen 
über die Ursache der Osteomalakie sich recht wohl 
eine erfolgreiche homöopathische Behandlung denken 
liesse, und wir wollen hoffen, dass wir auch einmal 
Heilungen von Osteomalakie durch unsere specifischen 
Mittel zu hören bekommen. Göhrum. 


Dr. Gauoher. Allgemeine Impfkrankheit in Folge 
von Impfung mit Pockenlymphe . Tod. (Allg. 

medic. Central-Zeitung No. 69, 1891.) 

G. berichtete über eine Beobachtung, welche 
ein neugeborenes Kind betrifft, welches 9 Tage nach 
der Impfung plötzlich von ausgedehnten deutlichen 
Impfausschlägen befallen wurde. Temperatur 40,5, 
enorme Beschleunigung der Respiration, Tod 14 Tage 
nach der Vaccination. Bei der Obduction fand man 
infectiöse Leber-, Milz- und Nierenerkrankung, enorme 
Congestion beider Lungen. 

Die Krankheit, welche hier beobachtet wurde, 
ist nach G. kaum anders zu deuten, als eine Folge¬ 
erscheinung der für das Kind vielleicht zu starken 
Impfung. 


Dr. F. Kunze. Ein Fall acuter Arsenik - Vergiftung. 
(Therap. Monatshefte, 10. Heft, 1891.) 

Der Fall betrifft eine Vergiftung durch Liq. Kal. 
arsenicos. . 

Einem 32jährigen kräftigen Fabrikarbeiter war 
gegen eine bei ihm seit Monaten bestehende Psoriasis 
wiederholt Arsenik in folgender Darreichung ver¬ 
ordnet worden: 

Liq. Kal. arsenicos. 

Aq. Menth, pip. aa 10,0. 

MDS. 3 Mal tägl. 8—15 Tropfen zu nehmen. 

Mit 3 Mal 8 Tropfen am Tage anfangend, sollte 
Pat. seine jedesmalige Tagesdosis um 3 Tropfen 
erhöhen. Diese Verordnung befolgte er anfänglich 
genau. Als er jedoch etwas mehr als die Hälfte 
der Tropfen verbraucht, war er nachlässig gewor¬ 
den und hatte mehrere Tage ausgesetzt. Nun wollte 
er das Versäumte nachholen und den Rest, etwa 120 
bis 130 Tropfen, auf einmal nehmen. Nach einer 
kräftigen und reichlichen Mittagsmahlzeit führte er 
sein Vorhaben aus. Einige Minuten darauf verspürte 
er die heftigsten brennenden Schmerzen in der 
Magengegend und bald konnte er sich vor Schmerzen 
nicht aufrechthalten. Es entwickelte sich ein in¬ 
tensives Krampfgefühl im Magen, der Krampf schien 
sich auf die Speiseröhre fortzusetzen und drohte 
dem Pat. die Kehle zuzuschnüren. Er krümmte 
sich wie ein Wurm vor Schmerzen und zeigte eine 
todtenblasse Gesichtsfarbe. 

Als K. bald darauf herbei geeilt war, liess er 
sofort aus der etwa eine Stunde entfernt liegenden 
Apotheke Antidotum Arsenici holen und machte 
sich inzwischen daran, den Magen des Pat. zu ent¬ 
leeren. 

Zunächst fiel der ängstliche Ausdruck des Ge¬ 
siebtes, verbunden mit der durch die heftigen 
Schmerzen hervorgerufenen Verzerrung der Züge 
und die völlig blasse Farbe auf. Der Puls war 
schwach und ziemlich beschleunigt. — Während 
der Ausspülung, zu der ca. 10 Liter Wasser ver 
wandt wurden, hatten die Magenschmerzen etwas 
abgenommen. Es war nur noch eine gewisse Em¬ 
pfindlichkeit, besonders beim Betasten der Magen¬ 
gegend und Druckgefühl an dieser Stelle vorhan¬ 
den. — Nach 3 Tagen konnte Pat. seine Arbeit 
wieder aufnehmen. 

Ein Fall von permanenter Taubheit , wahrscheinlich 
in Folge von Chinin wird von Samuel G. Dabney, 
Prof, der Physiologie, der Augen- und Ohren¬ 
heilkunde in Louisville, Ky., mitgetheilt: 

Frau S. erhielt vor 5 Jahren, weil sie sich die 
Brust erkältet hatte, 12 Chininpillen, in 24 Stunden 
zu nehmen, die Chininmenge in denselben ist un¬ 
bekannt. Nach einigen Tagen wurde sie sehr taub 


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15 


and batte starkes Ohrensausen, welches allmählig 
naohliess and beinahe verschwand. Die Taubheit 
besserte sich in einigen Wochen bis za dem 
Grad von Schwerhörigkeit, den sie jetzt zeigt. Sie 
hört nur laute Worte dicht am Ohr gesprochen, 
die Uhr (normal auf 40") nur beim Andrücken an 
das Ohr; die Stimmgabel C 2 wird besser durch 
Luft- als Knochenleitung gehört; Lufteinblasen er- 
giebt Durchgängigkeit beider Tuben, jedoch keine 
Besserung des Gehörs; beide Trommelfelle haben 
normales Aussehen. D. nimmt danach mit fast 
absoluter Gewissheit ein Labyrinthleiden in Folge 
des Ohiningebrauches an. Roosa schliesst einen 
Aufsatz über dieses Thema: „Nach unserer gegen¬ 
wärtigen, sowohl klinischen wie experimentellen 
Kenntniss der Chinin Wirkung müssen wir annehmen, 
dass dieselbe eine Congestion nach dem Labyrinth 
und Trommelfell verursacht und in einigen Fällen 
geradezu Entzündung mit bleibenden Gewebsver¬ 
änderungen veranlasst.* (Aus „Zeitschrift für Ohren¬ 
heilkunde«. Bd. XXII, Heft 1—2, p. 33.) 


Referat. 

Dr. Kölliker. Ueber die Anwendung der Bro¬ 
mäthylnarkose in der chirurgischen Praxis . Central¬ 
blatt für Chirurgie No. 20. 1891. 

Die Broraäthylnarko8e, welche bei den Zahn¬ 
ärzten*) einer ausserordentlichen Verbreitung sich 
erfreut, scheint unter den deutschen Chirurgen noch 
wenig Anhänger gefunden zu haben, und doch ist 
diese Narkose für jene Chirurgen, welche häufig 
kleinere Operationen auszuführen haben, von grossem 
Werthe. Jeder Leiter einer chirurgischen Poli¬ 
klinik wird fast täglich vor die Frage gestellt, ob 
er diese oder jene kleine Operation mit oder ohne 
Chloroformnarkose vornehmen soll. Diese Fälle sind 
es nuu, welche für die Bromäthylnarkose sich eignen. 

Kölliker selbst wendet die Bromäthylnarkose 


*) Vgl. vor allen: Schneider, Deutsche Monats¬ 
schrift für Zahnheilkunde 1890. 


folgendermaassen an: Die Vorbereitungen geschehen 
wie zur Chloroformnarkose, namentlich wird das 
Herz untersucht, der Hals, die Brust und der Unter¬ 
leib von beengenden Kleidungsstücken befreit. Der 
Kranke wird liegend narkotisirt Empfehlenswerth 
ist es, alle äusseren Eindrücke möglichst fernzu¬ 
halten, so wie den Kranken zunächst an den Geruch 
des Bromäthyl zu gewöhnen. Man sorge also für 
absolute Ruhe im Operationszimmer und träufle zu¬ 
nächst nur wenige Tropfen in die Maske. Nach 
einigen Secanden wird dann das ganze vorgesehene 
Quantum aufgeschüttet und die Maske möglichst luft¬ 
dicht aufgelegt. Der Puls wird während der Nar¬ 
kose beobachtet, ein Assistent meldet, die Uhr in 
der Hand, die 30. und 50. Secunde seit Beginn 
der Narkose. Um festzustellen, wann die Narkose 
eingetreten ist, wird ein Arm des Kranken empor¬ 
gehoben; sobald er den Arm sinken lässt, ist der 
Zeitpunkt zur Operation eingetreten; in der Regel 
ist das nach 50—60 Secunden der Fall. Die Nar¬ 
kose hält 1 —3 Minuten an. Als Dosis werden für 
Kinder 5—10 g, für Erwachsene 10—15 g benutzt: 
als Maske die von Skinner, welche mit einem 
Gummiüberzuge zu versehen ist; zweckmässig über¬ 
deckt man noch die ganze Maske mit einem Flanell¬ 
tuche. 

Irgend welche unangenehmen Ereignisse bei 
der Narkose in der hier angegebenen Weise wurden 
bis jetzt nicht beobachtet. In einem Falle stellte 
sich nach Vollendung der Operation — Thermo - 
cauterisation eines gangränösen Schankers — und 
nach der Entfernung der Maske eine kurz dauernde 
lebhafte Excitation ein. Unmittelbar nach der Nar- 
cose sind die Kranken so frisch wie vor derselbe!); 
Nachwehen fehlen. 

Die Eingriffe, welche unter Bromäthylnarkose 
vorgenommen werden können, sind: 1) Abscessinci- 
sionen jeder Art 2) Incisionen nicht zu ausge¬ 
dehnter Phlegmonen. 3) Tenotomieen. 4) Ther- 
mokauterisationen (Angiome, phagedänische Ge¬ 
schwüre etc.) 5) Sequesterextractionen (Panaritiep, 
Knochensyphilis). 6) Exstirpationen kleiner Tumoren. 
7) Evidement tuberculöser Drüsen, kleinerer tuber- 
culöser ostitischer Herde, nicht zu ausgedehnter 
lupÖ8er Stellen. 


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Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttg&rt, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedlcke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Gresener 4 Schramm in Leipzig. 


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Band 125. 


Leipzig, den 21. Juli 1892. 


No. 3 n. 4. 


ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE ZEITIM 


HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggrars homöopath. Offlcln) in Leipzig. 


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Poetenetelten nehmen Bestellnngen an. — Inserate, welche an B. Messe in Leipzig nnd dessen Filialen oder an die 
Verlagshandlung selbst (A. Marggrafs homöopath. Offlein in Leipzig) zu richten sind, werden mit 80 Pf. pro einmal 
gespaltene Petitseile und deren Raum berechnst. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 


Inhalt: Die PotenzlroiiQ. Vergleichende Nenralanalyse von 17 Alkaiisalzen. Physiologisch geprüft von 
Prof. Dr. G. Jäger-Stuttgart. (Ports.) — Akute Miliartuberkulose der Harnblase Im Anschluss an eine chronlsohe 
Lungentuberkulose. Vortrag, geh. von Dr. med. StiffirLeipzig. — Die Homöopathie nnd der Suggestlonlsmus. Eine 
offene Antwort an Herrn Dr. Fuchs-München von Dr. Gerster-München. — Das Bruchband der Zukunft mit ring¬ 
förmiger Luftpelotte. Von Dr. Neuschäfer» Frank fort a. M.— Zur Behandlung mit Tubercuiln. Von Dr. Simon-Biel.— 
Epidemiologische Ecke. — Utteratnr. — Leeefrfiohte. — Reohnuageablegung. — Personalla. — Anzeigen. 


Die Potenzirung. 

Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger- 
Stnttgart. 

IV. Vergleichende Nenralanalyse von 
17 Alkalisalzen. 

(Fortsetsang.) 

Schlussfolgerung für Basen and Säuren. 

Aus diesen Ergebnissen an den Salzen lässt sich 
nun noch zweierlei schliessen, worauf ich schon 
früher hinwies: 

1) auf die Differenz der Basen dieser verschie¬ 
denen Salze, also den Grad der Lebensfeindlichkeit 
von Natron, Kali nnd Ammonium causticnm. Nach 
der Nenralanalyse der Salze ist kaustisches Natron 
weniger und kaustisches Ammoniak mehr lebens¬ 
feindlich als Kali. Dass für Kali nnd Natron das 
mit der praktischen Erfahrung vollkommen über¬ 
einstimmt, wird von niemand bestritten werden. 
Dagegen könnte man bestreiten, dass das Ergebniss 
der Neuralanalyse bezüglich des Unterschiedes von 
Kali und Ammoniak der Erfahrung entspreche, 
indem man sich darauf beruft, dass die Aetz- 
Wirkung des Ammoniaks viel geringer sei als die 
der Kalilauge. Dieser Einwand führt uns aber ganz 
genau auf den von mir oft genug besprochenen 


Unterschied in der Stoffwirkung, nämlich den 
zwischen der chemischen Wirkung, die mit der 
Concentration resp. Masse z u n i m m t, und der 
nervösen Wirkung, die umgekehrt d. h. mit der 
Verdünnung zunimmt, also eine Wirkung des 
Flüchtigkeitsgrades ist. Objekt der Neuräl- 
analyse ist die letztere, d. h. die nervöse Wir¬ 
kung, und nicht die erstere, und darüber kann nun 
lediglich nicht gestritten werden, dass das kaustische 
Ammoniak eine viel stärkere nervöse Wirkung hat 
als das kaustische Kali, das bedingt schon der 
Unterschied der Flüchtigkeit: Weil das kaustische 
Ammonium weit flüchtiger ist, als kaustisches Kali, 
muss ceteris paribus seine nervöse Wirkung stärker 
sein und ist es bekanntlich auch in hohem Grad 
und zwar nach beiden Richtungen: a) in der Wir¬ 
kung auf die Riechnerven. Ammoniak hat einen 
sehr starken, schweren und widrigen Geruch, wäh¬ 
rend das kaustische Kali schwach auf die Geruchs¬ 
nerven wirkt, b) Auch inhalatorisch einverleibt 
wirkt Ammoniak viel stärker auf den ganzen Orga¬ 
nismus als Kalilauge, erzeugt Husten, Beklemmungs¬ 
gefühle etc. Ich bin hierüber zufällig genauer 
durch praktische Erfahrungen unterrichtet. Weil 
kaustisches Ammoniak auf organische Stoffe weniger 
ätzend und zerstörend wirkt als die anderen Cäustica, 
so bevorzugt man für Reinigung der Wollwäsche 
die Ammoniakseife. Dagegen ist die Fabrikation 

s 


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18 


der Ammoniakseife wegen der überaus lebensfeind¬ 
lichen und starkwirkenden Ammoniakdämpfe für 
die Arbeiter weit mühsamer, schädlicher und ge¬ 
fährlicher als die der Natron- und Kaliseifen, wie 
ich von dem betreffenden Fabrikanten selbst weiss. 
Mithin stimmen auch in dem Punkt Erfahrung und 
Neuralanalyse vollständig überein. 

2) ist ein Schluss gestattet in entgegengesetzter 
Richtung, nämlich von den gemessenen nieder- 
atomigen stickstoffhaltigen Verbindungen auf die 


hochatomigen organischen stickstoffhaltigen Sub¬ 
stanzen, wie es die Ptomaine, Alcaloide tu s. f. sind. 
Die bekannte Giftigkeit, die derartige Stoffe ent¬ 
falten können, hat ihr Seitenstück in der Hart¬ 
näckigkeit, mit welcher die Ammoniaksalse ihre 
Giftigkeit gegen das Verdünnungsverfahren verthei- 
digen. Auch insofern darf das bei den Ammoniak¬ 
salzen erhaltene neuralanalytische Resultat als eine 
Uebereinstimmung mit anderweitiger Erfahrung be¬ 
zeichnet werden. 


VI. Tabelle: Die unteren Potenzen der Alkalisalze nach den Säuren geordnet. 


Potenz 

8 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

18 

14 

15 

16 

Summe 

der Minus- 
werthe 

© 

Na. 

—36 

—34 

—30 

—22 

- 16 

—22 

-13 

— 8 

|+4 

+n 

+18 

+16 

+14 

+19 

180 

CG 

Ka. 

—70 

— 45 

—33 

—31 

—26 

-32 

-26 

—25 

—28 

—19 

—17 

—13 


+ 6 

372 

B 

S 

Am. 

—63 

—43 

-45 

—40 

-35 

-38 

—32 

—29 

—29 

-25 

—18 

—23 

—22 

—33 

543 


Mittel 

-56 

—41 

—36 

— 31 

—26 

—31 

—24 

—21 

— 18 

— 11 

— 6 

— 7 

— 5 

—3 

316 

i 

Na. 

—25 

—31 

—25 

—20 

— 14 

- i°j 

+ i 

+ 7 

+10 

+ii 

+12 

+10 



125 

H 

Ka. 

—43 

—28 

—26 

—25 

—28 

—20 

—12 

—12 

—11 

— 8 

— 7 

— 2 



222 

o 

H 

Am. 

—64 

—44 

-46 

—41 

-26 

—47 

—32 

-31 

-20 

—15 

—11 

—12 



442 

s 

p5 

Mittel 

-44 

—34 

-32 

—29 

—23 

—26 

-14 

—12 

— 7 

— 4 

— 2 

— 1 



228 

© 

■f 

CO 

CD 

0 

© 

3 

Na. 

Ka. 

Am. 

—14 

—37 

—50 

—16 

— 19 

—36 

i i i 

S C5 » 

|+5 

-20 

—24 

+ 9 

— 8 

—37 

+18 

1+3 

—21 









32 

100 

223 

o 

W 

Mittel 

-84 

—24 

—16 

—18 

— 12 

0 









129 


Na. 

— 5 

|+ 6 

+1 

+28 

+28 










5 

Ü 

Ka. 

—40 

—28 

—13 

—14 

—10 










100 

| 

Am. 

—34 

—22 

—25 

-30 

—23 










165 


Mittel 

—26 

—13 

—10 

— 7 

- 2 










58 


Die vorstehende Tabelle VI hat keine anderen 
Ziffern und Stoffe zur Grundlage als die Tabellen 
III—V. Sie Btellt sie nur anders zusammen und 
bringt dann in der Columne der Mittelziffern neues 
Material, das uns in den Stand setzt, einen Schluss 
auf den zweiten Componenten der gemessenen Salze 
zu machen. Während in den Tabellen HI—V die 
Salze nach ihren Basen zusammengestellt sind, 
ordnet sie die Tabelle VI nach den Säuren resp. 
Halogenen, und die Mittelziffern gestatten uns jetzt 
einen Schluss auf die toxischen Eigenschaften dieses 
Factors zu machen. Man könnte natürlich diese 
Stoffe auch für sich allein der Neuralanalyse unter¬ 


ziehen, allein 1) wäre das eine neue mühsame Ar¬ 
beit, 2) inhalirt man eine Säure oder ein Halogen, 
so hat man einen Stoff, bei dem die chemischen 
Wirkungen viel stärker sind als bei den chemisch 
indifferenten Salzen, und was bei der Potenzirung — 
denn es handelt sich bei meiner Arbeit nur um 
diese — untersucht werden muss, ist nicht die 
chemische Wirkung, sondern die nervöse. Denn 
darüber, dass bei der Verdünnung eines Stoffes 
dessen chemische Wirkung im geraden Verhältniss 
zur Masse abnimmt, besteht ja lediglich keine Mei¬ 
nungsverschiedenheit, sondern nur darüber sind die 
Geister im Unklaren, ob es eine Wirkungsweise 


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19 


der Stoffe giebt, welche mit der Verdünnung zu¬ 
nimmt. Um diese handelt es sich, diese misst die 
Neuralanalyse, und je mehr man sich hierin die 
chemische Wirkung vom Hals halten kann, desto 
besser ist es. 

Die Tabelle VI giebt uns nun folgende Giftig¬ 
keitsscala: 

Chlorsalze haben die Giftigkeitsziffer 58 

Kohlensäure Salze „ „ * 129 

Phosphorsaure Salze „ „ „ 228 

Bromsalze „ „ „ 316 

Bei Besprechung dieses Ergebnisses müssen wir 
die Halogene und die echten Säuren auseinander¬ 
halten : 

a) Halogene haben wir zwei: Chlor mit 58 
und Brom mit 316 Giftigkeitsziffer. Dass die ner¬ 
vöse Wirkung des Brom die des Chlor übertrifft, 
ist unbestreitbar: a) Der Geruch des Brom, das 
seinen Namen von bromos = Gestank hat, ist weid 
widerwärtiger, feindseliger als der des Chlors und 
erinnere ich mich noch aus meiner Studienzeit leb¬ 
haft eines Vorfalls. Man machte einen Versuch, 
einen Gesichtskrebs mit einer Brompaste zu ätzen. 
Die infernalischen Dämpfe des Brom schlugen das 
ganze Auditorium und schliesslich die Operateure 
in die Flucht ß) Auch die Dosirung der Arznei¬ 
bücher stimmt damit. Im alten Sobernheim wird 
die Anfangsdosis von Bromwasser (1: 40) auf 5—6 
Tropfen, die von Chlorwasser auf 1 Scrupel = 1,2 
Gramm, also, das Gramm zu 20 Tropfen gerechnet 
auf die 4fache Menge festgesetzt 

b) Säuren haben wir zwei: Kohlensäure mit 129, 
Phospborsäure mit 228, letztere also mit etwa doppelt 
so grosser Giftigkeitsziffer. Unbestreitbar ist die Phos¬ 
phorsäure viel giftiger als Kohlensäure und es 
könnte nur auffallen, dass der Unterschied der 
Ziffern nicht noch grösser ist. Um zu prüfen, wo¬ 
her das rAhrt und ob das Verhältnis auch bei den 
freien 8äuren dasselbe ist, bedarf natürlich weiterer 
Messungen, die ich aber unterlassen habe, weil sie 
mit dem eigentlichen Zweck der Arbeit nichts zu 
thun haben. 

c) Nun b’eibt noch die Vergleichung der Halo¬ 
gene einerseits mit den Säuren andererseits und 
zwar so: a ) dass Bromsalze giftiger sind als Phos¬ 
phorsalze, also Brom giftiger als Phosphorsäure, 
das stimmt. Nach Sobernheim ist die Phosphor¬ 
säure „eine geruchlose Flüssigkeit von angenehmem 
saurem Geschmack 11 , „die mildeste unter den Mine¬ 
ralsäuren *, die Anfangsdosis 10 Tropfen der con- 
centrirten Substanz, während von Brom nur 5 Tropfen 
einer Lösung von 1 Brom auf 40 Wasser, ß) Nach 
der Tabelle müsste Kohlensäure lebensfeindlicher 
sein als Chlor, wenn man ohne Weiteres vom 
Charakter der Salze auf die der Constituentia der¬ 
selben schliessen darf. Das scheint nun nicht unter 


allen Umständen erlaubt zu sein und zwar dann 
nicht, wenn es sich um zwei so verschiedene Salz¬ 
bildner wie Kohlensäure und Chlor handelt. Koh¬ 
lensäure ist bekanntlich die schwächste Säure, so 
schwach, dass in den kohlensauren Alkalien noch 
die kaustischen Eigenschaften ihrer Basen zur 
Aeusserung gelangen. Chlor dagegen ist eine sehr 
starke Säure und raubt seinen Basen die kaustischen 
Eigenschaften vollständig. Wahrscheinlich liegt 
darin die Erklärung des neuralanalytischen Resul¬ 
tates und zwar so: In den Chlorsalzen ist die 
gegenseitige Bindung und Neutralisation eine viel 
vollständigere als in den Kohlensäuren, desshalb 
sind sie „neutraler* weniger lebensfeindlich als die 
kohlen sauren, bei welch letzteren noch die grössere 
Giftigkeit alkalischer Stoffe zu Tage tritt. Ob diese 
Deutung richtig ist, bedürfte natürlich weiterer Prü¬ 
fungen, aber hier,d. h. für unsere Frage, ist das gleich- 
giltig; andererseits bezieht sich ja das eigentliche 
neuralanalytischo Resultat gar nicht auf die Säuren, 
sondern auf die Salze, und dass Kochsalz von der 
Neuralanalyse für viel weniger giftig erklärt wird 
als Soda, das stimmt mit den anderweitigen Er¬ 
fahrungen in jeder Hinsicht überein: Ersteres ist 
das Ideal eines indifferenten Salzes, letztere ein 
„Laugensalz*. 

Schlussfolgerung. 

Diese hat sich mit mehreren Dingen zu be¬ 
fassen : 

1) mit der Methode. Diese ist die Neural¬ 
analyse. Dadurch, dass wir sie zuerst ausschliess¬ 
lich auf die unteren giftigen Potenzen der behan¬ 
delten 8toffe an wandten, bekamen wir die Möglich¬ 
keit, die Angaben dieser Methode mittelst Erfah¬ 
rungen, die mit Hilfe anderer Methoden gemacht 
worden sind, auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen. 
Ich hätte gewünscht, dass diess in noch ausge¬ 
dehnterem Masse möglich gewesen wäre, allein 
„aller guten Dinge sind drei, nicht eine Unzahl*. 
Für jeden Vorurtheilslosen, dessen Belehrungsfähig¬ 
keit noch nicht bankrott geworden ist, sind die 
beigebrachten Beweise genügend — ich will nicht 
sagen, um alles jetzt gläubig hinzunehmen, nein — 
um zur Einsicht zu gelangen, dass man nicht in 
die Welt gesetzt ist, um entweder zu zweifeln oder 
zu glauben und zu schwatzen, sondern um zu han¬ 
deln: die Neuralanalyse hat die Probe auf dem 
Gebiet der Giftigkeit glänzend bestanden und wer 
diese Ansicht gewonnen, wird nun auch die An¬ 
gaben, welche wir im nächsten Abschnitt bezüglich 
der oberen Potenzen und ihrer Belebungseffekte 
vorlegen, mit anderen Augen ansehen, als wenn 
diese Vorprüfung unterlassen worden wäre. Ich 
habe übrigens in dieser Beziehung noch einen 
Trumpf und zwar den Haupttrumpf auszuspielen. 
Es ist eine unbestreitbare Thatsache, dass bei allen 

3* 


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20 


Stoffen, die Giftwirkungen haben, mit Verminderung 
der Masse resp. der Concentration die Giftwirkungen 
an Heftigkeit verlieren und schliesslich ein Punkt 
kommt, wo sie überhaupt aufhören. Nun betrachte 
man die Zifferreihen der 17 gemessenen 8alze, ob 
sie nicht ganz genau bei allen diesen 17 Stoffen 
diese Thatsache ebenfalls zum Ausdruck bringen, 
also mit dieser Generalerfahrung aller Methoden 
übereinstimmen? Allerdings bezieht sich diese Ueber- 
einstimmung nur auf das schliessliche Endresultat, 
betrachten wir dagegen die einzelnen Zifferreihen 
genauer, so stossen wir auf die gleiche Erscheinung, 
die wir schon bei den Messungen von Kali car- 
bonicum nach dem Verschlucken fanden: die Ab¬ 
nahme der Giftigkeit mit fortschreitender Verdün¬ 
nung bildet keine gerade Linie, wir stossen 
immer wieder auf Stellen, wo die Linie gebrochen 
ist, entweder so, dass trotz der Verdünnung um 
eine Potenz die Giftigkeitsziffer die gleiche geblieben 
ist, oder dass sie sogar zugenommen hat, oder sie 
hat zwar abgenommen, aber die Abnahme ist bald 
eine grössere, bald eine kleinere, als bei der vor¬ 
hergehenden oder nachfolgenden Potenzirung. Für 
diesen eigenthümlichen Verlauf der Giftigkeits¬ 
abnahme in Folge der Verdünnung fehlt es uns 
allerdings an Erfahrungen auf dem toxikologischen 
oder pharmacologischen Gebiet; allein da frage ich: 
hat denn bisher irgend ein Arzneimittelprüfer, sei 
es ein allopathischer oder homöopathischer, je eine 
so fein abgestufte systematische Durchprüfung der 
verschiedenen Dosen nach irgend einer Methode 
überhaupt einmal gemacht? Meines Wissens ist 
das niemals geschehen und deswegen sind diese 
feinen Unterschiede auch noch von niemand be¬ 
obachtet worden. Dieser Mangel an Controle der 
Methode durch andere Methoden wird aber dadurch 
reichlich ersetzt, dass nicht blos ein Stoff gemessen 
wurde, sondern deren 171 und wenn sich nun eine 
Erscheinung bei jeder dieser 17 Messungsreihen 
wiederholt, so liegt darin die Garantie, dass es sich 
hierbei nicht um Fehler, Zufälligkeiten und andere 
Dinge, die sich ja wohl einmal einschleichen können, 
handelt, sondern um einen in der Natur der Dinge 
liegenden Vorgang, über den ich mich schon bei 
Besprechung der Potenzen von Kali carbonicum 
zur Genüge geäussert habe. Für die Lähmungs¬ 
wirkung gilt das gleiche wie für die Belebungs¬ 
wirkung: ihr Mass hängt ab von der Energie der 
Molekularbewegung, die das Produkt aus Masse und 
Geschwindigkeit ist. Nimmt bei der Verdünnung 
die Geschwindigkeit der Moleküle nicht so stark zu, 
dass der Ausfall an Masse nicht blos gedeckt, son¬ 
dern übercompensirt ist^o bleibt nicht nur bei den 
oberen Potenzen der Fortschritt im Belebungseffekt 
aus, sondern auch bei den unteren Potenzen die 
Abnahme des Lähmungseffektes. Das ist so klar, 
wie eine Sache nur sein kann. 


2) Bezüglich der Dosirungsfrage ist das Er- 
gebniss der Untersuchung nach folgenden Rich¬ 
tungen bemerkenswerth: 

a) Es zeigt sich, dass es ganz falsch ist, zu 
glauben, in der Homöopathie könne man, um an¬ 
fängliche Giftwirkungen, die man ja doch vermeiden 
will, hintanzuhalten, von der gradweisen Verschie¬ 
denheit der Giftigkeit der verschiedenen Stoffe ab- 
seben und bei der Dosirung nach einer allgemeinen 
Schablone verfahren. Hier steht erstens fest: 
Will man Giftwirkungen vermeiden, so muss zum 
mindesten bis zur Indifferenz verdünnt werden. 
Zweitens: Unsere Untersuchung zeigt, dass die Lage 
des Indifferenzpunktes einmal im allgemeinen eine viel 
höhere ist, als die heutige Homöopathie annimmt. 
In der dritten Verreibung ist keines der 17 Salze 
indifferent; in der so beliebten 6. Potenz haben nur 5 
von den 17 den Indifferenzpunkt überschritten. End¬ 
lich wenn einer meint, mit der 15. Potenz habe er 
bereits alle Gerechtigkeit erfüllt, so irrt er sich 
auch noch, denn 3 der 17 Salze bringen in 15. Po¬ 
tenz noch Lähmungserscheinungen, also Giftwir¬ 
kungen hervor — 3 von 17 sind 17°/ 0 ! Drit¬ 
tens hat sicher niemand, weder Homöopath noch 
Allopath noch ich selbst erwartet, dass die Lage 
des Indifferenzpunktes so grosse Verschiedenheiten 
aufweise, vollends nicht, dass innerhalb einer relativ 
so naheverwandten Stoffreihe solche Verschieden¬ 
heiten möglich seien, wie die zwischen Kochsalz mit 
Indifferenz zwischen 3. und 4. Potenz und Brom- 
ammonium mit Indifferenz in der 21. Potenz! 

b) Angesichts dieser grossen Unterschiede ver¬ 
langt ein praktischer Fortschritt in der Do¬ 
sirungsfrage zum mindesten eine systematische 
Durchprüfung der gebräuchlichsten Arzneimittel, 
um festzulegen, wo ihre Indifferenzpunkte liegen. 
Erst dann weiss man, wie hoch jedes potenzirt 
werden muss, um wenigstens vor Giftwirkung sicher 
zu sein. Allerdings genügt es hierbei lAcht, dass 
nur eine einzige Person diese Prüfung vornimmt, 
das ist so klar, dass ich mich hier nicht ausführ¬ 
lich zu äussern brauche — ich sage nur: die Pa¬ 
tienten, welche homöopathisch behandelt werden 
wollen, sowie die Aerzte, welche homöopathisch 
curiren wollen, müssen sicher sein, dass sie keine 
Arzneien bekommen, die so ungenügend verdünnt 
sind, dass sie bei sensiblen Personen noch Gift¬ 
wirkungen hervorbringen. Dieses berechtigte Ver¬ 
langen ist nur zu erfüllen, wenn für jeden Stoff die 
Potenz festgestellt ist, in welcher er auch noch bei 
Personen von grosser Sensibilität wenigstens in¬ 
different ist. Dass man das mittelst der Neural¬ 
analyse ausführen kann, habe ich bewiesen. Weiss 
jemand eine bessere Methode, gut, dann soll er 
losschiessen. 

3) In obigen Messungen kommt die Thatsache 
zum Ausdruck, dass es selbst unter den für so 


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harmlos geltenden Kalisalzen solche giebt, die noch 
in so ungeheurer Verdünnung wie der billionsteu, 
trilliousten, falls sie der Athmungsluft beigemengt 
sind, Giftwirkungen, Lähmungserscheinungen u. 8. f. 
hervorbringen. Das eröffnet einen merkwürdigen 
Einblick in das, was man „Luftgifte 11 nennen muss 
und was vielleicht nichts anderes ist als das, was 
man „genius epidemicus* oder in der Sprache des 
Paracelsus „siderischen Einfluss“ nennt. Ich will 
das, was sich mir hier von Erwägungen, Betrach¬ 
tungen und Beobachtungen aufdrängt, in der Feder 
behalten, weil es uns zu weit ab von Gegenstand 
und Zweck der vorliegenden Arbeit führen würde, 
allein ganz weglassen wollte ich den Hinweis nicht, 
um denen, die so selbstzufrieden mit ihrem Wissen 
und Können sind, auch die Kehrseite zu zeigen, 
nämlich wie ausserordentlich gross das Gebiet ist, 
auf dem wir nichts wissen, dass sie also entweder 
selbst zu forschen oder von anderen, die sich dieser 
Mühe unterziehen, zu lernen haben. 

4) Zum Schluss noch eines, um ein Missver¬ 
ständnis zu verhindern. Das Wort „Indifferenz“ 
ist nämlich einer verschiedenen Auslegung fähig, 
und es muss hier deshalb gesagt werden, was ich 
darunter verstehe, und das ist selbstverständlich 
durchaus nichts anderes als das, was ich in Ziffern 
ausgedrückt habe: Eine Potenz, die bei der neural- 
analytischen Prüfung weder Belebungseffecte noch 
Lähmungseffecte hervorbringt, nenne ich genau mit 
dem gleichen Recht indifferent, wie man eine Koch¬ 
salzlösung indifferent nennt, welche an lebenden 
Geweben, z. B. Blutkörperchen, weder Quellung 
noch Schrumpfung erzeugt, oder wie man eine 
Temperatur mit Bezug auf die eines andern Kör¬ 
pers indifferent nennt, wenn sie an letzterem weder 
eine Steigerung noch eine Verminderung seiner 
Wärme hervorbringt. Was also mit dem Wort 
„Indifferenz* nicht gesagt werden will, ist, dass 
die Einverleibung eines Stoffes in der von mir als 
„indifferent* bezeichneten Dosis für ein Lebewesen 
vollständig gleichgiltig sei. Das kann sie ausser 
anderem, wovon später gesprochen wird, schon des¬ 
halb nicht sein, weil Ausscheidung oder Bindung 
mehr oder weniger rasch den Concentrationsgrad, 
auf welchem die Indifferenz „beruht, ändern. 

(Fortaetsung folgt.) 


Akute Miliartuberkulose 
der Harublase im Anschluss an eine 
chronische Lungentuberkulose. 

Nach einem Vortrage, gehalten bei der Frühjahrs¬ 
versammlung des Säcbsisch-Anhaltinischen Vereins 
zu Halle a/S. von Dr. med. Stifft 

Die Tuberkulose der Harnblase, eine im All¬ 
gemeinen seltene Erscheinung, tritt meist als eine 


primäre Affection des Urogenital-Apparates auf, und 
zwar im Anschluss an die Entwickelung käsiger 
Herde in den Hoden, Nebenhoden und der Prostata 
oder im Anschluss an Tuberkulose der Nieren, 
Nierenkelche und Ureteren. Seltener ist ihr Vor¬ 
kommen als eine secundäre Erscheinung bei chro¬ 
nischer Lungenphthise beobachtet. Sie pflegt dann 
ebenfalls mit metastatischer Tuberkeleruption im 
übrigen Urogenitalsystem vergesellschaftet zu sein. 
Verlauf und Symptome gleichen in beiden Fällen 
denen einer chronischen Cystitis. 

In dem von mir beobachteten Falle, den ich 
hiermit der Oeffentlichkeit übergeben will, handelte 
es sich um das äusserst seltene Vorkommen einer 
alleinigen akuten Tuberkulose der Harnblase im 
Anschluss an eine seit Jahren bestehende Lungen¬ 
phthise und zwar, wie ich mit Bestimmtheit an¬ 
nehmen zu dürfen glaube, um eine durch lokale 
traumatische Einflüsse bedingte. Der Fall war 
folgender: 

Max R., 34 Jahre alt, litt seit mehreren Jahren 
an Lungenphthise. Patient consultirte mich zunächst 
im Juni, Juli und August vorigen Jahres in der 
hiesigen Poliklinik. Die Untersuchung ergab im 
rechten Oberlappen eine noch kleine Kaverne mit 
bronchopneumonischer Verdichtung der übrigen 
Lungensubstanz und reichlichen Rasselgeräuschen. 
Links zeigte sich nur Verdichtung und geringes 
Rasseln, die übrigen Lungenpartieen wurden im 
Zustande leichten Catarrhes befunden. Der Er¬ 
nährungszustand war ein noch ziemlich guter. Fieber 
und Nachtschweisse belästigten nur in geringem 
Maasse. Der Kranke erhielt nach einander Calcarea 
carbonica 03, Phosphor 05, Arsenicum jodatum 06 
und Pulsatilla 03 und erholte sich dabei sichtlich. 
Besonders nahmen Auswurf und Athembeengung 
wesentlich ab; auch die bekannten lancinirenden 
Schmerzen in der Schultergegend waren beiderseits 
seltener geworden und zeitweise ganz geschwunden. 
Im September und Anfang October hatte ich von 
dem Kranken nichts mehr gehört Da erschien 
am 25. October die Frau desselben und theilte mir 
mit, ihr Mann habe seit längerer Zeit wieder mehr 
Fieber und viel Auswurf gehabt, sei matter ge¬ 
worden, phantasiere jetzt bisweilen des Nachts und 
habe Öfter den Urin nicht lassen können, so dass 
er habe katheterisirt werden müssen. Es sei die 
letztere Erscheinung schon einmal vor Jahren für 
längere Zeit eingetreten. Ich rieth, den Kranken 
in unser Hospital zu bringen, was auch 2 Tage 
später, am 27. October, geschah. 

Status praesens bei der Aufnahme: Patient 
hochgradig abgemagert, apathisch, giebt auf Be¬ 
fragen aber richtige und klare Antworten. Tem¬ 
peratur 37,6. Puls 100, klein. Athmung 32. Im 
rechten Oberlappen grosse Kaverne, broncliopneu- 
monische Verdichtung bis über den Mittellappen 


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herabreichend, bronchiales Athmen, reichliche feuchte 
Rasselgeräusche. Unterlappen ziemlich frei. Links 
Befund ähnlich, Prozess weniger vorgeschritten. 
Reichliche Sputa cocta neben dünnflüssig eiterigem 
Auswurf, nicht stinkend. Mässige inspiratorische 
Dyspnoe. Milz leicht vergrössert, Leber normal. 
Urin wird normal entleert, klar. Therapie: Phos¬ 
phor 003 und Camphora bromata 03. 

28. October: Temp.Morgens37,5, Abends38,5. 
Allgemeinbefinden wie Tags zuvor. Es erfolgt ein 
dünner Stuhl. Da seit 12 Standen kein Urin ge¬ 
lassen worden war, die Harnblase sich aber gefüllt 
zeigte, wird katheterisirt und es werden mit Leichtig¬ 
keit durch einen mittelstarken elastischen Katheter 
ca. 500 Gramm Harn von ganz normalem Aussehen 
entleert. Zum innerlichen Gebrauch wird Nux 
vomica 03 interponirt. Allgemeinbefinden tagsüber 
unverändert. Am Abend macht sich wieder die 
Anwendung des Katheters nöthig. Es stellen sich 
derselben jetzt unerwartete Hindernisse entgegen. 
Der bisher benutzte elastische Katheter, Charriöre 
Nr. 22, war absolut nicht mehr in die Blase hinein¬ 
zubringen. Er drang bis zur Pars prostatica der 
Harnröhre vor und stak hier fest. Auch die 
kleineren Nummern, 20, 15, 10 brachten keinen 
besseren Erfolg. Mit Nr. 15 gelangte ich mehrmals 
in ein deutliches Divertikel der Pars membranacea, 
einen offenbar alten * falschen Weg“. Indess gelang 
es unter geringer Blutung immerhin noch ziemlich 
leicht, mit einem mittelstarken neusilbernen Katheter 
in die Blase einzudringen, worauf klarer, gegen das 
Ende hin etwas schleimiger Urin entleert wurde. 
Patient klagt danach nicht über Schmerzen; er ge- 
niesst Milch, Ei, Suppe, ist apathisch; Nachts schläft 
er ziemlich ruhig Es erfolgen 2 breiige Stühle. 

29. October: Temp. Morgens 37,5, Abends 38,4. 
Puls und Athmung wie Tags zuvor. Am Morgen 
wird der Urin, hell und etwas schleimig, durch 
denselben Metallkatheter leicht entleert; am Nach¬ 
mittage ist es wieder absolut unmöglich. Beim 
Herumführen des Katheters um die Symphyse er- 
giebt sich bei allen Versuchen ein unüberwindliches 
Hinderniss. Man hat den Eindruck, als sei die Pars 
prostatica in die Länge gezogen, deshalb der %u stark 
gekrümmte Schnabel nicht in die Blase zu bringen. 
Auch der nun angewandte Mercier’sche Katheter 
mit „einfacher Biegung“ wird ohne Erfolg versucht. 
Die Blutung wird bei den forcirten Versuchen 
stärker. Endlich gelingt es wieder mit einem 
elastischen Katheter, Charrtere Nr. 20, durcbzu- 
kommen und die Blase zu entleeren. Anfangs 
blutiger, dann schleimiger Urin entleert. Allgemein¬ 
befinden wie zuvor. Ein dünner Stuhl. Reichliche 
Sputa cocta. Nachts Patient sehr unruhig, stöhnt 
viel. Viel Durst. Gegen Morgen heftige Leib¬ 
schmerzen und Auftreibung des Leibes, weshalb 
ich um 5 Uhr zu dem Patienten gerufen werde. 


30. October: Temp.Morgens37,5, Abends37,5. 
Ich fand bei meinem ersten Besuche den Patienten 
stärker benommen. Verwirrtes Denkvermögen. 
Leichte Delirien. Er antwortet undeutlich, sieht 
starr um sich, verlangt stets zu trinken, stöhnt bei 
Druck auf den Leib, Pupillen weit. Puls 120, 
klein. Ich fand die Harnblase gefüllt und hielt 
eine erneute Katheterisation für nöthig. Es zeigten 
sich dieselben Schwierigkeiten. Sofort trat Blutung 
ein. Bei den wiederholten Versuchen hatte ich 
das Gefühl, als bleibe der Katheter in weichem, 
schwammigem Gewebe der Pars prostatica stecken. 
Endlich gelangte der elastische Katheter, Charri&re 
Nr. 20, wieder durch. Der entleerte Urin, 600 Gramm, 
war durchweg blutig, reagirte aber noch schwach 
sauer. Auch nach dem Katheterisiren sickert noch 
Blut durch die Harnröhre ab, weshalb innerlich 
Ferrum muriaticum 03 und Arnica 03, äusserlich 
kalte Arnica-Compressen angewandt wurden. Auf¬ 
treibung des Leibes und Schmerzhaftigkeit liessen 
sofort nach. Patient geniesst Milch und kräftige 
Suppe, bleibt aber apathisch, stöhnt häufig. Tags¬ 
über sickert fortwährend Blut aus der Harnröhre 
ab. Ein dünner Stuhlgang. Am Abend Blase 
wieder stark gefüllt und auf Druck sehr schmerz¬ 
haft. Mit grösster Schwierigkeit und unter starker 
Blutung werden mit dem elastischen Katheter 
700 Gramm blutigen Urins entleert, der alkalisch 
reagirt. Nacht sehr unruhig. Patient somnolent. 
Unwillkürlicher Abgang dünnen Stuhles. 

31. October: Temp.Morgens37,2,Abends36,4. 
Puls 140, Athmung 40. Schon früh werde ich zu 
dem Patienten gerufen, da während der Nacht viel 
Blut abgeflossen und die Gegend der Harnblase 
wieder hoch vorgewölbt und sehr schmerzhaft auf 
Druck ist. Die Compressen mussten deshalb schon 
entfernt werden. Patient war völlig benommen, 
aber sehr unruhig, stösst fortwährend unter Hin- und 
Herwerfen unartikulirte Laute aus, stöhnt, offenbar 
in Folge starker Schmerzen. Es werden innerlich 
Zincum 003 und Nux vomica 03 versucht, die 
etwas zu beruhigen scheinen. Eine Katheterisation 
erschien mit allen bisher angewandten Instrumenten 
völlig unmöglich. Dieselben blieben beim Eintritt 
in die Pars prostatica • wie in morschem Gewebe 
stecken, das man zu durchstossen fürchten musste. 
Es schienen nur der hohe Blasenstich oder die 
Boutonnifcre noch übrig, um die nothwendige Ent¬ 
leerung der Blase zu erreichen. 

In dieser Noth half noch allein der schwere bieg¬ 
same Zinnkatheter, dessen Anwendung ich nur ein Mal 
in einem Falle von Prostatahypertrophie gesehen 
hatte. Derselbe, bis zu einer nur noch geringen 
Biegung gestreckt, glitt fast leicht und ohne An¬ 
wendung von Gewalt in die Harnblase hinein! Es 
entleerte sich blutiger, vollständig ammoniakaliscber 
Harn, 800 Gramm, an dessen Entleerung sofort eine 


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Ausspülung der Blase mit 0,5°/ 0 er Kochsalzlösung 
von 38° C. angeschlossen wurde, bis die letztere 
klar abliefc Danach wurde Patient warm eingehüllt. 
Er blieb jetzt ruhig, stöhnte nicht mehr, wurde 
aber im Laufe des Tages schwächer und schwächer, 
refüsirte bald Nahrung und Trank und gab uns auf 
lautes Anrufen keine Antwort mehr. Dabei leise 
Delirien. Auswurf und Husten hatten ganz auf¬ 
gehört. Am Abend gelang die Katheterisation mit 
dem Zinnkatheter abermals leicht. Urin wieder 
blutig, ammonikalisch, abermalige Ausspülung. Blut 
war nach der ersten Ausspülung und in der Zwischen¬ 
zeit nicht mehr abgeflossen. In der Nacht trat 
völlige Pro8tration ein und unter den Erscheinungen 
der Herzparalyse erfolgte am 1. November früh der 
Exitus letalis. 

Ich habe bei der Schilderung dieser qualvollen 
Tage, die dem Tode des Patienten vorausgingen, 
etwas länger verweilt, erstens, um dem Leser ein 
klares Bild von diesem seltenen Abschluss einer 
chronischen Lungenphthise zu geben und zweitens, 
um in ähnlichen Fällen die Aufmerksamkeit sofort 
auf die Anwendung des mir allein geeignet er¬ 
scheinenden biegsamen Zinnkatheters hinzulenken, 
der mit Unrecht etwas absolet geworden zu sein 
scheint Wenigstens wurde er mir auf der Univer¬ 
sität nur zur Demonstration vorgezeigt. Hätte ich 
denselben sofort angewendet, würde ich dem Patien¬ 
ten manchen Schmerz, mir manchen Scbweisstropfen 
erspart haben. 

Die Lösung des Räthsels der so erschwerten 
Katheterisation sollte uns die Obduction geben. 
Dieselbe wurde 12 Stunden nach dem Tode von 
mir vorgenommen. Ich hebe nur die wesentlichsten 
Punkte hervor: 

Gehirn: Dura mater intakt. Pia getrübt, starke 
Gefässinjection. Am basilaren Theil, besonders am 
Infundibulum und den Sylvischen Gruben miliare 
Tuberkelknötchen. Hirnsubstanz ödematös. Ven¬ 
trikel mit serösem Fluidum gefüllt. 

Brusthöhle: Lungen hochgradig phthisisch 
verändert. In der rechten Lungenspitze überwall¬ 
nussgrosse Kaverne; ganze Lunge mit zahlreichen 
bronchopneumoniseben Herden und Tuberkelknöt¬ 
chen durchsetzt. Im Unterlappen Oedem. Links 
oben 2 kleine Kavernen, durchweg geringere broncho- 
pneumonische Infiltration. Herzmuskel sehr schlaft*. 

Bauchhöhle: Darmschlingen aufgetrieben, 

starke Gefässinjection; im Dünndarm zahlreiche 
oberflächliche Tuberkelgeschwüre. Auf dem visce¬ 
ralen Blatte des Peritoneums disseminirte Miliar¬ 
tuberkel. Mesenterialdrüsen geschwellt, zum Theil 
verkäst. Milz geschwellt, sehr blutreich. Leber 
normal. Harnblase hochstehend, dunkel roth durch¬ 
schimmernd in Folge starker, venöser Gefässinjection, 
das umgebende Zellgewebe serös durchdrängt. 
Harnblase wird mit Glied und Hodensack vorsich- 


I tig in toto herausgenommen, von der Harnröhre 
aus eröffnet. Harnröhrenschleimhaut normal, in der 
Pars membran&cea ein kleiner, 5 mm. langer 
„falscher Weg,“ Pars prostatica und Trigonum 
Lieutaudii vollkommen ausgefüllt mit Tuberkelge¬ 
webe und Blutgerinnsel. Nach Entfernung der 
Letzteren sieht man eine Unzahl frischer miliarer 
Knötchen, die der durch venöse Hyperämie kolossal 
verdickten und geschwellten, gleichsam in Gra¬ 
nulationsgewebe umgewandelten Schleimhaut auf- 
sitzen. Die tuberkulösen Veränderungen betreffen 
nur das Trigonum bis zur Einmündung der Ure- 
teren, die Pars prostatica und zum Theil die Schleim¬ 
haut-Auskleidung des Vas deferens beiderseits. 
Die übrige Blasenschleimhaut ist frei. Desgleichen 
werden Hoden, Nebenhoden mit Anfangstheil des 
Vas deferens, Nieren und Ureteren frei von milia¬ 
rer Tuberkeleruption wie auch von älteren käsigen 
Herden gefunden. Dagegen fanden sich Tuberkel¬ 
herde im Ductus thoracicus. 

Wenn es in unserem Falle auch klar ist, dass 
die akute Tuberkulose der Blasenschleimhaut wie 
auch die übrigen miliaren Eruptionen nur als eine 
Folge der Invasion des tuberkulösen Virus von 
dem primären Lungenherde aus auf dem Wege der 
Lymph- und Blutbahnen anzusehen sind, so tritt 
uns doch die Frage entgegen, warum blieb dabei 
die sonst gewöhnliche Miterkrankung des übrigen 
Urogenitalsystems aus und warum stehen die übri¬ 
gen miliaren Tuberkeleruptionen in gar keinem Ver¬ 
hältnis zu der mächtigen Entwickelung derselben 
auf der Schleimhaut der Blase? Hierin liegt das 
Interessante des Falles. 

Die akute Miliartuberkulose der Blase 
ist nur aufgetreten in Folge des Katheteri- 
sirens, denn Letzteres machte sich ja schon nöthig, 
als von den Erscheinungen der beginnenden allgemei¬ 
nen Miliartuberkulose und der Tuberkulose der Blase 
speciell überhaupt noch nichts zu finden war, wohl in 
Folge spinaler Heizungen. Ihre direkte Ursache 
ist also eine traumatische gewesen, herbeigeführt 
durch Störungen in der Circulation, vielleicht auch 
durch kleine Verletzungen beim Gebrauche des Ka¬ 
theters. Ein Analogon finden wir in dem Ent¬ 
stehen tuberkulöser Gelenkentzündungen bei inficir- 
ten Thieren, nachdem denselben eine Gelenkver¬ 
letzung beigebracht wurde. Aehnliche Beobachtungen 
sind auch bezüglich der Erkrankung des Auges 
gemacht worden. 

Dies das wissenschaftliche Interesse des mitge- 
theilten Falles. Vor Allem aber möchte ich Werth 
legen auf das practische Interesse desselben. Wenn 
er auch für die Therapie nichts bringt, so möge 
doch durch denselben jeder Kollege für ähnliche 
Fälle bei der unumgänglichen Nothwendigkeit des 
Katheterisirens an den Vortheil des biegsamen 
Zinnkatheters erinnert sein. Erstens hat man es 


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in der Hand, denselben ganz den jeweiligen Ver¬ 
hältnissen entsprechend za biegen — im Gegensatz 
zu den festen Metallkathetern — und zweitens 
gleitet er in Folge seiner Schwere leicht durch 
hochgradige Schleimhaut9chwellangen hindurch, wo 
sich der leichte elastische Katheter biegt oder in 
Falten verfängt. 


Die Homöopathie 
und der Suggestionismus/) 

Eine offene Antwort 
an Herrn Dr. Fuchs-München. 

Lieber Freund! 

Du hast m dieser Zeitschrift mich mit einem 
.offenen Brief* erfreut, der meine ebendaselbst an 
die Homöopathen gerichtete Mahnung kritisirt, 
ihre therapeutischen Erfahrungen mit der nun zum 
wissenschaftlichen Bürgerrecht gelangten Lehre vom 
Suggestionismus zu confrontiren. Entschuldige, 
wenn sich meine Antwort in Folge längeren Fernseins 
von München verzögert hat und wenn ich in ihr 
gleichzeitig die von den Herren Collegen Pfänder 
und Lorbacher vorgebrachten Einwände gegen 
meine früheren Ausführungen mit einschliesse. 

Ich weiss nicht: soll ich es eine leichte oder 
eine schwere Aufgabe nennen, die Ansichten und 
Einwände zu beleuchten, die mir homöopathischer- 
seits entgegengehalten worden sind? Leicht ist sie 
mir in sofern, als weder Du noch die anderen 
Herren Collegen in der Lage waren, mich mit 
sachverständigen Gründen zu bekämpfen, denn von 
Keinem wurde auch nur ein einziger Satz vorge¬ 
bracht, der auf genügende theoretische und prac- 
tisebe Beschäftigung mit der Suggestionslehre 
schliessen liesse. Schwer aber fällt mir die Antwort 
deshalb, weil die gewichtigsten der mir gemachten 
Einwürfe sich auf Aeusserungen beziehen, die ich 
gar nicht gethan habe. In diesem Dilemma bleibt 
mir nichts anderes übrig, als meine principielle 
Stellung gegenüber dem Suggestionismus und der 
Homöopathie kurz darzulegen und einige wichtigere 
in der Polemik berührten Punkte besonders heraus¬ 
zuheben. Zu einer eingehenden Diskussion sämmt- 
licher bei dieser Gelegenheit angeregten Fragen 
würden weder meine Zeit, noch die Geduld der 
Leser, noch der Raum, noch die freundliche Lang- 
muth der Redaction dieser Zeitung ausreichen, 
welch letzterer ich ohnedies für ihre Toleranz und 
Unparteilichkeit zu aufrichtigem Danke verpflich¬ 
tet bin. 


*) Siehe die Nummern 7 u. 8 , 15 u. 16, 17 u. 18, 
21 u. 22 des Bandes 124 der Allg. hom. Zeitg. 


Stelle Dir vor, es entfalte sich zwischen zwei 
Leuten ein Gespräch über Religion. Der eine ist 
Anhänger einer confessionellen Kirche, deren Glau¬ 
benssystem nach seiner Ueberzeugung und Erfah¬ 
rung am sichersten zur Erreichung irdischer und 
himmlischer Glückseligkeit führt. Der andere ge¬ 
hört gar keiner Confession, also auch keiner Kirche 
an, er erkennt vielmehr nur in dem allen Confes- 
sionen gemeinsamen Streben nach menschlicher Ver¬ 
vollkommnung, nach Bethätigung von Menschenliebe 
und Moral, die wahre Religion. Ich bezweifle, ob 
die beiden, mögen sie sich auch gegenseitig Zuge¬ 
ständnisse machen, jemals zu einem befriedigenden 
Abschluss ihrer Dicussion gelangen. 

So würde es auch zwischen uns Beiden der 
Fall sein. Du bist Homöopa'h geworden und ge¬ 
blieben und ich achte und ehre Deine Ueberzeugung. 
Ich habe mich zwar als Sohn eines ausgezeichneten 
Homöopathen gleichfalls verpflichtet gefühlt, die 
Homöopathie theoretisch und practisch zu studiren, 
wie ich dies auch bei der sog. Allopathie und der 
sog. Natnrheilkunde gethan habe. Wenn ich aber 
an keiner dieser „Methoden* für Lebenszeit hängen 
blieb, so ist daran der Umstand schuld, dass mich 
meine Studien und Erfahrungen immer mehr dahin 
drängten, die Therapie in ihrem weitesten Umfange 
aufzufassen und auszuüben. Es schien mir die Pflicht 
eines modernen und rationellen Arztes zu sein, in jedem 
Einzelteile von sämmtlichen therapeutischen Maass¬ 
nahmen, seien sie physische oder psychische, arz¬ 
neiliche oder unarzneiliche, Gebrauch zu machen, 
die ihm sein Wissen und Gewissen vorschreiben. 
Um Systeme kann und soll man sich aus histo¬ 
rischem Interesse kümmern, aber als Arzt ein ein¬ 
ziges Heilsystem anzuwenden, sei es und heisse es 
wie es wolle, das schien mir kein erstrebenswerthes 
Ziel. Ich dankte vielmehr Gott, als die Zeit hinter 
mir lag, in der ich mich durch das Gestrüpp der 
einzelnen therapeutischen Systeme hindurchwand, 
ohne aber die Mühe und Zeit für verloren zu er¬ 
achten, denn in der allopathischen Pharmakotherapie 
sind so gut Wahrheiten und Goldkörner wie im 
Hahnemannismns, im Rademacherianismus so gut 
wie im Niemeyerianismus, aber als System ist keines 
genügend und keines alleinseligmachend. 

Wenn Du mir hier einwendest, ich kenne die 
Homöopathie viel zu kurze Zeit, um über sie ur- 
theilen zu können, so erwidere ich Dir, dass die 
unausgesetzte und ausschliessliche Beschäftigung 
mit einem Heilsystem nur dazu führen kann, den 
weiten Blick über das ganze mächtige Gebiet der 
Therapie zu verlieren und sich allmählig Fesseln 
anzulegen, die man immer weniger als solche merkt, 
je länger man sie trägt. Ich habe wenigstens so 
viel gelernt, dass ich nun zu unterscheiden vermag 
zwischen den brauchbaren therapeutischen Princi- 
pien der Homöopathie, wie sie schon ein Paracelsus 


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35 


und andere grosse Aerzte vor und nach ihm kannten 
und auf die auch die modernste Arzneiwissenschaft 
wieder zurückzukommen im Begriff ist, und zwischen 
dem Hahnemanni8mus, der lediglich ein mit den natur¬ 
wissenschaftlichen und medicinischen Kenntnissen 
vom vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts unter¬ 
nommener Erklärungsversuch jener Principien und 
deren Zusammenfassung zu einem 8ystem ist. 
Derselbe mag historisch von Interesse sein, ihn 
aber als therapeutisches Evangelium aller Zeiten 
zu betrachten, könnte wohl nur ganz unselbststän¬ 
digen und orthodoxgläubigen Naturen beifallen. 

Ich komme nun zum Suggestionismus und muss 
einige Irrthümer zurtickweisen, in welchen Du Dich 
nebst den Collegen Pfänder und Larbacher mir 
gegenüber befindest. An der Spitze Deines Briefes 
sagst du mir: „Du behauptest, die Homöopathie 
beruhe auf Suggestionismus. 11 Pfänder meint, ich 
wolle im Suggestionismus ein Universalheilmittel 
ersehen und auch Lorbacher imputirt mir, ich hielte 
die meisten, möglichst alle homöopathischen Arznei- 
Heilungen durch Suggestionismus hervorgebracht. 
Wann und wo habe ich, derartiges behauptet? 
In meinem Aufsatz in Nr. 7/8 (Band 124) gewiss 
nicht. Hätten die Herren diesen Aufsatz genau 
durchgelesen, so hätten sie gefunden, dass ich es 
als eine Pflicht wissenschaftlich gebildeter und mit 
der Neuzeit fortschreitender Aerzte aller Confes¬ 
sio nen, also auch der homöopathischen, hinstellte, 
bei ihren therapeutischen Leistungen von nun an 
den Suggestion!smu8 zu berücksichtigen. Ich 
betonte, dass diese Pflicht den Homöopathen um so 
mehr zufalle, als diese aus verschiedenen Gründen 
stärker suggestiv wirkten als ihre anderen (nament¬ 
lich die allopathischen) Collegen und weil sie seitens 
ihrer Gegner (zu denen ich aber nicht gehöre) 
den Vorwurf hören müssten, sie wirkten in Anbe¬ 
tracht der „Nichtse* ihrer Arzneien überhaupt bloss 
durch Suggestion. Gerade weil ich wünsche, dass 
das, was an der Homöopathie gut und wahr ist, 
zum Durchbruch und zur allseitigen wissenschaft¬ 
lichen Anerkennung gelange, möchte ich, dass die 
Homöopathen Krankengeschichten liefern, die in 
jeder Hinsicht, auch vom Standpunkte des Suggestio¬ 
nismus, wissenschaftlich unanfechtbar sind. Wenn 
Lorbacher meint, es sei einem beschäftigten prac- 
tischen Arzt einfach unmöglich, die von mir an 
eine brauchbare Krankengeschichte gestellten An¬ 
forderungen zu erfüllen, so muss ich offen gestehen, 
dass ich es für besser halte, ein solcher Arzt be¬ 
hält seine „Erfahrungen* für sich, als er publicirt 
therapeutische „Erfolge*, die auf jeder Zeile zu 
Ein wänden herausfordern. Wer übrigens den 
Suggestionismus kennt und weiss, worauf er zu 
achten hat, um nicht ständig in den Fehler des Post 
hoc ergo propter hoc zu verfallen, der wird nicht 
die mindeste Schwierigkeit finden, in der gleichen 


Zeit eine gute Krankengeschichte zu liefern wie 
sonst eine schlechte. 

Ein zweiter Irrthum von Dir und den genannten 
Herren Collegen ist die Behauptung, dass ich dem 
Suggestionismus eine viel zu weit gehende Be¬ 
deutung einräume. „Unter der Idee der unbeab¬ 
sichtigten Suggestion lässt sich schliesslich alles 
subsummiren, was nur irgendwie auf menschliche 
Verhältnisse Bezug hat,* meinst Du. Lorbacher 
sagt: „Was man sich ^ nicht erklären kann, sieht 
man für Suggestion nun an“ und Pfänder hält mich 
für einen Vertheidiger des „Suggestionismus überall“. 
Einem derartigen Pan-Suggestionismus zu huldigen, 
wie die Herren hier annehmen, fällt mir gar nicht 
ein. Die Frage nach dem Wo und Wann des 
Suggestionismus zu erörtern, würde hier viel zu 
weit führen und ich verweise Interessenten noch¬ 
mals auf das Werk des Dr. Schmidkunz*) 

Du behauptest, lieber Freund, dass ich bei 
meinen homöopathischen Versuchen einen Erfolg 
nur der Suggestion, einen Misserfolg der Homöo¬ 
pathie zugeschrieben habe. Du stellst hierdurch 
meiner Logik und Methodik ein sehr ungünstiges 
Zeugniss aus, gegen welches ich mit Energie pro- 
testiren muss. So erschreckend oberflächlich bin 
ich denn doch nicht Auch fällt es mir gar nicht 
ein, die Suggestionstherapie wie eine Art „Stecken¬ 
pferd“ zu reiten oder als „Sport“ zu betreiben. Ich hul¬ 
dige vielmehr aufs Strengste dem Grundsatz derlndi- 
vidualisirung und halte es geradezu für eine unab¬ 
weisbare Pflicht jedes Therapeuten, der psychischen 
Individualität seines Patienten die genügende Be¬ 
achtung zu schenken. Ich prüfe das Vorhandensein 
und den Grad der Suggestibilität, da ich je nach 
dem Ergebniss dieser Prüfung die Suggestion in 
irgend welcher Form unterstützend beiziehe oder 
allein anwende oder unterlasse. Wenn Du mir 
sagst: „Die Patienten auf ihre Suggestibilität zu 
prüfen, fällt mir gar nicht ein, denn ich brauche 
diesen Umstand gar nicht zu kennen,* so ist das 
wohl nur Deine ganz unmassgebliche Privatmeinung. 
Auch damit, dass Du meinst, ein die Suggestion 
anwendender Therapeut müsse mit all seinen Pati¬ 
enten sich in suggestivem Rapport halten, was das 
Gehirn und Nervensystem auch des suggestions¬ 
freudigsten Arztes einfach nicht aushalten könne, 
beweisest Du nur, dass Du dem Wesen der Sugges¬ 
tivtherapie nicht allzu nah getreten bist 

Unter Deinen Ein wänden gegen die Anwendung 
der Suggestion zu therapeutischen Zwecken, figurirt 
auch der vielbenützte Wauwau der „Beeinträchtigung 
der Willensfreiheit“ Nun, abgesehen davon, dass 
es nur eine relative, nie aber eine absolute Willens¬ 
freiheit geben kann, ist es dem Patienten doch 


*) Psychologie der Suggestion. Verlag von Ferdi¬ 
nand Enke. Stuttgart, 1892. 

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ganz gleichgültig, ob sein Kopfschmerz, seine Schlaf¬ 
losigkeit, seine Lähmung nur durch geeignete 
Suggestionen oder durch Arzneien oder sonstwie 
beseitigt werden. Du verwechselst die Suggestion, 
wie sie zu psychologischen Experimenten oder zur 
Ausübung von Verbrechen benützt, resp. miss¬ 
braucht wird, mit der Heilsuggestion des gewissen¬ 
haften Arztes. Die Arznei wirkt ja auch oder 
kann wenigstens wirken ohne Betheiligung des 
Willens des Patienten, sie beeinträchtigt also auch 
im gewissen Sinne dessen „Willensfreiheit,“ aber 
ich gestehe (und alle Patienten werden mir bei¬ 
stimmen), dass ich z. B. mit Vergnügen bereit bin, 
bei hartnäckiger Obstruction mich durch ein Abführ¬ 
mittel, das mit, ohne oder gegen meinen Willen 
wirken mag, erleichtern zu lassen. Bin ich aber genü¬ 
gend suggestibel, so lasse ich mir von einem er¬ 
fahrenen und verlässigen Arzt, der die Suggestiv¬ 
therapie kennt, einen entsprechenden Suggestions¬ 
befehl ertheilen, der eben so sicher und dabei angeneh¬ 
mer zum Ziele führt, opfere also in meinem eigenen 
Interesse meine „Willensfreiheit“ in Beziehung auf 
die Thätigkeit resp. Unthätigkeit meines Darms. Aus 
Deiner Aeusserung, „dass wir uns den Suggestio¬ 
nismus als therapeutischen Versuch oder als beson¬ 
deren Nothbebelf reserviren“ sollen, darf ich wohl 
schliessen, dass Du die grosse Literatur über die 
therapeutischen Erfolge der Suggestionstherapie nicht 
nach Verdienst würdigst und noch weniger nach¬ 
prüfst. Ich wiederhole, dass ich allen Einseitig¬ 
keiten fernstehe, also auch nicht der ausschliess¬ 
lichen Anwendung der Suggestionstherapie irgend¬ 
wie das Wort rede. Ich möchte aber doch darauf 
hinweisen, dass man denjenigen Kranken, bei denen 
die Anwendung dieser Therapie möglich ist, mit einer 
Bestimmtheit Besserung oder Heilung (je nach der 
Sachlage) versprechen kann, wie man sie bei keiner 
anderen therapeutischen Methode vorkehren kann 
und darf, ohne den Verdacht des Charlatanismus zu 
erregen. Abgesehen von der Möglichkeit, orga¬ 
nische und unorganische Schäden dauernd zu heilen, 
was trotz alles Widerspruchs, unter bestimmten 
Voraussetzungen eben doch Thatsache ist, kann 
der auf dem gesammten Gebiet der Therapie er¬ 
fahrene und thätige Arzt von der Suggestion, zu¬ 
meist mit Zuhülfenahme der Hypnose, auch da 
Linderung und Hülfe bringen, wo alle Massnahmen 
der übrigen Therapie einfach im Stich zu lassen 
pflegen. Ich erinnere hier nur an die Beseitigung 
von Zwangsvorstellungen, an Heilung von grossem 
Veitstanz, unwillkürlichem Muskelzucken, schlechten 
Gewohnheiten, sexuellen Perversionen, an die Er¬ 
leichterung des Krankenlagers durch Herbeiführung 
von Appetit, Schlaf und Schmerzlosigkeit bei un¬ 
heilbaren Krankheiten wie Krebs, Schwindsucht 
u. s. w. in den letzten Stadien. In sehr vielen Fällen 
— und diese zu erkennen ist eben Sache des mit 


der Suggestionstherapie vertrauten Arztes — ist 
die therapeutische Suggestion, einfach oder mit 
Hypnose, geradezu der Hebel, der den Patienten 
aus seiner verzagten oder verzweifelten Stimmung 
bringt und ihn für weitere therapeutische Anord¬ 
nungen empfänglich macht. Die Beibringung der 
„Autosuggestion der Besserung,“ die Dir, lieber 
Freund, „gar nicht imponirt,“ halte ich für eine 
humane Pflicht, ja eine therapeutische Ruhmesthat 
ersten Ranges . 

Du meinst, ich sei eine in „geistiger Gährung“ 
begriffene Natur. Nun, ich glaube Dir durch meine 
Ausführungen den Nachweis geliefert zu haben, 
dass dies nicht der Fall ist. Man könnte aus Deinem 
offenen Brief den Schluss ziehen, dass ich selbst 
noch nicht recht wisse, wo ich hiuauswolle, es erst 
mit den Naturwissenschaften, dann mit der Me- 
dicin, heute mit der Homöopathie, morgen mit 
der Suggestionstherapie halte und in unruhiger 
Hast wieder abspringe, wenn ich nicht in kürzester 
Zeit Erfolge sehe, die meine skeptisch angelegte 
(das reimt sich nicht mit der Gährung) Natur be¬ 
friedigen. Lorbacher meinte wohl, ich sei „aka¬ 
demischer Neuling“, der sich nun ganz und gar 
auf das Allerneueste, den Suggestionismus, gestürzt 
habe und in diesem, ohne Rücksicht auf die Beob¬ 
achtungen und Erfahrungen ergrauter Practiker, das 
Heil der zukünftigen Therapie erblicke. 

Nichts von alledem! Ich wollte, ich wäre mit 
dem, was ich jetzt weiss, um 22 Jahre jünger und 
könnte meine akademische Laufbahn von vorn an¬ 
fangen. Wie viele Schwierigkeiten und Umwege 
blieben mir da erspart! Uebrigens meine ich, man 
müsse allezeit mit der Zeit und Wissenschaft sich 
weiter entwickeln, was mit dem Gähren nichts 
zu thun hat*), und müsse alle Zeit darauf Acht haben, 
dass man sich nicht in das Netz einer Partei oder 
eines Systems verfange, das sich um seine Opfer 
immer enger und enger zusammenzuziehen pflegt. 
Da gehts wie mit dem confessionellen Glauben, 
in welchem man desto zufriedener und glück¬ 
licher zu leben pflegt, je tiefer man drinsteckt, 
wobei ich nicht in Abrede stellen kann, dass be¬ 
stimmte Menschen überhaupt nur in einem System 
und als Glieder einer Gemeinde Ruhe und Befrie¬ 
digung emflnden. 

Der Suggestionismus erfährt sehr merkwürdige 
Beurtheilung von Leuten, von denen man doch min¬ 
destens Kritikfähigkeit vermuthen sollte. Wie sehr 
man aber in dieser Hinsicht gerade von wissen¬ 
schaftlicher Seite enttäuscht werden kann, beweist 
die „Kritik“, die Ladame^eni dem mehrmals ci- 
tirten Schmidkunz'schen Werk hat zu Theil werden 
lassen. Er reisst aus einem Buche von 425 Seiten 

*) Warum nicht? Es giebt doch nicht nur eine 
Gährung, die zum „Sauerbrei“, sondern auch eine, die 
zur Entwicklung der „edelsten Weine“ führt! Die Red. 


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einen einzigen (!) Satz heraus, versteht auch diesen 
noch „miss* und veröffentlicht ein Monstrum von 
Kritik in einer ärztlichen Zeitschrift. College G'öhrum 
aber, anstatt das Schmidkunz’sche Werk selbst 
durchzulesen, druckt die Ladame’sche Kritik (?!) in 
Nr. 21/22 der Allgem. homöop. Ztg. einfach ab 
und erweisst durch diese unglückliche Idee dem 
Ruf des Herrn Ladame-Ge nf als wissenschaftlicher 
Kritiker den denkbar schlechtesten Dienst. Möchten 
die übrigen Homöopathen dem Beispiel Ladame’s 
nicht folgen! 

Verzeih, lieber Freund Fuchs, wenn meine Ant¬ 
wort auf Deinen offenen Brief eigentlich mehr „zur 
persönlichen Berichtigung“ als zur Diskussion ge¬ 
schrieben ist. Mit letzterer muss ich warten, bis 
der Suggestionismus, dem man jetzt noch mit einem 
gewissen Grauen, mindestens aber mit Scheu und 
Misstrauen gogenübersteht, Gemeingut aller Aerzte 
und ein integrirender Bestandtheil der allgemeinen 
wissenschaftlichen Therapie geworden ist. Ich bin 
fest überzeugt und hoffe es noch zu erleben, dass 
auch die Homöopathie, befreit von den Schlacken, die 
durch leidige Systemsucht und das Jurare in verba 
magistri ihr heute noch anhiingen und ihre Wahr¬ 
heiten verdunkeln, dereinst ebenfalls zur wissenschaft¬ 
lichen Arzneikunde gehören wird. 

Dafür, dass Du den offenen Freimuth, mit wel¬ 
chem ich Dir geantwortet habe, mir nicht verübelst, 
bürgt mir Dein Einverständnis mit dem Satze La 
Bruylrcs, den Du als Motto Deines offenen Briefes 
an die Spitze gestellt hast und den ich Wort für 
Wort unterschreibe: 

„Ein verständiger Mann lässt weder sich beherr¬ 
schen, noch sucht er andere zu beherrschen; er 
will, dass einzig und allein und allezeit die Ver¬ 
nunft herrsche.* 

München, im Juli 1892. 

Mit collegialischem Gruss 
Dein 

Dr. Carl Gerster. 


Das Bruchband der Zukunft mit 
ringförmiger Luftpeiotte. 

Hereditär belastet bekam ich, trotz eines sehr 
kräftigen Körpers, Ausgangs der 20 er Jahre einen 
linksseitigen Leistenbruch. Ich versah mich alsbald 
mit einem Camper’schen Bruchbande, mit allmählig 
stärkerer Feder. In meinen 30 er Jahren bekam ich 
zu meinem grössten Leidwesen auch rechteseitig 
noch einen Leistenbruch. 

Diese schwere Plage war Veranlassung, dass 
ich mich bestrebte, eine besser passende, heilsame 
Bandage zu finden, als die bisher gebräuchliche, 
um mir Erleichterung in meinem unheilbaren Leiden 


und meinen jüngeren Leidensgenossen womöglich 
Heilung zu verschaffen. 

Ersteres ist mir th eil weise, letzteres aber voll¬ 
ständig gelungen. 

Die Camper sehe Pelotte verhindert die Heilung 
dadurch: dass die ovale Spitze derselben bei starkem 
Drucke ständig — wenigstens tagüber — in der 
Bruchpforte lagert und hierdurch eine Heilung beim 
beharrlichen Gebrauch der Bänder absolut aus¬ 
geschlossen bleiben muss. 

Die Erfahrung bestätigt diese Thatsache, denn 
Heilungen nach dem 14.—18. Jahre, gehören zu 
den grössten Seltenheiten. 

Meine neuerfundene Pelotte hat diese Nachtheile 
entschieden nicht, sondern ihre eigenthümliche Be¬ 
schaffenheit verspricht dem kundigen Beschauer 
alsbald, dass das Bruchband den Ansprüchen, welche 
man an ein heilsames Band macht, vollkommen 
entspricht. Diese sind: Dasselbe muss, ohne die 
Bruchpforte zu belästigen, den Bruch sicher zuriiek- 
halten, weil dann die Mutter Natur ihr Heil¬ 
bestreben ungehindert vollziehen kann. Husten, 
Niesen, Lachen etc. dürfen ein Vortreten nicht 
möglich machen; ausserdem darf dasselbe nicht 
durch eine zu starke Feder belästigen. 

Air diese Nachtheile findet man bei meiner 
Pelotte nicht. 

Dieselbe ist ringförmig mit Gummi überzogen 
hergestellt, unten und oben offen. Soll sie in Ge¬ 
brauch genommen werden, so wird über die untere 
Appertur ein mehr oder weniger starkes Gazetuch 
gezogen und in der oberen Oeffnung mit starken 
Fäden so geschnürt, dass dasselbe die untere Oeffnung 
straff verschliesst. 

Die untere Fläche des Ringes der Pelotte legt 
sich dann beim Gebrauch unter dem Drucke der 
Feder um die Bruchpforte und das Gazetuch ver¬ 
schliesst dieselbe, ohne als fremder Körper in die¬ 
selbe zu drmgen, gewissermassen als ein die Haut 
verstärkender Körper, sicher. Hierdurch ist die 
Bruchpforten gegen d ständig mit Luft umspült, ein 
Vortreten des Bruches unmöglich gemacht und 
Heilung selbst in späteren Jahren, wenn die Bruch¬ 
pforte nicht zu sehr erweitert ist, zu hoffen, in 
jüngeren Jahren bald und entschieden zu erwarten. 

Die Patentfähigkeit meines Bandes wurde von 
dem Patentamt verzögert, weshalb ich mich an den 
Herrn Geheimen Medizinalrath Professor Dr. Küster 
zu Marburg wandte, welchem ich von meiner Er¬ 
findung persönlich Kenntniss gab und der auch die 
Güte hatte, ein Anerkennungsschreiben auszufertigen, 
welches die von mir beantragte Patentbewilligung 
wirksam zu unterstützen nicht verfehlte. 

Frankfurt a. M. Dr. N euschäfer, 

pract. Arzt. 


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Zur Behandlung mit Tuberculin. 

Von Dr. Simon-BieL 

Voriges Jahr liess ich mir aas A. Marggraf*s 
homöop. Officin in Leipzig Tuberculin in 30. Cen- 
tesimal-Verreibung kommen, welche ich dann auf 
die 33. Potenz in Kügelchen steigerte. 

Mit diesen wurden die Versuche gemacht. 

Einige Fälle von Tuberc. pulmonum waren zu 
weit vorgeschritten und brachten trotz mannigfacher 
Modification der Darreichung kein günstiges Resul¬ 
tat; ja in einem Falle trat auch nach der vorsich¬ 
tigsten Anwendung des Mittels jedesmal eine Ver¬ 
schlimmerung mit vermehrter Beklemmung und 
Fieber ein, so dass gänzlich vom Tuberculin ab- 
strahirt werden musste. Der Kranke starb schiess- 
lich in allopathischer Behandlung. 

Hingegen verliefen nachfolgende 2 Fälle in be¬ 
friedigender Weise. 

1. 30. Mai 1891. William L., 7 Jahre alt, 
schmächtig; Vater an Phthisis gestorben; leidet seit 
längerer Zeit an Husten. Rechte Schlüsselbein¬ 
gegend gedämpft mit rauher Respiration; wenig 
Appetit; heftige Hustenanfälle. Tuberculin 33. eine 
Dosis. 

9. Juni. Dämpfung und Husten geringer. Appe¬ 
tit besser. Tubercul. eine Dosis. 

17. Juni. Dämpfung verschwunden; wird mit 
2 Dosen Tubercul., 5 Tage von einander zu nehmen, 
aus Behandlung entlassen. Seither nicht mehr ge¬ 
kommen, was als Zeichen der Heilung angesehen 
werden darf, weil entgegengesetzten Falls die Mutter 
gewiss wieder mit ihm erschienen wäre. — 

2. 5. October 1891. A. Th. 23 Jahre alt; Uhr 
macher, verheirathet Gross, mager. Mutter an 
Schwindsucht gestorben; vor 4 Jahren machte er 
einen Typhus durch; häufigen Kopfschmerzen unter¬ 
worfen; dieses Jahr öftere Catarrhe. 

Rechte Brusthälfte bis zur Lebergrenze gedämpft; 
äusserst schwache, fast unhörbare Respirationsge¬ 
räusche; häufig fröstelnd; profuser Nachtschweiss, 
muss oft 4 Mal Hemd wechseln. Tuberculin 33. 
eine Dosis. 

23. October. Husten hat beinahe aufgehört; 
seit 2 Nächten keine Schweisse mehr. Sacch. lact. 

2. November. Schweiss wieder gekommen, Tuber¬ 
culin eine Dosis und am 23. November noch eine 
Dosis. 

7. December. Dämpfung gänzlich verschwunden, 
Schweiss ebenfalls. Appetit gut; noch etwas Husten; 
wird mit noch 2 Dosen Tuberculin, 5 Tage von 
einander zu nehmen, aus Behandlung entlassen. 

Gegenwärtig März 1892 dauert die Heilung an; 
es hat sich keine Dämpfung mehr eingestellt; er 
fühlt sich wohl und an Kraft zunehmend; nur der 


Nachtschweiss dauert noch fort, ist aber im Ab¬ 
nehmen. Seit December ohne Tuberculin. 

Das ist nun zwar an und für sich ein spärliches 
Material; jedoch insofern wichtig, als es zeigt, dass 
beide Patienten trotz erblicher Belastung mit wenig 
Aufwand in verhältnissmässig kurzer Zeit geheilt 
wurden. Recidive sind natürlich nicht ausgeschlossen. 

Was das Tuberculin betrifft, so darf es meines 
Erachtens nach Analogie seiner subcutanen Anwen¬ 
dung*) innerlich auch nur in seltenen Dosen, nur 
wenn die Besserung stille zu stehen droht, verab¬ 
reicht werden. Höhere Potenzen habe ich nicht 
versucht; vermuthe aber, sie möchten noch bessere 
Resultate geben. 


Epidemiologische Ecke. 

Wie nachfolgende Mittheilungen ergeben, herrscht 
derzeit fast nirgends, wenigstens in den Orten der 
Berichterstatter, ein epidemisches Mittel. 

Ide-Stettin berichtet am 1/7.: kein epidemisches 
Mittel. 

Weihe-Herford hat noch immer = Sep., = Che)., 
= Sinap., = Kreos., = Kali bichrom. 

Dierkes-Paderborn schreibt am 3. und 11.: die 
Leberaffectionen bestehen noch fort bei Cupr. -j- Nux 
vom. = Lach.; überhaupt herrscht Cupr. vor. 

Leeser-Bonn hatte am 1. Ac. phosph. -f- Clemat. 

Puls., vorher Bar. carb. -f- Cin. = Carb. veg.; 
am 10. schreibt er: bis heute vorzugsweise Kal. 
bichrom., heute scheint Stann. -j- Mezer. = Phosph. 
in den Vordergrund zu treten. 

Kirn-Pforzheim berichtet am 10.: bei Sommer- 
Magendarmkatarrhen Ipecac.; bei Masernpneumonie 
Phosph. und Calc. carb.; vereinzelt Dros. 

Ich-hier hatte bis zum 13. häufig Bor. -}- Sabadill, 
daneben aber zahlreiche Combinationen theils mit 
Borax, theils mit Sabadill.; häufig kamen auch Kal. 
carb. -f- Sabadill., Dros. -f- Sabadill., bei Masern 
Bor. -}- Led., ferner Natr. mur. -f- Led., Bar. carb. 
-f- Tone., Combinationen mit Calc. phosph. vor; 
am 7., 8. und 9. hatte fast jeder Patient ein anderes 
Mittel; vom 13. Nachm, an und am 14. vorwiegend 

*) Die Erfahrungen von Dr. Spengler-Davos (thera¬ 
peutische und diagnostische Resultate der Tuberculin- 
beh&ndlung an 41 Lungenkranken) und Obermedicinal- 
rath Dr. Sick (die Koch’sche Tuberkulose-Behandlung auf 
Grund von Beobachtungen in der evangelischen Diako¬ 
nissenanstalt zu Stuttgart) bestätigen dies. Letztere 
Arbeit ist, wie wir aus sicherer Quelle erfahren haben, 
auch in den Professorenkreisen sehr gut aufgenommen 
und beurtheilt worden und soll wesentlich mit dazu bei¬ 
getragen haben, an diese Versuche mit grosser Objek¬ 
tivität und Besonnenheit von neuem heranzutreten. 

Die Red. 


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29 


Natr. mur. -f- Led., auch bei Masern; heute vor¬ 
wiegend Natr. mur. -f- Iris. 

Weiss-Gmüud schreibt am 4.: kein epidemisches 
Mittel. 

Buoh-Freudenstadt ebenso. 

Sigmundt-Spaichingen hat neuerdings einzelne 
Fälle, die auf Cupr. Chel. resp. Nux vom. 
(= Lach.) hindeuten. 

Hafa-Herrnhat schreibt am 5.: keine acuten 
Fälle; bei chronischen häufig Bar. carb. Sabin., 
Natr. sulf. + Nux vom. oder Bry., Natr. mur. 
+ Iris. 

In meiner Entgegnung an Herrn Coli. Hädicke 
in der letzten Nr. muss es im Schlusssatz heissen, 
»deren Nichtigkeit auf Grund der durch die 
Weihesche Methode gewährleisteten Sicherheit etc. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Litteratur. 

Wir freuen uns, unsern Lesern mittheilen zu 
können, dass das Gross -Hering'sche Werk, „die 
Vergleichende Arznettvirk u ngsichre** in therapeu¬ 
tischen Diagnosen. (Arzneimitteldiagnosen), die 
Unterschiede der ähnlichen und verwandten Mittel 
in ihren Relationen und Modalitäten enthaltend, 
aus dem Englischen bearbeitet von Sanitätsrath 
Dr. Faulwasser, nun sicher im Verlage von 
A. Marggrafs homöopathischer Officin, Leipzig, 
demnächst erscheinen wird; das erste Heft im 
August d. J. Wie wichtig und bedeutungs¬ 
voll das Werk ist, davon legt einer unserer be- 
deutensten Arzneimittelkenner ein vollwiegendes 
Zeugniss ab. Prof. Dr. Const Hering, welcher die 
englische Ausgabe in Philadelphia besorgte, war 
zur selben Zeit mit der Herausgabe seiner »Gui- 
ding Symptoms“, (1891 im October vollständig 
erschienen), eines grossen 10 Bände umfassenden 
Werkes, an dem er fast ein Menschenalter gearbeitet 
und gesammelt hat, beschäftigt, schob jedoch dies 
Werk trotz seines hohen Alters, ganz unbedenklich 
auf ein Jahr bei Seite, um die vergleichende 
Arzneiwirkungslehre von Dr. H. Gross unter 
Beihülfe von Dr. Morgan, Wesselhöft und andern 
Aerzten in englischer Sprache herauszugeben und 
mit werthvollen Zusätzen, welche durchgehends 
Verbesserungen genannt werden können, zu be¬ 
reichern. Er äussert sich über obiges Werk, wie 
folgt: »Die Gross’schen Diagnosen sind einem Corps 
Pioniere zu vergleichen, die Bahn machen für die 
Hauptarmee; je bekannter das Buch wird, um so 
gesuchter wird* es werden. Dieses Werk ist 
ein grosses Unternehmen (a great under- 
taking), hat eine hohe Bedeutung und muss auf 


die Entwickelung unserer Kunst und Wissenschaft 
den entschiedensten Einfluss haben. Dasselbe ist 
nicht nur eine tagtägliche Hülfe für den Praktiker, 
sondern es führt eine neue Entwickelung in unserer 
Geschichte herbei und zwar dadurch, dass es zur 
Individualisation leitet, und ein beliebiges 
Generalisiren ein für allemal ausschliesst; denn das 
ist es, was uns trennt, und zwar schon beim 
Krankenexamen, wo die wahlentscheidenden 
Zeichen ganz andere werden. 

Durch das Gross’sche Werk, eine der mühe¬ 
vollsten Arbeiten, die jemals auf unserm Gebiet 
unternommen und ausgeführt worden sind, 
wird Jedem erleichtert, zwischen zwei Mitteln 
Unterschiede schnell zu finden, und nicht nur derer, 
die hier wirklich nebeneinander gestellt worden 
sind, sondern auch aller andern, hier bearbeiteten, 
untereinander; in solchen Fällen braucht man 
die beiden fraglichen Mittel nur in ihren andern 
Diagnosen zu betrachten. — Durch das Gross’sche 
Werk wird aber nicht nur die Entscheidung bei 
der Wahl des Mittels erleichtert, sondern die Mittel- 
kenntniss überhaupt gefördert. Das wichtige Werk 
wird sich Freunde erwerben, deren Zahl sicher 
und gewiss zunehmen wird ebenso, als dadurch 
die Zahl der Heilungen wieder zunehmen wird. 

Bei einer eventuellen Abnahme der Anzahl der 
Heilungen der Jetztzeit, könnte man nur sagen, dass 
zu allen Zeiten »wenn die Kunst gefallen ist, 
sie durch die Künstler gefallen ist“ 

Es sei nur schliesslich erwähnt, dass auch andere 
und zwar deutsche Aerzte, unter andern der mit 
der homöopathischen, amerikanisch-englischen, ärztr 
liehen Literatur sehr vertraute Dr. Th. Bruckner 
in Basel, das obige Werk als ein in der 
homöopathischen und in der medizinischen 
Literatur überhaupt einzig dastehendes 
Werk nennt, und dass derselbe der ungemein 
grossen Zahl sehr werthvoller Zusätze von Hering 
und Genossen denselben Werth mindestens beimisst, 
als den ursprünglichen von Dr. Gross selbst her¬ 
rührenden Mitteldiagnosen. Es finden sich unter 
diesen Zusätzen ganze vergleichende Krankheits¬ 
bilder, welche unter andern besonders die Diphtheritis, 
Coxitis, Ischias, Typhus und Hydrocephalus etc. 
betreffen. Das Werk ist seit seinem Erscheinen in 
Amerika eine unerschöpfliche Fundgrube 
auch für die neuesten Arzneimittellehren, homöo¬ 
pathischen Therapien und Compendien (Dr. 
Johnson’s Therapeuthic. Key, deutsch von Dr. Motz) 
betreffs der Vergleiche der concurrirenden Mittel 
in den verschiedenen Krankheitsformen, gewesen. 
Doch nun genug des Lobes für das neue in Aus¬ 
sicht stehende Werk, welches jetzt zugänglich ge¬ 
macht wird und sich von selbst empfiehlt, sowohl 
den Berufsgenossen, als auch allen Freunden einer 
eingehenden Arzneimittelkenntniss. 


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Das ganze Werk soll innerhalb eines Jahres, 
vom 1. August ab gerechnet, erscheinen und zwar 
in 8 Lieferungen und wird complett gebunden 
in solidester Ausführung nicht mehr als 20 Mark 
kosten, während die englische Ausgabe bei ganz 
gleichem Umfang 43 Mark kostete. Wir geben 
uns der Hoffnung hin, dass kein deutscher homöo¬ 
pathischer Arzt ermangeln wird, auf das Werk zu 
8ubscribiren, sobald von der Verlagsfirma die Sub¬ 
scriptionsbogen zum Versandt kommen, nicht nur 
um sich in den Besitz der ersten deutschen ver¬ 
gleichenden Arznei wirkungslehre zu setzen, sondern 
auch um Verfasser und Verlegerin bei diesem mit 
ganz bedeutenden Kosten verbundenen Unternehmen, 
welches allseitige Anerkennung verdient, nach Mög¬ 
lichkeit zu unterstützen. 

Zu diesem Zwecke dürften auch Bestellungen 
direct bei der Verlagshandlung und nicht in anderen 
Buchhandlungen zu empfehlen und erwünscht sein. 

Dr. med. *Stifft. 


Lesefrüchte. 

G. Golgi. Demonstration der Entwickelung der 
Malariaparasiten durch Photographieen . Erste 
Reihe: Entwickelung der Amoeba malariae febris 
quartanae. Ztschr. f. Hygiene 1891. X. S. 136. 

Golgi ist der erste gewesen, der im Jahre 1885 
nach wies, dass die von Laveran entdeckte Malaria- 
Amöbe mit ihren verschiedenen Formen ein und 
derselbe Parasit ist, der einen einem bestimmten 
Gesetze folgenden constanten Entwicklungsgang 
durchläuft: 

Die amöboiden, nicht pigmentirten, kleinen An- 
fangsformen entwickeln sich innerhalb der rothen 
Blutkörperchen, in dem sie sich auf Kosten des 
Hämoglobins in pigmentirte Formen verwandeln, 
allmählig zur Grösse ihres Wirthes, des Blut¬ 
körperchens, heran wachsen, dieses gänzlich zerstören 
und nun als freie Formen durch einen radiär an¬ 
geordneten Theilungsprocess in Sporen zerfallen. 
Hieran nimmt das Pigment keinen Antheil, das Melanin 
wird vielmehr in die Mitte geschoben und ergänzt- 
dadurch das Aussehen, das diesen sporulirenden 
Formen mit Recht den Namen der „Gänseblümchen* 
oder „ Rosettenformen * eingetragen hat. Diese Sporen 
dringen wieder in die Blutkörperchen ein und der 
Cyclus beginnt von Neuem. 

Mit dem Beginn der Sporulation tritt der Fieber¬ 
anfall ein, während die fieberfreie Zeit mit der 
Periode der endoglobulären Entwickelung zusammen¬ 
fällt; dieselbe dauert genau 3 Tage. 

Den geschilderten Entwickelungsgang hat der 
Parasit der Quartana; der Typus der Quotidiana 
entsteht, wenn 3 Generationen in demselben Indi¬ 
viduum mit einer Distanz von 24 Stunden reifen. 


Die Tertiana dagegen ist durch eine besondere Art 
des Parasiten bedingt, die sich von der der Quartana 
hauptsächlich dadurch unterscheidet, dass bei ihr 
die Umbildung des Hämoglobins in Melanin nicht 
als Folge der VergrÖsserung und der Invasion des 
Parasiten auftriti (Aus „Centralblatt für die medic. 
Wissenschaften* 1891. Nr. 32, p. 599.) 

Von Interesse dürfte für uns das Referat zweier 
Arbeiten von A. d’Arsonval sein, 1) Action physio - 
logique des courants alternatifs . C. v. Soc. de 

Bio). 1891. Nr. 15, p. 283. — 2) La fibre 
musculaire est directement excitable par la lumilre . 
Ibid. Nr. 16, p. 318 und Arcb. de Physiol. Ili. 
p. 598. 

In der ersten Arbeit sucht der Verf. die viel¬ 
umstrittene Behauptung, dass der Nerv auf oscillirende 
Ströme sehr rascher Periode nicht reagire, durch 
neue Versuche zu beweisen. Liess er auf den 
Froschnerven die nach dem Verfahren von Hertz 
erzeugten elektrischen Wellen wirken, die Funken 
von 5—6 mm Länge gaben, so erhielt er keine 
Zuckung des Muskels. Auch der Finger, die Nase, 
die Zungenspitze fühlten nichts, wenn man sie in 
den Bereich des Funkens brachte. Hierbei handelt 
es sich um Schwingungszahlen, die bis zu 25 Billionen 
in der Secunde gehen. 

In der zweiten Arbeit theilt Verf. mit, dass noch 
viel schnellere Schwingungen dagegen erregende 
Wirkungen haben zu können scheinen. Er nahm 
nämlich an Muskeln, die er der intermittirend ge¬ 
machten Strahlung einer elektrischen Lampe aus¬ 
setzte, deutliche, wenn auch geringe Erregungs¬ 
erscheinungen wahr. (Aus „Centralbl. f. d. medic. 
Wissensch.“ 1891. Nr. 32, p. 606.) 

E. Werthheimer. Sur quelques faits relatifs au 
balancement entre la circulation superficielle et la 
circulation viscirale. Arch. de physiol. (5. s6r.) 
III, p. 547. 

W. hat neue Untersuchungen angestellt über den 
Antagonismus, der sich in der Innervation der Blut¬ 
gefässe der Eingeweide und denen der Haut und 
der Schleimhäute kundthut. Er erweitert die darauf 
bezüglichen Angaben von Heidenhain und Grützner, 
Dastre und Moret u. A. 

So bestätigt er die Beobachtung des Letzteren, 
derzufolge Reizung des centralen Ischiadicusstumpfes, 
während sie den allgemeinen arteriellen Blutdruck 
in die Höhe treibt, die Blutgefässe der Lippen- und 
Zahnfieischschleimhaut erweitert. Die in mächtigem 
Ansteigen des Blutdruckes sich darthuende Constric- 
tion der visceralen Gefässe, die bei Strychninvergif¬ 
tung eintritt, ist von Gefässerweiterung an Lippen 
und Zunge begleitet. Passive Wirkungen lassen 
sich in allen diesen Fällen aulschliessen, da die 
Röthung nach Durchschneidung der gefässerweitern- 
den Nerven der betreffenden Gebiete ausbleibt. 


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31 


Aehnlich wie Strychnin, wirken auch Ergotin 
und Sodalösung. (AusGentralbl. f. d. med.Wissensch. 
1891. Nr. 33, p. 609.) 

Kürt. Ueber eine Reflexerscheinung des Trigeminus 
und ihre therapeutische Verwendung . Wiener 

med. Presse 1891. Nr. 21. 

Verl machte bei einem 6jährigen Kinde, das 
im Verlauf des Keuchhustens von schweren Con- 
vulsionen und begleitenden leichten Stimmritzen¬ 
krämpfen befallen wurde, die Entdeckung, dass man 
durch mechanische Reizung der peripherischen Enden 
des Trigeminus, sowohl von der Conjunctiva, wie 
von der Nasenschleimhaut aus, auf den in Erregung 
gesetzten N. laryngis recurrens eine exquisit hem¬ 
mende Wirkung ausüben kann. Diese die Anfälle 
bis zum völligen Erlöschen coupirende Wirkung 
wurde mit gleich günstigem Erfolge bei 13 Fällen 
von Spasmus glottidis bei zumeist rhachitischen 
Kindern, bei Patienten mit Tic convulsif, Schluck-, 
Zähnkrämpfen und auch in der Aura epileptica an¬ 
gewandt. In einem Falle von Hustenkrampf blieb 
die Wirkung aus. Die mechanische Reizung ge¬ 
schieht gewöhnlich durch eine mit einem Pulver 
(z. B. Zucker) bestäubte Kielfeder und wirkt, nach 
Verf. dadurch, dass ein im N. trigeminus ruhendes 
„antispastisches Moment* mit dem im überregten 
Nervengebiete (z. B. N. laryngis recurrens) vor¬ 
handenen „ spastischen Moment* im Gleichgewicht 
oder sogar Uebergewicht gehalten wird. (Aus 
„Centralbl. f. d. med. Wissensch.* 1891. Nr. 33, 
p. 620.) Göhr um. 


Rechnungsablegiing. 

Für das Homöopathische Krankenhaus zu 
Leipzig sind eingegangen bei Herrn Apotheker 
William Steinmetz, Leipzig, seit letzter öffentlicher 
Quittung vom 20/4. a. c. 

1) für den Baufond 

von Täschner & Co.-Leipzig . . . M. 500.— 


2) für den Betriebsfond 

vom Verein der homöopathischen Aerzte 


Oesterreichs per 91/92. 

* 

100.— 

von Herrn Wilh. Wey mar-Mühlhausen 

i. Th. per 91/92 .... 

9 

100.— 

* „ Lehrer R. Reuther-Leipzig . 

n 

4.50 

* „ Julius Mäser-Reudoitz-Leipz. 

n 

4.50 

„ „ Teupel-Paunsdorf .... 

n 

4.10 

. Besuchern des Krankenhauses . . 

9 

8.- 

* Herrn Dr. Willmar Schwabe, bei ihm 

eingegangene Beiträge . . 

9 

193.15 

„ . Kirchenrath Dr. Schmidt- 

Wittenburg LMeckl«per91/92 

9 

5.— 


Transport M. 419.25 
von Herrn cand. med. Waszily-Kiel (Mit¬ 
arbeiterhonorar f. den 124.Bd. 
dieser Zeitung) . . . . * 2.40 

* n Dr. med. Ide-Stettin (Mit¬ 

arbeiterhonorar f. den 124. Bd. 

dieser Zeitung) . . . . * 19.20 

„ „ Dr. med. Heyberger, Protivin 

(Böhmen),Mitarbeiterhonorar 

pro 124. Band d. Ztg. . . „ 16.80 

„ Centralvereinsmitgliedem 

2 Jahresbeiträge . 10.— „ 20.— 

24 . * . 6.- , 144.— 

1 , . 8 , — , 8 .— 

M. 629.65 
+ , 500.— 

Summa M. 1129.65 

Auch für diese gütigen Gaben sagen wir den 
allerherzlichsten Dank und bitten um freundliche 
weitere Zusendungen, denn die Beiträge sind leider 
im letzten Jahre in geringerer Höhe eingegangen 
als in den früheren und das Krankenhaus bedarf 
zur Beschaffung eines nöthigen Reservefonds noch 
dringend der freiwilligen Beiträge. 

Leipzig, 13/7. 92. William Steinmetz, 
z. Z. Kassenverwalter. 

Für die Wittwenkasse der homöopath. Aerzte 
Deutschlands sind freundlichst nachstehende Mit¬ 
arbeiterhonorare für den 124. Band dieser Zeitung 
gestiftet worden: 

von Herrn Dr. med. Fuchs-München . . M. 5.20 

* » » » Fischer-Westend . „ 4.— 

* „ „ „ Weiss-Schw.-Gmünd * 1.60 

* „ Oberstabsarzt Dr.med. Rohowsky- 

Leipzig . . . . * 1.60 

von Herrn Dr. med. A. Weihe-Herford . „ 11.20 

„ 999 Leeser-Bonn . . . , 26.60 

M. 50.20 

Für diese gütigen Gaben sage im Namen der 
Kasse den allerverbindlichsten Dank. 

Leipzig, 13/7. 92. William Steinmetz, 

z. Z. Kassen Verwalter. 


Personalia. 

Gestorben: 

Dr. med. Ludwig Deventer am 5. Juli zu 
Berlin. 


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32 


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Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum- Stuttgart, Dr. Sthft-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von Willian Steinnetz (A. MarggraPs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Grettner & Schramm in Leipzig. 


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Band 125, 


Leipzig, den 4. August 1892. 


No. 5 u. fi 


ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 


HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-stuttgart, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-leipzig. 

Expedition und Terlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig. 


Jfiraeheint 14t%lg «u 9 Bogen. IS Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Hnlbjahr). Allo Buchhandlungen und 
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an £. Mosse in Leipzig und dessen Filialen oder an die 
Verlagehandlung: selbst (A- M&rggrafs homöopath. Offlcin in Leipzig) su richten sind, werden mit 30 Pf. pro einmal 
gespaltene Petitseilo und deren Raum bereohnet. — Beilagen werden mit 12 M. beroohnet. 


Inhalt: Die Potenzlnmg. Vergleichende Neuralanalyse von 17 Alkaiisalzen; weitere physiologische That- 
sachen. Physiologisch geprüft von Prof. Dr. G. Jaeger-Stuttgurt. (Forts.) — Prof. Kent über homöop. Behandlung 
der Lagenveränderungen des Uterus ahne mechanische Beihülfe. Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg. — Ein Fall 
zur Auto-ison-Therapie. Von Dr. Buob-Freudenstadt. — Epidemiologische Ecke. — Entgegnung. — Berichtigung. — 
Pereenalia. — Anzeigen. 


MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. 


Die Potenzirung. 

Physiologisch geprüft von Prof. Dr. 0. Jaeger- 
Stuttgart. 

IV. Vergleichende Neuralanalyse von 
17 Alkallsalzen. 

(Fortsetsung.) 

d) Die oberen Potenzen der Alkalisalze. 

Wie schon früher angegeben und begründet, 
schritt ich zur Messung der oberen Potenzen erst 
nachdem ich alle 17 Salze bis zur Ueberschreitung 
des Indifferenzpunctes potenzirt und gemessen hatte. 
Dabei nahm ich aber im Interesse der Zeitersparnis 
die Aenderung vor, dass ich nicht mehr eine Decimal* 
potenz um die andere mass, sondern immer eine 
übersprang. Da bei den verschiedenen Salzen der 
Indifferenzpunct auf verschiedenen Potenzen lag, so 
entstand zunächst eine Ungleichheit in so fern als 
bei einem Theil der Salze die gemessene Potenz 
eine gerade Zahl, bei einem anderen Theil eine 
angerade Zahl führte. Zur Beseitigung dieses Um* 
Standes, welcher die Gewinnang von Mittelwerthen 
verhinderte und um auch eine Uebereinstimmung 
mit den unteren Potenzen herzustellen, wurden für 


die nicht gemessenen Potenzen Ziffern gerechnet, 
indem man das Mittel ans den beiden gemessenen 
Ziffern der vorhergehenden und der nächstfolgenden 
zog. Um jedoch dem in der Tabelle auch Aus¬ 
druck zugeben, sind die gerechneten Ziffern mit 
kleinerer Schrift gedruckt worden. 

Der Leser wird ferner begreifen, warum ich mir 
und ihm die mühselige Arbeit ersparte, weiter als 
bis zur 30. Potenz zu gehen: Wenn man bei 17 
verschiedenen 8alzen immer und immer wieder von 
Potenz zu Potenz die gleiche Erscheinung sich 
wiederholen sieht, wenn jede neue Messung nichts 
weiter bringt, als eine Bestätigung dessen, was man 
bereits dutzendmale erfahren hat, dann sagt man 
sich: wozu noch mehr? Wem das noch nicht 
genug ist, der kann ja selber weiter machen. Ich 
sprang also von der 25. Potenz auf die 30. und 
erst, nachdem ich die schon mitgetheilte Prüfung 
von Kali carbonicum nach der Schluckmethode aus¬ 
geführt hatte, liess ich die 14 Salze, deren obere 
Potenzen ich untersucht hatte, durch meine Assistenz 
noch auf die 1000 Potenz bringen und fügte deren 
Messungswerth als letzte Ziffer der Tabelle ein. 

Ueber die Anordnung der Tabelle VII ist noch 
folgendes zu sagen. 

a) Sie enthält sowohl die oberen als die unteren 

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Potenzen von 6 Natron- 4 Kali- und 4 Ammoniak¬ 
salzen. Durch eine treppenförmige Linie, die In¬ 
differenzlinie, sind die oberen Potenzen in jeder 
Gruppe von den unteren geschieden. 

b) Ausserdem, dass jedes Salz seine Zifferreihe 
in der Tabelle hat, sind noch einige weitere Ziffer¬ 
reihen durch Rechnung gebildet worden und zwar 
1. für jede der drei Gruppen eine Reihe von Mittel¬ 
ziffern, gerade so wie das auch auf der Tabelle 
der unteren Potenzen schon gemacht wurde. 2. Unter 
jeder dieser 3 Mittelzifferreihen die natürlich eben¬ 
falls vom Minuswerthe, hinten Pluswerthe führen, 
steht eine weitere Reihe von Ziffern, die (mit einigen 
Ausnahmen) keine Vorzeichen tragen. Sie geben 
die Differenz der Potenzziffern an, zwischen denen 
sie stehen, lehren also um wieviel Points die neural¬ 
analytische Ziffer von Potenz zu Potenz verschoben 
worden ist Die letzte dieser Differenzziffem steht 
zwischen der 22. und 23. Potenz dann folgt mit 
dem Vorbemerk „Mittlere Differenz* in jeder der 
drei Reihen noch eine Ziffer die das Mittel aus 
allen Differenzziffem der Reihe ist. 3. Den unteren 
Schluss der Tabelle bilden zwei Querreihen von 
Ziffern, welche alle 14 Salze zusammenfassen, so¬ 
wie es vorher für jede der drei Gruppen gemacht 
wurde: die obere Reihe, deren Ziffern Plus- oder 
Minuszeichen fuhren, giebt für jede Potenz eine 
mittlere neuralanalytische Ziffer, gebildet aus den 
3 Mittelziffem der drei Gruppen und die untere 
Zifferreihe ohne Vorzeichen giebt die Differenz von 
Potenz zu Potenz und am Schluss das Mittel aus 
diesen Differenzen. (Siehe Tabelle VIII, S. 35.) 

Fassen wir zuerst das Gesammtresultat der Tabelle 
in möglichst kurze Worte: 

Die Zifferreihen lehren mit der mächtigsten 
Sprache, die es auf diesem Gebiet giebt, nämlich 
der der Zahlen, dass die Potenzirung thatsächlich 
eine stufenweise Verstärkung des motorischen 
Werth es eines Stoffes ist und dass es sich hier 
um etwas ganz ähnliches handelt wie bei der 
Temperatur: Es existirt ein Nullpunkt für jeden 
Stoff in einer Goncentration, welche das Tempo 
derLebensbewegungenunverändertlässt, offen¬ 
bar, weil die Bewegung der Stoffmoleküle die gleiche 
Geschwindigkeit hat, wie die der Moleküle, die sich 
bereits im Körper befinden. Zu beiden Seiten dieses 
Nullpunktes bringt die Potenzirung den gleichen 
Unterschied hervor wie die Erwärmung: Wenn man 
einem kalten Körper Wärme zuführt, so nimmt 
die Kälte ab, und wenn man einem warmen 
KörperWärme zuführt, so nimmt die Wärme zu. 
Genau so ist es mit der Potenzirung: Wenn man 
einen Stoff, der verlangsamend, lähmend auf die 
Lebensbewegungen wirkt, potenzirt, so nimmt der 
Lähmungseffect ab und wenn man einen Stoff 
potenzirt, der die Lebensbewegungen be¬ 
schleunigt, so steigt der Belebungseffect. 


Etwas Klareres kann es meiner Ansicht nach nicht 
geben. Nimmt man dazu die Eifahrungen des täg¬ 
lichen Lebens, die ich in meiner Schrift die „Homöo- 
pathische Verdünnung* zusammenstellte, wie 
z. B. die Zunahme der Belebungskraft des Weines 
mit zunehmender Verdünnung seiner Bouquette, so 
ist es einem in der That völlig unbegreiflich, wie 
es möglich ist, dass über Werth und Wesen der 
Potenzirung ein solcher Meinungszwiespalt bestehen 
kann, wie es thatsächlich der Fall ist. 

Halten wir uns an die letzte Ziffer der Tabelle: 
diese sagt, dass zwischen 3. und 23. Potenz im 
Mittel jede Potenz den physiologisch motorischen 
Werth eines Stoffes bei mir um 4,7 Points ver¬ 
mehrt, wenn die Prüfung in der Weise vorgenommen 
wird, wie ich es gethan habe. 

Betrachten wir nun noch einige Details der 
Tabelle. 

a) Die Zifferreihen der einzelnen Salze lehren 
dass bei keinem derselben die durch die Potenzirung 
erzeugte Veränderung ihres motorischen Werthes 
eine gleichmässige und geradlinig fortschreitende 
ist, es wechseln grosse Fortschritte mit kleinen, mit 
Stillständen sowie mit Rückschritten, also die gleiche 
Erscheinung wie wir sie schon bei Kali carbonicum 
kennen lernten und wie sie auch bei unseren ersten 
Messungen in der „Neuralanalyse der homöo¬ 
pathischen Verdünnungen* regelmässig zu Tage 
trat. Die ausnahmslose Wiederkehr dieser Er¬ 
scheinung zeugt dafür, dass das in der Natur der 
Sache und nicht in der Unvollkommenheit der 
Methode liegt. 

b) Die gleiche Erscheinung tritt uns auch in 
den drei Mittelzifferreihen entgegen, nur ist natur- 
gemäss die Unregelmässigkeit hier weniger stark 
als in den Detailreihen, weil eine gegenseitige Aus¬ 
gleichung stattfindet und das ist dann natürlich 
noch mehr der Fall bei der Reihe der Totalmittel¬ 
ziffern. Besehen wir uns das im Einzelnen: Bei 
den Natron salzen ist der höchste Vorschiebungs¬ 
effect 8 Plus-, der geringste 1 Minuspoint: also 
Differenz 9 Points. Bei den Kalisalzen kommen 
im Mittel keine Rückschläge (Minuswerthe) vor, der 
geringste Effect ist -f- 2, der stärkste -f- 15: also 
Differenz 13 Points. Bei den Ammoniaksalzen ist 
die Unregelmässigkeit in so fern am grössten als 
hier 4mal Minuswerthe auftreten, die Maximal¬ 
differenz ist 14 Points. Weiteres hierüber siehe 
unten. Bei der Reihe der Totalmittelziffern fehlen 
Rückschläge, die Maximaldifferenz ist (11—2) 
9 Poiuts. 

c) Betrachtet man die Unterschiede der Detail¬ 
reihen, so tritt am auffälligsten das Bromammonium 
heraus, dessen Hartnäckigkeit gegenüber Herbei¬ 
führung der Indifferenz wir sohon früher hervor zu 
heben hatten. Hier haben wir nicht blos bis zur 
30. Potenz 5 mal Rückschläge, sondern auch ganz 


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VII. Tabelle der untern und obern Potenzen von 14 Alkalisalzen. 


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ungewöhnlich grosse z. B. von 15. auf IG. Potenz 
um 11 Points, so dass die 16. Potenz noch unter 
den Werth, den die 9. hatte, herab sinkt. Als ich 
einem Chemiker, einem meiner früheren Collegen, 
dieses sonderbare Verhalten des Bromammonium 
mittheilte, erhielt ich von ihm die Auskunft, dass 
diese Verbindung auch den Chemikern einen Streich 
spiele, sie sei so zersetzbar, dass man ihre 
Dampf dichte nicht bestimmen könne, während 
das für keines der anderen von mir untersuchten 
Salze gelte. Zunächst war mir das wieder eine 
merkwürdige Probe für die Sicherheit der Neural¬ 
analyse, sie hatte mit einer an Stärke unübertreff- 
baren Deutlichkeit erkannt, dass dieses Salz sich 
wesentlich von allen andern unterscheide. Dann 
aber war die Sache an sich interessant. Wir haben 
wiederholt Ursache gehabt einen Vergleich der 
Potenzirung mit der Erwärmung zu machen. 
Hier tritt nun der Vergleich zwingend an einen 
heran. Der Chemiker erklärt das abnorme Ver¬ 
halten des Bromammonium daraus, dass es sich bei 
der zur Bestimmung der Dampfdichte nöthigen Er¬ 
wärmung sehr leicht zersetzt; sollte nicht das ab¬ 
norme Verhalten bei der Potenzirung auf die gleiche 
Ursache d. h. eine Zersetzung zurückzuführen und 
folgerichtig die Potenzirung ein ähnlicher Vorgang 
wie die Erwärmung d. h. eine Steigerung der Be¬ 
wegungsgeschwindigkeit der Moleküle sein, worauf 
uns schon andere Erscheinungen und Erwägungen 
zwingend hinweisen? Als ich die Unterredung mit 
dem Chemiker hatte, war meine Untersuchung der 
Salze erst bis zur 30. Potenz vorgeschritten. Als 
ich mich dann später entschloss, alle 14 Salze auf 
die 1000. Potenz zu bringen, war ich begreiflicher¬ 
weise sehr gespannt, wie sich das Bromammonium 
hierbei verhalten werde. Das Resultat war ver¬ 
blüffend: Während die 1000. Potenz bei allen 13 
andern Salzen hohe Belebungseffecte (worüber unten 
noch weiteres folgt) ergab, erhielt ich bei Brom¬ 
ammonium 1000.— Minus Eins! d. h. gar nichts! 
Indifferenz!* Natürlich habe ich wiederholt nach¬ 
gemessen, aber immer mit dem gleichen Erfolg: 
die andern 1000. Potenzen gaben regelmässig ihre 
hohen Belebungseffecte, das Bromammonium ebenso 
beharrlich nichts und wieder nichts! Nebenbei ge¬ 
sagt, ist das einer der Fälle, wie sie dem Praktiker 
in der Neuralanalyse oft genug Vorkommen, einer 
der Fälle, welche die volle Lächerlichkeit der Be¬ 
hauptung der hochweisen Critici zeigt: „die Ziffern 
der Neuralanalyse seien Producte der Einbildung 
oder der Willkür!“ Wie ist es dann möglich, dass 
eine andere Ziffer als die eingebildete herauskommt 
und das mit Hartnäckigkeit thut? Die Critici sind 
unglaubliche, haarsträubende Kerls! 

Zur Sache ist aber noch zu bemerken: erstens, 
dass es mir nicht im Traum einfällt, mit diesem 
einen Potenzirungsversuch den Stab über das Brom¬ 


ammonium brechen zu wollen; dazu gehört eine 
sorgfältige, mehrfach wiederholte Nachprüfung, die 
ich aber denen überlasse, die sich für das Brom¬ 
ammonium interessiren, was bei mir nicht der Fall 
ist; zweitens, wenn dieses abnorme Verhalten des 
Bromammonium bei genauester Nachprüfung immer 
wieder zum Ausdruck kommt, so darf erwartet 
werden, dass es auch noch andere Stoffe giebt, die 
sich ebenso verhalten und bei zu hoher Potenzirung 
ebenfalls zu Nichts werden und das ist dann so¬ 
wohl praktisch wie theoretisch von grössester 
Wichtigkeit; drittens, es ist natürlich verfrüht 
vor wiederholter Nachprüfung eine Erklärung zu 
versuchen, aber nützlich ist es doch, sich wenigstens 
Gedanken darüber zu machen und komme ich zum 
Schluss: wenn das Bromammonium stets beim 
Potenziren sich so verhält wie in diesem einen 
Versuch, dann giebt es hierfür lediglich keiuen 
andern Schluss als den, dass Brom kein Element 
ist. Es ist klar: Wenn bei der Potenzirung das 
Bromammonium in die zwei Theile Brom und 
Ammoniak zerfällt, so werden eben einfach bei 
Fortsetzung der Potenzirung diese Stoffe weiter 
potenzirt und von diesen eine der 1000. Potenz 
nabe Potenz gebildet, die nicht Nichts sein kann. 
Auch wenn das Ammoniak sich in die allgegen¬ 
wärtigen also nicht potenzirbaren Elemente Stick¬ 
stoff, Wasserstoff und Sauerstoff zersetzt, kommen 
wir nicht weiter, so lange das Brom übrig bleibt, 
erst wenn auch dieses sich in allgegenwärtige 
Elemente auflöst, könnte resp. müsste Indifferenz 
eintreten. Anmerken will ich nur noch: Gesetzt 
den Fall, die Nachprüfung ergiebt ein anderes 
Resultat als das, welches ich erhielt, nämlich, dass 
die 1000. Potenz von Bromammonium sich doch 
ebenso positiv verhält wie die 1000 Potenzen der 
anderen Salze, so steht man eigentlich vor einem 
noch grösseren Räthsel, denn eine Verwechslung 
ist bei einem auf Kork und Glas etikettirten Fläsch¬ 
chen unmöglich, also was ist geschehen? Doch 
genug davon, wem es Spass macht, kann ja der 
Sache nachgehen. 

d) In den Detailreihen und den Reihen der 
Mittelziffem geht es blos bis zur 23. Potenz von 
Potenz zu Potenz, dann folgt ein Sprung von 23. 
auf 25. ein zweiter von 25. auf 30., endlich einer 
auf 1000. Potenz. Beim ersten Sprung handelt 
es sich blos um 2 Potenzen; damit stimmt die 
Grösse der Differenz: Bei den Natron salzen ist 
die Differenz zwischen 23. und 25. 10 Points, also 
etwas mehr als doppelt so gross als die mittlere 
Differenz zwischen 2 angrenzenden Potenzen (4,1); 
bei den Kalisalzen stimmt das wieder: 11 ist 
ungefähr das doppelte von 5,2; ebenso liegt es bei 
den Ammoniaksalzen (10 gegen 4,6) und bei der 
Totaldifferenz (10 gegen 4,7). Ich führe das nur 
an, weil diese viermal sich wiederholende Ueber- 


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einstimmung doch unmöglich ein Produkt einer 
Einbildung oder gar Willkür sein kann. — Beim 
zweiten Sprung von 25. auf 30. Potenz handelt 
es sich um eine Distanz von 5 Potenzen, dem stebt 
eine Differenz von nur 10 Points gegenüber. Hier 
ist zunächst wieder merkwürdig und für die Methode 
in hohem Grad zeugend, dass diese Differenz von 
10 Points bei allen drei Gruppen von Salzen und 
dann natürlich auch im Totalmittel die gleiche 
ist. Aber ,0 / 5 ist nur 2. Die Ziffer 2 kommt nun 
allerdings verschiedenfach in den Reiben der Differenz¬ 
ziffern von 3.—23. Potenz vor, allein fünfmal hinter¬ 
einander nie; was hat das zu bedeuten? wie ist 
diese plötzliche geringe Zunahme des Potenzirungs- 
eff ec t es zu erklären? Noch greller tritt dieser Um¬ 
stand beim dritten Sprung von 30. auf 1000. Potenz 
zu Tage, denn hier liegt die Sache so: Wenn wir 
vom Bromammonium absehen, zeigen nur bei 3 Salzen 
die Ziffern einen Fortschritt des Belebungseffectes 
von 30. auf 1000. Potenz an, bei Kochsalz sind die 
Ziffern gleich und bei 9 Salzen hat ein Rückschritt 
stattgefunden. Schlägt das nicht allem bisherigen 
ins Gesicht? Um diese Frage zu beantworten, 
müssen wir unsere beiden Untersuchungsreihen, 
die Reihe der Schluckversuche mit Kali carbonicum; 
die in Nr. 19. und 20. der Zeitschrift mitgetheilt 
wurde, und die vorliegenden Inhalations versuche mit 
den 17 Salzen Zusammenhalten. Die erstere hat 
uns gezeigt, dass es sich bei der Erhöhung des 
motorischen Effectes durch Potenzirung um zwei 
Faktoren handelt, um Intensität und Dauer 
der Wirkung. Namentlich sahen wir dort, dass 
wir in Bezug auf letzteren Faktor, die Dan er, zwei 
Phasen eine Erstwirkung und eine Nachwirkung 
zu unterscheiden haben, dass diese letztere ihre 
volle Entfaltung erst auf der 30. Potenz gewinnt 
und endlich, dass die eminente Wirkung der 1000. 
Potenz hauptsächlich in der überaus langen Dauer 
einer überaus hohen Erstwirkung und einer wieder 
sehr lang dauernden massigen Nachwirkung beruht. 
Nun von alldem kommt bei unserer Prüfung der 
17 Salze gar nichts in Betracht, weil ich bei allen 
Potenzen nur 4 Dekadenziffern nahm und dann die 
Messung abbrach. Das zeitliche Moment bleibt also 
bei dieser Art der Prüfung vollständig ausser Be¬ 
tracht und darüber, ob durch die fortschreitende 
Potenzirung die Dauer der Wirkung vergrössert, 
ob Nachwirkungen auftreten, die wieder in Höhe 
und Dauer sehr verschieden sind wie uns die Schluck¬ 
versuche lehrten, erfährt man lediglich nichts. Ich 
mache auch noch in folgender Weise auf den Unter¬ 
schied der zweierlei Messungen aufmerksam: Die 
Tabelle in Nr. 19. und 20. pag. 150 giebt für jede 
Potenz von Kali carbonicum eine ganze Reihe von 
Ziffern (von 15—33) unsere Tabelle VII nur eine 
einzige Ziffer. Hier erhebt sich auoh die Frage: 
kann die Zifferreihe, welche die Potenzen des Kali 


carbonicum in Tabelle VII erhielt irgendwie mit 
den Ziffern der Tabelle I in Nr. 19 und 20 ver¬ 
glichen werden? Diese Frage kann nicht nur mit 
,ja“ beantwortet werden, sondern ihre Beantwortung 
ist auch lehrreich für die Beurtheilung der zweierlei 
Einverleibungsweisen der Arzneien: Verschlucken 
und Einathmen; desshalb wollen wir der Sache 
näher treten aber nicht hier, sondern erst in einem 
späteren Abschnitt dieser Arbeit, da ich zur Be¬ 
antwortung der Frage noch andere Messungen vor¬ 
genommen habe und diese nicht hier gewisser- 
massen in Parenthese raittheilen kann. Hier sei 
nur gesagt, dass sich die auf so verschiedene Weise 
für die Potenzen des Kali carbonicum gewonnenen 
Zifferreihen, wie später gezeigt werden wird, nicht 
widersprechen, sondern so gut stimmen, als es 
überhaupt möglich ist bei zwei Untersuchungen, 
die 1. zeitlich weit auseinanderliegen; 2. nach ver¬ 
schiedenen Methoden gemacht und 3. an 2 ver¬ 
schiedenen Objecten d. h. zweierlei zu verschiedenen 
Zeiten in verschiedenen Fläschchen potenzirten 
Arzneigaben ausgeführt wurden. 

e) Wenn wir jetzt noch die Salze unter einander 
bezüglich ihrer oberen Potenzen mit einander ver¬ 
gleichen, so wird es sich nach dem sub d. gesagten 
empfehlen von der 30. und 1000. Potenz abzusehen, 
denn da bei ihnen die Hauptwirkung und das wesent¬ 
liche derselben, die lange Dauer, in unseren Ziffern 
nicht zum Ausdruck kommt, so hat auch die Ver¬ 
gleichung nicht viel Werth, wohl aber empfiehlt 
sich eine solche für die Potenzen von 3. bis 25.. 
Zu diesem Zweck ist die letzte senkrechte Columne 
angefertigt, welche für jedes der Salze und für die 
Mittelwerthe jeder der drei Gruppen die Differenz 
zwischen der Ziffer der 3. Potenz und der der 
25. Potenz angiebt. Nennen wir diese Differenz 
den totalen Potenzirungseffect. Diese Ziffern 
belehren uns, dass auch hier, wie bei der Lage des 
Indifferenzpunktes und beim Verhalten der unteren 
Potenzen bemerkenswerthe Unterschiede zwischen 
den verschiedenen Stoffen bestehen. Sehen wir von 
dem abnormen Bromammonium ab, so tritt uns 
— aber nicht ohne Ausnahme — eine Regel ent¬ 
gegen: je geringer der Lähmungseffect der 
3. Potenz ist, um so geringer ist der totale 
Potenzirungseffect und je grösser ersterer, 
um so grösser der letztere. Besehen wir uns 
das genauer: Bei den Natronsalzen entspricht die 
ansteigende Reihe der Totaleffectziffem von oben 
nach unten dem gleichen Verhalten der Ziffern der 
3. Potenz, aber mit der Ausnahme, die das Brom- 
natriura macht: das schlägt mit der Ziffer 106 
zurück. Bei den Kalisalzen geht die Regel ganz 
durch und macht im Gegensatz zu den Natron¬ 
salzen auch das Bromsalz keine Ausnahme. Bei 
den Ammoniaksalzen fügen sich blos die zwei 
ersten der Regel, in dem nicht nur die Brom- 


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88 


Verbindung, sondern auch das phosphorsaure Salz 
sich gegenteilig verhalten. — Vergleichen wir 
Natron- und Kalisalze, so zeigt sich nicht nur 
in den Mittelziffem, dass der Potenzirangseffect bei 
letzteren verhältnissmässig grösser ist als bei ersteren, 
sondern auch im einzelnen und zwar so: Jod¬ 
kalium mit — 2 in 3. Potenz sollte nach der 
Regel einen schwächeren Totaleffect aufweisen als 
Kochsalz mit — 5 in 3. Potenz, es ist aber um¬ 
gekehrt: 87 gegen 76. Bromnatrium mit — 35 
und Kali carb. mit — 37 sollten annähernd 
gleichen Totaleffect haben, aber ersteres hat 112 
letzteres 127. Von den zwei der Regel folgenden 
Ammoniaksalzen lässt sich nur das Amm. muriat. 
mit — 34 in 3. Potenz vergleichen und hier stimmt 
die Totaleffectziffer 114 mit der des Bromnatrium 
(112) sehr nahe. — Geben wir nun der in diesen 
Ziffern zum Ausdruck kommenden Regel eine andere 
Fassung, so würde sie so lauten: Für den poten- 
zirenden Homöopathen ist der Giftigkeitsgrad eines 
Stoffes in giftiger Concentration im Allgemeinen 
kein Grund, einen Stoff aus der Liste der an¬ 
wendbaren Arzneien auszuschliessen, denn auf ge¬ 
nügend hoher Potenz verliert sich dieser Unterschied 
mehr und mehr und gewinnen auch die giftigsten 
genügende Belebungskraft, um als Heilmittel functio- 
niren zu können. Nun wird Niemand bestreiten 
können, dass dieses ziffermässige Ergebniss meiner 
Neuralanalyse genau dem Verhalten der praktischen 
Homöopathie entspricht, welche sich keinen Augen¬ 
blick besinnt, die stärksten Gifte als Arzneien zu 
verwenden, ebenso gut als sie mit so harmlosen 
Stoffen wie Kochsalz, Schwefel, Kohle und dergleichen 
operirt. Aber: auch das lehrten die neural¬ 
analytischen Ziffern: nulla regula sine exceptione! 
Während bei den 6 Natronsalzen die 25. Potenz 
mit Ziffern zwischen -j- 69 und —J— 87, bei 3 Kali¬ 
salzen mit -j- 85-{- 90, bei 2 Ammoniaksalzen 

mit -f- 80 und -{- 84, auftreten, stellen sich dem 
mit der Ziffer -j- 43 in der 25. Potenz das Brom¬ 
kali und das phosphorsaure Ammoniak als 
Ausnahme gegenüber. Diese beiden Stoffe ver¬ 
teidigen ihre in der dritten Potenz mit den Ziffern 
— 70 und — 64 zu Tag tretende schwere Lähmungs¬ 
kraft mit einer Hartnäckigkeit wie kein anderes 
(Bromammonium, das schon erledigt ist, aus¬ 
genommen) nicht blos bis zum Indifferenzpunkt, 
sondern auch noch in den oberen Potenzen zeigt 
sie sich durch ein langsameres Ansteigen des Poten- 
zirungseffectes. Selbstverständlich kann ein ab¬ 
schliessendes Urtheil hierüber nur durch eine nach 
der Schluckmethode ausgeführte Dauermessung, 
wie sie bei Kali carbonicum gemacht wurde, ge¬ 
wonnen werden. Ich bin überzeugt, dass man bei 
Ausdehnung dieser Untersuchungen über weitere 
Stoffgruppen noch auf genug solcher hartnäckigen 
Stoffe stossen wird und ich habe schon bei der 


Besprechung des Bromammonium in dieser Richtung 
Andeutungen gegeben. 

f) Nun kehren wir noch einmal von der Aus¬ 
nahme zur Regel zurück. Die Sache liegt nicht 
bloss so, dass die Homöopathie unbedenklich zu den 
heftigsten Giften greift, sondern es existirt bei vielen 
Praktikern die Anschauung, dass die heftigsten 
Gifte durch den Verdünnungsprocess auch zu den 
kräftigsten Arzneien werden. Auch für diese 
Anschauung lässt sich aus dem Ziffemmaterial ge¬ 
nügendes anführen, erstens: der Unterschied zwi¬ 
schen den Natronsalzen einerseits und den Kali¬ 
salzen andererseits. Dass die Kalisalze giftiger 
sind, als die Natronsalze ist gemeinschaftliches Er¬ 
gebniss der Neuralanalyse und der anderweitigen 
Erfahrung und von zwei Ausnahmen abgesehen hat 
die 25. Potenz bei den ersteren höhere Belebungs¬ 
effecte (85. 90. 89 bei Kali — 69. 70. 71. 71. 77 
bei Natronsalzen). Zweitens: Nächst dem schon 
besprochenen Bromnatrium kommt unter den Natron¬ 
salzen dem phosphors. Natron mit — 25 in 
dritter Potenz die grösste Giftigkeit zu und seine 
25. Potenz erhebt sich mit-{-87 über den Belebungs¬ 
werth aller anderen. Drittens: Nach den Natron¬ 
salzen kommt das schwefelsaure Salz mit — 19 
in 3. Potenz an Giftigkeit dem phosphorsauren Salz 
am nächsten; dem entspricht, dass seine 25. Potenz 
mit -f- 7 7 nach der Ziffer des phosphorsauren Salzes 
die höchste unter den Natronsalzen ist. Viertens: 
Auch bei den Kalisalzen findet man Belege: das 
schwachgiftige Jodkalium hat auf 25. Potenz mit 

85 geringeren Belebungseffect als die giftigeren 
phosphor- und kohlensauren Salze mit -j- 89 und 
-{-90. Fünftens: Bei den Ammoniaksalzen 
stehen das kohlensaure und salzsaure Salz im 
gleichen Verhältniss; das giftigere erstere hat in 
25. Potenz -{- 84, das weniger giftige letztere nur 
r\~ 80. — Also auch in dem Stück harmonirt das 
ziffermässige Ergebniss mit Anschauungen, welche 
ihren Ursprung der praktischen Erfahrung ver¬ 
danken und auch das darf als Uebereinstimmung 
bezeichnet werden, dass es sich nur um Regeln, 
von denen es Ausnahmen giebt, und nicht um allge¬ 
mein gültige Schablonen handelt 

„Ja, wenn das sc) ist, so bringt die Neuralanalyse 
eigentlich gar nichts Neues! * Das soll und will sie auch 
nicht; was sie will und kann, ist, dass sie an Stelle 
von mehr oder weniger vagen Meinungen und ange- 
zweifelten Behauptungen „Sicheres, Gewisses“, statt 
Worten „Zahlen“ bringt und dass sie die Homöopathie 
aus dem Dunkel der Mystik, aus dem Gebiet der 
blossen Empirie ins helle Licht der exacten, d. h. 
messenden und rechnenden Wissenschaft rückt 

Nun bleibt für diesen, mit dem Ziffemmaterial 
sich befassenden Abschnitt zum Schluss nur noch 
übrig, aus den Ziffern zur besseren Veranschau¬ 
lichung Curven zu fertigen. 


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39 



VIII. Curventafel für 8 Mittelsalze. 


In die vorstehende Curventafel habe ich nur 8 
der gemessenen 14 Salze aufgenommen, denn in 
dem vorliegenden Massstab hätte eine Unterbringung 
aller 14 Salzlinien sich nicht machen lassen, ohne 
die Uebersichtlichkeit zu vernichten. In dieser Be¬ 
schränkung lässt sich die Curve jedes der 7 Salze, 
dessen Name linker Hand steht, klar verfolgen. 
Die Erhöhung der Klarheit machte auch noch ähn¬ 
lich wie bei den Curven von Kali carbonicum 
nöthig, das Liniennetz zu vereinfachen, indem so¬ 
wohl bei den senkrechten Potenzlinien wie bei den 
wagerechten Linien der Effektwerthe eine Linie um 
die andere ausgelassen wurde. 

Die mit Null angeschriebene dicke Querlinie ist 
die Indifferenzlinie, über ihr liegt die mit 
Plusvorzeichen versehenen Scala der Belebungseffecte, 
unter ihr die mit Minusvorzeichen versehenen Scala 
der Lähmungseffecte. Die quere Zifferreihe oben 
auf der Tabelle giebt die Scala der Decimalpotenzen. 

Die Curven der 3 dargestellten Natronsalze 
sind mit ununterbrochenen Linien dargestellt 
und zur Erhöhung der Klarheit ist die Curve des 
Salpeters, welche sehr nahe mit der des Koch¬ 
salz zusammenläuft, durch dünnere Linie, von 
der Kochsalzlinie unterschieden. Für die Curven 
dar 3 Kalisalze wurde gestrichelte Linie ver¬ 


wendet und die des Phosphorsalzes noch dadurch 
verfolgbarer gemacht, dass sie zwischen den Strichen 
Punkte trögt. Zu den 2 Ammoniaksalzen wurden 
Kreuze verwendet und zwar für das Bromsalz nur 
Kreuze, für das Phosphorsalz abwechselnd Kreuze 
und Punkte. Die Curve des letzteren Salzes be¬ 
ginnt auf der Tafel erst bei der 8. Potenz, das 
geschah blos im Interesse der Klarheit, denn von 
3—8 durchkreuzt sie die nächsten Curven so man¬ 
nigfach, dass das Bild wirr geworden wäre. 

Ich will nun den Leser nicht dadurch ermüden, 
dass ich ihm an der Hand der Curve das wieder¬ 
hole, was ich ihm bei Lesung der Tabelle mitge- 
theilt habe. Ich will nur auf das aufmerksam 
machen, was die Curve viel deutlicher zeigt als 
die Tabelle, nämlich, dass jede Curve einen eigen¬ 
artigen specifischen Rhythmus ihres Ver¬ 
laufes zeigt und dass hierin sowohl die Aehn- 
lichkeiten als die specifischen Verschiedenheiten 
zum Ausdruck kommen. Ueberraschend ist z. B, 
die eigenthümliche übereinstimmende Unregelmässig¬ 
keit der Curven der beiden Ammoniaksalze im Ge¬ 
gensatz zu der übereinstimmenden Regelmässigkeit 
der Curven von Natr. mur. und nitr. Auch sieht 
man unschwer, dass die Curven der Salze, welche 
gleiche oder ähnliche Säuren (resp. Halogene) haben, 


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40 


einander ähnlicher sind als wenn sowohl Säure als 
Basis verschieden ist, das tritt bei den Brom¬ 
salzen und bei den Phosphaten klar zu Tage. Diese 
Erscheinungen an den Curven würden natürlich 
noch in viel grösserem Umfang und grösserer Deut¬ 
lichkeit zu sehen sein, wenn man alle 14 Salze 
graphisch dargestellt und wie die Kalisalze auch 
noch die untere Hälfte der 3 zurückgestellten Salze 
eingetragen hätte. Wie früher gesagt, wurden sie 
nach Ermittelung der Indifferenz theils aus Erspar- 
nissrücksichten, theils deshalb zurückgestellt, weil 
ihre Ziffern mit denen des Kali carbonicum so nahe 
übereinstimmten. Nun, ich habe mir die Curven 
dieser vier so ähnlichen Kalisalze zusammen auf¬ 
gezeichnet: sie laufen so nahe an einander, in so 
übereinstimmendem Rhythmus und doch wieder so 
individuell durcheinander, dass selbst in doppelt so 
grossem Massstab, als der obiger Curventafel ist, 
ohne Zuhilfenahme verschiedener Farben die ein¬ 
zelne Linie nicht klar verfolgt werden kann. Die 
Ziffern der Tabelle III in Nr. 1/2 setzen den Leser 
in den Stand, sich das nachzumachen; wenn er 
Sinn für solche Sache hat, wird ihn das Bild ähn¬ 
lich verblüffen wie mich seiner Zeit. 

Damit schliesse ich die Mittheilung des Ziffern - 
materials, das mir die Arbeit vom verflossenen 
Winter für die Potenzirung geliefert und es schliesst 
sich hieran noch in den folgenden Nummern die 
Mittheilung der anderweitigen physiologischen Er¬ 
scheinungen, die ich bei der fraglichen Arbeit zu 
beobachten Gelegenheit hatte. Dieselben sind nicht 
minder interessant und beweisend für die Richtig¬ 
keit der Potenzirungslehre, als die gewonnenen 
Ziffern; praktisch sind sie vielleicht noch wichtiger 
als diese, wenigstens bei der jetzigen Lage der 
Sache. 

Y. Weitere physiologische Thatsachen 

Glücklicherweise giebt es noch andere Erschei¬ 
nungen, mit denen man die Potenzirung controlliren 
kann, als die der Zifferbildung mittelst Cbronoskop 
und ich habe deren hauptsächlich zweierlei als be¬ 
sonders sinnfällig kennen gelernt. 

a) Der Geruch. 

Ich schicke voraus, dass es sich hierbei gar 
nicht um eine besondere Schulung, etwa um die 
Kunst eines Wein- oder Theeschmeckers handelt, 
sondern um etwas, was nichts voraussetzt, als den 
Besitz eines Geruchsinnes überhaupt. Auch um 
Kenntnisse auf diesem Gebiet handelt es sich gar 
nicht, womit ich aber nicht sagen will, dass diese 
nicht vom grössten Vortheil für den Praktiker auf 
dem Gebiet der Homöopathie wären — im Gegen- 
theil: da die chemische Reaction bei einer Masse 
von Arzneistoffen überhaupt impotent ist und selbst 
bei den zugänglichsten über 6. oder 7. Potenz nicht 


hinausreicht, so sollte hier wie beim Wein- und 
Theehandel, wo die Chemie auch versagt, die Nase 
(und Zunge) oberster Richter sein und könnte es 
auch sein, aber nur, wenn man sich durch jahre¬ 
lange Uebung mit Geruch (und Geschmack) der 
Arzneistoffe und ihrer verschiedenen Potenzen ver¬ 
traut gemacht hat. Aber um das, d. h. um Unter¬ 
scheidung der verschiedenen Arzneien mittelst des 
Geruchsinnes handelt es sich hier nicht, sondern 
nur darum, was der Geruchsinn in Bezug auf 
die Potenzhöhe eines und desselben Stoffes 
wahrnehmen kann, allerdings nur dann, wenn er 
sich bei diesen Proben sorgfältigst vor der so über¬ 
aus leicht eintretenden Abstumpfung des Ge¬ 
ruchsinnes bewahrt, worüber ich verschiedentlich 
das Nähere veröffentlicht habe. Doch zur Sache: 

Da ich meine Versuche alle mit weingeistigen 
Potenzen machte, so hatte ich immer einen deut¬ 
lichen Geruchseindruck, in welchem natürlich der 
Weingeist die Hauptrolle spielte. Nun ist bekannt, 
dass man in einem sprit- oder sonstigem wein- 
geistigem Getränk mittelst des Geruchsinnes die 
Feinheit der darin enthaltenen Bouquette 
resp. die Anwesenheit von Fuseln oder sonstigen 
concentrirten Beimengungen sehr gut erkennen 
kann. Ich fand nun, dass das bei den wein¬ 
geistigen Arzneipotenzen genau ebenso gut 
möglich ist, selbst bei relativ so geruchlosen Sub¬ 
stanzen, wie es die von mir untersuchten Mittel¬ 
salze sind. Das Deutlichste, was wohl keinem Nach¬ 
prüfer entgehen wird, ist der Geruchsunterschied 
der unteren und der oberen Potenzen: erstere 
riechen durchweg dumpf, schwer, fuslig, un¬ 
rein, letztere frisch, rein, fein, leicht, und 
zweimal (bei Ammon, muriat. 12. Potenz und Kali 
phospbor. 19. Potenz) enthält mein Messungsproto¬ 
koll die Bemerkung „riecht gut“, weil es ein wirk¬ 
lich eigenartiger Wohlgeruch war. Ich will bezüg¬ 
lich dieser zwei Fälle durchaus nicht behaupten, 
dass sie zweifelsfrei sind (etwaige zufällige Verun¬ 
reinigung) allein im ganzen bin ich meiner Sache 
sicher; bei allen 17 Salzen vollzog sich mit Ueber- 
schreitung der neuralanalytischen Indifferenz der 
obgenannte Umschlag im Geruchseindruck — zugleich 
einer der hunderte von Beweisen, dass die Neural¬ 
analyse nicht Schwindel und Einbildung ist. Wie 
bemerkt, wird den Umschlag jeder wahrnehmen, 
namentlich der, welcher gewohnt ist, beim Einkauf 
oder vor dem Genuss die Spirituosen auf ihre Rein¬ 
heit mittelst des Geruchs zu prüfen. Jedenfalls 
aber wird der Umschlag keinem Fachmann auf 
diesem Gebiet entgehen und dieser wird auch noch 
mehr zu leisten im Stande sein, aber nur unter 
bestimmten Bedingungen. Ich habe alle meine Po¬ 
tenzen im gleichen Kölbchen gemacht und dabei 
wahrgenommen, dass nicht nur der unangenehme 
Geruchseindruck der unteren Potenzen von Potenz 


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41 


zn Potenz abnahm — natürlich nicht bei allen 
Salzen in gleichem Masse und gleich deutlich — 
sondern dass man auch bei den oberen Potenzen 
ganz gut eine stufenweise Veränderung, Feiner¬ 
werden des Geruchs, herausriechen konnte. Es giebt 
unter den Lesern gewiss solche mit feiner Nase 
und da ich selbst das nicht habe, wäre es mir sehr 
interessant, wenn sich einer oder der andere an 
die Nachprüfung der Sache machte und mir Mit¬ 
theilung zukommen Hesse. Zunächst behaupte ich: 
Mit Hülfe einiger Vorübung wird man in praxi 
leicht mit der Nase unterscheiden lernen, ob man 
eine untere oder eine obere Potenz einer Arznei 
vor sich hat, donn der Unterschied ist genau der 
gleiche wie der zwischen einem schlechten und 
guten Schnaps, und wenn ein Arzt oder Apotheker 
oder Visitator einer solchen wenigstens das thut 
und kann, so gehen sie weit sicherer. 

Mit dem Geschmacksinn habe ich keine Ver¬ 
suche angestellt, denn da ich Raucher bin, ist dieser 
bei mir um seine Feinheit gekommen. Ausserdem 
müsste hierzu ein anderes Medium als Weingeist, 
der zu stark auf £er Zunge wirkt, genommen 
werden. Ich glaube am besten würde sich dazu 
Wasser eignen, denn hier haben wir auch schon 
einen Vorgang. Abgesehen von gröblicher Verun¬ 
reinigung haben wir beim Trinkwasser für gut 
und schlecht eine Geschmacksbezeichnung, die 
zwar mehr dem Tastantheil des Geschmacksinnes 
als dem wirklichen chemischen Sinn entnommen 
ist: weich und hart. Untere Potenzen werden 
hart, obere weich schmecken und erstere um so 
härter, letztere um so weicher, je weiter sie sich 
vom Indifferenzpunct entfernen. Gerade dann, wenn 
es sich bei einer Arznei so wie beim Trinkwasser 
um mineraHsche Stoffe handelt, wird der Vergleich 
mit dem Geschmackseindruck des Trinkwassers sich 
leicht ergeben. Auf diesem Gebiet wäre Mitarbeiter¬ 
schaft sehr nützlich. 

b) Unwillkürliche Bewegungen. 

Das Ziffernmaterial, welches ich in den Ab¬ 
schnitten II, 111 und IV vorHegender Arbeit mit- 
getheilt habe, ist das Ergebniss einer Beeinflussung 
der willkürlichen Bewegungsvorgänge. Dass 
sich auch Veränderungen der unwillkürlichen 
Bewegungen unter dem Einfluss von Stoffen ver¬ 
schiedener Potenzhöhe einstellen, ist nicht erst das 
Ergebniss meiner neuesten Prüfungen, sondern schon 
in meinen früheren Veröffentlichungen nieder gelegt, 
der Leser findet dort allerdings nur einen Theil 
derselben beschrieben, nämlich den, welchen ich 
mit Hilfe von Kymographion und Sphygmograph 
nachgewiesen habe; Hochpotenzen beeinflussen die 
unwillkürlichen Erzitterungen freigehaltener Glied¬ 
massen und den Pulsgang, können also auch in 
dieser Richtung auf ihre physiologische Kraft ge¬ 


prüft werden, was eine werthvolle Controle für die 
neuralanalytische Prüfung mittelst Chronoskop abgab. 
Man sehe Entdeckung der Seele, III. Auflage 
Bd. II Cap. 4 und 5. In dieser Richtung habe ich 
diesmal nicht gearbeitet. 

Weiter habe ich in meiner „Neuralanalyse 
der homöopathischen Verdünnungen* mitge- 
theilt, dass sich bei Ausführung neuralanalytischer 
Messung, namentlich dann, wenn man an höheren 
Potenzen misst und zwar um so zahlreicher, je 
höher man in den Potenzen hinaufsteigt, Null acte 
einstellen d. h. Fingerrucke, bei denen der Zeiger¬ 
sprung ausbleibt An diese knüpft sich nun das, 
was ich im Folgenden mitzutheilen habe. Ich habe 
damals von diesen Erscheinungen in meiner Ver- 
öffentHchung nichts gesprochen und das hat seinen 
Grund in folgenden Umständen gehabt, a) damals 
war mein Hauptaugenmerk auf die Zifferbildung 
gerichtet und auf die übrigen Erscheinungen wurde 
wenig Gewicht und wenig Aufmerksamkeit gelegt; 
b) die nachher zu schildernden Zuckungen fehlten 
damals nicht, allein sie waren bei keinem der da- 
maUgen vier Prüfer so stark, wie sie jetzt bei mir 
sind. Ich treibe jetzt die Neuralanalyse seit zehn 
Jahren und, was ich dabei erfuhr, ist, dass diese 
unwillkürlichen Zuckungen, die im Anschluss an 
die Nullacte auftreten, bei mir von Jahr zu Jahr 
deutlicher und ausgebreiteter wurden. Das trat aller¬ 
dings eine längere Zeit desshalb wieder in den 
Hintergrund, weil ich mich nicht mehr mit arznei- 
Hchen Hochpotenzen beschäftigte, sondern nur mit 
hygienischer Prüfung von Waaren, wobei es sich 
zwar oft genug auch um obere Potenzen, aber immer 
nur um die niedrigeren derselben handelt. Erst 
jetzt, wo ich obige Arbeiten ausführte, gewann ich 
die richtige Vorstellung, c) bei den Messungen für 
die „ Neuralanalyse der homöopathischen Verdün¬ 
nungen* mass jeder der 4 Herrn für sich allein. 
Erst nach der betreffenden VeröffentHchung hatte 
ich Gelegenheit fremde Personen (einen Assistenten 
und einige Schüler) beim Messen zu beobachten 
und da wurde ich auf die Zuckungen aufmerksam 
als auf eine Erscheinung, die voller Beachtung 
werth ist, und meine damaligen Erfahrungen kann 
ich zunächst dahin zusammenfassen: Nullacte 
werden bei den meisten Menschen eintreten, wenn 
sie an Hochpotenzen riechend Ziffern bilden wollen, 
dagegen zu ausgedehnteren Mitbewegungen ja 
Krämpfen kommt es nur bei sensibleren Individuen 
und längere Uebung begünstigt deren Auftreten. 

Diese Thatsache ist nach zwei Seiten von grund¬ 
legender Wichtigkeit. 

a) Liegt darin natürlich nicht das mindeste Un¬ 
erwartete, dass auf einen physiologischen Einfluss 
von bestimmter Stärke verschiedene Personen nicht 
gleich stark reagiren. Allein gerade darum handelt 
es sich, dass man hier nicht falsch urtheilt und 

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qualitativ und quantitativ, subjectiv und 
objectiv verwechselt Was wollen wir durch un¬ 
sere Untersuchungen prüfen? Antwort: die objec- 
tiven Veränderungen, welche bei den Arzneistoffen 
an ihrer physiologischen Wirkung durch die Ver¬ 
dünnung, also Veränderung der Quantität erzeugt 
wird. Diese Prüfung ist auf gar keinem andern 
Weg als mittelst eines physiologischen Subjectes 
zu machen. Damit mischt sich dem Prüfungs- 
ergebniss nothwendig ein qualitatives oder 
anders gesagt, subjectives Element bei, denn ver¬ 
schiedene Subjecte sind namentlich beim Menschen 
qualitativ verschieden. Wenn ich also sage: 
bei mir treten Zuckungen ein, sobald bei dem oder 
dem Stoff die 15. Potenz erreicht ist und es ent¬ 
gegnet mir jemand: „das ist subjectiv! 8 so hat er 
insofern recht, als durchaus nicht bei allen Sub- 
jecten diese Wirkung auftritt, und trotzdem habe 
ich recht, die Sache als einen Ausdruck einer 
objectiven und quantitativen Thatsache aufzu¬ 
fassen, denn 1. wenn ich bei zwanzig verschiedenen 
Stoffen jedesmal bei einer bestimmten Potenzirungs- 
stufe Zuckungen erhalte, während sie auf der 
nächst tieferen Stufe ebenso regelmässig nicht ein- 
treffen; 2. wenn die Ausbreitung und Stärke der 
Zuckungen oder Krämpfe mit jeder weiteren Potenzi- 
rung bei mir zunimmt, so kann kein vernünftiger 
Mensch bestreiten, dass durch die Potenzirung in 
dem Objecte, d. h. der Arznei eine Veränderung 
quantitativer Natur und zwar in der Richtung 
grösserer Kraftentfaltung hervorgerufen worden ist, 
denn zu behaupten, das komme lediglich davon her, 
dass bei mir in diesem Augenblicke eine qualitative, 
subjective Veränderung eintrete, wäre doch Narren¬ 
schwatz. 

b) Thatsächlich sind die Anhänger der Homöo¬ 
pathie über die Potenzirung sehr verschiedenerAn- 
sicht, aber doch lassen sich zwei Strömungen unter¬ 
scheiden, die eine nach oben, die andere nach 
unten. Diese Thatsache erhält durch obiges eine 
ganz bestimmte Beleuchtung. Rechnet man die¬ 
jenigen ab, die es gar nicht für nöthig halten, sich 
durch Versuche am eigenen Leib eine eigene Ueber- 
zeugung zu verschaffen, so müssen bei denen, die 
an sich nachprüfen, nothwendig die obigen subjec- 
tiven Unterschiede in der Sensibilität und Uebung 
sich geltend machen. Die sensibleren Naturen, 
bei denen Hochpotenzen Zuckungen erzeugen, 
werden unbedingt Anhänger der Hochpotenz. Dazu 
hilft ihnen nicht blos ihre Sensibilität, sondern auch 
das mit ihr zwar nicht immer, aber meist verbun¬ 
dene lebhaftere Temperament, das vor der Mehr¬ 
arbeit der Hochpotenzirung und vor dem mannig¬ 
fachen Widerwart, den — bei uns wenigstens — 
der practische Gebrauch der Hochpotenzen mit sich 
bringt, nicht zurückschreckt. — Auf der anderen 
8eite steht der torpidere Theil der Prüfer. Die 


können sich für Hochpotenzen deshalb nicht so 
leicht erwärmen, weil sie von ihnen nicht ange¬ 
griffen werden und halten nun leicht die ganze 
Mehrarbeit für überflüssig, wozu sie auch noch ihr 
torpideres Temperament leicht verführt. 

c) Ist noch die Uebung zu besprechen. Es 
ist eine bekannte Thatsache, dass Gliedmassen, die 
viel gebraucht werden, leicht von unwillkürlichen 
Zuckungen und Krämpfen befallen werden, das be¬ 
kannteste Beispiel ist der Schreibkrampf, den ja 
blos Leute bekommen, die viel schreiben müssen. 
Dies wirft ein Licht auf das Wort Uebung; wer 
viel schreiben muss, übt die hierbei thätigen Mus¬ 
keln und Nerven. Die Veränderung, welche die 
Uebung in diesen hervorbringt, ist eine Abnahme 
der Widerstände, welche die Erregungsleitung 
findet und damit eine grössere Reizempfindlichkeit. 
Ich verweise in dieser Beziehung auf das Kapitel 
„Uebung* in meinem „Lehrbuch der allge¬ 
meinen Zoologie, IL Theil allgemeine Phy¬ 
siologie (Leipzig 1878.) (Die Schulphysiologien 
enthalten, beiläufig gesagt, über practisch so wich¬ 
tige Dinge wie „Uebung“, „Gewöhnung“ gar nichts!) 

Die Physiologie hat nun für die Reflexe das 
Gesetz der Irradiation ermittelt. Das besteht 
darin, dass bei diesen entweder bei Steigerung der 
Reizstärke oder bei Erhöhung der Reflexerregbar¬ 
keit die Reflexbewegungen auf andere motorische 
Gebiete überspringen und zwar in einer bestimmten 
Ordnung und Abstufung. 

Nun die ganz gleiche Erscheinung gilt auch 
für die willkürlichen Bewegungen: bei höhe¬ 
rer Sensibilität sowohl bei der stabileren, wie 
bei sensitiven Personen oder bei Abschwächung 
der Leitungswiderstände in Folge häufigen Ge¬ 
brauchs als bei der vorübergehenden, wie sie Ner- 
venaufregung hervor ruft, springt der Bewegungs- 
anstoss nach demselben Gesetz der Irradiation auf 
andere Muskelnerven über und zu der willkürlichen 
Bewegung gesellen sich unwillkürliche. Doch zur 
Sache: 

Die unwillkürlichen Mitbewegungen bei der neu¬ 
ralanalytischen Messung haben einen Vorläufer an 
den sogenannten Nullacten, deshalb sind diese 
zuerst zu schildern, diess ist weiter um so noth- 
wendiger, weil ich die feste Ueberzeugung habe, 
dass es bis zu dieser Stufe beginnender Aufregung 
bei Selbstversuchen mit Hochpotenzen selbst die 
torpideren Naturen bringen. Wie schon beschrieben, 
lasse ich bei der Neuralanalyse 10 Acte (Finger¬ 
rucke nicht -drucke) auf die Uhr wirken, deren 
Zeiten sich dabei addiren. So lange man an Ob¬ 
jecten misst, welche Lähmungsziffern geben, 
also an giftigen, concentrirten, schweren Stoffen, 
entspricht unabänderlich jedem Fingerrook ein 
Sprung des Uhrzeigers. 

Das Gleiche ist auch dann der Fall, wenn man 


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an indifferenten Dingen misst, oder an gar nichts, 
d. h. Bnheziffem bildet. Das gilt aber nur dann, 
wenn man wirklich in derjenigen Ruhe sich befindet, 
die für die Ausübung der Neuralanalyse Voraus¬ 
setzung ist und das Auftreten eines Nullactes bei 
Messung von Ruheziffern ist deshalb dem practischen 
Neuralanalytiker das sicherste Anzeichen, dass er 
nicht in Ruhe ist, sondern eine Aufregung vor¬ 
liegt, die er unbedingt beseitigen oder verfliegen 
lassen muss, ehe er weiter misst. 

Auf der anderen Seite ist das Auftreten von 
Nullacten bei sensibleren Naturen eine regelmässige 
Erscheinung, sobald sie an Stoffen messen, die 
ßelebung8ziffern ergeben, und besteht die Sache 
darin, dass einer oder der andere der Fingerrucke 
auf die Uhr nicht wirkt, keinen Zeigersprung her¬ 
vorruft. *) Im allgemeinen ist das bei mir dann 
der Fall, wenn die Dekadenziffer mehr als 30°/ 0 
Belebung anzeigt, doch kann es auch schon früher 
Vorkommen. 

Prüft man nun eine Potenzenreihe, so wie ich 
es jetzt wieder an 17 verschiedenen Stoffen und an 
einem, dem Kali carbon., zweimal mit Variirung 
der Methode gethan, so stellt sich als unabänder¬ 
liche Erscheinung ein/ dass mit Zunahme der Poten- 
zirungsstufe die Zahl der Nullacte zunimmt, was 
ich schon in meiner „Neuralanalyse der homöopa¬ 
thischen Verdünnung“ mitgetheilt habe. 

(Schloss folgt.) 


Prof. Kent über horaöop. Behand¬ 
lung der LagenyerHrnderangen des 
Uterus ohne mechanische Beihülfe. 

(Med. Adv. 1890 Dez.) 

Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg, 

Wenn Jemand in einer anderen Versammlung 
als derjenigen der Hahnemannianer die Behauptung 
aufstellte, dass die Lageveränderungen der Gebär¬ 
mutter ohne mechanische Beihülfe gebessert oder gar 
geheilt werden könnten, so würde er wenig Glauben 
finden, weder für seine Behauptung, noch für seinen 
Vorschlag der Behandlung. Da aber unser Heil¬ 
gesetz als ein alles umfassendes betrachtet werden 
muss, so ist es andrerseits überflüssig zu versichern, 
dass unsere Materia medica reif genug ist, diese 
Lageveränderungen ohne mechanische Beihülfe zu 
behandeln. 

Ein jeder Arzt, der sich mit Frauenpraxis be¬ 
schäftigt, wird eine grosse Anzahl Fälle dieser Ca¬ 
tego rie haben. 

*) Ich verweise hier auf meine Schilderung in 
„Neuralanalyse der homöopathischen Verdünnung“ 
pag. 6. 


Die pathologische Classification hat wenig Werth 
für die Behandlung; nur die Behandlung nach dem 
Symptomenbilde führt zu einer dauerhaften und 
gründlichen Heilung. 

Der Nachfolger Habnemanns findet in seiner 
Praxis keinen Platz für mechanische Beihülfe; er 
verlässt sich auf das Simile. Die lebendigen Zeu¬ 
gen, die wirklich geheilten Fälle sind der Beweis. 
Zweckmässig wird es sein, einige Fälle anzuführen, 
um zu zeigen, wie man Vorgehen soll. 

Wenn eine Patientin sich einem homöop. Arzte vor¬ 
stellt, um von ihm an irgend einer Lageveränderung 
behandelt zu werden, so müssen nicht allein die spe- 
ciellen Symptome der Lageveränderung, sondern 
sämmtliche Symptome des Falles von der Kindheit 
an bis zur Jetztzeit genau aufgenommen und notirt 
werden, wie das Organon es vorschreibt. 

Die allgemeinen Symptome müssen sehr sorg¬ 
fältig und sehr vollständig aufgenommen werden, 
da aller Wahrscheinlichkeit nach gerade durch die 
begleitenden oder Nebensymptome das Symptomen- 
bild ein characteristisches wird. 

Die gewöhnliche Untersuchung hat für die 
Behandlung sehr wenig Werth, sie entwickelt meist 
kein characteristisches Symptom, welches der Arzt 
für die Mittelwahl benutzen kann. Viele dieser 
Kranken tragen noch die Ringe, welche der letzte 
Arzt ihnen eingeführt hat. Dadurch werden die 
werthvollsten Symptome unterdrückt. Mit dieser 
mechanischen Hülfe kann die Frau gehen, stehen 
und ihren häuslichen Pflichten nachkommen ohne 
besondere Schmerzen. Die Frau muss diesen Ring 
sofort herausnehmen oder herausnehmen lassen und 
es muss unter Verabreichung von Scheinarznei min¬ 
destens eine volle Woche, oft auch ein Monat ge¬ 
wartet werden, bis alle Symptome da sind, welche 
vorher sich zeigten, ehe sie durch die mechanischen 
Beihülfen unterdrückt wurden, bis also das Symp- 
tomenbild vollständig ist Die Patientin wird ge¬ 
wöhnlich bemerken: „Ich kann nicht gehen, wenn 
der Ring herausgenommen ist,“ Aber das will ich 
gerade hören und frage sie sofort, warum sie dann 
nicht gehen könne. Die Antwort bringt die Symp¬ 
tome, welche ich niederschreibe und mit den anderen 
Symptomen wird das 8ymptomenbild vollständig, 
wenn nur nach dem Herausnehmen des Pessarium 
den Symptomen Zeit gelassen wird, sich wieder 
zu entwickeln. Es kommt nicht darauf an, wie 
bald die Symptome gesammelt werden, aber sehr 
kommt es darauf an, dass man sie vollständig 
sammelt und auch trennt von solchen, welche 
entstehen durch Einwirkung eines lange liegenden 
Pessarium auf die benachbarten Theile und 
welche man für das Grundleiden nicht verwerthen 
kann. Alle Krankheiten melden sich dem ein¬ 
sichtsvollen Arzt durch Zeichen und Symptome; 
diese hat er zur Heilung nöthig, und wo diese 

6 * 


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Zeichen und Symptome fehlen, etwa wie hier 
mechanisch zurückgedrängt, muss man dieses Hin¬ 
derniss beseitigen und jenen Gelegenheit und Zeit 
geben, sich zu entwickeln. 

Man hat behauptet, dass man bei alten Frauen 
die mechanische Behandlung nicht entbehren könne. 
Dem kann ich nicht beistimmen; auch bei schwachen 
heruntergekommenen Frauen beseitigt das angezeigte 
Mittel die Lageveränderung. Als Beispiel für Ersteres 
führe ich folgenden Fall an: 

Eine 65jährige Dame consultirte mich wegen 
Vorfall. Zum Gehen musste sie eine T Bandage 
tragen. Liegen erleichtert etwas; wundmachender 
blutig-wässriger Fluor. Die Patientin war sehr 
abgemagert, blutleer, wachsgelb. Haut sehr trocken 
und zusammengeschrumpft; die Zehen dunkelfarbig 
mit gangränösen Stellen. Gelegentliche Attacken 
von blutigen Durchfällen. Grosse Schwäche; sie 
glaubt ihr Ende nahe. 

Diese ausgedehnte Lage Veränderung hat sie schon 
seit 20 Jahren, hat oft mechanische Stützen ver¬ 
sucht, immer ohne Erfolg wegen der übergrossen 
Empfindlichkeit der Theile. 

Secale heilte diesen Fall in sehr kurzer Zeit, 
ein Mittel, welches wohl nicht zu den gebräuch¬ 
lichen zählt bei Behandlung der Lageveränderungen 
des Uterus, welches aber den Eigentümlichkeiten 
dieses Falles entsprach. Wenn man in solchen 
Fällen heilen kann, wo Pessarien nicht vertragen 
werden, warum nicht auch in den anderen? In 
dem folgenden Falle kam ebenfalls ein Mittel zur 
Verwendung, an das man bei Prolaps, in der Regel 
nicht denkt. 

Eine grossgewachsene Frau litt seit vielen Jahren 
an starkem Prolaps. Heftiges Abwärtspressen im 
Becken. Beim Stuhldrang treten zahlreiche Hämorr¬ 
hoidalknoten vor, welche brennen und schmerzen, 
als ob sie voll spitzer Hölzer sässen und oft bluten. 
Zerschlagenheitsgefühl und heftige Schmerzen vom 
Rücken durch die Hüften die Schenkel hinab beim 
Gehen. Die einzige angenehme Position ist die 
Bettlage. 

Aesculus heilte diesen Fall prompt 

Als die Patientin in meine Behandlung kam, 
trug sie ein Hufeisenpessarium, nach dessen Ent¬ 
fernung erst obige Symptome auftraten. 

Interessant ist folgender Fall. 

Eine Dame in mittleren Jahren, Mutter mehrerer 
erwachsener Töchter, erschien mit einer eigenthüm- 
lichen Gemüthsalteration. Sie verlangte nur, hier¬ 
von befreit zu werden; von Lageveränderung der 
Gebärmutter, an der sie schon lange litt, erzählte 
sie nichts. Wenn ihr Mann fort war, stand sie 
entsetzliche Angst um ihn aus, dass er nicht mehr 
zurückkäme, er käme unter die Räder, er werde 
sterben und Aehnliches. Diese Angst war so gross, 
dass sie während seiner ganzen Abwesenheit weinte 


und ihn jetzt meist zum Geschäft hin begleitete, 
um bei ihm zu sein. Sie erwähnte nicht, dass sie 
ein Pessarium trug und konnte sich gar nicht 
denken, dass der Gemütszustand Zusammenhang 
haben könne mit der Gebärmutter. Von der Homöo¬ 
pathie hatte sie so wenig Begriff, dass sie glaubte, 
bei dem Spezialarzt ihren Uterus weiter behandeln 
lassen zu können. Zu mir kam sie nur, weil sie 
von meinen Erfolgen in der Behandlung von Ge- 
müthsleiden gehört hatte. 

Nach Herausnahme des Pessarium erzählte sie 
mir dann, warum dieses nöthig gewesen sei und 
theilte mir die Diagnose mit, welche vom Spezialisten 
sorgfältig gestellt worden war. 

Die Symptome, welche jetzt noch hinzutraten, 
waren: Menses stark, schwarz und klumpig, ausser¬ 
ordentliche Empfindlichkeit der äusseren Genitalien, 
welche sogar das Tragen des gebräuchlichen Tuches 
bei der Regel nicht zuliess. 

Hierdurch wurde das Symptomenbild von Platina 
so vervollständigt, dass auch ein Anfänger keine 
falsche Wahl treffen konnte. 

Platina beseitigte sowohl die Gemüthssymptome, 
wie die Nothwendigkeit, ein Pessarium zu tragen. 
Weitere Fälle anzuführen, scheint überflüssig. Be¬ 
sonderen Ruf in diesen Fällen haben: Bell. Lilium, 
Murex, Nux v., Podophyll. Puls. Sep. Die Symptome 
dieser Mittel sind bekannt. 

Sind bei der Patientin zugegen die Blutüber¬ 
füllung und die abwärtsdrängenden Schmerzen im 
Becken, als ob die Gebärmutter durch die Scheide 
heraus will, die ausserordentliche Empfindlichkeit 
gegen das Knarren der Thür und das Rasseln des 
Wagens, das heisse Durchströmen des Menstrual- 
blutes, welches gewöhnlich schwarz, reichlich, 
klumpig, untermischt mit hellrothem Blut, ferner 
das unwillkürliche Verlangen, mit Hand oder Tuch 
auf die äusseren Genitalien einen Druck auszuüben, 
um das Vordrängen der inneren Theile zu verhüten: 
bei solchen Symptomen denkt wohl Jeder an Bella¬ 
donna. 

Wenn wir zum Abwärtsdrängen und dem Ver¬ 
langen nach Druck auf die Genitalien noch hinzu¬ 
fügen ein schreckliches Hungergefühl im Magen, 
auch nach dem Essen, mit der Empfindung des 
Sinkens und der Leere im Magen, Stuhlverstopfung 
und geschlechtliches Verlangen, das die Kranke 
zum Wahnsinn treibt, wem fällt da nicht Murex ein? 

Verändern wir das Bild etwas, nehmen wir 
dazu eine überwältigende Schläfrigkeit, so dass sie 
sich den Tag hindurch kaum wach halten kann, 
wer denkt nicht an Nux mosch.? 

Haben wir ausserordentliche Reizbarkeit * des 
Temperaments mit vielen Schmerzen und vergeb¬ 
lichem Stuhldrang, stetem Drang zum Wasserlassen, 
steht uns sofort Nux vom. vor Augen. 

Abwärtsdrängende Schmerzen bei jedem Stuhl, 


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mit Vorfall des Mastdarms, abwechselnd Diarrhöe 
und Verstopfung, nach dem durchfälligen Stuhl, 
welcher in einem starken Gusse erfolgend den 
ganzen Darm entleert, ein schreckliches Leeregefühl 
im Leib, oft ansteigend zu tödtlicher Schwäche, 
als ob sie umsinken soll: Alles deutet auf Podo- 
phyllum hin. 

Man wird fragen, welche Zeit diese Heilungen 
beanspruchen. Das hängt ab davon, inwieweit 
durch die voraufgegangene mechanische Behandlung 
die Symptome verwischt worden sind, ferner davon, 
wie sehr die Constitution der Kranken herunter¬ 
gekommen ist durch Ueberanstrengung oder das 
chronische Kranksein, gegen welches unsere Mittel 
gerichtet sind. Kein Fall darf sofort als geheilt 
entlassen werden, wenn nur die Symptome der 
Lageveränderung verschwunden sind. Wenn durch 
das erst-indicirte Mittel der Grund für die Heilung 
gelegt ist, werden tiefeinwirkende Constitutionsmittel 
nöthig sein, um die Heilung zu vollenden. Wenn 
z. B. Belladonna unmittelbare Erleichterung gebracht 
hat, wird das zu Bell, gehörende chronische Mittel 
nothwendig folgen müssen. (Als chronisches Mittel 
zu Bell, wird Calc. carb. betrachtet, d. h. wo Bell, 
in akuten Zuständen das angezeigte Mittel war, be¬ 
seitigt Calc. carb. den chronischen Krankli eitszustand; 
die Calc. carb.-Patienten brauchen in akuten Fällen 
sehr oft Bell H.) 

Nach meiner Erfahrung genügten meist zwei 
Arzneien und eine Behandlungsdauer von 6 bis 
12 Monaten; bei sehr heruntergekommenen Patienten 
braucht man allerdings weit mehr. Der Prozentsatz 
der Misserfolge sollte sehr klein sein bei dem Arzte, 
der seine Mittel sorgfältig aussucht. Von meinen 
Patienten hat Keine wieder Verlangen nach Pessarien 
gehabt; einen Misserfolg habe ich nicht zu ver¬ 
zeichnen. 


Ein Fall zur Anto-Ison-Therapie. 

Fr. Sch., Messerschmied von hier, 28. J. alt, kam 
am 14. Oktober 1. J. in meine Behandlung. Die 
Untersuchung ergab absolute Dämpfung vom 6. 
Intercostalraum R. (oberer Leberrand) bis gegen 
den 4. Intercostalraum vorn; hinten war die Däm¬ 
pfung nicht so stark ausgesprochen. Innerhalb des 
Dämpfungsbezirks vom war schwaches, inspiratori¬ 
sches Bronchialathmen wahrzunehmen. Ferner war die 
r. Lungenspitze theilweise gedämpft, daneben hellerer 
Percussionsschall zu bemerken, desgleichen ausge¬ 
sprochene Dämpfung RH. bis in die Nähe der 
Schulterblattspitze. Die r. Lungenspitze ergab 
weiter Wintrich’schen Schallwechsel und spärliche 
mittelblasige in- und exspiratorische klingende Rassel¬ 
geräusche, hinten über der Scapula abgeschwächtes 
unbestimmtes Athmen. Rechts vorne bis zum 2. Inter¬ 


costalraum von der Lungenspitze an gerechnet 
tympan. Schall und amphor. Atmen, daneben wenige 
feinblasigeinspirat.Rasselgeräusche. Weiter: Fieber¬ 
bewegungen um 39°, Puls zwischen 116 und 120 
schwankend, heftige Nachtschweisse, viel und sehr 
quälender Husten mit viel aashaft stinkendem Aus¬ 
wurf, grosse Abmagerung und Schwäche, täglich 
3—4 dünne, gelbliche Stöhle. Vater und Mutter 
leben und sind gesund; Pat. selbst ist von zartem 
Körperbau und strenger Arbeiter gewesen. — Die 
Behandlung wurde eingeleitet mit Aconit dil. de. 
III. und Bryonia dil. de. VI. und dies vom 14. bis 
16. October (hier wäre vielleicht eher ein Mittel wie 
Arsen, jod. in Frage gekommen, doch zog ich das 
Verordnet» aus Gründen einer günstigen Einwir¬ 
kung auf die ergriffenen Pleuren vor): am 17. Kreo¬ 
sot. dil. de. VI, am 18. Atropin, dil. de. IV, am 
19. Terebinth., am 22. Tubercul. K. dil. de. 30. 
— Bis hierhin änderte sich am Krankheitsbild nur 
wenig. Auf Tuberc. K. entstand kratzender Reiz 
im Rachen und auf der Brust und reissender Hus¬ 
ten. Der penetrante Geruch des Sputums milderte 
sich ein wenig. Die Heftigkeit des Hustens nahm 
auch ein wenig ab, die Menge des Auswurfs blieb 
dieselbe. Am 24. Oktober Mittags 1 Uhr wurde mit 
Auto-Ison dil. de. 100 (bis zur 60. 1 ccm: 9 ccm, 
von der 50. an 1 ccm : 99 ccm. verwendet) be¬ 
gonnen, davon 6 Tropfen in 100 Gramm destill. 
Wassers gelöst, 2 stdl. 1 Kaffeelöffel voll ge¬ 
geben, (es mag hier etwa das ofte Arzneireichen 
auffallen, doch glaubte ich auf diese Weise auf den 
localen Process intensiver einwirken zu können), 
worauf sich folgendes zeigte: Schon um 5 Uhr 
Abends begann ein ruhiger und erquickender Schlaf, 
der einige Male nur der Verabreichung gekochter 
Milch wegen gestört wurde; „Pat. sei jedoch jedes¬ 
mal gleich wieder eingeschlafen“, und sprachen diese 
Leute die Vermuthung aus, der Pat. habe ein „Schlaf¬ 
pulver“ bekommen. 

25. Okt.: Schlaf von 8 Ubr Abends bis 4 Uhr 
Morgens, nachher stärkerer Husten mit wenig, mehr 
schleimig-eitrigem Sputum, Fieber gering, Puls 
106, der Gestank des Auswurfs hat seit 25. Mor¬ 
gens abgenommen. 

26. Okt.: Nach gut verbrachter Nacht Athmung 
über der Clavicula mehr von vesiculaer. Character, 
Rasselgeräusche etwas spärlicher. Die Dämpfung 
weicht hier normalerem Schall. 

27. Okt.: In den oberen Lungenpartieen wird 
die Athmung mehr und mehr vesiculaer. — An 
der Lungenbasis nimmt der Dämpfungsbezirk um 
l 1 ^ Querfinger breit nach oben ab. 

28. Okt.: Starker Husten und viel eitrige Sputa, 
hochgradige Schwäche (Verabreichung von tempe- 
rirtem Palästinaer Rothwein). Auto-Ison dil. cent. 
200, davon 6 Tropfen in 100,0 Aq. dest. gelöst, 
2stündl. 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen. 


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29. Okt.: Von 5 Ubr Abends bis 5 Uhr Morgens 
guter Schlaf, dann begann sehr starker Husten mit 
massenhaften eitrigen Sputis, sodass Pat. den 
Mund kaum weit genug öffnen konnte, dieselben zu 
entleeren, und soll die Quantität „ein* Liter über¬ 
stiegen haben, (Durchbruch eines Empyems in einen 
Bronchus) mit einer Dauer von 5 Uhr Morgens 
bis 9 Uhr Morgens. Dieser Auswurf habe wieder 
stark gerochen. Im Uebrigen gutes Allgemeinbe¬ 
finden, kein Fieber von mehr als 38—38,5, Puls 108, 
Appetit nimmt zu, keine Schweisse mehr, Stuhl 
nur noch 1 — 2 mal täglich, consistenter und 
bräunlich. 

1. Nov.: Alle krankhaften Erscheinungen gehen 
immer mehr der Norm zu. Heute kamen mit den 
Sputis auf einen Hustenstoss 2 schwarzgraue 3 cm 
lange, 1 cm breite Membranen ohne genauere 
Structur zum Vorschein. Sputa schleimig - eitrig, 
Sp. cocta. 

2. Nov.: Auto-Ison dil. c. 300, davon 6 Trop¬ 
fen auf 100,0 Aq. dest., 2 stündlich 1 Kaffeelöffel 
voll zu nehmen. 

4, Nov.: Pat. giebt an, nach jedesmaligem Ein¬ 
nehmen der Arznei verstärkten Husten zu bekom¬ 
men. Schlaf so ziemlich während der ganzen Nacht. 
Eine Eigenthümlichkeit dürfte vielleicht noch er¬ 
wähnt werden, dass Pat. von 10 Uhr Morgens an 
— wenn die Sonne komme — meist starken Husten 
und Auswurf habe; die Hustenstösse folgen schnell 
aufeinander. 

5. Nov.: Auto-Ison dil. c. 400; davon 6 Trop¬ 
fen auf 100,0 Aq. dest., 2 stündlich 1 Kaffeelöffel 
voll zu nehmen. 

8. Nov.: Pat. steht seit einigen Tagen täglich 
2 Stunden auf, Kräfte nehmen zu, Appetit und 
Schlaf gut, Sputum schleimig-eitrig. Bemerke noch, 
dass Pat. angiebt, die letzte Arznei sei „sehr stark“ 
und stärker als alle vorhergegangenen, er fühle 
aber, dass sie ihm sehr gut bekomme. Puls noch 
etwas celer, doch nicht schwach. 

15. Nov.: Husten und Auswurf nur noch sehr 
gering, nimmt heute die Arznei zu Ende. 

24. Nov.: R. H. 0. Athmung noch ziemlich ab¬ 
geschwächt, wenige feinblasige Rasselgeräusche. 
R. U. vom 4. Intercostalraum abwärts schwaches 
Bronchialathmen und abgeschwächtes Athmen. Per¬ 
cussionston oben und unten noch etwas abge¬ 
schwächt. Allgemeinbefinden sehr gut, arbeitet und 
ist guter Dinge. 

Patient ist trotz dessen ungesunden Berufes 
gesund geblieben und geht täglich demselben nach. 
Die jeweiligen Potenzen wurden in meinem Beisein 
in einer Pharmacie hierorts angefertigt. Bacillen wur¬ 
den nicht nachgewiesen. Es handelt sich hier wohl um 
eine tuberculös gewordene chron. catarrhal. Pneu- 

*) Da im Sputum keine Bazillen nachgewiesen 
wurden, die in diesem Falle doch massenhaft hätten 


monie bezw. Pleuro-Pneumonie.*) Der Fall nun ist 
kein reiner, nur mit Auto-Ison behandelter. Es 
sprechen jedoch einige Momente dafür, dass der so 
sehr verdünnte Auto-Isonstoff doch zur Geltung 
kam und also Arznei- und Heilkraft entfaltet hat, so 
dass das Auto-Ison als ausschlaggebend hier ange¬ 
sehen werden kann. 

Auch einige Fälle von Bronchitis bei Kindern 
im Nov. 1. Jahres mit und ohne gleichzeitiges Be¬ 
stehen von Keuchhusten wurden durch Auto-Ison- 
behandlung sehr günstig beeinflusst. 

Freudenstadt, den 28. Mai 1892. 

Dr. med. Buob. 


Epidemiologische Ecke. 

In den letzten 14 Tagen gingen folgende Mit¬ 
theilungen ein: 

Dierkes-Paderborn hatte bis zum 17./7. noch = 
Lach.; dann einige Tage Kal. bicbr. + Ran. bulb., 
Calc. phosph. -f- Chin. und sporadisch Lach.; jetzt 
(am 20./7.) scheint Calc. phosph. -f- Chin. epide¬ 
misch werden zu wollen. 

Leeser-Bonn schreibt am 18./7.: einige Tage 
lang bis zum 17. vorherrschend Veratr.; seit dem 
17. Chelid. 

Scbwarz-Baden-Baden berichtete am 15./7.: seit 
längerer Zeit keine Epidemie, überhaupt keine acuten 
Krankheiten, am 7. Natr. sulf. -f- Acon. = Aur.; 
am 9. Phosph., Ac. phosph., Natr. carb.; am 13. 
und 14. Ac. phosph. -f- Rbodod. = Mercur., auch 
Cupr.; heute entschieden Ac. phosph. -f- Ign. = 
Veratr.: einige Brechdurchfälle kleiner Kinder, Mi¬ 
gräne halbseitig, rechts mit Uebelkeit u. s. w. 

Kirn Pforzheim sah vom 7.—19 /7. von Bell, be¬ 
sonders gute Erfolge; von da ab traten 2 neue 
Punkte auf, für die er meist Spigel. 30 mit gutem 
Erfolg giebt; frische Fälle zeigen Schwindel, Herz¬ 
klopfen, Neuralgieen besonders linksseitig. 

Ich - hier hatte am 15./7. vorherrschend Natr. 
mur. -f- Iris; am 16. Natr. mur. + Led., vom 
17.—19. Baryt, carb. -f- Tone., seit dem 20. bis 
zum 28. Nachm, fast ausschliesslich die 2 neuen 
Kirn'scben Punkte, für die ich Senega 1000 00 gab 
mit ganz befriedigenden Resultaten bei heftigen 
Catarrhen der Nase und der Bronchien, meist mit 
grosser Müdigkeit; die Kopfschmerzen bei allen 
Kranken in dieser Zeit, die solche hatten, nahmen 
oft den ganzen Kopf ein, machten schwindlig und 
erstreckten sich bis in das Gesicht herunter; ausser- 


vorhanden sein müssen, so handelte es sich doch wohl 
nicht um Tuberkulose, sondern um eine chronisch 
verlaufene Pneumonie oder Pleuropneumonie mit Aus¬ 
gang in Abscessbildung. Die Red. 


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dem kam viel Rheumatismus aber Schaltern and 
Brost, drückend and spannend, anch im Kreaz vor; 
ferner 2 Fälle von Magenkrampf ev. Gallenstein¬ 
kolik, die sich anf Seneg. 1000 00 rasch besserten. 
Seit gestern (28./7.) Nachm, scheint Hep. sulf. ealc. 
-|- Ratanh. = Puls, in den Vordergrund treten zu 
wollen. 

Buob-Freudenstadt hat noch viel Wechsel; sah 
am 8./7. bei rechtsseitiger Diphtherie von Bell, 
schnelle Heilung. 

Sigmundt-Spaichingen schreibt am 24./7.: noch 
niederer Krankenstand; Bryon.-Fälle häufig. 

Hagel-Ravensburg schreibt am 21./7.: seit 8 
Tagen hauptsächlich Ars. -f- Veratr., dann Cupr. 
—j— Coloc. 

Köck-München berichtet am 18./7.: noch immer 
Cupr.-Fälle; die Präparate wechseln, jetzt beson¬ 
ders Cupr. ars. 

Stuttgart, den 29. Juli 1892. 

Dr. med. H, Göhrum. 


Entgegnung. 

Herr Apotheker Sauter in Genf zwingt mich 
zu folgender Erklärung, obschon ich seine liebens¬ 
würdigen Auslassungen erst mit Stillschweigen 
übergehen wollte. 

Wiederholt schon hat er sich Bemerkungen über 
die Leipziger homöopathischen Apotheken in Summa 
erlaubt, während er sich meines Erachtens nur an 
Herrn Dr. Willmar Schwabe reiben will. Denn 
ich habe ihm doch wahrlich noch nicht das Geringste 
in den Weg gelegt, — habe überhaupt noch nichts 
mit ihm und seiner Electrohomöopathie zu thun 
gehabt, und was in der Allg. homöopath. Zeitung, 
die in meinem Verlage erscheint, geschrieben wird, 
habe ich doch nicht zu verantworten, sondern meine 
vollkommen selbstständigen Herren Redacteure 
(3 approbirte Aerzte), und schreiben dieselben nicht 
uns Apothekern zu Gefallen. So schreibt Herr Sauter 
unter Anderem anlässlich der Erklärungen der 
Leipziger und schlesischen homöopathischen Aerzte 
und des Sächs. Anhalt.-Vereins homöopathischer 
Aerzte über seine electrohomöopatbischen Mittel: 

„Die Allg. homöopathische Zeitung erscheint 
im Verlage von W. Steinmetz, Pächter der 
Täschner'schen Apotheke in Leipzig, deren Be¬ 
sitzer Dr. Willmar Schwabe ist.“ 

Dies ist richtig! Herr Sauter scheint aber den 
Titel der „Allgemeinen“ noch nie genau angesehen 
zu haben, denn in diesem lautet es: „Verlag von 
William Steinmetz (A. Marggrafs homöopathische 
Officin) in Leipzig.“ Letztere Firma ist mein 
persönliches Eigenthum und hat mit Herrn Dr. 
Schwabe gar nichts zu thun. In diesem Ge¬ 
schäfte und auch in der Täschner'schen Apotheke 
arbeite ich vollständig selbstständig und gänzlich 


unbeeinflusst von Herrn Dr. Schwabe, sodass die 
Schlussfolgerungen des Herrn Sauter sehr 
irrige sind. 

Schliesslich die Versicherung, dass in den 
13 Jahren, die ich nun schon selbstständiger 
homöopathischer Apotheker in Leipzig bin, weder 
von meiner Firma A. Marggraf, noch von der 
anderen, Täschner & Co. — ausser zwei in diesem 
Frühjahre von einem Depositeur für einen Collegen 
aus Gefälligkeit bezogenen und an diesen zum 
Selbstkostenpreise abgegebenen Sternapotheken — 
bis jetzt für einen Pfennig electrohomöopathische 
Mittel von Herrn Sauter in Genf oder seinen 
Depositeuren bezogen oder vertrieben worden sind. 

Ich habe Herrn Sauter thatsächlich noch nie 
etwas in den Weg gelegt und noch keinen Grund 
zu seinen Anfeindungen gegeben, somit mag er 
mich auch gef. in Frieden lassen. — 

Conveniren ihm die Auslassungen der deutschen 
homöopathischen Aerzte, mit denen ich in Sachen 
der Electrohomöopathie jedoch völlig übereinstimme, 
in meiner Zeitung nicht, so mag er mit diesen 
streiten, nicht mit uns Apothekern. 

Leipzig, 19/7. 92. William Steinmetz. 


Berichtigung. 

Auf die Mittheilung in Nr. 25/26 deB 124. Bandes 
dieser Zeitung, 

„dass vod einem preussischen Kreisphysicus bei 
Revision der Hausapotheke eines selbstdispen- 
sirenden homöopathischen Arztes es als unstatt¬ 
haft erklärt worden sei, die homöopathischen* 
Arzneien aus Leipzig zu beziehen, denn dieses 
liege für Preussen immer noch im Auslande, 
aus dem Arzneien nicht bezogen werden dürfen“, 
gestatte ich mir ganz ergebenst zu bemerken, dass 
mir schon wiederholt im Laufe der Jahre solche 
Mittheilungen zugegangen sind, ohne dass denselben 
irgend welche Bedeutung beigelegt worden ist, und 
ohne dass die betreffenden Herren Aerzte sich etwa 
genirt hätten, fernerhin ihren Medicamentenbedarf 
aus Leipzig zu entnehmen. Im Gegentheil! — Es 
ist dies eine vollständig irrige Auffassung, und ich 
bitte in solchen Fällen dringend um sofortige Be¬ 
nachrichtigung, damit ich die Oberbehörde des be¬ 
treffenden Kreisphysicus davon in Kenntniss setzen 
kann, die dann demselben entschieden ein Monitum 
ertheilen wird, denn seit 1866 wird von den 
höchsten preussischen Behörden Sachsen Preussen 
gegenüber nicht mehr als Ausland angesehen, und 
der Bezug von Arzneien etc. aus Leipzig ist 
allen selbst dispensirenden homöopathischen Aerzten 
in Preussen gestattet. 


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48 


Bei ferneren Revisionen sind daher auch die 
betreffenden Herren Aerzte nie wieder in dieser 
Hinsicht beMelligt worden. 

Leipzig. William Steinmetz, 

i. F.: A. Marggrafs homöopatb. Officin. 


Personalia. 

Herr Dr. med. Gerlacb, Berlin, bat das Dis- 
pensirexamen bestanden. 


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Arztgesuch! 

Für ein grosses, mit einer Abtheilong für Epi¬ 
leptische nnd Blödsinnige, sowie einer Diakonissen¬ 
anstalt verbundenes Krankenhaus wird ein zum 
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evangelischer Confession und möglichst verheirathet als 

dirigirender Arzt 

gesucht. 

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wird ein Fixum von M. 2400 pro anno gewährt; 
die Remunerationen für Ausstellung von Zeugnissen, 
sowie Impfungen betragen ca. 400—500 Mk. jährlich. 
In nächster Nähe sind Garnisonen von 3 Cavallerie- 
bezl. Infanterieregimenten! gelegen, auch ist die 
Landpraxis, namentlich wenn der betreffende Arzt 
Geburtshelfer ist, eine sehr lucrative. Der nächste 
Arzt wohnt ca. 9 Kilometer entfernt. 

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William Steinmetz (A. Marggrafs homöo¬ 
pathische Officin), Leipzig. 


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stehende homöopathische ärztliche Kuranstalt pacht- oder 
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sehen, ist in naturscbönster Gegend in vorzügl. Höhen¬ 
lage (etwa 750 m ü. M.) in der Ostschweiz gelegen, ge¬ 
währt die Garantie unter der Leitung eines kundigen 
vorwärtsstrebenden homöopath. Arates sich zu einer Heils- 
Colonie zu entwickeln. Vollständig eingerichtete homöo¬ 
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Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goebrum-Stuttgart, Dr. StüTt* Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipiig. 

Druck von Graasaar & Sobramm in Leipzig. 

e 












Leipzig, den 18. August 1892. 


No. 7 n. 8. 


Band 125. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«. 

BERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRÜM-STÜTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrars homOopath. Offlein) in Leipzig. 


Erscheint 14 tägig mn 2 Bogen. IS Doppeinnmmern bilden einen Bend. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Bnohhandlangen and 
Postnnstelten nehmen Bestellungen »n. — Inserate, welohe an H. Mosse in Leipzig and dessen Filialen oder an die 
Verlagshandlung selbst (A. Marggrafs bomöopath. Offioin in Leipzig) *u richten sind, werden mit 30 Pf. pro einmal 
gespaltene Petitseile and deren Baum bereohnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 


Inhalt. Zur Peteazlraag: Weitere physiologische Thatsacheu eto. Physiologisch geprüft von Prof. Dr. 
Jaeger-Statteart. (Schluss.) — Aue der Praxis. Von Br. Kunkel-Kiel. — Die zeitweilig herreoheaden Heil¬ 
mittel. Von Dr. Göhram-Stuttgart. — LeaofrOohte. — Nekrolog. — Anzeigen. 


MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. 'S! 


Die Potenzirung. 

Physiologisch geprüft von Prof. Dr. 0. Jaeger- 
Stuttgart. 

V. Weitere physiologische Thatsaehen. 

(Fortsetzung u. Schluss.) 

Was sich nun im weiteren Verlaufe hinzuge¬ 
sellt, ist zunächst bei mir ein leises Ziehen in den 
Muskeln des messenden Armes und dann kann ich 
sicher sein, dass auf der nächsten Potenz sich die 
weiteren Erscheinungen einstellen, bei diesen unter¬ 
scheide ich zwei Formen, die zugleich zwei 
Stufen sind. 

1. Blose M i t b ewe gungen, Zuckungen: 
Während sonst dem Willensstoss nichts antwortet, 
als ein Ruck des Fingers, bemerkt nicht blos der 
Messende an sich, sondern kann auch eine andere 
Person an dein Messenden anderweitige Bewegungen 
zusammenfallend mit dem Fingerruck beobachten, 
und zwar kommt hier eine deutliche Stnfenfolge 
zum Vorschein: Erste Stufe: ein Ruck der ganzen 
Hand, die misst. Zweite Stufe: nebst Handruck 
Zucken des ganzen messenden Armes. Dritte Stufe: 
hier addirt sich Nicken des Kopfes hinzu. Vierte 
Stufe: es zucken jetzt die Bengemuskeln von Finger, 
Hand, Arm, Kopf, Rumpf und anderem Arm. Fünfte 


Stufe: auch die Beine werden ruckweise an gezogen. 
Sechste Stufe: der Ruck mit den Beinen ist so 
plötzlich und kurz, dass dieselben beim Rückfall 
mit vollem Gewicht auf den Boden anfschlagen. 

2. Wirklicher tonischer Krampf, der zuerst 
in dem messenden Finger, meist aber gleich in der 
ganzen Hand dann auch im Arm auftritt, um sich 
auf höchster Stufe fast über alle Muskeln des Kör¬ 
pers zu verbreiten, so dass der Messende für 
einen zweiten Beobachter ein verblüffender An¬ 
blick ist. 

Hier tritt nun auch klar der Zusammenhang 
zwischen Nnllact und Krampf und die Erklärung 
des ersteren zn Tage. Während der Krampfdauer 
ist man bei aller Willensenergie nicht im Stande, 
einen solchen Fingerruck auszuüben, dass der Zeiger 
der Uhr springt: mithin sind die einzelnen Null¬ 
acte, die man bei niedrigeren Potenzen erhält, nichts 
anderes als erste Anzeichen beginnender Krampf¬ 
wirkungen; der Krampf ist nur beschränkt auf den 
messenden Finger und dann so kurz dauernd, dass 
er nur zur Unterdrückung oder genügenden Ab¬ 
schwächung eines einzigen Fingerruckes ausreicht. 
Später, wenn die Krampfwirknng sich noch über 
weitete Muskelgebiete ausbreitet, nimmt sie auch 
an Zeitdauer zu, so dass mehrere Fingerrucke 
wirkungslos bleiben. Auf höchster Stufe kann dies 
soweit gehen, dass sämmtliche 10 Fingerrucke einer 

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Dekade nicht „losgeben“, ich nenne das in meiner 
Ziffernsprache die grosse Null. Den ja auch 
leicht zu überwachenden Fall, dass von den 10 
Fingerrucken nur ein einziger auf die Uhr ge¬ 
wirkt hat, die grosse Eins. — Eine genauere 
Analyse dieser Erscheinungen würde uns zu weit 
führen, ist aber auch für unseren Zweck nicht 
nöthig. 

Ich will nun den Leser nicht noch einmal mit 
einer ausführlichen Statistik langweilen, sondern 
nur kurz meine neuerlichen Erfahrungen in dieser 
Richtung angehen. Dabei muss ich meine zwei 
Messnngsreihen gesondert vornehmen aber mit der 
Vorbemerkung, dass ich auf das Erscheinen ver¬ 
einzelter Nullacte nicht geachtet habe, denn das 
würde eine besondere Anstrengung der Aufmerk¬ 
samkeit und eine fortgesetzte Unterbrechung des 
Messvorganges gewesen sein, welche die Genauig¬ 
keit der Messung sehr beeinträchtigt hätte. Das 
Folgende bezieht sich also nur auf das Auftreten 
der Zuckungen nnd der grossen Null und Eins. 

1. Die Dauermessnngen der verschluckten 
Potenzen von Kali carbonicum. Dabei ist zweierlei 
zu erwähnen: a) Ich habe schon bei der Schilde¬ 
rung dieser in Nr. 19 und 20 der Zeitschrift das 
Auftreten der Krämpfe erwähnt und in Tab. I so¬ 
wie in der Besprechung derselben die Sache berück¬ 
sichtigt, indem ich dort von „K r a m p f z i f f e r n“ 
sprach und sagte, dass diese in Tabelle I durch 
fetten Druck hervorgehoben seien. Es lässt sich 
nun leicht aus der Tabelle I herauslesen, wann und 
wo Zuckungen und Krämpfe aufgetreten sind und 
es ergiebt sich hieraus: Erstmals erscheinen Krampf¬ 
ziffern in der 13. Potenz und zwar deren 2, die 
15. hat nur eine, die 17. 5, die 19. 6, die 21. 4, 
die 23. 7, die 25. 5, die 27. 6, die 30. 12!, die 
50. 11, die 100. 14, die 1000. 11. — Also auch 
hier dieselbe Erscheinung wie bei den Ziffern über¬ 
haupt: Zunahme der Erscheinungen von Potenz zu 
Potenz, aber nicht in regelmässiger Steigerung. 
Dem ist nur noch zuzufügen, dass, wie schon früher 
gesagt, die Intensität der Krämpfe sich mit der 
Höhe der Potenz steigerte, b) Die Maximalwir¬ 
kungen, welche durch die grosse Eins und grosse 
Null bezeichnet sind, gehören nur den höchsten 
der gemessenen Potenzen an und zwar wieder so: 
die grosse Eins kommt allein vor in 30. und 50. 
Potenz und zwar je zweimal; Beides: grosse 
Eins und grosse Null finden sich nur bei 100. 
und 1000. Potenz: bei 100. Potenz 6mal Eins, 
2mal Null; bei 1000. Potenz 8mal Eins und 
2mal Null. 

2. Zweite Messungsreihe, die ich an den 
verschiedenen Alkalisalzen vomahm, bei der es 
sich wieder um zweierlei handelt: a) Zuckungen, 
diese fehlten auf der 14. Potenz noch durchaus, 
erst auf der 16. erscheinen sie bei 2 Salzen (Kali 


jod. und Natr. carb.). Hiezu tritt auf der 17. Po¬ 
tenz Bromnatrium, auf der 18. Natr. mur. und sulf., 
auf der 29. Bromkali und Kali phosph., auf der 21. 
Natr. phosphor. und Ammon, carbon., auf der 22. 
Natr. nitr, auf der 23. Ammon, phosph. und Kali 
carbon. Nur ein Salz, das Bromammonium ver¬ 
hielt sich auch in dem Puncte abnorm; hier kam 
es selbst bei der 30. Potenz noch nicht zu Zuck¬ 
ungen. Wenn nun ein Leser einen Widerspruch 
darin findet, dass ich bei dem zweimal untersuchten 
Kali carbonicum das erste Mal von der 13. Potenz, 
das zweite Mal erst von der 23. Potenz Zuckungen 
bekam, so muss ich darauf hinweisen, dass die 
Ziffern der zweiten Unterauchungsreihe (Inhalation) 
eigentlich nur den ersten Ziffern der Tabelle I der 
Schluckversuche entsprechen mit einer Einschrän¬ 
kung, auf die ich schon früher hinwies. Nun wird 
der Leser sehen, dass auf Tabelle I erst bei der 
19. Potenz die erste Ziffer der Reibe eine Krampf¬ 
ziffer ist. Allerdings bleibt jetzt noch ein Unter¬ 
schied von 4 Potenzen. Zu diesen ist aber zu be¬ 
merken, dass die 22. Potenz nicht gemessen wurde; 
wären hier schon Krämpfe aufgetreten, so bliebe 
nur eine Differenz von 3 Potenzen. Für diese lässt 
sich zweierlei anführen. Erstens: es ist ein grosser 
Unterschied, ob ein Stoff inhalirt oder ver¬ 
schluckt wird, ein Thema, das ich, wie schon 
früher versprochen, in einem besondern Abschnitt 
unter Herbeibringung neuen anderartigen nenral- 
analytischen Materials behandeln werde und dabei 
komme ich ausführlich auf die Differenzen der zwei 
Reihen von Kali carbon. zu sprechen. Zweitens: 
die Differenz des Objectes and der Zeit, worüber 
auch schon früher gesprochen wurde, b) Die durch 
die grosse Null und grosse Eins markirten Maxi¬ 
malwirkungen traten bei keinem einzigen Salze vor 
der 30. Potenz auf und auch hier nur bei 4 derselben: 
bei Ammon, mur. grosse Eins, bei Ammon, carbon. 
grosse Null, bei Natr. phosph. und Kali phosph. 
sogar zwei grosse Nullen. Die Frage, „warum be¬ 
findet sich hierbei nicht das Kali carbonicum, bei 
dem doch erstmals in der 30. Potenz die Maximal- 
wirkungen auftraten?“ erledigt sich dadurch, dass 
sie hier erst am Schluss der vierten Minute dieser 
Dauermessung erschienen, also unmöglich sich bei 
der nur die Initialwirkung markirenden zweiten 
Messung erscheinen konnten. In der 1000. Potenz 
fehlte die Maximalwirkung ausser dem schon erle¬ 
digten Bromammonium noch bei Natr. nitr., Natr. 
phosph., Natron bromatum, Kali phosph., Kali brom., 
Ammon, mur. und phosph , war also nur bei 6 Salzen 
vorhanden. 

An diese Mittheilung von Thatsachen, die bei 
der Neuralanalyse zu Tage traten, muss nun zweierlei 
angefügt werden. 

1. Die geschilderten Mitbewegungen sind eine 
bekannte Erscheinung des practischen Lebens und 


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51 


will ich nur eine derselben hervorbeben, clie jedem, 
der Soldat war oder sonst mit Schiessgewehr umge¬ 
gangen ist, bekannt sein muss: das sogenannte 
»Mucken“ beim Schiessen. Der Schiessende 
soll und will beim Abfeuern des Gewehres keine 
andere Bewegung ausführen als einen leichten 
Fingerruck, aber unwillkürlich rucken noch andere 
Muskeln, hier besonders die der Augen und des 
Kopfes mit. Im günstigeren Fall geht der Schuss 
noch los — freilich meist daneben, aber wenn die 
Erscheinung stärker entwickelt ist, dann geht das 
Gewehr gar nicht los, der Fingerruck war zu schwach, 
um den Diücker auszuheben: das entspricht 
ganz genau dem Nullact bei der Neural¬ 
analyse; auch bei ihr soll und will man einen 
Fingerruck zur Auslösung des Zeigers machen, aber 
es geht nicht los und in der Regel zucken noch 
andere Muskeln mit: man muckt! — Auch das 
haben beide Erscheinungen gemein, a) Es mucken 
nicht alle Rekruten beim Scbiessunterricht, sondern 
nur die sensibleren ängstlicheren, b) Es weiss jeder, 
dass das Mucken Folge resp. Zeichen einer vor¬ 
handenen nervösen Aufregung ist. Bei der 
Neuralanalyse belehren darüber in klarster Weise 
die Acte, welche nicht versagen, sondern einen 
Zeigersprung hervorrufen, also eine Ziffer geben. 
In einer Dekade, in der Nullacte Vorkom¬ 
men, sind die Ziffern kleiner und auch das 
Mittel aus den erfolgreichen Acten ist kleiner, als 
bei einer Dekade, die keine Versager liefert und 
kleine Ziffern sind unbestreitbare Aufregungs¬ 
symptome, genau so wie im täglichen Leben die 
Aufregung sich durch schnelleres Sprechen, schnelle 
Körperbewegungen, schnelleren Atheru und Puls 
verräth. Hier komme ich noch einmal auf die 
Mitbewegungen im praktischen Leben. Wodurch 
verräth sich denn ausser der Zunahme der Bewe¬ 
gungsgeschwindigkeit die Aufregung bei Mensch 
und Thier? doch darin, dass sich zu den willkür¬ 
lichen beabsichtigten Bewegungen unwill¬ 
kürliche nicht beabsichtigte Bewegungen anderer 
Körpertheile hinzugesellen, z. B. beim Sprechen leb¬ 
haftes Mienenspiel, Bewegungen der Hände und Arme 
und schliesslich des ganzen Körpers. 

2. Das Mucken und schliesslich die Krämpfe, 
die in Folge Einwirkung hochverdünnter Stoffe bei 
mir und sicher bei allen sensibleren Menschen früher 
oder später, stärker oder schwächer auftreten, haben 
nicht zur Voraussetzung, dass man ein Cbronoskop 
in der Hand hat und Fingerrucke auf dasselbe 
wirken lassen will, sondern dazu eignet sich jeder 
Gegenstand: ein Schiessgewehr, an dessen Drücker 
man ruckt, eine Zündholzbüchse, eine Cigarren¬ 
tasche oder was immer, das man in gleicher Weise 
behandelt, z. B. mit einigen Korkpropfen, Strick¬ 
nadeln und einer grosskopfigen langen Shawinadel, 
die auf einem Trinkglas so angebrächt sind, dass 


bei einem erfolgreichen Ruck der Knopf der Nadel 
ans Glas anschlägt, habe ich ein von jedem herzu¬ 
stellendes Instrument fertigen lassen, an dem man 
dieselben Erscheinungen beobachten kann: es kom¬ 
men unter Einfluss von Hochpotenzen Fingerrucke 
vor, bei denen der Klöppel nicht ans Glas schlägt. 
Das allereinfachste aber ist: man nimmt eine 
Schiesswaffe und beobachtet entweder sich selbst 
so oder im Spiegel. Oder — auch dem Torpiden 
kann geholfen werden — man lässt eine sensiblere 
Person seiner Umgebung — und das sind die 
meisten Personen weiblichen Geschlechts — die 
Sache ausführen und sieht zu, ob nicht bei ihr 
Hochpotenzen die Erscheinung des Muckens her¬ 
vorrufen. Hier muss aber, um ein Missverständniss 
auszuschliessen, betont werden: wenn man keinen 
Ruck ausführt, muckt man auch nicht, aller¬ 
dings, wenn die Sensibilität genügend, also nur 
z. B. so wie bei mir, entwickelt ist, können unter 
Einwirkung von Hochpotenzen auch Zuckungen auf¬ 
treten, ohne dass man eine willkürliche Bewegung 
macht, allein in der Regel ist eine solche zur Aus¬ 
losung der Mitbewegungen oder Krämpfe erforder¬ 
lich und diese erfolgen dann genau nach dem Ge¬ 
setz der Irradiation der Reflexe. Die vorstehende 
Thatsache bietet nun jedem, der sich selbst, d. h. 
am eigenen Leibe von der aufregenden Wirkung 
der Hochpotenzen überzeugen will, die Möglichkeit, 
dies auch dann zu thun, wenn er keine Apparate 
besitzt, und ich glaube, es ist nicht unbillig, wenn 
ich der Erwartung Ausdruck gebe, dass einer, der 
ein Urtheil über die Sache abgeben will, sie doch 
mindestens in dieser Weise zuvor prüft. Weiter 
bemerke ich im Interesse der Nachprüfung: 
Hipp'sche Chronoskope giebt es in jedem physio¬ 
logischen und jedem besseren physikalischen Labo¬ 
ratorium An diesen kann man die Nullacte viel 
leichter studiren, als an meinem Taschenchronoskop, 
denn man sieht und hört da ganz gut, dass der 
Zeiger vom Anker angezogen aber nicht bis zur 
Einschaltung ins Gangwerk gebracht wird. Dabei 
können nun die Männer der »Einbildung“ oder, wie 
man heute moderner sagt, der »Suggestion“ sich 
überzeugen, dass weder Willkür noch Einbildung, 
sondern nur Aufregung im Stande ist, solche 
Nullakte hervorzubringen; weiter, dass bei vor¬ 
handener Aufregung weder Einbildung noch Will¬ 
kür im Stande sind, das Auftreten von Nullacten 
zu verhindern. Namentlich ist für die Einbildungs¬ 
oder Suggestionshypothese das vernichtend, dass in 
einem Zustand, in welchem überhaupt Nullacte Vor¬ 
kommen , Wille und Einbildung gar keine Macht 
über sie haben: sie kommen, wenn man nicht will, 
und bleiben aus, wenn man will. Endlich wird an 
einem solchen Chronoskop jeder sich bald über¬ 
zeugen, ob unter Einwirkung von Hochpotenzen die 
Nullacte sich vermehren oder nicht 

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Ich schliesse diesen Abschnitt mit einer sehr 
wichtigen Bemerkung. Ein Mensch, der auf eine 
Anregung physischer oder geistiger Art handelt, 
der übt seine Reflex- und Willensorgane, und ver¬ 
mindert deren Lei tun gs widerstände und reagirt jetzt 
fein und immer feiner und stärker. Das ist der 
Zustand, in welchen i c h mich versetzt habe. Der 
Zweifler dagegen, der meint, es sei weise, auf 
Anregungen nicht zu reagiren, stumpft nicht blos 
seine handelnden Organe durch Nichtgebrauch bis 
zur Impotenz ab, sondern er vermehrt auch noch 
die Kräfte der Hemmungscentr en für Reflexe und 
Willensacte und verfällt damit in völlige Impotenz. 
Einen prinzipiellen Zweifler muss man prinzipiell 
ignoriren, denn er ist ein Nichtskönner. 

VI. Schlussfolgerungen und Betrachtungen. 

Es sind nun schon am Schluss des vorigen 
Kapitels die subjectiven Consequenzen aus Ka¬ 
pitel V gezogen worden, allein die Sache muss 
noch besonders besprochen werden: 

1. nach der objectiven Seite hin möchte 
ich folgende Puncte hervorheben. 

a) Wer Arzneien nur am Kranken prüft, er¬ 
fährt nicht, was er thut, denn wenn er Wirkungen 
sieht, so kann er nicht beurtheilen, ob die Arznei 
selbst und direct die Symptome hervorgerufen hat, 
oder ob sie Folge des Freiwerdens des Krankheits¬ 
stoffes sind und selbst, wenn er das kann, so weiss 
er erst nicht, ob er das Freiwerden des Krankheits¬ 
stoffes seinem arzneilichen Eingriff zu verdanken 
hat, oder ob bloss ein post hoc vorliegt. Kann man 
aber bei einem Gesunden jedesmal mit Sicherheit 
durch Arzneieinwirkung eine Erscheinung hervor- 
rufen, welche er vor und nach Aufhören der Ein¬ 
wirkung nicht zeigt, dann weiss man ganz genau, 
dass die Arznei es ist, die gewirkt hat. Das giebt 
einen untrüglichen objectiven Einblick in die Arz¬ 
neiwirkung. Siehe auch unten bei 1. 

b) Es wäre eine sehr naive Vorstellung von 
der Heilwirkung der Arzneien, wollte man glauben, 
dass sie nur durch ihre Anwesenheit im Körper 
ähnlich einem Popanz oder einer Vogelscheuche auf 
die Krankheit so wirkt, dass diese aus lauter 
Schreck vor dem Simile oder Ison die Flucht er¬ 
greift. Die Arznei muss, falls sie wirken soll, 
activ, handelnd, thätig, bewegend auftreten. 
Dazu steht ihr nur und ausschliesslich zweierlei zu 
Gebot, entweder die chemische Affinität oder 
physikalische Bewegungsenergie, etwas Drittes, 
Vernünftiges, Plausibles giebt es nicht. 

c) Es ist zweifellos, dass es Arzneistoffe giebt, 
die durch ihre chemische Affinität wirken und 
ich kenne solche aus ganz genauer ausgiebiger Prü¬ 
fung an mir und anderen. Das ist z. B. die Gruppe 
der Desodorantien, welche hochatomige orga¬ 


nische Stbffe bei Anwesenheit von Sauerstoff zer¬ 
stören und in niederatomige verwandeln. Das Macht¬ 
vollste sind in dieser Beziehung der Kampfer und 
das unter dem Namen „Ozogen" als Luftreinigungs¬ 
mittel so viel benutzte Ge mengsei ätherischer Stoffe 
und Essigäther. Aber hier liegt die 8ache so: die 
chemische Wirkung steht in geradem Ver¬ 
hältnis zur Masse und nimmt mit dieser ab. 
Hier darf also natürlich, wenn man diese chemische 
Wirkung haben will, nicht verdünnt werden, und 
wenn man es doch thut, so ist es keine Potenzirung 
der Wirkung, sondern eine Abschwächung. Die 
chemische Wirkung folgt dem allopathi¬ 
schen Prinzip: viel hilft viel und wenig, 
wenig. 

d) Dem steht nun gegenüber eine andere Gruppe 
von Stoffen mit ausgesprochenen Heilwir¬ 
kungen, von denen kein Mensch behaupten wird, 
dass sie chemisch wirken, und zwar desshalb nicht, 
weil sie selbst sich nicht zersetzen. Hierher gehört 
als Mustertypus der gegenwärtig von den Allopathen 
als Einspritzung viel verwendete Schwefeläther, 
dann der früher als Belebungsmittel viel verwendete 
Moschus, überhaupt eine ganze Reihe von Stoffen, 
deren hervorstechendste gemeinschaftliche Eigenschaft 
ihre Flüchtigkeit ist, (Champagner, überhaupt 
Alcoholica, kurz alle sogenannten Belebungsmittel 
gehören ebenfalls hierher). Sie bringen ihre Heil¬ 
wirkung nur durch ihre Bewegungsenergie, 
ihre Flüchtigkeit hervor. 

e) In homöopathischen Kreisen behauptet man 
vielfach, die Wirksamkeiten homöopathischer Arz¬ 
neien rühre von ihrer feinen Vertheilung, der 
grossen Oberflächenentwicklung her. Dieser Be¬ 
hauptung liegt eine vollständig unklare Vorstellung 
zu Grunde. Sie ist nämlich nur richtig, so lange 
man es mit festen sichtbaren Theilen, also mit 
einem Pulver zu thun hat, allein sobald der Stoff 
gelöst ist in einer Flüssigkeit, ist er in seine 
letzten kleinsten Bestandteile, die Moleküle, 
zerlegt, somit sind alle Oberflächen, die er besitzt, 
bereits vollständig frei geworden und entwickelt, 
und keine Macht der Welt kann etwas weiteres 
machen, ausser man sprengt die Moleküle in ihre 
Atome auseinander, aber dann ist der Stoff als 
solcher verschwunden. Wenn also darin die Wirk¬ 
samkeit der Arzneistoffe bestünde, so hätte das 
Potenziren der Lösungen nicht blos keinen Sinn, 
sondern das Gegentheil müsste erfolgen: Abnahme 
der Wirkung, da mit der Verdünnung die Zahl 
der Moleküle also die Summe der wirksamen Ober¬ 
fläche abnimmt. Also diese Potenzirungstheorie ist 
Unsinn. 

f) Andere haben die Vorstellung, die Kraft 
der Schüttelschläge theile sich dem Arzneistoffe 
mit, das ist a priori unmöglich; zunächst allerdings 
sind die Schläge nicht wirkungslos, aber der Effekt 


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53 


ist einzig eine Erwärmung der geschüttelten Flüs¬ 
sigkeit. Diese Wärme geht aber, weil sie Leit¬ 
wärme ist, einfach wieder fort, falls nicht dabei 
etwas geschieht, was sie am Entweichen verhindert 
und das geschieht nur dann, wenn mit dem Ver¬ 
schüttein zugleich eine Verdünnung eines darin 
gelösten Stoffes verbunden ist. Um dies zu prüfen, 
habe ich mit demselben Alkohol die gleichen Ver¬ 
schüttelungen ohne gleichzeitige Verdünnung genau 
so wie beim Potenziren vorgenommen und die Ver¬ 
schüttelungen neuralanalytisch geprüft; wenn ich 
wartete, bis die Erwärmung wieder verschwunden 
war, überschritt der neuralanalytische Effect nie 
die Fehlergrenze. Der umgekehrte Versuch, näm¬ 
lich Verdünnung ohne Schüttelschläge und 
sein Resultat habe ich schon auf pag. 30 meiner 
„Neuralanalyse“ geschildert, dieser liefert den Gegen¬ 
beweis. Wenn man verdünnt, ohne zu schüt¬ 
teln, so erhält man eine der Potenzirung ent¬ 
sprechende Veränderung; nur entspricht eine solche 
ungeschüttelte Potenz in Bezug auf ihren Be- 
lebung8effect nur etwa einer halb so hohen (eine 
ungeschüttelte 30. Potenz entsprach damals einer 
geschüttelten 15. Potenz). Das beweist aber nur, 
dass ohne Schütteln die Verdünnung unvollkommen 
wird, weil die von der vorhergehenden Potenz an 
den Wänden des Glases übrigbleibende Flüssigkeits¬ 
schicht mit dem’ neu zugegossenen Weingeist sich 
nicht so rasch mischt, dass sie beim nächsten Aus¬ 
giessen verschwunden, d. h. vollständig gemischt ist. 

g) Dr. Go ul Ion hat irgendwo den Ausspruch 
gethan, die von Jenichen mit seinen athletischen 
Armen bereiteten Potenzen haben stärker gewirkt, 
weil er sie stärker schütteln konnte. Wenn die 
Thatsache richtig, so lege ich mir sie auf Grund 
meiner reichen Erfahrungen mit dem Anthropin 
anders zurecht: das Anthropin eines Athleten be¬ 
sitzt die Potenz eines Athleten und die Arznei¬ 
potenzen, die ein solcher macht, enthalten immer 
sein Anthropin und zur Wirkung der potenzirten 
Arznei gesellt sich die Wirkung von Atbleten- 
anthropin. — Also die Sache liegt so: Wer leugnet, 
dass mit der sog. Potenzirung eine Verstärkung 
der von der Homöopathie gewollten Arzneiwirkung 
eintritt, geht uns hier nichts an, der aber, welcher 
sie zugiebt, wird keine andere Erklärung festbalten 
können, als die, welche ich gab, denn die andern 
mir bis jetzt bekannten halten dem Versuch gegen¬ 
über nicht Stich. 

h) Nehmen wir die Sache noch einmal von 
vorne auf. Ich habe gesagt: eine Arznei kann nur 
auf zweierlei Weise wirken: entweder durch ihre 
chemische Affinität oder durch die Bewegungsenergie 
ihrer Moleküle. Wenn nun Stoffe, wie Granit, Gold, 
Kochsalz u. s. f., die chemisch ganz indifferent sind 
und andererseits keine Flüchtigkeit an sich besitzen, 
zu einer Arznei gemacht werden sollen, so muss 


ihnen Bewegungsenergie beigebracht werden, andern¬ 
falls sind sie physiologische und somit auch thera¬ 
peutische Nichtse. Nun ist ganz richtig, sobald ein 
Stoff in flüssige oder gelöste Form gebracht ist, 
beginnt eine Bewegung seiner Moleküle und er kann 
nun physiologisch wirksam sein (corpora non agunt, 
nisi fluida) aber das Mass seinerWirkung steht 
auf zwei Augen a) seinem specifischen Bewegungs¬ 
rhythmus und dessen Verbältniss zu dem der vor¬ 
handenen Stoffe im Körper b) der Intensität dieser 
Bewegung. —. Von diesen zwei Dingen hat der 
Stoff das erste von sich aus und daran ist nichts 
zu machen und nichts zu ändern. Aber klar ist: 
wenn es gelingt, eine Aenderung des zweiten 
Faktors herbeizuführen, so muss die beabsichtigte 
Arzneiwirkung •an Energie und Geschwindigkeit zu- 
nehmen. Nun, dass dies durch das Verdünnungs¬ 
vorfahren geschieht, hat Hahne mann erkannt, 
haben alle gefunden, die die Sache ernsthaft prüften, 
das lehrt die Erfahrung mit der Verfeinerung der 
alkoholischen Getränke durch Lagern u. s. f. und 
geht aus nichts klarer hervor, als aus den un¬ 
willkürlichen Zuckungen, die sich schliesslich ein¬ 
stellen, wenn genügend sensible Personen mit ge¬ 
nügend hohen Verdünnungen operiren. Dazu kommt 
was ich hier nur noch anhangsweise bemerken will: 
bei Gebrauch von Höchstpotenzen stellt sich an 
sensiblen Personen eine merkwürdige Aufregung 
ein, dies wird nicht blos von dem Betreffenden 
selbst gut gefühlt — eine Aeusserung die ich von 
andern Öfter hörte und die auch ganz meinem Ge¬ 
fühl entspricht, ist, „es ist mir, als möchte ich alles 
kurz und klein schlagen* — sondern auch die 
Umgebung bemerkt sie an der Veränderung des 
Benehmens, an seiner erhöhten Reizbarkeit. Diese 
Aufregung hält oft den ganzen Tag an. 

i) Nun müssen wir noch den Zuckungen eine 
besondere Betrachtung widmen und zwar nach ver¬ 
schiedenen Richtungen. Faktoren, welche Lebens¬ 
bewegungen auslösen, nennt man Lebensreize. 
Allgemeines Gesetz ist, dass mit zunehmender Stärke 
der Lebensreize deren Effecte zunehmen und dass 
Zuckungen und vollends Krämpfe zu den Effecten 
gehören, welche man von Lebensreizen erst bei 
höherer Reizstärke erhält. Wenn ich also einen 
Lebensreiz, der in ursprünglicher Form keine 
Zuckungen hervorbringt, so verändere, dass er sie 
erzeugt und dass er schliesslich Krämpfe fast aller 
Muskeln hervorruft, so habe ich seine Reizstärke 
vermehrt und dies ist auch dann geschehen, wenn 
es nicht bei allen Individuen gelingt, diese Maximal¬ 
effecte hervorzubringen. Die Potenzirung d. h. Ver¬ 
dünnung eines Stoffes ist somit eine Vermehrung 
seiner Reizstärke und bei einer Arznei ist es eine 
Verstärkung der Arzneiwirkung. Es wird doch 
niemand bestreiten, dass eine Arznei nicht anders 
wirken kann als physiologisch und wenn ich ihre 


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physiologische Wirkung auf Gesunde zu 
steigern vermag, so erziele ich damit auch eine 
verstärkte Wirkung auf Kranke. 

k) Die Tbatsache, dass Hochpotenzen Zuckungen 
und Krämpfe hervorrufen können, fordert ihren 
Vergleich mit der Elektrizität heraus, welche 
diese Erscheinung in besonders hohem Masse her¬ 
vorbringt. Dass die Elektrizität ein Heilfaktor 
ist, bestreitet auch der Homöopath nicht und diese 
Fähigkeit verdankt sie ihrer bewegungsauslösenden 
Kraft; besitzt nun die Hochpotenz diese Fähigkeit 
ebenfalls, so ist sie als solche ganz unabhängig 
davon, ob sie ein Simile ist oder nicht, ein Heil¬ 
faktor wie die Elektrizität. Sie ist aber sogar ein 
besserer und zwar desshalb: die Elektrizität wirkt 
voll nur auf die leitenden Gewebe (Muskel und 
Nerv) die schlecht leitenden kann sie viel weniger 
beeinflussen, die Hochpotenz hängt aber nicht von 
der Leitung, sondern von der Diffusion ab, die 
sie zu den schlecht leitenden Geweben ebenso gut 
bringt wie zu leitenden, sie wirkt also uni¬ 
verseller. . Wenn ein homöopathischer Arzt alle 
seine Arzneien in Hochpotenz giebt, also in einer 
Form, in welcher jeder Arzneistoff ähnliche, ja 
sogar universeller wirkende motorische Eigenschaften 
hat, wie die Elektrizität, so wirkt er mit jedem 
Stoff, gleicbgiltig ob er das Simile ist oder nicht, 
gleichsam elektrisch also auch therapeutisch. Um¬ 
gekehrt wer mit niederen Potenzen operirt, denen 
diese allgemeine von der Qualität des Stoffes unab¬ 
hängige gleichsam elektrische Wirkung fehlt, der 
hat, falls er das Simile nicht trifft, nichts aus¬ 
gerichtet. Oder es wird doch niemand behaupten 
wollen, bei den zahlreichen Arzneistoffen, die ich 
an mir geprüft udü von deren jedem ich die Krampf¬ 
wirkungen erhalten habe, sei eben jedesmal das 
betreffende mein Simile gewesen? Erstens war ich 
überhaupt nicht krank, zweitens habe ich bei der 
vergleichenden Messung der Mittelsalze nicht eins 
um das andere durchgemessen, sondern ich habe 
jedesmal an einem Tage hinter einander etwa 
6 — 7 verschiedene Stoffe in der gleichen Potenz 
gemessen, da können doch nicht alle zumal mein 
Simile gewesen sein? Wenn nicht das Wort „El ek tro¬ 
ll omöopathie* zur Etikette von Geheimmitteln 
verbraucht und deshalb für wissenschaftliche Er¬ 
örterungen unmöglich gemacht wäre, so möchte ich 
es für die mit Hocbpotenzen arbeitende Homöo¬ 
pathie an wenden, weil diese immer — auch dann, 
wenn sie das Simile verfehlt — in ähnlicher Weise 
auf den Kranken wirkt, wie mit einem elektrischen 
Strom oder — um einen andern Vergleich zu 
machen — wie mit einem flüchtigen Belebungs¬ 
mittel. Uebrigens wünsche ich nicht missverstanden 
zu werden, ich will damit nicht in den entgegen¬ 
gesetzten Fehler verfallen wissen, dass man das 
Aehnlichkcitsgesetz vernachlässigt. Was ich sage, 


ist, dass beide Grundgesetze gleich richtig und 
gleich wichtig sind und dass der Gebrauch der 
niederen Potenzen ein Grundfehler ist, der nicht 
hätte gemacht werden können, wenn man sich ent¬ 
weder vollständig klar darüber gewesen wäre, welche 
Eigenschaften ein Stoff haben muss, um physiologisch 
und therapeutisch wirken zu können oder wenn 
man auf die Potenzirung die Prüfung am Gesunden 
entsprechend angewendet hätte oder — wenn man 
an dem festgehalten hätte, was Hahnemann über 
die Potenzirung gelehrt hat, der Gebrauch der 
unteren Potenzen ist ein Abfall von Hahnemann. 

1) Nach einer andern Seite schaffen diese Arznei¬ 
krämpfe Klarheit: Ich habe schon sub a gesagt, 
warum man bei Versuchen am Kranken nicht zur 
Klarheit gelangt, das muss noch einmal aufgenommen 
werden. Die Zuckungen, welche Hocbpotenzen beim 
Gesunden hervorbringen können, hören, falls er die 
Arznei einathmet, schon innerhalb der ersten 
Minute nach dem Aussetzen der Einathmung auf. 
Hat man die Arznei geschluckt, so halten sie, wie 
aus der Tabelle I ersichtlich, länger an, aber zu¬ 
nächst niemals auch nur 15 Minuten lang. Das 
zeigt klar, dass die Kraft oder besser die Be¬ 
wegungsgeschwindigkeit, welche die Moleküle des 
Stoffs durch das Verdünnen erhalten haben, nach 
der Einverleibung bald abnimmt und ein Gleich¬ 
gewichtszustand eintritt, in welchem die Arznei nicht 
mehr als Reiz wirkt. Daraus geht hervor: Wenn 
man am Kranken und am Gesunden Stunden und 
Tage nach Einnahme einer Arznei auffallende Vor¬ 
gänge bemerkt, stehen diese zu der Arzneiwirkung 
nur in einer indirekten Beziehung. Die Arznei 
kann mit ihrer „Potenz - lediglich nichts anderes 
tbun, als eine Art Stoss mit einer kurz dauernden 
molekularen Erschütterung in den Geweben her¬ 
vorrufen (was sie natürlich am besten und sichersten 
thun wird, wenn im Gewebe ihr Ison oder Simile 
sitzt). Damit ist ihre Hauptmission offenbar er¬ 
ledigt, sie empfiehlt sich und was später geschieht, 
ist erst die Folge dieser Erschütterung der Ge¬ 
webe. Ist diese nämlich genügend, so werden jetzt 
Erscheinungen auftreten, die wir beim Kranken 
Krisen, Heilkrisen zu nennen haben. Diese sind 
aber direkt nichts anderes als Vergiftungssymptome, 
hervorgerufen durch die in Folge der Entspeicherung 
frei werdenden Krankheitsgifte. Es scheint mir 
aber, als habe sich bei vielen homöopathischen 
Aerzten die Idee festgesetzt, das seien Nach¬ 
wirkungen, die auf Conto eines noch im Körper 
vorhandenen Restes vom Arzneistoff zu setzen 
wären, als ob dieser gewissermassen noch einmal 
lebendig und zu einer Nachwirkung sich aufraffen 
würde. Ich habe früher öfter solche Aeusserungen 
gehört und gelesen, mir aber stets vergeblich eine 
Vorstellung davon zu machen versucht, wie das 
möglich ist. Hier ist mir nun volle Klarheit ge- 


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worden: die Erschütterung durch die Arznei kann 
sofort zu einer Krise führen, allein diese kann sich 
auch in mannigfacher Weise verspäten, weil der 
eigentlich austreibende Faktor die Lebensenergie 
des Gewebes ist. Hat diese durch den ersten An- 
stoss ein kleines Uebergewicht erlangt, so wird das 
zwar die Wagschale zu ihren Gunsten wenden, aber 
zu einem ausgiebigen Erfolg, vollends zu einer 
wirklichen Heilkrise muss das erlangte Uebergewicht 
eben eine bestimmte Grösse haben, die erst Schritt 
für Schritt gewonnen wird und gewonnen werden 
kann, wenn der erste Erfolg ausgenützt wird. Die 
Behauptung vieler Hochpotenzier, dass eine einzige 
Arzneigabe ausreichen könne, eine durch Monate 
sich hinziehende Nachwirkung mit scbliesslicber 
Heilung herbeizuführen, enthält deshalb für mich 
durchaus nichts Unwahrscheinliches: je kräftiger 
die erste Erschütterung war, desto sicherer wird 
jene erste Wendung erreicht, die es dem Arzt er¬ 
möglicht, den Prozess sich selbst oder besser gesagt 
der Lebensenergie der Gewebe des Patienten zu 
überlassen, die mit jedem Abstoss steigt. 

2. Nun zum Schluss etwas über die demon¬ 
strative Seite der Arzneikrämpfe der Hoch¬ 
potenzen. 

a) Ich erinnere hier an die Bewegung, welche 
die Worte des preussischen Cultusministers hervor¬ 
riefen, als er im Abgeordnetenhause darauf hinwies, 
dass die Homöopathie die Wirksamkeit ihrer Mittel 
nicht so beweisen könne, wie die Allopathie: alles 
rief hier nach Krankenhäusern, um den Beweis 
liefern zu können. Ich sage: am Kranken kann 
und wird er nie geliefert werden können, weil man 
nie beweisen kann, ob die Arznei es ist, die den 
Kranken zur Heilung gebracht. Der Allopath 
kann die Wirksamkeit seiner Arzneien amGesunden 
jedem demonstriren, denn wenn er ibm ein Brech¬ 
mittel giebt, so erbricht er sich, ein Abführmittel 
erzeugt bei ihm Diarrhöe, Chloral Schlaf und Anti- 
pyrin Schweiss. Diesen handgreiflichen Beweisen 
der Arzneiwirkung am Gesunden auf allopathischer 
Seite hat der Homöopath, welcher mit niederen 
Potenzen arbeitet, nichts gegenüber zu stellen. Der 
Hochpotenzier kann dagegen den Wettkampf am 
Gesunden aufnehmen und zwar dadurch, dass er bei 
diesem Zuckungen und sogar wirkliche Krämpfe 
erzeugen kann. Das ist ein unschätzbares Beweis¬ 
mittel. 

»Damit hätten Sie nur Recht, wenn die Höchst¬ 
potenzen immer und bei allen Leuten wenigstens 
Zuckungen erzeugen würden. Das ist aber, wie 
Sie selbst sagen, nicht der Fall.“ 

Wenn mir ein Allopath diesen Einwand macht, 
80 frage ich ihn ruhig, ob er behaupten könne, dass 
z. B. ein und dasselbe Brechmittel in ein und der¬ 
selben Dosis bei allen Individuen stets Erbrechen, 


Chloral bei Allen Schlaf, Opium bei allen Ver¬ 
stopfung u. 8. f. hervorrufen. Er wird zugeben, 
dass das nicht der Fall sei. — Gut, was dem einen 
recht, ist dem andern billig. Der Leser kennt den 
Scherz von dem Verschlucken einer ganzen homöo¬ 
pathischen Apotheke. Ich habe die Sache nicht 
nachgeprüft, aber das weiss ich, dass das, wenn es 
überhaupt geht, nur mit niederen Potenzen erlaubt 
wäre. Der verstorbene Prof. v. Rapp hat mir er¬ 
zählt, dass er einen solchen Bramarbas mit Hoch¬ 
potenzen so cujonirt habe, dass dieser die Segel 
strich und sich für besiegt erklärte. 

Die Homöopathie klagt über ihre gedrückte 
Stellung bei uns, darüber darf sie sich nicht be¬ 
klagen, wenn sie die Waffen, die sie hat, um sich 
eine Stellung zu erobern, und eine solche ist die 
Höchstpotenz, unbenützt rosten lässt und statt 
dessen sich mit niederen Potenzen an die herrschende 
Schule anschmeicheln will. Wer den Hammer nicht 
schwingt, ist und bleibt Ambos. Ein drittes giebt 
es nicht im Leben. 

b) Man klagt darüber, dass es so schwer ist, 
unter der jungen Medizinerschaft Anhänger für die 
Homöopathie zu werben, um so eine genügende 
Vermehrung des approbirten homöopathisch handeln¬ 
den Heilpersonals zu erzielen. Hier theile ich einen 
Fall mit: Ein junger homöopathischer Arzt, den 
es schon anfangs einen schweren Entschluss kostete, 
seinen Kameraden gegenüber den Sonderling und 
Abtrünnigen zu spielen und sich in die nicht be- 
neidenswerthe Lage eines Ketzers und Rebellen zu 
versetzen, erlernte die Homöopathie an einer Stelle, 
wo man die Potenzirung vernachlässigen zu können 
glaubt. Als den jungen Arzt seine Erfolge nicht 
befriedigten, machte er mehrfach folgenden Versuch: 
Wenn er einen Fall vor sich hatte, bei dem ein 
günstiger Verlauf aus dem Kräftezustand mit Sicher¬ 
heit angenommen werden konnte, gab er das eine 
Mal das nach der Literatur best angezeigte Simile, 
das andere Mal einen Stoff, dessen Indicationen so 
viel als möglich das Gegentheil, möglichst unpassend, 
waren und siehe da, die Heilung erfolgte im letztem 
Fall ebenso prompt und vollständig wie beim gut 
gewählten Simile und wäre natürlich auch erfolgt, 
wenn man Nichts gegeben hätte. Ist es ein Wunder, 
dass dieser junge Mann auf einmal gegen die ganze 
Homöopathie misstrauisch wurde? Solange die 
deutsche Homöopathie glaubt, durch Aufgeben des 
Potenzirungsprinzips den Gegensatz zwischen ihr 
und der Allopathie zu mindern und ihre Anhänger¬ 
schaft unter den Aerzten zu vermehren, bewirkt sie 
das gerade Gegentheil. Nur mit Hochpotenzen, 
deren physiologische Wirkung sich am Gesunden 
handgreiflich beweisen lässt und beim Kranken 
blitzschnelle Erfolge giebt, kann sie erfolgreich 
Propaganda unter dem ärztlichen Nachwuchs machen. 
Kritisch angelegte Köpfe erobert man mit niederen 


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Potenzen nicht, weil sie nichts handgreifliches 
leisten. 

„Schön! aber ich muss Sie wieder daran erinnern, 
dass eben die Wirkungen der Hochpotenzen nicht 
immer und nicht bei allen handgreiflich d. h. als 
Zuckungen auftreten und dass wir eben deshalb 
auch nicht alle überzeugen können!“ 

Ist auch gar nicht nöthig, im Gegentheil: die 
Homöopathie braucht Aerzte, die so fein angelegt 
sind, dass sie Finessen bemessen und mit ihnen 
umzugehen wissen. Wer das nicht kann, den sollen 
nur die Allopathen behalten und die Homöopathen 
möge Gott stets vor solchen Aerzten bewahren, die 
zu nichts taugen, als zu Handwerkern (Chirurgen). 
Damit will ich aber nicht gesagt haben, dass an 
solchen Hopfen und Malz verloren ist: Wenn sie 
ihre Zweifelsucht ablegen, mit ernstem Willen flott 
zugreifen, so weicht mit der Uebung auch all- 
mählig ihre physische Impotenz, wie ich schon 
früher ausführte. Am alten Holz wird man aller¬ 
dings nicht viel erleben, aber am grünen. 

Sohlusswort. 

Hahnemann sagt in seinem Organon (5. Aufl, 
pag. 295, Anm. 1). 

„Je höher man die, mit Potenzirnng (durch 
2 Schüttelschläge) verbundene Verdünnung treibt, 
desto schneller wirkend und eindringlicher scheint 
das Präparat die Lebenskraft arzneilich umzustimmen 
und das Befinden zu ändern, mit nur wenig ver¬ 
minderter Stärke, selbst wenn man diese Verrichtung 
sehr weit treibt — statt, wie gewöhnlich (und 
meist hinreichend) ist, zu X, nun bis zu XX, L, C, 
und höher; blos dass dann die Wirkung immer 
kürzer anzuhalten scheint/ 

Abgesehen von dem letzten Sätzchen ist also 
mein neuralanalytischer Befund lediglich nichts 
anderes als das, was Hahnemann gelehrt hat, und 
ich bin lediglich kein Neuerer, sondern nur in so 
fern vielleicht ein Erneuerer, weil ich in der 
Neuralanalyse ein Mittel gefunden, das, was Hahne¬ 
mann lehrte, mit „Zahlen zu beweisen", die eine 
stärkere Beweiskraft haben als Worte. 

Dann möchte ich auf die amerikanischen 
Collegen hinweisen, bei denen allem nach die Hoch¬ 
potenzen insbesondere die 200. Potenz einer weit 
grösseren Beliebtheit sich erfreuen als bei uns. 
Wenn wir sehen, dass die amerikanische Kunst und 
Industrie auf allen Gebieten, wo sie mitbewerbend 
eintritt, das vollkommenste leistet — ich erinnere 
nur an die amerikanischen Oefen, an die ameri¬ 
kanische Zahntechnik — so scheint mir dieser 
Unterschied auf unserem Gebiet daher zu rühren: 

In Amerika ist die einzig treibende Macht der 
Erfolg, der treibt die amerikanischen Collegen 
von Potenz zu Potenz. In Deutschland erlag die 


Hahnemann’sche Potenzirungslehre dem über¬ 
mächtigen Druck der staatlich bevorzugten Schola¬ 
stik mit ihren „unfehlbaren" Dogmen. Den 
lähmenden Einfluss dieser Scholastik haben unsere 
homöopathischen Aerzte eben auch in ihrer Jugend 
vollauf über sich ergehen lassen und ihm das 
sacrificium intellectus bezahlen müssen. In der Praxis 
verfolgen sie die Früchte dieser Scholastik bis 
zum Grabe; da nützt auch aller Erfolgam Kranken¬ 
bett nichts, mit dem erzielt man in unserer schola¬ 
stisch verhunzten Heimath nur „Neid" nicht „Respekt". 
Was den Respekt bestimmt, ist in Amerika der 
„Erfolg", bei uns das „Examen" nebst „Titel" und 
„Rang", daran lässt schon unsere Bureaukratie nicht 
rütteln, bei der es auch so ist. 

Und nun ein allerletztes Wort: 

Schon im ersten Abschnitt meiner Veröffentlichung 
habe ich gesagt: was ich bei etwaiger Fortsetzung 
meiner Arbeit resp. Veröffentlichung brauche sind 
„Mitarbeiter" und was ich nicht brauche, sind 
„Ankrittler“ und das gleiche gilt ja auch für den 
Leser. Bezüglich beider möchte ich einige Be¬ 
merkungen machen. 

Mitarbeiter an der Sache können sicher sein, 
dass ich ihnen stets soweit möglich mit dem, was 
ich in langjähriger Praxis an Erfahrung gewonnen, 
zu Dienst sein und in dieser Richtung weder Zeit 
noch Mühe scheuen werde. 

Für „Ankrittler“ dagegen bin ich nicht zu 
sprechen, insbesondere für jene zahlreiche Sorte 
derselben nicht, die bei jeder Gelegenheit mit dem 
Einwurf „Einbildung!" kommen. In meinem jetzt 
60 volle Jahre dauernden Erden wallen habe ich 
reichliche Gelegenheit gehabt, diese mit der Ein¬ 
bildung gestraften Leute dahin kennen zu lernen, 
dass eine Auseinandersetzung mit ihnen ebenso 
zwecklos ist, als Zwiesprache mit einem Bildstock. 
Sie unterscheiden sich von einem solchen eigentlich 
blos dadurch, dass sie schwatzen und schreiben 
können, denn sie benützen diese Fähigkeiten lediglich 
dazu, ihre Position als Stock, der nicht verrückt 
werden darf, zu behaupten. Einem Stock gegen¬ 
über giebt es nur zweierlei: entweder geht man 
ihm aus dem Weg oder man haut ihn um. Da 
letzteres nicht salonfähig ist, ziehe ich das erstere vor. 

Merkwürdig: diese Leute halten sich für aus¬ 
nehmend klug und weise und haben keine Ahnung 
davon, dass im Vergleich zu ihnen ein Don Quixote 
noch eine erhabene Figur ist. Der Mann war 
wenigstens ein Ritter der Einbildung, sie sind 
keine Ritter, sie können weder reiten noch hauen 
noch stechen, sie sind blos Stöcke der Ein¬ 
bildung. Das Urkomische ist namentlich das, dass 
diese Einbildungsmaier von der Einbildung gar 
nichts verstehen, nichts von ihr haben und nichts 
mit ihr machen können. Während die Einbildung 
eine der stärksten Mächte im Menschenleben ist, 


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verbinden sie damit die Vorstellung von einem 
„Nichts“, von einer Sache, um die man sich nicht 
zu kümmern braucht Ihr Begriff von „Einbildung“ 
verhindert sie einerseits von anderen etwas zu 
lernen, andererseits können sie selbst mit ihr ledig¬ 
lich nichts anfangen. Einbildung ist blos eine 
Macht, wenn man an das glaubt, was man sich 
einbildet und da eben hängts hinaus: An etwas, 
das man für ein Nichts hält, kann man doch nicht 
glauben. Ja die Sache ist noch toller: Diese mit 
der Einbildung gestraften Geschöpfe können sich 
selbst nicht einmal etwas einbilden, weil das Ge¬ 
bilde sofort in Nichts zerrinnt, wenn man es für 
Einbildung hält. Mit anderen Worten: Nur in der 
Hand eines Mannes des Glaubens ist die Ein¬ 
bildung eine Waffe, eine Macht, in der Hand des 
Zweiflers ist sie Luft, Nichts und ein solcher ist 
Nihilist in des Wortes verwegenster Bedeutung: er 
hat nichts und kann nichts. 

Wenn einer glaubt, der Zweifler habe von seiner 
Zweifelsucht den Vortheil, dass er keine Enttäuschung 
erlebt, so ist das zweimal falsch. Es giebt nur 
zweierlei: entweder ist eine Sache Einbildung oder 
keine Einbildung. Im letzten Fall erlebt der Zweifler 
die grosse Enttäuschung, dass die „Draufgänger“ 
einen Vortheil viel früher in die Hand bekommen 
als er und das ist für ihn nicht blos eine Ent¬ 
täuschung, sondern ein Nachtheil. Im ersten Fall 
erlebt, er allerdings keine Enttäuschung, aber während 
er überhaupt nichts erlebt, weil er nichts thut, 
erlebt der, welcher einer Einbildung nachjagt, im 
allerschlimmsten Fall — Schaden und: Schaden 
macht klug, denn auch wenn man einer Einbildung 
nachjagt, macht man dabei eine ganze Summe von 
werthvollen Erfahrungen, während der Zweifler, weil 
er nichts thut, auch nichts erfährt und nicht klüger 
wird, als er war. Die Zweifler sind die dürren 
Aeste am Baume des Lebens. 


Ans der Praxis. 

Von Dr. Kunkel-Kiel. 

I. 

Anna B., 13 Monate, leidet seit der Impfung, 
die vor 6—7 Wochen ausgeführt, an Durchfall, in 
der letzten Zeit auch an Erbrechen, Nachts ist sie 
fieberhaft, Morgens und Abends starker Durst, Urin 
spärlich ohne Eiweiss. Zeitweilig Zuckungen, 
„wobei sie starr sitzen bleibt“. Sehr verdriess- 
lich, durch kein Mittel zu besänftigen. Beim 
Stuhl starker Drang. 

Am 12. Septbr. 1891 erhielt Patientin 3 Dosen 
Thtga x., von der Lösung 1 Pulvers Morgens und 


| Abends den 4. Theil zu nehmen, dann Pause. Es 
! hatte bereits Ricinusöl ohne Erfolg gebraucht Lang- 
| same Dentition, hat erst 2 Zähne. 

26. Septbr. Schlaf, Stimmung besser, Zuckungen 
nicht ganz vorüber. An dem ersten Tage nach dem 
Einnehroen etwas Nasenbluten und durch 2 Tage 
etwas Unruhe. Bei Gebrauch von Scheinpulvern 
war es nach ferneren 2 Wochen völlig gesund. Die 
verbältnissmässig langsame Wirkung der Thuja er¬ 
klärt sich ungezwungen durch die gleichzeitige Den¬ 
tition. Letzterer sind ohne Zweifel die Zuckungen 
und der Durchfall zum grossen Theil anzurechnen. 
Nötigenfalls würde ich einige Dosen Gham. ge¬ 
geben haben. 

II. 

M„ Knabe von 3 Jahren, wurde mir am 22. Septbr. 
1890 vorgestellt Der Vater hat vor 10 Jahren an 
Schanker und Bubo gelitten; sonst war er gesund. 
Dasselbe galt für den Sohn vor der Impfung. Nach 
derselben bilden sich auf der Haut rothe Quaddeln, 
die heftig jucken, auch auf den Augenlidern. Auf 
diesen Quaddeln bilden sich Blasen, die er ab¬ 
kratzt. Allgemeinbefinden nie normal, Verdriess- 
lichkeit, Unruhe. Verordnung Thiya x. Morgens 
und Abends 1 Dosis durch 3 Tage, dann Pause. 

Erst am 16. Febr. 1892 sah ich Patienten wie¬ 
der. Der Vater hatte es nicht für nöthig gehalten, 
wiederzukommen, da (nach vorläufig vermehrter 
Eruption) rasche Besserung eingetreten, auch sein 
Gesammtbefinden ein normales geworden. 

Seit 14 Tagen stellt sich das alte Hautleiden 
wieder ein und gleichzeitig die verdriessliche un¬ 
erträgliche Stimmung. Heftiges Jucken. Das Aus¬ 
gehen der Wimpern, dessen ich zu erwähnen ver¬ 
gessen, hat sich wieder eingestellt, geringe Eiterung 
der Conjunctiva. Verordnung am 16. Febr. Thuja 40, 
von mir selbst angefertigt, durch 6 Tage zu nehmen. 
Der Erfolg war derselbe wie das erste Mal. 

III. 

Elsa B., 14 Monate, wurde aus Mangel an 
Zeit von mir zuerst auf mündlichen Bericht be¬ 
handelt. Dieselbe ist im 4. Monat erkrankt, leidet an 
„ Englischer Krankheit“, ist ohne Erfolg allopathisch 
unausgesetzt behandelt worden. Sie ist nicht ge¬ 
impft. Unruhiger Schlaf, hoher Grad von 
Athemnoth, zeitweilig Heisshunger, aufge¬ 
triebener Leib (sog. Krötenbauch), keine Spur 
von Wachsthum der Haare, noch kein Zahn. 
Die Beine ist sie ausser Stande zu bewegen. Die¬ 
selben liegen wie todt. Keine rachitische Anschwel¬ 
lung der Gelenke. 

12. Jan. 1891 wesentliche Besserung in jeder 
Richtung. Die Nächte sind ruhig, die Haare fangen 
an zu wachsen, Patientin fängt an, dieFüsse zu be¬ 
wegen, mit den Beinen zu „strampeln“, ist vergnügt, 

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der Umfang des Abdomen hat wesentlich abge¬ 
nommen. Vor.: Sacchar. lactis. 

Leider blieb ich von da an ohne Nachricht trotz 
eindringlicher Mahnung. Doch erschien mir das 
erreichte Resultat mittheilungs wertb. 

IV. 

R., Sohn eines Arbeiters, 10 Jahre alt, leidet 
seit dem 2. Jahr an epileptischen Krämpfen be¬ 
sonders am Tage, bei Erkältung auch Nachts. Er 
hat 4—12 Anfälle täglich, über deren Eigenart ich 
nichts erfahren konnte. Der Vater will als Kind 
an Drüsen gelitten haben; die übrige Familie ge¬ 
sund . Ich bemühte mich vergebens, Anhaltspunkte 
für die Mittelwahl zu finden, verordnete am 17./11. 
Bell, x und Calc. x im Wechsel, jeden 4. Abend 
1 Pulver, am 30. Decbr., da, wenn auch eine Ab¬ 
nahme der Anfälle bemerkbar, doch eine wesent¬ 
liche Besserung nicht eingetreten, Sulph. x, jeden 
7. Abend eine Dosis. 

10. Febr. 1890. Hat viele Anfälle gehabt, jetzt 
mit Geschrei. »Er ist dabei innerlich krank* und 
wird schwächer, versteht nicht das Gesprochene, 
wenn auch anscheinend das Gehör nicht gelitten. 
Aus Mangel an anderweitigen Anhaltspunkten und 
bei der Intensität der Erscheinungen dachte 
ich an die Vaccination und verordnete 1 Dosis 
Thuj. x. 

24. März. Im Allgemeinen Besserung. Er hat 
keinen Anfall mehr gehabt. Zuweilen erscheint 
der Verstand noch mangelhaft, er will gern in die 
Schule. 

25. April. Befindet sich ganz gut. Bei Er¬ 
kältung bekommt er noch Röthe im Gesicht und 
Nachts im Schlaf Zusammenfahren aber keinen Anfall. 

14. Juli. Stets gutes Befinden. Bei Erkältung 
»läuft es noch immer roth über“, aber nicht so 
schlimm als früher. 

Den letzten Bericht bekam ich am 11. Septbr. 
»Er ist gesund, geht täglich zur Schule und macht 
gute Fortschritte.* 

V. 

Martha D., Tochter eines Arbeiters, 7 Jahre, 
wurde mir am 8. April 1890 vorgeführt. Dieselbe 
leidet seit der ersten Kindheit an einer Lähmung 
der unteren Extremitäten, d. h. kann dieselben im 
Liegen ein wenig heben, aber ist ausser Stande 
auch nur einen Augenblick zu stehen. Allgemein¬ 
befinden getrübt. Ausserordentlich fester 
Schlaf, schläft dabei bis Mittag, wenn sie nicht 
gestört wird; langsames Wachsthum der Haare, 
die leicht abbrechen, oft unfreiwilliger Ab¬ 
gang des spärlichen Urins, der etwas übelriechend 
ist, Entleerung des Urins selten, Appetitlosigkeit. 
Verordnung: Thuja 300, durch 6 Tage zu nehmen. 
Dann Pause. 


19. Mai. Schon in den ersten Tagen fühlt sie sich 
recht wohl — nachdem sich sofort schleimiger Duroh- 
fall eingestellt. Sie erwacht schon um 6 Uhr und 
vollständig erfrischt, Urin reichlicher, sedimentirend, 
noch scharf riechend. Appetit gut Sie kann vom 
Stuhl aufstehen und — freilich nur mit dieser 
Stütze, nicht frei — stehen. Verordnung: Sacchar. 
und Weisung wiederzukommen, wenn die Besserung 
nicht wesentlich fortschreiten würde. Sie kam 
nicht wieder. 

Ausserordentliche Schlafsucht ist bei den syko- 
tischen Krankheiten viel seltener als das Gegentheil 
Schlaflosigkeit. Man thut indess wohl daran, bei 
allen hervorragenden Symptomen, wenigstens so¬ 
weit es die körperlichen Functionen betrifft, das 
mögliche Eintreten einer entgegengesetzten Erschei¬ 
nung nicht aus dem Auge zu verlieren. Dasselbe 
Mittel, welches das Symptom Durchfall hat, kann 
auch bei Stuhlverstopfung indicirt sein. 

VI. 

Ella A., 6 Jahre, wird mir am 24. Septbr. 1889 
vorgestellt. Dieselbe leidet seit 3 Jahren an Asthma, 
in der ersten Zeit vor Mitternacht, jetzt die ganze 
Nacht Zuerst stellte sich Husten ein, dem sich 
die allerheftigste Athemnoth hinzugesellte. Sowohl 
im Anfang wie jetzt stellt sich ein solcher Anfall 
alle 3 Wochen ein und dauert 3 Tage. Bei den 
Hustenanfällen Schmerz im Epigastr. Ein Paar Tage 
vor Eintritt des Anfalls heftiges Jucken in der 
Nase, die verstopft ist. Dieselbe Erscheinung auch 
nach dem Anfall. Die Grossmutter hat dasselbe 
Leiden. Von jeher Spul- und Madenwürmer. Ver¬ 
ordnung Jod 200, bei Erfolglosigkeit Zino. x, *) 
jeden ü.—7. Abend 1 Dosis. 

17. Novbr. Hat so heftige Anfälle von Asthma 
nicht gehabt, wiederholt Nachts heftiger Husten 
mit reichlicher Schleimexpectoration.' Jucken in 
der Nase unverändert. Würmer nicht bemerkt. 
Verordnung Sulph. 200 durch 3 Tage, dann Pause. 

23. Decbr. Hat 2 Mal wieder heftige Anfälle 
gehabt, jedesmal durch 3 Mal 24 Stunden. Ver¬ 
ordnung Thuja 300, 3 Tage zu nehmen, dann Pause. 

29. Jan. 1890. Bericht: In der Nacht vom 
24./25. Jan. sehr krank. Asthma so schlimm als 
nie zuvor, mit Schmerzen im Rücken, Stechen in 
der Brust, starkem Husten. 

16. März. In den letzten Tagen wieder furcht¬ 
bares Jucken in der Nase und starker Husten, der 
bis heute anhält, dabei vom Asthma nur schwache 
Andeutungen, so dass Patientin dieselben kaum be¬ 
merkt und über nichts klagt. Verordnung: Sacch. laot 

21. April. Patientin hat weder Husten noch 
Astbma gehabt, ist bis jetzt gesund geblieben, wo- 

*) Oder Cina? Es ist dies im Manuskript nicht zu 
entscheiden. Die Red» 


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59 


von mich zu überzeugen ioh wiederholt Gelegenheit 
hatte. Ich gestehe gern, dass die Indicationen für 
die Wahl der Thuja auf sohwachen Füssen standen. 
Was mich zu derselben bestimmte, war einestheils 
die Intensität der Symptome, andrerseits der Mangel 
anderweitige Mittel indicirender Symptome. Was 
den ersten Punkt betrifft, so giebt es kaum so 
stürmische Krankheitsäusserungen wie bei denjenigen 
Leiden, die in sykotischem Boden wurzeln. Ich 
▼erweise auf die vortreffliche Prüfung der Thuja 
von B. W o 1 f in dessen „homöopathischen Er¬ 
fahrungen 11 .*) Die heftige Erstwirkung, wie wir 
sie beim Asthma, beim Wechselfieber, bei Krämpfen 
und vorzugsweise nach Anwendung von Hoch¬ 
potenzen sehen, hat nichts Frappirendes, wenn wir 
festhalten, dass die Paroxismen, die bei diesen 
Krankheiten auftreten, nichts anderes sind, als Re- 
actionserscheinungen des insultirten Organismus, Heil¬ 
bestrebungen , die nur des Anstosses eines richtig 
gewählten Mittels bedürfen, um erfolgreich zu werden. 

m 

Marie W., 6 Jahre, hat seit der Geburt einen 
aufgetriebenen Leib, ferner seit mehreren Jahren 
runde Flecke, von Farbe ähnlich wie Chloasma, ver¬ 
schiedener Grösse, im Uebrigen an Psoriasis er¬ 
innernd. Kein Jacken. Harndrang, Quantität 
gering, kein Albumin. Zuweilen eine Art Heiss- 
hunger, starkes Wachsthum der krausen 
Haare, das ganze Abdomen mit Wasser angefüllt. 
Stimmung stets heiter. Die allopathischer Seits vor¬ 
geschlagene Operation wurde verweigert. Verord¬ 
nung am 24. Jan 1889 Thuja 800 durch 6 Tage 
zu nehmen, dann Pause. 

8 Febr. Abdomen weniger aufgetrieben, All¬ 
gemeinbefinden wie immer gut, Harnentleerung noch 
häufig, Hautausschlag mehr hervorgetreten. Ver¬ 
ordnung: Sacch. 

17. März. Urin wird immer reichlicher, Abdomen 
dünner, der Ausschlag verliert sich mehr und mehr. 
Vor 14 Tagen hat Patientin ein Paar Tage Hitze 
und Fieber gehabt Verordnung: Sacch. 

31. Mai. Besserung, Ausschlag spurlos ver¬ 
schwunden, Hydrops kaum bemerkbar. Im Juli 
desselben Jahres war Krankhaftes nicht mehr zu 
entdecken. 

Thuja hat sehr characteristische Symptome. Wo 
diese vorhanden, ist die Wahl ausserordentlich 
leicht. Leider fehlen wie auch in andern nicht 
der Thuja angehörigen Fällen diese characteristischen 
Symptome oft zürn grossen Theil und wir sind mehr 
auf Vermuthungen angewiesen. Das Leiden war 


*) Eine Auswahl der häufigsten und markantesten 
Thuja-Symptome habe ich in meiner kleinen Schrift 
„Die Impfvergiftung, ihr Wesen und ihre Heilung 44 , 
Kiel bei Lipsius und Fischer, zusammengestellt 


hier offenbar mit auf die Welt gebracht Deshalb 
die Wahl einer Hochpotenz. Bei vorliegender Impf- 
vergiftung habe ich mich meist der 30. mit Erfolg 
bedient. 


VIII. 

J., Maurer, 36 Jahre, hat in den 20er Jahren an 
Gonorrhöe gelitten, von welcher er ganz entschie¬ 
den behauptet, dass dieselbe spontan (! ?) entstanden 
sei. 3 Mal ist derselbe ohne Erfolg geimpft. 

Seit 10 Jahren fühlt sich derselbe unwohl. Sein 
Leiden nahm von Jahr zu Jahr an Intensität zu: 
Kopfschmerz Tags wie Nachts und „in Folge dessen“ 
Schlaflosigkeit, Nachts häufiges Uriniren, 
stets verschleimt, unreiner Geschmack, Heiss¬ 
hunger mit Appetitlosigkeit wechselnd, Vollheits- 
gefühl im Abdomen, oft sehr verstimmt, zuweilen 
Diarrhöe, Kälte oder Hitze der Unterschenkel, 
Schwäche der Beine. Verordnung am 7. Febr. 1889 
Thuja 300 (Jenichen) durch 6 Tage zu nehmen, 
dann Pause. 

9. März. Besserung nach jeder Richtung, Schlaf 
und Appetit besser, Diarrhöe nicht gehabt, der 
Kopfschmerz minder, tritt nur periodisch auf, Beine 
werden kräftiger. Verordnung: Sacch. Im August 
desselben Jahres fühlte sich Patient gesund. 

IX. 

J., Dampfschiffsführer, 39 Jahre, consultirte 
mich am 18. Octbr. 1888. Vor 8 Jahren hat der¬ 
selbe an Gelenkrheumatismus gelitten, vorher und 
nachher oft an Kopfschmerz in der Stirn, noch 
früher und wiederholt an Gonorrhöe, auch Hämorrh¬ 
oiden. Seit 7 Jahren leidet derselbe an Ischias 
der linken Seite. Unmittelbar vor Auftreten be¬ 
sagten Leidens stellten sich im Gesicht und auf 
den Schultern „rothe Pikei“ ein mit juckend*stechen¬ 
den Schmerzen, die in 3 Tagen verschwanden. Dann 
Stich im linken Oberschenkel und Hüfte, der an 
Intensität zunahm. Er hat homöopathische und 
allopathische Mittel ohne Erfolg gebraucht. Die 
Witterung hat auf sein Befinden keinen Einfluss. 
Die stechenden Schmerzen zeigen sich auch zuweilen 
in der linken Scapula. Schlaf schlecht, stetes 
Umherwälzen. Im Freien und feuchter Luft 
schwellen die Hände an und schmerzen brennend. 
Fettiger Schweiss des Unterkörpers. Sitzen und 
Bewegung beeinflussen die Schmerzen nicht, zu¬ 
weilen Schläfrigkeit am Tage, Wadenkrämpfe Nachts, 
das Ausstrecken der Beine nicht gestattend, der 
zuletzt entleerte Urin ist milchig. In der letzten 
Zeit flüchtige Bruststiche hie und da, Stimmung 
sehr gedrückt. Verordnung Thuja 200 (Lehrmann) 
1 Dosis. 

27. Novbr. Etwa 1 Woche nach dem Einnehmen 
bald vorübergehende sehr heftige Schmerzen im 
linken Oberschenkel und, wenn auch minder, im 

b* 


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rechten. Dann Besserung in jeder Richtung, Stim¬ 
mung wesentlich besser, „ausgezeichnet“, die Schläf¬ 
rigkeit hat sich verloren, Urin klar etc. Er hat 
seit 4 Wochen arbeiten können in einer kleinen 
Werkstatt, was er 4 Jahre hindurch nicht konnte. 
Verordnung: Sacch. 

Nach ferneren 6 Wochen war Patient gesund 
und verzichtete auf fernere Behandlung. 

X. 

Emmy Z., 3 Jahre, wurde mir am 15. Septbr. 

1886 vorgestellt Patientin leidet seit dem vorigen 
Jahr,seit der Impfung, an einer Blepharoconjunctivitis. 
Früher durchaus gesund. Das Allgemeinbefinden 
ist auch jetzt nicht verändert Sobald sie sich im 
Freien befindet, röthen sich die Augen. Verordnung 
Thuja x. Nach 2—3 Tagen waren die Augen ge¬ 
sund, vertrugen die freie Luft wie früher. 

Erst am 22. August 1888 sah ich das Kind 
wieder. Sie war bisher immer gesund gewesen, 
auch die Augen waren frei, bis vor einem Viertel¬ 
jahr die Augen sich wieder entzündeten, wenn auch 
mit Unterbrechungen. Lichtscheu, nächtliche Un¬ 
ruhe, beide Augenlider sehr geschwollen, Sch weiss, 
aber nur der aufliegenden Körpertheile, 
übler Mundgeruch. Appetit nicht verändert. 
Nitri acid. x beseitigte das Augenleiden in etwa 

2 Wochen. 

XI. 

Robert W., IV 4 Jahr, wurde mir am 3 Novbr. 

1887 in die Sprechstunde gebracht Er ist im 
Sommer „mit Erfolg* geimpft. Seitdem in der 
ferneren Entwickelung zurückgeblieben. Er leidet 
viel an Durst Tags wie Nachts, Durchfall, wobei 
Abdomen stets anfgetrieben; Heisshunger mit 
Appetitlosigkeit wechselnd, Schlaf gut, stete Ver- 
driesslicbkeit, Weinen. Verordnung Thuja x 1 Dosis. 

15. Decbr. Alles besser, stets vergnügt Stuhl 
normal. Zunahme an Fleisch. Verordnung: Sacch. 
lactis. — Er ward nicht mehr gesehen. 

xn. 

Alice P., 2 Jahre, wurde am 21. April 1887 
in meine Sprechstunde gebracht. Sie war angeb* 
lieh nie gesund gewesen, ist in der Entwickelung 
zurückgeblieben, sehr abgernagert, sehr verdriess* 
lieh, schlägt um sich, wird weder durch Güte noch 
durch Strenge beeinflusst, Heisshunger, Diarrhöe, 
unverdaute Faeces, Urin dunkel, Rücken schwach, 
fällt zusammen, wenn sie hingesetzt wird, Abdomen 
aufgetrieben, Krötenbauoh, derselbe mit grossen 
Venen bedeckt, die Rückenmuskeln schwach ent¬ 
wickelt Verordnung: Thuja 200 (Lehrm.) durch 

3 Tage, dann Pause. 

15. Mai. Besserung des Allgemeinbefindens, der 


Stuhl hat sich mehr regulirt, Abdomen weniger 
stark. Verordnung: Sacchar. 

27. Mai. Das Allgemeinbefinden bessert sich 
mehr und mehr. In den letzten 8 Tagen Abgang 
von reichlichem Schleim mit dem Stuhl, sie macht 
Versuche zu sitzen. 

Leider sah ich Patientin von nun an nicht mehr. 
Im Juli bekam ich den Bericht, dass die Besserung 
fortschreite. 

Atrophie der Rüokenmuskeln habe ich als Symp¬ 
tom sykotischer Affektion (der lues gonorrhoica der 
Alten) wiederholt beobachtet Bei grösseren Kin¬ 
dern scheint der watschelnde Gang eins der ersten 
Local Symptome zu sein. Sie können das Becken 
nicht fixiren, sind daher genöthigt, beim Gehen die 
Last des Körpers bald auf die eine, bald auf die 
andere Extremität zu werfen. Ob die fortschreitende 
Paralyse Duchenne's auch in sykotischem Boden 
wurzeln kann, lasse ich dahingestellt sein, halte es 
aber für sehr wahrscheinlich. In einem Falle 
hob die Impfung besagtes Leiden sofort 

Die mitgetheilten Krankengeschichten dürften 
genügen, die Aufmerksamkeit der jüngeren Collegen 
auf die Thuja, die in letzter Zeit in der homöo¬ 
pathischen Tagesliteratur so wenig Berücksichtigung 
findet zu lenken. Die Zahl dieser Krankengeschichten 
könnte ich noch beträchlich vermehren, wenn meine 
Zeit es erlaubte. 

Noch eine Bemerkung über Thuja. Ich kenne 
kein Constitutionsmittel, das so selten der Wieder¬ 
holung bedürfte als dieses. Diese Erscheinung 
möchte daraus zu erklären sein, dass die Sykosis 
verbältnissmässig neueren Datums ist, während 
Syphilis und Psora viel älter sind. Wie aber bei 
der Letzteren die Antispsorica nicht für alle Fälle 
ausreichen, so nicht die Antisycotica bei der Sykosis. 
Ob hier die Isopathie aushelfen wird, liegt im 
Schoosse der Zukunft. Viele Arbeit ist nöthig. 


Die zeitweilig herrschenden Heil¬ 
mittel. 

Unter dieser Ueberschrift werden nach Beschluss 
der 1 . Generalversammlung der Epidemiologischen 
Gesellschaft künftighin die Mittheilungen der Collegen 
veröffentlicht werden. Die Gründe für diese Aenderung 
sind in meinem vor dieser Gesellschaft gehaltenen 
Vortrag auseinandergesetzt, weshalb ich hier nicht 
darauf eingehen will. Er wird demnächst in dieser 
Zeitung erscheinen und ich hoffe, dass meine Aus¬ 
führungen allseitig befriedigen. 

Auf derselben Versammlung wurde ausgemacht, 
dass je nach den 3 Methoden, nach denen die Mittel 
gefunden wurden, ein entsprechender Buchstabe zur 
Hervorhebung der benützten Methode beigefügt 


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61 


wird und zwar für die gewöhnliche homöopathische 
Methode H., für die Rademacher sehe R., für die 
Weihe’sche W. 

Ferner wurde der Vorschlag acceptirt, einem 
Mittel, wenn es als Einheit für eine Combination 
gegeben wird, das Oleiohungszeichen vorzusetzen, 
zum Unterschied von der Möglichkeit, dass nur ein 
Schmerzpunkt gefunden wurde. Entspricht eine 
Einheit mehreren Combinationen, so soll die im 
betr. Falle gefundene Combination in Klammer der 
Einheit nachgesetzt werden. 

Der Mitteilungen sind es diesmal wenig in 
Folge der Abwesenheit vieler Collegen. 

Dierkes-Paderborn theilte am 31./7. mit: kein 
constantes epidemisches Mittel; doch meist Calc. 
phosph. -f- Nux vom., auch Calc. phosph. Chin. 

Leeser-Bonn schreibt an demselben Tage: vor 
einigen Tagen Veratr.; dann Ac. muriatic. Lach.; 
heute Sepia. 

Kirn-Pforzheim fand in der letzten Zeit besonders 
Cupr. Nicot., Veratr., Pulsat. bei Cholerine und 
Schmerzen im Kreuz und den Hypochondrien. 
Ausserdem hatte er Fälle mit = Apis (Kal. carb. 
-{“ Bell.) und = Kal. bichrom. 

Ich-hier hatte noch bis zum 2./8. ganz vor¬ 
herrschend = Puls. (Hep. sulf. calc. 4“ Ratanh.) 
W.; am 3. und 4. häufig Cupr. c. Nicot., daneben 
mehrere Fälle mit Bar. carb. + Iris = Rhus tox. 
W.; am 5. wieder = Puls. W.; vom 6.—8. vor¬ 
herrschend = Rhus tox. W.; am 9. wieder = Puls.; 
seit gestern = Mercur. (Bar. carb. 4" Bell.) W. 

Buob-Freudenstadt schreibt am3./8. von raschem 
Wechsel, sowie dass Pertussis im Anzuge sei mit 
Symptome für Cupr. und Bell. 

Stuttgart, den 11. August 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Lesefrüchte. 

Unna wendet bei Lupus, statt Tuberculin ein¬ 
zuspritzen, die Autotuberculinisation durch Massage 
der erkrankten Stellen an. Er berichtet darüber 
in der „Berl. klin. Wochenschrift“ Nr. 25. 1891. 

Da die Massage durch mit Stoffen wie Salicyl, 
Kreosot imprägnirten Pflastermull hindurch an¬ 
gewandt wurde (täglich eine markgrosse Stelle 1, 
höchstens 3 Minuten lang), so können die Versuche 
nicht als reine angesehen werden. Die Effecte dieser 
Methode sind folgende: Sofort nach der Massage 
wird die betreffende Stelle hochroth und ödematös, 
nach einiger Zeit findet rasche Abschwellung statt 
und am nächsten Tage ist die Stelle viel flacher 
als vorher; ausserdem kann es noch zur anämischen 
Resorption entfernter Stellen und leichten Anschwel¬ 
lung von solchen mit RandrÖthe kommen. Bei 14 
bisher so behandelten Fällen kam es nie zu All¬ 


gemeinerscheinungen. Unna will durch die Massage 
das Tuberculin aus dem natürlichen Reservoir heraus 
in die Circulation bringen und so die mildeste und 
am meisten abstufbare Form der Tuberkulinisation 
gefunden haben, die wohl später auch auf andere 
tuberculöse Organe, zunächst auf Drüsen, Sehnen¬ 
scheiden und Gelenke, in geeigneten Fällen wird 
ausgedehnt werden können. (Nach „Wiener med. 
Presse“ Nr. 30. 1891.) 

Prof. Winternitz-Wien empfiehlt in seinen 
Blättern für klin. Hydrotherapie, Nr. 3, die thera¬ 
peutische Verwendung der Heidelbeeren (Vaccinium 
Myrtillus) und zwar als Decoct aus den frischen 
oder meist getrockneten Früchten. Sie werden mit 
kaltem Wasser übergossen und mindestens 2 Std. 
unter häufigem Umrühren gekocht, bis die ganze 
Masse eine dünnere Syrupconsistenz angenommen 
hat; es wird abgeseiht und der Saft aus den Beeren 
gut ausgedrückt. Das Decoct wird verwendet: 

1 . gegen Diarrhöe (selbst bei Phthisikern) täg¬ 
lich 1—3 Kaffeeschalen. 

2 . gegen Leukoplakia buccalis. Die dabei be¬ 
stehenden heftigen Schmerzen werden 10 Minuten 
lang nach dem Trinken immer heftiger, um dann 
plötzlich zu verschwinden; dabei wird empfohlen, 
den Saft nicht blos zu trinken, sondern auch mit 
demselben 3 mal täglich 10 — 15 Minuten lang den 
Mund auszuspülen. In einem Fall waren nach 
4 Wochen die psoriatischen Plaques vollständig 
verschwunden. 

3. Zu Injektionen bei Gonorrhoe. In 1 Fall von 
acutem Tripper war nach 12 Tagen das ungefärbte 
Secret frei von Gonococcen; von 6 chronischen 
Fällen wurden 4 gebessert, 2 geheilt. (Nach „Wien, 
med. Presse“ Nr. 31. 1891.) 

G. Hoppe-Seyler. Ueber die Ausscheidung der Kalk¬ 
salze im Urin , mit besonderer Berücksichtigung 
ihrer Beziehungen zu Ruhe und Bewegung. (Ztschr. 
f. physiol. Chemie XV. S. 261.) 

Die Vergleichung der Kalkausscheidung durch 
den Harn bei bettlägerigen Kranken, die keine inneren 
Leiden, sondern nur kleinere chirurgische Affektionen 
(Ganglion pedis, Ulcera pedis ohne Knochen¬ 
betheiligung, Ulcera cruris, Contusionen, Haut¬ 
verbrennung) hatten, mit deijenigen von Kranken, 
welche herumgingen, aber unter denselben Er¬ 
nährungsbedingungen sich befanden, ergab fürErstere 
0,72 Gr. phosphorsauren Kalk, für letztere 0,38 Gr. 
pro Tag, also bei Ruhe beinahe doppelt soviel, als 
bei Körperbewegung. Ebenso fand sich bei Kranken, 
welche durch Lähmung (Myelitis, Spondylitis) an*s 
Bett gefesselt waren, eine deutliche Vermehrung 
der Kalkausscheidung durch den Harn; die wenigen 
Ausnahmen Hessen sich aus mangelhafter Nahrungs- 


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aufnabme oder aas dem höheren Alter der Kranken 
erklären. Bei langandauernder Bettrahe kann all- 
mählig die Kalkmenge wieder abnehraen, sodass 
zuletzt fast normale Werthe erreicht werden. Bei 
fieberhaften Erkrankungen sinkt die Kalkausscheidung, 
wohl zum Theil durch die mangelhafte Nahrungs¬ 
aufnahme bedingt. Gleichwie nach Salkowski u. A. 
Einführung von Sublimat die Kalkausfuhr durch 
den Harn steigert, so ist dasselbe, zugleich mit Zu¬ 
nahme der Diurese, bei Calomelölinjektionen der 
Fall; als Minimum fand sich 0,5, als Maximum 
0,94 Gr. Kalkphosphat pro Tag. J. Munk. 

Zur Warnung mag Folgendes reproducirt werden: 
L. Taucher. Inflammation subite di cellulo'id\ Le 
mouvement hygiönique Nr. 7. Juilles 1889. 

Eine plötzliche Entzündung eines Haarkammes 
aus Celluloidsubstanz entstand bei einem Mädohen, 
welches etwa eine Stunde lang nah bei einem Ofen, 
der zum Glühendmachen von Bügeleisen brannte, 
seine Schulaufgaben machte. Das Mädchen befand 
sich etwa 50 bis 60 Cm. von dem Ofen entfernt. 
Erfahrungsgemäss bilden sich um solche stark¬ 
geheizte Oefen herum manchmal überheizte Luft¬ 
schichten selbst auf grössere Entfernung. Der Ver¬ 
fasser nimmt die Gelegenheit wahr, auf die Gefahren 
bei der leichten Brennbarkeit der Celluloid Substanzen 
aufmerksam zu machen und zur Vorsicht bei deren 
Gebrauch zu mahnen. Creutz. 

(Aus „Centralbl. f. allg. Gesundheitspflege X. Jahrg. 
1891. Heft 9, p. 351.) 

Strophantus bei Kropf. — Dr. S. T. Youns- 
Lafayette (Ind.) hat 5 Fälle von Kropf erfolgreich 
mit Tinctura Strophanti in Dosen von 10 Tropfen, 
langsam bis zu 16 steigend, 3mal täglich, behandelt. 
Die Behandlung dauerte gewöhnlich 2 Monate (The 
Weekly Med. Rev.) (Deutsche Medicinal-Zeitung 
Nr. 75. 1891.) (Internat, klin. Rundschau V. Jahrg. 
1891. Nr. 41, p. 1610.) 

In der Wiener med. Presse 1891, Nr. 34, 35 
referirt Busch über tertiär syphilitische subcutane 
Symptome im Anschluss an einen Fall bei einem 
30jährigen Araber, der später plötzlich mehrfache 
Gehirnsymptome darbot, die auf ein Gumma in der 
linken Fossa Sylvii schliessen Hessen. Eine ge¬ 
mischte antisyphilitische Kur hatte den besten Er¬ 
folg. Zum Schluss macht er darauf aufmerksam, 
dass Gehirn- und Rückenmarkssyphilis in 
Syrien ungewöhnlich häufig vorkommt, obgleich 
oder vielleicht weil die einheimischen Aerzte 
jedes einer syphilitischen Infektion verdächtige 
Individuum einer sehr energischen anticipi- 
renden Quecksilberbehandlung unterwerfen. 

Wir schliessen uns letzterer Ansicht an, indem 
wir zugleich auf eine interessante Broschüre auf¬ 
merksam machen wollen, die einen ganz eigenartigen 


Standpunkt in der heutigen Syphilidologie auf 
Grund 30jähriger, reicher Erfahrungen einnimmt. 
Wir meinen die Broschüre des Primararztes Dr. 
Hermann in Wien. 

Strontium gegen Bandwurm von Prof. L&borde. 

In letzter Zeit sind von französischer Seite 
(Germain L6e, Paul, Laborde, Dujardin-Beaumetz) 
die Strontiumsalze als sehr wirksam bei Magen¬ 
affektionen bezeichnet worden. Bei Versuchen 
über die physiologische Wirkung dieser Salze be¬ 
obachtete L., dass damit gefütterte Hunde in kürzester 
Zeit von Taenien befreit waren. Dieselbe taenicide 
Wirkung tritt beim Menschen durch Verabreichung 
dieses Mittels in folgender Form ein: 

Stront. lactic. 20,0 
Aq. dest. 120,0 

Glycer. q. s. 

D. S. Täglich Morgens und Abends je 1 Ess¬ 
löffel voll 5 Tage lang zu nehmen. 

Im Allgemeinen ist nach Ablauf dieser Zeit der 
Kranke von seinen Taenien vollständig befreit. (Le 
Bulletin Mädical 1892. Nr. 8. Nach „Internat, 
klin. Rundschau 1892.® Nr. 7.) 

In der Münchener med. Wochenschr. 1891, 
Nr. 44, 45 kommt Kustermann auf Grund ein¬ 
gehender Versuche über das Vorkommen der Tuberkel - 
bacillen ausserhalb des Körpers in Gefängnissen zu 
dem Resultat, dass bei der Weiterverbreitung der 
Tuberkulose noch andere Umstände als die Zer¬ 
stäubung von Sputis unreinlicher Phthisiker und 
das dadurch bedingte Vorkommen von Bacillen an 
Wänden und Böden im Spiele sein müssen. Er 
schHesst sich der Ansicht Bollinger’s an, dass die 
Gefahr der Infektion wenigstens beim Erwachsenen 
viel geringer anzuschlagen sei, als die der Disposition. 
(Au9 Centralbl. f. d. med. Wissenschaften 1892. 
Nr. 8.) 

Eine letal verlaufene acute Quecksilbervergiftung, 
entstanden durch Einreibung von grauer Salbe . 
Von Dr. Sackur in Breslau. (Berl. Klin. Woch. 
20. Juni 1892.) 

Wenn irgend eine medizinische Disciplin sich 
die sorgsame Pflege der Casuistik zur Aufgabe 
machen muss, so ist es die Toxicologie. Diese 
Ansicht sowie die Ueberzeugung, dass der im Nach¬ 
stehenden beschriebene Vergiftungsfall sowohl wegen 
seiner Entstehung als wegen seines klinischen Ver¬ 
laufes und der Verzögerung der richtigen Diagnose 
ein allgemeines Interesse verdient, veranlasst Verf. 
zur Veröffentlichung desselben. Ein 20jähriges 
Mädchen, das an „aufgesprungenen Händen® leidet, 
klagte über Schmerzen im linken Unterarm und 
wurde dieserhalb angeblich mit Gold-Cream ein¬ 
gerieben. . Schon nach einer Stunde traten Uebel- 
beflnden, Ohnmacht, Erbrechen grünlicher Massen 


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63 


ein. Bei der nach wenigen Stunden erfolgten Auf¬ 
nahme ins Hospital machte die sehr anämische 
Patientin den Eindruck einer Schwererkrankten, 
Die Temperatur war zwar normal, das Erbrechen 
trat jedoch fast alle Viertelstunden ein, ausserdem 
bestand mässiger Tenesmus und leichte Albuminurie. 
Eine Untersuchung des grauweiss verfärbten, fett¬ 
glänzenden linken Unterarmes ergiebt eine mittel¬ 
starke Schwellung, ohne deutliche Fluctuation. 
Breite Incisionen auf der dorsalen und volaren 
Seite fuhren auf sulzig infiltrirtes, grau verfilztes 
Unterhautzeih und Muskelgewebe. Trotz der Apyrexie 
und des Fehlens einer Milzvergrösserung wird die 
Diagnose vorläufig auf Phlegmone gangraenosa, 
Sepsis (?) gestellt Am folgenden Tage tritt Anurie 
ein und werden mehrmals blutvermengte diarrhoische 
Stöhle entleert bei gleichzeitigem Eintreten von 
Koliken. Die Temperatur ist subnormal, der All¬ 
gemeinbefund lässt an das Bestehen einer Dysenterie 
denken. Die Durchfälle nehmen weiterhin zu und 
werden fast blutig. Es tritt heftige Haematemesis 
auf; am rechten Zungenrande bilden sich kleine 
Geschwürchen. Der Zustand erregt nunmehr den 
Verdacht auf eine Quecksilbervergiftung, der durch 
Rücksprache mit dem erstbehandelnden Arzte seine 
Bestätigung erhält. Unter Verschlimmerung der 
bestehenden Symptome und Abnahme der Temperatur 
bis auf 35,5° tritt, am fünften Tage nach der Er¬ 
krankung, der exitus letalis ein. Wie die genauere 
Anamnese ergab, waren gegen die bestehende 
Lymphangitis ca. 5 gr. grauer Salbe eingerieben 
worden. Dass dieses Quantum ausreichte, eine 
tödtlich verlaufende Intoxication hervorzurufen, kann 
nur dadurch erklärt werden, dass die mit zahlreichen 
Rhagaden versehene Haut eine besonders starke 
Resorption ermöglichte. Gleichzeitig mag die 
Anämie der Patientin eine gewisse Disposition für 
eine Quecksilbervergiftung geschaffen haben. (Aus 
„Medico* 1892. Nr. 22) 


Necrolog. 

Am 31. Juli d. J. starb in seiner Heimathstadt 
Herford unser homöopathischer College Dr. Justus 
Weihe nach kurzem Kranksein an den Folgen der 
Altersschwäche im nahezu vollendeten 84.Lebensjahre. 

Geboren im Jahre 1808 trat er nach in Leipzig 
und Berlin absolvirten Studien im Jahre 1833 so¬ 
fort zur Homöopathie über, um seinem damals schon 
kränkelnden Vater, Dr. August Weihe, dem Freunde 
des alten von Bönninghausen und ersten Arzte, der 
sich in unserer Provinz an Hahnemann angeschlossen, 
in seiner umfangreichen Praxis zur Seite zu stehen. 
Der Vater starb schon das Jahr darauf und wurde 
es dadurch Weihe beschieden, das begonnene Werk 
desselben allein und selbstständig weiter zu führen, 


eine Aufgabe, die für einen noch so jungen Arzt 
in einer Zeit, wie die damalige, wahrlich keine 
leichte war. 

Schlimm genug sind ja auch heute noch die 
Anfeindungen, denen die Homöopathie ausgesetzt 
ist und doch offenbar nur ein Schatten von dem, 
was die ersten Pioniere unserer Sache zu erdulden 
hatten. Wie so viele alten Leute, lebte auch Weihe 
in seinen letzten Jahren mit seinen Gedanken gern 
in der Vergangenheit und oft brachte er dann auch 
wohl die Rede auf die Erlebnisse seiner ersten 
praktischen Thätigkeir, von denen er voll Bitterkeit 
und Betrübniss viel zu erzählen wusste. Allen An¬ 
feindungen zum Trotz gelang es ihm jedoch, sich 
zu behaupten und eine Praxis zu erwerben von 
einer Grösse und Ausdehnung, wie sie wohl nur 
wenige Aerzte jemals besessen. Ist er auch niemals 
literarisch hervorgetreten, so hat er doch durch 
diese seine umfangreiche praktische Thätigkeit ausser¬ 
ordentlich zur Verbreitung der Homöopathie bei¬ 
getragen. Dies erreichte er neben seinen ärztlichen 
Erfolgen vornehmlich durch die ausserordentliche 
Liebenswürdigkeit seines Wesens und Charakters 
und die seltene Selbstlosigkeit, die sich in all seinem 
Thun und Lassen offenbarte. Er nahm auch ge- 
müthvoll an dem Wohl und Wehe seiner Patienten 
den innigsten Antheil und kann man von ihm mit 
vollstem Rechte behaupten, dass er stets ein echter 
und rechter Menschenfreund gewesen, der als solcher 
gewiss noch lange im Gedächtniss vieler Bewohner 
unseres lieben Ravensberger Ländchens fortleben 
wird. Weihe besass neben manchen anderen geistigen 
Interessen eine besondere Vorliebe und Begabung 
für die Musik, der er als tüchtiger Clavierspieler 
einen grossen Theil seiner freien Zeit widmete. 
Nach ihr suchte und fand er seine liebste Erholung 
im Umgang mit der schönen Natur. Er war ein 
grosser Blumenfreund und Pflanzenkenner und all¬ 
jährlich im Frühherbst zog es ihn zu mehrwöchent¬ 
lichen Reisen hinaus in die weite, prächtige Gottes¬ 
welt. So hat er nacheinander fast alle Länder des 
gebildeten Europa besucht, war mehrfach in der 
Schweiz und in Italien, aber auch in Frankreich, 
Spanien, Schottland, Schweden u. s. w. Auf allen 
diesen Reisen zeigte er sich als feinsinniger Be¬ 
obachter, der auch über alles Geschaute sehr leb¬ 
haft und anziehend zu berichten verstand. 

Weihe besass eine grosse allgemeine Arbeitskraft, 
eine seltene Stärke des Gedächtnisses, war von 
kräftiger Statur und erfreute sich bis wenige Wochen 
vor seinem Ende einer ausgezeichneten Gesundheit. 
Leider nur hatte er während der zweiten Hälfte 
seines Lebens mit zunehmender nervöser Schwer¬ 
hörigkeit zu kämpfen. Sein Familienleben verlief 
glücklich und ungetrübt. Er hinterlässt vier Söhne 
in geachteter und gesicherter Lebensstellung. Friede 
seiner Asche. — e. 


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64 


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Leipzig, A. Marggrafs homöopath- Officin. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. 6oehrum-Stuttgart, Dr. Stifft-Leipzig und Dr. Haedloke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Drnck von Breeener & Schramm in Leipzig. 


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Band 125 


Leipzig^ den 1. September 1892. 


No.9n.10 


ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 


HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

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Verlagehandlung selbst (▲. Marggraf s homöopath. Offlein in Leipzig) *u richten sind, werden mit 80 Pf. pro einmal 
gespaltene Petitseile und deren Baum bereobnet. — Beilagen werden mit UM. berechnet. 


Inhalt. Die 60. Geoeraiversammiuog des Homöopathisohen Centraivereins Deutschlands zu Stuttgart 
9. u. 10. August 1892. Von Dr. med. Stifft-Leipzig. — Ueber die Art und Weise der Einwirkung des genius epidemious. 
Vortrag, gehalten auf der 1. Generalversammlung der Epidemiolog. Gesellschaft zu Stuttgart von Dr. Leeser-Bonn. 
— Bericht Ober die I. Generalversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft zu Stuttgart am 8. August 1892. Von 
Dr. Göhrum-Stuttgart. - Zur 50jährigen Jubelfeier der homöopathischen Poliklinik. Ein historischer Rückblick 
von Dr. Lorbacher-Leipzig. — Mittheilungen über die Diphtherie in Kiel. — Ein homöopathisches Zaubermittei. — 
Die zeitweilig herrschenden Heilmittei. Von Dr. Göhrum-Stuttgart. — LesefrQohte. — Anzeigen. 


MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TW 


Die 60. Generalversammlung des 
Homöopathischen Centralvereins 
Deutschlands zu Stuttgart am 9. und 
10. Angnst 1892. 

Laut Beschluss der vorjährigen Generalversamm¬ 
lung versammelten sich die Mitglieder des Homöo¬ 
pathischen Central Vereins Deutschlands diesmal in 
der herrlichen Residenzstadt Stuttgart. Am Abend 
des 8. August fand die Begrüssung der Erschienenen 
im # dortigen Stadtgarten, einem Garten-Etablissement 
von seltener Schönheit, statt Schon eine ansehn¬ 
liche Theilnebmerzahl hatte sich hierzu mit ihren 
Damen eingefunden, alte Bekanntschaften in heiterster 
Stimmung erneuernd oder neue anknüpfend. 

Am Morgen des 9. August bald nach 9 Uhr 
eröffnete der Vorsitzende — Dr. Windelband, Berlin 
— die geschäftliche Sitzung im Beethoven-Saale 
der Liederhalle, zu der sich nach der Präsenzliste 
folgende Herren eingefunden hatten: Windelband- 
Berlin, Weber-Cöln, Haedicke-Leipzig, Steinmetz- 
Leipzig, Villers-Dresden, Mattes-Ravensburg, Kallen¬ 
bach-Rotterdam, Fischer-Neuenburg, Mossa-Stuttgart, 
v. Sick-Stuttgart, Lorenz-Stuttgart, Stemmer-Stutt¬ 
gart, Hafen-Neustadt a./Haardt, Schlegel-Tübingen, 
Grünewald - Frankfurt am Main, Kirn - Pforzheim, 
Göhrum-Stuttgart, Kröner-Potsdam, Gisevius-Berlin, 
Förg-Lu dwigsburg, Rohowsky-Leipzig, Leeser-Bonn, 


Siegrist-Basel, Simrock-Frankfurt a./Main, Unsin- 
Landshut, Groos-Magdeburg, Doerr-Mainz, Zengerle- 
Aulendorf, Hagel-Ravensburg, Yerflassen-Coblenz, 
Stifft-Leipzig, Kukulus-Stettin, Weiss-Gmünd, Hähnle- 
Reutlingen, Sigmundt-Speichingen, End riss Göppin¬ 
gen, Buob-Freudenstadt, Ide-Stettin, Jäger-Hall, 
Schwarz Baden-Baden, Prof. Jäger-Stuttgart. 

Nach Punkt I der Tagesordnung wurden zu¬ 
nächst folgende 13 Herren, die sich zur Aufnahme 
angemeldet hatten, ohne Debatte aufgenommen. 
Sanitätsrath Dr. Sauer-Breslau, Dr. Weidner-Breslau, 
Dr. Kayser-St. Johann, Dr. Endriss - Göppingen, 
Dr. Krömer - Kiel, Dr. Burzutschky - Flensburg, 
Dr. Schnütgen-Münster i/W., Dr. Heyberger-Protivin, 
Dr. Förg-Ludwigsburg, Dr. Zengerle-Aulendorf, Dr. 
Kukulus-Stettin, Dr. Jaeger-Hall, Dr. Buob-Freuden- 
stadt. 

Dann folgte die Erledigung der verschiedenen 
Geschäftsberichte, — des Vorstandes des Central¬ 
vereins, des Kuratoriums des Leipziger Kranken¬ 
hauses, des dirigirenden Arztes desselben, des In¬ 
stitutsarztes (Vorstand der Leipziger Poliklinik), des 
Kassen Verwalters und des Verwalters der Vereins- 
Bibliothek zu Leipzig —, welche im Druck Vorlagen 
und ohne Diskussion entgegengenommen wurden. 
Es konnte darauf hingewieseu werden, dass sich die 
Verhältnisse des Leipziger Krankenhauses — es ist 
begründete Aussicht vorhanden, dass dieses eine 

9 


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66 


Schmerzenskind der bisherigen Unterstützung von 
Seiten des Central Vereins bald nicht mehr bedarf — 
in jeder Beziehung zur Befriedigung gehoben haben 
und dass die Vereins-Bibliothek eine wesentliche 
Vermehrung erfahren hat*). Bezüglich der Ver¬ 
waltung der Letzteren wurde von einem Mitgliede 
der Versammlung dem derzeitigen Bibliothekar, 
Herrn C. Günther, speciell Lob und Anerkennung 
ertbeilt und die Benutzung der Bibliothek allgemein 
empfohlen. Windelband macht darauf aufmerk¬ 
sam, dass auch die reichhaltige Bibliothek des 
Berliner Vereins jedem Interessenten zur Benutzung 
offen stehe, ViIlers erwähnt das Gleiche bezüglich 
seines eigenen bedeutenden Bücherschatzes. 

Per Acclamation wird der bisherige Vorstand, 
der Institutsarzt und der Kassenverwalter wieder¬ 
erwählt und dem Letzteren bei Ertheilung der 
Decharge ganz besonders Dank und Anerkennung 
für seine vorzügliche, stets im Interesse des Vereins 
thätige Leitung der schwierigen Geschäfte aus¬ 
gesprochen. 

Eine längere Diskussion rief die Wahl des 
nächstjährigen Versammlungsortes hervor. Bei 
Schluss derselben wird mit 10 Stimmen Majorität 
die freundliche Einladung des Rheinisch-West- 
phälischen Aerztevereins nach Cöln angenommen, 
es aber der Entscheidung des Letzteren anheim¬ 
gegeben, Cöln oder Bonn in engerer Wahl zu be¬ 
stimmen, nach welch* letzterer Stadt L e e 8 e r persön¬ 
lich eingeladen hatte. 

Die der Tagesordnung sich anschliessenden An¬ 
träge wurden mit geringer Veränderung angenommen, 
und werden es Viele mit Freuden begrüssen, dass 
die Versammlung beschloss, den Mitgliedern höhere 
Beiträge aufzuerlegen, um der für ihre bescheidenen 
Verhältnisse zu sehr in Anspruch genommenen 
Wittwenkasse etwas mehr Mittel zuführen zu können. 
Ueber diesen Punkt wird die „Allgemeine“ im Laufe 
der nächsten Monate eingehender berichten, um die 
Interessen der Wittwenkasse fördern zu helfen. 

Gegen 12 Uhr endigte die geschäftliche Sitzung, 
die einen in jeder Hinsicht befriedigenden Verlauf 
genommen hatte, worauf ein von dem einladenden 
Vereine gespendetes opulentes Frühstück alle Theil- 
nehmer und Theilnehmerinnen im Mozartsaale der 
Liederhalle in animirtester 8 timmung vereinigte, bis 
um 2 Uhr Extrawagen der Pferdebahn die Festtheil- 
nehmer nach den herrlichen Königlichen Schlössern 
Berg und Wilhelma entführten. Bei dem Frühstück 
hatte Mossa in schwungvoller Rede die Erschienenen 

*) Mit Bedauern wurde die schwache Benutzung 
der Bibliothek hervorgehoben. Da der Grund hierfür 
vielleicht zum Theil in der Unkenntniss der rechten 
Adresse liegen mag, so fügen wir dieselbe für unsere 
Leser hierunter bei: Herrn Bibliothekar C. Günther, 
Leipzig, Homöopathisches Krankenhaus. Sidonienstr. 44. 

Die Red. 


begrüsst, worauf Weber in gleicherweise den Dank 
der Gäste aussprach. Nach Besichtigung der König¬ 
lichen Schlösser wurde der Rest des Nachmittages 
im Kursaal zu Cannstatt verbracht; am Abend fand 
man sich wieder im Garten der Stuttgarter Lieder¬ 
halle zu Konzert und ungezwungener Unterhaltung 
zusammen, und sollen danach noch bis zu den 
ersten Morgenstunden zahlreiche Damen und Herren 
in grösseren und kleineren Kreisen und in animirtester 
Stimmung in gemüthlichen Stuttgarter Weinstuben 
gesehen worden sein. 

Am 10. August Morgens 8 V 2 Uhr eröffnete der 
Vorsitzende die 2., die wissenschaftliche Sitzung 
im Blumen-Saale der Liederhalle und übertrug den 
Ehren-Vorsitz an Herrn Obermedizinalrath Dr. von 
Sick. Derselbe eröffnete die Reihe der Vorträge 
mit dem von ihm angekündigten Thema „Die Ent¬ 
wicklung der Homöopathie in Württemberg“ und 
gab in überaus geistvoller und fesselnder Form der 
aufmerksamen Zuhörerschaft, zu der sich auch eine 
grosse Anzahl von Laien gesellt hatte, sodass der 
Saal fast zu klein erschien, ein lebensvolles, inhalt¬ 
reiches Bild der Homöopathie in Württemberg und 
ihrer Vertreter von Anfang bis zur Jetztzeit. Es 
würde zu weit führen, den interessanten Vortrag 
im Einzelnen zu besprechen; derselbe wird in der 
„Zeitschrift des Berliner Vereins horaöop. Aerzte“ 
in extenso abgedruckt werden. Es folgte als zweiter 
Redner Dr. Kröner (Potsdam) mit dem auf der 
vorjährigen Versammlung übernommenen Referate 
über „Behandlung von Herzkrankheiten“; auch dieser 
!Vortrag wird in extenso in der genannten Zeitschrift 
erscheinen. Ein eingehendes Referat über die 
interessante und sehr gut aufgenommene Behandlung 
des schwierigen Themas zu geben, ist leider un¬ 
möglich, da der Vortrag wegen Kürze der Zeit viel¬ 
fach abgekürzt werden und ohne eigentlichen Ab¬ 
schluss bleiben musste. Nach einigen einleitenden 
Bemerkungen über die physiologischen und physi¬ 
kalischen Verhältnisse des Herzens ging der Vor¬ 
tragende auf die Besprechung der verschiedenen 
sogenannten Herzmittel ein, die er nach ihren Haupt¬ 
vertretern in 2 grosse Gruppen unterschied: die 
Digitalis-Gruppe und die Aconit-Gruppe. Zu 
der Ersteren gehören: Digitalis, Coffea, Strophantus, 
Apocynum c an nab,, 8 parteinum, Convallaria majalis, 
Cactus grand., zu der Zweiten: Aconit., Veratr. 
virido, Gelsemium, Glonotn, Aigylnitrit. Die erste 
Gruppe passt besonders bei funktionellen Störungen, 
die zweite bei entzündlichen Zuständen des Herzens. 
Verwandt sind Aconit, Spigelia, Jod, welche Herz- 
congestionen hervorrufen, die sich bis zu Entzündungs¬ 
zuständen steigern können; daher indicirt bei Carditis, 
Pericarditis etc. Digitalis passt besonders bei all¬ 
gemeiner Hypersthenie, Besserung beim Sitzen, 
Strophantus bei Dyspnöe und geringem Oedem. 
Er zeigt im Gegensatz zu Digitalis keine Einwirkung 


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«7 


auf die Gefässe, keine Accumulation. Cactus gr&ndi- 
florus empfiehlt Redner besonders nach Digitalis 
als Herztonicum. Er wirkt mehr auf den Herz¬ 
muskel und die glatte Muskulatur der GefUsse als 
auf den Vagus ein, daher unter seinen Symptomen 
das ausgesprochene Gefühl der Zusammenschnürung, 
seine Indication nur bei beschleunigtem Pulse. 
Referent erwähnt die Heilung eines Morbus Basedowii 
durch dieses Mittel in 6. Decimale. Als charakte¬ 
ristisches Symptom für Cactus grandiflorus soll 
Oedem der linken Hand von einzelnen Autoren an¬ 
geführt sein! Die Aconitgruppe wirkt entzündungs¬ 
widrig. Diese Wirkung des Aconit ist bekannt, 
wie auch seine beruhigende Wirkung auf das Herz. 
Der Puls ist bei ihm gespannt, bei Veratrum 
voll und springend, bei Gelsemium weich, 
die rot, — Schwäche des Herzmuskels —, was 
mit der Neigung des Gelsemium zusammenhängt, 
Lähmungen zu machen. Im Gegensatz zu Digitalis 
hat Gelsemium Besserung durch Bewegung und als 
charakteristisches Symptom enorme Müdigkeit, 
welohe sich unschwer aus der allgemeinen Gelse- 
miumwirkung erklärt — So viel über das leider 
unvollständig gebliebene Referat; in extenso wird, 
wie sohon bemerkt, die interessante Arbeit in der 
Zeitschrift des Berliner Vereins homöopathischer 
Aerzte erscheinen, worauf wir unsere Leser ganz 
besonders hinweisen wollen. 

Es folgten noch die Vorträge Schlegel’s 
(Tübingen) über „Homöopathie und Weltanschau¬ 
ung* und Göhrum’s (Stuttgart) „Ueber eine neue 
prophylaktische Methode*. Der Erstere ist bereits 
im Buchhandel erschienen und zeigt uns wieder 
in neuer Form den philosophischen, allseitig ge¬ 
bildeten tiefen Denker, den wir bereits in Schlegel 
kennen, den Meister der Sprache, und entzieht 
sich der Vortrag durch seine Gedankentiefe und 
Gediegenheit einem nur kurzen Referate. Der 
interessante Vortrag Göhrum’s wird in dieser 
Zeitung in extenso mitgetheilt werden. Bemerkens* 
werthe Diskussionen fanden nach keinem der ge¬ 
nannten Vorträge statt. Zum Schlosse ergriff noch 
Rohowsky (Leipzig) das Wort, um bei der drohen¬ 
den Choleragefahr im Gegensatz zu den bekannten 
letzten Erlassen der Bundesregierungen, welche 
Nichts empfehlen konnten, auf Veratrum und Cuprum 
auch als prophylaktische Mittel hinzu weisen. Als 
Thema für die nächstjährige wissenschaftliche Sitzung 
schlug Villers (Dresden) „Die Behandlung der Krank¬ 
heiten der nervösen Centralorgane* vor und über¬ 
nahm selbst das Referat. Hiermit schloss um 
1 Uhr der wissenschaftliche Theil der diesjährigen 
General-Versammlung. 

Bald darauf versammelte das grosse Festessen 
noch einmal die Meisten der Theilnehmer im Mozart¬ 
saale der Liederhalle zu ungebundener Fidelität. 
Lebendig war der Fluss der Toaste: von Sick auf 


Ihre Majestäten den deutschen Kaiser und den König 
von Württemberg, Weiss (Gmünd) auf Ihre Majestät, 
die Königin - Wittwe Olga, Häh nie (Reutlingen) 
auf Hahnemann und die Homöopathie, Villers 
auf den Vorstand des Central Vereins, Kröner 
auf den Kassen Verwalter, Windelband (Berlin) 
und Kallenbach (Rotterdam) auf die Damen, 
beide in gelungener gebundener Form und lau¬ 
niger Weise. Der mitanwesende Vorsitzende der 
Liederhalle toastirte auf das Wohl des Central¬ 
vereins ; Windelband dankte im Namen des 
Letzteren. Zur Erhöhung der Fidelität hatte 
Mossa (Stuttgart) ein Carmen festivale gedichtet, 
welches in famosem Latein abgefasst war und nach 
der Melodie: „Gaudeamus igitur“, von der Fest¬ 
versammlung upter allgemeiner Heiterkeit gesungen 
wurde. Auf ein Huldigungstelegramm an Ihre 
Majestät, die Königin-Wittwe und Se. Majestät den 
König liefen folgende Antworten ein: Auf das Be- 
grüssungstelegramra an Se. Majestät den König 
erhielt der Vorsitzende die Antwort: Se. Königl. 
Majestät haben die Huldigung der 60. General¬ 
versammlung des homöopathischen Centvalvereins 
Deutschlands wohlwollend aufgenommen und lassen 
Allerhöchst Ihren gnädigsten Dank hierfür aus¬ 
sprechen. Kabinet des Königs: v. Herrn an. — Auf 
das Begrüs8ung8telegramm an Ihre Majestät die 
Königin Olga erfolgte die Antwort: Für Ihre Be- 
grüssung herzlich dankend, wünsche der Versamm¬ 
lung praktische Resultate für das Wohl der Mensch¬ 
heit und Gedeihen der Homöopathie, der ich mit 
voller Ueberzeugung zustimme. Olga. 

Eine zu Gunsten der Wittwenkasse von Frau 
Dr. Grünewald unter Führung des Kassen¬ 
verwalters freundlichst veranstaltete Sammlung er¬ 
gab das erfreuliche Resultat von 250 Mark. 

Nach Beendigung des Diners führten bestellte 
Extrawagen der Pferdebahn die Festgesellschaft 
nach dem Bahnhofe der Zahnradbahn zu einer Berg¬ 
fahrt nach dem Schweizerhaus in Degerloch, wo 
der Kaffee eingenommen und später ein prächtig 
gelegener Aussichtsthurm bestiegen wurde. Der 
Abend vereinigte die noch anwesenden Festgenossen 
noch einmal im schönen Stadtgarten bis zu später 
Abendstunde, worauf man sich mit dem gewiss 
allgemeinen Bewusstsein trennte, in Stuttgart einer 
der schönsten und gelungensten General-Versamm¬ 
lungen des Centralvereins beigewohnt zu haben. Mit 
Dankbarkeit für das Genossene, mit Anerkennung 
für das Gebotene wird Jeder, der daran Theil ge¬ 
nommen hat, der Liebenswürdigkeit und Gastfreund¬ 
schaft unserer lieben Collegen im Schwabenlande 
für immer gedenken! — 

Dr. med. Stifft. 


9 * 


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Ueber die Art und Weise der 
Einwirkung des genins epidemicns. 

Vortrag, gehalten auf der 1. Generalversammlung 
der Epidemiologischen Gesellschaft zu Stuttgart, 

am 8. August 1892 von Dr. Le es er-Bonn. 

In meinem auf der vorjährigen Berliner Central - 
Vereinsversammlung gehaltenen Vortrage »Gedanken 
über eine neue Pathologie“ habe ich bereits aus¬ 
geführt, dass die Krankheit in letzter Linie auf 
der Alteration einer oder mehrerer in Zusammen¬ 
hang stehender Nervencentren beruhe, und eine 
Hypothese aufgestellt über das Zustandekommen 
dieser Alteration, die ich heute in etwas berich¬ 
tigen muss. 

Es ist ja von vornherein klar, dass ein durch¬ 
weg normal functionirendes Nervensystem durch 
allerlei accidentelle Schädlichkeiten, wie Erkältung, 
Erhitzung, Erschütterung, geringgradige Verletzung, 
Geistes- und körperliche Anstrengung, ja selbst 
durch nicht zu massenhafte» Invasion von Bacillen 
und anderen Fremdstoffen und -körpern, kurz, 
durch allerlei Momente, die nicht direkt eine che¬ 
mische oder physikalische Veränderung eines oder 
mehrerer Gewebe oder Organe bewirken, nicht in 
einer Weise alterirt werden kann, dass eine mehr 
als vorübergehende Störung des Allgemeinbefindens 
daraus resultiren könnte. Denn innerhalb gewisser 
Grenzen tritt die Restitutionskraft des Organismus 
sofort wieder in ihre Rechte; so lange eben dem 
Nervensystem keine über seine Leistungsfähigkeit 
hinausgehende Reaction zugemutbet wird, regulirt 
sich Alles wieder von selbst. Anders verhält es 
sich indess, wenn die genannten Schädlichkeiten 
auf einen locus minoris resistentiae einwirken, wenn, 
wie ich bereits an genannter Stelle ausgeführt habe, 
ein primo loco verändertes, im Zustande geringerer 
Widerstandsfähigkeit befindliches Nervencentrum 
vorhanden ist Ich hatte nun geglaubt, dass diese 
ursprüngliche, zum Zustandekommen eines Krank¬ 
heitsbildes erforderliche Alteration eines Nerven- 
centrums durch die Einwirkung des genius epide- 
micus hervorgerufen werde. 

Bei näherer Ueberlegung musste ich mir indess 
sagen, dass dies nicht gut der Fall sein könne, da 
von einem absolut gesunden Nervensystem, wie die 
tägliche Beobachtung lehrt, der Einfluss des genius 
epidemicus ebensowenig empfunden wird d.h. keinerlei 
subjectiven Empfindungen hervorruft, wie die Ein¬ 
wirkung der accidentellen Schädlichkeiten. Es 
musste mithin noch ein drittes Etwas existiren als 
Grundbedingung für das Zustandekommen einer 
Krankheit Was als diese dritte Wurzel der Krank¬ 
heit, als die eigentliche prima causa morbi anzu¬ 
sehen sei, darüber war ich mir nicht so recht klar, 
bis ich das im Herbste vorigen Jahres erschienene 


Werk von Prof. Jaeger »ötoffwirkung in Lebe¬ 
wesen“ gelesen hatte. 

Jaeger führt als Krankheitsursache neben an¬ 
deren die chronische Vergiftung des Organismus 
durch Aufspeicherung von Selbst- und Fremdgiften 
an. Diese Ueberladung des Körpers mit Selbst- 
und Fremdgiften im weitesten Sinne ist es nun in 
der That, welche ein Nervencentrum primo loco 
zu alteriren im Stande ist und mithin die prima 
causa morbi bildet 

Jaeger führt ausserdem als Krankheitsursachen 
noch ungenügenden resp. übermässigen Organ¬ 
gebrauch, sowie Ueber- und Unterernährung au£ 
welche Momente aber wieder in letzter Linie sämmt- 
lich eine Ueberladung des Körpers mit Fremdstoffen 
im Gefolge haben. Bei ungenügendem Organ¬ 
gebrauch werden die normaler Weise gebildeten 
Zerfallsprodukte der Gewebe nicht genügend abge¬ 
führt, während bei übermässigem Organgebrauch 
die Zerfallsprodukte in höherem Masse gebildet 
werden, als sie normaler Weise ausgeschieden 
werden können. Dass bei Ueberemährung die un¬ 
genügend verbrannten Stoffe sich in den Geweben 
aufspeichern, bedarf keiner weiteren Erklärung, 
während bei chronischer Unterernährung der Körper 
ebenfalls nicht im Stande ist, die normalen Ver- 
brennungsproducte aus Fett und Eiweiss in genü¬ 
gender Menge auszuscheiden, da ja die Ausschei¬ 
dungsorgane nicht kräftig genug functioniren. 

Diese chronische, in Aufspeicherung von Fremd- 
und Selbstgiften in weitestem Sinne bestehende, 
Vergiftung des Organismus können wir mithin als 
prima causa morbi betrachten, zu welcher als 
secundäres Moment erst die accidentelle Schädlich¬ 
keit tritt. Selbst die bei der Krankheitsentstehung 
ohne Zweifel in Betracht kommenden ererbten Dis¬ 
positionen und erworbenen Constitutionsanomalien 
sind unter den Begriff der chronischen Vergiftung 
zu subsummiren, da beide zu einer Ueberladung 
mit Fremdstoffen in letzter Linie führen, weil hier 
wiederum das Gleichgewicht zwischen Bildung und 
Ausscheidung von Selbst- und Fremdgiften nicht 
vorhanden ist. 

Es ist mithin die Möglichkeit einer Erkrankung 
gegeben, wenn eine der genannten accidentellen 
Schädlichkeiten zu der chronischen Vergiftung des 
Organismus hinzutritt, indem die ersteren in dem 
durch die letztere geschwächten Nervencentrum, 
resp. in den geschwächten Organen und Geweben 
einen Angriffspunkt finden. Es fragt sich nun, ob 
diese beiden Momente zur Entwickelung einer 
Krankheit genügen, resp. ob noch ein drittes Agens 
hinzutreten muss. 

Im Grunde genommen ist ja die accidentelle 
Schädlichkeit nur eine wenn auch zum Theil der 
Qualität nach verschiedene Vermehrung der Ver* 
giftung des Organismus und kann ebenso wie die 


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69 


Ueberladnng mit Selbst- and Fremdgiften bis za 
einem relativ hohen Grade vom Körper ertragen 
werden, so lange die Gewebe noch nicht übersättigt 
sind, ohne dass es za einer mehr oder weniger 
plötzlichen Entladung kommt. So lange diese Ent¬ 
ladung nicht erfolgt, sind keinerlei Symptome vor¬ 
handen, welche man als krankhafte bezeichnen 
könnte. Erst die Entladung der * aufgespeicherten 
Gifte geht unter Erscheinungen vor sioh, welche 
wir mit den Namen «Krankheit* belegen. Denn 
was ist Krankheit? Weiter nichts, als die ßeaction 
des Organismus gegen die Einwirkung von Heizen, 
Fremdstoffen, Giften, also ein Bewegungsprocess. 
Damit ist schon gesagt, dass ausser den beiden ge¬ 
nannten Momenten der chronischen Vergiftung und 
der accidentellen Schädlichkeit noch ein Agens 
nothwendig ist, um die aafgespeicherten in den 
Geweben ruhenden Fremdstoffe etc. in Bewegung 
und zur Ausstossung zu bringen. Dieses Agens 
ist nun der genius epidemicus, der durch Ein¬ 
wirkung auf ein bestimmtes Nervencentrum zunächst 
in diesem und weiterhin in den von ihm versorgten 
Geweben und Organen eine Bewegung hervorbringt 
und so den Anstoss zur Ausscheidung der ange 
sammelten Krankheitsstoffe giebt. 

Ich konnte daher s. Z. wohl mit Recht von der 
krankmachenden Eigenschaft des genius epidemicus 
sprechen. Aber der genius epidemicus hat nicht 
nur die Eigenschaft, die Entladung der Krankheits¬ 
stoffe — wenn ich mich so ausdrücken darf — 
zu erregen, sondern auch für die Ausscheidung 
dieser Stoffe eine ganz bestimmte Richtung anzu¬ 
geben, den Weg anzuweisen, auf welchem diese 
Entladung vor sich zu gehen hat. Dieser Weg 
tritt für uns in die Erscheinung in Form der 
Krankheitssymptome, der genius epidemicus ist mit¬ 
hin für die Entstehung der Symptome verantwort¬ 
lich zu maohen, er drückt gewissermassen der 
Krankheit den Stempel auf. 

Wenn wir die Einwirkung der drei einzelnen 
für das Zustandekommen der Erkrankung noth- 
wendigen Factoren klarstellen wollen, so können 
wir sagen, dass die chronische Vergiftung die 
Ueberladnng des Organismus mit Fremd- und Selbst¬ 
giften, die Disposition zur Erkrankung schafft, dass 
die * accidentelle Schädlichkeit die Qualität des 
Krankheitsprocesses bestimmt, und dass der genius 
epidemicus die Symptome der Krankheit erzeugt 
Von diesen drei Momenten ist der genius epide¬ 
micus am meisten dem Wechsel unterworfen, mit¬ 
hin ist es auch erklärlich, wie bei demselben 
Krankheitsprocesse die Symptome, die ja an den 
genius epidemicus gebunden sind, häufig wechseln 
können, wie sogar die einzelnen Krankheitsbilder, 
namentlich bei chronischen Krankheiten — chro¬ 
nische und akute Erkrankungen unterscheiden sich 
durch die mehr oder weniger grosse Plötzlichkeit und 


Intensität der Entladung von Krankheitsstoffen — 
beständig wechseln können, indem bald dieses, bald 
jenes Organ als Ausgangspforte für die Fremdstoffe 
benutzt wird. So kann auf einen Schnupfen ein 
Lungencatarrb, auf diesen ein Rheumatismus, auf 
diesen ein Hautausschlag, sodann eine Neuralgie etc. 
folgen, ebenso wie bei einer akuten, z. B. Infections- 
krankheit bald die Himsymptome, bald Darm-, bald 
Nierensymptome in den Vordergrund treten. 

Es mag Manchem befremdlich erscheinen, dass 
der genius epidemicus ein krankmachendes Agens 
sein soll, und in der That haben mir verschiedene 
Oollegen, unter Anderen auch unser allverehrter 
College Weihe, ihren Zweifel darüber ausgedrückt. 
Letzterer schrieb mir einen Brief, aus dem ich die 
betreffende Stelle, die von allgemeinem Interesse 
ist, wörtlich anführe. Er sagt: 

„ Nur über die Rolle des genius epidemicus beim 
Zustandekommen der Krankheit bin ich mir noch 
nicht so recht klar. Dass er es sei, welcher die 
Centralorgane so alterirt, dass sie dadurch äusseren, 
feindlichen Anstössen erliegen und in einen Zustand 
gerathen, der als sogenannte Krankheit in die Er¬ 
scheinung tritt, hat ja für viele Formen derselben 
etwas sehr Bestechendes, für andere aber auch 
wieder nicht Ich muss aber auch sagen, dass mir 
diese Auffassung einigermassen den Principien der 
Natur zu widersprechen scheint, die ja, wenn auch 
in etwas sehr plumper und bärenmässiger Weise, 
darauf bedacht ist, das Wohlergehen ihrer Geschöpfe, 
so viel ihr möglich, zu befördern. Sie schafft für 
sie Licht, Luft und Nahrung, Instincte aller Art, 
die sammt und sonders hinauslaufen auf möglichste 
Erhaltung des Individuums, Erhaltung der Art und 
Veredelung beider. Mit diesen Prinoipien würde 
es sich schlecht vereinigen lassen, wenn sie ein 
Agens geschaffen hätte, das direkt hemmend, läh¬ 
mend, vergiftend auf die Functionen der Organe 
jeglicher Creatur zu wirken bestimmt sei. Solcher 
Agentien giebt es ja freilich genug, sie sind aber 
doch keine eigentlichen Natur-, sondern mehr Kunst¬ 
produkte der Menschenwelt, und da, wo sie in¬ 
direkt doch ausschliesslich aus der Hand der Natur 
hervorgehen, wie das z. B. bei den Bakterien der 
Fall, können wir solchen Feinden unseres Lebens 
theils aus dem Wege gehen (Fiebersümpfe in 
Afrika) theils sie vernichten (Anpflanzung von 
Eucalyptus), theils aber auch erfahren wir, dass 
gegen sie die Natur in unserem eigenen Blute 
schätzenswerthe Agentien vorgesehen hat, die nur 
in solchen Organismen fehlen oder nicht genügend 
kräftig mehr vorhanden sind, die schon durch 
anderweitige Einwirkungen so geschädigt und 
heruntergebracht sind, dass sie zu einem erfolg¬ 
reichen, Freude und Nutzen bringenden Leben nicht 
so recht mehr tauglich erscheinen (Tuberculose). 

Anders steht es mit dem genius epidemicus, 


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70 


dem wir ans absolut nicht entziehen können, der 
auf jedes Alter und Geschlecht, jeden Stand, in 
jedem Klima seine Einflüsse zur Geltung bringt. 
Dass hei der Entstehung der Krankheiten minde¬ 
stens noch viele anderen Einflüsse mitwirken, 
scheint mir aus einem Vergleich des Gesundheits¬ 
standes verschiedener Schichten und Stände ein und 
desselben Volkes hervorzugehen. Man vergleiche 
z. B. die oberen reichen Stände Englands mit den 
niederen daselbst. Dort Kraft, Schönheit, Gesund¬ 
heit , hier ein erschreckender Grad körperlicher, 
geistiger und seelischer Entartung, die genau im 
Verhältniss steht zu der Verschiedenartigkeit der 
Lebensbedingungen, unter denen diese Gesellschafts¬ 
klassen leben. 

Ich habe mir deshalb denn auch die Entstehung 
der Krankheiten zu erklären gesucht aus der Ab¬ 
weichung von den normalen, idealen Lebensbedin¬ 
gungen, denen wir alle mehr oder weniger ge¬ 
zwungen unterworfen sind, und den durch sie ge¬ 
setzten pathogenen Reizen, als da sind Hunger und 
Kummer, Frost und Hitze, Gestank, Aerger, Ver¬ 
druss, Ausschweifungen in baccho et venere etc. 
All dergleichen muss nothwendig die Central Organe 
in der mannigfaltigsten Weise alteriren, überreizen, 
lähmen, in ihren Functionen modificiren. Es er¬ 
scheint mir nicht ganz unmöglich, dass diese 
Centralorgane fähig sind, eine mehr oder weniger 
grosse Anzahl solcher sie nach einander treffenden 
pathogenen Reize festzuhalten, gewissennassen nach 
der Art der Accumulatoren in sich anzusammeln. 
Dass nun aber auch solche Ansammlungen sich 
unversehrt auf die Nachkommen übertragen lassen 
und von diesen bald vermehrt, bald vermindert 
werden, lehrt doch gewiss auch die tägliche Er¬ 
fahrung. Wie viel haben doch häufig die Kinder 
zu leiden von den Folgen des potatoriums ihrer 
Eltern. Dass aber in der That das Nervensystem 
im Stande ist, ihm von aussen zukommende Reize 
und Eindrücke unendlich lange festzuhalten, das 
lehren uns ja die physiologischen geistigen Funk¬ 
tionen unseres Gehirns. Die Kraft unseres Gedächt¬ 
nisses und unser ganzer jeweiliger Wissensumfang 
beruht ja ganz und gar darauf. Warum soll der¬ 
gleichen nicht auch in pathologischem Sinne mög¬ 
lich sein? Ein anhaltender tiefgehender Gram kann 
verändernd auf unseren ganzen Charakter ein wirken 
und in seinen Folgen durch das ganze Leben sich 
verlängern, auch wenn die Ursache, die ihn hervor¬ 
gerufen, längst beseitigt worden. 

Dem genius epidemicus war ich bisher geneigt, 
mehr eine sanitäre Rolle zuzutheilen, so etwa die 
des Hechtes im Karpfenteiche, so eine Art Ferment¬ 
wirkung, bestimmt, dafür zu sorgen, dass die in 
den Centralorganen des Nervensystems vielleicht in 
langen Generationen auf gespeicherten chronischen 
Reize nicht allzusehr festrosten, dass sie mobilisirt, 


im Körper vertheilt und auf die mannigfaltigen 
einzelnen Organe desselben abgeleitet werden, wo 
sie darnach vielleicht für den Bestand des Lebens 
weniger gefährlich werden, als an ihrem ursprüng¬ 
lichen Aufnahmeort. 

Der genius epidemicus wirkt vielleicht nur aus¬ 
nahmsweise heilend, indem er sogenannte Natur¬ 
krisen erzeugt; 'dafür bereitet er aber vielleicht in 
allen Fällen die Heilung vor, indem er den Orga¬ 
nismus in bestimmter specifischer Weise für die 
Wirkungen der heilenden Agentien prädisponirt. 
Die Natur braucht bei solchen gar nicht einmal 
unsere epidemischen Mittel vorgeschaut zu haben. 
Wenn man bedenkt, wie ausserordentlich wenig 
materiellen Stoffes es bedarf, um eine Heilwirkung 
anzuregen und zugleich auch, dass unsere Arznei¬ 
mittel grösstentheils den mineralischen Urstoffen 
und den aus ihnen emporwachsenden Pflanzen ent¬ 
stammen, so kann man sich gewiss auch vorstellen, 
dass gar manchmal die richtigen Heilmittel ganz 
durch Zufall durch die Luftwege oder auch in 
Speise und Trinkwasser unseren nervösen Central¬ 
organen zugeführt werden, und dass somit gar 
viele scheinbar reine Naturheilungen in gewissem 
Sinne auch wieder als durch den Zufall bewirkte 
Kunstheilungen zu denken wären. Jaeger hat sich 
ja auch in ähnlichem Sinne ausgesprochen, wo er 
die Aufmerksamkeit lenkt auf Gebirgs- und Seeluft. 
Wollte man den genius epidemicus ansehen als ein 
Agens, das auf alle Kreatur lähmend, hemmend 
wirkte, so würde sich das mit dem von E. v. Hart¬ 
mann nacbgewiesenen in der Natur waltenden Pan¬ 
logismus schlecht vereinigen, denn die Natur bei 
ihrem Entwickelungs- und Veredelungsdrange bat 
nur ein Interesse daran, diejenigen ihrer Geschöpfe 
zu schädigen und aus der Welt zu schaffen, die 
ihren Zwecken und Ideen entweder gar nicht mehr 
oder in nur unvollkommener Weise entsprechen, wäh¬ 
rend sie alle anderen, bei denen das Gegentheil 
der Fall, soviel wie möglich zu schützen und zu 
fördern sucht. Gäbe es keinen genius epidemicusf 
so würden vielleicht der chronische Rheumatismus, 
Eczeme, Magen- und Darmcatarrhe, nervöse Dyspep¬ 
sien u. s. w. u. s. w. viel seltener sein, dafür aber 
vielleicht Epilepsie, intellectueller und moralischer 
Blödsinn, Gehirnerweichung, chronische Myelitis, 
Tabes dorsualis, um so häuflger. Es wäre also 
immerhin doch denkbar, dass der genius epidemicus 
keine neuen direkten Krankheitsreize setzt, sondern 
nur die im Körper schon mehr oder weniger lange 
im Zustande der Latenz vorhandenen erweckt und 
sie damit zur gänzlichen Ableitung ans dem Körper 
prädisponirt. Es ist das ja natürlich auch alles 
nur Theorie und Hypothese, aber schliesslich muss 
es ja doch nochmal gelingen, hinter den wahren 
Sachverhalt zu gelangen.“ 

So weit Weihe. Sie sehen, m. H., dass ich 


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71 


nach meinen vorhergegangenen Ausführungen fast 
jedes Wort unterschreiben kann, und dass ich mich 
jetzt keineswegs mehr im Widerspruche mit unserem 
verehrten Collegen befinde. Fasst man eben, wie 
ich dies klar zu machen versucht, die Krankheit 
als eine Krise, einen Reinigungsprocess, ein Be¬ 
streben des Körpers auf, sich der Schlacken zu 
entledigen und gesund zu werden, gewissermassen 
als ein Vorstadium der Gesundheit, so hat man die 
Berechtigung, dem genius epidemicus sowohl eine 
reinigende, gesund machende, als krankheitserregende 
Bedeutung zuzuschreiben, da in diesem Falle ja 
beides gleichbedeutend ist. Dass durch den genius 
epidemicus bei zu sehr.mit Krankheitsstoffen über¬ 
ladenen Individuen manchmal zu starke Entladungen 
sog. tödtliche Erkrankungen hervorgerufen werden, 
sodass das Individuum dabei zu Grunde geht, 
ändert an dem Wesen der Sache nichts; der genius 
epidemicus behält trotzdem seine reinigende, gesund- 
machende Eigenschaft. 

Was resultirt nun aber aus diesem Verhalten 
des genius epidemicus für die Therapie? Sieht 
man den genius epidemicus, wie ich dies früher 
gethan, als ein hemmendes Moment an, das im 
Centralorgan einen Locus minoris resistentiae schafft, 
so kann man nicht umhin, zu sagen, dass das 
diesem genius epidemicus entsprechende Heilmittel 
diese hemmende Wirkung paralysirt, um der Resti- 
tutionskraft des Organismus es zu überlassen, die 
accidentelle Schädlichkeit abzustossen. Wie verhält 
sich indess die Heilpotenz, wenn man den genius 
epidemicus, wie ich es jetzt gethan, als ein Agens 
betrachtet, welches die Lösung der Krankheitsstoffe 
aus dem Körper herbeizuführen bestrebt und ge¬ 
eignet ist, welches an und für sich schon eine Ent¬ 
ladung des Körpers von Fremdstoffen, eine Ge¬ 
sundung herbeiführt? Hier kann das Heilmittel, 
welches die durch den genius epidemicus ins Werk 
gesetzte Naturheilung — alle Naturheilungen sind 
als durch den genius epidemicus hervorgerufen zu 
erklären — zu unterstützen resp. zu beschleunigen 
im Stande ist, nur in derselben Weise und in der¬ 
selben Richtung wirken, wie der genius epidemicus 
d. h. cumulativ. 

Wie der genius epidemicus durch Einwirkung 
auf ein nervöses Centralorgan in dem von diesen 
versorgten Organen und Geweben eine Bewegung 
hervorbringt, welche die Abstossung von Krank¬ 
heitsstoffen zum Zweck hat, so wirkt auch die 
Heilpotenz auf dasselbe Centrum in ähnlicher Weise 
ein, indem sie ebenfalls durch Anregung des Stoff¬ 
wechsels die betreffenden Organe und Gewebe in 
den Zustand erhöhter Thätigkeit versetzt. Diese 
gemeinsame Bestrebung von genius epidemicus und 
entsprechendem Heilmittel, die vorhandenen Krank¬ 
heitsstoffe aus dem Körper zu entfernen, hat 
natürlicher Weise eine starke Vermehrung des 


Stoffwechsels zur Folge, welche sich in den soge¬ 
nannten kritischen Ausscheidungen äussert. 

Nach Einnehmen des epidemischen Mittels ge¬ 
wahren wir nämlich ausser der unmittelbar nachher 
auftretenden erhöhten Pulsfrequenz Absonderungen 
verschiedener Art, von Schweiss, von harn- und 
phospborsauren Salzen im Urin, Schleimsecretion 
in verschiedenen Organen, Blutungen, Hautaus• 
Schläge, Blutgeschwüre, mit einem Worte Zeiohen 
eines erhöhten Stoffwechsels. Indem das Heilmittel 
mit dem genius epidemicus also gewissermassen an 
demselben Strange zieht, indem es die von dem 
genius epidemicus angebahnte an und für sich 
langsamere Naturheilung in eine schnellere Kunst¬ 
heilung verwandelt, bringt es auch die durch den 
genius epidemicus hervorgerufenen Symptome zum 
Verschwinden, weil nach vollständiger Abstossung 
der Krankheitsstoffe wieder ein relativer Ruhe¬ 
zustand in den Geweben und Organen eintritt, der 
ebenso symptomlos ist wie der vor der Einwirkung 
des betreffenden genius epidemicus. 

Nicht jeder genius epidemicus ist nämlich bei 
einem bestimmten Individuum die Abstossung der 
Selbst- und Fremdgifte herbeizuführen geeignet, 
sondern nur deijenige, der eine specifische Affinität 
zu dem geschwächten Nervencentrum vermöge 
seiner Symptomenähnlichkeit besitzt. Dieser genius 
epidemicus lockt gewissermassen aus dem prädis- 
ponirten, d. h. durch Anhäufung von Fremd- und 
Selbstgiften und Einwirkung von accidentellen 
Schädlichkeiten in einem nervösen Centralorgan 
geschwächten Körper diese Krankheitsstoffe heraus; 
der sogenannte * krankhaft disponirte“ Organismus 
reagirt auf den Beiz des genius epidemicus mit ge¬ 
wissen Symptomen, sog. Krankheitssymptomen. 

Mit ähnlichen Symptomen reagirt der gesunde 
oder relative gesunde Körper auf die Einwirkung, 
den Beiz eines Arzneistoffes, indem er theils die 
vorhandenen, theils die durch das Gift der Arznei 
gesetzten Krankheitsstoffe ausstösst. 

Ich habe früher bereits auseinandergesetzt, dass 
genius epidemicus und Arznei deshalb ähnliche 
Symptome machen, weil sie beide in ähnlicher 
Weise dasselbe nervöse Centralorgan alteriren. 
Mit anderen Worten also: Ein bestimmter genius 
epidemicus ruft natürlicherweise ähnliche 
Symptome am Organismus hervor, wie eine 
gewisse Arznei künstlicher Weise, mithin 
sind genius epidemicus und entsprechende Arznei 
in Bezug auf ihre Wirkung einander ähnlich. Diese 
Aehnlicbkeit erstreckt sich aber nicht nur auf die 
Erzeugung von Symptomen, sondern auch, wie wir 
gesehen haben, auf die Entladung des Körpers von 
Fremdstoffen, woraus wir auf den Zusammenhang 
des letzteren, mit den Symptomen schliessen können. 
Indem also das dem genius epidemicus Symptomen- 
ähnliche Arzneimittel in ähnlicher Weise wie jener 


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72 


auf den Körper einwirkt, indem es in ähnlicher 
Weise wie jener die Entladung des Organismus von 
Fremdstolfen bewirkt, löscht es die durch den 
genius epidemicus hervorgerufenen Symptome aus, 
oder führt mit anderen Worten die Heilung der 
Krankheitssymptome herbei — die einfachste Er¬ 
klärung des Satzes: similia similibus curantur. 

Etwas Aehnliches hat offenbar Hahnemann vor¬ 
geschwebt, als er das Aehnlichkeitsgesetz erklärte: 
die hinzutretende künstliche Krankheit ist stärker 
als die natürliche und beseitigt so die letztere. 
Wenn wir statt „künstlicher Krankheit“ Arznei¬ 
wirkung und statt „natürlicher“ Wirkung des genius 
epidemicus setzen, so können wir uns die Hahne- 
mann’sche Erklärung einigermassen plausibel machen, 
wenn wir eben die Wirkungen von Arznei und 
genius epidemicus nicht als feindliche, sondern als 
gemeinsam in derselben Richtung, cumulativ wir¬ 
kende auf fassen. 

Diese gegebene Erklärung des Aehnlichkeits- 
gesetzes hat nicht nur den Vorzug, die einfachste 
zu sein, sondern auch noch den, dass sie die viel¬ 
umstrittene Dosenfrage nicht berührt, indem sie 
nicht auf den Antagonismus zwischen grossen und 
kleinen Gaben derselben Arznei sich stützt. Sie 
wirft sogar ein neues Schlaglicht auf die Dosen¬ 
verhältnisse und erklärt uns die sog. Erstver¬ 
schlimmerungen. Die Heilpotenz muss stets eine 
Anregende sein, da der Stoffwechsel durch sie be¬ 
schleunigt werden soll, das Heilmittel muss in 
seiner Dosis also stets nach oben hin jenseits des 
zweifellos individuell verschiedenen Indifferenz¬ 
punktes gegriffen werden, um eine ideale Heilung 
zu erreichen, da ja ein Belebungseffect erzielt 
werden mnss. Bei zu starken, aber noch beleben¬ 
den Gaben tritt eine Erstverschlimmerung ein, indem 
die durch den genius epidemicus bewirkte Aus¬ 
scheidung von Krankheitsstoffen zu sehr verstärkt 
wird durch die Ausscheidung des ähnliche Symptome 
bewirkenden Arzneistoffes, mithin die Symptome 
sich verschlimmern; daher heilen in der Regel die 
Hochpotenzen viel rascher und unmittelbarer, weil 
sie ohne zu starke Häufung der Reize, also ohne 
vorhergehende Erstverschlimmerung, noch beschleu¬ 
nigend auf die Ausstossung von Krankheitsstoffen 
einwirken. 

A priori muss man überhaupt annehmen, dass 
jede Heilpotenz, die, wie wir gesehen haben, in 
derselben Richtung wie der genius epidemicus auf 
den Organismus, also entladend und zugleich symptom¬ 
erzeugend wirkt, jedesmal die vorhandenen Symptome 
verschlimmern wird, auch in noch so kleinen Gaben. 
In vielen Fällen sehen wir ja auch selbst bei 
relativ hohen Potenzen Verschlimmerungen durch 
die Arznei eintreten, sodass wir entweder die Nach¬ 
wirkung abzuwarten oder sofort zu einer höheren 
Verdünnung zu greifen gezwungen sind. In den 


Fällen, wo wir diese Erstverschlimmerung nicht 
beobachten, ist dieselbe entweder von so kurzer 
Dauer oder von so geringer Intensität, dass der 
Patient dieselbe nicht gewahr wird; darin hat offen¬ 
bar Hahnemann Recht, dass die Erstverschlimmerung 
um so geringer ausfällt, je verdünnter die Arznei 
verabreicht wird. Je empfindlicher und reizbarer 
andrerseits der Patient, je nervöser er ist, je mehr 
er also an Fremd- und Selbstgiften in sich auf¬ 
gespeichert hat, die das nervöse Centralorgan reizen, 
desto leichter macht die Arznei Symptome, mithin 
Erstverschlimmerung. Dasselbe ist ja auch bei der 
Prüfung der Arznei beim Gesunden resp. beim 
relativ Gesunden — absolut frei von Fremdstoffen 
dürfte wohl Niemand sein — der Fall Je mehr 
disponirt zur Erkrankung, je reizbarer das Indivi¬ 
duum, desto eher ist zu erwarten, dass es auf eine 
Prüfung mit Hochpotenzen, mit Symptomen reagirt, 
je torpider und gesunder der Organismus, desto 
massivere Gaben muss man zur Prüfung, und zwar 
oft längere Zeit fortgesetzt, anwenden. 

Gehen wir andrerseits unter den Indifferenz¬ 
punkt herunter zu Dosen, welche nicht mehr be¬ 
lebend, sondern hemmend resp. lähmend auf das 
nervöse Centralorgan wirken, so erzielen wir durch 
Hemmung resp. vollständige Behinderung der durch 
den genius epidemicus naturgemäss bewirkten Aus¬ 
scheidung der Krankheitsstoffe und mit der Ver¬ 
langsamung resp. Verhinderung der Krise eine 
Milderung der Symptome bezw. ein Verschwinden 
derselben, einen Zustand, der scheinbar eine Besserung 
resp. Heilung bedeutet, in Wirklichkeit aber nur 
einer Unterdrückung und einem Todtschlagen der 
Symptome gleichkommt. Sobald die Arznei Wirkung, 
die hier selbstredend nur eine palliative sein kann, 
vorüber ist, tritt die Entladung nebst ihren Symp¬ 
tomen mit vermehrter Intensität oder in anderer 
Form — je nach dem Gleichbleiben oder der in¬ 
zwischen erfolgten Veränderung des genius epide¬ 
micus (Herzfehler-Digitalis) — wieder auf, bis ihr 
entweder durch Naturheilung oder durch ein wahr¬ 
haft curatives Verfahren mit belebenden Dosen der 
ähnlichen Arznei ein Ziel gesetzt wird. Daher 
kommt es, dass der Allopath und auch der Tief¬ 
potenzier oft viel schlagendere Erfolge durch Be¬ 
seitigung von Symptomen erzielt, als der Hoch¬ 
potenzier, während er viel seltener als dieser die 
Freude hat, seinen Patienten vollständig gesunden 
zu sehen. 


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78 


Bericht über die 1. Generalversamm¬ 
lung der Epidemiologischen Gesell¬ 
schaft zn Stuttgart am 8. August 1892. 

Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart. 

Anwesend waren 9 Mitglieder, die Collegen: 

Dr. Luser-Bonn, 

Dr. Weiss- Gmünd, 

Dr. A7r/»-Pforzheim, 

Dr. Grünewald -Frankfurt a M., 

Dr. //^/-Ravensburg, 

Dr. S/£wif*///-Spaichingen, 

Dr. S im rock- Frankfurt a. M., 

, Dr. lde- Stettin, 

Dr. G^Arftfti-Stuttgart. 

Ausserdem hatten sich 5 Gäste eingefunden, 
von denen sich am Schluss der Versammlung 3 als 
Mitglieder anmeldeten, nämlich 
Prof. Dr. G. Stuttgart, 

Dr. Siegrist- Basel, 

Dr. A»£&/ 0 r-Stettin und später noch 
Dr. //«/Wi-Neustadt a, H. 

Nach herzlicher Bewillkommnung durch den 
Vorsitzenden Leeser trat man in die Tagesordnung 
der geschäftlichen Sitzung um Ubr ein. Zu 
Punkt 1 und 2 gab Ref. die nöthige Auskunft. 
Hiervon wollen wir nur hervorheben, dass die 
Epidemiologische Gesellschaft 16 Mitglieder zählte, 
deren Zahl sich jetzt auf 22 erhöht. Ungefähr 
alle 8 Tage theilte der Schriftführer die ihm zu¬ 
gegangenen Berichte den Mitgliedern mit. Nach Ab¬ 
legung des Rechenschaftsberichtes schlug Ref. vor, 
ein Eintrittsgeld von 5 Mk. und 3 Mk. Jahresbei¬ 
trag festzusetzen, was ohne Debatte genehmigt 
wurde. 

Der Punkt 3 der Tagesordnung, der Antrag 
des Coli. Simiock betr. Abänderung des § 2 der 
Statuten gab zur Aeusserung mehrfacher Wünsche 
bezüglich der Art der Mittheilungen Anlass. Da 
nach der bisherigen Fassung des Abs. 1 des § 2 
Mittheilung über — auch nach anderen Methoden 
als. der Weihe’schen gefundene epidemische Heil¬ 
mittel nicht ausdrücklich angeführt waren, betonte 
Ref., dass die Mittheilungen von solchen — nach 
den verschiedensten Methoden ermittelt — dringend 
gewünscht seien, ferner, dass negative Berichte über 
das Fehlen von zeitweilig herrschenden Mitteln 
ebenso wichtig seien, wie die positiven. Coli. Weiss 
wünscht besonders für die Veröffentlichung in der 
Allgem. Hom. Zeitung eine zusammen fassende Be¬ 
arbeitung der Berichte, da hierdurch auch die 
unseren Bestrebungen Fernerstehenden weniger sich 
daran stossen würden, als es zum Teil der Fall ist. 
Ref. versprach diesen Wunsch möglichst zu berück¬ 
sichtigen, soweit dies ohne Beeinträchtigung der einzel¬ 
nen Beobachtungen geht, denn wie er nachher in sei- 


nemVortrage ausführte, dürfen wir uns nicht.zu sehr 
durch bestehende Vorurtheile in unseren Forschungen 
bezüglich der Epidemiologie beschränken lassen. 
Coli. Leeser schlägt nun eine verbesserte Fassung 
des § 2 vor, die auch einstimmig angenommen wird. 

Danach machte Ref. zu Punkt 4 die in Nr. 7/8 
bei den Mittheilungen über die zeitweilig herrschen¬ 
den Heilmittel veröffentlichten Vorschläge behufa 
einheitlicher Berichterstattung und zeigte seine 
Tabellen vor, auf denen er seit dem 1. Jan. d. J. 
jedes Heilmittel verzeichnet, das er nach der Weihe¬ 
schen Methode angezeigt findet, sowie wie oft es 
angezeigt war. Hier werden auch die Mittheilungen 
der Mitglieder eingetragen, sodass diese Tabelle!! 
jederzeit die Kenntniss der jeweilig geherrscht 
habenden Heilmittel ermöglichen. 

Um 8 Uhr eröffnete Coli. Leeser die wissen¬ 
schaftliche Sitzung, deren Leitung ihm auch zufiel, 
da unser verehrter Ehrenpräsident Weihe leider 
nicht erscheinen konnte. Leeser hielt nun seinen 
Vortrag „über die Art und Weise der Einwirkung 
des Genius epidemicus“. Da dieser Vortrag in 
dieser Zeitung veröffentlicht wird, so will ich nur 
das eine hier bemerken, dass er ausserordentlich 
gefiel und dass die darin zum Ausdruck gebrachten 
Anschauungen von Allen als ein Fortschritt warm 
anerkannt wurden. An der sich daran anknüpfen¬ 
den Diskussion beteiligten sich die Anwesenden 
sehr rege. Prof. Jäger belebte diese besonders 
durch Ergänzung und Berichtigung einzelner Punkte 
aus dem Schatze seines reichen Wissens und der 
scharfen vorurtheilsfreien Beobachtung der Natur, 
die ihm eigen ist. Jäger hob hervor, dass nicht 
allein die Nervencentren als erste Angriffspunkte 
angesehen werden dürften, sondern auch die Gewebe 
für sich, da deren vermehrte Quellungsfähigkeit 
auch durch direkt auf diese ein wirkende Schäd- 
lichkeiten hervorgerufen werden könne, wohingegen 
Leeser die* Frage aufwirft, ob nicht dieser ver¬ 
schiedene Quellungsgrad der Gewebe in letzter 
Linie wieder durch die trophischen Nerven regulirt 
werde, eine Möglichkeit, die Jäger keineswegs be¬ 
streitet. Kirn glaubt, das sanirende Element liege 
in uns und werde von der regulatorischen Thätig- 
keit repräsentirt, während Leeser darauf hinwies, 
dass eben die acute Krankheit, sofern sie richtig, 
d. h. nicht naturwidrig behandelt wird, einen 
besseren Gesundheitszustand des betroffenen Indivi¬ 
duums herbeiführt, dass also das sanirende Element 
in uns selbst allein nicht kräftig genug sei, denn 
sonst liesse es keine so weitgehende Aufspeicherung 
von Giften zu. Weiss giebt Leeser die Aufgabe, 
seine Theorie an einer Krankheit zu exemplicifiren 
und schlägt als Paradigma die genuine croupöse 
Pneumonie vor, da von dieser mehr sog. gesunde 
Individuen befallen würden und doch entschieden 
der Micrococcus Pneumoniae als Krankheitserreger 

10 * 


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74 


anzusehen sei. Leeser antwortet, dass etwas Auf¬ 
speicherung von Giftstoffen, also eine gewisse Dis¬ 
position zu Krankheit doch jeder Mensch habe, die 
allein von einem gewissen Genius epidemicus, der 
eine specifische Affinität zu den Lungen vermöge 
seiner Symptomenähnlichkeit habe, in Bewegung ge¬ 
bracht werde; die entspeicherten Gifte bilden die 
Nahrungs- resp. Triebstoffe für die als accidentelle 
Schädlichkeit dazu kommende Kokken. Jäger er¬ 
innert in dieser Beziehung an die den Zungenbelag 
bildenden Pilze, deren Vegetation auch nur eine 
lebhaftere wird, wenn das Befinden des Individuums 
gestört ist, während sie doch in der Mundhöhle 
stets anwesend sind. 

Ide*s Frage, ob alle Krankheiten (natürlich mit 
Ausnahme der mechanischen u. ä.) vom Genius epi¬ 
demicus abhängen, bejaht Leeser und weist den 
Einwand, dass so vielerlei Krankheitsformen oft 
während einer Epidemie auftreten, doch nicht von 
demselben Einflüsse herrühren könnten, mit der 
Behauptung zurück, dass man den sog. Genius 
epidemicus als eine Vielheit, die aus verschiedenen 
Faktoren bestehe und in verschiedenen Richtungen 
wirken könne, auffassen müsse. 

Nun regte Jäger die Frage an: warum erkranken 
so und so viele Individuen nicht an einer Epi¬ 
demie? Als Grund hierfür werden zwei Möglich¬ 
keiten angeführt: erstens dass bei solchen die Auf¬ 
speicherung von Fremd- und Selbstgiften eine sehr 
geringe ist: zweitens, dass die Durchseuchung des 
der Wirkung des Genius epidemicus gerade unter¬ 
liegenden Organs eine so hochgradige ist, dass es 
gelähmt ist. Die Lähmung kann aber auch ein 
Kunstprodukt sein, herbeigeführt durch unrichtige 
Behandlung in früheren Krankheiten. 

Sigmund theilt aus dem epidemiologischen 
Kalender des verstorbenen Coli. Fischer-Weingarten 
mit, dass bei der Choleradisposition im Jahre 1868 
vermehrte Schimmelbildung und sehr gute Bier- 
gährung nebst hohem Ozongehalt der Luft beobachtet 
wurde. Im Anschluss daran betont Jäger, dass 
wir erst am Anfang unserer Arbeit, der Erforschung 
der bei epidemischen Erkrankungen in Betracht 
kommenden Faktoren, stehen und ermahnt, mit 
offenem, nicht durch vorgefasste Ansichten behin¬ 
dertem Auge nicht bloss den Menschen, sondern 
auch die ganze Natur zu beobachten. 

Kirn weist im Gegensatz zu dem Wechsel des 
Genius epidemicus auf die bei einer Person oft 
Jahre lang nützenden sog. Constitutionsmittel hin, 
worauf Leeser bezweifelt, ob dies auch immer das 
8imillimum und nicht bloss das simile seien, indem 
der epidemische Charakter nicht immer so ein¬ 
schneidende Veränderungen aufzuweisen habe. Jäger 
führt die Idiosynkrasie an, dass ein Organ auf den 
seinem Specificum ähnlichen Genius epidemicus be¬ 
sonders leicht reagire. Ref. erinnert an die That- 


Sache, dass in den letzten 4 Jahren bei Schwangeren 
nach Schmerzpunkten gewöhnlich in der Combi- 
nation Puls. od. RhodocL (Natr. sulf. + Puls.), 
dass bei zahnenden Kindern sehr häufig Phosph. 
-f- Iris = Kal. carb. oder seit 2 Jahren besonders 
Kal. carb. -{- Iris = Rheum. indicirt ist, und 
macht darauf aufmerksam, dass nun hier auch 
offenbar eine durch specifische Wachs thumreize eigen- 
thümliche Modification des Stoffwechsels vorliegt, 
deren Produkte Symptome unabhängig vom Genius 
epidemicus hervorzurufen im Stande sind, doch die 
Erfahrung wieder zeige, dass letzterer jedenfalls 
die Form der Krankheit und ihr Wesen mit be¬ 
stimmen hilft, indem meist der andere der Compo- 
nenten einer bei solchen Individuen vorkommenden 
Combination einem der zeitweilig herrschenden Heil¬ 
mittel entspricht. 

Dann kam man noch auf die Behandlung der 
Nervenkrankheiten speciell der Neurasthenie nach 
der Weihe’schen Methode zu sprechen, indem von 
einigen Collegen die Möglichkeit, mit Erfolg arznei¬ 
lich auf diese einzuwirken fast für ausgeschlossen 
gehalten wurde. Jäger entwickelte seine Ansicht 
über die functioneile Seite der Neurasthenie. In 
erster Linie ist eine mechanische Schädigung dafür 
verantwortlich zu machen, nämlich die durch all¬ 
zuhäufige Inanspruchnahme gewisser Nervenbahnen 
bedingte Ausschleifung der Reflexbahnen, also eine 
Verminderung der hemmenden Vorrichtungen, als 
welche die Ganglien anzusehen sind, die Körnung 
zeigen, während die Nervenzelle in normalem Zu¬ 
stand homogenen Inhalt zeigt. In zweiter Linie 
ist die durch Ueberanstrengung hervorgerufene 
Unterernährung der Gewebe zu berücksichtigen und 
die damit verbundene verminderte Widerstands¬ 
fähigkeit. Leeser und Ref. treten für die Mög¬ 
lichkeit, Neurasthenie nach der Weihe'schen Me¬ 
thode erfolgreich zu behandeln, gestützt auf Er¬ 
fahrungen ein — natürlich unter der Voraussetzung, 
dass zu gleicher Zeit Ruhe und zweckmässige Er¬ 
nährung ebenso sehr im Heilplan mit berücksichtigt 
werden als die Arzneien. 

Leeser bemerkte noch, dass man jeder Krank¬ 
heit von drei Seiten zu Leibe gehen könne, 1) durch 
Bekämpfung der Disposition, also Verhinderung der 
Aufspeicherung von Fremdstoffen, wie z. B. Jaeger 
dies durch seine Wollkleidung bezweckt, 2) durch 
Vermeidung der accidentellen Schädlichkeiten, z. B. 
Ruhe des Körpers und Geistes, Vermeidung schlechter 
Luft etc., und 3) durch Unterstützung der durch 
den genius epidemicus ins Werk gesetzten Natur¬ 
heilung , durch Arzneien. Bei der Neurasthenie 
müsse man alle drei Factoren berücksichtigen, um 
Heilung zu erzielen. 

Nachdem Jaeger nochmals die Nothwendigkeit 
methodischer Forschungen betont hatte, um die 
vielen noch unerledigten Fragen in der Epidemiologie 


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zu erledigen, und die Wichtigkeit der Weihe'sehen 
Methode wegen der durch sie jederzeit ermöglichten 
Auffindung des dem Wesen der Krankheit ent¬ 
sprechenden Heilmittels als wesentlichem Hülfsmittel 
bei diesen Forschungen allseitig anerkannt war, 
wurde die Diskussion geschlossen, die ebenso an¬ 
regend wie lehrreich gewesen war. 

Coli. Sigmundt überlässt den epidemiologischen 
Kalender Fischers der Gesellschaft zur Verviel¬ 
fältigung, die sämmtlichen Mitgliedern zugehen wird. 

Nach kurzer Pause beginnt Eef. mit seinen 
Ausführungen über die Berechtigung oder Nicht¬ 
berechtigung , die nach der Weihe’schen Methode 
vorwiegend angezeigten Heilmittel „epidemische* 
zu nennen. Da der Vortrag in dieser Zeitung zur 
Veröffentlichung kommen wird, sei nur der Vor¬ 
schlag des Ref. angeführt, aus Utilitätsgründen hierfür 
die Bezeichnung „zeitweilig herrschende Heil¬ 
mittel" einzuführen, der auch einstimmig ange¬ 
nommen wurde. Als Kuriosum erzählte ein Mit¬ 
glied die Definition von „Epidemie", die früher das 
Württ. Medicinalkollegium beliebte. Sie lautet: 
Eine Epidemie ist, wenn ein Arzt an einem Tage 
mindestens 10 gleiche Erkrankungfälle zu behan¬ 
deln hat. 

Darauf wurden noch mancherlei Fragen be¬ 
sprochen, die die Anwesenden bewegten, besonders 
auch die beste Art der Erlernung der Weihe’schen 
Methode. Für das beste hält Ref., wenn man zu¬ 
erst an sonst Gesunden die Schmerzpunkte sucht, 
da sie an diesen übereinstimmender und nicht in 
vermehrter Anzahl vorhanden sind. Auf Kirns 
Vorschlag wurden noch einige Fälle aus der Praxis 
erzählt, in denen die Weihe'sche Methode besonders 
interessante Erfahrungen bot. 

Betreffs der Zeit und des Ortes der General¬ 
versammlung wurde bestimmt, dass sie stets am 
Tage vor der Generalversammlung des Central¬ 
vereins der homöopathischen Aerzte Deutschlands 
an demselben Orte abzuhalten sei. Eine frühere 
Zusammenkunft ist in den WeihnachtsfeiertageD in 
Frankfurt a. M. geplant, die hoffentlich gut be¬ 
sucht sein wird. Denn alle Theilnehmer waren 
darüber einig, dass die Einmüthigkeit bei sämmt¬ 
lichen Beschlüssen, eine besonders wohltbuende, 
die klärende Wirkung der stets durchaus sachlich 
gehaltenen Diskussion, die sich nie vom Thema ab 
verirrte, eine sehr befriedigende war. Die An¬ 
schauungen der Einzelnen, wenn sie auch oft weit 
auseinandergingen, einigten sich doch in allgemeinen, 
leitenden Principien und so dürfen wir hoffen, dass 
es den vereinten Bestrebungen gelingt, die Auf¬ 
gaben, die sich die Epidemiologische Gesellschaft 
gesteckt hat, gedeihlich zu fördern und ihrer Lösung 
entgegenzuführen, — ein Bemühen, das bei der 
erfreulichen Harmonie der Mitwirkenden jedem ein 
angenehmes, genussreiches sein wird. 


üm Uhr trennte sich die Versammlung mit 
dem Wunsche, noch recht oft solche gelungene 
Sitzungen mit einander verleben zu dürfen. 


Zur 50jährigen Jubelfeier der 
homöopathischen Poliklinik. 

Ein historischer Rückblick 
von Dr. A. Lorbaoher-Leipsig. 

Wie in dem Berufsleben eines Menschen, so 
fordert auch in der Wirksamkeit einer dem Wohle 
der Menschen gewidmeten Anstalt der Tag ihres 
fünfzigjährigen Bestehens vor Allem zu einem Rück¬ 
blick auf. Sich selbst und Anderen Rechenschaft 
über das, was sie in dem Laufe der Jahre ge¬ 
leistet, zu geben, ein Bild ihrer Entwickelung von 
ihren Anfängen an zu entwerfen, um Jeden zu 
einem Urtbeile über dieselbe in den Stand zu setzen, 
betrachte ich als die Hauptaufgabe dieses Tages, 
welche in dem Folgenden zu lösen, versucht werden 
soll. Ich fühle mich vor Allem zu diesem Versuche 
berufen, da ich von den jetzt lebenden homöo¬ 
pathischen Aerzten wahrscheinlich der einzige bin, 
der die Anstalt in ihren Anfängen kennen gelernt 
hat und ich jetzt über 20 Jahre an derselben 
thätig bin. 

Das Jahr 1842, in welchem sie ins Leben trat, 
war ein für die Homöopathie sehr ungünstiges. 
Das kleine homöopathische Krankenhaus, welches 
mit einem durch Beiträge gesammelten, unzureichen¬ 
den Fonds hier in der Sternwartenstrasse gegründet 
war, war aus Mangel an Subsistenzmitteln genöthigt, 
in demselben seine Thätigkeit einzustellen. Je grösser 
die Begeisterung, mit welcher die Eröffnung desselben 
begrüsst wurde, je grösser die Hoffnungen, welche 
man bezüglich der Ausbreitung und Anerkennung 
der Lehren Hahnemann’s darauf gesetzt hatte, um 
so grösser war auch die Enttäuschung und Nieder¬ 
geschlagenheit 

Unter diesen Verhältnissen ist es um so mehr 
anzuerkennen, dass die Leipziger homöopathischen 
Aerzte, welche man wohl als tonangebend betrachten 
kann, die DDr. med. Hartmann, G. Haubold, Moritz 
und Clotar Mueller, trotzdem sie in der Kranken¬ 
hausangelegenheit vielfache Kränkungen erfahren 
und Undank geerntet batten, den Muth nicht ver¬ 
loren, sondern sofort darangingen einen theilweisen 
Ersatz für das eingegangene Krankenhaus zu schaffen. 
Nach mehrfachen Berathungen in dem ärztlichen 
freien Vereine für Homöopathie in Leipzig wurde 
unter Zustimmung des damaligen Centralvereins 
beschlossen, eine homöopathische Berathungs- 
anstalt für arme Kranke mit unentgeltlicher 
Behandlung und Arznei zu eröffnen. Dieselbe 


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76 


trat am 1. Juli 1843 ins Leben, nachdem zuvor 
die Genehmigung der Ereisdireotion und des Stadt- 
rathes eingeholt war. Es war bestimmt worden, 
dass 2 Aerzte die poliklinischen Geschäfte besorgen 
sollten, einer für die Männer und einer für die 
Frauen, zugleich war dem einen die Vertretung der 
Anstalt den Behörden gegenüber übertragen und 
damit er als dirigirender Arzt bezeichnet. 

Den Reigen der Anstaltsärzte eröffbeten die 
DDr. Franz Hartmann und Clotar Mueller unter 
deren Leitung ich im Jahre 1845 meine homöo¬ 
pathischen Studien machte. Hartmann war ein 
unmittelbarer Schüler Hahnemann’s und hatte durch 
Herausgabe einer homöopathischen Therapie sich 
schon einen Namen gemacht. Clotar Mueller war 
damals noch ein junger Arzt. 8ie wirkten zusammen 
bis zum Jahre 1853, wo Hartmann durch eine 
schwere Krankheit arbeitsunfähig wurde. 

Mueller rückte damals in die erste Stelle auf 
und bekleidete sie bis zu seinem im Herbst 1877 
erfolgten Tode. In die zweite Stelle trat Dr. Veit 
Meyer ein und versah dieselbe bis zu seinem im 
Mai 1872 eintretenden Tode. Seine Stelle nahm 
der Unterzeichnete ein bis zu Mueller’s Tode, wo 
er in die erste 8telle einrückte, welche er bis jetzt 
noch bekleidet. Die zweite Stelle nahmen ein Dr. 
med. Tritzschler von 1876—1880; Dr. med. Leeser 
vom October 1881 — Mai 1882, Dr. med. Billig 
vom Mai 1882 — Juli 1888, Dr. med. Beeskow 
vom iJuli 1888 — April 1889 und seitdem Dr. 
med. Stifft, dirigirender Arzt des homöopathischen 
Krankenhauses. Im Anfänge dispensirten die Aerzte 
den Kranken die verordnete Arznei selbst. Allein 
die steigende Frequenz machte dies auf die Dauer 
unmöglich und man sah sich genöthigt für diesen 
Zweck einen Assistenten zu engagiren. Bis zu 
Anfang der 60. Jahre sind die Namen derselben 
aus den Akten nicht ersichtlich. Vom Jahre 1859 
bis 1865 versah dies Amt ein Dr. phil. Kleinert, 
Verf. einer Geschichte der Homöopathie. Diesem 
folgte ein verunglückter Mediciner C. Kiaebe. Nach 
dessen im Jahre 1875 erfolgtem Tode trat für ihn 
ein Apothekergehilfe A. Goetze ein, welcher im 
Jahre 187 8 diese Stellung aufgab, um nach bestandener 
Maturitätsprüfung noch Medicin zu studiren. Für 
ihn wurde ein wegen Mangel an Mitteln sitzen ge¬ 
bliebener Cand. med. Rudolf Richter angenommen, 
welcher im Jahre 1883, um sein Studium zu 
vollenden, abging. Seine Stelle wurde mit einem 
Herrn Guenther besetzt, welcher dieselbe bis jetzt 
zur grossen Zufriedenheit der Aerzte verwaltet hat. 

Die Arzneien wurden anfangs aus der einzigen 
hier am Orte bestehenden homöopathischen Central¬ 
apotheke von Taeschner & Comp, bezogen. Dieselbe 
war mit Zustimmung des Ministeriums 8. Z. von den 
hier bestehenden vier privilegirten Apotheken Löwen, 
Salomo, Engel und Adler errichtet worden, um den 


fortgesetzten Reibereien zwischen homöopathischen 
Aerzten und den Apothekern ein Ende zu machen. 
Zu dieser kamen im Anfänge der 70. Jahre die 
Centralapotheke von Dr. Willmar Schwabe und die 
Marggrafsche Officin. Seitdem werden die Medi¬ 
kamente aus diesen drei Officinen in regelmässiger 
Abwechselung bezogen. Eröffnet wurde die Anstalt 
unter dem Namen 9 Homöopathische Berathungs- 
anstalt* in dem Lokale des eingegangenen Kranken¬ 
hauses. Nach Verkauf desselben siedelte sie im 
Frühjahre 1843 nach dem Eckhause Universitäts¬ 
strasse und Magazingasse über. Nach 3 Jahren 
wechselte sie abermals ihren Sitz und bezog die 
erste Etage des Hauses Neumarkt 22, wo sie blieb 
bis zu der im Herbst 1887 erfolgten Uebersiedelung 
in das Grundstück des neuerrichteten homöo¬ 
pathischen Krankenhauses Sidonienstrasse 44. Ich 
möchte dabei bemerken, dass sie nicht mit dem 
Krankenhause verschmolzen ist, sondern als ganz 
unabhängige Anstalt fortbesteht, und der dirigirende 
Arzt des Krankenhauses nur die Verpflichtung hat, 
an ihr mit thätig zu sein. 

Mit ihrem Unterhalte war die Poliklinik auf 
die von einem hohen Kultusministerium gütigst ge¬ 
währte jährliche Unterstützung von 900 Mk. und 
die Zuschüsse des homöopathischen Centralvereins 
angewiesen. Davon waren zu bestreiten die Gehälter 
der Aerzte, des Assistenzen und der Lohn der Auf¬ 
wartung, Lokalmiethe, Liebt und Heizung, Arzneien 
und Stärkungsmittel für Kranke. Dies zu bewerk¬ 
stelligen ist nur möglich gewesen dadurch, dass die 
Aerzte mit einer geringen Vergütigung von 360 Mk. 
jährlich zufrieden und der Miethzins ein relativ billiger 
auch keine Neuanschaffung von Mobiler nöthig war, 
da von dem Kranken hause noch das hinreichende 
vorhanden war. Allmählig sammelte sich durch 
Vermächtnisse von homöopathischen Aerzten und 
Laien, von denen ich nur das Marggrafscheim Betrage 
von ca. 21,000 Mk. erwähnen will, ein kleines Ver¬ 
mögen an, dazu kam noch eine geringe Erhöhung 
der Einnahme dadurch, dass vom 1. October 1881 
an die bis dahin ganz unentgeltliche Behandlung 
nur für die notorisch Mittellosen bestehen blieb, 
dagegen von den Zahlungsfähigen, welche die An¬ 
stalt benutzten ein geringes Honorar erhoben wurde, 
welches in der Hauptsache darauf verwendet wird, 
den armen Kranken die nöthigen Stärkungsmittel 
ausgiebiger zukommen zu lassen. In Folge dessen 
es auch möglich war die Gehälter der Aerzte in 
angemessener Weise zu erhöhen und die anfangs 
sehr mangelhafte Einrichtung auf einen den An¬ 
forderungen der Neuzeit entsprechenden Stand zu 
bringen. 

Von den Leistungen der Anstalt ein zutreffendes 
Bild zu entwerfen ist nicht möglich, da wie bei 
allen andern Polikliniken, auch hier der Uebelstand 
sich geltend gemacht hat, dass ein grosser Theil 


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där Kranken, wenn entweder nicht sofort die er* 
wartete Besserung eintritt oder im Gegentheil sie 
eine solche empfinden, nicht wiederkommt. Ausser¬ 
dem ist eine genaue Beobachtung des Krankheits- 
Verlaufes ausgeschlossen. Es haben deshalb die in 
den Jahresberichten gegebenen Zahlen nur einen 
sehr geringen Werth. Sie können höchstens dazu 
dienen, sich einen ohngef&hren Begriff von der ge- 
thanen Arbeit und dem bewältigten Materiale zu 
machen. 

Es wurden in dem abgelaufenen halben Jahr¬ 
hundert 117,762 Kranke behandelt Mit 428 im 
J. 1842 beginnend fand mit geringen Schwankungen 
eine stete Zunahme der Frequenz bis zum J. 1880, 
wo die höchste Ziffer 3,904 erreicht wurde, statt. 
Seitdem hat allerdings eine Abnahme stattgefunden, 
veranlasst in erster Linie durch Errichtung einer 
gleichen Anstalt an der homöopathischen Central¬ 
apotheke von Dr. Willmar Schwabe und die Ein¬ 
führung der Ortskrankenkasse. Einigen Einfluss 
haben auch die Verlegung des Instituts nach einem 
entfernteren Stadttheile und die Erhebung eines wenn 
auch ganz geringen Honorars gehabt. Die niedrigste 
Ziffer fUllt auf das Jahr 1889 mit 1400, während 
das J. 1891 mit 2,060 abschloss. Wir halten uns 
daher zu der Hoffnung berechtigt, dass unsere An¬ 
stalt, trotz der augenblicklich ungünstigen Verhält¬ 
nisse, in der zweiten Hälfte ihres ersten Jahrhunderts 
den ehrenvollen Platz, welchen sie unter den Huma¬ 
nitätsanstalten unserer Stadt einnimmt, behaupten 
und sich der Unterstützung von Seiten der Be¬ 
hörden, wie des Publikums würdig machen werde. 


Mittheilangen über die Diphtherie 
in Kiel. 

In den letzten Tagen des Mai brach hier eine 
Diphtherieepidemie aus, die besonders in einzelnen 
8trassen sehr heftig wüthete, aber jetzt im Erlöschen 
ist. Einzelne Fälle von Scarlatina mit diphteritischen 
Entzündungen des Pharynx kamen daneben vor, 
ebenso recht viele Anginen und Tonsüliten. Es 
mag unter Umständen recht schwer sein, eine Angina 
follicularis mit dem weiss-graulichen Belag von 
diphteritischen Entzündungen zu unterscheiden, ohne 
den Nachweis der Löffler sehen Bacillen zu führen; 
aber hier, wo beides nebeneinander vorkam, war es 
leichter. Das Mittel, welches ich als das epidemische 
Heilmittel in dieser Epidemie erkannte, warLycop., 
d. h. das Gesammtbild, welches mir die Symptome 
der einzelnen Fälle boten, wo bald dies, bald jenes 
mehr in den Vordergrund trat, entsprach am meisten 
dem Prüfungsbild des Lycopodium. Ich wandte 
es in allen Fällen mit Erfolg an in C. 30., daneben 


kamen in einzelnen Fällen noch Mero. cy. 30., Nitri. 
ac. 30. u. a. M. als Hülfsmittel zur Anwendung. 
Andere Diphtheriemittel waren hier ohne Erfolg, 
wenn sie auch hier und da indicirt schienen, so 
Apis, andere Mercurpräparate, Kali bichrom. u. s. w. 
Von letzterem Mittel theilt mir Dr. Kunkel mit, 
dass es in einer Epidemie vor ca. 20 Jahren alle 
Fälle geheilt habe, weil es dem Charakter der da¬ 
maligen Epidemie entsprach, zu anderen Zeiten 
Phosph.; sogar Dros. und Aurum. Ich halte es für 
ganz verkehrt und nicht homöopathisch ein Mittel 
als specifisch gegen Diphtherie oder irgend einen 
anderen Krankheitsnamen zu empfehlen, es muss 
eben jeder Fall und jede Epidemie genau indivi- 
dualisirt werden; wenn sich dabei ein oder mehrere 
Mittel als meist indicirt heraussteilen, so darf das 
niemanden verleiten, dies oder diese Mittel ohne 
bestimmte Indicationen anzuwenden. Dass der 
Merc. cyan. in gewisser Beziehung zu diphteritischen 
Erkrankungen steht, lässt sich nicht leugnen, er 
passt aber bei weitem nicht für alle Fälle, auch 
wenn er gleich im Beginn verabreicht wird. Die 
Symptome, welche für die Wahl des Lycop. mass¬ 
gebend waren, sind folgende: Die krankhaften Er¬ 
scheinungen beginnen reohts, die diphteritischen 
Flecke gehen von der rechten Tonsille auf die 
linke über; Nase meist verstopft; Fieber ge¬ 
wöhnlich heftig; schlimmer von warmen, besser 
von kalten Getränken (sonst bei Lycop. gerade 
umgekehrt!); bohrt und zupft an der Nase; beim 
Athmen bewegen sich die Nasenflügel; warme 
Zimmerluft ist unangenehm; im Schlaf meist 
Rückenlage mit erhöhtem Kopf. Wenn der 
Athem sehr fötid war, gab ich Merc. cyan. 30. 
dazu, besonders wenn ausserdem viel zäher Schleim 
im Hals war; ferner wenn die Nasenerscheinungen 
stärker hervortraten, bei eiteriger, wundmachender 
oder blutiger Absonderung Nitri. acid. 30. Bei 
Anwendung des letzteren Zwischenmittels fiel es 
mir in zwei Fällen auf, dass die Loslösung der 
raembranösen Auflagerungen sehr rasch erfolgte. 
In einem Falle musste ich noch zur Beseitigung 
eines allmorgendlich eintretenden Nasenblutens 
bei einem 5 / 4 Jahr altem Kind, wo die Nase nachts 
verstopft war und tagsüber ein eiteriges, wund¬ 
machendes Sekret absonderte Amra. carb. 15. 
heranziehen. 

Lycopodium war und blieb aber immer das 
erste und letzte Mittel und verhinderte resp. be¬ 
seitigte auch die event. folgenden Nachkrankheiten. 
Von ca. 20 Fällen ging ein kaum zweijähriges 
Kind durch Verschulden der Eltern verloren, die 
auf den Rath einer alten Frau ohne mein Wissen, 
als schon Besserung eingetreten war, plötzlich Chlor¬ 
kalk angewandt hatten, wodurch natürlich meine 
Lycopodium Wirkung sofort aufgehoben wurde; als 
ich wieder kam lag’s im Sterben. Zu einem anderen 


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Kind ward ich za spät gerufen, die nacheinander 
schwer erkrankenden Geschwister wurden geheilt. 
Bei grösseren Kindern, die gurgeln konnten, liess 
ich mehr zur Beruhigung der Angehörigen als mir 
viel davon zu versprechen, Gurgelungen mit ver¬ 
dünntem Alkohol vornehmen. Die Scharlachdiphterie 
fand auch in Lycopodium ihr Heilmittel, weil sie 
entschieden unter demselben genius epidemicus stand. 
Die Anginen nicht diphteritischer Art erforderten 
sämmtlich Beilad. zur Heilung, heftige Stirnkopf¬ 
schmerzen, strahlende Röthe der geschwollenen 
Tonsillen, fortwährende Neigung zum Schlucken, 
wie sehr es auch schmerzt, grosse Trockenheit 
des Mundes indicirten dieselbe. Nicht ohne Be¬ 
deutung für die erzielten günstigen Erfolge — den 
AllQpäjihen starben die Diphtheriekranken in er¬ 
schreckender Anzahl, — ist entschieden die Wahl 
der höheren Potenzen, Lycopod. 3. hätte sicher 
nicht dieselbe Wirkung gethan. 

Freilich wäre dazu wohl schwer jemand ge¬ 
kommen, denn wer Lyc. gewählt hätte, müsste 
genau individuahsirt haben, und wer das thut, giebt 
unwillkürlich höhere Potenzen; ein Tiefpotenzier 
braucht nicht so sorgfältig jedes Symptom auf die 
Wage zu legen, weil, wie ein bekannter Zeitgenosse 
Hahnemann’s sagt, der individuelle Charakter eines 
Mittels erst in den höheren Potenzen zu Tage tritt. 
Wer alles über die 14. Potenz hinaus streichen 
will, beraubt der homöopathischen Materia medica 
oft der werthvollsten Symptome und sich selbst der 
schönsten Heilerfolge. Assistenzarzt W. in K. 


Ein homöopathisches Zaubermittel 

ist nach einer Mittheilung von Dr. Rob. Cooper in 
London das Campher-Bromid in homöopathischer 
Verreibung. Man soll dasselbe aber nicht in Wasser 
geben, sondern direct auf die Zunge und nicht 
repetiren, wenn nicht innerhalb 10 Minuten ein be¬ 
deutender wenn nicht gänzlicher Nachlass der 
Schmerzen oder Beschwerden eintritt Es soll dieses 
Mittel bei den verschiedensten nervösen auf Reflex¬ 
wirkung beruhenden Symptomen zauberhaft schnell 
wirken, so dass dasselbe (wie Dr. C. meint) in 
keiner Taschenapotheke fehlen sollte. (3. Dec. Verrbg.) 
Der erste Fall ist angeführt als Warnung mit diesem 
Mittel vorsichtig umzugehen. Ein junges Mädchen, 
welches das ganze Jahr hindurch an den Symptomen 
des sogen. Heufiebers oder Heuasthmas litt, wo¬ 
gegen alle von ausgezeichneten Praktikern bisher 
angewandten Mittel vergeblich versucht worden 
waren, erhielt von Dr. Cooper Campher broraid 3. 
Verrbg. in 1 gran Dosen mit so günstigem Erfolge, 
dass er der jungen Dame ein Gläschen der Campher 
bromid-Verreibung in die Hände gab, um selbst 
bei etwa eintretenden neuen Anfällen eine Dosis 


nehmen zu können. (Dies werde er niemals wieder 
thun, meint Dr. C.) Wie es scheint erfasste die 
Kranke ein besonderes Verlangen eine Dosis des 
Campher bromids zu nehmen so bald sie nur irgend¬ 
wie glaubte etwas zu verspüren, was eine Wieder¬ 
holung des Mittels einigermaassen rechtfertigen 
konnte. 

Aber diese öfteren Wiederholungen des Mittels 
(nebst andern mitwirkenden Ursachen) hatten eine 
höchst bedenkliche Wirkung, denn es entwickelte 
sich eine schwere Melancholie mit Unterdrückung 
der Menstruation. Die Kranke blieb still und wollte 
wochenlang keine Nahrung zu sich nehmen, bis ich 
(Dr. Cooper) den glücklichen Gedanken hatte, ihr 
Avena sativa zu verschreiben in der Gabe von 
5 Tropfen alle 4 Stunden. Dies schien sie that- 
sächlich aus ihrem Zustande herauszuheben, indem, 
wie sie sich ausdrückte, eine Wolke sich von ihr 
in die Höhe hob. (a cloud sumed to rise up from 
off her) und ihre gesunde Vernunft gewann wieder 
die Oberhand. Es war aber dieser Fall eine Warnung 
für mich das Campher bromid nicht mehr den Händen 
eines Kranken anzuvertrauen; ohne die genauesten 
Weisungen. Ich will noch einige Fälle erwähnen 
um die Wirkung dieses Mittels darzuthun. 

Ich wurde vor mehreren Jahren Nachts zu einem 
dringenden Falle geholt. Es war eine Predigersfrau 
von ca. 50 Jahren, welche plötzlich von grosser 
Athemnoth befallen worden war mit fürchterlichen 
Schmerzen im Rücken zwischen den Schulterblättern 
und Unfähigkeit sich niederzulegen. Ich diagno- 
sticirte einen Krampfzustand in den grössem Bron- 
chial-Aesten. Ich gab der Frau einige Gran Campher 
bromid auf die Zunge, und bereitete auch eine 
Lösung in Wasser und schickte mich an wieder 
nach Hause zurückzukehren, als der Gatte mich 
fragte, ob ich noch irgend welche Hoffnung habe, 
dass die Frau den Anfall überstehen könne, denn 
alle hatten die Ueberzeugung, dass sie am Sterben 
sei. Ich hatte aber ein solches Zutrauen zum 
Campber bromid, dass ich dem Manne erklärte, dass 
dieser Zustand in kürzester Zeit aufhören werde. 
Und in der That erfahr ich am folgenden Tage, 
dass die Frau 10 Minuten nachdem ich ihr das 
Pulver auf die Zunge gelegt, sich habe nieder legen 
können, und dass sie den Rest der Nacht ruhig 
geschlafen habe. 

Ein anderes Mal wurde ich zu einer etwas 
corpulenten Frau von einigen 40 Jahren gerufen, 
welche an einem äusserst heftigen und schmerzhaften 
Reizzustande der ganzen Körperoberfläche litt mit 
einigen kleinen Punkten, wo sich ein Eczem zeigte, 
sodass ein allgemeiner Ausbruch von Eczem zu 
drohen schien. Die Frau hatte 3 Tage und 3 Nächte 
absolut keine Ruhe gefunden und glaubte wahn¬ 
sinnig zu werden. Ich gab der Frau einfach einige 
gran meines Wundermittels auf die Zunge und er- 


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7» 


fahr nachher, dass binnen 10 Minuten dieser qual¬ 
volle Zustand aufgehört habe. — Der Ausschlag 
verschwand darauf bald unter Anwendung des 
Mercur jodah — 

Ein anderes Mal erzählte mir eine Patientin, 
dass ihr Mann an furchtbaren Anfällen von Zahn¬ 
weh leide, die alle 15 Minuten wiederkehrten. 

Eben trat der Mann ins Zimmer und erklärte, 
dass wieder ein Anfall vorüber sei und dass er den 
Zahn nicht könne ausziehen lassen, da sein Zahn¬ 
arzt für 2 Tage verreist sei, und er keinem andern 
als seinem amerikanischen Zahnarzt sein Gebiss an¬ 
vertrauen wolle. Er müsse somit warten, wenn 
nicht vielleicht ich (Dr. Cooper) ein Mittelchen für 
ihn habe. Ich gab dem Manne einige Dosen Campher 
bromid und damit konnte derselbe die Schmerzen 
vollständig fern halten bis zur Ankunft des Zahn¬ 
arztes. Es stellte sich . .auch wirklich heraus, dass 
die Wurzel des Zahnes cariös war, sodass der Zahn¬ 
arzt bei der Untersuchung des entfernten Zahnes 
erklärte, er müsse jedenfalls fürchterliche Schmerzen 
ausgestanden haben. — Selbst in einem Falle von 
Blasenleiden der schlimmsten Art, wo der Kranke 
dem Tode nahe war, und Opiate nicht mehr an¬ 
schlagen wollten, verschaffte eine Dosis Campher 
bromid innerhalb 5 Minuten dem Kranken völlige 
Buhe, sodass seine, vorher vor Schmerz entstellten 
Gesichtszüge sich wie verklärten und der Kranke 
ruhig und schmerzlos blieb bis zu dem bald ein¬ 
tretenden Tode.* 

Diese Erfahrungen wurden von Dr. Robert Cooper 
dem Internationalen Congress der voriges Jahr in 
Atlantic City N. J. abgehalten wurde eingesandt 
und sind in den „Transactions* p. 628 u. f. ver¬ 
öffentlicht worden. Es verdient somit dieses Mittel 
jedenfalls unsere volle Beachtung obschon Dr. C. 
nicht im Stande ist genauere Indicationen für die 
Anwendung dieses Mittels zu geben. 

Dr. Bruckner-Basel. 


Die zeitweilig herrschenden Heil¬ 
mittel. 

Da der grossen Hitze wegen der Tachograph 
zum Druck der Karten nicht richtig funktionirt,' 
so bitte ich die verehrten Mitglieder der Epidemio¬ 
logischen Gesellschaft, zunächst mit diesen Mit¬ 
theilungen vorlieb zu nehmen. 

Dierkes-Paderborn schreibt am 20./8., dass er in 
den vorausgegangenen Tagen Cupr. -}- Chin., seltener 
Lachesis gehabt habe, sowie dass die Herrschaft 
von (Ac. phosph. -f- Ign.) = Yeratr. cum Cupr. 
zu beginnen scheine. 

Kim-Pfor 2 heim fand am 14./8. 2 neue Schmerz¬ 
punkte, für die er = Veratr. passend fand, was 
sich mir bestätigte. Er hatte am 13. Seneg. W., 


seit dem 14. viel Brechdurchfall mit den Symptomen 
für Veratr. H. oder Baptis. H., seit dem 19. Hals¬ 
entzündungen mit Laches. H, am 24. bei Bronchitis 
= Tart. stib. W.; sonst noch Ignat. W. und 
Aconit W. 

Ich-hier hatte vorherrschend noch bis zum 15./8* 
= Mercur (Baryt, carb. -(- Bell.) W., am 15. auch 
häufig = Kal. Bicbrom. W., seit dem 16. *=* Veratr. 
(?-{-? Euphorb. offic.) W., dazwischen (aber am 20 
und 21. ganz vorwiegend = Tart. stib. W. Die 
Symptome für ca Veratr. sind objektiv: mässige 
Anschwellung von Leber und Milz, subjektiv: Fieber, 
Frösteln, oft starke Schweisse, Müdigkeit, Schmerzen 
im Kopf vorne Und oben, Appetitlosigkeit, anhaltende 
Brechübelkeit, Erbrechen mit Durchfall, dieser 
wässrig, gelb, hier und da am Anfang des Unwohl¬ 
seins Verstopfung, Schmerzen im Bauch, besonders 
in beiden Hypochondrien, sowie Kreuzschmerzen, 
geringe Urinabsonderung. Am 24. sah ich 3 Fälle 
von Furunkulose und 1 Abscess der rechten Bartho- 
linschen Drüse; bei allen 4 Fällen war Baryt, carb. 
-f- Led. pal. = Silic. W. angezeigt. Heute Nach¬ 
mittag war mehrfach bei Bronchialkatarrhen =*= Tart. 
stib. W. angezeigt. Mit Eintritt des Witterungs¬ 
wechsels beginnt gewöhnlich ein Schwanken in der 
Herrschaft des zeitweilig herrschenden Mittels. 

Buob- Freudenstadt berichtete am 13./8. noch 
häufigen Wechsel; einige Tage vorher habe er bei 
acuten Magen- und Darmkatarrhen Natr. carb. + 
Jod, dann auch Merc. viv. -j- Plumb. angezeigt 
gefunden. 

Sehr liebenswürdig wäre es von den Hamburger 
und Altonaer Collegen, wenn sie mir kurze Mit¬ 
theilungen über die bei der Cholera am meisten 
benützten Mittel gütigst zugehen Hessen, um was 
ich sie hiermit freund liehst bitte. 

Stuttgart, den 25. August 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Lesefrüchte. 

Pelizäui. Ueber artifieielle Neurasthenie . Deutsche 
med. Wochenschr. 1891. Nr. 24. (Aus „Centralbl. 
f. d. med. Wiss.“ 1892. Nr. 1.) 

Jede systematische, eingreifende, wenn auch an 
sich richtige und indicirte Curmethode ist im Stande, 
die Gesundheit des Individuums, besonders die seines 
Nervensystems, zu gefährden. Die Störungen sind 
um so intensiver, je weniger die zur Ausgleichung 
derselben nöthigen Bedingungen: reichliche, gute 
Luft, körperliche Bewegung, regelmässiges Leben, 
Enthaltung von geistigen und körperlichen Ueber- 
anstrengungen innegehalten werden können. Daher 
sind systematische Curen in der Regel mit der 
Entfernung aus den bisherigen Verhältnissen zu 
verbinden, oder wenn das unthunlich, ist bei der 


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Verordnung einer jeden Cor genau auf die Lebens¬ 
weise zu 1 achten. 

Obige Erwägungen stimmen ganz mit zahlreichen 
Beobachtungen aus der Praxis über das Ende von 
zu Hause, zwischen das Geschäft hinein, gebrauchten 
Kaltwasser- und ähnlichen eingreifenden Curen. Ich 
bin deshalb der Ansicht, dass die Homöopathie mit 


ihren sanften unmerklichen Wirkungen trotz des 
Zuges der Zeit nach der sogen. Naturheilmethode 
in ihren verschiedenen Formen ihren Platz behaupten 
und stets besonders der breiten Schichte des Volkes 
unentbehrlich bleiben wird, das keine Zeit und kein 
Geld zu langdauernden, umständlichen Curaufent- 
halten hat. Göhrum. 


ANZEIGEN. 


Für einen älteren, sehr tüchtigen und literarisch 
thätigen, gewandten homöopathischen Arzt, 
welcher in Folge eines gehabten Herzleidens Haus¬ 
praxis nicht mehr übernehmen kann, wird eine 

Consultationspraxis 

gesucht oder irgend eine Stellung, in der er nur 
Sprechstunden abzuhalten oder nur literarisch thätig 
zu sein braucht. — Beste Empfehlungen stehen zur 
Seite. — Gef. Offerten und Anfragen unter A. H. 209 
zu richten an A. Marggrafs homöopath. Officin 
in Leipzig. 

Im Verlage von A. Marggrafs homöopathischer 
Offtcin in Leipzig erscheint Anfang September die 

1. Lieferung von 

Die vergleichende 

Arzneiwirknngslehre 

von 

Dr. med. H. Gross und Prof. Dr. med. C. Hering. 
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben 
von 

Sanitätsrath Dr. med. Faulwasser, Bernburg a. 8. 
Complet ln 8 Lffcn. ä Mk. 2.50. Einbauddecke gratis. 

jpgr* Wer das Werk lieber im Ganzen complet 
gebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen, 
da später jedenfalls eine Preiserhöhung ein tritt. 
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Lieferung* 
Jede Lieferung: 9 Druckbogen, 4°. Preis 2.50 Mk. 
Dieses neue Werk will den vorhandenen homöo- 

S athischen Arzneimittellehren keine Concnrrenz machen, 
enn nach Form und Inhalt unterscheidet sich dasselbe 
wesentlich von ihnen. — Es bringt Arzneivergleiche, 
Mitteldiagnosen, welche allein und ausschliesslich die 
Unterschiede je zweier derselben enthalten und in anti¬ 
thetischer Gegenüberstellung die betreffenden Ver¬ 
schiedenheiten scharf hervorheben. 

Diese vergleichende Arzneiwirkungslehre ist vielmehr 
ein Supplement aller vorhandenen homöopathischen 
Arzneimittellehren. 

Eine solche Arbeit fehlte bisher in der deutschen 
homöopathischen Literatur und nur die Aerzte englischer 
Zange konnten sich rühmen, dieselbe zu besitzen. 

Jedem homöopathischen Arzte und gebildeten Laien 
ist die Anschaffung dieses Werkes dringend zu empfehlen. 

Näheres ist aus den Prospekten und Probedrucken 
zu ersehen, die, so weit der Vorrath leicht, auf Ver¬ 
langen! gratis und franco zur Verfügung stehen. 


Zur Eiweissbestimmung im Harn, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Esbach’schen Albuminimeter 

mit genauer Gebrauchsanweisung 4 Mk. 3.—. 

Die dazu gehörige Lösung von Citronen- u.Picrin- 
säure gebe ich in jedem Quant. (4100,0 = 30 Pf.) ab. 

Zur Zuckerbestimmung im Harn, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Ltmousin’schen Tropfenzähler 
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬ 
tabelle 4 Paar = Mk. 3.50. 

Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets 
ganz frisch, wirdin Glasstöpsel gläsern, 4 30,0=50Pfg. 
abgegeben. 

Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin- 


^Reit^oltnejede 
Beimischung zu gebrauchen! 

Francks Früchten-Caffee. 


Verbesserter;Jiomöopaffiiscfier 

Gesundtmte- 


nachDr F. Katsch 


IMifomwuiiai 



SCHUTZMARKE 



u. Unterschrift 






Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttgart, Dr. Stilft-Leipzig und Dr. Haedicke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Offioin) in Leipzig. 
Druck von Greeener k Schramm in Leipzig. 


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Band 125. 


Leipzig, den 15. September 1892. 


No. 11 u.12. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE /UHU. 

HERAÜSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STüTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homOopath. Offlein) in Leipzig. 


’ Erscheint 14t&gig su 2 Bogen. lt Doppel nummern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Alle Bucbhandlnngen und 
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an £L Mosse in Leipzig und dessen Filialen oder an die 
Verlagahandlung selbst (▲. Marggrafs homöopath. Offioin in Leipzig) su richten sind, werden mit 30 Pf. pro einmal 
gespaltene Petitseile und deren Baum berechnet. — Beilagen werden mit IS M. beroohnet. 


Inhalt. Wann dürfen wir ein Mittel „epidenlech“ nenoen? Nebst Schlussfolgerung und einem Vorschlag. 
Referat, gehalten von Dr. Göhrum-Stuttgart. — Aue der Praxis. Von Dr. Albert Amberg. — Referate: Ein Ur- 
theil Hahnemanns Über die Cholera etc.; Cholera-Anfall oder Arsenik Vergiftung; Ein Beitrag zur Geschichte 
der Arzneimittellehre. — Lesefrüchte. — Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. Von Dr. Göhrum-Stuttgart — 

Anzeigen. 


Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. 


Wann dürfen wir ein Mittel 
„epidemisch“ nennen?*) 

Nebst Schlussfolgerung und einem Vor sch lag. 

Referat gehalten auf der 1. Generalversammlung 
der Epidemiologischen Gesellschaft am 8. August 1892 
zu Stuttgart von Dr. med. H. Göhrum - Stuttgart. 

M. H.l In letzter Zeit sind mehrfach, öffentlich 
und privatim Bedenken aufgetaucht, ob wir die 
nach der Weiheschen Methode gefundenen , vor¬ 
herrschend angezeigten und angewandten Heilmittel 
„iepidemisch zu nennen berechtigt seien. Um über 
diese Frage in's Reine zu kommen, müssen wir vor 
allem die ethjmologische und die historisch-populäre 
Bedeutung des Wortes .Epidemie* feststellen, so¬ 
dann die muthmasslichen Ursachen und Aeusserungen 
der Epidemieen resp. deren Wechselwirkungen mit 
dem Organismus untersuchen und im Anschluss 
hieran überlegen, ob wir zwar zum Gebrauch des 
Wortes „epidemisch* berechtigt sind, ob wir aber 
nicht besser thun, einen für dieses Gebiet noch 
jungfräulichen Ausdruck zu wählen, um jedes Miss¬ 
verständnis von vornherein auszuschliessen und 

*) Die Citate stammen aus Rademacher, Recht¬ 
fertigung der verstandesrechten Erfahrungsheillehre etc. 
2 Ausg. Berlin 1864 und von Grauvogl, Lehrbuch der 
Homöopathie. Nürnberg 1866. 


unseren ferneren Forschungen keine hemmenden 
Fesseln anzulegen. 

Geigel in Ziemssen’s Handbuch versteht unter 
„Epidemie* eine temporär intermittirende, allgemein 
verbreitete Volkskrankheit mit multiplen Prädilec- 
tionsherden; der Autor des Artikels „Epidemie* in 
Villaret’s Handwörterbuch definirt Epidemie als eine 
Krankheit, welche in der Regel plötzlich an einem 
Ort auftritt und an diesem gleichzeitig viele In¬ 
dividuen befällt. Diese letztere Definition giebt die 
historische und populäre Auffassung am besten 
wieder. Sie befasst sich mit deu Ursachen zunächst 
nicht weiter, sondern sie hält sich nur an eine ge¬ 
wisse Häufung von gleichartigen Erkrankungsfällen 
über einen kürzeren oder längeren Zeitraum und 
über ein mehr weniger ausgedehntes Gebiet hin. 
Damit stimmt auch der Ursprung des Wortes 
überein. 

Mit dieser Auffassung stimmen auch wir über¬ 
ein. Der einzige Streitpunkt lässt sich in die Frage 
zusammenfassen: Welches ist das Minimalmass 
für die Häufigkeit der gleichartigen Erkrankungs - 
fälle, sowie für die Ausdehnung derselben nach Raum 
und Zeit , bis sie als Epidemie aufgefasst werden 
dürfen? Wie die folgenden Ausführungen lehren 
werden, giebt es hierfür keine bindenden Vorschriften. 
Eine Epidemie kann auf einen Ort beschränkt sein 
und wird doch von jedermann so genannt. Es 
scheint, also die Ausdehnung nach der Zeit, sowie 

11 


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82 


die Häufigkeit der gleichartigen Erkrankungsfälle 
wichtiger für die Feststellung des Begriffes Epidemie 
zu sein. Für diese beiden Faktoren ist massgebend 
die Schärfe der Beobachtung und da muss ich 
Rademacher als Gewährsmann heranziehen, der wobl 
die Epidemiologie am gründlichsten und möglichst 
objektiv bearbeitet hat. 

Wie Sie alle wissen, hat Rademacher zweierlei 
Arten von Epidemieen unterschieden, indem er die 
Begriffe seines » Morbus stationärius “ und der n Morbi 
intercurrentes “ aufstellte. Letztere entsprechen mehr 
dem, was das Volk und die Mehrzahl der Aerzte 
»Epidemieen“ nennen, indem er zu diesen haupt¬ 
sächlich Ruhr, fieberiscben Durchfall, Scharlachfieber, 
Rheumatismus, fieberische und unfieberische Husten, 
Angina, Masern, Varicellen, Wechselfieber, Cholera 
u. a. m. zählt. Auch Paracelsus* »Astronomie“ und 
Sydenham’s »Constitutio epidemica“ fallen damit im 
wesentlichen zusammen. Von diesen Morbis inter- 
currentibus sagt nun Rademacher betreffs der räum¬ 
lichen Ausdehnung, dass sie sich »gewöhnlich auf 
einzelne Gegenden, auf einzelne Städte, Dörfer, ja 
was wahrhaft seltsam ist, zuweilen auf eine einzige 
Bauernschaft* beschränken. In Bezug auf die Zeit 
erwähnt er, dass sie längere oder kürzere Zeit 
herrschen. Diese und die Zahl der Erkrankungen 
ist bei den Morbis intercurrentibus bekanntermassen 
so auffällig, dass darüber wohl nie Meinungs¬ 
verschiedenheiten entstehen können. Doch muss 
ich eines hier hervorheben: Rademacher bestimmt 
ja principiell die Krankheiten nach ihrem Heilmittel, 
nicht nach ihrer Forp und da ist mir an einer 
Stelle ein Widerspruch aufgestossen. Sie lautet: 
»Da wo ein Uebergang der Salpeter- in Kupfer¬ 
krankheit stattfindet, gewahret man anfänglich auf 
den Gebrauch des Salpeters ein unverkennbares 
Besserwerden; den dritten , vierten Tag*) tritt aber 
ein Stillstand dieses Besserwerdens ein. Hat nun 
ein solcher Stillstand seinen Grund nicht in einem 
zugleich mit der Salpeteraffection bestehenden 
Urorganleiden, so kann man darauf rechnen, dass 
der Uebergang von Salpeter- in Kupfer- oder in 
Eisenaffection sich gemacht hat.“ Ich bitte hier 
zu beachten, dass angeblich eine Epidemie 2 Heil¬ 
mittel hinter einander erfordern, sowie, dass der 
Wechsel dieser Mittel in kurzer Frist eintreten 
kann. — Von einem andern Widerspruch sogleich. 
— Rademacher’s zweite Art von Epidemieen, der 
Morbus stationarius, ist weniger sinnfällig und deckt 
sich deshalb auch weniger mit der populären, als 
mit der ethymologischen Bedeutung des Wortes 
»Epidemie.“ Beim Morbus stationarius braucht die 
Zahl der Erkrankungsfälle keine gesteigerte zu sein, 
im Gegentheil — er kann bei verhältnissmässig 
niederem Krankenstand bestehen; aber die gleich- 


•) Von mir unterstrichen. Göhrum. 


artigen Erkrankungsftille erstrecken sich über ein 
ausgedehntes Gebiet. Auch soll der Morbus statio¬ 
narius nach Rademachers Beobachtungen sich 
mehrere Jahre gleich bleiben, wenn er eine Urorgan- 
affection ist, meist nur Monate, wenn eine reine 
Affection des Gesammtorganismus vorliegt. In 
ersterem Falle aber kann sich die Urorganaffection 
auf Monate mit einer Uraffection des Gesammt¬ 
organismus verbinden und so eine gemischte Krank¬ 
heit bilden; ferner kann während der mehrjährigen 
Dauer der stationären Krankheit diese sich, hin¬ 
sichtlich der Form gleichbleibend, in ihrem Wesen 
mehrmals ändern, also andere — wenn auch auf 
dasselbe Organ wirkende — epidemische Heilmittel 
erfordern und zwar gewöhnlich im Frühjahr und 
Herbst. Da man nun nach Rademacher von dem 
Wesen oder der Natur einer Krankheit d. h. von 
der Krankheit insofern sie von der Form verschieden 
ist, nichts erkennen kann als nur ihr Verhältniss zu 
der Heilwirkung der Arznei , so muss mir doch 
jeder Unparteiische zugeben, dass auch beim Morbus 
stationarius ein verhältnissmässig häufiger Wechsel 
der epidemischen Heilmittel also auch des Wesens 
der Krankheit Vorkommen kann. Sowohl Paracelsus 
wie Rademacher haben mit der Aufstellung ihrer 
Urorganaffectionen und Uraffectionen des Gesammt¬ 
organismus nebst entsprechenden Organ- und Uni¬ 
versalheilmitteln gezeigt, dass sie sich doch von 
dem von ihnen selbst gerügten Classifications- 
bedürfniss nicht frei machen konnten. Ich führe 
zum Belege hierfür eine Stelle wörtlich an*): »In 
dem zweiten Traktat Paragrani sagt er (Paracelsus): 
»»Wer weiss die Zahl der Krankheiten? Nur der, 
der da weiss die Zahl der natürlichen Gewächse 

und natürlichen Arkanen.-* u Danach schreibt 

Rademacher weiter: »Diese Ansicht der Natur 
würde nun die Medicin zu einem wahrhaften Chaos 
machen, wenn der absondernde Verstand nicht eine 
Regel in die Wirrung brächte. Hohenheim*s Ordnung 
bestehet darin, dass er die Krankheiten eintheilt in 
Urorgankrankheiten und Uruniversalkrankheiten.“ 
Und dass diese Eintbeilung der Krankheiten und 
ganz besonders die Zutheilung der einzelnen Heil¬ 
mittel zu den Organen und die Aufstellung dreier 
Universalheilmittel eine willkürliche ist, wird mir 
niemand bestreiten wollen. Ferner ist an sich auch 
das Auftreten der sogen, intercurrirenden Krank¬ 
heiten während der stationären, ohne unter der Heil¬ 
wirkung des Heilmittels der letzteren zu stehen, 
ein Durchbrechen der Annahme von der langen 
Dauer einer epidemischen Constitution, worauf schon 
von Grauvogl hin wies. Auf des letzteren Gründe 
will ich hier nicht eingehen, da sie rein ätiologische 
sind. 

Dass man sich aber von jeher auch Gedanken 

*) Rademacher, Bd. 1, pag. 87. 


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83 


über die Ursachen der Epidemietn gemacht hat, ist 
selbstverständlich. Im Alterthum wurden die Gott¬ 
heiten, von Paracelsus und seiner Zeit abgesehen 
von Gott die siderischen Einflüsse und in der Gegen¬ 
wart werden die bekannten und unbekannten Mikro¬ 
bien dafür verantwortlich gemacht, also lauter ausser 
uns befindliche Einflüsse. Dasselbe that im wesent¬ 
lichen auch Rademacher als Schüler des Paracelsus, 
obgleich er in dem Bestreben, möglichst nur sicher 
beobachtete Thatsachen und keine Theorieen bei¬ 
zubringen, nur immer von allgemeinen, aber un¬ 
bekannten Ursachen spricht. Dass aber Rademacher 
nicht so einseitig nur äusserliche Ursachen an¬ 
erkannte, sowie dass er die Wechselwirkungen 
zwischen einem Theil des Ganzen und dem Ganzen 
nicht missachtete, was von Grauvogl ihm vorwirft, 
beweist folgende Stelle*): „Es scheint mir unmög¬ 
lich, den einzelnen Theil eines Ganzen kennen zu 
können, ohne das Ganze zu kennen, mit welchem 
der einzelne Theil nicht blos zusammenhängt, sondern 
in Wechselwirkung stehet; denn durch diese Wechsel¬ 
wirkung erhält er ja seine eigentliche Bedeutung 
und Wesenheit. Wenn wir uns also anmassen, den 
belebten Menschenleib zu kennen, so müssen wir 
auch das All der Natur kennen, dessen Theil er 
ist und mit dem er in beständiger Wechselwirkung 
stehet, ohne welche Wechselwirkung sein Sein un¬ 
denklich ist/ 

Aber Rademacher fand die Schwierigkeit dieser 
Erkenntniss fast unüberwindlich, wie er es daran 
anschliessend in ergreifenden Worten schildert**), 
die den Eigendünkel der Gelehrten und solcher, die 
alles von vornherein besser zu wissen glauben, 
wenn es überhaupt möglich ist, zu dämpfen im 
Stande sind. Und so mochte sich Rademacher als 
Feind jeder philosophischen Speculation, wie sie zu 
seiner Zeit in der Medicin zu deren grossem 
Schaden vorherrschend war, nur an das halten, was 
ihm eine 20jäbrige vielseitige, unermüdliche Be¬ 
obachtung an untrüglichen Thatsachen ergeben hatte: 
er beruft sich allein auf das Heilexperiment . 

Von Hahnemann erfahren wir über unser Thema 
nicht neues. Er konnte in Folge seiner individuali- 
sirenden Methode zur Erforschung des Heilmittels 
natürlich nie einen „Morbus Stationarius“ im Rade- 
raacher sehen Sinn finden; er kannte nur das als 
Epidemie, was auch heute fast ausschliesslich so 
genannt wird, was im allgemeinen den Morbis inter- 
currentibus entspricht, nämlich die acuten Infections- 
krankheiten, und er vermuthete deren ätiologische 
Grundlage, die in unseren Tagen die Forschung in 
so ausgedehntem Masse beschäftigt, ganz richtig. 
Doch traten ihm auch bei diesen Krankheiten die 
Verschiedenheiten, die die Constitutionen bieten, so 

*) Rademacher, Bd. 1, pag. 120. 

**) Rademacher, Bd. 1, pag. 120 u. ff. 


sehr in den Vordergrund, dass er auf diese stets 
ein wachsames Auge hatte und namentlich seit der 
Entwicklung seiner Psoratheorie oft mehr berück¬ 
sichtigte als die acuten Symptome. 

von Grauvogl erging es ähnlich. Er legt bei 
der Frage des Zustandekommens der Epidemieen 
das Hauptgewicht auf die Constitution des Indi¬ 
viduums und präcisirt den Begriff der Disposition, 
den Rademacher vollständig bei Seite lässt, dahin, 
dass*) „die Fähigkeit krank zu werden, abhängt 
von einem Stoffe der Aussen weit zwar, aber nur 
in sofern als die Moleküle und die Molekularkräfte 
unseres Organismus nach Volumen und Dichtig¬ 
keit etc. so beschaffen sind, dass sie entweder nicht 
genug Abstossung gegen jenen Stoff besitzen, mit 
anderen Worten nicht genug beivcglichcn Wider¬ 
stand\ oder eine Anziehung für ihn.* 

Diese Lehre der specifischen Relation ist der 
heute von unserem verehrten Vorsitzenden vor¬ 
getragenen eigenartigen Theorie der Einwirkung 
des Genius epidemicus mit Benützung der Jägeri¬ 
schen Lehre von der Auf - und Entspeicherung von 
Stoffen in unserem Körper am nächsten. Diese 
Jägerische Lehre ergänzt die Grauvogl'sche Defini¬ 
tion der Disposition in der Hinsicht, dass sie nicht 
blos die Verhältnisse der Qualität der aufeinander- 
wirkenden Stoffe, sondern auch die der Quantität 
derselben berücksichtigt, indem Jäger die antagoni¬ 
stische Wirkung der Stoffe dies- und jenseits des 
Indifferenzpunktes hervorhebt, die von Grauvogl nur 
unklar dämmert. 

Ueberlegen wir uns nun die verschiedenen bei¬ 
gebrachten Anschauungen und Thatsachen, so 
können wir nur constatiren, dass dem Worte 
„Epidemie“ in historischer und ätiologischer Be¬ 
ziehung zum Theil sehr verschiedene Begriffe unter¬ 
geschoben werden. Wir sehen, dass weder hinsicht¬ 
lich der Zahl, noch der Ausdehnung, noch der 
Dauer des Auftretens der gleichartigen Erkrankungs¬ 
fälle alle Autoren sich einer bestimmten Auffassung 
des Wortes „Epidemie“ an passen. Zunächst aller¬ 
dings muss die historisch-populäre Auffassung für 
den Gebrauch eines Wortes massgebend sein, so 
lange die verschiedenen Forscher sich über den 
Inhalt desselben noch nicht klar sind. 

Soviel steht fest: Wir können für unsere bis¬ 
herige Gewohnheit, die nach der Weihe’schen 
Methode gefundenen, vorherrschenden Heilmittel 
„epidemische“ zu nennen, bald da bald dort Ana- 
logieen finden, was die in der oben gestellten Frage 
erwähnten drei Punkte betrifft. Und wenn wir 
auch in unserer ätiologischen Erklärung der Epide¬ 
mieen einen eigenen Standpunkt einnehmen, und 
wenn wir auch in Bezug auf die Raschheit des 
Wechsels unserer epidemischen Heilmittel Rade- 

*) von Grauvogl, Theil 1, pag. 165. 

11 * 


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macher mit seinen 3—4 Tagen zeitweise noch etwas 
zurücklassen, so kann uns den Gebrauch des Aus¬ 
druckes ,epidemischer“ Heilmittel Niemand mit 
Recht verwehren. Hat doch jeder Autor, der sich 
mit diesem Gegenstand beschäftigte, dem Worte 
n Epidemie 4 seine eigenen Anschauungen unter¬ 
geschoben. Warum sollen wir dies nicht auch thun 
dürfen? Zudem da wir ja in der Art und Weise 
der Auffindung der Epidemieen durch Anwendung 
des Heilexperiments, der bis jetzt einzig natur¬ 
wissenschaftlichen Methode zur Feststellung des 
Wesens der Krankheitsfälle, ganz den ehrwürdigen 
Fusstapfen Rademacher’s folgen. Allerdings mit 
verbesserter Methode: denn wir brauchen nicht erst 
den Heileffect eines zur Probe gereichten Heilmittels 
abzuwarten, wie Rademacher, sondern wir wissen 
dnrch die Auffindung der Schmerzpunkte, gestützt 
auf langjährige, vieltausendfältige Erfahrungen über 
die Beziehungen zwischen jedem einzelnen Schmerz¬ 
punkte und dem ihm zugehörigen Heilmittel, dass 
wir das oder die richtigen Heilmittel (wenn wir die 
therapeutische Einheit für diese noch nicht kennen) 
zu geben haben und auch des Heileffectes sicher 
sein können. In Folge dessen besitzen wir ein 
ausserordentlich feines Reagens auf die Veränderungen , 
die sich in den Wechselbeziehungen zwischen den 
allgemeinen , äusseren Einflüssen und unserem 
Organismus vollziehen — ein Reagens, dessen sicheres 
Arbeiten durch die Feinheit der Arbeit in nichts 
beeinträchtigt wird. Ausserdem haben wir Schüler 
Weihe's als Control versuch stets die Untersuchung 
von sogen. Gesunden zur Hand, da ja bekannter- 
massen auch diese Schmerzpunkte und zwar viel 
übereinstimmender als wirkliche Patienten aufweisen, 
zur Controle, ob die an letzteren gefundenen Heil¬ 
mittel nur auf einer Constitutions-Eigentbümlichkeit 
der betr. Patienten beruhen oder ob sie allgemein 
auch bei sogen. Gesunden auftreten. 

Ich denke, Sie, m. H., werden nun alle mit mir 
übereinstimmen, wenn ich als Schlussfolgerung 
meiner Ausführungen den Satz aufstelle: Wir allein 
vermögen die feinsten Wechselbeziehungen zwischen 
den allgemeinen , äusseren Einflüssen und unserem 
Organismus , die ja den Gegenstand der epidemiolo¬ 
gischen Forschung bilden , mit der bisher grössten 
Sicherhett zu ergründen. 

Und nun mein Vorschlag: 

Es ist stets misslich, wenn man sich beim 
Forschen auf noch ziemlich unbekannten Gebieten, 
wie es die Epidemiologie wegen des bisherigen 
Mangels an einem sicheren, feinen Erkennungszeichen 
des Wesens der Krankheitsfälle noch ist, von 
schwankenden, aber mehr weniger traditionellen 
Begriffen, die einem Worte im Laufe der Zeiten 
untergeschoben wurden, auf Schritt und Tritt ein¬ 
geengt fühlen muss. Deshalb erlaube ich mir 
Ihnen vorzuschlagen, im Interesse möglichster Freiheit 


unserer Forschungen, die hoffentlich in jeder Be¬ 
ziehung der medicinischen Wissenschaft zum Nutzen 
gereichen, den Namen „epidemische* für die nach 
der Weihe’schen Methode vorwiegend angezeigten 
Heilmittel fallen zu lassen und an dessen Stelle die 
Bezeichnung „ zeitweilig herrschende Heil¬ 
mittel“ einzuführen. 


Aus der Praxis. 

Von Dr. Alb. Amberg. 

In Nachfolgendem will ich wieder einzelne Fälle 
aus der Praxis der letzten Jahre der Oeffentlichkeit 
übergeben und hoffen, damit auch meinerseits bei 
jüngeren Collegen zur Anhänglichkeit und Zuwendung 
an die homöopathische Therapie ein Scherf lein bei¬ 
zutragen. Bei der grossen Zahl unheilbarer Kranken, 
welche den homöopathischen Arzt gewissermassen 
als Ultimum refagium aufsuchen, ist es natürlich, 
dass auch uns in vielen, vielen Fällen die Rettung 
derselben nicht gelingt. Aber bei langjähriger ver¬ 
gleichender Beobachtung, wie sie mir mitten unter 
und in gutem collegialem Verhältnis zu allopathischen 
Aerzten besonders reichlich zu Gebote steht, komme 
ich immer mehr zu der Ueberzeugung, dass vom 
Standpunkte: „aegroti salus suprema lex* auch in 
diesen Fällen sowohl in Bezug auf Verlängerung 
des Lebens (mitunter allerdings ein Danaergeschenk), 
als Erträglichkeit des Zustandes unsere therapeutische 
Methode bei weitem den Vorzug vor anderen ver¬ 
dient. Und gar manchmal gelingt es uns ja auch 
noch da, wo wir selbst mit geringen oder keinen 
Hoffnungen an die Behandlung solcher Zustände 
herantreten, eine relative und selbst absolute Heilung 
zu erzielen. Es ist auch für den älteren homöo¬ 
pathischen Arzt zweckmässig und nöthig, sich durch 
Vergegenwärtigung solcher Thatsacben aus seinen 
Erfahrungen zuweilen Geist und Herz im Kampfe 
mit den allopathischen Gegnern und noch mehr mit 
dem Unverstände des lieben, besonders des so¬ 
genannten gebildeten Publikums, zu erfrischen. Denn 
wir wollen es uns nicht verhehlen, dass das letztere 
in den meisten Fällen ganz zufrieden ist, einen 
Husten sofort mit Morphium, einen beliebigen Fieber¬ 
zustand durch Antipyrin, Phenacetin, Salypyrin und 
wie die Antipyretica alle heissen, jeglichen Schmerz 
durch ein Narcoticum auch noch so vorübergehend 
gemässigt oder gebessert zu sehen, daran das Können 
des Arztes misst und sich herzlich wenig um die 
weiteren Folgen, um gründliche Beseitigung oder 
Verhütung einer Krankheit, die es auch nicht be- 
urtheilen kann, oder Schaden für Gesundheit und 
Leben, die es dann dem natürlichen und unvermeid¬ 
lichen Lauf der Krankheit und nicht der Behand¬ 
lung zuschreibt, kümmert; es ist, wie gesagt, eben 


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85 


nicht im Stande, über eine Verhütung einer längeren 
Krankheit in ihren Anfängen und über die Ver¬ 
schiedenheit des Verlaufs unter dem Einfluss der 
verschiedenen Behandlung zu urtbeilen. Da müssen 
denn immer wieder solche Fälle der Homöopathie 
zu ihrem Ansehen verhelfen, an denen die sogenannte 
academische Medicin vergeblich ihr Heil versucht, 
und die hierauf der homöopathische Arzt mehr oder 
weniger rasch zur Genesung führt. Haben wir in 
unserem Innern auch die grösste Befriedigung darüber, 
durch unser Wirken schwere Erkrankungen im An¬ 
fang beseitigt zu sehen und sie nicht zum vollen 
Ausbruch gelangen zu lassen, oder in anderen Fällen 
den Verlauf erheblich zu mildern und abzukürzen, 
die üblen Folgen hintanzuhalten, — vom Publikum 
wird solche Arbeit nicht gewürdigt, es hält die 
betreffende Erkrankung vielmehr für eine leichte 
von Haus aus; dem können nur die oben an¬ 
gedeuteten Vorkommnisse, bei denen allopathische 
Aerzte und wo möglich Professoren erst ihr Heil 
vergeblich versucht haben, imponiren. Aus diesem 
Grunde werden auch jene Fälle des gewöhnlichen 
Lebens, wie ich sie nennen möchte, so belehrend 
sie sind, am wenigsten publicirt; der angehende 
homöopathische Arzt muss sie in der Klinik, in 
der Praxis älterer Collegen und schliesslich in seiner 
eigenen selbst beobachten. Und aus diesem Grunde 
sind in den nachfolgenden Erlebnissen aus der Praxis 
solche eigentlich den schönsten Theil unseres Wir¬ 
kens bildende Heilungen weniger herangezogen. 

Zunächst mögen einige Beobachtungen über 
Syphilis, weniger Krankengeschichten als kurze 
Bemerkungen, an die Reihe kommen. Hier will ich 
voranschicken: So sehr interessant und überraschend 
die Heilungsgeschichten dieses Leidens sind, wie 
sie uns namentlich Kunkel u. A. schildern und 
wo die Behandlung und Heilung ganz unabhängig 
von der Diagnose * Syphilis“, nur gestützt auf 
Symptomenbild und Constitution erfolgte, aller¬ 
dings mitunter erst nach Monaten und gar Jahren, 
so glaube ich doch, dass wenige von uns dieses 
Beispiel „reinster Homöopathie“ befolgen können, 
und zwar einfach schon deshalb, weil die Patienten 
nicht so lange bei uns ausharren würden; nur sehr 
wenige, es sei denn, dass sie vielleicht schon lange 
und wiederholt anderweit vergeblich behandelt 
wurden, werden ein so felsenfestes Vertrauen be¬ 
wahren, dass sie nicht bei zögernder Heilung oder 
eintretender Verschlimmerung zum allopathischen 
Collegen gehen, bezw. zurückkehren würden. Ich 
nehme daher keinen Anstand, mich bei Syphilis 
häufig der Ketzerei schuldig zu machen und Queck¬ 
silber in allopathischer Dosis innerlich oder auch 
als Inunctions- oder Injectionscur oder Jodkalium 
zu verwenden, und muss gestehen, dass ich dadurch 
oft zur rascheren Unterdrückung der Erscheinungen 
und auch wohl jahrelang constatirter Beseitigung 


der Syphilis kam als mit homöopathischen Mitteln. 
Dass aber auch umgekehrt oft genug die homöo¬ 
pathische Behandlung da, wo die academische im 
Stich lässt, günstig, manchmal zauberhaft wirkt, 
mögen folgende Beobachtungen neben vielen von 
anderen Aerzten publicirten beweisen. 

1. Es sind schon lange Jahre, zu einer Zeit, in 
der ich mich mehr und mehr der homöopathischen 
Heilmethode, anfangs zaghaft, zuwandte, als mich 
Assessor B. wegen weit vorgeschrittener secundärer 
und tertiärer Syphilis, die bis dahin von einem 
allopathischen Collegen behandelt war, consultirte. 
Bubonen, theils ulcerirt, Corona veneris, kupfer¬ 
farbene und missfarbige ausgedehnte Exantheme, 
Knochenauftreibungen und vor Allem tief ulcerirende, 
mit Krusten bedeckte, ausgedehnte knotige Geschwüre 
an verschiedenen Sellen des Körpers (syphilitische 
Tuberkel), Gummata u. s. w. boten ein nicht ent¬ 
zückendes Bild. Obgleich mir Patient sagte, dass 
er Mercurialien von Anfang an nicht habe vertragen 
können und namentlich vergeblich Calomel und 
Sebmiercur gebraucht habe, glaubte ich es doch 
mit einem anderen Präparat, dem Mercur. jodat. 
versuchen zu müssen, allein ohne Erfolg. Ich musste 
annebmen, dass eine Mischung von Syphilis und 
Mercurialismus vorhanden war; aber das dagegen 
versuchte Jodkalium schuf weder in grossen noch 
kleinen Dosen Besserung, und so dachte ich, muss 
ein Versuch mit der homöopathischen Behandlung 
gemacht werden. Ich suchte also Belehrung bei 
Bähr und Kafka und entschied mich für Aurum 
metall., welches ich in 3. Verreibung zuerst 3stünd¬ 
lich, dann 3 Mal täglich gab; heute würde ich des 
Mercurialismus wegen Acid. nitric. vorhergeschickt 
haben. Sofort besserten sich alle Erscheinungen, 
und insbesondere die speeifischen Geschwüre be¬ 
gannen zu trocknen und zu vernarben. Trotzdem 
wurde Patient, den ich noch mehrere Jahre be¬ 
obachten konnte, nicht gänzlich geheilt. Ein un¬ 
verbesserlicher Lebemann wollte er weder den Ge¬ 
nüssen des Bacbus noch der Venus entsagen, noch 
auch sich beharrlicher Medication unterwerfen; er 
war mit Beseitigung der schwersten und störendsten 
Symptome zufrieden, bekam von Zeit zu Zeit auch 
noch andere Mittel, darunter Kal. jodat. in kleinsten 
Dosen, Kal. bichrom. u. drgl. und meist mit günstigem 
Erfolg, so dass er mir stets dankbar blieb. Als er 
bereits längere Zeit von hier versetzt war, schrieb 
er mir gelegentlich, dass es ihm verhältnissmässig 
gut gehe, und dass er bei Auftreten von Erschei¬ 
nungen die von mir verordneten Pulver (Aurum) 
mit stets gutem Erfolge benutze. Das ist nun 
keine Heilung, auch keine mustergültige Behand¬ 
lung; ich räume vielmehr ein, dass der Fall einer 
homöopathischen Kritik berechtigte Angriffspunkte 
bietet; aber das beweist er wenigstens, dass die 
homöopathische Behandlung da noch Hülfe leistete, 


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86 


wo es mit dem academischen Latein ziemlich zu 
Ende war. 

2. Vor längerer Zeit consultirte mich der Forst¬ 
beamte L., früher einige Zeit Apotheker, wegen 
mehrfacher syphilitischer Geschwüre des Rachens 
und ausgedehnter breiter Condylome am Anus, nach¬ 
dem er bereits anderweit vergeblich behandelt war. 
Da es auf möglichst rasche Beseitigung des Leidens 
ankam und eine Schmiercur der äusseren Verhält¬ 
nisse wegen nicht tbunlich war, schlug ich ihm die 
damals bevorzugten subcutanen Sublimatinjectionen 
vor und glaubte auch in den ersten 8 Tagen, einen 
Heilungsbeginn zu erzielen. Dann aber trat Still¬ 
stand und schliesslich sogar Verschlimmerung der 
Erscheinungen ein, so dass mir der Eintritt von 
Mercurialismus zur Syphilis ausser Zweifel stand. 
Nun fragte ich den Patienten, ob er sich zum Ver¬ 
suche einer homöopathischen Behandlung ent- 
schliessen könne, — eine Frage, die bei einem früheren 
Apotheker sicher nicht überflüssig war, — und auf 
bejahende Antwort erhielt er Acid. nitric. in 3. Ver¬ 
dünnung. Und was war der Erfolg? Sofort trat 
Besserung ein, und nach etwa 12 Tagen waren alle 
Erscheinungen verschwunden, auch nach l 1 ^ Jahren 
noch keine wiedergekehlt. Ich eifuhr das durch 
einen Brief des Patienten aus Strassburg; der Erfolg 
der homöopathischen Behandlung hatte ihm nämlich 
derartig imponirt, dass er aus so weiter Ferne wegen 
eines ganz anderen, nicht syphilitischen Leidens 
meinen Rath begehrte. 

3. Einen ähnlichen Erfolg von Acid. nitric. 3 
sah ich hier vor einem halben Jahre bei einer 
* Jungfrau“, die sich ihrer Behauptung zufolge nur 
auf dem Abort angesteckt haben wollte. Warum 
soll man nicht so gefällig sein, das dem Mädchen 
aus anständiger Familie zu glauben? Die Vulva 
war geschwollen, entzündet, mit Geschwürchen 
specifischen Characters bedeckt; von der hinteren 
Commissur an über das Perinaeum hinaus bis hoch 
über dem Anus lag ein ausgedehntes Feld breiter, 
eiternder, schmerzender Condylome. Da bereits 
längere Behandlung eines allopathischen Collegen 
vorausgegangen, und vermuthlich Mercurialien zur 
Anwendung gekommen waren, gab ich gleich Acid. 
nitric. 3 und hatte die Freude, nach etwa 14 Tagen 
Geschwüre und Condylome beseitigt zu sehen. 

Wenn in diesen 3 Beobachtungen (Kranken¬ 
geschichten sind es eben nicht) sich die Wirksam¬ 
keit von Aurum und Acid. nitric. gegen Syphilis 
bezw. Mercurialismus offenbarte, so ist es wohl un- 
nöthig zu bemerken, dass in passenden Fällen und 
bei passenden Symptomen eine ganze Reihe anderer 
Mittel dienlich und in Anwendung zu bringen sind; 
und ich will nur beispielsweise Mercur, Mezereum, 
Arsen., Arsenic. jodat. und Kal. bichromic., Thuja, 
Staphisagria nennen. Und damit will ich den Gegen¬ 
stand verlassen und mich anderen Fällen zuwenden. 


4. Catbar. S. bekam im Frühjahr 1888 nach 
länger vorangegangenen Magenbeschwerden sehr 
starkes Blutbrechen und hatte seitdem vielfach mit 
Magenschmerzen, zuweilen Erbrechen, vermindertem 
Appetit, Verschlimmerung der Schmerzen durch 
Essen zu kämpfen. Nachdem sie vergeblich andere 
Aerzte consultirt, suchte sie am 4. November meinen 
Rath wegen der andauernden sehr heftigen durch 
Nahrungaufnahme zunehmenden Schmerzen. Die 
Untersuchung ergab ausser der Empfindlichkeit des 
Epigastrium gegen Palpation keine weiteren Anhalts¬ 
punkte; doch konnte die Diagnose „Ulcus ventricuü* 
keinem Zweifel unterliegen. Die Verordnung be¬ 
stand neben Anempfehlung zweckmässiger, vor¬ 
wiegend flüssiger und breiiger Diät, die ich als be¬ 
kannt voraussetze, in 3 Gramm Argent. nitric. 2. 
Dec. mit 30 Gramm Wasser, davon alle 3 Stunden 
10 Tropfen. Am 11. November schon wurde von 
erheblicher Besserung berichtet und dieselbe Arznei 
4 Mal täglich 10 Tropfen, verschrieben, am 23. No¬ 
vember bei fortschreitender Besserung 3 Mal täglich. 
Die Schmerzen waren jetzt beseitigt, auch feste 
Speisen wurden ohne Beschwerden vertragen, und 
Patientin, die sich als vollständig geheilt vorstellte, 
erhielt den Rath, noch längere Zeit die sehr schwere 
Kost zu vermeiden und von Zeit zu Zeit, d. h. 
mit ^Unterbrechungen, von der Arznei 2—3 Mal 
täglich 10 Tropfen zu nehmen, um volle Vernarbung 
herbeizuführen, einen Rath, den ich in solchen 
Fällen zur Vermeidung von Rückfällen sehr zweck¬ 
mässig finde. Ich erzähle diesen sehr einfachen 
Fall, dem ich Dutzende mehr oder weniger ähnlicher 
anreihen könnte, um die Leser auf die ganz vor¬ 
zügliche Wirkung von Argent. nitric. in niederen 
Verdünnungen, ich wähle meist die 2. und 3. Decim., 
bei verschiedenen Magenaffectionen aufmerksam za 
machen. Bei Ulcus ventricul. halte ich os für zweck¬ 
mässig, erst einige Tage nach gestillter Blutung 
damit zu beginnen, während diese selbst mit Eis, 
Jpecac., Arsenic., Plumb. acetic. (dies auch in 
stofflicher Gabe) bekämpft wird; gegen die sehr 
heftigen Schmerzen im Beginn erweist sich oft Kal. 
bichromic. 6 nützlicher. Ferner erzielte ich bei 
langwierigen Magencatarrhen, selbst mit Ectasien, 
die mit Schmerz, Druck, Appetitlosigkeit, fauligem 
Aufstossen u. s. w. einhergingen und oft längere 
Zeit vergeblich von anderen Aerzten behandelt waren, 
vielfach durch Argent. nitric. sehr raschen und 
günstigen Erfolg, auch wohl bei nervösen Dyspepsien 
in etwas höheren Verdünnungen. Ein allopathischer 
College hatte, ohne dass ich es wusste, derartige 
Curen mit Argent. nitric. bei Patienten, die vorher 
in seiner oder anderer Behandlung gewesen waren, 
beobachtet und war dadurch zu einem achtungs¬ 
vollen Urtheil über Homöopathie bestimmt worden, 
wie er mir später bei einem Bekebrungsversuche 
gestand. Er würde auch zur Homöopathie über- 


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gegangen sein, wenn er nicht (er war Kreisphysicus) 
eine Beeinträchtigung seiner weiteren Beamten!auf¬ 
bahn dadurch gefürchtet hätte, was leider nicht 
unbegründet ist. Dass übrigens neben Argent. nitric. 
eine ganze Reihe anderer Mittel, darunter Nux vomic., 
Bismuth., Bryonia. u. s. w. bei Magenaffectionen 
vorzügliche Dienste leisten, bedarf nicht der Er¬ 
wähnung. Bei Carcinoma ventriculi würde ich 
Argent. nitric. nicht verwenden. 

5. Job. B., 14 Jahre alt, wurde mir am 21. Nov. 

1888 vorgestellt, nachdem er 2 Jahre lang an 
Chorea major gelitten. Die Anfälle bestanden in 
Bäumen und Krummbiegen des ganzen Rumpfes, 
tonischen and clonischen Krämpfen der Extremitäten, 
dauerten lange und wiederholten sich häufig. Patient, 
von scrophulösem Habitus, war in letzter Zeit auch 
von noch jetzt andauernden äusserst heftigen Kopf 
schmerzen heimgesucht. Dass bei dem langen Leiden 
und der Entfernung von 20 Kilometer von hier 
schon mehrfach andere Aerzte vorher consultirt 
waren, ist fast selbstverständlich. Der äusserst 
heftigen mit Röthe des Gesichts verbundenen Kopf¬ 
schmerzen wegen gab ich zunächst Belladonn. 6 D. 
in Lösung, und nachdem mir am 25. Nov. berichtet, 
dass die Kopfschmerzen nahezu beseitigt seien, 
Agaricus muscarius 6, 3 Mal täglich, und hatte die 
Freude, dass bei Fortsetzung diesos Mittels das 
Leiden nach etwa 4 Wochen gänzlich beseitigt war. 
Die Andauer der Heilung wurde mir im August 
des folgenden Jahres bestätigt, als Patient mich 
wegen eines Enchondroms eines Fingers von 9 Cm. 
Umfang consultirte. Nach dem Gebrauche von 
Silicea 6. trat allmählige Besserung desselben ein, 
vermuthlich später vollständige Heilung, da Patient 
nichts weiter von sich hören liess und bei dem 
glücklichen Erfolge der vorhergehenden Cur doch 
sonst wohl wieder gekommen wäre. Wir sind ja, 
namentlich bei auswärtigen Patienten so oft in 
Bezug auf den Erfolg unserer Behandlung auf mehr 
oder minder wahrscheinliche Vermuthungen an¬ 
gewiesen, wenn der Patient nicht zufällig bei einer 
anderen Krankheit, ein anderes erkranktes Familien¬ 
glied oder ein Dritter, den die Empfehlung des 
Geheilten uns zuführt, von der Genesung Mit¬ 
theilung machen kann. So geht auch im folgenden 
Fall, den ich der Silicea-Wirkung wegen anreihe, 
die eigene Beobachtung nur bis zur fast völligen 
Beseitigung des Leidens, während die völlige sehr 
wahrscheinlich. 

6. Elisab. H., 20 Jahre alt, kommt am 3. Mai 

1889 mit Entzündung des Mittelfingers in der 
ersten und zweiten Phalanx-Gegend zu mir, die 
schon 4 Wochen bestanden hatte. Die Stelle schmerzte 
sehr, war geschwollen, stark geröthet, elastisch anzu¬ 
fühlen; Fluctuation fehlte, also Diagnose: Panaritium 
periostale. Patientin, im Uebrigen gesund, wollte 


sich auf sofortige Incision mit antisept. Verband 
nicht einlassen und bekam deshalb 10 Tropfen 
Silicea 15 in 100 Gramm Wasser, davon 3 Mal 
täglich 1 Tbeelöffel, äusserlich indifferente Bedeckung 
des Fingers. Am 7. Mai # stellte sie sich erheblich 
gebessert, mit verminderter Geschwulst, fast ohne 
Schmerz und Röthe wieder vor und erhielt dieselbe 
Verordnung. Sie kam nicht wieder, was ich in 
diesem Fall doch als Zeichen völliger Heilung an- 
sehen möchte. Es ist das ein einfacher Fall, aber 
immerhin gut, um die Wirkung der Silicea bei 
Panaritien im Gedächtniss aufzufrischen. 

7. Ludw. W., 2 Jahre alt, wurde mir in derselben 
Zeit mit Eczema serpiginos., welches schon 4 Monate 
gedauert hatte, auch in anderer Behandlung ge¬ 
wesen war, vorgestellt. Gesicht und Kopf war mit 
bräunlich schwarzen Krusten fast übersät, welche 
nässten und theilweise eiterten und fortkrochen, 
auch auf Hals, Schulter und Oberarm war der 
Ausschlag in einzelnen Inseln ausgedehnt, die Augen¬ 
lider geschwollen, die Augen geschlossen. Meine 
Verordnung bestand mit Ausschluss äusserer Mittel 
in Graphit. 200 D., 8 Tropfen in 120 Gramm Wasser, 
3 Mal täglich 1 Theelöffel. Schon nach 8 Tagen 
war erhebliche Besserung, in nicht ganz 3 Wochen 
dauernde Heilung eingetreten. Ich könnte dieser 
Beobachtung noch verschiedene von der schnellen 
Hülfe des Graphit. 200 in ähnlichen Fällen an¬ 
reihen, die theil weise hartnäckig anderen Mitteln, 
auch niederen Potenzen des Graphit, getrotzt hatten, 
und mache insbesondere auch auf seine Hülfe bei 
Rhagaden an Hand und Fingern aufmerksam. Inter¬ 
essant war mir kürzlich dabei ein Vorkommniss 
bei einer an monatelangem Eczema pudend. leidenden 
Bauernfrau, die ebenfalls durch Graphit. 2UÜ ge¬ 
heilt wurde. Ich hatte es in Pulvern in weissem 
Papier und daneben Scheinpulver in rothem Papier 
verordnet. Die Frau, welche keine Ahnung von 
Scheinpulvern hatte, forderte 2 Mal ohne mich zu 
benachrichtigen, in der Apotheke die weissen Pulver 
mit dem Bemerken, die rothen seien nicht so wirk¬ 
sam. Ich lege hiermit um so lieber Zeugniss von 
der Wirksamkeit einer Hochpotenz ab, die ich im 
Ganzen sehr selten verwende, da gerade in neuerer 
Zeit die Wirksamkeit von Arzneien jenseit der 
12. Dec.*) aus chemischen und wissenschaftlichen 
Gründen bestritten und geleugnet wird. 

_ (Fortsetzung u. Schluss folgt.) 

♦) 12. Cent. — Die Red. 


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Referate. 

Ein Urtheil Hahnemanns über die Cholera und 
ihre Behandlung durch Campher aus dem Jahre 
1831 , (Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung 
der Deutschen, 1831, No. 173 und 189) und eine 
Bestätigung der Campherwirkung. 

Bei der jetzt wieder allgemein auftretenden 
Choleragefahr und dem furchtbaren Ausbruche der 
Seuche in Hamburg wird es Vielen unserer Leser 
interessant sein, wenn wir eine Veröffentlichung 
Hahnemann*s über die Cholera und die Verwend¬ 
barkeit des Camphers gegen dieselbe aus der Epidemie 
im Jahre 1831 zum Abdruck bringen, sowie den 
Auszug eines Schreibens des Leibarztes der Herzogin 
von Lucca, Dr. Anton Schmit, an denselben vom 
5. September 1832, welches eine interessante Be¬ 
stätigung der Heilkraft des Camphers enthält. Es 
ist dieser historische Bückblick um so gerecht¬ 
fertigter, als College Hesse in Hamburg auch heute 
wieder den Campher vorzugsweise indizirt findet 

Bis zum Jahre 1830 war die asiatische Cholera 
in Europa unbekannt gewesen. Nach Orenburg und 
Astrachan eingeschleppt, wurde sie damals zu einer 
ausgesprochenen Weltseuche. Durch den russisch¬ 
polnischen Krieg wurde sie im April 1831 nach 
Polen verpflanzt und schon im Mai trat die erste 
deutsche Epidemie in Danzig auf. Ein Auf¬ 
halten der Seuche war nicht mehr möglich. Im 
August und September wütbete sie in Berlin und 
Wien, während sie gleichzeitig auch in Constanti- 
nopel eine zweite Eingangsstrasse nach Europa fand. 
In der Nummer 173 des „Allgemeinen Anzeigers“ 
vom 29. Juni 183 L erschien die folgende Ver¬ 
öffentlichung Hahnemann’s, sein «ErläuternderZusatz 8 
in No. 189 am 15. Juli 1831. Wir bringen Beide 
zunächst zum Abdruck und wollen das oben erwähnte 
Schreiben des Dr. Anton Schmit darunter folgen 
lassen. 

Die Cholera 

war dem von ihr entfernten Publicum bisher, wegen 
Nachlässigkeit der zeitherigen Beobachter, nur 
höchst unvollkommen in ihren wahren Aeusserungen 
bekannt geworden, und es ward daher unmöglich, 
das beste Specificum dafür auszumitteln. 

Folgende Beschreibung der sechs Hauptformen, 
in welcher dieselbe in Galizien zu erscheinen pflegt, 
von einem Kenner der Homöopathik im stanislawower 
Kreise am 5. Junius aufgesetzt nach einer grossen 
Menge von Kranken, die dieser uneigennützige 
Menschenfreund behandelt hat, wird uns etwas weiter 
führen. 

«Seit ungefähr einem halben Jahre,“ schreibt 
er mir, «hat sich die Cholera an der galizischen 
Grenze eingefunden; in Folge des russischen Sanitäts- 
consultationsausspruchs hat man sie auch hier für 


nicht ansteckend gehalten, weshalb dieselbe un¬ 
gehindert sich im Lande fortpflanzt.“ 

«Sie äusserte sich hier unter nachstehenden 
Formen und Symptomengruppen, die oft in einander 
greifen, mit Ueberspringung des einen oder andern 
Symptoms, so dass bei dem einen Subjecte die 
Krankheitserscheinung mehr in den ersten Wegen, 
bei den Andern mehr im Respirations- und Blut- 
systeme und bei wieder Andern mehr als Angriff 
auf das Nervengebilde vorherrschend sich darstellt“ 
«Erste Hauptform: Schwindel, heftiges Brennen 
im Magen und Schlunde; bei Berührung der Herz¬ 
grube mit dem Finger ein unwillkürlicher Schrei 
vor Schmerz; unbewegliches Dahinliegen des ganzen 
Körpers, wie im Stupor; verglasete Augen; bei 
Einigen Urinverhaltung; Tod.“ 

„Zweite Hauptform: Plötzliches Kaltwerden der 
Hände und Füsse, mit gänzlicher Gefühllosigkeit; 
Blauwerden der Hände bis zum Wurzelgelenk; 
Krämpfe; Tod.“ 

„Dritte Hauptform: Ohne alles Vorgefühl,plötz¬ 
licher, allgemeiner Starrkrampf; Tod.“ 

«Vierte Hauptform: Kopf- und Gliederschmerz 
mit Husten; starke Hitze, mit Brennen im Bauche; 
kalter und warmer Schweiss; endlich Starrkrampf; 
Tod.“ 

„Fünfte Haoptform: Heftige Brustentzündung 
mit Blutauswurf oder Blutentleerungen von unten; 
dann heftige Stiche im Gehirn; Tod.“ 

„Sechste Hauptform: Plötzliches Sinken der 
Kräfte, Brechdurchfall wie Wasser; wässerige Stuhl- 
ausleerungen; Kollern im Unterleibe; heftiges Ein¬ 
ziehen der Bauchmuskeln; sehr erschwertes Athmen 
mit Röcheln; hippocratisches Gesicht, mit agonisi- 
rendem Herumwerfen; Tod.“ 

Die erste Form suchte er mitCicuta virosa zu 
bekämpfen; aber sie passet nur zum Theil, und es 
war nicht zu verwundern, dass er damit von vier 
Kranken dieser Art nur zwei rettete. Bei der 
zweiten Form half mehr Frottiren und heisse Um¬ 
schläge, als Sabadilla, die nur in einem einzigen 
Falle half. Gegen die dritte Form fand er bisher 
kein Mittel, ln der vierten Form half in allen 
leichtern Fällen, die noch nicht bis zum Starrkrampf 
gediehen waren, Rhus toxicodendron, gehörig hoch 
potenzirt Gegen die fü nfte Form gab er Anfangs 
Aconitum Napellus, dann Atropa Belladonna, und 
von sieben Kranken dieser Art starb kein einziger. 
In der sechsten Form schien Veratrum album hülf- 
reich; aber von zweiunddreissig Kranken konnte er 
damit doch nur zwanzig zur Genesung bringen. 

Ob nun gleich durch dieses homöopathische 
Verfahren weit Mehrere hergestellt wurden, als beim 
gewöhnlichen allöopathischen durch Aderlässe etc., 
so fehlt doch noch gar viel dabei an einer durch¬ 
gängig zu wünschenden Hülfe gegen diese mörderische 
Seuche. 


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89 


Noch weit mehr Hülfe, als diese, Hesse sich 
freilich in kleinen Gaben hoher (i) Potenzirangen 
desKupfers (Cuprum), des Conium maculatum und 
das Hyoscyaraus niger antreffen. Wo fänden sich 
aber hinreichend geübte Homöopathiker genug, welche 
mit diesen, bei übertriebenen Gaben, oder im un¬ 
passenden Falle nicht ungefährlichen Arzneien, einer 
Menge solcher Kranken mit Erfolg zur Hülfe ge¬ 
schickt werden könnten, deren Leben oft nach einer 
unhülfreich verbrachten Viertelstunde nicht mehr 
zu retten ist 

Ohne also diesen, hier höchst wahrscheinlich 
heilsamen Arzneien grossen Erfolg absprechen zu 
wollen, wenn sie zeitig genug, in der passendsten 
(kleinen) Gabe hoher Potenzirung und von geübten, 
behutsamen Homöopathikern angewendet würden, 
müsste man doch einem andern Mittel bei weitem 
den Vorzug geben, welches die Hülfskraft aller 
dreien und auch die des Rhus toxicondendron in 
sich vereinigt, vor allen diesen aber nicht nur den 
Vorzug besitzt, den bei der Cholera allzu sehr und 
allgemein zu befürchtenden Starrkrampf in der Erst¬ 
wirkung hervorbringen (und ihn daher am gewissesten 
heilen) zu können, sondern auch den Vorzug besitzt, 
bei seiner durchdringenden, fast augenblicklichen, 
allgewaltigen Wirkung dennoch, wegen seiner Flüch¬ 
tigkeit, fast gar nie gemissbraucht werden zu können 
und so auch selbst im Uebermasse das Leben nie 
zu gefährden. 

Dieses einzige Mittel ist der Campher (von 
Laurus Camphora), welcher ausser seinen, in der 
Cholera sehr speciell passenden Wirkungen, noch 
vorzugsweise vor allen andern Arzneien die Eigen¬ 
schaft besitzt, dass er die feinsten Thiere niederer 
Ordnung schon durch seinen Dunst schnell tödtet 
und so das Cboleramiasma (was wahrscheinlich in 
einem, unsere Sinne entfliehenden lebenden Wesen 
menscbenmörderischer Art besteht, das sich an die 
Haut, die Haare etc., der Menschen oder an deren 
Bekleidung hängt, und so von Menschen zu Menschen 
unsichtbar übergeht) am schnellsten zu tödten und 
zu vernichten, und so den Leidenden von demselben 
und der dadurch erregten Krankheit zu befreien und 
berzu8t.ellen im Stande sein wird. 

Zu dieser Absicht muss der Campher in voller 
Ausdehnung angewendet werden. Innerlich nimmt 
der Kranke, wenn er nicht schon zum Einnehmen 
unfähig ist, alle Minuten einen TbeelÖffel voll eines 
Gemisches von einem Quentchen Campherspiritus 
(gesättigte Auflösung des Camphers in Weingeist) 
in vier Loth heissem Wasser, und äusserlich wird 
ihm mittelst eines wollenen Tuches ein Theil des 
Körpers nach dem andern mit Campherspiritus ein¬ 
gerieben, während die übrigen Theile mit einer wohl 
durchwärmten und mit Campher durchräucherten 
Decke eingehüllet werden. Zugleich lässt man in 
der Krankenstube, auf einem heissen Bleche über 


einer kleinen Lampe, ununterbrochen aufgelegten 
Campher verflüchtigen, so dass die Stubenluft stark 
damit geschwängert sei. 

Dieser Campherdunst, welcher sich dem Kranken 
bei jedem Athemzuge aufdringt, selbst wenn schon 
der Kinnbackenkrampf seinen Mund zum Einnehmen 
der flüssigen Arznei verschlösse, wird nächst dem 
anhaltenden Einreiben des Campherspiritus auch da 
noch helfen, wo Eiskälte der Glieder, Starrkrampf 
und Bewusstlosigkeit jede andere Hülfe anzubringen 
versagen. 

Ich hoffe, dass Keiner sterben wird, dem zeitig 
diese Behandlung zu Theil ward, welche zugleich 
auch den Behandler am besten vor Ansteckung 
schützt und so seinem Rettungsgeschäfte die sonst 
so drohende Lebensgefährlichkeit benimmt. 

Um aber auch die Ansteckung und Verbreitung 
der Cholera gewisser unmöglich zu machen, als 
bisher, müssten in der Contumaz (Quarantaine) aller 
da anlangenden Fremden Kleidungsstücke, ihre 
Wäsche etc. (während ihr Körper durch schnelles 
Waschen gereinigt und mit reiner, leinenen oder 
barchenten, zum Hause gehörigen Bekleidung ver¬ 
sehen würde) zwei Stunden lang in einer Backofen- 
hitze von 80 Grad (wobei ein Gefäss mit Wasser 
kochen kann) erhalten werden — eine Hitze, in 
welcher alle bekannte Ansteckungsstoffe und so 
auch die lebenden Miasmen vernichtet werden. 
Cöthen, den 23. Jun. 1831. 

Samuel Hahnemann. 

Erläuternder Zusatz zu meiner Abhandlung 
über die Heilung derCholera durch Campher. 

Der Campher ist eine so besondere Arznei¬ 
substanz, dass man sie leicht für eine Ausnahme 
von allen übrigen zu halten in Versuchung kommen 
könnte, denn er macht auf den menschlichen Körper 
einen, obschon mächtigen, doch nur gleichsam ober¬ 
flächlichen Eindruck, welcher zugleich so vorüber¬ 
gehend ist, wie von keiner anderen, so dass man 
bei seiner homöopathischen Anwendung die kleine 
Gabe fast augenblicklich wiederholen muss, wenn 
die Heilung einen dauerhaften Erfolg haben soll. 
Diese beim Campher so oft nöthige Erneuerung der 
kleinen Gabe beim homöopathischen Gebrauche giebt 
ihr das Ansehen einer grossen Gabe und diesem 
Verfahren den Anschein einer palliativen Behandlung, 
die es doch durchaus nicht ist, da der Heilerfolg 
in solchen Fällen dauerhaft bleibt, und seinen Zweck 
vollkommen erreicht, was ein Palliativ, der Natur 
der Sache nach, (als dem Krankheitszustande in 
seiner Wirkung entgegen gesetztes Mittel) nie thun 
kann, weil es stets in der grossen, auch wohl ge¬ 
steigerten Gabe doch nur eine vorübergehende 
Scheinhülfe hervorbringen und das Uebel in der 
Nachwirkung nur sich stets wieder erneuernd und 
um desto mehr sich verstärkend hinterlassen kann. 

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90 


Dies erhellet auch z. B. aus dem homöopathischen 
Gebrauche des Camphers gegen die Influenza, für 
welche er das specifiscbe, homöopathische Heilmittel 
ist Da muss der Kranke ebenfalls fast alle Augen¬ 
blicke in die Campherauflösung riechen, wenn er 
bald und vollkommen geheilt sein will, was dann 
oft in vierundzwanzig Stunden vollständig erfolgt. 
Cöthen, den 11. Jul. 1831. 

Samuel Hahnemann. 

Aus dem allgemeinenAnzeiger der Deut sehen 
vom 21. September 1832: 

Hochverehrter Hahnemann! 

„Ich überschicke Ihnen hier ein interessantes 
Document über die Heilsamkeit des Camphers in 
der Cholera. Nur Schade, dass dergleichen so spät 
bekannt wird. 

D&ka ist der Wohnort des Grafen. Ausser 
diesem hat er in den nahen Ortschaften denen an 
der Cholera Erkrankten Hülfe geschafft. Er selbst 
hat über 500 Cholerakranke gesehen, und da er 
nicht überall sein konnte, nahm er sich drei bis 
vier männliche Individuen zur Seite, die er unter¬ 
richtete und dahin sandte, wohin er selbst zu gehen 
keine Zeit hatte. Er hat, wie Sie sehen, nichts als 
den Campher angewendet Die Veranlassung dazu 
war ein Aufsatz in der Pester Zeitung von einer 
Dame aus der Gegend von Türnau, die auch selbst 
den Arzt machte und fast alle mit Campher heilte. 
Dies bewog ihn zu einem Versuche, der so gut 
ausfiel, dass er gar nichts Anderes anwandte. 
Früher schon hatte er Ihren Vorschlag, den Campher 
gegen die Cholera anzuwenden, in der allg. Zeitung 
gelesen, aber kein Vertrauen dazu gefasst, da ihm 
die Homöopathie fremd war, und er einen Vor¬ 
schlag a priori von einem Manne, der die Cholera 
noch gar nicht gesehen hatte, für nicht beachtens¬ 
wert hielt. Sie können sich denken, wie ver¬ 
schieden sein jetziges Urtheil über Sie ist, zufolge 
der gemachten Erfahrung mit dem Campher. 

Wie sehr der Graf Mensch und Christ, und 
wess Geistes er ist, wird Ihnen dieses Document 
zeigen. Dieses Document ist im Archiv noch mit 
mehreren wichtigen Krankengeschichten, die er An¬ 
fangs, ehe die Krankheit um sich griff, verfasst 
hatte, belegt. Er wollte es in Pest durch die 
Zeitung bekannt machen, allein man erwiderte ihm, 
dass der Gebrauch des Camphers in der Cholera 
nichts Neues sei, und dass man es daher nur be¬ 
kannt machen würde, wenn er es seiner selbst 
willen verlangte. Seiner selbst willen fand er die 
Bekanntmachung nicht für nöthig und so unterblieb es, 

An sporadischen Krankheiten lagen in dieser 
Zeit achtzig krank, davon sind gestorben drei. Von 
denen, die in der Cholera nicht ärztlich behandelt 
wurden, kam keiner davon; es waren deren im Orte 


Daka sieben bis acht. Zwei Häuser sind ganz aus- 
gestorben. u 

Kamphergeist vertilgt allein die Cholera . 

„Schilderung der Cholera in Däka in Ungarn 

und deren Heilung, vom 17. Sept, bis 
15. Nov. 1831.“ 

„Als die Cholera morbus zu Däka ausbrach 
und auf ärztliche Hülfe nicht mehr zu rechnen war, 
indem zu Papa zu gleicher Zeit die Epidemie 
herrschte, ich doch meine Unterthanen nicht ohne 
Versuch der Hülfe dahin sterben lassen wollte, so 
habe ich, auf Gott vertrauend, welcher jene nicht 
verlässt, die ihrem Bruder helfen, den Versuch ge¬ 
wagt, mit Camphergeist, welcher durch Dr. 
Hahnemann empfohlen wurde, die Cholera zu 
heilen, und Gottes Segen hat meine Bemühungen 
mit glücklichem Erfolge gekrönt. Ich halte es da¬ 
her für meine Pflicht, die Art, wie ich dabei ver¬ 
fahren und meine gemachten Beobachtungen darüber 
aufzuzeichnen, damit Andere in späterer Zeit, 
Falls diese unglückliche Krankheit wieder zurück¬ 
kehren sollte, sich darnach halten können. Dieses 
Document soll daher im Familienarchiv aufbewahrt 
werden. 

Die Vorboten der Cholera, welche auch öfters 
mehrere Tage, oft nur mehrere Stunden vorher 
empfunden werden, sind: 

1) Unbehaglichkeit, Schwäche in allen Gliedern. 

2) Kalte Hände, welche man nicht erwärmen 
kann, unrichtiges Betastungsgefühl, oft, als wären 
die Finger eingeschlafen, und gar keine Kraft, 
etwas anzufassen. 

3) Die Füsse kalt, welche so schwer scheinen, 
dass man sie kaum fortschleppen zu können glaubt. 

4) Das Gefühl eines Zusammenziehens, oder ein 
Drücken in der Magengegend, welches unleidlich 
sich vermehrt, wenn man darauf drückt. 

5) Gewöhnlich einem Jeden auffallende Blässe 
des Gesichts und der Lippen. 

6) Oefter Kopfschmerz, obwohl man Kälte em¬ 
pfindet, und 

7) oft auch schon mehrere Tage zuvor Ab¬ 
weichen, meistens grüner, dünner Excremente. 

Wenn man dies fühlt und die Cholera schon in 
dieser Gegend ausgebrochen ist, wird man gut thun, 
sich zu Bette zu begeben, warm zuzudecken, auf 
die Magengegend, auf die blosse Haut einen mit 
Camphergeist befeuchteten Flanell aufzulegen, und 
mit der Hand darauf zu halten, worauf man in 
Kurzem fühlen wird, dass sich der Magen sehr er¬ 
wärmt, das Drücken nachlässt und der ganze Körper 
sich erwärmt; es erfolgt gar öfters darauf ein ge¬ 
linder Schweiss, worauf man gewöhnlich einschläft 
und vollkommen wohl sich befindet, den andern 


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Tag aufstebt and die Cholera glücklich in ihrem 
Keim erstickt hat, welches ioh mehrmals an mir 
selbst und auch bei Andern bestätigt gefunden 
habe; hilft es nicht gleich, so kann man das Be¬ 
feuchten des Flanells nach einer Viertelstunde 
wiederholen, und den andern Tag wird man wohl 
thun, sich vor jeder Verkältung zu hüten, diät zu 
leben und lau zu trinken; versäumt man dies, so 
erfolgt das erste Stadium, welches oft sehr kurz 
ist; es zeigt sich 

1) mit vollkommener Muthlosigkeit, starker Be¬ 
ängstigung; 

2) eiskalte Fasse bis über die Knie, die einen 
nicht mehr tragen wollen; 

3) eiskalte Arme und Hände, von denen Kraft 
und Gefühl gewichen ist; 

4) oft Schwindel, öfters auch heftige Kopf¬ 
schmerzen; 

5) der Magen wird krampfhaft zusammenge¬ 
zogen, die Magengrube fühlt sich wie eine Ge¬ 
schwulst an, und schmerzt, wenn man sie berührt; 

6) ganz blasses verstörtes Aussehen, die Lippen 
blau, tiefliegende Augen; 

7) Zusammenziehen des Herzens, worauf man 
glaubt, es zerspringe; 

8) meistens öfteres, schnell auf einander fol¬ 
gendes Laxiren; 

9) worauf meistens Erbrechen erfolgt; 

10) gewöhnlich erhöhter Pulsschlag, welcher 
aber bald nachlässt. 

Hier muss man sich augenblicklich zu Bette 
legen, so warm als möglich zudecken, so, dass nur 
die Nase heraussieht, und dem Kranken gleich auf 
ejn Stückchen porösen Zucker, weil dieser im Munde 
schneller erweicht, fünf, vier, drei oder zwei Tropfen 
starken Campherspiritus eingehen, je nachdem ein 
Mann, eine Frau oder ein Kind stärker oder 
schwächer sind, und damit alle fünf Minuten fort¬ 
fahren, bis alle Schmerzen aufgehört haben und ein 
wohlthätiger Schweiss eintritt. Gewöhnlich hören 
die Schmerzen nach der zweiten Eingabe auf; der 
Schweiss bricht hier meistens nach der dritten oder 
vierten Eingabe aus, und bevor der Schweiss ein¬ 
tritt, und während der ersten Standen des Schweisses 
hat man heftige Wallungen, und das Schwitzen 
scheint einem unerträglich; die Wärter müssen 
darauf sehr Acht geben, dass der Kranke gut zu¬ 
gedeckt bleibe, wenigstens fünf bis sechs Stunden, 
und nur, wenn man nicht mehr gar so sehr schwitzt, 
und fühlt, dass die Wäsche auf dem Körper kalt 
wird, so kann man gut gewärmte Wäsche mit der 
Vorsicht, sich ja nicht zu verkühlen, wechseln und 
trachten, in einer leichten Ausdünstung noch 
24 Stunden und auch länger zu bleiben, die ersten 
sechs oder acht Stunden wo möglich nichts trinken, 
als Getränk halb Wein halb Wasser, mehr ge¬ 
wässert für jene, welche nicht gewohnt sind, Wein 


zu trinken, und zwar so warm, als man es ver¬ 
tragen kann. Als Nahrung den ersten Tag eine 
kräftige Suppe, den zweiten und dritten Tag auch 
nur sehr leichte Speisen, kein Gemüse, nichts 
Saures, und fortwährend laue Getränke, um sich 
nach und nach wieder an kälteren Trunk zu ge¬ 
wöhnen, und sich warm zu kleiden. Wer diess im 
abnehmenden Verhältnisse genau befolgt und früher 
gesund war, wird in zwei, längstens in vier Tagen 
wieder ganz hergestellt. Wer kalt trinkt, sich ver¬ 
kühlt oder den Magen verdirbt, wird recidiv, in 
diesem Falle muss man gleich wieder von vorn die 
Cur wiederholen, sonst fällt derselbe ins zweite 
Stadium. In diesem werden: 

1) Die erkalteten Füsse durch Krämpfe ge¬ 
zogen , dann zieht der Krampf oft durch den ganzen 
Körper fort von den Waden an, kommt dann in 
die Schenkel, oft in den Bauch, in’s Kreuz, dann 
in den Rücken, in die Schultern, Arme und Hände, 
zuweilen in’s Genick, welches die heftigsten Schmerzen 
verursacht-. 

2) Schwindel, Hang zur Ohnmacht, so heftige 
Beängstigung, dass man gleich zu sterben glaubt. 

3) Der ganze Körper kalt wie Marmor. 

4) Krämpfe im Magen, worauf Erbrechen folgt, 
welches meistens aus zähem, wässerigen Schleime 
besteht. 

5) Laxiren eben solcher Materien, wie der Kranke 
erbricht, manchmal Kolik. 

6) Das Gesicht leichenblass, die Lippen blau 
und halb geöffnet, dass man die zusammengebissenen 
Zähne sieht, tief liegende Augen mit blauen Rän¬ 
dern, schmerzvoller Blick mit matten, halb ge¬ 
schlossenen Augen. 

7) Heisere Stimme, welche immer schwächer 
wird. 

8) Heftige Unruhe, der Kranke will durchaus 
nicht zugedeckt bleiben. 

9) Heftige Beklemmung auf der Brust, Schmer¬ 
zen in der Herzgrube; auch zuweilen Seitenstechen. 

10) Kurzes Athemholen. 

11) Heftiger Durst, der Patient bittet um Alles 
in der Welt nur um einen kalten Trunk, welchen 
er, wenn er selben erhält, gleich erbricht, worauf 
die Schmerzen sich verstärken. 

12) Die Kräfte nehmen geschwind ab, er kann 
nicht mehr uriniren. 

13) Sehr schwacher Puls. 

Der Kranke muss ohne Verzug zu Bette ge¬ 
bracht und gut zugedeckt werden. Da die Kranken 
in diesem Stadium kaum ruhig zu erhalten sind, 
so ist es nothwendig, das Zimmer wenigstens auf 
zwanzig Grad Reaumur heizen zu lassen, gewärmte 
Ziegel zu den Füssen legen, und mit Camphergeist 
befeuchteten Flanell auf den Magen legen, welcher 
öfters angefeuchtet werden muss, diess thut dem 
Kranken wohl, ist aber nicht unumgänglich nöthig. 

12 * 


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Es wird sogleich dem Kranken auf Zucker, fünf 
vier, drei oder zwei Tropfen Camphergeist, je nach 
dem Individuum, von vier zu vier Minuten ein¬ 
gegeben , bis Schmerzen und Krämpfe aufhören. 
Erbricht der Kranke die Eingabe, welches oft ge¬ 
schieht, so muss man gleich wieder eingeben, 
welches er gewöhnlich das zweitemal behält. In 
diesem Stadium ist oft sechs- bis siebenmaliges 
Eingeben nothwendig, bevor Schmerzen und Krämpfe 
auf hören. Ich habe selbst bei starken Krämpfen 
einer sonst schwachen Frau elfmal nach einander 
eingegeben. Oft bleibt Mangel an Appetit und 
ausserordentliche Schwäche, selbst wenn alle be¬ 
denkliche Symptome nachlassen; für dieses hat 
viermal des Tages zwei oder drei Tropfen China- 
tinctur genommen, vortreffliche Dienste geleistet, 
und glücklichen Erfolg gehabt. Im ersten Stadium 
hört der Durst gewöhnlich nach dem Gebrauch des 
Camphers auf; im zweiten Stadium aber ist er 
schwer zu unterdrücken; auch hier giebt man 
Wasser und Wein, aber wenig auf einmal, und nur 
dann, wenn die Schmerzen aufgehört haben. Oft 
kommen die Schmerzen nach mehreren Stunden 
wieder, besonders wenn sich der Patient ein wenig 
erkühlt hat, da muss man durch zwei- oder drei¬ 
maliges Wiederholen eingeben, und suchen, den 
Schmerz zu stillen, und den unterbrochenen Schweiss 
wieder herzustellen, indem ein unausgesetzter 
Schweiss von zehn bis zwölf Stunden, um sich vor 
Recidiven zu sichern, sehr wünschenswert ist. 
Wenn die Wäsche auf dem Körper kalt zu werden 
scheint, so ist der Augenblick, gut gewärmte 
Wäsche, aber mit der grössten Vorsicht, zu wech¬ 
seln. Haben die Schmerzen aufgehört, so fängt 
gleich der Puls wieder an, stärker zu werden, und 
die Gesichtsfarbe wird wieder natürlich, das Auge 
wird frisch, und gewöhnlich folgt nach dem Schweisse 
eine starke Urinentleerung, welches ein sicheres 
Zeichen der Reconvalescenz ist; die Stimme wird 
wieder stark und alle Krankheitssymptorae sind wie 
weggeblasen. Jüngere und vollblütigere Personen 
haben oft heftige Kopfschmerzen und Wallungen, 
für welche man aber in den ersten zwölf Stunden 
nichts thun kann; wenn sie dann noch fortdauern, 
sind selbe durch Auflegen von Sinapismen, gerie¬ 
benen Meerrettig oder Rahm auf die Füsse gleich 
weggebracht. Bei München dauert auch nach auf¬ 
gehobener Cholera das Laxiren fort, welches leicht 
mit ein Paar Löffel weich gesottenem Reis, der mit 
frischem Schöpsenfette reichlich übergossen wird, 
jedoch ungesalzen sein muss, auf ein oder zweimal 
Einnehmen gestillt. Dieses Mittel hat bei mehr 
denn vierzig, ohne einmal zu fehlen, immer geholfen. 
Man muss nach dem Schweisse noch drei Tage im 
Bette bleiben, sehr mässig leben, sich auch, wenn 
man schon aufgestanden, vor jeder Erkältung hüten, 
wenigstens während acht Tagen lauwarm trinken. 


Wer sich verkühlt oder kalt trinkt, wird recidiv, 
und ist nicht gleich Hilfe bei der Hand, so fällt 
man in das dritte Stadium, in welchem: 

1) Allgemeine Fühllosigkeit, oder die Schmerzen 
aufhören. 

2) Mehr Zuckungen als Krämpfe, welche bald 
in einem Fusse oder Arm abwechselnd sich zeigen, 
ohne jedoch Schmerzen zu verursachen. 

3) Das Gesicht wird unkenntlich; Todtenfarbe, 
blaue Lippen, ein starrer Blick mit tief liegenden 
Augen. 

4) Der ganze Körper kalt, mit einem klebrigen 
kalten Schweisse bedeckt. 

5) Von Zeit zu Zeit Erbrechen, oft, aber wenig 
auf einmal, eben so Abführen, ohne sich dessen 
bewusst zu sein. 

6) Sehr heisere unvernehmliche Stimme. 

7) Der Puls geht langsam, setzt oft ganz aus. 

8) Das Bewusstsein bleibt gewöhnlich bis zum 
letzten Augenblicke, wo der Kranke nach einigen 
Zuckungen stirbt. Dieser Todeskampf dauert oft 
vier bis fünf Stunden und auch länger; bei diesen 
Symptomen ist keine Hülfe mehr vom Campher- 
geiste zu erwarten. 

Die Vorboten der Cholera sind manchmal schon 
mehrere Tage vor Ausbruch der Krankheit merkbar. 

Das erste Stadium dauert oft nur eine Viertel¬ 
stunde, manchmal auch einige Stunden. Das zweite 
Stadium dauert oft zwei Tage, oft auch nur einige 
Stunden. Sehr viele sterben im zweiten Stadium 
im Starrkrampf, weshalb bei diesen, welche so 
schnell sterben, und die meistens junge Leute sind, 
es nöthig wäre, Proben des Scheintodes zu machen; 
diese Leichen sind gewöhnlich blau, und oft vom 
Krampf zusammengezogen; die Todten werden 
meistens nach mehreren Stunden wieder weiss; es 
ist hier eine solche Scheintodte durch Einschütten 
von etwas Camphergeist glücklich wieder in’s 
Leben gebracht worden, die schon vier Stunden 
todt schien. 

Im dritten Stadium ist meiner Meinung nach 
auch keine Hülfe mehr möglich, um so mehr, wenn 
die Beobachtungen des Dr. Loder zu Moskau, eines 
Veterans der Heilkunde, sich bestätigen, dass die 
Materie, welche gebrochen und laxirt wird, gerade 
aus diesen Theilen besteht, die bei genauer Ana- 
lysirung des Blutes demselben mangeln. Es ist 
daher wahrscheinlich, dass, wenn die Zersetzung 
des Blutes schon zu weit vorgerückt ist, durchaus 
keine Hülfe mehr möglich sei. Ausserdem hat die 
Erfahrung uns deutlich gelehret, dass erstens, ob¬ 
wohl die Cholera ansteckend ist, Cordons dafür 
keinen Schutz gewähren, durch die Sperrungen 
aber fast eben so grosses Unglück entsteht, als die 
Cholera selbst verursachen kann. Die Todten 
stecken an nach mehreren Stunden, die Excremente 
ebenfalls, wenn selbe längere Zeit der Luft aus- 


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gesetzt in Gährung übergehen, gewöhnlich erst 
den zweiten Tag, darum müssen erstere nur mit 
Vorsicht berührt, und gleich in die Särge gelegt, 
um dass man selbe nicht ferner zu berühren brauche, 
und bald aus den Wohnungen der Lebenden weg¬ 
gebracht werden; die Excremente muss man aber 
sorgfältig in eine Grube zusammenschütten, damit 
sie dort mit ungelöschtem Kalk neutralisirt werden. 
Nachkrankheiten entstehen nach dem Gebrauche des 
Camphers, wie die Erfahrung lehrt, keine. Jene 
aber, welche Fieber vorher hatten, bekommen ge¬ 
wöhnlich dasselbe Fieber nach überstandener Cho¬ 
lera wieder. 

Jene, die sich schlecht halten, öfters recidiv 
werden, haben eine Art Frieselausschlag bekommen, 
welcher nach einigen Tagen abtrocknet. Jene, 
welche zu früh aufgestanden, und nasse Füsse be¬ 
kamen, haben Geschwülste, ja selbst Geschwüre 
auf das Schienbein bekommen, die auch ohne Mittel 
von selbst nach einigen Tagen wieder gut wurden. 
Dass so viele unter ärztlicher Behandlung starben, 
rührt daher, weil der Arzt leider bei einer so 
schnell zerstörenden Krankheit meistens zu spät 
kömmt, und die Aerzte wegen der grossen Zahl 
der Kranken nicht im Stande sind, bei Einem zu 
bleiben, welches doch bei der schnellen Hülfe, die 
es erheischt, nothwendig wäre; daher sollte jeder 
Hausvater oder Mutter, ohne auf den Arzt zu 
warten, sich selbst helfen. Alle jene, welche nach 
dem Gebrauche des Camphers wirklich auf dem 
Wege der Besserung wareD, und durch reisende 
Aerzte zu Alasony andere Mittel erhielten, beson¬ 
ders doverische Pulver, Abführungs- oder Brech¬ 
mittel, welche als Nacbcur dienen sollten, sind 
gleich wieder krank geworden, und alle gestorben. 

Alle, welche nichts gebraucht haben, sind ge¬ 
storben. Jene, welche kalt tranken, und in freier 
Luft blieben, nach sechs oder sieben Stunden. 
Nur jene werden angesteckt, welche eine Disposition 
dazu haben. Vertrauen auf Gottes Güte, welche 
am meisten Muth giebt, ist das beste Präservativ. 
Ferner dient zur Beruhigung, dass die Campbercur 
jedem ohne Unterschied, wie die Erfahrung hier 
lehrte, hilft Leute von hohem und niederem 
Stande, Greise und Kinder, Männer und Weiber, 
Wöchnerinnen, ohne dass sie die Milch verloren, 
und Schwangere kurz vor ihrer Entbindungszeit, 
kurz, jeder ohne Ausnahme, welcher sich genau 
nach dieser einfachen Vorschrift hält, und es nicht 
bis zum dritten Stadium kommen lässt, wird ge¬ 
rettet. Jeden Gebrauch von Nebenmitteln, ja selbst 
Kräuterthee, habe ich als den Gang der Heilung 
verzögernd gefunden. 

Auf diese Art sind zu Däka von 161 Cholera¬ 
kranken, welche mit Camphergeist behandelt wurden, 
nur fünfzehn gestorben, und zwar acht, welche im 
dritten Stadium Hülfe suchten, und sieben, welche 


durch schlechtes Halten nach drei- oder viermaligem 
Recidiv nicht mehr zu retten waren, worüber in 
meinem Archive ein gerichtlich aufgenommenes, von 
mehr als siebzig Personen bejuramentates (beschwo¬ 
renes) Dokument zu finden ist.“ 

Thomas Graf Nadasdy. 

Dr. Stifft. 


Cholera-Anfall oder Arsenik-Vergiftung. 

Von Dr. Fr. Keppler in Venedig. 
(Wiener med. Wochenschrift No. 50. 1891. 12. Dec.) 

Auf der Höhe der Cholera-Epidemie zu Venedig 
im Jahre 1886 wurde von der Poliklinik dringend 
Hilfe erbeten für eine 71 Jahre alte Frau, die nach 
Angabe ihres Arztes seit 12 Stunden von asphyk- 
tischer Cholera befallen, und dem Tode nahe war. 
— Als wir eintraten, schien gerade die Sonne hell 
in die Stube und beleuchtete voll das Gesicht der 
alten Frau; ein einziger Blick genügte, um be¬ 
stimmt sagen zu können die Frau hat keine 
Cholera. 

Der asphyktische Cholera-Anfall hat 
ein pathognomisches Symptom , das ihn von allen 
Krankheitsbildern, mit denen er sonst wohl ver¬ 
wechselt werden könnte, von Cholera nostras und 
von einigen akuten sog. irritativen Vergiftungen 
unterscheidet, vor Allen der Arsenik-Vergif¬ 
tung, mit denen er ganz gewöhnlich alle übrigen 
Symptome gemein hat. — Daher verlangen viele 
Aerzte die Sektion jedes der mit dieser aspykt. Krank¬ 
heit ähnlichen Erscheinungen gestorben ist. — 

Das pathognomische Symptom der asphyktiscbon 
Cholera liegt in dem brechenden Auge. — 

Die Augen sind nie geschlossen, das obere 
Augenlid bängt halbgelähmt, schwarzblau über den 
tiefeingesunkenen Augapfel herab, einen Theil der 
Cornea bedeckend; das untere Augenlid ist nach 
unten gesunken und kann nicht aktiv heraufgedrückt 
werden. — 

Was von der Cornea noch sichtbar ist und von der 
Conjunktiva bulbi das ist vollkommen glanzlos. — 
Das untere Augenlid ist von einem breiten schwarz- 
blauen Halbkreise umgeben, wodurch der Augapfel 
noch tiefer zu liegen kommt. Auch dem Tode 
nahe Cholerakranke erbeben auf energisches Ver¬ 
langen noch langsam und mühsam das obeie Lid 
und sehen den Arzt mit den grossen, glasstarren, 
glanzlosen Augen einer Leiche an, was einen grauen¬ 
haften unvergesslichen Eindruck macht. 

Es war nur eine zufällige Vergiftung 
mit Arsenik möglich — alle übrigen Ver¬ 
giftungen waren ausgeschlossen; denn nur von Ar¬ 
senik können grössere Mengen in Lösung oder Sub¬ 
stanz verschluckt werden, ohne dass sie irgend 


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welche Geschmaok-Empfindungen, Schmerzen oder 
lokale Aetz- und Entzündungs-Erscheinungen aus- 
lösen. — 

Bei ihr sind die Augen injicirt, feurig, irr, 
hervorgedrängt. Gesicht geröthet und angescbwollen. 
Die Lippen trocken, rissig — Mund und Zunge 
desgleichen. — 

Anmerkung des Referenten Dr. Prö 11: 
Dies ist ein offenes frappantes Geständniss für die 
Wahrheit des homöopathischen Principes, indem bei 
den aspbyktischen Cholera-Anfällen Arsenik die 
herrlichsten Triumphe der Bettung feierte. 


In der deutsch-medicin. Wochenschrift No. 45 
(5. November 1891) erschien eine Besprechung von 
Schroffs historischer Studie über Paris quadrifolia . 
Ein Beitrag zur Geschiehte der Arznei¬ 
mittellehre. Graz bei Leuschner u. Lubensky. 
1890. Ret K. Sudhoff. 

Ein Cabinetstück historisch - pharmacologischer 
Forschung von vielfachem Interesse, das sich nament¬ 
lich auf dem so wenig bebauten Gebiete der Medicin 
des 15. u. 16. Jahrhunderts Verdienste erwirbt. 

Der 1. Abschnitt behandelt die Namen, 
unter welchen die Paris geführt wird und Aebn- 
lichkeit mit ähnlichen Mitteln. — 

Der 2. hist, - medicin. Theil beginnt mit 
Baptistia Gardius (1523) aus Pavia bis Adam von 
Lebenwaldt aus Steiermark. 

Im 3. hist.-toxicologischen Abschnitte 
wird die Frage der Giftigkeit der Einbeere er¬ 
örtert. — 

Zum Schlüsse ist ein treffliches Literatur- 
verzeicbni8B angefügt, was für künftige pharma- 
cologisch-historische Arbeiten sehr dankenswerth zu 
begrüssen, weil unserer heutigen medicinischen Ge¬ 
lehrtenwelt bibliographische Kenntnisse nur zu sehr 
abgehen. 

Wir möchten wünschen, dass Verfasser uns 
noch mit mehr dergleichen pbarmacologieh- histori¬ 
schen Studien beschenken möchte. — 

Anmerkung des Bef. Die Bibliothek des 
homöopathischen Central-Vereins sollte dieses Werk- 
chen ankaufen. 185 8. 8°. Mk. 4.50. Dr. Pröll. 


Lesefrüchte. 

Ueber die toxische insbesondere durch Uranium- 
nitrat erzeugte Glycosurie stellt Dr. Carthier in Paris 
auf Grund eingehender experimenteller Studien den 
Satz auf, dass diese in manchen Erscheinungen mit 
gewissen Zuständen des chronischen Diabetes mellitus 
beim Menschen eine Aehnlichkeit aufweise, aber nur 


vorübergehend sei. Die Glycosurie und der chronische 
Diabetes sind verschiedene, durch zur Zeit noch 
unbekannte Faktoren bedingte Zustände. 

Die Glycosurie erzeugenden chemischen 
Agentien theilt Verf. in 3 Gruppen: 1. Glycoside 
(Phloridsin), 2. Säuren, die die Oxydation des 
Zuckers verhindern oder verzögern und so die Ent¬ 
wicklung des Diabetes fördern, während die Alkalien 
die Oxydation und Destruktion des Zuckers be¬ 
günstigen. 3. Die direkt auf das Nervensystem 
wirkenden Gifte (Strychnin, Curare, Morphin) 
und die besonders auf die Leber wirkenden 
Gifte (Phosphor, Arsen, Uranium). Dabei ist zu 
bemerken, dass weder der congestive Zustand, noch 
die substantielle Affektion der Leber in einem 
direkten pathogenetischen Verhältniss zum Diabetes 
stehen. Uraniumnitrat z. B. kann eine schwere 
Schädigung der Leber, die sich unter anderem durch 
Erscheinen hyaliner Cylinder charakterisirt, hervor- 
rufen, gerade wie andere Gifte z. B. Mikrobientoxine; 
aber der duroh Uraniumnitrat erzeugte Diabetes 
nimmt gegen das Lebensende ab, statt mit dem 
Fortschritt der Lebererkrnnkung zuzunehmen. 

Mit den einen Mitteln ist die benigne, mit den 
anderen (z. B. Uraniumnitrat) die maligne Form 
des Diabetes zu erzeugen, wobei zu beachten ist, 
dass die Schwere des experimentellen Diabetes nicht 
von der im Harn vorhandenen Zuckermenge ab¬ 
hängt; die Schwere liegt nicht in dieser selbst, 
sondern in der Qualität des aufgenommenen Giftes, 
dem auch die histiologischen Veränderungen zu¬ 
zuschreiben sind. Der toxische Diabetes kann ab- 
nehmen oder gar verschwinden, während das Gift 
mächtig fortwirkt. 

Auf Grund seiner Experimente gelangt Carthier 
unter Prüfung der neuesten Arbeiten über den 
chronischen Diabetes zu folgenden Schlüssen: 

Die Gefahr beim chronischen Diabetes 
liegt nicht in der Glycosurie an sich, sondern 
in der Toxicität der Zuckerderivate, die wie 
Gifte wirken und höchst wahrscheinlich jene Gewebs¬ 
veränderungen herbeiführen, die bei der Autopsie 
von Diabetikern mehr weniger constant vorgefunden 
werden, ebenso die Veränderungen im Gebiete des 
Nervensystems und die durch Letztere verursachten 
Complicationen. 

Das letale Coma ist lediglich ein Effect der 
Anhäufung toxischer Substanzen im Organismus (im 
Harne delirirender Diabetiker finden sich: Alkohol, 
Aetherdiacetat, Aceton, Milch-, Essig-, Diacet-, 
Ameisen-, Croton- und Ceta-Oxybuttersäure); sie 
bewirken als Zellgifte tiefgreifende Störungen in 
den Excretionsorganen. 

Ebenso wie die Nierenläsion bei Diabetes experi¬ 
mentell durch Aceton, nicht mit blossem Zucker 
erzeugt wurde, ebenso werden die Leberveränderungen 
in gleicher Weise durch secundäre Intoxication be- 


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wirkt sein, wie dies ja so häufig bei anderen all¬ 
gemeinen Erkrankuogen der Fall ist. 

Zu beweisen ist noch, ob der Diabetes eine 
Krankheit per se, die sich in verschiedenen Formen 
manifestirt, oder lediglich einen aus verschiedenen 
organischen Veränderungen im Körper resultirenden 
Symptomencomplex darstellt (Tbfcse de Paris 1891. 
Nach „ Internat, klin. Rundschau 1892. Nr. 7.) 

Ch. Andry (Lyon) nimmt in der Lyon med. 
1890. Nov. 23 an ein frühzeitiges Erkennungsmittel 
des Gebärmutterkrebses , welches seit Jahren als 
Unterscheidungsmerkmal gegenüber chronisch ent¬ 
zündetem Cervix von Laroyenne gelehrt und demon- 
strirt, aber noch nicht nach Gebühr gewürdigt werde. 
„ Jedes Mal wenn man in eine suspekte Stelle des 
Collum oder der Cervixinnenfläche mit dem Nagel 
eindrücken und Gewebsparükelchen abbringen kann, 
ist man berechtigt, die Krankheit für epitheliomatöser 
Natur zu halten. 0 „Das Mittel ist so einfach, wie 
zuverlässig und überhebt in der Mehrzahl der 
Fälle den Untersucher der mikroskopischen Unter¬ 
suchung.“ (Aus „Centralblatt für Gynäkologie 1891. 
No. 43 ) 

Aus „Medico“ 1892. No. 10. 

Ueber die normaliter bei jeder Respiration am Thorax 
sichtbaren Zwerchfellsbewegungen . Von Prof. Dr. 
Litten in Berlin. (Deutsche Med. Woch. 13/92.) 

Während man bisher annahm, dass die Respira¬ 
tionsbewegungen des Zwerchfelles nur unter ge¬ 
wissen pathologischen Verhältnissen dem Auge des 
Beobachters sichtbar wären, theilt Verf. mit, dass 
nach seinen Untersuchungen auch unter normalen 
Verhältnissen die respiratorische Bewegung des 
Zwerchfelles am Thorax constant durch die In- 
spection verfolgt werden kann. Die bei jeder 
Respiration wiederkehrende Erscheinung läuft in 
Form einer Wellenbewegung ab, welche beiderseits 
etwa in der Höhe des 6. Intercostalraumes beginnt 
und als gerade Linie oder seichte Furche bei 
tiefster Inspiration mehrere Intercostalräume weit, 
zuweilen bis an den Rippenbogen herabsteigt, um 
bei der Exspiration um das gleiche Maass wieder 
in die Höhe zu steigen. Man sieht diese Zwerchfells¬ 
bewegungen deutlich weder im Stehen, noch beim 
Sitzen der betreffenden Individuen, sondern lediglich 
im Liegen. Bei der Beobachtung muss das volle 
Tageslicht auf den Thorax fallen, während der Unter¬ 
sucher vorn etwas seitlich steht. Durch die Be¬ 
obachtung dieses Phänomens kann man sich schnell 
ein Bild davon machen, ob die Athmung frei und 
ungehindert von statten geht; es lassen sich Schlüsse 
hieraus auf die Ausdehnbarkeit der unteren Lungen¬ 
abschnitte und die Excursionsfähigkeit des Diaphragma 
machen. So sind z. B. bei Pleuritis auf der Seite 
des pleuriti8chen Ergusses die sichtbaren Ver¬ 


schiebungen des Zwerchfelles sehr gering, während 
auf der gesunden Thoraxseite die Bewegungen die 
normalen Grenzen zeigen. Bei Abdominaltumoren 
kann dieses physiologische Phänomen vollständig 
fehlen, wenn das Zwerchfell in die Höhe gedrängt 
und festgestellt wurde. Durch die Beobachtung 
der Zwerchfellbewegungen kann man ferner nun¬ 
mehr auch auf der linken Seite den Zwerchfellstand 
bestimmen, was bisher percutorisch nicht möglich 
war, da Herz und Leber als luftleere Organe hier 
eine ineinander übergehende Dämpfung ergeben. 
Die physicalische Diagnostik ist damit durch ein 
weiteres, nicht unwichtiges Hülfsmittel bereichert 
worden. Göhr um. 


Die zeitweilig herrschenden Heil¬ 
mittel. 

Mit besonderem Dank muss ich zwei Mittheilungen 
aus Hamburg erwähnen, die in der Zwischenzeit 
'eingelaufen sind. Coli. Hesse bezeichnet den Cam¬ 
phora Rubini als relativ die besten Dienste gegen 
die Cholera asiatica leistend und verspricht nähere 
Auskunft, sobald er Zeit finde. Coli. Waszily (sonst 
in Kiel), der ersteren vom 5.—28. Aug. vertrat, 
berichtet: „Im Beginn der Choleraepidemie etwa 
vom 17.—26. Aug. war bei auffällig vielen Patienten 
indicirt Sulfur x, (die hauptsächlichste Indication 
hierfür war: Durchfälliger Stuhl, der Morgens früh 
aus dem Bette trieb, tagsüber besser war) daneben 
Veratr., vereinzelt Arsen.; bei der eigentl. Cholera 
asiatica, Camphora Rubini bei plötzlichem Auf¬ 
treten der krankhaften Erscheinungen, vollständigem 
Collaps etc., bei langsamerem Verlauf Veratr. und 
Cupr. met., event. noch ganz im Beginn bei vor¬ 
herrschender Uebelkeit Ipecac. Andere Mittel kamen 
bis 28. Aug. nicht in Betracht.“ — 

Dass ausgedehnte Gebiete ein günstiger Boden 
für die Entwicklung der Cholera gewesen wären, 
beweisen die übereinstimmenden Angaben fast sämmt- 
licher Berichterstatter. 

Dierkes-Paderborn batte schon seit Mai d. J. 
nur mit kleinen Unterbrechungen = Lach. (Cupr. -f- 
Nux vom.) (W.). So wieder seit dem 21./8., dieses 
-f- Chin. (W.) waren seine epidemischen Mittel bis 
zum 2./9.; am 2. und 3. hatte er Cupr. met. -j- 
Veratr. alb. (Ac. phosph. -}- Ign.) (W.). 

Leeser-Bonn hatte bis zum 3./9. meist = Veratr. 
alb. (meist nach Ac. phosph. -j- Ign.) (W.). 

Simrock-Frankfurt a. M. sah in den letzten 
3 Wochen häufige Brechdurchfälle (oft sehr heftige) 
durch Veratr. und Ipecac. (H.) sehr schnell gestillt. 

Grünewald-Frankfurt a. M. verwandte bei Durch¬ 
fällen (wässrig, bräunlich, meist plötzlich auftretend, 
mit Leibschneiden und Kopfschmerz, Durst, dick¬ 
weissbelegter Zunge) Podophyll. (H.), in anderen 


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Fällen mit auffallend raschem Kräfteverfall China 
und Arum (H.) im \Vechsel, bei hartnäckigem, 
grünlichem Durchfall mehrfach Natr. sulf. (H.). 

Kirn-Pforzheim theilte am 1./9. mit, dass er bei 
Brechdurchfällen meist Veratr. alb. (H.) an gezeigt 
finde, bei zahlreichen rechtsseitigen Gesichtsneural- 
gieen Bell. (H.). 

Ich-hier hatte bis zum 5./9. noch = Veratr. 
alb. (aller meist nach? -j- Euphorb. otf., selten nach 
Ac. phosph. -f- Ign.) (W.), daneben hier und da 
auch = Card. mar. (Natr. carb. Ipecac.) (W.), 
seit dem 6. vorwiegend = Kal. carb. (Silic. -f- Digit) 
(W.). Als Symptome für Veratr. alb. möchte ich 
nach tragen: starker Durst, Schlaflosigkeit, grosse 
nächtliche Unruhe, Schnupfen mit viel Ni essen. = 
Silic. (Bar. carb. -J- Led.) (W.) kommt noch immer 
häufig bei scrofulösen, pustulösen (Furunkulose) 
und abscedirenden Processen vor. 


Buob-Freudenstadt berichtete am 28./8., dass er 
noch Keuchhusten zu behandeln habe; bei Magen* 
und Darmkatarrhen fand er häufig Natr. carb. und 
Merc. viv. indicirt. 

Hagel-Ravensburg verwandte in der letzten Zeit 
vorherrschend Veratr., Ipecac., Arsen., Cnpr. (fl.). 

Sigmundt-Spaichingen gab bei mehrfachen Brech¬ 
durchfällen Veratr. (H.); sonst batte er einzelne 
Fälle für Cupr. (R.) und Lycopod. (H.). 

Hafa-Hermhut hat bei chronischen Affectionen 
noch häufig Nitr. ac. oder Bar. carb. -f- Sabin. (W.). 

Bei der diesjährigen Cholera kämen also neben 
dem Camphora Rubini hauptsächlich Veratr., Ipecac., 
Chin. und Cupr. in Betracht. 

Stuttgart, den 8. Sept. 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


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Unterschrift 


Verantwortliche Redocteure: Dr. Goehrun-Stuttgart, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedlßke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von Willian Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druok von Greasaer k Schramm in Leipzig. 


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Leipzig, den 29. September 1892. 


Band 125. 


No. 13 u. 14. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-stuttgart, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-leipzig. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig. 


Brsoheint 14 tägig au 2 Bogen. 13 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Alle Buobhandlongen nnd 
Poatanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an B. Mosse in Leipzig und dessen Filialen oder an die 
Verlagshandlung selbst (A- Marggrafs homöopath. Offioin in Xieipzig) au richten sind, werden mit 80 Pf. pro einmal 
gespaltene Petitzeile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berochnet. 

Inhalt. Aus der Praxis* Von Dr. Albert Amberg. (Forts, u. Schluss.) — Unsere Vehikel. Von Thomas 
Apost&ta. — Eine prophylaktische Methode. Vortrag, gehalten von Dr. Göhrum-Stuttgart. — Die zeitweilig herr¬ 
schenden Heilmittel. Von Dr. Göhrum-Stuttgart. — Oie Unterstützongskasse für Wittwen homöopathischer Aerzte. 
— Reohnungsablegung. — Anzeigen. 


MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. 


Aus der Praxis. 

Von Dr. Alb. Amberg. 

(Forts, u. Schluss.) 

8. Lehrerin J., 27 Jahre alt, eine blonde, gracil 
gebaute Dame mit zarter Haut, intelligent, suchte 
am 10. Juli 1889 meine Hülfe wegen einer Lungen- 
affection von längerer Dauer. Sie leidet häufig an 
Husten, hatte im verflossenen Winter eine massige 
Haemoptoe ohne erheblichen Husten dabei und ist 
nun seit 8 Tagen stärker erkrankt Sie hustet 
Tag und Nacht viel mit gelblichem Auswurf, hat 
grosse Dyspnoe, geringen Appetit und sieht sehr 
angegriffen aus; auch fiebert sie etwas; die Menses 
sind regelmässig; hereditäre Belastung ist angeblich 
nicht vorhanden. Die Untersuchung ergiebt in der 
rechten Lungenspitze Dämpfung, verschärfte Re¬ 
spiration und Bronchophonie vorn und hinten, also 
Infiltration derselben, in der linken Lungenspitze 
hinten kleinblasiges Rasseln, in der linken Scapular- 
gegend bei der Respiration das Geräusch von Leder¬ 
knarren (pleuritische Auflagerung) und über beide 
Lungen weit verbreitete trockene Ronchi. Ich 
ordnete die nöthige Vorsicht an und gab 8 Tropfen 
Sulfur 30 in 90 Gramm Wasser, 3stündlich 1 Thee- 
löffel. Schon am 15. Juli stellte sich Patientin 
ganz erheblich gebessert wieder vor, und zwar so¬ 


wohl in Bezug auf subjective Erscheinungen, All¬ 
gemeinbefinden, Husten und Dyspnoe, als auf die 
objectiven; der Catarrh der linken Lungenspitze, 
die Ronchi auf der ganzen Lunge und das Leder¬ 
knarren waren verschwunden. Ich liess noch für 
einige Zeit Bryonia 3 nehmen und bat mir weitere 
Nachricht aus. Die letztere erhielt ich erst einige 
Zeit später durch Freundinnen der in 18 Kilometer 
Entfernung wohnenden Patientin dahin lautend, 
dass es ihr gut gehe und sie ihren Dienst versehe. 
Sulfur, und speciell Suifar 30 hat mir schon 
häufig bei den Catarrhen der Lungen und nament¬ 
lich der Lungenspitzen mit und ohne Infiltration 
vorzügliche Dienste geleistet, so dass ich seine 
Wirkung in solchen Fällen fast als specifisch an¬ 
sehe; und ich konnte schon in einem früheren 
Beitrag berichten, dass wiederholt ein Husten tuber- 
culöser Kranker, der dem Morphium und anderen 
Narcoticis getrotzt hatte, durch Sulfur 30 wie 
durch Zauber gemildert und fast gehoben wurde. 
Immer ist es leider, besonders bei weit vorge¬ 
schrittener Phthisis mit hohem hektischen Fieber, 
dem Mittel doch nicht möglich, unsere Hoffnungen 
oder Wünsche zu erfüllen. 

9. Johann C., 36 Jahre alt, wird seit einigen 
Jahren, wie er sich ausdrückte, von einem Leiden 
des Kopfes heimgesucht, das ihn Tag und Nacht 
k 13 


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Dieser Tage erscheint auch eine Extra-Nnmmer dieser Zeitung Uber „Cholera“ auf die wir besonders aufmerksam, 
machen nnd die zum herabgesetzten Preise von 60 Pf. pro StUck in jedem gewünschten Quantum zu haben ist. ‘MH 




fjuäie. Melancholische Stimmung, Beängstigung und 
Aengstlichkeit mit dem Gefühl von und der Furcht 
vor schwerer Krankheit; dann zeitweise grosse Er¬ 
regtheit und Unruhe, ferner Schwindel und Druck 
auf Brust und Epigastrium werden als Hauptklagen 
genannt. Das Gesicht ist gerötbet, die Untersuchung 
der Brustorgane ergab ein blasendes Geräusch an 
8telle des ersten Herztöne Die congestive Röthe des 
Kopfes bewog mich, zunächst Belladonna in 6. Dec. 
zu verordnen; es war dies am 25. Sept. 1890, und 
ich erreichte dadurch so viel, dass am 5. Octob. 
von einer, wenn auch geringen Besserung berichtet 
wurde. Die Herztbätigkeit war an diesem Tage 
eine sehr erregte, es hatten sich Eiterpustelchen 
am Oberschenkel eingefunden; auch wurde mit- 
getheilt, dass Patient in verflossener Woche sowie 
früher viel an Zahnschmerz gelitten habe. Die 
Herzaffection in Verbindung mit der vorwiegend 
melancholischen Stimmung veranlassten mich nun 
"'zur Wahl von Aurum metall. 3. Dec., von dem 
Patient 3 Mal täglich 1 Gabe erhielt. Der Erfolg 
war ein äusserst günstiger, so dass der Bericht 
vom 15. Octob. lautete: Besserung in jeder Be¬ 
ziehung. Das Mittel wurde nun noch einige Zeit 
weiter genommen; Patient nahm seine Arbeit, 
Weberei und ländliche Beschäftigung, in vollem 
Umfange wieder auf und erklärte sich am 26. Octob. 
für geheilt. Zur Befestigung der Heilung erhielt 
er nochmal Aurum in seltenen Gaben; und da er 
sich bis jetzt nicht wieder gemeldet hat, darf ich 
wohl annehmen, dass er dauernd mit seinem Be¬ 
finden zufrieden ist 

10. Am 29. Mai 1889 wurde mir aus einem 
über 30 Kilometer entfernten Orte von seinem 
Vater der 4jährige August 0. hierher in die Sprech¬ 
stunde gebracht. Obgleich das Wetter günstig, 
konnte ich doch nicht umhin, dem Vater das Be¬ 
denkliche eines so weiten, nur theilweise mit der 
Bahn auszuführenden Transportes vorzustellen. 
Der kleine, äusserst verfallen aussehende Pa¬ 
tient fieberte stark, war im höchsten Grade kurz- 
atbmig und konnte sich kaum auf den Beinen 
halten. Indess der Vater meinte, die Aerzte in 
seiner Nähe hätten so geringe Hoffnung auf Ge¬ 
nesung des Patienten, dass sie seinem Vorhaben, 
mich zu consultiren, keinen Widerspruch entgegen¬ 
gesetzt hätten — eine nicht gerade häufige Er¬ 
scheinung —, und er desshalb den beschwerlichen 
Weg und Transport gewagt habe. Das Kind, bei 
dem angeblich keine hereditäre Belastung vorlag, 
sei seit dem 5. April erkrankt und leide an Lungen- 
und Rippenfellentzündung mit Erguss, der aber 
etwas abgenommen habe. Der, wie oben gesagt, 
fiebernde und heruntergekommene Patient hustete 
viel und lose mit gelblichem Auswurf und zuweilen 
mit nachfolgendem Erbrechen. Die Untersuchung 
ergab: ln der rechten oberen Lungengegend vorn 


und hinten war der Percussionston in der Breite 
einer kleinen Hand ganz leer, die Respiration bron¬ 
chial mit metallischem Klang, in der unteren rechten 
Lungengegend vorn und seitwärts über mehreren 
Rippenräumen leerer Percussionston und aufgehobenes 
Respirationsgeräusch, während am hinteren Umfang 
bei mässiger Dämpfung ganz schwache vesiculäre 
Respiration zu hören war. Während also am oberen 
Umfang der rechten Lunge eine pneumonische, schon 
in eiterigem Zerfall begriffene Infiltration mit Cavernen- 
bildung bestand, befand sich am unteren Umfang 
ein pleuritisches Exsudat. Mit Rücksicht auf die 
vorhergegangene lange erfolglose Behandlung glaubte 
ich zunächst eine Umstimmung der vitalen Thätig- 
keit und Reaction durch Sulfur he rbflfqhrm ^ 
sollen und gab ihn in 30. PSlenz. ~*Der Bericht des 
Vaters am 4. Juni lautete schon günstiger; es war 
Besserung des Hustens und Allgemeinbefindens ein¬ 
getreten, die Dyspnoe aber noch stark. Verordnung 
Phosphor 30. in Lösung. Am 12. Juni wurde nitf 
der Patient, subjectiv noch weiter gebessert, wieder 
zugeführt, das Fieber war erheblich geringer; am 
hinteren rechten Brustumfang war trotz Dämpfung 
die Respiration deutlicher geworden; dagegen hatte 
vorn rechts das pleuritische Exsudat erheblich zn- 
genommen, die Dämpfung des Percussionstons er¬ 
streckte sich von oben bis unten, und von Respira¬ 
tionsgeräusch war nichts zu hören. Ich versuchte 
die Beseitigung des Exsudats und der Dyspnoe 
durch Arsen. 30. in Lösung (12 Tropfen in 120 Gramm 
Wasser^ dreistündlich 1 TheeiönelJ""^?^ SälT’GGTr 
Patienten am 30. Juni wieder. Trotz subjectiver 
Besserung, geringerem Fieber und sehr vermindertem 
Husten, Erscheinungen, die auf Beseitigung der 
pneumonischen Erkrankung schliessen Hessen, hatte 
das Pleura-Exsudat wieder zugenommen, auch hinten 
war es bis zum Angel, scapul. gestiegen, und hatte 
eine nicht unerhebliche Skoliose der Wirbelsäule 
herbeigeführt. Zur Beseitigung des Exsudats wählte 
ich nun Kalium jodat. in 6. Dec. Verdünnung, alle 
3 Stundenweisen"Tropfen, und liess AbendFlxMI^ 
löffel Leberthran dazu nehmen. Unter Fortgebrauch 
dieser Mittel, — intercurrent wurde eine Zeitlang auch 
die 4. Verdünnung gebraucht, — schritt von da an 
die Besserung mit Abnahme des Exsudats, Hebung 
der Kräfte, Verschwinden des Hustens, Ausgleichung 
der Skoliose regelmässig und ungestört fort. Am 
15. Juli war das Exsudat hinten verschwunden, die 
Skoliose noch stehen geblieben; am 31. weitere 
erhebliche Besserung, auch vorn war das Exsudat 
erheblich vermindert. Am 5. Sept. sah ich den 
Patienten zuletzt; er war blühend, wohlgenährt, 
kaum wieder zu erkennen, von der Skoliose keine 
Spur mehr, und von den Erscheinungen des Exsudats 
nur noch vorn unten eine geringe Dämpfung 
(Schwarte). Auch von der pneumonischen Infiltra¬ 
tion und der Caverne war keine Spur mehr zu 


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entdecken. Der sehr glückliche Vater Hess mich 
ab and za darch andere Patienten aas seiner Gegend 
von dem gaten Gedeihen seines Sohnes in Kennt- 
niss setzen; and ich meine, man hätte Grund mit 
der ohne Function oder Rippenresection erzielten 
Heilang ganz zufrieden zu sein. Kritiker mögen 
den Einwand versuchen, die Natur allein hätte das 
auch ohne homöopath. Mittel zu Wege bringen 
können; wahrscheinlich ist das aber hei der com- 
plicirten schweren Krankheit durchaus nicht. Viel 
deutlicher indess mag der folgende Fall die Macht 
der homöopathischen Arzneien beweisen. 

11. Frau Gastwirth Z., 60 Jahre alt, kam am 
30. Juli 1891 aus ihrem, 25 Kilometer entfernten 
Wohnorte hierher, nachdem sie Monate lang leidend 
gewesen und sehr mager und schwach geworden 
war, um zu hören, 6b sie bei mir Hülfe für ihr 
bisher vergeblich behandeltes Leiden finden könne. 
Ihre Klagen bezogen sich auf Schmerzhaftigkeit 
> und Druck in der Magengegend, Appetitlosigkeit, 
Vermehrung der Beschwerden durch die meisten, 
auch breiigen Speisen, während feste gar nicht 
vertragen wurden; dabei tägliches Erbrechen von 
Speisen, Schleim und wiederholt von chocoladen- 
oder kaffeesatzähnlichen Massen; dabei hartnäckige 
Verstopfung und wie oben erwähnt, grosse Hin¬ 
fälligkeit und Abmagerung; die Gesichtsfarbe war 
fahl, Fieber nicht vorhanden gewesen. Sie war 
bereits von 3 Aerzten behandelt und, wie mir die 
Angehörigen mittheilteu, die Diagnose auf Magen¬ 
krebs gestellt worden; der letzte derselben batte, 
da Patientin in kinderloser Ehe lebte, zur recht 
baldigen letztwilligen Verfügung gerathen. Die 
Untersuchung ergab denn auch einen fast sicht¬ 
baren, durch Palpation und Percussion aber sofort 
nachweisbaren harten Tumor von etwa Taubenei- 
grösse zwischen process. xiphoid. sterni und Nabel. 
Daneben Vergrösserung nebst mässiger Schmerz¬ 
haftigkeit der Leber bei Palpation und ausserdem 
ein retardirter, harter, beim 4. oder 5. Schlage 
aussetzender Puls und entsprechender Herzschlag 
mit unreinem zweiten Ton, aber ohne Vergrösserung 
des Herzens; die fühlbaren Arterien waren hart 
und rigide, die übrigen Organe normal, keine er¬ 
hebliche Anschwellung von Lymphdrüsen. Dass in 
Anbetracht dieses Befundes und der gemachten 
Angaben die Diagnose auf Carcinom der vorderen 
Magenwand mit Atherose des Herzens und der 
Gefässe lauten konnte oder musste, ist nicht zweifel¬ 
haft. Ich erklärte der Patientin gegenüber das 
Leiden für eine Geschwulst und Verhärtung der 
Magenwand von zweifelhaftem Cbaracter, Leber- 
affection und Atherose des Gefässsystems und 
stellte den Verwandten gegenüber natürlich eine 
sehr zweifelhafte Prognose. Bestimmte, die Mittel¬ 
wahl leitende Symptome lagen, wie in so manchen 
Fällen, nicht vor; und so entschied ich mich wegen 


Mitbetheiligung der Leber und gestützt auf eigene 
günstige Erfahrung bei derartigen zweifelhaften, 
vermuthlich bösartigen Geschwülsten, und anderweite 
Empfehlungen aus der Literatur für Ilv£EBtifcifa 
canadens. in 3. Decimalverdünnung, von der ich 
alle 3 Stunden 1 Tropfen in Lösung verordnete, 
ohne mir indess selbst grosse Hoffnungen zu machen. 
Dass die Diät sorgfältig regulirt und zunächst auf 
Milch, Suppen, etwas Ei und breiige Nahrung be¬ 
schränkt wurde, bedarf kaum der Erwähnung; es 
war dies übrigens auch schon von meinen Vor¬ 
gängern besorgt worden. Erst nach 3 Wochen, 
am 20. August, hörte ich wieder von der Patientin, 
und die Mittheilung war so überraschend günstig, 
dass ich sie nicht glauben wollte. Sehr bald sei 
nach dem Einnehmen Besserung eingetreten, Schmerzen 
und Erbrechen wären gänzlich verschwunden, der 
Appetit wiedergekehrt, Kräfte und Ernährung be¬ 
deutend gehoben; Patientin sei wieder in ihrer 
Wirthschaft thätig, steige Treppen ohne Anstrengung 
und Dyspnoe (die, nachträglich bemerkt, vorher sehr 
erheblich war — Herzaffection —), und vertrage 
auch Fleisch und andere feste, wenn auch leichte 
Speisen wieder gut; über Geschwulst, Herztöne und 
Puls war natürlich vom Berichterstatter nichts zu 
erfahren; Hydrast. canad. 3. wird fortgesetzt. Da¬ 
gegen hatte ich 14 Tage später, am 3. September 
Gelegenheit, mich selbst von der günstigen Ver¬ 
änderung zu überzeugen, da von dem Aufsehen 
erregenden Erfolg bewogen, ein anderer, an einer 
schweren Gehirnaffection leidender Patient an dem 
Orte meinen Besuch gewünscht hatte. Ich fand 
den Bericht vollauf bestätigt, Patientin hatte die 
Pflichten ihrer grossen Wirthschaft wieder voll¬ 
ständig übernommen, war ohne jeden Schmerz, 
ohne Erbrechen, ohne Dyspnoe und vertrug fast 
alle Speisen, darunter Gemüse, Brod u. 8. w. Sie 
war kräftig, von gesunder Gesichtsfarbe. Am über¬ 
raschendsten war das Resultat der Untersuchung; 
von der Geschwulst war nur bei vorsichtiger Per¬ 
cussion noch ein kleiner Rest zu entdecken, die 
Leber war nicht empfindlich, von normalem Umfang, 
das Epigastrium nicht mehr schmerzhaft bei Druck, 
der Puls regelmässig und nicht retardirt, doch 
wohl noch rigide. Patientin selbst hielt sich für 
vollständig geheilt; und einige Wochen später er¬ 
hielt ich bei einem Besuche derselben hier durch 
nochmalige Untersuchung die Gewissheit, dass auch 
die letzte Spur der Geschwulst verschwunden war. 
Von der Dauer der Heilung erhielt ich von Zeit 
zu Zeit und auch noch kürzlich durch andere 
Patienten aus dem Dorfe Nachricht. 

Habe ich nun in diesem Falle ein Carcinoma 
ventriculi in so kurzer Zeit geheilt? Ich weiss es 
nicht und möchte es fast bezweifeln. Jedenfalls 
aber ist durch homöopathische Behandlung in ver- 
hältnissmässig kurzer Zeit ein Leiden beseitigt 

13 * 


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worden, das alle Symptome eines Magenkrebses 
darbot, von anderen Aerzten dafür erklärt und ver¬ 
geblich behandelt wurde und mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit ohne das homöopathische Eingreifen 
einem letalen Ende zugeführt hätte. 

Ich will hier gleich einen weiteren Fall von 
günstiger Wirkung der Hydrast. anscbliessen, bei 
welchem allerdings keine so auffallende anatomische 
Veränderung nachzuweisen war. 

12. Marie W., 23 Jahre alt, kommt am G. Oct 
1889 mit einem ganzen Heer von Klagen in mein 
Sprechzimmer. Hereditär belastet, wird sie seit 
langer Zeit von Husten, Auswurf und starker 
Dyspnoe gequält. Während auch früher schon die 
Menses manchmal ausgeblieben und statt derselben 
Blut aus dem Anus entleert worden war, hat das 
in den letzten 3 Monaten jedesmal stattgefunden; 
seit einiger Zeit hat sich auch häufiges Nasenbluten 
eingefunden, und seit 8 Tagen Kopfschmerzen. 
Ausserdem hat sich seitdem ein Schmerz in der 
Gegend der Cardia ventric. eingestellt; die festen 
Speisen bleiben nach dem Schlucken dort stecken, 
drücken und werden dann wieder ausgebrochen. 
Die Untersuchung ergab Fieber und in der rechten 
oberen Lungengegend gedämpften Percussionston, 
verschärftes Athemgeräusch und Bronchophonie, die 
Zeichen einer Infiltration; an Cardia und Magen 
war objectiv nichts nachzuweisen. Ich nahm daher 
zunächst an, dass es sich um eine spastische, viel¬ 
leicht hysterische Strictur der Cardia neben Tuber- 
culose der rechten Lungenspitze handle; die Unter¬ 
suchung des Uterus nach Krankheit oder Gravidität 
wurde abgelehnt und daher verschoben. Da indess 
doch ein organisches Leiden an der Cardia nicht 
mit Sicherheit auszuschliessen war, entschied ich 
mich statt für Nux vomica für die Wahl von 
Hydrast canadend. 3. als Heilmittel, das auch manchen 
der übrigen Klagen entsprach, und gab davon 
3stündlich 1 Tropfen in Lösung, daneben wegen 
der Bronchial- bezw. Lungenaffection einen Thee 
aus Herb. Millefol., Herb. Galeopsid. und Spec. 
pectoral. Dieses Hülfsmittel ist zwar nicht homöo¬ 
pathisch; aber aegroti salus summa lex, und wo 
ich von solchen oder ähnlichen zusätzlichen Mitteln, 
z. B. Einreibungen Erfolg erwarte, trage ich kein 
Bedenken, sie anzuwenden, und batte es bisher 
nicht zu bereuen. Am 27. Octob. kam Patientin 
wieder und meldete: die Schlingbeschwerden und 
das Erbrechen haben gänzlich aufgehört, Husten 
und Dyspnoe sind erheblich gebessert, die Kopf¬ 
schmerzen beseitigt; auch Fieber war nicht mehr 
vorhanden. Dagegen wurde noch über Verstopfung, 
Unruhe im Leibe, Auftreibung desselben nach dem 
Essen, besonders Nachmittags, über Stiche in der 
Milzgegend und vermehrte Urinsecretion geklagt. 
Die Untersuchung stellte übrigens nun auch, der 
Patientin „natürlich unerwartet“, Schwangerschaft 


fest, auf deren Rechnung denn wohl ein Theil der 
Beschwerden zu setzen war. Die letzteren wurden 
durch Nux vomic. 6, 3 Mal täglich und durch 
obigen Thee mit Zusatz von Sem. Phellandr. aquai 
und Sem. Carv., dem später noch Belladonn. 3 
folgte, so weit beseitigt, dass Patientin vorläufig 
meines Rathes nicht mehr bedurfte. 

13. Frau Anton. K., 47 Jahre alt, ohne Kinder, 
consultirte mich zuerst am 3. Nov. 1889, nachdem 
sie bereits ein Jahr krank gewesen und nur mit 
dem Erfolge zunehmender Verschlimmerung allo¬ 
pathisch behandelt woi den war. Sie litt seit einem 
Jahre an heftigen Schmerzen in der Lebergegend, 
zu denen sich seit dem Sommer etwa 2 Mal jeden 
Tag Erbrechen von sauerem Schleim hinzugesellt 
hatte; seit einiger Zeit hat sich auch etwas Husten, 
namentlich Morgens eingefunden; Appetit sehr ver¬ 
mindert. Die Untersuchung der Lunge ergab keine 
objective Veränderung, die Leber dagegen war ver* 
grosse)t und bei der Palpation schmerzhaft; Gallen¬ 
steine, um das vorab gleich zu bemerken, fanden 
sich bei fortgesetzten Untersuchungen der Faeces 
nicht. Die Diagnose: Hepatitis subacuta sive chronica 
mit Catarrb. ventriculi und bronchial, wird keinem 
Zweifel unterliegen. Des Erbrechens und Magen- 
catarrhs wegen verordnet* ich zunächst Nux vomic. 6, 
20 Tropfen in 120 Gramm Wasser, 3stündlich 
einen Theelöffel, selbstredend mit Einschärfung einer 
zweckmässigen Diät, die übrigens auch schon seit¬ 
her um so mehr beobachtet war, als irgend schwere 
und reizende Kost Beschwerden und Schmerzen 
vermehrte. Der Erfolg war ein guter; denn fast 
sofort liess das Erbrechen, welches ein halbes Jahr 
gedauert hatte, nach, und der Bericht vom 10 . Nov. 
lautete: Kein Erbrechen mehr, wohl aber noch 
Schmerz in der Lebergegend, Aussehen etwas ge¬ 
hoben. Gegen die Leberaffection wurde nun Cheli- 
donium 6. Cent. 20 Tropfen in 140 Gramm Wasser, 
3stündlich 1 Theelöffel verordnet, und 8 Tage später, 
am 17. Nov. giebt Patientin sehr erfreut an, dass 
der langwierige Schmerz in der rechten Seite wenig 
mehr zu füblen sei, wohl aber etwas Schmerz im 
Epigastrium, den ich auf den Magencatarrh zurück¬ 
führte; die Leberanschwellung zeigte sich bei der 
Untersuchung vermindert. Es wurde nun des Magens 
wegen das früher gerühmte Argent. nitric., 6 bis 
8 Tropfen der 3. Verdünnung, in Wasser pro die 
in Anwendung gezogen und auch diesmal nicht 
ohne Erfolg, denn am 24. November hiess es: die 
Schmerzen in der Magengegend viel geringer, nach 
dem Essen, das übrigens besser vertragen wird, 
erscheint in der Gegend des linken Leberlappens 
noch Schmerz; ersterer zeigte sich auch bei der 
Untersuchung noch etwas vergrössert und empfind¬ 
lich gegen Palpation — Ernährung und Aussehen 
besser. Nun wählte ich ein Mittel, das sich viel¬ 
fach gegen Leber- und Magenaffection nützlich er- 


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101 


I 


wiesen hatte; Hydrast. canad. wurde in 3. Ver¬ 
dünnung 3 stündlich 1 Tropfen gegeben und be¬ 
währte sich auch hier wieder, denn nach 14 Tagen, 
am 8. Decemb. hiess es: Schmerz in Leber- und 
Magengegend besser, Anschwellung geringer, da¬ 
gegen etwas Schmerz unterhalb des Nabels, der bei 
schlechtem Wetter zunimmt. Der letzte Umstand 
bestimmte mich zur Wahl des auch sonst bei Leber¬ 
und Magenleiden in Frage kommenden Mittels, der 
Bryonia, die ich in 3. Verdünnung gab, und nun 
bedurfte das Leberleiden weiter keiner Arznei. 
Gegen Ende Decemb. war Schmerz und Anschwel¬ 
lung der Leber dauernd verschwunden; und nur 
der Magencatarrh erforderte noch einige Male die 
Verwendung von Argent. nitric. 2 und 3; Witterungs¬ 
einflüsse und Diätfehler schienen denselben ab und 
zu hervorzurufen. 

Patientin, deren Ernährung und Stimmung sich 
sehr günstig gestaltet, war über den Erfolg der 
Cur so erfreut, dass sie noch zuweilen in der 
Sprechstunde erschien, um, wie sie sagte, auch jede 
Spur ihres Leidens wegschaffen zu lassen. 

14. Noch einige kurze und einfache Fälle mögen 
den diesmaligen Bericht sch Hessen. Rentmeister B., 
45 Jahre alt, erbat bei meiner gelegentlichen An¬ 
wesenheit an seinem Wohnorte meinen Rath wegen 
eines schon mehrere Wochen dauernden Schmerzes, 
der sich vom Kreuz aus durch die rechte untere 
Extremität herunterzog und sowohl in der Nacht, 
als durch Bewegung zunahm. Derselbe folgte vor¬ 
wiegend der Bahn der vorderen Zweige des Nervus 
ischiadicus. Anderweitige ärztliche Hülfe war schon 
in Anspruch genommen worden. Der Mann war 
kräftig gebaut, im Uebrigen gesund, und durch 
Untersuchung nichts weiter festzustellen. Auf Rhus 
toxicod. 6. 3 stündlich 1 Tropfen trat sofort etwas 
Besserung ein, wesshalb ich 2 Tage später die Ver¬ 
ordnung zu 4 Gaben täglich wiederholte (am 8. Dec.). 
Am 11. December wurde nur noch über Schmerz 
bei Bewegung, dieselbe hindernd, geklagt und da¬ 
gegen Caustic. 6, 4 Mal täglich, mit gutem Erfolge 
gereicht Am 13. Dec. war von Schmerz keine 
Bede mehr, nur noch von etwas Schwäche und 
Erschwerung der Bewegung. Caustic. 30. besei¬ 
tigte auch diesen Rest des Leidens so gründlich, 
dass Patient einige Tage später wieder regelmässig 
auf die Jagd gehen und anstrengende Wege ohne 
Schmerz und Behinderung machen konnte. 

15. Frau Ferd. G., 24 Jahre alt, consultirte 
mich durch ihren Mann am 11. Februar 1890. 
Vor 8 Monaten war sie zuletzt entbunden, hatte 
sich dabei körperlich ganz gewaltig angestrengt 
und führte ihre seitdem eingetretene und dauernde 
Krankheit darauf zurück. Dieselbe wird als eine 
in häufigen Anfällen auftretende grosse Schmerz¬ 
haftigkeit und Noth in beiden Hypochondrien, im 


Epigastriura und der Lendengegend angegeben; nach 
den Anfällen war der Urin jedesmal dunkeier, vor 

4 Wochen einige Tage Icterus vorhanden gewesen, 
vor 2 Tagen Erbrechen beim Schmerzanfall. Die 
Menses waren noch vor 14 Tagen stark eingetreten, 
eine neue Schwangerschaft also auszuschliessen. 
Eine bestimmte Diagnose liess sich aus diesem 
Bericht nicht ableiten, man konnte an Ovarial- an 
Uterusaffection in Folge der Ueberanstrengung bei 
der Entbindung, man konnte auch an Gallenstein¬ 
kolik, namentlich wegen des Icterus und des Er¬ 
brechens denken. Obgleich Steine bei der vor¬ 
geschriebenen Untersuchung auch später nicht ge¬ 
funden wurden, glaubte ich doch mein Eingreifen 
zunächst dahin richten zu sollen, und gab, in Ge¬ 
danken mir andere Mittel vorbehaltend, Chelidonium 
6. D. 25 Tropfen in 120 Gramm Wasser, 3stünd- 
lieh 1 Theelöffel. Beim Gebrauch dieses Mittels, 
das ich später in der 6. CentesimalVerdünnung und 
seltenen Gaben verabreichte, schritt die Besserung 
ununterbrochen fort, so dass Patientin selbst gar 
nicht zur gewünschten Untersuchung erschien. Nur 
am 9. März trat noch einmal ein l*/ 4 Stunde 
dauernder Schmerz unter dem Sternum ein; am 16. 
gab ich noch einmal Chelidon. und habe seitdem 
nur indirect durch andere empfohlene Kranke ge¬ 
hört, dass es weiterhin gut gegangen sei. 

16. Joseph B., 11 Monate alt, wurde mir am 
22. 8eptember 1889 wegen einer Hydrocele vor¬ 
gestellt, die von einem Arzte seines Wohnortes 
bereits 3 Mal punctirt, aber jedesmal recidivirt war; 
neben dom serösen Erguss zeigte sich an der unteren 
Partie des Scrotum eine harte Stelle. Das Kind 
war übrigens auch heruntergekommen und hatte an 
allerlei Beschwerden, wie Abführen, Husten u. 8. w. 
gelitten, welche Erkrankungen von den Eltern auf 
die Impfung zurückgeführt wurden. Der letzte 
Umstand liess mich an Thuja denken; zunächst 
wählte ich aber, gestützt auf andere gute Er¬ 
fahrungen bei Hydrocele, Arnica 3 in Lösung und 
liess dabei Compressen von Wasser mit Zusatz von 
etwas Tinct. Arnicae auflegen. Am 29. September 
hatte sich indess nur das Allgemeinbefinden ge¬ 
bessert; und ich gab nun Thuja 30 in Lösung. 
Nachdem ein intercurrenter Darmcatarrh mit Er¬ 
brechen durch Ipecac. 3. unter Weitergebrauch der 
Thuja beseitigt war, fand ich bei der Untersuchung 
am 20. October die Hydrocele erheblich vermindert, 
musste aber wegen des Darmcatarrhs unter Fort¬ 
setzung der Thuja Veratrum 3. verordnen. Erst 

5 Monate später, am 23. März 1890 sah ich das 
Kind wieder. Laut Bericht der Eltern war nach 
der letzten Ordination vor 5 Monaten die Hydrocele 
sehr bald verschwunden; und der Grund der jetzigen 
Vorführung war, dass sich oberhalb des Testikels 
der anderen Seite eine Anschwellung zeigte. Mercur 
solub. 4. D. täglich 3 Tropfen, dem ich nach 


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102 


8 Tagen wieder Thuja 30. folgen Hess, beseitigte 
auch diese Affection rasch. 

— 17. Frau W. Br., 33 Jahre alt, erschien am 
3. April. Sie hat früher viel an hochgradiger 
Chlorose gelitten, ist vor 2 Jahren zuletzt von 
einem aasgetragenen Kinde entbunden und erlitt 
im Herbst des vorhergehenden Jahres einen Abortus. 
Beit 6 Wochen wird sie von oft heftigen Schmerzen 
im Leibe heimgesucht, hat mehr oder minder heftigen 
Drang zum Stuhl und zum Uriniren und ein Gefühl, 
als ob die Genitalien herausgedrängt würden; dazu 
üuor albus. Bei der Vaginaluntersuchung fand ich 
den Uterus in normaler Lage, aber etwas geschwollen. 
Das ganze Symptomenbild, speciell das Gefühl des 
Herausdrängens der Genitalien, wies auf ein mir 
sehon bei ähnlichen Zuständen bewährtes Mittel, 
Tiilinm tiyrinnm • es beseitigte in 3. D. 3 Mal 
täglich auch hier in 8 Tagen die quälendsten Er¬ 
scheinungen, so dass Patientin sich ganz frei und 
glücklich fühlte. Das Uriniren, wenn auch ohne 
grossen Drang, erfolgte noch häufig; ausserdem 
wurde noch Über verminderten Appetit und etwas 
Müdigkeit geklagt. Und um diese Beschwerden, 
die ich zum Theil auf die Anschwellung, bezw. 
chronische Entzündung des Uterus zurückführte, 
zu beseitigen, gab ich Aurum natro-muriat. 3. D. 
3 Mal täglich und habe seitdem nichts wieder von 
der Patientin gehört; ich referire den Fall hauptsäch¬ 
lich wegen der prompten Wirkung von Lilium tigrin. 


Damit will ich mein heutiges Referat schliessen 
und nur noch einige Worte über Mittelwahl und 
Höhe der Potenzen beifügen. Es wird dem Leser 
nicht entgangen sein, dass die Wahl der Heilmittel 
in den erzählten Fällen vielfach theilweise oder 
hauptsächlich auf der anatomischen bezw. klinischen 
Diagnose begründet oder mitbegründet wurde und 
nicht der strengen Hahnemann’schen Forderung, 
nach den Symptomen zu wählen, genügt wurde. 
Ich will vor Allem einräumen, dass dies kein streng 
orthodoxes Verfahren ist, will feiner nicht zu er¬ 
klären vergessen, dass sehr viele glänzende Erfolge 
Hahneraann’s und seiner Jünger durch strenges 
Anlehnen an obige Forderung mit Uebersehen der 
klinischen Diagnose erreicht sind und täglich werden, 
und dass kein Homöopath, um mit rechtem Erfolg 
zu wirken, es unterlassen soll, sich eine möglichst 
umfassende Mittel- und Symptomenkenntniss anzu¬ 
eignen. Dies alles vorausgeschickt denke ich indess, 
dass Hahnemann, würde er heute leben und wirken, 
ebenso wie er damals auf der Höhe der Wissen¬ 
schaft stand, sich alle Fortschritte der Neuzeit zu 
Nutze gemacht und die gegen damals viel sicherere 
und correctere klinische Diagnose neben der Sympto¬ 
matik nicht ausser Acht gelassen haben würde, um 
das jedesmalige Heilmittel zu finden. Ich denke 
ferner, dass Diagnose und Prognose, die genaue 


Kenntniss der Krankheit, den wissenschaftlichen Arzt 
von den ohnehin überwuchernden Laienpractikern 
scheiden und über sie stellen soll; und nach unserer 
ganzen Ausbildung, die auf unseren Universitäten 
gewonnen, unserem ganzen medicinischen Denken 
und Wirken seine Richtung giebt, seinen Stempel 
aufdrückt, würde es mir und gewiss der Mehrzahl 
der homöopathischen Collegen unmöglich sein, an 
die Behandlung eines Kranken heranzutreten, ohne 
uns vorher, so weit es möglich, eine genaue Diagnose 
der Krankheit verschafft zu haben. 

Mit dem Acte der Diagnosenstellung treten 
unserem Geiste meist sofort auch das oder die 
Reihe von Mitteln entgegen, die sich nach eigener 
und anderer Erfahrung bei Erkrankungen des affi- 
cirten Organs bewährt haben. Und häufig gelingt 
es nun weiter gar nicht, prägnante Symptome auf¬ 
zufinden und aus unserer Symptomenkenntniss eine 
genaue Hahnemann’sche Mitteldiagnose zu stellen, 
und wir müssen nach klinischer Diagnose und nach 
Beziehung der Medicamente zu den Organen wählen, 
wobei selbstverständlich möglichst zu individualisiren 
und auf Anamnese, Constitution und alle sonstigen 
Umstände möglichst Rücksicht zu nehmen ist. Ge¬ 
lingt es uns aber, neben genauer Diagnose noch 
andere prägnante Anhaltspunkte zur Mittelwahl zu 
gewinnen, sei es aus einzelnen Symptomen, sei es 
aus Ursache, Gemüthszustand, den Zeiten, Ursachen 
und Umständen der Verschlimmerung oder aus der 
Constitution u. s. w., so ist das natürUch der 
wünschenswertbeste Weg und der Erfolg meist um 
so sicherer. Wir wollen daher Symptomatik und 
homöopathische Mittel wähl durchaus nicht aus dem 
Auge verlieren und so weit wie möglich Nutzen 
daraus ziehen im Verein mit der für den wissen¬ 
schaftlichen Arzt unentbehrlichen klinischen Diagnose. 
Ich betone dabei „so weit wie möglich“, und hier 
liegt für eine grosse Zahl homöopathischer Aerzte 
eine weitere Schwierigkeit. Als der Begründer 
unseres Systems und seine Schüler und Anhänger 
Mittel für Mittel prüften und die Zahl der letzteren 
noch klein war, gelang es gut veranlagten Menschen 
wohl mit nicht zu grosser Schwierigkeit, sich die 
Symptomenbilder einzuprägen und im einzelnen Fall 
die richtige Wahl zu treffen. Wie aber heute, wo 
die Zahl der Mittel das halbe Tausend weit über* 
schritten hat und fast jeder Tag, namentlich aus 
Amerika neue bringt? Man lese eine neue homöo¬ 
pathische Materia medica, ja man lese nur die 
älteren 300 Mittel mit ihren Symptomenbildern 
durch; man vergegenwärtige sich, was an Constitution, 
Umständen, Zeiten u. s. w. zu berücksichtigen ist; 
und man wird mir zugeben, dass es nur wenigen 
gottbegnadeten Geistern möglich sein wird, aus 
diesem baumreichen Walde, in dem sich zudem sehr 
sehr viele Bäume verzweifelt ähnlich sehen, immer 
den richtigen herauszufinden. Es bleiben uns aller- 


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dings die vergleichenden Studien und die Repertorien; 
aber auch diese lassen uns nur zu oft im Stich 
oder täuschen, wenn man das Richtige gefunden zu 
haben glaubt. Und so wird eine erhebliche Zahl 
homöopathischer Aerzte froh sein, durch die klinische 
Diagnose mit gehöriger Jndividualisirung, durch 
Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Organen 
und Mitteln und schliesslich auch durch Erfahrung 
ex juyantihus in ähnlichen Fällen da Krücken zu 
finden, wo die stolze Carosse der sichersten Mittel- 
erkenntniss fehlt. Man wird gewiss um so schönere 
Erfolge haben, je grösser Mittel- und Symptomen- 
kenntniss ist, aber das Ideal lässt sich wohl stets 
anstreben, nicht stets erreichen. 

Was nun die Höhe der Potenz angeht, so findet 
sich in den obigen Fällen meist die 3. bis 6. Dec., 
zuweilen Centesimale, selten die 30., noch seltener 
die 200. yerwendet; doch will ich das nicht als 
Beispiel oder Vorbild empfehlen. Wer, wie ich, 
allmählig ans der allopathischen zur homöo¬ 
pathischen Heilmethode bekehrt wurde und über¬ 
geht, wird in den niederen meist noch stofflichen 
Potenzen noch etwas Zusammenhang mit seinen 
früheren Anschauungen und der Art des Wirkens 
finden und dieselben yorzugsweise verwenden, um 
so mehr, wenn noch hinzukommt, dass der College, 
welcher uns in die Homöopathie einführte, sich 
ebenfalls yorzugsweise der niederen Potenzen be¬ 
diente. Erst allmählig und anfänglich schüchtern 
zieht man dann höhere Potenzen in Gebrauch, aber 
die erstere Verwendungenweise stellt sich unwillkür¬ 
lich immer wieder in den Vordergrund. Trotzdem 
habe ich selbst sehr schöne Erfolge mit höheren 
Potenzen bis zur 200. gehabt und lese mit Ver¬ 
gnügen und Bewunderung dieselben bei den besten 
Vertretern unserer Methode. — Etwas anderes ist 
es allerdings mit den sogenannten Fluctions- 
yerdünnungen nach Finke, die in die Hunderttausend 
und Millionen gehen. Ist die unumstösslich und 
durch hunderte yon Erfahrungen bewiesene Wirkung 
der Verdünnungen yon Sulfur, Silicea und anderen 
in Alkohol unlöslichen Stoffen schon schwer be¬ 
greiflich und etwa durch Veränderung des Alkohol 
vermittelst Contactwirkung beim Schütteln versuchs- 
weise zu erklären und kann nur hundertfache mit 
kritischem Auge gemachte Erfahrung uns zur Ueber- 
zeugung yon der Wirkung der Hochpotenzen führen, 
in denen weder Chemie noch Spectral-Analyse nur 
eine Spur der potenzirten Stoffe naoh zu weisen ver¬ 
mag: zu dem Glauben an die unermesslichen 
Finkeschen Potenzen, erzeugt durch Ein- und Aus¬ 
flüssen eines Wasserleitungs-Oceans über 1 Tropfen 
Arznei kann ich mich nicht aufschwingen. Möge 
in dieser Beziehung wie in mancher anderen die 
Zukunft läuternd, scheidend and vielleicht erklärend 
und versöhnend wirken. 


Unsere Vehikel. 

Unsere Apotheker benutzen nach den von Hahne- 
mann gegebenen Vorschriften zur Potenzierung drei 
Vehikel: Milchzucker, destillirtes Wasser und Wein¬ 
geist. Diese drei Dinge hielt Hahnemann für t in¬ 
different.* Sie sollen fähig sein, das mit ihnen 
kunstgerecht vereinigte und in seine molekularen 
Bestandteile zerlegte Arzneimittel Jahre und selbst 
Jahrzehnte lang so in sich aufzubewahren, dass der 
Praktiker in jedem Falle davon mit Nutzen Gebrauch 
machen und, wenn er Erfolge davon sieht, sagen 
kann, dass diese nur diesem potenzirten Mittel und 
keinen anderen Beimengungen, welche das Vehikel 
enthält, zuzusohreiben sind. Ueberblickt man unsere 
Literatur, und namentlich die bis jetzt erschienenen 
124 Bände dieser Zeitung, in deren jedem der 
Streit um Hoch- und Tiefpotenzen tobt, so kann 
man wohl kaum in Abrede stellen, dass dieser 
Irrthum Hahnemann's volles Bürgerrecht unter uns 
erlangt bat. Keiner der Herren Collegen streift 
dieses für ihn anscheinend sehr nebensächliche Ge¬ 
biet; man sieht die Mehrzahl der Streiter für 
die Berechtigung der Hochpotenzen stets dafür 
ein treten, dass in jedem Falle, wo Besserungen und 
Heilungen erzielt wurden, diese der gegebenen 
„Potenz* allein zuzuschreiben seien, und fast Alle 
halten die von Hahnemann seiner Zeit eingeführten 
Vehikel für indifferent und vor Allem für chemisch 
so rein, dass Nebenwirkungen — notabene, wenn 
man von solchen reden darf! — absolut aus¬ 
geschlossen sein müssten. Ich spreche hier von 
Wirkungen und Nebenwirkungen. Die Haupt¬ 
wirkungen erblickt der Hochpotenzier stets in der 
mit dem Vehikel vereinigten Arznei. Steht doch der 
Name derselben auf dem die betreffende Potenz 
enthaltenden Fläschchen und daneben eine ominöse 
30., 200. t oder gar 1000. als ein vollgültiger Be¬ 
weis für ihn, dass das Mittel richtig nach Hahne¬ 
mann's oder auch nach anderen Vorschriften, denen 
er vielleicht mehr Vertrauen schenkt, zubereitet 
sein müsse. Wie könnte also Jemand sich nur er¬ 
dreisten, einen Zusammenhang zwischen der arznei¬ 
lichen Ursache und ihrer endlichen Heilwirkung in 
Abrede zu stellen? Nebenwirkungen, die den 
diätetischen Anordnungen oder auch dem Vehikel, 
an welches die Heilpotenz gebunden ist, zuzuschreiben 
sein könnten, existiren für den Hochpotenzier kaum, 
wenn er Kranken ein „Heilmittel* verabreicht, oder 
er ist sich derselben nur selten bewusst und er 
gesteht es nur ungern ein, dass das für die Be¬ 
handlung scheinbar Nebensächliche die Hauptsache 
für den definitiven Erfolg war. Schreibt man aber 
diesen Erfolg einer minimalen, mit modernen 
chemischen HÜlfsmitteln in dem Vehikel nicht mehr 
nachweisbaren „Arzneimenge* zu, indem man gleich¬ 
zeitig die Vis medicatrix naturae leugnet, so muss 


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104 


man folgerichtig auch anerkennen, dass auch andere 
„Heilstoffe*, die sich in dem Vehikel in noch 
grösserer Menge befinden, als die demselben in- 
corporirte Arznei, deren Namen auf der Flasche 
steht, wenigstens betheiligt sein können. 

Ich bezeichnete oben Hahneraann’s Annahme, 
dass der Milchzucker etwas Indifferentes sei, als einen 
Irrthum. Vom homöopathischen Gesichtspunkte aus 
kann er nicht „indifferent* sein, schon weil es un¬ 
möglich ist, ihn absolut rein darzustellen; und selbst 
wiederholtes Umkrystallisiren, wodurch er farblos 
wird, befreit ihn nicht von kleinen Mengen gewisser 
Nebenbestandtheile, die er bei seiner Herstellung 
aufnahm. Die chemische Formel für Lactobiose 
(Cj2 H 22 On-f"H 2 0) steht eben nur auf dem Papier. 
Schon aus den eisernen Kesseln, in denen er ge¬ 
kocht und abgedampft wird, nimmt er geringe 
Mengen Metall auf; die gebräuchliche Umkrystalli- 
sation mit schwefelsaurer Thonerde oder Kreide 
lässt mindestens eine homöopathische Potenz von 
Alumina oder Calcarea carbonica in ihm zurück; 
seine Verreibung mit irgend einem homöopathischen 
Arzneimittel im Porzellanmörser macht ihn Kaolin- 
haltig. Trotzdem aber sagen wir, wenn wir einem 
Patienten eine solche Verreibung verabreichten, 
welche Sulfur trit. 30 etiquettirt ist, und wenn 
er uns einige Zeit darauf seine Genesung meldet: 
Wir haben ihn durch Sulfur 30 geheilt! Wehe 
Dem, der daran zweifelt! 

Fast dieselben Einwände bestehen gegen den 
Alkohol. Auch ihn hält man für indifferent. Aber 
selbst aus dem bestrectificirten Alkohol lassen sich 
sicher nicht alle Spuren von Fuselöl entfernen, und 
homöopathische Dosen von Fermentoleum sind sicher 
noch darin, auch wenn sie nicht durch die Cblor- 
Baryumprobe nachweisbar sind. Dass absoluter Alko¬ 
hol aber mindestens eine homöopathische Potenz von 
Chlorcalcium bei der Rectification geworden sein 
muss, steht für mich so fest, wie dass 2x2 = 4 
sind. 

Noch von der Reinheit des Wassers ein Wört¬ 
chen zu reden, wird man mir ersparen. Scheint 
man unter den Anhängern der Hochpotenzen selbst 
doch kein Gewicht mehr darauf zu legen. Denn 
Coli. Steudel berichtet in Nr. 23—24, dass man 
in Amerika einfaches Seewasser aus dem Lake 
Ontario dazu verwendet. 

Was bleibt da nun übrig? Sollen wir nach 
anderen Vehikeln von absoluter Reinheit und voll¬ 
ständiger Unschuldigkeit für unsere Hochpotenzen 
Umschau halten und die homöopathische Pharmacie 
reformiren? Ich meine, dass dies vergebliches Be¬ 
ginnen sein würde, denn es ist nichts rein auf 
Erden! Viel richtiger, so denke ich, wäre es, wenn 
man die Metaphysik aus der Homöopathie ver¬ 
bannte und sich des Wahrwortes des längst zu 
seinen Vätern heimgegangenen Griesselich er¬ 


innerte: Homöopathische Mittel nur so weit zu 
verdünnen, dass sie dem Kranken nicht mehr schaden, 
wohl aber durch ein entsprechendes Quantitäts- 
verhältniss noch wirken und nützen. Nur dann 
kann man sich die unreinen Vehikel noch gefallen 
lassen und sagen: Ich habe meinem Kranken Bella¬ 
donna 3., 4. oder 5. gegeben, und da ihm danach 
besser wurde, so habe ich ihn durch Belladonna 
gebessert. Thomas Apostata. 


Eine prophylaktische Methode. 

Vortrag, gehalten auf der 60. Generalversammlung 
des Centralvereins der homöopathischen Aerzte 
Deutschlands zu Stuttgart am 10. August 1892 von 
Dr. med. H. Göhr um- Stuttgart. 

Hochverehrte Versammlung! 

Die prophylaktische Methode , über die ich heute 
zu Ihnen sprechen will, ist die Weihe’sehe Methode . 
Es sind schon mehrfache Veröffentlichungen über 
diese Methode vorhanden, so dass ich mich darauf 
beschränken kann, nur kurz die Hauptzüge derselben 
Ihnen vorzuführen. Die Weihe'sche Methode basirk 
auf der durch langjährige, vieltausendfältige Be¬ 
obachtungen über alle Zweifel erhobenen Thatsache, 
dass sich am menschlichen Körper anatomisch genau 
bestimmbare Punkte finden. Drückt man bei der 
Untersuchung mit langsamem, sanftem Druck der 
Kuppe eines Fingers auf diese verschiedenen sogen. 
Schmerzpunkte, so finden sich fast ohne Ausnahme 
bei jedem Menschen 1 oder 2 Punkte, die sich 
entweder allein als schmerzhaft oder als die schmerz¬ 
haftesten erweisen. Jedem Punkt entspricht ein 
ganz bestimmtes Arzneimittel. Die den schmerz¬ 
haften Punkten entsprechenden Arzneimittel sind 
alsdann die Heilmittel für den jeweiligen Zustand 
unseres Organismus, der aus der Einwirkung der 
verschiedensten Einflüsse auf diesen resultirt, ob 
diese von aussen auf ihn treffen oder in ihm pro- 
ducirt werden. 

Ich sagte soeben, die Schmerzpunkte fänden 
sich fast ohne Ausnahme bei jedem Menschen. Die 
Erfahrung lehrt, dass die Ausnahmen nicht bei Ge¬ 
sunden zu finden sind, sondern im Gegentheil bei 
sehr chronisch Kranken. Ich kann aus meiner nun 
4jährigen Erfahrung mit der Weihe’schen Methode 
versichern, dass ich noch keinen Gesunden traf, der 
nicht Schmerzpunkte gehabt hätte. Und an diesen 
Umstand knüpft sich die Wichtigkeit der Weihe’¬ 
schen Methode als einer prophylaktischen an. 

Die Einen werden mir nun einwerfen, dass wir 
bei der Prophylaxis gar keiner so specialisirenden 
Methode bedürfen, zu dem da es sich ja hierbei nur 
um den Schutz gesunder Individuen handelt. Ich 
sage, um den Schutz sogenannter Gesunder. 


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105 


Von anderer Seite wird mir die Aussicht auf 
nahe Erfolge durch die immunisirende Serumtherapie, 
als der idealsten Durchführung des Gedankens der 
Schutzimpfung yorgehalten werden. 

Ein dritter Einwurf wird der sein, dass man 
zur Prophylaxis gar keiner Arzneimittel bedürfe. 
Wozu hätte man denn sonst die ganze Lehre der 
Diätetik im weitesten Sinne des Wortes? Warum 
feierten denn sonst die arzneilosen Heilmethoden, 
als sogen. Naturheilmethode zusammengefasst, solche 
Triumphe? 

Um alle diese möglichen Elinwürfe zu bekämpfen 
und die Vorzüge der Weihe’schen Methode als einer 
prophylaktischen Methode zu beweisen, muss ich 
etwas weiter ausholen. 

Was ist der Zweck der Prophylaxis? Den Ge¬ 
sunden gesund zu erhalten d. h. ihn vor allen 
Schädlichkeiten, die ihm drohen, zu schützen. 

Vor welchen Schädlichkeiten ist Schutz zu ge¬ 
währen? Davon will ich Ihnen eine kleine Ueber- 
sicht geben. Man unterscheidet zwei grosse Gruppen 
von Krankheitsursachen, die Gausae proximales und 
die Causae praedisponentes: äussere und innere. 
Zu enteren zählt man die mechanischen, die physi¬ 
kalischen i. e. S. (die Imponderabilien Licht, Wärme, 
EUektricität, ferner Klima, Jahreszeit, Wohnung etc.), 
die chemischen und die parasitären, worunter nicht 
blos die Epi- und Entozoen, sondern auch die 
Mikrobien, die Ursachen der Infectionskrankheiten 
begriffen werden. Soweit reicht über die äusseren 
Krankheitsunachen die Weisheit meines einst im 
Schweisse des Angesichtes nachgeschriebenen Colleg- 
heftes. Hören wir nun, was es über die inneren 
Krankheitsursachen weiss. Sie begreifen das in 
sich, was man * Disposition * zu nennen pflegt. Man 
untencheidet die allgemeine Disposition, die durch 
die verschiedenen Alters- und Geschlechtsperioden 
und -Verhältnisse bedingt wird, dann die individuelle 
Disposition, die theils aus anerbten Anlagen, theils 
aus den Einflüssen der äusseren Lebensbedingungen 
resultirt. 

Mein Collegheft sagt weiter: Die Entwicklung 
des Körpers wird von allen diesen Faktoren be¬ 
einflusst und das Gesammtresultat aller dieser Ein¬ 
flüsse ist die individuelle Constitution. In der Ab¬ 
weichung der Constitution von der Norm liegt die 
Disposition zu Krankheiten. Die Constitution und 
die dadurch bedingte Krankheitsdisposition sind nicht 
stabil, sondern jeden Moment wandelbar und hier 
kann die segensreiche Wirkung der Heilkunde ein- 
setzen. — Doch davon weiter unten. 

Aber von einem ist darin nicht die Rede: von 
den sogen, epidemischen Einflüssen. Nun diese 
sind auch schwer zu classificiren. Jedenfalls ge¬ 
hören sie zu den Causis proximalibus, zu den 
äusseren Krankheitsursachen, und zwar dürften sie 
die einschneidendsten sein. Wie sollte es sonst 


möglich sein, dass so viele Individuen, gesnnde und 
kränkliche, mit den verschiedensten Constitutionen 
begabt, diesen Einflüssen unterliegen? Dass die 
epidemischen Einflüsse sowohl der physikalischen 
wie der chemischen Unterabtheilung einzureihen 
sind, dürfte nahe liegen. Hierüber müssen künftige 
Forschungen mehr Licht verbreiten. Und diese 
dürften sich in zwei Richtungen bewegen: in einer 
allgemeineren, auf tellurische Einflüsse achtend, und 
in einer specielleren, in der man mehr die localen 
Einflüsse, die Einflüsse der näheren Umgebung, 
studiren müsste. 

Ist es möglich , uns vor allen diesen Schädlich¬ 
keiten zweckmässig und wirksam zu schützen? Ge¬ 
wiss nicht. Die Abwehr gegen die Causas proxi¬ 
males ist einfach nicht durchführbar — wir wollen 
zunächst ganz von den epidemischen Einflüssen ab¬ 
seh en. — Wie sollen wir uns nur gegen die all¬ 
gegenwärtigen Mikrobien schützen? Wir müssten, 
wollten wir ihnen entgehen, in ein Sublimatbad 
1:1000 geboren werden, wir müssten leben unter einer 
sterilisirten Glasglocke, der nur durch Watte filtrirte 
Luft zugeführt würde. Also damit ist es nichts. 
Und wie sollten wir den Causis praedisponentibus 
entrinnen? So wenig als die Schnecke ihrem 
Schneckenhaus. Und dasselbe ist es mit den 
epidemischen Einflüssen. Ein Schutz ist also ziem¬ 
lich illusorisch, da es gegen die wichtigsten Krank¬ 
heitsursachen fast keinen giebt. Also absolut Ge¬ 
sunde kann es nicht geben. 

Es bleibt uns als sicherstes Schutzverfahren nur 
übrig, unsere Constitution möglichst der Norm zu 
nähern und ihr möglichst genähert zu erhalten. 
Gesundheit und Krankheit sind nicht streng von 
einander zu scheiden; es sind relative Begriffe. 
Deflniren wir Gesundheit als den Zustand des labilen 
Gleichgewichtes der Funktionen innerhalb der physio¬ 
logischen Grenzen. Werden diese Grenzen nach 
oben oder unten überschritten, d. h. treten Zustände 
von Uebererregung oder von Lähmung ein, so haben 
wir Krankheit vor uns. Da wir nun so vielen Ein¬ 
flüssen ausgesetzt sind, die Stadien der Ueber¬ 
erregung oder der Lähmung herbeizuführen im 
Stande sind und auch oft genug herbeiführen, so 
müssten wir eigentlich viel häufiger erkranken, wenn 
wir nicht mit den sogen, regulatorischen Centren 
für die verschiedenen Funktionen ausgerüstet wären. 
Und so tritt ein dauernd krankhafter Zustand nur 
ein, wenn die Reize nach oben oder unten so 
mächtig einwirken, dass eine Ausgleichung durch 
Schädigung dieser Centren vereitelt wird. Sie haben 
ja wohl den im vorigen Jahre auf der Berliner 
Versammlung gehaltenen Vortrag unseres verehrten 
Coli. Leeser in der Berliner Zeitschrift gelesen. 
Danach haben wir in erster Linie das Nervensystem, 
das in dem centralen und sympathischen System 
motorische, sensible und trophische Nerven in sich 

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theils den verschiedenen — mit zu erheblicher 
Eiweisszersetzung einhergehenden Gemüthsaffectionen 
entstammen. 

Bisher habe ich nur von „Giften * gesprochen. 
Prof. Jäger aber hat uns mittelst seiner neural- 
analytischen Untersuchung der homöopathischen 
Arzneimittel in den verschiedensten Verdünnungen 
das gezeigt — was schon Paracelsus in die Worte 
kleidet*) —: „alle Dinge sind Gift und nichts ohne 
Gifty allein die Dosis macht, dass ein Ding kein 
Gift ist“ Prof. Jäger hat uns mit Ziffern bewiesen, 
dass die Quantität der einwirkenden Stoffe neben 
der Qualität derselben nicht vernachlässigt werden 
darf, dass erstere ebenso wichtig ist wie letztere. 

So lange ein Gift nicht in den Säften circulirt, 
sondern an die Gewebe festgebunden, „aufgespeichert 8 , 
ist, kann es keinen direkten Schaden stiften, in¬ 
sofern als es nicht in Aktion treten kann nach dem 
bekannten Spruche „Corpora non agunt nisi fluida 8 . 
Wohl aber haben sie Einfluss in der Hinsicht, als 
sie die Funktion der Gewebe, in denen sie auf- 
gespeichert sind, in specifischer Richtung modiflciren, 
sie also Einflüssen, auch schädlichen, zugänglich 
machen, denen sie vorher nicht unterworfen waren. 
Findet aber durch irgend welche Ursache eine er¬ 
giebigere Loslösun g solcher allmählig auf gespeicherten 
Gifte, eine „Entspeicherung 8 , statt, so ist die Folge 
eine mehr weniger schwere Alteration des Allgemein¬ 
befindens oder der Funktionen bestimmter Organe. 
Fremd- und Selbstgifte, deren Auf- und Entspeicherung Wir ersehen hieraus, dass der Organismus sich 

in unserem Körper. Das Ausführliche bitte ich auf zweierlei Weise vor der Einwirkung der ver- 
hierüber in Prof. Jägers neuestem Werke „Stoff- schiedenen Schädlichkeiten zu schützen sucht: Er 
Wirkung in Lebewesen 8 nachzulesen. Hier will ich scheidet sie entweder sofort ans event. unter dem 
nur die Quintessenz dieser Anschauungen mittheilen. Bild einer vorübergehenden Krankheit oder er macht 
Von aussen treten in den Körper bei der Athmung sie unschädlich, indem seine Gewebe sie binden, 
und Nahrungsaufnahme mancherlei Stoffe ein. Die In ersterem Falle werden die regulatorischen Centren 
einen werden assimilirt, die anderen unverändert Herr des Fremd- oder Selbstgiftes, in letzterem 
ausgeschieden, dritte in den Geweben gewisser- Falle werden ihnen die Hände gebunden, sie sind 
massen unverändert aufgespeichert (Narkotica, Alko- in ihrer Thätigkeit gelähmt und so kommen sie 
holica, gewisse Arzneimittel z. B. Digitalis, Hg.), immer tiefer in die Kreide. (Alkoholismus, Nico- 
Erstere bedingen natürlich in Folge der Verdauung tinismus, Mercurialismus, Morphinismus), 
die Ausscheidung der verschiedensten Stoffwechsel- Jeder Kampf des Organismus mit Giften, Fremd¬ 
produkte. Die Verhinderung der Ausscheidung oder Selbstgiften, ist das Bestreben desselben resp. 
dieser führt zu mancherlei Störungen in Folge von seiner regulatorischen Centren diese Gifte aus- 
Aufspeicherung in den Geweben. Die zweite Gruppe zuscbeiden. Hierzu gehört eine gesteigerte Thätig- 
führt gewöhnlich nur zu einer vorübergehenden keit der secretorischen Organe, als welche die Haut, 
Indisposition als Ausdruck der Reaktion des Organis- die Schleimhäute und die Endothelien der Glomeruli 
mus gegen diese. Von der dritten Gruppe und den der Nieren anzusehen sind. Bei der acuten Krank- 
aus der ersten Gruppe zurückbehaltenen nun als heit ist schon Ueberreizung vorhanden; diese kann 
Selbstgifte anzusprechenden Stoffen wird, wenn nicht entweder in Genesung übergehen oder in eine 
zu grosse Massen in Betracht kommen, so dass chronische Krankheit Die chronische Krankheit ist 
acute Erkrankung entsteht, durch Aufspeicherung ein Zeichen der Lähmung der Reaktionskraft des 
derselben im Körper bei verhältnissmässigem Wohl- Organismus, der Lähmung der regulatorischen Thätig- 
beflnden die chronische Vergiftung eingeleitet, keit der betr. Centren, die ja leicht einer Ueber- 
Ebenso verderblich wie diese Fremdgifte oder aus_ 

fremden Stoffen im Inneren entstandene Gifte wirken •) Paracelsus in seiner dritten Detension. Basler 

die Selbstgifte, die theils den anerbten Anlagen, Ausgabe, Bd. II, pag. 170. 


sohüesst, bei Erkrankung vor allem zu berück¬ 
sichtigen. Wir Homöopathen können das auch — 
dank unserer so ausserordentlich feinen Mittel¬ 
diagnostik. Wir müssen uns also vor allem darüber 
klar werden, welche verschiedene Störungen im 
Nervensystem Vorkommen können. Wir haben 
hemmende und beschleunigende Centren und da 
kann bald das eine, bald das andere überreizt oder 
gelähmt sein. Von grosser Wichtigkeit ist auch 
die Reflexübertragung von dem einen System auf 
das andere, von den motorischen, sensiblen und 
trophischen Nerven je auf die anderen. Wir haben 
also jede Ueberreizung und jede Erregbarkeits¬ 
hemmung, sowie jede übermässige und allzugeringe 
Uebung der Reflexbahnen zu vermeiden. Diese 
Verhältnisse behandelt unser verehrter Coli. Prof. 
Jäger in wahrhaft klassischer Weise unter der Spitz¬ 
marke „Nervenphysiologie 8 in der Encyklopädie der 
gesammten „Thierheilkunde 8 von Alois Koch. 

Doch der Körper besteht nicht allein aus Nerven, 
sondern auch aus den von diesen regirten Geweben, 
Organen und Organsystemen, zu denen das Nerven¬ 
system selbst wieder gehört. Es giebt ja so viele 
Krankheitsursachen, die direkt auf die Gewebe wirken 
und erst in zweiter Linie die Nerven beeinflussen. 
Ich muss hier ganz absehen von den mechanischen 
und grob-chemischen Einflüssen. Aber ein Capitel 
kommt hier in Betracht: das von Prof. Jäger so 
ausführlich und gediegen bearbeitete Capitel der 


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reizung folgt, je stärker und länger, desto eher. 
Eine Ueberreizung bei der Entspeicherung wird aber 
um so stärker und andauernder stattfinden, je mehr 
Gifte in dem Körper angesammelt sind. Die Pro- 
phylaxis bat also ihr Hauptaugenmerk darauf zu 
richten, eine Ansammlung solcher Fremd- und 
Selbstgifte möglichst zu verhindern und die regula¬ 
torischen Centren möglichst funktionsfähig zu er¬ 
halten. Denn eine an sich geringfügige Störung 
kann durch Anstoss zu weiterer Entspeicherung eine 
ernste Krankheit auslösen. 

Die Prophylaxis kann also in zweierlei Weise 
geschehen: 

Man verhütet jede Giftstoffaufnahme und • an - 
Sammlung durch eine möglichst naturgemässe Diätetik 
(abgesehen von der Prophylaxis gegen mechanische 
und grob-chemische Einflüsse) 

und sucht jede stattgehabte Giftstoff auf nähme 
durch möglichst rasche Ausscheidung desselben 
zu paralysiren. 

Letzteres kann wiederum auf ziveierlei Weise 
geschehen, indem wir flotten Stoffwechsel entweder 
ebenfalls durch möglichst naturgemässe Diätetik oder 
durch arzneiliche Reize unterhalten. 

Hieraus folgt, dass weder ein diätetisches noch 
ein arzneiliches prophylaktisches Verfahren stark 
reizend oder in Folge dessen oder direkt lähmend 
ein wirken darf. 

Ueber diätetische Verfahren will ich mich weiter 
nicht auslassen, obgleich ich manchmal gerechte 
Zweifel hege, ob nicht mit der dabei vielfach be¬ 
liebten regelmässigen Anwendung kalten Wassers 
dem Körper namentlich älterer Individuen und der 
Kinder zu viel Wärme entzogen, also ihr Stoff¬ 
wechsel gehemmt wird. Nur gegen etwas muss ich 
mich ganz energisch verwahren. Ich meine die 
Erklärung des Zustandekommens der Abhärtung, 
wie sie — wenn ich mich nicht irre — Brücke in 
seiner Diätetik des Kindesalters giebt: es sollen 
durch wiederholte Anwendung kalter Temperatur¬ 
einflüsse die Centren der Wärmeregulation ab¬ 
gestumpft werden, damit sie nicht mehr so stark 
also event. acut krankmachend reagiren. Dies 
wäre ebenso unphysiologisch, ebenso unrationell 
wie die symptomatische Unterdrückung irgend eines 
Schmerzens. So darf Hygiene nicht betrieben 
werden. 

Betonen muss ich hier, dass ich bei jeder arznei¬ 
lichen Prophylaxis ein rationelles diätetisches Ver¬ 
halten für unerlässlich halte, ebenso wie ich fest 
überzeugt bin, dass Diätetik allein nicht ausreicht 
zur Entfernung der vererbten Anlagen sowie der 
schädlichen Einwirkung der heutigen socialen Lebens¬ 
bedingungen, da sie die veränderten Nerven- und 
Organfunktionen nicht in specifischer Weise angreift. 

Gehen wir nun zur arzneilichen Prophylaxis 
über. Dass da nur eine Methode in Betracht kommen 


kann, die keine lähmenden Dosen an wendet ist klar. 
Also vor allem die homöopathische Heilmethode mit 
den von Hahnemann empfohlenen verfeinerten 
Arzneimitteln. Aber die arzneiliche Prophylaxis hat 
einen grossen Haken: sie kann nur angewendet 
werden, wenn Symptome einer Krankheit vorliegen 
resp. auch ohne solche wenn schon so und so viele 
gleichartige Erkranknngsfälle vorgekommen sind, 
dass wir in der Annahme einer Epidemie uns nicht 
irren dürften und schon das Heilmittel für diese 
gefunden haben. Für die ersten Fälle und über¬ 
haupt znr Beseitigung der allmäligen Aufspeicherung 
von Fremd- und Selbstgiften sowie der schon durch 
Vererbung überkommenen Gifte weiss auch die 
Homöopathie keinen Rath, da sie nach dem von 
uns allen anerkannten Grundsatz »Similia similibus 
curantur“ nothwendig zur Auffindung des Heil¬ 
mittels wenigstens einiger Symptome bedarf. Allein 
die Weihe*sehe Methode , die ganz auf den 
Principien der Reinen Arzneimittellehre beruht, ver¬ 
mag jeder, auch nicht der gewöhnlichen Beobachtung 
zugänglichen Veränderung in der Wechselwirkung 
zwischen den äusseren und inneren Einflüssen und 
unserem Organismus zu folgen. Sie hat in der 
Schmerzhaftigkeit bestimmter je nach der Art dieser 
Wechselwirkung veränderlicher Schmerzpunkte einen 
objektiven Anhaltspunkt zur Beurtheilung einer ein¬ 
getretenen Veränderung dieser Wechselwirkung so¬ 
wie zu gleicher Zeit für das derselben entsprechendste 
Heilmittel. Das Symptom des oder der Schmerz¬ 
punkte lässt uns nie im Stich, indem es an sogen. 
Gesunden nie fehlt, wenn man auch mit dem besten 
Willen kein anderes objektives oder subjektives 
Symptom findet. 

Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich bisher 
ein Gebiet, in dem die Prophylaxis eine besonders 
grosse Rolle spielt, nicht weiter berührt habe: ich 
meine das der Epidemieen . Was eine „Epidemie* 
ist, glaubt jedermann zu wissen und doch kann 
mir niemand eine einwandfreie Definition dafür 
geben, so wenig wie für die „epidemischen Ein¬ 
flüsse*. Uebef diese Dinge habe ich vorgestern in 
der Epidemiologischen Gesellschaft ausführlicher 
referirt. Das Resultat meiner hierfür angestellten 
Nachforschungen war, dass die sich mit dieser 
Materie beschäftigenden Autoren weder in der 
Deutung noch in Bezug auf Aetiologie des Wortes 
„Epidemie* übereinstimmen. In der Jetztzeit werden 
allgemein als Ursache der Epidemieen die bekannten 
und unbekannten Mikrobien angesehen und der 
äussere Charakter solcher Epidemieen ist jedem 
Laien auffällig, da sie sich durch ihre Ausdehnung 
nach Zeit, Raum und Häufigkeit der gleichartigen 
ErkrankungsfUlle unliebsam genug bemerklichmachen. 
Aber einem gebt die heutige Erforschung der Epide¬ 
mieen seitens der Scbulmedicin nicht auf den Grund, 
nämlich dem Umstand, warum bei der ubiquitären 

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Verbreitung so vieler Mikrobien diese Epidemieen 
nicht fortwährend andauern, sondern nur zeitweise 
in die Erscheinung treten. Schuld daran ist, dass 
eben die epidemischen Einflösse, die jeder aufmerk¬ 
same Beobachter der Natur anerkennen muss, weder 
duroh das Mikroskop noch durch chemische Reagentien 
(abgesehen von dem Feuchtigkeits- und Wärmegrad, 
sowie dem Ozongehalt der Luft) nachgewiesen 
werden können, ebensowenig wie die Disposition 
des Individuums in Folge der Aufspeicherung von 
Fremd- und Selbstgiften den gewöhnlichen Unter- 
suchungsmethoden ohne weiteres zugänglich ist 
Sehen wir uns nun einmal die epidemischen 
Einflüsse etwas näher an. Der erste und grösste 
Epidemiologe dieses Jahrhunderts, Rademacher , 
lehnte von vornherein ab, über die Art der Ein¬ 
wirkung dieser Einflüsse Behauptungen aufzustellen, 
da diese doch den Werth von Vermuthungen nicht 
übersteigen würden. Ihn interessirte nur das durch 
die Wechselwirkung zwischen Genius epidemicus 
und Organismus entstandene und durch das Heil¬ 
mittel charakterisirte Wesen der Krankheit Er hielt, 
wie wohl jedermann bisher, der sich mit dem Genius 
epidemicus beschäftigte, diesen für das krank¬ 
machende Piincip, für einen argen Bösewichter. 
Nun theilte aber unser verehrter College Weihe jr., 
dem wir bereits die Entdeckung der Schmerzpunkte 
verdanken, Ende des vorigen Jahres dem Coli. Leeser 
eine ebenso geistreiche wie naturphilosophisch be¬ 
gründete Theorie über den Einfluss des Genius 
epidemicus mit. Ich will mich mit einer ganz 
kurzen Andeutung des Gedankenganges derselben 
aus einem Briefe Weihe’s an mich begnügen, da 
der verehrte Coli. Leeser vorgestern in seinem Vor¬ 
trag vor der Epidemiologischen Gesellschaft dieses 
Thema ausführlich behandelt hat. Weihe schrieb 
mir seiner Zeit folgendes: 9 Ich möchte im Genius 
epidemicus mehr eine sanitäre Einrichtung erblicken, 
ein Agens, das die Krankheiten nicht heilt, aber 
doch ihre Heilung vorbereitet und ermöglicht, so 
eine Art Hecht im Karpfenteiche, ein Ferment, das 
die alten eingewurzelten und in den Centralorganen 
des Nervensystems aufgespeicherten, pathogenen 
Reize (durch unnatürliche Lebensweise, ungünstige 
Lebensbedingungen in dieselben hineingebracht) 
immer von neuem aufstöbert, mobil macht und sie 
somit verhindert, allzufest in den genannten Organen 
einzurosten. 11 Dabei erinnert er an den in der 
Natur herrschenden Panlogismus, den E. von Hart¬ 
mann nachgewiesen, t dem — meint Weihe — doch 
zweifellos auch die Krankheiten unterthan sind, vor 
denen uns die Allopathie durch Impfen schützen 
will.* Nach dieser Anschauung würde also eine 
Epidemie nur diejenigen Individuen befallen, die 
entsprechend dem Gesetze der Speciflcität ein dem 
Genius epidemicus ähnliches Gift in sich haben; 
ferner müssen wir annehmen, dass es sieb hierbei 


um verdünnte Stoffe handelt, die den lähmenden 
Einfluss der aufgespeicherten Gifte auf unseren 
Organismus durch die ihnen kraft der Verdünnung 
innewohnende, von Prof. Jäger nachgewiesene Be¬ 
wegungsenergie überwinden und so unserer Therapie 
zugänglich machen. Als Paradigma für diese An¬ 
sicht will ich Ihnen die Beantwortung der Frage 
durch den Coli. Leeser mittheilen, wie er sich die 
Entstehung einer genuinen croupösen Pneumonie 
vorstelle, ohne dem Miorococcus pneumoniae die 
erste Stelle unter den dabei mitwirkenden Ursachen 
einräumen zu müssen — natürlich abgesehen von 
einer künstlichen Ueberschwemmung des Organismus 
mit demselben, der zuletzt auch ein relativ ganz 
Gesunder unterliegen müsste. Dies Beispiel wurde 
gewählt, da bekanntermassen diese Krankheit mit 
Vorliebe sogen. Gesunde befällt, während sie schwäch¬ 
liche Constitutionen im allgemeinen verschont Er 
führte aus: absolut Gesunde giebt es nicht der 
Genius epidemicus löst die ihm ähnlichen Krank¬ 
heitsstoffe im Körper aus, die dem Coccus, der als 
accidentelle Schädlichkeit hinzutritt, als Nahrungs- 
resp. nach Jäger als Triebstoffe dienen. Erst so 
kann der Coccus die Möglichkeit erhalten, sich in 
dem Masse zu vermehren, um die speoifisohe Er¬ 
krankung hervorzurufen. 

Mit dieser Ansicht steht in direktem Wider¬ 
spruche die heutige Ansicht der Schulmedicin, die 
den Schutz vor den Infectionskrankheiten, die Im¬ 
munität in der Anwesenheit von Stoffen sucht die 
die etwa eingedrungenen Mikrobien in ihrer Ent 
wicklung hemmen oder gar töden unter Beihilfe 
der als Phagocyten auftretenden weissen Blut¬ 
körperchen. Die Versuche, um diese Ansioht zu 
einer unumstösslichen zu machen, stehen noch zu 
sehr in ihrem ersten Stadium, um ein Urtheil darüber 
fällen zu können. Wir könnten aber diese Ansicht 
auch ganz gut aoeeptiren, indem es sehr nahe liegen 
dürfte, dass ein Organismus, dessen sämmtliche 
Funktionen normale, von keinerlei Giftstoffen be¬ 
lästigte sind, auch jederzeit in der Lage ist 
Folge pathogenen Reizes in kürzester Frist genug 
solcher Schutzstoffe zu produciren. Doch — wir 
wollen uns nicht in das Gebiet theoretischer Speoula- 
tionen verlieren, wir wollen auf dem Boden der 
Praxis bleiben und da begegnet uns ein Schreck¬ 
gespenst staatlicher, von der Schulmedicin ge¬ 
hätschelter Prophylaxis — die Schutzimpfung . Ich 
sage Schutzimpfung im allgemeinen. Die gegen die 
Pocken ist zwangsweise durchgeführt die gegen 
die Tuberkulose in Folge des Fiasko’s der Koch sehen 
Entdeckung auf lange Zeit unmöglich, aber Schutz¬ 
impfungen gegen allerei andere Infectionskrankheiten 
wie Hundswuth, Pneumonie, Diphtherie, Cholera etc. 
werden dem Publikum möglichst plausibel zu machen 
versucht. Sie glauben nun wohl 1 , ioh wäre ein 
fanatischer Impfgegner. Im Princip gewiss nicht 


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nur die Art der Ausführung der Schutzimpfung ge* 
füllt mir nioht. Die Argumente der Impfgegner sind 
nicht alle stichhaltig. Im Qegentheil eine Abnahme 
der Pocken seit Einführung der Vaccination kann 
nicht geleugnet werden, ob nur in Folge dieser, 
können wir einfach nicht entscheiden, da der Gegen¬ 
beweis nicht geführt werden kann. Aber zwei Be¬ 
denken habe ich und ich glaube, dies sind die 
einzig ausschlaggebenden: Erstens setzen wir die 
kleinen schwachen Sprösslinge, in denen allerlei 
Krankheitskeime schlummern, dem durch die Impfung 
künstlich erzeugten Fieber aus, das unbestreitbar 
solche latente Krankheitsanlagen zu wecken im 
Stande ist. Das sind die sogen. Impfvergiftungen — 
abgesehen vom Impfrothlauf n. dergl. —, die wir 
aber ebenso schön ausgebildet schon vor der Impfung 
beobachten können, indem auch andere Schädlich¬ 
keiten z. B. Erkältung Fieber auslösen und dadurch 
diese schlummernden Krankheitsanlagen wecken 
können. Durch zweckmässige Diätetik vermag aber 
der Körper gar oft solche Anlagen zu überwinden, 
wenn solche Eingriffe sie nioht vorzeitig geweckt 
haben, so dass wir der Impfung entschieden nicht 
das Wort zu reden brauchen, da wir eine bessere 
Prophylaxis haben. Zweitens bitte ich die Conse- 
quenzen der Schutzimpfung gegen die Infections- 
krankheiten zu ziehen: Wie viele solcher kennen 
wir schon, wie viele mögen noch entdeckt werden? 
Müsste da nicht die Hälfte der gegen alle diese 
vielen Erkrankungsmöglichkeiten Sohutzgeimpfben 
längst den verschiedenen Impffiebern erlegen sein, 
wenn es überhaupt praktisch durchführbar wäre, 
so viele Impfungen allgemein vorzunehmen. Ferner 
ist dabei in Rechnung zu ziehen, dass die Schutz* 
Impfung gegen das eine Mikrobion den Schutz gegen 
das andere aufzuheben im Stande sein kann, sowie 
dass der Schutz gegen das eine geradezu einer 
besonders leichten Empfänglichkeit für ein anderes 
bedingen könnte. Doch darüber wollen wir weitere 
Versuche abwarten. — Noch eines ist hier zu be¬ 
rücksichtigen: Wenn auch das Impffieber eine Ent¬ 
speicherung von aufgespeioherten Giftstoffen herbei¬ 
führt, so ist das doch nur ein Anlass, der sich in 
seinen Folgen nicht berechnen lässt, der aus prak¬ 
tischen Gründen nicht oft wiederholt wird und sich 
nicht oft wiederholen lässt. Die Impfung in ihrer 
heutigen Ausführung ist ein roher Eingriff , gegen 
den der Organismus durch das Impffieber energisch 
protestirt; ganz abgesehen davon, dass sie die epi¬ 
demischen Einflüsse unberücksichtigt lässt. 

Ich kann meine Ausführungen dahin zusammen¬ 
fassen, dass keine Methode im Stande ist, den je¬ 
weiligen Wechselbeziehungen zwischen schädlichen 
Einflüssen und unserem Organismus jederzeit so 
rasch, so sicher und so specifisch zu folgen als eben 
die Weihc'sche Methode durch die Thatsache des 
Vorhandenseins der Schmerzpunkte, die — wie die 


Erfahrung lehrt — jedem Befindensweohsel folgen. 
Dass die danach gereichten Arzneimittel ihren Zweck 
erfüllen, d. h. die Entspeicherung von im Körper 
aufgespeicherten Giftstoffen herbeiführen, beweisen 
schon — wenn auch deutliche Krisen in der Form 
von Krankheiten ausbleiben — die Zunahme der 
Pulsfrequenz, die erhöhte Funktion der Haut, der 
Schleimhäute und der Endothelien der Glomeruli, 
meist auf fast unmerkliche Weise. 

Nur ein Beispiel: Jeder Fettleibige, der längere 
Zeit nach der Weiberchen Methode behandelt wird, 
kann eine Abnahme seines überflüssigen Fettpolsters 
bei Gleichbleiben oder gar Zunahme seines absoluten 
Gewichtes, also eine Erhöhung seines speoifischen 
Gewichtes beobachten, ebenso wie jeder Magere 
mit der Zeit etwas vollere Formen bekommt. Und 
diese beiden Wirkungen erzielen wir ohne ein¬ 
greifende Veränderungen in der Lebensweise oder 
Kuren. Wir wenden bei den Fettleibigen keine 
Hunger- und Durstkuren, auch keine Trinkkuren 
mit abführenden Mineralwässern an, so wenig sich 
ein Magerer einer Mastkur unterziehen muss. Alles 
das geht bei uns ohne jedes auffallende Symptom, 
also auch ohne jede Gefahr vor sich und dies ist 
ein grosser Vorzug, der vom Publikum allerdings 
nicht gewürdigt wird; denn dies will sehen, dass 
etwas geschieht, diesem imponirt vielmehr die 
eruptive Thätigkeit des Magendarmkanals oder der 
profuse Schweissausbruch in einer Wickel. Ob 
dabei die einzelnen Organe überanstrengt werden 
oder nicht, darüber kann es sich keine Rechenschaft 
geben. Aber der physiologisch gebildete Arzt sollte 
darüber nachdenken und den Organismus als etwas 
subtileres als eine Lokomobile ansehen lernen. 

Er sollte nicht blos die Nährstoffe, sondern auch 
die Triebstoffe, er sollte nicht blos die grob-chemische 
Zusammensetzung der Organismen und der einzelnen 
Organe, sondern auch deren specifische Stoffe kennen, 
er sollte die Physiologie nicht blos im Laboratorium 
oft unter den widernatürlichsten Verhältnissen, 
sondern auch draussen im freien, ungebundenen 
Leben der Organismen studiren, er sollte in der 
Therapie nicht der Natar im pathologischen Zustande, 
sondern in ihrer physiologischen Thätigkeit folgen. 
In ersterem poltert und rumort sie, wenn sie noch 
die Kraft dazu hat, in letzterer zeigt sie sich als 
beste Hausfrau, indem alles wie von unsichtbaren 
Fäden gelenkt sich in stillster geordnetster Weise 
vollzieht ohne Schlüsselbundrasseln und Keifen und 
Schelten. Diesen Weg der Beobachtung der Natur 
in ihrer physiologischen Thätigkeit ging auch 
Hahnemann , indem er die Arzneien am Gesunden 
prüfte, denselben Weg geht heute Jäger bei der 
physiologischen Prüfung der Potenzirung, denselben 
Weg gehen wir , die wir nach der Weihe*sehen 
Methode handeln, in prophylaktischer Beziehung , in¬ 
dem wir nicht erst Krankheitssymptome abwarten, 


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bis wir eingreifen, sondern indem wir dem uns von 
der Natur gegebenen Fingerzeig,* dem Schmerz¬ 
punkte folgend, das von der Natur eingeleitete Ent¬ 
speicherungsverfahren (s. o. aus dem Briefe von 
Weihe) wirksam und in specifischer Weise unter¬ 
stützen, stets nach unser aller Princip t Similia 
similibus*. Auch die zweite Seite der Hahnemann** 
sehen Entdeckung, die Nothwendigkeit der Poten- 
zirang der Stoffe, deren wir uns bedienen, ver¬ 
nachlässigen wir nicht, weil wir theils durch die 
Erfahrung, theils durch die Jäger sehen neural¬ 
analytischen Untersuchungen wissen, wie sehr die 
bclcbenie Wirkung der Stoffe mit der Potenzirung 
zunimmt. Wir handeln „tuto, cito et jucunde“. 

Nun können mir noch 2 Einwände gemacht 
werden: 

Erstens ist es nicht schädlich, so häufig auch 
im sogen, gesunden Zustand Arzneimittel ein¬ 
zunehmen? Zweitens ist diese Methode der Pro¬ 
phylaxis praktisch durchführbar? 

Dass das häufige Einnehmen von Arzneimitteln 
schädlich werden kann, ist bekannt. Aber es ist 
nicht schädlich , wenn man sich durch Verdünnung 
so sehr verfeinerter Arzneimittel bedient, wie wir 
Anhänger der Weibe’schen Methode thun. 

Praktisch durchführbar ist die Methode auch, 
da die Anwendung der Arzneimittel bei sonst gutem 
gesundheitlichem Zustand nicht öfter als höchstens 
alle 8 Tage, unter günstigen Verhältnissen nur alle 
paar Monate stattzufinden hat. Für das besser 
situirte Publikum ist die Institution des Hausarztes 
das einzig richtige. Dass diese bei uns fast ganz 
abgekommen ist, daran ist nur die Unkenntniss einer 
anderen prophylaktischen Methode als der allgemein 
diätetischen Schuld, deren Bestimmungen häufig 
mehr von Laien als von Aerzten beeinflusst werden. 
Beherrscht ein Arzt die Weihe'sche Methode, so < 
giebt es für ihn keine Höflichkeitsbesuche mehr, 
sondern er hat jederzeit statt liebenswürdiger Worte 
eine feste Richtschnur zu zielbewusstem Handeln. Der 
Engländer und Chinese zahlt seinem Hausarzt ein 
Fixum, damit er ihn gesund erhält; hat der Arzt wegen 
eingetretener Erkrankung mehr in der Familie zu 
thun, so ist das des Arztes Sache — er bekommt 
nicht mehr. Doch auch für das Volk wäre die 
Prophylaxis nach der Weihe’schen Methode durch¬ 
führbar, wenn — ebenso wie für das Heil der 
Seele und zur Pflege der Gerechtigkeit — Beamte 
angestellt wären, die zur Festigung und Erhaltung 
der Gesundheit jedem Menschen neben allgemein 
diätetischen Anordnungen nach der Weiheschen 
Methode prophylaktische Behandlung zu theil werden 
Hessen. 

Eine solche planmässig betriebene Ausscheidung 
der Fremd- und Selbstgifte durch arzneiliche Unter¬ 
stützung des durch den Genius epidemicus an- 
gebahntenEntspeicherungsvorganges nach der Weihe'- 


schen Methode, eine solche planmässige Kräftigung 
und Instandhaltung der verschiedenen Organe und 
ihrer Funktionen wird jedermann den grössten Schatz, 
den es auf Erden giebt, die Gesundheit sichern. 
Im Besitz einer so behüteten Gesundheit vermögen 
wir allen Schädlichkeiten zu trotzen und in dem 
Wohligkeitsgefühl der vollen Kraft vermag sich 
auch der Geist freier zu entfalten, da die täglichen 
Mühen und Sorgen, rasch überwunden, nicht mehr 
lähmend auf unser bessres Ich einzuwirken ver¬ 
mögen. Es ist ja zur Genüge bekannt, dass ein 
Gesunder viel weniger materielle Bedürfnisse fühlt, 
als ein Leidender, dass er viel weniger der Reiz¬ 
mittel bedarf. Und so werden die materialistischen 
Anschauungen in den Hintergrund treten, der Gebt 
wird herrschen. Unser Beitrag zur Lösung der 
socialen Frage ist, das Ideal anzustreben, das uns 
ein alter Spruch webt: 

Mens sana in corpore sano. 


Die zeitweilig herrschenden 
Heilmittel. 

Von den letzten 14 Tagen ist nicht viel zu 
berichten. 

Dierkes-Paderborn hat noch immer vorwiegend 
Cupr. und China bei Leberaffection. 

Leeser-Bonn berichtet am 13./9.: seit dem 8. 
= Rhus tox. (Baryt, carb. -j- Iris vers.), dazwischen 
= Mercur. (Baryt, carb. + Bell.), so auch heute; 
vereinzelt = Card. mar. (Natr. carb. -{- Ipecac.) 
und = Calc. carb. Am 19. bezeichnet er ab die 
hervorragendsten Mittel der letzten Zeit: = Calc. 
carb., = Card, mar., = Phosph. (Stann. -j- Mezer.), 

Carb. veg. (Baryt, carb. -f- Cin.), =* Lacbes. 
(Cupr. -f- Nux vom., auch Baryt, carb. -f- Taraxac.), 
= Mercur. (alles nach W.). 

Siegrist*Basel findet die Zeit sehr gesund; ver¬ 
einzelte Brechdurchfälle erforderten Veratr. und 
Ipecac. 

Ich-hier hatte vorwiegend vom 6.-9. =*= Kal. 
carb. (Silic. -f" Digital), vom 10.—15. = Mercur. 
(Baryt, carb. -[- Bell.), dazwischen am 11. ganz 
vorwiegend = Veratr. (? -f- Euphorb. off), am 16. 
und 17. = Chel. (Ac. nitr. -f- Bell), am 18. und 
19. Plat. met. -{- Ign., seit dem 20. = Laches. 
(Baryt, carb. -f- Taraxac.) (alles nach W.). Die 
Krankenzahl nahm mit Eintritt des kühleren Wetters 
ab, seit den letzten schwülen Tagen wieder zu. 

Buob-Freudenstadt berichtete am 11. von der 
Fortdauer der catarrhalischen Magen-Darmaffeetionen; 
die Leber sei oft mitergriffen gewesen; die häufigsten 
Mittel waren Natr. carb., Mercur. viv., Jod, Ipecac, 
Bryon. 

Stuttgart, den 22. Sept. 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


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DieUnterstützungskasse für Wittwen 
homöopathischer Aerzte. 

(Gegründet 1873.) 

Aus dem Berichte über die diesjährige General¬ 
versammlung des homöopathischen Centralvereins 
Deutschlands ist bereits bekannt geworden, dass 
derselbe seinen Mitgliedern höhere Jahresbeiträge 
anferlegt hat Der Grund hierzu ist die sicherlich 
nur anerkennenswerthe Absicht und zugleich die 
dringende Nothwendigkeit, der Wittwenkasse homöo¬ 
pathischer Aerzte mehr Mittel zur Verfügung zu 
stellen. 

Die Einnahmen derselben resultiren bisher aus¬ 
schliesslich aus freiwilligen Beiträgen, Sammlungen 
an den Festessen der Centralvereins Versammlungen 
und den geringen Zinsen des kleinen angelegten 
Kapitals. 

Dagegen haben sich die Anforderungen an die 
Kasse in den letzten Jahren ausserordentlich ge¬ 
steigert, sodass zur Zeit 12 Wittwen regelmässig 
vierteljährlich Unterstützungen erhalten, während 
mehrere andere aus Mangel an Mitteln leider zurück¬ 
gewiesen werden mussten. Dabei kann sogar eine 
jede dieser 12 Wittwen pro Jahr nur die sicher 
sehr bescheidene Summe von 50—60 Mark be¬ 
kommen, denn ein Drittel der Jahreseinnahmen der 
Wittwenkasse muss statntengemäss kapitalisirt werden; 
— doch auch diese kleinen Beträge nehmen.die 
Empfängerinnen*) mit grösster Freude und vielem 
Danke an, da ihre Lage eine zu gedrückte ist. 

Aufbesserung der Verhältnisse der Kasse ist 
daher dringend geboten, denn die Unterstützung 
armer Wittwen homöopathischer Aerzte 
muss uns Homöopathen eine heilige Ehren¬ 
pflicht sein, und wir müssen auch entschieden in 
die Lage kommen, jeder nothleidenden Wittwe jähr¬ 
lich mindestens 100 Mark gewähren zu können. 

Dadurch, dass die Kasse sich aus freiwilligen 
Beiträgen recrutirte, hatte bisher auch keineWittwe 
das Recht, Unterstützungen zu verlangen, 
und di es es werden wir auch bei Aufbesserung 
der Verhältnisse der Kasse zunächst nicht 
einräumen können. 

Denn abgesehen davon, dass zweifelsohne auch 
fernerhin nur die Wittwen derjenigen Aerzte 
mit Unterstützungen bedacht werden können, die 
bei Lebzeiten zur Wittwenkasse zugesteuert 
haben, — können auch fernerhin die Bewerberinnen 
um Unterstützungen nur nach dem Grade ihrer 

*) Es wolle Niemand einwenden, dass wohl mancher 
verstorbene homöopathische Arzt mit Leichtigkeit bei 
etwas mehr Ordnungssinn und Sparsamkeit seine Wittwe 
hätte in besseren Verhältnissen zurücklassen müssen; 
wir können nur mit der Thatsache rechnen, dass wir 
äusser8t hilfsbedürftige Wittwen haben, die wir unter¬ 
stützen müssen. 


Bedürftigkeit und nach den Verhältnissen 
des jeweilig günstigeren oder weniger günstigen 
Standes der Kasse mit solchen bedacht werden. 

Allein, — wenn wir jedem Centralvereins-Mit- 
gliede jetzt einen Jahresbeitrag von 20 Mark auf¬ 
erlegen, von denen 6 Mark zur Vereinskasse, weitere 
6 Mark (noch auf einige Jahre) zur Kasse des Leipziger 
homöopathischen Krankenhauses und schliesslich 8Mk. 
zur Wittwenkasse kommen, — und wenn wir dabei 
auch fernerhin auf den rühmlichst anzuerkennenden 
Wohlthätigkeitssinn einzelner Herren rechnen dürfen, 
die sicher auch ferner noch höhere Beträge für die 
Wittwenkasse verwilligen werden, — so sind wir 
dann in der Lage: ca. 15 Wittwen alljähr¬ 
lich eine Spende von mindestens je 100 Mark, 
zukommen zu lassen. Es ist dies einerseits eher 
eine Summe, die man einer Wittwe eines Arztes 
als Jahresunterstützung anbieten kann, und anderer¬ 
seits dürfte nach den bisherigen, ca. 20jährigen 
Erfahrungen mit der Zahl 15 sicher die höchste 
Ziffer der jeweilig zugleich in Frage kommenden 
Bewerberinnen getroffen sein. 

In einigen Jahren hofft das Leipziger homöo¬ 
pathische Krankenhaus diese Pflichtbeiträge nicht 
mehr zu bedürfen, sondern mit den laufenden Ein¬ 
nahmen — Krankengelder, Kapitalzinsen, Staats¬ 
und städtische Unterstützungen (um die jetzt nach¬ 
gesucht wird) und sonstige freiwillige Beiträge — 
die Unterhaltungskosten des Hauses decken zu 
können, sodass dann von den 20 Mark Jahresbeitrag 
jedes Gentralvereinsmitgliedes noch mehr als 8 Mark 
der Wittwenkasse zugefübrt werden können. 

Es wolle daher ein jedes Mitglied des Central¬ 
vereins diesen höheren Jahresbeitrag*) zu Gunsten 
der Wittwenkasse gern bewilligen, — ja sogar jo 
nach seinen Kräften noch mehr derselben zukommen 
lassen. — Wolle jedoch auch jeder, sich in 
guten Verhältnissen befindende homöo¬ 
pathische Arzt, der diesen Artikel liest und 
nicht Mitglied des Centralvereins ist, gern 
und freudig alljährlich sein Scherflein der 
Wittwenkasse zuführen, wie es auch schon 
früher freundlichst von Manchem geschehen, denn 
es werden ja nicht nur Wittwen von Centralvereins¬ 
mitgliedern, sondern auch anderer homöopathischer 
Aerzte bedacht, die zur Kasse gesteuert haben. 

Sind wir auf diese Weise einen wesentlichen 
Schritt weiter gekommen und gestalten sich die 
Verhältnisse der Kasse mit der Zeit besser, so 
können wir in einigen (vielleicht in fünf bis zehn) 
Jahren sicher auch daran gehen, einen Modus zu 
finden, nach welchem die Wittwe eines jeden 
Arztes, der beigesteuert hat, auch unter- 

*) ln allen medicinischen Gesellschaften sind höhere 
Jahresbeiträge als bisher im Centralverein, ohne dass 
entfernt das Gleiche geboten würde. 


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112 


s tü tzu n g s berechtigt wird, sobald sie sich in ge¬ 
drückten Verhältnissen befindet. — Die Erreichung 
dieses Zieles soll jederzeit die freudigste Aufgabe des 
Unterzeichneten sein und zweifelt er nicht daran, 
dass es ihm bei der nöthigen allseitigen Unter¬ 
stützung gelingen wird, an dasselbe zu gelangen. 

Leipzig, den 17. September 1892. 

Hochachtungsvoll 
William Steinmetz. 


Rechnungsablegung. 

Für das Homöopathische Krankenhaus zu 

Leipzig sind eingegangen bei Herrn Apotheker 

William Steinmetz, Leipzig, in der Zeit vom 21./7, 

bis 20/9. a. c. folgende Beiträge: 

für den Betriebsfond 

Legat von Fräulein Pauline Hoffmann, 

Leipzig, Markt 10, III, gestorben am 

25./4. 1892 mit Zinsen.M. 303.75 

von Frau Gräfin Seherr-Thoss, Hohen- 

friedeberg.. 10.— 


Transport M. 813.75 

von Herrn Sanitätsrath Dr. med. Sauer, 

Breslau pro 92/93 .„ 12.— 

vom Homöopath. Vorein zu Hannover 

(durch Herrn 0. Drude) . . . . n 14.45 

von Central Vereinsmitgliedern 

2 Jahresbeiträge ä 10.— „ 20.— 

13 , „ , 6.- , 78.- 

1 9 9 n 8.— „ 8.— 

^ » 9 9 * 4.- 

Rink. 450.20 

Für dieses Vermächtniss, wie für diese neuen 
Beiträge spreche ich im Namen des Curatoriums 
des Krankenhauses den herzlichsten Dank aus und 
bitte auch um ferneres Wohlwollen und gütige 
Zuwendungen. 

Leipzig, 20. September 1892. 

Hochachtungsvoll 

William Steinmeti, 

z. Z. Kassenverwalter. 


ANZEIGEN. 

Den Herren Aerzten empfehle s tnimt Hnhe 

Artikel zur Krankenpflege: 

Verbandstoffe, ärztliche und 
sonstige Instrumente, Instramenten- 
taschen n. Wundverband-Apotheken 

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billigsten Preisen. 

Ausführliche, speciell chirurgische Preislisten 
werden auf Verlangen gratis und franco verschickt. 

Leipzig, A.Marggrafs homöopath.Officin. 


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säure gebe ich in jedem Quant, (ä 100,0 = 30 Pf.) ab. 

Leipzig, A.Marggrafs homöopath.Offtein. 

Verantwortliche Redacteore: Dr. Goehrun-Stuttgart, Dr. Stlft-Leipiig imd nr. 

Expedition und Verlag von Wiltlan Stelnmtz (A. Marggrafs homöopath. Offioin) in Leipcig. 

Druck von Qreaaaer 4 Sobnma in Leipiig. 


"Rein,oftnejedc 
Beimischung zu gebrauchen! 

Francks Früchten-Caffee. 

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7 

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| nach DT F.Katsch J 

1 nur acht, wenn mit 1 SCHUTZMARKE 


Unterschrift 

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Band 125. 


Leipzig» den 1. Oktober 1898. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITEN«. 

Extra-lummer. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr. med. Stifft-Leipzig. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A.Harggrars homSopath. Offlein) in Leipzig. 


Inhalt. Oie Cholera: Massaahnen gegen dieselbe and Ihre geaohlchtlloh begründete, hearilepatblaobe 
Bebaadlnag. 


Die Cholera: 

Massnahmen gegen dieselbe nnd ihre geschichtlich begründete, 
homöopathische Behandlung. 


Wir halten es nicht für überflüssig, wenn auch 
durch bestimmte Verhältnisse gezwungen, etwas 
verspätet, doch auch noch jetzt in unserer Zeitung 
auf die behördlicherseits ergriffenen Massnahmen 
und die Schutz- und Verhaltungsmassregeln bei dem 
Auftreten der Cholera, sowie anf ihre homöo¬ 
pathische Behandlung hinzuweisen, um so mehr da 
neben den der Allgemeinheit hierdurch auferlegten 
strengen Pflichten auch für die Aerzte bestimmte 
neue Anzeigeformalitäten erwachsen sind und hei 
dem leichten Verschleppt werden der Seuche viel¬ 
leicht noch manche Collegen mit ihr zu thun be¬ 
kommen werden. 

Auch kann es nur im Interesse unserer Sache 
liegen, dem homöopathischen wie nicht homöo¬ 
pathischen Leser eine geschichtlich begründete ob¬ 
jektive Beurtheilung der auch jetzt wieder von 
unserer Seite enthusiastisch gepriesenen, aber auch 
von der neuen Richtung des Herrn Prof. Schulz 
in der Arzneimittellehre empfohlenen Heilmittel zu 
geben und dieselben auf Grund der Urtheile kri¬ 
tischer Praktiker aus früheren Jahrzehnten in die 
ihnen von der Natur gezogenen Grenzen zurück¬ 
zuweisen. Was können Uehertreihungen und zu 


hoch geschraubte Erwartungen helfen? Die Laien 
werden durch unerwartete Enttäuschungen in ihrem 
Vertrauen irre und die ärztliche Welt schiebt die 
Schuld auf das Unzulängliche der homöopathischen 
Kunst. Es wird daher besser sein, das Maas des 
Enthusiasmus auf das zurückzuführen, was man zu 
erwarten hat, und was nicht. Auch so bleibt für 
die Anwendung unserer Heilfaktoren gegenüber 
der scholastischen Behandlung noch Grund genug! 
Wir aber werden uns um so mehr bemühen, unsere 
Beobachtungen zu erweitern, unseren Arzneischatz 
zu kompletiren, und uns nicht in falsche Sicherheit 
einwiegen lassen, aus der wir durch die Macht der 
Thatsachen unangenehm erweckt werden könnten! 

Bekanntlich wurden schon vor ein paar Monaten 
die Bundesregierungen durch den Reichskanzler darauf 
hingewiesen, diejenigen Massnahmen anzuordnen, 
welche bereits früher für den Fall einer drohenden 
Choleragefahr im Gebiete des Deutschen Reiches ver¬ 
einbart worden waren. Das unerwartete, furchtbare 
Auftreten der Seuche in* Hamburg aber Hess eine 
schleunige mündliche Vereinbarung aller Schutz - 
massnahmen nothwendig erscheinen, und so trat 
schon am 27. August auf Einladung des Reiclis- 

1 


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2 


kanzlers eine Commission zusammen, welcher ausser 
den Vertretern des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, 
Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Reichseisen¬ 
bahnamtes, der Königlich Preussischen Militär-Me- 
dicinal Verwaltung, der betheiligten Preussischen 
Ministerien und der übrigen Bundesregierungen bei¬ 
wohnten und welche eine vollkommene Ueberein- 
stimmung in allen gegen die Cholera zu treffenden 
Massnahmen und deren strenger Durchführung 
herbeiführte, was nicht wenig zur Beruhigung der 
Bevölkerung beitragen musste. Die aus den Kom¬ 
mission sberathungen hervorgegangenen Beschlüsse, 
welche sofort durch behördliche Publikation in den 
einzelnen Bundesstaaten gesetzliche Kraft erhielten, 
theilen wir hierunter mit. 


A. Allgemeine Massnahmen seitens der 
Behörden. 

1. Die Polizeibehörden müssen von jedem 
Erkrankungs- oder Todesfall an Cholera oder 
choleraverdächtigen Krankheiten (insbesondere von 
Brechdurchfall sofort in Kenntniss gesetzt 
werden. Ausgenommen bleiben Brechdurchfälle 
von Kindern unter 2 Jahren. Wo bereits eine Ver¬ 
pflichtung zur Anzeige derartiger Erkrankungs- und 
Todesfälle besteht, soll dieselbe neu eingeschärft 
werden, wo sie noch nicht oder nur betreffs der 
Erkrankungsfälle besteht, ist sie einzuführen bezw. 
auf die Todesfälle auszudehnen. Namentlich sind 
auch die Führer der Flussfahrzeuge zur Anzeige 
der auf diesen vorkommenden Fälle zu verpflichten. 
Auf Grund der eingegangenen Anmeldungen*) haben 
die Ortspolizeibehörden Listen nach anliegendem 
Muster (Anlage I) fortlaufend zu führen. 

Im Uebrigen wird vorausgesetzt, dass von jedem 
ersten Choleraerkrankungsfalle in einer Stadt das 
Reichsamt des Innern und von dem weiteren Ver¬ 
laufe der Epidemie in den einzelnen Ortschaften 
wöchentlich dem Kaiserlichen Gesundheitsamte nach 
Anleitung des im Jahre 1879 zwischen den deut¬ 
schen Regierungen vereinbarten, hier als Anlage II 
beigegebenen Formulars Kenntniss gegeben wird. 

Die Wochenberichte sind so zeitig abzusenden, 
dass bis Montag Mittag die Mittheilungen über die 
in der vorangegangenen Woche bis Sonnabend ein¬ 
schliesslich gemeldeten Erkrankungen und Todes¬ 
fälle im Gesundheitsamte eingehen. 

Auch ist es nothwendig, dass fortlaufende Nach¬ 
richten über den Stand der Epidemie, womöglich 
täglich, in geeigneter Weise zur öffentlichen Kennt¬ 
niss gebracht werden. 


*) Zur Benutzung für Aerzte, Polizeibeamte etc. ist 
die Anlage l mit Formular zu einer Zählkarte bei- 
getilgt. 


2. Die zuständigen Behörden haben ihr be¬ 
sonderes Augenmerk darauf zu richten, ob etwa 
Messen, Märkte und andere Veranstaltungen, 
welche ein ähnliches gefährliches Zusammenströmen 
von Menschen zur Folge haben, an oder in der 
Nähe solcher Orte zu verhindern sind, in welchen 
die Cholera ausgebrochen ist. 

3. Schulkinde, welche ausserhalb des Schul¬ 
ortes wohnen, dürfen, solange in dem letzteren die 
Cholera herrscht, die Schule nicht besuchen, des¬ 
gleichen müssen Schulkinder, in deren Wohnort die 
Cholera herrscht, vom Besuch der Schule in einem 
noch cholerafreien Orte ausgeschlossen werden. An 
Orten, wo die Cholera heftig auftritt, sind die 
Schulen zu Schliessen. 

Gleichartige Bestimmungen müssen auch hin¬ 
sichtlich des Besuchs des Confirmandenunter• 
richts erlassen werden. 

4. Hinsichtlich des Eisenbahnverkehrs ist 
das Zugbegleituugs- und Bahnhofspersonal wegen 
Ausschliessung offenbar cholerakranker Reisenden 
von der Weiterreise mit Anweisung nach Mas- 
gäbe der anliegenden Grundsätze (Anlage III) zu 
versehen. 

Auf den der Verbreitung der Epidemie ent¬ 
sprechend auszuwählenden Stationen des Eisenbahn¬ 
verkehrs ist wegen Fürsorge für krank befundene 
Passagiere durch Bereitstellung ärztlicher Hülfe und 
Unterbringung in geeigneten isolirten Räumlich¬ 
keiten, wegen Ausrangiren und Desinflciren (No. 15) 
der von solchen Passagieren benutzten Waggons 
das Erforderliche zu veranlassen. Die Landes¬ 
regierungen haben Anordnung zu treffen, dass an 
denjenigen Eisenbahnstationsorten, an welchen ge¬ 
eignete Krankenhäuser sich befinden, der Aufnahme 
dort abgesetzter Kranken Hindernisse nicht in den 
Weg gelegt werden. Die schmutzige Wäsche der¬ 
jenigen Schlafwagen, welche aus Choleraorten kom¬ 
men oder in solchen Reisende aufgenommen haben, 
ist auf den Zielstationen zu desinflciren. 

An besonders bedrohten Orten (z. B. an der 
Grenze gegen verseuchtes Ausland) und bei Trans¬ 
porten, welche ihrer Beschaffenheit oder Herkunft 
nach (Auswanderertransporte, Transporte aus ver¬ 
seuchten Orten) besonders verdächtig sind, kann 
es rathsam sein, eingehende ärztliche Besichtigungen 
der Reisenden und ihres Gepäcks, event. auch Des- 
infection des letzteren eintreten zu lassen. 

5. Die Polizeibehörde eines Ortes wird je nach 
den Umständen auf solche Personen ein besonderes 
Augenmerk zu richten haben, welche dort sich auf¬ 
halten, nachdem sie kurz zuvor in von der Cholera 
heimgesuchten Orten gewesen waren. Es kann sich 
empfehlen, die von solchen Orten mitgebrachten Ge¬ 
brauchsgegenstände (namentlich gebrauchte Wäsche 
und Kleidungsstücke) zu desinflciren und die Zu¬ 
gereisten selbst einer, der Incubationsdauer der 


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Cholera entsprechend bemessenen, ärztlichen Beob¬ 
achtung zu unterstellen; jedoch in schonender Form 
und so, dass Belästigungen der Personen thunlichst 
vermieden werden. 

6. Auf die Bevölkerung solcher Flussfahr¬ 
zeuge, welche zum Frachttransport dienen, sowie 
auf die Personen, welche Holzflösse transportiren, 
ist besonders Acht zu geben. Sofern sie aus einem 
Choleragebiet kommen oder auf der Reise sich einem 
solchen Gebiete genähert haben, sind sie an den 
Anlegestellen ärztlicher Besichtigung zu unterwer¬ 
fen und je nach deren Ergebniss weiter zu be¬ 
handeln (Unterbringung etwaiger Kranken, Desin- 
fection der Effecten etc.). 

7. Im Uebrigen ist eine Beschränkung des Ver¬ 
kehrs mit Post- (Brief- und Packet-) Sendungen, 
sowie des Gepäck- und Güterverkehrs nicht 
anzurathen. 

8. Für Bereitstellung von Krankenräu¬ 
men (Baracken oder dergl.) in ausreichendem 
Masse ist bei Zeiten zu sorgen. 

Es ist erwünscht, dass namentlich vermögens¬ 
lose und schlecht untergebrachte Kranke in thun¬ 
lichst umfassender Weise in Krankenhäusern, wo¬ 
möglichst kostenlos, untergebracht und verpflegt 
werden. 

9 Für den Transport der Kranken sind 
dem öffentlichen Verkehr dienende Fuhrwerke 
(Droschken und dergl.) nicht zu benutzen. Hat 
eine solche Benutzung trotzdem stattgefunden, so 
ist das Gefährt zu desinficiren. 

10. Leichen der an Cholera Gestorbenen sind 
thunlichst bald aus der Behausung zu entfernen, 
namentlich dann, wena ein gesonderter Raum für 
die Aufstellung der Leiche nicht vorhanden ist. 
Für Einrichtung von Leichenhäusern ist Sorge zu 
tragen, die Ausstellung der Leichen vor dem Be- 
gräbniss zu untersagen, das Leichengefolge mög¬ 
lichst zu beschränken und dessen Eintritt in die 
Sterbewohnung zu verbieten. 

Die Beerdigung der Choleraleichen ist unter 
Abkürzung der für gewöhnliche Zeiten vorgeschrie¬ 
benen Fristen thunlichst zu beschleunigen. 

Die Beförderung von Leichen solcher Personen, 
welche an der Cholera gestorben sind, nach einem 
anderen, als dem ordnungsmässigen Beerdigungs¬ 
orte, ist zu untersagen. 

Für Ortschaften, welche einen eigenen Begräb- 
nissplatz nicht besitzen, ist ein solcher erforder¬ 
lichen Falls einzurichten. 

11. In den von Cholera ergriffenen oder be¬ 
drohten Ortschaften ist der Verkehr mit Nahrung s- 
und Genussmitteln sowohl betreffs der Beschaffen¬ 
heit der Waaren als auch der Verkaufsstellen aufs 
sorgfältigste zu beaufsichtigen. 

Es kann nöthig werden, Verkaufsräume wegen 
Gefahr der Verbreitung der Krankheit zu schliessen. 


Den hiervon betroffenen Personen ist soweit irgend 
thunlich Entschädigung zu gewähren. 

12. Für reines Trink- und Gebrauchs¬ 
wasser ist bei Zeiten Sorge zu tragen; als 
solches ist das Wasser, welches mittelst gewöhn¬ 
licher Brunnen aus dem Untergrund des Cholera¬ 
ortes geschöpft wird, in der Regel nicht anzusehen 
und nicht zu benutzen, wenn vorwurfsfreies Lei¬ 
tungswasser zur Verfügung steht Zu empfehlen 
sind eiserne Röhrenbrunnen, welche direkt in den 
Erdboden und in nicht zu geringe Tiefe getrieben 
sind (abessinische Brunnen). 

Brunnen mit gesundheitsgefährlichem Wasser 
sind zu schliessen. Jede Verunreinigung der Ent¬ 
nahmestellen von Wasser zum Trink- oder Haus¬ 
gebrauch und ihrer nächsten Umgebung, insbeson¬ 
dere durch Haushaltungsabfälle, ist zu verhindern. 
Das Spülen von Gefässen und Wäsche, welche mit 
Cholerakranken in Berührung gekommen sind, an 
den Wasserentnahmestellen oder in deren Nähe ist 
strengstens zu untersagen. 

13. Für rasche Abführung der Schmutz¬ 
wässer aus der Nähe der Häuser ist Sorge zu 
tragen und deren Einleitung in etwa vorhandene 
Senkgruben am Hause zu vermeiden. In öffentliche 
Wasserläufe oder sonstige Gewässer sollten Schmutz¬ 
wässer nur eingeleitet werden, nachdem Desinfec- 
tionsmittel (Anlage IV) in genügender Menge zu¬ 
gesetzt worden sind und ausreichend lange einge¬ 
wirkt haben. 

14. Vorhandene Abtrittsgruben sind, so¬ 
lange die Epidemie noch nicht am Orte ausge¬ 
brochen ist, zu entleeren; während der Herrschaft 
der Epidemie dagegen ist die Räumung, wenn thun¬ 
lich, zu unterlassen. 

Eine Desinfection von Abtritten und Pissoirs 
ist der Regel nach nur an den dem Öffentlichen 
Verkehr zugänglichen nach Lage oder Art des Ver¬ 
kehrs besonders gefährlicher Anlagen dieser Art 
(Eisenbahnstationen, Gasthäusern und dergleichen) 
erforderlich. Auf peinliche Sauberkeit ist in allen 
derartigen öffentlichen Anlagen zu halten. 

15. Die Desinfectionen sind nach Mass- 
gabe der anliegenden Anweisung zu bewirken. In 
grösseren Städten ist auf die Einrichtung öffent¬ 
licher Desinfectionsanstalten, in welchen die An¬ 
wendung heissen Wasserdampfes als Desinfections- 
mittel erfolgen kann, hinzuwirken. Die auf polizei¬ 
liche Anordnung erfolgenden Desinfectionen sollten 
unentgeltlich geschehen. 

16. Eine, etwa nach dem Muster der Anlage V 
auszuarbeitende Belehrung über das Wesen 
der Cholera und über das während der 
Cholerazeit zu beobachtende Verhalten ist 
in eindringlicher Weise zur Kenntniss des Publi¬ 
kums zu bringen. 

1 * 


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4 


B. Massnahmen, welche an den einzelnen von 
Cholera bedrohten oder ergriffenen Orten in 
treffen sind. 

Wo nicht bereits dauernd Gesundheitscommis¬ 
sionen bestehen oder für den Fall drohender Cholera¬ 
gefahr vorgesehen sind, sind solche einzurichten. 

Schon vor Ausbruch der Epidemie sind 
die Zustände des Ortes in Bezug auf die im Ab¬ 
schnitt A 11 bis 14 erwähnten Punkte einer ge¬ 
nauen Untersuchung zu unterziehen und ist auf 
Beseitigung der Vorgefundenen Missstände, unter 
besonderer Berücksichtigung der früher vorzugs¬ 
weise von der Cholera betroffenen Oertlicbkeiten, 
hinzuwirken, sowie das sonst Erforderliche in die 
Wege zu leiten. 

Sobald der Ort von Cholera ergriffen 
wird, sind: 

1. Die Cholerakranken, namentlich solche, 
welche sich in ungünstigen häuslichen Verhältnissen 
befinden, wenn möglich nach einer Krankenan¬ 
stalt tiberzuführen; in den Wohnungen verblei¬ 
bende Kranke sind zu isoliren. Unter Umständen 
kann es sich empfehlen, den Kranken in der Woh¬ 
nung zu belassen und die Gesunden aus derselben 
fortzuschaffen. Eine derartige Evacuation kann 
nothwendig werden betreffs derjenigen Häuser, welche 
früher von der Cholera gelitten haben und un¬ 
günstige sanitäre Zustände (Ueberfüllung, Unrein¬ 
lichkeiten und dergleichen) aufweisen. Zur Unter¬ 
bringung der Evacuirten eignen sich am besten 
Gebäude auf frei und höher gelegenen Orten und 
namentlich an solchen Stellen, welche in früheren 
Epidemieen von der Seuche verschont geblieben 
sind. 

2. Besonders wichtig ist es, bei den 
ersten Fällen in einem Orte eingehende und 


umsichtige Nachforschungen anzustellen, wo 
und wie sich die Kranken inficirt haben, um gegen 
diesen Punkt die Massregeln in erster Linie zu 
richten. 

3. Die Gesundheitscommissionen haben sich be¬ 
ständig durch fortgesetzte Besuche in allen ein¬ 
zelnen Häusern der Ortschaft über den Gesund¬ 
heitszustand der Bewohner in Kenntniss zu 
erhalten, den sanitären Zuständen derselben (Rein¬ 
lichkeit des Hauses im Allgemeinen, Beseitigung 
der Haushaltungsabfälle und Schmutzwässer u. s. w.) 
ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwonden und 
auf die Abstellung von Missständen hinzuwirken, 
namentlich auch gefährlich erscheinende Brunnen 
schliessen zu lassen. 

4. ln Häusern, wo Cholerafälle Vor¬ 
kommen, hat die Commission die erforderlichen 
Anordnungen wegen Desinfection der Abgänge, so¬ 
wie der Umgebung der Kranken oder Gestorbenen 
zu treffen und die Ausführung zu überwachen. 
Ganz besondere Aufmerksamkeit ist der Desinfec¬ 
tion der Betten und der Leibwäsche des Kranken 
oder Gestorbenen zu widmen. Um der Verheim¬ 
lichung inficirter Gegenstände vorzubeugen, ist es 
nöthig, dass eine Entschädigung für vernichtete 
Gegenstände gewährt werde. 

5. Alle Personen, welche vermöge ihrer Be¬ 
schäftigung mit Cholerakranken, deren Effecten oder 
Entleerungen in Berührung kommen (Kranken¬ 
wärter, Desinfectoren, Wäscherinnenu. s. w.), 
sind auf die Befolgung der Desinfectionsvorschriften 
(Anlage IVj besonders hinzuweisen. 

6. Sollte sich Mangel an ärztlicher Hülfe, 
Arznei- oder Desinfectionsmitteln fühlbar 
machen oder zu befürchten sein, so ist bei Zeiten 
für Abhülfe zu sorgen. 


.Anlage I. 

Liste der Cholerafälle. 


Ort der 
Erkrankung 


Wohnung 

(Strasse, 

Haus¬ 

nummer, 

Stockwerk) 


3 . 

Familien¬ 

name 


Geschlecht 


5 . 

6 . 


Stand 

; Alter 

oder 


Gewerbe 


Stelle der 
Beschäf¬ 
tigung 


üoh 


des Erkrankten 
weiblichl I 


Tag der 
Erkran¬ 
kung 


9. 


Tag des 
Todes 


10 . 

Bemerkun¬ 
gen (insbe¬ 
sondere auch 
ob, wann und 
woher zu¬ 
gereist) 


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5 


Zu Anlage I. 

Zählkarte. 

Ort der Erkrankung:. 

Wohnung (Strasse, Hausnummer, Stockwerk): 


Des Erkrankten 

Familienname:. 

Geschlecht: männlich, weiblich. (Zutreffendes ist zu unterstreichen.) 

Alter: . 

Stand oder Gewerbe: . 

Stelle der Beschäftigung: . 

Tag der Erkrankung:. 

Bemerkungen 

(insbesondere auch ob, wann und woher zugereist) 


Anlage 11. 

Wöchentlich dem Kaiserlichen Gesundheitsamt« einzusenden. 

Nachweisung. 

über den Stand der Cholera in.am . . ten. 1892. 


Namen 
der Ort¬ 
schaften 
(mit An¬ 
gabe des 
Verwal¬ 
tungs¬ 
bezirks) 

Einwoh¬ 

nerzahl 

(letzte 

Volks¬ 

zählung) 

Tag des 
Aus¬ 
bruchs 
der 

Krank¬ 

heit 

Bestand 
bei der 
letzten 
Anzeige 
vom 

. . ► ten 

Neu er¬ 
krankt 
sind 

Erkrankt 

von 

ausser¬ 
halb zu¬ 
gegangen 
sind 

Summe 

von 

Spalte 4, 
5 und 6 

In der 
bis . . 

genesen 

Zeit vom 

erkrankt 

nach 

ausser¬ 
halb ab¬ 
gegangen 

.... ein 

gestorben 

Behl, sind 

Bestand 

geblieben 

1 . 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 













Anlage III. 

Grundsätze für das Verhalten des Eisenbahn¬ 
personals bei choleraverd&chtigen Erkrankungen. 

1. Choleraverdächtig ist Jeder, welcher in Cholera¬ 
zeiten an Erbrechen und Darchfall leidet. Es giebt 
aber auch schwere Cholerafälle, welche einen tödt- 
licben Ausgang nehmen, ohne dass es zum Erbrechen 
und Durchfall gekommen ist. Solche Fälle sind 


an der grossen Schwäche und Mattigkeit, die oft 
gar schnell die Betreffenden überfällt, zu erkennen. 

2. Von jeder choleraverdächtigen Erkrankung, 
welche während der Eisenbahnfahrt vorkommt, bat 
der Schaffner dem Zugführer sofort Meldung zu 
machen. 

3. Der Zugführer hat den Erkrankten der nächsten 
Eisenbahnstation, welche mit den erforderlichen 
Krankentransportmitteln versehen ist, und eine ge- 


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6 


eignete Krankenunterkunft bietet *), zu übergeben. 
Diese Station ist, wenn thunlich, vorher telegraphisch 
zu benachrichtigen. 

4. Auf der Fahrt bis zu der Uebergabestation 
ist der Erkrankte thunlickst y eventuell mit seinen 
Angehörigen zu isoliren. Die übrigen Mitreisenden, 
soweit sie vom Ansteckungsstoff frei geblieben, sind 
in einem anderen Wagen bezw. Wagenabtheil unter¬ 
zubringen. 

5. Die Sorge um den Erkrankten bat sich zu¬ 
nächst auf eine möglichst bequeme Lagerung des¬ 
selben zu erstrecken und ist Sache desjenigen 
Schaffners, dessen Aufsicht der betreffende Wagen 
untersteht. 

6. Der Zugführer ist mit einem etwa 30 ccm 
eines Gemisches von gleichen Theilen einfacher 
Opiumtinctur und Aether oder ähnlicher Arzneien 
enthaltenden Tropffläschchen zu versehen, woraus 
Erkrankten 20—30 Tropfen, am besten auf Zucker, 
verabreicht werden können. 

7. Das Zugpersonal hat sich mit den über die 
Desinfection erlassenen Vorschriften — Anlage IV 
der Massnahmen — genau bekannt zu machen und 
dieselben zur eigenen Sicherung an sich selbst sorg¬ 
fältig auszuführen. 

Anlage IV. 

Anweisung zur Ausführung der Desinfection bei 
Cholera. 

I. Als Desinfeetionsmittel werden empfohlen: 

1. Kalkmilch. 

Zur Herstellung derselben wird 1 1 zerkleinerter 
reiner gebrannter Kalk, sogenannter Fettkalk, mit 
4 1 Wasser gemischt, und zwar in folgender Weise: 

Es wird von dem Wasser etwa 3 / 4 1 in das zum 
Mischen bestimmte Gefäss gegossen und dann der 
Kalk hineingelegt. Nachdem der Kalk das Wasser 
aufgesogen hat und dabei zu Pulver zerfallen ist, 
wird er mit dem übrigen Wasser zu Kalkmilch 
verrührt. 

Dieselbe ist, wenn sie nicht bald Verwendung 
findet, in einem gut geschlossenen Gefässe aufzu¬ 
bewahren und vor dem Gebrauch umzuschütteln. 

2. Chlorkalk 

Der Chlorkalk hat nur dann eine ausreichende 
desinficirende Wirkung, wenn er frisch bereitet und 
in wohlverschlossenen Gefässen aufbewahrt ist. Die 
gute Beschaffenheit des Chlorkalks ist an dem 
starken, dem Chlorkalk eigenthümlicben Geruch zu 
erkennen. 

Er wird entweder unvermischt in Pulverform 
gebracht, oder in Lösung. Letztere wird dadurch 
erhalten, dass 2 Theile Chlorkalk mit 100 Theilen 
kalten Wassers gemischt, und nach dem Absetzen 

*) Dem Zugführer sind die entsprechend ausge¬ 
rüsteten Stationen seiner Strecken zu bezeichnen. 


der ungelösten Theile die klare Lösung abgegossen 
wird. 

3. Lösung von Kaliseife (sog. Schmierseife 
oder grüner oder schwarzer Seife). 3 Theile Seife 
werden in 100 Theilen heissen Wassers gelöst 
(z. B. V 2 kg Seife in 17 1 Wasser). 

4. Lösung von Carbolsäure. 

Die rohe Carbolsäure löst sich nur unvollkommen 
und ist deswegen ungeeignet. Zur Verwendung 
kommt die sog. „100 0 / 0 ige Carbolsäure* des Han¬ 
dels, welche sich in Seifenwasser vollständig löst 

Man bereitet sich die unter No. 3 beschriebene 
Lösung von Kaliseife. In 20 Theile dieser noch 
heissen Lösung wird 1 Theil Carbolsäure unter 
fortwährendem Umrühren gegossen. 

Diese Lösung ist lange Zeit haltbar und wirkt 
schneller desinficirend als einfache Lösung von 
Kaliseife. 

Soll reine Carbolsäure (einmal oder wiederholt 
destillirte) verwendet werden, welche erheblich 
theurer, aber nicht wirksamer ist, als die sog. 
*100 0 / 0 ige Carbolsäure“, so ist zur Lösung das 
Seifenwasser nicht nöthig; es genügt dann einfaches 
Wasser. 

5. Dampfapparate. 

Geeignet sind sowohl solche Apparate, welche 
für strömenden Wasserdampf 100° C. eingerichtet 
sind, als auch solche, in welchen der Dampf unter 
Ueberdruck (nicht unter 1 j l0 Atmosphäre) zur Ver¬ 
wendung kommt. 

6. Siedehitze. 

Die zu desinflcirenden Gegenstände werden min¬ 
destens eine halbe Stunde lang mit Wasser gekocht. 
Das Wasser muss während dieser Zeit beständig 
im Sieden gehalten werden und die Gegenstände 
vollkommen bedecken. 

Unter den aufgeführten Desinfectionsmitteln ist 
die Wahl nach Lage der Umstände zu treffen. Ins¬ 
besondere wird, wenn es an der unter 4 vorge¬ 
sehenen 100 °/ 0 igen Carbolsäure mangeln sollte, auf 
die unter 1—3 angegebenen Mittel zurückzugreifen 
sein. Sollten auch diese Mittel nicht zu beschaffen 
sein, so wird im Nothfall Carbolsäure mit geringerem 
Gehalt an wirksamen Stoffen, welche demgemäss in 
grösserer Menge zu verwenden ist, oder ein anderes 
wissenschaftlich als gleichwerthig anerkanntes Mittel 
zu verwenden sein. 

II. Anwendung der Desinfectionsmittel. 

1. Die flüssigen Abgänge der Cholera¬ 
kranken (Erbrochenes, Stuhlgang) werden mög¬ 
lichst in Gefässen aufgefangen und mit ungefähr 
gleichen Theilen Kalkmilch (I., No. 1) gemischt 
Diese Mischung muss mindestens eine Stunde stehen 
bleiben, ehe sie als unschädlich beseitigt werden 
darf. 

Zur Desinfection der flüssigen Abgänge kann 


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7 


auch Chlorkalk (I., No. 2) benutzt werden. Von 
demselben sind mindestens zwei gehäufte Esslöffel 
voll in Pulverform auf ! /2 1 der Abgänge hinzu¬ 
zusetzen und gut damit zu mischen. Die so be¬ 
handelte Flüssigkeit kann bereits nach 15 Minuten 
beseitigt werden. 

Schmutzwässer sind in ähnlicher Weise zu 
desinficiren, jedoch genügen geringere Mengen von 
Kalkmilch oder Chlorkalk. 

2. Hände und sonstige Körpertheile müssen 
jedesmal, wenn sie durch die Berührung mit infi- 
cirten Dingen (Ausleerungen des Kranken, beschmutz¬ 
ter W äsche u. s. w.) in Berührung gekommen sind, 
durch gründliches Waschen mit Chlorkalklösung (I., 
No. 2) oder mit Carbolsäurelösung (I., No. 4) des- 
inficirt werden. 

3. Bett- und Leibwäsche, sowie andere 
Kleidungsstücke, welche gewaschen werden 
können, sind sofort, nachdem sie beschmutzt sind, 
in ein Gefäss mit Desinfectionsflüssigkeit zu stecken. 
Die Desinfectionsflüssigkeit besteht aus einer Lösung 
von Kaliseife (I, No. 3) oder Carbolsäure (1., No. 4). 

In dieser Flüssigkeit bleiben die Gegenstände, 
und zwar in der ersteren mindestens 24 Stunden, 
in der letzteren mindestens 12 Stunden ehe sie mit 
Wasser gespült und weiter gereinigt werden. 

Wäsche u. s. w. kann auch in Dampfapparaten, 
sowie darch Auskochen desinficirt werden. Aber 
auch in diesem Falle muss sie zunächst mit einer 
der genannten Desinfectionsflüssigkeiten (L, No. 3 
oder 4) stark angefeuchtet und in gut schliessen- 
den Gefässen oder Beuteln verwahrt, oder in Tücher, 
welche ebenfalls mit Desinfectionsflüssigkeit ange¬ 
feuchtet sind, eingeschlagen werden, damit die mit 
dem Hantiren der Gegenstände vor der eigent¬ 
lichen Desinfection verbundene Gefahr verringert 
wird. Auf jeden Fall muss derjenige, welcher solche 
Wäsche u. s. w. berührt hat, seine Hände in der 
unter II., No. 2 angegebenen Weise desinficiren. 

4. Kleidungsstücke, welche nicht ge¬ 
waschen werden können, sind in Dampfappa¬ 
raten (I., 5) zu desinficiren. 

Gegenstände aus Leder sind mit Carbolsäure- 
lösung (I , 4) oder Chlorkalklösung (I., 2) abzu¬ 
reiben. 

5. Holz- und Metalltheile der Möbel, sowie 
ähnliche Gegenstände werden mit Lappen sorgfältig 
und wiederholt abgerieben, die mit Carbolsäure- 
oder Kaliseifenlösung (I, 4 oder 3) befeuchtet sind. 
Ebenso wird mit dem Fussboden von Kranken¬ 
räumen verfahren. Die gebrauchten Lappen sind 
zu verbrennen. 

Der Fussboden kann auch durch Bestreichen 
mit Kalkmilch (I., 1) desinficirt werden, welche 
frühestens nach 2 Stunden durch Abwaschen wieder 
entfernt wird. 

6. Die Wände der Krankenräume, sowie 


Holztheile, welche diese Behandlung vertragen, wer¬ 
den mit Kalkmilch (I., 1) getüncht. 

Nach geschehener Desinfection sind die Kranken¬ 
räume, wenn irgend möglich, 24 Stunden lang un¬ 
benutzt zu lassen und reichlich zu lüften. 

7. Durch Choleraausleerungen beschmutzter Erd¬ 
boden, Pflaster, sowie Rinnsteine, in welche 
verdächtige Abgänge gelangen, werden am ein¬ 
fachsten durch reichliches Uebergiessen mit Kalk¬ 
milch (I., 1) desinficirt. 

8. Soweit Abtritte im Hinblick auf den öffent¬ 
lichen Verkehr (A. No. 14 der „Massnahmen“) zu 
desinficiren sind, empfiehlt es sich, täglich in jede 
Sitzöffnung 1 1 Kalkmilch (I., 1) oder ein anderes 
gleichwerthiges Mittel in entsprechender Menge zu 
giessen. Tonnen, Kübel u. dgl., welche zum Auf¬ 
fangen des Koths in den Abtritten dienen, sind 
nach dem Entleeren reichlich mit Kalkmilch (I., 1) 
oder einem anderen gleichwerthigen Mittel aussen 
und innen zu bestreichen. 

Die Sitzbretter werden durch Abwaschen mit 
Kaliseifenlösung (I., 3) gereinigt. 

9. Wo eine genügende Desinfection in der bis¬ 
her angegebenen Weise nicht ausführbar ist (z. B. 
bei Polstermöbeln, Federbetten, in Ermange¬ 
lung eines Dampfapparates, auch bei anderen Gegen¬ 
ständen, wenn ein Mangel an Desinfectionsmitteln 
eintreten sollte), sind die zu desinficirenden Gegen¬ 
stände mindestens 6 Tage lang ausser Gebrauch zu 
setzen und an einem warmen, trockenen, vor Regen 
geschützten, aber womöglich dem Sonnenlicht aus¬ 
gesetzten Orte gründlich zu lüften. 

10. Gegenstände von geringem Werthe, nament¬ 
lich Bettstroh, sind zu verbrennen. 

Die Desinfection ist dort, wo sie geboten er¬ 
scheint, insbesondere wenn Orte, die dem Öffent¬ 
lichen Verkehr zugänglich sind, gefährdet erscheinen 
oder wo sonst eine Infection zu besorgen ist oder 
stattgefunden hat, mit der grössten Strenge durch¬ 
zuführen. Im übrigen ist aber vor einer Vergeu¬ 
dung von Desinfectionsmitteln eindringlich zu warnen; 
unnöthige und unwirksame Desinfectionen bedingen 
unnützen Kostenaufwand und vertbeuern die Preise 
der Desinfectionsraittel, verleiten aber auch da9 
Publikum zur Sorglosigkeit in dem Gefühle einer 
trügerischen Sicherheit. 

Reinlichkeit ist besser als eine schlechte 
Desinfection. 

Anlage V. 

Belehrung über das Wesen der Cholera und das 
während der Choleraxeit zu beobachtende Ver¬ 
halten. 

1. Der Ansteckungsstoff der Cholera be¬ 
findet sich in den Ausleerungen der Kranken, kann 
mit diesen auf und in andere Personen und die 


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mannigfachsten Gegenstände gerathen und mit den¬ 
selben verschleppt werden. 

Solche Gegenstände sind beispielsweise Wäsche, 
Kleider Speisen, Wasser, Milch und andere Getränke; 
mit ihnen allen kann auch, wenn an oder in ihnen 
nur die geringsten für die natürlichen Sinne nicht 
wahrnehmbaren Spuren der Ausleerungen vorhanden 
sind, die Seuche weiter verbreitet werden. 

2. Die Ausbreitung nach anderen Orten 
geschieht daher leicht zunächst dadurch, dass 
Cholerakranke oder kürzlich von der Cholera ge¬ 
nesene Personen den bisherigen Aufenthaltsort ver¬ 
lassen, um vermeintlich der an ihm herrschenden 
Gefahr zu entgehen. Hiervor ist um so mehr zu 
warnen, als man bei dem Verlassen bereits ange¬ 
steckt sein kann und man andrerseits durch eine 
geeignete Lebensweise und Befolgung der nach¬ 
stehenden Vorsichtsmassregeln besser in der ge¬ 
wohnten Häuslichkeit, als in der Fremde und zu¬ 
mal auf der Reise, sich zu schützen vermag. 

3. Jeder, der sich nicht der Gefahr aussetzen 
will, dass die Krankheit in sein Haus eingeschleppt 
wird, hüte sich, Menschen, die aus Cholera¬ 
orten kommen, bei sich aufzunehmen. Schon 
nach dem Auftreten der ersten Cholerafälle in 
einem Ort sind die von daher kommenden Personen 
als solche anzusehen, welche möglicherweise den 
Krankheitskeim mit sich führen. 

4. In Cholerazeiten soll man eine möglichst 
geregelte Lebensweise führen. Die Erfahrung 
hat gelehrt, dass alle Störungen der Verdauung 
die Erkrankung an Cholera vorzugsweise begün¬ 
stigen. Man hüte sich deswegen vor allem, was 
Verdauungsstörungen hervoi rufen kann, wie Ueber- 
mass von Essen und Trinken, Genuss von schwei- 
verdaulichen Speisen. 

Ganz besonders ist alles zu meiden, was Durch¬ 
fall verursacht oder den Magen verdirbt. Tritt 
dennoch Durchfall ein, dann ist so früh wie mög¬ 
lich ärztlicher Rath einzuholen. 

5. Man geniesse keine Nahrungsmittel, 
welche aus einem Hause stammen, in welchem 
Cholera herrscht. 

Solche Nahrungsmittel, durch welche die 
Krankheit leicht übertragen werden kann, 
z. B. Obst, Gemüse, Milch, Butter, frischer Käse, 
sind zu vermeiden, oder nur in gekochtem Zu¬ 
stande zu geniessen. Insbesondere wird vor dem 
Gebrauch ungekochter Milch gewarnt. 

6. Alles Wasser, welches durch Koth, Urin, 
Küchenabgänge oder sonstige Schmutzstoffe ver¬ 
unreinigt sein könnte, ist strengstens zu vermei¬ 
den. Verdächtig ist Wasser, welches mittels ge¬ 
wöhnlicher Brunnen (Pumpen) aus dem Untergründe 
bewohnter Orte entnommen wird, ferner aus Sümpfen, 
Teichen, Wasserläufen, Flüssen, sofern das Wasser 
nicht einer wirksamen Filtration unterworfen 


worden ist. Als besonders gefährlich gilt Wasser, 
das durch Auswurfstoffe von Cholerakranken in 
irgend einer Weise verunreinigt ist. In Bezug 
hierauf ist die Aufmerksamkeit vorzugsweise dabin 
zu richten, dass die vom Reinigen der Gefässe und 
beschmutzter Wäsche berrührenden Spülwässer nicht 
in die Brunnen und Gewässer, auch nicht einmal 
in deren Nähe gelangen. Den besten Schutz gegen 
V erunreinigung des Brunnenwassers gewähren eiserne 
Röhrenbrunnen, welche direkt in den Erdboden und 
in nicht zu genüge Tiefe desselben getrieben sind 
(abessinische Brunnen). 

7. Ist es nicht möglich, sich ein unverdächtiges 
Wasser im Sinne der No. 6 zu beschaffen, dann 
ist es erforderlich, das Wasser zu kochen und nur 
gekochtes Wasser zu geniessen. 

8. Was hier vom Wasser gesagt ist, gilt aber 
nicht allein vom Trinkwasser, sondern auch von 
allem zum Hausgebrauch dienenden Wasser, 
weil im Wasser befindliche Krankheitsstoffe auch 
durch das zum Spülen der Küchengeräthe, zum 
Reinigen und Kochen der Speisen, zum Waschen, 
Baden u. s. w. dienende Wasser dem menschlichen 
Körper zugeführt werden können. 

Ueberhaupt ist dringend vor dem Glauben zu 
warnen, dass das Trinkwasser allein als Träger des 
Krankheitsstoffes anzusehen sei, und dass man schon 
geschützt sei, wenn man nur untadelhafbes oder 
nur gekochtes Wasser trinkt. 

9. Jeder Cholerakranke kann der Aus¬ 
gangspunkt für die weitere Ausbreitung der 
Krankheit werden, und es ist deswegen raths&ra, 
die Kranken, soweit es irgend angängig ist, nicht 
im Hause zu pflegen, sondern einem Kranken¬ 
hause zu übergeben. Ist dies nicht ausführbar, 
dann halte man wenigslens jeden unnöthigen Ver¬ 
kehr von dem Kranken fern. 

10. Es besuche niemand, den nicht seine 
Pflicht dahin führt, ein Cholerahaus. 

Ebenso besuche man zur Cbolerazeit keine 
Orte, wo grössere Anhäufungen von Men¬ 
schen stattfinden (Jahrmärkte, grössere Lustbar¬ 
keiten u. s. w.)! 

11. In Räumlichkeiten, in welchen sich 
Cholerakranke befinden, soll man keine Spei¬ 
sen oder Getränke zu sich nehmen, auch im 
eigenen Interesse nicht rauchen. 

12. Da die Ausleerungen der Cholerakranken 
besonders gefährlich sind, so sind die damit be¬ 
schmutzten Kleider und die Wäsche entweder 
sofort zu verbrennen oder in der Weise, wie es in 
der gleichzeitig veröffentlichten Desinfectionsanwei- 
sung (II, 3 u. 4) angegeben ist, zu desinficiren. 

13. Man wache auch auf das sorgfältigste darüber, 
dass Choleraausleerungen nicht in die Nähe 
der Brunnen oder der zur Wasserentnahme die¬ 
nenden Flussläufe u. s. w. gelangen. 


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14. Alle mit dem Kranken in Berührung gekom¬ 
menen Gegenstände, welche nicht vernichtet, oder 
desinficirt werden können, müssen in besonderen 
Desinfectionsanstalten vermittels heisser Dämpfe un¬ 
schädlich gemacht oder mindestens 6 Tage lang 
ausser Gebrauch gesetzt und an einem trockenen, 
möglichst sonnigen, luftigen Ort aufbewahrt werden. 

15. Diejenigen, welche mit dem Cholerakranken 
oder dessen Bett und Bekleidung in Berührung 
gekommen sind, sollen die Hände alsbald desinfi- 
ciren (II., 2 der Desinfectionsanweisung). Ganz 
besonders ist dies erforderlich, wenn eine Verun¬ 
reinigung mit den Ausleerungen des Kranken statt¬ 
gefunden hat. Ausdrücklich wird noch gewarnt, 
mit ungereinigten Händen Speisen zu be¬ 
rühren oder Gegenstände in den Mund zu 
bringen, welche im Kranken raum verunreinigt 
sein können, z. B. Ess- und Trinkgeschirr, Cigarren. 

16. Wenn ein Todesfall eintritt, ist die Leiche 
sobald als irgend möglich aus der Behausung zu 
entfernen und in ein Leichenhaus zu bringen. Kann 
das Waschen der Leiche nicht im Leichenhause 
vorgenoramen werden, dann soll es überhaupt unter¬ 
bleiben. 

Das Leichenbegängniss ist so einfach als mög¬ 
lich einzurichten: Das Gefolge betrete das Sterbe¬ 
haus nicht, und man betheilige sich nicht an Leichen¬ 
festlichkeiten. 

17. Kleidungsstücke, Wäsche und sonstige Ge¬ 
brauchsgegenstände von Cholerakranken oder Leichen 
dürfen unter keinen Umständen in Benutzung ge¬ 
nommen oder an andere abgegeben werden, ehe 
sie desinficirt sind. Namentlich dürfen sie nicht 
undesinficirt nach anderen Orten verschickt 
werden. 

Den Empfängern von Sendungen, welche der¬ 
artige Gegenstände aus Choleraorten erhalten, 
wird dringend gerathen, dieselben sofort womöglich 
einer Desinfectionsanstalt zu übergeben oder unter 
den nöthigen Vorsichtsmassregeln selbst zu desinfi- 
ciren. 

Cholerawäsche soll nur nur dann zur Reinigung 
angenommen werden, wenn dieselbe zuvor desinfi¬ 
cirt ist. 

18. Andere Schutzmittel gegen Cholera, 
als die hier genannten, kennt man nicht, und es 
wird vom Gebrauch der in Cholerazeiten regelmässig 
angepriessenen medicamentösen Schutzmittel (Cho¬ 
leraschnaps u. s. w.) abgerathen. 


Was die Therapie der Cholera betrifft, so wer¬ 
den wir auch bei dieser neuen schrecklichen Epi¬ 
demie das traurige Schauspiel wieder erleben müssen, 
welches uns die früheren geboten haben, dass die 
therapeutischen Wege sowohl unter den „Allo¬ 
pathen* 1 als auch besonders gegenüber den „Homöo¬ 


path en“ weit auseinander gehen werden, und 
in der Therapie und ihrer wissenschaftlichen Ver¬ 
tretung wird sich — triste dictu — die deutsche 
Einigkeit nicht im mindesten wieder finden lassen, 
die in der Prophylaxis und bei den sie verfügen¬ 
den Behörden so schön hervorgetreten ist; . es 
müsste denn das Unglaubliche eintreten, dass un¬ 
sere feindlichen Collegen im Angesicht der furcht¬ 
baren Gefahr und der eminenten persönlichen Ver¬ 
antwortung den ihnen an vertrauten Kranken gegen¬ 
über das planlose Versuchen mit den hier und 
dort empfohlenen symptomatischen, antibakteriellen 
und desinfectorischen Maassnahmen am kranken 
Leibe verlassen und auf Grund der neuesten Em¬ 
pfehlung*) des toleranten *— lässt er doch auch 
der Empirie der Praktiker ihr Recht widerfahren — 
und deshalb hoch über seinen akademischen Col¬ 
legen stehenden Professor Dr. Schulz auch nur die 
von diesem Gelehrten angeführten und in unzweifel¬ 
haft homöopathischer Form und Anwendungsweise 
empfohlenen Mittel (Veratrum, Arsen, Campher, 
Cuprum arsenicosum) an wenden wollten, welche 
unsere Vorgänger schon in der ersten Cbolera- 
epideraie im Jahre 1831 auf Grund des Aehnlich- 
keitsgesetzes und theilweise auf directe Empfehlung 
unseres Altmeisters Hahnemann erprobt und wieder 
und wieder angewandt haben, und welche nach¬ 
weislich Resultate ergeben haben,die nie schlech¬ 
tere als die der jeweilig herrschenden allopathischen 
Methoden gewesen sind, vielfach aber weit bessere! 
Dann würde die diesjährige furchtbare Geissei doch 
das Gute gehabt haben, die Vertreter der soge¬ 
nannten wissenschaftlichen Medicin der Bekannt¬ 
schaft mit der homöopathischen Heilmethode etwas 
näher zu bringen. — Freilich viel wahrscheinlicher 
ist es, dass auch dieser Sturm ohne die gewünschte 
Wirkung verrauschen wird; und die nachfolgende 
Kritik wird erbarmungslos alle diejenigen verdam¬ 
men, die ihre Kranken ohne die zur Zeit üblichen 
schulgemässen Versuchsmethoden sterben Hessen, 
und nur hier und da wird der Eine oder der 
Andero zur Entschuldigung seine Erfolge rühmen, 
die er nach Professor Schulz mit Veratrum, Arsen 
und Campher erzielt hat. Die Heilstatistiken un¬ 
serer homöopathischen Kollegen aber werden ebenso 
bemängelt und belächelt werden wie in früheren 
Epidemien, wenn man sie überhaupt der Berück¬ 
sichtigung für werth hält. 

Kommen wir auf den Schulz'schen Artikel etwas 
näher zurück, der jedem Homöopathen aus der 
Seele geschrieben sein muss! Schulz erkennt wie 
wir zunächst den hohen Werth der bisherigen wissen¬ 
schaftlichen Forschung für Prophylaxe und Verhütung 
der Cholera selbstverständlich an, wirft aber sogleich 


*) ,Zur Therapie der Cholera.“ 
Wochenschrift 1892, No. 86. 


Deutsche medicin. 
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10 


die Frage auf: „Welche Wege stehen uns offen, auf 
denen wir unseren seuchebefallenen Mitmen¬ 
schen Hülfe bringen können?“ d. h. mit anderen Wor¬ 
ten: wie behandeln wir cholerakranke Menschen, 
nicht die Cholera!? Da wir den Mikroben direct 
nichts anhaben können und ebenso wenig im Stande 
sind, die von ihnen producirten, im Blute kreisen¬ 
den, deletären Gifte durch etwaige Desinficientien 
unschädlich zu machen, oder in ihren Folge¬ 
wirkungen durch symptomatische Mittel zu neu- 
tralisiren, ohne den ganzen Menschen zu ver¬ 
derben, so bleiben uns nur zwei Wege offen, 
um dem befallenen Menschen Hülfe zu bringen, 
erstens die Widerstandsfähigkeit des Organismus 
zu kräftigen und zweitens den krank machenden 
Ursachen den günstigen Nährboden zu entziehen, 
d. h., sei es auf nervösem oder chemischem Wege 
die erkrankten Organe in therapeutischem Sinne 
direkt günstig zu beeinflussen. Es sind dies zwei 
Forderungen, welche wir Homöopathen schon seit 
Beginn der bakteriologischen Forschungen als die 
für unsere Therapie allein zu befolgenden aufge¬ 
stellt haben, speciell in der Tuberkulosenfrage. 
Schulz drückt dasselbe aus, indem er sagt: „Zwei 
Momente also sind es, die wir ins Auge zu fassen 
haben: Die Behandlung des primär erkrankten 
Organs, des Darmes, und die Therapie des übrigen, 
sekundär ergriffenen Organismus.“ In letzterer Be¬ 
ziehung empfiehlt er warm den Campher in Form 
des Spiritus camphoratus, jedoch per os und nicht 
durch subkutane Injektion, da durch nichts er¬ 
wiesen sei, wie die Resorption durch das Unter¬ 
hautzellgewebe unter den durch das Choleragift 
veränderten Verhältnissen vor sich gehe, „zum Ex- 
periraentiren aber weder Zeit noch Gelegen¬ 
heit 44 da sei, daneben allgemeine Excitantien, Haut¬ 
reize, (Einreibungen mit Campferspiritus). — Von 
»wesentlicherer Bedeutung“ ist aber für 
Schulz noch die Behandlung des primär erkrankten 
Organes, des Darmes. »Haben und kennen wir 
Mittel, geeignet, die herabgesunkenen Functionen 
der Darm wand wieder zu heben, der Norm wieder 
möglichst nahe zu bringen und damit sie von ihrer 
unglücklichen Eigenschaft, einen guten Nährboden 
für die Cholerabacillen darzustellen, thunlichst zu 
befreien? Besitzen wir Medikamente, denen wir 
eine derartige Leistungsfähigkeit Zutrauen können, 
die vor allem sich in der Praxis bewährt haben? 
Zwei Arzneistoffe sind es, über deren Werth in der 
von uns gewünschten Richtung die praktische Me- 
dicin schon ihr Urtheil abgegeben hat, die aber, 
als heutigen Anschauungen nicht recht entsprechend, 
unbeachtet geblieben sind: »Veratrin und Arsen.“ 
Fürwahr, goldene, beherzigenswerthe Worte sind es, 
die Prof. Schulz hier bezüglich der Choleratherapie 
ausspricht, und* sie enthalten ausserdem eine An¬ 
erkennung unserer homöopathisch-practischen Thätig- 


keit, wie wir sie aus berufenem Munde nicht schöner 
hören konnten! Schulz empfiehlt heute auf Grund 
der empirischen Erfahrung und seiner eigenen 
pharmakodynamischen Forschungen dieselben Mittel, 
die vor 61 Jahren Hahnemann auf Grund 
seiner Arzneimittelkenntniss und seines Heilprin- 
cips „Similia similibus“ ebenfalls theoretisch gegen 
die Cholera empfahl und die, wie wir beweisen 
werden, seitdem von zahlreichen homöopathischen 
Aerzten mit bestem Erfolge angewandt worden 
sind! Die Priorität in der Anwendung der ge¬ 
nannten Mittel nehmen wir Homöopathen unge- 
scheut für uns in Anspruch, denn die von Schulz 
für Veratrum angeführten Autoren Mark breiter 1856, 
Hubeny (1857), Köhler (1868), Bloedau (1884), 
haben dieses Mittel offenbar von uns entlehnt, was 
schon aus der Form der Anwendung hervorgeht, 
und das auf Grund der Berichte von Aulde schon 
1890 und 91 empfohlene Cuprum arsenicosum 
findet sich bereits in Noack-Trinks’s Arzneimittellehre 
(allerdings ungenügend), dann aber ausführlich bei 
Edwin M. Haie (The Characteristics of the New 
Remedies) und in Allen’s Materia medica geprüft.*) 
(Arsen als solches aber ist wie Veratrum, Cuprum 
und vor allem Campher bereits unter anderen 
Mitteln von Hahnemann selbst empfohlen worden.) 
— Haie empfiehlt Cuprum arsenicosum nach Schil¬ 
derung seiner Bauchsymptome direct gegen Cholera 
asiatica. Die Stelle lautet: (The Ch. of the. N. R. 
1873, p. 191): 

Abdomen and Stool. 

f) *Violent colic; frequent vomiting, with purging; 
cold sweats; intense thirst. 

Great distension of the abdomen. 

Pains in the abdomen, sbarp and eutting. 

Diarrhoea; slimy stool. 

°Asiatic cholera, with crarops in hands and feet. 

Wir haben bereits in No. 11/12 der Allgem. 
Homöop. Zeitung ein Urtheil Hahnemann’s über die 
Cholera und ihre Behandlung durch Campher aus 
dem Jahre 1831 und eine Bestätigung der Campber- 
wirkung bei homöopathischer Behandlung durch einen 
Bericht des Grafen Thomas Nadasdy »Schilderung der 
Cholera in Däka in Ungarn und deren Heilung, vom 
17. Sept. bis 15. Nov. 1831“, gebracht. Lassen wir 
nun noch die wichtigeren Veröffentlichungen homöo¬ 
pathischer Aerzte aus den ersten Epidemieen folgen. 

Da ist es zuerst ein Schriftchen »Du traitement 
homoeopathique du Cholera, avec notes et appendice, 

*) Auch im Journ. de 1. soc. gall. Tom. IV., Ser. 2, 
Hft. 10, pag. 493 und in The Hahnemann. Montbl.; III, 
S. 571, findet das Mittel seine Erwähnung. 

t) * bedeutet die hervorstechendsten Symptome. 

0 bedeutet Empfehlung durch klinische Erfahrung. 


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11 


par F. F. Quin M. D., Mödecin ordinaire de sa 
Majestö Leopold, roi des Beiges*, welches unsere 
Beachtung verdient. Quin bereiste bei der ersten 
europäischen Epidemie die durchseuchten Gegenden, 
um die Cholera zu studiren, erkrankte selbst an 
ihr und verdankte, wie er berichtet, dem Campher 
allein seine Lebensrettung, wodurch seine Campher- 
empfehlung vielleicht ein wenig den Stempel subjek¬ 
tiver Voreingenommenheit erhält. Nachdem er zuerst 
die Natur der Cholera, ihre verschiedenen Formen und 
die traurigen Resultate der gewöhnlichen Behand¬ 
lung besprochen, empfiehlt er warm die homöo¬ 
pathische Behandlung. Er giebt den Campher 
folgendermassen: von 3j. aufgelöstem Campher in 
3 vj. Weingeist, zwei Tropfen von 5 zu 5 Minuten 
in einem Löffel voll kaltem Zuckerwasser; wenn 
das Uebel schon höher gestiegen ist, sind gewöhnlich 
10 oder 12 Dosen hinreichend, um das Fortschreiten 
zu verhindern. Es könnte, fährt er pag. 20 fort, 
Vorkommen, dass der Magen die Medicin nicht bei 
sich behielte, in diesem Falle lässt man der Arznei 
ein klein Stück Eis vorangehen: man giebt Eis wasser 
zu trinken in kleinen, aber öft wiederholten 
Quantitäten, und von Zeit zu Zeit ein Stück¬ 
chen Eis in den Mund. Quin giebt den Campher als 
erstes Hauptmittel. Beim weiteren Vorschreiten 
der Krankheit, wenn der Arzt von der Anwendung 
des Camphei spiritus keinen guten Erfolg zu hoffen 
hat, muss man nach ihm zu anderen Mitteln seine Zu¬ 
flucht nehmen: Veratrum album, 12.Verd. 1,2 oder 
3 Streukügelchen, event. nach ! / 2 , oder 1 Stunde 
zu wiederholen, bei starken Personen in derselben 
Potenz, bei Schwächeren in 30. Verd. Bei Cholera 
acuta, plötzlichem Auftreten, mit starkem Durchfall, 
Erbrechen, profusen Ausleerungen. — Arsenicum 
album 30. bei Brennen im Epigastrium, Kolik¬ 
schmerzen, scharfen Entleerungen, starkem Durst, 
grosser Erschlaffung, fortwährender Unruhe und 
Todesfurcht. Cicuta virosa 30. bei heftigen 
Krämpfen in den Brustmuskeln, viel Erbrechen, 
wenig Diarrhoe, Augen gen Himmel gerichtet. 
Phosphorus 30. und Acidum phosphoricum 3. 
bei Cholera dysenterica. Letzteres, wenn die Zunge 
mit einer schleimigen Materie bedeckt ist, welche 
sich fingerdick ansetzt. Ipecacuanha 3., wie 
Veratrum zu geben, bei vorwiegendem Erbrechen. 
Cuprum metallicum 30. bei Cholera spasmodica. 
„Man muss es mehrere Male wiederholen, wenn der 
heilsame Erfolg nicht nach V* oder 1 Stunde sicht¬ 
bar ist. Einige Aerzte haben mit Glück Cuprum 
aceticum 30. angewandt. In den Fällen, wo Tetanus 
und Trismus sich zeigen, muss man Campherspiritus 
geben, und wo der Mund des Kranken nicht ge¬ 
öffnet werden kann, muss man ihm selbigen in’s 
Zahnfleisch einreiben.* Bei asphyktischer Cholera 
ist nach Quin, um das Nervensystem zu erregen, 
Campher das erste Mittel. Darauf lässt man Vera¬ 


trum album folgen. „Wenn der Kranke in dem 
Zustande der gänzlichen Asphyxie ist, wenn die 
Krämpfe, das Erbrechen, ganz aufgehört haben, 
giebt man Carbo vegetabilis 30. oder Acidum 
hydrocyanicum 3. oder eins nach dem anderen, 
indem man 1 oder 2 Stunden dazwischen ver¬ 
streichen lässt. Man erkennt ihre Wirkung an den 
wieder bemerkbaren Pulsschlägen und zuweilen an 
der Wiederkehr der Leiden, Krämpfe, Erbrechen, 
Diarrhöen; 8ymptome, welche man alsdann durch 
Veratrum oder Cuprum beseitigt.* — Bei sehr 
grosser Aufregung des ganzen Organismus im Anfang 
der Erkrankung — starker Gef&sserregung — 
widerräth Quin den Campher und empfiehlt zuerst 
Aconit. Endlich erwähnt er noch bei kleinem 
und langsamem Pulse, Schwindel, Betäubung, Zuck¬ 
ungen der Gesichtsmuskeln, Gefühl eines Ziehens 
an den Haaren (Sensation de tiraillement des cheveux) 
— Laurocerasus. Aeussere Mittel, auch die 
äussere Anwendung des Camphers scheinen ihm 
weniger nützlich. 

Interessant ist es, was Verfasser über den Ueber- 
gang der eigentlichen Cholera in typhöse Zustände 
sagt und worin er zeigt, wie fein bereits die alten 
Praktiker zu beobachten und der veränderten Krank¬ 
heit mit veränderten Waffen zu begegnen verstanden. 
Heutzutage rühmt man sich, einen Kranken von 
der Cholera geheilt zu haben, auch wenn er in der 
Reconvalescenz plötzlich stirbt und die Sektion als 
Todesursache Choleratyphoid ergiebt! Quin spricht 
sich folgendermassen darüber aus (S. 30): Es ist 
eine Entzündung oder Kongestion nach dem Gehirn, 
dem Magen, den Eingeweiden, seltener nach den 
Lungen, bisweilen nach der Blase. Immer mani- 
festirt sie sich durch ein typhöses Fieber. In allen 
Fällen, wo die Entzündung allgemein deutlich be¬ 
merkbarist, gebraucht man Aconitum Napellus 24. 
Ist die Kongestion nach dem Gehirn hervorstechender, 
so ist das erste Mittel Belladonna. Wenn die 
Symptome sich in den Lungen zeigen, lässt man 
auf Aconitum Bryonia folgen; lässt die Angst und 
der Schmerz nicht nach — Rhus toxicodendron; 
überhaupt beachtet man die Symptome des 
nervösen Fiebers. Leidet der Magen oder die 
Gedärme, so gebe man Nux vomica, ferner Acidum 
phosphoricum, Cinchona; bei Blasenbeschwerden 
Cantharis 30. — „Wenn die Cholera oder ihre Folgen 
geheilt sind, und doch noch Symptome Zurückbleiben, 
gleichsam ein Rest der Krankheit, wendet man Spiri¬ 
tus vini sulphuratus an.“ Erwähnt sei noch, 
dass auch Quin des prophylaktischen Gebrauches 
von Veratrum album und Cuprum metallicum ge¬ 
denkt, wechselweise von 7 zu 7 Tagen 1 Gabe 
nüchtern zu nehmen! 

Ueber die Resultate der homöopathischen Be¬ 
handlung in der von Quin beobachteten Epidemie 
erfahren wir Folgendes: 

2 * 


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12 


Aerzte 

Kranke 

Genesen 

Gestorben 

Angewendete Mittel. 

Dr. Quin in Tischnowitz . 

29 

26 ■ 

3 

Die oben erwähnten Mittel. 

Veith M. D. in Wien. 

125 

122 

3 

Veratrum, Cuprum. Campher, Acid. phospb., Eie 





lavements. 

Hanush in Tischnowitz. 

84 

78 

6 

Campb., Veratr., Cupr. ; Ipecac., Phosph. 

Dr. Gerstel in Prag. 

880 

298 

1 32 

Camph., Ipecac. Arsenic. 

Dr. Bakody in Raab. 

154 

148 

6 

Ipec., Ver., Cupr, Cic. vir., Lauroc., Cinch. 

Dr. Seider in Wishney Wolotschok 

109 

86 

f 23 

Ipecac., Arsen., Veratr. 

Dr. Stieler in Berlin. 

81 

25 

6 

N. vom., Ars., Ver., Phosphor, Spir. v. sulph. 

Dr. Brecka in Wien. 

144 

182 

12 

Cupr., Ver., Phosph., Camph. 

Dr. Lichtenfels in Wien . 

40 

87 

3 

Ipecac., Ars., Cupr., Veratr. 

Dr. Schroeter in Lemberg .... 

27 

26 

I 1 

Ipecac, Veratr., Arsen« 


1073 

998 

| 95 



Bei seiner Abreise von Tischnowitz erhielt Quin 
von dem dortigen Magistrate folgende Tabelle, welche 
die Resultate der nach den verschiedenen Methoden 
behandelten Kranken erhält: 



Krank 

Geheilt 

Gestorben 


195 

126 

89 

Allöopathisch Behandelte 

44 

19 

25 

Homöopathisch Behandelte 
Durch Campher ohne 

56 

53 

8 

Medizin 

65 

54 

11 

Bleiben in Behandlung 

165 

80 

126 

39 


Eine zweite Tabelle des Stadtrathes von Tischno¬ 
witz giebt den Stand der Krankheit vom 7. Nov. 
1831 bis 5. Febr. 1832 an: 


Einwohner 

Krank 

Genesen 

Gestoiben 

6671 

680 

540 

140 

Allöopathisch Behandelte 

331 

229 

102 

Homöopathisch Behandelte 278 

251 

27 

Bios durch Campher 

71 

60 

11 


680 

540 

140 


Von 19 Kranken, welche Quin in Paris be¬ 
handelte, wurden (S. 43) 9 durch Campher geheilt, 
7 durch dieses und andere Mittel; die übrigen 
3 lagen schon bei seiner Ankunft in Collaps. Zwei 
Kranke befanden sich schon in verzweifeltem Zustande, 
der Eine von einer Gehirnentzündung, der Andere von 
einer Gastro-Enteritis befallen. Beide wurden gerettet, 
der Eine durch Aconit und Belladonna, der Andere 
durch Aconit, Nux vomica und Rhus toxicodendron. 

Als Curiosum will ich noch aus dem Quin’schen 
Schriftchen ein Experiment anführen, welches sich der 
damalige Professor am Militär-Hospital der Josephs- 
Akademie in Wien,Dr.Bischoff erlaubte, um seinen Zu¬ 
hörern einen Beweis für die Nichtkontagiosität der 
Cholera zugeben. — Quin war Anhänger der direkten 
Uebertragbarkeit. — Er Hess einen Cholerakranken 
in das Hospital schaffen. Binnen wenigen Tagen wur¬ 
den 10 der im Hospital liegenden Kranken auch von 
der Seuche befallen und es starben 7 davon. So 
fielen damals diese armen Kranken einem wissen¬ 


schaftlichen Experiment zum Opfer! Und heute? — 
Hoffen wir, dass die schwarze Todenliste nicht 
ähnliche Fälle in sich birgt, welche einer unsicheren 
Versuchstherapie geopfert sind! 

Es würde zu weit führen und die Grenzen der 
Vorgesetzten Arbeit überschreiten, wollte ich noch 
alle mir aus der Literatur zu Gebote stehenden 
Zeugnisse homöopathischer Aerzte bis zur Neuzeit 
anführen, um die häufige Verwendbarkeit und relative 
Zuverlässigkeit der bereits empfohlenen Mittel zu 
beweisen. Ich könnte mich berufen auf die DDr. 
Gerstel, Joseph von Bakody, Gross, Chirurg Fischer 
in Brünn und viele Andere (Allgemeine Homöop. 
Zeitung, Archiv für die homöopathische Heilkunst 
etc.), Bähr's, Kafkas und die im Verlag von Dr. 
W. Schwabe erschienene „Homöopathische Therapie“, 
ferner auf Kämmerer »homöopathische Behandlung 
der asiatischen Cholera, 1831,* der besonders 
Campher, Veratrum und Cuprum empfiehlt, Kurz 
»Behandlung der asiatischen Cholera, 1836,* der 
neben diesen Mitteln besonders auch Arsen und 
Secale cornutum hervorhebt, letzteres in 3. Potenz 
bei prämonitorischen Diarrhöen. Er berechnet die 
Sterblichkeit bei rechtzeitiger und richtiger homöo¬ 
pathischer Behandlung auf noch nicht 10 Procent. 
Constantin Hering, »homöopathischer Hausarzt,“ 
empfiehlt dieselben Mittel und redet dem Schwefel, 
eingestreut in den Strümpfen getragen, als Prophy- 
laktikum das Wort. Bolle, »Anleitung zur Heilung 
der Cholera,“ 1866, giebt wie Markbreiter einen 
Tropfen der Urtinktur von Veratrum oder dasselbe 
Mittel in niedrigster Potenz. Nach ihm kann 
man auf Grund der Beobachtung homöopathischer 
Aer/.te in Trier aus dem Jahre 1849 die Cholera¬ 
sterblichkeit bei homöopathischer Behandlung auf 
rund 15 °/ 0 berechnen! 

Ich könnte noch viele Spalten füllen mit Auf¬ 
zählung aller in unserer Literatur bis in die letzten 
Jahre hinein niedergelegten Zeugnisse homöo¬ 
pathischer Kollegen, die alle auf dieselbe Empfeh¬ 
lung der genannten Mittel aus der älteren Literatur 


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13 


hinauslaufen und die alle den berufenen Lehrern der 
Therapie unbekannt geblieben sind; aber es biesse 
dies Eulen nach Athen tragen! Wer sich überhaupt 
belehren und zu einem Versuche mit unseren Mitteln 
bewegen lassen will, dem wird das Gesagte genügen; 
für urtheilslose Zweifler, für in den Schraubstock 
der Scholastik gespannte Akademiker und für jene 
traurige Schaar, die nur auf des Meisters Worte 
schwören, zu schreiben, ist Sisyphusarbeit. 

Nur drei Autoren aus der älteren Zeit möchte ich 
noch genauer anführen, den Einen wegen seiner leiden¬ 
schaftslosen Beurtheilung einer exakten Beobachtung, 
die beiden Anderen wegen ihrer unzweifelhaft kriti¬ 
schen Befähigung und der ungeschminkten Wieder¬ 
gabe der eigens gewonnenen Ansicht. Gerade weil ihr 
Urtheil etwas reservirt und selbst pessimistisch ge¬ 
halten ist, wie es sich einer so furchtbar ernsten 
Frage wie der der Cholerabehandlung gegenüber 
ziemt, wo nur die Wahrheit zu sagen ist, ist es 
für den objektiven Beurtheiler, der nach Wahrheit 
sucht, von weit grösserem Werthe als die mit 
Enthusiasmus und optimistisch geschriebenen Zeug¬ 
nisse vieler Anderer. Es sind die DDr. Siemers 
(Hamburg), Hummel und G. Schmid (Wien). 

Ersterer, noch bis vor Kurzem Allopath, aber 
schon lange wegen seiner vorurtheilsfreien Beur¬ 
theilung der Homöopathie bekannt, veröffentlichte 
seine Krankengeschichte im III. Bde. d. Allg. Hom. 
Ztg. 1834, S. 139-142: 

Am Abend des 29. Sept. 1833 zu einem Kranken 
gerufen, finde ich einen ausgebildeten Cholerafall. Seit 
Mittag Erbrechen, Durchfall, seit 7 Uhr heftige Waden- 
und Armkrämpfe. Reisswasserentleerungen nach oben 
und unten. Baut kalt, klebrig, bläulicn. Puls kaum 
fühlbar. Unterleib und Hypochondrien frei von Druck¬ 
schmerz. Seit 6 Uhr Urinverhaltung. Kopf und Brust 
nicht beklommen. 8 V 2 Uhr: Spir. camph. gtt. j. in 2 
Drachmen Wasser, sogleich Erbrechen; nach 5 Minuten 
Camph. gtt. j., nach 10 Minuten Erbrechen; sogleich 
wieder Camph. gtt. j. 9 Uhr: Krämpfe, Cupr. metall. 

—. Drang zu Stuhl, Schweiss anscheinend geringer. 

9V 4 Uhr: stärkerer Stuhlgang, ihm wird komisch (ipsis 
verbis) zu Muthe, müde. Stuhlgang, Krämpfe im Arm, 
Brechen mit Würgen 2 mal. 9 1 /* Uhr: Camph. gtt. ij. 
9 3 / 4 Uhr: Brechen, Krämpfe in den Beinen. Cupr. met. 

—, Ruhe, müde. Puls fühlbarer. Durst auf kaltes Wasser, 
was er esslötfelweise erhielt. 10 Uhr: Brechen, Durch¬ 
fall, Krämpfe. 10 */* Uhr: Krämpfe, Cupr. raet. Puls 

hebt sich. 11 Uhr: Cupr met. °. Jetzt verliess ich 

x 

den Kranken, instruirte die Wärterin, bei Durchfall und 
Erbrechen Veratrum —, bei Krampfanfällen Cupr. met. 

— zu geben Um 12 Uhr: Cupr. °, 12*/ 2 Uhr: Veratr. 
x x 

°, 2 Uhr Nachts: Cupr. -, 4 Uhr: Veratr. 6 Uhr: 
x xx 

Cupr. Seit 4 Uhr hat bis 7 Uhr Morgens der Durch¬ 


fall aufgehört, Schlaf. Warme Milch zum Frühstück. 
9 Uhr Aussehen besser. Krämpfe und Brechdurchfälle 
seltener und gelinder. Noch kein Urin. 2 Uhr Mit¬ 
tags: Patient hat alle 3 Stunden Veratr. — erhalten. 

IV 

Dünne Rindfleischsuppe ausgebrochen. Seit 10 Uhr: 
3 maliges Erbrechen, 5 maliges Abführen. Schweiss 

warm. Kein Urin. Veratr. (Jedes Mal, wenn er 

IV 

das Pulver nimmt, wird er ruhig und müde.) Bis 6 Uhr : 
8 Stühle, kein Erbrechen. Schweiss. Krämpfe gelinde. 

6Vs Uhr: Nux vom. — bis 87a Uhr. Das Mittel be- 
x 

ruhigte, wie er sagte.. Durchfall 2 mal. Heiserkeit ver¬ 
liert sich; gut geschlafen, kein Erbrechen, Urindrang; 
Schweiss weniger, Hände warm, trocken. 9 l / 2 Uhr: 

Chamom. —, 12 Uhr: N. vom. —. 

x x 

1. Okt.: 2*mal Durchfall, kein Erbrechen erfolgt. 
6 Uhr: Urinsekretion, dunkel. 9 Uhr: Wohlbefinden, 
Milch und Brod gefrlihstückt. Keine Krämpfe. 6 Uhr 

Abends: Chamom. °. Urin heller, 2 Stühle faeculent. 
x 

Mittags hat er Fleischsuppe mit Brod gegessen und 
geschlafen. 

2. Okt.: Nachts unruhig. 6 Uhr Morgens Cham. 0> 

bald darauf Hitze des Gesichts und Kopfes. Um 10 Uhr: 
sehr müde, 2 breiige übelriechende Stühle. Appetit 
auf Milch, viel Durst, Druck im Kopfe. Schweiss nicht, 
Urin 3mal. 7*/ 2 Uhr Abends: Kein Stuhl, Urin, sehr 
matt. Zunge weiss belegt, wie bisher. 

3. Okt.: Nacht sehr unruhig, 2 Stühle. Geschmack 
auf der Zunge wie verbrannt. Daphne ■?. 

4. Okt.: Besseres Befinden. Patient gelb im Gesicht, 
Zunge weiss, Urin ziemlich hell. Fäces faeculent. Kein 
Appetit. 

5. Okt.: Gelbsucht allgemeiner. Engbrüstig. Kein 
Schmerz im Leibe, keine Lebergeschwulst, mehrmals 

Durchfall. Bryonia ???. 

x 

6. Okt.: Durchfall minder. Nacht gut, engbrüstig. 
Patient steht auf. 

7. Okt.: Patient geht herum, ist heiter. Zunge be¬ 
legt. Der ganze Körper gelb. Stuhl gut. Bryonia °°. 

9. Okt.: Gelbsucht geschwunden. Wohlbefinden. 
15. Okt.: Heilung. — 

Dr. Siemers fügt hinzu: „Ich habe mir keine 
Reflexionen bei Abschrift des Krankenprotokolls er¬ 
laubt. Der Ausgang der Cholera in Gelbsucht war 
damals in Hamburg nicht ungewöhnlich. Ich bin 
weit entfernt, die Genesung dieses Kranken als einen 
Beweis der Richtigkeit meiner Behandlung anzuführen, 
meine allopathische Erfahrung hat mir Beweise 
genug vom Gegentheil, so wie von der Heilkraft 
der Natur gegeben. Zu dem Resultate aber glaube 
ich bei diesem sehr genau beobachteten Falle ge¬ 
kommen zu sein, dass die kleinen Arzneigaben schnell 
und kräftig wirken, und diese Erfahrung hat sich 
mir bei richtig gewählten homöopathischen Arzneien 


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14 


fast immer bewährt. leb sage fast immer, denn 
leider giebt es auch Ausnahmen in der Homöo- 
pathik. — Diese einfache, vorurtheilsfreie Kranken¬ 
geschichte spricht für sich selbst, auch dann, wenn 
der Zweifler nur eine Naturheilung darin sieht. 

Dr. Bummel schildert seine Beobachtungen über 
die Cholera bei ihrem ersten und zweiten Erscheinen 
in Merseburg (Allg. Hom. Ztg., 1833, Bd. I, pag. 11, 
12,13 und 35,36,37, 38,39). Wie bekannt, erkrankte 
er selbst schwer an der Seuche und hatte das Unglück, 
seine Frau und eine Tochter daran zu verlieren. 

In den ersten Fällen brachte Bummel Veratrum 

IV 

in Anwendung und hatte theilweisen raschen, glänzen¬ 
den Erfolg. In einem anderen Falle erfolgte weder 
auf Veratr. noch auf Arsenic., noch auf den inner¬ 
lich und äusserlicb angewandten Camphor eine 
Beaktion und die Kranke endete schon nach 7 Stunden 
ihr Leben. Das gleiche Schicksal hatte der 2 Tage 
später erkrankte Mann unter allopathischer Behand¬ 
lung. Eine weitere Kranke, die im ausgesprochenen 
Choleraanfall in Behandlung kam, besserte sich 
zunächst zusehends, als sie zuerst alle 5, dann alle 
10 Minuten 2—3 Tropfen Spirit, camph. erhielt 
neben Eiswasserklystier und dem Genuss frischen 
Wassers. Am anderen Morgen aber collabirte sie 
rasch und starb. „Was in aller Welt soll man aus 
dieser Geschichte lernen?* fragt Rummel. „Ich 
antworte, viel oder wenig, je nachdem Einer über¬ 
haupt fähig ist etwas zu lernen. Vor Allem wohl 
die bittere Lehre, dass im höchsten Stadium der 
Cholera die Krankheit meistens tödtet unter jeder 
Behandlung, dass die Homöopathie ebenso gut Kranke 
darin verlieren wird, als die Allöopathie sie haufen¬ 
weise verliert, worüber sich kein Arzt wundern wird, 
der die Menschentödterin gesehen hat. Dass sie 
aber weniger Opfer fallen lässt, manche rettet, die 
dem Orkus schon zu gehören schienen, haben wir 
aus anderen Berichten ja erfahren.* Ueber den 
letzten Fall bemerkt R. noch, dass er vielleicht 
besser Veratrum mit Arsenic. gegeben hätte, da im 
höheren Stadium der Krankheit Campher das passende 
Mittel nicht mehr zu sein scheine; andererseits 
habe er beim gleichzeitigen Gebrauch des Camphers 
und des kalten Wassers in diesem Falle den grössten 
Palliativerfolg gesehen. 

Von den von ihm homöopathisch behandelten 
46 Kranken, der Mehrzahl nach aus der zweiten, 
eigentlichen Epidemie in Merseburg, welche durch¬ 
weg schwer erkrankt waren und welche R. in einer 
Tabelle aufführt, starben, von Ankunft des Arztes an 
gerechnet, binnen 2—8 Stunden 8 Kranke, von 
8 Stunden bis zu 6 Tagen ebenfalls 8. 

Als Hauptmittel gegen die asiatische Seuche 
empfiehlt uns Rummel 1. Veratrum. Es muss 
in wiederholten nicht zu schwachen Gaben so lange 
gegeben werden, bis Nachlass des Brechens und 


Laxirens eintritt. Oft waren in 12—16 Stunden 
6 bis 8 Gaben zu 4—8 Streukügelchen der 12. Verd. 
nöthig. Es konnten auch ohne Schaden mehr ge¬ 
geben werden. 2. Cup rum 9999^*9. b e i starken 

Muskelkrämpfen, auch abwechselnd mit Veratrum. 
3. Camphora vor Anwendung der oben genannten 
Mittel. 4. Arsen, bei starker Unruhe, Umher¬ 
werfen, grosser Mattigkeit. 5. Secale cornutum 
zu 6—12 Streukügelchen der 4. Verd. oder selbst 
zu einem halben Tropfen in 1—3 Gaben, wenn 
sich das Erbrechen gelegt hat, die Ausleerungen 
aber wasserhell bleiben, wenn Alles darauf hin¬ 
deutet, dass noch keine Galle wieder in den Darm¬ 
kanal ausgeleert wird! Diesem Mittel glaubt er 
die Rettung zweier seiner Kinder verdanken zu 

müssen. 6. Carb. vegetab. °^, wenn die eigent¬ 
lichen Cholerasymptome gewichen sind und Konge¬ 
stionen nach Kopf und Brust eintreten, leichter Sopor. 

In einem vernachlässigten Falle, wo Brechen 
und Durchfall bei allen Zeichen der Kongestion 
nach Brust und Gehirn fortdauerten, die Kranke 
mit nach oben gerichteten Augen, wie es Quin 
auch als Symptom fürCicuta erwähnt, soporös dalag, 
der Athem äusserst beklommen war und die Lochien 
nicht flössen, ungeachtet sie erst vor 24 Stunden 
geboren hatte, that nach 2 Gaben Acid. hydro- 
cyanicum 3., Cicuta virofea Wunder; die Kranke 
genass! 

Gegen Choleratyphoid, das er für sehr schwer 
zu behandeln hält, empfiehlt R. je nach dem Rhus, 
Bryonia, Belladonna, Hyoscyamus, Stramonium, 
Carbo, Opium. 

Zum Getränk gab er meist Eiswasser in kleinen 
Quantitäten; vor warmen Getränken glaubt er 
warnen zu müssen. 

Es besteht hier vielleicht für die einzelnen Epi¬ 
demien, sicher für die einzelnen Stadien der Krank¬ 
heit und für den individuellen Fall ein gewisser 
Unterschied, ob kalte oder warme Getränke vor¬ 
zuziehen sind. Ein kranker Mensch wird aber eben¬ 
sowenig fortwährendes kaltes Trinken ohne Schaden 
vertragen können, wie ein Gesunder. Aus theore¬ 
tischen Gründen, deren Erörterung nicht hierher 
gehört, würde ich fortgesetzte kleine Gaben erwärm¬ 
ter schwacher Kochsalzlösungen für richtig halten, 
daneben vorübergehend als Erfrischungs- und Reiz¬ 
mittel Eisstückchen, eisgekühlten Champagner, Sherry- 
Cobbler, etc. Prof. Rapp wandte im Jahre 1873 
Nitrum in oft wiederholten kleinen Gaben mit 
ausserordentlichem Erfolge an. 

Aus seinen Beobachtungen zieht Rummel das 
Facit: Nie wird ein bestimmtes Mittel Alles 
leisten, immer wird man rationell, d. h. nach 
homöopathischen Indikationen, die Mittel 


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15 


auswählen müssen, wenn man mit Glück 
eine so gefahrvolle Krankheit heilen will. 
So wird es dann oft gelingen, diesen Würgengel 
zu verscheuchen, aber es wird auch immer Fälle 
geben, wo wir ohnmächtig der stärkeren Macht 
weichen müssen. 

Soweit Dr. Rummel. Kommen wir nun noch 
auf die Betrachtungen des Dr. G. Schmid zurück, 
welche sich denen Rummels passend anreihen und 
welche sich mitgetheilt fmden in Griesselich’s „Hygea“, 
VI. Band, Heft 1 (1836) als „Beiträge zur Behand¬ 
lung der Cholera. Brieflich mitgetheilt von Dr. G. 
Schmid, prakt. Aerzte in Wien, an Dr. L. Griessolich.“ 
Selbst Griesselich fürchtete, dass die Bekanntmachung 
dieses Schreibens Anstoss erregen könnte, doch 
können wir mit Genugthuung constatiren, dass dies 
wenigstens bei dem damaligen Referenten für die 
Allgemeine HomÖop. Zeitung, Dr. Fielitz, nicht der 
Fall gewesen ist, der eingesteht, „sowohl in Hin¬ 
sicht einer sehr hoch zu schätzenden Offenheit und 
Wahrheitsliebe nichts Beherzigenswertheres, als in 
Absicht auf die wissenschaftlichen, physiologisch¬ 
pathologischen Beobachtungen über die Genesis, über 
den Verlauf, Ausgang und Heilung der Cholera, 
kaum etwas Klareres, Scharfsinnigeres und Ratio¬ 
nelleres gelesen zu haben, was bei unserer Cholera- 
literatur nicht wenig sagen will.“ — Schmid ergeht 
sich zunächst des Näheren über die Genesis und 
die Natur der Cholera. Diese seine Betrachtungen 
haben natürlich nur historischen Werth und gipfeln 
in den Anschauungen der humoralpathologischen 
Schule; sie zeigen aber den gebildeten Arzt und 
scharfsinnigen Denker. Er sieht die Ursache der 
Cbolera-Erscheioungen in einer primären Erkrankung 
des arteriellen Blutes, der sich zunächst der höchste 
Grad der Venosität zugeselle, da durch den Krank¬ 
heitsprozess die Dekarbonisation des Blutes in den 
Lungen fast ganz aufhöre. Alle übrigen patho¬ 
logischen Erscheinungen an den verschiedenen Organen 
und Systemen sind ihm nur Bestrebungen der Natur, 
jenen fremdartigen lebensgefährlichen Charakter im 
Blute zu tilgen und die Norm wieder herzustellen. 
So unrichtig ist diese letztere Ansicht zum Theil 
ganz gewiss nicht! Auch bei dem heutigen Stande 
der Wissenschaft und unserer modernen Kenntniss 
der Cholera können wir uns sehr wohl vorstellen, 
dass die prämonitorischen Choleradiarrhöen Be¬ 
strebungen der Naturheilkraft darstellen, die lästige 
Invasion der Kommabacillen wieder los zu werden 
und letztere aus dem Körperinneren so schnell wie 
möglich zu entfernen. Erst, wenn bei der rapiden 
Vermehrung derselben und der Einwirkung der von 
ihnen entwickelten Giftstoffe der ganze Organismus 
erkrankt ist, werden diese Ausscheidungen wirklich 
pathologisch und wir stehen vor dem ausgebildeten 
Cholera-An fall. Je nach der Widerstandskraft wird 
dies bei dem Einen schneller, bei dem Anderen 


langsamer eintreten. Es zeigt sich hier nach 
meiner Ueberzeugung recht deutlich einmal das 
Zwecklose, sogar Schädliche der palliativ - sympto¬ 
matischen Behandlung und ich begreife nicht, wie 
man noch immer an dem Gebrauch von Opiaten 
und anderen adstringirend wirkenden Mitteln fest- 
halten und den Gebrauch der berüchtigten Cholera¬ 
tropfen empfehlen kann, wodurch das Publikum 
in eine ganz falsche Sicherheit gewiegt wird. 
Mit diesen in der Tasche hat noch Keiner eine 
Cholerino, viel weniger eine Cholera abgewandt, 
höchstens zu seinem Schaden etwas aufgehalten; 
wohl aber mögen sie schon manchen Leichtsinnigen 
im Vertrauen auf ihre vorbeugende Wirkung zu 
Excessen verleitet haben, die ihn gerade der Seuche 
in die Arme führten. Sofort eine kräftige Gabe 
Calomel oder ein paar Esslöffel Ricinusöl wäre 
gewiss richtiger! Bei Ankunft des Arztes ist es 
wohl meist zu spät dazu. Aus mündlicher Mit¬ 
theilung ist mir bekannt, dass ein hervorragender 
St. Petersburger Arzt, Dr. Spörer, bereits vor Jahr¬ 
zehnten bei einer Epidemie die Choleradiarrhoe in 
ihrem Beginn mit Ricinusöl behandelt hat und mit 
seinen Erfolgen zufrieden gewesen ist. Ich würde 
keinem Arzte einen Vorwurf daraus machen, der in 
gleichem Falle das Gleiche thäte. 

Kommen wir nach dieser kleinen Abschweifung 
noch einmal zu der Choleratbeorie Schmid's zurück, 
die deshalb noch Interesse hat, weil er daraufhin 
im asphyktischen und paralytischen Stadium, wo 
die anderen Mittel nicht mehr helfen können, den 
Kohlenstoff und seine Verbindungen empfiehlt — 
Holzkohle, Kohlensäure, Blausäure —, die ebenfalls 
eine Hyper-Venosität, Karbonisation des Blutes, da¬ 
durch Asphyxien und Erstickung, z. Th. blitzschnell 
(Blausäure) herbeizuführen im Stande seien. That- 
sächlich werden ja auch heute Kohlensäure und 
kohlensaure Getränke gegen die Cholera empfohlen, 
und Dr. Parkin berichtete grosse Erfolge durch 
Carbo und Kohlensäure aus der Epidemie in Bar¬ 
celona im Jahre 1834. Durch den Gehalt an 
Kohlensäure motivirt Schmid auch den Gebrauch 
des kalten Wassers bei der Cholera. 

Was die Therapie anlangt, so zählt Schmid zu 
den bewährtesten Mitteln folgende: Veratrum, 
Arsenic., Phosphor und Secale cornutum, 
welch’ letzteres, sonst weniger bekannt und erwähnt, 
uns doch bei gewissenhaften Autoren so oft ent¬ 
gegentritt, dass es wohl boachtenswerth erscheinen 
muss. In Folge seiner eingreifenden specifischen 
Einwirkung auf die Gefässe und die mit glatten 
Muskelfasern versehenen Organe mag es vielleicht 
gegen den raschen Verlust des Blutes an Serum 
durch Transsudation und die dadurch bedingte, so 
sehr gefürchtete und in ihren Folgeerscheinungen 
so schwere Eindickung des Blutes eine günstige 
Rolle übernehmen. Es würde dann der palliativen 


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Wirkung der jetzt beliebten Kochsalzinfusionen 
vielleicht eine kausale gegenüberzustellen im Stande 
sein. Die Indikationen für die genannten Mittel 
sind für Schraid die gleichen wie für die anderen 
Autoren—, die specifisch homöopathischen; dem Bei¬ 
gebrauch des kalten Wassers redet er aus den schon 
oben angeführten Gründen sehrdasWort. Arsenic 
giebt er sehr niedrig, in der ersten und zweiten 
Verreibung zu bis -fo Gr.; den Phosphor 
reicht er in einer Aetherauflösung oder in der ersten 
und zweiten Verdünnung, die er höheren vorzieht. 
Auch die übrigen Mittel Veratrum, Cicuta virosa, 
Cuprum, Carbo giebt er nur in den niedrigsten 
Potenzen. Hierbei bekämpft er die Ansicht, dass 
es zu dem Begriff Homöopathie gehöre, die Mittel 
nicht in unverdünntem Zustand zu geben und hält 
dies nicht nur für einen Irrthum, sondern für eine 
Schuld, deren sich diejenigen theilhaftig machen, 
welche noch den Streit darüber unterhalten; wir 
müssen ihm darin beipflichten, denn die Entwick¬ 
lung der homöopathischen Grundgedanken in Hahne- 
mann beweist es, wenn es sich auch in den meisten 
Fällen Bchon von selbst verbietet, nicht oder unge¬ 
nügend potenzirte Arzneistoffe zu verwenden. Der 
hieraus entsprungene Streit aber, welcher leider 
schon zu oft bis zu den äussersten Grenzen erlaubter 
Polemik geführt hat, hat dem guten Verhältniss 
unter den homöopathischen Kollegen, wie auch be¬ 
sonders der Beurtheilung unserer Sache auf Seite 
der Gegner unendlich geschadet. 

Was die Resultate seiner Behandlung anlangt, 
so erwähnt Schmid, dass bei einer im Allgemeinen 
recht bösartigen Epidemie von den an Cholerine 
Leidenden fast Alle genesen seien, dass aber von 
den an vollständig entwickelter Cholera Erkiankteu 
durchschnittlich 30—35 °/ 0 starben. (Die Berichte 
des Dr. Veith in Wien aus derselben Epidemie 
lauteten ganz anders (siebe Tabelle); ihm starben 
von 125 Kranken nur 3; ein Unterschied, der nicht 
aus der Behandlung, sondern nur aus der Art und 
Aufstellung der Statistik erklärt werden kann. 
Veith kommt in seinen Resultaten beinahe seinem 
Wiener Kollegen Winternitz gleich, der von 40 
Cboleraflüchtlingen mit heftiger Diarrhöe, theil- 
weisem Erbrechen und mit Wadenkrämpfen, im 
Jahre 1866, bei hydrotherapeutischer Behandlung 
in seiner Anstalt keinen Einzigen verlor, „Blätter 
für Klinische Hydrotherapie“ II. Jahrgang, Nr. 7.) 

Trotzdem aber Dr. Schmid mit einem Verlust 
von 30—35 Prozent in der Behandlung noch weit 
unter der Durchschnittssterbeziffer bei der jeweilig 
üblichen allöopathischen Behandlung steht, so ge¬ 
nügt ihm dies doch nicht, um die von ihm ver¬ 
tretene Therapie besonders hervorzukehren, sondern 
er warnt vor übertriebenen Hoffnungen. „Welches 
Lob, ruft er aus, also auch an anderen Orten der 


Anwendung dieser Mittel, von Laien wie von 
Aerzten, gesungen werden mag, es wird vom Er¬ 
folg nicht gerechtfertigt, und es ist Zeit, Wahrheit 
zu reden, wer das nicht kann, oder nicht will, der 
sollte wenigstens redliche und wahre Aerzte nicht 
täuschen, nicht irre führen.“ 

Wenn wir auch den Pessimismus Schmids nicht 
für gerechtfertigt halten und obigen Ausspruch nur 
angeführt haben, um den wahrheitsliebenden Mann 
in seinem gerechten Zorne über die damals zahl 
losen schön gefärbten Choleraberichte zu zeigen, so 
werden wir Epigonen doch auch heute noch gern 
dem Bekenntnisse edler Bescheidenheit Rummefs 
beipflichten und zufrieden sein, in den uns ge¬ 
zogenen Grenzen das uns Mögliche zu leisten. 

Wohl aber blicken wir bereits auf einen Schatz 
vieljähriger Beobachtungen und Erfahrungen über 
Cholerabehandlung, der uns mit einiger Sicherheit 
auf den möglichsten Erfolg rechnen lässt. 

Wir können, wenn die furchtbare Seuche uns 
zum Kampfe herausfordert, auf den alten Grund¬ 
lagen fortarbeiten und haben neben der Erfahrung 
nunmehr auch die Empfehlung unserer Mittel durch 
einen Fachgelehrten für uns. Campher, Arsen, 
Veratrum, Cuprum sagt die neue Richtung in un¬ 
serer Arzneimittellehre; Campher resp. Camphora 
Rubini, der auf Grund seiner Herstellung und der 
Erfahrungen in der letzten Epidemie zu Neapel 
wohl allen anderen Kampherpräparaten hervor¬ 
zuziehen ist, Arsen, Veratrum, Cuprura sagt die alte 
Lehre Hahnemann's!*) Man wende mir nicht ein: 
die Empfehlung des Prof. Schultz habe mit der 
Gebrauchsweise in der Homöopathie ja gar nichts 
zu thun! Das sind quantitative Unterschiede, und 
wem die 30. Potenz zu hoch ist, der gebe ruhig 
die 4. oder 3. oder 1 Tropfen der Urtinctur in 
30 gr. Wasser! Wir können nur wünschen und 
hoffen — und dies gewiss im Sinne von Schulz — 
dass recht viele allopathische Collegen von seiner 
Empfehlung Gebrauch machen und sich uns hier¬ 
durch in etwas nähern, mögen sie dann auch 
Allopathen bleiben oder Homöopathen werden. — 
In der Therapie entscheidet nur der Erfolg, im 
Examen der Herr Professor. — Ebenso werden 
aber auch wir die Errungenschaften der modernen 
Forschung nicht ausser Acht lassen dürfen, in der 
inneren Therapie zähe das Alte als das Beste 
wahrend, in der äusseren Behandlung, Hygiene 
und Diät den modernen Fortschritten gerne folgend, 
ohne falsche Pedanterie; denn auch in der Homöo¬ 
pathie haben sich manche alte Vorschriften über¬ 
lebt und haben besserer Erkenntniss weichen müssen. 

Veritati semper corona! 

*) Auch als Prophylaktikum (?) soll sich, wie mir 
mündlich mitgetheilt worden ist, nach Cigliano in 
Neapel Camphora Rubini trefflich bewährt haben. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. StifTt-Leipzig. 

Expedition und Verlag von Willian Steinnetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Dretsner & Sefaranm in Leipzig. 

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Leipzig, den 13. Oktober 1892. 


Band 125. 


No. 15 n. 16. 


ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 


BERAÜSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homOopath. Offlein) in Leipzig. 


Erscheint 14tägig *n 2 Bogen. IS Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf. (Halbjahr). Allo Bncbhandlongen und 
Postanstalten nehmen Bestellungen an. — Inserate, welche an ft. Mobs 6 in Leipzig und dessen Filialen oder an die 
Verlagshandlung selbst (A Marggrafs homöopath. Offioin in Leipzig) au richten sind, werden mit 30 Pf, pro einmal 
gespaltene Petitseile and deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 


Inhalt. Bemerkungen zur Cholerabehandlung nebst einer Statistik der Transporte durch die Sanltäts- 
oolonne, einer Uebersicht der bis zum I. Oktober im Hamburgiscben Staate etattaehabten Erkrankungen und Sterbe¬ 
falle von Cholera und einem Anhang „Wissenschaftliche Experimente in den Hamburger Krankenhäusern“. Von Dr. 
Hesse-Hamburg. — Beitrag zur Behandlung der Cholera durch Campher. Von Sanitätsrath Dr. Johannes Schweikert- 
Breslau» — Heimatliche Arzneikunde. Von Dr. Schier-Mainz. — Ein Rückblick auf die Controverse „Slmiübus an 
8uggeetis?‘‘ Nebst kritischen Bemerkungen von Dr. med. Julius Fuchs-München. — Die zeitweilig herrschenden 
Heilmittel. — Referate. — Leeefrüchte. — Personelle. — Anzeigen. 


MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. *WI 


Bemerkungen 
znr Cholerabehandlung. 

Von Dr. Hesse-Hamburg. 

Wie mein Vertreter Herr Waszily schon be¬ 
merkte, mehrten sich in der zweiten Hälfte des 
August die Durchfälle, welche auf Sulfur hin wiesen: 
sie trieben um 3, 4 Uhr in der Frühe mehrmals 
hintereinander aus dem Bett.*) Auch die leichten, 
mittelschweren und schweren Anfälle der Cholera 
begannen ausserordentlich häufig in derselben Weise. 
Unter mittelschweren Formen verstehe ich diejenigen, 
welche sich durch das weniger Heftige und Rapide 
des Verlaufes von den schweren unterscheiden, 
welch letztere, wenn nicht günstig beeinflusst, in 
9—12 Stunden zum Tode führten. (Ich hörte und 
las mehrfach von einem letalen Verlaufe in wenigen 
Stunden, sah selbst solche Fälle nicht). Erbrechen 
und Durchfall folgen nicht so sehr schnell auf 
einander; die Wadenkrämpfe sind nicht so heftig 
oder nur angedeutet und vor Allem: die Collaps- 
erscbeinungen traten nicht so erschreckend auf, dass 
man von Minute zu Minute die Veränderung in 


*) Dasselbe ist Anfang September von mir auch 
hier beobachtet worden. Dr. Stifft. 


den Zügen des Kranken, das Kleinerwerden und 
Verschwinden des Pulses und die zunehmende Eises¬ 
kälte der Glieder beobachten kann. Bei den leich¬ 
teren Anfällen, bestehend in oft recht häufigen 
Durchfällen, mit oder ohne Uebelkeit, Schwin¬ 
del , Kollern im Leibe (das bei keinem Kran¬ 
ken fehlte) Magendruck, Appetitlosigkeit, Durst, 
unruhigem Schlaf mit Nachtschweissen, gingen die 
Patienten vielfach ihrer Beschäftigung nach. Auch 
diese leichten Anfälle muss man zur Cholera rechnen, 
wenn man sie auch bei der Statistik nicht berück¬ 
sicht. Der Beweis liegt darin, dass in einer Familie 
die verschiedenen Mitglieder von den verschiedenen 
Graden der Krankheit ergriffen werden. So litt in 
einer mir bekannten Familie der Mann an einem 
leichten Anfall: zu gleicher Zeit stirbt seine Mutter 
nach einem Kranksein von nur 12 Stunden (ichfand 
sie schon kalt und pulslos) und seine Frau erkrankt 
einige Tage später schwerer wie der Mann. Solche 
Beobachtungen waren nicht selten. Im Gegensätze zu 
anderen Epidemien, wo von den Beobachtern bemerkt 
wird, dass den eigentlichen schweren Anfällen andere 
Symptome oft vorausgingen, besonders leichte Durch¬ 
fälle, habe ich das hier sehr selten gesehen. Die 
schweren Anfälle überfielen meist wie ein Mord¬ 
geselle in der Nacht Menschen, die am Abend vorher 
noch sich völlig gesund fühlten. 

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114 


Wenn ich nach meiner Clientei auf das Ganze 
schliessen darf, so hat der Genius epidemicus ausser¬ 
ordentlich breite Schichten der Bevölkerung in irgend 
einer Weise ergriffen, so dass nur ein nicht sehr 
grosser Theil der Hamburger völlig frei blieb von 
jeglichen Krankheitserscheinungen. Manche wurden 
auch von der Choleraangst gequält oder durch 
diese disponirt zu Durchfällen oder sonstigen leich¬ 
teren Erscheinungen. Bis zu welcher Höhe die Angst 
steigen kann, bis zu einem Zustande dem Wahn¬ 
sinn nahe, ist kaum glaublich. Die Kranken — 
denn als solche muss ich sie bezeichnen, sind nicht 
im Bett zu halten, rennen schweissbedeckt hin und 
her, legen sich ermüdet einige Minuten hin, die 
Angst jagt sie wieder auf; in ihrer Aufregung 
fühlen sie Uebelkeit, Kollern im Leibe und glauben 
jeden Augenblick, dass die gefürchtete Krankheit 
beginnt. Auf diese Weise verleben sie die uner¬ 
träglich lange Nacht, während welcher sie am 
liebsten den Arzt immer bei sich hätten. Arsen 
lindert den Zustand. 

Grosse Beruhigung gewähren wir unseren Pa¬ 
tienten dadurch, dass wir ihnen Vorbeugungsmittel 
anrathen und Arzneimittel angeben können, welche 
sie im Nothfalle schon vor Eintreffen des Arztes 
nehmen sollen. Ob Schwefel für jede Cholera- 
epideinie als Vorbeugungsmittel gelten kann, weiss 
ich nicht. Nach meiner Meinung kann man als 
Präservativ nur dasjenige Mittel betrachten, wel¬ 
ches zugleich auch das Heilmittel in der Krank¬ 
heit ist. Möglich, dass der Schwefel wegen der 
ausserordentlichen Verbreitung der Sulfur-Dispo¬ 
sitionen darin eine Ausnahmestellung einnimmt, 
dass er den Körper im Allgemeinen widerstands¬ 
fähiger macht gegen die Aufnahme von Krankheits¬ 
stoffen. Für diese unsere Hamburger Epidemie 
möchte Schwefel als Vorbeugungsmittel wohl eine 
erhöhte Bedeutung haben, weil die Frühdiarrhöe 
und sonstige Symptome auf Sulfur hinweisen. Dem 
entsprechend gab ich Sulfur in einer grossen An¬ 
zahl leichter Fälle mit Erfolg, ohne Erfolg dagegen 
in den schwereren Anfällen, wo Erbrechen und 
Durchfall zugegen waren. Mir ist kein Fall be¬ 
kannt geworden, wo bei den mit Scbwefelinilch Ge¬ 
schützten eine schwerere Erkrankung aufgetreten 
wäre. Darin liegt ja kein eigentlicher Beweis, aber 
ich will es nicht unerwähnt lassen. 

Ich halte es für die Pflicht eines jeden Collegen, 
sobald die ersten Fälle der Epidemie in seinem 
Orte sich zeigen, eine ganz kurze gedruckte An¬ 
weisung an seine Clientei zu vertheilen, damit von 
der ersten Minute an etwas Passendes geschieht. 
Dann ist es auch nicht so wichtig für das Leben 
der Kranken, ob der Arzt eine Stunde früher oder 
später erscheint. Leider war mir eine solche Vor¬ 
bereitung nicht möglich. Am meisten empfehlen 
kann ich folgende Anweisung: 


1. Vorbeugungsniittel. Jeden dritten Tag oder 
beim Wechseln der Strümpfe wird eine 
Messerspitze Schwefelmilch in die Strümpfe 
geschüttet 

Die gewohnte (vorausgesetzt solide) Lebens¬ 
weise wird beibehalten. Zu vermeiden: rohes 
Obst, Gurken, Salate. Rothwein ist dem Bier 
vorzuziehen. Zur Toilette, zum Mund aus¬ 
spülen, als Trinkwasser ist nur gekochtes 
Wasser zu verwenden. 

2. Bei Ausbruch der Krankheit wird der Kranke 
auf die gewöhnliche Weise in starken Schweiss 
gebracht (durch heissen Thee, warme Be¬ 
deckung, Wärmflaschen an die Beine) und 
wird mindestens 6—12 Stunden in leichtem 
Schweiss gehalten, wobei Entblössen, auch 
beim Stuhlgang, Frottiren möglichst zu ver¬ 
meiden ist Frottiren, besonders mit Lappen, 
die mit Campherspiritus befeuchtet sind, be¬ 
günstigt den Schweiss, wirkt angenehm gegen 
die Wadenkrämpfe und ist besonders noth- 
wendig, wenn die Extremitäten Neigung zum 
Erkalten zeigen. 

3. Als Arznei nimmt der Patient alle 10 Minuten 
einen Tropfen Veratrum;*) wenn nach einer 
Stunde sich keine Besserung zeigt, geht er 
zu Camphora Rubini über. Letzterer wird 
auf gestossenem Zucker oder in einem Ess¬ 
löffel warmen Zuckerwassers gegeben, im 
Anfänge ebenso oft, bei Besserung seltener. 

Ich habe mit Vorbedacht die Diaphorese zuerst 
gestellt, weil ich sie bei dieser Krankheit für ausser¬ 
ordentlich wichtig halte und glaube, dass bei recht¬ 
zeitiger, d. h. sofortiger Einleitung derselben mancher 
verlorene Fall hätte gerettet werden können. Ein 
im Krankenhause angestellter Mediciner meinte mir 
gegenüber, dass auch Leute gestorben wären, die 
in Schweiss gebadet im Krankenhause ankamen. 
Es ist aber nicht allein nöthig, den Kranken in 
Schweiss zu bringen, sondern ebenso wichtig, ihn 
genügende Zeit darin zu halten mit Beobachtung 
aller Vorsichtsmassregeln, wozu ein Transport ins 
Krankenhaus gerade nicht gehört. Zur Illustration 
der Schweisswirkung will ich einen Fall anführen, 
einen Mann, der in der Nacht in üblicher Weise 
erkrankte mit Erbrechen, Durchfall, Wadenkrämpfen, 
heiserer Stimme. Auf die Anweisung eines Laien 
hin wurde er in Schweiss gebracht und hatte Arsen 
und Cupr. eingenommen. Im Verlaufe weniger 
Stunden verloren sich Erbrechen, Durchfall, Waden¬ 
krampf und sogar die heissere Stimme. Mit der be¬ 
ginnenden Besserung liess man den Patienten unter 
einer leichteren Bedeckung sich wieder abkühlen. 

*) Da keine Potenz angegeben, ist also Urtinctur 
gemeint. (?) Die Red. 


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115 


Mit der Abkühlung kehrten sämmtliche Krank¬ 
heitserscheinungen in bedrohlichem Masse wieder. 
So fand ich den Kranken des Mittags; der Pnls 
war ziemlich gut, ebenso die Körperwärme. Ich 
ordnete an, den Patienten wieder in Schweiss zu 
bringen und ihn mindestens 12 Stunden in Schweiss 
zu halten, dabei Camph. Rub. J / 4 —V 2 stündlich. 
Mit Ausbruch des Schweisses trat sofort wieder 
Besserung ein und am nächsten Tage waren von 
der schweren Erkrankung noch einige flüssige 
Stühle und grosse Schwäche übrig. Dies war für 
mich ein mittel schwerer Fall; in einem schweren 
wären auf die zu frühe Abkühlung Collaps und 
Tod gefolgt. 

College Schlegel meint in seiner augenblicklich 
sehr zeitgemässen Brochüre „ Homöopathie und 
Cholera“ (Tübingen 1892 im Selbstverläge des Ver¬ 
fassers), er ziehe zur Schweissentwickelung die 
Wasseranwendung vor. Für meinen Vorschlag 
spricht die grössere Einfachheit resp. Verständlich¬ 
keit. Jedermann weiss,wie man Jemanden in Schweiss 
bringen soll, während auch die einfachste Art der 
Wasseranwendung ihm erst beigebracht werden 
muss und durch ungeschickte Anwendung schaden 
kann. Es ist anzurathen, dass die Patienten auch 
die übrigen in der Cholera gebräuchlichen Mittel 
im Hause haben Ipec., Ars., Cupr., Nicot., Cupr. 
arsenicos., damit, falls der Arzt sie verordnet, 
keine Zeit verloren gehe. Gebraucht habe ich sie 
verhältnissmässig selten. In den ersten 14 Tagen 
wandte ich nur den Rubini’schen Campher an, — es 
war die Zeit der ganz acuten schweren Fälle — fand, 
dass ein kleiner Theil der Kranken Antipathie gegen 
den Campher hatte, dass ein anderer Theil nicht 
für Campher passte, dass ferner die nach diesem 
Mittel gegebenen Arzneien nicht besonders wirkten, 
und ging dann zu der obigen Verordnung über. 
Unauslöschlicher Durst mit Verlangen nach Kaltem 
und nach grossen Quantitäten, reichliche wässerige 
oder grünliche Stühle, im Ganzen mehr apathisches 
Daliegen im Gegensatz zu der Unruhe und Todes¬ 
angst, welche Cuprum und Arsen eigenthümlich sind, 
sprachen für Veratr. Arsen that mir gute Dienste 
in der Choleraangst, Cupr. in Fällen, wo die Krämpfe 
auch in den Zehen und Fingern auftraten, Secale 
in einem Falle von Ameisenkriechen in Händen 
und Füssen. Mehr Beachtung verdient wohl Cupr. 
arsenicos. in passenden Fällen. In einer schweren 
Erkrankung, die für Veratr. nicht passte, brachte es 
sofortige Hülfe. Vorhanden waren schmerzloser 
Durchfall, ausserordentlich qualvolles schmerzhaftes 
Erbrechen, grosse Unruhe und stetes Trinken mit 
Verlangen nach kleinen Mengen, leichte Waden¬ 
krämpfe, also ein Bild gemischt von Cuprum und 
Arsen. 

In drei Fällen wurde ich consultirt wegen eines 
Zustandes, der in etwas an Cholera sicca erinnerte; 


ich sah ihn nicht selber; er wurde mir beschrieben. 
Mehrmals täglich, bei Tag und Nacbt treten An¬ 
fälle auf, in denen die Kranken daliegen wie eine 
Leiche, eiskalt am Körper, mit kaltem Schweiss 
bedeckt, bei voller Besinnung, ohne Uebelkeit, ohne 
Stuhldrang. Diese Anfälle dauerten mehrere Minuten 
bis zu einer halben Stunde. Campher verhütete 
die Wiederkehr. 

Choleratyphoide hatte ich zwei in Behandlung, 
wovon ich einen Kranken mit unaufhörlichen Darm¬ 
blutungen verlor. 

Meine Verluste betrugen ungefähr 20 Procent, 
wenn ich, wie üblich, die schweren und mittel¬ 
schweren Fälle rechne, welche hei der Statistik 
als Cholerafälle flguriren und im Krankenhause als 
echte Cholera gezählt worden wären. Wahrschein¬ 
lich hätte sich der Procentsatz günstiger gestaltet, 
wenn ich von Anfang an auf die Diaphorese mehr 
Gewicht gelegt hätte. Eine alte Frau war schon 
kalt, puls- und sprachlos, als ich kam; bei Mehreren 
kam ich 1 — 2 Stunden vor dem Tode, eine Anzahl 
hatte schon Opium genommen und die Meisten sah 
ich erst geraume Zeit nach dem Beginn der Er¬ 
krankung. Das sind fast Alles aber Umstände, 
welche nicht allein meine, sondern jede Statistik 
mitbestimmen. Eine gedruckte, beim Ausbrechen 
der Seuche vertbeilte Belehrung würde entschieden 
die Resultate günstiger gestalten und dem Arzte, 
besonders in der Grossstadt seine Aufgabe bedeutend 
erleichtern. Die Sterblichkeit im Allgemeinen be¬ 
trug 40—45 °/ 0 . Die Schädlichkeit des Transports 
in die Krankenhäuser hat College Schlegel in seiner 
Schrift, welche auch auf die Hypothesen von Koch 
und Pettenkofer eingeht, genügend hervorgehoben. 
Bei dem Gewicht, das man auf die Diaphorese, 
zum Mindesten aber auf Warmhalten der Kranken 
legen muss, leuchtet es ein, dass die meisten Fahr¬ 
gäste Todescandidaten waren trotz wollener Decken, 
in die sie eingewickelt waren. Im günstigen Falle 
dauert der Transport 25 Minuten, in den ersten 
14 Tagen jedoch vom 25. August an, wo die Zahl 
der Erkrankungen die grösste und der Charakter 
der Krankheit der bösartigste war, wurden die 
Kranken aus verschiedenen Strassen, zuweilen aus 
verschiedenen Stadttheilen in ein und demselben 
Wagen abgeholt und der Transport brauchte so das 
Doppelte und Vierfache der obigen Zeit, wobei es 
noch vorkam, dass der Wagen wegen Ueberfüllung 
von einem Krankenhause zum andern gewiesen 
wurde. 

Die Behandlung in den Krankenhäusern be¬ 
standin Calomel oder Milchsäure innerlich, Campher- 
und besonders Kochsalzinjectionen, letztere liter¬ 
weise, subcutan. Letztere wirkten momentan be¬ 
lebend, riefen den verschwundenen Puls wieder 
hervor. In wie weit diese Einspritzungen, welche 
wiederholt werden mussten, dauernden Erfolg hatten, 

15 * 


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116 


kann ich nicht benrtheilen. Opium wurde in den 
Krankenhäusern mit Ausnahme eines kleineren (in 
Form von Stuhlzäpfchen) nicht gegeben, massenhaft 
dagegen in der Privatpraxis. 

Ich lasse die amtliche Statistik hier folgen, 
welche Interesse bietet durch das lawinenartige 
Anschwellen der Epidemie, das Verhältnis der 
Transportirten zu den Andern etc., sowie aus einer 
hiesigen Tageszeitung einen Bericht über die Prof. 
Kumpf sehe Mittheilung in der „ Deutschen Mediz. 
Wochenschrift,* welcher die bezeichnende Spitz¬ 
marke führt „Wissenschaftliche Experimente in den 
Hamburger Krankenhäusern.* 


Statistik der Transporte durch die Sanitäts- 
colonne, jeder Tag von Mitternacht zu Mitternacht 
gerechnet. 




Kranke 

Todte 



Kranke 

Todte 

Aug. 

20. 

7 

9 

Sept. 

11. 

146 

74 

»1 

21. 

18 

6 

>» 

12. 

160 

65 

11 

22. 

60 

22 

ii 

13. 

187 

47 

11 

23. 

118 

65 

ii 

14. 

157 

53 

11 

24. 

234 

64 

ii 

15. 

168 

53 

7» 

25. 

844 

101 

ii 

16. 

201 

65 

»1 

26. 

442 

196 

ii 

17. 

163 

58 

I» 

27. 

532 

274 

ii 

18. 

148 

80 

>1 

28. 

418 

266 

ii 

19. 

134 

46 

„ 

29. 

441 

209 

ii 

20. 

138 

37 

ff 

80. 

608 

268 

ii 

21. 

131 

26 

»♦ 

31. 

869 

223 

ii 

22. 

114 

21 


3491 

1693 

ii 

28. 

101 

18 

Sept. 

1. 

426 

184 

ii 

24. 

76 

18 


2. 

370 

209 

ii 

25. 

71 

19 


3. 

326 

197 

n 

26. 

65 

16 


4. 

290 

158 

ii 

27. 

68 

13 


5. 

322 

117 

ii 

28. 

66 

12 


6. 

224 

102 

ii 

29. 

42 

5 

” 

7. 

162 

92 

ii 

30. 

57 

7 

Jf 

8. 

147 

92 



8391 

3659 

f> 

9. 

158 

78 

Octob 

. 1. 

24 

5 

fi 

10. 

148 

69 

ii 

2. 

24 

1 


Uebersicht der bis zum 1. October im Ham- 
burgischen Staate stattgehabten Erkrankungen 
und Sterbefälle an Cholera. 

Nach den bis zum 2. October eingegangenen 
Meldungen sind: 

erkrankt gestorben 
August bis zum 20. 85 36 

21. 83 22 

22. 200 70 

23. 272 111 

24. 365 114 

25. 671 192 

26. 995 317 

27. 1102 455 

1. Woche 3773 1317 


August 28. 

1028 

428 

29. 

980 

893 

80. 

1081 

484 

81. 

857 

895 

September 1. 

842 

394 

2. 

810 

479 

8. 

780 

440 

2. Woche 

6878 

3013 

September 4. 

679 

293 

5. 

580 

282 

6. 

490 

258 

7. 

422 

225 

8. 

350 

157 

9. 

402 

155 

10. 

439 

178 

8. Woche 

3362 

1548 

September 11. 

854 

150 

12. 

384 

142 

18. 

293 

129 

14. 

313 

108 

15. 

314 

141 

16. 

397 

141 

17. 

338 

117 

4. Woche 

2393 

928 

September 18. 

222 

110 

19. 

234 

110 

20. 

217 

87 

21. 

198 

79 

22. 

171 

55 

23. 

158 

67 

24. 

126 

38 

5. Woche 

1886 

546 

September 25. 

95 

89 

26. 

78 

33 

27. 

82 

33 

28. 

74 

23 

29. 

49 

20 

30. 

53 

16 

October 1. 

10 

12 

6. Woche 

441 

175 

Gesammt-Summe der 



ersten 6 Woehen: 

17678 

7522 


Wissenschaftliche Experimente in 
den Hamburger Krankenhäusern. 

Professor Dr. Kumpf war ersucht worden, die 
zu Hamburg in der schweren Cholera-Epidemie 
gemachten Erfahrungen hinsichtlich der Behandlung 
möglichst bald den deutschen Aerzten zugängig zu 
machen. Der leitende Kliniker fasst demzufolge in 
einer vorläufigen Mittheilung der „Deutschen Medi¬ 
cinischen Wochenschrift* die bisherigen Ergebnisse 
zusammen, die sich auf ein im Neuen Allgemeinen 
Krankenhause behandeltes Material von etwa drei¬ 
tausend CholerafäUen stützen. Es standen zunächst 
eine ganze Keihe von chemischen Mitteln zu Gebote, 
welche eine Abtödtung der Kommabacillen innerhalb 
des Darmcanals herbeiführen sollten. Als erfolglos, 
selbst im Anfangsstadium, erwies sich hier das von 


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Hüppe und Löwenthal auf Grund theoretischer 
Erwägungen empfohlene, neuerdings sogar als Speci- 
ficum gerühmte Salol. Auch das Creolin rief in keinem 
Falle eine typische Heilwirkung hervor. Die ebenfalls 
eine Desinfection des Darmcanals anstrebenden Be¬ 
handlungsversuche von Prof. Hüppe aus Prag hatten 
leider keine besseren Erfolge aufzuweisen. Die leich¬ 
teren Fälle genasen, die mittelschweren, die als Prüf¬ 
stein dienen konnten, gingen zu Grunde. Auch mit 
Salzsäure und Milchsäure ergab sich keine günstige 
Wirkung. Dasselbe gilt von den Gresolpräparaten. 
Das als Specificum empfohlene Chlorwasser bezeichnet 
Prof. Rumpf als nutzlos, wenn es nicht gar als 
schädlich gelten müsse. Die gerbsauren Darmein¬ 
giessungen nach Prof. Cantani wurden anfangs sehr 
viel angewendet, aber in den frischen und schweren 
Fällen sehr schnell als nutzlos verworfen; günstiger 
gestaltete sich der Erfolg in den leichteren Fällen der 
späteren Zeit. Nach allen diesen ungünstigen Ergeb¬ 
nissen verwirft Prof. Rumpf ganz entschieden die 
Versuche, welche darauf zielen, den Darmcanal bei 
ausgesprochener Cholera nur zu desinficiren. Die 
einzige genügende Behandlung, welche somit übrig 
bleibt, ist der Versuch, die causa movens. hier also 
die Kommabacillen, aus dem Darmcanal zu ent¬ 
fernen. Von diesem Gesichtspunkt aus wandte man 
von Anfang Calomel (Quecksilber) an und kehrte zu 
dieser Behandlung immer wieder zurück, weil ihre Er¬ 
folge mit der Aufnahme leichterer Fälle ausserordent¬ 
lich günstig waren im Gegensatz zu vielen anderen 
Methoden. Die Caloraelbehandlung kommt vor allen 
Dingen bei der einfachen Choleradiarrhöe und dem 
ersten Stadium der Vergiftung in Betracht Da¬ 
neben hat sich für die Fälle des ersten und zweiten 
Stadiums am meisten das heisse Bad bewährt, 
welches man bei jedem abermaligen stärkeren Sinken 
der Temperatur wiederholte. Versuche, an Stelle 
heisser Wasserbäder solche von heisser Luft und 
Dampfbäder treten zu lassen, haben sich dagegen 
nicht bewährt. Neben kleinen Dosen Calomel und 
heissen Bädern sind stärkende und erregende Getränke 
natürlich von Wichtigkeit. Heisser Kaffee und Thee, 
Wein und Champagner, Camphoröl zur Einspritzung 
müssen auf jeder Choleraabtheilung vorhanden sein. 
Was endlich die Behandlung der schweren Cholera¬ 
vergiftung betrifft, so sei nur kurz erwähnt, dass sich 
hier die von Dr. Sick und Dr. Rieder eingeführte 
Einspritzung von Kochsalzlösung in die 
Venen überraschend erprobt hat; die endgültigen 
Erfolge stellen sich auf etwa 25 v. H. und sind günstig, 
weil es sich um Kranke mit schlechtester Prognose 
handelt. Die Quintessenz aller Erfahrungen lautet 
nach Professor Rumpf: „Eine specifische Therapie 
der Cholera giebt es bis jetzt nicht. Sollte es ge¬ 
lingen, ein Mittel zu findenwelches das Gift im 
Innern des Körpers vernichtet, ohne die Thätigkeit 
des Körpers zu schädigen, so wäre ein wesentlicher 


Fortschritt in der Choleraheilung gemacht. Die 
moderne Bakteriologie führt uns vielleicht auf diesem 
Wege weiter. Wir haben auch in Hamburg mit 
derartigen Versuchen begonnen, indessen würde ein 
Urtheil über deren Ergebnisse mehr als verfriiht sein. 
Sie bleiben denn einstweilen wesentlich die grossen 
Gesichtspunkte der allgemeinen Therapie der Schwer¬ 
punkt der Cholerabehandlung/ 


Beitrag zur Behandlung der Cholera 
durch Campher. 

Von Sanitätsrath Dr. Johannes Schweikert in Breslau. 

Als Dr. Rubini mit der Veröffentlichung seiner, 
wir gestehen es selbst, unerhörten Heilerfolge auf¬ 
trat, wurden diese von vielen Seiten angezweifelt 
und sogar die Behauptung mehrfach aufgestellt, 
der Campher sei bei der Cholera kein nach dem 
homöopathischenHeilgesetz passendes Medi¬ 
kament. Dieser, dem Gründer der Homöopathie, 
welcher im Jahre 1831 Campher gegen die Cholera 
empfohlen hatte, gemachte Vorwurf, ein nicht homöo¬ 
pathisches Medikament empfohlen zu haben, ist ganz 
ungerechtfertigt, denn, wenn auch homöopathische 
Verdünnungen von Campher keine der Cholera 
ähnlichen Symptome hervorrufen, so geschieht dies 
doch ganz entschieden durch grosse Gaben. 

ln Hahnemann’s kleinen medizinischen Schriften, 
herausgegeben von Stapf, Bd. n, pag. 206, findet 
sich folgende durch Campher herbeigeführte Ver¬ 
giftung aufgezeichnet: 

„Ein fünfjähriges Mädchen hatte eine Menge 
Campher verschluckt, welche sich auf 8—10 Gran 
schätzen Hess. Etwa 10 Minuten nachher er¬ 
blasste sie, wurde starr im Blick, dann ohn¬ 
mächtig, schwach und vernunftlos. In kurzer 
Zeit ward ihr der Kopf auf die rechte Seite ge¬ 
zogen und blieb so, der übrige Körper wurde 
schlaff, die Sinne erloschen. Zuweilen bewegte 
sie die Arme unwillkürlich. Die Augen drehten 
sich aufwärts, Schaum trat vor den Mund, der 
Odem war kaum zu bemerken. In ein erwärmtes 
Bett gebracht, schien sie zuweilen etwas wieder¬ 
zukehren. Man fiösste ihr starken Kaffee ein, 
aber die Sinnlosigkeit nahm sichtlich zu. Es 
trat ein heftiges Erbrechen ein, es erleichterte 
sich aber hierauf nichts; der Todeskampf schien 
zuzunehmen immer mehr und mehr. Ich goss 
ihr 4 Tropfen Opiumtinctur ein, ohne dass ich 
bemerkte, dass sie niedergeschluckt wurden; da 
ich aber nach etlichen Minuten entfernte Zeichen 
einer Hülfe wahrzunehmen glaubte, so fuhr ich 
fort u. s. w. Ä 

Der hier beobachtete Symptomen-Complex zeigt 
doch wahrhaftig entschieden genug an, dass der 


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118 


Campher kein allöop ethische 8 Reizmittel ist, für 
welchen ihn die Allöopathie ausgiebt, sondern dass 
or für den gesunden Organismus eine alle vitalen 
Tbätigkeiten herabstimmende, fast paraly- 
sirende Einwirkung hat, so dass die homöopathischen 
Aerzte, welche den Campher in einer so paralytischen 
Krankheit, wie die Cholera sich uns bei genauester 
Betrachtung und Sichtung ihrer ganzen Erscheinungen 
und nach allen Richtungen hin, darstellt, in An¬ 
wendung bringen, ihrem obersten Heilgesetz „Similia 
similibus" durchaus nicht untreu werden, wenn sie 
sich auch stärkerer Dosen, als sie bei der homöo¬ 
pathischen Behandlung sonst gebräuchlich sind, dabei 
bedienen.*) Da aber der Campher, obgleich er einen 
an Paralyse grenzenden, der Cholera sehr ähnlichen, 
adynamischen Zustand hervorzurnfen im Stande ist, 
doch andere, der Cholera eigenthümliche Symptome 
z. B. die an diese Krankheit erinnernden Darm¬ 
entleerungen nicht aufzuweisen hat, so kann derselbe 
nicht als ein so universelles Heilmittel in der 
Cholera gelten, wie er von Rubini betrachtet wird, 
sondern es werden meistentheils ausser ihm noch 
andere homöopathische Mittel in Anwendung 
kommen müssen, wenn man der Krankheit Herr 
werden will. In vielen Fällen wird sogar der 
Campher gar nicht erst anzuwenden sein, sondern 
andere specifischer passende homöopathische Arzneien. 


fleimathliche Arzneiknnde. 

Von Dr. Schier-Mainz. 

In No. 3/4 des laufenden Jahrganges der populären 
Zeitschrift habe ich die Hypothese aufgestellt, dass 
im Allgemeinen die in der näheren oder ferneren 
Umgebung eines Ortes — vor Allem einer mehr 
waldreichen in ihrem natürlichen Zustand weniger 
veränderten und kultivirten Gegend — vorkommenden 
medikamentösen Stoffe, sowohl Pflanzen als Mineralien 
und thierische Producte, zur Heilung aller in dieser 
Gegend sich entwickelnden Krankheiten genügen 
müssen. 

Dass eine solche Hypothese sich weder mit 
mathematischer Sicherheit beweisen noch widerlegen 
lässt, liegt auf der Hand; heute nehme ich Veran¬ 
lassung, einige weitere Momente zur Begründung 
meiner Anschauung an dieser Stelle vorzubringen. 

Zunächst ist klar, dass bei der schon jetzt be¬ 
kannten gewaltigen Zahl von Arzneistoffen unter 
allen Umständen ein Merkmal gefunden werden 
muss, welches dem einzelnen homöopathischen Arzte 
ein principielles Unterscheidungsmittel an die Hand 


*) Hahnemann hat uns selbst den Grund für diese 
scheinbare Ausnahme von der Regel angegeben. Siehe 
diese Ztg. Bd. 125, No. 11 112, pag. 89. — Die Red. 


giebt, vermittelst dessen er unter den ungefähr 
1000 Mitteln, welche z. B. in Dr. W. Schwabe’s 
homöopathischer Pharmakopöe aufgeführt sind, die 
für ihn hauptsächlich in Betracht kommenden aus¬ 
zuwählen vermag; denn dass er die vollständigen 
Prüfungsbilder auch nur des vierten Theiles dieser 
Mittel einigermassen genau jederzeit im Gedächtniss 
haben könne, ist offenbar undenkbar und nur sehr 
bevorzugten Köpfen möglich. 

Nun besitzen wir zwar schon eine sehr verein¬ 
fachte Arzneimittellehre, nämlich die abgekürzte 
oder biochemische Therapie des Collegen Dr.Schüssler, 
welche von homöopathischen Aerzten vielfach neben¬ 
bei angewendet zu werden pflegt; ich sage „neben¬ 
bei*, denn der Forderung Dr. Schüssler’s, .sein 
Buch sei nicht für denjenigen bestimmt, welcher 
mit nur einem Fusse das Gebiet der biochemischen 
Therapie betreten wolle und nur dann und wann, 
so oft in einem gegebenen Falle die von ihm geübte 
Heilmethode ihn im Stiche lasse, zur biochemischen 
Therapie als ultimum refugium greife* (vergl. Vor¬ 
rede zur 13. Auflage 1886), ist man bekanntlich 
nicht nachgekommen. Es liegt keineswegs in meiner 
Absicht, die Berechtigung der Schüssler’schen Thera¬ 
pie oder die Wirksamkeit seiner 12 Mittel in der 
von ihm selbst angegebenen Richtung oder gar die 
Einfachheit seiner Behandlungsweise in Abrede zu 
stellen; die Thatsache jedoch, dass dieselbe kaum 
irgendwo als alleinige Therapie hat festen Fuss 
fassen können, rechtfertigt wohl den Schluss, dass 
sie den Kernpunkt der Sache nicht getroffen hat. 
Sie ist, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen 
darf, zu „über“-natürlich, denn sie macht die Mög¬ 
lichkeit eines arzneilichen Heilens abhängig von der 
Ausbildung des menschlichen Verstandes, in specio 
von den Fortschritten der Chemie, welche uns erst 
die Eruirung und Reindarstellung jener 12 an¬ 
organischen Bestandteile des menschlichen Körpers 
ermöglichte. Es wäre in logischer Schlussfolgerung 
eine naturgesetzliche Therapie vor diesem Jahr¬ 
hundert unmöglich gewesen, wie denn die Thiere 
absolut niemals in Stand gesetzt würden, in Krank¬ 
heitsfällen sich selbst Hülfe zu schaffen. Dass dies 
den wirklichen Thatsachen weder entspricht noch 
entsprechen darf, liegt auf der Hand; die Natur 
konnte unmöglich die Erhaltung der Einzelindividuen 
von der Ausbildung des Verstandes abhängig machen, 
sonst wären auf der Erde längst alle Lebewesen 
ausgestorben, ich glaube vielmehr in meinem Auf¬ 
sätze: „Homöopathie und sonstige Heilmethoden 
vom natürlichen Standpunkte aus“ (Populäre Zeit¬ 
schrift 1892, No. 1—10) bewiesen zu haben, dass 
für das erkrankte Individuum der Verstand erst in 
zweiter Linie in Betracht kommt, und dass speciell 
unsere Vorfahren vor Hahnemann besser gefahren 
wären, hätten sie in Krankheitsfällen ihren Verstand 
ausser Acht gelassen und lediglich nach ihrem 




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119 


Instinkte sich gerichtet, ein Verfahren, das, so 
primitiv es auch heim ersten Blick erscheinen mag, 
auch heute noch allen denen in ihrem eigenen 
höchsten Interesse zu empfehlen wäre, die sich allo¬ 
pathisch behandeln lassen. Die Schüssler'sche bio¬ 
chemische Therapie wird also kaum die ausschliess¬ 
liche Arzneiheilkunst der Zukunft bilden, vielmehr 
mit dem Loose eines allerdings werthvollen Beitrags 
unserer Heil mittel lehre sich bescheiden müssen. 

Die Art und Weise, wie ich den Connex zwischen 
den an ihrem natürlichen Standort befindlichen 
Heilmitteln und den betr. Krankheiten naturgesetz¬ 
lich erklärlich finde, ist 1. c. erörtert. Dass ich 
übrigens bei Weitem nicht der erste bin, welcher 
der Prüfung und häufigeren Anwendung der ein¬ 
heimischen Medikamente das Wort redet, fand ich 
vor Kurzem beim nachträglichen Studium der Arbeit 
von Dr. Katsch: „Medicinische Quellenstudien“, 
welche bekanntlich in der Zeitschrift des Berliner 
Vereins homöopathischer Aerzte, Jahrgang 1890, 
veröffentlicht ist. Daselbst finde ich (S. 356) folgenden 
Satz des Paracelsus: „Der Arzt soll sich fleissen, 
dass er nicht in vielen Büchsen liege, nicht in den 
Arzneien, die aus weiten Landen kommen, sondern 
er soll sich befieissen, dass er nicht übersichtig sei, 
sondern vor sich niedersehe wie eine Jungfrau, so 
findet er vor den Füssen einen mehreren 8chatz zu 
allen Krankheiten, denn India, Aegipten, Barbaria 
und Graecia vermag.“ 

Als Hahnemann und seine Schüler die Arznei¬ 
prüfungen begannen, lag es ihnen offenbar nahe, 
zunächst diejenigen Stoffe zu prüfen, welche bereits 
von der allopathischen Schule empirisch angewendet 
wurden, und da diese Schule nur die Giftwirkung 
ihrer Mittel therapeutisch verwendet, so enthält ihr 
Arzneischatz vorzugsweise starkwirkende Medika¬ 
mente, welche — von den Mineralstoffen abgesehen 
— in der heissen Zone weit zahlreicher und ener¬ 
gischer wirkend Vorkommen als hier zu Lande. 
Eine unausbleibliche Folge des Verfahrens nun, 
hauptsächlich die starkwirkenden Giftstoffe über¬ 
seeischer Länder auf ihre Beziehungen zum mensch¬ 
lichen Körper zu prüfen, ist die Thatsache, dass 
wir bei alten Kräuterweibern und erfahrenen Schäfern 
in die Lehre gehen müssen, wenn wir über die 
Wirkung von Fenchel, Kümmel, Spitzwegerich, 
Pfeffermünze, Wermuth, Salbei, Hirtentasche, Heidel¬ 
beeren und vielen andern dem Volke als sehr heil¬ 
sam bekannten einheimischen Mitteln eine auch nur 
oberflächliche Aufklärung uns verschaffen wollen. 
Und wenn ich hier einige Beispiele beibringen will, 
die zur Bestätigung meiner Hypothese geeignet er¬ 
scheinen, so bin ich wiederum aus eben diesem 
Grunde genöthigt, vorzugsweise die Erfahrungen 
von Gelehrten und Forschern, welche Länder der 
heissen Zone bereisten, zu verwerthen. 

In den Werken Alexanders v. Humboldt, die 


ich theilweise zur Begründung meiner Ansicht 
durchstudirt, fand ich hübsche Belege, von welchen 
ich hier einige anführen will. In der Beschreibung 
seiner Reise in die Aequinoctialgegenden Südamerikas 
erzählt er (Band II, S. 80): 

„Wir sahen häufig Leute, welche die ungesunden 
Niederungen längs der Meeresküste von Caracas 
nach Cumana durchwandert, in Cumana krank an 
Typhus und miasmatischen Fiebern ankommen. Der 
Baum, dessen Rinde (cortex Angosturae) ein treff¬ 
liches Heilmittel gegen diese Fieber ist, wächst in 
denselben Thälern, am Saume derselben Wälder, 
deren Ausdünstungen so gefährlich sind.* 

Auf der Fahrt vopa obern Orinoco zum Rio 
Negro in Brasilien wurden A. v. Humboldt und 
sein Begleiter durch sehr starkes Jucken in den 
Fingergelenken und auf dem Handrücken geplagt, 
welches verursacht wurde durch eine Milbenart, die 
von den Eingeborenen als aradores (Ackerer) be¬ 
zeichnet werden, weil sie parallele, weissliche Furchen 
in die Haut graben. Ein Indianer heilte sie radical 
und überraschend schnell von diesem Uebel. Er 
brachte einen Zweig von einem anscheinend der 
Familie der Schot enge wüchse angehörigen Strauch 
genannt Uzao, mit kleinen, denen der Cassia ähn¬ 
lichen lederartigen glänzenden Blättern und machte 
von der Rinde einen kalten Aufguss, der bläulich 
aussah, wie Süssholz schmeckte und geschlagen 
starken Schaum gab; auf einfaches Waschen mit 
dem Uzaowasser hörte das Jucken von den Aradores 
auf. (Vergl. ibidem Bd. III, S. 305). 

Als Humboldt in Angostura am Orinoco von 
einem sehr heftigen Fieber befallen wurde, gab man 
ihm mitten im Anfall ein Gemisch von Honig und 
Extractum corticis Angosturae, ein Mittel, das die 
Capuziner in den Missionen höchlich priesen. Das 
Fieber wurde darauf stärker, (jedenfalls weil die 
Dosis des Mittels zu stark war), hörte aber gleich 
am andern Tage auf. (Vergl. ib. Bd. IV, S. 204). 

In seinem „Versuch über den politischen Zu¬ 
stand des Königreichs Neuspanien“ (Tübingen 1813, 
Band V, S. 394) erzählt derselbe da, wo er das 
gelbe Fieber in der Gegend von Vera-Cruz in 
Mexiko, dessen Ursachen u. s. w. beschreibt: „Am 
Fusse der Dünen, rings um die Behälter von trübem 
stehendem Wasser, welche als Bildungsstätten des 
gelben Fiebers und der Cholera gelten, findet mau 
nichts als niedriges Gesträuch von Croton und 
Desmanthus, die Euphorbia titymaloides, die Capraria 
biflora, die Iatropha mit Baum wollblättern und einige 
Ipomoeas.“ Von diesen Pflanzen sind Croton und 
Iatropha bekannt als ausgezeichnete Mittel zur 
Heilung von Cholera, ihre Prüfungen ergeben die¬ 
selben Symptome, wie sie die Cholera aufweist; 
die andern Pflanzen sind mir fremd, ich zweifle 
aber nicht, dass sie Symptome, ähnlich denen des 


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120 


gelben Fiebers, tbeilweise vielleicht auch noch der 
Cholera, ergeben werden. 

Interessante Belege fand ich auch in den Reise¬ 
beschreibungen Livingstones; im II. Band seiner 
„Reisen in Südafrika“ schreibt er gelegentlich der 
Schilderung seines Aufenthaltes in der portugie¬ 
sischen Station Tete am Zambesi (S. 305/308): 
»Am 4. April trat mit dem Neumond plötzlicher 
Temperaturwechsel ein, und der Commandant, ich, 
und fast alle Bewohner seines Hauses wurden von 
heftigem Fieber befallen. Mein Chinin und die 
übrigen Mittel waren fast ganz erschöpft, und 
frische Mittel hier nicht zu finden, da es keine 
Aerzte in Tete und nur eine Feldapotheke für die 
Truppen giebt, deren Vorräthe gering sind. Die 
Portugiesen sagten mir indessen, es wüchsen Cbina- 
rindenbäume bei ihnen, in geringerer Anzahl in 
Tete, ganze Wälder hei Senna und nahe am Delta 
von Kilimane. Man sieht das Walten der Vor¬ 
sehung darin, dass das Heilmittel gegen das 
Fieber in grösster Menge sich dort findet, 
wo man seiner am meisten bedarf. Als ich 
die Blätter sah, fand ich, dass es nicht die Cinchona 
longifolia war, von welcher das Chinin in den Handel 
kommt, aber aus Namen und Eigenschaft der Rinde 
erkannte ich, dass es ein verwandter Baum sein 
müsse. Die dicke weiche Rinde, der Wurzel wird 
von den Eingebornen gebraucht; die Portugiesen 
nehmen die Rinde des Baumes selbst. Ich wandte 
sogleich ein Decoct der Wurzelrinde an, und dies 
that so gute Wirkungen, dass meine Leute solche 
Rinde sammelten und in kleinen Säcken für die 
Heimkehr auf bewahrten .... Es giebt auch noch 
andere Pflanzen, welche die Einwohner bei Fieber¬ 
krankheiten anwenden; einige von ihnen bringen 
in kurzer Zeit zum Schwitzen. Es ist gewiss, dass 
wir die Kenntniss der stärksten Fiebermittel in 
unsern Pharmakopöen den Eingeborenen fremder 
Länder verdanken. Für Cholera und einige andere 
Krankheiten haben wir kein Mittel. Es wäre der 
Aufmerksamkeit derjenigen, welche Afrika bereisen, 
werth, nach andern Mitteln zu suchen, die vielleicht 
auf ähnliche Weise gefunden werden können wie 
wir das Chinin fanden.“ 

An anderer Stelle schreibt er, nachdem er die 
Wirkung des Bisses der Tsetsefliege geschildert, 
(die bekanntlich die Rinderzucht in den von ihr 
bewohnten Distrikten Afrikas ganz unmöglich macht): 
„Ein Häuptling, der vor einer Reihe von Jahren 
gestorben war, glaubte, er habe ein Heilmittel für 
das von der Tsetse gebissene Vieh entdeckt; sein 
Sohn Moyara zeigte uns eine Pflanze, die für unsern 
Botaniker eine neue war, und sagte uns auch, wie 
die Arznei bereitet werde. Die Rinde der Wurzel 
und, was wohl unsern homöopathischen Freunden 
gefallen wird, ein Dutzend Tsetsen werden getrocknet 
und zu einem feinen Pulver zusammengerieben. 


Diese Mixtor wird innerlich angewandt und das 
Vieh geräuchert, indem man nnter ihm den Rest 
der gesammelten Pflanze verbrennt. Die Behand¬ 
lung muss wochenlang fortgesetzt werden, so lange 
die Symptome der Vergiftung sich zeigen“ (Neue 
Reisen Band I, S. 257). 

In der Beschreibung seiner „letzte Reise in 
Centralafrika“ findet sich Band II, S. 46/50 folgende 
einschlägige Notiz: „Regen und hohes nasses Gras 
auf unserm Wege (im Lande der Manyuema am 
oberen Congo) durchnässte uns und brachte im 
Verein mit dem Genuss von schlechtem Wasser 
choleraartige Symptome hervor; Mohamad (sein 
Begleiter) gab Opium dagegen, aber ohne Erfolg.... 
Mir wurde Rast und Obdach zu Theil, alles Wasser, 
dessen ich bedurfte, ward abgekocht und vor Allem 
erhielt ich eine neue Kartoffelart, Nyumbo genannt, 
welche unter den Eingebornen als vorzügliches 
Heilmittel gegen die Cholera berühmt ist und auch 
auf mich ihre gute Wirkung übte. Katomba (der 
Häuptling) versah mich reichlich mit Nyumbo, die, 
abgesehen von einem leichten Arzneigeschmack, der 
sich aber verliert, wenn man beim Kochen das erste 
Wasser weggiesst und sie im zweiten Aufguss gar 
kocht, völlig der englischen Kartoffel gleicht.“ 

Zum Schlüsse führe ich noch eine Bemerkung 
an aus Stanley („Durch den dunklen Welttheil“, 
Band II, S. 401 u. folgd.): „In dieser Periode 
unserer Reise (an den Mowa-Fällen des unteren 
Congo) waren wir überhaupt allen Erkrankungen 
sehr ausgesetzt; ausser Frank (dem einzigen Europäer 
neben Stanley) litten noch 13 Personen an eiternden 
Geschwüren, an Ruhr und allgemeiner Schwäche.... 
Mittlerweile ging ich mit Uledi im Walde herum 
und besah mir das prächtige Bauholz: Eine herr¬ 
liche Tamarindus indica mit grossartiger Krone, 
sich weithin und dicht mit ihren Aesten ausbreitend, 
2,75 Meter Umfang; verschiedene Arten Rubiacun 
und Sterculiacun, Anacardium occidentale, Colanuss¬ 
baum, wilder Mangobaum, latropha curcas, Euphorbia 
antiquorum, ferner mancherlei Arten von Farm¬ 
kräutern und Aloös, und wilde Ananaspflanzen auf 
den mit Felsstücken überstreuten Abhängen.“ 

Der Vergleich der Wirkungsweise dieser Tropen- 
gewäcbse mit den Symptomen der betr. endemischen 
Erkrankungen spricht offenbar zu Gunsten meiner 
Hypothese und man wird mir wohl zugeben, dass 
derselben ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit 
nicht abzusprechen ist. 


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121 


Ein Rückblick anf die Controverse 
„Simiiibus an suggestis?“ 

Nebst kritischen Bemerkungen von Dr. med. Julius 
Fuchs-München. 

I. 

Nicht gegen den Suggestionismus im Allgemeinen 
kämpfe ich, nicht gegen dessen theoretische Grund¬ 
lagen, nicht gegen dessen Forschungsraethoden und 
praktische Erfolge, sondern ich bestreite vor Allem, 
gegen Dr. Gerster gewendet, die Unterstellung, 
dass die Homöopathen die Suggestion ab¬ 
sichtlich und aus Grundsatz anwenden, um 
jene ihnen zugestandenen Heilerfolge zu erzielen, die 
ihre Gegner sich aus dem Aehnlichkeitsgesetz nicht 
wollen erklären lassen. Ueber «Autosuggestion* 
und «unbeabsichtigte Allosuggestion 11 lässt 
sich kaum eine erfolgreiche Discussion eröffnen, da 
diese Zustände dem Willen nicht unterliegen und 
wohl unter allen denkbaren irdischen Verhältnissen 
in ganz gleicher Weise Vorkommen. Aber, die 
Möglichkeit der beiden letzten Arten von Suggestion 
innerhalb der Homöopathie zugegeben, bestreite ich 
dennoch, dass ohne deren Vorhandensein die Wirkung 
des richtig gewählten homöopathischen Mittels aus- 
bleiben würde, und gebe nie und nimmer zu, dass 
sich schliesslich das ganze Aehnlichkeitsgesetz als 
eine Suggestionsvorstellung entpuppt und die homöo¬ 
pathischen Aerzte sich im frischgeschliffenen Wunder¬ 
spiegel des Suggestionismus als einseilige Schwach¬ 
köpfe oder als betrogene Betrüger erblicken. — 
Dr. Gerster wird mir natürlich wieder mit Emphase 
entgegen halten: «Wann und wo habe ich denn 
das behauptet?“ Nur Geduld. An einer späteren 
Stelle dieser Abhandlung werde ich seine Aeusserungen 
wörtlich reproduciren und kann es dann getrost dem 
Urtheile der Leser überlassen, ob ich übertreibe, 
wenn ich behaupte, «das (Jrtheil Dr. Gerster's 
über Homöopathie will bedeuten eine Ver¬ 
nichtung der Homöopathie von ihren Grund¬ 
festen aus und einen Triumph des modernen 
Suggestionismus. 11 Zum mindesten hat Dr. G. 
nicht dafür gesorgt, dass sich bei den Lesern nicht 
logische Schlussfolgerungen bilden konnten, die dem 
vorhin Behaupteten gleichkommen. — Mir erscheint 
die Homöopathie unter dem Gesichtspunkt G.’s als 
eine lächerliche Farce. Nun wirft mir freilich 
Dr. G. Unkenntniss der einschlägigen Thatsachen 
vor. — Wohlan 1 Ich grabe die Streitaxt wieder 
aus nach langer Waffenpause! — 

Wenn ich mich im Geiste in die Zeit vor un¬ 
gefähr 12 Jahren zurückversetze, wo sich der dänische 
Magnetiseur Hansen zuerst in Deutschland mit seinen 
hypnotischen und Suggestionsexperimenten produ- 
cirte, und wo allenthalben von Gelehrten und Un¬ 


gelehrten eine wilde Hetze auf diesen jetzt so ver¬ 
dienstvoll dastehenden Mann losgelassen wurde; 
wenn ich zurückdenke, wie ich damals in München 
vielleicht der einzige Arzt war, welcher positiv für 
die Wahrheit, Echtheit und Wirklichkeit derHansen’- 
schen Thatsachen eintrat, weil ich eben damals 
schon die ältere einschlägige, von den meisten 
Anderen unbeachtete Literatur kannte; wenn ich 
als Augenzeuge zurückblicke auf die rasche und 
grossartige Umwälzung, welche durch Nachprüfung 
der Hansen’schen Experimente und durch das Studium 
ihrer Ursachen von den hervorragendsten Physio¬ 
logen und Nervenpathologen aller Länder, besonders 
Deutschlands und Frankreichs, auf dem Gebiete der 
Psychologie erzielt wurde, wenn ich das Alles mir 
vor das geistige Auge zurückrufe: so staune ich 
mit Recht über einen Gegner, der mir ungenügende 
theoretische und praktische Beschäftigung mit der 
Suggestionslehre zum Vorwurfe macht. Freilich 
aus dem Gesagten erhellt ja meine hinreichende 
Unterweisung in diesem Gegenstand bei Weitem 
noch nicht; wenn ich beifüge, dass ich gerade von 
Hansen, dem zweiten Vater des thierischen Magne¬ 
tismus, hunderte von gelungenen Experimenten 
sowohl damals 1880 als auch heuer, wo derselbe 
die Lehren der Gall’schen Phrenologie in ausser¬ 
ordentlich überzeugender Weise demonstrirte, aus 
dem Gebiete des Hypnotismus und Suggestionismus 
gesehen, so wird das Herrn Dr. Gerster noch nicht 
genügen. Ich muss ihm auch noch sagen, dass 
ich die ersten der damals über diesen Gegenstand 
erschienenen Schriften mit Begierde verschlungen 
habe; so: «die Metalloscopie und Metallo- 
therapie von Dr. Franz Müller, Wien 1879; 
diepsychologischeUrsache der hypnotischen 
Erscheinungen von G. H. Schneider, Leipzig 
1880; der sogenannte thierische Magnetismus 
von Heidenhain, Leipzig 1880; hypnotische 
Zustände und ihre Genese von Berger 1880; 
der sogenannte animalische Magnetismus 
oder Hypnotismus von Dr. Chr. Bäumler, 
Leipzig 1881; der thierische Magnetismus 
(Hypnotismus und seine Genese) von Joh. 
G. Sallis, Leipzig 1887; Hypnotismus und 
Wunder von Max Steigenberger, Augsburg 
1888“; ferner: Ueber Telepathie von Dr. J. 
Wollny, Leipzig 1888; über hypnotische 
Suggestionen, deren Wesen, deren klinische 
und strafrechtliche Bedeutung von J.G. Sallis, 
Berlin-Neuwied 1888; über die Ziele und 
Ergebnisse der experimentellen Psychologie 
von Dr. Götz Martins, Bonn 1888; über 
hysterische Schlafzustände, deren Bezieh¬ 
ungen zur Hypnose und zur grande hysterie 
von Dr. Löwenfeld, München 1891; die 
Geisterhypothese des Spiritismus und seine 
Phantome vonE. von Hartmann, Leipzig 1891; 

16 


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122 


Psyohometrie von Ludwig Deinbard, Braun¬ 
schweig 1891. Wenn ich versichere, dass ich 
die Werke MesBner’B, Hahnemann’s, Reichen¬ 
bach* s, J. Kerner’8 damals schon längst kannte, 
dass ich diejenigen Du Preis, v. Gerhardts und 
eine Menge spiritistischer Schriften, welche mit 
jenen Thatsachen in ideellem Zusammenhänge stehen, 
kennen lernte und gelesen habe wie z. B. Cumber- 
land, Simony, Heilenbach, „Enthüllungen eines 
Eingeweihten“, dann die sehr interessante „Er¬ 
klärung des Gedankenlesens von W. Preyer, 
Professor der Physiologie an der Universität 
Jena, Leipzig 1886", so dürfte das Herrn Dr. 
Gerster doch genügen, um für meine Person bei 
Besprechung des Themas „Suggestionismus" etwas 
Mehr als vollständige Unkenntniss vorauszusetzen. 
Vielleicht erfreut ihn die Erinnerung an Bernheim, 
Braid, Burg, Charcot, Forel, Liebeaalt, Magnan, 
Vigouroux, Westphal, Wilks, nicht zu gedenken 
aller derer, von denen diese hier Genannten der 
Zahl nach nur ein kleiner Bruchtheil sind. Ich 
hoffe, man wird es mir erlassen, meine Kenntniss 
der antiken Tempelgeheimnisse, soweit sie erforscht 
sind, mein Vertrautsein mit den hervorragendsten 
Vertretern der mystischen Richtung im Mittelalter: 
Paracelsus, van Helmont, R. Fludd, Maxwell u. a. 
zu beweisen, und man wird von mir nicht verlangen, 
dass ich eine „Geschichte der harmonischen Gesell¬ 
schaften seit Puysägur bis zum Ausgang des 
18. Jahrhunderts" schreibe, um mich endlich für 
befähigt zu halten, über das Thema des Suggestionis¬ 
mus ein Wort mitzureden. Was ist also dieser 
Suggestionismus und was hat er mit der 
Homöopathie zu thun? 

Nach meiner eigenen Auffassung kennzeichnet 
sich die „absichtliche Allosuggestion mit oder 
ohne Hypnose* als eine Ueberwältigung und Ge- 
fangennehmung eines menschlichen Geistes durch 
einen andern, der jenem an Kraft und Ausdauer 
überlegen ist durch ausserhalb der reinen Verbal- 
Logik liegende Mittel. Die Autosuggestion erregt 
gewisse Gehirncentren zu Ungunsten anderer Centren, 
die sie lähmt oder umgekehrt. „Hypnose" ist 
auf irgend eine Weise herbeigeführter Schlafzwang; 
während dessen Vorhandenseins können Allosug¬ 
gestionen am leichtesten beigebracht werden, ob¬ 
wohl dies mitunter auch in ganz wachem Zustand 
gelingt, zuweilen treten mit und ohne Absicht 
posthypnotische Erscheinungen ein. Die ganze Lehre 
heisst man Suggestionismus. 

Ein Hauptvertreter dieser Richtung, Dr. A. 
Freiherr von Schrenck-Notzing, sagt in seinem neuen 
Werke „die Suggestionstherapie bei krank¬ 
haften Erscheinungendes Geschlechts sinn es" 
Stuttgart 1892 darüber Folgendes: „Durch die 
Suggestion, insbesondere durch ihre Anwendung im 
hypnotischen Zustande ist uns die Möglichkeit ge¬ 


boten, die Abweichungen des Trieblebens auf ihrem 
eigenen Gebiete zu corrigiren. — 

Die genannten Erscheinungen lassen sich auch 
auffassen als Zwangsempfindungen und Zwangs¬ 
vorstellungen, welche entweder als reine Autosug¬ 
gestion auftreten, oder in organischen Bedingungen 
wurzeln. Die durch Suggestion dem Gehirn 
von anderen inducirten Vorstellungs-Reize 
sind gewissermassen Zwangsvorstellungen 
im statu nascendi, welche mit Hilfe des Gesetzes 
der ideomotorischen und ideodynamischen Reflex¬ 
übertragung bei individuell angepasster richtiger 
Redaction, bei erforderlichen Falls cumulativer An¬ 
wendung in zahlreichen Sitzungen allmählig un¬ 
widerstehliche Gewalt über das Wesen der Patienten 
erlangen und so schliesslich zu autosuggestiven 
Direktiven ihres Handelns werden. Wir sind hier^ 
nach im Stande, krankhafte Stimmungen, Affecte, 
Gefühle, Triebe, Vorstellungen mitunter selbst 
Sinnestäuschungen abzusuggeriren. Die suggestive 
Einwirkung findet jedoch ihre bestimmte Grenze 
an ererbten in organischen Bedingungen wurzelnden 
Anlagen oder Dispositionen des Gehirns und ebenso 
an „besonders tief im psychischen Mechanismus 
fundirten Phänomenen" (v. Krafft-Ebing). Ich (der 
Verfasser) glaube, diese beiden Definitionen dürften 
jeden Leser überzeugen, dass die Homöopathie zu¬ 
nächst Nichts mit dem Suggestionismus zu thun 
hat, dass sie aber, die obige Definition Schrenck- 
Notzing's als gütig angenommen, ganz wohl in der 
Lage wäre, den Erfolg der Suggestion auf das 
Aehnlichkeitsprincip zurückzuführen. Wir haben 
das indess nicht nöthig und wollen uns hier lieber 
mit der Prüfung der Behauptung der Gefähr¬ 
lichkeit der Hypnose und Suggestion be¬ 
schäftigen, die ich in meinem letzten Aufsatz betont 
habe, was Dr. G. sehr lächerlich zu machen sucht. 
Nun, er hat seine Gewährsmänner und ich die 
meinigen. Für ihn spricht Grossmann sogar von 
einem „Märchen der Gefährlichkeit"; auch Hansen 
hält die Anwendung von 8uggestionismus und 
Hypnose für unbedenklich (sehr pro domo); die 
übrigen Autoren sagen: „Der mit richtiger Indivi- 
dualisirungzu therapeutischen Zwecken angewendete 
Hypnotismus ist ohne jeden Nachtheil." Diese 
strengen Bedingungen scheinen mir schon jene Be¬ 
denken in sich zu schliessen, die ich früher ge- 
äussert habe, dass es wohl nicht immer möglich 
(moralisch möglich!) sein wird, die Suggestion auf 
den Heilbefehl zu beschränken. Ueber die Ge¬ 
fahren des Hypnotismus schreibt nur Minde 
in seinem Buche über Hypnotismus ein 
ernstes Wort. Wenn ich dazufüge, was Krafft- 
Ebing in seinem Lehrbuch der Psychiatrie Stutt¬ 
gart 1888 über Zwangsvorstellungen sagt, so kann 
ich mich über die Ungefährlichkeit der Suggestion 
doch nicht so ganz beruhigen, v. Krafft-Ebing 


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123 


nennt (Seite 68 s. W.) die Zwangsvorstellungen 
„spontane primäre Schöpfungen eines abnorm orga- 
nisirten oder eines erkrankten Gehirns, unmittelbare 
Erzeugnisse aus der Mechanik des unbewussten 
Geisteslebens heraus, wie solche die Mehrzahl der 
Hallucinationen auf psychosensoriellem Gebiet dar¬ 
stellt/ Wenn von Krafft-Ebing hier auch nur 
die idiopathischen Zwangsvorstellungen im Auge 
hat, so wirft seine Erklärung doch ein eigenthüm- 
liches Licht auf den geistigen Untergrund deijenigen, 
die suggestiv zugänglich sind. Auch aus einer 
anderen Aeusserung v. Krafft-Ebing’s (Seite 524) 
lässt sich für meine Meinung ein Beleg construiren, 
wenn wir für spontane und artificielle Zwangs¬ 
vorstellungen die gleichen Voraussetzungen in Bezug 
auf Gehirnmechanik substituiren. Hier sagt er: 
„— ein neuer fixer lästiger, quälender Gedanken¬ 
kreis tritt an die Stelle des verschwundenen. Dies 
ist um so mehr zu befürchten, als der durch das 
Zwangsvorstellen erzeugte reactive emotive Zustand 
die Hemmungsfähigkeit der Willens- und der 
Associationsleistung herabsetzt, überhaupt der durch 
den Anfall hervorgerufene Excess von Hirnarbeit 
das Denkorgan temporär noch mehr in den Zustand 
der Neurasthenie, der reizbaren Schwäche versetzt.* — 
Die Suggestionisten behaupten freilich, das seien 
lauter irrige Vorstellungen, sie könnten ja sogar 
vollständiges Wohlbefinden nach der Narcose (»post¬ 
hypnotische Suggestion*) suggeriren. 

Hören wir eine Autorität darüber. Dr. med. 
Prof. Cbr. Bäumler sagt in seinem Buche über den 
Hypnotismus Seite 66 Folgendes: „Ich glaube, wir 
leisten chronisch Nervenleidenden, nachdem wir 
Alles gethan haben, was ihr körperliches Wohl er¬ 
heischt, einen bessern Dienst und zeigen, sofern 
ihre Einsicht und ihr geistiger Zustand sie einer 
derartigen Ueberlegung überhaupt zugänglich macht, 
mehr Achtung vor ihrer Persönlichkeit, wenn wir 
sie in geeigneter Weise auffordern, ihre Willens¬ 
kraft anzustrengen, durch eine Thätigkeit sich ein 
Object des Interesses zu schaffen, als wenn wir, 
ohne dass ganz bestimmte Krankheitssymptome 
einen Versuch mit Hypnotismus rechtfertigen, auf 
dem Umweg einer sogenannten „magnetischen* Cur 
eine Besserung oder Heilung zu erreichen suchten, 
selbst wenn sie auf diesem Weg zu erreichen 
wäre. Denn in ersterem Falle haben wir als einen 
sehr wirksamen Bundesgenossen bei unseren Heil¬ 
bestrebungen den bewussten Willen der Kranken, 
weichet durch die Uehung allmählig erstarkt; in 
letzterem würden wir, selbst wenn in Zukunft die 
phrenohypnotischen Hoffnungen Braids sich erfüllen 
sollten, wenn es gelänge, die Methode so auszubilden, 
dass der Arzt auf der Claviatur der Seele seines 
hypnotisirten Patienten spielen könnte, wie auf einem 
Instrument, der wichtigen Wirkung, welche be¬ 
wusstes Empfinden und Handeln begleiten, nämlich 


die Erregungen viel fester, und als ein auch für 
die Zukunft stets verwerthbares Material, dem 
Gedächtniss einzuprägen, entrathen müssen. Wie 
es aber bei der Erziehung Gesunder ein Hauptziel 
sein muss, vor Allem Selbstständigkeit zu entwickeln, 
so müssen wir auch Nervenleidende möglichst wieder 
auf ihre eigenen Füsse zu stellen und die normale, 
den äusseren Verhältnissen entsprechende Regulation 
ihrer Empfindungen und Bestrebungen wieder in 
ihre eigene Seele zu verlegen suchen.* 

Ich überlasse das Herrn Dr. Gerster zur gütigen 
Betrachtung. 

Ueber die Technik der Hypnose kann ich 
mich hier nicht verbreiten, nur so viel, dass alle 
monotonen Sinnesreize Hypnose erzeugen können. 

Die Suggestion ist natürlich eine verbale, 
auch symbolische und zuweilen, wie einige be¬ 
haupten, rein mentale. Letztere ist ungenügend 
bewiesen. 

Ich (der Verfasser) für meinen Theil glaube 
daran auf Grund unabsichtlicher persönlicher Er¬ 
fahrungen. 

Der hypnotische Zustand selbst wird von 
den Forschern in verschiedene Stadien eingetheilt. 
Am bequemsten ist es, mit Forel 3 solche anzu¬ 
nehmen : 


1. Somnolenz — der Beeinflusste leistet noch 
leichten Widerstand. 

2. Hypotaxis. — Die Suggestion wirkt. Ge¬ 
dächtnis intact. 

3. Somnambulismus. — Gedächtniss erlischt. 
Das Vorstellungsvermögen reagirt lebhaft auf 
jede Suggestion. 

Nach dem 2. und 3. Grad kommen post¬ 
hypnotische Erscheinungen mit und ohne Ab¬ 
sicht von Seite des Hypnotiseurs vor. Unabsicht¬ 
liche lassen sich durch rechtzeitiges Verbot in der 
Hypnose verhindern. 

Die „internationale Empfänglichkeit* für 
Hypnose und Suggestion stellt sich so: 

Refractär 6 °/ 0 
Somnolenz 29% 

Hypotaxis 49% 

Somnambul 15% 

(v. Schrenck-Notzing.) 

Nach alle dem wird Niemand behaupten können, 
dass er jemals in der Sprechstunde oder heim Be¬ 
such eines homöopathischen Arztes solche Zustände 
sich vorführen sah, künstlich zu dem Zwecke her¬ 
vorgerufen, um einer unter dem Deckmantel der 
Homöopathie verabreichten Arznei erst die richtige 
Wirkung gegen irgend ein Leiden zu verschaffen. 
Was sollte denn da das Studium der Arzneimittel¬ 
lehre noch für einen Sinn haben, oder gar eine 
Arzneiprüfung von der Sorgfalt, wie es die homöo¬ 
pathischen sind? Wohin kommt da das Similegesetz 

16 * 


für München: 


12,08% 
17,50% 
41,67% 
28,75 o/ 0 


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124 


und die ganze Homöopathie, wenn wir Suggestion 
brauchen? Ich glaube es auch nicht, dass inan sie 
braucht, um ein glücklicher, erfolgreicher Homöopath 
zu sein. In einer 17jährigen homöop. Praxis habe 
ich mich (abgesehen von den mir schon längst be¬ 
kannten Erfolgen meines Vaters und Anderer) von 
der Vorzüglichkeit dieser „Methode“, von der Wahr¬ 
heit und Fruchtbarkeit ihrer Grundsätze so sehr 
überzeugt, dass ich nicht so leicht dazu gebracht 
werden kann, die Freundschaft mit der Homöopathie 
aufzugeben und mich dem Suggestionisraus in die 
Arme zu werfen. Herr Dr. G. wird es vielleicht 
jetzt begreiflich finden, dass ich mich immer noch 
ablehnend gegen die Zumuthung verhalte, dass ohne 
Suggestion keine Therapie, in specie keine Homöo¬ 
pathie mehr möglich sei und dass die bisherige 
Homöopathie bewusst oder unbewusst auch nur auf 
Suggestionismus beruht habe. Meine Gründe sind 
folgende: 

1. Sehe ich in dem modernen Suggestionismus 
überhaupt nichts Neues, sondern nur zielbewusste 
therapeutische Verwerthung längst gekannter Er¬ 
scheinungen des sicher uralten „thierischen Magne¬ 
tismus“, der in Frankreich beim Beginn der grossen 
Revolution seine Blüthezeit hinter sich hatte, in 
Deutschland aber hauptsächlich noch nach den 
Befreiungskriegen florirte. Nur an dem Namen 
»Suggestion“ haftet der Reiz der Neuheit. 

2. Gerade in jene Zeit (Ende des vorigen Jahr¬ 
hunderts) fällt die Entdeckung der Homöopathie. 
Sie wurde ganz unabhängig von allen Mesmerischen 
Erfahrungen gefunden, erweckte auch ein Special¬ 
interesse für sich, zeitigte ihre eigene Literatur 
und wurde niemals mit dem Mesmerismus identi- 
ficirt. Hahnemann hat seine originelle Anschauung 
über Mesmerismus auf einer einzigen Seite seines 
„Organon“ ausgedrückt. — 

3. Die Leistungen des Snggestionismus, wie sie 
von Dr. G. aufgezählt werden, können vielleicht die 
Bewunderung von Laien, von allopathischen Aerzten 
und Anhängern aller möglichen Systeme finden; die 
der Homöopathen wird sehr mässig sein; denn das 
Alles können wir selbst und zwar schon lange; 
wenn auch durch andere Mittel. 

4. Von jeher haben alle homöopathischen Aerzte 
die Wirkung der homöopathischen Arzneien für 
eine pharmakodynamische und nicht für eine 
suggestive gehalten. Nur Wenige vertreten die 
Ansicht, dass beim Potenziren eine Magnetisirung 
der Arznei eintrete — eine ganz unhaltbare An¬ 
schauung, die übrigens gar nicht hierher gehört. 

5. Ist es merkwürdig, dass Dr. G. uns drei 
Homöopathen Dr. Pfänder, Dr. Lorbacher und mir 
Unkenntni8S des Gegenstandes vorwirft, nachdem er 
ja seine ganze Abhandlung nur deshalb geschrieben 
hat, um den Homöopathen „den Floh ins Ohr zu 
setzen“, die Homöopathen wirkten durch Suggestion. 


Braucht man also dazu keine Kenntnisse? Geht 
das bei uns ganz von selbst? — Das ist eine billige 
Art der Discussion, aber auch eine — unbillige, 
besonders wenn die Wahrscheinlichkeit gegen die 
Unterstellung spricht. Ich bin überzeugt, dass so 
erfahrene Aerzte wie die Herren Dr. Pf. und Dr. L. 
mit der Hauptliteratur des Magnetismus vertraut 
sind und sich vielleicht nur durch den neuen Namen 
»Suggestion“ verblenden liessen, ihre eigenen Kennt¬ 
nisse auf diesem Gebiete nicht ausgiebiger zu ver- 
werthen im Kampfe um die Reinheit der Homöo¬ 
pathie. 

6. Möge Herr Dr. G. die Güte haben, in Bd. 124 
No. 11 und 12 dieser Zeitung Seite 88 den für 
ihn vielleicht interessanten Aufsatz des Herrn Dr. 
Gallavardin in Lyon nachzulesen über „das Ver¬ 
ordnen homöopathischer Arzneien in Speise und 
Trank“. Hier kann er seine ungläubige Seele über¬ 
zeugen, dass die Homöopathie an und für sich mit 
Suggestionismus nichts zu thun hat. 

7. Muss ich wieder auf die Gefahren der Sug¬ 
gestion zurückkommen, worüber ich die bisherigen 
Erfahrungen noch nicht für gegenbeweisend genug 
erachte. Man sehe zu, was die „populäre* Suggestion 
schon für Früchte gezeitigt hat; so wird man die 
Bedrohung der Willensfreiheit nicht mehr mit Herrn 
Dr. G. für einen „beliebten Wauwau* halten. 

Bäumler sagt Seite 66 s. W.: „Gerade das 
aber, was die frühere sogenannte „magnetische Be¬ 
handlungsmethode“ begünstigt und zur Folge gehabt 
hat, dass die unglücklichen nervenschwachen Ge¬ 
schöpfe, welche allmählig immer tiefer in die Bande 
ihrer abnormen Gehirntbätigkeit verstrickt wurden, 
in einen Zustand jahrelanger, kläglicher, wenn auch 
meist selbst gewollter Abhängigkeit von „ihrem 
Magnetiseur“ geriethen, so dass nur dieser auf sie 
einen Einfluss ausüben konnte, müssen wir zu ver¬ 
meiden suchen.“ 

Herr Dr. G. ersieht hieraus, dass man „dem 
Wesen der Suggestivtherapie sehr nahe getreten 
sein“ und doch an einen „suggestiven Rapport“ 
glauben kann. Dazu gesellt sich meine eigene 
Erfahrung. Schon vor ungefähr 3 Jahren habe 
ich mich in Gegenwart dreier Zeugen mittelst 
Krystallfixirung selbst erfolgreich hypnotisirt. Nach 
ungefähr 10 Minuten begann ein kurzes, hastiges 
immer mehr beschleunigtes Athmen, krampfhaftes 
Blinzeln der zum Schluss neigenden Augenlider; 
mimische Gesichtskrämpfe traten ein; Leichenblässe 
des Gesichts und der Hände, kalter Schweiss, Eis¬ 
kälte aller Prominenzen, gänzlicher Vorstellungs¬ 
mangel, gänzlicher Verlust des eigenen Willens, 
vollständiges Gefühl eigener Hülflosigkeit erzeugten 
in mir ein lebhaftes Verlangen nach der Einwirkung 
eines fremden Willens auf mich. Durch Anrufen 
und Anblasen wurde ich aufgeweckt und war er¬ 
staunt über den Ausdruck des Entsetzens, den ich 


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125 


auf den Gesichtern meiner Zuschauer lagern sah; 
ich werde es nie vergessen. Leider wurden durch 
diesen Schrecken der Umgebung über mein Aus¬ 
sehen und meinen Zustand alle weiteren hypnotischen 
Experimente, welche meinem damaligen Gefühl nach 
unbedingt gelungen wären, verhindert. In den 

2 darauffolgenden Nächten schlief ich je 12 bis 
14 Stunden, auch unter Tags hatte ich viel Schlaf. 
Sonst keinen Nachtheil. C. Hansen sagte mir, dass 
solche Selbsthypnosen häufig unangenehm wirken. 
Bei Fremdhypnosen komme das nicht leicht vor. 
So viel weiss ich, dass die Homöopathen schlimm 
daran wären, wenn je einem von ihnen in der 
Praxis bei Patienten so etwas begegnete, während 
er nur eine Ä Heilsuggestion* zu appliciren suchte. — 

Ueberhaupt liegt der Homöopathie jedes den 
beabsichtigten Suggestionismus kennzeichnende Mittel 
ferne; wo die Natur ihr selbst zu Hülfe kommt und 
Autosuggestionen erzeugt, kann sie doch nicht als 
Plagiatorin verantwortlich gemacht werden; denn 
das grössere Vertrauen, das sie angeblich geniesst, 
hat sie sich jedenfalls rechtlich erworben und ver¬ 
dient es. Aber sie ist in keiner Weise ab¬ 
hängig vom Suggestionismus, sondern eine 
selbstständige Wissenschaft, die nach eige¬ 
nen Principien handelt, welche auf der Ent¬ 
deckung der specifischen Relation zwischen 
den erkrankten Geweben und den aus den 

3 Naturreichen stammenden Stoffen basiren. 

(Schluss folgt.) 


Die zeitweilig herrschenden 
Heilmittel. 

Dierkes-Paderborn hat wieder Laches. (Cupr. 
Nux vom.) -f- Chin. (W.) bei gleichzeitigem Er¬ 
griffensein der Leber, Galle, Milz und Nieren mit 
den daraus resultirenden Folgezuständen. 

Leeser-Bonn hatte vom 20.—23./9. vorherrschend 
= Calcar. carb. (Jod -(- Thry.), vom 24. ab KaL 
bichromic., seit dem 29. = Veratr. alb. (Ac. phosph. 
+ Ignat.) (W.). 

Schwarz-Baden-Baden fand von Ende Aug. bis 
Mitte Sept. bei cholerineartigen Erkrankungen be¬ 
sonders bei Kindern Ipecac. am 13. und 14./9. Op., 
= Veratr. (Ac. phosph. -f- Ignat) und = Chelidon. 
(Ac. nitr. Bell.); dann einige Tage lang bei 
schwülem, gewittrigem Wetter bei Durchfällen 
Ipecac.; vom 22.—24./9. = Plumb. (Oupr. -f- 
Cham.); vom 25.—27./9. = Chelidon. (Ac. nitr. -j- 
Bell.): acute Rachenkatarrhe, Rheumatismus des 
Nackens; am 28./9. daneben = Plumb. (Alles 
nach W.). 

Kirn-Pforzheim berichtet am 29./9. von ziemlich 
häufigen Leberaffectionen, bei denen Card. mar. (H.) 
bessere Dienste leistet als Cheli (H.). 


Ich-hier hatte vorwiegend vom 20.—25./9. 
= Laches. (Baryt, carb. Tarax.); vom 26./9. 
bis 1./10. vorwiegend = Arnica (Ac. muriat. -f- 
Laches.), daneben mehrfach Combinationen von 
Baryt, carb. + Beilad., Lactuc. vir., Led. pal. 
Millefol., Sabadill., Tone.; am 2./10. vorwiegend 
Led. pal. -f- Baryt, carb. (= Silic.) und -f- Natr. 
mur. (= Tartar, stib.); vom 3.—5./10. wieder 

Laches. (Baryt, carb. -(- Tarax.); heute vor¬ 
wiegend = Mercur. (Baryt, carb. -f- Bell.) (Alles 
nach W.). 

Buob-Freudenstadt hatte am 29-/9. noch Magen- 
Darmkatarrhe mit Leber- auch Herzaffectionen: da¬ 
bei Hauptmittel Natr. carb. -(- Jod (W.) vereinzelt 
auch Natr. sulf. und Mercur. 

Sigmundt-Spaichingen berichtet am 1./10. von 
niederem Krankenstand. Ein epidemisches Mittel 
hat er deshalb nicht. 

Hafa-Herrnhut hat fast nur chronische Krank¬ 
heiten vorwiegend mit Ac. nitr. oder Baryt, carb. -f- 
Sabin. oder -f- Tabac. oder -(- Con., in den letzten 
Tagen auch -f- Stramon. (W.). 

Stuttgart, den 6. October 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Referate. 

Dr. J. Fröhlich, K. S. Stabsarzt: Das natürliche 
Zweckmässigkeitsprincip in der Pathologie und 
Therapie {Grundlage und Ziel der Therapie vom 
teleologischen Standpunkt). Berlin und Leipzig, 
Louis Heuser, 1892, 152 S. 8. 3 M. 

Ueberall gäbrt es in den eigenen Reihen der 
Allöopathen, und wo immer man die Scholastik 
mit den Hülfsmitteln der Logik, der Erfahrung, ja 
des gesunden Menschenverstandes packt, da erweist 
sie sich als morsch und untüchtig. Das beweist 
wieder aufs Neue das vorgenannte Werk. Der 
Verfasser war selbst früher Mitredacteur einer der 
bedeutendsten allöopath. Zeitschriften und wenn er 
nun hier in hübscher und wissenschaftlicher Weise 
den Kampf schildert, den auch jeder homöopath. 
Arzt mein: oder minder siegreich bestanden haben 
muss, ehe er sich von der Unzulänglichkeit der 
scholastischen Therapie zu überzeugen vermochte, 
und die Gründe für seine wissenschaftliche Apostasie 
angiebt, so kann uds dies nur sympathisch berühren. 
Die Homöopathie erwähnt er in seinem Buche zwar 
nicht, jedenfalls nur aus dem Grunde, weil ihm 
ihre Principien bei Abfassung seines Werkes un¬ 
bekannt waren, und die Resultate, zu denen er ge¬ 
langt, werden dem homöopath. Arzte nicht ganz 
genügen, sie charakterisiren aber treffend die nächste 
Zukunft der heutigen Allöopathie; der Verfasser 
schiesst eben übers Ziel hinaus und kommt erst 
zur Ruhe auf dem Boden des medikamentösen 


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126 


Nihilismus in erneuerter Auflage, der Suggestions¬ 
therapie und der Naturheilmethode, welche letztere, 
als ausschliessliche Therapie, voraussichtlich in 
kürzester Frist wieder mit dem Ahwirthschaften 
beginnen dürfte. Aus diesen Gründen vermag 
Fröhlich nur wenig Positives für die Praxis zu 
bieten — was er vielleicht auch nicht beabsichtigt 
hat — anderseits sind die Gründe, welche ihm zur 
Verurtheilung der antiphlogistischen, antipyretischen, 
antibacillären, kurz aller ,Anti"behandlung8roethoden 
Anlass geben, in einer durchaus sachlichen und 
wissenschaftlichen Weise durchgeführt; besonders 
die Kapitel über Wesen und Zweck der Entzündung, 
des Fiebers, der Schweisssecretion, die Kritik der 
verschiedenen Hypothesen über Immunität und 
Disposition gegenüber den Infectionskrankheiten sind 
ausserordentlich interessant, und die Grundsätze, 
welche dem Verfasser zur Richtschnur dienten, dass 
nämlich „ einerseits der menschliche Organismus ein 
einheitliches Ganzes und stets auch dementsprechend 
zu behandeln ist, und dass andererseits alle natür¬ 
lichen Vorgänge, die in ihm sich in gesetzmässiger 
Weise vollziehen, für seine oder seiner Art Er¬ 
haltung auch von höchster Zweckmässigkeit sind“ 
kann der homöopath. Arzt nur unterschreiben, wie 
er überhaupt das Buch mit jener Befriedigung aus 
der Hand legen dürfte, welche die spontane Be¬ 
stätigung der eigenen Ueberzeugung seitens eines 
in sonstiger Hinsicht Andersdenkenden zu gewähren 
vermag. 

Einen weiteren, nicht hoch genug zu veran¬ 
schlagenden Werth aber besitzt das Buch insofern, 
als es vermöge seiner ganzen Schreibweise wie 
kaum ein zweites geeignet sein dürfte, den allöo- 
pathischen Arzt von der Nichtigkeit, ja Schädlich¬ 
keit seiner Behandlungsweise zu überzeugen und so 
indirect der Homöopathie neue Anhänger zu ver¬ 
schaffen, wenn es nicht von den Hohenpriestern der 
Scholastik — todtgeschwiegen wird. Dr. Schier. 


„Homöopathie und Cholera “. Zur Beurtheilung, 

Verhütung und erfolgreichen Behandlung der 
Seuche. Von Emil Schlegel, Arzt in Tübingen. 

Unter obigem Titel ist im Selbstverläge des 
Verfassers ein kleines Sehriftchen erschienen, welches 
durch seinen Inhalt sowohl wie speciell durch seine 
praktischen Hinweise volle Berücksichtigung ver¬ 
dient. Nach einem historischen Ueberblick über 
die homöopathische Behandlung der Cholera be¬ 
spricht Verf. auch die Wasserbehandlung derselben, 
welcher er das Wort redet. Bezüglich der Genese 
und Verbreitungsweise der Seuche steht er auf 
dem Standpunkte Pettenhofer’s und verwirft dem¬ 
gemäss die speciell auf die bakteriologische Forschung 
basirten Massnahmen gegen die Cholera. Verf. 
will die Choleratransporte nach den Krankenhäusern 


beseitigt, mindestens modificirt sehen, weil durch 
sie der Allgemeinheit nichts genützt, den Kranken 
aber durch Zeitversäumniss geschadet werde. Er 
befürwortet die Einrichtung besonderer isolirbarer 
Cholerazimmer in jedem Hause, wo ein Krankheits¬ 
fall eintritt oder wo man sich vorbereitet halten 
will, und giebt deren Einrichtung genauer an. Zum 
Schlüsse giebt Verfasser wohl zu beherzigende An¬ 
weisungen über die persönliche Prophylaxe, sowie 
über die medikamentöse und diätetische Behandlung 
der Cholerakranken. Zwei briefliche Mittheilungen 
unseres Collegen Hesse in Hamburg an den Ver¬ 
fasser, welche die Richtigkeit der von Schlegel 
entwickelten Gedanken bestätigen sollen, schliessen 
die kleine Abhandlung. Dr. Stifft. 


Die pharmaceutisehe Zeitung (Berlin) bringt in No. 79 
vom 1. October 1892, 37. Jahrg. folgenden 
Artikel. 

Elberfeld. Unter der Begründung, dass in den 
Kreisen der Anhänger der Homöopathie, welche 
mindestens den achten Theil der Einwohnerschaft 
Elberfelds darstellten, bei der Möglichkeit einer 
Verschleppung der Cholera nicht geringe Aufregung 
und Bewegung herrsche, weil die Homöopathen 
fürchteten, im Falle der Erkrankung in die städtischen 
Choleralazarethe gebracht und daselbst der allöo- 
pathischen Behandlung unterworfen zu werden, 
sowie unter Hinweis darauf, dass die Homöopathie 
über eine Reihe von Arzneimitteln verfüge, deren 
speciflsche Wirksamkeit bei Cholera sich stets be¬ 
währt habe und statistisch nachgewiesen sei, hatte 
der hiesige homöopathische Verein und der Verein 
zur Errichtung eines homöopathischen Kranken¬ 
hauses im Wupperthal an die hiesige Stadtverordneten¬ 
versammlung eine Eingabe gerichtet, in welcher um 
Ermöglichung einer homöopathischen Behandlung 
etwaiger Cholerakranker in den städtischen Kranken¬ 
anstalten gebeten wurde. Die Stadtverwaltung 
hat darauf entschieden, dass den in das 
Epidemiehaus aufgenommenen Kranken ge¬ 
stattet sei, sich auf Wunsch von einem in 
Deutschland approbirten homöopathischen 
Arzte behandeln zu lassen. (Köln. Ztg) 

Steinmetz. 


Lesefrüchte. 

Beachtung verdient folgender Auszug der 
„Excerpta medica“ in No. 6, 1892: 

Ueber einige Fälle von ohne erneute Intoxication 
recidivirenden Koliken und Lähmungen bei Blei¬ 
kranken berichtet M. Bernhardt. Die betreffenden 
Personen hatten ihren Beruf, der sie mit Blei in 
Berührung brachte, schon jahrelang aufgegeben und 


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127 


erkrankten doch plötzlich wieder mit jenen Symp¬ 
tomen der Bleiintoxication. Jedenfalls wird ein 
irgendwo noch aufgespeichertes Giftquantum durch 
irgend welche sich unserer Erkenntuiss zur Zeit 
noch entziehende Ursache in den Kreislauf gebracht 
und gelangt so zu neuer Wirkung. (Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Nervenheilkunde. Centralblatt f. d. med. 
Wissensch. 1892. No. 4.) 

Es ist dies ein gutes Beispiel för die Lehre 
der Auf- und Entspeicherung von Stoffen im Körper, 
wie sie Prof. Jäger erst in der Broschüre „Gleich 
und Aähnlich“, dann in „Stoffwirkung in Lebewesen“ 
in Cap. C., M. und N. entwickelt. 

(Aus „Excerpta medica“ No. 6, 1892.) 

Bei 8 Fällen chronischer interstitieller N. sah 
Le Cronier Lancoster urämische Hauteruptionen, 
die zuerst unter der Form von hellrothen Maculae 
und Papeln auf den Streckseiten der Hände, Unter¬ 
arme und Unterschenkel erschienen, von da sich 
aber rasch über den ganzen Körper ausbreiteten, 
indem sie sich innerhalb weniger Tage auf eine der 
drei folgenden Arten veränderten: 1. Sie Hessen 
allmählig nach, unter starker Abschuppung und 
Hinterlassung verdickter bräunlicher Hautstellen. 

2. Sie wurden ekzematös, unter Bildung von Krusten. 

3. Die ekzematöse Form ging in Pustel- und Ab- 
scessbildung über. — Bei allen drei Arten heftiges 
Jucken und üble prognostische Bedeutung. Bei 
7 Fällen innerhalb 5 Wochen nach Ausbruch der 
Eruption Exitus letalis. (Clinical Society of London. 
— Allg. med Central-Ztg. 1892. No. 10.) 

Ein einfaches Becept zur äusseren Behandlung 
der Rhagaden an der Brustwarze kommt in „Excerpta 
medica“ No. 6, 1892: 

Rhagaden der Mamma bestreicht Frank van 
Allen mehrmals am Tage mit dem Weissen eines 
Hühnereies; unter dem sich bildenden zarten Häut¬ 
chen geht die Heilung rasch von statten Appli¬ 
cation am besten nach dem Stillen. Das Eiweiss 
lässt man gut trocken werden, ehe man die Brust 
wieder bekleiden lässt. (The Lancet. — Allgem. 
medic. Central-Ztg. 1891. No. 99.) 

Ein neues diagnostisches Hülfsmittel ist die 
Thermopalpation über die in „Excerpta medica“ 
No. 6, 1892 folgendermassen referirt ist: 

Thermopalpation . Dr. M. Fritz (Frankfurt a M.) 
gelang es, durch Abtastung der Temperaturunter¬ 
schiede der menschHchen Haut mit der blossen Hand, 
ohne Apparate, ohne irgendwelche Vorbereitungen, 
nicht nur die Grenzen gesunder Organe so genau 
festzustellen, wie es durch Percussion möglich ist, 
sondern auch bei Lungenerkrankungen sich über 
Sitz und Ausdehnung genau zu orientiren. Die 
Hautdecke über allen lufthaltigen Organen ist höher 


temperirt, wie über luftleeren, also die Haut über 
den Lungen ist wärmer, als die über dem Herzen 
und der Leber befindliche, ebenso die über luft¬ 
haltigem Darm wärmer als die über Milz und Leber. 
Die verschieden warmen Bezirke sind durch scharfe 
und deutliche Grenzen von einander getrennt und 
die Grössenveränderungen der Organe übertragen 
sich auch prompt auf die thermischen Grenzen. 
Der Autor verwendet die Fingerspitzen, die mit 
leichtem Druck streichend über die Haut geführt 
werden, event. die dorsalen Flächen der ersten und 
zweiten Phalangen, und bei grösseren Flächen, z. B. 
am Rücken, den ganzen Handteller. Im Anfang 
rathsam, beide Hände zugleich zu verwenden, um 
sich die Wahrnehmung zu erleichtern, z. B. bei 
Bestimmung der Herzgrenzen vor dem Patienten 
stehend mit der rechten Hand dessen linken Seite 
und zugleich zur Controlle mit der linken Hand 
dessen rechte Seite von oben nach unten zu über¬ 
streichen. Da das Kältegefühl momentan erscheint, 
das Wärmegefühl aber langsam anschwillt, soll man 
von den vermuthlich wärmeren Theilen nach den 
kühleren streichen, also nicht von dem kühleren 
Herzen aus die wärmeren Lungen palpiren, sondern 
bei letzteren anfangen und so die Herzgrenzen be¬ 
stimmen! Auf diese Weise stellte Fritz genau die 
Grenzen der Organe fest und fand bei Lungen- 
affectionen, dass 1. Phthisis, selbst im Anfangs¬ 
stadium sicher durch die Th. nachgewiesen werden 
kann, indem die über der infiltrirten Stelle liegende 
Haut kühler erscheint; die Abkühlung ist ungemein 
deutlich über Cavemen, leeren oder gefüllten, und 
hier die Diagnose leicht; 2. bei Pleuritis mit frischen 
Exsudaten, über welchen, da sie sich über den luft¬ 
haltigen Lungen befinden, die Abkühlung ebenfalls 
sehr deutlich ist, wogegen die Höhe des Exsudates 
festzustellen bisher noch nicht gelungen ist; 3. bei 
Pneumonie die frisch entzündete Lunge wärmer, 
wie die normale ist und erst recht wärmer, als die 
im Stadium der grauen Hepatisation befindUche; 
ist also bei Pneumonie im Bereich der Dämpfung 
und des Bronchialathmens die Haut gleichmässig 
kühl, so heisst das „die Entzündung ist zum Still¬ 
stand gekommen“; ist aber die Haut über einem 
Theil des Dämpfungsgebietes wärmer, wie über 
dem übrigen Theil, so bedeutet dies „die Ent¬ 
zündung schreitet noch fort.“ — Die Th. ist also 
eine der Beachtung werthe Untetsuchungsmethude. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1892. No. 3.) 

Göhrum. 

Personalia. 

Dr. med. Berlin hat sich als homöopathischer 
Arzt in Liegnitz niedergelassen. — 


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128 


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Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬ 
zeichnen, Bodass wir dessen Anschaffung nicht dringend 
genug empfehlen können. 

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hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem 
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptions- 
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nennen. 

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wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei¬ 
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre 
Anschauung empfohlen. 

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Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin. 


Verantwortliche Redactenre: Dr. Goehrun-Stuttgart, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homöopath. Offioin) in Leipzig. 
Druck von Gressner & Sobramm in Leipzig. 


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‘Band 125. 


Leipzig, de» 97. Oktober 1899. 


No. 17 u. 18. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

BERAÜSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. MarggraPs homQopath. Offlein) in Leipzig. 


Erscheint Htlgig in 3 Bogen, lt Doppeinammern bilden einen Bend. Preis 10 U. 60 Pf. (Halbjahr), Allo Bachhandlnngen and 
Postenstalten nehmen Bestellungen an. No. 97 des Post-Zeitongs-Verzeichnisses (pro 1892). — Inserate, welche an JEL Mosae in 
Leipzig deesen Filialen oder an die Verl&gzhandlung selbst (A. Marggrafs bomöopath. Offlein in Leipzig) in richten 
sind, werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile and deren Baum berechnet. — Beilagen werden mit UM. berechnet. 

Inhalt. Danksagnnq. — Die Potenzlrungsfrage. Von Prof. Dr. G. Jaeger. — „Heinathliche Arznelkoode“ 
Von E. Schlegel, Arzt in Tübingen. — Die Herbetvereamnlung des Sache. Anhalt. Vereine Homöopath. Aerzte. 
Referent Dr. Haedicke-Leipzig. — Ein Rückblick auf die Controverse „Slmilihue an suggestis?“ Nebst kritischen 
Bemerkungen von Dr. med. Julius Fuchs-München. IT. — Ein Fall von Ekzem (Ekzema Impetiglnosum), aus der 
Praxis. Von Dr. med. H. Billig-Leipzig. - Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Anzeigen. 

MS" Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU 


Danksagung. 

Der verstorbene Dr. med. Weibe sen. in Herford 
in Westphalen hat die Summe von 5000 Mark dem 
homöopathischen Krankenhause in Leipzig letzt¬ 
willig ausgesetzt Indem wir diesen hochherzigen 
Akt von Liberalität zur Kenntniss unsrer Mitglieder 
bringen, rufen wir diesem alten, treuen, um die 
Ausbreitung der Homöopathie in Westphalen hoch¬ 
verdienten Anhänger unsrer Sache ein aufrichtiges 
„Habe Dank* über das Grab zu. 

Leipzig, den 14. October 1892. 

Der Vorstand des homöopathischen 
Centralvereins Deutschlands. 

I. V.: 

Dr. med. Lorbacher. 


Die Potenzlrungsfrage. 

Von Prof. Dr. G. Jaeger. 

Meine Bitte an die Leser der Zeitung um Mit¬ 
arbeiterschaft ist nicht ganz ohne Erfolg geblieben, 
aber doch nicht in dem Umfang, dass dabei etwas 
Erspriegsliches herauskommen könnte. Vielleicht 
erreiche ich das, wenn ich der Mitarbeiterschaft 


ein ganz bestimmtes, möglichst einfaches und hei 
gutem Willen von Jedem ohne viel Aufwand an 
Mühe und ohne Geldopfer erreichbares Ziel auf¬ 
stelle. Das will ich in Folgendem thnn. 

Der einfachste aller Versuche ist die Durch¬ 
prüfung der verschiedenen Potenzen mittelst des 
Geruchsinnes, wobei ich auf No. 5/6, pag. 40 ver¬ 
weise. 

Man verschafft sich von etwa 6 verschiedenen 
Mitteln eine dritte Potenz und prüft sie der Reihe 
nach, aber mit Pausen von mindestens 5 Minuten, 
auf ihren Geruchseindruck, notirt denselben und 
nimmt dann an allen 6 Kölbchen aber mit mög¬ 
lichster Vorsicht gegenüber Verunreinigung im 
gleichen Kölbchen eine Centesimalverdünnung vor. 
Dies wiederholt man Tag für Tag womöglich um 
die gleiche Tageszeit und möglichst nüchtern, ent¬ 
weder vor dem Frühstück oder vor dem Mittag¬ 
essen, aber in der gleichen Reihenfolge wie Tags 
zuvor. Letzteres deshalb: Es ist nicht unmöglich, 
dass beim Beriechen des zweiten Kölbchens von 
dem Inhalt des ersten auf dem Wege der Ein- 
athmung und Wieder-Ausathmung etwas in das 
zweite hinein kommt. Befolgt man die gleiche 
Reihenfolge, so hat man den Vortheil, dass doch 
mindestens das jedesmalige erste dieser Gefahr nicht 
ausgesetzt ist und bei den andern die etwaige Ver- 

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130 


unreinigung immer die gleiche ist. Hin und her¬ 
gerochen darf natürlich auch nicht werden. 

Bei dem Geruchseindruck ist auf zweierlei zu 
achten. 

1. Auf den Geruchsunterschied zwischen den 
sechserlei Stoffen, ob ein solcher deutlich vorhanden 
und ob mit fortschreitender Potenzirung dieser 
Unterschied sich ändert und wie? 

2. Ob der Geruchseindruck des einzelnen Kölb¬ 
chens unangenehm dumpf, fuslig u. s. w. oder an - 
genehm erfrischend, blumig u. s. f. ist und nament¬ 
lich ist als Hauptsache zu ermitteln ob ein Um¬ 
schlag von „Unangenehm* in „Angenehm“ eintritt 
und auf welcher Potenz dies erfolgte. 

Diese tägliche Prüfung je einer höheren Cente- 
simalpotenz müsste mindestens* so lange fortgesetzt 
werden, bis bei allen 6 Mitteln entweder der er¬ 
wähnte Umschlag eingetreten ist oder — falls dieser 
ausbleiben sollte — doch wenigstens bis zur 15. 
Centesimale, denn wenn er bis dahin nicht gekommen 
ist, wird er wohl auch nicht mehr kommen. 

Es ist klar, dass dieser Versuch blos dann einen 
praktischen Werth hat, wenn er mit den möglichst 
gleichen Mitteln in möglichst gleichartiger Weise 
von mindestens 20 verschiedenen Personen gemacht 
wird; deshalb ist zweierlei nöthig: 

1. Dass sich mindestens 20 Personen dazu bereit 
erklären, den Versuch mit zu machen und zwar 
natürlich homöopathische Aerzte und Apotheker, 
welche mit ihrem Namen für ihre Befundangaben 
eintreten. 

2. Dass sich eine dieser Personen der Mühe 
unterzieht, für die möglichste Einheitlichkeit der 
Versuche und für die Zusammenstellung der Er¬ 
gebnisse zu sorgen. Behufs des ersteren wäre 
nöthig, dass der Leiter für alle Theilnehmer die 
Versuchsobjekte einheitlich herstellt. Dabei handelt 
es sich um zweierlei: 

a) um die betreffende dritte Potenz mit der be¬ 
gonnen werden soll; 

b) für alle um den gleichen Weingeist, mit dem 
die Potenzirungen gemacht werden sollen. 

Es wäre natürlich am besten, wenn diese Leitung 
jemand übernehme, der homöopathischer Arzt oder 
Apotheker ist. Sollte sich ein solcher nicht finden, 
so will ich mich im Interesse der Sache der Mühe 
unterziehen und auch die ja geringfügigen Kosten 
auf mich nehmen.*) Aber wie schon bemerkt mit 
weniger als 20 Versuchstheilnehmern fange ich 
nicht an, und zwar aus 2 Gründen. 

*) Diejenigen Herren Coli, welche Lust haben, sich 
an dieser Versuchsreihe zu betheiligen, bitten wir, ihre 
werthen Adressen, sowie event. Vorschläge an Dr. med. 
H. Göhrum-Stuttgart, Königstr. 15, gef. baldmöglichst 
einzuschicken, damit bei der Wichtigkeit der Sache 
diese bald in Angriff genommen werden kann. 

Die Red. 


1. Bei der weiten und tiefen Verbreitung, welche 
die kritisirende Schwatzsucht auch in homöo- 
path sehen Kreisen gefunden, kann nur der Con¬ 
sensus einer grösseren Zahl von Beobachtern Erfolg 
haben, einige wenige werden todtgesebwatzt oder 
todtgesch wiegen. 

2. Die Prüferzahl muss so gross sein, damit 
einmal Klarheit darüber geschaffen wird, wie weit 
in dieser Beziehung die Verschiedenheit der Indi¬ 
vidualität in Betracht kommt. Ich bin im vorhinein 
überzeugt, dass der Indifferenzpunkt, bei welchem 
der Umschlag des Geruchseindrucks erfolgt-, auch 
beim gleichen Stoff bei verschiedenen Personen auf 
verschiedener Potenzhöhe liegt, allein wie gross die 
Unterschiede sein werden, davon habe ich nicht die 
geringste Ahnung und das muss ermittelt werden, 
sonst hat die ganze Geschichte keinen Werth. 

Mancher Leser wird fragen: „Was soll dieser 
Riechversuch? Ist das nicht eine hinter dem Schreib¬ 
tisch ausgeheckte Spielerei, die weder praktischen 
noch wissenschaftlichen Werth hat?“ 

Darauf antworte ich: 

Ein Mann, der nicht blos ein grosser Dichter, 
sondern auch ein grosser Weltweiser war, hat den 
Satz ausgesprochen, dass „ Hunger und Liehe das 
Weltgetriebe erhalten.“ Wer es vermag, den Schul- 
und Laboratoriumsstaub von den Füssen zu schütteln 
und an die grosse Lehrmeisterin in Kunst und auch 
in Wissenschaft, an die lebendige Natur selbst heran¬ 
zutreten, der findet nicht nur, dass der Satz richtig 
ist, sondern erkennt auch leicht wie das gemacht 
wird. Thatsache ist, dass das freilebende Thier 
sich mit vollendeter Sicherheit auf den zwei Ge¬ 
bieten von Hunger und Liebe bewegt: Es findet 
unfehlbar das richtige Objekt für die Befriedigung 
seiner beiden Triebe und zwar einfach damit, dass 
es seine Nase braucht. Und wenn wir wieder uns 
unter den Menschen umsehen und untersuchen: 
warum hat sich der Menschheit im Gegensatz zum 
stets gesunden freilebenden Thier das Elend von 
Siechthum und Krankheit an die Ferse gehängt, so 
findet man als letzten Grund den, dass sie die Nase 
rächt gebraucht. 

Rücken wir der Sache näher auf den Leib: 
„Warum stehen der homöopathische Arzt und sein 
Patient rathlos vor dem Kölbchen potenzirter Arzoei, 
als vor einem grossen unbegreiflichen Räthsel? 
Weil sie ihre Nase nicht gebrauchen. 

Vergleichen wir; die Spuren, mittelst deren 
das freilebende Thier seinen Genossen, seine Nahrung, 
seine Arznei findet, die Nähe des Feindes wittert, 
sind durchweg potenzirte und zwar meist sehr hoch- 
potenzirte Stoffe, denen gegenüber die chemische 
Reaktion ebenso machtlos ist, wie gegenüber der 
potenzirten Arznei. Das Thier befindet sich aber 
ihnen gegenüber keinen Augenblick rathlos — warum? 
weil es seine Nase braucht. Ist das eine Spielerei? 


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Nein, das ist Praxis in des Wortes höchster Be¬ 
deutung und wenn ich den Vertretern der Homöo¬ 
pathie den Rath ertheile, einmal wenigstens ver¬ 
suchsweise ihre Nase zu gebrauchen und zu sehen, 
ob sie mit diesem unstreitig feinsten aller Sinne, 
von dem der Volksmund sagt, er sei der Wächter 
der Gesundheit, ein bischen weiter Vordringen, als 
sie heute sind, so ist das doch kein Schnick-Schnack. 
Es hat es noch niemand ernstlich zu bestreiten ge¬ 
wagt, dass die Nase der Wächter der Gesundheit 
ist; nun wenn das wahr ist, hat da nicht in aller¬ 
erster Linie der Arzt, der sich andern gegenüber 
als ein besonders befähigter Wächter der Gesund¬ 
heit in praxi aufspielen und sich dafür sogar noch 
bezahlen lassen will, die allerdringendste Veran¬ 
lassung, sich ganz genau mit dem Gesundheits¬ 
wächter, den die Natur jedem in's Gesicht gepflanzt 
hat, und mit der Leistungsfähigkeit desselben zu be¬ 
fassen und diese mindestens bei seinem eigenen 
Zinken nach Möglichkeit zu entwickeln? Ich sage, 
es ist eine 8 chande, wenn man folgendes vergleicht: 

Die Praktiker auf dem Gebiete der Lebensmittel 
besonders der Genussmittel wie Tabak, Wein, Thee 
u. s. f. sind in der ganz gleichen Lage wie der 
Homöopath. Bei Prüfung ihrer Waaren steht stets 
neben anderem der Grad der Reinheit und Feinheit 
in Frage und hier lässt sie die Chemie ebenfalls 
im Stich, weil es sich um Stoffmengen und Stoffe 
handelt, denen chemisch nicht beizukommen ist. 
Deshalb wenden sie sich an ihre Nase und ent¬ 
wickeln sie zu einer staune ns werthen Fertigkeit, die 
ihnen erlaubt, ihr Objekt vollständig zu beherrschen 
und sich vor jedem Trug und jeder Täuschung zu 
sichern. 

Dem gegenüber stehen die Aerzte, welche mit 
verdünnten Arzneimitteln operiren, da — ich will 
nicht sagen wie? Als ob sie gar nicht einmal 
wüssten, dass sie eine Nase haben. 

Es ist nicht mehr sehr lange, bis die Säkular¬ 
feier der Homöopathie zu begehen ist. Sollen die 
homöopathischen Aerzte diese mit dem beschämenden 
Gefühl begehen, dass sie in dem ganzen Jahrhundert 
nicht im Stande waren, den zwei Grundpfeilern, die 
Ilahnemann der Homöopathie gab, so viel Fundament 
zu geben, dass sie den gegnerischen Anprall aus- 
halten konnten? dass sie nicht hn Stande waren, 
nachzuweisen, dass ihre beiden Grundprinzipien, 
nicht Marotten, sondern Naturgesetze von allgemeiner 
Gültigkeit sind, Gesetze, die nicht blos für die Arznei, 
sondern auch für die Nahrung, kurz für alle Gebiete 
der Stoffwirkung im Lebewesen gelten? Dass es 
Naturgesetze sind, deren Richtigkeit ebenso gut wie 
die aller andern durch rechnerischen Versuch nach¬ 
gewiesen werden kann und die der theoretischen 
Erklärung genau so zugänglich sind, als alle anderen 
Naturgesetze? 

Sollen sie sich den Vorwurf machen müssen, 


den einen Grundpfeiler, das Potenzirungsgesetz, im 
Stich gelassen zu haben und zwar ohne Schwert¬ 
streich? Jawohl ohne Schwertstreich! Denn was 
ist das Schwert, das Hahnemann der Homöopathie 
und ihren Anhängern gegeben? Nichts anderes als 
der Versuch am gesunden Menschen, in erster Linie 
an sich selbst. Das Schwert, das die allöopathische 
Medicin schwingt, ist der rohe, ihierquälerische, 
vivisektorische Versuch am gesunden Thier und so 
muss das Schwert der Homöopathie der feine , humane, 
biologische Versuch am gesunden Menschen sein. 
So lange kein geschlossener, viribus unitis aus¬ 
geführter Angriff mit diesem Schwert auf das Poten- 
zirungsprinzip durchgeführt worden ist — und das 
ist bis heute noch nicht geschehen —, muss sich die 
Homöopathie bei der Säkularfeier gestehen, das eine 
ihrer Prinzipien ohne Schwertstreich geopfert zu 
haben. 

80 wie ich als ein ausserhalb ihr Stehender die 
Homöopathie kennen gelernt habe, ist der Haupt¬ 
pfeiler, auf dem sie beruht, das Potenzirungsprinzip, 
mit ihm steht und fällt sie; namentlich aber ist 
eines sicher: Wenn die Homöopathie nicht blos 
fort vegetiren will wie bisher, sondern siegen, dann 
rufe ich ihr zu: in hoc digno vinces. Denn niemand, 
als höchstens er sich selbst, wird jemanden als 
Sieger betrachten, der aus dem Kampf als „halbirter 
Türke“ zurückkommt. 


„Heimathliche Arzneikunde.“ 

Von E. Schlegel, Arzt in Tübingen. 

Zu diesem Thema, bei dessen Besprechung Herr 
Coli. Schier zugleich einen älteren Lieblings¬ 
gedanken von mir getroffen hat, erlaube ich mir 
zu bemerken, dass ich schon vor Jahren einen 
kundigen Botaniker aufgefordert habe, mir ein Ver¬ 
zeichniss solcher Gewächse anzufertigen, welche sich 
erfahrungsgemäss und auffallenderweise stets in der 
Nähe menschlicher Wohnungen und zum Theil nur 
um solche anzusiedeln pflegen. 

Paracelsus Ausspruch, den meines Erinnerns 
auch Rademacher anführt, war auch für mich in 
genannter Hinsicht anregend und da mir die That- 
sache bekannt war, dass viele Pflanzen ihr Vor¬ 
kommen auf menschliche Ansiedelung beschränken, 
so lag es nahe besonders unter diesen Umschau 
zu halten. Die Thatsache der Parabiose, wie man 
das nachbarliche Verhältnis nennen kann, ist um 
so merkwürdiger, als unter den betreffenden Ge¬ 
wächsen viele sich befinden, welche nicht zu Cultur- 
zwecken benutzt werden, welche sich also ungesucht 
dem Menschen aufdrängen und demnach Natur¬ 
beziehungen ursprünglicher Art zu ihm besitzen 
müssen, deren therapeutische Deutung und Aus- 

17* 


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132 


nutzung nunmehr unsre Aufgabe wäre. Durch 
anderweitige Arbeiten bisher zu sehr in Anspruch 
genommen, würde ich es mit Freude begrüssen, 
wenn sich eine ärztliche Kraft besonders auf dieses 
Gebiet concentriren und uns die Ergebnisse ihrer 
Studien mittheilen wollte. Der Umstand, dass unter 
den aufzuführenden Gewächsen sich bereits mehrere 
unserer besten Heilmittel befinden, dürfte der 
Forschung auf diesem Gebiete nur zur Ermuthigung 
gereichen; ebenso finden v, ir darunter bekannte 
oder verschollene Volksarzneien und Geheimmittel. 

Ferner giebt es einzelne homöopathische Aerzte, 
die auch unter den weniger genannten der hier 
folgenden Pflanzen ihre Arznei-Lieblinge haben und 
ich könnte später selbst von einigen dieser Heil¬ 
kräfte etwas hinzufügen. Für heute beschränke 
ich mich darauf das von meinem Freunde angefertigte 
Verzeichniss hier folgen zu lassen: 

Wflrttembergische*) Bl Athen pflanzen, 

welche erfahrungsgemäss nur in der Nähe von 
menschlichen Wohnungen oder überhaupt An¬ 
siedlungen wachsen und sich nie, oder nur höchst 
selten und nur ganz ausnahmsweise davon ent¬ 
fernen. 

Dicotyleae. 

Papaveraceae. 

Chelidonium majus L. (Schöllkraut). 

Gruciferae. 

Cheiranthus Cheiri L. (Goldlack) verwildert? 

Nasturtium officinale R. Br. (Brunnenkresse). 

Sisymbrium officinale Scop. (Weg-Senf). 

Sisymbrium Sophia L. (Wallsamen, Sophien¬ 
kraut). 

Alyssum colycinum L. (Steinkraut). 

Armoracia rusticana Gautr. (Meerrettig). 

Lepidium Draba L. (Türkische Kresse). 

Lepidium latifolum L. (Pfeiferkraut, armer Leute 
Pfeffer). 

Lepidium ruderale L. (Stink-Kresse, Schutt- 
Kresse). 

Lepidium sativum L. (Gartenkresse). 

Coronopus Ruellii All. (Krähenfuss). 

Alsineae. 

Stellaria media Villars (Hühnerdarm, Vogelkraut). 

Malvaceae. 

Malva rotundifolia (Käspappel, gew. Malve). 

*) Nach gütiger Mittheilung des Herrn Coli. Schlegel 
ist das Verzeichn*es für ganz Deutschland gültig mit 
der Ausnahme, dass einige Pflanzen fehlen dürften, die 
sonst Vorkommen mögen. Die Red. 


Geraniaceae. 

Geranium Robertianum L. (Ruprechts-Kraut). 
Erodium cicuparium L. Herit. (Reiherschnabel). 

Rosaceae. 

Geum urbanum L. (Nelkenwurz). 

Potentilla anserina L. (Gänserich). 

Potentilla supina L. 

Cucurbitaceae. 

Bryonia diofoa Jacq. (Zaunrübe). 

Portulacceae. 

Portulacca oleracea L. (Portulak). 

Crassulaoeae. 

Sedum reflexum L. (Tripmadam). 

Sempervivum tectorum L. (Hauswurz). 

Grossularieae. 

Ribes Uva crispa L. (Stachelbeere). 

Ribes rubrum L. (Johannisbeere). 

Ribes nigrum L. (Schwarze Träuble). 

Umbelliferae. 

Potro8elinum sativum Hoffm. (Petersilie). 
Anethum graveolens L. (Dill). 

Anthriscus Cerefolium H. (Körbel). 

Compoaitae. 

Artemisia Absinthium L. (Wermuth). 

Artemisia vulgaris L. (gern. Beifuss). 
Matricaria Chamomilla L. (Kamille). 

Pyrethrum inodorum L. (Wucherblume). 
Chrysanthemum PartheniumPers. (Jungfernkraut). 
Senecio vulgaris L. (Vogelkraut). 

Cirsium lanceolatum Scop. (Speer-Distel). 
Onopordon Acanthium L. (Eselsdistel). 

Lappa tomentasa Lam. (Klette). 

Lappa major Goerte „ 

Lappa minor Dlle. „ 

Cichorium Intybus L. (Wegwarte) 

Lactuca scariola L. (wilder Lattich). 
Podospermum laciniatum Dlle. (Stielsame). 
Sonchus oleraceus L. (Gänsedistel). 

Sonchus asper L. „ 

Boragineae. 

Borago officinalis L. (Borage). 

Cynoglossum officinale L. (Hundszunge). 
Lycopsis arvensia L. (Krummhals). 

Echium vulgare L. (Natternkopf). 

Solaneae. 

Lycium barbarum L. (Backsdorn)? 

Solanum nigrum L. (Nachtschatten). 
Hyoscyamus niger L. (Bilsenkraut). 

Datura Stramonium L. (Stechapfel). 


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133 


Scrofularineae. 


Linaria cymbalaria M. (Zimbelkraut). 

Linaria vulgaris Müller (gemeines Leinkraut). 
VeronicaTournefortii Gmelin (Tourenfort's Ehren¬ 
preis). 


Labiatae. 

Mentha gentilis Wirtgen (edle Münze). 
Mentha crispa L. (Krausemünze). 

Satureja hortensis L. (Bohnenkraut). 
Nepeta cataria L. (Katzenmünze). 
Lamium amplexicaule L. (Taubnessel). 
Lamium purpureum L. „ 

Lamium maculatum L. „ 

Lamium album L. n 

Galeopsis pubescens Besser (Hanfnessel). 
Galeopsis Tetrahit L. „ 

Stachys germanica L. (Ziest. Rossnessel). 
Ballota nigra L. (Stinknessel). 

Leonurus Cardiaca L. (Herzgespann). 
Marrubium vulgare L. (Andorn). 


Terbenaceae. 

Yerbena officinalis L. (Eisenkraut). 

Plantagineae. 

Plantago major L. (Wegerich). 

Plantago media L. , 

Plantago lanceolata L. Spitzwegerich. 

Amaranthaceae. 

Amaranthus retroflexus L. (Fuchsschwanz). 
Amaranthus Blitum „ 


Ghenopodiaceae. 

Chenopodium Vulvaria L. (stinkender Gänsefuss). 
Chenopodium glaucum L. 

Chenopodium album L. 

Chenopodium murale L. 

Chenopodium urbicum L. (steifer Gänsefuss). 
Chenopodium hybridum L. (Sautod). 
Chenopodium bonus Henricus L. 

Chenopodium rubrum L. 

Blitum virgatum L. (Erdbeerspinat). 

Blitum capitatum L. (Schminkbeere). 

Atriplex hortense L. (Gartenmelde, Butterkraut). 
Atriplex nitens Rebent. (gleissende Melde). 
Atriplex latifolium Whbg. 

Atriplex roseum L. (Stern-Melde). 

Polygonaceae. 

Rumex obtusifolius L. (gemeiner Ampfer). 
Rumex alpinus L. (Alpen-Ampfer) (unfehlbar 
bei jeder Sennhütte zu treffen sogar auf dem Feld¬ 
berg im Breisgau). 

Rumex scutatus L. (Schildampfer). 

Polygonum lapathifolium L. (Ampfer-Knöterich). 
Polygonum Persicaria L (Pfirschenknöterich). 
Polygonum mite Schrank (wilder Knöterich). 
Polygonum aviculare L. (Vogelknöterich). 


Euphorbiaceae. 

Euphorbia Peplus L. (Gartenwolfsmilch). 
Euphorbia Lathyris L. (kleines Springkraut). 
Mercuriaüs annua L. (Bingelkraut). 

Urticaceae. 

Urtica urens L. (kleine Brenn-Nessel). 

Parietaria erecta Maertens et Koch. (Glaskraut). 
Parietaria diffusa M. et K. , 

Monocotyleae. 

Liliaceae. 

Tulipa silvestris L. (wilde Tulpe). 

Muscari racemosum Dlle. (Traubenhyacinthe). 
Asparagus officinalis L # (Spargel). 

Ghramineae. 

Bromus sterilis L. (taube Trespe). 

Bromus tectorum L. 

Bromus secalinus L. (Saat-Trespe). 

Poa annua L. (Rispengras). 

Poa compressa L. 

Triticum repens L. (Quecke). 

Lolium perenne L. (Englisch Ray-Gras). 

Lolium italicum A. Br. (Welsches Raygras). 
Lolium temulentum L. (Taumellolch, Schwindel¬ 
haber). 

LoliumMinicolum A. Br. (Flachslolch). 

Avena fatua L. (Flug-Hafer). 

Avena strigosa Schreb. (Rauh-Hafer). 
Aunenatherum elatius M. et K. (Glatthafer, 
französisches Ray-Gras, Paternoster Gras). 

Hordeum murinum L. (Mäusegerste). 

Hordeum strictum Def. (Steife Gerste). 
Hordeum secolinum Schreb. (Roggengerste). 
Apera spica venti P. B. (Windhalra). 

Phleum asperum Villars (rauhes Lieschgras). 
(Phalaris canariensis L. (Canarien-Gras)?) 
Panicum miliaceum L. (gemeine Hirse). 
Panicum sanguinale L. (Bluthirse). 

Panicum glabrum Gaud. (kahles Fingergras). 
Panicum Crusgalli L. (Hühner'Fennich). 

Setaria viridis P. B. (grüner Fennich). 

Setaria verticillata P. B. (Quirl-Fennich). 
Setaria glauca P. B. 


Die HerbstYersammlung des Sachs. 
Anhalt. Vereins homöopath. Aerzte. 

Referent Dr. Haedicke-Leipzig. 

Zur diesjährigen Herbstversammlung hatten sich 
am 9. October in Magdeburg ausser dem Vorsitzenden 
Sanitätsrath Dr. Faulwasser-Bernburg und dem 
Schriftführer Dr. Villers-Dresden folgende Collegen 
eingefunden: 


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Dr. iterai&rwcÄ-Dessau. 

Dr. £roos-Magdeburg. 

Dr. Haedicke-Leiipzig. 

Dr. Knüppel-Magdeburg. 

Dr. Lutze- Köthen. 

Oberstabsarzt a. D. Dr. RoliowskyAj&^zig. 

Dr. Schwenke-Köthen. 

Dr. 7WcZwia/w-Sommerschenburg. 

Staatsratb Dr. fFafc-Frankfurt a/0. 

Entschuldigt batten ihr Fernbleiben die Herren 
Collegen Dr. ^///i^-Leipzig, Dr. A/&-Dresden, Dr. 
Goullon- Weimar, Dr. Henze- Halle, Dr. Lorbacher - 
Leipzig, Sanitätsrath Dr. Meyner-Ohsxnmtz und das 
Ehrenmitglied Dr. Kafka £in.-Prag. 

Nach Erledigung einiger geschäftlichen Vereins- 
Angelegenheiten wurde Köthen als Versammlungsort 
für die Frübjahrsversammlung am 2. Sonntag des 
Monat Mai nächsten Jahres bestimmt. 

Eingegangen waren bei dem Vorsitzenden: 1. Diät¬ 
block zum Gebrauche in der ärztlichen Praxis, 
herausgegeben von einem prakt. Arzte, Verlag von 
J. Stern in Heilbronn, Preis 30 Pfennig, ein sehr 
handliches Büchlein, das den beschäftigten Arzt 
der Mühe überhebt z. B. bei Zuckerharnruhr einen 
besonderen Diätzettel selbst aufzustellen, 2. Unter 
der Herrschaft des Messers, H. Theil, Widerlegung 
der Schrift des Herrn Hofrathes Professor Dr. Albert 
von Dr. Albert Reibmayr. Auf diese Schrift werden 
wir eingehend in der nächsten Nummer zurück- 
kommen. 

Den zweiten Theil der Tagesordnung bildete der 
Vortrag des Collegen Walz-Frankfurt: Die Cholera 
in Hamburg. Der Vortragende hob zunächst her¬ 
vor, wie sehr die Cbolerafurcht auch in den Rhein¬ 
landen alle Gemüther erfasst gehabt und oft zu 
tragikomischen Scenen geführt hätte. Bei seiner 
Eisenbahnfahrt von Schlangenbad nach Hamburg 
war er zuletzt fast der einzige Reisende im ganzen 
Zuge, und auch das 217 Zimmer besitzende Hotel 
zählte während seines 5 tägigen Aufenthaltes vom 
7. bis 12. September ausser ihm nur noch 3 Zeitungs¬ 
berichterstatter als Gäste. Die Besichtigung des 
neuen Krankenhauses in Eppendorf wurde Aerzten 
gern gewährt. Die saubere Einrichtung, die vor¬ 
zügliche Ventilation und die gute Verpflegung in 
den 40 im Parke zerstreut liegenden Baracken 
k 20 resp. 34 Betten wurden allseitig als zweck¬ 
mässig und gut anerkannt. Belegt waren die 
Baracken fast nur mit schwer an der Cholera 
darniederliegenden Kranken, sodass es trotz des 
grossen Pflichteifers und des rühmenswerthen 
Strebens der jungen Aerzte und Wärter, von denen 
manche 14 Tage lang nicht in’s Bett gekommen 
sein sollen, nicht Wunder nimmt, wenn die Sterb¬ 
lichkeit bis 60°/o betrug, und der vorurtheilsfreie 
Beobachter sich sagen musste, dass in diesem 
Stadium bei einer so progressiv ansteigenden, bös¬ 


artigen Choleraepidemie jede Therapie umsonst ist 
Aus dieser starken Ascendenz der Erkrankungsziffer 
erklärt sich auch die Ohnmacht und Rathlosigkeit 
der unvorbereitet von der Seuche überraschten 
Behörde. Ein schwerer Vorwurf trifft aber die 
Hamburger Stadtverwaltung wegen der geradezu 
unbegreiflichen Sorglosigkeit, mit der die Wasser¬ 
leitungswerke angelegt worden sind. Trotz der 
für die Filtrirapparate etc. seit 6 Jahren vorhandenen 
Millionen, sind die Anlagen aus dem Anfangsstadium 
nicht vorgeschritten. Allerdings sind ja die Wasser¬ 
schöpfwerke oberhalb Hamburgs angelegt, aber die 
Fluth spielt die Faekalien von der unteren Elbe 
hinauf und die Vorschriften, nur bei der Ebbe das 
Wasser zu pumpen, können wegen des dann ein¬ 
tretenden Wassermangels nicht befolgt werden. 
Hierzu kommen noch die miserabeln sanitären Ver¬ 
hältnisse Hamburgs. Es klingt fast unglaublich, 
dass die Wasserreservoirs, die täglich für 24 Stunden 
frisch gefüllt werden, wegen Mangels an Raum fast 
überall über den Aborten und zwar noch obendrein 
ohne Deckel angelegt worden sind. Was für eine 
reiche Fauna an niederen Mikroorganismen dort zu 
finden ist, bedarf weiter keiner Erwähnung. 

Betreffs der Aetiologie der Cholera war die 
Versammlung mit dem Vortragenden der Meinung, 
dass es zwar Professor Koch’s unsterbliches Ver¬ 
dienst ist, in dem Kommabacillus das sicherste 
Merkmal der Cholera entdeckt zu haben, welchen 
Platz derselbe aber in der Entwicklung der Krank¬ 
heit einnimmt, ist noch eine Frage, die uns erst 
die Zukunft beantworten muss. Denn wenn in 
Magdeburg ein Schiffer innerhalb 12 Stunden als 
einziger an der asiatischen Cholera starb, obgleich 
er schon 4 Wochen vorher Hamburg verlassen hatte, 
so ist sicher, dass es der Bacillus nicht allein thut, 
es muss auch noch der Mensch dazu kommen. Die 
Aerzte müssen daher nicht den Bacillus allein, 
sondern auch den Menschen und seine Umgebung 
im Auge behalten. Durch die Forschungen Petten- 
kofer's ist constatirt worden, dass zeitliche, örtliche 
und individuelle Momente Zusammenwirken müssen, 
wenn eine Cholera-Epidemie entstehen soll. Die 
zeitlichen Momente: die Jahreszeiten, Regen und 
Frost, den Grundwasserstand etc. haben wir nicht 
in unserer Gewalt; die örtlichen und individuellen 
Momente aber, unterliegen sehr wohl unserer Ein¬ 
wirkung. Wir können die Städte assaniren, canali- 
siren und der Durchfaulung und Verunreinigung 
des Bodens Vorbeugen, und ebenso durch gesunde 
Wohnungen und verständiger Nahrungsweise die 
Seuchengefahr wesentlich herabmindern. 

Als Ausgangspunkt für die Verschleppung der 
Cholera machte der Vortragende „Schiffer aus 
Odessa* verantwortlich, ohne dass wir uns jedoch 
dieser Ansicht anschliessen können. Sehr bemerkens- 
werth ist in dieser Streitfrage ein Colloquium beim 


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135 


Professor Schweninger, das in der „Zukunft“ ver¬ 
öffentlicht worden ist. „Man zerbricht sich jetzt 
den Kopf darüber, von wo die Cholera eingeschleppt 
worden ist, ob die russischen Auswanderer aus 
Odessa oder die indischen Heizer sie mitgebracht 
haben, beides ist möglich und noch viel mehr. 
Aber muss denn die Cholera überhaupt eingeschleppt 
worden sein? Wir haben sie ja seit dem Jahre 1818 
immer in Europa gehabt, und dass sie nur in Inter¬ 
vallen auftritt, beweisst noch nichts für die Noth* 
wendigkeit der Einschleppung. Es giebt gute und 
schlechte Pilzjahre, aber an der Ubiquität der Pilze 
ist ernstlich noch nicht gerüttelt worden. Und weil 
nicht alle Giftkeime vernichtet werden können, des¬ 
halb kann die Seuche immer wiederkommen, ohne 
dass sie erst eingeschleppt worden ist. Es ist eben 
der alte Unfug im neuen Gewände: Der Kranke 
will nur gleich wissen, wie seine Krankheit heisst 
und erklärt den alten Arzt für einen Erzdummkopf, 
weil der Gicht nannte, was der jetzige Recept- 
schreiber Rheumatismus nennt; und das Volk will 
geschwind erfahren, woher die Cholera kommt und 
ist zufrieden, wenn ein schönklingendes Wort sich 
einstellt, wo Begriffe fehlen. 

Ueberhaupt sollte man auf die Fortschritte der 
inneren Medicin nicht gar zu stolz sein, diese Ent¬ 
wickelung vollzieht sich oft in Spiralen. Wir er¬ 
leben das heute bei der Cholera. Heute schwatzen 
die dümmsten Gesellen etwas über die Bacillen 
daher und selbst unter den Aerzten befolgen die 
Meisten nur zur Hälfte Hufeland’s Lehre: sie gene- 
ralisiren zwar die Krankheit, aber sie individualisireu 
nicht den Kranken. Dem Theoretiker wie dem 
Praktiker wird die Cholera noch lange zu schaffen 
machen, denn noch immer, wie in den dreissiger 
Jahren, ist das Wesen dieser Seuche in Dunkel 
gehüllt, und zur Contagion, die heute wieder den 
ersten Platz behauptet, ist nur die wundervolle 
Hypothese des Miasmas hinzu gekommen. Es giebt 
lOÖOO Krankheiten, aber nur 1 Gesundheit, und 
die Krankheiten kommen so „plötzlich“, wie Leben 
und Tod eben auch. Ein Arzneimittel, das eigent¬ 
lich nie ein Heilmittel ist — oder welches wäre 
ein solches?*) — wird immer nur mehr oder weniger 
symptomatisch wirken und sollte deshalb eigentlich 
nie zweimal hintereinander verabreicht werden, weil 
es eben nur ein nothwendiges Uebel ist und in die 
Bedürfnisse des Körpers nicht hineinpasst. Wer 
einen Schmerz, ein Symptom, anstatt sie aus dem 
Organismus hinaus zu treiben, nur einmal „weg 
bringt“, wer mit dem medicinischen Beichtzettel 
die Leidenden nur beruhigt oder getröstet heim- 


*) In der reinen Arzneimittellehre Hahnemann’s sind 
deren hinreichend enthalten. Der Herr Professor möge 
nur einige Versuche anstellen, wozu allerdings mehr 
Muth gehört, als man glauben sollte. Die Red. 


schickt, der sollte die Kurpfuscher nicht gar so 
geringschätzig über die Achseln ansehen. Denn er 
arbeitet mit Palliativmitteln und für Seuchenzukunft 
und Zukunftseuchen, muss man sich merken, dass 
man im Koth nur um so eher ersticken kann, wenn 
ein Mäntelchen darüber gedeckt worden ist, das 
ihn den Augen entzieht, um ihm durch die Nase 
erst den Eingang zu sichern. Deshalb muss den 
Leuten der Receptschwindel abgewöhnt und ihnen 
immer wieder gesagt werden, dass es auf den Namen 
der Krankheit, an der sie sterben, ja doch nicht 
so sehr ankommt.“ — 

Dieser Ansicht des Professor Schweninger kann 
man sich um so rückhaltloser anschliessen, wenn 
man hört, dass trotz aller Warnungen in der Ham¬ 
burger Privatpraxis die Cholerakranken mit grossen 
Dosen Opium „curirt“ worden sind. Eine rühmliche 
Ausnahme hiervon machte die im Eppendorfer 
Hospital angewendete Therapie, was der Vortragende 
ausdrücklich hervorhob. Abgesehen von den ver¬ 
schiedenen Modemitteln der modernen Chemie, wurde 
von Arzneien meist nur Ricinusöl und Calomel, und 
Injektionen direct in die Vene von physiologischer 
Kochsalzlösung, die momentan wunderbare Erst¬ 
wirkungen hervorbrachten, in Gebrauch gezogen. 
Auf die Diaphorese verzichtete man schliesslich 
ganz, weil auch „durch Dampf und heisse Bäder 
keine Schweisse erzeugt werden konnten.“ Die 
Sterblichkeit betrug wie schon erwähnt 60 °/ 0 und 
ist es angesichts dieser und anderer Statistiken mehr 
als frivol, wenn ein Dr. Fischer-Hamburg, Stroh¬ 
haus 46, I die Kühnheit besass, im Hamburger 
Fremdenblatt No. 211 vom 9./9. 1892 folgendes zu 
veröffentlichen. 

„Der Creolinbehandlung nach meiner Methode 
richtig angewandt, damit es nicht Erbrechen erregt 
habe ich es zu danken, dass ich, seitdem ich diese 
Therapie eingeleitet, d. h. seit dem zweiten Tage 
der Epidemie keinen Todesfall zu verzeichnen hatte, 
auch nicht in den hygienisch ungünstigen Gängen 
St. Georgs, wo anders Behandelte dutzendweise 
dahinstarben. Bei dieser Behandlung wären nach 
meiner, auf diese Thatsache fussenden Ueberzeugung 
nicht 6000 dahingerafft worden.“ 

Wie wenig aber auch auf die officiellen statisti¬ 
schen Angaben zu geben ist, davon konnte der Herr 
College Walz in Hamburg sich persönlich über¬ 
zeugen. In Anbetracht der grossen Sterblichkeit 
in den Baracken, schien ihm die am 7. September 
ofticieli angegebene Zahl von 472 Todten nicht 
ausreichend, weshalb derselbe am 8. September nach 
dem Ohlsdorfer Friedhofe fuhr und sich dort über¬ 
zeugen konnte, dass an diesem Tage 816 Leichen 
begraben worden waren, wozu 210 Todtengräber 
extra angestellt waren. 

Im Anschluss hieran tauschten die älteren Herren 
Collegen ihre Erfahrungen aus, die sie bei früheren 


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136 


Choleraepidemieen gesammelt hatten. Der College 
Faulwasser behandelte 1848/49 in Berlin 180 Cholera¬ 
kranke bei 12°/o Mortalität mit Nicot. tab., das 
Choleratyphoid mit China dil. dec. I, während der 
College Schwenke durch die Erfolge, welche mittelst 
der Homöopathie bei einer Choleraepidemie in der 
Grafschaft Glatz erzielt wurden, für unsere thera¬ 
peutische Richtung gewonnen wurde. Im Feldzuge 
1866 behandelte College Knüppel trotz der von dem 
Generalarzte vorgeschriebenen Mixtur von Tct. opii 
und nuc. vom. seine Cholerakranken mit Ipec., Ars., 
Veratr. und erfuhr zu seiner grossen Freude ein 
Jahr später von dem damaligen Bataillonsadjutanten, 
dass sein Bataillon procentualiter die wenigsten Ver¬ 
luste an der Cholera gehabt hätte. Zum Schlüsse 
referirte Haedicke eingehend über die inzwischen 
in der vorigen Nummer erschienenen „Bemerkungen 
zur Cbolerabehandlung* von Dr. Hesse-Hamburg. 

Zum dritten Punkt der Tagesordnung: „Dis- 
cussion der epidemischen Krankheiten* war vom 
Collegen Lorbacher ein Antrag eingelaufen, welcher 
wie folgt lautete: 

Ich halte es für nothwendig, dass der Sächs.- 
Anhalt. Verein homöopathischer Aerzte zur Frage 
der epidemischen Heilmittel, wie dieselben sich durch 
die Weihe*sehe Entdeckung der sogenannten Druck¬ 
punkte gestaltet hat, Stellung nehme und schlage 
vor, dass er gelegentlich der auf der Tagesordnung 
stehenden Diskussion über die epidemischen Krank¬ 
heiten eine Erklärung abgebe, welche ich unmass¬ 
geblich in folgender Weise formulirt habe: 

„Der Sächsisch-Anhaitinische Verein homöo¬ 
pathischer Aerzte stellt das Vorhandensein epi¬ 
demischer Heilmittel durchaus nicht in Abrede, 
giebt auch zu, dass die Anwendung derselben 
nach der Weibe’schen Methode für den prak¬ 
tischen Arzt eine Erleichterung und Verein¬ 
fachung der Praxis sein würde, allein er kann 
sich durchaus nicht mit dem in neuerer Zeit 
immer mehr hervortretenden Bestreben einver¬ 
standen erklären, diese neue Methode an die Stelle 
der Hahnemannschen Lehre zu setzen und letz¬ 
tere nur zu benutzen, um aus ihrem Arzneischatze 
die von ihr angewandten Mittel zu entnehmen, 
wobei sie selbstverständlich nicht umhin kann, 
das S. S. anzuerkennen. Abgesehen davon, liegt 
aber die Gefahr nahe, dass ein oberflächlicher 
Schematismus, wie er schon bei Schuessler und 
Peczely zu Tage tritt, sich einschleicht und um 
sich greift. 

Die Forderung des Individualisirens, welche 
Hahoemann mit Bescheidenheit und mit Recht 
erhebt, würde immer mehr in den Hintergrund 
treten und damit die Homöopathie einer ihrer 
festesten Säulen und eines bedeutendsten Vorzugs 
beraubt werden. 

Bisher hat die Weihe*sehe Druckpunkt¬ 


therapie noch nicht bewiesen, dass sie dafür einen 
vollständigen Ersatz bietet. Deshalb hält es der 
Verein für geboten, dieser Bewegung gegenüber 
noch die nöthige Reserve zu beobachten, bis der 
unter den Vertretern jetzt noch herrschende En¬ 
thusiasmus einer nüchterneren Stimmung Platz 
gemacht hat, und mit Bestimmtheit und Klarheit 
sich der wahre Werth derselben und ihre Be¬ 
deutung für die Homöopathie erkennen lässt.* 
Wegen vorgeschrittener Zeit konnte der Antrag 
nicht zur Discussion gestellt werden, derselbe soll 
auf der nächsten Versammlung nochmals auf die 
Tagesordnung gesetzt werden. Die Collegen Villers 
und Haedicke übernahmen das Referat 

Zum Schlüsse hielt Gross-Magdeburg einen 
Vortrag, über das Leben und Wirken seines im 
vorigen Jahre verstorbenen Vaters des homöopathi¬ 
schen Arztes Hofrath Dr. Groos in Laasphe.*) Der¬ 
selbe wird in der nächsten Nummer in extenso zum 
Abdruck gelangen. 

Nach Schluss der 8itzung blieben die Anwesen¬ 
den beim fröhlichen Mahle noch einige Stunden 
beisammen. Da auch fünf der Collegen ihre Frauen 
mitgebracht hatten, verlief die Tafel in sehr ani- 
mirter Stimmung, eine Sammlung zum Besten der 
Wittwenkasse ergab 80 Mark. Mit einem „auf 
Wiedersehen in Köthen* trennte man sich. 


Ein Rückblick auf die Controverse 
„Similibns an snggestis?“ 

Nebst kritischen Bemerkungen von Dr. med. Julius 
Fuchs-München. 

II. 

Wenn wir nun unter den so gewonnenen Ge¬ 
sichtspunkten es unternehmen, über die in diesem 
Blatte durch Herrn Dr. Pfänder inaugurirte Streit¬ 
frage, ob die Erfolge der Homöopathie dem 
Suggestionismus zu danken seien oder nicht, 
einen kritischen Rückblick zu werfen, so stellt sich 
der Sachverhalt so: Ein Herr Dr. G. hatte im 
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte den Sug¬ 
gestionismus gegen die Homöopathie in Schutz ge¬ 
nommen und letzterer nur gnädigst gestattet, 
„mancherlei nervöse Beschwerden* (natürlich auch 
diese nur durch Suggestionisraus) zu heilen. Herr 
Dr. Pfänder fand sich nun bewogen, in Bd. 124, 
No. 1 und 2 dieser Zeitung diese Verhältnisse zu 


*) Die Redaktion bedauert, dass sie nicht schon 
Trüber über diesen um die Ausbreitung der Homöopathie 
hochverdienten Collegen eine Biographie bringen konnte; 
Herr Dr. Weber-Köln hatte auf unsere Bitte dieselbe 
uns schriftlich zngesagt, sein Versprechen aber leider 
nicht eingelöst. 


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187 


Gunsten der Homöopathie aufzuklären, machte aber 
dabei den Suggestionisten eine Menge, wie ‘ ich 
glaube, unnöthiger Zugeständnisse. 

Er bekämpft zwar die Behauptung Bernheim's 
und Anderer, „die Homöopathie beruhe nur auf Sug¬ 
gestion“, schildert aber die homöopathischen Aerzte 
als sehr arzneigläubig und wünscht in dieser Richtung 
mehr Kritik und Selbstkritik. Er unterstützt seine 
Anschauung, dass bei homöopathischer Behandlung 
häufig Autosuggestion mitunterlaufe, durch Beispiele 
aus dem Lai^kreise, indem er von Leuten erzählt, 
die sich durch Dick und Dünn ohne genügende 
Mittelkenntniss und sogar trotz falscher Mittelwahl 
bei jeder Krankheit mit Erfolg selbst curiren, und 
von anderen, welche jede Verschlimmerung ihres 
Befindens auf das vom Arzt verordnete Mittel be¬ 
ziehen, weil sie die Symptomatologie des Mittels 
nachlesen oder auswendig wissen. (Nach meiner 
Erfahrung sind dies immer nur eingebildete Kranke, 
die nach ihren Erzählungen an 1 Tage mehrere 
tödtliche Krankheiten durchmachen. Der Verfasser). 
— Recht wenig schmeichelhaft für die homöo¬ 
pathischen Aerzte ist die Ansicht Pfanders, dass 
sie im Nothfall Mittel auf s Geradewohl verschreiben 
oder geben und doch — Besserung erzielen. (Solche 
Aerzte können ja aber gar nicht oder höchstens 
ex post beurtheilen, ob sie's nicht zufällig errathen 
haben, woran übrigens Pf. selbst erinnert, der 
Verfasser). Alle diese Fälle nun schiebt Pf. der 
Suggestion in die Schuhe, wobei dann keine Kunst¬ 
sondern eine Naturheilung stattfinde und Suggestion 
nebenbei gehe. Der „eigentlichen Suggestions¬ 
heilung* werde aber in einer späteren Erkrankung 
desselben Patienten dadurch Vorschub geleistet. 
Zuletzt behauptet Pf., freilich ohne weitere Be¬ 
gründung als die Berufung auf die Schule Bern- 
heim's, in einigen Fällen der Homöopathie wirke 
wirklich nur die Suggestion. Er meint aber, es 
sei dies meistens „unbeabsichtigte Suggestion* und 
bestreitet die These, dass sich für die Homöopathie 
eine besondere Art von Suggestionismus nach- 
weisen lasse und verwirft die Anschauung, die 
Homöopathie heile nur durch Suggestionismus. Hier¬ 
auf stellt er die Fälle fest, bei denen nach seiner 
Ansicht überhaupt von Suggestionismus die Rede 
sein kann. Er schliesst schwerere organische Ver¬ 
änderungen aus, ebenso Fälle bei Kindern unter 
1 — 2 Jahren und Fälle von aufgehobenem Bewusst¬ 
sein. Geisteskranken vindicirt er eine geringere 
Suggestibilität als geistig Gesunden und gesteht 
auf diese Weise zu, dass die notorisch besseren 
Erfolge der nordamerikanischen homöopathischen 
Irrenanstalten den homöopathischen Principien allein 
zu danken seien. Hierauf untersucht er kurz das 
Wesen der „Naturheilung* im Gegensatz zur Kunst¬ 
heilung und stellt dann alle diejenigen Fälle zu¬ 
sammen, bei denen eine beabsichtigte Suggestion 


auszuschliessen sei. Es sind das ziemlich viele und 
mit Geschick zusammengestellte Fälle. — Der „un¬ 
beabsichtigten Suggestion* räumt er zum Schluss 
immerhin noch ihren Platz ein, verwahrt aber sich 
und die Homöopathie unter Anführung von neun 
für den Arzneimittelkenner sehr belehrenden Kranken¬ 
geschichten gegen den allgemeinen Vorwurf, dass 
die Homöopathie nur durch Suggestionismus heile. 
Suggestion hält Herr Dr. Pf. dann um so viel 
wahrscheinlicher, wenn die Symptomenähnlichkeit 
des Mittels eine geringe und trotzdem der gute 
Erfolg ein rascher war. — 

Ganz anders denkt Herr Dr. phil. et medic. 
F. Carl Gerster in München über die Sache, 
qn Bd. 124, No. 7 und 8 d. Z.) Trotz der Ver¬ 
sicherung seiner Freundschaft £zur Homöopathie 
unterzieht er die Ausführungen des Herrn Dr. med. 
Pfänder einer entschieden feindlichen kritischen 
Beleuchtung. Der Satz „keine Therapie ohne 
Suggestionismus* beherrscht sein Expos6 und seine 
ganze Logik. Bei allen Therapieen müsse in Zu¬ 
kunft die psychische Persönlichkeit mehr berück¬ 
sichtigt werden. Die Homöopathen hätten hierin 
und durch eine sorgfältige Diätetik schon etwas 
geleistet. Er verlangt Anschluss aller Aerzte an 
die moderne suggestive Psychologie und verwirft 
alle homöopathischen und anderen Kranken¬ 
geschichten, in denen dieses Moment nicht genügend 
berücksichtigt erscheint, als Makulatur; auch die¬ 
jenigen Pfanders. Nun geht Gerster zu einer Polemik 
gegen Pf. über, wobei er alle dessen Zugeständnisse 
an den Suggestionismus noch viel zu gering findet, 
alle dessen positive Anschauungen über homöo¬ 
pathische Mittelwirkung feindlich kritisirt und ein¬ 
fach Alles, was es auf dem Gebiete der Therapie 
Erfolgreiches zu thun giebt, mit Haut und Haar 
für den Suggestionismus in Anspruch nimmt. Natür¬ 
lich heilt nach Gerster der Suggestionismus auch 
organische Veränderungen: Paralysen, Tabes, Epi¬ 
lepsie, Neurasthenie (organisch?), Psychosen, Am¬ 
blyopie, Anaemie, Schwindsucht, Herzkrankheiten, 
Blutungen, Diarrhöen, verschiedene Fieberzustände. 
Sein Gewährsmann ist Wetterstrand. Man macht 
es mit oder ohne hypnotischen Schlaf. Auf die 
Persönlichkeit des Patienten und auf die Geschick¬ 
lichkeit des Arztes komme Alles an. — Im Gegen¬ 
satz zu Pf. existirt für G. eine besondere Art 
der Suggestion für die Homöopathie. Die 
homöopathischen Aerzte sind alle fabelhafte Arznei¬ 
enthusiasten und von einem unerschütterlichen Selbst¬ 
vertrauen, das. sie auf die Patienten übertragen. 
Die nun folgenden Compümente für die Homöo¬ 
pathen zu Ungunsten der anderen Schule kommen 
mir nach alledem aus der Feder Gerster s sehr 
sonderbar vor. Ich glaube (der Verfasser), die 
Vortheile, welche die Homöopathen angeblich aus 
ihrer klericalen und Adelsclientel zögen, gehören 

18 


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zum mindesten einer sehr vergangenen Zeit an. 
Ob einer Materialist, Rationalist oder irgend ein 
Gegentheil davon ist, das schiert die Leute sehr 
wenig, wenn ihnen nur gut geholfen wird. »Macht 
der Persönlichkeit!?* Mein Gott! - heut' zu Tage! 
siehe Bismarck. »Selbstdispensiren ! u — leider über¬ 
all ausser in Preussen verboten! — »Die Ver¬ 
folgungen der Gegner bringen auch Homöopathen 
Praxis und Ruhm!* — na, ich danke! — (der Ver¬ 
fasser). 

Die von Dr. Pf. constatirten Ausnahmen von 
der Suggestionsmöglichkeit sind für Dr. G. nicht 
vollgültig; »es müssen erst zweifellose Control¬ 
versuche vorliegen.* Mit Berufung auf seine Kenner¬ 
schaft der Suggestionstherapie kritisirt er Pf/s An¬ 
gaben als unzulänglich begründet, hebt das günstige 
Vertrauensverhältmss der Homöopathen zu ihren 
Clienten wiederholt hervor und erinnert an die 
Möglichkeit, dass bei irgend einer Arznei Heilung 
ein treten könne, dass auch ein anderes Mittel als 
das verordnete hätte helfen können und dass die 
Krankheit auch ohne Medikation eine gute Wendung 
hätte nehmen können, (sic!) 

Bei dieser Gelegenheit komme ich auf jene 
Eingangs meiner Abhandlung erwähnten für die 
Homöopathen und ihre ganze Lehre so gravirenden 
Aeusserungen Dr. Gerster s zurück, »welche der¬ 
selbe gar nicht gethan hat* (viel Bd. 125, 
No. 3 und 4) die aber mir die Feder in die Hand 
gedrückt haben, um diese, wie ich hoffe, nicht ganz 
wirkungslose Abwehr zu schreiben. Es steht ge¬ 
schrieben Bd. 124, No. 7 und 8, Seite 56: »Es 
braucht ja nicht bei allen homöopathischen 
Curen die Suggestion allein oder mitwirkend 
zu helfen, sondern es kann doch auoh möglich 
sein, dass die vis medioatrix naturae mit und 
ohne homöopathische Mittel ihre Schuldig¬ 
keit thut.* Das ist schon wirklich famos gesagt! 
Wir Homöopathen sind dann blos das fünfte Rad 
am Wagen! Doch die bittere Pille wird verzuckert: 
»Ich möchte jedoch keineswegs behaupten, dass 
eine therapeutische Wirkung der homöopathischen 
Arzneien überhaupt nicht besteht.* Und ich, ver¬ 
ehrter Freund Gerster, möchte doch schon wissen, 
worin diese nun höchst überflüssige Wirkung da 
noch bestehen soll? Wenn wir Homöopathen so 
etwas glaubten wie Du und doch medicinirten, so 
wären wir unredlich, weil die Arzneiverordnung 
unserer Ueberzeugung nicht mehr entsprechen könnte; 
wenn wir nicht mit Sicherheit auf Bewährung unseres 
Axioms in der Praxis rechnen dürften, so müssten 
wir bewusste Suggestionisten sein; denn 
unsere Erfolge sind constatirt und lauter Natur¬ 
heilungen giebts doch auch nicht; auch kann man 
nicht immer warten, bis Autosuggestionen eintreten; 
wenn wir aber überzeugte Suggestionisten sind und 
trotz der von Dir gepredigten Labilitätsverhältnisse 


in der Arzneiwirkung uns dennoch Jahr aus Jahr 
ein tnit dem genauen Studium der nun völlig werth¬ 
losen Arzneimittellehre und mit Diagnosen abplsgen, 
so sind wir unbewusste Esel. Mehr kann man 
darüber nicht sagen. — Doch weiter: 

Die »Controlversuche* würde Herr Dr. Gerster 
so anordnen: »Der Heilerfolg ganz bestimmter 
Mittel bei Krankheits-Recidiven würde nur dann 
als entscheidend gelten, wenn man das »ganz be¬ 
stimmte Mittel* zwar verordnet, in Wirklichkeit 
aber ein anderes giebt. Der Nichterfolg des letzteren 
und der sichere Erfolg des ersteren (vorausgesetzt, 
dass es der Patient nicht weiss) würde für eine 
Mittelwirkung Gewähr leisten. Der Heilerfolg eines 
»neuen Mittels*, während früher immer ein anderes 
half, beweist gar nichts, da sich die Autosuggestionen 
ändern können. Als Controlversuch müsste man 
ein neues Mittel verordnen und das alte geben. 
Der Heilerfolg eines ganz bestimmten Mittels bei 
verschiedenen Personen wäre nur dann ein Beweis 
dafür, dass die Symptomenähnlichkeit dos Mittels 
die Ursache des Erfolgs ist, wenn bei jeder Person 
jegliche Suggestion ausgeschlossen wäre.* 

Die abfällige Kritik über Pfanders 9 Mittel¬ 
heilungen begründet G. eben damit, dass keine 
Controlversuche statt gefunden hätten und die 
psychische Anlage nicht geprüft worden sei Auch 
habe man einen Versuch mit Nihilotherapie um¬ 
gangen. — 

Ich frage jeden Praktiker, wie wäre unter den 
von Pf. geschilderten Umständen das auch möglich 
gewesen zu thun? Wer kann sein Gewissen mit 
unsicheren Versuchen beschweren, wo der Erfahrung 
gemäss die sichere Hülfe in seiner Hand ruht? (der 
Verfasser). 

Als einzig werthvoll betrachte ich die Rath- 
schläge, die Dr. Gerster uns in Bezug auf 
Arzneimittelprüfungen giebt. Hier die Ver¬ 
suchsperson auf ihre psychische Persönlichkeit zu 
prüfen, sie vor Auto- und Allosuggestion zu be¬ 
wahren, halte auch ich für unumgänglich noth- 
wendig angesichts des sich täglich mehr häufenden 
Wustes von tausenden von unsicheren oft ganz 
werthlosen und nur das Gedächtniss belastenden 
Arzneimittelsymptomen. — (Der Verfasser.) 

Ohne dass ich darauf eingehe, Herrn Dr. G. im 
Einzelnen, was seine früheren Behauptungen betrifft, 
zu begegnen, erlaube ich mir, ihm zu bedenken zu 
geben, dass er vergessen hat, zu beweisen, dass 
wir Homöopathen die Suggestion überhaupt 
nöthig haben. Seinen Controlforderungen stelle 
ich folgende Ansprüche entgegen: Er soll 
beweisen, dass es unmöglich ist, dass wir unsere 
anerkannten Erfolge ohne Suggestionismus blos 
durch die uns sonst zu Gebote stehenden Mittel 
erzielen; er soll beweisen, dass es kein Aehnlich- 
keitsgesetz giebt; er soll beweisen, dass es Unsinn 


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ist, za glauben, dass ein beliebiger differenter Stoff 
irgend welcher Provenienz, dem Körper ein verleibt, 
im Stande ist, denselben jedesmal nur nach einer 
ganz bestimmten Richtung anzugreifen resp. zu zer¬ 
stören ; er soll beweisen, dass nicht tödtliche Dosen 
überhaupt nicht wirken oder nicht in der gleichen 
Richtung wie die tödtlichen; er soll beweisen, dass 
es überhaupt gar Niemand geben könne, der durch 
die kleinsten Dosen im Mindesten afficirt werde 
oder dass die Wirkang der kleinsten Dosen eine 
beliebige, nicht gesetzmässige oder dass sie über¬ 
haupt » 0 sei. Wenn Herr Dr. 0. das Alles zu 
seinen Gunsten, im negativen Sinne für die Homöo¬ 
pathen, bewiesen hat, dann kann er erst die 
Frage aufwerfen: Was ist es denn dann eigent¬ 
lich, das die homöopathische Wirkung hervorbringt? 
ist es vielleicht der Suggestionismus? (Der Ver¬ 
fasser.) 

In Bd. 124, No. 15 und 16 hat nun Herr 
Dr. Pfänder das Wort ergriffen zu einer 
Erwiderung an Dr. Gerster. Seine Auseinander¬ 
setzungen sind jetzt entschieden mehr vom Stand¬ 
punkt der Homöopathie als dem des Suggestionismus 
abgefasst und deshalb um so erfreulicher für uns. 
Herr Dr. Pf. zieht den Ansichten Dr. G.’s entgegen 
der Suggestion bedeutend engere Grenzen und 
plaidirt für die doch sicher sehr oft eintretende 
thatsächliche Mittelwirkung. Eine mathe¬ 
matische Gewissheit in Bezug auf Arzneiwirkung 
gebe es freilich nicht. Ueberhaupt lasse sich die 
Frage nufstellen, ob und wiefern die Autosuggestion 
in die sogenannte Naturheilkraft einzubegreifen ist. 

Die Anforderungen Gerster 8 bezüglich der 
Prüfung der psychischen Persönlichkeit des Patienten 
weist Pf. als tbeilweise übertriebene oder unmöglich 
auszuführende zurück. Ebenso die Annahme einer 
eigenen Art von Suggestionismus für die Homöo¬ 
pathie. Die schmeichelhafte Qualification der Homöo¬ 
pathen durch G. macht keinen Eindruck. Das 
Selbstdispensiren hält Pf. für keinen der Homöopathie 
eigenthümlichen therapeutischen Vorzug. Die Fälle 
von 1 — 2 jährigen Kindern, von bewusstlosen Kranken 
und von Thieren, die G. für Naturheilung in An¬ 
spruch nimmt, hält Pf. für die Homöopathie auf¬ 
recht. Auch der Werth homöopathischer Kranken¬ 
geschichten im bisherigen Sinne ist für Pf. ein 
positiver im Gegensatz zu G., dem sie „Makulatur" 
sind. Auch bei allgemeiner Ausbreitung des Sug¬ 
gestionismus stellt Pfänder derArzneibehandlung 
ohne Suggestionismus noch die günstigere 
Prognose und vertritt die Ansicht, dass die 
homöopathischen Arzneien durch Vermitt¬ 
lung des fein reagirenden Nervensystems 
auf die erkrankten Organe wirken und nicht 
direct auf diese letzteren. Die nach der Seite der 
Nihilotherapie hin geforderten Controlversuche G/s 
weist Pf mit Rücksicht auf das Interesse des 


Kranken und die hohe Wahrscheinlichkeit der 
rein homöopathischen Heilung zurück. — Bei 
chronischen Krankheiten ist nach Pf. plötzlicher 
Umschwung durch Suggestionismus möglich aber 
nicht wahrscheinlich. Häufig aber sind 
hier homöppathisohe Heilungen. Dr. Pfänder 
wünscht, dass das Thema noch allseitiger beleuchtet 
werde. — 

Nun folgen in Bd. 124, No. 17 und 18 Dr. 
Lorbacher'8 Bemerkungen zu Dr. Gerster*s 
Aufsatz. L. fasst sich kurz, indem er die an¬ 
gebliche Vermittlung der Suggestion zu den bisher 
schon vorgebrachten Einwürfen gegen die Homöo¬ 
pathie hinzu addirt und sie unter die Kategorie der 
mystischen Agentien verweist, ohne ihre Existenz 
zu leugnen. Er giebt die Unmöglichkeit zu, den 
Suggestionisten gegenüber den stricten Naohweis 
des Nichtvorhandenseins der Suggestion in jedem 
Falle zu führen und betrachtet offenbar den Sug¬ 
gestionismus als eine vorübergehende Modesache. 

In Bd. 124, No. 21 und 22 habe ich selbst 
in einer längeren Abhandlung versucht, die Be¬ 
hauptungen Dr. Gerster s möglichst zu entkräften 
und seinen Postulaten entgegenzutreten. Da meine 
Anschauungen schon aus diesen gegenwärtigen Zeilen, 
wie ich hoffe, klar genug hervorgehen und die 
strittigen Punkte bei der Beleuchtung des Gegners 
sichtbar werden, so kann ich es wohl unterlassen, 
mich selbst zu recapituliren, und erlaube mir, die 
verehrten Leser hierin auf ihr Gedächtniss oder 
auf ihr Wohlwollen, jene Abhandlung nachzulesen, 
zu verweisen. Natürlich hat Herr Dr. Gerster 
meine Einwürfe gegen seine Behauptungen nicht 
unerwidert gelassen, (vide Bd. 125, No. 3 und 4.) 
Einige seiner heissblütigen Ausfälle habe ich schon 
parirt; auf mehrere andere seiner sonderbaren Ein¬ 
fälle wie z. B. den Vergleich zwischen ihm als 
einem Freigeist und mir als einem Dogmatiker will 
ich nicht näher eingehen. Seine didactischen 
Theorien über „Methoden* und „Systeme*, über 
den „Universalmediciner *, über die Folge geistiger 
Beschränktheit durch fortwährende Beschäftigung 
mit der Homöopathie, seine Anschauung vom „Hahne- 
mannismus* weise ich einfach als Utopieen zurück. 
Als „Freund der Homöopathie* hat sich Gerster 
durch seine Auslassungen gerade nicht declarirt, 
aber als Eklektiker. — Ist auch ein System, Alles 
was man brauchen kann, zusammenzuholen. Uebrigens 
giebt es Literatur genug, um sich über Hahnemann 
und die Homöopathie besser zu unterrichten. Und 
wenn Herrn Dr. Gerster die Literatur als „veraltet* 
nicht zusagt, so mag ihn der Gedanke trösten, dass 
die homöopathische Theorie in den Köpfen der 
Homöopathen weiter vorgeschritten ist als in ihren 
Büchern. — 

„Gerade weil ich wünsche*, sagt Gerster, „dass 
das, was an der Homöopathie gut und wahr ist, 

18 * 


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140 


zum Durchbruch und zur allseitigen Wissenschaft- 
liehen Anerkennung gelange, möchte ich, dass die 
Homöopathen Krankengeschichten liefern, die in 
jeder Hinsicht, auch vom Standpunkt des Suggestio¬ 
nismus wissenschaftlich unanfechtbar sind*. — 

Nun ich wüsste nicht, was nach all" den An¬ 
fechtungen Gerster’s an der Homöopathie überhaupt 
noch Gutes und Wahres sein sollte; zweitens kommen 
mir die ziemlich anmassenden Wünsche des Sug¬ 
gestionismus , der vorerst noch um seine eigene 
allgemeine Anerkennung in der Therapie zu ringen 
hat, ebenso übertrieben vor wie Herrn Dr. Pfänder. 
Da hätte die Chemie sicher noch viel mehr zu 
kritisiren an uns Homöopathen; da könnte dieser 
und jener kommen und uns die Meinung sagen; 
das ficht uns Alles nicht an. Unsere Kranken¬ 
geschichten sind für uns lehrreich genug, weil der 
Name einer Arznei, der da genannt wird, für uns 
kein leerer Schall, sondern ein lebensvolles Bild ist 
mit Vorgängen, die sich mit denen am Kranken¬ 
bette möglichst decken. — Der Suggestionismus 
aber ist auch nur ein .System*, auch nur eine 
.Methode* wie irgend eine andere. Ihn kennen zu 
lernen ist interessant; aber wenn man ihn kennt, 
bleibt nichts zurück als der traurige Eindruck, den 
es macht, zu wissen, dass man einen mit Vernunft 
begabten Menschen vollständig zu seiner eigenen 
automatenhaften Carricatur erniedrigen könne. — 
Den ihm von Pfänder gemachten Vorwurf des 
Pansuggestionismus weist Gerster unter Hinweis 
auf das Werk von Schmidkunz, zu dem er ärztliche 
Erläuterungen geschrieben, zurück.*) 

Indem ich einiges übergehe, komme ich sogleich 
zu der Zumuthnng Gerster s an mich, .ich ver¬ 
wechsele die Suggestion, wie sie zu psychologischen 
Experimenten oder zur Ausübung von Verbrechen 
benützt resp. missbraucht wird, mit der .Heil¬ 
suggestion des gewissenhaften Arztes.* — 

Hier ist mir neu, dass es etwas zum Verwechseln 
giebt und, wenn es etwas zum Verwechseln giebt, 
so ist mir nicht neu, dass diese sogenannte Heil¬ 
suggestion des gewissenhaften Arztes ein 
uraltes Kind aller Zeiten und Völker ist und 
dass jede Zigeunerin, jede Hebamme, jede Kinds¬ 
frau, jede Mutter und jede Pfuscherin am Lande 
und in der Stadt sie kennt und ausübt, wenn sie 
die Krankheit .bespricht*, wie das von jeher üblich 
war und noch ist. Diese Heilsuggestion des ge¬ 
wissenhaften und sagen wir talentirten Arztes drückt 
sich aber nicht immer sondern sogar sehr selten 
durch Worte aus, sondern sie ist stumm. Sie be¬ 
ruht auf dem Rufe des Arztes, auf seinem persön¬ 
lichen Wesen, auf seiner Sympathie zu dem Kranken 
und vice versa auch auf der Erfahrung des Kranken. 


*) Leider konnte ich das Werk bis jetzt nicht 
stndiren. Der Verf. 


Das ist diejenige .Suggestion*, der ich unter allen 
Umständen beipflichte. 

.Die Arznei, sagt G., wirkt ja auch oder kann 
wenigstens wirken ohne Betheiligung des Willens 
des Patienten, sie beeinträchtigt also (?) auch in 
gewissem Sinne dessen Willensfreiheit.* Mir scheint, 
dass die Functionen der menschlichen Eingeweide 
dem Willen sehr wenig unterworfen sind und dass 
eine Arznei ihn hierin nicht beeinträchtigen kann. 

Nach einem kleinen Panegyricus anf die Sug¬ 
gestionstherapie folgt nun ein hübscher und wahrer 
Satz, den ich gern unterschreibe: .In sehr vielen 
Fällen — und diese zu erkennen ist eben Sache 
des mit der Suggestionstherapie vertrauten Arztes 
— ist die therapeutische Suggestion einfach oder 
mit Hypnose geradezu der Hebel, der den Patienten 
aus seiner verzagten oder verzweifelten Stimmung 
bringt und ihn für weitere therapeutische An¬ 
ordnungen empfänglich macht.* Das ist einmal 
sicher wahr, dass viele Patienten, besonders chro¬ 
nische, die schon viele Enttäuschungen erlitten und 
von torpider Gemüthsart sind, oft eines sehr ein¬ 
dringlichen Zuspruches bedürfen, sei es von Seite 
des Arztes oder des Geistlichen, bis nur irgend 
etwas Erfolgreiches mit ihnen zu unternehmen ist 
Uebrigen8 besorgen viele Aerzte, besonders auf dem 
Lande, dieses Wunder durch eine kolossale Grob¬ 
heit. 

Bezüglich der . Autosuggestion der Besserung* 
hat mich Dr. Gerster nicht richtig verstanden. Ich 
hatte gesagt: .Gar nicht imponirt mir Deine Auto¬ 
suggestion der Besserung etc. etc.* Dr. G. dreht 
die Sache nun ein bischen herum und sagt: .Die 
Beibringung (ah!) der Autosuggestion der Besse¬ 
rung, die Dir lieber Freund, gar nicht imponirt, 
halte ich für eine humane Pflicht, ja eine thera¬ 
peutische Ruhmesthat ersten Ranges.* — Dieser 
Auslegung pflichte ich bei; ich hatte ja nur das 
spontane Zustandekommen der Autosuggestion der 
Besserung bei Schwerkranken für etwas Schwieriges 
gehalten. — 

Die .geistige Gährung* hätte mir Dr. G. schon 
eher verzeihen können als Herrn Dr. Lorbacher 
den .academischen Neuling;* die Gährung ist ja 
doch in aller Welt, so wie Dr. G. will, ein Ent- 
wicklungsprocess, und seine Producte sind, so viel 
ich weiss, auf der ganzen Welt sehr geschätzt. Für 
einen .unruhigen Kopf, der alle Augenblicke was 
anderes treiben muss und nirgends zufrieden ist*, 
habe ich Herrn Dr. Gerster nie gehalten. 

Herr Ladame-Genf, der für seine bittere Kritik 
des Schmidkunz’schen Werkes über Suggestionismus 

*) Was ich aber unterlasse, da ich bei Besprechung 
naturwissenschaftlicher Gegenstände die Hereinziehung 
der Ansichten einzelner Religionsbekenntnisse für durch¬ 
aus verfehlt und nicht diskutirbar ansehe. 

Dr. med. Q. Göhrum. 


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141 


auch eine scharfe Büge bekommt, wird sich mit 
den Herren Dr. 6. und Schmidknnz schon selbst 
anseinandersetzen müssen; ebenso Herr Dr. Göhrum, 
der sie ab gedruckt bat.*) 

Zuletzt charakterisirt Herr Dr. Gerster seine 
Stellung zur Homöopathie noch folgendermassen: 

„Ich bin fest überzeugt und hoffe es noch zu 
erleben, dass auch die Homöopathie, befreit von 
den Schlacken, die durch leidige Systemsucht und 
das Jurare in verba magistri ihr heute noch an- 
hängen und ihre Wahrheiten verdunkeln, dereinst 
ebenfalls zur wissenschaftlichen Arzneikunde ge¬ 
hören wird.* — Besten Dank, Freund Gerster, aber 
da schaut ein ganzer Pferdefuss heraus! — 

Wir sind am Schlüsse angelangt. Mir macht 
es den Eindruck, dass die homöopathischen Aerzte 
ihrer Lehre eine selbstständige Stellung zu reserviren 
gedenken und dass nur einige zum Suggestionismus 
hinneigen. Dass das homöopathische Publikum 
autosuggestiv stärker veranlagt sei, als das übrige, 
halten wohl die Meisten für unerwiesen, ich speciell 
habe viel Grund das Gegentheil zu glauben. — 
Wenn an der Homöopathie noch Mängel sind, 
so tröste ich mich damit, dass die Theorie und 
Praxis des wissenschaftlichen Suggestionismus aus 
einem viel grösseren Wust von Thorheit und Aber¬ 
glauben ausgegraben werden musste als dies bei 
der Homöopathie je der Fall war und der Fall sein 
wird. — 


Ein Fall von Ekzem (Ekzema 
impetiginosum), ans der Praxis. 

Mitgetlieilt von Dr. med. H. Billig in Leipzig. 

HerrS. hier, pensionirter Eisenbahn-Packmeister*), 
jetzt 67 Jahre alt, stellte sich mir am 1. December 
v. J. vor und begehrte meine Hülfe gegen ein 
langwieriges und ebenso hartnäckiges wie lästiges 
Hautleiden. 

Von früher Jugend auf bat er immer an etwas 
„Schärfe* am Körper (Blüthen, Schorfe mit Eiter) 
und tinea capitis gelitten, während die Eltern an¬ 
geblich frei von derartigem Leiden gewesen und 
die Geschwister nur vorübergehend von leichter 
tinea capitis heimgesucht worden seien. Als Kind 
ist er geimpft worden ( - Näheres darüber nicht 
bekannt —), im Uebrigen kann er sich aber nicht 
besinnen jemals krank gewesen zu sein. In seinen 
Militärjahren zeigte sich zuerst das Leiden in Form 
eines flechtenartigen Ausschlags an den Oberschenkeln, 
sonst nirgends weiter. Der betr. Militärarzt hat 


*) Er verunglückte mit bei Gelegenheit der Ent¬ 
gleisung eines Zuges, dem er beigegeben war. 

Der Verf. 


ihm eine Zinksalbe zum Einreiben verordnet und 
darnach ist der Ausschlag „bald* beseitigt gewesen, 
um nach einigen Jahren von Neuem wieder zu er¬ 
scheinen, aber immer hauptsächlich nur noch an 
den Oberschenkeln, weniger an den Unterschenkeln 
und oberen Extremitäten. In seinem 34. und 35. 
Lebensjahre war das Leiden am schlimmsten: die 
betroffenen Stellen juckten ganz gewaltig, nässten, 
und wenn eine Stelle anscheinend heilte, zeigte sich 
eine Borke darauf. Einige Tage vor dem Ausbruche 
des Ausschlags befiel ihn allemal eine eigenthümliche 
Unruhe, ein eigenthümliches Schmerzgefühl und 
Ziehen in den Schenkeln. 

Es ist damals vieles und vielerlei von Aerzten 
und Nichtärzten, wie es in solchen Fällen so zu 
gehen pflegt, dagegen angerathen und angewendet 
worden: es wurde besser mit dem Patienten und 
16 Jahre lang ging es mit ihm „fast* ganz gut; 
was aber geholfen hatte, konnten weder er noch 
seine Frau, die am 24/6. c. bei der Befragung mit 
gegenwärtig war, verrathen. 

Es ging also „fast* ganz gut von 1873 bis 
zum März des Jahres 188J. Da brach das alte 
Uebel mit erneuter Heftigkeit aus. Natürlich war 
wieder Verschiedenes ohne Erfolg gebraucht worden, 
bis man eben am 1. December vorigen Jahres meine 
Hülfe in Anspruch zu nehmen sich bewogen fand. 
Aber was sah ich da! Ein durchaus nicht dürftig 
ernährter Mann von mittlerer Grösse stand vor mir, 
das Gesicht und der durch den Ausschlag haarlos 
gewordene Kopf entzündlich geröthet, glänzend von 
dem unaufhörlich durchsickernden Secrete, so dass 
immer mit leinenen Lappen die nässenden Stellen 
abgetrocknet werden mussten. Ebenso erging es 
mit den oberen und unteren Extremitäten, während 
am übrigen Körper, dem Rumpftheile, wenig und 
nur hier und da eine Spur des Uebels zu bemerken 
war. War einmal eine kleine Stelle auf kurze Zeit 
trocken geworden, dann bildete sich ein weiss 
schillerndes, schuppenartiges Oberhäutchen, unter 
welchem aber das Nässen fortdauerte, bis das neu¬ 
gebildete Oberhäutchen wieder zerstört oder bei 
etwas unvorsichtigem Abtrocknen mit entfernt worden 
war. Patient war untröstlich über sein Leiden und 
wollte schier verzweifeln. 

Ich hatte ja während meiner langjährigen (bald 
50 Jahre!) Praxis schon manches Flechtenleiden 
und in den verschiedensten Formen zu behandeln 
gehabt, aber ein so hochgradiges doch noch nicht 
und ich war um eine sofortige Antwort ein wenig 
verlegen, als er mich aufs Gewissen fragte: ob ich 
ihm würde helfen können? Ich rühmte ihm die 
grossen Vorzüge des homöopathischen Heilverfahrens, 
das oft schon da noch Hülfe gebracht, wo alles 
Andere im Stiche gelassen, und so hoffe auch ich, 
dass es meinen Bemühungen gelingen werde ihn 
von seinem peinlichen Leiden zu befreien. 


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149 


Und in der That, nicht ganz ohne Hoffnung 
übernahm ich die homöopathische Behandlung des 
bedauemswerthen Kranken. Ich versprach ihm 
meinerseits die sorgsamste Behandlung, verlangte 
aber seinerseits pünktliche Befolgung meiner An¬ 
ordnungen, Geduld und — Ausdauer! Und er hat 
sein Wort gehalten, hat Folgsamkeit und Ausdauer 
gezeigt und geniesst nun die Folgen davon, denn 
er ist — sein Leiden los! 

Es giebt der homöopathischen Mittel gegen die 
verschiedenen Flechtenformen so viele, wie die Herren 
Collegen alle wissen, dass es nicht allemal leicht 
fällt gleich das Passendste herauszufinden. So war 
auch ich, wie ich offen gestehe, anfänglich in 
einiger Verlegenheit, was für ein Mittel ich meinem 
Patienten reichen sollte. Der Gedanke lag wohl 
nahe, den vorliegenden Fall als einen Abkömmling 
der „vielgestaltigen Psora“ nach Hahnemann an¬ 
zusehen und demnächst die Cur mit sogenannten 
antipsorischen Mitteln zu beginnen und zwar, nach 
dem Rathe einiger älterer, sonst bewährter und 
tüchtiger Homöopathen, sogleich mit Sulfur, als 
dem vornehmsten Antipsoricum. Diesem Rathe zu 
folgen habe ich mich allerdings nie besonders ver¬ 
sucht gefühlt und so auch diesmal nicht, sondern 
ich*gab zuerst Lycopodium 3. Deo.-Ver., jeden Abend 
eine Gabe einzunehmen. Vielleicht verdiene ich da 
nach der Ansicht Einiger einen Tadel, dass ich nicht 
eine „Hochpotenz“ gewählt und diese in einer 
einzigen Gabe habe Wochen lang auswirken lassen; 
ich habe mich aber nie zu solchen Ansichten hin¬ 
geneigt in meiner Praxis. Ich habe zwar Versuche 
gemacht mit Hochpotenzen, bis zur 200., habe aber 
keine sonderlichen Erfolge davon gesehen und bin 
deshalb immer wieder zu den tieferen Gaben zurück¬ 
gekehrt. Mein tirocinium in der homöopathischen 
Praxis fiel ja noch in die zweite Hälfte der 40. Jahre, 
in die Griesselich'sche Aera, als Student der Medizin 
schon hatte ich bei meinem sei. Vater Gelegenheit 
in der Hygea herumzublättern, die leider mit Griesse- 
lich's Tode eingehen musste, und als angehender 
Arzt habe ich vielfach, mündlich und schriftlich, 
mit einem Trincks, den ich heute noch sehr ver¬ 
ehre, und einem Hirschei verkehrt, der mir immer 
ein freundlicher Rathgeber und College war, so oft 
ich auch zu ihm kam. Die „Hygea“ aber war mir von 
jeher die liebste Lektüre, und heute noch, wenn ich 
einmal Geist und Herz erquicken will, da hole ich 
mir aus meinem Bücherschränke einen Band der 
Hygea hervor und lese irgend ein Capitel darin, 
etwas Lehrreiches und Interessantes finde ich immer 
darin. Bei Vielen ist sie wohl (mit Unrecht! d. Verf.) 
in Vergessenheit gerathen und unsere jüngere und 
jüngste Generation dürfte sie wohl kaum dem Namen 
nach kennen. Es ist eben das alte Tempora mutantur! 

Doch nun zurück zu meinem Patienten! Ich 
bitte den geehrten Leser um Entschuldigung wegen 


der kleinen Abschweifung, die mir unwillkürlich in 
die Feder kam. 

Am 14. December consultirte mich Patient von 
Neuem und da auch nicht die mindeste Aenderung 
resp. Besserung eingetreten war, so erhielt er nun 
Graphit 6. Vbg., ebenfalls jeden Abend eine Gabe 
und am 29« December nochmals dasselbe Mittel, ohne 
allen Erfolg, wie ich bei seinem nächsten Besuche 
am 18. Januar d. J. leider wabmehmen musste. 
Nun entschloss ich mich doch, ihm einmal Sulfur 
zu geben und zwar in globulis, die mit der 80. Verd. 
befeuchtet waren. 

Am 1. Februar c. Status idem. Ich befand mich 
in einer Art gelinder Verzweiflung, zumal da ich 
wahrnahm, dass auch Patient die Hoffnung auf einen 
günstigen Erfolg der Cur aufgeben zu wollen schien. 
Da entsann ich mich, in einem früheren Bande der 
Griesselich’schen Hygea einen Aufsatz gelesen zu 
haben, in welchem ein College den durch gelungene 
Heilungen bestätigten Vorschlag machte, in gewissen 
Fällen der Natur nachzuahmen und gewisse Mittel 
in heissem Wasser auflösen and den Patienten noch 
möglichst warm einnehmen zu lassen*). Es ist mir 
leider bis jetzt nicht gelungen, trotz alles Nachschlagens 
den betr. Aufsatz in der Hygea wieder aufzufinden; 
sollte es mir aber einmal gelingen, so werde ich 
nicht ermangeln auf gedachten Vorschlag in diesem 
Bl. zurückzukommen. Man denke nur an die warmen 
bez. heissen Mineralbrunnen! So gab ich denn am 
1. Februar c. dem Patient 12 Pulver mit Natrum 
muriaticum3.Dec.-Ver., jedes etwa eine gute Messer¬ 
spitze voll enthaltend, mit der Weisung, jeden 
Morgen nüchtern ein solches Pulver in eine 
reine Obertasse zu schütten, bis zur Hälfte mit 
heissem Wasser zu übergiessen und die Lösung 
nach vorhergehendem Umschütteln so warm als 
möglich auszutrinken. Dieselbe Ordination am 16. 
und 19. Februar, am 13. und 27. März. Als Patient 
sich mir am 10. April wieder vorstellte, konnte ich 
eine unverkennbare Besserung constatiren und Patient 
selbst sah hoffnungsvoller aus. Die hohe, glänzende 
Röthe der Haut war nach und nach mehr gewichen 
und ebenso war das Nässen des Exanthems all- 
mählig immer geringer geworden, ja hier und da 
war der Ausschlag gewichen und die Stelle zeigte 
eine fast normale Hautfarbe. 

Noch war aber der Moment nicht gekommen 
die Hände nun ruhig in den Schooss zu legen und 

*) In Folge der vielen günstigen Erfahrungen des 
verstorbenen Collegen Dr. Heinigke habe auch ich bei 
nervösen Erregungszuständen, irritatio spinalis, gewissen 
neurasthenischen Beschwerden (Schlaflosigkeit, hoch¬ 
gradiger Mattigkeit) sowie bei den sogen. Erschöpfungs- 
neurosen wiederholt Tinct. aven. sat. 0 3 mal täglich 
2-3 Tropfen in einen Theelöffel voll heiss es Wasser 
mit sehr günstigem Erfolge verordnet. Eine hinreichende 
Erklärung für diese Verordnungsweise vermag ich nicht 
zu geben. Dr. Haedicke. 


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148 


abzu warten, wie sieb die Sache weiter entwickele. 
Patient erhielt demnach an genanntem Tage weitere 
Pulver desselben Inhaltes, nur mit der Weisung, 
seltner davon einzunehmen, vielleicht einen Morgen 
um den andern. 

Am 2. Mai weitere Besserung, dieselbe Ver¬ 
ordnung. 

Am 28. Mai dieselbe Wahrnehmung, Natr. mur. 
wird fortgesetzt. 

Am 24. Juni besuchte mich Patient auf mein 
ausdrückliches Verlangen noch einmal, um sich mir 
in seiner neuen Gestalt vorzustellen. Ja, der 
Mann, der da vor mir stand, war kaum wieder zu 
erkennen, es war wirklich ein neuer Mensch ge¬ 
worden. Von dem Exanthem war nichts, gar nichts 
mehr zu sehen, und was das Auffallendste war: 
der ehemalige Patient hatte nicht nur sein volles 
Haupthaar wieder bekommen, sondern auch anstatt 
des verlorenen weissen ein dunkles, braunes Haar! 
Und was nach meiner Ansicht nicht weniger hoch 
anzuschlagen ist: die frühere Niedergeschlagenheit 
und Verzagtheit war gänzlich gewichen und froh 
und wohlgemuth sah er jetzt mit klaren Augen in 
die Welt hinaus! 

Heute, wo ich diesen Aufsatz schliesse, schreiben 
wir den 24. Juli, mein Herr S. ist aber noch nicht 
wieder dagewesen, es muss also doch wohl noch 
gut gehen mit ihml Ich wünsche es wenigstens 
ihm und - mir. 


Die zeitweilig herrschenden 
Heilmittel. 

Von Ide-Stettin ist am 9./10. die Mittheilung 
eingegangen, dass er im Gegensatz zu den sonstigen 
Erfahrungen bei Diarrhöen von Veratr. wenig, da¬ 
gegen von Apis mit w. folgendem Arsen, guten 
Erfolg sah. (H.) 

Leeser-Bonn berichtet am 13./10., dass er im 
ganzen viel Wechsel habe; in den letzten Tagen 
sei besonders Laches. hervorgetreten; sonst komme. 


noch vor =» Kali carb. (Silic. + Digit.), = Silic. 
(Baryt, carb. = Led. pal.), = Rhus tox. (Baryt, 
carb. -f* Iris). (W.) 

Schwarz-Baden-Baden hatte am 7., 8. and 9./10. 
= Veratr. (Ac. phosph. + Ignat.) bei Rachen-, 
Kehlkopf- und Luftröbrenkatarrh mit Brennen, Rauh¬ 
heit, Scharren im Hals, Husten von Kitzel in den 
unteren Luftröhrenästen; am 11. und 12. = Kali 
bichromic. (Baryt, carb. -f- Tone.) bei denselben 
Pat, aber der Husten kam von Kitzel an der Bifur- 
cationsstelle der Trachealäste, Husten beim Erwachen, 
nach tiefer Inspiration, besser nach Warmwerden 
im Bett; am 14. wieder bei denselben Pat. = 
Euphras. (Natr. mur. + Iris): in den Vordergrund 
treten die catarrhaliscben Erscheinungen der Nase 
(profuse Sekretion, viel Niessen, Thränen der Augen), 
beim Husten, der seltener ist, Stechen in der linken 
vorderen Axillarlinie im 6. I. C. R. (W.) 

Kirn-Pforzheim berichtet am 19./10. von niederem 
Krankenstand; bei Catarrhen der Brust und des 
Halses leiste Caust. die besten Dienste. Sehr häufig 
seien Zahngeschwüre, für die meist Apis genüge. (H.) 

Ich-hier hatte vom 7.—18./10. vorwiegend = 
Silic. (Baryt, carb. + Led. pal.), daneben noch 
häufig andere Combinationen von Baryt, carb. be¬ 
sonders mit Bell. (= Mercur), mit Lact. vir. (= Ac. 
phosph.), mit Tone. (= Kali bichromic.), mit Petrol. 
(= Magn. carb.); ausserdem trat vom 11.—13. 
noch = Tart. stib. (Natr. mur. -f- Led.) häufiger 
auf; am 19. war kein herrschendes Mittel zu finden; 
heute ist ganz vorwiegend Borax-Sabadill, angezeigt. 
(W.) 

Buob-Preudenstadt hatte vorwiegend Merc. corr., 
Ipecac. und Nux vom. 

Hafa-Herrnhut hat noch immer besonders chro¬ 
nische Krankheiten und dabei Baryt, carb. oder Ac. 
nitric. mit Sabin. oder Tabac. oder Con. oder 
Stramon.; bei Darmcatarrhen findet er China an¬ 
gezeigt; die Leberaffectionen werden seltener. 

Stuttgart, den 20. October 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


ANZEIGEN. 


Zur Zuckerbestimmung im Harn, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Limousin’schen Tropfenzähler 
mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬ 
tabelle ä Paar = Mk 3.50. 

Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets 
ganz frisch, wirdinGlasstöpselgläsem, ä 30,0=50Pfg. 
abgegeben. 

Leipzig, A.Marggrafs homöopath. Officin. 


Zur Eiweissbestimmung im Harn, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Esbach 9 sehen Albuminimeter 

mit genauer Gebrauchsanweisung ä Mk. 3.—. 

Die dazu gehörige Lösung vonCitronen* u.Picrin- 
säure gebe ich in jedem Quant, (ä 100,0 = 30 Pf.) ab. 

Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin. 


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144 


Revisionsmässige Hausapotheken! 

Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbst- 
diepen8irenden homöopathischen Herren Aerzte werden 
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬ 
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die - 
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker. 

Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte 
kleine, praktische 

Giftschränkchen 

und 

Separanden-Schränkchen 

anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu 
Diensten. 

(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen 
vollste Anerkennung gefunden). 

Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬ 
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬ 
weitigen Zimmereinrichtung passen. 

Ein Glft80hränk0hen ist 100 cm hoch, 50 cm breit 
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze 
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild 
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine 
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für 
sich verschliessbar ist. ln diesen Abtheilungen sind 
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch 
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und 
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit 
vorschriftsmäsaigen Porzellanschildern versehen. 

PreiB eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M. 

Ein Separanden8Chräokchen ist 70 cm hoch, 60 cm 
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze 
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬ 
zellanschild Separanda versehen eine Einrichtung für 
80 fiaconsä 15,0, auf Wunsch aucn für andere Flaschen¬ 
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬ 
zubewahren die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren 
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte). 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M. 

Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen 
entsprechend, habe ich die Gift- und Separanden- 
Sohränkohen jetzt auch in einen Schrank ver¬ 
einigt, vorrätkig. 

Die obere Abtheilung dieser Doppel schränke ist 
für die Separanda, die doch mehr gebraucht werden 
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte 
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener 
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬ 
trennt auf bewahrt werden muss wie die Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia. 

Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm 
tief und 62 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht 
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht 
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-, 
nussbaum- oder mahagoni artig. 

Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur 

60 Mark. 

A. Harggraf s homöopath. Offizin in Leipzig. 


Soeben ist erschienen nnd zum Versandt ge¬ 
kommen die 2. Lieferung von 

Die ve rgleichende 

Arzneiwirknngslehre 

von 

Dr. med. H. GrOSS und Prof. Dr. med. C. Herinfl. 
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben 
von Sanitätsrath Dr. med. Faulwasser, Bernburg a S. 
Complet in 8 Lfgn. k Mk. 2.50. Einbanddecke gratis. 
fftF* Wer das Werk lieber im Ganzen complet 

g ebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen, 
a später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt. 

Alle sechs Wochen kommt eine weitere Iaieferung. 
Jede Iaieferung: 0 Druckbogen, 4°. Preis 2.60 Mk. 

Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen 
sind eine grosse Menge Bestellungen auf dieses Werk 
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬ 
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch 
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen 
Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬ 
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend 
genug empfehlen können. 

In Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die 
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem 
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis 
thatsächlich ein ausserordentlich niedriger zu nennen. 

Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen 
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei¬ 
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre 
Anschaffung empfohlen. 

Leipzig, den 12. October 1892. 

A. Marggraf’s homöopath. Offlein. 


f Rein,oftnejede 
Beimischung zu gebrauchen! 

Francks Früchten-Caffee. 


Verbesserter;Iiomopaffiisc/ier 

6esundtmte-gä|=^ 


nach DT F.Katsch 


FRANCK 


nur acht,wenn mit I SCHUTZMARKE 


^7 u.Unterschrifl 

bürg 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrum-Stuttgart, Dr. StifTt-Leipeig und Dr. Haedicke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Greeener & Schramm in Leipzig. 




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Band 125. 


Leipzig, den 10. November 1893. 


No. I» u. 20. 


ALLGEMEINE 


HOMÖOPATHISCHE 



HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 


Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homOopath. Offlein) in Leipzig. 


Braeheint 14ttgig sn 9 Bogen. 13 Doppelnnmmern bilden einen Band. Preis 10 M. 50 Pf . (Halbjahr). Alle Buchhandlungen und 
Postanstalten nehmen Bestellungen an. No. 97 des Poet-Zeitunge-Veraeiohnisse« (pro 1899). — Inserate, welche an JEt. Mosse in 
Lelpiig und dessen Filialen oder an die Vexiagah&ndlung selbst (A. M&rggr&f's homöopath. Offlein in Leipsig) su richten 
sind, werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Baum berechnet. — Beilagen werden mit 19 Jf. berechnet. 

Inhalt. Hofrath Dr. Ed. 6roos + 12. Dez. 1891. Nekrolog nach einem Vorträge, gehalten anf der Herbst¬ 
versammlung des Sächs.-Anhaltin. Vereins homöopathischer Aerzte zu Magdeburg. Von Dr. Fr. Groos-Magdeburg. 

— Eryslpelae habituaie. Von Dr. Mossa-Stuttgart. — Eine Heilung von Angina Ludovioi durch Arsenik. Von 
Dr. med. Leeser-Bonn. — Eine Richtigstellung. Von Prof. Dr. G. Jaeger. — Nachtrag zu den Artikel „Heimathiiohe 
Arzneikimde“ in No. 1718, Bd. 125 dieser Zeitung. Von E. Schlegel, Arzt in Tübingen. — Die zeitweilig herrschenden 
Heilnittel. — Verwahrung. Von Dr. med. F. Katsch. — Erklärung. — Referat: Prof. Jaeger’s Arbeiten in Amerika. 
Von Dr. Göhrum. — Personalla. — Anzeigen. 

MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU 


Hofrath Dr. Ed. Groos 112. Dez. 1891. 

Nekrolog nach einem Vortrage, gehalten anf der 
Herbstversammlnng des Sächsisch - Anbaltiniscben 
Vereins homöopathischer Aerzte zu Magdeburg. 

Von Dr. Fr. Groos-Magdeburg. 

Verehrte Collegen. Der rauhe Tod hat in jüngster 
Zeit zwei treue Anhänger unserer Schule hingebettet, 
gleich ehrwürdig durch ihr Alter, wie durch das 
ungewöhnliche Vertrauen, dessen sich beide seitens 
ihrer Kranken weit und breit zu erfreuen hatten. 
Beide waren Söhne der rothen Erde, der eine im 
Norden derselben, im Gebiete der Weser ansässig, 
der andere im Süden am Ursprung der Lahn. 

Leider bin ich mit dem Collegen Weihe sen. 
in Herford während meines Aufenthalts von 1859 
bis 1860 in EUsbergen a/W. als homöopathischer 
Arzt nicht in nähere Berührung gekommen, 
während mich mit dem andern, meinem Vater, die 
engsten Bande des Bluts verknüpften. Hofrath Dr. 
Ed. Groos war, als der jüngste von 3 Söhnen des 
fürstl. Wittgenst. Kammerdirektors Carl Groos am 
21. Februar 1806 auf Schloss Wittgenstein bei 
Laasphe in Westphalen geboren und auf den Schulen 
in Giessen und Soest vorgebildet worden. Im 
Herbst 1825 bezog er die Universität Marburg, um 
sich anfangs der Gottesgelehrtheit zu widmen, ver¬ 
tauschte sie aber noch in demselben Jahre mit der 
Heilwissenschaft; ging dann 1827 nach Bonn und 


1829/31 nach Berlin. Hierunterzog er sich zunächst 
der kurz vorher eingeführten Dienstpflicht als Ein¬ 
jähriger und bestand nach Beendigung derselben die 
ärztliche Prüfung mit der Bezeichnung „sehr gut.“ 
Im April 1831 lies er sich als Arzt in seiner 
Vaterstadt Laasphe nieder, einem kleinen, welt¬ 
verlassenen Orte, den er im ersten Jahre nur ein 
einziges Mal in seinem Leben auf längere Zeit 
verliess, um den krankheitshalber beurlaubten 
Grossherzogl.-Hessischen Oberkammerherrn und Ge¬ 
sandten in Wien, Fürsten Adolf zu Sayu-Wittgen« 
stein-Hohenstein auf Reisen zu begleiten. Nicht 
lange vorher war er, am Typhus erkrankt, von 
dreien seiner dortigen Collegen nach damals üblicher 
Art in einer solchen Weise behandelt worden, dass 
er, nach eigenem Geständniss, statt zu genesen, 
von Tag zu Tag kränker wurde, seine Blutmischung 
eine solch’ anomale Beschaffenheit annahm, dass er 
tassenweise dunkles aufgelöstes Blut aushustete und 
sicherlich lege artis gestorben wäre, wenn ihm nicht 
seine widerstandsfähige und kräftige Natur darüber 
hinweggeholfen hätte. Als er sich von der er¬ 
wähnten Krankheit in der Reconvalescenz befand, 
sein Athem noch kurz, seine Brust noch nicht frei 
von Schmerzen war und die reichliche Expectoration 
noch schwer von statten ging, rieth ihm ein alter 
befreundeter allöopatbischer College, Sulfur in 
kleinen Gaben anzuwenden, weil ihm dieses Mittel 
in solchen Fällen stets gute Hülfe geleistet habe. 

19 


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146 


Der Erfolg dieses nach Hahnemann’schen Grand¬ 
sätzen angewandten Arzneimittels war überraschend 
und lenkte seine Aufmerksamkeit um so mehr auf 
die Homöopathie, als dieselbe damals die Aerzte- 
welt noch mehr zur Parteistellung drängte, wie 
heute, auch der Ruf der neuen Heilmethode schon 
in diese abgelegene Gegend gedrungen und durch 
die glücklichen Erfolge benachbarter homöopathi¬ 
scher Aerzte der DDr. Gauwerky in Soest, des Hofrath 
Rau in Giessen, des Hofrath und Leibarzt des 
Fürsten Solms-Lieh bei Giessen Weber, des Kiesel¬ 
bachs in Hanau und last not least des Reg.-R. a. D. 
Dr. C. y. Bönninghausen in Münster eine gewisse 
Berühmtheit erlangt hatte. In dem Collegen Dr. 
Petrasch der in der nahe gelegenen Kreisstadt Berle¬ 
burg, in späteren Jahren als homöopathischer Arzt 
in Münster, wohnte, fand er bald einen strebsamen 
Gesinnungsgenossen, so wie später in dem Kreisarzt 
Dr. Stirn zu Biedenkopf, im Grossherzogth. Hessen 
das er später, mit dem nahen Gladenbach vertauschte, 
wo er vor einigen Jahren sein öOjähriges Jubiläum 
gefeiert und zum Sanitätsrath ernannt, noch heute 
lebt. So wenig Befriedigung die Behandlung der 
inneren Krankheiten gewährte, um somehr bot die 
Chirurgie und Geburtshülfe, für welche er besonders 
beanlagt war, einen wirksamen Ersatz, in letzterer 
eignete er sich eine, für einen Landarzt ausser- 
gewöhnliche Geschicklichkeit an, deren unbestrittene 
Herrschaft er bis zu seinem Tode zu behaupten 
wusste. Im J. 1839 ernannte ihn der Fürst Alexander 
von Wittgenstein in Folge einer äusserst schwierigen 
aber glücklichen Entbindung der Fürstin zu seinem 
Hofrath und Leibarzt. 

Im Frühjahr 1835 machte er gelegentlich eines 
Besuchs in Münster in der Familie des Oberpräsi¬ 
denten von Vinke die Bekanntschaft des damals 
schon sehr berühmten homöopathischen Arztes Re- 
gierungsrathes a. D. Dr. C. v. Bönninghausen. In 
einer längeren Unterredung setzte ihm dieser mit 
einer bei einem allöopathischen Arzte noch nie be¬ 
obachteten Begeisterung die Principien der Homöo¬ 
pathie ihre Vorzüge und Vortheile auseinander und 
theilte ihm seine staunenerregenden glücklich voll¬ 
führten Curen mit 

ßie wissen aus eigner Erfahrung, da Sie den¬ 
selben Werdeprocess durebgemacht haben, wie schwer 
es ist, sich aus der beengenden Stickluft der über¬ 
kommenen Universitätslehren heraus zur kecken 
Tbat des Uebeitritts aufzuschwingen. 

Die Gabenfrage ist ja die Klippe, an der, nahe 
dem rettenden Hafen der Homöopathie zugewendete 
Männer im letzten Augenblick noch scheitern, 
v. Bönninghausen gehörte mit zu den hauptsäch¬ 
lichsten Verfechtern der „Hochpotenzen*. Dass 
meinem Vater dieser Entschluss schwer geworden 
ist, ersehen Sie aus den von ihm verfassten „Er¬ 
fahrungen eines alten Arztes auf dem Gebiete der 


Homöopathie*, wo er uns einen Einblick in seine 
damalige Stimmung gestattet. „Wenn ich auch 
durch alle diese Begegnisse mehr und mehr zu der 
Annahme der Richtigkeit des homöopathischen Grund- 
princips mich veranlasst fühlte, so waren doch alle 
Zweifel an die Tragfähigkeit desselben in mir noch 
nicht gehoben, und dass insbesondere die inlso 
übermässig kleinen und seltenen Gaben verabreichten 
Arzneien eine so immense Kraft und ausgedehnte 
Wirksamkeit haben sollten, wollte mir durchaus 
noch nicht einleuchten. Und noch am allerwenigsten 
konnte ich begreifen, dass mit der fortgesetzten 
materiellen Verkleinerung der Arzneien in höher 
steigenden Potenzen, mit Schütteln und Armstössen, 
eine Multiplication ihrer Kraft gegeben sein sollte. 
Der alte Erfahrungssatz der Physik: nulla vis sine 
materia musste, meines Erachtens, doch auch in 
dieser rein stofflichen Sache seine Geltung behalten. 
In chronischen Krankheiten namentlich des Nerven¬ 
systems, in psychischen und akuten Krankheiten 
überhaupt mit erethischem Charakter nach der Be¬ 
zeichnung des Prof. 8chönlein, glaubte ich der 
Homöopathie zwar einen bevorzugten Platz ein¬ 
räumen, dagegen in den Krankheiten mit dem 
Charakter der Synocha oder des Torpors, der zu 
starken oder zu geringen Reaction, jener keinen 
hohen Werth zuerkennen zu können.* Inmitten 
dieser widerstreitenden Empfindungen erschien sein 
Schwager, Dr. Louis Griesselich zu Karlsruhe, zum 
Besuche bei den Schwiegereltern, im Frühsommer 
1835, welcher der entgegengesetzten Ansicht huldigte 
und aus voller Ueberzeugung für die unumschränkte 
Anwendung der Homöopathie auf dem Gebiete der 
Medicin eintrat. Ein Studienfreund des Fürsten 
Alexander hatte er bei einem Besuche auf Schloss 
Wittgenstein in der älteren Sobwester meiner Mutter 
seine Frau kennen gelernt. Er war eine eigenartige, 
weiche und zugleich kampffreudige Natur, von 
hoher, schriftstellerischer Begabung, ein Feind jeder 
Ueberschwänglichkeit, von seltner allgemeiner Bil¬ 
dung und Belesenheit, von scharfem, stets schlag¬ 
fertigem Urtheil und von unvergleichlichem, unüber¬ 
trefflichen Witz, gefürchtet wegen seiner bissigen 
Ausfälle auf die alte Medicin, aber auch ein uner¬ 
müdlicher Kämpfer gegen die Hoobpotenzen der 
neueren Schule, nach Hirschei ein wahrer Ulrich von 
Hutten, der gegen jeden Mysticismus und Aber¬ 
glauben in der Homöopathie die Waffen des Ernstes 
und Spottes mit Erfolg führte. Leider war es ihm 
nicht vergönnt, die Wissenschaft vom Absolutismus 
der Hahnemann’schen Lehrsätze ganz zu befreien. 
Er starb eines frühen Todes 1849 als funktionirender 
Generalstabsarzt des 8. deutschen Armeecorps im 
chleswig*holsteinischen Kriegs durch einen Sturz vom 
Pferde. Ein unscheinbarer Stein errichtet von dem 
badischen Officiercorps, umrankt von üppigem 
Strauchwerk, deckt seine Stätte auf dem Kirchhof 


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147 


zu Altona und lässt nicht ahnen, dass hier einer 
der genialsten und begeistertsten Vertreter der 
Homöopathie den letzten Schlaf schläft. 

Ein vieljähriger brieflicher Verkehr mit Griesse- 
licb über die Grundsätze und Grundanschauungen 
der neuen Schule, der er mit Leih und Seele er¬ 
geben und för die er seine Kräfte bis zum letzten 
Pulsschlag seines Lebens einzusetzen, nicht müde 
ward, führte endlich dahin, dass mein Vater mit 
fliegenden Fahnen in das Lager der Homöopathie 
übertrat. 

Es würde den Rahmen dieser Mittheilungen 
überschreiten, wollte ich Ihnen dieselben in ihrem 
ganzen Umfange vorführen. Nur auf einzelne Punkte 
will ich mich beschränken und sie ihrem Wortlaute 
nach wiedergeben, insofern sie auch jetzt noch 
unsere volle Theilnahme verdienen. 

Unter dem 22. Juli 1835 schrieb Griesselich: 
Ihre Bereitwilligkeit, sich mit einer Doctrin bekannt 
zu machen, die in ihren wenigen Fundamentalsätzen 
gut, in ihrer Ausführung übel bestellt und in der 
Praxis mit mannigfaltigen Schwierigkeiten verbunden 
ist, hat mich sehr gefreut. Ich fürchtete zwar 
längere Zeit, Sie möchten nicht darauf eingehen, 
indem Sie einestheils von den mit der Doctrin ge* 
Iriebenen Thorheiten zurückgeschreckt wären, andern- 
theils auch die Schwierigkeiten in der Praxis zu 
bedeutend gefunden hätten, bis mich Ihr Schreiben 
eines Besseren belehrte. Ich hoffe, Sie werden sich 
durch all’ das widersinnige Zeug, von dem die ganze 
Medicin und ihr Appendix, die Homöopathie, starrt, 
glücklich durcharbeiten und dazu gelangen, das in’s 
Lehen einzufnhren, was Sie mühsam errungen haben, 
wie ich und viele andere .... Der guten Sache 
werde ich meine Kräfte immer widmen, gegen jeden 
Missbrauch, entspringe er aus Dogmatismus, Eigen¬ 
nutz oder Unkunde, aber ebenso streng zu Felde 
ziehen, finde er sich hier oder dort. Wenn man 
einmal feststeht auf dem neuen Felde, wenn man 
vor sich hat all’ die Menge des uns allen noch 
Fehlenden und hinter sich etwas festes Land, so 
bekommt man etwas mehr Muth und Zuversicht 
für das, wofür man arbeitet und ich möchte sagen, 
cs tauchen aus dem Innern neue literarische Freuden 
auf, die man bei der Ausübung der complicirten 
älteren Praxis nicht fühlte. Es ist mir und anderen 
so ergangen und diese Gefühle können eine Art 
Begeisterung hervorrufen, die durchaus nicht blind 
macht und zu einem Enthusiasmus von Stroh ver¬ 
donnert, sondern einem erst recht klar macht, was 
zu thun ist, um die an und für sich gute Sache 
besser zu machen, als sie aussieht. Seit längerer 
Zeit wenden sich ältere und jüngere Aerzte in Sachen 
der Homöopathie an mich und wünschen Auskunft 
über das Studium derselben; allein ich bekenne, 
dass es mir immer ergangen ist, wie heute mit 
Ihnen: es ist schwer diese Auskunft zu geben. 


Ich versäume nie, jedesmal auf die Tollheiten auf¬ 
merksam zu machen, die mit der Homöopathie ge¬ 
trieben und duce Habnemanno nachgebetet als Wahr¬ 
heiten verehrt worden sind. Bei einer Prüfung der 
Homöopathie muss man eine gute Portion Zweifel 
zu der Kritik mitbringen, von einigen Hauptsätzen 
ausgehen und eben bei Zeiten lernen, das Trügliche 
von dem wirklich Wahren zu unterscheiden. So 
grosse Mängel, Uebertreibungen und Grellheiten das 
Organon Habnemann’s auch hat, so muss man es 
doch lesen zur Erforschung der Wahrheit und ihr 
zu lieh die vielen Schattenseiten übergehen und 
nur mitnehmen, was einem klar geworden ist, dieses 
anstreichen und sich zu eigen machen und was 
halbklar ist, überlegen. Das Princip „similia similibus* 
ist so wahr, als etwas auf der Welt wahr sein kann 
und bezeichnet nach einer verständigen Theorie nichts 
als die specifische Beziehung zwischen Organ und 
Arznei. Dass nach H. eine künstliche ähnliche 
Krankheit die natürliche überstimmen und somit 
heilen müsse, ist falsch. Das homöopathische Mittel 
heilt, weil es in der allernächsten Beziehung zu 
dem Leiden steht und es bedarf daher nur kleiner 
Arzneigaben, um in dem kranken Organismus jenen 
Grad von Reaction hervorzurufen, um die Naturkraft 
so zu leiten, dass Genesung eintritt. Da kein ge¬ 
sundes Organ von dem homöopathischen Arzneimittel 
angegriffen werden soll, wie bei der antipathischen 
Methode durch ableitende Mittel, so bedarf es eben 
nur geringer Gaben und einfacher Arzneien, deren 
Wirksamkeit an Gesunden zuvörderst erprobt sein 
soll, um deren specifische Beziehungen zu erfahren. 
Die Hahnemann’schen kleinen Gaben wirken nicht 
selten, allein sie wirken nicht immer und müssen 
nach dem Leiden und Individuum modificirt werden. 
Ja man muss bei torpiden Subjecten von Tincturen 
zuweilen unverdünnte Dosen geben. Um z. B. eine 
Augenentzündung zu heilen, welche in Bellad oder 
einem andern grade passenden Mittel ihre Arznei 
findet, können Sie keine Dosis brauchen, wie man 
sie gewöhnlich in der Praxis giebt Man muss es 
ferner als Grundsatz betrachten, dass man jeder 
Gabe so lange Wirkung gönnt, als sie wirklich 
Gutes leistet. Ueher diesen Punkt und die Wieder¬ 
holung sind die Aerzte verschiedener Meinung. Die 
Wahl der Gabe und die Zeit der Wiederholung 
muss dem Genie des wissenschaftlichen Arztes über¬ 
lassen bleiben. In akuten Leiden kann es sein, 
dass man die Arznei alle paar Minuten geben muss, 
z. B. in der Cholera Cupr. Ipec. und Veratr., ferner 
in Entzündungen Acon. und zwar in starken Ver¬ 
dünnungen in der zweiten, ersten und sogar in der 
unverdünnten Urünctur zu 1, 2 und mehreren 
Tropfen alle Viertelstunden. In chronischen Leiden 
sind im allgemeinen seltnere Gaben nothwendig. 
Lassen Sie sich durch Hahnemann nicht irre machen, 
wenn er Ihnen nur von der 80. Verdünnung vor 

19* 


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demonstrirt, von dem Potenzirtwerden der Arzneien 
durch Schütteln und Reiben, was sich anders er¬ 
klären lässt, von der Theorie der chronischen Krank¬ 
heiten, namentlich seiner unsinnigen Psora etc. 
Ueber alle diese Sachen hat sich unter den ver¬ 
ständigen homöopathischen Aerzten nur eine Stimme 
gebildet. Die Gegner & la Simon jr. u. s. w. haben 
sich an diese falschen Dinge gehalten und konnten 
deshalb nicht zu dem Guten an der Lehre kommen, 
welches durch diese Falschheiten, Verdrehungen 
und Uebertreibungen versteckt worden ist. Allein 
hat man einmal eine Reibe von Versuchen gemacht, 
so wird man sich, vorausgesetzt, dass man sie recht 
macht, gar leicht überzeugen können, dass, wenn 
auch Hahnemann’s Angaben nicht alle richtig 
sind, doch die Homöopathie schätzbare Keime in 
sich enthält, die nur gepflegt werden müssen. 
Das Heer der Widersacher mag aber keine 
Versuche machen, am wenigsten die a priori be¬ 
fangenen Professoren, deren Systeme dann Rivale 
hätten. Die Hauptschwierigkeit, wenn man sich durch 
die Theorie durchgearbeitet hat, ist, die Arznei¬ 
mittellehre sich anzueignen. Sie besteht aus einem 
entsetzlichen Chaos von Symptomen, sodass man 
den Wald vor Bäumen nicht sieht. Statt die 
Arzneikrankheiten nach ihrem Verlauf zu schil¬ 
dern , findet man sie nach einem willkürlichen 
Schema zerrissen und alles untereinander, wesent¬ 
liches und unwesentliches. Die Klagen darüber 
sind allgemein.* 

Der letzte Brief rührt aus dem J. 1836 bei 
Gelegenheit der Uebersendung einer homöopathischen 
Apotheke, aus den erprobtesten Arzneimitteln be¬ 
stehend, um damit praktische Versuche anzustellen. 
„Ich habe Ihnen, fügt Griesselich hei, nur etliche 
70 Arzneien bestellt, weil ich es nie anders mache, so 
oft ein College eine Apotheke durch mich bestellt; 
denn erstens sind viele Arzneien noch nicht recht 
gekannt, zweitens ist es für einen Arzt, der erst zu 
versuchen beginnt, genug, sich einen Grundstock 
anzulegen und allmählig zu Werke zu gehen und 
drittens bedarf er anfangs nicht vieler Arzneien, 
bis er sich eingearbeitet hat. Entspricht dann diese 
Heilmethode seinen Wünschen, so kann er leicht 
die weiteren Anschaffungen machen, entspricht sie 
aber nicht, so kann er den Verlust an Zeit und 
Geld leicht verschmerzen. Ich schicke Ihnen die 
Pflanzenstoffe in Tincturen, 100 Tropfen Alkohol 
mit etlichen Tropfen der betr. Urtinctur. Wollen 
Sie weitere Verdünnungen bis etwa zur dritten, 
was gut sein wird, so nehmen Sie ein neues Gläschen, 
schütten 100 Tropfen reinen Alkohol, den Ihnen 
der Apotheker bereiten muss, hinein und träufeln 
einige Tropfen der erhaltenen Tinctur hinzu; statt 
des Alkohols können Sie auch destillirtes Wasser 
nehmen. Zur Bereitung einer weiteren Verdünnung 
giessen Sie den Inhalt des Gläschens bis auf einige 


Tropfen aus und füllen es dann mit Alkohol oder 
de8tillirtem Wasser wieder auf u. s. w. 

Auf diese Weise ist die Procedur des Ver¬ 
dünnens kurz und erspart viele Gläser, denn zu 
jedem Mittel bedarf es nur eines einzigen Glases. 
Lassen Sie sich von dem Hahnemann’schen Schaber¬ 
nack, den hohen Verdünnungen bis zur dreissigsten etc. 
nicht am Narrenseil herurafähren. Ich wende meistens 
nur dritte und sechste Verdünnungen, auch erste 
und selbst Urtincturen zu Tropfen an. Von den 
mineralischen Stoffen, die meistens mit Milchzucker 
bis zur 3. Verdünnung verrieben und dann mit 
Alkohol weiter verdünnt werden, erhalten Sie die 
fünfte Verdünnung, die gut anwendbar ist; die 
sechste wird meistens von mir angewandt. Man 
braucht, um selbst Verreibungen zu machen, keine 
Stunde zu reiben und auch keine 100 Armschläge 
zum Schütteln, sondern soviel, als man für gut hält 
und will. Allein tüchtiges Reiben ist sehr gut und 
bei Mineralien unerlässlich. Die Sache steht fest.* 
Nun ging es an ein rastloses Studium der homöo¬ 
pathischen Arzneimittellehre unter Benutzung der 
kurzen Uebersicht der Wirkungen homöopathischer 
Arzneien von Dr. E. F. Rückert. Wegweiser in 
der Wahl ward Dr. Hartmann’s Therapie akuter 
Krankheitsformen nach homöopathischen Grund¬ 
sätzen, die durch bessere Handbücher längst über¬ 
flügelt ist. Oft musste die Arbeit im Drang der 
Geschäfte bei der ausgedehnten Landpraxis auf Tage, 
öfter wochenlang unterbrochen werden; aber das 
Gefühl einer nicht befriedigten Sehnsucht, die Ahnung 
eines Besseren, ja eine glaubhafte Verheissung war 
der Leitstern in der immer wieder aufgenommenen 
Thätigkeit. Die ersten Heilversuche wurden begonnen, 
zunächst mit leichten akuten Krankheitsfällen anfangs 
in der Familie und bei Freunden, die der Homöopathie 
schon zugethan waren. Griesselich’s Schriften wurden 
durchstudirt, namentlich die unter Mitwirkung des 
Geh. Hofrath und Leibarztes Dr. Kramer zu Baden, 
der nach 40jäbriger allöopathischer Praxis zur homöo¬ 
pathischen Schule übergetreten war, als vielbeschäf¬ 
tigter und wohlsituirter Badearzt, des Hofrath Dr. 
Wiek zu Carlsruhe, des Prof. Dr. Werber zu Frei¬ 
burg und des Privatdocenten Dr. Arnold zu Heidel¬ 
berg unter dem Namen Hygea von dem J. 1834 
herausgegebenen, durch wahre Wissenschaftlichkeit 
sich auszeichnende Zeitschrift für Heilkunst. 

Durch die gewonnenen Erfahrungen, durch das 
klinische Experiment sank die Wagschale, je länger, 
je tiefer zu Gunsten der Homöopathie. Unzweifelhaft 
ist der Ausspruch meines Vaters in „seinen Er¬ 
fahrungen u tief empfunden, wenn er sagt: „Nur 
wer die Homöopathie nicht kennt, ist ihr Gegner, 
wer sie aber studirt, ist ihr Freund und kein Arzt 
sollte aus Vorartheil oder Bequemlichkeit es unter¬ 
lassen, sie kennen zu lernen." 

Wenn je der Ausspruch des Horaz nonum prematur 


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149 


in annum zur Wahrheit geworden ist, so war es bei 
meinem Vater, der Fall als ihm im J. 1845 nach 
fast 9jähriger Prüfung der homöopathischen Lehre 
und damit verbundener Behandlung der verschieden¬ 
sten Krankheiten auf Antrag der Königl. Regierung 
zu Arnsberg durch das König]. Ministerium der 
geistlichen Unterrichts- und Medicinal-Angelegen¬ 
heiten die Concession ertheilt wurde, homöopathische 
Arznei-Mittel unter Beobachtung der im allerhöchst 
bestätigten Reglement vom 20. Juni 1843 vor¬ 
geschriebenen Bedingungen selbst bereiten und dis- 
pensiren zu dürfen. Zugleich mit ihm erhielten die 
Erlaubnis die DDr. Gauwerky zu Soest, Weber zu 
Brilon, Bredenoll zu Erwitte und Kropf zu Olsberg. 
Das dazu gesetzlich vorgeschriebene Examen wurde 
ihm erlassen auf Grund der Zeugnisse: Sr. Durch¬ 
laucht des regierenden Fürsten Alexander zu Sayu- 
Wittgenstein-Hohenstein, des Magistrats der Stadt 
Laasphe und des damaligen Kreisphysikus Hofrath 
Dr. Winkel zu Berleburg, Grossvaters des bekannten 
Gynäkologen zu München, worin der Nachweis ge¬ 
führt wurde, dass er bereits über 4 Jahre die Ho¬ 
möopathie praktisch ausgeübt. 

Ein Brief seines Schwagers Griesselich vom 
25. Juli 1846 liegt mir vor, aus dem noch folgen¬ 
des mitgetheilt zu werden verdient. «Dass Sie sich 
völlig zur Homöopathie bekannt haben, vernahm 
ich mehrfach, zweifelte aber auch nicht, dass Sie 
sich dadurch in manche Unannehmlichkeiten bringen 
würden; darauf darf sich jeder gefasst machen und 
auch ich kann mich als einen Zeugen dafür auf¬ 
stellen. Man hat hier alles versucht, mich und die 
andern Aerzte, die ebenfalls so heilten, zu ver¬ 
spotten und der Verfolgung preiszugeben; ich habe 
mich aber nicht irren lassen und es war gut, denn 
es hat mich angefeuert, in der verhöhnten Sache 

Licht machen zu helfen.-Alle Praxis mit 

globulis habe ich seit Jahren aufgegeben. Ich 
gebe von Verdünnungen die erste bis dritte in 
acuten Krankheiten, meist nach der Decimal-Scala 
Ars. allein schwächer. Ich gebe Infusionen v. Armica 
und Senega; denn ich scheue den Weingeist in 
vielen Fällen und veijage ihn mit Tincturen durch 
Verreibung mit Milchzucker. Mein Zutrauen zu 
den kleinen Gaben ist völlig geschwunden; ich 
reiche in chronischen Krankheiten nicht über 12 in 
guttis. Mich schauderts, wenn ich sehe, wie es 
Aerzte giebt, die mit der 2500 sten Verdünnung 
ein verwegenes Spiel treiben. Was Stuhlverstopf- 
ungen betrifft, so bringt mich kein Mensch dazu, 
den Glauben anzunehmen, dass am rechten Ort eine 
Menge Ricinusoel nicht von hohem Nutzen sei. Jch 
bin ganz in derselben Lage wie Sie: es kommen 
mir manche Fälle vor, wo ich mit den homöo¬ 
pathischen Mitteln nicht ausreiche; allein oft glaube 
ich, kämpfen wir gegen die Constipation; diese ist 
nur Erscheinung, die schwindet, wenn wir das 


rechte Mittel gegen den Gesammtzustand finden 
und anwenden. Mein Leitstern ist: ich wende Alles 
an, von dem ich nach Gründen der Wissenschaft 
annehmen darf, es helfe dem Kranken. Mich kümmert 
kein System, nur der Kranke/ 

Diesen Anschauungen Griesselichs, namentlich in 
Bezug auf Gabengrösse und Wiederholung der ein¬ 
zelnen Gaben ist mein Vater bis an sein Ende treu 
geblieben. Er hat stets den tieferen Potenzen den 
Vorzug gegeben; er hat sie nie anders als in der 
2. Verdünnung gegeben, bei schwächlichen sehr 
reizbaren oder noch ganz jugendlichen Subjecten 
auch in der 3. und bei recht kräftigen, heftig er¬ 
krankten sogar in der ersten Verdünnung bezw. 
der ersten Verreibung, von denen er aber die dritte 
bevorzugte. Die sogenannten homöopathischen, mehr 
auf einer gesteigerten Einbildungskraft oder Nerven- 
reizbarkeit beruhenden Verschlimmerungen hat er 
äusserst selten und — wo sie vorkamen — nur 
als ein Zeichen der sicheren Arzneiwirknng beob¬ 
achtet. Bei ihm hat sich bewahrheitet, was ihm 
Griesselich im Beginn seiner homöopathischen Praxis 
schrieb: „Ich wünsche Ihrethalben dem neuen Stu¬ 
dium den besten Fortgang, denn recht betrieben, 
gewährt die Ausübung dieser Methode eine Be¬ 
friedigung, die ich und viele andere in der alten 
Schule nicht gefunden haben*. 

Er war ein denkender, vorsichtiger, in seinen 
Erfolgen glücklicher Arzt, der bei aller Entschieden¬ 
heit seines Wesens durch eine wohlthuende Milde 
des Herzens seinen Kranken gegenüber sich aus¬ 
zeichnete. Seine breitschultrige Gestalt hielt sich 
trotz des hohen Alters noch merkwürdig stramm; 
er war hart gegen sein Alter, wie der alte Blumen¬ 
bach in Göttingen, der behauptete, dass ihn das 
Alter deshalb nur sanft berührt habe, weil er sich 
nie die Annehmlichkeit der Hausschuhe und des 
Schlafrocks gestattet habe. 

Mit seinen benachbarten Collegen hat er stets 
in freundschaftlichen Verhältnissen gelebt, stand in 
hohem Ansehen bei denselben und folgte bereit¬ 
willigst ihrem Rufe zu Consultationen und zur Theil- 
nahme an bedeutenden Operationen, wobei er der 
Homöopathie die gebührende Achtung und ihr volles 
Recht zu verschaffen wusste. 

Im August 1881 feierte er sein 50jähriges 
Dr.-Jubiläum, erhielt den rothen Adlerorden 4. Ciasse 
und wurde wegen seiner Verdienste um das Ge¬ 
meinwesen u. s. w. zum Ehrenbürger seiner Vater¬ 
stadt ernannt 

Als er im November 1882 unter apoplectiformen 
Erscheinungen an an amnestischer Aphasie, Agraphie 
und theilweiser Anakroasie erkrankte, da sohien es 
anfangs, als wollte die Fackel des Lebens erlöschen. 
Seine sonst kräftige Natur überwand indess alluiäh- 
lig die Folgezustände der Apoplexie, damit wurde 
auch die Aphasie einer relativen Besserung ent- 


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150 


gegengeführt, die durch häufiges Buchstabiren, 
Nachsprechen von Worten und häufige Schreib- 
Übungen gefördert wurde; aber eine gewisse Be¬ 
hinderung der Gehörfähigkeit blieb doch für immer 
zurück. Die langgeübte Beschäftigung kam ihm 
dabei zu statten und ermöglicbto ihm seine un- 
ermüdete Thätigkeit als Arzt bis an das Ende 
seiner Tage fortzusetzen. 

Im Jahre 85 konnte er das Fest der goldnen 
Hochzeit im Kreise seiner 5 Söhne und deren 
Familien feierlich begehen, von denen zwei dem 
geistlichen, die übrigen dem ärztlichen Stande an¬ 
gehörten. Der Reihenfolge nach als Assistenzärzte 
unter seinen Augen thätig, gab er ihnen wissen¬ 
schaftlich und practisch die erste Anleitung und 
Pflege der Homöopathie und hatte die Genugthuung, 
zwei derselben nach bestandener Prüfung als homöo¬ 
pathische Aerzte in Magdeburg und Barmen be¬ 
schäftigt zu wissen, während der dritte mit zwar 
freundlicher Gesinnung für die väterliche Richtung 
sich als allopathischer Arzt in Hedersleben nieder¬ 
gelassen. So konnte er im Jahre/1890, beglückt 
durch die allseitigen Erfolge seiner Thätigkeit in 
dankbarer Gesinnung gegen den Geber alles Guten 
sein 60jährige8 Dr.-Jubiläum begehen. Noch bis 
zum December des folgenden Jahres erfreute er 
sich einer relativ guten Gesundheit. Da erkrankte 
er an einer Typhlitis, der er am 12. December 
erlag. 

Ich habe Ihre Aufmerksamkeit schon über die 
bestimmte Frist in Anspruch genommen. Der Sohn 
bittet dafür um Nachsicht mit dem bekannten Worte 
aus Quintilian: „Das Herz macht beredt.“ — 


Erysipelas habituale. 

Dr. Mossa, homöopathischer Arzt in Stuttgart. 

Während die Mehrzahl der acuten Exantheme, 
wie Masern, Scharlach, Pocken, den Organismus 
eine mehr oder weniger lange Zeit vor dem Wieder¬ 
ausbruche dieser specifischen Krankheitsformen 
schützen, setzt die Rose den von ihr einmal ergriffen 
gewesenen Theil der Hautdecke gerade im Gegen- 
theil in eine Disposition, welche die Wiederkehr 
dieses Exanthems, oft unter geringfügigen Umständen 
und Anlässen, begünstigt. Personen mit häufig 
wiederkehrender, gewissermaassen zur Gewohnheit 
gewordener Rose, daher erysipelas habituale genannt, 
begegnen uns in der Praxis zwar nicht alle Tage, 
aber doch oft genug, dass es Wunder nimmt, wes¬ 
halb wir derartige Krankheitsgeschichten so gar 
selten in unserer Literatur antreffen. — Ich halte 
es deshalb für angezeigt, einen hierher gehörigen, 


sehr interessanten Fall aus der „Homöopathie World“ 
Sept 1. 1891 mitzutheilen. 

Dr. E. W. Berridge in London berichtet da¬ 
selbst: 

Am 14. Januar 1873 ward er vom Capitän W., 
einem 47 Jahre alten Mann, wegen eines Erysipelas 
von ganz* eigener Art consultirt. — Vor 6*/* Jahren 
hatte derselbe ein am Scharlach leidendes Kind ge¬ 
küsst, und von dieser Berührung ein Brennen an 
seinen Lippen verspürt. Nach einigen Wochen be¬ 
kam er Blutschwäre am Rücken, er ward verstopft; 
einmal ward er ohnmächtig, fiel und stiess sich an 
die Stirn. Während der Ohnmacht war ein un¬ 
freiwilliger Stuhl erfolgt. Bald zeigte sich ein 
Erysipelas an dem contundirten Theile der Stirn, 
das sich von hier über das ganze Gesicht aas¬ 
breitete; gleichzeitig erschien es auch am Scrotum, 
sowie an der diesem angrenzenden Oberfläche des 
Penis, hier Eiterung veranlassend. Seit dieser Zeit 
hatte er 4 oder 5 schwere, und 3 oder 4 leichte 
Anfälle zu bestehen gehabt: der gegenwärtige Anfall 
begann am 12. Januar, vielleicht durch den Aufent¬ 
halt in einem neuen Hause veranlasst. Um den 
Mittag jenes Tages fühlte er es wie einen Schuss 
in den weichen äusseren Theilen des linken Aug¬ 
apfels, worauf daselbst eine rothe, erysipelatöse 
Anschwellung erfolgte, die sich über das Gesicht, 
die Lider, Stirn, Kinn und Nacken ausdehnte; 
dasselbe zeigte sich auch am Scrotum. (An Nacken 
und Kinn war es bis dahin noch nie gewesen). Es 
bilden sich Blasen (Vesiculae), mit einer flüssigen 
Ausschwitzung, die am Halstuche gelbe Flecken 
hinterlässt. Die afficirten Stellen brennen und jucken; 
beim Liegen fühlt er bei jedem Herzschlag ein 
centrifugales Klopfen in den entzündeten Haut¬ 
decken des Gesichts und der Stirn. Anwendung 
von Nassem auf die Haut bringt daselbst die Rose 
hervor, wie es auch in allen vorangegangenen An¬ 
fällen der Fall gewesen war. Er muss die Theile 
kratzen, was ihm eine „mörderische Lust* bereitet, 
am Scrotum aber Wollustgefühl und einen ihn 
schwächenden Samenerguss hervorruft. Vorher¬ 
gehende Nacht sehr unruhig, kein Schlaf; er ging 
umher, stampft mit den Füssen, wirft und streckt 
die Arme umher. — 

Am 14. Jan. hat die Geschwulst zugenommen; 
am Kinn sieht man grosse gelbe Krusten; das 
Scrotum ist schlimmer. Die Lider geschlossen von 
der Anschwellung; das Klopfen dauert fort; das 
Brennen und Jucken vermehrt, durch Wärme ver¬ 
schlimmert. Hände und Füsse sind kalt; Pulse 50, 
intermittirend nach Umfang und Rhythmus. 

Er hatte in England wie in Indien die beste 
allöopathische Behandlung bei den früheren Anfällen 
gehabt, aber die von den Aerzten verordneten 
nassen Umschläge und die knappe Diät thaten 
ihm nie gut. 


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151 


Alle hatten sie das Leiden für einen ausser- 
gewöhnlichen Fall erklärt; einer von ihnen sagte, 
er habe in all seinen Büchern wegen dieses Falles 
nachgeforscht, aber er könne Nichts für ihn thun. 
ln London hatte er einmal einen wohlbekannten 
Exhomöopathen wegen einer chronischen Dysenterie 
consultirt, dieser wollte ihn in 10 Tagen heilen, 
aber erreichte in 10 Wochen nichts (Patient heilte 
sich dann spater selbst davon durch Essen der 
Schoten der ägyptischen Bohne). Der Mann hatte 
demzufolge alles Vertrauen zu den Aerzten verloren, 
aber in einem „Anfall von Verzweiflung 0 hatte 
seine „rasende 0 Frau nach Dr. B. geschickt — Er 
erwählte Rhus tox. als Heilmittel und giebt uns gründ¬ 
lichen Aufschluss für die Diagnose dieses Mittels. 

Vesiculäres Erysipel macht: Arsen, Bell., Euphorb., 
Graph., Öep, Lach., Puls., Ran. scel., Rhus, Sep., 
Sol. n. 

Vesiculäres Erysipel im Gesicht: Ars., Bell., 
Cistus, Euphorb., Graph., Hep., Lach., Rhus, Sulph,, 
Teplitz. 

Erysipel am Sero tum: Arnica, Canth., Graph., 
Merc., Natr. mur., Pulsat, Rhus. 

Blasen mit gelber Flüssigkeit: Anac, Kali nitr., 
Plumbum, Ran. b., Ran. scel., Rhus, Rhus ven., 
Sol. n., Tabac. 

Blasen mit gelber Flüssigkeit im Gesicht: Arsen, 
Euphorb., Mancin, Rhus, Rhus ven. 

Bläschen mit gelber Flüssigkeit am Scrotum: 
Cbelid., Rhus. 

Die Analyse der Symptome giebt klar und deut¬ 
lich Rhus als das angezeigte Mittel; dasselbe hat 
auch Brennen und Jucken der erysipelatösen Haut¬ 
stellen, wie ihm ja auch jene Ruhelosigkeit zu¬ 
kommt. Verschlimmerung der Rose durch Nasses 
oder jenes Klopfen in den afficirten Theilen ist in 
der Matena medica nicht verzeichnet, so auch nicht 
die Verschlimmerung von Hitze, doch hat dies 
Mittel diese Symptome (1254): „Die entzündeten 
Theile der Haut waren der Sitz von Schmerz, bald 
erstarrender Art, bald stechend-brennend wie von 
Nesseln, und Nachts infolge der Bettwärmo ver¬ 
schlimmert. 0 

Die geschlechtliche Erregung durch das Ery sipelas 
war in der Pathogenese von Rhus nicht zu Anden, 
aber in der Homöopath. World von 1891 p. 20 
ist ein Fall von Rhus-Vergiftung berichtet, wobei 
folgende Symptome, welche denen unseres Patienten 
sehr ähnlich waren, vorkamen: „Die Reizerscheinungen 
localisirten sich in den Genitalien und Schenkeln; 
das Scrotum war in erysipelatösem Zustande und 
die Geschlechtslust bis zum Wahnsinn gesteigert. 0 
— Kälte der Extremitäten, langsamer, unregel¬ 
mässiger Puls sprechen ebenfalls für Rhus. 

Einige Globuli von Rhus tox. 2000 (Jenichen) wur¬ 
den in Wasser gelöst und sollte Patient alle Stunden 


einen Theelöffel von der Lösung nehmen, bis Besserung 
erfolgt wäre. Dabei nahrhafte Kost und Wein, mit 
Wasser verdünnt. 

Nach 4 Dosen war der Zustand entschieden 
besser, ja schon nach der ersten zeigte sich dies: 
Jucken, Brennen, Absonderung waren weit geringer, 
das Klopfen fast vergangen; Pulse 60, regelmässig; 
die Theile weniger geschwollen. Die Glieder noch 
kalt. Bei so entschiedener Besserung, liess Dr. B. 
das Mittel aussetzen. 

15. Jan.: Vorletzte Nacht gut geschlafen; Ge¬ 
schwulst sehr gefallen; Jucken und Brennen nur 
noch schwach; Scrotum besser; Photophobie nach¬ 
gelassen; Glieder aber noch kalt; Pulse 72, regel¬ 
mässig; sonst keine Beschwerden. Er behauptete, 
dies Mal in einem Drittel der für solche Anfälle 
sonst erforderlich gewesenen Zeit gebessert zu sein. 

22. Jan: Stetige Besserung. — Gestern war 
er zum ersten Mal ausgegangen und hatte sich des 
Ganges erfreut, obwohl er sich sehr schwach fühlte. 
Es war aber ein kalter Tag, und bei der Rückkehr 
that ihm das sehr heisse Zimmer wohl. Späterhin 
legte er sich in einem sehr kalten Zimmer in*s Bett. 
Bald fühlte er Hitze im Gesicht; darauf folgte 
Jucken und Brennen und Empfindlichkeit im Aussen- 
winkel des linken Augapfels und diese Erscheinungen 
breiteten sich, gerade wie früher, aber nicht so 
heftig, auf das ganze Gesicht aus. P. 72, schwach. 
Die Nacht darauf kaum etwas geschlafen, doch 
konnte er im Bette bleiben. Auch das Scrotum 
war wie früher, wenn auch in geringerem Grade, 
befallen. Bei diesem, durch Unvorsichtigkeit des 
Patienten herbeigeführten Rückfall, der dieselben 
Symptome, wenn auch in schwächerem Grade darbot, 
gab Dr. B. wieder Rhus, diesmal aber Rhus radicans 
200 (Leipzig), ebenfalls in Wasser gelöst, alle 
2 Stunden 1 Theelöffel voll, bis Besserung. 

23. Jan.: Nach 4 Gaben besser, Arznei aus¬ 
gesetzt; um den Mittag heute wieder 1 Gabe. Jucken 
im Gesicht und am Kopf hatte letzte Nacht den 
Schlaf gestört Heute wenig Brennen, aber etwas 
Jucken. Wieder eine Pollution gehabt. Kann das 
Licht ertragen. P. 72, ziemlich schwach. Jucken 
und Brennen schlimmer nach dem Essen. Das 
Jucken zieht sich, mehr oder weniger, über den 
ganzen Körper. 

In drei bis vier Tagen genas er und bis zum 
16. Jan. 1874 war kein Rückfall erfolgt. — 
1879 berichtete er in einem Briefe aus Aegypten, 
wo er seitdem gewesen, dass er seit dem 8ommer 
von 1876 mehrere leichte Anfälle von Erysipelas 
gehabt habe, aber keinen schweren, die auf Rhus 
immer schnell gewichen seien. 

Bei seiner zeitweisen Rückkehr nach England 
lö84, consultirte er Dr. B. wegen einer Dyspepsie, 
die er in Suez bekommen, wo, wie er sagte, der 
Boden voll von Salz sei. Natrum mnr., Con., später 


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158 


8ulphur (alles in Hochpotenzen) thaten ihm gut. — 
Hier und da war eine Andeutung von Erysip. er¬ 
schienen, wobei Rhus immer half. — 

Aus der ausführlichen Epicrise, welche Dr. B. 
zu dieser Krankheits- resp. Heilungsgeschichte giebt, 
heben wir folgende Punkte hervor. 

Verf. hat in seiner ersten Verordnung Rhus 
toxicod., in der zweiten aber Rhus radicans gegeben. 
Er that dies, wie er sagte, um zu prüfen, ob Dr. 
Carrol Dunhain s Behauptung, die Wirkung beider 
Mittel sei identisch, richtig sei Diese Probe war 
freilich, wie er selbst gesteht, eine unvollkommene, 
da in den beiden Verordnungen sowohl die Potenz 
als die Zeit der Wiederholung der Dose eine ver¬ 
schiedene war. Die Botaniker haben inzwischen 
jedoch entschieden, dass beide Mittel nur Varietäten 
einer und derselben Pflanzenspecies seien. — Verf. 
macht dann darauf aufmerksam, dass Rhus rod. 200 
zweistündlich nicht so schnell gewirkt habe als 
Rhus tox. 2000 einstündlich im ersten Falle, obwohl 
dieser weit heftiger war. Dieses bestätigt, meint 
er, Hahnemann’s Behauptung (Organon 287 Anm.), 
je höher die Potenz, je schneller und durchdringender 
die Wirkung. 

Obwohl nach dem letzten Bericht der Patient 
über 5 Jahre vom Erysipelas frei gewesen war, so 
war das Leiden doch nicht völlig entwurzelt. Der 
Grund liegt nach Verf. darin, dass Rhus ein Mittel 
von immerhin oberflächlicher Wirkung sei. Die 
Thatsache, dass der Patient so viele Jahre lang an 
Rückfällen von Erysip. gelitten, nachdem er sich 
ein Mal dem Scarlatina-Gift ausgesetzt batte, zeigt, 
dass bei ihm eine psorische Dyscrasie latent ge¬ 
wesen, welche die acuten Ausbrüche unterhielt und 
sich mit ihnen complicirte. Deshalb musste das 
Mittel von Zeit zu Zeit wiederholt werden. Zur 
völligen, gründlichen Heilung wäre ein gut ge¬ 
wähltes Antipsoricum nöthig gewesen. Dazu fehlte 
aber, sagt Verf., die Gelegenheit, bis Patient im 
Dec. 1884 nach England heimkehrte. Ob der da¬ 
mals verordnete Sulphur dies geleistet habe, darüber 
mangelte der Bericht. 

Die immer wiedeikehrenden Anfälle jenes Erysi¬ 
pelas schreibt Verf. der Ansteckung mit Scarlatina 
zu, obwohl es, wie er sagt, sonderbar genug sei, 
dass diese Infection bei seinem Patienten nicht die 
gewöhnliche Scarlatina selbst erzeugt habe. — 

Hiermit verlassen wir diesen von Dr. Berridge 
mit grosser Sorgfalt beobachteten und behandelten 
Fall eines Erysipelas habituale, indem wir nur noch 
bemerken, dass uns in der Literatur kein Fall be¬ 
kannt geworden, wo, wie in diesem, die Rose jene 
Angriffspunkte, Gesicht und Genitalien, zugleich 
so constant festgehalten hat. — 

Goullon senior sagt in der Vierteljahrschrift für 
Homöopathie. Habituelle Rose ist häufig bei Frauen 


und jungen Mädchen, bei ersteren meist als Erys. 
bullosum, bei letzteren als Erys. laeve (glattes Erys.) 
— auch als Angina — zur Zeit oder statt der 
Menstruation. Diese Anlage heilt Graphites 30 ganz 
sicher in einigen Gaben, etwa von 4 zu 4 Tagen 
gegeben. — Kretschmer bringt in der allg. hom. 
Zeit. 1. 72 folgende zwei Fälle. 

Ein 5jähriges Mädchen bekam zum 3. Mal die 
Rose, zuerst im Gesioht, glatt, unter heftigem Fieber. 
Das Exanthem brauchte zu seinem Ablauf jedesmal 

7 Wochen, indem es allmählig den ganzen Körpfer 
überzog, täglich aber nur um einen guten Strohhalm 
weiter vorrückte. Die Rose stand jetzt wieder seit 
4 Tagen. Das Kind erhielt Graphit 30. Nun hielt 
das Exanthem still und war den 3. Tag danach 
schon ganz vergangen. — Ob es später wieder¬ 
gekehrt, ist nicht gesagt. 

Eine Frau hatte seit einem halben Jahre alle 

8 Tage eine Rose, welche die Stirn und den be¬ 
haarten Theil des Kopfes befiel und sich bis zum 
Nacken hinzog. Es bildeten sich auch Blasen, welche 
vertrockneten, 36 Stunden andauernd. Graph. 30 
heilte den Anfall und die Rose kehrte nicht wieder. — 

Farrington sagt in seiner klinisch. Arzneimittel¬ 
lehre p. 422: Graphit soll die Wiederkehr von 
Erysipelas verhüten, wenn das Leiden constitutioneil 
wird. Die ergriffenen Theile haben das Gefühl von 
Härte und Zähigkeit, und, ist das Gesicht ergriffen, 
so ist es sehr entstellt. Brennende, stechende 
Schmerzen sind zugegen (cf. Apis). Es beginnt ge¬ 
wöhnlich auf der rechten Seite und geht nach der 
linken. Es ist hauptsächlich nützlich, wenn Jod 
gemissbraucht wurde. — 

Einen recht hartnäckigen, complicirten Fall von 
Erys. habituale, bei dem Graph, wesentlich zur 
Heilung beigetragen, erzählt Dr. Bojanus senior in 
der Allg. h. Zeit. 1870. 

Eine Französin, eine magere, schwächliche Frau 
von 58 J., litt seit 2 Jahren an regelmässig jeden 
Monat wiederkehrendem Gesichtserysipel, welches sie 
jedesmal wenigstens zwei Wochen bettlägerig machte. 
Mitte Mai 1864 sah sie Dr. Bojanus mit einem 
Erysipel, das eine so colossale Anschwellung des 
Gesichts bewirkte, dass die Augen völlig geschlossen 
waren; es erstreckte sich über den geschorenen 
Haavkopf bis an die Obren. Auf den Wangen und 
der Stirn waren mehrere, theils grössere, theils 
kleinere, mit heller Flüssigkeit gefüllte Blasen; dabei 
sehr heftiger Kopfschmerz, starkes Fieber, Irrereden, 
besonders bei Nacht Die Zunge war trocken; 
starker Durst, kein Appetit, hartnäckige Verstopfung. 
Apis 3 stündlich je 2 Tropfen in Wasser. Ende Mai 
konnte sie wieder ausgehen. Nachdem die Des¬ 
quamation beendigt war, zeigte sich auf dem Kopfe 
Favus, der sie seit dem ersten Anfall nicht ver¬ 
lassen und um dessen willen sie sich hatte scheeren 
lassen. Dieser trockene Kopfausschlag machte ihr 


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viel Beschwerde durch sein Jacken und beschmutzte 
ihr durch seine kleienartige Abschilferung die 
Kleider. 

Die Kranke ging von Moskau aufs Land, wo sie 
8 Tage lang täglich eine Oabe Graphit 80 nahm, 
sodann 8 Tage pausirte, um wieder Graph, zu 
nehmen u. 8. f. Am 29. Aug. berichtet sie, dass 
zwar die Rose wie früher je ein Mal im Monat 
gekommen sei, aber viel schwächer. In 3 - 4 Tagen 
war sie abgelaufen, letzter Anfall am 15. Sept., 
Favus unverändert. — Sie erhielt Graph. 60 — 
bis zum 15. Nov. kein Anfall mehr. Der Kopf¬ 
ausschlag war jetzt nässend Graph. 60 fortgesetzt. 

22. Dec. Kopfausschlag bis zum Unerträglichen 
durch Jucken und Nässen gesteigert, aber bisher noch 
von der Rose verschont — Sulph. 30, jeden 4. Tag 
eine Gabe. — Bis 16. März nächsten Jahres kein 
Erysipel. Der Ausschlag weit geringer und nicht 
mehr nässend. Sulphur 30 wie oben. — Bis 20. April 
hat Patientin nur einen schweren Anfall von Erysipel 
gehabt, das also über 7 Monate fortgeblieben war. 
— Kopfausschlag nur noch stellenweise. Graph. 2U0 
alle 8 Tage 1 Gabe, so bis zum October fort¬ 
gesetzt In dieser Zeit kein einzig Mal Wiederkehr 
der Rose, aber der Ausschlag hatte von Neuem an 
In- und Extensität zugenommen; jetzt bekam sie 
Sulphur 200, alle 8 Tage 1 Gabe. Dieses Mittel 
wurde in solcher Weise bis zum April 1866 ge¬ 
braucht. Zu dieser Zeit war der Ausschlag voll¬ 
kommen geschwunden, das Erysipel war nicht mehr 
erschienen; nur klagte Patientin über unerträgliches 
Jucken auf dem Kopfe, auf dem sich bereits neue 
Haare zu bilden anfingen. — Arsen 200, 8 Gaben, 
alle 8 Tage je eine. — Den 10. Okt. 1867 berichtet 
sie, dass sie seit der letzten Gabe von Erysipel, 
Ausschlag und Jucken befreit gewesen sei und sich 
völlig gesund befinde. — 

In dieser so trefflichen Heilungsgeschicbte des 
bewährten Praktikers hat Graph, jedenfalls zur 
gründlichen Hebung der habituell gewordenen Rose 
wesentlich beigetragen. — Wir sehen hieraus wieder, 
welche Geduld und Ausdauer, abgesehen von der 
richtigen Mittelwahl, derartige tief eingewurzelte 
Erkrankungen des Hautgewebes zur Heilung ver¬ 
langen. — Welcherlei constitutionelle Ursaohen in 
geschildertem Fall obgewaltet, ist nicht zu ersehen; 
Patientin war in ihrer Heimatb, in Frankreich, nie 
erheblich krank gewesen, hatte dort niemals an 
Erysipel gelitten. Die neuen klimatischen und 
Lebens-Verbältnisse können daher nur den Grund 
zu dieser so tief eingewurzelten Diathese, Hahne- 
raann’s Psora, gelegt haben. 

Lachesis. 

Dieses grosse Polychrest, das würdig ist, in die 
Elitegruppe der Antipsorica aufgenommen zu werden, 
hat sowohl bei frisch entstandenem Erysipel als 


auch bei constitutioneil gewordenem, unter geeigneten 
Umständen, seinen Platz. — In Farrington's klinischer 
Arzneimittellehre finden wir p. 55 eine treffliche 
Charakteristik dieses Mittels, wie der ihm verwandten, 
bei der Gesichtsrose. — Es passt aber auch, wenn 
sie an anderen Stellen, zumal an den unteren Extre¬ 
mitäten vorkommt, wie es bei Frauen in den klim¬ 
akterischen Jahren nicht selten beobachtet wird. 

So berichtet Knorre in der Allg. h. Zeit. 118 
einen Fall von einer bejahrten, kränklichen Frau, 
stillen und sanften Gemüths, die nach jeder kleinen 
Gemüthsbewegung, von Schreck, Aerger, an dem 
ohnehin erkrankten linken Unterschenkel, mitunter 
aber auch im Gesicht, die Rose bekam. Am Unter¬ 
schenkel hatte sie einige flache, stets offene Ge¬ 
schwüre. Sie nahm einige Wochen hindurch täglich 
1—2 Gaben Lachesis 25 zu je 1 Tropfen. Hierauf 
heilten die Geschwüre und seit mehreren Jahren 
war sie nie wieder von der Rose befallen worden. 

Ein anderer Fall betraf ein 20jähr. blondes, 
schlankes, sanftmüthiges Mädchen, welches im Juli 
am Unterschenkel und Fussrücken die Rose bekam, 
welche mit Bell, und Graph, behandelt und geheilt 
wurde. Es blieb aber eine harte Anschwellung 
zurück. Im September abermals Rose an derselben 
Stelle. Den 10. October erkrankte sie wieder Abends 
mit zweistündigem Schüttelfrost; die Nacht darauf 
heftiges Kopfweh, anhaltende trockene Hitze, Durst, 
Gallenerbrechen, Schmerz im rechten Bein. 

Den 12. Februar war ein Erysipel vorn am 
Unterschenkel vom Knie bis zum Fussgelenk aus¬ 
gebrochen. 2 Gaben Lach. 25 zu je 1 Tropfen. 

Am 13. Februar war das Fieber unter Schweiss¬ 
ausbruch nebst den anderen Symptomen ver¬ 
schwunden: die Rose nimmt den Fussrücken ein; 
am Knie, besonders an der äusseren Seite desselben 
sind eine Menge dicht aneinander liegender flacher 
erbsen- bis haselnussgrosser Blasen entstanden, an 
anderen Stellen Stecknadelknopf- und linsengrosse, 
einige Serum, andere mit Blut gemischte Feuchtig¬ 
keit enthaltend, von schmutzig blauer Farbe. Die 
intensive Röthe der befallenen Theile ist überhaupt 
in’s Bläuliche übergegangen. Grosse Hitze und 
heftiges Brennen in den Beinen. Lach. 2 Gaben wie 
oben. Den 14. Röthe und Hitze sehr vermindert. 
Lach. rep. Am 5. Tage der Krankheit ist die Rose 
vergangen, die Blasen trocknen bald ab. — Sie 
blieb 9 Monate gesund, dann trat ein Rückfall ein, 
der wieder durch 5 Gaben Lach, in 4 Tagen be¬ 
hoben wurde. Seitdem kam die Rose nicht wieder. 

Hartmann berichtet in seiner Therapie I. 333, 
dass es ihm gelungen sei, eine Rose, die jederzeit 
eine Gesichtshälfte einnahm, öfters wiederkehrte und 
deren Ausbruche jedesmal mehrere Tage ein heftiger 
Magenkrampf voranging, mit 1 Gabe Nux vomica 15 
dauernd zu heilen, sodass das Leiden späterhin nicht 
wiedergekommen ist. 

20 


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Ein 14jähriges, noch nicht menstruirtes Mädchen 
bekam seit dem 11. Jahre alle 4 bis 6 Wochen 
einen Anfall von Erysipel. Jetzt litt sie nach Er¬ 
kältung wieder daran. Das ganze Gesicht war 
stark geröthet und sehr geschwollen, die Augen 
fast geschlossen. An mehreren Stellen hatten sich 
viele gelbliche Bläschen von verschiedener Grösse 
gebildet, die auf der linken Wange bereits zusammen¬ 
geflossen waren. Der Kopf schwer benommen, Durst 
gross, Pul8 voll, ohne hart zu sein, um 10 Uhr 
105 Schläge in der Minute machend. Keine Ess¬ 
lust, Zunge schmutzigwei8s belegt. Stuhl fehlt seit 
24 Stunden. 

Rbus 18, 1 Tropfen, 2 Gaben. Nach 3 Tagen 
war die Bose beseitigt, die Blasen schrumpften ein, 
die Schälung begann. — Nach 7 Wochen einRecidiv, 
das nach Rhus binnen 5 Tagen ablief. Später er¬ 
hielt sie mehrmals Calc. c. 30, wodurch die Dis¬ 
position zu den Erysipel-Rückfällen gehoben ward. 
Nach 2V 2 Jahren trat dann die Menstruation ein. 
Das Befinden blieb normal. — 

Was meine eigenen Erfahrungen auf diesem 
Gebiete betrifft, so sind mir hauptsächlich zwei 
Fälle in Erinnerung, welche beide junge Mädchen 
betreffen. Das eine war ca. 15 Jahre alt, regel¬ 
mässig menstruirt, ohne irgend welche Belastung, be¬ 
kam immer um die Zeit des Eintritts der Periode einen 
Anfall von Erysipelas, welcher mit massigem Fieber 
eintrat, das Gesicht befiel. Dieses schwoll an, be¬ 
kam eine mehr dunkle Röthung; etwas Kopfweh 
war auch dabei. Mit Graphit und Hep. sulphur. 
ward, so weit ich mich erinnere, die erysipelatöse 
Disposition allmählig gehoben. 

Der andere Fall betrifft ein Mädchen von 
LI Jahren, das noch nicht menstruirt ist Die un¬ 
gewöhnlich starke Nase könnte auf scrophulöse An¬ 
lage hindeuten, wenn nicht etwa diese Erscheinung 
gerade von dem so häufig wiederkehrenden Ge¬ 
sichtserysipel zurückgeblieben ist Die Anfälle 
kommen ganz unregelmässig, bald sind sie so schwach, 
dass sie ohne ärztliche Hülfe in kurzer Zeit ab¬ 
laufen, bald kommt ein schwerer Anfall mit heftigem 
Fieber, Gehirnreizung, nächtlichen Delirien, starker 
Anschwellung des venös gerötheten Gesichts und 
besonders der Nase. 

Es kommt auch zur Bildung von ziemlich grossen 
Blasen mit gelblichem Inhalt In diesen Anfällen 
hat mir immer Apis 6, in Wasser gelöst, gute 
Dienste gethan, so dass der Krankheitsprozess in 
5—6 Tagen zum Abschluss gekommen ist. Zur 
Tilgung der Disposition hat Patientin zeitweise 
Sulphur, später Graphit erhalten. Diese Mittel 
scheinen auch günstig gewirkt zu haben, denn seit 
mehreren Monaten ist mir keine Meldung von einem 
Recidiv des Leidens gemacht worden. — 

Sehr beachtenswert ist, was Schönlein über die 
Folgen des Erys. habituale in Bezug auf das Haut- 


| ge webe in seinen klinischen Vorträgen bemerkt hat 
„Die Wiederkehr der Rose an derselben Stelle ist 
nicht bloss darum unangenehm, weil der Kranke 
gefährdet wird, bei der nächsten Gelegenheit wieder 
von der Rose befallen zu werden, sondern auch 
wegen eines anderen Uebelstandes, den ich freilich 
noch nicht im Gesicht, wohl aber an den Extremi¬ 
täten angetroffen habe, nämlich, dass es infolge des 
häufigen Wiederkehrens der Rose zur Entartung der 
Hautdecken und zwar sowohl der Lederhaut wie 
der Epidermis, zur Bildung von Elephantiasis kommt* 
Schönlein hat in Zürich mehrmals Fälle von ein¬ 
facher Rose an den Extremitäten gesehen (immer 
waren es Personen, in denen sonst noch eine Dyscrasie 
zugegen), wo die Rose bei der geringsten Veran¬ 
lassung, alle 8 —14 Tage, wiederkehrte; bei diesen 
ward zuerst die Cutis degenerirt, indem sich in 
ihre Maschen eine gelatinöse Flüssigkeit ablagerte, 
wodurch eine Art von Hypertrophie derselben ent¬ 
stand, so dass sie allmählig eine Dicke von einigen 
Zollen erreichte. Die Muskeln blieben intact, und 
wurden nur insofern in Mitleidenschaft gezogen, 
als sie in ihrer Function gehemmt wurden und unter 
dem fortwährenden Drucke allmählig schwanden. 
Henle hat nachgewiesen, dass die Entartung der 
Epidermis dadurch zu Stande kommt, dass Schichten 
des nicht vollkommen zur Entwicklung gekommenen 
Epidermoid&lgewebes dicke Borken bilden, welche 
Einrisse bekommen und so eine Form der Haut¬ 
krankheit darstellen, welche man Elephantiasis ge¬ 
nannt hat. 

Um diesen Folgen vorzubeugen, haben wir in 
Lachesis namentlich ein gutes Mittel, welches, wie 
ein Beobachter bemerkt, „dunkelgeröthete, bis zur 
Unförmlichkeit gehende, zuweilen teigig anzufühlende 
Geschwülste (insbesondere an den Unterschenkeln, 
Ref.) oft zauberhaft schnell zum Schwinden 
bringt.* — 

Es seien mir noch einige Worte über die Aetio- 
logie des Erysipelas habituale gestattet. Angesichts 
der Thatsache, dass die habituelle Rose bei Mädchen 
und Frauen mit (aber auch ohne) Menstruations¬ 
störungen, oder wenigstens zurZeit dieser periodischen, 
hämostatiscben Fluth, dann wieder in Verbindung 
mit abdominellen Störungen (Stockungen im Pfort¬ 
adersystem, Haemorrhois, Gicht) auftritt, lässt sich 
nicht leugnen, dass das Blutgefässsystem, sei es 
durch circulatorische Hemmnisse oder durch* eine 
anormale (dyskrasische) Blutbeschaffenheit, die man 
freilich noch immer nicht nachgewiesen hat, bei 
diesem eigenthümlichen Krankheitsprozesse ein 
causales Moment abgeben kann: Sehen wir aber 
wieder, wie bei manchen Personen die geringsten 
Schwankungen im Gemüthsleben, der leiseste Schreck, 
eine unbedeutende Erregung, die Rose zum Vor¬ 
schein bringen, so tritt uns hier andererseits der 
Einfluss des Nervensystems, zumal des vasomotorischen, 


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155 


deutlich entgegen. — Der cyclische Ablauf eines 
genuinen Erysipelas, namentlich mit der zum Schlüsse 
erfolgenden Abschuppung der Haut, wie wir ihm 
auch bei manchen anderen Exanthemen begegnen, 
drängt uns hingegen den Gedanken auf, dass auch 
bei der Bose ein belebter Krankheitserreger, ein 
contagium animatum, im 8piele ist Bei der „Wund¬ 
rose* ist dasselbe bereits nachgewiesen worden, bei 
der exanthemati8chen ist es bisher noch fraglich*). 
Denkt man sich nun, dass bei manchen Personen 
nach Ablauf eines Erysipelas eine, wenn auch nur 
ganz winzige, Menge dieser Krankheitserreger zurück¬ 
bleibt, welche unter ihnen günstigen Bedingungen aus 
ihrer vita minima wieder zur Thätigkeit erweckt 
werden können, so werden uns jene häufigen Recidive 
etwas erklärlicher. — Ganz einzig steht jedoch der 
von Dr. Berridge im Anfänge dieser Arbeit wieder¬ 
gegebene Fall da. Hier ist es wahrscheinlich, dass 
das contagium vivum der Scarlatina in den Organis¬ 
mus der inficirten Person übergegangen und, merk¬ 
würdiger Weise, nicht das gleiche, sondern ein ihm 
einigermaassen verwandtes Exanthem, das Erysipelas 
producirt und in acuten Schüben von Zeit zu Zeit 
wieder reproducirt hat — 

Zum Schluss wollen wir noch auf die Leistungs¬ 
fähigkeit der homöopathischen Behandlungsweise 
auch bei einer so schweren, in ihrem Wesen noch 
wenig durchschauten, Krankheitsform, wie sie das 
Erysipelas habituale zweifellos darstellt, hinweisen. 
Diese Thatsache würde noch leuchtender und für 
unsere jüngere Generation lehrreicher hervortreten, 
wenn unsere älteren Praktiker sich entschlossen 
könnten, ihr Liebt unter dem Scheffel hervor und 
in die OeffentHchkeit unserer Litteratur zu stellen. 


Eine Heilung von Angina LudoYici 
durch Arsenik. 

Von Djr. med. Leeser-Bonn. 

Herr Dr. med. N. N., 25 Jahre alt, aus gesunder 
Familie stammend, — die Mutter ist erst neuer¬ 
dings an Tuberkulose erkrankt — seit vielen Jahren 
nicht mehr bettlägerig krank gewesen, erkrankte 
am 5. Februar 1892 unter den Symptomen der 
Influenza. 

Mehrere Tage vorher hatte Patient über heftige 
Zahnschmerzen geklagt, ein Leiden, welches sich 
bei ihm in den letzten Monaten wiederholt ein¬ 
gestellt, und gegen das er mit grösserem oder 
geringerem Erfolge Antipyrin in Dosen zu 1,0 an¬ 
gewandt hatte. In der letzten Station des Staats¬ 
examens stehend, glaubte er, eine etwaige zahn- 

*) Anm. der Red. Auch bei der exanthematischen 
Form wird jetzt allgemein Infection mit dem Streptococcus 
erysipelatis angenommen und zwar besonders von scro- 
fulösen Nasen aus. 


ärztliche Behandlung bis zum Schlüsse desselben 
hinausschieben zu müssen, um so mehr noch als 
sich die Zahnschmerzen mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit auf eine starke Nervosität zurückführen 
Hessen. Gleichzeitig mit den Zahnschmerzen batte 
Patient ein Gefühl von Steifigkeit in dem linken 
Kiefergelenke empfunden, ein 8ymptom, das in seiner 
Bedeutung nicht erkannt und vom Patienten auch 
wenig beachtet wurde. 

An genanntem Tage nun überkam den N. N. 
nachmittags im Anschluss an einen Gang ins Freie 
ein heftiger Schüttelfrost. Der Puls war schnell 
und klein. Kopfschmerzen, Zahnschmerzen besonders 
links sowie Zerschlagenheitsschmerz, in der ganzen 
Wirbelsäule und starkes Mattigkeitsgefühl Hessen 
den Kranken sofort das Bett aufsuchen. Um in 
der Nacht stark zu schwitzen, trank er mehrere 
Gläser Glühwein. Der erwünschte Scbweiss trat 
auch in der Nacht auf, war aber nicht vom er¬ 
warteten Erfolge begleitet. Am Morgen der schlaf¬ 
los verbrachten Nacht fühlte sich Patient wenig 
gebessert. Zu den schon angeführten Beschwerden 
waren noch Halsschmerzen, besonders auf der linken 
Seite, hinzugetreten. Die nur schwer ermöglichte 
Inspection — Patient konnte den Mund nicht ge¬ 
nügend weit öffnen — ergab eine entzündliche 
Röthung der Tonsillen, besonders der linken, sowie 
der Uvula, ein Belag irgend welcher Art war nicht 
sichtbar. Die Sprache des Kranken war anginös. 

Derselbe hatte übrigens schon öfter an Anginen 
gelitten und wies seit einigen Jahren eine Hyper¬ 
trophie beider Tonsillen auf. — Links unter dem 
Kiefer und von ihm scheinbar ausgehend, hatte sich 
in der Gegend der Gland. submaxillaris eine pflaumen¬ 
weiche, nicht deutlich abgrenzbare Anschwellung 
gebildet, die auf Druck leicht empfindfich war. 
Temperatur morgens 38,5°. Im Laufe des Vor¬ 
mittags Hessen die Zahnschmerzen etwas nach. 
Gegen Mittag stand Patient auf, nahm bei seiner 
Appetitlosigkeit nur ein wenig Milch, arbeitete 
ununterbrochen bis gegen Abend und begab sich 
dann am andern Morgen gegen alles Abrathen, in 
diesem Zustande sich dem kalten Winde auszusetzen, 
in die 10 Minuten entfernt gelegene Klinik zum 
Examenstermin. Mit Fieber über 39° kehrte er 
zurück, um sofort das Bett aufzusuchen. Er nahm 
auf Veranlassung seines Bruders (eines bereits 
etwas mit der Homöopathie vertrauten Dr. med.), 
Aconit ein und fand in der Nacht für einige Stunden 
Schlaf. 

7. Februar Morgens 8tatus idem. Das Fieber 
hat etwas nachgelassen. Da die Schmerzen vor¬ 
nehmlich Hnksseitig waren, so erhielt Patient (von 
seinem herbeigereisten Vater) Lachesis c. 6. Nach¬ 
dem er für einige Stunden aufgestanden war, ging er 
wieder zu Bett. Gegen Abend ergab die Unter¬ 
suchung, dass die Schwellung unter dem Kiefer 

20 * 


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156 


härter geworden war, der Mund konnte nur wenig 
geöffnet, die Zungenspitze kaum über die Lippen 
vorgestreckt werden. Es war eine starke Salivation 
vorhanden. Da in der Nacht das Fieber auf 40° 
stieg, der Kranke sehr unruhig war und über heftige 
Halsschmerzen beim Schlucken vornehmlich klagte, 
so wurde ihm Hydrargyrum cyan. (allopathisch 
dispensirt) in grosser Verdünnung im Gedanken an 
eine Diphtherie — eine Inspection des Mundes und 
Rachens war nicht möglich — mehrstündlich ein¬ 
gegeben. 

Am folgenden Morgen rief der Vater des Patienten 
mich an*8 Krankenbett Das Befinden hatte sich 
nicht gebessert, die Schwellung im Unterkieferraum 
hatte an Härte und Ausdehnung zugenommen. 

Ich fand die hintere Partie der linken Tonsille 
nach der Zungenwurzel hin stark geschwollen und 
hielt, der Submaxillardrüsengeschwulst nur eine 
secundäre Bedeutung zuschreibend, die Krankheit 
für eine abscedirende Tonsillitis. 

Zur Beschleunigung der Perforation wurden 
heisse Breiumschläge um den Hals und auf die 
Unterkiefergegend, daneben innerlich stündlich 1 Gabe 
Merc. sol. 30. in Wasserlösung verordnet. 

Die folgende Nacht war verhältnissmässig gut, 
Patient transspirirte und fand einige Stunden Schlaf. 
Am Morgen war das Fieber mässig. Die Schwellung 
war grösser geworden,hatte vornehmlich den mittleren 
Theil des Unterkieferraumes eingenommen, erschien 
bretthart und wenig druckempfindlich. Mit Rück¬ 
sicht auf diese Symptome war die Diagnose einer 
einfachen Angina suppurativa zweifelhaft geworden, 
es schien vielmehr eine Angina Ludovici vor¬ 
zuliegen. 

Die Kopfschmerzen waren erträglicher. Kein 
Appetit. Es wurde innerlich, da auch die Schmerz - 
punkte noch auf Mercur hindeuteten weiter alle 
Stunden Mercur 200. in Wasserlösung gereicht, 
ebenso mit den heissen Kataplasmen fortgefahren. 

In der Nacht auf den 10. ging die Temperatur 
wieder auf 40° in die Höhe, der Puls wurde jagend 
und klein, Patient trank viel Wasser in grossen 
Zügen, war sehr aufgeregt, klagte über starke Kopf- 
und Ohrenschmerzen, besonders links, über Schluck¬ 
beschwerden, warf sich unruhig hin und her und 
konnte keinen Schlaf finden. Die Geschwulst, brett¬ 
hart und deutlich abgrenzbar, reichte vom Kinn 
bis zum Os hyoideum und übte bereits auf letzteres 
einen dem Patient empfindlichen Druck aus. Beim 
Schlucken hatte Patient etwas Athemnoth und musste 
stark husten. Der Mundboden war bis an den 
unteren Alveolarrand angeschwollen. Nachts war 
Mercur 200. weiter gereicht worden, ebenso auch 
mit den Breiumschlägen fortgefahren. Ich wurde 
am Morgen früh gerufen. Bei meinem Besuche 
war an dem Vorliegen einer Angina Ludovici jetzt 
nicht mehr zu zweifeln. 


Das Fieber war stündlich gemessen, es bewegte 
sich zwischen 39,0—39,8°. Bei der Untersuchung 
auf Schmerzpunkte zeigten sich die für Ferrum und 
Digitalis angezeigten Stellen empfindlich, es wurde 
Arsenik 30 C. 10 glob. in Wasserlösung stündlich 
eingegeben und Fortsetzung der heissen Umschläge 
angeordnet. Nachmittags hörten die Ohrenschmerzen 
auf. Die Schwellung erschien etwas weicher. Bei 
der Abendvisite wurden 40,0° Temperatur gemessen. 
Die Kopfschmerzen hatten etwas nachgelassen. Patient 
fühlte sich sehr schwach. Mit Arsenik 30 C. und 
Kataplasmen wurde fortgefahren. 

Einige Stunden später gegen 11 Uhr Abends 
bekam Patient einen starken, mehrere Minuten an¬ 
haltenden Schüttelfrost, Pols klein und schnell, 
126 Schläge in der Minute. Ohren- und Kopf¬ 
schmerzen traten wieder auf. Gegen Mitternacht 
kam es zur Perforation des Absoesses nach innen, 
in die Mundhöhle. Der Auswurf war chocoladen- 
ähnlich braun, dünnflüssig, jauchig riechend. Gleich 
nach dem Durchbruch fühlte Patient grosse Er¬ 
leichterung. Abgesehen davon, dass das Fieber von 
40° auf 38° abfiel und die Ohrenschmerzen sistirten, 
konnte er leichter schlucken und besser verständlich 
sprechen. Mehrmals gurgelte er mit Wasser und 
inhalirte heisse Wasserdämpfe. Es entleerte sich 
viel Eiter per os in der Nacht. Patient hatte 
grosses Schlafbedürfnis und fand gegen Morgen 
für 2 Stunden Ruhe. Aufgewacht befand er sich 
bedeutend besser und zeigte wieder Appetit. Das 
Fieber war sehr mässig, Pulsfrequenz Morgens 96, 
Abends 92. Den Tag über wurde noch eine grosse 
Menge jauchigen braunen Sputums entleert. 

Die Schwellung am Halse war entschieden 
weicher und kleiner geworden. Arsenik 30 C. 
wurde 2stündlich weitergegeben, ebenso die Kata¬ 
plasmen fortgesetzt. Abends stellten sich etwas 
Kopfschmerzen links ein, die aber nicht lange be¬ 
steben blieben. In der Nacht schlief der Patient 
mehrere Stunden lang ohne Unterbrechung und 
fühlte sich am Morgen des 13. recht gestärkt. Die 
Temperatur war normal, Schmerzen waren nicht 
vorhanden. Auoh der Auswurf hatte sich zum 
Bessern verändert, er bestand jetzt zum grössten 
Theil aus gutartigem, nicht mehr riechendem Eiter. 
Die Schwellung zeigte sich ganz weich, nur an 
einer in der Mitte des Unterkieferraums gelegenen 
Stelle war noch eine kleine Härte nachweisbar. 

Auch diese verlor sich in den nächsten Tagen, 
und der eitrige Auswurf sistirte völlig. Bei der 
Fortsetzung der früheren Behandlung und geeigneter 
Diät besserte sich des Patienten Befinden so schnell, 
dass derselbe bereits am 17. Februar, also am 
12. Tage der Erkrankung, aus der ärztlichen Be¬ 
handlung entlassen werden konnte. 

Die von Dr. Haupt-Chemnitz ausgeführte Unter¬ 
suchung des chocoladefarbenen Sputums wies eine 


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157 


grosse Menge Diphtheriebaoillen auf, sodass die 
Annahme gerechtfertigt erscheint, dass die Angina 
Ludovici, eine bekanntlich trotz homöopathischer 
Behandlung meist tödtlich verlaufende Erkrankung, 
eine diphtheriüsche Entzündung des Halszellgewebes 
ist, was auch durch das Vorkommen derselben im 
Anschluss an Scharlachdiphtheritis wahrscheinlich 
gemacht wird. Bekanntlich ist es dem verstorbenen 
Collegen Schweikert gelungen drei Fälle von Angina 
Ludovici mit Anthracin 9. und 30., allerdings unter 
Anwendung chirurgischer Eingriffe und erst nach 
13 resp. 20 wöchentlicher Behandlung zur Heilung 
zu bringen. Ich hatte mich, da Arsenik in dem 
beschriebenen Falle von so vorzüglicher und prompter 
Wirkung war, nicht veranlasst gesehen, zu dem ge¬ 
nannten isopathischen Mittel zu greifen. Obwohl 
kein Freund von Krankengeschichten veröffentliche 
ich diesen Fall, erstens, weil Bähr in seinem Lehr¬ 
buche, nachdem er die Schweikert*schen Fälle an¬ 
geführt, sich wundert, dass bei dieser im ganzen 
sehr selten vorkommenden Krankheit noch Niemand 
den Arsenik, der den Symptomen nach doch so 
passend erscheine, angewandt habe, und zweitens, weil 
er einen schlagenden Beweis von der nicht absoluten 
NothWendigkeit chirurgischen Eingreifens und von 
der Wirksamkeit hoher Potenzen liefert, wobei die 
von den Tiefpotenzlem neuerdings so beliebte An¬ 
nahme der Suggestionswirkung vollständig aus¬ 
geschlossen ist. 


Eine Richtigstellung. 

Es ist mir kürzlich gesagt worden, man finde viel¬ 
fach meine Potenzirungstheorie zu „ materialistisch “. 
Merkwürdig! Eine Arznei ist doch Materie und 
zwar todte Materie. Wie ist es denn möglich eine 
Theorie der Wirkung der Materie anders als mate¬ 
rialistisch zu gestalten. Es ist doch kein Mensch 
darüber im Zweifel, dass eine physikalische Er¬ 
scheinung physikalisch , eine optische , optisch , eine 
akustische , akustisch erklärt werden muss, also muss 
eine materialistische Erscheinung auch materiali¬ 
stisch erklärt werden. Ich bin der letzte der be¬ 
streitet, dass in einem Lebewesen auch andere nicht 
materialistische Vorgänge sich abspielen, noch weniger 
bezweifle ich, dass bei der Behandlung eines Kranken 
nicht materialistische Potenzen eine grosse Bolle 
spielen können, ja dass man sogar ganz allein mit 
solchen Kranke heilen kann, allein eines ist voll¬ 
ständig unbestritten: Es ist noch niemals jemand 
eingefallen, den Geist durch Verschüttlung mit Wein¬ 
geist potenziren zu wollen, sondern das hat man 
stets nur mit materiellen Stoffen gemacht, und 
deshalb kann eine Erklärung der Veränderungen, 
die hierbei die Materie erfährt, schlechterdings nicht 
anders sein als materialistisch, denn wenn sie es 
nicht ist, dann ist sie nichts. Prof. Dr. G. Jaeger. 


Nachtrag zu dem Artikel „Heimath- 
liche Arzneikunde“ in Nr. 17118, 
125. Bd. dieser Zeitnng. 

Von E. Bohlegel, pr. Arzt in Tübingen. 

In meinem Verzeichniss der Pflanzen genannter 
Art sind folgende zwei vergessen worden, die ihren 
Platz ebenfalls daselbst finden müssten: Conium 
maculatum (Umbelliferae) und Mandragora vernalis 
(Solanaceae). Schlegel. 


Die zeitweilig herrschenden 
Heilmittel. 

Kukulus-Stettin berichtet am 21./10. von sehr 
guten Erfolgen von Ipecac. bei Keuchhusten. 

Weihe-Herford hat noch immer = Chel., = Sep., 
= Kreos., = Sinap., hiezu traten in letzter Zeit 
Ac. nitric. -f- Tone, oder -f- Hyoscyam.; Baryt, 
carb. + Tone, ist wieder verschwunden. 

Dierkes-Paderborn theilt am l./ll. mit, dass 
er in letzter Zeit vielen Wechsel betr. der Mittel 
habe; am häufigsten kommen vor: = Lach, -f-Cbin., 
dann Calc. phosph. -f- Chin. und Cupr. -f~ Chin., 
auch Fern -f- Chin.; es giebt noch immer viel 
Leberaffectionen. (W.) 

Leeser-Bonn hat nach Bericht vom 27./10. eben¬ 
falls im allgemeinen grossen Wechsel; am meisten 
vorherrschend ist Tart. süb., ausserdem noch Phosph., 
Chel., Lach. 

Kim-Pforzheim hatte seit dem 22./10. frische Ca- 
tarrhfieber mit Schnupfen, Halsentzündung, Laryngit., 
Bronchit mit Schwerathmigkeit: dagegen Apis (H.) 
von guter Wirkung, welches am 27. noch immer 
angezeigt war. Am 29./10. berichtet er: heute bei 
Kinderinfluenza Sabadill. (H.) 

Ich-hier hatte vom 20.—27./10. viel Borax + 
Sabadill., daneben am 24. und 25. öfters = Tart. 
süb. (Natr. mur. -f- Led.), ausserdem vom 24.—29. 
häufig Combinationen von Baryt, carb. mit Led., 
Lactuc. vir., Bell., Tone., Asar. europ., Petrol.; am 
28. trat Natr. hypophosphor. -f* Sabadill., am 29. 
Kreos. -}- Sabad mehr in den Vordergrund; seit 
dem 30./10. ist ganz vorherrschend Stib. arsenicos. 
-j- Sabadill, angezeigt, ausserdem vereinzelt in chro¬ 
nischen Fällen Stib. ars. -J- All. Cep., Petrol., Dros., 
Gin., Verbasc., Gels. Ein besonderer Krankheits¬ 
typus, abgesehen von allerlei Catarrhen, ist nicht 
vorherrschend. 

Weiss-Gmünd berichtet am 30./10.: Vom 23. ab 
Bell. (H.) herrschendes Mittel bei Anginen, Erysipelen, 
Gehimhyperämie, Trigeminusneuralgieen, Cardial- 
gieen, Menstrualbeschwerden. 


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158 


Sigmundt-Spaichingen theilt heute mit, dass er 
neuerdings nicht selten Fälle für Cupr. -f- Chel. 
habe. 

Stuttgart, den 3. November 1892. 

.. . Dr. med. H, Göhrum. 


Verwahrung. 

Von Dr. med. F. Katsch. 

L Betreffs der „Entgegnung* des Herrn Dr. 
G5hrum in Ho. 13 und 14 der Allg. Homöop. Ztg. 
vom 31. März 1892. 

1. Es ist unwahr und nicht einmal versuchsweise 
begründet worden, dass ich die Göbrum-Schwarz*- 
schen Artikel über Autoisonbehandlung „offenbar 
absichtlich missverstanden“ hätte. 

2. Es ist unwahr, dass ich „den verstorbenen 
Dr. Wolf lächerlich zu machen gesuchtV hätte. 
Da Dr. Wolf als einer der kenntniss- und geist¬ 
reichsten Vorkämpfer und Autoren für die Jenichen '- 
sehen Hochpotenzen eintrat und als Autor noch 
heut Geltung hat, so steht mir und Jedem das 
Recht zu, in einer wissenschaftlichen Fachzeitung 
am Praktiker den Theoretiker zu messen, wie an 
allen der Geschichte angehörigen Aerzten allerseits 
geschieht; denn der Autor lebt, so lange sein Buch 
lebt. Das mir vorgeworfene „de mortuis nihil nisi 
bene* bin ich also berechtigt, zurückzu weisen. 

3. Es ist unzutreffend, dass ich „in meinem 
Artikel keine Beispiele aus der Praxis (— also 
Wirksamkeit —) noch lebender „Phantasten ““ an¬ 
geführt hätte. Mein Manuscript enthielt eine auf 
eigener Nachprüfung basirte Kritik der vor 11 Jahren 
zuerst von Herrn Professor Jäger, Dr. Göhrum und 
Anderen ausgeführten, sogen. „spektralanaljtischen“ *) 
Beweise für Hochpotenzwirkungen. 

Diese hat gerade Herr Dr . Göhrum unterdrückt, 
angeblich weil sie die jetzige Jägersche Veröffent¬ 
lichung präjudiciren würden. „Von dieser Jäger*- 
schen Neuauflage hatte ich aber noch keine Ahnung, 
als ich meinen Artikel schrieb. Ueberdies habe ich 
ja ganz genau präcisirt, unter welchen Umständen 
ich die Erfolge gerade der heutigen Hochpotenzier 
für nicht beweiskräftige erachte. Ich sagte, ein 
Arzt, der mit Hochpotenzen operirt, für deren 
normale — also nach der für die Homöopathie 
massgebenden Hahnernann sehen Bereitungs weisen 
erfolgte — Herstellung er sich nicht verbürgen will 
und kann , glaube eben nur „Hochpotenzen* zu 
besitzen.“ 

4. Es ist unwahr, dass ich „ herabzureissen , was 


*) Wie viel Herr Dr. Katsch von der Jägerischen 
Methode versteht, geht daraus hervor, dass er nicht 
blos hier, sondern auch sonst wiederholt ,spektral- 
analytisch* statt .neuralanalvtisch“ schreibt. Mit dem 
Spektrum hat Jäger’s Methode absolut nichts zu thun. 

Göhrum. 


nicht in meinen Kram passt ' oder die persönlichen 
Fähigkeiten der positiv Arbeitenden zu verdächtigen 
gesucht“ hätte. Positive Arbeiter sind wir Aerzte 
alle. 

Ich habe aber den positiven Mangel an objek¬ 
tiven Befunden gründlicher Brustuntersuchungen in 
den Göhrum-Schwarz'schen Berichten gerügt, wozu 
jede Kritik öffentlich dargebotener und obenein bis- 
her th eilweise unerreichbar gebliebener Heilerfolge 
nicht nur berechtigt sondern verpflichtet. 

5. Es ist unzutreffend, dass ich in meiner Be¬ 
sprechung „auf meine vor Jahrzehnten stattgehabte 
Thätigkeit mir unendlich viel zu Gute gethan hätte.“ 

Ich habe vielmehr aus der Zeit meiner Hospi¬ 
talpraxis datirende Beobachtungen nur zu dem 
Zwecke angeführt um darzuthun, dass „auffällige 
Verschlimmerungen schwerkranker Lungenschwind¬ 
süchtiger“ aus vielen und gänzlich anderen Gründen 
entstehen können als aus Darreichung hochpotenzirten 
„Autoisons.* 

II. Betreffs der „Entgegnung“ des Herrn Dr. 
Schwarz in Ho. 17 und 18 der Allg. Homöop. Ztg. 
vom 28. April 1892. 

1. Es ist unzutreffend, dass ich durch meinen 
Artikel in No. 13 und 14 Herrn Dr. Schwarz 
„lächerlich zu machen“ gesucht hätte. Ich habe 
vielmehr nur bezweifelt und bezweifele fernerweit, 
dass z. B. eine „Caveme mit amphorischem Klange“ 
— falls sie heilt — so heilen könne, dass binnen 
etwa dreier Monate daselbst „normales vesiculäres 
Athmen* zu hören sei. Hätte „ die Lungenspitze 
sich reträhirt* so hätte dies doch nur in Folge von 
Narbenbildung geschehen können: wie sonst? 

2. Es ist ebenso unwahr, dass ich Herrn Dr. 
Schwarz „in einer Laiengesellschaft lächerlich zu 
machen suchte. Ich bot lediglich — und zwar in 
einem kleinen Bruderkreise der hiesigen Loge — 
Herrn Dr. Schwarz von ihm auch wahrgenommene 
Gelegenheit, uns über seine Autoison-Erfolge zu 
unterhalten, ohne dieselben zu kritisiren! 

3. Herr Dr. Schwarz irrt, wenn er meint „seine 
Methode , Hochpotenzen zu bereiten, mir mitgetheilt“ 
zu haben. Ich war daher auch nie in der Lage, 
„dieselbe gutzuheissen! 

4. Es ist unrichtig und erhellt nicht aus meinen 
Schriften, dass ich selbst schon öfter an dem Hahne- 
mann sehen Potenzirungs verfahren gerüttelt hätte. 

5. Ich habe in meinem Artikel nicht beansprucht, 
dass Herr Dr. Schwarz mich „als sachverständigen 
Arzt zur Prüfung des damaligen Lungenzustandes 
seiner Patienten einladen* möge. Ich muss auch 
die Behauptung als unzutreffend ablehnen, dass Herr 
Dr. Schwarz mich mit einer „Einladung zu einer 
Controle- Untersuchung des Lungenzustandes seiner 
Patienten“ auch nur in einem einzigen Falle beehrt 
hätte. 

6. Bereits in meinem angezogenen Artikel habe ich 


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gross gedruckt meine Verwnnderung ausgesprochen, 
dass Herr Dr. Schwarz Sputa „von kleinen Kindern“ 
bei Keuchhusten verlange. Meines Wissens sondern 
gerade „die kleinen Kinder“ — also die meist ge- 
fUhrdetsten — überhaupt keine Sputa aus , am 
wenigsten im ersten Stadium des Keuchhustens , als 
einer Neurose. Im katarrhalischen Endstadium des 
Keuchhustens kann aber dessen Heilung als ein 
besonderer ärztlicher Triumph doch nicht etwa gelten 
sollen! — 

7. Das Gleiche gilt betreffs der Sputa für das 
erst© Stadium der Meningitis tuberculosa „ kleiner 
Kinder 0 . Das und nichts Sonstiges besagte ich 
schriftlich und mündlich, vermied es aber in Laien¬ 
gegenwart, Herrn Dr. Schwarz dieses Fehlen der 
Sputa im Kleinkinderalter vorzubalten. Denn etwa 
Erbrochenes wird ja wohl nicht als Sputum gelten 
sollen! Erst dann, wenn einmal das „Wenn“ im 
Schlusssätze der Entgegnung „durch andere von 
sachverständigen Aerzten controlirte Fälle 0 gänzlich 
gewiss werden wird, und wenn einmal „die kleinen 
Kinder Sputa aus werfen werden 0 , werden meine 
Zweifel, die übrigens nicht der Person, sondern der 
Sache — also lediglich den Mängeln der bisher 
mitgetheilten Krankheitsbeschreibungen galten — 
glänzend widerlegt sein.*) 


Erklärung. 

Da Herr Dr. Katsch auf Grund des § 11 des 
Pressgesetzes die Aufnahme einer Verwahrung gegen 
die Entgegnungen des Herrn Dr. Göhrum in No. 13/14 
und des Herrn Dr. Schwarz in No. 17/18, 124 Bd. 
der Allg. Homöop. Ztg. nachdrücklichst von uns ver¬ 
langt hat, so Hessen wir dieselbe vorgedrackt folgen, 
fügen aber hinzu, dass der schon zu weit zurück¬ 
liegende Federstreit, an den wir unsere Leser nur 
ungern noch einmal erinnert haben, hiermit für 
unsere Zeitung beendet ist. — Die Redaktion. 


Prof. Dr. G. Jäger’« Arbeiten in 
Amerika. 

„The homöopathic physician“ bringt seit einigen 
Nummern die Uebersetzung der in unserer Zeitung 
dieses Jahr erschienenen Arbeit unseres treuen Mit- 

*) Herr College Schwarz hält Übrigens, wie ich 
durch direkte Mittheilung von ihm weiss, seine Ent¬ 
gegnung in ihrem ganzen Umfang aufrecht und ist sogar 
erbötig, den medicinischen Theil derselben in seinen 
einzelnen Punkten nach den neuesten pathologisch¬ 
anatomischen, wie histiologischen, resp. bakterio¬ 
logischen Anschauungen, den nicht medicinischen durch 
die bei jener Unterhaltung anwesenden Zeugen zu be¬ 
weisen. Göhrum. 


arbeiten und Fonchers Prof. Dr. G. Jäger nebst 
Curven und Tabellen zur Veröffentlichung. College 
B . Fincke hat sich dieser Mühe unterzogen. Denelbe 
hat auch auf dem „International Hahnemannian 
Association Meeting of 1892“ einen Vortrag über 
„Neural analysis 0 Prof. Dr . Gustav Jäger's latest 
provings of homöopathic potencies gehalten. Wenn 
er auch mit Jäger in der Erklärung der Art und 
Weise der Einwirkung der Hochpotenzen nicht über¬ 
einstimmt, ohne übrigens auch nur andeutungsweise 
eine bessere Erklärung zu geben, so fühlte er sich 
doch veranlasst, seinen Vortrag mit folgenden Worten 
zu schliessen: _ . 

„Wie dem jedoch auch sein mag, die Forschungen 
unseres Freundes, Dr. Jäger, sind von unschätz¬ 
barem Werth, weil er Thatsachen und Ziffern zu 
Gunsten der homöopathischen Potenzirung liefert, 
welche weder todtgeschwiegen noch widerlegt werden 
können, denn „Zahlen beweisen. 0 

„Dr. Jäger beklagt sich, wie wenig Unterstützung 
er von homöopathischer Seite erfahren habe, seit 
er seine unsterblichen Untersuchungen vor 10 Jahren 
veröffentlichte, und da er sich dieser grossen Arbeit 
allein im Interesse der wahren Wissenschaft und 
zum Besten der Homöopathie unterzieht, welche er 
selbst in Folge seines eifrigen Suchens nach der 
Wahrheit als wahr anerkennen musste, sollte ihm 
jeder Homöopath seine offene Anerkennung und 
seinen warmen Dank für seine vortrefflichen Arbeiten 
und für das, was er für die Homöopathie gethan 
hat, ausdrücken. 0 

In der daran anschliessenden Diskussion wurde 
sofort ein Antrag gestellt und angenommen, dass 
an Dr. Jäger durch den Schriftführer ein Schreiben 
gerichtet wurde, das die anerkennenden Glückwünsche 
der Gesellschaft zu den Erfolgen seiner Forschungen 
ausdrückt. 

Im Anschluss an die vorstehende Besprechung 
sei es mir gestattet, noch darauf hinzu weisen, dass 
die Anmeldungen zu den Jägerschen Riech versuchen 
bis jetzt recht spärlich eingelaufen sind. Ich bitte 
die Collegen dringend , sich noch zahlreicher dazu 
melden zu wollen, damit wir uns nicht noch ein¬ 
mal unserem hochverehrten Mitarbeiter gegenüber 
dem Vorwurfe allzu geringer Unterstützung aus¬ 
setzen! Göhrum. 


Personalia. 

Die Herren: Dr. Meyer - Watersloh und 
Dr. Kukulus-Stettin haben in Berlin das Dis- 
pensir-Examen bestanden. 

Dr. Buob ist von Freudenstadt nach Wiesbaden 
verzogen. 


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16« 


ANZEIGEN. 


Reiisionsmässige Hausapotheken! 

Bei den Revisionen der Hausapotheken der eelbst- 
dlspeasirenden homöopatbisohen Herren Aerzte werden 
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬ 
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die¬ 
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker . 

Aus diesehi Grunde habe ich für die Herren Aerzte 
kleine, praktische 

Giftschränkchen 

und 

Separanden-Schränkcheu 

anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu 
Diensten. 

(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen 
vollste Anerkennung gefunden). 

Sie sind je nacn Wunsch eichen-, oder nussbaum¬ 
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬ 
weitigen Zimmereinrichtung passen. 

Ein Glftsohrlnkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit 
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze 
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild 
Veaeia versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine 
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für 
sich verschliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind 
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch 
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und 
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit 
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen. 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M. 

Ein Separandentohrlnkohen ist 70 cm hoch, 50 cm 
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze 
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬ 
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für 
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬ 
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬ 
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren 
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte). 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M. 

Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen 
entsprechend, habe ich die Gift- und Separanden- 
Sohränkohen jetzt auch in einen Schrank ver¬ 
einigt, vorräthig. 

Die obere Abtheilung dieser Doppel schränke ist 
für die Separanda, die doch mehr gebraucht werden 
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte 
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener 
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬ 
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloide, 
Arsenicalia uhd Mercurialia. 

Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm 
tief und 52 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht 
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht 
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-, 
nussbaum- oder mahagoni-artig. 

Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur 

60 Mark. 

A. Marggrafs homöopath. Offlein in Leipzig. 


Soeben ist erschienen nnd znm Versandt ge¬ 
kommen die 3. Lieferung von 

Die ve rgleichende 

Arzneiwirknngslehre 

von 

Dr. med. H. GrOSS und Prof. Dr. med. C. Hering. 
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben 
von Sanitätsrath Dr. med. Faillwasser, Bernburg a 8. 
Complet in 8 Lfgn. ä Mk. 2.50. Einbanddecke gratis. 

Wer das Werk lieber im Ganzen complet 
gebunden bezieht, mag es anch schon jetzt bestellen, 
da später jedenfalls eine Preiserhöhung ein tritt. 

Alle sechs Wochen kommt eine weitere Lieferung. 
Jede Lieferung : 9 Druckbogen, 4°. Preis &50 Mk. 

Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen 
sind eine grosse Menge Bestellungen auf dieses Werk 
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬ 
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Bach 
alsein ganz vorzügliches nnd für jeden'homöopathiscben 
Arzt und gebildeten Laien unbedingt'noth wendiges be¬ 
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend 
genug empfehlen können. 

in Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die 
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem 
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis 
tbatsächlich ein ausserordentlich niedriger zu nennen. 

Von allen deutschen homöopathischen; Zeitungen 
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichendem Arznei¬ 
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre 
Anschaffung empfohlen. 

Leipzig, den 8. November 1892. 

A. Marggrafs homöopath. Offlein. 
Zur Zuckerbestimmung im Harn, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Limonsin’schen Tropfenzähler 

mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬ 
tabelle ä Paar = Mk. 3.50. 

Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets 
ganz frisch, wird in Glasstöpselgläsern, ä 80,0=50 Pfg. 
abgegeben. 

Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin. 

Zur Eiweissbestimmung im Ham, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Esbaeh’schen Albuminimeter 

mit genauer Gebrauchsanweisung ä Mk. 3.—. 

Die dazu gehörige Lösung vonCitronen- u.Picrin- 
säure gebe ich in jedem Quant. (& 100,0 =» 30 Pf.) ab. 

Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offtein. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehnm-Stuttgart, Dr. StHTt-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von Willian Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) | in Leipzig. 
Druck von Qreasaar & Sokram in Leipzig. 


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Band 125. 


Leipzig, den 34. November 1893. 


No. 21 n. 22. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRÜM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition nnd Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf’s homöopath. Offlein) in Leipzig. 


Brsoheint 14 tägig in 2 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). All e Baob handl an gen nnd 
Poetanstalten nehmen Bestellungen an. No. 97 des Post-Zeitungs-Verzeichnisses (pro 1892). — Inserate, welch® an JEL MOSSO in 
Leipzig und dessen Filialen oder an dieVerl&gshandlung selbst (A. M&rggrafs homöopath. Offioin in Leipzig) xu riohten 
sind, werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitzeile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 


Inhalt. Soli sich unsere Therapie auf die Pathologie oder auf die Symptomatologie stützen ? Uebersetzt 
von Dr. Hesse-Hamburg. — Zur Potenzirungelehre. Von Prof. Dr. G. Jaeger. — An Herrn Thomas Apostata. Von 
Dr. med. H. Göhrum. — Ein weiterer Fall zur Auto-Ison-Therapie. Von Dr. Buob-Freudenstadt. — Schnelle Heilung 
einer Nierenentzündung durch Arsenik. Von Dr. Paul Lutze-Köthen. — Zum Anträge Lorbaoher. Von Dr. med. 
Leeser-Bonn. — Schlusswort zur Controverse „Slmilibus an suggeetis? (< Von Dr. med. Carl Gerster München. — 
Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Erklärung. — Eine In Vergessenheit gekommene schöne Anschaffung. Von 
William Steinmetz. — Ueber das Wesen des vermeintlichen „Hirndrucks“ und dis Princlplen der Behandlung der 
sogenannten „Hirndrucksymptome“. Referat von Dr. Göhrum. — Lesefrüchte. — Druokfehierbericbtlgung. — Anzeigen. 


MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TM 


Soll sich unsere Therapie auf die 
Pathologie oder auf die Sympto¬ 
matologie stützen? 

Uebersetzt von Dr. Hesse-Hamburg. 

Eine klinische Vorlesung, gehalten im Hahnemann- 
Hospif&l zu Chicago von Dr. J. Hawkes, Prof, der 
inneren Medizin nnd Arzneimittellehre. 

Bs wird Ihnen aufgefallen sein, meine Herren, 
dass in meiner Klinik in diesem Semester weniger 
Gewicht gelegt wurde auf eine genaue Diagnose, als 
auf die sorgfältige Ermittelung der für jeden 
einzelnen Kranken indicirten Arznei. Es scheint 
kaum nothwendig, die Richtigkeit dieses Verfahrens 
nachzuweisen, wenn man auch auf der anderen 
Seite die Wichtigkeit cler correkt gestellten Diagnose 
für den einzelnen Fall zugeben muss. Doch sind 
deren so Viele, welche die Diagnose für wesentlich 
für die richtige Arzneiwahl, oder, was der Haupt¬ 
punkt ist, sogar für die Grundlage derselben halten, 
dass ich meine Gründe für meine Handlungsweise 
näher auseinandersetzen muss. Mit der correcten 
Diagnose hat die Aufgabe, den Kranken zu heilen, 
erst begonnen. Nehmen Sie als Beispiel den Kranken 
vor uns: Es ist ein unverkennbarer Fall von Icterus. 


Ohne eine einzige Frage zu thun, können Sie alle 
die genaue Diagnose in diesem Falle stellen, sogar 
der Patient selber. Sie Alle sehen die gelbe, fast 
kupferfarbene Haut, die gelbe Sclera. Die Frage 
lässt sich hier aufwerfen, ob der Icterus in Folge 
von Verschluss der Gallengänge durch Katarrh, 
oder durch Steine, oder ob der Icterus herrührt 
von Zerfall der rothen Blutkörperchen und diese 
Frage kann von Wichtigkeit sein für die Auswahl 
der Arznei. Doch ist sie von sehr untergeordnetem 
Werthe gegenüber den subjectiven Symptomen, 
welche der Kranke bietet. Jene Fragen klären uns 
nicht darüber auf, ob es ein Fall ist für Bryonia 
Chelid., Mercur, Phosph., Nux vom., Podoph. oder 
eine sonstige von den Arzneien, die im Allgemeinen 
für Icterus passen. Die Symptome des Kranken 
hier vor uns weisen klar hin auf Chelidonium als 
das helfende Mittel. Wir haben da den Schmerz 
unter dem unteren inneren Winkel des rechten 
Schulterblatts, der so charakteristisch ist für dieses 
Mittel, wir haben die Canariengelbe Farbe der Stühle, 
zwei charakteristische Symptome, der benannten 
Arznei eigen und diesem Kranken. Alle Fälle von 
Icterus bieten ein ähnliches Aussehen der Stühle, 
nämlich einen Mangel an Farbe; die Stühle er¬ 
scheinen weiss oder grau, da in Folge Verschlusses 
der Gallengänge durch eine der oben genannten 

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Ursachen keine Galle in den Darm gelangt und 
das Fett der Nahrung unverdaut durchgeht. 

Der Name der Krankheiten rührt her, von irgend 
welchen Eigentümlichkeiten, welche die Krankheiten 
oder die Kranken bieten (Scharlachfieber von der 
ScharlachrÖthe der Haut, Intermittens von dem 
intermittirenden Charakter der Fiebers); wenn wir 
nun die Arznei für jeden Kranken nur nach dem 
Namen der Krankheit, oder nach der Diagnose 
wählen würden ohne Beachtung der Symptomatologie, 
dann brauchte man für jede Krankheit nur ein 
Mittel, ohne Rüoksicht auf die verschiedenen indi¬ 
viduellen Symptome, welche in der einen Krankheit 
von verschiedenen Kranken geboten werden: Für 
den Fall vor uns brauchte man nicht weiter zu 
suchen; es genügte zu wissen, dass es ein Fall von 
Icterus ist. 

Aber wir wissen, dass verschiedene Mittel nöthig 
sind für die verschiedenen Kranken, welche an ein 
und derselben Krankheit leiden und wir gelangen 
zur Unterscheidung dieser Mittel durch das Diffe- 
renziren der Symptome, welche die einzelnen Indi¬ 
viduen in derselben Krankheit bieten. Wenn der 
Kranke vor uns nicht diesen Schmerz unter dem 
inneren Winkel des rechten Schulterblattes und nicht 
diese eigenthümliche Farbe der Stühle hätte, statt 
dessen aber stechende Schmerzen in der rechten 
Seite, schlimmer durch Tiefathmen, Niesen, Husten, 
viel Durst mit trocknem Munde, trocknen Lippen, 
starke Verstopfung mit trocknen, bröckligen Stühlen, 
mit grosser Abneigung gegen jede Bewegung, dann 
würde Bryonia das Heilmittel sein. 

Wenn anstatt dieses Symptomenbildes, profuse 
schaumige, graugelbe Diarrhöe vorhanden wäre, mit 
Vorfall des Mastdarms, Leichengeruch der Stühle, 
würde Podophyllum passen. 

Haben wir Speichelfluss, dysenterische Stühle 
mit Zwang und mehr oder weniger Blut, stark 
belegte, feuchte, vergrösserte Zunge und Ver¬ 
schlimmerung aller Erscheinungen Nachts, können 
wir nur Mercur wählen. 

Sobald wir zugeben, dass zwei oder mehr Mittel 
nützlich sein können in derselben Krankheit, sobald 
müssen wir anerkennen, dass die Symptomatologie 
und nicht die Pathologie die richtige Basis unserer 
Mittelwahl sein muss. 

Im Allgemeinen deutet eine Krankheit immer 
auf eine gewisse Gruppe von Arzneien hin, welche 
bei dieser Krankheit mehr in Frage kommen, als 
andere. So ist es auch mit dem Icterus und mit 
den oben von mir genannten Mitteln. Aber das 
dürfen wir nicht vergessen, dass das passende Mittel 
im einzelnen Falle auch ausserhalb dieser Gruppe 
liegen kann, und es wird nach meiner Meinung nur 
Schaden dadurch gestiftet, dass der Arzt für jede 
Krankheit sich an eine gewisse Gruppe von Arzneien 
hält; diese unrichtige Beschränkung verhindert oft 


das Finden des richtigen Mittels. So verfahren nür 
die trägen Aerzte. Wenn der Name der Krankheit 
ganz ausser Acht gelassen würde, hätte der Arzt 
mehr Mühe im Suchen, aber auch unendlich viel 
mehr Erfolg im Interesse des Kränken. Der nächste 
Fall, den ich Ihnen vorstelle, wirft noch mehr Licht 
auf den Punkt, den ich Ihnen einprägen möchte. 
Es ist ein Fall von Hautkrankheit. Nach meiner 
Meinung giebt es keine Hautkrankheit per se. Alle 
acuten und chronischen Erscheinungen auf der Haut 
sind nur Blüthen, stammend von irgend einer er¬ 
worbenen oder ererbten Wurzel im Inneren des 
Körpers. Das Missverstehen dieser Thatsache ver¬ 
anlasst die Allöopathen und auch manche sogenannte 
Homöopathen, diese äusseren Erscheinungen eines 
inneren Krankheitsstoffes durch lokale Behandlung 
zu unterdrücken, von der Oberfläche zu vertreiben 
an einen mehr central und gefährlicher gelegenen 
Ort. So geschieht es mit den Schwefelsalben für 
juckende Ausschläge, mit Zinksalbe im Gesiebt bei 
Erysipel. Die Natur thut immer ihr Bestes, um die 
gefährlichen Ablagerungen an die wenigst gefähr¬ 
lichen Stellen hinzubringen. Unendlich vorzuziehen 
ist das Erysipel aussen auf dem Kopf dem Ery¬ 
sipel der Hirnhäute, und zu diesen letzten wird es 
getrieben, wenn man es auf der Haut unterdrückt. 
Einer der gefährlichsten Fälle, den ich durchbrachte, 
war ein Fall von Erysipelas, den ein sogen. Homöopath 
äusserlich mit Zinksalbe behandelt hatte. Aeusser- 
lich war die Entzündung zurückgegangen, dafür war 
Meningitis und Delirium vorhanden und ein un¬ 
günstiger Ausgang drohte. 

Ich habe mehrere solcher Fälle gesehen, wo das 
Erysipel äusserlich unterdrückt war; das sind straf¬ 
würdige Handlungen. Die Entzündung der Haut 
ist an sich nicht nothwendig gefährlich. Wir sollen 
unser Bestes thun, die Natur zu unterstützen in 
ihrem Bestreben, die Krankheitsstoffe von innen 
nach aussen zu werfen. In diesem Falle vor uns 
haben wir als Ausdruck constitutioneilen Krankseins 
feuchten Hautausschlag an Ohren, Nacken und 
Kopfhaut. Wir hören, dass der Kranke aus einer 
Familie mit Kropf stammt; ferner war in seiner 
Familie Schwindsucht, wir hören von scrophulösen 
Geschwüren. Als Kind hatte er Hautjucken, das 
durch Schwefelsalbe geheilt wurde. In den letzten 
Jahren ist von Zeit zu Zeit Hautausschlag erschienen 
der den Kranken sehr geplagt hat. 

Nun finden wir oft in ähnlichen Fällen Sulfur 
angezeigt. In diesem Falle nicht. Warum nicht 
in diesem Falle? Weil die Symptome nicht auf 
Sulfur, sondern auf ein anderes Mittel hindeuten. 
Die Absonderung ist feucht und ähnlich wie 
Honig. Diese honigähnliche Absonderung bildet 
beim Trocknen gelbe Krusten; ihr Lieblingsort ist 
hinter dem Ohr, wo das Ohr sich an den Kopf 
ansetzt; wenn der Ausschlag auch überall ver- 


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schwunden ist, dort bleibt er bis zuletzt Wir 
finden ferner, dass der Kranke brüchige Fingernägel 
und eine unheilsame Haut hat; Verletzungen heilen 
langsam und eitern; in den Haaren hat er Schuppen. 
Ausserdem finden wir unvollkommene Zähne, über¬ 
haupt schlechte Beschaffenheit von Haut, Finger¬ 
nägeln, Haaren etc. Das indicirte Mittel ist Graphit 
Die charakteristischen Merkmale, welche die Wahl 
von Graphit in diesem Falle, wie in allen ähnlichen 
Fällen entscheiden, sind der klebrige, honigähnliche 
Charakter der Absonderung, gelbe Krusten bildend 
und die Lokalisirung hinter den Ohren. Diese 
Symptome zusammen mit der unheilsamen Haut 
und den brüchigen Fingernägeln, deuten unzweifel¬ 
haft auf dieses Mittel als auf das helfende hin. Man 
konnte an Zinc, Sulf., Lycop. und ein paar Dutzend 
andere Mittel denken, die in solchen Fällen nützlich 
sein könnten, aber nur Graphit und kein anderes 
wird diesen Kranken heilen. Die Diagnose, der 
Krankheitsname würde Eczema capitis sein; wäre 
die Pathologie und die Diagnose die Basis für die 
Mittelwahl, dann brauchte man nur ein Mittel; man 
hätte leichtes Studium, leichtere Arbeit, allerdings 
sehr ungenügende. Ein hervorragendes Mitglied 
unserer Schule schrieb einst einen Artikel: Warum 
viele Arzneien bei einer specifischen Krankheits¬ 
ursache? Er bemühte sich zu zeigen, dass man in 
jeder Krankheit mit einem Mittel auskomme und 
empfahl Mercur für Syphilis, Beilad. für Scharlach, 
Chinin für Wechselfieber und so fort. Der Haupt¬ 
irrthum dieses Collegen besteht darin, dass er als 
Basis der Mittelwabl die von Aussen kommende 
Ursache der Krankheit annimmt und nicht die 
„constitutioneile Prädisposition“*) des Patienten. 

Zur Erläuterung füge ich Folgendes bei: Eine 
Anzahl Leute gehen von einer Gegend zusammen 
in einen Malariadistrikt. Alle leben unter denselben 
äusseren Bedingungen, schlafen in demselben Raume, 
haben dasselbe Essen auf demselben Tische, arbeiten 
an demselben Orte, athmen dieselbe Luft, trinken 
dasselbe Wasser, kurz, sie leben genau in denselben 
äusseren Verhältnissen. Der Eine bekommt Wechsel¬ 
fieber: Er hat regelmässig jeden zweiten Tag starken 
Schüttelfrost, gefolgt von sehr hohem Fieber, furcht¬ 
barem Kopfschmerz und Delirium, abschliessend und 
erleichtert durch profusen Schweiss. An den freien 
Tagen fühlt er sich verhältnissmässig wohl. Dieser 
wird eine besondere Arznei nöthig haben. Ein 
Anderer hat Frost und Hitze jeden dritten Tag, 
aber zu verschiedenen Tageszeiten, mit verhältniss¬ 
mässig wenig Kopfweh und Hitze ohne Schweiss. 
Seine Symptome sind ganz verschieden von denen 
des Ersten und er braucht ein anderes Mittel. 


*) Ich fand für „constitutioneile Prädisposition“ 
keine passende Uebersetzung, aber ich finde den Aus¬ 
druck auch so verständlich und sehr bezeichnend. Q. 


Auf einen Dritten macht die Malaria Überhaupt 
keinen Eindruck. 

Was sollen wir aus solchen Thatsachen schliessen! 
Sollen wir das Malaria-Miasma angreifen und nach 
dem oben citirten Autor Chinin geben für Alle? 
Oder sollen wir, um diese Kranken zu heilen, das 
Individuum angreifen mit seiner Constitution eilen 
Prädisposition? 

Bei dem Ersten, weicher das Fieber jeden zweiten 
Tag hat als reguläres Fieber, wird der aufmerksam 
suchende Arzt vielleicht Natr. muriat angezeigt 
finden und Eupatorium in dem zweiten Falle, be¬ 
sonders wenn zu den obigen Symptomen noch starke 
tiefsitzende Schmerzen im Rücken und in den 
Knochen der Extremitäten hinzutreten. 

Greifen wir dagegen das Miasma an, dann können 
wir auch dem Dritten, verschont gebliebenen Chinin 
geben. 

Pathologie und Diagnose sind an ihrem Platze 
sehr wichtige, unentbehrliche Zweige Ihres Studiums 
und Ihrer Kenntnisse als Aerzte; Sie müssen Beide 
vollkommen beherrschen, aber als Therapeuten, zum 
Heilen der Kranken, ist es für Sie unendlich viel 
wichtiger, vollkommen mit Ihrer Materia medica 
vertraut zu sein und das beste Mittel hierzu ist, 
die charakteristischen Merkmale eines jeden Mittels 
zu lernen und diese Merkmale im Geiste stets mit 
diesem Mittel zu verknüpfen. 


Zur Potenzirimg&lehre. 

Einen sehr interessanten Beitrag zur Potenzirungs - 
lehre enthält No. 8 der „Annalen der Physik und 
Chemie “ 1892 in einer Abhandlung von Ph. Lenard , 
die Elektricität der Wasserfälle . Der Verfasser 
knüpft an die längst bekannte Thatsache an, dass 
an Wasserfällen der Fall des Wassers grosse Mengen 
negativer Elektricität in der Luft entwickelt und 
macht zahlreiche künstliche Versuche im Kleinen 
über die Erzeugung von Elektricität durch Wasser¬ 
strahlen. Hierbei kam er unter anderem zur Ent¬ 
deckung, dass Verunreinigungen des Wassers einen 
bedeutenden Einfluss auf die Menge der vom Strahl 
erzeugten Elektricität haben und das führte ihn zu 
einer systematischen Prüfung der quantitativen 
Frage. 

Ueber die Versuchsanordnung muss der Original¬ 
aufsatz gelesen werden, hier möge folgende Angabe 
genügen. 

Der Verfasser liess 1 Liter der Flüssigkeit in 
so dünnem Strahl, dass der Abfluss 5 Minuten 
brauchte, in ein untergestelltes, isolirtes mit einem 
Elektricität8messer verbundenes Gefäss abfliessen und 
las die Elektricitätsmenge von 30 zu 30 Sekunden 
am Elektrometer ab. Dann berechnete er die er- 

21 * 


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164 


haltenen Ladungen auf hundertstel Volt pro 1 Minute 


und erhielt folgende Tabelle. 
Destillirtes Wasser . . 

. . +26,66 

0,005 °/ 0 Kochsalzlösung 

. . + 1,78 

0,025 „ 

. . — 4,66 

0,05 „ n n 

. . — 6,12 

0,5 „ r » 

. . — 7,52 

2,5 « « „ 

^ * n »» 

. - 18,54 

. . — 26,42 

10 ff 

. . —22,28 


Der Verfasser macht zu dieser Tabelle folgende 
Bemerkung: 

„Es macht sich hier eine Wirkung äusserst geringer 
Substanzmengen bemerkbar. Schon fünf Hundert- 
tausendtheile Kochsalz vernichten die Wirksamkeit 
von Wasser fast gänzlich. Die fünffache Menge 
lässt sie mit entgegengesetztem Vorzeichen wieder 
zum Vorschein kommen. Eine 0,011°/ 0 ge Lösung 
wäre eine vollkommen unwirksame Flüssigkeit. Alle 
concentrirteren Lösungen werden negativ elektrisch, 
am stärksten, nach graphischer Interpolation eine 
solche von 6,5°/o Salzgehalt.* 

Hier tritt also beim elektrischen Verhalten der 
Lösungen eines und desselben Stoffes in verschiedener 
Concentration ganz genau das gleiche ein, wie bei 
der physiologischen Wirkung: 1. In einer be¬ 
stimmten Concentration ist der Stoff elektrisch un¬ 
wirksam = indifferente Dosis. 2. Zu beiden Seiten 
dieses Indifferenzpunktes haben wir entgegengesetzte 
Wirkungen : der lähmenden physiologischen Wirkung 
stärkerer Concentrationeu entspricht hier die Er¬ 
zeugung negativer Elektricität, der belebenden physio¬ 
logischen Wirkung höherer Verdünnungen steht hier 
gegenüber die Erzeugung von positiver Elektricität. 
3. ist auch noch das sehr interessant: Wenn der 
Leser meine Tabelle der Mittelsalze in meiner Arbeit 
über Potenzirung (pag. 35 von Band 125) nach¬ 
sieht, so findet er bei Kochsalz den Strich der 
Indifferenz zwischen der 3. und 4. Potenz. Nun 
ist die dritte Potenz 0,1 °/o» die vierte 0,01 °/ 0 . Der 
Verfasser obiger Arbeit verlegt die elektrische In¬ 
differenz auf 0,011 °/o und diese Concentration liegt 
zwischen 3. und 4. Potenz! Bin ich nicht berechtigt, 
das als eine glänzende Bestätigung meiner Neural¬ 
analyse anzusprechen? Hauptsache aber ist: 

Hier zeigt sich ein neuer Weg zur wissenschaft¬ 
lichen Festlegung der Potenzirungslehre, der den 
grossen Vorzug hat, als rein physikalischer frei 
von jedem Verdacht der Suggestionswirkung zu sein. 
Wer geht ihn? Ist niemand unter den Lesern der 
Zeitschrift, der Lust und Geschick zu solchen 
physikalischen Versuchen hätte? Wenn nicht unter 
den Aerzten, so sollte sich doch unter den homöo¬ 
pathischen Apothekern, die ja alle über Laboratorien 
und Handgeschick verfügen, jemand finden, der im 
Stande wäre, diesen Lorbeer zu pflücken? 

G. Jaeger. 


An Herrn Thomas Apostata. 

In Ihrem Aufsatze „ Unsere Vehikel “ in No. 13/14 
dieses Bandes, pag. 103 stellen Sie frischweg die 
Behauptung auf, keiner der Herren Coli, habe das 
Gebiet der Beimengungen in den Vehikeln gestreift 
Da haben Sie ganz Unrecht. Dasselbe Thema hat 
Coli. S. J. van Doyen schon im 122. Bd. dieser 
Zeitung pag. 183 in ausführlicher und sachgemässer 
Weise besprochen. In einer Erwiderung hierauf 
hat Coli. Kunkel mitgetheilt, dass schon früher Roth 
in Paris diese Frage in erschöpfender Weise be¬ 
handelt habe; ausserdem hat Kunkel die Gründe 
erörtert, warum wir trotz der gewiss vorhandenen 
Verunreinigungen Hochpotenzen an wenden können 
und müssen, indem er sich besonders auf die prak¬ 
tische Erfahrung stützte. Die q>iantitative Seite 
der Frage lies er unerörtert. Auf diese will ich 
nun näher eingehen, obgleich ich es eigentlich als 
verlorene Liebesmüh* ansehen muss, zu jemanden 
zu Gunsten der Hochpotenzen ein Wort zu sprechen, 
dem die Hochpotenzen „die Metaphysik in der 
Homöopathie“ sind, vollends nachdem Prof. Jäger 
mit seiner Neuralanalyse so überaus interessante, 
zahlenmässige Daten zur Beurtheilung dieser Frage 
in seinen früheren und jüngsten Veröffentlichungen 
beigebracht hat. 

AVenn Sie am Schlüsse Ihres Aufsatzes behaupten, 
Sie könnten mit Recht sagen: „Ich habe meinem 
Kranken Belladonna 3, 4 oder 5 gegeben, und da 
ihm danach besser wurde, so habe ich ihn durch 
Belladonna gebessert“, so könnte Ihnen dies mit 
demselben Recht bestritten werden, wie Sie uns 
Hochpotenzlern es bei Bell. 30 oder 200 bestreiten, 
indem S. J. van Royen nach weist, dass Aq. dest. 
= Glas in 2. oder 3. C., Alkohol absol. = Glas in 
ca. 4 C. ist. In Ihren niederen Verdünnungen sind 
also die verunreinigenden Substanzen ungefähr in 
derselben Quantität enthalten wie die Arzneimittel. 
Was wirkt da? Um diesem Uebelstand zu entgehen, 
giebt es nun 2 Wege: 

entweder Sie geben Urtinktur oder 1 oder 2 Dec., 
um ein quantitatives Uebergewicht des Arzneimittels 
über die unvenneidlichen Verunreinigungen zu er¬ 
zielen, 

oder Sie benützen höhere Verdünnungen als ca. 
die 4 C., denn bei weiterem Potenziren wird von 
dem Arzneistoff nichts mehr zugeführt, während 
bei dem jedesmaligen Nachfüllen des Vehikels stets 
dieselben Mengen der Verunreinigungen hinzukommen, 
also letztere keine höhere Verdünnungsstufen er¬ 
reichen können. 

In letzterem Falle überwiegen allerdings quan¬ 
titativ die Verunreinigungen; ob sie damit aber 
zugleich eine Präponderanz in der Einwirkung auf 
den Organismus über den quantitativ sehr im Naoh- 
theil befindlichen Arzneistoff erlangt haben, ist eine 


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165 


andere Frage, die nicht ohne weiteres bejaht werden 
darf. Im Gegentheil die neuralanalytische Prüfung 
der Potenzen, die Prof. Jäger und seine Schüler, 
darunter auch meine Wenigkeit, ausgeführt haben, 
beweist, dass die Bewegungsenergie wohl der meisten 
Stoffe (Bromammonium macht bekanntlich in den 
höheren Potenzen eine Ausnahme) und damit ihre 
Einwirkung auf das Nervensystem mit der Ver¬ 
dünnung wächst — ein Umstand, der die bisher 
bekannten praktischen Erfolge mit Hochpotenzen 
theoretisch erklärt und die ausgedehnte Anwendung 
dieser dem homöopathischen Arzte eigentlich zur 
Pflicht macht . Zugleich legen die bisherigen Er¬ 
gebnisse dieser Prüfungsmethode jedem homöo¬ 
pathischen Arzte die Pflicht auf, ehe er in dem 
Streite um Hoch- und Tiefpotenzen das Wort er¬ 
greift, selbst eingehende Versuche in dieser Richtung 
anzustellen. Erst wenn diese nicht die Richtigkeit 
der Jäger’schen Prüfungen ergeben, hat er — zu¬ 
nächst nur für seine Person — das Recht von 
einem „Irrthum HahnemannV zu sprechen. Also 
— auf zu ernster Arbeit! 

Ganz Recht haben Sie, wenn Sie sagen, es würde 
vergebliches Beginnen sein, „nach Vehikeln absoluter 
Reinheit und vollständiger Unschuldigkeit“, also 
völliger Indifferenz unserem Organismus gegenüber 
zu suchen. Etwas absolut Reines giebt es über¬ 
haupt nicht, das beweisen die neuralanalytischen 
Untersuchungen in so überwältigender Weise, dass 
ich glaube, die Jäger’schen Experimente stossen 
hauptsächlich deshalb auf so viel Widerwillen, weil 
sie bei Verfolgung aller hieraus zu ziehenden Con- 
sequenzen den Beweis einer Kunstheilung illusorisch 
machen könnten. Man denke nur an die vielerlei 
in der Luft befindlichen Stoße, die wir mit jedem 
Athemzug in uns aufnehmen, man denke an die 
zahlreichen Stoffe, die uns zu Speise und Trank 
(Nährstoffe und Gewürze) dienen und doch zu gleicher 
Zeit Arzneimittel sein können, man denke an die 
unendlich variirenden Stoffe, die durch den Stoff¬ 
wechsel in unserem Körper aus den von aussen 
eingeführten Substanzen gebildet werden, man denke 
an die erst durch Prof. Jäger unserem Bewusstsein 
näher gerückten Stoffe, die in uns durch jegliche 
Gemütsbewegung ausgelöst werden: Zieht man 
alle diese zahllosen Möglichkeiten in Betracht, so 
kann ich Ihnen wiederum mit demselben Recht, 
das Sie für sich in Anspruch nehmen, den Einwand 
zurückgeben: eine nach dem Gebrauch von Beil. 3 
oder 5 eingetretene Heilung sei keine Kunstheilung, 
sondern durch die zufällige Einwirkung irgend eines 
der eben genannten Stoffe hervorgebracht, die sicher 
oft als Vis medicatrix naturae iraponirt; mit dem¬ 
selben Recht, mit dem Sie dies bei den von uns 
namhaft gemachten, z. B. mit Bell. 200. erzielten 
Kunstheilungen gegenüber thun. 

Und auf Grund welcher Thatsachen und Be¬ 


obachtungen massen Sie sieb dies Recht an? Weil 
über die 11 oder 12 C. Verdünnung hinaus weder 
chemisch noch mikroskopisch etwas von dem Arznei¬ 
mittel darin nachzuweisen ist, das nach der Signatur 
sich in der betr. Verdünnung befinden soll. Ja — 
als ob es keine feineren Stoffe gäbe, als die, welche 
die Chemie und Mikroskopik nachzuweisen im Stande 
ist: schon die Spektralanalyse ist diesen beiden 
Untersuchungsmethoden bedeutend über und deren 
Versuchsergebnisse werden Sie doch gewiss nicht 
leugnen wollen! Aber alle diese Untersuchungs¬ 
methoden vermittelst der physikalischen Sinne werden 
weit übertroffen durch die Neuralanalyse, die Unter¬ 
suchungsmethode vermittelst der chemischen Sinne, 
insonderheit des Geruchssinnes. Nur an ein Beispiel 
will ich Sie erinnern: an die Prüfung der Nahrungs¬ 
und Genussmittel. Der Werth dieser wird in letzter 
Linie, abgesehen von deren Gehalt an Eiweiss, 
Fetten, Kohlehydraten, Alkaloiden, Alkohol etc, 
bestimmt von deren feinem Geschmack und Geruch. 
Der Weinkenner führt sein Glas erst zur Nase, ehe 
er seinen Inhalt geniesst, und nach dem Gerüche 
vermag er dessen Herkunft und Alter zu schätzen, 
der Theeschmecker vermag — allein vermittelst des 
Geschmackes — ohne jegliche chemische oder 
mikroskopische Untersuchung dessen Güte zu be- 
urtheilen. Es würde zu weit führen, alle diese 
Beweise aus dem täglichen Leben hier anzuführen; 
Prof. Jäger hat sie in verschiedenen Broschüren 
zusammen getragen. Nur auf eines will ich noch 
hinweisen: auf die Veredlung des Weinbouquets 
mit dem Alter. Dies ist ein Verdünnungsprocess, 
der die belebende Wirkung des Weins auf unser 
Nervensystem mit seinem Fortschreiten erhöht 
Allerdings giebt es hier eine Grenze, die nicht 
überschritten werden darf, über diese hinaus wird 
der Wein „ölig*. Aber diese Grenze ist für jede 
Sorte eine verschiedene und auch die verschiedenen 
Menschen verhalten sich den verschiedenen Stufen 
dieses Verdünnungsprocesses gegenüber durchaus 
nicht gleich. Ebenso ist es mit den Arzneimitteln. 
Deshalb ist bei Besprechung dieser Fragen nichts 
mit leerem Wortgeplänkel gethan, nur frische In¬ 
angriffnahme der Untersuchungen in dieser Richtung 
von möglichst vielen Mitarbeitern kann Licht in 
diese so verwickelten Verhältnisse bringen. Also 
nochmals — auf zu ernster Arbeit! 

Bis diese weitere Anhaltspunkte ergeben hat, 
haben wir Hochpotenzier auf Grund der bisherigen 
Forschungsresultate, die nicht nur längst bekannten 
Erfahrungen Erklärung, sondern auch festen, theo¬ 
retischen Grund und Boden gaben, das Recht, das 
uns mit blossen Worten nicht bestritten werden kann, 
neben tieferen Potenzen auch die höheren und 
höchsten Verdünnungen in Anwendung zu ziehen 
und so nicht blos in Bezug auf das Arzneimittel , 
sondern auch in Bezug auf die verschiedenen 


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Potenzen desselben nach bestem Wissen und Ge¬ 
wissen zu individualisiren, wie es der ächte Ho - 
möopathiket' thun soll 

Dr. med. H. Gölirum. 


Ein weiterer Fall zur Auto-Ison- 
Therapie. 

Ein Pendant zu dem Fall (cfr. No. 5 und 6 
Allg. Homöop, Zeitung) möchte ich hier noch kurz 
anführen. — B. K., 70 J. alte Frau von hier, war 
schon im verflossenen Jahre in der Behandlung 
eines allöopath. Arztes hier, welcher den Fall als 
beginnende Tuberkulose diagnosticirt hatte. — Am 
15. Mai 1. J. kam dieselbe unter den Symptomen 
von Influenza, die zu dieser Zeit hier epidemisch 
noch verbreitet war, in meine Behandlung. — Die 
Untersuchung ergab im R oberen Lungenlappen und 
Lungenspitze ausgebreitetes grossblasiges Bronchial¬ 
rasseln, L war dies weniger der Fall, Athmung 
abgeschwächt, stellenweise bronchiales Athmen, an 
beiden oberen Lungenlappen amphorischer Wieder¬ 
hall der Respiration. — Die Percussion ergab an 
beiden Lungenspitzen vorn gedämpften, ebenso über 
den oberen Lungenlappen sogen. Schachtel(leerer)- 
schall. — Hinten oben war der Schall stellenweise 
tympanitisch. — Die Fieberbewegungen exacerbirten 
öfters von 39° auf 40°, Puls 106 bis 112, Nacht- 
schweisse, Husten nicht sehr bedeutend, Auswurf 
rein eitrig, geballt, Sputa critica = Sp. cocta, 
Sputum nummuläre, Stühle dünn, rasches Sinken 
der Körperkräfte, starke Abmagerung. — Die Be¬ 
handlung wurde nach der Dr. Weihe*sehen Methode 
eingeleitet und schwankte in der Folge der Zustand 
hin und her zwischen Besserung und Sichgleich- 
bleiben bis 6. Juni, nun drohte aber doch ein 
Uebergehen in Phthisis florida. — Am 6. Juni 
wurde zur Behandlung mit Auto-Ison übergegangen. 
— Verordnung: Auto-Ison dil. dec. 100 (bis zur 50. 
1 ccm: 9 ccm, von der 50. an 1 ccm: 99 ccm 
verwendet), davon 1 g in 100 g destill. Wassers 
gelöst, 4mal täglich 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen. 

7. Juni: Allgemeinbefinden bereits etwas besser, 
Schlaf erträglich mit wenig Unterbrechung durch 
Husten, Fieber geringer, Puls kräftiger. 

8. Juni: Die Rasselgeräusche nehmen ab, Athmung 
in den oberen Lungenpartien, vorzugsweise R, mehr 
vesiculaer, Dämpfung nicht mehr so ausgesprochen. 

9. bis 12. Juni dasselbe. 

13. Juni: Pat. giebt an, nun eine wirkliche 
innere Besserung zu fühlen; hat Hoffnung auf Ge¬ 
nesung wieder erlangt. 

14. Juni: Athmung in den Lungenspitzen und 
der übrigen Lunge gewinnt den vesiculaeren Cha¬ 
rakter, Dämpfung verschwindet, H. O. noch etwas 
tympan. Beiklang. 


14. bis 18. Juni: Status idem. 

19. Juni: Kein Fieber, keine Naohtschweisse 
mehr, Auswurf mehr schleimig, Kräfte nehmen zu, 
gutes Allgemeinbefinden. 

20. Juni dasselbe. 

21. Juni: Lungenbefund: Noch spärliche, trockene, 
feinblasige Rasselgeräusche, Dämpfung beseitigt, 
Percussionston entspricht so ziemlich dem Normalen. 
Husten wenig, Auswurf noch etwas schleimig-eitrig. 
— Auto-Ison dil. cent 200, davon 1 g in 100 g 
destill. Wassers gelöst, 3 mal täglich einen Kaffee¬ 
löffel voll zu nehmen. 

Die Versendung des Sputums der Pat. an Hr. 
Dr. Haupt, Specialist für Sputumuntersuchungen 
in Chemnitz, behufs Nachweis von Tuberkelbacillen 
scheiterte an der Weigerung des Pat., zu diesem 
Zwecke Sputum zu überlassen. — Auch hier handelt 
es sich wohV um eine tuberkulös gewordene chron. 
catarrhal. Pneunomie bezw. Pleuro-Pneunomie. 

Wenige Tage nach der letzten Arznei benutzte 
Pat. die sonnigen Tage zu Spaziergängen in’s Freie, 
die Kräfte heben sich ungeachtet des hohen Alters 
derselben zusehends. — Sie fühlt sich wohl und 
gesund und geht täglich aus. — Sie ist seit dieser 
Zeit gesund geblieben, ist heiter und guter Dinge. 

Bei solchen Betrachtungen dürfte auch dem 
enragirtesten Skeptiker der unabweisliche Gedanke 
sich aufdrängen, dass die Auto-Isopathie doch eine 
wahre Sache ist, deren Nutzanwendung auch in den 
verzweifeltsten Fällen zu grossem Tröste gereichen 
kann und deren Unterlassung, selbst in sehr vor¬ 
geschrittenen Fällen, angesichts solcher Thatsachen 
geradezu als ein Frevel angesehen werden muss. 

Was den angegebenen Fall „Fr. Sch.“ anlangt 
(s. Allg. H. Z. No. 5 und 6), bei welchem Tuberkel¬ 
bacillen nicht nachgewiesen wurden, so bin ich für 
mich der Ueberzeugung, dass wenn auf solche in 
sachkundigerWeise untersucht worden wäre, Bacillen 
auch entsprechend gefunden worden wären und 
bleibt ebenso für mich die Ansicht bestehen, dass 
der Fall tuberkulös^war. —• Der Fall wurde von 
einem hiesigen Pharmaceuten, der anderweitig 
Mikroskopiker ist, und sonstige mikroscop. Präparate 
anlegt, auf Bacillen untersucht: es fehle ihm jedoch 
hierin die nöthige Uebung. — Eigene Angabe des 
betr. Pharmaceuten. 

Freudenstadt, 19. September 1892. 

Dr. med. Buob. 


Schnelle Heilung einer Nieren¬ 
entzündung durch Arsenik. 

Von Dr. Paul Lutze-Köthen. 

Am 10. Mai d. J. wurde ich zu dem Landarbeiter 
Namens Ernst Müller in Baardorf bei Köthen gerufen. 


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Derselbe, 38 Jahre alt, lag schon seit 10 Wochen 
schwer krank darnieder. Sein allöopathischer Kassen¬ 
arzt hatte ihn während dieser Zeit ohne jeglichen 
Erfolg behandelt. Als ich meinen Besuch abstattete, 
fand ich den bedauernswerthen Kranken am ganzen 
Körper stark geschwollen, so dass er nicht im 
Stande war, ohne Hülfe im Bette auch nur um 
eines Zolles Breite seine Lage zu verändern. Ob¬ 
gleich mir augenblicklich kein Harn zur Verfügung 
stand, glaubte ich mit Bestimmtheit hier einen Fall 
der chronischen Brightschen Niere vor mir zu 
haben und verordnete auf alle Fälle Arsenik 30., 
alle 2 Stunden von der Wasserlösung zu nehmen. 
Dies Hess ich 10 Tage lang fortsetzen. Der mir 
inzwischen zur chemischen Untersuchung herein¬ 
geschickte Harn ergab einen Eiweissgehalt von 
V« Volumtheil. Hiermit war also die Diagnose 
Nierenentzündung bestätigt. Am 20. Mai war noch 
keine merkliche Veränderung zum Bessern bemerk¬ 
bar. Verordnung: Arsenic. 5. Dec. 2stündlich einen 
Schluck der Wasseilösung. Am 23. Mai war inso¬ 
fern eine Veränderung eingetreten, als die Beine 
zwar etwas stärker geschwollen, dagegen der Leib 
und die Arme eine geringere Schwellung aufwiesen. 
Dieselbe Verordnung. Ara 25. Mai: wesentliche 
Besserung aller Erscheinungen. Der untersuchte 
Harn zeigte nur 78 Volumtheil Eiweiss — also 
ein um die Hälfte geringerer Eiweissgehalt — und 
die Geschwulst war bedeutend gefallen. Ich traf 
den Kranken auf dem Hofe umhergehend und man 
erzählte mir, dass er schon eine ziemlich rege Ess¬ 
lust zeige. 

Nun ging es mit Riesenschritten der Besserung 
zu. Am 28. Mai zeigte unser Kranker noch eine 
unbedeutende Knöcbelgesch wulst, die nur Abends 
etwas an Stärke zunahm, und der Eiweissgehalt 
hatte sich auch wesentlich verringert und zeigte 
am 1. Juni noch eine schwache opalartige Trübung. 
Letztere war auch noch am 17. Juni sichtbar, 
dagegen um diese Zeit jede Schwellung ver¬ 
schwunden. 

Am 26. Juni war auch die Trübung des Harns 
gänzlich gehoben, dieser vollkommen eiweiss¬ 
frei. Da ausserdem die Hautwassersucht dauernd 
fern geblieben, der Kranke ganz gesunde Esslust 
zeigte und schon zusehends an Körperfülle zunahm, 
so konnte man den Kranken mit Fug und Recht 
als genesen betrachten. Zwar verbot die vorhandene 
Mattigkeit noch jetzt das Aufnehmen der Arbeit, 
doch erfuhr ich von der Frau gelegentlich einer 
14 Tage später wegen eines Kindes stattgehabten 
Berathung, dass der Gatte nunmehr seit kurzer Zeit 
seine gewiss nicht leichte Landarbeit wieder auf¬ 
genommen habe. 

Auch bei diesem Falle zeigt sich gegenüber der 
allöopathischen Heilkunst (oder Unheilkunst, wie 
sie Constantin Hering nennt) die Ueberlegenheit 


der unsrigen im hellsten Lichte. Dort in 10 Wochen 
keine Spur von Besserung, hier vollständige Heilung 
in noch nicht 2 Monaten. — 


Zum Anträge Lorbacher. 

Von Dr. Leeser-Bonn. 

In No. 17 und 18 der Allg. homöopath. Zeitung' 
lese ich zu meinem nicht geringen Erstaunen, dass 
der Sächsisch-Anhaltinische Verein demnächst über 
einen Antrag des Collegen Lorbacher herathen wird, 
die Stellungnahme des genannten Vereins derWeihe’- 
schen Methode gegenüber betreffend. Als lang¬ 
jähriger Vertreter der Weihe’schen Heilmethode und 
zugleich als Vorsitzender der Epidemiologischen 
Gesellschaft, gegen welche ohne Zweifel die Spitze 
des betr. Antrags gerichtet ist, sehe ich mich ver¬ 
anlasst, zu dem letzteren einige Randglossen zu 
machen. 

Ich möchte von meinem Standpunkte aus dem 
verehrten Herrn Collegen Lorbacher gegenüber den 
Wunsch aussprechen, seinen Antrag zurückzuziehen, 
da derselbe nicht nur auf einer vollständigen Ver¬ 
kennung der thatsächHchen Verhältnisse basirt, son¬ 
dern auch überflüssig und schädlich ist. 

Nach einigen Complimenten für die Weihe’sche 
Methode heisst es in dem Anträge: „allein er (der 
Sächsisch-Anhalt. Verein) kann sich durchaus nicht 
mit dem in neuerer Zeit immer mehr hervortretenden 
Bestreben einverstanden erklären, diese neue Methode 
an die Stelle der Hahnemann'schen Lehre zu setzen 
und letztere nur zu benutzen, um aus ihrem Arznei- 
scbatze die von ihr angewandten Mittel zu ent¬ 
nehmen, wobei sie selbstverständlich nicht umhin 
kann, das S. S. anzuerkennen/ Dass man uns im- 
putirt, wir wollten die Weihe’sche Methode an 
Stelle der Hahnemann’schen setzen, kann nur auf 
einer vollständigen Verkennung der Thatsachen be¬ 
ruhen. Die Weihe’sche Methode ist weiter nichts 
als ein Complement der Hahnemann’schen, sie hält 
sich vollständig im Rahmen des von Hidinemann 
geforderten Similia similibus, nur mit dem Unter¬ 
schiede, dass sie noch etwas mehr bietet als die 
Hahnemann’sche Arzneimittellehre, nämlich neben 
den subjectiven noch chaj'akteristische , objective 
Symptome, die Schmerzpunkte. Weihe selbst sagt, 
dass die Schmerzpunkte den subjectiven gleich- 
wertbige objective Symptome seien. 

Die Scbmerzpunkte sind, wie ich mich einmal 
ausgedrückt habe, der Wegweiser, um sich in dem 
Urwald der Symptome zurecht zu finden. Wir 
Anhänger der Weihe’schen Methode sind sammt und 
sonders bestrebt, diese Methode mit der Lehre 
Hahnemann’s in Einklang zu bringen, indem wir 
uns bemühen, das den Schmerzpunktcombinationen 


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1«8 


entsprechende einfache Heilmittel aufzufinden, und 
erproben durch vielfältige Versuche die Richtigkeit 
der gefundenen Uebereinstimmung. Wenn der Herr 
College meine Ausführungen in No. 116 der Allg. 
homöopath. Ztg. gelesen hätte, so würde er sich 
haben davon überzeugen können, dass wir stets das 
Simillimum zu finden bestrebt sind, wenn auch 
theilweise auf anderem Wege als dem von Hahne* 
mann vorgeschriebenen. Statt uns also, die wir 
neue Bausteine zur Befestigung der Hahnemann’- 
schen Lehre herbeitragen, freundschaftlichst die 
Hand zu reichen, statt diese Bestrebungen zu unter¬ 
stützen, weist er dieselben von der Hand und 
behauptet schlankweg, wir benützten die Hahne- 
mann’sche Lehre nur dazu, „um aus ihrem Arznei¬ 
schatze die von ihr angewandten Mittel zu entnehmen“, 
mit dem Zusatze .wobei sie (d. h die Weihe’sche Me¬ 
thode) selbstverständlich nicht umhin kann, das S. S. 
anzuerkennen. * Der Herr Verfasser hat den Wider¬ 
spruch offenbar gar nicht bemerkt, in dem dieser 
letztere Satz zu dem vorher Gesagten steht, die reine 
contradictio in adjecto: Denn wenn wir Anhänger 
der Weihe’schen Methode . nicht umhin können, das 
S. S. anzuerkennen* — ob wir diese Anerkennung 
des S. S. willig oder ungern vollziehen, darum wird 
sich der Herr Verfasser hoffentlich nicht kümmern 
— wenn wir also zugestandenermassen das S. S. 
anerkennen, benutzen wir die Hahnemann’sche Lehre 
doch nicht «nur, um aus ihrem Arzneischatze die 
von ihr angewandten Mittel zu entnehmen*, sondern 
stehen voll und ganz auf dem Boden der Homöo¬ 
pathie, da wir zudem in allen angängigen Fällen 
d. h. wo uns die therapeutische Einheit bekannt ist, 
uns nur eines einzigen Mittels bedienen und die 
Potenzirtheorie Hahnemann's unangetastet lassen. 

.Abgesehen davon*, heisst es weiter in dem 
Anträge, «liegt aber die Gefahr nahe, dass ein ober¬ 
flächlicher Schematismus, wie es schon bei Schüssler 
und Peczely zu Tage tritt, sich einscbleicht und um 
sich greift*. Ich habe bereits im Jahre 1888 an 
genannter 8telle dagegen protestirt und davor ge¬ 
warnt, die Weihe’sche Methode mit Schüssler und 
Peczely in eine Kategorie zu stellen, und kann da¬ 
her den Verfasser nur auf die Lectüre meines da¬ 
maligen Aufsatzes verweisen. Jetzt kommt aber 
der Haupttrumpf: .die Forderung des Individuali- 
sirens, welche Habnemann mit Bescheidenheit und 
mit Recht erhebt, würde immer in den Hintergrund 
treten und damit die Homöopathie einer ihrer 
festesten Säulen und eines bedeutendsten Vorzugs 
beraubt werden. Bisher hat die Weihe'sche Druck¬ 
punkttherapie noch nicht bewiesen, dass sie dafür 
einen vollständigen Ersatz bietet.* Es gehört schon 
ein ziemlich bedeutender Grad von Unkenntniss der 
Weihe’schen Methode dazu, um so etwas zu be¬ 
haupten. Jeder, der sich nur ganz oberflächlich 
mit der Methode bekannt, geschweige denn vertraut 


gemacht hat, weiss, dass jeder Patient auf seine 
Schmerzpunkte besonders untersucht wird und nur 
nach Massgabe der Vorgefundenen objectiven wie 
subjeetiven Symptome sein Mittel erhält. Ich be¬ 
haupte sogar, dass eine so scharfe Individualisirung 
bei alleiniger Zubülfenabme des Aehnlichkeitsgesetzes 
gar nicht Vorkommen kann, wie bei der Behandlung 
nach Weihe’scher Methode. Ich habe früher bereits 
wiederholt erklärt, dass der Ausdruck .epidemische* 
Mittel nur ein Majoritätsbegriff ist, der ja neuer¬ 
dings in den zutreffenderen Ausdruck «zeitweilig 
herrschend* oder besser .vorherrschende Mittel* 
abgeändert worden ist. Der Herr Verfasser hat 
sich die Sache offenbar so vorgestellt, dass man 
eines schönen Tages den ersten besten Patienten 
vornehme, bei ihm die Schmerzpunkte feststellte 
und nun & la Rademacher allen übrigen Patienten 
dasselbe Mittel gebe, wie dem Untersuchten. So 
einfach und bequem ist es aber keineswegs. Es 
kommt vielmehr häufig genug vor, dass an einem 
Tage jeder Patient auf Grund der Schmerzpunkt- 
Untersuchung ein anderes Mittel bekommt, das seiner¬ 
seits jedesmal dem Simillimum entspricht. 

Eben weil nur die wenigsten der durch 
die Schmerzpunkte aufgefundenen Heilmittel den 
epidemischen Mitteln Rademacher’s entsprechen, 
haben wir die Bezeichnung .epidemische Mittel 6 
officiell fallen lassen; Weihe selbst nannte seine 
Mittel s. Z. mit Recht .indirekt specifische“ Mittel, 
als er noch nicht wusste, dass diese Mittel simillima 
also auch .direkt“ specifische waren, womit er sagen 
wollte, dass dieselben auf indirektem Wege d. h. 
ohne Hülfe der Arzneimittellehre gefunden würden. 
Der Ausdruck .indirekt specifisches* Mittel schützt 
an und für sich schon genügend vor jedem Ver¬ 
dachte, als werde nicht genügend individualisirt. 

Was bleibt nun von der ganzen .Erklärung* übrig? 
Ausser den einleitenden für die Weihe'sche Methode 
schmeichelhaften Worten nichts als der Schlusssatz: 
.Deshalb hält es der Verein für geboten, dieser 
Bewegung gegenüber noch die nöthige Reserve zu 
beobachten, bis der unter ihren Vertretern jetzt 
noch herrschende Enthusiasmus einer nüchterneren 
Stimmung Platz gemacht hat, und mit Bestimmtheit 
und Klarheit sich der wahre Werth derselben und 
ihre Bedeutung für die Homöopathie erkennen lässt.* 
Das also ist des Pudels Kern! Der Sächsisch- 
Anhaitinische Verein soll oder will noch die nöthige 
Reserve dieser Bewegung gegenüber beobachten! 
Aber wer in aller Welt hat denn den genannten 
Verein oder auch nur eines seiner Mitglieder dazu 
gedrängt, aus dieser Reserve herauszutreten? Sollte 
vielleicht ohne mein Wissen der Schriftführer der 
Epidemiologischen Gesellschaft die Vereinsmitglieder 
zum Beitritt aufgefordert oder ihnen gar die Pistole 
auf die Brust gesetzt haben. Um in einer von 
keinem Menschen beanstandeten Reserve weiter zu 


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1 «» 


verharren, bedarf es doch nicht erst einer gross¬ 
artigen Resolution mit einem Antragsteller und zwei 
Referenten!*) Ich kann hiermit nur erklären, dass 
es uns nie eingefallen ist und nie einfallen wird, 
Proselyten zu machen und unsere mühsam ge¬ 
wonnenen Resultate wie saures Bier auszubieten, 
wohingegen wir gern Jedem, der aus freien Stücken 
zu uns kommt, um *die Weihesche Methode theo¬ 
retisch und praktisch kennen zu lernen, mit Rath 
und That zur Seite stehen werden. Dass die be¬ 
sprochene Resolution überflüssig ist, bedarf wohl 
keiner weiteren Erläuterung mehr, schädlich kann 
sie aber auch noch dadurch werden, dass auch 
andere Vereine oder Homöopathen dadurch veran¬ 
lasst werden könnten, die darin niedergelegten 
falschen Anschauungen über die Weihe'sche Methode 
zu der Ihrigen zu machen und ebenfalls vorschnell 
zu urtheilen, ohne geprüft zu haben. Es ist doch 
befremdend, dass man die Jünger Hahnemann’s 
noch an das Wort des Altmeisters erinnern muss, 
das er seinen Gegnern in’s Gesicht schleuderte: 
„Macht’s nach, aber macht es richtig nach und 
urtheilt dann!“ Wenn es uns auch gleichgültig sein 
kann, von den Eiferern und Orthodoxen als Apostaten 
betrachtet zu werden, so können wir doch mit Rück¬ 
sicht auf den Stand der Homöopathie es nicht zu¬ 
geben, dass zwischen die deutschen Homöopathen 
unnöthigerweise künstlich ein Keil getrieben wird, 
und aus diesem Grunde rufe ich dem Sächsisch- 
Anhaltinischen Verein ein Cavete consules zu. 

Ich wünsche allen Mitgliedern des genannten 
Vereins, die mir ja persönlich lieb und werth sind, 
von Herzen ein recht langes Leben, auch im Interesse 
ihrer zahlreichen Clienteln und der Homöopathie, 
aber ich zweifele, dass sie sammt und sonders den 
Tag sehen werden, wo „der unter den Vertretern 
jetzt noch herrschende Enthusiasmus einer nüch¬ 
terneren Stimmung Platz gemacht hat“, wie wir 
andrerseits die Zeit schwerlich erleben werden, wo 
sich mit Bestimmtheit und Klarheit der wahre 
Werth der Weihe'scben Methode und ihre Bedeutung 
für die Homöopathie von Leuten erkennen lässt, 
die es grundsätzlich ablehnen, sich mit der Methode 
praktisch vertraut zu machen, die da glauben eine 
Heilmethode ohne praktische Anwendung beurtheilen 


*) Auch meinerseits ist nichts gescheheu, was eine 
Einbringung des Lorbacher sehen Antrages zum Schutze 
der Mitglieder des Sächsisch-Anbaltiniachen Vereins 
homöopath. Aerzte nölhig gemacht hätte. Ich habe 
nur den beiden zu Referenten ernannten Herren Collegen 
auf ihren Wunsch ein 1V 2 ständiges Privatissimum 
Über die Weihe’sche Methode und deren Erlernung ge 
halten. — Als Gegenstück der Angst vor zu eifrigen 
Bekehrungsversuchen unsererseitswfll ich nur mittheilen, 
dass uns erst vor Kurzem von anderer Seite (von einem 
homöopath. Arzte) der Vorwurf der Geheimniss- 
krämerei gemacht wurde! 

G ö h r um, Schriftführer der Epidem. GeselLcbalt. 


zu können, wie manche Recensenten Bücher zu 
kritisiren sich berechtigt halten, die sie nicht ge¬ 
lesen haben. 


Schlusswort zur Controverse 
„Similibus an suggestis?“ 

Von Dr. med. Carl Gerster in München. 

Herr Dr. med. Julius /TucAs-München hat es 
für nothwendig gehalten, vor den Lesern dieser 
Zeitung ein Kampfspiel zu erneuern, von dessen 
Fortsetzung in der von ihm nun angeschlagenen 
schärferen Tonart nach meiner unmassgeblichen An¬ 
sicht kein wesentlicher Nutzen zu erwarten war. In 
seinem „Rückblick“ (No. 17 u. 18) stösst er mit 
ungestümer Gewalt offene Thüren ein und ich kann 
mich daher zu einem Schlusswort kurz fassen. 

Wodurch habe ich den heiligen Zorn des Herrn 
Dr. Julius Fuchs herauf beschworen? Ich liabß 
(Bd. 124, No. 7 u. 8) im Interesse der Homöo¬ 
pathie darauf hingewiesen , dass die nun zum 
wissenschaftlichen Bürgerrecht gelangende Lehre 
von der Suggestion für sämmtliche Aerzte , also 
auch für die Homöopathen , von der grössten Be¬ 
deutung sei . Indem die Homöopathen sich mit dem 
Studium dieser Lehre eingehend beschäftigten, sei 
es ihnen möglich, die psychische Persönlichkeit 
ihrer Patienten besser zu würdigen, als dies bisher 
der Fall war und es sei ihnen durch Darlegung 
der Mitwirkung oder des Ausschlusses suggestiven 
Einflusses bei homöopathischer Arzneimittelbehand¬ 
lung möglich, ihre Gegner durch Vorlage unan¬ 
fechtbarer Krankengeschichten von der Wahrheit 
und Sicherheit der Arzneimittelwirkungen zu über¬ 
zeugen. 

Herr Dr. J . Fuchs versucht nun, mich auf 
Grund meiner Ausführungen, wenn nicht als Feind, 
so doch als kuriosen Fround der Homöopathie hin¬ 
zustellen und ich sehe mich daher gezwungen, 
die Punkte nochmals kurz zu berühren, die ihn 
zu seinem, ich will sagen — missverständlichen 
Vorgehen gegen mich veranlasst haben. 

Zunächst gehen wir in unseren Anschauungen 
über Homöopathie und Das auseinander, was ich 
„Hahnemannismus" nenne. Ich stehe hierin auf 
dem Standpunkt, den Dr. Katsch in seinen „ Medi¬ 
zinischen Quellenstudien u (Zeitschrift des Berliner 
Vereins homöopathischer Aerzte, 9. Band 18^0) 
einnimmt. An der Homöopathie habe ich nichts 
auszusetzen, wohl aber am Hahnemannismus und 
ich befinde mich, wie ich glaube, in Ueberein- 
stimmung mit einer nicht geringen Anzahl homöo¬ 
pathischer Aerzte. Wenn Dr. /. Fuchs mir sagt: 
„es giebt Literatur genug, um sich über Hahne- 
mann und die Homöopathie besser zu unterrichten“, 

22 


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170 


so verzichte ich darauf, coram publico die Bücher 
anzuführen, aus denen ich meine Kenntnisse ge¬ 
wonnen habe; ich erwähne nur, dass nicht Habne- 
mann, sondern Paracelsus der Gründer der Homöo¬ 
pathie ist und dass die Arzneimittelprüfungen , die 
Hahnemanns Verdienst bilden, heute auf neue Grund¬ 
lagen^ unter Berücksichtigung der Suggestionslehre, 
gestellt werden müssen . Letzteres giebt mir ja 
Dr. J. Fuchs ohne Weiteres selbst zu. 

Mit diesem Zugeständnis muss aber Dr. J. Fuchs 
meines Erachtens logischer Weise auch zu meiner 
Forderung gelangen, wonach in jedem Einzelfall 
die psychische Persönlichkeit des Patienten bei 
Beurtheilung der Arzneiwirkung zu berücksichtigen 
ist. Ich werde eine hysterische Schauspielerin 
anders beurtheilen, als einen rationalistischen Pro¬ 
fessor und bei Beurtheilung von Erfolg oder Nicbt- 
erfolg homöopathischer Arzneien bei ersterer viel 
vorsichtiger und misstrauischer sein, als bei letzterem. 
Ich glaube, Dr. ./. Fuchs wird mir hierin bei¬ 
stimmen, obschon er (Bd. 124, No. 21 und 22) 
meint: „die Patienten auf ihre Suggestibilität zu 
prüfen, fällt mir gar nicht ein, denn ich brauche 
diesen Umstand gar nicht zu kennen.“ 

In Bezug auf Suggestionismus und Suggestion 
hat mich Dr. J. Fuchs völlig missverstanden. Ob- 
.wohl er den suggestiven Einfluss kennt und zu- 
giebt, den der Ruf, das persönliche Wesen und die 
Sympathie des Arztes auf den Kranken ausübt, be¬ 
streitet er, dass die Homöopathen, nach meinem 
Wissen meist feinfühlige, zum Theil mystisch an¬ 
gehauchte, fest auf ihr System vertrauende Männer, 
ihre Patienten mehr in der Gewalt haben, als die 
ewig skeptischen, an ihre Arzneien selbst nicht 
glaubenden, fast durchweg einseitig-rationalistischen 
Vertreter der „Schulmedizin“. 

Wie kommt aber Dr. J. Fuchs dazu, mir zu 
unterstellen , dass ich absichtliche und grundsätz¬ 
liche Anwendung der Suggestion bei den Homöo¬ 
pathen annehme? Würde ich das tbun, wie könnte 
ich dann den homöopathischen Collegen das Studium 
der Suggestionslehre ans Herz legen? Dr. J. Fuchs ver¬ 
mag keinen Schatten eines Beweises zu bringen, dass ich 
die Homöopathen als heimliche bewusste Suggestions- 
tberapeuten verdächtigt habe. Ich sagte, sie wirken als 
Persönlichkeiten, eine bestimmte Clientei vorausge¬ 
setzt, suggestiv stärker als die scholastischen Rezept - 
Aerzte, und bleibe darauf stehen. Ich zweifle weder 
an der arzneilichen Wirkung kleinster Dosen , noch 
an thatsächlichen Erfolgen homöopathischer Arz¬ 
neien, ich weiss auch recht gut, dass man in der 
Praxis unmöglich jeden Einzelfall exakt prüfen und 
einwandsfrei durchführen kann. Ich darf aber wohl 
an diejenigen Fälle , die als massgebend für Mittel - 
Indication veröffentlicht werden , einen anderen, 
strengeren Massstab legen. 

Wenn Dr. J . Fuchs den Suggestionismus so 


gründlich studirt hat, wie er in seinem „Rückblick“ 
angiebt, so verstehe ich nicht, wie er es mit solcher 
Emphase ablehnen kann, dass der Suggestionismus 
(ich meine nicht die Soggestions/Ämipie!) auch den 
Homöopathen bekannt werden muss . Ich verstehe 
nicht, wie er den Suggestionismus ein „System“, eine 
„Methode“ nennen kann. Ueberhaupt vermengt er 
die Begriffe Suggestionismus, Hypnotismus, Sug¬ 
gestionstherapie und Psychotherapie, obschon er 
sie einzeln ganz richtig definirt, fortwährend und 
giebt dadurch zu Missverständnissen Anlass, die 
unsere Polemik viel zu sehr aufgebauscht haben. 

Schwer verständlich bleibt es auch, wie er die 
Gefahren des Missbrauchs hypnotischer Versuchs¬ 
personen der Suggestions/Ätfropfe in die Schuhe 
schieben und glauben kann, der Hypnotisirte sei 
unter allen Umständen ein vollkommen willenloses 
Werkzeug in der Hand des Hypnotiseurs. Wenn 
Dr. J. Fuchs einmal dazu kommen sollte, das 
mehrfach zitirte Werk von Dr. Schmidkunz durch¬ 
zuarbeiten, wird er vermuthlich andere Anschau¬ 
ungen gewinnen. Wenn er glaubt, durch seinen 
verunglückten, sehr unzweckmässig angestellten 
Versuch einer Autohypnose (durch Fascinationü) 
die Gefahren der Suggestionstherapie zu illustriren, 
so findet er damit wohl nur bei Solchen Anklang, 
die in diesem Punkte jeglicher Erfahrung ermangeln. 

Meinen Satz „keine Therapie ohne Suggestionis¬ 
mus“ hat Dr. J. Fuchs dahin aufgefasst, dass ich 
für jede Therapie, also auch für die homöopathische, 
die Mithülfe hypnotisch-suggestiver Einwirkung auf 
die Patienten verlange. Obschon ich zugebe, dass 
ich den Arzt am höchsten schätze, der von sämmt- 
liehen als rationell erkannten Heilfaktoren, nicht 
bloss von arzneilichen, vorurtheilsfrei und zweck¬ 
mässig Gebrauch zu machen versteht, so bin ich 
doch weit davon entfernt, sämmtliche Aerzte zur 
Anwendung der SuggestionsfÄmrpfc (die ein „Sy¬ 
stem“, eine „Methode“ ist, wie die Homöopathie) 
animiren zu wollen. Wer aber arzneilich kuriren 
will, ohne den Suggestionismus (die Lehre von der 
Suggestion im weitesten SinDe) studirt zu haben, 
der muss unbedingt zu Fehlschlüssen kommen. 
Dass solche Fehlschlüsse bei kleinsten Arzneidosen 
viel leichter gemacht werden als bei den groben 
Dosen der Receptenklexer, ist selbstverständlich. 

Ich schliesse, indem ich noch der Ueberzeugung 
Ausdruck gebe, dass in etlichen Jahrzehnten meine 
in diesen Blättern über den Suggestionismus kund¬ 
gegebenen Anschauungen von den meisten homöo¬ 
pathischen Aerzten werden getheilt werden, ohne 
dass der wahren Homöopathie dadurch der min¬ 
deste Eintrag geschieht. Ich halte djese für wider¬ 
standsfähiger als Dr. J. Fuchs , dee^m meinem Vr- 
theil über Homöopathie eine Vernichtung der 
Homöopathie von ihren Grundfesten aus ersehen 
zu müssen glaubte. Indem Dr. J. Fuchs das seiner 


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Ansicht nach von mir bedrohte homöopathische 
Banner mit dem Wahlsprach: Similia similibos! 
unter Aufgebot überflüssiger Kräfte and Aafregung 
aus dem Schlachtgetümmel rettete, stiess er offene 
Thüren ein. 

Quod erat demonstrandum . 


Die zeitweilig herrschenden 
Heilmittel. 

Von allen Seiten wird niederer Krankenstand 
und grosser Wechsel der Heilmittel gemeldet, nur 
Kirn-Pforzheim hat eine besonders bei Kindern auf¬ 
tretende Influenzaepidemie. 

Die einzelnen Mittheilungen belichten von folgen¬ 
den hauptsächlich vorkommenden Heilmitteln: 

Dierkes-Paderborn schreibt am ll./ll.: Wieder 
einige Tage = Lach, -f- Chin.; heute bei Galle¬ 
erbrechen, Kopfweh, Seitenstechen Alum. -f- Chin. 
(W.). 

Leeser-Bonn schreibt am 5./11.: am meisten 
Phosph., Lach., Chel., Rhus tox.; am 14./11.: in 
letzter Zeit besonders = Carb. veg. (Baryt, carb. 
-f- Cin.) und = Kal. bichrom. (Baryt, carb. + Tone.), 
zuletzt Lach. 

Schwarz-Baden-Baden hatte am 3., 4. und 5./11. 
bei Magenkrämpfen Sil. -}- Acon. = Bismuth.; am 
5. Ab., 6., 7. und 8-/11. bei älteren Catarrhen der 
Luftwege mit Speiseerbrechen gleich nach dem Essen 
= Tart. stib. (Natr. mur. -f- Led.). (W.). 

Kirn-Pforzheim theilt am ll./ll. mit: mehr und 
mehr Influenza, besonders bei Kindern: Kreos. 4- 
Sabadill. (W.); am 16./11.: bei Grippe noch immer 
Kreos. -f- Sabadill. (W.), bei sonstigen Catarrhen 
der Luftwege und des Magens Sabad. (H.) von sehr 
gutem Erfolg. 

Ich-hier hatte noch bis zum 7./11. besonders 
bei Gesunden oder schon lange nach Weihe be¬ 
handelten chronisch Kranken vorwiegend Stib. 
arsenicos. + Sabadill.; vom 7. an trat Stib. arsenicos. 
-}- Cin. mehr in den Vordergrund bis zum 13.; 
vom 14. bis 16. war vorwiegend Ac. muriat. -\- 
Lach. = Arnic. angezeigt; am 17. bei Gesunden 
Kal. carb. -{- Led., heute Baryt, carb. -f- Led. 
Von den akut Erkrankten gingen die mit Catarrhen 
der Luftwege Behafteten mit dem vorherrschenden 
Heilmittel, während bei den übrigen Kranken die 
verschiedensten Heilmittel angezeigt waren. (W.). 

Hagel-Ravensburg schreibt am 16./11.: am meisten 
Bell, und Mercur. (H.) 

Hafa-Herrnhut hatte bei einigen Fällen von 
akutem Rheuma der Muskeln Bryon. oder Nux vom. 


-j- Baryt, carb. oder Natr. mur.; bei chronischen 
Fällen noch immer meist Baryt, carb. -f- Con. oder 
Petrol. (W.) 

Stuttgart, den 18. November 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Erklärung. 

Da der Jäger sehe Riechversuch nur bei Theil- 
nähme von mindestens 20 Collegen unternommen 
wird, so bitte ich die Anmeldungen hierzu möglichst 
bald an mich einzusenden, damit die Ausführung 
des Versuches nicht bis zum nächsten Herbst wegen 
der bald sich wieder steigernden Berufsthätigkeit 
vertagt werden muss, was ein trauriges Zeichen 
mangelnden Interesses an für unsere Sache wichtigen 
Forschungen wäre. Göhrum. 


Eine in Vergessenheit gekommene 
schöne Anschaffung. 

Vor ca. 20 Jahren hat der homöopathische Central¬ 
verein Deutschlands ein Album angelegt, in welohem 
die Bilder thunlicbst aller homöopathischen Aerzte 
Deutschlands und des Auslandes — gleichviel ob 
sie Mitglieder des Centralvereins sind oder nicht 
— Platz finden sollen, denn es ist sicher Jedermann 
höchst angenehm, diesen oder jenen Mann wenigstens 
dem Bilde nach kennen zu lernen, der vor seiner 
Zeit gelebt hat, den er aus seinen Werken und 
Schriften achten und ehren gelernt hat, oder mit 
dem er aus diesen oder jenen Behinderungsgründen 
bisher noch nicht persönliche Bekanntschaft hat 
machen können, obschon er ihn schon längst gern 
auch von Angesicht kennen möchte. 

Sind nun thunlichst Aller Bilder in diesem 
V ereinsalbum, und wird dieses fernerhin auf den 
Central Vereinsversammlungen stets zu Jedermanns 
Einsicht ausgelegt, — während es das übrige Jahr 
in Leipzig in der Centralvereinspoliklinik eingesehen 
werden kann — so wird sicher mit dieser Ein¬ 
richtung Vielen sehr gedient sein. Die Einen werden 
beim Durchsehen desselben angenehme Erinnerungen 
auffrischen; die Anderen mit Befriedigung und Ver¬ 
ehrung die Gesichter unsrer tüchtigsten Vorkämpfer 
und Vertreter studiren, — und wieder Andere werden 
die sich von dem Einen oder Anderen im Geiste 
gemachten bildlichen Vorstellungen mit der Wirk¬ 
lichkeit vergleichen, theils dieselben übereinstimmend, 
theils ganz verschieden findend. 

Durch Vervollständigung dieses Albums durch 
Einsendung eines guten Bildes von Sich selbst 
dient somit Jeder nicht nur Sich selbst, sondern 

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auch ohne besondere Kosten und Mühe manchem 
Freunde und Bekannten oder Verehrer und Collegeu, 
dem er bisher von Angesicht fremd gewesen. 

Ich richte daher an alle homöopathischen Aerzte 
Deutschlands und des Auslandes die herzliche Bitte, 
diese alte und hübsche Einrichtung, die jetzt im 
Aktenschranke des Central Vereins schlummert, wieder 
aufleben zu lassen und thunlichst vervollständigen 
zu helfen, indem ein Jeder mir für dieses Album 
sein Bild einschickt, das ich prompt in dasselbe 
befördern werde. 

Für Auslegung des Albums auf den ferneren 
Centralvereinsversammlungen werde ich dann gern 
auch sorgen. 

Leipzig im October 1892. 

Hochachtungsvoll 

William Steinmetz, 
Cassenverwalter des homöopathischen 
Centralvereins Deutschlands. 


Ueber das Wesen des vermeintlichen 
„Hirndrncks“ nnd die Principien 
der Behandlung der sogenannten 
„Hirndrucksymptome.“ 

Von Prof. Dr. Adamkiewicz. 

(Sitzungsberichte der kaiserl. Academie der Wissen¬ 
schaften. 1890. XCIX. 8 — 10. Okt,—Dec.). 

Die alte Lehre vom Hirndruck stützt sich 
auf die Incompressibiliiät der Nervenmasse , die er¬ 
höhte Spannung der durch die intraeraniellen Herde 
verdrängten Cerebrospinalfltissigkeit , die durch 
Letztere bewirkte Compression der Gehirncapillaren 
oder die Gehirnanämie und die durch diese Blut¬ 
leere erzeugten Störungen der Hirnfunktion in Ge¬ 
stalt der sog. „ Hirndrucksymptome .* 

Dagegen weist A. nach, dass das Nervengewebe 
compressibel ist, und dass es eine erhöhte Spannung 
des Liquor cerebrospinalis nicht giebt. Den Beweis 
hierfür liefert folgender Versuch: Laminaria zwischen 
Dura und Gehirn eines Thieres eingelegt, bleibt in 
der Gehirnsubstanz, wie in einer weichen Masse 
eingebettet, ohne sie sonst wie zu alteriren, und 
lässt bei Entfernung einen vollständigen Abdruck 
ihrer Gestalt zurück. Mikroskopisch findet man 
die Nervenelemente dann deutlich kleiner und näher 
aneinander gerückt. Spritzt man, während ein Stück 
Laminaria im Schädel quillt, in die Carotis des 
Thieres getärhten Leim, so findet man bei mikros¬ 
kopischer Untersuchung des Gehirnes speciell die 
Stelle, welche durch den quellenden Herd corapri- 
mirt wurde, von offenen Gefässen durchzogen. Die 
Hirngefässe werden also durch intrakranielle Herde 


nicht geschlossen, sie werden im Gegentheil er¬ 
weitert und vermehrt. Die mechanische Erklärung 
für die Compressibilität der lebenden Gehirnsubstanz 
findet sich darin, dass der Schädel, der das Gehirn 
einscbliesst, ein poröser, von Canälen durchzogener 
Knochen ist, der die, Gehirnflüssigkeiten von den 
kreisenden Säften des übrigen Körpers nicht scheidet, 
sondern sie alle in freiester und vollkommen offener 
Coramunikation lässt. Es wird durch fremde Ge¬ 
bilde einfach eine seinem Volumen entsprechende 
Menge von Gewebsflüssigkeit aus dem nachgiebigen 
Nervengewebe herausgepresst und in die, den Schädel 
verlassenden Blut- und Saftgewebe hineingedrückt 
Während der raumbeschränkende Herd im Schädel 
durch Quellung wächst, ist von einer Aenderung 
des Druckes in der Carotis und Vena jugul. nichts 
wahrzunehmen. Der Liquor tritt im Momente seiner 
Verdrängung, statt auf die Capillaren zu drücken, 
in die Blutgefässe zurück oder verlässt auf 
Nebenwegen den Schädel. Er zeigt auf diese 
Art die Eigenschaften eines einfachen Transsudates 
aus dem Blute und kann sich also nur in solcher 
Menge bilden, als dem jedesmal zwischen Schädel 
und Gehirn vorhandenen Baume entspricht, während 
er andererseits zwar selbst vom Blutdrucke beherrscht 
wird, niemals aber weder einen positiven Einfluss 
auf denselben erreichen, noch überhaupt je zu einer 
selbstständigen Spannung gelangen kann. Die 
Stauungshyperämie des Gehirns erhöht die Bildung 
des Liquor und bringt somit eine Drucksteigerung 
desselben im Schädel hervor. 

Ein intrakranieller Herd alterirt daher den 
natürlichen Blutstrom im Gehirn nicht und kann 
nicht Gehirnanämie hervorbringen. Also sind die 
Hirndrucksymptome nicht die Folge intrakranieller 
Spannungszunahmen , sondern der allgemeine Aus- 
druk der Reizung und Lähmung der irgendwie 
alterirten Gehirnsubstanz und so erhält man, ob 
man den Schädel eines Thieres „verhämmert* oder 
seine Gehirnrinde elektrisch reizt, ob man dem 
Gehirn langsam das Blut entzieht oder ihm von 
der Carotis aus eine reizende Flüssigkeit zuführt, 
immer Nystagmus, Störung an der Respiration, 
Pulsverlangsamung und Krämpfe, und bei fortge¬ 
setzter Reizung die Symptome der Ueberreizung: 
Coma und Tod. 

Wenn nun der physiologische Liquor »Hirn¬ 
druck 44 nicht erzeugt, so wäre es immer noch 
möglich, dass die in der SchädelhÖble unter patho¬ 
logischen Verhältnissen vorkommenden Ex- und 
Transsudate ungewöhnliche Druckhöhen erreichten 
und die von der Hirndruckslehre construirten Wir¬ 
kungen ausübten. 

Vergegenwärtigen wir uns zuerst die physio¬ 
logischen Verhältnisse. Die Capillaren besitzen 
stets einen höheren Druck als die Venen, weil der 
Druck vom Anfang der \orta nach dem rechten 


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Herzen zn continuirlich sinkt. Es muss somit die 
Vorstellung, als könnten im Schädel Spannungen 
existiren, welche die die Venen an Druck über- 
i reffenden Oapillaren comprimiren könnten, als 
physiologisch paradox bezeichnet werden. Der 
Liquor ist ein Transsudat aus dem Blute der Ge- 
hirncapillaren in die perivasculären Räume und 
hat einen etwa seiner Quelle entsprechenden geringen 
positiven Druck von 5—8 mm Hg. Neubildung von 
Liquor führt zu einem entsprechenden Abflüsse in 
die intrakraniellen Venen und von da nach dem 
rechten Herzen. Zu den treibenden und regulirenden 
Kräften sind die obenerwähnten Druckdifferenzen 
zwischen Gehirncapillaren und intrakraniellen Venen 
zu rechnen. Eine Störung der normalen Schwan¬ 
kungen dieser Differenzen kann nur von der venösen 
Seite her erfolgen, wenn sich der Druck in den 
Venen pathologisch erhebt und sich demjenigen der 
Quelle des Liquor nähert. Dies kann Alles hervor¬ 
bringen, was den Abfluss des venösen Blutes aus 
der oberen Hohlvene zum rechten Herzen stört oder 
auch nur erschwert. Der natürliche Abfluss des 
Liquor wird geringer und eine Stauung desselben 
ist unvermeidlich. Wenn diese nicht rasch vorüber¬ 
geht, muss sie mit den Erscheinungen einer un¬ 
zureichenden Ernährung des Gehirns einhergehen, 
also gleichfalls zu den bekannten Phänomenen der 
Reizung und der Lähmung des Gehirngewebes 
führen. 

Dm über die schädlichen Wirkungen einer Druck¬ 
steigerung im Schädelraum ins Klare zu kommen, 
wurden Infusionen von ca 30° warmer Kochsalz¬ 
lösung von 0,6°/ 0 und bei gewissen Versuchen von 
atmosphärischer Luft gemacht (die Versuche siehe 
Original). Dabei konnte man sich überzeugen: 

1. dass, wenn bei diesen Versuchen eines der 
sog. »Hirndrucksymptome* mit einer gewissen 
Stärke aufgetreten war, auch die übrigen mit grosser 
Vollständigkeit nacbfolgten oder doch leicht zu er¬ 
zeugen waren, wenn man den Infusionsdruck auch 
nur um ein Minimum erhöhte, dass somit die ein¬ 
zelnen sog. Hirndrucksymptome einander gleich- 
werthig sind, dass nicht jeder künstlichen Druckhöhe 
ein besonderes Krankheitssymptom entsprach, und 
die absolute Kraft, mit welcher die Infusionsflüssig¬ 
keit in den Schädel dringt, ihr Druck, also für die 
Wirkungen, die sie hervorbringt, kein massgebender 
Faktor ist. Ebenso kann zwischen jenem Drucke 
und diesen Wirkungen ein irgendwie beschaffenes 
Verhältniss der Abhängigkeit nicht nachgewiesen 
werden. Die sog. Hirndrucksymptorae haben mit 
dem sie erzeugenden Druck als solchem, d. h. mit 
dem Druck als einer rein physikalischen Wirkung, 
nichts zu thun. 

2. Das Verhalten der Arteriencurve stimmt mit 
dem dev allgemeinen Infusionserscheinungen voll¬ 
kommen überein. Auch zwischen Infusions- und 


Arteriendnick besteht keine correlative Beziehung. 
Die Form der Arterienkurve aber entspricht nicht 
der einfachen Druckkurve, wie sie in den Arterien¬ 
stämmen durch mechanische Behinderung im Kreise 
ihrer Capillaren erzeugt wird. Infusionen in den 
Schädel wirken daher nicht mechanisch durch 
Capillarencompression, was auch dadurch sicher ge¬ 
stellt wurde, dass im Moment des durch Infusion 
bewirkten Todes in die Gehirn capillaren der Ver- 
suchsthiere von der Carotis aus Carminleim gespritzt 
und dieser bei der mikroskopischen Untersuchung 
des gehärteten Gehirnes darin gefunden wurde; 
deshalb besitzen auch Infusionen die Fähigkeit nicht, 
auf mechanischem Wege Gehirnanämie zu er¬ 
zeugen. 

3. Anders verhält es sich mit der Venencurve. 
Diese steigt bei Kochsalzinfusionen ganz allmählich 
an und geht dann, ohne dass sich in der Conti* 
nuität der Infusionen zum Schädel etwas zu ändern 
braucht, ganz plötzlich steil in die Höhe, um 
hierauf, nachdem sie ein gewisses Maximum erreicht 
hat, continuirlich und bis zum Tode des Versuchs- 
thieres wieder abzusinken. Der Uebertritt der In¬ 
fusionsflüssigkeit aus dem Schädel in die Vene 
des Halses und seine tödtliche Wirkung beweist, 
dass eine intrakranielle Flüssigkeit schon tödtlich 
wirkt, wenn sie nur den so überaus niedrigen Druck 
der intrakraniellen Venensinus erreicht, dass es dem¬ 
nach einen höheren Druck als den von etwa 5—8 
mm Hg. im Schädel überhaupt nicht geben kann, 
also auch die Gebirncapillaren nicht comprimirt 
werden können. Den Mechanismus der Infusionen 
betreffend, zeigt die Venenkurve die Thatsache, 
dass der Druck, mit welchem eine Infusions¬ 
flüssigkeit in den Schädel gepresst wird, nicht etwa 
den Druck angiebt, welchen die Infusionsflüssigkeit 
auch im Schädel erreicht, sondern nur einfach die 
Kraft kennen lehrt, welche nöthig ist, um der in- 
fundirten Flüssigkeit im Schädel den Weg bis zu 
den Venen zu bahnen und ihr so im Schädel nur 
eine Spannung zu geben, welche im günstigsten 
Falle dem niedrigen Druck von 5—8 mm Hg. der 
intracranieilen Venen gleichkomrat. Deshalb findet 
man auch bei den kräftigsten Infusionen in dem 
Schädel nach dem Tode des Thieres das Gehirn 
wie abgeplattet, nie zusammengedrückt. 

4. Um den Weg der Infusionsflüssigkeit zu den 
Gewebselementen kennen zu lernen, wurden zu den 
Infusionen mit Berlinerblau versetzte Kochsalz¬ 
lösungen verwendet. Der Farbstoff fand sich unter 
der Pia in den sog. subarachnoidealen Räumen 
und zeigte besondere Neigung, sich an der Basis 
und um das verlängerte Mark herum zu sammeln. 
Da die Infusionsflüssigkeit gleich nach dem Ein¬ 
tritte in den Schädel in die Venen gelangt und da 
der Infusionsstoff sich später in den subarachnoi¬ 
dealen Räumen findet, so ist der Weg leicht ver- 


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174 


ständlich, welchen die in den Schädel eingepresste 
Flüssigkeit nimmt and auf welche Weise es zu 
Gehirnödem kommt. Die Infusionsflüssigkeiten rufen 
dies schon hervor, wenn sie innerhalb des Schädels 
nur eine dem niedrigen Venendrucke entsprechende 
oder doch nur um ein geringes übertreffende 
Spannung erreichen. Da nun an solchen Gehirnen 
ausser Oedemen keine anderen Veränderungen wahr¬ 
nehmbar sind, und da alle sog. „ Hirndrucksymptome 
lediglich Aeusserungen gestörter Hirnfunktion sind, 
so muss angenommen werden, dass die frühere als 
9 Hirndrucksymptome u ‘ gedeuteten Phänomene unter 
anderen auch durch Gehirnödem veranlasst werden 
können und dass jene Symptome nichts anderes 
sein können, als Reizungs- oder auch Lähmungs¬ 
phänomene des Gehirns. Bei Vorhandensein von 
Gehirnödem werden sie durch den Contact des 
Nervengewebes mit der pathologischen Oedemflüssigkeit 
wachgerufen. Dadurch wird auch erklärt, warum 
die Reizungsphänomene bei Infusionen in den 
Schädel so leicht variiren und warum dieselben 
einander vollkommen äquivalent sind. 

5. Um den so überaus leichten Uebertritt von 
Flüssigkeit aus dem Schädelraume in die Venen 
demonstrabel zu machen, wurde zu den Infusionen 
atmosphärische Luft verwendet. Das Manometer 
verhielt sich dabei ebenso wie bei den Kochsalzin¬ 
fusionen; es geht nach allmählichem Steigen plötz¬ 
lich jäh in die Höhe, während das Thier unter 
Krämpfen und Respirationsstörungen schnell dem 
Tode erliegt. Dabei bleibt aber das Manometer 
auf der Höhe stehen, ohne wieder allmählich ab- 
zusinken, wegen des Eintritts von Luft in die Venen 
Die Sektion ergiebt ausser Luftansammlung in den 
Halsvenen, der oberen Hohlvene und dem rechten 
Herzen mächtige venöse Stauung in allen Unter¬ 
leibsorganen und Venen, Blutmangel im System 
der Pulmonalarterie und in Folge davon des ar¬ 
teriellen Systems überhaupt. Die allgemeine Anä¬ 
mie trifft auch das Gehirn und ruft durch die 
plötzliche Unterbrechung der Blutzufuhr zum Ge¬ 
hirn die sog. „ Hirndrucksymptome “ hervor. 

Wichtig erscheint der Nachweis, dass zwischen 
Schädel und Herz eine überaus freie Communikation 
besteht, dass diese Communikation jedem intrakra¬ 
niellen Medium den Eintritt in das rechte Herz und 
von dort aus in das Gebiet der Pulmonalarterie, 
durch deren Capillaren in das System der Aorta 
und durch Rückstauung sogar in das der unteren 
Hohlvene gestattet, sobald intrakranielle Druck¬ 
kräfte wirken, die die so geringe Spannung der in¬ 
trakraniellen Venen auch nur ein Minimum über¬ 
treffen. Die oben erwähnte Embolisirung des Herzens 
vom Schädel aus ist auch für den Menschen nicht 
ausgeschlossen. 

Die alte Lehre vom „Hirndruck* fasst zwei voll¬ 
ständig verschiedenartige pathologische Zustände 


des Gehirns zusammen. 1. Die Wirkung intra¬ 
kranieller, den Schädelraum partiell beschränkender 
Herde und 2. die Wirkung pathologischer, den 
Raum zwischen Schädel und Gehirn total ausfüllender 
Flüssigkeiten. Erstere comprimiren thatsächlich das 
Gehirn, und man kann bezüglich der Wirkung der 
Compression drei Grade unterscheiden: der erste 
Grad umfasst jene Compressionen, die die Gehirn- 
substanz vollkommen gut und ohne jede Funktions¬ 
störungen verträgt; beim dritten Grad wirkt der 
Druck schon als Trauma und zertrümmert das Ge¬ 
webe; der zweite Grad hält die Mitte zwischen 
beiden, ruft eine Reihe characteristischer Funktions¬ 
störungen je nach dem Ort verschieden, (wenn auf 
die motorische Sphäre wirkend, erst Reiz- dann Läh¬ 
mungserscheinungen, an den Augen nie eine Stau¬ 
ungspapille, aber Störungen der motorischen Inner¬ 
vation und der Ernährung des Bulbus) hervor und 
ist der pathologisch wichtigste. Alle Wirkungen 
der Compression zweiten Grades schwinden mit 
Aufhebung des Druckes; therapeutisch ist daher die 
operative Entfernung des drückenden Herdes ge¬ 
boten. Bei der zweiten Gruppe pathologischer Zu¬ 
stände des Gehirns handelt es sich nicht, wie die 
alte Lehre behauptet, um Erhöhung der Spannung 
und dadurch berbeigeführte Compressionswirkung, 
sondern die anormale Flüssigkeit entsteht durch 
Stauung im System der oberen Hohlräume oder 
überfluthet die intrakraniellen Venen und führt in 
beiden Fällen zu Oedem des Gehirns. Hier kann 
nur Entspannnng der Venen (indifferente Venae- 
sektion), nicht aber Entleerung der Oedemflüssigkeit 
(Schädeltrepanation) helfen. 

(Aus „Centralblatt f. prakt. Augenheilkunde 1891. 

August XV. Jahrgang). 

Hiezu erlaube ich mir die Bemerkung, dass bei 
der zweiten Gruppe auch die indifferente Venaesek- 
tion nicht viel mehr bezwecken dürfte, als vorüber¬ 
gehende Entlastung, was nach diesen Ausführungen 
klar ist. Es ist also vor allem die Ursache für 
die Stauung oder die Ueberfluthung zu suchen und 
wenn möglich zu entfernen. 

Göhrum. 


Lesefrächtei 

Bei habituellem Aborius 9 sofern derselbe nicht 
auf constitutioneilen Krankheiten wie Syphilis, Tuber- 
culose, oder auf Erkrankungen des Uterus und 
seiner Adnexa beruht, wird nach Turazza (Padua) 
Asa foetida mit gutem Erfolge verabreicht. Man 
verschreibt: 


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1 » 


Rp. 

Gammi resin. asae foeticL 6,0 
F. pill. No. 60. 

S. Alle 2 Tage eine Pille, allmählig 
seltener bis alle 10 Tage bis zur 
Geburt. 

(Centralblatt f. Gynäkol. — Berliner klin. Wochen¬ 
schrift 1892. No. 12.) 

In Noack und Trinks „ Handbuch der homöo¬ 
pathischen Arzneimittellehre* sind bei Asa foet. 
unter „Weibliche Genitalien* folgende Symptome 
verzeichnet: „Heftige, wehenartige, drängende 
und schneidende Schmerzen in der Tiefe des 
Unterleibes in der Gegend der Gebärmutter 
absatzweise erscheinend und öfters wieder¬ 
kehrend. — Um 10 Tage zeitigerer Eintritt 
des Monatlichen, anfangs 3 Tage lang unbedeutend, 
später regelmässig fliessend.* Obige Empfehlung 
dieses Mittels gegen habituellen Abort mit den 
gegebenen Einschränkungen der Indication beruht 
also unbewussterweise vollständig auf der Homöo- 
pathicität desselben, um so mehr als nach Ausschluss 
der angegebenen Erkrankungen wohl keine Indication 
bleiben dürfte, als die auf Grund von Nervosität. 

Göhrum. 

Die klinische Prüfung der Hautreflexe. Von Dr. 
Geigel. (Deutsche Med. Wochenschrift No. 8 
1892.) 

Unter den verschiedenen Hautreflexen spielt der 
Cremasterreflex eine der wichtigsten Rollen. Man 
weiss, dass beispielsweise bei einer cerebralen Hemi¬ 
plegie sofort nach geschehenem Insult dieser Reflex 
auf der gelähmten, dem Heerd gegenüberliegenden 
Seite fehlt Der epigastrische und Plantarreflex 
bieten für jenen keinen Ersatz, sie können sowohl 
auf der gelähmten wie auf der anderen Seite per- 
maniren. Da man sich unter diesen Verhältnissen 
zuweilen nur am Cremasterreflex ein Bild davon 
machen kann, wo sich nach Abklingen der Allgemein¬ 
symptome die Hemiplegie manifestiren wird, war 
es für manchen Diagnostiker ärgerlich, in der Hälfte 
der Fälle — eben beim weiblichen Geschlecht — 
auf dieses Symptom verzichten zu müssen. Es be¬ 
steht aber nach den Beobachtungen des Verf. dieses 
Hinderniss für die Diagnostik in Wirklichkeit gar 
nicht, da sich beim weiblichen Geschlecht etwas 
dem Cremasterreflex Analoges findet. Streicht man 
nämlich die Haut des Oberschenkels an ihrer Innen¬ 
fläche nach den äusseren Genitalien oder auch unter¬ 
halb des Lig. Poupartii mit der Spitze eines Per¬ 
cussionshammers, so erfolgt sofort auf der gereizten 
Seite eine mehr oder weniger lebhafte Contraction 
der untersten Bündel des Muse. obl. int. oberhalb 
und entlang des Lig. Poupartii. Dass dieser Reflex 
völlig gleichwerthig dem Cremasterreflex ist, geht 
schon daraus hervor, dass auch beim Manne, wenn 


der Cremasterreflex anspricht, nicht nur der Hoden 
gehoben wird, sondern auch die Obliquusfasern 
oberhalb des Leistenringes sich contrahiren. Es 
kommt also dieser diagnostisch wichtige Reflex 
beiden Geschlechtern zu und dürfte daher besser 
Obliquus- oder Leistenreflex zu nennen sein. 

In den „Excerpta medica* No. 6, 1892 findet 
sich folgende interessante Mittheilung: 

„Bei einfacher Wehenschwäcbe Ipecacuanha nach 
Dr. Drapes ein mächtiger Erreger der Contractionen 
des Uterus. Sind die Wehen schwach und unwirk¬ 
sam oder gänzlich verschwunden, so genügen 
2—3 Dosen zu 10 — 15 Tropfen des Vinum Ipecac., 
um binnen kurzem eine überraschend energische 
^Thätigkeit des Uterus hervorzurufen und zwar im 
Ersten, wie im zweiten Geburtsstadium. Die Wehen 
sind stets regelmässig und normal, nicht, wie so 
oft nach Secale, fast tetanisch.* (Quarterly therap. 
review. — Deutsche Medic.-Ztg. 1892. No. 6.) 

(Aus „Excerpta medica* No. 6, 1892.) 

Fall von Intoxication durch Perubalsam , be¬ 
schrieben von Dr. Lohaus (Perleberg). 6 Tage 
altes Kind erkrankt mit Krämpfen, Unruhe, schreit, 
ist mit Schweiss bedeckt, will nicht die Brust nehmen; 
Cyanose der Lippen, fliegender Puls, sehr enge 
Pupillen; Stuhl grün, dünn, mit bräunlichem Schleim 
durchsetzt; aus dem Munde sickert langsam ein 
schmutzig-brauner, zäher Schleim von eigenthümlich 
ätherischem Geruch. Am zweiten Tage Exitus 
letalis, nachdem die Symptome sich mehr und mehr 
verschlimmert hatten, das Schlucken dargereichter 
Milch ganz aufgehört hatte und klonische Zuckungen 
der Extremitäten aufgetreten waren. Diagnose: acuter 
Magendarmcatarrh infolge Intoxication mit Perubal¬ 
sam. Aetiologie: Die das Kind selbst nährende Mutter 
hatte zur Heilung von Schrunden an der Brust nach 
jedem Anlegen die Warzen reichlich mit Perubalsam 
bestrichen, vor dem nächsten Anlegen denselben 
wieder „abgewischt*. Dieses Abwischen muss aber 
zu oberflächlich gewesen sein, sodass noch ein Tbeil 
in den Furchen der Warzen zurückblieb. Also 
grosse Vorsicht im Verordnen von Perubalsam bei 
stillenden Frauen nöthig! (Berliner klinische Wochen¬ 
schrift 1892. No. 6.) 


ürnekfehlerberichtigung. 

In dem Nekrolog für Hofrath Dr. Ed. Groos, 
No. 19/20, Bd. 125 dieser Zeitung, muss es pag. 149, 
Spalte links, 6. Zeile von unten anstatt „Menge 
Ricinusöl“, „Unze Ricinusöl“ heissen. Die Red. 


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ANZEIGEN. 


Rerisionsmässige Hausapotheken! 

Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbst- 
dispensirenden homöopathischen Herren Aerzte werden 
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬ 
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die¬ 
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker. 

Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte 
kleine y praktische 

(xiftschränkchen 

und 

Separanden-Schränkcheii 

unfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu 
Diensten. 

(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen 
vollste Anerkennung gefunden). 

Sie sind je nacn Wunsch eichen*, oder nussbaum¬ 
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬ 
weitigen Zimmereinrichtung passen. 

Ein Gift8Chränkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit 
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze 
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild 
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen fiir Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine 
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für 
sich verscbliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind 
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch 
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und 
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit 
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen. 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M. 

Ein Separandenschränkchen ist 70 cm hoch, 50 cm 
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze 
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬ 
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für 

80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬ 
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬ 
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren 
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte). 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M. 

Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen 
entsprechend, habe ich die Gift- und Sep&randen- 
Schränkchen jetzt auch in einen Schrank ver¬ 
einigt, vorräthig. 

Die obere Abtheilung dieser Doppelschränke ist 
Ür die Separanda, die doch mehr gebraucht werden j 
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte ! 
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener 
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬ 
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloiae 
Arsenicalia und Mercurialia. * 

Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm 
tief und 52 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht 

8 1 r Ä e ?r^ au8 ‘ — Lachen derselben geschieht 
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-, 
nussbaum- oder mahagoni artig. 

Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur 

60 Mark. ’ 

A. Marggrafg houiilopath. Oflicin in Leipzig. 


Soeben ist erschienen und zum Versandt ge¬ 
kommen die 3. Lieferung von 

Die ve rgleichende 

Arzneiwirknngslehre 

von 

Dr. med. H. Gross und Prof. Dr. med. C. Hering. 
Aus dem Englischen bearbeitet und berausgegeben 
von Sanitätsrath Dr. med. Faill Wasser, Bernburg &.S. 
Complet in 8 Lfgn. h Mk. 2.50. Einbanddecke gratis. 
§ßtT Wer das Werk lieber im Ganzen complet 
ebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen, 
a später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt 
Alle sechs Wochen kommt eine weitere Iaieferung. 
Jede Iaieferung: Ö Druckbogen, 4°. Preis SL50 Mk. 

Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen 
sind eine grosse Menge Bestellungen auf dieses Werk 
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬ 
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch 
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen 
Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬ 
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend 
genug empfehlen können. 

In Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die 
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem 
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis 
thatsächlich ein ausserordentlich niedriger zn nennen. 

Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen 
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei¬ 
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre 
Anschaffung empfohlen. 

Leipzig, den 8. November 1892. 

A. Jtfarggraf’s homöopath. Offlcin. 
Zur Zuckerbestimmung im Harn, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Limousin’schen Tropfenzähler 

mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬ 
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Die dazu gehörige Fehllng’sche Lösung, stets 
ganz frisch, wirdin Glasstöpselgläsem, ä 30,0=50Pfg. 
abgegeben. 

Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Offtcin. 

Dr. Heaimann’i 

„Taschen-Handreiniger“ für Aerzte 

vom Kaiser]. Patentamt geschützt und im Gebrauch 
vieler amtlicher und privater Aerzte des In- und 
Auslandes, schützt vorzüglich gegen Infection. Zu 
beziehen durch alle Chirurg. Instrumenten¬ 
macher, sowie direct vom Erfinder (Dresden). 
Preis für Deutschland 3 Mark, alle übrigen Länder 
5 Mark per Nachnahme. 


Verantwortliche Redacteare: Dr. eoehrum-Stnttgart, Dr. Stlfft-Leipzig und Dr. Haedioke-Leipzig. 
Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Offlcin) in LeipaigT 
Druck von Greeener L Sohramm in Leipzig. 


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Leipzig, den 8. December 1893. 


No. 23 u. 24. 


Band 125. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition und Terlag von William Steinmetz (A. Marggrafs bomOopath. Offlein) in Leipzig. 


Bnchaint 14tAgig an 3 Bogen. 18 Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 if. SO Pf. (Halbjahr). Alle Buobhandlungen und 
Postanetalten nehmen Bestellungen an. Ho. 97 dea Post-Zeitungs-Verzeiohnisses (pro 1893). — Inserate, welche an B. Mosse in 
Leipzig und dessen Filialen oder an die Verlagshandlung selbst (Al. Marggrafs homöopath. Offloin in Leipzig) an riohten 
sind, werden mit 30 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile nnd deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 13 M. berechnet. 


Inhalt. Einladung zum Abonnement — Einladung zur 2. Weibnaohteveraammlung der Epidemiologischen 
Geoellsohnft zu Frankfurt a. M. den 27. Dec. 1892. — Bekanntmachung. — Wodurch nnd worauf wirkt der Schwefel? 
Nach Prof. Hugo Schulz-Greifswald. Von Dr. Mossa. — Die Methode des Prof. Brown Sequard. Referat von Dr. 
Th. Kafka-Karlsbad. — Amorikaniaoho homöopathische Zustände. Von A. Lorbacher. — Zur Vehikel-Frage in der 
Homöopathie. Von Dr. med. Rob. Stendel-Johnstown. — Eine interessante Krankengeschichte. Von Assistenzarzt 
Waszily. — Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Lesefrüehte. — Berichtigung. — Personalien. — Anzeigen. 


SST Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU 


Einladung zum Abonnement. 

Um in der Zusendung dieser Zeitung keine Unterbrechung eintreten zu lassen, werden die ge¬ 
ehrten Abonnenten um gefällige rechtzeitige Erneuerung des Abonnements auf Band 126 (1. Halbjahr 1893) 
höflichst ersucht. Alle Postanstalten und Buchhandlungen, sowie die Unterzeichnete Verlags handlang 
selbst nehmen Bestellungen zum Preise von 10 Mark 50 Pfg. pro Band entgegen. Probenummern 
stehen stets unberechnet nnd portofrei zu Diensten. 

Hochachtungsvollst 

Leipzig, im December 1892. die Verlagshandlnng von William Steinmetz 

(i./P. A. Marggrafs Homöopath. Offioin.) 

Einladung 

zu der am Dienstag, den 27. December, Nachmittags 6 Uhr zn Frankfurt a. M. 
im reservirten Lokal im Entresol der Restauration „Kaisergarten“ (Eingang durch 
die Restauration) im Kaiserhau (Opernplatz 2) stattfindenden 

2. Weihnachtsversammlung der Epidemiologischen Gesellschaft. 

Tagesordnung: 

1) „Die Aufgaben der Epidemiologischen Gesellschaft und die Prüfung am Gesunden“ nebst Demon¬ 
strationen. Dr. G öArMw- Stuttgart. 

2) Diskussion. 

3) „ Der Nutzen der W eihe*sehen Methode für die Kenntniss der ArzneimittellehreDr. Leesei - Bonn. 

4) Diskussion auch über anderweitig angeregte Themata. 

Die Mitglieder, sowie die HH. Collegen, die sich für unsere Bestrebungen interessiren, sind zu 
zahlreicher Theilnahme an dieser Versammlung freundlichst eingeladen. 

23 


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178 


Bekanntmachung. 

Das für Doctoren resp. absolvirte Candidaten der Medicin, welche auf der Prager, Wiener, 
Leipziger oder einer andern deutschen Universität studirt haben, sich mit der homöopathischen Heil¬ 
methode vertraut machen und dieselbe praktisch ausüben wollen, bestimmte Oabriel Porges’sche 
Stipendium wird zum 1. Januar 1893 vacant. 

Reflectirende werden hierdurch aufgefordert, sich bei einem der Unterzeichneten zu melden, bei 
denen auch die Yerleihungs-Bedingungen zu erfahren sind. 

Prag und Leipzig, December 1892. 

Dr. med. J. Kafka sen. in Prag, als Stiftungspatron. 

Dr. med. Lorbacher in Leipzig, 
als Vertreter des Homöopathischen Central-Vereins Deutschlands. 


Wodurch und worauf wirkt der 
Schwefel? 

Nach Prof. Hugo Schulz in Greifswald. 

Von Dr. Ifossa. 

Ueber die Wirkungsweise des Schwefels hat 
Prof. Hugo Schulz in der Berliner klinischen 
Wochenschrift No. 13/91 eine Arbeit veröffentlicht, 
die wieder so manche Coincidenzpunkte mit der 
Homöopathie darbietet, dass wir hier gern auf die¬ 
selbe hinweisen. Bei der jetzt übertriebenen Par¬ 
forcejagd auf neue, eben frisch aus der chemischen 
Fabrik zu Tage geförderte Mittel, muthet es uns 
schon an, zu sehen, wie dieser wirklich gründliche 
Forscher auf dem Gebiete der Arzneimittellehre, 
der die Prüfungen am Gesunden so energisch be¬ 
tont und auch ausgeführt hat, der Wirkungsweise 
eines von uns gutgeprüften und hochgeschätzten 
Heilmittels, wie des Schwefels, auf den Grund zu 
kommen bemüht ist, während ein grosser Theil der 
Vertreter der alten Schule dasselbe in hergebrachter 
Routine klinisch verwerthet und ein anderer, als 
Geister, die stets verneinen, es überhaupt bei Seite 
geworfen hat. 

Den Weg, den Prof. Schulz zur Lösung seiner 
Aufgabe gewählt hat, schlägt die biochemische 
Richtung auch ein. 

„Wirkt Schwefel, innerlich genommen, nur als 
Laxans, fragt er, oder leistet er mehr?“ Um diese 
Frage beantworten zu können, hält er es für ge¬ 
boten, sich zunächst über dessen Vorkommen im 
Organismus sowie über die an dieses Vorkommen ge¬ 
bundene physiologische Bedeutung zu orientireo. 

Kein Eiweiss ohne Schwefelt ja, man kann be¬ 
haupten, ohne Schwefel kein organisches Leben . Aus 
Eiweiss baut sich ja alles lebende Gewebe auf, und 
in der einfach construirten Hefezelle finden wir den 
Schwefel ebenso vor, wie im Gehirn des Menschen. 
Und nach dem Absterben des Organismus, nach 
dem Erlöschen der zum Leben nothwendigen che¬ 
mischen Vorgänge, die wir als Stoffwechsel zu¬ 
sammenfassen, sind flüchtige Schwefel Verbindungen 


dasjenige, was uns den beginnenden Zerfall der Bau¬ 
steine des organischen Gebäudes in der Regel zu¬ 
erst kenntlich werden lässt. 

Welche Bedeutung hat aber der Schwefel für die 
Eiweissmolecüle, für das Protoplasma, die aus ihm 
aufgebauten Zellen und die von diesen gebildeten 
Organe ? 

Schon früher hat nun Prof. Schulz die Bedeu¬ 
tung des Schwefels für das lebendige Eiweiss dahin 
zu präcisiren versucht, dass derselbe den Sauerstoff¬ 
umsatz in den Zellen zu unterhalten berufen sei. 
Mit Wasser kann Schwefel in der Weise sich ver¬ 
einigen, dass Schwefelwasserstoff entsteht und ac- 
tiver Sauerstoff frei wird. S -f-H 2 0 = H 2 S + 0. 
Schwefelwasserstoff zerfällt aber unter oxydirenden 
Einflüssen wieder leicht zu Schwefel und Wasser. 
Die Bildung von SH 2 bedingt also im ersten Fall 
das Auftreten von 0. in statu nascendi. 

Seine Existenz ist aber nur eine kurzdauernde, 
indem er sofort vom Eiweiss der Zelle in Beschlag 
genommen, verbraucht wird, wobei dann ein Theil 
des Eiweisses oxydirt. „Das Product dieser Oxy¬ 
dation ist einmal das, was wir die Lebensthätigkeit 
der Zelle überhaupt nennen, andererseits entstehen 
durch sie die Eiweisszerfallproducte, die wir als die 
Endresultate der Stoffwechselthätigkeit anzusehen 
gewohnt sind.“ 

Der im obenbesprochenen Vorgang gebildete 
SH 2 , dessen Quantität jedenfalls sehr gering ist, 
wird dann wieder durch den Blutsauerstoff 'zer¬ 
setzt, wobei Schwefel wieder frei wird. Dieser 
wird dann wieder zu SH 2 — Und so kann der 
ganze Prozess von Neuem 6ich wiederholen und 
von Neuem wieder activer Sauerstoff an das Zellen- 
einweiss herantreten. — 

Diese Annahme, dass die Eiweissverbrennung, 
die Lebensthätigkeit der Organe, durch die An¬ 
wesenheit von Schwefel wesentlich gefördert wird, 
erhält, wie Prof. Schulz fortfährt, durch die Unter¬ 
suchungen Nasse s und dessen Schüler Rösing (sieho 
des Letzteren Dissertation: Untersuchungen über die 
Oxydation von Eiweiss in Gegenwart von Schwefel. 


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m 


Rostock 1891) eine kräftige Stütze. Diese Experi¬ 
mente haben deutlich gezeigt, wie Oxydationsvor¬ 
gänge organischer Substanzen durch die Gegenwart 
von Schwefel entschieden gefördert werden. 

Wie das Eisen im Hämoglobin vorhanden sein 
muss, um die Uebertragung des aus der Luft durch 
die Lungen aufgenommenen Sauerstoffs einzuleiten, 
so können wir den Schwefel als den Factor be¬ 
trachten, der im Zelleneiweiss die SauerstoffWirkung 
weiter führt, den Stoffwechsel der Zelle mit unter¬ 
halten hilft. Es muss mithin, schliesst Prof. Schulz, 
eine Zufuhr von Schwefel in kitinen Mengen die 
Thätigkeit des Zellenprotoplasmds und damit der 
Organe selbst steigern . Dafür sprechen die Experi¬ 
mente Smirnow's, der den Schwefel als Schwefel¬ 
wasserstoff einführte, sowie die in den letzten Jahren 
unter Anwendung des schwefelhaltigen Ichthyol’s 
gemachten guten Heilerfolge. Die Aehnlichkeit 
im Verhalten des Schwefels mit dem des Arsen's 
liegt nach Verf. nahe. 

Es muss also in bestimmten Fällen die zu 
niedrig ausfallende vitale Thätigkeit einzelner oder 
mehrerer Organe durch Schwefel im günstigen Sinne 
beeinflusst werden. — Besonders empfindlich für 
seine Wirkung sind die Haut und das Gefässsystem, 
aber auch die gefässhaltigen Schleimhäute sowie 
das gesammte Drüsengewebe werden von ihm be¬ 
einflusst. Zum Belege dafür beruft sich Prof. Schulz 
auf die durch Erfahiung und experimentelle Unter¬ 
suchungen erwiesene Thatsache, dass bei chroni¬ 
schem Mercurialismus unter dem Gebrauch der 
Schwefelbrunnen das Metall, quantitativ vermehrt, 
durch den Harn ausgeschieden wird. Nicht die 
abführende Wirkung des Schwefels, die bei den 
geringen Mengen, in denen er in den Schwetel- 
wässern vorkommt, belanglos sei, ebenso wenig die 
etwaige Entstehung unlöslicher Schwefelquecksilber- 
Verbindungen im Körper sei hier wirksam; nein, 
wir haben hier den Ausdruck einer äusserst ener¬ 
gischen Anregung der secretorischen Thätigkeit 
nicht nur der Nieren, sondern aller secernirender 
Organe, überhaupt einer kräftigen Stoffwechsel- 
Steigerung . Wir haben es zu thun mit einem 
Wiederaufleben des im Kampfe mit dem Queck¬ 
silber schliesslich ermatteten und leistungsunfähig 
gewordenen Protoplasma’s der Gewebe. „Gerade 
dieses Wiederaufleben ist eine so äusserst charakte¬ 
ristische Veränderung im Verhalten der erkrankten 
Gewebe unter der Schwefeltherapie.“ Ihr ist die 
zunächst auffallende Erscheinung der Anfangsver¬ 
schlimmerung chronischer Leiden unter der Ein¬ 
wirkung von Schwefel zuzuschreiben, das Wieder- 
erscheinen früher empfundener Neuralgien, der rheu¬ 
matischen Schmerzen , der Anschwellung chronisch 
entzündeter Lymphdrüsen , das so räthselhaft, er¬ 
scheinende Wiederauftreten syphilitischer Affectionen , 
die scheinbar längst beseitigt waren , das Auftreten 


von Speichelfluss bei Behandlung von chronischem 
Mercurialismus durch Schwefel. Wir können, von 
der Thatsache ausgehend, dass Schwefel für das 
Leben der Zellen eine so hochbedeutende Rolle 
spielt, Alles dieses ohne jeden Zwang so deuten, 
dass wir durch den Schwefel in den chronisch er¬ 
krankten Organen einen mächtigen Reiz hervorrufen, 
der entsprechend dem Satze: ubi est morbus, ibi 
affloxus, zu Schmerz erregenden acuten Hyperämien 
führt, denen die Restitution der erkrankten Organe 
auf dem Fusse folgt, oder aber in anderen Fällen 
die Reactionsfähigkeit der durchgifteten Gewebe so 
steigert, dass sie sich ähnlich verhalten wie zu der 
Zeit, wo sie noch leistungsfähig in den ungleichen 
Kampf mit dem Gifte sich einlassen mussten. — 

Hebt sich die Lebensihätigkeit eines oder meh¬ 
rerer Organe, so steigt damit folgerecht auch ihre 
Fähigkeit, arzneilich wirkende Substanzen für sich 
und für den Gesammtorganismus in zweckent¬ 
sprechender Weise verwenden zu können. Verf. 
weist hierbei auf eine von Lersch in seiner „Ein¬ 
leitung in die Mineralquellenlehre“ gemachte Be¬ 
merkung hin: „Die Schwefelwasser können bei der 
Kur der Wechselfieberkacbexie dadurch von Nutzen 
sein, dass sie den in Unthätigkeit verfallenen Orga¬ 
nismus zu einer neuen kritischen Thätigkeit — 
— anregen. Hier tritt dann die Krankheit wieder 
in ihrer reinen Form auf, in welcher sie für die 
wohlthätigen Wirkungen der China empfänglich ist.“ 

Wie hier der Schwefel der China den Boden 
vorbereitet, so geschieht das nach Verf.'s Dar¬ 
stellung in der Chlorose für das Eisen . Er spricht 
dann weiter über die Verwendbarkeit von Schwefel 
bei Chlorotischen, indem er folgende Sätze feststellt: 

1. In den Fällen von reiner Chlorose, in denen 
Eisen wirkungslos bleibt, wird der Allgemeinzustand 
durch Schwefel entschieden gebessert. 

2. Nachdem Schwefel eine Zeit lang verabfolgt 
worden war, konnte die Therapie mit Eisen be¬ 
gonnen und erfolgreich durchgeföhrt werden. 

3. In den Fällen von Chlorosis, die mit catarr- 
halisch entzündlichen Zuständen des Verdauungs- 
tractus complicirt sind, wird Schwefel nicht er¬ 
tragen. 

Zu letzterem Satze bemerkt er noch: Das deckt 
sich mit der alten Erfahrung, dass Schwefel bei 
entzündlichen Affectionen, bei denen wir an eine, 
an und für sich schon übernormal gesteigerte 
Thätigkeit des Gewebes zu denken haben, nicht 
passt. Eines schickt sich nicht für Alle, und wenn 
zwei Fälle von Chlorose äusserlich auch sich mög¬ 
lichst gleich darstellen, wird es immer noch darauf 
ankommen, nachzusehen, auf welchem Boden sie 
gewachsen sind. Nicht die Chlorose wollen wir 
mit Schwefel behandeln , sie ist schliesslich weiter 
nichts, als ein durch das Zusammenwirken wechseln¬ 
der Factoren bedingtes Krankheitsbild. Aber das 

28 * 


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180 


wollen wir versuchen: In passenden Fällen einen 
Grund dieses Krankheitsbildes, die ungenügende 
Leistungsfähigkeit der in Betracht kommenden Or¬ 
gane, insbesondere die vorhandene Nichtmöglichkeit, 
das therapeutisch gegebene Eisen zum Vortheil des 
Gesammtorganismus verwenden zu können, wegzu¬ 
arbeiten. 

Hat nicht ein Jeder aus dem hier Mitgetheilten 
so manche Anklänge an die Anschauungen und das 
therapeutische Verfahren der homöopathischen Heil¬ 
kunst wahrgenommen? Werden wir dabei nicht an 
Hahnemann’s oder wenigstens v. Granvogl’s Deduc- 
tionen erinnert? 

Der erste Theil der Arbeit, der allerdings den 
Grund legen soll, führt uns in die Höhen und 
Tiefen des Biochemismus, in das internste Leben 
der thierischen Zelle. Wenn wir den Satz: Ohne 
Schwefel kein Eiweiss, ja kein organisches Leben, 
getrost unterschreiben, so fragt es sich doch, ob 
die dem Schwefel beim Stoffwechsel zukommende 
physiologische Thätigkeit gerade in der Art erfolgt, 
wie es Prof. Schulz vorträgt, wenn auch manche 
experimentelle Untersuchungen dafür zu sprechen 
scheinen. Für uns ist es von Interesse, dass Prof. 
Schulz, wie v. Granvogl, dem Schwefel eine die 
Einwirkung des Sauerstoffs auf das Gewebe stei¬ 
gernde und erhöhende Kraft zuschreiben; letzterer 
betont jedoch mehr als jener die infolge des 
Schwefelgebrauchs erhöhte Thätigkeit der Ausschei¬ 
dungsorgane und die dadurch vermehrte Elimi¬ 
nation von Kohlen - und Stickstoff aus dem Orga¬ 
nismus. Damit wird nun der Schwefel zum ober¬ 
sten Repräsentanten der Antipsorica Hahnemanns. 
Wir wollen hier daran erinnern, wie Grauvogl der 
Lehre Hahnemann’s von den psorischen Krankheiten 
durch Begründung der carbonitrogenen Körper¬ 
constitution eine naturwissenschaftliche Basis zu 
geben versucht hat. Immer handelt es sich um 
solche Krankheitszustände, die von einer vermin¬ 
derten Ausscheidung des Kohlen- und Stickstoffes 
begleitet sind, sei es, dass diese direkt durch äussere 
Ursachen entstehen, oder dass der Boden hierzu 
durch ererbte Anlage oder vorangegangene Krank¬ 
heiten vorbereitet worden ist. 

Wenn Prof. Schulz sagt, eine Zufuhr von Schwefel 
in kleinen Mengen werde die Thätigkeit des Zellen¬ 
protoplasmas und damit der Organe selbst steigern, 
so streift er, ohne freilich an homöopathisch be¬ 
messene Gaben zu denken, einigermassen an unsere 
Dosologie. Das Zellenprotoplasma arbeitet ja mit 
so minimalen Mengen von Schwefel, nimmt so 
wenig von dem ihm durch das Blut aus den assi- 
milirten Nahrungsstoffen zugeführten Schwefel auf, 
dass man sicher annehmen kann, je feiner, je 
moleculärer aufgeschlossen dieser Stoff ihm ent¬ 
gegenkommt, um so leichter wird er auf die Zelle 
wirken können. Ob wir bei Darreichung dieses 


Mittels in der dreissigsten, hundertsten, ja tausendsten 
Decimal- oder gar Centesimal-Verdünnung noch an 
einen chemischen Effect denken dürfen, das ist 
aber eine ganz andere Frage, die ich mir oft vor¬ 
gelegt habe — und deren Lösung uns leichter wird, 
wenn wir in Betracht ziehen, dass die Einwirkung 
auf die Zelle durch moleculäre Bewegungen, die 
durch das Centralnervensystem vermittelt werden, 
ins Werk gesetzt wird; dass Sulphur 200 wirksam 
ist oder sein kann, davon habe ich mich nicht bloss 
am Krankenbett, sondern an mir selbst erst letzthin 
überzeugt, der ich mich freilich auch nicht unter 
die ganz Gesunden zählen kann, zumal ich Grund 
habe, meine Constitution als carbonitrogene, also 
für Sulphur besonders empfänglich, anzunehmen. 
Auf eine Gabe von 5 Streukügelchen sulph. 200 
Dec., von Marggraf, habe ich bei mehrfachen Ver¬ 
suchen jedesmal, abgesehen von mancherlei schmerz¬ 
haften Empfindungen in den Gliedern, eine ganz 
auffällige, intensive Wirkung auf das Gehirn wahr¬ 
genommen. Es war das Gefühl eines dumpfen 
Schmerzes, von Druck und Vollbeit, besonders im 
Hinterhaupt, als ob das Gehirn mit Blut überfüllt 
wäre, dabei ein Gefühl von Hitze im Kopfe, aber 
auch im ganzen Körper, wie man es in überhitzten, 
mit Menschen angefüllten Räumen verspürt. In 
Folge dessen war der Nachtschlaf ein sehr un¬ 
ruhiger, Öfters unterbrochener, und am Morgen er¬ 
wachte ich mit einem gehörigen „Brummschädel*, 
der sich erst nach dem Gennsse des Kaffees verlor. 
Ob Kollege Katsch mit seiner selbstbereiteten Zwei- 
hundertsten an sich selbst experimentirt hat, weiss 
ich nicht; dass er von allen Mitteln krankhaft afffcirt 
worden wäre, glaube ich nicht, aber ganz spurlos 
wären solche Prüfungen bei ihm auch nicht vor¬ 
übergegangen, davon bin ich überzeugt. Es stand 
ja in seiner Macht, die Gabe zur Erzielung eines 
Effekts an sich zu steigern. Auch bei Gemüths- 
eflfecten kann sich die Wirkung in manchen Fällen 
innerhalb des Nervensystems abspielen, oft jedoch 
kann es zur Erzeugung von nach Prof. Jägers rich- 
htigen Beobachtungen selbst erregenden Unlustpro¬ 
dukten kommen, die wir mit ihm sehr wohl einer 
aus dem Körpereiweiss herrührenden Schwefelabspal¬ 
tung zuschreiben können. — 

So werden wir bei durch übermässigen Gebrauch 
von Mercur erzeugtem Arzneisiechthum den Schwefel 
wohl auch nicht in solchen Gaben geben müssen, 
dass sich die Ausscheidung des im Körper ange¬ 
häuften Metalls direkt im Haine nachweisen lässt 
(Wir geben lieber Hepar sulphuris.) Einen inte¬ 
ressanten, hierher gehörigen Fall, berichtete Dr. Gross 
im Archiv für hom. Heilkunst. 

Ein 31 jähriger Mann von kräftiger Constitution, 
dem ein Krätzeausschlag durch mancherlei Salben 
vertrieben worden war, hatte wegen eines Geschwürs 
an der Eichel ungemein viel Mercur erhalten, wo- 


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181 


rauf sich folgendes Krankheitsbild darstellte: Furcht¬ 
bar drückende Kopfschmerzen; auf dem ganzen 
behaarten Theil des Kopfes zeigten sich Furunkel, 
die ins Bläuliche spielten, aufgingen, worauf sich 
ein stinkender, mit Blut vermischter Eiter entleerte, 
dann sich ein stark eiterndes Geschwür bildete, 
wobei alles Fleisch im Umkreise bis auf den Knochen 
abgefressen wurde. Das Gesicht war mit Ge¬ 
schwüren übersäet; auf der Nase zeigten sich 
mehrere braunschwarze, den Schwämmen ähnliche 
Gewächse; der innere Hals war verschwollen, alles 
voll Eiter, das Zäpfchen blieb auch nicht verschont. 
Essen und Sprechen war dem Kranken fast un¬ 
möglich, Stuhl und Urin ging unwillkührlich ab. 
Wo die Muskeln sehr stark waren, zeigten sich die 
Geschwüre sehr tief, einige erstreckten sich bis auf 
die Knochen. 

Um hier antidotarisch einzugreifen, gab Dr. Gross 
zunächst Camphora im Wechsel mit China in der 
3. Potenz (wahrscheinlich Cent.); zum Gurgeln war 
Weizenkleie-Abkochung verordnet. Der Zustand 
besserte sich etwas, doch hatte sich das Geschwür 
an der Eichel vergrösssrt und es hatte sich an 
jeder Seite ein Bubo hinzugesellt. Jetzt erhielt 
Patient Sulphur 30., worauf sich die Geschwüre 
besserten; die Bubonen gingen aber in Eiterung 
über. Es ward jetzt Mercurius solubilis 12. dil. 
gegeben. Das Schankergeschwür und die Bubonen 
verheilten. Als sich aber wieder neue Geschwüre 
entwickelten, wurde Calc. carb. 30 und dann gegen 
die Eiterung Silicea gereicht. 

Um die bereits zusammengetrockneten Schwämm¬ 
chen auf der Nase vollends zu heilen, ward noch 
einmal Sulphar 30 gegeben. — Auf diese Weise 
wurde dies schwere Siechthum, an dem ausser 
dem Missbrauch von Mercur wohl auch die unter¬ 
drückte Scabies sowie auch die Syphilis partici- 
pirten, allmählig zur Heilung gebracht. Sulphur 
hat es nicht allein gethan aber doch entschieden 
dazu mitgewirkt. — 

Sehr beachtenswert ist, was Prof. Schulz über 
die Anfangsverschlimmerung in chronischen Krank¬ 
heitszuständen unter der Einwirkung von Sulphur 
sagt, sowie nicht minder das über die diesem Mittel 
zuständige Eigenschaft Gesagte, das Reactionsver- 
mögen des Organismus zu heben, — Thatsachen, 
in denen wir uns mit ihm in voller Ueberein- 
stimmung befinden. Jeder homöopathische Prak¬ 
tiker hat es ja auch sattsam erfahren, wie nach 
einer Zwischengabe von Sulphur, freilich in höherer 
Potenz, das angezeigte, vorher aber doch nicht 
recht wirksame Mittel nun erst seine volle Kraft 
zu entfalten im Stande ist. — Wenn Prof. Schulz 
auf die analoge Wirkung von Schwefel und Arsen 
nebenbei hindeutet, so giebt uns unsere Arznei¬ 
mittellehre gute Anleitung, zwischen diesen beiden 
grossen Mitteln eine differentielle Diagnose zu stellen. 


Bemerkenswerth ist auch Prof. Schulz’s klinische 
Verwerthung des Schwefels in bestimmten Fällen 
von Chlorose, bei welcher Gelegenheit er seine 
goldenen Worte ausspricht, dass es auf den Boden 
ankomme, auf welchem diese Krankheit erwachsen 
ist. Die Art dieses Sulfur erfordernden Bodens 
hat uns aber Hahnemann gezeigt und v. Grauvogl 
näher begründet. Es ist merkwürdig, dass Farrington 
in seiner klinischen Arzneimittellehre, obwohl er 
den Schwefel dort sehr gründlich und trefflich 
cbarakterisirt, seine Rolle in der Heilung Chloro- 
tischer ganz übergangen hat. — Uebrigens steht 
für uns Schwefel und Eisen so wenig in Concordanz, 
gehören so verschiedenen Körperconstitutionen an, 
dass wir diese Mittel nicht ohne ganz besondere 
Gründe aufeinander werden folgen lassen; (näher 
steht hepar sulfuris calc. zu Ferrum). Wenn Prof. 
Schulz den Gebrauch von Schwefel in entzündlichen, 
fieberhaften Krankheiten gemäss der von ihm 
statuirten Wirkungsweise des Mittels für contra¬ 
in dicirt halten muss, so liegt die Sache für uns 
anders und doch wieder analog: wir geben Sulfur 
in acut verlaufenden Fällen auch dann, wenn die 
Reaction des Organismus daniederliegt, was Hahne¬ 
mann der latenten Psora zuschrieb. — Indem wir 
aber nicht bloss den allgemeinen Charakter des 
Mittels sondern auch die besonderen Beziehungen 
desselben zu bestimmten Organen, sowie individuell- 
specifische Eigenthümlichkeiten in's Auge fassen, 
ergiebt sich uns ein sehr ausgedehntes Wirkungs¬ 
gebiet dieses grossen Arzneistoffes. — Immerhin 
können wir die Thätigkeit des Prof. Schulz zum 
Aufbau der Arzneiwirkungslehre mit Freude be- 
grüssen. Wer und was nicht gegen uns ist, das 
ist für uns! 


Die Methode des Prof. Brown- 
Seqnard. 

Referat von Dr. Th. Kafka-Karlsbad. 

(S. Bd. 119 der Allg. Homöopath. Ztg.) 

Der Redakteur des .Petit Journal“*) dreht seine 
Schreibfeder siebenmal herum und vielleicht noch 
öfter, bevor er es wagt, einen Artikel über Brown-Sö- 
quard und seine Methode der Injectionen organischer 
Extracte zu schreiben. Er weiss, dass sein Leser 
bezüglich dieser Frage voreingenommen ist und 
vielleicht möglicherweise im wenig günstigen Sinne. 
Er sieht ihn vor seinem Schreibtische, wie er hämisch 
lächelt oder die Nase rümpft! 

Möge sich der Leser beruhigen! Es wird in 
diesen Zeilen nicht von dem die Rede sein, was die 
.Invaliden des Gefühles“ (wie sie Gavarni nannte) 

*) Sehr gelesenes und verbreitetes Pariser Blatt- 


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182 


speciell interessiren kann, sondern von etwas viel 
Ernsterem und von allgemeinerem Interesse. Es 
handelt sich um eine therapeutische Methode, basirt 
auf die Einspritzung von Extracten diverser lebender 
organischer Gewebe, eine durchaus in der Wissen¬ 
schaft noch nicht dagewesene Methode, die Prof. 
Brown-Sdquard durchaus neu geschaffen hat, unter¬ 
stützt von Dr. d’Arsonval, Mitglied der medicinischen 
Akademie. 

Vor Allem wollen wir hier folgenden Passus 
aus dem letzten Sitzungsberichte der Acaddmie de 
utedicine (Sitzung vom 21. Juni) reproduciren: 

„Herr d’Arsonval erinnert daran, dass er zu 
wiederholten Malen die Art und Weise der Bereitung 
dieser Extracte angegeben hat. Einige Gewerbsleute 
oder Fabrikanten beeilen sich, aus diesen Angaben 
Nutzen zu ziehen. Er besteht darauf (nämlich 
d’Arsonval) zu erklären, dass diese Präparate nur 
ihre Erzeuger für dieselben verantwortlich machen. 
Herr Brown -S6quard und er bestehen fest darauf, 
jeder Production, die nicht aus ihrem Laboratorium 
stammt, fremd zu bleiben.“ 

Es steht fest, dass der Industrialismus und die 
Charlatanerie sich der Erfindung dieser zwei Ge¬ 
lehrten bemächtigt haben, um besonders dem Aus¬ 
land gegenüber dieselbe missbräuchlich auszubeuten. 
Die Deutschen scheinen darin einen besonders regen 
Eifer entwickelt zu haben. Gleichwohl und auf 
Grund ihrer bekannten Uneigennützigkeit kann man 
voraussetzen, dass dieselben sich durch Verspottung 
und Herabsetzung der französischen Entdeckung 
für das entsetzliche Fiasko des Koch’schen Tuberkulin 
entschädigen wollten .... 

Nun einiges über Prof. Brown - S6quard und 
seine hauptsächlichen Mitarbeiter. Brown - Sequard, 
der Nachfolger des berühmten Claude Bernard auf 
dem Lehrstuhle der Physiologie am Coltege de France 
ist eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Persön¬ 
lichkeiten der Jetztzeit und möglicherweise eine der 
originellsten. Geboren auf der Insel Mauritius — 
der früheren Ile de France, dem Boden der Legende 
von Paul und Virginie — Sohn eines Amerikaners 
aus Philadelphia und einer französischen Mutter 
scheint er als Gelehrter an den charakteristischen 
Eigenschaften beider Racen Antheil zu haben; kühn 
und intuitiv, go-a-head wie ein Yankee; — logisch, 
methodisch und deutlich wie ein Lateiner. Ueber- 
dies ganz unabhängig, Gegner jedes routinirten 
Dogmas scheint er erfüllt von der Leidenschaft, die 
bestehenden wissenschaftlichen Gesetze in Frage 
stellen zu wollen. 

Von ihm muss man immer auf etwas Unerwartetes 
gefasst sein und darauf, dass dieses irgendetwas irgend 
einen bisher Gefeierten um seinen Nimbus bringt. 
Er bringt von altershcr feststehende Autoritäten 
in Verlegenheit, er ist ein stets drohender Wider¬ 
sacher derjenigen, die glauben „fest im Sattel zu 


sitzen.“ Die gelehrte Welt — die Partei der 
officiellen Wissenschaft — erkennt an oder fürchtet 
vielmehr diese Superiorität. 

Man sieht ihm zu, wie er's macht, man hört ihn 
aufmerksam an aber mit einer absichtlich stummen 
Aufmerksamkeit, die zuweilen eher einer Conspiration 
des Schweigens ähnlich sieht. Brown-Säquard ist 
75 Jahre alt. 

Was d’Arsonval, den Mitarbeiter Brown-Söquards 
betrifft und seinen Supplicanten auf dem Lehrstuhl 
an der Universität, so ist er ein junger Gelehrter, der 
aus einem Departement des mittleren Frankreichs 
stammt. D’Arsonval entdeckte gleichzeitig mit dem 
Amerikaner N. Tesla die eigentümliche Eigenschaft, 
dass die höchsten elektrischen Energien ohne Wirkung 
auf die nervösen und musculären Systeme sind, 
wenn man die Ströme mit einer sehr grossen Schnellig¬ 
keit wechseln lässt. In seinem Arbeitszimmer hat 
er mir ohne die geringste Gefahr Ströme von der¬ 
selben Stärke, wie sie in Amerika zur Hinrichtung 
von Verbrechern dienen, durch den Körper geleitet 
Ich konnte eine elektrische Lampe durch Berührung 
mit meinem Finger anzünden, aus einer gewissen 
Entfernung eine Geissler’sche Röhre durch Aus¬ 
strecken einer Hand erleuchten, ohne die geringste 
Erschütterung oder Vibration im Innern meines 
Körpers zu verspüren. 

Besonders eigentümlich im Punkte des Un¬ 
vorhergesehenen erschien die Mitteilung, die Brown- 
S6quard vor drei Jahren in der biologischen Gesell¬ 
schaft machte. Brown • Säquard verkündete das 
Ergebniss von Einspritzungen organischer Säfte, die 
er an sich selbst erprobte. Es war dies eine Ver¬ 
mehrung der nervösen Kraft und eine Erneuerung 
der Gesaramtstärke, die sich nicht nur durch die 
Zeugenschaft des Experimentirenden, sondern auch 
durch den unparteiischen Dynamometer bestätigte. 
Vor dem Experimente belief sich seine Muskelkraft 
nach dem Apparate auf 30 kg. Nach dem Experimente 
stieg diese Ziffer auf 40,41 und selbst bis auf 45 kg 
und erhielt sich auf dem dynamometrischen Mittel 
eines kräftigen jungen Mannes. Die Widerstands¬ 
kraft gegenüber der Ermüdung und die bestehen 
gebliebene Fähigkeit zu geistigen Arbeiten hatte 
im entsprechenden Verhältnisse zugenommen; und 
dies Alles ohne weitere herabstimmende Reaktion. 
Es ergab sich freie Zunahme und nicht wucherische 
Escomptirung der Kräfte. Dies ist sehr wichtig. 

So und so oft erneuert und wiederholt unter 
denselben korrekten Bedingungen des Versuches 
durch eine Unzahl französischer und fremder Aerzte, 
haben diese Experimente fast stets gleich positive 
Ergebnisse geliefert. Aber schon bei seinen ersten 
Mittheilungen für die gelehrte Welt hatte Brown- 
S6quard verkündet, dass die enthüllten Thatsachen 
nur der Anfang seien einer erst noch zu studirenden 
allgemeinen Methode. Diese Methode, herbeigezogen. 


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183 


um die Therapie mit einem neuen und mächtigen 
Werkzeug zu versehen, hat die Phase der Experimente 
hinter sich und hat sich auf dem Theater der 
menschlichen Klinik bewährt. Man verwerthet jetzt 
im Grossen für unsere edle Spezies die Erfahrungen 
und Experimente, die man lange Zeit in anima vili 
gemacht hat, und diese ärztlichen Anwendungen 
geschehen durch die Initiative und unter der Ver¬ 
antwortung unserer hervorragendsten und fähigsten 
Praktiker. 

Die nervöse Erschöpfung, die Neurasthenie, diese 
rebellische Krankheit — hervorgehend aus der 
Ueberanstrengung derNervencentren —, die eines der 
traurigsten Kennzeichen unseres unter hohem Drucke 
stattfindenden Kampfes um’s Dasein ist, — weicht 
auf Einspritzungen mit Gehimextract. 

Die in erster Reihe von Brown • Säquard an 
sich selbst versuchten organischen Extracte sind 
wirksamer als jede andere Behandlung gegen die 
Ataxie locomotrice, „ diese schreckliche Krankheit 
des Rückenmarkes 11 , wie man sie im Volksmund 
nennt. Dieselben Einspritzungen bringen auch 
wunderbarerWeise die Zuckerkrankheit zur Besserung 
und lindem auf eine angenehme Weise die schmerz¬ 
haftesten Symptome der Lungenschwindsucht — 
ohne dass man bisher behaupten dürfte, dass dieselben 
einen heilenden oder beschränkenden Einfluss auf 
organische Störungen ausüben. 

Die Injection des Extracte der Schilddrüse des 
Lamms (eines Organes, das über der Trachea liegt 
und dessen Functionen noch nicht bekannt sind), 
giebt überraschende Resultate in Bezug auf die Be¬ 
kämpfung der unter dem Namen Myxoedem be¬ 
kannten schrecklichen Entartung. Bisher schien die 
Therapie waffenlos gegenüber dieser fürchterlichen 
Affection. Es giebt noch eine andere Erkrankung 
mit sehr zweifelhafter Prognose und jeder Behand¬ 
lung widerstrebend: nämlich die Bronzekrankheit 
oder die Addison’sche Nebennierenerkrankung, so 
benannt nach dem englischen Arzt, der dieselbe 
zuerst eingehend studirte, und nach der eigen¬ 
tümlichen bronzeartigen Verfärbung der Haut des 
Kranken. Bei dieser Krankheit besteht fast immer 
eine tiefgehende Entartung der Nebennieren, jener 
drüsenartigen Organe, die an der oberen Seite 
der Nieren gelegen sind und deren Bestimmung 
noch ein Räthsel ist. 

Es steht aber fest, zum Beispiel, dass ein Thier, 
bei dem man diese Drüschen beseitigt, in Bälde zu 
Grunde geht; wenn man ihm aber den Saft des 
Nebennierenextracts eines andern Thieres einspritzt, 
kommt es wieder zu sich, auch wenn es sich bereits 
im Todeskampfe befindet .... 

Es wäre daher ganz angezeigt, diese Einspritzung 
auch bei den von dieser Krankheit ergriffenen Men¬ 
schen zu versuchen. Dieser Versuch wurde bereits 
auf der Spitalabtheilung eines unserer gelehrtesten 


Professoren eingeleitet und es steht zu hoffen, dass 
derselbe zu dieser Stunde bereits vom besten Erfolge 
begleitet ist. Es steht zu hoffen, dass von jetzt an 
der tödtliche Ausgang bei Nebennierenerkrankungen, 
wenn auch nicht gänzlich verhindert, durch diese 
Injectionen mit diesem flüssigen Nebennierenextract 
gesunderThiere vielleicht doch verzögert werden wird. 

Der Saft der Nieren, der Milz, der Muskeln, 
des Knochenmarkes u. s. w. bildet gegenwärtig den 
Gegenstand klinischer Beobachtungen und Versuche 
in Frankreich, in Europa und Amerika. Wie nicht 
anders zu erwarten, nehmen sich die Experimentatoren 
in Acht vor den Phänomenen der Einbildung und 
Suggestion, die stets bei neuen ärztlichen Versuchen 
eine Rolle spielen, natürlich nur eine „menschliche* 
Rolle, denn die Thiere sind biologische Beobachtungs¬ 
gegenstände, die keine psychische Störung beein¬ 
flussen kann. Bei diesen bleiben die Ergebnisse 
der Einspritzungen stete constant. Bei menschlichen 
Versuchsobjecten hat man insgeheim aseptische 
Injectionen von reinem Wasser den activen Sub¬ 
stanzen substituirt und die Wirkung dieser letzteren 
hat aufgehört, sich zu äussern. Ein evidenter Beweis, 
dass von Suggestion keine Rede sein kann. 

Fragen wir endlich: Was injicirt man? Ganz 
einfach eine wasserklare Flüssigkeit, in der das 
Mikroskop auch nicht ein solides Körperchen findet 
und die chemische Analyse kein bisher unerforschtes 
besonderes Element nachgewiesen hat. Diese Flüssig¬ 
keit ist das Ergebniss des Durchflusses durch eine 
Filtrirröhre unter beträchtlichem Drucke des Saftes 
von zerstossenen organischen Geweben oder solchen, 
die mit einer kleinen Quantität von Glycerin und 
de8tillirtem Wasser verrührt sind. 

Worin besteht das active Prinzip dieser Extracte 
und was ist der Endzweck ihrer Wirkungsweise? 
Man weiss nicht mehr davon als von dem Chinin, 
warum es das Fieber heilt; aber man fühlt sich 
logischer Weise bewogen, zuzugeben, dass alle Ge¬ 
webe des thierischen Organismus unabhängig von der 
funktionellen Rolle, die die Physiologie ihnen bisher 
anweisen konnte, eine innere Ausscheidung erzeugen, 
die sie an das Blut abgeben und die mehr weniger 
untrennbar ist von der Aufrechthaltung des normalen 
Wohlbefindens und der Erhaltung des Lebens. Dieses 
je ne sais quoi des Lebens wird durch die Injectionen 
dem Organismus wieder ersetzt, falls er dessen 
beraubt ist. 

So lautet wenigstens die Erklärung, bei der 
die beiden gelehrten Urheber dieser Methode der 
Brown • Säquard’schen Einspritzungen stehen bleiben, 
ich sage „ Brown-Söquard'schen*, weil der Erfinder 
dieser interessanten Erfahrungen unbestreitbar dieser 
berühmte Professor der Physiologie ist; aber Dank 
seinem Mitarbeiter d’Arsonval wurde diese Methode 
verallgemeinert. Hier die Thatsache, wie es ge¬ 
kommen ist. 


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184 


Die ersten und speziellen Einspritzungen, die 
Brown - Säquard an sich selbst versuchte und der 
wissenschaftlichen Welt mittheilte, machten, wie 
bekannt, ungeheures Aufsehen, hatten aber keine 
besonderen antiseptischen Massregeln erfordert; aber 
als man zur Wiederholung dieser Versuche an 
Thieren mit Extracten der Milz, der Nieren, der 
Leber, der Nebennierenkapseln, der Lungen u. s. w. 
schritt, starben alle diese Subjecte in einem Zeitraum 
von einem bis zehn Tagen. Auch ein flüssiger Auszug 
aus der Lunge der Cobaya (die Cobaya ist das 
natürlicherweise von allen parasitären Erkrankungen 
am meisten befreite Thier) zeigte sich stets im 
höchsten Grade giftig. 

Man versuchte daher, unter die Extracte anti¬ 
septische Agentien zu mischen. Aber indem man 
die Flüssigkeiten desinflzirte, benahm man ihnen 
alle ihre wirksamen Eigenschaften. Da war es 
d'Arsonval, der auf die Idee kam, diese Auszüge 
zu sterilisiren, d. h. sie einem Drucke von 00,60 ja 
bis 90 Atmosphären zu unterwerfen in einem von 
ihm erfundenen selbstschliessenden Apparate mittelst 
flüssiger Kohlensäure. Diese Sterilisation ist voll¬ 
ständig, radical, unter vollständiger Berücksichtigung 
der thätigen speziellen Elemente in ihrer Integrität 
bei jedem unter diesem enormen Druck ültrirten 
Extract. Die auf diese Weise bereiteten Ein¬ 
spritzungen sind ganz ungefährlich. 

Ich habe etwas lange bei diesen Details verweilt, 
damit man die ganze Legitimität der Motive, die 
Brown - Säquard und d’Arsonval bewogen haben, 
jeder Verantwortlichkeit gegenüber den Ausbeutern 
ihrer Entdeckung auf das Entschiedenste abzulehnen, 
kennen lerne. Ich glaube, diese Methode ist berufen, 
ausgezeichnete Hülfsmittel der Heilkunst darzubieten 
und die Gesundheit zu verlängern. Sie eröffnet 
sicherlich neue und sehr eigenartige Horizonte in 
der Domäne der biologischen Wissenschaft. 

(Thomas Grimm im Petit Journal-Rev* 
Hom. Beige.) 


Amerikanische homöopathische 
Zustände.*) 

Von A. Lorbacher. 

Der in der Berliner Zeitschrift mitgetheilte Be¬ 
richt des Dr. William C. Wesselhoeft-Boston über 
seine Beise in Europa, welcher sich trotz seiner 
totalen Unkenntniss der Verhältnisse der deutschen 
Homöopathie abfällige Urtheile über die Personen 

*) Dieser Artikel ist bereits vor mehreren Monaten 
bei uns eingegangen und schon für eine frühere Nummer 
bestimmt gewesen, konnte aber erst jetzt zum Abdruck 
gelangen. — Die Red. 


deutscher homöopathischer Aerzte und deren Ge¬ 
bühren erlaubt, hat in demselben Blatte seine wohl¬ 
verdiente Abfertigung erhalten. Wenn ich hier 
noch einmal darauf zurückkomme, so geschieht es, 
um einige Auslassungen desselben bezüglich meiner 
Person, sowie des hiesigen homöopathischen Kranken¬ 
hauses richtig zu stellen. 

In Letzteren habe ich ihn selbst, in Vertretung 
des zufällig erkrankten dirigirenden Arztes, des 
Herrn Dr. Stifft, herumgeführt. Er hat sich die 
Einrichtungen oberflächlich angesehen. Von einem 
Entrüstungsausbruche seinerseits über die damals 
bei einem Lupuskranken mit Koch’s Tuberculin 
gemachten Versuche habe ich nichts gehört, wie¬ 
wohl ich doch neben ihm gestanden. Es scheint 
dies ebenso eine Vorspiegelung seiner Phantasie zu 
sein, wie der erwähnte Assistent, da wir damals 
gar keinen Assistenten im Krankenhause hatten. 
Uebrigens kann ich ihm zu seiner Beruhigung mit- 
tbeilen, dass dem betreffenden Kranken die Versuche 
durchaus nichts geschadet. Im Gegentheil ist es 
gelungen, eine bedeutende Besserung seines Leidens 
zu erzielen. 

Auf eine Aensserung meinerseits, dass ich in 
chronischen Krankheiten die Anwendung von höhe¬ 
ren Verdünnungen vorziehe, hat er mich jedenfalls 
für einen Gesinnungsgenossen gehalten, was ich 
daraus schliesse, dass er mich der Ehre gewürdigt 
hat, mir zwei Bände der Verhandlungen der Inter¬ 
nationalen Hahneraann’schen Gesellschaft zu über- 
b ringen. 

Meinen Standpunkt in der Dosenfrage habe ich 
oft genug präcisirt, sodass mich wohl Niemand zu 
den fanatischen Hahnemannianern zählen kann, wie 
wohl die meisten Mitglieder der genannten Gesell¬ 
schaft es sind. Denn nur ein gewisser Fanatismus 
kann jene Unduldsamkeit erzeugen, welche nichts 
Anderes neben sich dulden will und jeden, der 
nicht auf ihre Glaubenssätze schwört, für einen 
Ketzer erklärt. Die Existenz dieser Gesellschaft ist 
jedenfalls eine berechtigte. Sie entstand, als der 
Abfall von der Lehre Hahnemann’s, dem noth- 
wendigen Fundament unserer Existenz, immer 
grösser unter den homöopathischen Aerzten Nord¬ 
amerikas wurde, als Leute, welche sich homöo¬ 
pathische Aerzte nannten, in Vorträgen und Ver¬ 
öffentlichungen Dinge als homöopathische vorbrachten, 
welche mit der Lehre Hahnemann’s nichts gemein 
hatten, und dies sogar noch als Fortschritt proklamir- 
ten. Diejenigen Aerzte, welche noch zu Hahnemann 
hielten, wurden mit einem mitleidigen Achselzucken 
als beschränkte Köpfe u. s. w. bezeichnet. Man 
ging sogar soweit, den Namen Homöopathen ab¬ 
zulegen, hütete sich aber freilich, die als solche er¬ 
langten einträglichen Stellungen an homöopathischen 
Spitälern aufzugeben. Wer darüber noch Näheres 
zu erfahren wünscht, lese die New-Tork medical 


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185 


Times des vorigen Jahrzehnts. Dass gegen ein 
solches Treiben eine Reaktion ein treten musste, ist 
natürlich. Das amerikanische homöopathische In¬ 
stitut, dessen Pflicht es gewesen wäre, dagegen mit 
Energie einzuschreiten, verhielt sich neutral. Deshalb 
traten die homöopathischen Aerzte, wtlche noch an 
den von Hahnemann aufgestellten Grundsätzen fest¬ 
hielten, zusammen und bildeten die „ Internationale 
Hahnemann"sehe Gesellschaft* mit der Aufgabe, die 
Hahnemann’sche Homöopathie zu vertheidigen und 
sie im Sinne und Geiste des Stifters weiter aus¬ 
zubilden, womit jeder sich einverstanden erklären 
wird. 

Allein in ihrem Eifer schoss die neue Gesell¬ 
schaft bald über das Ziel hinaus, sie verfiel in das 
andere Extrem. Sie beschränkte sich nicht darauf, 
nach Hahnemann die 30. Potenz als die allein rich¬ 
tige zu erklären, sie stieg auf der Leiter zu einer 
schwindelnden Höhe hinauf, sie blieb nicht bei der 
200—300. stehen, sondern verstieg sich in die un¬ 
gezählten Tausende der sogenannten Fincke’schen 
Fluxionspotenzen. Wer unter die 30. in seinen Ver¬ 
ordnungen herabsteigt, ist in ihren Augen kein 
Homöopath mehr. Nur die Prüfungen mit diesen 
höheren und Höchstpotenzen sind ihrer Meinung 
nach im Stande, den wahren Charakter eines 
Mittels zur Anschauung zu bringen. Dabei muss 
die Wirkung einer einzigen Gabe Monate lang ab¬ 
gewartet werden, und wenn, wie ich es bei einer 
solchen Prüfung gelesen, ein Prüfer nach einem 
halben Jahre Schnupfen bekommt, so wird derselbe 
schlankweg unter die Arznei Symptome registrirt. 
Von Kontrollversuchen war keine Rede. Der Phan¬ 
tasie war Thür und Thor geöffnet. Die Arbeiten 
eines Conrad Wesselhoeft, Richard Hughes, Dake's 
und anderer hervorragender Männer, unsere Arznei¬ 
mittellehre von einem grossen unnützen Ballaste zu 
befreien und sie nur auf sichere feststehende That- 
sachen zu gründen und so ihre Zuverlässigkeit und 
Brauchbarkeit zu erhöhen, wurden als pietätlose 
Angriffe auf die Hahnemann’sche Arzneimittellehre 
gebrandmarkt. Man sprach ihnen jeglichen Werth 
ab. Wie die Hyperorthodoxen kein Titelchen, kein 
Wort in der Bibel geändert wissen wollen, sollte 
auch der Hahnemann’schen Arzneimittellehre nichts 
ab- und nichts zugethan werden. Sie sollte als für 
alle Zeiten feststehend gelten. Der geringste Zweifel 
daran ward für Ketzerei erklärt. 

So bildete sich iener Geist der Unduldsamkeit und 
des Fanatismus aus, wie er in dem William Wessel- 
hoeft’schen Reiseberichte zu Tage tritt. Dadurch, 
dass man mit dem ursprünglichen Zwecke einer 
Vereinigung sich einverstanden erklärt, verpflichtet 
man sich noch lange nicht, auch die zur Erreichung 
desselben eingeschlagenen Wege gut zu heissen. Dies 
möchte ich bezüglich meiner persönlichen Stellung 
zu der Angelegenheit erklären. 


Ueber Principienfragen, wie das „Similia simili- 
bus* ist selbstverständlich kein Kompromiss möglich. 
Wer dasselbe nicht anerkennt, ist eben kein Homöo¬ 
path. Die Anwendung minimaler Gaben ist allerdings 
eine Consequenz desselben, aber als eine Principien- 
frage ist sie bestimmt nicht zu betrachten. Davon 
hängt die Existenz der Homöopathie nicht ab. Ueber 
das Minimum werden die Ansichten immer aus¬ 
einandergehen. Darüber nach seinen Erfahrungen 
und seiner Kenntniss der Arzneimittellehre sich zu 
entscheiden, muss Jedem freistehen. 

Gegen Arzneiprüfungen mit hohen Verdünnungen 
kann man entschieden nichts einzuwenden haben. 
Allein, sie als die allein massgebenden hinstellen zu 
wollen, ist jedenfalls verkehrt. Jedenfalls sollte man 
doch nur die Resultate veröffentlichen, welche durch 
eine Reihe von Prüfern und durch Kon troll versuche 
festgestellt sind, sodass kein Zweifel an deren Richtig¬ 
keit möglich ist. Prüfungen, welche tausende von 
Symptomen umfassen, ohne dass sie durch Kontroll- 
versuche verificirt sind, haben nur einen sehr zweifel¬ 
haften Werth. Mit der Verwendung der Fincke'schen 
X. mill. Potenzen, welche gewissermaassen als das 
Vollendetste in dieser Beziehung proklamirt werden, 
hat die Gesellschaft einen Weg beschritten, auf 
dem ihr zu folgen, viele treue aber nüchterne An¬ 
hänger Hahnemann’s, selbst Mikrodosisten, ihr zu 
folgen sich besinnen werden. Mit solchen unbekannten 
resp. imaginären Grössen zu arbeiten, wird Vielen 
ihr Gewissen verleiten, selbst auf die Gefahr hin, 
für einen Abtrünnigen und Ketzer erklärt zu werden. 

Kurz, so sehr wir die Bildung der Internationalen 
Hahnemann’schen Gesellschaft als eine gesunde und 
noth wendige Reaktion gegen das sich als fortschrittlich 
rühmende Treiben eines nicht unbedeutenden Kreises 
homöopathischer Aerzte begrüssten, um so mehr 
bedauern wir es, dass sie auf der anderen Seite in 
das Extrem zu fallen droht und an einem Dogma¬ 
tismus, welcher jeden Fortschritt in der Wissenschaft 
hemmt, in der Homöopathie einführen will, welcher 
eine Unduldsamkeit im Gefolge hat, die nicht über¬ 
zeugt, sondern nur verbittert. Wir geben jedoch 
die Hoffnung nicht auf, dass auch dieser Kampf 
allmählig an Schärfe verlieren und schliesslich doch 
daraus ein Nutzen für unsere Sache sich ergeben 
wird. 


Zur Vehikel-Frage in der Homöo¬ 
pathie. 

Von Dr. med. Rob. Steudel-Johnstown (U. S. A.) 

Es möchte wohl etwas gewagt erscheinen, wenn 
wie ein ,,Thomas Apostata“ Einer an die Oberfläche 
tritt und durch Kritisirnng der schon von Anfang 

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an gebräuchlichen homöopathischen Vehikel sofort 
ein Loch in unser homöopathisches Familienleben 
hineinhaut. Ich kann mich selbst auch nicht länger 
enthalten, jener Streitschrift in No. 13/14 der All¬ 
gemeinen ein Echo nachfolgen zu lassen, denn über 
die effectstörende Unreinheit der homöopathischen 
Vehikel und die dadurch nicht minder herbei- 
geführten Nebeneffecte habe ich mir selbst schon 
gar viele Gedanken gemacht. Ja, ich habe in meiner 
eigenen Praxis schon Nebeneffecte und Störungen 
bemerken müssen, was mir gerade nicht immer 
angenehm sein konnte! Die verehrten Glaubens¬ 
brüder und wettergebräunten Nachfolger unseres 
Altvaters Hahnemann müssen nicht eine revo¬ 
lutionäre Tendenz darin finden, wenn ich es wage, 
unsere althergebrachten Gewohnheiten im Lichte 
der neueren Verhältnisse zu beschauen, und zwar 
aus dem Grunde nur, weil es heute fast gar keinen 
chemisch reinen Artikel mehr giebt, (z. B. giebt es 
jetzt auch nachgemachte Eier, Kaffee, Thee und 
hölzerne Muskatnüsse etc., und darum sage ich 
auch gleich: aufgepasst! Das gilt nun freilich 
schon der Hausfrau, aber zugleich auch 100mal 
mehr uns homöopathischen Aerzten. Wie wir auch 
alle wissen, hat schon 1900Jahre zurück der grösste 
aller Weltweisen und kühne Durchschauer aller 
menschlichen Gedanken, Christus der Herr, seinen 
Jüngern zugerufen: Wachet! womit er ganz ein¬ 
dringlich sie mahnt, sich gegen die vorherrschenden 
Gefahren und Schliche der Menschheit vorzusehen 
und aufzupassen; das gilt wohl auch uns heute 
noch, und wer wollte es leugnen, dass das auch 
uns homöopathischen Aerzten ganz besonders gelten 
möchte. — 

Und nun also von dem Standpunkte ausgehend, 
dass es heut zu Tage und bei uns hier „in der 
neuen Welt* fast gar keinen Gegenstand giebt, 
der nicht um eine Preisermässigung zu ermöglichen, 
y) adulterirV k wäre, so müssen wir schon auch in 
unserer eigenen homöopathischen Küche anfangen, 
Umschau zu halten. Fangen wir nun gleich mit 
dem Alkohol an! Da will ich gleich sagen, dass 
wir hier am Krankenbette höchst selten Pillen ver¬ 
abreichen, sondern stets Flüssigkeit oder Pulver nur, 
und ich trage zu diesem Zweck stets ein kleines 
Handtäschchen mit ca. 150 Mitteln bei mir. Da 
ereignete sich’s eines Tages, dass mir mein homöo¬ 
pathischer Alkohol ausging, und, da ich auf die 
Zusendung von einer 800 Meilen entfernten homöo¬ 
pathischen Apotheke nicht warten konnte, so folgte 
ich dem Beispiele eines andern homöopathischen 
Arztes, und kaufte mir in einer gewissen Apotheke 
hier sogen, reinen Alcohol 95° Stärke und bereitete 
mir im Drange der Zeit eine ganz niedere Potenz; 
nun kam ich getrosten Mutbs, einer Calamität 
enthoben worden zu sein, zum Haus meiner Patientin 
that ca. 12 Tropfen der 2. Potenz in ein x j- i Glas 


Wasser, — ich meine es war Arsenic., — und gab ihr 
bei einem ganz eigentümlichen Zustand von Dyspnoe 
und Adynamie alle 5 Minuten einen Löffel voll ein! 
Das gethan, öffnete die alte Dame die Augen, 
schnalzte mit ihrer Zunge und raunte mir höhnisch 
zu: „Doctor, you gare me alcohol“; darauf war 
ich schon gar nicht vorbereitet, denn erstens er¬ 
wartete ich von wegen ihres Schwächezustandes 
schon gar keine Anrede und zum zweiten dachte 
ich gleich an das: Was und Wieviel hätte der 
Alkohol dabei zu thun gehabt? Dass und warum 
ich mich dabei geärgert habe, brauche ich hier 
nicht näher zu erklären, das kann sich der verehrte 
Leser selbst erst ausmalen! — Ich erklärte vorhin, 
dass ich auch das Pillengeben am Krankenbette 
schon längst aufgegeben hätte, denn in einer Praxis 
wie die meinige, wo ich stets nur erst Bekehrungen 
zum. homöopathischen Glauben zu machen habe, 
und zwar unter Solchen, die von der Altschule 
schon tüchtig gegen uns prädisponirt wurden, darf 
ich nicht schon zu Anfang mit diesen viel zu 
„unschuldigen“ Zuckerpillen „those innocent sugar- 
pills“ herausrücken. Dann zum zweiten, wenn wir 
daran denken, dass diese unschuldigen Dingerchen 
so „schrecklich“ unschuldig werden können, dass 
sie, wenn sie in Kupferkesseln gemacht wurden, 
selbst auch wenn diese wie bei Boericke & Tafel 
nickelplattirte waren und sie darin hergestellt wurden, 
sie doch, d. h. diese Pillen, mit derZeit so viel von 
dem Metall mitgenommen haben, dass nach dem 
Bericht der Firma selbst die Kessel in kurzer Zeit 
abgetragen wurden! Seitdem nun werden allerdings 
die Kessel der oben erwähnten Firma mit Hartholz 
ausgekleidet, was entschieden besser und unschuldiger 
aussieht, obschon diese Methode eine viel raschere 
Abtragung der Innen wandung nach weisen lässt. 
Nun bekommen wir anstatt der „unschuldigen u 
Kupfer-Nickelpillen einfache vegetabilische Pillen 
zur Medication in die Praxis; das können wir uns 
auch schon eher gefallen lassen! Denn das ist ja 
auch ganz was anderes, Bauer! In Bezug auf 
den Zucker möchte ich noch darauf hindeuten, 
dass Milch und Wasser die erfolgreichsten Träger 
und Mitbringer verschiedenster Epidemieen sind; 
wer kann nun dafür einstehen, dass bei allem 
Absieden der Milch alles Unreine, was sowohl von 
physiologischem als auch sowohl von pathologischem 
Ursprung herkommen kann, treulichst abgesondert 
wird? Und lasse man sich doch noch daran erinnern, 
dass an allen Colonialwaaren und Produkten der 
Plantage der Schweiss von Negerhänden klebt, 
also auch noch am Rohrzucker: wer will da noch 
länger auf das Wort des Altmeisters Hahnemann’s 
schwören und sagen: „Was einstmals hat gegolten, 
muss heute auch noch gelten, und morgen gelten 
muss es, weil’s heute hat gegolten.“ Wenn es 
nun aber doch möglich sein sollte, dass durch 


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187 


Abkochen alles Sporen- und Bacillenartige getödtet 
wurde, was soll dann aus den Decocten der Alt¬ 
schule und auch aus einzelnen homöopathischen Prä¬ 
paraten selbst noch werden ? — Der Stoff ist wohl 
noch vorhanden, das kann man am Ende noch zu¬ 
geben, aber nach Form und Qualität ist er ver¬ 
ändert worden! Ich gab schon früher zu, dass ich 
meine homöopathischen Triturationen selbst mache, 
(dazu hat der Amerikaner weder Zeit noch Geduld), 
ich erziele dabei jedoch gewiss praktisch und 
mikroskopisch feinere Resultate als bei der Maschinen- 
Trituration der Neuzeit: Exaktes Arbeiten bleibt 
stets das Geheimniss unseres Erfolges. Ich erinnere 
mich gelesen zu haben, dass die 6. Handtrit. der 
30. Masch.-Trit gleichkommt. Um doch noch 
einmal auf den Alkohol zurückzukommen, möchte 
es hier gesagt sein, dass man bei der Zube¬ 
reitung des homöopathischen Alkohols keineswegs 
zu vorsichtig sein kann, denn ich kann mir gar 
nicht denken, wie es möglich wäre, alle Spuren von 
Fuselöl darin zu entfernen und folglich ebensowenig 
etwaige Fermentprodukte. Mrs. Boericke & Tafel 
wissen das auch recht wohl und lassen sich keine 
Mühe zu viel sein, ein reines Präparat auf den 
Markt zu liefern, und trotz alledem und der ihnen 
zur Verfügung stehenden Vorsichtsmassregeln geben 
sie doch nicht an, ihr Alkohol sei in jeder Hin¬ 
sicht rein und makellos. Ein anderes Produkt der 
Destillation unter unseren indifferenten Vehikeln ist 
die Aqua destillata; davon wird gesagt, dass es so in 
Glasretorten gemacht würde, dass dasselbe bedeutende 
Quantitäten von Silicium mitnehme, was auch ganz 
vernünftig scheint. Es ist ein Elend, dass wir uns 
bekennen müssen, dass es hier nichts Reines auf 
Erden giebt; und selbst das krystallklare Wasser 
von den Bergen ist faktisch Mineralwasser, und, 
wo es das nicht ist, finden wir gleich animalische 
und vegetabilische Substanzen miteingemischt! Die 
gläsernen Retorten sind nun aber aus dem 
Wege geschafft und an ihre Stelle nickelplattirte 
kupferne gesetzt, die allem „Wear and tear“ trotzen 
sollen? Unsere Canada-Freunde gehen mit ihrer 
Strenggläubigkeit in Bezug auf die Unzerstörbarkeit 
der Materie so weit, dass sie nach der Zubereitung 
einer Million-Potenz den Potenzirbecher derDeschere’- 
schen Maschine herausheben, tüchtig auswaschen, und 
dann noch an einer Alkoholflamme neutralisiren zu 
müssen glauben, um aller Rückbleibsel des Urstoffs 
sicher enthoben zu sein: An*s Seewasser wird dabei 
gar nicht gedacht. Es möchte Einem doch bei 
allem Ernst der Situation ein Lächeln abzwingen, 
wenn man sich dabei erinnert, dass jenes Seewasser, 
welches seit anno mundi über die Niagarafälle 
herunter kommt und das ganze Niagara-Delta bis 
zu seinem gegenwärtigen Abhang ausgewaschen oder, 
besser gesagt, das ganze Felsenbett ausgeschliffen 
hat, als reinstes Mineralwasser, also etwa als Lithium 


carbon., Calcar. carb., Silicea etc., bei der sub¬ 
tilen Hochpotenz-Zubereitung in gar keiner Weise 
in Rechnung gezogen wird. Was werden da unsere 
Freunde auf der anderen Seite des Paracelsischen 
Himmels von uns denken, wenn sie unser Misch¬ 
system an uns entdecken. 

Wenn ich nun aber zur weiteren Betrachtung 
des Reinheitsprinzips hervorhebe, dass auch wir 
nicht minder als unsere allöopath. Freunde Gelegen¬ 
heit haben, und auch des Anstands halber nehmen 
müssen, einmal ein Mineral- und Metallwasser zu 
verordnen, etwa ein Selterser, ein Rakoczy, ein Huny&di 
Janos oder, in Amerika, ein Chalybeate 8pring, ein 
Saratoga, Vichy etc., wie denken wir dabei? Wir 
suchen einfach ein Wasser, dessen quantitativ hervor¬ 
ragendste Ingredientien dem Krankheitsbild unserer 
Patienten entsprechen. (So wird nun z. B. das London - 
derry Lithia Wasser* von der Altschule gegen 
Nieren und Blasensteinkrankheiten empfohlen! Das 
reinste „Similia, Similibus curantur!* Könnten es 
uns unsere eifersüchtigen Collegen etwa schöner 
vorraachen?) Die Nebenbestandtheile sind unsern 
Alt Schülern und Collegen noch mehr wie uns höchst 
gleichgültig, obschon Pereira ihnen tüchtig ein¬ 
schärft, dass ihr Recept aus folgenden Th eilen 
bestehen soll, nehmlich: 1. die Basis, das ist das 
aktive Prinzip; 2. das Correctiv um die Wirkun¬ 
gen des Ersteren zu mildern und zu reguliren; 
3. ihr (höchst unreines) Vehikel, um entweder eine 
richtige Form oder Farbe oder einen angenehmeren 
Geschmack an den Tag zu fördern, während As- 
clepias anscheinend noch einen Trumpf darauf wirft 
und sagt: ,curare cito, tuto et jucunde.“ Das geht 
uns Homöopathen zwar nichts an, denn das thut 
ja unser Simile per se auch schon. 

Wir aber haben es immer noch mit der unüber¬ 
windlichen Unreinheit unserer Vehikel zu thun; 
und, ob wir nun als Allöopathen oder als Homöo¬ 
pathen Verschreibungen machen, so soeben wir 
ä priori stets dasjenige Mittel aus, dessen dynamisches 
Heilprinzip den Krankheitssymptomen am stärksten 
gegenübertritt. Hätten wir aber als gute Homöo¬ 
pathen Ursache,unserer Arznei noch ein Correctiv etc. 
beizufügen, so wäre das 1. einmal nicht mehr homöo¬ 
pathisch gehandelt, 2. muss der Freund der Hoch¬ 
potenzen zugebeu, dass er schon gar nicht einmal 
mehr homöopathisch handeln kann, weil seine Urstoffe 
schon quantitativ so zum Minimum heruntergebracht 
worden sind, dass sein Vehikel, welches es auch immer 
sei, dadurch zum Hauptagenten geworden ist, und 
man schliesslich den Heileffect nicht dem Arznei¬ 
stoff selbst sondern dem Vehikel nur zuschreiben 
muss! Während eines Besuches im Hochpotenz-Spital 
zu Town to Canada sah ich, wie ein Cancroid oder 
gemeines Geschwür unter der Hand meines Freundes 
mitplacebo (Sacchar. lact) geheilt wurde, (ich glaube, 
ich erzählte das schon früher einmal, muss es aber 

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hier zur Illustration doch wieder auftischen), es 
wurde placebo gegeben um Zeit zu gewinnen, das 
Symptomenregister ordentlich consultiren zu können, 
basta! Das Cancroid hatte sich abgeschlossen, 
hörte auf zu fliessen, und gesund aussehende Granu¬ 
lationen fingen bereits schon an, sich an den Bändern 
zu zeigen! Es möchte nun wohl an der Zeit sein 
und sich nicht minder belohnen wollen, dass wir 
bei einer jeden neuen Zufuhr von homöopathischen 
Vehikeln — ihre pharmaco-dynamischen Effecte 
zu studiren und aufzuzeichnen uns bemühten, auf 
dass wir in unserer Praxis in richtiger Weise und 
dem Krankheitsbilde so gut wie möglich ange¬ 
messen, unsere Verschreibungen ausfertigen könnten. 
Ich habe bisher stets meine Verschreibungen dem 
Charakterbild und den Eigenthümlichkeiten meiner 
Patienten und besonders meiner Patientinnen gemäss 
ausgearbeitet, aber ich habe immer mit Unzufrieden¬ 
heit darüber nachgedacht und mich besonnen, ob 
nicht diesem von mir bereits schon oft anerkannten 
Uebelstande abzuhelfen sei! Wer will der Erste 
sein, der sich dazu hergäbe, uns in dieser Angelegen¬ 
heit mit Rath und That an die Hand zu gehen! 

Eine interessante Kranken¬ 
geschichte. 

Von Assistenzarzt Waszily. 

Am 12./3. 92. consultirte mich die 33jährige 
Frau eines Landmannes in J., von der ich folgende 
Erscheinungen von mir aufgezeichnet finde: seit 
ca. 1 Jahr Schmerzen im Unterleib , besonders um 
den Nabel , meist in Paroxysmen auftretend, in die 
Schenkel ausstrahlend bis zu den Knieen, bei Druck 
auf den Leib geht der Schmerz in die Hüftgelenke; 
äussere Wärme bessert; nach dem Essen oft Uebel- 
keit und Vollsein, Schwarzbrot und Kartoffel werden 
am schlechtesten vertragen; Kleiderdruck um den 
Leib ist sehr lästig , Corsettragen unmöglich; oft 
bitterer Geschmack im Mund, besonders Morgens : 
Stuhl verstopft, 3 — 4 Tage ausbleibend, viel erfolg¬ 
loser Drang; grosse Flatulenz, sich festsetzende 
Blähungen quälen sehr, auch Nachts; Urin meist 
heil und klar, ab und zu Bodensatz, mitunter 
Schmerzen nach dem Uriniren; viel Schwindel , be¬ 
sonders beim Sehen in die Höhe , auch beim Gehen 
im Freien; stets kalte und schweissige Füsse und 
das Gefühl, „wie wenn sie nasse Strümpfe anhätte“; 
viel auf steigende Hitze und Hitzwallungen Nachts; 
herumziehende Stiche im Körper, zumeist in der 
Brust; Klopfen und Pulsiren in der Herzgrube; 
Hals schwillt oft innen und aussen an, besonders 
im Freien bei starkem Wind ( Ost-?)\ sehr leicht 
Schnupfen, Ausschlag unter der Nase; Schlaf gut, 
oft aber sehr beängstigende Träume; viel Angst und 
Unruhe im Körper; zuweilen, wenn sie sich zum 


Schlafen niederlegt, aber auch am Tage ist ihr, wie 
wenn ein schwarzer Mann vor ihr steht, und wenn 
sie sich umsieht, ist er verschwunden, sie muss dann 
aufstehen und umhergehen; sie glaubt, nicht wieder 
gesund werden zu können und den Verstand zu 
verlieren; sie weint leicht, ist sonst ärgerlich und 
reizbar; grosse Tagesschläfrigkeit , sie kann nicht 
gut auf der linken Seite liegen; bei nasskadtem 
Wetter befindet sie sich am schlechtesten, ist gegen 
Zugluft sehr empfindlich; Periode ist regelmässig 
und schwach, allerlei Beschwerden vorher; Weiss- 
ffuss besonders nachher, schleimig und wundmachend. 
Coitus schmerzhaft; vor 4 Jahren hat sie das 5. Kind 
geboren; will früher gesund gewesen sein, nur als 
Kind rhachitisch. Die objective Untersuchung er¬ 
gab : Parametritis bei retroflectirtem Uterus. Mehrere 
Mittel schienen mir sehr indicirt, ich wählte Calc. 
cb. 30 und Sepia 30, abwechselnd jeden 5. Abend 
1 Pulver mit 2 gl ob. 

Am 15./4. 92. meldete ein briefl. Bericht: Wenig 
Aenderung, viele Schmerzen, Hitzwallungen , Hitze 
auf dem Scheitel , Nasenbluten, Stuhlgang etwas 
regelmässiger, massenhafter Abgang von Würmern , 
wovon früher zuweilen etwas bemerkt gewesen. 

Verordnung: Sulphur 30, lmal tägl. 2 glob., 
7 Tage lang. 

25. /4. 92. Die ersten Tage heftige Leibschmerzen 
und grosse Menge Würmer, darnach besseres Be¬ 
finden, Würmer zuletzt nicht bemerkt; jetzt wieder: 
„Nasse Strümpfe habe ich immer , als wenn ich 
mit den Füssen in kaltem Wasser gehe u . Ver¬ 
schlechterung des Befindens nach Arbeiten im Wasser. 
Ordination Calc. cb. 30, jeden 7. Abend 2 glob. 

26. /5. 92. Hat sich bedeutend besser befunden; 
viel Drang zum Uriniren , schneidender Schmerz 
während des Urinlassens, röthÜcher Bodensatz des 
Harns. Viele Blähungen , besonders 2 Stunden nach 
dem Mittagessen (ca. 4 Uhr), abends besser , dabei 
ein Bedürfniss , sich am Leib zu reiben. 

Verordnung: Lycop. 30, jeden 5. Abend 1 Pulver. 

24./6. 92. Bedeutende Besserung, nur vor und 
bei der Periode recht krank; oben erwähnte Ge- 
müthssymptome sind gänzlich verschwunden; sie 
kann jetzt auch besser allein sein; vor 6 Wochen 
hatte sie noch grosse Furcht vor dem Alleinsein 
gehabt; sie bricht noch leicht in Weinen aus. 

Verordnung: Sepia 200, jeden 9. Abend 1 Pulver. 

30./7. 92. Ich sah Patientin wieder und war 
selbst erstaunt über das veränderte Aussehen. Sie 
wusste wenig mehr zu klagen, ein geringes Ekzem 
an der Lippe brachte mich auf Natr. mur. 30, 
wovon sie noch einige Pulver nehmen sollte. Vor 
Kurzem nun erfuhr ich von einem Verwandten, sie 
sei vollständig gesund und wohl. 


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189 


Die zeitweilig herrschenden I 
Heilmittel. 

Im allgemeinen ist niederer Krankenstand und 
rascher Wechsel der Mittel die Signatur der ver¬ 
flossenen Zeit geblieben. 

Waszily-Kiel schreibt am 21./11.: bei Diphtherie 
vor reichlich 8 Tagen mehrfach Nitri. ac. (membranöse 
Auflagerungen gleichzeitig auf beiden Tonsillen, 
übergehend auf die Nasenschleimhaut, trockener, 
bellender Husten), in der letzten Woche Lachesis -(- 
(Beginn der Erkrankung links, schlimmer bei Leer¬ 
schlingen, fortwährendes Gefühl von einem Klumpen 
auf der linken Seite des Halses, Empfindlichkeit bei 
äusserem Druck); bei Typhus abdom. Rhus tox. 
(starke Delirien und Durchfälle, Unruhe in den 
Gliedern und stetes Umherwerfen, Zungenspitze 
intensiv roth, Verschlimmerung Abends und be¬ 
sonders nach Mitternacht); bei Gelenkrheumatismus 
Sepia. 

Weihe-Herford hat noch immer dieselben Heil¬ 
mittel: = Sep., == Sinap., = Cbel., = Kreosot. 

Dierkes-Paderborn hatte am 23./11. = Chel.; 
am 24. Calc. phosph. -j- Nux vom.; am 25. und 
26. = Phosph. -f- = Chel.; am 27. und 28. wieder 
die alten Influenzamittel: Stann. -f- Chin. (Herz¬ 
klopfen, Schwindel, Kopfweh, Nasen-, Hals-, Luft¬ 
röhrenkatarrh mit Kitzelhusten, immer mit Leber¬ 
anschwellung); am 29. Calc. phosph. -J- Nux vom. 

Leeser-Bonn schreibt am 25./11. vereinzelt Ac. 
oxalic. -J- Hyosc. = Puls.; sonst vielfach Magnes. 
phosph. (H.); am 26./11. mehrfach Calc. phosph. -f- 
Nux vom.; am 27. und 28. durchweg = Puls. 
(Ac. oxalic. -f- Hyosc.); am 29. Ac. oxalic. Bell. 

Spietboff-Mühlhausen i./Thür. berichtet am 27./11. 
von niederem Krankenstand. Von Mitteln wendet 
er häufig Lycopod. an; bei Bronchitiden findet er 
Sulfur stets hilfreich; bei den häufigen Ophtbalmieen 
giebt er Aur. natron. chlor. 

Hafen-Neustadt a./Haardt hat in letzter Zeit bei 
einer Typhusepidemie in 15 Fällen Ac. muriatic. 
mit gutem Erfolg gegeben. 

Siegrist-Basel berichtet am 26./11. sehr niederer 
Krankenstand. Bei dem häufigen Keuchhusten sah 
er von Dros., Hyosc., ein Mal von Cupr. cum. Veratr. 
sehr raschen Erfolg; 2 schwere Diphtheriefälle 
heilten auffallend schnell auf Lach. 30; gegen die 
vielen Catarrhe und Rheumatismen fand er kein 
epidemisches Mittel, er gab hauptsächlich Petr. 
Phosph., Kal. chlorat, Rhus tox., Bell., Mercur., 
Hyosc. (Nachthusten). 

Kirn-Pforzheim hatte am 24./11. noch immer 
Kreos. + Sabadill. bei Influenza, sonst Sabadill. 
(H.); am 19. auch einige Fälle von = Arnic. (Ac. 
mur. -j- Lach.) (Schwindel, Kopfcongestion, grosse 
Schwäche und Oede im Magen). 

Ich-Stuttgart hatte vom 19.—25./11. vorwiegend 


Ac. oxalic. -f- Hyosc. = Puls, (besonders Catarrhe, 
auch Halsentzündungen, Verschlimmerung Morgens, 
Abends und Nachts, selten Durst); vom 26.—28. 
Vormitt. = Apis (Kal. carb. -j- Bell.); vom 28. 
Mittags an mehr und mehr vorwiegend = Mercur. 
(Baryt, carb. -f- Bell.). 

Sigmundt-Spaichingen berichtet am 25./11., dass 
er neuerdings Fälle von Cupr. cum. Nicot. (R.) habe. 

Mattes-Ravensburg schreibt am 21./11., dass er 
am häufigsten Apis, Lach, und Led. verwende. 

Stuttgart, den 21. December 1892. 

Dr. med. H. Göhrum. 


Lesefrüchte; 

Paul Guttmann beschreibt in No. 10 der „Ther. 
Monatsh.“ einen bemerkenswerthen Fall von Antt- 
pyrinvergiflung , der mit dem Bilde des asphyk- 
tischen Stadiums der Cholera eine solche 
Aehnlichkeit hatte, dass der Kranke als cholera¬ 
verdächtig in das Krankenhaus eingeliefert wurde. 
Der Kranke wurde in das Spital mit den Er¬ 
scheinungen eines schweren Kollapses gebracht. Er 
hatte kühle Extremitäten, Wadenkrämpfe, Erbrechen, 
die Stimme war heiser, die Augen tiefliegend, dunkel¬ 
umrändert, Puls nicht fühlbar, die Temperatur 34.5. 
Obgleich diese Erscheinungen an einen schweren 
Choleraanfall denken Hessen, zeigte die weitere Be¬ 
obachtung doch, dass eine andere Ursache vorliegen 
müsse, denn der Stuhlgang war normal. Die weitere 
Untersuchung ergab: Auf Brust und Bauch ein 
miliares, dunkelrosaroth gefärbtes, kaum wahrnehm¬ 
bares, prominentes, scharfgerändertes Exanthem. 
Patient klagte über Kopfschmerzen, Ohrensausen, 
schlechtes Sehen; doppel-, drei- und vierfache Bilder, 
die aber stets umgekehrt waren. Die Anamnese ergab, 
dass der Patient seit ungefähr einem Jahre an 
heftigen Kopfschmerzen litt, gegen welche er in 
einer Apotheke 1 gr Antipyrin nahm, wonach seine 
Kopfschmerzen allerdings geringer wurden, aber ein 
leichtes, vorübergehendes Schwindelgefühl und eine 
Sehestörung eintrat; trotzdem gebrauchte er Anti¬ 
pyrin weiter, und zwar zweimal täglich in Dosen 
von je 1 gr. Die oben erwähnten Erscheinungen 
traten nun verstärkt und länger andauernd auf; es 
kam sogar zu Zeiten zu vollständiger Amaurose. 
Patient hatte im Ganzen 10 gr Antipyrin genommen. 
Nach Anwendung verschiedener Excitantien wurde 
eine schnelle und entschiedene Besserung des All¬ 
gemeinzustandes erzielt. G. hat in den letzten 
5 Jahren wiederholt unangenehme Nebenwirkungen 
von Antipyrin gesehen; er empfiehlt daher Vorsicht 
und warnt vor Missbrauch des Antipyrins. Göhrum. 


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190 


Bandwurm und Intercoitalneuralgie. 

Folgende von Dr. Charles Duryce im New-Y. 
Medical Journal veröffentlichte Beobachtung verdient 
unsere volle Beachtung. 

Dr. D. erzählt, dass er vor mehr als einem Jahre 
zu einem Manne von ca. 28 Jahren gerufen wurde, 
der über heftige Schmerzen auf der linken Seite 
des Thorax klagte; diese Schmerzen hatten vor 
ca. 8 Tagen angefangen, waren aber in der letzten 
Zeit so heftig geworden, dass der Mann sich legen 
musste. Dr. D. diagnostizirte Intercostal-Neuralgie, 
vielleicht als Vorläufer eines Herpes Zoster. Da 
verschiedene angewandte Mittel ohne Erfolg blieben, 
so wurde dem Kranken mit Morphium etwas Ruhe 
verschafft. Während 2 Wochen blieb sich der Zu¬ 
stand ziemlich gleich, bis eines Tages der Kranke 
dem Arzte mittheilte, dass mit dem Stuhle zum 
ersten Male Bandwurm-Stücke abgegangen seien. 

Nachdem der Bandwurm abgetrieben worden 
war, Hessen die Schmerzen sehr bald nach und der 
Kranke war in kürzester Zeit wieder arbeitsfähig. 

Kurze Zeit nach diesem Falle wurde Dr. D. 
zu einem Herrn, der an einem exquisiten Herpes 
Zoster litt, gerufen. Auf seine Veranlassung hin 
untersuchte derselbe während einiger Tage seine 
Stuhlgänge und entdeckte Bandwurmstücke. Auch 
hier schien der Herpes Zoster in causalem Zusammen¬ 
hang zu stehen mit dem Bandwurm. 

Es bat seit seiner ersten Beobachtung 8 Band¬ 
wurmkranke behandelt und 4 davon litten an Inter- 
costalneuralgie oder Herpes Zoster. Dass die Gürtel¬ 
rose auf einer entzündlichen Affection der Inter- 
costalnerven beruht, wie dies auch bei manchen 
Intercostalneuralgien der Fall ist, unterliegt keinem 
Zweifel. Die Ursachen dieser Aflfectionen sind oft 
sehr dunkel; es ist mir aber nicht bekannt, dass 
die Gegenwart eines Bandwurms je als Ursache 
angegeben worden ist, und doch scheint dies nach 
den angeführten Beobachtungen also gar nicht 
selten der Fall zu sein. 


Heilung dei Stotterns. 

Es ist eine bekannte Thatsache, dass Leute die 
Stottern, kein Hinderniss in ihren Sprachorganen 
verspüren, sobald sie flüstern. Auf diese Thatsache 
gründet sich die Behandlungsweise, von Dr. J. Coen. 

Dieselbe besteht in Folgendem: 

Die ersten 10 Tage darf Patient gar nicht sprechen 
um den Stimmorganen Ruhe zu gewähren. Das ist 
die Vorbehandlung. Dann darf Patient 10 Tage 
lang nur im Flüstertöne sprechen, dann erst darf 
nach und nach die gewöhnliche Sprache der Con- 
versation wieder angenommen werden. 

Tbid. p. 231. 


Seit Anfang Januar 1892 experiraentire ich mit 
Sabal serrulata und habe mich überzeugt, dass dieses 
Mittel eines der besten, wenn nicht das allerbeste 
Mittel ist bei einer gewissen Classe von Beschwerden. 
Bei Leiden der Prostata, bei Vergrösserung und Ent¬ 
zündung, kenne ich kein besseres Mittel, und bei 
Cystitis wirkt dasselbe zauberhaft. Es hat eine 
specifische Wirkung auf die Organe der Repro- 
duction. Ich habe es selbst erfahren, dass es die 
Brüste schwellen macht. Bei catarrhalischen Be¬ 
schwerden habe ich es ebenfalls mit grosser Genug¬ 
tuung angewandt. Ich selbst habe Jahre lang an 
einer Affection der Bronchien gelitten, welche durch 
keine Mittel gebessert wurde. Das Palmetto Mittel 
beseitigte mein Leiden radical in 4 Monaten. — Eine 
Dame konnte zwei Jahre lang nicht aufstehen, ohne 
eine Tasse Caffee zu trinken und etwas zu essen, 
dieses Mittel heilte sie in einer Woche. — Ein 
Mann, der ein Jahr lang den Beischlaf nicht hatte 
ausüben können, berichtete völlige Heilung nach 
30 Tagen. — Ein 76jähriger Mann, der 3 Jahre 
lang wegen Vergrösserung der Prostata ohne Katbe- 
terisation keinen Harn lassen konnte, wurde in 
4 Monaten vollständig geheilt. Ibid. p. 238. 

Dr. Bruckner. 


Berichtigung. 

Wir werden von Herrn Collegen Schweikert be¬ 
züglich der Erwähnung seiner Person und seiner 
Veröffentlichungen in dem Leeser’schen Artikel über 
„Agina Ludovici“, No. 19/20, 125. Bd., p. 157, 
um folgende Berichtigung ersucht. Es heisst dort: 
„Bekanntlich ist es dem „verstorbenen* Collegen 
Schweikert gelungen“ etc. Wir haben mit Absicht 
diese Worte des Manuscriptes unkorrigirt gelassen, 
da wir irrthümlich als Autor des Artikels „Der 
Hals-Zellgewebebrand und seine homöopatb. Behand¬ 
lung“, der in der homöopathischen Vierteljahrschrift 
von Dr. CI. Müller, 13. Bd., und als Separatabdruck 
bei Otto Wigand-Leipzig erschienen ist, den Vater 
unseres verehrten Collegen, der ebenfalls homöo¬ 
pathischer Arzt in Breslau und vorher Physikus in 
Grimma (Sachsen) gewesen ist, betrachteten. Den 
verehrten Collegen wussten wir sehr wohl noch 
unter den Lebenden und den tbätigen Mitarbeitern 
unserer Zeitung; hat er uns doch noch vor Kurzem, 
in No. 15/16 dieses Bandes; einen kleinen Artikel 
,.Beitrag zur Behandlung der Cholera durch 
Kampher i( geliefert. Um so mehr freuen wir uns 
und gratuHren ihm herzlich dazu, dass er uns in 
seinem Briefe schreiben konnte: „Ich befinde mich 
nun zwar im 77. Lebensjahre, erfreue mich aber 
trotzdem einer leidlichen Gesundheit und bin in der 
Praxis thätig.“ 


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191 


Ferner schreibt uns College Schweikert, es sei 
die Zeit von Anfang der Krankheit bis zur Heilung 
von Dr. Leeser ganz unrichtig angegeben. „Es ist 
dort gesagt, dass es erst nach 13, resp. 20 wöchent¬ 
licher Behandlung gelungen sei, die Krankheit zur 
Heilung zu bringen. Das ist nun nicht richtig. In 
3 Füllen habe ich Antbracin angewandt und zwar 
mit Erfolg. Fall I konnte in 25 Tagen geheilt 
entlassen werden, ebenso Fall II. Fall III erforderte 
bis zur Heilung ca. 3 1 /-2 Monate, weil an dem 
Periost des Unterkiefers knotige, harte Stellen, 
welche das Oeffnen des Mundes erschwerten, übrig¬ 
geblieben waren. Gegen diese wurde Aur. mur. 
natron. 2 bis zum Ende der Cur angewandt.“ 

Für diese Unrichtigkeit der Angaben trifft uns 
nicht die Verantwortung, da wir unmöglich alle 
Angaben aus der Literatur auf ihre Echtheit prüfen 
können, sondern hierbei der genauen Informirung 
dos Citators vertrauen. 

Neben dieser Berichtigung desCollegen Schweikert 
hält sich die Redaction für verpflichtet als Zusatz 
zu der von Collegen Leeser geschilderten Kranken¬ 
geschichte mitzutheilen, dass der betreffende Kranke 
nach einer Angabe, die er uns erst nach Veröffent¬ 
lichung seiner Krankengeschichte gemacht hat, nach¬ 
dem er aus Dr. Leeser* s Behandlung entlassen war, 
doch „operirt worden ist und operirt werden musste“, 
indem sie sich zugleich ausdrücklichst dagegen ver¬ 
wahrt, als sollte hierdurch ein Misstrauen gegen 


die Angaben Leeser’s ausgesprochen sein. Wie uns 
College Leeser auf eine diesbezügliche Anfrage mit- 
getheilt hat, hat er durch genaue Informationen 
erfahren, dass jene Operation erst längere Zeit nach 
seiner Behandlung stattgefunden hat. Auch schreibt 
er, „dass der operirende Arzt es bezweifelte, dass 
eine Angina Ludovici Vorgelegen habe, weil zur 
Zeit der Operation nichts mehr davon vorhanden 
war.“ Es wird sich also nur um eine nachträgliche 
Abscedirung, wie sie nach Ablauf heftiger Phlegmonen 
vorkommt, gehandelt haben. Die Red. 


Personalia. 

Nach dem Ableben Ihrer Majestät der Königin- 
Wittwe Olga von Württemberg, welcher wir noch 
einen Nachruf aus berufenster Feder widmen werden, 
wurde ihrem Leibarzte, Geh. Hofrath Dr. Stiegele, 
das Ritterkreuz des Ordens der Württembergischen 
Krone, mit dem Löwen, und Obermedicinalrath Dr. 
von Sick, der in der letzten Krankheit der hohen 
Gönnerin unserer Sache als consultirender Arzt zu¬ 
gezogen war, das Comthurkreuz desselben Ordens 
verliehen. Ausser der persönlichen Gratulation fühlen 
wir uns gedrungen, auch öffentlich den beiden her¬ 
vorragenden Vertretern der Homöopathie unsere 
wärmsten Glückwünsche darzubringen. 

Die Red. 


ANZEIGEN. 



□ 

3 

D 

z 

NEUBERT & C°, Sectkellerei, Halle a. S. und Mainz. 

jfEonopol: 

Unser Sect ist absolut rein, garantivt Hefe- u. bacterienfrei, haltbar, der ge¬ 
sündeste und dadurch der beste Wein der ganzen Welt, weil wir den fertigen Wein, durch 
natürliche Gährung entstanden, mit einem Druck von 6 Atm. durch den patentirten Berke- 
feldfilter jagen, welcher weder Pilze, Hefe und Bacterien, noch nicht einmal den Thyphus- 
und Cholerabacillus durchlässt. Wir verwenden nur edle Traubenweine, welche durch unser 
Verfahren vollkommen rein, vorzüglich im Geschmack und sehr bekömmlich werden. 
Keine Champagnerfabrik kann uns das nachmachen, auch die grössten französischen Finnen 
nicht, da wir sowohl Frankreich wie alle andern Kulturstaaten der Erde mit unsem Patenten 
belegt haben. Ueber die Reinheit und Güte unserer Secte haben folgende Autoritäten 
der Bacteriologie und Weinchemie Zeugnisse gegeben: Die Universitätslehrer 1) Professor 

Dr. Zopf, 2) Dr. Baumert, beide in Halle a. S , 3) Dr. R. Muencke, Berlin. 

Die Originalzeugnisse der Herrn Gelehrten liegen zu Jedermanns Einsicht aus. 
Apotheken, Kliniken, Krankenhäuser und Lazarethe der Armee und Marine 
erhalten io% Rabatt, ebenso die Herren Aerzte. 

Unser Haus unterhält weder Reisende, noch Agenten. 

Preis p. Flasche M. 3. —- Versandt gegen Nachnahme. — Export nach allen Erdtheilen. 

1 

!0 


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Bei den Revisionen der Hausapotheken der selbzt- 
dispenslrenden homöopathischen Herren Aerzte werden 
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsicht¬ 
lich der Aufbewahrung der Venena und Separanda die¬ 
selben Anforderungen gestellt , n ie an die Apotheker. 

Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte 
kleine, praktische 

Oiftschränkchen 

und 

Separanden-Schränkchen 

anfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu 
Diensten. 

(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen 
vollste Anerkennung gefunden). 

Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬ 
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬ 
weitigen Zimmereinrichtung passen. 

Ein Qlftsohrlnkchen ist 100 cm hoch, 50 cm breit 
und 21 cm tief; unter einer Thüre. die das ganze 
Schränckchen verschliesst und mit dem Porzellanschild 
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine 
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für 
sich verschliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind 
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefässe, als auch 
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und 
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit 
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen. 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M. 

Ein Separaadenaohrinkchen ist 70 cm hoch, 50 cm 
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze 
Schränkchen verschiiessenden Thüre, die mit dem Por¬ 
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für 
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬ 
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬ 
zubewahren. die laut Gesetz roth auf weise zu signiren 
sind (siehe Revisions-Etiquetten-Hefte). 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M. 

Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen 
entsprechend, habe ich die Gift- und Separandon* 
Schränkchen jetzt auch in einen Schrank ver¬ 
einigt, vorräthig. 

Die obere Abtheilung dieser Doppelschränke ist 
ür die Separanda, die doch mehr gebraucht werden 
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte 
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener 
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬ 
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia. 

Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm 
tief und 62 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht 
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht 
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-, 
nussbaum- oder mahagoni-artig. 

Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur 

60 Mark. 

A. Marggraf s homtfopath. Officin in Leipzig. 


Soeben ist erschienen und zum Versandt ge¬ 
kommen die 4. Lieferung von 

Die vergleichende 

Arzneiwirknngslehre 

VOn 

Dr. med. H. GrOSS und Prof. Dr. med. C. Hering. 
Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben 
von Sanitätsrath Dr. med. Faul Wasser, Bernburg a.8. 
Complet in 8 Lfgn. h Mk. 2.50. Einbanddeeke gratis. 
§0* Wer das Werk lieber im Ganzen comnlet 
ebunden bezieht, mag es auch schon jetzt bestellen, 
a später jedenfalls eine Preiserhöhung eintritt. 

Alle sechs Wochen kommt eine weitere laieferung. 
Jede Lieferung: 9 Druckbogen, 4°. Preis 2.50 Mk. 

Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen 
sind eine grosse Menge Bestellungen anf dieses Werk 
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬ 
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch 
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen 
Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be¬ 
zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend 
genug empfehlen können. 

ln Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die 
hochelegante Ausstattung dieses Buches, die genau dem 
englischen Originale entspricht, ist der Subscriptionspreis 
thatsächlich ein ausserordentlich niedriger za nennen. 

Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen 
wird das Erscheinen dieser ersten vergleichendes Arznei- 
wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre 
Anschaffung empfohlen. 

Leipzig, den 5. December 1892. 

A. Marggraf’s homöopath. Offlein. 
Zur Zuckerbestimmung im Harn, 

qualitativ und quantitativ, empfehle als das Ein¬ 
fachste und Praktischste die 

Limousin’schen Tropfenzähler 

mit genauer Gebrauchsanweisung und Berechnungs¬ 
tabelle ä Paar = Mk. 3.50. 

Die dazu gehörige Fehling’sche Lösung, stets 
ganz frisch, wird in Glasstöpselgläsern, ä 30,0=50Pfg. 
abgegeben. 

Leipzig, A. Marggrafs homöopath. Officin. 

Kastaiiieiiblii then-Oel nnd 
Kastanienbliithen-Tinctnr 

aus den frischen ßlüthen bereitet, haben sich als 
thatsächlich gute Mittel zum Einreiben gegen 
Gicht und Rheumatismus schon seit langen 
Jahren eingeführt und werden zu Versuchen bestens 
empfohlen. 

Zu haben in jedem gewünschten Quantum, in 
Flaschen & 50 Pfg. bis zu Flaschen ä y 2 Ko. = 4 M. 

Leipzig, A. Marggrafs homöopath. OfAcin. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Goehrun-Stuttgart , Dr. StifTt-Leipzig und Dr. Haedlcke-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggrafs homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von Gressner L Schramm in Leipzig. 


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Leipzig, den 32. December 1898. 


No. 25 n. 26, 


Band 125. 


ALLGEMEINE 

HOMÖOPATHISCHE ZEITUNG. 

HERAUSGEGEBEN VON 

Dr. GOEHRUM-STUTTGART, Dr. STIFFT-LEIPZIG UND Dr. HAEDICKE-LEIPZIG. 

Expedition and Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homOopath. Offlein) in Leipzig. 

Bracheint 14tigig au 2 Bogen. IS Doppelnummern bilden einen Band. Preis 10 M. 60 Pf. (Halbjahr). Alle Buchhandlungen und 
Postanstalten nehmen Beatellungen an. No. 97 dea F o st-Zeitunga-Verzeichnisse* (pro 1892). — Ins erate, welche an JEL Mosse ln 
Leipzig und dessen Filialen oder an die Verlagshandlung selbst (A. Marggrafs homöopath. Offlein in Leipzig) au richten 
sind, werden mit 80 Pf. pro einmal gespaltene Petitseile und deren Raum berechnet. — Beilagen werden mit 12 M. berechnet. 

Inhalt. Arzneipriifuugsprotokolie. Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart. — Die Berechtigung der Hahne- 
mann80hen Forderung des Auswlrkenlassens der Mittel in chronleohen Krankheiten. Von Dr. med. Lorbacher. — 
Prompte Heilung einer Lähmung. Von Assistenzarzt Waszily. — Ueber die physiologische Behandlung einiger Haut¬ 
krankheiten. Referent Göhrum. — Referate. — Lesefrüchte. — Slmiilbus an suggestis? Von Dr. med. J. Fachs- 
München. — Die zeitweilig herrschenden Heilmittel. — Nekrolog. — Personalien. — Reohnungsahiegung. — Druck- 
fehlerberiohtlgnng. — Anzeigen. 

MT Schluss der Schriftleitung: Freitag vor dem Erscheinungstage. TU 

für */2 Stunde, später je für 1 Stunde ausreicht, 
während alle 5 Minuten ein kleiner Schluck davon 
getrunken wird. 

Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede 
1 2 Stunde aasgeführt. 

Anfang des Versuches: 3 Uhr 30 Min. Nachm. 
Um 4 Uhr sind noch die Punkte für Stib. 
arsenicos. und Sabadill, schmerzhaft. 

Um 4 Uhr 30 Min. statt dieser die Punkte für 
Hep. sulf. calc. und Ratanh. schmerzhaft. 

Um 5 Uhr Stat. id. 

Um 5 Uhr 30 Min. Stat. id. • 

Um 6 Uhr dazu die Punkte für Kali bichromic. 
und Cist. canad. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 30 Min. die Punkte für Silic. und 
Cina schmerzhaft. (Rhus tox. ist nur leicht empfind¬ 
lich.) 

Um 7 Uhr Stat. id. Abbrechen des Versuches. 
An svübjecliven Symptomen beobachtete ich: 
Vor Auftreten der betr. Schmerzpunkte häufig 
in der ihnen entsprechenden Gegend ein gewisses 
Wärmegefühl. 

2 Stunden nach Beginn des Einnehmens stellte 
sich Eingenommenheit des Kopfes und leicht schmerz¬ 
haftes Gefühl von Verstopftsein des linken Ohres 
ein. Diese Beschwerden verschwanden während des 
darauf folgenden Abendessens. 

Um 7 Uhr 30 Min. waren die Punkte für Stib. 

25 


Arzneiprüfimgsprotokolle. 

Von Dr. med. H. Göhrum-Stuttgart. 

Auf der constituirenden Versammlung der Epide¬ 
miologischen Gesellschaft am 23. Dec. vor. J. wurde 
von mir als eine nothwendige Forderung zur ge¬ 
deihlichen Entwicklung der Weihe’schen Methode 
die Beweisführung angegeben (Bd. 124, No. 5/6, 
pag. 40), dass bei der Prüfung eines Arzneimittels 
dessen Schmerzpunkt, sowie die Schmerzpunkte 
derjenigen Mittel , deren Combination dieser Ein¬ 
heit entsprechen, schmerzhaft werden, weil damit 
erklärt wäre, warum bei der Schmerzhaftigkeit 
eines bestimmten Punktes ein ganz bestimmtes Arznei¬ 
mittel das Simillimum ist. 

Zu diesem Behufe habe ich in der letzten Zeit 
folgende Versuche meistentheils an mir selbst aus¬ 
geführt. Ich will sie zunächst in chronologischer 
Reihenfolge mittheilen. 

1. Versuch am 3. Not. 1892. 

Prüfungsperson: Ich. 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Stib. arsenicos. 
und Sabadill. 

Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla. 

Von der 1000 00 (Marggraf) werden 5 Tropfen 
auf 7s Lit. Wasser genommen, welche Quantität zuerst 


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arsenicos. and Sab&dill. wieder entschieden schmerz¬ 
hafter als die experimentell erzeugten, welch' letztere 
am anderen Morgen gänzlich verschwunden waren. 

Von den bisher bekannten 4 Combinationen für 
Pulsatilla: 

1. Antim. crud. und Ignat. 

2. Acid. phosphoric. und Clemat. 

3. Hep. sulf. calc. und Ratanh. 

4. Siüc. und Rhus tox. 

wurde also zunächst nur No. 3 erhalten, No. 4 
wurde oorrigirt; neu ist: 

5. Kali bichromic. und Cist. canad. 

2. Versuch am 14. Not. 1892. 

Prüfungsperson: Ich. 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Acid. muriatic. 
und Lackes. (= Amic.) 

Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla. 

Von der 200 00 (Marggraf) werden 5 Tropfen 
auf Vs Lit. Wasser genommen, welche Quantität für 
je 1 Stunde ausreicht, während alle 5 Minuten ein 
kleiner Schluck davon getrunken wird. 

Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede 
{l 4 Stunde ausgeführt. 

Anfang des Versuches: 5 Uhr 10 Min. Nachm. 

Um 5 Uhr 25 Min. sind statt der Punkte für 
Ac. muriatic. und Laches. die für Hep. sulf. calc. 
und Ratanh. schmerzhaft. 

Um 5 Uhr 40 Min. dazu die Punkte für Kali 
bichromic. und Cist. canad. schmerzhaft. 

Um 5 Uhr 65 Min. dazu die Punkte für Silic. 
und Cina schmerzhaft, sowie die Punkte für Kali 
jodat. und Sarsaparill. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Acid. 
oxalic. und Hyoscyam. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 25 Min. dazu die Punkte für Plumb. 
und Baptis. tinct. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 40 Min. Stat. id. 

Um 6 Uhr 55 Min. dazu die Punkte für Acid. 
phosphoric. und Clematis schmerzhaft. 

'Um 7 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Antim. 
crud. und Ignatia schmerzhaft. 

Der Pulsatillapunkt war nur leicht druckempfind¬ 
lich. Darauf Abbreehen des Versuches. 

Suttfective Symptome: drückende Kopfschmerzen 
vorne in der Stirne, oben auf dem Scheitel und 
gegen die Ohren; in beiden Ohren leichtes Reissen; 
Vollheitsgefühl in der Nase besonders in der rechten 
Nasenhälfte in der Mitte. 

Um 7 Uhr 40 Min. sind die experimentell er¬ 
zeugten Punkte meistentheils (vorwiegend die am 
Hals und Thorax) noch da, die für Ac. muriatic. 
und Laches. noch nicht. Am anderen Morgen sind 
letztere wieder allein da. 

Ich erhielt also sämmtliche bisher bekannte 
Combinationen für Pulsatilla, dazu noch: 

6. Kali jodat. und Sarsaparill. 


7. Acid. oxalic. und Hyoscyam. (eine Combination, 
für die sich seitdem schon mehreren Be¬ 
obachtern PulsatilL bewährt hat). 

8. Plumb. und Baptis. tinct. 

3« Versuch am 20« Not. 1892. 

Prüfungsperson: Ich. 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Acid. oxalic. 
und Hyoscyam. (= Pulsat.) 

Zu prüfendes Arzneimittel: Acid. oxalic. und 
Hyoscyam. 

Von der 200 00 (Acid. oxalic. [Marggraf] und 
Hyoscyam. [Manch]) je 5 Tropfen auf Vs Lit. Wasser. 
Die übrigen Versuchsbedingungen sind die gleichen, 
wie bei Versuch 2. 

Anfang des Versuches unmittelbar nach einem 
Vesper bestehend aus Schwarzbrot mit Honig: 
3 Uhr 35 Min. Nachm. 

Um 3 Uhr 50 Min. sind neben den Punkten 
für Acid. oxalic. und Hyoscyam. Die Punkte für 
Hep. sulf. calc. und Ratanh. sowie für Silic. und 
Cina schmerzhaft. 

Um 4 Uhr 5 Minuten dazu die Punkte für 
Plumb. und Bapt. tinct. sowie die Punkte für Kali 
jodat. und Sarsaparill. schmerzhaft. 

Um 4 Uhr 20 Min. dazu die Punkte für Acid. 
phosphoric. und Clemat. schmerzhaft, sowie die 
Punkte für Kali bichromic. und Cist. canad. schmerz¬ 
haft. 

Um 4 Uhr 35 Min. dazu die Punkte für Aurnm 
und Staphysagr. schmerzhaft 

Um 4 Uhr 50 Min. dazu die Punkte für Antim. 
crud. und Ignat. schmerzhaft, sowie die Punkte für 
Natr. phosphoric. und Punkt 163 schmerzhaft 

Um 5 Uhr 5 Min. Stat. id. 

Um 5 Uhr 20 Min. dazu die Punkte für Kali 
bromat und Sepia schmerzhaft, sowie die Punkte 
für Ferrum und Juniper. comm. schmerzhaft 

Um 5 Uhr 35 Min. Stat. id. Abbrechen des 
Versuches. 

Subjective Symptome: drückende Kopfschmerzen 
in den Schläfen. 

Am anderen Morgen sind sämmtliche Schmerz¬ 
punkte mit Ausnahme der für Acid. oxalic, nnd 
Hyoscyam. wieder verschwunden. 

Ich erhielt also sämmtliche bisher bekannte 
Combinationen für Pulsatilla, dazu noch: 

9. Aurum und Staphysagr. 

10. Natr. phosphoric. und Punkt 163. 

11. Kali bromat. und Sepia. 

12. Ferrum und Juniper. comm. 

4. Versuch am 20. Not. 1892. 

Prüfungsperson: Frau A. G. 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Acid. oxalic. 
und Hyoscyam. (=» Pulsat.) 


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195 


Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla . 

Von der 200 00 (Marggraf) werden 5 Tropfen 
auf i/ g Lik Wasser genommen, welche Quantität für 
2 Stunden ausreichte, während alle 5 Minuten ein 
kleiner Schluck davon getrunken wird. 

Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede 
*/ 4 Stunde ausgeführt. 

Anfang des Versuches unmittelbar nach einem 
Vesper bestehend aus Thee mit Weissbrot und 
Honig: 3 Uhr 30 Min. Nachm. 

Um 3 Uhr 45 Min. sind neben den Punkten 
für Acid. oxalic. und Hyoscyam. die für Hep. sulf. 
calc. und Ratanh. sowie für Silic. und Cina schmerz¬ 
haft. 

Um 4 Uhr dazu die Punkte für Plumb. und 
Bapti8. tinct. sowie die Punkte für Antim. crud. 
und lgnat. schmerzhaft. 

Um 4 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Kali 
bichromic. und Cist. canad., die Punkte für Kali 
jodat. und Sarsaparill. sowie die Punkte für Acid. 
phosphoric. und Clematis schmerzhaft. 

Um 4 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Aurum 
und Staphysagr. schmerzhaft. 

Um 4 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Natr. 
phosphoric. und Punkt 163 schmerzhaft. 

Um 5 Uhr nur die Punkte für Natr. phosphoric. 
und Punkt 163, die Punkte für Silic. und Cina, 
und die Punkte für Aurum und Staphysagr. schmerz¬ 
haft 

Um & Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Kali 
bromat und Sepia schmerzhaft. 

Um 5 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Ferrum 
und Juniper. comm. schmerzhaft. Abbrechen des 
Versuches. 

Subjective Symptome: Uebelkeit; Wabbeligkeit 
in dem Epigastrium; Gefühl als wollte Durchfall 
kommen; darnach Kopfschmerzen in der linken 
Schläfe. 

Am anderen Morgen sind sämmtliche Schmerz¬ 
punkte mit Ausnahme der für Acid. oxalic. und 
Hyoscyam. wieder verschwunden. 

Es wurden also sämmtliche bis dahin bekannte 
Combi nationen für Pulsatilla erhalten. 

5. Versuch am 26. Nov. 1892. 

Prüfungsperson: Jch. 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Kali carb. 
und Belladonn. (= Apis.) 

Zu prüfendes Arzneimittel: Pulsatilla . 

Von der 30° (Mauch) wurden 5 Tropfen auf 
i/g Lit. Wasser genommen, welche Quantität für je 
1 Stunde ausreicht, während alle 5 Minuten ein 
kleiner Schluck davon getrunken wird. 

Die Untersuchung auf Schmerzpunkte wird jede 
j / 4 Stunde ausgeführt. 

Anfang des Versuches: 4 Uhr 45 Min. Nachm. 


Um 5 Uhr sind statt der Punkte für Kali carb. 
und Belladonn. die für Acid. oxalic. und Hyos¬ 
cyam., sowie die für Hep. sulf. calc. und Ratanh. 
schmerzhaft 

Um 5 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Kali 
jodat und Sarsaparill. schmerzhaft. 

Um 5 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Kali 
bromat und Sepia sowie die Punkte für Silic. und 
Cina schmerzhaft 

Um 5 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Plum¬ 
bum und Baptis. tinct. schmerzhaft 

Um 6 Uhr dazu die Punkte für Kali bichromic. 
und Cist canad. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Ferrum 
und Juniper. comm., sowie die Punkte für Natr. 
phosphoric. und Punkt 163 schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Aiirum 
und Staphysagr. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 45 Min. Stat. id. Abbrechen des 
Versuches. 

Subjective Symptome: Keine. 

Am anderen Morgen sind noch die Schmerz¬ 
punkte für: 

Kali jodat. und Sarsaparill. 

Kali bromat und Sepia 
Hep. sulf. calc. und Ratanh. 

Acid. oxalic. und Hyoscyam. schmerzhaft 
Dabei ist Schnupfen mit ziemlicher Verstopfung 
der Nase mit seltenem Niesreiz vorhanden. 

Am dritten Morgen sind alle experimentell er¬ 
zeugten Schmerzpunkte verschwunden und wieder 
die für Kali carb. und Belladonn. schmerzhaft 

6. Versuch am 26. Nov. 1892. 

Prüfungsperson: Fräulein C. IV. 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Kali carb . 
und Belladonn . (= Apis.) 

Zu prüfendes Arzneimittel: Veratr. alb. 

Es wird die 200 00 (Mauch) unter denselben 
Versuchsbedingungen wie bei Versuch 5 verwandt 
Anfang des Versuches: 4 Uhr 45 Min. Nachm 
Um 4 Uhr 55 Min. sind statt der Punkte für 
Kali carb. und Belladonn. die für Acid. fluorio. und 
Sarsaparill. schmerzhaft 

Um 5 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Punkt 
137 und Euphorb. off., sowie die Punkte für Cup¬ 
rum und Silic. c. Cist. canad. schmerzhaft 

Um 5 Uhr 25 Min. dazu die Punkte für Acid. 
phosphoric. und Ignatia., sowie für die Punkte für 
Natr. carb. und Acid. hydrooyan. schmerzhaft. 

Um 5 Uhr 40 Min. dazu die Punkte für Mercur. 
corros. und Petroleum schmerzhaft. 

Um 5 Uhr 55 Min. dazu die Punkte für Magnes. 
carb. und Ruta grav. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 10 Min. dazu die Punkte für Kali 
carb. und Staphysagr. schmerzhaft. 

25* 


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196 


Um 6 Uhr 25 Min. dazu die Funkte für Borax 
und Belladonn. schmerzhaft 

Um 6 Uhr 40 Min. dazu die Punkte für Kali 
bromat. und Spongia schmerzhaft. 

Abbrechen des Versuches. 

Suhjective Symptome: Leibschmerzen wie von 
herumziehenden Blähungen, auch stechend; ein schon 
bestehender Durchfall wird schlimmer. 

Am Abend darauf sind noch die Schmerzpunkte 

für: 

Acid. fluoric. und Sarsaparill. 

Punkt 137 und Euphorb. off. 

Cuprum und Silic. c. Cist. canad. schmerzhaft. 

Am dritten Morgen sind alle experimentell er¬ 
zeugten Schmerzpunkte verschwunden und wieder 
die für Kali carb. und Belladonn. schmerzhaft 

Es wurden also ausser den bis dahin bekannten 
Combinationen für Veratr. alb.: 

Acid. phosphoric. und Ignatia, 

Punkt 137 und Euphorb. off. 
noch weiter folgende Combinationen erhalten: 

Acid. fluoric. und Sarsaparill. 

Cuprum. und Silic. c. Cist. canad. 

Natr. carb. und Acid. hydrocyan. 

Merc. corros. und Petroleum. 

Magnes. carb. und Ruta grav. 

Kali carb. und Staphysagr. 

Borax und Belladonna. 

Kali bromat und Spongia. 

7. Versuch am 3. Dec. 1892. 

Prüfungsperson: Ich . 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel: Aatr . mur. 
und Tone. (= Sabadill.) 

Zu prüfendes Arzneimittel: Sabadilla . 

Es wird die 200 00 (Manch) unter denselben 
Versuchsbedingungen wie bei Versuch 5 und 6 ver¬ 
wandt. 

Anfang des Versuches: 5 Uhr 30 Min. Morg. 

Um 5 Uhr 45 Min. sind neben den Punkten 
für Natr. mur. und Tonco die für Natr. sulf. und 
Chelidon. schmerzhaft 

Um 6 Uhr dazu die Punkte für Acid. fluoric. 
und Lactuc. vir. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Hep. 
sulf. calc. und Guajac. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Kali 
bromat. und Punkt 163 schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Jodum 
und Mezereum schmerzhaft 

Um 7 Uhr dazu die Punkte für Kali jodat. und 
Ci na schmerzhaft. 

Um 7 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Baryt, 
carb. und Evonym. europ. schmerzhaft. 

Um 7 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Acid. 
salicyl. und Punkt 164 schmerzhaft. 

Abbrechen des Versuches. 


Seit Eintritt der Herrschaft von Natr. mur. und 
Tone, hatte ich eine schmerzhafte Anschwellung des 
linken Lappens der glandul. thyreoid. 

Am Abend darauf sind noch sämmtliche eben 
verzeichneten Schmerzpunkte, am dritten Abend 
noch die für Hep. sulf. calc. und Guajac. ausser 
den am vierten Morgen noch allein vorhandenen 
herrschenden Schmerzpunkten Natr. mur. und Tone, 
nachzuweisen. 

Ich erhielt also ausser der bis jetzt allein be¬ 
kannten Coinbination für Sabadilla für dieses Mittel 
noch 8 weitere Combinationen. 

8. Versuch am 14« Dec. 1892. 

Prüfungsperson: Ich . 

Zeitweilig herrschendes Heilmittel bei Gesunden 
und bei mir: Baryt, carb . und Tone . (= Kali 
bichromic.) (Bei den meisten Kranken sind da¬ 
neben noch die Punkte für Hep. sulf. calc. und 
Ratanh. (= Pulsatill.) ebenso schmerzhaft, wie die 
für Baryt, carb. und Tone.) 

Zu prüfendes Arzneimittel: Kali jodat. und 
Sarsaparilla. 

Es wird die 200 00 (Marggraf) unter denselben 
Versuchsbedingungen wie bei Versuch 5, 6 und 7 
verwandt. 

Anfang des Versuches: 4 Uhr 30 Min. Nachm. 

Um 4 Uhr 45 Min. sind statt der Punkte für 
Baryt, carb. und Tone, die für Acid. oxalic. und 
Hyosoyam. schmerzhaft. 

Um 5 Uhr dazu die Punkte für Kali jodat. und 
Sarsaparill., sowie die Punkte für Plumbum und 
Baptis. tinct. schmerzhaft. 

Um 5 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Hep. 
sulf. calc. und Ratanh. schmerzhaft. 

Um 4 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Silicea 
und Cina schmerzhaft 

Um 5 Uhr 45 Min. dazu die Punkte für Kali 
bromat. und Sepia, sowie die Punkte für Kali 
bichromic. und Cist. canad. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr dazu die Punkte für Acid. phos¬ 
phoric. und Clemat, sowie die Punkte für Aurum 
und Staphysagr., und die Punkte für Natr. phos¬ 
phoric. und Punkt 163 schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 15 Min. dazu die Punkte für Fer¬ 
rum und Junip. comm. schmerzhaft. 

Um 6 Uhr 30 Min. dazu die Punkte für Antim. 
crud. und Ignatia schmerzhaft. 

Abbrechen des Versuches. 

Suhjective Symptome: Verstopfung des linken 
Nasenloches in der Mitte. 

Am andern Morgen früh 2 Uhr sind noch die 
Punkte für: 

Acid. oxalic. und Hyoscyam. 

Hep. sulf. calc. und Ratanh. 

Kali jodat. und Sarsaparill. schmerzhaft, die für 
Baryt, carb. und Tone, noch nicht. 


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197 


Ich erhielt also mit Kali jodat. und Sarsaparill. 
eben so viele und dieselben Combinationen wie mit 
Acid. oxalic. und Hyoscyam. und Pulsatilla allein 
während der Herrschaft theils verschiedener, theils 
derselben Heilmittel. 

Zu meinem grossen Bedauern war es mir nicht 
möglich, noch mehrere Versuche und an mehreren 
Prüfungspersonen durchzuführen. Aber ich glaube, 
dazu berechtigt zu sein, aus den hier veröffentlichten 
Versuchen folgende Schlüsse zu ziehen: 

1) Es ist gelungen, bei der Prüfung eines Arznei¬ 
mittels die Schmerzpunkte derjenigen Mittel, deren 
Combination dieser Einheit entsprechen, experimentell 
schmerzhaft zu machen; während es 

2) bis jetzt nicht vorgekommen ist, dass direct 
der Punkt eines einzigen geprüften Mittels dabei 
schmerzhaft wurde; ob dies überhaupt möglich 
ist, darüber kann ein Urtheil erst nach weiteren 
Prüfungen mit niederen Verdünnungen gefällt werden; 
dagegen zeigen 

3) die Versuche 3 und 8, dass die gefundenen 
Combinationen die Punkte sämmtlicher Combinationen 
der entsprechenden Einheit experimentell hervor- 
zurufen im Stande 6ind, sowie dass 

4) bei Verwendung der beiden Componenten die 
Schmerzpunkte dieser schmerzhaft werden ; dass also 

5) auf diesem Umwege auch die Arzneimittel 
für einzelne Punkte festgestellt werden können, 
sofern das eine Mittel der beiden Componenten 
bereits einen sicher festgestellten Punkt hat, das 
andere aber nicht. 

Es ist mithin durch diese meine physiologischen 
Arzneiprüfungen in Bezug auf experimentelle Er¬ 
zeugung von Schmerzpunkten der Weg eröffnet, 
bei dessen weiterem Beschreiten der sichere Beweis 
erbracht werden dürfte , dass die Schmerzpunkte 
des einzelnen Mittels, wie der dafür festgestellten 
Combinationen in unveränderlichem Zusammenhang 
mit diesem stehen, also sichere objective Symp¬ 
tome für dasselbe abgeben . 

Stuttgart, den 15. December 1892 Morgens. 


Die Berechtigung der llaltuemaiiii’- 
schen Forderung des Auswirken¬ 
lassens der Mittel in chronischen 
Krankheiten. 

Von Dr. med. Lorbacher. 

Es ist namentlich in der neueren Zeit Mode 
geworden, die Vorschrift Hahnemann’s und seiner 
ersten Schüler, die Gaben der Arzneimittel vor¬ 
züglich in chronischen Krankheiten nicht zu 
schnell zu wiederholen sondern jede einzelne erst 


ordentlich auswirken zu lassen, als einen über¬ 
wundenen Standpunkt, als durch nichts begründet 
zu betrachten. Man meint, durch 2, 3—4 stünd¬ 
liches Wiederholen des Mittels in 1, 2 höchstens 
3 Std., sehr häufig im Wechsel mit einem andern, 
zum Ziele einer gründlichen und dauernden Heilung 
zu gelangen. Dass dies nur in seltenen Fällen ge¬ 
lingt und man sehr oft nur eine palliative Wirkung 
erzielt, das kann sich Keiner verhehlen, der gewohnt 
ist, genau zu beobachten, und Gelegenheit hat, die 
scheinbar Geheilten noch längere Zeit unter den 
Augen zu behalten. Ich halte es daher im Interesse 
unserer Sache für geboten, einen Fall zu veröffent¬ 
lichen, welcher das Begründetsein der oben erwähnten 
Hahnemann’schen Vorschrift unwiderlegbar beweist. 

Es betrifft einen Knaben von jetzt 8 J. mit an¬ 
geborener Skrofulöse, jedenfalls e patre syphilitico. 
Ende seines ersten Lebensjahres bekam er beim 
Zahnen eine Diarrhöe, wie sie bei skrofulösen Kindern 
einzutreten pflegt, von mehr graugelber Farbe wie 
dünne Suppe und scharfem säuerlichem Gerüche, 
während die Zahudiarrhöen bei sonst gesunden 
Kindern doch wie in Wasser eingerührtes Eigelb aus- 
sehen und den bekannten Fäulnissgemch haben. Ehe 
ich hinzugerufen, war schon eine mehrwöchentliche 
andersartige vergebliche Behandlung vorausgegangen. 
Das Kind war sehr abgemagert, sah anämisch aus, 
schrie viel, hatte täglich noch 6—8 Ausleerungen, 
zu deren Hervorrufung und Unterhaltung jedenfalls 
die unzweckmässige Nahrung und der Aufenthalt 
in schlecht gelüfteten und feuchten Parterreräumen 
wesentlich beigetragen hatten. Nach strenger Rege¬ 
lung der Diät gelang es bei Gebrauch von Calc. 
carb., Calc. phosph. und Arsen im Verlaufe von 
einigen Wochen die Diarrhöe zu beseitigen. Der 
Knabe erholte sich allmählig. Das Zahnen ging 
von da ab, wenn auch langsam, doch regelmässig 
vor sich. Allein im Verlaufe von ca. ! /2 J ft hr 
entwickelte sich ein neues Leiden in Form eines 
heftig juckenden Knötchenausschlags (Prurigo), wie er 
bei schlechter Hautpflege und in feuchten Wohnungen, 
wie Arme sie zu bewohnen häufig genöthigt sind, 
entsteht. Er verbreitete sich ziemlich schnell über 
den ganzen Körper und bereitete dem armen Kranken 
durch das Jucken grosse Qualen, raubte ihm den 
Nachtschlaf und hinderte seine normale Entwickelung. 
In der kalten Jahreszeit ging er gewöhnlich etwas 
zurück, während er in der warmen sich verschlimmerte. 
Hartnäckig trotzte er den von mir angewandten inneren 
Mitteln, unter denen Sulf. und Arsen in niederen 
und höheren Verdünnungen, bald in kürzeren bald 
in längeren Zwischenräumen gereicht, die Hauptrolle 
spielten. Ebenso wenig wurde mit den von Anderen 
versuchten äusseren Mitteln ein bleibender Erfolg 
erzielt. Ich hatte den Patienten aus dem Gesichte 
verloren und hörte nur gelegentlich von seiner 
Mutter, dass trotz der Besserung der äusseren Ver- 


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hältnisse sein Leiden sich immer noch gleich bliebe. 
Im Beginn dieses Jahres stellte ihn seine Mutter 
wieder vor mit der Bitte, noch einen Versuch mit 
ihm zu machen. Der Ausschlag war noch in seiner 
Blüthe, über den ganzen Körper verbreitet, besonders 
stark am Nacken und Halse. Blasses, gelbgraues 
Aussehen; es machte den feindtuck eiiier gewissen 
Verkommenheit Die Indikationen sprachen so ent¬ 
schieden für Sulf., dass ich beschloss, es noch ein¬ 
mal zu verordnen, jedoch nur alle 4 Wochen eine 
Gabe von 6 Kügelchen 30. Cent, zu geben. Nach 
2 Monaten brachte die Mutter ihn wieder mit der 
Nachricht, dass der Ausschlag entschieden im Ab¬ 
heilen begriffen und trotz der schon eingetretenen 
warmen Witterung die gewöhnliche Verschlimmerung 
ausgeblieben sei, wovon ich mich durch den Augen¬ 
schein selbst überzeugte. Selbstverständlich blieb 
ich bei meiner Verordnung; die Besserung schritt 
fort und bei der letzten, am 26. Oct. a. c. vorgenomme¬ 
nen Untersuchung fand sich der Ausschlag bis auf 
einige kleine Reste abgeheilt, die Haut war weicher 
und geschmeidiger geworden, sie sah noch blass 
aus, doch der graue Ton derselben war verschwunden, 
das fürchterliche Jucken war nicht mehr vorhanden, 
sodass das Kind sich jetzt eines ruhigen Schlafes 
erfreut und erst aufzublühen beginnt. 

Auch in diesem Falle bewährte sich wieder die 
öfters gemachte Erfahrung, dass die veränderte 
Gemüths8timmung ein ziemlich sicheres Zeichen 
einer beginnenden Besserung ist. Auch bei diesem 
stets verdriesslichen und eigensinnigen Buben trat, 
ehe noch ein anderes Zeichen der Besserung sicht¬ 
bar wurde, eine bessere Laune ein. 

Jedenfalls ist dieser Fall, welcher an Hart¬ 
näckigkeit nichts zu wünschen übrig Hess, dazu 
angethan, zu zeigen, dass das Auswirkenlassen der 
Mittel bei Krankheiten von grosser Wichtigkeit ist 
und jedenfalls eher zum Ziele führt, als schnelles 
Wiederholen massiver Gaben. 

Ich würde mich freuen, wenn durch diese Mit¬ 
theilung dieser oder jener sich veranlasst fühlte, 
in chronischen Krankheiten, bei denen ohnehin 
selten etwas versäumt wird, einen Versuch mit 
dieser Ordinationsweise zu machen. Ich glaube, 
dass er es nicht bereuen würde. 

Dass hier eine Suggestion vorliegt, wird natür¬ 
lich Herrn Dr. G. nicht schwer werden, zu beweisen. 


Prompte Heilung einer Lähmung. 

Auf einer Reise in die Eiderstedter Marsch am 
24./9. 92. brachte man ein 3 ^ 2 jähriges Kind zu 
mir, welches seit 6 Wochen gelähmt war. Es 
handelte sich um eine motorische Lähmung der 
unteren Extremitäten, wofür man keine andere 
Ursache angeben konnte als „Erkältung“. Seit 


ca. 14 Tagen zeigte sich eine zunehmende Atrophie 
der Muskulatur. Allopathischerseits waren warme 
Bäder und der galvanische Strom ohne jeden Erfolg 
angewandt. Viele Anhaltspunkte für die Wahl eines 
passenden Mittels erfuhr ich zunächst nicht. Die 
Mutter behauptete, das Kind sei stets gesund und 
kräftig gewesen und die Lähmung wäre ziemlich 
plötzUch entstanden. Da das Kind sich viel im 
Freien herumgetummelt und so auch oft der Nässe 
ausgesetzt gewesen, wie das denn in der Marsch 
ist, so dachte ich natürlich an Rhus, wohin mich 
ausserdem der weissliche Bodensatz des Urins 
führte; allein man muss ja oft den Leuten die 
individuell charakteristischen Symptome unserer 
Mittel förmlich herausquetschenj wenn man erfolg¬ 
reich behandeln will. So gings auch hier. Eine 
gewisse Tagesschläfrigkeit, der unruhige Schlaf 
nachts , aus dem das Kind zuweilen mit lautem 
Schrei erschreckt aufwachte , sowie die Lage auf 
dem Bauch mit ausgestrekten Beinen bestimmten 
mich, Bellad. 200 vier Tage lang abends 2 globuli 
zu verordnen. Hinzu kam noch, dass das Kind 
vorher Gesichtserysipel gehabt hatte. Am 3./10. 92. 
meldete ein briefl. Bericht bedeutende Besserung: 
„Er kann schon allein stehen , wenn er fest gehalten 
wird , kann er die Beine umeinand ersetzen“ etc . 

Verordnung: globuli sacchar. Acht Tage darauf 
erhielt ich Nachricht von der vollständigen Wieder¬ 
herstellung. 

von Boenningliausen’s Therapeutisches Taschen¬ 
buch nennt für Bauchlage im Schlaf folgende Mittel: 
Bell, in erster Linie, dann Calc., Coloc., Ignat., 
Puls., Stram,, davon konnte in diesem Fall nur 
Bell, in Frage kommen; Beine ausgestreckt kam 
hier ja weniger in Betracht, obschon auch das Bell, 
hat, freilich Rhus ebenso sehr. 

Assistenzarzt Waszily. 


Heber die physiologische Behand¬ 
lung einiger Hantkrankheiten. 

Von Mariano Semmola, 

Professor der experim. Pharmakologie und klinischen 
Therapie in Neapel. 

(Aus „Internationale klinische Rundschau* 1892.) 

Zwei klinische Thatsachen sind es, die mir seit 
Jahren aufgefallen sind, erstens: das Vorhandensein 
einiger Dermatosen (Ekzem, Psoriasis etc.), die 
während der heissen Jahreszeit merklich besser 
werden und selbst ganz zurückgehen, um dann im 
Herbste beim Eintritte der Kälte wiederzukehren; 
zweitens: die Thatsache, dass in diesen Fällen die 
toxische Medikation entweder nicht im Stande ist, 
eine Heilung des örtlichen Krankheitsprozesses zu 


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veranlassen, oder aber, wenn das unglücklicher Weise 
zutrifit, Störungen in den Funktionen einzelner 
Organe oder in dem Allgemeinzustand auftreten. 

Diese Thatsachen sind gar nicht selten, so dass 
jeder aufmerksame Beobachter einige Beispiele 
constatirt haben muss. 

An der Hand des Empirismus schien einst die 
Erklärung dieser Erscheinungen leicht Heute hin¬ 
gegen findet man es bequemer, die Augen zu 
schliessen und sich so zu stellen, als ob man davon 
nichts merkte. Indess ist es nicht weniger wahr, 
dass diese klinischen Thatsachen in der Natur 
existiren, und der Kliniker kann sie nicht unter¬ 
drücken, um den herrschenden Lehren sich gefällig 
zu zeigen. 

Es ist unbestreitbar, dass bei den immensen 
Fortschritten der pathologischen Histologie die 
Behandlung der Hautkranldieiten in den letzten 
dreissig Jahren grosse Wandlungen durchgemacht 
hat; es ist aber auch unbestreitbar, — wie dies 
übrigenB bei jeder Neuerung zu geschehen pflegt — 
dass die neuen Ideen sich allzu systematisch auf- 
erlegt haben und dass man, indem man tabula rasa 
mit allen aus der traditionellen klinischen Be¬ 
obachtung herrührenden Kenntnissen machte, leicht¬ 
fertig verkündet hat, dass die Hautkrankheiten fast 
immer örtliche Krankheitsprozesse wären und dass 
deren Behandlung auf locale Einwirkungen sich zu 
beschränken hätte, ohne sich um allgemeine ätio¬ 
logische Bedingungen zu kümmern, worauf die Alten 
hingegen den grössten Werth legten. 

Ausgenommen die Hautkrankheiten parasitären 
Ursprungs und jene anderen, deren Zahl übrigens 
nur gering ist und die man idiopathische Derma¬ 
tosen genannt hat, d. i. Krankheiten, die von einem 
direkt auf die Haut einwirkenden schädlichen Agens 
veranlasst werden, habe ich mich auf Grund einer 
langen und vorurtheilslosen klinischen Beobachtung 
überzeugen können, dass es eine grosse Zahl von 
Dermatosen giebt, die ihrem Wesen nach keine 
örtlichen Erkrankungen sind, die vielmehr als eine 
Folge der allgemeinen pathogenetischen Bedingungen 
angesehen werden müssen, deren bevorzugter Sitz 
die Hautoberfläche nur deshalb wird, weil ihr be¬ 
kanntlich die bedeutende physiologische Rolle zufällt, 
Stoffwechselprodukte auszuscheiden, um in jedem 
Organismus das regulatorische Gleichgewicht der 
inneren Funktionen sicherzustellen. 

Wenn man sich an die strenge klinische Be¬ 
obachtung hält, muss man überdies eingestehen, 
dass es bei den sogenannten idiopathischen Derma¬ 
tosen, wenn man auch hier die Existenz einer 
localen, direkt auf die Haut einwirkenden Krank¬ 
heitsursache anerkennt, unzweifelhaft ist, dass, wenn 
die gleiche Ursache in gleichem Masse und zu 
gleicher Zeit auf mehrere Personen wirke, sie häufig 
unschädlich bleibt oder aber nur geringfügige Effecte 


bei denjenigen hervorruft, die sich in Folge ganz 
besonderer allgemein chemisch-biologischer Be¬ 
dingungen gegen ihren Einfluss refraktär zeigen. 

Um die Annahme dieser besonderen chemisch¬ 
biologischen Bedingungen zurückzuweisen, hat man 
darauf hingewiesen, dass dieselben, wissenschaftlich 
gesprochen, undefinirbar und demzufolge unbegreif¬ 
lich sind. Ich will zugeben, dass wir nichts Be¬ 
stimmtes und Wissenschaftliches darüber wissen, 
aber diese Unwissenheit ist an sich kein guter 
Grund, um ohne weiteres eine Dermatose als ört¬ 
lichen Krankheitsprozess aufzufassen und in diesem 
Sinne therapeutisch einzagreifen. 

Ueber denselben Gegenstand habe ich bereits 
vor etwa 10 Jahren (V. „Scuola Med. Napolitana * 
fase. 3, 1883) einen Aufsatz veröffentlicht. Heute 
will ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Thatsachen 
lenken, die sich mir bei der weiteren klinischen 
Beobachtung aufgedrängt haben, indem ich dadurch 
hoffe die Behandlung gewisser Dermatosen auf einen 
besseren und sicheren Weg zu leiten. 

Es würde mich zu weit führen, wollte ich hier 
von dem Einflüsse sprechen, den die Verdauungs- 
Leber- und Nierenfunktionen bei der Bildung und 
Elimination von mehr oder weniger schädlichen 
chemischen Produkten ausüben müssen. 

Bekanntlich sind der Nierenapparat und die 
Haut zwei grosse Wege für die organische Reinigung, 
und es kann daher in einem gewissen Alter zweierlei 
Vorkommen: Entweder werden diese zwei Apparate 
krank in Folge einer übermässig gesteigerten de- 
puratorischen Thätigkeit, falls sie überhaupt den 
erhöhten Forderungen entsprechen können, oder aber 
es erleidet der allgemeine Zustand des Menschen 
eine tiefgreifende Störung in Folge der durch eine 
Verlangsamung der Stoffwechsel Vorgänge ungenügend 
gewordenen Depuration. 

Die Hautthätigkeit spielt unzweifelhaft eine be¬ 
deutende Rolle, und mit Recht hat man die Haut 
eine grosse Sicherheitsklappe für die Erhaltung 
einer guten Gesundheit genannt. Leider kennen 
wir auch heute noch nur sehr unvollkommen die 
eigentlichen Funktionen der Haut, insbesondere in 
ihren Beziehungen zu den Assimilationsvorgängen. 
Claude -Bernard pflegte dies oft zu sagen, und seit 
jener Epoche hat die Physiologie der Haut keine 
grossen Fortschritte gemacht. 

Von der grossen Rolle, welche den Haut¬ 
funktionen bei der Wärmeregelung zukommt, ganz 
abgesehen, wissen wir recht wohl, dass diese Funk¬ 
tionen sowohl mit Bezug auf die Respiration als 
auch bezüglich der Ausscheidung von Stoffwechsel¬ 
produkten zur Erhaltung des Lebens und der Ge¬ 
sundheit unerlässlich sind. 

Eine lange Reihe von Thatsachen, die für die 
Wahrheit des hier ausgesprochenen Prinzips sprechen, 
breitet sich vor den Augen des Praktikers aus, 


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angefangen von dem Ekzema sudorale, welches oft 
in der Sommerszeit in Folge profuser Schweisse 
auftritt, bis zu den verschiedenen Hautausschlägen, 
welche bedingt werden durch die Elimination ver¬ 
schiedener Arzneistoffe und mancher Toxine, die 
entweder im Verdauungskanal oder aber in Folge 
eines krankhaften Zustandes sich bilden. 

Ich sehe nun keinen Unterschied zwischen dem 
pathogenetischen Mechanismus dieser mehr oder 
weniger rasch vorübergehenden Dermatosen und 
demjenigen anderer andauernden Hautkrankheiten, 
die bei gewissen Personen auftreten, wenn die 
physiologischen Hautfunktionen nicht hinreichen, 
um in einer unschädlichen Weise die morbiden 
Produkte auszuscheiden, die sich in einer gestörten 
Lebensökonomie gebildet haben. Und dennoch ist 
diese Ausscheidung unerlässlich zur Erhaltung des 
Gesundheitsgleichgewichtes. 

Wir wissen, dass eine Beeinträchtigung oder 
gar eine Unterdrückung dieser Funktionen Störungen 
oder mehr oder weniger schwere Krankheiten hervor- 
rufen; in Wirklichkeit wissen wir aber nichts über 
den Mechanismus, durch welchen eine solche Störung 
zu Stande kommt. 

Sicher ist es, dass in jenen Organismen, in 
welchen die biochemischen Vorgänge verlangsamt 
sind, sei es durch eine zu reichliche Nahrungs¬ 
zufuhr, sei es in Folge der Lebensweise, sei es 
durch eine andere Ursache, eine ganze Reihe von 
Substanzen sich bilden müssen (noch unbestimmte 
Fettsäuren, flüchtige Toxine etc.), die ausgeschieden 
werden müssen und die eben auf Grund ihrer 
physikalisch-chemischen Konstitution hauptsächlich 
durch die Haut nach aussen gelangen. 

Solange die Hautoberfläche unter dem Einflüsse 
reichlicher Schweissbildung dieser ihrer Rolle genügt, 
erfährt sie keinen merklichen Schaden, sei es weil 
ihre depuratorische Thätigkeit einen mehr physio¬ 
logischen Typus annimmt, sei es weil ein profuser 
Schweiss alle diese Ausscheidungsprodukte verdünnt 
und dadurch unschädlich macht. Sobald aber die 
vermehrte Schweisssekretion aufhört, wie dies eben 
während der kalten Jahreszeit geschieht, dann ist 
es klar, dass die reinigende Thätigkeit der Haut 
unter einer verschiedenen chemischen und weit mehr 
concentrirten Form sich vollziehen muss; und sie 
kann so einen irritativen Prozess her vorrufen, welcher, 
wenn er lange dauert, die wahre Ursache aller 
iener chronischen Dermatosen ist, die gegen Ende 
des Herbstes und während der Winterszeit auftreten 
und für gewöhnlich während des Sommers ver¬ 
schwinden. Es ereignet sich für die Haut dasselbe, 
was für die Nieren geschieht gegenüber der Aus¬ 
scheidung von Harnsäure oder anderen Prinzipien 
mit Bezug auf ihre Verdünnung durch eine mehr 
oder weniger grosse Menge Wasser. 

In den oben erwähnten Momenten muss die 


Erklärung einer seit den ältesten Zeiten wohl be¬ 
kannten Thatsache gesucht werden, d. i. der Noth- 
wendigkeit einer guten Hauthygiene als einer un¬ 
erlässlichen Bedingung zur Erhaltung der Gesund¬ 
heit. So sind der Schmutz, impermeable Kleidungs¬ 
stücke etc. sehr mächtige pathogene Ursachen, eben 
weil sie die Haut in die Unmöglichkeit versetzen, 
gut zu funktioniren. Wir zweifeln auch nicht im 
Geringsten über den schädlichen Einfluss, den in 
gewissen Fällen die wiederholte Applikation einer 
Arzneisalbe (Zinkoxydsalbe etc.) ausüben kann, denn 
sie muss dieselben störenden Wirkungen hervor- 
rufen, wie der Schmutz. 

Gestützt auf diese Anschauungsweise, bin ich 
seit mehreren Jahren zu einer Therapie gedrängt 
worden, die ich die physiologische Behandlung 
der genannten Art von Dermatosen (Ekzem, Psoriasis) 
nenne. Ich unterwerfe die Kranken gleich zu Be¬ 
ginn des Herbstes der Einwirkung von warmen 
Bädern (30—35 Grad), jedesmal für die Dauer von 
zwei bis drei Stunden. 

Nachdem ich ca. vier Wochen lang diese tägliche 
Bäderbehandlung durchgeführt, und wofern ich be¬ 
merke, dass die Hautfunktion hinreichend thätig 
ist. beginne ich mit der Hydrotherapie unter der 
Form von schottischen Douchen, welche Behand¬ 
lung ich während des ganzen Winters fortsetzen 
lasse. Bestimmte allgemeine Regeln lassen sich bei 
der Anwendung dieses Behandlungsverfahrens natür¬ 
lich nicht aufstellen, Alles bleibt dem Ermessen und 
dem klinischen Bewusstsein des behandelnden Arztes 
anheimgestellt. Der Hauptzweck ist der, die Haut¬ 
funktionen trotz der kühlen oder selbst kalten 
Jahreszeit in lebhaftester Thätigkeit zu erhalten. 

Von den zahlreichen Fällen, die ich bisher nach 
meiner Methode behandelt habe, will ich hier nur 
über einen, der mir am Bemerkenswerthesten er¬ 
scheint, näher berichten. 

Es handelt sich um einen 46jährigen Mann, der. 
von gichtischen Eltern stammend, von Zeit zu Zeit 
von typischen Gichtanfällen an den Füssen heim¬ 
gesucht wurde. Seit sieben Jahren traten die An¬ 
fälle viel seltener auf, dafür begann Patient während 
dieser Zeit, in den Wintermonaten an allgemeinen 
ekzematösen Formen zu leiden. Beim Eintritt der 
warmen Jahreszeit, gegen Ende Mai, verschwand 
das Ekzem, wobei der Kranke profusen Schweiss 
von sehr scharfem Geruch bekam. Zu dieser Zeit 
befand sich der Kranke gut. Im Herbst jedoch 
trat mit der verminderten Schweisssekretion die 
Dermatose von neuem auf. 

Alle örtlich angewendeten Mittel blieben stets 
ohne Erfolg, und im Winter 1888—89 erkrankte 
Patient an einem heftigen Bronchialkatarrh, der zu 
einer wahren Bronchorrhoö sich steigerte. Als 
Patient zu dieser Zeit zu mir kam, es war im 
Februar 1889, empfahl ich ihm einstweilen den 


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801 


Aufenthalt in einem massigen Klima, ein vorwiegend 
vegetabilisches Regime and eine Milchkur. Natür¬ 
lich rieth ich von der weiteren Applikation von 
Salben entschieden ab, die übrigens der Kranke 
selbst verabscheute, da er ihnen die Verschlimmerung 
seiner Bronchitis zuscbrieb. 

Mit Eintritt der warmen Jahreszeit besserte sich, 
wie alljährlich, der Zustand des Patienten. Das 
Ekzem ging aümählig zurück, die Bronchorrhoö 
verminderte sich in beträchtlicher Weise, es blieb 
nur noch eine leichte Bronchitis zurück. 

Ende August nun verordnete ich dem Kranken 
zunächst Thermalbäder, dann schottische Douchen 
und häufige Muskelbewegung. Das Resultat dieser 
Behandlung war ein auffallendes. Im darauffolgenden 
Winter erlitt die Gesundheit des Patienten nicht 
jene Störungen, die in den früheren Jahren regel¬ 
mässig während der Winterszeit sich einstellten. 
Bei Fortsetzung der erwähnten Behandlung dauert 
das erzielte Heilresultat seit zwei Jahren an. Hoffent¬ 
lich ist die Heilung eine endgültige. Bemerken 
muss ich, dass einige Male, in den kältesten Winter¬ 
tagen, arthritische Anfälle den Kranken bedrohten; 
ich liess jedoch in diesem Falle jedes Mal die An¬ 
wendung der schottischen Douche unterbrechen und 
an ihre Stelle Dampfbäder, manchmal auch nur 
trockene warme Luft, an wenden. 

Durch eine beträchtliche und künstlich hervor¬ 
gerufene Transpiration wurde also das Gleichgewicht 
im Organismus des Kranken wiederhergestellt. Die 
arthritischen Schmerzen hörten auf, und der Kranke 
konnte die übliche Behandlung der schottischen 
Douchen und der Muskelübung wieder aufnehmen. 

Ich muss noch hinzufügen, dass ich, um die 
Resultate der hier erwähnten physiologischen Be¬ 
handlung noch zu begünstigen, die Diät des Kranken 
modificire: ich verordne viel Milch und gestatte 
eine stickstoffreiche Kost (Fleisch, Eier) nur in 
geringem Masse. Alle Nahrungsmittel, die zu einer 
reichlichen Bildung von Toxinen in dem Verdauungs¬ 
kanal Anlass geben können oder die nur schwer 
verdaulich sind, sollten ganz untersagt werden. 

Gleichzeitig verbinde ich mit der äusseren eine 
innere Behandlung, die geeignet erscheint, die Stoff- 
wechselthätigkeit und die Ausscheidung von Pro¬ 
dukten einer unvollständigen und daher schädlichen 
Oxydation durch die natürlichen Emunctorien zu 
fördern. Bei skrophulösen Kranken wende ich das 
Jodnatrium in starken Dosen an und bei den an 
Gicht oder Rheumatismus leidenden Personen gebe 
ich alkalischen mit Natriumcarbonat und Natrium- 
phospbat zubereiteten Getränken den Vorzug. 

Wir glaubten, diesen Aufsatz des berühmten 
und selbstständig forschenden italienischen Klinikers 
unverkürzt wiedergeben zu sollen, da er in sehr 
bemerkepswerther Weise in Bezug auf Entstehung 


und Behandlung von zahlreichen hartnäckigen Haut¬ 
krankheiten mit uns Homöopathen ganz im Ein¬ 
verständnis sich befindet Es wäre sehr zu wünschen, 
dass auch für manche andere Krankheit, die bisher 
nur local behandelt wurde (z. B. Struma), solche 
Ansichten zum Besten der Patienten sich verbreiteten. 

D r. G ö h r u m. 

Referate. 

Kali phosphoricum 

ist nach den Erfahrungen von Dr. Nottingham sehr 
hülfreich hei Nervosität in Folge von geschlecht¬ 
licher Aufregung, gleichviel ob dieselbe unterdrückt 
oder befriedigt wurde. Auch Fälle von nächtlichen 
Pollutionen und Impotenz atis obiger Ursache wurden 
mit diesem Mittel geheilt. In vielen Fällen sind 
Kreuz-, Rücken-, Nacken* oder Kopfschmerzen zu¬ 
gegen nebst allgemeiner Irritabilität, grosse Hoffnungs¬ 
losigkeit, häufiger Drang zum Harnen mit Abgang 
grosser Quantitäten von Harn Tag und Nacht und 
besonders früh Morgens, wobei sich Phosphatnieder¬ 
schläge im Harne bilden. In allen derartigen Fällen 
wird die Irritabilität durch dieses Mittel schnell 
gebessert. 

(Aus dem Hom. Recorder vom 15. Sept. 1892.) 

Mrs. C. sagt, dass wenn sie einen heftigen 
Schmerz im Nacken habe und so nervös sei, dass 
Niemand mit ihr reden dürfe und dass sie nicht 
stille liegen und nicht schlafen könne, so habe ein 
Pulver Kali phosph. in wenigen Minuten dieselbe 
Wirkung, als hätte sie Morphium genommen, sie 
werde schläfrig und die Wirkung halte einen Tag 
und eine Nacht an. Ibid. 

Ferrum phosphoricum 

hat bereits auch bei den sogen, eklectischen Aerzten 
Nordamerikas Eingang gefunden wie die folgenden 
von Dr. J. Ferris in einem eklectischen Journal 
veröffentlichten Heilungsgeschichten beweisen: 

Herr L. 50 J. alt ein Veteran aus dem letzten 
Kriege, litt an heftiger akuter Laryngitis zugleich 
mit exsudativer Tonsillitis. Die Stimme war rauh 
und heiser mit schmerzhaftem Reizhusten, mit 
trockenem beinahe croupartigem Husten. Larynx 
und Trachea sehr schmerzhaft mit Gefühl von grosser 
Spannung im obern Theile der Brust. Die Ton¬ 
sillen waren nicht schmerzhaft, obschon dieselben 
dunkelroth und sehr geschwollen waren, und mit 
exsudativer Masse durchsetzt, die mehr wie Eiter 
aussah als wie diphtheritisches Exsudat. Ich habe 
nöch nie einen Hals gesehen, der so übel aussah, 
und doch erklärte der Kranke, sein Hals schmerze 
ihn gar nicht. * 

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202 


Puls 100. Temperatur 102^2 F. 

Ich löste Ferr. phosph. 3. Dez. Verr. ca. 1 gr 
in J /2 Glase Wasser und liess 1 stündlich 1 Thee- 
löffel nehmen. In 24 Stunden war das Fieber be¬ 
seitigt und Patient fühlte sich wohler. In 2 Tagen 
waren die Mandeln sauber, sahen aber aus wie 
Honigwaben. Der Husten war lose und schmerz¬ 
los, und viel seltener. 

Nach 4 Tagen (vom Beginne der Behandlung 
an gerechnet) war Patient so weit hergestellt, dass 
er seine Geschäfte wieder besorgen konnte. 

Frau D., 40 J., von hellem Teint und ziemlich 
fett, litt an Laryngitis, konnte nur flüsternd reden. 
Husten trocken, kratzend und sehr schmerzhaft, und 
sehr häufig mit Schmerz vom Larynx bis in die 
Trachea hinab verbunden, zugleich Schmerzen 
im Kopfe, im Rücken und in den Gliedern und 
Frostigkeit. 

Puls 100. Temperatur 100 F. 

Behandlung wie oben mit baldiger Besserung. 
Schon nach 24 Standen war die Stimme wieder- 
gekehrt und in ca. 3 Tagen war die Krankheit ge¬ 
hoben. 

Ein sehr schlimmer Fall von Pneumonie, wo 
der Schmerz und die Athemnoth sich bis zur Agonie 
gesteigert, und wo während mehrerer Tage alle 
angewandten Mittel keine Besserung bewirkt hatten, 
besserte sich nach wenigen Stunden durch Ferr.phosph. 
In diesem Falle war die linke Lunge vollkommen 
hepatisirt mitsammt dem unteren Lappen der rechten 
Lunge, mit grosser Neigung auch der rechten Lunge 
zur Hepatisation. Der Puls war klein und schwach 
und ungeheuer schnell, die Temperatur 103—104 F. 
Auf Ferr. phosph. liess das Fieber nach, der Puls 
wurde kräftiger und gleichmässiger in wenigen Tagen. 
Es trat Eiterung ein und der Kranke entleerte un¬ 
geheure Massen von Eiter und Schleim. Die Krank¬ 
heit dauerte 11 Wochen. Der Kranke, welcher 
28. J. alt und von kräftiger Constitution war, er¬ 
holte sich vollständig und befindet sich jetzt allem 
Anscheine nach ganz gesund. Wäre das Mittel 
gleich Anfangs gegeben worden, so glaube ich, hätte 
die Krankheit gehoben werden können, ehe es zur 
Eiterung kam. 

Aus dem Hom. Recorder vom 15. Sept. 1892. 

Jodtinetur ein sicheres Antidot gegen das 
Sohlangengift 

Dr. E. F. Brown der früher in Michigan und 
jetzt in Florida practizirt, hat im Homöop. Recorder 
seine Erfahrungen in Bezug auf die Heilwirkung 
der Jodtinetur bei Schlangenbiss veröffentlicht. Da 
dieselben von grossem practischem Interesse sind, 
so wollen wir dieselben unverkürzt wiedergeben. ’ 

Dr. B. erzählt, dass er im Anfänge seiner Praxis 
im Staate Michigan einen Fall erlebt habe, wo ein 


15jähriger Knabe von einer Klapperschlange ge¬ 
bissen, Monate lang sich nicht erholen konnte unter 
allöopath. Behandlung und schliesslich habe der 
Doctor noch grossen Ruhm geerntet, dass er ihn 
durchgebracht habe. Dr. B. wurde durch diesen 
Fall veranlasst, über die Behandlung des Schlangen¬ 
bisses nachzulesen und nachzudenken, aber er habe 
sehr wenig Zuverlässiges gefunden. Zufällig sei 
ihm aber zu dieser Zeit eine Zeitungsnotiz zu Ge¬ 
sicht gekommen, in welcher angegeben war, dass 
irgendwo ein Doctor in der Jodtinetur ein sicheres 
Gegenmittel gegen den Biss der Klapperschlange 
entdeckt habe; diese Notiz habe er sich gemerkt, 
obschon über Gabe und Anwendungsweise nichts 
angegeben war, denn Klapperschlangen kamen in 
der Gegend wo Dr. B. wohnte häufig vor. 

Nicht gar lange nach dieser Zeit, so erzählt Dr. 
B., wurde ein Mädchen von ca. 4 Jahren, welches 
vor einigen Stunden von einer Klapperschlange 
gebissen worden war, von ihren Eltern in meine 
Sprechstunde gebracht. Der Biss hatte wie ge¬ 
wöhnlich in der Gegend des Knöchels stattgefunden, 
das Glied war geschwollen und sehr schmerzhaft. 

Das war der erste Fall von Schlangenbiss, den 
ich zu behandeln hatte, und die Eltern waren in 
grosser Sorge um das Leben ihres Kindes und ich 
auch. Ich holte mir beim Apotheker I Unze ent¬ 
färbte Jodtinetur und badete das geschwollene Glied 
in Wasser, welchem ich einige Tropfen Jodtinetur 
beigefügt hatte. Zugleich gab ich den Eltern ein 
Fläschchen mit verdünnter Jodtinetur 1 Tropfen 
auf je 1 Theelöffel Wasser, mit dem Befehl, alle 
1/4 Stunden 1 Theelöffel voll zu geben, eine Stunde 
lang, dann aber das Mittel immer seltener zu geben 
und am andern Morgen Bericht zu erstatten. Der 
Vater berichtete am andern Morgen, das Kind sei 
ganz munter und spiele wieder und der Fass sei 
nur noch wenig geschwollen. Ich war, wie be¬ 
greiflich, freudig überrascht von diesem Berichte, 
und in der That habe ich von da an alle von 
Schlangen Gebissene, so weit mir bekannt, zu be¬ 
handeln bekommen, so lange ich in der Gegend 
practizirte. Einige Zeit nachher wurde ich in aller 
Eile zu einem ca. 8 jährigen Knaben gerufen, der 
soeben von einer Klapperschlange in den linken 
Fus8 gebissen worden war. Ich behandelte den¬ 
selben ganz so wie oben angegeben und mit dem¬ 
selben Erfolge, denn der eine Besuch genügte zur 
vollständigen Heilung des Knaben. Der dritte Fall 
war weit ernsterer Art und deshalb auch viel be¬ 
weisender für die Heilkraft der Jodtinetur. 

Eine Frau, welche 6 Meilen von meinem Wohn¬ 
sitze entfernt wohnte, war am Morgen von einer 
grossen Klapperschlange gebissen worden. Die 
Wunde wurde sofort cauterisirt und die Dame 
wurde im Whiskey-Dusel erhalten, so vergingen 
12 Stunden, bevor ich hinkommen konnte. Ich fand 


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die Frau in einem Starrfroste, den Körper voller 
Flecken, der Hals war geschwollen und das Schlingen 
sehr erschwert, alle Zeichen drohenden Collapses. 
Da die äussere Anwendung der Jodtinctur unnütz 
erschien, so gab ich alle 5 Minuten einen Tropfen 
Jodtinctur eine Stunde lang, dann alle 15 und später 
nur alle 60 Minuten bis zum andern Morgen. Schon 
nach einer Stunde wurde die Frau ruhig und schmerz¬ 
los und am andern Morgen, 24 Stunden nach dem 
Bisse, war sie wieder im Stande, aufzustehen und 
das Frühstück zuzurüsten für ihre Leute und für 
die Doctoren, die bei ihr gewacht batten. Ich habe 
noch mehrere Fälle von Schlangenbiss in Michigan 
behandelt, und niemals war ein zweiter Besuch 
nöthig gewesen. 

Seit ich nach Florida übergesiedelt bin, habe 
ich auch den Biss einer kleinern Art der Klapper¬ 
schlange („ground rattler") behandelt. Dieser Biss 
ist sehr schmerzhaft und der gebissene Theil schwillt 
sehr stark, die Wunde nimmt gewöhnlich ein 
übles Aussehen an und heilt sehr schwer. Der 
erste Fall dieser Art betraf einen jungen Menschen, 
der beim Pflügen iu den Knöchel gebissen worden 
war. 

Ich sah den Kranken erst 5 Stunden, nachdem 
der Biss statt gefunden. Das Glied war sehr ge¬ 
schwollen und Patient litt grosse Schmerzen. Ich 
gab ihm Jod in Tropfendosen, ohne das Mittel 
äusserlich anzuwendon. Am andern Tage pflügte 
er wieder als ob nichts vorgefallen wäre. Wir haben 
auch sehr grosse Klapperschlangen hier, die oft 
6 Fuss lang werden und einen Fuss im Umfang 
messen, und deren Biss sehr gefährlich ist. 

Ich habe niemals Gelegenheit gehabt, einen 
Menschen zu behandeln, der von einer solchen 
Schlange gebissen wurde, wohl aber habe ich meine 
Behandlung an einem Hunde und an einer Kuh 
erprobt, die von einer solchen Schlange gebissen 
worden waren. Die Kuh war sehr geschwollen und 
konnte nicht aufstehen, als man sie fand. Ich Hess 
ihr Jod geben in Gaben von 5—6 Tropfen und 
sie erholte sich schnell und vollständig. Der Hund 
war von einer riesigen Klapperschlange in die 
Schnauze gebissen worden. 

Ich sah denselben etwa eine Stunde nach dem 
Bisse, der Hund lag bewusstlos da und sein Herr 
meinte er, sei am Sterben. Ich öffnete den Mund 
des Hundes und tropfte ihm einige Tropfen Jod¬ 
tinctur auf die Zunge und wiederholte diese Procedur 
nach einigen Minuten. Gleich darauf versuchte der 
Hund aufzustehen. Ich liess darauf das Mittel alle 
'/2 Stunden wiederholen, und nach 6 Stunden war 
der Hund, hergestellt Es giebt in unserer Gegend 
auch eine kurze, dicke Schlange von bräunlicher 
Farbe, welche in den Sümpfen und Niederungen 
sich aufhält und fast oder ganz ebenso giftig ist 
wie die Klapperschlange. Es ist dies die sogen. 


Mocassin-Schlange. Ich habe einen Fall von Schlangen¬ 
biss dieser Art behandelt bei einem ca. 10jährigen 
Mädchen, welches beim Spielen in der Nähe eines 
Sumpfes gebissen worden war. Ich fand das Kind 
in grossen Schmerzen daliegend und die Eltern in 
grosser Besorgniss, da eine Cousine des Mädchens 
ein Jahr früher von einer gleichen 8chlange gebissen 
worden und gestorben war, trotz aller ärztlichen Be¬ 
mühungen, sie zu retten. Ibh behandelte das Kind 
ganz in der gleichen Weise, wie ich den Biss der 
Klapperschlange behandelt habe und mit demselben 
Erfolge, denn am nächsten Tage war das Mädchen 
wieder auf den Beinen, als ob nichts passirt wäre. 

Aus dem Hom. Recorder vom 15. Sept. 1892. 

Dr. Th. Bruckner. 


Die Mundseuche des Menschen (Stomatitis epide¬ 
mica ), deren Identität mit der Maul- und Klauen¬ 
seuche der Hausthiere und beider Krankheiten ge¬ 
meinsamer Erreger. Von Dr. Siegel, prakt. Arzt 
in Britz bei Berlin. (Deutsche Med. Wochenschr. 
1891. No. 49.) 

Verf. beschreibt unter obigem Titel eine von 
ihm von Herbst 1888 bis Mitte des Jahres 1891 
beobachtete Epidemie in Britz und dem damit ver¬ 
wachsenen Theil des Vorortes Hixdorf, der ausser¬ 
halb der Ringbahn gelegen ist. Dies Gebiet, von 
etwa 9000 Einwohnern bewohnt, entbehrt der Canali- 
sation und Wasserleitung, so dass die Bevölkerung 
auf das Grundwasser als Trinkwasser angewiesen 
ist. Ausserdem hat Britz wohl von sämmtlichen 
Vororten Berlins den grössten Rindviehbestand. 

Den Verlauf schildert Verf. folgen dermassen: die 
Incubation dauert 8—10 Tage, wie in 2 Fällen bei 
aus gesunden, von auswärts in durchseuchte Häuser 
zugezogenen Familien festgestellt werden konnte. 

Nach Verlauf dieser Zeit treten mit mehr oder 
weniger heftigem Schüttelfrost die Prodromi auf, 
die in Kreuzschmerzen, allgemeinem Unbehagen, 
Schwindelanfällen, selbst epileptischen Krämpfen 
bestehen; dazu häufig Brechneigung, Schmerzhaftig¬ 
keit in der Leber- und Magengegend, gewöhnlich 
auch hartnäckige Leibesverstopfung und Schwere, 
auch Parästhesie in den unteren Extremitäten. Das 
Fieber ist im allgemeinen nur leicht, steigt selten 
über 39,5. In diesem Stadium bemerkt man häufig 
Rachenkatarrhe und Heiserkeit. Der Gesichts- 
ausdruck bat meist ein eigenthümliches Aussehen: 
die Augen sind mit gelbbläulichen Rändern um¬ 
geben, die Gesichtsfarbe ist graugelb und trocken; 
häufig Ikterus. Dabei gehen die meisten Patienten 
noch ihrer Arbeit nach. 

Nach 3—8 Tagen tritt die charaeteristische 
Entzündung der Mundschleimhaut auf: öde- 
matöse Anschwellung der Zunge (Zahneindrücke), 
Zungenbelag gelblich, sogar häufig tiefschwarz 

26 * 


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204 


und festanhaftend, Zahnfleisch geschwollen, besonders 
die Zipfel zwischen den Zähnen, rothbläulich; mehr 
oder minder auffälliger Foetor ex ore. Die Zähne 
werden lose und fassen leicht die geschwellte 
Schleimhaut der Wangen, was zu Verletzungen 
führt. Die Kieferknochen, besonders des Unter¬ 
kiefers, schwellen stark an und schmerzen; die 
untere Gesichtspartie erscheint wie gedunsen. Häufig 
kommt dazu schon jetzt heftiges Ohrenstechen, so¬ 
wie eigentümliche Spannung im Masseter und 
Kiefergelenk, besonders beim Essen. Dazu erscheinen 
meist kleine Bläschen am Zungenrande und an den 
Lippen, besonders an den Mundwinkeln; sie platzen 
bald und hinterlassen nach Erguss einer klaren, 
durchsichtigen Flüssigkeit seichte Geschwüre von 
der Grösse eines Stecknadelkopfes bis zu der eines 
5 Pfennigstückes. Mit dem Ausbruch der Mund¬ 
entzündung geht in den meisten Fällen, besonders 
bei Frauen und Kindern, das Erscheinen eines meist 
auf die Unterschenkel und Unterarme beschränkten 
Exanthems einher, bald als Petechien, bald als Bläs¬ 
chen mit Serum oder blutigem Inhalt; wenn hie 
und da auf den ganzen Körper ausgedehnt (bei 
Kindern), wird es von Laien mit Masern verwechselt. 
Oft sind diese Symptome auf eine Körperhälfte be¬ 
schränkt sowohl im Gesicht und Mund, wie auch 
an den Extremitäten. Mit dem Auftreten des Aus¬ 
schlages, der bei leichten Fällen auch fehlen kann, 
verschwindet gewöhnlich das Fieber, der Appetit 
kehrt zurück; die Erscheinungen im Munde bilden 
sich bei richtiger Behandlung in 1 bis 2 Wochen 
zurück; ein allgemeines Gefühl von Schwäche und 
rheumatoide Gliederschmerzen verlieren sich ge¬ 
wöhnlich erst nach 4 bis 8 Wochen. 

Bei etwa dem vierten Theil der Gesainmtkranken 
kommen von Seiten sämmtlicher Organe die schwersten 
Complicationen vor, die zum Theil einen sehr 
bösartigen Verlauf bedingen. Häufig ist auch die 
Dauer eine sehr lange unter Wiederholung der 
Symptome bis zu 1 —Vfa Jahren. 

Hervorzuheben sind noch die oft excessive An¬ 
schwellung der Zunge (in 1 Fall fiel ein 2 Cm. vor 
die Schneidezähne hervorragender Theil gangränös 
ab), faulige, stinkende Geschwüre am Zahnfleisch, 
das oft die Kronen der Zähne überwucherte und 
nachher so schrumpfte, dass die Zähne bis auf die 
8 pitze der Wurzel entblösst waren und das Kauen 
wegen deren Lockerkeit unmöglich wurde. Ferner 
Blutungen aus dem geschwollenen Zahnfleisch und 
den übrigen Theilen der entzündeten Mundschleim¬ 
haut, aus der Nase, wo die Schleimhaut oft ebenso 
wie im Munde afficirt war. Sehr häufig waren be¬ 
sonders in der heissen Jahreszeit Magen- und Darm¬ 
blutungen. In der kälteren Jahreszeit traten mehr 
katarrhalische Pneumonieen hinzu. 

Die Speicheldrüsen waren in den meisten Fällen 
betheiligt, oft kam es zu heftiger Salivation. Auch 


setzte sich die Geschwürsbildung häufig auf die 
Speiseröhre fort, sodass das Schlucken unmöglich 
wurde und nach Abheilung der Geschwüre Ver¬ 
engerungen noch nach Monaten zurückblieben. 

Eines der constantesten und characteristischsten 
Symptome ist die Leberschwellung, häufig durch 
Percussion direkt nachweisbar, jedesmal aber durch 
heftige Schmerzen, genau den Lebergrenzen ent¬ 
sprechend, bemerkbar. 

Die Kreuzschmerzen glaubt Verfasser nach den 
Sektionsbefunden als Folge von Nierenschwellung 
deuten zu können. Von Seiten der Milz konnte 
er niemals etwas Abnormes entdecken. 

Die verschiedenen Formen der Hauterkrankungen 
waren: Blutungen in allen Erscheinungsformen von 
Petechien und leichten Purpuraformen bis zu faust- 
grossen subentanen Blutungen, besonders am Knie 
und Ellbogengelenk; nicht selten Blasenbildung wie 
Pemphigus, besonders an Fuss- und Handtellern; 
einige Male waren die sämmtlichen Nagelglieder 
der Hände mit Bläschen und Panaritium ähnlichen 
Abscessen bedeckt, die die Nägel zum Theil ab- 
stiessen. In einigen tötlich verlaufenden Fällen 
bedeckte der Bläschenausschlag den ganzen Rumpf, 
erst serumhaltig, dann eitrig. 

Besonders in den schwereren Fällen waren ausser 
den prodromalen Schwindel- und Krampfanfällen zu 
beobachten: halbseitige, mehrere Tage dauernde 
Lähmungen sowohl des Gesichts, wie einer ganzen 
Körperhälfte, sowie alle Uebergangsformen von 
leichter Genicksteifigkeit bis zu schwerstem Tetanus 
mit tödlichem Ausgange. 

Ausserdem wurde noch beobachtet: einige Male 
Orchitis. Fast in jedem Falle blieb bei den Frauen 
die Menstruation aus. Schwangere abortirten häufig. 
Albuminurie fand Verf. nur 2 mal trotz sehr zahl¬ 
reicher Urinuntersuchungen. Das Blut zeigte Zu¬ 
nahme der weissen Blutkörperchen. Als Nachkrank¬ 
heit blieb oft langdauernde Kachexie, die Öfters 
zum Tode führte. 

Direkte Contagiosität konnte in 2 Fällen sehr 
deutlich constatirt werden. 

Vom März bis September 1889 konnte Verf. 
300 Fälle notiren; im allgemeinen glaubt er be¬ 
stimmt behaupten zu können, dass bis zum Juli 1891 
zwei Drittel der Bevölkerung erkrankt waren. In 
Britz waren im Jahre 1889 von 195 Todtenll an 
der Mundseuche gestorben, im Jahre 1890 von 
170Todten 21 und im Jahre 1891 bis zum Juli 4. 
Es war in dieser Zeit eine Gesammtmortalität von 
etwa 3°/o, von denen etwa der zwölfte Theil an 
der Mundseuche verstorben ist Unter obigen 
36 Verstorbenen waren 15 Kinder und 21 Er¬ 
wachsene, von letzteren 6 Frauen und 15 Männer. 

Als Erreger der Krankheit sieht Verf. ein etwa 
0,5 mm langes, sehr zartes Bakterium von ovoider 
Gestalt an, das in sämmtlichen Leichen in den 


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m 


inneren Organen, besonders in Leber und Nieren 
gefunden wurde. Die bakteriologischen Versuche 
will ich nicht des Weiteren anführen, sondern nur 
kurz erwähnen, dass Verf. mit diesem Bakterium 
bei Schweinen und Kälbern die bekannte Maul- und 
Klauenseuche experimentell erzeugen konnte. Da 
nun zu derselben Zeit in der Gegend, speciell in 
Britz eine besonders starke Epidemie dieser Krank¬ 
heit beim Vieh beobachtet wurde, so nahm er eine 
direkte primäre Ansteckung des Menschen von 
Seiten des kranken Viehes an. Dem widersprach 
aber die Thatsacbe, dass die mit Vieh in Berührung 
kommenden Personen am leichtesten, oft nur mit 
localer Blasenbildung z. B. an der Hand vom Melken, 
oder in Mund- oder Nasenhöhle von ausgehustetem 
Speichel erkrankten. Diese Thatsache entspricht 
auch den Erfahrungen besonders der Veterinär- 
medicin. 

Verf. glaubt also, dass das Verhältnis zwischen 
dem Bakterium der Mundseuche und dem der Maul¬ 
und Klauenseuche ein ähnliches sei wie zwischen 
Variola- und Vaccineerreger, dass die Form beim 
Thiere eine abgeschwächte von der beim Menschen sei. 

Leider erwähnt Verf. nirgends die von ihm ein¬ 
geschlagene Therapie, nur an einer Stelle spricht 
er von „richtiger* Behandlung der Mundaffection, 
also meint er wohl eine locale. Ich bin überzeugt, 
dass bei einer specifischen, nach Hahnemann'schen 
Regeln eingeleiteten Therapie, natürlich unter Be¬ 
rücksichtigung localer Linderungsmittel, der Ver¬ 
lauf, der ein sehr protrahirter (3—8 Tage -(- 
1—2 Wochen -f- 4 — 8 Wochen) gewesen zu sein 
schien, wesentlich erleichtert und abgekürzt werden 
könnte. Göhrum. 


Lesefriichtet 

Dass kleine Mengen oft noch Vergiftungs¬ 
erscheinungen — selbst bei äusserlicher Application 
— hervorrufen können, ist aus folgender Notiz zu 
ersehen: 

L. Kessler theilt einen Fall von schwerem acutem 
fodismus mit, welcher bei einer Dame auftrat, der 
1 Theelöffel Jodkaliumglycerin (Kal. jodat. 1, 
Glycerin, puriss. 2) mit nachfolgendem Tampon 
durch das Speculum in die Vagina gegossen worden 
war. (St. Petersburger rnedic. Wochenschrift. Central¬ 
blatt für klinische Medicin 1892. No. 13.) 

Interessant ist ein Fall von saturniner Hem ichöre a, 
beobachtet von Girat, den ein an Bleivergiftung 
(habituelle Obstipation, Zahnfleischverfärbung, Blei¬ 
kolik) leidender Maler bot. Mitten in der Nacht 
plötzlich Ameisenkriechen und Krämpfe im rechten 


Bein und Arm; keine Bewusstseinstrübung, kein 
Fieber, keine Lähmung. Am folgenden Tage fort¬ 
während klonische Krämpfe und Bleikolik mit krampf¬ 
hafter Contraction der rechtsseitigen Bauchmuskeln. 
Bei entsprechender Therapie in einigen Tagen Er¬ 
holung. (Med. News. — Fortschritte der Medicin 
1892. No. 6.) 

Schwerer Fall von Jodoformvergiftung, an sich 
selbst beobachtet, von Dr. P. Näcke (Hubertusburg), 
der bei einem allgemeinen, besonders den Ober¬ 
schenkel betreffenden Ekzem, sich zuerst 5 Gr. des 
Mittels pur, darauf ebensoviel mit Amylum aa auf 
die afficirten Partieen gestreut, im Ganzen also 
8 —10 Gr. angewandt hatte. 10 Tage später urplötz¬ 
lich tiefe Bewusstseinstörung, welche 4 Tage anhielt; 
Schwinden fast aller Erinnerungsbilder und aller 
Vorstellungen, Erinnerung an eben Gesagtes oder 
Gethanes ebenfalls aufgehoben, Wort-Erinnerungs¬ 
bilder verschwunden, melancholische Depression 
(nie Hallucinationen), bald heftiges Weinen ohne 
Veranlassung, bald gänzliche Apathie, arge Störungen 
der Intelligenz. Allmähliges Abklingen der Er¬ 
scheinungen nach Aussetzen des Jodoforms. Ge¬ 
dächtnis blieb lange stark geschädigt, die Intelligenz 
auch noch lange schwach, es machte sich eine reiz¬ 
bare Schwäche des Gemüthes geltend; Patient hatte 
stets Jodoformgeschmäcke und -gerüche, ferner be 
standen lange Agrypnie, hypochondrische Ideen und 
hochgradige Neurasthenie. Erst nach 4 1 /* Monaten, 
nach einem 8 wöchentlichen Aufenthalt in der Kadner- 
schen Anstalt (Kötzscbenbroda), wo eine Behandlung 
mit milden Bädern und Uebergiessungen, Massage, 
Turnen u. s. w. stattfand, und nach einer Nachkur 
in würziger Bergluft, völliges Schwinden aller 
Intoxicationserscheinungen! (Berliner klin, Wochen¬ 
schrift 1892. No. 7.) 


Similibus an suggestis? 

Mein Schlusswort. 

Von Dr. med. Julius Fuchs-München. 

Eine ganze Reihe stenographischer Concepte liegt 
vor mir. Sie enthalten Erwiderungen an Herrn Dr. 
Gerster, eingehend bis in's kleinste Detail. Aber 
sie bleiben imgedruckt; denn ich habe das Gefühl, 
wir überzeugen uns gegenseitig doch nicht. Trotz 
meiner Einsicht in das Wesen der Hypnose und 
des Suggestionismus, ja eigentlich gerade deswegen, 
bleibe ich auf meinem Standpunkt als Homöopath 
stehen und cedire den Suggestionisten keinen Finger 
breit von unserem redlich erworbenen geistigen 
Besitzthum. Ich erkläre hiermit, dass ich den 
modernen Suggestionismus auf seinem Gebiete ganz 
und voll anerkenne und zwar auf Grund theoretischer 


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Stadien and alter und neuer praktischer Anschau¬ 
ungen; ich erkläre aber auch, dass ich die nun 
endlich manifest gewordenen Dogmen des Herrn 
Dr. Geister nicht im Mindesten anerkenne und anf 
einem ganz anderen Grande meine Hoffnungen für 
die Zukunft der homöopathischen Therapie baue. 
Möge er mir gestatten, in einer späteren Abhand¬ 
lung erst darüber zu sprechen. 

Vorerst nur soviel, dass ich der Homöopathie, 
soweit es mir möglich ist, ihre volle Selbstständig¬ 
keit zu wahren gedenke. Die Homöopathie wirkt 
einzig aus sich und durch sich und ist keine 
Vasallin des Suggestionismus. „Suggestivtherapie“ 
mit Homöopathie verbunden — das ist Zukunfts¬ 
musik. Die Homöopathie wird dabei einen argen 
Rückschlag in ihrer historischen Entwicklung ver¬ 
spüren und ihr Ansehen wird sinken. Die Arznei¬ 
mittellehre kann dabei zu Grunde gehen; denn dann 
kann man ja auch reine Vehikel als Arznei geben ; 
wozu soll man sich denn da noch über Arznei¬ 
mittel wähl den Kopf zerbrechen? 

Der Suggestionismus im weitesten Sinne, wie 
ihn Gerster als mindestes Erforderniss der Zukunfts¬ 
therapie darstellt, scheint mir nicht viel, eigentlich 
gar nichts Neues zu bieten. Durch die peinliche 
Art und Weise, wie die Suggestionisten den Aus¬ 
schluss jeglicher suggestiven Einwirkung bewiesen 
zu haben wünschen , sobald es sich um eine von 
der ihrigen verschiedene Therapie handelt , beweisen 
sie ja selbst, dass dieser Suggestionismus wahr¬ 
scheinlich überall seine Hand im Spiele hat und 
von jeher hatte und gar nicht auszuschliessen war 
noch ist. Aber psychologische Kenntnisse soll er 
fördern? — Als ob die Homöopathen nicht eben¬ 
soviel davon besässen, wie andere Aerzte, als ob 
man sie nicht auf anderem Wege ebenso gut er¬ 
langen könnte! Wer weiss es, ob die meisten 
Suggestionisten ebenso feine Menschenkenner und 
Beobachter sind als die meisten Homöopathen! 
Und bezeugt es nicht unsere Literatur, dass wir 
mit dem Mesmerischen Magnetismus, der sicher 
tausend Vorzüge vor der Hypnose und Suggestion 
hat, viel früher schon vertraut waren, als diese 
(die Suggestionisten) nur aufgetaucht sind? 

Ich sage noch einmal, „die Homöopathie ist 
kein Suggestionismus und braucht keinen Sug- 
gestionismus, um mit ihren Mitteln etwas zu leisten. 
Wo diese aufhören, zum Ziel zu führen, wie es bei 
vorwiegend psychischen Erkrankungen zuweilen 
der Fall ist, da werden auch wir homöopathischen 
Aerzte uns dankbar daran erinnern, dass es ein 
Specialfach in der Medicin giebt, die Suggestiv¬ 
therapie, „durch welches uns die Möglichkeit ge¬ 
boten ist, die Abweichungen des Trieblebens auf 
ihrem eigenen Gebiete zu corrigiren“ (von Schrenck- 
Notzing.) Wir werden daher sehr gerne solche 
Kranke den Herrn Spezialisten zur gütigen Behand¬ 


lung überweisen. Aber wir werden Homöopathen 
bleiben und unsere Devise wird nach wie vor sein 
das altbewährte 

„Similia similibus !“ *) 


Die zeitweilig herrschenden 
Heilmittel. 

Im allgemeinen herrscht noch niederer Kranken 
stand, besonders bei Hafa-Herrnhnt. 

Die einzelnen Berichte lauten: 

Ide-Stettin am 12./12.: vor Kurzem häufig Lycop., 
öfters auch Chelidon.; seitdem aber Ferrum ganz 
besonders häufig bei Anginen, Dipbtheritis, Rheuma¬ 
tismen, Catarrhen. 

Dierkes-Paderborn am 10./12.: seit 3 Tagen 
= Laches. -f- Chin. (W.). 

Leeser-Bonn am 8./12.: in den letzten Tagen 
bis zum 7. vorherrschend = Veratr. (Ac. pliospb. 
-f- Ignat.); seit dem 7. = Mercur (W.). 

Kirn-Pforzheim am 2./12.: in den letzten Tagen 
meist Cin. + Led. (= Ammon, bromat.?); heute 
= Pulsatill. (Ac. oxalic. -f- Hyoscyam.); am 14./12.: 
Natr. mur. -f- Led. oder -j~ Iris (W.) bei epide¬ 
mischen Catarrhen. 

Ich-hier am 1. und 2./I2. vorwiegend = Mercur 
(Baryt, carb. -}- Bell.); vom 3. — 6. vorwiegend 
= Sabadill. (Natr. mur. -f- Tone.); am 7. besonders 
Calc. carb. oder Natr. mur. -f- Iris; am 8. vor¬ 
wiegend = Sabadill., daneben Baryt, carb. -j- Tone., 
auch Natr. carb. -f- Ipecac.; am 9. und 10. ganz 
vorwiegend = Pulsatill. (Hep. sulf. calc. -f- Ratanh., 
auch Silic. -f- Cina); vom 10. ab = Kali bichromic. 
(Baryt, carb. -f- Tone.) und = Pulsatill. allermeist 
zusammen bei Kranken, bei Gesunden nur ersteres; 
seit gestern Abend beginnt dieses Verbältniss zu 
schwanken. 

Weiss-Gmünd am 10./12.: vom 4. ab bei eatarrba- 
lisch gastrischen Erkrankungen und einzelnen In¬ 
fluenzafällen vorwiegend Natr. mur. (H.). 

Hafa-Herrnhut am 10. 12.: bei einzelnen Darm- 
catarrhen Rhus und Petrol. (H.); in chronischen 
Krankheiten besonders Baryt, carb. -f- Con. oder 
-j- Lactuc. vir., sehr oft auch Taraxac. -f- Baryt, 
carb. oder -4- Silic. (W.). 

Stuttgart, den 15. December 1892. 

Dr. med. H. Göhr um. 


*) Ich schlage vor, die gegen das homöopathische 

alle *von ihnen gewünschten und fausendmal verclau- 
ßulirten Experimente selbst machen. 


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Nekrolog. 

Die homöopathischen Aerzte Englands haben 
dnrch den am 20. Angnst d. J. in Waterloo bei 
Liverpool erfolgten Tod des Dr. Drysdale , im Alter 
von 75 Jahren, einen schweren Verlast erlitten. 

Promovirt an der Universität Edinburg im 
Jahre 1838 ward er dortselbst von dem damaligen 
Professor der Physiologie Dr. Flechter gleichzeitig 
mit den DDr. Black nnd Rutherford Russell mit 
der Homöopathie bekannt gemacht Nachdem die¬ 
selben ihre Studien in Edinburg beendigt, begaben 
sich alle drei nach Wien, um ihre Kenntniss der 
Homöopathie zu vervollständigen. Sie kehrten im 
J. 1841 zurück und gründeten in Edinburg eine 
homöopathische Poliklinik. Dr. Drysdale verlies 
bald diese Stadt, um sich in Liverpool dauernd 
niederzulassen, wo er durch 45 Jahre praktizirte. 

Auf dieser langen Lebensbahn konnte er 
eine ebenso zahlreiche als gewählte Clientei mit 
ärztlichem Rath versehen und noch die Zeit finden, 
mit Recht gerühmte Werke, wie: die protoplastische 
Theorie des Lehens, das Leben und das Kräfte - 
äquivalent, die Geschichte der Monaden und die 
miasmatische Natur der Infectionskrankheiten zu 
verfassen, die insgesammt eine hohe intellectuelle 
Bildung und eine besonders hervorragende Intelligenz 
bekunden. 

Er war Gründer des „ British Journal of Homoeo - 
pathy “ und blieb bis zu dessen Aufhören einer 
seiner eifrigsten Mitarbeiter; er veröffentlichte darin 
mehrere Originalarbeiten, unter welchen besonders 
seine Pathogenese des Kali hichromicum und des 
Glanderinum (Rotzgifr) zu erwähnen sind. 

Auch uns geziemt es, an dem Schmerze unserer 
englischen Collegen Theil zunehmen. Betrifft doch 
ihre Trauer die gesammte homöopathische Familie. 
Diejenigen, die sich dem Dahingeschiedenen nähern 
konnten, wie es auch dem 8 chreiber dieser Zeilen 
vergönnt war, werden noch lebhafter diesen schwe¬ 
ren Verlust empfinden, da sie Drysdale als Menschen 
und Gelehrten gleichzeitig schätzen lernen konnten. 

Dr. Th. Kafka. 

Personalia. 

Der horoöopath. Arzt Dr. H. Siemsen in Kopen¬ 
hagen feierte im November dieses Jahres sein 
25jähriges Jubiläum als homöopathischer Arzt. Dr. 
S. hat sich um das Ansehen der Homöopathie in 
Dänemark hoch verdient gemacht, und die Mitglieder 
des „Vereins der homöopath. Aerzte* daselbst über¬ 
lieferten ihm ein Jubiläumsgeschenk in Silber nebst 
einer ehrenvollen Adresse. Möge dem verehrten 
Jubilare noch eine lange Reihe gesunder thaten- 
voller Jahre im Dienste der Homöopathie beschiedeu 
sein! Die Red. 


Bechnungsablegung. 

Für das Homöopathische Krankenhaus zu 
Leipzig sind eingegangen bei Herrn Apotheker 
'William Steinmetz, Leipzig, in der Zeit vom 21./9. 
bis 20 ./ 12 . a. c. 

1 . für den Banfond 

von Herrn Dr. raed. Freytag-Leipzig 

(durch Dr. W. Schwabe) . . . . M. 500.— 

2 . für den Betriebsfond 

im Fremdenbuche im Krankenhause selbst „ 3.— 

als Legat von Herrn Dr. med. Justus 
Weihe sen., Herford (bereits separat 

quittirt).. 5000.— 

von Frau Timmich auf Wolfersdorf . „ 3.— 
von 3 Centralvereinsmitgliedem &M.6.— „ 18.— 
aus der Sammelbüchse bei Täschner & Co. 

Leipzig . . .. . 2.02 

Summa M. 5526.02 

Allen gütigen Gebern besten Dank. Wir bitten 
alle Diejenigen, die mit ihren Pflichtbeiträgen oder 
freundlichstzugesicherten freiwilligen Jahresbeiträgen 
im Rückstände sind, oder sonstig dem Krankenhause 
eine kleinere oder grössere Gabe zugedacht haben, 
um gütige baldige Einsendung, da wir dieser Bei¬ 
träge leider nach wie vor dringend bedürfen. Der 
Krankenbestand ist dauernd ein befriedigender ge¬ 
wesen, jedoch fast nur Patienten 3. Classe — 
darunter vorwiegend Kassenmitglieder —, wenige 
1. und 2. Classe, wodurch die Einnahmen an Kranken¬ 
geld wesentlich geringer waren, während die Aus¬ 
gaben dieselben blieben. 

Leipzig, 20. December 1892. 

Hochachtungsvoll 
William Steinmets, 
z. Z. Kassenverwalter. 


Druckfehlerberichtigung. 

Auf besonderen Wunsch des Herrn Collegen 
Kafka jun. machen wir auf einen Druckfehler in 
voriger Nummer aufmerksam, den sich jeder auf¬ 
merksame Leser wohl selbst leicht berichtigt haben 
wird. Es muss pag. 182, 2 . Spalte, 10. Zeile von 
oben statt „Supplicanten* natürlich heissen „Supp¬ 
leanten“ (Stellvertreter). Die Red, 


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ANZEIGEN. 



Bei den Revisionen der Hausapotheken der salbet* 
diepeMlreeden hemOopathieohen Herren Aerzte werden 
jetzt von den Revisoren an die Herren Aerzte hinsieht - 
lieh der Aufbewahrung der Venena und Separanda die - 
selben Anforderungen gestellt , wie an die Apotheker . 

Aus diesem Grunde habe ich für die Herren Aerzte 
kleine, praktische 

Giftschränkchen 

und 

Separanden-Schränkchen 

unfertigen lassen und stehe ich mit diesen gern zu 
Diensten. 

(Dieselben haben schon bei verschiedenen Revisionen 
vollste Anerkennung gefunden). 

Sie sind je nach Wunsch eichen-, oder nussbaum¬ 
oder mahagoni-artig lackirt, damit sie stets zur ander¬ 
weitigen Zimmereinrichtung passen. 

Ein Giftsobriakobea ist 100 cm hoch, 50 cm breit 
und 21 cm tief; unter einer Thüre, die das ganze 
Schränckchen verschlieast und mit dem Porzellanschild 
Venena versehen ist, sind 3 Abtheilungen für Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia, welche jede durch eine 
besondere kleine Thüre und besonderen Schlüssel für 
sich verschliessbar ist. In diesen Abtheilungen sind 
sowohl die vorschriftsmässig signirten Gefasse, als auch 
die entsprechend signirten Mörser, Löffel, Waagen und 
Gewichte aufzubewahren. Alle vier Thüren sind mit 
vorschriftsmässigen Porzellanschildern versehen. 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 30 M. 

Ein Separaadeaaohriakoben ist 70 cm hoch, 60 cm 
breit und 12 cm tief, enthält unter einer das ganze 
Schränkchen verschliessenden Thüre, die mit dem Por¬ 
zellanschild Separanda versehen, eine Einrichtung für 
80 flaconsä 15,0, auf Wunsch auch für andere Flaschen¬ 
grössen. In diesen Schränkchen sind alle Mittel auf¬ 
zubewahren, die laut Gesetz roth auf weiss zu signiren 
sind (siehe Kevisions-Etiquetten-Hefte). 

Preis eines solchen Schränkchens, leer, nur 24 M. 

Mehrfachen an mich herangetretenen Wünschen 
entsprechend, habe ich die Gift- und Separanden- 
Sohränkohen jetzt auch in einen Schrank ver¬ 
einigt, vorräthig. 

Die obere Abtheilung dieser Doppel schränke ist 
für die Separanda, die doch mehr gebraucht werden 
als die Gifte; die untere Abtheilung ist für die Gifte 
und hat 4 Unterabtheilungen (in oben beschriebener 
Weise), da auch Phosphor in gleicher Weise abge¬ 
trennt aufbewahrt werden muss wie die Alcaloide, 
Arsenicalia und Mercurialia. 

Ein solcher Doppelschrank ist 195 cm hoch, 22 cm 
tief und 62 cm breit, ist sehr gut gearbeitet und sieht 
sehr gefällig aus. — Das Lackiren derselben geschieht 
gleichfalls ganz nach Wunsch sehr sauber eichen-, 
nussbaum- oder mahagoni-artig. 

Preis eines solchen Doppelschrankes, leer, nur 

60 Mark. 

A. Marggraf s homOopath. OfHcln In Leipzig. 


Heute ist erschienen und zum Versandt ge¬ 
kommen die 5. Lieferung von 

Die vergleichende 

Arzneiwirknngslehre 

von 

Dr. med. H. GrOSO und Prof. Dr. med. C. Höring. 

Aus dem Englischen bearbeitet und herausgegeben 
von Sanitätsrath Dr. med. FftlllWUkBf, Bernburg a.S. 
Complet In 8 Lfjgn. fc Mk. 2.50. Einbanddecke gratis. 

KT* Wer das Werk lieber im Ganzen complet 
gebunden besieht, mag es anch sehen jetzt bestellen, 
aa später jedenfalls eine Preiserhöhung amtritt. 

Alle sechs Wochen kommt eine weitere Idefferung 
Jede Iiieferung: 0 Druckbogen, 4°. Preis 2ÖO Mk. 

Seit Erscheinen der 1. Lieferung vor wenigen Wochen 
sind eine grosse Menge Bestellungen auf* dieses Werk 
und auch eine ziemliche Anzahl von Anerkennungs¬ 
schreiben eingegangen, welche sämmtlich dieses Buch 
alsein ganz vorzügliches und für jeden homöopathischen 
I Arzt und gebildeten Laien unbedingt nothwendiges be- 
| zeichnen, sodass wir dessen Anschaffung nicht dringend 
, genug empfehlen können. 

ln Rücksicht auf den bedeutenden Umfang und die 
; hochelegante Ausstattung dieses Baches, die genau dem 
| englischen Originale entspricht, ist derSubscriptionspreis 
| thatsächlich ein ausserordentlich niedriger zu nennen. 
| Von allen deutschen homöopathischen Zeitungen 
| wird das Erscheinen dieser ersten vergleichenden Arznei- 
! wirkungslehre gleichfalls mit Freuden begrüsst und ihre 
I Anschaffung empfohlen. 

| Das ganze Werk wird somit Ende Mär/. 1893 be- 
, reits komplett gebunden vorliegen. 

Leipzig, den 20. December 1892. 

A. Marggraf’s hoinöopath. Ofllciii. 


i Den Herren Aerzten empfehle sämmtllche 

I Artikel zur Krankenpflege: 

I Verbandstoffe, ärztliche und 

i sonstige Instrumente, Instrumenten¬ 
taschen n. Wundverband-Apotheken 

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billigsten Preisen. 

Ausführliche, speciell chirurgische Preislisten 
werden auf Verlangen gratis und franco verschickt. 

i Leipzig, A. Marggraf s homöopath. Officin. 


Verantwortliche Redacteure: Dr. Öoehnin-Stuttgart, Dr. Stifft-Leipiig und Dr. Haedlokt-Leipzig. 
Expedition und Verlag von William Steinmetz (A. Marggraf s homöopath. Officin) in Leipzig. 
Druck von GrMSMr k Schramm in Leipzig. 


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